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Erſte Serie:Band6 |

bei Breitkopf s Gürtel in Leipzig

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De erſte Serie dieſer „Neuen wohlfeilen Geſamtausgabe“ wurde in einer Auflage von dreißigtauſend Exemplaren in der Buchdruckerei von Breitkopf & Härtel in Leipzig gedrudt. Den Einband und die Innentitel zeichnete Eric Gruner in Leipzig. Die Buchbinderarbeiten bejorgte H. Fikentſcher in Leipzig.

Sigwalt und Sigridh

en

Stilichv

Sigwalk und Sigridh

Eine nordiſche Erzählung

(frei erfunden)

Vollendet zu Salzburg am 3. Auguft 1898

und

meiner lieben Frau Cherele zu diefem Tag

unferer filbernen Hochzeit

zugeeignet.

I

Die Sonne janf blutrot in die See. Die Schlacht war gejchlagen am einjamen Fjord Allzuviele Speere hatten die Landwüſter geſchwungen, die, aus den Dracdhen- ihiffen gejprungen, Mord, Brand und Raub in die Ge- höfte getragen von Halgaland.

Auf ſchaumbedecktem Roß hatte ein Bote um Hilfe ge- rufen bei König Sigwin Weißbart. Der hatte gerade auf feinem Hochji in der Halle zu Halga-Bjürg das Horn erhoben zum Nachttrunf; er jebte e3 nieder, bevor er’3 zum Munde geführt. „Zu Roß!“ ſprach er. „Königs- hilfe eilt.“ Und mit den wenigen Helmen, die er um fih hatte in der Halle, war er den Wilingern entgegen- geritten, jeine Bauern zu jchügen.

Nun lag er jpeerwund auf zerjpelltem Schild; der weiße Sand der Düne ward rot von des alten Mannes Blut. Tot neben ihm lagen fait al’ feine Gefolgen: in die Ferne, landeinwärts, gen Mittag tobte der Lärm der verfolgenden Sieger hinter den Schlachtflüchtigen her.

Die Wellen der beginnenden Ebbe wichen mählich, mäh- lich zurüd: immer leifer, leifer, wie abjterbend Leben. Es war nun totenjtill auf der Strandheide, darauf vor furzem der rafjelnde Kampf getoft.

Der wunde König hatte die Augen gejchlojfen: nun

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ihlug er fie auf: denn von Niedergang aus dem nahen Föhrenwald raujchten zwei Naben dicht über feinem Haupte Hin, als wollten fie ihn weden. Dann bäumten fie auf in der alten, morihen Dünen-Weide.

Der König Hob den Kopf und jah gegen Weiten. Und nidte jtumm. Er jchien ihn zu fennen, den Wanderer, der von daher nahte, langjam herausschreitend aus dem Saum der düſtern Bäume. Erwartet jchien er ihn zu haben. Denn als der fich jchweigend auf den fchwarzen Bauta-Stein zu feinen Häupten jebte, den Speer über die Schulter gelehnt, die der dunfelblaue Mantel bededte, das gewaltige Haupt unter dem Schlapphut zu ihm gebeugt, da ſprach der Wunde: „Du hältſt mir Wort.“

„Wie du es mir gehalten.“

„Nach unſrem Bund und Bertrag! Sieg und Glüd hatteft du mir verjprochen: und haft fie gewährt al’ dieſe langen Sahre. Dafür jterb’ ich jegt den Bluttod und folge dir nah Walhall, unter deinen Einheriar für dich zu kämpfen.“

„Und Walhalls Wonnen zu teilen. Schau empor! Schon nahen dort im Gewölk auf ihren grauen Roſſen die Walküren. Aber du blickſt nicht freudig. Fürchte nicht das Sterben: es ſchmerzt nicht. Nur das Leben ſchmerzt: zuweilen.“

„Ich fürchte nichts für mich. Aber mein Knabe! Wenige Winter erſt zählt er. Einen Spätling gebar ihn mir die Mutter. Und ſtarb. Schutzlos ſpielt er im Baum— anger von Halga-Björg. Meine Geſippen, meine Gefol— gen liegen tot. Wer wird ihn ſchützen?“

„Ich! Sein Pate! Der ihm den Namen gab: Sigwalt Odinsfreund ſchulde ihm Patengabe. So ge— lob' ich dir: ich rette ihn jetzt vor allen Feinden. In dieſen Mantel geſchlagen trag' ich ihn hoch durch die Wol—

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fen auf ein fernes Eiland jiher vor Schaden wächjt dort er heran. Zur rechten Zeit kehrt er zurüd, fein Erbe zu erjtreiten mit fieghaftem Schwert. Alsdann geb’ ich ihm zum Schuß einen Schild Einen lebendigen Schild.”

„Einen lebendigen Schild?" ftaunte der Wunde. „SH kann's nicht faſſen.“

„Einen lebendigen Schild, der ihn ſchützt immerdar. Wenn er nicht ſelbſt ihn zerſtört.“

„Das wird er nicht.“

„Weißt du das? Selbſt die Nornen wußten's nicht, al3 ich fie fragte. Denn was fie weben, nicht wifjen’s die Weber. Auch nicht die Schidjal-Weberinnen! Gie weben, was fie müffen, nicht, was fie wollen. Aber ge- forgt wird für das Patenkind fo treu der Pate forgen kann. Du weißt: ‚reich lohnt Ddin ...“

„Treue Freundichaft!” nidte der Held. „Ich danke dir. Sieh, mit legtem Blide ſchau' ich dort die Walfüre nahn. Sch höre das Schnauben ihres Roſſes. Nun wird e3 Nacht vor meinem Auge . . .“

„Bald wirft du wieder ftrahlend Licht erfchaun. Raſch, Helmwine, trag ihn empor!“

H.

Zwanzig Winter waren vergangen.

Der linde Lenz war gelandet auf dem Eiland der AUngeljahjen. Auch in den Königsgauen von Kent. Lieb- lich blaute dort an der Dftfüjte das Meer um die vor- fpringenden Landſpitzen und Kleinen Eilande, Heine rofig behauchte Wolfen zogen über den hellen Himmel Hin bei

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fauem Südweſt: in Bluſt und Blüte ftand Weißdorn und Notdorn: um die jtark duftenden Dolden flogen emfig die Bienen.

An den feinen weißen Sand des Strandes fpülten ſanft die Wellen des Yeife atmenden Meeres: Sehnſucht wecte die janfte Bewegung, unbeftimmte, in die Ferne hin mwiünfchende, hoffende Sehnſucht. Sie flutete auch in den Träumen des Sünglings, der, den Rüden an die fteil auffteigende Dünenwand gelehnt, Hinaus fchaute in Die unabjcehbare See, aus der die Morgenjonne, die Nebel wie mit goldnen Wurflanzen vor jich niederjtrahlend, fieg- haft aufitieg wie ein junger Held.

„Soll ich dich freudig grüßen, neuer Tag?" ſprach der Träumer leije vor fi hin. „Warum freudig? Sch habe feinen Grund zur Freude. Oh, das war ein undanfbar Wort. Hörten’s König Hengift und die Thane und Hall- genofjen und nun, und andere! mit Recht würden fie dem Unzufriedenen grollen, an dem fie Gutes getan nur Gutes! dieje zwei Jahrzehnte.

Wenn ich's gedenfe! Ein zarter Knabe war ih in einem bäumereichen Anger nah einem jtolzen Königs— Haus war ich eingejchlafen auf blumiger Wiefe. Wie im Traum war mir, al3 würd’ ich aufgehoben und davon- getragen von einem Gewaltigen in faltigen, Tangmwallen- dem Mantel über Wälder und Felſen und Meeresiwogen dahin. Als ich erwachte, ſaß ich in fadelheller Halle auf eines hohen Mannes Schoß: ringsum ftanden und jtaun- ten feine Thane. ‚Heil!‘ riefen fie. ‚König Hengijt! Das war Wodan, deiner Sippe Ahnherr ſelbſt, der urplößlich hier vor deinem Hochſitz ftand: nicht hatten die jchar- fen Torhunde angeschlagen! in Hut und Mantel und dir den jchlafenden Knaben auf den Schoß jeßte, den

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Finger mahnend hob und aus der aufgefprungenen Türe wieder verſchwand wie ein dunfelblauer Rauch.“

‚Sa,‘ jprach der gute König. ‚Das war Wodan. Und mein Schoßſohn foll der fremde Knabe fein, da mir meine Königin nur eine Tochter gebar, bevor fie jtarb. Aber wer mag er fein? Wie mag er heißen? Da, ſchaut auf der Silberfpange an feinem Arm, die Runen: „Sigwalt Ddinsfreund! Reich lohnt Odin treue Freundfchaft." Aus Norland ftammt er: Odin jagen fie dort für Wodan.‘

Da, deutlich zeigt es heute noch die breite Spange. Und wie einen Sohn wahrlich hat alle Zeit der greije König mich gehalten. Und feine Thane. Und Guntfride, feine Tochter, das viel gute Kind: zur Schweiter hat ihre Güte fie mir gemadt. Und Waffen eigne ich, Ringe und Roſſe und breite Weizenäder in drei Shiren: neben dem König fiß’ ich in der Halle, manchen Sieg erfocht ich ihm über die jchlimm heerenden Wikinger aus Seeland: ſchon rühmen Harfen-Sfalden mein rajches Schwert . . .!

Und doch!

Unfroh jchlägt mir, leer, unausgefüllt das junge Herz in der Bruft. Und ein Fremdling bin ic) im Lande.

Süngft ſah ih am Ufer des rafchen Midway einen itattlihen jungen Baum, eine freudige Buche: mit allen Wurzeln Hatte die Überflutung ihn Losgeriffen von der nährenden Scholle der Heimat und ihn fortgetragen im Braus: nun lag er am Sande: die fröhlichen grünen Zweige welften gelb: er konnte nicht Wurzel fafjen in der Fremde: jo ftarb er Hin!

Und fo zehrt an mir ein ſeltſam Weh. Iſt's Heim- weh? Dft zeigt mir ein Gott im Traum ein fernes Land, mit hohen Eisbergen, mit raufchenden Fjorden einen Baumanger, darüber ragend ein altes Königshaus mie ich's in Kindheit-Tagen um mich gejehn mein Land,

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mein Vaterhaus! Uber fremde, feindliche Männer fchalten darin. Dorthin zieht mich der Seele Drang. Dorthin gehör ich nach Pflicht und Recht!

Und auch da drinnen tief in der Bruft da Eafft Ichmerzend eine Leere. Nicht der milde König, nicht die Hallgenofjen, nicht das holde Kind füllen fie und ftillen das Sehnen. Ach, ein Andres begehr’ ich fo Heiß! Allein was? Wen? Wohin zielt dies Sehnen? Alles liegt mir verhüllt: verjchleiert wie die ferne See dort von weißem, flirrendem, wogendem Nebel!

Uber Halt! Was jeh ih? Was taucht auf über jenem Nebeldunft, Hoch, Hoch ob der Seeflut? In den Lüften des Himmels! Eilend jagt es heran, unhörbar die zer- gleitenden Wolfen zerteilend! Ein eifengrau Roß! Darauf ein Weib! Eine rafche Reiterin! Wie fließt aus dem Helm ihr das goldene Haar! Wie glänzt ihr die Brünne im Sonnenglaft! Sie naht! Schon ift fie da! Schon hält vor mir im Waſſer de3 Strandes das jchnau- bende Roß! Wie zauberjchön ift fie! Wer bift du, Jung— frau der Wunder ?“

Da lachte fie freudig, die Herrliche Maid und bog fich zu ihm herab, den Hals dem Roſſe Elopfend: „Sigridh heiß ich. Siegvaters Tochter rühm' ic) mich und feiner Schildjungfrauen jüngste. Heil dir, Sigwalt, mein Gefel! Denn dir zur Gejellin hat mich Siegvater beftellt. Wohl tat er daran: denn du gefällit mir, Siegwalt! Gern werd’ ih dir des Sieges malten. Schau dort gen Nordoſt! Schau ſcharf! Weichet, ihr Wolfen! Siehſt du nun? Ein Drachenſchiff rauscht heran. Das führt Arn, deines Baters alter Waffenträger. Er Holt di heim, Herr Sungfönig von Halgaland. Die Heit ward reif. Der rechte Erbe ſoll fein Erbe reißen aus böjer Nachbarn Gewalt. Wohlauf, zum Kampf, zum Sieg, mein Gejelle!“

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„Ob Halt! Halte noch! Nicht wende das Roß! Nicht enteile jchon, du Herrlihe! Wo mo wann jchau ich dich wieder?“

Da ſprach die Jungfrau ernit, warnend die Rechte hebend: „Nicht wünſche dir das, mein Geſelle. Wann je du mich wieder fiehjt, droht dir Verderben. Ich aber werde dich gar oft jchauen, aus den Wolfen herab, und dieſer Schild wird oft dich bejchirmen. Du jedoch wünjche dir nicht, Sigridh wieder zu jchauen! Und gelobe zu fchweigen von diefer Begegnung.“

„Sch gelob’ es bei deinen wunderbaren Augen.“

Sie nidte lächelnd und ſchon verfchwanden Roß und Reiterin im jonnendurchjlimmerten Nebel Hoch in den Lüften.

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König Hengift im grauen Bart jaß auf dem Hodjit in feiner reichen Halle, um ihn her jeine Gefolgen, feine Schildgenofjen, ihm zunächjt die tapferjten, treuften. Unter ihnen eilten hin und her mit hochgehenfelten Krügen voll Metes und Üles weißarmige Maide. Und nicht ver- fchmähte es ihre Herrin, des Herrichers junge Tochter, aus goldenem Krug den Geehrtejten der Thane die verfilberten Hörner zu füllen. So tat fie auch Sigwalt und den drei vor furzem gelandeten Gäjten, die, in voller Rüftung jeefährtiger Männer, neben ihm an einer runden Tafel unterhalb der Stufen des Hochſtuhls ſaßen. Bögernd, traurig ruhte dabei der Blick der janften dunfelbraunen Augen auf dem Füngling.

Der ſah es nicht: ein freudiges, ein ftrahlendes Lächeln

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jpielte um die halbgeöffneten Lippen, auf denen der blonde Flaumbart fproßte; die blitenden grauen Augen hingen an dem Mund des Königs, der nun das hohe Wijenthorn zur Seite ſchob und begann: „Selten jchreitet Frau Saelde unbegleitet über der Erden-Männer Schwelle: ein Schatte folgt ihrem Leuchten. So fam auch in dieje Halle Freude gejchritten, Hand in Hand mit ihrem Zwillingsbruder, Schmerz. Freude muß es ja fein jung Sigwalts Freunden, daß ihn eine Zaubertat Wodans .. . . ich kann es faum glauben, fonnte es nicht ganz verftehn! Berichte genauer, Urn, Arnjteins Sohn! Wohl kannt? ich dich ſchon vor vielen Wintern als wahrhaft und treu, König Sigwins Schildträger, al3 wir alle drei noch in braunen Haaren gingen. Darum glaub’ ich deinem Wort, auch was nicht glatt zu glauben. Sprich, wie war e3 doch?“

Der Alte hob fih vom fellbedekten Sit zur Rechten Sigwalts, neigte fih dem König und, indem er faft zärtlich die Linfe auf des Sünglings Schulter legte, hob er an: „Reichen Dank ſchulden wir alle dir, wir Männer aus Halgaland, milder König, für alle die Milde, die du unſrem Jungkönig getan Haft immerdar: der Dank fliege pie eine weiße Taube meinen Worten voraus. Nun hört, was wunderjam, aber wahr.

Shr Habt wohl duch fahrende Skalden, auch durch eure Kaufſchiffe etwa, die nicht jelten in unſre Fjorde ein- jegeln, reichere Güter als unjer rauheres Land eignet, uns zu bringen, ihr habt wohl vernommen, was bald nad) unſres teuren Herrn Tall geſchah. Sch und mein Bruder Arnſtein hier und mein Neffe Arngrimr, Arngers Sohn, find die einzigen aus feinen Gefolgen, die ihn überlebten: denn wir weilten damals zu Lethra auf Seeland bei dem Dänenfönig als feine Boten. Als wir heimfehrien, fanden wir herrjchend in der Halle zu Halga-Bjürg Swen, Jarl

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in Hardaland, einen jernverjippten Better unjres Königs— hauſes. Der war auf das erite Gerücht von jenem blutigen Tag herbeigeeilt in da$ verwaijte, das meijterloje, unverteidigte Land: denn die Wikinger waren hurtig wieder abgejegelt, nachdem fie ihren reichen Raub auf die Drachen geichleppt. Swen aber, der Finjtere, hätte wohl auch des Königsfnaben, des echten Erben, nicht gejchont, fand er ihn in der leeren Halle! Aber der geplante Mord des Gejippen blieb ihm erjpart: denn wie durch Zauber war das Kind entrüdt aus dem wohl umhegten Obftanger, in dejjen Rajen jchlummernd es die Wärterin verlafjen.

Jarl Swen griff nad dem entjunfenen Königsſtab: jeine mitgebrachten Gauleute die landfremden! er: zwangen jeine Wahl. Vergebens eiferten wir drei und unſre Gejippen gegen den Anmaßer: wir forderten, der jolle nur al3 Muntwalt des Königsfnaben der Herrihaft einjtweilen walten! Denn wir gaben die Hoffnung nicht auf, den Berjchollenen wiederzufinden. Aber der Schwarzlodige lachte: ‚Tot iſt der Nejtling des alten Adlers! Wünjcht nicht, mir ihn lebend zu bringen! Oder vielmehr den, welchen ihr für ihn ausgebt: wenige Atem- züge hätte er dann noch zu leben.‘

Wir aber verzagten nicht: wir vermuteten, die Wikinger hätten ihn gefunden und mit den andern Ergriffenen fort- geführt: freilich jollte er ja jchon am Abend verſchwunden jein, noch bevor in der Nacht die Räuber die Halle erreichten: allein wir hofften gegen die Hoffnung und unermüdlich zogen mwir aus jedes Frühjahr, fobald die Bjorde eisfrei geworden, und forjchten und juchten in jener BWifinge Heimat in Svearife und fonjt an allen Küften Nordlands, ja auch Sachslands und fogar Francias nah dem Berihwundenen: auch in mander Hafenjtadt eures weltfernen Eilands: alles vergeblich!

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Als wir aber wieder einmal heimgefehrt waren aus dem fundloſen Suchen, da empfing uns in allen Hallen, Höfen und Hütten verzweitelndes Klagen über des Gemwalt- herren graufam hartes Walten. Bon Winter zu Winter trieb er’3 ärger! Nicht als ein König herrichte er, der doh nur um feines Volkes willen mwaltet über ung freie Nordleute: nein, fein Wille laut fprach er’3 aus in frevfer Überhebung! fein Königswille follte oberftes Geſetz jein in jeinem Reich. Das aber iſt unerhört bei allen Nordleuten, fo lange fie fchreiten auf der Männer- Erde! Und er ließ es nicht bei dem frevlen Wort recht: Iojen, maßlofen, ruchlofen, wahnfinnigen Königsſtolzes: frevle Taten führten es aus. Wer ihm widerſprach, war er noch jo tapfer im Heerfeil, noch jo weiſe im Rat, verbannt ward er aus feinem Angefiht! Gewalt-Drud gegen jeden freien Naden, der fich nicht beugte feinen Königslaunen, füllte das Land. Da beriefen wir Arninge ein All-Land-Ding nad) Halgaftein an dem Mf-Fjord, zu beraten über den Sammer des Bolfes und wie ihm zu helfen fei. Aber der Gewaltherr erfuhr’s: mit feinen Gefolgen, den wilden Gejellen aus Hardaland, und mit vielen getworbenen Söldnern, Wilingern, Zandräubern, üblen Bauber- Finnen, überfiel er uns, fprengte uns auseinander, mordete, wen er erreichte, vertrieb die übrigen aus der Heimat und mwütete nun ohne Widerjtand wilder als zuvor!“

Da jtöhnte jung Sigwalt, die Hand des Alten ab- jhüttelnd und mit der Rechten an die Stirne fchlagend: „Und ich jaß hier und tranf Schoßvaters Met und Lie mein Bolf verderben! Aber Geduld, Halgaland! Dein König kommt!“ Und zornig fchlug er mit geballter Fauft auf den Tisch, daß die Hörner und Becher erflirrten.

„Gut gefreiicht, junger Adler!“ Tächelte der Graubart

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wohlgefällig, „ja, bald jollit du die Fänge brauchen! Wir drei und wenige Genojjen waren den Mordbuben entfommen. Noch einmal begannen wir die hoffnungsloſe Sude: diesmal bis Friesland! Bergeblih! Wir anferten zuleßt vor einem Kleinen friejiihen Werber. Traurig lagen wir drei eines Nachts auf Ded der kleinen Sifchernaue, auf der wir entflohen waren. Es war ein nebelreicher, düſterer Herbjttag gemwejen: aber jet drang zuweilen der Vollmond durch zerrifien Gewölf, das vor dem Winde trieb: und dann erglänzte unjer Scifflein, Majt und Luvjegel jilberhel. Zum Tode betrübt jprad) ih da zum Bruder: ‚Untragbar Hartes legte Odin uns auf. Weder den Klönigserben läßt er uns finden noch den Machträuber, den Nechtsbrecher ftürzen: mit anjehen müſſen wir’3, wie unjer Volk zertreten wird. Sch mag's nicht länger tragen. Sch binde mir den fchweren Drei-Anfer dort um den Hals und . . . ‚Nicht aljo, mein Bruder,‘ ſprach Arnſtein kopfſchüttelnd. ‚Wohl wollen wir ein Ende machen. Uber nicht hinab zu Ran, in ihr graufiges Netz ...“ ‚Und dann gar nach Hel,‘ rief mein Neffe, diefer Arngrimr da. ‚Nach Hel! Dem ewig freudlofen, wo bleihe Schatten jeufzend jchweben, noch einmal zu fterben wünfchend, um nie mehr zu erwachen. Graunhaft ift Hel! Nein, heraus die Schwerter, alle drei. Seiner fol den Kampf überleben! Und nah dem Bluttod: auf, nach Walhall! ‚Sa,‘ jchloß ich und griff ans Schwert. ‚Was frommt’s zu leben, da jung Sigmwalt tot!‘

‚sung Sigwait lebt!‘ ſprach da eine Stimme hinter und, vom Strande her, eine Stimme, deren gleichen ich noch nie gehört: nicht laut: verhalten, aber alldurd- dringend. Wir fprangen auf, wir fahen Hinter uns: da glitt dit an unſrem Badbord hin, aus dem Nebel in den

Dabn, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Br. VI. 2

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Bereich des Vollmonds tauchend, ein winzig feiner Kahn: an defien Steuer jtand ein Gewaltiger in dunklem Mantel mit breitrandigem Hut. Wir erjchrafen über dem plötz— lichen Auftauchen von Schiff und Mann, die nun dicht Bord an Bord mit uns lagen. Bald aber faßte ich mich und ſprach entgegen: ‚Der du unhörbar nahſt und geheime Zwieſprach erlaufcheit, wie lautet dein Name?‘

‚Nur eines Namens genügte mir nie, jeit ich unter die Völfer fuhr.‘ ‚Und dies Echifflein?‘ fragte Arngrimt. ‚Wie kannſt du auf diefem Baumblatt in See gehen?‘ ‚Skidbladnir,‘ lachte der Wirrbart, ‚ijt der Schiffe beites.‘ ‚Einen Kaufmann acht’ ich dich, einen fchlauen riefen,‘ meinte mißtrauifch der Bruder. ‚Sa,‘ fuhr ich fort, ‚ver nach Golde gehrt. Aber wähnteſt du, durch günftige Runde, durch täufchenden Troſt Gold als Botenlohn von

uns zu erliften und Gabe...‘ ‚Da irrſt du, Freund,‘ fachte traurig mein Neffe, ‚leer find ung Ranzen und Taſche.“ ‚Alle Lande Haben wir durchforicht nad)

Sigwalt,‘ fchloß ich unwillig. ‚Nichts fanden wir! Warum jollten wir dir glauben?‘ Nicht glauben follt ihr: jehen! Schaut her!‘ ſprach der Fremde befehlend. Er redte den rechten Arm aus dem Mantel vor, bog ihn, jtemmte die Fauft auf die Hüfte und gebot: ‚Seht durd dieſes Arm-Bogens Rund. Schaut in die Halle des Königs von Kent.‘

Wir drängten uns vor, dicht heran, die Köpfe Dicht aneinander und oh Wunder! Wir jahen.... .“ „Nun?” rief mit mweitgeöffneten Augen auf den Erzähler jtarrend die Königstochter. Aber glühende Röte der Scham über- 90% jofort die Wangen der Jungfrau, die in die Rede der Männer geredet. „Ihn jahen wir, Hold Königskind! Und did! Und König Hengift dort auf jenem Hochſitz und viele diefer Thane hier jigen an diejen Tiſchen.“

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„sa,“ fuhr der Neffe fort, „und jo deutlich und hell zeigte ihn uns der Vollmond wie ihn hier die vielen Fackeln nicht zeigen.“ „Und jo ähnlich jah er feinem Vater,“ ... unterbrad) Arn. „Und jo ganz ähnlich auch dem Knaben in den Tagen, da er verſchwand . . .“ „Daß wir alle drei jubelnd riefen: ‚ja, er iſt's: er lebt! Heil, König von Halgaland!‘*“ „Und al3 wir nun die Augen endlich von ihm löſten und dem Zaubermann danfend ins Antlit jehen wollten, ...." „Da verihwamm der plößlich in wallendem Nebel...“ „Dunkel Gewölf z30g über den Mond...“ „Und verichwunden waren Nachen und Mann!“

„Und erfannten wir da alle, wer der Fremdling ge- wejen.“ „Und erichauernd fanfen wir auf die Siniee und riefen: ‚Dank dir und Heil, Odin von Asgardh! Du wahrlich der Wunſchgott!““ „Und noch in der- jelben Nacht lenkten wir unjer Schifflein nordwärts, lan— deten alsbald an abgelegener Feljenbucht der lieben Hei- mat, beriefen die nächjten Gejippen, Nachbarn und andre treue Männer in nächtiger Heimlichkeit, verfündeten ihnen die frohe Kunde und fragten, wer mit uns ausziehen wolle, den Königsfohn würdig abzuholen nach Halgaland zum

Kampf um jein Erbe?“ „Und meldeten fih da fo ‚viele, denn der Haß gegen den blutigen Eber war noch immer gejtiegen! daß wir gar manche zurüdweijen

mußten von dem einen Drachenſchiff, das wir nur auf bringen Fonnten für jo weite und jo wichtige Fahrt.“ „Und glücklichen Fahrwind, freudigen Oſtnordoſt, blies uns der Wunſch- und Wind-Oott in die Segel, daß wir in nie erhörter Rajchheit diefen Strand erreichten..." „Und gleich unjern Jungfönig trafen, einfam auf dem Dünen— land liegend, voll Sehnjucht, wie er uns jagte, nad) der Heimat und hinweg von hier.“ 9%

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Da traf Sigwalt ein jchmerzlicher Bli der fanften braunen Augen.

IV.

Allein abermals fah er das nicht, wie er nun auf ſprang und, die Rechte zu dem König emporredfend, freudig rief: „Ka! Mich verzehrte ein Sehnen: ich wußte nicht, nah was? Nah wen? Nun weiß ich’: nach der Hei- mat, die den Netter, den Rächer ruft. So heifch’ ich denn Urlaub, König Hengiſt, Schoßvater- nein, den Blut- vater haft du mir erjeßt. Habe denn Danf, mein Vater, für alle Liebe und Güte! Urlaub Heifch” ich für immerdar!“

Da ſchwebte unhörbar ein Seufzer aus den zudenden Lippen des Mädchens.

Der alte König aber ſprach gar ernft: „Leicht wird dir, furz machſt du das Sceiden nad jo langen Fahren! Doc iſt's der Jugend Art: in die Zukunft Schaut fie, freudig hoffend, vor-, nicht rückwärts bfidt fie auf das Bergangene! Und ich darf nicht jchelten, nicht wehren. Dich ruft dein Volk, dich entjendet der waltende Wodan. So zieh Hin im Schuße guter Gewalten. Zum Abſchied al3 Ießte Gabe! geb’ ich dir mit mein bejtes Drlog- Ichiff und Hundert Helme: ich brauche fie nicht zu bannen zu diejer Heerfahrt: ich weiß, viel mehr als Hundert wer- den ſich drängen unter deine Fahne: denn aller Herzen ach aller! Liebling warft du Hier. In wenigen Nächten find Schiff und Schar gerüftet: dann magſt du jcheiden wie du es wünſcheſt! für immer.“

Des Alten Stimme bebte: er ftocdte: ein rajcher Blid juchte der Tochter Auge: aber diefe hielt die dunfeln

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Wimpern tief geſenkt. „Doch,“ jchloß er, „vergiß in der

Heimat nicht ganz diejes Landes... . .“ „Zweite Hei- mat ward e3 mir!” rief der Jüngling. „Noch der treuen Herzen, welche dir hier jchlagen.“ „Oh mein

Bater! Dh Öuntfride! Laß dich Schweiter nennen! Aber... wohin wie entjchwand die Jungfrau jo raſch?“

*

Und nach wenigen Nächten lag das mächtige Königs— ſchiff neben dem kleineren aus Halgaland ſegelfertig wie dieſes. Und auf beiden Decken ſtanden hinter den hohen und dichtgefügten Schildwehren der Flanken die hundert Krieger von Kent und die ſechzig aus Halgaland in voller Waffnung.

Von der Königsburg her führte außer der breiten Königs- und Heer-Straße nad der Küſte herab ein ſchmaler Pfad durch einen ſchönen Wald: diefen Weg, ihm allvertraut und lieb, wählte Sigwalt für feinen legten Gang, nachdem er von dem König und deſſen Thanen Abſchied genommen Hatte und nun die Seinen auf den Schiffen auffuchte zur Abfahrt. Langjam jchritt er: oft blieb er unterwegs jtehen, mancher Stunde des frohen Weidwerks gedenfend, auch mancher des Balljpiel3 mit der Königstochter und deren Maiden, von mand alten Baum Abſchied nehmend, wie von altem Freund.

Gerade Hatte er finnend zu einer mächtigen Ejche binaufgejhaut, ‚dem Wodan-Wipfel‘, wie die Krone hieß und wollte nun fürbaß ſchreiten: da raufchte e3 in dem dichten Buſchicht von niedrigen Hainbuchen um

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den Stamm her umd eine janjte Stimme jprad: „Nimm noch was mit!“ Und aus dem Didicht trat des Königs— findes zarte Geſtalt.

„Buntfride!” rief der Jüngling freudig überrafcht. „Das ift gütig, ift freundlich: dies Lebte wie alles zuvor. Umfonjt forichte ich nach dir oben im Frau’njaal, Abſchied zu nehmen. Deine Gürtelmaid wußte nicht, wo...“

„sch aber wußte, du werdeft ihn nochmal grüßen, den MWodanwald. Denn du bijt treu in deiner Freund» ſchaft. Und hier, vor unfern lieben Bäumen, jolltejt du- ein Andenfen nehmen an Guntfride.“ Sie ſchlug den lihtgrünen Mantel auseinander und reichte ihn dar ein vieredig Stüd blaugrauen Tuches, das war in Gold reich mit Runen benäht und mit Bildern bejtidt. Sie hielt es ihm nun, auseinandergejpreitet, vor die Augen. Freudig griff er danadh: „Eine Fahne! Meine Fahne, wie der alte Arn mich gelehrt. Durch den graublauen Himmel hin jchweben Siegvater8 Raben. Und fieh, ringsherum der Runenſpruch auf meiner Spange: ‚Reich lohnt Ddin treue Freundſchaft.“ Sch danke dir, liebe Schweiter! Wer hat dich all’ das gelehrt?"

„Kun: Arn. Und das Herz. Uber emſig galt es ftifen und nähen. Hatte ich doch nur wenige Tage! So nahm ich die Nächte dazu.” „Deshalb alfo jah man dich Fast nie mehr al’ diefe Zeit! „Wahrjcheinlich deshalb,“ Tächelte fie traurig. „Möge ſtets der Gieg in diejer Fahne rauschen ob deinem Haupt!” Da ge dachte Sigwalt der herrlichen Walküre, die ihm das Gleiche gewünjcht, nein, geweisſagt. Schon öffnete er die Kippen, ihr davon zu jagen: doch er gedachte, wie er Schweigen gelobt. Und er ſchwieg.

„ber nicht nur Siegvater befreunde dich,“ fuhr fie fort und jah zur Erde. „Frigga führe dir zu die freudige

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Frau, dir zu dienen in Demut, dir die Halle, dir all’ dein Leben zu jhmüden durh Schönheit. Denn jolches, dünft mich, ift Frauen Art und Amt.“ Da gedachte Sigwalt der jchönen Walküre, aber auch ihres Warnworts, fie wieder fchauen werde jein Verderben. So jchüttelte er leife das Haupt. „Ountfridens aber,“ jchloß fie, „ſollſt du nur dann gedenken, wann du ihrer bedarfit. Du oder .... Die Deinen. Wohl bin ich nur ein Weib: aber viel mag Weibesfreundichaft frommen, ijt fie treu. Und ich bin treu.” Schon war ſie im Buchen-Didicht verſchwunden. „Suntfride! Habe Dank! Verweile noch." Aber jchon nidten ganz fern die Büjche, durch die ſie dahinglitt. Noch einen kurzen Blid warf der Jüngling ihr nach; dann jchlug er das Fahnentuh um die Schulter und jauchzend iprang er hügelab hinunter zur Küjte.

Nun traten von links her von der andern Seite des Schmalpfades aus dem wildverwachienen Buſchicht ein hoher Mann und in linnenblüten- farbenem Ge— wand eine wunderherrliche Frau. Jener jah dem ent- eilenden Helden, dieje der verſchwundenen Jungfrau nad).

„Arger Gott!“ ſprach zuerjt die fönigliche Frau. „Aber: mals führjt du deiner Lieblinge einen zu deinen ftolzen Bielen und wenig fümmert’3 dich dabei, geht der Weg dabei über zudende Herzen. Mich erbarmt des Lieben, jtillen Kindes, des pfeilwunden jungen Rehs! Sch will ihr Vergeſſen in die Seele zaubern.“

Odhin zudte leife die Achjeln: „Tu's, wenn du willſt. Aber wie jpradhejt du, als ich die gleiche Gunft Hilde gönnen wollte nah SHelgis Fall? Wie fprah da die Göttin der echten, weil der treuen Liebe, nicht Freia, die heiße, die wechjelfroge? ‚Befjer um Liebe leiden, ja um

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Liebe fterben als ohne Liebe Leben.‘ Haft du feither dei- nen Sinn gewandelt?“

„Du weiſt, Frigga iſt unwandelbar,“ ſprach die fchüne Frau und legte ihre beiden herrlichen Arme auf jeine bei- den Schultern. „So bleibe ihr der Liebe Leid. Auch das ift Glück. Und vielleicht wird ihr doch noch ein Lohn ihrer Treue.”

„Niemand weiß finniger Treue zu lohnen, als Frigga, der Treue Göttin ſelbſt,“ ſprach er und küßte fie auf die Augen

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Und wäre nun viel davon zu fagen, wie Sigwalt mit feinen beiden Schiffen, vor gutem Winde treibend, gar raſch an die Küſte feiner Heimat gelangte, wie fie lan- deten, wie aus allen Heraden und Fylfir die Männer herbeieilten, auf die Kunde, König Sigwins Sohn fei heimgefehrt, fein Erbe zu nehmen von dem Landräuber und die gequälten Ddalbauern und Bonden zu befreien von Drud und Jochzwang. Und wie fein Haufe fchnell anwuchs mie ein Schneeflumpen, der vom Gletſcher herabruticht, jo daß er nach wenigen Nächten den Ge- waltherrn auffuchen konnte in feiner fejten Zwingburg, die er fi nahe der alten Königshalle aufgetürmt hatte am Haugar-Fjord, unter harter Fron der Bauern ringsum. Und wie bei dem erjten Sturmlauf jung Sigwalts Adler- helm der frühefte war, der auftauchte oberhalb des äußern Ningwalls, wie der Schwarzfünig von dem höheren inneren Ningwall herab mit beiden Händen einen viel Hundert Pfund fchweren zadigen Felzitein wohlgezielt auf dejjen

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Helm fchleuderte, unvermerft von dem Süngling, jo daß der alte Arn Hinter ihm, ohnmächtig, jeinem jungen Herrn zu helfen, laut aufjchrie vor Schred, wie aber der Fels, gerade bevor er die Spitze der Adlerjchwingen erreichte, feitwärts abjprang, wie von unjichtbarem Schild aufge fangen, zum Staunen von Feind und Freund. Wie danı der Königsiohn auch den zweiten Wall erflomm und auf der Krone Swen, der ji grimmig wehrte, mit dem Speere durchſtach. Wie dann alles Volk zum Ding gebannt wurde bei der alten Halga-Björg und wie der Sieger, hier von allen Männern zum König von Halgaland geforen, den Hochſitz ſeines Waters in der Halle bejtieg. Aber oft fommt kurze Kunde dem Ohr willfonmener als langes Lied und auch wuchtigem Werf genügen oft wenige Worte.

König Sigwalt fandte nun die Hundert Kentumaren, reich bedankt und reich beſchenkt für fie jelbit, für König Hengift und deſſen Tochter nach Haufe, und wandte all’ feine Sorge dem fo lang und ſchwer bedrücten Volke zu. Er erließ die Schagung, die der Goldgehrende allen Frei- männern und Freihöfen aufgebürdet und jpendete reich aus dem Horte, den der Harte Habjüchtig hochgehäuft. Und fangen bald die Sfalden feiner Taten im Kampf und im Frieden Lob in Liedftäben, von denen manche auch in diefe Schlichtrede einjchlüpften.

Allein der junge Herricher ward gar oft abgerufen aus den milden Werfen des Friedens durch neue und alte Feinde. Tojtig, Swens Sohn, den der zum Jarl von Hardaland beitellt Hatte, war auf Raubfahrt fern geweſen in den blauen Meeren von Grefa-Land, al3 der Gewalt— herr fiel. In die Heimat zurücdgefehrt, gelobte er Blut- rache für den Vater und fiel heerend ein in Halgaland: mächtig und gefährlich war er duch die Waffen unge zählter Wilinger, die, jeine alten Raubgenoſſen in gar

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maucher Fühnen Fahrt, dem Jarl gegen Goldjold und um |

der Beute willen eifrig halfen: denn Tojtig hatte ihnen geeidet, jchonungslos jollten fie morden, brennen, rauben, Weiber und Kinder fortfchleppen, das ganze Land mwüften und öden dürfen. Das taten fie denn nach Herzensbegehr und desgleichen Toſtig der Bluträcher und feine grimmen Männer aus Hardaland. So mußte denn König Sigwalt gar oft ausziehen bald zu Land, bald zur See, ſeine Bauern zu ſchützen. Dabei jtaunten nun wieder gar mäch— tig Feind und Freund: nicht nur, daß er niemals jieglos ward, treu, wie ein zahmer Edelfalf, fangen die Sfal- den jchwebte der Sieg ob dem blaugrauen Banner jtärfer noch, daß der Held unverwundbar jchien, wie durch Zauber gefeit. Jauchzend warf er fich in die Speere, in jede Gefahr: und nicht die Haut ward ihm gerikt in fo vielen, vielen Gefechten. Ohne Gefichtsberge war jein Helm: offen trug er das Antlitz dem Feind entgegen, in den dichteften Keil der Speerwerfer von Hardaland jprang er, in das Schwirrgewölf der Pfeile der finnischen Bogen- Ihüßen, die der Jarl geworben: jede Spite, mit dem Saft . der Tollfirfche oder dem Gift der Kupferotter bejtrichen, trug den jichern Tod in jeden Ni der Haut: aber hart vor feiner Stirn prallten fie zurüd, wie erſchrocken vor der grauen Augen zornigem Blib.

Einmal fprengte er allzufühn! den Seinen weit voraus einen fahlen Steilfel3 hinan, von deſſen Krone die Feinde zu vertreiben. Sein Schwarzroß jtrauchelte und fiel auf die Aniee: der Neiter konnte es nicht aufreißen: in der Linken, der Zügelhand, trug er zugleich den ſchwe— ven Schaft des NRabenbanners, das er nicht preisgeben wollte, jowenig wie in der Nechten das Schwert: dem jchon waren die Lanzenträger des Jarls, von oben herab— gejprungen in wilden Sätzen, ganz nahe: lebend Hofften

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fie den hilflofen Neiter im wankenden Sattel zu greifen: da riß fo ſchien es eine unfichtbare Hand den ichnaubenden Hengjt in die Höhe und nieder zu Boden rannte er in raſchem Anlauf die Borderiten.

Ein andermal war Sigwalt, nur von Arngrimr be gleitet, zur Nacht ausgefahren in Fleinem Boot, die An- ferungen zahlreicher Wikinger aus Dänenland heimlich zu erfunden, die fi) vor dem Haugar-Fjord geichart hatten, alsbald ein paar Hundert Räuber zu landen und abermals alle Schreden der Heerung in Gigwalts Königsfrieden zu tragen. Trefflih war die Spähung gelungen: die wenig Borjichtigen jchmauften, zechten und lärmten an Bord: furz vor Sonnenaufgang wandten die Kühnen das Schifflein gen Norden, ungejehen nad Hauje zu fommen mit wichtiger Kundfchaft. Aber plöglich erhob ſich ge— rade als die Sonnenjcheibe über die Meeresfläche gejtiegen war und fie weithin erhellte ein furchtbarer Sturm aus Nordnordoft, den weder Segelfunjt noch Nuderfraft gewachjen war: troß alles Wider-Ningens der vier ftarken Urme ward das Heine Fahrzeug wie ein jchwimmender Strohhalm zurüdgeworfen nah Südſüdweſt, zurück ganz in die Nähe der feindlichen Drachen. Bald hatte man nun von deren Maſtkörben aus die hilflos Treibenden entdeckt, erfannt: und jene hochbordigen, tiefgehenden, jteuergehor- jam gebauten Orlogichiffe, von Hundert Rudern beflügelt, fonnten es wagen, dem Sturm entgegenzufahren, wie oft taten fie das zu eitel Lujtbarfeit! und jene Nuß— ihale abzufangen oder durch das bloße Anfahren umzu- ftürzen. Alsbald jahen die Bedrängten die ftolzen Drachen von vorn und von beiden Flanken heranraufchen.

„sn die Schären dort, gen Oſten, nah zu Land!“ gebot der König, der ſtehend das Steuer führte. „Leg dich aus! Zieh fo ftarf du kannſt. In jenes Seicht

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fünnen uns die Tiefgänger nicht folgen ſonſt zerjchellen fie am Geflipp ringsum!“ Mit der Kraft der Verzweiflung arbeiteten die beiden Männer. Und wirklich) gelang der vermwegene Plan: ohne aufzurennen Arngrimr jtaunte über des Königs Steuerfunft, aber diefer jelbjt noch mehr! ſchoß der flahe Kiel durch einen gefährlich ſchmalen Spalt mitten in das Gewirr der Bajalt-Rlippen, die zum Teil aus dem Wafjer ragten, zum Teil wie ſchwarze See- ungetüme Hart unter der Oberfläche zu lauern jchienen. Und die feindlichen Schiffe vermieden es weislih, den Flüchtlingen hierher zu folgen. Aber, o Schreden! Sie ließen vor der einzigen Öffnung der freisfürmigen Schären die Anfer nieder und hielten jene enge Spalte bewacht, durch die das Bot allein wieder ausfahren fonnte.

Die beiden fchienen verloren! Verhungern oder jich ge- fangen geben: es blieb nichts drittes: fie waren ſchon gefangen in dem Kefjel, in welchem die Brandung, wütend freifelnd, den weißen Giſchtſchaum der giftig-hellgrünen Wogen hoch über die Klippen, über die Helme der Männer ichleuderte, das Fleine Boot fortwährend im Kreiſe herum: wirbelte und fo tief mit Wafjer füllte, daß es zu jinfen drohte: es war ein ohnmächtig Bemühen, diefe Waſſer— mengen mit den beiden gemwölbten Schilden auszujchöpfen.

„Wir finfen,“ ſprach der König, das nutzloſe Werk aufgebend,; „Dank für deine Treue. Co greifen fie uns doh wicht lebend.“ Und er ließ den Schild auf den Boden des Nachens gleiten.

„Halt!“ vief Arngrimr. „Schau dorthin dort im Weiten. Plötzlich! Was fliegt da Weißes, was läßt fi herab hoch aus der Luft?" „Ein weißer Schwan!“ „Anmöglich! So weit im Meer!" „Bei ſolchem Sturm!“ „Da! Zwiſchen uns und dem Lande ſchwimmt er.“ „Sieh, er ſchwebt Hoch auf den Wellenfämmen, die müjjen

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ihn tragen. Nach Oſten ſchwimmt er pfeilgerade.“ „Nun muß er zerjchellen an jener jchwarzen Felswand.“ „Nein! Schau! Da öffnet fih vor ihm ein gähnender Spalt.“ „Den jah ich doch zuvor nit!" „Bran- dung dedte ihn und Schaum.” „Der Schwan ſchwimmt darauf los.“ „Dur jhwimmt er. Er iſt verſchwun— den!“ „Er ijt draußen, in der Weitjee!! „Folgen wir ihm!“ „Wir find gerettet!“

Und ſie ruderten mit allen Kräften auf den neu ent- dedten Spalt zu: haaricharf ſchoß das jchmale Schifflein durch die Enge, nicht ohne an beiden Borden jcharf an- gejchrammt zu werden. Aber nun waren fie draußen, ojtwärts vor dem reife der Klippen und durch deren hohe Wände Hier den Bliden der Feinde entzogen.

„Schau! Der Schwan! Er fliegt. Denn der Sturm läßt nad.“ „Er ſucht Land! Der fennt ficher den Weg. Er zeigt ihn uns! Folgen wir ihm. An Land!“ „In die Heimat! In die Freiheit!“

Als aber der alte Arn das von dem Schwan ver- nahm, nidte er bedeutjam mit dem Haupte: „Das war fein Federvieh! Fliegt nicht im Meerjturm. Das war eine Schwanenjungfrau, Siegvaters rettende Botin.“ „Du magjt wohl Recht haben,“ meinte Sigwalt. „Ach, nur einmal wieder fie jchauen!“ jeufzte er leije und traurig.

vo.

Denn jeltfam zu jagen! troß feines durch all’ Kordland jchnell wachjenden Ruhmes —, troß aller Siege auch jene Dänenflotte war in der folgenden Nacht,

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danf der gelungenen Erſpähung, durch Überfall auf Heinen Boten mit Feuer und Schwert vernichtet worden, bevor die Drachen ihre arge Brut hatten an Land werfen fönnen: e3 war ein großer, jtolzer Sieg! GSigwalt, in der Blüte der Jugendfraft, war nicht fröhlih: traurig war er wieder, wie einjt an der Hüfte von Kent: ja noch viel trauriger. Ein träumerifches Wünjchen, ein fchmerzliches Sehnen ſchien geheim an ihm zu zehren. Nicht öfter, nicht länger al3 die Königspflicht der Wirtlichfeit gebot, mweilte er in der Äl-Halle an den Gaftabenden: früh juchte er jein Lager, das er mehr, als fonft fraftitrogende Jugend, zu lieben jchien. Sein einfam Lager! Denn vergebens mahnten, ja drängten ihn Arn und die andern Hallgenofjen, nun, nachdem feine Herrichaft gefeitigt, dem Königshaus die Königin zu geben.

Eines Abends ſprach der Alte zu ihm abjeit der andern: „Leer jteht der Platz zur Linken neben deinem Hochſitz. Das ſoll nicht fein. Deiner reichgejchmücdten Halle fehlt der ſchönſte Schmud: die Hall-Herrin. Und wohlgetan wär’ es auch, durch Berjchtvägerung einen der Nachbarfünige eng uns zu verbinden. Keiner jagt dir nein. Und noch weniger eine ihrer Töchter! Nicht Thor- gerd von Throndheim, nicht Alfheid von Upjala, nicht Rauthild von Raumarifi. Schön find fie alle drei und veinen Herzens. Oder“ fügte er zügernd, mit prüfen- dem Blide, Hinzu „darf ih ein Eilichiff rüften als Brautichiff, Maſt und Rahe befränzen und, ein grauer Freiwerber treten in König Hengiſts Saal? Sei ge- wiß: nicht allein fomm’ ich zurüd! Schön Guntfrid .

„St meine treue Schweiter. Und bleibt es. Gute Nacht, Alter. Du meinjt e3 gut. Aber laß mic) jchlafen, . . . träumen!“ Und er hob die lebte Hall-Fackel aus der Pfeiler-Ife und ging langſamen Schrittes, Leife ſeufzend,

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in fein Schlafhaus. Dort angelangt Löjchte er das Licht, warf jih auf das aus gehäuften Wildfellen Hoch gejchichtete Lager, ſchloß die Augen und griff mit beiden Armen in die dunkle leere Luft: „O komm, fomm, Schlaf, und bringe den Traum, den holden: zeige mir wieder Die ichlanfe Gejtalt, die einzige Sehnjuchtbefchwichtigerin, das einzige Glück meines Lebens: ach ein Traumglüd! Aber nur diefer Traum ijt mein Leben!“ Und bald entjchlief er; und ein jeliges Lächeln jpielte um jeine Lippen.

VI

Zur gleichen Stunde faßen Odin und Frigga neben» einander auf dem Doppelhodhjig zu Hlidjkialf, Odins Halle, von wannen er alle neun Welten überbliden mag. Und beide fchauten durch das flimmernde Mondlicht der Sommer: nacht in das offne Fenſter zum Schlafhauje und jahen ihn liegen, den lächelnden Träumer, der im Schlaf weilings abgerifjene Worte ſprach und mit dem rechten Arm mand)- mal ausholte, aber nicht gar weit, al3 wolle er eine nahe Gejtalt noch näher an ſich ziehn.

Die Göttin hatte den Arm vertraulih auf die Linke Schulter des Gatten gelehnt, der, den Speer zwijchen den beiden Füßen auf den Boden gejtüßt, die Spige über die rehte Schulter gelehnt, finnend Hinabblidte: langſam ftrihen die Finger feiner Linfen durch den wirren Bart. Scharf jah jie auf ihn, wie um hinter der gewaltigen Stirne jeine Gedanken zu leſen, aber nicht umfonjt hieß ‘er der unergründliche Grübler.

„Arger Gott... .“ begann fie. Da wandte er ihr

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voll das Antliß zu: ſchön ſtand ihm das heiter überlegne Lächeln, da3 die bärtigen Lippen leis öffnete: „Diejer Anſprache Haft du mich gewöhnt. Ausmwendig kann ich fie. Willſt du jie nicht Fünftig weglaffen? Sie verfteht fi von ſelbſt!“ Und ruhig jah er wieder hinab. „Wie fange noch,” fuhr fie ungeduldig fort, „soll dieſes Spiel währen?“ „Es ijt fein Spiel. Ich forge, es wird bittrer Ernſt.“ „Seit lange, lange jeit er fie zuerſt geſchaut! quält ihn die jehnende Liebe. Und länger noch quält Liebendes Sehnen Guntfride, meine fanfte Lieb- lingin. Der jtattlide Held, ihm gebührt die Gattin am Herde. Und fol das nicht mein braun jung Rehlein werden, warum gibjt du ihm deinem Batjohn, deinem Schübling! nit ein ander würdig Gemahl!“

Ddin lupfte leicht die Schultern, wie er pflag, lehnte er ab. „Bin ich der Gott der Berliebten? Rufe Freia. Die verjteht das und tut das. Und wie gern!“ Tachte er. „Du entichlüpfeft mir nit!” „Arger Gott!“ lächelte Odin. „Warum gaufelit du dem Sehnenden jo oft wie gerade jegt wieder! im Traum ihr Bildnis vor?" „Der arme Junge! Solchen Liebesgenuß außer der Ehe! jelbit deine Gejtrengheit mag ihm den doch gönnen!” „Warum tuft du das?" „Er er foll ihrer nicht vergefjen. Und joll gern in Kampf und Schlacht reiten, weil er weiß, fie ijt ihm dann heffend nah.“ „Und weshalb führt du die beiden zufammen mit der Linfen und hältſt fie auseinander mit der Rechten?" „Weil...: viel frägt forfchende Frau! Weil die Nornen mir verkündet, ihr Geſchick jei eng verbunden. Und um diejer jehnenden Liebe willen werde er den Blut- tod fterben. Dann aber kann er eingehn unter die Ein- heriar nad) Walhall, wie vor ihm jein Bater.“ „Nun wohl, jo gib ihm Sigridh zum Weibe.“

„Wer bilt du, Jungfrau der Wunder?“ (Seite 12)

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Leicht kopfſchüttelnd blies er mit leiſem Spott in den Bart: „Puh! Weiter nihts? Meine Walfüren jollen nicht Kindlein wiegen. Brauche fie zu beſſerem Werk!“ „Nicht bejjer Werk ward dem Weibe.“ „Meinjt du? Anders denkt Sigridh, mein fühnherzig Kind. Frage die rohe.“ Da erhob ſich die Göttin vom Site, Hoheit- voll: ein edles Feuer leuchtete aus ihren großen Augen: „SH habe jie gefragt.“ „Nun?“ meinte Odin jehr ruhig. „Vielmehr fie fragte mich.“ „Das wäre!” rief er jegt, unwillig. „Sa, grübelnder Aſe, Bielkluger, Vielwifjender: alles weißt du denn doch nicht.“ „Ad nein! Nicht einmal die Nornen!“ jeufzte er. „Viele Rätjel weißt du zu raten! Doch in der Mäd— chen Herzen, in der Weiber Seelen...“ „Oft ſchalteſt du ſchon,“ lächelte er, „der ‚arge Gott‘ jei darin nur all zuviel erfahren;“ er lächelte vergnüglich vor ji) hin. „Spotte nit! Sch fürchte, dieje beiden machen dir den Spott vergehn! Höre denn. Wenig Freude Hab’ ich an deiner Wunjchmaide wilder, tobender Schar: nicht meine Töchter jind es!" „ES wären dir wohl zu viele geworden,“ flüjterte er lächelnd, aber unhörbar, fie nicht zu Fränfen. „Ehelos gezeugt follen fie der Ehe fremd bleiben.“ „Das jollen fie! Höherer Freuden ge- nießen fie.“ „Aber zuweilen durchbricht die echte Weibes- art in ihnen deine Pläne. Gedenkſt du noch Hildens? Und iſt es dir etwa nah Wunſch und zu Freude geraten, daß du dur allerlei Zauber deinen Liebling Brunhild und deinen Enfel Sigurdh getrennt?“ „Schweig mir davon!“ grollte er finjter. „So troßt auch Sigridhens Weibesherz deinem Willen. Längjt hatt’ ich’S erfannt: du nicht, du großer Ergrübler! nicht die Walfüre, die Liebende in ihr war's und ijt’s, die jo eifrig, jo treu ihn beihügte und beihüßt, wie nie Walfüre getan." Ein

Dabn, Samtl. poetiihe Werke. Erfie Serie Bo. V!. 3

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ungläubiger Blid traf fie von der Seite: „Eia! Nein! So wollte ih nit. Nur er follte...." „Sa,“ lachte die Schöne Göttin und warf die Dichten meizenblonden Doppelflechten über die Schultern zurück, „jo wollteſt du. Aber jo will nicht ſie! Wiſſe denn: mandhe Nacht, warn du ihm ihr Traumbild gezeigt, jaß fie jelber leibhaftig an feinem Lager.“

Auf fprang der Gott und ftieß den Speer auf den Eitrih, daß der erdröhnte. „Sie Hat es gewagt? Die Walfüre! Und du, ftrenge Göttin, du Haft es gewußt und geduldet?" „Gern! Denn fein Unrecht geihah dabei. Sittig faß fie neben feinem Pfühl, unerreichhar feinem greifenden Arm." „Er fah fie ja nicht!“ „Doch! Sch Hatte ihm die Augen berührt, daß er fie jah mit gejchlofjenen Lidern. Ei, feliger machte ihn das als dein Traumgejpenjt.“ „Und du Frigga! Halt meine Walfüre betört, haſt mit ihr zufammen ...“ „Behüte! Sie ahnt nit, daß ich um ihre Liebe weiß, daß ih fie ſchweben jah in jein Gemad.“ „Aber warum . . .“ „Weil ih will, nachdem Guntfrid ausgeschloffen! daß dieſe Liebe Ehe wird. Nur Ehe it echte Liebe.“ „Nimmermehr! Ch’ töt' ich ihn: Sungfrau bleibt mir Sigridh und Walfüre. Sie wird! Sie will's jelbit.“

„Slaubjt du? Wohlan, fo höre alles. Geftern fuchte fie mich in dem ftillften Gemach von Fenfal, trat vor mich Hin und ſprach: zwar übergoß ihr holde Scham dabei die Wangen, aber feſt jah fie mir ins Auge: ‚Huf, Ehegöttin! Nicht Freia ruf ich an: wir bedürfen ihrer nicht: Sigwalt, mein’ ih, der Held, und id. Er liebt mich, oft rief er's im Schlaf. Und fein ift mein Herz. Und mein Leben. Hilf, daß wir zufammen fommen am ehelichen Herd. Siegvater hat verwehrt, mich ihm zu

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zeigen, bis er jelbjt mich entjendet: ſonſt droh' ihm Ver— derben. Das allein Hält mich ab: jonjt hätt’ ich längſt dem Berbote getroßt.‘" „Berwegene!" „Du aber,‘ fuhr fie fort —, ‚die fie die Harte fchelten, ich weiß: du ſchirmſt, ja, du bijt jelbjt die wahre Liebe. Dich ruf’ ih an. Du bijt nicht meine Mutter: die Erdenfrau itarb, jobald jie mich geboren: aber al3 die gütige Mutter aller Weiber ruf ich dich an: wende Giegvaters Willen." Unmutig jchüttelte der das mächtige Haupt. „‚Oder erjinne lijtig, jagt man, ijt dein Sinn! erfinde einen Ausweg aus jeinem Berbot.‘“ Da lachte Ddin grimmig vor fich Hin: „Wird dir jchwer werden!“ „sh will nicht erliften: erweichen, erbitten will ich dich!“ Und leije z0g jie ihm Haupt und Naden näher an ihren Bujen. Aber ungejtüm riß er jich los und jchritt Hin- aus: „Spare das! Nie! Sie bleibt Walküre.“

IX.

Wenige Tage darauf ging König Sigwalt in den Haugar-Wald zur Jagd: die Bären, die zahlreich in jenen Selshöhlen haujten, riſſen gar viele Rinder und Schafe der Bauern auf der Sommermweide: die Dorfhirten wagten jich gar nicht mehr aus den Gehöften mit ihren Herden.

Mehr um der Schußpflicht willen des Königs als aus Luft am Weidwerf war er ausgezogen: denn wie alle Luft war auch diefe aus jeiner Seele gewichen, verdrängt von jehnendem Gram, der ihn auch die Gejellung der Freunde meiden ließ: jo hatte er auch diejen gefährlichen Gang allein angetreten.

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Dald Hatte er am frühen Morgen des Brachmonds ım tauigen Waldgras und weichen Moos die Doppeljpur von Bär und Bärin ermerft und daneben die flacheren Stapf- Ichritte des Jungen: um dieje Zeit, furz nach dem Wurf, warn der Bär noch bei der Mutter bleibt, wird dad neben dem Saugen auch ſchon gewöhnt, Beeren, Honig und Sleifch zu ſchmecken: in diefen Tagen find die Vieh- ihäden am jtärfjten, die Tiere am gefräßigften und böfejten; wohl wußte das der Jäger: drum hatte er außer dem Rurzihwert im Wehrgurt zwei jtarfe Speere mit- genommen, gleich gefchickt zu Wurf und Stoß.

Ohne Mühe verfolgte er die Spuren bis zu der Sraßftätte, die nahe der Lagerhöhle zu liegen pflegt: Ihon jah er in einer Waldblöße die Alten und das mwollige, täppifche, drollige Junge liegen: fie fraßen alle drei an einem mächtigen jungen Stier, den der Alte draußen auf der Weide gerijien und jo weit in den Urwald ge ichleppt hatte.

Obgleih die beiden Alten ihm den Rüden zeigten, trug doch der Wind ihnen gar bald den Ruch des Menfchen zu: beide wandten fih: und jobald der Bär den Jäger erängte, richtete er fich, grimmmig brummend, auf und fchritt, die Pranfen aneinanderjchlagend, daß fie flirten ein Zeichen ſchlimmſten Zorns! aufrecht auf den Feind zu, während die Mutter bemüht war, dag unge durch Stoßen und Scieben mit dem Kopf von dem lederen Fraß hinweg, den es winfelnd nicht laſſen wollte, in das dichtejte Gebüfch Hineinzudrängen und zu flüchten.

‚Zapfer ift Thor Tier und des Todes würdig tapfrer Thane,‘ diefer kentiſche Weidmannſpruch fam Sigwalt zu Sinn, als der Bär gegen den hochgefchwungnen Speer mit der blitzenden Bronzefpige furchtlos heranfchritt: auf halbe Speerwurfweite ließ er ihn heranftapfen: dag ging ziemlich

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langjam, während die Schweren, ſcheinbar Schwerfälligen, auf vier Füßen unglaublich ſchnell laufen können.

Scharf zielte er nun, den Arm hin- und herwägend: mit Verdruß erfannte er, daß die Herzitelle durch die umgebogne linfe Borderpranfe jet gededt war: jo mußte er die rechte Bruftjeite zum Ziele nehmen: nochmal wog er den Speer: nun flog der und fehlte nicht: der Bär fiel, getroffen, auf die rechte Seite und rührte jich nicht mehr.

An ihm vorbei jprang Hurtig der Jäger: denn er wollte die Alte und die Brut nicht entfommen laſſen. Und nicht fange wahrlich Hatte er nach jener zu fuchen: die tapfre Bärin war fofort umgefehrt, jobald fie das Junge in dem für Menfchen undurchdringbaren Dorngehege des Unter- holzes gejichert ſah: fie eilte zurück, dem Gatten im Kampfe zu helfen: wild brummte fie, al3 jie den regungslos liegen ah und Tief den Sieger an, jie wagrecht, ohne fich auf: zurichten. Schwerer iſt wie der Weidmann weiß dem Tier in jolher Stellung beizufonmen: denn das Herz iſt dann von vorn umerreichbar und hält es im Anlauf den Rachen noch gejchloffen, ift e8 nur im ©enid tödlich zu treffen. Wohl erwog das der Süngling: fo ſprang er erjt, al3 daS Untier ſchon fajt feine Schuhe er- reichte, behend zur Seite und bohrte dem Vorbeirennenden die jcharfe Spike des Speers mit aller Kraft tief in das Gefüge, das den Hinterkopf und den Rüdenwirbel jcheidet und verbindet zugleich.

Die Bärin jank auf allen Vieren zur Erde nieder, tot. Der Sieger beugte fi) vor, den Speer aus der Wunde zu ziehen. Da ſchlug an fein Ohr ein lauter Warnfchrei: Hoch aus den Lüften fchien er zu fommen: „Sigwalt! Schau um! Der Bär!“

Zu jpät! Der Bär, nicht tödlich getroffen, Hatte fich auf die vier Füße erhoben und den langen Speerjchaft in

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feinen Rippen mit der furchtbaren Pranke zerbrochen: auf richten fonnte er ich nicht mehr: aber auf allen Bieren war er raſch und unhörbar herangerannt: nun ſchlug er die beiden Vorderpranfen dem Borgebeugten von Hinten in die Hüften: unter dem wuchtigen Schlage fiel Sigwalt auf das Antlitz: er war verloren.

Da hörte er das jcharfe Saufen eines Wurfſpeers: laut auf ſchrie der Bär, der grimme Halt feiner Taten glitt ab, er janf von dem Ergriffenen zurüd. Der jprang auf und wandte fich: tot lag das Ungetüm, in dem Genid aber jtaf ihm gerade in der tödlichen Stelle ein Wurfipeer. DVergeblich jah er jich rings in der Runde nad) dem Werfer, jeinem Netter um: niemand und nichts war zu jehen, weit und breit. Nur über den Wipfeln der hohen Tannen über ihm rauſchte Bewegung, während fonjt nirgends ein Windhauch wehte.

Er zog nun den fremden Wurfipeer aus dem Naden des toten Tieres: ftaunend betrachtete er ihn: nie Hatte der Waffenkundige dejjengleichen gejehen: unbekannt war ihm das Holz des fchlanfen Schaftes: am oberen Ende waren zur Beihtwingung des Wurfes linfs und rechts Die Federn des weißen Schwans in zwei goldenen Den ein- gefügt und eine goldene Zwinge hielt die Teuchtende Spibe: oberhalb der Zwinge war mit Gold eingelegt die Nune: S (8).

„Sigridh!“ jauchzte er da felig. „Sa, auch deine Stimme war's! Nur einmal, ach! Hab’ ich fie gehört. Uber unvergeßbar hielt fie mir Ohr feit und Seele. Sigridh, Sigridh, wo bift du?“ Sehnfüchtig, laut rief er es in die Lüfte hinauf. Aber alles blieb jtill: nur das leije Wiehern eines Rofjes glaubte er über den Wipfeln zu vernehmen.

Da mahnte ihn bremnender Schmerz der Wunde von

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dem Bärengriff: er hatte ihrer nicht geachtet, fie kaum gefühlt in der Erregung. Nun fiel ihm ein, daß ganz nahe, bei einer Feljenhöhle, in der er oft auf der Jagd geruht, ein jchöner Waldquell entiprang: in deffen reinem Naß wollte er das Blut abſpülen.

Sp nahm er neben feinem Wurfipeer den fremden mit: „Komm, Geliebte! hole deinen Speer. Er bleibt mein Pfand, daß ich dich wiederjehe.“

Bald war die Quelle erreicht: wohltätig fühlte das friihe Naß die wunde Stelle. Nun Iodte der Duft frifch- gejchnittnen Heues, das die Jäger in der Felswölbung gehäuft hatten, behufs weicherer Raſt für den müden Weidmann: er bücdte das hohe Haupt mit dem grünen Jagdhut unter dem überhängenden Fels des Eingangs der dämmerdunfeln Höhle und jtredte fi auf das ein- ladeude Lager.

X.

Aber er fonnte, er wollte nicht einjchlafen! Zärtlich jtrih er, jtreichelte er den glatten Schaft des fchtvanen- flügligen Speers: „Hier haben ihre lieben Hände gehaftet! DH Sigridh! Was alles danf ich dir, wie oft mein Leben! Wie getreulich jchirmend ſchwebſt du mir zu Häupten all’ die Zeit, im Kampf und im Traum! Und heute! Heute Haft du mich beim Namen gerufen! Und ein fichtbar Zeichen von dir halt’ ich in Händen! Dank dir! Heißen Dank! Aber ach, tiefer als der Dank ift das Weh, dies verzehrende Sehnen! Hätt’ ich dich doch lieber nie gejchaut! Oder wär’ ich gleich geftorben nach jenem erſten jefigen AnbliE! Dank? Nein, ich kann dir

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nicht danken für ein Leben, das ich als Dnal dahinfchleppe. Dh nur einmal noch dich fchauen! Du jagtejt, das werde mein Berderben? Oh willfommenes Berderben! Gigridh, Sigridh, höre mih! Komm, fomm zu mir! Dann will ich gerne sterben!“

Kaum war der Widerhall der Teidenfchaftlichen Worte verhallt an den Wänden der Höhle, al3 von außen her hoch von oben eine lieblihe Stimme erflang: „Sigmwalt! Sigwalt! Sit jo dein Wille? Fit das deine Wahl?" „Sa, ja," jubelte er, aufjpringend. „Dich

fchauen, dih einmal! Füfjen und dann ſterben!“ „Du wirst dies Wort nie bereuen?" „Niemals! Oh komm!“ „Du mwillit es...: dir werde dein Wille.

Komm, Falfa, abwärts, mein Roß!“

Wieder ein leijes Wiehern Diesmal ganz nahe, vor der Höhle und in der ſchmalen Offnung des Eingangs ftand die Walfüre.

„Geliebte!“ rief er vorjpringend und beide Arme gegen fie hebend. „Geliebter!“ ermwiderte fie. „Sch bin dein.“ Und ſtürmiſch warf fie fih an jeine Bruft.

XI.

Nun ward es ftill in der Höhle, geraume Zeit ganz ftil. Sie ſchwiegen, die beiden Geligen da drinnen! das höchſte Glück iſt ſſumm. Nichts vernahm man al3 draußen das eintönige, kaum hörbare Geriejel des Waldquell3 über die glatten Kieſel. Weit weg im Walde Elopfte der ſcheue Schwarzſpecht an die Rinden der Eichen; durch den Wacholderjtraud hart an dem Höhleneingang

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ihlüpfte einmal ein Zaunfönig und gudte neugierig hinein mit den Mugen Äugelein: er hatte wohl früher hier Halme geholt zum Nejt oder nach Heu-Mücken gejagt: aber wie er die beiden da drinnen ruhen jah Bruft an Bruft, hufchte er draußen vorbei mit jilberhellem Ruf: er Hatte alles verjtanden. Endlich begann Sigridh, das entfejjelt flutende Gelock der Schwanenhelm war ihr längjt vom Haupt geglitten aus dem glühenden Antlig jtreichend, ih fanft aus den Armen zu löſen, die fie noch immer nicht laſſen wollten.

„Oh bleibe noh! Du darfft mich nicht fchon ver- laſſen!“ „Mein Sigwalt, ja, ich bleibe. ch werde dih nie mehr verlajjen.” „Wie? Sigridh, mein Weib... .?* „Das ward id. Und das nur das! bleib’ ih. Die Walfüre deine Beichirmerin!“ hier zudte es wehmütig um die vollen Lippen „fie ijt dahin, für immerdar dahin!" „Wie? Du hätteft...?“ „Ich habe mich dir gegeben: ich kann nicht mehr Siegvaters Schild . . . . Schildjungfrau fein.” Schämig barg fie die Augen an feinem Hals. „Geliebte! Welch Opfer!“ Da hob fie wieder das Haupt und fah ihm jelig in die Augen: „Opfer? Die Liebe fennt fein Opfer. Und du? Was Haft du Hingegeben für diefe Stunde ? Dich ſelbſt, dein Leben in den fichern Tod! Denn, glaube mir, die Nornen lügen nicht und Siegvater mein Vater! jcherzt nicht. Wehe dir," fie erjchauderte feife „entdedt er alles." „Sch fürchte nicht Nornen, nicht Odin. Dich will ich und das Verderben. Sterben um Liebe: mie ſelig!“ „Sterben um Liebe wie ſelig!“ wiederholte fie, ernjt mit dem Haupte nidend. „Sieh, als zuerjt ich dich ſah, dort, an jener fernen Küſte, wie feine Schau vorher entzücdte mich dein Bd..." „Und ih! Seither... .!" „Sch weiß,“

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lächelte fie und Fühte ihn auf die Stirne. „Sch weiß alles, was du gelitten in wachen Nächten, in fieberndem Traum. Wie ergriff mich dein Sehnen ja, es ergriff mich: teilen mußte ich es. Wie gern hätt’ ich Dich ge- wecdt in mancher Nacht mit glühendem Kuß und geflüftert: ‚Sigridh, nach der du rufit, jie iſt da, fie ift dein!‘ „Warum dann. . . .?“ „Warum ich’3 nicht tat? Oh Geliebter, nicht aus Stolz: Weibezitolz zerihmilzt wie Eis in Glut in Weibesliebe. Nicht aus Kälte: heiß ihlug dir mein Herz entgegen! Aus Sorge um dich! Durfte id nad kurzer Wonne! dein Berderben werden? Nach langem Ringen rief ich Frigga an: Die Ehegöttin ad, fie hatte wohl ſchon viel entdedt fie mußte wollen, daß dieſe Liebe Ehe werde: denn daß fie nicht mehr erlöſche das wußte jie. ‚Wollfiebe, das ift Ewigkeit,“ ſprach fie ernjt mit dem Haupte nidend, als ich flehend ihre Kniee umfaßte. Gütevoll mie eine Mutter erhob mich die fonjt jo ftrenge Frau, wiſchte mit dem eignen Goldhaar die Tränen von meinen Wangen und ſprach: ‚Mich freut’s, fucht das Weib ftatt des Kampfs auf der Walftatt den Frieden des Herdes. Getrojt, mein Töchterchen! Manches willigt mir Allvater zu, ftreich” ich ihm bittend das Sinn. Ich will's verfuchen.‘ Und fie hat es verjucht. Ach, umjonjt!“

„Grauſamer Gott! Wie jagt dagegen doch fein Span- genſpruch? ‚Reich Iohnt.. . .“ Raſch verhielt fie ihm den Mund: „Schilt nicht Siegvater. Er will ja dir und deinem Vater treue Freundichaft lohnen. Sch fol dich ihüßen, wie er dem Sterbenden verjpracdh, nicht dir nahn: zu deinem Verderben.“ „Sch aber will um Dich ver- derben!“ „US ih das erfannt unzweifelhaft aus tiefitem Ernſt deiner Seele das vernommen, da beſchloß ih ach nein! nicht bejchließen, wählen! ih

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mußte, Hingeriffen, Hingezwungen, dir willfahren zu deinem Verderben!" „Glück auf zum fel’gen Untergang!“ tief er und ri fie ungeftüm wieder an feine Bruft. „Dank dir, ewig Dank. Diefe Stunde ward unfer: fein Gott, fein Schickſal kann fie ung mehr rauben. Und trifft mic) Odins Zorn zu Tode, dich, die Tochter, kann er nicht ſtrafen.“ Da lächelte jie traurig und ſprach: „Wenig weißt du von Walvaters Wut." Erichroden ſprang er auf: „Und du, die fie kennt, du trogeft ihr? Und du liebſt ihn doch, deinen Vater?" „Mehr als alles nad) dir!" Sie erhob fi num auch von dem Lager und beide traten vor die Höhle hinaus.

Da ſtand, mit dem Zügel an eine junge Erle gebun- den, ein eifengraues, herrliches Roß; das wieherte freudig der Herrin entgegen, und fcharrte mit den rechten Vorder- Huf ungeduldig den Moosgrund, müde des langen Harrens und luſtigen, vajchen Rennens begehrſam. Gigridh zer- drüdte eine Träne in den Augen, unfichtbar für den Ge— fiebten. Aber fie fonnte nicht hindern, daß ihre Stimme ein wenig bebte, al3 jie, den gelöjten Baum dem treuen, Hugen Tier auf den Rüden legend und ihm den jchlanfen Hals Elopfend, ſprach: „Nein, Zalfa! Nie mehr wirft du mich tragen in freudigem Ritt Hoch durch die Luft, über ſchimmernde Helme, durch der Wurflanzen graues Gewölk. Nie mehr! Ledig läufſt du zurüd nad Walhall! Grüße mir Frigga, grüße mir Helmwine, grüße Waltraute und alle die Schweitern. Sag ihnen: ‚Sigridh tat wie fie mußte.‘ Auf und empor!” Sie gab dem Tier einen feihten Schlag auf den Borderbug: einen jtaunenden, traurigen Blid warf es noch auf die Neiterin: dann Ihwang es fi) mit mächtigem Sat vom Boden empor Ichräg in die Luft und war bald den nachjchauenden Augen in den Wolfen verichwunden.

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Nun ſenkte Sigridh das Haupt und ſprach: „Und wohin nun? Der Himmel ijt mir verichlojien. Wo Hat Sigridvh nun Heimat?" Ganz leife, nur zu fich ſelbſt hatte fie gefprochen: aber er hatte es gehört: „Hier,“ rief er, „an meinem Herzen. In meiner Halle! Komm, Frau Königin von Halgaland." Und rajch zog er fie an der Nechten mit fich) vorwärts auf dem Weg aus dem Walde nad) Halga-Bjürg.

So jah er nicht, wie fie leile das Haupt jchüttelte, hörte nicht, wie fie Hauchte: „Nicht Jungfrau, nicht Ehe- frau! Nur mein Bater kann mich ja zur Ehe geben! Uber,“ und hier leuchtete ſtolze Freude aus den gold- braunen Augen „fein Lieb, fein Eigen, fein Glüd! Zwar,“ fchloß fie ernſt, „auf wie lange? Raſch reifen Siegvaters Raben, Hurtig erfennt Hugin. Und doch: gefegnet, Furze Geligfeit.“

Ind tapfer folgte fie feiner führenden Hand.

XL.

Allein viel länger, al3 die Kühnen gehofft, ließen fie auf fi) warten, Ddins Naben und Rache. Sie wußten ja nicht, aud nicht Sigridhd daß am frühen Morgen de3 Tages ihrer Bereinigung jchlimme Botſchaft aus Niejenheim den König der Aſen und faft alle feine Scharen abgerufen hatte zu langer, langwieriger Heerfahrt.

Die Feuerriefen Hatten vom Südende Midhgardhs, von Muspelheim her, den Erdwall, den die Menjchen dort unter Thors Leitung errichtet, in plößlichem, unauf- haltbarem Einfturm durchbrochen, indem fie auf Lofis

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geheimen Rat nicht wagrecht, von außen, fondern jenfrecht, aus der Tiefe aufjteigend, aus feuerfpeienden Bergen, Erdjpalten und heißen Wafjerdampf zijchenden Geifern, von unten nach oben, das mühejchwere Werk in einer Nacht zerjtört hatten. Unhemmbar ergofjen fie num flammende Zerjtörung über die Siedelungen der Menfchen, die verzweifelnd die Hilfe der Götter anriefen.

Allvater eilte, fie zu bringen. War doch die Lohe jo plötzlich und jo hoch emporgezüngelt, daß fie fogar Huging, des jchnellen und Fugen Raben, linke Schwinge angefengt und der treue Bote, nur mühſam flatternd, mit feiner Schredensfunde die goldenen Zinnen von Asgardh erreicht hatte. Sofort befahl Odin Heimdall, in das gellende Horn zu jtoßen und fobald Frigga ihn vollgewaffnet hatte obwohl fie mit Kinde ging, ließ fie ſich das nicht wehren! jtürmte er auf dem rafchen Luftroß dem ganzen Auf: gebot der Götter und der Einheriar vorauf gen Mittag: zum Schu Asgardhs und der Göttinnen Hatte er nur Heimdall an der Regenbogenbrüde, dann eine Schar Einheriar zurüdgelafien und die Walfüren.

Sp hatte Sigridh, vor Tagesanbruch enteilt, Feine Mahnung zur Heerfahrt erhalten: ihr Fehlen fiel auch ſpäter nicht gleich auf: waren doch die Schildmaide, denen einzelner Helden Beſchirmung übertragen, gar oft und lang über die Länder und Meere verjtreut.

Monde, viele Monde vergingen und die Scharen von Asgardh weilten immer noch fern: nicht zu bemeiftern war in der Glut der Sommerhige der feuerflanımende Feind, auch nicht in dem warmen Herbit des Südens: erjt während des falten Winters gelang es allmählich, die Feuerriejen langjam zu bändigen und endlich zurüdzudrängen.

Das Fernbleiben Sigridhs nad) geraumer Zeit blieb Frigga freilich nicht verborgen: fie ahnte deren Tat,

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erriet deren Aufenthalt. So beftätigte nur, was fie ges fürdtet, Gna, ihre raſche Botin, die fie in Schwalben- gejtalt entjendet Hatte nach Halgaland. „Man ehrt fie dort hoch in der Halle,“ berichtete die Wohlwollende, „als echte Herrin. ‚Frau Königin‘ grüßen fie Hallmänner und Säfte. Freilich," fügte fie zögernd bei, „nicht Ehegürtel trägt fie, nicht Ehring.* „Nicht möcht” ich’3 ihr raten,“ grollte die Göttin. „Sie iſt jo ſchön, jo rührend in ihrem Glück in ihrer Bärtlichkeit ... .“ „Weh ihr und ihrer freveln Umarmung! Sch Tann fie nicht mehr ihüsgen vor ihres Vaters Zorn: fie trafen ift jein Recht: ich greife ihm nicht vor.“

So hatte das Baar geraume Zeit ungejtörten Glüdes gewonnen. Als aber Odin endlich nad) neun Monden fiegreich heimgefehrt war und der jcharfäugige Hugin bei einem Flug über Halgaland Hin jofort alles erjchaut und feinem Herren in Asgardh verfündet hatte, da entbrannte der in jo furchtbaren Zorn, wie ihn Frigga und die andern Aſen nie an ihm gejehen. Nicht rote Lohen des Grimmes, wie ſonſt wohl, jtiegen ihm in Wangen und Stirn, er erbleihte vor Wut. Wort und Stimme verjagten ihm. Stumm bob er den Speer, ihn drohend gen Halgaland fchüttelnd, und gewaltig ausjchreitend gen Diten, wo Sigwalts Lande lagen. Aber plößlich blieb er jtehen und wandte fi) nordiwärts.

„Wohin ?“ rief ihm Frigga von der Schwelle nad), bis wohin fie ihm erbangend gefolgt war.

„Erit zu den Normen: dann zu ihr,” jprad) er zurüd, an der Türe vorbeijchreitend. „Nicht ihm zürne ich: nichts habe ich ihm verboten, nicht er brad) meinen Willen. Daß Mannes Heifliebe auch einer Jung— frau nicht ſchont, man hat's ſchon oft erlebt.“

„Du ſelbſt. Man weiß es,“ grollte Frigga.

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„Uber fie, mein Kind, mein Blut..."

Freia im roten Gelod war laufchend in die offne Türe getreten: „Wohl eben deswegen!” wagte fie zu lächeln. Aber erjchroden, verjchüchtert entwich fie ins Haus, als er ihr zuherrichte: „Du, ew'ge Verführerin, ſchweig! Sigridh! Sie ſoll's bereuen!“ „Das wird fie nie,“ ſprach Frigga, „wie ich fie fenne. Wahrlich, vor vielen andern war fie würdig des Ehrings,“ jchloß jte jeufzend.

Als Ddin don den Normen wiederfehrte, war der heiße Zorn Falter Ruhe gewichen; unheimlich ruhig lächelnd, fprah er, den gefürchteten Speer an die Hallenwand lehnend: zu Frigga, die Widar, den Anaben, an der Brujt hielt, den fie während des Vaters Abwejenheit geboren: „Nun brauche ich nicht mehr ihr die Strafe zu erjinnen. Das Schidjal wird fie jtrafen an meiner Statt. Und das it gut. Das Schickſal iſt unerbittlih, nicyt wie du weißt! Allvater,“

XIII.

Menige Nächte darauf ward König Sigwalt von feinem Nordhag her gemeldet, abermals habe Jarl Toftig viele Helme jeiner Herade aufgeboten und dänische Seeräuber um Sold geworben, abermals jei er eingefallen in die Nordmark von Halgaland und abermals heere er furchtbar, mit Brand und Mord, nicht Weiber, nicht Kinder ver- ichonend.

Sofort z0g der Landichirmer gegen ihn aus. Hart ward ihm der Abjchied von Sigridh: denn einer ſchweren

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Stunde fah die entgegen in den nächiten Tagen. Und auch das junge Weib jchmiegte immer wieder das blafje Gefiht an feine Schulter und hielt ihn umfaßt mit den Armen. Und er fühlte an feinem Hals ihre Tränen.

„Mußt nicht weinen!“ tröftete er. „Unzählige Weiber haben's gejund beftanden und waren dann bei des Kindes erſtem Schrei! glüclicher als je zuvor. Fürchte dich nicht, Walküre!“

Laut auf ſchluchzte ſie da und ſchlug die lichten Hände vor die Stirn. „Walküre! Ja, das iſt's! Meinſt du, Sigridh weint um drohende Weibes-Wehen? O nein! Aber daß ich dich zum erſtenmal! unbeſchirmt muß ausziehen laſſen in die ſchwirrenden Speere, das iſt das Untragbare! Weh uns, wir haben ihn ſelbſt zer— brochen, den Schild, den Odin deinem Vater für dich verſprach. Weh, wenn ſie mir dich auf vier Speeren in die Halle tragen, wie ich jo viele todwunde Männer habe tragen jehn! Oh GSiegvater, jtrafe mich! Aber ihm zürne nicht! Sch ih warf mich ihm in die Arme. Sch allein heifche die Strafe für meine alleinige Schuld!"

Mit den eignen mwaffenvertrauten Händen mwaffnete fie ihn forgfältig vom Helm bis zum Sporn: jede Schug- und jede Trug-Waffe prüfte fie genau, bevor fie ihm ſie anlegte oder hinreichte. Traurig jtreichelte fie jeinem Rappen Hals und Mähne: „Reich füllt” ich dir mit goldgelbem Weizen zum Abjchied die Raufe. Trage mir treulich den Trauten zurüd!“

Aber der Hengst ließ den Kopf Hangen und jah zur Erde.

Und von der Zinne der Burg blidte fie den Aus- ziehenden nad), es waren alle Hall-Männer, bis auf den Torwart bis jein ragender Adlerhelm auch ihrem

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iharfen Auge nicht mehr fichtbar war. Da brach ſie zuſammen mit jchrillem Schrei. Raſch trugen ihre Frau'n fie aufs Lager.

XIV.

Sn der zmweitfolgenden Nacht Schon begannen die Sterne zu bleihen pochte es ungejtüm an das Tor der Burg. Der greife Torwart tat auf: entjeßt fuhr er zu: rüd: der Schlüffel entfiel ihm: hoch hob er die Kienfackel vor fich Hin und Hagte: „Hilf Odin! Herr König was iſt Eu? Bleich wie der Tod ohne Helm, ohne Schild von Blut überjtrömt Ihr mwanft!“

„Schweig! Schließ das Tor! Wirf den Notriegel vor! Wo iſt ...?“ „Die Herrin ijt eines Knaben genefen. Aber die Frauen jagen... .“

Schon war er enteilt. Schon lag er auf den Knieen an ihrem Schmerzens-Pfühl neben der Schildwiege —, das blutende Haupt auf ihre Füße gebeugt. Stumm wies er die Frauen hinaus. Er ſchwieg. Auch der höchite Schmerz it jtumm. Mber ein leiſer Schrei ein Kindesichrei weckte die Mutter: ſie jchlug die Augen auf: bei dem fahlen Schein einer Wandfadel erjah ſie ihn, erjah alles!

„Dh Geliebter,“ Hauchte fie, „wir müfjen jcheiden. Sch iterbe. Und du...“

„sh folge dir. Dder gehe dir voraus. Alles ver- loren! Sieg und Leben! Während ih auf dem Heide- jtrand Toſtig befämpfte, landeten die Seeräuber in unjrem Rüden. Schon Hatten fie meine Fahne errafft. Sch ent- riß fie ihnen wieder der Schaft zerjpellte aber da!

Dabn, Sämtl. poetiiche Werke. Erſte Serie Bd. VI. 4

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ım meine Bruft wand ich das Tuch: ich will darin verbrannt fein. Nun fiel mein Hengjt, mein Schwert zerbrad), mein Schild zerbarit: ‚Alle auf den König!‘ ich hörte den Lojungsruf, durch meinen Helm fchlug ein Enterbeil.... ."

„Oh,“ ftöhnte fie und rang die Hände, „und deine Walfüre! Hier lag fie und wand fi in Wehen, ein un- nütz Weib!"

„Die Freunde ſchützten mich Wehrlojen, Wunden mit ihren Leibern. Alle drei fielen fie, Arnjtein und Arngrimr und zulest, meine Flucht dedend im Engpaß, Urn der Alte. Um fie her liegen all’ meine Speergenofjen, tot. Ich allein entfam, verfolgt, gejagt, gehetzt von ihren Neitern, zulegt auf jteilem Felsjteig mich bergend. Aber bald, bald müjjen ihre Gäule wiehern vor unjerem männer: leeren Haus und...“

Er wollte fich erheben, aber er janf vornüber: Ohn— macht jchloß ihm den Mund. Mit Anstrengung hob die Matte die Hand und ftrich ihm über das blutige Gelod, das auf ihrem Buſen lag.

Und jtille ward e3 nun in dem Gemach: wie da- mal3 dort in der Höhle.

Draußen aber, auf der breiten Heerſtraße, nahte klir— rend und rajjelnd die Vorhut der Verfolger, an der Spibe feiner Reiter Jarl Toftig: ſchon erjah er im fteigenden Morgenlicht die Zinnen der Burg.

„Ah, jeht die Türme von Halga-Björg!” rief er, ſich auf dem Gaule zurückwendend. „Bald follen fie brennen lichterloh und alles Leben darin und darunter! Und er ſchwang die Tadel, die er jtatt des Speeres in der Ned) ten trug.

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„Nein, Hausbrenner! Das follen fie nicht!“ erſcholl da eine furchtbare Stimme aus dem dichten Bufchwerf zur Rechten der Straße. „Stirb, Landwiüfter! Aber nicht nad Walhall mit dir. Unblutig fälljt du! Hinab in den Eisjtrom der Nattern, Weibermörder, Kinderjchlächter!“ Und Odin trat aus dem Didicht in die Mitte der Straße in all? feinen ftrahlenden Waffen, den Schredenshelm mit den drohend entgegengefträubten Adlerflügeln auf dem Haupt.

Da erihraf das Rotroß des Jarls, bäumte fih in wilden Entjegen, überichlug ſich nad) rückwärts und be- grub unter fich den Reiter mit gebrochnem Genid.

„Ddin über uns! Ddin hat uns alle!“ fchrien die Seinen, warfen die Gäule herum und ftoben zurüd, in wilder Flucht entjchart.

„Run komm!” ſprach der Gott in das Gebüſch hinein in jchwerem, jchwerem Ton. „Komm, Frigga. Das Ende naht.“

XV.

Alsbald jtanden die beiden durch das offne Fenjter des Schlafhauſes waren fie unvermerft eingejichwebt vor dem Lager, auf dem Sigwalt und Sigridh ruhten.

E3 war jest liter Morgen: die Sonne hatte hell auf das Pfühl gejchienen: plötzlich ſchloß fie ein dunkler Schatte aus.

Da erwadhte Sigwalt aus feiner Betäubung: „Das it Odin,“ ſprach er.

Auch das bleiche Weib fchlug die Augen auf: „Und

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feine Strafe. Sch erwarte fie. Aber das Helle da neben ihm, seat

„Frigga,“ ſprach die Göttin, vortretend. „Unfelige! Sprich! Gib acht, wie du jet antwortejt: bereujt du?“

Da lächelte fie: „Sch tät's nochmal.“

Einen bedeutungsvollen Blick warf Frigga auf den Gemahl.

Der aber ſagte ruhig, ohne Zorn: „Deine Strafe, verblendet Kind, iſt: ewige Trennung von ihm. Komm, König Sigwalt, Sigwins Sohn, mein Patkind. Nicht div zürn' ih. Tapfer und treu ftirbjt du mir den Bluttod. Bereite dich! Ich rufe Waltraute: fie trägt dich nah Asgardh, zum Vater, mit ihm in Walhalls Wonnen zu wohnen.“

„Und fie?“

„Das fterblic) gewordene Weib, e3 finft nad Hel.“

Da ſchloß er beide Arme um die rührende Geſtalt: „And ich mit ihr.“

„Unfinniger! Traurig ift Hel, elend dag Leben der bleihen Schatten! Wahrlich, lieber möcht’ ich als Pflug— fnecht des ärmiten Bonden atmen auf der jonnenbejchienenen Erde, denn in Hel den Königsjtab ſchwingen über alle Schatten. Auf! Dein wartet Walhalls Glanz.“

„Sie gab Walhall dahin um ihre Liebe: mähnft du, Sigwalts Liebe ift jchwächer ?“

Da verjtummte Odin.

Aber Frigga ſprach, die Hand auf feine Schulter le— gend: „Das war noch nie!“

Allein der Gott beharrte: „Und dein Vater: mas fag’ ich ihm von dir?“

„Sag ihm: ‚Dein Sohn gab Liebe um Liebe und Treue hielt er für Treue.‘"

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„Ich ſage dir ich ſah's! traurig ift der bleichen Schatten Leben in Hel.“

„Sie wird dort leben.“

„Ddin,“ flüfterte die Göttin, „das ift größer als dein Zorn, ftärker al3 dein Verbot: heb’ es auf. Die Walfüre ift dir doch verloren. Tu das deiner Würdige: das Große. Wie lautet es doch: ‚reich lohnt Odin... Da ſprach der Gott: „Treue Freundichaft.‘ Zwingen nad) Walhall kann ich nicht: das ijt ein Recht, nicht eine Pflicht.“ Nun beugte er fi) vor und beider Hände zufammenfügend fuhr er fort: „Sch, meiner Tochter Sigridh Muntwalt, vermähle fie zur Ehefrau König Sigwalt von Halgaland. Auf den Muntfchaß verzicht’ ih: mit dem Leben hat er ihn bezahlt.“

„Und hier, junge Frau, nimm du diefen Ring: Friggas Ning. Die Weiber in Hel follen als Eheweib dich be- grüßen.“

„Dank, Dank! Aber... mein Kind... verwailt.., e3 wird vergehn ...!“

„Sorge nicht! Auch nicht verdurften ſoll's!“ lächelte die Göttin, nahm das Fleine Wejen fo zärtlich wie nur fie es verjteht aus der Schildwiege, öffnete ihr weites Bufen- gewand und legte fein Mündlein an die jchwellende, Die wunderihöne Bruft: fofort begann es gierig, die Öötter- milch zu jaugen. „Trinke nur,“ ſprach fie, jich mütterlic) herabbeugend, „es bleibt noch genug für Widar. Und wann der Knabe der Muttermilch nicht mehr bedarf, nad Kent bring’ ich ihn behütlih. Dort lebt ein Mäd- hen....“ „Guntfride!“ Hauchte Sigwalt. „Sie iſt treu. Sa, fie jol ihn aufziehn.“ „Bu einem Helden,“ fprad Odin, „wie fein Vater war und fein Ahn. Sfiold Ddinsenfel joll er heißen und mit dem Namen ziemt es fih, Gabe zu geben! fein Ruhm foll ganz Nord-

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fand erfüllen. Ihr aber, heiße Herzen, ruhet nun." „Sa, in Hel,“ ſprach Sigwalt, „aber...“ „Bereint auf immerdar!" lächelte Sigridh. Da ftarben beide.

Schweigend jtanden die Götter eine Weile bei den Toten. Dann ſprach Odin, der Gattin Hand ergreifend: „Ich danfe dir, Frigga. Du fonntejt das Schiejal nicht wenden, aber... .* „Perjchönen. Das ijt Frauen- Amt.‘

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Hiſtoriſcher Roman aus der Völkerwanderung

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In dem Palatium des großen Kaiſers Theodofius zu Mailand diente ein umfangreicher, auf allen vier Sei— ten von Säulengängen umgebener Hof den Ffriegerifchen Spielen der vornehmen Knaben und SFünglinge wie der Nömer fo der vielen befreundeten oder auch unterworfenen Bölfer, die als Zöglinge, als „Säfte“, in Wahrheit oft als Geijeln, unter Auffiht und Gewalt des Imperators in Stalien lebten.

In diefem Hofe tummelten fich gegen Ende de3 vierten Sahrhunderts unter Römern, Griechen, Afiaten auch zahl- reiche junge Germanen von mancherlei Stämmen. Der Älteſte von diejen, auch feiner Volksgenoſſen hohe Geftalten um Haupteslänge überragend, aber das blonde Haar nad) Römerfitte kurz gejchnitten und den fprofjenden Flaumbart bejchoren, in römische Tunika gekleidet, mit römischen San- dalen beſchuht, hatte jih aus dem Getümmel der wett ipielenden Genoſſen zurüdgezogen und auf eine der hohen Stufen des Säulengangs gejegt, von wo er finnend das Auge über die eifrig, ja hitzig mit Ringen, Speerwurf, Pfeilſchuß Wettfämpfenden gleiten ließ.

Lange ſaß er jo, ruhig, verhalten, mit ernjterem Aug: drud als feinen Jahren zufam. Da ftörte ihn aus feinem

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Nachdenken auf ein etwa fünf Jahre jüngerer Freund, der, ebenfall3 unverfennbar ein Germane, nichts Römisches an ſich trug, fondern in allen Stüden die Tracht feines Bolfes.

„Eh Stiliho, höre!“ rief er mit heller, wohllautender Stimme in der Sprache der Wejtgoten, einen gotijchen Wurfjpeer fchwingend, „halt du gejehen wie ich eben den Schild der römijchen Legionare aus noriihem Erz! dicht am Stachel mit dem Wurfger durchbohrte? Hei, gotiicher Speer bricht römischen Schild! Nicht du könnteſt ſtärker werfen!" „Bielleicht nicht,“ lächelte der andre. „Uber fchärfer zielen. Haft du vergefjen... .?* „Beim Schwerte Gottes, ich vergeß es nicht! Wie du neulich meinen Speer, der den Zielring der Scheibe getroffen, mit deiner Lanze zeripellt!" „Scharf zielen, mein Alarich, ijt noch befjer als jtarf werfen.“

„Wohl, wohl! Uber laß doch) dies Latein. Sprich dein Vandaliſch wie ich mein Gotiſch: wir verjtehen uns damit prächtig. Sind wir doch alle Goten, deine Van—

dalen wie wir.” „sa, aber ich Habe feit des Vaters Tod faſt ganz vergejjen fie zu fprechen, die Sprache der...“ „Barbaren, willft du jagen,“ rief Alarich

zornig. „Hei, darüber ließe fich viel reden." „Gewiß, mein Wildfang! Aber ich fürchte, wir find beide! noch zu jung, was Geſcheites darüber zu reden." „Magſt Recht Haben!“ rief Alarich, ließ die Lanze fallen und fprang mit einem Gab die mehreren Marmorjtufen hinan, ſich neben ihm niederlaffend und vertraulih an feine Schulter lehnend: „Uf! Macht Speerwerfen heiß in diejem jchönen, aber ſchwülen Land! Oh, Better Atauff, jorg’ ung für einen fühlen Trunf!“

„Gern,“ antwortete ein ihm ungefähr gleichaltriger, aber ganz hervorragend, ganz auffallend jchöner Jüngling in wallendem Goldgelod. „Komm mit, Heraclian, Hilf

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ausfuchen: du verjtehjt dich auf die Falerner des Impe—

rators." „Aber nicht für Goten und Vandalen,“ er- widerte ein junger Römer mit feindjeligem Blid. „Ihr Bären!" „So jpüre denn des Bären Pranfen!“ vief

Ataulf, ſprang von vorn auf ihn zu, hob ihn im Ring— kampf flugs in die Höhe und Hätte ihn auf den Rüden in den hochaufgejchütteten Sand geworfen, wäre nicht ein andrer junger Römer plöglich hinterrüds herangejprungen und hätte ihn niedergerijjen, jo daß beide Ringer auf den Boden rollten.

Sofort war Ataulf wieder auf den Füßen und faßte den Überfallenden an der Gurgel: „Earinus! Elender Nei- ding!“ Uber diejer Römer war jtarf und zäh: er riß ih los, jprang zurüd, vaffte eine Lanze aus dem Stand der Speere an der Wand und fällte fie gegen Ataulfs Brut. Da jaujte mit einem Sprung Stilicho herab und warf ſich zwijchen den Römer und den Goten: „Halt! Haltet an! Wollt ihr des Jmperators Haus und Wirt- (ichfeit mit Blut beladen Er riß Garinus den Speer aus der Hand.

Auch Alarich trat jest herzu: „Was haft du, Better, mit den beiden Walen?“ „Ah,“ meinte der die Fauft dDrohend erhebend, „der eine gönnt uns feinen Tropfen Wein, der andere überhaupt gar nichts.” „Um lieb- jten nicht einmal das Leben. Ihr Barbaren jeid das Un- glüf des Römerreichs,“ ſprach Heraclian, eines Senators Sohn, und fchritt hinaus. „Und Carinus?“ fragte Stilicho. Bevor Ataulf antworten fonnte, vief jener: „Wenn dieſer gelbzottige Skythe noch einmal wagt, der Kaifertochter Placidia auf feiner mißtönigen Harfe vörzu- Himpern jo tief find wir gejunfen im Haus des Im— perators! reiß' ih ihm die blauen Ölogaugen aus.“ Damit folgte er jeinem Freund Heraclian.

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„Sind Liebe Leute!“ lachte Alarich, ihnen nachblidend. „Bei aller imperatorijchen Pracht, ich find’ e3 un- behaglih in diefem Palatium. AH, Hoffentlich ruft der Bater mich und den Better, feinen Miündel, bald ab aus diefer mie fol ich jagen? Erziehung oder Ber- geifelung? hinaus in die rauhen Wälder und zu den Auerjtieren am Danubius! Sind mir lieber als dieje gift- geihwollnen Walen. Ungern, Freund Stilicho, laß ich did Hier zurüd.“

„Warum? Sch gehöre Hierher. Wohin follte ich gehen?" „Du kannſt fragen? Zu deinem Bolf! Dahin gehörjt du.” „Sa,“ meinte Ataulf, „zu den tapfern Vandalen in Pannonien. Man jagt ja, du jtammejt aus ihrem Königsgejchlecht, den Aſdingen.“ „Gewiß! Uber der Bater befahl mir fterbend, für den großen Imperator jtarb er, nach einem Sieg über die Sranfen todwund brachten jie ihn mir über die Alpen hierher er befahl mir, bei Theodofius und dejjen Haus jolang ich lebe auszuharren in treuem Waffendienft für Rom. Er jtammelte dann noch was von Danfespflicht, von Sühnen einer Schuld, ich fonnt” es nicht mehr veritehn. Aber er ließ mich jchwören. Sch ſchwor: und nun halt ich meinen Eid.“

IH.

Und viele Jahre verjtrichen. Aus dem Füngling Stiliho war ein reifer, ein herrlicher Mann geworden, ein Held, der in vielen Schlachten die germanischen Reiter: gejchwader Roms zum Siege geführt hatte: gegen Anmaßer,

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die fich wider Theodojius erhoben, aber auch gar oft gegen Germanen von allerlei Stämmen. Jedoch auch ein Staats- mann war er, der, von aller Bildung der damaligen Römerwelt durcdhdrungen, in dem Rat des großen Smperators eine jtet3 befragte, meiſt befolgte Stimme führte,

Set Fam dieſer edle Herricher zu jterben: und er wußte das und bejtellte fein Haus und fein Reid. Er entließ die vornehmen Beamten de3 Palaftes, die er zu jich bejchieden, und gebot, Stiliho zu rufen. Mit feind- jeligen Neidesbliden jahen die jcheidenden Römer den „Barbaren“ allein über die Schwelle des Faijerlichen Schlafgemachs jchreiten.

Der Jmperator mwinfte ihn, ſich auf den Rand des niederen Pfühls zu ſetzen, richtete fih auf aus den Kiffen und begann: „sch jchließe die Augen leichter, Magiiter militum, hat mein letzter Blid auf dir geruht. Denn mag e3 meinen Stolz den eines Römers vom ältejten Adel der DQuiriten! jchmerzen das Reich Cäjars, das Reich Trajans ift jo weit gefommen, daß nach meinem Tod ein Germane feine ſtärkſte, ach fajt feine einzige Stüße fein wird. Stütze, Schild gegen Feinde auf allen Seiten dor allem gegen deine Germanen. Großes, Größtes vertrau’ ih dir an. Wohl Hab’ ich dich Schon bisher hoch geehrt, dir mehr vertraut als allen Römern meines Hofes: meine Lieblingsnichte, die fromme Serena, hab’ ich dir vermählt, dich jo zu einem Glied meines Haufes erhoben: aber jest erft nad meinem Tode jollit du mein höchſtes Vertrauen ... .“ Er jtodte: Schwäche hemmte ihm die Zunge. Nach einer Weile fuhr er fort: „Nimm die Urkunde dort aus jener Kapſel. Du weißt, meine Erben find zwei Knaben: Arcadius, der ältere, foll in Byzanz das Dftreih . . ach, ‚beherrichen?‘ Ihn und da2

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Dftreich wird Nufinus leiten.” „Mein Todfeind,“ dachte Stilicho, „schon feit der Schulzeit.“ Uber er ver- neigte fich und ſchwieg. „Honorius aber, das Kind, und das Weftreich ſollſt du mir fügen, zum Guten führen, beherrfchen: du, der VBandale, das ewige Rom!" „Du ehrſt mich hoch, Imperator.“ „Uber verjprich mir: nie, niemal3 Krieg zwijchen den Brüdern!" „Behüte! Welch Unheil wär's für beide!" „sn allen Stüden, die das Oſtreich angehen, gehorchſt du Arcadius.“ „Und Rufinus,“ dachte Stiliho. „Er ift dein Herr wie Honorius. Und nun fommt das Lebte, Schwerite für dich zu vernehmen. Sch Hab’ es dir erjpart bis zur letzten Stunde meines Lebens. Erfahre jest, daß ich bejondern Grund habe, dir zu mißtrauen.“

„Theodoſius,“ rief Stilicho tief verlegt und ſprang auf. „Stil. Höre! Sch habe nicht mehr viel Zeit. Wenn nun doch einmal der Germane, der Vandale in dir daS liegt ja im Blut! Sich jo mächtig regte, daß du bei aufgezwungener Entſcheidung! mehr als Germane denn als Nömer fühltejt, dächteſt, handelteſt?“ „Dh Imperator! Allüberall, im Palaſt, im Heer, in Italien, in den Provinzen, tritt mir dies Mißtrauen, diejer Haß gegen den ‚Barbaren‘ entgegen: bald heimlich, bald offen drohend. Das hemmt meine Schritte, dag ver— bittert, vergiftet mein Leben. Die Germanen jchelten mic abtrünnig, die Römer jchelten mich den rohen, treulojen Barbaren. Wohl: es iſt mein Schidjal, es wird der Kampf meines Lebens mit andern. Aber, daß auch mein Kaifer, daß du...! Du Haft fein Necht zu folcher Kränkung.“ „Do . . . vielleicht. Wär’s denn ein Wunder, wär's ein ſchändliches Gejchehnis, wenn im Widerſtreit deines römijchen Staates und deines germanischen Blutes diejes einmal vorübergehend! jiegte?“

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„Das ift unmöglich!" „Das it möglich: denn e3 ift geſchehn.“ „Wie? Wer? Welcher Verräter... .?* „Schmweig! Schilt ihn nicht: denn es war dein Bater.“

Stiliho fuhr auf: „Mein... . mein Vater? Nein!“

„Sa. Er focht lange tapfer und treu für mich. Aber furz vor feinem Tode drangen in das Reich dort in Pannonien jeine Bolfsgenofien, die Vandalen: fie ver- bandelten mit ihm, der den Limes verteidigte in jeiner Sprade: lange hatte er fie nicht gehört: mächtig drang fie an jein Ohr, allzumäcdtig in fein Herz: er wollte zu ihnen übergehn gegen Rom.“ „Undenkbar!“ „Dort. in jenem Schrein liegt fein aufgefangener Brief an König Wijumer. Sch rief ihn ab, bevor er den Plan ausführen fonnte. Hier, in diefem Gemach, an jenem Fenster dort, zeigte ich ihm den Brief und begnadigte ihn.” „O Theodofius!" „Er fiel mir zu Füßen und rief: ‚Ach Imperator, du weißt nicht, wie ſtark, wie zwingend das Blut, das Volksblut im Manne wirft. Sollte ich die Meinen zujammenhauen? Du weißt nit... ." Aber ih wußte. Auch ich Habe ja ein Volk, bin ein Römer. Und ich verzieh ihm, Tieß ihm Rang und Würden, ver- traute unbejchränft! jeinem Sohn. Aber du be- greifit: was den Water Hingerifjen, fönnte auch den Sohn...“ „Niemals! SH ſchwör's.“ „Gut. So ſchwöre auf diejen Splitter vom Kreuze Chrifti, in jener Arca Liegt er daß du dich folang du atmejt nur al3 Römer fühlen wirſt, als Schirmer dieſes Reiches, nie abfallen wirt in Tat oder Gedanken zu deinen Germanen.“

Stilicho, tief erjchüttert, trat dicht an das Bett: „Laß den Splitter von altem Holz, laß auch den Schwur. Sch verjpreche dir hier mit dem Schlag meiner Rechten auf

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Treu’ und Ehre Splitter und Eid würden mich nicht fejter binden id) gelobe, ich werde tun, wie du begehrt. Ich gelobe es auf mein Schwert.“ Und er legte die Hand auf den ehernen Griff.

„Seltſam,“ ſprach der Kranke. „Er verſpricht Rom, ein Römer zu ſein auf germaniſche Art. Aber du wirſt's halten, ich weiß. Und nun, mein Freund, meine einzige Hoffnung für des Reiches Zukunft, nun das Letzte: nimm dies Kodizill zu meinem Teſtament dort in dem Geheimfach der Marmorwand links öffne es nach meinem Tod: aber allein. Und halt' es geheim ſolang wie irgend möglich. Hoffentlich ich flehe darum zu Gott! hoffentlich wirſt du nie nötig finden, es zu brauchen. Wird es aber nötig ah entſetzlich! —, dann brauch' es ſchonungslos. Erſt das Reich, dann erſt meine Söhne. Geh jetzt, laß mich. Ich will allein ſterben: mit den Menſchen bin ich fertig: nun muß ich mit meinem Gott reden.“

IH.

Und abermals waren viele Jahre verflofjen. Stilicho hatte, jeinem Worte getreu, nur für das Römerreich gelebt in Krieg und Frieden, zunächjt für das ihm bejonders anvertraute Wejtreih. Siegreich Hatte er in Stalien, in Gallien, in Nätien, in Noricum, am Po, am Rhein, an der Donau Einfälle der Germanen von gar manchen Stämmen abgewehrt. Sein und der Kaifernichte Serena Sohn, Euderius, war zum jtattlihen Jüngling heran- gewachſen. Den Imperator Honorius hatte er, ihn noch feſter an ſich zu feſſeln als durch die Dankbarkeit fie

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it oft gar ſchwach bei kleinen Menfchen auf Kaifer- thronen mit jeiner Tochter Maria, dann, nach deren frühem, Finderlojem Tod, mit der zweiten, Thermantia, vermählt. Allein dies war der erſte Plan, der dem erfolgreichen Staatsmann fehlichlug: der Hof wußte, oder flüjterte doch daß die beiden Bräute von dem faſt noch Fnabenhaften Bräutigam unberührt geblieben waren, und die Eunuchen des Palaſtes flüfterten noch leifer, der Grund jei, daß dem Jmperator feine üppig jchöne und geijtig allen Frauen und ehr vielen Männern! des Hofes, ja des Reiches überlegene Halbjchweiter, alla Placidia, viel bejjer gefalle als feine beiden Frauen und alle Frauen, die er Fannte.

Mit Gram jah der Vater wie die erjte jo die zweite Tochter, feinen Liebling, in allem Pomp der Kaiferjchaft, vom Gatten vernachläfligt, dahin mwelfen. Er entichloß ih Fühn und offen, wie er war, Abhilfe zu juchen da, wo ihm die Wurzel des Übels zu liegen ſchien: bei Placidia jelbit.

Borjichtig, Schonend begann er in dem Sprechſaal des Balaftes zu Mailand ein Zwiegeſpräch mit der Warnung vor dem „freilich ja verleumderiichen!“ Gerede der zahlreichen Priejter am Hofe, die an der Zärtlichkeit der Geſchwiſter Anſtoß nahmen, ja jogar mit leijen Andeutungen jhon in ihren Predigten... Aber übel fam er an! Das von Gefjundheit und Kraft jtrogende, von Schönheit jtrahlende Gejchöpf jchüttelte das pradhtvolle blaujchwarze Gelock, daS von der goldnen Stirnbinde faum gebändigt werden fonnte und lachte dem Mächtigen übermütig, aber jo anmutig ins Geficht, daß er ihr nicht zürnen konnte: „Ei, fieber Held und Barbarenbejieger, wer jagt dir, daß jie verleumden?“ „Placidia!“ „Nun, nun, nur nicht gleich das Ärgjte denken von der armen Kaifertochter,

Dahn, Samtl. postiihe Werke. Erſte Serie Bd. VI. 5

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tugendfamer Germane! Was fann ich dafür, daß id) ichöner bin als alle Mädchen und Frauen, die ich je ge- jehn? Und daß ich das fo gut weiß? Nun, es tft fein Wunder: haben es mir doch alle Männer gejagt, die ich je gejehn: ausgenommen du, geſtreng erniter Magiiter militum! Und das fol mich nicht freuen? Dann wär’ ich fein Weib! Sch bin aber eins, ach, fo jehr.“ Sie lachte vor fih Hin: „Denfe nur, geftern hätten ſich Atauff, der Gefandte der Weſtgoten ein bildjchönes Stüd von einem Barbaren, ja ein germanischer Apoll!“ fie errötete Yeicht „und der Präfeft Carinus ſchon als flaumbärtige Buben haben fie fih um mich gerauft! ihier mit den Schwertern um mich beworben, wild mir nahend: aber ich Tief davon und feßte mid an des Imperators Seite. Großer Staatslenfer und Schlachten- jieger, ich Hoffe, ich bring’ eS noch zu höherer Macht im Neich mit meiner Schönheit al3 du mit all’ deiner Weis- heit und Heldenichaft. Und hab’ ih Mäuslein treulich hielt ich ftetS zu dir! nicht Schon manches Ne zernagt, das feine Feinde über des Löwen Haupt geworfen? Sch bin deine befte Verbündete: aljo freue dich, Hält der Kaiſer was auf Placidia. Aber vergib: ich enteile.. Er Hat mich zu ſich befohlen: und ‚dem Herrſcher gehorchen ift höchſtes Geſetzt oder doch höchſte Schlauheit.“ Und wieder lachte fie und ſchwebte anmutvoll hinaus.

Er ſah ihr finnend, kopfſchüttelnd nah: „Sch werde nicht Hug aus dem herrlichen Mädchen! Was ift ftärfer in ihr? Die Luft zu herrſchen wie eine Kaiferin eben als des Theodoſius Tochter oder des Weibes Drang, gepriejen zu werden? Sollte nicht bald in ihr auch ein andrer Drang erwachen: der, geliebt zu werden? Heißer noch, der Drang zu lieben? Mir ift, fie wirft ſich in die Herrichjucht, jenem Holden Sehnen zu entrinnen: fie will

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nicht Weib, Herrſcherin will fie fein. Wie lang noch wird ihr das genügen? Und was dann, wann das andre fommt? Dann, fürcht’ ich, werden Weſtreich und Djtreich zufammen nicht ausreichen, dieſes Weib abzuhalten von feinem ‚Glüd‘ oder von ſeinem Berderben!“

IV.

Nachdenklich wollte er das dumpfe Gemach verlafjen, draußen auf dem weiten Reitpla vor dem Palaſt durd) eine Schau über die neu angeworbenen germanifchen Leib- wachen die „Eujtodes“ des Kaiſers fi zu er- frifhen, da traten über die Schwelle feine Gattin und jein Sohn, offenbar in Unfrieden untereinander: jeufzend bemerkte das der Gemahl und Vater.

Serenas edle Züge hatten unter den Jahre hindurch fortgefegten frommen Übungen einen allzujtrengen, ja fin- jteren Ausdrud angenommen: fie begann: „Herr Sohn, verflage mich beim Bater wenigjtens in meiner Öegenwart.“

Der Jüngling mit den traurigen Augen fchüttelte die dunfeln Loden: „Mutter, ich wagte nur, zu bitten.“ „Aber als das nichts half, da wardit du...“ „Be: übt. Nicht meinethalben wahrlich.“ „Was ift?“ fragte Stiliho ermüdet.

„Es it, daß dein Sohn ein halber Heide ift. Sa, ja! Er verfehrt, er lebt nur mit Künftlern, Runftforfchern, Gelehrten und Poeten: man weiß aber, all’ diefe Menjchen denfen mehr an Apollo denn an Chriftus. Und zumal jein Bufenfreund, der junge Claudian, der Verjedrechiler! Man jagt, der jei ein ganzer Heide.” „Sedenfalls

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ein ganzer Dichter,” ſprach Stilicho ernft, „der größte feit Bergilius.” „Unfer Sohn verdirbt e3 mit der heiligen Kirche!“ „Die möchte am Tiebjten mich ver- derben,” Lächelte der Vater bitter. „Am legten Sonn— tag Soll fogar ſchon in der Bafilifa Sankt Johannis gegen ihn und gegen Claudian gepredigt worden fein.“ „Gegen was und gegen wen predigen fie nicht, diefe deine Heiligen auf Erden!" „Nicht gegen dich, da fei Gott vor,” rief jie erjchroden. „Wir dürfen nicht die Gunst der Heiligen verwirfen, nicht der im Himmel, nicht der auf Erden." „Unter diejen find gar ſonderbare,“ grollte Stilicho. „Aber euer Streit... „2“

„Kein Streit, Bater. Sch bat nur die Mutter... ." „Zurückzuweichen vor dem Born jeiner heidnifchen Freunde und Gögendiener! Ich erfuhr, daß in dem längſt jeit Conſtantius geichloffenen Tempel der Rhea das Mar: morbild der Götzin eine koſtbare Halskette trage. Was braudt die Dämonin ſolchen Schmuck? Sch ließ mir Die Cella öffnen, nahm den Schmud. . ." „Ei nicht doch!“ zürnte der Gatte. „Warte doch mit Deiner Schelte! Nicht für mich wahrlih! ES find herrliche Berlenfchnüre. Ich jchenkte fie dem Bild der heiligen Jungfrau in ihrer ärmlichen Kapelle jenjeit des Tibers. Das erfuhren die

Heidenfreunde und fie toben.” „Sie toben nidt, Mutter, fie Hagen.” „Wie erfuhren ſie's?“ forſchte Stilicho. „Sa, wie? Durch Recdtsbruch! Denn immer

noch) ſtehlen fich die Gögendiener, Firchlichen und weltlichen Gejegen troßend, durch Beitechung der Pförtner in ihre gejperrten Tempel, dort zu opfern. So fanden ſie's aus. Keinesfalls darfſt du der Heiligen einen Echmud wieder nehmen, den fie einmal hat. Schwer würde fie zürnen!“

Stilicho lächelte: „It alfo wie andere Frauen!" Nun aber furchte er die Brauen: „sch werde dem Tempel

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er iſt nur gefchloffen, nicht eingezogen den Wert er« jegen, obwohl ich des Geldes zur Zeit zu ganz anderem dringend bedarf. Übrigens, Eucherius, glaubft du an die Wunder der Göttin Ahea?" „So wenig, mein Vater, wie an die der Junfrau Maria.“ „Unfeliger!“ vief die Mutter und fchlug ein Kreuz.

Aber Stilicho lächelte Schon wieder: „Laſſen wir allen Leuten ihren Glauben, Eucherius. Aber auch ihren Un- glauben, Frau. Allein, lieber Sohn, nun wirjt du auch deinen Vater anflagen bei deinen Heiden. Sch brauche Gold, viel Gold: mehr noch als für Rom, für Byzanz, dem ich Söldner werde jchiden müfjen gegen Freund Alarich. Zum Dank wird mich Rufinus wieder des Hoch verrat3 bejchuldigen bei beiden Kaifern. Da hab’ ich denn eine Heine Anleihe gemacht bei dem Jupiter des Kapitols: ih habe die jchweren Goldplatten der Wände einfchmelzen laffen, Hunnen und Alanen damit zu werben." „Ich weiß darum, Vater: ich jchelte nicht: das Imperium geht allem vor, jo Tehrteit du mich vom Knaben an. Aber weißt du auch, was jich auf der Rüdjeite der Platten ein- gerigt fand? ‚Fluch dem Näuber!‘ Eine Verwünſchung haft du auf dich geladen, die uralt iſt.“ „Doch nicht,” (achte der Vater. „Der Fluch ift geflucht in den Schrift- zügen unferer Tage: nach der Abnahme eingerißt. Prieſter iind Prieſter: man muß fich alle vom Leibe halten.” „Du läſterſt, mein Gemahl! Die Zeit kann fommen, da nur der Chrijtenpriefter Gebet dich retten mag." „Dann bin ich verloren. Und nun, vertragt euch. Rom Hat Raum für viele Götter nebeneinander.” „Sa, du läßt jogar deine germanischen Söldner ihren Götzen opfern!“ grollte Serena.

„Gewiß. Weh dem, der Göttern opfert, an die er nicht glaubt. Genug! Komm mit, Eucherius! Nicht immer

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bei den Büchern! Aufs Pferd! Alaniſche Reiter find friſch angefommen; Saulus führt fie, ein abenteuernder Hau- degen, ein wilder Heide, aber auch ein wilder Reiter. Wir wollen fehen, wie er führt und reitet! Heute hab’ ich noch eine freie Stunde: morgen gilt e3 wichtige Entjchei- dung."

V.

Er ahnte nicht, wie wichtig jie werden follte für beide Reihe: und für ihn.

Schon längere Zeit weilte an dem Hof Ataulf, der „apollinifche“ Better Alarichs, als deſſen Gejandter: er jollte ein Waffenbündnis herbeiführen zwiſchen dem Wejt- reich und denjenigen wejtgotifchen Gauen, die ſich oder genug an jenen baltischen Adeling geſchloſſen Hatten. Denn ein König der Wejtgoten fehlte jeit fait einem Men- jchenalter, jeit das Bolf vor den Hunnen über die Donau geflüchtet war. Wlaric) war nur der freie und ohne Ver- pflichtung zu Dauernder Verbindung geforene Führer heimat- [03 gewordener Scharen, die feit jener Flucht im Dftreich eine neue Heimat zu finden vergeblich juchten. Das Un- fichere in der Stellung des Goten mußte den bejonnenen, nur auf das Wohl des Reichs bedadhten Staatsmann zau- dern laſſen, unter den zahlreihen germanischen Führern, die fih um ein folches Bündnis bewarben, gerade dem Sugendfreund, fo herzlich er ihn liebte, den Vor— zug zu geben; zumal er den ungemejjenen Wagemut des Mannes Fannte, dejfen Sippe nicht umfonft jeit grauer Borzeit den Namen der „Balten“, da3 heißt der’ Kühnen, führte. Er fürchtete, fein heldenfinniger Freund werde,

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wenn der Sorge vor dem Weftreich enthoben, gar bald die Waffen gegen das Oſtreich wenden, dejjen reichjte Provinzen, deſſen üppige Hauptitadt von den gotijchen Sitzen in Thrafien leicht zu erreichen waren: Gtilicho aber vergaß feinen Augenblid fein Berjprechen, das ganze Römerreich alſo auch dejjen öjtlichen Teil vor jeder Gefahr zu jchirmen. So hatte er geraume Zeit den un— gejtüm drängenden Ataulf Hingehalten: er erklärte offen, er müſſe, bevor er jich entjcheide, den Bericht jeiner nad) Byzanz entjendeten Boten vernehmen, auch der von Kaifer Urcadius angefündeten Geſandten, die mit jenen zugleich unterwegs waren und durch Eilreiter ihr Eintreffen in Mailand von Ravenna her für den folgenden Tag angezeigt hatten. Es verlautete, auch neue Gejandte Ala- richs hätten jich diefem Zug angejchlojfen. Deshalb war Ataulf den Kommenden auf der alten Römerſtraße, der ämilischen entgegengeritten. Aber wie erjtaunte er, al3 er den Führer der gotischen Gejandtjchaft erblidte: Alarich jelbjt! „Better,“ rief er freudig, fein Weißroß ipornend, „du, du jelbit in Stalien!“

„sa, ich bin mein eigner Geſandter,“ Tachte jener und itrich die blonden Loden zurüd, die wallend unter dem Adlerheim hervordrängten.

„Ich dachte, du habeſt einjtweilen jchon Losgejchlagen da drüben.“

„Wird wohl bald Elirren! Wirjt zufrieden fein. Erit aber muß ich diejen unfern Freund den unbegreiflic) Eigenfinnigen! gewonnen haben.“

„Wird dir Schwer werden. Seit Wochen quäle ich mich mit ihm. Er hält dich für zu ſchwach.“

„So? Nun, da fann ich ihn jegt beruhigen! Aber Ihweige: da haben uns die neugierigen byzantinifchen Leijetreter eingeholt. Vorwärts, Better. Lafjen wir die

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Rößlein fpringen. Folgt mir, meine Goten! Großem Geſchick reitet ihr entgegen.” Und faufend fprengte der Heine Zug in die öftliche Vorjtadt von Mailand.

VI.

Alsbald Hatte Stilicho, unter Genehmigung des Impe— tators, eine Verſammlung des Faiferlichen Rates berufen in den prunfvollen, mit Edeliteinen, Cdelmetallen und Moſaiken an der niedrig gemwölbten Dede, den diden Säulen und den marmorgetäfelten Wänden überladen ge- ſchmückten Empfangjaal, hier die Gejandten zu vernehmen. Honoriug ließ fih im legten Augenblid entichuldigen: fein ihn foeben wieder wie fat immer quälender Kopf- ſchmerz verjtatte Feinerlei Anftrengung: er werde ſich mit jeiner Schweiter in der Sänfte in den Hühnerhof des PBalatiums tragen lafjen und dort jeine Lieblinge füttern; er ſei im voraus mit allen Entjcheidungen des Magifter milttum einverjtanden. Der furchte die Stirn: „ES handelt ih um Byzanz und Nom und er füttert das Geflügel!“ Er befahl, den Purpurthron zu verhängen und jegte fich auf dejjen oberjte Stufe nieder. Er hatte angeordnet, exit jeine eignen zurücgefehrten Boten allein eintreten zu lajjen, den jchlauen Alanen Goar, den Bruder des Saulus, und den Senator Ämilius, einen ihm treu ergebenen Jugend— freund: aus ihrem Bericht wollte er den Maßſtab ge- winnen, die Ausſagen der Öyzantiner, die Forderungen der Goten richtig zu würdigen: aber e3 kam anders.

Sobald die Dftiarii, die von Gold an ihren langen Gewändern jtarrenden QTürhüter, das breite Haupttor des

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Saales öffneten, jerre beiden einzulaffen, wurden fie ſamt den Hereinzuführenden zur Seite gejchoben und über die Schwelle drängte, gefolgt von Ataulf, des Balten hoch— vagende Geftalt. Er eilte.mit rajchen Schritten auf den Thron zu und hatte Stilicho in die Arme gejchloffen, be- vor der erjtaunt fich Erhebende ihn recht erfannt Hatte. „Stiliho! Alter Genoß! Ah, dich wieder jehn ijt allein ichon die lange Reife wert!" „Warih! Du felbit hier! Alſo Gott jei Dank! Kein Krieg mit Byzanz!" „Sage: noch fein Krieg!" lachte der Gote, „'s iſt richtiger. Ob Krieg fein wird oder nicht, du haft es zu ent- fcheiden.“ Er trat zurüd umd rief den jegt erſt, beleidigt, eintretenden Byzantinern und Römern zu: „Kommt num nur auch herein, vielfrommte, vielgelehrte, vielffuge Herren. Berzeiht mein Ungeftüm: aber ich habe ihn fo lang nicht gejehn, Ddiejen lieben Barbarenverderber! Was ihr zu jagen habt, könnt ihr ohne Schen auch vor mir fagen, wenn’3 wahr fein follte: wenn nicht, bleibt's beſſer un- gejagt. Und ich? Hei, ich habe Feine Geheimnifje vor euh! Ihr wißt längſt, was ich will! Und daß Dich, Freund, die großen StaatSmänner von Byzanz nicht täujchen, vielgeübte Meijter find fie diejer ihrer Haupt- ftaatsfunjt! dafür jorgt dein treuer Alarich beſſer als deine eignen Kundichafter.“

Den Geärgerten blieb nichts übrig, als ſich zu fügen, da EStiliho, den offenbar das MWiederjehn ebenfalls er- freute, feine Anjtalt machte, den kecken Streih rück— gängig zu machen. Vielmehr winfte er den Ditiarii einer Ceitentür, durch welche nun die draußen Harrenden Balafträte, die Eonfiliarii ſancti conſiſtorii, eintraten. Sie nahmen auf den mit Fojtbaren perliichen Teppichen belegten Marmorbänfen im Halbireis gegenüber dem Throne Platz.

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„Sprecht ihr zuerjt, Geſandte des Imperators des Oſt— reichs. Sagt an, was begehrt Byzanz von der älteren Schweiter Roma? Und aus welchen Gründen des Rechts oder der Not? Meine eignen Boten mögen widerjprechen, aus eigner Anjchauung wenn ihr etwa aus Ver— jehen! euch... . täufchen folltet.“

Der Ültefte der Byzantiner, der Protonotarius Arche- laos, neigte fi und begann: „Recht und Not! Treffend, o Magijter militum, nennjt du beide: denn ein Recht auf Hilfe hat eine Schweiter gegenüber der andern. Und die Not? Sie ift wahrlich groß! Das wird auch) er bezeugen, er fann’3 am beiten! der fie fchafft: diefer Häupt- ling der Barbaren.“

„a,“ lachte Alarich behaglich vor fi) Hin, beide Hände auf den Griff des Langjchwerts jtübend, „es geht ihnen, wie dem aufgetauten Strom, mit Grundeis: fein Rat und feine Hilfe!" „Aber fie haben's ſelbſt verſchuldet,“ meinte Ataulf.

„Dagegen ruf' ich die Heiligen zu Zeugen,“ ſprach der zweite Byzantiner, der Biſchof Chriſtophoros von Niko— media. „Ja, es iſt freilich wahr, wir hatten den Horden dieſes Häuptlings, um ſie zur Abwehr anderer Barbaren zu gewinnen, Wohnſitze in Thrakien angewieſen und Geld— zahlungen und Getreidelieferungen verſprochen .. ..“

„Aber die Wohnſitze,“ grollte der Balte, „erwieſen ſich als um die Hälfte zu ſchmal, die Geldzahlungen blieben ganz aus und ebenſo das Getreide. Beim Schwerte Gottes! Wir würden das Korn, das wir brauchen, wahrlich lieber ſelber bauen als geliefert erhalten: oder vielmehr nicht geliefert erhalten! aber auf dem ſchlechten Boden wächſt nicht, was unſere ſtets überquellende Volks— zahl braucht. Wir hungern! Warum habt ihr nicht Wort gehalten?“

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„Geldmangel,“ ſprach achjelzudend der Protonotar. „Mißernte,“ entichuldigte fopfnidend der Bilchof.

„Und dabei wahnfinnige VBergeudung in Byzanz!” rief Ataulf. „Sa! Jede Woche, jeden Tag! Bei den Feiten, zu denen fie die Frechheit hatten, mich ſelbſt ein- zuladen. Soll mein Volf verhungern, indes Byzanz in Schlemmerei verjintt? Nein, bei meinem Schwert! Und deshalb Hab’ ich, Freund Stilicho, zwar noch immer nicht den Waffenjchrei gerufen wider den mortbrüchigen Smperator: aber die Zufuhr zu Lande wenigjtens! hab’ ich ihm abgejperrt: fie ſollen's lernen dort im ‚Soldnen Haus‘, wie der Mangel drüdt. Und wird meinem Bolfe nicht fein Recht, jo ziehen meine Taufend- ichaften zugleich gegen Byzanz und Athen. Dies Unheil abzuwenden, ruf ich dich an, Stilicho, dem gerechten Mann: mahne Arcadius, jein Wort zu halten und, weigert er fich wider alles Recht, jo zwing’ ihn dazu im Bunde mit mir. Sprid, willjt du dem Rechte helfen, Stilicho ?“ ichloß er ungeſtüm.

Aber der jchüttelte bedächtig das Haupt: „Meine Boten, Goar, und du, Ämilius, gründlicher Rechtsfenner, was fagt ihr dazu?" Der Senator erwiderte: „Alles ift, wie der Gote behauptet: jein Recht ijt verlegt: er klagt mit dung.“

Nun trat, in jeinem Panzer von Hornringen, der Alane vor, den Die gelbe Haut und die plattgedrückte Stumpfnaje als Mongolen fennzeichneten: er rief: „Mag jein! Verſteh' nichts von Recht und Unrecht. Aber Byzanz ijt ſchwer bedrängt, braucht dringend Hilfe: oder die Stadt fällt: fällt durch Hunger in diefer Germanen Hand.“

„Da jei Gott vor,“ ſprach Stilicho. „Gott, und die ewige Roma! Freund Alarich, du haſt's gewollt, du

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ſelbſt! daß wir hier vor den Gejandten von Byzanz verhandeln: du haft das eigenmächtig herbeigezwungen: trage nun die Folgen! Denn laut fag’ ich dir hier vor ihnen: du magft im Rechte fein, ich glaub’ es. Aber bin ih Richter über den Sohn des großen Theodofius? Das jei fern. Niemals hoffe, daß ich die Legionen der alten Noma gegen die neue führe! Das wäre Selbjtmord, wäre Zerſtörung des Werkes der Cäfaren von Ronftantin bis Theodofius, wäre... .“ Bruch meines Wortes wollte er fagen: aber er brad ab, das Geheimnis wahrend.

„Arcadius wird dir danken!“ rief der Protonotar. „Schlimm wär's, tät ich’S um diefen Dank! Sch Fenne Rufinus.“ „Der Herr wird dir lohnen im Jenſeits,“ beteuerte der Bifchof. „Weh’ dem, der nur um Himmel3- lohn feine Pflicht auf Erden tut." „Und nebenbei ift’s das Schlauſte,“ Tachte der Mane. „Mag für den Augen- blick Byzanz ein wenig faften müſſen, es iſt feiſt, kann lange wie der Dachs im Winterſchlaf von ſeinem Fette zehren. Bald iſt die Not vorbei, fahren ſeine Getreide— ſchiffe ein. Und was vermag überhaupt auf die Dauer gegen das Oſtreich, das von der Donau bis nach Perſien reicht, ein Häuptling weniger Horden blonder Germanen, die auseinander leichter und lieber laufen als zuſammen? Byzanz hat viele Völker, viele Könige bezwungen: was it diefer Balte ?“

Da trat Alarich vor gegen ihn: ganz ruhig, verhalten, feine Waffe, fein Rüftzeug an ihm flirrte: „Das will ich dir jagen, Soldfnecht,“ ſprach er langfam. „Bor dir fteht der König des Bolfes der Weftgoten.” Da ging gewaltige Erregung durch die Verfammelten: Überraihung, Schrei, Entjegen. Auch Stilicho ſprang ftaunend auf. „Nicht wahr, welch ein Wort?“ jubelte Atauff.

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„Sa, Freund Stilicho, ich ſehe, du kannſt es würdigen. Sch, id) ward von der Tat überrafcht wie ihr von dem Wort. Sch hatt’ es längſt als notwendig erkannt, follten wir nicht untergehn, jeit Sahrzehnten in mehr als zwanzig Splitter unjeres Volks gefpalten. Aber nicht an mic dacht’ ich, bei Gottes Schwert. Ich hätte manchen mir vorgezogen, Vetter Ataulf, Vetter Sarus etwa. Aber eines Tages, plöglih, nachdem mein Vorſchlag, Byzanz ab— zujperren, gut geheißen war im Lager, da erbraujften viele taufend Stimmen auf einmal: ‚Heil Alarich, dem König der Weitgoten‘. Und bevor ich wußte, wie mir gejchah, hatten fie mich auf einen breiten Schild gehoben und trugen mich, ‚Heil!‘ jauchzend, durch die Gaſſen der Belt- hütten. Sch konnte nicht widerjprechen: wie ein Sturm riß es mich wie alle fort. Und hätt’ ich’3 gefonnt, id) hätt’ es nicht getan. Denn längjt hatt’ ich’3 eingejehn: was ung fehlte all’ die vielen Fahre, das war ein Haupt, ein einziges, unſeres Volkes. Ein Haupt, das den Ränfen der beiden Kaiferreihe ja, Freund Stilicho, der beiden! aufmerfjam folgen, fie abwehren fonnte in Frieden und Krieg. AM unfere Siege hatten uns jpäter im Frieden nichts genüßt: jo wie wir den Speer aus der Hand legten, drohte der Hunger. Denn jie gaben uns fein Aderland, feine eigene Scholle, Fein Baterland! Das müſſen wir haben, oder untergehn: das heißt aufgehn in Byzantinern und Römern.“

„Und wäre das ein Unglüd, Mari?" Mit diefer ganz ruhig, bedachtſam gejprochenen Frage unterbrach Stilicho den Begeilterten.

Der fuhr auf: „Wa . ..? Wie? Was? Du fprichit zum König der Weftgoten, zum Haupte eines Volkes! Du Armer, armer Herr der halben Welt! Du freilich Haft fein Boll. Wie kannſt du leben?“

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„Sch lebe für das Römerreich. Und damit auch für alfe Germanen, die nicht dem Wahnwig verfallen find, jemals dies Neich zerftören, erjegen zu wollen. Aber genug davon heute und hier. Mir ift, die Stunde fommt, da wir dieſen Streit mit Stärferem als mit Worten ent- icheiden. Alſo König! Das ändert deine Macht, nicht meine Pflicht. Niemals kämpfe ich gegen den Sohn des Theodofius. Höre mein letztes Wort: ziehe deine Scharen zurück, die Byzanz bedrohen: dann will ich verjuchen, Arcadius zu bewegen, deine Wünjche zu erfüllen.“

„And weigert er fich, wirft du ihn dann mit mir zu- fanımen zwingen? O Stilicho, wir beide Schild an Schild, wer auf Erden fann uns widerjtehen?" „Die Pflicht: fie ift mächtiger als alles." „Alſo ich fol weichen: und Hilft das nicht, Hilft du mir auch nicht? Und weiche ich nicht und ziehe auf die Stadt der Lüge und faſſe fie an der Kehle, dann... .?* „Führe ich mein Heer und meine Flotte zum Entſatz, das Heißt: des Jmperators Honorius Heer und Flotte,“ ver- bejierte er raſch: er Hatte Heraclian und Carinus, jebt vornehme Heerführer, und Beamte, einverjtandne Blicke tauschen ſehen.

Aber Alarich fuhr fort: „Alſo Krieg! Denn ich kann nicht zurüd. Mein Volk! Es darbt. Krieg zwiſchen uns, alter Waffengenog! O Stilicho, das follte nicht fein! Bilt du denn ganz und nur! Römer? Weh um dich! Auf Wiederfehen denn auf dem Feld der Schlacht!” Und er wandte fi) und ſtürmte hinaus.

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VL.

Ataulf, der ihm auf dem Fuße gefolgt war, hielt ihn draugen am Mantel feſt: „warte noch!" flüfterte er. „Nicht Stiliho doch iſt Imperator: der heißt Honorius. Und feine Schweiter, die Vielſchöne, die heißt Placidia! Und fie, die Herrliche, bejchied mich geheim in ihr Gemach jobald die Verſammlung zu Ende jei. Dort hinter der Säule, jiehjt du! wartet ihre Sklavin. Ach folge ihr. Mir eilt’s. Sie ift zauberjhön und . . .“

„Ein Rätjel! Weiß Gott, was die eigentlich will. Bielleiht weiß ſie's felbjt nicht. Hüte dich, Vetter! Und fomm bald. Ach rüſte zum Heimritt.“

Die Kaijerichweiter bewohnte mit ihrem zahlreichen Hofitaat von Hausbeamten, Freigelajjenen und unfreien Dienern und Dienerinnen den ganzen Djtflügel des Balaftes, dejjen drei Baufeiten gegen Dften, Weiten und Norden Türen und Yenjter öffneten, aber nit der Hibe wegen gegen Süden, wo fich breite Hofräume an- Ichlojjen und darüber hinaus jchattige Gärten. Pracht und Prunk Herrichten überall: aber am üppigften in einem fleinen Gemach des Frauen-Baus, das zwijchen dem großen Empfangjaal und den Schlafzimmer lag. Es hatte außer der breiten Doppeltür jener Saal zwei geheime fchmale Pforten, eingelafjen in die Wände aus dem koſtbaren numidiichen Marmor, deſſen tief dunfles Not, zufammen- wirfend mit dem undurchſichtigen Marienglas des einzigen Ihmalen Rundbogenfenfters zwiſchen diden byzantinischen Säulen, gar wenig Licht auffommen Ließ in dem niedrig

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gewölbten Gelaß, in dem die hoch auf dem MoſaikEſtrich aehäuften ſyriſchen Teppiche jeden Schall dämpiten, jedes Wort wie geflüftert vernehmen ließen. Vor dem über Leibeshöhe ragenden jchmalen Spiegel aus geglättetem ipanischem Silber glimmte Tag wie Nacht Licht in einer goldbraunen Bernjtein-Ampel, die im DVerbrennen des Dochtes Duft, alzuftarfen Duft, ausjtrömte: die Herrin war's gewöhnt: aber ihre Befucher überfam dabei traum- hafte, füße, beraufchende Betäubung. Das anjehnlichite Gerät in dem ziemlich leeren Gemach war ein nur wenig vom Boden erhöhtes Ruhebett: ſchwer golden das Geftell mit feinen Zöwenpranfen nachgebildeten vier Füßen: Seide, £oftbarite, ferijche, gelbe die Kifjen, gefüllt mit dem weichen Bruftflaum der Wildgand aus Germanien, dunfelpurpurn die goldgefranjte Dede; über dem SKopfende ragte ein Elfenbeingejtell mit wallenden Flamingo-Federn vom Nil, deren unabläffiges Neigen und Niden die Arbeit der Fächerſklavin erjparte.

Sn diefes Gemach trat nun aus dem Schlafzimmer, wo fie die Gartengewandung mit dem Abendkleid ver- tauscht Hatte, durch die enge Geheimtür Blacidia, und ließ den herrlichen Leib langjam auf die Kline gleiten: fie wandte das Antlitz dem Spiegel zu und ftüßte das Haupt auf die Hand. Sie feufzte jchwer. „Ah, unerträglich! Dies Leben ijt lebender Tod. Drei Stunden Honorius. Honorius! Seine Leerheit und noch ärger! feine effe Zärtlichkeit. Stiliho hat recht: ſchon merken's die Leute. Neulich meinte mein Beichtvater, der heilige Vater fünne für viele Gebete und noch mehr Solidi aud Bruder und Schweiter entbinden von... .! Und Ehe fei ja gar nicht nötig, wenn nur die Schweiter gehorfam die Zärtlichkeit des faiferlihen Bruders dulde. Der Nieder- trächtige! Nie fommt er wieder in meine Nähe! Nein,

Zum Gedächtnis diejer Stunde.“

reund!

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„Behalt es,

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Vriefter! Wehe dem Weibe, das fich gibt, wenn es nicht muß aus Hunger des Herzens."

Sie hielt inne und feufzte. Dann fuhr fie jort: „Kann es fommen, daß es muß? Was mir die ‚Freundinnen‘ aber ih habe nicht eine, einfam bin ich, wie auf öder Inſel verbannt! mas mir die beneidenswerten Törinnen erzählen von Venus, die rafen mache, fo daß fie wie die Nachtmotten ins Licht ſich ins Verderben jtürzen müffen in Schmad, Elend, Tod, ah, e8 mag herr- lich fein, fo zu erglühen. Aber ach ich Arme! Ich werde e3 nie erleben. Schönheit, Mannesjchönheit? Se nun, der Schönfte, den ich jemals fah, ijt jener goldblonde Gote. Dft muß ich fein gedenfen,..... recht oft. Uber ift das Liebe? Mein Bruder jagt: ‚deine Leidenjchaft heißt Herrihen, nicht Lieben. Nicht nah dem Brauts ichleier, nach einer Krone verlangt dein Haupt.‘ Wenig weiß der Schmädling, wie wahr er fpricht. Seit jene alte ägyptifche Sibylle eine Zauberin wohl! in meiner Hand gelefen: ‚Raijertochter, Kaiſerſchweſter, Dir wird nur wohl als KRaijerin‘, jeitdem hat dieſes Wort wie ein Zauberſpruch al! mein Gehirn erfüllt: ad), ih fürchte, mit Gift erfüllt und wohl auch den Drt wo andern Mädchen das Herz jchlägt. Kaiferin! Aber die eigenen Brüder verjperren mir beide! den Thron von Rom und den von Byzanz. Hm! Müſſen denn gerade meine Brüder Kaiſer fein hüben und drüben ? Ohnmächtige Knaben find fie beide! Wie viele Impe— ratoren find durch Gegen-$mperatoren, durch meuternde Feldherren erjegt worden! Sollten,“ lachte fie vor ſich Hin „Urcadius und Honorius wirklich unerjeglich fein für das Wohl des Cäſariſchen Reiches? Diefem läßt man jeine Hühner, jenem feine noch dümmeren Goldfifche und ſie jind zufrieden. Sollte denn unter dieſen ränfereichen

Dabein, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Bd. VI. 6

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Römern, unter dieſen Fühnen Germanen nicht ein Mann Mut und Luft haben, einen diefer Bapyros-Throne um— zublafen mit einem Hauch und außer dem Kaiſerdiadem zu gewinnen das jchönfte Weib der Erde ? Wie ſie alle jagen. Sa," Tächelte fie in den Spiegel, ſich ein wenig aufrichtend, „du bijt wirklich jchön, Placidia.“ Und ſie ftrich daS üppige Haar unter die Stirnbinde zurück, die weißen Schläfe, das zierliche Kleine Ohr frei machen. „ber ach, für wen bin ich Schön? Nur für den toten Spiegel. Nicht für einen geliebten Mann. Wenn er dann auc nicht Kaifer oder König wäre! Pfui, Placidia, auf welchen Gedanken ertappe ich dich? Liebe ftatt Herrjchaft? Nein, nein, nein."

Über ein Feines fuhr fie fort: „Da rühmen fie fo laut meine neu vermählte Schwägerin, de3 Herrn Bruders in Byzanz Gemahlin, eine Barbarin, ein fränkiſch Weib aus Gallien, fagt man, mit roten Haaren! Pfui! welch Un- glück, rothaarig zu fein! Aber doch! Wie ich fie beneide! Schön und Kaiſerin! Eine Barbarin! Und ich, des großen Theodofius Tochter, darf Hühner füttern. Freilich: nur des Arcadius Kaiferin: lieber tot! Nein, da [ob’ ich mir doch vor allen Männern ihn! (Schon wieder: er!) Er ſoll mir fagen, wer jchöner ift: ich oder jene? Aber mir ift nicht bang darum: er liebt mich tief. Aber auch er denft nicht daran, fich felbjt den Purpur umzu— werfen. Muß ich wählen zwiichen dem Diadem und ihm? Oder Eucherius, der Berträumte? Auch er liebt mid). Könnte nicht Stilicho den Sohn auf den Thron in Byzanz erheben? Und dann PBlacidia in der goldenen Stadt herrſchen, viel herrlicher al3 in dem verfallenden Rom, dem jumpfigen Ravenna, diefem flachen Mailand. Und die rothaarige Barbarin? Bah, die jhiet man zurüd in die Wälder des Rheins. Alſo Krieg zwiſchen Arcadiug

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und Eucherius? Und wenn der Pflichtengel Stilicho nicht will? Ei, dann bleibt mir mein ſchöner Gote. Der lärmt wohl ohnehin bald mit ſeinen Waffen vor den Toren des Arcadius! Ei ja, welch ein ſtattlicher Imperator des Orients! Er wäre mir der aller⸗allerliebſte Herrſcher und Gemahl. Mit den andern Namen ſpielen nur meine Gedanken, ſie ſegeln irr umher, um ſtets bei ihm zu landen: an ihn allein denk' ich im geheimen. Und wag' ich doch dies Haupt bei ſo kühnem Spiel um das Diadem, dann will ih ihn dabei gewinnen... O du Törin! Hüte dich, ihm in die Arme zu fpringen auch ohne Diaden. ‚Königin der Schönheit‘ hat er mich genannt: ‚tetS gehſt du deshalb unter Krone!‘ Das war hübſch! Iſt er doch auch an Geift und Seele jhön. Dh, ich denfe jchon wieder an ihn. Horch, leiſe Enivfcht es in der Marmorwand: ich erichrede: und ich weiß doch: er ijt es!“

VII.

Von der Begleiterin, die außen ſtehen blieb, durch die ſchmale Pforte hereingeſchoben, ſah ſich der Germane er— ſtaunt um in dem Gemach, das er noch nie hatte betreten dürfen. Das Dämmerdunkel, der ſtarke Duft des ſüßlichen Rauchwerks Myrrhen und Bernſteinſtaub die ſtille Abgeſchloſſenheit, die Lautloſigkeit wirkten drückend, be— wältigend. Und nun erſt der Anblick des herrlichen Weibes auf dem Pfühl! Ohne ſich zu regen wandte ſie nur lang— ſam leiſe das Haupt auf dem Kiſſen ihm zu: dabei löſte ſich das ſchmale goldene Stirnband und die Flut des ſchwarzen Gelocks wallte auf die weißen Schultern, die

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blendenden und vollen Arme, als fie lächelnd flüfterte: „Endlich!“

Heiß ſchoß ihm das Blut zu Herzen. Er trat rajch an das Ruhelager heran, fniete nieder, hob den goldnen Neif, der auf den Teppich geglitten war, und reichte ihn dar. Aber fie jchüttelte das Haupt, daß das dunfle Ge— woge noch freier flutete: „behalt’ es, Freund! Zum Ge— dächtnis dieſer Stunde.“

„D Placidia, es ift ein Diadem! Das ziemt mir nicht!"

„Auch nicht, wenn ich es dir verleihe? Steh’ auf! Nein, nicht mich berühren. Tritt zurück gleih! Sonſt ruft,“ lächelte fie, „ein Drud auf dieſen Knopf von Topas alle Wachen des Palaftes zum Schuß der armen Kaiſer— ihwejter wider den Barbaren!“

„Du rufſt und jtößejt zurüd! Du fcheinft viel zu geben und verſagſt alles. Der lebte Sklave, der deine Sänfte trägt, darf beim Einfteigen den Drud deines Armes auf feiner Schulter fühlen und ih..." „Sa,“ lachte fie, „ver Sklave ijt mein. Du aber bift ein freier Gote, ein Edeling: ich habe fein Recht an dir, feine Macht über did." „Keine Macht über mi! Und mir vergehn bei deinem Anblik Denken und Sinnen.” „Ei, wenn das wahr wäre? Wirflih? So zeig’ es durch die Tat. Du kommſt aus der Verfammlung: dort hat dein Better verfündet feine Königichaft. Du ftaunft? Woher ich's weiß? Ei nun, der DBertraute, den Honorius beauf- tragt hatte, ihm alles gleich zu verkünden, hat doch den Umweg vorgezogen, der durch dies Gemach führt: vor dem Imperator erfährt gar viele des Imperators Schweiter. Aber mir tat die Nachricht weh.“

„Dir? Warum? Was haft du gegen meinen Vetter?“ „Nichts als daß er nicht du iſt.“ „Wie? Ber:

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jteh’ ich recht?“ „Iſt Doch leicht zu verftehen! Sie richtete ich jeßt ein wenig auf: „Sch vermifje längjt eins nur eins! an diefem ſchönen Haupt.“ „Was?“ „Die Krone, die ihm gebührt." „Placidia!“ „Nun wählen dieje blonden Toren endlich einen König und wählen den Falihen! Laſſen den gebornen König ſtehn!“

„Alarich iſt drei Jahre älter und ohne Zweifel der klügſte Kopf wie der größte Held unſres Volkes.“

Sie zuckte die Achſeln: „aber dein Kopf gefällt mir beſſer! Du biſt . . doch wozu dir wiederholen, was dir ichon allzuviele Weiber gejagt haben? Übrigens gibt es noch Höheres als den jchlichten Reif eines Germanen- königs!“

Sie ſchwieg eine Weile und ſah zur Erde: dann ſchlug ſie die dunkelblauen Augen weit auf: „alſo jetzt gibt es Krieg mit Byzanz?“

„Sa, dank Aarih und dem Himmel. Und diesmal joll er Ernjt verjpüren, der Jammerkaiſer ... vergib, er ift dein... —“

„Bitte, tu’ div feinen Zwang an. Sch verachte ihn tiefer, denn ich kenne ihn bejier al3 du. Wo wird der Krieg enden?“ „Hoffentlih in dem Saal, in dem bisher! jein Thron jtand!“

Nun ſetzte fie fich aufrecht: „und diejer leere Thron, was wirjt du damit anfangen?“

„sh meine,“ lächelte ex, „ich werf’ ihn ins Meer.“

„Kein!“ rief fie und ſtand auf: fie reichte ihm bis an die Stirn: „Bejteigen jollft du ihn! Und dies goldne Ding da jeße auf: es ijt ein Kaijerdiadem: und dann, Imperator des Drients, denfe daran,.wer dir jene Krone gab und diejen Gedanken!“

Und bevor der Staunende ſich jelbjt wieder gefunden,

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rauſchte die Hohe Geſtalt an ihm vorbei: fie war durch die geheime Tür de3 Schlafgemachs verſchwunden: Yaut hörte er drinnen einen Riegel vorjchieben. Er fah ihr nad) wie betäubt, dann auf das Diadem in jeiner Hand: nun faßte er betroffen an die heiß erglühende Stirn, und ftürmte dann hinaus in den Empfangjaal: „zu Alarich!“ rief er.

Sweites Bud,

LE

Eine Zeitlang hatte es nun den Anjchein, als follte der Thron des Arcadius in der Tat leer werden für einen fühneren Bejchreiter. Warih und Ataulf, aus Stalien zurüdgefehrt, hatten jofort ihre Tauſendſchaften von Grie- henland in Eilmärjchen auf die große alte Straße nad) Nordojten gen Byzanz geführt und die unfähigen Feld- herren, die ihnen den Weg verjperren wollten, zurücdge- worfen: die Bahn nach der ungenügend bejegten, ausge: dehnten Hauptjtadt war frei. Aber plöglich jahen ſie fich zugleih) von vorn und von der rechten öjtlihen Flanke, bon der Meerjeite her, bedroht von Stilicho. Diejer hatte jeine zahlreichen Schiffe geteilt, die Hälfte feiner Mannihaften auf der Straße jelbit, in einer Linie mit der Küjte, zwiſchen der Spite des Gotenheeres und By- zanz, die andere in des Königs vorüberziehender Flanke gelandet und beide Bedrohungen mit jo überlegener römischer Feldherrnichaft verwertet, daß den Goten nur der Rüdzug nach Südwejten übrig blieb. Es fam faſt gar nicht zum Gefecht. Der König war aufs ſchwerſte gehemmt in jeinen Bewegungen durch den ungeheuren Troß, den er mit jich führte: Weiber, Kinder, Greife, Kranke,

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unfreie Knechte und Mägde, fopfreiche Herden, Zelte, diefe auf vielen mit je acht Rindern bejpannten breiten Wagen und Karren, welche dazu die Fahrhabe des Wanderpolfes bargen. Er Ffonnte, wollte dieſe Wehrlojen, welche die Zahl feiner Krieger ganz gewaltig überftiegen, nicht den Folgen einer Niederlage: Bernichtung oder Verknech— tung ausjeßen.

Nur Ataulf, der ſchon vor Stilichos Landung unauf- haltjam vorwärts gedrängt hatte „ih muß Arcadius auf jeinem Thron etwas bejtellen von jeiner jchönen Schweſter!“ Hatte er auf des Königs ftaunende Frage mit Lachen geantwortet wollte auch jegt noch um jeden Preis den Durhbruh nah Byzanz erfämpfen. Kaum hatte er den heiß erbetnen Befehl über die Nachhut des weichenden Volfsheeres erhalten, al3 er fofort, anjtatt dem Troßzug dedend zu folgen, jeine Reiter Kehrt machen ließ und in rafendem Anlauf die Vorhut der verfolgenden Raiferlichen anfiel. Übel fam er an: es waren in fünf- facher Übermaht die erlefenften Geſchwader Stilichos, Yauter Germanen, geführt von Sarus, aus einem andern Zweig de3 Baltengejchlehts, der dem um zehn Jahre jüngeren Vetter bei deſſen Erhebung auf den Königſchild den Tod gejchworen Hatte. Dazu famen die zahlreichen, im vieljährigen Dienjt für die Römer erprobten Alanen auf ihren Heinen zottigen, höchſt ausdauernden Mongolen- Gäulen unter ihrem Häuptling Saul.

Ataulf brach den Hoffnungstojen Kampf nicht ab, jo- fang er das Schwert führen fonnte: und al3 Saul feine vechte Schulter getroffen, nahm er das Schwert in die Linke, mit der Rechten den Zügel haltend. Erſt als ein grimmer Gtreitarthieb des Sarus ihm durch den zer- ihrotenen Helm ziemlich tief in den Schädel gedrungen war, mußte er es gejchehen laſſen, daß die Gefolgen den

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Weißhengſt herumriſſen und mit dem Wunden zurücjagten. Das war fajt der einzige Zufammenjtoß der Heere. Sehr gejchict führte der König quer durch ganz Griechenland, immer nach Südweiten zurüdweichend, feine unbehilflic) ichwerfälligen Mafjen ſtets dicht vor der drohenden Um— flafterung davon.

Wortreih war der Dank des geretteten Imperators in Byzanz! Und nicht nur in Worten bejtand er, auch in allerlei Zeichen, die nach viel ausjahen und wenig fojteten. So jandte ihm Arcadius jein Moſaikbild, ver- lieh ihm den Titel „Patricius“ und verſprach ihm ein Neiterjtandbild vor dem Haupttor des Palatiums. Sa, die Gejandten jtellten den baldigen Bejuch des Kaijers im Lager in Ausficht: er wolle jeinem Befreier mündlich danken. Aber die ihm entgegengejandten Ehrenwacen fehrten mit der Meldung zurüd, der Faijerliche Zug ſei auf der Heerjtraße nicht zu jehen.

Stiliho jaß allein in feinem Zelt, bei dem fladernden Licht einer Pechfadel über die Straßenkarte von Thefjalien gebeugt, wohin die Öoten zurüdgewichen waren. In Nach— jinnen und Berechnungen vertieft, achtete er faum darauf daß vor feinem Belt mehrere ihm fremde Stimmen ver- nehmbar wurden, aber auch die jeiner germanijchen Zeltwächter. Plötzlich ward der Zeltvorhang aufgeichlagen und vor ihn trat ein wunderfchönes, ja unheimlich jchönes Weib: im Schein der Fadel ſchien ihr rotes Haar wie Feuer zu flammen. Hoch anfgerichtet, jchweigend ſtand jie

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vor ihm. Er ſprang auf und neigte ſich tief: „Imperatrix Eudoxia! Nie noch hab' ich, Baſiliſſa, dein Antlitz ge— ſchaut: aber du biſt es.“

„Richtig geraten, Held Stilicho,“ lächelte ſie und ließ ſich auf einen Feldſtuhl gleiten, den dunkeln Mantel ab— werfend: das weißſeidene Untergewand umflutete nun in langen Falten die ſchlanke Geſtalt. „Der Imperator, mein hoher Herr und Gemahl, iſt wie gewöhnlich krank. Oder doch wie immer! ſchwach. So hab' ich es an ſeiner Statt übernommen, dir zu danken: nimm den Dank Eudoxias dazu, Retter und Befreier.“ Und ſie reichte ihm über den Tiſch hinüber die Hand, die grauen Augen tief in die ſeinen ſenkend.

„Ich tat nur meine Pflicht.“ „Aber du hatteſt die Kraft, ſie zu tun. Du haſt überhaupt Kraft nein,“ verbeſſerte ſie langſam, ihn genau muſternd, „du biſt Kraft. Mein hoher Gemahl und Herr, er ſollte doch jeine Heere führen, heißt er doch vom ‚Smperium‘ er jollte ihnen vorfechten im Speerfampf: du weißt, ich bin eine Germanin: das Fünigliche Blut der Merowingen ſtürmt in dieſen Adern. Wohlan: bei uns ift der fein Herricher, der fein Held. Mein Hoher Herr und Gemahl aber ift innmer mid’. Nicht er Hat, du Haft mich vor Schmach gerettet. Danf, Held Stilicho.“ Und ihr Auge nahm durſtig jein männlich Schönes, ernjtes Bild in lich auf.

„Wie famft du....? Sch hörte nur wenig und fait Unglaubliches von dir, Baſiliſſa.“

„Wie ich, die Barbarin, auf den Thron der Cäſaren kam?“ fragte fie lachend. „Sa, 's ijt jeltfam. Hei, um diefer roten Haare willen. Das Königsfind war früh als Geijel in die goldne Stadt gebracht: ach, ihm war fie nicht golden. Finjtre Weiber, in grau und ſchwarz ge

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wandet, in einem weihrauchdufterfüllten finitern Gewölbe rijjen mir Frikk und Berahta aus der Seele: das Fonnten fie: aber ihre blutigen Märtyrer Fonnten fie mir nicht einpflanzen. So glaubte und glaub’ ih an nidts! So wuchs ich heran. NRufinus du kennſt ihn?“ Stiliho nidte jtumm. „Rufinus, der bisher meinen hohen Gemahl und Herrn beherricht hatte, wollte ihm feine Tochter vermählen: Arcadius tat alles, was der wollte: er hätte auch das getan! Aber des Rufinus Nebenbuhler, der Obereunuch . . . .“ „Eutropius.” „Entdedte mich in meinem Klojterferfer, verpflanzte mich in jein Haus, nächſt dem Palaſt und, fam Arcadius vorüber, mußte ic) mich in der offenen Säulenhalle zeigen: mein Feuerhar gefiel ihm. Und als Rufinus den faijerlichen Hochzeitzug aus dem Palaſt anführte, die Tochter aus dem VBaterhaus an der Ede der Strafe abzuholen, fiehe, da machte der Imperator drei Türen vor diejem Eckhauſe vor meiner Säulenhalle Halt, jtieg aus der Sänfte, trat ein und führte mich als Braut in feinen Palaſt.“

„Das ijt wie eine Dichtung Dvids! Oder Claudians!“

„Ach, ich mußte gleich beim Eintritt in das Kaiferhaus meinen jchönen Namen ‚Hildgundis‘ mit dem fremden Eudoria vertaufhen. Das war das erjte Bittere. Und feither nichts als Bitteres. Nächte, Tage, Monde, Jahre nichts als Bitteres, al3 Efel. Efel an... . anderen. Und zulegt an mir jelbit.“

Das ſchöne Weib legte beide Arme auf den Tiſch und drüdte das Antli auf die verjchlungenen Hände. Mitleid- voll betrachtete er fie eine Heitlang: dann jprad er: „Imperatrix! Bedenfe, wieviel Gutes kannſt du tun.“

„Ich hab's verſucht,“ fuhr fie, fich aufrichtend, fort: „Iheffelweife Habe ich das Gold den Armen gejpendet: die Verwalter haben's unterjchlagen! Auch den Kirchen

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denen ich nicht glaube —: die Biſchöfe haben's ver- geudet. Ab, es Hilft alles nicht. Hier, in diefem heißen Herzen ift’S Teer. Oder überjiedend voll? Ich weiß es nicht! Aber es tut jehr weh.“ „Arme, ſchöne Frau.” Sie fprang auf: „Schön?" „Du nennft mic ſchön? Du ein Mann, ein Held! Oh, das tat wohl! Das ift mehr als alle Schmeichelei der Höflinge, mehr al3 ganz Byzanz und feine Krone. Wahrlich du bijt ein Mann. Du bift.... Laß mich jegt jcheiden! Es ift wohl bejfer. Sie haben mein Brunfzelt mitgejchleppt: darin werd’ ich liegen. Liegen nicht jchlafen. Nur vielleicht träu- men? Auf morgen Stiliho!“

IT.

Gar früh am andern Tag ward der Feldherr in das Zelt der Baſiliſſa gerufen: er fand fie reifefertig. Bei feinem Eintreten jprang fie auf, fchritt ihm rafch entgegen, faßte des Überrafchten beide Hände: „Mein Traum von heute Nacht hat ſich zur erjten Hälfte jchon erfüllt: die zweite jteht noch aus: wird fie fih, wirft du fie erfüllen?” „Sch veritehe nicht, Herrin." „Du haft jeit gejtern Abend feinen Boten aus Byzanz geſprochen?“ „Sch habe feinen gejehen.” „Uber ih! Rufinus, meine Feinde, übrigens auch deine Todfeinde ....“ „Sch weiß.” „Haben mein Fernjein raſch benußt bei... . bei dem Unausiprechlichen! Hei, er fann des Gänglers nicht einen Tag entbehren: ich war fern jo ließ er fi von jenen leiten zu plöglidem Umschlag! Meine Freunde, meine Verteidiger am Hof, in der Stadt,

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im Heer, meilt Germanen, zumal Franken, find verhaftet oder verbannt. Ein par find Hierher entflohen, mi zu warnen: fehre ich zurüd, wird der Palaſt mein Kerker. Wohlan, ich will zurüdfehren: aber der Palaſt jol andrer Leute Kerfer werden. Auf, Stiliho, du erjter Mann, den ich erlebt: führe du mich zurüd an der Spibe deines Heeres: Byzanz Tiegt dir zu Füßen, wehrlos. Du allein warjt jeine Wehre. In den Bosporus mit Rufinus! In ein Klojter mit dem Schwächling Arcadius: das iſt fein richtiger Plat. Dein Pla aber ijt der Raijerthron und... . —“ hier ftodte fie: eine Blutwelle ſchoß in die alabajterweißen Wangen „der Platz an Hildgunds Seite, wenn du fie nicht verſchmähſt: du Halt fie Schön genannt.“

Sie trat hajtig noch einen Schritt auf ihn zu und hielt ihm die Rechte entgegen, das Antlik emporgerichtet, nahe dem jeinen. Bejtürzt trat er zurüd: „Imperatrix . . . .“ „Hildgund Heiß ih für dich.“ Und die grauen Augen funkelten ſeltſam. „Die Überrafhung, der ge- rechte Zorn haben dich verwirrt. So hajt du vergeſſen ... unjere Eide. Wir beide haben dem Sohn des Theodofiug geihmworen: ich Untertanentreue, du Ehetreue, gleichwie ich Serena, dem einzigen Weib, das ich liebe.“

Hoc bäumte fie auf, dann jchnellte fie zurück: „Ah, ah, da3 mir! Berjchmäht von ihm, von dem einzigen, der.... Geduld, du ſollſt diefer Stunde gedenfen.“ Und ſie fchoß an ihm vorbei aus dem Zelt ins Freie, wie eine jehr fchöne, aber jehr zornige Schlange.

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IV;

Wenige Wochen darauf finden wir Stilicho und fein Heer jowie den Gotenfünig und deſſen Volk in den Engen und Schluchten des Gebirges Pholod, an den Quellen des Pheneus. Schritt für Schritt hatte der Magijter militum die Weichenden vor ſich hergedrängt in dieſe Bergklüfte, aus denen ein Entrinnen nur möglich jchien, wenn die Berzweifelten, denen der Weg nach Weit, Nord und Süd durch undurchgängige Felswände verjperrt war, ji) Bahn brachen nad) Dften, durch das meifterhaft gewählte und meijterhaft befejtigte Lager Stilichos: ein ausſichtsloſes Unternehmen! Diefer konnte jonder eitle Überhebung die Ergebung des tapferen Balten und jeines Volkes ohne jede Bedingung in nahen Tagen erwarten. Ber: handlungen hierüber vermutete er als Zweck der Unter- vedung, zu der Mlarich freies Geleit in das kaiſerliche Lager und daraus zurüd erbat und fofort bewilligt erhielt. Stiliho erihraf, als er des geliebten Feindes Antlik wieder jah zum erjtenmal feit der Kriegserflärung zu Mailand. Die Wangen waren eingefallen, die hohe Stirn gefurcht, die blauen Augen hatten den heitern, den lachenden Glanz verloren. Bejtürzt faßte er des Eintretenden Hände, die dieſer ihm willig, aber ohne Gegendrud überliep.

„Du leideſt, Freund!” rief Stilicho. „Ich litt viele Wochen.” „Du bijt erjchöpft von dem furzen Ritt!“ „Bon der langen Abfperrung.“ „Da. Nimm!“ Mit eigner Hand füllte er aus hohem Erzkrug zwei der fchmalen Goldbecher auf dem Zelttiſch und bot dem Gajt den einen Hin: köſtlich duftete der edle, tief dunfelrote Trank. Mari nahın ihn und während jener tranf, jchüttete er den Wein bedachtſam zur Erde: „Da

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jei Gott vor, daß der König Wein trinkt, während jein Bolf nad) Waſſer verſchmachtet. Seit ihr ung die Leitung Hadrians vom Pheneus her abgejchnitten habt der eherne Himmel diejes Glutſommers fpendet feinen Tropfen Negen! fchlürfen wir die paar Tautropfen, die zumeilen die Nacht bringt. Zu Hunderten verſchmachten fie, die Weiber, die Kinder.“ „So mad’ ein Ende." „Deshalb bin ich hier. Hei, hätt’ ich Krieger allein, wie du! Ganz anders wär's längjt gegangen. Aber Hundert- taufend mit fich jchleppen —, die nicht fechten können, Die nur genährt und geſchützt werden müfjen, die niemand vor Unfreiheit ſchirmt, find wir Männer gefallen, ein Troß, der mit feinen Wagen meilenlang die Wege veritopft, itecfen bleibt, den Feind anlockt, wahrlich, auch geringere Seldherrnihaft als Stilihos wäre bei ſolchem Kampf mir überlegen. Wie oft in diefen Wochen hätt’ ich Gelegenheit gehabt, in rajchen Durchbruch mein Heer zu retten, aber um den Preis, mein Bolf im Stich zu laſſen.“ „Nun lernt du, Freund, wie faljch dein jtolzes Wort ift: ‚das höchjte Gut des Mannes ijt fein Volk!‘ Dein höchites Übel ift in diefem Kampf dein Volk.“

Aufleuchteten da bligend des Königs Augen. „Und doch Lieber, zehnmal Lieber für dies mein Volk fallen denn jiegen als der Mietling Roms." „Mari! Du ver- RT IT !“ „OD nein: ich vergefje nicht: du biſt oder wirft alsbald mein Bejieger. Aber für wen haft du dann gejiegt, für wen bin ich gefallen?“ „Ach fönnte jagen: Stilicho fiegt für Nom: das heißt für alles Größte, was die Menichheit gejchaffen hat in Staat, Recht, Bildung, kurz, in allem Menfchlichen: der tapfre Balte aber fiel... .!* „Für ein Barbarenvolf, willit du jagen.“ „Wohl: aber für Barbaren, aus denen andres als Barbarifches werden mochte. Höre mic)

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ruhig zu Ende: es ift der mächtigjte Gedanfe meines Lebens, e3 ift der Plan meines ganzen Waltens in diefen Nömerreich: längſt wollte ich ihn dir vertrauen, dich dafür gewinnen: wäreft du heute nicht zu mir, morgen wäre ih damit zu dir gefommen. Denn mich jammert das Elend deiner Wehrlofen. Allein erſt mußteſt du” er lächelte ein wenig und verbarg dies raſch „nun... ein wenig mürbe gehämmert fein durch die Not, bevor du mich nur anhörteſt.“ „Nun, des Hämmerns iſt genug, mein’ ich!” rief der König und warf ſich auf einen der Belt- jtühle: „Nede! Sch muß wohl hören.“

Auch Stilicho ſetzte fie) und, ihm ſcharf ins Auge jehend, hob er an: „Du Haft wohl mehr als einmal in diefen Wochen bemerkt, gar guter Feldherr, der du bift, wenn du nicht an Weiber, Kinder, Kranke, Herden, Karren und Wagen mehr denken mußt al3 an die Wegpläne deiner Veinde! daß ich dich Hätte umzingeln und vernichten fünnen und dich) doch mit geringer Schwächung! entichlüpfen ließ.“

Alarich feste unwirſch den Adlerhelm auf den Tiſch und jtrich fich quer über die Stirn: „ja, beim Schwerte Gottes! Ich veritand es nicht! An der Landenge bei Korinth! Und in dem Paß an dem Erymanthos! Nicht ein Helm der Feinde wäre mir an deiner Stelle dort ent- gangen. Du aber ließejt mir beidemale ein Löchlein offen. Wahrlih, erfährt man’s in Byzanz... .. " „Man hat es erfahren.” „Kann dir's zum Kochverrat ge: deihen." „Es wird.“ „ES rührte mih! Daß du die alte Zugendfreundfchaft . . . .“ „Doch nit. Du vergifjeft immer, daß ich ein Römer bin.“ „Das lügſt du dir vor!“ „Nun, dann aber recht lange jchon. Und mit ftarfen Erfolg. Und der Römer Stilicho, der Magiſter militum des Wejtreiches, würde den Jugendfreund

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zermalmt haben, mit tiefem Schmerz, aber ohne Schonung, hätte Stilicho dejjen Vernichtung Heilfam erfunden für das Römerreich.“

„Hm,“ lächelte der Balte und ſtrich den breiten Bart, „ich an deiner Stelle hätte dann den Gotenkönig doch vernichtet: es iſt immer ſicherer: man weiß nicht, was der noch vor hat und bleibt er leben, noch vor ſich bringt.“

„Was er vor hat, weiß ich nicht: aber was ich mit ihm vor habe, das weiß ich. Oder Gott oder das Fatum mit ihm vor hat, nenn's, wie du willſt. Und nun merk' auf: es iſt das Größte, was du in deinem Leben vernommen.“ „Ich höre.“

„Du willſt das Römerreich zerſtören mit deinem Volk: ich aber ſage dir: du ſollſt es retten und verjüngen mit deinem Volk.“ „Nicht ganz meine Abſicht,“ meinte der König, grimmig lachend und die blonden Loden jchüttelnd. „Aber deine Bejtimmung, nad) meiner, vielleicht auch nah des Himmels Abjiht. Höre. Auch ich, jo viele Jahre Jahrzehnte! lebend mitten im ganzen Leben des Reiches in Krieg und Frieden ich hab’ es er- fannt: nicht ohne tiefen Schmerz: denn ich bin ein Römer . ..“ „Nicht wahr ijt’s! Sit der Mann jo gejcheit und weiß nicht einmal, was er iſt!“ „Sch Hab’ es erfannt: das Römerreich ijt dur) Römer allein nicht fortzuführen.“ „Drum muß es fallen!“ rief Alarich und ſchlug auf den Tiſch. „Nein. Drum muß ein neues Volk e3 fortführen.“ „Wir vielleicht?“ Tachte der Gote. „Wenig Willen und Gabe haben wir dazu.“

„Nicht ihr! Ein neues Bolf, jagte ich, ein Volk, hervorgegangen aus römischer Bildung und aus germani- ſcher Kraft: jene zu morſch, dieſe zu unreif, für ſich allein das zu leilten. Ihr Goten, dann andre Germanen an

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Dabn, Samtl. poetifche Werke. Erite Serie Bd. VI. 7

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Rhein und Donau, ihr follt aus den Belämpfern die Stüßen des Reiches werden.“ „Das find wir feit Sahrhunderten! Gegen Land, Getreide, Geld haben wir eure Kriege geführt feit Gejchlechtern!" „Us Söldner. Uber, das ijt mein Neues nicht mehr als Söld— ner: der fällt ab, ijt feine Soldzeit um —“ „Oder wird der Sold tie gewöhnlich nicht bezahlt!" „Als Gliede des Reiches ſollt ihr fortab, als Halb— römer .. „Halbrömer?“ ſtutzte der Germane. „Wie das?“ Nach meinem Vorſchlag. Sch entlafje a und dein Volk aus eurer Lage: fie ift ziemlih...... „Gleich dem Mauſeloch, vor dem ein ſehr kluger ſitzt. „Ihr ſiedelt euch an ....“ „Wo?“ fragte der König raſch. „Nicht in meinem Italien.“

„So?“ meinte Alarich enttäuſcht. „Ah, hörteſt du, was unabläſſig in meiner Bruſt eine drängende Stimme ruft!“ „Aber irgendwo an der Grenze des Weft- und Oſt-Reichs, um beiden raſch helfen zu können gegen an- dere..." „Barbaren, willft du jagen,“ nidte der Gote. „E3 wird euch Ehegenofjenschaft mit den Römern eingeräumt: da3 ift ein Großes." „Sehr gnädig,“ lächelte Alarich bitter. „Aber wir haben das jchon jelbjt ausgeführt: wenigjtens mit ſchönen Nömerinnen. Und auch ohne Prieſter!“ „ES wird darauf hingejtrebt, planmäßig: bei Miſchehen werden beide ausgejtattet daß dieje Vermifchung ein neues Volk: eben ein Mifch- volf! erzeuge mit allen Tugenden beider...." „Oder doch jedenfall mit beider Fehlern! Und das Haupt dieſes Miſchvolks iſt . . . .“ „Der Imperator, wie ſich verſteht. Einen Gotenkönig gibt es ſowenig mehr... .“ „Wie ein Gotenvolk!“ brach Alarich los. „Unſere Eigenart, unſer Recht, unſere Freiheit, ja am Ende gar unſere Sprache, alles dahin: um jenes Miſchbreis

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willen?“ „Nun, der ijt ja noch nit! Nein: um der Germanen jelbjt wie um der Römer willen: jo, ver: ihmolzen, fünnen beide fortleben: in ihrem Kampfe gehen beide unter.“ „Untergehn? Co fei’3,“ rief der Gote aufipringend. „Glückauf zu jolchem Untergang, bevor wir, mit Beihluß und Vorbedacht, unjer eigen Volk auslöfchen. Kein, Stiliho, diefer Gedanfe....“ „Sit der Ge- danfe meines ganzen bisherigen Handelns und die ganze Hoffnung meiner Zukunft,“ ſprach Stilicho, ſich erhebend. „Ein Wahn ift’s, an dem du untergehft du ficher. Bielleicht auch wir. Aber lieber untergehn als verrömert werden.“ „Ich habe dich und dein Volk geſchont, mehr al3 einmal. Sch durfte es ohne Verrat an Rom, denn ich tat’S nicht um des Freundes willen: ich tat’s für Rom in jener Hoffnung. Zerſtörſt du mir diefe Hoffnung durch dein töricht trogig Nein... .* „Ein Wahn ift fie, jag’ ich, dieje deine Hoffnung für dich, und für ung Schmah und Selbſtmord.“ „Dein lebtes Wort?" „Mein legtes!“

„Dann,“ ſprach Stiliho mit drohendem Ernſt, „kann ih euch nicht mehr retten: nun wär es Verrat. So bleibt denn in euren Felsflüften, bis euch der Hunger verzehrt.“

„Richt der langjame Hunger,“ rief Alarich „das rajhe Schwert! Mach’ dich gefaßt, Freund! Sobald ich zurüd bin, führ ich die Meinen zum legten Kampf her— aus: dann wirſt du erleben, was vierzigtaufend Ber- zweifelte vermögen.“

„Nichts, als vor meinen Felsihanzen zu fallen. Noch einmal, Freund... .“

Da ward der Vorhang des Zeltes aufgehoben und die davor aufgeftellte Wache meldete: „Fremde Gejandte, Ma- gijter militum. Cie verlangen Gehör.“ Stilicho nickte

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Gewährung und hielt den König, der fcheiden wollte, auf: „Bleib’, mein armer Alarich,“ ſprach er finjter, „du wirſt ſehr bald feine Geheimnifje mehr ausplaudern können.“

V.

Nun traten drei hohe Kriegergeſtalten ein, unverkenn— bar nach Leibesgeſtalt, Tracht und Gewaffen Ger— manen. Sie neigten ſich vor Stilicho und der Älteſte, in filberweißem Haar und Bart begann feine Anjprache in einer ſchön lautenden germanischen Mundart.

„Verzeiht,“ unterbrach jofort der Feldherr-auf Latein, „das ift, mein’ ich, vandalifh? Nicht? Sch verftehe es nicht. Bitte, fpreht die Sprache Roms." „Ein übles Vorzeichen!” raunte der Alte, zu den beiden andern gewandt noch in feiner Sprache. Dann fuhr er auf Lateinisch fort: „either kommen wir, dich zu finden, o Stilicho, Stili- bert3 Sohn. Bis von der Maroſch jchilfigen Ufern. Wir juchten dich in Stala-Land. Dort erfuhren wir, daß du hier zu Felde liegſt. Wir eilten zu dir über die brüllende See: denn wir brauchen dich dringend: dein Volk bedarf dein. Und ein Großes bringen wir: das Größte, was ein Volk zu bieten hat: jchau her!" Er wandte ſich zu dem zweiten Gejandten, der unter feinem Mantel hervor einen weißen Stab mit goldner Kugel langte: „den König- tab der Bandalen.“

„Mir?“ rief Stiliho und trat bejtürzt einen Schritt zurüd.

Aber Alarich jchritt mit erhobener Hand freudig auf den Sprecher zu.

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„Sa, dir, Stilicho, vor allen Sterblichen dir. Biſt du doch entjtammt dem uralten Königshaus unjeres Volkes, der ruhmvollen Sippe der Asdingen. Und zu dem Ruhm der Ahnen haft du den eignen gefügt, der alle Lande, alle Bölfer durhdringt. An den Ufern der Marojch liegt, in blutiger Schlacht von den Greuthungen erichlagen, unſer König Wifumer, der große Held: jein einziger Sohn, Godigifel, ijt ein wafjenunreif Knäblein: wir aber, rings bon Feinden umdroht, wir bedürfen, uns zu führen im Harjt der grauen Geere eines jtreitbaren Helden. So hat unfer ganzes Heer nicht eine Hand Hob fich dagegen! dih zum König geforen. Komm, komm raſch zu deinem Bolf, das dein Bater nie hätte verlafjen jollen um fremden Dienft. Nimm diefen Königsitab, deiner großen Ahnen großes Erbe. Komm, führe, jchüge, rette dein Bolf, Herr König der Vandalen!” Und alle drei Männer traten, lebhaft bewegt, mit bittenden Gebärden, näher an ihn heran.

Alarich aber rief lebhaft: „Bei Gottes Schwert! Das it ein Wunder des Himmels! Jetzt gerade in diejer Stunde! dringt an dein Ohr der Ruf, der uns allen allen! das Heil verfündet: deinem Volk, meinem Bolt und wahrlih auch dir. Wirf dieſen gleigenden römifchen Flitter von dir, verlaß dieje ganze falſche und du jelber erfennejt es! faulende Welt, in der du doch dein Leben lang ein Fremdling bleibt, ja ein ver- achteter Barbar. est, da jie dich brauchen, jchmeicheln fie dir, aber gib acht, denf an dies mein warnend Wort und an diefe Stunde! jobald fie meinen, dein entraten zu fönnen, werden fie dir lohnen mit ſchwarzem Undanf: denn Undank ift der Dank der Kaijer: merf dir dies Wort. Nette dein Volk, das jchwer bedrängte: ihm gilt deine nächſte, deine höchſte Pflicht, nicht Rom

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und nicht Byzanz. Kämpfe, fiege, fteige zu Heldenruhm empor für dic) und die Deinen, nicht für... . .“

„zaß ab!“ fprah Stilicho und ſchob mit rauher Handbewegung den ihm Hingereichten Stab zurüd. Du, Mari, follteft mich beſſer kennen. Dieſe Fremden Daum „SER

„Wie? Fremde? Wir find deines Volkes!“ ſprachen zürnend die drei Männer wie aus einem Munde.

„Ihnen muß ich mein Nein begründen, erklären. Sch danfe euch und eurer Heerverfammlung: ihr wolltet hoch mich ehren. Allein ihr habt geirrt in eurer Wahl. Ihr mwolltet doch zum Könige der Bandalen einen VBandalen, niht? Wohlan: ich aber bin ein Römer, ein Römer durch und dur. Und nichts als das.“

„Wie? Was? Abgefallen?“ riefen die Gejandten durcheinander. Aber ruhig fuhr jener fort: „Abgefallen! Das träfe meinen Bater, nicht mich, der ich in Mailand geboren bin als Sohn eines römifchen Bürger und Legaten. Mein Bater aber... .? Sit der Mann ab- gefallen zu nennen, der da aus den Sümpfen des Urwalds glänzend aufjteigt zu den Zinnen Noms? Ihr habt's gehört: nicht einmal eure Sprache verjteh’ ich: barbarijch ſchlägt fie an mein Ohr! Geht und meldet den Vandalen: ‚Wir haben einen Römer gefunden‘.

Spradlos vor Entrüftung, vor Zorn, vor Beihämung ftanden die drei Männer. Wlarich aber rief: „O Stilicho, dies Wort wird dein Verderben! Du ein Römer! Wähnft du denn, irgend ein Menfch in diefem Reich außer dir ſelbſt! nimmt Dich für einen Römer? Freund, Freund, in diefer Stunde haft du deinem guten Geiſt den Rüden gewandt auf immerdar.“

Erſt jebt fand der Sprecher der Geſandtſchaft Worte: „Sa, Speergenofjen, gehen wir. Wir find zu ſchwach, jeßt,

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bier, dieſe Schmad zu rächen: aber ift unfer Königsknabe fchwertreif gewachjen dann wehe Rom, das uns diejen Mann gejtohlen! Mlein jetzt fchon, wehe dir und Fluch über dich, du Elender, der du dein Volk in feiner Not verläſſeſt. So ſoll dich verlajjen und verraten dieje NRömerwelt, um derentiwillen du die Deinen von Dir ſtöß'ſt.“ „Wehe dir, Fluch dir und Berderben!“ wiederholten die beiden andern und jtürmijch eilten alle drei hinaus.

VE

Schweigen, ahnungsjchtveres Schweigen füllte das Zelt. Betroffen, leis erjchauernd ſah Stilicho ihnen nad. Auch der König ſchwieg, langjam das Haupt fchüttelnd: endlich jeßte er den Helm auf und bot dem Freunde die Hand: „Leb’ wohl denn, Stiliho! Sch laſſe dich allein mit mit dem Fluch deines Volkes! Wahrlich, verzweifelt wie ich daran bin, ich taufche jegt nicht mit dir! In wenigen Stunden lieg’ ich auf meinem Schild, ein ftiller Mann: aber an der Spite meines Heerfeils, gefallen mit meinem Volk, für mein Volk: ich taufche nicht mit dir.“

„Halt, Marich, halt noch einen Augenblid. Laß uns einen Ausweg juchen, der..." „Es gibt feinen! Denn lieber jterb’ ich, jtirbt mein ganzes Volk, als daß wir Goten die Hälblinge deines Planes werden.” Und er wandte fich dem Ausgang zu. Hier trat ihm die Wache entgegen und meldete: „Mein Feldherr, eine große Gejandtichaft des Imperators aus Byzanz. In feinem Namen fordern fie jofortiges Gehör, bei zürne nicht! bei feiner Ungnade.“ „Der Drohung bedurfte es

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nicht,“ erwiderte Stilicho ruhig. „Sch kenne meine Pflicht. Führ' fie herein.” Sogleich trat eine Anzahl reich ge Heideter Byzantiner ein: Krieger, hohe Beamte, Höflinge, auch zwei Bifchöfe: an ihren unfreundlichen Mienen, an den Ausbleiben der ſonſt jo jchmeichlerifchen Begrüßung erfannte der Feldherr fofort den feindfeligen Zweck ihrer Botichaft.

Der König wollte fich entfernen: aber einer der Heer- führer, der Archiſtrategos Antiochos, erkannte ihn und rief: „Alarich, der Öotenfönig! Hier! Im Belt des militum! Allein mit ihm! Das beſtätigt den..... ee „Hochverrat!" Schloß einer der Höffinge, in deſſen gelbe, gedunjerem Geficht die kleinen blitenden Augen ſchwer zu finden waren. „Aber für uns trifft ſich's bequem: bleib’, bitten wir, tapfrer Held! Wir haben auch an Dich eine Botſchaft.“

Stilicho, der bis dahin von den Geſandten ganz un— beachtet geblieben war, trat nun vor und fragte den häß— lichen Sprecher im goldgeſtickten Gewand: „wer biſt du?“

„Olympios, der Geheimſchreiber und Protonotar des heiligen Gemaches der Baſiliſſa, die Gott ſegne. Von der hab' ich dir noch ganz Beſonderes auszurichten, Vandale. Vorher aber vernimm den Befehl des Imperators Arcadios, deines Herrn. Seit der Rückkunft der Impe— ratrix (die ſich ſo weit herabgelaſſen hatte, den Barbaren in feinem Lager aufzujuchen!) Hat ſich in dem vom Him— mel erleuchteten Haupt des Imperators gerade noch zu rechter Zeit! wieder einmal ein heilfamer Umschlag der Gedanken vollzogen. Nachrichten aus dem Heer über wiederholtes Entrinnenlaffen der ſchon umftellten Goten Berichte aus Mailand, nur wenigen zu Byzanz be fannt geworden, trafen zufammen mit den Warnungen diejer Heiligen Bifchöfe vor deines Sohnes Hinneigung

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zum Götendienft, vor deiner eignen Feindjeligfeit gegen die Kirche, deiner Begünftigung der germanijchen Arianer und Heiden in deinem SHeer..., furz, der Imperator Urcadios Hat dich des Befehls über jeine Truppen in deinem Lager enthoben. Hier, Antiochos, der Magiſter militum des Orients, übernimmt ihn in diefem Augenblid: ergreife, Freund, den Feldherrnjtab! auf jenem Schrein jeh’ ich ihn Liegen. Dir aber gebeut der Imperator, jofort, in diejer Stunde noch, dein Lager hier abzubrechen, deine Schanzen zu räumen... .“

„And die Goten?“ unterbrach Stilicho.

„Ah, Ah! Der Imperator fpricht aus meinem Mund: wer wagt, ihm ins Wort zu fallen? Er befiehlt, die Goten frei abziehen zu laſſen, wohin Arcadios gebeut.“

„Abzieh'n Schon!“ rief Alarich leuchtenden Auges, „aber wohin wir wollen!“

„Gern wirjt du dahin wollen, Held Alarich, wohin Arcadios dich einlädt. Du aber, Bandale, eiljt mit den Truppen de3 Honoriog nie hätte er fie dir anver- trauen jollen! fofort zu deiner Flotte nach Kyllene und Ihiffit dich und die Deinen ein nach Stalien. Wirft du nad fieben Tagen noch auf dem Boden des Ditreichs be- troffen, giltft du als Feind und dein Haupt ift verfallen.“

Da wid Stiliho einen Schritt zurüd: er war fehr bleich geworden. Olympios holte unter jeinem Mantel eine lange vergoldete Pergamentfapjel hervor und warf fie auf den Tifch: „Da! lies den Wortlaut jelbft! Sieh hier, daS Heilige Siegel." Nun wandte er fich zu Alarich: „Dir aber, Gotenfönig, dankt der Smperator, daß du nicht, wie du wohl vermocdht hättejt troß der fampf- ſcheuen Feldherrnfunit des Vandalen! die Not der Belagerung verhängt Hajt über die geheiligten Mauern von Byzanz . . ..“ „Run,“ lachte Alarich gerad

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hinaus, „am Willen hat es weder mir gefehlt noch Vetter Ataulf.“ „Der SJmperator fchließt Frieden mit dir.“

„Dazu gehören aber zwei.“ „Du wirft jchon ein- willigen, hörjt du feine Vorjchläge. Außer dem freien Abzug für Dich und dein Heer... .“ „Und mein Bolt!“ „Und dein Bolf! Bezahlung der jeit lange geschuldeten Sahrgelder . . . .“ „Wo find fie?" fragte der Cote, höchſt mißtrauiſch. „Draußen vor deinem

Belt, liegen fie in zwölf Truhen: zwölf taujend Pfund für die legten Jahre und zweitaujend im Voraus für die nächiten zwei Jahre.“

Uber der König fchüttelte das Haupt: „Von hartem Gold können unſere Weiber und Kinder nicht zehren. Sie hungern. Und hier ift fein Markt.“ „Wir bringen an Getreide dreißigtaufend Modii.“ „Gut! Das langt einjtweilen! Allein wohin weit ung der Kaiſer?“ „Er läßt dir die Wahl zwifchen drei der fruchtbariten Provinzen feines Reiches: Mafedonien, Dardanien und Epirus.“ „Eia, Epirus. Und unfere Gegenleiftung ?* „Nur Verteidigung der gewählten Landichaft gegen alle Feinde: aber hörſt du? gegen alle.” „Epirus wird gut verteidigt werden. Gilt es doch dem eignen Herd." „Und im Notfall“ hier trat er dit an ihn heran und flüfterte in fein Ohr „führjt du als Magifter militum des DrientS unjern Angriff auf Nom." Marich machte große Augen: das Blut ſchoß ihm in die bleihen Wangen: dann nidte er tief atmend, und flüfterte leife vor fih Hin: „nah Rom! die innere Stimme! Nah Rom!“

„Es ift fo,“ ſprach da dumpfen Tones Stilicho, der die Lefung der Rolle beendet hatte. „Der Kaijer be- fiehlt: ich gehorche.“ „Wie? Wa. . Was?“ brachte Alarich kaum hörbar hervor. „Du tuft wohl daran,“

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lachte Olympios, die Heinen Augen zufammenfneifend. „Andernfalls hätte ich mit unſern Byzantinern diefen Haft-

befehl“ er holte ein Wachstäfelein aus der Gemwand- falte auf der Bruſt „volljtredt und dein Haupt . . . .“ „Genug. Ich gehorche.“ „So fommt, Genojjen!

Komm auch du, König! Undeiljam ift die Luft in der Nähe deſſen, der in des Herrichers Ungnade gefallen. Nur noch ein Wort:“ er trat dicht an ihn heran und vaunte ihm zu: „al das ſchickt dir die Kaiſerin, läßt fie dir jagen.” Die Geſandten entfernten ji nun. „Ich folge gleich!“ rief ihnen Alarich nad).

Nun glitt Stiliho auf den ZBeltjtuhl und legte das Haupt an die Lehne zurüd, lautlos: aber das Antlitz be- defte er mit den Händen. Raſch jchritt der König auf ihn zu, legte die Rechte auf jeine Schulter und rüttelte ihn: „Mann, Mann, das tuft du? du fügft dih? Held Stiliho, wo ift dein Heldentum? Dieſem niederträchtigen Undant echtem Kaiſerdank! unterwirfjt du dich? Auf, Freund! Sch mwerfe denen ihr Geld und ihren Frieden ins Gefiht. Auf! Mein Bolksheer führe du es: du führit es bejjer als ih. Und viele Taujende, wenn nicht alle deine Krieger aus dem Wejtreich doc) gewiß alle Germanen in deinem Lager! werden den geliebten Feldherrn jhügen. Du und dein Heer, ich und das Meine, wir fegen vereint die ſchwachen Byzantiner in die See: der Weg nah Byzanz, Byzanz jelbjt liegt unbeſchützt vor und und wir fragen den Buben auf feinem geleimten Thron, ober...“ Aber Stilicho jprang auf: „Nichts! Schweige! Ih muß gehorhen. Ich gab mein Wort.“

Drittes Bud.

I.

Wenige Tage nach der Rückkehr Stilichos mit Flotte und Heer nach Stalien, hatte fein Sohn Eucherius in einen: Eleinen Gemach des Palatiums zu Mailand zwei Freunde gleicher Jugend zu einem jener einfachen „Sym- poſia“ geladen, deren bejte Gerichte vierhundert Jahre alt, jcherzte einer der Genofjen, ein ſchöner Jüngling mit echtem, fcharf gejchnittenem Römerkopf und römischer furzer und runder Schur des fraufen, tief ſchwarzen Hares.

„Kun ja,“ meinte der jugendliche Wirt, den faum be- rührten Becher zurüdichiebend, „ganz fo goldichweren In— halt3, von fo altrömischen Pomp wie die Verſe VBergils find die deinen nicht, noch nicht! mein Claudian: aber die Lyra des großen Mantuaner® hat nie feither folhen Widerhall geweckt wie in deiner mohllautreichen Seele.“

„So ſagt Rom, der Hof, ganz Italien,“ bekräftigte kopfnickend der andre etwas ältere Gaſt, ein blonder Mar— komanne. „Ihr denkt jetzt, was verſteht der Barbar von unſern Verſen? Ich rede auch nur vom Inhalt: vom Heldentum Stilichos, das ſie verherrlichen. Und darauf

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versteh’ ich mich ein wenig, mein’ ich.“ Und er tranf einen herzhaften Trunf.

„Das eben ijt mein Unglüd,“ ſprach Claudian: „der Mann ift zu Hoch für meine furz gewachjene Mufe. Nun, was meiner Kunſt gebricht: die Liebe, die Treue, die Be- geifterung für den Helden muß es erſetzen.“ „Und ſie fann es wahrlich,“ rief der Sohn, ihm auf die Schulter Hopfend. „Aber mein Dank,“ fiel der Germane ein, „kann's faum, ob ich zehnmal für ihn mein Leben ließe!’ „Du haſt's erprobt, Held Adalger,“ rief Claudian, „in mehr als fieben Schlachten.” „Sa,“ ſprach Eucherius, „diefe Narbe da über die ganze Wange Hin...“ „Bah, nur ein Hunnenpfeil, der ihm galt, und den ich in der Gejchwindigfeit Schwert und Schild hatten mit andren zu tun! mit dem Gejicht auffing. Das war ein Heiner Dank für eine große Tat. In Gallien war’s, am jungen Rhein: ich hatte fchweifende Hunnenhorden nah Kräften abgewehrt, ihnen viele der kleinen zottigen Säule reiterlos gemacht: jie haften mich wie nur Hunnen bafjen: durch Verrat der hunniſchen Söldner auf unjrer Seite griffen jie mich im Schlaf in meinem Belt, jchleppten mich fort und wollten mich lebendig verbrennen: der Feld- herr erfuhr’s, jegte nah mit gar ſchwacher Schar, hieb mich heraus, mit dem eigenen Schwert! als fie mich ſchon auf die Hürde geworfen hatten. Ein Schwirr- gewölk von Pfeilen nun, ich fing auf, was ich fonnte! Uber Lieber Hör’ ich ſolch Geziſch als das der Worte in dem Palatium zu Byzanz, wo Claudian und ich in den legten Monaten die Sache des Helden vertreten jollten. Shleht gelang es uns!” „Nie mehr geh’ ich Hin!“ tief der Poet. „Außer er ſchickt uns! Dann geh’ ich in die heiße Hölle der Chriſten wie in die dunfle Hel meiner Landsleute an der Donau.“

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„Erzählt doch,” bat Eucherius, „noch hab’ ich den Bater nicht gejehn jeit feiner Rückkehr! Wie ging das zuleßt in Byzanz? Sch follte ja hier den Hof überwachen und rajch melden, was etwa bedrohlich aufjteige an Wetter- gewölk. Aber ich hatte nichts zu melden, al3 daß..." „Honorius die Hühner füttert,“ lachte der Marfomanne und trank. „Ach laß den Spott! Ich muß ihn nächſtens wieder lobpreiſen,“ klagte Claudian. „Mach' mir das

Schwere nicht noch ſchwerer.“ „Warum tuft du's?“ ihalt Adalger. „Weil ih muß! Sonst darf ih aud) ihn ‚den Mann‘ jagt man in ganz Stalien nicht

mehr loben. Wenigſtens nicht mehr vor den Leuten: und das will, das muß ich doch! Der Imperator ift eifer- füchtig und meinte jüngſt ein gar jhöner Mund Hat mich gewarnt! man müfje die Lyra zerjchlagen, die lauter den Diener lobe al3 den Herrn." „Honorius loben!“ ermwiderte der Germane. „Iſt ſchwerer als Saul dem Alanen vorreiten.“

„Uber jagt endlich,“ mahnte Eucherius, „was hat den Umfchlag in Byzanz bewirkt?“ „Jedenfalls,“ fchalt Adalger, „das Rauſchen eines Weibergewandes und das Ziichen einer Weiberzunge." „Die Smperatrir war in Ungnade gefallen beim Imperator.“ „Rufinus, ihr alter Feind, hatte wieder einmal dejjen Ohr." „Sie jollte gefangen gejebt werden im Meerturm am Bosporus.“ „Da kam fie plöglich zurück unerwartet...“ „Über: raſchte Arcadius zur Nacht, in feinem Schlafgemad) ... .“ „Sie ift ja zauberhaft ſchön! .. .,““ meinte Adalger. „m andern Morgen führte fie ihm einen chaldäifchen Sterndeuter zu, der in derjelben Nacht in den Plejaden gelejen hatte... .“ „Stilicho ſei des Imperators ge- fährlichiter Feind . . .“ „Eudoria aber werde in neun Monden einen Sohn gebären .. . .“ „Die bisher

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Kinderlofe!" „Der werde Weltrom, wie Ojtrom be- herrſchen als der größte Imperator jeit Trajan.“

„Und das hat Arcadius ...?“ zweifelte Eucherius. „Alles geglaubt!“ „Wird aber das Kind nicht ge- boren?“ „Es wird geboren oder jonjt beigejchafft, verlaß dich drauf!“ „Oder wird's ein Mädchen?“ „Es wird ein Knabe,“ meinte der Germane. „Und jedenfall3 find neun Monate Herrichaft gewonnen.“

„Und darum, deshalb meines Vaters Mißhandlung ?"

„Sa, weiß Gott, oder vielleicht genauer der Teufel! —“ zürnte Adalger, „was die jchöne Walandine gegen ihn hat!“

„Bielleicht wollte fie durch ihn ARufinus ftürzen. . .* „Beider gemeinjchaftlichen Feind - ... .“ „Und fo das Dftreich beherrichen: und das ſchlug ihr irgendwie fehl.“ „Uber wer errät ein Weib! Gleichviel: Byzanz ijt fern,“ tröjtete der Markomanne: „von dort aus kann fie ihm nicht ſchaden.“

„D doch,“ jeufzte der Sohn. „Denn fie hat fich Hier gegenwärtig gemacht durch den gefährlichſten ihrer Anhänger.“ „Nicht Olympios doch?“ rief Claudian. „Sag’ nein!“ Aber Claudiau fiel kopfnickend ein: „Dlympios! Er joll fortab dauernd den Hof von Byzanz d. h. die Sache der Baſiliſſa hier vertreten.“

„sh ward jchon gewarnt vor jeinen Ränken,“ be- jtätigte Eucherius. „Ei gewiß durch das ſchönſte Weib des Erdballs,“ rief Claudian. „Die Herrliche ift dir gar jehr gewogen.“ Eucherius errötete über und über: „Wohl mehr noch dem Poeta.“ „Sie macht alles verrückt, was Bart trägt,“ lachte Adalger.

„Die Edle weiß,“ erwiderte Eucherius, „was mein Bater für das Reich bedeutet, was ihr Bruder ihm zu danfen hat. Deshalb jucht fie ihn in jeder Gefahr zu ſchützen und... .“

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„Und ein wenig Eiferfucht iſt auch dabei,“ Tächelte der Germane. „Manche Leute rühmen nicht fie, rühmen die Merowingin das ſchönſte Weib beider Neiche. Das ver- trägt Jungfrau Placidia Schlecht." „Die Feuerhanrige ift zwar eine barbariide Schönheit,“ nickte Claudian: „aber fie steht kaum zurück hinter unfrer Herrin.“ „Das Fann ich mir nicht vorjtellen,“ meinte Eucherius. „sa freilich,” lachte Adalger, „das Auge der Liebe ift

blind für andre Schönheit und man weiß, man weiß... .“ Aber Claudian winkte ihm zu jchweigen: er fannte des Freundes mädchenzarte Scheu und Ienfte ab:

„Sucherius, du follteit deine Mutter warnen. Allzuviel bört fie auf die Bilchöfe, allzuviel teilt ſie den Prieſtern mit.“ „Meine Warnung würde nur reizen, erbittern, nichts befjern.” „Sie find deines Waters jchlimmite Feinde: fie halten dich für einen Heiden, den ‚Mann‘ für einen Kleber, einen Arianer.“

Der Sohn zudte die Achſeln: „Soll der Bater neben feinen übrigen Sorgen, auch noch, wie jie täg- lich verlangen, die Kleber verfolgen ?“

„Die Reber?“ rief Adalger. „Ei, wir Germanen alle in feinem Dienft, der Kern feines Heeres, find Arianer, Reber, wenn nicht wie ich Heiden. Coll er feine treuften Helfer, feine einzigen Stüßen verfolgen?“

„Das wollen die Briejter,“ meinte Eucherius. „Sm engjten Bunde mit den Senatoren, den alten ‚Quiriten‘,

wie fie jelbit fi nennen.“ „Ach, leider ohne jedes Recht!“ Elagte der Poet. „Sa, ja,“ nidte Adalger. „Das find die Heraclianus . . . .“ „Carinus vor allen!

Shnen find wir Germanen ein Greuel, den fie am lieb— jten austilgen möchten von der Erde. ‚Fort, bepelzter Barbar, hinaus!‘ jcholl es mir neulich entgegen in Rom, als ich der Kurie eine Botichaft des Mannes überbrachte.

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Als ich aber an den Scramajachs griff, da verjtunmte das Geſchrei.“

„Freunde,“ ſprach da tiefen Ernſtes Claudian, „daß ich's nur gejtehe: es gab eine Zeit, da dachte, viel- mehr da fühlte ich ebenſo. Sch war noch jehr jung, ich fannte nicht das Leben, nur die Bücher: die Bücher der großen Mten: ich wollte da fortfahren, wo Cäfar, wo Auguftus aufgehört, fortfahren mit der Verachtung der Barbaren. Aber jeit ich die Gegenwart, die Wirklichkeit, feit ich ihn vor allen fennen gelernt, hab’ ich auch fernen müſſen: ihr jeid dem Reich längſt unentbehrlich geworden: ihr ſeid“ er lächelte fein „ein höchjt notwendiges Übel, ihr Germanen!“ „Oho,“ Tachte der Markomanne. „Und mande von euch,“ fuhr der Poet fort, „manche von euch find jogar ein höchſt notwendiges, ein unentbehr- fiches Gut geworden von wegen eurer Kraft und Treue.”

Sn der gleichen Nachtitunde gewährte der Imperator in einem abgelegenen kleinen Gemach desjelben viel- räumigen Balajtes Gehör vier Männern, die dringend im Namen von Kirche, Hof, Senat und Heer von Rom um geheime Unterredung gebeten hatten: geheim zu- mal vor dem Magijter militum. Schon feit mehreren Tagen Hatten fie unermüdlich, durch wiederholte Ablehnung nicht verdrojjen, dieſe Bitte, ja Forderung wiederholt. Lange Zeit jonder Erfolg. Der Imperator, unter deffen indiihen und perfiihen Prachthühnern eine = aus⸗

Dahn, Sämtl. poetiſche Werke. Erſte Serie Bd. VI.

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gebrochen war, hatte ganz andre nähere Sorgen al3 um Kirche, Hof, Senat und Heer von Rom.

Seine angeborne und liebevoll gepflegte Gedanfen- trägheit hatte jeit Jahren ganz erheblih zu Stilichos Machtherrlichfeit beigetragen, auch zu Placidias Herrihaft über Hof und Palaſt: was jollte er fich mühen mit an- Itrengenden oder Jangweiligen Gejchäften, welche Dieje beiden „alt“ ebenjfogut, meinte er wahrnehmen fonnten wie er jelbjt? Aber freilich fand diefe Trägheit ihr Gegengewicht in einer unberechenbaren Eiferſucht be- züglich feiner imperatorischen, über alles Irdiſche erhabnen Majeftät: fein Wille, wenn er einmal ausnahmzweife! einen faßte oder fich zu faſſen in den Kopf fette, ſollte in allen Stüden oberftes Gefeß fein: wehe dem, der dann jeinen grenzenlojen, oft kindiſchen Eigenfinn kreuzte!

Gelang es den Feinden Stilichos oder der ſchönen Schweiter, dieje Eiferjucht geſchickt zu weden, jo machte der halsſtarrige Schwächling wenigjtens immer wieder einen Verſuch, die Herrichaft jener beiden überlegnen Geiſter und Willen abzujchütteln. Dder doch in Fleinlicher Bosheit des Trotzes in irgend einer unerheblichen und mühelofen! Sache ihnen zum Tort, nun gerade nicht nach ihren Wünjchen und Ratſchlägen zu handeln, fondern zur Abwechslung nun au einmal ihren Widerjachern zu willfahren. So war e3 heute ergangen.

Er hatte fich ſchon bei dem jest täglich zweimaligen Befuh in dem Hühnerhof über feine „herzliebe"- Schweiter geärgert, die gegen ihre font vortrefflich geipielte Teilnahme an allen Familienereignijjen in der Federvieh-Gefellfchaft! heute Zerftreutheit, „herzloje Gleichgültigkeit“, grollte der Bruder nicht ganz ver- hüllen konnte. Sogar al3 der oberjte Curopalatii tief erfchüttert das plößliche Ableben der Faijerlichen Lieblings-.

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henne Roma hieß jie und folgte auf dieſen Namen! meldete und die heftige Kolik ihrer jüngern Schweiter Byzanz, teilte Placidia nicht den laut Hagenden Schmerz des Jmperators, jondern jah, in Träumerei ver- junfen, die dunfeljchönen Augen Halb gefchlojjen, jehnend vor ſich hin wie in weite Ferne.

„Was Hat fie wieder zu finnen und planen?" dachte er erbittert und jtrich über das jchwache zurüdfliehende Kinn mit den färglichen Bartjtoppeln. „Nun warte, du ſollſt auch nicht alles durchjegen, was dir gefällt. Und ei, ich habe ja, was jie ärgert,“ lachte er hämiſch vor ſich hin. Erbojt fehrte er mit ihr aus dem Hühnerhof in das PBalatium zurüd; er lehnte fich bei jedem feiner müden Schritte die Marmorjtufen hinan auf den vollen Arm der viel Höher gewachjenen Jungfrau. In dem Saale, der die Flucht der Faiferlichen und der Frauengemächer trennte, nahm er zärtlich Abjchied: fie ertrug feine drei Küſſe auf Stirne, Mund und Naden wie jtetS mit ſchwer verhaltnen Widerjtreben: dann wandte er fich und jchien in fein Ruhegemach jchreiten zu wollen. Aber plößlich blieb er jtehen: „Goldne Schweiter, beinah vergaß ich's ich habe freudige Nachricht für dich.“

Sie fehrte ſich mißtrauiſch ihm wieder zu: „Du du haſt heute Briefe erhalten: aus Byzanz, nicht ?“ ſprach fie, jcheinbar gleichgültig. „Sieh, ſieh,“ grinfte er, die Heinen Augen blinzend zujammenfneifend, „wie gut du bedient bit, wie raſch unterrichtet von allem, was vor- geht im Palaſt! Beſſer und rajcher als der Imperator. Nun, da weißt du wohl auch, was die Briefe melden?“ „Wie follte ih?“ „Dann bereite dic) auf frohe Uberraſchung.“ Er trat ihr nun wieder einen Schritt näher und jah ihr ſcharf ins Gejiht: „Schwägerin Eu- doria fommt nächitens auf Beſuch.“

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Er weidete fi an ihrem vergeblichen Verſuch allerlei Aufregung zu verhüllen. „Welche Freude, eh?" „Leis

der vermag ich Diejen Freudentag .... —" „8, Wochen, Monate!" „Nicht zu teilen. Sch reife, bevor fie eintrifft.” „Wie?“ fchien er zu ftaunen. „Du

Yiebjt jie nicht? Uber du kennſt fie ja gar nit! So wenig wie ih. Sie muß jehr fchön fein, alle jagen’s,“ ichloß er lauernd. „Sch kann fie nicht bewundern hel- fen." „Warum?“ „Sch kann nicht mit ihr im Pa- lajte weilen. Cie würde als Saiferin den Bor- tritt verzangen.“ „Gewiß,“ lachte er verſchmitzt.

Nun brach es hervor: „Die Barbarin! Das vergeiſelte, hergelaufene, fränkiſche Rothaar! Ich bin des großen Theodoſius Tochter: ich weiche ihr nicht. Ich verbanne mich ſelbſt aus meines Vaters Haus und dem meines ſo zärtlichen! Bruders.“ Und ſtolz rauſchte ſie hin— über in ihre Gemächer.

Betroffen, ja erſchrocken blieb er ſtehn: ſogar einige Röte ſtieg in die wachsbleichen, fahlen Wangen: „SH, fo weit hatt’ ich es nicht treiben wollen! Aber welche Herrſchſucht! Welcher Trog! Welche Hoffart! Wie ijt fie gewöhnt, jede Laune durchzufegen! Hei, wenn ich nur jeßt noch was wüßte, was fie beißend ärgert!“

Da brachte einer der Briefjflaven auf goldner Schale ein Schreiben, überreichte es Iniefällig und glitt hinaus. Mit vor Ärger noch zitternden Fingern riß er eg auf: „Ah, Ddiefelbe Bitte um geheimes Gehör. Biermal hab’

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ich's verweigert: auf ihren Nat, auf ihr heftig Drängen. Denn fie hält es immer mit meinem lieben Doppelfchtwiegervater! Nun warte, jtolze Placidia, warte. Jetzt laß ih die Männer vor.“

Sp war es gefommen, daß die Feinde Stilichos wider Erwarten ihr Begehren erfüllt jahen: wenig ahnten fie, welchen Urjachen fie dieſen Erfolg verdankten. Während fie in einem goldjtarrenden, ambraduftenden, ſchwach er» leuchteten Gemach des Kaiſers warteten, erörterten jie untereinander die überrafchende Wendung. Der Ütejte, Biſchof Venerius von Mailand, ein Greis, aber von un: gebrochner Kraft, mit fcharf gefchnittnen Zügen und funfeln- den Augen, flüfterte: „Danfen wir Gott dem Herrn, der den Keberfreund aus Palaſt und Stadt entfernt hat. In feiner Nähe hätte der Imperator uns nie vorgelaſſen.“ „sa,“ meinte Heraclian der Präfekt, „ven fürchtet er mehr als Franken, Goten und Hunnen.” „Sch hatte ſchon auf die Unterredung ganz verzichtet und einen fchriftlichen Bericht an ihn aufgejest,“ meinte Olympios. „Aber er tiejt ja nichts ald Hühnerbücher.“ „Kaum Gebetbücher, jeufzte der Bifchof. „Da Lob’ ich mir Tochter Serena." „Wo mag der Kleber mweilen?“ „Er muftert die Be- fagungen im Oſten, gen Ravenna Hin,“ erklärte Carinus der Legat. „Selbjtverjtändlich lauter Barbaren.“ „Ja— wohl, Goten aller Stämme, und andre Öermanen. Dann Ulanen, Hunnen,“ grollte der Präfekt. „Römern vertraut er ja römische Feften nicht mehr an. Beim Genius Roms! So geht es nicht mehr fort. Tut der Imperator aud) diesmal nicht nad) unfrem Willen... .“ „So wifjet ihr nun,” fiel Olympios ein, „aus meinem Munde, daß Arcadius, daß Eudoria vor allem ſtets hierzu bereit iſt.“ „sa,“ feufzte der Biſchof, „ſäßen doch dieje beiden auf den Thronen hier! Arcadius ijt ein gehorfamer Sohn der

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heiligen Kirche; das zeigt die Beitrafung aller Kleber in feinem Reich, zumal der Arianer.” „Wohl!“ ſprach Herachan, „kann der jüngere Sohn des Theodoſius jein Scepter nicht gegen die Fauſt eines Barbaren jchüßen, mag e3 der Ültere ergreifen und . .“ „Ich denfe noch nicht an dies Letzte,“ meinte her Legat. „Mag Honorius auf dem Thron bleiben, beherrjcht von feiner prächtigen Schweiter . . . .“ „Und deren tapferem Gemahl Carinus“ flüfterte ihm Herachianus zu. „Fallen muß nur der Vandale, der verfappte Freund des Gotenfönigs,“ fuhr jener fort. „Uber jtill der Im— perator.“

Nachdem ich die vier Männer von der Proſkyneſe erhoben, ließ jich Honorius auf dem mit Byſſos bededten Elfenbein-Stuhl nieder, an dejjen Rückwand er den immer müden Kopf lehnte: er jchien verloren zu gehn in den weiten Falten feines Purpurgewandes. Eine Weile mufterte er jchweigend die Harrenden: ein häßlich höhniſch Lächeln fpielte um die eingefniffnen Lippen, als er begann: „Wenn ihr vier geheim reden wollt, dann weiß ich, von wen ihr reden wollt: von ‚dem Mann‘, wie die dDummfrechen Leute fagen: denn offen wagt ihr nicht, ihn anzuflagen.“ „Doch, Imperator!“ ſprachen alle vier wie aus einem Munde. Honorius ftugte: „Das ift was Neues. Dann gab die Furcht vor ihm euch den Mut gegen ihn." „Rein, in Chrijto geliebter Sohn,” erwiderte falbungsvoll der Bifhof. „Sondern die heilige Kirche kann es nicht länger ertragen, daß Die gottverhaßten Arianer, Die Germanen . . . .“ Aber der Auguftus winkte ver- drießlich mit der Linken ab: „Laß das gut fein, VBenerius! Muhme Serena, dein Sprachrohr, predigt mir das täglich zur Genüge. Die Törin! Sie fägt emjig an dem Ait, auf dem ihr Gatte ſitzt. Glaubſt du, ich behielte dieſe

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Pelztiere, könnt' ich fie entbehren? WBielleicht Fommt ein Tag . . . . Was hajt du für Schmerzen, Olympios ?“ „Raijerlicher Herr, ich durfte dir die Antwort deiner hohen Schwägerin auf deine Einladung . . . .“ „Still! Nicht jo laut!“ Honorius blickte ängjtlich nach rechts —: in der Richtung von Placidiag Gemädhern. „Zu einem Bejuch hier bringen. Sie füme ja jo gern: aber unmöglich fann jie unter einem Dache weilen mit ihrem Todfeind, dent Verräter, dem Freund des Balten, ... dem Bandalen.“ Er lädelte jpöttiih: „Meine jchöne Schwägerin joll fih beruhigen: ich jchide ihn auf Neifen. Er kann dann Placidia begleiten,“ Ficherte er vor ich hin. „Dank! Aber er darf nie zurüdfehren in deinen Palaſt.“ Da zudte der Imperator die Achjeln: „Bielleicht. Auf Reifen gibt es allerlei Unfälle. Schon mancher Reijende ijt nicht zurüdgefehrt;“ und wieder lächelte er.

Da taujchten Heraclian und Carinus bedeutungsvolle Blide und diefer hob an: „Bon folchen Zufällen darf das Geihik des Reiches nicht abhängen, oh Smperator. Du mußt Feind und Freund deinen Willen, deinen Herricher- willen fühlen laſſen.“ Das gefiel dem Männlein in Purpur: „Hm,“ nidte er. „Out gejprochen, Legat: das Wort verdient Lob und Lohn. Ich ſchicke dir mein Verlduhn aus Numidia.“ Ermutigt fuhr jener nad) tiefer VBerneigung fort: „Mein Dank, o Herr, ſei volle Dffenheit. Wir dürfen dich nicht länger fchonen: du mußt die ganze Wahrheit hören: du bijt groß und jtarf genug, fie zu ertragen.“ „Sa,“ fiel der Präfeft ein, „der Senat, alles was echtes Römerblut in den Adern hat, wie ih das Blut der Catonen, alles ijt empört, daß dieſer Barbar, wie er deine Heere befehligt, . . .“ „So,“. fuhr Carinus fort, „dem zitternden Senat befiehlt.“ „And dieje deine Heere . . .“ „Das heißt alle Römer

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darin..." „Sind reif zur Empörung gegen den bar- barischen Feldherrn.“ Da erſchrak Honorius auf feinem Thron. „Der in allen Stüden feine germanifchen Söld- ner bevorzugt." „Schick' ihn fort,“ drängte Heraclian ungejtüm, „aus deiner Nähe...“ „Aus dem Balajt!“ „Aus dem Reich,“ mahnte Olympios.

„Wir verlangen nicht jein Haupt,“ beteuerte mit frommem Augenaufjchlag der Biſchof, „ijt er doch der Gatte deiner Bafe, der Vater deiner Gemahlin... * „Aber ein Berräter ijt er, der jeinen gotijchen Freund mehr als einmal entwijchen ließ,“ jchürte der Legat. „Die Römer haſſen ihn tödlich: wir können nicht einjtehen für jein Leben,” warnte der Präfekt. „Gerade um jein Leben zu fichern,“ fügte der Bifchof bei, „mußt du... .“

Dieje Ausrede, dieſe Beſchönigung ſchien dem Herrjcher einzuleuchten: er nidte vor fih Hin. Carinus aber vief ungeduldig und laut: „Ach was! Fort! Fortihiden mußt du dieſen Stilicho!“

Da ſcholl auf dem Marmor der Vorhalle ein ſchwer dröhnender, haſtig nahender Schritt, der Vorhang des Gemaches ward aufgeriſſen und vor ihnen ſtand in vollen Waffen, den Kriegsmantel vom Staub ſcharfen Rittes bedeckt „der Mann“.

„Was muß man mit diefem Stiliho tun?“ fragte er mit rollender Stimme, und trat Dicht vor den Römer, der erichroden zurückwich.

„Vergib, Imperator, mein rajches Eintreten. Uber Eile tut not! Ich treffe joeben ein Tag und Nacht im Sattel von Ravenna her, mein eigner Bote. Ich will dich Sprechen: du jchläfit, lügt man. Ich dringe an dein Bett: es ift leer. Sch fuche dic im ganzen Palaſt: endlih, dank einem Wink deiner Schweiter! find’ ih dich Hier verftedt! Mit dieſen Verſchworenen!

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Mich wollt ihr verjagen, Legat? Mich erjegen, Präfekt? Und ich bin doch der einzige, der Kaiſer und Neich, Senat und Heer ja und aud die Kirche, Biſchof! nod) retten kann vielleicht! vor dem drohenden Verderben. In Ravenna erreichte mich die Nachricht: König Mlarich jteht in Italien mit Hunderttaujend Speeren. Hinweggefegt hat er am Timavus dein ‚römifches!‘ Heer unter Herachius, Heraclians Bruder, nicht mein ‚germanisches‘, und Alarich hör es, Honorius! zieht auf Rom. Sekt ſchicke Stiliho fort!“

EV

Wild war der Schred, ratlos die Verwirrung, welche die Botichaft verbreitete in dem Kaiſerpalaſt. Und von dem Hof aus wirfte die Beftürzung auf alle Kreije der Stadt, bald ganz Staliens. Zumal die Kirche bangte um das Leben ihrer PBriefter, die Sicherheit ihrer ſchon damals reihen Schätze an Schmud und Gerät: denn die Goten waren zwar Chrijten, aber Ketzer, Arianer, und man hatte alle Urjahe, Wiedervergeltung der Berfolgung ihrer Glaubensgenojjen in beiden Reichen zu befürchten. Ge— meinfame Gebete in den Bajılifen, öffentliche Bittgänge auf den Straßen und Plätzen, Gelübde für die heilige Dreieinigfeit, welche ja die Arianer mit der Göttlichkeit Chriſti leugneten, für den Fall der Abwehr diejer ihrer Feinde, Gaben an alle Heiligen wurden gehäuft. In Mailand jtieg die Angſt vor den Barbaren und zugleich die religiöje Erregung jo hoch, daß die Zufchauer wie die

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Beranitalter der betenden, piallierenden, Rauchfäffer ſchwin— genden Umzüge in Verzückung, in Raſerei, in Gelbit- zerfleiſchung gerieten.

Da verbot fie „ver Mann“: feine Germanen, teils Arianer, teil3 Heiden, trieben die troß des Verbotes fort- gejegten Umzüge mit Gewalt, mit den Speerjchäften aus— einander; auch in der Bajılifa von Sankt Ambrofius: dabei floß Blut: furchtbar blutig follte dies dereinft den „Heiligtumſchändern“ vergolten werden: einjtweilen ſprach Erzbifchof Benerius den Bannfluch „über alle hieran ſchuld Tragende".

Uber auch die Verehrer der alten Götter Noms, deren e3 in den ſenatoriſchen Häufern noch gar viele gab, riefen in ihrer Angft die alten Helfer an: kaum bemühten fie fich, die längſt feit Conftantius (und feit Julians Tod wieder) verbotenen Opfer für SJupiter-Stator und Mars Repulfor zu verbergen, deren Duldung die Chriften, deren Unter- drückung die Heiden Stilicho zu ſchwerem VBorwurfe machten. Sogar der eigene Sohn eilte erregt zu ihm und forfchte: „Iſt es wahr, Vater? Sch wil’s nicht glauben! Du haft Befehl gegeben, die Sibyllinifchen Bücher nie wieder zu öffnen? Sonſt würdeſt du fie verbrennen! Das alt- ehrwürdige Heiligtum Noms! Die Offenbarung jeiner Götter!“

„Ich würde auch die Bibel verbrennen Lajjen, fchadete fie dem Neid. Die Heiden haben in dieſen Tagen zu Nom aus jenen Blättern den Sieg Alarichs, feinen Einzug in die Stadt herausgelejen und in allen Städten Staliens verfündet: das hat die ſchmachvolle Angjt deiner geliebten ‚At-Duiriten‘ zur Verzweiflung gejteigert: haufenweis entlaufen fie den Kohorten, die ‚echt-Latiniichen‘ Helden, mit welchen allein die Carinus und Heraclian die Barbaren zurüdzujagen fich berühmten. Wahrlih, Honorius, Rom

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und das ganze Wejtreich wären verloren, hätte ich nicht die gehaßten germanijchen Söldner, die heidnifchen Marfo- mannen und Wamannen, die fegeriichen Heruler und Nugier. Allein ich habe ihrer nicht genug im Lande: ich muß ihrer noch viel mehr herbeiholen.“

„D Vater, das werden dir die Römer nie verzeihn!“ „Sie werden! Denn fie jehen fich lieber gerettet durch Barbaren als zu Grunde gerichtet durch andre Barbaren.“ „Aber woher willit du... 7?“ „Sa, das ijt das Schwerſte an der Sache. Sch muß fort: noch Heute." „Seht? Da ganz Stalien vor Angjt vergeht? Wohin?“ „Über die Alpen.“ Eucerius erjchraf. „Nad) Gallien, Rätien, Noricum. An den Rhein, an die Donau. Dort ftehen viele Taufende meiner beiten Söldner.” „Lauter Germanen! Und jie willit du abrufen von jenen jtet3 bedrohten Grenzen? Gerade jebt follen wieder die grimmen Sueven, die rajchen Franken unter ihren Königen .. . ." „ga, fie find wieder einmal ein- gebrochen, die wilden Helden. Aber laß ſehen, ob ich fie niht aus Angreifern Galliens zu DBerteidigern Italiens machen kann.“

„Vater! Du biſt kühn bis zur ....“ „Ber: wegenheit. Sa. Aber hier iſt die Verwegenheit die wahre Klugheit.“ „Und welche Scharen nimmft du mit zur

Bedeckung?“ „Nicht einen Mann. Sch bevede mic jelbft. Und ihr werdet hier bald jeden Helm brauchen.“ „Ihr! Sch begleite dih Doch?" „Nein. Du bleibjt und übernimmft mit Adalger nach meinen

Weilungen! die Verteidigung Italiens, bald vielleicht Mailands. Denn ich beforge, ich kann nicht zurüc fein, bevor der jchnelle Balte vor diefen Toren ſteht.“ „And Honorius? Was wird er dazu jagen?“ „Das ift die Sorge! Aber du meldejt ihm meinen Entſchluß

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erit, wann ich unterwegs bin." „Er wird jchelten, Hagen, verzagen." „Ohne Zweifel: alle drei Dinge. Aber du bürgſt mir dafür, daß er nicht in feinem Verzagen fi) und diefe Feſte dem Goten ergibt. Hörft vu? Das fordert meine Ehre, Roms Ehre. Sch vertraue dir fie an. Und du vertraue deinem Bater, daß er nicht Stalien, nicht die Seinen im Stiche läßt: gelobe mir, auszuharren, bis ich zurüd bin. Bleib’ ih am Leben, komm’ ich zu rechter Beit. Dein Vater baut fejt auf dich, bau’ du feit auf deinen Vater. Und befappe meinen beiten Fagdfalfen, den Greif, den ich ſchon früher mit in Gallien hatte. Ich nehme ihn mit: er fennt den Weg zurüd: oft Hat er ihn überflogen. Leb wohl, mein Sohn! Auf Wiederjehn im Giege!“

Y:

Das Ericheinen des Gotenfünigs in Italien bewirkte einen völligen Umjchwung der Lage der am Hofe zu Mailand miteinander ringenden Warteien. Kirche, Senat und NRömertum im Bunde hatten mit Erfolg die Macht: ftellung des „ketzeriſchen“, des „barbariſchen“ Staatäleiters zu untergraben, die Gunft des Imperators ihm zu entziehen begonnen: jeßt aber vereitelte all? dieſe Strebungen, machte rückgängig jene Erfolge die in der Geele des Honorius mächtigite Macht: die Furcht. Schon fah er im Geiſt Die dichten Mengen des einwandernden Volkes ſich durch Die oberitafiiche Ebene gegen jein Mailand heranmwälzen, ſchon hörte er im Traum das Wiehern ihrer ungezählten Rojje bor den dünn bemannten Mauern: und nur einen Riegel

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diefer Tore wußte er vorzuwerfen, nur einen Helfer und Retter anzurufen, den Mann, von dem fich feine Gnade eben hatte abwenden wollen: Etilicho.

Mächtiger denn je war deijen Macht, widerjpruchlos ward, willenlos, fein Nat als jein Befehl befolgt. Die Gegner wagten feinen Widerjtand, feinen Einjpruch bein Herrfcher mehr: „es iſt, als habe er fich den Angriff des Goten bejtellt,“ grollten jie. „Wer weiß, ob er den Freund nicht herbeigeladen, feine Unentbehrlichleit darzutun? Aber wie dem ſei; jet kann nur er jchüben.“

Das war die Überzeugung auch der Feinde, ſelbſt der Carinus und Herackian, die mit Grimm und Beihämung die Fahnenflucht jo vieler Römer aus allen Kohorten, aus allen bedrohten Plätzen der Halbinjel erfuhren und die jie in Mailand jelbjt nur dadurch verhindern fonnten, daß fie von dem Gehaßten die Beſetzung aller Tore mit den verachteten Germanen erbaten: oft fam es hier zum Blut- vergießen, da die Ausreißer jich den Ausweg mit. Öewalt zu bahnen verjuchten. Der alte Haß, der Römer und Barbaren im Heer unauslöſchbar erfüllte, ward in diejen Tagen zu heißen Gluten entfacht: noch hielt die gemein- jam drohende äußere Gefahr den Ausbruch der Flammen nieder: aber bald jollte in diejem Abgrund manch ftolzes Haupt verjinfen, und die vielen Leichen vermochten nicht, ihn zu füllen.

Durch dies ſchwüle Gewölk der mannigfaltigjten wilden Leidenſchaften zudte nun plößlich wie ein greller Blig die Nachricht von Stilihos Berihwinden, die Eucherius, jobald er den Vater in Sicherheit d. h. uneinholbar wußte, am folgenden Tag zuerjt dem Jmperator allein verfündete. Die Wirkung überjtieg alle Befürchtungen.

Honorius rajte: niemand hätte dem Schwächling folche Kraft der Wut zugetraut: zuerſt fchrie er jo laut auf, daß

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alle in dem Vorſaal Weilenden entjebt hereinjtürzten: ſie glaubten ihn in den Händen eines Mörders: vor aller Augen warf er fi dann zur Erde, zerriß fein Purpur- gewand, raufte jein jpärlih Haar und ſchrie unaufhörlich den Namen des Verräters: „Ah, der Hund! Der undanf- bare, faljche, niederträchtige Barbar!“ rief er aufjpringend. „Nie Hab’ ich ihm getraut, nicht eine Stunde, feit mein Bater, der große Tor, ihn als meinen Tyrannen über mich verhängt Er verläßt mich! Heimlich! Jetzt, in der höchſten Not! In der Not, in die nur er mich geſtürzt hat! Nach Gallien? D nein! Zu dem Goten ijt er, feinem Sugendfreund! Natürlih: Barbar zu Barbar! Mit ihm zieht er gegen mich heran! Aber warte nur! Sch Habe ja zwei Geiſeln! Verhaftet jofort feine Tochter, die Kaijerin, in ihrem Palaſt. Ergreift und fejjelt hier jeinen Sohn. Und reitet der Verräter mit dem Goten heran, werft ihm beider Köpfe von der Zinne entgegen.“

Uber jeine Befehle wurden nicht ausgeführt: niemand rührte fih: Cucherius blieb regungslos ftehen: niemand wagte Hand an den Sohn „des Mannes“ zu legen: auch Olympios nicht, der jchmerzlih unter den Anwejenden Carinus und Heraclian vermißte. Und bevor der Wütende das Gebot wiederholen Fonnte, legte jich eine weiße Hand auf jeine Schulter.

„Placidia! Schweiter! Weißt du . . . ?".

„Mehr als du, Bruder. Denn ich weiß,” flüſterte fie jegt [eis in jein Ohr „daß du verloren bist, fügft du dich nicht, weiß, daß Adalger alle Germanen vor den Palaſt berufen hat zur Waffenſchau!: fieh, duch jenes Fenſter kannſt du ihre Speere bligen ſehn auf dem Forum Marc Aurels berufen, gerade zu der Stunde, da Eucherius dir die Nachricht zu bringen ging. Sie gehorhen nicgt mehr dir, verſuch' es nit!

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nur Adalger. Gib nach! Oder jofort Heißt der Imperator des Weſtreichs: Eucherius!“

Er erbleichte: erjchroden wich er einen Schritt zurüd. „Dank, ſchöne Schweiter,“ erwiderte er leife. Dann rief er: „haltet ein!“ (— fein Menſch Hatte daran gedacht, nicht einzuhalten! —) „meine Schweiter ... . fie hat das Mißverſtändnis aufgeklärt. Sch Hatte bergeffen —.. mein Kopfſchmerz wirkt oft ſo der Magiſter mifitum verreijte ja mit meiner Erlaubnis: bald kehrt er zurüd zu unferer Hilfe.“ Und er wanfte in fein Schlafgemad).

Olympios aber eilte zu Carinus, der die Römer der Bejagung zu einer Art Gegen-Waffenfhau am Tor des Eonjtantin verjammelt hatte: wenige und mutlofe Kohorten. Er erzählte ihm alles und beruhigte den Er- bitterten: „Sei getroft! Diesmal hat Adalger mit feinen Barbaren das rollende Rad des Verderbens noch gehemmt. Aber aufgedekt: Hat uns diefe Stunde den abgrundtiefen Haß, den Neid, das Mißtrauen des Imperators gegen den Bandalen: dieje Entdekung ift unbezahlbar! Es fommt der Tag, da Adalger und feine Bepelzten nicht fchüßend zwifchen ihm und jenem Hafje ftehn: ja:

‚Einjt wird fommen der Tag, da die Macht der Bar- baren dahin finft,

Stiliho jelbft und der Schwarm der lanzenfund’gen Germanen !“*

ae

Sn derjelben Stunde ftand Eucherius vor der Raifer- ihwejter in deren Empfangjaal: feine Wangen glühten, feine Augen leuchteten. „Placidia,“ fchloß ex feine warmen

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Worte, „Zauberin, nicht weiß ich, welche magijchen Worte du ihm zugeflüftert find doch magiſch alle deine Worte! —: aber das weiß ih, du haft die Schweiter, mich, haft des Vaters Machtitellung gerettet. Wie joll ih Dir danken?“

„Gar nicht,“ lächelte fie, fi) auf der Kline ein wenig aufrichtend. „Denn erjtens Hab’ ich es nicht für euch getan, jondern für mid. Sollte gar fein Schirmmwall mehr jtehen zwijchen mir und dem wilden Werben diejes Carinus ?*

„Ich Hafje ihn,“ Inirfchte der Jüngling. „Er did) noch mehr, verlaß dich drauf! Und zweitens: Der einzige Dank, den ic) annehmen würde gern an- nehmen! wäre da3 Kaijerdiadem, mir dargereicht von Smperator Eucherius.“ „Placidia! Welcher Frevel! Treubruch!“ „Sieht du, wie du erjchridit beim bloßen Gedanken? Und diefer Zaghafte gibt vor, bildet ſich wirklih ein, Placidia zu lieben! Der ſchöne Gote Hätte heute nicht gezögert, hätte er jechstaufend Germanen vor dem Palaſt des Honorius gejchart gehabt. Geh’, tugend- famer Süngling! Heute fonntejt du mit einem Griff dieſe Hand greifen, und den Burpur. Du hajt die Stunde ver- fäumt: nie fehrt fie wieder. Geh!“

Während er gejenften Hauptes Hinausjchritt, ſprang fie ungeftüm auf, redte fi) Hoch, hob beide Arme empor und ſprach: „Nun eile dich, goldlodiger Ataulf! Byzanz war zu fejt, Stilicho zu nah: Mailand aber ift nicht jo feit und GStilicho ijt weit. Sch harre dein: mit oder ohne Burpur, komm!“

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VD.

Und alsbald fchien es wirflich, der blonde Ataulf werde demnächjt durch das zertrümmerte Tor von Mailand reiten. Unaufhaltfam war das Gotenheer, vortrefflich gerüjtet aus den byzantinischen Waffenhäufern in Epirus, die Mlarich als Magijter militum per orientem waren übergeben worden, über die Juliſchen Alpen in den Nordojten der Halbinjel eingedrungen auf altvertrauten Wegen: wieder- holt hatte fie der Balte im Kampfe gegen Anmaßer wider Theodofius ſieghaft durchzogen. Diesmal hatte er am Timavus, dem alten Grenzfluß Italiens, ein römijches Heer geichlagen, den Übergang dur Gefecht erziwingend, und nun über Nauileja, Trevijo, PVicenza, das jtarfe Verona nördlich umgehend, am Südufer de3 Gardaſees dahin- ziehend, die Adda erreicht. An deren rechtem Ufer jchlug er Lager bei den „Altären des Mars“: hier ließ ex den größten Teil des Fußvolfs rajten, ſowie die gewaltige Menge des mwehrunfähigen Volkes, die auch diesmal die Beweglichfeit des Heeres jchiwer hemmte. Diejfen Scharen vertraute er die Bewachung der einzigen Brüde über den Fluß an, während er mit den andern Taufendichaften des Fußvolks und Ataulf mit feinen raschen Reitern an der Spibe den Zug auf Mailand eilig fortjegte. Kein Feind trat nen noch im freien Feld entgegen.

Eucherius und Adalger befolgten treufich den Befehl des jcheidenden Feldherrn, die einzigen tüchtigen Truppen, die germaniichen Söldner, in Mailand zur Verteidigung diefer Stadt und der Perjon des Kaiſers beifammen zu halten. Carinus, dem e3 an Mut nicht gebrach, wagte mit jeinen römischen Kohorten einen Ausfall gegen die Heranziehenden, ward aber von den gotifchen Reitern

Dabn, Sämtl. poetiihe Werke. Erite Serie Br. VI. 9

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rafch und blutig zurückgeworfen; er ſelbſt, durch Schild und Panzer hindurch verwundet von dem Wurfipeer Ataulfs, Starker Haß hatte ihn bejchwingt wäre der Gefangennahme nicht entgangen, hätten ihn nicht Saul und Goar, die Alanen, und Sarus der Balte, die zur Aufnahme der Fliehenden aus den Toren brachen, heraus- gehauen.

Das Gerücht übertrieb alsbald, je weiter es jich von dem Schauplat entfernte, die Bedeutung dieſer Schlappe; groß war und größer ward von Tag zu Tag der „gotiſche“ twie weiland der „kimbriſche“ Schred. In Rom fürchtete man, demnächſt Alarich jein Roß im Tiber tränfen zu jehen und flidte ängjtlich die Mauern, die dereinjt Aurelian erneut hatte und im nächiten Jahrhundert Belifar gegen König Witichis verſtärken jollte.

Der Senat beriet bereits die Flucht nach Sardinien, nach Korſika: mit Mühe hielten einige Mutigere wie Heraclian und Symmachus die verzagenden Väter zurück: durch das Weſtreich und durch das Oſtreich flog das Gerücht, Honorius ſei in dem eroberten Mailand gefangen, Rom genommen.

Allein Alarich konnte weder, Mailand und Ravenna mit ihren Beſatzungen im Rücken laſſend, auf Rom ziehen noch Mailand ohne weiteres mit ſtürmender Hand nehmen: die ſturmfreie Feſte forderte regelrechte Belagerung: für dieſe aber fehlten dem Wandervolk die Belagerungswerk— zeuge jeder Art, die Mauerbrecher, die Katapulte, die Torſplitterer, die Skorpione und Balliſten, um die Zinnen von Verteidigern ſäubern zu können, die hohen, fahrbaren Türme, um die Wälle zu überhöhen und Fallbrücken auf deren Kronen niedergleiten zu laſſen, die Schutzdächer, aus Brettern, Flechtwerf, Hürden, Drahtgittern zuſammenge— fügt, um darunter die den Toren und Mauern nahenden

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Minierer und die Bediener der Sturmmafchinen zu bergen gegen die Wurflanzen, Pfeile, Steine, Feuerbrände und Güſſe von heißem Ol oder Waſſer, bie bon den Binnen auf fie herabregneten.

Und wie die Bezwingung fejter Pläbe damals immer noch tie übrigens noch Jahrhunderte jpäter die ſchwächſte Seite germanifcher Kriegführung war, jo gebrach es den Goten zumal an fundigen Werfmeijtern für Her- jtellung jo kunſtreicher Mafchinen: fie waren dafür anges wiefen auf die wenig zahlreichen Handwerker unter den Gefangenen, die ſich auf ſolche Geräte verjtanden und die nur gezwungen, deshalb jchwerfällig und äußerjt langjam arbeiteten, auch wohl abjichtlic) Fehler jcheinbarer Fahr: läffigfeit begingen, welche dann die Yeiftungen von Tagen und Wochen vereitelten.

Ungeduldiger noch als Mlarich ertrug Ataulf dieſes Zögern. Des Königs Troft, fchließlich werde der Hunger die Ergebung der Belagerten erzwingen, machte ihn ganz zornig: „Wenig eilt dir's!“ fchalt er. „Aber mir eilt’s: du willſt nur den Jämmerling Honorius fangen: id) aber jeine Schweſter!“

Und als er einmal bei einem Ritt um die Wälle nahe dem liguriichen Tor Placidia erjchaute, die auf der Mauer: frone jtand den Imperator jah man nie auf den Wällen und, wie er deutlich wahrnahm, ihm Huldvoll zunidte, da war der Jüngling nicht zu halten. Er lie jein Reitergejchwader abjigen und fuchte mittel3 einiger vom Fußvolf hier fertig geftellten Leitern die hohen Mauern zu erflettern, er allen voran. Ein recht anjehnlicher Stein traf jeinen Helm und warf ihn von der Leiter. Aber er hatte im Fallen Placidias erjchrodnen Wehjchrei gehört: da jchmerzte die Wunde nicht. Eucherius hatte Mühe, die Bejorgte, die fich ängſtlich weit vorbeugte, mit dem

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Schild gegen die Pfeile der gotischen Bogenjchügen zu deden und von der Wallfrone herunterzubringen. „Sieh,“ iprach fie, „du Beinah-Imperator, dem liegt daran, zu mir zu fommen! Ihn hemmt kaum der hohe Wall. Er fann wirklich nicht zu mir. Sedo... .", zu fich felbit flüſternd, Schloß fie... „kann ich auch nicht zu ihm? Er ift ſehr, ach fjehr ſchön. Wie blitzte fein Auge! Aber ruhig, Placidia. Nicht! Noch nicht!"

VID.

In der Stunde diejes kleinen Gefechts vor Mailand ftanden in dem Prätorium des halbverbrannten Cajtrums von Speier Marfomer, ein Gaufönig der Uferfranfen und Ruthwalt, ein Gaufünig der Mamannen: unfroh blicten fie beide: denn die Hände waren jedem auf dem Rüden zufammengebunden. Lange jchwiegen fie, einander abge: wandt, jeder zu einem andern Yenfter des Cönaculums hinausſchauend. Endlich wandte ſich der riejige Alamanne dem fleineren Franken zu und fprad: „Nun, Marfomer, Markofriedg Sohn, übler Nachbar, wollen wir nicht Frie- den fchließen in der letzten Stunde unferes Lebens? Bei Ziu! Nah dem Tode fünnen wir doch nicht mehr, wie diefe legten zehn Jahre, darüber fämpfen, ob diefes gütter- verfluchte Römerneft fränfiich wird oder alamannijch.“

„Haft Recht! Aus iſt's. Römiſch wird's wieder. Dder doch ftilihoniih. Denn, liegt der tot, wel- cher Unhold Hat ihn plöglich hergeblajen? unjere Söhne mögen wieder darım fämpfen, wen es zufällt: denn dann fällt es doch wieder.”

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„Wohl: und mit der Stadt gewinnen fie dann die Gräber ihrer Väter. Denn mir ift, ich jehe die Sonne nicht mehr zu Golde gehn. Unheimlich find mir die Mienen feiner Schreiber.“

„Sal Ms ich dem einen, der jo drohend redete, fagte: ‚ich bin mitten im Kampf gefangen: jchwertgefang- nen Mann tötet man nicht‘, da lachte mir der Tabellio ins Gejicht: ‚aber Schwurbrüdige!‘ Ja, der Eid! Das ift das Übel! Wohl hatte ich Stilicho geſchworen, Ruhe zu halten...“ „Ich auch!“

„Aber nur ihm, von Held zu Held!" „US e8 nun hieß, er fei gefallen...“ „Im Dftreich, durch den Balten . . .“ „Da war ich wieder frei von meinem Schwur, bei Wodan, und ſchlug Los.“ „Auch ich: gegen dich wie gegen die Kohorten.“

„Aber die Römer auch er! veritehn das anders al3 wir: ‚Rom jtirbt nicht!‘ erwiderte er, als ich nad) der Gefangennahme mein Wiederlosichlagen entichuldigte.“ „Sa! Er fann uns föpfen: nad) feinem Römer: recht. Und er fieht danach) aus, al3 hab’ er's ernſtlich vor“ „Köpfen!“ meinte der Franke. „Wenn's das nur ift! Aber einen meiner Ahnen hat ihr frömmiter Smperator Conjtantinus hieß er und im Eisjtrom Hels ſchwimme feine Seele! den wilden Tieren vorgeworfen in dem runden Haus zu Trier. Das...“ „Das tut der nicht. Da fommt er.“

Stilicho trat ein, in vollen Waffen, jehr erniten Ange: ſichts. Ein Centurio folgte ihm und blieb auf der Schwelle jtehn.

„Was jeh’ ih?“ rief der Feldherr unmwillig. „Oefejjelt! Könige! Götterentitammte! Wie jte jelbjt glauben gleich ihren Völkern. Ein Wahn meinjt du, Sempronius? Ge— wiß, aber man ſoll ehren, was andern Heilig. Warum

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dieſe Stricke?“ Und er ſchritt Hinzu und durchichnitt fie mit dem Dolche.

„Magijter militum, du wollteſt fie allein ſprechen: fie haben vier ſehr jtarfe Arme... .“

„Slaubft du, ich fürchte fie? Geh, laß uns allein.“

Marfomer redte die gelöften Arme: „Dank! Das Seil Ichmerzte.“ „Mehr noch die Schmach. Dank!“ ſprach Nuthwalt. „Nicht ich, euer Treubruh Hat fie euch bereitet. Wohlan, ihr ſollt's gut machen. Sch komme, euch dazu zu helfen: denn ich vertraue euch: Sch glaub’ euch, daß ihr vermeintet, mir nur für meine Lebtage Ruhe geichworen zu haben und daß ihr glaubtet, ich liege tot vor Byzanz. Genen Wahn gebt auf: ihr ſchwört jetzt der ewigen Roma. Hört ihr? Berfteht ihr? Oder befjer

noch! jet nicht nur ſchwören: wir wollen nad) eurer Sitte! Blutsbrüderichaft jchließen: das bindet euch am jtärfften. Geht: ihr jeid frei!“ „Stilicho!“ „Feldherr! „Wie follen wir dir danken?“ „Wodurch?“

„Durch Treue. Wißt ihr, weshalb ich euch ſtarke Neden jo leicht in zwei furzen Treffen! bezivingen,

fangen fonnte? Weil die himmlischen Gewalten euren Eidbruch ftrafen wollten, weil fie unſichtbar! für Nom fämpften. Seid treu und ihr werdet wieder wie jo oft früher fiegen: aber nicht gegen Rom, für Nom jollt ihr kämpfen. Hört, was ich nur euch vertraue: ih muß heute noch mit allen germanijchen Söldnern, Die ich hier in Gallien, dann in Rätien, Bindelicien, Noricum aufgerafft, eilig aufbrechen nach Stalien, das mein bedarf. Entblößt von Wächtern ſchutzlos! Laß ich den Rhein und die Donau zurüd ... .: doch nun nicht jchußlos. Denn ich vertraue fie eurer Treue! Ihr, meine Blutsbrüder, follt mir die Grenzen ſchirmen gegen ſchlimme

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Nachbarn. fo jchlimme wie ihr felbjt gewefen jeid. Dir, Uferfranfe, vertraue ich den Mittel- und den Nieder: Rhein, die Maas und die Mofel: Hüte fie gegen die landgierigen GSalier, die Merowinger. Du, Alamanne, ſchütze mir den Oberrhein bis Straßburg, bis Bafel gegen deine Stammesvettern, die wilden Sueven. Macht eure Sade gut: an reichem Goldlohn für euch, an Getreide für eure Gauleute ſoll's nicht fehlen. Holt eure Helme, draußen hängen fie: geht damit zu meinem Quäſtor Manlius: er hat Befehl, fie randvoll zu füllen mit den neugeprägten Goldjolidi, den Honorianici: 's iſt nur einjt- weilen ein Abjchlag. Mehr folgt, führ' ih in Bälde! die Kohorten hierher zurüd und erfand euch treu. Sprecht offen, ihr Könige, darf ich euch trauen?“

Da eilten die harten Männer auf ihn zu und drüdten jeine Hände: „Ireu bis zum Tod, bei Wodans Speer!" rief Marfomer.

„Bei Ziu, ein Neiding wäre, wer dich täufchte!“ fiel der Alamanne ein.

„Ich glaub’ euch!“ Er trat mit ihnen hinaus in die Borhalle, wo zahlreiche Heerführer verfammelt ftanden: „Aufl“ befahl er, „auf, meine Tribunen, laßt die Tuba jchmettern durch eure Reihn: zum Aufbrud. Eilt! Stalien und den Kaiſer gilt’3 zu retten!“

IX.

Wohl Hatte der Gotenfünig, da die Werfmeifter in feinem Lager noch immer nicht die erforderfiche Zahl von Maſchinen fertiggeftellt hatten, Eilboten nach) Epirus ge-

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ſchickt, aus den dortigen kaiſerlichen Waffenlagern Ballijten und Mauerbrecher zu holen: aber weder die gewünjchten Sendungen trafen ein, noch kehrten die Boten zurüd. Und Tag um Tag verjtrih und noch immer war fein Sturm auf Mailand möglihd. Mißmutig ritten eines Abends der König und Ataulf aus den Reihen der Vorpojten zurüd gegen die Addabrüde. Die Märzjonne, die Hinter Mailand zu Rüjte ging, warf ihre Strahlen ſchon faſt wagrecht über die weite Ebene, die im Dften der Stadt jener Fluß durchzieht. ES war ein friedlicher Frühlingsabend: vor der Feſte ruhten die Waffen und der Lärm aus dem Lager des Bolfes an der Brüde drang nicht bis zu den beiden Reitern. Die zahllojen Lerchen diejer Landichaft jtiegen trillernd, in immer höherem, jchraubenförmigem Aufflug in die Luft: ihre jilbernen Stimmlein unterbrachen allein die feierliche Abendſtille.

Ataulf jpornte das Weißroß zu rajcherem Gange: „Ich begreife deine Ruhe nicht!” eiferte er. „Aber ich begreife deine Unruhe,“ lächelte der König. „Doch hat fie dir bisher nur einen eingejchlagnen jchönen Helm und einen angejchlagnen jhönen Kopf eingetragen. Placidia ...“ „A, laß das! Nein: ich meine, deine Ruhe wegen Etilihos. Kein Menſch weiß zu jagen, wo er jtedt: nur gewiß nicht in Mailand! Was er treibt: nur gewiß nihts Gutes für uns. Unbegreiflid, daß er davon ging mohl ganz aus Stalien wiſſend, dab wir famen.“

Alarich jhüttelte den Kopf: „Nicht unbegreiflih! Mit den Scharen, die er in Italien hat, allein hätte er die Schlacht am Timavus auch verloren nicht jo rajch und jo gründlich wie Freund Heraclians Bruder, aber aud! Er Holt fih Helme: allein kann auch er Jtalien nicht verteidigen.“ „Schlimm, fümmt er zurüd, während wir

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noch vor Mailand liegen.“ „Kommt darauf an. Mir wär's ganz lieb gewejen, hätt’ ich ihn daheim getroffen in feinem Stalien.“ „Nun höre! Dann jtünden wir wohl nicht vor Mailand.“ „Aber vielleicht jchon viel weiter. Erfuhr er die Abficht, das wahre Ziel meines Zuges, mußte er jelbjt mir dazu helfen, es zu erreichen. Wenn ihn nicht einer feiner unberechenbaren, unbeugbaren Pflichtgedanken, eines jeiner unjinnigen Verſprechensworte hemmte. Wenn er fommt und uns nicht gleich ganz maujetot jchlägt, und dazu gehören doch zwei! viel Blut und Zeit und Arbeit fönnt’ er fparen. Auf meine wiederholten Anfragen hat er nicht geantwortet. Schriftlich iſt ſo was auch jchleht verhandeln. Aber jieh, dort hinter den noch blattlojen Neben jteigt weißer Rauch empor: eine dünne Säule. Was mag's bedeuten? Woher rühren? Laß jehn!”

Beide jprangen ab, banden die Hengjte an zwei junge Dlivenbäume, die zu beiden Geiten des jchmalen Eingang- pförtleins der Weinbergmauer ragten und traten über die Steinjchwelle des Rebgärtleins. ES erwies ſich als jorg- fältig, als Liebevoll gepflegt: die mit gelbem, rotem, weißen Sande bejtreuten jchmalen Pfade glänzten in dem Licht der Abendjonne, die ungehindert durch die noch um- belaubten Weinjtöde, die flach gewölbten, Lauben ähnlichen Rebdächer, die „pontones“, ihre Strahlen über das niedrige Mäuerlein herein jandte. Die Nebgänge waren zierlich eingefaßt durch Raſenſtreifen, in denen zur Beit alle Blumen des italifchen Frühlings, buntgereiht, prangten und dufteten: Krofus, Narziſſen, Anemonen und Beilchen.

Im Hintergrund des gartenähnlichen Weinbergs ftand ein höchjt einfacher Altar, aufgerichtet aus einigen alten Marmorplatten, die einjt wohl einem reicheren Bau an- gehört Hatten. Der oberite Querjtein trug weder ein

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Kreuz noch die Büfte oder Herme eines Gottes: ein paar Stüde Holz mit dürrem Reifig brannten darauf und ließen in der Winditille des friedlichen Lenzabends eine weiße Rauchſäule Ferzengerad in die laue Luft des blauen Himmels jteigen. Vor dem Altar Fniete ein alter Mann mit filber- weißem Haar in unfcheinbarem Gewand: er hielt die Arme betend empor in der Haltung, in der man die Götter des Olympos angerufen hatte. Er ließ fich in jeiner Andacht nicht ftören, als die beiden hohen Kriegergeftalten rechts und links an feine Seiten traten und ihn mufterten: er ſprach ſein Gebet zu Ende: unhörbar, kaum die Lippen bewegend: erjt als er ausgebetet hatte, erhob er ſich mühfam und begrüßte die Fremden: verwundert fahen diefe in fein Antlit, das bei offenbar recht hohem Alter feine Falte, aber rofige Wangen wie eines Knaben zeigte.

„Willkommen, ihr Goten, im Namen des Gottes,“ ſprach er, fie freundlich anblidend. „Welches Gottes?“ fragte der König. „Dein Altar ift leer.” „Der Gott ijt überall, alfo auch auf diefem leeren Altar. Darf ich euch mit meinem Wein erquiden? Er ift gut.“

Und ohne die Antwort abzuwarten, fchritt er zur echten in eine Reblaube, wo vor einer halbfreisfürmigen Holzbanf ein Steintiſch jtand, aus dem gleichen rot- braunen Marmor wie der Altar gefertigt. Er holte unter der Banf drei Fleine Zinnbecher hervor und einen irdenen, wohlvergipiten Henfelfrug, fchenkte ein und tat den Gäften Beſcheid.

„Trefflich iſt dein Wein,“ ſprach Ataulf, „hab' Dank! Aber ſage, fürchteſt du dich denn nicht? Du biſt hier, ſcheint es, ganz allein und rings um dich her tobt der Krieg. Wenn wir dich nun tot ſchlügen?“ „Ich lebe ſchon achtzig Jahre. Das iſt genug.“ „Oder dich ausraubten?“ meinte der König. „Dich und dein Häus—

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fein dort Hinter den Lorbeerhecken?“ Der Alte lächelte: „Würdet nicht viel finden! Seht übrigens nicht aus wie

Räuber. Erinnert mid an.... Uber das lter ihwäßt.“ Er verjtummte und ſah an ihnen vorbei weit in die Ferne —: wie in die Vergangenheit. „Nein,“ lachte Ataulf, „es ſchweigt leider ftatt zu erzählen. An was, an wen erinnern wir dich?“ „An Strataburg, tie fie jet jprechen, jtatt Argentoratum. Und an jieben Könige.“ „Wie? forſchte Mari), „du warſt am Rhein?“ Der Alte nidte: „Mit ihm, dem Unvergleich- lichen!“ „Mit wen?“ fragten beide zugleich." „Mit

dem Cäſar Julian, meinem Feldherrn, als er fieben Alamannen-Könige zwang. Die jahen aus wie ihr. So jeid ihr wohl Könige der Goten?“ „Schau, Alaridh! Da hat wirklich der Alte eine lange, lange Narbe am Halſe.“ „Sa, ja, ie Hatten gar lange Schwerte. Diejer Streich Hatte ihm gegolten: id) jprang vor und fing ihn auf. Der Gütevolle vergaß es nie. Als er gegen die Perſer aufbrah mein Hals mar jteif ge- worden ſchenkte er mir dies Gütlein. Lang ift’3 her. Seitdem Hab’ ich dieſen Garten nicht mehr verlafjen: Frau, Sohn, Sohnesfinder hab’ ich begraben da drüben neben dem Häuslein: nun hab’ ich nur noch den UÜrenfel: da fommt er gerade gejprungen: Brot und Milch hat er gegen unfern Wein getauſcht beim Nachbar —: fomm nur herzu, Julian!“

Der ſchöne Knabe im kurzkrauſen ſchwarzen Gelod, nadt an Armen und Beinen, den Leib nur von braun- wolligem Schafvlies bis an die Knie bededt, blieb an der Eingangspforte stehen, jtellte Milchkrug und Brotforb nieder und jtarrte jtaunend die hohen, in reichem Waffen- Ihmud prangenden Gejtalten an. „Ahn, find das Götter?“ fragte er.

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Die beiden achten: „Solche Schmeichelei bringt Claudian nicht für Honorius, ja nicht für feinen Stilicho fertig,“ meinte Ataulf.

Der Alte aber ſprach, mild verweifend: „ES gibt feine Götter. ES gibt nur den Gott.“ „Den Gott der Chriſten?“ forjchte der König. Der Alte jchüttelte das Haupt. „Alſo Jupiter?“ drängte Ataulf „Nichts von beiden. Seht dort meinen Altar. Er trug einen Jupiterkopf als Conjtantinus herrichte. Sein Sohn Con- ſtantius ließ den Jupiter zerfchlagen und durch ein Kreuz erjegen. Ein Priejter des Jupiter unter Julian wahr: lich nicht der Cäſar felbjt! zerichlug das Kreuz und jeßte wieder einen Jupiter darauf Da famen heidnijche Ulanen: die glauben nur an den Drachen-Dämon, fie ichlugen den Jupiter und den ganzen Altar in Trümmer und trabten weiter. Mich Hatten fie nicht gejehn in dem dichten Gebüſch. Sch kroch heraus und baute aus ein paar Marmorplatten einen neuen Altar meinem Gott." „Und wer it das?" „Der Unbekannte! Der unausdenkbar ift und den ich Doch denfen muß! Der ewig war und ewig jein wird, wann feine Seele mehr an Ju— piter oder an Chriftus glauben wird. Sonder Anfang, fonder Ende! Sch kann's nicht denken und kann auch nicht lafjen, e3 zu denfen. Was der tut, das iſt mwohlgetan. Uber man kann nicht beten zu ihm, etwas zu erlangen oder abzumenden: beten ändert nichts. ‚Ölaube doch nicht durch Gebet die Beichlüffe der Götter zu ändern,‘ jo ſprach einmal ein Philofoph zu Julian, da der unab- läſſig opferte.“

„Uber auch du haft gebetet, al3 wir kamen,“ wandte der König ein. „Nur ein Danfgebet: zu danfen drängt mich die Seele dem Gott für alles, was er mir gejpendet hat. Freilich mußte er wohl.” „Warum?" fragte

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Ataulf. „Weil er gut fein muß: 's ift fein Wefen jo.” „Wenn er dir aber wehe tut?“ „Dann muß er auch. Er hat nicht Willen, wie die Menfchen, die da iprechen, ‚das tu’ ich und jenes laſſ' ich.“ Ah und jind jo wenig frei, wie der fallende Stein, der zu fliegen wähnt gleich dem Adler.“

„Und wie lautet dein Dankgebet?“ fragte Mlarich.

„Gott ich danfe für das, was du mir des Guten ge- geben, und für das Üble zumal, welches du don mir ge- wehrt.‘ So betete mein Cäfar zu feinem unbejiegbaren Sonnengott. Aber den gibt es nicht. Und er fügte ein Bittgebet hinzu: ‚Water, das Gute verleih’, auch wenn wir nicht darum bitten, aber das Böſe verfag’, bäten wir jelber darum.‘ Das war jchön: aber ſinnlos. Wir müjjen uns in den Gott ergeben.“

„Ein beneidenswerter Glaube,“ meinte der König, „für einen Greis. Mir aber ziemt’s, für mein Bolf zu jorgen, zu handeln: ich folge der inneren Stimme, die mich unabläffig ruft nach . . . Genug! Du,“ lächelte er, „brauchit ihr ja nicht zu folgen.“ Cr legte einen Gold- jolidus auf den Tiih. „Für den Wein!“ „Dies ijt fein Wirtshaus. Dich jchidte mir der Gott. Gib's den Armen.“ Mit Beihämung nahm der Cote die Münze an jih: „Soll ich dir nicht ein paar Speerträger jchiden, dih Einjamen zu ſchützen?“ „Mi ſchützt der Gott. Er müßte dann,“ lächelte er, „nur auch noch deine beiden Speerträger ſchützen.“

Alarich reichte ihm die Hand: „Wahrlid, immer noch) ein Held!“ „Des Glaubens,“ fügte Ataulf bei. „Des Unglaubens, würden die Priejter jagen.“ „Braucht du je etwas, was ich gewähren fann, dir oder deinem Urenfel dort, oder haft du ſonſt Wichtiges zu melden, fo ihide den jchönen Buben ins Gotenlager und laß ihn

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fragen na König Mari." „Dder nach Ataulf, defjen Better,“ rief diefer im Fortgehn zurüd. „Dann joll euch Hilfe werben.“

X.

Aber jhon am Morgen, der diefem Abend folgte, war e3 verichwunden, das Öotenlager an der Adda. Wohl hatte der Balte in Erwartung der Rückkehr Stilichos auf allen Straßen, die von Diten und von Norden her auf die Addabrüde führten, dem einzigen Über- gang über den durch die Schneejchmelze und den Frühlings- regen hHochgejchwellten Flug jtundenweit in feinem Rüden berittene Wachen ausgeitellt, die jofort jede An- näherung des Entſatzheeres in das Brüdenlager melden follten, jede Überraschung zu verhüten. Wohl hatte er die wichtige Brüde jelbjt an ihrer Oftmündung, alfo im Rüden des Lagers, jo Stark befejtigt, als damals gotifche und auch römische Kriegskunſt verftand: denn auch Gefangene, Legionare wie Handwerker waren hierzu verwendet worden, jo daß die aus Felsblöden und Balken errichtete Schußwehr nur gar jchmalen Durchgang für je einen Reiter gewährte und jedes Eindringen auf die Brüde von Oſten her ſehr Leicht auch von geringer Bejabung abgewehrt werden konnte. Allein alles fam ganz anders als die Goten erwartet hatten. Und dadurch follte fich jene Sperre des feindlichen Angriffs zu verderblichjter Hemmung des eigenen Rückzugs gejtalten.

Alarich und Ataulf verbrachten wie gewöhnlich die Nacht nicht in dem großen Volkslager bei ver Brücke, bei den Wehrunfähigen, den Herden und Vorräten, jondern

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in dem kleinen Zeltlager auf dem Weſtufer des hier von Nord nah Süd ziehenden Fluffes, ganz nahe der Stadt und der Vorhut des Heeres, zumal der Neiterei, bei der langen Reihe der fertig gejtellten Belagerungswerkzeuge, hart vor der Porta Cremonenſis oder orientali3 der vorderiten Mauer.

Dem Drängen Ataulf3 nachgebend hatte der König noch an jenem Abend darauf verzichtet, die Zahl der gewaltigen Mafchinen noch zu mehren und befchloffen, am folgenden Tag mit allen verfügbaren Taufendichaften den Gemwaltangriff auf den Oſtwall zu unternehmen: des- halb waren bei Einbruch der Dunkelheit die Geſchütze und die Sturmdächer jchon jo nah an die Mauer gefchoben, als die Vorficht irgend verjtattete. Mitten unter diefen jeinen mühſam hergejtellten, riejigen Holzbauten hatte der König für diefe Nacht fein Lederzelt aufichlagen laſſen. Früh in der Nacht hatte er befohlen, die Feuer zu Löfchen, den Schlaf zu fuchen, die Kräfte für den kommenden Tag zu jtärfen. So war es nun ftill geworden in dem Lager: nur das Wiehern eines Rojjes, das Klirren einer Waffe, das Anfchlagen eines wachjamen Hundes unterbrach zu- weilen das tiefe Schweigen der dunfeln, mond- und jternen- lofen Nacht, deren Gewölk heftiger Weſtwind immer wieder zufammenballte.

Plöglih aber Mitternacht war vorüber bellten alle Lagerhunde grimmig: nicht gegen die Stadtmauer zu rüdwärts, gegen den Fluß: aber nicht in der Richtung der Brüde, viel weiter füdlich, flußabwärts. Die Wachen eilten darauf zu: aber fie famen nicht weit: faum hatten ſie die ſüdöſtlichſten Zelte erreicht, al3 jie überritten zu Boden lagen: und braufend ergoß fich eine Flut von Reitern in das völlig überrafchte Lager. Der Schred, das Entjegen, die Verwirrung vermehrte noch das Grauen-

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volle, daß der Überfall in faft völliger Dunkelheit ge- ichehen war: erjt innerhalb des Lagers tauchten jebt einige Neiter mit Pechfackeln ſtatt mit Speeren in den Hän- den auf.

„Stilicho!“ rief der König bei dem erjten Schrei, der ihn mwedte. „Das ift Stilicho.“ Er faßte das Schwert, ließ alle Schugwaffen liegen und ſtürmte vor das Zelt. Hier traf er auf Ataulf, der, jchon im Sattel, des Königs Pferd heranführte: „Sa, Stiliho! Sit er auf Flügeln über den Fluß gefommen? Denn die Brüde kann er nicht ge- nommen haben. Dort, im Norden, ijt alles ruhig.“

Uber Alarich war jchon hinweg: wo die meijten Fadeln leuchteten, da fuchte er Stilicho. Er fand ihn nicht, Hatte auch nicht Zeit, in diefer Nichtung gen Süden Hin weiter zu juchen. Denn urplöglich rief ihn gen Weiten, gegen die Stadt hin eine andere Gefahr: ein ganzer Strom von Licht und Feuer. Aufgetan Hatte fich das Dfttor, jobald die erjten FSadeln von Süden her im Lager auf getaucht waren und ein grimmer Ausfall der barbarijchen Söldner traf die weſtlichſten Zeltreihen der Belagerer und die Holzbauten der Majchinen. „Rettet die Tiirme, die Katapulte,“ ſchrie Alaric) und riß den Rappen rechts herum. Aber es war zu jpät.

Adalger hatte von Anbeginn ſich auf jene geworfen, den Kampf Eucherius überlafjend, der fich durch die Maſſe der Fliehenden den blutigen Weg zu dem Bater im Süden bahnte. Der Marfomanne Hatte mit eigner Hand den erften Brand auf ein Schutzdach von Stroh und Tannen- latten geworfen: lichterlod war es aufgeflammt: ſchon züngelte, fchon hüpfte die Flamme, von dem ftarfen Weſt— wind entfacht und nad) Dften in das Lager vertragen, auf den Nachbarbau: zwei Katapulte: da fingen die Geile Feuer, welche diefe und die Fallbrüden der Türme daneben

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fpannten: wie feurige Schlangen fladerten fie auf, ver— brannten und ließen die ſchweren Brücdenbohlen Frachend zur Erde ftürzen: ſchon waren vier zerjtört: zum Schuß des legten Turmes ſprengte Alarich herbei: „Hilf, Hail- fwinth,“ jchrie er einem ftattlichen älteren Krieger zu, „Hilf mir den Turm da retten.“ Der Getreue fjpornte ein Pferd heran, geriet aber dabei in einen Schwarm hunnifcher Neiter und im arge Bedrängnis. Zugleich jtürzte die Fallbrüde auch diefes Turmes, begrub das Pferd des Königs unter ſich und betäubte den Reiter, der darunter lag. Mit harter Mühe zogen ihn die Gefolgen hervor nnd ſchützten ihn vor der Gefangennehmung durch Adalger, der jegt gewaltig nachdrängte. Bald bildeten die Dicht nebeneinander aufgereihten Holzbauten ein einzig Flammen— meer.

Einjtweilen hatte Eucherius den Vater erreicht, der die Scharen AtaulfS aus den brennenden Belten in dieje hatten die Entjagtruppen ihre Fadeln gejchleudert vor ich her gegen die Brüde, gen Nordojten, zu trieb. „Willkommen, lieber Vater, in Italien!“ „Willfommen, lieber Sohn, im Siege! Alfo hat der treue kluge Falke den Zettel, der Nacht und Stunde angab, glücklich durch die Lüfte über die Feinde hinweg zu dir getragen?" „Bor zwei Tagen fam er an. Seither haben wir alles für diefe Stunde bereitet.“ „Gut bereitet! Sebt nah! Wo find Saul und Goar mit ihren Alanen?“ „Aus dem Nordtor brachen fie, wie du befahlit, gleichzeitig mit uns gegen die Brüde. Hörſt du das Gejchrei von dorther?* „Nah! Auf die Brüde! 's iſt der einzige Rückweg, wollen fie nicht ſchwimmen, wie ich und meine Reiter taten, dort im Süden bei der Furt.“ „Ein jchmaler Rüdweg! Haben fie doch, fich gegen Dich zu Ihüten, das Ditende der Brüde fejt verrammelt . . .“

Dahn, Sämtl. poetifche Werte. Erfte Serie Bd. VI. 10

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„Sie wähnten, ich müffe gerade dort den Übergang fuchen und mir an ihren Schanzen den Kopf einrennen!“ „Und haben fich jo den Ausweg felbjt verjperrt!“ Und alfo war's.

Und auf der ſchmalen Brüde hob alsbald ein Ringen an, ein Kämpfen unter den Flüchtlingen ſelbſt: fie ftießen fih, drängten fich an die Holzgeländer auf beiden Geiten, bis dieje barjten und nın Mann und Roß nad) Yinf3 und nad) recht3 in die hier jtarf reißende wirbelnde Flut jtürzten: mehr Leute, viel mehr fanden fo hier in den dunfeln Wellen den Tod als durch das Schwert der Gieger. Die Wehrunfähigen in dem Dit-Lager, der ſtarke Troß, die Wagen und Karren und Herden erjchwerten auch den glüklih auf das linke Ufer Öelangten, jowie den hier Gelagerten, die Flucht. So war die Zahl der Gefangenen groß: aber Mari und Ataulf waren nicht Darunter: eifrig mufterte der Feldherr bei Tagesanbruch dieſe Haufen: traurig ſprach er: „Sie werden doch nicht gefallen jein?“

Hoh auf horchte da Carinus, der neben ihm ritt: „Dies Wort merfe dir," flüfterte er Herackanus zu, „Du wirjt es einjt bezeugen müſſen.“

„Ei,“ lachte Saul, „die find doch bejjer tot als lebendig,

alle beide." „Nichts riecht jo gut,“ grinjte Goar, „wie ein erichlagener Feind." „Sie find gar gefährlich ge- wejen,“ grollte jener. „AS Feinde!" ſchloß Stilicho.

„Ich gebe die Hoffnung nicht auf, fie noch zu Freunden zu gewinnen.“ Bedeutungsvoll nickten fich die beiden Römer zu. „set aber, Magijter militum . . .“ mahnte Claudian. „Ei fieh,“ rief jener, fih zu ihm vom Pferde herab neigend, „unjer Poeta bfutet.“ „Jawohl, mir bei- ipringend ward er getroffen,“ ſprach Eucherius. „'s ift

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nur der linfe Arm und feine Hand: die Nechte kann heute ihon das Pleftrum führen, und deinen Sieg auf der Lyra feiern. Jetzt aber fomm zu dem befreiten Imperator, dir deinen Dank zu holen.“ „Sch erwarte feinen,“ er- widerte Stiliho, das Roß gegen die Stadt zu wendend.

„Das iſt weife getan,” jlüjterte Heraclian höhniſch dem Genojjen zu.

„Hei,“ lachte Sarus, der Cote, „diefer Imperator des Römischen Reiches hat ſich nicht einmal zu dem Zwed auf den Wall begeben, jeine Befreiung mit anzufehen.“ „sa,“ meinte Adalger, „da fünnten am Ende Pfeile herauf- fliegen wie herunter.“ „Da lob' ich mir jeine Schweſter,“ ſprach Eucherius ernſt. „Jawohl,“ fuhr Claudianus fort, „ſobald ſie von dem geplanten nächtlichen Ausfall erfuhr, erſchien ſe allein auf der Wallkrone des Oſttors und ſpähte eifrig auf die Kämpfenden herab.“ „Und ſieh,“ rief Carinus grimmig: „da, das iſt ihre Sänfte. Sie läßt ſich wahrhaftig aus dem Tor auf das blutige Schlachtfeld tragen wem, wem entgegen? Wen ſucht ſie? Da, fie ſteigt aus, fie naht.“

Schon ſtand fie, in einen dunfeln Überwurf gehüllt, vor Stilicho, der, wie jein Roß, mit Ruß, mit Afchen- jtaub, mit Blut bededt war.

Sie jah jehr bleih im roten Schein der Fadeln, den allmählich das Dämmern des Märzmorgens überleuchtete. Sie reichte ihm die Hand, die zitterte. „Sch mußte die erjte jein, dir zu danken.“ „Du jcheinft aber gar nicht jehr erfreut über deine Befreiung,“ lächelte er. Heiß jchoß ihr da das Blut in die Wangen: „Dein Sieg iſt groß, aber wohl jehr, ſehr blutig? Sprid), was ward aus den gotijchen Führern? Dem König? Und.

Da drängte Carinus dicht an fie heran und flüfterte

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ihr ins Ohr: „Und er? Leider weder gefangen noch ge fallen! Sch juchte Scharf! Entflohen! Aber ich Hol ihn ein, ob auch erjt in der Hölle!“

XI.

Einen Tag, nachdem das Gotenlager, halb verbrannt, verlafjen war, irrte durch die Zeltgaſſen Hin ein jchöner Knabe von etiva vierzehn Jahren: barhäuptig, barfüßig, einen Hirtenjteden in der Hand, über dem braunen Schaf- vlies, jeiner einzigen Bekleidung, an einem Strid einen Kürbisfrug geſchnürt. E3 war ein jchöner Abend des Borfrühlings: die fein gebogene ſchmale Mondfichel fah aus den noch vom Sonnenuntergang rötlich behauchten, vor dem Wejtwind langſam flutenden Wolfen auf die breiten Gefilde an der Adda grünenden Ufern herab. Es war fo feierlich jtill hier, wo vor kurzem der klirrende Lärm der Schlacht getobt hatte: eine Lerche fang noch, allmählich aus den Lüften fich niederlaffend: num ſchwieg auch fie, in die junge Saat gedudt, da war e3 ganz still.

Der Knabe jchritt weiter und weiter. Er ſtieg auch zuweilen über eine der Leichen, die noch lange nicht alle bejtattet waren: er tat’3 ohne Grauen: wußte er doch faum, was das all’ bedeute. Nur vermied er, nachdem er einigen in die verzerrten Gefichter gejehen, leiſe fröftelnd, diejen Anblid. Allmählich ermüdete er: er lehnte fich an die Stange eines jtehen gebliebenen Zelte und rief: „Ala- rich, König der Goten! Wo bift vu? Jetzt komm aber bald. Sechsmal Hab’ ich dich gerufen. Lange lauf ich über

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ftumme Menfchen, blutige Pferde, zerbrochene Waffen. Komm endlih! Müde bin ih. Alarich, komm!“

Da rührte fich etwas in dem Zelt, dejjen- rauchge- ſchwärztes Lattendach zur Hälfte nach innen herabgejtürzt war, die Eingangsfalten raufchten und ein etwa gleich altriges Mädchen lugte neugierig dadurch. Nun trat das Kind heraus: dichte blonde Zöpfe fielen auf das lange weiße Wollhemd, das, ihr einziges Gewand, bis an die Knöchel reichte, aber die unbejchuhten Füßlein fehen ließ. Kieblich Hang die Stimme, als fie, die blauen Augen groß aufichlagend, fragte: „Was bit denn du für einer?“ „SH? Sch bin doch Julianus. Und ich fuche den König der Goten.“ „Das hab’ ich dich rufen hören. Aber die jind fort. Alle. Oder tot.“ Sie blidte erjchauernd auf die Leiche, die dicht vor dem Zelte lag.

„sh muß ihm aber jagen, daß der Großvater in der Erde liegt: das war fein legter Auftrag. Weißt du, wo fie Hin find, die Goten?“ Sie jcehüttelte jchweigend den Kopf. „Hm, wer bift aber du?" „Sh? Sch bin Hailifo, Hailſpinths Kind. Und nun bin ich ganz allein. Wir waren unjer acht: Vater, Mutter und die fünf Gejchwifter. Jetzt find fie alle fort. Wo mögen fie bin fein? Wie war es doch?“ Und fie griff mit der Hand an die Stirn.

Da ſah der Knabe geronnenes, faum erjt getrodnetes Blut unter den gelben Flechten an der rechten Schläfe. „Du bluteft! Haft du Schmerzen?“ „Nicht mehr viel. Aber wie war doch alles? Kaum weiß ich's noch. Sa, ja, jo war's: wir, die Mutter und die Gejchwifter, wir lagen da drinnen und jchliefen. Der Bater ftand auf Wache bei den hohen Holzböden. Da plöglich Geſchrei arges Gejchrei! Waffenlärm durd die Belt falten Feuerſchein. Auf jprang die Mutter, nahm den

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Kleinften auf den Arm, riß die zweite mit der Linfen dahin und jchrie ung zu ‚lauft! lauft mir nach‘. Ich wollte gern laufen: aber auf einmal ſtürzte das Dach über mir zufammen: eine Latte traf meine Stirn: id) fanf zu Boden: feither Hab’ ich nichts mehr gedacht, gejehn, gehört, bis dein Auf mich wedte.. Habe Dank!“

„Arme Hailifo! Bift fo zart, fo... jo anders! Was fängft du nun an?“ „Sch juche die Eltern." „Sa, aber two?“

Die Kleine fann nah: „Ei, ich weiß! Der Bater iſt Herrn Ataulf3 Gefolge. Ich ſuche Herren Ataulf, den viel Gütigen.“ „Ataulf? So hieß der andre, des Königs Better. Weißt du was, Hailifo? Die Vettern werden wohl beifammen jein. Da könnten wohl wir beiden mit- einander gehn, fie fuchen: nicht? Weißt du, es iſt doch bejier für did. Du bift gar fo... nun, jo fein, fo anders. Und fo jung. Leicht könnte dir was gejchehen! Sch werde dich ſchützen.“ Und ohne Grauen löjte er dem toten Goten, der neben ihnen auf dem Rüden lag, das Kurzſchwert aus der erjtarrten Hand, ſchwang e3 und jtedte e8 in den Strick, der ihm den Gürtel erjeßte. „Run komm mit mir! Ich ſchütze dich!“ wiederholte er. „Ich danke dir. Aber ich bedarf deines Schußes nicht. Mich fhüst der gute Himmelsherr da droben, der Vater, der alle Haare gezählt hat auf meinem Haupt. Und fein Engel fliegt vor mir her.“

Berwundert ſah der Knabe nach oben: „Sch ſeh' ihn nicht. Und ein Bater im Himmel da oben? Hab’ nie was von ihm gehört.”

Die Kleine erſchrak: „Nichts vom Himmelvater? D du Armer! Wie Fannft du leben?" „Weiß nicht, wie. Uber ich lebe.“ „Höre du, da will ich freilich mit dir gehn: da jchüßt dich mein Gebet bejjer als das Schwert

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da mich. Und wäre fchade, gefchähe dir was. Denn du bist gut, glaub’ ih. Der Weg wird vielleicht weit. Denn wo mögen fie fein, die wir juchen? Darum wart einen Augenblid: wir hatten noch Brot im Zelt und Biegen- fäfe: das nehmen wir mit.“

Sleih Fam fie wieder heraus, eine Jagdtaſche an braunem Riemen um die Schulter gejchlungen, beide Hände voll Brot und Käfe: fie gab ihm die Hälfte: „Da, ip! Sonſt mag ich auch nicht eſſen. Und bin doch hungrig.“ Er nahm und aß: dabei betrachtete er fie nachdenklich: „Das Blut da! E3 paßt nicht zu dir. Bilt fonft fo weiß an der Stirne. Büde di. Ach waſch' dir's weg.“ Gehorjam neigte fie das Köpflein: er öffnete die Kürbis- flajche, beiprengte die Stelle und wuſch fie ab, mit gar feifer, leijer Berührung; „tat das weh?“ „Nein, wohl hat’3 getan. So fühl! Dank! Siehſt du, ich fagte ja, du biſt gut.“ „Nun fomm, eh’ es dunfel wird. Wir wollen übernachten in Großvaters Hüttlein. Er Tiegt daneben im Grabe, das er fich felbit jchon lange! gegraben. Und wie er zu fterben fam, legte er jich ſelbſt hinein: ich hatte nur, nachdem er nicht mehr atmete, die Erde darauf zu jchütten. Du fürchtejt dich doch nicht vor dem Toten?!“ „Sch werd’ an feinem Grabe für ihn beten.“ „Alſo fomm!“

„Erit laß uns beten. Knie nieder wie ich und ſprich gleih mir: ‚Allmächtiger Vater im Himmel! Schüß’ uns zwei arme Rinder auf unjern Wegen. Denn wir wiſſen nicht wohin. Aber du wirst uns führen Nacht und Tag, über Berg und Tal, durd Wald und Heide. Beſchirm' uns vor böſen Menſchen und böſen Tieren und böfen Geijtern. Wir vertrauen Dir ganz, hörſt du, lieber Gott?‘ Sie fprang auf: „Nun fomm: nun fann ung nichts gejchehen.“

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Und rafchen Ganges, munter, fchritten fie dahin.

Raum Hatten jie dem Zelte den Rüden gewandt, als hinter ihm hervor zwei Kerle ſchlichen, die Hailiko wohl zu den böfen Geiftern würde gerechnet haben: römifche Troßfnechte waren's, Sklaven, bepadt mit Gold, mit Schmudjtüden, Ringen, auch mit fojtbaren Waffen, die fie in den Belten, in der Aſche, bei den Leichen aufgelejen. Tierifche Roheit lag auf den häßlichen Gefichtern. „Du biſt ein Haſenherz,“ lachte der eine und büdte ſich: denn er erblickte an dem Goldfinger des toten Goten einen Ring mit einem leuchtenden Rubin: fofort jchnitt er den jtarren Finger mit feinem Dolche durch, ließ den roten Stein im legten Strahl der Sonne jpielen und ſteckte ihn in feinen ihon jtrogenden Lederranzen.

„Hafenherz! Sch hätte den Jungen gemurrt, das bildfchöne Mädel hätt! ich mir gezähmt.. Und dann verkauft.“

„Wäre dumm gewejen! Die Senatoren in Rom, auch Priejter dort, zahlen für einen jchönen Zungen viel mehr als für ein Mädel. Sch hätte den Buben verhandelt. Aber wie die Kleine gen Himmel jah, mit den Augen! erwürgt hätt’ ich dich, griffit du fie an.“

XTI.

Karg und fühl, wie Stilicho erwartet hatte, fiel der Dank des Imperators aus. Gar feltfam war der Wider: ſpruch feiner Würdigung der durch die Belagerung drohenden Gefahr vor und nad) dem Entjaß: noch gejtern war er nahe daran gewefen, die Feite und fich zu ergeben: nur

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mit äußerfter Mühe hatten Eucherius, Adalger und übrigens auch Carinus und Heraclian ihn davon zurüdgehalten, obwohl Mangel bisher nur die Bevölferung, kaum noch das Heer und gar nicht den Palaſt getroffen hatte: un- erträglih fand er jchon den nun Wochen hindurch währenden Waffenlärm, die Aufregung der Belagerung. Das dringe bis in feinen Hühmerhof und Hindere die fleißigjten Hennen am Legen: Alarich habe ihm ja ehren- volle Haft zugeſichert.

Aber nach dem Einzug Stilichos in die Stadt meinte er achſelzuckend, man übertreibe die Gefährlichkeit der Ein— ſchließung und daher das Verdienſt des Entſatzes, vielmehr müſſe er Rechenſchaft fordern für die unverantwortliche Entblößung der Rhein- und der Donau-Grenzen. Und als Stilicho auf die beiden zu Mark-Wächtern gewonnenen Könige hinwies, erwiderte er giftig, daß der ‚Vandale‘ gar nicht genug Germanen in das Neich ziehen fünne. Stilicho entzog fich diefem Undank und dieſen Vorwürfen jo raſch er konnte. Schon am folgenden Tage nahm er mit allen in Mailand vorhandenen und von ihm heran— geführten Truppen die Berfolgung der weichenden Goten auf.

Alarich, den die Seinen, ausgejtredt in einem Fijcher- fahn, den Ataulf jteuerte, auf das linfe Ufer gerettet hatten, leitete, jobald er ſich aus jeiner Betäubung erholt Hatte, mit Umficht den Nüdzug nach Ligurien, um, falls er fi mit den jtarf geihwächten Wehrfähigen des Volkes gegen den jet übermächtigen Sieger in Stalien nicht follte Halten fünnen, über die Cottijchen Alpen nach Gallien abzuziehen und in dieſem nun von Truppen entblößten Lande für fein wandermüdes Volk die lang gefuchte ruhige Heimat „quieta patria* fagte man zu finden. Zwar ward der ſchwerfällige Wagenzug jchon bei Aſti am Tanarus von

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den rafchen Reitern des Sarus und des Saul eingeholt und die Schwache Nachhut nach Süden zu die Hügel hinab gedrängt: allein es gelang dem König gleichwohl, das ganze Bolf auf den fchwierigen Wegen auf dem linken Flußufer in Sicherheit bis Pollentia zu führen, vor welchem Städtlein in guter Stellung zwei befejtigte Qager geſchlagen wurden: ein Heineres etwas weiter jüdlich, ein größeres, zumal für die Waffenunfähigen, weiter nördlich. Hier mußte er den ermüdeten Menfchen und noch mehr den erjchöpften Gejpann-Tieren des Zuges einige Tage Erholung gönnen. Hier fonnte man den Angriff der Berfolger in Deckung abwarten, von hier aus im Notfall, das heißt bei weiterem Rüdzug nah Weiten raſch die ihirmenden Wafjerläufe der Stura und des Po zwijchen ſich und Stilichos Gefchwader legen, etwa bei Suſa die Päſſe nach Gallien gewinnen und unter dem Schuß der Dora riparia unverfolgt überjchreiten.

Uber e3 Fam anders: nicht damals ſchon und nicht unter Alarich follte das Wandervolf nad) Gallien gelangen. Der Dfterfonntag fiel in Ddiefem Jahr auf den fechiten April: am Abend des Karfreitags, des vierten Aprils, ftieg das Heer Stilichos von Aquae Statiellae (Acqui), von Nordoften, her, dem Lauf des Tanarus entgegen, die Höhen im Dften von Pollentia herab und jchlug dort Lager.

Alarich Hatte feinen Verſuch gemacht, es aufzuhalten: fam e3 zum Angriff, wollte er ihn vor und in dem jtarf bejegten Pollentia erwarten. Allein er hoffte, weiteren Kampf zu vermeiden. Er verlangte und erhielt ohne weiteres zugejagt eine Unterredung mit Stilicho für den fünften April auf einer Heinen von Pinien bejchatteten Anhöhe in der Mitte der beiden feindlichen Lager.

ALS die Sonne im Mittag ftand, ritten gleichzeitig je

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zwei Reiter den fandigen Hang hinan: es waren Mlarich und Ataulf von Weſten, von Dften Stilicho und fein Sohn. Alle jprangen auf dem Gipfel von den Gäulen, die fie im Schatten der Pinien an deren Stämme banden. Nun Ichritten die vier Männer einander entgegen; treuherzig reckte Stiliho dem Balten die Rechte Hin. Aber diejer ergriff fie nicht: finjtern Blides ſprach der ſonſt fo freudige Held: „Nein. Nicht faſſ' ich diefe Nechte, die meinem Volk jo blutige Wunden jchlug, weil fie es verjchmähte,

zu antworten auf vier Briefe!“ Und zürnend nickte Ataulf. „Bier Briefe?" ftaunte Stilicho. „Nicht einen hab’ ich erhalten.“ „Und meine Boten, die mündlich das Wichtigijte das unter uns beiden Ge— heimſte! antragen, deine Antwort zurücdtragen follten? Du haft fie gefangen gejegt!" „Nicht einen hab’ ich gejehn.“

„Vater,“ ſprach Eucherius, „Boten und Briefe, frage nach ihnen bei Olympios.“ „Wahrjcheinlich,“ grollte der Magijter militum.

„Dann deine Hand!“ rief Alaricd mit entwölfter Stirn. „Sa, diefe Hand,“ ſprach Ataulf, „obzwar rot von dem Blut der Unſern.“ „E3 blieb unvergofjen wie viel Römisches —! erhieltſt du meine Botſchaften.“ „So hoffen wir wenigjtens,“ fügte Ataulf bei. „Rede nun, König! Sag’ ihm, was wir fjuchen in Stalien. Hoffentlich erjpart das weiteres Schild- und Scädel- Spalten.“

„sn Italien?“ erwiderte Stilicho kopfſchüttelnd. „Sch lagte dir längſt: nicht3 Haft du zu juchen in meinem Stalien.“ „Ms ein Grab, denfjt du jeßt,“ meinte der Balte. „Das ſuch' ich nun freifid noch! nicht. Sondern ich ſuche in Stalien: Afrika.“

Bater und Sohn ftaunten. „Wie meinjt du das?“

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forschte Stilicho. „Nicht anders als ich's fage In Europa iſt unjres Bleibens nicht mehr: nicht im Dftreih ... —“ „Und nicht im Wejtreich,” ergänzte Ataulf. „Wir haben's bitten gelernt." „Im Weftreich duldet uns Freund GStiliho niht —" „Niemals! Warum bliebt ihr nicht, wo ihr wart? Du warit Herr und Meifter von Epirus. Aus den Waffenhäufern des Arcadius bezogjt du die trefflichen Helme, Schilde, Brünnen, Schwerte, die ihr gegen uns führt. Schatzung an Gold zahlte euch Byzanz, Land zum Ackerbau . . .“ „Hatten fie damals verjprochen, haben’s nie gegeben!" „Nun denn Statt deſſen Lieferungen Getreide ... .“ „Haben's nie geliefert!” brach der König zornig los. „Berhungert wäre da drüben mein ganzes Volk: follte verhungern nach der Griechen Meinung. Nun was tun? Byzanz angreifen? Ci, dann rief e3 wieder nach dem treuen Helfer Stilicho, dem törichtiten aller Helden. Und der fam auch wieder, troß dem Undanf von Pholod und half wieder. Nicht?" „Ohne Zweifel!“ nidte Stilicho ernſthaft. „Ab, Wahnfinn der Treue! Und Treue gegen wer? Gegen denjelben Arcadius, will jagen: Dlympios will fagen Eudoria, die mir goldene Berge verjprachen, ſchickt' ich des vielgetreuen Stilicho Kopf nad) Byzanz, die mir ganz Italien, ja jedes Land des Weſtreichs preiszugeben, ja feierlich zu verleihen gelobten, entriß ich e3 dem Bandalen, dem Lebenden oder lieber! dem Toten.“

Stiliho furchte die Hohe Stirn. Aber Eucherius jprad) feit: „Nicht jenen Menjchen, dem Nömerreich hat mein Bater Treue und Schuß verjprochen.“

Der König fuhr fort: „Was aljo tun? Byzanz fann ich nicht zwingen; Danf Freund Stilicho.“ „Wir wollen nicht noch einmal nach Pholoë,“ grollte Ataulf.

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„Stalien oder ſonſt ein Stüd des Weſtreichs gibt mir Freund Stiliho weder in Güte... .“ „Noch durch Gewalt, die Adda ſah's,“ nickte Ataulf. „Da Fam mir der Gedanke: ‚Afrika!‘ Die Kornfammer des Reichs! Unberührt von Feindeshand! Blühend, reich genug, zivei Bölfer wie das meine zu nähren. Und unbehütet: zum Ditreich gehörig, nicht Stilihos." „Nicht des Honorius willft du jagen,“ vwerbefjerte jener. „Das ijt dasselbe! Afrika Hilft uns allen. Aber von Dften her, über das Sonijche Meer, das die Trieren von Byzanz beherrichen ich habe nicht ein Segel fommen wir nie nad) Afrika: nur von Stalien, von Rom aus, über Sizilien. Deshalb nur brach ich in diefes Land. Nur Durchzug verlangte ich, durch Briefe, durch die Boten an Dich friedlihen Durchzug bis Rom: nad) Rom, nad Nom ruft mich jeit lange eine innere Stimme! dann Einichiffung in NAhegium, in Lilybaum nad) Karthago!“

Staunend blickten Vater und Sohn auf den hoch Erregten.

„Ich ſchrieb jo dringend: galt es doch unfer aller Heil! Sa bittend: denn es galt.meinem Bolt! Keine Antwort bon dem Sugendfreund!" „DO doch! Brennende Ratapulte, jtürzende Türme!“ zürnte der Better. „Jetzt aber jchauen wir uns Aug’ in Auge Jetzt fann alles noh gut werden. Du ſiehſt wie ich erglühe in dem Wunjch, mein Bolf zu. retten und du weißt, was fein Wolf dem Manne ijt!“ „Ach nein, er mweiß es ja nicht!“ rief Ataulf mit bittrem Mitleid. „Wie follte er auch)? Der arme Sieger hat nie ein Bolf gehabt. Das er hatte, er hat’3 abgeichüttelt, wie fremden Gtaub! Schau nur, wie falt er blickt bei deiner ſchönen Wärme. Wie jollte er fie verſtehen!“ „Ataulf!“ warnte Eucherius,

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Aber fein Bater ſprach eilig: „Laß den Barparen reden, mein Sohn. Was weiß er von der eivigen Roma!“ „Daß fie nicht ewig tft,“ brach Alarich los. „Sch werd’ es zeigen!" „Das wart’ ich ab. Einjtweilen aber mäßige dich. Dein Gedanke zwar ift fühn: nicht umfonft heißeſt du der Balte.“ „Al meine Ahnen hießen jo!" „Aber du vergaßeit: Afrifa gehört zum Neih der Römer.” „Nicht zu deinem, nicht zum Weſtreich.“ „Gleichviel: das ganze Neich des Theodofius zu jchügen hab’ ich veriprochen, jedem der Brüder das Erbteil zu wahren, das der Vater ihnen abgegrenzt." „uch diefem Hofe zu Byzanz? So will’ es denn: fie haben dort insgeheim! hohen Preis auf deinen Kopf gejegt!" „Das war unflug. Denn diejer Kopf denkt, fo lang er denkt, für fie.“ „Das ijt die Treue des . . ." Schalt Ataulf. „Des Stilicho, wollteſt du jagen,“ unterbrach Eucherius, drohend ſich aufrichtend und ſtolz auf den Bater blidend.

Der König zudte die Achjeln und wandte fich feinem Pferde zu. Aber noch einmal machte er Halt: „Stilicho, alter Genojj! Nur Durchzug friedlihen Durchzug.“ Der Feldherr jchüttelte ftumm das Hochbehelmte Haupt mit dem purpurnen Helmbuſch auf dem geichweiften römischen Kamm. „Gut denn! Mio nochmal Kampf! Allein morgen... ." „Am heiligen Dftertag . . ‚" ergänzte der Vetter. „Ruhn die Waffen jedes Chrijten, das verſteht ſich,“ nickte Stilicho. „Alſo am Montag!“ rief zornig Ataulf, in den Sattel des Weißrofjes jpringend. „Aber am hellen Tag, nicht bei Nacht und Nebel wie vor - Mailand, in offner Schlacht, nicht in tückiſchem Überfall. Weh euch! Jetzt gibt es feinen Frieden mehr zwiſchen ung.“ Und faufend jprengten beide Goten davon. Ernſten Blides ſah ihnen Stilicho nach: „Vielleicht doch,“ ſprach er dann

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bedächtig.. „Komm, mein Sohn, zurüd ins Lager, allen für morgen die Waffenruhe zu befehlen.“

XI.

Als aber Eucherius den Balten Sarus und den Manen Saul nad der befohlenen Einfchärfung verlaffen hatte, jprang jener von dem Zelttiſch auf, an dem die beiden eng Bejreundeten gezecht hatten, warf einen drohenden Blick auf die friedlich im Abendjchein des italijchen Früh— lings ruhenden Gotenlager und flüjterte: „Freund! Sch hab’ einen herrlichen Einfall. Hilft du dazu, find uns Sieg, Ruhm, reiche Beute und vor allem der Rache furcht- bare Wolluft ficher.“ „Was meinft du?" fragte der Alane mit jchwerer Zunge: wanfend hielt er fich an dem Tiſch. „Mein Vetter, der fich König nennen läßt, wähnt fi) morgen jo jicher wie in dem Himmel der Ehrijten: reiten wir in aller Frühe hinüber und jchlachten ihn ab und die ganze Geſellſchaft.“ „Nicht übel,“ grinfte der andere und zwinferte mit den chief gejtellten fchmalen Schlitzaugen, indem er den braunroten Schnurrbart wifchte, der in feinen zwei dünn herabhängenden Strähnen vom Weine troff. „Du weißt, ich fürchte nichts als den Drachen- Teufel. Aber der Feldherr?“ „Bah, der Sieg entjchuldigt alles. Und zürnt auch er der tugendfame Knecht feiner Worte! des Kaiſers Verzeihung, Gunft, reicher Lohn find uns ſicher. Den freut ein Sieg ohne den ‚Mann‘ ja gegen ihn erfochten, mehr al3 zehn Triumphe jeines verhaßten Schwiegervaters. Aber mir its nicht um Ruhm, Beute und Lohn: ich Tafje dir

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alles! Mir iſt's um das Herzblut diefer Tettern, die feit Gejchlechtern uns, den älteren Ziveig der Balten, zurück— gedrängt, jebt gar den Königſtab unjeres Volfes erliftet haben! Sch muß dies Herzbfut endlich rinnen jehn. Meine Hunnen find Heiden wie deine Alanen: ſie alle bindet morgen nicht ‚die fromme Chrijtenpflicht, das heilige Felt,‘ von denen Eucherius predigte: und uns folgen fie in die Hölle." „Aber du?" stotterte der Alane. „Du ſelbſt biſt Chriſt, eh?“ „Wohl: aber Fatholiih! Es iſt fromm Werk, dieſe arianiſchen Ketzer zu verſäbeln. Und im Notfall beicht' ich's beim Biſchof von Mailand: der ſpricht mich ſicher los. Tut er's nicht, tu' ich's ſelbſt. Nun komm herein in mein Zelt, den Plan geheim und genau zu beraten. Denn raſch muß es geſchehen bevor Freund und Feind etwas ahnen.“

Und raſch geſchah's! Kaum hatte am andern Morgen die Sonne die Höhenzüge öſtlich des Tanarus überſtiegen und ihre erſten Strahlen über die Ebene leuchten laſſen, in welcher die drei Lager in geringer Entfernung von— einander aufgeſchlagen waren, als aus der linken, der ſüdlichſten Hälfte der römiſchen Zelte die Hunnen und Alanen, faſt die geſamte Reiterei des Heeres, lautlos hervor— brachen und in raſendem Rennen ſich auf die nächſten gotiſchen Zeltreihen ihnen gerade gegenüber warfen. Erſt als ſie das Lager erreicht hatten, ſtießen ſie ihr wildes Kampfgeheul aus, dem Schrei der Hyäne vergleichbar: ſchrill zerriffen die grellen Töne die frommen Geſänge, mit welchen die Gotten pjallierend unter Führung ihrer Geift- lichen, die Krieger ohne Waffen, die zahlreichen Frauen und Kinder die blonden Häupter mit Frühlingsblumen umkränzt, in den Gafjen des Lagers umbherzogen, und an

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reich geſchmückten Altären nach alter chriftlicher, Schon von Wulfila eingeführter Sitte gleich nach Sonnenaufgang die öfterliche Morgenandacht verrichteten.

Furchtbar war die Wirkung des plöglichen fturmgleichen Überfalls. Niedergeritten waren fofort die wenigen Wachen, die der König, feit auf Stilichos Wort vertrauend, ledig: lich der Kriegsgewohnheit folgend, an den Eingängen der Lager aufgejtellt hatte: fie famen gar nicht dazu, in den Zelten daS Heranjagen der Neiter zu melden. Diefe meldeten fich jelber ſchrecklich an! Sie jprengten mitten in die dichten Haufen der wehrlojen Gebetgänger und was die Säule nicht niederrannten, hieb der fichel- ähnliche Krummfäbel des Alanen, jtredte die neunfträngige Geißel des Hunnen, jeder Strang in eine Eifenfugel aus: laufend, zu Boden. Das Jammergeſchrei der Weiber und Kinder, die in den gelbbraunen, gellenden, jpornenden, mebelnden Neitern mit Entjegen hölliſche Unholde jahen, das Wutgejchrei der widerjtandlos gejchlachteten Krieger jtieg gen Himmel, erwedte die noch in den Zelten Nuhen- den: es drang hinüber in das römische Lager.

Empört erkannte Stilicho, was gejchehen: er befahl fofort, alles Fußvolf und die wenigen ihm verbliebenen Neiter zujammenzufcharen, ordnete jie in aller Eile und führte fie jelbft in der Nichtung auf das überfallene Lager, dem vertragsbrüchigen Blutbad ein Ende zu machen: feinen Sohn ſchickte er auf rajcheftem Roß mit weißem Herold- ſtab voraus, die Kämpfenden zu trennen, Sarus und Saul bei jchwerjter Strafe zurückzurufen.

Aber einjtweilen Hatte jich das Blatt gewendet: die Angreifer waren die Angegriffenen, ja die Eingefchlofjenen geworden: jie Fonnten nicht mehr vorwärts noch zurück.

Als der Lärm des Überfalls, das Gefchrei der Seinen, den König erreichte, geriet er wohl in höchſten Zorn, aber

Dahn, Eämtl. poetifhe Werke. Erite Serie Br. VI. 11

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nicht in Schred: bei heißejter Erregung verlor er nicht die fühle Überlegung des geübten Feldheren, die nur einem Stiliho nicht gewachfen war. Sobald er von dem hohen Streithengjt herab die Drachenwimpel der Alanen, aber feine römischen Feldzeichen erblickte, rief er: „Gott Dan, Stiliho Hat nicht die Treue gebrochen!" es war fein erites Wort! „das iſt nur Saul!“ Und nun Hinter diefem Haufen die Hunnen erfennend an ihren kleinen zottigen Kleppern, jchloß er: „und Sarus hat e3 ange- ftiftet. Nun wartet!" Er gab Ataulf einen rajchen Furzen Befehl: der braufte mit jeinen Neitern jeitwärts gen Süden zum Lager hinaus, während Alarich mit allem erreichbaren Fußvolk, das nun zu den Waffen gegriffen hatte, von Weit nach Dit ich den Feinden gerademwegs entgegenwarf. Dieje waren nach dem Erfolg des eriten Anpralls nicht weit vorwärts gefommen: zuerft hatten fie die hochgetürmten Haufen der Erjchlagenen gehemmt: dann jtießen ihre Gäule in den engen Lagergajjen auf die vie- len Wagen und Karren, den langen Troß des Wagen- zuges: das hielt fie feit: daneben vorbei fonnten fie die Pferde nicht zwängen: bei dem Verſuch, darüber hinweg— zufegen, jtürzte Roß und Mann, während das gotijche Fußvolk zu beiden Seiten der Wagen mit gefällten Speeren und geſchwungenen Schlachtärten auf fie eindrang im Kahefampf mit der grimmigen Kraft der Rache.

Seht erichauten fi) Marich und Sarus. „Fort mit dem Wagen da!“ vief der König. „Schafft mir Platz.“ Sechs Speerträger faßten den Karren und jchoben ihn zur Geite.

„Ah, der Balte!“ fchrie Sarus. „Stirb, Herr König der Goten!“ „Treubrüdiger Hund!“ gab dieſer zu- rüd. Und beide jprengten mwidereinander mit eingelegten Lanzen. Die des Saruz zeriplitterte an der Ningbrünne

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des Königs: zwar flog der unter der Wucht des Stoßes auf dem jattellofen Hengjt bis auf deſſen Hüften zurüd, aber er hielt jich gerade noch und ſah den Feind, in die Kehle durch und durch gejtoßen, vom Pferde jtürzen: heijer Klang jein Todesſchrei.

Da enticharte, wie diefen Horden gar oft gejchah, des Führers Fall jofort die Hunnen: fie rijjen die Gäule herum und flohen. Das Heißt: fie wollten fliehen; aber fi jtießen in vollem Nennen auf die Alanen in ihren Rüden und rijjen dieſe, deren Reihen durchbrechend, in Verwirrung mit jich fort: vergebens mühte jih Saul, die Flucht zu itellen: jeine Alanen gehorchten ihm, joweit fie fonnten: aber nicht die meijterlojen Hunnen.

„Kun denn, meine Drachen,“ jchrie er zulebt erboft, „jo weicht auch ihr! Zurück! Heraus aus dem verfluchten Lager.“ Und er wandte das Pferd dem Ausgang zu. Da erjchraf der jo furchtloje Mann. Der Ausgang war nicht mehr frei: mit lautem Kampfes- bald Sieges-Geſchrei Iprengte Ataulf mit jeiner ganzen Neiterei, die langen Epeere vorgejtredt, gegen die weichenden Alanen, Die fliehenden Hunnen heran. Im Augenblick waren beide Geihwader zurüdgeworfen in das Lager hinein in die Lanzenreihen des grimmig verfolgenden Fußvolks Alarichs.

„Hui,“ knirſchte Saul, „das hat der fchöne Ataulf getan. Wart', Milchgeficht, ich mach’ dich noch jchöner.“ Und jcharf gezielt, gerade zwijchen die Augen, fchleuderte er den furzen Wurfipeer gegen den Goten. Aber Ataulf ihlug das Geiho mit dem Langjchwert zur Seite und Ipaltete mit dem zweiten Streiche des Alanen ſpitze Mütze bon ſchwarzem Lammfell und auch den Kopf darunter big ins Kinn. Grell freifchten jeine Reiter, al3 fie den viel- jährigen, tapfern Führer fallen jahen.

In dieſem Augenblick erreichte Eucherius, ſich durch

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die Hinterften Reihen Ataulfs drängend, diefen: er minfte mit dem weißen Stab und rief: „Halt ein! Stilicho ift ſchuldlos!“ „Das glaub’ ich! Aber deine Drachenbrut!” Und er hieb wieder einen Alanen vom Gaul. „SH rufe fie ab! Sch führe fie fofort zurück.“ „Nein,“ lachte Ataulf, „wahrlich nein! Schau die erjchlagenen Frauen am Boden! Da vorn mäht der König die Hunnen: Die Alanen find mein. Gebt haben wir die faljchen Wölfe. Nicht einer fol zurück!“ „Nicht einer!" jauchzten die nächjten Goten.

Eucherius erfannte die Unmöglichkeit, die zornigen Rächer umzuftimmen. Er jagte zurüd zu dem Vater, den er bereit3 auf halbem Wege nach den Yagern der Goten an der Spibe des Fußvolfs fand. Er meldete, was er gejehen, gehört. Der Feldherr hielt das Pferd an, er fann einen Augenblick nad): er juchte Rat.

„Überlaß fie doch,“ mahnte Adalger an feiner Seite „ihrem Schickſal. Sie haben's reich verdient, die Treu- und Ehre-Brecher!" „Des Kaiſers bejte Reiterjcharen? Nein, ich darf nit. Sch muß fie retten! Aber wie? Wie am ficheriten, am raſcheſten? Ad, ich hab's! NRechts- um! Bormwärt3 auf das andre Lager der Goten! Dort haben fie die meiften ihrer Weiber, ihrer Kinder. Gehen fie diefe gefährdet, gebt acht, wie jchnell fie von unſern Reitern laffen. Borwärts! Nach rechts! Im Sturmjchritt auf jenes Lager.“

Er hatte recht. Sowie Marich und Ataulf die ganze Wucht des römischen Fußvolfes in ihrem Rüden auf das größere Lager fallen fahen, bald jcholl der Kampfruf der Männer, das Gejchrei der Weiber zu ihnen herüber wandten fie ſich, diefen zu helfen: Mlanen und Hunnen,

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fo frei gegeben, jagten, was die Gäule laufen Fonnten, zurüd ins römiſche Lager: fie Fonnten heute nichts mehr leijten. Aber Ataulf Hatte eine weite Schwenfung um das Fleinere Lager herum zu vollziehen, bis er in den Kampf um das größere eingreifen konnte: er kam zu jpät.

Der Sieg Stilichos auf dieſem dem nördlichen Teil des Schlachtfeldes war rajch entjchieden: er hatte mit der erdrücenden Übermacht feines Fußvolfes der treff- lihen germanijchen Söldner zumal den Widerjtand der gotischen Berteidiger hier jchnell überwältigt, das Lager genommen, in Brand gejtedt, viele Wehrunfähige gefangen.

Utaulf und auch der früher eintreffende König fonnten nicht mehr erreichen als die Flucht des Volkes, den Abzug auch des ſtark geſchwächten Heeres in die ſchützenden Mauern des Städtleins Pollentia im Rüden des Nordlagers zu

decken. Und auch dies gelang nur durch immer wieder—

holte Vorſtöße der beiden unermüdbaren Führer, die Ber- folger aufzuhalten. Doch dieſe Verjuche halfen immer nur auf furze Zeit und wurden unter jchwerjten Verluften der ſich aufopfernden Nachhut ausgeführt. So ward der Tag von Pollentia troß der Niederlage jeiner Neiterei Schließlich ein großer Sieg Stilichos.

XIV.

Ein wie großer, den ganzen Feldzug entfcheidender, das jollte Bejiegten und Siegern in feiner ganzen Be- deutung erjt der folgende Tag zeigen. Noch am Abend des Sonntags umſchloß der Feldherr die Kleine, nicht fturmfrei befeftigte Stadt von allen Seiten: am nächſten

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Morgen follten die niedrigen Mauern, die morſchen Tore fallen: und dann war das ganze Wandervolf, waren auch die stark gefichteten Taufendichaften der Krieger Gefangene, das Heißt Sklaven in der Römer Hand. Stilicho über- legte nur noch, ob es nicht klüger und menschlicher? ſei, die Eingefchlofjenen in wenigen Tagen zur Er- gebung zu zwingen Durch den Hunger.

Das Landitädtlein mit feinen nicht zchntaufend Ein- wohnern hatte nicht Lebensmittel genug, auch nur ganz furze Beit die plößlich darin eingepferchten Mafjen zu er- nähren, die faſt jämtli auf den Straßen lagerten: die Häufer boten neben den Einwohnern faum den Verwundeten ausreichend Unterkunft: die reichen Vorräte, die der König, überallher zufammengerafft, mitgeführt Hatte, waren mit den beiden Lagern in die Hände der Gieger gefallen.

Während Stiliho die für den nächſten Tag zu treffen- den Maßregeln überlegte, traf in dem Zelt des nördlichen Goten-Lager3, darin er die Nacht verbringen wollte, ein Bote des Königs ein, der für diefen und Ataulf freies Geleit erbat behufs einer Unterredung „wohl die lebte im Leben,“ jollte der Herold melden. Sofort ward fie gewährt und alsbald erjchienen die beiden in arg zerhämmerten Helmen und Brünnen vor GStilicho, der feinen Sohn und den Marfomannen herbeibejchieden Hatte.

Er ſchritt den tiefernjt und tieftraurig, aber nicht zornig darein Blidenden entgegen: „Es war nicht meine Tat, geihah gegen meinen Willen.” „Ich weiß," erwiderte der König, die hingereichte Hand ergreifend, „ſonſt ftünd’ ich nicht vor dir." „Nicht einen Augenblid Hab’ ich's geglaubt,“ ſchloß Ataulf. Erfreut ſprach Stilicho: „Dank! Du kommſt nun, abermals zu verhandeln?“ Der König nidte: „Und weitres Blut zu ſparen.“ Nach—

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denflich erwiderte der Feldherr: „Es ift billig, ich feh’ e3 ein! daß euch Genugtuung wird für den treue brecheriichen Verrat, für den Riß durch das Necht aller Völker. ch ſchulde euch das. Zwar, hättet ihr den Kampf abgebrochen, al3 mein Sohn mahnte . . .“ Beide Goten fuhren auf: „Und die Verräter, die Mord- buben ungestraft entfommen laſſen?“ vief Ataulf. „Das fannjt du jelbjt nicht ernjthaft meinen,“ ſchloß der König. „Du hätteft ung helfen jollen gegen fie.” Der Feld- herr zucdte die Achjeln: „und zujehn, wie ihr des Im— perators ganze Neiterei jchlachtet, noch dazu helfen? Nein! Sie wären ihrer Strafe nicht entgangen. Jedoch: ich wiederhole: Genugtuung gebührt euch: ich bin in eurer Schuld: was verlangjt du zur Sühne, König?" „Nichts für mich: tot liegen die Neidinge: das genügt mir. Aber mein Volk! Gtet3 vergijjejt du, daß ich nur Lebe für mein Boll. Thiudans, Volkskönig, heiß ich. Was kannſt du als Sühne bieten den Kindern für die gemordeten Eltern, was den Eltern für ihre Kinder, den Witwen für die Gatten? Gewiß zwar wirft du den Befiegten, Ein» geichloffenen nicht gewähren, was du den Unbefiegten vor diefer Mordichlacht abgeschlagen haft: freien Durchzug nach Afrika. Nicht das darf ich verlangen. Allein du ſelbſt ſprachſt zuerſt das Wort: Genugtuung. Sühne, Volks— ſühne will ich's nennen: du ſchuldeſt ſie dem grauſam getäuſchten Gotenvolk, das Stilichos Treue vertraute und maßlos dafür litt.“ Der Feldherr ſenkte die hohe Stirn und ſah erſchüttert vor ſich hin. Er ſchwieg. Eucherius trat an ihn heran und legte leiſe die Hand auf ſeine Schulter.

„Oder willſt du wirklich,“ hob nun Ataulf an „ich leugne nicht: du kannſt es! morgen in jene Mauern dringen und abermals viele Tauſende von Wehrloſen neben

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uns Rriegern erfchlagen oder verfnechten? Willft du e3 denn ganz ausmorden, das Volk der Weſtgoten?“

Mit rafhem Kopfichütteln ermwiderte Stilicho: „Nicht, wahrlih nicht, kann ich's vermeiden. Gedenfe, mein Alarich, an Pholoe und meine dort enthüllten Pläne. Aber ich bin des Imperators Feldherr. Pflicht und Neigung reißen mich nach rechts und links, fie zerreißen mich noch! Sprich daher, König, welche Sühne verlangjt du für dein Volk?“

„Freien Abzug aus Italien.“ „Wohin?“ „Wohin du willſt.“ „Om, das... das muß reiflich überlegt ſein. Jedenfalls ſchelten ſie mich wieder Verräter, laß ich euch überhaupt entrinnen. Aber das gilt mir gleich: ich bin's gewohnt. Allein wohin?“ fragte er nun ſich ſelbſt. „Etwa nach Oſt-Illyricum?“ meinte Ataulf und der König nickte, auch Eucherius und Adalger ſtimmten bei. „Was fällt euch ein,“ zürnte Stilicho. „Iſt Oſt-Illyricum mein? (Will ſagen: des Honorius.) Es gehört ſo gut wie Afrika Byzanz. Kann ich Arcadius berauben?“ „Oh, um dieſen Wahn der Treuepflicht!“ rief Alarich. „Glaubſt du, Byzanz, Arcadius würden einen Augenblick zögern, dich zu vernichten, könnten ſie's? Sch ſagte dir doch: einen Preis auf deinen Kopf..." „Sleichviel! Sch ſchütze auch des Arcadius Befib und Grenzen. Sch reiße nichts von feinem Neiche ab und niemals werd’ ih... .“

Da meldete die Zeltwache: „Eine gejchlojjene Sänfte, Magifter militum, trifft ein im Lager, begleitet von einigen Keitern. Ihr Führer nennt fich Claudius Claudianus: er verlangt dringend fofortiges Gehör." „Mein Claudian!“ rief Eucherius hinauseilend. „Er kann nur aus Mailand fommen vom Hof,“ ſprach Stilicho erjtaunt. „Führt ihn herein." Schon z0g ihn Eucherius an der Hand in

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das Belt: jener neigte fich, jein Antlit zeigte hohe Erregung; er fand nicht gleich Worte.

„Willfommen im Lager, Poet. Wichtiges muß es jein, was dich bewog, den Hof zu verlaffen. Sch hatte dir doch befohlen, über Honorius zu wachen, die Nänfe meiner Feinde zu vereitelm oder doch mir zu melden, zufammen mit meiner Gönnerin Placidia, die...“ „PBlacidia, Herr, iſt nicht mehr am Hof." „Wo it Placidia?* fragten alle fünf Männer zugleich.

„Hier iſt Placidia,“ antwortete eine wohllautreiche Stimme und fächelnd ſchwebte die herrliche Gejtalt herein. „Placidia!“ rief Ataulf und, alles ſonſt vergefjend, ergriff er mit beiden Händen ihre Rechte: fie ließ fie ihm willig.

„Was ift mit dir gefchehen?“ forjchte Stilicho ftaunend; er jchob ihr einen Beltjtuhl Hin. Aber fie blieb jtehen: „Danke! Bin genug gejejlen und gelegen in der engen Sänjte von Mailand bis hierher. Was mit mir iſt? Berbannt bin ich vom Hof, in Ungnade fortgejchidt." „Unmöglich!" rief Eucherius. „Was ift unmöglich bei

Honorius?“ erwiderte fie. „Und warum?“ fragte der Feldherr. „Warum? Weil ich feinen fchändlichen Undanf gegen dich endlich” einmal es riß mir die

Geduld und der Zorn verbrannte die Klugheit! beim rechten Namen nannte, weil ich die Nänfe, die er mit Byzanz gegen dich jpinnt, aufdedte, und dich zu warnen drohte. Und noch aus einem Grunde, der” fie errötete „euh Männer nichts angeht." „Was für Nänfe mit Byzanz?“ forſchte Stilicho. „Der PBrotonotar Archelaos, der Führer der letzten Gejandtichaft des Arcadius, fie famen und gingen jebt unaufhörlih! verlor bei feiner Berabjchiedung von mir eine Papyrus- Rolle: ich las fie auf: fie enthielt den zwiſchen den beiden

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Höfen abgeichlofjenen Bertrag: Hier ift er: lies! Er geht dih nahe an.“

Er begann zu leſen: da entfärbte fich fein Antlitz: es zudte ihm wie MWetterleuchten über die Stirn: „Wie? Was iſt das? Erjtens: Weſt-Illyricum wird vom Weft- reich abgeriffen und Byzanz abgetreten: aber nicht für Byzanz: vielmehr hat es Arcadius bereit abgetreten den Sazygen, . . ..“ „Den wilden räuberiihen Sarmaten!“ rief Eucherius, „deren er fich nicht mehr erwehren kann.“ „Ein Erzraubgefindel," warf Adalger dazwiſchen. „Nächſte Vettern der Hunnen!“ lachte der König.

Aber Stiliho fuhr fort: „Schon find dieſe greulichen Unholde unterwegs dahin. Dafür zahlt Arcadius an Honorius dreitaufend Centenare Silbers Stilicho, jagt der Bertrag, wird fich dem widerſetzen“ ‚wahrjcheinlich‘ unterbrach er felbjt jein Lefen. „Alsdann wird er feiner Ämter entſetzt .. ..“ „Weiter nichts?“ Tachte Adalger, den Schwertgriff drüdend. „Doch Freund! Noch mehr. ‚Die Ehe mit Thermantia wird gelöft ah niederträchtig, mein armes weißes Lamm! Welche Schmach! Und das ganze Gejchlecht wird für immer nach Sardinien verbannt.‘ Kein, Honorius, das ift zu viel!" ftöhnte der Gequälte in bitterjtem Weh. „Das fand ich auch,“ ſprach Placidia, „und jagte ihm das recht deutlich. Sch verriet aber nicht die Duelle meiner Kenntnis. Hier, Claudian, der treue Poet, verwahrte mir die Rolle, und al3 der erbojte Bruder mid nad) Rom verwies, begleitete mich der Wadere, ja, er folgte mir in das gefährliche Wagnis, in Genua den begleitenden Brätorianern mit meinen Sklavinnen zu ent- ihlüpfen, zu Schiff nad) Albigaunum zu entfliehen und, al3 wir die Nähe deines Lagers erfundet hatten, zu dir zu eilen.“

„Herrlih!" rief Ataulf. „Und kamſt du gejtern in

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dies Zelt, fo trafjt du darin mich und warſt meine Gefangene.“ „Welh Unglüf dann!“ feufzte fie Shalk haft Lächelnd. Dies Lächeln entzüdte den Goten. „Aber,“ mahnte CYaudian, „Eile tut not, Magifter militum: was immer dur bejchliegen magſt: eile! Schon traben die Röflein der Sazygen gen Illyricum.“

Stiliho Hatte mit raſchen Schritten ſchweigend das Zelt durchmeſſen: jeßt blieb er plößlich jtehen: „Sie ſollen's nicht haben, die Scheujale! Nichts vom Weſtreich wird los— gerijjen, ich hab’S gelobt, ich halt’ es. Auf, Gotenfönig, raſch: nun ift dir geholfen. Führe dein Volk nach Weft- Illyricum, al3 mein Vertreter, mein Feldherr und des Honorius Statthalter. Er wird nicht wollen, meint ihr? Ab, ich fage euch“ er jtampfte heftig mit dem Fuß „er wird wollen müſſen! Geht, ihr Goten, ſchützt mir im Dienjte Roms römiſch Land gegen Barbaren! Siehft du, Freund Alarich: num erfüllen fie jich doch, meine Pläne von Pholoe! Goten als Helfer Roms fämpfen gegen wüjte Barbaren. Schütt eure neue Heimat.“

XV.

Und an dem Tage, der die unvermeidliche Vernichtung des Gotenvolfes hätte ſchauen müſſen, jegte ſich der lange Zug aus den Toren von Pollentia gen Dftnordoft in Be- wegung. Eucherius, Adalger, Claudian und zahlreiche andere Heerführer und Vertraute Stilichos geleiteten die Abziehenden, Gewalttaten der Goten gegen die Bevölkerung, wie Angriffe römifcher Scharen auf jene zu verhüten. Alle Fragen, die bei dem Abzug aus der Halbinfel, dem Ein-

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rüden in Illyricum, der Anfiedelung dajelbit, der Einfügung in dag Weſtreich auftauchen fonnten, wurden in dem von Stificho entworfenen, von Alarich mit wenigen Änderungen angenommenen Föderat-,, d. h. Bindnis-Vertrag genau geregelt und im voraus entjchieden: einen Bündnis- vertrag mit dem Neiche zu jchließen fträubte jich der Stolz des Balten nicht: jeit Menjchenaltern waren alle gotifchen Bölfer hieran gewöhnt und nicht der Kaifer, ihr König follte ja an der Spite des Gotenftaates in Illyricum ftehen; der Zorn der beiden Imperatoren kümmerte den Balten wenig.

DOrtsfundige Wegweiſer Eingeborne geleiteten die Abziehenden. Bald Hinter Bollentia überfchritten fie ein unbedeutend Wäſſerlein, ſchmal und jeicht, nur Die Wagen etiva mußten ſich einer Furt bedienen. Alarich ritt ohne Schwierigkeit durch das Flüßchen: „Wie heißt es?“ fragte er den Kolonen, der das Roß am Zügel führte. „Roma. „Was? Wie?" „Roma, Herr!! „Alſo Dies die Erfüllung der Weisjfagung! Trügerijches Bolt der Geber, der Wahrjager! Un-Wahr-Sager find fie!“

„Was ſchiltſt du?“ fragte Eucherius, der neben ihm ritt. „Ei, vor dem Aufbruch nach Stalien befragte ich eine ‚Pythoniſſa‘ jo nannte fie fih zu Larifja, ob ich auf diefem Zuge Rom Roma! erreichen werde. Die alte Bettel blidte lang in ihren jchwarzen Zauberſud: dann ſprach fie zuverfichtlich: ‚Sa, Herr, du wirt auf diefem Zuge Nom erreichen.‘ Bad, dies Ninnlein hat fie gemeint. Ataulf! Man muß es ihm fagen. Auch er Hat feit daran geglaubt. Ihm hat fie verheißen, er werde die Kaifertochter erreichen. Wo ift Ataulf?“

Aber Ataulf war weit voraus. Dringend, fo gut es vor den andern in dem Zelt gejchehen mochte, hatte er von

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der Geliebten eine Unterredung noch vor Nacht erbeten: den Finger auf den Mund legend, hatte fie leife das Haupt geſchüttelt. Am andern Morgen hatte der Glühende vor dem Aufbruch fie im Lager Stilichos in dem ihr ein- geräumten Zelt gejucht: er hatte es Teer gefunden: fie war nirgends zu erfunden. In bittvem Weh war er dann aufgebrochen. Gejtern noch hatte er die Herrliche nah, fo nah geiehn: heute mußte er ihr den Rüden wenden

auf unbejtimmte Zeit vielleicht für immerdar! Sn wahrem Grimm des Schmerzes hatte er die Führung der Borhut ſeiner wadern Reiter übernommen, aber

auch das vorderjte Gejchtwader weit hinter fich gelaffen, in den lachenden Frühlingsmorgen Hineinjprengend, als gelte e3 vor ſich das Glück zu erjagen, das er doch wohl für immer hinter fich gelajjen. So war er, den Seinen weit voran, ganz allein in ein wenig dichtes Pinien-Wäldchen gelangt, in dem die breite Heerjtraße nad) Dften mehrfach durch ſchmale Seitenpfade gefreuzt ward.

An der Einmündung eines jolchen Quermweges von rechts, von Süden her, der rajcher zu dem Lager Stilichos führte, jah er ein paar Reiter und eine Sänfte halten, die offenbar auf den Zug der Goten warteten. Sowie er heran war, öffnete jich die Sänfte und heraus trat Placidia. In heißem, ſüßem Screden jprang er vom Pferd und eilte auf jie zu: da jah er mit Staunen, daß ihre beiden Handfnöchel ein goldenes Kettlein umfchlofjen hielt. „Placidia! Geliebte!“ rief er. „Was bedeutet das?“ „Das bedeutet,“ Tächelte fie, „Daß die Schweiter des Imperator, mit dem du Krieg führit, Friegsgefangen in deine Hände fiel. Nimm mich, ich bin dein. Sch kann nicht anders. Lange, lange hab’ ich mich gewehrt gegen den Apollo der Germanen: aber er ijt jtärfer als mein Stolz. Und glaube nicht, ich komme, weil ich nicht

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zurüd fann: vier Boten und Briefe hat mir mein Bruder stachgejandt ſchon bis Genua, meine Rückkehr erflegend, mir vollite Herrichaft in Palaft und Reich verjprechend: ich aber will zu dir, dir dienen als dein ſchmiegſam Weib: dich lieben, von dir geliebt werden ift köſtlicher alS den ganzen Erdfreis beherrſchen!“

Diertes Bud.

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Gleich hierauf führte den Magiſter militum der Rück— weg nach Mailand über Pavia. In dieſer ganz über— wiegend von Römern beſetzten Feſte war es wiederholt zu Reibungen, zu offenem Streit, zuletzt zu blutigen Händeln gekommen zwiſchen einer ſchwachen Schar germaniſcher Söldner Frieſen waren’3 und Franken —, die vor der Stadt lagerten auf ihrem Weg über die Alpen, in Öallien und Rätien die entblößten Grenzen wieder zu bejeßen, die einjtweilen nur von jenen beiden Königen waren gehütet worden mit mufterhafter Treue und beſtem Erfolg.

Stiliho hielt jtrenges Gericht in der Stadt: es hatte fi herausgejtellt, daß wieder einmal, wie fo oft gejchah, die Römer, wo fie fich in erdrückender Überzahl wußten, plöglich über die „Barbaren“ hergefallen waren.

Sn Europa wie in Kleinafien waren folche „Veſpern“, in denen auch die Weiber und Kinder der angefiedelten Söldner ermordet wurden, jchon jeit zwei Jahrhunderten nicht jelten gewejen: der alte Haß, die Verachtung der „Ketzer“, die junge neidische Eiferfuht auf die Bevor: zugung durch den „Vandalen“ bedurften zu ſolchem Auf- fladern feines Grundes, faum eines Vorwandes.

Schwere Strafen hatte „der Mann“ über die Schul-

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digen in Pavia verhängt: ein Genturio der „Kohorte der Samniten”, der drei Friejen nacht3 in ihrem Zelt im Schlaf erdolcht hatte, ward mit gefejjelten Händen an ihm vorbei zum Tode geführt: er blieb vor defjen Pferd ftehen: „nur noch eine Frage, Vandale.“ „Meagifter militum bin ih.“ „Sa, jo nennt du dich. Aber Barbar bijt und bleibft du! Sprich, warum ziehjt du deine Germanen überall vor? Warum bezahljt du fie beijer als uns Rö— mer?” „Weil fie befjere Soldaten find!” „Ah, bei Mars dem Rächer! Fluch dir! Das ſagſt du mir, dem Samniten? Sahrhunderte hindurch haben meine Ahnen euch Fühejtehlende Barbaren zu Tauſenden gegriffen und als Sklaven verkauft." „Sa! Aber fchon lange nicht mehr, wenn euch nicht führten Germanen." „Warte nur! Einft werden fie dich doch noch zerreißen, Die Söhne der Wölfin!“ drohte der Verurteilte, die gefetteten Fäufte gegen ihn redend. „Wer oder was wird fie aber dann ſchützen, die Wölflein, vor den germanifchen Bären? Gewiß nicht nächtliche Mordtat, Samnite. Fort mit ihm.“

Ernft, ſchweigſam ritt Stilicho mit feinem Fleinen Ges folge von der Nichtftätte Hinweg den Fluß aufwärts nach „Bons Teffini”, wo ähnliche Verbrechen zu ahnden waren. „Hat Dich der Fluch verjtört, Vater?" fragte Eucherius beforgt. „Nicht der Fluch gegen mich, Lieber Sohn. Aber der Fluch, der, Unheil brütend, über diefem Reiche liegt: der unauslöfchlihe Haß der beiden Völker. Seit Sahren ſuch' ich fie zu verichmelzen: Hab, Verachtung, Totihlag, Mord ift das Ergebnis. Sollte er dennoch ichließlich Necht behalten, der blonde Gotenkönig? Muß ich doch einft wie jener Decius in den Abgrund jpringen, diesmal in den, der zwischen Römern und Germanen gähnt? Und wird er fi) dann wenigjtens fchließen für immerdar?

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Aber fieh, was drängt fich dort lärmend neben dem Flug? Prieſter find’s, Bauern, Liftoren. Rauch jteigt auf am Ufer neben der Brüde. Gebet, Pial- men, Geheul! Sehen wir näher.“

Sein Zug war jebt außerhalb der Mauern von Pavia in gartengleichem Reb- und Dlivenland. Er ſprengte auf das Ufer zu in den dichtejten Knäuel von Menſchen hin- ein. „Was gibt's hier, Diakon?“ rief er einen ſchwarz gefleideten Priefter mit hHaßverzerrten Zügen an. „Ma— giſter militum, ein Strafgericht der Kirche und des Staats. Dieje alte Here da Sibylle rühmen fie die Leute wird verbrannt. Sieh dort den Scheiterhaufen.” „Hier? Auf freiem Feld? Heda, Liftoren, warım nicht in der Stadt?" „Herr, das betörte Volk würde es nicht leiden. Sie halten fie für jchuldlos und ihre Sprüche treffen ein.” „Sa, durch Hilfe der Hölle,“ erklärte der Diafon. „Was hat fie jebt verbrochen?“ „Ge— weisjagt hat fie wieder.“ „Das tut ihr auch, ſo— gar aus der Bibel.“ „Und gezaubert!" „Das tätet ihr jo gern, könntet ihr's.“ „Sie hat ihrem franfen Mann durch blofes Bejtreichen der Glieder die Schmerzen vertrieben, beſchworen.“ „Könnte man doch alle fo be- ſchwören!“ „Und als er jtarb, hat fie ihn, ftatt ihn zu beerdigen, verbrannt." „Das tun wir daheim alle,“ lachte ein jriefischer Reiter. „Berfluchter Heide! Uber im Neiche der Römer jteht darauf jeit Conjtantius der Feuertod: die Kirche gebeut’S und . . .“ „Gemach! Warum gebeut das die heilige Kirche?“ „Weil da geſchrieben ſteht: ‚der Menſch ſoll zur Erde werden, dar— aus er genommen‘.“

Stilicho lächelte bitter: „Alſo tot darf man die Leute nicht verbrennen, aber lebendig? Heiliger Unfinn! Raſch, tapferer Sigiboto, binde die Alte los fie ijt

Dabn, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Bd. VI. 12

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begnadigt und führe fie in Sicherheit." Der Friefe ſprang hurtig ab und zerhieb die Stride. Die Befreite wankte auf den Feldheren zu: eine alte Frau in weißem Haar: fie füßte feinen Fuß im Gteigbügel: „Das wird dir vergolten, Stilicho. DVergolten von den ewigen Göttern!“ rief jie dem bereit3 Davonsprengenden nad. „Nein,“ fnirfchte der Diakon, mit erhobener Fauſt ihm nachblidend, „aber von der heiligen Kirche!“

II:

Nah Mailand zurüdgefehrt, fand der Sieger von Pollentia wie nach dem Entjaß jener Stadt durd)- aus nicht den verdienten Empfang. Diesmal fogar nicht im eigenen Haufe. Serena begrüßte ihn mit ftummer Kälte, die feine jchmerzliche Frage bald in laute Vorwürfe auflöfte: „Du kannſt fragen?“ fchalt fie. „Nie hättejt du den Gotenfünig und fein Volk entrinnen lafjen follen: daß du das getan, weiß bereitS das ganze Reich. Schwer zürnt dir Honorius. Uber Ärger noch ift: du Hajt dieſe gottverhaßten Ketzer, die Verächter des Herrn Chrijtus, losgelaſſen, ja gehegt wider den rechtgläubigen Imperator von Byzanz, den Sohn deines Wohltäters Theodofius: du bradjit dein ihm gegebenes Wort.”

Mit tiefem Schmerz erwiderte der Gejcholtene: „Das follte Serena meine Serena nicht jagen, nicht denken fünnen! Hab’ ich verjprochen, mich nicht zu ver- teidigen, greift Urcadius an? Wem gehört Weſt-Illyricum? Shm oder mir?“ „Seinem von beiden, fondern Ho: norius. Und der hat e3 abgetreten ‚freiwillig‘.

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„Bann Hatte Honorius jemals freien Willen? Diesmal bieß fein Wille: ‚»Olympios!‘ Und abgetreten an wen? Nicht an Byzanz! An die fchnöden Jazygen. Das find Heiden: und jolches billigt die fromme Tochter der Kirche?“ „Beier Heiden, zehnmal bejjer als deine Ketzer.“ EStilicho nidte bitter: „Lehrt Papſt Innocen- tius! Oft jchrieb er mirs. Jetzt Hör’ ich's auch aus dem Munde, ach aus der Seele meines Weibes, das er mir längjt genommen.“ „a, das lehrt er, diefer fchon auf Erden fait Heilige. Er eilte auf die erjte Kunde von Nom hierher, Honorius zu beſchwören, den Bund zu zer- reißen, den du mit den Goten geſchloſſen. Er drang mit Biihof Venerius in mich, dich zu... .“ Unwillig unterbrach der Gatte: „Die beiden haben dich wohl auch gelehrt, mich zu empfangen, wie du ge- tan? O Serena!“ fuhr er weicher fort, „gedenfe doch all der vielen Jahre der Liebe, der Treue, die wir zufammen gelebt, bevor du dich ganz von mir Hintweg und zu den Prieſtern gewendet haft. Vereint ung denn nicht jchon der Schmerz um das Los Thermantias, unſeres armen Kin— de3, das unter dem Saijerpurpur das Weh einer unge- liebten Gattin trägt? Komm, Serena, um unferer Rin- der willen, fehre zurüd zu mir. O fonım in meine Arme.“ Und mit warmer Empfindung trat er auf fie zu. Schroff wich fie zurüd: „Nein, nein! Ich muß dich meiden. Gott will es, die heiligen Bilchöfe gebieten es: du, der Exrretter der Arianer, bijt jett ein offener Feind der Kirche geworden, wie du niemals ihr treuer Sohn gewejen. Du bijt ausgejtoßen aus der Kirche, bis du be- reut haft, bis du vor allem dies heifchen fie! deine ketzeriſchen und heidniſchen Söldner im Heere, die Germanen, von dir geftoßen, ihren Gottes- und Gößen- Dienjt verboten haft. Bis dahin verlaß ich dein Haug: 12*

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die Religiojen, die frommen Frauen der heiligen ung» frau, haben verjprochen, mich aufzunehmen.“ Da fuhr der Gequälte grimmig auf: „Sp geh! Auch das dank’ ich den Priejtern! Nun, bei meiner Treu, es wird vergolten. Jetzt jeßt zu Honorius!“

Aber nicht an dieſem Tage und nicht am zweiten und am dritten gelang es dem ſiegreichen Feldherrn, des Herr— ſchers, den er gerettet, anſichtig zu werden. Der ließ ihm durch Olympios und Carinus ſagen, er möge verſuchen, ſchriftlich ſeinen Ungehorſam, ſeine an Hochverrat ſtreifende Eigenmacht zu rechtfertigen, bevor er der Gnade gewür— digt werde, das Angeſicht des Imperators wieder zu ſchauen.

Tief verwundet durch die Zerſtörung ſeiner Ehe, em— pört über ſoviel Undank ſprach der „Mann“ zu den Bo— ten: „Nein. Ich ſchreibe nicht. Sagt dem Imperator, ich habe ſeinem Vater gelobt, die beiden Reiche in den Grenzen zu erhalten, die er ihnen vorgezeichnet. Weſt— Illyricum gehört zu Rom, nicht zu Byzanz, und die Ja— zygen erhalten keine Scholle römiſchen Landes, ſolang' ich lebe. Er ſoll mich nicht zwingen, daß ich ihn zwinge: ich habe wie die Macht dazu, ſo das Recht.“ Die Boten wurden ſtarr vor Staunen. „Ja, ja; auch das Recht. Sagt ihm das. Er ſoll mich nicht nötigen, ihm das je— mals zu beweiſen. Und ſchließlich ſagt meinem Schwieger— ſohn: er ſieht mich nicht wieder, bis er mich ſelbſt ruft.“ „Da kann er lange warten,“ höhnten die beideu im Fortgehn.

Aber nein: das ſollte gar bald geſchehn. Denn aber— mals zerriß das Gewebe, das in dieſen Tagen geſchäftig und geſchmeidig die Hand ſeiner vielen Feinde um den

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Helden gejponnen hatten, mit eherner Fauft die furcht- barjte Gefahr.

Biſchof Venerius, Olympios, Carinus und Heraclian hatten leichtes Spiel gehabt, den bei aller Willensschwäche eiteln, auf feine Herrichergewalt höchſt reizbar eiferjüchtigeit, jest dreiundzwanzigjährigen Imperator heißer und heißer gegen den eigenmächtigen Bevormunder zu erzürnen: ichon erwog er bei fich einen Haftbefehl oder doch die Umjtellung des Haujes des „Verräters“ durch die ver: läfligen Römer Heraclians.

Allein er zauderte doch immer wieder: aus Furcht, dann aus der langen Gewohnheit des Gehorjams des Schwachen gegenüber dem Starken.

Bitter vermißte der Unschlüffige, der ſtets fremdem Nat gefolgt war, jeine neben dem „Mann“ bisher einfluß- reichte Beraterin ja Beherricherin! —: Placidia. Schwer bereute er ſchon lang, fie von fich gejtoßen, ver- trieben zu haben. „Was war fie auch fo zimperlich, fo ſcheu, das üppige Geſchöpf?“ ſprach er zu fich jelbit. „Einen fo zärtlichen Bruder, einem Kaijerlichen, darf eine fo ihöne Schweiter feine Liebfojung verübeln. Bis vor furzem war ich ein Knabe: aber allmählich regt fich in meinem Blut allerlei allerlei! Aber wie fuhr fie mich an! Sa, jie hob die Hand zum Schlage gegen mein faiferlich Antlitz, als ich nur . . . . Ab, an Thermantia verwies ſie mich, den germaniſchen Eiszapfen. Gibt es denn nicht irgendwo ein Weib, das, ſchön wie Placidia, aber nicht ſo unnahbar iſt? Und nun iſt die Unnahbare gar in des Barbaren Hände gefallen, nein, gelaufen, flüſtert das Gerücht! Gefangen? Wie gern löſt' ich ſie mit dem dritten Teile des Reiches! Aber gar keine Antwort auf meinen Löſungsantrag hat mir jener Ataulf gegeben! Hätt' ich ſie doch wieder mit ihrem klugen, kühnen, ſchönen

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Kopf voller Gedanken! Freilich, fie fprach immer zu Gunften des ‚Mannes‘.

In folchen Gedanken und Selbſtgeſprächen trippelte der immer noch Halb Fnabenhafte, aber neuerlich von fladernden Begierden Entzündete Hin und her auf dem Mojaik-Ejtrich feines Schlafgemaches, das ihm das Arbeits- zimmer erſetzte. Da trat ein Eunuch eilfertig ein und nach der Proſkyneſe überreichte er auf einer Schildpatt- ihale ein verjchnürtes und verfiegeltes Schreiben: „von Lucretius Macer, deinem Comes von Venetien; e3 habe höchſte Eile." „Ah, alles hat immer höchite Eile bei diejem wichtig tuenden Feldherrn. Mir eilt nichts;“ und läflig Schnitt er die Schnüre auf, blidte in den Papyrus und ſank Halb ohnmächtig auf das Nuhebett: „Himmel! Lueretius geſchlagen ein Skythenkönig wie heißt er? Nhadagais in Italien eingedrungen mit mehr als einer halben Million Barbaren er zieht ſchon auf Florenz! Wo ift Stiliho? Ja jo! Raſch ruft mir Stiliho. Er foll fommen! Gleich! Im Augenblid! Sagt ihm, alles fei vergeben. Nein, nein! Das wird ihn erzürnen! Sagt ihm, ich erbitte feine Verzeihung! Aber gleich joll er kommen.“

II.

Und Eile allerdings tat Not! Denn zwar hatte das Entfegen der Stalier die Menge der Barbaren maßlos übertrieben, nicht eine halbe, faum eine viertel Million zählten fie —: aber nicht übertrieben, ja gar nicht zu übertreiben war die Wildheit diefer „Skythen“: dagegen

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waren die Goten Engel des Himmels, meinten die Flücht— linge. Zwar waren unter diejen Haufen auch Germanen, zumal Goten aller Stämme: Dftgoten, Gepiden, Heruler, Rugier, Skiren, Turfilinge, Taifalen, Viktofalen, aber fie verfhwanden unter der Menge ungermanifcher Horden: Hunnen, Jazygen, Alanen, Boranen, Sarmaten, Uturguren, Akazieren und andre kaum jonjt gehörte Namen, dieje ſämtlich Heiden, jene, wenn getauft, Arianer. So hatten denn am jchwerften unter dem Einbruch zu leiden die fatholifchen Priefter, deren Kirchen und Kirchengüter. Und der fogenannte „König“, das heißt der Häuptling dieſer zufammengelaufenen Räuber, der riefenhafte Rugier Rha— dagais er maß jiebeneinhalbmal jeinen eignen Fuß, flüfterte die Angſt tat wahrlich nichts, dies Wüten feiner Horden zu bändigen. Man raunte, er habe einen furcht- baren Eid geſchworen, jeden Fatholiichen Prieſter, deſſen er habhaft werde, zu töten und den Bilchof von Rom auf dem Altar der Petersfirche feinem SKriegsgott Tius als DOpfertier zu jchlachten, jo jeine Eltern zu rächen, die, der- einjt in Möfien gefangen und getauft, auf Anklage von Priejtern von dem Dur von Möfien lebendig jeien ver- brannt worden, weil fie, rüdfällig geworden, jenem Gott heimlich ein Roßopfer dargebracht hatten. Der zwölfjährige Knabe habe das mit anjehn müſſen und damals jenes Nachegelübde getan, das er nun jchredlich erfüllte.

Bon Dften her, aus Pannonien, durch das Tal der Drau und über Ämona (Laibach) brach) wie jo mancher Einfall in Stalien vor- und nachher auch diejer Un- hold in die Halbinjel ein: fein wanderndes Volf diesmal, nur ein ungeheure Heer von Räubern vieler Horden, deshalb viel gefährlicher, weil viel beweglicher und meil nicht gebändigt durch gemeinfchaftliche Volfesjitte und ge- mildert durch die bloße Anwejenheit jchon von Frauen und

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Kindern. Wie eine Lawine ein dünnes Gehölz von Berg- tannen fegte der ungeheure Anprall die jchwachen Neihen der Römer dort im Dften unter dem Comes Lucretius hinweg: fie fonnten nicht daran denfen, das offene Feld zu halten: fo flüchteten fie in die feſten Plätze, die Kajtelle, die Städte, wohin fih auch die gefamte Bevölferung zu— fammendrängte, die zu entrinnen vermochte, bevor die rajchen Hunnengäule der Borhut in die Dörfer jprengten. Sp ergoß fih der Strom der Verwüjtung durch ganz Benetien und alles Land nördlich des Po, widerjtandslos. Denn mit Belagerung hielten fich die ſolcher Kriegskunſt Unfundigen nicht auf: fie ließen auf ihrem Wege liegen; was fich nicht beim erjten Anlauf ergab: „Friede mit den Steinen!" Tachte der Rieſe: jede Gefahr, die jo etwa ihrem Rücken drohen mochte, ließ fie die ungeheure Überzahl ver- achten. Bei Bejello überjchritten fie den Bo: wohl hatten die Umwohner auf Befehl der Eilboten Stilichos die breite Steinbrüde dort zerjtört und alle Kähne verjenft oder auf das füdliche Ufer gebracht: aber lachend Hatten fich Die ungezählten Haufen dicht nebeneinander in den Fluß ge worfen, die zahlreichen Reiter je mit einem, auch mit zwei Fußgängern Hinter fich, dieſe auch ſchwimmend, auf ihre langen Schilde gelegt.

So gelangten ſie fait ohne Verluſt vor Florenz: fie forderten, wie gewöhnlich, die Fejte zur Übergabe auf: dann follten nur die Priejter jterben, die Laien mit Plün— derung davonfommen. Aber in Florenz bejehligte Adalger, der, mit einer Fleinen, doch erlejenen Schar germanijcher Söldner, von dem Feldherrn in Eilmärſchen vorausgejchidt, die Stadt vor mehreren Tagen erreicht und, fo gut e3 die fnappe Zeit verjtattete, in ihren Befejtigungen verjtärft hatte: ein leichtfertig unternommener tolldreifter Anlauf ward mit fchweren Berlujten der Stürmer blutig ab—

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gewehrt: e3 war die erjte Schlappe des grimmen Königs. Er tobte. Aber bald lachte er wieder: „Bah, lafjen wir das alte Net liegen gleich den andern. Auf dem Heim- weg brennen wir fie alle nieder. Jetzt hab’ ich Feine Beit: ih muß zu meinem Freund in Sanft Peter: ich hab's ihm ſchon lang verjprochen. Wort muß man halten. Wir rajten heute noch hier: morgen geht's über die Berge dort im Süden: nad) Nom!“

Aber am andern Morgen jtand auf diejen Bergen „der Mann“! Und zwar in meifterhaft gewählter Stellung jeden Übergang über die Höhen nach Süden und Weſten fperrend. Wohl war er an Zahl gar jehr viel jchwächer als der „Skythe“: aber es waren jeine beiten Truppen Franken, Friefen, Wamannen Marfomannen, andre ger- manische Söldner und er war EStilicho! Zweimal ftürmte Nhadagais Hinan wie ein Bergftier: beide Male erlitt er auf halbem Wege jo furchtbare Verluſte, Nieder- lagen, daß er den Gemaltangriff aufgab: den Weg nad) Norden jperrte das vortrefflich verteidigte Florenz: zum Rückweg nach Dften konnte ſich jein Stolz nicht entjchliegen: jo verbrachte er mehrere Tage in ratlojer, tatlojer Ruhe.

Sn diefer Woche aber brütete die Hite des italifchen Sommers, den Niejenleibern der Nordländer unertragbar, ſchlimme Seuchen aus: das mafjenhaft von den Durftenden getrunfene ſchlammige Flußwaſſer vermehrte das Übel: das böſe Sumpffieber raffte Taufende gerade der Stärkſten dahin, die Leichen, auf dem harten Felsboden (um Fiejole) nicht zu begraben und daher in den Arno geworfen, ver- pejteten Waſſer und Luft. Dazu fam in der zweiten Woche der Mangel, der Hunger. Borräte hatten die fiegreichen und raubfrohen Plünderer nie mitgeführt: wie die Heu- ichrefen von dem Boden lebend, den fie bededten. Von den fruchtbaren Landſchaften Etruriens waren fie abgeiperrt

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durch Stiliho, die Mauern von Florenz und im Rüden duch den Fluß: auf den fteinigen Höhen von Fiejole, wo ſie fich eingezwängt jahen, fanden fie fchon am zweiten Tage nicht mehr, was fie für Mann und Roß brauchten.

Sn wenigen Tagen waren die meisten Pferde ge- Ichlachtet und verzehrt: nur die Hunnen hatten die ge- liebten „Springerlein“ verjchont, deren Hälſe mit den zottigen Mähnen umflammert, die hungrigen Genoſſen ab- gewehrt: „Wie joll ich leben, wozu ſoll ich ejjen, fann ich nicht mehr reiten?“ meinte Bleda, ihr Häuptling: es gedieh ihnen zum Heile: nur von dieſen Berittenen ent- gingen einzelne dem allgemeinen Berderben.

Da, in äußerjter Not, zum Sturm auf die Feljen- fronen Stilichos waren fie nicht noch einmal zu bringen! bejtürmten fie ihren Führer, endlih in den Rückzug nah Oſten zu willigen. Schweren Herzens, verzweifelnd gab er nach: nicht mehr Stolz; und Troß, wie in den eriten Tagen hielt ihn ab, nein, die Erfenntnis, daß dieſer Nüczug der Untergang fei. Denn feit einigen Tagen war ein zweites Heer unter Carinus im Norden und Diten des Arno erjchienen: wie jollten die entmutigten, ge- ihwächten, vom Fieber gefchüttelten Überbleibſel feiner Scharen den brüdenlojen Fluß überfchreiten im Angejicht eines Heeres und im Rücken verfolgt von Stilicho, der gewiß aus feiner unheimlichen Ruhe auf den Berahöhen da oben auf Die ihm Entfliehenden furchtbar herunter— brechen wiirde.

Und als nun Rhadagais zögernd den Befehl, vielmehr die Erlaubnis zu dem Rückzug nach Dften erteilt hatte, da war e3 nicht mehr ein abziehendes Heer, da waren es Haufen verzweifelter Flüchtlinge, welche, Die nußlofen, die hemmenden Waffen wegwerfend, auf den Fluß zu ſtürzten, einzeln, paarweife, oder in wehrlojen,

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hilflofen Klumpen und in das Waller fprangen, wo fie e3 erreichten. Nur wenige gelangten hinüber. Denn von drei Seiten zugleich wurden die Widerjtandunfähigen nieder: gemacht: von den Ufern drüben ergoß fich ein Hagel von Teilen und Wurfgeichofjen jeder Art auf die Schwimmer wie auf Bieljcheiben. Aus den Toren von Florenz traf in ihre linke Flanke ein grimmiger Ausfall Adalgers und tödlich, vernichtend, umflanımerten die Germanen Stilichos ihren Rüden und die rechte Flanfe von Weften und von Süden her. Kampf wagten die wenigjten: ganze Nudel ließen ich von einzelnen Reitern greifen: „Brot! Noch mal Brot vorm Sterben!“ flehten fie.

So wudhs die Zahl der Gefangenen gewaltig: nur einen Goldfolidug, etwa zwölf und eine halbe Mark, zahlten die in Menge herbeijtrömenden römiſchen Sklavenhändler für den Kopf.

Auch Rhadagais war unter den Gefangenen: Adalger hatte ihn, der all’ die Seinen überragte, erihaut und nicht geruht, bis er ihn erreicht und in ungeſtümem Sagen über- ritten: aber vier Krieger waren erforderlich, den auf dem Rüden Liegenden zu fejjeln.

Als er vor Stiliho gebracht ward, verkündete diefer ihm jofort das Todesurteil: der Kaiſer hatte im voraus die Hinrichtung angeordnet: die Ermordung fo vieler Briejter, meinte auch der Feldherr, habe dieje Strafe ver- dient. Trotzig hörte der Gefefjelte ihn zu Ende: dann late er: „Wohl! Aber das wiſſe, ich jterbe, nicht weil ich zu viele Priejter, nein, weil ich einen zu wenig um— gebracht habe: den in Rom. Drum zürnt mir der Krieg3- gott. Aber er hätte mich doch ihn erreichen laſſen jollen. Auf baldig Wiederjehn in Hel, Stilicho.“ Und trogig ſchritt er hinaus.

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Italien aber, das befreite gerettete Italien atmete Hoch auf. Kaum minder der noch unberührte Süden als der verwüſtete Norden, der mit Schreden der Nüdfehr der Unholde und wiederholter Zertretung entgegenjfah. Alle Städte der Halbinjel wetteiferten in danfbaren Ehrungen des Erretters: fie errichteten ihm Bildfäufen, fo Rom jelbjt eine aus Bronze und Silber auf dem alten Forum weihten ihm Inſchriften, benannten Marktpläbe und Tore nach feinem Namen. Sogar der Kaijfer vermochte nicht, ih der Pflicht der Danfbezeugung gänzlich zu entziehen: al3 Senat und Volf von Rom ihn einluden, zur Feier der Siege von PBollentia und Florenz im Triumph in die Stadt einzuziehen, die in den lebten Hundert Fahren nur dreimal einen Imperator in ihren Mauern gejehen hatte, erkannte er die Unmöglichfeit, den Gieger in Diejen Schlachten von deren Feier auszufchliegen. So durfte der denn den Platz zur Linfen in dem Wagen des Triumphators Honorius einnehmen: aber freilich ward das Felt amtlich nicht als Feier jener Siege bezeichnet, während deren der Triumphator, der „durch Chriſtus jiegende Imperator“ in den fernen Mailand gejejfen, jondern zur Feier des Konfulats, das Honorius zum ſechſten Mal zu befleiden die Gnade hatte.

Eucherius ritt in vollem Waffenſchmuck dicht vor dem Wagen der beiden von der milviichen Brüde bis zum Palatin. Mit dem Hochfinnigen Jüngling war eine jelt- jame, aber heilfame Beränderung vorgegangen jeit dent Tage, da Placidia in des Goten Arme geeilt. Wohl fchmerzte ihn bitter der Verluſt des jchönjten Geelen- wunjches: aber diefer Schmerz ſtählte ihn und reifte ihn

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zum Manne. Zumal das Verhältnis zum Vater war noch

inniger, noch edler geworden: der Sohn ging nun völlig auf in dem Schuß, in der Hilfe des von allen Seiten immer jchiverer Bedrohten.

Bor einem neu erbauten Triumphbogen auf dem Wege bom Forum nach dem Kapitol hielt der Sohn das Roß an und las die goldfunfelnde Inſchrift: „Unter den gütigen und höchſt glücklichen Aufpizien der auf dem ganzen Erd- kreis fiegreichen Kaifer, unjerer Herren Arcadius und Honorius, der Augufti, zum ewigen Denkmal des Triumphes, durch welchen fie das Volk der Goten für alle Ewigfeit unterjocht haben, errichteten Senat und Volf von Rom diefen Bogen und ſchmückten ihn mit deren Bildern und mit Siegeszeichen.

Der Sohn flüjterte dem Bater unwillig in das Ohr. Diefer lächelte bitter: „Laß gut fein! Der Bater war groß und daher dankbar, der Sohn ijt Flein und daher undankfbar. Ich tat's nicht um feinen Danf! Wenn nur niemals ein anderer dieſe Lüge in Marmor lieſt mit Hohnlachen.” „Wer?" „Freund Alarich.“

Kurze Zeit darauf follte der jie lejen in dem be- ziwungenen Nom.

„Kur eines foll er, darf er mir nicht antun: unferer Thermantia Tränen noch reicher fliegen machen.“ „Ab, fie, dein und aller Liebling“ „Ausgenommen ihres Gatten! Er foll fie mir nicht Fränfen! Sonſt . ..“ Er brach raſch ab.

An dieſem Tage ſchien Stilicho auf dem Gipfel ſeiner Macht und Herrlichkeit zu ſtehen: aber gerade an dieſem Tage ſchloß ſich um ihn der Kreis der feindlichen Kräfte, die ihn von allen Seiten umzingeln und vernichten follten.

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Am Nachmittag nah dem Prunkmahl, das der Senat dem Imperator und dejjen Begleitern gab, hielt dieſer jeinerfeit3 in dem Circus des Marimus glänzende Spiele ab unter dem braujenden Jubel des römiſchen Volfes. Denn nicht nur Tierfämpfe, auch die jo leidenſchaftlich von den mit Wolfshlut Öefäugten geliebten Gladiatoren-Gemegel wurden gewährt.

Stilicho Hatte den Imperator nicht in den Circus be- gleitet: er hatte jchon das Gelage in dem Palaſt des Conjtantin lange vor dem Ende verlajjen und in feinem Abjteigequartier auf dem Aventin angelegentlih und bis tief in die Nacht hinein verhandelt mit Boten oder Gejandten? in germanischer Tracht, die, den Imperator und dejjen andere Berater jorgfältig meidend, eilfertig und heimlich den Feldherrn aufgefucht und ſich bei ihm ver- borgen gehalten hatten.

Ungewöhnfich früh am andern Morgen meldete fich der bei dem Herrſcher und ließ ſich nicht abweijen von Heraclian, der jebt das einflußreiche Vertraueng-Amt des oberſten KRämmerers Eubicularius befleidete: „Sch werde hier warten,“ ſprach er im Vorzimmer des Schlafgemachg, „bi3 mein Schwiegerjohn ausgejchlafen Hat,“ und er nahm ohne weiteres Platz und vertiefte jich in die zahlreichen Urkunden und Briefe, die er mitgebracht hatte.

Ungnädig empfing ihn der Langjchläfer, der ſich von den Anftrengungen der gejtrigen Genüfje noch nicht erholt hatte.

„AH, nicht eine Stunde Ruhe läßt man mir! Übel begann der Tag: auf dem Tijch des Badegemaches finde ich diefe Meldung da! aus Mailand: ‚Mantua ijt hin.‘ Du ftaunft? Nun ja, freilich nicht das alte Fieberneft am Mincio nein: die Eojtbarjte meiner Fafan-Hennen. Schlimme VBorbedeutung dieſes Tages!

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Was bringit du? Weh, welche Menge Papyrus und Vergament! Im Tiber warten an der Brüde. meine römischen Enten.“

Stifiho furdhte die Brauen: „Laß jet Enten und Sajanen. Und höre jehr Ernjtes. Sch erfuhr erjt jpät in der Nacht, was im Circus gejchah: Hundert Paare Gla— diatoren haſt du hinter meinem Rüden! aufgejtellt: von diejen allen Haft du nur fieben Köpfen das Leben gelaffen: einhundertdreiundneunzig Menjchen Haft du ſchlachten ſehen . . .“ „Pah, meift Gefangene: nur Germanen!“ „Und du haſt auch zugeſehen, wie jener junge Mönch ...“ Honorius zuckte zuſammen. „Aus Ägypten, jener fromme Telemachos, von den Reihen der Zuſchauer herab auf die blutgetränkte Arena eilte, ſich zwiſchen die Kämpfenden warf und beim Namen ‚Chrijtus‘ fie beſchwor, abzulafjen von diefem graufen Morden ...“ „Was hat der Hund gebellt wider den Willen des Kaiſers? Mein Wille ift oberjtes Geſetz.“ „Er flehte dih an, ein Ende zu machen. Du aber..." „SH befahl nur, fortzufahren. Daß er dabei im Getümmel niedergejtoßen ward,” er zudte die Achſeln „ijt nicht meine Schuld.“

„Wenig lieb’ ich die Mönche: aber dieſer war ein Held feines Glaubens. Du läßt die Bilchöfe, die Priejter in Dinge reden, die fie nichts angehen und wo fie wirklich in Chriſti Geijte mahnen, hörſt du fie nicht. Du weißt, auf der Kirche Andringen hat fchon der große Eonjtantin diefe Menjchenmorde verboten: fein Edikt ift nie aufgehoben worden.“ „Gut, fo Hab’ ich's gebrochen!" „SH aber hab’ e3 jveben erneut.“ Statt zu zürnen lachte der Herricher hämiſch und rieb fich die Hände: „Gut! Bortrefflih! Das verzeihen dir die Römer nie!" „Ich mußte fie noch mehr erzürnen. US das Verbot auf dem

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Forum verfündet war, erfchien bei mir der Kuſtos der Sibyllinifchen Bücher, er ift wohl heute noch insgeheim Priejter des Jupiter legte fie mir vor und verlas daraus die Weisjagung, das Neich werde fallen, ſehen Zupiter und Mars dies Blut nicht mehr fliegen.“ „Und du? Was fagtejit du?" „Nichts ſagte ih. Sch erfüllte nur meine frühere Drohung: ich ließ die fibyllinifchen Unheilsblätter verbrennen.“

Honorius fprang auf: „Das wagteft du? Das tatejt du?“ „Sch wage und tue alles, was des Neiches Wohl erheifcht: denn des Neiches Wohl, Honorius, nicht dein Wille, iſt oberjtes Geſetz.“

Jener preßte die ſchmalen Lippen aufeinander: „O wenn ich ihn nur entbehren könnte, dieſen Kopf,“ dachte er, „längſt flog er vom Rumpf.“ Ein ſehr bösartiger Blick aus den kleinen grünen Augen traf den Feldherrn. Aber dieſer fuhr ruhig fort: „Das ſind kleine Dinge im Vergleich mit dem Großen, was ich dir jetzt zu künden habe. Dein Bruder oder vielmehr deſſen Beherrſcherin, ſeine Gemahlin, und meine andern Feinde in Byzanz haben, nachdem der gegen mich gerichtete Plan, der geheime Bund mit dir geſcheitert, wieder einmal um— geſchlagen und den Angriff auf dich beſchloſſen. Nein, zweifle nicht. Sie haben Alarich in Illyricum längſt hat er deine Jazygen in ihre Steppen zurückgejagt! auch Epirus Hat er ihnen entriffen zum Bindnis gegen dich ...“ „Das Heißt: gegen Stilicho!“ dachte Honorius. „Aufgefordert und ihm dafiir abermals verjprochen das Amt des Magijter militum des Drients und achttaufend Pfund Gold. Aber der Gotenfönig hat ihre geheimen Briefe mir geſchickt: Hier find fie.“

„Ah Freilich,“ ziichte der Kaifer. „Das ift der Danf für für feinen Retter bei Bollentia.” „Sa, Honvriug!

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Und du, du danke dem Himmel, daß ich ihn damals verichont habe: jegt rettet er dich. Denn der Wadere erbietet fich, für dich gegen Byzanz zu kämpfen, neben mir, Schild an Schild, die Angreifer ſchon drüben abzuwehren, fo daß nicht abermals die Schreden des Krieges fich über dein Stalien ergießen. Und er verlangt von dir fein Amt und nur die Hälfte des Goldes, das Byzanz ihm bietet.“ ‚Nein, nein. Nicht einen Solidus." Er ftampfte mit dem Fuß. „Sch will nichts hören von diefem Alarich und feinen Goten.” „Sch fürchte, du wirft noch viel hören müſſen von dieſem Alarich und feinen Goten: als Freund oder Feind! Sch muß dich bitten, mir Voll- macht zu geben, den Bündnisvertrag, den ich heut’ Nacht mit feinen Geſandten . . .“ „Aha, aha, aljo Weitgoten waren die Barbaren, die... .“ „Die Olympios und Herackian, in deinem Auftrag meine Wohnung umfchleichend, gejehen und dir gemeldet haben. Alſo Vollmacht, den Vertrag abzufchliegen und heute noch im Senat al3 von dir genehmigt zu verfünden. Denn der Senat muß das Gold dafür bewilligen.“ „So? Und wenn ih num

nicht will?” „Dann“ er erhob ſich „verteidige dich jelbjt gegen Alarih und Byzanz zugleich. Ich lege meine Ämter nieder und gehe nad) . „Uber jo bleib’ doch ſitzen!“ ſchrie Honoriug in anerſter Beſtürzung „sh muß doch überlegen ... einen Tag .

„Kicht eine Stunde. Mlarihs Gefandte "reifen heute Abend ab mit deinem Ja oder Nein. Und ich berufe augenblidlihh den Senat, ihm deinen Entſchluß zu ver- fünden. Mio: ja oder nein, Honorius?" „Ya denn, in aller Dämonen Namen!“ ſchrie der Erbofte. „Gib her.“

Stiliho reihte ihm die in Purpurtinte getauchte Rohr- feder: er unterfchrieb die Vollmacht. „Das Reich dantt

Dahn, Eamtl. poetiſche Werke. Erſte Serie Bd. VI. 13

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dir,“ fprach der Feldherr, den Papyrus an fich nehmend. „Das Reich: nicht ich. ch wäre lieber gegangen. Denn ich) bin deines Palafjtes müde.“ Und er wandte fich und Ichritt hinaus. Honorius aber fuhr auf, warf die Rohr— feder auf den Ejtrich und zertrat fie mit dem Fuß: „Warte, Barbar! Diefe Stunde zahl” ich dir heim. Wie Diejes Nohr zertrete ich dich!"

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In dem „Palaſt der Cäſaren“ trat, von Stilicho eilig berufen, am Mittag diefes Tages der Senat zujfammen, dem der „Barbar” wenigjtens äußerlich und in den Formen mehr Ehren erwies und jcheinbar mehr Einfluß einräumte, als dieje tief gejunfene Körperfchaft unter Soldatenfaifern jeit Sahrhunderten gewöhnt war: gerade um den Haß gegen den „Bandalen“ abzuſchwächen geichah das: wenig jollte es nügen! Bielmehr wurden die Senatoren, plößlich auf jolhe Höhe gehoben, jchwindlig und verfuchten eine Macht wirflih auszuüben, deren Schein ihnen doch nur aus Klugheit oder Höflichkeit ein- geräumt war: freilich regte fich dabei in den Tüchtigjten unter ihnen auch noch ein Wiedererwachen altrömijchen Geiſtes. Sp in dem greifen Lampadius, dem „Princeps fenatus“, der jeinen Stammbaum dur Adoption bis auf die Scipionen zurücdleitete: er war der Vater Heraclians, aber fein Haß gegen den Germanen nicht wie bei dem Sohn auf Neid und Eiferjucht, auf gut-altrömijchen Stolz und Barbarenhaß gegründet. Er zuerſt fand den Mut des Wortes, des Widerjtandes, als Stilicho jeinen

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Vortrag und Antrag geendet, und, unter Berufung auf des Raijers Genehmigung, die Zuftimmung der „Hochehrwürdigen Väter der Stadt und des Reiches“ zu dem mit dem Goten- fönig zu jchließenden Bündnis, zumal zu den zu zahlenden Hilfsgeldern gefordert hatte.

Die flammende Nöte des Zorns ftieg in das bleiche Antlitz des Greifes, als er, raſch aufjpringend, rief: „So it er denn erreicht, der Gipfel der Schmach, entehrt der Senat und entweiht das Haus der Cäſaren. Seit lange freilich tragen wir es jchon, daß die Barbaren Herrjchen in dem Neich des Auguſtus und Trajan. Bepelzte Skythen füllen die Kurien der Städte, tragen in Rom, in Mailand, in Ravenna die höchſten Würden in Heer, Hof und Reid). Die Germanen jind die Männer, wir Römer die Weiber in dieſem Staat. Und ſie helfen zufammen, dieje Barbaren: in diefem Neih, das find wir gewöhnt! Aber jebt reichen bereit die im Reich die Hände über die Grenzen hinaus ihren Stammgenofjen draußen und fie ziehen fie bei den Armen herein, ihre Macht zu mehren. Einen Bündnisvertrag nennjt du das, Vandale, und Hilfsgelder? Ein Vertrag der Knechtſchaft ift es und der Tribut der Unterworfenen. Sch jage Nein, und nein mit mir fagt jeder echte Römer.“ Er fette fih: ein braufender Beifallsruf durchflog die Reihen der Senatoren.

Nun erhob fih, bevor Stilicho erwidern konnte, des Lampadius Nachbar, der wenig jüngere Stadtpräfeft Symmadus, ein gefeierter Redner und Schriftiteller: „Wahr Haft du geiprochen, Princeps jenatus, aber nicht die ganze Wahrheit haft du aufgedekt! Woher denn rührt das Elend diejes Reiches? Warum denn und feit warn find wir- fo tief gefunfen, daß es von Barbaren im Innern beherricht, von Barbaren von außen bedroht wird und nur dur Tribut an andre Barbaren deren Schuß erfaufen

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fann? Seit wann? Geit uns die Götter zürnen, die großen Götter unjrer großen Ahnen, von denen wir ab- gefallen. Abwärts geht es jeit den Tagen des Conftantius, der die Tempel jchloß und die Opfer verbot. Noch einmal ging ung die Sonne des Sieges auf, noch einmal fchlugen wir Wamannen und Perjer, als jener Liebling des un- bejiegten Sonnengotts, als Julianus die Götter verfühnte durch Rückkehr zu deren heiligem Dienft. Aber gleich fein Nachfolger fiel wieder von ihnen ab und grollend fandten fie Niederlagen, Hunger, Seuchen. Wie kann der Römer auf Sieg hoffen, wenn er den Altar der Siegesgöttin in diefen Saal umjtürzt, ihre Bildfäule aus dieſer alten Wohnung der Cäſaren Hinausschleppt? Schaut Hin auf die häßliche Lücke dort mitten in der Reihe der Säulen: leer ift der Drt, verwaiſt die geweihte Stätte: entfernt hat der Imperator auf Drängen jeiner Priejter die Sieges- göttin aus feinem Haufe, damit den Gieg verſcheucht von den Legionen. Und diejer Barbar hier unſer Meijter! verbietet die den Göttern geweihten Spiele und ver- brennt unfere ältejten Heiligtümer. Ich kann nicht mehr weilen in diejem entgötterten Saal, nicht dem Feind der Götter regieren helfen, nicht jeine barbarijchen Helfer be- reichern.“ Damit verließ er haſtigen Schrittes die Ver- jammlung.

Sofort begann nun Stiliho: „Lampadius, ich wünſche dir Glück zu deiner Nede: aber du hätteſt fie vor vier- hundert Sahren halten müfjfen. Du bijt ein echter Römer, aber ein Römer Cäſars, nicht des Honorius. Deinem Freund Symmadhus aber jage, ich habe gejtern dem Smperator in Gegenwart des Biſchofs dieſer Stadt den Nat erteilt, Altar und Standbild der Viktoria hier wieder aufzuftellen. Da erflärte der heilige Vater, dann Kaiſer und Senat und mich aus der Kirche mit Verfluchung

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auszuftoßen. Wollt ihr das, verfammelte Väter?" „Rein! Um Gottes Willen nein! Nur das nicht!“ ging e3 laut durch die Bänfe der Senatoren: die weniger zahlreichen Anhänger der alten Götter wagten kaum Ein- ſprache.

„Und um euch, ihr verſpäteten Diener der Olympier, meine Unparteilichkeit zu zeigen,“ fuhr er mit dem leiſen Lächeln der Überlegenheit fort, „will ich euch mitteilen, daß ih die Not zwingt mich, leer find unfre Kaſſen! auch gegen meine eigne Kirche, die Fatholifche, die Forderungen des Staates durchjegen muß: ich habe heute die Steuerfreiheit aller rechtgläubigen Kirchen aufgehoben: fie müſſen aus den unermeßlichen Neichtümern, die fie aus der Freigebigfeit der frommen Kaijer gefchöpft haben, ein Hein Scherflein ablajjen zur Rettung des Reichs!" „Diefe Unparteilichkeit! Hohn ift fie!“ riefen die katholischen Senatoren. „Den Vertrag mit dem Gotenfönig aber,“ fuhr er jchärfer, ftrenger fort, „den wiſſet es nun! hat der Imperator bereits abgejchlojien: jeht her, hier fteht jein Name. Sch wollte euch ehren, jchonen, indem ich euch erjt zu befragen jchien. Nun ihr aber trogen wollt, lernt, daß ihr nein zu jagen weder Recht noch Macht habt. Wer unter euch wagt es, dem Imperator zu widerjprechen? Das wäre crimen laejae majejtatis. Schaut hinaus zu jenem Bogenfeniter: da rüden fie an, meine germanifchen Söldner, gegen Diejes Haus. Weſſen Namen joll ich hinausrufen als eines Hochverräters?“

Keiner nannte fih: nur Lampadius rief: „Das ift Gewalt, Barbar! Hüte dich! Gewalt geht durch Gewalt zu Scherben.“

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VL

Zu Aulon, in Epirus, in einer ftattlichen römifchen Billa jaßen in dem von immergrünenden Büjchen, von Lorbeer, Dleander, Myrten und Eiben umhegten Garten, defjen weit offene Doppeltür den Blick auf die Straße nad) dem Hafen Hin gewährte, auf hHalbfreisfürmigen niedern Bänfen von weißem Marmor ein blonder Mann und eine dunfelhaarige Frau. Zu deren Geite jtand ein römisches, ſchön aus Zedernholz gejchnigtes Kinderbett, gefüllt mit Pfühlen und Deden römischer Art, aber über ihnen und dem Bett lag ein langer germaniſcher Schild: der trug den Körper des Kleinen. Es war Sommer: doch die hohen und Dichten Edelbäume und Edelbüfche Hatten den ganzen Tag über die Glut der Sonne abgehalten und nun, da jie zu Rüſte ging, wehte von der See her liebliche Kühle durch den hainähnlichen Garten.

Das Baar war mit einer lateinischen Dichtung be— ichäftigt, der Mann ſchien dabei der Lernende, die Frau die Lehrerin zu fein: fie las vor: emſig, geſpannt Horchte der Mann und unterbrach zuweilen mit einer Frage, mo er nicht rafch genug folgen konnte: dann hielt die ſchöne Meijterin geduldig an, wiederholte den Vers langſam und, wenn nötig, erklärte fie ihn im lateinischer Proſa, während der goldlodige Schüler mit dem jtarfen Beige: finger die geile verfolgte; aber oft neigte er dem Kinde zu, das der Mutter lachend die beiden Ärmchen entgegen- reckte.

„Du mußt fchon verzeihen,“ entjchuldigte der Gatte nach einer ſolchen Stockung, „fann ich nicht alles gleich verjtehen. Habe zwar euer Latein gleichzeitig mit der

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Mutterfprache gelernt und ſprech' es und verfteh’ e3 ganz glatt: aber ‚Profa‘, wie du's nennjt! Dies Gejchreibfel jedoch von Stilichos vielgepriefenem Freund Claudian das find ‚poemata‘, Verſe. Ah, und was für lange! Unter ſechs Hopiern in einer Neihe tut er’3 nie. Und es klingt ja auch gar jchön, 's ift wahr... .“ „Pompa ſermonis Latini,“ nickte die Frau und küßte ihren Knaben. „Wirſt auch einmal fo pompös reden, Theodoſiuncule!“ „Wenn nur der liebe Poet nicht in wahrhaft teuflifcher Weiſe . . . .* „Diabolice Heißt es, nicht wahr, mein Söhnlein?“ „Immer alle Wörter auseinanderreißen wollte, die zufammengehören! Oft muß man ihnen um die Ecke der zweiten, ja bis in die dritte Zeile nachlaufen, um ein Adjeftivum nit wahr, fo jagt man?” „Gut haſt du gelernt!" „Zu finden, das nach feinem ihon lang wieder vergeßnen Objeftivum, . . . nicht?“ „Rein, Subjektivum!" „Subjeftivum hinauf will. Zum Beifpiel, hier..." „Sa, Lieber, das weiß ich Schon ziemlich lang. Das iſt eben das Schöne.“ „So? Nun: ich jage Fieber: ich liebe dich, Placidia, weil du jo ſchön biſt, al3 etwa: So weil ich Placidia bijt dich ſchön liebe du." Sie lachte: „Sch höre beides gleich gern. Und verjteh’s. Haben wir uns doch auf Lateinisch und Gotiſch gleich Lieb, du pulcher-fagr: und das griechische ‚zahos‘ kriegſt du obenein mit diefem Kup.” „Du Holde! Aber Griehijch Lern’ ih nicht auch noch!" „Sollit nicht! Folge nur auf Lateinijch hübſch in allem, was ich Dir ſage. Omphale jpielen ift jüß mit einem folden Herakles. Uber daS verftehbt er nicht, mein Barbar! Ad, Ataulf, wie ich dich liebe! Wie glüdlich bin ih!“ „Auch ohne Diadem?“ Tächelte er. „Sch gab dir's zurüd nad Pollentia. Wo ift es?“ „Sch warfs ins Meer nach unſrem Hochzeitstag. Dein fein,

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dein Weib, ift alles. Dh wie töricht war ich, als ich herrjchen wollte ftatt Lieben! Aber du, mein Büblein, du mußteſt noch hinzukommen“ fie wandte fich wieder dem Kinde zu —: „erjt du haft den Kranz meines Glüdes geichloffen: du, Alarich Theodofius! Ah, was der weiſe Stilicho jeit vielen Jahren ſich recht vergeblih! abmüht, zu erreichen, die ‚Verjchmelzung Roms und der Germanen‘, wie er's nennt, Wir zwei beide, wir haben’s ſchön und mühelos und jelig erreicht: da liegt es vor uns, ftrampfend, ftrogend von Lebenskraft und Lebensluſt.“

Eine bange Ahnung ſtieg dunkel auf in des Goten lichter Seele: „Wird er uns bleiben, der Knabe?“ Aber er ſchwieg und ſtrich mit der Hand über die Stirn, wie um Gewölk zu verſcheuchen.

„Run aber, mein Herr und Schüler und Gemahl, mußt du belohnt werden für das trodne Lernen. Ich weiß: dies iſt deine durjtige Stunde: die Sonne ſinkt oder bejjer: deine durſtigſte, o ſchönſter der viel trinfenden Germanen. Sch will rufen... .: aber fchau, dein treuer Hailfwinth, der kennt dich noch beifer, weil länger, als Placidia. Da kommt er jchon aus dem Haufe mit dem Miſchkrug. Der erite, der treufte deiner ‚Gefolgen‘. Sch hab’ es verjtehen gelernt, weshalb gerade der dein Mund— fchenf ward: bei uns ſind's ©flaven, bei euch ift’s das wichtigjte aller Hausämter, fait ein Staatsamt.“

Der mädtige Mann in gotifcher Gewandung und Gewaffnung brachte aus dem Wohnhaus über die Borphyr- ftufen in den Garten herab einen Heinen Krug Weines, | einen breiten Miſchkrug und zwei filberne Becher: er ftellte fie auf den runden Marmortifch vor den Gatten, neigte fi) und wollte wieder gehen. Aber Ataulf winfte ihm zu bleiben: „Die Herrin, die meine wie die deine!

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Schalt fo ſchlimm über unjer Trinfen! Sie joll wenigſtens wiſſen, warum,” lachte er. „Von morgen ab den Wein in den diden, das Wafjer in den dünnen Krug.“

Er jchenkte einen der Becher aus dem Weinfrug voll, und reichte ihn dem Mann: „Da trinf, herzhaft: gotischen Schluck! Schau her, Kaiferfind, fiehit du da über Stirn und Wange die tiefe Narbe ziehn? blutrot? Der Hieb galt mir in jener Mordnacht an der Adda; der Treue fing ihn auf für mich! und stieß zugleich den Hunnen vom Gaul.“ „Sa, jene Nacht, die Flammen- nacht!” Die Miene des Gefolgen verdüfterte fich: er ftellte danfend den leeren Becher auf den Tiſch und wandte fich dem Gartentore zu.

Plöglih blieb er wie angewurzelt ftehn und redte jprachlos beide Arme gen Himmel: „Ah, Himmel- vater! Sie... . fie iſt's! Nur viel fchöner. Ihre Seele! Hailiko!“

Das Ehepaar erhob ſich erjtaunt: in der offenen Gartentür ftand auf der Schwelle ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren in weißem Wollgewand: das blonde Haar flutete gelöjt auf die Schultern: fie trug einen Stab in der Hand. Bögernd blieb jie eine Weile ftehn: dann rief fie jauchzend: „Bater! Vater!“ „Du biſt's! Du ſelbſt!“ Sie ließ den Stab fallen und eilte auf Hailftwinth zu, der fie jtürmifch in die Arme fchloß.

Placidia war nun heran: „Sit das... .? Sa, ja, gewiß! Deine Tochter, die du verbrannt geglaubt in jener Nacht." „Sa, Te iſt's!“ rief der Vater, fie los— lafjend, um in ihr Antliß zu ſchauen. „Nur größer.... jchöner: wie ein Engel des Herrn.“

Kun ward in der Türe ihr Begleiter fichtbar: ſcheu hielt er fi zurüd: aber Ataulf ging auf ihn zu: „Gehört der zu dir?“ fragte er Hailifo. „Sa, freilich, freilich!

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Der gehört zu mir! Komm, Freund!“ Und fie zog ihn

an der Hand herzu: „Vater, der da... .: der hat dein Kind gerettet... . mehr als einmal. Will fagen: dur ihn der Himmelsherr. Aber die Mutter? Die Geſchwiſter? Wo , . wo find fie?" Mit tiefernftem

Blick nad) oben hob der Bater die Hand: „Dort!“ „Dh, die Mutter! Die Schweitern? Das Brüderlein?“ „Ale! Sch kehrte, nachdem ich den Herrn geborgen gejehn, nochmal zu den Zelten zurück und ſuchte ich jah faum aus den Augen vor Blut und fand fie endlich erichlagen. Alle jehs! Die Mutter hielt den Säug- ling noch im Arm. Nur du fehlte. Sch rief dich ich ſchrie deinen Namen —: feine Antwort und feine Spur von dir in dem Schutt, der Aſche der Zelte. Da floh ich und weinte um euch alle.“

„Aber num erzählt ihr beiden!" mahnte Ataulf. „Doch erit Yabt euch! Trinft. Hier ſetzt euch alle drei zu ung.“

Und nun berichteten die Kinder, in Wechſelrede fich ablöſend und ergänzend, ihr Bujammentreffen auf dem Schlachtfeld und ihren Aufbrud. „Und vom Grabe meines Ahns Hinweg verfolgten wir die Spur des Gotenheeres. Wohl war ſie leicht zu finden: aber überall famen wir zu fpät. Denn nur gar langjam kamen wir vorwärts." „Betteln wollten wir nicht: jo mußten wir arbeiten, unfere Wegzehrung zu verdienen.“ „Arbeiten?“ Tachte Pla— cidia, beide Becher wieder vollichenfend. „Ihr Kinder, was könnt ihr denn?“ „OD viel, jchöne Herrin,“ er- twiderte da3 Mädchen, „man fann viel, wenn man nur muß: die Not ijt Scharfe Lehrerin. Sch hütete Geflügel, auch Schafe und Ziegen auf den Billen am Wege... . .“ „Und ich die Pferde. Nachdem ich fünfmal herunter: gefugelt,“ Lachte der Knabe, „konnt' ich reiten. Und

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Hailiko Fonnte fo zierlich ſpinnen und weben . . ..“ „Die liebe Mutter hatte mich's früh gelehrt. Aber mein Freund hier, gar viel hielten auf ihn als Gärtner die Reichen in den Villen: er verjtand die Weinberge und die Blumen fo gut zu pflegen... ." „Ei, das hatte id) dem Ahn abgejehn. Hatten wir jo wieder ein par Drei- linge beifammen, jo ging es weiter.“ „Und es gibt doch viel mehr gute Menjchen als böje,“ meinte Hailifo. „Ganz abgewiejen hat ung niemand.” „Did ab- weiſen?“ Tächelte Placidia, über das blonde Köpflein jtreichend. „Wer könnte das?" „Sm Öegenteil,“ fuhr Sulianus fort. „Oft wollten fie uns länger, wollten uns auch wohl für immer behalten.” „Wie Ataulf und Placidia tun werden,“ jprach diefe. „Aber wir machten uns immer wieder los,“ erzählte Hailifo. „Sch mußte ja doch zum Vater, ach, zu den Meinen.“ „Und ich zu König Marih. Wo... . wo it er? Ih muß.... der Ahn gebot ... * Er fprang auf. Ataulf z0g ihn wieder auf die Banf: „Gedulde dich! Bald fonımt er, das Nachtmahl mit ung zu teilen.“

„So wanderten wir weiter und weiter gen Aufgang und gen Mittag,“ fuhr er fort. „Darüber vergingen Sommer und Schneezeit. Immer fragten wir nach den Goten. Endlich, zur Erntezeit, erfuhren wir, fie jeien gar nicht mehr im Lande: jondern in Landen, von denen ich nie gehört: Epirus und Illyricum.“ „Da famen mir die Tränen,“ Fagte das Mädchen. „Aber mein Freund trodnete fie mit lieber Hand. Und nun mahnte er mich an den Himmelsheren und feine Weg-Engel. Denn auf dem langen Wandergange hatte er beten gelernt.“ „sa,“ ſprach der Knabe feierlih. „Und warum? Weil uns jedesmal aus Zweifel, Gefahr und Not war geholfen worden, jah Hailifo ſo . . . . jo gen Himmel, wie nur

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fie fchauen kann, und betete dazu." „So taten wir auch damals auf dem lärmenden Forum einer volfreichen Stadt, weiß nicht mehr, wie fie hieß al3 wir er- fuhren, wir müßten die Goten jenjeit eines großen Waſſers juchen und wo ich faſt verzweifelt wäre. Da fnieten wir, wo wir jtanden, nebeneinander nieder und beteten laut, der Himmelvater jolle uns den Weg an das Weltwafjer weijen und uns dann hinüberhelfen. Das hörte ein guter Priejter, der des Weges fam: den rührte unjre Not... .“ „Und euer Glaube,“ jprah Placidia. „Und er brachte uns in das Haus feines Bruders . . . ." „Der war ein großer Kaufherr ... . .“ „Und fuhr gar oft mit feinem Handelsjchiff voll Waren übers Meer. Und auf Bitten des guten Prieſters nahm der uns mit nad einer Hafenjtadt . . . . wie hieß fie doch, Julianus?“ „Brundufium Und nahm uns mit auf feinem Schiff hinüber nah Dyrrhachium.“ „Und mein Freund wollte durchaus als Ruderer arbeiten, fo den Fahrlohn zu ver- dienen.“ „Aber der freundliche Kaufherr lachte und ſprach: Laß gut fein! Sch ftelle die da die Blonde vorn an den Bugjpriet als Schiffbild: wie ein Heiligen- bild wehrt fie mir Sturm, Brandung und Klippen ab.“ „Als wir nun aber nach) der Landung durch dies rauhe Berg: und Wald-Land wandern mußten, da fam erſt noch der ſchlimmſte Teil unſres Weges.“ „Bah, war nicht ſo arg! Wußte ich doch jetzt, endlich! wo wir König Alarich mit ſeinem Vetter ſicher zu finden hatten: hier in Aulon, der Hafenſtadt. So mußte ich denn nach Aulon, durch alles hindurch, was hemmen wollte.“ „Und manches hemmte uns! Von einem ſchmalen regennaſſen Steg glitt ich in einen Wildbach hinab: er ſprang nach und holte mich heraus. In einer Nacht verfolgten uns Wölfe ein ganzes Rudel —: ich

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fonnte nicht mehr laufen: er hob mich auf einen Baum, verſprach, nachzuffettern, tat's aber nicht, lehnte ſich mit dem Rüden an den Stamm und erjtah mit diejem Schwertlein ihrer drei . ..“ „Nur zwei. Die andern heulten und liefen.“ „Und das Ürgfte fam am Tage darauf!“ Sie zitterte bei dem Gedanfen. „sm ödeſten Felsgebirge, aus dichtem, dichtem Buſchwald brachen aus dem Dieicht zwei Waldriefen e3 gibt ſolche, jagte die

Mutter ganz ſchwarz.“ „KRohlenbrenner waren's,“ lachte der Anabe. „Und wollten mich greifen. Sie hatten Rieſenſtangen . . .* „Nur Schürjtangen. Aber

übel hatten ſie's vor mit ihr, wie fie drohten.“ „Ihn wollten fie laufen laſſen. Aber er fprang jchüßend vor mid. Sie zerichlugen ihm den Arm . . .“ „Nur den linken.“ „Aber er erjtach beide." „Nur den größeren. Der andre blieb verwundet liegen. Mochte ihn nicht ab» ftechen wie ein Kalb, als er jo wehrlos vor mir lag." „Da! Teint, Bub!“ ſprach Ataulf und reichte ihm den Becher. „Das war der Fährniffe letzte,“ ſchloß das Mädchen. „Bald darauf erreichten wir die Stadt. Herrn Ataulfs Villa kannte jedes Kind. Und fo find wir nun da, dem Himmelsheren jei Dank.“ Und fie faltete die Hände zum Gebet. Placidia aber jchloß fie in die Arme: „Sa, jest jeid ihr bei uns. Und niemals, niemals dürft ihr von ung gehn.“

Sünftes Bud.

I.

Die Luft, die über dem Palatium, dem Senat, dem Heer, der Kirche, den Anhängern des Heidentums und allen Feinden der Barbaren in ganz Stalien brütete, war jeit jenem Tage zu Rom fo ſchwül, daß die hHochgeipannten Leidenſchaften der Parteien ſich alsbald in einem furcht- baren Gewitter entladen mußten über dem Scheitel Etilihos. Denn fo heftig ſich zum Beifpiel Katholiken und Heiden befämpften, in dem Haß gegen den „Bar- baren“ jtimmten fie überein: rückſichtslos nur dem Staate dienend hatte er die Priejter Chrijti wie die Jupiters herausgefordert. Die „römijchen Legionen“ des Carinus hielt nur die Furcht von blutigen Angriffen auf die ger- manijchen Söldner ab, und two fie die Überzahl hatten, brachen Haß, Eiferfucht, Neid auf die Bevorzugten, bejjer Bezahlten in Mord und Totjchlag hervor. Zumal die Familien der in Stalien angejiedelten Söldner, um Bo— logna und Bavia, die mwehrlofen Weiber und Kinder auf dem flachen Lande wurden oft von diefen „Römern“ in ihren Gehöften überfallen, beraubt, mißhandelt, gemordet, während ihre Gatten, Väter, Brüder in den Saftellen dienten: 68 war wie Wetterleuchten, das von fernher auf jteigendes Gewitter verfündet.

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Da ſchlug der erſte Blitz ein und entfefjelte eine ganze Reihe verderblicher Schläge.

Während Stilicho in Ravenna weilte, die dort neu anzulegenden Befejtigungen zu ordnen, erhielt der Kaiſer zu Mailand ein Schreiben feiner Schwägerin Eudoria und des Senates von Byzanz, das ihm den plößlichen Tod feines Bruders meldete und die Thronbejteigung von dejien Knäblein Theodoſios. Dlympios war es, der, al3 Haupt einer Art von ftändiger Gejandtichaft des oſtrömiſchen Hofes ſtets in des Honorius Nähe, das große amtliche Schreiben feierlich überreichte. Aber darauf, als die an- dern Berater des Imperators abgetreten waren, zog er eine kleine runde Elfenbeinfapfel aus dem Gewand und legte ie, fich tief verneigend, in des Herrichers Hände: „Dies hier gilt nicht dem Staat, dem Reich, mit dem man dich unabläffig quält, dies gilt dir felbjt: dem Mann, dem jugendlich blühenden, den man zweimal ver- mählt hat als Knaben nicht um feinet-, nur um des Doppel-Schwiegervaters willen. Wenig Freude fandeft du an den bleichen Seufzerinnen! Dies gilt dir, dem Mann.“

Honorius öffnete geipannt die Kapjel: das kleine Bruft- bild? Mojait eines wunderjhönen Weibes, verhüllt nur wenig von einer Flut rotleuchtenden Haares Lächelte ihn an; auf einem ſchmalen Bapyrus-Streifen aber ftanden die Worte: „Komm! Nimm die Krone des Ditreichs und diefes Weib dazu. Komm raſch!“ Auf fprang Honorius bon jeinem Thron, heiß entzündet, wie von einem Liebeg- trank beraujcht. Er jchien ganz verwandelt: die träge fnabenhafte Schlaffheit war von einem einzigen Gluttrieb abgelöjt: „Zu dir!“ rief er, „in dieje vollen Arme!“

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Leichtes Spiel hatten von diefem Augenblick an die Führer der gegen den „Mann“ verbündeten Parteien. Ja, verbündet durch den gemeinfamen Haß; fie gelobten jest feierlich, bi zur erreichten Vernichtung des Gefürch- teten nicht widereinander, nur gegen ihn zu Fämpfen.

Biſchof Venerius von Mailand forderte unter An- drohung des Kirchenbannes die Aufhebung der Kirchen- befteuerung. Symmachus verlangte in einer beredten, ſchwungvollen Epijtel Sühne der „ſibylliniſchen Frevel“, der Senat von Rom drohte durch) Lampadius mit einer Strafanflage wegen Gewalt und beichloß, daß fein Barbar mehr feine Berfammlungen befuchen dürfe, Heraclian forderte Ausihluß der Germanen von allen Hof und Staat3-Ämtern, Carinus wies auf die Berrüttung des „römischen Heeres“ durch die Söldner hin: er lehnte jede Verantwortung für einen NRacheausbruh der „Legionen“ ab, falls jene nicht aus Stalien entlaffen würden. Alle aber ſtimmten zuſammen in der dringenden Mahnung, der Kaiſer müffe nach Byzanz eilen und dort die Bormund- ichaft und Regentſchaft für feinen Neffen übernehmen: der Meifter, der dies Konzert vieljtimmiger Töne im geheimen leitete, war Olympios. Mlein am wirkſamſten redete das ftumme Bild des Halbnadten Weibes im jtetS ver: ichloffenen Schlafgemach des verzüdten, des Tiebejiechen Imperators.

ID.

Als die Nachricht von des Arcadius Tod Stilicho in Ravenna erreichte, nicht der Kaijer Hatte fie ihm ge- fandt, Eucherius fie überbraht eilte er Tag und Nacht

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nah Mailand an den Hof. Unterwegs jchilderte ihm der Sohn die gar nicht mehr heimlich betriebenen Nänfe der Feinde. Der Bater blieb ruhig dabei: er fragte nur den neben ihm Reitenden: „Hältſt du’3 für möglich, daß er wirklich die germanischen Söldner entläßt?“

Eucherius nickte: „Das iſt mir das wahrjcheinlichite, was er tun wird, von allem, was ſie verlangen.“ „Nein! Noch wahrjcheinlicher tut er nicht was die andern verlangen, wonach ihn jelbjt verlangt. Er aber will nad) Byzanz. Schon lange plante er einen Bejuch dort. Sch hielt ihn nur ab, indem ich ihn warnte, jein lieber Bru- der werde ihn gar nie mehr fortlafjen, in den Meerturm fperren und jelbjt das Wejtreich beherrichen. Auch Eu- doria wollte er jchon lange durchaus kennen lernen: er lud fie ein. Sie follte ihm eine zweite Placidia wer— den. Sebt vollends ijt fie Witwe und... . ich Fenne fie! Aber nein!“ vief er mit aufflammendem Zorn, „der Bube joll nicht meine zweite Tochter ſchmachvoll verjtoßen, wie er die erjte wehevoll verblühen Tief. Nein. Jetzt kämpf' ich nicht nur mehr für diejes Neich der Nömer, für mein Haus und meines Haufes Ehre wie die meine,“ Nah einer Weile fuhr er ernit, fait traurig fort: „Kämpfen? Dazu braucht’3 zwei. Aber nur er hat Kampfmittel. Die Legionen! Die Söldner? Auch fie haben ihm gejchworen, nit mir. Schickt er fie fort, lohnt er fie ab, die Kirche bot ihm, ich weiß, das Gold dazu, ſind's doch Heiden und Kleber! gehen fie, müfjen gehn. Und ih? Wen hab’ ich, der unbedingt, der ohne Wank zu mir jteht? Einen Sohn, Adalger, einen Poeten. Oh beneidenswerter Mari! Hinter dir jteht, bi3 zum Tode getreu, wie du ihm gegen eine Welt, dein Volk! Ich Habe fein Volk. Mein Reich ift Rom: aber wo ijt mein Volk?“

Dahn, Sämtl. poetifche Werke. Erfte Serie Bd. VL. 14

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„Höre, Vater, ein Gedanfe. Du müßteft Söldner haben, die nur dir, nicht ihm geſchworen haben, die er dir ſowenig nehmen kann, wie dem Balten feine Goten. Die ihm gejchtvoren, bindet diefer erſte Schwur, auch wenn du fie dir ſchwören ließeſt. Nun aber jagte mir Adalger jüngſt unterwegs in Bologna, neuntaujend Söld- ner, von Byzanz entlaffen, Germanen, weiß nicht, welches Stammes ftehen hart an unfrer Örenze. Zwei Führer fragten bei ihm an... ." „Bortrefflich, mein lieber Sohn! Sch ſchicke von der nächjten Poſitio der Neichspoft Eilboten an Adalger, er joll mir jene Germa- nen fofort anmwerben: nötigenfalls dich zu ihnen jchiden. Denn er ſelbſt Soll flugs nach Ravenna, wo meine treute- ften Söldner stehn, dieſe Feſte mir zu fichern. Und ichleunig joll er mir Botjchaft fenden von dem Vertrags— ſchluß.“ „Uber das Geld? Du weißt, gar oft ge täufcht von beiden Neichen, verlangen fie jetzt ſtets Bar— zahlung." Stilicho ſann nad; feine Stirn ummölfte | fih, dann fprach er finfter: „Das Geld? das Geld muß | der Staat geben." Eucherius erichraf: „Der Staat? Das ift der Smperator. Sein Geld gegen ihn? Vater, das hätteſt du früher nicht getan!" „Wohl,“ | erwiderte Stilicho mit drohender Stimme. * „Aber jebt bin ich der Staat der Römer. Erhalt’ ich mich, Halt’ ich das Neid. Selbſtſucht? Bah, jet ward fie Pflicht. | Nun, Knabe Honorius, Mari” und Rhadagais Hab’ ich bezwungen und viele andre mehr —, laß jehn, ob du mich bezwingjt oder ich dich.“

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118.

Allein der Imperator jcheute den Kampf Aug’ in Auge mit dent Gewaltigen, dem zu widerſtehn er all’ dieſe Jahre oft verfucht, aber nie vermocht hatte: er entzog fih nach Kräften den Zuſammenſtoß mit dem Schwieger- vater, dejjen Tochter zu verjtoßen er im Begriffe, mit dem Staatsmann, gegen dejjen Willen, wie er wohl wußte, die Negentjchaft des Oſtreichs zu übernehmen, ſei— nen Herricherjig nach Byzanz zu verlegen er entjchlojjen war. Freilich, jo ganz entichloffen hierzu war er doch noch nicht: er hoffte immer noch, des Minijters „Erlaub— nis“ Hierfür zu erlangen. Aber die Reiſe zu Eudoxia durchzufegen war er um jeden Preis gewillt. Um jeden? Fa, zumal auch um den Preis von Stifichos Berluft. Den er haßte ihn ſeit jener Demütigung zu Rom noch bitterer als je zuvor. Nur weil er ihn für unentbehrlich hielt, hatte er ihn jeither noch ertragen. Und für unentbehrlich) mußte er ihn troß der Gegenreden feines Hofes halten, immer noch, wenn er fühl nachdachte: wer aus all feinen Feinden jollte ihn in Krieg und Frieden erjegen, dieſen „Mann“? Allein nun war der Tag gefommen, da das fühle Nachdenken ausgeichloffen war durch den heißen Sauber jenes fleinen Bildes.

Die erjte Enttäufhung erwartete Stiliho in Mailand: er fand den Saifer nicht in dem dortigen Palaſt: ohne feinem Minifter Kenntnis zu geben, hatte er die Stadt verlafjen, begleitet von Dlympios und Heraclian, jebt feine jtändige Umgebung. Es verlautete gewiß mußte es niemand zu jagen er ſei nach Pavia gereiſt, die dort jtehenden Truppen zu mujftern.

„Badia!“ rief Stilicho ſofort. Und zu Eucherius

14*

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fprah er: „Samwohl! Dort ftehen nur Römer, Carinus befehligt fie. Der hat das geplant, Hat ihn zu diefer ‚Mufterung‘ bewogen, das heißt ihn aus meinem Macht- bereich gelöft und in jeinen ‚Schuß‘ genommen. Auf nad Pavia!“ „Bater, geh’ nicht nach Pavia. Deine ger- manishen Söldner find in Ravenna, nur ihre Weiber und Kinder in und um Pavia angejiedelt. Geh nicht ohne Schuß in..." „sn die Höhle des Löwen Honorius, willjt du doch nicht etwa jagen? Solcher Hohn wäre erimen laejae! Soll ich auf meine alten Tage noch ler- nen, mich fürchten? Und vor Honorius? Wäre jchwer! Kein,“ jchloß er zornig, „der Bube wagt nicht, mir mit einem Nein ins Auge zu fehn. Sch hab's oft erprobt: zulfegt wieder in Rom. Ich ſuch' ihn auf, ftelle ihn in Mitte jeiner Römer.” „Sch begleite dich. Uber ehe wir aufbrechen, wünfcht eine Bittende, dich zu ſprechen. Hier ijt fie jchon. Sch gehe." „Nein, bleib, Lieber Bruder,“ bat eine janfte, traurige Stimme und über die Schwelle des Gemaches ſchwebte eine zarte, ganz in Weiß gefleidete Gejtalt. „Bleib und Hilf mir den Vater bitten.“ „Mein Lieb Töchterlein!“ rief Stilicho, ihre beiden Hände fajjend. „Himmel, wie bleich du bijt! Und wie dünn diefe Finger! Und eisfalt." Er führte fie an eine Kline „Bit du leidend?" „Nicht mehr als font,“ ertwiderte fie, fich niederlafjend. „Die le&ten Tage brachten nur mehr ... ein wenig mehr des Bittern, als ich ge- wöhnt bin. Der Imperator ...“ „Was hat er dir getan?" Grimmig drohend fam die Frage. „sch lage ihn nicht etwa an: gewiß nicht. Es ift meine Schuld, nicht die feine: daß ich fein Herz...." „Hat er eins?" Tachte der Vater bitter. „Nicht zu gewinnen vermocht habe. So wenig wie die Schweiter, die Glüd- Yihe.“ „Warum preijejt du fie glüdlich, die Tote?“

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fragte der Bruder. „Weil fie tot ift. Und weil ſie es nicht jo lang wie ich vergeblih! verjucht hat.“

Sie ftrich das ganz helle, weißgelbe Blondhaar zurüd. Der Bater aber jhlug die Hand vor die Stirn: „Meine beiden Töchter geopfert! Ihr blühend Leben dem toten Begriff des Römerreichs! Sprich, mein armes, weißes Täublein, was hat er dir.. ?" „Sch mwiederhole, ich Hage ihn nicht an. Aber ich muß doch jagen, was mic zu meiner Bitte zwingt.” „Nede! Aber fag’ alles, verjchweige nichts, ihn zu fchonen. Alles muß ich wiſſen.“ „sa, jonjt erfüllit du mein Begehren nicht. Am Abend vor jeinem Aufbruch aus dem Balaft Hatte ich mich, der Hofordnung gemäß, in feinem Gemach von ihm zu verabjchieden. Ich fand ihn... num, jehr erregt. Es war gleich nach jeiner Coena: er hatte wohl wieder mit Herachian und Olympios . . .* „Um die Wette ge- trunfen,“ ergänzte der Vater. „Sa, das haben fie den verachteten Germanen abgelernt.“ „Er war... nicht freundlih. Mir famen die Tränen. Sch wollte es ver- bergen: ich wandte mich ab: doch er ſah mein Geficht in dem Silberjpiegel der Marmorwand: ‚Heulen?‘ fchrie er. ‚Schon wieder einmal heulen? Es ift nicht anzujehen! Wie fie ausjieht! Wie eine Lemure! Da, du bleich’ Geſpenſt, er taumelte an jein Bett, riß unter dem Kopfkiſſen eine runde Kapfel von Elfenbein hervor, öffnete fie und hielt mir ein Moſaikbild vor die Augen: ‚da ſchau her, jo muß ein Weib ausjehn. So fieht das Weib aus, von dem du, Sammerbild, mich trennſt .. . .“ „Das Weib... es Hatte rote Haare?“ fragte der Vater mit dräuendem Kopfniden. „Sa. Uber ich fah nicht viel davon. Ich jchlug jofort die Augen nieder. Es war..." „Sann mir’3 denken!" „Nun, Tieber Bater, o blide nicht jo furchtbar! danach kann ich

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doch nicht mehr des Imperators Gattin auch nur heißen.“ „Wahrlich nein,“ rief Eucherius. „Sch will nicht fein Unheil fein, will ihn nicht trennen von dem, was er fein Glück nennt. Laß dieſes Band es ijt ja feine Che! von der Flirche trennen: fie kann e3.“

„Ja,“ lachte Stiliho wild, „sie fanın es. Und fie wird es gern tun, die Tochter des Seberfreundes im Schmach veritoßen. Und fie wird den frommen Kaiſer auch gern von dem Verbot entbinden, die Schwägerin zu heiraten, gewiß. Aber beim Zorne Gottes, daraus wird nichts. Du bleibt Imperatrix.“ „Vater, ich kann doch nicht . . .“ „Gewiß, mein Kind, Fannft du nicht, ſollſt du nicht bleiben bei dem Elenden: du bleibjt fortab bei deinem Vater. Ach, jebt fehlt die Mutter!“ „Sie fehlt nicht mehr! Sie ijt da! Sie wird nie mehr von euch Yafjen,“ rief Serena in dem düſtern Gewand der Neligiofae in das Gemach ftürmend. „OD mein Gatte, vergib! Kannſt du vergeben?“ Und fie warf fich vor ihm auf die Knie.

Nah erhob er fie und zog fie an die Bruft: Heiß ſtrömten die Tränen: lange fand die Echluchzende die Worte nicht.

„Was iſt gefchehen, Mutter?“ forſchte Eucherius. „Bas Führt dich uns zurück?“ fragte der Gemahl. „ch, die Erfenntnis der Ruchlofigfeit diefer Prieſter!“ „Sie kommt dir jpät!“ meinte Stilicho. „Nicht zu ſpät, wenn du verzeihen Fannjt.” „Berzeihen! Du handelteft in frommem Wahn. Sch Tiebe dich: das ijt mehr als verzeihn. Gene aber fie alle! haſſe ih und fie follen’3 ſpüren!“ „Was haben fie dir getan, Mutter?“ bangte die Tochter, ihre Hand faſſend. „Ad, mas haben fie mir nicht getan, mein Kind? ntfremdet haben fie mich dem Manne, dem Sohn: fie als Sünder

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mir verleidet, mich von ihnen Hinmweggeriffen in ihren Seelenferfer, das Klofter, und dort, dort haben fie mir alle Treu und Ehre zertreten wollen. Sch follte.. .“ fie ſtocke. „Nun?“ drängte Stilicho. „Zuerſt jollte ih ihnen in der Beichte! alles verraten, was du mir je an GStaatsgeheimnifjen anvertraut, ich jollte an- geben, wo im Balajt oder in unjerem Haufe dur deine Briefe, zumal die von und an Mari, birgjt. Und endlih oh, es iſt jchändlich, ift unglaublih . . .“

„Bei denen? Wenig!" „Sch follte vor dem Imperator beihwören, als Zeugin... .. denn fie erheben Anklage gegen dich wegen Hochverrats . . .“ „Sie wollen!

Aber fie fommen nicht mehr dazu. Sch bin raſcher.“ „Ich follte bejchtvören, du habeſt mir deinen Plan an- vertraut, unfern Sohn zum Kaifer des Oſtreichs zu erheben mit Hilfe des Gotenfönigs: deshalb habeft du den twieder- holt entjchlüpfen laſſen, dafür ihm die Hilfsgelder bezahlt. Tu’ ih e8, würden fie Eucherius al3 uneingeweiht, als ichuldlos hinstellen, weiger' ich es, ihn mit dir verderben, mich aber aus der Kirche ſtoßen. Und da ich fie mit Abſcheu von mir wies, feijelten fie mich, ſchlugen mich... .“ „Ah, mein Weib!" jchrie Stilicho. „Und wollten mid in einen finjtern Kerfer werfen. Aber ich entfam mit Hilfe einer mitleidigen Nonne und floh zu dir. Ber: zeiht mir!“ „Du bijt genug geftraft, bei Gott. Eucherius, du jperrit jofort jenes Kloſter. Dann geleitejt du Mutter und Schwejter in mein jicheres Ravenna. Bon dort aber fliegit du es ijt noch immer fein Befcheid von Adalger und jenen Germanen eingetroffen und nun eilt e8 gar jehr zu dieſen Söldnern an der Grenze, nimmjt fie für mi in Eid und führft fie auch nad Ravenna. Das Geld erhebjt du hier aus dem geheimen Theſaurus des Palaſtes.“ „Vater, das it..."

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„Gehorche!“ „Und du, mein Gemahl?“ „Sch gehe zu Honorius.“ „Allein?“ warnte Eucherius. „Nein. Mit dem Gott der Race.“

Ibn

Sn dem Heinen PBalatium zu Pavia, das dicht am Ufer des Ticinus lag, fand das glänzende Gefolge des Imperators, dem fich zahlreiche Heerführer aus dem Lager der „Römer“ vor der Stadt angejchlojfen hatten, kaum Unterfunft. Die Vorzimmer jeines Gemaches waren von Geiftlihen, Beamten, Kriegern dicht gefüllt. Wohlgefällig mujterte Herachan die zahlreihen Kriegstribunen mit den echt römijch gejchnittenen Gefichtern und römischen Schutz- und Truß-Waffen, oft mit Namen altrömifcher Geichlechter.

„Wagt er jich wirklich hierher,“ meinte er zu Olympios „Ihwerlih fommt er aus joviel Haß lebendig wieder heraus. Aber er fommt wohl nicht." „Do!“ gab der Byzantiner zurüd. „Wie ich ihn kenne, kommt er.“ „Er ift ſchon da,“ rief Carinus, der im Eintreten dieje Worte vernommen. „Er ritt mitten durch die Gafjen meines Lagers. Meine Leute knirſchten. Ein Pfeil traf von Hinten jeinen Helm. Sch hatte Mühe, die tofenden Kohorten zurüdzuhalten.” „Warum gabjt du dir dieſe Mühe?“ grollte Heraclian. „Befehl des Kaiſers. Heut’

in aller Früh’ ergangen.” „Was? Wie? jollte er abermals umgejchlagen Haben?" forſchte Olympios er- bleihend. „Weiß nicht,“ erwiderte Carinus achjel-

zudend. „Aber heute Nacht ift etwas vorgegangen in

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dem heiligen Schlafgemach.“ „Was? Mas? Erzähle!” „Zretet näher. Ganz leife! Sch Hatte die Wache im Borzimmer. Kurz vor Mitternacht führte der Eunuch ein verhülltes Weib in das Schlafzimmer.“ „Ah, ein Weib?“ rief Olympios. „Und mein ganzer Plan? Und Eudoria?" „Ohne Sorge,“ lachte Carinus. „Das iſt feine Nebenbuhlerin! Der Eunuch ging mit ihr hinein. Er trug einen weitbaudhigen Erzkeſſel. Und als fie nach einer Stunde wieder herausfam, glitt ihr gerade unter der Ampel das jchwarze Kopftuch herab: es war die alte Here, die man die Sibylle vom Tieinus nennt.“ „AH, die greije Vettel, die da draußen in einer Höhle am Alußufer wohnt,“ erklärte Heraclian. „Die ganze Stadt, all’ meine Römer,“ fuhr Carinus fort, „glauben an ihre Weisjagungen feiter al3 an die Bibel. Er hat offenbar von ihr und ihrem Ruhm gehört und... ." „Er wird wieder einmal jchiwanfend geworden fein." „sit er doch allzulang an feine Kuechtihaft unter dem Bandalen gewöhnt!“ „Und nun wollte er erforichen, was jeine, was des Barbaren Zukunft birgt. Kurz: heute früh erging an mich der Befehl, den Magijter militum um jeden Preis zu bejhüßen: fein Haar darf ihm ge frümmt werden: ich hafte dafür mit meinem Kopf, daß ihm fein Leid gejchieht: unverjehrt muß er nach Ravenna zurüdfehren.“ „Berfluht! Das ijt feine ficherjte Burg.“ „Geweſen!“ Höhnte Carinus, ganz leife. „Er wird ſich wundern, jieht er fie wieder. Honorius hat auf meinen Rat im geheimen befohlen ... du Heraclian follit heute no . .. . aber jtill, da ijt er.“

Stiliho trat rafhen Schrittes ein: erhobenen Hauptes, ſchweigend, nahm er die Begrüßungen entgegen, die jeinem Range gebührten und die man ihm nicht zu verjagen wagte. „Oſtiarius,“ ſprach er ruhig. „Melde mich dem

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Snperator. Sch muß ihn fofort Sprechen gleich. Und er muß entjchuldigen den Staub der Neife an meiner Gewandung: es eilt. Sch kann nicht baden und mid umfleiden, wie's Palaft-Gebot. Nein, melde lieber nicht. Ich gehe ungemeldet hinein.“ Er fchob den Staunenden zurüd, öffnete die Tür und trat ein. Der Dftiarius wanfte, faſſungslos: „Er hat ihn zugelaſſen un gemeldet. Das war noch nie! Das ijt des Reiches Ende!“

V.

Es ſchien wenigjtens Stilihos Ende zu fein. Honorius mit feinem böjen Gewifjen war froh, die Unterredung mit einem Vorwurf beginnen zu fünnen, bei dem er unzmweifel- haft im Rechte war. Ohne ic) von dem Nuhebett zu erheben, auf dem er läſſig ausgeſtreckt lag und vor ſich Hin träumte, jprach er mit einem Stirnrunzeln, das erjchreden follte, aber viel zu übertrieben war, um zu wirken: „Seit wann tritt man jo vor den Imperator?“

Uber Stiliho ließ fich nicht aufhalten in feinem An— fturm: „Seitdem der Imperator und was viel mehr! das Smperium am Abgrund fteht. Laß jedes Schein- gefecht, Honvrius. ES gilt das Neid, das Werf meines Lebens. Antworte Furz auf meine Furzen Fragen. Sit es wahr, daß du die germanifchen Söldner entlaffen

wirft?“ „Und... wenn?“ „Antworte! Sa oder nein?“ „Nun denn ja!" zögerte er. „Sit es wahr, daß du nach Byzanz gehen wirft?" „a,

jawohl!“ Ganz raſch fam das heraus. „Iſt es wahr, daß du die Regentſchaft des Oſtreichs übernehmen, deinen

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Herrichaftfig nad) Byzanz verlegen wirft?" „Sa,“ vief Honorius, mit jteigender Erbitterung und daher wachjenden Mut. „Sit es wahr, daß du dort die..." Das Antliß des Vaters flammte auf, er wollte jeßt ... aber er bezwang fich noch. „Alle diefe vier Dinge, bitte ich dich, Smperator, nicht zu tun.“

Diefe Bitte erhöhte noch die Feitigfeit des Schwäch— lings: „Eine Bitte!“ dachte er, „die kann der Gebetene gewähren oder abjichlagen.“ Und Lebhafter entgegnete er: „Und warum?” „Weil jene Söldner allein das Reich ihügen, weil die Neife nach Byzanz in dem Augenblid unmöglich ijt, da ein Anmaßer, Conjtantinus, Britannien, Gallien, Spanien genommen hat und den Angriff auf Stalien rüftet, weil du kaum im jtande bit, das ſchwer gefährdete Weitreich zu verwalten: und willſt das Oſtreich hinzu übernehmen? Deshalb bitte ich dich dringend hörſt du, ich bitte! laß diefe Gedanken fallen.“ „Weiter nichts?" Tachte Honorius höhniſch. „Horch auf, ich will dir deine wahren Gründe jagen: weil nur jene Söldner dih jhüten vor dem Haß der Römer in Heer und Senat und dem Fluche der Heiligen Kirche, meil du diejen Conjtantinus jet verwendeſt wie früher jenen Alarich, al3 dein Werkzeug, dich al3 unentbehrlich hinzu— ſtellen . . .“ „Honorius!* „Und weil du freilich nicht zum Negenten, aber zum Imperator des Oſtreichs erheben willſt deinen Sohn Eucherius!“

Da fiel Stiliho grimmig lächelnd ein: „Serena, nicht wahr, wird's bezeugen? Die eigne Gattin und die eigne Mutter! Wie belaftend, wie vernichtend!” Aber er bezwang ſich noch einmal „laß das und gib nad), ich bitte.“ „Nein. „Wohlan denn, Sohn des Theo- dofius, jo höre, was ich dir erſparen wollte: gib nach: ich befehl's dir.“

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Da fprang der im Purpur auf und fuhr auf ihn zu: „AH, crimen Yaefae! Dein Kopf...“ Aber vor der unerjchütterlichen Ruhe der hohen Heldengejtalt, die, ohne eine Miene zu verziehen, vor ihn ftehen blieb, verfladerte auch dieſe auffladernde Flamme: feig wich er zurüd. „So fpriht ein Wahnwibiger,“ meinte er achjelzudend. „Rein, jo Spricht dein Vater, der große Theodofius. Lies! Lies dies KRodizil. Du kennſt Schrift und Siegel." Er zog aus dem Wehrgurt eine Bapyrus-Nolle und reichte fie ihm.

Der überflog die eriten Heilen: „Bermöge der erprobten Weisheit Stilihos . . . ." plötzlich jtodte er: „Wa.... was steht hier? ‚Und endlich gebiete ich meinem Sohn Honorius, daß er, auch nach beendeter Vormundſchaft, dem Wort, dem .. . . Befehl des Magifter militum in allen Staatsfachen unweigerlich) gehorfame, wie wenn ic) ſelbſt ſolchen Befehl erteilt‘ .. . . „ah, ſchändlich, ſchänd— lich! Das haſt du erzwungen, erliſtet, erſchlichen bei dem Fiebernden, Sterbenden. Da! Dies die Antwort! Barbar!“ Und er zerriß die Rolle in zwei Fetzen und warf ſie ihm ins Geſicht. Der trat einen Schritt zurück mit dem Aufſchrei eines getroffenen Tieres, aber ſogleich faßte er ſich wieder, bückte ſich, hob die Stücke auf und hielt ſie aneinander; tonlos ſprach er dann: „Dieſe Tat tut mir leid für dich.“ „Für mich?“ höhnte Honorius. „Ja. Denn du haſt den Schlußſatz nicht geleſen: ‚jollte aber mein Sohn Honorius, nachdem ſich Stiliho für einen Befehl auf dies mein Kodizill aus— drüclich berufen irgendwie durch Wort und Tat ihm —, das heißt mir! den Gehorjam weigern oder Dies Kodizill irgendwie mißachten, jo joll von Stund an die faiferliche Gewalt übergehn auf Stiliho, meinem Sohn Honorius aber nur der faijerlihe Name und Purpur ver-

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bleiben: das ift dann Senat, Heer und Volk der Römer zu verfünden‘.“ Da fanf Honorius nach rückwärts auf das Nuhebett: er ballte die Fäufte in ohnmächtiger Wut: „Dies Blatt in feinen Händen! Er darf nicht eben!“ date er. „Vor diefer Türe Harren Hundert Schwerte und Dolde, die jih mit Wolluft in fein Herz bohren. Alſo .... Aber die Prophezeiung! Erſt in Ra- vema. . ..."

Stiliho jchien diefe Mordgedanfen zu erraten. Während er die durchriffene Rolle wieder in den Wehrgurt jtedte, ſprach er bedachtſam: „Gewalt? Sie hilft dir nicht. Be- glaubigte Abfchriften hüten drei meiner Freunde. Willit du jebt nachgeben ?“

Aber der Liebesfieche dachte der Rotlodigen: fein Blick ftreifte die Elfenbeinfapfel, die ihm gegenüber auf dem Kopfpfühl feines Bettes lag. Stiliho erhafchte den Blid: er folgte ihm: er jah die Kapſel: da ward er furchtbar bleih. „Nein!“ rief nun Honorius. „Tu' was du milljt mit deinem Papyrus. Geh!“

„sh gehe. Zum Abjchied nur noch eine Frage: iſt es wahr, daß du meine Tochter verjtoßen und deines Bruders Witwe Heiraten wirft?“ Er trat zwei Schritte näher: jo drohend war das Antlitz des rachedurſtigen Vaters, der Erſchrockene fand zuerjt fein Wort: dann nur das Wort der Lüge: er verjuchte aufzujtehen, aber die Kniee verfagten ihm: er hielt fi) an den Eitrustifch vor ihm: „Was?“ ftotterte er. „Eudoria? Was fällt dir ein? SH .... Ich weiß ja nicht von ihr gar nichts.“ Da ergriff Stiliho die Kapjel, riß das Mojaik- bild heraus, hielt es ihm dicht vor die Augen und fchmetterte e3 auf den Marmorejtrih, daß es in Hundert Stüdflein zerfprang. Grell auffreifchte Honorius: er taumelte empor. Ohne ein Wort jchritt Stiliho hinaus

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und durch die dichten Neihen feiner Haljer. Die Tiirhüter ftürzten nun in das Gemach: fie fanden den Imperator ohnmächtig auf dem Boden liegend.

VI.

Als der Feldherr raſchen Schritts das Atrium erreicht hatte, allein, niemand begleitete den ſonſt ſo Um— ſchmeichelten ſah er in dem halb finſtern Gang, der hier von rechts her einmündete, eine dunkle Geſtalt, die, einen ſchwarzen Mantel über Kopf und Schultern ge— ſchlagen, ſich vorſichtig, geduckt, näher heranſchlich. Er griff ans Schwert und ſchritt der Erſcheinung entgegen: „Wer biſt du? Und was willſt du?“ Da fiel der Mantel und vor ihm ſtand ein weißhaarig Weib, zitternd, ſprach— [08 vor Erregung. „Sch glaube, dich zu kennen,“ meinte er nachfinnend, „mich zu erinnern. Biſt du nit... .?“ „Die Here vom Tiein, wie fie mich nennen, Die du vor dem Scheiterhaufen gerettet haft. Sch wollte dich ein- mal noch im Leben fehn, dir danken und dich warnen." „Sch bin genug gewarnt!“ Tachte er bitter. „Nun denn, mahnen. Du wirft zwar dein Ravenna ficher erreichen... . .* „Haft du das in den Sternen gelefen?“ Tächelte er gutmütig." „Mehr,“ erwiderte fie in gleichem Scherz

ton, „das hab’ ich fogar... . gezaubert. Der Imperator ||

ließ mich holen heute Nacht. Er ſchwankte über fein Ber- halten gegen dich, gejtern am Tag und auch die Nacht noch." „Jetzt ſchwankt er nicht mehr. Ich bin gerichtet. Nur die Vollſtreckung fteht no aus. Die werd’ ich ab- wehren,“ jchloß er feſt. „Wohl: Zeit hab’ ich dir dafür

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gewonnen. Sch Hab’ ihm geweisfagt aus den Linien feiner Hand, fie ift Schlaf! aus dem Sud meines Kejjels, aus der Stellung der Gejtirne: er ftirbt binnen zwei Tagen, läßt er dich nicht unverjehrt nach Ravenna zurüd- fehren.“ „Und das hat er geglaubt?“ „Gewiß! Alle Feiglinge find abergläubifh. Und ift doch fchon manches eingetroffen, was ich ihm voraus verfündet. Er zitterte bei meinen drohenden Worten: er zerjchnitt vor meinen Augen einen rot verihnürten Bapyrus... .“ „Ein Todesurteil! Das meine.“ „Aber eile! Nicht auf allzulange Probe jtelle jeinen Glauben! In Ravenna bift du doch ſicher?“ „Wie im Schoße Gottes." „So möge dein Gott dich ſchützen. Leb' wohl!“ Sie ergriff den Saum des Mantels, küßte ihn und verſchwand wieder in dem finjtern Gang.

Im ſelben Augenblid jagte Heraclian mit einem ftarfen Gejchwader der rajchejten römischen Reiter zum Dittor hinaus auf der Straße nad) Ravenna.

vH

Obwohl der Feldherr nun genau wußte, daß fein Leben nur jo lang gejichert war, bis er dieje Fejte erreicht Hatte, eilte er doch Tag und Nacht unermüdlich auf die ver- hängnisvolle Stadt zu. Er fühlte, daß es jetzt feine Ber- ſöhnung mehr gab mit Honorius, aber er vertraute, ge- ftüßt auf feine vielen taujende von germanifchen Söldnern, dem Schwädhling die Bedingungen vorzufchreiben, unter denen er auf Veröffentlichung jenes Kodizills, das heißt auf die tatjächliche Entthronung verzichten wollte: andern-

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fall3 rechtfertigte ja diefe Urkunde feinen offenen Wider- ftand vor Senat, Volf und Heer. Und fam es zum Kampf mit den Römern des Carinus und Heraclian, fo fonnte er in jener noch nie bezwungenen Fejtung der Siümpfe, Lagunen und Kanäle fich leicht fo lange Halten, bis ihm Entſatz gebradt wurde duch Mari! Er zweifelte feinen Augenblid, der Balte werde ihm die Ver- ihonung bei Bollentia vergelten. Aber nur rächen, nicht mehr retten konnte der Gotenfönig den Freund!

Schwer ertrug des Ungeduldigen Eile einen Aufenthalt von drei Tagen zu Dftiglio, wo die einzige Pobrüde der Straße nah Ravenna kurz vor feinem Eintreffen von Überſchwemmungen fortgeriffen und die Furt ungangbar gemacht war. Erſt am vierten Tag gelangte er auf einer Notbrücke hinüber. Schon als er nad) noch einigen Tagen icharfen Reitens mit wenigen Begleitern ſich von weitem den Mauern Ravennas näherte, fiel ihm auf, daß deren Binnen fo Schwach bemannt waren: und zwar fah er nur römische Feldzeichen.

„Wo jind die Söldner, die Germanen?“ war feine erite Frage an Adalger, der ihm ſchon im mailändifchen Tor entgegenfam. „Wo du fie Hinverfchidt Haft, zu unfer aller ſtärkſten Staunen.” „SH? Sie verſchickt? Niemals! Wohin denn?“ „Weit weg von hier, ver- ftreut, verzettelt, durch ganz Ämilien, Tuscien, Ligurien: in Heinen Häuflein von zehn, zwanzig Speeren." „Verrat!“ rief Stiliho. „Wann hätt’ ich daS befohlen? Wo... .2* „Hier! Sn diefer Urkunde, deinem Befehl an mich: er trägt des Kaiſers Namen und Siegel und da deine Unterschrift!“ „Gefäliht! Wer hat fie gebracht?“ „SHeraclian.“ „Herbei mit ihm! Wo ftedt er?" „Mit al’ feinen Römern in den zehn Türmen der Nord- und der Weſttore.“ „Wdalger, wie

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fonnteft du... .?“ „Ich mußte doch deinem Befehl gehorchen! Mit welcher Wut im verzen Schau nur her! Das iſt doch deine Schrift . „Weiß Gott, das hätte mich ſelbſt getäufcht!" Ich wagte das Sußerfte: gegen diejen Befehl behielt ich zmweihundert Söldner zurüd, Heraclian zum Troß, zur Bededung deiner Frau und Tochter, gab ich vor!“ „Wohlgetan!“

Uber der Treue zudte die Achjeln: „Zweihundert gegen viele Taufend.“ „Öetroft! Bald fommt BVerjtärfung. Wo iſt Eucherius?“ „Noch nicht zurüd.“ „Er muß jede Stunde eintreffen mit den neuen Germanen, meinen Söldnern! Dann wehe Herachan! Nun fomm mit zu Serena, zu Thermantia: wo weilen fie?" „Nicht mehr in dem offenen Sommerpalaft. Seit Heraclian mit feinen Reitern eintraf, hab’ ich fie geborgen in dem fejten Turm des Theodoſius: dort liegt ein gut Teil meiner Söldner. „Bortrefflih, Freund. Aber jieh, da fprengt ein Reiter heran . . . .“ „Bom faventinifchen Tor!" „Es ijt Euderius. Willfommen mein Sohn. Hochmilllommen und zu rechter Stunde: ein Retter in der Not. Du bringjt doch die neuntaufend Germanen? Die Neugeworbenen ?*

Mit trauervoller Miene jchüttelte der Sohn das Haupt.

„Kun, wieviele bringt du?“ drängte der Mar— fomanne.

„Richt einen!“ „Du botejt doch reichen Sold?“ forjchte der Vater. „Alles, was fie verlangten. Und noch mehr.“ „Das ift ſchlimm,“ ſprach Stilicho, ernit, doh gefaßt. „Was find’S für Germanen?" „A Bater!! „Nun, rede. Was für welche? „Das eben iſt's: Vandalen.“ „Sch ahne!“ jeufzte Adalger. „Als fie erfuhren, dir, dir allein jollten jie ſchwören, dich ſchützen, da war’3 aus! Ihr Führer rief mir zu: ‚Sag

Dahn, Sämtl, poetiſche Werke. Erſte Serie Bd. VI. 15

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deinem Vater er iſt ja Römer, wie er mir ftolz rühmte, als ich ihm den Königsjtab feines —, nein unſres Bolfes! brachte, ift nicht ein vandalifcher Barbar! jag’ ihm, der Römer foll fih von feinen Römern helfen laſſen. Auf, Genoſſen, wir reiten heim.‘ Und wandte das Roß und trabte davon.“

Da verjtummte Stificho und fchlug den braunen Reiter- mantel vor jein Antlig. Endlich ſprach er: „Ad, um ein Volk! Fest um ein Volk! OH Mari . . „1“ „Bater, ih muß eilen, noch eins zu berichten: ein Heer, ein ftarfes Heer ift in raſchem Anzug auf diefe Stadt. So erzählten Neitfnechte der Neichspoft, die meinen Weg

kreuzten.“ „Woher? Welches Weges?“ „Den Po entlang.“ „Bon Badia! Das ift Carinus. Nun wird es Ernſt.“

YET.

Sa, nun ward es Ernſt. Rafcher al3 der rings Be- drohte ahnte, jollten ich feine Gejchide erfüllen. Noch während er bei den nun jchnell aufgejuchten Frauen in jenem Turme weilte. Und er tat nichts, den Gang des Schickſals aufzuhalten, ihm zu entweichen. Die Seinen beihworen ihn, zu fliehen, ſolang e3 noch Zeit, jolang nod nicht alle Tore der Feltung von den Feinden bejebt waren, fi) draußen zu verbergen, etwa die nächſten feiner alten Söldner zu erreihen. Er jchwieg.

„Stilicho flieht nicht,“ nidte der Marfomanne „Er hat's nie gelernt!“ „Und lernt's nicht mehr,“ ſchloß diefer. „Auch ift es ſchon zu fpät,“ rief der Sohn. „Carinus ift ſchon herein: man fennt feine Kohorten an

227 den fchwarzen Helmbüfchen. Sieh, fie bejegen dort das

Tor von Comaclum.” „Das lebte, das frei war,“ ſprach Adalger tief ernſt. „Aber die See,” forjchte Serena, „die Hafenjtadt Clafjis, die Flotte?! „Be-

fehligt Carus, des Carinus Bruder,” erklärte jener. „Da! Auf dem Forum des Hercules treffen die Einziehenden des Carinus und die Geſchwader Herackians zufammen, zeigte der Sohn. „Auf, fomm, Eucherius,“ rief Adalger. „sch laſſe mich nicht greifen und Hinrichten. Sch ſammle mein Häuflein Germanen hier im Turm und hinaus und drauf!” „Halt, fein Blut al3 meines,“ gebot Stilicho. Da trat Heraclian draußen diht an den Turm und rief hinauf zu dem Nundbogenfenjter, an dem der Gejuchte und die Seinen fihtbar waren: „Ergib did, Magiiter militum. Sonjt müjjen wir den Turm ftürmen." „Kommt nur!” ſchrie der Marfomanne und zog das Schwert. „Nein: ich fomme. Kein Blut als meines,“ wiederholte Stiliho. „Auch deines wird nicht fließen,“ verjicherte Heraclian. „Sieh, geitern fam dies Schreiben an mid) aus Pavia: der Smperator erklärt darin deine Begnadigung zur Verbannung aus dem Reich.“

Freudige Hoffnung lebte auf in den Frauen: „D geh, geh, Vater, und erhalte ung dein Leben,“ bat Thermantia.

Schweigend jchritt er die vielgewundene Gteintreppe hinab, dicht gefolgt von Sohn und Freund. Unten auf der Straße vor Heraclian angelangt, löfte er das Schwert das gefürchtete, jamt der breiten Scheide aus dem Wehrgurt und reichte es ihm, der es haſtig ergriff. Sofort trat aus der zweiten Reihe der Kohorte Carinus mit bloßem Schwert: „Sch aber bringe einen jüngeren Befehl des Smperators: Verräter, Rebell, du mußt ſterben.“ Und er jtieß dem Wehrlojen das Schwert in die Kehle; im jelben Augenblick erjtach Heraclian den Sohn. Aber

15*

228

Adalger wehrte fich grimmig wie der geitellte Eher: „Zu Hilfe,“ Ächrie er, „zu mir, meine Germanen. Rächt den Helden.“ Das Häuflein brach aus dem Tore des Turms: wild Hirrten eine Weile die Waffen gegeneinander: aber nicht Yang: bald war es totenftill vor dem Tore. Und in blutig rotem Scheine fanf die Sonne in die Lagunen von Ravenna.

Menige Tage darauf ftand zu Aulon in dem Garten der Billa vor Mari, Ataulf und Placidia ein ſchwer wunder Mann, gejtübt auf einen zerjpellten Speer, eine blutige Binde um das helmloſe Haupt gejchlungen: er lehnte vorgebeugt mit der andern Hand auf den Marmor- tiſch: es war Adalger.

Erſchüttert ſchwiegen die drei, als er feinen Bericht beendet. Endlich fragte der König: „Aber du ſelbſt? Durch welches Wunder entkamſt du?“ „Sie hielten mid nah diefen Wunden! für tot und warfen mich im Finjtern in den nächſten Kanal. Aber das Wafjer belebte, weckte mich: ich ſchwamm geräufchlos: wo Wachen ftanden, tauchte ih. So gelangte ich unter vielen Brüden durch vor die Stadt hinaus. Alte Krieger ‚des Mannes‘, die er bier angejiedelt hatte, erfannten mich, verbargen mid), verhalfen mir zur Flucht and Meer.”

„Und Serena?" fragte Placidia. „Starb feiner würdig. Sie boten ihr das Leben, wenn fie jeine Briefe ausliefere und zumal ein Kodizill des Theodofius: fie lehnte ab und ſtarb. Thermantia floh zu den Religiojae in Rom. Mber noch ein andrer ftarb, dem Manne

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getreu: Claudian, der Poet. AM feine früheren Loblieder auf Honorius jollten ihm jetzt nichts helfen: übrigens waren fie verjtummt, jeit er zwijchen Honorius und Stilicho zu wählen hatte! Dies Berjtummen hatte längjt empört: er war al3 glühender Berherrlicher des Feldherrn all- befannt, al3 fein treuer Anhänger gehaßt: der Kaiſer ver- urteilte ihn zum Tode, verhieß aber Begnadigung, wenn er in einem Widerrufsgedicht das Andenken des Berräters brandmarfen, dejjen Ermordung rechtfertigen wolle. Der

Wadre ließ ſich lieber köpfen.“ „Sch hab’ ihn Tieb gehabt, diejen zweiten Vergil,“ ſprach Blacidia, eine Träne zerdrüdend. „Sch fühl" es erit jetzt.“ „Uber,“ fuhr

der Marfomanne grimmig fort, jich hoch aufbäumend, troß jeiner Wunden, „ihr wißt ja noch längjt nicht alles, nicht das Blutigjte! Auch ich erfuhr es erjt nah und nad) während meiner Flucht von Ravenna big Dtranto quer durchs Land. Hört, Taufende, ja Zehntaujfende von Ger- manen, Marich, Haft du zu rächen: von deinen Wejtgoten jehr viele, dann Dftgoten, andre Goten in Menge, aber auch von den Stämmen in Gallien, an Rhein und Donau. Und nit nur Männer, Söldner: nein, Weiber, Kinder, Greife. An einem Tage dem vierten nad dem Mord wurden von Heraclian und Carinus nicht nur die vielen, vielen Taufende der verjtreuten Söldner über- fallen und erjchlagen, nein, aud ihre um Pavia, Bologna und jonjt angejiedelten Frauen und Kinder. Bürger und Kohorten wüteten um die Wette unter den Wehrlojen. Biele Frauen und Mädchen iprangen in den Tieinus um..." „Ah, Halt ein!“ rief der König. „sh kann's nicht tatlos hören! Beim Schwerte Gottes und bei meinem Schwert: ich will fie furchtbar rähen! Alle! Dich, edler, heißgeliebter Feind, dich vor allen. Aber auch den Geringjten unter den Hingeſchlachteten

230

unjerer Völfer. Wieder ruft in mir jene Stimme: ‚nach Nom, Mari, nah Rom!‘ Wohlan, ich folge ihr. Und diesmal fteht fein Stiliho zwilchen mir und dem Kapitol. Auf, Ataulf, laß das Heerhorn wieder jchmettern. Zur Nahe auf nad Ron“

Lufffpiele und PVperndichktungen

——

1. Luſtſpiele: Die Staatskunft der Frau'n. Der Kurier nach Paris.

2, Operndichtungen:

Armin. Der Fremdling. Yarald und Theano. Der Schmied von Öreina- Green. Ratbold.

An

Joſef Pikfor von Scheffel

Dielteurer Freund, dir laß dies Scherzfpiel weih'n: Du haft daran am meiften: zu verzeih’n.

Rüdesheim, am Rhein, I. September (876.

Mottor

„Da ging ein neu £icht über das fand auf: nämlich des Sriedens Heiterfeit: weil der junge Heinrich hinfort dem Kaifer mit großen Treuen anhing. Dieſe Hochzeit fchuf Sriede und freude all’ über das Beich,”

Arnold von Eäbed V. 20,

Die Slaalskunft der Fran

Ein Luſtſpiel in drei Aufzügen

(Erfimalig erfcdjienen 1877)

Derfonen

Heinrich der Schite, römischer Kaijer und deutſcher König, Sohn Friedrihs des Rotbarts.

Konrad, Pialzaraf bei Rhein, des Kaiſers Oheim, des Notbarts Bruder.

Srmengard, des Pfalzgrafen Gemahlin.

Agnes, beider Tochter.

Prarediz, eine Griehin aus Byzanz, deren Freundin.

Heinrih von Braunſchweig, Sohn Heinrihs des Löwen.

Friedrih von Haujen, ein Minnefänger, deijen Freund.

Sigilocu3, des Kaijerd Kanzler.

Bumpo, des Pfalzgrafen Schreiber und Kaitellan auf Schloß Rüdesheim, des Sigilocus Vetter.

GrafkorjoldeNonant, Gejandter Philipp Auguſts von Franf- reich.

Aſtolf, der Pfalzgräfin Falkenier, fünfzehn Fahre alt. Damenrolle.)

Gerhard, Knappe Bumpos.

Neifige, Diener und Dienerinnen des Pialzgrafen. Zwei Ritter des Kaiſers.

Ort der Handlung: Erjter und zweiter Aufzug: Garten des pfalz- gräflihen Schlofjes zu Rüdesheim. Dritter Aufzug: Halle in der pfalzgräflihen Burg Stahled, Rüdes— heim gegenüber, am Rhein.

Beit der Handlung: Kurz vor und nad) dem Reichstag zu Mainz 1194.

I. Aufzug.

Garten de3 pfalzgräflihen Schloffes zu Rüdesheim. Im Hintergrund das Schloß mit Türmen, Zinnen und Erfern. Rechts (recht3 und links jtet3 von der Bühne aus gedacht) eine Pforte, in der Mitte ein Thor, die beide aus dem Garten in das Schloß führen.

Zu dem Thor Hinan führen einige Stufen mit Geländer. Links im Hintergrund eine jchräge, niedere Mauer, über melde hinweg man den Rhein und, jenjeit des Fluſſes, die Rheinlandſchaft erblidt: Strom und Land leuchten und laden in goldner Glut des beginnenden Sonnenuntergangs nad ſchönſtem Sommertag.

Bon diejer niedern Mauer zieht ſich eine etwas höhere gerade nad) vorn links.

An der erjten oder zweiten Coulifje recht3 vorn ein Garten- Papillon: turmartig, mit einer gegen links zu öffnenden, von außen verichließbaren, zur Zeit gejchlojjenen Thür und einem gegen das Projcenium geöffneten, durch einen hölzernen Laden und Riegel von außen verſchließbaren Fenſter: dies ift zur Zeit geöffnet.

Vor der Schlogmauer zwiſchen Pforte und Thor ein breiter Baum.

Vor der Thür des Pavillons rechts unter Gebüſch ein Tiſch (mit Stühlen), auf welchem im zweiten Aufzug gejchrieben wird: er wird fortan als der „Schreibtijch” bezeichnet werden. Dem Schreibtijch gegenüber Iinf3 unter Gebüfch ein Tiſch (mit Stühlen), auf welchem ein Dedelfrug und ein Becher für Wein ftehen: er wird fortan als der „Trinktiſch“ bezeichnet werden.

Blühende Roſen und andere Blumen und Sträucher ſowie die Beleuchtung erweden das hHeiterfte Bild des fonnigen Sommer» lebend am Rhein.

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Erfte Scene. Raifer. Pfalzgräfin. (Der Raifer fitt an dem Schreibtiſch, den Rüden nach rechts gewendet, und

bliet, dem Publifum im Profil, in die Aheinlandfchaft hinaus. Die Pfalz- gräfin fitt zu feiner Linken, dem Publikum das Antli voll zufehrend. Längere Paufe.) Kaiſer. O allerſchönſte Pfalzgräfin und Freundin,

Wie heiter und wie hold Lebt ſich's bei Euch!

Des Rheinlands goldner Duft und füßer Zauber,

Des Minnefanges Nachtigallenjchlag,

Die Minne ſelbſt —, ſie wohnt bei Euh, in Euch! Wie mweife war’3 von mir, hieher zu fchlüpfen

Bom Weg, der von Gelnhaufen führt nach Mainz,

Und, eh’ ich in des Reichstags Streit mich werfe,

Bei Euch noch einen Friedenstraum zu träumen!

(Sr ſucht ihre Hand zu ergreifen, melde fie ihm, aber fein und leis, entzieht.) Pfalzgräfin. Mein Faiferlicher Herr und werter Neffe... Kaiſer (aſch einfalend, komiſch verdrießlich).

Von allen meinen Titeln, goldne Freundin,

Iſt mir zumeiſt verhaßt der: „Euer Neffe!“

Ihr meine Muhme! Ei, habt Ihr vergeſſen?

Euch galten meine frühſten Minnelieder! Pfalzgräfin. Wenn Ihr mich gleich beim Titel unter—

brecht, Kann ich die Muhmen-Weisheit nicht vollenden . .. Herr: Eure Minnelieder waren: ſchwach! (Kaiſer madjt eine herzhaft unwillige Bewegung.)

's ift auch fein Wunder: noch ein Knabe wart Ihr:

Drei gute Jahre bin ich Euch voraus.

Ihr follt feitdem viel welch und deutjche Damen

Mit mehr Glut und Erfolg bejungen haben. Kaiſer (ftreit feinen Bart).

Mir ließ die Staatzfunft nie viel Zeit zur Minne.

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Pfalzgräfin (nidt beiahend). Zum Glück verjteht Ihr beſſer als aufs Singen, Mein Kaijer, auf die Weltbeherrihung Euch. Kaiſer. O Schmeichlerin! Die Welt? Mein Reich it ſchmal! Pfalzgräafin. Das deutjche Reich Schon ift nicht allzuſchmal: Und Euch raufht noch dazu Staliens Lorbeer, Siciliens Palmenhaine huld’gen Euch. Sch aber kenn' ihn ganz, den Herrichergeift, Der in des Friedrih Rotbart Sohne glüht: Ihr raftet nicht, bis Shr von Rom hinüber Den Raiferfchritt gewagt habt nach Byzanz. (Kaifer macht eine Bewegung des Erfiaunen®.) Und müßt Ihr um des beil’gen Vaters willen! Den Umweg nehmen durch Jeruſalem: Euch kömmt's darauf niht an, (chalthaft) Ihr feid jo fromm! Sm Bilgerfleid zu werden Herr der Welt! Kaiſer (wahrhaft überrafht, fpringt auf). Um Gott, Frau Pfalzgräfin, Ihr ſeid gefährlich! Was nicht Byzanz, nicht Rom, nicht Franfreih ahnt... Pfalzgrafin (teht auf, lächelnd). Hier macht Ihr Halt und denft dabei vergnüglich: „Richt England darf ich nennen: denn fie weiß: Gefangen Halt’ ich Richard Löwenherz.“ (Raifer verrät, daß fein Gedanke durchſchaut if.) Sa, was nicht Frankreich ahnt, Byzanz noch Rom, Sagt Euch die deutjche Frau ins Angejicht: Denn was nicht Feindes Ha und Argwohn träumt, Das weiß das Herz des Weibes zu erraten, Das Eure Größe ahnt, weil es Euh lieb hat. (Leife wieder dem Kaifer die Hand entziehend.) Nicht mit der Liebe, o mein großer Kaifer, Dabn, Sämtl. poetiihe Werke. Erſte Serie Bd. VI. 16

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Die welſche Lieder zuchtlos locker Toben Um Chemweib für fremden Troubadour: Kein, mit der ehrlich deutjchen Herzensfreundichaft, Die ih Euch trage, die mein wadrer Konrad Boll kennt an mir und lobt und teilt... Kaiſer (unterbrechend, etwas ſpöttiſch). Ei, ſagt doch, Iſt er noch ſtets ſo langſam und behaglich, So ſchwer-beleibt, der Ohm, und ſchwer-bedacht? Man ſagt, er brauche wohl zwei volle Stunden, Bis völlig er gepanzert und bewehrt! Einmal ſagt man! war ſchon die Schlacht verloren, Bis er zu Roß kam! Pfalzgräfin (nach einer Pauſe, ernſt und edel verweiſend, faſt ſtreng). Sa: da jagt man wahr: Do fügt man bei: „als er num endlich ſaß, Zurüd erfocht er den verlor’nen Sieg": (Baufe.) Spredt Ihr mit Danf davon: er focht für Euch. (Baufe.) Kaiſer (mit leiſem Unmut). Sa, in dem leid’gen Welfenfrieg, Gott end’ ihn! Pfalzgrafin (ernft und innig). Wenn Ihr den Krieg beflagt und mwünfcht den Frieden, Wohlan: e3 Liegt an Euch nur, Kaiſer Heinrich, Und eine Friedensjonne, jegensreich, Wie jene, welche (Handsewegung) dort mein Rheinland küßt, Steigt freudig über Eurem Reich empor. Kaiſer (wendet ſich hart und verſtimmt ab). Pfalzgräfin (weicher fortfahrend). Nein, wendet Euch nicht ab von Irmengard, Weil fie, ftatt eitler Huld’gung, Heil’gen Ernſt Sudt bei dem Kaiſer: weil fie Frieden ſucht. Der Staufer und der Welfen Zwiſt zerfleiicht Das ganze Reich: (Hittend) macht Frieden, o mein Kaiſer! Kaiſer (ftreng und hart). Die Feinde trogen mir!

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Pfalzgräfin (weig). Sie trogen nicht mehr! Nehmt jie nur an: fie bieten Euch Berjühnung. Kaifer (Heitig). Berföhnung ? Unterwerfung ift das Wort! Pfalsgräfin (noch weicher). Auch Unterwerfung! Zeig’ ihnen, o Heinrich), Daß du nicht jtärfer nur auch größer bift! (innig bittend) O laß die alten Pläne jich vollenden, Die Friedrich Notbart und der Löwe Heinrich Dereinjt geplant: verlobt war meine Tochter Du weißt, (Raifer nidt grimmig) de3 Löwen Sohn, dem jungen Heinrich: Der Häufer böjer Streit zerriß das Band: D ſchling e8 neu und gieb dem Neich den Frieden! (raſcher, immer eifriger) Wie anders kannſt du auf dem Reichstag dann Den Feinden al’ des Reichs entgegenjchreiten, Zeigſt du der deutjchen Fürjten und der Stämme Erbzwift getilgt! (teigend) Gieb frei den tapfern Richard, Den löwenherz’gen König Engellands, Des faljchen Franfreihs Lodungen verwirf Und, jtarf duch Eintracht, gieb dem eig’nen Reich, Gebeut' der Welt den Frieden, Kaijer Heinrich! (Hält erihöpft, jehr dringend geworden, vor dem Kaifer fid) bittend neigend, inne: große Paufe.) Kaiſer (Hat fi während diefer Rede immer eifiger in ſich ſelbſt zurück gezogen : jehr kühl und fpöttifh, mit verſchränkten Armen). SH kam hieher, ich will es nur gejtehen! Weil ih Oh'm Konrad fern, in Stahled, wußte, Und weil ich bei der jchönen Freundin mir, Gpauſe) (freundlicher, galant und wahr) Die feine weljche Dame je verdrängt hat! Erholung wollte gönnen von der Staatskunft. 16*

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(Baufe: wieder fehr fpöttifch) Doch übel fam ich an: denn ich geriet, Statt in der Minne Hof, Goshafth ach in was Ürg'res Als Männer-Staatskunſt it: (acht höhniſch mit höchſter Gering- ſchätzung) Staatskunſt der Frau'n! (Paufe.) Pfalzgräfin (eindringli, ernftlid). Der Frauen Staatsfunft, Herr, ift Lieb’ und Treue: (wieder heiterer, komiſch feufzend) Ach wäre doch die Eure halb jo gut! Kaiſer (geringigäsig die Achſeln zudend). Wir kämen nur nicht weit damit, beſorg' ich! Pfalzgrafin (nun gereizt: ſchalkhaft, überlegen). Sa, Eure Staatskunſt freilih, die fommt weit! Ihr plant und lügt und brütet, haßt und Heuchelt: Und endlih, warn Ihr's juft gelegen glaubt, Schlagt Ihr mit Euren plumpen Schwertern zu: Manchmal aufs Ziel, noch öfter doch daneben. Kaiſer (tat). Nicht jchmeichelnd juft, doch wahr ift die Beichreibung! Pfalzgräafin (ortfahrend). Wie herrlich weit habt Ihr's damit gebradjt ! Das röm'ſche Reich es brennt an allen Eden, Es kracht in allen Fugen! Ei. wer weiß, Wer weiß, ob nicht der Frauen Staatsfunft bejjer, Wie ich fie meine, wie ich Hier fie trieb, (wieder weich und ernft) Verſöhnung pred’gend, Friede, Lieb’ und Treue. Kaiſer (befänftigt, freundlich lächelnd, droht mit dem Finger). Und Sclauheit doch und Schalfheit durch und durch! Pfalzgrafin (ieblich). Ein bißchen Schalfheit ift des Weibes Recht.

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Kaiſer (warn einfallend). Und höchiter Weibesreiz bei fo viel Güte! (evnft, bewegt, ihre Hand jaffend, welche fie ihm nun willig läßt) SH dank’ Euch, Irmengard, für diefe Stunde! Sch Fam um eiteln Schaum des Minnetandes: Ihr gabt mir echtes Gold in Euren Worten. Treu heg' ich fie: tief will ich fie bedenfen: Eh’ ich des Reichs Geſchick zu Mainz entjcheide Soll (freundlich lächelnd) „Frauen-⸗Staatskunſt“ wohl erwogen ſein. (langſam) Wie war es doch? Pfalzgräfin ännigh. Verſöhnung Liebe Treue! Kaiſer (wieder heiter, lächelndd. Und Liſt und Schalkheit! Pfalzgräfin (in glei heiterem Ton). Sa: im Dienjt der Treue! (Paufe.) Seht, (in den Garten techts deutend) da fommt junges Volk: das mag Euch laben, Wenn Shr nah Schönheit, Reiz und Witz verlangt.

Zweite Scene. Borige. Agnes, Praredis und Aftolf (diefer, die Bälle tragend und auf den Schreibtifch Iegend, mit welchen im zweiten Aufzug gejpielt wird) aus der Sarten-Eoulifje reits hinter dem Pavillon. Kaifer und Irmengard gehen den Mädchen entgegen, die fi) zierlich vor dem Kaifer neigen; Kaiser begrüßt beide, jpricht mit Agnes leife, welche die Augen niederfhlägt und nicht antwortet. Während diefe Gruppe rechts Hinten fteht, tritt Aftolf ganz Iints vor, betrachtet, Tomifch ſchmachtend, die drei Frauen, feufzt.

Altolf (ür fin). Ach, jeh' ich wieder alle drei beifammen, Sp weiß ich wieder nicht mehr, welcher dienen! Die jtattlich jchöne Frau, die reizvoll kecke Hellenin, und die engelhafte Agnes! Mir thut die Wahl weh! Welche Tieb’ ich nur? Nun Hab’ ich meine vollen fünfzehn Jahre:

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Und immer feine Minne-Herrin no! 's ift zum Berzweifeln! Und mein Bruder hatte Zwölfjährig ſchon die ärgſten Minnequalen!

Kaiſer (zu Agnes). Der allerſchönſten Mutter ſchönes Kind! Ich grüß' Euch, holde Stummheit! Ihr beſiegtet Die Mutter noch, wär't Ihr nur nicht ſo ſchüchtern.

(Er erwartet Antwort: Agnes ſchweigt, mit niedergeſchlagenen Augen ſcheu zur Seite tretend.)

Kaiſer (faſt ungeduldig). Kun, habt Ihr feine Antwort? (itleidig) Ei, wie blöd noch!

(Wendet fid) ziemlich geringihägig von dem „Kinde“. Alle kommen nun nad born.)

Praxedis (mit einer übermütig ſpöttiſchen Verbeugung).

Allergroßmächtigſter —: ihr fehlt die Übung! Den Heil'gen Dank und meinem ſtrengen Beiſpiel Kam unſrem Lämmlein faſt kein Mann noch nah. Man ſagt, daß ihre Mutter, nicht ſo alt noch, (mit boshafter Anſpielung) Schon Minnelieder ſchürzenvoll verbrannte.

Kaiſer (erftaunt, aber auf ihren Ton eingehend).

Shr wißt viel oder ſprecht doch gern, Schwarzauge! Ihr heißt?

Praxedis (mit abermaliger Verbeugung).

Sungfrau PBraredis nennt man mid).

Kaiſer (nachſinnend, die linke Hand Leicht an die Stirne legend, Tangfam). Praxedis?! Ei, den Namen Hört’ ih Schon! Mahnt mich ich weiß nicht, wie des Hohentwiels!

Praredis (mit einer dritten Verbeugung).

Großmächt'ger ift vortrefflich unterrichtet.

Baifer (immer mehr von ihr gewonnen).

Wer ijt dein Ahnherr, du Holdjelig Mädchen ?

Praredis (nachdrücklich und ftolz).

Ein Sänger aus dem Stamm der Alamannen: Herr Joſeph Viktor Scapularius!

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Kaiſer (freudig begeiftert einfalfend). Der Befte, der je Aventüren jang! Solange deutiche Zunge fingt und jagt, Wird Joſeph Viktors danfbar man gedenken. Praredis (mit ruhigem Stolz). Herr Raifer, Dank! So jagen längjt die Leute. Pfalzgrafin (ertiärend). Die Ahnfrau lebte bei Frau Had- wig ihr Am Hohentwiel... Kaiſer (einiallend). Als jener Effehard .. .? Pfalzgrafin (niet zuftimmenb). Ganz recht! Ein Lieblingsfind Herrn Joſeph Viktors Zog ſpäter nach Byzanz ſie, freite, hatte Dort Kind und Enkel . . . Praredis. Und kurzum: ich bin Entſtammt von jener hohentwieliſchen Praxedis, die Herrn Joſeph Viktors Kind. Kaiſer (netifc zweifelnd). Ob auch von deren Geiſt? Praredis. Das ziemt nicht mir, Herr Kaiſer, zu ent— ſcheiden: Doch, wenn nicht jene war, ſo wurd' ich nie. Aftolf (ür ſich. Wär’ ihre Ahnfrau noch, ich liebte die! (Ab in das Schloß durch das Thor.) Pfalzgrafın (ſherzhaft anflagend). Wenn Mutwill, Schelmerei und Schnippigfeit Praxediſch find, fiel fie nicht weit vom Stamm. Kaiſer. Welch’ ſchlimmes Lob! Praredis. Geitrenge Pialzgräfin, Berjtellt Euch nicht: Ihr hättet auch geholfen Zu Effehard und wider all’ die Pfaffen. Habt Ihr doch ftet3 an unfrem Lämmlein hier Getadelt, daß e3 gar zu jcheu und zag. (feufzend)

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Es ift auch wirklich gar jo tugendfam:

Es kann nicht anders fein: es iſt verliebt. Pfalzgräfin. Praxedis! Praxedis. Iſt das etwa ein Verbrechen

Nach deutſchem Reichsgeſetz? Es giebt ſo viele Man kann unmöglich alle ſie behalten Doch dies Geſetz, dem Reiche wär' es ſchädlich Und ganz unmöglich wär', es zu befolgen!

Kaiſer (neugierig). Weshalb ?

Praredis (mit fpöttifher Verneigung). Weil's Eure Majeftät unmöglich macht!

Kaiſer (hr herzhaft drohend). Wie famft du, holdes Griechen-

find, Hierher?

Praredis. Freiwillig nicht, o König der Barbaren! Mich jandte her Irene von Byzanz,

Die aus dem Land der Griechen und Gicilia Hieher fol ziehn als Eures Bruders Gattin: Sch joll berichten ihr von Land und Leuten.

Kaiſer. Wie fandejt beide du ?

Praredis. Das Land iſt rauh: Selbjt hier, das Schönfte, was Ihr habt, der Rhein.

Kaiſer. Jedoch das Volk?

Praredis. Seid ihr Ein Bolf, ihr Deutjchen ? Wohin ich fam, an Donau, Rhein und Main, Berichieden fand ich Sprade, Stamm und Art.

Kaiſer (ernft und eve). Habt Ihr den Regenbogen nie

gejehn ? Der Farben Bielheit macht ihn ſchön und ganz. Wie findet Ihr mein Volk? Prazedis. Nicht minder rauh! (feufzt Halb ernft, halb Tomifdh) Und doch! Kaiſer. Und doch?

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Pfalzgräfin. Das übermüt’ge Mädchen Hat Gott geftraft: Gauſe.) fie hat ihr Herz verloren.

Praredis (tomiſch betrnbt). Ach ja! Zum erjtenmal!

Pfalzgrafin. Un einen Deutjchen!

Kaiſer. An wen? 2

Praredis (ſehr raſch, eifrig). Wenn ich das wüßte, wär’

er längjt mein Mann!

Kaiſer (achend). Nicht übel, diefe Siegeszuverfiht! Wo traft Ihr jenen Glüdlichen, Praxedis?

Praredis. Zwei Jahre ſind's am Hofe zu Byzanz! Auf frommer Kreuzfahrt zog er an den Jordan: Doch ach, jehr weltlich klangen feine Lieder

(jeufzend) Und alle Hoffräulein verliebten fich. Kaiſer. Ein Minnefänger ?

Praredis. Ja: nur Wein und Minne Sang diejer fromme Waller. Kaifer. Doc wie hieß er?

Praredis. Das blieb geheim: denn in geheimer Sendung Heinrichs de3 Löwen fucht’ er deifen Sohn Im Morgenland.

Kaiſer (tädelnd). Dann war's gewiß der Schalt Friedrih von Haufen! meiner Unterthanen Bermwegen-Luftigiter, voll loſer Streiche,

Herren Walther von der Vogelweide Schüler, Des jungen Heinrich Herz und Waffenfreund.

Agnes (plötzlich aufmerkfjam mwerdend macht eine Bewegung reger Zeil» nahme).

Kaiſer. D hätt’ ich einmal diefes Freundespaar,

Sie find die fühnften Führer meiner Feinde (grimmig drohend)

Ich ſchlöſſe fie mit jiebenfachen Feſſeln

Und würfe fie in meinen tiefiten Turm.

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Agnes (macht eine Bewegung tiefiten Schredend und der Furcht vor dem Kaifer). Pfalzgrafin (weich und ernft). Herr: Lieb’ und Treue find die ſtärkſten Türme Und fejter noch als Feſſeln bindet Großmut. Kaifer. Wer's glauben dürfte! Sit der junge Heinrich) Der erjte Held und Ritter doch des Reichs. (Agnes zeigt freudige Teilnahme.) Pfalzgräfin. Nach feinem Kaifer. Kaiſer. Und Herr Friedrich iſt Der erſte Sänger. Praxedis (ſpöttiſch fragend). Noch vor ſeinem Kaiſer? Kaiſer. Wie gern verſöhnt' ich mich mit ſolchen Feinden! (Freudige Teilnahme von Agnes.) Doch ganz unmöglich ift’. (Beftürzung von Agnes.)

Pfalzgräfin. Weshalb, mein Kaiſer? Weil lang die Fehde währt? Kaiſer. Nein, 's iſt nicht das!

Der Streit iſt ja ererbt, nicht ihrer Stiftung. Und daß ſich deutſcher König und Vaſall Befehden, das iſt leider! alter Brauch. Man ſchlägt ſich nicht mit allzutiefem Groll: Das wäre zu verzeih'n und beizulegen. (Agnes atmet freudig auf.)

Kaiſer (nun ſehr zornig, entrüſtet). Doch mit dem Reichsfeind ſind ſie einverſtanden: Mit Frankreich ſteh'n ſie in geheimem Bund.

Agnes (tritt plötzlich, alle überraſchend, aus ihrem Schweigen kühn vor den Kaifer hin, blickt ihm voll ing Antlig: ſehr Laut und kühn) Das ift nicht wahr!

(Höchſtes Erftaunen aller Anwejenden.) Pfalsgrafin (nad) einer Baufe des Schredeng). Mein Kind! Prazxedis. Ei, ei, das Lämmlein!

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251

Kaifer (noch immer verblüfft). Beim Hohenftaufen, ich er» ſtaune jehr! Wie? was? Ihr ſeid nicht jtumm? Sieh, Ihr könnt fprechen, Sowie e3 gilt verteid’gen meine Feinde? Agnes. Nein, Herr, wenn's gilt, Verleumdung widerlegen. Kaifer (unwiig). Verleumdung? Ei, Ihr ſeid fehr fühn. Pfalzgrafin (eiſe zu Agnes). Still, Agnes! (für fih) Muß ich mein fcheues Kind vor Kühnheit warnen ? Kaiſer (zur Pialzgräfin). Drum eben will ih Frankreichs Hand ergreifen, Um dies geheime Bündnis aufzulöjen: So rät man mir —: mit Frankreich jpann und jpinnt Der junge Heinrich Ränke gegen mid). Agnes (tief und ernft). Das ift nicht wahr! Kaiſer (gereist). Doch! Mein Gewährsmann... Agnes. Irrt Sich! Kaiſer (tur). Mein Kanzler Sigilocus hat's beteuert. Agnes. Dann hat der Kanzler wie heißt er? gelogen. (Pfalzgräfin und Praredis ftaunen.) Kaiſer (will kurz abbrechen, wendet ihr den Rüden zu: ruhig). Ich jelber glaub’ e3 auch. Agnes craſch). Irrt Ihr Euch nie? Kaifer (wendet ſich rafch, betroffen, wieder zu ihr). Woher der Mut auf einmal, zaghaft Kind? Agnes. Woher der Mut? Ach bin vom Stamm der Staufer Sp gut wie Ihr. Praredis ur Pfalzgräfin). Ein Wildftrom ward das Duellchen! Sch Hab’ ihr's aber immer zugetraut. Pfalsgrafin gu Praxedis). Die ftillften Waſſer find Die tiefiten.. Doc ch jtaune jelbit.

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Kaiſer (herb). So fünnt Ihr wirflih ſprechen? Agnes. Das Sprechen lohnt nur ſelten: doch hier lohnt's. Kaiſer. Warum? Agnes. Es gilt dem treu'ſten deutſchen Mann: Treu iſt, wie Gold, jung Heinrich! Kaiſer (ehr höhniſch). Euch vielleicht? Agnes (tief und ernſt). Ja: mir. Und dieſem deutſchen Reich. Und Eud, Herr Kaiſer, jelbjt, der feindlich ihn verfolgt. Kaiſer (pöttiſch, Teife zur Pfalsgräfin). Sieh, fieh! Frau Pfalzgräfin, nun faſſ' ich freilich, Weshalb Berjühnung Ihr und Heirat predigt: Das Kind liebt noch den einjt verlobten Mann. Pfalzgräfin (reif). Sie waren damals beide noch fo jung... Kaifer Göhnend). Und doch jo treu ? | Pfalzgrafin (ernit, Taut). Herr, jprecht nicht Hohn der Treue: Auf Treue ruht das Reich und Euer Thron. Kaiſer (aut). Drum eben wankt das Reich und wankt mein Thron, Meil diefe Heinriche nicht Treue Halten. Agnes. Habt Ihr jung Heinrichs Treue jchon verjucht ? (Baufe.) Nein? Dann thut Shr jehr unrecht, fie zu leugnen. (Paufe: laut, eindringlid).) Ihr aber habt an ihm nicht recht gethan: hr Habt Herrn Heinrih Treu’ und Wort gebrochen. Pfalzgrafin (erihroden). Mein Kind, mas thuſt du ?

Agnes. Mutter, meine Pflicht. [SF

Praxedis. Was jagjt du, fühne Kleine? # |

Agnes. Nur die Wahrheit. | 7

Kaiſer (ersittert). Weil ih ihm Euch zur Gattin nicht | gegeben ?

(fpottend)

253

Alzugefährlih wär's Euch jtillen Trotzkopf Dem feuerblüt’gen Lömwen-Sohn zu einen! (zur Pfalzgräfin)

Shr pflegt gar früh in Eurem Töchterlein „Der Frauen Staatskunſt“: Troß und Widerwort! Ein Glüd, daß dieſe Eleine Reichsrebellin Nur Schweigen kennt und Troß, die ungefährlich, Nicht Lift und Schalfheit, die gefährlich find.

Alle drei Frauen (unwilltürlih, unabhängig von einander). Wer weiß!

Kaiſer (erſchroden durch den Dreier). Was jagt ihr da?

Pfalzgrafin (näher an den Raifer tretend, der, durch das rafche Vorbringen der drei Frauen in die Enge getrieben, bald diejer bald jener entweichen muß).

Wenn Liſt und Schalfheit....

Praredis (näder ructend). Allein zum Ziele Hilft... Agnes (näher rüdend). Das das Herz begehrt... Pfalzgrafin (näter rüdend).

Zum Heiligen Ziel... Praredis (näyer rüdend). Der tiefiten Lieb’... Agnes (näher rüdend). Und Treue,... Pfalsgrafin (näger rückend). Dann find, Herr Kaiſer, .. .— Praredis (näher rüdend). Alle Weiber liſtig. Agnes (näher rüdend). Dann tft die Schalfheit.... Pfalzgräfin (näger rüdend). Bollerlaubte Waffe. Praredis (näner rüdend). Ich Hoff zu Gott,... Agnes (den Kreis ſchließendd. Auch ich wüßt' fie zu brauchen!

(Die drei Frauen find, in lebhaften Eifer raſch einander in der Rede ergänzend, immer näher und wie drohend von allen drei Seiten auf den Kaifer eingeritdt, fo daß dieſer, ſcherzhaft ängftlih, grazios vor ihnen immer zuriidweihen muß.)

Kaiſer (atmend, vor dem Gebüſch am Schenktiſch endlich Halt machend). Man könnt’ fich wirklich fürchten hier bei euch! Praredis (eifrig, fomiis). Man hat's auch wirklich Urjach’, ſollt' ich meinen!

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Kaiſer. Da jchlag’ ich Lieber mit den Saracenen, Mit Weljchen und dem heil’gen Vater mid) As mit euch drei’n. Praredis. Das glaub’ ich gern! Baifer (wieder fpöttiic). Zum Glüd hat fie noch niemals was erreicht, Die „Frauen-Staatskunſt!“ Praredis. So?! Fragt zu Byzanz! Kaiſer Gerächtlich. Sa, zu Byzanz! Wo ſelbſt die Krieger Weiber! Wo’3 feine Männer giebt, da herrſcht ich weiß! Der Weiber Lit; doch, hier, in meinem Deutjchland ... Praredis (chelmiſch.. Liegt nicht in Eurem Deutjchland Weinsberg aud? Kaiſer. Weinsberg? Die troß’ge Stadt? Jawohl! Was ſoll's? Pfalzgräfin. Habt Ihr von Weinbergs Weibern nie gehört? Praredis, Die, überliſtend einen großen Kaiſer,... Agnes. Bon Eurem eignen Stamm: den Großohm Konrad ... Pfalzgräfin. Aufihrem Rüden al’ ihr Höchites Gut...

Praredis. Treu ihre Männer trugen aus den|2= Thoren. = Agnes. Seht hr, Herr Kaijer, das ift unsre a Staatskunſt: 5 Pfalzgräfin. Im Dienft der Lieb’ und Treue Lift] 32 und Schalfheit: Praxedis. Und heiß bet’ ich zu Gott und feinen Heil’gen, . . .

Agnes. Daß über Euch und Eure kalte Strenge.. Pfalzgrafin. Noch Frauen-Staatskunſt jolchen Sieg erfämpfe.

(wie vorhin einander raſch ergänzend, näher rüdend, den Kaifer in

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Kaiſer (entweicht, ſtellt ſich rückenfrei). Das wart' ich ab! So was geſchieht nicht wieder! Pfalzgräfin (erni). Ja freilich: Eins gehört dazu: doch das, Sch weiß, es fehlt auch Kaijer Heinrich nicht. Kaiſer (ern). Was foll das fein? Was meint Ihr, teure Frau ? Pfalzgrafin Gnnig. Ein hoher Sinn, der, großmütig und lächelnd, Nicht pochend auf die Strenge jcharfen Rechts, Sid) jelbjt von Frauen für bejiegt erklärt. (Paufe.) ALS Eurem Borfahr damals riet zu Weinsberg Sein Kanzler, jolhe Frauenlift zu jtrafen, Wißt Ihr, was Kaiſer Konrad Herrlich jpradh ? Kaifer (ed. „Von edeln Frau'n ſeh' ich mich gern bejiegt: Ein Raiferwort jol man nicht drehn noch deuteln!“ So ſprach mein Großohm: (Baufe) und ich hoffe, Irmgard Traut nicht gering’ren Edelfinn mir zu. Pfalzgrafin (in aufrichtiger Verehrung, reiht ihm die Hand). Gewig! Denn all’ die böje Herricherflugheit Berdarb nicht Euer großes, tiefes Herz. Kaiſer. Doch nun genug des Scherzes. (Her) Kleine Agnes, Schlagt jenen Heinrich nur Euch aus dem Sinn. Sch for Euch einen andern Eheherrn. Agnes (tark, aber ruhig). Nein. Nein. Niemals. Nein. Nun und nimmermehr. Pfalzgräfin. Halt’ an dich, Agnes! Kaifer (ftreng). Für mich giebt’S fein Nein. Vertraulich ward’3 geplant, bald wirbt man offen, Zum Zeichen, daß man mir ich völlig zufehrt: Dann ſag' ih —: Ja! und Ihr jagt

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Praxedis (warnend). Lämmlein! Agnes. Kein. (Hornruf des Türmers.) (Es iſt allmählich dunkler geworden: Feine Sonnenbeleuchtung mehr.) Kaiſer (eftig, ſtampft mit dem Zub). Erzürnt mich nicht, ich bin im Zorne heftig. Agnes. Nur Gottes Zorn, nicht Zorn der Menſchen fürcht' ich. (Pfalzgräfin und Praxedis mahnen Agnes, zu ſchweigen.,) Kaifer (ehr gereizt). Da3 woll’n wir jehn! Verderbt mir nicht die Laune: Mir war jo wohl hier, jeit ich meinen Kanzler Glücklich entwiicht war. Gerhard (aus dem Thor: melden). Kanzler Sigilocus! (Gerhard wieder ab.) (Komifche Überrafhung der drei Frauen.) Kaiſer (aufbraufend). Ich wollt’, er wäre in der Hölle. Praredis. Später Wird fich auch diefer Kaiſerwunſch erfüllen! Kaiſer. Wie, Griechen-Herlein ? Praredis. Sa: jein übler Leumund Als Eures böjen Geijts drang bis Byzanz. Kaiſer. Da ijt er wirklich.

Dritte Scene. Borigne Kanzler (aus dem Thor, eine Pergamentrolle mit daran Dangenac Siegel in der Hand). Kanzler (nachdem er alle begrüßt und die drei Frauen lange gemuftert, ſpottend). Kaiſerlicher Herr, Es waren ſicher wicht'ge Staatsgeſchäfte,

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Die Euch geheim in diefen Garten riefen: So raſch, daß Eure Spur ich faft verlor Zu diefen drei geheimen Neiches-Slanzlern In Kranz und Schapel und ganz ohne Bart!

Kaiſer Gerdrießlich. Die bärt’gen Kanzler ärgern mic)

zuweilen.

Praredis (die Hand auf die Bruft legend).

Und wir mir find fo ſanft wir thun das nie!

Kanzler. Bon Frankreichs König, Herr, ein Abgefandter Traf unterwegs auf unjern Zug: er muß Euch fprechen vor dem Mainzer Tag: drum nahın Ich ihn auf meinem Suchpfad mit und danfe Den Heil’gen, die ung glücdlich hergeführt.

Kaiſer (ärgertih). Die Heil’gen find jehr vielgefchäft’ge

Leute.

Kanzler. Gleich fommt er: er vertaufcht das Reiſewams Nur mit dem Staatsfleid: Hier halt’ ich ihn auf, Dieweil den Brief Ihr leſt und überdenft,

Den er von feinem Herrn gebracht. (Sr will dem Kaiſer den Brief geben.)

Kaiſer (unwillig abwehrend). Sch weiß Im voraus ſchon! Das alte Lied! Gur Pfatzgräfin) Gefangen Auf ewig fol den Löwenherz ich Halten,

(bittende Bewegung der Pfalzgräfin) Lothringen Frankreich geben dafür: Geld Und, mehr als Geld! viel wind’ge weljche Worte!

Kanzler (sart). Wir brauchen aber Geld: der Schaf

iſt leer!

Kaiſer (eufzend, tomiſch. Seit Karl den Großen war er

nicht mehr voll! Ein leerer Schat, rebelliihe Vaſallen, Ein Flud von Rom, das ift mein Raifererbe!

(unwillig den Brief nehmend) Dahn, Gämtl. poetifche Werte. Erfte Serie Bd. VI. 17

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Gebt her den Brief! Urlaub, ihr holden Frauen: (verabfchiedet fich) Jetzt hebt der Männer leid’ge Staatzfunft an!

(Ab durch die Pforte, die drei Frauen ſchicken ſich an, rechts in den Garten ab» zugehen.)

Praredis (zur Pfalsgräfin und Agnes Leife). Der Kanzler fieht wie eine böſe Spinne!

Pfalzgrafin (ebenfo leiſe zu beiden). Er ijt der ſchlimmſte Feind Heinrich von Braunjchweig : Er jhürt und hebt!

Agnes (ent). Gott wende jeine Pläne!

Praredis. Gern käm, ein ſchillernd Mücklein, ich geflogen Und riffe fchwirrend feine Nee durch!

(Die Frauen ab in den Garten.)

Vierte Scene. (Kanzler. Gefandter (im reichten Staatskleid, eilfertig aus dem Thor, fieht fid) fpähend um.) Geſandter (eiſe). Ich treff' Euch noch allein? Gut! Hört noch einmal:

Der reihe Sitz, des Ihr Schon lang begehrt,

Der Biſchofſtuhl von Reims foll Euer fein,

Wenn unjfer Plan gelang.

Kanzler. Doch vorher, Graf:

Geld, Geld und Geld. Sonſt thu? ich feinen Schritt. Gefandter. Herr, Ihr feid unerjättlich wie ein Sieb. Kanzler (tomifh). Freund, mein Gewiſſen gilt eg zu be-

täuben,

Das lärmend, fchreiend meine Staatskunſt ſchilt:

Der Golddenare Klang nur übertönt e3.

Gefandter. Nun gut! Doc merft: diesmal find wir entjchlofjen!

259

Berwirft er unfern Plan, tritt er zu Mainz Uns fäuffich nicht den tollen Richard ab... Kanzler. Das thut er ſchwerlich. Gefandter (eiſe, raſch, unheimlich flüfternd). Nun, dann Heißt es rajch fein! (fieht ſich ſpähend um) Herrn Konrad Reiſ'ge, find fie auf Stahleck? Kanzler (verneint kopfſchüttelnd). Die Fämpfen fern bei Benevent! Gefandter. Dann geht’s! Der Lothringer ſteht längjt in unſrem Sold, Er liegt verjtedt im Wald, ganz nah am Rhein Ihr kennt den Ort? (Kanzler nid) Dort in den Hin- terhalt Führt Shr den Kaijer auf dem Rückweg, wenn Am Tag von Mainz er gegen uns entjchieden. Kanzler (tat, ei). AH, ich verſteh'! Nicht übel aus» gedacht: Wenn des gefang'nen Richard Kerkerwart Gefangen ſelbſt in Eure Hände fällt... -- Gefandter (cafch einfallend, drohend). Wird er nur frei, läßt er Herrn Richard uns! So lang bleibt er gefangen zu Paris. (PBaufe.) Kanzler. So was dergleichen meinte wohl mein Herr, Als er vorhin von Männer-Staatsfunft ſprach! (Baufe.) Was aber tröftet unterdefjen mich Für meinen Kaiſer, der gefangen figt? Gefandter (chlägt ihm vertraulich auf die Schulter). Biihof von Reims: Ihr könnt dann für ihn beten!

(Kanzler nidt befriedigt und fordert durd) Handbewegung den Gefandten auf, ihm durch die Pforte in das Schloß zu folgen; beide ab. Die Bühne bleibt eine Zeit lang leer. Es ift nun bedeutend dunfler gemorden.)

17*

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Fünfte Scene.

Nach geraumer Zeit wird zuerfi Friedrichs Kopf fidhtbar, der, an der Be

rührungsede der niedern und der hohen Mauer links an der dritten Eonliffe,

dem Publitum deutlich fichtbar, vorfichtig ſpahend, langfam Herüberfteigt. Ihm folgt fpäter ebenfo vorfihtig Heinrid.

Friedrich (ſpähend den Kopf langſam über die Mauer erhebend : als er den Platz leer fieht, fhmwingt er das eine Bein herüber und fingt!) leife, rittlings auf der Dauer fitend).

D du kleines, Holdes, feines, O du fühes Griechenfind: Laß die fiechen Rrüppelgriechen, Lern’, wie deutjche Minne minnt! (zu Heinrich, defjen Kopf nun aud) links Hinter ihm ſichtbar wird) Steig nur mir nad) hieher —: ’3 ift niemand hier! Heinrid) (Höher tommend). So jchweig’ doch till! Steigt er zum Taubenhaufe, So ſchreit der Marder nicht, er hält das Maul! Friedrich. Wir aber mwoll’n der Täublein Tauber

werden! (fingt mutwillig weiter, leife) Griechentäubchen, Dunfelhäubchen,

Mit dem roten Schnäbelein, Sag’, wo ftedit du? Ach, was nedit du

Lang des Taubers Girrepein!

(Springt nun geräuſchlos herab, Heinrich folgt ihm: über die Koftüme fiehe den Anhang: fie fpähen überall umher.)

t; Über Singen oder bloßes Sprechen der Lieder Friedrichs jiehe die Schlußbemerfungen unter: „Friedrich“.

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Heinrih. Beim heil’gen Grab! Laß doch nur jeßt die Lieder! Soll man den Vogel gleich am Sang erkennen? Friedrich. Freund, du Haft recht! Es ward mir nur auf einmal So ganz prarediih: und dann muß ich fingen! Ein Haud, ein Duft von ihr hat mich beraujcht! Seit Jahren, feit Byzanz, war fie verſchwunden, Bis gejtern plößlich nahe diefem Schloß Sie jprengt an mir vorbei auf leichtem Zelter, Den Falken auf der Hand. Heinrich (feurig). An ihrer Seite! Mit meiner Agnes, meiner Holden Braut! Friedrich. Du armer Bräut’gam! Hochzeit machjt du nie! Denn Feuer werden eher noch und Wafjer Als Hohenftaufen fih und Welfen einen: Die Ichroffite luft, die unsre Zeit zerjpaltet, Der Fehderuf: „Hie Waiblingen! Hie Welfen!“ Hält Euch getrennt. Heinric) (degeitter). Doch Flügel hat die Liebe! Laß ſeh'n, ob ich mit mir die Braut nicht trage Hoch über taufend Schwerter und den Tod! Friedrich (warm). Brad, junger Löwe! Alſo hör’ ich's gern! Das Schönfte doch, was Lied und Sage fingt, Es ift der Liebe todesfühner Sieg. Doch leichter ſtürmſt du noch einmal den Wall Serufalems, der Erjte deutfchen Heer, Heinrich (innig ihm die Hand reihen). Warſt du der zweite nicht, war ich des Todes! Friedrich (ortfahrend). AS daß die Staufentochter du gewinnft. (Baufe.) Du wagteſt dich in deiner Feinde Haus:

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Ich warnte treu weh, wenn fie dich erkennen! Auf unfer beider Häuptern liegt die Acht! Heinrih. Seit gejtern meine Agnes du gejehen, Seit id) die Braut in diefen Mauern ahne, Unwiderftehlich zieht es mich hieher! Ich muß fie wiederſehn ich muß erforſchen, Ob noch mein Bild in ihrer Seele Iebt. (Baufe.) Sie war ein Rind noch damals: weh mir, wenn Der Häufer Haß ihr Herz mir hat entfremdet. Friedrich (ernit und de). Wenn fie dich wirklich liebte liebt fie noch: Denn ew'ge Treu' iſt echter Minne Kern. Heinrich (warm). Dank für dies Wort! Du viel— geſchmähter Leichtſinn: Das Abend- und das Morgenland erklingt Von deinen Liedern, die du allen Schönen, Ob Kreuz und Schapel ſie, ob Turban tragen, Raſch huld'gend ſingſt: und doch dies tiefe Wort? Friedrich (poeſievol). Die Schönheit, Bruder, zieht den Sänger an Gleihiwie der Mond das Meer: er muß ihr folgen Und alle Sterne fpiegeln muß die Flut: Und doch glänzt Eine Sonne nur die Liebe! Heinrich. Und deine Sonne? Friedrich. Hat ein griechiſch Näslein! Gar viele lob' ih: doch Praredis lieb' ih! So folgt’ ich gern in diefe Thorheit dir Und fprang nachdem du nicht zu halten warjt Sprang keck mit dir in dies gejpannte Garn. Heinrich) (innig, auf feine Schulter gelehnt). Du ſprängſt mit mir für mich! auch in den Tod! Friedrich Geitey. Gewiß! Doch möglichit ſpät! Vorher noch Hoff’ ich

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Manch tönend Lied, manch fiegesfroh Gefecht,

Manch Fühlen Trunk und manden heißen Kuß. Heinrihd. Und deshalb Borficht!

Friedrich. Ja: denn Kaiſer Heinrich

Hat manchen Turm, gar dick und tief, darein

Er gern die Leute ſperrt, die er nicht mag.

Heinrich. Uns aber hat er noch nicht, wie den Richard,

Den löwenherz'gen Ohm von Engelland,

Nach deſſen Los geheim zu forſchen uns

Mein edler Vater ausgeſandt.

Friedrich. Der Kaiſer

Sit längſt wohl ſchon in Mainz: Und das iſt gut:

Sein Adlerauge dränge, fürcht' ich, rafcher

Durh unſ're Mummerei, als Frauenblid.

Heinrih. Biſt du gewiß, Praredis jah dich nicht ? Friedrich (verneint durch Gebärde).

Sch lag im Busch, des Finkenfanges pflegend, Heinrih. Den du Herrn Walther von der Vogelweide

Haft abgelernt wie feines Liedes Kunft! Friedrich (as). Ja, wie der Spaß die Kunjt der

Nachtigall!

Sch bin gewiß, die Mädchen ſah'n mich nicht.

Wauſe.)

Doch höre Freund, du kennſt mein durſtig Herz (Er öffnet den Deckel der Weinkanne auf dem Trinktiſch, ſieht hinein und ſtürzt die leere Kanne um.)

Huh alles leer und trocken wie die Wüſte. Heinrich (ſcherzhaft verweiſend). Schon wieder trinken? Friedrich. Heinz, du biſt ein Held:

Ihr Helden dürſtet nur nach Blut und Ruhm:

Ich aber bin ein Sänger und du weißt:

„Stets durſtig ſind die Sänger“.

Heinrich. Lieber Freund,

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Sch bitt' dich, wärm' nicht alte Sprüche neu!

Mit jenem Wort empfing ja ſchon Dietlind,

Die Tochter Rüdegers von Bechelaren,

Den frohen Sänger Bolfer von Alzei!

Friedrich. Nun gut: jo ſchlug ich denn nicht aus der Art:

Bon jenem Volker, jagt man, ftammt mein Haus. Heinrich. Das Singen ift 'ne Kunft: jedod) das Trinfen ? Friedrich. Ein weifer Becher, der viel trinkt, jedoch)

Biel mehr noch, als er trinkt, vertragen kann,

Und goldne Worte ſchlürft aus goldnem Wein,

Übt meifterhaft die Heitre Kunſt, zu leben.

Mehr trinken können als der Feind ift auch

Manchmal ein Vorteil: wirſt's noch einſehn, Heini!

(Schlägt lärmend auf den Tiſch und ruft:)

Helft, Leute, Feurio! Hier brennt's! Auf! Löfcht! Heinrih. DVerweg’ner, wie? Du rufjt fie jelbjt herbei? Friedrich. Ja! Unfichtbar kann ich uns doch nicht machen!

Wir find mal hier laß jeh’n, wie’3 weiter geht!

(ruft wieder)

Herbei, ihr Leute! Helft, hier ijt ein Unglüd!

Sechſte Scene.

Borige. Bumpo, am Gürtel einen großen Schlüfjelbund mit dem pfalzgräf-

lihen Siegelftempel, eine Nohrfeder binter dem Ohr fowie eine Pergamentrolle

im Gürtel, kommt ärgerlich und polternd aus der Pforte, ſchon im Auftreten den fpäter entwidelten Charalter andeutend.

Bumpo Gornig). Was giebt’3 Hier? Welch Geſchrei! Wo ift dag Unglück? Friedrich (Hält ihm die leere, umgeſtürzte Kanne entgegen). Hier ift dag Unglüd: ſeht ein leerer Weinfrug! Bumpo. Ha, kecker Gaud)! Friedrich. Ja, das iſt noch nicht alles:

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Ein leerer Krug: (diefen erhehend an feine Kehle faſſend) Ein voller Durjt daneben. Bumpo (miätig, herriſch. Wo fommt ihr her ? Friedrich. Von Adam ſagt die Bibel. Bumpo (immer zorniger und haſtiger, auf das ſich öffnende Thor weiſend). Still! Fort mich euch! Hinweg! da kommt der Kaiſer! Heinrich. Wer? (raſch, zugleich, Friedrich. Was? erſchrocken). Bumpo (temmt beide Arme in bie Hüften). Nicht wahr, Tandfahrendes Gelichter, Das jchredt euh doch? an Block und Staupenſchlag Sit eure Art gewöhnt, ihr Gau-Schlerenzer! Den Blutbann und den Kaifer fcheut ihr doch! Friedrich (aßt ihn an beiden Schultern und rüttelt ihn). Wer fommt aus diefer Thür, du alter Narr ? Bumpo (fi zornig losmachend). Der römifch-deutiche Kaifer,

du Vagant! Heinrich. Da ift er jchon! Friedrich (u Heinric). Jetzt wird es Hübfch ! Heinrich. Nun kühn!

Siebente Scene,

Borige. Raifer, Kanzler, Gefandter, die drei Frauen aus dem Thor. Heinrid und Friedrich treten ungejehen in das Gebüſch des Trinktiſches. Bumpo, mit einem ſchmachtenden Blick auf Praredis, ab in die Pforte.

Heinrich (owie er Agnes erbtidt). Sie ift’s! Sie ift’3, mein goldgelodter Engel! Friedrich (Pragedis erblidend, ebenfo). Und auch mein ſchön ſchwarz Teufelchen dabei! Kaiſer (tangiem). Das muß bedächtig, Graf, erwogen fein. Gefandter; Bei Saint-Denis, die Antwort ift doch kurz!

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Pfalzgräfin. Das find’ ich auch, Herr Graf: fie

lautet: „Nein“.

Gefandter (ipottend). Das ſprach zum Glück der Kanzler

nicht des Reichs

Das Sprach nur eine (Berbeugung) wunderſchöne Frau. Kaiſer. Die weifer, befjer, herzsgefcheiter ijt Als dort mein Kanzler und der zu Paris.

Gefandter. Der grimme Löwe darf nie wieder los,

Nihard von England darf nie frei mehr werden! Friedrich (achend, Leife zu Heinrih). Ha, ha! Den fürdten fie, mehr al3 den übeln Teufel! Heinrich (ceiſe). Ja, Philipp Auguft und des Richard Bruder, Friedrich (ef). Der Dieb, der jaub’re Prinz Jo— hann, die ſich.. Heinrich (eiſe). In des gefang'nen Löwen Land geteilt; Friedrich (eiſe). Gebt acht! Herr Blondel und Herr Ivanhoe, Vor allen Burgen ſingend ſuchen ſie, Heinrich (eiſe). Und finden fie ihn, läßt ihn frei der Kaiſer, Friedrich (eiſe Tahend). Wie laufen dann die Hafen

vor dem Leu'n! ]

(Raſches Geflüfter,)

Kaiſer (hat unterdeſſen mit dem Kanzler und dem Geſandten leiſe ge—

ſprochen, kopfſchüttelnd). Den Löwenherz ſoll Euch ich überliefern? Kanzler. Für ſehr viel Geld!

Praredis (Gortretend). Der Kaiſer iſt kein Jude. Kanzler (achſelzukend). Ein Jud' iſt manchmal reich, mein

ſchönes Kind,

Geſandter. Und immer arm ſagt man! ein röm'ſcher

Kaiſer!

267

Kaifer (gutmütig laden). Da hat er vet! Das kann ich nicht beſtreiten! Pfalzgräfin. An treuen Freunden reich iſt Kaiſer Heinrich. Geſandter (acht). Wir wiſſen das! Beſonders dort in Braunſchweig! Friedrich (eiſe). Der welſche Schelm! Heinrich (ehr grimmig, will vorbrechen, Friedrich hält ihn mit Mühe zurück, Teife). Gleich hau' ich ihn zuſammen! Kanzler. Das iſt's ja eben, daß Ihr Hilfe braucht! In Braunſchweig iſt man nicht ſo ſpröd wie Ihr. Geſandter. Heinrich der Löwe buhlt um unſre Gunſt! Heinrich (reißt ſich von Friedrich los und tritt aus dem Gebüſch heftig anf den Grafen zu. Graf Lorjol de Nonant, das lügt Ihr frech! Friedrich (wollte ihn vergeblich halten, tritt dann mit vor). Halt’ an dich, Heinz! Zu ſpät —! wir find verloren.

(Großes Erftaunen der übrigen über das plötliche Erjcheinen ver bisher Unbe- merkten: Gefandter greift ans Schwert.)

Kaifer. Wer jeid Jhr ? (fehr raſch Pfalzzräfin. Woher kommt Ihr? nachein⸗ Kanzler. Und was wollt Ihr?)] ander).

(Heinrich fteht ſprachlos vor Aufregung, greift ebenfalld ang Schwert die beiden Mädchen muftern neugierig, aber verftohlen, die freunde.)

Friedrich (mil Zeit gewinnen, etwas zu erfinden).

Gemach! Das find drei Fragen auf einmal. Heinrich (verlegen)... Wir wollten gern... Friedrich (verlegen, aber doch Tuftig). Wir find fehr

durſtig —: Waſſer.

Pfalzgräfin (Heiter zu Friedrich).

Ihr jeht nicht aus, als tränft ihr Waſſer gern. Kanzler. Wie famt ihr hier herein ?

Friedrich (komifc verlegen). Das ift schon Schwerer Bu jagen! Ei: (auf die fehr hohe Mauer deutend) wir fielen da herunter.

1 (leife dringend zu Heinrich) So fomm’ mir doch zu Hilfe fag’ doch auch was!

268

Heinrich (mit einem Blick auf Agnes).

Wir ſah'n Hier oben ranfen duft’ge Roſen . .. Agnes (tief bewegt, raſch für fich).

Bei Gott im Himmel das ift jeine Stimme! Heinrich. Und ftiegen auf den Wall und... (ftodt) Friedrich (tuftig). Vielen runter! Kaiſer (trend). Wer jeid ihr?

Gefandter (die Hand am Schwertgriff).

Kann ein Ritter mit euch kämpfen? Heinrich (bejaht ſchweigend, die Hand wieder an das Schwert Iegend). Friedrich (gevehnt).

Sa! Wer wir find?? (Kaufe) Das ijt recht leicht

zu fragen.

Doch nicht jo leicht zu jagen, wie Ihr meint. Pfalzgrafin. Ihr werdet doch die eignen Namen wiſſen? Friedrich (immer zögernd). Gewiß! Natürlich! Könnt

Ihr nur fo fragen! (für fid) Set Hilf mir, Fabelkunſt, du holde Zei! (laut) Wir find ich bin mein Freund hier ift Herr Friedrich Bom Leu'n, ein weitberühmter Minnefänger! (Agnes madıt eine Bewegung des Zweifels.) Pfalzgrafin. Vom Leu'n? Vom Leu'n? Den Namen Hört’ ich nie. Kaiſer. Ich fenne meines Reiches Sänger gut: Bon foldem Minnefänger hört’ ich nie. Friedrich. Nun wartet nur: bald joll er Euch was fingen. Geinrich madıt eine Bewegung des höchſten Schredens.) Friedrich (für fih, lachend). Mein armer Heinz! darauf bin ich begierig! Er findet feinen Reim, müßt’ er drum fterben!

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Praredis (neugierig, ſcharf muiternd, an Friedrich herantretend, argwöh— niſch, gebehnt). Und hr?

Friedrich (af, mit einer Verbeugung).

Sch bin, Holdfelige Praredis, (Praredis ftugt, da er ihren Namen kennt.) Bor allen Euer feuriger Bewund’rer . .

Praredis. Und heißt?

Friedrich. Ja, reicher Gott! Wie heiß' ich? Im Anſchau'n Euer hab' ich's ganz vergeſſen.

Kaiſer. Wie heißt Ihr?

Friedrich (gögernd). Sch kann nichts für meinen Namen! Bedenkt, ich hab' ihn mir nicht ſelbſt gewählt: Laßt mich's entgelten nicht, ich nenn' ihn ungern

Kaiſer (fteigernd). Wie heißt Ihr? Sprecht!

Heinrich (Für ſich. Jetzt bin ich ſelbſt geſpannt!

Friedrich. Sch bin der Ritter Heinz von Thunichtgut Und iHerabfafiend) diefer arme Kauz da ift mein Dienjtmann.

(lacht, für fi) Zum Dienjtmann einen Herzogsjohn, wie vornehm!

Praredis (tritt rechts ganz vor, für fi).

Wenn diefer Thunichtgut fein Blondbart wäre, Nie fah ich foviel Ähnlichkeit auf Erden. Heinrich (tritt vor). Graf de Nonant, ich darf euch Fänıpf- lich grüßen: An Blut und Rang und Heerjchild ſteh' ih euch Mein Eid! nicht nach, und hier, vor meinem Raifer, Zum Rampfe fordr’ ih Euch. Pfalzgräfin. Gemach, mein Freund! Das Kämpfen kommt vielleicht noch: doch vorher, Herr Graf, beweiſt, was Ihr ſo keck behauptet, Daß Frankreichs Gunſt der Löwe Heinrich ſucht.

270

Kaiſer. Das find ich billig: ja: beweift das Wort; Es kann nicht ſchwer fein, habt Ihr wahr gefprochen. Gefandter. Am Tag zu Mainz, nicht hier! (su Heinrich) Und nicht für Euch! Ich mit Euch fämpfen, einem armen Dienftmann! Friedrich (für fih). Das eben wollt’ ih! Keinen Zweikampf bier! Gefandter. Herr Raifer, weilt hinaus den Mauer-Stfettrer, Der Franfreihs Abgefandten hat bejchimpft. Pfalzgräfin. Halt ein, Herr Graf: ich bin die Burgfrau bier: Gaſtrecht zu ſchenken oder zu verjagen Steht mir allein zu! (tädelnd zu den Fremden) Iſt der Weg auch jeltiam, Den dieſe Gäfte wählten in mein Haus, Sie haben fich vortrefflich eingeführt, Berteid’gend einen Hartverflagten Fernen, Der fich nicht ſelbſt verteid’gen fann —: das lob' ich Und warm willfommen grüß’ ich folche Gäfte. Kaiſer (eiſe zur Pfalzgräfin). Auch mir gefallen ſie doch, Vorſicht, Freundin! Herr Thunichtgut hat offenbar gelogen: Den andern dort, den Hitzkopf, fang' ich gleich! (laut rufend, ohne Heinrich anzuſehn) Herr Friedrich! (Heinrich antwortet nicht auf den ungewohnten Namen ; Kaiſer wendet ſich num ſcharf gegen ihn.) Nun? Ihr Heißt doch „Friedrich“? Nicht? Heinrich) (fast fi mühſam und bejaht ſchweigend; zu Friedrich). Das fommt von deinem übermüt’gen Lügen! Kaifer. Sprecht, Jüngling fagt die Wahrheit Eurem Kaiſer (fieht ihm voll ind Auge) Ihr feid dem Löwen Heinrich nah befreundet ?

271

Heinrich. Mein Kaifer: Ja! Griedrich giebt feinen Unwillen über diefe Offenheit zu erkennen) nad) Euch fteht mir am höchſten Heinrich der Löwe.

Friedrich (ärgertih). Doch er haft jo fcheint es Den jungen Heinrich: und will ihn verderben.

Kaiſer. Sagt an, im Ernſt denn jener Schalt

erfand, Als ob nicht Ihr, als ob er jelbjt der Sänger! Was fucht ihr Hier? Was wollt ihr in der Gegend? Seid ihr vom Löwen felbjt nicht ausgejendet ? Heinrich (nad) kurzem Befinnen faßt einen Entſchluß). Mein Kaifer: Ja!

Friedrich (erihroden, leiſe. Gott, das iſt allzufühn !

(Die andern Anmefenden drüden ihr Erftaunen, Agnes ihre Bejorgnis aus.)

Heinrih. Wir find an Euch gejandt, um endlich Frieden Dem armen Reich und Euch und uns zu fuchen.

Wir find ja nicht befiegt ihr wißt's, Herr Kaiſer: (KR aifer macht eine Bewegung des Unmuts, aber der Einräumung.) Doch Fluch dem Kampf, ja Fluch dem Siege felbit, Den unjre Waffen über Euch gewönnen! Berjühnung beut der Löwe Heinrich Euch! Kaiſer (wendet ſich ſtreng ab; Bitter und ſtolz). Verſöh nung! Pfalzgräfin (lüſternd und mahnend zu Heinrich). Unterwerfung ijt das Wort! Heinrich (in edler Wärme). Auch Unterwerfung: denn Ihr jeid der Kaiſer! Und wer im Recht, im Unrecht von uns beiden Bon Anfang war, ter will das noch entwirren! Und wären wir allein im Recht ſei's drum: Das ſchönſte Recht ift Neich und Kaifer dienen! Agnes (für fi, tief bewegt). Bei Gott, er iſt's! Noch lauter als die Stimme Verrät ihn mir fein Herz er muß es fein!

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Heinrich (immer begeifterter und feuriger werdend). Im Namen Heinrichs biet? ich Unterwerfung ! Gebt ihm den Frieden, nehmt die Acht von ihm, Das Feldgefchrei: hie Waiblingen, hie Welfen, O laßt's verftummen, das unfelige. Frei gebt Richard von England, feinen Better, Und euren Feinden: Franfreih, Rom, Byzanz, Führt voll vereint die deutjche Kraft entgegen! (Inter) (PBaufe.)

(Kanzler und Gefandter drüden ihre beforgte, die drei Frauen ihre freu- dige Erwartung von dem Eindrud diefer Worte auf den Kaifer aus.)

Raifer (bewegt). Steht auf, Herr Ritter, gut Habt hr gejprochen ! Geinrich erhebt ſich.) Euch glaub' ich: ſolches Feuer lügt man nicht. Jedoch, wer bürgt, ob auch die Heinriche, Der Vater und der Sohn, geſinnt, wie Ihr? Sie bieten Worte: ſäh' ich einmal Thaten! Ja, ſäh' ich einmal treu für dieſes Haupt Das Schwert ſie ſchwingen und ihr Blut vergießen Ich wollt' verzeih'n. Heinrich (ebhaft). So ſtellt ſie auf die Probe! Der Herzog Lothringens Hat fih empört: Im Bund mit Frankreich joll er heimlich fteh'n:

(Gefandter verneint Yebhaft.)

Wohlan, Shit unf’re Scharen gegen ihn Und feht, ob wir nicht fechten für das Reich. Kaiſer (wieder kalt, mißtrauiſch). Ja, könnt' ich das! Doch zu gefährlich iſt's! Denn, wenn ſie nun die Probe nicht beſtänden, Wär' ich verloren und das Reich dazu! (argliftig)

273

Nein! Iſt's euch mit der Unterwerfung Ernſt Soll Geifeln mir der alte Löwe jtellen

(lauernd) Den jungen Heinrich, feinen Sohn...

Heinrich (fortgeriffen von edler Wallung, will fich zu erfennen geben und fofort felbft ala Geifel ftellen).

Wohlan —! Friedrich, (Hart ihn raſch zurüd, ſehr raſch und eindringlich). Halt ein! Um Gott! Den, wie er jahrelang Den Löwenherz gefangen hält im Turm! Du fiehjt die Sonne nicht mehr, greift er dich: Nur mit des Vaters Willen darfit du’3 wagen! Agnes (für fi). O Gott! Er darf nicht! Heinrich (Hat fi gefaßt, Leif). Dank, Freund, du ſprichſt wahr. (laut) Wohlan, Herr Kaiſer: Euren Borfchlag bring’ ich Heinrich dem Löwen: glaubt’s, jung Heinrich ftellt fich! Pfalzgrafin Gittend). Dann aber fegt den jungen Löwen hier In janfte Haft: vertraut ihn meiner Obhut. Kaiſer (ur Pfalzgräfin, hörbar für die beiden Mädchen : argliſtig und rachgierig, feine tyrannifche Ader bricht durch). Nein, ſchöne Freundin! Das wär’ zu gewagt! Ihr wär’t im ftande, Eurem Kind ihn nochmal, (fpöttifch) Den Unvergeßnen! zu verloben! Nein! Hab’ ich ihn erft, dann fperr’ ich auf Sicilien Ihn in den tiefiten meerumraufchten Turm: Auch feinen Freund, den Sänger, daß nicht wieder Ein Blondel mir vor allen Burgen flimpre. Und eher nicht fhau’n fie die Sonne wieder Bis meine Rache voll gejättigt ift! (Schrecken der drei Frauen.) Dabn, Sämtl. poetifhe Werke. Erſte Serie Bd. VI. 18

274 Praredis (zu den beiden andern). Unheimlich grimm ift diefer Königstiger. Pfalzgrafin (au). Zum Glüd für Heinrich Habt Ihr ihn noch nicht:

Recht weit von Eurem Griff iſt gut für ihn! Agnes (feife, zitternd). DO Himmel und hier jteht er dicht bei ihm! Laß, Gott, ihn nie in diefe Hände fallen. (Zrompetenruf von außen.)

Bumpo, Gerhard, Veifige (aus dem Thor).

Bumps. Die Rofje jtehn gejattelt, wie befohlen.

Kanzler. Herr Raifer, auf nad) Mainz! Es drängt die

Zeit!

Gefandter. Erſt meines Auftrags muß ich mich entled’gen Der (u Agnes) Euch gilt, Hold’ste Blume deutſcher Erde: Der Raifer, Eures Haufes Haupt, ftimmt zu,

Auch Euer Bater kann nicht widerjtreben: Der Herr des ſchönſten Reichs im Abendland, Mein Herr, der ritterliche Philipp Auguft, (fteigende Spannung aller Anweſenden) Der König Frankreichs, wirbt um Eure Hand! (Kleine Paufe.) Und alſo fehlt nur Euer Ja-Wort noch, Das ich erbitte (inied: Frankreich Huldigt Euch: Hier giebt's nur Eine Antwort: die heißt

Heinrich (aſch, Leife). Gott! Was wird ſie ſagen! Agnes! Agnes!

Agnes (aut). Nein!

(Geſandter ſpringt zornig auf, Unwille des Kaiſers und des Kanzhers, Freude Heinrichs und Friedrichs: Freude, aber auch Beſorgnis, von Pfalz- gräfin und Praxedis.)

Agnes. Sagt Eurem Herrn: Sch bin jung Heinrichs Braut: Und niemal3 werd’ ich eines andern Manns,

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Heinrich (te). O Gott! = Friedrich (eiſe). Brav, Kleine! * Pfalzgräfin. Agnes! 2 Kaifer (rohend). Warte! 8 Kanzler. Ihorheit!|e Agnes. Ich kann jo oft den Treuefchtwur nicht wechjeln ! ® Wie Euer Herr. E

Gefandter. Was wagt Ihr da zu jagen? Agnes. Die Wahrheit! Sprecht: was hattefie verbrochen, Bon Dänemark die fchöne Ingeborg, (Gefandter zudt bei diefem Namen.) Die grundlos diefer ritterliche König Berjtieß aus eitel Willfür? Spredt! Ihr ſchweigt?

(Paufe.) Praxedis. Schlimm muß es fteh’'n, muß ein Franzoſe jchweigen. Friedrich. Bei Griehinnen fann’3 jo ſchlimm gar nie ſteh'n. Kaiſer (ehr ftreng). Ich werde dieſes Kindleins Trotzkopf beugen,

Verlangt's das Wohl des Reichs: das wird alsbald Sich allzuſammen nun zu Mainz erled'gen: Dort werd' ich zwiſchen Frankreichs Anerbieten Und Englands Freundſchaft meine Wahl entſcheiden. Geſandter (eiſe zum Kanzler). Weh ihm, weiſt er uns ab. Kanzler (ebenfo). Jawohl, dann mag Der Lothringer in Eure Hand ihn liefern. Kaiſer. So gebt mir Urlaub, ſchöne Pfalzgräfin! Manch gutes, kluges Wort habt Ihr geſprochen, Das ich bedenken will. Pfalzgräfin. Lebt wohl, Herr Kaiſer! In Mainz ſei mit Euch Euer guter Engel! 18*

276

Kaiſer (teife zum Ranzler). Was dieſe beiden Sendlinge be- trifft, Laßt ſcharf fie überwachen: nöt’genfalls: Berhaften. Habt Shr hier im Schloß nicht jemand, Dem jolhen Auftrag Ihr vertrauen mögt? Kanzler (feife, auf Bumpo deutend). Jawohl: mein Better dort, mir blind ergeben, Des Schloſſes Kaftellan ihm kann man trau’n. Kaiſer (teijd. So gebt ihm Vollmacht, gebt ihm Brief und Siegel.

(Kaifer und Kanzler flüftern mit dem herbeigewinkten Bumpo, der, unter Gebärden höchſter Dankbarkeit für die erwieſene Ehre er beteuert eifrigfte Ausführung der anvertrauten Aufträge, vom Kanzler eine unbefchriebene Pergamentrolfe, an welder das kaiſerliche Siegel hängt (fiehe den Anhang),

empfängt und forgfältig im Bruftwams birgt.) -

Friedrich (teife zu Heinrich). Dies Ohrgeflüfter, Heinz, gieb acht gilt ung! Agnes (tif). Was planen fie? Pfalzgrafim (teife zu Praxedis). Was ziicheln fie geheim? Prazedis (teif). Weiß nicht! Doc hält fein feinjtes Neb Beitand Bor Mäufezahn und Mädchenliſt. Kaiſer (zur Pfalzgräfin). Lebt wohl! Auf Wiederſeh'n, wann die Entſcheidung fiel Zu Mainz! Pfalzgräfin. Mein großer Kaiſer, folgt der Stimme Des Edelſinns in Eurer Bruſt!

Kaiſer (mit freundlichem Spott). Und Eurer Staatskunſt! Kaiſer geht durch das Thor ab, ehrerbietig begleitet von allen Anwejenden: Kanzler und Gefandter folgen ihm zur Abreife: als aud) die beiden Freunde fi, ungern, zögernd, anfdiden, mit dem Kaiſer das Schloß zu verlaffen, winft

ihnen beiden gaßlich die Pfalzgräfin.)

Pfalzgräfin. Berweilet noch in meinem Haus, ihr Herr'n

Wir möchten gern euch tiefer Fennen lernen.

(Beide Freunde danken erfreut und folgen nun der Pfalzgräfin und Agnes

durch die Pforte: als auch Praredis in die Pforte treten will, zupft fie Bumpo am Ärmel und zieht die Erftaunte wieder nad) vorn.

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Achte Scene. PBraredis. Bumpo. Bald darauf Pfalzgräfin und Agnes aus der Pforte.

Bumpo (ven beiden Freunden drohend nachrufend). Jawohl! Wir woll’n euch tiefer kennen lernen! (zu Praredis) Was jagt Ihr nun, Höchit ſpöttiſche Praredis ? Was dünft Euch nun von Bumpo, dem Kaft’lan? Prasedis. Was jtets, Herr Bumpo: nichts Bejondres eben! Bumpo. ©o, jo? Und doch hält diefer Bumpo hier (die Rolle emporhebend) Des Kaifers Brief und Siegel in der Hand! (aufgeblajen) Bald Find’ ich nun den pfalzgräflichen Dienst Und werde Faiferlicher Unterfanzler. Als Faiferlicher Kanzler aber darf Um Eure Hand ich zuverfichtfich werben. Praredis (für ih). Was Schwagt der Narr? (nasfinnend) Sie flüjterten mit ihm! (laut) Sa freilich, edler Bumpo, wenn das wahr... Bumpo (eifrig). Ihr zweifelt noch? Da feht! Des Kaifers Siegel! (Hält es ihr vor die Augen) Ich bin betraut von Better Sigilocus Mit einem höchſt geheimen Staatsgeſchäft. Praredis (tan). Wie? höchſt geheim? Bumpo. Sa: ſelbſt nicht Euch zu fagen. Praredis (einſchmeichelnd). Herr Bumpo, wie? Ihr mwerbt um meine Minne Und hegt Geheimnis vor der Minne-Herrin ? Sp ſchlecht verjteht Ihr Minnepflicht und -dienft?

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Bertraut mir dies Gefchäft! AUS Eurer Liebe Beweis verlang’ ich das! Bumpo. Geht nicht! Nein! Geht nicht. Praredis (zrtlich). Wie? Und Ihr jagt, Ihr Tiebt mich! (eufzenn) Geht, Ihr jpielt nur! Bumpo (eifrig). Sch lieb' Euch ſchrecklich: aber... Praredis (unwiderſtehlich). Lieber Bumpo! (Bumpo Hort Hod) auf.) Ihr Habt ein Küßlein oft von mir begehrt, (ſchelmiſch verſchämt) Als Vorſchmack unſrer künftigen Verlobung! Bumpo (warm, eifrig). Ei! (ihren Ton nahahmend) „Lieber Bumpo!“ Bitte, jagt das noch mal! Praredis (teigernd). Mein lieber Bumpo! Für das Staatsgeheimnig: (leife) Ein rotes Küßlein! Bump». Nun, jo hört! Doch ſchweigt! Praxedis. Gewiß! So ftumm wie Ihr! Bumps (um fi fpähend, dann geheimnispoll, die Hand vor den Mund haltend, ſehr ernfthaft). Es gilt den beiden! Praxedis (eſchreckend, leiſe). Sch dacht’ es wohl! (aut) Wen gilt's? Bumpo (mit dem Daumen der linken Hand hinter ſich deutend). Den Lauf-durchs-Land da, Den Mauer-Hüpfern, jenen jungen Laffen, Die Euch ich ſah es ſcharf! und Fürſtin Agnes So frech verliebt beguckt! Nun wartet, Büblein! Praredis (chlau). Wer find die beiden? Wißt Ihr's, treuer Bumpo? Bumpo (wichtig). Ya!

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Praredis (eifrig, ſehr neugierig). Sprecht! Bumpo (wichtig). Verruchte Staatsverbrecher ſind ſie! An Kaiſer und am Reich Hocd-Erz-Berräter. Praredis (unwirig). Ach was! Doc ihre Namen ? Bumpo. Weiß ich nicht! (Praxedis madht eine unwillige Bewegung.) Doch foll ich fie erforschen, überwachen (fehr drohend) Und nöt’genfalls . . .— Praredis (kann kaum ihren Schreden verbergen, raſch einfallend). Nun? Redet! Ihr erfchredt mich! Bumpo (oronend). Nun, nöt’genfalls in Eifen feſt fie Schließen Und in den Meerturm ſchicken nach Palermo! Praredis (fich verratend). D Gott im Himmel! Bumpo. Wie? Ihr bangt für ſie? Praredis (Hat fi gefaßt). Nein! Nein! Mir graut nur vor den Böjewichten Und Ehrfurcht riefelt falt durch mein Gebein Bor Eurem wicht'gen Amt! Shr feid ja wirklich Ein hochgewalt’ger Mann in Kaiſers Nat. Bumpo (jeröitgefätig). Gut, daß Ihr's endlich einjeht. Nun: das Küßlein! Praredis (entweicend). Nicht hier, wo's alle Leute ſeh'n! Man kommt! (Pfalzgräfin und Agnes werden fihtbar in der Pforte.) Bumps. Nun gut! $n jenem Türmlein denn dort drinnen! (weift auf den Papillon) Kommt mit hinein! Den Schlüffel Hab’ ich hier: (sieht ihn aus dem Sclüffelgurt) Ich hab’ da drin zu thun und Ihr Fhr Helft mir! Praredis (aufmerkſam werdend). Was wollt Ihr dort?

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Dumps (fließt auf, der Schlüffel bleibt von außen fteden: geheimnisvoll).

Duartier bejorgen für

Die beiden Galgenvögel, daß fie nicht

Heut Nacht entwifchen, gehn fie frei umher.

Das Schloß ift offen faft, Leicht fteigt man über:

Doc (mit bosHafter Freude ihr alles zeigend) ſeht: der Laden hier ift außen jchließbar

Die Thür ift feit: Ceütter) feht nur! das giebt nicht nach

Und wer da drinnen einmal fit (achend) der fit,

Sit Staatsgefangen! Helft mir nur ein wenig,

Den Gäften dort behaglich Hübjch zu betten,

(ex ift Hineingegangen und bringt Deden heraus, welche Braredis glättet und ihm wieder reicht)

Daß fie die Lift der Einfperrung nicht merken Und willig mir hereingehn!

Prazedis. Ihr jeid Schlau!

Bumpo. Da drinnen fieht das Küßlein dann fein Menjch! Seht nur, ob feſt von außen fchließt der Laden! (Seht in den Pavillon: Praxedis madt fid) an dem Laden zu fchaffen: fie macht ihn von dem äußeren Wandhafen los und verſucht, ob er zu jchließen. Einftweilen fommen Bfalzgräfin und Agnes eifrig ganz in den Vordergrund links in das Gebüfc des Zrinktifches: vol mit fid) ſelbſt befchäftigt beachten fie die Vorgänge am Papillon jo wenig ald Bumpo und Praredis auf Mutter

und Tochter merken: alfo gleichzeitiges Doppelfpiel an den beiden Eckſeiten der Bühne.)

Agnes (die Mutter mit fid) vorziehend, in tieffter Erregung). D Mutter, Mutter! O welch’ Glück! welch' Glück! Pfalzgräfin Geſorgh. Was haft du, Kind? Du glühft! Du bebft! Du weinſt! Agnes. Bor Angft und Wonne! Thränen find’ ich, Mutter, Doch Worte nicht! (Wirft fi an ihre Bruft.) Pfalzgrafin. So ſprich doch, Kind! Komm, fprich! Agnes (tritt wieder von der Mutter hinweg). Sch kann's nicht fagen! Ah ich bin fo felig! Pfalzgrafin. Was kann's nur fein ?

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Agnes, Ach Mutter, jagen nicht, Nur fingen könnt’ ich’3 etwa... Pfalzgrafin. Singen? Kind?

Do freilich! Sn Liedes Wort Spricht leichter fich das Tiefite. Agnes. Sa, fingen. In dem Wort viel füßen Liedes... Pfalsgrafin (macht eine fragende, aber ſchon ahnungsvolle Bewegung).

Praredis (Hat einftweilen den Laden geihloffen und den langen Holz. tiegel von außen vorgefchoben, laut rufend zu Bumpo, der drinnen).

Hält’3 nun? Bumpo (den Kopf zur Thür herausftredend, nachdem er von drinnen an dem Laden gerüttert). Ganz feſt! Den Laden ob’ ich mir! Praredis. Hält's auch gewiß? Verſucht's nochmal, Herr Bumpo! Bumpo (verihwindet, rüttelt von innen, dann ruft er): Shr jeht: das Hält! Wer drinnen ift, bleibt drinnen! Praredis (ichlägt lachend die Thür zu, dreht den Schlüfjel um, zieht ihn ab und hält ihn Hoch empor). So bleibt denn drin! Gut’ Nacht, gut’ Nacht, Herr Bumpo! (Mit fpöttifcher Verbeugung vor der Thür.)

Pfalzgräfin. Wie heißt das Lied, wie heißt dag Wort?

id ahne! Agnes (wirft fi an der Mutter Bruft). „Ah, der Heini von Braunfchweig ift wieder im Land!“

(Erft jest, nachdem diefe Worte vom Publikum deutlich verftanden find, hebt Herr Bumpo von innen heftig zu podhen an. Praredis hat fich fragend ber Pfalzgräfin zugewendet, welde, ihr dur einen Wink alles erflärend und die Hände gerührt auf das Haupt ihrer Tochter Iegend, [die fih an ihrer Bruft verbirgt,] gefühlvoll mwiederholt:) „ch, der Heini von Braunſchweig ift wieder im Land!“ Praredis (tritt raſch veritehend Hinzu).

(®ruppe.) (Vorhang fällt raſch.

II. Aufzug.

Die gleiche Scenerie.

Heller Morgen. Thür und Fenjter des Turm-Pavillons flehen offen; an einem der Stühle des Schreibtiiches hängt eine Laute.

Erſte Scene. Pfalzgräfin, Agnes, Praxedis (treten aus dem Thor und fommen im Geſpräch langſam nad) vorn).

Pfalzgräfin. So find fie denn erfannt, die liſt'gen Gäſte! Ei, ei, Praredis —: unfern reifen Scharfblid Hat hier dies Kind beſchämt: e3 fand den Liebiten Sofort heraus, indes wir Klugen ſchwankten.

Praredis. Sa, bei der Heil’gen Weisheit zu Byzanz, Dies Lämmlein ijt viel fchlauer al3 wir alle:

Denn erſt nachdem fie uns Drejt gewiejen, Erkannt' ich feinen Pylades, den Schal.

Pfalzgrafin. Nun ſoll'n fie büßen, die ſich unterfangen, Uns Frau’n zu täufchen! Wartet nur, ihr Herrn! Beihämt, verwirrt, bejiegt jollt ihr befennen,

Daß Frauenlift euch überlegen ei. Praxedis. Er foll mir zappeln, mein Herr Thunichtgut ! Pfalzgräfin Gu Agnes). Nachdem jo fein den Freund du ausgefunden, Wirſt du duch Lift ihn auch entlarven können? Agnes (einfah). Liebt er mich noch, jo wird's der Lift nicht brauchen: Liebt er mich nicht mehr, ift die Lift umfonft.

Praredis (achelnd). Aus Haß Ihlih er doch fchwerlich J

hier ſich ein!

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Pfalsgrafin (weift auf die auf dem Schreibtifch liegenden Bälle). Hier, unfer Ballipiel foll jte überführen! ernft) Doch ad, dies iſt die heit're Hälfte nur Bon unfrem Werk: die and’re, liebe Mädchen, Sit ſchwerſter Ernjt: denn furchtbar unvorfichtig, Vaghalfig-tollfühn wie nur Liebe wagt! War’3 von den beiden, fich in Kaifers Nähe, In feiner Macht und Lift Bereich zu wagen. Ihr faht ihn wohl, den grimmen Blick des Hafjes ? (Beide Mädchen bejahen, traurig, beforgt.) Entdeckt er fie und Hat er fie in Händen, Dann wird im Turm der junge Heinz und Friedel Ein alter Heinz und Friedel! Agnes (tief erfchroden). Reh —: ım mich! Pfalzgrafin. Nicht ich, nicht mein Gemahl kann dann fie ſchützen! Und diefer Bumpo, mit des Kaiſers Vollmacht, Dem Kanzler blind ergeben, ift gefährlich! Gebt acht, Schon braut er Rache für den Streich), (zu Praredis) Den du ihm jpielteit. Praredis (a5). Faſt die ganze Nacht Hat er gepocht, gepumpert und gejchrie'n! Geihah ihm recht! Er und mein Mündchen küffen! Mit Diſteln, doch mit Rojenfnojpen nicht, Speift man den Ejel. Biel zu früh noch Hat Das Lämmlein ihn befreit. Agnes (gutmütig). Zur Frühſtückſtunde! Praredis. Damit er bald dich wieder quälen kann Mit jeiner Schreibleftion, der Erzpedant! Pfalzgrafin. Er ift gereizt: die Gäſte nedten ihn: Er wird ſich grimmig rächen.

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Praredis (teiöthin). Wenn er fann! Pfalzgrafin. Ei, diefer Tölpel, plump und dumm, doc boshaft,

Hält mit des Kaiſers Siegel beider Schidjal In derber Fauft. Praredis. St er doch Euer Diener! Muß er nicht thun und laſſen, was Shr wollt ? Pfalzgrafin (opfſchüttelnd, ſehr ernft). Nein. Kaifer Heinrich, Kanzler Sigilocus Gebeut durch ihn: die Reichsacht träfe jeden, Der nicht ſofort erfüllt, was unter Siegel Des Kaiſers er befiehlt. Praredis (nadfinnend). So müßten wir Das böſe Pergament ihm denn entloden: Dann wär’ er wieder Bumpo wie zuvor! Pfalzgrafin (cas). Das läßt er nicht von fih, um feinen Preis! Bol Argwohns, wie ein Drache feinen Hort, Im Bruftwams fchleppt er's ftet3 mit fich herum. Wir müſſen's anders angeh'n: aber wie? Vergebens jann ich nah! Doch ſtill da fommt er.

Zweite Scene.

Borige. Bumpo (mit einem großen offenen Kaften, der das fpäter erwähnte

Screibgerät enthält: [zwei Nohrfedern, Tintenfaß, mehrere Pergamentrollen mit

daran hängenden Siegeln, ein Büchslein mit gerafpeltem Bein, eine Radierflinge,] aus der Pforte).

Bumpo (fowie er Praxedis erblickt, gereizt). Sungfrau Praredis, das geht übern Spaß! In ſolchem Loch mich eine ganze Nacht Gefangen halten! Irgend wer ſoll's büßen!

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Praredis (auf Mahnen der Pfalzgräfin). Berzeiht, es war ein Scherz. Pfalzgrafin (degütigend). Sie joll’3 vergelten, Sit fie erſt Euer Weib! Praredis (teife, heftig zu Agnes und der Pfalzgräfin, bie Finger krümmend). Die Augen fragt’ ich Ihm ſchon am Heimweg vom Altare aus! Pfalzgrafin (win ihn freundlicher ftimmen). Und was fie Euch verſprach, das ſoll fie Halten: Ihr Habt ein Recht auf einen Kuß! Bumpo (erfreut). D Herrin, Ihr feid verkörpert die Gerechtigkeit. Praredis. Jawohl auf meine Kojten! Dumps. Fürftin Agnes, Sch fam jo früh, um ungejtört von jenen Baganten, die im Rhein des Bades pflegen, Schreibunterricht Euch wieder zu erteilen. Agnes (jeufzt). Pfalzgrafin u Praxedis). Er ijt der Plaggeift ihrer jungen Tage! Praredis (teife zu beiden). Und doc ijt’3 gut, kann man ein Brieflein fchreiben.

Agnes (geht gehorfam an den Screibtifh und fegt fih, dem Publikum vol das Antlig zulehrend).

Bumpo (breitet dad Schreibgerät pedantiſch auf dem Tiſch au2). Ihr wißt, Herr Pfalzgraf hat es ftreng befohlen! (predigend) Die Schreibfunft und die zugehör’ge Leskunſt Sind aller Weisheit, Kunjt und Wifjenjchaft

Uranfang: denn wer leſen fann und fchreiben... Praredis. Sit er ein Schaf wird er ein Schaf auch bleiben!

Bumpo (achdrũcklich, aus tiefſter Überzeugung). Mitnichten! Schreiberei erſetzt den Geiſt!

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Das zeigt ein Blick auf viele Hauptfcholarchen! Nicht jelber Schaffen macht den Mann bedeutend, Nachſchreiben, was vor ihm die andren daten: Erfinden ift die Sünde der Poeten, Die unfereins begeht nie noch verzeiht.

(ſetzt fi) geräuſchvoll) Erſitzen muß der Menſch die höchſte Weisheit!

auſe.)

(GGfalzgräfin und Praxedis gehen eifrig ſprechend auf und nieder, fie be— reden ihren Plan gegen die Gäfte, ſuchen vergeblich eine Lift gegen Bumpo: Agnes fchict ſich an, zu fchreiben.)

Bumpo (ortfagrend). Ich bin auch fehr zufrieden, Fürftin Agnes,

Mit Eurem Fortjehritt: ei, Ihr malt fo zierlich

Schon Eure Strichlein Hin, ganz wie ich felbjt!

Die Schül'rin macht dem Meifter noch 'mal Ehre. Pfalzgräfin (tehenbleibend). Sa: zum Verwechſeln ähnlich

Ichreibt fie Euch: Sch felbft ward ſchon getäufcht und nahm für Eure Des Kindes Schrift: der Inhalt nur war anders: (Bumpo madt eine fragende Gebärde)

Ihr jchreibt gelehrte Weisheit auf Latein,

Sie fchrieb auf deutich das Märlein vom Dornröschen. Bumps (teen). Zu ſolchem Schnickſchnack Schreibefunit

mißbrauchen! Praredis (ftehenbleibend). Beforgt Ihr nicht, Herr Bumpo ... ? Bumpo (ärgerlig). Was? Ihr jtört uns!

Prazxedis. Indes Ihr hier der Weisheit Urgrund lehrt, Entipringen Eure Staatsverbrecher Euch ? Bumpo Gbſe). Bin nicht mehr bang’ drum! Weiß nur allzugut, Was die hier feithält! Nein, die gehn’ nicht fort, Bis ich fie ſelbſt vielleicht (oronende Bewegung) hinwegbeförd’re. (Bejorgie Winke zwifhen Pfalzgräfin und Praredis.)

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Pfalzgräfin (eiſe zu Pragedi). Er rannte mit den Keller: meilter lang...

Praredis (eiſe). Und lachte dann jo fieggewiß und höh— niſch . . .

Pfalzgräfin (eiſe). Erforſchen will ich, was er da geſponnen.

(PB falzgräfin ab durd) die Pforte. Praredis fpielt mit den Bällen, fie in die Luft werfend und fangend.)

Agnes (Hat fi inzwifchen einen ſehr Tangen, drolligen Schreiberärmel über die Rechte und den Arm gezogen, holt hoch damit aus, ergreift die Rohr— feder und feufzt).

Sch bin bereit! Bumpo (gravitätifch docierend). Nachdem Ihr nun das Schreiben Ganz ausgelernt, vernehmt die letzten Regeln Der hohen Kunſt. »Pro primo« heißt: zum erjten!

(das Folgende wie eine Yeltion aufjagend: man merkt, er hat die Formel felbjt auswendig gelernt.)

„Fürſicht'ger Schreiber jiegelt erjt und jchict,

Was er gejchrieben, fort, nachdem er einmal

Was er gejchrieben, jtill, und dann noch zweimal

Mit lauter Stimme ſich hat vorgelejen!" Agnes. Warum? Er weiß doch, was er jelber jchrieb ? Bumpo (topffchüttelnd und fortfahrend in feinem Spruch).

„Denn größtem Schreiber mag e3 widerfahren,

Daß, weil fein Geift jucht mühjam nach Gedanken...

Praredis (die im Hin» und Herwandern und Auffangen der Bälle jeßt gerade Hinter ihm fteht, fich ſchelmiſch vorbeugend).

Ihr ſchwitzt wohl oft dabei?

Dumpso (ärgerlich über die wiederholte Störung jpringt auf und greift drohend nad ihr. Praredis entweicht grazios und leiht, Bumpo fährt

zornig fort). die Hand aus Irrtum, Berjtreutheit und Verwechslung falihe Zeichen Malt auf das Pergament: jo pro exemplo" Praredis (wieder Hinter ihm). Ein X fürn U? Bumpo (auffahrend). Ei! Taceat mulier

288

Praredis (von weiten). Ja: »in ecelesia« !!) Sind wir in der Kirche? Bon diefem Garten jchreibt Herr Paulus nichts! Bumpo (zu Agnes). Sch ſelbſt ſogar, obzwar ich mid berühmte Des Heiligen röm’schen Reiches fermften Schreiber Durchleſe dreimal alles, was ich jchreibe! Praredis. Und jedesmal flingt’S weiſer al3 vorher! Bumpo (wieder die Regel ableiernd). „Zum lebten it dem Schüler noch zu zeigen, Wenn man nun aber doch was falfch gejchrieben, Bielleicht auch anders fich beſonnen oder Was man“ (in anderm Ton) mit Achtung Eurer Fürjtlichfeit! „Ein Säulein nennt, ein Tintenklerlein machte, Wie man dag Erjtgejchriebne zierlich tilgt, Nadiert, hinwegwiſcht und darüber Hin Zum zweitenmale fchreibt, jo daß fein Auge Entdeden mag, daß hier geſcheh'n ein Unglück.“ Agnes (teht au). Das fcheint mir eine fpigbübifche Kunft, Geſchickt zu Täuſchung, Trug und Schriftverfälihung: Das lern' ich nicht! (win fort.) Bumpo Gieht fie am Ärmel nieder). Ihr müßt! Der Bater will, Daß ich die eig'ne Schreibfunft voll Euch lehre: Und dieſes ift mein Haupt- und Meifterjtüd! Agnes (fest fi wiede). In Gottes Namen! wenn hr d’rauf befteht! Bumpo (begleitet die pedantiſch vorgeſprochene Formel mit den entſprechen- den Hantierungen, das Screibgerät einzeln hoch emporhebend).

Hier fchreib ih pro exemplo Euren Namen

!) Taceat mulier in ecclesia: dad Weib jchweige in der (Kirchen-) Gemeinde.

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Gebt aht nun wie durch Zauber foll er ſchwinden Und drüber Hin unmerkbar, jchreibt jich’3 neu. (die Formel langſam vorfpredend)

„Man jtreut zuerjt gerafpelt Bein darauf, Dann zierlich, mit de3 feinjten Meſſers Klinge, Schabt man die Schrift hinweg: mit Bimsjtein glättet Man die Rafur“ jeht: jo! „und kann nun gleich“ Seht! „auf diejelbe Stelle wieder jchreiben:“ (Baufe.) So! dieje Regel lernt nun auswendig Und jagt fie dreimal her beim Nachtgebet: (da Agnes widerjpreden will) „Denn nicht genügt, daß man die Kunſt verjteht Man muß die Formel fünnen repetieren: Auswendig müßt Shr, was der Meijter vorſprach, Weckt man Euch in der Nacht, nachſprechen können, Das iſt die höchſte Kunft des... .“ Praredis (feierlich). Bapageis! Agnes (mit innerlihem Widerftreben jagt unmutig, Halb jeufzend, Halb trotzig, wie ein Schulfind, die Formel her). „Man jtreut zuerjt gerajpelt Bein darauf (Kaufe) Dann zierlih, mit des feinjten Mejjers Klinge, Gauſe) Schabt man die Schrift hinweg: Gauſe) mit Bimsſtein glättet Man die Rajur und fann nun gleich jujt auf Diefelbe Stelle wieder jchreiben!” (ipringt Heftig auf) Amen! Bumpo (nidt zufrieden). Praredis. Was je an Sünden, Heine Heil’ge, du Begangen haft und fünftig noch begeh’n wirſt Mit diefer Schreibleftion iſt's abgebüßt. Bumpo (hat die Schreibſachen und Pergamente nebeneinander auf dem Tiſch geordnet, ſteht nun ebenfalls auf).

Jetzt ſeid Ihr fertig! Völlig abſolviert!

Dabn. Sämtl. poetiihe Werte. Erſte Serie Bd. VI. 19

390 Kein deutjches Fräulein kömmt Euch gleich im Schreiben:

(falbung svoll)

Macht von der Kunſt ftets Löblichen Gebraud).

Dritte Scene.

Borige Aftolf (aus der Pforte). Agnes geht an die Diauer und blicdt nad) den Gäſten aus (welche fie vom Ahein her erwartet), jo daß fie von dem Gejpräd) zwifhen BPraredis und Aftolf nicht8 vernimmt.

Aftolf Gu Bumpo). Der Kellermeifter frägt, wie viel und welchen Wein Ihr befehlt zum Frühtrunf mit den Gäjten ? Bumpo. Das muß ich ſelbſt beforgen! Das ift wichtig! (für ſich) Denn darauf ruht mein tief erdachter Plan! Beraufhen werd’ ich fie, die Hochverräter: Im Wein verraten leicht jie ihre Namen: Wo nicht, die Abficht und Gefinnung doch: Hab’ ih im Scherz fie untern Tiſch gezecht, Im Ernft Shi’ ich fie in Gefangenjchaft. (Ab durd) die Pforte.) Aftolf (hat lange die beiden Mädchen gemuftert: für ji). Die Griechin ift die jchönfte Doch! Sch mag’ es! (laut) Liebreizende Praxedis, ach, wie oft Hab’ ih um Eure Minne fchon geworben! Ein einzig Küßlein .. . Praredis. Helfe mir Sanft Amor! In Ddiefem Schloß küßt man erjtaunlich gern: Und juft auf mich ift’S dabei abgejehn. Aftolf. Ein einzig Küflein! Praredis. Sa, das thut mir leid: Das nächſte ift Herrn Bumpo fchon verjprochen!

er

291

Aftolf. Wie? Was? dem Alten? Praredis. Nicht wahr? O mein Unſtern! Der eine Freier iſt mir juſt ſo viel Zu alt als mir zu jung der andre! Aſtolf (eufzend). Ach! (nimmt ſich einen Anlauf von Mut) Ah! Einmal nur an deinem Herzen ruhn. Praxedis. Oho! hr werbt ja gleich wie ein Selb: ſchuk! Damit werd' ich ſobald nicht dienen können, Doch Gärtlich, geheimnisvon) will ich Euch weil Ihr es ſeid heut Nacht ...— Aſtolf. Was? Wo? Praxedis! Praredis (eiſe flüfternd). Hier: auf dieſen Armen...-— Aftolf (immer eifriged. Doch wann ? Praredis (eiſe). Um acht! Wann alle braven Kinder jchlafen geh'n (laut auflachend) Euch jelbjt ins Eleine Heia-Bettchen tragen! Mtolf Gornig; will ihr mit Gewalt einen Kuß rauben). Das koſtet Euch etwas für meinen Mund!

Praredis (Hält ihm mit der Rechten beide Hände und giebt ihm mit der Linken einen jehr zierlihen Najenftüber). Einjtweilen Nehmt noch fürlieb mit etwas für die Naje. (Sie tritt zu Agnes.)

Aſtolf (nachdem er frei geworden, ſchiebt fein Barett zurecht und reibt fit) das Näslein).

Die andern beiden find mir fchließlich Lieber: Die Griedin find’ ih jo herausfordernd!

19*

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Vierte Scene, Vorige Pfalzgräfin. Heinrid. Friedrich (aus dem Thor).

Pfalzgräfin. Da kommen endlich unfre Säfte, Mädchen. Praredis Gu Friedrich. Euch hat gewiß jolang verweilt im Rhein Der Niren höchſt nichtsnugiges Geſchlecht. Friedrich Geziehungsvotn). Die ſchlimmſten Niren Leben nicht im Waſſer. Heinrich (tritt zu Agnes). Wer echte Minne trägt in tiefer Bruft, Den mag Frau Venus jelber nicht berüden. Friedrich. Ein Abenteuer hielt uns auf... (Fragende Gebärden der drei Frauen.) Heinrich. Wir fahen, Bom Schilf des Rheins verjtedt, vom Wald her... Friedrich. Vermummte Reiter jprengen auf die Straße Heinrich. Sie jpähten vorfichtig: und wiejen flüjternd... Friedrich. Bald auf dies Schloß, bald auf Stahlef da drüben. Heinrih. Wir brachen vor mit lautem Waffenruf: Friedrich. Doch jpurlos in den Wald enteilten fie. Heinrih. Umſonſt verfolgten wir die Flüchtigen. Pfalzgrafin. Schon lange ſpukt's verdächtigin den Wäldern: Und mein Gemahl riet uns ſchon einmal dringend, Dies Haus, das fait ganz offen, zu verlafjen. Heinrih. Man muß den Wald durchfpüren.... Friedrich. Eure Reiſ'gen Sind drüben auf Stahleck? Pfalzgräfin (verneint). Faſt alle kämpfen Im fernen Welſchland für die Ghibellinen. Heinrich (die Hand am Schwert, wendet ſich zum Gehen). Sch möchte doch in jenen Wald...

293

Pfalzgrafin (Hält ihn, raſch). Nein, bleibt! Shr Eriegerijher Minnejänger bleibt! Statt wilden Kampfs ruft euch ein heiter Wettipiell Bevor zum Frühtrunf euch Herr Bumpo lädt, Ein jinnig Ball- und Wortjpiel laßt uns treiben: Praredis bracht’ e3 von Amalfi mit

Stellt euh in Reih' und Glied ihr dort wir da. (Pfalzgräfin und Praredis weijen die Stellung folgendermaßen an: rechts links

Pfalzgräfin Aftolf Agnes Heinrich Praredis. Friedrich. Proſcenium.) Pfalzgräfin (reundlich). Ich will mir dich, Aſtolf, zum Geg— ner küren! Aftolf (erfreut, übereifrig). O Herrin, welche Huld! (für fich) Sie iſt die Schönſte! Pfalzgräfin. Du biſt zwar mehr noch Wickelkind als Mann ... Aſtolf (enttäufät, für ſich. Sie ſpricht jo herb: die ſanfte Agnes wähl' ich! Agnes. Doch wirf geſchickter heut’ als neulich, Kleiner: Sonst unfanft auf die Finger Hopf’ ich dir. Aftolf. Geflopft von ihr! Jenun es ijt do etwas! Pfalzgrafin. Und nun gebt adt:

(jede der drei Frauen nimmt einen der drei großen ſehr deutlich fihtbaren Bälle

von dem Zifhe und giebt je einem der Gegner einen Ball, alle Sechs Legen je

einen Ball auf die Erde neben fi, fall das Halten und Fangen zweier Bälle zu ſchwer erſcheint)

Wir werfen euch den Ball Mit einem Reimwort zu: ihr fangt und reimt. Heinrich (aut rufend). Bei Chriſti Grab! Nur das nicht! Nur nicht das! Pfalzgräfin. Was iſt Euch, Minneſänger? Praredis. Wird Euch unwohl?

294

Heinrich (teife, Haftig zu Friedrich). Bei Gottes Zorn! Gebt Hilf! Das kommt von deinen Unnügen Schwänfen! Hilf! Du weißt: ich kann's nicht! Friedrich (ucht ihn zu beruhigen). Pfalzgrafin (Heinrich näher rüdend). Nun, großer, weitberühm- ter Sänger Ihr... Praredis (vesgleien). Von deſſen Ruhm wir freilich nie gehört... Pfalzgräfin. Fit das fo ſchwer, ein armes Reimlein finden ? Heinrich (eilt in komiſcher Angſt zu Agnes, faßt ihr Gewand). Ihr jeht jo fanft, fo gut o edle Fürftin! Laßt nicht fo graufam Euren Gaſt behandeln! Ich wollte lieber mit ſechs Saracenen Auf Tod und Leben kämpfen in der Wüſte, Als diefes Spiel mit euch drei Frau'n beitehn. Agnes (tif). D Mutter laß! Praredis (teife). Nein! Nichts da! Kein Erbarmen ! Mer Frauen täufchen will, der jeh’ fich vor! Pfalzgräfin. So fprecht, mein Herr vom Leu'n, wie geht Sa3 zu? Praredis. Ein großer Sänger zittert vor dem Reim ? Heinrich (läßt in der Verlegenheit feinen Ball fallen: Friedrich büdt ſich eilfertig. hebt ihn auf und itberreicht ihn dem Herzogsfohn mit einer Verbeugung). Pfalzgrafin. Und wenn der Dienjtmann fallen läßt den Ball, Praredis. Hebt ihn der Herr höchit dienjtbefliffen auf? Pfalzgrafin. Mein Herr von Thunichtgut . .. Praredis. Wie geht das zu? Friedrich Cast fi). Mein Freund ift nur im Anbeginn jo ſchüchtern: Der erjte Reim hält ſchwer bei ihm: man findet Das oft bei großen Sängern! Ging's erit an, So kann er gar nicht enden mehr, zu reimen!

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Heinrich (eiſe). D Heiliger Gott!

Pfalzgrafin. Das woll’n wir nun erleben! Friedrich (eiid. Sch helfe dir ſei tapfer, Heinz e8 geht ſchon!

Pfalzgrafin. Gut! Wer den Ball nicht fängt, den Reim nicht findet, . . .— Prazedis. Mußeinen Schritt zurüd aus feiner Reihe, ... Pfalzgräafin. Nachrückt der Sieger und der Kampf ift anßs Praredis. Wann einer völlig an die Wand gedrängt. Pfalzgrafin. Habt acht! Das Spiel beginnt! Praredis. Nun fangt und reimt. Pfalzgrafin. Ajtolf hebt au!

Altolf (ihiwingt ven Ball und wirft bei dem Reimwort „Irmengard”, dies ſtärker betonend).

Die Palzgräfin Frau: Srmengard! Pfalzgrafin (fängt den Ball und antwortet fogleic): Gejtraft von lieben Herrgott ward Durch einen höchſt unnügen Yalfenier!

Pfalzgrafin (ihwingt den Ball nnd wirft bei dem Reimwort „Balljpiel” , dies ftärfer betonend, ihn Friedrich zu).

Was jcheint Euch diefes: Balljpiel? Friedrich (fängt den Ball und antwortet fogleic). Ein Männer Fang: und Zalljpiel!

Praredis (ſhwingt den Ball und wirft bei dem Neimmwort „Pragedis”, dies ftärfer betonend, ihn Friedrich zu).

Doch was reimt auf: Praxedis?

Friedrich (fängt den Ball und antwortet ſogleich). Venustate antecedis!)!

Praredis. Zierlich gereimt!

Pfalzgrafin. Reimt deutfch! Denn hier find Leute, Die fein Latein verjtehn.

1) Du überragft alle durch deine Schönheit.

296

Friedrich (ich gegen Prarebis neigend). Auf Griechenanmut Reimt fein barbariih Wort. (Wirft Praredis einen Ball zu mit dem Reimwort „Haufen“.) Friedrih von Haufen!

Praredis (fängt und antwortet fogleich).

Der maht mir Graujen! Friedrich (überraict). Ei! So fennt Ihr ihn? Praredis. Das jeht Ihr an dem Schred! Wer kennt ihn nicht! (nimint den Ball und wirft ihm denfelben zurüd, das Reimmort ftärker betonend) Was wünfcht Ihr ihm zumeift, Dem böjen Schelmen-Friedel?

Friedrich (ängt und wirft den Ball fpielend in die Höhe, ihn wieder fangend, dann Praxedis zurüd). Er ipiel’ auf froher Fiedel Bald Euer Hochzeit-Liedel.

Agnes (chwingt auf einen Wink der Pfalzgräfin den Bau, fehr innig, nicht fpielend, fondern tiefernft).

Der Minne Leid, der Sehnfuht Schmerz... Friedrich (eiſe). Bei Gott, fie macht dir's leicht! Agnes. Trägt ſtumm und tief ein treues

(Sie wirft nun.)

Heinrich (ganz in den Anblick Agneſens verloren legt die Hand aufs Herz, achtet nicht auf den Ball, tritt Agnes einen Schritt näher der Ball fällt).

„Gemüt“. Pfalzgräfin (zu Heinrih). Zwei Schritt zurüd! Praredis. Gereimt nicht noch gefangen!

Pfalzgräfin. Friſch vor, mein Kind! (Agnes tritt zwei Scritt vor, Heinrich zwei zurüd.)

Friedrich. Den Wurfſpeer Saladins, Mit bloßer Hand fing’ er ihn auf... Heinrich. Das glaub’ ich!

(giebt Agnes den gefallenen Ball zurüd) Kein Sultan kann bezaubern mit den Augen!

297

Pfalzgräafin (teife zu Agnes und Praredis). Jetzt laſſ' ich euch allein: das Wort der LXiebe, Das ſcheu fich längſt auf ihre Lippen drängt, Es flüftert fich viel leichter ohne Zeugen. Nun, Agnes, Elug! (aut) Genug für uns, Aitolf, Folg’ mir ins Haus: du ſollſt mir nun vollbringen Ein Ritterwerf!

Aftolf (erfreut). Für Euch! Auf Thaten ausziehn ?

Pfalzgrafın (zieht einen Seidenjtrang aus dem Gürtel und zeigt ihn ihm, dann, ihn am Ohrläppden ziehend).

Für mich aufwideln diefen Seidenjtrang. (Pfalzgräfin und Aftolf ab in das Schloß.) Agnes (langfam den Ball erheben). Nun reimt mir auf den treu’sten, beiten Mann, Dem ih ihr habt's gehört dereinft verlobt war: Sch rufe dich: wie nennjt du dich zur Stunde ? Heinrih von Braunfchweig, treu’jter du (wisft den Bau) der Treu’n? Praredis, Heinrich, Friedrich (diefer Heinrich einflüfternd) (unwillfürlich einfallend, alle drei zufammen, leiſe für fi). Friedrih vom Leu’n! Agnes (wirft bei dem Worte „Treu'n“ den Bal Heinrich zu, melder ihn fängt und hoch in die Höhe hält). Friedrich (reife). Ja jo! das darf er ja nicht jagen! Schau’, Die Heine jtumme Blonde hätte beinah Auch mich berüdt. Praredis (reife). Ei jieh, wie weiß jie Flug Das Wort, das alles Töjt, uns abzuzwingen! Heinrich (tief bewegt). Ich bin bejiegt: dies Reimwort fänd’ ich zwar: Jedoch darf ich denn wagen, e3 zu jagen?

(Heinrih und Agnes fiehen nun, dem andern Paar durd die Büſche halk verdedt, ganz vorn links.)

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Agnes (mit tief-innigem Blick und Ausdrud). O Heinrich! Heinrich (reißt den falfchen Bart ab, ftekt ihn in den Gürtel und ſinkt vor ihr ing Knie). Meine Agnes! o Geliebte!

Agnes (erhebt ihn: Umarmung: Friedrich und Praxedis ftehen für fi), gejondert, redjt® vorn in den Büſchen)

Friedrich (fieht fih nad dem andern Paar um: nad) einer Baufe, komiſch ernfthaft, Tangfam). Mir war, da drüben fiel was wie ein Ruß Praredis (innig. Wenn’s nicht das Aufblühn einer Rofe war. Friedrich (ganz nah an Praxedis herantretend). Auf deinem Mund auch, ſchönes Griechenfind, Seh’, vot und reif, ich längſt ein Küßlein Liegen. Prazedis. Das mag wohl fein! doch ift es nicht für Euch, St nicht für einen Thunichtgut bejtimmt. Friedrich. Tür welchen andern Mann ? Praredis. Schon ſeit zwei Jahren, Seit in Byzanz ich ihn zuerſt geſehn, Liegt hier (auf den Mund deutend) ein Kuß für Friedrich, Schelm von Hauſen. Friedrich (reißt den falſchen Bart ab, ſteckt ihn in den Gürtel, umarmt und küßt fie rajh). So laßt mich ſchnell ihn pflücken —: denn ich bin's! (Umarmung: die beiden Paare fpielen getrennt fort.) Heinrich) (eurig). Sch Halte dich! Dein Herz jhlägt an dem meinen Die Welt in Waffen kämpft dic” mir nicht ab Agnes (innig, aber nicht fentimental). Dein ift mein Herz und meine Liebe dein: Sp heilig und fo ewig wie die Sterne. Friedrich. Seit zu Byzanz ich in dein Auge fah, Dein Bild nur füllt das Herz mir und die Lieder! Praredis. Praredis hat das Seufzen erjt gelernt, Seitdem fie dich, du teurer Mann, gejchaut!

&

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Heinrich. O dürft? ich für dich ftreiten, für dich ſterben! Agnes (Seiten). Willſt du nicht für mich leben, lieber Heini ? Friedrich Graxedis an beiden Händen fafjend).

Ganz aus der Maßen glüdlicd woll’n wir jein! Praredis. Daß alle Englein drob vor Freude tanzen. Heinrich. Kein Gott, fein Kaiſer joll dich mir entreißen. Agnes. Sch ließe beide Eltern, dir zu Lieb’.

(Umarmung.) Friedrich. Wann wird Praredis die Frau Thunichtgut ? Praxedis. Sobald du willſt! denn: laß mich’3 nur geitehn: 's ijt eine Schande, Freund, wie ich dich Liebe. (Umarmung.) (Zwei Gruppen: die beiden Paare, ganz in ihr Liebesglüd verſunken, achten nicht

aufeinander und nicht auf die ſchon vorher aus der Pforte jchleihende Pfalz- gräfin, die eine Zeitlang Hinter dem Baume beide Gruppen belauſcht hat.)

Füufte Scene, Borige. Pfalzgräfin.

Pfalzgrafin (tritt Hinter dem Baum vor, nad; beiden Seiten blidend, Taut). Mir ſcheint —: hier braucht’3 nicht meiner Staatskunſt mehr! (Beide Paare erfchreden zuerft, da fie fich belaufcht fehen. Dann eilen fie freudig auf die Pfalzgräfin zu: die beiden Mädchen fchmiegen fih an ihre beiden Seiten:

die beiden Männer knieen einen Augenblick: Gruppe:

Pfaligräfin. Praredis. Agnes. Friedrich. Heinrich.) Pfalzgräfin (winkt beiden Männern, ſich zu erheben, und liebloſt die Mädden; zu Heinrid). Willkommen, edler Sohn, in meinem Haus: Aus meinem Herzen warjt du nie gejchieden! (zu Friedrich) Gruß Euch, Herr Friedrih! Ei wel lujtig Paar! Wenn euch der Himmel Kinder ſchenkt . . Friedrich (ehr ernitgaft). Ich Hoff’ es!

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Pfalzgrafin. Das giebt den Ausbund aller Schelmerei. Praxedis (zu Heinrich. Jedoch, uns jo zu täufchen! War das edel? Heinrich. Es ging nicht anders! Seid doch nur gerecht! Praredis. Gerechtigfeit ift Feine Srauentugend. Friedrich. Da ſprichſt du wahr, du weiſer roter Mund: Solang die Welt jteht, war fein Weib gerecht! Pfalzgrafin. Ei, wie? Was find wir denn? Friedrich. Großmütig! Edel! Ja, bis zur Selbſtvergeudung opferfroh: Doch von des Gegners Recht zu überzeugen, Niemals! Praxedis. Nicht überzeugen muß man uns: gewinnen! Friedrich. Gewinnen? Ei! Wer kann ein Weib ge— winnen, Das nicht von ſelber ſich gewonnen giebt! Pfalzgräfin. Verdienen muß man uns! Friedrich. Das iſt unmöglich! Den Himmel und den Frühling und die Frau'n Kann man in Demut nur geſchenkt empfangen! Praxedis (nediih). Mir ſcheint, du kennſt die Frauen ſehr genau! Friedrich. Der ift fein Sänger, der die Frau'n nicht fennt! Pfalzgrafin. Und ehrt! Friedrich. Sie kennen heißt fie ehren. (Kleine Paufe.) Pfulzgrafin (u Friedrich und Praxedis). Euch Frohen Tiegt die Bahn des Glüdes frei! (traurig zu Heinridy und Agnes) Doch Feine Hoffnung feh’ ich für euch beide, Ihr armen Kinder, bleibt der Kaifer hart. Mein Gatte kann nicht wider Raifers Willen

301

Er ift des Haufes Haupt: fein Kind vermählen: Und ganz unbeugjam fand ich Kaiſer Heinrich.

(Bumpo wird, gefolgt von Aftolf, Gerhard und andern Dienern, die zahlreihe filberne Weinfrüge und Becher tragen, an dem Thor fihtbar: er

verfehwindet dann wieder nad) innen, mit einem Diener, der dann, ebenfalls filberne Weinfrüge tragend, wieder fihtbar wird.)

Prarxedis. Dort fommt er, euer Feind und Überwacher. Pfalzgrafin. Und Ubles führt er wider euch im Schild!

(Heinrich und Friedrich drüden durch Gebärden aus, daß fie eine von Bumpo drohende Gefahr nidyt fürchten.)

Agnes (warnend). Nehmt euch in acht: er führt des Kaiſers Siegel. Friedrich (ernitlih erſchrocen). D weh! Kein reißend Tier ift furchtbar gleich Dem Ejel, der des Herrſchers Siegel führt. Pfalzgräfin. Sch glaub’, er will durch Wein euch über- winden. Friedrich (acht hell auf). Heia! Da kommt er an den rechten Mann! Es lebt im Abend- und im Morgenland Kein Mann, der mehr vertragen mag denn ich. Bei dieſem Kampf bangt nicht, ihr edlen Fraun'n!

(Geinrich ermutigend auf die Schulter klopfend) Getroſt, mein Heinz: ich trinke dein Teil mit. Praredis. Da wird’S wohl ratjam, daß wir Frauen weichen! Pfalzgräfin. Denn ungefüge Geijter ruh'n im Wein! Prazedis. Und Ritter Thunichtgut wird fie entjejjeln! Friedrich. Wird nit jo ſchlimm! Wo Laien zechen,

braucht

Kein Weib zu flüchten, geht's auch luſtig her.

Doch, wird ein Pfaff voll Wein’s, dann weicht, ihr Frau'n.

Agnes (zu Heinrih). Leb wohl! Mein ganzes Herz bleibt hier bei Dir.

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Heinrich. Leb wohl! Sch ſuche dich, ſobald ich kann.

VPraredis (u Friedrichj. Sch bete für dich bei dem Heil’gen Bakchos!

Friedrich. Und bei Sankt Amethyſt ein Vaterunſer!

Pfalzgräfin. Ich will für meines Gatten Keller beten!

(Die drei Frauen ab in den Garten.)

Sechſte Scene,

Heinrich, Friedrich hängen rafc die falfchen Bärte ein. Aus dem Thore

Bumpo, Aftolf, Gerhard, andere Diener, alle Krüge und Humpen

tragend, diefe auf ven Trinktiſch ftellend. Dann Gerhard und Diener ab durd) das Thor.

Dumpo (lädt die Freunde zum Sigen ein; fie willfahren). Zum Frühtrunk denn! Heild, ihr werten Gäfte! Man durftet nicht im Schloß zu Rüdesheim:

Da feht: aus unjerm reichen Nebenhort

Biel köſtliches Gewächs führ' ich euch vor:

Was duftig an der Mojel und am Rhein,

Was feurig jchwer am Stein zu Würzburg wädhlt, Was heiß auf Kypros braut die heiße Sonne, Sn auserlefnen Proben fellern wir’s.

Friedrich (nachdem er getrunken: er trinkt fortwährend alles aus, was ihm Bumpo mit ſteigendem Erſtaunen einſchenkt).

Herr Bumpo, geht's mal nicht mehr mit dem Schreiben, Heinrich (nachdem er genippt). Ihr könnt fofort Reichskellermeister werden. Friedrich (teint). Dann bitt’ ich um ein Küferamt bei Euch. Aftolf (fett ſich zu ihnen). Bergönnt, daß ich das Zechen teilen darf. Friedrich (ein). Jawohl! (uft in die Couliſſe) Praredis, rein- lich ausgejchwenft, Für diefen Zecher Euren Fingerhut.

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Heinrid) (Hat aus anderem Becher genippt).

Bin juft fein Kenner, doch der Wein fcheint gut. Bumpo (pöttih). Ei wirklich? 's ift des Rheingaus Edelperfe. Heinrich (mit Friedrich anftoßend).

Dann taufen wir fie: Agnes foll fie heißen.

Bumpo (argwöhniſch. Was geht denn euch die Fürftin Agnes an?

Heinrich. Mehr als Ihr ahnt.

Bumpo. So jo! (für fi) Das ift verdächtig.

Friedrich (trinkt von einem andern, ſtrohumflochtnen Krug, aus welchem ihm Bumpo eingeſchenkt).

Und hier, der prickelnd herbe Griechenwein, Der tief verhohlen Süße birgt und Glut, Mir her den Wein: (tößt mit Heinrich an) Praxedis ſoll er heißen!

Bumpo. Was fiht euch an? was wollt ihr mit der

Griechin?

Friedrich (acht). Ja beſter Bumpo das iſt ſchwer zu ſagen! Doch ſollt Ihr's bald erfahren! tanzt Ihr noch Zuweilen, wann es gilt ein frohes Feſt?

Bumpo. Ha, ob ich meinen Mann noch ſtell' beim Reigen! Geht her! (Er ſteht auf und tanzt um den Tiſch mit affektierter Grazie.)

Friedrich. Wie zierlich!

Heinrich Gu Friedrich. Wie der Aff' am Seil!

Bumpo (jest ſich wieder).

Friedrich. Nun gut: zu meiner Hochzeit lad’ ih Euch: Da follt Ihr Trink und Reigenführer fein.

Bumpo und Aftolf Gugteis). Ihr Habt 'ne Braut ?

Friedrich. Jawohl! Und was für eine! Sie würd' euch beiden auch gefallen, glaub' ich.

(Stößt mit beiden an.)

Heinric) (den Becher Friedrich hinreichend, feife). Ich kann nicht mehr!

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Friedrich (ergreift ihn, feinen leeren unbemerkt dafür vertaufchend, und trinkt ihn Teer: Teife). Sieb Her! Ich kann noch lang.

Bumpo (fieht Friedrich lange mit fprachlofem Erftaunen an, die Hände über dem Bäudlein faltend: Paufe: dann feierlich).

Es ift erftaunlich, was Shr trinken fünnt! Friedrich (macht mit einem der leer getrunkenen Becher die Nagelprobe). Das ſprach zu mir ſchon mancher Mann vor Euch. Aſtolf. Jedoch der Becherklang heiſcht Lied und Sang. Bumpo. Ja, ſingt uns eins! (Höyniig) Herr Friedrich Ihr, vom Leu’n. Friedrich Caſch. Mein junger Dienſtmann trank ſchon zu viel Wein. Aftolf (Holt die Laute vom Stuhl am Schreibtifd). Singt Ihr für ihn: das heißt (erftaunt): wenn Ihr noch) könnt. Friedrich. Ich glaub’, es wird noch gehn. Wir wolln’s verjuchen ! Kur erſt nen Schlud von diefem Ungar noch Jetzt duck' dich, Liebe Seel’ in meiner Bruft: (die Hand auf die Bruft legend) Sonft wirst du allzunaß: Bisher hat's nur ganz fein auf dich geriefelt Sest jtürzt auf dich herab ein Wolkenbruch! (Trinkt in vollen Zügen aus dem Humpen.) Bumpo (ſieht ihm mit geſteigerter Verwunderung zu, für fich). Jetzt aber fällt er Hoffentlich vom Stuhl! Friedrich (an dem nie die Leifefte Wirkung des Weines wahrzunehmen, ehrt den Becher um und ergreift einen andern, Tleinern). ALS Kork darauf ein Küßlein von dem Cyprer: (ftellt den Becher hin und jet fich zurecht, die Laute ergreifend) Nun Hört das Lied vom Wettgetrinf zu Würzburg!

305

Es ſtillet fein Getränfe Den Durft, der jtets mich jticht: Wieviel ich ihrer denfe: Wie reichlich ich fie Schenke, 's iſt all das Rechte nicht. Wohl jehzig Wein und Biere Hat durchverſucht mein Schlund: Deutfh, Welih und Malvafiere Wie oft ich’S auch probiere, Nichts dringt mir bis zum Grund. Wohl Schmedt der Musfateller Wie ſüßer Honigjeim! Liebfrau im Kloſterkeller, Burgunder und Chapeller, Und du, mein Rüdesheim! Ad, mir könnt ihr nicht frommen, Gott jegn’ euch weiß und rot Ich hab’, wie tief’3 geſchwommen, Noch nie genug befommen, Ich ſterb' den Durftestod. Wollt’ mich ein Pfäfflein ſchlagen Sn einer Stadt am Main: Doc ich rief nach drei Tagen, Als leer die Leiften lagen: „Herr Biichof, jegt den Stein!“ „Mein Sohn, eb’ dich von Hinnen,” Rief der mir zürnend nad: „Du haft im Schlund tief innen Ein eigen Spundlocd rinnen, Das dir der Teufel jtach !).*

1) Nötigenfall3 nur die beiden legten Strophen vorzutragen, zu fingen oder zu jpreden. Dahn, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Vd. VI. 20

306

Bumpo. Nicht übel: wenn auch etwas unmo—raliſch. Aftolf. Doc) fünnt Ihr nicht auch aus den Stegreif fingen? Bumpo (pöttiſch). Habt Ihr doch oft vom Stegreif jchon gelebt. Heinrich. Ja, in der Wüſte jaß nicht ftet3 ein Bumpo ... Friedrich. Mit einem Weinfrug unter jeder Palme. Bumps (für fih). Je mehr er fingt beim Wein, je früher fällt er! (laut) Ya, jingt noch eins! Heinrich (eiſe). Mein Zriedel, laß e3 bleiben! Friedrich. Ei was! Nun hebt’s ja erſt recht tüchtig an! (Zrinft.)

Heinrich (erhebt jich, geht in die Pforte, Agnes zu fuchen: er fommt glei) darauf mit Agnes heraus, unbemerft mit ihr in den Garten einbiegend in zärtlidem Gejpräd).

Friedrich (fingt).

Nun woll'n wir erjt heben ein Bechen an, Daß der Herr Gott es nicht mag faſſen

Und ſpricht: „wenn der Menjch jo viel trinfen kann Mehr Wein muß ih wacjen lafjen!“

Als der Herr Gott einmal recht zornig war, Hat dem Menſchen den Durjt er gegeben: Doch Herr Ehriftus rührte den Weinjtod an Und Trauben trugen die Neben!

Ein jtreng Gelübd’ hab’ ich abgelegt: St gar ein großer Orden:

Wer Küffen, Trinken und Singen pflegt, Sit mein Ordensbruder geworden!

Die ganze Erde ein großer Pofal, Randvoll, daß jchier fie berite,

307

Den möcht’ ich Ieeren mit Einem Mal: Dann hätt’ ich genug: Geht au) fürs erſte!).

Aftolf. Gar jehr gefällt mir Eure Kunft, Herr Ritter! O macht ein Lied für mid ich bitt' Euch ſchön!

Friedrich (kein). Was für ein Lied ?

Aftolf. Ein Minnelied!

Friedrich (last). Für Euch?! Ihr meint ein Schlummerlied, Euch einzuwiegen?

Aftolf. Scherzt nicht!

Friedrich. Nun gut! Doch weriſt die Geliebte? Altolf (ertegen). Das fann jo ganz genau ich noch nicht jagen.

Das Lied muß, jeht Shr, fo gedichtet fein, Daß es auf mich und jede Dame paßt. Könnt Ihr das wohl? Friedrich. O ja: das iſt nicht ſchwer! Ihr ſtellt Euch nur vor die Erkorne hin Und ſingt wie folgt:

Es war einmal ein Gökerling, Gig gag Gökerling:

Der konnt' noch nicht recht krähen

Und wollt' doch freien gehen!

Aſtolf (vom Wein erhitzt ſpringt auf und zieht feinen kleinen Degen). Abſcheulich! Zieht! Ihr müßt des Todes fterben!

Friedrich (trintd. Gewiß, mein Sohn! Doch erſt nad) fünfzig Sahren!

(Steht nun ruhig auf, windet ihm den Degen aus der Hand, und giebt ihm mit der flahen Klinge einen leichten Schlag auf den Rüden.)

1) Die Schlußzeilen der von Friedrich gejungenen Lieder follen womöglich al3 Refrain von ihm, Bumpo und Aftolf wiederholt werden.

20*

308

Eh’ du an Weiber denkſt, werd’ exit ein Mann (giebt ihm den Degen zurück) Und lerne jechten, eh’ du küſſen lernſt.

(Aftolf geht betroffen, nachdenklich, mit einem ernften Blid auf Friedrich ab in das Thor. Inzwiſchen ift Heinrich aus dem Garten zurücgefommen und fteht wieder dicht an dem Trinktiſch.)

Bumps. Dem Knaben habt $hr recht gethan, Herr Heinrich. Heinrich (fich vergefiend). Was? Ach? Bumps (erhebt ſich vom Stuhl, ganz leiſe [aber nicht widerliche] Wirkung

des Weines fihtbar). Ja, heißt Herr Friedrich Heinrih auch? (Stummes Spiel zwifhen Heinrid und Friedrich, Friedrid macht jenem Borwürfe, Heinrich zeigt unmwillig, daß er der Berftellung fehr müde ift.)

Bumps. Doch mir jolt Ihr die Bitte nicht verfagen: Macht an Praredis mir ein Minnelied! Friedrich (raſch auffpringenb). Was? Ich? Für Euch? Ein Minnelied? An Sie? (Pauſe, faßt ſich.) Gut: ſchreibt's Euch auf: das muß die Griechin rühren. Bumpo (geht mit leicht wankendem Gang an den Schreibtiſch und ſetzt

fich zurecht, zu ſchreiben: Praxedis wird unbemerkt von den drei Männern hinter dem Baum ſichtbar.)

Praredis (teife). 3 iſt unerhört: doch iſt es leider wahr! Es zieht mich her zu ihm: ich kann nicht anders: Ich muß ihn früher ſuchen als er mich!

Friedrich (fingt, ihm diktierend, langſam vor).

Es war einmal ein alter Bär Brumm, brumm, brumm

Dumpo (tutzt: Friedrich bedeutet ihm, weiter zu fihreiben). Friedrich. Did, grob, dumm!

Der liebte ſüßen Honig fehr,

Der lag auf junger Eichen:

Er mocht’ ihn nicht erreichen:

Der alte Bär war viel zu fchiwer,

Er ftieg empor und Feuchte ſchwer

Pardauz, zu Boden fiel der Bär!

309

Dumpo (wirft gornig das Schreibgerät auf den Tiſch). Wart, Spötter, wart! (für fih) Das follft im Turm du büßen! (Sriedrid geht an den Schenktiſch und trinft.) Sch merke jchon: eh’ wird der Keller Teer Als diefer Gaudieb voll: Ernft muß ich machen Den andern dort verrät fein Heißblut Leicht. (tritt an den Trinktiſch, erhebt den Pokal, laut) Nun thut Befcheid, ihr Herrn, zum Endetrunf: Berderben trink ich zu dem Erzverräter: Ein Schelm, wer widerjpriht! Heinrich dem Löwen! Heinrich (ichlägt ihm den Polal aus der Hand). Du bift ein alter Narr und Halb beraufcht Sonſt jchlüg’ ich dich mit Einem Fauſtſchlag tot: (Stößt mit Friedrid) an.) Heinrich u. Friedrich Gugleig). Heinrich dem Löwen Heil! (Heinrid ab durd) das Thor.) Praredis (teife). Die Unvorficht’gen! Friedrich. Jawohl, Herr Bumpo: das war nicht geprahlt: Schon einmal fchlug er mit der ehrnen Fauft 'nen böjen Ochjen tot! Bumpo (ehr zornig). Wart! Wartet beide! Friedrich (erblidt Praredis im Gebüſch, eilt auf fie zu). Ha, fieh, Feinsliebchen! Wißt Ihr's noh? Sch ud Euch Zu meiner Hochzeit, doch verſchwieg die Braut: Seht her, Herr Bumpus hier fteht meine Braut! (Er fhlingt den Arm um Praredis und eilt mit ihr in die Pforte ab.)

Siebente Scene. Bumpo allein. Gleid) darauf Aftolf (ernfter, Heinen Helm auf dem Haupt, Scduppengehäng auf der Bruft, längeres Schwert). Bumpo (geht zornig auf und nieder). Segt weh’ euch beiden! In den Turm mit euch!

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Das Reich und Bumpo gilt’3 an euch zu rächen! Ihr Staatsverräter, in die ſchwerſten Ketten! „Heinrich dem Löwen Heil!“ das bringt euch um.

Afı tolf (aus dem Thore ftürmend, einen Bergamentbrief hoch in der Hand: über das Drängen und Treiben von hier bis zum Schluß des Aufzugs fiehe die Schlußbemerfung.)

Raſch! Auf! Herr Bumpo, leſt und ordnet alles Zum Aufbruh an! Gefahr droht Hier den Frau’n. Der Pfalzgraf ſchickt von Stahleck diejen Brief! Bald giebt's Gefecht! Wie freu’ ich mich darauf. (überreiht ihm den Brief)

Der Bote drängt zur allerhöchiten Eile: Die Frauen jollen fort jogleih leſt eilt!

Bumpo (mit beginnender Verwirrung, entfaltet haſtig und lieſt). „An Bumpo den Kaſt'lan!

Gewaffnet Volk

Sn großer Zahl zeigt drohend in den Wäldern Zu beiden Seiten fich des Rheins: Ihr wißt, Der Wall von Rüdesheim it leicht erjteigbar“ Sch weiß es leider! „drum ſchickt raſch die Frau'n Mit ficherjtem Geleit mir übern Strom Aufs feſte Stahled: Shr bleibt dort zurüd

Bis ih Euch rufen laſſe. Pfalzgraf Konrad.“ Aftolf. Herr Bumpo, eilt! Denn hier gilt’3, Frauen ſchützen!

Gerhard (tritt eilfertig aus der Pforte). Ein zweiter Bote fam: Ihr ſollt nicht jäumen!

Dumps (immer mehr in Haft geratend, bald zu Aitolf, bald zu Gerhard faufend). Jawohl, ich eile! Gu Aſtol) Laß die Zelter rüjten! (zu Gerhard)

Die Sänften fatteln! Gornig) Nein doch! Umgekehrt! (zu Aſtolf) Am Rhein das Eilichiff joll die Segel aufziehn!

311

(zu Gerhard) Die Frauen bitt’ ich, fchleunig fich zu gürten: (zu Aftolf) Die beiden Säfte follen fie begleiten: (zu Gerhard) Sie find ja junge Helden ! (zu Aftolf) Und fie ſchützen! (zu Gerhard und Aftolf) Fort! fort mit euch! Sch komme gleih! Ich fomme! (Treibt beide, zu gehen: Aftolf durd) das Thor, Gerhard durd die Pforte ab.) Bumpo (jest fi grimmig an den Schreibtifch und ſchreibt auf das Taifer» lihe Pergament mit dem Siegel, das er aus der Bruft zieht). Nun fommt mir ber, ihr Spötter und Verhöhner, Euch ſoll der Spaß vergehn, ihr Blasphemierer. (er überlieft num ftill einmal das Gefchriebene) Noch zweimal le’ ich's jegt, nach Vorſchrift, Taut. (lieft laut, pedantifch) x „Am Namen Raifer Heinrichs und aus Auftrag Des Kanzlers Sigilocus anbefehl! ich, Herr Pfalzgraf, Euch, kraft Faiferlicher Vollmacht, Daß Ihr ſofort die beiden jungen Gäſte Bei ftrengiter Strafe kaiſerlichen Zorns, Bei jchwerjter Reihsacht wegen Felonie Gefangen jest im Turme von Stahled Und morgen fie, an Hand und Fuß gefettet, Schickt in de3 Kaiſers Zwingburg nah Palermo: Denn höchjt verdächt'ge Neichsrebellen find fie." So! „Bumpo, in des Kaiſers Stellvertretung.” Genügt das wohl? Glidt Hinein Nein! Unten noch als Nachſchrift „Hört Ihr? Noch Heut’! Beim Höchiten Zorn des Kaiſers!“

312

Achte Scene. Bumpo. Aftolf. Gleich darauf Gerhard und eine Dienerin der Pfalzgräfin.

Aftolf (ehrt eitfertig zurüd). Was fit Ihr noch und jchreibt ? Die Frauen warten! (Wieder ab durd) das Thor.) Gerhard (tehrt eilfertig zurüch. Was treibt Ihr hier, Herr Bumpo? Eilt, man ruft Euch! (Will wieder fort.) Bumpo (Gerhard am Arme nad) vorn auf die Seite führend). Halt! Komm! Du bit, ich weiß, mir treu verläffig: (Gerhard legt die Hand aufs Herz.) Sch muß noch bleiben: fo befahl der Pfalzgraf Doc einen Auftrag höchſter Wichtigkeit 63 gilt des Kaifers Leben und das Reich! Geb’ ich dir mit: fieh hier: des Kaifers Siegel: (Gerhard nidt.) Sch muß ihn nur noch einmal laut mir leſen, Nach Schreiberpflicht: und diesmal ganz bejonders (Schickt fid) an, das Geſchriebne nochmal laut zu leſen.)

Dienerin (eitig aus dem Thor). Mich ſchickt die Pfalzgräfin: raſch joll ich fragen: Habt Ihr den Schlüffel zu der Silberfammer? Dumpo (ärgerlich; immer verwirrter hin und her laufend). Das Silber muß mit fort! Da hat fie recht!

(Sudt unter feinen Schlüffeln am Gürtelband und legt einen Schlüffel gelöft auf den Schreibtiſch; zur Dienerin)

Sagt nur, ich fomme gleih! Den Schlüffel bring’ ich! (Dienerin ab; zu Gerhard) Das Siegel fennft du? Nicht? (Gerhard niet) Nun, fieh, den Brief da

313

Giebft du ſoſort Herrn Konrad zur Vollſtreckung, Ich muß ihn nur noch leſen, dann verſchnüren . . . (Setzt ſich keuchend, den Brief auf den Schreibtiſch vor ſich legend.) Aftolf Ceitig aus der Pforte). Eilt, Bumpo, eilt! Laut ſchilt die Pfalzgräfin, Daß Ihr fie auf den Schlüffel warten laßt! Stimme der Pfalzgräfin (aus dem Haufe). Sa Bumpo! Bumpo! wollt Ihr endlich kommen ? Bumpo (fpringt wieder auf). Ich komme jchon! (ergreift den Schlüſſed Im Haufe find’ ich Zeit, Den Brief, nah Pflicht, zum drittenmal zu leſen! (greift nad) dem Brief) Das ist er doch! Fa, meine fchönfte Schrift! Praredis (aus der Biort). Ja, Bumpo! Bumpo! Bumpo. Ei! Die fehlt mir auch nod!

Er ergreift ftatt des Kaiferlichen das ganz gleiche Pergament, darauf Agnes ge ichrieben, welches fid) dariiber gefhoben, und ftedt e8 zufammengerollt in den Gürtel; er eilt, Gerhard und Aftolfwinfend, ihm zu folgen, raſch in das Thor.)

Neunte Scene. Die Bühne bleibt geraume Zeit leer. Dann Agnes, reifefertig (wallenden Mantel und Barett), aus dem Garten.

Agnes (beim Eintreten , fie glaubt Bumpo anweſend). Die Schreibereien ſoll ich holen, Bumpo, Den Bater zu erfreu’n duch meinen Fortjchritt. (PBaufe.) Er iſt nicht hier? (wirft einen flüchtigen Blick auf den Schreibtiſch) Dort ließ er all’ mein Schreibwerf. (tritt ganz von dem Tiſch hinweg in die Mitte vor) Leb’ wohl, du jtiller Garten, traute Büfche, Die ihr erblühen jaht mein Liebesglüd! (Baufe.)

314

Ach, jegt erſt fühl" ich ganz, wie ftarf die Minne, Seitdem ich weiß: auch er liebt mich fo tief. (innig) ein bin ich, fein! Solang dies Herz hier pocht: (tebhaft, raſch) Und jedes Mittel fühnften Mutes fei, Dem Ffaiferlihen Zorn zum Trotz, gewagt! (Paufe; traurig) O thöricht Herz —: was hilft hier Mut, was Troß! Wenn nicht der Kaifer die Vermählung gut heißt, Werd’ ich die Seine nie. O böfer Raifer, Gäb's nur ein Mittel, zu bezaubern dich, Daß unbewußt, ja gegen deinen Willen, Du müßteſt Amen jagen unf’rer Liebe Und unfre Hände jelbjt zufammenfügen. (Paufe ) Doch nun, hinweg (tritt an den Tiſch, das Geſchriebene ſuchend) Sieh’, das ift meine Schrift

Nein Bumpos3! Das faiferliche Siegel ? Glidt, leſend, Hinein) Weh! Was jeh’ ich!

(fie Lieft vafch zu Ende: in höchſter Erregung) Um Gott! Er ift verloren! Weh! Mein Heinrich Fort nach Palermo, in den Schlangenturm! Wir ſeh'n uns niemals mehr! Weh, du mußt fterben! Nicht unsre Liebe nur: dein Leben gilt’s!

(Pauſe; verzweifelt)

Berloren alles! Reine Rettung? Keine? Gauſe.)

(Stummes Spiel: tieffter Schmerz: dann fährt fie auf, von einem Gedanken durchzuckt.)

Halt! Wenn's gelänge! Das wär' alles: Rettung Vom Tod: und Glück! Zwar iſt es furchtbar kühn: Iſt Unrecht gar? Nein, nein! man will ihn töten! Verzeih' mir, Gott der Wahrheit, dieſe Liſt:

315

E3 gilt das Teuerjte: jein Leben! Rafch! (jet ſich, ergreift die Feder, wirft fie wieder fort) Ach jo! Erjt muß der Unheiljpruch getilgt fein: Erjt dann: doch rajch, nur rajch! Sch Höre Schritte! Wie war e3 doch? (ehr Hang) Ach Gott, in diejer Hajt Und Angjt fällt mir nicht bei das Kunftverfahren! (mutlos den Kopf in die Hand finlen laſſend Paufe plötslich vergnügt) Dank, Meifter Bumpo, deiner Beinlichkeit! Auswendig lernen mußt ich ja den Sprud! (fie recitiert nun das auswendig Gelernte und thut dabei ſtets, was fie jpricht) „Man jtreut zuerjt gerajpelt Bein darauf," (thut dies) „Dann zierlich, mit der feinjten Mefjerklinge, (ergreift dieje) „Schabt man die Schrift hinweg (tsut dies), mit Bimsſtein glättet Man die Raſur“ ei, jo! (tHut die) „und kann num gleich“ Ga! „auf diejelbe Stelle wieder jchreiben!“ (thut dies mit hellem Lachen) Sp! (teht auf) Herr im Himmel, nun gieb deinen Segen! SH bin vor Furcht und Schred des Todes fait! (plöglicd, tief erfchroden) Ach Gott, er hat's doch dreimal jchon gelejen ? Wenn nicht, entdedt er’3! Web, da ift er jchon. (Berftet fid) im offenen Pavillon.)

Zehnte Scene, Agnes (im Pavillon). Bumpo (kommt Teudend, atemlos, aus dem Thor, in dasjelbe polternd zuridrufend). Bumpo (ſch die Stirne wiſchend). Sa, Bumpo! Bumpo! Jetzt laßt mich zufrieden! Sie hegen mich zu Tod mit taufend Fragen!

316

Ich kann nicht fchnaufen mehr, fo mußt’ ich Laufen, Trepp auf, Trepp ab! Hier: „Bumpo!“ „Bumpo!“ da, Sp ruft e8 aller Orten. Ah!

(wirft fi in den Stuhl, zieht das Pergament Agnefens aus der Bruft und legt e8 neben das Raiferliche auf den Tiſch)

Hier will ich’3 Zum drittenmal nun leſen und dann fchnüren. Agnes (cafe, Leif). Um Gotteswillen! Seht entdedt er alles!

(eilt raſch aus dem Pavillon, mweift auf das fehr zahlreiche auf dem Trinktiſch ftehende Silbergerät, laut)

Soll, Herr Kaſt'lan, dies Silber denn nit auch mit?

Bumpo (ärgerlich und erſchrocken, ſpringt haſtig auf, die beiden Perga» mente auf dem Tiſch durcheinanderſchiebend und das Kaiſerliche nun in den Buſen ftedend).

Berjteht fih! Freilih! Bald hätt’ ich’S vergeffen,

Das zählt ja zu dem Edelihab! Sch komme

Bor lauter Haft ja nicht mehr zur Befinnung.

(Eilt an den Trinktifh und ergreift foviel er tragen kann von dem Silbergeſchirr.) Agnes (tritt an den Tiſch und fieht in das Liegen gebliebene Pergament.

Des Kaiſers Vollmacht trägt er jebt im Wams!

Elfte Scene.

Borige, Praredis; gleich darauf BPfalzgräfin (beide reifefertig, Mäntel und Hüte) aus dem Thor, dann Friedrid und Aftolf, zulegt Heinrid aus der Pforte.

Agnes (raſch Praxedis entgegen, leiſe). Praxedis, ſteh' mir bei! hilf beide retten! (Flüſtert ihr raſch zu, auf den Schreibtiſch deutend.) Praredis (erſchridt). Allmächt’ger Gott! Der Schlangen- turm! Doch Agnes! Was wagteſt du! ich jtaune! Bumps (ruft in das Schloß). Heda, Gerhard!

317

Ihr Burfche! Dirnen! Helft! Das hört nicht mehr! Das padt fein eigen Hab und Gut und flüchtet. (Ab in das Thor.) Praredis (teif). O Lämmlein, Lämmlein, du bift furcht- bar kühn. (Beide erflären der eintretenden Pfalzgräfin, Ieife, raſch die Lage.) Pfalzgrafin Centiegd. Der Meerturm zu Palermo: das heißt Sterben! Doch Agnes! Agnes! Was Haft du gethan! Agnes. Das Kühnfte, um das Teuerfte zu retten! Hilf, Mutter, Hilf: er darf'3 nicht nochmal Teen! (Bump o war inzwifhen bemüht, mit einigen Dienern und Dienerinnen, die er endlih aus dem Schloß geholt, das Silber fortzufhaffen: Türmer bläft ein warnend Signal von hinten links ber.) Friedrich (aus der Piorte, Wohlauf! ihr Frauen! Muß es denn gefloh’n fein, So eilt: der Türmer meldet jchon den Feind. Aftolf (folgt ihm au3 der Pforte, trägt einen Kleinen Speer). Herr Ritter, hört, ich Hab’ mir's überlegt: Sch war ein arger Fant: Ihr jprachet wahr: Glaubt mir, ich mad)’ es gut im nächſten Kampf. Heinrich (Hat im Auftreten dieſe Worte noch gehört : troßig, entfchloffen). Das, Junker, könnt Ihr bald. Denn jet heißt's fechten. Ich fliehe nicht: ich bleibe hier! Alle drei Frauen (zugleih, im höchſten Schrech. Unmöglich! (Aftolf zeigt feine Kampfesfreude, ab in das Thor.) Heinrih. Ich laufe nicht davon. Ich kann's gar nicht: Sch hab’ es nicht gelernt. Sch bleib’ und fechte. Praredis (eiſe). Seht der. mit feinem thör’gen Heldentum ! Pfalzgrafin (eiſe). Weh, alles ijt verloren, wenn er bleibt. Heinrich. Dem Feind entgegen brech’ ich aus der Burg. Friedrich (tritt zu ihm), Nie focht er ohne mich: ſoll's auch nicht heute.

318

Agnes (tif). D Heinrich, folge mir! Es gilt dein Leben! Heinrich (mißveritehend). Ja, dürft’ ich gar nicht fechten mehr, mein Lieb? ‚(laut) Heda, Herr Raftellan! Wir bleiben! Waffen! Friedrich. Die Schleudern auf den Wal! Wurflanzen her! Agnes (feine Hand faſſend, eindringlich). D folge mir, es gilt ja unjre Liebe: Berloren jede Hoffnung, wenn du bleibit. Heinrich (tomiih erſtaunt). Wenn ich nicht fliehe? Das verſteh' ich nicht! Agnes. Du wirft’3 verjtehen! (fie; vor ihm beugend, fait knieend, zwingend) Sch bitte flehentlich: ’3 iſt meine erjte Bitte. Heinrich (Heswungen, erhebt fi). Nun, ich folge. Kein ſchwerer Opfer wüßt' ich dir zu bringen. (Die drei Frauen zeigen, aufatmend, ihre Freude.) Heinrich (zu Friedrich. Verſtehſt du das ? Friedrich (kopfihüttelnd). Dann will ich Bumpo heißen. Bumpo (kommt erhitzter denn je, keuchend, zurück, zieht das Pergament aus der Bruft). So! Endlich kann ich's nochmal überlejen! Agnes (teife, raſchj. Praredis, Hilf! Praredis (ironifh verfhämt, an Bumpo herantretend). Herr Bumpo —: nehmt zum Abjchied Den längft verfprochnen Kuß ! (Bumpo fehr erfreut nähert fi) ihr, da8 Pergament wieder einftedend.) Friedrich (auf Bumpo losbrechend). Was? Tod und Teufel! Eh’ werf’ ich ihn Eopfüber von dem Wall! Pfalzgrafin Gammernd). Seht wird der eiferſüchtig! Praredis. Schäm' did, Schaf! Berjtehjt du feinen Spaß?

319

Friedrich. In allen Dingen: Nur nicht im Punkt der Küſſe meiner Braut. Ich leid's mal nicht. Bumpo (grob). Man wird Euch nicht lang fragen. (Nähert ſich Praxedis.)

Friedrich (ohne das Schwert zu ziehen, auf Bumpo losſchreitend). Ich ſchlag' ihn tot! Agnes (in höchſter Angſt, ſeine Hand faſſend, mit tiefſtem Ausdruck, leiſe). Ihr ſeid Herrn Heinrichs Freund? Es gilt ſein Leben gebt Ihr raſch nicht nach! Friedrich werbtüfft, leiſe). Was? Wenn Praxedis dieſen Tropf da nicht küßt? Agnes (eiſe, raſch). Sit er verloren Ihr wir alle mit! Friedrich. Ich will verdurjten, wenn ic) das fapiere! Doh diejem Ernſt iſt nicht zu widerjtehn! Ins Teufels Namen denn! Bumpo (chickt ſich an, zierlih Praredis zu umarmen, welche neckiſch entweicht). Jungfrau Praxedis ... Aſtolf (Gereinſtürmend, aus dem Thor). Der Feind! Ganz nah! Nur Ein Weg iſt noch offen! Gerhard (aſch Hinter ipm). Der Weg zum Rhein: nicht lang mehr ijt ex frei! Pfalzgrafin (wendet fi zum Gehen, befehtend). Jetzt its zu jpät für Kuß und Narreteil Wir gehen! . (Praredis ift zu Friedrich geeilt und Hat ihm raſch Leife alles erklärt: höchſtes Erftaunen, dann mit Mühe verhaltenes Laden Friedrichs.) Bumpo (will das Pergament Iejen). Gleich! Ich muß nur nod)- mal lejen! Pfalsgrafin (vicht an ihm Herantretend). Ihr Hört nicht? Euer die Verantwortung, Werd’ ich gefangen. Vorwärts, ich befehl’ eg!

320

Bumpo (für ſich, überfegend). Zweimal hab’ ich's gelefen —: rihtig war's! (felbftgefällig) 's ift auch im Grund nur Vorschrift für die Schüler Und bei dem Meister übertriebne Borlicht. Iſt's auch das rechte? Sa, des Kaiſers Siegel!

(Rollt nun das kaiſerliche Pergament zufammen, verjhnürt es, fiegelt e& mit Wachs aus dem Screibgerät und dem pfalzgräflichen Siegel, das er am Gürtel hängen hat. Siehe die Schlußbemerkfungen.)

(ruft Gerhard heran) Da nimm! und thu damit wie ich dir auftrug: (drobend) Mit deinem Leben ſtehſt du dafür ein!

(Die drei Frauen und Friedrid) verfolgen mit der größten Spannung alle Bewegungen Bump o8,)

Gerhard (nimmt den Brief, erhebt die Schwurfinger). Ich ſchwör's: ich geb’ e3 in Herrn Konrads Hand!

Pfalzgrafin (aufatmend). Nun, Gott jei Danf. Es Agnes. Gerettet ift jein Leben. (33 Praredis. Raſch fort! 3:

(Die drei Frauen, Gerhard und Aftolf ab durch die Pforte.)

Bumpo (tritt triumphierend vor in die Mitte).

Triumph! Jetzt find fie Staatsgefangne. (Ab durd) das Thor.)

Heinrich (im Abgehen zu Friedrich).

Was geht hier vor? Sind wir in einem Tollhaus?

Friedrich (iieht ihn, heftig lachend, wieder nad) vorn).

Heinrich. Wenn ich nicht flüchte, wenn Praredis nicht Heren Bumpo küßt, dann find wir all’ verloren ? Beritehft du das?

Friedrich. Ja, ich verſteh's! Dein Lämmlein hat uns alle Gerettet: weißt du, was der Brief enthielt?

Heinrid) (verneint lebhaft. kopfſchüttelnd).

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Friedrich (immer lachend). In dieſem Brief befiehlt der Kaiſer Heinrich Dem Oheim Konrad bei der ſchwerſten Strafe... (Hält inne vor Lachen.)

Heinrih. Nun, was befiehlt der Kaiſer?

Friedrich. Augenblicklich Uns beide Paare in der Schloßkapelle Durch ſeinen Burgkaplan

Heinrich. Nun?

Friedrich (in Helles Lachen ausbrechend). Trau'n zu laſſen!

(Während Friedrich lachend den erſtaunten Heinrich in die Pforte mit ſich zieht, fällt der Vorhang raſch.)

Dabn, Eämtl. poetiihe Werke. Erfte Serie Bd. VI. 21

322

III. Aufzug.

Halle in der pfalzgräflichen Burg Stahled. Im Hintergrund in der Mitte gewölbter Eingang in die Schloßfapelle, aus welcher manchmal leijer Orgelflang vernehmlih. Rechts und links daneben je eine Thür. An dem Eingang zur Schloßfapelle rechts und Links ganz gleiche Waffen: jedesmal Helm (mit jchließbarem Viſier), Schild (mit dem Wappen des Pfalzgrafen) und Schwert am Wehrgehäng. Seitwärts recht3 eine Thür an der zweiten Eoulifje: Hier Arm- und Beinjchienen aufgehangen: links gegenüber ein Erferfenfter, das in das Freie vor der Burg blidt.

Erſte Scene.

Pfalzgraf allein. Er fitt, dem Publikum das Antlig vol zufehrend, in wei.

ßem Feftgewand, Wams und Tricot rot verziert, auf einem Stuhl mit hoher

Lehne an einem Tiſch rechts vorn, auf welchem Weinktrug und Wofal. Er Lieft, Topffchüttelnd, in dem Laiferlichen Pergament. Lange Paufe.

Pfalzgraf (fiept von dem Brief auf. Jetzt leſ' ich dieſen Brief zum fünftenmal! (Paufe.) Das faffe, wer da fan: ich faſſ' es nicht! Kein Zweifel: das ift meines Bumpo Handſchrift! Das ift des Kaifers großes Kanzler-Siegel: Und unverfehrt gab Gerhard mir den Brief. Und doch! Wie geht das zu? Der Raifer Heinrich, Der dies DVerlöbnis Hart und fchroff zerriß, Derſelbe Kaifer Heißt bei ſchwerſter Strafe Das junge Baar mich augenblids vermählen! (topfſchüttelnd)

Da hat die ganze Staatskunſt umgeſattelt.

323

Nun, mir ift’3 recht! Die Staatsfunft ift mir Teidig! Stet3 z0g ich eine frifche Sau-Hatz vor Der Rolitit. Und ganz von Herzen freut mich’3, Daß ich mein liebes Kind, nach foviel Herzweh, ‚Dem wadern Heinz von Braunfchtweig geben fann. Der foll alsbald mir aus der Burg nun brechen, Die Wälder von den Reitern, die drin lauern, Gott weiß, auf wen! mit fcharfem Schwert zu läubern. Gern ritt’ ich jelber aus, doch immer ſchwerer Komm’ in die Waffen ich und auf den Gauf: Sit’ ih ert feit: dann freilich meh dem Feind! Doch muß der Feind auf mich gar lange warten. (Bauje.) Das lange Steh’n ſchon wird mir fchwer: konnt’ kaum Aushalten gejtern Nacht das viele Beten, Das dabei nötig fand mein Burgfaplar. (Orgelllang.)

Und jet ſchon wieder! Das ward mir zu viel: Der Liebe Herrgott, denf ich, nimmt’3 nicht übel, Schenk' ih die Frühmeß' mir und bete hier, Bei einem Humpen Rheinweins, für die Kinder: Sch mein’s jo treu al3 wär's in der Kapelle.

Orgelklang: Pfalzgraf erhebt den Pokal.) Gieb, Lieber Gott, den Paaren deinen Segen

(Drgelllang.) Und deinen Frieden gieb dem Neiche: Amen! (Orgelllang: Pfalzgraf trinkt.)

21*

324

Zweite Scene.

Pfalzgraf (andächtig betend). Bumpo (ftedt neugierig den Kopf zur Mittel- thüre links herein und ſchleicht nad) vorn).

Bumpo (ür fit). Da ſitzt der Pfalzgraf jelbjt! Nun, der wird ftaunen, Wenn ich den Dienjt ihm fünde! Mich trieb her Es litt mich nicht mehr dort in Rüdesheim Die Neugier, ob mein Auftrag ftreng vollzogen. (laut) Herr Pfalzgraf! Pfalzgraf. Bumpo? Ei? plagt dich der Teufel? Was ſuchſt du hier? Hab’ ich dich ſchon gerufen ? Du jollteft mir zu Rüdesheim ja bleiben Und mir die Burg verwahren? Bumpo. Ja, Herr Pfalzgraf, Das kann ich nicht mehr: (ufgeblaſen) denn ich bin geſonnen, Aus Eurem Dienst zu Höh’rem aufzufteigen. Gehabt Euch wohl! (erablaſſend) Sch werde ſtets am Hofe Des Kaijers und bei Vetter Sigilocus Verlaßt Euch drauf! zu Eurem Vorteil ſprechen. Pfalzgraf (vervust, für fih). Der ward ein Narr vor Eitel- feit und Hoffart, Weil ihm jein Vetter jenen Auftrag gab. (laut) Nun, Bumpo, ich will dir den Weg nicht Sperren, Willit du jo hoch hinaus! Werd’ nur nicht ftolz! (Bumpo verneint, gnädig lächelnd.) Jetzt aber jag’ mir, um der Heil’gen willen, Wie all’ das fam: nichts wifjen die drei Frauen: Nichts wiſſen auch die beiden, die du ſchickteſt:

325

Dir aber Hat dein Vetter doch gewiß, Der Kaifer felbft, gejagt, warum? und wie?

Bumpo. Gewiß! Ihr ſollt's auch hören! (eifrig) Doch zubor Sagt mir denn das zu forjchen eilt’ ich Her Ward pünktlih auch mein Auftrag gleich vollzogen ?

Pfalzgraf (vergnüg). Jawohl! Noch gejtern. Gleich nad)

ihrer Ankunft!

Bumpo (neugierig und radgierig).

Doch wo? Ju weldhem Turm?

Pfalzgraf (eritaunt, fieht ihn groß an). In welchem Turm? Was frägit du doch? Wo ſich's von ſelbſt verfteht!

Bumpo (finfter, uneimtih). Im Wolfsturm alfo?

Pfalzgraf (vrest ſich raſch gegen it). Gag, redjt du im Raufch So früh am Tag?

Bump. Nun, wo iſt's Sonst geichehn?

Pfalzgraf (achend). Wo ſich's von felbft verfteht! Und

wo du felber Zum Überflug! es vorgefchrieben haft. Bumpo. Den Ort jchrieb ich nicht vor! Pfalsgraf. Fa doch! Orgelklang.) (Pfalzgraf deutet auf die Kapellenthür.) Dort ſchriebſt du, Dort in der Schloßfapell’! Hörft du die Orgel? Heut morgen, nach der Brautnacht, Hörten fie, Wie's Sitte ift, die Mefje mit der Mutter. Sieh hin da fommen fie, die Glüclichen !

Bumps. Was joll das heißen ? (ür fin) Iſt er närrisch

worden ?

326

Dritte Scene,

Borige. Aus ber mweitgeöffneten Kapellenthür man fieht den gefchmüdten Altar ſchreiten Pfalzgräfin, Agnes und Praxedis, beide nod im Brautgewand, Heinrid und Friedrich, ohne die falfhen Bärte, in weißen, rotverzierten und dem des Pfalzgrafen ganz gleichen Feſtkleidern (— Geſchenk des Pialzgrafen —) ohne alle Waffen. Einige Diener, darunter Gerhard, und Dienerinnen: diefe gehen ab durd) die Mittelthüre rechts. Gerhard bleibt.

Praredis (teif). D weh: Herr Bumpo! Friedrich (teife). Sebt beginnt der Spaß! Pfalzgrafin (ei). Nein, jebt beginnt der Ernſt! Nun raſch zu meinem Geliebten Polterkopf: von mir zuerjt Muß er’3 erfahren: jonjt wird er zu zornig. (Tritt zum Pfalzgrafen, freundlid), ernft und fürbittend alles erflärend.) Bumpo (weicht wie vor Spuk zurüd). Hei! Alle guten Geiſter! Friedrich (fi bedankend). Lobpreijen ihren Meifter ! Prasedis. Ja, edler Bumpo, Euch verdanken mir AM unjer Glüd. Friedrich. Zu ſpät kamt Ihr zur Hochzeit, (Dringen auf ihn ein und drängen ihn nach links vorn.) Zu der ich Euch gebeten: (eiſe, in Bumpos Ohr) ei, ſo kommt Zur Taufe denn: Ihr ſeid der Erſtgelad'ne! Bumps (Gornig). Was ſoll das alles? Friedrich (giebt ihm den auf dem Tiſch liegenden Brief). Da, leſt Euren Brief! Praredis. Den Raijers Siegel! Ihr gejchrieben! Friedrich. Ihr konntet’3 gar nicht jtreng genug befehlen ! Praredis. Noch raſch genug erfüllt jehn, wie es jcheint. (Bumpo lieft eifrig.) Friedrich (an ihn Herantretend). Wie war’3 doch mit dem Küßlein, bejter Bumpo? Sungfrau Praredis hat es Euch verjprochen ? Bumpo Gornig auffahrend). Und ſoll es Halten!

327

Friedrich. Sucht denn in der Welt, Wo Ihr Jungfrau Praxedis findet, Bumpo, (den Arm um Praredis ſchlingend) Denn die, fo hier fteht, ift mein ſüßes Weib. Bumpo (farrt in den Brief). Wie? Was? D daß die Erde mich verjchlänge ! Eieſt fort.) Pfalsgraf (ehr erihroden).. Das Kind, die Agnes? hätte das gewagt? Des Raifers ganze Staatsfunjt zu durchfreuzen? Pfalzgrafin. Und gründlih! Denn viel kann ein röm’scher Kaiſer: Doch nicht der Ehe Saframent zerreigen! Pfalzgraf. Wie wird er wüten! Weh, was wird er thun! Agnes. Das müjjen wir mit Mut und Kraft nun tragen. (tniet) Berzeih nur du mir, lieber, guter Vater! Pfalzgraf (ehebt fi). Mein liebes Kind! Pfalsgrafin. Was iſt da zu verzeih'n ? Sie hat vollbracht, was all’ ung tief beglüdt. Pfalzgraf. Und was uns al’ ins Unheil ftürzen kann! Heinrich (zu dem Pfalzgrafen tretend). Die Strafe fordr’ ich für mein Teil allein. (Hornruf des Türmers durch das offne Erferfenfter vernehmbar.)

Bumpo (in das Pergament vertieft, hat von den Vorgängen bei dem Pfalzgrafen nichts bemerkt).

Iſt's möglich? Ja, 's iſt wahr! Das ſchrieb ich ſelbſt! Mit meiner eignen allerſchönſten Schrift!

Nein, das iſt Zaubertrug! Das Pergament

Ram nicht aus meinem Wams, aus meiner Hand! Zum drittenmal zwar hab ich'3 nicht durchlejen:

Das ijt des Leichtfinnd Strafe, alter Schreiber, Daß freventlich die Regel du verlegt Haft —!

328

Doch diefen Auftrag hab ich nie geichrieben. (erblidt Gerhard) Ha Gerhard, Haft du mir die Treu gebrochen ? Gerhard. DBerjiegelt und verfchnürt gab ich den Brief Sn Eures Herren Hand —: fo Gott mir helfe (Hornruf des Türmers.) Pfalzgraf (midt beftätigend). Bumpo (außer fih). Dann hat in das verfiegelte, verjchnürte Briefpergament hinein gehert der Teufel! Um Bauberei verflag ich Ddieje beiden Bein Stuhl von Rom, bei Kaifer und bei Neid). (Wiütend ab durd) die Mittelthüre recht®.)

Vierte Scene. Borige ohne Bumpo. Gleich darauf Aftolf.

Pfalzgraf. Der ſchreit Mordio, ſowie er trifft den Kaifer. Heinrich. Weilt er zu Mainz noch? Habt Ihr feine Kunde? Aftolf (aus der Mittelthür links hereinftürmend, Helm, Schild, gesogenes Schwert). Zu Hilfe, Herr! Der Kaifer wird gefangen! (Lebhaftefte Bewegung aller Anmefenden.) Habt Ihr den Ruf des Türmers nicht gehört? (Dritter, ftärferer, jehr dringender Hornruf des Türmers.) Der Kaiſer, auf dem Weg von Mainz Hieher, Ward jujt vor Eurem Burgthor überfallen. Pfalzgraf ammernd). Und meine Reif’gen jtehn vor Benevent! Aftolf. Er kämpft mit Macht! Umſonſt! Schwad fein Gefolge Und furchtbar überlegen ijt der Feind. (Waffenlärm von unten links: Agnes und Braredis eilen ans Fenſter.) Pfalzgraf (teht ſchwerfällig au. Zu Pferd! Zu Pferd! Helft mir in meine Waffen!

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(Pfalzgräfin reift Arm uno Beinſchienen von der Thüre rechts: Pfalzgraf wirft fich wieder in den Stuhl Pfalzgräfin, Aftolf und Gerhard be: mühen fich eifrig, ihm die Schienen umzufcnallen, aber vergeblih. Hornruf.)

Heinrich (begeitter). Komm, Freund, laß uns den deutjchen Raifer retten!

Friedrich. Wo aber Waffen ?

Heinrich. Hier Herrn Konrads Waffen!

(Beide Freunde reifen Helm, Schild und Schwert von den Wandpfeilern im Hintergrund und wafinen fid) raid: fie fehn nun in den ganz gleichen Waffen und Kleidern einander zum Verwechſeln ähnlich.)

Heinrich (das Schwert ziehend und fchwingend).

Hinaus! Zum Kampf! Hie Kaifer! Und hie Neich! Friedrich (das Schwert ziehend und ſchwingend).

Heraus, mein liebſter Fiedelbogen du!

(Beide fchliefen die Bifiere und eilen ftürmifch ab dur die Mittelthüre links: Aftolf und Gerhard fpringen auf und eilen ihnen nad.)

Pfalzgraf. So hilf mir in die Schienen doch! Raſch! Rafch! Pfulzgrafin (vie vor ihm niet, aufblickend). E3 geht nicht rajcher, lieber Mann, bei Gott! Pfalzgraf (fpringt ungeduldig auf und eilt in die Seitenthüre reits), Ich helf' mir ſelbſt! Sch brauche feine Schienen!

(Pfalzgräfin eilt zu den beiden Frauen ans Fenfter.)

Fünfte Scene.

Die drei Frauen. Bumpo (au8 der Dittelthür rechts) bedächtig, langſam).

Bumps. Da wäre nun der Kaifer, den ich juchte! Doch jetzt iſt's jujt nicht vätlih, ihm zu nahn: Und jtirbt er ei, flag’ ich beim neuen Kaifer! (Zritt ana Fenfter hinter die drei Frauen.) Pfalzgrafin (aus dem Feniter ſpähend). O weh! Das it des Lothringers Panier! Agnes. Dort dringt Graf Lorjol auf den Kaifer ein!

330

Praredis. Da ftürzt des Kaiſers Roß!

Pfalzgrafin. Er rafft fich auf!

Agnes. Da bricht fein Speer!

Prazedis. Hoch ſchwingt er noch das Schwert!

Pfalzgrafin. Da birjt fein Schild! Weh, gleich ijt er gefangen!

Bumps (Hööft erſtaun). Ei fieh! Da ift der Pfalzgraf ja Ihon unten! Wie fam der nur jo jchnell hinab vors Thor? So ſchlank, fo jung, jo flinf ſah ich ihn lang nicht! Er hat Lorjol erreicht! Der Welfche ftürzt! Er hebt den Kaiſer auf ein frifches Roß! Wie? Seh’ ich doppelt? Dder geht er doppelt? Da, von der Linken, nochmal fommt ein Pfalzgraf, Er faßt den Lothringer, nimmt ihn gefangen. (Die drei Frauen haben, ohne auf Bumpo zu achten, eifrig aus dem Fenſter gefehen: nun jubelt auf die)

Pfalzgräfin. Frei ift der Kaiſer!

Agnes. Und die Feinde fliehn! Praredis (fc vorbeugend). Wo ijt der Kaiſer?

Pfalzgräfin. Schon im Schloß! Agnes. Da iſt er!

Bumps. So fann ich meine Klage gleich erheben!

Sechſte Scene.

Borige. Kaifer (ohne Helm, Spuren des Kampfes am Gewand, Schwert in der Scheide). Aftolf ohne Helm, ein Tud um den Kopf. Bumpo drüdt ſich Yauernd in den Hintergrund. Zwei Ritter bes Raifers. Gleich darauf Pfalz: graf (von reits); Heinrih, Friedrich, Gerhard und einige Reifige aus dem Mittelgrunde links (wo aud der Kaifer und Aftolf eingetreten).

Kaiſer (auf die Pfalzgräfin zueilend, warm). Die Freiheit und das Leben, edle Freundin,

331

Verdank ich Eurem Herrn —: nehmt Ihr einſtweilen Des Kaiſers tiefiten Dank: ich will’3 gedenken: (auf Aftolf deutend) Den jungen Knappen da jchlag ich zum Nitter, So brav hat er gekämpft: pflegt fein, ihr Mädchen.

Agnes und Praredis nehmen fih freundlich, ohne Spott, bewundernd, des lächelnden Verwundeten an und führen ihn zur rechten Mittelthür ab.)

Doh Euren Gatten jah ich ſchier verdoppelt Zu meiner Rechten und zur Linken fechten.

Pfalzgraf (eilt, etwas humpelnd, aus dem Seitengemad), Helm, Schild, gezogenes Schwert ohne Sceide, ein großer Tederner Neiterftiefel am linken Fuß, der rechte ftedt im weißen Strumpftricot ohne Schuh: er fieht im Eifer den

Kaifer nicht, eilt auf die Mittelthür links zu).

Der rechte Stiefel will durchaus nicht an!

Gut! Meinen Kaifer vett’ ich auch Halb barfuß! Kaifer. Wie? hr jegt Hier? Und juft im Feld, in

Waffen ?

Ihr habt mich doch befreit ? t Pfalzgraf (angſam). Nicht, daß ich wüßte!

Ich hatt’ es freilich ernitlich vor: jedoch . . Pfalzgrafin. Jedoch die beiden famen ihm zuvor.

(Weift auf Heinrid und Friedrich, welche mit gejchlofjenen Bifteren ein»

treten. Friedrich trägt ein buntes Panier. Heinrich trägt ein fremdes,

gezogenes Schwert in der Linken und ein Tuch um den rechten Arm: Agnes eilt

ihm beforgt entgegen, er beſchwichtigt fie rafch: beide treten nun rechts und

lints an den Kaifer und jchlagen die Bifiere auf. Gerhard. Einige Reifige,

zwei Ritter des Kaifers. Gerhard Holt den Stiefel aus dem Gemach und zieht ihn rajch dem Pfalzgrafen an.)

Kaifer. Ha! Wie? Heinrich von Braunfchweig und der Herr Bon Haufen? Wie? Sie hätten mich gerettet? Heinrid (niet zur Rechten des Kaiſers, überreicht ein Schwert ohne Sceide). Hier, Herr, das Schwert Graf Lorjol3 de Nonant, Den ich für Euch verwundet und gefangen.

332

Friedrich (Eniet zur Linken des Kaifers, überreicht dad Panier). Hier das Panier des Lothringers, Herr Kaifer,

Den ih für Euch verwundet und gefangen.

Kaiſer (drückt ſein Erſtaunen aus, winkt ihnen ſich zu erheben, giebt Schwert und Panier feinen beiden Rittern).

Heinrih. Der Kanzler Sigilocus ijt entfloh’n,

Stiedrich. Der, wie jchon die Öefangnen eingeftanden. .

Heinrich. Euch hat geführt in diefen Hinterhalt!

Kaiſer (itaunt).

Pfalzgraf (mit gutmütigem Spott zu dem fehr betroffenen Bumpo). Herr Bumpo, fprecht, ich bitt' Euch Schön, beim Vetter, Herrn Sigilveus, manchmal mir zum Vorteil!

Bumpo (tröſtet feine Beſtürzung durch Die alsbald zu erhebende Anklage).

Kaiſer. Sp will fich, ſcheint's, an diefem Tag vollenden Der Umſchwung in dem Gang des Reichs, der gejtern Am Tag zu Mainz begann: dort Hab’ ich völlig Mit dem befreiten Richard Löwenherz

(leife zur Pfalzgräfin) Biel wirkte edle „Frauen-Staatskunſt“ mit Mich ausgejöhnt und Frankreich abgewieſen. Dem zweiten Löwen der mich hat bekämpft, Heinrich dem Löwen, wird fortan vielleiht ... (Wil Heinrich die Hand reichen, Bump o fährt dazmwifchen : niet.) Bumpo. Herr Kaifer, Halt! Ihr wißt nicht, was Ihr thut! Ein ungeheurer Frevel ijt geſchehn: Durch Zauberei, wenn nicht duch ſchlimm're Schuld, Ward Euer Ffaiferlicher Brief gefäljcht, Den id, mit Eures Siegel! Vollmacht, fchrieb. Kaifer. Ah, ich entfinne mich, was ſchriebeſt du ? (Winkt ihm aufzuftehen.)

333

Bumpo (feht auf. Hier diefe beiden in den Turm zu werfen Befahl ich: und leſt jelbjt nun, was hier jteht. (Überreicht ihm den Brief.) Kaiſer (tieft mit fteigendem Zorn). (Bange Spannung aller Beteiligten.)

Kaifer. „Im Namen Kaifer Heinrichs und aus Auftrag Des Kanzlers Sigilocus anbefehl' ich, Herr Pfalzgraf, Euch, kraft Faijerliher Vollmacht, Daß Shr jofort die beiden jungen Gäjte, Bei jtrengjter Strafe Faiferlichen Zorns, Bei jchwerfter Neichgacht wegen Felonie, Zu Stahleck in der heil'gen Schloßfapelle Mit Agnes und Praredis trauen laßt Durh Euren Burgkaplan hört Ihr? jogleich! Ich, Bumpo, in des Kaijers Stellvertretung.“ „Nachſchrift.“ „Hört Ihr? Noch heut! Beim höchſten Zorn des Kaiſers!“

(ausbrechend)

Ha, was iſt das? Beim Glanze meiner Krone! Zuviel! Herr Ohm, habt Ihr gewagt, zu thun, Was durch ein Blendwerk hier geſchrieben ſteht? Pfalzgraf (eſt und mutig). Befolgt Hab’ ich ſofort, in höch— ſter Eile, Denn unverletzt war Siegel und Geſchnür Was Ihr befahlt bei Androhung der Acht. (auf Heinrich deutend) Mein Eidam ſteht vor Euch! Kaiſer (ehr ergrimmt). Nein! Nimmermehr! Soweit ſoll niemals gehen die Verſöhnung! Pfalzgräfin. Sie eint des Sakramentes ewig Band: Herr Kaiſer, könnt Ihr unvermählt ſie machen?

334

Kaiſer. Das kann ich nicht! Doch furchtbar kann ich ftrafen! Wer allzufühnes Spiel mit mir gejpielt! (winkt feinen beiden Rittern, diefe treten näher) Heinrih von Braunjchweig, habt Ihr das gewagt? Heinrich (tritt vod. Beim greifen Haupte meines Vaters: Nein! Jedoch die Strafe fordr’ ich al3 mein Recht. Kaiſer. Sie wird Euch nicht geſchenkt, verdient Shr fie. (zu Friedrid) Doch Euch fieht das mehr ähnlich, Herr von Haufen. Friedrich (tritt vor). Bei meinem NRitterwort: ich that es nicht. Kaiſer (für fig). Die Frau’n! Natürlih! Wie fonnt’ ich nur zweifeln! (laut)

Verſchmitzte Griechin, das ift deine Art.

Praredis (tritt vor, mutig). Sie ijt der ſchönſte Scherz, der mir befannt:

Ich wollt’, ich dürfte mich des Einfalls rühmen.

Kaiſer (nod immer ftreng). Frau Pfalzgräfin! Wie mocht ich nur jo lang

Auf Euch nicht raten! (inter) Iſt das Frauen-Staatskunſt? Pfalzgräfin (tritt vor). Sa! Frauen-Staatskunſt iſt's

doch nicht die meine. Kaiſer. Nun, wer hat dies Verbrechen zu bereu’n? Agnes (tritt tühn vor. Ich that’s, Herr Kaifer: doch bereu’ ich's nicht. Kaiſer (öchſt erftaunt, tritt weit zurüd).

Das Lämmlein? Wie? Nein! Des jeid Ihr nicht fähig. Bumpo. Was? Meine Weisheit gegen mich gewendet? Friedrich. Ja, ja, die Schül'rin . .

Praredis. Macht dem Meijter Ehre!

335

Agnes (dem Katfer folgend). Herr Raifer, ja! Und hört! ich thät’s noch einmal, Den treuften Mann vor ungerechtem Kerfer Zu retten: ja, und müßt ich dafür jterben. Kaifer (ftreng mit finjterem Blick auf Heinrid). An ihren Männern ftraft man Frau’n am ſchwerſten! Nicht fterben juft, doch büßen joll, wer alfo (er winkt abermals feinen beiden Rittern) Mit meinem Willen frevelhaft gefpielt. Pfalzgrafin (tief bewegt, tritt vor). Mit Eurem Willen? Wie? mein Herr und Kaiſer, Wollt Ihr denn wirklich Eure beiden Retter Sn Schlangenturm begraben zu Palermo ? Wenn fie gefangen waren heut? mas ward Aus Euch? Mu ih Euch mahnen Eures Wortes: Säht Ihr im Kampf für Euch) fi treu bewähren Jung Heinrih, mwolltet gern Ihr Euch verjfühnen ? Wer hat mit feinem Blut (auf Heinrichs Arm deutend) Euch frei- gefämpft Aus Arglift und Verrat? Kaiſer (für fid). Sa, fie Hat recht. Pfalzgräfin (näger rüdend). Wer hat im Schloß zu Rüdes— heim gerühmt... (Kaifer erweicht fidhtlid.) (Braredis, dies bemerfend, rücdt näher.) Praredis. Wenn Weiberlift ihn jemals überwände . . Agnes (näher rüdend). Die Täufhung nur aus Lieb’ und

: Treue wagt... Pfalsgrafin (näher rüdend). Die alles wagt, daS Teuerjte zu retten...

Prazedis (näder rüdend). Wer hat gerühmt, daß er an Groß— mut dann...

336

Agnes (näher rütend). Gewiß dem edeln Ahn nicht nachftehn würde... Pfalzgräfin (näher rüdend).

Der gütevoll zu Weinsberg dort den Frau'n ... Praredis (näyer rückend). Zulächelte und ihre Liſt vergab? Pfalsgrafin (näher rüdend: der Kaifer fteht nun ganz umitellt an der

Erferwand). Wer jprad) im Schloß zu Rüdesheim dies Wort? Kaiſer (tritt kräftig vor, der Pfalzgräfin Hand faſſend).

Sch, Ichöne Freundin! Und ich will es Halten!

Wollt’ ich mein Wort Euch brechen, Jrmengard,

Wie Untreu' wär’ es gegen meine Jugend!

(zu feinen Nittern)

Die beiden, die die Helden hier gefangen,

Führt wohl verwahrt ſie nah Palermo mir. Friedrich (eiſe zu Praxedis).

Denn einſperr'n muß er immer jemand laſſen ... Praxedis (leife zu Friedrich).

Das ift und bleibt fein Haupt und Staatsvergnügen! Kaiſer (u Heinrich und Friedrich, ihnen die Hände reichend).

Dank und Verföhnung euch, ihr meine Retter!

(Heinrid) und Friedrid neigen fich tief.) Heinrich. Eintracht fortan...

Friedrich. Durch alles deutſche Land! Kaiſer Gu Agnes). Weil du geliſtet Haft aus Lieb’ und Treu’,

Verzeihung denn, du ftaatsgefährlih Kind.

Bump (empört). Gerechtigkeit lebt nicht mehr in dev Welt! Ich geh’ ins Kloſter und werd’...

Friedrich (ihm nachrufend). Kellermeiſter.

(Bumpo ab durch die linke Mittelthür.) Kaiſer (u Friedrich). Ihr zeigt viel Mut, das Griechenkind zu frei'n!

Iſt Euch nicht bang vor dieſer ſpitzen Zunge?

337

Friedrich. „Rein Meijter trägt jo ftolzen Sinn, Er findet jeine Meifterin.“ Praredis. War ich manchmal ein bißchen ungebärdig, Geſchah's, weil mir der Herr und Meifter fehlte: Jetzt fand ich ihn und lammfromm bin ich worden. Kaifer (mit einem Blick auf Agnes), Lammfromm? O weh! Sch weiß nun, was das heißt. Herr Heinrich, nehmt in acht Euch vor dent Lämmlein: Es wird Euch überwält'gen wie den Kaifer: Dann küßt fie auf den Mund, wenn Ihr's entdeckt, Und denft und lacht, wie Euer Raifer that: „Staatsfunjt der Frau'n du haft gejiegt.“ (®ruppe.) (Der Kaifer faßt der Pfalzgräfin und Agneſens Hand.) (Borhang fällt.) ;

Dabn, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Bd. VI. 2

Schlußbemerfungen für Regie und Dariteller.

Den Duft mittelhochdeutfcher Poefie und ihre heitere Anmut

über dieſes Scherzipiel zu breiten jchwebte dem Berfaffer als Ideal vor. Der Humor darf nie durch Derbheit jenen angeftrebten poejie= vollen Hauch verſcheuchen, namentlich nicht in der Darftellung des ritterlihen Minnejängers. Auch Bumpo, obzwar die gröblidhite Geftalt, darf nie, auch in und nad) der Trinfjcene, roh werden: böfiihe Sitte umhegt das Leben jener Männer und Frauen. . 2ehrreich, gehaltreih für die Kenntnis der Zeit, auch der Überliftung des Kaiſers duch die Pfalzgräfin (fie ließ Heinrich heimlich nach Stahled fommen und raſch mit Agnes trauen:) ift das Merk: „Heinrich der Sechſte“, von Dr. Theodor Toeche, Leipzig 1867.

Der Kaifer: jchöner, imponierender Mann von circa 32 Jahren, braune Haar, leichter brauner Bart. Er war eine der aller- gewaltigjten Herrſchernaturen aller Zeiten: von ſtolzeſtem Ehr— geiz, hochfliegenden Plänen. Dabei durchaus nicht wählerijch in den Mitteln: argliftig, jeiner Gegner Ränfe durch über- legene Künſte überbietend: mit einem Anflug von Tyrannen- härte: von vornehmjtem Selbitgefühl; der Zujhauer muß ftet3 leiſe Zucht vor dem glänzenden, aber gefährlichen Herricher verjpüren. Allein die edle, poejievolle (er pflegte jelbjt des Minnejfanges) Staufernatur bildet doch den Kern des Charakters, welcher denn auch, nachden er ich durch unterſchätzte Frauenlift überwunden fieht, in ritter- lihem Edeljinn verzeihen fann. Seine Neigung zu der Augendgeliebten ift tief gewurzelt; wo fie zu zärtlich hervor— treten will, weift fie die Pfalzgräfin fein zurüd: dieſe Nei- gung trägt zulegt wejentlich zu der verzeihenden Umfjtimmung des Kaiſers bei.

Der Pfalggraf: ungefähr 45 Jahre: durchaus nicht einfältig.

|

339

gutmütig, aber ein tapfrer, tüchtiger Mann: feine Beleibt- heit muß zwar ausreichend markiert fein, darf ihn aber feineswegs an der Geite der jchönen Irmengard widerlich erſcheinen lafjen: ein volles, joviales, aber ſchönes Antlig, ihönes Grau an Haar und Bart.

Die Pfalzgräfin: blühend ſchöne Frau von 35 Jahren, edel,

echt weiblich, heiter, gütevoll, mit feinem Taft den Kaijer, den fie aufrichtig verehrt, aber nicht liebt, in Schranken haltend und, als fein guter Geift, an feinen eignen Edel- finn mahnend und zur Verſöhnung jtimmend!

Agnes: blond, 16 Sahre alt, verhalten, jcheu, tief innig und

innerli, wortfarg, aber voll Mut und nötigenfall3 aud) voll kühnſter, jchalfhafter Klugheit. Der Erfolg des Stüdes hängt zum großen Teil davon ab, daß die Darftellerin dieſe nur jcheinbar widerjtreitenden Eigenjchaften vereint zur An— Ihauung bringt: der Zujhauer muß dur ihren fühnen Schelmenjtreih zwar einigermaßen überraſcht jein, aber doch ihr denjelben zutrauen können.

Praredis: dunfel, 21 Fahre alt: immer fein und vornehm, nicht

joubrettenhaft oder Fammerzofenhaft. Sehr reiches byzan- tinijches Koftüm, von dem der beiden deutichen Frauen jchon durch jeinen Glanz abſtechend. Rundes ſchmales, goldge- ftidtes Käppchen auf dem Scheitel, goldgeftidte Schuhe, Edelfteine am goldnen Gürtel. Sollte die Darftellerin die Ahnfrau diejer Geftalt, die Praredis in Kojef Viktor von Scheffels „Ekkehard“ noch nicht kennen, jo wird fie gebeten, diejen Roman vor dem Studium ihrer Rolle zu leſen.

Heinrih von Braunjhmweig: blondes Haar, 25 Jahre alt,

heldenhaft, ritterlich, feurig, ungejtüm, jtet3 in Gefahr, fein Inkognito zu breden und den hochgemuten Herzogsjohn, den Sohn des Löwen, zu verraten. Er hat ji einen falihen Bart von viel dunflerer Farbe als jein Haar an— gehängt über dem bartlojen oder leicht blondbärtigen Mund: es jchadet nicht, wenn das Publikum bei beiden Freunden die Unechtheit der Bärte gleich erfennt: beide Bärte müfjen leicht abzunehmen und wieder einzuhängen fein.

Briedrih von Haufen: dunkles Haar, 28 Jahre alt, liebens—

würdig übermütig, aber auch im ausgelafjenten Scherz nie

unfein, jtet3 der höfliche, vornehme, ritterlihe Sänger, Hein-

rih an Heldentum faum nadjtehend, nur etwas realiftiicher. 22%

340

Kein „Trinker“, nur ein Freund der Poefie des Wein, ſcherzt mehr vom Trinfen als er trinkt. Seine Liebe zu Praredis iſt ernſt und tief. Sein faliher Bart ijt von viel hellerer Farbe als jein Haupthaar, jein Mund bartlos oder von leichtem, braunem Bart umgeben. Kann der Dar» fteller des Minnejängers die diejem in den Mund gelegten Lieder oder doch das eine oder andere nad den Melodien des Anhang fingen, jo wird das jehr günftig wirken. Beide Freunde tragen jchmudlofe Barette und dunkle Mäntel: die Einfachheit ihres Anzugs muß den Verdacht, daß fie geringe Landfahrer jeien, rechtfertigen. Sie wollen ihren Stand verbergen.

Sigilocus: 50 Sahre alt, grau von Haar und Bart.

Bumpo: 48 Jahre alt, auch bereit3 ziemlich grau. Darf nicht allzu pantomimenhaft hargiert gejpielt, die Verliebtheit in Praredis darf nicht widerlich werden: nach der Trinfjcene nicht beraufcht, nur etwas weinerhigt und haftig; jeine Ver— wechslung der beiden ganz ähnlichen Pergamente muß nur zum Eleineren Zeil aus der Weinwirfung, zum weitaus

größeren aus dem unaufhörlichen

Drängen und Treiben der mahnen-

den Boten erklärt werden: die Regie

wird gebeten, dieſes Drängen der

Boten in jo rajchem Tempo jpielen

zu lafjen, daß Bumpo glaubhafter-

maßen gar nicht zur Befinnung und jehr leicht zu der Verwechſelung der

Urkunden gelangt. Was die Art

der Schließung und Giegelung der-

jelben anlangt, jo konnte die in jener Zeit meift übliche nicht vor» ausgejegt werden, weil die Mani» pulation allzu umjtändlich wäre auf der Bühne. Es mußte daher eine jeltner vorfommende Form gewählt werden, die folgende: an dem Per— gament hängt mit zwei Schnüren befejtigt das Giegel in einer Kapfel, die beiden Schnüre gehen durd) das durchbohrte Pergament und find lang genug, das zujammengerollte Pergament von außen

2 —L 2) N)

341

wenigjtens zweimal zu umwickeln, fie werden nun von außen zu einer Schleife gebunden und auf diefe Schleife drüdt Bumpo eine fleine oblatenähnlihe Wachsſcheibe mit dem pfalzgräflichen Siegel» ſtempel, den er immer in der Gürteltafhe trägt. Das Pergament der Agnes ift dem faijerlihen ganz glei, aud an Schnüren und Siegelfapjel, nur iſt dieje etwas kleiner al3 an dem Faijerlichen Pergament.

Graf Lorjol de Nonant: echt franzöfifcher Typus, dunkel an Teint (kurz gejchorenes Haar) und Bart: 40 Jahre alt, jehr vornehn, jehr elegant, jehr reich gekleidet.

Ajtolf: 15 Jahre alt, Damenrolle, feine Spur von Bart, jehr zierlih in Haltung und Kleidung. Gerhard: 50 Sahre, grau an Haar und Bart.

Zu jener Zeit jtanden Farben und Tiere 2c. der Wappen noch nicht für bejtimmte Neihsämter dauernd oder für Gejchlecdhter erb- lich feit. Farben und Wappentier des Pfalzgrafen auf dejjen Schild (und Helm, wo jie freilih damals noch nicht vorfamen) können aljo beliebig gewählt werden: etwa roter einföpfiger Adler in weißem Feld; der einköpfige Adler begegnet wenig jpäter auf einem pfalzgräflichen Siegel.

Heinrich Hofmann. Andante.

ı. Ei du fei.nes, holdes, klei.nes, ei du _ sses 2. Griechen_täubchen,Dunkel.häubchen mit dem ro . then

Griechenkind!Lass die sie_chen Krüppel-Grie_chen, lern’ wie Schnäbe_lein:Sprich, wo steckst du? nr wasneckst du lang des

deutsche Min.ne minnt, lern’wie deutsche Min.ne minnt. Taubers Gir_re_pein, lang des Taubers Gir_re.. pein.

II.

Moderato.(Die Begl.ist durch Harfe oder Guitarre auszuführen.) |

ie viel

trinken kann_mehr Weinmussichwachsenlassen!“und

viel trinken kann mehr

7

Wein muss ich wachsen las '_ sen!

Durst er ge. ge .- ben:_ doch Chri.stus rühr.te den

Wein.stock an:_ und Trau.ben tru _ gen die

Alle drei

gan-ze_Er.de ein gro.sser Po.cal, rand _ voll, dass

a tempo

Ei_nem Mal_ dann hätt’ ich- genug fur

Alle drei.

Er . ste. Ja den möcht’ich lee_ren mit Ei _ nem

Mal- dann "hätt’/ich”"ge-nug ° für's” "Er

(Beim * bleibt inder Begleitung der $ Tact fort.)

345

Leicht.

“—- ze gvrsmB CE u,

wareinmalein Gockerling, der konntenochnicht krähn,und

Wollt mich ein Pfäfflein schla.gen in Sohn, heb’ dich von hin _. nen“ ein

ei - nerStadtam Main: dothich rief nach drei Ta-gen,als ang er mirnach_ „du hastim Schlund tief in.nen ein

leerdie Lei_sten la - gen:„Herr Bischof,jetztden ei-genSpundloch rin - nen, das dirder Teu_fel

Stein, Herr Bischof,jetzt den Stein!‘ „Herr Bischof, jetzt den stach, das dir der, Teu_fel stach‘: „Das dirder Teu.fel

Stein, Herr Bi.schof, jetzt den Stein!“ „Mein stac, das dir der Teu-- fel

Der Kurier nad) Paris

Cuſtſpiel in fünf Aufzügen

(Erfimalig erfcienen 1883)

Ernf Wider!

freundſchaftlich

zugeeignet.

DPerfonen.

Ludwig der Fünfzehnte, König von Frankreich i).

Herzog von Bourbon, Premierminiiter.

Vicomte Maillac, Oberft der franzöfischen Garden, Schloßhaupt- mann von Berfailles, jein Vetter.

Margquije AtHenais de Briancon, Witwe.

Blandhemain, deren Tochter (jehzehn Jahre alt).

Chevalier Bayard de Briancon, franzöfiiher Kapitän, deren Neffe.

Sodocus Scheuegott Leberecht Freiherr von der dei» pen Grefte, preußifcher Oberjt in Ruheſtand.

Friedrich, preußifcher Kapitän, fein Sohn.

Friederife von Frieſen, ſeine Nichte.

Anne Marie, deren Bofe.

Jobſt, Friedrichs Burjce.

Franzöſiſche Soldaten. Franzöſiſche Diener.

Ort der Handlung: Erſter Aufzug: Schloß des Freiherrn, in der Nähe von Kleve. Zweiter und dritter Aufzug: Paris. Vierter und fünfter Aufzug: Verſailles.

Zeit der Handlung: 1726.

2) Wo thunlich, nicht von einer Dame, aber möglichſt jugendlich zu ſpielen: er war damals fechzehn Jahre.

I. Aufzug.

Erſter Auftritt.

Wohnzimmer in dem Scloffe des Freiherrn. Links (links und rechts flets von

der Bühne aus gedadjt) ein Fenſter: im Mittelgrund und reits je eine Thüre.

Ganz vorn linf® und ganz vorn reits je ein Kleiner Tiſch mit weiblichen

Handarbeiten, hinter Friederikens Stuhl ein Stehjpiegel; auf einem Wandtiſch

im Hintergrund ein Paar Piftolen, zwei Stoßrapiere, Fechthandſchuhe und Vifiere.

An den beiden Nähtifchen figen einander gegenüber Friederife und Anne Marie, beide fheinbar arbeitend, in Wahrheit in Briefen lefend, welche fie aus den Arbeiten heimlich hervorziehen, leſen, und wieder verfteden, wenn fie ſich eine von der andern im Leſen beobadıtet fürdten. Dies währt eine Zeitlang nad) eröffneter Scene.

Friederike (von der Arbeit aufftehend, feufzt). Ach Gott!

Anne Marie (ch). Sagten Sie was, Fräulein ?

Friederike (wieder arbeitend). SH? D nein! Ih at- mete nur.

Anne Marie. Ach fo! Sie atmeten nur. Sch dachte, Sie jeufzten.

Friederike (teogig).. Warum follte ich auch jeufzen!

Anne Marie. Natürlich! Warum follten wir auch jeufzen! Es ijt ja fo luſtig hier, auf dem alten, öden, ausgejtorbenen, langweiligen Schlojje! Es ift wie ver- wunſchen, das einfame Net, jeit der junge Herr fort ift und: nun al’ die Mannsleute. Innerhalb der Mauern nur der alte Oberſt mit feinem ewigen Po- dagra und jeiner ewigen Partie Bifett, unterbrochen durch jein ewiges Fluchen. Dann: wir zwei beiden armen ver-

Dahn, Sämtl. poetifche Werke. Erfte Serie Bd. VI. 23

354

fajfenen Jungfräulein: nun, wir find auch nicht abjonders lich Iuftig. Und außerhalb der Mauern: (geht an das Zenit) Hu! Nichts als Novembernebel oben und die öde Heide unten: nie ein Befuch! eine verdrießliche Krähe mit fchwerem Flügelichlag das einzige Erheiternis in der Landſchaft: o es ift zum Totlachen Yuftig, unſer Leben! (Sept fi wieder ungeduldig, nimmt haſtig die Arbeit auf.)

Friederike (Hat inzwiſchen wieder heimlich geleſen, ftedt den Brief fort, wiſcht ſich raſch die Augen: für fih). Sch kann, ich kann e3 nicht ertragen! (Berbirgt die Augen mit beiden Händen.)

Anne Marie (pringt auf, läuft raſch zu ihr bin). Aber Fräu— lein, Liebes Fräulein? Was haben Sie!

Friederike. Ih! Nichts. Gar nichts! Es ift mir nur eine Mücke ind Auge geflogen.

Anne Marie. Eine Müde? Ende November? Und (sieht ihr die Hände weg) gleich in alle beide Augen Eine Miücde! Ach Fräulein, Sie weinen ja.

Friederike (teht au). Was? Sch weinen? Die wilde Frige? (ampft mit dem Zub) Himmel-Donnermetter-freuz- Bomben-Granaten-Schod-Schwerenot noch einmal! Thränen? Nein! Sch will nicht weinen!

Anne Marie (omiſch erihroden). % du meine Güte! Sch meine, ich höre den Herrn Oberſt! Fluchen Sie ihm doch nicht feine Nachmittagflüche weg. (Bitten) Mein gutes, gnädiges Fräulein.

Stiederike. Ich bin nicht gnädig. Sehr ungnädig bin ich! (Heftigd) Ad! und gut (— nun ganz weich) gut bin ich leider gar nit! Sch bin ad) Gott fo böfe! Sch habe ich Habe fo ein hölliich fchlechtes Gewiſſen!

Anne Marie (tomifh entrüfte). Gott bewahre mich in Gnaden! Haben Sie fhon wieder mal was angejtellt ?

Sriederike (niet),

——

355

Anne Marie. Ums Himmels willen! Was kann's ſein? Haben Sie wieder Scheibe geſchoſſen nach des Oberſten Porzellan-Pfeifenköpfen?

Friederike. Ach was Pfeifenköpfe! Es handelt ſich wohl um Porzellan! Sch ich habe nur (in Thränen ausbrechend, fih an ihre Bruft werfend) Ich Habe nur mein ganzes Lebensglüd und mas noch weit, weit mehr auch Frigens Glück zerjtört!

Anne Marie. D mein armes Fräulein! Aber jagen Sie nur wieſo?

Friederike (ich aufrictend). Wieſo? Weil ih die Huge Fritze, das Teufelsmädel, und wie fie mich fonjt ge- priejen haben geil ich (von Born erregt, geht heftig auf und nieder) der dümmſten, feiliten, elendejten Liſt und Lüge er- legen bin! Ah Couſine Friederike! Hätt' ich dich hier! Du müßteft mir vor die Biltole! Gſt im Auf. und Niedergehen an den Wandtifch gelangt , hebt drohend eine Piftole —) Allein, fie würde fich verfriechen hinter ihr Srauenzimmertum! Die Memme! (Wirft die Piſtole weg.)

Anne Marie. Ufo die Comtejje Friederike! Stedt die dahinter? dann iſt es nichts Gutes! Aber moher wiſſen Sie? Gewiß jtand e3 in dem Brief, den Sie borgejtern erhielten, ich wollt ihn gern leſen aber Sie jagten, Sie hätten ihn zerrifien wie ih den meinen.

Friederike. Es war nicht wahr! Gieht den Brief hervor) Hier iſt er!

Anne Marie. Es war auch nicht wahr! Gieht ihren Brief hervor) Hier ijt er!

Beide. D wir armen Mädchen!

Stiederike. Mein Trip!

Anne Marie. Mein Fobit!

Stiederike, Er liebt mich nicht mehr!

23*

356

Anne Marie. Meiner Tiebt eine andere —: Nein! o e3 ift himmelſchreiend: Viele andere Tiebt er.

Stiederike. Mein Frib liebt zwanzig (ihr den Brief Binhaltend).

Anne Marie. Auch zwanzig! Wie auffallend! Genau ebenſoviel! (Berbtüfft ihr den Brief Hinhattend.) Das fceheint die gewöhnliche Zahl in Paris.

Stiederike. Aber das Bitterfte ift, ich, ich felbit bin Schuld daran! D ich möchte mich mit mir felber auf krumme Säbel fchlagen!

Anne Marie (egütigend). Nu! Nu!

Friederike. Seit frühſter Kindheit, da wir noch beide in kurzen Höschen liefen, liebten wir uns, mein Fritz und ich. Seit dem Tode meiner Eltern wuchs ich hier mit ihm auf wie eine Schweſter.

Anne Marie. Nein, eher wie ſein Bruder, wie ſein beſter, weil ſein wildeſter Kamerad. Was habt ihr doch zuſammen gejagt, gefochten, geſchoſſen, daß mir vor Angſt Hören und Sehen verging! Und das Reiten! Und das Fluchen!

Friederike. Nun ja! War doch feine Frauenſeele im ganzen Schloß! Der Oheim allein hat uns beide er- zogen ganz gleich erzogen! Ich war ihm ja nie jungen- haft genug. Hieß ich nicht mit zwölf Jahren ſchon die wilde Zribe in ganz Kleveland ?

Anne Marie. Uber auch die kluge Tribe heißen Sie.

Stiederike (Bitter). Und dümmer hat nie ein Mädchen fein Glück verjcherzt! (teintaud Du haft wohl gefehen, wie ich Fri vor feiner Abreife behandelt Habe.

Anne Marie. a, leider! Mit Achtung zu fagen: ganz allerniederträdhtigjt! Sie haben ihm ja gar feinen „gute Morgen“ mehr erwidert von einer „gejegneten

357

Mahlzeit" o du Fieber Himmel, da war fein Gedanke daran.

Friederike. Ach, ich war ja vor Wut und Weh halb toll.

Anne Marie. Ga, das Hab ich ihm zum Trojt auch gejagt, ihm und meinem Sobjt. Aber meinen Sie wohl, das hätte ihn aufgeheitert? Im Gegenteil! Wütend ritt er davon ohne Abſchied aber adj! mit meinem Jobſt! Und wohin? Nah Paris, in den Pfuhl des babylonifchen Weibes, jagt der Herr Pfarrer! Lieber in den Türkenkrieg. Warum haben Sie ihn denn auf einmal behandelt, als ob er jeines Herrn Vaters ver- goldete Tabafsdoje gejtohlen hätte?

Friederike. Weil meine Coufine, die hier zum Beſuch war, mir vorlog er liebe fie, er habe fie füfjen wollen er habe ad) was weiß ic), was er alles

gewollt haben jol! Sie gab mir ja die Briefe, die Verſe adrejjiert an Friederife, in den heißejten Worten, wie er fie an mich nie gerichtet hatte, der wortfarge, ver- haltene, wie aus Eijen gefchmiedete Fritz! Die Berfe, welche ihre Schönheit priefen! Ihre goldnen Haare!

Anne Marie (auf Friederike deutend). Haben wir auch!

Friederike. Ihre unmwiderjtehlichen Augen!

Anne Marie (mie oben). Haben wir erjt recht!

Friederike. Kurz! fie machte mich zur Bertrauten feiner Liebe. Demnächſt werde er offen um ihre Hand anhalten! Mein guter alter Fri fällt von mir ab! Zwar: er hatte mir nie ein Wort von Liebe gejagt...

Anne Marie. Na, das war überflüjjig! dag fonnten die Blinden greifen!

Friederike. Aber von Kindheit an Hatten doch ftill- ſchweigend der Dberft, ich, wie ich meinte: auch er, es als jelbjtverjtändlich angejehen, daß wir ein Paar würden.

358

Und nun fümmt die Fremde, die freilich vielhundertmal ihöner als ih...

Anne Marie. Sit gelogen! bitte um Verzeihung! Aber kokett ift die Comteſſe und das find wir nidt.

Stiederike. Ich war fo furdtbar unglücklich! Sch weinte alle Nächte durch. Aber bei Tag lachte ich mild wie drei Teufel und gratulierte der Couſine und ritt ein Pferd zu Schanden und brach beinahe das Genid auf der

Fuchsjagd. Da reifte die Coufine plößli ab: ein Ihwedischer General hatte bei ihrem Vater um fie geworben: ftebzig Jahre alt, aber jieben Millionen reich. Fritz jollte fie begleiten bis Kleve: er hatte mich heimlich ge- beten, ihm im Gartenpavillon Lebewohl zu jagen: ich Ihiete ihm das Blatt ohne Antwort zurüd. Da ritt er mit ihre fort: aber er fam nicht wieder —.

Seinem Bater jchrieb er, es fei leider zur Zeit nirgend Krieg in Europa: er wiſſe nicht, was mit ſich anfangen. Er gehe nach Berlin, vom König Urlaub zu erbitten für den Türfenfrieg in Perfien.

Anne Marie. Der arme Junge! In Perſien! Was für eine Gegend für ein Klevner Kind! Und mein Jobſt immer mit!

Stiederike. Sa der Brief war recht verzweifelt! Ganz natürlich, jagt ih mir —: denn die Comtefje Hatte den alten Schweden acceptiert. Lange hörten wir gar nicht von ihm: da fchrieb er plößlich aus Paris, der König habe ihm den Urlaub nad) Perſien abgejchlagen.... .

Anne Marie (ch). Gott fegne König Friedrich Wilhelm den Eriten! Ein mweifer Monarch!

Stiederike. Und ihn nah Paris geſchickt mit einem diplomatifchen Auftrag an den Hof von Verjailles.

Anne Marie, Nichts für ungut, gnädiges Fräulein:

359

Unfer Herr Frig ijt ein Soldat erjten Ranges: aber zum Diplomaten hat ihn der liebe Gott nicht gejchaffen.

Stiederike. Nein, wahrhaftig nicht! Er jollte auch) nur dem preußijchen Gejandten wichtige Mitteilungen für den jungen König von Frankreich überbringen. Aber am Tage vor feiner Ankunft ftarb unjer Gejandter zu Paris und Fri hat num zu warten, bis er den König zu jehen befommt. So ſitzt er alſo in Paris und ärgert ſich und fängt Händel an mit allen franzöfiichen Offizieren. Und einjtweilen ad es ijt jchredlich!

Anne Marie. Nun was denn?

Stiederike. Einjtweilen jcheint er fich in dieſem ab- icheulichen Baris zu amüfieren ganz nad) Pariſer Mode. Gejtern erhalte ich diefen Brief von der Coufine! Unter vielem andern nur jo nebenher neben Masferaden und Feuerwerfen ob das Glück unfres ganzen Lebens auch nur jo eine Rakete wäre, weldhe man zum Spaß verpuffen darf! jchreibt Ne, „Mein Herzens-Bäschen! Da mir mein Alterhen .. .“

Anne Marie. Aha, das ijt der alte Schwede!

Friederike. „Nach unſrer Hochzeit..."

Anne Marie. Muß lujtig gemwejen fein!

Friederike. „Die große Welt zeigen wollte, famen wir auch nah Paris. Wir ſuchten Vetter Fri auf. Und da ich glüdlich in den Hafen der Ehe eingelaufen bin, fann ih Dir ja nun auch den Streich eingejtehen, den ich euch) beiden gefjpielt habe bei meinem Beſuch in eurenr alten Rumpelichloß. Sch jah bald, daß ihr euch liebtet: Vetter Brig hatte feine Augen für meine jchünften Roben. Das ertrug ich nicht. Sch jtahl mich in das Vertrauen des Vetters: er gab mir die Verje, die Gedichte, die er an Dich gerichtet Hatte.“

Anne Marie. D wie abgefeimt nichtsnugig.

360

Stiederike. „Cr bat mi), fie Dir mitzuteilen, feine Sache bei Dir zu führen. Ich rächte mid. Dir fagte ich, jene Berje gälten mir. Ihm fagte ih, Du habeſt Dich über feine verfiebten Seufzer halbtot gelacht und feine Verſe als Bijtolenpfropfen verſchoſſen.“

Anne Marie. Wenn ich der die Augen ausfragen dürfte, ich ließe mir meine Nägel eigens dafür wachjen.

Stiederike. „Übrigens“ nun paß auf! nun kommt es —! „Du haft fiher nicht3 an ihm verloren. Denn ih höre, er fol in Baris leben —, nun wie die Kavaliere alle Hier leben. Er foll“ höre nur wie ſchrecklich! „in einem Haufe einer üppigen Mutter und einer jchönen Tochter zugleich den Hof machen.“

Anne Marie. Gerechter Gott! Er Iebt in Hronischer Polygamie!

Stiederike. „Auf des Vetters Tiſch aber habe ich eine ganze Galerie von jchönen Frauen von Paris und Berjailles aufgejtellt gejehen zwanzig Stüd.“

Anne Marie (eriroden). Ob es wohl diejelben zwanzig waren wie bei meinem Syobjt ?

Stiederike. „Alſo danfe mir, daß ich Dich vor einem jo Iodern Zeiſig bewahrt habe. Deine getreue Baſe Sriederife Gräfin von Löwenskiöld.“

Anne Marie. Eine angenehme Berwandte.

Sriederike. Ah Anne Marie! Sch bin fo unglüdlich! Nicht, daß ich Fritz verloren Habe, fondern daß id ihn nicht mehr foll achten, ehren, anbeten können: das it das Bitterfte. Er war mir das Mufter alles Wadern, Auftreten! Und weil er mich verachten muß als eine herzloſe Rofette, die jahrelang ihr Spiel mit ihm getrieben, deshalb hat er fih in den Barifer Strudel geworfen, er fann ja gar fein Weib mehr achten, wenn feine Srige, jein beiter Ramerad, fo hohl und falſch und wetterwendiſch ift.

361

Anne Marie. Fräulein, gutes Fräulein! nicht weinen, lieber fluchen! Das befommt Ihnen beſſer! Wiſſen Sie was? Sch glaub’ es gar nicht! Unfer Herr Fri war immer fo brav! Wie oft Hab’ ich’S beobachtet bei der Heuernte! Während die andern jungen Herren jchön thaten mit den Heumädchen: er nie! Nicht einmal ans Finn hat er je eine gefaßt.

Friederike. Ach was Heumädchen in der Klevner Heide! In Paris, da giebt’S wohl was anderes al3 Heumädchen! Wunderſchön follen fie dort fein, die Damen. Und jehr wie joll ich nur jagen? fehr entgegenfommend. Und Schleppen tragen fie dort, fo lang wie zwei Lieutenants! Und die Gefichter malen fie fich weiß und rot.

Anne Marie. Nun, das haben wir Gott fei Dank gar nicht nötig, im Klevner Land.

Stiederike. Ach, mit den Barijerinnen fünnen wir uns nicht vergleichen.

Anne Marie. - Da müßt’ ich bitten! Rimmt ige die Hand fort, fo daß fie in den Spiegel ſchauen muß, aber fie felbft dreht fich ebenfall3 zierlich vor dem Spiegel.) Unfere Haare! Unjere Augen ja fehen Sie fie nur mal ordentlih an Unjer Wuchs! Unſer na, ich jage ja nicht3 weiter! Alſo ich glaub’ es gar nit von dem jungen Herren! Aber mein Jobſt an deſſen Schlechtigkeit kann ich Leider gar nicht zweifeln! Und ich Habe nicht einmal den Troft, daß er meiner Sprödigfeit willen andern nachläuft: ich war gar nicht graufam gegen ihn! Aber wenn ich ihn je wieder zwijchen meine Finger befomme! Na warte mein Jobſtchen

Friederike. Aber woher weißt du?

Anne Marie. Nun fommt mein Brief an die Reihe. Ich habe ja aud einen.

Friederike (caſchh. Bon Jobſt? Was fchreibt er von feinem Herrn?

362

Anne Marie. Nicht von Jobſt, über Jobſt. Und geichrie- ben hat ihn Beter Biepe, der Schneidersjohn aus dem Dorfe.

Stiederike. Der dir immer jo nacdhjlief?

Anne SHarie. Mit dem Nachlaufen Hat es jeine Rich- tigkeit. Und er Hätte mir die neunhundert Holländer Gulden, die er von feiner Muhme geerbt Hat, und Die reale Dorffchneiderei längjt auf den Leib geheiratet, wenn ich nur fo gemacht hätte. Uber ich, ich Habe nicht „jo“ gemacht und feſt zu Jobſt gehalten. Und Peter Piepe lernt dort in Paris auf „Tailleur“. Er Hat Sobjt auf der Straße getroffen, und ihn dann aufgeſucht in dejjen Quartier. Und der Jobſt, der ganz verlorene Sohn, Hat ihm da vorerzählt von allen feinen Liebfchaften und daß ihm die ſchönſten Damen nur jo um den Hals fallen.

Friederike. Ach was! dem Jobſt? Beter Piepe Tügt wie ein Schneider.

Anne Marie. Aber Fobjt Hat gejagt: „ie lecken alle Finger nah ihm." Das hat Peter Piepe nicht erfunden! Das fenne ih an Jobſt: es ift eine feiner feinjten Wen- dungen. Und der Peter Biepe jchreibt mir das alles und wiederholt jeine Werbung.

Stiederike. Ach, all das, und auch das Gerede über meinen Fritz ift vielleicht nur gelogen. Aber wer fann es wiſſen? D quälende Eiferfuht! Und durch eine boshafte Weiberlüge auseinandergerijfen, wir zwei Menfchen, die wir doch zufammenpafjen wie —, nun: wie...

Anne Marie. Stahl und Stein!

Friederike. Wenn ih nur hinfliegen könnte! Ad, nur auf eine Stunde! Ein Blif in fein ehrliches Auge würde alles aufdeken. Auf die Knie würd’ ich mich vor ihm werfen, ich, die wilde, troßige, herbe, ſtolze Fritze. Bitten würd’ ih ihn: „Fritz, alter Ramerad, kehre zurüd

ee

zu deutſcher Zucht und Sitte. Ich flehe dich an, verzeihe

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mir. Ich war thöricht, ich war böfe: ich durfte nicht an deiner Liebe zweifeln. Aber ich will dich ja fo lieb haben, jo lieb!“ Ad Gott, weißt du noch, Anne Marie, wie jchön es war, wann wir abends im Gartenhauſe zujammen die lieben Lieder jangen?

Anne Marie. Himmliſch war es! Er jpielt jo fein Buitarre: (ür ſich aber viel jchöner doch mein Jobſt auf der Maultrommel. (aut) Wiſſen Sie noch, feine Lieblings: weije, das alte Volkslied ?

Stiederike. Ob ich's noch weiß! Jede Nacht vor dem Einſchlafen fommt mir die Melodie geflogen wie ein leije jingendes Vögelein: (fingt)

„Es giebt nichts Schönres auf der Welt...“

Anne Marie (jäut ein).

„Als wie zwei junge Herzen, . ..“

Friederike.

„Die ſich in Lieb’ und Treu’ geſellt, ..“ Anne Marie.

„gu tragen Luſt und Schmerzen.“ Friederike.

„Und wiſſen möcht’ ich, welche Macht . ..“

Anne Marie.

„Wohl trennen will die beiden, . .. .“

Beide.

„Nimmt ſich nur jedes recht in acht, Daß jie nicht ſelbſt fich fcheiden.“

Friederike. Ach Gott, ja! In acht genommen haben wir uns eben nicht und jo ung jelbjt gejchieden. Gejchieden für immer! Für immer? Nein! ch will’s nicht glau- ben! Ach wär’ ih ein Mann! Könnte ich die verfluchten Unterröde abwerfen, und in Uniform nad) Paris eilen, den Geliebten zu...

Anne SHarie. Heiraten? Ja dann müßten Gie

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die verfluchten Unterröde doch wohl wieder anziehen! Aber es iſt wahr: jo ein armes Mädchen ift gar zu hilf und wehrlos. Wären wir nur die Männer! Wiſſen Sie noch), Fräulein, in der großen Masferade zu Kleve bei dem Herrn Oheim: Sie als Lieutenant, ih als Unteroffizier der blauen Hufaren? Kein Menſch hat uns durchſchaut. Freilih, Herr Fri und mein Jobſt waren nicht dabei: die hätten ung doch wohl erkannt.

Stiederike. Ei wer weiß!

Anne Marie. Aber wie wir auch fochten! Wiſſen Sie noch, die Doppelfinte und die Legade, welche uns der franzöfiihe Freund de3 Herrn Fritz bei feinem Beſuch ge- lehrt Hatte? Können Sie das wohl noch?

Friederike. Ob ich’3 noch kann! Freilich! Beſſer als Strümpfe jtriden! (fie nimmt die beiden Rapiere vom Wandtiſch) Da! Nimm! Nun leg’ dic) aus! Innere Duart äußere Quart Legade (fie fhlägt Anne Marie das Rapier aus der Hand und ftößt zu) Sekonde!

Anne Marie (jöreit). Aul Au!

Stiederike. Saß der?

Anne Marie (ceibt ſich die getroffene Stelle). Sch glaube: ja! = Dur und durch faß- er! (Friederike Iegt das Rapier weg, Anne Marie hebt ihr Rapier auf und legt e8 zur Seite.) Donnerwetter, Fräulein! Auf die Armmuskeln hat fich Shnen der Liebes- gram noch nicht geworfen.

Stiederike. Ha, ich dachte, ich Hätte die falſche Eoufine vor der Klinge!

Anne Marie. Bitte, (eibt fit) das nächte Mal denken Sie das ja nicht wieder! Nicht wahr, Herr Frik ift doch in dem argen Paris viel zufammen mit dem braven, guten Franzojen, dem Chevalier ?

Stiederike. Gewiß! Er wohnt fogar bei ihm. Sind |

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fie doch die beiten Freunde: haben ja miteinander gegen den Großtürfen gedient im ungarischen Feldzug.

Anne Marie. Nun jehen Sie! Der Chevalier wird ihn doch nicht ſchlimme Streiche machen laſſen? Das war ein lieber, eleganter, feiner Herr, und dabei doch jo an- ftändig! Nicht ein Küßchen hat er mir geftohlen. Nicht einmal morgens, wann ich ihm die Chofolade auf fein Zimmer brachte: und da thaten’3 doch jogar die frommijten LieutenantS aus der Mark Brandenburg.

Stiederike. Sa der Chevalier Bayard de Briangon war da3 Mufter eines Edelmanns! Ritterlich, nobel, liebenswürdig.

Anne Marie. Ga: eigentlich viel mehr, was man jo jagt „Liebenswürdig“ al3 unfer Herr Frib.

Friederike (nad) kurzem Nachdenken). Hm! liebenswürdig ? Das haben die Preußen nicht nötig!

Anne Marie. Aha! deshalb geben fie fich auch fo verfluht wenig Mühe!

Friederike. Aber wer weiß, wie der in dieſen zivei Sahren geworden iſt am Hofe von Berjailles.

Anne Marie. Ach Gott ja! Wenn verjchmähte Liebe zu Barifer Sitten treibt, dann dann haben Sie den auch auf dem Gewiſſen! Denn der hat Sie geliebt ganz aus der Maßen wirklich zum Steinerbarmen.

Friederike. Sch trug und trage ihm bejte Freundichaft. Aber lieben nein! Ad, wär’ ih nur in Paris! Hier, in der Deipen Grefte, muß ich ratlos, Hilflog, wehrlos mich verzehren!

Anne Marie. Ga es iſt langweilig hier zum Sterben! EE ſchlägt 4 Use.) Da jchlägt es vier. Gebt fommt gleich der Herr Oberſt von da (auf die Thür rechts deutend) UND der Kaffee von hier (auf die Mittelthür weifend). Dann ſetzen

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Sie fi beide an jenen Tiſch und Sie müffen dann wieder preußiiche Kriegsgefchichte vorleſen.

Stiederike. Ich thu' e3 ja gern. Aber immer wieder die Schlacht von Höchftädt !

Anne Marie (aufjagend). „ES war am 13. Augujt 1704 morgens 7 Uhr, als die Alliierten auf der ganzen Linie den Nebelbach überfchritten. Rechter Flügel unter Prinz Eugenio de Savoy (eigenhändige Schreibart): führte auch elf preußifche Bataillone. Das Dorf Lußingen ward von dem Lieutenant Jodocus von der Deipen Grefte gerade im rechten Augenblide mit den Grenadieren bejeßt, bevor die franzöfiichen gelben Musketiere de3 Regiments Conde aus dem Walde links deployierten.“

Stiederike. Gerechter Gott! Du fannjt es auch jchon auswendig ?

Anne Marie. Nun, ich bin ja doch nicht taub. Sch werde es 10 Minuten nach 4 Uhr zum fiebenundzwanzigiten- mal vernehmen.

Stiederike. Und fo verrinnt Tag um Tag! So ver- blüht das Leben! Berloren, Liebe, Glück und Leben! (ftampft mit dem Zus) Nein! Nein! Sch will niht! Sch bin nicht geartet, zu entfagen. Ich will kämpfen um mein, ah um fein Glück! Wüßte ich nur wie! Seine Gefahr, fein Abenteuer jollte mich jchreden.

Anne Marie. Ach ja! Abenteuer auf der Deipen Grefte! Hierher verirrt fich ja niemals ein Menſch, ges ichweige denn ein Abenteuer! Goſthorn von links, beide Mädchen fliegen ans Fenfter und fchauen eifrig hinaus.)

Stiederike und Anne Marie. Ein Bojthorn!

Stiederike. Eine Ertrapojt!

Anne Marie. Sie fährt den Schloßberg hinauf! Ein fremder Kutfcher. Hei, fährt der ungejtüm! Da beinahe hätte er in den Graben umgeworfen.

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Friederike. Der Weg ift Schlecht. Die Pferde jtolpern fort und fort.

Anne Marie. Jebt kommen fie auf unfere alte, wurm— jtichige Brüde. Sobjt möchte die Braunen immer am fiebjten drüber tragen. Der fährt im fcharfen Trabe drauf! Der Herr Oberjt jteht im Thor.

Stiederike und Anne Marie. Da! D Gott!

Stiederike. Da liegt der Wagen!

Anne Marie. In der Deipen Grefte! Der Kutſcher ipringt auf. Dem ijt nichts gejchehen.

Stiederike. Aber der Offizier, der herausgejchleudert wurde! Himmel! Breußifche Uniform! Es ift doch nidt ... —!

Anne Marie. Nein! Nicht Herr Friß: der da tft von der Potsdamer Garde. Er kann nicht ftehen! Er finft wieder um!

Stiederike. Der Fremde hat wohl den Fuß gebrochen! Raſch! Zu Hilfe! (Eitt vom Fenſter fort.)

Anne Marie. Bleiben Sie! Der alte Gärtner ift ihon bei ihm! Er und der Kutſcher tragen ihn herein (vom Fenſter for). Schon Hör’ ich den Herrn Oberft auf dem Gange.

Friederike. Laß uns helfen! (Beide eifen an die Thüre: auf dem Gange wird fihtbar der Dberit.)

Zweiter Auftritt, Borige. DOberft (durd die Mitte).

Oberſt. Blitz-Kreuz-Donner-Granaten-Schockſchwerenot noch einmal! Au, mein Bein!

Friederike (Hält ihm den Mund zu). Nicht fluchen, Onkelchen! Sie haben's verſprochen.

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©berft. Schwerenot- Schod- Öranaten - Donner - Kreuz Big! Au, mein Bein!

Anne Marie (von der andern Seit). Nicht fluchen, Herr Oberft! Der Herr Pfarrer hat's verboten.

©berft. Mund Halten, Weibervölfer! Ordre parieren, Rammerfage. Wißt ihr noch nicht, daß man jeden Fluch rückwärts fluhen muß? Dann hebt's fich wieder auf! Au, mein Bein! Das verdammte Podagra !

Stiederike. Der fremde Herr! Was ift mit ihm?

Anne Marie. Der hübjche Offizier ?

Oberft. Hat die Kröt’ das auch ſchon wieder gefehen? Bom zweiten Stod herunter! Daß mir jo was paffieren muß! Suft bei der Einfahrt in mein gutes altes Stamm— ſchloß!

Anne Marie. Ja. Auf unſrer guten alten Brücke.

Oberſt. Die Brücke iſt keine vierzig Jahre alt! Das Bein hat er gebrochen: zweimal! Es muß jemand ins Dorf zum Bader reiten.

Friederike. Ich werde reiten! Mein Fuchs läuft wie ein Edelhirſch.

Oberſt, Du bleibſt, ich werde den Gärtner ſchicken.

Stiederike. Der arme Herr!

Anne Marie. Wer ift er? Wie heißt er? Woher fommt er? Was will er? Was bringt er?

Oberſt (fie tomiſch nachahmend). „Wer iſt er? Wie heißt er? Woher fommt er? Was will er? Was bringt er?" Sa, wenn Sie das nicht zuerjt erführe: das Mal- heur! Es ift ein verwünjchter Zufall, wie damals, in der Schladht bei Höchſtädt, wo ic) den

Friederike (einfalend). Wo du den Marihall Marfin mit der eigenen Hand gefangen Hätteft,

Anne Marie (einfallen). Hätte Sie nicht ein auffliegender Pulverwagen betäubt niedergemorfen.

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Oberft (nach einer Meinen Pauſe fehr erftaunt). Sollte ich euch das ſchon einmal erzählt haben ?

Stiederike. Ach ja! ſchon einigemale.

Anne Marie. Woher müßten wir's font? Wir waren ja nicht dabei!

Oberft. Denke nur; e3 ift der Hauptmann von Poleng: ein Freund von Fritz.

Stiederike. Von unferm Fritz? O wie will ich ihn pflegen!

©berft. So? Nun das gefällt mir, Niefe, daß du nicht mehr fauchit wie eine Wildfage, wenn man meinen armen Jungen nur nennt Haft ihn mejchant behandelt, Riekefritz, ganz mejchant.

Anne Marie. Hat er nicht auch einen Burfchen, der jich was gebrochen Hat?

Oberſt. Trolle Sie fih! Rechtsumkehrt! Helfe Sie der Köchin: die Wäſche des Herrn Rapitäns ijt ganz naß geworden: fie fill...

Anne Marie. In unsre deipe Greftel

(Maſch ab durd die Mitte.)

Dritter Auftritt, Triederite, Oberſt.

Oberſt. Denfe nur! Er fommt von des Königs Majeftät: als Kurier nah Paris. Sein Weg führte ihn nahe hier vorbei. Er wollte im Vorüberfahren fragen, was Fri uns über jeine Erfolge in Baris gejchrieben. Er ſoll Fri einen eigenhändigen Brief unſeres Königs über- bringen, für den König von Franfreih, und einen Ber- trag Preußens mit dem Raifer. Ludwig der XV. muß von diefem Bertrage erfahren um jeden Preis: Der Friede,

Dabr., Sämtl. poetifge Werke. Erfte Serie Bd. VI. 24

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da3 Glück des Neiches, ja Europas Schwerenot, was liegt mir an Europa? das Wohl Preußens hängt davon ab. Und unjer Fritz feine Laufbahn ift die glänzendite, Ajtimation beim König brillant, wenn er es ist, der dem jungen Franzojenfönig den alles entjcheidenden Brief glücklich und heimlich in die Hände jpielt.

Stiederike. Da drängt höchſte Eile! Der Kapitän fol morgen ſchon ....

Oberſt. Sch jage dir ja, Bomben-Element, er hat den Fuß zweimal gebrochen! Bor vielen Wochen fann er nicht fort. Er trug das Schreiben auf dem Herzen, der brave Mann: er ließ mich) als preußifchen Dffizier Ihwören, auf den Degengriff, bevor er mir's übergab eine Ohnmacht überfam ihn er ließ mich fchwören, nad beiten Kräften jo rajh wie möglich das Schreiben nah Paris zu fjchaffen für meinen Fritz. Aber wie? wie es hinſchaffen? Sch will ſelbſt reifen; ih will... (madt eine heftige Bewegung, greift an fein Bein, fällt in den Stuhl). Au! verflucht!

Stiederike. Uber Oheim, du fommjt ja nicht nad) Baris!

Oberſt. Es iſt wahr: ich bliebe hilflos liegen unter- wegs! Wenn wir den Brief nur erjt in Kleve hätten! In Kleve vertrauen wir ihn einem deiner Vettern an, meines Bruders Söhnen: find alles preußiſche Offiziere, Ehren- männer! Uber wie jchaffen wir ihn nad Kleve? Ein Schreiben unjeres Herrn und Königs! Es iſt ja im ganzen Schloß fein verläſſiges Mannsbild.

Friederike (Hat während der Worte de3 DOberften durch ftummes Spiel den in ihr reifenden Plan ausgedrüdt : jest raſch). Aber id bin da, Dheim! Sch! Gieb mir unfres Königs Brief! Ich ſchwöre dir: ich bringe ihn ſicher nah wohin immer ih will.

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Oberſt. Du, Riefe, du wollteſt das thun? Nein, das geht nicht, bei diejem greulichen Novemberwetter . . .

Friederike. Das geht wohl! Was ijt mir Wind und Wetter! Ich bin Frigens bejter Kamerad: ein Kamerad muß für den andern in den Tod gehen, gejchtweige denn jih einen Schnupfen holen. Was thäte ich nicht für unſern Frig?

©berft. So hör’ ich’3 gern! (für fig) Da pfeift der Wind aus einem andern Loch al3 furz vorher. Wer ver: jteht ji auf ein Mädchenherz? Sie hat was gut zu machen an dem Jungen.

Stiederike. Herzensonfelhen, laß mich fort! Du weißt: es ijt deine Pflicht: gegen deinen Sohn: ja gegen deinen König!

©berft. Nun denn in des Teufels wollte jagen in Gottes Namen: geh! Du bijt ein braves Mädchen, und ih will dich auch nie mehr den böjen Riefefrig nennen. Die Anne Marie begleitet dich, der Kutjcher des Kapi— täns fährt dich: es kann dir nicht viel gejchehn von hier bis Kleve. Uber, Kind, bedenke Pflicht und Gewifjen: ſchwöre mir als ein deutjches Mädchen, den Brief zu be- wachen wie deinen Augapfel!

Friederike (erhebt die Schwurfinger). Sch ſchwöre! (Nimmt dem Oberften den Brief ab und ftedt ihn in den Buſen.) Hier berg’ id) unſres Königs Brief und, glaube mir's: ich ſchaff' ihn in die rechten Hände.

Oberſt. Du biſt ein Prachtſtück von einem Mädchen! Du biſt von Gold und Eiſen! Und mein Fritz biſt du ihm noch böſe? Und er iſt dir doch ſo gut!

Friederike (an ſeiner Bruft). Ad, Obeim, ic) liebe ihn ja bis zum Verbrennen!

24*

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©berft. Gott jegne dich und deinen Weg! Sch gehe, an meinen Bruder zu jchreiben: in einer Viertel- ſtunde kannſt du fort. (Mb durch die Mitte.)

Vierter Auftritt,

Friederike allein.

Stiederike. Nun jauchze und frohlode meine Seele! Danf dir, Gott! Glühenden Dank fage ich dir auf meinen Knieen: Du, du Haft mir diefen Gedanken gefandt: und diefen Brief! Giegt ihn Hervor) O laß dich küſſen, fühllos Dokument! Du ſprichſt von Falter Politik: du ahnſt nicht, daß du das Glüd eines glühenden , Mädchenherzens trägjt. Kein Bedenken, feine Scheu! Es gilt dem Geliebten! Heil dir nun, du Wildheit, du Wertrautheit mit Waffen und männlihem Werk: du jollit jest der wilden Frige den großen Kampfpreis ihres Lebens, ja den Geliebten jolljt du ihr erringen. Und zum legten, zum allerfegtenmal ich gelobe es bei meiner Liebe! will ich die wilde, die männische Frige fein. Ach, wenn ich ihn mir gewann, in janftejter Demut will ich mic) Ihmiegen an jeine Bruft. Aber vorher —: Courage, drige, was auch fommen mag, Courage!

Fünfter Auftritt,

Sriederite Anne Marie.

Friederike (fliegt der durch die Mitte Eintretenden entgegen). Anne Marie, treues Schwejterherz, umarme mih! An meine Bruft!

Anne Marie. % Gott du beivahre uns! Das war

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ein Kuß! Sie find ja ganz irre geworden: ich bin ja nicht der Herr Fritz! Was ijt denn los?

Friederike. Was los it? Taufend Teufel find in mir los! Uber e3 find gute, liebe, nur ein bischen nedifche Teufel. Frage nicht, ftaune nicht, rühre did, Anne Marie! Sn zehn Minuten reijen wir.

Anne Marie. Reifen? Bei dem reuelmetter ?

Stiederike. Und wenn es Türken regnet, wir reifen! Rah! Fir! Pal unſre Sachen! Und, (eiſe) hörft du? aber ganz im geheimen zutiefft in den Koffer padjt du unjere beiden Hufarenuniformen! (fing) »Marlborough s’en va-t-en guerre! Mirliton, Mir- liton, Mirlitan!«

Anne Slarie. Fräulein! Gehn wir auf die Masfe- rade? Nah Kleve?

Friederike: Ja, wir gehn auf die Masferade: (eiſe) aber nicht nach Kleve! Sondern Gieht fie ganz nad) vorn, teije) aber jchweig’, um Gottes willen: wir gehn nad) Paris! Als Kurier nah Paris.

Anne Marie. Nach Paris? Topp, ich bin dabeil

Friederike. Auf, auf nad) Paris!

(Beide ſtürmiſch ab dur die Mitte, Vorhang fällt jehr rafch.)

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II. Aufzug.

Erfter Auftritt.

Paris Zimmer im Hotel des Chevalier. Thüre im Mittelgrund und rechts. Links ein Fenſter. An der rechten Wand ein paar Piftolen. Links ein Schreibtifh, redjts ein Tifh mit Sopha.

Chevalier. Friedrid.

Friedrich (an dem Schreibtiſch, einen eben beendeten Brief couver— tierenb und adreffierend). So! Das ift nun der jechite Brief, den ich an diejen Minifter jchreibe! Fünfmal Hab’ ich ihn bereit3 um Audienz bei dem König gebeten. Umſonſt! Der Herzog hält ihn abgejperrt wie einen Gefangenen. Wie lang foll diefer Zujtand währen?

Chevalier (aufjehend von dem Bud), in dem er, auf dem Sopha figend, gelefen). Solang e8 Gott gefällt, dem Herzog von Bour- bon und zumal: dem jungen König ſelbſt. Es find in jüngjter Zeit leife Symptome aufgetaucht, daß er anfängt fi) dabei zu langweilen. Und du weißt: hier zu Land erträgt man alles ausgenommen die Langeweile.

Friedrich. Sage mir nur, welches Intereſſe dieſer Herzog an ſolcher Pflichtwidrigfeit Haben kann?

Chevalier. D du deutihe Einfalt von Kleve! wirft du’3 denn nie begreifen? Als vor ein paar Fahren der Regent, der Herzog von Orleans, jtarb, fand der König, noch ein Knabe, den ſehr gewiegten und gewandten Herzog als Minijter vor. Diejer wußte fich fein Vertrauen völlig zu gewinnen, indem er all jeinen Launen nachgab, ihm alle Gejchäfte erjparte. Er verleidete ihm Paris, wo die böje Oppofition Haufe, die Spötter, die Raiſonneurs: der Club de l’entresol, dem anzugehören ich die Ehre habe.

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Der König kommt nie nad) Paris, und der Herzog forgt dafür, daß in Verjailles zum König fein Menjch kommt, den er, der Herzog, nicht vorlafjen will.

Friedrich. Wie fann er das aber möglich machen ?

Chevalier. Sehr einfah. Der Herzog hat einen Better, Maillac. ..

Friedrich. Aha! Mein bitterjter Feind! mit dem ich noch ein Duell auszufechten habe?

Chevalier (nid). Der iſt Oberjt der franzöfifchen Garden und: was viel wichtiger! Schloßhauptmann von Berfailles: er bewacht das Palais Tag und Nacht und läßt niemand vor ohne Paſſierſchein des Herzogs.

Friedrich. Aber Briefe?

Chevalier. Der König liejt feine Briefe überhaupt feine Proja: Verſe liejt er gern: zumal wenn fie an ihn gerichtet und von Damen verfaßt find.

Friedrich. Aber der König ijt ja verheiratet!

Chevalier. Mit der jchönen, frommen und geiftig ganz ungefährlihen Maria Lejzeinsfa. Die junge Ehe hielt den König ganz bejchäftigt und gefangen: bis vor furzem. Set, jeit einiger Zeit, jcheint ji) in dem Ur- enfel Ludwigs XIV. deſſen Blut leiſe zu regen: er ver- langt nach Abwechſelung. Auch dafür wird der Herzog forgen.

Friedrich. Schändlidh!

Chevalier. Ja, und wenn dieſer Herzog zum SHeile Frankreichs regierte! Aber er regiert nur zu feinem Heil und zu Frankreichs Verderben. Die Verſchwendung, die Kriege der legten Regierungen haben das Land auf das äußerſte erjchöpft: wir brauchen den Frieden wie der TIodesmatte den Schlaf. Aber der Herzog braudt einen neuen Frieg.

Friedrich. Warum?

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Chevalier. Weil er tief verjchuldet ift, weil er banferott ift, falls ihm nicht ein neuer Krieg von den Armeeliefe- ranten ungeheure Beſtechungsſummen einträgt.

Friedrich. Unglaublich!

Chevalier. Uber wahr! Diejer Herzog muß fallen: oder mein heißgeliebtes Frankreich fällt. Wenn man dem König beweiſen könnte, daß fein Minijter ihn ſeit Monaten belügt, ihm die Warnungen Preußens vor einem Angriff auf den Kaifer verjchtweigt, daß ihm der Minifter eine preußifche Allianz vorgeipiegelt Hat...

Friedrich. Während wir umgekehrt ein Verteidigungs: bündnis mit dem Kaiſer gejchlojjen Haben!

Chevalier. Das müßte den Ränkeſchmied jtürzen! Aber ich ehe Feine Möglichkeit, zum König zu gelangen. Meine ſchöne Tante zerbricht fich ebenfall3 vergeblich ihren Eugen Kopf: fie ift eine nahe Freundin der Königin, fie Yiebt Frankreich, fie verabjcheut den Herzog, der die Imper— tinenz hat, ihr nachzuftellen. Und wenn die Marquife feinen Rat findet, dann giebt es in ganz Frankreich feinen zu finden!

Friedrich. Ach was die Weiber! Laß doch die Weiber aus den Staatsgefchäften !

Chevalier. D du teutonifche Unſchuld! Weißt du, was das für ein Buch ift, in dem ich da leſe? Das find die „perfiihen Briefe” des geiftvolliten Franzoſen, aus- genommen vielleicht meinen Freund, den Herrn Arouet oder auch Voltaire, der zur Zeit in der Bajtille jigt!

Friedrich. Warum fiht er denn da?

Chevalier. Warum? Eben weil er der geijtvollite Sranzofe ift! Glaubſt du, daß ihm das die andern Franz zofen verzeihen fünnen? Der andere aber, der merf- würdigerweiſe nicht eingefperrt ift heißt Montesquieu. Sein Buch ift natürlich verboten, da es Feine Sejuiten-

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predigt if. Montesquien nun jagt: eben Tas ich e3 „Wer am Hof, in der Hauptjtadt, in den Provinzen Minijter, Beamte, Prälaten handeln ſieht und die Weiber nicht fennt, durch welche fie regiert werden, der jieht wohl die Bewegung der Maſchine diejes Reiches, ihre treibenden Kräfte kennt er nicht.“ Du bijt hier nicht in Potsdam oder in wie heißt es doch, das verwunfchene Schloß ? Wu Wu Wuzel —?

Friedrich. Wuſterhauſen heißt es.

Chevalier. Ein reizender Name, jo melodiſch! Auf den Parketts von DBerjailles herrichen die Atlasjchuhe der Damen. Das ijt ja dein Hauptfehler hier, daß du die Damen ignorierft. Du haſt die Diplomatie einer Boll- fugel pumps! gerad’ anfahren und entweder alles kurz und Hein fchlagen oder erfolglos abprallen. Du prallit hier ab! Du mußt die Damen...

Friedrich. Sch veradhte die Weiber ich hafje fie!

Chevalier. Sch Habe jujt nicht Urfache fie zu Lieben. Uber...

Friedrich. Du! Dem alle Herzen zuflattern wie firre Bögelein.

Chevalier. Bunte, plappernde Bapageien! Nicht das rechte Vögelein! (Für ſich Nicht die fcheue ſpröde Waldtaube! (2aut) Vergeblich habe ich dir hier (er zieht eine Lifte gleich der de3 Leporello aus dem Etui auf dem Schreibtifche und Täßt fie fliegen) eine Encyklopädie unjerer jchönjten und einflußreichjten Damen vor die Naje gepflanzt, deinem jchwachen Gedächtnis und Intereſſe aufzuhelfen. Du ſiehſt fie gar nicht an! Und wenn du fie anblickſt, du fiehft doch immer nur ein gewiſſes hellblaue Augenpaar vor dir.

Friedrich Gormig. Schweig, Bayard! Sch verbitte mir jede Anfpielung auf das herzloſeſte aller Weiber!

Chevalier (tomiih erisroten). La, la! Du brauchft mich

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nicht gleich anzufchreien wie Eure langen Grenadiere zu Potsdam. Umſonſt habe ich mir alle Mühe gegeben, in allen Salons und Boudoirs dir das günjtigjte Renommee für einen jungen Diplomaten zu fchaffen: ich ftellte dich als den gefährlichiten Herzensjäger Hin.

Friedrich. Ich danfe! Höre, laß das bleiben. Wenn das mein alter Herr erführe auf der deipen Grefte, er fluchte jich zu Tode. Und wie fommjt du dazu, mir jolhe Predigt zu halten? Lebſt ſelbſt wie ein Kartäufer- mönch, läßt deine reizende Eoufine, feit fie, aus der Klofter- penfion nach Paris entlafjen, dich wiedergefehen, ſchmachten nad einem warmen Blid.

Chevalier (öchſt artig). Ich bitte ergebenjt, mein Kerr, mein Herz oberhalb Ihrer Beachtung zu laſſen Ver— Itanden? Ga? Da ftehjt du, preußijcher Held, man braucht nicht bei jeder Ablehnung zu jchreien, als ging es mit Hurra auf die Türkenſchanzen! Sch bin nicht Diplomat, wenigjtens nicht mehr, jeit der Herzog von Bourbon allmädhtig. Früher ja da war es anders! Der König, der mich gut fennt, Hat eine Schwäde für mich: ich bin wohl nicht ganz jo langweilig wie Maillac, der Schloßhauptmann, und feine anderen Kerfermeifter. Er wollte mich ſchon einmal al3 Gejandten nach Berlin jchiden, al3 die Friedenspartei den größten Einfluß Hatte. Aber jegt bin ich ohne diplomatiihe Chancen: aljo darf ich tugendhaft fein. Du aber Träger der königlich preußijchen Politik!

Friedrich. Das Donnerwetter jchlage in die Politik! Ich fordere diejen Herzog und fchieße ihn nieder.

Chevalier (lädeind). Das iſt wohl die Staatsfunjt von Wurjtelhaufen!

Friedrich (unmutig). Wufterhaufen! Merke es dir einmal!

Chevalier. PBardon, wenn ich den Wohlklang jenes

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Wortes nicht ganz wiedergab. Dieje deine Diplomatie bat einen Vorzug: den der äußerjten Einfachheit. Geht aber nicht an der vielgejchlungenen Seine! Du hat ja ohnehin ſchon in deiner Tliebenswürdigen Laune fünf Duelle gehabt und, ich glaube, ebenjoviele noch vor dir, Der Herzog von Bourbon und fich mit dir ſchießen! In die Baitille ſchickkt er dich zum Herrn von Voltaire.

Friedrich. Man fperrt feinen preußifchen Gejchäfts- träger ein.

Chevalier. O doch, wenn diejer fi nur mit dem einen Gejchäft trägt, das ganze Dffizierforps der franzd- fifchen Armee nach und nad) zufammmenzuhauen, zu jchießen und zu ſtechen. Lieber Vandalenhäuptling, es giebt wirklih Wände, durch die auch ein deutjcher Kopf nicht rennt. Wir, das heißt meine Tante und ich, wir müſſen einen Plan...

Friedrich. Laßt mich aus Euren Intriguen id) würde alles verderben.

Chevalier. Ohne Zweifel! Du jolljt di) auch nur bon uns in die Gegenwart des Königs fpedieren laſſen: wie, das ijt unjre Sache.

Friedrich (im Abgehn ihm die Hand gebend). Du bijt mein befter Kamerad jebt! Ach einjt Hatte ich, jo wähnte ich, noch einen treuern: der hat mich zum Narren gehabt jahrelang und zulegt meine Liebe zum Spaß aus der Piſtole gejchojjen.

Chevalier (mit feinem Lächeln). Bei deinen jtarfen Neigungen zum Totſchießen jollte e$ mich wundern, wenn diejer Böje- wicht noch lebend herumliefe.. Du Haft ihn wohl —? (madt die Bewegung des Zielens).

Friedrich. Totſchießen? Diejen Kameraden? Eher ihieße ih dich und viel Lieber noch mich jelber tot? Ich gehe zum Minijter. (6 durch die Mitte.)

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Zweiter Auftritt,

Chevalier allein.

Chevalier. Sa ja, armer Freund, dir geht es wie mir. Oder noch Ärger: ich habe mir wenigſtens nie eingebildet, daß fie mich liebt, dieje herbe Diana der kleviſchen Tannen- wälder. Sch habe es nur gewünſcht: ach jo heiß gewünscht! Aber fie Hatte nur Freundſchaft für mich: fo fchien es. Ihn aber jah fie an, wie nun, wie mich meine fleine Kloſterroſe Blanchemain anfieht. Sollte fie ihn wirklich nicht mehr lieben? Sch wag’ es faum zu Hoffen. Nein, nein, armer Bayard! Des Lebens höchiter Kranz, dieſes deutſche Mädchen, ſcheint dir verfagt! Wär’ ich doch der leichtblütige Franzoſe, den fie mich oft im Scherz geſcholten! Aber, blonde Friederife, wie irrft du doch in deinem teutonifchen Hochmut! Sie bilden fich ein, dieſe wadern Leutchen da drüben, fie hätten das Monopol tiefen Gemütes, tief inniger Liebe! Wie thöricht! Unfereiner hat das geflügelte Scherzwort auf den Lippen, und den geflügelten Pfeil tief in der Bruf. D man fann, meine guten Deutjchen, auch auf franzöfifch jehr treu- innig lieben und jehr unglüdih! Im Munde den Wis, im Gemüte das Weh. Gauſe) Und doch! Wenn ich erjt Friederike wirklich ganz gewiß, für immer, hoffnungslos mir verloren wüßte, wenn ic ihr entjagen müßte, id föünnte wohl thun, was jenes anmutvolle Kind und meine Tante und die ganze Yamilie beglüden würde und zulegt wohl auch mich ſelbſt. Gauſe) Am liebſten ritt ich jpornftreihg aus dieſem Hotel über die Maas an das Thor jenes alten verjchlafenen Schloſſes, pochte an und fragte zum letztenmal: „Friederike, liebſt du Fri? oder kannſt du mich fieben? oder kannſt du

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überhaupt nichts, al3 uns beiden das Leben verderben ?“ Und jagt fie mir, daß fie niemals die Meine wird, dann ja dann, (fer liebenswürdig, ſcherzhaft) wäre es immer noch Zeit fie, als meine bejte Freundin, zu fragen, (aſch— ob ich nicht doch die Heine Blanchemain Heiraten joll.

Dritter Auftritt. Chevalier. Jobſt (durd die Mitte).

Jobſt (fc die Augen reibend). Herr Kapitän, joeben gefchieht ein Wunder!

Chevalier. Das gefchieht oft in Paris. Was haft du denn in den Augen ?

Jobſt. Eine ganze Ladung voll Sand. Das hängt damit zujammen.

Chevalier. Nun?

Jobſt. Steh’ ich da im Hof und habe meine liebe Not mit dem Rapphengjt, dem „SHeideteufel“, wiſſen Sie, den mein Herr von daheim mitgebracht. Der Gaul hat wieder einmal jeinen Teufelstag, er läßt ſich nicht anrühren, bäumt ſich und fteigt und fchnaubt und jchlägt, wenn ich ihm nur nahe fomme: ich ftehe da und weiß mir nicht zu helfen: denn er hat das Halfter zerriſſen, jagt im Hofe herum und wirbelt den Sand auf, daß ich ganz blind werde. Auf einmal Eopft mir einer auf die Schulter und jagt auf gut deutſch mitten in Paris! —: „Schafskopf!“

Chevalier. Er kannte dich alſo?

Jobſt. Scheint doch jo! „Hat Er wieder mal feine Courage?“ fährt er fort. Ach mache Kehrt: fteht da ein Lieutenant von den blauen Hufaren, geht auf den Heide- teufel zu, al3 ob die Bejtie ein Mailämmchen wäre: ich

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warne ihn fchreiend: aber das mwütige Roß thut ihm gar nicht3: es läuft ihm wiehernd entgegen und er fängt mit bloßem Zuruf mit dem Gaul alles an, was er haben will. Sc bitte, fehn Sie ji) das mal an. Sein Burjche fagt, jie fommen aus Berlin, mit neuen Aufträgen für meinen Herrn.

Chevalier. Ah, was jagt Er das nicht glei)? Das iſt vielleicht die Rettung für Frankreich! Sch eile. Wo ift der Offizier ?

(Während Jobſt ihn zur Mittelthüre Hinausführt, kommt Anne Marie als HYufarenunteroffizier, Mantel und Degen Friederifens auf dem Arm, herein: Chevalier ab durch die Mitte.)

Bierter Auftritt. Jobſt. Anne Marie,

Anne Marie (fie fegt die Sachen Friederikens auf Stühle: für fid). Viktoria! Vortrefflich! Sie erfennen uns nidt.

Jobſt Cift ihr behilflich, inzwiſchen ftets die Augen reibend). Go! Leg’ Er die Sachen nur hierher: wir follen hier warten, bis die Herren weiteres befehlen. Erſt muß fein Herr im Trinkſaal den Willfommbecher leeren.

Anne Marie (mit verftelter, tieferer Stimme). Gefällt mir, diefe Stadt Paris! Gefällt mir jeher! Gleich trinken, fowie man über die Schwelle tritt. Es lebt fich hier wohl Yuftiger, flotter al3 in Deutjchland in jeder Be- ziehung, nicht ?

Jobſt (ſich in die Bruſt werfend). Das will ich meinen! Er iſt wohl noch nie über den Rhein gekommen?

Anne Marie (cſhüttelt den Kopf).

Jobſt. Ja ja, das ficht man Ihm an! Gür fig) na warte, du Bauernjunge, dir wollen wir einmal einen blauen Parifer Nebel vorblajen! (aut) ES fehlt Ihm noch der

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richtige Schliff, die Pfiffigfeit, was man fo die Verfluchtig— feit nennt.

Anne Marie. Er jcheint allerdings ſchon ziemlich weit gediehen in der Verfluchtigfeit.

Iobft. Ha ja, man bildet fih! Meint Er, man lebt umjonjt viele Wochen in Paris? Sch glaube fehwerlich, daß ich je wieder in das dumme, langweilige Deutjchland zurücgebe.

Anne Marie (gevennd. So? Wo ift Er denn her?

Jobſt. Aus einem alten wurmftichigen Neſt in Kleve— land. Schauderhaft langweilig, ſag' ich Ihm. Das faure Dünnbier hab’ ich jatt. Hier trinfen wir Burgunder aus Reiteritiefeln.

Anne Marie. Muß etwas ledern jchmeden.

Iobft. Und das feine Kartenjpiel! Und das Würfeln! Zwanzig Livre3 der geringjte Sag! Und vor allem (flüfternd, die Hand vor den Mund) Die Mädels, will jagen die Damen! Sch jage Ihm: Nichts geht über eine Pariferin! Er muß fich auch gleich ein paar anjchaffen.

Anne SHlarie (für fih). Na warte! (laut) Gleich ein paar?

Iobft. Ja, fieht Er, eine, das lohnt nicht! Sie find gar jo zierlich, fein und Fein: gehen ihrer drei auf eine deutjche Dorfdirne. Aber dafür find fie auch Damen.

Anne Marie. Nun, die Damen werden’s doch nicht mit unfereinem halten ?

Iobft. Da irrt Er aber fehr! Das ift ja gerade der Spaß. So was Frijches wie 'nen preußischen Unteroffizier jehn fie jelten in Paris. Ich jag’ Ihm: wenn ich Sonntag abends nad) Haufe fomme von der Promenade in der Gala-Uniform, haufenweife fommen fie an: die Billetdoure. Kann gar nicht auf alles eingehn! Verbrenne

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die meijten beim Pfeifenanzünden, riechen fo gut nach Roſenwaſſer. Suche nur die Vornehmſten aus!

Anne Marie (macht heimlich eine drohende Bewegung). Und das ſoll man glauben?

Jobſt (hat heimlich das Büchlein vom Schreibtiſch ſtibitzt und thut nun, wie wenn er es als ſein Eigentum aus der Taſche ziehe: ſtolz). Man ſoll es ſehen! Da! Hier habe ich mir ſo einige der Netteſten zuſammenbinden laſſen, verliere ſie ſonſt zu leicht. Hier iſt es nämlich Sitte, daß der weibliche Gegenſtand ſein Kon— terfei dem Scharmutzierer ſchenkt (er beugt ſich, ihr den Rüden wendend, über den Schreibtiſch und breitet vor ihr die Liſte der Bilder aus: ſie ſchaut über ſeine Schulter). Da, das iſt zum Beiſpiel die Her— zogin von Montmorency ziemlich guter Adel: altes Haus —: aber Herzogin ſelbſt auch ſchon ziemlich altes Haus! Dagegen hier die Kleine, das iſt die Marquiſe von Valence führt ſehr gute Küche! Und hier, dies iſt von der Vicomteſſe Du Pleſſis.

Anne Marie (it etwas zurüchgetreten). So? Geht raſch und giebt ihm einen tücjtigen Streich mit der flachen Klinge) und da3 iſt von der Anne Marie! (chlägt nod zweimar) und das auch und das auch!

Jobſt Gient). Halo! Dich joll doch das Donnermetter !

Anne Marie (wiederholt die Fechtbewegungen des eriten Att3). Innere Quart äußere Duart Legade (chlägt ihm den Degen aus der Hand, giebt ihm einen leichten Hieb über den Arm) Bardauz!

Jobſt (retiriert Hinter einen Stu). Ale Teufel! Der ficht wie mein Herr!

Anne Marie. Sieht Er, Er erbärmlicher Patron: jeßt fünnt’ ih Ihn durchlöchern wie ein Sieb: aber ich bin nicht blutdürftig ich ſchenke Ihm fein Leben. (Stedt ein.)

Jobſt (feinen Degen aufhebend und einſteckend). Was weiß aber der Musje von der Anne Marie ?

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Anne Marie. Das werde ich Ihm fagen: die Anne Marie Hat einen Bruder...

Iobft. Weiß ich! Den Franz. Steht bei der Pots— damer Garde.

Anne arte. Und ich bei den Potsdamer Huſaren. Er fommt nicht jo fir mit dem Leſen fort! Da gab er mir denn oft ihre Briefe, fie ihm vorzulefen: war viel die Rede darin von ihrem anverlobten Bräutigam, dem Jobſt Jankebrink: der ſitze mit feinem Herrn in Paris und jchreibe ihr die rührenditen Briefe, wie er fich nach ihr jehne.

Jobſt (vie Hand auf die Bruft legend, treuherzig). Iſt auch Die reine gottverfluchte Wahrheit! Sch heule manchmal des Nachts vor lauter Heimweh nach dem Tieben, jüßen Mädel.

Anne Marie (für fi). O was tft er doch für ein guter Junge! (aut) Und da trug mir denn der Franz viele Grüße auf an feinen Fünftigen Herrn Schwager in Baris. Und ich komme her und finde den jaubern Herrn Schwager in zwanzig Pariſer Liebjchaften: Geiſeite) ih glaube es aber nicht.

Jobſt. Aber jei Er doch nicht fo einfältig, es ift ja alles nur geipaßt gewejen! Da, fieht Er, in diejes Etui meines Herrn paßt ja das Büchlein (fegt es wieder Hinein). Da hab’ ich es ja nur herausgenommen, um Ihm etwas vorzumachen.

Anne Marie. Alſo jein Herr, der iſt aber ein jolcher ?

Jobſt. Weiß ich's? Hör’ Er, Kamerad: Er hätte juft nicht nötig gehabt, gar jo fejt zu hauen: aber ver- dient hatte es mein Budel, weil ich, wenn auch nur im Spaß, die Anne Marie verleugnet Hatte. Das ift ein Mädel! Sp eine lebt nicht mehr! Da kommen Die Herren! Kamerad, ich poniere gern eine Flaſche: aber Er muß jtillhalten, daß ich Ihm dabei immerfort erzählen darf von der Anne Marie.

Dahn, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Bd. VI. 25

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Anne Marie. Erzähl! Er nur! Ich kann viel ver- tragen. (für fi) Totfüffen möcht’ ich ihn! (Beide wenden fi in die Mittelthür, abzugehen.)

Fünfter Auftritt, Chevalier allein.

Chevalier (im Auftreten zu der abgehenden Anne Marie). Sein Herr braucht Ihn: Er joll ihn frisch pudern. (Anne Marie und Jobſt ab. Chevalier lebhaft nach vorn eilend) Iſt fie’3 ? Sit ſie's nicht? Ich komme nicht ins Reine! Nein! ſolche Tollkühnheit wagt kein Mädchen! Zwar: ſie weiß es gar nicht, welchen Gefahren ſie entgegeneilt in Paris! Ich muß es, in ihrem eigenen Intereſſe, raſch entdecken. Wenn der Hof, die Offiziere fie entlarven! Es wäre ſchrecklich! Und wenn fie’3 ift, dann daun halte ich fie völlig in meiner Gewalt. Dann kann ich ihr drohen, fie zwingen —! Sann mich rächen für allen Schmerz verichmähter Liebe. Vor allem gilt e3, Herr der Lage zu werden: dann dieſe Macht zu nügen: für Frankreich und für meine Liebe! Jedoch, wie fie überführen ? (Srieberife wird in der Thüre fihtbar.) Nein ich täufchte mich! Sch fehe fie eben immer vor Augen! Sie ijt e3 nicht.

Sechſter Auftritt. Chevalier. Friederike.

Friederike (geht ganz rechts vor: für ſich). Ach Gott! Ach Gott! Jetzt wird mir Angſt Himmelangſt wird mir! Jobſt hat keine Ahnung. Aber der Chevalier! Ich ſcheue ſein Auge: „das Auge der Liebe!” Wenn

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er doch nur für eine andere das Auge der Liebe haben wollte! Mut, Frige! Es gilt dem Geliebten! (aut, mit verjtellter, tieferer Stimme, herfagend wie eine Lektion) Es freut mich, Chevalier de Briangon, in Ihnen ſofort einen Ehrenmann fennen gelernt zu haben. Cette das nicht anders voraus bei einem Edelmann und Offizier von Frankreich. Es erleichtert mir ganz ausnehmend meine Aufgabe, daß aud) Sie, al3 franzöjifcher Patriot, den Frieden wollen, ganz ebenjo wie ihn die Weisheit unſeres Königs für Preußen, das Neich, ja ganz Europa unerläßlich fand. (Käufpert ſich, für fi) Donnerwetter, diejen langen Sat habe ich aber gut auswendig gelernt: hatte Zeit genug dazu auf ver Herreife.

Chevalier. Aber Sie wollen um feinen Preis hier in meinem Hotel meine Oajtfreundichaft annehmen ? (tiftig beobachtend) Sch könnte Ihnen ein Schlafzimmer zwijchen Fritz und mir anweijen.

Friederike (für fi). Das ginge mir gerade noch ab! (aut) Danfe ergebenjt, bin im Gajthaufe abgejtiegen.

Chevalier (vrüdt fteigenden Berdagt aus). Sagen Cie, Herr Ramerad: ich bewunderte Sie, wie Sie den wilden Hengit bändigten. Aber —: eins fiel mir dabei auf...

Friederike (Hochfahren). Was, wenn's beliebt?

Chevalier. Sie manegierten ihn zu Fuß: warum ftiegen Sie denn nicht auf?

Friederike (Heftig auffahrend, an den Degen greifend). Mein Herr Franzoje! An dem Reitermut eines preußifchen Hufaren darf niemand zweifeln. Verſtehn Sie mich?

Chevalier (für fih). Ich werde irre. Dieje Grobheit! Das war feine Berftellung! (aut, wieder lauernd) D fällt mir nicht ein. Aber Sie müfjen doch durjtig fein, Herr Kamerad: Sie nippten ja nur an dem Champagner. (cuft) Heda Zobit! Eine Voll-Flaſche von meinem fchwerften,

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feurigiten Ungar. Wir leeren fie balbpart auf einen Zug.

Stiederike (für fih). Barmherziger Gott! Seht bin ich verloren! Trink' ich nicht, bin ich verraten: trink’ ich, ſo frieg’ ich einen großmächtigen Ra—! (taut) Bedaure, Herr Kamerad, kann nicht.

Chevalier (vorgebeugt, argwöhniih). Und warum nicht?

Stiederike. Hab’ ein Gelübde gethan.

Chevalier (wie oben, langjam). Was für ein Gelübde?

Stiederike. Un einem Tag nicht zweierlei Wein zu trinfen.

Chevalier (für ſich, aber ſehr raſch und lachend). Ha, das ijt fein deutscher Dffizier! (Geht ganz nad links.)

Stiederike (geht ganz nad) recht3 vor zu den Piftolen an der Wand, für fih). Herr Gott von Kleve! Dies Gelübde hat mir, fürcht' ich, fehr gefchadet. Suchen wir unfere Stellung zu verbefjern. (aut, eine Piſtole herunternehmend) Ach Herr Kapitän, was haben Sie da für hübjche Bijtolen ?

Chevalier (dreht fih erihroden um). Ums Himmels willen, jie ſind geladen!

Stiederike (ſieht ihn groß an). Nun? Halten Sie mich für ein Frauenzimmer?

Chevalier Gerblüfft). J, Gott bewahre! (ür ſich) Sie ift es nicht. (laut) Kennen Sie das Syjtem ?

Stiederike. Jawohl: Favorit de Turenne. Sehr gute Alugbahn. Uber Feine Senfung links: und gießt zuviel Pulver aus der Pfanne in den Lauf.

Chevalier (für fih). Parbleu! Sie weiß davon mehr als ich. Sie? Er? Wer weiß e3? (am Fenſter, das er öffne) Sehn Sie die Dohle da hoch in der Luft? Würden Sie jich wohl vermefjen, fie im Flug zu treffen?

Friederike. Bah, zu leichte Aufgabe! Aber haben Sie nicht ein Spiel Karten?

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Chevalier. Jawohl, hier auf dem Tifch.

Stiederike. Wo iſt Coeur Dame? Geide fuhen Da! Bitte, nehmen Sie die Karte zwijchen Daumen und Zeige- finger, (geigt es ihm mit der rechten Hand) ſo! Verſtehn Sie nicht?

Chevalier (für ſich. Alle Wetter! Ich möchte doch meine rechte Hand behalten. Weiß Gott, wie der jchießt. (aut) Sc verjtehe wohl, aber... .

Stiederike. Ah, aber Sie trauen fich nicht?

Chevalier Gornig). Herr Preuße!

Friederike (tahend). Dder vielmehr: Sie trau'n mir niht? Kann's Ihnen nicht verdenfen. (uf) He, Hans, hierher!

Siebenter Auftritt. Borige Anne Marie (durd) die Mitte).

Anne Marie (militäriſch grüßend und antretend, die Sporen an den Ferſen klirrend zuſammenſchlagend). Zu Befehl, Herr Lieutenant!

Friederike (nimmt dem Chevalier die Karte aus der Hand, giebt ſie Anne Marie, ſchiebt dieſe vor das offene Fenſter links, erhebt ihr die rechte Hand mit der Karte und geht nun ganz an die vorderſte Couliſſe rechts zurück: erhebt die

Piſtole und zielt: Chevalier im Mittelgrunde hinten). Komm, Hans, wir wollen den franzöfiichen Garden zeigen, wie ein preußischer Reitersmann jchießt. Chevalier (für jih). Sie wird doch nicht! Friederike. Ich Ichieße die Couleur heraus (chießh.

Anne Marie. In Nichtigkeit wie immer (geht auf den Chevalier zu, giebt ihm eine durchſchoſſene Karte und geht ab. Friederike legt die Piftole weg).

Achter Anitritt.

Friederife. Chevalier.

Chevalier (geht mit der verwechjelten Karte, deren Coeur herausgefchofien, fie fo dem Publikum zeigend, ganz vor, für ſich). Seßt bin ich bald

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am Ende meines Wibes. Doch halt! (au) Was ich von Ihnen gejehen, Herr Lieutenant, bejtätigt meine hohe Meinung von der Kriegstüchtigfeit der deutſchen Herren. (langfam prüfend) Und dabei wird von Ihnen aud) viel Geiftesarbeit verlangt.

Stiederike (für fi). Sch ſtehe Hier im Examen, das mer ich wohl. Und ich habe noch lange nicht beftanden.

Chevalier (prüfend). Zum Beiſpiel: Mathematik? Geometrie?

Friederike (ür fih). D du barmherziger Heiland! Sch kann faum die vier Species!

Chevalier (ihre Verlegenheit bemerfend, näher rücdenb). Dder: Kriegsgefchichte ?

Stiederike (Eleinlaut). Darin war ich immer ſehr ſchwach.

Chevalier: So? Wundert mid! Wir in Frankreich müfjen zum Beiſpiel aufs Geratewohl einen Schlachtnamen Iojen und dann aus dem Stegreif darüber fprecen.

Stiederike (für fig). Seht wird es hübſch!

Chevalier (nimmt ein Buch vom Schreibtifch auf). Möchte wohl fehn, wie Sie das machen. ch ſchlage auf wie e3 nun fommt.

Friederike (für fih). Sch wollte, ich läge in der deipen Grefte!

Chevalier. Zum Beifpiel (Klappt das Bud) wieder zu, legt & fort) die Schlacht von Höchftädt.

Friederike (für fi). ES lebt ein Gott im Himmel! (tut, mit großer Überlegenheit und Ruhe) Schlacht von Höchſtädt? Sehr gern! Die Sache verlief jo: E3 war am 13. Auguft 1704, al3 die Alliierten um 7 Uhr morgens auf der ganzen Linie den Nebelbach überjchritten: rechter Flügel unter Prinz Eugenio de Savoy (fo eigenhändige Schreibung), führte unter anderm auch 11 preußiiche Bataillone. Linfer Flügel unter Herzog Marlborough, erjtes Treffen der

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Snfanterie 17 Bataillone: zweites Treffen 20 Bataillone: zwei Treffen Reiterei.

Chevalier (unterbricht, abwehrend). Genug! Genug!

Stiederike (fortfahrend). Die Feinde: rechter Flügel Mar- ſchall Tallard, Linker Flügel Marihal Marfin: zufammen 78 Bataillone, 142 Schwadronen.

(Hat während des Vortrags den Weichenden verfolgt bis in den Hintergrund, dreht ſich jegt rajd) auf dem Abjag um und geht ganz rechts vor, für fi.) So! Das war der Lohn für viele Langeweile.

Chevalier (hat mit wachſender Verblüffung dem Strom ihrer Rede zu- gehört, ftet8 vor der auf ihn Eindringenden entrinnend: geht jett ganz links vor und wirft fi, wie befiegt, in einen Stuhl, für fid). Nein, fie ift e3 nicht! Soviel faßt fein Mädchenkopf, oder behält es doch nicht. Sch geb’ es auf. (au) Herr Kamerad, allen Reſpekt!

Friederike (übermütig). Soll ih Ihnen vielleicht auch noch die Schlaht von Malplaquet erzählen ? (für fi) Da war der Alte nämlich aud).

Chevalier (lehentlich abwehrend). Danke! danfe verbindfichjt! (für fi) Mir ift, als hätt’ ich gerade ſelbſt die Schlachten von Höchſtädt und von Mlalplaquet verloren: ich bin geichlagen.

Friederike (für fih). Triumph! Ich hab's gewonnen.

(Kleine Paufe. Jobſt durch die Mitte, bringt dem Chevalier einen Brief.)

Jobſt. Von meinem Herin! Ein Eilbote brachte ihn.

(Sobft ab.)

Chevalier. Und: „Eilig“ jteht darauf. Sie erlauben ? (öffnet und Lie) „Lieber Freund! Sch Hatte foeben vor dem Palais des Minijters ein Fleines Rencontre ... —“

Friederike (ehr erihroden). Mein Gott!

Chevalier (wirft erftaunt einen argwöhniſchen Blick auf fie und Tieft fort). „Zwei Offiziere, von jeiner Clique, mofierten fich über mich, daß ich es hören mußte: ‚Da fommt er

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twieder, der preußiiche Diplomat,‘ fagte der eine, ‚Sich zum sun abweifen zu lajjen,‘ lachte der andere. ‚Sa jchloß der erjte, ‚das iſt das Heldentum der ee —. Ich zog jofort. Die beiden auch .

———— Himmel!

Chevalier (ſieht ſie wieder, faſt erratend, an und lieſt weiter). IIch entwaffnete den erſten und traf den zweiten in den linken Arm, erhielt aber gleichzeitig von ihm einen Stich...

Stiederike (chreit laut auf, fällt wie ohnmächtig in den Stup). Ach! weh” mir! weh! Gededt das Gefiht mit den Händen.)

Chevalier (ür fit). Sie iſt es, der Schred hat fie ver- raten. So beflagt fein Lieutenant eines Kameraden Wunde.

Friederike (pringt au). O er ift tot, nicht wahr?

Chevalier (lächelnd, von jetzt an ftet3 mit überlegener Feinheit, langſam). Sa dann würde er doch jchwerlich jchreiben! Eilpoft vom Himmel herunter ijt fogar in Paris noch nicht ein- geführt. (Er tieft weiter) „ES ijt ganz ohne Bedeutung... —“

Stiederike. Gott fei Danf! Aber wenn es nur wahr iſt der Unverzagte nimmt e3 gewiß zu leicht.

Chevalier (tieft weiter). „ES it nur die Hüfte Doch fonnt’ ich nicht gehen. Bon einem zufällig des Weges fommenden Arzt ward ich in dejjen PBarterremohnung, gegenüber dem Palais, geführt.

Friederike (immer noch voller Ang). Kennen Sie den Arzt?

Chevalier. Gegenüber dem Palais des Minijters ? Es iſt Monfieur Mikouliche, der erjte Chirurg von Frankreich.

Friederike. O Sie wollen mich nur tröſten.

Chevalier (nun lächelnd ſeinen Sieg gebrauchend, das eine Knie auf den Stuhl legend, ſich vorbeugend, langſam, küh). Aber mein lieber, junger Freund worüber ſoll ich Sie denn tröſten wollen?

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Über die leichte Wunde eines wildfremden Kameraden? den Sie in Ihrem Leben noch nicht gejehen? So zärtlich lieben fich in Deutjchland die Lieutenants ?

Stiederike. Ja, ja, Sie haben recht. Sch war ganz thöricht. Gür fig) Da ſoll man eine Rolle aufrecht Halten, wenn das Herz jpringen möchte vor Berzweiflung.

Chevalier (ieſt weiter). „sch jhreibe Dir nur, damit Du mich heute nicht zum Souper erwartejt. Morgen oder übermorgen kann ich wieder ausgehen. Auf Wiederjehen! Fritz.“

Friederike (für ſich. O Gott, wie dank' ich dir! (aut) Steht das wirflich da?

Chevalier (giebt ihr lächelnd den Brief). Da! lejen Sie jelbit, Sie empfindfamer junger Held.

Neunter Auftritt,

Borige Jobſt, Anne Marie und der franzöjiihe Diener des Chevalier (fie präjentieren in der folgenden Scene Thee und Gebäd): gleid) darauf die Marquiſe und Blandhemain.

Jobſt (meidend). Die Sänfte der Frau Marquije und Jungfer Tochter.

Diener (verweifend zu Zost). Man jagt nicht „Jungfer“ in Paris.

Jobſt. Ach jo! ch vergefje immer wieder! Na, aber bei der kann man es jagen.

Chevalier. Sie wollten den Thee bei mir nehmen. Sch eile den Damen entgegen.

(Ab durd) die Mitte.)

Friederike (teife zu Anne Marie). Er ijt verwundet! D dies Paris! (omiſch pathetiſch) Lebensgefährlich wie jittengefährlich! Und diefe Marquife und ihre Tochter? Das find am Ende ja, ja, das werden die jaubern Damen jein, die fih Halbſcheid in meinen Fri geteilt Haben.

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Anne Marie. Sie meinen die verruchten poly- gamifchen ?

Stiederike (nidt tebhaft). Na, die will ich danach behan- deln! Denen will ich fie mal zeigen, die Verachtung eines deutichen Mädchenherzens!

Anne Marie (zupft fie an der Uniform). Aber um Gottes willen, Fräulein, Sie find ja ein Lieutenant!

Friederike (ehr betroffen). Sa fo! Das ift ganz etwas anderes! Uber ein Lieutenant darf doch auch Moral haben ?

Anne Marie. Er darf es wohl, wenn er fann.

Zehnter Auftritt. Borige. Chevalier (führt die Marquijfe und Blanchemain herein).

Chevalier (orfteltend). Herr Lieutenant Franz von Franken meine Tante Margquife von Briangon und meine Heine Coufine.

(Feierliche Verbeugung von allen breien: Friederike wollte zuerft einen Knicks machen, befinnt ſich aber, grüßt militärifch und Füßt grazios der Marquiſe die Fingerſpitzen).

Marquiſe (ehr lebhaft zum Chevalier). Welch reizender Menſch!

Blanchemain (ehr lebhaft). Aber Mama, iſt der hübſch! Der iſt ja viel hübſcher, Bayard, als du!

Chevalier (achelnd). Findeſt du das auch? Ich finde es ſchon lange.

Marquiſe. Herr Lieutenant, mein Neffe hat mich bereits unterrichtet von Ihren Aufträgen. Ich heiße Sie will— kommen in Paris.

Blanchemain (ſtets in der Abſicht, den Chevalier eiferſüchtig zu machen, Täuft auf fie zu, hält ihe beide Hände hin). Ich auch! echt Herzlich, Herr Lieutenant!

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SMarquife. Mein Kind, das war gar nicht nötig.

Blandenain. Aber du fandejt es doch nötig, Mama ?

Marquife. Das ift nicht ganz dasjelbe. Ich werde Ihre Pläne unterjtügen.

Friederike (für fih). Meine Pläne? Guter Gott, ich habe ja gar feine!

Marquife. ES freut mich, dabei zugleich meinem Lande zu dienen und einem fo überaus Tiebenswiürdigen Kavalier.

Blanchemain (läuft wieder auf fie zu, ſchüttelt ihr die Hand). Zählen Sie auch auf meine Unterſtützung! Meinen moralijchen und geijtigen Beiltand! (alb für fih, Halb zu Bayard) Die Mama läßt mich gar nicht zu Worte fommen.

Friederike (taud. Sehr verbunden! Aber die Audienz ſollen Sie nicht mir vermitteln, fondern: (für fi) jebt werd’ ich fie jcharf beobachten: (aut) dem Freiheren, Shrem gemeinſchaftlichen Freund: (ür ih) Jo! das habe ich ihnen jcharf gegeben! Aber wie raffiniert! fie werden nicht mal rot.

Marquife (ehr tünt, gedehnt). Ach dem!

Blandhemain. Dem fchauderhaft ernſthaften Menfchen ? höre Bayard, er ijt dein Freund: aber ich finde ihn herzlich langweilig.

Stiederike (für fit). O dieſe PBariferinnen! Natürlich alles Berftellung! Aber jest überrumpfe ich fie. (aut) Sie wiljen doch: er ijt verwundet.

Marquiſe. Ad bad, eine Bagatelle, jagt Bayard.

Friederike (ür ih). Nein, das war Natur: die liebt ihn nicht.

Blanhemain. Nicht der Nede wert.

Friederike. Gott jei Dank, die liebt ihn auch nicht.

SMarquife. Unſer Ball morgen Abend verliert nicht durch jeine Abweſenheit.

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Blanchemain. Er tanzt ja nicht.

Marquiſe. Und alle Damen beflagen fich über feine Steifheit.

Friederike (freudig zum Chevalier). Sit Das wahr?

Chevalier. Sa, leider ift es wahr: aber ih be- greife nicht, Herr Lieutenant, warum Sie eine fo unbe gründete Freude haben an der Tugend oder dem Weiberhaß Shres Kameraden ?

Blandemain. Hafen Sie die Damen auch? Griederike fhüttelt den Kopf) nein? das iſt hübſch! um Sie märe es ichade.

Marquiſe (eiſe). Höre Bayard, ich finde diefen Hufaren unmiderjtehlich.

Chevalier. Tante, nimm dich in acht, du irrſt dich in ihm.

Marquiſe. Sch geitehe, jeit dem Tode des Marquis hat fein Mann ſolchen Eindrud auf mid) gemadt. Er iſt zu jung für mich, das jeh’ ich wohl ein: aber ich Fünnte mich doch vielleicht entfchließen . . .

Chevalier. Tante, Tante, entichließe dich nicht! Du wiürdejt dich enttäufcht finden!

Blanchemain (eiſe). Bayard, ich muß dir was geftehn.

Chevalier. Nun, was denn? Auch eine Hujaren- geichichte ?

Blanchemain. Wenn du fortfährit, Dich gegen meinen und meiner Mama ausgejprochenen Bejchluß zu weigern, mich zu heiraten, dann . ..

Chevalier. Nun was dann?

Blanchemain. Dann räch' ih mid und...

Chevalier. Und?

Blanchemain. Und heivate den Hufaren. Er gefällt mir jehr.

Chevalier (ür fih). Das wird hübjch, dieſes Kreuzfeuer.

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(aut) Dann rat’ ich dir aber, dich zu eilen: ſonſt ſchnappt ihn div deine Mama weg.

Friederike Gu Anne Marie, die ihr die Theetaſſe abnimmt). Warum ichauen mich denn die beiden jo an?

Anne Slarie. Weil Sie zwei Croberungen gemacht haben: geben Sie nur acht! jest iſt Herr Friß unſchuldig und Sie find polygamiſch.

Marquiſe (ich erhebend). Alſo, Herr Lieutenant, morgen Abend auf unſerm Ball.

Blandemain. Und ja nicht zu ſpät kommen, wie der trübjelige Freiherr.

Friederike (verbeugt ſich, für fih). Gut, daß ich in der Tanz ftunde ſtets den Herrn vorjtellen mußte.

Marquiſe. Sie treffen den Herzog von Bourbon, meinen Feind und jehr eifrigen Anbeter. Bis morgen hoff’ ich meinen Plan gereift zu haben. Was thut man nicht für Frankreich und für...

Chevalier. Nun bin ich gejpannt.

Blandhemain (feife zur Marguije und Chevalier). Für Frankreich und für ſeinen Schwiegerſohn: nicht wahr, Mama, das wollteſt du ſagen?

Marquiſe. Und für einen charmanten Kavalier, der unjer bejter Freund zwar noch nicht ijt, aber es werden fann und dejjen Glüf uns warm am Herzen liegt.

Friederike (für fih). Gott, mir wird ganz bange Was fie wohl mit mir vorhaben? x

Blandemain (mit einem Blick auf den Chevalier). Ja, Herr Lieutenant: was ich zu Ihrem Glüde beitragen kann, ge ſchieht mit Vergnügen.

Marquife. Morgen Abend um neun erivarte ich die Herren zum Ball. Herr Lieutenant, ich bitte um die erjte Sarabande.

Blanhemain. Und ich um die zweite, dritte und vierte.

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Marguife. Auf Wiederjehen: morgen Abend, in meinen Salons, entjcheidet ſich das Schickſal Frankreichs Europas...

Blanchemain (mit einem Blick auf den Chevalier). Und vielleicht: noch mehr.

Chevalier (giebt den beiden abgehenden Damen den Arm, mit bedeut- famem Blick auf alle drei). Sa! das Schickſal von mehr als Einem Herzen.

(Führt die beiden Damen bis an die Thüre: Meine Paufe.)

Friederike (fieht ihnen kopfſchüttelnd nad: dann nad; rechts born gehend). Der Teufel foll mich holen, wenn ich weiß, was die beiden damit jagen wollten.

Chevalier. D nur Geduld: die Danıen werden fich jchon noch verjtändlich machen. Sch gratuliere, Herr Kamerad, ich gratuliere, (für fih im Abgehen nad) rehts) das kann Hübjch werden morgen (wendet fi zum Abgehen).

Stiederike (Anne Marie am Arme nad) vorn ziehend). Was ſoll das nur bedeuten ?

Anne Marie (angſam, lahend). Das foll bedeuten daß Sie entweder des Herren Chevalier Wetter werden müſſen: oder ſein Onkel. (Beide wenden ſich zum Abgehen.)

(Vorhang fällt.)

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III. Aufzug.

Salon im Palaſte der Marquije: durch offene, im Anfang mit

Borhängen gejchloffene Bogen nad) rechts in den Balljaal führend,

woher manchmal, aber nur ganz leiſe, Tanzmuſik ertönt. Im

Hintergrunde recht3 eine ſpaniſche Wand, welche jchräg in die Bühne

ragt. Links Hinten ijt die Aufgangstreppe zu denken. Bu beiden Ceiten, linf3 und rechts vorn, je eine Thüre.

Erfter Antritt.

Chevalier (dur die Vorhänge lints). Bis jebt ging alles vortrefflid. Ein wahres Glück ijt Fritzens Verwundung. Das tollfühne Mädchen jpielt zwar den Kavalier vortreff- lih: aber Frig würde fie wohl noch rajcher als ich erfannt haben. Danf dem Verbot des Arztes konnt' ich fie bisher ganz von ihm fern Halten. Und auch Jobſt Habe ih an da3 Lager jeines Herrn gebannt: aud) er durfte mir die Zofe niemals wiederjehn. Denn ich will der Mutigen helfen aber nicht jo, wie fie denkt: vor allem mein Plan: für Sranfreih und für mich jelbft: ich Halte alle Trümpfe diejes Spieles in der Hand —: mwohlan, ich will fie brauchen mit Überlegenheit.

Zweiter Auftritt. Chevalier, Blandemain (aus der Seitenthür vorn rechts).

Dlandhemain. D lieber Bayard, wie freue ich mich, dich allein zu treffen. Sch muß dir was gejtehn.

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Chevalier. Schon wieder? Abermals eine Hufaren- geichichte ?

Blandhemain. Ach ja: aber diesmal was Gutes (vertraulich den Arm auf feine Schufter Iegend) ich hab’ e3 mir über: legt: ich ziehe doch dich vor.

Chevalier. Das kann ich dir auch nur raten.

Blandhemain. Es war bloß eine Augenverblendung: er fam mir nur fo jo vertraueneriwedend vor: jo pie eine Freundin.

Chevalier. Aber Kind, ich Habe mich darüber noch gar nicht beunruhigt!

Blandhemain (ehr Liebenswürdig, nedend). Ja! Wer dir das glaubt! Nun werd’ ich dir aber auch niemals wieder untreu werden auch nicht in Gedanfen nie, nie, nie, niemal3 wieder bitte, bitte, nicht böfe fein.

Chevalier (für fih). Sie iſt doch reizend (füßt ihr die Hand).

Blanchemain (fi vor ihm drehend). Wie gefall’ ich dir in diejer Toilette ?

Chevalier (ich verbeugend). Ausgezeichnet.

Blanchemain. Ich Habe mich nur für dich fo ſchön ge- macht: denn nur dir will ich gefallen.

Chevalier. Warte nur, du wirft nicht eher Ruhe geben, bis ich dich heirate.

Blandemain. Und dann, dann werd’ ich erſt vecht nicht Ruhe geben, bis...

Chevalier. Nun bis?

Blanchemain. Bis du geſtehſt, daß du unendlich glücklich bijt (fie veicht ihm beide Hände Hin, die er einen Augenblid ergreift).

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Dritter Auftritt. Vorige Die Marquiſe (von redts vorn).

Marquife (eicht ihm die Hand, die er küßt). Guten Abend, Bayard. Du fannjt mir gratulieren.

Chevalier. Zu einer reizenden Tochter und der eigenen Schönheit.

SHarquife. Nein! Zu meiner Genefung! Ich bin ihn los.

Chevalier. Wen ?

Dlanchemain. Wen denn, Mama? Deinen alten Huften ?

Marquiſe. Nein: meinen jungen Lieutenant.

Blandhemain. Denfe nur, Mama: ih auch! Nicht wahr, Bayard ?

Marquiſe. Es war ein jeltfames Gefühl. Ich empfand mich jo jchweiterlich, jo mütterlich zu ihm hingezogen: ich habe das nie für einen andern Mann gefühlt.

Blandhemain. Jh auch nit, Mama. Bayard habe ich ganz anders lieb.

Marquiſe (angſam, nachdenkend) Ich weiß nicht wie es kommt: aber ich muß mir immer denken wie reizend dies Milch- und Blutgeſichtchen ſich in Damentoilette ausnehmen müßte.

Blanchemain (eifrig). Ja ja, Mama, da haſt du recht.

Chevalier (für ſich. DO weh, o weh! (aut) Das laßt nur ja den Hufaren nicht merfen. Er würde es übel auf- nehmen, der Deutjhe. Da fommt er.

Dahn, Eänttl. postiihe Werke. Erſte Serie BD. VI. 26

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Vierter Auftritt.

Vorige. Friederike (durd) die Borhänge links Hinten: die Vorhänge werden nur aufgezogen: die Mufit beginnt von rechts; man fieht einige Gäfte, Damen und Herren, von Lafaien geführt, von links nad) rechts Hinten gehend).

Friederike (mititärifh grüßend). Guten Abend, meine Damen!

Marquiſe. Willfommen, junger Freund (zu ihrer Tochter) geh’, mein Kind, in den Ballfaal, unfre Gäfte zu empfangen. Sch folge gleich.

Blanchemain (im Abgehen). Herr Lieutenant, ich gebe Ihnen nur einen Tanz. Alle andern find für Bayard: das beißt (fi zu biefem neigend) wenn er fie will.

Stiederike. Er hat alle Urjache fie zu wollen.

Blandemain. Wirklich?

Chevalier. Einverjtanden!

(Blandjemain ab nad) rechts in den Ballfaal.)

Friederike. Kapitän, kann ich denn immer noch nicht meinen Kameraden jehen? Sch verjtehe mich auf Kranfen- pflege. Laffen Sie mich doch Heut’ Nacht an feinem Lager wachen.

Chevalier (für fi). Das wäre das Wahre. (laut) Nein, mein Freund, er darf niemand jprechen. Dann kann er morgen wieder ausgehen: und morgen muß gehandelt werden, denn nur morgen fann ich euch unterjtüßen im Palais zu BVerjailles. Ein Kamerad, den morgen Abend die Hofwache träfe, bat mid, an jeiner Statt auf eine halbe Stunde den Poſten zu beziehen.

Marquiſe. Wohlen, ich will verjuden, den Herzog morgen aus dem Palais Hinwegzuzaubern.

Friederike. Bin begierig! Wie entrüdt man einen Minifter?

Marquiſe. Mein Geheimnis! Aber it es mir ge

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lungen, dann muß ich von Ihnen ein Opfer verlangen, ein fehr, jehr großes.

Friederike. Ich bin zu jedem bereit und fojtet’3 das Leben, ich geb’ es gern für meinen König (für fig) und für meinen Fritz.

Marquiſe (tägemd). Das Leben fojtet es juft nicht! Aber es gilt, Vorurteile zu bejiegen Bedenken ein faljches Ehrgefühl!

Chevalier. Ich bin ſehr gejpannt.

Marquiſe. Ja, ich fürchte mich davor, Ihnen die Zus mutung auch nur auszusprechen. Vorher aber gilt e3, den Herzog fortzujchaffen. Still, da kommt er.

Fünfter Auftritt. Borige. Herzog (von links Hinten).

Herzog. Schönfte aller Frauen! Wie wunderbar ftrahlt heute wieder Ihre verführeriiche Schönheit (für fig) diejes Weib hat mir es angethan! Sch kann meine Gedanken nit von ihr losmachen. (Er erblidt Friederike, die bis dahin ganz rechts vorn, verdedt vom Chevalier, geftanden hat.) Ha, was iſt das? Ein preußifcher Offizier? Sn Paris! Und mir nod nicht gemeldet? Was juchen Sie hier, mein Herr? Wer find Sie?

Friederike (mititärifc ſalutierend). Lieutenant von Franken, Herr Herzog. Komme in Privatgeichäften.

Herzog. Was für Gejchäfte?

Friederike. Einen Freund befuchen.

Herzog. Wer ift der Freund?

Stiederike. Der Freiherr von der deipen Grefte.

Herzog (Hönniih). AH, der große Diplomat! Werden Sie dann täglich zu zweit in meinem Palais ericheinen, Audienz

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bei Majejtät zu erbitten? Glüdficherweife hat diejer deutſche Raufbold einen gut franzöfiichen Degenftich erhalten, der ihn für einige Zeit lahm legen wird.

Chevalier (tief betrübt). Ja, mein armer, armer Freund! Er ijt jchwer getroffen.

Friederike. D Gott!

Chevalier. Er wird vor vielen Wochen nicht ausgehen fonnen.

Friederike (ornig, aber faft weinend). Ha! Sie haben mich getäuscht !

Chevalier (eiſe). Aber jo ſchweigen Sie doch).

Herzog (ür fi). Da jpielt etwas im geheimen! Man muß jedenfalls zuvorfommen. (aut) Haben Sie Ihre Päſſe dem Bolizeiminijter vorgelegt ?

Friederike (erſchrocken, für fih). Herr Gott! ih habe ja gar feine! (aut) Noch nicht, ich bin erjt gejtern angefommen.

Chevalier. Das kann ich bezeugen.

Herzog. Gleichviel! In zwölf Stunden hat jeder fremde Militär fich zu melden bei Meidung der Haft. Ich ſchicke Sie jofort in die Baſtille. Heda Maillac!

Sechſter Auftritt.

Vorige. Maillac, der fhon bald nad) dem Auftreten des Herzogs in dem Gang hinter den offenen Bogen fichtbar geworden, tritt nun durd) den mittlern Bogen ein.

Herzog. Herr Oberit, nehmen Sie diefem deutjchen Dffizier den Degen ab und führen Sie ihn in die Bajtille.

Marquiſe. D Gott!

Chevalier. Das darf nicht fein. (aulamanen)

Stiederike. Weh mir! Alles verloren! Die Baftille? Was ift das?

Maillac (auf fie zutretend, ſehr langſam). Die Baſtille, junger

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Herr? Das ift ein Ort in Paris, in den man fehr leicht Hineinfonmmt und fehr jchwer wieder heraus. Bitte, Ihren Degen!

Friederike (tritt zurück, die Hand am Degengriff, drohend). Nimmer— mehr!

Herzog. In der Baftille laſſen Sie ihn fofort nad verborgenen Papieren unterjuchen. Hören Sie? Auf das allergenauejte!

Stiederike (fegt die Hand auf die Bruft, entjegr für fi). Des Königs Brief und meine Ehre!

Chevalier (eiſe vajc zur Marquife). Hilf Tante, Hilf! Du ahnjt nicht, was daran hängt.

Marquiſe (u Maillach. Einen Augenblid Geduld, Herr Oberſt! D Herr Herzog! Dieje Verhaftung in meinem Haufe. Ich lege Fürbitte für ihn ein.

Herzog (ablehnen). Sch bin es leider gewöhnt, Sie auf der Seite meiner deutjchen Feinde zu erbliden.

Marquiſe (ehr warm). Sch bitte dringend.

Herzog. Hüten Sie jih, Madame! Die Wärme diefer Bitte jteigert den Argwohn des Staatsmannes (eiſe, dicht an fie herantretend) und mehr noch der Milhbart iſt jehr hübſch! dieje Wärme wedt meine Eiferfucht. (Herzog und Marquije links vorn, die drei andern rechts.)

Marquiſe (einiömeigeind). Aber Herr Herzog! Sie werden doch nicht im Ernjt glauben, mein Herz werde ſich an einen Knaben verlieren, dies Herz, das Ihrer impojanten Männ- fichfeit, dem Geifte, welcher Frankreich, welcher Europa beherrjcht, bisher nocd wenn auch) (gedehnt, ſchmeichelnd) nur mit äußerjter Mühe widerjtanden hat.

Herzog. Dur ih Ihren Worten... —?

Marquiſe. Bitte, bitte, lieber Herzog!

Herzog (ür fi). Wie fie Schmeicheln kann, dieje fchöne

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Schlange, (taut) ich weiß, es ift Shnen nicht Exnft mit diejem füßen Ton.

Marquiſe. Wer jagt Ihnen das? Längft bin ich e3 müde, Ihrer Politik zu widerftehen, wäre e3 von da jo weit, Sie überhaupt unmiderftehlich zu finden?

Herzog. Sit es möglih? Sch glaube Shnen nicht! Geben Sie mir Beweife!

Marquiſe. Sie jollen jie Haben! Aber vor allem erjparen Sie mir den Schimpf, daß ein Gaft meines Haufes aus meinem Salon in die Baftille gefchleppt wird —: ein ungefährlicher Lieutenant!

Herzog. Ungefährlih? Das wird fih morgen zeigen. Aber gut: Shnen zuliebe, ſchönſte Athenais, will ich ihn für Heute ſchonen: (er giebt Maillac einen Wink, diefer verbeugt ſich und geht in den Ballfaal ab: fireng zu Friederite) morgen melden Cie fich bei mir, perfönlich: ich werde in meinem Kabinett ein gründliches Eramen mit Ihnen anftellen.

Stiederike (für fih). O weh!

Chevalier (teife zu ih). Mut, Mut, dazu darf es nicht

mehr fommen. (Mufit.)

Margquife. Horch, die Mufif beginnt die Polonaife! Herr Herzog, Ihren Arm! Sch bitte um die Ehre, meinen Ball mit Ihnen eröffnen zu dürfen.

Herzog (Bietet ihe den Arm). Sie entzüden mid)! Alſo wirklich eine verföhnte Feindin?

SHarquife (wie von Liebe beftegt, zu ihm aufblidend). Mehr als das, mein Freund: eine fapitulierende Feſtung.

Herzog. Triumph, mein heißes Herz: (für fi) im Abgehen, gegen das Publikum gewendet) aber Vorficht, mein Fühler Kopf.

(Alle ab in den Ballfaal: als aud) der Chevalier abgehen will, führt ein Lakai ihm Sobft zu: beide nach vorır.)

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Siebenter Auftritt. Chevalier. Jobſt.

Chevalier. Ein Brief an mih? Nur eigenhändig ? Bon deinem Herrn?

Jobſt. Ja, Herr Kapitän. Es fam ein Schreiben an den Herrn aus der deipen Grefte: ich kenne die Kratz— füße de3 Herrn Oberjt: fchreibt, fozufagen, mit dem Gewehr— folben. Mein Herr las und ward, fozufagen, ziemlichit verrüdt. Wollte fortjtürzen: mit Mühe hielten der Arzt und ich ihn zurück. Da fchrieb mein Herr diefe Zeilen und ſchickte mich zu Ihnen. Sch jolle fliegen, fchrie er: es ward mir jchwer, aber ich flog. Und hier bin id.

Chevalier (öffnet und Tief). „Lieber Freund, ich bin in Verzweiflung!“

Jobſt. Hübfcher Briefanfang! Muß man fich merfen.

Chevalier (tritt nun weg von ihm und lieſt Teife). „Mein Vater Ihreibt, Coufine Friederife, die er mit einen Auftrag für mich nach Kleve an den Onkel geſchickt, Hat fich dort gar nicht gezeigt. Er erhielt nur ein aus Kleve datiertes Billet von ihr, fie Habe einen luſtigen Streich vor und werde bald zurücfehren. Seitdem iſt fie verfchollen. Sie habe hochwichtige Depejhen für mid. Sch foll raten, helfen. Ich aber bin ganz verzweifelt. Ich eile von hier hinweg, jie zu juchen, bis ans Ende der Welt, denn ich liebe jie immer noch, die Herzlofe. Hilf, rate! Dein Fritz.“ Und fie? Sie liebt ihn fo unendlich, daß fie dies furchtbare Wagnis für ihn übernahm. Su meiner Hand liegt es jebt, die Getäufchten zufammen- zuführen oder auch fie zu trennen, vielleicht für immer. Was joll ich thun? (nad) kurzem Kamph Pfui, Bayard, diefer

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Zweifel war nicht franzöfiich: das heißt nicht ritterlich. Die Ehre gebeut! Sch jelbjt gebe ihr diejes Liebesgeftändnis (ven Brief in die Höhe haltend) aber erſt im rechten Augen- biif! Bor allem: Frankreich: dann erit alles andre auch die Freundfchaft! (ſeckt den Brief in die Taſche). (Sant) Cage deinem Herrn, in einer halben Stunde bin ich bei ihm: er habe morgen Aupdienz beim König. Sa, ja: ftaune dich nur nicht zu Tode.

Jobſt Geendig). Hurrah, dann geht’3 bald nach Haufe! In die deipe Grefte und zur Anne Marie! (ab tints Hinten.)

Chevalier (wendet fich gegen den Hintergrund). Ah, lieh da: Die Ihöne Tante an der Arbeit: das Schlaggarn ift gefpannt: die ſüße Lockſpeiſe gejtreut: aber es ift ein alter, kluger Bogel: ich bezweifle, ob er einjpringt. (Ab nad) Links Hinten: Kleine Baufe, gleich darauf Miarquife und Herzog von

rechts Hinten aus dem Ballfaal.)

Achter Auftritt, DMarguife Herzog.

Marquife. Gut, Herr Herzog! Ich will an die Auf- richtigfeit Ihrer Schwüre glauben: und als erites Zeichen meiner Gunjt das erbetene Rendezvous ge- währen.

Herzog. O Athenais, Sie beraufchen mich! Aber doch morgen fhon? Hier in Ihrem Palais!

Margquife. Nicht doch! Nicht in Paris! Nicht in meinem Haufe! Wo jo viele Augen auf mich, auf Sie gerichtet find.

Herzog. Wohl denn, in DVerfailles!

Margquife. Wo denken Sie Hin? Dort, wo alle Wände Ohren haben ?

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Herzog lungedurig). Aber wo denn fonft?

Marquiſe. Es trifft ſich gut, daß ich morgen in einem meiner Schlöffer dem entlaſſenen Intendanten die Nech- nungen abzunehmen, feinen Nachfolger einzuweifen Habe.

Herzog. In welchem Schloß?

Marquife. Schloß Solitude.

Herzog (macht eine komiſche Bewegung des Schauder3, raſch einfallend). Alle Wetter! Das ift weit! Mitten im Wald von Vontainebleau: im Dezember bei dem Schnee bei der Rälte!

Marquiſe Gpöttiih, aber liebenswürdig). Herr Herzog: ich gehe Hin fürchten Sie die Kälte?

Herzog (Geurig). Nur die Ihrige! Nicht die des Nord- pols, wenn e3 gilt, dort Ihre Gunſt zu finden.

Margquife. Alfo morgen ?

Herzog. Auf Schloß Solitude!

(Beide Arm in Arm ab nad) links Hin.)

Neunter Auftritt, Friederike. Blandhemain (von rechts hinten aus dem Ballſaal).

Dlanhemain. Aber jagen Sie nur, Sie unheimlicher Menſch Sie, mit Ihrem alles ducchdringenden Scharffinn: wie haben Sie das herausgebracht ?

Friederike. Das große Geheimnis, daß Sie Ihren Better lieben? Ja, das war freilich eine Niefenaufgabe, das zu ergründen!

Blanchemain. Sch Hab’ e3 wohl oft genug gejagt: aber doh nur im Scherz.

Friederike. Jawohl: im Scherz war e3 gejagt, im Ernjt war es gemeint! (wirft ſich vn die Bruſt, weift auf ſich Liebe Kleine, wir Lieutenants verjtehen ung auf die Amouren. Sit unfer Metier!

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Blandemain. Nun, wenn Sie denn folhen Scharfblid haben und folch dämoniſche Ubung: haben Sie an meinem Vetter noch nicht bemerkt, ob auch er... —?

Friederike. Sie meinen, ob er Sie liebt?

Blanhemain. Wieder erraten!

Friederike. Mein Rind, ja: er liebt Sie.

Blandhemain. D Gott fei Dant!

Friederike. Über...

Blandhemain. Ah, ein Aber ift dabei?

Stiederike. Aber er weiß es nicht!

Blanchemain (tomifc entrüfter). Wie einfältig! wie kann er, fonjt jo Hug, in feinen eignen wichtigjten Angelegenheiten jo unmifjend fein!

Stiederike. Geduld, ich werde e3 ihm Mar machen.

Blandyemain. Sie wollten? D wie gut Sie find! Ganz far?

Stiederike. Ja: fo fehr, daß er alsbald feierlich um Ihre Hand anhalten wird.

Blanchemain. O Dank! Dann werden Sie mein Brauts führer.

Friederike (unbefangen, ruhig). Brautjungfer, wollen Sie fagen.

Blandhemain. Aber Herr Lieutenant!

Stiederike. Ach jo, Pardon!

(Beide wenden fid) zum Abgehen nad Hinten, werden aber fefigehalten von dem Eintretenden).

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Zehnter Auftritt. Borige. Marguife und Chevalier aus dem Ballfaal. Später Herzog und Maillac. Marquiſe. Halt! Bleiben Sie! Chevalier. Die Zeit drängt. Marquiſe. Alles ift fertig an der Ber: ſchwörung. Chevalier. Der Herzog wird morgen Ver-— lebhaft, raſch failles und den König nicht beivachen. nad)» Marquife. Er wird ziemlich weit weg fein. Chevalier. Und frieren.

Marquiſe. Ja, etivas Abkühlung kann ihm nicht jchaden. Friederike. Wie haben Sie das fertig gebracht?

Marquiſe. Mein Geheimnis!

Blandhemain. Mama, das Nezept mußt du mich lehren.

Marquiſe. Später vielleiht: e3 eilt wohl nicht. Aber um feinen Preis war er dahin zu bringen, Ihnen oder dem Freiheren Audienz zu verichaffen. So mußte ich denn zurüdgreifen auf ein ſchon früher bedachtes Mittel: das einzige, das zum Ziele führt... Sie, Herr Lieutenant, müfjen ein Opfer bringen ein großes ein furchtbares ich weiß ed. Ach, ich wage gar nicht, es Ihnen felbft zu jagen: Bayard, teile du es dem Kavalier mit.

Chevalier (zu ihr tretend, fie flüftert ihm ins Ohr). Bin wirklich neugierig!

Stiederike. Was werd’ ich hören?

Blanhemain. Was mag es fein?

Chevalier (aut auflahend, von ihr weg tretend). Hahaha! Nun, das glaub’ ih, kann geichehn ohne allzugroße Anitren- gung. Herr Kamerad, Sie müfjen ſich als Mädchen verffeiden.

(freudig,

einanber)

| Gugleich)

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Friederike (für fin). Wenn's weiter nichts it. Aber wartet, ihre Franzoſen! Ihr Habt mir feit geftern oft genug heiß gemacht, jetzt jollt ihr eine Weile zappeln! (laut) Was fällt Ihnen ein. Niemals!

Marquiſe. Ich Hab’ es wohl gefürchtet.

Friederike. Welches Anfinnen! Ein Mann, der den Rock des Königs von Preußen trägt, was verlangen Sie bon dem, zu thun! (geht Eomifch entrüftet auf und nieder)

Blandhemain. Nun, was er alle Abend thut, ihn auszuziehen.

Chevalier. Und dafür einen andern anzuziehen, der Shnen, follte ich meinen...

Blanchemain. BVortrefflih zu Gefiht und Gtatur jtehen muß.

Stiederike. Mein Fräulein feine Beleidigung! Sie jind eine Dame! Sonſt —! (greift an den Degen)

Chevalier (ür fi). Sehe mal einer die Komödiantin! Nun warte!

Marquiſe. Mein Gott, meine Tochter wollte Sie gewiß nicht beleidigen! Das iſt es ja gerade, was mich zuerjt auf den Gedanken brachte. Sie haben nun einmal etiwas jo jo Mädchenhaftes.

Friederike (ftampft mit dem Fuße: beide Damen fahren erfchroden zur Seite). Himmel-Donnerwetter-Kreuzjchod-Schwerenot noch einmal! Hübjches Kompliment für einen deutjchen Reiter— offizier!

SMarquife. Sie weigern jich, wo es das Heil Preußens wie Frankreichs gilt?

Stiederike. Eine Unmännlichfeit? Mir rein unmöglich!

Marquiſe. Nun denn: jo iſt alles umſonſt! Alles verloren! Der Freiherr reift ab, ohne den König gejehen zu haben, und der Krieg bricht aus! Alles Blut auf Ihr Haupt.

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Friederike (Für fi). O Himmel! Sch ging zu weit.

Blandemain. Aber Bayard, ich begreife dich nicht, ftehjt jtumm dabei, Hilfit uns gar nicht. So rede ihm doch zu dem jtarrjinnigen Krieger.

Stiederike. Je nun, es wäre...

Chevalier. Nein, junger Held, bleiben Sie feſt. Sch ihwieg, weil ich Ihre Weigerung begreife, billige.

SMarquife. Was iſt daS? Was fällt dir bei?

Blandemain. Aber Bayard! |

Friederike. Verflucht! Feſtgefahren!

Chevalier. Bleiben Sie bei Ihrem erſten Entſchluß: er war der richtige. Keine Schwäche! Ein Mann ein Wort!

Friederike (ür ſich. Ach was Mann! Der Teufel Hole meine Männlichkeit.

Chevalier. Sch gehe zu Fri. Er foll heut’ Nacht noch reifen. (Wendet fi zum Gehen.)

Stiederike. Nein! Bleiben Sie! Ich thu's ja! (äuft ihm nad) So bleiben Sie doch! Was thut man nicht für Europa!

Margquife. Braver junger Mann! (reicht ihr die Hand)

Blanchemain (erührt). Wie edel!

Chevalier. a, e3 ijt wirklich rührend! Dieſe Selbit- verleugnung.

Marquiſe Ceiftig). Sch leihe Ihnen meine Kleider!

Dlandhemain (raſch. Nein, ich die meinen! Gie müſſen Ihnen ausgezeichnet jtehen.

Chevalier. Und ih ich helfe Ihnen natürlich beim Anfleiden.

Friederike (fährt entjegt zurüd). kein Herr, was fällt Shnen ein?

(fehr raſch hintereinander)

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SMarquife. Ganz recht! was verfteht ein Mann von Damentoilette! Ich bejorge das.

Blandhemain. Und ich helfe dazu (ale drei dringen auf fie ein).

Friederike (entweichend, beide Hände abwehrend ausſtreckend). Nein nein nein! Um keinen Preis! Sie nicht (u den Damen) und noch viel weniger Gum Chevalier) Sie.

SMarquife. Aber wer foll jonjt?

Stiederike. Nun natürlich mein Stuben (korrigiert fid) wollte jagen mein Burjche.

Marquiſe. Was? ein Hufarenunteroffizier!

Blandemain. Ganz unmöglich!

Stiederike. Mein Hans hat jchneidern gelernt.

Chevalier. Damenjchneiderei ?

Friederike. Nun natürlich! Gür fh) Ach fo!

SMarquife. Gut! So ift die Toilettenfrage gelöft.

Stiederike. Aber welche Dame foll ich vorjtellen ?

Marquiſe. Ein deutjches Freifräulein.

Stiederike. Das kann ich leisten!

Marquiſe. Welches dichtet.

Friederike (ebhaft). Das kann ich nicht Leiten!

Margquife. Aber es muß fein.

Stiederike. Ja: dichten auf Kommando, wie erer- zieren, das ift fogar in Botsdam noch nicht eingeführt.

Marquiſe. Es muß fein, jag’ ich.

Chevalier. Der König lieſt feine Proſa.

Marguife. Sie müjjen den Brief Ihres Königs mit dem Vertrag von Wu ? wie heißt das Ungetüm von einem Wort?

Chevalier (ganz ernfthaft Forrigierend). Wurſtelhauſen.

Marquiſe. Unter Berfen in die Hand des Königs fpielen.

Chevalier. Wie Ariftogeiton den Dolch unter Morten barg.

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Marquiſe. Hier der vom Herzog unterjchriebene Paſſier— fhein für ein deutjches Edelfräulein, eine Dichterin, die für den König ſchwärmt und ihm Gedichte zu feinem Rob überreichen will.

Stiederike. Und wie heißt die Dame, welche ich vor: ſtellen ſoll?

Marquiſe. Ja, Bayard, in dieſem Punkte muß mir dein Freund Fritz etwas verzeihen. Als mich der Herzog nun plötzlich um den Namen fragte, fiel mir kein andrer ein a3...

Stiederike, Chevalier und Dlandemain (zuſammen). Nun? Als?

Marquiſe. Als der einzige mir im Augenblick ge läufige, von dem du (um Chevalier) mir ſoviel vorgejchwärmt: Friederike von Friefen.

Chevalier. Das ijt ausgezeichnet!

Blandhemain. Ah, des Freiheren Coufine, auf die ich jo eiferfüchtig bin!

Marquiſe. Werden Sie jich auch den Namen merken fünnen?

Blandemain. Ja, werden Sie ihn behalten ?

Friederike (achelnd für ſich. Hoffentlich nicht fürs Leben. (laut) Wie war es doch?

Marquiſe und Blandhemain Guſammen auf fie eindringend, vorbuchftabierend). Arie = de = rife von Friefen.

Friederike (urüdweigend). Danfe, danfe, werd’ es nicht vergejjen. Aber woher die Berje nehmen? Dichten kann ic) fo wenig wie, nun tie vielleicht jene Friede rike jelbit.

Blandemain. Ja, woher die Verje?

Marquiſe (von einem Gedanken durchblitzt). Halt! ich hab’ e3. Die Berje Tiefere ih!

Chevalier. Du, Tante? ich wußte nicht ...

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Marquife. Ja, Bayard, nicht einmal du weißt alles. (zu Sriederite) Vergeſſen Sie nicht den Brief Shres Königs und den Vertrag, Dann ijt alles geordnet: ich fchaffe den Herzog fort und liefere die Verſe.

(Bei diefen Worten erfcheint ver Herzog im Hintergrund, entdedt die zufammen flüfternde Gruppe und tritt mit einer Gebärde des Argwohns leichte Erhebung der rechten Hand Hinter die fpanifche Wand.)

Chevalier. Sch beziehe die Schloßwache und fchüße Sie gegen Maillac —: ja ich thue vielleicht noch) mehr.

Marquife. Was?

Chevalier. Sa, das ift nun wieder mein Geheimnis!

Marquiſe. Sch aber eile, fobald meine Aufgabe im Wald von FTontainebleau gelöjt, auf das Hauptjchlachtfeld, in das Palais zu Berjailles, jofort von Dir Gum Chevalier) Sieg oder Niederlage zu erfahren.

Stiederike. Und ich bringe das große Opfer, und ziehe einen Unterrod an!

(Vorhang fällt raſch.)

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IV. Aufzug.

Saal im Palajt zu Verjailles: brennende Lichter auf den Tiſchen und ein brennender Kronleuchter: im Hintergrund eine Doppelthür, die, wenn geöffnet, den Blick auf einen Korridor zeigt: recht3 vorn eine Thür, die in das Kabinett des Königs führt: weiter hinten rechts ein Fenster: linf3 zwei jichtbare Thüren (Nr. I weiter vorn und Nr. II weiter Hinten) und eine zunächſt unfichtbare Tapetenthür.

Erfter Auftritt.

Shevalier, aus Thüre Wr. I, führt mit gezogenem Degen die Wade auf: ſechs Mann franzöftiche Garden: der legte ift Friedrich, in gleidier Uniform: fie marjchieren ſchräg durd die Bühne bis an die Mittelthür.

Chevalier (tommandiert). Halt! SHellebarde bei Fuß! (er öffnet die Thür: eine Wade gleicher Uniform, die Hellebarde geſchultert, fieht man auf dem Korridor recht3 Hinten auf und ab gehen) Fünf Mann rechts ihwenkt ab! Vorwärts marjch! (vie fünf eriten Soldaten marfchieren ab, Chevalier jchließt die Thür: zu Friedrich, der nun Kehrt macht:) Du haft alles begriffen ?

Friedrich. Alles! Zumal daß du Unglaubliches wagft.

Chevalier. Es gilt Sranfreih! Entweder unſer Plan gelingt und der Herzog wird gejtürzt: oder er bleibt und richtet Franfreih zu Grunde: dann mag Bayard de Briangon mit untergehen.

Friedrich. Fit aber unnötig. Der Herr von Franken, den ich merfwürdigerweije immer noch nicht gejehen habe...

Chevalier (für ih). Dafür war gejorgt!

Friedrich. Kann ja dem König alles jagen, was er wiſſen muß.

Dahn, Sämtl. poetifhe Werke. Erſte Serie Bd. VI. 27

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Chevalier. Diejer Lieutenant hat die Selbiterfenntnis, zu jagen, er verjtehe nichts von Wolitif und der brave junge Mann will nun einmal dir das Verdienft Iaffen. Du erjcheinft alfo erjt, wenn er, nachdem der König gelejen hat, diefe Thür öffnet und dich Herbeiruft. Bis dahin bfeibjt du Dort auf deinem Poiten.

Friedrich (die Hellebarde aufftoßend). Wie angewurzelt.

Chevalier. Höre! Noch eins das Geſpräch, in welchem der König vielleicht jehr galant wird, das hörft du nicht, verſtehſt du? Achte nicht darauf, horche nicht etwa.

Friedrich Grummig). Nicht meine Art! Bin nicht neugierig.

Chevalier (für fi). Seine Eiferfucht würde alles ver- derben.

Friedrich. Uber auf eins bin ich Doch neugierig.

Chevalier. Auf was?

Friedrich. Wie fich dieſer Hufarenlieutenant in Mädchen- fleivern ausnehmen wird.

Chevalier: Nicht übel, glaub’ ich: er wird dir gefallen. Alſo (er öffnet die Thür) ſchultert die Hellebarde! Linfsum fehrt! marſch! Gu dem Soldaten) Ablöſung!

Soldat (fällt die Hellebarde). Parole?

Chevalier. Frankreich und Friede! (Soldat ab nad) Links: Friedrich tritt an feine Stelle: man fieht ihn mit der gejchulterten Hellebarde auf und nieber gehen: Chevalier ſchließt nun forgfältig die Mittelthür) Jetzt zu ihr! (öffnet die Thür Nr. IL, für ſih) Ha! was ift dag! Wie Hat fie fich verwandelt! Dieſe reizende Toilette! Nur, damit ich fie, das einfache Kind von Kleve, nicht erfennen ſoll! (er führt nun Friederike in Damenkleidern heraus) Nun Courage, Herr Lieutenant! Ich gratuliere: Sie ſehen entzückend aus, mein Fräulein!

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Stiederike (gang anders ausjehend als im erften Aufzug: dort einfachſtes Hauskleid, ungepudert: Hier reichſte Zoilette, gepudert, ſchwarz gemalte Augen.

brauen, Schönheitspfläfterhen; komiſch unwillig). Sch bitte Sie ums Himmels willen, machen Sie mich nicht völlig fonfus! Bald „Herr Lieutenant” und bald „mein Fräulein”! Sch weiß ohnehin nicht mehr, bin ich ein Hufar oder bin ich ein Frauenzimmer: ich zittere am ganzen Leibe.

Chevalier. Aber, Herr Kamerad, ein deutjcher Reiters- mann und zittern!

Friederike. Über den breiteften Graben will ich fegen, ohne Herzklopfen: aber vor einem jungen König ftehen! Er fol ſehr jehr mie jagt man doh? nun jehr galant fein. Wenn er nun zärtlich wird? zus dringlich ?

Chevalier. Aber was kann denn das Shnen jchaden, Herr Lieutenant? Sie müſſen ji für Preußen ſchon ein bißchen was gefallen laſſen —: zum Beifpiel ein Küßchen.

Friederike (fährt empört auf). Was fällt Ihnen ein? Ein deutjches Freifräulein!

Chevalier (applaudier). Ausgezeichnet jpielen Sie Ihre Nolle! Griederike erihriet) Aber übertreiben Sie auch nicht die Mädchenhaftigfeit! Bedenken Sie: Sie ertragen den Kuß für Fritz.

Ftiederike. So? Wenn der es wüßte! Aber wo itedt er denn?

Chevalier (auf die Ihüre deutend). Da draußen.

Friederike. Zu ihm! (Ereht ſich fofort auf dem Abſatz um und will hinauslaufen: fie hat jhon die Hand an der Thüre: mit Mühe fängt fie der Chevalier und zieht die Widerftrebende nad) vorn).

Chevalier. Halt da! Hier geblieben, Unglüdsfind! (tritt von ihr weg, für fi) Er würde dieſes tete-A-töte niemals dulden. (aut) Sie rufen ihn erjt, wenn der König den Brief halb gelejen Hat.

27%

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Friederike (ängittih). Ach ich möchte ihn Doch Tieber gleich bon Anfang hier haben —: (für fig) von wegen der fünig- fichen Zärtlichkeiten (wendet ſich wieder zur Mittelthür).

Chevalier Geftig). Ordre parieren, Herr Lieutenant! Iſt das deutſche Disziplin? Es muß ein täte-A-tete fein: jonft hört Sie der König gar nicht an. Alfo: auf gepaßt! Haben Sie die Verſe?

Friederike (auf eine Taſche fhlagend). Hier!

Chevalier. Haben Sie Ihres Königs Brief.

Friederike (auf die Bruft deutend). Hier! (für fi) Aber da (auf die andere Taſche klopfend) hab’ ich noch was für Frig: den Brief der falſchen Eoufine: der fol ihm, ftatt meiner Worte, gleich alles erklären.

Chevalier. Rommen Gie! (giebt ihr den Arm) In jenem Vorzimmer warten Sie, bis der König Sie rufen läßt.

Friederike. D wie pocht mir das Herz! (Er führt fie in die Thüre Nr. II und geht dann feibft, nachdem er an der Thitre des königlichen

Kabinetts leiſe gehorcht, mit einer Gebärde der Befriedigung über feine gelungenen Anschläge, durd die Deittelthür ab.)

Zweiter Auftritt. Kleine Paufe darauf öffnet Maillac fehr behutſam die Tapetenthür, ſtreckt vorfihtig den Kopf hervor und tritt erft heraus, als er fich überzeugt bat, daß alles leer ift: dann zieht er den Sclüffel ab und fchlieft die Tapetenthür wieder zu.

Maillac. Erſt bei feiner Abfahrt vertraute mir der Herzog das Geheimnis diejer Thür. Er hat die drei zufammen flüftern jehen gejtern Abend: er jchöpfte Ver— dat. Die Margquife ift wirklich abgereift: eilfertig folgte ihr der Herzog. Er wollte das Stelldichein nicht verijäumen und Doch Hier alles überwachen durch mid. Und er hat Relaispferde gelegt von hier bis Schloß Solitude. Ah, ich wollte, er wäre zurüd!

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Er band mir auf die Seele, um jeder Intrigue zuborzus fommen, durch diefe Thür überrafchende Refognoscierungen des Terraind vorzunehmen, zumal den deutichen Freiheren vom König fernzuhalten —. Wie ich ihn haſſe, Ddiejen brutalen Bären: ſeit Wochen jchwebt unfer Duell! Er hat nur leider noch vier andere auszufechten, ehe ich an die Reihe fomme: ah, ich freue mich darauf, ihm ein paar Zoll bretonijches Eifen in die Rippen zu jtechen. (Baufe, geht an die Thüre des Königs rechts, horcht) Alles ſtill alles in Ordnung. (geht an die Thür Nr. m) Hier muß die deutſche Poetin ſtecken: (haut durchs Schlüſſelloch richtig, da iſt fie dreht mir den Rüden zu hm, hübjcher Wuchs! gest an die Thür Nr. I, öffne) Hier niemand veritedt? Nein, alles feer (geht nad vorm) und für den Korridor bürgt ja Die Schildwache. So kann ich ruhig wieder verjchwinden (wendet fich gegen die Tapetenthür, ſteckt den Schlüfjel an: plötzlich zieht er ihn wieder ab, wendet fi). Das heißt man joll niemals trauen! (geht gegen die Mittelthür, Öffnet und ruft, ohne hinauszufehen) Heda Poſten , hierher! (geht wieder nad) vorn, ohne ihn angefehen zu haben) Ram niemand vorüber ? Friedrich (tritt, die Hellebarde geſchultert, über die Schwelle herein, präfentiert die Hellebarde, für ſich. Alle Teufel, Maillae! Maillac (dreht ihm erft jet das Geſicht zu, ſchreit auf, die Hand am Degen). Ah ga! Ventre saint gris! Was iſt da3! Der Deutiche! In der Uniform der Garden! Welche Schurferei! Friedrich (wütend, ſtellt die Helebarde an die Thür, zieht). Herr Oberſt! Das fordert Blut! Sie find zwar erjt Nr. 5: aber diefe neue Beihimpfung! Kommen Sie! Sofort hinab in den Schloßgarten! Es ijt der jhönfte Mondichein! Maillac. Daß ich ein Narr wäre! Ich rufe die Wache und laſſe Sie krumm jchließen (mil nad) Hinten ab, Friedrich vertritt ihm den Weg mit gezüdtem Degen).

Friedrih. Halt, mein Herr! Nicht von der Stelle!

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Sit das die Art, wie ein franzöfiicher Edelmann feine Zweikämpfe vermeidet? Feigling!

Maillac (wütend). Tod und Teufel! Kommen Sie in den Schloßgarten! Aber verlafjen Sie ſich darauf, bleiben Sie am Leben, werden Sie erjt recht eingefperrt.

(Beide ftürmifh durch die Mittelthür ab, Heine Pauje.)

Dritter Auftritt. König (von redhts).

König. Bald muß die Stunde fchlagen! Sch kann faum die Zeit erwarten. Wie freue ich mich auf Dies Heine Abenteuer! Doch endlich einmal eine heitere Er- vegung! Sonst: immer nur die Bücher leſen, die mir Biſchof Fleury ſchickt. Oder zur Abwechslung, zu einer jungen Dame gehen, welche viele Vorzüge hat, jehr viele: aber eine Eigenjchaft, Die alles verdirbt —: daß jie nämlich meine Frau iſt. Lieber Gott! wenn ich zu Madame gehe, treten alle Wachen an und präjentieren die Gewehre; unter Waffenklirren erfährt es ganz Ber: failles, wenn ich einmal eine zärtlihe Regung habe. Und fo gehe ich denn feierlich zu ihr: über die langen Korri- dore: die Hofherren bilden Spalier zu meiner Liebe und meine Zeidenjchaft marjchiert ans Ziel, ganz öffentlich, vor allen Leuten, in großer Prozejjion, wie man zum Tedeum nad Notre-Dame zieht. Mich wundert nur, daß fie nicht mit Kanonen dazu jchiegen! Da ijt fein Reiz der Gefahr, der Heimlichfeit, der Aufregung nun ja: meinetiwegen: des PVerbotenen: Das ift auf die Dauer ſehr jehr monoton. Und meine gute Königin: nun ja, fie ift ja vecht hübſch, ich will feldft jagen jhön, aber —: fie ift gar fo fromm! Wenn ihr jchmweigfamer Mund fich

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einmal zum Neden öffnet, merfe ich gleih: aha, Biſchof Fleury hat ihr dasjelbe Buch gejchiet wie mir und jte iſt mir noch um eine Seite nad. Ach, und jelbjt im ihre Liebfojungen hält fie für nötig, einige Erbaulichfeit mit einfließen zu lajjen: bevor ich ſie füljen darf, jchlägt fi das Kreuz über mich und über jich jelbjt! Und jie: fie füßt mich nie: ich glaube fie fann gar nicht lieben vor lauter Frömmigkeit! Sie läßt ji nur Lieben, aus Ehrfurcht vor dem heiligen Saframent der Che, auf Befehl ihres Beichtvaters und aus Gehorjam gegen das Oberhaupt diejer alten Monarchie. (Baufe, geht gelangweilt auf und nieder.) Ach wie langweilig und wie furdhtbar mühſam ijt es doch, König von Frankreich zu fein! Noch jo jung und jchon eine Majejtät! Und noch dazu eine aller: chriſtlichſte! Wie glüdlich preije ich doch meine Bagen! Sie dürfen tolle Streihe machen —: (tritt ans Fenſter rechts) da werfen fie im Hof Schneeballen im Mondichein, Die Beneidenswerten! An meinem nächjten Geburtstag möchte ich ein Freudenfeuer anzünden aus jämtlichen Akten meiner ſämtlichen Minijterien. Und wenn es am luſtigſten loderte —, dann (fieht ſich ängitlih um, dann vergnügt lachend) dann möcht’ ich den Herzog von Bourbon hineinwerfen! Samt feinem unvermeidlihen Maillac, dem Spürhund, der mid) Tag und Nacht umlauert. (Steine Pauſe) Das waren doch frohere Beiten, da ich den Chevalier de Briangon no um mid) hatte, Ddiejen liebenswürdigen Kavalier! Unausjtehlich it mir mein Minijter! Er jagt mir ſtets voraus nicht was ich thun ſoll das wagt er nicht —! Aber er jagt mir ins Gefiht, was ich will, was ih wünjde. Und bevor id) ihm erwidern kann, er habe fich jehr geirrt hat er meinen „Wunſch“ jchon ausgeführt! Wenn ich ihn auf gute Art los werden fünnte (die Uhr in feinem Kabinett ſchlägt acht: er zählt aufmerkfjam, leiſe die Schläge mit) Ad, end»

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fih! Genug der Politik es ſchlug die Stunde der Poeſie, des Abenteuers —. Kine deutjche Baronefje, die mich in zärtlichen Berjen bejingt, nicht den König —: den Mann! Das ift noch nicht dageweſen! Das ift pifant! (Er klingelt: aus feinem Kabinett tritt ein Diener ein) Führen Sie das Fräulein herein. Und dann dann gehen Sie!

Vierter Auftritt.

König. Friederike.

König. Ah, wie reizend!

Stiederike (mit tiefer Verbeugung). Majeftät! (ür fin) Sch möchte in den Erdboden verjinfen!

König. Baroneſſe, ich bin Hhocherfreut Sie zu jehen: ich habe vernommen von Ihrem poetischen Talent: aber Sie bedürfen nicht der Worte, um zu begeijtern, zu ent- züden.

Friederike (für fih, komiſch erfchroden). Fängt ſchon an! (aut) Majeſtät: ich bin noch nie vor einem gekrönten Haupt geſtanden.

König. Haben Sie noch nie in den Spiegel geblickt? Tragen Sie doch ſelbſt eine Krone: die Zauberkrone der Schönheit.

Friederike (greift ängſtlich nach der Taſche, in der fie die Verſe trägt). SH kann mich nur ſchlecht ausdrüden in Profa.

König. Es ift Ihnen ſogar unmöglich).

Friederike (für ſich. Nun: ftumm bin ic) doch nicht geboren!

König. Denn, wenn Sie die Lippen Öffnen, wird Ihre PBroja: Poeſie.

Friederike. Darf ih nicht die Verfe... ?

König. Eilt das jo, jchöne Sappho? Laſſen Sie

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mich doc erjt das überrafchte Auge fättigen, bevor ich Ihren Geijt bewundere. (Tritt ige nahe) Mein Kind Sie zittern ja! (Zritt wieder hinweg, für ih) Beinahe zittre ich jelbit, vor Aufregung! Sit e3 doch mein erjtes Rendezvous, aber ihre Furcht macht mir Mut. Vorwärts zur Attade, Entel des großen Ludwig (and Fürchten Sie ſich bor mir?

Friederike (für fi). Schäme did, Fritze! Es ift ja noch ein halber Junge. (Sieht ihn groß an, ganz ruhig) Nein, Majejtät!

König. Verwegene!

Friederike (Heitig erihroden zufammenfahrend). Herr Gott! Hab’ ich jest eine Majejtätsbeleidigung begangen ?

König. Nicht doch: aber Sie ahnen die Gefahr nicht, in der Sie jchweben.

Friederike (für ih). Er wird mich doch nit auch in die Baftille ſchicken wollen?

König. Sie fennen den Neiz nicht, den Zauber, der jeden Mann Ihnen zu Füßen werfen muß. (Ergreift die Hand der Widerjtrebenden) Nein! Laſſen Sie mir dieje Eleine, weiße Hand. An diejem Hofe galt die Sitte, daß auch die Damen die Hand des Königs Füfjen.

Friederike (erihroden). Sire! Ich habe das nicht ge- wußt! Gemiß nicht! ich eile...

König. Nicht doh! Sch Habe dieje unritterliche Sitte abgefchafft, und von heute an Ffehre ich fie um das heißt: mit Auswahl, (tüst ihr die eine Hand): aber ohne Schranke (tüst ihr die zweite Hand).

Friederike (ich losmachend, für fi). Jetzt können nur noch die Verſe helfen! Ceißt fie aus der Taſche, ſchlägt fie auf und fängt fofort zu lejen an).

„D du, der du die Krone Franfreihs trägit . . ."

König. Mein Gott, das weiß ich jchon mehrere Kahre!

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Lafjen Sie doch jet die Krone! Und die Berfe überhaupt: Sie fünnen mir's ja fcehriftlich geben. (Ihr galant näher tretend) ch ziehe mündlichen Verkehr vor mit dieſem roten Munde.

Friederike (entweihend, lieſt eifrig).

„D du, der du die Krone Frankreichs trägft . . ." König. Unnötige Wiederholung! Sch vergefje das nicht! Friederike (fortfahrend).

„And herrfcheft von den Pyrenä'n zum Rhein . . .“ König (abwinkend). Baroneſſe: ich kenne die franzöſiſche

Geographie. Stiederike.

„Dein ift dies Land: doch viel ergeb’ner dein... —" Glötzlich Heftig erſchrocken, in das Gedicht blickend Huf Himmel! ich habe die Verſe nicht vorher gelejen! was lafjen fie mich da für unpafjendes Zeug reden!

König. Ah nun kommt es beſſer als Staatsrecht und Landeskunde. Friederike (wiederholend). „— doch viel ergeb'ner dein

Dies Herz, das bis zum Grunde du bewegſt.“

König. Das laß ich mir gefallen nur weiter! Friederike.

„Doch, was die ſcheue Lippe div verſchweigt, . . —“ König (laut applaudierend). Bravo, Bravo, fortfahren! Friederike (heftig ausbrechend). Nein, nein! Ich Fann nicht,

ich will nicht! König (entreißt ihr die Verſe und lieſt).

„Mag dir der Flammenblick des Auges ſagen!

Oft, wenn dein Haupt im Kuß ſich zu mir neigt... —“ Ciberrafht) Ha, was ift das? Wie paßt das auf Sie?

Stiederike. D weh!

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König.

„Kann ich des Glückes Fülle kaum ertragen.“

Mademoiſelle, dieſe Verſe ſind nicht von Ihnen! Aber laß doch ſehen (Gieſt weiter).

„Wenn ich verſtumme, wähnſt du oft mich kalt:

O glaub' es nicht! Es ſteht mein Herz in Flammen:

Doch fürcht' ich dieſe neue Glut-Gewalt

Und ſchamhaft falt' ich fie in mir zuſammen.“ Vermeſſene, (ehr Heitig) Sie täufchten mich! Gejtehen Sie, (dronend) bei meinem Zorn! (die Rechte exrhebend).

Stiederike (cuhig und mutig). Sire, es bedarf der Drohung nicht, die ich nicht fürchte.

König (Heftig auf fie zutretend). Von wem find dieje Verſe?

Friederike (mit tiefer Verbeugung). Bon Ihrer Majeftät der Königin Maria von Franfreih!

König (überraiht, entwaffnet). Ah wirklich! Das ift ja entzüdend, beraufchend! Bon ihr! Von Maria, die ich für jo fühllos gehalten! qür fig) Die ich ſoeben verraten wollte in Gedanken bereit verraten Hatte. (aut) D wie beglüdend! Um diefer Freude willen fünnte ich Ihnen fajt vergeben das jehr kühne Spiel, das Sie mit dem König gewagt. Sie fommen alſo von ihr, al3 ihre Liebesbotin ?

Friederike. Nur mittelbar. Die Königin wagte nicht, Ihnen die Verſe mitzuteilen, aber fie vertraute ſie einer Freundin...

König (einfallen). Der Marquije von Brianeon! Wie dan? ich ihr für Ddieje liebenswürdige Indiskretion. Aber weshalb gab mir die Marquiſe nicht ſelbſt. . . —?

Friederike (für ih). Jetzt gilt’3. (aut) Sire, weil ich eine Bitte an Sie habe.

König Eine Bitte? Jede it gewährt.

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Stiederike (zieht den Brief aus dem Bufen). Leſen Sie diejen Brief.

König (nimmt und erbrict ihn). Bon Ahnen ?

Friederike (cas). Leſen Sie nur, lefen Sie!

König. Was jehe ih vom König von Preußen!

Friederike (für ig. Seht, mein Fri, zu Hilfe! Eilt an die Mittelthür, Taut rufend) Herbei, Herr Kamerad! (Sie reißt die ee auf: auf der Schwelle fieht, die Arme über der Bruft verfchräntt,

Fünfter Auftritt, Borige. Herzog —: bald darauf Chevalier.

Herzog (ruhig auf der Schwelle ftehen bleibend). Ihr Herr Ka— merad ſitzt hinter Schloß und Riegel.

Friederike (fährt entſetzt zurüd). O Himmel, der Herzog!

König (ſieht vom Brief auf, wendet ſich, erblickt den Herzog, ſehr un. willig). Der Minifter! Sehr ungelegen! Wie immer! Und was leje ich hier? (Btidt wieder in den Brief.)

Herzog (ehr boshaft zu Friederike). Verzeihung, jtöre ich vielleicht ?

König Geftighy. Sa: Sie jtören.

Herzog (ortfahrend). Aber dies galante tete-a-tete...

König (Heftig. für fi). Der Freche! Sch werde ihm den König von Frankreich zeigen der Zorn giebt mir Mut. (aut) Sie irren, Herr Herzog, dies Fräulein...

Herzog (pöttiih). Ah, Fräulein!

König. Hüten Sie fi, diefe Dame zu beleidigen!

Herzog (wie oben). Dieſe Dame!

König. Diefe Edeldame reift nicht in galanten Abenteuern: fie reift in Politik. (Drohend den Brief empor. Haltend) Sie gab mir ein Schriftſtück, Herr Minifter, das ſehr merfwürdig.

Herzog. Wer?

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König. Dies wadere junge Mädchen.

Herzog (iegt erft vortretend). Sire, ih kann Sie nicht mehr Ihonen! Sie find das Opfer eines frechen Betrugs. Nicht eine Dame jteht vor Ihnen.

König. Was? wer ſonſt? Critt betroffen zurüd.)

Friederike (ich vergeſend, unbefangen). Ja wirklich, was ſonſt?

Herzog. Ein deutſcher Offizier.

Friederike. Ja jo! |

König. Wär’s möglich? Gusleich

Herzog. Bei meiner Ehre (erhebt die Finger zum Schw). Ich traf dieſen preußischen Agenten gejtern Abend in Hujarenuniform.

König. Wo?

Herzog. Bei der Marquife von Briancon. (Epevatier tritt auf die Schwelle.)

König (wütend). Ha! ein Komplott! Sie mwagten es, mit meinen zartejten Gefühlen zu jpielen! Sie find ein Mann!

Herzog (zieht ein Rapier aus der Taſche). Sa, fein Fräulein von Sriejen, ihr Paſſierſchein ift falſch.

Chevalier (tritt unbemerkt vor, [öjt den Haarbeutel Friederikend: ihre Haare wallen reich und lang über Schultern und Naden). Nein, er it echt: dies ift das Fräulein von Friefen!

Friederike und Herzog Gufammen). Der Chevalier!

König (fehr freudig überraſcht). Ah! mein lieber Chevalier! (teife zu ihm) Sie befreien mich) aus tiefer Beihämung. (aut, wieder zweifelnd) Aber ift es auch wahr?

Chevalier (ãchelnd an Friederikens Haaren ziehend, diefe zudt zuſam- men). Eire, fünnen Sie zweifeln? Sie jehen: dies Haar ijt echt.

Friederike. Chevalier, Sie wußten? ee.

Chevalier. Schon lange.

Stiederike. Dank!

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König. Und die Verje find... —?

Friederike. Wirklich von der Königin.

König (wieder drohend ben Brief erhebend). Und diejer Brief? Herr Minifter, er ift von...

Herzog (xuhig, verächtlich. Von dieſer verliebten Aben- teurerin!

König. Nein, Herr Herzog! Vom König von Preußen!

Herzog (fährt zuſammen).

König. Ein preußiſcher Vertrag mit ſterreich: Bourbon, Sie haben mich betrogen!

Herzog (Hat ſich gefaßt). Sire, ich werde mic) vor dem Staatsrate rechtfertigen, aber, ſteckt auch wirklich ein Weib in diefem Rod, e3 beitand doch ein politisches Komplott. (Weift auf die Mittelthür) Hier, vor diefer Thür, jtand auf Wache, in franzöfischer Uniform, ein preußifcher Offizier.

König. Alſo doch?

Herzog. Sch, Üüberrajchend zurückgekehrt von einer not- wendigen Reife...

Chevalier (einfaltend). Bon einem verunglüdten Rendezvous mit meiner Tante im Wald von Fontainebleau. Nachdem ſie ihn weit genug in den Schnee gelockt Hatte, Tieß fie den Schlitten wenden und fuhr mit einer grazidjen Berbeugung an jeinem Wagen vorbei zurüd nad) Paris.

König. Herzog! Welde Sitten! An meinem Hof! Sie find verheiratet.

Herzog (mit einem Blick auf Friederit). Wie Euer Majeftät! Aber die Frau Marquife wußte nicht, daß id) Relais gelegt Hatte. So kam ih raſch genug hierher zurüd, den verfappten Preußen im Schloßgarten im Zwei— fampf mit Maillace zu finden.

König (nißtrauiſch). Alſo doch ein Komplott!

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Friederike (teife zum König). Sire, ein Komplott der Liebe, der Königin ihren Gemahl zurüdzuführen.

Chevalier. Und ein Komplott von Batrioten, Frankreich zu retten, dem König die Augen zu öffnen.

König. Sie find mir geöffnet. Dank, Chevalier!

Herzog. Steht es jo? (Eilt an die Thür, öffnet fie und ruft Hinaus) Maillac, Sie verhaften diejen Verſchwörer und jeine Gehilfin.

Chevalier (mit ſpöttiſcher Verneigung). Pardon, Herr Herzog: der Herr Better ijt diesmal nicht in der Lage, Ihnen zu gehorchen.

Herzog. Warum ?

Chevalier (macht die Bewegung des Schlüffelumdrehens). Weil er jelbft eingefperrt ift; ich traf ihn, wie Sie, im Schloßgarten auf friſcher That des Zweikampfs: darauf ſteht Schloß- arreſt: ich bin zweitfommandierender Dffizier der Herr Herzog befahl, nur den einen Duellanten zu verhaften, aber, (pathetiich zum König) Sire, daS Geſetz Fennt feine Aus— nahme: ich verhaftete beide.

König (klopft ihm auf die Schulte). Ausgezeichnet, Herr Chevalier! Solche Gejetestreue muß belohnt werden! Sie find, an Maillacs Statt, Schloßhauptmann von Berfailles.

Herzog. Gleichviel, nod bin ih Minifter von Frankreich! Sch ſelbſt verhafte Sie, Herr Schloßhauptmann, famt diejer Spionin!

König. Halt, Herr Herzog! Ich ſuſpendiere Sie vom Amt bis zur Entjcheidung des Staatsrats, dem ich) morgen den Brief meines königlichen Bruders von Preußen vorlege.

Herzog (für ih). Ich bin verloren! Aber Rache! (taut) Es jei! Jedoch ich verlange die Verhaftung diefer Ver— ſchwörerin, bis zur Entſcheidung meiner Sache. Ach ver-

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lauge da3 als mein Recht, das Geſetz gebeut es! Sie darf nicht frei in Paris mit allen meinen Feinden kon— ipirieren. Gerechtigkeit vor allem.

König (Hat dur; jtummes Spiel einen reifenden Gedanken ausgedrüdt, der ihm fichtlich viel Vergnügen macht, kopfnickend). Jawohl, Gerechtig- feit vor allem! (lädetnd für fi) Auch gegen mich: die reizende, aber fede Kleine ift mir noch Buße ſchuldig. (aut) Herr Schloßhauptmann, Sie verhaften dies Fräulein!

Stiederike (ruhig, lachend, für ih). Das thut er ja nicht!

König (zu Friederike). Ihr eigenes Intereſſe, Ihre eigene Ehre verlangt ftrengfte Unterfuchung. Ich ſelbſt werde die Berhöre führen. (eiſe zum Chevalier) Sie bringen mir die Schlüſſel der Schloßgefängniffe.

Herzog (für ſich. Mein Wlan gelingt. Der galante König Hilft dazu.

Chevalier (vrüct dur ftummes Spiel aus, dab er die Abfichten bes Königs durchſchaut: tritt vor, legt feierlich die Hand auf Friederikens Schulter, ftreng, drohend). Yreifräulein von riefen im Namen de3 Königs ich verhafte Sie.

Stiederike. Ha der Verräter! Er opfert mich feinen Intriguen. Sch bin verloren!

Chevalier (ehr laut). Ya, aber Frankreich ijt gerettet!

König (für ſich, im Abgehen). Sa, Frankreich und mein Plan.

(Während der König in fein Kabinett eilt, der Chevalier Friederike am Arm zu der Mittelthür führt und der Herzog, mit erhobenem Zeigefinger drohend, folgt, fällt der Vorhang).

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V. Aufzıtg.

Schloßgefängnis zu Verfailles. Die Bühne ift durd) eine Wand, welche vom Hintergrund nad) den Rampen läuft, gejpalten: un— gefähr °/, der Bühnenbreite, rechtS von der Wand, bilden da& Gefängnis Friederifens, ungefähr 1/4, linf3 von der Wand, das Friedrichs: in der Zwiſchenwand eine Thür: jedes der beiden Gefängnifje hat auch eine Thür im Mittelgrund: im Gefängnis Friederifen3 vor dem Kamin ein großer Ofenſchirm: in Fried» richs Gefängnis ganz hinten ein Feldbett, auf welhem Friedrich, völlig vom Mantel zugededt, jchläft: er wird dem Publikum erit fihtbar, oder doch erfennbar, al3 er aufipringt; in jedem der beiden Gefängnifje verbreitet je eine Ampel nur mattes Licht.

Erfter Auftritt. Chevalier. Friederike.

Chevalier (chließt die Mittelgrundthüre von Friederikens Gefängnis auf und führt diefe Herein).. Sie haben aljo endlich eingejehen, mein ungnädiges Fräulein, ich mußte dem König gehorchen. Ihre Haft wird nicht lange währen.

Friederike. Ich bin fein Kind, das fich fürchtet, wenn man e3 nachts allein einjperrt. Aber wie abjcheulich, mich fobald zu erfennen!

Chevalier. Was kann ih für mein jcharfes Auge und für Shre Schönheit!

Friederike. Und bis zu dieſer Stunde mich noch feinen Augenblid zu Frig zu lafjen! Das macht mich mißtrauifch. Meinen Sie's auch ehrlich ?

Chevalier. Wer weiß! Bielleicht, vielleicht auch

Dabn, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Bd. VI. 28

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nicht! Aber er Hätte Sie jedenfalls fofort erfannt und Shren, ja auch meinen Plan zerjtört: niemals hätte er jelbjt Audienz erlangt und auch niemals Ihr tete-a-tete mit dem König verjtattet, das für Frankreich notwendig war. Und nun wiffen Sie au, daß Ihre Eiferſucht, Bardon, Ihre Beforgnis um feine Tugend unbe: gründet war.

Friederike (cherzhaft drohend). Ja, Ihnen verdankt er jenen böjen Ruf und die zwanzig Amouren! Aber ich danfe Ihnen auch dafür: ohne dieſe Sorge ſäße ih no in der deipen Grefte und verzweifelte.

Chevalier. Sein letter Brief an mich, den ich Ihnen gab, hat Ihnen gejagt, daß er nie aufgehört hat, Sie zu lieben.

Stiederike. Ja, Gott jei Dan!

Chevalier (ern). Und Ihr Herz id) weiß es, es üb...

Stiederike. Sein für immer! Nicht jeufzen! Denn Ihnen, liebſter, ritterlichjter aller Freunde, gebe ich als beiten Dank für al! Shre Treue

Chevalier (ehr liebenswürdig und fein, er weiß, daß fie nein jagt): Einen Ruß?

Stiederike. Nein: nur einen Befehl.

Chevalier. Das iſt ftreng und wenig.

Friederike. Wollen Sie glüdlich jein ?

Chevalier (zudt die Achſeln). So gut es angeht.

Friederike. Glücklich machen?

Chevalier (bewegt). Das heißt allerdings jchon ein wenig glüdlich fein.

Friederike. So halten Sie morgen um die Hand Shrer veizenden Couſine an.

Chevalier. Dieſer Befehl ijt ein Korb.

Friederike. Aber gefüllt mit Rojen.

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Chevalier (Heiter Tiebenswürdig). Ja! Und wenn es je dergleichen gab mit Rofen ohne Dornen.

Stiederike. Aber nun, nachdem ich Ihnen zum wahren Glück Ihres Lebens verholfen, .....

Chevalier. Indem Sie mich ausschlugen ?

Sriederike. Nun helfen Sie mir zu dem meinigen: mein Fri wo mag er nur jein?

Chevalier. Nicht jehr weit von hier.

Stiederike (ungeduldig). Wo ?

Chevalier (drolig, auf die Seitenthüre deutend). Da drinnen ſitzt er.

Friederike (türmiſch an die Thür eilend). Zu ihm! zu ihm.

Chevalier (Hätt fie je. Halt! Pardon! Diefe Thüre ijt fejt, jehr feſt verſchloſſen. Glauben Sie, man richtet in den Gefängnifjen Bafjagen ein, zum Zmwed der Konverjation der Verbreder? Sie fünnen doch wirflih nur einen Salon hier beanjpruchen. Die Nachfrage nach Gefängnifjen iſt, wie Sie jehen, ziemlich Tebhaft bei ung: und wir haben nur drei jolher Bowdoirs: in Nr. 1 brütet Maillac Race, in Nr. 2 träumt Fri von Friederike, und hier, in Nr. 3 —, muß ich Friederife eine Weile gedulden. Treten Sie fo vor ihn, verderben Sie ja Ihren Plan: er erfennt Sie fofort!

Friederike. Ah was Plan! Sch habe feinen mehr.

Chevalier. Aber Sie vergejjen ganz: er ijt noch nicht aufgeklärt, noch nicht verſöhnt. Schroff würde er Sie abmeijen.

Friederike (beitürzt). Sie haben recht!

Chevalier. Verſuchen Sie aljo, bevor er Sie fieht, durch dieſe verjchloffene Thür hindurch ihn wieder zu gewinnen.

Friederike. Sch werde mir alle Mühe geben. 28*

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Chevalier. Aber beeilen Sie ſich! Sie haben vielleicht nicht lange Zeit.

Friederike, Wieſo?

Chevalier, Sie bleiben wohl nicht lang ungeſtört. Cie werden Beſuch erhalten.

Friederike (erſtaunt). Welchen Beſuch?

Chevalier. Ziemlich hohen.

Friederike. Bon wen?

Chevalier. Ahnungslofe Unschuld! Natürlih vom König!

Friederike (ehr erftaunt). Was kann der hier wollen ?

Chevalier. Sonderbare Frage! Sagen wir: nad) dem Gebot der Bibel: Gefangene tröften: aber nicht die männlichen.

Friederike (erihroden). Bleiben Sie!

Chevalier. Sch darf nit. Der Schloßhauptnann hat dem Schloßherrn zu gehorchen. Ich muß ihm den Schlüffel jogar jelbjt bringen.

Friederike. Aber du mein Gott! Er fchien ja zu feiner Königin zurüdzufehren.

Chevalier (achſelzudend). Nicht jo ganz, fürcht' ich, nicht auf die Dauer! Bedenken Sie: er ijt viel näher Ludwig dem Vierzehnten als Ludwig dem Heiligen verwandt! Klagen Sie alfo wieder die eigene Schönheit an: allzu- jehr haben Sie ihm gefallen. Er will fich offenbar: belohnen.

Ftiederike. Wofür?

Chevalier. Für feine große Tugendhaftigfeit.

Friederike (ächelnd und kopfihüttelnd). Sie war nicht ganz freiwillig!

Chevalier. Belohnen durch einen Abſchied, der nun der recht zärtlich ausfallen wird.

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Stiederike. O marım trag’ ich jebt nicht meine Uniform!

Chevalier. Weshalb?

Stiederike. Wegen meines Degens!

Chevalier. Sie würden doch den König von Frankreich nicht mit Degenftichen traftieren ?

Friederike. Ohne Zweifel, käm' er mir zu nah!

Chevalier. Dann gut, daß Sie feinen Degen haben.

Stiederike. Sie müjjen bleiben Sie find mein natürlicher Beſchützer!

Chevalier (ausweichend). Leider nein! Das it ja Fritz.

Friederike (ebhaft). Der iſt ja aber eingejperrt!

Chevalier. Allerdings!

Stiederike (dringend). Befreien Sie ihn!

Chevalier. Nimmermehr!

Friederike. Sie find fein Freund!

Chevalier. Sch bin des Königs Offizier.

Friederike. Er ift unschuldig. Er Hat ein Recht, frei zu werden.

Chevalier. Nur der König kann das entjcheiden.

Stiederike. Sie opfern uns auf!

Chevalier. Ich diene Frankreich!

Friederike. Himmel, follte ich mic doch) in Ihnen getäufcht haben ?

Chevalier (tüst lächelnd). Vielleicht! Sch bin vor allem: Diplomat. Auch den beiten Turm, ja jelbjt die Dame muß ich opfern, mein Spiel zu gewinnen.

Friederike (erſtauu). Sie haben noch ein Spiel? Gegen wen? Gegen den König?

Chevalier, Ja, oder für ihn: oder doch für Frankreich: mie Sie wollen. Wir find noch) nicht fertig mit dieſem Herzog! Mir ahnt allerlei. Man will den König,

(fer raſch)

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man. will vor allem Sie, Ihren Ruf zu Grunde richten fürs Leben.

Stiederike (tief erſchrocken. D Himmel! Auf welchen Boden hab’ ich mich gewagt!

Chevalier. Ja, ja! Die Schlüpfrigfeit der Parfetts von Berjailles haben Sie wohl nicht geahnt in Ihrer deipen Grefte.

Stiederike. Und Sie mein einziger Halt, meine einzige Stütze Sie verlafjen mid nun? Sie bringen mich in eine Lage...

Chevalier. Pardon, kühne Friederike, nicht ich Habe Sie in diefe Lage gebracht: Sie ſich jelbjt! Und nicht für mich, nicht aus Liebe zu mir wahrlich Haben Sie's gethan! :Menn nun meine Eiferfucht, meine verjchmähte Liebe ſich rächen wollte?

Stiederike. Chevalier! es ijt nicht möglich!

Chevalier. Vielleicht doch!

Friederike. Abſcheulicher! Sie fünnten? Nechtfertigen Sie dies rätjelhafte Handeln.

Chevalier. Wenn ich mich) num aber nicht rechtfertigen, jondern rächen will? Sie haben mich verijhmäht und Sie haben mich überliften wollen: Strafe muß jein. Sch vähe mi! Hier vor Ihren Augen lege ich meine Rache in dies Portefeuille.

Stiederike. Einen Brief? An den König?

Chevalier (legt ein Meines Kouvert in die Brieftafche). Kein, an Sie!

Stiederike. Bon wen?

Chevalier. Von mir: meine Revanche aber ein Talisman, der, gejhidt gebraucht, Sie retten kann.

Stiederike. Sch verjtehe nicht, wie...

Chevalier. Sit auch noch gar nicht nötig! Aber Geduld! Mut! Was unjere Feinde gegen uns jpinnen,

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joll für uns der Nriadnefaden der Nettung, für jene Die Schlinge des VBerderbens werden! Doch alles hängt davon ab, hören Sie wohl, alles daß Sie nit zu früh zu diefem Talisman greifen: fein Zauber würde verjagen. Sie geben mir Ihr Wort, diefen Brief erjt zu öffnen, wenn wenn Sie auf das äußerſte bedrängt find. Stiederike. Sch gelobe es. ch baue auf Sie! Chevalier (dronend). Das thun Sie ja nicht. Ich warne Sie. Ich bin ja nur ein fehnöder, treulofer Welfcher, zu „germanijcher Treue” nicht verpflichtet. Ich bin vor allem Franzoſe dann Diplomat und wie Sie fehen werden jehr rachſüchtig. Eilen Sie deshalb, rechtzeitig mit Ihrem deutſchen Alliierten Fühlung zu gewinnen (wieder auf die Thür deutend). Bald naht der Feind und die Enticheidung!

(Chevalier ab: fie giebt ihm das Geleit bis an die Mittelthür: man bört von draußen zweimal zufchliefen.)

Zweiter Auftritt. Friederife. Drüben Friedrid.

Friederike. Hu! Er dreht wirklich den Schlüffel um! Das Geräufch dringt ſchauernd duch Mark und Seele. Eingejperrt, zum erjtenmal wieder jeit der Zeit der Schulftrafen! In bitterböjem Ernſt eingefperrt. Gieht die Brieftafhe Hervor.) Was mag nur in dem Brief gejchrieben jtehn? Nochmals Verſe? Unmöglih! Ein Staatögeheim- nis? Ich bin fehr, ſehr geſpannt. Wie wär’ es, wenn ih da am Rande nur ein ganz Elein wenig hineingudte? nicht gleich ganz läje, nur jo ein bischen —: Pfui, ihäme dich Frige, joll denn wirklich nie ein Frauenzimmer die Probe der Neugier bejtehen? (Stedt fie wieber fort.) Aber nun fange ih doch an, mich zu fürchten. Der Chevalier

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ſprach jo drohend von feiner Rache! (Läuft an die Seitenthür, Kopf) Herr Kamerad alles bleibt ftil! Um Gottes willen! Wenn ſich der Chevalier geirrt hat! Die Zellen vermwechjelt! Oder wenn er mich Doch verraten hat! Wenn am Ende jtatt Friedrichs Maillac da drüben ſitzt! Gleichviel, ich muß es wiſſen (topft ftärter, tuft Tauter:) Heda, Herr Kamerad!

Friedrich (erwachend, richtet ſich auf, wirft den Mantel ab). Man pocht! Nein, ich täuſchte mich. Es iſt nichts. Ich war feſt eingeſchlafen. War's ein Traum?

Friederike (tiopft). Herr Kamerad!

Friedrich. Alſo Doch! (eht an die Zwiſchenthür.) Wer da?

Friederike. Sch bin’s.

Friedrich. Ein fehr dünnes Sch, nad) der Stimme.

Friederike (für ſich). Ja ſo! (nun mit verſtellter, tieferer Stimme) Ich! Lieutenant von Franken.

Friedrich. Auch eingeſperrt?

Friederike. Wie Sie ſehen! Vielmehr hören.

Friedrich. Wie ſteht unſere Sache?

Friederike. Gut! Der König hat unſeres Königs Brief. Der Herzog iſt entlarvt.

Friedrich. Gott ſei Dank. Aber wer hat das fertig gebracht?

Friederike. Ja: Sie freilich nicht, Sie großer Diplo— mat! Warum, ums Himmels willen, blieben Sie denn nicht auf Ihrem verabredeten Poſten?

Friedrich. Ich? Ja, ich mußte mich ſchlagen!

Friederike. Das ſcheint die Hauptbeſchäftigung Ihres ganzen Lebens zu ſein.

Friedrich (grob, Tau). Das ſchert Sie den Teufel, Herr Lieutenant! Verſtehen Sie mich!

Stiederike (ür ih). Sit der grob! Ya, das ift mein Fritz! (aut) Bin nicht taub.

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Friedrich. Haben Sie mir jonft noch was zu fagen?

Friederike, Sa: noch allerlei.

Friedrich. Was zum Exempel?

Friederike. Ihre Gedanken.

Friedrich. Nicht nötig. Weiß fie jelber.

Friederike. Sie jollen fie aber los werden, Diele Gedanken: denn fie quälen Sie.

Friedrich (erſtaunt). Das ift richtig. Woher wiffen Sie ?

Friederike. Meine Sahe! Ihre Gedanken nachdem die Politif erledigt find‘ „wo mag meine Couſine Friederife fteden ?“

Friedrich (Heftig aufbraufend). Herr Lieutenant! Sie unter: itehen ich!

Friederike. Möchten Sie mic) nicht vielleicht durchs Schlüſſelloch hindurch fordern ?

Friedrich. Habe große Luft dazu.

Friederike. Ja! dies Vergnügen bleibt Ihnen verjagt aljo: Friederife ift gefunden.

Friedrich. Gottlob! In Sicherheit?

Friederike. Ja; fie fie ift fogar an einem jehr jihern Ort aufgehoben. Sch fol Sie von ihr grüßen.

Friedrich. Wer bürgt mir, daß Sie wirklich ihr Bote?

Friederike (nad einer Paufe). Herr Kapitän fünnen Sie fingen ?

Friedrich) Gornig). Ha! Mordelement! ch verbitte mir ſchlechte Wige! Sie find ein...

Friederike. Sie wiljen viel, was ich bin! Wenn Sie noch fingen Fönnen, wie im Garten zur deipen Grefte —, jo fingen Sie mal gefälligjt mit.

Friedrich (chlägt mit der Fauft gegen die Thür, drohend) Sc werde Ihnen den Takt dazu jchlagen!

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Friederike. Exit rauskommen! Nun hören Sie mal hübſch artig zu: (ingt)

„Es giebt nichts Schön’ves auf der Welt“ Friedrich. Was hör’ ih? Diefe Stimme —! Stiederike. i

„Als wie zwei junge Herzen”

Wie eigen klingt doch das alte deutſche Lied im Schloß— gefängnis zu Verjailles! (ährt fort)

„Die fich in Lieb’ und Treu geſellt“

nun, fahren Sie doch fort, Herr Kamerad! Friedrich (tief ergriffen). „gu tragen Luft und Schmerzen.“ Stiederike. Seh'n Sie, Sie wifjen’s ja noch! Friedrich. Wer jind Sie? Wäre es denn mög» 2.

lich

Friederike. Ach Gott, ich höre Schritte man kommt jetzt den Brief der Couſine Gieht ihn aus der Taſche) Herr Kamerad, einen jchönen Gruß von Ihrer Tribe und fie bittet Sie demütig um Verzeihung. Und fie jet jehr, jehr thöricht gewejen, aber Sie, Herr Kamerad, Sie aud) ein wenig. Da! Lejen Sie vajch (chiebt den Brief zwiſchen Thür und Schwelle dur, Friedrich hebt ihn auf und Lieft).

Friedrich. Mir ſchwindeln die Sinne! Sit das Hererei ?

(Man hört den Schlüffel der Mittelthür zweimal umdrehen.)

Friederike. D Himmel! Der König? Ja! Da ift

er jchon. u

Dritter Auftritt. Borige König.

König. Mein jchönes Fräulein, ich komme, Ihnen zu danken.

Friederike. Gewiß im Namen Ihrer Frau? Pardon: Ihrer Majejtät der Königin.

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König. Nicht doch! Laſſen Sie ausnahmsweije einmal meine Frau auf ein paar Minuten im Hintergrund. Ich fomme, Ihnen zu danken...

Stiederike. Wofür?

König. Für den Dienjt, welchen Sie Frankreich er- wiejen haben.

Friederike. O bitte! Nicht Urjache! Fit gern gejchehn! Das hätte Zeit gehabt bis morgen. Dann: meinet- wegen. Aber am hellen Tage und vor allen Leuten.

Friedrich (Hat den Brief geleſen, ftedt ihn ein). Friederike! Engel! Wie unrecht Hab’ ich dir gethan! Herr Kamerad, wer find Sie? Mir ahnt iſt ſie's jelbjt? (Er tiopit.)

König. Was ift das?

Friederike. Wohl ein Gefangener nebenan, Majeftät.

König. Ich perjönlidh, der Mann will Shnen, muß Ihnen danken nicht vor den Leuten für all die Anmut, welche Sie vor mir entfaltet haben.

Friederike (cetirierend). Noch viel weniger Urſach'! Sit nicht gern gejchehn!

König. Wir wurden häßlich gejtört. Ih kann es nicht ertragen, jo unharmonish von Ihnen zu jcheiden. Unjere Begegnung ift ein faum begonnenes, ſchrill unter- brochenes Gedicht, dem die leßte, Schönste Strophe fehlt! eine Melodie ohne Schlußaccord.

Friederike (für fih). Dieje Melodie fann ich nicht mit- jingen. (aut) Sch weiß nicht, was Sie meinen, Sire!

König (Heftige). Wohlan, ich meine: der König, der, ſtatt Sie für Ihr ziemlich dreiſtes Komplott zu trafen, Shre Hand gefüßt, Hat wohl ein Recht auf mehr.

Friedrich (Horät). Sch Höre nichts mehr. Ich rufe fie herbei! (ingt)

„And wiljen möcht’ ich, welche Macht Wohl trennen fanıı die beiden.“

444

Sönig. Hoch! Ei! Meinen Gefangenen geht es gut! Sie fingen. Fräulein, antworten Sie mir.

FStiederike. Herr König: ein Recht?

König (näher dringend). Jawohl: ein Recht: wenigjtens auf: einen Kuß!

Friederike (urüdweigend). Niemals!

König (Ghr folgend). Ein Recht, das man einem König weigert, weiß er fi zu nehmen. Vergeſſen Sie nidt: Sie find meine Gefangene!

Friederike (min nad der Hinterthür). Geweſen!

König Gertritt ihr den Weg mit ausgebreiteten Armen). Halt! ſchönes Vögelein. Der Käfig iſt geſperrt! Sie ſind in meiner Hand.

Stiederike. Gott! Jetzt den Brief! (reist ihn auf).

König. Ein Brief? Gleichviel! (geht auf fie zu) Ein Stück Papier: das ijt fein Schild!

Stiederike. Leer? nur ein Schlüffel! Ha, Dan, Ehevalier. Hier ijt mein Schild! mein Ritter! (chließt raſch auf Friedrich tritt ein).

Friedrich. Friederike! Sie ift es! Und der König!

König (urückfahrend). Ha, wer ijt das?

Stiederike. Mein Better!

König (erzürnt). Bah, Vetter, das kann man erfinden.

Friedrich (tritt vor, fehließt Friederike, wie ſchützend, an feine Bruft, ſehr kraftvol). Meine Braut, Sire: daS fann man nicht

erfinden! Und wehe jedem, der . . . (Geräufc vor ber Hinterthür.) ; König (eſchrocken). Ein Überfall! Weh mir!

Stiederike (u Zeig). Raſch fort! eitt mit ihm durch die Seiten. thüre in fein Gefängnis: fie lauſchen duch die handbreit geöffnet bleibende Thür und unterhalten fih leife miteinander).

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Bierter Auftritt.

(Die Mittelthür wird geräuſchvoll aufgerifien, Herzog und vier Sofherren,

voran zwei Bagen mit Fadeln, werden in der Thür fichtbar, bald darauf Chevalier, zulegt die Marquife.)

Herzog (für fi, im Eintreten). Triumph! ES ift, wie ich geahnt! Wo ift jie? Hinter jenem Schirm!

König (für fi). Der Herzog! Ein Cflat! Ich bin verloren.

Herzog. Majejtät jehn mich auf das äußerſte erjtaunt! Sch ſuchte Sie mit diefen Herren, den Näten meines Minifteriums, im ganzen Palais, mich noch heute völlig zu rechtfertigen. Umſonſt der Kammerdiener wies mich aus Ihrem Kabinett in die Gemächer der Kö— nigin, wohin ſich Seine Majejtät begeben hätten. Die Königin war in der peinlichen Lage, den Kammerdiener des Königs Lügen zu ftrafen. Sie jchien lebhaft bejtürzt über das nächtliche Berjchwinden ihres königlichen Gemahls, nicht wahr, meine Herren? (die Hofherren verneigen fih) Ich fuhe mit Fadeln durch das ganze Palais und finde Sie, Sire! endlich hier (eiſe zum König, mit der Hand auf den Kaminjdirm deutend) bei Ihrer deutichen: Berehrerin. Mein Prozeß wird jojort niedergeichlagen oder morgen erfährt die Königin, der Hof, Paris, ganz Frankreich, das Abenteuer diejer Naht! Soll ich's erzählen?

(König ſchwankt, zögert.)

Chevalier (ift unbemerkt von ihm eingetreten und Hat, Hinter ihm ſtehend, feine Worte gehört). Erzählen Sie, Herr Herzog! Der König war bei Fräulein von Friefen (tiumppierende Miene de3 Herzogs und der Hofleute) UND ihrem Bräutigam!

{Er öffnet die Zmwijchenthür, Friederike und Friedrich treten, Hand in Hand, ein).

Herzog. Was? Bräutigam?

König (zum Chevalier). Ich bin gerettet! Dank! [ (zugleich)

446

Chevalier. Wie Sie fehen. Der alles ducchdringende Scharfblid unjeres Monarchen Hat die Unſchuld des Fräu- leins alsbald durchſchaut. Er erfuhr durch mich von der Liebe, aber auch von einem Zerwürfnis diejes Paares. Er ſelbſt Hat, ich fchwör’ es bei meiner Ehre! durch fein Erjcheinen hier die Getrennten viel rafcher wieder zuſammen— gebracht, al3 ohne ihn zu Hoffen war.

König (nidt lächelnd mit dem Kopf).

Chevalier. Mit gutem Bedacht wurden die Liebenden nebeneinander einquartiert und auf des Königs Befehl! (eiſe zu diefem) ich la ihn in feinen Augen dem Fräulein der Schlüfjel diejer Thür (auf die Seitenthür deutend) vertraut.

König (Für fi). Von ihm fam der Schlüffel! Er Hat mich überlijtet, aber um mich zu retten!

Chevalier. Und Seine Majejtät hat fi) von mir den Gangjchlüffel diejer Zelle geben laſſen, um felbft bitte, nun vollenden Sie, Majejtät!

(Die Marquife erfheint an der Schwelle. Chevalier erklärt ihr, daß alles ge- mwonnen jei, fie erkennt mit Staunen Friederife ald Mädchen.)

König (auf da3 Paar zufhreitend, ihre Hände ineinander legend). Um jelbft die Ehre zu haben, noch Heute, in Vertretung ihrer Familie, die Hand dieſer Edeldame in die des beneidens- werten Bräutigam3 zu legen.

Marquiſe (für ſich. Jetzt gilt es, ſich aus der Affaire ziehen.

Herzog (für ic). Komödie, aber unmwiderlegbar!

Marquife (teitt mit Verbeugung gegen den König vor).

König. Ah, unſre Schöne und kluge Verbündete! Sch ftehe tief in Shrer Schuld, Marquife.

Marquiſe (umarmt Friederike). Sire ich habe von An- beginn in diefem Hufaren die Dame geahnt und geliebt. Nicht wahr, Bayard nicht wahr, Kleine! Wie diskret

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hab’ ich Ihre Maske geihont? Ja, wie fam ich Ihnen entgegen, mie eifrig ging ich jelbit ein auf Ihr Spiel!

Stiederike. Sa, mit wahrhaft blindem Eifer!

Chevalier (Eopft ihr auf die Schulter). Tante, du biſt hier der größte Diplomat.

Stiederike (für fi). Dies warme Eifen muß man jchmie- den! (Schalfhaft, mutig, vorher dem König leiſe drohend) Majeftät äußerten vorhin das ziemlich jtarfe Bedürfnis, mir zu

danken. (teij) Eine kleine Satisfaftion, Sire, verdiene ich für diefen Beſuch.

König (lau). Gewiß, Sie haben hohe Verdienjte um den Staat. Welchen Dank erbitten Sie?

Stiederike. Ein Belobigungsjchreiben für die glänzenden diplomatischen Leijtungen meines Bräutigam.

König (achend für fih). Hab’ ihn im Leben nie gejehn bis jet! (aut) Chevalier de Briancon, die Politif des Krieges it aus. Sie gehn als mein Gejandter nad) Berlin!

(Herzog fährt zürnend zufammen )

König (ſhlägt dem Chevalier auf die Schulter, lächelnd und leiſe mit dem Finger drogen). Sie haben mid heute mehr als einmal! von Ihrer diplomatischen Überlegenheit überzeugt. In Berlin aber werden Sie dem Könige von Preußen jagen: Sranfreih, Deutichland, Europa dankt den Frieden (aui riedrich deutend Heine Rauje:) diejem Mann. (eiſe) Wie eißt er?

Chevalier (aut). Der Freiherr von der deipen Grefte ivd mich nach Berlin begleiten.

König. Sch gehe, Herr Herzog, der Königin noch vor hnen das Abenteuer diejer Nacht zu erzählen.

Herzog. Sire, vergönnen Sie mir, die hohe Frau zu eruhigen. Sch eile fort... König. Nein, Herr Herzog, Sie eilen nicht! Zur

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Genüge habe ich erfannt, wie gefährlich es ijt, Sie wäh— vend Ihres Prozefjes nädhtlih im Walajt frei herum— jtreifen zu laſſen. Sie gehen: dahinein! (auf die Seitenthür deutend).

Herzog (macht eine abwehrende Bewegung).

König. Jawohl, jamwohl, bitte, bitte, gerade dahinein! und bleiben da, bis Ihr Urteil gefällt ift. (Mahnend zum Shevalier) Herr Schloßhauptmann, thun Sie Fhre Plicht!

Chevalier. Herr Herzog, darf ich bitten: Shren Degen! (nimmt ihm den Degen ab und führt ihn fehr höflih durch die Seitenthür Hinein) Da drüben links ſitzt der Vetter Maillac!

Marquiſe (get ihm bis in die Thüre nad), ruft ihm nad). Und jein Sie gewiß: Ihnen droht hier feine Störung der Nachtruhe.

Chevalier (Greht den Schlüffel um und ſteckt ihn ein).

König (zur Marauife). Ich gehe zur Königin: begleiten Sie mich zu meiner Frau vor Maria werd’ ich Ihnen danfen. (Sid zum Abgang wendend, zu den Hofherren) Folgen Sie, meine Herren!

Chevalier. Und ich? Ich gehe zu Blanchemain! Tante: morgen halte ich feierlich um ihre Hand an.

(Friedrich und Friederike geben ihm die Hände, Chevalier wendet fich zur Thür.)

Friedrich. Du trägt unjern Danf mit Dir.

Friederike. Den Dank meines ganzen Lebens! Gu Friedrich jih wendend) Und wir?

Friedrich (ſie an die Bruſt ziehend). Wir gehn in die Hei⸗ mat —:

Friederike (an ſeiner Bruſth. An unſern deutſchen Herd!

Worhang fält.)

Armin

Operndichtung in vier Aufzügen Muſik von Heinrid Hofmann

(Erfimalig erfdjienen 1880)

Dabn. Samtl. poetifhe Werte. Erſte Serie. Bd. VI. 29

Meinem lieben Freund

Heinrich Dofmann,

29%

Caniturgue adhuc barbaras apud gentes.

Taeitus, annal. II. 88,

Perfonen

Quinctilius Varus, Feldherr und Statthalter der Römer in

Germanien. Baß)

Fulvia, jeine Tochter. (Sopran)

Numonius Vala, £ Lucius Cäcidius, } ——— 30

Tenor)

Armin. (Tenor)

Segejt. Baß)

Thusmelda, Segeit’3 Tochter. (Sopran) Katwald, ein Sfalde, Armin Freund. Baryton) Arpo, Fürjt der Marjen. (I. Baß)

Brinno, Fürſt der Tubanten. (I. Tenor) Malvend, Fürjt der Brufterer. (II. Tenor) Bangio, Fürjt der Hermunduren. (II. Baß) Albrun, eine junge Priejterin. (Sopran) Römiſche und germanijche Heerführer und Krieger. Römiſche Liktoren, Sklaven und Sklavinnen. Germanijhe Mädchen und Frauen.

Zeit der Handlung: Im Fahre 9 nah Ehriftus. Ort der Handlung:

II II. IV

"

n

I. Aufzug: Lager der Römer um ihr Kaſtell Alijo.

Die Burg des Segeſt. Kaſtell Aliſo, dann germaniſcher Opferhain in der Nähe. a. Waldverhau: Waffenplag Armins, dann: b. Schlachtfeld im Teutoburger Wald.

I. Aufzum.

Im Lager der Römer vor ihrem Kajtell Alijo. Links (links und rechts jtet3 von der Bühne aus gedadt) an der erjten Couliſſe vorn das Prätorium, das Feldherrnzelt des Varus, mit dem auf mehreren Stufen erhöhten Tribunal. Auf deſſen Höhe aufgeitedt die drei Legionsadler und zahlreiche Berilla, Fähnlein und Stan- darten der Kohorten und der Reitergejhmwader: reichite Entfaltung friegeriicher Praht des NRömertums. Aud im Mittelgrund römische Zelte. Im Hintergrund das hochragende Kajtell mit zwei Rundtürmen, einem ftarfen Thor, einem Wall mit Binnen, auf welchem römische Wachen auf und nieder gehen und abgelöft werden: Eindrud ftarfer, daS Land beherrjchender Zwingburg. Sn dem offnen Zelt des Feldherrn eine reich mit Gold- und Gilber- geräten (wobei der Hildesheimer Silberfund als Mufter dient) bejegte Tafel: um diejelbe auf Bolftern malerijch gelagert Varus, Fulvia, Armin, Segejt, Lucius, Vala, römijhe und ein- zelne germanijche Heerführer. Gegenüber rechts vorn an einem Marmortijch trinfend (figend, nicht nach römischer Sitte liegend), Arpo, Brinno, Malvend, Bangio; bei ihnen jteht, die Harfe im Arm, Katwald. Die ganze Bühne ift von römijchen Kriegern und wenig zahlreihen Germanen, den ©efolgen der Fürften, erfüllt, reich gefleidete römische Sklaven und Skla— vinnen gehen bedienend in dem Feldherrnzelt ein und aus. Liftoren mit Autenbündeln und Beilen umjtehen das Tribunal.

Erſte Scene,

Chor der römifhen Krieger (fie Halten flache Trinkſchalen in den Händen, welche fie erheben und leeren, Sklaven und Sklavinnen fchenken ihnen wieder ein).

Ewige Götter! Römische Götter! Rob euh und Dank: Böllig den Erdkreis Habt ihr der Macht des Cäſars gebeugt. Weh den Befiegten! Veh den Barbaren! Mars und Triumph! Gelbit die Germanen Haft du gebändigt, Ewiges Rom! (Sie fhliefen mit übermütigen Gebärden wider die deutjhen Fürften.) Arpo. Sollen die Schmach wir noch länger ertragen ? Freiheit und Rache, wann werdet ihr tagen ? Katwald. Harrt noch, ihr Freunde! Vertrauet Armin! Arpo. Sieh’ in dem Nebe dort Fulvias ihn! Sieh’ ihn, das Haupt wie ein Römer befränzt! Sieh’, wie in römiſchen Waffen er glänzt! Die Fürften und Chor. Trägt er den Ring doch der römijchen Ritter | Sieh’, wie er gleißet in römiſchem Slitter! Katwald. Kennt ihr die Art nicht der Donar-Gewitter ? Raſch aus dem Himmel, der jüngst noch gelacht, Krachen fie nieder mit malmender Macht! Arpo (nad) der Coulifje links im Hintergrund fehend). Welch’ neue Scharen! Seht! Wird’3 nie zu Ende gehn?

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Katwald (in die Harfe greifend).

Kennt ihr das Troſtwort nicht German’shen Heldentums ?

„se dichter jteht daS Gras,

Se dichter jteht der Feind, Se bejjer lohnt das Mäh'n!“

Zweite Scene.

Aufmarſch römischer Legionen, geführt von je zwei Centurionen; fie marfihieren

in der Diagonale von links Hinten nad) rechts vorn bis dicht an den Tiſch der

Fürjten und umftellen dann die ganze Bühne in einem gegen das Publifum offenen Rechteck.

Chor der römiſchen Segionen.

Durh Alpen-Schnee, durch Parther-Sand Mit immer jtetem Schritte

Wir tragen mit das Vaterland Und Römer-Recht und -Sitte.

Und wo der Feldherr Lager jchlug, Da mag und Heimat werden, Wir folgen unjrer Adler Flug Und unſer ijt die Erden.

Und nad) dem Sieg, das Schwert gejenkt Und Plug geführt und Spaten:

Das Land, das römisch Blut geträntt, Wird römischer Benaten.

Am Euphrat und am Donaujtrom Blüht ſchon der Dienjt der Laren,

Und rings erwächſt ein Fleines Rom Zum Schreden der Barbaren.

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Wir bauen Straßen von Granit, Die noch in ferniten Tagen

Den eh’rnen Schritt, den Siegesſchritt Der Schlacht-Kohorten tragen.

Denn uns ift aus Drafel Mund Das Schickſalswort verkündet:

„Sp ewig jteht im Erdenrund Das Nömerreich gegründet

So ewig ziehn von Bol zu Bol Sieg-jauchzend die Legionen, Als auf betürmtem Kapitol Die ew'gen Götter thronen!“

(Varus und die mit ihm Zafelnden erheben fi von ihren Siten und treten aus dem Zelt ins Treie.)

Segeft. Sa, feit gegründet fteht der Römer Macht. Doch oft bricht Feuer aus des Abgrunds Tiefen, Die Erde thut fi) auf und ungeduldig Schlingt fie der Menfchen ftärfiten Bau Hinab. (leife, zu Varus allein) Trau’ nicht dem Süngling mit dem Flammenblid, O Varus, fieh dich vor: trau nicht Armin! Sn feiner Bruft jchläft tief verhalt'ne Glut: Weh dir, bricht [odernd aus dies Feuermeer. | Varus. Du bangejft ſtets! Nie bangen Rom und Bars! (leifer, zu Segeft allein) Doch bald ftell! ich ein Net den Fürſten allen, Blind werden ich die Unvorficht’gen fangen, (anf die vier Fürften deutend) Die Trog und Groll und plumpe Kraft dahinreigt, Dann Shi’ ich fie nach Rom und in den Tod: Geht auch Armin mit ihnen in die Falle, Bei Zupiter, ihr Schidjal foll er teilen.

Ri | |

459

(auf Fulvia deutend) Doch fieh, ihn halten and’re Nebe fchon Und nur dein Haß ift deines Argwohns Grumd. (zu Armin fi wendend, den Pokal erhebend) Heb’ den Pokal, Armin, Cherusferheld: Dem Genius des Auguftus! Thu’ Beicheid! Arnin (thut Beſcheid in Hoher innerer Erregung). Dem Genius des Auguftus! Sieg mit ihm! (leifer, tief leidenschaftlich) Der Genius des Auguftus, der bin ich! Gein böſer Genius! Sieg trink ich mir ſelbſt! Fulvia (für ih). D Venus, Venus gieb mir endlich Sieg. (zu Armin leiſe) Hört, Fürft Armin, oft Habt Ihr ausgejchlagen Bertraute Zwieſprach, die ich Leif’ Euch bot: Doch diesmal lad’ ih Euch aus tief’rem Ernſt Zur Sonnwendnadt, die feitlich Ihr begeht, Geheim in dies Kajtell, in mein Gemach: Dort jollt Ihr hören, was nicht Fulvia, Was Euch und Eures Bolfes Schidjal gilt. Armin (für fi). Ernſt ſpricht aus ihr! Tief birgft du did, 0 Varus: Doch was du planjt, dein Kind ſoll mir's enthüllen. (u Fulvia) Zur Sonnwend fomm’ ich, brennt das erjte Feuer. Parus. Hört mein Gebot, ihr Fürjten der Germanen, Daran ich eure Treu’ erproben will: Schwer jeid ihr bei Auguftus all’ verklagt: Empörung, Abfall fännet ihr von Rom. Sch weiß, ihr jeid uns treu. Doc jchlimmen Argwohn Nährt ftetS die alte Sitte eures Volks, Zur Nacht in Waffen euch an Waldaltären

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Gleichwie zu Krieg und Aufruhr zu verfammeln. Deshalb verbiet’ ich euch bei Todesitrafe, Liftoren, hebt die Bündel mit dem Beil! (e8 geſchieht feierlich und maleriſch) Zur Naht in Waffen euch im Wald zu fcharen: Beim Zorne Roms! Wer's wagt, den trifft das Beil! (Allgemeiner Unwille unter den Germanen, aufer Armin.) Segeft (teife zu Varus). Was thut Ihr, Herr? Das Sonn- wendfeſt ijt nah! Varus (teife zu Segert). Sch weiß, fie laſſen Schwer vom alten

Brauch! Ich kenne ſie: dann wehe den Empörern: Für viele wendet blutig ſich die Sonne.

(laut) Lebt wohl, ihr Fürften! Fulvia, deine Hand!

Varus mit Fulvia (welde noch Armin einen Blid zumwirft, den diefer erwibdert), Segeft, den beiden Legaten und den Römern zieht feierlich ab in die Burg.

Dritte Scene.

Borige ohne die Römer und Segeft. (Der mit Mühe zurüdgehaltene Zorn der Germanen bricht nun aus.)

Die vier Fürften. Wie? Unſrer Götter geheiligte Nächte Sollen wir nicht mehr feiern im Hain? Wehrlos, entwaffnet joll unjre Rechte, Das Eifen darin nur die Feſſel mehr fein ? Die Fürften und Chor (su Armin). Willft du noch länger zögern und träumen? Willſt du noch länger finnen und fäumen ? Katwald (in die Harfe greifend). Wahrlich, mir jelber währt es zu Yang. Springe die Feſſel, die Saite jprang!

(Er zerreift eine Saite.)

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Alle (auier Armin). Führ' uns, Armin! In den Kampf! Sn die Schladt! Sollen wir länger die Schmacd noch) ertragen ? Laß uns das Joch, das verhaßte, zerichlagen! Armin (weiſt auf das Kaſtell, auf deſſen Zinnen eine jtarfe Schar Römer,

welde dem Barus das Geleit gegeben, mit Segeft und den beiden Legaten wieder jihtbar wird). :

Seht um euh! Wir find in der Feinde Macht! Volt ihr an diejen granit'nen Wällen Sn thörichtem Anprall die Häupter zerfchellen ? Das wünjchte ja Barus! willfahrt ihm nicht! Nur tiefere Lift ihre Tüden bricht Und des Volkszorns tief verhaltene Kraft, Die endlich fie alle danieder rafft: Wie wenn allverderblich plöglich daher Über die Dämme donnert das Meer. Still betet zu Wodan, dem Gotte des Sieges, Dem unergründlihen Planer des Rrieges: Sit die Stunde gereift, die Entſcheidung genaht, Reit Donar euch vorwärts zu jtürmender That! Chor. Sit die Stunde gereift, die Entjcheidung genaht, Reißt Donar euch vorwärts zu jtürmender That!

Vierte Scene. Segeft mit Gefolge aus dem Kaftell zurüdtehrend. Borige.

Armin. Zum legtenmal, Segejt, leg’ ab den alten Groll!

Segeft. Dann legt’ ich ab mich ſelbſt: Groll macht den Mann erjt voll.

Armin. Solang’ Cherusfer find...

Segeft. Der Kühne will mein Kind!

Arınin. Grollt dein und mein Geſchlecht . . .

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Segeft. Das ift der Fürjten Recht! Armin. Dabei verdirbt das Ganze. Segeft. Das dient nur Fürjtenglanze! Armin. ch biete dir Berfühnung. Segeft. Sit ſüßeſte Gemwöhnung

Bererbter Haß doch Helden.

Armin. Gieb mir dein Kind Thusnelden,

Sie liebt mic)! Sie werde mein!

Segeft. Bei Helas Schreden: Nein!

Lieber dem Abgrund, den Göttern der Nacht! Armin. Hüte dich denn vor der Liebe Macht! Segeft. Hüte dich) du vor des Römers Waffen!

Ehe die Sonne des Sommers fich wendet,

Wird fie ihm Hab’ ich mein Wort verpfändet

Wird fie zu eigen Numonius Bala.

(Segeit ab.) Armin. Ha, Flammen und Schwert! Doch ih muß Ichweigen:

Muß den Glutftrom im Bufen dämpfen:

Denn für mein Volf nur darf ich kämpfen:

Sei Glüf und Liebe drum verloren,

Germania freil ich hab's gejchiworen.

Fünſte Scene, Beide Legaten kommen mit zahlreichen Nömern aus dem Kaftell; die Borigen. Vala. Zu Ende geht das Felt, es finft der Tag, Doch ſchweigt noch der Germanen Harfenjchlag. (höhniſch) Man rühmt euch hoch, ihr freiheitſtolzen Sänger: Ich ſing' euch vor: wohlan, ſingt nach! Nicht ſäumet länger.

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Über all Germanenland

Spannen wir das eh'rne Band, Turm, Kaſtell und Mauern:

Wohl in ihren Wäldern bang,

Schwer gedrüdt von Kettenzwang, Mag Germania trauern!

Schwingt die Ruten, ſchwingt das Beil, All zu der Germanen Heil, Schwingt fie hoch, Liktoren: Färbet eures Purpurs Glut, Dunkler in Germanenblut, Noms Triumphatoren!

Dlonde Zöpfe, goldnes Haar,

Weiße Glieder, Augen Far Preiſ' ih an Thusnelden:

Aber für Barbaren nicht

Leuchtet jolher Schöne Licht: Nur für Römerhelden.

Armin (ans Schwert fahrend).

Dein Blut, Verruchter! Halt, Armin, halt ein,

Dein Volk! Dein Voll! E3 muß getragen fein. Kutwald. Kannſt du den Schändlichen atmen lafjen ? Armin. Rom, nicht Römer nur gilt es zu hafjen,

Bald joll fie al’ das Verderben erfaijen!

Dala u Lucius). Sind fie denn gar nicht zum Schlagen zu bringen? Cucius Gu Vala). Lieben e3 jonjt doch vor allen Dingen. Vala. Schlagen fie los, jo find jie verloren. Fucius. Scheint mir, ein Kluger mäßigt die Thoren. Vala. Aber die Sänger find nicht zu bänd’gen, Die Thörichtſten find fie aller Lebend’gen!

464

Vala (u Katwald in höchſtem Hohn). Sag’, du Sänger, bang und zag, Warum fchweigt dein Harfenichlag ? Wohin ſchwand dein Liedesruhm? Ei, Hat Rom dein Sängertum Auch in Furcht gejchüchtert ? Katwald (in lebhaftem Born). Dir fing’ ich Antwort, Rö— merheld: Sieb acht, ob dir mein Sang gefällt! (Er greift in die Saiten)

Ihor jtand am Mitternacht-Ende der Welt,

Die Streitargt warf er, die jchwere:

„Soweit der jaufende Hammer fällt,

Sit mein das Land und die Meere!"

Und es flog der Hammer aus feiner Hand,

log über die ganze Erde,

Fiel nieder am fernjten Südens Rand,

Daß alles fein eigen werde.

Seitdem iſt's freudig Germanenredt,

Mit dem Hammer Land zu erwerben:

Wir jind von des Hammergottes Gefchlecht

Und wollen fein Weltreich erben.

Und was den braujenden Waldjtrom hemmt, Und was den Germanen entgegen jich jtemmt Das goldene, eiferne, römijche Joch,

Wir tragen es noch: bald brechen wir’s doch! (Schon während des Liedes hat Friegerifche Begeifterung die Germanen ergriffen, wit Mühe hat Armin fie nad) den erften Strophen nody Hin und hereilend bes

ſchwichtigt, jest aber brechen fie los:) Chor. Wir tragen es noch: bald brechen wir’s doch! Auf! ſchwingt die Waffen! in den Feind gefahren!

(Sie ziehen die Schwerter, ſchwingen die Ärte und Speere und dringen auf die Römer ein.)

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Vala, fucius und Chor der Römer. Ha! haben wir euch? nun weh den Barbaren!

(Der Kampf beginnt auszubreden.)

Armin (fpringt zwiſchen die Kämpfenden, fchlägt mit dem Schwert dem Arpo den Speer, dem Lucius das Schwert aus der Hand und trennt die Streitenden).

Halt! Nieder mit den Waffen! Aus der Streit! (zu den Römern) Hoch des Auguftus Herrlichkeit! (zu den Germanen, leiſe)

Geduld ihr Genofjen! bald fommt die Zeit!

[ Chor der Nömer. Emige Götter! Römische Götter! Lob euh und Dank. Völlig den Erdfreis Habt ihr der Macht des Cäſars gebeugt.

Weh’ den Befiegten! Weh' den Barbaren! Mars und Triumph! Selbjt die Germanen Hajt du gebändigt, Emwiges Rom!

Chor der Germanen. Geduld, ihr Genofjen; bald fommt die Zeit! Sit die Stunde gereift, die Entiheidung genaht, Reißt Donar euch vorwärts zu jtürmender That!

Gruppe. Die Fürften. Die Legaten. 3 Armin. = Die Sermanen. Die Römer.

Der Vorhang fällt.

Dahn, Sämtl. poetifche Werke. Erfte Serie Bd. VI. 30

466

II. Aufzug.

Thusneldas Gemach in Segeft3 Burg. Einfacher, jehr jchwerer Holzbau. Bemalte Holzpfeiler. Duerbalfen des Daches roh ges ihnigt, Tiergeftalten, Drachen, Blumen. Schwere Truhen. Niedrige geichweifte Holzichemel, darüber Teppiche. Spindel und Flachs, andere Arbeit» und Schmudgeräte der Frauen an der Wand in offenen Verjchlägen. In der hinteren Seitencoulifje rechts ein breites erferähnliches Fenfter ohne Glas mit halb zurückgeſchlagenem Vorhang. Geradeüber linfs und vorn rechts eine Thür. Volles Mondlicht fteht über dem draußen fihtbaren Eihwald. An dem Mittelpfeiler brennt eine Fadel in eijerner Die.

Erfte Scene.

Thusnelda allein. (Sie lehnt träumeriſch hHinausbiidend an dem offenen enfter.) (Der Vorhang erhebt ſich, während das Orcefter noch fpielt; träumerifch fehn- ſuchtvolle Mondnadt.)

Shusnelda. Über des Eichwalds Wogende Wipfel Hin und wieder Slutet das Mondlicht, Flutet die Sehnſucht!

Grüße, du bleiche, Schweigende Gottheit, Sehnender Liebe, Treue Vertraute, Grüße den Fernen, Grüße den Freund. Werd' ich ihn jemals

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Wieder erichauen? Trägt ihn der Liebe Mutige Schwungfraft Über den Haß der Beiden Gejdhlechter Sieghaft zu mir?

Oder verwelft in Behrender Sehnjucht Ode mein Leben?

Komm, o Geliebter! Der du dein Volk zu Netten gelobt Haft, Willſt du die Geliebte Laſſen verzagen?

Komm, o Geliebter!

Wehe, Thusnelda! Wie wagjt du zu wünschen ? Sehnſt du Dir jelbjt den Entführer herbei? Über des Haufes geheiligte Schwelle, Über der Jungfrau bebende Scheu,

Willſt du Hinweg mit verwegenem Schritt?

D, wie verwirrjt du doch mächtig den Mädchen,

Freia, den jehnenden, jehnenden Sinn! (Geräuſch vor der Thüre rechts.)

Wer naht jo jpät noch meinem Frau'ngemach?

30*

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Zweite Scene, Shusnelda. Segeft. Numonius Bala,

Segeft. Nicht längern Aufſchub duld’ ich mehr, Thus— nelda! Du wollteſt nicht verfteh’'n des Vaters Winfe, Gehorchen wirft du feinem Machtgebot: Bala Numonius, diejer edle Römer, Warb lang um did: ihm gab ich deine Hand. Chusnelda. Niemals werd’ ich des ungeliebten Mannes, Des Nömers Weib, der unſres Volkes Feind! Vala (für ſich. Mein Weib joll fie nicht werden, Die Barbarin! Hab’ ich fie exit am Tiberftrom daheim, Der Kaiferin ſchenk' ich ihr gelbes Haar. (laut) Kein Römer ijt der fehönen Frauen Feind! Neicht mir die Hand: (ſch ihr nähernd) bald werd’ ich euch befehren. Chusnelda (madt eine trogige abweifende Bewegung). Hinweg von mir! Segeft. Das ijt der Troß, den fie Armin gelehrt. Der Thor! Er wagte, ihre Hand zu fordern. Pala. Ihm die Geliebte rauben: doppelt ſüß! Chusnelda. O Vater, längjt fein eigen ijt mein Herz! Segeft. Das ſoll dir eh’ zerjpringen in der Bruft, Als unjers Fr Erbfeind dich gewinnt. Chusnelda. Es jei! Berjage mich dem größten Helden, Der je Öermaniens Waldeskraft entiproß, Doch gieb mich dem verhaßten Feinde nicht. Segeft. Du wirst jein Weib! Chusnelda. Erbarmen, Bater!

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Segeft. Schweig', mein Wort bleibt fteh'n: Schon morgen rüft ich dir das Hochzeitfeit. Vala (im Abgehen). Bald, ſchöne Beute, führ' ich dich nah Rom. Shusnelda. D Vater, Bater! Höre mich! Erbarmen!

(Segeft weift fie an der Thüre zurid. Beide Männer ab. Thusnelda bridt an der Thürſchwelle zufammen und bleibt geraume Zeit Liegen.)

Dritte Scene,

Thusnelda allein.

(Nah einiger Zeit hört man von aufen vor dem offnen Fenfter den Lockruf des wilden Schwanes.)

Chusnelda (erhebt fih laufend). Horh! was war da3? Des wilden Schwanes Auf!

(wiederholter Schwanentuf von außen)

Ach, unjrer Liebe Leif’ vertrauter Gruß!

(wiederholter Schwanenruf) Sein Gruß! Sein Auf! Er iſt's! Er naht! Armin! (Eilt an das Fenſter.) Armin (fingt von außen unterhalb des Fenſters, anfangs nod fern, dann raſch näher fommend). Gefangen von Menfchen die Schwänin lag, Die Schwingen zujammengebunden. Su Trauer verrann ihr Tag um Tag, Sie hoffte nicht mehr zu gejunden. Chusnelda. Sa, feine Stimme! Unſer ſüßes Lied! (fie antwortet, zum Fenfter hinausſingend:) Da hörte ſie's draußen durchs Dunkel der Nacht, Wie Schwanenfittihe raujchen: Armin. Der Wildſchwan Iodte mit Macht, mit Madt... Chusnelda. Sie harrte mit jehnendem Lauſchen.

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Armin (jest viel näher und Fräftiger). Und näher und näher drang fein Ton, Thusnelda. Da regte fie mutig die Schwingen ; Armin und Thusnelda. Da fielen die Bande: ſie find entflohn Dur die Nacht mit Raufchen und Klingen.

Vierte Scene.

Es wird von außen eine Leiter, über die Fenfterbrüftung ragend, angelehnt:

Armin und Katwald fteigen herein. Katwald verläßt bald darauf, wachdem

er an der Thür links gelauſcht, durd) die Thür rechts die Bühne, fommt jedoch bald zurüd.

Thusnelda Armin Katwald.

Shusnelda. Geliebter, du! welch’ tödlich Wagnis: flieh! Armin. Sch fliehe nur mit dir; o fomm, Thusnelda! Chusnelda. Entfliehn? Mit dir? Des Haufes Götter zürnen. Armin. Du bijt verloren, wenn du zögerjt! Flieh! Katwald. D ſäume nicht! Entflieh mit uns, Thusnelda! Armin. Willſt du des Römers GSiegesbeute werden ? Mein Roß harrt unten in dem Eichenbufh: Es trägt ung fchnell hinweg . . . Chusnelda. D Herd des Haufes! Soll ich verſtohlen, nächtlich dir entfliehn? Armin (vergweiflungsvon). So liebjt du mich nicht mehr? Thusnelda. Armin! Geliebter! Kennst du Thusneldens ew'ge Liebe nicht? Und ob die Sterne liegen ihren Glanz, Thusnelda läßt von ihrer Liebe nicht! Sie bräche leuchtend noch durch Helas Nacht. Armin. Sp folge mir! Soll fred des Römers Mund Mit übermüt’gen Küſſen dich entweihn?

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Willſt du in feinem Arm dich zitternd winden,

Armins gedenken und vor Scham vergehn ? Antwald (an der linken Thür laufchend).

Sch höre Schritte? Fort! Wir find entdedt! Armin (urch die Thür rechts rufend). Freunde, herbei! Shusnelda (ich an Armin Bruſt werfend).

Sch folge dir! Dein! Dein auf Tod und Leben!

(Zwei Germanen erfcheinen an der Thür, Armin führt ihnen Thusnelda zu, diefe und die Germanen ab.)

Satwald. Fort, fort! Verlöſcht das Licht!

(Er verlöfht das an dem Mittelpfeiler in eine Öſe geftedte Fackellicht. Es wird dunkel.)

Alle drei. Raſch fort! Hinaus! Hinweg! Beſchirmt nun unſre Wege Der Nacht, der Liſt, der Liebe, Gewalt'ge Götter ihr!

Fünfte Scene. Armin, Katwald (an der Thür rechts). Segeſt, Vala und zwei Römer ftürmen von links herein. Segeft. Räuber! Entführer! Mädchenbethörer! Dala (Armin erbiidend). Nieder mit dir, verhaßter Barbar!

(Segeft und Katwald, Vala und Armin werden handgemein: glei) darauf fallen Segeit und Bala ſchwer getroffen ihren Leuten in die Arme).

Katwald (bei dem Streich, der Segeſt niederwirft). Da! Nimm den Brautſchatz, Vater Segeſtes! Armin (bei dem Streich, der Vala verwundet).

Da! Nimm Thusneldens Abſchiedsgruß!

(Während die Römer mit den beiden Verwundeten befdäftigt find, entweichen Armin und Katwald.)

Borhang fällt.

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III. Aufzug.

Gemach Fulvias in dem Römerkaſtell Aliſo. Steinbau: reiche römiſche Ausrüftung; nur in der Mitte eine Thür. Links in der 1. Coulifje ein praftifables Fenſter mit breitem niedern Steinſims, ohne Glas, durch Vorhang geſchloſſen. Rechts vorn ein mit Pur— purteppichen und Polſtern reich gejhmücdtes Lager; davor ein niedrer Marmortiih mit Gold» und GSilberpofalen und Miſchkrügen.

Vier Kandelaber mit bunten Flammen. Dreifüße. Opferſchalen. Rings Marmor, Gold und Elfenbein. Moſaiken auf dem Fuß— boden. Fresken pompejaniſche Wandmalereien. Der ganze Luxus der römiſchen Kultur im Gegenſatz zu der Schlichtheit im Gemach Thusneldens. Fulvia, reich geſchmückt, in üppiger Tracht, allein, ſteht am Fenſter und ſpäht hinaus.

Erſte Scene.

Fulvia. Entglommen ſchon ſind auf den Bergen die Feuer, Rings zu dem Lichtgott fleh'n die Germanen.

(den Vorhang fallen laſſend, leidenſchaftlich von dem Fenſter hinweg, in die Mitte nach vorn eilend)

Ich auch flehe zu jenem Gott,

Den ich allein von den Himmliſchen ehre: Höre mich, Amor, bogengewalt'ger, Lächelnd die Männer bezwingender Gott! Beuge dem ſtolzen Cherusker den Nacken, Welcher bisher dein Scepter verſchmäht: Laß ihn an Fulvias Buſen erglühen! Laß ihn von dieſen ſchimmernden Armen,

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Eng, den Bezwungnen, umjchlungen werden! Laß ihn in jeligem Rauſche vergelien, Mund an Mund in brennendem Kuß, Laß ihn vergejjen Freiheit und Freunde Und jein barbarifches Vaterland.

(fie zieht ein Bernfteinfläjchchen aus dem Bufen) Segnet mir, Himeros, Eros und Anteros, Segnet den magischen Liebestranf; Daß ihm die Sinne, wonneverjunfen, Unter Fulvias Küfjen vergeh'n.

Zweite Scene.

Fulvia. Eine Sflavin. Gleidy darauf Armin. Sklavin erjcheint an der Thür im PMittelgrund, ftumm meldend.

Fulvia. Sit er's? (Stlavin nid) Führ' ihn herein und jchließe Bon außen leife das Gemad). (Sie ſchüttet den Liebestranf aus der Bernfteinphiole in einen Goldbeder.) (Sklavin ab, Armin tritt ein.) Armin (auf der Schwelle, für ſich, Ieife). Bergieb, Thusneldas reiner Schußgeift, mir: Du weißt, was ihren Gatten führt hieher: Entreigen muß ich ihr des Varus Plan! (zu Fulvia) Gegrüßt, o Herrin! Schönfte Tochter Roms! Sch Fam auf deinen Auf: fobald am Berghang Entglomm das erjte Feuer, eilt’ ich her: Kun fprih: was mwollt’jt du heimlich mir vertrau’n? Fulvia (ür fi). Schweigt no, im wogenden Bufen, ihr Stürme! Halte zurüd noch, du Lodernde Glut!

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Armin (für fi). Wär’ ich zurück aus dem ſchwülen Se» mache! Waldestuft! Himmelsluft! Wär’ ich zurüc! Fulvia (ür fi). Bald wird der Spröde, von Liebe ge— bändigt, Werbend mir, bittend, umflammern die Sinie. Armin (für fih). Friedlich ſchon ſchlummert daheim nun Thusnelda! Hört’ ich der Träumenden Atem doch wehn! Fulvia (zu Armin, ihm nad) vorn winkend). Ahnt nicht Armin, des Waldes rauher Sohn, Welch’ ſüß Geheimnis jchtweigend feiner harrt? Berehrt nicht Ihr der Liebe Göttin auch ? Kalt ift fie wohl, die Venus Eures Landes, Den Falten blonden Frau’n der Wejer gleich. Was wißt Ihr von der gold’nen Aphrodite ? Armin. Der Liebe Göttin ift uns wohl befannt: Zugleich der Treue Göttin ift fie uns. Fulvia. Der Schönheit ſüßen Neiz, fennt Ihr ihn nicht ? Armin. Wie follten wir das Herrlichjte nicht Fennen! Ward Freia niemals dir genannt ? Hoch preifen Frauenſchönheit unfre Lieder, Doch höher noch der Frauen Züchtigfeit. Berzeiht mir: nicht zu müß’ger Zwieſprach fam ich: Ihr wolltet wicht’ge Kunde mir vertrau’n Bon meines Volks Geſchick: Shr Habt gejcherzt, Ich feh’s, drum laßt fogleich mich wieder fcheiden: Die Freunde mijjen mich beim Sonnwendfeft! Fulvia (in ſchreckhafter Erregung). Bleib, bleib! Armin! Geh’ nicht zum Sonnwendfeft! Armin (für fih). Ha, diefe Angft! Dort, dorther droht Gefahr!

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(laut) Nein, ich verſprach's, ich eile zu den Freunden. (Wendet fih nad) der Thür. Fulvia hält ihn angſtvoll feft.) Sulvia. Bleib, bleib! Armin! Geh’ nicht zum Sonn- wendfeſt! Armin. So ſprich, weshalb? Zielt dahin dein Ge— heimnis? Fulvia (miſcht Wein und Waſſer in dem Goldbecher des Liebestranks). Erſt dieſen Becher leere, teurer Gaſt, Dann will ich mein Geheimnis dir verkünden. Armin (für fih, überlegend). Gift? Nein! Sie ſelbſt ja zittert für mein Leben! Ein Liebestrant? Des lacht Thusneldens Gatte! (erhebt den Pokal und trinkt) Des ſchönſten Weibes, das ich Fenne, Heil! Fulvia (für is). Schon muß der Liebestranf fein Herz beraufchen! (su Armin, diefen allmählich au fi auf das Ruhebett niederziehend) Willit du mir wohl des Weibes Namen nennen? Armin (ihr allmählich, ſcheinbar nachgebend, auf das Ruhebett folgend). Das will ih! Aber dein Geheimnis erjt! Fulvia (ür ſich. Er liebt mih! Fulvias Namen wird er nennen! (sieht ihn ganz zu fich nieder) Hör’ mein Geheimnis denn, du ſtolzer Mann: Sch Liebe dich! Drum hab’ ich dich geladen Heut Nacht zu mir und fern vom Sonnmwendfeft. Nenn’ mir den Namen nun des Shönften Weibes ! Armin. Sogleich, nur jag’: weshalb jujt heute Nacht, Weshalb zur Sonnwend haft du mich geladen ? Fulvia. Weshalb, du Trauter? Weil mein Vater ſchrecklich Heut' Nacht ſein Netz zuſammenzieht um euch.

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Armin (auffpringend). Am Sonnwendfeſt! Sch ahne! Meine Freunde! Fulvia. Sa, eure Fürften alle, die heut’ Nacht In ihren Waffen, nad) der alten Gitte, TIro dem Verbot, zum Fejte fich verjammeln, Umitellt von zwölf Kohorten ift der Hain! In Retten fchiekt fie Varus all nad Rom, Nah Nom, zum Tod, Und dich mit ihnen, kamſt du mit zum Feſt! Armin (an die Thür eifend und daran rüttelnd). Hinweg! Hinaus! Nun gilt’s, mein Volk erretten! Fulvia (Hart ihn). Umſonſt! Sch Ya’ dich nicht! Du bift gefangen! * Die Thür ift feſt verichloffen: du bijt mein! Armin (vergeblich bemüht fich loszureißen). Laß mich, unjelig Weib! Ich muß hinweg! Fulvia. In meinen Armen halt’ ich dich gefangen, Sc habe dich gerettet: dich allein Doch auch für mich ſollſt dur gerettet fein: Sag’ mir de3 ſchönſten Weibes Namen nun!

Armin (Hat im Ringen mit ihr das Fenſter entdedt: er fchleudert nun Fulvia von fi, welde auf die Knie zufammenbridt, fpringt auf die Brüftung nnd reißt den Vorhang zurüd).

Das ſchönſte Weib? Du fragft noch, Römerin?

Das ſchönſte Weib? Das ift mein Weib, Thusnelda! Empfang’ mid) heil’ge Nacht, auf weichen Schwingen! Hoch ijt der Sprung: Hilf, Wodan, durch die Luft! Ich muß: und mwird’3 mein Tod es gilt mein Volk! (Fulvia finft vollends zu Boden. Armin fpringt in hohem Schwung hinaus.)

Zwifhenvorhang. Verwandlung.

477

Dritte Scene.

Germanifcher Opferhain in dem Waldgebirg der Weſer. Die ungeheuren Eichen

verihlingen ihre Wipfel zu einem undurddringlihen Laubdach. In der Mitte

im Hintergrund unter einer riefigen Eiche, in deren Zweigen Fahnen (Tierhäupter,

Drachen- und Wolfstöpfe auf langen Stangen) ficken, ein aus großen Yels-

blöden roh gefügter Altar: darauf ein großer eherner Opferkefjel, unter weldem

ein Teuer brennt. An den beiden zweiten Coulifjen links und rechts werden fpäter Feinere Feuer entzündet.

Die ganze Bühne ift von germanifchen Prieftern, Priefterinnen, Kriegern, Frauen gefüllt, aud die vier Fürſten und Katwald —: alle Diänner be waffnet. Links im Bordergrund ein Gebüjh, in dem fpäter Lucius laujct, rechts vorn ebenfalls Gebüſch, hinter welchem fpäter Armin, von den Germanen ungejehen, auftritt. Alle. Hört uns, heil’ge Heimatgötter, Hoch im hehren Eichenhain. Sonne, jende unjern Saaten Deinen fügen Segenjchein. Chor der Männer. Weihet unfre Wehr und Waffen! Chor der Frauen. Weiht der Weiber Webewerk! Chor der Männer. Schenkt uns Sieg im Schwerter» ſchwingen! Chor der Frauen. Hegt des Herdes Heiligkeit! Chor der Männer. Wodan und Donar, Freir und Frö! Chor der Frauen. Baldur und Nanna | Freia und Frigg! Männer und Frauen. en und Elben, Hört uns und Heft.

Albrun (ganz mei gefleidet, Miſtelkranz im offnen Haar, Goldgürtel und Armringe: ſchreitet mit langer Tadel vor und entzündet zuerft den Holzſtoß neben dem Hauptaltar, auf weldem Baldur, aus Holz geihnigt, mit Blumen überdedt, Liegt: dann wandelt fie nah rechts und links vor und entzündet die beiden Heinen Feuer, über weldhe ſodann die Paare fpringen: fie fingt unter diejen feierlihen Handlungen folgende Arie).

Trauer und Trübjal Nahen num mächtig Männern und Maiden!

Chor.

Albrun.

Chor.

Albrun.

Chor.

478

Siehe, des Sommers Sonne, fie jank! Blühender Baldur, Ach, wie fo balde Biſt du erblaßt. Hlühender Baldur, Ach, wie jo balde Bit du erblaßt!

Hoch doch in Hoffnung Hebet die Herzen: Nahm ja die Nacht nicht Auf immer ihn uns. Freudig im Frühling Kehret der König

Des Lichtes Tebendig, Sonnig und fiegreich, Den Seinen zurüd. Kehret der König

Des Lichtes Lebendig, Sonnig und fiegreich, Den Seinen zurüd. Und endlich auf ewig Schwinden die Schatten Der Not und der Nacht. Einft ift das Alter, Da einzig im Al Leuchtend wird leben Das labende Licht. Einſt ift das Alter, Da einzig im AU Leuchtend wird [eben Das Tabende Licht.

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(Nachdem die Feuer von Albrıın entzündet, treten zwanzig Paare Sünglinge und Mädchen zu dem in rhythmiſchem Neigentanz auszjuführenden Sprung über und durch das Sonnwendfeuer an beiden Couliſſen zufammen.)

Katwald (in die Saiten greifend). Über das Feuer und durch die Flammen Waget fich echter Liebe Mut: Schwingt euch über die Lohe zufammen: Eia, die Glut wächſt in der Glut. (Zanz und Sprung der Paare.) Chor. Eia, die Glut wächſt in der Glut! Katwald. Nimmer üich laſſen, die echt ſich teuer, Halten verſchlungen ſich Hand in Hand: Springen durch Feinde, Schwerter und Feuer: Heil dir, Liebes- und Opferbrand. (Tanz und Sprung der Paare.) Chor. Heil dir, Liebes- und Opferbrand. Ratwald. Über das Feuer und durd die Flammen Waget ſich echter Liebe Mut: Schwingt euch über die Lohe zufammen; Eia, die Glut wächſt in der Glut. (Tanz und Sprung der Paare.)

(Die Paare verlafjen, durch die Hinterften Couliffen rechts und links abtanzend,

die Bühne. Alle Anweſenden folgen ıynen, aufer Katwald, den vier Fürften

und wenigen germanifhen Kriegern; lettere bleiben aber vorläufig im Hinter grunde.)

Arpo (vortretend). Genug der Luft, des Feſtes und des Spiels! Gedenkt des Ernſt's! Gedenkt des hohen Ziels! Die vier Fürften. Nicht länger tragen wir der Römer Joch! Wir ſchlagen los! Nur Feigheit trägt es noch! Autwald. Harrt auf Armin!

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Arps. Wo bleibt er? Sprih! Sag’ an! Die Fürſten. Er läßt von uns, der ungetreue Mann. Arpo. Die Römerin hat ihm den Sinn genommen. Die Sürften. Er ſchwur, zum heilgen Götterfeft zu fommen. Arpo. Beraten wollt’ er mit uns heute Nacht, Wie man bezwänge Varus’ Übermadt.

(Lucius und zwei Römer werden unbemerkt fiditbar im Gebüſch links; man muß annehmen, fie haben Hinter fih die Kohorten; fie winfen nad Hinten Schweigen und Vorſicht.)

Arpo. Wo bleibt er nun? Katwald, beihörter Sän- ger,

Wie lang’ willft du ihm trau'n? Wir trau'n nicht länger! Katwald. Feſt bau’ ih auf Armin! Er kommt gewiß. Lucius (Hat den nahenden Armin erblidt, Ieife zu den Römern).

Sa feht! Dort kommt er! Wehe dem Verräter!

Nun ging der ftärfjte, klügſte Vogel auch

In Varus' Garn: jebt zieh’ das Netz ich zu.

Vierte Scene.

Borige. Armin (tritt atemlos von rechts rorn auf, er bemerkt Luciuß).

Germanifhe Männer und Frauen (auch Albrum) betreten nad) und nad wieder die Bühne.

Armin (für fi). Sch ritt zu Tod mein Roß: nod fam ich recht! In jenem Buſche blinkt ein Römerhelm. Jetzt gilt es Lijt! Gilt, Freunden weh zu thun: Soll ich fie retten, muß ich ſchwer fie Fränfen.

(Armins ftartes Gefolge tritt auf) (laut)

Jawohl, Armin, der Römer treufter Freund! Berräter und Empörer, hab’ ich euch? So tretet ihr des Varus Wort mit Füßen?

481

Zur Nadt, in Waffen, habt ihr wieder euch Geſchart, geheim den Aufjtand zu beraten! Gefangen nehm’ ih al’ euch, ihr Empörer, Sn Ketten führ' ich euch dem Varus zu. Alle. Armin! Arpo. Verrat! Da ſiehſt du nun, o Katwald, Den Römling, den Verräter! Lucius (für ſich. Iſt's fein Ernft? Katwald. Armin! E3 fann nicht fein! Nie werd’ ich’s glauben! Arpo (zieht, und dringt auf Urmin ein). Noch bligt mein Schwert! Armin (verwundet ihn am linten Arm und entwaffnet ihn). Gieb dich! Du bift gefangen. Albrun (niet vor Armin). Laß nur den Sänger, aller Götter Liebling, Ad, unjer aller Liebling, laß entfommen, Nur Katwald, deinen Freund... Incius (ür fig). Kun gilt’3 die Probe! Armin (nad innerem Kampf). Kein! Nichts von Schonung! Alle müfjen fterben! Auch nicht den liebſten Herzensfreund zu retten, Üb’ ih an Varus und Auguft Verrat! Ergreift auch Katwald und führt ihn zum Tod! (Alle Fürften und Katwald werden von Armins Gefolgen umringt und gefeffelt.)

Sucius (und die Römer treten aus dem Gebüſch, auf ihren Wink ein ftarfer Zug Römer von links).

Dies Wort, Armin, hat erjt dich jelbjt gerettet; Sch melde Barus: treu erfand ich dich!

(Allgemeines Erjtaunen der Germanen, jheinbar auch Armins, über der Römer Anmejenbeit.)

Armin. Du hier, Legat? Sieb mir noch Römer mit, gieb zwei Kohorten, Auf daß ich ficher der Gefangnen jet:

Dahn, Samtl. poetiihe Werke. Erfie Serie Bd. VI 31

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Leicht auf dem Weg würd’ fie das Vol befrei’n. Ich führe fie fofort von hier zum Tod. Sucius. Wohin? Armin. Ganz in der Nähe liegt Ein ſichrer Waldverhau, mein Waffenpla$ —: Dort töt’ ich fie. Lucius. Auguftus wird dir lohnen. Lucius und die Homer. Heil Armin, dem Freund der Römer, Der da Varus die Empörer, Gelbit des Freundes nicht verſchonend, Hat zur Rache zugeführt. Albrun, die Fürften und Chor der Germanen. Weh Armin, dem Bolfsverräter ! Fluch joll folgen feinem Namen, Weil Germaniens Wälder raufchen, | ir Germaniend Zunge tönt!

Während die Römer mit Lucius nad) rechts, Armin mit den gefangenen Fürften,

den Cherusfern und einigen Römern nad links abziehen (ftummes Spiel ber

Fürften, Katwalds, Albruns) und der Reft der Germanen auf der Bühne fein Entfegen ausdrüdt,

fällt der Vorhang.

483

IV. Aufzug.

Erfte Scene.

Wachen Armins an allen Eingängen. Hornrufe von aufen. Armin führt

von rechts durd) einen jchmalen Eingang jeine Gefangenen mit zahlreicher herus-

kiſcher Bededung und einzelnen römiſchen Heerführern in den Waffenplag. Viele

Cherusfer tragen brennende Fackeln. Während die Gefangenen nad) vorn ſchreiten,

wendet ih Armin in den Hintergrund, feinen bei den Waffen aufgejftellten Wachen leije Aufträge gebend.

Arpo. Welch traurig Los!

Brinns. Im Augenblid der That... Arpo. Der Freiheit Hoffnung! Brinno. Rafft uns hin der Tod.

Arpo. Und nicht der Wodan-Tod!

Chor. Und nicht der Tod der Schlacht!

Brinns. Der Tod durch Henferbeil!

Arps. Und nicht dur) Römerhand!

Brinnse. Durch des Cherusfers jchändlichen Verrat!

Alle vier Fürften. Fluch jei dem Neiding! Fluch dem Berräter!

Katwald. Schredlicher als des Todes Schreden Wäre des Freundes That zu ertragen! Uber ich werde jie niemals glauben! Ale. Wie? Du vermagjt noch, fie zu bezweifeln? Katwald: Bis mir im Tode fjtodet das Herz, Werd’ ich nicht zweifeln an Armin! 31*

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Tiefer al3 andre in Menjchengemüt Schauet der Sänger, der Öötterliebling: Sa, und ich ſag' euch: Sit Armin ein Verräter der Seinen, Dann zerreißt die Saiten, die Harfen zerichlagt, Dann lüget die Liebe, dann lüget das Lied Und es fallen vom Himmel die ewigen Gterne!

Armin (bat feine Weifungen im Hintergrund beendet und biefe Worte, nachdem er ſich leife genähert, gehört.)

Das war ein Freundes- und ein Sängerwort, Das that mir wohl, o Katwald, habe Danf. Laß Dir zuerjt mich felbjt die Bande löſen, (er nimmt ihm die Ketten ab) Da, nimm dein Schwert und nimm dein Saitenfpiel, (er reicht ihm beide) Sa, du fpradjt wahr: Verraten nicht, gerettet Hab’ ich euch. Nehmt eure Waffen, Brüder: ihr jeid frei.

(Die Ketten werden den vier Fürften von den Eherusfern abgenommen und ihnen die Waffen wiedergegeben. Die [wenigen] römiſchen Centurionen maden eine drohende Bewegung.)

Armin (u feinen Cherustern).

Ergreift die Römer dort! Nehmt fie gefangen! (Die Römer werden abgeführt.)

Arpo. Armin! Wär’s möglich!

Die vier Fürften. Unrecht that ich Dir. Berzeih’ und allen! Sieh uns vor dir fnien!

(Armin erhebt fie) Arpo. Noch faſſ' ich’ nicht, das Wie: doch ahn' ich viel.

Katwald (auchzend). Heil mir! ich Habe nie an Dir geziweifelt! Nicht atmen könnt' ich mehr, hätt’ ich gewankt. Armin, mein Freund, mein Stolz an deine Bruft!

(Umarmung.)

485

Armin. Verloren wart ihr, rettungslos verloren, Nachdem ihr fielet in des Varus Garn, Wenn Er euch, nicht Armin, gefangen nahm. Weit von den Feinden mußt’ ich fort euch führen! Vergieb mir, Arpo, deines Armes Wunde: Sch ſchlug die Linfe nur: denn jegt ift Zeit, Daß wir des tapfren Marjen Rechte brauchen. Alle. Sp willſt du jest zum Kampf, zum Sieg ung führen ? Armin. Sa, Freunde, ja! Jetzt fam der Tag der Rache! Hört meinen Plan und Varus Untergang. Euch wähnt er tot, Armin fich blind ergeben. Ein Aufftand tief im Bergwald lodt ihn fort Bon feinen feiten Lagern und Rajtellen. Shr mwißt, wo unmwegjam in Urwald-Schreden Aus Sümpfen fteigt der Wald von Teutoburg ? Dorthin muß Varus mit den Legionen! Ihr Totgeglaubten überfallt ihn vorn. Er ruft nah mir, der feinen Rüden dedt; Er ruft Armin, Armin foll ihn befrein: Doch jhredlih von den wald’gen Bergen Bricht unjer Heer auf ihn herein, Bricht auf ihn ein Armin und das Verderben Und bis ans Heft tauch’ ich in Nömerblut Dies Schwert! Katwald (Gochbegeiſtert in bie Harfe greifend). Heil dir Armin! Du wirft Germanien retten! Sn ferniten Tagen preift dich noch dein Volk: Dein Name wird im Lied der Sänger leben: Unjterblich wie ein Halbgott wirft du fein! Armin (die Vorhänge feiner Waffenhalle öffnend). Seht Hin! Seit Jahren ſorglich aufgehäuft Hab’ ich hier Waffen, Waffen ohne Zahl:

486

Nehmt Römerwaffen, beſſer als die unfern, Nehmt NRömerwaffen, Römer zu verderben.

(Alle eilen tumultarifh nad Hinten, wählen ſich Waffen, und ftürmen, biefelben ihwingend, wieder nad) vorn. Gruppe: Waffen erhoben; Armin in der Mitte.)

Armin. Schwört auf dies Schwert! Kein Friede mehr mit Nom. Nicht eher nieder legen wir das Eifen, Bis daß Öermania frei vom Römerjoch! Batwald, die Fürften und Chor. Kein Friede mehr mit Rom. Nicht eher nieder legen wir das Eijen, Bis daß Germania frei vom NRömerjoch! Armin. Der fei verflucht, den Schreden Hel3 geweiht, Der Schonung oder Friede rät für Rom. Denkt, wie fie unjere Rechte zertreten, Wie fie die freien Männer gegeißelt, Wie fie den heiligen Herd uns bejudelt, Wie fie die heiligen Haine verbrannt! Alle. Rache! Freiheit! Führ’ uns Wodan, Gott des Sieges! Gott der Lift! Weh dir, Cäſar, weh dir, Barug, Weh Legionen über euch!

Ein Bote meldet leife Katwald eine Nachricht: diejer eilt zu Armin.

Katwald. Auf, auf, Armin, nicht nur Germania, Dein Weib, Thusnelda, gilt es zu befrein. Dein Haus ward überfallen heute Nacht, Thusnelda ward als Geijel fortgeführt Bon Römern: FZulvia, jagt man, jandte fie. Armin. Da fagt man recht, ich fühl's! Wohlauf, ihr Freunde, Zwingt Varus nieder, nieder die Legionen, Sp wird Thusnelda mit Germania frei.

487

Chor (wiederhoft). Rache! Freiheit! Führ' ung, Wodan! Weh Legionen über euch! (Vorhang fälft.)

Bermandlung:

Das Schlachtfeld im Teutoburger Wald. Born links Zelt des Varus. Im Mittelgrund Gebüſch und ein hoher praktifabler Hitgel, der ſich quer über bie Bühne zieht. Im Hintergrund die finftern dichtbelaubten Höhen des Teutoburger - Waldes.

Zweite Scene.

Barus. Lucius Römiſche Krieger, lagernd, ftehend, auf ihre Speere geftüßt, viele Verwundete darunter: man fieht, der Kampf Hat ſchon mehrere Tage gewährt. Varus jhläft. Die Muſik deutet den Inhalı feines gleich zu erzählenden Traumes an. Nach geraumer Zeit führt Varus erwachend aus dem Schlaf. Darus. Welh furchtbar ſchwerer Traum! Ihr Götter Roms, o wendet ab das Omen! (zu Lucius) Entihlafen war ich, müd’ von Weg und Kampf. Da jah ih Roms hochragend Kapitol Sm Sonnenglanz des Sieges vor mir ftrahlen; Doch plötzlich ſtieg ſchvarz Nordgewölf empor: Wie Sturmgeheul durch Eichenurwald rauſcht, Scholl's um mich her: es ſank das Kapitol; Ein ungeheurer Sumpf von rotem Blut Verſchlang die Adler und die Zinnen Roms. Und aus den Wäldern der Germanen brach In Waffenglanz ein unbezwingbar Heer. Ein Jüngling, herrlich wie der Kriegsgott ſelbſt, Führt' ihren Anſturm: „Weh' dir Varus!“ ſcholl's, „Schau dein Verderben! tot ſind die Legionen!“ Er ſchlug den Helm zurück: es war Armin! Aufſchreiend ſprang ich auf! Wo iſt Armin?

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Fucius. Armin ift dir getreu. Er dedt die Nachhut Mit der Cherusfer Heer.

Dritte Scene.

Bala mit Kriegern von linke.

Pala. Auf, Varus, Hilf! Sie greifen wieder unjre Borhut an. Und weißt du, wer der Feinde Führer find ? Die Fürjten, die Armin gefangen nahm. Parus. Das fann nicht fein. Lang tot find die Empörer; Führ' ich als Geifel doch mit mir fein Weib, Und unjern Rüden deden die Cherusfer. Auf, meine Römer: Barus führt euch felbit: Oft Ichlugt ihr fie: ſchlagt nochmals die Barbaren. (Barus, Lucius, viele Römer ab nad) Links.)

Bierte Scene,

Fulvia (mit Sklavinnen von reits). Vala. Römer.

Pala. Ihr Habt Euch, Fulvia, kühn ins Feld gewagt. Fulvia. Nicht litt es mich daheim in Öder Burg: Den fichren Sieg des Vaters wollt’ ich ſchau'n, Denn niemals fam er fieglos noch vom Kampf. (für ſich) Sn des Geliebten Nähe zog es mid. Mag er mich haffen: id ich Lieb’ ihn doc). Und haſſ' ihn zwiſchen durch geteilten Herzens. Pala. Raum ward der Arm mir heil vom Schwert Armins. Gegeit Liegt ſchwer getroffen noch im Haus. Könnt’ ich dem Brautentführer doch vergelten!

489

Fünfte Scene.

Barna, ſchwer verwundet, ſtürzt in wilder Verzweiflung auf die Bühne. Einige feiner Römer. Vorige.

Varus. Wahr ift eg, wahr! Die Fürjten find nicht tot. Schwer traf mid) Arpos Schwert. Die Meinen weichen. Soll doch Armin... —? Auf, jendet nah Armin! Ruft ihn, zu Helfen! Sonſt find wir ungzingelt.

Wo ift Armin?

Sechſte Scene,

Borige. Armin mit einigen Cherusfern auf dem Hügel im Mittelgrund

Armin. Hier ift Armin, o Varus! Schau dein Verderben! Schon ſanken zwei Legionen. Die dritte fällt von der Cherusfer Schwert! Germania frei! Weh Varus! Wehe Rom! Parus. Verräter, jprich, ift das Germanentreue ? Armin. Nein, Römertreu’ ift das, Duinctilius Varus! Wie? Rom und Römer zählen noch auf Treue? Wer hat Verrat geübt an allen Völkern, Treubruch und Lijt, Meineid und Heuchelfunft ? Rom und Berrat, treulos und Rom find eins! Nun kam, nachdem ihr Lift gefrevelt lang, Ein größter Überlifter über euch, Der Geijt, den Wodan den Germanen gab! Schau dein Verderben! Zwei Adler find ſchon unfer, Den dritten, legten nehm’ ich jet! Dringt auf den links fihtbaren Adlerträger der Römer ein und tötet ihn, Lucius

nimmt ihn dem Sterbenden ab, Armin drängt Lucius fechtend links hinaus.) (Armin, Cherusfer, Lucius, Römer ab.)

490

Siebente Scene.

Borige ohne Armin und Lucius.

Parus. Cäſar Auguftus!

Drei Legionen hab’ ich dir verloren:

Den Feldheren ftraf’ ich, der jo ſchwer gefehlt.

Nicht fall’ ich Iebend in Barbarenhand.

Komm, Fulvia, Römerin thu’ du mir gleich). (Stürzt fih in fein Schwert und wankt in die Couliſſe linf3 vorn ab.) Vala. Wir find verloren.

Fulvia. Ja, wir wollen ſterben:

Doch mit uns ſtirbt des Schlangenfalſchen Weib.

Sie ſoll den Sieger lachend nicht begrüßen!

Im Frauenzelt als Geiſel weilt ſie: raſch,

Auch du haſt Grund zur Rache! töte ſie. Vala. Ja, du ſprichſt wahr! Der Sieg ſei ihm vergällt.

(ab nach rechts) Fulvia. Göttin der Liebe: dir hab' ich geliebt:

Göttin der Liebe: dir will ich ſterben!

Nimm dies Herzblut, nimm mein Leben

Als ein herrlich Opfer hin!

(Erſticht ſich wie Varus, ab.)

Achte Scene.

Römer flüchten von links nach rechts, dann von rechts hinten über die Bühne

nach links vorn. Eindruck des Umſchloſſenſeins von allen Seiten. Als die

Bühne leer, zerrt Vala mit einigen Römern die gefeſſelte Thusnelda an den Händen aus der Couliſſe rechts vorn den Hügel hinauf.

Vala. Warte, Thusnelda, treuloſe Braut! Fall' ich hier elend durch Lift des Barbaren, Sollit du mir teilen dag blutige Bett!

491 Shusnelda (mit ihm ringend). Helfet, ihr Götter! Hilf mir Armin! (Bala züdt das Schwert gegen fie, da erfcheinen zugleich

Neunte Scene,

Katwald von rechts, Armin, einen Adler in der Linken, von links, dringen durch die Nömer und erfchlagen zugleich mit zwei Streihen Vala.)

Katwald. Nieder, du Bube!

Armin. Gerettet, Thusnelda. Chusnelda. Mein Held! mein Armin! (Umarmung.)

Zehnte Scene. Borige. Die vier Fürſten, Germanenfrieaer, aud Frauen, von alfen

Seiten hereinftürmend, gefangene Romer vor fidh her ftoßend, auch Beuteftücte fchleppend, zwei Adler, Kohortenfahnen.

Arpo (mit dem zweiten Adler). Sieg! Armin!

Brinno (mit dem dritten Adler). Sieg! Sieg! und Freiheit Chor. Hier die Adler!

Arpo. Tot liegt Varus!

Brinns. Tot, gefangen

Liegt der Römer ganzes Heer! Chor. Drei Legionen! Arpo. Die Hilfsfohorten! Brinns. Die Reitergefchwader! Chor. Das Lager! Die Schäße! Alles ift unfer! Katwald. Dank den Göttern, Heil dem Helden, Deſſen Geijt den Sieg erjann.

492

Chor (wiederholt). Dank den Göttern! Heil dem Helden! Deſſen Schwert den Sieg gewann.

Armin. Die Schlacht ift geichlagen, Zermalmt ijt der Feind: Sieg krönt die Germanen, Die Treue geeint!

Die Hände zu Bunde, Neicht freudig fie dar:

Und danfet der Stunde AN immerdar,

Da der Stolz der Legionen Germaniihem Schlag,

Dem Bunde der Bölfer Und Fürften erlag:

Wie wir alle entitammen Germanengefchlecht,

So jtehen wir zufammen Für Freiheit und Recht:

Chor wiederholt.

Katwald (tritt ganz vor und ſingt begeiſtert zur Harfe, welche ihm ein Cherusker reiht: zahlreiche Harfenſchläger, 6—12, treten vor und be gleiten feinen Gefang :)

Auf, Siegesgefang! Fleuch wolfenentlang, Wie raufchendes Adlergefieder, Daß Hoch in Walhall Die Einheriar all Auflaufchend fchauen Hernieder!

493

Seid bedanfet zuvor, Ihr Wodan und Thor, Ihr fochtet für eure Söhne: Sn Eichengebraug, Sm Sturmesgefaus, Wir erfannten die göttlichen Töne.

Sn der Wolfen Gebild, Mit Speer und Schild, Die Walfüren jahen wir jagen: Wie der Schnitter das Korn Hat der Himmlifchen Zorn Die Fremdlinge niedergejchlagen.

Nicht Lager und Wall, Nicht die Kriegskunſt all’, Nicht jollte den Stolzen fie frommen: Ha, die Pforten erzwängt, Die Kohorten zeriprengt Und die Adler, die Adler genommen.

Auf der Götter Altar, Bringt die Fahnen dar, Deren Rauſchen die Wälder entehrte: Die Legionen find tot, Und vom Herzblut rot Liegt Varus im eigenen Schwerte.

Heil dem Helden Armin! Auf den Schild hebet ihn! (e3 gejchieht feierlih: Gruppe) Zeigt ihn den unfterblichen Ahnen:

494

Solde Führer, wie er, Gieb uns, Wodan, mehr, Und die Welt, fie gehört den Germanen!

Armin auf dem Schild erhebt das Schwert: (Bild des Hermannsdenfmals). Allgemeine Erhebung der Waffen. Gruppe.

Vorhang fällt

Der Frenmling

Operndichtung in vier Aufzügen Muſik von Heinrich Vogl

(Erfimalig erfchienen 1880)

Rihard Wagner

verehrungsvoll

zugeeignet.

Dahn, Sämtl. poetiſche Werke. Erſte Serie Bd. VI.

32

Perfonen.

Odhin.

Thor.

Baldur.

Loki.

Freia.

Hardrun, verwitwe Königin von Gautland.

Hako, ihr Sohn erſter Ehe.

Nanna, ihre Stieftochter zweiter Ehe.

Götter und Göttinnen. Lichtalfen beider Geſchlechter.

Walküren. Einheriar. Krieger, Prieſter und Prie— ſterinnen, Jungfrauen und Volk von Gautland.

Ort der Handlung: Asgardh und Gautland.

Erſter Aufzug: Asgardh auf Bergeshöhn oberhalb Gautland.

Asgardhs goldener Saal: hinten offen, ſo daß der Himmel voll ſichtbar iſt. Morgendämmerung, welche ſich bis zu Baldurs Erſcheinen zu ſtrahlendem Sonnenaufgang ſteigert.

32*

1. Aufzug.

Erfte Scene.

In dem Saal ftehen gefhart, den Sonnenaufgang erwartend, Götter und Göttin- nen, Lichtalfen beider Gejhlehter, Walfüren, Einheriar. Die Muſik drüdt vor Aufgang des Vorhangs bereits das leiſe aus der Nacht emportaudende, höher und höher fteigende Licht aus, Erfter Halbhor: Männer und Frauen. Grüßt mit ehrendem Angeficht, Grüßt mit Singen und Harjenfchlag, Grüßt das jteigende Morgenlicht, Grüßt den heiligen, jungen Tag. Dweiter Halbdor. Herrlicher weiß ich auf Erden nichts, Herrliher nicht3 in der Himmel Höh’n, ALS den goldenen Strahl des Lichts, Starf wie Helden, wie Frauen jchön! Geſamtchor. Licht! Du ſilberner Siegespfeil, Wirf die Nacht dir zu Füßen, Aſen⸗-, Alfen- und Menſchenheil: (tarte Steigerung) Baldur: Laß dich begrüßen! Schimmernde, ſelige Segensſaat, Leuchtender Baldur, verſtreue: Segne du Männern die Heldenthat, Weibern Dulden und Treue!

(Alle wenden fih nad) der Mitte, von wo aus Goldgewölf Baldur auf einem von zwei weißen Rofien gezogenen Wagen, aufrecht fiehend, die Zügel in der

502

Linken, einen langen Goldftab in der Rechten, langſam und über den Himmel bin empor fährt: Phöbos ähnlich: von ihm und feinem Wagen fcheint alles Licht auszugehen.)

Baldur. Leben und Liebe Und labendes Licht Wünſch' ich und wirf ich Allem was atmet.

(Sr fteigt ab: das Gefpann wird abgeführt von zwei Lichtalfen nad) rechts: rechts und links ftet3 von der Bühne aus gedadht.)

Chor (tritt auf von links). Heil dir und Hoffnung, reudiger Freund! Es gebot der Gebieter Odhin uns allen, gu tagen im Ding: Dein Geſchick zu bejcheiden Und des Weibes Wahl. Loki (teitt raſch auf von rechts). Nicht weiter zu wählen Braudt der Bräutigam: Meine Schweiter, die ſchimmernd-ſchöne, Naten ihm redlich Vettern und Freunde (für fi) Zällen den Feind, Den heiß Gehaßten, Muß ich mit Mord: Berraten zur Rache Soll mir den ſüßen Schwager die Schweiter. Freia (tritt auf von links). Freue dich, Freund! Nun wird Wonne dir werden]

503

Denn glänzendjtem Gott, Mie mühjeligjtem Manne Wird im Weibe nur Wonne. Chor. Lieber mit Liebe Sn jterblichem Staube Leben und leiden, Als, ledig der Liebe,

Herrlich herrjchen Und walten in Walhall.

Zweite Scene, Borige. Odhin mit Gefolge aus der Mitte, er hängt den Schild an einen

feiler. Odhin (feierlih an den Schild mit dem Speer ſchlagend). Allen Aſen Und Alfen in Asgardh Gebiet’ ich Gebot: Hier tagt das Ding Der guten Götter. (Setzt fih auf den Hodfig im Mittelgrund.) Bermählen muß fich Der blühende Baldur: Sp will es das Wohl Der guten Gewalten: So beſchloß es das Schickſal: Neidloſe Nornen Woben es weiſe: Daß ein Sprößling erſprieße, Ein Edelerbe, Dem leuchtenden Liebling Der Aſen und Alfen

504

Und der Atmenden al’: Wohl: mähle das Weib! Chor. Wohl: wähle das Weib! Wir wollen dir's wahrlich Mit Waffen gewinnen: Und müßt' ich zermalmen Das Reich aller Rieſen, Das Weib, das er wählte, Brächte ich Baldur, Dem beſten der Brüder. Loki. Hemme den Kammer, Thor, und den Trog! Nicht nah) Riejenheim reijen Braucht der blühende Baldur: Dem Gott genügt nur die Göttin. Meine Schweiter, die jchöne, Schen? ih dem Schimmerer Und verzichte, bezahlt Zu Schauen den Brautſchatz. Chor. Freia. Alle außer Odhin, Loki und Baldur. Ein wonnig Weib! Wohl wird er fie wählen! Daldur. Nicht weiter zu wählen Braudt Baldur die Braut: Gemählt iſt fein Weib. . Chor (alle in hoher Erregung einfallend). Was Sagt er? Was finnt er? Men wählt er zum Weibe, Der glänzende Gott? Erfor er aus allen Die Würdigite wohl? Coki (für ſich. Wehe dem Weib, das er wählte!

Freia.

Thor.

Baldur.

Freia. Thor.

Baldur.

Loki. |

505

Glückliche Göttin,

Welche des wonnigen Baldur Braut!

Nede, du Raſcher,

Welche gewannjt du ? Reine geforene

Wird ſich dir weigern. Reine erfor ich

Der edeln Ajinnen.

Alſo der Mfinnen,

Welche wohl wähltejt du? Licht find fie und Lieblich! Sch felber, ich jehe

Die Eugen, die Eleinen, Die glänzenden gern. Auch der Afinnen

Keine erfor ich. Ausihlugit du der jchönen Schwefter Hand mit Hohn,

Gohniſch) Reizte dich rede der Niejinnen Reiz?

Oder zottiger Zwergin?

Alle: Chor (ebhaft bewegt).

Nenne den Namen! Bringe die Braut! Wohnt fie Walhall? Dder in Asgardh ? Dder in Alfheim?

Wo wohnt das Weib?

Baldur (feierlich).

In Asgardh nicht und nicht in Alfheim, Auf Erden atmet fie: Ein Menſchen mädchen

Hol' ich heim.

506

Alle: Chor (gefteigerte Bewegung). Ein Menfchenmädchen! Sterblich! Von Staub! Unerhört! Unerhört in den Himmel! Baldur (tar). Ein Menſchenmädchen Wird mein Weib: Sie für! ih oder keine! Odhin. Sag’ an, mein Sohn, Wo ſahſt du fie? Baldur. In Gotlands Gau’n, al3 Kind des Königs Erwuchs die Weiße, früh vermwaift! Stiefmutter jtreng, Stiefbruder jtolz, Mit heißem Haß, mit läſtiger Liebe Berfolgen viel die ſchweigend Scheue. Sie litt viel Leid, fie trug viel Trauer. (kraftvoll, Nannas Motiv) Doch ſtolz und ftill erjtarkte Ihr herrlich Hohes Herz: Nur der Frühling ihr Freund Und die jtillen Sterne Die treuen Vertrauten! Gewinn’ ih Gewährung vom Herzen der Holden, weigern dies Weib mir vergeblich die

Götter: Die Erkorne erkämpf ich, ob in Waffen das

Weltall Feompeten | Mir die Wonnige wehre: ja, es ſollen mir

ſelber | Neidiſche Nornen Nanna nicht nehmen! Alle (außer Odhin und Loki). Welch wildes Wort vermeßnen Mutes! Bernehmt e3 nicht, ihr Nornen! Er fordert frevelnd heraus die hehren Schickſals-Schweſtern

507

Odhin. Wohl war das Wort kämpflich und kühn‘ Doc, jo denkt, jo droht Lautre, lodernde Liebe!

Wer das Schickſal ſcheut Und grollende Götter, Nicht nahte dem noch Lebendiger Liebe

Wahre Gewalt!

Coki (charf einfallend). Halt, hört mich, ihr Hohen! Sch verweigre, verwehre dem Weibe den Wegl Shr wißt es wohl: jo gebeut das Gebot:

„Nicht nehmen wir neue

Glieder, wir glänzenden Götter,

Auf unter Asgardhs Edelerben, Wehrt widerjprechend Ein einziger Aſe?“ (zu Odhin) Sit es nicht alfo, Bater, gefeſtigt? Odhin. Wahr ijt das Wort: So ijt der Eid, So beſchworen der Schwur. (Erſt Odhin allein, dann Chor wiederholend.)

Loki (traftvom. Wohl denn: ich weigre dem Weibe den

Weg! Niemals nahe, nimmermehr Menjchenmaid den Wohnungen Walhalls! Herb verhaßt mir im Herzen Sit der Menjchen meijterlos maßlofer Mut! Haben und halten die Herriichen doc) Des freien Feuers geflügelte Flamme Schmählich geſchmiedet zu freudlofem Fron: Dienen in Demut ſoll ihnen die ſengende, Göttliche Glut: geknechtet, geknebelt,

508

Gefangen, gefeffelt im hemmenden Herde, Zu ſchaffen in Scharwerf, Was fie launifch belieben. Ermutigt nicht mehr nod), Ihr gütigen Götter, Den Meifter Menſch:

Es könnten die Kecken jo hoch fich erheben, Daß fie gefährlicher würden den Göttern

Als Riefenreid).

Sch wehr' ihnen Walhall!

Chor. Sch aber, ich ehre ihre Art!

Stein. Sch Liebe fie, ich lobe fie.

Odhin (großartig). Und ih? Allvater auf Erden, Heiß ich wie Hier im Himmel!

Baldur. Das wonnige Weib, das ich mählte, Weiß ich gewiß: hochherzig, herrlich und hehr, Tapfer, vertraufam: und zum Tode getreu!

Coki. H0 hd ho! Halt an!

Prächtiger Prahler! Welch' Wort des Wahng! Wechjelnd und mwandelbar weiß ic) das Weib! Der Göttinnen fogar fenn’ ich feine,

Welche da wirklich fi) würde wahren

Dem göttlichen Gatten treu bis zun Tod!

Alle Gornig empört). Läjternder Loki, laß ab!

Stein. Bon Weibes Würde weißt du menig, Weil du des Weibes jelbjt nicht wert!

Chor. Nicht trauft du der Treue,

Liſtiger Lohr, Trügender, weil du jelber Treue nicht trägft.

Alle (vrogend auf ihn eindringend). Läfternder Loki! Bereue die Rede!

Widerrufe das Wort!

509

Soki (achend ausweisend). KHäha! Haltet, ihr Higigen! Faßt euch, ihr Frauen, Und ihr Götter, vergönnt noch Loki zu leben! Wahr bleibt mein Wort: Doh erproben unmöglich. Keiner der Eugen Götter wird geben Zur prüfenden Probe wagend fein Weib! Baldur (cafe; einfallen). Sterbliher Staub Iſt Nanna nur, Die Menjchenmaid! Doch mwohlan: ich wette und wage das Wort: Nicht ſcheut Schande, Schmerz und Schmach Für den Freund zu erfahren Ihr herrliches Herz! Seiner Treue vertraut, Seinem Wert, feinem Wort Blindlings die blonde, die blühende Braut. Sa, ins Grab, in die Gruft Steigt die Sterblidhe ftolz Dem geliebten Gemahl, Bis zum Tode getreu! Loki (immer mit überlegener Lift: er Hat Schritt für Schritt Baldur zu diejer Wette gefteigert, jest auch zum Einfaß feines Hauptes). Kühne und kecke, aber nit Fuge —! Worte zu wagen, lehrt die leidige Liebe! Was wettejt du wohl? Was bietejt du, | im dieſe Zeilen Baldur? N 31 Erprobt mit Prüfungen werde das Weib: Chor

wieberholt Beiteht fie die Starfe nicht { En > h weiter | Walhall ihr weigern.

(Allgemeine Bewegung.)

510

Loki (tftig fortfahrend). Was wetteſt du wohl? Was bieteft | du, Baldur ?

Unmeife wär’ ich, thöricht und täppifch, Wagte in der Wette den Einfab nur Sch. Wert um Wert: So heifcht es der Handel! Was mettejt wohl du? Was bietet wohl Baldur? Erliegt die Liebliche der probenden Prüfung, Was bieteft du, Baldur, fprich, in dem Spiele? Doch Gold nicht begehr’ ich: rote Ringe, Schimmernde Schätze beſitz' ich felber: Wenn wirklich des Weibes Treue du trauſt, Ehre die Edle mit edelſtem Einſatz: Was wetteſt du wohl, was bieteſt du, Baldur?

Baldur (den Sonnenhelm abnehmend, vor Odhin knieend). Sieh her hier —: mein Haupt!

(Allgemeine Bewegung.)

Chor. Wehe! Was wagjt du! Welcher Wahn, Baldur, bethört dich!

Loki, laß ab! Dürjten nicht darfit du Nach des Bruders Blut. Schi (gleigeitid). Ha, das Haupt des Verhaßten, Sch halt’ es in Händen!

Nimmer wird Nanna In Stärfe bejtehen!

Dann heiſch' ich das Haupt des Verhaßten! Baldur (Odhins Hände auf fein Haupt Iegend, Enieend).

Hier, in die Heiligen Hände

Odhins, des Edelſten aller,

Leg’ ich mein Leben!

Und ih ſchwöre den ſchweren Schwur:

Erliegt in der Liebe prüfenden Proben

Nanna, jo nehme Lofi mein Leben,

511

Bon der fchimmernden Schulter mir hau’ er das Haupt, Breit in die Bruft mir ftoß’ er den Stahl! Loki. Sch auch ſchwöre den ſchweren Schwur: Beiteht die Starke die prüfenden Proben, Nicht mehr weigr’ ich den Weg der Ermählten: Walhalls Wonne werde dem Weib, Selig ſei ſie im Götterfaal! (Beide erheben ſich und eilen links und rechts ab.) Chor. Freia. Diele Afen. Ddhin! Allvater! Wie durfteft du dulden Diefer Wette verwegenes Wahnwort? Weh, wenn im Wagnis Baldur erblaft! Odhin (ehr großartig). Allwiſſend iſt Allvater nicht: Aber ahnungsvoll! Traurige Täuſchung trügt Zuweilen auch Weiſe: Aber ich ahne im hoffenden Herzen: Nicht wird die Nacht um Nanna uns nehmen Den blühenden Baldur! (heroiſch: Trompeten) Sieghaft und ſelig trägt ſie in Treue Die Laſten der Liebe! Und herrlich nach Walhall, Gekrönet vom Kranze, Bringt Baldur die Braut. (Paufe) Ob endlich ung allen einjt Nahet die Naht, (triumphierend) Koh nachtet es nidht:* Solange Liebe Lebt, wie in Baldurs Bruft,*

512

Solang Treue vertraut wie im herrlichen Herzen * Des Königskindes, das er erfor,* Lang jchon Tiebend belaufch’ ich die Stille, Stolze —! Solang lebt auch der Götter Gefchlecht* Und der mutigen Menfchen.* (Paufe) Liegt einjt Liebe verlodert und Treue in Trümmern (ahnungsvoll) Dann dämmert das dunkle Verderben Dumpf und drohend Über Asgardh auf und die Erde. (Doch:) noch nachtet es nidht:* Denn noch lebt lautere Liebe:* Drum ließ ich den Liebling Wagend gewähren: Denn Weibes Wert er wird ſich erwahren.* (Großes Finale.)

Odhin und Chor (wiederholt beliebige Zeilen aus Odhins Solo, vorjchlagsmeife die mit * bezeichneten). (Niederwallende Wolken verhüllen Asgardh und die Götter, nur unten die Erde fihtbar Lafjend.)

Dritte Scene.

Auf Erden. Wald mit Gebüfh, Erdbant vorn rechts. Der Wald nod) ziemlich winterlich; erft Ahnung von Frühling. Sungfrauen, ziehen (von rechts) feſtlich geſchmückt in den Wald. Gleich darauf die Sünglinge. -

Chor der Iungfrauen (tritt fingend auf). Zum Walde laßt uns fröhlich wallen, Das Felt des Vor-Lenz zu begehn! Kein Blatt noh! Nur die Wolfen wallen Schon lichter durch die blauen Hallen Und fernher Frühlingslüfte wehn.

513

Chor der Jünglinge (tritt ſingend auf). Zum Walde Yaft uns fröhlich wallen, Den Holden Mädchen nachzuſpähn! Die lauten Hörner laßt erjchallen! (Hornrufe) Sm Neigentanz, in Waldeshallen Laßt uns die jchlanfen Kinde drehn. Gefamtchor der Iünglinge und Iungfrauen. Ja, laßt den Neigentanz ung jchlingen Bald wird hier Baldurs Atem wehn: Dann blühn die Blumen, Vöglein jingen, Die Götter nah'n auf leifen Schwingen: Und jedes Wunder kann geſchehn!

Ballet.

Die Paare tanzen links ab oder verlieren ſich in den Wald. Die Bühne bleibt eine Zeit lang leer. Die Muſik verkündet Nannas Erſcheinen.

Vierte Scene.

Hanna (von rechts, den Verſchwundenen finnend nahblidend). Da flattern jie im Reigen hin! Beglückt beglüdend ohne Fragen! In diejen erjten Frühlingstagen, Wann jih ans Licht die Kuojpen wagen, Berlangt nach Glück fo Heiß der Sinn! Pauſe)

Warum bin ich zu Wald gegangen?

Mich lockt doch nicht der Reigentanz! Ach, glühend ſchießt mir's in die Wangen! Dich ſucht mein Sehnen und Verlangen:

O Fremdling mit dem Veilchenkranz!

Dahn, Samtl, poetiſche Werke. Erſte Serie Bd. VI. 33

514

Hier traf ich ihn, den Wunderbaren! Hier grüßte mich fein zaubriſch Wort:

O feinen Blid, den jonnig-flaren,

Sm Herzen werd’ ich ihn bewahren Und leuchten jehen fort und fort!

Ad, einmal nur ihn wieder fchauen

Und hören feinen weichen Ton! Mir unglüdfeligften der Frauen, Troſt würde tief ins Herz mir tauen

Ein Lächeln feines Mundes jchon.

(Pauje)

Helft, al ihr Götter, mich bezwingen! Er iſt's! Er naht! Das Herz will mir zerfpringen.

Fünfte Scene.

Nanna. Baldur (ald Fremdling, einen Veilchenkranz auf dem Helm, weißes Gewand, Reiſetracht) von links vorn.

Hanne. Sei mir gegrüßt! Fremdling. Sei mir gejegnet! Beide. Mich zieht es ftetS hierher zurüd: Die Stätte, wo ich dir begegnet, Sie birgt geheimnisvolles Glüd. Stemdling. Froh, in des NReigentanzes Wogen, Sind alle Mädchen fortgezogen: Nur du, die aller Jungfrau’n Bier, Du, Königskind, träumſt einfam hier? Nanna. Mich lockt der laute Reigen nicht! Sc Lieb’ es, unterm Buchendicht, Sn diefen ahnungsvollen Räumen, In Einjfamfeit zu träumen. | Fremdling. Zu träumen! Und, was ift dein Traum?

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Nanna. Ich weiß es, lieber Fremdling, faum! Bon meiner Mutter, die ich nie gelannt! Vom Vater, der mit weicher Hand Manchmal gekoſt das weiß ich noch! mein Haar: Bis er auch plößlihd verſchwunden war. Sie haben ihn jo bald begraben! Deff’ werd’ ich ewig Trauer haben! Fremdling. Träumjt du denn nicht von Freuden aud) ? Hanna. Kaum jemals fühlt’ ich ihren Hauch! Wie fann ich träumen, was ich nie gefannt? Und doh! In tiefer Bruft entbrannt Fühl' ich ein Sehnen ohnegleichen Nach nie gejchauten jel’gen Reichen! Fremdling (für ih). Das höchſte Glück es fol dir werden! (laut) Haft du denn feinen Freund auf Erden?

Hanna (ſhüttelt das Haupt, traurig). Ad, einfam wuchs ich und verlafjen Heran, ich armes Königskfind! Mein pflegte jtatt der Liebe Haffen! Für Waifen weht nur rauher Wind. Wann hart Stiefmutter mich gejcholten, Sudt’ ih der Eltern Hügeljtein Und meine bittern Thränen rollten Auf ihre Gruft im Sternenſchein. Sch Kann nicht fchmeicheln, kann nicht lügen, Mir gab ein Gott ein ſchweigſam Herz: Still in mich jelbjt in durft’gen Zügen Saug’ ic) die Freuden und den Schmerz. Sie ſchelten mich: nicht Fünn’ ich Tieben! Und doc, wie Knoſpe Sonnenfuß, 33*

516

Sp ſuch' ich, Fehnfuchtumgetrieben, Was ich unendlich lieben muß! Stemdling. Und was du juchjt: du wirft es finden! Hanna. D nein! Schon morgen fol! mich binden

Des ungeliebten Mannes Zwang!

Frau Hardruns Sohn bejtürmt mich lang:

Nah Volksrecht ift an meine Hand

Gefnüpft die Krone hier im Land

Und morgen foll wie fie mich quälen!

Den Gatten ih und König wählen.

Fremdling. Jarl Hafo!) ift ein fühner Mann,

Ein tapfrer Held an Seel? und Leib.

Hanna (eidenſchaftlich. Doch nie, niemals werd’ ich fein Meib! (zart, ſchüchtern, verwirrt)

D ſieh' mich nicht jo fragend an!

Warum? Warum? Sch lieb’ ihn nicht! Stemdling. So weißt du denn, was lieben ift ? Hanna. O mende deiner Augen Licht!

Ich wußt' es nicht jedoch mir it Fremdling (feurig ausbregend). D Nanna, wie du lieblich bijt!

(fie umſchlingend)

D nein! D wende jchämig nicht

Dein glutdurchſtrahltes Angeficht!

Du weißt es jebt, was Lieben heißt:

Die Liebe, die fein Feind zerreißt,

Die Liebe, die Gefahr und Not,

Die allem troßt, treu bi3 zum Tod!

Du weißt es, weil dies jcheue Herz,

Sp rein wie Gold, jo jtarf wie Erz,

Weil diefes Herz jo ſtolz und tier,

1 Hafo hier und überall Häfo, zu iprechen tief wie o.

517

Das ſtill und ſtark nach Liebe rief, Weil diefes Herz num ganz jich giebt, Weil Nanna, meine Braut, mich Tiebt ! Hanna (felig, eriöroden). SH! deine Braut! Mel jelig Wort! Und du mein Herr, mein Heil, mein Hort! Du kannſt mich lieben? ch bin nicht ſchön! Fremdling (degeitter). Du bijt ſchöner als Freia in As— gardhs Höhn! Hanne. IH Fann nicht Sprechen, nicht loben, nicht werben! Stemdling. Doch du fannft für deine Liebe jterben! Hanna. Das kann ich, ja! Gott Baldur joll es hören!

Stemdling (ihre aufgehobene Hand Herabziehend und an feine Bruft drüdend).

Gott Baldur weiß —! Du brauchit e3 nicht zu ſchwören. Hanna. D Mann voll Hoheit, Kraft und Glanz So nimm mid hin dein bin ich ganz! (an feiner Bruft) Fremdling. Du giebjt dich mir und kennſt mich nicht ? Nicht meinen Namen, Stamm und Stand? Hanna. Schau’ ich dein leuchtend Antlig nicht? Darf ich nicht fafjen deine Hand ? Sch Liebe dich, mein Augenlicht! So biſt du mir genug befannt! Fremdling. Jh bin fein König, fein Edelmann! Hanna. Du bijt der Mann, der mein Herz gewann! Fremdling. Jh bin ein Fremdling deinem Reich! Hanna. So bijt dem Morgenjtern du gleich! Fremdling. Wirjt du in Schreden, in Todesgefahren Solches Vertrauen der Liebe bewahren? Hanna (fer ideal und groß). Sch Liebe dich! Freund das iſt Emwigfeit!

518

Fremdling (Begeiitert einfallend). Dies Wort hat göttlich dich geweiht! Dies Wort joll unter Sternen jchweben, Solange Götter und Menjchen leben. (ftedt ihr einen Ring an den Finger) Mit diefem Ringe, goldigklar, Mach’ ih dich mein auf immmerdar! Hanna. Mit dieſem Ninge, goldigklar, Werd’ id) dein Weib auf immerdar! Fremdling. Vertraue Seele mir und Leib! Ich nenne dich mein ewig Weib! Bertraue mir: du follit es nie bereuen! Bertraue mir: dein harrt ein ewig Freuen! Doch erit wird Schmad und Schmerz dich Hart bedräuen! Hanna. Ich liebe dich! Stets werd’ ich an dich glauben: Und du liebt mih: daS fann fein Feind uns rauben. Sremdling. Weh, wenn dich nun bedroht Berfolgung, Schmad und Not, Sa, Schreden bis zum Tod! Ich aber, gebannt durch Cidesfetten, Sch kann dich nicht ſchützen, darf dich nicht retten. Sa: kannſt du's faſſen? Ich muß dich verlaſſen! Manna (tief erſchrocken, ſchmerzlich). Du mußt mich verlaſſen?! O das iſt hart! Fremdling. Weh, ich ſeh' dich erblaſſen! Hanna. Das Antlitz erbleicht: die Liebe nicht! Sremdling. Nicht darf ich dir das Nätjel Löfen, Nicht dir als Netter nahe fein! Ad, ſchutzlos muß ich allem Böen Dich überlaffen . . . Wanna (großartig, an feine Bruſt ſich werfend). Sch bin dein!

Duett

519

Und muß ich Todesjchmerzen leiden: Der Tod foll nicht von dir mich fcheiden. Fremdling. Haft du bejtanden, wird zum Lohne Dir niegeahnten Glüdes Krone. Nanna. Sch Habe jchon den Lohn empfangen! An deinem Herzen durft ich hangen: Was nun noch fommt, der Schmerz ift Hein Unendlih das Glück —: denn ich bin dein!

|

Duett.

O wel jeliges Umfangen!

An deinem Herzen darf ich Hangen. Sch weiß: in aller Kämpfe Pein Wird jieghaft unjre Liebe fein.

(Nah ftürmijcher Umarmung Iremdling ab nad Links: Nanna ſinkt auf die in Gebüſch vorn rechts verftedte Raſenbank.)

Sechſte Scene.

Nanna. Bald darauf Hardrun, Hako, Jägerchor und Frauen von hinten rechts. Die Bühne bleibt geraume Zeit leer. (Während des Abſchiedes kam allmählich die Abenddämmerung nun wird es dunkel.) Die Muſik drückt Nannas Liebeserinnerung aus: geht allmählich in die Hörner der Jäger über.

Chor der Jäger und Frauen (Hinter ber Scene allmählich näher fommend: Hörnerrufe).

Nannä! Nannä! Nanna! Wo bit du? (Hörner) Nanna, du Königsfind! Wo bit du? Verſchwunden? Sucht durch die Büjche dort! Sucht au der See! (Hörner) Dämmerung dunkelt ſchon! Nacht wird's im Walde! Baldur, der Sonnengott, ijt ſchon gejunfen ! Nanna, du Königsfind, wo bijt du? Verſchwunden?

520

Hardrun (tritt auf, gefolgt von Halo und Jägern und Frauen mit Vadeln). Zurüd zur Burg vom Reigentanz Zog längſt die Schar im Feſtesglanz. Mein Stieffind nur weilt noch im Hain Wie immer jtörrig, Stolz, allein! Hako. Wohl, wenn allein jie hier gemweilt! (dem Fremdling nahfpähend) Ein Mann dort duch Gebüſch enteilt. Weh, wenn dies Herz, für mich fo kalt, Genoß der heimlichen Liebe Frucht. Noch heißer als des Verlangens Gewalt Durchlodert ich fühl! es die Eiferjucht! Ale: Chor. Naͤnna! Nänna! Wo fchwandeft du hin? (Langſam beginnender Mondaufgang mit entfprehender Mufit.) Hanna (vortretend). In die Einfamfeit, wo ich felig bin! Hako. Welch’ neuer Schimmer fie umſchwebt! Nie jah ich fie fo warm belebt! Ihr Auge jtrahlt, fie erglühet Leis, Wie im Morgenrot jungfräulich Eis. D Nanna, wenn du lieben kannſt, (wild) Dem Buhlen weh, den du gewannft! Hanne. Was ftört ihr mich in meinen Träumen ? Hardrun. Du ſollſt im Wald nicht länger fäumen, Allein was wenig ziemen mag Der Braut vor ihrem Hochzeittag. Wanna (wiederholt träumeriſch). Der Braut vor ihrem Hoczeittag! Hako. Jawohl, vor deinem Hochzeittag! Denn morgen jollit du wählen, | Sollit alle überzählen, Chor wiederholt. Der Freier große Zahl.

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Hako. Doch wiſſe wohl: den dur erforen, Sit er unsterblich nicht geboren, (Trompeten) Er fällt vor Nacht von diefem Schwert! Sch prahle nicht von meinem Wert: Jedoch du weißt: in allen Reichen Kann Hafo jich fein Held vergleichen. Hanna (tor). Sch weiß! Und doch will ich drauf zählen: Der Mann, den Nanna würde wählen: Er würde feinem Feind erliegen, Auch Hako mürde er bejiegen!

(Zrompeten)

Duett (Nanna ftolz, Hako beforgt und drohend miederholend).

Das ift der Liebesitolz der Frau’n,

Das ift des Herzens Siegvertrau'n —. Schlußchor.

Zurück zur Burg! Es klopft in Sorgen, Es pocht mein Herz in bangen Schlägen:

Ein groß Verhängnis naht uns morgen: Dem Schickſal ſchreiten wir entgegen!

(Wäbhrend der Zug ſich maleriſch in Bewegung ſetzt vollendeter Mondaufgang nad rechts fällt langſam der Vorhang.)

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TI. Aufzug.

Freier Platz vor der Königshalle (links) und dem Baldur-Tentpel

(rechts) im Hintergrund: zu beiden führen mehrere Stufen empor:

die erjten zwei bis drei Couliſſen hochragende Eichen: vorn rechts eine Statue Baldurs.

Erfte Scene. Volk. (Sie ihmüden die Pfeiler der Königshalle mit grünen Laubgewinden)

Chor. Nun fam fie, die Entjcheidungsitunde, Für dieſes Volk von Gautaland:

Ihr Götter, jeid mit ung im Bunde: Zu weiſer Wahl Tenft Nannas Hand.

Denn alfo ward der Eid geſchworen, As König Knut im Tode jchwand:

„Wen Nanna zum Gemahl geforen, Der werde Fürſt von Gautaland.“

Bollendet hat fie zwanzig Lenze: Dies ift der fchicjalsvolle Tag: Schlingt um die Halle Feiteskränze, Daß fie den Herren empfangen mag. (Trompetenftöße) Aufzug der Krieger (von linfs Hinten), geführt von Hafn.

Chor der Arieger. Hört, ihr Götter! A’ Gautaland Flehet euch taujfendtönig:

Gebt uns heute durch Nannas Hand Waffengewaltigen König.

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Aufzug der Priefterinnen (von rechts hinten), geführt von Hardrun

Götter, ein König wie Baldur Far Und fieghaft jet uns bejchieden, Daß wir ficher vor Feindesgefahr Leben in feligem Frieden. Hardrun. Verſammelt harrt das Volk ſchon lang. Hako. Mein Herz verzehrt der heiße Drang. Hardrun und Volk. Nur Nanna fehlt... Hako und Volk. Was fie nur fäumt ? Hardrun. Nach ihrer Art: fie troßgt und träumt! Ruft fie herbei! (Hornbläfer nahen der Königshalle und blajen mahnenden Hornruf: dreimal.) Hako. Sie naht! Wie reizverklärt! Ha, dieſer Reiz iſt mehr als Kronen wert!

Zweite Sceue.

Borige Nanna, In föniglibem Schmud, gefolgt von Jungfrauen, aus der Königshalle: tritt vor in die Mitte der oberſten Stufe: Hier nimmt fie Plat auf einem Thronjig.

Hardrun oder Hako (oder beide). Sn diejer heil’gen Eichen Schatten, Zur Wahl des Königs und des Gatten Nief, Nanna, dich der Hörner Ton: Schau hin: die Freier nahen jchon! Auf, Herold, nenne nun die Namen Der Helden, die zu werben famen: Du aber reiche diefen Stab (reicht ihr ein kurzes Scepter) Ihm, dem dein Herz ji) eigen gab. Uufzug der Freier von links vorn: Marſch: reich geſchmückte und gemaffnete Könige, Jarle, Fürften, mit Gefolge. Rahdem alle aufmarfciert, fi dor und Nanna neigend, ruft der Herold.

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Herold. Der König Harald Hildetand, Bon Thrandheim und von Hadaland!

Der König tritt vor, geht an Nanna vorüber: fie bleibt regungslos: er ftellt fid) links unten auf.

Bon Sialand der Königsjohn: In Lethra jteht jein Ahnenthron. (desgleichen, wie oben der König) Herold (wit fortfahren, zu melden). Hako (vortretend, unterbricht ihn). Halt an! Hier kann's zu Ende jein! Bon allen Freiern ganz allein Die beiden, die du ausgejchlagen, Sie wollten Zweifampf mit mir wagen: Den andern, die zu frei'n gefommen, Hat diejes Schwert die Lujt benommen. Hardrun. So blieb mein Sohn allein zur Wahl. Chor (alle ſtark einfallend). Held Hafo werde dein Gemahl! (drohend gegen Nanna ſich bewegend) Hardrun. Du jchweigit? Du fcütteljt jtumm das Haupt? Du millft wohl gar nicht dich vermählen? Doch, dieſer Trog ijt dir geraubt: Du kennſt des Vaters ftreng Befehlen: Wann zwanzig Jahre du vollendet, Sollft du und mußt den Gatten wählen: Drum ſprich: wohin dein Herz ſich wendet ? Dem Reich darf nicht der König fehlen! Chor (in drohenber Bewegung, jteigernd). Dem Reich darf nicht der König fehlen: Du follft, du mußt den Gatten wählen ! Hako (eilt, fie Schügend, die Stufen Hinan). Hinweg von ihr! (eiſe) o Herrin, ſprich!

525

Sieb Hoffnung und ich jchüge dich: Wie hei mich wird der Auffchub quälen: Bedenkzeit will ich dir gewinnen.

Wanna (fteht auf laut, feierlich). Ich Fann nicht wählen den Gemahl!

Hardrun. Hako. Chor. Was fpricht fie da? Sit fie von Sinnen? Warum, jprich, weigerjt du die Wahl? Seht ihr den Troß, der fie bejeelt!

Hanna. IH kann nicht wählen den Genahl: Weil den Gemahl ih jchon gewählt.

(Alle ftiirmen in wilder Aufregung nad) vorn, Nanna fchreitet königlich und ftolz die Stufen hinab.)

Hardrun. Ha! Was ift das? Wir find betrogen! Die Kälte hat fie nur gelogen Und heimlich hat ihr im Gemüt Verbot'ne Leidenjchaft geglüht. Hako. Längſt ahnte das die Eiferfucht! Doch ſchwer joll meines Haſſes Wucht Den Nebenbuhler niederichlagen. Wer iſt dein Buhle? Wirjt du's jagen? (EHor wiederholt.) Hako. Sprich, welcher König? Welcher Held ? Raſch, nenn’ ihn, daß mein Arm ihn fällt! Chor. Sprih! Welcher König, welcher Held, Iſt's, dem das Reich zu eigen fällt? Den Namen! Den Namen.

Hako. Mas fie jegt jpricht!

Hanne. Den Namen nennen kann ich nicht!

Hako. Den Namen des Frevlers, du willit ihn nicht nennen ?

Hardrun. Du wirft doch den Namen des „Gatten“ fennen ?

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Hanna. Sch kenn' ihn nicht! Hardrun. Chor. Schmach ohnegleichen! Wir find gejchändet vor allen Reichen! Dem Unbekannten gab fi Hin, Dem Namenlojen, die Königin! Hakso (ehr rittertih). Wo mweilt der Dieb, der dich betrogen, Daß ih an ihm dich rächen Fann! Durh Berg und Thal, durch Land und Wogen Such’ ich den Frevler und... Hanna. Halt an! Er ijt fein Frevler, er ift rein und licht: Doch, wo er weilt ich weiß e3 nicht! Hardrun. Ha, das ift Hohn! Wollt ihr vor allen Nordlandsjühnen Euch täuschen laſſen und verhöhnen Durch dieſes troßgemute Kind? Was jie da ſprach, iſt nur erfunden, Daß fie, der Gattenwahl entbunden, Fort lebe frei und jtarrgefinnt. Hako. Wer Narna fennt, der weiß, daß fie nicht Tügt! Doch jage, wie das Rätſel ſich gefügt, Das dich umjtridt? Hanna (ing. Ein Gott hat mir e8 zugejchidt. Im Wald fih unfre Herzen fanden: Ein Fremdling ift er diefen Landen: Die Lippen bindet ihm ein Eid. Nicht darf er feinen Namen nennen: Nicht darf ich feine Heimat Fennen: Doch jein bin id in Ewigfeit. Hardrun. Halo. Chor. Das iſt der Thorheit tiefjte Nacht! Hanna (ehr idea). Das ijt der höchſten Liebe Macht! Hardrun. Erfunden ift die ganze Mär.

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Hanna. Hier diefen golden Ning ſchaut her! Gab mein Gemahl als Unterpfand Mir unjres Bundes in die Hand. Haks. Fort mit dem Ring! Hanna. Mit meinem Leben Allein will diefen Ring ich geben! Gewählt iſt meine Wahl: Der Fremdling, mein Gemahf, Iſt nad) des Vaters Eid zugleich Der König in diefem Volk und Neid). Chor. Ha, welche Kühnbeit! welcher Hohn! Nanna. Sein eigen ift diefe goldne Kron'! Sein iſt, dem ich mich eigen gab, Mein Land und diejer Königitab. Ihr, die ihn frevelnd wollt bejchufdgen, Als eurem Herrn jollt ihr ihm Huldgen! Chor. Ha, welche Kühnheit! welcher Hohn! Hanna. In eures Herrn und Königs Namen, Als feine Gattin fteh’ ich hie: Die ihren Herrn zu juchen famen, Sn jeinem Namen grüß' ich jie. (Unwilfige Bewegung aller.) Hako. Dem Fremdling joll das Haupt ich beitgen! Hanna. Ihr trotzt? ihr fragt, ob von Sinnen ich jei? Doc die Götter jtehn der Unjchuld bei. (Auf die Baldurftatue zufchreitend, ihr das Szepter in die hohle Hand ftedend.) Gott Baldur, der das Recht du wahrft, Der du die Wahrheit offenbarit: Gott Baldur, du jolljt für mich zeugen! Gott Baldur, du Hüte den Königsſtab, Womit ich dies Reich dem Fremdling gab: Die troß’gen Empörer, beuge fie! (Sie fteht unter der Statue, alles Volk ftürmt drohend auf fie an.)

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(befehlend) Por enrem König auf die Knie'! (Alle ſtürzen wie bliggetroffen ins Knie: Baufe: Muſik.)

Hahn (aufipringend). Ha, Frevel und Schmach! das mar Bauberfraft!

Hardrun. Ahr Männer auf, aus dem Staub euch ge- rafft!

Hako. An einen Fremdling das Reich verraten!

Hardrun (winkt ihren Kriegern, ergreift Nanna, dieſe wird auf ihren Befehl gefeſſelt).

Buhlſchaft im Walde! Zauberthaten! Gefangen führ' ich die Frevlerin fort, Im Baldurtempel berg' ich ſie dort: Nicht fürder zu Walde ſoll buhlend fie fahren, Im Heiligtum will ich ſie wahren, Im Heiligtum, das Baldur geweiht Und der Jungfrauen keuſcheſter Heiligkeit: Das Volksgericht ſoll ihr Los entſcheiden. Schlußchor. Ergreift die trotzige Frevlerin! Dem Fremden im Walde gab ſie hin Das Reich, die Ehre, ſich ſelber zumal, Ihren Buhlen nennet ſie Ehgemahl Und weigert dem Lande die Königswahl. Sort führt fie gebunden in Ketten! Laßt jehn, ob ein Gott fie wird retten.

529

III. Aufzug.

Das Innere des Baldurtempels. In der Mitte im Hintergrund auf Stufen der Altar: auf diejem die lebensgroße Statue Baldurz. Sinfteres, überall ftrenggejchlofjenes Gewölbe. Im Mittelgrund rehts eine Thür, links vorn, von einem Vorhang verhüllt, ein Fenjter. Nacht. Es wird erjt Hell, al3 durch die Thür eintritt der Chor der Priefterinnen mit Fadeln: danı Hardrun und Nanna, diefe ganz in weiße Schleier gehüllt und gefefjelt.

Erite Scene.

Chor der Jungfrauen. Hardrun. Nanna.

Chor der Iungfranen.

Mich ergreift ein ahnend Schauern Hier in heil’ger Tempelnacht:

Denn e3 webt in diefen Mauern Still des reinjten Gottes Macht.

Weh der Frevlerin, die ſchuldig Den gemweihten Ort betritt:

Doch der Reinen nahet huldig Baldur mit dem Segensſchritt. Hardrun. In Einjamfeit, in öder Muße, Berjtodte, ſollſt du Harren hier:

Bis daß, zerfniricht von Neu’ und Buße, Dein hartes Herz zerbricht in dir.

Das ganze Bolf, das dich joll richten, Hat tief dein Freveltroß empört:

Sein Urteilsſpruch wird dich vernichten: Und nur mein Hafo, bfindbethört,

Dabn, Sämtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Bd. VI 34

930

Er will, er kann dich jest noch retten:

Sei fein, fo fallen dieje Ketten:

Er iſt dir treu geblieben:

Er will dir deine Schuld verzeihn.

Hanna. Wie? Eine Ehuld mein heilig Lieben?

Kein Stern am Himmel ift jo rein!

Hardrun. VBerharre denn im Troß der Schuld! Verſcherze noch die legte Huld.

Bis daß dich ruft das DVolfsgericht,

Verläßt dur dieſe Stätte nicht.

Der Keufchheit ift der Ort geweiht,

Gehütet in Jungfräulichkeit

Bon edler PBriefterinnen Schar:

Hier, Hingejtredt am Weihaltar,

Hier jeufze deinem Buhlen nad),

Der dich in Schmerz gejtürzt und Schmad). Hanne. Er wird mich retten aus der Not. Chor (Heitid. Wagt er jich Her, trifft euch der Tod!

Ein Liebespaar in dieſen Hallen!

Dem Dpfertode wär's verfallen!

Hardrun. Sorgt nicht, daß jolher Frevel droht! Mein Sohn hält Wacht mit ftarfen Scharen, Dies Heiligtum vor Schmach zu wahren!

(zu Nanna)

Der im Wald dein thöricht Herz gewann,

Laß ſehn, ob er dich retten kann.

Chor (im Abziehen).

Mich ergreift ein banges Schauern!

Welches Los wohl ihrer harrt?

Heilig webt in dieſen Mauern Baldurs reine Gegenwart.

531

Zweite Scene.

Nanna allkin.

Hanna. Sie zieh'n dahin! Ihr Sang verhallt Schwer fiel der Eifenriegel ein Sch bin in der grimmen Feindin Gewalt! (fie tajtet umher) Rings alles finfter geichlojjen Halt! Kein Ausweg feines Lichtes Schein! Sch bin allein, Allein in diejen ahnungspollen Räumen! Nein nicht allein! Sein Bild wird überall bei mir jein! Bon feiner Liebe darf ich träumen. (Paufe) D unausfprechlich heil’ge Macht, Die rajch mein ganzes Herz bezwungen! Welh Wunder Haft du an mir vollbracht ? Mit Flammen haft du mich durchdrungen! (Paufe) Still, einjam, troßig, jtolz, verhalten, Bing ich durch al’ die Menfchen Hin, Bis plößli mir mit Glutgewalten Sein Blid, jein Wort bezwang den Sinn. Ach ihn, ach ihn nur kann ich denken, Nur in fein Wejen mich verjenfen: Und ſoll ich niemals mehr ihn jchauen, Sch bin die feligite der Frauen! Er hat fein Lieben mir befannt, Er Hat mich jeine Braut genannt, Ha, was auf Erden fürdt’ ich noch ? Sch weiß mich dein auf ewig doch! 34*

532

Und ſoll ich einfam bier vergehen, Dein leuchtend Antlig nie mehr ſehen Ertragen will ich's ohne Wanfen, Ich will für jeden Schmerz dir danken, Den ih um dich ertragen darf! f (Bauje) Doch mehr als Schmah und Schande fcharf, Und mehr als dieſe Ketten jchiver, Quält mich dies jtarfe Herzbegehr, Dies tiefe, Heil’ge, heiße Sehnen! Zum Springen will das Herz ſich dehnen! Nicht Schmerz, nein, Sehnſucht jtrömt in dieſen Thränen! Sch weiß, ich weiß, du Fannjt den Auf nicht hören: Und doch will Sehnfucht mir das Herz bethören: Sch rufe dich aus tiefftem Seelengrumde: Komm, o Geliebter, fomm in diejer Stunde!

(Sie ſinkt auf dem Altar vor der Statue zufanımen.)

Dritte Scene.

Nanna. Fremdling (tritt aus der fi öffnenden Statue), es wird ganz heil

Fremdling (fih über fie beugend fie erhebend). Du riefit nah mir: Sch bin bei dir! Das ijt der wahren Liebe Macht!

Wanna. Bin ih aus Todesnadt Im Himmel auferwadt? Ich will nicht ftaunen, nicht fragen, Kur glühenden Dank dir jagen.

Duett. Nur wer der Sehnfuht Dual getragen, In wachen Nächten, grauen Tagen,

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Der Trennung herzverzehrende Bein, Nur der kann von der Liebe jagen! Mein Frühling du, mein Sonnenschein! Du bift mein Licht, du biſt mein Leben! Mein ganzes Sein will ich dir geben, Will leben nur in dir allein! Die ganze Welt ift mir verfunten, Ich Hange bebend, wonnetrunfen, An deinen Bliden ganz allein, O du mein Ölanz, mein Sonnenjcein! Hanna. Bijt du ein Zaubrer, teurer Mann, Der Stein und Erz durchdringen kann? Fremdling. Das ijt der jtärkite Zauber nicht! Der Zauber, der dir mein Herz gewann, Der jtrahlend aus deinen Augen bricht, Der Zauber in deinem Heiligen Lieben Er hat mich zwingend hergetrieben. Ein Sehnen, mächtig wie das deine, E3 zwinget Erz und Stahl und Steine. Ein Sehnen, heilig wie das deine, Es fann mit jeiner Kraft und Reine Die Sterne, die am Himmel Freijen, Herniederziehn aus ihren Gleiſen. Deſſ' jollit du jelig inne werden: Sp mächtig ijt fein Ding auf Erden, Als echte Liebe tief und wahr. Hanna. Nicht forſch' ich mehr: ich hab's versprochen! Längjt wußt ich's: du bijt wunderbar. Fremdling. Doch, welche Schuld Haft du verbrochen, Daß Feſſeln drüden deine Hände ? Hanna (ächelnd, die Hände erhebend). Daß ich dich Liebe jonder Ende, Das, teurer Freund, it meine Schuld!

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Stemdling (berührt die Feſſeln —ite fallen). Hinweg damit! Laß fie mich küſſen, Die Schmah um mich erdulden müfjen.

(füht ihre Hand, will fie an fich ziehen: fie entzieht jich)

Wie? Bangt dir um der Götter Huld, Daß du dich meinem Arm entziehit, Daß meinen heißen Blie du flieht?

Nanna. Nicht bang’ ich für mich um der Götter Huld! Doch wehe wenn dich fie trafen, Daß wir hier in Liebe uns trafen. | mit gefteigerter Angſt Weh mir, mein jelbitiich Lieben flehend Hat dich Hieher getrieben! | Flieh, o Geliebter, flieh! Der Tod bedroht dich hie.

Stemdling. Bor Odhin Hab’ ich laut geſchworen, Daß ih mir dich zum Weib erforen, Und jei mein Haupt darum verloren! Du jolljt mein Weib, mein eigen werden.

Wanıra (an feiner Bruft: vorher feine Umarmung). Sch bin die Seligfte auf Erden!

Fremdling. Du wagjt dich kühn an meine Brujt ? Und dennoch iſt dir Har bewußt: Wenn hier ein Weib in Liebe lobt, \ Nanna nidt bejahend Bedroht es Bligftrahl mit dem Tod? | iefig lächelnd Bangt nicht dir vor des Gottes Zorne, Dem heilig diejfer Weihaltar?

Hanna (Gegeiſtert). Die Liebe ijt die jtärkfte Norne! Und dein bin ich auf immerdar! Wenn du dein Haupt in Todes-Wagen Haft mir zu lieb’ hieher getragen: - - Meinit du, ich werd’ an Mut dir weichen ? Sm Lieben bin ich deinesgfeichen.

Sremdling. Schew’ft du nicht Baldurs Weihaltar?

535

Nanna. Wohl jtetS vor allen Göttern mar Gott Baldur mir zumeijt geehrt! Dod, ob fein Blißjtrahl mich verzehrt, Mehr als die Götter lieb’ ich dich. Du wardſt mein Gott und dein bin ich. (E83 donnert von links her.)

in jubelnder Begeifterung

Fremdling (reißt den Vorhang vom Fenſter; es bligt und donnert).

Hörjt du des Donner drohenden Ton ?

Die Götter rüjten die Strafe jchon.

Ich aber troge dem Berderben.

Komm, jei mein Weib, und laß uns jterben!

Mer weiß, ob je in künft'gen Tagen

Ich kann um dich die Arme jchlagen:

Jetzt halt’ ich dich, jebt find wir beijammen!

(ftarfer Blit und Donner)

Sprich, wagjt dur zu trogen den rächenden Flammen ?

Hanna. Dein bin ich auf ewig troß Flammen und Strahl,

Auf Tod und Leben, du mein Gemahl! Fremdling (mit immer mehr wachſender Gut).

Hinweg mit dem Schleier! Er birgt mir dicht

(Nanna widerftrebt Leife) Dein Tiebeleuchtendes Angeficht. Hinweg mit dem Schleier! Komm an mein Herz! (Er zerreißt den Schleier, der in zwei Stüden auf die Erde fällt.)

Manna (nad kurzem Kampf).

Mich durchſchauert die Liebe mit jeligem Schmerz!

Und nah'n alle Götter im Flammenfchein,

Mein ewig Geliebter ich bin dein!

(Stürmifhe Umarınung: Blit und Donner.)

536

Vierte Scene. Borige Hako Gleich darauf Königin, Vriefterinnen, Volt.

Hako (ſhwingt ſich von außen auf das Fenſter, ſpäht herein).

Ich hörte Stimmen, ich ſah zwei Schatten!

(Der Blitz ſchlägt hart vor dem Paar in den Boden.)

Manna (auffhreiend).

Straft mid, ihr Götter! Schont meinen Gatten! Hako (ipringt Herein).

Was jeh ih? Ha, ift es Zauberverblendung ?

Kein! Frevel und Schmach und Tempeljchändung!

Ein Mann in dem Tempel! Der Fremdling! Herbei,

Ihr Genofjen mit Waffen und Waffenjchrei!

Stirb, du Berhaßter, von Hafos Streichen! (Holt mit der Streitart furdtbar aus.) Fremdling (Hebt die Hand gegen ihn: Hako bleibt gelähmt ftehen). Held Hafo, töte deinesgleichen ! (verfintt) (Dumpfer, fern abziehender Donner.)

Hanna. Er entfam! Dank den Göttern! Er ift gerettet!

Hako (ſich aus ſeiner Betäubung erholend, ſtürmt nach dem Hintergrund, ſchlägt mit der Art die Thüren entzwei: Königin und Volk ſtrömt herein).

Herbei, herbei! Hört den Waffenfchrei! } ons Der entweihte Tempel fol nicht mehr jtehn. Er joll mit feiner Schmach vergehn. Chor. Entjeßlicher Frevel! Was ift gejchehen? Hako. Ich hab’ es mit meinen Augen gejehen! Der Fremdling, ihr Buhle, er drang hier ein! Seht ihre Hände der Feljeln entfettet. Durch Hauber Hat er in Flucht fich gerettet. Sch jah fie Tiegen in feinen Armen! Chor (wütend). So muß fie fterben fonder Erbarmen! Sp muß fie den Göttern geopfert fein!

537

Hako (erfhroden). O weh mir! Was that ih! Nein, nein, nein! Mich täufchte mit Blendwerk Zauberjcein. Hardrun. Ha, jeht ihr zerriffen den Heiligen Schleier ? (hebt ihn auf) Dem Heiligtum nahte der frevelnde Freier, Durch Zauber löſte er ihr die Ketten... (hebt fie auf) Nein, verblendeter Sohn (Hato abwehrend), nicht jollit du fie retten. Sch fenne fie gut: aus eigenem Mund Berdirbt fie ihr Troß: fie kann nicht Lügen. Seht, den Siegesſtolz in ihren Zügen! Sch frage dich, gieb die Wahrheit fund: Sprich, Haft du Hier den Geliebten umarmt? Hanna. Wie in freudigem Stolz mir das Herz erwarınt! Ich trogte den Göttern in heiligem Wagen: Meint ihr: ich werde vor euch verzagen ? Meint ihr, verleugnen werd’ ich, verichweigen, Die Seligfeit, die mir ward eigen? Ya, vernehmt es alle: das Wort ift wahr: Sa, ich küßte den Gatten vor diefem Altar! Chor (alle, außer Hato). Brich, Heiliger Tempel, über fie ein! Das muß im Tode gefüihnet fein! Haks. Berfolgt den Verführer, doc) ſchont der Armen! Chor. Nein, jterben ſoll fie jonder Erbarmen! Die Götter, jie müfjen verjühnet fein. Schlagt jie in dreifach lajtende Ketten, Nicht nochmal joll fie der Frevler erretten. Fort jchleppt fie zu Schmad und Todespein. Yanna. SH folg’ euch willig: ich ſterbe gern! Darf ich doch jterben um meinen Herrn!

IV. Aufzug.

Urwald: finjter, jchaurig, Winter oder doch Vorfrühling: alles

grau und lichtlos; rechts vorn in der Verjenfung wird ein Grab

gegraben, mächtige Felsplatten lehnen dort, e3 zu jchließen.

Im Hintergrund erjcheint in der legten Scene der Götterjaal wie

in der eriten Scene des erjten Aufzugs. Dültere, jchauervolle Mufif bereitet das Lied der Totengräber vor.

Erfte Scene,

Zwei Totengräber (ftehen arbeitend in der Verſenkung).

Erfter. Bein zu Stein,

Stein zu Bein, Fleiſch zu Staub und Erde! Dweiter. Xebensnot

Stillt der Tod: Grab: du Ruhhaus: werde! Beide. Starker Arm,

Herzblut warn, Liebliche Gebärde,

Soldnes Haar,

Augen klar: Alles jchlingt die Erde! Erfter. Schon manches Grab Hab’ ich gegraben, Gewölbt ſchon manchen Higelbau. Zweiter. Für zarte Mädchen, rajche Knaben, Für ftarten Mann und blüh'nde Frau. Erfter. Und Hart zerdrüd’ ich jede Zähre! Der Totengräber niemals weine.

939

Dweiter. Auf daß die Thräne nicht verjehre, Wie Brand, das tote Herz im Schreine.

Erfter und Dweiter. In jedem Menſchenleid verjucht,

Hat fih mein Herz, verjteint in Stärfe: Die Schaufel aber jei verflucht,

Die mir gedient bei diefem Werke. Das Königsfind, das mild in Gaben

Der Armut Hütten ſtets gejucht, Lebendig wollen ſie's begraben:

Ha, diejes Grab es fei verflucht!

(Ab nad links.)

Zweite Scene.

Bon hinten rechts treten auf in langem Zuge Hardrun, Nanna,

feſſelt, mit gelöftem Haar, in grauſchwarzem Gewand, Priefterinnen Frauen.

Chor der Priefterinnen und Frauen. Der Fremdling war's im grünen Mantel, Ums Lodenhaupt den Veilchenfranz, Er hat bethört die Königstochter, Die er geführt im Neigentanz. Er fam, man weiß e3 nicht, von wannen, Er jhied und niemand weiß wohin: Du biſt betrogen, Königstochter, Und Schmach und Tod ijt dein Gewinn. Geſamtchor. Der Urteilsiprud, er iſt gefunden Und furchtbar ift das Strafgeridht: Da, jeht die Frevlerin gebunden Und immer noch bereut fie nicht. Der heilge Tempel ijt gejchändet, Darin das Paar der Liebe pflag:

ſtark ger Krieger,

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Sie fei zur Nacht hinabgejendet, Hinweggetilgt vom reinen Tag. Hardrun. Schau diejes Grabes ſchaurig Gähnen! Lebendig nimmt es bald dich auf. Uns al’ verjchmähend flog dein Sehnen Hohmütig zu den Sternen auf. Uns Haft du till und ftolz verachtet, Nah Ewigem Haft du getrachtet, Du ftrebtejt nach) den Himmelshallen Und bift in Schuld und Schmac gefallen, So ergeh’ es auf Erden allem Streben, Das ſich einfam will über andre heben!

Hanna. So Ileb’ denn wohl, du goldne Sonne, So leb' denn wohl, du Himmelsluft! Wohl jog’ ich gern in jelger Wonne, O heilger Frühling, deinen Duft. Wohl trank ich gern in durftgen Zügen Den Morgenhauh wie fühlen Tau: Dem Auge wollte kaum genügen Das Meer des Lichts im Himmelsblaı. Sp Iebt denn wohl, ihr Blumen alle, Ihr jtillen Freundinnen im Thal: Ihr Vöglein mit dem ſüßen Scalle, So Lebt denn wohl viel taujendmal. Wohl wird e3 wieder Frühling werden, (vivace) Auffprießen die Blumen dann alle mit Macht: Mic aber dedt in dunkler Erden Ein jchwerer Stein in ew’ge Nacht.

Hardrun. So faßt um deine Schuld Dich endlich bittres Neuen ?

Hanna. DBereuen des Geliebten Huld? Sch thäte jede That vom neuen!

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Hardrun. Habt ihr gehört den Troß, den Hohn? Hinab! Nimm deiner Frevel Lohn! (Aus dem Gebüſch zur Rechten hinter dem Grabe tönt leifer Vogelgeſang.) Wanna (laufhend). Sch folge gleich! Was jingt jo fein? (Pauje: Vogelgeſang) Sch meine, das muß Notfehlchen fein! Rotkehlchen, Singe-Selchen! Wir haben uns immer ſo gut vertragen! Dir will ich die letzten Grüße ſagen. Flieg', über die Berge, landaus, landein, Flieg', bis du gefunden den Liebſten mein. Dann ſag' ihm: „ſie ſtarb! Sie ſtarb für dich Und noch im Tode ſie ſegnete dich!“ (Wird von den Kriegern ergriffen: Lärm vorn links.) Hardrun. Welh Lärmen dort? Welch Drohn und Schrein ?

Im Stil des Volkslieds

Ein Krieger (meldend, von linke). Hardrun. Das Volk! Das Volt will fie befrein! (hinausblidend) Es dringt mit Macht auf die Wächter ein. Die Kinder find es, die Alten, die Armen! Den Elenden zeigte jie viel Erbarmen. Denn alfo Hat jie’s immer gehalten: Mit und nicht wollte fie walten: Zu den Kindern und Armen hat jie’s getrieben! Laß jehn, was ihr frommt der Ohnmächtigen Lieben.

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Dritte Scene.

Bortge Ein Haufe Volkes, Kinder voran, reife, Arme, Kranke, auf Krüden geflütt, dringt von links vorn durch die mwibderftrebenden Krieger herein.

Chor. Gebt fie heraus! Sie joll nicht fterben! Sie ſoll fo furchtbar nicht verderben, Die junge Herrin gütevoll, Der mild die Seele überquoll Bei unfrer Not, Die Hilfe bot Den Kranken, den Alten, Armen, Die mit den Kindern gejpielt wie ein Kind, In Thaten jo gütig, in Worten jo Iind! Gebt fie heraus! Heraus gejchwind! Habt mit der jungen Waiſe Erbarmen! Hardrun (entreißt einem der Krieger das Schwert und fchlägt auf bie Bordringenden ein). Hinweg mit euch, verächtlicher Troß! Ihr Krieger, verjcheucht fie mit Schwert und Geſchoß! (Die Krieger drängen das Volk mit den Speeren hinaus.) Da fieh: das ift deiner Freunde Macht. Hanna. Empfange mich, heilige Todesnacht! Chor. Hinab mit ihr und ihrer Schandel Entfühnet werden diefe Lande Durch der Verfluhten Tod allein!

Wanna (tritt dicht an dad Grab).

Vierte Scene.

Vorige. Hako (beheimt, voll gewaffnet, ſtürmt von recht? herein, ſich durch die Krieger Bahn bredend).

Haks. Halt ein! Halt ein! Sch breche, Nanna, deine Bande! Sch will noch jest dein Netter fein! Sch will dir alle Schuld verzeihn.

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Hardrun. | Mein Sohn! Was wagjt du! Welche Schmad)! Chor. .s Held!) Hako. Nur laß von ihm, der dein Leben zerbrach! Nur laß von dem Flüchtling, der dich verraten! Da jchauft du das Ende feiner Thaten! Er hat dich bethört, Hat dein Herz zerjtört, Er durfte, der Sel’ge, dich Tiebend umfafjen Und nun hat der Feigling dich verlafjen! Mich haft du verjchmäht, mich Haft du verachtet: Ich aber, jebt, da das Grab dich umnachtet, Da dich furchtbar bedroht Der graufamjte Tod, Sch jtehe zu dir in Schmad und in Not! Durch der Krieger Schwarm Brech' ich dir Bahn mit gewwaltigem Arm! Sc fliehe, mit dir geächtet, verbannt, Sn den Wald aus unſrem Heimatland. Sch will dich befrei’n! Nur vergiß den Verräter und werde mein. Hanna. Hafo, du biſt ein wadrer Held... Hako (freudig einfalend). Du folgſt mir? Gegen die ganze Welt Soll dich verteid’gen diefer Arm! Hanna. Dein Sinn ift fühn, dein Herz ijt warn. Doch Weibesliebe kennſt du nicht! Bis dieſes Herz in Stücke bricht, Lebt Er allein in dieſem Herzen: Wie nur Ein Herz und Einen Leib, Hat Eine Liebe nur das Weib. Und jauchzend unter Todesſchmerzen, Sterb' ich für ihn, den ich geliebt! Ja, ob in Glut die Welt zerſtiebt,

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Sein bin ich über alle Zeit Denn Liebe: das heißt Ewigkeit! (Motiv aus dem erften Aufzug.) Hako (wi fie ergreifen). Ich rette dich, ob du willit, ob nicht! Hanna (tößt ihn weg). Hinweg von mir! Leb wohl denn, Himmelslicht! (ſpringt in das Grab)

Geliebter: ewig bin ich dein!

Fünfte Scene.

Borige. Donnerjdlag: nachdem die bisher finfter unheimliche Stimmung und

Beleuchtung plötlic in glänzenden Frühlingsſchein verwandelt ift, fteht Baldur

neben ihr im Grabe: in göttliher Erſcheinung, wie in der erften Scene des

ersten Aufzugs, nur um den Helm den Veilchenkranz: was von der im Chor

gefhilderten, plöglich eintretenden Umwandlung der Natur in ſchönſte Frühlings.

ſtimmung ſceniſch dargeftellt werden Tann, ſoll dargeftellt werden (die Mufit drückt dies plöglihe Frühlingwerden höchſt wirkungsvoll aus).

Erfter Halbchor. Ha, welch’ ein Raufchen in den Lüften! Dweiter Halbchor. Es blibt, e3 donnert, brauft und weht! Erfter Halbchor. Ein ſüßer Hauch von Beilchen- düften ...

Dweiter Halbchor. Beraujchend durch die Wipfel geht. Erfter Halbchor. Hie Sonnenjchein! Dort Regenbogen! Dweiter Halbchor. Ein Schwalbenflug, er zwitjchert hell. Erfter Halbehor. Der Raſen grünt! Die Büſche knoſpen! Dweiter Halbchor. Und aus dem Eife bricht der Duell. Gefamtcdor. Die Erde bebt! Und aus dem Grabe, Umftrahlt von lichtem Götterglanz,

Der Fremdling jteigt in Asgardhſchöne Und um den Helm den Beilchenfranz. Baldur. Ja, Nanna, ewig bift du mein!

(Alles Bolt ftürzt auf die Knie: Baldur und Nanna treten aus dein Grab in die Mitte vor.)

Chor. Gott Baldur! Baldur, hab Erbarmen!

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Hanna (fetig). An deiner Bruft! In deinen Armen! Und ob mich verbrennt dein Götterfuß, Sch bin dein Weib: ih will, id muß! Baldur. Nicht fterben! Nein, zu ew'gem Leben Nah Asgardh follft du mit mir fchweben! Beitanden Haft du alle Proben Der Liebe, wie fein Weib vor dir. Doch das war fein Spiel, geplant von mir: Sch habe nie gezweifelt an dir! Doch, es galt zu zeigen den Göttern da oben, Daß ein irdifch Weib des Himmels wert. (su Hafo) Du Held, zu deines Hochjinns Lohne, Nimm diejes Reiches Königskrone: Etet3 Sieg verleih’ ich deinem Schwert. (Halo und Bolt fteht auf) Shr andern aber: ehrt fortan Ein tiefes Herz, das ſtolz und ftill Auf eignen Wegen wandeln will. Ihr jeht, daß es den Himmel gewann! Das Sehnen, daS nad) dem Ewigen trachtet, Ihr habt’3 verjpottet und verachtet: Doch das Höchſte wird nur höchſtem Sehnen. Hanna. Ich finde nicht Worte: nur felige Thränen. Wie joll ich tragen ein Götterlos ? Baldur. Heil Nanna dir, unjterbli groß! Ein Weib, das ſolche Liebe trug, Sit für den Himmel reif genug. Und weil du treu an mich geglaubt, Haft du gerettet mein eigen Haupt! Schau, dort durch Gewölk Her ſchimmert Walhall!

(Die Wolken zerteilen fih: in Asgardh werden alle Götter fichtbar, Loki Fniet beihämt vor Odhin.)

Dahn, Samtl. poetifche Werte. Erfte Serie Bd. VI. 35

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Schau, Ddhin und Thor und die Himmlifchen all, Schau Lofi, den Spötter, den Zweifler, bejchämt!

(fegt ihr ein Sternendiadem auf, elektrifches Licht fällt auf ihr Haubt: das fhwarze Gewand gleitet ab und zeigt ein weißes goldglänzendes Götterkleid wie Freias)

Mit der Göttinnen Kranz ſei diademt! Denn die Arme mit grüßendem Freuen Streckt Freia und Frigg mit den Himmlifchen all Dir entgegen, der Göttin, der neuen. Und Frühlingsgewölf, du herrlihe Maid,

Umfängt uns gleih Schwanenflügeln

(ein Wolkenwagen fentt ſich herab, beiden fteigen ein) Und ich raufche mit dir durch die Himmel weit, Nah Asgardhs goldenen Hügeln! (Der Wagen fährt links ab.)

Schlußchor (der Götter und Alfen: gegen das Ende treten Baldur und Nanna vor Odhin und Enien: er legt die Hände auf ihre Häupter).

Jauchzet und jubelt, Ajen und Alfen !

Liebe und Treue zum Sieg euch verhalfen! Schaut, da fommt wie ein Adler im Bogen, Saufend dur Wolfen fommt Baldur geflogen! Und an der Bruft, mit leuchtendem Prangen, Trägt er der Siegerin holde Geſtalt.

Laßt uns die Göttin, die neue, empfangen, Grüßt fie mit jauchzender Sangesgewaltl

Barab und Theann

Operndichtung in vier Aufzügen Muſik von Profelfor Lorenz

(Erfimalig erfihienen 1880)

35*

Herrn Generalmufildireftor

Franı von Tadhner in München

in hoher Derehrung

danfbar zugeeignet.

Perfonenm

Phalanthos, römischer Statthalter auf Kypros. GBaß)

Theano, jeine Nichte und Mündel.

Glauke, deren Freundin.

Krates, ein vornehmer Kyprer. Baryton)

2yjania, Oberpriefterin der Aphrodite.

Alra, indiiher Königsjohn, gefangen, Theanos Sklave, fiebzehn Sahre alt. (Mädchenrolle)

Joſephos, Ültefter der ChHriftengemeinde auf Kypros. (Baß)

Harald, Gefolgsherr einer Sachſenſchar. (Tenor)

Halgajt, fein Freund. (Tenor oder Baryton)

Kyprifche und römiſche Große und Krieger.

Gäſte des Phalanthos: Männer und Frauen.

Die Chriften und Chriftinnen von Kypros, darımter aud) Greije und Kinder.

Priefterinnen der Aphrodite.

Volf von Kypros.

Die Sachſen Haralds.

Tänzer und Tänzerinnen, Sklaven und Sklavinnen des Phalantyos.

Drt der Handlung: Amathus auf Kypros. Beit der Handlung: Anfang des vierten Jahrhunderts nad) Chriftus.

I. Aufzug.

Tempel der Aphrodite auf der Akropolis von Amathus auf Kypros. Prachtvoller jäulengetragener Saal. Stufenbau in vorn geöffnetem Halbfreis. Auf den Stufen, drei Reihen über einander, lagern auf Bolftern Phalantho3, Lyfania und ihre Gälte Durch die oberjten Säulenftellungen hindurch kann man (rechts und links ftet3 von der Bühne aus gedacht) recht3 einen praftifabeln, mit einzelnen Palmen und Dliven bejtandenen Hügel jehen, über den hin ein Weg in das Innere des Landes zieht, dagegen linf3 das blaue Meer: doch bleiben beide Ausblide bis zur vorleßten und legten Scene des Aufzugs gejperrt durch rote, reich mit Gold gefticte Borhänge, die zwiſchen den Säulen aufgejpannt find und erft dann zurüdgeichlagen werden.

An der zweiten Vordercoulifje rehts führen mehrere Stufen an

eine Thür, welche, von außen mit goldnem, langen Stangenriegel

und einem Borlegeihloß geiperrt, in das Innere des Tempelbaus

leitet. In der Mitte auf ebenem Boden der reich befränzte Altar mit Marmorjtatue der Aphrodite.

Erfte Scene.

Glänzendes Fett: bachantifh-aphroditifhes Gelage des Phalanthos und der Lyſania zur Feier des Taubenfeftes der Aphrodite. Auf Polftern auf die Stufen gelagert BPhalanthos, neben ihm Theano und Glanuke in ber Mitte, rehts Lyfania, links Krates: zahlreiche Gäfte, Kyprer und Römer, Diänner und Frauen: Hinter Theano Alra (ganz weiß gekleidet). Sklaven und Sklavinnen in reichſter, mannigfaltigfter Tracht, aud Neger und gelbbraune Mauren, gehen umber, aus zierliden Amphoren und Schalen Wein und Früchte reichend.

Halbchor. Auf und entzündet die Opferaltäre! Spendet der Göttin, der goldnen Sythere, Myrrhen und Ambra von Amathus.

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Vollchor. Kypros mit ewigem Dienfte fie ehre, Das fie zuerit, aus dem fehäumenden Meere Tauchend, betrat mit dem glänzenden Fuß. Phalanthos (ic erhebend). Hoch im Olymp bei ambrofischem

Mahle .. . Cyſania (ich erhebend). Thronen die Götter in goldenem Saale... . Krates (ich erhebend). Lächelnd der Menſchen in ſeligem Ruhn:

Chor. Kränzet die Häupter und kränzt die Pokale, Schlürfet Vergeſſen aus duftender Schale: Gleich den Unſterblichen laſſet uns thun!

(Lebendige Bewegung; die Becher werden von neu auftretenden Sklavinnen ge— füllt: kurzer Tanz der Sklaven und Sklavinnen.)

Phalanthos. Sa, gleich den Göttern laßt uns tun! Syfania. Nach ſel'ger Luft ein ſel'ges Ruhn. Krates. Mit Lieb und Wein und Feitgelag ... Phalanthos. Al3 Inhalt füllet Tag um Tag. Syfania. Genuß ift Leben, Leben ijt Genuß. Alle drei. Pflicht, Ernſt und Arbeit in den Tartarus! Chor. Genuß ijt Leben, Leben ift Genuß: Pflicht, Ernſt und Arbeit in den Tartarus! Phalanthos. Bald naht der Tod, bald dedt und Nacht, Krates. Ihn, der fich müht, wie den, der lacht: Iyfania. Da morgen ſchon hinab wir müſſen ..., Alle drei. Laßt heut’ uns trinfen noch und küſſen. (Phalanthos umarmt Tyfania.) Theano (ipringt auf, in tiefer Entrüftung). (Slaufe und Alra folgen ihr.) Hinweg von hier aus Gift und Schwüle! Was zwangft du, Dheim, mich Hieher ? Du weißt: ich Hafje diefe Pfühle, Nach andrem Gott trag’ ich Begehr:

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Nach einem Gott, der ewig hehr. Die Seele jehnt fich fort aus Kränzen Zum Himmel, wo die Sterne glänzen: Sie will mit reinen Schwingen Zum Thron des Vaters dringen! Glauke. Sch teile nicht Theanos Strenge ganz: Nicht darf ich ihrer Hoheit mich vergleichen: Sc lache gern, ich liebe Sang und Tanz: Doc fern von eurem Treiben muß ich weichen. Genuß und Luft will nicht ich jchelten, Doch nur, wenn Tugend fie vergelten: Ihr aber haſcht den Lohn voraus Und eure Thaten bleiben aus! Sheans. Welch andrer Sinn erhöhte Nom! Glauke. Ihr ſinkt aus Rauſch in Lethes Strom! Ihr tragt ein Schwert, Bart im Geficht? Ihr jpielt nur Männer: ihr feid es nicht! Cheans. Denn längjt von euch wich Heldentum! Phalanthos (pöttiih). Die Ahnen nahmen jchon allen Nuhm! Krates (ebenjo). Sie ſchufen dieſes Reiches Glanz ... Cyſania. Für fie das Schwert: für ung der Kranz! Schlingt einen Roſenkranz um des Phalanthos Haupt.) Phalanthos. Für fie der Kampf: uns das Genießen! Krates. Laß dich ihr Schmollen nicht verdrießen! Bald wandelt ſich's, ward fie mein Weib. Theano (hoch erregt). (Alra: ſtummes Spiel.) Eh' treffe Blitzſtrahl dieſen Leib! Mein Herz iſt frei und Gottes meine Seele. Phalanthos. Doch deine Hand gehorcht des Ohms Befehle. Theano. Eh' ſoll mich Tod umnachten! Krates. Du liebſt mich nicht?

556 Cheans. Lebt Lieben jonder achten?

(Zorn von Phalanthos und Krates.) Krates. Das büßt du in der Ehe Ketten. Theano. Ein Bote Gottes wird mich retten! Alra. O dürft’ ich für fie fterben! Mit legtem Hauch noch um fie werben! Mein Herz verzehrt dies tiefe Sehnen Doch Alra Hat ftatt Waffen Thränen. Phalanthos. Genug der troß’gen Mädchengrille! Sch gab mein Wort: feſt jteht mein Wille. Sn wen’gen Tagen ift fie dein. (Spiel von Theano, Glaufe, Alra.) Krates. Ein Bacchanal fol unſre Hochzeit fein! Cyſania (öhniſch). Dann, Jungfrau du, athenagleiche, Berfallen jollit du Venus’ Reiche! Ei Krates lernte die Liebe bei mir: Wie ich ihn fchulte, zeig’ er dir! Arates. Wohlan denn, vor den Zeugen hier Mein Bräut’gamsrecht heiſch' ich von ihr:

Ihr Mund verfagte fpröd den Kuß ... Phalanthos. Der Mann fein Recht erzwingen muß. (Krates naht Theano: Glauke und Alra drängen fid) ſchützend dazwischen.) Fyfania. Gleich ruht Athena in des Satyrs Armen!

Krates (Alra fortſchleudernd, Glauke beiſeite drängend). Fort, Knabe! Nun ſollſt du erwarmen! Eros, Eros kennt kein Erbarmen.

(Sr will fie umarmen.)

(Theano erhebt voll Majeftät, ohme ihn zu berühren, nur Hand und Arm: Krates bleibt, von ihrer jungfräulihen Hoheit gebannt, plötzlich ftehen: er fentt gebändigt das Haupt: Gruppe: Theano ftatuengleic) in der Mitte. Paufe.)

Theano (HoHeitvom). Ihr Frevler! Habt ihr nun gefehn, Daß für das Heil’ge Wunder noch gefchehn ? Nicht immer braucht der Gott den Strahl:

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Er blitzt auch aus der Unfchuld Augen: Doch hütet euch: nah Liegt fein Blig bei ihm: Und wollen Bitten nicht mehr taugen Und ift erfüllt das Maß zumal, Leiht er fein Schwert den Cherubim, Die aus den Wolfen niederfaufen! Sch warn’ euch! Ahnung weitet mir die Bruft: Sinft ihr noch mehr in Sündenluft, Wagt ihr, der Unſchuld Necht zu brechen, Weh euch! den Sturm fchon hör ich braufen, Der eure Frevel jchlägt mit Graufen: Sei's aus dem Meer, ſei's aus Gewitter, Der Reinheit fommt ihr Held, ihr Nitter: Es lebt ein Gott, die Schuld zu rächen.

(Theano in heftiger Bewegung durd) die Vorhänge reits ab, Alra und Glauke folgen ihr raſch.)

Zweite Scene.

Vorige ohne Theano, Glauke und Ulra, (Banges Staunen.)

Chor. Wie drohend traf ihr Wort!

Wie lohend traf ihr Blid!

Mir ſchwand die Freude fort:

Die Luft ijt mir zerjtoben.

Droht wirklich Strafgeihid?

Zürnt doch ein Gott dort oben?

Sind Götter, die da richten?

Sind Götter, die da ſtrafen? Phalanthos. Ihr Freunde, bangt mitnichten! Krates. Die Götter? Laßt ſie ſchlafen! CCyſania. Die Götter küſſen ſelber gern! Phalanthos. Sie buhlen und zechen, die ſtrengen Herrn,

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Krates. Die Götter lügen und trügen Iyfania. Die Götter trügen und Lügen,

Alle drei. Sie jtehlen, morden und rauben ) (Shor Ihr Gericht, mer wird daran glauben? wieberholt) Phalanthos. Ha, wer die Götter will erreichen,

Arates. An Wonnen muß er ihnen gleichen. Cyſania. Den Becher füllt und fchlürft ihn leer! Alle drei. Genuß fchreit laut nach mehr, nad) mehr! Phalanthos und Arates.

Blumen, Wein und Tanz und Ruß,

Ew'ger Durſt und Überfluß,

Taumel, Rauſch und heiße Luft

Schwellt uns Göttern gleich die Bruft.

Iyfania (winkt: Sklaven und Sklavinnen, Tänzer und Tänzerinnen in ägyptifcher Tracht treten auf mit gevedten Blumentörben).

Schaut her: ich hab’ ein üppig Spiel Hieher verpflanzt vom Heißen Nil: Dort in der Iſis füßen Nächten Wogt fejjellos der wilde Tanz: Sie find geweiht de3 Eros Mächten Und Liebeswahnfinn füllt fie ganz. Heut’ ift der Göttin Taubenfeit: Zeit ward, daß man fie fliegen läßt. (Die Paare jhreiten oder tanzen über die Bühne und ftellen ſich, nad) Geſchlechtern getrennt, auf beiden Seiten der Bühne einander gegenüber.) Cyſania (allein oder mit Frauendor). Tliegt ihr weißen Tauben, Fliegt aus Myrtenlauben, Fliegt der Göttin zu. Andrer Frauenhalbchor. Singt, beſchwingte Boten, Aus den Schnäblein roten: Benus, groß bijt du!

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(Einzelne Männer und Mädchen öffnen den Dedel ihrer Körbe: weiße Tauben fliegen in die Höhe und dann einem gegenüberftehenden Partner (Partnerin) zu: Ballett: Tanz der Paare.)

Cyſania (und erſter Halbchor). Traget hin und wieder Gruß und Liebeslieder, Holt und tragt ſie zu. Dweiter Halbchor. Und im Flügelſchwirren Sollt ihr gurren und girren: Venus, groß biſt du. (Ballett der Geſamtheit.) Krates. Genug des Spiel3! Das taugt für Kinder: Für reife Venuspriejter minder.

Ich weiß verjtedt ganz andre Tauben, (zu Phalanthos und den Gäften)

Viel weißre, ſchönre, dürft mir's glauben: Lyſania birgt fie neidisch dort Sn ihrer Cella geheimjtem Ort: Wohl Hundert junge PBriejterinnen: Die Täubchen wollen wir gewinnen! (Männerchor wiederholt) Krates. Aus Memphis, Gades und Tenedos Sie geizig dort in die Cella jchloß Der ſchönſten Mädchen bunte Schar Mit ſchwarzem, braunem und gelbem Haar: Aus jeder Wüſte, jedem Land, Wo Liebesfejte jind befannt, Hat fie berufen Priejterinnen: Die Täubchen wollen wir gewinnen! (Chor wiederholt) Phalanthos und rates. Druidenweib vom Rhodanus Den Mijtelfranz im wirren Haar, Germanin vom Danubiug, Die Loden gelb; das Auge Klar,

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Aftartens Kind aus Wültenfand

Und Lotosblumen vom Indusſtrand, Vom Tagus die Sbererin,

Bon der Syrte die Numiderin, Helleninnen wie Pheidias

Sn Marmor nur fo fhön fie maß, Den ftolzen Wuchs der Römerin,

Die weich Hin fehmelzende Lyderin, Sie alle hält uns und dem Glüd

Der Riegel jener Thür zurüd. Heraus mit ihnen, wir weihen fie ein: Wir wollen der Neulinge Lehrer fein.

Ehor. Heraus mit ihnen! erbrecht das Thor!

Zu Liebe, Zubel und Tanz hervor!

(Bhalanthos, Krates und alle Männer in ftürmifcher Bewegung die Stufen

hinauf gegen die Thür der Cella in der vorletsten Eouliffe rehts: Lyſania auf

dem Altar der Venus in der Mitte allein erhöht, den Schlüffel triumphierend hoc haltend: maleriſche Gruppe.)

Cyſania. Umfonft! Nie zwingt die Pforten ihr, (Bergebliche Schläge an die Thür.) Syfania (chmeichleriſch. Kauft ihr nicht ab den Schlüfjel mir. Phalanthos. So nenne den Preis! Und nimm ihn gleich! Und forderteft du das römische Reid), Sch würf es dahin, hätt’ ich’S zu vergeben: Denn Luft nur und Rauſch und Taumel ift Leben!

Chor (wiederholt die letzten drei Zeilen: fie toben in wilder Erregung um Lyfania). (Plöglic vernimmt man vom Hintergrund rechts her den Flagend feierlichen, tief frommen, weltflücdtigen Kanon der Ehriften.)

Halbchar der Ehriften. Herr, der du am Himmelsthrone Herrfcheft mit dem ew'gen Sohne, Aus der Tiefe rufen wir.

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Pollhor. D laß uns gerettet werden Aus den Banden diefer Erden, Ew'ge Freiheit, auf zu dir. (Die wild erregten Heiden ftoden in plötlicher Verfteinerung.) Phalanthos. Welch’ Unkenlied ftört unfre Luft?

Fyfania (eilt in den Hintergrund, fchlägt den ganzen Vorhang rechts zurid: man fieht in der Ferne über den Hügelweg Hin die Ehriften ziehen (ohne Theano, Alra und Glaufe), reife geführt von Kindern, Soſephos, Männer und fsrauen, malerifc) ergreifende Gruppe).

Schau hin: Har fei es dir bewußt: Die Chriften find’s, die Gottverhaßten. Chor (ornig, drohend). Die Chrijten find’s, die Gottver- haßten! Krates. Ihr Götterdienſt iſt Schmerz und Faſten. Cyſania. Die Aphroditen abgeſchworen, Die Heuchler, Frevler, Thoren! Zum Tode hat der Kaiſer ſie verdammt: Nur hier für ſie kein Scheiterhaufe flammt: Hier deckt ſie deiner Schweſter Wahn. Krates. Des Kaiſers Wille ſei gethan! Der Chriſtenwahn nur trägt die Schuld,

Daß mir Theano weigert Huld: (Letzter leiſer Klang des Chriſten-Chors.)

Cyſania (u Phalanthos).

Willſt dieſen Schlüſſel du erwerben?

So ſprich: „die Chriſten ſollen ſterben.“ Chor. Auf! Sprich! Die Chriſten ſollen ſterben! Phalanthos. Den Chriſten Tod! Sie ſollen ſterben.

(zu Krates) Du triffſt die ganze Rotte In der Olivengrotte, Dort greife ſie! Sie ſollen brennen, Die Venus Glut nicht wollen fennen. Krates. Nicht brennen! Bor die Gladiatoren! Sa, ihnen zu Gegnern feien erforen Dabn, Eamtl. poetifhe Werke. Erfte Serie Bd. VI. 36

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Die wohl ſchon befiegt auf den blauen Bahnen, Seeräubernde Sadjen, blonde Germanen. (Leife von Hinten links das Germanen Motiv: Hörner.)

Krates und Phalanthos. Ja gefangen in Bälde gewiß find die Scharen Der kecken Barbaren: Sie wollen im Sterben den Ehrijten wir paaren.

Phalanthos. Auch hab ich hyrkaniſcher Tiger zwei, Afiatifcher Beſtien mancherlei Und Bären der Alpen und Atlas-Leun, Sie jollen der frommen Thoren fich freun.

Arates. Ich eile, zu greifen Die düſtre Gemeine. (Krates ab im Hintergrund rechts.)

Phalanthos Gu Lyfania). Sch gab mein Wort: nun erfülle das deine. Den Schlüfjel heraus! Und auf mit dem Thor! Ihr Venus Geweihten, hervor, hervor! Chor (wiederholt die legten beiden Zeilen, in wilder Erregung Syſania umdrängend). Lyſania. So mag dern beginnen der rajende Reigen, Der Göttin verfallen, Kupido zu eigen! Feſtkönig joll jein, wer am wildejten tobt Mer am feligjten rajt, fei als Meijter gelobt: Sch erjchliege die Pforte da fchauet die Beute.

(Sie ſchlägt die erjchlofjene Thür nad) innen zurüd: man erblidt maleriſch grup-

piert um einen Fleinen Altar die jungen Priefterinnen in phantaſtiſchen Koftilmen,

wie oben angedeutet: Römerinnen, Griehinnen, Germaninnen, Keltinnen, Ägyp- terinnen, Inderinnen, gelbe Numiderinnen.)

Nun mwählet und greifet und zwingt eure Bräute.

(Phalanthos und die Gäfte ftürmen in die Cella, führen die Wiberftrebenden

heraus, wilde Bewegung: Ballett: Diotiv: in immer gefteigerter Mufit, in

immer rajherem Tempo Werbung um die anfangs widerftrebenden, immer mehr

von den Eindrüden des wilden Bacchanals Beraufhten: Schlufgruppe: bie Priefterinnen in den Armen der Gäfte.)

563

Phalanthos und Lyfania.

Heil Aphrodite dir! Glühende Königin!

Völlig beherricheft du uns den beraufchten Sinn!

Flatternde Locken

Wie feurige Flocken,

Herzen in Flammen

Lodern zuſammen.

Raſender Wirbeltanz

Dreht uns im Kreiſe!

Das iſt des Weltengangs Geer wiedechot

Schwindelnde Weiſe.

Jaget das Maß und die Scheu in die Flucht!

Übermaß, Taumelrauſch herrſche allein!

Reißet die Schranken ein ſchüchterner Zucht!

Chaos der Lüfte, brich über ung ein. (Chor wiederholt)

(Sefteigertes Furzes Ballett.)

Phalanthos.

Hei, beſſer al3 unfere Ahnen, die Kalten, Kennen wir Venus und ihr Reich:

Sie flehten zu toten, verhüllten Gejtalten: Wir beten zum Leben heiß und weich:

Ha, marmorne Venus im Yaltengewand, Nicht du biſt unjere Göttin mehr:

Lyſania hier dich überwand. Du bijt nur Marmor: doch fie... ſchau her!

(Cr bat Lyfania auf den Altar im Vordergrund neben die Benusftatue gehoben, hat ihren Mantel herabgeriffen und ift im Begriff, ihr Obergemand herabzu— zerren, als plötlich mitten in den wildeften Wirbel diefer Orgie hinein Friegerifch, markig, flegesftolz, heldenhaft, nordifch die Hörner der Germanen ganz nahe vonı Hintergrund ertönen.) (Plögliches Erftarren der wild tanzenden, trintenden, ringenden Paare: entjett läßt Phalanthos Lyjania fahren: Gruppe der beiden auf, der Säfte und der Priefterinnen, Sklaven und Stlavinnen vor dem Altar.)

Phalanthos. Entjeglih Getön! fällt der Himmel ein?

564

(&r eilt nad Hinten links: dort ftürzt ihm ein ſchwer verwundeter Römerfeldherr in voller Rüſtung entgegen, ihm pantomimijch feine Niederlage und der Germanen Landung meldend: dann fintt der Verwundete in die Arme eines Sklaven.)

Cyſania und Chor der ängſtlich Gruppierten, nach hinten Schauenden. Nahn feindliche Götter in ſtrafendem Zorn? War's Gigantengeſang? War's ein kriegeriſch Horn?

(Während Phalanthos verzweifelnd in den Vordergrund eilt, ziehen Sklaven die Vorhänge links hinten zurück: man ſieht das Meer, die Küſte und daran das große Drachenſchiff Haralds, daneben mehrere kleinere Drachen, alle dicht bejett von den germanifchen Kriegern in bligenden Waffen, die Hornbläfer voran. Harald und Halgaft nicht dabei).

Phalanthos (ganz nad) vorn ftürzend). Das Chaos der Schreden brach über uns ein!

Weh mir! Uns allen weh! Wir find gejchlagen zu Land und zur Gee! Die Legionen find tot, die Trieren verloren Und die Germanen fteh’n vor den Thoren.

(Chor wiederholt die legten beiden Zeilen: entſetzte Gruppen: während die ger manifchen Hörner, wie ein Strafgericht des Himmels verfündend, herein fchmettern, fällt der Vorhang.)

565

Il. Aufzug.

Die Chriftengrotte. Nur zur vorderen Hälfte unterirdiih: in Felögeftein eine ge- räumige Höhle: zwei jäulenähnliche Feljen jtüßen das Gemölbe im Mittelgrund: im Hintergrund führen Stufen rechts und links zu zwei Öffnungen der Höhle: außerhalb diejer beiden Öffnungen fieht man über einen praftifabeln Weg hinweg, der quer über die Bühne zieht, Himmel, Landjchaft, Meer.

Wilde Rojen und anderes Schlinggebüfh am Eingang. An allen

Wänden und an den beiden Feljenpfeilern, ſowie an einem jchlichten,

in den Feljen gehauenen, dreiftufigen Altar an der erjten Coulijje

links die jymboliihen Figuren des Katafombenftils in jchlichten Linien: Lamm, Fiſch, Taube, Kreuze.

Erſte Scene. Sofepho8 und die ganze Chriftengemeinde: Männer, Weiber, Jünglinge, Mädchen, Kinder beider Gefchlechter, Greife, Greifinnen. Halbdyor. Gott, der du vom Himmelsthrone Herricheft mit dem ew'gen Sohne, Aus der Tiefe rufen wir. Vollchor. D laß uns gerettet werden Aus den Banden diefer Erden, Ew'ge Freiheit, auf zu dir. Iofephos (zu einem der Älteften). Mir ahnt, uns ift bejchieden Nicht länger Frieden: Der Heiden Haß Ohn' Unterlaß Dringt blutig näher an:

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Heil, wer gewann Des Martyrtodes Krone, Daß ihm vor Gottes Throne Die ew'ge Palme Lohne. Chor (wiederholt). Iofephos. Mein Haupt fteht tot-bereit: Lang iſt's dir, Herr, geweiht: Doc, laß vorher mich nur die Eine, Die tiefjte Seele dir gewinnen: Theano, Bater, fei die deine. Dann will ich jcheiden gern von hinnen. Sie will uns wohl: doch hat fie noch Nicht aufgenommen Ehrijti Zoch: Sie jchwanft, fie wanft: noch Hin und her Zieht Himmel fie und Weltbegehr: So hold, jo jung will fie nicht faffen, Daß Welt und Freude fündig find: Schmerz, lehre fie die Erde haſſen: Durch Schmerz nur wird fie Gottes Kind. (Chor wiederholt.) Iofephos. Ob fie zur Andacht Heute kommt?

(wendet fid) gegen die Stufen reht3, auf denen Theano mit Glaufe und Alra fihtbar wird)

Sie naht! Sie iſt's. O ſei gejegnet!

Zweite Scene, Borige. Theano. Glaufe Alra.

Theano. Sch weiß, was meiner Seele frommt: Sn dir ift mir daS Heil begegnet: Nur mander Zweifel quält mich leiie.

(Harald wird ungefehen von den Berfammelten an der Mündung der Höhle links fihtbar: er verbirgt fi) laufhend, dem Publikum Halb jichtbar bleibend, binter einem vorjpringenden Yelsftüd.)

567

Iofephos. Stimmt an aufs neu die fromme Weiſe. Halbdhor. Hab’ Erbarmen, hab’ Erbarmen, Du der Schwachen Gott und Armen, Der du reich und mächtig bift: Volldor. Deines Kreuzes heil’ge Weihe Uns aus Erdenlujt befreie Zu dem Schmerz, der himmliſch ift. Iofephos (u Theano, melde in ftummem Spiel ihr Bedenfen ge- äußert hat).

Theano, wie? Du fangejt nicht?

Schön ift’3 doch, wenn der Kranz fich flicht Des Sangs aus gleich gejtimmten Geelen! Theano (Harald tritt lauſchend vor).

Ich darf dir nicht verhehlen:

E3 ftimmt mein Herz zum Liede nicht!

Gern lauf’ ich deinen Lehren,

Ins Innere einzufehren,

Zu üben Liebespflicht:

Doch hangt mein Herz an diefer Welt,

An ihrem Reiz, an ihrer Blüte: Wie joll des Gottes Güte,

Der Schön fie ſchuf und ſchön erhält, Verwerfen feine eigne That?

Schau’n Unkraut in der eignen Saat?

Was gab er uns die Freude, wenn fie Schuld, Und, find fie Gift, was gab er uns die Roſen? Iofephos. Verachte fie, die dauerlofen,

Nur Buße bringt dir Gottes Huld.

Glauke. Sch kann es nicht glauben!

Nicht laß' ich mir rauben Die Luſt an des Lebens heiterem Spiel:

Soll Gott es behagen

Daß trüb wir entſagen

568

Dem Schönen, das freudig dem Herzen gefiel? Sch Iobe Muſik und den gleitenden Reigen: Dem Holden, dem Heitern fühl ich mich eigen: Nicht kann ich nach Schmerz, nur nach) Freude mich fehnen! Ach, es bleiben genug der notwendigen Thränen! Mir Hüpft durch die Adern das Blut der Hellenen.

Alte. Wie herrlich ift dieg Götterbild!

Der Blick vol Kraft und doch jo mild.

Des Leibes Bau im Rhythmus ſich ergießt,

Daß wie Mufif die Schönheit fie umfließt:

Sch muß fie immer und immer fchauen:

Sie gleicht des Himmel3 weißen Frauen.

Sie bannt mich herzu, fie zwingt mich heran,

Daß ich immer „Theano“ nur denfen fann:

Die die dunkle Phaläne das jtrahlende Licht,

So zieht fie mich an: ich vermag es nicht,

Bon der Holden die jehnenden Blicke zn trennen

Mag Herz mir und Leben darüber verbrennen. (‚u Zheano)

Die Trauer, die die Chriſten preijen,

Tönt auch in meines Volkes Weiſen:

Vernimm, o Herrin, die Trauerjage,

Die fanfte Klage:

Romanze.

Traue nicht dem Gruß der Freude Freude flieht und Trauer bleibt:

Singe Trauer, Volk der Inder, Trauer iſt des Lebens Kern.

Un dem Rand des jungen Brunnquell3 Schritt die Königstochter weiß:

Aus der Tiefe ftieg der Duellgeift, Liebe, Liebe nur im Sinn.

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Und er warb um ihre Seele, Warb jo zart, jo rein, jo treu,

Doch die jtolze Königstochter, Ach, fie merkte nicht fein Leid.

Und er drohte, zu verjiegen,

Hin zu jterben bang in Qual: Da erbarmten fic) die Götter

Seiner Treu’ und feiner Bein:

In die weiße Lotosblume Ward das Königskind verwandelt: Und fie muß nun ewig jchwanfen Auf des Brunnquells veger Flut.

Und er klagt um jeine Liebe, Um ihr Leben trauert fie: Singe Trauer, Volk der Inder,

Trauer ift des Lebens Kern.

(Alra verſchwindet langjam im Hintergrund rechts, die Stufen hinauf fehreitend.) (Chor wiederholt die letten Zeilen.)

Joſephos. Schweigt mir von nicht’ger Menfchenliebe! Nur Gottes Liebe gilt und wärt. O daß fein heil’ger Geift dich triebe, Theano, daß du, jchnerzverflärt, Nicht mehr als Heidin, als Sünderin, ALS feiner Lehre Berfünderin, Mit mir durchzögeſt die Länder der Erde, Die Völker zu lehren, die Heiden zu taufen, Bom Höllenpfuhl zurüd fie zu kaufen. Theano. a, jolde Sitten zu verbannen, Wie dort Lyjania frech fie lehrt, Mein Bolf zur Tugend zu ermannen, Wohl wär’ ein Ziel, des Dajeins wert.

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Sprich, welch Gelübde muß ich thun, Soll duch die Welt das Kreuz ich tragen Joſephos (ſehr feierlich). Der ird'ſchen Liebe zu entſagen, An keines Gatten Bruſt zu ruhn! Theano (wehmütig, nachſinnend, ſchmerzlich kämpfend). Der ird'ſchen Liebe zu entſagen, An feines Gatten Bruſt zu ruh'n!

Io fephos und Chor (mahnend, ernit fhaurig, faft drohend rings auf Theano eindringend).

Willſt durch die Welt das Kreuz du tragen, Sollit du das Eidgelübde thun,

Der ird’ichen Liebe zu entjagen, An feines Gatten Bruft zu ruh'n.

(Gruppe: Theano ringend in der Mitte: von den Chriften unheimlid umbdrängt.)

Ölauke (tebHaft durch die Chriften zu Theano dringend, ihre Hand faffend). D Freundin, Schweiter! Nein! Halt ein! Das kann nicht Gottes Wille fein. Mich haben die Eltern ſtets gelehrt: Dem Weib giebt erjt der Mann den Wert Und Hymen Heißt des Weibes höchſter Gott.

Wär’ jede fo fromm, . . . o welcher Graus! Bald jtürben der Menfchen Gejchlechter aus. Joſephos.

Du Weltkind, ſpare deinen Spott! Stets werden genug der Thörinnen bleiben, Gleich dir, die irdiſchen Dinge zu treiben. Doch dieſe Seele, tief und rein, Soll nur dem Herrn zu eigen ſein. (er reißt ſie von Glauke hinweg) Schaum iſt und Gift der Erde Blüte! Den Himmel nur ſchließ' ins Gemüte,

571

Ganz mußt du Gott die Seele geben, Darfjt dienen nicht der Welt daneben. Chor (wiederholt ſchaurig, fie wieder umdrängend).

Cheans (tritt von den Chriften weg nad) vorn dann nad) einer Paufe finnender und ringender Betrachtung).

Soll ih dem Traum, dem Wunfch entjagen, Den jeit den früh’iten Mäpdchentagen Sch in der Seele tief gehegt? Was mich umgab, die eitle Luſt, Die Pracht hat nie mein Herz bewegt. Nach edlerm Inhalt rang die Bruft. Mir war's, einjt werd’ ein Heil’ges kommen, Ein Sonnenftrahl, von Glut durchglonmen, Der all’ mein Wejen glanzerhellt, Mih Gott verjühnend und der Welt, Bol mwonn’gen Ernſtes, ernſter Wonne! Sch Harrte lang auf ſolche Sonne: Ich ſchaute ahnungsvoll ins Meer, Ob mir’3 auf Wogen ſchwömme her? Ich ſah zum Himmel fromm empor, Ob e3 entitieg dem Sternenhor? Umfonjt! Umfonft! Leer blieb mein Herz! Da kameſt du und lehrteſt: Schmerz! Und lehrtejt Buße, Leid und Bein! Ad, jollte dies mein Ahnen fein? Der erjehnte Hort Nur dein finjtres Wort? Kommt mir fein andres Wunder übers Meer? (Paufe: Harald zeigt fid.) Wohlan, ich will nicht Elagen! Die Wahrheit, ſcheint's, ift todesſchwer Und Friede heißt Entfagen. Chor (wiederholt die Iegten beiden Zeilen).

972

Iofephos (ein großes Holzkreuz ihr Hinhaltend).

Du bliebſt noch ungetauft bis heute!

Wohlan: ich weihe dich dem Herrn!

Sprich das Gelübde feiner Bräute:

Sprich bleibft du ftet3 der Liebe fern? (Theano ift im Begriff, niederfniend das Kreuz zu ergreifen: jedoch) zuvor ftürmt Alra die Stufen rechts herab, gleich gefolgt von Krates und den Lanzen— trägern: Harald verfhmwindet wieder Hinter dem Feld: Theano fpringt auf

und eilt mit Glaufe von Joſephos Hinweg nah links vorn. Stellung: Joſephos, glei) darauf Alra, Theano, Glauke.)

Dritte Scene, Borige. Alra, Krates und die Lanzenträger.

Alra (im Herabftürmen). Flieh', weiße Lotos, flieh’! Dort naht fih das Verderben! Die Chriften müſſen ſterben! Die Henker nah'n: da kommen fie. (Krates und die Lanzenträger fteigen, nachdem fie fi) am Weg und Eingang in malerifcher Aufftelung gezeigt, drohend die Stufen rechts herab: Harald, bervorlaufchend, zeigt fi) kurz links während des Herabfteigend und Vorbringen der Krieger.) Chor der Chriften. eh’ uns, es droht, &3 naht der Tod! Nie mit des Löwen Stimme Umbrüllt der Feind, der grimme Der Lämmer fromme Schar, D Schirm’ uns, Rreuzaltar. (Sie drängen fih in malerifher Gruppierung um den Altar.) Jo ſephos (furchtlos vor dem Altar hoch aufgerichtet, das Kreuz erhebend). Verzaget nicht! treu wachet Gott! Ihm ſind die Waffen der Heiden ein Spott.

578

Habt ihr vergejjen, wie er im Meer Erfäuft den Pharao und fein Heer? Habt ihr vergeſſen, wie er gejchlagen Einft die Affyrer mit Roß und mit Wagen? Will er ung retten Aus Tod und Ketten, Legionen von Engeln in weißem Gefieder Schickt er mit flammenden Schwertern nieder. Do will er ung die Palme gönnen, Wohlan: ihr werdet jterben können Und faufen mit des Herzens Blut Das ew’ge Heil, das höchſte Gut. (Drobende Bewegung der Krieger: Bangen der Chriften.) Theano (gu den Epriften). Nein, banget nicht, Und fann ich euer Leid nicht heilen, Sch will es teilen. (hoheitvoll Krates entgegentretend) Was brecht ihr, gewappnet, Räubern gleich, In des Friedens, in der Andacht Reich? Wen ſucht ihr hier? Krates. Die Chriſten! Die Hebräer! Der Götter Leugner und Schmäher: Sie ſollen in tauſend Qualen Die frevle Läſt'rung zahlen! Zum Tode, zum Tode die Chriſten geſamt! Wo der Tiger brüllt, wo der Holzſtoß flammt! Sie ſollen fechten zu unſerer Luſt Mit gefangnen Barbaren! Laß ſeh'n, ob ihr Gott vor dem Tod fie kann wahren, Der jelbit an dem Kreuze jterben gemußt. Chor der Sanzenträger. Zum Tode die Chriften, die Chriften gefamt!

574

Theauo (chützend, abmwehrend). Halt! Krates! wer hat ſie verdammt? Krates. Der Kaiſer Galerius, das ewige Rom! Die Vollſtreckung gebeut Phalanth, dein Ohm. Theano, Glauke, Alra. O laß dich erweichen, o laß ſie entrinnen. Krates. Nein! zum Tode führt ſie von hinnen. Zu unſerm Hochzeitfeſte Lad' ich die Chriſten als Gäſte: Doch nicht, mit uns zu ſchmauſen: Vor uns zu ſterben mit Grauſen. (Er winkt, die Lanzenträger dringen wieder vor.) Theano. Entjeglich, Halt! rates: halt’ ein: Wenn du mich liebjt, fo fchone mein. Krates. Dich fchonen? Holde Braut, du bift Hier nicht bedroht! Theano. Wie lautet das Gebot? Krates. Es jtirbt, wer glaubt an Chrift. Cheano (das Kreuz vom Altar reißend, ihm entgegenhaltend). Wohl denn: an Chriſtus glaub’ auch ih: Nun mit den Chriften töte mich! (Krates fährt zurüd, die Ranzenträger ftoden: Gruppe: malerifches Bild.) Geſamtchor (Lanzenträger und Chriſten). Welch' hohe That! Welch' kühner Rat! Fort riß ſie die mutige Seele, Daß bitteren Tod ſie erwähle. Theano, was haſt du gethan? Du ſchreiteſt auf des Todes Bahn! Krates (tritt wieder vor). Mitnichten! Mitnichten hältſt du auf, Verwegene Thörin, des Rechtes Lauf. Dein Ohm, dein Bräutigam verbeut,

575

Den Schächern dort dich zu verbinden, Die ſchon der Tod der Schmach bedräut. (Er ergreift Theano, fie von den Chriften hinweg auf feine Seite reigend.) Mer will dich mir entwinden ? (Harald wird fichtbar.) Shr Krieger, greift die Chriften dort: Führt in die Burg zum Tod fie fort: Krates und Chor der Sanzenträger. Die Chriften zum Tod! Bor die Löwen! die Tiger! Die geleugneten Götter ſchauen's al3 Sieger.

(Auf Krates Befehl werden zahlreihe Chriften von den Kriegern ergriffen

und von dem Altar, an welchen fie fich Hammern, fortgeriffen: maleriſche Gruppen:

zumal die reife, Weiber, Kinder, auch widerftrebende Männer in den Händen der Gepanzerten.)

Cheans, Glauke, Alra. D Himmel, wer rettet die Armen!

Iofephos (tnieend). O Vater, Vater, Hab’ Erbarmen Mit diejer deiner jungen Saat! Laß nicht der Zukunft Hoffnung. fterben! Lab mich allein die Palmen erben, Doch diejen Hilf durch Wunderthat! Du ſchlugſt den Pharao mit Roß und Wagen: Du kannſt auch hier die Deinen tragen Durh Speer und Schwert auf Adlerjchwingen, Sch will mit dir im Beten ringen, Wie Jakob einjt am Jordan nächtig: Jetzt, Gott der Allmacht, jei allmächtig !

(Baufe, er wird ergriffen.)

Cheans. Vergebens! E3 verflingt Dein Wort: und näher dringt Der Tod euch Armen! Weh!

Alra. D könnt' ich fterbend, Herrin, retten Sie, die du liebſt, aus Tod und Ketten.

576

Theano. Sch weiß, du gäbft für mich das Leben, Doch dir auch fehlt, was vetten kann:

Ad, diefe Stunde wie all mein Leben Brägt, wo ift Kraft? wo ist ein Mann?

Harald (der Tangfam, ungefehen, während der letzten Vorgänge herab» geitiegen, tritt nun raſch durch die Reihen der Krieger vor: dicht vor Theano). Hier ift ein Mann, der retten kann!

(nachdem ſich beide eine Weile ftaunend betrachtet)

Duett.

Harald. Die Göttin jtieg aus Asgardh nieder! Sa, Freias Blid und Friggas Glieder Schau hier ich wunderſam geeint:

Es rauſcht um fie die hohe Schüne

Bol Wohlklangs, gleich wie Harfentöne. Ein Wunder iſt mir hier geſchehn: Sm Traum hab’ ich fie längst gefeh’'n!

Theano. Stieg vom Olymp ein Gott hernieder ? Apollons Blick und Ares’ Glieder Schau’ hier ich wunderſam geeint:

Sein Haupt, umwallt von goldnen Locken Glänzt wie Gewölk von Feuerfloden, Draus leuchtend Helios erjcheint.

Mir ijt ein Wunder hier gejcheh’n!

Im Traum Hab’ ich ihn längſt gejeh’n.

Chor der Janzenträger.

Ein Gott ftieg vom Olympos nieder, Der Augen Glanz, der Stolz der Glieder Sit übermenfchlich anzufchau’n.

Iſt's Ares? Oder iſt's Apoll?

Nicht trotzen möcht' ich ſeinem Groll Und meine Seele bändigt Grau'n.

577

Chor der EChriften. Ein Engel jtieg vom Himmel nieder, Der Augen Glanz, der Stolz der Glieder Sit übermenfchlich anzuſchau'n. Iſt's Gabriel? iſt's Michael? Heil diefem Jüngling ohne Fehl! Dem Boten Gottes will ih trau’'n. Harald (Heiter, fiegfriedhaft). Du riefjt nah einem Mann: und nun erjchridt Dein Herz, da ihn ein Gott dir jchidt? Wie ich hieher Fam? Ei, ih zog dahin, Auf Abenteuer ſtand mein Sinn. Der Tag ward heiß: der Fels bot Raſt Und ich verjchlief des Mittags Lajt Bon Schatten bededt. (ernft) Da hat mich euer Sarg gemwedt: Ich lauſchte gern der tiefen Weiſe: Daheim im Nordland haben leiſe Die Buchen oft mir jo geflungen Bon Baldurd Tod in Flüjterungen, Sm Sommerabendiwinde Dem traumgewiegten Rinde: Wär’ ich noh Kind und wär’ ich alt Und läg’ ih fieh an Wundenjchmerz, Es jchlänge wohl fih mir ums Herz Mit zaubernder Gewalt Das fromme, janfte Klagen, Das Schmerzlied vom Entjagen: (marfig) Doch noch bin ich jung und heil und ftark, Nicht ſchwächt der Sang mir Mut und Mark: Eud fing’ ih, Wodan und Donar, allein,

Dahn, Sämtl. poetifche Werke. Erfte Serie Bd. VI. 37

578

Und Hammerfchlag fol der Taftichlag fein. Doch jenen fol fein Leid gejcheh'n, Für welche deine Augen fleh’n: Denn niemals ſah ich deinesgleichen: Geſteh', du ſtammſt aus Himmels Keichen !

Cheans (fehr edel, verhalten, weiblih: mit gejenkten Wimpern). Sch bin ein Weib nur, bang und zag, Das jtaunend Huldigt deiner Kraft: Doc jagt mir lei$ des Herzens Schlag: Du Hilfit: denn du bift heldenhaft.

Harald (zu Krates, Joſephos befreiend, zwei Lanzenträger mit ber Hand fortdrängend).

Laß dieje frei! rates. Hinweg die Hand! Hier herrſcht Phalanth' Und kennt nicht Widerſtand. Harald (eiter). Du irrſt! Er herrſchte, da er dich entſandt: Doch unterdes hat fi) das Reich gewandt: Der Sachſen Herzog jtieg and Land, Sein Wort fennt feinen Widerjtand. (Er eilt die Stufen hinan, ſetzt das Hifthorn an, bläft dreimal darein und fingt:) Herbei, ihr ©enofjen, hört Haralds Horn, Herbei in freudigem Heldenzorn!

Bierte Scene. Borige. Halgaft und die Sadıjfen. Chor der Sadfen (von Halgaft geführt). (Anfangs Hinter der

Scene, dann wogen fie in friegerifher Bewegung, die Helme mit frifhen Zweigen von Eichen und Lorbeern geſchmückt, die Stufen rechts und links herab.)

Wir fommen, Herr Herzog, wir hören dein Horn! Wir fommen, wir fommen mit Speer und mit Sporn.

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Und hielte der Feind dich in Helas Haus, ... Wir kämen und hülfen dem Helden heraus. Krates und Chor der Sanzenträger. Krachte hier Donnerjchall ? Braufte hier Wafjerfall? Wurden Iebendig des Bergwalds Eichen ? Diefen Gewaltigen, Niejengeftaltigen, Laſſet uns weichen.

(Sie geben auf einen Wint Haralds die Chriften frei und weidhen mit Krates fheu auf die rechte Seite.)

Harald. Ich führe diefe Frommen dort Un meines Dradhenjchiffes Bord: Das dedt jo ficher fie wie Wodans Schild: Doch du, der Liebesgöttin Bild, Frei mit den Kriegern zieh’ von Hinnen. Halgaft. Mein Freund, bijt du von Sinnen? Läßt du das ſchönſte Weib entrinnen, Das diejes Südlands Sonne fchaut? Das iſt die echte Herzogsbraut! Harald. Nein, Freund: in diefen Augen Lebt ein Leben, Das, joll es mein fein, muß ſich jelbjt mir geben. Halgaft (im Scherz nad Glaufe haſchend). Mir möcht’ ich die Kleine, die Schelmin erlejen: Sch dächte, mir taugte das nedijche Wejen. Glauke (ihm ſcherzhaft ausweichen). Noch hat mich im Leben fein Mann fo betradgtet: Nun ftrafet mich Eros, den ftetS ich verachtet. Harald. Wo find einjtweilen fie bejjer geborgen, Als dort in der Stadt, die wir ftürmen morgen! Cheans. O Fremdling, nimm zum Danfe meine Hand: Es iſt von dir viel Gutes mir gejcheh’n.

37

580

Harald (ihr einen goldnen Armring abftreifend). Hier diefen Ring nehm’ ich zum teuren Pfand, Du Göttliche, daß wir und wiederjehn. Harald und Theano

Duett.

Wunderbar hat hier gemwaltet Himmel, deiner Fügung Rat: Und mir ahnt, daß, Gott geitaltet, Uns ein groß Verhängnis naht.

Finale.

Gefamtchor. Wunderbar hat hier gewaltet,

Eine hohe Himmelsmacht:

Welch’ Geſchick wird wohl geftaltet,

Wann verjunfen diefe Nacht?

Kampf und Sieg wird vorbereitet, Schlummernd reifet manche That:

Und ich fühl’s, daß, Gott geleitet, Hier ein groß Verhängnis naht.

(Während Theano, Glaufe, Alva, Krates, die Lanzenträger nad) rechts,

Harald mit den Seinen und den Chriften nad) links zum Abgang ſich wenden in malerifhem Zuge, fällt langſam der Vorhang )

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II. Aufzug.

Großer freier Pla in der von den Sachſen erjtürmten Stadt Amathus. Im Mittelgrund ein Ares-Tenpel mit Periſtyl: eine Statue des Ares mit erhobenem Schwert. Rechts ein Badgebäude, Säulengänge (Stufen) mit Gartenumgebung: Palmen, Rojen, Lor— beer, Myrten: links eine offene Halle. Fern im Hintergrund ſieht man hoch emporjteigen die noch von den Römern und Griechen behauptete Akropolis: ftarfe Marmorburg. Abenddämmerung: prachtvoller, rotglühender Sonnenuntergang.

Erſte Scene.

Halgaft und die Sachſen. Bürger und Bürgerinnen von Amathus, darunter Glaufe, Stlaven und Stlavinnen. Die Sadjen fiten und liegen (auf ihren Bärenhäuten) auf den Stufen des Tempels, des Bades und der offenen Halle, jowie auf Bänken des Badegartens: fie ſchmauſen und trinken, den Sieg, die Eroberung der unteren Stadt feiernd. Das Volk von Amathus, anfangs zag und um Leben und Sicherheit bejorgt, wird allmählich zutraulicher, da es erkennt, daß die gutmütigen Germanen fie fpielen und fcherzen mit den Kindern ihnen nichts zu Leide thun. Goldene und filberne Geſchirre und Geräte aller Art, auch Kleider, zumal aber reiche, römiſche Waffen, liegen in den drei Gebäuden gehäuft als Beute der Sieger. Stlaven und Stlavinnen gehen umber, den Zechenden einichenfend in griehifche Becher, ſächſiſche Hörner, und in die Helme, aus welden die Sachſen, fie mit zwei Händen zu Munde führend, gierig trinken: ein Sadjje ftößt den Meinen Becher, in den der Sklave gießen will, weg, und hält feinen tiefen Helm hin: darauf fordern alle das Gleiche.

Chor der Sachſen. Freut euch, ihr Freunde, Des fröhlichen Feites. Erjtürmt iſt die Stadt, Geflohen der Feind.

Hebet, ihr Helden, Hoch nun die Hörner!

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Aus ſchäumenden Schalen, Aus breiten Bechern, Aus hohlen Helmen, Schöpfet und jchlürfet, Der würzig euch mwinfet, Den wonnigen Wein. Halgaft. Wie lachet doc, Lieblich dies Land Des jonnigen Südens fo felig! Wie hegt es, herrlich gehäuft, Wonnen und Wunder! Wohl wütet der Winter Noch Hart in der Heimat: Hier leuchtet das Lenzlicht! Stolz fteigt das Geftein Mächtigen Marmors Sn getürmter Tempel Säulengejimfen Und aus Mitte der Morten, Aus Yaufchigem Lorbeer, Schauen ſchimmernd fchöne Göttergebilde. (zu ©laufe) Doch ſchöner noch fcheinen Die wirklichen Weiber, Die wonnigen Wichtlein, Die als bräutliche Beute Die Schlacht uns gejchenft. (ermunternd zu dem Volk) Nicht banget, ihr Bürger! Kein Weh wird euch weiter! Wir Hegen nit Hunger Nah Mark der Männer, Noc freien wir Frauen

583

(auf die Beutehaufen deutend) Gönnt uns, ihr Guten, Das bißchen Beute,

Das uns Waffen gewonnen.

Bald jegeln wir fiegreich

Wieder nah Weiten

Sn der Heimat Hafen:

Bewirtet einjtweilen

Uns gütlih als Gäſte: (Chor wiederholt) Spendet und Speife,

Wälzet den Wein her

Und teilt mit uns traulich

Den Tiih und den Tanz.

(Darauf Hin vertrauliche Annäherung des Volkes, fie bringen Wein und Früdte und teilen den Schmaus mit den Sadjjen, welche die Mädchen zu ſich heran ziehen, anmutige Gruppen.)

Halgaft Glauke umſchlingend). Sprich, allerſchönſtes Griechenkind, Klagſt du, daß du gefangen biſt? Ich nahm dich auf den Arm gelind, Als ich dich fand im Buſchgeniſt: Die Freundin floh zur Burg empor: (nedifch) Doch du kamſt nicht mehr in das Thor. Glauke (chelmiſch). Ich mußte jo fürchterlich ſchnaufen! Ich konnte ſo hurtig nicht laufen, Nicht folgen dem flüchtigen Haufen. Halgaſt (nediih). Du liefſt ganz langſam das iſt wahr! Glauke Gärtlid). Mich mahnte das Herzlein immerdar: „Schau um, ſchau um, Sei nicht ſo dumm. Lauf nicht davon vor deinem Glück.

584

Schon vor der verfolgenden Schar

Naht dir der verwegne Barbar,

Der Schalf mit dem rötlichen Haar.“ So hielt das Herz den Fuß zurüd. Sc verſteckte mich unter den wilden Roſen Und ließ das Getümmel vorübertofen.

Halgaft. So harrt wohl das Blümlein auf die Hand, Die fie pflüde. Heil, daß ich mein Röslein fand.

Glauke. Doch mir bangt um Theano, die Freundin, jehr: Auf der ragenden Burg dort (auf die Atropolis deutend) leidet

fie jchwer: Den verhaßten Bräutigam foll fie frei’n.

Halgaft. Dort wird zu Hochzeit nicht Muße fein! Bald bredden im Sturm Wir den troßigen Turm:

Schon fpäht der Herzog den Zugang aus.

Glauke. Doch stark ift und feit das Marmorhaus! Aufs neue wird toben verderblich Gefecht.

Und ſtirbſt du, wein’ ich die Augen mir aus!

Halgaft. Wir find von des Giegesgottes Gejchlecht: Nicht bange für und: was uns troßt, das fällt: Denn uns, den Germanen, gehört die Welt.

Chor der Sachſen. Ja, was uns trogen will, das fällt. Uns, den Germanen, gehört die Welt.

Einige Sachſen. Der du Hell die Harfe zu jchlagen

weißt, Auf, finge den Sang, der und Sieg verheißt.

Halgaft (ergreift bie Harfe).

Giegvater ſchickte den Adler aus, Der Germanen Gebiet zu umfliegen:

Doch flugmatt fehrte der Stürmer nad) Haus: „Weiß nicht, wo die Marfen liegen Sie verrüden fie immer durch Siegen.“

585

Siegvater fandte den Nordiwind aus,

Der Germanen Gebiet zu umfahren: Doch atemlos fam der Braufer nad) Haus: „Sch Eonnte die Mark nicht erfahren, Weil fie immer voraus mir waren.“

Da fuhr Siegvater ſelber hinaus,

Daß er ganz ihr Gebiet durchbahne: Doch lächelnd fehrt er nach Asgardhs Haus: „Wo ich Hinfam, flog ihre Fahne: Denn ich bin ja jelbjt ein Germane.“

Und jo pflanzt über die ganze Welt, Soweit Adler und Nordwind jtreichen, Soweit der Himmel die Erde hält, Siegvater in allen Reichen Der Germanen Giegeszeichen!

(Thor der Sach ſen wiederholt nad) jeder Strophe die letzten beiden Zeilen und die legte Strophe ganz.)

Halgaft. Zu diefem ſtolzen Sang Stimmt Schwert- und Schilderflang: Nun ſollt, ihr Griechlein, mit Staunen ihr feh'n, Wie zierlih Germanen im Tanze fich drehn: Doch tanzen wir nicht mit Maiden, Wir tanzen mit bligenden Schneiden, Sa, den Neigen der Waffen wir tanzen Mit den Flirrenden Schwertern und Ranzen.

(Ballett: Schwerttanz der Sachſen. Jünglinge und Knaben fhwingen fi, in immer rajcherem Tempo mit Sceingefeht an die Schilde fchlagend, durch Schwerter und Yanzen.)

(Während der Tanz zu Ende geht, drängen fi) aus der Couliſſe rechts ftreitend durch die Paare zwei Sachſen: fie haben ein großes Mofaifbild, oder Haut- Relief-Stulptur, Eros und Pſyche darftellend, erbeutet und jchleppen es, indem jeder e8 an einem Ende gefaßt hält, hin und her zerrend, plump und ungefüg in die Mitte vor.)

Erfter Safe. Mein ijt der Stein! Dweiter Sadjfe. Der Stein ift mein!

586 Erfter Sachſe. Sch zuerjt ihn ſah!

Dweiter Sachſe. Sch zuerft war nah! Erfter Sachſe. Mit dem Bli ich ihn fand! Dweiter Sachſe. Mit der Hand

Aus der Wand

Sch den harten entwand. Erfter Sachſe. So entjcheide das Schwert. Dweiter Sadıfe. Sa, das Eijen fol richten.

(Sie lafjen den Stein fallen und wollen Tämpfen.) Halgaft (zwiſchen fie fpringend, fie trennend). Mitnichten, mitnichten! Das will ich weiſe jchlichten ! Nicht ſoll um diefen Falten Stein Warm Sacjenblut vergofjen fein. Glauke (bewundernd Binzutretend). Beim Zeus, mein Freund, wie ſchön, wie zart: Eros und Piyche, Hold gepaart. Halgaft (achend). Mir einerlei! Entzwei! Entzwei! (ichlägt mit der Streitart den Stein mitten durch) Da! nehme jeder fein Teil nah Haus. Die beiden Sachſen (vie Stüde vergleichen). Gleich groß ift jedes: der Streit ift aus. (zufrieden, plump ſich bedantend) Herr Halgaft, Dank und Heil, Nun hab’ ich doch mein Teil. (Chor der Chriſten Hinter den Eouliffen Tinte.) Halgaft. Hoch auf! welch” Singen ernft und leiſe? Glauke. Das iſt der Chriſten fromme Weife! Halgaft. Fürwahr ein Glaube, den ich preife. Sie trugen mitten aus der Schlacht, Bom Pfeil umzischt, vom Beil umkracht, Den Sadjen hier, den Römer dort,

587

Der jüngst fie weihte graufem Mord. Sie pflegen jonder Unterjchied

Die Wunden treu mit frommem Lied. Da fommen fie.

Ehor der Chriften (diefelben treten aus dem Hintergrund links auf,

geführt von Sofephos: in maleriſchen Gruppen ftüten, führen, tragen fie auf niederer Bahre verwundete Sadhfen und Römer quer in langſamem Zug über die Bühne, Kinder führen einen Römer, dem wegen einer Gefihtswunde die Augen verbunden find, Frauen verbinden einem alten Sachſen den nadten Arm: inzwifchen Gefang: die Verwundeten werden in das Bad rechts abgeführt).

Bald in Aſche muß vergehen, Was wir jtarf und blühend jehen, Aller Stolz und Schmud der Zeit: Gott allein ift ohne Wanfen, Gottes Liebe, jonder Schranken, Waltet fort in Ewigkeit. Hnlgaft. Sch ſah noch nie Sol ſeltſam Thun. (zu Joſephos) Du frommer Mann, Sag an, ſag an Um wejjen Willen thut ihr das ? JIofephos (ehr großartig, ideal). Um Gottes Villen tun wir das! Chor (wiederholt). Halgaft. Ihr liebt den eignen Feind? Iofephos. Mein Sohn, Nicht Freund noch Feind fennt Gottes Thron. Den Nächſten liebe ganz mie dich). Chor Wiederholt). Halgaft. Sch Liebe Harald mehr als mich! Iofephos. Doc deinen Feind? Halgaft (achend, die Streitart ſchwingend). Den jchlag’ ich tot!

588

Iofephos. Verzeih'n heißt Gottes erſt Gebot. Chor (wiederholt). Halgaſt. Das Klingt viel ſchön! (Baufe) Sit aber ſchwer. (Raufe.) Sch fürcht’, ich faß’ es nimmermehr.

(Sofephos wit den Chriften und den Verwundeten ziehen ab nad) redjt8 in das Bad, ihren Chor wiederholend.)

Zweite Scene, Borige (ohne die EHriften), Harald (vom Hintergrunde links, der Richtung der Afropolis, her). Halgaft und Sachſen (eilen ihm entgegen). Der Herzog! Der Herzog! Halgaſt. Kommſt du endlich zurück? Ich fand indeſſen der Liebe Glück. Halgaft und Glauke. Sa, ja, in rafchen Stunden Fa, ja, in rafchen Stunden Hat Herz das Herz gefunden, Hat Herz das Herz gefunden, Die Liebe fiegt geſchwind, Die bange Scheu zerbrad: Hinweg aus diefen Auen, Hinweg aus diejen Auen, Nah unfren Heimat-Gauen Sn feiner Heimat-Gauen Führ’ ich dies holde Kind. Folg' ich dem Liebiten nach. Harald. Ihr Glüdlichen! ich hege faſt euch Neid. Mir ift entrücdt die wunderbare Maid, Die all mein Herz gefangen nahm. Halgaft. Deſſ' trage nicht Gram: Und birgt dir au des Glückes Hort Die trogig dräuende Feſte dort: Befiehl und gebeut Und vor Naht noch heut’ Sit der Kampf erneut

589

Stoßt nur ins Horn! (Chor Und in freudigem Born | wiederholt) Wir erbrechen das Thor, wir erjteigen den Turm

Mit jauchzendem Sturm Harald. Und dann?! Und dann? Ob ich gewann Den Wal und das Weib, Was frommt ihr Leib? Sch weiß ja doch nicht, ob die Hohe Für Harald Liebesglut durchlohe: Der Götterjungfrau himmelstlar, (auf eine Statue der Artemis oder Pallas deutend)

Wie dort fie trägt der Weihaltar, Was kann ihr wert fein der Barbar?

Es wird allmählid Naht: die Sachſen und das Volk verlafjen gruppenweife die Bühne: nur Halgaft, Glauke und deren Sklavin bleiben.)

Halgaft. Ei, Herzog Harald ift voll wert Der Weiber gefamt in Himmel und Erd’. Harald. So dacht' auch ih: ich will’s gejteh'n: Bis ich Theanos Auge gejehn. Nun aber möcht’ ich, ihr zu Füßen, Die Kön’gin meiner Seele grüßen. Glauke (zu Halgafı). Schon finft die Nacht: leb' wohl einjtweilen. Halgaft (mit einem Abſchiedskuß). Bald ſollſt du Nacht wie Tag mir teilen. (Glauke und Stlavin ab nad) lint8 vorn.) Halgaft. Schlaf nun, mein Freund! Dort ſteht dein Haus (auf den Arestempel deutend)

Den Kriegsgott dort, den ſchaff' ich aus!

590 Fort, machtlos Schwert: dies fei dein Teil!

(er nimmt Haralds GStreitart, welche auf einer Bank lag, geht nad Hinten und ſchlägt dem Ares in dem Tempel das (thönerne) Schwert aus der Fauft, das zerbricht, und ftedt Haralds Artftiel hinein)

Hier herrjcht des Sachſenherzogs Beil. (Ab nad) redht3.)

Dritte Scene,

Harald allein. Bald darauf Theano. Später Alra. Es wird ganz

dunkel: der Mond tritt allmählid; (während Haralds Lied, vor Theanos

Auftreten) über den Arestempel vor: magifcher Lichteffett auf den Säulen, den Diarmorftatuen, die aus den dunkeln Gebüfchen heil beleuchtet fich heben.

Chor der Chriften (ganz leiſe verhallend aus der Ferne).

Harald (der die Waffen ablegte, um fid) im Eingang de3 Tempels ſchla—

fen zu legen: er fpreitet feinen Mantel al8 Dede auf den Boden: lauſcht und tritt wieder auf die Stufen heraus).

Die CHriften! Hoch! Wie fromm! wie leiſe! Ach, es beichleicht bei diefer Weife

Das Herz ein felig jüßer Schmerz. Mich treibt’s, daß ich Allvater preife

Und Hoffend jchaue himmelwärts: Du Gott, zu dem die Menjchen flehen,

So weit die Sterne niederjehen, Laß meiner Seele Wunſch gejchehen!

(Baufe; er legt fich nieder, fid) mit dem Mantel bedeckend, auf der oberften Stufe) Ihr Bild vor Augen ſchlaf ih ein: (Pause; piano, einfhlummernd) Ihr Bild wird all mein Träumen fein. (ſchläft ein)

(Große Paufe. Die Muſik fhildert Harald's Liebesträume und den Zauber der ſüdlichen Mondnacht.)

(Nach geraumer Zeit ſieht man Theano in ganz weißem Gewand den Hügel der Akropolis herab nad vorn fommen.)

591

Theano (im Vorſchreiten). Ambroſiſche Nacht! Dein Hauch weht leis! Aus Lorbeer und Oliven ſchallen Die Töne rings der Nachtigallen: Mein Herz ſchlägt ſelig, bang und heiß Vor Scheu und Scham, Daß ich ihn zu ſuchen kam, Die Jungfrau ich, den fremden Mann, Der ſchnell mein ganzes Herz gewann. Pauſe.) Doch nein! Nicht liebekrankes Sehnen, Das furchtſam flieht des Teuren Blick, Hat mich auf nächt'gen Pfad getrieben. Ein rettend Wunder iſt mein Lieben: Ein gottgeſchenktes Huldgeſchick. Drum, Friedensbotin, fort die Thränen! (wendet fich, erblickt Harald, geht die Stufen hinauf) Er ruht: er ſchläft: mein Harald, o wach auf! Harald (no halb im Traum).

Theano rief: das war ihr Ton! Ad nur ein Traum: und jchon entflohi! Theano.

Kein Traum, o Harald! Schau' mich hier: Theano ſelber ſteht vor dir. Harald (pringt auf und eilt ſtürmiſch mit ihr die Stufen hinab). Sa, ja, du bijt eg, Reizverklärte, Ein Wunder führt dich mir zurüd. Cheans. Ein Wunder, ja, das Gott gewährte Für uns und unfrer Völfer Glüd. Phalantd, mein Ohm, verlangt nach Frieden, Er ſieht, er fann nicht mwiderjtreben: Und jeder Preis fei dir bejchieden, Den er mein (cheu, verigämt) Vormund dir kann geben.

592

Harald (tagen). Ei, feinen Preis hat er zu fpenden, Den ich nicht nehmen kann mit Sturm: Bei Tagesgrau’n, das Schwert in Händen, Brech' ich die Burg mit Thor und Turm. Cheans. Den blut’gen Kampf zu wehren fandte Er mich al3 Friedensbotin dir, Ob nicht ein Gott das Herz dir wandte —: D flehend ſchau' Theano hier. Nein, laß die Wahrheit voll dir fagen: Sch habe felbjt mich angetragen Bu diefem heil’gen Botenamt: Ob Scham mir auf die Wange flammt, Erfahren jollit aus meinem Munde, D Harald, du die heil’ge Kunde: Was dir fein Schwertfieg fann gewinnen Und ftürmteft du des Himmel! Binnen, Sch biete, fchoneft du mein Land, Sch biete jelbjt dir Herz und Hand.

Harald. Theano, Geliebte! Wie joll ich e3 faſſen? Du liebt mid? Du willft mich nimmer verlafjen? Cheans. Ja Harald, du hoher, gewaltiger Held,

Dein bin ich! auf ewig dir liebend gejellt. Mein Oheim verzagte: wirr wogte jein Rat: Sch aber, ich wagte kühn Tiebende That: Er liebt mich, jo dacht’ ich, Far ſprach es fein Blick, Sch Yieb’ ihn 's ift rettendes Gottesgeſchick. Sch erbot mich dem Ohm, dur die Nacht, durch die

Schrecken

Zu wandeln, den ſchlummernden Sieger zu wecken, Ihn um Gnade zu flehn für die bebenden Meinen Und das ſelige Herz ihm auf ewig zu einen: So trat ich verzagt vor dein Angeſicht. O verſchmähe die flehende Botin nicht,

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D fchone die Meinen und nimm dahin Mein Herz als deines Sieges Gewinn. Harald. Theano, Geliebte, du mein, du mein: Cheans. D Harald, Geliebter, auf ewig dein. Beide. Wie ließ jo reich ein Gott gejchehn Den Scheidewunid: „auf Wiederjehn!“ D laß dich jchauen, laß dich preifen Sn felgen Herzens trunfnen Weifen. Harald. Du bijt der Waldfrau gleich! Mit Klingen Zieht jie dahin im gold’nen Wagen: Und wer jie jchaut, von Schwanenjchtwingen Sn Glanz getragen, Vergißt die Welt und ihren Schimmer, Beglüct, entzüdt zu folgen immer, Wohin ihn lockt beraufchend ganz Der nie geahnten Schöne Glanz. (mit Theano ins Freie hervortretend) Schaut uns, ihr Augen Wodans all, Ihr Sterne, leuchtend aus Walhall: Mit diefem Ring, den ich ihr nahm, Um wieder ihn zu geben, Berlob’ die Maid hier wunderfam Ich mir zum Weib fürs Leben. Wie nur Ein Herz mir jchlägt im Leib, Lieb’ ewig ich dies Eine Weib: Sch will fie ehren, jchirmen, pflegen, Mehr als des Auges Stern fie hegen. Du aber jprich, ob du willſt geben Gleich mir ein ganzes Herz und Leben ? Sheans. Sch will! Sch muß, Nah Himmelsſchluß, Sch bin geboren deine Braut! Auf meiner Seele Fragen ftille Dahn, Sämtl. poetifhe Werke. Erſte Serie Bd. VI. 38

Duett.

594,

Ward mir dein heldenjtarfer Wille Zur ew’gen Antwort ftolz und laut. Harald. Es iſt auch mir, als hätt’ ich dich geträumt! Dft, fam ich jagdmüd heim vom Walde Und lag in Dämmerduft die Halde, Da zog mein Herz der Sonne nad, Die fern ing Meer fanf, goldumfjäumt, Und leife Sehnſucht in mir ſprach: „Dort, fern im Meer, im ſchönen Süd Für dich ein felig Wunder blüht: Das, Harald, ſollſt du fuchen gehn.“ Und als ich did nun, dich erjehn, Sm Herzen Hang mir’3 jauchzend da: Hier ift fie! ift die Sonne nah, Die Sonne, die nicht untergeht, Der Harfenton, der nie vermeht. Cheans. D bleib’ nun hier in unfrer Mitte, Sm Land der Sonnen und der Sitte! Laß zeigen dir die Lorbeerbäume, Die mich gemwiegt in holde Träume, Die Blumen an vertrauten Stellen: Ich warf fie finnend in die Wellen, Biellofe Grüße zu bejtellen: Narciſſen, Krokus, Asphodill, Sie ſchwammen in die Meerflut ſtill Und luden dich aus fernen Landen: D bleibe num, da wir ung fanden. Harald. Nein, in die Heimat fejtgewachjen Bin ich, wie in den Wald der Baum, Nicht wurzl’ ich ein in fremdem Raum, Kann nur gedeih’n im Land der Sadjen. Du follft mein herrlich Nordland ſeh'n: Nicht wirft du dann die Heimat ſchmäh'n.

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Zwar blaffer find der Himmel und die Sterne, Doch laß ih al” die Pracht euch gerne Für unfrer Eichen Rauſchen, Wann Zwiegeſpräch fie taujchen. Und wie der Heimat Lenz ich Liebe! Un Bush und Dorn die jungen Triebe, Wann aus des langen Winters Nacht Gott Baldur jugendſchön erwacht: Die Lerche in Lüften, der Zink in dem Baum, Die zwitjchernden Schwalben an Daches Saum! Und hart am Meer, an Urwalds Borden, Da ragt der Väter eichhraun Haus, Schaut in die wogende Brandung aus. Sa, folge mir zum teuren Norden! Nah Norden ahnend der Winde Flug, Nach Norden mahnend der Seele Zug! Den Drachen Hau’ ih von Schiffes Bug: Du ſollſt als Haralds Schiffsbild glänzen: Ich ſchmücke Rah und Maſt mit Kränzen Und, nahen wir braufend dem heimijchen Strand, Dich ftell’ ich vorn an des Bugſpriets Rand Und jauchzend ruf ich: „seht, fie ward mein, Des ganzen Südlands Edeljtein! Der Griehenihönheit Götterjchein, Bringt Harald in Germanenland!“

Cheans. Sch bin befiegt: ich folge Dir,

Wo du bijt, da it Heimat mir.

(Umarmung. Es wird allmählid Tag. Alra tritt ungefehen auf [auf dem Wege, den Theano genommen], drückt feinen Schmerz aus, Theanos Liebe zu Harald zu erlennen.)

Sedoh Phalanth begehrt noch eing,

Ein Opfer...

Harald. Für dich giebt es Feins! 38*

596

Cheans. Er läd't auf morgen did zum Mahl: Doch ohne deiner Waffen Stahl: Sie mahnen friih an Römerblut Und weden leicht der Nahe Wut. Er läd't nur dich, nicht auch die Deinen. Harald (achend). Bangt ihm in feinen Marmorjteinen ? Theano. Er jelbjt will dir mich übergeben. Du finnft? Du ſäumſt? Du trauft nicht ganz? Harald, Bei Wodan und bei Walhalls Glanz! Harald wird nicht vor Griechen beben. Doch mwarnet mich ein altes Wort: „Nie lege der Mann die Waffe fort, Sie iſt angewachjen, wie der Arm: Stets trifft den Waffenlojen Harm!“ Cheans. Jedoch du kömmſt? Ich hab's verjprochen. Zum Zeichen, daß der Haß gebrochen, Zum Zeichen, daß du willſt den Frieden ? Harald. Du haſt's gelobt? So iſt's entjchieden! Theano. Doch nun leb' wohl: e3 bleichen ſchon die Sterne: Der Frühwind weht vom Strande her. Harald. Du fcheidejt ſchon? Theano. Ich bliebe gerne. Beide. Wie wird mir doch das Scheiden ſchwer! Von morgen ab, kein Scheiden mehr. Morgenrot) Harald. Wer führt zur Burg dich fort? Alra (tritt aus dem Gebüſch, darin er gelauſcht, tiefernſt, ergreifend wehmütigy. Sch führe dich von dieſem Ort, Ich führe dich von deinem Glück, O Herrin nach der Burg zurück. Harald. Haſt du gelauſcht? Du ſollſt nicht leben!

597

Theano. Laß ihn: er iſt mir treu ergeben. Alra. Sa, treu im Leben und im Gterben. (für fid) SH trank in diefer Stunde Des bittern Wehs, des herben, Genug mit neidiichem Munde. Ad, fieh an diefer Wunde, Wil ih um Eins nur werben Für fie, für fie zu fterben! (Die Sonne fteigt, es wird Helfer.) Harald. Nein, befj’res ala des Knaben Geleit Halt’ ich für meine Braut bereit. (Yira ab.) (Er winkt: er ftößt ins Horn.) Herbei ihr Genofjen! Hört das Horn! Wacht aufl Schon quillt des Lichtes Born! (Nochmal Hornrufe.)

Dritte Scene. Borige Halgaft und die Sadjen (aud Bolt, Frauen, darunter Glaufe, Theano und Glauke begrüßen fich freudig) ftrömen von allen Seiten herbei. Chor. Wir fommen! Wir fommen mit Speer und mit Sporn! Sprich, riefit du zum Kampfe den freudigen Zorn? Sprid, follen wir jagen in flirrendem Lauf, Die Feinde zu fchlagen, den Hügel hinauf, Geſchart zu Hauf, Und die drohende Zwingburg brechen zuſammen Mit Eifen und Flammen? Gebeut und wir ſchwingen die Hämmer, die Speere: Den Mannen die Beute, dem Herzog die Ehrel Harald. Nein! höret mih! Beichieden Sit ohne Kampf ung Frieden.

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Mar zahlt euch Lösgeld überreich An Wein und an Gold, Was immer ihr wollt: Und diefe Jungfrau, Freia-gleich, Bon Ohm Phalanthos ſelbſt vertraut, Ward Haralds SiegespreiS und Braut! Chor. Heil dir und Glück der Herzogsbraut! Harald. Wir jhiffen uns morgen zur Heimfahrt ein. Und heute ſoll ih im Schloß allein Des edeln Fürften Feſtgaſt fein. Halgaft. Allein? Allein? Harald, hab’ acht! Geh’ nicht allein zu Übermacht. Harald (achend). Bangt dir um mich? Halgaft (weifelnd). Sn vollen Waffen Werden fie ſchwerlich dich niederraffen. Harald. Ich gehe waffenlos. Halgaft. Das darfit du nicht! Harald Gornig. Dein Mut ift groß! Willſt du mich lehren? Willſt du mir wehren? Halgaft. Fa, ich will dich Lehren, Altweisheit zu ehren, Sa, ich will dir wehren, Schwert zu entbehren. Harald. Genug, mein Wort Hab’ ich gegeben! Halgaft (für ſich. Ich aber wache für dein Leben! (su Glauke) Du, laufe, folgft der Freundin gern ? Doch ich! bleib’ ich folang dir fern? (leife) Laß heimlich in die Burg mich ein. Glauke (teife). Du Ungeduld, wohl jollt’ es nicht fein!

599

Doch, wo ein Palmbaum den Wall überragt, Ein fühner Seilwurf jei gewagt. Du fletterjt gut?

Halgaft. Wie das Eichhorn, Kind.

Harald (der bisher mit Theano im Hintergrund geſprochen, tritt vor), Wohlauf, jchon weht der Morgenwind,

(die Sonne beleudtet nun hell die Bühne)

Führt eures Herzogs Braut geſchwind Zurüd auf meinem eignen Roß Sm Jubelzug zum Hochzeitsichloß. (Haralds weißes und Halgaſts rotes Roß werden herausgeführt, Mähnen und Schweif mit Bändern, Goldquaften und Blumen gejhmüdt, Theano und

Glauke werden auf die Rojje gehoben und von Harald und Halgaft werden die Pferde am Zügel gefaft.)

Harald. Leb’ wohl, mein Lieb’, auf furze Zeit. Halgaft (zu Blaue). Leb wohl (eiſe) und halte das Seil bereit! Chor. Wohlauf, jhon weht der Morgenwind, Wir führen, als ihr Hofgejind’, Die ſchöne Herzogsbraut geſchwind Zurüd auf Haralds weißem Roß, Sm Subelzug zum Hoczeitsichloß. (Während der Zug ſich malerifch in Bewegung fett, fällt der Borhang.)

600

IV. Aufzug.

Geichloffener Vorhof in der Akropolis von Amathus. Im Hinter- grund eine praftifable Mauer quer über die Scene. Syn deren Mitte eine Thüre, die in das Innere der Burg führt: dieje fteigt ragend hinter der Mauer empor, eine Treppe führt von außen zu einem Thor im erjten Stodwerf diejes Junenbaus. Die Mauer des Vorhof hat rechts ein majjives Thor, das ins Freie in die Stadt hinunter führt: gerade gegenüber eine Feine Thür, welche in die Seitenräume der Burg führt. Eine Tafel, reich mit Ge— Ihirr, Beden bedeckt, umgeben von Polftern, links Hinten: ein Heiner Altar, rechts Hinten an der Mittelthür: an diejem Altar oder an einem Pfeiler der Mauer eine (nicht angezündete) Yadel.

Erſte Scene. Phalanthos. Krates. Lyfania.

Arates und FIyfania (ehr eifrig fragend zu Phalanthos). Sie fam zurüd? Er milligt ein? Und wehrlos fommt er? fommt allein ? Phalanthos. Sie fam zurüd: er mwilligt ein, Und mwehrlos fommt er, fommt allein. Und auch die Chriften Hat fie geladen Herauf in die Burg. Cyſania. Du willſt ſie begnaden? Krates. Du kannſt den Verhaßten verzeihn? Phalanthos. Geduld, bald ſollt ihr alles erfahren: Den Chriſten Tod und Tod den Barbaren! Doch ſtill: ſie nah'n. Chor der Chriſten (wird vor dem Thore rechts hörbar. Krates öffnet auf einen Wint Phalanthos das Thor. Joſephos und die Chriften, grüne

Zweige tragend, in feierlihem Zug: während fie hereinziehen, Theano jubelnd aus der Mitte Joſephos entgegen.)

Ewig waltet Gottes Gnade: Wunderbar find feine Pfade: Unſern Blick umnadtet Schuld:

601

Doch, läßt er jein Licht entbrennen, Müſſen ftaunend wir erfennen Auch in Trübfal feine Huld. Hilflos Hagte feine Herde: Nirgend3 auf der weiten Erde Schien ein Retter unf’rer Schar: Aber Gott, zu unfrer Wehre, Nief herbei, aus fernjtem Meere, Eine blonde Heldenjchar.

Theano (im Hochzeitsgewand: zu Joſephos). Mein Vater, mein Lehrer ſei willkommen! Nun iſt uns vom Haupte die Trauer genommen. Mein Ohm iſt verſöhnt, und ſein Sinn iſt gewendet: Die Liebe hat glorreich alles vollendet: Vorüber der Kampf und der blutige Streit, Die Liebe hat alles zum Frieden geweiht. Joſephos. Dem Tod ſtand ich bereit! Schon winkte nah' die Palme, Daß ich mit heil'gem Pſalme In Ewigkeit Dem Herrn lobſingen ſollte: Jedoch, der Himmel wollte Erretten die Gemeine. Theano. Ja, durch den Mann, gleich Frühlingsſcheine Ich rief aus eurer ſichern pur Euch her, daß aus Phalanthos’ Munde Ihr höret die Verſöhnungskunde. Phalanthos. Geht in die Burg: ich folge bald, Sowie ich meinen Gajt empfangen.

(3ofephos und Ehriften, den Chor wiederholend, ab in die Mittelthitr.) Vorige ohne Joſephos und die Chriften

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Theano (in iubelndes Entzücken ausbrehend). Wie hoch mein Herz in Wonne wallt! Ein Himmel ift mir aufgegangen! Was furchtbar feindlich mich bedroht, Des Oheims Groll, der Chriften Not, Sowie mein hoher Held genaht, Der herrliche von Herz und Hand, Zerronnen all’ dies Leiden ſchwand, Wie Nebel auf der Sonne Pfad. (Gu Phalanthos) Laß danken dir, du, den ich Schalt, Den graufam ich genannt und alt, Nie unrecht Hab’ ich dir gethan: Du führjt mich felbjt des Glüdes Bahn. Wie pocht mir das Herz doch in mächtigen Schlägen, Wie wogt ed dem fehnend Geliebten entgegen, Bald werd’ ich ihn fchauen, ihn Halten und fafjen Und nimmer von ihm bi3 zum Tode lafjen. O Himmel, vernimm mein jauchzendes Danfen, Du ſchenkteſt mir Seligfeit ohne Schranfen: Sein eigen zu fein! Dein, Harald, dein! (Ein Zug von Knaben und Mädchen geht, brennende Tadeln tragend, aus der Thüre links in die Diittelthür, mit folgendem) Chor. Stimmet nun an mit den Harfen und Flöten,

Stimmt Hymenäen, die fejtlichen, an:

Bald, auf den Wangen ein Holdes Erröten, Grüßet das bräutliche Mädchen den Mann. Segnet die Jungfrau, jegnet den Freier, Segnet den Gürtel und jegnet den Schleier.

Goldene Königin, Aphrodite, Hymen und Hera, fegnet jie.

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Cheans. Schon hüllet das Haupt mir der bräutliche Schleier,

Schon flammen die Tadeln zur feligiten eier.

Wo fäumet er noch? Was mag ihn verweilen ?

Sch felber, die Braut, will entgegen ihm eilen.

(Sie will in hoher, begeifterter Erregung das Thor rechts öffnen.) Phalanthos (fie auffangend, den Schlüſſel im Thore umdrehend und

Krates überreihend).

Halt ein, du Thörin! (fe reißt fi 108) Nochmal: Halt!

Du wirft ihn niemals wiederjehn!

Cheans (entjegt). Weh', mich durchzuckt Entjegen Falt, Seit ih den jchredlichen Blick gejehn,

Tödlich und giftig und falſch wie die Schlange:

Weh'! das Herz mir zerdrücdjt du mit eherner Zange!

Was wartet fein hier ?

Phalanthos. Arates. Cyſania. Tod und Verderben| Theano (aufſchreiend). Allgnädiger Himmel!

(Alra erjcheint in der Mittelthür.) Phalanthos. Krates.

Und wär’ er unjterblih, heut’ joll er fterben!

Ha, wähnteſt du wirflih, wir würden vergehen? Cyſania. Der gerettet der Chrijten verfallenes Leben! Krates. Phalanthos.

Dem ftolzen Barbaren, der furchtbar uns jchlug,

Der deinen Troß zu den Wolfen trug ?

Fyfania. Der Barbar, der verhaßte Germane foll jterben! Phaianthos (Syfania ein Meines Fläſchchen reichend).

Lyſania, du wirfjt ihm dies Gift in den Wein.

Krates. Ja, entriß ihn ein Wunder dem Waffen- verderben, . . . Cyſania (das Flaſchchen erhebend).

Unrettbar doch ſoll verloren er ſein!

Phalanthos. Erheb' ich zu ſeinem Heil den Pokal,

604

Cyſania. Und tranf er das Gift, jo beginnt das Mahl Alle drei. Und ihn treffen fünfzig Schwerter zumal. Theano. Entjeglih! D Harald, Harald flieh’! (Rüttelt an dem Burgthor.) Phalanthos (reißt fie fort). Umfonft! Dein Ruf erreicht ihn nie! Und vernimm, du entartete Römerin,

2 | Die ihr Herz gab dem Barbaren dahin,

3$ | Vernimm, was ihn graufamer ſoll durchbohren, = Als unferer Schwerter zerfleijchender Stahl: SS Terzett.

Wann nun er ſich windet in Sterbensqual, Dann tönt ihm als letztes Wort in die Ohren:

„Das hat dir Theano gethan, die Braut: | Was haft du Barbar auch der Lift’gen getraut?" Theano. D teuflifcher Frevel! Halt ein! Halt ein! Phalanthos und rates. Und fiel hier der Führer, dann brechen wir aus Und erfchlagen die Seinen bei Trunf und bei Schmaus. Theanos (Doch umfonft nicht ſchmückt dich der bräutfiche Worte Schleier, parodierend | Schon laden die Fadeln zur jeligiten Feier: Bor Naht noch bift du des Krates Weib. Arates. Bor Nacht noch wirft du mein Eheweib, Und die Ehrijten, die jelber herauf du gerufen, Du ſchaueſt fie von der Arena Stufen Berbrannt mit des toten Barbaren Xeib. Theano (tnieend vor Phalanth). Erbarmen! Erbarmen! auf meinen Anien... (umfintend)

Ich Kann nicht mehr: die Gedanken fliehen.

(Sinkt ohnmädtig an der Mittelthir um: zwei Lanzenträger, vier Stiavinnen erfheinen in der Thür.)

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Phalanthos (winkt den Sflavinnen und den Sanzenträgern). Verichliegt fie droben im Turmgemache.

(Theano wird von den Sklavinnen dur die Mittelthür binausgetragen, die

Lanzenträger folgen: Lyſania jchüttet das Gift in den Ehrenbeder Haralds,

Wein aus einem Miſchkrug dazu giefend: nachdem Alra dies noch gefehen und mit ftummem Spiel begleitet, folgt er den Lanzenträgern.)

Arates und SIyfania. Thalanthos, du bift ein Meijter der Rache.

Terzett.

Ja, nun ſieget der abgrundtiefe Haß! Auf die ſchwankende Liebe iſt kein Verlaß. Doch der Haß iſt treu: Er kennt nicht Reu: Noch der grimme, der heimlich lauernde Groll, Der endlich in Rachethat überſchwoll. Ja, der Haß iſt ſüßer und heißer zugleich, Als die laue Liebe, matt und weich: Und genoß die Liebe erſehnte Luſt, So flieht ſie die müde, verödete Bruſt: Doch der Dämon des Haſſes hat nimmer genug, Und ob er den Feind in den Herzgrund ſchlug: Den Ermordeten möcht' er erwecken wieder: Unzählige Rachen, gleich der Hyder, Recket der Haß, der gewaltige Gott: Erbarmen und Gnade find ihm Spott: Haß, hier jolljt du in ſchrecklichem Walten Hoch triumphierend dein Banner entfalten, Haß, wir befränzen dir den Altar Und Hefatomben bringen wir dar.

(Ab in leidenjhaftlider Bewegung durd die Mitte.)

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Zweite Scene.

Die Bühne bleibt geraume Zeit leer. Dann Glaufe von lints: bald Hal. Haft auf der Mauer rechts: die Mufit vermittelt den Übergang von der dämo— nifhen Stimmung des Terzetts zu dem heitern Liebesjcherz diefes Paares.

Glauke. Die Stunde naht, die er beſtimmt! Die Tadel Hymens bald erglimmt. Theano ſchmückt fich wohl zum Felt: Ob mein Barbar mich warten läßt? Halgaft (vor dem Burgthor rechts). Noje blüht auf Bergesgrat, Wohin führt fein Menjchenpfad, Sprießt auf höchſtem Felſenjoch, Uber Liebe pflücdt fie doch: Liebe, mit wagenden Schwingen, Kann zu der Roſe dringen. Glauke (antwortend). Perle liegt in Meeresnacht, Wo manch’ dräuend Untier wacht: Aber aus des Abgrunds Schos Ningt fie doch die Liebe los: Der Liebe muß es gelingen Durh Schreden und Nacht zu dringen.

Halgaft (wirft eine Stridleiter herauf, welche fi an einem ehernen Knauf der Mauer feftfchlingt: fteigt herauf, und fingt oben auf der Mauerzinne).

Halgaft und Glauke. Hoch am Himmel, ewig fern, Glänzt der ſchöne Morgenitern, Haß und Groll dringt nicht hinauf: Aber die Liebe mit fiegendem Lauf, Liebe mit niemals ermattenden Schwingen, Liebe kann zu den Sternen dringen.

(Halgaft [Schwert in der Scheibe], hat aufer feinen eigenen Waffen Haraldg { Horn umgehängt und Haralds Gtreitart mitgebradt.)

Ölauke. Mein Liebling, du fandeft ?

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Halgaſt (die Strickleiter nun in der Innenſeite herablaſſend, daran herab— gleitend und fie herabreißend).

Das Seil, das du bandejt Su das Ralmengeäft: So erflomm’ ich das Nejt! (fih umfchauend) Sn der That, ein Seit? Doc nicht trau’ ich dem Feind, Bis ich ſchaue geeint Das bräutliche Paar: Sch ahne Gefahr: Weil der Freund nicht litt, Daß ich mit ihm fhritt, So jtahl ich voraus Mich geheim in dies Haus Und das Horn, das errettende, nahm ich mit! Glauke (naiv abergläubiih). its ein Zauberhorn ? Halgaft (achend). Jawohl! Wie ein Born Aus der Töne Gebraus Strömt Krieger es aus: Es zaubert fie her Su Waffen und Wehr (ihaltyaft) Berbarg man vorher In den Felſen Flug Sie nahe genug. Doch, nun laß uns verborgen laufchen Und Blick und Wort und Kuß un2 taufchen.

(Arm in Arm mit Glaufe ab nad links.)

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Dritte Scene,

Alra allein.

Alra (au3 der Mitte mit verzweifelter Gebärde an das Burgthor reits): Raid! Eh’ fie ihn umgarnen, Ihn retten, ihn warnen! (er rüttelt vergeblich daran) Umfonft! Dies Thor ift unbezwingbar! Und undurddringbar Sperrt jeden Ausgang jonjt der Wächter Schar! Verloren denn auf immerdar Der Herrin Glüd, der Herrin Leben! Auf ihrer Schwelle lauſcht' ich lang: Sch rief, doch feine Antwort Elang, Noch liegt fie in der Ohnmacht Zwang. Wär’ mir's zu retten fie gegeben! Doch ſchon naht Krates diefem Thor: Er duldet mich nicht hier: Dod raſch: zuvor Das Gift, das Gift im Ehrenbecher! (ergreift den Pokal) Das trinf’, ein todes-durſt'ger Zecher, Theano, hör's, das trink ich dir! Und kann ich dir den Freund nicht retten: Sm Tod will ich zu ihm mid) betten. (Trinkt den Becher aus, ftürzt ihn um, füllt ihn aufs neue aus dem Miſchkrug und fest ihn auf die frühere Stelle.) Schöne Heimat, wo ein janftres Volk in ſchönern Zungen jpricht, Wo durch Palmenwipfel riejelt Sonniger ein hell'res Licht:

609

Lebe wohl, du ferne Heimat, Heil’ger Ganges, lebe wohl, Nieder in das Reich der Schatten Ruft mich ein Geflüfter hohl.

Lebe wohl, du Lebensjonne,

Herrin du voll Glanz und Huld: Ach, in Alras Seele bebte

Leiſe Liebe, jcheu wie Schuld.

Nimm mid auf num, Reich der Schatten, Stumme, dunkle, heil’ge Macht: Löſche, löſche dieſer Sehnfucht Flammen aus in ew'ger Nacht.

Harald pocht: Alra eilt an das Thor.

Vierte Scene.

Harald. Krates. Die Lanzenträger. Dann Phalanthos, vornehme Römer und Kyprer, auch Sklaven, aus der Mitte.

Harald (chlägt dreimal mit der Fauft ans Thor).

Krates (mit den Lanzenträgern aus der Mitte, er läßt den widerſtrebenden Alra durch zwei Lanzenträger von dem Thor fortreifen und in das Mittel. thor abführen, verteilt die Lanzenträger an allen drei Thoren, und auf der Duermauer: öffnet das Thor mit dem ihm von Phalanthos gegebenen Schlüſſel, fchließt gleich Hinter Harald wieder und ſteckt den Schlüffel ein:

nad) furzer, ftummer Begrüßung geht er, Phalanthos zu Holen).

Harald (ganz ohne Waffen).

Empfangt mich denn, ihr ſtolzen Räume, Darin die Liebjte Hold erblüht: Der Jungfrau erjte, jüße Träume,

Sie ſchwebten hier durch ihr Gemüt. Bon hier war's wo jie leuchtend nah Das Schöne Meer der Griechen jah,

Dahn, Samtl. poetiiche Werke. Erſte Serie Bd. VI 39

610

Und herrlich wuchs ins Himmelsblau, Gleich einer weißen Marmorfran. Geweiht ijt der Geliebten Wiege, Geheiligt ift mir diejer Drt: D daß der Götter Segen liege Auf diefer Stätte fort und fort. (Phalanthos. Krates und Gefolge aus der Mitte.) Phalanthos. Willfommen hier zu Felt und Raft, Phalanthos’ Gaft (teif): des Todes Gaft! Harald (reiht ihm die Hand). Gegrüßt auch du! Was fehlteft du im Feld, Die Deinen führend als ein Held ? Dann hätten wir und rajch gefunden. Sm Kampfe würdigt Mann den Man: Dft Schon ich mir zum Freund gewann Den tapfern Feind. Phalanthos. In Tod und Wunden Begiebt bei uns der Fürjt fich nicht. Harald. Das ift uns Fürften Chrenpflicht! Der Fürſt ift der erjte bei Mahl und bei Kat, Doch der vorderfte auch bei der jtürmenden That. Wo ſäumt Theano? Nicht fchau ich fie hier! Phalanthos. Das Weib nicht laden zu Mahle wir, Sonft fehlet die Freiheit dem Wort, dent Gelag. Harald. Was man vor Frauen nicht jprechen mag, Bleibt bejjer ungeſprochen: wir Erſchau'n im Weib des Fejtes Hier. Sm Kranz der Heldeneichen grün, Soll Hold das Weib als Roſe glüh’n. O rufe die Braut mir! Phalanthos. Sogleih! Doch gewähre Dem Wirt erjt des Gaſtrechts geheiligte Ehre: (reicht ihm den Ehrenpofal)

611

Den Zeus des Gaftrechts ruf’ ih an: Wie diefer Trunf dir wird befommen, Soll Hochzeit dir und Eh'bund frommen.

Terzett. Harald, Phalanthos, Krates wiederholen die letzten drei Zeilen:

(Harald: Den Gott des Gaſtrechts ruf’ ih an.) (Harald trintt.) Phalanthos. Krates. Er trinkt? Er tranf! Er ift verloren! Harald (den Becher erhebend). Höre mi, Donar, Schirmer der Herde! Wie den Trank mir teilen, ihr Oheim und ich: Sp treufich wir teilen in allen Tagen Feindſchaft und Fehde, Freundfchaft und Frieden, (ihm den Becher Hinhaltend, dicht an ihn herantretend) Nun trinfe den Reit, zu befräft'gen die Rede. Phalanthos (entfegt zurückweichend). Den Reit? Nein! Nein! Harald (olgt iym). Ja, das muß fein! So will e3 der Sitte geheiligter Braud): Sch trank in Treuen und du trinfjt aud). (folgt dem immer ängftlicher weichenden) Phalanthos. Nein! Nein! Harald Gorig). SH will's: du folfft! Phalanthos (weiend). Nein! Nein! Harald. Du mußt! Was foll dies Zagen?

(Alra wird in der Mittelthür fihtbar: er reift fid) von den Lanzenträgern [os und dringt durch die Reihen.)

VPhalanthos. rates. Nicht jollit, Barbar, du länger fragen! Hier der Vokal, für dich gemifcdht, .. . Alra (orſtürzend). Barg Gift! Doc ich trank es für dich,

(Sinkt fterbend nieder.) 39*

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Phalanthos. Arates. Chor. Weh’ dem Barbaren! (Dringen auf ihn ein.) Harald. Verrat? So ftirb!

(Schlägt BPhalanthos mit ſchwerem ehernen Mifchfrug tot, ergreift einen Fleinen runden Tiſch mit Einem ſchmalen Fuß, ftürzt die darauf ftehenden Kannen zc. klirrend zur Erde und dedt fid) damit als Schild.)

Halgaft (au3 der Thüre links herborftiirmend, ftößt Krates, welcher eben Harald von hinten erftechen wollte, nieder).

Nieder, du Mörder! (Allgemeines Entfeten der Römer iiber den unerwarteten Helfer.) Hier, Harald, dein Hammer!

(Reiht Harald den Hanımer, der fofort zwei Lanzenträger erſchlägt: die andern weichen zurüd.)

Cyſania (hat in der Mittelthür den Fall ihrer beiden Freunde geſehen, fie reift eine brennende Fackel aus den Thorpfeilern).

Und brach der Nahe Bau zufammen, So helft zum Haß, ihr Hymens Flammen. Nicht joll Theano triumphieren !

(Sie ſchließt von Hinten die Mittelpforte, gleich darauf fieht man fie die Tadel ſchwingend auf der Mauer: fie verfchwindet: alsbald brechen Flammen aus dem Mittelturm.)

Halgaft (der einjtweilen Harald beigeitanden). Und Harald, horch! Dein Hilfreich Horn!

(Er bläft hart am Thor.)

Herbei, ihr Genofjen, hört Haralds Horn! Und helft in rettendem Heldenzorn.

Chor der Sachſen (von außen). Mir fommen, Herr Herzog, wir hören dein Horn, Wir fommen mit rächendem Heldenzorn, Und hielte der Feind dich in Helas Haus, Wir kämen und hieben den Herzog heraus.

(Das Thor wird krachend von außen eingejhlagen, in hellen Haufen dringen die

Sachſen ein, andere fteigen über die Mauer und drängen ohne weiteren Kampf

die Tanzenträger in die Thüre der Mitte und links. Starker Flammenſchein aus dem Turm.)

613

Harald. Gerettet, mein Halgajt! Dir dank' ich das Leben! Glauke (ftürzt aus der Mittelthür). Zu Hilfe Theano! Sonſt muß fie verderben Sm Turm, den die Flammen dort züngelnd umwerben. Vom Fenjter drang ihr Ruf zu mir. Harald. Geliebte, Rettung dir zu bringen, Durch Weltbrands Flammen würd’ ich dringen! Walküren, leiht mir eure Schwingen.

(Stürmifh ab durd) die Mitte, gleich Hinter ihm ftürzt die Quermauer und die niederen Zeile des Innenſchloſſes zufammen, jo daß der Ausblid auf den Hinter- grund frei wird: man fieht das blaue Meer und vorn die Schiffe der Germanen wie am Schluß des erften Akts: auf der Freitreppe, welche zu dem allein nod) ftehenden brennenden Turm führt, fteht Harald, Theano aus dem Fenſter bebend und auf dem Arm herunter tragend, Lyſania finft hinter ihnen in die Flammen: jowie Harald mit Theano unten vorn angelangt, ftürzt auch der obere brennende Turm zufammen: einftweilen find Sofephos und die Chriften mit gefejielten Händen aus dem Hintergrunde vorgeeilt: Halgaft und die Sadjen löjen ihre Ketten.)

Chor der Ehriften. Muß in Flammen auch vergehen, Was wir jtark und lieblich jehen, Aller Shmuf und Stolz der Zeit. Gottes Gnade fonder Schranfen, Gottes Liebe jonder Wanfen Waltet fort in Ewigfeit. Harald. Theano, Geliebte! du lebit! du bift frei, Die Treue bezwang die Berräteret. Theano. Hajt du an mir geziweifelt, jprich ? Harald. Nein, niemals! denn ich liebe dich! Nun führ' ich, ewig mir gejellt, Did fort aus diejer faljchen Welt, Aus diefer Fäulnis, Hoch entrafft, Ins Land der Treue, Land der Kraft, Ins Land, wo Wodans Wälder raufchen Und freie Männer Handichlag taufchen. Halgaft (Glautes Hand erfafend). Des Griehenlandes höchſte Hier,

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Die Schönheit, tragen freudig mir Auf unſrer Dradenjhiffe Bord Als Siegesbeute mit ung fort. Theano. Vergönnt, daß diefe fromme Schar, Die ihr entriſſen der Gefahr, Mit euch forttrage durch die Meere Des Chriftengottes heil’ge Lehre. Harald (winkt Gewährung, reiht Joſephos und Theano bie Hände). Der Griehenihöne Götterbild Und Chrijtenglauben fromm und mild Birgt madhtvoll der Germanen-Schild Und frei vom Römerjoch die Erd’, Frei kämpft fie das Germanen-Schwert. Harald. Halgaft. Chor der Sachſen. Zu Schiffe! Zu Schiff! Ihr Genofjen an Bord! Zurück in die Heimat! Zurück in den Nord! Raſch führen die fchaufelnden Wellen uns fort. Wir tragen mit uns in des Eichwalds Nacht Der hellenifchen Schöne leuchtende Pracht. Denn bei uns ift der Mut und das Schwert und Die Macht. Es raufcht uns der Sieg in den flatternden Fahıen, Zu meiterm Wagen ung braufend zu mahnen, Denn die Herrichaft der Erde gehört den Germanen!

Gruppe. Vorhang fallt.

—ı

Der Schmied non Greina-Öreen

Operndichtung in drei Aufzügen

(Erſtmalig erſchienen 1880)

Thevdor Fontane,

dem Meijter der englifhen Ballade,

zugeeignet.

Derfonen.

Lady Ellen Douglas. (Sopran)

Lord Robert Douglas, fchottiiher Grenzgraf, ihr Vetter und Vormund. GBaß oder Baryton)

2ord Talbot Percy, engliicher Grenzgraf. (Tenor)

Sohn Hard, der Schmied von Gretna-Green. (Baryton oder Baß

Anna Buſy, ſeine Schweſter (ca. 50 Jahre). Alt)

Mary, ſeine Tochter. (Sopran)

Robin Bold, fein erſter Geſelle. (Tenor oder Baryton)

Reiſige des Lord Douglas. Zofen der Lady. Gejellen, Nachbarn und Nahbarinnen des Schmieds. Bauern der Umgegend.

Beit der Handlung: XV. Zahrhundert.

Drt der Handlung: erjter und dritter Akt in der Schmiede zu Gretna-Green, zweiter in den nahen Schloß des Lord Douglas, an der engliihejhottiichen Grenze.

1. Aufzug.

Die große altertümlihe Schmiedehalle zu Gretna- Green: hinten rechts (vecht3 und links ftetS von der Bühne aus) das ganze Schmiedegerät: Eſſe, Blajebalg, Amboß. Auch in der Mitte vorn ein Amboß. Der Raum ift aber zugleih Wohnftube: vorn links ein Tiſch mit Bänken, vorn rechts die zwei Spinnräder der Frauen: im Hintergrund ein Wandfchranf. Eine Thür rechts vorn führt in da3 Hausinnere; eine Thür gerade gegenüber links führt ing Freie (ind Dorf). Links ift der Hintergrund duch ein großes Fenſter gefüllt, daS den Blid auf einen Waldweg gewährt: zmifchen dem großen enter und der Hintern Schmiedehalle eine Thür, die ind Freie (in den Wald) führt. In der Schmiedehalle hinten und an den Wänden vorn viele Waffen.

Erfte Scene.

Die Schmiedegefellen. Robin. Alfe in voller Schmiedearbeit. Die Effe

lobt: fie jchmieden und hämmern und hantieren: die andern hinten in der

Scymiede, Nobin an dem vordern Amboß. Die Diufif vor Aufzug des Bor

hangs drudft die Schmiedearbeit au, man hört von der Bühne heraus das Hämmern.

Chor der Schmiedegejellen: im Zaft der Hammerſchläge.

Erfter Halbchor.

Hebt den Hammer, hebt die Hand, Hebt auch frohe Weifen:

Kraft und Mut und Kunftverjtand, Zwingen Not und Eijen!

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Dmweiter Halbdor. Kluger Sinn und ftarker Arm, Brechen bald, bald biegen, Augen hell und Herzen warın Miüffen endlich fiegen. Beide Chöre. Faßt das Leben Flug und fühn, Wie das Erz im Feuer: Schläge dröhnen: Funken fprühn: Und der Sieg ift euer]

Zweite Scene.

Borige. Anna und Mary (aus der Thire rechts): fie tragen einen Krug und Becher und bringen Robin und den andern Gefellen den Feierabendtrunf; aud) Kränze und Blumengewinde, mit welchen fie die Thürpfoſten ſchmücken.

Anna. Halt ein, ihr Fleiß’gen! Endet nun! Nach wadrem Werk ein fröhlich Ruhn.

Mary. Genug der heißen Müh für heute! Die Sterne jtehn am Himmel jchon.

(Pauſe: Die Ubendglode aus dem Dorf, durd) die offne Thür Links, fällt lieblich, friedevoll, hellklingend ein.)

Hört ihr das Tiebliche Geläute ? EN \ Der Abendglode Silberton ?

(Anna, Robin, Chor wiederholen die legten beiden Zeilen.)

Mary. Sie mahnt mit leifem, holdem Klang: „Genug von Arbeit, Lat und Zwang!“ Die Lerche trillert zum letztenmal: Sie grüßt der jcheidenden Sonne Strahl. Die Dämmerung naht mit duft’gem Hauch: wiederholt (an Robins Bruft eilend)

Das Herz hat feine Rechte auch).

623

Anna. Ga, geht und laßt uns Frauen fchalten: Denn Freude joll hier morgen walten: An Blumen brachen wir das Beite: Die Halle ſei geſchmückt zum Fefte. Anna und Mary. Denn morgen ift der Jahrestag, Den hoch dies Haus begehen mag, Da meinem | ward verliehn Als ſeiner Treue Dank und Ruhm Sein ſtolzes Privilegium: Das Trauungsrecht von Gretna-Öreen. Chor (wiederholt die legten zwei oder vier Zeilen,

(Da „unſerm Meiſter“ ward verliehn) dann die Becher leer trinfend, grüßend und dankend ab durch die Thüre links).

Dritte Scene Anna. Mary. Robin,

i BHobin (während die Frauen die Kränze aufhängen). In Schottland und in Engelland Hält feiner deinem Bater jtand: Kein Kopf fo Hug, jo kühn fein Mut, Kein Arm jo ſtark, fein Herz jo gut, Ein Mann von bejter Mannesart Sit unfer Meijter, Jonny Hard: : Er wagte Hundertmal das Leben, Ein Zidlein aus Gefahr zu heben: Nur gegen mich, ja mich allein, Sit er jo hart wie Kiefeljtein. Anna (unter der Arbeit). Undankbar Wort! Wer Hat den Knaben, Nachdem die Eltern du begraben, Wie einen Sohn ins Haus genommen?

624

Mary. Dich auferzogen mild und gütig? Mobin. Was joll mir al’ die Güte frommen! Hier, unterm Wams, pocht feuerblütig Mein Herz für dich: ich muß verbrennen, Darf ich mein Weib nicht bald dich nennen! Mary (cchelmiſch nedend). Ein Schmied ſoll Furcht vor Glut nicht kennen! Robin. Er will und will dich mir nicht geben Und ohne dich kann ich nicht Leben. Was hab’ ich, Armer, ihm gethan? Anna. Du felber nichts: jedoch dein Ahn! Robin (tomifch unmillig). Was gehn mich meine Ahnen an! Anna. Sn Feindichaft lebt feit alten Tagen, Du weißt es, dein und fein Gejchlecht! Bobin. Oft hör’ ich doch den Meifter jagen: Solch Hafjen ſei Höchjt ungerecht! Mary. Bei andern fchilt er doch und wehrt, Sp meit er fann, vererbten Haß. Vobin und Mary. Was er bei andern nennt verkehrt, Hier thut er's ſelbſt! Wie reimt fic) das? Anne. Ihr Rinder, feht: es lebt fein Mann, Den man vollfommen vühmen Tann. Mein Bruder wär’ ſonſt gleich den Engeln: Das lebt ihn an von Menfchenmängeln. Sein einz’ger Fehler: es ift der! Robin und Mary (ieöHaft). Ach, wenn e3 doch ein andrer wär’! Anna (voltstümliche, ſchlichte Weife). Geduld, Geduld, du junges Paar: Gut wird noch alles werden:

625

Der Weg der echten Liebe war Noch niemals glatt auf Erden! Bald Väterhaß, bald Geldesnot, Bald will fie Mißgunſt binden: Doc, liebt ihr treu bis in den Tod, Ihr werdet überwinden. Wenn euch die Liebe Dornen flicht Sp denft: „das ijt das Rechte:“ Es wäre echte Liebe nicht, Die nit auch Leiden brächte. (Alle drei wiederholen die legte Strophe.) Robin. Das flingt wohl alles ſchön und gut: Löſcht aber nicht der Liebe Glut! | Mary. Die Myrten in meinem Garten, Wie lange noch jollen fie warten? Wann fommt der frohe Tag, Da ich fie pflüden mag? Anne. Geduld, ihr Ungeduldigen! (geheimnisvolf, beide an fid) heranziehend) Doch, ſoll's euch wohlergehn, Sp müßt ihr zu den Huldigen Geheim und gläubig flehn! Hobin und SHary. Die Huldigen? So glaubjt du feit an fie? Anna. Feſt wie an Gott und an Mariel (geheimnisvolt) In diefem alten Sachſen-Haus Bon je gehn Geijter ein und aus. (auf diefe Geräte deutend) f Sie jpinnen am Rade den Woden zu Ende, \ Sie rühren am Amboß die emfigen Hände, Sie fehren die Kammern, fie fegen die Stuben, Sie ftrafen die faulen Dirnen und Buben, Dahn, Sämtl. poetifche Werke. Erfte Serie BD. VI. 40

626

Sie helfen den Fleißigen allertvegen, Doch muß man fie fcheuen und ehren und pflegen. Mary. Ga, ja! Wie fagt die alte Weije? Großmutter fang fie oft uns leiſe! Anna (Bortstied). „Wollt glüdlich ihr durchs Leben gehen, Sollt ihr die guten Holdchen ſcheu'n, Die letzten Ähren laſſen ftehen Und Mehl am Herd für ſie verſtreu'n.“ Mary (fänt ein). „Zertretet nicht am Weg den Käfer, Der eilig in Gejchäften reift: Stört in der Roſe nicht den Schläfer, Er iſt ein wandermüder Geift.“ Robin (äut ein. „Per Böglein Nejter fein euch Heilig: Beihmwingte Holdchen find fie all: Zumal Rotfehlchen ftreuet eilig Brot bei der erſten Floden Ball.“ Anna. „Jedoch zumeift aus Rinderaugen Tilgt eifrig jede Thräne fort: Denn Geiſter, die zu rächen taugen, Gewalt’ge Geister wohnen dort.“ Mary. „Und Hört ihr's nachts im Haufe meben, Befreuzt euch nicht und ſeid nicht bang: Die braunen Wichtelmännchen ſchweben Nur Segen raunend durch den Gang.” Alle drei. „Von feinem Feinde wird beziwungen Ein Herz in Kämpfen noch jo heiß, Das fih umflüftert und umſchlungen Bom Bund der guten Geijter weiß.“

(Alle drei ab nad) rechts [ins Haus]. Die Bühne bleibt einige Zeit Teer. Die Abendglode nochmal leiſe von außen. Die Mufit führt das Geifterweben aus. Es wird dunkel.)

627

Vierte Scene.

Lord Perch (brauner Hut und Diantel Über dem reichen Wams mit dem

Wappen der Percy, einem fliegenden Pfeil, auf der Bruft) ftürmt verzweiflungss

voll die Diufit drüdt den ſchroffen Gegenfaß der Stimmung vorbereitend aus

durd) die Mittelthür herein. Gleich darauf, unbemerkt von ihn, tritt der

Schmied aus der Thüre links auf, zieht fich in den Hintergrund und hört dem Monolog aufmerkſam zu.

Percy (einen Eleinen Brief in der Hand, höchſt leidenſchaftlich, verzweifelt). Berloren die Liebe! Gejtorben das Hoffen! Kein Mittel, die glühend Geliebte zu retten Bor verhaßter Vermählung tödlichen Ketten! Ach, die Blume des Lebens zum Tode getroffen! (wirft fih auf die Bant, blidt in den Brief) Sie jchreibt: fie wird jterben! Nie wird fie des andern! Ah, nicht einfam joll zu den Schatten fie wandern! Und konnt' ich die Teure im Leben nicht retten, Soll der Tod, ja der Tod uns zujammen betten. Und kann ih ihr Schickſal nicht wenden, nicht Heilen: So will ich es teilen! Geliebte, willfommen im jtillen Haus: Sch bereite die Stätte: ich ſchreite voraus! (Zieht den Dolch, holt aus, ſich zu erſtechen.) Schmied (ut ihm raſch in den Arm). Gemad, mein Freund, und bleibe leben! So lang du lebſt, fannjt du dich heben. Erjt wenn du gejtorben, Sit alles verdorben. (für fi) Dem iſt jo ernjt um feine Liebe, Daß fie ihn bis zum Tode triebe. Drum ift er meiner Hilfe wert. Perey. Wer ijt’3, der meinem Schmerz gemwehrt? 40*

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Schmied. Ein Mann, der deinen Schmerz will wenden, Ein Mann, der treue Liebe jchüst. Percy. Umfonft! Mein Leid kann niemals enden! Schmied. Laß fehn, ob dir mein Rat nicht müßt? (Percys Diantel bat fi) vorn geöffnet) Sch ahne, wem dein Sehnen gilt: Den Percy zeigt dein Wappenbild: Kun iſt befannt Sm ganzen Land Der Douglas und der Percy Haß Und wie in finftrem Burggelaß Lord Douglas jeine Baje hütet, Sm Born gen alle Bercys mütet, Sprid: Lady Ellen liebſt du? Nicht? Percy. Dir muß vertraun, wer jchaut dein Angeficht! Sa, Lady Ellen ijt die Dame! Schmied (nimmt den Hut ab). Geſegnet fei ihr edler Name! Des ganzen Grenzlands Schußgeift fie! Der Kranken Troft, das Heil der Armen! Ihr janftes Walten fehlte nie, Wo Not begehrte nad) Erbarmen, Bis in die Burg der Lord fie Schloß! Sag, liebt fie dich? Perg. Treu bis zum Sterben! Schmied. Hier meine Hand denn, Bundsgenoß! Vertraue meiner Fugen Kraft: Schon ſchwerer Werk Hab’ ich beichafft. Percy. Dank! Heißen Danf! Doch, jaget mir: Weshalb dem Fremdling helfet Ihr? Schmied. Weshalb? Erſt Lady Ellens willen: Die joviel Thränen pflag zu jtillen, Soll nicht in Thränen untergehn. Dann, weil id) Eueren Schmerz gejehn!

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Mer liebt getreu bis in den Tod,

Kann Klugheit wenden feine Not,

Kann Menjchen Kraft erretten ihn,

Dem hilft der Schmied von Gretna-Green! | Perg. Umfonjt! In diefem Blatt fehreibt fie,

Das fie vom Turm herab mir warf:

„Berloren alles! Teurer, flieh!

Gehütet bin ich grimm und jcharf.

Schon morgen jchließt der Burgfaplan

Den tief verhaßten Ehebund:

Sedoch des Todes dunkle Bahn

Wähl’ ich zur jelben Stund.

Nie werd’ ich eines andern Weib:

Dein, dein iſt ewig Seel’ und Leib.“

Schmied. Schon morgen? Da thut Eile not! Percy. Umfonjt zum Zweikampf ich entbot

Den grimmen Lord: er ließ mir fagen:

„Erit Hochzeit machen: dann fich fchlagen!“ Schmied. So ftürmt das Schloß in kühnem Wagen. Percy. In Frankreich fern, wo Englands Banner wallen,

Stehn meine Reif’gen und Bajallen.

Schmied. Entführt fie denn auf raſchem Roß. Percy. Bewacht ijt jede Thür im Schloß!

Und wär’ fie auch der Burg entronnen:

Nicht Rettung wäre doch gewonnen:

Den Douglas jcheu’n die Priejter all im Land:

Kein Briejter jchließet unjer Eheband.

Schmied (tar). Wenn's das nur wär’! Nicht forge dich:

Traut euch fein Pfaff jo trau’ euh: id! Percy. Ihr jcherzt! Ein Laie! Ihr! Ein Schmidt! Schmied (itolz, kriegeriſch).

So fennt Ihr denn nicht meine Rechte ?

Die ih mit meinem Blut erjtritt,

fehr kraftvoll

650

Für die ich fieben Wunden litt, Erjtritt in rühmlichjtem Gefechte? Wenn ih Euch Hand in Hand verflechte, Bollgült’ger noch ift Eure Ehe As ob fie durch den Papſt gejchähe. Percy. Im Krieg, in Frankreich war folang’ ich ferne, O redet, daß ich diejes Rätſel lerne! Schmied. Ich müßt mich rühmen dabei zu jehr. (Anna, Mary, Nobin mit Ticht von rechts) Die mögen fünden Euch die Mär. Man fingt davon im Volk bereit ein Lied.

Fünfte Scene, Borige Anna Mary. Robin.

Mobin (auf Bercy zueilend). Was jeh ih, Herr! Bon dem die Schlacht mich fchied! Percy. Mein Knapp, durch deffen Treue nur Sch mied den Tod bei Acincourt! Mit feinem Blute hat er mich befreit, Dank Schuld’ ich ihm in Ewigkeit! Schmied. Er ift ein guter Junge, jal (komiſch drohend) Doch fomm’ mir Mary nicht zu nah. Percy. Sie fcheinen fich herzlich gut zu fein. Weshalb joll er das Kind nicht frein ? Alle (außer dem Schmied) komiſch wiederholend. Weshalb ſoll er das Kind nicht frein? Robin Weshalb ſoll ich das Kind nicht frein? Mary. Weshalb fol Robin mich nicht frein? Schmied. Nein! Dreimal nein! (Die andern wiederholen)

Weshalb foll er das Kind nicht frein ?

631

Schmied. Weil ih nicht will! Und damit ſtill! (zu Perch) Stet3 haßten ſich mein und fein Haus. Anne. Mary. Ihr aber Löfchtet den Haß ja aus, Schmied. Doch joll er nicht mein Eidam fein! Nein! Dreimal nein! Vobin (Ebomiſch nedend). Habt at! Sch ſag's Euch ins Geſicht: Gebt Shr mir denn das Mädel nicht, Thu’ ich, was Euch an andern gefällt: Ich laufe mit ihr in die weite Welt: Wir werden jchon den Prieſter finden, Uns zu verbinden. Alle. Wir werden jchon den Priefter finden, Gie \ Uns f Und Meifter, das geihäh’ Euch recht! Schmied (lacht vergnüglich, Holt die Urkunde aus dem Wandjchranf, befjen Schlüſſel er bei fich trägt).

Ha, ha, ha, ha! Ihr klug Gefchlecht! So meint ihr, damit fangt ihr ihn, Den alten Fuchs von Gretna-Öreen? Da Hab’ ich lang ſchon vorgebaut! Kommt her und jchaut: Was auf des Freibriefs letztem Blatt Der König mir verliehen hat: „Auch ſoll des Schmiedes Töchterlein Rechtsgültig trau'n nur Er allein: Ein Ehbund, den ein andrer flicht, Er gilt für jeine Tochter nicht!“ Hier fteht des Königs Schrift und Giegel Und mit dem Durchgehn iſt es aus.

zu verbinden:

632

NMobin (kratt fich Hinter dem Ohr). Das iſt ein ganz verfluchter Niegel, Den uns der Alte ſchob vors Haus!

(Affe wiederholen die Ietsten beiden Zeilen des Schmieds.)

Anna. Ich aber jag euch, Tiebe Kinder: Bertraut nicht minder! Sch hab's gejehn in gegoſſ'nem Blei, Sc hab's gejehn in zerichlagenem Ei, Sch hab's gelefen im Weihnachtsſpiegel:

Trotz Königsbrief und Königsſiegel:

Euch beiden ſteht die Hochzeit nah'!

Percy. Doch ſagt mir nur, wie das geſchah, Daß Ihr, ein Schmied, dürft trau'n gleich Pfaffen?

Schmied (itolz den Hammer erhebend). Das dankt der Waffenfchmied den Waffen!

Bobin!). „Der König von Schottland, die Zügel verhängt, Ram nacht3 nad) Gretna-Green gejprengt.

Mary. Er trug vor fich in dem Sattel ein Weib, Das war ihm viel teurer als Seel’ und Leib.

Anna. Ein Priejter folgte dem flüchtigen Paar, Der follte fie trauen auch ohne Altar.

Vobin. Und der König rief: ‚Nun zu Ende der Ritt! Rafch öffne die Pforte, mein treuer Schmidt,

Mary. Und während der Priejter mich eint der Braut, Sei deinem Hammer da Thor vertraut.

Anna. Denn hinter ung jagt der Verfolger Troß, Und ich blute von manchem ſcharfen Gejchoß.

Wobin. Doc bevor ich fterbe ſei die Maid Als meine Königin mir angefreit.‘

1) Die Strophen der nun folgenden Ballade können beliebig an Anna, Mary, Robin einzeln (oder je zwei oder alle drei) ver» teilt, aucd) die ganze Ballade von einem gejungen werden: die angegebenen Namen bis Zeile 15 find nur Vorjchläge.

633

Mary. Und der Priefter begann den frommen Gefang. Schmied (fortgeriffen von kriegeriſcher Begeiſterung, fällt hier ein).

Und der Schmied mit dem Hammer zur Thüre fprang. Anna. Die Verfolger zerjchlugen das eichene Thor, Schmied. Da jtand der Schmied als Niegel davor. Vobin. Und während der Prieſter verjah jein Amt Schmied. Abwehrte der Schmied die Feinde gejamt. Mary. . Da traf ein Gejchoß den Prieſter, er jchrie, Anne. Und brach verjtummend in die Knie, Vobin. Noch ehe das Amen gejprochen war, Mary. Und ehe die Ringe gewechjelt das Baar. Anna. Und er er winkte den Schmied von der Thüre

herbei,

Robin. Daß diejer des Amtes Vollender fei. Schmied. Und der Schmied erjichlug den letzten Feind

Und hat mit den Ringen das Paar vereint. Mary. Danı fiel er vor feinen Herrn mie tot. Anne. Bon ftieben blutenden Wunden rot. Mary. Und es hielt die junge Königsfrau... Anne. Schmied, König und Prieſter die Wundenjchau. Nobin. Und fie blieben am Leben alle drei,

Und der König von Schottland, der Feinde frei, Schmied (itolz, kräftig).

Hat mir, dem Schmied von Gretna-reen,

Zum Danf das jtolze Necht verliehn,

Daß ih mag trauen ein treues Paar,

Des innige Liebe mir ward klar,

Hier an meinem Herd, wo die Eſſe flammt,

Sp gültig, wie Priefter im Kirchenamt.

Beim Saujen der Bälge, bei Hammerjchlag,

Sch die Herzen zufammenjchmieden mag. Alle. Beim Saufen der Bälge, bei Hammerfchlag,

Er die Herzen zufammenjchmieden mag.

634

Percy. Du könnteſt retten, wenn je ein Mann, Wenn nur bis zu dir die Braut entrann. (Bon dem Hintergrunde her aus dem Wald das Zotenglödlein fern von der Burg) Welch traurig Klingen hebt hier an? Die vier übrigen. Welche Seele auch gejchieden, Großer Gott, gieb ihr den Frieden! Sa, dein Frieden unermefjen Läßt fie Erdenleid vergefjen. Percy (oringender). Was joll der Ton, ihr guten Leute? Schmied Gögernd). Wenn recht ich diejes Klingen deute: Bon Douglas-Schloß, das Totengeläute! Percy (win zur Mittelthür hinaus). Die Geliebte ftarb! Fort! Fort zu ihr!

(Man pocht dreimal ftarf an die Mittelthitr. Der Schmied wirft Perch einen langen, faltigen Weibermantel mit Kapuze um, der ihn ganz verhüllt. Dann geht er an die Thür und öffnet.)

Sehfte Scene,

Vorige. Lord Douglas im ſchwarzen Diantel, ganz fhwarz, fteht unheimlich drohend in der Thür: Hinter ihm werden ſechs Neifige fichtbar. Schmied. Lord Robert Douglas was jucht Shr hier? Douglas. Dich juch’ ih, Schmied von Öretna-Öreen, Gedenk des Rechts, das dir verliehn: Oft ſchien gefährlih mir's und jchlecht, Kun aber fommt mir’s grade recht: Habt ihr gehört die Totenglode ? (alle bejahen bang, bejorgt) Urplöglih jtarb mein Burgkaplan ... (Alle atmen froh auf.) Bobin und der Schmied. Er Hat jtet3 viel im Trunf gethan! Bobin. Sa, giebt der Herrgott ihm Gelaß,

635

Schmied. So forg’ er für ein großes Faß! Douglas. Nun ſollſt du mid in Eile trau'n!

(Alle geben der Hoffnung Ausdrud, daß hierdurd die Lady zu retten fei.) (mißtrauiſch)

Wer ſteckt in dieſem Weiberrocke? Schmied. Ein Weib, das nie genug zu hau'n! (ſchlägt auf Percy los) Anna. Ei, du feile Magd! Mary. Gott ſei's geklagt!

(Beide Frauen ſchlagen bei jeder Zeile auf Perch und treiben ihn zur Thüre rechts binaus.)

Anna. Die zu nichts zu verwenden! Mary. Stets müßig an Händen! Anna. Hat das Brot mir verbrannt! Mary. Weil fie wieder gerannt ... Anne. Sn die Stub’ nad) dem KLaffen, Mary. Dem Robin zu gaffen. Anne. Hinaus, rajch mit dir! Mary. Mau braucht dich nicht Hier. Anna und Mary. Su die Küche hinaus! Mit Schlägen verjagt! Sn die Küche gehört die Magd.

(Bercy ab nad) rechts, er fommt glei wieder mit den andern Gefellen in den Kleidern einer Schmiedegejellen, Schurzfell.)

Douglas. Sprecht, jaht Ihr nicht den Teden Knaben, Den Percy, der das Land durchitreicht?

Schmied. Ihr jaht, wen wir im Haufe haben. Douglas. Er jtirbt, wenn ihn mein Arm erreicht. (winkt feinen Reifigen)

Auf, Knappen, raſch durchſucht das Haus! Schmied (drohend mit dem Hammer entgegen). Lord Douglas, halt! Da wird nichts draus! (Die Knappen meichen zurüd.)

636

Ein freier Mann, wohn’ ich in freiem Haus. Mein Haus it meine Burg und meine Wehre: Und gleich des Edelmannes Ehre Acht' ich Freifaffen Stolz und Nedt. Douglas (für fit). Was prahlt er da, der freche Knecht. (Winkt den Knappen, diefe dringen vor.)

Schmied. Ihr wollt’s, Mylord? So jeht Euch vor! (ſchlägt mit dem Hammer ein Alarmzeichen auf dem Amboß oder einer Eijenftangeı Geſellen, ſchirmt des Meijters Thor!

Geiellen, ſchirmt des Hauſes Ehre. Zur Wehre! Zur Wehre! Waffenjchrei! Hört mich! Herbei! Herbei!

Aus beiden Vorderthüren firömen die Gefellen, Percy unter ihnen, eilfertig her- bei, ergreifen die häufig umberliegenden Schwerter und dringen drohend gegen die Neifigen vor.)

Schmied (riegeriſch, Fräftig). Die Hand, die Schwerter jchmiedet, mag Auch Stolz die Schwerter jchwingen: Erprobt jofort mit Stih und Schlag Die Gretna-Öreener Klingen. Douglas (winkt den Reifigen, dieje ab). Laßt ab! In Frieden fam ich her! Percy (will auf Douglas eindringen, Schmied Hält ihn ab). (leiſe) Laß mich ihn töten und die Not iſt aus! Schmied (eiſe). Und wer ſchafft die Lady aus Douglas-Haus ? Wir brauchen ihn noch: drum muß er leben: Erjt muß er heraus uns fchön Ellen geben. (Er bedeutet ihm, daß er einen Plan gefaßt Habe.) Douglas Gür fin). SH brauche feinen guten Willen, Nicht trag” ich längern Aufſchub mehr. (laut)

637

Erfüllt Ihr morgen mein Begehr, Mit meiner Baje mich zu trauen ? Sch Lohn’ es Euch mit Golde jchwer.

Schmied. Ich traue nicht um Goldes willen! Sedoch der edeljten der Frauen Will ih gar gern zu Dienften fein.

Douglas. Nehmt diefen Ring, man läßt Euch ein Nur gegen diefes Pfand allein:

Denn ſcharf bewacht St Tag und Nacht Die Burg vor dieſes Percys Trachten. (Alle, außer Douglas, geben ihre Freude und Hoffnung zu erfennen.)

Alle. Nun fteigt empor nach langem Nachten Der Hoffnung heller Morgenitern:

Nun iſt die Stunde nicht mehr fern, Da treuer Liebe wird der Preis.

Douglas. Da meiner Liebe wird der Preis. Zwar jcehlägt mein Herz noch bang und heiß: Doch, Hoff ich, endet all mein Sorgen Schon morgen.

(Douglas wendet ji zum Gehen, Vorhang fällt.)

633

II. Aufzug.

Garten im Schloß Douglas. Derfelbe ift auf allen drei Seiten von hohen Mauern umgeben. Im Hintergrund fieht man über die Mauer hinweg einen praftifabeln Höhenzug, auf welchem am Schluß des Aufzugs die Belagerer fichtbar werden. In der Mitte der Mauer des Hintergrundes ein vergitterter Erferturm. Neben diefem recht3 eine durch einen Vorhang verhüllte Mauer- niiche, in welcher ein zur Trauung feitlih geihmiücdter Altar ver- borgen iſt. Links von dem Exfer erhebt ſich das eigentliche Schloß- gebäude mit hohem Turm, aus welchem eine Thür in den Garten führt. Sn der rechten Seitenmauer vorn eine Pforte, die ins Freie führt, mit einem fleinen Schubfenfter. Gebüjh im Garten ver- teilt: namentlich Hinter der Verſenkung vorn rechts.

Erfte Scene. Lady Ellen allein.

Fady Ellen (fit trauerboll in dem Erfer und fingt zur Harfe fol-

gendes Lied): Hoch ob meinen Gitterftäben Geh ich raſche Vögel ſchweben, Meergewohnte Mömwenbrut, Und fie fchlingen ihre Ringe, Feſſellos, mit freier Schwinge,

Sieghaft über Land und Flut. Raſche Vögel, auf von hinnen, Sudt mit hohen Erferzinnen

Ein betürmtes Edelhaus. An den Mann voll Kraft und Süße Nichtet, ach, die lebten Grüße

Der Gefangnen treulich aus.

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Sagt: „ſie wollte lieber jterben, Eh’ fie folgte fremden Werben, Liebe zwingt fein Machtgebot: Oben, wo die Sterne jtehen, Wirſt du einjt fie wiederjehen: Sie war treu bis in den Tod.“

(Stellt die Harfe fort, jchreitet von dem Erfer die Stufen herab, fommt nad) vorn.)

Die Zeit entfliegt das Schrefliche tritt nah! Und vom Geliebten feine Kunde: Vergebens jpäht’ ich in die Runde! Doch, eh’ das Gräßliche gejchah, Rein, unberührt von fremdem Munde, Löſt mid aus aller Schmah und Not Der Liebe freier Heldentod. Sa, darf ich dir nicht, Teurer, leben, Dem heiß das Herz in Liebe jchlug, In ew'ge Freiheit will ich ſchweben Mit dunklen Fittichs leiſem Flug. Unjterblich jchwebt auf Siegesjchwingen Der Phönix aus der Glut erneut: Es fann fein Zwang die Liebe zwingen, Die Liebe, die den Tod nicht fcheut.

(Sier fann auf Wunſch des Komponiften ein Hochzeitmarſch und Hochzeitchor ein- geihoben werden von Rittern und Damen, welche die Braut begrüßen und wieder in das Schloß abziehen. Ohne oder nad diefem Marſch und Chor.)

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Zweite Scene. Ellen. Douglas (aus dem Schloß).

Douglas (in ftürmijher Glut auf Ellen einvringend, die ftet3 zurück— meicht: jeine Yeidenjchaft fteigert fid) immer mehr, bis er endlid) Hand au ſie legt).

Geliebtes Weib, dich ſuch ich allerivegen! Die Stunde naht: all diefer Reiz wird mein. Ellen. Stoß in die Bruft, Verhaßter, mir den Degen Und töte mich, jo will ich dankbar fein! Douglas. Vom Bater ward mir deine Hand gegeben. Ellen. Doch nicht mein Herz: Ihr wißt, wen das gehört. Douglas. Dem Percy! Ab, ich tilg’ ihn aus dem Leben! Ellen. Biſt du beglüdt, wenn unjer Glück zerjtört? Douglas. Des Haufes Feind, nie joll er dich er- werben. Ellen. Wohlan, laß mich im Kloſter ſterben. Douglas. Nein, nein! Ich muß dich, ſüß Geſchöpf, ge— winnen. Ellen. Eh ſoll mein Blut von dieſen Felſen rinnen. Douglas. Bereit ſteht der Altar! Ellen. Als Opfer bring mich dar. Dein Weib, ich werd’ es niemals fein. Douglas (wir). Weib oder nicht mein jolljt du jein (Dringt auf fie ein: fie birgt fich hinter dem Gebüjd).) Sa, zittre nur vor Zorn und Scham! Du ſollſt es doch erdulden! Sch bin fein blöder Bräutiganı, Der fleht von Mägdleins Hulden. Sn beißen Strömen wallt mein Blut, "Bon deinen Neiz entzündet,

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Mein jolljt du fein, verbrannt in Glut, Sei's heilig, ſei's geſündet. Mit heißen Küſſen will ich dir Den Trotz des Mundes brechen: Berauſcht von Schrecken ſollſt du mir Dein ſchämig Jawort ſprechen. Und ſprichſt du's nicht, So ſoll dein Schmerz Die Wonne mir verſüßen, Und biſt du Eis und biſt du Erz, In Flammen ſollſt du's büßen.

(Er hat fie eingeholt und trotz ihres Sträubens umfaßt. Sie reißt ſich in hef— tigem Ringen los und jhwingt fi auf die Dauer.)

Ellen. Hinweg von mir! Noch einen Schritt, Sp werf ih mid vom Walle. Douglas (fpringt raſch wie ein NRaubtier zu, fabt jie und trägt fie nach) vorn). Der Geier trägt die Taube ınit, Er fing fie mit,der Kralle! Und willjt mein Weib du werden nicht, Meine Buhle jolljt du werden!

(Neues Heftiges Ringen: Ellen reißt fih Los, eilt in das Gebüſch rechts vorn, zieht aus dem Bufen einen kleinen Tolch und droht, ſich zu erjteghei.)

Ellen. Nimm du mich auf denn, ew'ges Licht, Zur Hölle ward die Erden. (Es pocht dreimal au der Pforte rechts. Ellen. Ha, was war das?

Douglas. Es pocht am Thor.

Beifiger.

(Ein Reifiger aus dem Turm eilt an die Pforte und öffnet den Schieber. Ber jteht davor?

Schmied (von außen). Der Schmied von Öretna-Green! Es hat bejchieden ihn Mit diejem Ring der Lord.

Dahn, Eanitl. poetiſche Werke. Erſte Serie BD. VI. 4

642.

Beifiger (nimmt den Wing durch das Schiebfenfter in Enıpfang,.

Es ift dein Ring. (öffne) Herein, jofort!

(Neifiger fchlieft die Thür, giebt Douglas den Schlüffel, dann ab in den Turm.) Douglas. Den führt der Teufel an den Drt. Ellen (ihm entgegeneifend).

Mein Freund, mein Netter und mein Hort!

Dritte Scene. Schmied. Douglas. Ellen.

Schmied (teife zu Ellen). Lord Percy naht! Fakt Mut! (aut) Sch Fam, Herr, Euren Wünfchen folgeſam!

Douglas (geht ärgerlich auf und nieder).

Schmied (für fi). So wär’ ich glüdlich denn im Haus Doch wie bring’ die Lady ich Heraus?

(überall umheripähend) Hier frommen nicht Gewalt, noch Waffen: Er felber muß hinaus fie fchaffen. (laut)

Ihr jeid, ich weiß, der Bräutigam: Und dies ift wohl die frohe Braut?

Douglas (reißt den Vorhang von der Nifche: der Altar wird Und am Altar hier wird getraut. Sie ſträubt ſich: doch der Vater hat Als Vormund mir, an Vaters Statt, Die Wahl des Gatten überlaſſen Ich wähle mich: könnt Ihr das faſſen?

Schmied. Ich faſſe ganz der Rede Sinn, Ob ich ein plumper Schmied nur bin.

Douglas. Wohlan, ſo traut uns allſogleich. Sonſt dies iſt meiner Macht Bereich: Ihr wagtet thöricht Euch herein,

643

Könnt hier lang nach Euren Gefellen fchrein Sonft werf’ ih Euch in fo tiefen Ort: Nicht Mond noch Sonne beicheint Euch dort. Schmied (für id). Ein angenehmer Edelmann! Wart’ nur, du Fleiner Landtyrann! Lang’ trag’ ich Dir gerechten Groll Und heute machſt das Maß du voll. Hie Nittertroß, hie Lijt des Bauern: Mer mag den andern überdauern ? (laut) Bon Herzen gern bin ich bereit. Ellen (eiſe). Ihr? Der Ihr mein Beichüger jeid ? Douglas. So traut und am Altare dort. Schmied. Gern! Doch das hilft Euch nicht, Miylord. Douglas. Warum? Schmied. Sch darf nur trau’n, Mylord, Sn aller Welt an Einem Ort: Bor meinem Amboß in der Schmiede: So jteht’3 im Brief, jo heißt's im Liede: Null ist an jedem fonjt’gen Drt, Wie andrer Lai’n, mein Trauungswort. Douglas. Verfluchte Diftelei des Rechts! Schmied. So jteht’S im Brief, jo heißt's ım Liede. Douglas. Wohlan jo gehn wir in die Schmiede.

(Schmied und Ellen atmen auf. Douglas wendet fih zur Pforte rehts. Kriegerifhe Hörner aus dem Mlittelgrund. Percy und bemaffnete Schmiede gejellen und Bauern werden auf dem Höhenzug vor der Mauer fichtbar.)

Douglas. Hoch auf! Die Hörner des Gefechts! Alle drei. Hoch auf! Die Hörner des Gefechts! Douglas. Was jeh’ ich! Waffen rings umher! Reiſiger (atemlos aus dem Turm). Umlagert ift das Schloß, Mylord! 41*

644

Vom nahen Walde drang ein Heer Bon Bauern an in voller Wehr, Brei blieb nicht Eine Pforte mehr. Ein Herold naht.

Vierte Scene.

Borige Zofen Ellens angftvoll aus dem Turm: Vaſallen und Neifige dee Douglas desgleihen: Robin als Herold (Edelfnecht) verkleidet, mit großem Bart, verftellter tiefer Stimme.

Nobin (ven Heroldftab in die Seite ftemmend). Sch führ' das Wort

Für Talbot Percy, meinen Herrn, Der Helden Stolz, der Ritter Stern, Der alfo jpricht durch meinen Mund: „Weil zu verhaßten Ehebund Shr zwingt die edeljte der Damen, Zum Zweifampf rief ih Euch ins Feld, Ihr aber habt Euch nicht geitellt. So hab’ auf Lady Ellens Namen Das Landvolf rings ich aufgerufen: Das tapfre Volk der Grenzmarkhufen. Bu retten diejes Engelsbild, Nahm gern der Bauer Echwert und Schild.” Seht, wie die Flut der Stürmer floß Schon dräuend rings um Euer Schloß: Sch ende meine Rede Und fünde Kampf und Fehde.

Perey und die Seinen von draußen. Ja Fehde, Fehde, Fehde:

(Sie dringen raſch vor, die Waffen fchwingend, gegen das Schloß. Robin ab.)

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Schmied (dem abgehenden Robin nachſchauend). Ei, diejes Herold Angeficht Gemahnt mich .. . doch ... er it es nicht. Douglas. Neicht mir die Waffen, Helm und Schild (Kappen waffnen ihn.) Reiſiger (an der Burg). D Herr, die Flut der Feinde fchwillt Schon über Wall und Graben. (Dean jieht Sturmleitern an den Turm ftellen.) Douglas (wit fort). Raſch nun entgegen, dem Percy, dem Knaben! (plötzlich umfehrend) Doch, gewinnt er den Sieg und gewinnt den Platz, Nicht jol er gewinnen den Herzensſchatz. Coll Lady Ellen nicht haben! (befehlend zu beiden) In die Schmiede voraus! Schmied. Herr, umjftellt ift das Haug, Wir geraten dem Feind in die Hände. Douglas. Iſt dein Wis nun, du Wib’ger, zu Ende? (reißt die Verſenkung rechts vorn auf) Hier hinaus! Durch diefen finjtern Gang! Er führt den Wald entlang Und jchließt mit eijernem Gitter. Hier den Schlüjjel. (ihn aus dem Wams nehmend) Schmied (eifrig den Schlüfel nehmend). Berjtanden, Herr Ritter! Douglas. So findet der Sieger ein leeres Haus! Du führjt in die Schmiede die Braut voraus, Ich folge, wann nimmer ich wehren kann Der Übermacht der Bauern, Sch eile dann

646

Durch diefen Gang

Den Wald entlang.

Du läßt den Schlüffel im Gitter... | Schmied. Berjtanden, verjtanden, Herr Ritter Douglas. Und du trauft uns raſch in der Schmiede.

Das darfjt du nad) Brief ja und Liebe.

Schmied. a, das darf ich nad) Brief und nach Liede.

Ellen (ei). Was willft du, mein Netter, beginnen ?

Schmied. Bor allem mit Euch ihm entrinnen.

Ellen. Jedoch der Schlüffel: was planeft du?

Schmied (eiſe)y. Ein Schlüffel, Mylady, jchließt auf und zul

Und feid Ihr erſt glüdlich Heraus —:

Zu jchließ’ ich den Gang und dag Haus.

(Mit Ellen und einer Zofe, welche dieje herbeiwinkt, ab.)

Douglas. Nun raſch, mein Schwert, zum Kampf heraus. Kun wahrt der Edelmann fein Haus.

Chor der Reiſigen (wiederholt).

Percy. Voran, du freie Bauernſchar, Nun brich dem Recht die Wege klar.

Chor der Bauern (iederholt).

Douglas. Gejenft den Speer und das Bilier Und hoch der Douglas jtolz Panier!

Chor der Reiſigen (wieberholt).

Percy. Auf, vorwärts! Brecht des Zwingherrn Baul

Und frei die engeljchöne Frau!

Chor der Bauern (wiederholt). (Während beide auf dem Wall handgemein werben, fällt dev Vorhang.)

047

III. Aufzug.

Die Schmiede

Erite Scene. Anna. Sleich darauf Mary und Robin aus der Mitte.

Anna (aus der Mittelthür jpähend: man hört von fern die Hörner dei Kampfes).

Noch tobt der Kampf die Hörner hallen fern D Himmel gieb den Sieg dem Recht!

(Mari führt Robin herein, der den linken Arm in der Binde trägt.) Was bringit du, Kind, für einen fchmuden Herrn? Ei, iſt's ein Ritter, iſt's ein Edelfnecht ?

Mary. Berwundet fand ich in dem Walde Hier diefen jungen, hübſchen Herrn. Mobin (nimmt Helm und falſchen Bart ab). Ei, Mary, ſchau, wie bald, wie balde Vergißt du Robin, wenn er fern Beide Frauen. Wie haft du dich jo fremd gemacht! Hobin. Der Meijter auch in Ddiefer Tracht Erfannte mich mitnichten. Ein Plan, den ic) mir ausgedacht, Den woll’n wir drauf errichten: Mein Herr, Lord Percy, Hilft dazu, Nun, Muhme Anna, Hilf auch du: Der Lord Friegt fie, die Lady ihn, So Hoff’ ich, jebt geſchwinde:

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Ei nun, der Schmied von Gretna-Öreen Er helf' auch jeinem Kinde. (Duett oder Terzett wiederholt die legten vier Zeilen: Robin und Mary ab ins Haus.)

Zweite Scene,

Anna allein.

Anna. Sa! Dod, auf daß der Schmied muß Helfen, Täuſcht ihr ihn, Kobolde und Elfen, Der lieben Hold’hen güt'ge Schar. Wenn je ich euch ergeben war, Wenn je ih Milch und Brot, wie heute,

(fie thut eg) Euch frommen Sinn's am Herd verjtreute, Wenn je ich euch mit Salz gelebt, (ftreut Salz auf den Herd)

So hört und kommt und helft uns jeßt. Herbei, herbei, Zum ledern Brei! (fie jhüttet Brei aus der Schüffel in Leine Näpfchen und fest fie auf den Gerd;

Herbei aus dem Verſteck,

Aus Keller, Speicher, Kücheneck! Kommt, ihr Zierlichen, ihr Kleinen, Kommt, ihr Klugen, linken, Teinen, Hervor, hervor,

Du wimmelnder Chor,

Herab, empor!

Mit gold'nen Sterufein auf den Köpfchen, Lichtelben, liebliche Gejchöpfchen, Ihr, ſilbern und golden,

Ihr reizenden Holden,

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Und ihr Schwarzen und braunen Erdgeiiter, Alvaunen,

Nachtelben mit der roten Rapp”, Trepp auf, Trepp ab!

Huſch, huſch, klipp, app!

In bunter Reih,

Herbei, herbei!

Dem Hausherrn Aug' und Ohr verwirrt, Daß er, zum eig'nen Heil, ſich irrt. Lichtelben leicht,

Nachtelben ſchwer,

Nun hört und ſchaffet mein Begehr! Hieher, hieher!

Zu Hauf'! Zu Hauf'!

Herbeil Herab! Empor! Herauf!

(Ab ing Haus mit dem Licht.

Dritte Scene.

Dunkel auf der Bühne. Elbenmufif: fie harakteriftert das leichte Herabſchweben der Fichtelben von oben, das plumpe Emporklimmen der Nadıtelben von unten. Endlich erfcheinen beide: jene von oben herabichwebend, dieſe aus den Verfenfungen und aus altem Getäfel und Geräten der Schmiede: jene ald Blumen, Käfer, Schmetterlinge, in phantaftifcher Kopfbededung und Zradjt: jene einen Goldjtern auf dem Haupt (Kinder und ganz junge Mädchen), diefe in braunen und ſchwarzen Kutten mit roten Mütschen. langen Bärten. Großes Ballet. Erft verzehren fie eifrig die qeipendeten Speifen. Dann fegen und kehren fie die Stube, fpinnen an beiden Rädern, fchmieden, euer mahend, Waffen fertig, hantieren mit allem andern Gerät, öffnen den Wandſchrank, Lefen die Urkunde bei zuvor angezündetem Licht, legen fie Topfichüttelnd, dem Schmiede neckiſch drohend, wieder hinein, tanzen im Ningelreihen, drüden pantomimiſch aus, daß fie dem Schmied Aug’ und Ohr verblenden wollen, tanzen immer wilder, bis des Schmiedes Fadel und Stimme fie verfheudt und fie urplötzlich ver. ſchwinden.

650

Bierte Scene. Schmied. Gleich darauf Ellen und Perch (alle aus dev Mitte).

Schmied (von fern rufend, er trägt eine Faden). Hieher! Nun find wir gleich zu Haus! Hola, macht Licht, macht Licht! Hört ihr denn nicht? (Robin als Schmiedegejell, Anna und Mary mit Licht an der Thür rechte.) Schmied (tritt jet ein, Hinter ihm bie Zofe im Mantel und Schleier). Nob, fieh’ im Wald nach den Feinden aus!

(Percy und Elfen auf weißem Roß langſam am Fenfter vorbeireitend: er Hält fie vor ſich im Sattel: ſchönes Bild)

Zwar hemmt den Lord der verjperrte Gang, Doch jchwerlich ang! Bald folgt der Zürnende Hinterdrein,

(Robin ab durd) die Mitte; auf das eintretende Baar zeigend) Die beiden find wohl gern allein. (Mit der Zofe, Anna und Mary ab in? Haus.)

Fünfte Scene. Ellen. Berch.

Ellen. Hab’ ich dich wieder, teures Leben ? Nun trennt mich nur der Tod von dir!

Percy. Wie fühl ich bang dein Herz erbeben, D fürchte nichts: du bift bei mir.

Ellen. Wie haft du meine Spur gefunden ?

Percy. Ich drang ins Thor durch Blut und Wunden. Doch fruchtlos im erftürmten Schloß

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Durchſucht' ich Turm und Erdgeſchoß: Nicht fand ich dich und nicht den Lord: Da jprengte ich nach dem Walde fort, Dich mit dem Meifter fand ich dort.

Duett. Percy. Ellen. Nun jolljt du rajch mein eigen werden, Der Huge Meifter ſoll uns trau’n Und nirgend ift im Rund der Erden, Ein wonnefel’ger Paar zu ſchaun. Sn taufend Schmerzen du errungen, Du abgefämpft der ganzen Welt: Für ewig Halt ich dich umſchlungen, Der Liebe Gott hat uns gejellt. Ein Baar, das nie im Sturm getrieben, Kennt nicht des Landens Seligkeit: ga, nur ein fampferprobtes Lieben Weiß fih auf immerdar gefeit.

Sechſte Scene.

Borige Schmied, Anna, Mary, Zofe, lettere Krug und Becher tragend von rechts. Percy (teife zu Ellen). Jetzt Hilf, daß ich den Freund berücke, Zu feinem eignen Glüde: Denn beſſern Gatten für Marie Als meinen Robin trifft er nie. (Slüftert mit Ellen, dann dieje mit Anna, Mary und der Zofe.) Percy (au). Biel teurer Meijter, habet Danf! Raſch nun vor Eurer Schmiedebanf, Sn Eurer Ejje heißen Flammen, Fürs Leben ſchmiedet uns zufammen.

652 Und nicht nur ung: ein zweites Paar, Das Eures Schuges wahrlich wert: Mein Knappe Rolf, ein tapfres Schwert, Und Ellens Zofe (viefe wird vorgeſtelld, Die Gefahr Und Flucht mit ihr getreu geteilt. Schmied (zögern). Muß das getraut fein unverweilt? Percy. Ellen. Es muß: ein harter Bater droht: Merkt der den Plan, dann Weh’ und Not. Schmied. Was hat der Mann denn einzuwenden ? Percy. Nichts! Nur der Haß fol niemals enden, Der die Gejchlechter trennt. Schmied. Beim heißen Element! Deshalb will er fie jcheiden ? Nun, teöjtet nur die beiden! Darum ward ja fein Recht verliehn Dem Meifter Schmied zu Gretna-Öreen, Daß gegen ſolch vertroßt Gebahren Er echte Liebe möge wahren: Denn alfo faſſ' ich auf mein Amt, Das Faliches Borurteil verdammt Und echte Liebe froh und frei Durch mich zum Sieg geleitet fei. Alle. Denn aljo faßt er auf fein Amt, Das faliches Vorurteil verdammt Und echte Liebe froh und frei Durch ihn zum Gieg geleitet fei. Schmied. So jchreitet, jchmerzerprobtes Baar, Zur Schmiede denn, jtatt zum Altar! (Seht in die hintere Halle, beginnt zu ſchmieden.) Auna (Hat indeifen ihren altmodifchen Brautfchleier mit Goldfrone, weils her die ganze Gejtalt verhilft, herbeigeholt). Jedoch: Fein Bräutchen ohne Schleier! Darf ich zu diefer hohen Feier

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Den Schleier, den ich jelbjt getragen, Euch anzubieten wagen ? Ellen nimmt dankend den Schleier, der fie ganz verbirgt. Schmied (ihmiedet auf dem vordern Amboß einen eifernen Ring, nach- dem er auf dem hinteren ihn vorbereitet, während der Hammerfchläge fingt er): Kraft meines Rechts, in hohem Amt, Weil Amboß loht und Efje flammt, Bei Feuersglut, bei Hammerſchlag, Für ewig und noch Einen Tag —: So geb ich euch zuſammen: Kein Prieſter darf's verdanmen! (su Perch) Du jollit fie lieben, ehren, jchüben, (zu Elfen) Du ſollſt ihn Lieben, ehren, fügen, (zu ‘Berch) Du ſollſt ihr Meiſter fein, (zu Ellen) Du feine Zierde fein: Du ſollſt ihm dienen, Er dic wahren, Und fo für Freuden und Gefahren Und jo für Weinen und für Scherzen Und jo für Wonnen und für Schmerzen (mit legtem Hammerſchlag ihre Hände zufammenlegend) Vermähl' ich euch mit Seel? und Leib Und nenn’ euch beide Mann und Weib!

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Siebente Scene.

Borige Robin als Edelknecht vom Walde her: ebendaher hört man des Douglas Horn.

Bobin (hereinftürmend, das Viſier geſenkt, den linken Arm verbunden, das Schwert in der echten mit verftellter, tieferer Stimme). Zum Kampf, o Herr! Zum Schwerterfhwang! Nun zeigt, daß Ihr ein Ritter! Der Douglas durch geheimen Gang Und durch geiprengtes Gitter Naht grimmig mit der Knappen Troß, Fern Eure Bauern noch im Schloß! Sc focht allein, jie aufzuhalten, Sch kann nicht mehr: wund ift mein Arm. Schon jtehn fie an des Dorfes Zaun! Percy. Ellen. Anne. Mary. D Lieber Meifter, habt Erbarm! Raſch, Lieber Meifter, fie zu traun! Anna. Mary. Robin. Nun Helft, ihr elbiſchen Gewalten! (Man hört die Mufit der Elben.) Schmied. Das iſt der Knapp? Und dies die Maid!

(Die Zofe hat einftweilen Marys Mantel und Kappe, Mary den Brautfchleier angelegt. Robin und Mary vor dem Amboß.)

(Hörner näher.) Schmied. Bei Gott! Ganz nah! Da drängt die Zeit! (Hammerfchläge auf den Amboß) Kraft meines Rechts in hohem Amt, Wo Amboß ſprüht und Eſſe flammt, Vermähl' ich euch an Seel' und Leib —: Und nenn' euch beide Mann und Weib.

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(Hörner ganz nah vor der Thür)

Sp, Hammer! Mußteft erft du trau'n, Jetzt ſollſt du wieder Eiſen hau’n.

Achte Scene. Vorige. Donglas und Reiſige werden in der aufgeriſſenen Thür fihtbar.

Douglas. DBerräter! Hab’ ich euch gefunden ? Gebt fie heraus, die ihr geraubt!

Schmied. Percy. Robin. Auf immerdar jind jie (wir) verbunden, Berhaßter, wahre nun dein Haupt.

(Sefeht: Douglas und die Reifigen werden hinausgedrängt und verfolgt: man hört das Schhwertergefiirr.)

Neunte Scene, Die Frauen.

Ellen. Mary. D weh, wenn fie erliegen. Anna (begeiftert). Gewiß, fie werden fiegen!

Denn wißt: mein Bruder ijt entjtammt

Bon fieghaft hohen Ahnen,

Der rote Bart, der ihn umflammt,

Soll euch an Donar mahnen:

Wieland der Echmied, der Götterfohn,

War unſ'rer Sippe Vater:

MWodan, für unj’rer Treue Lohn,

Uns Schüter und Berater.

Der Hammer, den mein Bruder fchwingt,

Sleicht Donars Wunderhammer,

Der jcehmetternd bald durch Helme dringt,

656

Bald bräntlich weiht die Kammer.

Und klirrt das Schwert und ruft das Horn, Dann faßt ihn Donars Götterzorn.

Hört ihr des Sieges Zubelton?

Ja, Donar half dem Enkelſohn!

Zehnte Scene. Borige. Die drei Männer zurüd.

Die drei Männer. Die Feinde find befiegt, entflohn! Ellen. Der grimme Douglas? Schmied. Bis der wieder Von ſeinen Wunden mag erſtehn, Bis dahin ſingt Ihr Wiegenlieder, Mylady Percy, Eurem Sohn. Ellen. Wird er den Ehbund nicht beſtreiten? Schmied. Nein, das kann nimmermehr geſchehn! Mein Brief! Mylady, höret ihn.

(holt ihn aus dem Wandſchrank und lieſt)

„Und gültig bleibt für alle Zeiten Ein Ehebund von Gretna-Green.“ Percy. Jedoch als Vormund ? Schmied. Ohne Sorgen! Vorm Vater ſelbſt wär't Ihr geborgen. Mary. UNobin (Inieend, er wirft den Helm und Bart ab). So wolle denn, du großes Herz, Berzeih’n auch unfrer Liebe Lift: Bergieb den Ernſt, vergieb den Scherz, Der treuer Liebe Hort du bift. Du jelbft vereinteft unfre Hände: So laß ung denn beifammen and).

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Schmied. Wie? Was? Hier hat der Spaß ein Ende! Alle. Ih wühte nicht, wie man das wende. Schmied. Doch Baterwort ... nah Recht und Brauch Alle (feterlich komiſch auf ihn eindringend, twiederhofen). „Den Bund gefügt zu Gretna-Öreen, Kein Einſpruch joll mehr löfen ihn Bon Vormund oder Brautberater, Ka jelbjt nicht von dem eignen Bater.“ Schmied. Sch ſchloß den Bund ich löſ' ihn wieder! Ellen. Davon jteht nichts in Euren Brief. Percy. Gevatter Schmied, das feht Ihr Ichief. Anna. Nur dag Shr traut, iſt Euch vergönnt. Mary und Robin. Nichts ſteht hier, daß Ihr ſcheiden könnt. Schmied (gutmütig ſchalthaft; ihre Hände zuſammenlegend). Sei's drum! Doch das verkünd' ich hier: (zu beiden Paaren) Flieh'n eure Kinder einjt zu mir, Sch trau’ fie gegen euren Willen Und lache Herzlich drob im jtillen. Percy. Robin. Sei’! Jene Ehe will ich Toben, Nicht der die meijten zugejtimmt ... Ellen. Mary. Anna. Nein, deren Altar nie verglimmt, Die immer jelig flammt nach oben. (Nachbarn und Nahbarinnen kommen von links vorn mit Blumen und Aränzen, dem Schmied zum Jahrestag Glüd zu mwünfcen.) Anna. Wie konnten jchöner wir begehen Die Feier dieſes Jahrestags? Sieh hier beglüdt die Paare jtehen Im Cegen deines Hammerſchlags! Dabn, Sämtl. poetifche Werke. Erfie Serie Pd. VI. 42

658

Finale: Alle. Ja Liebe baut das Glück aus Schmerzen, Sie hat auch dieſes Glück verlieh: Drum Heil dem echten Bund der Herzen, Und Heil dem Schmied von Gretna-Green.

(Vorhang fällt.)

Hatbalo

Operndichtung in einem Aufzug

Muſik von Reinhold Berker ih im Verlag von J. Schnberth & Wo. (Felie Ziegel) in Leipzig erſchienen

Perſonen.

Frau Wiarda, Schifferswitwe. Ratbold \.

ihre Söhne.

Atta, Uwes Braut.

Der Strandwart.

Schiffer und Schifferinnen; Strandbevölkerung.

Ort der Handlung: Frieſiſche Nordſeeküſte. Zeit: Gegenwart.

Die Bühne ftellt die Nordſeeküſte dar: Rechts (links und rechts ſtets von der Bühne aus) erblidt man einen Streifen des Meeres; von der Mitte gegen links hin zieht fi) eine hohe ſchmale Düne, nad) rechts abfallend und den Blid auf das offene Meer freilaffend. Rechts in der zweiten Vorderconliffe die Hütte Wiardas, davor Tiſch und Bank: rechts im Hintergrund liegen mehrere ange lettete Boote.

Erfter Auftritt.

Frau Wiarda und Atta fiten fpinnend und Nete flidend auf der Banf. Auf

der Düne fieht man Frauen, Mädchen, Kinder und einige Männer, die in

großer Erregung nach dem offenen Meer Hinausbliden von wo ein größeres bemanntes Schiff einfährt.

Volk. Sie nah'n! Sie jind’E! Sie nah'n! Heil!

(Das Schiff fährt nad) links vorüber, vom Volke jubelnd begrüßt und landet links hinter der Scene. Das Volk eilt den Ankommenden Hinter die Scene entgegen und kommt mit ihnen auf die Bühne zurück.)

Chor der zurücgekehrten Seeleute. Seemannslos Iſt ſchön und groß, Dräu'n auch rings Gefahren: Segel gerafft, Voll ſtolzer Kraft In den Sturm gefahren!

Hoioho!

Täglich droht

Der feuchte Tod,

Seemann, nicht verzage.

Wunder thut

Der frohe Mut:

Hoffe, ringe, wage! Hoioho!

664

Frauenchor. Wieder auf der Heimat Erde, Wieder in dem Vaterhaus, Ruhet nun am trauten Herde, Ruhet Leib und Seele aus! Allgemeiner Chor. Schönes viel iſt euch (uns) beſchieden Auf dem blauen Ocean, Doch mit wahrem Seelenfrieden Kann nur die Heimat euch (uns) umfah'n. Hpioho! (Alle ab aufer Wiarda und Atta.)

Zweiter Anftritt. PWiarda und Atta.

Wiarda. Nach ſchwerer Fahrt Fehren fie zurück, Zur Heimat, zu des Herdes Glück. O finge mir das alte Lied, Mit dem mein Liebling von ung jchied, Das Lied, das ſtets mein Herz bewegt Und tiefes Sehnen ihm erregt. Atta. Ja, Mutter!

(Saß bisher zu den Füßen dev Mutter, erhebt ſich nun.)

volkslied. O, wann kehrſt du zurück, Mein treuer Johnie? O, wann kehrſt du zurück? „Wann das Korn iſt eingebracht Ind verwelkt der Blätter Pracht, Dann fehr’ ich zurück,

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Mein jüßes Liebchen, Dann kehr' ich zurück.“

Dann bläjt der Falte Nord, Mein treuer Johnie, Dann bläjt der falte Nord. „Rajt audh Sturm um meinen Weg, Und verfinjtert Pfad und Steg, Komm’ ich doch zu Dir, Mein jüßes Liebchen, Komm’ ich doch zu dir!“ Wiarda. „Komm? ich doch zu dir!“ (Erhebt jid) nun.) Weh mir! Nun wieder naht die Zeit, In der mich traf mein jchweres Xeid, Der Herbjtesjtürme jchwarze Tage. O Gott, o Gott, ich klage, Klage! Um dieſe Zeit iſt es geſcheh'n: Mit eig'nen Augen mußt' ich ſeh'n Den Gatten, ach! verſinken, Dem Ufer nah ertrinken. Das war vor vielen Jahren, Ich ging in braunen Haaren. Und jegt bald wird's der Jahre vier! Seitdem er ijt verjchwunden mir, Der Liebling meinem Herzen, Mein Uwe, mein geliebter Sohn! Atta. O Mutter, deines Jammers Ton, Wie jchärft er meine Schmerzen! Hier war's, dort ijt die Stelle, Da jprang mein Trautgejelle Mit legtem Gruße in fein Boot. Sit er verjchollen, untreu, tot?

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Beide Untreu! Ich kann's nicht glauben! 2 Untreu! Du ſollſt's nicht glauben!

Wiarda. Sa, du biſt gut und brav und treu. Wohl drängen täglich dich aufs neu’ Die ungeftümen Freier . . .

Atta. Doch nie den bräutlichen Schleier Hill ich um diefes Haupt, Bleibt der Geliebte mir geraubt. Sehnſucht um ihn verzehrt mein Leben, Yuf ewig fein! Nur ihm ergeben!

Wiarda. Bon jedem Schiff nun feit vier Jahren, Das an die Küste kommt gefahren, Erfrag' ich ängſtlich, gramverſtört, Ob man denn nichts von ihm gehört, Nichts von dem Kutter, der „Hoffnung“ hieß, Der froh einſt hier vom Strande ſtieß Und, ach, für immer uns verließ.

(Ab ins Haus.)

Dritter Auftritt. Atta allein.

Atta. Wie weilet, ach, fo fern der Liebſte mein, Fern von der Heimat trautem Herd, Sch aber bin verlafjen und allein, Ob er mir niemals wiederfehrt? Da oben ziehen weiße Wolfen auf: Ihr Leichtbejchwingten, fernen ihr, Erſchaut ihr ihn auf euerm Himmelslauf, O grüßet ihn viel taufendmal von mir!

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Bierter Auftritt. Atta. Ratbold.

Natbold (von rechts; Atta ſchrickt zufammen). Sieh’, Atta treff' ich dich einmal hier ? Berweile: nicht entfliehe mir. (für fi) Auf neu um ihn in Thränen, Um ihn in ftetem Sehnen. (laut) Du ahnſt nicht, welche Gluten Mein armes Herz durdhfluten. Atta. Sch glaub’3: auch dir war der PVerfcholl’ne teuer. Batbold. Nein, Atta, nein! Brich aus denn, glühend Feuer, Bernimm denn endlich, was mich quält, Was mi mit Luft und Bein bejeelt AU diefe Fahre her: nicht länger trag’ ich's mehr. Atte. Weh’ mir was werd’ ich hören ? Katbold (nähert ſich ihr). Ich liebe dich mag's dic) empören Mein ſollſt du fein und mir gehören! Bergiß den Toten: ihn dedt das Meer, Mich foltert nach dir glühend Begehr! Atta Guricweihend). Zurüf von mir! Ah, nimmermehr! Batbold. Mein jolljt du werden, du ſüßes Weib, Mein deine Seele und mein dein Leib. Erglühen ſollſt du an dieſer Bruft Sn heißer Liebe höchſter Luft! Atta (fraftvon). Was willit du, unglückſel'ger Mann, Dem nie ich angehören fann!

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Kehrt Ume nimmer mir zurüd, So iſt dahin mein Erdenglüd! (Mit großem Ausdrud.) Shm, dem mein Leben ich gemeiht, Treu bleib’ ich ihm in Ewigfeit. Natbold. Mag ich auf ewig denn verloren fein, (dringt auf fie ein) Mein mußt du werden, Utta, mein! Sch faſſe dich, ich laſſe dich nicht! Atta (ihn zurüditoßend). Hinweg aus meinem Angeficht! [ Batbold. D bitt’re Qualen diefer Stunde, Sm Herzen brennt die heiße Wunde, Ad, niemal3 wird fie mir vergeben: Zerſtört find Hoffen mir und Leben. Atte. O bitt’re Qualen diejer Stunde, Welch’ frevles Wort aus feinem Munde! Ach, niemals kann ich ihm vergeben, Des Treugeliebten ift mein Leben.

(Atta ab ins Haus.)

Fünfter Auftritt, Ratbold allein.

Yatbold. Verihmäht, für immer verſchmäht! Um eines Schatten, eines Toten willen Berblutet mir da3 Herz im Stillen.

Bon allen Qualen, die da brennen,

Iſt dies die tödlichjte zu nennen:

Ach, Eiferfuht um der Mutter Huld, | Ach, Eiferfuht um der Liebſten Seele! 4 Sit denn Groll auf den Bruder fo fchwere Schuld ? Iſt's ein Verbrechen, das ich hehle?

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Iſt's Unrecht, daß vom fichern Drt Den Shwaden ich vor Jahren Gedrängt, hinauszufahren

Auf dieſe Neife, gefahrenjchwer,

Wo ungewiß die Wiederfehr ?

Er folgte vertrauend meinem Wort. Sn harter Arbeit und Gefahr

Befämpf’ ich nun fchon manches Jahr Mein tiefes Weh.

Konım, wilde See,

Komm, wie jo oft mit mir zu ringen, Im Kampf mit dir will ich den Schmerz bezwingen Bis einjt die Wogen mich verfchlingen.

(Ab nach rechts in die dritte Couliſſe.)

(Während der vorigen Scene find am Himmel dunkle Wolfen aufgezogen, bie fi) immer mehr zu einem heftigen Gewitter geftalten.)

Schiter Auftritt.

Der Strandwart von rechts Hinten aus der vierten Couliſſe mit Horn, Stange und Seil fommt eilig auf die Düne gelaufen, hält Umſchau und ſtößt in fein Horn.

Strandwart. Der Strandmwart hält viel ſchwere Wacht Um Felsgeflipp bei Tag und Nacht, Bei Winterfchnee, bei Sonnenglut, Bei Deihhrud, bei Orkanes Wut.

Hat er die Hut.

(Einzelne Dorfbewohner eilen vorüber.)

Er jpähet durch der Brandung Graus Nah Notgefahr der Menichen aus. Sein Leben wagt er allezeit: Auch jest, ihr Nachbarn, ſeid bereit!

670

Sturm giebt’3 vor Nacht, (Kommt die Düne herab nah dem PVordergrunde zu.)

Sturmmöwe lacht, Seeadler Freifchend flog zu Land, Schon jtäubt und weht der Düne Sand Und fern im Norden fommen die Wogen, Die ſchäumenden, ftürzenden, angezogen.

Nachbarn, habt act,

Sturm naht mit Madt,

Haltet bereit Segel und Boot,

Zu retten aus Not

Und dräuendem Tod.

(Ab nad) Links, zweite Couliſſe.)

(Auf der See bricht ein Heftiges Gewitter aus; Blit und Donner. Die Bühne

bleibt eine Zeitlang leer, dann kommen allmählich von beiden Seiten zuerft

einzeln, dann immer mehr Männer und Weiber gelaufen und eilen in leidenfchaft« licher Erregung auf die Dune.)

Siebenter Auftritt. Bolt, fpäter Strandwart und Ratbolp.

Einzelne Stimmen. 1. D feht, wie furchtbar ſchwillt das Meer ! 2. Ha, Waſſerberge wälzt es her! 3. Es heult der Sturm. 4. Rings wird ed Nacht. 5. Der Donner kradıit. 6. Hei, Blitz auf Blitz herniederichlägt! 7. Wie der Wind den Schaum von den Wellen fegt! 8. Es tobt der wüt’ge Nord! 9. Ha, was hebt und jenft ſich dort? Strandwart (von links vorn, wo er abgegangen, auf die Düne eilenh,

sormrup. Ein Schiff in Not! Ein Schiff!

671

Dort Hebt es an dem Mömenriff!

O weh, das ijt die Unglüdsitelle,

Dort jhäumt der Brandung höcdhjite Welle. Schon jpült die Woge, ah Todesihred! Die lebten Männer von dem Ded!

Da einer! Einzelne Stimmen. 1. Zwei! 2. Drei! 3. Und vier! 4. O, es vergeh’'n die Sinne mir!

[>

Der legte Mann von den fieben! Wo ijt er geblieben ? (Beim Schein der Blitze erfennt man auf hoher See ein geſcheitertes Schiff.) Strandwart. Er hat von dem Ded nach oben Sih am Maft binaufgehoben. Da in dem fchwanfen Maſtkorb, feht, Da hängt er hilflos! Schaut, er fleht, Hierher gewandt Zum rettenden Strand! Er kann in der Blitze Schein uns ſeh'n, Ad, gleich ift es um ihn gejcheh’n! Nie hab’ ich ſolchen Sturm erlebt. Chor. Die ganze Küjte bebt. er fih hinaus wollt’ wagen, Gleich wär’ jein Boot zerjchlagen! Batbald (kommt von der Düne nad; vorn. Für fi). Kein Hoffen bleibt mir mehr offen. Sp will ich denn werben um tapf’'res Sterben, Nimm mich auf, brauſend Berderben! (Geht zu feinem Boot und macht ſich daran zu ſchaffen.) Strandwart Gu Ratbot). Was ſeh' ih? Welch Beginnen, Was ichaffit du da am deinem Boot?

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Chor. Du fährjt in den fichern Tod! Laß ab, laß ab, du biſt verloren, Laßt ihn nicht fort, den fühnen Thoren! (Sie halten ihn auf, er macht fi frei. Einige rauen eilen ind Haus zu Wiarda.) Natbold (u innen). Mich erbarmt der Mann, der im Mait- forb hängt: Nach großer That meine Seele drängt. Sch rett' ihn oder teile jein Los. Chor. Lab ab, horch der Brandıng Getos! Batbod. Ich fürchte jie nicht, Sch thu' Seemannspflict. O Gott im Himmel, hör's, Sch rett' ihn oder fterbe! Sch ſchwör's!

Achter Auftritt.

Borige Wiarda. Atta.

Wiarda (aus dem Haufe eilend). Mein Sohn, mein Sohn! Butbold. D weh’ mir! Welch’ ein Ton! Wiarda. Um Gott, um Gott!

Mein Sohn, mein Sohn! Atta. O Natbold, bleib’! Was willjt du thun! Vatbold. Auch fie? D Herz, beharre nun! Wiarda. Mein Sohn, du willjt dein Boot entfetten? Batbold. Den Mann im Maſtkorb dort zu retten! Wiarda. Zu Gott dem Netter jollft du fleh'n! Atta. Doch in den fichern Tod nicht geh’n! Wiarda. O Ratbold, du mein leßter Sohn! Butbold. O herzzerreißend diefer Ton! Wiarda. Den Gatten raubte mir die See

Und ah! Mein allertiefites Weh!

Mein Liebling Uwe, mein Herzenskind . . .

673

Batbold (zrollend). Mir warſt du nie wie ihm gejinnt! Bon allen ward er mir vorgezogen. Wiarda. Seit ihn entführten die tückiſchen Wogen, Hab’ id) mein alles, mein alles verloren. Batbold. Laß mich, Mutter, ich hab's geſchworen! Wiarda (Grohend). Und willſt du der Mutter Bitte nicht hören, Muß ich dich Trogigen ſchärfer bejchtwören! Bleibe! Du bleibft! Hinweg von dem Boot, Höre der Mutter Befehl und Gebot! Du folgjt mir nit? So iſt's mein Tod! (Sinkt ohnmädtig in die Arme Attas.) Batbold (im Abſtoben). Halt’ ein, Mutter! Sch will, ih muß ihn retten! (Sährt rechts in die nun noch höher fleigende See hinaus. Blig und Donzer.) Atta (dei Wiarda Inteend). Sie wankt, fie ftirbt!

Neunter Auftritt,

Vorige ohne Ratbold. (Wührend des Gebetes läßt das Gewitter nad) und beruhigt fid, die See.)

Strandwart. Nun finfet alle auf die Kniee, Inbrünſtig fleht und Heiß wie nie: Sleht für den todesfühnen Mann, D Gott, wir rufen laut dih an: Chor. O hab’ Erbarmen Mit diefen Armen, O ſchau von deinem Himmelsthron, Schau auf die Mutter, auf den Sohn! Erbarmen Mit den Armen!

Mad und nad zerteilen fi die Wollen, es Hellt fid) wieder auf und bei dem Wiedererfennen zwischen Diutter und Sohn bricht die Sonne durd).)

Zahn, Samtl. pottiſche Werte. Erſte Serie Bd. Vi. 43

674

Erftes Mädchen. Was ift das? Ha, was ſeh' ich dort? Dweites Mädchen. ES fegt der Wind die Wolfen jort. Strandwart. Sch ſeh' es klar, o welches Glück, Das Boot des Kühnen fehrt zurüd. Erfter Mann. Er rettete jein Leben. Dweiter Mann. Er hat’3 wohl aufgegeben. Erftes Mädchen. Der and're war ja doch verloren. Atta. Das glaub’ ich nicht, er hat’3 gejchworen. Strandwart. Ha jeht, jchon fährt fein Boot an Land, Schon jpringt der Wack're auf den Sand. Seht, was er auf dem Arme trägt, Seht, was er warm am Herzen hegt. Bei Gott! Es ift der gerettete Mann! Schon jteigt er mit ihm die Düne Hinan. Atta. D Mutter, wach’ auf! Dein Ratbold lebt! Doch wer ift’s, den er ſanft vom Arme hebt? Wiarda. Er lebt? So ſei ihm die Schuld verzieh'n!

Zehnter Auftritt. Vorige. Ratbold und Uwe von rechts

Ratbold (ven auf dem Arm getragenen und noch halb ohnmächtigen Ume nieberfegenb). Ja, die Schuld ſei mir verzieh'n! Denn Gott hat mir Kraft verlieh'n! Weißt du, Mutter, wer im Maftkorb fchwebte? Wer in den Schauern de3 Todes bebte? Dein Uwe war’3! Da nimm ihn Hin!

(Ume fhlägt die Augen auf und ftürzt in die Arme feiner Mutter.) (Ausbrud allgemeiner Freude und Überrafhung.)

Uwe. Mutter! Atta!

Wiarda. Mein Ume! Mein Liebling, mir jchwanft der Sinn!

675

Atta. Mein Geliebter! Welch’ unfagbar. Glüd! Uwe (Atta umarmend) Hab’ ich Dich wieder o Seligfeit, Vergeſſen ift nun alles Leid! (Ratbold blidt finfter auf die beiden.) Chor. Ein Wunder führet ihn zurüd Zur Heimat, zu der Liebe Glüd. Wiarda. Lebend kehrſt du ung zurüd! D laß, laß mid mit Halten Dein geliebtes Haupt betajten. Wo bift du gewejen all die Zeit? Uwe D Mutter, fern von dir, gar weit‘ Sch zog hinaus, wie der Bruder geraten, In die Ferne zu fühnen, gefahrvollen Thaten, In wilder Jagd das Gold zu erraffen, Uns, Uta, ein trautes Heim zu jchaffen. Wie bitter jollt’ ich's bereuen, Was Hab’ ich erduldet, ihr Treuen! Nach schwerem Schiffbruch im Kampfe gefangen, Gepeinigt von Sehnjucht in liebendem Bangen ... Vatbold (für ih). Durch meine Schuld! Uwe Ward ih in harten Sflavenbanden Geichleppt nach) fernen, entlegenen Landen. Endlich befreit nad) manchem Jahr Durd eine deutſche Heldenjchar. Freudig ging es zur Heimat traut, Zu dir, o Mutter, zu dir, meine Braut! Da, an Frieslands Küſte, vom Sturm übermannt, Wieder am Feljenriff aufgerannt, Alles verloren, Mann für Mann, Um Maſt Hoch oben Hammr’ ih mid an, Mutter! Mutter, verloren! Da naht, von jtarfer Hand geführt, Ein Boot, ein Boot! 43*

676

Bon Majt gleit’ ich hinab, Die Sinne ſchwinden, daft mi der Tod? Seh’ ich dich wieder, Mutter, Schau’ ich dich, Braut!

Wiarda. Borüber find die Leidenstage, Mein Arm umjchließt dich, teurer Sohn! Sn Freude wandelt fich die Klage,

Gott ſchenkte uns der Treue Lohn.

Atta. Mein Flopfend Herz dir alles jage, Mas du im Aug’ mir Lafeit fchon.

Auf ewig dein, vorbei die Klage! Gott ſchenkte uns der Treue Lohn.

Ume. Für alles Leid und alle Plage Sit deine Liebe reichjter Lohn!

Dir Bruder, heißen Dank ich fage, Daß ich dem feuchten Grab entjloh'n.

Batbold. Die Dual, die in der Bruft ich trage, Spricht ihrer Freude bittern Hohn;

Nicht ſchweigt fie, eh’ ich alles fage Und eh’ der Heimat ich entjloh’n.

Strandwart. Der Seemann hat oft ſchwere Plage, Doch krönt den Tapfern reicher Lohn!

In Freude wandelt er die Klage, Der Mutter ſchenkt er neu den Sohn!

Chor. Borüber find die Leidenstage, Gerettet ift der teure Sohn!

Sn Freude wandelt du die Klage, D Gott, zu echter Treue Lohn. Ume O Mutter, Geliebte, ihr Freunde alle, Danfet dem Helden mit Subeljchalle! (WIN fich Ratbold zu Füßen werfen.) Chor. Heil dir, Ratbold, Heil!

677

(Sie umringen Ratbold, diefer wehrt heftig ab.) Batbold. Schweigt jtill, Halt’ ein, weicht alle von mir! Kein Dank, fein Dank gebühret mir! Mich verzehrte in al’ diefen Jahren Mit hölliicher Kraft Um Atta lodernde Leidenichaft. Alle. Wie! Des Bruders Braut! Uatbold. Ih! Ih drängte den Bruder zu Diefer ſchweren Fahrt, Und als er verihollen, verjchtwunden, Nicht hab’ ich’3 mit Trauer empfunden, Denn mi drüdten mit Wucht Bon je die Qualen der Eiferjucht. Sch hoffte, blieb Uwe tot oder fern, Mir Leuchtete doch noch der Liebe Stern. Hört weiter: al3 in dem Geretteten dort Hoch im Maſt ich den Bruder erkannte, Wie teufliih in mir der Gedanfe entbrannte, Der Gedanke: Mord! Alle. Entjeslih Wort! Batbold. Statt ihn zu retten, hätt’ ich den Knaben Gern in den ſchäumenden Wogen begraben! Alle. Berruchter! Weicht alle von ihm! Vatbold. Seht ihr’s nun, Hört ihr's? Wehe, wehe! Chor. Wehe! ,Ratbold. Doc gemach! Ich bezwang das Gelüfte, Sch trug den Geliebten, Gehaßten zur Küfte; Da nimm ihn, Mutter! Da Hab’ ihn, Braut! Jedoch mein Auge nimmer jhaut Eurer Liebe junge Seligfeit. Wiarda. Was willft du thun? Gefühnt ift deine Sünde nun! Un unjern Herzen follit du ruh'n!

678

Batbold. In ferne Welten will ich geh’n Und werde nie euch wiederſeh'n! (Umarmt feine Dutter.) Leb' wohl, Mutter! Leb' wohl! (Geht an fein Boot.) Komm, wilde See, Komm, wie jo oft mit mir zu ringen! Im Kampf mit dir will ich mein Leid bezwingen! (fpringt in fein Boot; im Abftogen)

Lebt wohl! Lebt wohl!

(Fährt in die See hinaus.)

(Alle nachdem fie vergeblich verfuht, ihn zurüdzuhalten, fchauen ihm in tieffter Bewegung nad. Wiarda, von Ume geftüst, finkt ohnmächtig in die Arme Attad. Vorhang fällt.)

Bei der Berlagsanftalt für Litteratur und Kunſt in Berlin-Grunewald it ferner erjdienen:

Deutſches Lachen

Siebenhundert Jahre deutſcher Humordichtung

Ein kurzweiliges und ſcherzhaftes Album deutſcher Humor⸗ dichtung mit vielen Hundert luſtigen Reim-Epiſteln und launigen Bersjtüden. Als heilſame Arznei gegen Melan— Holie und Kümmernijfe, jowie zur Lujt und Erbauung für lahwillige Menſchen zufammengetragen von

Hermann Siegfried Rehm Mit Geleitgedidhten von Zohannes Trojan und Richard Zoozmann

In feiner und ergötzlicher Weile farbenfriſch illuftriert mit ca. 1100 Schwarz Weiß-Zeihnungen und 24 Kunſt⸗ blättern von den beiten und führenden deutſchen Meiftern luſtſamer Zeichenkunſt. Ein prachtvoller Quartband von 548 Seiten Umfang in mehrfarbigem Druck. Enthält mehr als 1100 ſchwarze und farbige Zeichnungen und Kunſtblätter, darunter farbige Porträts von

Wilhelm Buſch und Fritz Reuter Zweite vermehrte und verbeſſerte Auflage

Preis Mi. 20.—

Ne fi) und den Seinen fröhliche Stunden bereiten will, dem fei diefes prachtvolle Album, dieſer humo— riſtiſche Yamilienfhag in Wort und Bild von unvergäng- lihem Wert, aufrihtig empfohlen. Auf 548 Drudjeiten finden ſich hier Schäße des deutjchen Humors vereinigt, wie fie in folder Fülle und Mannigfaltigteit bisher noch nit zufammengetragen wurden. Weldye Seite der Lejer aud) aufihlagen möge, überall entdedt er Perlen Heiterer und fröhliher Kunſt, die er als jtimmungerwedendes Elexier

mit Behagen genießen wird. Alle Jahrhunderte deuticher Humordidtung, von den Tagen des Walter von der Vogel- weide bis auf die neuejte Zeit, haben zu diefem goldenen Humorfhaß ihr Beites beigetragen. Viel Köjtlides und Driginelles, das mit Unrecht in Bergejjenheit geraten, iſt bier wieder ans Licht gebradt, insbejondere aber find Die reifjten und auserlejenjten Humorfrüchte der Gegenwart diefer reihen Ernte einverleibt worden. So find unter vielen anderen mit Beiträgen vertreten: Wilhelm Buſch, Johannes Trojan, Heinrih Seibel, Detlev von Lilieneron, Rideamus, Rudolf Presber, Karl Ettlinger, Alexander Moszkowski, Julius Stetten« heim, Edwin Bormann, Dtto Julius Bierbaum, Guſtav Falke, Oscar Blumenthal.

Den Dichtern des Humors gefellte ſich eine große Anzahl der bedeutendjten Zeichenkünſtler des Humors bei, die den Heiteren Inhalt mit föjtlihen und Iujtigen Bildern und Skizzen begleiten. So find neben Wihelm Buſch, Paul Konewka, Theodor Schloepke und anderen älteren be> fannten Humorijten des Stiftes reid) vertreten an modernen Künftlern: Sul. Diez, Erid Gruner, Emil Preeto- rius, Auguſt Hajdul, Paul Scheurich, Paul Haaſe, Arpad Schmidhammer, 9 Wilke, Stefan Kro— towsti, Franz Chriſtophe, Fritz Schoen, Otto Flechtner ufjw. Die Zeichnungen dieſer Künſtler bilden an ſich ſchon eine unerſchöpfliche Quelle des Humors und bereiten jedem Leſer viele Stunden des Frohſinns.

Dieſes Buch darf in keinem deutſchen Hauſe, wo Sinn für Humor, Scherz und Wit lebendig iſt, fehlen. Als „Troſt in Tränen“ wird es niemals feine Wirkung ver- fehlen, und wer fi) durch ein gejundes und erquidendes Laden von den Molejten des Lebens erholen will, der greife getroſt zu ihm, er wird ji in feinen Erwartungen nit getäufht jehen. Nicht nur als anregende und er- heiternde Lektüre, nein, aud) als unvergleichlich koſtbares Bortragsmaterial hat „Das Deutſche Lachen“ eine unver- gänglihe Bedeutung.

Diefes goldene Handbuch deutſchen Humors it das amüjantejte Gegenftüd zum Wilhelm: Bufh-Album.

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