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WBRARIT”

Geſchichte Böhmen und Mährens

Bon Bertold Bretholz

Erſter Band

Das Vorwalten des Deutſchtums

Reichenberg Paul Sollors' Nachf. G. m. b. 6. pen he

DB 205

BEL.

Alle Rechte, insbeſondere das ber Überfegung in frembe Sprachen, vorbehalten.

Copyright 1921 by Paul Sollors' Nachf. G. m. 5. H., Reichenberg.

Verlags-Nr. 184.

I 10803

Drud von Gebrüder Stiepel Gef. m. b. H. in Reichenberg.

vorwort.

‚Ein Bolt, das nit weiß, woher es kommt, weiß auß nicht, wohin e8 geht.“

Diefer Ausfpruch eines neueren beutfchen Gefchichtöforfchers, der unferen Verhältniffen ferne ftand, eignet fi) gleichwohl in unferer Zeit als Einbegleitung einer Heimatgefhichte, beven erftem Bändchen binnen Zahresfrift noch ein zweites und drittes folgen follen. Sie iſt aus Vorträgen entftanden, die ich über Aufforderung des Brünner Lehrerinnenvereind vor einem allgemeinen Hörerkreis im Jahre 1920 gehalten habe. Die Behandlung dieſes Gegenftandes in der einen und anderen Art, ald DBorlefung oder in Buchform, lag mir ſchließlich nicht fern. Hatte ich doch, von Cinzelarbeiten zur böhmifchen und mäprifchen Gefchichte abgefehen, ſchon zweimal ben Verſuch gemacht, eine Gefamtgefchichte dieſer Länder zu fchreiben, In den Jahren 1893 und 1895 erfchienen die zwei erften Hefte meiner „Beichichte Mährens“, Die aber nur bis zum Ausgang des 12. Jahr- hunderts, bis 1197, reichten. Hier angelangt, ftieß ich auf Schwierig- teiten, bie zu überwinden mir damals nicht möglih war. Die unmittelbare Fortfegung hätte fi nämlich mit ber fogenannten deutſchen Kolontfation in Mähren im 13. Jahrhundert beſchäftigen müffen, d. h. mit der Einwanderung und Feftfegung von Deutfchen in diefem Land. Dieſe Frage ſchien mir eine ‘genauere Behandlung zu verdienen, als fie bis dahin in den heimifchen Gefchichtöblichern erfahren hatte. Ich hielt es für meine Aufgabe, die mehr in allge- meinen Betrachtungen fich ergebenden Schilderungen durch beftimmte fachliche Angaben zu ergänzen, das wefenlofe Bild durch Vorführung tatfächlicher Bortommniffe nach Ort und Zeit zu beleben. Allein alles noch fo aufmerkfame Durchforſchen der Quellen führte zu keinem Ergebnis. Ich fand keine einzige Nachricht, Die auf eine Einwanderung fremder. deutfcher ftäbtifcher oder bäuerlicher Roloniften nach Mähren im 13. Jahrhundert oder vorher fchließen ließ. Ich wandte mich der Geſchichte Bohmens zu, in dem «Mauben, dort die Belege für die fo allgemein verbreitete Anficht finden zu müffen und dann wenigftens durch Rückfchlüffe Die Entwicklung in Mähren einigermaßen aufpellen zu lönnen, Noch einmal wurde in jahrelanger Arbeit die Durchficht

wv Vorwort.

aller einfhlägigen Quellenwerte vorgenommen, wieder ohne Erfolg. Dadurch geriet die Darftellung der mährifchen Gefchichte ins Stoden; wie wenn man beim Bau auf weichenden Boden gerät und fich erft feften Grund ſchaffen muß.

Es war für mich nur ein geringer Troſt, ald mir mein ehe- maliger Lehrer, Profeffor Büdinger in Wien, dem ich gelegentlich meine Verlegenheit vortrug, nur ganz Kurz erllärte: dort bin auch ich ftedden geblieben; er meinte damit feine „Öfterreichtfche Gefchichte”, von der nur ber erfte Band im Zahre 1858 erfchien, in dem das Kapitel „Böhmen“ ſchon bei 1055 abbricht. Auch Die legte auf gründ · licher Forſchung berupende „Beichichte Böhmens“ von Univ.-Prof. B Novstny in Prag (in tichechifcher Sprache), deren erfter Band 1912 erſchienen tft, fließt mit dem Jahre 1197 und Hat feither noch feine Fortfegung erhalten. Jeder ernfte Forſcher muß Hier, vor der Darftellung der Gefchichte Böhmens oder Mährens im 13. Jahrhundert, auf eine Schranke ftoßen, die feiner Arbeit Einhalt gebietet und zur Überprüfung der bißherigen Auffaffung zwingt,

Eben als ich mich mit diefen Fragen beichäftigte, erhielt ich bie Aufforderung, mich an einem großgebachten Gefchichtäwert über Böhmen zu beteiligen, das der Verein für Die Gefchichte Der Deutfchen in Böhmen plante, das aber dann nicht zuftande Fam. An ber mir zugewieſenen Arbeit hielt ich jeboch feft, und Habe fie auch im Jahre 1912 als „Gedichte Böhmens und Mäprens bis zum Ausfterben der Prempfliden (1306)* herausgegeben. Hier habe ich zuerft meine Grund- anfchauungen über den Verlauf ber böhmiſch · mähriſchen Geſchichte bis zum Beginn bes 14. Jahrhunderts, alfo mit Einfchluß des fogenannten Koloniſations · Zeitalters, darzulegen verfucht. Diefer Band war ur- ſprünglich gebacht als erfter Teil einer bis in bie neuefte Zeit reichenden Geſchichte beider Länder. Allein da mein Standpunft nicht bie Zu- ftimmung des Vereinsausſchuſſes fand, trotzdem das Buch ald „Zeft- ſchrift· zur Geier des 50 jährigen Beſtandes diefes Vereines erfchienen war, mußte die Fortführung bes Wertes unterbleiben. Ih habe gleichwohl nicht aufgehört, ſowohl dieſe ältefte Periode weiter durch · zudenken, ala auch an ber folgenden zu arbeiten. Und fo traf mich denn ber Auftrag, ber mir vor einigen Zahren zuteil wurde, eine Gefchichte Böhmens ber neueren Zeit, feit 1526, zu verfaflen, deren erfter Band 1920 erſchienen tft, ebenſowenig unvorbereitet, wie ber

Vorwort. v

Wunfch meiner Hörerfchaft, meine Vorträge in Form einer vollftän- digen kurzgefaßten Gefchichte Böhmens und Mäprens herauszugeben, deren Beginn Hier vorliegt.

Wenn ich auch mit Ruckſicht auf bie Leferkreife, für die das Buch berechnet ift, ſtets Darauf bedacht war, keine nur für „Fachgenoffen“ berechnete Arbeit zu liefern, fo halte ich es doch für Pflicht jedes wiſſenſchaftlich Arbeitenden, den Lefer zu ſich emporzugiehen und nicht, unter dem Vorwand „gemeinverftänblich“ fein zu wollen, ihn fo bes ſcheiden als nur möglich einzufchägen und ihm nur einen Abklatſch und Auszug aus älteren Werten vorzulegen. Es fcheint mir not- wendig, den Lefer, wer immer es fei, mit bem ganzen Getriebe unferer bohmiſch · mahriſchen Geſchichtſchreibung und Geſchichtsforſchung in den Hauptzügen bekannt zu machen, ihn in bie ungelöften Fragen ein · zuweihen, ihm einen Behelf an die Hand zu geben, fi) über ben geſchichtlichen Verlauf ein eigenes Urteil bilden zu können. Hiezu follen auch die Anmerkungen dienen, die ich an den Schluß bed Buches verlegt habe.

Ich Tann nach den früheren Erfahrungen kaum annehmen, daß meine Ausfüprungen, bie von allen bisherigen Schilberungen böpmifch- mährifcher Gefchichte weit abweichen, allgemeine Zuftimmung finden werden, am wenigften in jenen wiflenfchaftlichen reifen, die auf die Nichtigkeit ihrer alten Anfchauungen pochen, „weil fie doch überall ftehen.” Ein Goethe’fches Xenion lautet: „Liegt ber Irrtum nur erſt wie ein Grunbdftein unten am Boden, immer baut man darauf nimmermepr kommt er an Tag.” Aber ich darf vielleicht die Bitte ausſprechen, die Fragen, bie ich mir aufzuwerfen und auch ber Haupt · ſache nach zu beantworten erlaubt Habe, und bie für das ganze beutfche Dolt von Bedeutung find, zu prüfen und rein mwiffenfchaftlich weiter zu verfolgen. Denn Hier konnten doch nur gleichfam bie Grundmadern für den Aufbau der heimifchen Gefchichte gelegt werben. Darnach muß fih nun, wenn meine Anſchauung richtig iſt, Wirtſchafts · und Rechts- geſchichte, Sozial. und Verfaffungsgefchichte, vor allem aber unfere Orts · und Stadtgefehichte von den älteften Seiten an ganz neu geftalten. Eine große Arbeit für viele, nicht für einen allein.

Brünn, am 9. Juli 1921. 8. Bretholz.

Inhaltsüberfiät.

Seite Erfier Abſchnitt:

Überficht über bie Quellen und die Geſchichtſchreibung . . . 1-19 weiter Abſchnitt: Relten und Germanen auf böhmiſchem Boden . » .... 20-88

Dritter Abſchnitt: Die ſlawiſche Einwanderung. Das Aufkommen des premyjlidifcen Haufes. Das großmähriſche Reich . 3—55 Bierter Abſchnitt: Das Herzogtum ber Prempjliden in der Beit ber ſachſiſchen

bayriſchen und ſtaufiſchen Kaiſer7 56—75 Fünfter Abſchnitt: Die premyſlidiſche Königszeit. 20000. ve. 70-9

Sechſter Abſchnitt: Die ſogenannte deutſche Kolonifation - 2... .. 100-126

GSiebenter Abſchnitt: Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöſter in prempjlidifger Beit © 0 «oe ee nennen nee 197-180 Achter Abſchnitt: Die drei böhmifhen Könige aus luxemburgiſchem Saufe: HR Berge Ba .. 161—188 Neunter Ubfänitt: ogiaten unb geiftigen Strömungen in Böhmen und unter Gen Qugemburgern bis zum Ausbruch, ber Huffitenkiiege (1419)... 2 one nenne 189—216 Unmertungen .....

Stammtafel.

Erfter Abſchnitt.

Aberſicht Über die Quellen und die Geſchichtſchreibung.

Die Gejchichte eines Staatsweſens oder eines feiner Glieder während feines ganzen Beftandes oder in einem beftimmten Zeitabſchnitt feiner Entwidlung zu erzählen, ift nur möglich, wenn „Quellen“ zur Verfügung ftehen, d. h. fchriftliche Über- Tieferungen und Aufzeichnungen im weiteſten Sinn des Wortes, Sie bilden gleichſam den unentbehrlihen Rohſtoff, der erft unter Anwendung berfchiedener Methoden der Verarbeitung zum eigentlichen Geſchichtswerk unterworfen werden muß.

Wenn wir ung alfo vornehmen, die Geſchichte Böhmeng und Mäbrens, die feit jeher mannigfache Beziehungen zueinander haben, von den älteften bis auf unfere Zeiten darzuftellen, fo wird e8 zum befjeren Verſtändnis nicht überflüffig fein, zuerft, wenn aud) nur in allgemeinften Umtriffen, klarzulegen, welche Sauptquellen hiefür vorliegen, wann und wo fie entitanden find, wie wir fie bewerten und welche Bearbeitung fie bisher erfahren haben.t

Gehen wir dabei von der neueren und neueften Zeit auß, fo ift wohl befannt. wie reich da im allgemeinen die gejchicht- lichen Quellen fließen und wo fie zu fuchen find: Akten, Urkun- den, amtliche Berichte, Beitungen, Briefſchaften, Tagebücher, Denkwürdigkeiten Iiegen in Ämtern, Regiftraturen, Archiven, Bibliotheken, Schrift- und Bildiwerfe aller Art finden fid in Mufeen, öffentlihen und nichtöffentliden Sammlungen, in Kirchen und auf Briedhöfen, auf den Plägen und Straßen, in einzelnen Häuſern.

Allein diefe Behelfe find naturgemäß wie nach Inhalt und Form fo auch nad) innerem Wert fehr verſchieden. Man wird, um e3 an einem Beifpiel klarzumachen, einen Beitungsartifel, jelbft einen größeren Auffag bon berufener Seite über Kaiſer Franz Sofef I. von Oſterreich anders einfchägen, als etwa eine

Bretholg, Geſch Bögnens u Mäfrens. 1. 1

2 Erſter Abſchnitt.

Selbftbiographie, wenn fie vorhanden wäre, und dieſe anders als feine Briefihaften, wenn fie gefammelt vorlägen; und wieder ganz andere Bedeutung hätten Berichte und Aufzeich- nungen bon Perjonen, die mit ihm in unmittelbarem Verkehr ftanden. Aber auch Bilder und Denkmäler, Münzen und Medaillen, die ihn darftellen oder auf fein Leben und Wirken Bezug haben, wird man nicht überfehen dürfen. AI dag find Quellen zur Geſchichte diejes Fürften, daraus man, wenn man fie alle befäße und kennte, ein klares und wahres Bild feines Lebens und feiner Zeit zu ſchaffen vermöchte. Allerdings, in folder Neichhaltigfeit ftehen ung geidjichtliche Quellen nur äußerit jelten zur Verfügung. .

Ganz ebenfo verhält es fich, wenn man anftatt der Geſchihte einer Perſönlichkeit die eines Landes ſchildern will, Je mehr verſchiedenartige Quellen vorliegen, deſto reicher und zuber- läffiger kann die Darftellung fein. Aber auch auf diefem Ge- biete ift der jogenannte embarras de richesse, die Überfülle, die in Verlegenheit verjegt, nur für die allernenefte Zeit vorhanden,

Wie die Menge und Buntheit des Baum- und Blumen- wuchſes abnimmt, in je höheres Gebiet wir hinauffteigen, fo erſchöpft ſich auch der Reichtum und die Mannigfaltigfeit an geſchichtlichen Quellen, je weiter wir in der Zeit zurüdgehen. Wie rajch verſchwinden die regelmäßigen Zeitungen, wie jelten werden, wenn man nur ein, zwei Jahrhunderte nach rückwärts freitet, Bauten, Bilder, Denkmäler, wie fpärlic) im allgemei« nen Briefe, Rechnungen, Geſchäftsbücher, Samilienpapiere, In Wahrheit rechnet der Geichichtichreiber in unferen Rändern nur mit drei großen Gruppen von Quellen: Aften, Urkunden, Chroniken. Und aud) dieje verteilen ſich ungleid, auf die ver- ſchiedenen Zeitabſchniite und haben für den Border verſchieden · artige Bedeutung.

Amter hat es immer gegeben, wo es ein geordnetes Staats- weſen gab, und fie haben wohl auch zu jeder Zeit Aufzeichnun · gen bejeffen, die man gemeiniglich ala Amt3aften oder Amts- bücher bezeichnet. Aber jelbft bei dem höchſten und wichtigſten Amt im Lande Mähren, bei der Statthalterei, die fich auß einem der älteften Amter, der Landeshauptmannſchaft, herausgebildet

Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 3

bat, ijt aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Kriege faft nichts mehr borhanden; alles verloren, zugrunde gegangeni In Böhmen dürfte bei der gleichen Behörde, ſoweit bisher befannt, der Anfang des 16. Jahrhunderts die Grenze bezeichnen. Eine für die Landesgeichichte fo wichtige Quelle, wie die Land- tagsakten, reichen in beiden Ländern nicht über das Jahr 1526 zurück, und doc) willen wir, daß Landtage oder ähnliche Landes - verſammlungen bei ung auch früher, nachweislich ſchon im 12. Sahrhundert abgehalten wurden. Aber Akten, fchriftliche Aufzeichnungen über die dort berhandelten Gegenftände und gefaßten Beſchlüſſe fehlen; fei es, daß fie im Laufe der Zeit irgendwie der Vernichtung anheimgefallen find, jei e8, daß man damals nichts ſchriftlich aufgezeichnet Kat, jondern dag nur mündlich verhandelt wurde, Es ift nämlich eine eigentümliche Bahrnehmung, daß die Menſchen des früheren Mittelalters auf fohriftliche Aufzeichnungen noch nicht ſolches Gewicht Iegten, wie ipäterhin. Sie haben ſich lieber auf ihr Gedächtnis verlaſſen; das konnte wenigſtens nicht wie ein Schriftſtück gefälfcht werden. Auch waren wohl jelbft viele der im öffentlichen Leben wirfen- den Perſonen dazumal noch des Schreibens unfundig. Das ſchriftliche Zeugnis hatte für fie daher nur geringen Wert, Beſſer als Amtsakten und -bücher aller Art haben fich die Urkunden im engeren Sinne de3 Worteg erhalten, d. h. amtliche Schriftftüde, die an eine beitimmte äußere Form gebunden waren und zur Beglaubigung eines geſchichtlichen Ereignifjes oder auch eines gejchäftlichen Abkommens zumeijt rechtlicher Natur dienten. Man ftellte Urkunden aus über Käufe, Schen- Zungen, Bermächtniffe, verliehene Rechte und Freiheiten, man wählte die Urkundenform nicht minder bei Friedensſchlüſſen, Staat3verträgen u. a, m. Doc) auch dieje geſchichtlichen Zeug- niffe find einerſeits zeitlich beichränft und anderjeits nicht immer bedingungslos hinzunehmen, In unferen Ländern reihen fie lange nicht foweit zurüd, wie ettva in dem Böhmen benachbarten Bayern, geſchweige denn in Weſtdeutſchland, Stalien, Spanien, Frankreich. Die ältefte Originalurfunde eines böhmischen Herzogs, die wir fennen, ftammt aus dem Sahre 1057 und betrifft Schenkungen an die Kirche in Keit-

4 E Erſter Abſchnitt.

meritz. Dann vergeht faſt ein ganzes Jahrhundert, bevor wieder um 1148 ein derartiges Stüd, diesmal für die Olmützer Kirche auftaucht. In Abjchriften nach verloren gegangenen Originalen hat ſich etwag mehr erhalten. Die große Mafie diefer Quellengattung beginnt aber erft im 13, Zahrhundert und bildet in diefem und den folgenden, vornehmlich big zum Auftreten der Akten, eine wichtige Fundgrube für gejchichtliche Nachrichten.” Nur darf man dabei nicht außer acht laſſen, daß gerade Urkunden häufig gefälicht wurden, fo daß man bei ihrer Benützung borfichtig zu Werke gehen muß. Das erklärt ſich zum Teil daraus, daß Urkunden als Erzeugniffe der Ämter und Kanzleien nicht wie die Alten zurüdbehalten, jondern den Par- teien auögefolgt wurben, fomit der Verfälihung, Nachahmung und anderen Veränderungen leichter ausgejegt waren.

Doch auch abgejehen von den Mängeln, die beiden Quellen- gruppen, Aften und Urkunden, anhaften, wäre e3 nicht leicht, einzig und allein mit ihrer Hilfe Gejchichte zu fchreiben. Denn ein Aft oder eine Urkunde bezieht fich zumeift nur auf eine einzige, jeder Akt, jede Urkunde gewöhnlich auf eine andere Talſache, die noch dazu für die allgemeine Geſchichte des Landes ziemlich belanglos jein kann. Geſchichte ſoll aber eine zufam- menhängende Daritellung der wichtigſten Ereigniſſe eines ganzen Zeitabichnittes, ein Bild der fteten Entwidlung bieten. Diefe Aufgabe erfüllt in weit höherem Maße die dritte Quellen- art, die jogenannten Chroniken oder Zeitgeſchichten.

Es hat wohl zu allen Zeiten und überall Menfchen gegeben, bie fi) bemühten, Ereigniffe, die fie miterlebten oder über die fie von anderen Kunde erhielten, im Gedächtnis zu behalten und weiter zu berichten oder, wenn fie deifen fähig waren, niederzufehreiben; oft ganz ſchlicht, knapp, tabellenartig ohne fichtbaren inneren Zufammenhang, manchmal ausführlicher und künſtleriſcher geftaltet. Solche Schriftwerke reichen fehr weit aurüd, fpielen, um von noch früheren Zeiten hier abzufehen, bei Griechen und Römern eine große Rolle und heißen dort Annalen oder Chroniken (Sahrbücher oder Zeitbücjer), weil fie gewöhnlich all das verzeichnen, was Jahr für Jahr vorgefallen ift. Im Mittelalter wird diefe Art Gejchichte zu ſchreiben

Mbderficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 5

zumeiſt in Klöftern und Kirchen von den Geiftlichen, als den wenigen Schreibfundigen und eigentliden Bertretern der Wiſſenſchaft, ausgeübt. In der Narolingerzeit find Chroniken im Frankenreich ſchon recht häufig; von dort verbreiten fie fich in den folgenden Sahrhunderten überallhin nach Deutfchland. In dieſen fremden Chroniken des 8. bis 11. Jahrhunderts finden ſich auch ſchon Nachrichten über Böhmen und Mähren zu einer Zeit, da bier der Boden für folde geiftige Arbeit noch fat ganz brach liegt.” Bei ung beginnt diefe Quellenart erſt im 12. Jahrhundert.

Im Jahre 1125 ift adhtzigjährig ein Geiftlicher der Prager Domkfirde mit Namen Cosmas geftorben, jomit um 1045 ge- boten, den man als den „böhmifchen Herodot“, als den Vater der böhmifchen Gefchichtichreibung bezeichnet.“ Cr war Fein Böhme, fondern von polnischer Herkunft; Cosmas ift wohl nur fein geiftlicher Name, Einer feiner Vorfahren adeliger Abftam- mung fam als Gefangener 1039 nad) Prag, vielleicht ift ihm Cosmas fpäter freiwillig dahin gefolgt. Diefer genoß feine Erziehung in Lüttich, einer damals berühmten Schule, auf der er vielleicht nod) 1074 weilte. Alg Dekan der Prager Domkirche entichloß er fich, eine Geſchichte des Landes Böhmen zu fehrei- ben. Nicht nur eine Chronif der Zeit, die er felber miterlebt hatte, fondern auch der früheren Jahrhunderte, wie er fagt: von der eriten Einwanderung der Menſchen in diejes Land. Er hefaß, wie er felber angibt, einige ältere auf die Geſchichte Böhmens und Mährens bezügliche Quellen, die aber verloren gegangen find. Doc; erflärt er offen, daß er glaubwürdige ſchriftliche Beugniffe nur bis 894 zurüd gefannt habe. Darüber hinaus in die weitere Vergangenheit Fönne er ſich nur auf „fabuloſe Berichte alter Leute” ftügen und müffe eg bem Leſer überlaffen zu beurteilen, ob fie als „wirklich oder erfunden (facta an ficta)” anzufehen feien.

Das ift alfo die ältefte Chronif von Böhmen, die für die Zeit bon 894 bis 1125, alfo für 231 Jahre glaubtwürdige und für den Abfchnitt vor 894 fagenhafte Gefchichte des Landes darbieten will.® Damit foll aber nicht gefagt fein, daß es eine durchaus zuberläffige und bollftändige Geſchichte Böhmens jei,

6 Erſter Abſchnitt.

was uns Cosmas Hinterlaffen bat. Auch Cosſsmas war nur ein irrender Menſch und ein mit Vorurteilen und Fehlern vielen Fehlern behafteter Schriftiteller, deffen Buch man mit prüfendem Blick lefen und wo eg möglich ift, mit anderen Quellen vergleichen muß. Allein er hat das große Berdienft, zum erften Male das, wag er erlebt und erfahren bat, in überfichtlicher, Teicht Iesbarer Form, natürlich in Iateinifher Sprache, aufammengeftellt zu haben. Er wurde das Vorbild für andere Chroniften, die feine Arbeit fortgefegt. haben. Und fo fließt ſich an Cosmas’ Chronik eine wenn auch kleine Reihe folder böhmifcher Annalenwerke an, zumeift bon Kloftergeiftlichen verfaßt, die gleichfam Buch geführt haben über die Vorfommniffe in ihrer Heimat wenigitens für die kurze Zeit ihres Lebens, Allerdings jeder von feinem Stand- Punkt aus, zunächſt mit fehr beſchränktem Gefichtsfeld, auf den rein äußerlihen Verlauf viel mehr Gewicht legend, al3 auf die innere Entwicklung, einfeitig und befangen, jo daß der Geſchichtsforſcher auch hier fortwährend mit ſcharfer Sonde prüfen muß, was mehr, was weniger glaubwürdig if. In geichichtlich beivegten Zeiten, wie etwa während der Huffiten- Triege, unter den großen Königen Georg bon Podiebrad, Ferdinand I, im Dreißigjährigen Krieg mehren ſich ſolche aeitgenöffifche Berichte und machen wenigſtens kurze Ab- ſchnitte quellenreih. Oft wiederum fidern fie faum und ver- fiegen zeitweilig wohl auch gänzlich“ Zum Glück werden die heimiſchen Quellen vielfach durch wertvolle fremde ergänzt.

Allein zu zufammenfaflenden Geſchichtswerken, wie dies Cosmas für feine Zeit als erjter verfucht hat, ift es in Böhmen und Mähren äußert felten gefommen. Das empfand als ichwere Unterlaffung niemand geringerer als der böhmifche König und deutſche Kaifer Karl IV., der, ein Schüler der Pariſer Univerfität, jelber Gefchichtichreiber und mit der Ge- ichichtsliteratur anderer Länder vertraut, Böhmen aud) nad dieſer Richtung fo gern auf die Höhe anderer Staaten gehoben hätte. Und vor allem bedauerte er und glaubte e3 als eine Lücke anfehen zu müfjen, daß man die Geichichte Böhmens nur bis zum Ende des 9. Jahrhunderts genau Fannte, nicht auch weiter

Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. T

zurück bis in die früheften Seiten der Menjchheit. Er meinte, bie Schuld daran liege an der ungenügenden Vorbildung der heimifchen Geichichtichreiber, und betraute einen hodhgelehrten- vielgereiften Minoriten und Profeſſor der Bologner Univer- fität, Johannes aus dem florentinifchen Adelsgeſchlechte der Marignola, mit der Aufgabe, die alten und neuen unklar (obseure) zufammengefchriebenen Chronifen Böhmens um- zuarbeiten und die Geichichte des Landes bis auf die Zeiten Adams zurüdzuperfolgen. „Aug Liebe zum Kaiſer“ unterjog fih Marignola, wie er felber gefteht, der Arbeit, vollendete fie wohl auch, aber mit dem Bewußtſein, ihr nicht gewachſen ge- weſen zu fein. „Sch bin“, fagte er gleich in der Vorrede, „in einen mir unbefannten Wald von Menihen und Namen geraten, die meine florentinifhe Zunge nicht einmal aus- ſprechen kann.“ Sein Werk bot nichts Neues, wohl aber das Alte mit vielen Fehlern, Srrtümern und Phantaftereien. Etwas befier fiel ein ähnlicher aud) von Karl IV. angeregter Verſuch eines heimifchen Chroniften, des fogenannten Rul- kawa, aus, der eine böhmiſche Chronif von den früheften Seiten bis 1330 in lateiniſcher Sprache zuſammenſtellte und dabon auch, wie es ſcheint, eine tſchechiſche Uberſetzung beſorgte. Nur fehlt ihr jeder ſelbſtändige Wert. Es iſt nichts als eine trockene Zuſammenfügung einiger älterer Quellen, die wir auch heute noch beſitzen. Vielleicht hätte die Geſchichte Böhmens (Historia Bohemiae)“, die dann nad, Jahrhundert · friſt 1458 Aeneas Silvbius (Papft Pius IL.) verfaßt hat, von der. mir noch in anderem Zufammenhang ſprechen werden, troß ihrer Fehler die geſchichtliche Forſchung in Böhmen anregen und in neue Bahnen lenken Fönnen, wenn diefes Werk im Lande beffer befannt geworden wäre und damals hier mehr Sinn für Heimatgeſchichte geherrſcht Hätte,

Bevor Silvius, ein gebürtiger Italiener aus dem Haufe der Piccolomini, zur papſtlichen Würde emporgeſtiegen war, hatte er fich nämlich längere Zeit am Hofe Kaiſer Friedrichs III. in Wien aufgehalten, von wo aus er wiederholt Gelegenheit fand, in Beziehung zu Böhmen zu treten. Er lernte das Land aus eigener Anſchauung auf Reifen und

8 Erfter Abſchnitt.

politiſchen Sendungen kennen, verfehrte hier mit Angehörigen katholiſchen und Huflitifchen Bekenntniſſes; er verfolgte aus nächſter Nähe die Entwidlung in Böhmen, die zum König« tum des huſſitiſchen Barong Georg von Podiebrad führte. Im gleichen Jahre 1458 beftieg diefer den böhmifchen, wie jener den päpftlichen Thron. Aeneas Silvius erſchien Böhmen alg ein Staatsweſen, dag in jenem Zeitalter die meiften Kriege, die meilten Kataftrophen, die meiften Wunder (miracula) aufauteifen habe. Und da er fi) ſchon früher als Gejchicht- ſchreiber betätigt hatte, faßte er den Plan, die Gedichte diefes Randes zu fchreiben, „in der es bieleg gebe, was im allgemeinen zu kennen fehr nützlich ſei.“ Wiewohl ihm nur die Gegenwart bemerfenswert erfchien, 30g er es doch bor, die Geſchichte bon allem Anfang an zu erzählen. Kurz vor feiner Erhebung auf den päpftlicjen Stuhl hat er fie handſchriftlich fertiggeftellt und dem Könige Alfons von Kaftilien und Navarra gewidmet. Mlein erft ein Jahrzehnt nad; feinem Tode er ftarb 1464 gelangte fie zum erften Male zum Druck. In Böhmen wurde fie erit am Ende des 16. Jahrhunderts beiennter. In Böhmen jelbit war nad) den Huflitenfriegen die Ge- ſchichtſchreibung allmählich ins Stoden und gegen Ende bes Jahrhunderts völlig in Verfall geraten. Wie der Lurem- burger Karl IV., fo ftellte etiva zwei Sahrhunderte fpäter König Ferdinand J. der 1526 den böhmischen Thron beftiegen hatte, neuerdings feft, daß die heimiſche Geſchichtſchreibung ſtark vernadläffigt werde. Er äußerte ſich einem Hohen Prager Geiftlichen gegenüber dahin, daß dag böhmiſche Volk die Wiſſenſchaft zumeift veradjte . . ., wirkliche Arbeit auf wiſſenſchaftlichem Gebiete, bejonders jenem der Geſchichte, „dem Spiegel der Bergangenheit und Lehrmeifter für die Zukunft“ unterlaffe. Er hatte mit diefem Vorwurf nicht un. recht. Denn als eben damals einer der erften Lehrer der Prager Univerfität, Matthäus Kollin, von einem ihm befreun- beten Literaturmäzen aufgefordert wurde, eine Geſchichte Böhmens zu berfalfen, antwortete er ganz ungehalten: „Du legft mir eine Laſt auf, größer alg fie meine Arme tragen Tönnen, Wie follte ich über Dinge jchreiben, die mir unbefannt

Mberficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 9

find und mit tiefer Finſternis bededt? Denn wer kann fagen, wo die Wiege unferes Volkes geitanden hat, melde Kriege unfere Vorfahren geführt haben, welches die Anfänge der einzelnen Adelsfamilien geweſen find, wann diefer und jener Fürſt gelebt Hat?” Als ob damals, in der Zeit des blühenditen Humanismus, die ganze Gefchichtsliteratur Böhmens von Cosmas angefangen vergefien und verfunfen gewejen wäre!”

Was Wunder, wenn angefichts folder Geringſchätzung von feiten der Gelehrten ſich Unberufene diefer danfbaren Aufgabe unterzogen, um fie in unberantwortlicer Weife für eigene und Parteizmede auszunügen,

Sm Sabre 1541 erſchien die berüchtigte „Chronik bon Böhmen“, verfaßt von dem zum Katholizismus über- getretenen utraquiftifchen Geiftlichen Wenzel Hajek von Libot - ſchan. Sie begann mit den älteften Beiten und reichte bis zum bedeutungsvollen Sahre 1526, dem Regierungsantritt der Sabsburger in Böhmen, umfaßte alfo die ganze Geſchichte des Landes, war in ſtſchechiſcher Spradye abgefaßt, mit Holz - mitten geſchmückt, ſehr umfangreich, wurde in großer Auf- lage durd) den Drud verbreitet, follte alfo in wahrem Sinne des Wortes ein Volksbuch werden. In Wirklichkeit gereicht weder das Werk noch deifen Verfaſſer „ein zank- und ränte- ſüchtiger katholiſcher Würdenträger,“ jo Fennzeichnet ihn ein neuerer Forſcher dem iſchechiſchen Schrifttum zur Ehre. €3 genügt bier anzuführen, daß Palacky erflärt hat, bei diejem Chroniften „alles, was den Wert des Hiftoriferg heben Tann“, zu bermiffen, und das Buch nicht „anders als mit Wider- willen“ gelefen zu haben. Andere Gelehrte haben dieſe Chronik offen als „das Werk raffinierteften Fälſchertums“ hin- geftellt. Die Fälſchung befteht nad) Palacky darin, daß Hajek Sagen in hiſtoriſches Gewand kleidete, daß er überall, wo feine Quellen verfagten, die Erzählung aus eigenem ergänzte und ausmalte, daß er Quellen frei erfand, um ſich auf fie zu berufen, und daß er fi} eine Zeitrechnung ausflügelte, die ganz willkürlich erſcheint. Die Geſchichte einer. Anzahl zu feiner Zeit Iebender Adelsfamilien Bat er, um ihnen zu jchmeichein, mit genauen Yahreszahlen und Nachrichten ver-

10 Erſter Abſchnitt.

ſehen und bis in die Urzeit zurückverfolgt. Schloß Cosmas die beglaubigte Geſchichte Böhmens mit 894 ab, alles Voran- gehende als bloße Sage ohne jede Zeitangabe jchildernd, fo mußte Hajek noch für zweieinhalb Jahrhunderte zurüd ſaſt zu jedem Jahr wichtige geſchichtliche Ereigniſſe zu verzeichnen big 644, in welchem Jahr er die Tſchechen in Böhmen ein- wandern ließ. Er hat mit einem Worte die ganze böhmifche Geſchichte ſachlich und zeitlich in größte Verwirrung gebracht und durd) Sabeleien, die man in feiner Darftellung von wahrer Geſchichte nicht mehr unterfcheiden Eonnte, entftellt,

Allein dag wurde zunächſt faum erkannt. Hajek hat zu Leb- zeiten Ruhm und Danf in vollſtem Maße geerntet, feine Chronik ift für zwei und ein halbes Jahrhundert dag gelejenite Geſchichtenbuch in Böhmen gemwefen, wurde ſchon 1596 ins Deuiſche übertragen, man verlieh ihm den Ehrennamen eined „böhmikhen Livius“. Noch 1775 ſprach man von ihm als dem. „Lieblingsſchriftſteller unſerer Nation“. Aber eben damals ließ e8 ſich der gelehrte Piarift Gelafius Dobner (1719—17%), der deutſcher Samilie entiproffene große tſchechiſche Patriot,* angelegen fein, in einem umfangreidjen Werfe die Wertlofig- feit der Hajek'ſchen Chronik an den Tag. zu bringen, indem er ihre Fehler in einzelnen nactwieg? Zum mindeften in der Wiſſenſchaft war diefer böhmifche Gefchichtichreiber feither entthront.

Aber nun mußte die ganze böhmiſche Gefchichte des Mittel- alter8 von neuem aufgebaut werden, Mehrere CS hriftiteller machten fi) daran, namentlich Martin Pelzel, der uns als Geſchichtſchreiber Böhmens noch in einem fpäteren Kapitel beichäftigen wird, Joſef Pubitſchka, Johann Mehler u. a.!° Obwohl alle drei, um ihre Bücher in die breiteren Schichten de3 Volkes zu bringen, ftatt der bisher üblidjen lateiniſchen oder tſchechiſchen Sprache die deutſche anwandten und die Er- zählung bis auf ihre Zeit weiterführten, kann man ihre Werke doch nur als Kompilationen bezeichnen, die die gefcicht- lichen Ereigniffe nad) alter chroniſtiſcher Weife äußerlich an: einanderreihten, ohne fie aber innerlich zu berfnüpfen, ohne tieferen Gehalt und ohne jeden Reiz der Darftellung.

flberficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 11

Derjenige, der fi) diefe größere Aufgabe ftellte umd fie auch für die Zeit bis 1596 durchführte, war erft Franz Palacky, ein Mährer, Böhmeng befanntefter Geſchichtſchreiber.

Er war al3 Rind eines tichechifch-evangeliihen Schullehrers in Hogendorf (Oſtmähren) am 14. Juni 1798 geboren. Seine Zugend fällt in die Zeit, die man als die der „Wiedergeburt des Slawentums“ bezeichnet, in der auch tſchechiſche Sprache und Literatur zum Gegenftand wifjenfchaftlicher Unterfuchung gemacht wurden. Der junge Palacky wurde ſchon in Preßburg, wo er das Gymnaſium befuchte, in diefe Bewegung hinein- gezogen, noch mehr, al er 1823 nad) Prag fam. Er trat hier alsbald in den gelehrten Kreis, der fid) um den Grafen Franz von Sternberg und deffen Bruder Kafpar, einen Freund Goethes und Aleranders v. Sumboldt, gebildet Hatte und wurde bald felber ein Führer im geiftigen Leben Prags.

Palackys Hauptgebiet, mit dem er fidy bei feiner Vielfeitig- keit am meiften bejchäftigte, wurde die durch Hajek fo fehr ge- ſchädigte Gefchichte des böhmischen Volkes im Mittelalter. Um fie zu heben, begründete er eine eigene deutſche und tichechifche Beitfchrift, die nad) feiner Außerung den Zweck haben follte, „das alte Böhmen in das neue Europa einzuführen und ihm da das Heimatsrecht zu erringen“, Hier begann er, da er gleichgeitig die reichen böhmifchen Adelsarchive zu durchforſchen Gelegenheit hatte, mit geſchichtlichen Auffägen und Quellen deröffentlihungen. Dann aber trat er 1836 mit feiner „Ge- ſchichte von Böhmen“ herbor, die zuerft nur in deutfcher Sprache erſchien und 1867 mit dem fünften Teil, der, wie ſchon früher bemerkt, bis 1526 reichte, abgejchlofien wurde. Sie märe wohl ohne die mühjfelige vorangegangene Fritifche Arbeit Dobners kaum möglich geweſen. Beſonders der erite Band, der die Urgefchichte und die Zeit der Herzöge bis zum Sahre 1197 behandelt, ftüßte ſich vielfach auf jeneg große Annalenwerf des gelehrten Piariften.

Allein das ift doch nur die eine Seite der Palackyſchen Ge- ſchichtſchreibung, daß er alle Sabeln und Fälſchungen Hajeks über Bord geworfen hat, die Dobner bereit3 nachgewieſen hatte, Dieſer Lichtſeite Tteht eine Schattenfeite gegenüber. Zwiſchen

12 Erſter Abſchnitt.

Dobner und Palackhy lag eine für die böhmiſche Geſchichte unge- mein gefährliche Klippe, ein Abgrund: die vermeintliche Auf- tindung eine bislang fcheinbar verborgenen Schakes zur älteften böhmischen Geichichte, von dem niemand borher aud) nur die leifefte Ahnung bejaß, nicht einmal Dobner, der gründ- lichſte und gewifienhaftefte Kenner der böhmiſchen Geſchichts- quellen, insbefondere für die Zeit bis zum Ausgang des 12. Sahrhunderts.

Ehen in jener Zeit der ſlawiſchen Renaiffance, da das ganze geiftige Leben bei den Slawen überhaupt, bei den Tſchechen im befonderen wieder aufzuleben begann, da auf Anregung deutſcher Denker und Forſcher fich heimifche Gelehrte um ihre Sprache, Literatur, Geſchichte, Vollstum bemühten, wurden in Böhmen überrafchende bandichriftliche Quellenfunde ge- macht, die einzig in ihrer Art ſchienen. Am 16. Septem- ber 1817 fand Wenzel Sanfa, den man in Prag als Poeten und Scäriftfteller wohl kannte er war 1791 in einem Dorfe bei Königinhof als Bauernfohn geboren im Kirchturm bon Königinhof ein kleines Päcchen mit zwölf Pergamentblättern in Duodezformat und zwei ſchmalen Blattreſten, geichrieben ſcheinbar von einer Sand des 13, Jahrhunderts, aber mit ihrem Inhalt in viel frühere Zeit zurückreichend: e3 war die fo berühmt gewordene „Röniginhofer Handſchrift“. Sie wurde ins Prager Nationalmufeum gebradit, wo fie noch jet auf bewahrt wird. Und gleich im nächſten Jahr 1818 fand man auf noch feltfamere Weife vier DOftapergamentblätter, die fogar Schriftzüge des 9. Jahrhunderts zu zeigen fchienen: -— die fogenannte „Grüneberger Handſchrift“ nach dem angebli- Ken Fundort Schloß Grüneberg bei Nepomuf. Andere ähnliche Zunde in der nädjften Beit Fönnen hier übergangen werden.’

Und was enthielten diefe wenigen Blätter, die man als die legten Refte ehemals umfangreiher Handſchriften anfah? Gedichte in tſchechiſcher Sprache. Die Heinere Hälfte, etwa ein halbes Dutzend, war lyriſchen Charakters, Minnelieder; die übrigen neun dagegen epifch, Biftorifche Lieder vol der wid” tigften Erinnerungen aus der älteften Gejchichte des Landes. Eines führt den Titel „Libufchas Gericht” und behandelt unter

fiberficht über die Quellen und bie Geſchichtſchreibung. 13

jehr freier Zugrundelegung einer bon Cosmas erzählten Sage die Fehde zweier böhmifcher hocyadeliger Brüder „um des Vaters Erbe“, die vor der Zandesmutter jelbit durch die ber- fammelten „Kmeten, Zehen und Wladiken“ entichieden werben jol. Das Bruchſtück eines anderen Gedichtes „Der Landtag“ umfaßt blog neun kurze Zeilen, aber gerade fie bringen über das alttichechiiche Yamilienleben beim Abiterben des Ober- hauptes Aufichlüffe, mie man fie in der ganzen’ gejchicjtlichen Riteratur in folder Veftimmtheit vergebens juchen würde. Die Schilderung des Kampfes zweier böhmifcher Helden Zaboj und Slawoi gegen den fremden Ludiek, der nicht ohne Abſicht an den im karolingiſchen Haufe beliebten Namen Ludwig mahnt, ift ohne jede Anlehnung an die heimifche Sage voll- tommen frei erfunden, ſpielt mit heidnifchen Vorftellungen („legt den Göttern Speifen hin“, „und nur eine Gattin fei erlaubt für die Pilgerfahrt durch. ganze Leben“), deutet eine Befreiung von ſchwerer Knechtſchaft an („doch ein Fremder fommt und dringt ins Erbe ein, gibt in fremder Sprache dort Befehle”) und zaubert eine Ruhmeszeit hervor, von der die geſchichtlichen Ouellen Feine Ahnung haben. Knüpft dann eines der Gedichte, wie „Jaromir und Udalrich”, dag die Ver- treibung der Polen aus Prag im Jahre 1004 beſchreiben will, un geſchichtliche Ereigniffe an, jo ſucht es feine allgemeine Unſachlichkeit zu verichleiern Hinter ſcheinbar fachlichen An- gaben: „eilig folgen ihm die acht Wladifen, den Wladiken vierthalbhundert Krieger”, „. . . ſchlagen fie die Trommeln, ftoßen Iauten Schalleg in die Hörner“, „.. in ftarfer Fauſt die Sahne” uff.

Mit einem Worte: Geſchichte und Mythologie, Rechts. und Kriegsweſen, Berfaffung und Verwaltung, das ganze innere Staats- und Volfzleben in der Urzeit, auch bor 894, dem Cosmasſchen Grenzjahr glaußtvürdiger Überlieferung, erhielten durch diefe Geſänge eine fo eigenartige Belichtung, dag man erſt jeßt die ganze Vergangenheit richtig zu erkennen bermeinte und in den Schilderungen der Gedichte die fcheinbar wichtigiten Ergänzungen zu den bis nun befannten gejchichtlichen Quellen fehen zu müfjen glaubte,

14 Erſter Abſchnitt.

Es iſt leicht zu verſtehen, daß dieſe Poeſien, als ſie 1819 im tſchechiſchen Text mit deutſcher überſetzung in Druck erſchienen, überall, beſonders in deutſchen literariſchen Kreiſen bis hinauf zu Goethe, Fouqué und den Brüdern Grimm, das größte Aufſehen erregten, unter den tſchechiſchen Patrioten aber be- geifterte Freude. Hatten die Griechen ihren Homer, die Deut- ſchen das Nibelungenlied, andere Völker einen Cid, Ofjian, Igor oder wenigſtens wie die Serben alte Volkslieder, jo hatte das tſchechiſche Wolf von nun an die Königinhofer und die Grüneberger Handſchrift, natienale Geſänge aus frübefter, zum Teil noch ſlawiſch-heidniſcher Zeit, noch dazu mit undber- Tennbarer antideutſcher Richtung, woraus man auf uralte Ge- genfäße diefer benachbarten Völker ſchließen konnte. Und dabei bildeten die gefundenen Blätter nur befcheidenfte Reite ehedenı zweifellos umfangreicher Werke, Waren doch einige Gedichte der Königinhofer Handſchrift ausdrüdlich bezeichnet als das 26., 27. und 28. Kapitel eines dritten Buches, Was mochten die übrigen Kapitel des 3. Buches, wag dag ganze 1. und 2. Buch enthalten haben, wieviel weitere Bücher noch nad gefolgt fein? Was konnte bei planvoller Forſchung noch alles zum Vorfchein kommen, wenn bloße Zufälle jolde Entdedun- gen in Kirchtürmen und Schlöffern ang Tageslicht brachten?

Nur ein Wermutstropfen fiel in dieſen faft überſchäumen- den Freudenkelch. Der größte damalg in Prag lebende Spradj- forfcher, der Slawift Sofef Dobrowsky, der ſich durch die Köni— ginhofer Handichrift noch hatte täufchen laſſen, erflärte die Grüneberger fofort nad ihrem Erjcheinen als eine moderne Fälſchung und wieg auch ſchon auf die vermutlichen Fälſcher hin, auf Hanka und (irrigerweife) Joſef Jungmann. Er, ein tſchechiſcher Patriot, wie eg feinen befjeren gab, ſcheute ſich nicht, den Fund zu bezeichnen als „ein offenbar von einem nod) lebenden Syperböhmen zufammengeflidteg Machwerk“. Alle perfönlichen und wiſſenſchaftlichen Verunglimpfungen, die er biefür zu erdulden hatte, brachten ihn von feiner Überzeugung nicht mehr ab. Allein er drang in Böhmen nicht durch und auch in Deutichland blich feine Stimme merkwürdigerweiſe ungehört. Solange Dobrowskh lebte, beſaß er wohl einen kleinen Anhang;

Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 15

als er aber 1829 ftarb, wagte e8 niemand, gegen die Fälſchungen aufzutreten. Der Anhang verlor Halt und Stab, vornehmlich in Prag, und der Glaube an die Echtheit der Handichriften obfiegte auf der ganzen Linie. Bedenken, die der Preßburger Profeſſor &. Palkowitſch 1832, ernite Mahnungen, die der ge- lehrte ſüdſlawiſche Bibliothefar B. Kopitar in Wien 1839 aus- ſprach, blieben unbeachtet oder wurden alg „barode" Einfälle „geiftreicher Unfritif” hingeſtellt. Waren doch mittlerweile die Gedichte faft in alle europäiſche Sprachen überjegt worden und hatten nirgends Anſtoß erregt.

Erſt in den fünfziger Jahren erhoben fich in deutſchen &e- Tehrtenfreifen begründete Zweifel gegen die Echtheit der Hand- ſchriften, eg entitand ein wiſſenſchaftlicher Streit zunächſt zwiſchen deutſchen und tſchechiſchen Sorjchern, der um jo weniger zu einem Ergebnis führen konnte, ala er von Anfang an in das politifch-nationale Fahrwaſſer geriet. In den adıt- ziger Jahren wurde aber die nie zur Ruhe gefommene Frage von tſchechiſchen Gelehrten nochmals aufgegriffen. Bornehm- li) der Slawift Johann Gebauer und der Soziologe und Philoſoph Thomas Mafaryk, der nachmals der erite Präfident der tſchechiſchen Republif werden follte, beftritten entjchieden die Echtheit, widerlegten mit anderen Mitarbeitern jeden bon den Perteidigern borgebradjten Einwand, bis nad) langem beifpiellog heftigen Kampf die Wahrheit den Sieg davontrug. Wenn man aud) die Nachhutſcharmützel berüdfichtigt, ann man fagen, daß e3 um die Jahrhundertwende, um 1900, in allen ernften Kreiſen als ertwiejen galt, daß Hanka, vielleicht mit Beihilfe einiger Freunde, beide „Handſchriften“ und noch andere ſechs Stüde gefälſcht Hat, daß ihnen auch nicht die mindefte wifjenfchaftliche Bedeutung zukommt, und daß fie vor allem für die ältefte Geſchichte Böhmens vollfommen unver- wertbar find.

Aber big zur Mitte des Jahrhunderts, big 1850, war man insbefondere in der tſchechiſchen Gelehrtenſchaft von der Ccht- beit aller diefer Schriftitüde fejt überzeugt und betrachtete die Lieder mit als die zuberläffigiten Quellen zur. älteften Geſchichte Böhmens.

16 Erſter Abſchlitt.

Unter ſolchen Einwirkungen, in dieſer Luft, durchtränkt und durdglüht gleichſam von dem Glauben an eine gewaltige und großartige Vergangenheit des tſchechiſchen Volkes, ift Palackys „Geſchichte von Böhmen“ entitanden. Solange Dobrowsky Iebte, neigte Palacky auf. deifen Seite und be- aweifelte wie jener wenigfteng die Echtheit der hiftorifch bedeut- famer fcheinenden Grüneberger Handichrift. Nah Do- browstys Tod wurde er aus einem GSaulus ein Paulus oder eigentlich umıgefehrt, und gab im Jahre 1834 die kurze Erklärung ab: „Sch habe mich von der Echtheit überzeugt.“:* Zwei Jahre fpäter,.1836, erſchien der erfte Band der böhmiſchen Geſchichte. Gleich in der Einleitung machte er „die Kenner” aufmerffjam auf jenes Kapitel feines Buches, das ſich mit „Böhmens Volksleben im Heidentum“ befchäftigt, und be- zeichnete als deifen Quellen: „wenige zufällige Andeutungen bei alten Schriftitellern und Bruchftüde alter Volksgeſänge aus jener Zeit.” Nun, die alten Schriftiteller find Feine heimijchen, ſondern byzantinifche und fränkifche, deren Nachrichten für diefen Zweck ganz belanglog find. Crübrigen alfo nur die Volksgeſänge, womit die gefälfchten Handſchriften gemeint find, auf die ſich Palacky denn auch faft ausschließlich ftügt. Er betont, wie wichtig „für die Kenntnis der inneren Buftände Böhmens“ das Gedicht von Libuſchas Gericht fei, er nennt es ein andermal „die klaſſiſche Stelle“ für den Nachweis der Vorrangftellung, welche einige adlige Familien in Böhmen, „bie Lechen“, bejaßen, „bielleicht ſchon von der erjten Er- werbung des Landes her.” Die gefälſchten Gedichte find die Unterlage für feine Darlegungen über Herzogsgewalt und Ständeunterfchiede, über Landtagsweſen und Religionsſyſtem, über Rechtsverfaſſung und häusliche Zuftände,

Man wird daher jagen dürfen: Der Geift, in dem der erite Band der Palackyſchen Gedichte Böhmens abgefaßt ift, ift der Geift der Grüneberger und Königinhofer Sandichrift. Auf dem erſten Bande ruht aber der zweite, auf diefem der dritte und fo fort.

Es ift das Urteil eines neueren Literarhiſtorikers, daß dieſe Poeme „dag faliche wiſſenſchaftliche Bild ein gar zu pradt-

Überficht über die Quellen und die Geſchichtſchreibung. 7

volles Bild des tichechifchen und ſlawiſchen Altertums“ berborgerufen haben. „Manchen,“ fo fährt er fort, „bortreff« lichen wiſſenſchaftlichen Werfen, wie Palackys Geſchichte von Böhmen, find fie der gefährlichfte Stein des Anftoßes geworden und haben am meilten die Kraft ihrer wiſſenſchaftlichen Autorität abgeſchwächt.“ „Verhängnisvolle Srrlichter der tſchechiſchen Kulturentwidlung!” ruft er aus. „Ihre literari- {hen Falſa hat wohl jede Literatur, aber nirgends haben fie dag ganze literariſche und öffentliche Leben fo verwirrt wie bei ung Tichechen!”:5

Sn diefem ernten Urteil ift nur die eine Behauptung unzu- treffend, dab Palackys Abhängigkeit von den Fälſchungen die „wiſſenſchaftliche Autorität“ jeiner „Geichichte von Böhmen“ abgeſchwächt hätte. Noch 1894 erflärte der bekannte deutſchböhmiſche Geſchichtsforſcher Julius Lippert: „Palacky iſt der Schöpfer der böhmiſchen Geſchichtsauffaſſung von beute; . . . jeine Darſtellung wurde für die nachfolgenden Geſchichtſchreiber und Dichter die maßgebende, im allgemeinen die populäre, und in Wiſſenſchaft und Schule bei ung gleichſam die offizielle.” Doch nicht nur „bei uns“, fondern, muß man wahrheitsgemäß binzufügen, auch in Oſterreich und Deutfchland und überall. In Einzelheiten trat man ihm ent- gegen, in den Hauptfragen unterlag man feinem Banne.

Das zeigt fi in der älteren Geſchichte vornehmlich in der bis zum heutigen Xage allgemein herrichenden irrigen Auf- faffung von der Entitehung des Deutſchtums in Böhmen und Mähren durd eine Kolonifation; dag zeigt fi in der Be- urteilung des Verhältniffes zwiichen Böhmen und dem Deutichen Reich während des ganzen Mittelalters. "

Wenn Palacky als „den Hauptinhalt und Grundgug der geſamten Geſchichte Böhmens“, wie er allerdingd nur in der tſchechiſchen Ausgabe feines Werkes felber erklärt hat, den „Kampf mit dem Deutſchtum“ anfieht,” wenn ihm, mie er e8 ein andermal ausdrüdt, „der Schlüffel zur gejamten Geſchichte der Böhmen (d. h. Tfehechen) in dem vom 9. Yahr- Bundert an bis zu Ende des 11. immer neu aufgereisten Nationalhaß zwiſchen Deutichen und Slawen liegt," und wenn

BretHolg Geih Bögmens u. Mährens. I. 2

18 Erſter Abſchnitt,

dieſe Auffaſſungen auch in der deutſchen Geſchichtsliteratur bis heute noch fortleben, ſo gehen ſie in allererſier Linie auf die Einwirkungen der falſchen Handſchriften zurück.

Wie ganz anders hat der große böhmiſche Humaniſt Bohus- laus Lobfowig von Hafjenftein den Verlauf der böhmifchen Geſchichte, daS Verhältnis zwiſchen Deutſchland und Böhmen gefehen. Im Jahre 1507 jchrieb er einem Freunde: „Einft- mals, da Deutichland unter den Ottonen, Heinrichen und Friedrichen blühte, da wuchs aud) unſere Macht ing unendliche und Böhmen galt al einer der edelften Zeile eures Reiches; jest aber, da euer Staatsweſen wanki, wanfen wir nicht nur auch, fondern brechen völlig aufammen.”:»

Leider hat die humaniftifche Richtung bei ung nicht, wie es anderwärtg der Fall war, eine neue Zeit eingeleitet, fondern völlig verfagt. Eine Folge der Ohnmady und Rüdftändigkeit der böhmifchen Gefchichtihreibung in einer Periode all- gemeinen geiftigen Aufſchwungs war ihre Auslieferung in die Hände eines Mannes bon der Gewifjenlofigfeit eines Sajef. Wir wiſſen, daß es dann zweieinhalb Sahrhunderte bedurfte, bevor durch Dobner, wie ein befannter Ausſpruch lautet, „dem Zügen in der Geſchichte Böhmens ein Ende gemadyt wurde.” Mber nur für furze Zeit. In anderer bielleicht noch verhängnißbollerer Weiſe haben Hankas Yäl- ſchungen die böhmiſche Geſchichte auf Abwege und Irrwege geführt; nicht mehr wie früher in Einzelheiten, wohl aber in der Auffaſſung ganzer geſchichtlicher Epochen.

Dies iſt in ollgemeinen Umriſſen der Entwicklungsgang der böhmiſchen Geſchichtſchreibung von den früheſten Zeiten angefangen und ihr Stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Drei große Zeitabſchnitte, die durch drei Namen gefenn- zeichnet werden, haben wir zu unterfcheiden vermocht: der erfte, der rein &roniftiide, der unter dem Einflug Cosmas’ ftand, reichte vom Beginn des 12, Jahrhunderts big zum Beginn der Neuzeit; Hajek beherrichte dann mit feiner die Chronik in Fabel umwandelnden Geſchichte die Neuzeit biß ans Ende des

Überfiht über die Quellen und bie Geſchichtſchreidung. 19

Sahrhunderts; Palacky ſchließlich |huf im 19. Jahrhundert i nationale Gefhichtsdarftellung, geftüßt auf die von ihm für echt angefehenen gefälichten Sandichriften. Die größeren Werke über böhmifche und mährifche Geſchichte, die nach, Palacky, feit der Mitte des vorigen Sahrhundertz entitanden find,” ftehen mehr oder weniger in ihren Grundanfchauungen unter feinem Einfluß. So verdienftlid, jedes einzelne von ihnen ift, indem es auf dem Felde der Mleinarbeit über das unmittelbar vor- angegangene weſentlich hinausgeſchritten ift, den inzwiſchen neu eröffneten Quellenftoff verarbeitet und die legten For- ſchungsergebniſſe verwertet hat, die Abhängigkeit von den Palackyſchen Ideen über die Gedichte Böhmens ift ihnen allen eigen.

Vielleicht rechtfertigen diefe Darlegungen auch, wie not- wendig eine neue Bearbeitung der böhmiſch-mähriſchen Ge- ſchichte ſein dürfte, unbeeinflußt von der, wie es Lippert genannt hat, offiziellen Gefchichtsauffaffung des 19. Jahr- hunderts, geftügt allein auf die zuverläſſigen Quellen und zeitgenöſſiſchen Berichte,

ge

Zweiter Abſchnitt.

Relten und Germanen auf böhmifhem Boden.

Cosmas, der ältefte Geſchichtſchreiber Böhmens, verfolgt die Gefchichte des Landes big zur Einwanderung der „Böhmen“ und ihrer Niederlaffung am Berg Rip zwifchen den Flüffen Eger und Moldau, Aber er ſchöpft nicht aus hiſtoriſcher Überlieferung, fondern knüpft an die biblifche Erzählung von Sintflut und Turmbau zu Babel an. Für ihre Vermefjendeit, To ftellt er e3 dar, wurden die Menfchen von Gott in die weite Welt getrieben, dort irrten fie umher, vermehrten fih und verbreiteten ſich über die Erde, big ihre Nachkommen nad) vielen Jahrhunderten auch in diefen „Teil Germaniens” kamen, der noch feinen Namen hatte, weil er noch nie vorher bewohnt geweſen war. Aber weil der Ältefte, der an der Spike feiner Gefolgſchaft „man weiß nicht von wieviel Köpfen“ äuerft diefen Boden betrat, „Bohemus“ hieß, benannte man nad ihm das Land „Bohemia” (Böhmen). An diefer primi- tiven Erflärung der eriten Beſiedlung des Landes vermochten auch Cosmas' nächſte Nachfolger nichts zu Ändern. Denn der gelehrte Johannes von Marignola, der e3 auf Geheiß Kaifer Karls IV. hätte beſſer machen follen, wußte auch nur, daß „die Slawen und Böhmen“ zwar nicht von Cham, wie mande annehmen, fondern ſicher von Japhet abftammen, alfo nicht bom zweiten, fondern vom dritten Sohn des Noah, daß ber Name „Slawen“ fich ableite von Elyja, was die Sonnigen, Lichtvollen, Ruhmreichen bedeute, der Name Böhmen von einem gewiſſen Boyam, und ähnliche Phantaftereien. Man bejaß eben feine Quellen, um es anders, befjer darzuftellen.

Da kam gegen Ende des Mittelalter8 in die damalige Welt ein neuer fie erhellender Geift durch den Humanismus, durch die Wiederauffindung der griechifchen und römischen Schrift fteller. Denn die Sumaniften befehäftigten fi) wie mit den klaſſiſchen Kunſtwerken, jo auch mit den antiken Geſchicht - ſchreibern. Und fiehe dal Diefe Verfünder griechiſch-römiſcher

Kelten und Germanen auf böhmifhen Boden. 21

Macht und Größe ſprachen auch von unferer Heimat, Cäfar und Strabo, Livius und Tacitus, Schriftfteller, deren Lebens- zeit in das erfte Jahrhundert vor und nad Chrifti Geburt gehört. Nicht in Einzelheiten ergingen fie ſich; feine inhalts- reihen Schilderungen und bunten Bilder waren e8, die aus diefen neuen Quellen zum Vorſchein kamen, fondern bloß Träftige ing Große gehende Umtrißlinien. Hatte man big nun nad) Cosmag annehmen müffen, daß die damala in Böhmen anfäflige Bevdlkerung ſich hier als erſte und älteſte nieder- gelaffen habe, jo erfuhr man jet, daß in Böhnten und Mähren vor diefer ſchon andere Völkerfchaften feßhaft waren.

Sn der „Böhmifchen Geſchichte“ deg Aeneas Silvius, die 1475 in Rom und etwa 1486 wahrjcheinlid in Nürnberg ge- druckt erfchien, alfo zu einer Zeit, da Böhmen einen auß- geſprochen national-flawifchen Staat darftellte, wurde nicht ohne einen gewiffen Hohn gegen das „altweiberhafte Geſchwätz (anilia deliramenta)” der heimifchen Geſchichtſchreibung über dag Urflawentum zum erjten Male der Sat ausgeſprochen, daß das Land ehemalg deutfch geweſen fei und erft fpäter die Slawen bier eingezogen wären.t Seine Anficht ſtützte Silvius dureh den Hinweis auf eine Stelle aus der Geographie des Strabo (geft. um 20 v. Chr.), ein Werk, das eben erft um 1450 wieder gefunden und bald auch durch den Drud verbreitet worden var.

Noch klarere Vorftellungen von der Urgeſchichte Böhmens entwidelte dann, nicht ganz ein Jahrhundert ſpäter, der Olmützer Biſchof und Sumanift Johannes Dubravius in feiner 1552 erfchienenen „Gefchichte von Böhmen“, deren Wert als Abklatſch Hajeks fonft jehr gering anzuſchlagen ift. Er kennt und nennt bor den Slawen nicht nur germanifche Stämme in Böhmen, fondern bor diefen ein noch älteres Volk, die Kelten, und begründet feine Behauptung mit der berühmten Stelle aus Tacitus „Germania“, die, 98 ı. Chr. verfaßt, aud) erft wieder in der 2, Hälfte des 15. Jahrhunderts befannt ge- worden war, dab da3 Land Böhmen feinen altehrwürdigen Namen noch von den keltiſchen Bojern trage, wenn aud) die Befiedler gewechſelt haben? .

22 Zweiter Abſchnitt.

Mit diefen wichtigen Feftitelungen, die man alfo der humaniftifchen Geſchichtsforſchung und den klaſſiſchen Schrift werfen verdankte, waren die Anfänge beglaubigter Volks- geſchichte in Böhmen im Vergleich mit der mittelalterlichen Kenntnis eines Cosmas oder Marignola um viele Zahrhun- derte, um ein ganzes Jahrtaufend zurüdgefchoben: von 894 nad) bis Hundert Jahre vor Chrifti Geburt. Denn man erfuhr aus dieſen und anderen Quellen weiter, daß ſich um das Sahr 114 vor Chr. gerade hier in Böhmen oder wenigſtens an deflen Grenzen der erfte weltgeſchichtliche Kampf zwiſchen Kelten- und Germanentum abgefpielt habe, von dem die Ge- ſchichte zu melden weiß. Als nämlich die germanifchen Kimbern aus dem hohen Norden heranziehend, verſtärkt durch andere Völker, die ſich ihnen auf dem Marſche angeſchloſſen hatten, auf die Bojer ſtießen, wurden fie bon ihnen, wahrſcheinlich im Eragebirge, abgeivehrt und mußten auf anderem Wege als durch Böhmen gegen Süden zu gelangen trachten.

Hier an der böhmischen Waldmauer im Norden wurde der „erite Wellenichlag“ der großen germanifchen Völferwande- rung, wie man befanntlidy diefen Kimbernzug begeichnet, ge- brochen. Aber ſchon der zweite Angriff germaniſcher Stämme auf diefe boiſche Wallburg war von vollem Erfolg. begleitet. Er ging von den Marfomannen und ihnen verwandten Völkern aus, die alle dem weitausgebreiteten Stamm der Sueben angehörten und damals nördlich und füdlich des Mainfluffes faßen. Im Bufammenhang mit ſchwerſten Angriffen, denen die Kelten im legten borchriftlichen Jahrhundert in allen ihren mitteleuropäifchen Sigen, in den Alpen, in der ungarischen Ebene und an der unteren Donau ausgefet waren, ift auch) ihr böhmifches Bohlwerk angegriffen worden und gefallen. Oder wie e3 ein römiſcher Gefchichtichreiber bezeichnend auß- drüdt: „Der bis zu diefer Zeit ungefannte und unbetretene herzyniſche Wald ift geöffnet worden“.“

Den Verlauf diefeg Kampfes im einzelnen kennen wir nit. Wir wiſſen nur etwas von feinem Endergebnis, Um das Sahr 9 vor Chr. find Markomannen unter der Anführung eine8 Feldherrn oder Herzogs namens Marbod vom Weiten

Kelten und Germanen auf böhmiſchem Boden. "23

kommend in Böhmen eingedrungen und haben fid, im Lande feftgefegt, Zu gleicher Zeit, vielleicht etivag früher, haben ſich aud) Quaden, ein anderer ſuebiſcher Stamm, unter Führung des Tudrus in Mähren niedergelafjen, neben oder an Stelle der keltiſchen Kotiner, je nachdem man annehmen will, daß diefe ältere Bebölferung, ebenjo wie die Bojer, gang oder nur teilweiſe dag bon ihnen bislang bewohnte Gebiet aufgeben mußte. Und rings umher faßen bald andere germanifche Völker, an der unteren Nab und am Regen zurückgebliebene marfomannifche Stämme, die fi) Nariften (oder Wariften) nannten, zu beiden Seiten der Elbe die ſuebiſchen Sermun- duren,® nördlich von ihnen Zangobarden und Semnonen, öſtlich die Zugier, etwa an der Oder in Schlefien, in der Nähe die Marfingen, vielleiht am Oftabhang des Rieſengebirges. Sie alle und noch einige andere Völkerſchaften hatte Marbod durch Kriege oder Verträge an fich gefeſſelt und fi) als König der Markomannen zum Haupt eines erften großen germanifcdhen Bundesftantes gemadit, defjen Mittelpunkt Böhmen mar. In feiner Refidenz mit Namen Marobudum, dag man wohl irrig in einem Burgwall bei Stradonig (Ger.-Bez. Rakonitz, weſtlich bon Prag) wiedergefunden zu Haben glaubt, führte er fürft- liches Leben ein, nad; römiſchem Mufter, dag ihm bon einem längeren Aufenthalt am kaiſerlichen Hof befannt war. Er bielt eine Zeibgarde von 70.000 Mann Fußvolk und 4000 Rei- tern, unterhielt aber aud rege Sandelsbeziehungen zum tömifchen Rei. So gefährlich erichien bald diefer Germanen- fönig im Böhmerland den Römern, dab Kaiſer Auguftus im Sabre 6 nad) Chr. ſich entichloß, ihn anzugreifen, Zwei Heere, etiva 150.000 Mann, wurden ausgejandt; dag eine unter dem Statthalter in Germanien 2. Sentius Saturninug follte vom Beten, das andere unter Auguſtus' Ydoptivjohn, dem ipäteren Kaiſer Tiberius, vom Süden her in Böhmen eindringen. Sie ftanden nur nod) einige Xagemärfche von den Grenzen de Marbodſchen Reiches entfernt, als ein underhofft ausbreden- der, bielleidyt von Marbod in Pannonien geſchickt angezettelter Aufftand gegen das Römerreich die ganze Unternehmung dum Stilftand brachte. Mit Marbod mußte raid) Friede ge»

24 Zweiter Abſchnitt.

ſchloſſen werden, dem ein Freundſchaftsbündnis folgte, damit Rom bei feinen weiteren Kämpfen wenigſtens von dieſer Seite bor Angriffen geihügt jei.

Und Marbod Hat den Vertrag gehalten. An dem gewal- tigen Befreiungsfriege, den drei Jahre fpäter, 9 nad} Chr., der zweite germanifche Völferbund unter dem Cherusferfürften Arminiug gegen die römifche Herrſchaft im weitlichen Deutjſch⸗ land unternahm, und der in der berühmten Varusſchlacht im Teutoburger Walde ſeinen glanzvollen Höhepunkt erreichte, hatte Marbod trotz Bitten und Mahnungen Armins nicht teil- genommen. Mehr noch: dem Rachezug des Germameus gegen die Cherusker in den Jahren 15 und 16 hatte Marbod aus feinen böhmifchen Wäldern untätig zugeſehen. Der Abfall mehrerer Völferfchaften, die bisher zu ihm gehalten hatten, vornehmlich der Zangobarden und Semnonen, war die Folge diefer unnatürlichen völkiſchen Gleichgültigkeit Marbods gegen dag Schidfal der gefamten Germanen, Ein Kampf zwiſchen Armin und Marbod, zwifchen Cherusfern und Marfomannen, den führenden Völkern der zivei großen deutfchen Staatenbünde, erwies ſich als die einzige mögliche Löſung diefer unleid- lien Verhältniffe. Angefichts der Fampfbereiten Heere mußte fih Marbod von Armin „einen feigen Flüchtling jchelten laſſen“, der fi, fern von Schlachten in den Schlupfiwirtkeln des herzyniſchen Waldes verftede und bei den Römern um ein Bündnis bettle, einen Trabanten des Cäfar, den man mit nicht minderer Erbitterung zu berjagen trachten müffe, wie man Quintilius Varus vernichtet habe,

Nach kurzem Kampfe, deſſen Fortführung die Fahnenflucht in feinen Reihen unmöglich machte, zog ſich Marbod in fein Land zurüd, Noch verſuchte er, vom Kaiſer Tiberius Hilfe zu erlangen. Diefer lehnte aber jede Friegerifche Unterftügung mit der Begründung ab, daß auch Marbod den Römern gegen die Cherusfer feine Hilfe geleiftet habe. Man fieht, in welchem Sinne die Römer das Freundichaftsbündnis, dag fie mit Mar- bod zu jchließen gezwungen worden waren, nad) wenigen Sahren berftanden wiſſen wollten. Marbods Stellung war völlig untergraben, fein Königtum auch bei den Markomannen

Kelten und Germanen auf böhmiſchem Boden. 25

nicht länger haltbar. Der bon ihm früher einmal bertriebene Gotone Katwalda griff ihn mit Heeresmadjt an und, berleitete die marfomannifchen Großen zum Abfall, jo daß Marbod Fein anderer Ausweg übrigblieb, ala in Rom um eine Zuflucht ftätte zu bitten.

Damals geſchah es wohl zum erften und einzigen Male, daß im römiſchen Senate vom Lande Böhmen und einem böhmi- ſchen König gefprochen wurde. Kaiſer Tiberius ergriff jelber das Wort. In längerer Rede, deren bedeutfamer Inhalt aus Tacitus' Worten trog aller Rhetorik klar erfichtlid) wird, führte er aus: Nicht Philipp von Mazedonien fei den Athenern, nicht König Pyrrhus von Epirug oder Antiohus von Syrien den Römern fo gefährlich geweien, wie Marbod von Böhmen. Er ſchilderte die Größe des Mannes, die ungeftime Macht der ihm untertänigen Völkerſchaften, wies nad), wie nahe diefer Feind dem Reiche fei, und führte im einzelnen aus, was er zu deſſen Vernichtung unternommen habe, Dadurch bewirkte er, daB man Marbod in Ravenna ein Afyl bot, ala Warnung für die Sueben, fagt Tacitus, dem wir den ganzen Bericht verdanken, „jollten fie einmal übermütig werden“, Achtzehn Jahre ver- brachte Marbod noch in diefer freien Gefangenihaft und „ergraute, wobei er bon feinem Ruhm viel einbüßte, weil er das Leben allaufehr geliebt”. So fließt der Berühmte römiſche Gefchichtfefreiber feine nicht leicht verjtändliche Charafteriftif diefes eriten Böhmenkönigs, bon dem ung die Geſchichte meldet.”

Der erfte Verſuch, von Böhmen aus ein weit über feine heutigen Grenzen reichendes Staatsweſen zu ſchaffen, hatte Teinen dauernden Erfolg. Die auf Marbod folgenden Könige, die über die Marfomannen herrfchten, den Gotonen Katwalda, den Hermunduren Vibelius, den Quaden Bannius, ereilte nad) fürzerer oder Jängerer Regierung das gleiche Schickſal wie Marbod. Sie mußten ihren Gegnern weichen und im römi« ſchen Reiche als Flüchtlinge ihr Leben befchließen.

Mögen aud; diefe dynaftifchen Kämpfe nicht ohne Wirkung auf die politiiche Geftaltung des böhmischen Markomannen- ſtaates gewejen fein, eine Gefahr für feinen Beſtand bedeuteten

26 Zweiter Abfchnitt.

fie wohl nicht. Übrigens wurden nad) einiger Zeit die alten Zürftenhäufer doc; wieder eingejegt, jowohl bei den Marfo- mannen als bei den Quaden, denn Tacitus berfichert, daß bis auf feine Zeit er ftarb 117 n. Chr. Könige aus dem eigenen Volke, dort „das alte Gefchlecht des Marbod“, hier „jenes des Tudrus“, herrichten, und daß erft bon da angefan- gen beide Völker, Markomannen und Quaden, unter fremde Zürften gerieten, die ihre Macht Roms Unterſtützung ver- dankten. Nur fagt er ung nicht auch, durch welche Borfomm- niffe diefe Veränderungen herborgerufen wurden, noch welchen Stämmen die neuen Fürſten angehörten, Und die fpätere Überlieferung wird jo dürftig, daß Marfomannen und Quaden in den römifchen Gefchicjtsquellen nur noch genannt werden, wenn fie den Römern irgendwie zu ſchaffen gaben. Das ge- ſchah einmal im Dalerkrieg unter Kaifer Domitian (81%), als die Marfomannen im Bunde mit dem Daferfürften Decebalus, deſſen Reich fich zwiſchen den NKarpathen und der unteren Donau ausbreitete und im Welten vielleicht unmittel- bar mit dem der Quaden und Markomannen zufammenftieß, den Römern mandje Niederlage bereiteten. Sodann nad fait fiebzigjähriger Unterbrefung im großen Marfomannenfrieg unter Kaiſer Marf Aurel (165—180), deifen oft wunderbarer Verlauf auf der den Namen diefes Kaiſers tragenden Säule zu Rom bildlich dargeftellt erjcheint.®

Diefer Krieg entitand in natürlicher Rückwirkung jener Sahrzehnte zubor im Gebiete öftlich der Elbe begonnenen neuen Bewegungen germanifcher Völker, die dann auf die meitlicher figenden Stämme drüdten und fie über den Grenzftrom ber Donau ing römifche Reid, hinüber zu drängen drohten: auf die Markomannen unter einem König Bellomar, auf die Quaden unter König Furtius und fpäter unter Ariogaſus, auf Her- munduren, Zangobarden, Sazygen und andere. So gefährlich der Krieg anfangs für Rom zu werden, ſchien, eg gelang dem Kaifer [hließlich doch, das Völkergemiſch aufzuhalten, Ja es hatte den Anſchein, als ob Nom zum Angriff übergehen, auch hier altgermanifchen Boden erobern und feiner unmittelbaren Herrſchaft unterwerfen würde, Hätte nicht der Tod des

Kelten und Germanen auf böhmiſchem Boden. " 27

Kaiſers diefen Plan verhindert, jo wäre das ganze Marko- mannen- und Ouadenland nördlich der mittleren Donau, alſo aud) Böhmen und Mähren, in eine römifche Provinz unter dem Namen „Marcomannia” umgewandelt worden, wie es ſchon befchloffene Sache war. Mark Aurels Sohn und Nachfolger Kaifer Commodus konnte ſich zu diefem legten Schritt, durch den der Krieg erft einen wirklichen Abſchluß gefunden hätte, nicht mehr entichließen,

Bom Standpunkte unferer Landesgeſchichte ift es lebhaft zu bedauern, daß die Schilderungen, die fich von diefen Kämpfen erhalten Haben, nah der topographifchen Seite Hin fo unbeftimmt find, daß alle Vermutungen über den Schauplatz einiger wichtiger Ereigniffe, von denen in den fchriftlichen oder bildnerifchen Quellen die Rede ift, mit äußerfter Vorſicht auf« genommen werden müffen. Das linke Donauufer von Regens- burg bis tief nad) Ungarn hinein war jedenfalls das eigentliche Rampffeld. Allein die große Ausdehnung des Krieges, an dem zwanzig und mehr deutide Stämme teilgenommen haben, ſowie feine lange Dauer beredjtigen gewiß zu der An- nahme, daß aud) das Land bis tief nady Böhmen und Mähren hinein und vielleicht noch darüber hinaus in Mitleidenichaft gezogen wurde. Der im ganzen für Rom günftige Ausgang des Krieges madjt es unwahrſcheinlich, daß in den Siedlungs- verhältniffen im Norden der Donau größere Änderungen vor fi) gegangen jeien, wenn aud) eine Ausbreitung der Marko- mannen und QDuaden big an den Strom damals oder kurz aubor eingetreten fein dürfte. Für ein Preisgeben Böhmens oder Mährens durch die dafelbft bisher anfäfligen Völker it nirgends in den Quellen auch nur der leifefte Anhaltspunkt au finden; aud) wäre hiefür mad) der Lage der Dinge kaum die Möglichkeit gegeben gewefen. Vielmehr kamen die Völfer nun erit in längerer Sriedensperiode zu regerer Zultureller Entwicklung und wirtſchaftlichem Schaffen in ihrer frucht- baren Heimat. Diefe Tätigkeit aber auch nur in allgemeinen Zügen zu fennzeicinen, dazu fehlen fait alle Vehelfe, will man nicht gemeingermaniſche Verhältnifie ſtaatlicher Organifation und völfifcher Lebensführung, wie man fie allerdings aus bver-

28 Zweiter Abſchnitt.

ſchiedenen Quellen kennen lernt, auf einen einzelnen be— ſonderen Stamm übertragen. Da Böhmen und Mähren nicht zur römifhen Provinz „Marcomannia” geworden war, befümmerten ſich die römifchen Gefchichtfchreiber nicht weiter um diefe entlegenen Gebiete, am wenigſten um ihre innere Entwicklung. Wiederum, mie ſchon früher, wird in der Bolgezeit ihrer nur gedacht, wenn es ſich um kriegeriſche Ver- widlungen mit ihnen handelt, einmal um die Mitte des 3. Jahrhunderts, zwiſchen 253 und 260, und dann tieder ein Säfulum jpäter, 357. In diefen Jahren find es Marko- mannen und QDuaden, die fi} gemeinfam gegen die Römer wandten; um 374 werden Quaden allein genannt. Immer aber erfahren wir bloß die Tatfache, ohne jedwede Einzelheit.

Die legte derartige, wenn auch noch unbeitimmtere Nad;- richt gehört dem Ende des 4, Jahrhunderts an, erhält aber aus anderem Grunde Bedeutung. Eine Marfomannenkönigin Sritigil® hört von einem römifchen Chriften, der in ihr Land Tommt, dag in Mailand ein Bifchof Ambrofius Iebe, der fich durch befondere Frömmigkeit außzeichne. Sie überjendet ihm Gefchenfe und bittet um Belehrung im Glauben. Der Biſchof erfüllt ihre Bitte, jchiet ihr eine Art Katechismus und flicht in das Schreiben, das er an fie richtet, den Wunſch ein, Fritigil möge auf ihren Gemahl, deifen Name nicht angegeben wird, einwirfen, daß er Rom den Frieden wahre, der jomit damals durch die Marfomannen irgendivie gefährdet geweſen jein muß. Fritigil entfchließt fi) daraufhin, ſelber nach Mailand zu ziehen, um den Biſchof zu ſprechen, trifft ihn aber nicht mehr am Xeben, da er kurz vor ihrer Ankunft, am 4. April 897, geitorben war. Das berichtet feine Lebensbeſchreibung. Mit Recht hat man gefragt, ob e3 wahrſcheinlich fei, dab Fritigil fi) damals allein zum Chriftentum befannt haben follte, ob nicht vielmehr ein Xeil des markomanniſchen Volkes ſchon befehrt war, fo daß die früheften Anfänge des Chriftentums in Böhmen auf das erfte dort anfäflige germanifche Volk, die Marfomannen, zurüdgehen würden. Eine geiviffe Stütze fände diefe Vermutung in dem Funde eines Kreuzchens in einem nordböhmifchen Marfomannengrab.’°

Kelten und Germanen auf böhmifhem Boben. 20

Es iſt nicht die einzige wichtige Frage aus der ſpäteren Geſchichte der Markomannen, auf die man vorläufig feine beſtimmte Antwort zu geben vermag.

Bis zum heutigen Tag wird in den Lehrbüchern vielfach angenommen, daß die Marfomannen eine wichtige Rolle beim Hunnenzug um die Mitte des 5. Jahrhunderts gefpielt hätten. Allein wie es fi) nicht nachtweiſen läßt, daß Attila feinen Weg durch Böhmen genommen und die dort wohnenden ger- maniſchen Völker mit fid) geriſſen habe, ebenfo entbehrt die oft wiederkehrende Behauptung, daß die Marfomannen in der Schlacht auf den katalauniſchen Feldern (451) ganz oder fait ganz aufgerieben worden feien,t! jeder glaubwürdigen Unter- - lage, geht nur zurüd auf eine unbeitimmte Angabe eines fpäteren Chroniften aus dem 8. Jahrhundert, die fi) mit allen gleichzeitigen Berichten im Widerſpruch befindet.

&3 ift vielmehr eine ganz eigentümliche Erfcheinung, wie ung diejes Volk im Verlauf des 5. Jahrhunderts gleichſam unter den Augen entſchwindet. Man wird der von namhaften Vertretern germaniſcher Völkergeſchichte ausgeſprochenen An- ſicht, daß die Markomannen wie im 3, und 4. auch noch im 5. Sahrhundert fi; in Böhmen hielten, gewiß zuftimmen,'* wenn man dafür auch nur allgemeine Gründe anführen Tann. Bir erfahren nämlich nicht, dag fi) die Markomannen in gewaltigen Kämpfen, wie andere germanifche Völker, ber- blutet hätten und zugrunde gegangen wären; und ebenjo- wenig, daß das Volk aus feinen alten Sitzen ausgewandert fei oder berdrängt worden wäre; denn das bereinzelte Vor- fommen markomanniſcher Scharen in Pannonien oder in Italien zu verichiedenen Zeiten erflärt fi) durd) Abwanderung überfchüffiger Xeile vom Gefamtvolfe. Hier gilt wohl das Wort Jakob Grimms: daß für die Fortdauer eines Völkerfiges fo- lange die Vermutung ftreitet, big das Gegenteil beitimnit erwiefen ift.!* Auch die tſchechiſche Geichichtichreibung gibt jetzt au, daß die früher übliche Annahme der völligen Preisgebung des Landes dur die Marfomannen weder der Quellenüber- lieferung entfpricht, noch auch völkergeſchichtlich wahrſcheinlich

Es iſt von dieſer Seite die Meinung ausgeſprochen

30 Zweiter Abſchnitt.

worden, daß vielleicht dieſes Volk, das einſtmals mächtig, gefürchtet und kriegeriſch geweſen, ſpäter durch langwierige Kriege, ſchwere Niederlagen, Abtrennung einzelner Zweige, Abgabe kriegeriſcher Kontingente an Rom weſentlich gelichtet und geſchwächt worden ſei und ſich auf ein beſchränkteres Gebiet feiner urſprünglichen Siedelung zurückgezogen habe.“

Das mag ſo oder anders geweſen ſein. Tatſache iſt, daß Böhmen vom Beginn des 5. Jahrhunderts ein Land ohne erkennbare Geſchichte ift. Die hiſtoriſchen Quellen verfagen und verfiegen für längere Zeit, aber wohl kaum, weil dag Land zur menfchenleeren Wüfte geworden ift, jondern weil die in jener Periode an fi) armjelige Geſchichtſchreibung dieſe fernen Gebiete nicht mehr erfaßte.

Wenig vermögen zur Aufhellung die unbeitimmten Nach - richten beizutragen, die auf einen kürzeren oder längeren Aufenthalt der Langobarden”” und wahrſcheinlich au noch anderer germanifcher Völker in Böhmen und Mähren hindeuten, die in marfomannifcher SHerrichaftszeit ringe um Böhmen ſaßen. Sie find zeitlic) und fachlich zu wenig Klar überliefert, um fi) hiftoriographifch verwerten zu laffen. Das für Böhmen bodenftändige germanifche Volk bleiben die Marfomannen, wie für Mähren die Duaden. Verſchiebungen und Miſchungen mögen ftattgefunden haben, insbejondere als nad) dem Unter- gang des weſtrömiſchen Reiches (476) auf den Böhmen und Mähren benadjbarten Gebieten neue Staatsweſen bon deutſchen Völkerſchaften begründet wurden, von Franken, Schwaben, Thüringern, Sachſen, Bayern, in denen fid) ältere germanifche Stämme fortpflanzten.

Eben mit dem Auflommen der Bayern ſucht man das Verſchwinden der Markomannen in Verbindung zu bringen.

Zu Beginn des 6. Jahrhunderts, um 520, taucht zum erften Male und fortan öfter der deuti—de Stamm der Bayern in den Sitzen zwiſchen Led, Inn und Alpen auf. Aus der älteften Namensform, die fih in den Quellen findet, „Baioarius“, Hat man geſchloſſen, daß dieſes Volk in Be- ziehung ftehen müffe zu dem Lande „Baja” oder „Bajas”, das nichts anderes fein Tönne ala Böhmen (Boiohemum),

Kelten und Germanen auf böhmifhem Boden. 31

die Heimat ehemals der Bojer, dann der Marfomannen. Bon diefer jpradjlichen Ableitung ausgehend wurde dann weiter gefolgert, daß die böhmifchen Marfomannen zu Beginn des 6. Jahrhunderts ihre Heimat verlaffen und gemeinfam mit anderen germanifchen Stämmen den bayriidhen bon den Römern bereit? aufgegebenen Boden befiedelt hätten.’* Mochten auch jpäterhin über die Herkunft der Bayern andere Vermutungen aufgeftellt worden ſein,“ die älteite fand denn doch bis zum heufigen Xage die meilten und nambafteften An- bänger, trotz mancher Bedenken, die gegen fie auftauchten. Nicht oas unwichtigſte wurde erft jüngft wieder von einem der ent- idiedenften Vertreter der Bayern-Marfomannentheorie bor- gebracht, dahin lautend, daß es „völlig dunkel“ fei, was die DMarkomannen zum Verlaſſen Böhneng in jener Zeit beitimmt haben Fönnte.’°

Es läge gewiß nahe, die Erklärung biefür aus der weiteren Entwidlung Böhmens zu ſchöpfen und auf die Nieder- laſſung der Tſchechoſlawen in diefem Lande, anderer ſlawiſcher Stämme in der öftlichen Nachbarſchaft hinzumeifen, wenn man damit nicht auf dag zweite Problem ftieße, dag die Heimats- geichichte diefer Zeit der Forſchung darbietet.

Faſſen wir die bisherige Entwicklung zuſammen: Nach einer keltiſchen Periode, die mangels aller Quellen in ihrer Bedeutung kaum recht erfahbar, geſchweige darſtellbar ift, die nur eine Reihe Feltifcher Namen im Lande bis zum heutigen Tage hinterlaffen hat, fegt in Böhmen und Mähren kurz vor Beginn der Kriftlichen Zeitrechnung die Herrſchaft germani- ſcher Völker ein, bornehmlich der ſuebiſchen Markomannen und Quaden. Sie währt mehrere Jahrhunderte fort und nimmt von Anfang an einen Zug ins Große, ſucht Böhmen zum Stüßpunft einer germanifchen Wölferberbindung zu machen, um fi) der römifchen Weltmacht erwehren zu fünnen. Das gelingt; aber die bon Rom geſchürte Zwietracht unter den Germanen jelbft wirft den aufitrebenden Marfomannenftaat jäh aus feiner führenden Stellung zurüd, Böhmen hörte ſehr bald auf, einen der Brennpunkte germanifcher Völker politif zu bilden. Erſt nach fait anderthalb Jahrhunderten

32 Zweiter Abfchnitt.

erhob ſich das Markomannenreich zu neuer Macht und trat wieder an die Spike zahlreicher germaniſcher Stämnte, um dem römifchen Reich, mit deſſen Grenzen es entlang der ganzen mittleren Donau zufammenitieß, entgegen zu treten und auf defien Boden Iandbedürftigen Germanen neue Heimat zu verſchaffen. Aber am Ende diejes langwierigen Krieges, dem das Markomannenvolf als das führende den Namen gegeben hat, war es trog allen Heldenmutes nahe daran, politifch zu unterliegen, fein eigenes Land Böhmen mit den Nachbargebieten in eine römiſche Provinz umgewandelt zu ſehen. Vielleiht nur ein Zufall, der plötliche Xod des tömifchen Imperator, hat dieſe melthiftoriihe Wendung verhindert.

Kriege mit den Römern find auch in der Folgezeit die ein- zigen Anläffe, daß ung bon den Marfomannen in großen Zwiſchenräumen noch Kunde wird; -aber nicht aus eigenen Aufzeichnungen, denn folde find von Marfomannen und Quaden nicht ausgegangen oder nicht erhalten, fondern nur aus römifchen Berichten. Sobald diefe aufhören, wird eg ruhig von dem alten Marfomannenvolf,

Wie ein Kampf- und Arbeitsleben ſchließlich im befcheidenen Altenteil endet, um jüngeren aus dem eigenen Blute ent- iproffenen Kräften neben ſich Raum zu gönnen, fo fcheinen die Marfomannen und Quaden nad einem halben Jahr— taufend Ringens und Schaffens langſam vom Schauplatz melthiftorifcher Tätigkeit zurüdgetreten zu fein und ſich glei- fam in neu auftretenden germanijchen Völkern verjüngt zu haben. Bon Auswanderung, völliger Vernichtung, von der man fo oft fpricht, Hört man in den Quellen nichts. Die Markomannen und Quaden und mande ihrer Nachbarn gehören zu jener Gruppe von Weftgermanen, die im Gegenſatz zu den unfteteren Oftgermanen in ihrer einmal errungenen Heimat mwurzelten und an ihr fefthielten.”° Wielleicht haben fie mitgeholfen, im 5. und 6. Jahrhundert in ihrer unmittel- baren Nachbarſchaft den neuen deutichen Bayernſtaat auf- zurichten. Das ſchließt keineswegs aus, daß fie in ihrer alten Heimat Böhmen fortgelebt haben. Wir befigen ja fo wenig

Kelten und Germanen auf böhmifhem Boden. 8

Einblid, wie fi Bayern, Franken, Thüringer, Sachſen aus älteren germanifchen Völkerſchaften herausgebildet haben.?! Jedenfalls bot das Land Böhmen ſtets Raum genug, um neue Völker, die fi) auf ihren Wanderungen den Weg dahin bahnten, unbehindert in ſich aufzunehmen,

Eine beftimmte Antwort über das Ende der Marfomannen in Böhmen. oder der Quaden in Mähren nad; Zeit und Art ermöglichen die Quellen nit. Man kann nur die Möglich- feiten, die fid; vor Augen ftellen, erwähnen und gegen ein- ander abmwägen. Halten wir daran feit, dag Völfer ohne Kampf und Not erenbten Befig nicht aufgeben und für Marfomannen und Duaden zeigt fich eine ſolche Notwendigkeit niemals dann ließe ſich nad) der zulegt angedeuteten Ent- widlung eine Brüde ſchlagen bon dem alten Germanenbolf, da8 Jahrhunderte Iang hier geſeſſen und von defien Aus- zug oder Untergang feinerlei Kunde vorliegt, hinüber zu dem deutſchen Wolfe, da8 nad, Generationen wieder auf böhmischen Boden fit und deifen Aufkommen dafelbit bisher fo unver- mittelt erſchien und fo künſtlich erklärt werden mußte,

Bretboız Geld. Böhmens u. Däßrene I. 8

Dritter Abſchnitt.

Die ſlawiſche Einwanderung. Das Auflommen des premyſlidiſchen hauſes. Das geoßmährifhe Reid. Bis 906.

Nach Kelten und Germanen find Slawen dag dritte und Iegte Volk, das ſich auf böhmiſchem und mähriſchem Boden niedergelajjen hat. Wann und bon wo fie dahin gefommen find, welche Umſtände ihr Vordringen veranlagt haben, konnte ſchon Cosmas nicht in Erfahrung bringen, jodaß er ſich damit half, an die biblifche Erzählung anzufnüpfen. Und bis zum heutigen Tage ift man insbefondere über die erfte und für uns widtigite Frage zu feinem geficherten Ergebnis gefommen, ſoviel ſich auch die Forſchung im 19. Zahrhundert darum be- müht Hat, Man kann wohl jagen, daß alle denfbaren Möglich- feiten bereit3 erwogen und mit mehr oder weniger Wiffen- Ichaftlichfeit vertreten worden find. Man hat von der Auto- chthonie der Slawen in unjeren Ländern geiprochen, d. h. daB fie bier überhaupt nie eingemandert feien, jondern die Ur- bevölferung darftellen; dann davon, daß Bojer und Marfoman- nen, die hier faßen, nicht Völker keltiſcher und germaniſcher, jondern jlawifcher Raſſe geweſen jeien. Man hat Slawen neben Kelten und fpäter neben Germanen in beitimmten Zeilen de3 Landes zu gleicher Zeit fiedeln laſſen wollen. Es gab und gibt Forfcher, die die Einwanderung der Slawen in die bordriftlihe Zeit verlegen zu müffen glauben, und wiederum ſolche, die diefes Ereignis in eines der Jahrhunderte nah Chrifti Geburt fegen; und faft für jedes Säfulum vom eriten bis zum fiebenten haben ſich Vertreter gefunden. Der Beitpunft wurde bgld unbeftimmt gelaffen, bald genauer, ja jogar bis aufs Jahr genau feftzuftellen verſucht. €3 find u. a, genannt worden: 58 vor Chr. &., dann 180 nach, 480, 534, 644.%

Diefe Fülle einander widerſprechender Anfichten erflärt ſich aus dem Fehlen jedweder Quellennachricht, die auf die richtige

Die ſlawiſche Einwanderung. 83

Spur führen Fönnte, jo dag der Mutmaßung Tür und Tor geöffnet iſt. Der Standpunkt, den die neueſte Geſchichtsſchrei- bung in Böhmen diefem Problem gegenüber einnimmt, er- icheint in dem Sage ausgeſprochen: „Auf die Frage, wann die Tſchechoſlawen in ihren jegigen Wohnfigen auftreten, hat die Geſchichte . . . nur die einzige mögliche Anttwort: vor dem 6. Zahrhundert nad; Chr. ©. findet fich hier von ihnen feine Erwähnung“. Dieje Feltitellung erfährt aber noch eine Ein- ſchränkung dur das nachfolgende Zugeftändnig, daß das erite fihere Datum ihrer Anfälligkeit in Böhmen fogar erft in daß 7. Jahrhundert falle, allein derart jei, dag man die Einiwan- derung denn doch ſchon in dag 6, zurüdverlegen dürfe? Doch auch diefe Schlußfolgerung ift willfürlich, denn fie geht bon der Qorausfegung aus, daß ein beitimmtes gefchichtliches Ereignis in unmittelbarem Zufammenhang mit Böhmen ftehe, was borerjt zu beiveifen wäre,

Ein fränfifcher Chronift, der Fortſetzer des jogenannten Fredegar, der etiva 660 jein Werf begann, erzählt nämlich, daß im Sabre 624 ein Franke namens Samo aus dem jenonagifchen Gau (vielleicht Sens in der Champagne) mit mehreren Kauf- leuten zu den Slawen, „die man Winden (Vinedos) nennt“, gezogen fei. Als er dahin Fam, fand er fie in Kämpfe mit den Amaren bermwidelt, half ihnen mit Rat und Tat und zeichnete fi) dermaßen aus, daß fie ihn zu ihrem „König“ machten. In ber Folgezeit unternahm er felber Kriege wie gegen die Awaren fo gegen dia Franken, denen diejes Slawenland dienft- bar war, ſchuf ein großes Reich, hatte 12 windiſche Frauen, zeugte mit ihnen 22 Söhne, 3 Töchter und ftarb nad) 35 jähri- ger glüdlicher Regierung, alſo um 660, worauf fein Reich wieder zerfiel. Wo lag diejer ſlawiſche Staat des Stanfen Same? - .

Es ift eine vorzüglich auf Pelzel® und Palacky zurüd- gehende Annahme, daß damit nur das tſchechiſche Böhmen gemeint fein könne, obwohl fi dafür bei Fredegar nicht der minbefte Anhaltspunkt findet und eine andere Duelle aus- drücklich Kärnten, das eigentliche Windenland, als Samos Herrſchaftsbereich bezeichnet. Bei Pelzel war es, wie er deut-

PN

3 Dritter Abſchnitt.

lich erkennen läßt, der Wunſch, „den Ruhm und die Tapferkeit unſerer Voreltern in den älteften Zeiten“ auf eine. beftimmte Tat feltzulegen, wag ihn auf diefen Gedanken führte. Palacky aber machte Samo, „diejes glänzende Meteor“, zum erften Böhmenherzog und Böhmen zum Mittelpunkt des bon ihm gefchaffenen Reiches, weil er, irregeführt durch die 'ge- fälfchte Königinhofer und Grüneberger Vandſchrift, ſich einen flawifchen Staat im 7. Sahrhundert überhaupt nirgends anders denfen fonnte als in Böhmen. Und von da an herricht diefe Anficht faſt allgemein bei allen folgenden tſchechiſchen und deutſchen Gefchichtfchreibern bis in die allerneuefte Zeit, zum mindeften in der. Form, dag Böhmen mit zum Reiche Samos gehört haben müſſe. Daraus folgerte man dann weiter in falſchem Kreisſchluß, daß die Tichechen doch wohl ſpäteſtens im 6. Sahrhundert nad Böhmen eingewandert fein müßten, wenn Samo ſchon im zweiten Viertel des 7. über fie geherricht habe.

In Wirklichkeit fehlt e aber an jeder Handhabe, Samo mit Böhmen in Verbindung zu bringen. Bon Kämpfen zwiſchen Amaren und den bon ihnen durch Mähren getrennten Völfer- ſchaften in Böhmen hat fidy in den Quellen nirgends eine Spur erhalten. Der Schwerpunkt des awariſchen Reiches lag im Tiefland zwiſchen Donau und Theiß. Bon Kärnten und Friaul her wurde in den Fahren 7% und 796 der vernichtende Schlag gegen fie geführt. Die böhmiſche Vorgeſchichte, wie fie Cosmas bietet, fennt feine Geftalt, die auch nur im entfernte- ften an Samo erinnerte, obwohl fein Lebenslauf für Sagen- bildung wie geichaffen erfcheint,* keine Ereignifle, wie fie Fredegar im Zufammenhang mit Samo berichtet. Man wird dag Vorkommen von Slawen in Böhmen im 7. Sahrhundert nicht ſchlechtweg leugnen, aber von einer Madjtitellung, wie fie Samos Herrſchaft borausfegen würde, kann nicht die Rede fein. Selbſt nody während deg ganzen 8. Jahrhunderts fehlt jeder quellenmäßige Beleg für die Anſäſſigkeit der Slawen in Böhmen oder Mähren; erſt zu Beginn des 9, laſſen fie ſich unzweifelhaft dort nachweiſen. Dag bejagt natürlich nichts über die Zeit ihrer Zumanderung, die ebenjo Jahrzehnte wie Sahrhunderte zuvor erfolgt fein kann.” Wir tappen hier voll-

Die ſlawiſche Einwanderung. 87

Tommen im Dunkeln und können nur wenig Tatſächliches feit- ftellen.

Die böhmifche Urfage bietet, wenn man ihren Kern heraus- ſchält, nit nur keinerlei Hinweis auf den Beſtand eines ſlawiſchen Großſtaates auf böhmiſchem Boden in ſo früher Zeit, ſondern läßt vielmehr eine ganz andere Entwicklung des ſlawiſchen Volkes in diefem Gebiete erfennen: ein langſames Zufließen und Seftjegen in Heinen Gruppen, ein allmähliches Zuſammenwachſen zu größeren Verbänden. Sie zeigt ung als Schauplak der älteiten Geſchichte nicht ein ganzes Land mit einem einheitlichen geſchloſſenen Volf,? jondern einzelne Gaue (pagi) mit Heinen Stämmen (tribus), die nebeneinander und unabhängig voneinander beftehen. Bald bilden die größeren Flußläufe die natürlichen Grenzfcheiden zwiſchen ihnen, bald breiten fie fich zu beiden Seiten eines Flüßchens oder Baches aus. Derjenige Gau, der in der Zukunft der wichtigfte werden follte, mit dem Mittelpunfte Prag, liegt eingefchloffen von der. Beraun, Moldau, Elbe und Eger. Südlich der Beraun nennt Cosmas einen Gau Stebezna, öftlich der Moldau den Gau Bein. An ihn fchließt ſich nördlich der Leitmeritzer Gau rechts ber. Elbe und am linfen Ufer zwischen der Eger und Biela der Beliner mit dem Hauptort Staditz.

Es ift durch nichts erwieſen, daß diefe Gaueinteilung von den eingewanderten Slawen begründet wurde. Wir willen vielmehr, daß gerade bei den fuebifchen Völkern, zu denen die böhmifchen Marfomannen und mähriſchen Quaden gehörten, ſchon zu Cäſars Zeiten die Gaueinteilung mit eigenen Gau- borftehern beitand. Die. Slawen fanden alfo bei ihrer Ein- wanderung diefe Organifation bereit vor, in die fie ſich ein- fügen konnten und die ihnen dennoch die Erhaltung ihrer eigenen Geſchlechter und Geſchlechterverbände neben den deut- ſchen Sippen ermöglichte, ebenfo wie die Erlangung der Bor- berrfchaft in dem einen und anderen Gau, .

Diefe Gaue vereinigten ſich allmählich teils auf friedlichen, teils auf Friegerifchem Wege zu größeren Gebilden, für die Cosmas den Namen Provinzen anwendet. Für beide Ent- widlungsarten bietet feine Erzählung der Vorgeſchichte Belege

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dar. Die Vermählung der letzten Erbin im Prager Gau, Ruboffa, mit dem Gauherrn in Stadig Premyſl, d. b. der Be- dächtige, Überdenfende, diefes Konnubium mit der Berufung des Tüchtigeren zur Herrichaft im Nadjbargau, Hat die Sage erhalten und in ihrer Weije ausgeſchmückt. Die Vergrößerung des Gebietes durch gewaltſame Eroberung zeigt Cosmas an einem andern Fall.

Eine zweite Gruppe von ebenfalls fünf Gauen, die bereits du einer Provinz geeint erfcheinen, lag weſtlich pon der Prager rings um den Hauptort Saaz. Defien zweiter Name wir fehen, wie basjelbe Gebiet entiprechend der doppelten Befied- lung auch zwei topographiiche Namen trägt war Luka (die Wiefe), darnac die dort anfäffige jlawiiche Bevölkerung die Ruczanen hießen. Zwiſchen diefen Luczanen unter einem $er- 30g Wlaftizlam, „Eriegliebend, tapfer und überaug liftig”, und dem auf der Burg „Lewigradec” (bei Prag) refidierenden Neklan, dem das Volk der „Vöhmen“ unterftand, kam es nad) aahlreichen früheren Bufammenftögen zum Entideidungs- Tampf. Es ift bezeichnend für die Entwidlung, daß Cosmas in der Vorzeit eben nur dem Prager Gau und deſſen Beböl- kerung den uralten von den Bojern abgeleiteten Namen „Böhmen“ zuweift. Bon hier aus erfolgte die Ausweitung des Begriffes auf immer größere Gebiete, die allmählich in „Böhmen” aufgehen. Der Kampf endete mit dem Siege der Böhmen, dem aber die Nachbargaue Belin und Leitmerig damals ſchon Gefolgſchaft Ieifteten. Doch war es nicht der Herzog Neklan, „urchtſamer als ein Safe und ſchneller auf der Flucht als ein Pardel“, der den Eieg errang, fondern fein Seldherr, der den Gattungsnamen „Tyro“ (der Krieger) führt. Mit der Einziehung de3 ganzen Sauger Gebietes, nachdem deſſen jugendlicher Erbe von feinem „Erzieher“ namens During (der Thüringer) meuchlings ermordet worden ivar, erweiterte fi) „Böhmen“ bereits um ein gewaltige Stück gegen Weſten hin. Auch in der fagenhaften Geftalt des Er- ziehers During im Saazer Gaugebiet haben wir keine eigent- liche Perſon zu fehen, fondern Hinweiſe auf uralte Beziehungen dieſes nordweſtböhmiſchen Landes zu dem einftmals fo großen Neiche der Thüringer.

Die flawifhe Einwanderung. 30

Die weitere Entwicklung und der Ausbau der Prager Provinz entzieht ſich unſerer Kenntnis. Erſt zu Beginn des 9. Jahrhunderts, 805, erhalten wir Kunde von einem Kriegs- zug Karls d. Gr. gegen „Slawen“ in Böhmen. €8 ift zugleich), wie ſchon angedeutet wurde, der frühefte quellenmäßige Beleg für ide Vorfommen in unferem Lande? So wichtig diefe Unternehmung auch gewejen zu fein jcheint, da Karl feinen gleidmamigen Sohn damit betraute, fo befigen wir doch nur von fränfifcher Seite furze unzulängliche Nachrichten darüber; fie nennen den Herzog, der an der Spike der Slawen ftand, Zeh, wiederum fein Eigen-, fondern ein Gattungsname. Die heimiſche Überlieferung, Cosmas, hat die Erinnerung daran nicht erhalten. Er übergeht überhaupt die ganze Ge- ſchichte Böhmens im 9. Zahrhundert, die in den fremden Quellen ſchon vollfte Beachtung findet, mit auffallendem Schweigen. Er weiß nichts von der Zuweiſung Böhmens dur Kaiſer Ludwig den Frommen, Karls d. Gr. Sohn und Nach- folger, an feinen Sohn Ludwig den Deutichen, als diefer in der Reichsteilung von 817 das oſtfränkiſche oder bayrifche Königreich erhielt; nichts von dem Erfcheinen ſlawiſcher Ge- Tandtihaften aus Böhmen und Mähren mit Geſchenken vor dem Kaifer auf dem Hoftag zu Frankfurt im November 822; nicht3 don der Taufe von bierzehn Herzögen aus Böhmen in Regensburg im Jahre 845;1 nichts von den fünf oder ſechs ung mit Namen befannten böhmifchen Herzögen, die ſich 872 gegen die Franken erhoben; und nichts auch bon der böhmifchen Gefandtichaft zu den wichtigen von Ludwig d. D. 874 zu Fordh- heim geführten Verhandlungen mit dem Mährenherzog Zwen- tibald. Cosmas Tennt eine Geſchichte Böhmens erft von dem Beitpunft an, da fi) gegen Ende des 9. Jahrhunderts die Prager Herzöge zu einer Vormachtſtellung wenigſtens in einem Zeile Mittel- und Weſtböhmens erhoben, durch den Übertritt Boriwois zum Chriftentum, angeblich im Jahre 84. Das war ein jo wichtiger Wendepunkt in der Geſchichte des ganzen Ge- bieteg ſowie des Herzogshauſes, daß dieſes Ereignis in der Erinnerung baften blieb, von Geſchlecht zu Geſchlecht über- liefert wurde, bi8 Cosmas davon hörte und damit bie be-

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glaubigte Geſchichte des ganzen Landes am richtigften zu begin- nen meinte. Alles frühere, die Kriege, die innere Entwicklung, felbft die Reihe der älteren Gauvorſteher, die er al3 Vorgänger der geſchichtlich beglaubigten Prager Dynaſtie aufzählt, ver- ſchwimmt bei ihm, foweit e8 nicht ganz der Bergefjenheit anheim gefallen ift, in Sage und Mythe. Es ſchien dem geift- lichen Berichterftatter nicht der Mühe wert, die Gefchichte heidniſcher Regenten, die nur „den Sreffen und Schlafen ergeben waren, roh und unwiſſend wie dag Vieh dahinlebten,” der Nachwelt zu überliefern. Mit diefer wenig ehrerbietigen Charafterifierung feheint zugleich angedeutet zu fein, daß man diefe Herzöge zu Cosmas' Zeit nicht als Ahnen Boriwois anfah; wie denn au Cosmas bei der Nennung der eriten acht, Premyſl, Nezamyfl,. Mnata, Bogen, Unezlau, Crezomyſl, Neklan und Goſtiwit Feinerlei Verwandtſchaftsverhältnis angibt. Erſt beim letzten erklärt er: „Goſtiwit zeugte Boriwoi.“ Deſſen Geſchlecht aber, das nachmals ſeinen Stammbaum an den ſagenhaften Premyſl aus Staditz anknüpfte und ſich nach ihm die Premyſliden nannte, die ſiegreiche Dynaſtie, legie erft recht Fein Gewicht darauf, die Erinnerung an eine Zeit wach zu erhalten, in der fie einerjeit3 noch heidnifch war und andrer- feits im günftigften Fall ihren Rang mit vielen Gleich- geftellten teilte. Sie forgte für die Erhaltung der Über- lieferung erft von dem Augenblid an, als ihre Herrſchaft über ein anjehnliches Stück des Landes feft begründet war und vor allem auch durch Anerkennung von feiten des deutfchen Reiches gleihfam eine höhere Weihe erhalten hatte Wir erfahren nämlich aus einer fränfifhen Quelle, den wichtigen Annalen des Kloſters Fulda, dag im Jahre 895 anläßlich einer Reichs- berfammlung in Regensburg vor Kaiſer Arnolf alle Her— zöge der Böhmen erſchienen, deren vornehmſte (primores) aber Spitignem und Wratiflam (Witizla) waren. Sie kamen dahin, um die alte Verbindung mit dem bayriſchen Königtum, aus der fie der Mährerherzog Biventibald gerifjen hatte, wieder herzuftellen. Aus Cosmas aber wiſſen wir, daß Spiti- gnew. und Wratiflam die Söhne Boriwois waren, alfo die dritte Generation im Herzogtum Prag: Die gegenfeitigen

Die flaiifhe Einwanderung. a

Beziehungen wurden in freundichaftliciter Weife wieder erneuert. Bayern übernahm fortan den Schu über alle Herzogtümer in Böhnten, an deren Spike aber die beiden Prager Brüder ftanden. An dem Geſchlecht Goftiwits lag es nun, unter dem Schilde des bayriichen Königtums die bereits. errungene Stellung in Böhmen weiter auszubauen.

Auch von der wechſelvollen Geſchichte Mährens in ber zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und den Einflüffen und Einwirkungen dieſes Landes auf Böhmen fpricht Cosmas wohl mit Abſicht nicht, um die Gebundenheit Böhmens in jener Zeit wie nad) der fränfifch-bayrifchen jo nady der mährifchen Seite hin nicht berühren zu müffen. Daß ihm die Vorgänge in Mähren nicht unbefannt waren, darf man gewiß annehmen, da er felber Quellen nennt, ein Privileg der mähriſchen Kirche und einen fogenannten „Epilog (Schlußbericht) zur Geſchichte des Landes Mähren”, die noch in feiner Zeit allgemein be- Iannt geweſen fein follen. Auch gibt er von dem Mährer- herzog Zwentibald, den er Zuatopluf nennt, eine kurze mit Sagen ausgeſchmückte Charakteriftif.

Auf den eriten Blick mag es auffallend erfcheinen, daß der mãhriſche Schweſterſtaat eine andere und raſchere politifche Entwidlung genomnen hat als Böhmen. Der Slawen in Mähren gejchieht in den fränfifchen Quellen zum erften Male im Jahre 822 Erwähnung, und zwar unter dem Namen „Marbani”, „Marahenfes" u. ähnl., d. 5. Mährer, March- anwohner. Auch fie haben alfo einen befonderen Bölfer- namen, fondern man bezeichnet fie nach dem Lande, in welches fie eingewandert find. Der erfte Fürft, der unter ihnen ge- nannt. wird, ift Moimir, in der Zeit Kaiſer Ludwigs des Frommen, des Sohnes Karls des Großen, kurz bor 840. Über feine Herkunft, über fein Emporfommen und über den Umfang feines Gebietes ift uns nichts überliefert. Wenn man das einſtmals hochberühmte Bifterzienferflofter Welchrad, eine Tandesfürftliche Gründung aus dem Sabre 1202, als Moimirs Nefidenz erklären wollte, fo entbehrt diefe Anſicht jeder ge- ſchichtlichen Begründung, ift bloß gelehrte Vermutung und ehrfürchtiger Glaube; wenn aud) zugegeben werden muß, daß

4 Dritter Abfänitt.

der Mittellauf der Mar, in deren unmittelbarer Nähe Welehrad liegt, und das Gebiet weftlich und öftlich big zu den nächſten größeren Ylußläufen der Schtvarza einer-, der Wag anderfeits, den "Kern der Herrſchaft Moimirß gebildet haben dürfte. Sein öſtlicher Nachbar war Herzog Pribina, deifen Sürftentum in Neutra feinen Mittelpunft hatte. Während der ſchwächlichen Regierung Kaifer Ludwigs d. Sr. (814-840), der diejen fernen Gebieten wenig Aufmerkſamkeit zuwandte, gerieten Moimir und Pribina in Streit, Moimir blieb Sieger, 30g Pribinag Land ein, den dann allerdings die Franken durch eine neue Herrſchaft am Plattenſee entihädigten (etwa 836). In die erften Regierungsjahre K. Ludwigs d. D., der 843 im Vertrag von Verdun das oftfränfifche Reich mit Bayern als Sauptland erhielt, fällt aber auch ſchon ein eriter Abfallsverſuch Moimird. Er hatte zur Folge, daß der deutſche König im Auguft 846 jelbft gegen die mährifchen Slawen 30g, Moimir abſetzte und ihm deffen Neffen Raltiz (Raftiflam) sum Nachfolger gab. Zehn Jahre fpäter (855) begann der Kampf zwiſchen diefem neuen mähriſchen Herzog und den Franken, erneuerte fi) immer wieder aug uns unbefannten Urſachen, bis e8 864 K. Ludwig gelang, Raftiz nad) einem erfolgreichen Angriff auf defien Feſte „Dowina“ (vielleicht Maidenburg a. d. Thaya), zu der man bon Tuln an der Donau aus gelangt war, zum Gelöbnis der Treue und des Gehorfams „für alle Beit” zu bringen. Fünf Jahre fpäter, 869, ftand Raftiz, wie es ſcheint, an der Spike eines weit ausgebreiteten Slawenauf⸗ ftandes, konnte zwar nicht im Felde befiegt werden, erlag aber 870 den Ränfen feines mit den Franken berbündeten Neffen Biventibald (Smwatopluf), der das Neutraer Teilreich jelb- ftändig verwaltete. Gefangennahme, Auslieferung an den Grafen der bayrifhen Mark, Karmann, den Sohn N. Ludwigs d. D., Stellung vor ein aus Deutſchen und Slawen zufam- mengefeßtes Gericht . während der Reichsverſammlung in Regensburg (Nov. 870), Verurteilung zum Tode wegen Kodj- verrats, Begnadigung zur Vlendung und Einkerferung in FH nicht genannten deutſchen Kloſter war Raſtiz' trauriges ickſal.

Die ſlawiſche Einwanderung. 43

Das mähriſche Fürftentum erhielt aber nicht Zwentibald; es wurde vielmehr in eine fränkiſche Probing umgewandelt, die bon bayrifchen Grafen verwaltet wurde, wie die angrenzende Oſtmark, Bannonien oder die böhmifche Marf in Bayern. Sei es nun, daß ein ähnlicher Plan aud) betreff des Neutraer Randes ins Auge gefaßt wurde und auf den Widerſpruch Zwentibalds ſtieß oder eine PVerftimmung aus anderen Urſachen eintrat, die Franken bemächtigten fich auch des zweiten Mährerherzogs, Biventibalds, und brachten ihn an den Hof des Prinzen Karlmann, wo er in freier Saft Ieben konnte. Bald geivann er aber Karlmann fo vollfommen für ſich, dag diefer eine Scheu trug, ihn an die Spike eines fränkiſch-bahriſchen Heeres zu ftellen, das in Mähren ausgebrochene Unruhen unterdrüden follte. Dort angefommen, wandelte ſich jedoch Bwentibald aus einem ſcheinbaren Freund in einen offenen Feind Karlmanns, übernahm die Führung der aufftändifchen Mährer, vernichtete das ihm anbertraute fränfiiche Heer bis auf wenige, die ſich durch Flucht retten Tonnten, und vertrieb die bayriſchen Grafen aus dem Lande. „Die ganze aus den früheren Siegen gewonnene Freude der Norifer verwandelte fi) in Trauer und Schmerz”, Hagt der Annalift. Bon da an ſchien Zwentibalds Leben dem Kampfe gegen die Franken und der Aufrichtung eines großen felbftändigen Staates geweiht zu fein. Herbſte Niederlagen erlitt Karlmann und fein Heer 871 und 872, bis ang Donauufer konnte der Mährerfürft unbe- bindert feinen Gegner verfolgen, Erft Verhandlungen, die König Ludwig d. D. mit Abgefandten Zwentibalds etiva im Juni 874 in Forchheim führte, ermöglichten es, zu einem Frieden au gelangen; vielleicht um den Preis, dab man bon feiten des Reiches Zwentibald volle Freiheit Tieß, feine Serr- ſchaft über die anderen Nachbargebiete auszudehnen. Seither mag der mãhriſche Herzog ſein Land ausgeſtaltet haben zu jenem „Großmäbren“ (f neydln Mogaßla) wie fein Reich in einer Schrift des grichiihen Kaiſers Konitentin Porphyro- genitus, die 952 verfaßt wurde, genannt erfdeint; die wirk- lien en insbeſondere gegen Oſten und Norden Fennen wir nicht.

4 Dritter Abſchnitt.

Aber auch mit dem fränfifchen Neid) erneuerte ſich der Krieg, jedoch), wie e8 ſcheint, nur aus miittelbaren Urſachen. Der Umftand, daß Bayern nad; dem Tode feiner drei Ießten Könige aus Farolingifhem Haufe, Ludwigs d. D. (876) und feiner beiden Söhne Karlmann (880) und Ludwig d. 3. (882), feine Selbftändigfeit einbüßte und unter Kaiſer Karl III. mit Welt- franfen vereinigt wurde, erjchütterte die Stellung und das Anfehen der Deutichen in der öftlihen Welt. In der Oſtmark felbft entftanden wirre Zuftände und böfe Verwidlungen. Eine heftige Fehde zweier Grafengefchlechter, die um die Serrichaft in biefem Nachbarland Mährens fteitten, bot Biwentibald den Anlaß, ſich in diefe Verhältniffe einzumifchen und einer ber beiden feindlichen Parteien feine mädjtige Unterftügung zu verleihen. Die andere ſuchte Schu bei Arnolf, Karlmanns Sohn, der die bayriſch-fränkiſchen Marken Karantanien und Pannonien verwaltete. Das führte zum mähriſch-fränkiſchen Krieg der Jahre 883 und 884, der bon Zwentibald mit be- fonderer Graufamfeit geführt worden zu fein ſcheint. Die fränfifchen Annalen ſchildern das Elend der heimgeſuchten Gebiete in düfterften Farben: die Oftmarf und Pannonien, „das einſt fo glüdliche”, wo die Salzburger Kirche in jahr- sehntelanger Arbeit ein bedeutfames deutſches Kulturwerk geichaffen hatte, lagen vermüftet da; die Bevölkerung beftand, wie e3 heißt, aus Krüppeln, Frauen und Kinder waren getötet ober in. die Gefangenfchaft geichleppt. Die Quelle verfichert, dab Bmwentibald unmenfhlih und graufam „nad Art eines Wolfes“ geivütet und alles Land mit Feuer und Schwert ver- müftet habe. Sein Heer fei jo groß geweſen, daß der Vorbei- marſch an einem Orte vom Morgen big zum Abend gewährt habe. Erjt daS Erſcheinen Kaifer Karls IH. am Ende des zweiten Jahres hätte dem blutigen Kampfe ein Ende gemadjt. In einem nicht genannten Orte im Wiener Wald (Mons Comianus) in der Nähe des Tulnerbaches erichien der Mährer- herzog vor dem Reichsoberhaupte, Ieiftete den Lehenseid umd ſchwor, bei de3 Kaiſers Lebzeiten nie wieder ing. Reich ein- aufallen. Die Bugeftändniffe, die aber Zwentibald gemadjt werden mußten, nennt ung die fränfifche Quelle nicht, Wich-

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tiger für die Folgezeit wurde die Herftellung freundſchaftlicher Beziehungen zwijchen Biwentibald und Arnolf. Im folgenden Sabre (885) wurde ein Friede gefchloffen, den Arnolf wünjchen mußte, da er fich ſchon damals mit dem Gedanken trug, Karl II. zu entthronen. Als er ſich dann wirklich 887 in Frankfurt die deutfche Königsfrone holte, die Karl hatte niederlegen müffen, war er von einem bedeutenden Heere be- gleitet, in dem fich nebit Bahern auch Slawen befanden. Ein freundſchaftliches Verhältnis beitand auch noch 890, als König Arnolf etiva im März in Omuntesberg, einem baum zu beftim- menden Ort auf öſterreichiſchem Boden, mit dem Mährerherzog ſchwerwiegende Verhandlung pflog. Ein weſtfränkiſcher Chro- nift will wifien, daß Biventibald, der „König der mährifchen Slawen”, wie er hier benannt wird, damals dag „Herzogtum ‘der Böhmen“ übertragen erhielt, trogdem diefe den Franken „bie berfprochene Treue in unverlegtem Vertrage bewahrt Hatten“. Welchen Glauben man auch diefer fernen Quelle zu- ſchreiben will, Tatjache ift, daß zwei Jahre fpäter, 892, zwiſchen Zwentibald und Arnolf ein neuer Krieg ausbrach. Der deutiche König bot eine ungeheure Macht auf: Franken, Bayer, Ala- mannen; ein jlawijcher Fürft Brazlam, der unter fränkiſcher Oberhoheit im Gebiet zwifchen Drau und Sau herrſchte, unter- ftüßte ihn; die wilden Ungarn, die ſchon bei den Kämpfen des Sahres 862 als Teilnehmer genannt werden, tauchten wieder auf; und ſchlieblich gelang es noch, den Bulgarenfürften Wladimir, deſſen Reich feit langem in einem gewiffen Gegen- jag zu „Sroßmähren” geftanden hatte, zu beftimmen, den Mährern den Salzeinfauf in feinem Lande zu fperren, ein Hinweis auf die Bedeutung wirtſchaftlicher Verhältniffe, wie ihn die Quellen jener Zeit nur äußerft felten darbieten. Der Mährerherzog widerftand dieſen Angriffen von vielen Seiten zwei Jahre lang, erzielte felbft nad) den Schilderungen der ihm feindlichen Verichterftatter glänzende Siege über die Heere des bayriſchen Königs, ſcheint aber im Krieg des Jahres 894 den Schlachtentod gefunden zu haben. j

Das harte Urteil, das insbefondere der Fuldaer Annalift, till ſagen: die höfiſche Duelle, der ‚Reichshiſtoriograph“, über

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Zwentibald fällt, der leidenſchaftliche Haß, mit dem er deſſen Nachruf ſchreibt, bilden einen Beweis, welchen Eindrud das Auftreten dieſes tapferen und kriegstüchtigen Fürften in Bayern und im ganzen Frankenreich gemacht hat.

Diefem politifhen Kampf der beiden Moimiriden Rajtig und Ziwentibald gegen dag Karolingertum in den öftlichiten Marken des Reiches, Oftmarf und Pannonien, ging zur Seite ein zeitweilig mit nicht minderer Erbitterung geführter reli- giöſer Krieg, der fi an die Namen der mährifchen Apoftel Eyrill und Method Tnüpft.

Ob Moimir ſchon Chrift war, läßt ſich mit Beitimmtheit nicht enticheiden‘? Bum mindeften bat zu feiner Zeit die bayriſche Kirche durch das Pafjauer Bistum in Mähren eine rege miflionäre Tätigkeit entfaltet, wie Regensburg in Böhmen und Salzburg in Pannonien (Weitungarn), In einem ge- ſchichtlichen Überblid über die Beziehungen Bayerns zu Mähren in früherer Beit, der Papſt Johann IX. (898—900) unter- breitet wurde, heißt e8: die Mährer jeien vormalg den bayri- ſchen Königen, dem bayriſchen Volke und den bayrifchen Biſchöfen unterworfen geweſen, der Paſſauer Biſchof habe fich, ohne Widerftand zu finden, wann immer dahin begeben, habe mit feinen „Landsleuten“ und wer fonft ſich dort befand, Synoden abgehalten und alle Firchlichen Obliegenheiten dafelbit erfüllt, ebenjo wie die bayrifchen Grafen in öffentlichen Ge- richtsſizungen Recht geiprochen, Strafen verfügt und Steuern eingehoben haben, ohne auf irgendwelches Hemmnis zu ftoßen. Wenn ſich diefe Schilderung der Verhältniffe, wie anzunehmen ift, auf die Zeit Moimirs bezieht, dann haben fie ſich alsbald ſehr zu Ungunften der bayrifchen Geiftlichfeit geändert. Im Sabre 852, alſo ſechs Jahre nad; Moimirs Entthronung, unter defjen Nachfolger Raftig, ſprach man auf einer Mainzer Synode von dem „rohen Chriftentum des mährifchen Volkes“. Dann hören wir von dem gleichgeitigen Wirken deutfcher, italienifcher und griechiſcher Geiftlicher, deren Streitigkeiten um die Vor- machtſtellung im Sande zur Feſtigung des Glaubens im Volke gewiß nicht beigetragen haben werden. Am wichtigſten aber war wohl die Verquidung der kirchlichen mit den politiſchen

Die flawifhe Einwanderung. 47

Verhältniffen, durch die die Stellung der deutfchen Priefter oft ſchwer beeinträdjtigt wurde,

Es geſchah kurz vor dem Ausbruch des Krieges mit NR. Ludwig d. D. im Jahre 864, dag Raftiz ſich nad) Konitan- tinopel wandte und dort um geiftliche Lehrer bat, die, wie es beißt, dem mährifchen Volke den wahren Glauben in feiner Sprache beizubringen vermöchten. Ob der Erfolg griechiicher Miffionäre in Vulgarien, denen es zur jelben Zeit gelang, den dortigen Fürften Bogoris zum Chriftentum zu befehren und, wenn auch nicht ohne Zwang, viele feiner Untertanen zu taufen, irgendwelchen Einflug auf Raſtiz' Entſchluß hatte, bleibt dahingeftellt. Vielleicht war die politifche Wendung, die damals im Bulgarenreich eintrat, indem man eine längere Periode der Zeindfeligfeit gegen das Frankenreich abfchloß und au ihm in freundfchaftliche Beziehungen trat, für den Mährer- berzog Anlaß, feinerfeitg nad) neuen Bundesgenofjen auszu- ſpähen, was durch Einleitung kirchlicher Annäherung verſucht werden ſollte. Ging doch ſchon im Jahre 863 im Franfen- reiche dag Gerücht, dag der Fuldaer Hofchronift verzeichnet, R. Ludwig d. D. wolle gemeinſam mit den Bulgaren den Mährerherzog bekämpfen.

Raſtig' Bitte in Konitantinopel hatte den Erfolg, dag ihm zwei griechiſche Lehrer, die ähnliche Miflionen ſchon ander- wärts durchgeführt hatten, Söhne eines hohen Faiferlichen Beamten in Theſſalonich (Salonifi), Konftantin und Method zugeſchickt wurden. Sie befaßen nicht nur Kenntnis der flawi- ſchen Sprache, die ihnen in Mähren zugute fommen Tonnte, jondern der ‚ältere Bruder Konftantin, der auch ſchon zum Prieſter geweiht war, hatte fi) daran gemacht, dag neue Teita- ment, mit dem Sohannesepangelium beginnend, in die ſſawiſche Sprache zu überfegen. Zu diefem Zwecke hatte er, ein zweiter Ulfilas, unter Zugrundelegung des griechiſchen Alphabetz eine eigene Schrift erfunden, die man die „Glagolitifa” und in ihrer fpäteren Ausbildung die „Kyrillika“ nennt,

Als die Brüder in Mähren ankamen, hatten ſich hier die politiſchen Verhältnifie, die zu ihrer Berufung Anlaß gegeben hatten, wieder gewandelt oder waren in einer Wandlung ber

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griffen. Der mährijch-fränfifche Krieg von 864 hatte mit einem Erfolge des deutſchen Königs geendet, Raftiz hatte fich zu einem Frieden bequemen müſſen, das Wirken der bayriichen Geiſtlich- keit fand feine Erſchwerung mehr. Konftantin und Method £onnten zwar ihre Tätigkeit beginnen, gewannen auch Schüler, Ttießen aber auf den entjchiedenen Widerftand der im Lande weilenden deutſchen und lateiniſchen Prieſterſchaft, die vor allem den Gotiesdienſt in ſlawiſcher Sprache, wie ihn die Griechen einzuführen ſuchten, für unvereinbar erklärten mit der allgemeinen Kirchenordnung, die nur das Hebräiſche, Griechiſche und Lateiniſche für die Verkündigung des Evangeliums zuließ. Dieſer Widerſtand und die Unmöglichkeit für Konſtantin, eigene Kirchen zu weihen, Sünger zu ordinieren, mit einem Worte ein wirkliches ſlawiſches Kirchenweſen einzurichten, ließ ihre ganze Arbeit vergeblich erjcheinen. Hilfe konnte nur vom päpftlichen Stuhl in Rom Tommen. Konftantin entſchloß fi dahin zu reifen, feinen Bruder und feine tüchtigften Schüler, unter denen Gorazd, ein gebürtiger Mährer, an eriter Stelle genannt wird, mitzunehmen, Sn den eriten Wochen des Jahres 868, kurz naddem P. Hadrian II, am 14. Dezember 867 den päpitlichen Stuhl beftiegen hatte, erſchienen die Slawen in Rom. Gie wurden nicht nur mit bollen Ehren empfangen, ſondern erreich- ten nad) Ablegung des Glaubensbefenntnifjes, dag als voll- kommen der römifchen Kirche entiprechend befunden wurde, vom Papſte ein Zugeftändnig felteniter Art: die Verwendung der flawifchen Spradye im Gottesdienft, dag nad) einem Ausſpruch von berufenfter Seite „nie ein Abendländer erreicht hätte“.““ Der weltgefhichtliche Kampf zwiſchen Rom und der morgen- ländifchen Kirche, der damals durch das Auftreten des berühm- ten Patriarchen von Konftantinopel Photiug gegen den Papſt in Rom entfadyt worden war, fpielt in diefe Entwidlung der mähriſchen Dinge mit hinein.

Zu einer Rückkehr nad; Mähren konnte fi) aber Konftantin nicht mehr entſchließen. Krankheit hielt ihn, wie es jcheint, dabon ab. Er zog ſich in das römiſche Kloſter San Clemente aurüd, nahm den Mönchsnamen Cyrill an und verjdjied dort am 14. Februar 869, etwa ein Yahr nad; feiner Ankunft in Rom. Die Fortführung feines Werkes ging auf Method über,

Die ſlawiſche Einwanderung.

der ſchon bei Lebzeiten feines Bruders die Priefterweihe vom Bapfte erlangt hatte, ebenfo wie einige Jünger Konftantins. Doc auch Method ging zunächſt nicht nad) Mähren, wohl der politifchen Zage, wie fie ji damals in diefem Lande geftaltet baben mag, Rechnung tragend. Schon früher, ſpäteſtens auf der Fahrt nad; Rom, hatten Konftantin und Method freund- Idaftliche Beziehungen zu Kozel, Pribinas Sohn und Nadr folger im Zürftentum am Blattenfee, angefnüpft. Zu ihm begab fid) Method noch 869, kehrte aber alsbald nad) Rom aurüd, wo ihm P. Hadrion, um einer Bitte Kozels zu will- fahren, den Titel eines Erzbiſchofs „von Sirmium“ verlieh. Segt erjt öffneten fich ihm aud) wieder die Grenzen Mährens, um jo mehr, als ſich Raftig zum neuen legten Kampfe gegen die Franken rüjtete. Allein in jeinen bald darauf erfolgten Sturz wurde auch der Erzbifchof hineingezogen. Wie über Raftiz auf einer Reichsverſammlung in Regensburg abgeurteilt wurde, fo wurde Method im November 870 vor ein Synodalgericht bayrifcher Geiftlicher geftellt. Die Hauptanklage ging dahin, daß er in ein fremdes Bistum eingedrungen fei. „Wenn id) mich überzeugen könnte, daß e3 eud) gehört, würde ich weichen, doc) e8 gehört dem heil. Petrus”, lautete feine Entgegnung, d. h. er berief ſich auf feine Einfegung zum Erzbiſchof durch den Papſt. Wie die Verhältniffe aber damals lagen, konnte ihm der Papſt zunächſt Feine Hilfe gegen jeine Gegner zuteil werden laſſen. Er konnte eg nicht einmal hindern, daß nad) ungemein ftürmifcher Verhandlung Method, der in zorniger Rede feine Gegner, Erzbifchof Adalwin von Salzburg und die Biſchöfe Ermanrich von Pafjau und Anno von Freifing, angriff, ſchuldig gefprodhen und in einem deutſchen Klofter zwei und ein halbes Jahr in harter Gefangenfchaft gehalten wurde. Erft der Rückſchlag in der politiihen Entwidlung Mährens, Ziventi- bald erfolgreiche Erhebung gegen Karlmann, brachte ihm Befreiung. Der neue Papſt, Hadrians II. Nachfolger Sohann VIIL, der am 14. Dezember 872 gewählt worden mar, ſchickte wohl auf Wunſch Zwentibalds und Kozels einen eigenen Geſandten nad) Deutſchland, den Biſchof Paul von Ancona, der Methods Freilaſſung beſchleunigte, ihn in feine mähriſch- pannoniſche Diözefe geleitete und dort wieder einſetzte. BretHolg Beid. Bögmens u. Mäfrene. L 4

50 Dritter Abfchnitt.

Method kehrte in ein Tampfdurdmwühltes Land zurüd, das für ruhige geiftliche Arbeit wohl kaum den richtigen Boden darbot, um fo weniger, al3 auch in dem nädjiten Sabre der fränkiſch mähriſche Krieg weitertobte. Erft der Forchheimer Friede vom Sommer 874 ſchuf eine neue Lage. Allein er hatte auch die Wirkung, dag nunmehr die deutiche Geiftlickteit ihre frühere Machtitellung in Mähren zurückgewann und den Kampf gegen Method von neuem aufnahm. Auch ließ wohl die Erinnerung an die Ereigniffe des Jahres 870, in welchem Zwentibalds Verrat nicht nur Raftis, ſondern aud) Method ins Unglüd geftürzt hatte, ſich nicht jo leicht vergefjen machen. Sie ſtand wie ein Geſpenſt zwifchen dem Herzog und feinem Erg- biſchof und verhinderte ein vertrauensvolleg Zufammenarbeiten. Zwentibald wehrte nicht, daß Method abermals bei der Kurie verdächtigt wurde, er Iehre nicht im Sinne der römischen Kirche, Er wurde neuerdings dur ein päpitliches Schreiben vom 14. Suni 879 nad) Rom berufen, um ſich gegen die neuen An- ſchuldigungen feiner Gegner zu verantworten. Und wiederum, wie vor einem Sahrzehnt, trug er ſcheinbar den vollen Sieg davon. Die berühmte Bulle P. Johanns VII. vom Juni 880, die Method vielleicht eigenhändig dem Herzoge überbrachte, ſchien beitimmt, das mährifche Kirchenweſen neu und feit zu geftalten. Sie beftätigte vor allem für das inzwiſchen bedeutend erweiterte Reich Ziventibaldg Method in der Würde eines Erz- biſchofs, dem das jchon beftehende Bistum in Neutra mit dem „Alamannen“ Wiching an der Spike und ein zweites alsbald neu zu errichtendes unterftellt wurden. Dem Erzbifchof und feinen beiden Suffraganen blieb die Fortbildung der Kirchen- verfaſſung belaſſen. Ihnen follten alle Kirchen und die gefamte Geiftlichkeit des Landes ohne Unterſchied der Nationalität, „jedivedes Volkes, das innerhalb der Grenzen deiner Probinz Iebt”, heißt e8 im Papftbrief, unterftehen; fie follten neue Bis- tümer erridjten dürfen, wann und wo fie es notwendig erach⸗ teten. Dem Fürſten war eine Mitwirkung bei der Nennung der Biſchöfe ſowie bei der Wahl ihrer Sitze geſichert. Die ſlawiſche Sprache im Kirchendienſt wurde zwar geſtattet, aber nur für jene Schichten der Bevölkerung, die die lateiniſche nicht ber- ftünden; dem Herzog und den Hohen im Lande blieb es frei-

Die ſlawiſche Einwanderung. 51

geftellt, den Gottesdienſt ausſchließlich in lateiniſcher Sprache su hören.

Trotz der erſichtlichen Mühe, die ſich der Papſt gab, dag groß- mähriſche Reich in kirchlicher Beziehung unter Berüdfichtigung der deutſchen und ſlawiſchen Anſprüche, die fidy hier geltend machten, zu feitigen und die Gegenfäße zu befeitigen, wollte dag Werk nicht gedeihen. Schon 880 herrſchte neuer Zwieſpalt zwiſchen Method und Wiching einer-, Method und Zwentibald andererfeit3, Noch einmal griff P. Johann VIII. mit ftarfer Hand ein und fiherte durch ein Schreiben an den Erzbijchof dom 23, März 881 deijen Stellung. „Wir jubeln in Gott”, heißt e8 da gleid) zu Beginn, „und laſſen nicht ab, ihm unermeßlichen Dank zu fagen, daß er dich immer mehr in feinen Befehlen entflammt und zum Nuten feiner heiligen Kirche mild aus allen Widermwärtigfeiten reißt.“ Zugleich wurden die Umtriebe des Biſchofs Wiching ſcharf verurteilt, und audi der „apofto- lichen Briefe“ an den „ruhmbollen Fürften Sphentopulch“ wird gedadjt, durch die Method diefem aufs neue empfohlen wurde,

Wie die nächſten Jahre für den Grsbiſchof verliefen, da fein päpftlicher Beſchützer bereits am 15. Dezember 882 ftarb, ob in Ruhe oder Kampf, ob er dauernd in Mähren verblieb oder ob jene großen Reifen, von denen feine Lebensbeſchreibungen fpreden, in dieſe Zeit fallen, ift nicht mehr feftguftellen. Am

6. April 885 ift er auf mähriſchem Boden geftorben und in „leiner Nathedralfirche”, womit die Hauptkirche einer Biſchofſtadt gemeint fein dürfte, deren Standort aber nicht genannt wird, begraben worden,

Ohne den ftarfen Salt durch eine fo kraftvolle Perfönlichkeit, wie eg Method war, ließ ſich aber das Werk der beiden Slawen- apoftel in Mähren nicht aufrecht erhalten. Method hatte den Mährer Goragd, wahricheinlich den im Papftbrief von 880 in Ausficht genommenen zweiten Landesbiſchof, zu feinem Nach- folger beitimmt, der an Wiching und der übrigen deutfchen Geiftlichfeit entichiedene Gegner beſaß. Auch hatte eg Gorazd berfäumt, fich in gleichem Maße wie fein Vorgänger die Unter- ftügung der römiſchen Kurie zu ſichern. Der neue Papſt Stephan V. (feit September 885) nahm in dem neu ent-

4.

52 Dritter Abſchnitt.

brannten Streite zwiſchen den deutichen und ſlawiſchen Geiſt · lichen in Mähren einen ganz anderen Standpunkt ein als ehe- dem Sohann VIII. Er beorderte eine eigene Geſandtſchaft an den „König Buentopulf”, einen Bifchof Dominicug und zwei Priefter Johann und Stephan, die den Fürſten über eine Reihe dogmatiſcher Fragen, 3. B. auch über die zwiſchen Rom und KRonftantinopel ftrittige Grundfrage des „Filioque“ (ob der heilige Geift von Gott Water allein oder von Vater und Sohn ausgehe), unterrichten follten. Was die Anwendung der flawi- {chen Sprache bei der Meſſe und gewiſſen kirchlichen Sandlun- gen betrifft, jo erflärte fie Papſt Stephan für einen Mißbrauch, und zieh Method offen des Vertrauensbruches, denn er habe Papſt Johann geſchworen, fi) ihrer nie mehr zu bedienen Nur nad) der Leſung des Evangeliums in Iateinifcher Sprache dürfe deſſen Erklärung für die, die nur des Slawiſchen mächtig ſeien, auch in diefer weilen Sprache erfolgen. Die eigen- mächtige Einfegung Goragds zum Nachfolger Methods erflärte der Bapft für ungültig und forderte deſſen Erjcheinen vor ‚dem päpftlichen Stuhl.

Dazu Fam es nidyt mehr. Es begann eine Verfolgung der flamwifchen Priefter, Goragd und fein ganzer Anhang jollen zu- nädjit eingeferfert worden fein und verließen fpäter mit Be- toilligung de3 Herzogs die Heimat. Im Lande des Bulgaren- fürften, des alten Nebenbuhlerg der mährifchen Herzöge, fanden fie Aufnahme, dorthin brachten fie auch die ſlawiſche Bibelüber- fegung Konſtantins, die Method fortgejegt hatte, dort fand fie ihre weitere Ausgeftaltung zur kirchenſlawiſchen Literatur im fpäteren Mittelalter,

Biſchof Wiching erfreute ſich aber nur wenige Jahre ſeines Sieges über die ſlawiſche Geiſtlichkeit in Mähren. Bei Aus- bruch des letzten Krieges zwiſchen Zwentibald und Arnolf im Jahre 892 mußte auch er weichen; er wurde des Kaiſers Kanzler.

Die Doppelregierung der Söhne Zwentibalds, Moimirs II. und Zwentobolchs, führte ſchon im Jahre 896 zu einem Bruder- und Bürgerkrieg in Mähren, in welchen Kaiſer Arnolf auf Bitten maͤhriſcher Gefandter zu Gunften des jüngeren eingriff. Ein bayrifches Heer befreite ihn aus der Gewalt Moimirs und nahm ihn „aus Mitleid” mit ſich (Sommer 899). Und wie

Die ſlawiſche Einwanderung. 58

Moimir politiih in die Fußtapfen feines großen . Vaters zu treten ftrebte, jo bemühte er fich, auch kirchlich dem Lande feine einftige Stellung zurüdgugeiwinnen. Er wandte fid) an Papſt Johann IX, (898—900) und bat um Ernennung eines Erz- bifchofs für Mähren, alfo um Erneuerung der jelbitändigen mährifchen Kirche, die mit dem Tode Methods wohl zugrunde gegangen fein dürfte, Allein wie ehemals, da Method im Auf- trage Papſt Johanns VIII, dag pannonifche Erzbistum über- nommen hatte, die Salzburger Kirche gegen die päpftliche Ent- ſcheidung in einer eigenen Denkichrift über die „Bekehrung der Bayern und Carantanen”:® aufgetreten war, jo erhoben ſich jegt ſämtliche bayriiche Biſchöfe, die von Freiſing, Eichſtädt, Säben, Regensburg und Paſſau, geleitet von ihrem Metro» politen, Erzbiſchof Theotmar von Salzburg, um mit allem Eifer die Wiedererricjtung der mähriſchen Nattonalfirche zu bereiteln und in einer Beſchwerdeſchrift den Papft von ihren älteren und begründeteren Rechten gu überzeugen. Hier weiten fie vor allem darauf hin, daß ihre Anjprüde zurüd- reichen bis in die ältefte Zeit, „als die Mährer zum erjten Male von ihnen im Chriltenglauben unterwieſen und aus Heiden zu Chriften gemacht worden waren“, Die Chriftiani- fierung jet alfo von Bayern ausgegangen.

Wichtig ift jodann in ihrer Darlegung die Stellungnahme gegenüber dem Biſchofsſitz in Neutra. Sie trennen diefes Ge- biet nicht nur Firchlich, fondern auch politiſch von Mähren. Das fei nicht das alte Mährerland, und Paſſau könne feine Anſprüche darauf erheben. Der Herzog habe es im Arieg erobert, und dann erit jei die Chriftianifierung erfolgt, indem fi) Zwentibald vom Papfte felbft den Biſchof für dieſes Gebiet in der Perſon Wichings erbeten habe. Sie wenden fi dann bezeichnenderweife der genauen Abwägung ihrer Vorzüge gegenüber jenen der Slawen zu und erwidern die Beſchwerden, die man gegen fie vor dem Papft erhoben hatte, mit umſo beftigeren Anflagen über die Verheerungen' der Slawen in Pannonien und über deren Verbindung mit den heidnifchen Ungarn. Denn fon türmte ſich die Nähe und Macht diejes wilden Stammes für beide Völker als die große Sorge auf, die

54 Dritter Abſchnitt.

vom Oſten herannahte. Das auch kulturgeſchichtlich merk- würdige Aktenſtück jchließt dann mit folgenden Worten: „Wenn und die vorgenannten Slawen beſchuldigen, mit den Ungarn den katholiſchen Glauben verlegt zu haben, bei Hund, Wolf oder anderen verruchten Dingen Eide geſchworen und Frieden gefchloffen und dur Geld veranlagt zu haben, daß fie nad) Italien abziehen, jo würde, wenn zwiſchen uns vor Gott... und vor Eud), deſſen apoſtoliſchem Stellvertreter, geurteilt würde, ihre Falichheit zu Tage treten und unfere Unſchuld erwiefen werden. Weil nämlich die Ungarn die Unfern, die weit von ung entfernt wohnen, unaufhörlich bedrohten und durch allzu große Verfolgung ſchädigten, ichenkten wir ihnen nicht Geld, fondern nur unfere Iinnenen leider, um ihre Wildheit einigermaßen zu bändigen ... Sie (die Slawen) haben jenes Verbrechen, dag einmal begangen zu haben fie ung fälſchlich befchuldigen, durch viele Jahre felbft begangen. Sie nahmen eine beträchtliche Zahl von Ungarn bei ſich auf, fchoren ſich nad) deren heib- nifcher Sitte das Haupthaar und ließen jene über ung Chriften los. Sa, fie kamen aud) felber herüber, machten die einen zu Gefangenen, erfchlugen die anderen, und tie dritten ließen fie wie wilde Tiere in Kerfern vor Hunger und Durft umkommen. Unzählige aber fchleppten fie mit ing Elend. Vornehme Frauen und ehrenwerte Männer bradjten fie in Knechtſchaft; die Gotteshäufer fteten fie in Brand und die Gebäude zerftörten fie, jo daß in gang Pannonien, unferer größten Provinz, kaum eine Kirche noch zu finden ift, was aud) Eure Biſchöfe wohl beftätigen Fönnten, wenn fie geitehen wollten; wie viele Tage fie hindurdhreiften und das Land ganz bermüftet fahen ... Und nad) fo vielen Schandtaten werden ihnen jetzt noch Wohltaten zuteil und fie treten als faljche Anfläger auf, bie ftet8 Verfolger der Chriften waren. Wollte wirklich jemand in der ganzen Welt verfuchen, es gu beweifen, daß wir gefehlt und ung der Billigfeit und Gerechtigkeit widerfegt haben, fo trete er offen auf, und man wird erkennen, dag er hinter gangen hat und daß wir in diefer Sache rein find,

Die ſlawiſche Einwanderung. 55

Deshalb bitten und beſchwören wir Euch, niemandem, der über ung irgend welche Verdächtigungen vorbringt, Glauben au ſchenken, bevor die Lage e3 nicht ermöglicht, daß wegen diefer en Euer Abgefandter bei ung oder der unfere bei Euch

e."

Die weitere Entwicklung fennen wir nicht, fondern wiſſen nur nod), daß zwiſchen Herzog Moimir II. und Kaiſer Arnolfs Nachfolger, Ludwig dem Kind, im Sahre 901 zu Regensburg Friede geichloffen wurde. Er kam zu fpät. Einige Jahre noch mochten die Bayern die immer neuen Einfälle der Ungarn abmwehren oder ablenfen. Am 5. Suli 907 unterlag aber der bayrifche Seerbann geführt von dem Grafen Liutpold von der Oſt· und böhmifchen Mark in einer furdhtbaren Schlaht an unbefanntem Ort. Liutpold, der Erzbiſchof von Salzburg, die Biſchöfe von Freifing und Brixen, die Blüte des bayriſchen Adels fiel in diefem Kampf. Die Beitgenofjen hatten das Ge- fühl, als ob der bayrifche Stamm nahezu vernichtet morden fei.

Ärger noch traf das Schiefal Mähren. Es wurde fo berichtet ein fränfifcher Chronift ganz kurz im Jahre 907 oder 908 „von den Ungarn bis auf den Grund vermüftet.”

Die Moimiriden hatten nur die Schranken gefehen, die fich ihrer politifchen Entfaltung vom Weiten her durch die Franken entgegenfegten, nicht aber die Gefahren, die ihrem gangen Beſtande vom Often ber drohten. Das brachte ihren Fühnen Bau fo rafch zu Falle. Für mehr als ein Jahrhundert ver ſchwindet der Name Mährens faft völlig aus der gefchichtlichen

berlieferung.

Vierter Abfchnitt.

Das Herzogtum der Premyfliden in der Zeit der

ſachſiſchen, beyeifgen und ſtaufiſchen Kalfer. is 1212.

Es bat ganz den Pi als ob erft der Untergang bes großmährifchen Reiches Raum gefchaffen habe für dag Empor- kommen neuer Staatsweſen, vor allem deg prempilidifchen auf böhmiſchem Boden. Schon die Kriege zwiſchen den Moimiri- den und den oftfränkifchen (bayrifchen) Königen und Grafen- geſchlechtern haben in Böhmen das politiiche Leben angeregt und geſtärkt, fiherlich in viel höherem Make als es unfere Überlieferung erfennen läßt. Denn Cosmas geht bekanntlich über die böhmiſche Gefchichte im 9. Jahrhundert mit auffallen- dem Stillſchweigen hinweg, wiewohl man aug mander feirter Bemerfungen erfieht, daß ihm die Entwidlung in diefer Zeit nicht unbefannt war. Und die fränkiſchen Quellen bringen zumeiſt nur kurze mit kriegeriſchen Ereignifien zufammen- bängende Nachrichten, weil ihnen die inneren Borfommniffe in Böhmen allguferne lagen.

€3 deutet ſchon auf politifche Beziehungen zwiſchen Böhmen und Mähren Hin, wenn wir erfahren, daß ein Xeil des fränfi- ſchen Heeres, das nad) dem Krieg mit Raftiz im Jahre 846 durch Böhmen heimzog, bier ſchwere Berlufte erlitt. Und in den nädjiten drei Jahren, bis 849, wiederholten fich zwiſchen den fränkijcd-bayrifhen Grenzgrafen und ben böhmiichen Herzogen die Fehden und Kämpfe immer von neuem. Nach furzer Ruhepaufe, wie es fcheint, brachen fie 855 nochmals aus und führten 857 zur Vertreibung eines böhmiſchen Herzogs Sclavitag, des Sohnes Wiztrachs, aus jeinem Herrichafts- gebiet, deſſen Lage nicht feitzuftellen if? Daß der Flücht ling bei Raftig in Mähren freundlide Aufnahme fand, ſpricht wiederum für Zufammenhänge zwifchen beiden Ländern. An dem allgemeinen Slawenaufſtand bon 869 waren aud böhmiſche Herzöge beteiligt. Deutlich erfennbar find dann die

Das Herzogtum ber Premyſliden. 5

Rüclwirkungen, die der große mähriſche Befreiungsfampf unter Zwentibald im Sommer 871 auf Böhmen hatte. König Lud- wig d. D. mußte noch im Oktober oder Nobember diejes Sahres, um einem drohenden Einfall böhmifcher Herzöge nach Bayern zuborzufommen, die „Grenzhüter“ Biſchof Arn von Würzburg und Graf Rudolt mit Heeresmacht über die Grenze ſchicken. Daß es bei dieſer Gelegenheit, wie wir hören, dem Biſchof Arn und den Seinigen gelang, einen Hochzeitszug der mähriſchen Slawen zu überfallen, die „die Tochter eines böhmischen Herzogs” in ihr Land führten, beweiſt uns, daß die Beziehungen zwiſchen den Fürſtengeſchlechtern hüben und drüben über dag rein politifd}-militärifche Gebiet Hinausgingen.

Sm folgenden Jahre 872 wurde der Erzbiſchof Luitbert von Mainz an der Spike eines fränkiſchen Heeres gegen Böhmen entfandt, während gleidgeitig Thüringer und Sachſen nad} Mähren zogen. Wir fennen die teilg ſlawiſch, teils deutich Zlingenden Namen jener Herzöge in Böhmen, die damals die Unruhen berborriefen; fie lauten: Zwentiſlan, Witiflan, Heriman, Spoitimar, Moiflan, Goriwoi GBoriwoi?); wo aber ihre Herrichaften lagen und welchen Teil Böhmens dieſe um- faßten, erfahren wir nicht.

An den wichtigen Verhandlungen, die dann im Mai oder Juni 874 der deutſche König mit den Abgeſandten Zwentibalds im bayriihen Forchheim führte, um den Sriedenszuftend zwiſchen Mähren und den fränkiſchen Grenzmarfen wieder berauftellen, fcheinen auch Boten böhmifcher Herzöge teil- genommen zu haben, wenn es auch in der fränfikhen Quelle nın ganz Furz beißt: der König „hörte fie an und fertigte fie ab”. Dem Forchheimer Vertrag folgten aber jene zwei Sahrzehnte, in denen der Mährerhetzog zu feiner höchſten Macht emporftieg und fein Reich die größte Ausdehnung ge- warn. Aus der langjährigen Unterftügung, die Zwentibald bei den böhmifchen Serzögen gefunden hatte, Teitete er num“ mehr das Recht der Oberhoheit über fie ab, dag ihm nicht ver- wehrt werden konnte. Es iſt eine Außerung des fonft fo ver- ſchwiegenen Cosmas, dab Kaifer Arnolf, der allerdings erft feit 887 regierte, „nicht nur Böhmen, fondern auch andere Gebiete, nad) der böhmiſchen Seite hin big zur Eger, nad} der

v8 Vierter Abſchnitt.

ungarifchen bis zur Gran“ dem Mährerherzog übergeben habe. Allein diefe Abhängigkeit währte nur folange, als Zwentibald Iebte. Seinen Tod benükten die Böhmenherzöge, um fofort das Band, das fie an Mähren Fnüpfte, zu zerreißen und die „Gemeinſchaft“ mit VBahern wieder herzuftellen. Denn, wie eine fränkiſche Quelle verſichert, lange vor ihrer Preisgebung an Zwentibald hätten fie „den deutſchen NKönigen Treue berjprochen und in unverlegtem Vertrag auch bewahrt”. Sekt waren es, wie wir willen, „alle Serzöge in Böhmen“, die im Juli 895 in Regensburg erſchienen und an ihrer Spike „als die eriten“ die Prager Fürften Spitignew und Wratiflam. Sie unterwarfen fi), d. h. fie verſprachen im Namen aller anderen Treue, Gehorfam, Tribut und Nriegsdienft, der deutfche König ficherte ihnen Schuk und Hilfe gegen innere und äußere Feinde zu.

Auf diefer Grundlage, durch feiten Anſchluß an Bayern, das unter Arnolf feine führende Stellung im Oſtfrankenreiche wieder zurüderlangt hatte, fonnte nun der Aufftieg des Prager Fürftenhaufes beginnen: jenes merkwürdigen Herrſcher · geichlechtes, das feine mahre Ahftammung fo gut zu verſchleiern verſtand, daß e8 jpäter feine Herkunft herleiten konnte von den älteften Sagengeftalten der böhmischen Geſchichte: Luboſſa und Premyſl. Welches immer aber feine eigentliche Herkunft fein mag, feine weitere Entwicklung verdankte e8 dieſem wichtigen politifchen Schritt, das dur; die Wirren des 9. Zahrhundert3 geloderte uralte Band zwiichen Böhmen und Bayern von neuem gefeftigt zu haben; fich felber aber machte es zum Träger diefes Freundſchaftsbundes. Gewiß feine feichte Aufgabe. Der Aufitieg der jungen Dynaſtie war weder glatt noch mühelos, und mehrmals in den eriten beiden Zahr- Hunderten ſchien es, al3 ob die Premyſliden vor einem Ab- grund ftünden, in den fie berjinfen müßten.

Ihr Anſchluß an das bayriſche Karolingerhaus vollzog ſich zu einem Zeitpunkt, da diefes feinem Ende bereit3 entgegen- ging. Schon 911 ftarb der letzte deutfche Rarolinger Ludwig „das Kind“, das Reich in voller Auflöfung zurüdlaffend. Die von Karl d. Gr. geichaffene Reichseinheit drohte zu zer- faen. -Die einftmaligen deutichen Serzontümer der Bayern.

Das Herzogtum ber Premyſliden. 5

Sachſen, Franken, Zothringer, die er für immer vernichtet zu haben meinte, lebten wieder auf und ebenfo der Kampf unter ihnen um die Vormadhtftellung.

Für den jungen prempflidifchen Staat entftand die fchidfals- ſchwere Frage, wie er fi zu diefen neuen Verhältniffen im Reich Stellen, ob er Annäherung nad) der einen oder anderen Seite juchen oder gar nad) dem Vorbild der Moimiriden nach voller Unabhängigkeit ftreben wolle. Am nädjiten lag ihm wohl der Anſchluß an Bayern. Denn diejeg nachbarliche Herzogtum war für Böhmen während der Tarolingiichen Zeit geradezu der. Inbegriff und die Verförperung des deutichen Königtums geworden. War doch das feit 843 mit nur Furzer Unterbrechung bon 882 bis 887 ftet3 gefondert beftehende oſt · fränfifch-deutfche Reich „in gewiſſem Sinn ein Reich der Bayern geweſen, gelegentlich auch nad) ihm genannt worden,” Regensburg, die Reſidenz diefer deutſchen Könige, galt den Böhmen als politifcher und kirchlicher Ziel · und Brennpunkt. Und nun taudjte dag uralte bayrifche Herzogtum, das aus der Erinnerung des Volkes noch kaum geſchwunden fein Eonnte, in neuer Blüte auf: im Geſchlecht der Riutpoldinger, dag auf dem Boden der karolingiſchen Grafenvermaltung empor- gekommen war. Liutpold, bon dem es feinen Namen führt, beſaß unter Kaifer Arnolf die Grafenwürde in drei Grenz- marfen und ftand auch zu ihm in vermandtichaftlichen Be- diehungen. Wenn Liutpold in einer Föniglichen Urkunde von 903 als „Herzog der Böhmen“ bezeichnet wird, jo dürfte dag mehr zu bedeuten haben, ala daß er, wie man annimmt, damals Markgraf in dem an Böhmen grenzenden Nordgau mar.’ Auch fonft nennen ihn die Chroniften wiederholt „Serzog (dux)”, ein Xitel, der in Farolingiicher Beit in Bayern nicht vorkommt, dagegen für die Teilfürften in Böhmen üblich; ift. Nach Liutpolds Tode, der ihn im Kampf mit den Ungarn 907 ereilte, folgte ihm fein Sohn Arnolf in allen feinen Würden und Amtern. Ihm verdankte Bayern, daß es troß der furcht- baren Niederlage, die es erlitten hatte, nicht fo völlig zugrunde ging wie Mähren. Sein Mut und feine Tatfraft dein wilden Beinde gegenüber mußten in ganz Bayern um fo mehr An- erfennung gewinnen, als ihm bon dem jungen König Qudwig

60 Vierter Abſchnitt.

d. K. den man nad) dem Weiten des Reiches gebracht hatte, und von deffen Regierung wenig Unterftügung zuteil wurde. Als dann nad) Ludwigs Tod der Frankenherzog Konrad die Nach- folge im Reich antrat (911), verfagte ihm der Bayernherzog die Anerkennung und behauptete fich trotz zeitweiliger ſchwerer Bedrängnis bis zu Konrads Tod (918) „in voller Macht”. Und ebenfo ift Bayern aud) dem neuen Königtum des ſächſiſchen Herzogs Heinrich I. (919-936) anfangs „fremd geblieben”. Erft im Jahre 921 nad einer erfolgreichen Belagerung Regens- burgs durch König Heinrich I. gelobte Arnolf Anerkennung, „ober Bayern blieb ein Reid, für ſich“.

In diefe Kämpfe Bayerns wurde Böhmen hineingezogen; und jo ſchwer mar bier die Rückwirkung diefer Gegenſätze zwiſchen Bayern und dem neu fich bildenden Deutſchen Reich, daß im Prempflidenhaus eine gefährlide Zwietracht eintrat: ber berühmte Bruderfrieg zwiſchen Wenzel und Boleſlaw. Sie waren Söhne des früher genannten Herzogs Wratiflam, der am 13. Sebruar 921, vielleicht im bayrifch-fächlifchen Krieg, geftorben ift. Wenzel, der ältere Bruder, war beim Tode des Vaters noch ein Kind von etwa zehn Jahren, jo daß eine vor- mundichaftliche Regierung eintrat, in die fich die Großmutter Ludmilla und die Mutter Drahomir teilten. Sehr bald ent- zweiten fie fich, nicht zulegt deshalb, weil Qudmilla, den premy- flidiſchen Überlieferungen getreu, die Erziehung des Thron- erben in chriſtlichbayriſchem Geifte geführt wiffen wollte. Ein Prieſter der Regensburger Kirche, namens Michael, der nad mals (941) dort Biſchof wurde, fol Wenzel wie einen „geliehten Sohn“ erzogen, diefer ihn als feinen „geiftlichen Water” be- traditet haben. Allein diefeg treue Feſthalten der Premyſliden an Bayern und deffen Herzogshaus in einer Zeit, da diejes feine Selbftändigfeit gegenüber dem neuen Königtum doc) nicht ganz behaupten Fonnte, fand im böhmifchen Fürftentum nicht allgemeine Zuftimmung. 8 bildete ſich eine Partei, die man die nationale nennen fönnte. Nicht Anſchluß an das zur deutfhen Königswürde emporgeftiegene ſächſiſche ‚Sersogtum fuchte fie, jondern vielmehr Unabhängigfeit vom Reiche über- haupt. Und für diefe Politif der Loslöfung, wie bon Bayern fo von Sadjfen, gewann man die Fürſtin Drahomir „von dem

Das Herzogtum ber Prempfliden. 6

berhärteten Wolf (durissima gens) der Lutizen aus der Provinz Stodor, deren Herz für den Glauben weniger empfänglic} war als ein Stein” fo ſchildert ſie Cosmas —, und ihren jüngeren Sohn Boleſlaw, der in Bunzlau, öftlich bon Prag, eine eigene Herrihaft innehatte In diefem Samilienzwift murde zuerft, am 15. September 921, die greife Ludmilla auf Anitiften ihrer Schwiegertochter von gedungenen Mördern erdroffelt. Um diefe Tat zu rächen und die bayrifche Partei mit ihrem jugendlichen Oberhaupt Wenzel zu ſchützen, zog der Bayernherzog Arnolf im Jahre 922 nad) Böhmen, wie wir wohl annehmen dürfen, da die Quellen über den Grund der Unternehmung nichts angeben,

Außerlich wurde denn auch) die Ruhe für einige Jahre ber- geftellt, aber im Innern gärte e3 fort. Möglich daß Unruhen in benachbarten ſlawiſchen Gebieten, bei den Hebellern im Brandenburgifchen, bei den Daleminziern im Meißniſchen, die dem deutſchen König etwa feit 927 viel zu ſchaffen gaben, das in Böhmer glimmende Feuer auflodern madjten. Am 28. September 929 anläßlich eines Kirchweihfeſtes in Bunzlau, an dem Wenzel von feinem Bruder eingeladen teilnahm, wurde er bon diefem und einigen Mitverſchworenen niedergejtochen.* Man hatte Boleflaw in den Ohren gelegen und ihm zugeraunt: bein Bruder will dic) töten, fomm ihm zuvor, wir ftehen zu dir und wollen did) lieber als Herrſcher!

Es läßt ſich verftehen und bedarf feiner wie immer gearte- ten anderweitigen Erklärung, daß der Bahernherzog Arnolf, diesmal unterftüßt vom deutfchen König Heinrich I, mit dem er bereit3 in gutem Einvernehmen ſiand, jofort, nod im Jahre 929, nad; Böhmen aufbrach, um den Aufruhr im Lande " zu dämmen. Binnen kurzem wurde der neue Böhmenherzog zur Unterwerfung gezwungen, Aber nur für wenige Jahre, Der Tod König Heinrid I. im Jahre 936, der Tod Arnolfg im folgenden Jahre, die großen Schwierigkeiten, denen ber neue deutſche König Otto J. der Sohn Heinrichs I., allenthalben im Reiche begegnete, insbefondere auch bei dem neuen Bayern- herzog Eberhard, Arnolfs Sohn, ermöglichten es Boleſlaw, die politifche Richtung, die er 929 einzujchlagen verſucht hatte, mit größerem Erfolge wieder aufzunehmen. Während der eriten

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bierzehn Jahre der Regierung Ottos I., von 936 big 950, ſcheint Böhmen, joweit eg unter der Herrichaft des Premyſliden ftand, feine Unabhängigkeit vom Deutichen Reich behauptet zu haben; vielleicht mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 946, in dem nad) einer abgerifjenen Nachricht in einer ſächſiſchen Duelle Otto I. während einer Jagd „Geifeln Boleſlaws“ feinen Leuten zeigen konnte.

Man kann zuſammenfaſſend ſagen: die Umwälzungen in Deutſchland ſeit dem Zuſammenbruch der Karolingerherrſchaft, die Auflöſung der alten Ordnung, der Gegenſatz zwiſchen dem ſächſiſchen und bayriſchen Haufe fpalteten das premyſlidiſche Haus in zwei feindliche Lager, Die Elemente, die mit Wenzel an dem herkömmlichen Bufammengehen mit Bayern feſthalten wollten, mußten unterliegen, als Bayern feinen anfänglichen Widerftand gegen das neue ſächſiſche Königs- geihlecht aufgegeben hatte. Diefem Beifpiele zu folgen, Sein- rich I. oder Otto I. die gleichen Rechte einzuräumen, wie früher den bayrifchen Königen, dazu hatte Boleflaw I. und jein Anhang feine Veranlaffung; beftanden doch zwiſchen Premyfliden und dem jächfiichen Fuͤrſtenhaus bisher Feinerlei freundicdaftliche Veziehungen. Die Gelegenheit, vom Deutichen Reich volle Un- abhängigfeit zu erlangen, lag nahe. Und die allgemeinen Schwierigkeiten, denen das ſächſiſche Haus im Reiche ſelbſt be- gegnete, konnten Boleſlaw in feinem Wagnis nur beftärfen. Es mochte zweifelhaft ſcheinen, ob fi} Otto I., bedrängt von inneren und äußeren Feinden, alfobald gegen den Prempjliden würde wenden können, So behauptete denn Bolejlam, ſolange Otto I, dringendere Aufgaben zu löfen hatte, dag Feid, wenn aud) nur in der Abwehr. Als aber der König feiner Gegner in Deutichland Herr geworden war, vor allem die bier großen Serzogtümer Franken und Lothringen, Schwaben und Bayern an fich gefeffelt hatte und fi} nun mit der gefamten Macht des deutſchen Reiches gegen die äußeren Feinde menden konnte, war Boleſlaws weiterer Widerftand ausſichtslos. „Er zog es vor“, nad) den Worten Widufinds, des gleichzeitigen ſächſiſchen Geſchichtſchreibers, „fich folder Majeſtät zu unterwerfen, als dag äußerite Verderben zu erleiden; er ftellte fi) unter die ahnen, gab dem Könige Rede und Antwort und erhielt zuletzt

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Verzeihung“. Es iſt das Urteil eines neueren tſchechiſchen Hiſtorikers, daß Boleſſaw die nationale Selbſtändigkeit feines Volkes in Frage geſtellt hätte, wenn er nicht rechtzeitig die politiſche preiägegeben hätte.’

Mit dem Jahre 950 war diefer Verſuch eines erſten Un- abhängigfeitsfampfes der Prempjliden gegenüber dem deut- ſchen Königtum zu Ende. Bolejlaw I. trat in ein ähnliches Verhältnis zu dem deutſchen Herrſcher aus ſächſiſchem Haufe, wie e3 früher zwiſchen feinen Vorgängern und den bayriſchen Königen Farolingifchen Stammes beftanden hatte. An der be- rühmten Lechfeldſchlacht am 9. Auguſt 95 gegen den gemein- ſamen gefährlichen Feind, die Ungarn, nahm Boleſlaw oder wenigſtens eine böhmifche Legion mitten im deutichen Heer teil. Ebenſo an den fpäteren Unternehmungen Ottos I, wie gegen ſlawiſche Stämme an der unteren Elbe, jo gegen andere Gegner des Reiches,

Doch hielt das neue Band zwiſchen Premyfliden und Ottonen nur fo lange feit, als die älteren Beziehungen zu Bayern dadurch nicht berührt wurden. Es zu lodern, gaben ſich Otto I. und dann fein Sohn Otto II. (973—983) alle Mühe. Alg nad) langen ſchwierigen Verhandlungen, die noch in Otto I. Regierungszeit zurüdtreichen, 973 oder 974 in Prag ein Bistum errichtet wurde, wurde es entgegen den uralten kirchlichen Beziehungen Böhmens zu Regensburg nicht der bayrifchen Erzdiögefe angegliedert, fondern dem ihm bißher fremden und fo fernen Erzbistum Mainz. Und zum erften Biſchof Prags wurde nicht, wie es natürlich geweſen wäre, ein bayrifcher Geiſtlicher erforen, jondern der Sachſe Thietmar. Boleſiaw II., der feinem Vater 967 in der Regierung nachgefolgt war, hatte fie) diefen Beichlüffen des deutjchen Hofes gefügt, um die wertvolle Erhöhung feines Herzogtumes in Firchlicher Hinficht nicht gänzlich einzubüßen. Als aber unmittelbar darnach, noch 974, zwiſchen dem Bayernherzog Heinrich dem Zänker und Kaiſer Otto II. ein Krieg ausbrach, der mit Unterbrechungen noch bis in die Regierungszeit Ottos III. (983—1002) dauerte, ftellte fi, der Böhmenherzog fofort ent- ſchloſſen auf die bayriſche Seite. Er blieb auch tro der ſchweren Verfolgungen und Friegerifchen Bedrängniſſe, die er

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von kaiſerlicher Seite zu erdulden hatte, dem Herzoge treu. Erſt als alle Gegenfäge zwiſchen Bayern und dem Kaiferhof beigelegt waren, hat auch er im Jahre 985 Frieden geſchloſſen, um binnen furzem aus anderem Anlaß der Regierung des minderjährigen Otto III, neue Schwierigkeiten zu bereiten.

Die prempflidiiche Herrſchaft eritredte fi; damals noch lange nicht über ganz Böhmen. Wann fie im Weſten und Süd- weiten die bayriſche Grenze erreichte, wilfen wir nicht. Aber fajt ganz Süd- und Oftböhmen, von Netolig im Süden, links ver Moldau, big Leitomiſchl im Often an der mährifchen Grenze, und Glag im Norden gehörte im 10. Zahrhundert einem dFürſtengeſchlecht, das man nad) feinem legten Oberhaupt Slawnit die Slawnifinger nennt. Slawnik, der feinen Wohn- fig in Libig (weſtlich von Nimburg) hatte, war mit dem ſächſi - ſchen Königshaufe verwandt, vielleicht mütterlicherfeitg ein Enfel Heinrichs I., feine Frau Adelburg (ſlawiſch Stregiſſawa genannt) entftammte gleichfalls „edlem Geſchlechte“. Wir ſehen, daß in diejes Gebiet Böhmens die Beziehungen bon Sadjen her führen, wie in das weitliche die Bayerns. Allein darüber hinaug wiffen wir bon der Geſchichte dieſes Haufes nichts; begreiflich, denn die Preingfliden konnten nicht wün- ſchen, daß die Taten anderer Herrengefchlechter in Böhmen verewigt werben. Es ijt bezeichnend, dab Cosmag ausdrüdlich erklärt: „Obwohl viel merfwürdiges aus Slawniks Leben be- Tannt ift, wollen wir doch nur einiges wenige davon berich- ten... .“. Die Rüdfiht auf die regierende Familie hemmte feinen Griffel.

Nach Slawniks Tod im Yahre 981 fekte alsbald die Ver- folgung dieſes ſächſiſch gefinnten Fürſtengeſchlechtes durch die Prempjliden ein, als diefe gewahr wurden, daß Kaiſer Otto IL. fi) feiner gegen fie, die Unterftüßer der bayrifchen Ver- ſchwörung, bedienen wolle. Einer von den ſechs Söhnen Slaw- niks, Woitiech, war für den geiftlichen Beruf beftimmt. Auf der damals berühmten Magdeburger Schule unter der Aufficyt des dortigen Erzbiſchofs Adalbert, einer Stütze der Ottonen in Deutſchland, hatte er feine kirchliche Ausbildung erhalten; nad) ihm nannte er fi} auch fortan Adalbert. Man kann es ber- ftehen, daß der Kaiſer darauf Gewicht Iegte, den Prager

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Biſchofsſitz, als er Ende 981 erledigt war, mit einem ihm ber- wandtſchaftlich naheſtehenden gebürtigen Böhmen zu beſetzen. Auch ſchien es, als ob ſeine Wahl anfangs allgemeine Zuſtim · mung gefunden hätte. „Wen denn anders“, ſoll die Verſamm - Iung in Lewy · Hradetz am 19. Februar 982, die zur Nennung des geeigneten Bewerbers berufen war, erklärt haben, „als unferen Landsmann Adalbert, deifen Taten, Adel, Reichtum, Rebenswandel jo wohl zu diefer Ehre ſtimmen“. Allerdings kennen wir feine Gejchichte mehr aus verherrlichenden Legen- den, als aus hiftorifchen Berichten. Gleich die eriten Jahre feiner Tätigfeit in Prag waren voll ernfter Yämpfe, die fein geiftlicher Biograph aus feiner ftrengen Anſchauungsweiſe in kirchlichen und fittlichen Dingen zu erflären fucht. Er verließ 988 feinen Bijchofsfig und zog nach Rom, um dort ein möndji- ſches Leben zu führen. Nad; etwas mehr als bierjähriger Abweſenheit mußte er im Herbſt 992 nad; Prag zurüdfehren, „auf ausdrüdlichen Wunjc Herzog Bolejlams TIL“, behauptet feine Xebensbefchreibung, man möchte eher meinen, nad; dem Willen der Faijerlichen Regierung, der fi} der Böhmenherzog diesmal noch fügen mußte, Er nahm zmölf römifche Mönche mit fich, um nächſt Prag in Brewnow das erſte Benediktiner- Hofter in Böhmen zu begründen. Allein er verblieb in feiner Diözefe nur wenige Jahre, dann eilte er wieder in das ferne Kloſter auf dem römiſchen Aventin. Aber weder die Liebe feines Abtes, noch die ſchwärmeriſche Freundſchaft Kaiſer Ottos III. für dieſen böhmiſchen Verwandten konnten ihm dauernden Aufenthalt an der ihm liebgewordenen Stätte ermöglichen. Der Mainzer Metropolit, Erzbiſchof Willigis, der zugleich die Reichsgeſchäfte leitete, glaubte Adalberts in Prag nicht entraten zu können und beſtand auf deſſen Rückkehr. Adalbert zögerte, irrte in der Welt umher, verweilte Wochen und Monate beim jugendlichen Kaiſer, ſuchte Unterſchlupf beim Polenkönig Boleflam Chrabri, zu dem ſich ſchon früher auch einer feiner Brüder begeben hatte. Erſt von bier aus ließ er in Prag anfragen, ob feine Heimkehr noch erwünſcht jei. „Keiner ift, der ihn noch aufnähme, auch nicht ein einziger“, ſoll die Antwort gelautet haben. Adalbert empfing fie entgegen feinem gewohnten Ernjt mit „freudigem Laden” und rief: Bretholz. Geſch Böhmens u. Mährens. I. 5

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„D guter Jeſu, du Haft die Feſſeln gebrochen“. Er widmete fid) der einzigen priejterlichen Tätigkeit, die ihm noch übrig blieb, der Belehrung der Heiden. Im Lande der Preußen hat er dann am 23. April 997 durch die Lanze eines heidniſchen Prieſters den längſt erjehnten Märtyrertod gefunden.

Den wahren Schlüffel zu diefem tragiſchen Geſchick des Sprößlings aus dem Slawnikingerhauſe gibt die Nachricht, dag anderthalb Yahre zubor, am 28. September, dem Wenzelstag, 995 dag ganze Geſchlecht ausgerottet wurde: durch einen gräu- lichen Überfall in Libitz und Ermordung aller Samilienmitglie- der, die fich dort aufbielten, durch Verfolgungen, Sinrichtungen und andere Gewalttaten gegen Verwandte und Anhänger in Prag. Das große Slawnitingerreich in Böhmen fiel nun den Premyſliden zu, vielleicht die legte no unabhängige Herrſchaft im Lande, deren Geſchichte Cosmag wohl gefannt, aber faum andeutungsweiſe überliefert hat. Es hielt ihn dabon wohl der nämliche Grund ab, der ihn auch beitimmte, jede Schuld an der Libitzer Gewalttat vom regierenden Fürften abzumälzen; 2olejlam wäre damals nicht „jelbftändig” geweſen, jondern hätte unter der Zeitung „der Grafen” gejtunden, während aus anderen Quellen feine unmittelbare Teilnahme an diejem Kampfe gegen das nachbarliche Herzogshaus deutlich hervorgeht. Ebenfo vorfichtig und zurüdhaltend fpricht Cosmag über die Geſchichte Biſchof Adalberts, fo daß fein Makel auf Boleſlaw fällt, mit feinem Worte erwähnt er, mag wir aus einer fächli- ſchen Chronik willen, da Adalberts Nachfolger, der Sachſe Xheodag von Boleſlaw III., der feinem gleichnamigen Vater 999 in der Regierung gefolgt war, aus dem Lande gejagt wurde.

Solche feindliche Stellungnahme gegen die Ottonen, die fich wie ein roter Faden durch die Politik aller drei Boleflawe zieht, mußte ihnen fchließlich verhängnisvoll werden. Boleſlaw III. bat an der Wende des Zahrhunderts, in demjelben Jahre, da Kaiſer Otto III. das Grab Adalbert in Gnejen „mit feinen Tränen negte“, feine ganze Serrichaft, die angeblich über Böh- men und Mähren hinaug bis nad Krakau reichte, verloren an Polen.

Dem :aufftrebenden prempflidiichen Herzogtum war ſchon im 10. Jahrhundert ein gefährlicher Nebenbuhler erwachſen, das

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polnifche Reich, da3 in den Niederungen zwifchen Oder und Barthe entitanden war, in Gneſen feinen politiſchen Mittel- punkt Hatte und füdweftlich big an das heutige Schlefien reicjte, wo es dem böhmifchen Reich benachbart war. Noch unter Boleſſaw I. und. Boleflam II. beitanden freundſchaftlichſte Be- ziehungen zu den polnifchen Herzögen. Boleflaws I. Schweiter Dubrawa heiratete Meffo I. von Polen; durch fie, die 977 ftarb, ſoll er und ein Teil des Volkes dem Chriftentum gewonnen worden fein. Schon 968 wurde in Bofen ein Bistum gegründet, früher als in Prag, wo fidy die Verhandlungen jahrelang ergebni8los hingezogen hatten, Zwei Jahre por Meſkos Tod, 990, entitand aber „grimmige Feindſchaft“ zwiichen den beiden Schwägern, die ſich auf Meſtos Sohn und Nachfolger, den Triegstüchtigen Bolejlam I. Chrabri übertrug. Er hat unter Otto III., genauer gejprochen unter dem Geiftlichen- und Srauenregiment, dag an deſſen ſtatt im Reiche jchaltete, feine Macht unermeßlich erweitern Finnen. „Gott verzeihe es dem Raifer, daß er einen Abhängigen zu einem Herrn gemacht hat“, lautet der Stoßſeufzer eines gleichgeitigen ſächſiſchen Chroniſten, Thietmars bon Merſeburg. Man erließ ihm den jdyuldigen Tribut, machte fein Land dur; Errichtung eines Erzbistums in Gnefen frei von dem Einfluß des Magdeburger Metropoliten, dem es bisher unteritanden hatte, wehrte nicht einmal der polnifchen Eroberung deutichen Grenzlandes zwiſchen Oder und Elbe. Und ſchließlich ftellte man den Polen auch nichts in den Weg, als ſie ſich des premyſlidiſchen Reiches in ſeiner Gänze bemachtigten. Bu Beginn des Jahres 1003 reſidierte der Pole in Prag, das ihn „durch feine Fröhlichfeit, wie ganz Böhmen durch feine Annehmlichfeit gelodt hatte”. Der Böhmenhergog Bolejlam III. wurde feines Augenlichtes beraubt und irgend- wohin nach Polen in Gefangenſchaft gebracht. Sein ältefter Sohn Saromir war zu Haufe von den „Seinen“ gemartert und für Lebenszeit zum Krüppel gemadjt worden, der jüngere Udalrich aber lebte fern von der Heimat am Hofe des Bayern- herzogs Heinrich IL. Die Premyfliden fehienen ihr Erbe ver- Ioren zu haben.

Aber nun bewährte fi die auf mehr als ein Sahrhundert zurückreichende Freundſchaft zwiſchen Bremyfliden und Bayern.

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Der genannte Heinrich II, der Sohn jenes Heinrichs des Zänkers, der an Bolejlam II. einen geradezu aufapfernden Helfer gegen die Ottonen beſeſſen hatte, war nad Ottos IH. Tode (3. Januar 1002) zur Würde eines deutſchen Königs emporgeftiegen. Raum hatte er feine Herrſchaft im Reiche ge- feftigt, Ttellte er den beiden Ießten prempjlidifchen Brüdern Saromir und Udalrich ein deutfches Heer zur Verfügung, mit deſſen Hilfe eg ihnen gelang, die Polen aus Böhmen zu ber- treiben. Am 8. September 1004 weilte dann Heinrich II, ſelber es ift die erfte beftimmte Nachricht von dem Aufenthalt eines deutjchen Königs in Prag auf der Burg Wifchehrad als Freund und Beſchützer der wieder eingejegten Premyſliden.

Und nun erſt, da böhmifches Herzogtum und deutfches König- tum den eine Zeitlang verlorenen Weg freundfchaftlicher Be- siehungen wieder gueinander gefunden hatten, begann der gewaltige Aufitieg Böhmens und feineg regierenden Haufes big zu jenem Höhepunfte, da ein Premyſlide glaubte, aud; jelber nach der deutichen Königskrone greifen zu Fünnen. Diejer Aufitieg fällt in eine Zeit, da auch dag Deutſche Reich unter bayriſchen und ftaufifchen Königen zur hödjiten Machtentfaltung gelangte. Diefeg Zufammenfallen zweier Blüteperioden bon jeltener Pracht und Dauer ſcheint den Beweis zu erbringen, daß Böhmen und Deutfchland gegenfeitig aufeinander angemwiejen jeien, daß die Entwidlung in dem einen nicht ohne nachhaltige Wirkung auf da8 andere bleiben fönne, Irrungen zwiſchen beiden traten aud) fpäter noch ein, wurden aber raſch beigelegt. Die erfte war zugleich die fchiverfte.

Der kühne Gedanke eines Boleflam Chrabri, Polen und Böhmen in einem Staatsweſen zu vereinigen und auß beiden ein ſlawiſches Großreich zu ſchaffen, das Deutichland im Süden und Often umfaßte, wurde von dem Sohne Udalrichs, Herzog Bretiflam 1. (1034—1055) von der böhmifchen Seite her wieder aufgenommen. Wie jener benüßte er einen Beitpunft tiefen Niedergangs des polnifchen Reiches und feines Fürfterrhaufes, um nicht nur die ehedem von Böhmen losgerifjenen Ränder, insbejondere Mähren, zurüczugewinnen, fondern ganz Polen au erobern. Big ing Herz des Landes, big nad) Gnefen, fonnte er bordringen, ohne Widerſtand zu finden. Bon dort Holte er

Das Herzogtum der Prempfliden. 68

nun die Gebeine de3 Slawnikingers Adalbert, des zweiten Prager Biſchofs, den Deutfchland und Stalien ſchon feit einem Mentchenalter als Heiligen verehrten, heim, um ihn im Prager Dom in feierlicher Weife beizufegen. Im Sommer 1039 war Bretiſſaw Herr von ganz Böhmen und Polen.

Konnte das Deutſche Reich eine Vereinigung diefer Länder- madjt in der Hand der Prempfliden fich vollziehen laſſen? Wie fi) 1004 Heinrich II. der entthronten Premyfliden angenommen und fie nad) Böhmen zurüdgeführt hatte, jo trat jetzt Hein- rich III. (1039—1056) ala Befchüger des Polenprinzen Kafimir auf, defien Mutter Richeza dem ſächſiſchen Königshaufe ent- ftammte. Zwiſchen Heinrich III. und Bretiflam entitand aber in begreiflicher Nachwirkung dieſes deutfch-polnifchen Bünd - niſſes Feindſchaft und Krieg. Trotz der Heftigkeit, mit der er zwei Jahre lang von beiden Seiten geführt wurde, endete er mit der Wiederherftellung des alten Xreueberhältnifies. Bretiflam erfannte zuletzt, daß ein Widerftand Böhmens troß mancher glänzender Siege bon feiner Seite auf die Dauer ausgeſchloſſen war; hatte doc, ein Xeil feines Adels und Heeres ihn im entjcheidenden Augenblick im Stiche gelaffen. Anderfeit3 lag eg gewiß nicht im Sinne der deutſchen Kaiſer- politik, die Verhältniffe in Böhmen von Grund aus zu Ändern. Gegen Anerkennung der Lehenshoheit des Reiches, wie fie bis nun beftanden hatte, erhielt Bretijlam, der im Oktober 1041 bor dem deutfchen König Heinrich III. in Regensburg erſchien, feine Serrihaft im alten Umfange zurück.

In der nädjiten Generation, unter Bretiflams Sohn und zweitem Nachfolger Wratiflam i. (1061--1092) geſtalteten ſich die Beziehungen zwiſchen Böhmen und dem Reich bereits ſo innig, daß deutſche Dichter von der „nie verlegten Treue und der in Ariegen und durch viele Triumphe erprobten ftolzen Zapferfeit der Böhmen” fangen; daß Kaiſer Heinrich IV. (1056—1106) des Böhmenherzogg aufopfernde Mithilfe bei allen Reichskriegen, insbefondere in Italien, im Mai 1085 auf einer Reichsſynode in Mainz durch Verleihung der Königsfrone, allerdings zunächſt nur für deffen Perſon, Iohnte; eine Aus- geichnung, die der Mainzer Erzbifchof dem Papfte mit der Be-

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merkung zur Kenntnis brachte: „Darin ſtimmen alle überein, daß er, wen man ihm höhere Ehre und Gunſt hätte erteilen Zönnen, auch diefer bollauf würdig geweſen wäre”. Man Tann ſolche Urteile von Zeitgenofien über dieſen Premyfliden wohl beritehen, wenn man feine unbedingte Treue gegenüber dem unglüdlichen ſchwer verfolgten Kaifer vergleicht mit dem Abfall fo vieler deutfcher Fürſten. Und dieſes Verhältnig zu Hein- rich IV. konnte der Böhmenkönig fait bis ang Ende jeiner Regierung aufrecht erhalten, ohne dabei der Achtung des Papſtes Gregors VII., Kaiſer Heinrichs größten Feindes, verluftig zu geben, der ihm nur einmal den Verkehr mit dem gebannten Kaifer väterlich verweiſend vorhielt. Es ſcheint nicht bloße Schmeichelei geweſen zu ſein, wenn der Biſchof Lambert von Krakau an König Wratijlam einmal ſchrieb: „Es gibt keinen Türften und feinen Mächtigen, defjen Gunft und Entgegen- Tommen du nicht erlangen Fönnteft”.

Nur in feinem eigenen Lande hatte er mit mannigfachen Widrigkeiten zu kämpfen und in feiner Familie gab es fait ununterbrochen Bivift, bald mit feinen Brüdern, bald mit feinem Sobne, bald mit feinen Neffen. Dag hängt zufammen einerfeits mit der ungeregelten Erbfolge, mit dem Widerftreit zwiſchen Seniorat (dag Recht des Familienälteften) und Primogenitur (das Recht des erjtgeborenen Sohnes), andererfeit3 mit dem Gegenjag zwiſchen Böhmen und den mährifchen Herzogtümern.

Herzog Bretiflam hatte mit der deutichen Judith, der Tochter des Grafen Heinrich von der böhmischen Mark in Bayern, der erften ficher bezeugten deutjchen Prinzeſſin auf dem prempjli- difchen Herzogthron, fünf Söhne. (Siehe die Stammtafel.) Als er 1055 ftarb, Hinterlieg er dem älteiten von ihnen, Spitignew (1055—1061), da8 Herzogtum Böhmen zu alleinigem Befig, dem nächſten Wratiflam die Znaimer, Konrad die Brün- er, Otto die Olmützer Provinz und Saromir follte bei der näch- ften Erledigung das Prager Bistum übernehmen, Überdies be- ftimmte er, daß der jeweils in Böhmen regierende Herzog eine Art Oberherrſchaft über alle übrigen Samilienmitglieder aus- üben follte. Nur die Frage des Erbrechts in weiterer Folge ſcheint unentſchieden geblieben zu fein. Der Übergang der böhmischen Herzogswürde von Spitignem auf Wratiſlaw, den

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wir in dieſer Stellung ſchon kennen gelernt haben, vollzog fich ruhig, weil Spitignew keine Söhne hinterlaſſen hatte. Aber ſchon während der Regierung Wratiſlaws erhob ſich die Frage, ob nad) feinem Tode fein ältefter Sohn Bretiſſaw (Primo- genitur) oder der ältefte Bruder Konrad (Geniorat) berechtig - teren Anſpruch auf den Thron Böhmens beſäße. Vielleicht nur die kurze Regierung Konrads (San. big Sept, 1092) ver- Binderte, daß darüber erniter Kampf ausbrach. Fortan fpielt aber das Erbfolgerecht mächtig hinein in die innere Politik Böhmens. Von 109 big 1125, alfo binnen dreißig Jahren, tegierten fünf Premhfliden, bon denen zwei durch Ermordung, einer durch Entthronung ihre Herrſchaft einbüßten. Beinahe fein NRegierungsantritt vollzog ſich ohne ſchwere Wirren, jeder tegierende Herzog war zeitlebeng bon Mitgliedern des engften Familienkreiſes, Brüdern, Vettern, angefeindet, bedroht, dag Sand und Volk in fich gefpalten.

Unter folgen Verhältniſſen waren die deutfchen Könige oft gezwungen einzugreifen und auch mit Heeresmacht den einen oder anderen Prempfliden zu unterftüten. Die bedeutendfte derartige Unternehmung geſchah im Jahre 1125/26, als der neue deutfche König Lothar von Supplinburg in den Kampf der beiden Bewerber um den erledigten böhmiſchen Thron, Sobieflaw-Udalrich von der böhmischen und Otto II. von der mäbrifchen Linie, zu Gunften Ottos eingriff. Am 18. Februar 1126 erlitt er bei Kulm am der böhmiſch-ſächſiſchen Grenze eine furdjtbare Niederlage, bei der der größte Teil des deutfchen Heeres in Eis und Schnee zugrunde ging und auch Otto fiel. Aber zwifchen dem fiegreichen Böhmenherzog und dem deutichen König wurde noch auf dem Schladjtfeld Friede und Freundſchaft geichloffen, fo fern lag es Sobieflatw-Udalrich, an dem erhältnis des Landes zum Reiche etwas ändern zu wollen. Er hatte nur für feine dynaftifchen Rechte gekämpft, und alg fie von Lothar anerkannt wurden, blieb er fortan er ftarb 1140 nach dem Ausſpruch eines heimifchen Chroniften „ber treuefte Freund des Reiches". Und ein gleiches, wenn nicht noch innigereg Verhältnis bildete fich nad; Furzer anfänglicher Rerftimmung zwiſchen Herzog Wladiſlaw IT. (1140—1175) und Raifer Friedrich Rotbart (1152—1190). Der einftmalige Treu-

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bund zwiſchen Wratiſſlaw und Heinrich IV. erfuhr eine volle Wiederholung und Erneuerung. Wie damals wurde aud; jetzt der Prempflide durch den Titel und die Würde eines böhmifchen Königs ausgezeichnet (1158), allerdings wieder nur für ferne Perſon. Wie Wratiflam ftellte auch jet Wladiflam dem Kaiſer feine Völker für die großen kriegeriſchen Unterneh- mungen zur Verfügung: zuerſt nad) Polen, dann aber nach Stalien, gegen Mailand 1154, gegen Rom 1161, 1162, 1167. Überall haben die Böhmen mitgefämpft und zu den großen Er- folgen Friedrichs beigetragen, allerdings fich auch bei den Zeit- genofjen wegen ihrer Raubfuht und Plünderungswut einen berhaßten Namen gemacht.

Eine höchſt beachtenswerte Ergänzung und Kräftigung erfuhren diefe freundichaftlichen Beziehungen der Fürſten beider Ränder no durch die Bande innigiter Zuneigung, die fich zwiſchen den bedeutendften Biichöfen im premyſlidiſchen Staat und den deutſchen Kaiſern ausbildete. Bon Adalbert und Otto LIT. wurde früher geſprochen. Biſchof Saromir-Gebhard ‚bon Prag (1067—1090), der Bruder Wratiflatvs, mit dem er mehr als einmal in heftigiten Zwift geriet, war von 1077 bis 1084 deutjcher Reichskanzler am Hofe Kaiſer Heinrichs IV., das till jagen: nicht nur der offizielle Leiter der Reichskanzlei, fondern auch eriter politifcher Berater des Königs und Mit- Ienfer der ReichSangelegenheiten. Man kann wohl behaupten, daß nie zubor und faum jemals wieder die Premyjliden eine fo angefehene und einflußreihe Stellung im Reiche innegehabt haben, wie zu Zeiten Heinrichs IV. Kaiſer Konrad III. (11387—1152) wiederum fand an dem Olmüter Bifchof Heinrich Shit (1126—1151)* ein ſolches Gefallen, daß er fich ihn, wie er ausdrüdlic erklärte, „ob feines makelloſen Glaubens in allen Dingen, die fich auf die Verehrung Gottes beziehen, vor allen Biſchöfen des Keide zum Lehrer und gleichſam zum Vermittler auserforen habe”. Und gleiche Verehrung ‚sollte dieſem Biſchof Papſt Lucius II. ee, der ihm in einem Briefe be- zeugt, daß er ihn ſchon vor feiner Erhebung auf den päpftlichen Stuhl „in aufrigitigfter Zuneigung“ geliebt habe und ihn fortan „nur umfo eifriger lieben und wie nur möglid) ehren wolle“. Er berief ihn nad; Rom, „da wir in mehreren geiftlichen Angelegen-

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beiten deines Rates bedürfen“. Und als ihn fein Nachfolger Eugen IIL. zum Kaiſer entlaffen mußte, ſchrieb er diefem: „Sehr gerne hätten wir diefen fronımen und gottgefälligen Mann einige Zeit in großer Ehre und Liebe bei ung behalten, weil wir aber erfannt haben, daß er dir nötig ift, jenden wir ihn an deine Hoheit zurüd“. Ganz ähnlich, geftaltete ſich auch das Verhältnig zwiſchen Kaifer Friedrich Rotbart und König Mladiflams II. getreuem Biſchof Daniel, von dem eine gleich zeitige Quelle erklärt, daß er am Hofe deg Kaiſers „gerne ge- jehen und brauchbar war”.

Diefes einträchtige Zuſammenwirken fo mächtiger Glieder im Neid, und in Böhmen, das aud) diefem Lande zu nicht ge- ringem Nuten gereichte, wurde aber immer von neuem geftört und beeinträchtigt durd) die inneren Kämpfe der Premyſliden untereinander, die, je weiter die Veräftelungen gediehen, umſo heftiger und häufiger ſich entwickelten, insbefondere nad) König Wladiflams II. Tod (18. Januar 1175) unter Friedrich) Rotbart. Der Kaifer hielt fich für berechtigt und fähig, diefem fteten Zwieſpalt zwiſchen böhmischen und mährifchen Prempfliden durch eine ebenfo wichtige als tiefeinfchneidende Entfcheidung ein Ende zu machen. Wie er fchon 1156 Öfterreid aus dem großen bayrifchen Herzogtum ausgeſchieden und felbftändig gemadjt hatte; wie er 1180 wiederum bon Bayern, aber auch von Sachſen Tleinere Herrichaften abgetrennt hatte, fo follte nunmehr auch Mähren von Böhmen Iosgelöft werden und fortan als reichd- unmittelbare Markgrafidaft ein eigenes ſtaatliches Leben führen (29. Sept. 1182). Die uralte von Cosmas ſchon über- lieferte Beftimmung, daß „das mährifche Land und feine Serren ftets unter der Serrfchaft des Herzogs bon Böhmen ftehen“, follte kraft kaiſerlicher Machtvollkommenheit endgültig auf- gehoben fein. Der Znaimer Herzog Konrad-Dtto, dem auch die Provinzen Brünn und Olmüß zugefallen waren, der aber über- dies Anfprüche auf den böhmiſchen Thron erhob, den er ſchon früher einmal: kurze Zeit beſeſſen hatte, mußte ſich mit der Stellung eines reichBunmittelbaren Markgrafen von Mähren äuftieden geben; ein anderer Prempflide, Friedrich, König Wladiſlaws II. Sohn, wurde in Böhmen, daraus er kurz zubor berjagt worden war, wieder eingeſeizt. Solange Friedrich Rob

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bart regierte und eine Zeitlang darüber, blieb dieſe Verfügung in Kraft. Aber ſie befriedigte weder die böhmiſchen noch die mähriſchen Premyſliden. Beide ſahen ſich in ihren Anſprüchen auf das ganze Reid, verkürzt. Es kam, während Kaiſer Hein- rich VL fern in Italien weilte, zu neuen Mißhelligkeiten und Kämpfen, bis endlich am 6. Dezember 1197 kurz vorher am 28. September war der Kaiſer in Meſſina geftorben die beiden Brüder Premyſl Otakar I. und Wladiflam im Angefichte ihrer fampfbereiten Heere eine Einigung in dem Ginne ſchloſſen, daß jener als Herzog in Böhmen, diefer als Markgraf im Mähren jelbitändig regieren follte, beiden aber, um bie ſchwer zu deutenden Worte des Chroniften zu wiederholen, „wie ein Sinn fo aud) eine Serrfchaft zu eigen fein möge“? Der neue deutihe König Philipp von Schwaben, der 1198 den Thron beftieg, mußte fi) mit diefer Entwidlung der Dinge in Böhmen umfo mehr zufrieden geben, als er die Hilfe der Prempfliden in dem ihm beborftehenden ſchweren Kampf mit feinem Gegenfönig Otto von Wittelsbach benötigte. Er ſicherte fie ſich indem er Premyfl Otafar I. am 8. September 1198, als er jelber (in Mainz oder Boppard) geſalbt und gekrönt wurde, gleichfalls zum König von Böhmen mweihen ließ. Zum dritten Male Hatten die Premyfliden diefe höchſte Würde errungen. Würden fie fie nunmehr dauernd behaupten können? Premyſl Otakars I. Stellung in dem großen Thronfampf Philipps mit Otto, fein Verhältnis zu dem Staufer, der ihn erhöht hatte, war lange nicht mehr fo ar und entichieden, wie das feiner Vorgänger zu Kaifer Heinrich IV. oder Friedrich Rotbart. Von deren unbedingter Treue und Zuverläſſigkeit Tann bei ihm nicht mehr die Nede fein. Er hat vielmehr zwiſchen Philipp und Otto je nad den BZeitumftänden ge- ſchwankt, er hat den Lockungen und Mahnungen der päpſtlichen Bartei willig Gehör geſchenkt. Es ging ihm aber alles, fo Tühn und waghalfig er auch feine innere und äußere Politik betrieb, zum Glüd aus. Als er ſich von Philipp ab und Otto sumandte, hat ihm auch diefer die Königswürde beitätigt. Und als er fi) 1211 von dem mit dem Papite, feinem früheren Be- ſchützer, zerfallenen Otto endgültig Iosfagte und ſich dem neu auf- tretenden Geftirn, dem jungen Hohenftaufen Friedrich II., dem ,

Das Herzogtum ber Prempfliden. 76

Sohne Kaiſer Heinrichs VI, anſchloß, ſicherte er ſich den höchſten Preis, den er zunächſt vom Kaifer erlangen konnte. Zu Baſel, am 26. September 1212, erhielt er eine Urkunde unter goldenem Siegel (Bulle), die die feierliche Beſtätigung ſeiner königlichen Würde für ihn und feine Nachfolger enthielt, alſo zum erjten Male erblich, mit der ausdrüdlichen Anerkennung: „in Anbetracht der glänzenden Beweiſe von Ergebenheit, die das ganze Volk der Böhmen von altersher dem römiſchen Reiche gegeben, und weil fein berühmter König ihn von Anbeginn mit anderen Zürften, eigentlich vor ihnen, zum Kaiſer gewählt habe“. Böhmens Verhältnis zum Reich wurde neu geregelt; die bisherigen Geldleiftungen und fonftigen Verpflichtungen gegen den Faijerlichen Hof wurden aufgehoben; nur noch zur Entgegennahme der Föniglichen Mbgeichen (Regalien), zum Be- fuch der Hoftage in Bamberg, Nürnberg, Merjeburg und zur Entfendung von 300 Bewaffneten zur Kaiferfrönung in Rom oder Zahlung von 300 Mark follten in Zukunft die böhmifchen Könige verpflichtet fein. Vier Jahre darnad), am 26. Juli 1216 empfing Premyfl Otafar I. von Kaifer Friedrich II. zu Ulm eine zweite goldene Bulle, durch die die Einfegung feines Sohnes Wenzel zum Nachfolger in Böhmen von Kaifer und Neich anerkannt wurde. Die Primogenitur, die Erbfolge des älteften Sohnes war biemit gejeglich feitgelegt, das Seniorat endgültig befeitigt. Indem Wenzel zugleich mit des Kaiſers Geſchwiſterkind Kunigunde, der Tochter Philipps von Schwaben, der Enkelin Friedrich Rotbartg verlobt wurde, hatte Premyſl Dtafar wohl alles erreicht, was fein Herz und fein hoher Sinn für fi) und fein Haus begehren konnte.

Die Zeit war gekommen, mo Böhmen, mit Hilfe des deutſchen Raifertums im Innern gefeftigt, Fein Spielball mehr einander entgegenivirfender Kräfte, unter der Führung eines mächtigen Hauſes feine eigenen Bahnen gehen Fonnte, ohne befürchten zu müffen, durch fremde Einflüffe aus diefen geworfen zu werden, :

Und welches war nun die Richtung, die dag prempflidifche Königshaus fortan in feiner inneren und äußeren Politit einihlug?

Fünfter Abſchnitt.

Die premyſlidiſche Königszeit. 1212-1306.

Sm Sclepptau der deutichen Reichs. und Kaiſerpolitik waren die premyflidifchen Herzöge vorwärts gefommen. Ob der deutſche Kaifer gegen Polen oder andere Slawen, gegen Magyaren oder ſich auflehnende deutihe Fürſten, gegen Mai- fand, Rom oder Neapel kämpfte, die Premyſliden Ieifteten ihm Gefolgiaft und Kriegsdienft gegen alle ımd jeden. Deutiche Fürften lehnten ſich auf gegen die deutfchen Könige, vertveiger- ten ihnen SHeeresfolge, Anerkennung, festen fie ab, erhoben Gegenkönige, die premyſlidiſchen Herzöge, insbefondere jeit Wratiſlaw I., folgten willig, wenn die deutjchen Kaiſer riefen. Diefe Erſcheinung erklärt ſich wohl daraus, daß das eigene Schifflein der Premyſliden von innerer Meuterei bedroht, Schiffbruch hätte erleiden müffen, wenn es nicht an dag ftolze Kaiferfchiff angeflammert geblieben wäre. Auf diefe Weije ich der gewaltige Aufitieg der Premyſliden. Mit der endgültigen Erhebung Böhmens zum erblichen Königtum ftanden fie an Würde und Anfehen über allen deutſchen Re- gentengeſchlechtern. In Bayern, Sadjjen, in Thüringen und am Rhein, in Lothringen und Brandenburg gab es nur Herzöge oder Grafen. Böhmeng Herr führte den Titel eines Königs, wie das Oberhaupt des ganzen Reiches, der deutjche König jelber.

Wenn man berüdfichtigt, weldje Strenge in der Rangordnung dazumal eingehalten wurde, dann fann man verſtehen, was es bedeutete, wenn Kaiſer Friedrich II. im Jahre 1280 in einem Schreiben den jungen böhmifchen König felbft den geiftlichen Zürften boranftellte, oder wenn ber Papft in einem Brief an die Erzbiihöfe von Salzburg und Regensburg 1230 ihn unter den weltlichen Fürſten an erfter Stelle nennt, von anderen Aus- aeihnungen, die ihm auteil wurden, abgefehen. Und diefen Rang hatte der Sohn dem Water zu verdanken, der fein Ber- hältnis zu den Iegten Staufen ausgenützt hatte, um fein eigenes

Die prempflidifche Königsgeit. ra

Haug zu fihern. Nach außen Hin machte eg ſcheinen, beſonders als die deuiſche Königstochter 1228 wirklich in Prag als Wen- zels Gemahlin einzog, als ob ein neuer Treubund feftefter Art zwiſchen Böhmen und dem Reich geſchloſſen jei. In einem Taiferlichen Privileg vom Juli 1231 ließ ſich Wenzel beftätigen, daß er ein „Nacheiferer und Nachahmer der väterlichen Ergeben- beit gegen den Kaiſer (Friedrich IL.), gegen deſſen geliebten Sohn, den deutichen König (Heinrich) und gegen dag Reich fei”.

Für die Zeit feit 1212 trifft dieſes Urteil über Premyſl Otafar I. aud) zu. Die Riſſe liegen weiter zuriid; wie denn überhaupt diefer Fürſt zwar einer der tatfräftigften und ziel- bewußteſten unter allen Premyſliden war, aber perjünliche Xreue und politifcge Uneigennügigfeit ſehr hintanſetzte. Er bat feine Ehe mit feiner erjten Gemahlin Adele von Meiken nad) mehr, ala zwanzigjähriger Dauer gelöft, fie tyranniſch be- handelt und aud) die mit ihr erzeugten Kinder verftoßen. In der kurzen Zeit von 1198 bis 1202 hat er feine Haltung gegen- über den beiden deutfchen Gegenkönigen Philipp von Schwaben und Otto von Wittelsbach dreimal geändert, Vielleicht war es ihm nur auf diefe Weife möglich, feine Stellung zu behaupten und vor allem feinen Ehrgeiz zu befriedigen. Und diefer war groß. Schon im Jahre 1197, al3 er gegen feinen Bruder in den Kampf um dag ihm entrifjene böhmifche Herzogtum eintrat, ſoll er erklärt haben, lieber fterben zu wollen, als ohne Sieg zurückzukehren. Diefer Zug von Entichloffenheit hat ihm auf jeinem weiteren Weg vielfach geholfen. Otafar hat Böhmen er- rungen und es nicht nur troß aller Widerwärtigfeiten behauptet, jondern zu ungeahnter Macht und Höhe fortentiwidelt.

Sein Sohn, der ſchon genannte König Wenzel I., der 1205 geboren noch bei Xebzeiten des Vaters 1228 den Thron beftieg und nad) deſſen Tode (15. Dezember 1230) allein regierte, war eine ganz anders geartete Natur. Er legte Wert auf die vom Bater überfommene Macht und Stellung, neigte aber zu einem ruhigen, mehr zurücgezogenen Leben mit wenigen Begleitern in eigeng für ihn erbauten Kaftellen und Häufern. Er hätte gerne Krieg und politifchen Kampf gemieden; eg war ihm nicht beſchieden. Faſt feine ganze Regierungszeit ift erfüllt bon inneren und äußeren Streitigkeiten, zeitweife jehr erniter Art.

78 Fünfter Abſchnitt.

Vom Bater übernommen hat er die Yeindichaft mit dem benadjbarten Herzogtum Oſterreich unter dem kriegsfreudigen Friedrich dem Streitbaren. Wiederholt beigelegt, durch Frie- densſchlüſſe und Yamilienverträge ſcheinbar beendigt, brach dieſer böhinifcdröfterreichifche Kampf immer wieder, auch unter Wenzel aus, Er wurde bon böhmifcher Seite mit unfiherem Erfolg geführt, insbefondere weil Wenzels jüngerer Bruder Premyjl als Markgraf von Mähren wiederholt zu Friedrich bielt. Auch nach Premyſls frühen: Tode (16. Oktober 1239) wurde der Krieg fortgeführt und endete erit, ala Herzog Friedrich, „der Tete-Babenberger”, am 15. Juni 1246 in einem Kampfe gegen Ungarn fiel. Aber nun wurde Wenzel in einen noch ſchwereren Hineingetrieben, in den großen weltgejchicht- lichen legten Kampf zwiſchen Papfttum und SKaifertum, den Gregor IX. (1227—1241) und dann Innozenz IV. (1243—1254) gegen Friedrich II. führten.

Kaifer Friedrich II, Friedrich Rotbarts Enkel, war feinem ganzen Wejen nad fein Deutfcher mehr, er war ein Sigilianer, alfo von jener eigenartigen orientaliſch-ſüdländiſchen Miſch- kultur, die ſich von der romanifcj-germanifchen fo ſtark abhob. Die Erhebung auf den deutſchen Thron, den nad) dem Tode feine Oheims Philipp von Schwaben (1208) der Welfe Otto IV. vier Jahre lang unangefochten innehatte, verdantte er, der früh Verwaifte, feinem Vormund Papſt Innozenz III., als diefer fich mit dem Kaiſer überwarf. Friedrich ſelber hätte nicht daran gedacht, das Erbe feiner Väter nod) einmal zu erringen. Nie vorher hatte er deutichen Boden betreten, felbit die deutfche Sprache beherrſchte er notdürftig; niemand in Deutſchland kannte ihn. Sekt verjtehen wir, marum er dem Böhmenkönig foviel Dank mußte, daß diefer ihn auf Veranlaffung des Papites als eriter anerdannt hatte, gleichfam den übrigen deutſchen Fürften den Weg weifend. Nur dreimal während feiner langen Regierung hat er in Deutichland geweilt: 1212, um fich die Krone zu erwerben und zu ſichern, bis 1220, dann 1235—1236 für vierzehn, 1297 für acht Monate. Sein Reid) blieb Sizilien und Stalien. Und nur wegen diefer Länder geriet er in Gegen- fa zum Papfttum. Er hatte fi verpflichten müffen, im Falle feiner Krönung zum deutſchen Kaiſer auf dag fisilifche König -

Die premyſlidiſche Königsgeit. 70

reich zu perzichten, den Königstitel für dieſes Land abzulegen. Als der Papſt ihn daran mahnte, glaubte Friedrich, ſich gegen feine Ehre und gegen feine höchſten Pflichten zu vergehen, wenn er daß borzeitig in einer Zwangslage gegebene Verſprechen erfüllte. Daraus entitand der Streit, der in ein grauſames, von beiden Seiten mit wildeſtem Ingrimm geführtes Ningen um die Obmacht in Stalien ausartete.

Deutſchland ift in diefen Kampf, der auf italieniſchem Boden ſchon feit 1225 tobte, erjt nad) 1245 hineingezogen worden, nady dem Papft Innozenz IV. auf dem Lyoner Konzil (Yuni) den KRaifer für abgejegt erklärte. Aber eine kaiſerfeindliche Partei gab es ſchon längere Zeit auch in Deutſchland. An ihrer Spike ftand der Herzog Otto IL. von Bayern, zu dem König Wenzel die freundichaftlichiten Beziehungen unterhielt. Es kann daher nicht überrajchen, wenn man vernimmt, daß auch Wenzel ſchon im Sabre 1240 deutlich zu diejer päpftlicden Partei im Reiche binneigte. Doch gelang es dem Kaiſer, den Böhmen noch einmal zurückzugewinnen; vielleicht weniger durch Verſprechungen, die er ihm in Hinficht auf Vergrößerung feines Reiches machte, als vielmehr durch eine Mahnung an ihr perfönliches Verhältnis, in einem Schreiben, dag in die Worte ausflang: er (Friedrich) rufe Gott zum Zeugen an, daß er nie einen Menfchen auf diefer Belt mehr geliebt, niemandes Ehre und Nuten mehr gefördert babe, was Wenzel felber wiſſen müßte, wenn er fi) die Ver- gangenbeit in Erinnerung rufen wollte.t

Es war das Schwanenlied der ererbten Freundichaft zwiſchen SHohenftaufen und Premyſliden. Wenzel hat nod) eine Zeitlang yezögert, hat berfichert, ſich neutral zu halten, aber jeit 1246 ift er eine der Sauptitügen des Papfttums im Kampfe gegen den Raifer. "Und der ihn vornehmlich auf diefe für ihn und fein Haus gefährliche Bahn der Abhängigkeit von der Kurie gebracht bat, war ein deutſcher Geiftlicher aus einem der bedeutenditen deutſchen Sürftenhäufer, Graf Bruno von Schauenburg, den Innozenz IV. entgegen dem Willen des ganzen Bistums im Juli 1245 zum Biſchof von Olmütz ernannt hatte, um im Reiche König Wenzels einen fiheren Parteigänger zu haben? Welch ein Wandel gegenüber den Zeiten der Faifertreuen böhmischen Biſchöfe Adalbert, Gebhard, Daniell Anderthalb Zahre

80 \ Fünfter Abſchnitt.

dauerte es, bevor diefer dem Lande und feinem Bistum völlig fremde Oberhirt fi) den Eintritt in feine Diögefe erzwang. König Wenzel ftürzte durch diefe Abkehr vom deutſchen Kaifer- tum fein Land in furdhtbare Kämpfe, denn die überwiegende Mehrzahl war noch ſtaufiſch gefinnt, anfangs auch fein Sohn und vorausſichtlicher Nacjfolger Premyſl Otaber (II), und es dauerte geraume Zeit, bis die römiſche Partei, geführt vom beutfchen Biſchof Bruno, ſich hier durchſetzte.

Eben als die ganze böhmifch-mährifche Politik durch ihr unmittelbares Eingreifen in den Weltfampf zwiſchen Kaiſer und Papſt einen völligen Umſchwung erfuhr, geriet dag premy- flidifche Reich in die große Gefahr, von einem ganz fremden Feind, der aus dem fernen Dften herangezogen fam, überrann? au werden, bon den Tataren oder Mongolen.

König Wengel I. führt in der heimifchen Literatur befannt- li den Ehrennamen eines Tatarenbezwingers und ältere Ge- ſchichtsbücher find boll der Heldentaten, die damals dad böhmifche Heer gegen diefes wilde aftatijche Volk vollführt hat, am Hofteiner Berg, vor Olmüg und anderwärts. Leider jpielen. hier wiederum. arge Urkundenfälidyungen aus dem 19. Jahr- hundert, fagenhafte Überlieferungen infolge hiſtoriſcher Ver wechſlungen und die Volksphantaſie eine verhängnisoolle Rolle. Schält man den geichichtlichen Kern heraus, jo ergibt fi) etwa folgender wahrhafter Verlauf der Ereigniffe.

Vom Oſten vorbredjend gelangte zu Beginn des Jahres 1241 ein Heereszug der Mongolen bis nach Schlefien, wo fich ihm der dortige Herzog Heinrich, ein Schwager König Wenzels, mutig entgegenftellte. Die ungeheure Gefahr, die feinem Lande drohte, jeit Monaten vorausſehend, hatte er ſich an alle Fürſten, an Kaiſer und Papft um Hilfe gewandt, und der. Raifer feiner- ſeits hatte nicht nur dag ganze Reich. fondern aud) die Könige bon England und Frankreich um raſchen Beilband ange- rufen. Der am meiften und zu allererft Bedrohte war natürlich der Böhmenfönig. Es unterliegt aud) feinem Zweifel, daß er gerüftet hat und ausgezogen ift. Aber ivie er ſelbſt in einem Briefe nachher fchrieb, habe ſich Herzog Heinrich zu früh in die Schlacht bei Liegnig am 9. April 1241 eingelafjen, bevor ba

Die premyſlidiſche Königageit. 8

böhmifche Heer zur Stelle war, „und wurde erbärmlich erſchlagen“. Wenzel behauptet weiter, daß die Tataren feinem Anmarſche, der den Zweck hatte, den gefallenen Herzog und die Niederlage der Schlefier zu rächen, nicht ftandgehalten hätten, daß fie vielmehr, „kaum dag fie unfer Vorhaben und unjeren Plan erkannten”, die Flucht ergriffen und in Eilmärjchen nach Mähren und von dort nad) Ungarn abzogen.

So mag wohl auch damals die Lage beurteilt worden fein. Mlein in Wirflicfeit war die Abänderung der tatarifchen Marſchrichtung nicht veranlagt durch die Furcht vor einem Zu- fammenftoß mit dem Heere König Wenzels, fondern durch innere Vorgänge im mongolifchen Lager. Zwei Xage nad} der Kiegniger Schlacht, am 11. April, hatte ein zweites Tatarenheer in Ungarn am Fluſſe Sajo (rechter Nebenfluß der Theiß) einen weiten großen Sieg errungen und viel Beute dabei gewonnen. Um fie zu teilen, wurden die Anführer des ſchleſiſchen Heeres nad) Ungarn gerufen und folgten mit ihren Streitkräften diefem Beſchluſſe. Von diefem Augenblide an war die Gefahr, die Wenzel mit Recht „für die ganze Chriftenheit“ befürchtet hatte, bejeitigt. Während Wenzel die böhmiſche Nordoitgrenze dedte, jchob ſich das Tatarenvolk der Oder und March entlang nad) Ungarn zu. Aber nicht „fluchtartig“, wie der König be- hauptete, vielmehr dauerte der Durchzug an die vierzehn Tage. Gewiß hat Mähren, befonder3 der Dften, dabei ſchwer gelitten. Aber irgend ein beftimmteg Kriegsereignis, eine Schlacht, ein Bufammenftoß, ein Abwehrverſuch wird von den gleichzeitigen Quellen nicht überliefert. Man kann nur fagen: der Tataren- einfall in Mähren ftellt fi) dar als ein Verwüftungszug, der raſch borüberging, ala eine gefährliche Flut, die fi) aber von felber ſchon an der äußerften Oftgrenze brach, ohne tiefer in das Land einzudringen. Für jeden Fall war e8 ein welthiltorifches Ereignis, dag ſchon die Zeitgenoffen mächtig aufregte und in der Erinnerung haften blieb. Und eben dieje Erinnerung hat mit dem Mongolenzug all das Elend verknüpft, dag in den nächſten Sahren dur; andere Kämpfe über das mähriſche Land hereinbrad, die zufammenhängen mit einem anderen Ereignis von höchſter Wichtigkeit, mit dem Ausfterben der

Bretpolz. Geſch Böpmens u. Mahrens. I. 6

82 Fünfter Abſchnitt.

Babenberger in Öfterreich und in der Steiermark. Der große Kampf um das babenbergifche Erbe, an dem Böhmen in allererfter Zinie beteiligt war, begann.

Der Premyſliden Augenmerk war ſchon lange auf dag Land „nördlich der Donau“ gerichtet. Schon 1084 hatte fi; König Wratiflew, der treue Anhänger Kaiſer Heinrich IV., Hoff- nungen auf die Erwerbung der Oftmarf gemacht, die nicht in Erfüllung gingen. Jetzt, beim Erlöjchen der Babenberger im Mannzftamm hatten die Prempfliden die beiten Ausfichten, denn König Wenzels Sohn Wratiſlaw, der bereits die Mark - grafſchaft Mähren veraltete, war mit der einen der beiden babenbergifchen Erbinnen, Gertrude, Herzog Friedrichs des Streitbaren Nichte, vermählt. Er wurde auch wirklich nach defien Xode als Herzog von Oſterreich anerkannt, die Ver- bindung Mähreng mit Öfterreidh und Steiermark ſchien fich in ruhigſter Weife vollzogen zu haben und eine erledigte Sache zu fein. Da ſtarb Wratijlaro nad einer Regierung bon wenigen Monaten am 2. Januar 1947. Nun erhoben der Sailer, Ungarn, Böhmen Anſprüche und der eigentliche Kampf um dag Erbe jegte ein. Fünf Jahre wurde ein wütender Krieg ge- führt, in deſſen Verlauf der gefährlicjite Bewerber, der Kaijer Sriedrich IT. 1250 ftarb. Sein Sohn und Nadjfolger, der neue beutfdje König Konrad IV. aber räumte das Feld, indem er ſchon im Jahre 1251 Deutichland verließ, um für das unter- italifche Erbe des Vaters einen ausfichtslofen Kampf zu be- ginnen. Sein Gegenkönig Wilhelm von Holland, der ſchon 1247, noch bei Lebzeiten Friedrichs II. von der päpftlichen Partei gewählt und am 1. November 1248 auch in Wachen gekrönt worden war, ſchenkte der Babenbergerfrage feine Beachtung. Unter jolden Berhältniffen blieb der zweite Sohn Wenzels, Premyſl Otakar (II), der damals, wie fein verftorbener Bruder, Markgraf von Mähren war, Sieger. Am 21. Novem- ber 1251 30g er in Wien ein. „Bald gab es“, fo fchreibt ein öſterreichiſcher Chronift nicht ohne Übertreibung, „Leinen Winkel, der feiner Herrichaft widerftrebt hätte”. Und da er ſich überdies mit der zweiten babenbergifchen Erbin, Margaretha, einer um biele Jahre älteren Wittfrau, am 11. Februar 1252 in

Die prempflidiihe Königsgeit. "88

Hainburg vermählte, wurde feine Stellung in den neuen Fürftentümern jogar legitim. Allein König Bela IV. von Ungarn gab fich mit diefer Löſung der Frage nicht zufrieden und begann den Krieg bon neuem. Er bediente fh dabei der Kumanen, eines heidnifchen Räuberbolfes, das durch die Mon- golen aus feinen Wohnfigen an der unteren Donau nad) Ungarn gezogen und zwiſchen Theiß und Donau angefiedelt morden war. Diefe Kumanen ließ nun Bela anderthalb Sabre in Steiermark, Öfterreich, Mähren plündern, rauben, jo daß dieje Länder damals die ſchwerſten Leiden auszuhalten hatten. Die Verwüftungen in Mähren, im ganzen Gebiete bis nad Olmüg und Brünn infolge der kumaniſchen Einbrüche in den Sahren 1252 und 1258 haben dann auf die Sagenbildung über den Xatareneinfall von 1241 eingewirkt.

Premyſl Otafar war diefem wilden Kampf nuf bie Dauer nit gewachſen. Er hätte ſich gegen Bela nicht behaupten können, wenn ihm nicht in feiner Not ein mächtiger Beſchützer au Hilfe gefommen wäre: Bapft Innozenz IV., der in Mähren, wie ſchon dargelegt wurde, in der Perſon des Olmützer Biſchofs Bruno einen glänzenden Vertreter beſaß. Um den Preis, daB Premyſl Otafar, der Sohn einer Staufin, der bisher fogar gegen den Vater und die ganze päpftliche Partei in Böhmen und Mähren auf der Seite der Staufer ausgeharrt hatte, fich endgültig von ihr losſagte, vermittelte der Papſt einen Frieden, der zunächit die. premhflidiichen Länder von den ungarifch- kumaniſchen Bedrüdern befreite,

Wir Iennen den Wortlaut des Schwures, den der Premyſlide zuerſt am 17. September 1253 in Krems vor den Biſchöfen von Freiſing, Regensburg, Paſſau und vielen Geiftlichen, dann zum zweiten Male in Prag am 8, Nobember vor geiftlichen und weltlichen Großen in die Hard des päpftlicen Xegaten, der eigens zu diefem Zwecke abgefandt worden var, Ieiften mußte. Er lautet: „Unter unferem Eide geloben wir eurer Väterlichkeit nad) Laut diefer Urkunde, daß wir und die unfrigen mit unfern Kändern, Burgen, Städten und nad) unferm ganzen Vermögen der römifchen Kirche und ihrem jeweiligen Oberhirten, ſowie Bilhelm, dem iluftren König der Römer, folange er in Gunſt

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84 Fünfter Abfchnitt.

und Ergebenheit der römifchen Kirche verharren wird, beiftehen werden. Wir werden ihn treu und aufrichtig unterftügen und ung auf fein Verlangen, fo bald eg ung möglid; fein wird, zu ihm begeben, von ihm die Negalien entgegennehmen und ihm dienftbare Huldigung leiften. Und all das, was wir hier gelobt und beſchworen haben, werden wir rein, aufrichtig und ohne Falſch während der ganzen Zeit unfereg Lebens einhalten.“*

Nach diefem Opfer, wenn es für ihn ein ſolches war, nad) dieſem Verzicht auf politifche Selbſtändigkeit in doppelter Hin- ficht, dem Papfte und dem von diefem anerkannten deutſchen Könige gegenüber, wurde dann der endgültige Frieden mit Ungarn am 3. April 1954 in Preßburg abgefchlofien, in dem der mäbrifche Markgraf zwar nicht mehr die Steiermarf, die an Bela IV. fiel, aber wenigiteng Dfterreich behalten durfte. Da aber mittlerweile König Wenzel I. am 22, September 1253 ge- ftorben war, befaß Premyſl Otafar II. bereits dag bäterliche Erbe: Böhmen. €3 ift jener Yürft, den ſchon die Beitgenoffen als den „goldenen König“ priefen, den die heimifche Geſchicht · ſchreibung alg den größten Prempfliden feiert, defjen Leben und Sterben durd; große deutſche Dichteriverfe verewigt wurde.

Das Urteil über ihn muß aber anders lauten, wenn wir feine politiſche Xätigfeit rein Hiftorifch betradjten? Er begann fie als Prinz damit, daß er fich 1248, im Alter von ungefähr achtzehn Yahren feine Geburtsdaten find merfwürdiger- weiſe nicht genau überliefert von einer mit der Saltung feines Vaters unzufriedenen Partei auf den Schild erheben ließ, um nad) dem erften Mißgeſchick fie im Stiche zu Iafien, reuig zurüdzufehren und als Gnade entgegenzunehmen, was mit den Waffen zu erobern er fich zu ſchwach erfannte. Nur „auf feindlichen Rat“ habe er ſich gegen den Vater erhoben, erflärte er fpäter in einer Urkunde vom 10, Yuli 1254. Auch feine oft gerühmten militäriſchen Eigenfhaften erfcheinen in Wirklichkeit während der gangen Regierungszeit recht beſcheiden. Die Feldzüge, die er ala Prinz unternahm, fehlugen alle fehl. Von der Prager Burg floh er und hielt fich verborgen, während feine Anhänger einen Verzweiflungsfampf zu Ende führten. Die jpäteren Kriege gegen Bayern, gegen Ungarn verliefen oft

Die premyſlidiſche Königszeit. 868

recht fraglich, ſo ſehr ſie auch von ſeinen Lobrednern als Siege gepriefen wurden. Ein Makel an ſeinem Charakter bleibt es immerdar, daß er zu einer Beit, da das Haus der Prempfliden außer ihm feine männlichen Sproffen mehr bejaß, eine Ehe einging, die er doch nur als politiſches Geſchäft betrachtete. Natürlich hatte er neben feiner legitimen Gemahlin, der Baben- bergerin Margaretha, die nad dem Altersverhältnis feine Mutter hätte fein können, eine zweite Gefährtin, die ihm bis 1260 bereits drei Rinder geſchenkt hatte. Bald gab er, der politifchen Lage Rechnung tragend, beide Frauen preis, um ein zweckmäßigeres drittes Band Fnüpfen zu Fönnen.

Der hervorſtechendſte Bug in feinem ganzen Wejen ift aber fein blinder Gehorfam gegen das Papſttum von dem Augenblick an, da er fich ihm eidlich verfchrieben Hatte. Die Kurie hat ihm ſchwere Verpflichtungen auferlegt; er hat fie alle erfüllt. Sie hat ihm manch jehnlichen Wunſch abgeſchlagen, ihn hin- gehalten; er Hat ſich darein gefügt. Bei jedem wichtigeren Schritt ift es zuerft die Wohlmeinung, das „beneplacitum“ des Papſtes, das er einholt. Defien Wünjche und Aufträge Hat er ohne Zaudern durchgeführt. Schon im Sahre nach der Thronbefteigung unternahm er auf Innozenz’ IV. Geheiß einen Kreuzzug gegen die heidnifchen Preußen, der ihn bis an den Ort führte, der nad) ihm „Königsberg“ genannt wurde und fpäter gu einer bedeutenden Stadt erwuchs. Er beendete die weite Yahrt Sofort, als ihm die Nachricht von dem am 7. Dezember 1254 erfolgten Tode des Papſtes zufam. Er eilte heim, in dem Glauben, daß dieſes Ereignis vor allem in Deutichland politifche Veränderungen zur Folge haben könnte. Denn die Frage der Wahl eines geeigneten Oberhauptes im Reich ftand ſchon damals auf der Tagesordnung. Der im Jahr 1247 gegen Kaiſer Sriedri II. gewählte deutiche König Wilhelm von Holland galt doch nur ala ein Gefchöpf von Inno— zenz’ Gnaden. Die Reichsfürſten dachten wohl auch an eine Neumahl und es gibt Anhaltspunkte dafür, dag Otakar ſich ion damals (1254) Hoffnungen machte, zu biefer Würde emporfteigen zu können. Als er aber aber gewahr wurde, daß der neue Papft Wlesander IV. an Wilhelm feithielt, zog er ſich

86 Fünfter Abſchnitt.

fofort von jeder Mitwirkung an diefen Plänen zurüd. Dasfelbe Schaufpiel einer Rüdfichtnahme bloß auf die Wünfche und Ent- fhlüffe der Kurie bemerken wir an Otakar wieder, als die Wahl der beiden deutichen Gegenkönige Richard von Cornwall und Alfons von Raftilien 1257 vor fich ging, und ebenfo bei den bon den deutfchen Fürften ausgegangenen Anregungen einer Neuwahl in den Jahren 1262 und 1268.

Doc} auch bei den großen Friegerifchen Unternehmungen des Königs fpricht nicht felten die Kurie ein entſcheidendes Wort mit. 413 nad, allerlei Unftimmigfeiten und Verwidlungen zwiſchen Otafar II, und Herzog Heinrich bon Bayern, an denen der päpſtliche Stuhl mit die Schuld trug, 1266 der Krieg zwiſchen ihnen ausbrach, war e8 ſchließlich das Machtwort Papft Klemens' IV., das Otakar zwang, im Mai 1267 die weitere Verwüftung des bayriſchen Landes einzuftellen, da die Kurie gedroht Hatte, „Berauber der Kirchen und Störer des dKrift- lichen Volkes“ durch kirchliche Strafe zu zügeln. Noch viel deutlicher zeigt fi) in den Kriegen mit Ungarn Otakars Ab- hängigfeit vom Papſte. Der Vermittlung Innozenz’ IV., die zum Preßburger Frieden von 1254 geführt hatte, wurde ſchon gedacht. Sechs Jahre fpäter, 1260, mar der damals geſchloſſene Freundſchaftsvertrag bereits wieder in Brüche gegangen. Am 12. Juli d. J. war die erfte Marchfeldſchlacht gefchlagen worden, die zu Otakars Gunften ausgegangen war, nidyt zulegt weil Belas IV. Sohn, der „wilde Stephan“, ſich durch fein unver- nünftiges Gebaren Adel und Volf der Steiermark, die er ber- waltete, entfremdet hatte. Otafar rühmte ſich in einem eigenen Schlachtbericht an Papft Alexander IV., daß er „das Königreich) Ungarn leicht hätte unterwerfen”, ja fogar „zur dauernden Knechtſchaft herabdrüden können“. Er begnügte fi aber im Friedensſchluß mit Steiermark, weil er ſich dem päpftlichen Willen fügen mußte, und ſuchte durch WBermählung mit Belas IV. Entelin, Runigunde von Halitſch (28. Oftober 1261), freundfchaftliche Beziehungen anzufnüpfen, Aber nad) Belas Tod (1270) eröffnete Stephan V. den Kampf um das durch feine Schuld verloren gegangene fteirifche Land und bedrängte Dta- tar fo feier, daß er am 3. Yuli 1271 einen rafchen Frieden

Die premyſlidiſche Königsgeit. 87

abſchließen mußte, Er brad) ihn, als König Stephan im Auguft des folgenden Jahres ftarb und nur einen minderjährigen Sohn Zadislaus hinterließ. Das böhmifche Heer rächte die früheren Greueltaten der Ungarn durch furchtbares Wüten und Morden in deren Lande. Da griff aber Papft Gregor X. gleichiam als natürlicher Beſchützer des jungen ungariſchen Königs ein. Seinen Bitten, überhaupt von einem Angriff abzuftehen, hatte Dtafar Fein Gehör geſchenkt. Als aber der Papit, kaum dab der Krieg im Zuli 1273 begonnen hatte, die deuiſche Königs- frage in ernite Verhandlung zog, brach Otafar die ungariiche Unternehmung fofort ab, verzichtete auf alle Eroberungen, um fi die Gunft des Papites in diefer für ihm wichtigſten Ange- legenheit nicht zu verfcherzen,

Eroberungen mit dem Schwerte find dem Böhmenkönig nur wenige geglüdt. Mehr Erfolg hatte er auf dem Wege diplo- matifcher Verhandlungen, für die er in dem Olmützer Bifchof Bruno einen beſonders begabten Berater beſaß. Ihm ver- dankte er, daß er der länderreichlte Fürſt feiner Zeit wurde, in „neun Landen” Böhmen, Mähren, Öfterreich, Steiermark, Kärnten, Krain, windiſche Mark, Portenau und Eger fi) Herrſcher bezeichnen konnte. Es lag ein Schein von Wirklichkeit in den Worten, mit denen ihn fein Kämmerer Andreag im Sahre 1272 zum ungarifchen Krieg. anfpornte: „Welcher Sterbliche kann mit deiner Macht auf Erden verglichen wer- den?” Dazu kam fein ungeheurer Reichtum an Edelmetall dank der böhmifchen Bergwerke. Schon das Einkommen feines Vaters ſchätzte man in Deutfchland auf 100.000 Mark, während man das des Brandenburgers und des Kölner Nurfürften nur auf 50.000, da8 des Herzogs bon Bayern auf 20.000, daS der Erzbifchöfe von Mainz und Trier. auf 7000 und 3000 umd das des Herzogs von Sachſen nur auf 2000 anfchlug. Von Otalar aber fchrieb ein deutſcher Chronift: er habe Türme voll Gold und Silber angefammelt.

Es hätte vom Machtſtandpunkt ihm nicht als Anmaßung ausgelegt werden fönnen, daß ihm die deutjche Königskrone am eheften gebühre. Man kann nicht nachweiſen, daß er fich jemals offen um fie beworben habe, aber der Gedanke beherrſchte ihn

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feit 1254 ohne Unterlaß. Seine ftillen Hoffnungen und die heimlichen Alüfterungen von Höflingen und Schmeichlern erfuhren aber eine bittere Enttäuſchung, ala am 1. Oftober 1273 der „dürftige” Graf Rudolf von Habsburg zum deutfchen König erwählt wurde" Nach Otakars Überzeugung „zum Schaden des Reiches und zu feinem Nachteil“, wie er jelber dem Bapite jchrieb, weshalb er fich auch der Wahl enthalten habe. Und in einem zweiten, vielleidt nur formelhaften Schreiben beflagte er fich über „die Fürſten Deutfchlands, denen die Macht sufteht, die Könige zu wählen”, weil fie feine Nechte mißachtet hätten. Er malte den „beflagenswerten Zuſtand“ des Reiches aus, das jegt einem „gewiſſen wenig geeigneten Grafen” an- vertraut an „Perſonen“ gelangt fei, „die die Unberühmtheit verbirgt, die aller Machtfülle entbehren und bon der Laft drüdender Armut gequält feien”. Der päpſtliche Stuhl dürfe es nicht dulden, die Welt nicht auf ſich nehmen, daß die hödhite Mürde „Niedrigen und Schwachen übertragen werde, da biedurc jene Macht, der der Araber gedient, der Inder untertan war, der Staler gehorchte und der Hifpaner zumillen gewefen, und der die ganze Welt in Ergebenheit gehuldigt habe, das deutiche Königtum, der Mißachtung preisgegeben werde. Das Reich ſelbſt rufe daher den päſtlichen Stuhl um Schuß, nad) ihm verlange es in feiner großen Bedrängnis, feinem Urteil fi) unterwerfend bitte und flehe e8, erbarme dich, mildefter Vater!"

Zu ſpät. Die Gründung einer mitteldeutfchen Großmacht aus den böhmifchen, öfterreichifchen Ländern und dem Deutihen Neid, wäre vielleicht möglich gewejen, wenn der Böhmenkönig fein Ziel auf anderem Wege verfolgt, nicht nur die Gunft der Kurie, fondern aud) die der deutſchen Fürften zu erlangen verſucht hätte, Vielleicht wäre damals eine ſolche Gründung nicht zum Nachteil Deutſchlands und deutſchen Volkstums ausgegangen. Wurde doch erſt Fürzlich die Der- mutung außgefprodhen, daß der deutſchen Königskrone, wenn fie Otafar TI. und feine Nachfolger getragen Hätten, dank ihrer Macht „der alte Glanz“ zurüdgegeben worden wäre” Dagegen ließ ſich ein friedliches Nebeneinander Deutſchlands

Die prempflidifche Königsgeit. 8

unter einem neuen Königshaus und des durch Öfterreic, ver- ftärften Böhmen unter dem uralten Premyſlidengeſchlecht kaum erwarten.

Schon im Herbft 1276 fehien eg zum Kampf zwiſchen Rudolf und Otafar fommen zu follen. Dan lag vollfommen gerüftet und Eriegöbereit vor den Mauern Wiens, Da dürfte es Biſchof Bruno, „dem treuen Überreder”, gelungen fein, feinen Herrn und König zu einem berluftreichen Frieden zu beitimmen, um eine größere Gefahr von ihm abzuwenden. Am 21. Nobem- ber 1276 im Lager Rudolfs vor Mien lieferte Otafar alles aus, bis auf feine zwei Erbländer Böhmen und Mähren. Und auch diefe nahm er vom König als Reichslehen und Ieiftete ihm dafür den Treueid. Rudolf und fein Gefolge hatten den Eindrud, Otakar vollziehe die Handlung des Kniefalls „mit gebrochenem Mute“. Sehr bald mußten fie fi) überzeugen, dag im Herzen de3 Böhmenfönigs und feines Anhangs ein herber Stachel zurückgeblieben war, der jeden zwiſchen den beiden Nachbar - reihen ausbrechenden Zwiſt big zur äußerften Gefahr eines neuen Krieges fteigerte,

Gegen Ende 1276 mußten über die richtige Auslegung einiger ftrittiger Artikel des Friedensvertrages zwifihen den Vertretern beider Könige neue Verhandlungen eingeleitet werden, die umfo ſchwieriger verliefen, als fie begleitet waren von heftigen Kämpfen an der mährijch-öfterreichiichen Grenze zwiſchen den Anhängern Rudolfs und Otakars. Aber den ernten Bemühungen des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, den Rudolf, und Biſchof Brunos, den Otakar an die Spike ihrer Bevollmächtigten geftellt hatten, gelang e8, am 6, Mat 1277 in Wien ein borläufiges Abkommen zu treffen, das die Unklarheiten des vorjährigen Friedensſchluſſes befeitigen und die inzwiſchen entitandenen Mißhelligkeiten ausgleichen follte. Es wurde dann nad) neuerlichen Verhandlungen am 12. September in Prag in einen förmlichen Friedensvertrag umgetwandelt. Man wollte dadurd, wie es in der Urfunde ausdrüdlich heißt, „eine noch feftere und reinere Grundlage für ben Frieden und die Eintracht“ beider Fürften und ihrer Länder ſchaffen. Beſonders das Verhältnis des Böhmenkönigs

oo Fünfter Abſchnitt.

zum Deutſchen Reich, das ſich während des Interregnums be- greiflicherweife bielfady verwiſcht haben mochte, wurde von neuem feftgeftellt. Allem voran fteht die Anerkennung der Iandeshoheitlichen Rechte Otafars, wie fie feine letzten Bor» fahren bejaßen. Beide Herrſcher verpflichteten ſich weiters zu gegenfeitiger Hilfe gegen alle Anfechter ihrer Stellung. Für des Reiches Notdurft wäre aber Otafar zur Unterftügung nur verpflichtet, wern er vom römijchen König hiezu aufgefordert würde und aud) dann nur in dem Maße, wie e8 ihm gezieme (prout nos decuerit); darüber hinaus, d. h. mit größerer Seeresmacht, nur gegen entiprechende Vergütung, wie fie auch anderen Fürſten zuteil werde. An einer Romfahrt des deut- ſchen Königs zum Empfang der Kaiſerkrone fei der Böhmen- könig, wenn er dazu aufgefordert würde, verpflichtet perjün- lic) teilzunehmen, oder doch bei rechtmäßiger Verhinderung für würdige Stellvertretung zu forgen. Dagegen entband Rudolf Otakar gnadenweife für eine beitimmte Zeit vom üblichen Beſuch angefagter Hoftage. Wie ſchon bei allen früheren Ver- einbarungen verſprach Otafar allen jenen, die aus feinen beiden Ländern in der vergangenen Sriegszeit Rudolf bei- geitanden, bei feinem Eid feine Gnade und völliges Vergeſſen; nur wenn fie ſich fortan etwas gegen ihn zuſchulden kommen ließen, unterlägen fie gleich anderen Iintertanen den Landes- gejegen; um nur einige der wichtigſten Beftimmungen herauszuheben.

Doch auch dieſe Abmachungen waren auf Sand gebaut. Gerade die hier eingehend behandelte Angelegenheit der ehedem abtrünnigen böhmiſch mähriſchen Adligen führte zur Ent- zweiung. Am 31. Oftober 1277 anttvortete Otalar dem König Rudolf auf ein Schreiben, dag diefer „in der Sache der Witigo- nen und anderer unferer böhmifchen Diener“ an ihn gerich- tet hatte, dag aber nicht erhalten ift, jo daß wir die Beſchwerden, die Rudolf gegen Otafar erhob, nicht fennen. Der böhmifche König beflagt ſich hier darüber, dag Nudolf diefe böhmiſchen Randesangehörigen (terrigenae) ala „jeine Diener“ betrachte; daß fie, die durch Treueid ihm verpflichtet jeien und denen niemals eine Ausnahmsſtellung zugeſtanden worden fei, nun-

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mehr fo behandelt würden, als ob fie in den Frieden mit einge- ſchloſſen wären, Nur feine Gnade habe er ihnen zugefagt und berfprodden, im Hinblid auf Rudolfs Bitte für fie ihre Schuld zu bergefien. Er verlangt gegenüber feinen Untertanen die bolle Wahrung feiner Hoheitsrechte, in demfelben Maße, wie fie feine Vorgänger innegehabt haben, und fordert dieſes Recht aud) im Namen de3 Reichs, da die Schwächung des Einzelnen die Schwächung des Ganzen bedeute. Er hat denn aud) damals einige feiner Gegner im böhmischen Adel mit Gewalt unter- worfen, Boreſch von Rieſenburg noch vor dem Januar 1278 binridjten, andere gefangen nehmen laſſen und fie wohl auch ihrer Güter beraubt.

Es läßt fich zwar nicht beftimmt nachweiſen, ift aber doch recht wahricheinlich, daß dieg jener Brief fei, den die „Sahrbücer Otakars“, alfo eine heimische Duelle, dahin kennzeichnen, „daß er mehr zum Kampf aufforderte, als daß er den Friedenskuß gebracht hätte“. Sfterreichifche und deutſche Chroniften ſprechen bon geheimen Verbindungen, die Otafar damals mit Fürften und Großen in allen Teilen des Reichs anfnüpfte, indem er fie durch Geld von Rudolf abwendig zu machen ſuchte; fie be- richten bon dem „häuslichen Unfrieden“, dem Dtafar ſchon feit feiner Unterwerfung ausgefegt ivar und ftellen die Königin NRunigunde als feinen Dämon hin. Und ganz ohne Wirkung {Keinen diefe Umtriebe nicht geblieben zu fein.

Sm Mai 1278 kam Rudolf, der fich ſeit mehr als Jahresfriſt in Wien aufhielt, einer gegen ihn gerichteten Verſchwörung auf die Spur, die von Heinrich von Kuenring, Otakars Schwieger- fohn,® im Bunde mit der Wiener Bürgerfamilie Paltram ge- plant war. Sie wurde ftreng geahndet, allein Rudolf ſah nun aud) ar, daß, wie er an den Pfalzgrafen Ludwig und ähnlich auch anderwärts hinſchrieb, „wir den Krieg mit ihm in feiner Weife werden vermeiden können“. Und König Ladislaus von Ungarn klagt er, wie feine Leute in Oſterreich durch ſchwere Angriffe des „neidifchen Gegners” bitter verfolgt würden und bittet ihn und defien Große um ihre werktätige Unterſtützung.

Der Nleinkrieg ſcheint insbefondere im nordiveftlichen Sfterreich ſchon feit Anfang Juni gewütet zu haben im Gebiet

o⸗ Fünfter Abſchnitt.

von Waidhofen a. d. Th. und Gmünd, in welch letzterem Orte 1722 anſäſſige, den Zeitgenoſſen mit Namen bekannte Menſchen verbrannt wurden, die zahlreichen Fremden nicht mitgerechnet. König Otakar brach aber mit feinem Hauptheer erſt gegen Ende de8 Monats, nicht vor dem 27., von Prag auf. In Brünn wartete er dann den Zuzug feiner Verbündeten ab, zu denen vornehmlich die fchlefiihen und polnischen Fürſten gehörten, die er für fi) geivonnen hatte, indem er auf die ſprachliche und Blutsverwandtſchaft hinwies und fie vor dem „unerfättlicyen Schlund der Deutſchen“ warnte. Sie waren für den 5. Juni nad) Troppau beordert. Aber felbft die ſüdböhmiſchen Rofen- verge waren am 13. Juli erft im Begriffe auszuzichen. Nach den St. Yafobztag (25. Yuli) langte Obafar mit feiner Krieasmacht an der öfterreichifchen Grenze bei Drofendorf an, da3 unter dem Landmarſchall von Meikau ſechzehn Tage MWiderftand Ieiftete, bevor eg fi dem Böhmenkönig ergab. Bon bier 30g diefer weiter gegen Laa, mit deifen Belagerung und Ginnahme er weitere zwölf Tage zubradjte. Am 20. Auguft ſetzte er den Vormarſch in der Richtung zur March, nach Jedenfpeu- gen, fort. Da ftieß er auf die erften Truppen bom Heere NRudolfs, der am 14. Auguft von Wien aus nad) Überfefung anf das linke Donauufer gegen Marchegg gezogen ivar, wo er fich mit den Ungarn vereinigte. Gemeinfam rückte man mardj- aufwärts bis nad, Dürnfrut, auf eine Meile weit Otafar ent- gegen. Hier, zwiſchen Sedenfpeugen und Dürnfrut, auf dem den Böhmentönig wohl vertrauten Marchfeld, wo er vor achtzehn Zahren (1260) fiegreich gegen König Bela IV. von Ungarn gefämpft hatte, Fam es zur entjcheidenden Schlacht.

Am 26. Auguſt 1278, in der zweiten Marchfeldſchlacht, wurde Otakar von Rudolf befiegt und fand den Tod, erfchlagen von perſönlichen Feinden aus der öſterreichiſchen Nitterfchaft. Der Leichnam wurde von Rudolf in feierlicher Weife zuerft in Wien beigefegt, dann nad Bnaim, zulegt nad) Prag überführt und dort im Dome beftattet,

Für den Eommer 1278 Hatte Dtafar bor Jahren dem Rapfte Gregor X. einen Kreuzzug ing Heilige Land zugefagt, um die Entiheidung in dem unaußweichlichen Kampf mit dem

Die premhſlidiſche Königszeit. os

neuen König hinauszuziehen und eine Wendung zu ſeinen Gunſten zu erwirken. Jetzt war die ganze Angelegenheit zu ſeinem und ſeines Landes Unheil entſchieden. Die päpſtliche Politit Wenzels und Otakars hatte dieſe Wendung herbei- geführt.

Wohl das ärgfte Geſchick, ein wahres Elend traf Otafard Sohn und Nachfolger, den fiebenjährigen Wenzel? Bei den Sriedensverhandlungen des Jahres 1276 war eine Doppel- verlobung zwifchen den Kindern Dtafars und Rudolfs ver- einbart worden. Wenzel follte Guta, feine Schweſter Agnes Rudolfs gleichnamigen Sohn, den Herzog bon Oſterreich heiraten. Nun ſchienen alle dieje Pläne über den Saufen geworfen.

Der nächſte Anverivandte des gefallenen Böhmenkönigs war der Markgraf Otto von Brandenburg, der Gatte der Schweiter Dtafars, Beatriz. Der „Schrecken“ und die allgemeine „Beitürzung”, die nad) dem Unglüd der Marchfeldſchlacht am Prager Hof und im ganzen Lande plaggriffen, veranlaßten die Königinwitwe, die ungariſche Kunigunde, Otto um raſcheſte Silfe zu bitten. Er Sam früh genug, um ſich Prags, verjchie- dener Burgen und Städte in Böhmen zu bemädhtigen, und ſich ala berufener Beſchützer der königlichen Familie und des Landes aufzufpielen. Rudolf konnte ihn daran nicht hindern, da er zuerſt Öfterreich und dann Mähren fich fihern mußte. Schließ- lich (November 1278) wurde vereinbart, daß für die nädjiten fünf Jahre Böhmen in der Verwaltung Ottos, Mähren in der Rudolfs unter der Statthalterfchaft Biſchof Brunos verbleiben follte; die Glager Grafichaft fiel damals an Herzog Heinrich IV. von Breslau, der gleichfalls mit Heeresmacht in Böhmen ein- gedrungen war. Die Königinwitive, die ſich mit Otto bald überwarf, fuchte und fand mit ihren Rindern bei König Rudolf väterlihen Schu, nur Bring Wenzel wurde Otto überantivortet und nad) Brandenburg mitgenommen, wo er nad; böhmiſchen Quellen ein armfeliges Leben führte,

Diefe Neuordnung der Verhältniſſe im premyſlidiſchen Reiche bewährte ſich aber nicht nur nicht, fondern führte zu fo furtbaren inneren Wirren und Kämpfen, daß diefe fünf Jahre

94 Fünfter Abſchnitt.

(1278—1283) als einer der traurigften Abſchnitte in der Ge- Ihichte der Länder Böhmen und Mähren gelten müſſen. Gleichzeitige Berichte kennzeichnen die Verhältniffe zur Genüge. Eine öfterreichifhe Quelle jchreist, daß nad) Otakars Tod „die Edeln Böhmens wie Glieder ohne Haupt miteinander in arge Zwietracht gerieten und felber dag böhmijche Land duch Raub und Krieg verwüſteten, jo daß in vielen Orten und Dörfern weder Menjchen noch Tiere zu finden waren”. Eine andere: „Damals herrſchte großes Elend in Böhmen, Die Adligen jelber verwüjteten ihr Land, fo dag man mit Recht fagen Tann: Wehe dem Lande, defien König ein Kind ift.“ Eine dritte: „... und nad) kurzer Zeit begann e8 (das bon der Marchfeldſchlacht heimfehrende böhmiſche Volk) das eigene Rand mit Raub und Brand zu vernichten. Iſt es doch eine ſehr häßliche Gewohnheit oder vielmehr Verderbtheit unferes Volkes, wenn es gegen den Feind zieht oder heimfehrt, das eigene Land wütender als der Feind zu verwüſten und anftatt ein Abwehrer der Feinde ein feindlicher Zerftörer feiner Nachbarn zu fein.“

Der Einmarſch des Brandenburger, der Schlefier und ſchließlich Rudolfs von Habsburg mit ihren Heeresmaſſen haben das Elend begreiflicherweiſe noch vergrößert. Viel Schuld trug an der Entwidlung der Dinge jedenfalls das zügellofe Regiment Ottos in Böhmen und jeimeg dort ein- gejegten Statthalters, des Biſchofs Gerhard von Brandenburg, den eine Quelle als den „gewalttätigen Förderer aller Böfe- wichte“ bezeichnet. Im Sahre 1280 mußte jogar Rudolf unter- ftüßt von mehreren deutſchen Fürften noch einmal nad) Böhmen ziehen, um mit Otto neue ereinbarungen zu treffen. Aber viel wurde dadurch an den wirren Zuftänden nicht geändert, bejonders da die Brandenburger an „Prag und den übrigen Städten“ ftarfe Unterftügung fanden. Wichtig ift zu erwähnen, daß nad) den Angaben der „Prager Jahrbůcher“ damals viel Fremde „als Edelleute, Mittelitand und niedrige Volk“ in Böhmen fein Glüd verſuchten, dann aber auf den Befehl des Markgrafen nach den Befchlüffen des Weihnachtslandtages von 1280 wieder außgetrieben wurden;

Die prembflidifche Königsgeit. 85

als „Auszug (exitus) der fremden Deutſchen“ von der Quelle gefennzeicnet.

Wenn aber derjelbe Chronift die weitere Entwidiung jo barftellt, al3 ob darnad), nad) der Befreiung des Landes von den fremden Elementen, gleichſam das goldene Zeitalter anbrach, indem er berficyert, dab von diefem Augenblid an, jeit Beginn 1281, das Volk wieder auflebte, die in die Wälder Entflohenen in ihre Heimftätten zurüdfehrten, jeder wieder an fein Gejchäft ging, der Bauer die Hand an den Pflug, der Handwerker an feine Arbeit legte, der Zimmermann zu bauen begann, die Frauen Roden und Spindel drehten, und wie er jonft dag idylliſche Bild ausmalt, jo wiſſen wir aus anderen ebenfo zuberläffigen Quellen, daß die inneren Wirren noch lange fortdauerten.°

Auch mit der Rückkehr des jungen Wenzel aus Branden- burg nad) Prag am 24. Mat 1283, deſſen ſich als feines zu- fünftigen Schwiegerfohnes König Rudolf in jeder Hinficht anzunehmen ſuchte, trat Feine Beflerung ein. Denn der zwölfiährige Knabe geriet zunächſt ganz in Abhängigkeit von feinem Stiefoater, dem Witigonen Zawiſch von Falkenſtein, einen böhmifchen Adligen, der Otakars II. Wittve, Königin Nunigunde, geheiratet Hatte und, wie e8 ein heimiſcher Chronift kurz und bündig ausdrüdt, „allein alleg anorönete, dem allein alle gehorchten“. Er ftellt ihn hin ala den „fried- jeligen Feind, den heimtückiſchen Freund, der mit Worten liebäugelte und dann eg beritand, mit Taten rüdlings zu ftechen“. Er arbeitete vor allem gegen die eheliche Verbindung Wenzels mit Guta von Habsburg. Er konnte fie hinaus- ſchieben, aber nicht verhindern; am 4. Zuli 1287 erfolgte nad} ftattgehabter Vermählung der Einzug der Habsburgerin in Prag. Die habsburgiihe Partei im Lande erhielt nun in der neuen Königin einen fihtbaren Mittelpunkt und in Niko laus, einem unehelichen Sohn Dtafars II, ein führendes Oberhaupt; der Kampf mit Zawiſch und feiner mächtigen Abelsfippe begann. Drei Jahre wehrte fie fi; am 3, Yuguft 1290 endete Zawiſch auf dem Schafott. Sein Stiefjohn König Wenzel und deifen Halbbruder Nikolaus haben dag Urteil

os Fünfter Abſchnitt.

über ihn verhängt. Allein im Hintergrunde ragt die rächende Hand der Habsburger empor, weil Zawiſch das freundſchaftliche Verhältnis, das ſie zu den Premyſliden ſuchten, zerſtören wollte. So leicht war dieſes auch nicht herzuſtellen, da der Schatten des unglücklichen Königs Dtafar dazwiſchen jtand.

Rudolfs ehrmürdige Geftalt fehien ihn, folange er lebte, beſchworen zu haben. Aber nad) feinem Tode, der ſchon am 13. Juli 1291 eintrat, ftieg er ftärfer als je früher von neuem empor:'denn das Verhältnis zwiſchen den beiden Schwägern, Wenzel I. und Albrecht I., Rudolfs I. Sohn und Nadifolger, dag fchon bei deifen Lebzeiten zeitweilig getrübt war, artete in offene Feindfchaft und Fehde aus. Die Habsburger gerieten in arge Bedrängnis. Zuerſt büßten fie die deutiche Königs- krone ein, die am 3. Mai 1292 Adolf von Nafjau zufiel, für den ſich auch Wenzel als deutſcher Kurfürſt ausſprach. Bald aber gerieten ſie auch in Gefahr, ihr öſterreichiſches Erbe zu verlieren. Albrecht mußte ſich entichließen, die Gnade feines Schwagers, des Gatten feiner Schweiter Guta, demütigft zu erflehen. Im Jahre 1293 kam 23 zu einem Gegenftüd von Otafarg feinerzeitigem niefall vor Rudolf im Jahre 1276. Jetzt mußte ſich nach der Schilderung des böhmifchen Hof- roniften der Haböburger vor dem Premyſliden tief beugen, um Vergebung für feine Vergehen gegen ihn bitten mit den Worten: „Herr König, da ich mir bewußt bin, ohne eure Schuld mich gegen euch vergangen zu haben, biete ich nicht nur das Herzogtum Öfterreich, fondern auch meinen eigenen Zeib zu euren Dienften an und flehe um Verzeihung. Ich bitte euer Rittersmann fein zu dürfen, und verjpreche, mit dem Herzogtum Oſterreich euch von jet an als Vaſall zu dienen. Eure königliche Hoheit möge mich milde aufnehmen und möge nicht geftatten, daß mir, der ich Verzeihung erbitte, don meinen Untertanen eine fo unheilbare Schmach zugefügt werde. Sie möge mid; mein eigen Brot eſſen laffen und fortan iverde ich von dem Wege eurer Befehle nicht mehr abweichen.” Worauf der Böhme: „Wiewohl wir Urſache hätten, eud; Übles mit Üblem zu vergelten, wollen wir doch aus Töniglicjer Gnade alles dus, worin ihr euch gegen ung ber-

Die prempflidifche Königsgeit. 97

gemgen, gänzlich nadyjehen. Und wenn mir euch in eurer Treue beftändig finden, wollen wir euch uneingedenk des Vergangenen in allem Ungemad als unfer Xiebden fügen.” Welch ein Wandel der Zeiten!

König Wenzel ftieg in den nächſten Jahren ſcheinbar zu immer größerer Macht. Er war ſchon vorher (9. Oftober 1292) Oberherr von ganz Schlefien und Kleinpolen geivorden, er gewann eine lehensherrlie Gewalt über Sachſen und Meiben. In den Pfingftfeiertagen 1297 fand mit päpftlicher Genehmigung die Krönung und Salbung des Königspaares in Brag durch den Mainzer Erzbifchof Gerhard von Eppenftein in Anweſenheit zahlreicher weltlicher und geiſtlicher Fürſten auch Herzog Albrecht bon Oſterreich war anweſend ftatt, mit einer Pracht und einem Aufwand, „deilengleichen noch Tein König, weder Aſſur noch Salomo gefeiert haben“,

Wie ein glangvolles Abendrot beftrahlte diejes Feſt das ftolge Lebenswerk der Prempfliden. Bald follte Dämmerung und finftere Nacht folgen,

Wenige Tage ſchon nach all der Luſtbarkeit, am 18. Juni 1297, ftarb die Königin Guta an den Folgen einer Früh - geburt. Noch im jelben Jahre begannen die erſten Schwierig - feiten in ®olen, die zunächſt noch beigelegt wurden. Aug der Erhebung des Herzogs Albrecht von Oſterreich zum deutfchen König nad) der Befiegung Adolfs von Nafjau in der Schlacht bei Göllheim (2. Juli 1298), an der auch böhmifches Heer auf öfterreichifcher Seite kämpfte, am 27. Juli desfelben Jahres, zog Wenzel für den Augenblid Nutzen, in Wirklichkeit war e3 eine abermalige Überflüglung der Prempfliden durch die Habsburger. Wenzel II. erhielt dag Egerer und Pleißner Land, die Würde eines „Hauptmanng und Vikars des Reiches“ und andere Vergünftigungen; „zur teilweiſen Wieder- erftattung deiner Rechtſchaffenheit und Xreue”, erklärte Albrecht. Im Auguft Fonnte ſich Wenzel fogar in Gnejen die polnifche Königskrone feierlich aufiegen Yaffen, nachdem er fih mit der zwölfjährigen polnischen Prinzeſſin Elifabeth- Richja verlobt Hatte, „zum Xrofte für das polnifche Volk”.

Bretholg, Geid. Bögmens u. Mäbrens. I 7

os Fünfter Abſchnitt.

Er ſollte dieſer großartigen Erwerbung, die uralte, von den mächtigſten Premyjliden, insbefondere auch von feinem Vater verfolgte Pläne "zu verwirklichen ſchien nicht mehr froh werden. Noch weniger einer anderen, in die ihn ſeine Ratgeber hineindrängten. Wie früher dag polniſche Königs- haus, fo war 1301 dag ungariſche der Arpaden erloſchen. Nächſte Anſprecher auf die Krone aus berimandtichaftlichen Gründen waren: Herzog Otto von Bayern, Karl Robert von Anjou und Wenzels gleichnamiger Sohn Wenzel III. der mit der Tochter des Iekten Königs Andreas III, Elifabeth, ver- lobt war. Der damals zwölfjägrige Prinz wurde denn auch bon einer Partei am 27. Yuguft 1301 gewählt und gekrönt, erhielt aber fofort einen Gegenfönig an Karl Robert. Diejen unterftüßte, obwohl er ſich nicht einmal im Lande halten konnte, der allmädjtige Bapft Bonifaz XIIL.; vom Böhmenfönig aber verlangte er, daß er feinen Sohn zum Rüdtritt veranlaſſe. Die Andeutungen, die er ihm zugleich machte, daß Wenzel nad) feiner Anſicht den Namen eines Königs von Polen unredit- mäßig führe, waren nicht minder bedrohlich, als die Verfuche des Papftes, ſich des deutſchen Königs Albredjt gegen die Premyfliden zu vecſichern.

Der Kampf um die ungariſche Krone begann inn Sommer 1303 auf ungariſchem Boden. Die Böhmen mußten bald von dort zurüchveichen, da fie von Herzog Rudolf von Öfterreich, Albrechts Sohn, in Mähren angegriffen wurden und Gefahr

liefen, abgeichnitten zu werden. Karl von Anjau verfolgte die Premyfliden bis nad Mähren und Böhmen hinein und mütete in beiden Ländern mit dem wilden ungarifchen Heere in unmenſchlicher Weiſe. Zulegt griff noch König Albrecht ſelber mit dem Reichsheer ein, ohne aber wirkliche Erfolge zu erzielen. Die ſchon begonnene Belagerung der Bergftadt Kuttenberg mit ihren gewaltigen Silberſchätzen mußte er wieder aufgeben und ſich „in Verwirrung“ aurüdziehen. Im Sabre 1304 ruhte der Kampf, aber Wenzel rüftete fih, um ihn im.folgenden von neuem aufzunehmen. Da ereilte ihn am 21. uni 1305 der Tod. Er hatte nur ein Alter von 34 Jahren erreicht, denn Krankheit und Schwäche waren von Sugend an feine Begleiter geivejen,

Die prempflidifce Königszeit. ®

Sein Sohn Wenzel III. damals jechzehnjährig, gab Ungarn preis, ſchloß auch mit König Albrecht, feinem Oheim, Frieden, indem er ihm Eger und Meißen wieder auglieferte, in der Soffnung, durch ſolche Opfer wenigitens den Belig Polens tetten zu können. Auf dem Zuge dahin wurde er am 4. Auguit 1806 in Olmüg meuchlings ermordet; ob aus politifchen oder perſönlichen Gründen bleibt ungeklärt. Die Mehrzahl der Quellen jchreibt die Schuld an diefer Tat dem heimiſchen Adel zu und erflärt fie aug des jungen Königs Übermut, aus den allzu großen Schändlichkeiten, die er ſich gegenüber feinen Großen erlaubt haben ſoll.

Das prempflidiihe Haus war mit diefem Todesfall in feinem Mannesftamm erloſchen. Es war damals dag ältefte unter den befannten regierenden Fürftengefchlechtern, deſſen Uranfänge fich in Sage und Mythe verloren; es Hatte fich zu ungeahnter Macht, zu größtem Anjehen emporgerungen. Im Reiche gehörte es feit den Zeiten Kaifer Heinrichs IV., wie die berborragendften deutſchen geiſtlichen und weltlichen "Sürften, wie Mainz, Köln, Trier, wie Pfalz, Bayern, Sachſen, Branden- burg als Inhaber des Erzicjenfenamtes au der oberiten Hof beamtenſchaft des deutichen Königs. Daß das wichtige Reichs - Tanzleramt auch einem Premyſliden offen ftand, haben wir ge- fehen. Die glänzende Stellung, die zeitweilig Otafar II, oder Wenzel II. einnahmen, haben wir gefenngeichnet.

Diefer Aufftieg eines Gefchlechtes aus Fleinften Anfängen, diefe Ausbildung eines ungeheuren Reiches aus einem Stamm- gebiet ift umfo überrafchender, ala der Premyſlidenſtaat eine eigenartige innere Geftaltung aufwies, wie fein andereg deut- ſches Fürftentum: eine Verbindung zweier fremdartiger Ele mente, deutſchen und ſlawiſchen Volfstums, die nebeneinander beitanden, ohne ſich zu vermiſchen, ohne ſich zu bertilgen.

Wie aber diefe einzig daftehende Geftaltung eines Zivillings- ſtaatsweſens möglid, geweſen ift, erheifcht in diefen: Zufammen- bang eine genauere Unterſuchung.

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Sechfter Abſchnitt.

Die fogenannte deutfhe Kolonifation.

Die premyjlidifche Zeit bedeutet in Böhmen und Mähren nicht nur politifch und dynaſtiſch einen Aufſchwung, wie er jpäter faum je wieder eingetreten iſt, fondern auch wirtichaftlich und fozial. Mit der auffteigenden äußeren Geidhichte hält die innere vollkommen Schritt, Das eine bedingt das andere. Welch eine gewaltige Veränderung ift nur allein im Zandichaftsbild in dieſer Periode vor fid) gegangen! Als mit Beginn der Premyjlidenherrſchaft am Ende deg 9. Jahrhunderts gejchicht- liches Leben in diefen Ländern in erhöhtem Maße einjekte, waren fie gewiß zum großen Xeil Wald- und Sumpfland mit zerſtreuten Kleineren und größeren Siedlungen in Form bon Dorfichaften und Einzelhöfen, mit einigen recht und jchlecht befejtigten Sigen für die fürftlihen Familien und Hohen des Landes; hier und dort ſtand ein beſcheidenes Kirchlein, eine Kapelle, eine Klauſe; Handel und Wandel vollzogen ſich in den einfachſten Formen und beſchränkten ſich auf dag notwendigite Maß des Tauſchverkehrs. Am Ende der pierhundertjährigen Regierung des prempjlidifchen Gejchlechtes aber war das Land erfüllt und bededt bon zahlreichen Städten, Märkten und Dör- fern, von Kirchen und Klöſtern, Burgen und Schlöſſern; blühen- des Rulturland zeigte fi) allerorten, reicher Verkehr herrſchte aM ausgebauten Straßen im Innern und über die Grenzen

inauß,

Die Kräfte, die diefen Wandel und langfamen Ausbau durchgeführt haben, ftellte das Volk, und feine Arbeit kennen au lernen und zu verfolgen, ift wohl mit die wichtigfte Aufgabe geſchichtlicher Tarftellung. Allein welche Schwieri ten ftellen fich ihr entgegen! Das Wachen und Werden natürlicher Ent- widlungen läßt fi) in den Quellen nur fehr ſchwer verfolgen. Das Bild des eigenen Schaffens deg Volkes tritt Bier ftarf zurüd hinter dem jeineg politiihen Schickſals. Wir ſehen ge Iegentlich, daß eine neue Wirtichafts- oder Rechtsform beiteht,

Die fogenannte deutſche Koloniſation. 101

aber äußerft felten, warın und wie fie aufgefommen ift. Das gilt nicht nur für die Geſchichte unjerer Länder, fondern auch für die anderer Gebiete. Bei ung fommt aber noch eine andere ernfte Schwierigkeit hinzu.

Böhmen und Mähren zeigen ſchon im Mittelalter in den Siedlung3berhältniffen eine Eigenart, wie fie in gleich auf- fallender Weife nidyt häufig erfcheint: auf demfelben Boden ein Nebeneinander- und Sneinanderwohnen zweier Volks- ftämme, Deuter und Slawen, die zwar heute und ſchon feit geraumer Zeit äußerlich geeint erfcheinen durch die gemein- fame ſtaatliche Verwaltung, innerlich aber bi3 heute „geſchieden“ find vor allem durch die Sprache, und „verſchieden“ nad) Art und Sitte.

Die Frage, wieweit diefe Erſcheinung zurückzuverfolgen ift und woher fie ihren Urfprung nahm, pflegt man bekanntlich nit einem einzigen Wort zu beantworten: Kolonijation. Es befagt nicht mehr und nidyt weniger, als daß in die zu Beginn der Herrſchaft der Premyſliden angeblih nur bon ſlawiſcher Bevölkerung bejiedelten böhmifchmähriichen Länder während der Regierung dieſes Geſchlechtes allmählich deutfches Volk eingeiwandert oder fogar von den Fürften berufen worden fei, jo daß ſich allerorten deutſche Kolonien (Anfiedlungen) berausbildeten. Was den Beitpunkt der Einwanderung anlangt, gehen die Anfichten nicht unweſentlich auseinander. Allein darauf wird nicht das Sauptgemwicht gelegt; entſcheidend ift in allererfter Linie, daß diefe Deutichen als Fremde aus meiter Berne und aus den verſchiedenſten Gebieten in ein feit Yahr- hunderten ausſchließlich von Slawen (Tſchechen) bewohntes und kultiviertes Land gekommen ſeien und erſt von da an ihre Seßhaftigkeit zu rechnen ſei. Die urgermaniſche Beſiedlung, die ſich lange por der flawiſchen vollzogen hatte, kam dabei kaum mehr in Betracht. Mochte auch der eine und andere Forſcher jenes alte Volk der Markomannen und Quaden, das wir in den erſten Jahrhunderten unſerer Zeitrechnung hier anſäſſig kennen gelernt Haben, mit ſpärlichen Überreiten in den böhmiſchen Waldeinfamfeiten fortleben laſſen für die Fortbildung des Deutfchtumg in Böhmen und Mähren ſchrieb man ihm feine

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Bedeutung mehr zu. „Im übrigen waren die Tſchechen bis zum 10. oder 11. Jahrhundert die einzigen Bewohner des Landes“, dies galt in voller Übereinftimmung mit Balacky auch in der deuietohmiſchen Geſchichtsliteratur für ausgemacht; ja man ſprach ſogar bon einer „bölligen Eroberung Böhmens dur die Slawen“, ohne allerdings anzugeben, in welcher Zeit, auf welde Art und aus weſſen Beſitz diefe „Eroberung“ erfolgt fein follte* Aber dann feien auf dem inzwifchen ganz ſlawifierten Boden doch wieder neue deutſche Völkerſchaften entſtanden durch Kolonifation.

Diefe Anſchauung von einer älteren natürlichen flawifchen, dann einer jüngeren Zünftlichen deutſchen Beſiedlung unferer Ränder hat für die ganze innere rechtliche und wirtfchaftliche, geſellſchaftliche und geiltige Geſchichte Böhmens und Mäh- tens größte wifjenfhaftlihe Bedeutung. Merkwürdigerweiſe fpielt fie feit der Begründung der tſchechiſch- ſlowakiſchen Repu- blik aud) ſehr wefentlid) in die Politik hinein. Man kann wohl fagen, daß man verſucht, die Lehre von der deutfchen mittel- alterlisyen Kolonifation in unferen Ländern zur Grundlage au machen für die Stellung, die die Deutfchen fortan in diefem neuen Staatsweſen einnehmen follen, daß fie als geſchichtliches Fundament für den politifchen und nationalen Neubau ange- fehen wird,

Denn in der Botſchaft, die der Präfident Th. Maſaryk am 22. Dezember 1918 erließ, war u. a. die Erflärung enthalten: „Das von den Deutſchen beivohnte Gebiet ift unfer Gebiet und wird unfer bleiben. Wir haben unfern Staat aufgebaut, wir Haben ihn erhalten. Wir bauen ihn von neuem auf... Wir haben unfern Stwat gebildet, dadurch wird die ftantSrechtliche Stellung unferer Deutſchen beftimmt, welde urſprünglich in das Land als Emigranten und Noloniften gefommen find (kterff püvodn& do zem&ö prisli jako emigranti a kolonist&)”. Und in der Neujahrsrede vom 1. Januar 1919 wiederholte er fie in der Form: „Es ift auch ein offenbarer Unterfchied in dem Selbftbeftimmungsredjt der Nationen; und wir Tſchechen und Slowaken find bis auf kleine auswärtige Minoritäten ein ganzes Volk beifammen. Unſere Deutichen find fein ganzes Volk, fondern nur eine Rolonifation (naäi Nömei nejsou cely

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närod, nybrZ jen kolonisaci). Die Deutſchen fehidten ihre eroberungsfüchtigen Kolonien aus und aud) zu ung in unſer Land". Es fteht damit im Zufammenhang, dab, wie im Jahre 1920 befannt wurde, bei den Friedensnerhandlungen in Paris ein fogenanntes Memoire III eine wichtige Rolle fpielte, durch dag der Beweis geliefert werden follte, daß der allgemein aufgeftellte und auch anerkannte Grundſatz des Selbftbeitim- mungsrecdhtes der Völker auf die Deutfchen in Böhmen und Mähren feine Anwendung finden dürfe, denn fo hieß es wörtlid) „die Deutſchen haben fi in Böhmen Zünftlich feftgefegt ala Koloniften oder Beamte und Bureaufraten, als gelehriges Element einer gewalttätigen Germanifation“.

Solche politifche Folgerungen Eonnten nur gezogen werden, weil die deutiche Kolonifation"in Böhmen und Mähren als eine geſchichtliche Tatfache angefehen wurde; der befannte Ausſpruch des Geſchichtſchreibers Heinrich v. Treitichke, „Politik ift_ ange wandte Gefchichte”, wurde einfach in die Praxis umgefekt. Und als geſchichtliche Tatfache wurde das Koloniftentum der Deutichen in Böhmen und Mähren angefehen, weil alle neueren Geſchichtsbücher, die diefe Frage berührten, vom einfachſten Schulbuch bis zu den befannteften „Deutſchen Geſchichten“ namhafter Forſcher dieſe Anſicht vertreten,? ebenſo die heimiſche Literatur in beiden Sprachen, deutſch und tſchechiſch, wie die öſterreichiſche oder reichsdeutſche oder fremde. Dieſe Einmütig · keit liebe vorausſetzen, daß ihr eine beſtimmte und unanfecht- bare Quellenüberlieferung zugrunde liege. Man müßte an- nehmen, daB, da diefe Einwanderung in dag 11., 12. oder 18. Jahrhundert verlegt zu werden pflegt, in allererfter Linie die Chroniften jener Zeit hievon Kunde böten.

Nun, Cosmas, Böhmens ältefter Geſchichtſchreiber, der in der zweiten Sälfte des 11. und im erſten Viertel des 12, Sahr- Bundert8 lebte, weiß zwar bon einer übrigeng längft als belanglos nachgewiejenen Vertreibung aller Deutſchen aus Böhmen durch den Herzog Spitignew im Sahre 1055 zu erzählen,* aber nichts von einer Einwanderung. So oft er auch in feiner Chronik bon Deutſchen und Deutfchtum Spricht, fei es in wohlmollendem, fei eg in abträgfihem Einn, eine deutiche tolonifatorifche Bewegung Fennt er in Böhmen nicht. Und auch

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feine Fortjeger im 12. und 13, Jahrhundert, angefehene Geilt- liche der Prager Kirche oder der großen Mlöfter, denen Ereig- niffe von folder Tragweite nicht leicht entgehen Eonnten, bieten nicht den leifeften Anhaltspunft, wenn man nicht eine oder zwei Bemerfungen aus der zweiten Hälfte des 13, und aus dem 14. Sahrhundert falfch auslegt, wie fpäter zu zeigen fein wird. In dem fogenannten „Dalimil”, einem tſchechiſch ichreibenden Reimchroniſten aus dem erſten Viertel des 14. Jahr- hunderts, deifen Werk frühzeitig auch ing Deutfche übertragen worden ift, tritt uns ein leidenfchaftlicher Deutſchenfeind ent- gegen, dazu ihn die Schredengzeit in Böhmen nad) 1278, nad) Otakars II. Tod, und die Regentſchaft des Brandenburger Markgrafen Otto in Böhmen gemacht Hat. Aber beide, der tſchechiſche Chronift, wie der deutjche Überfeger, Hafen nur „die im Lande nicht feßhaften Deutſchen“ und unterſcheiden fie als „Fremde“ von den heimiſchen Deutjchen, die beim Überfeger die Tutſchin“ heißen.“ Auch Balimil weiß viel Unverbürgtes und Vabelhaftes von ſchweren Verfolgungen, aber auch von großen Vergünftigungen, welche die Deutfhen von dem einen und anderen premyſlidiſchen Herzog erfahren haben follen, zu be- richten, aber nichts bon einer Einwanderung oder Berufung Deutfcher aus dem Reid) vor dem Jahre 1278; und ebenfowenig die Chroniften der folgenden Zeit bis zum fabulierenden Hajek berab, der fi} eine ſolche Tradition gewiß nicht hätte entgehen laſſen, wenn fie ihm befannt geworden wäre. Der Eindrud) der Brandenburger Scharen, aber auch ihre Austreibung, ebenfo das Lorhandenfein der Iuremburgifchen Ratgeber und Hofleute in Prag im erften Jahrzehnt der Regierung König Johanns (feit 1310) entging den heimifchen Chroniften keineswegs; von einer früheren Einwanderung Deutider wiſſen fie nichts.

Bis and Ende des 18. Jahrhunderts, bezeichnendermweife bis in die Zeit der fogenannten jlawifchen Wiedergeburt oder ſlawiſchen Renaiffance müfjen wir gehen, um in der heimiſchen Geſchichtsliteratur den erften Spuren der Kolonifationstheorie zu begegnen. Und nicht eigentlich ala Ausfluß der Erforſchung von Böhmens frühmittelalterliher Geſchichte tritt fie auf, fon- dern als Verſuch, die nationalen Zuftände des ausgehenden 18, Jahrhunderts daraug zu erklären,

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Der erfte Gejchichtichreiber in Böhmen, der ſich die Frage vorlegte, wann und wiefo die Deutſchen nad; Böhmen ge- kommen jeien, war F. M. Belzel, geb. 1734 in Reichenau (Oftböhmen), geſt. 1801.° Als er das in Wien begonnene mediziniſche Studium aufgab und 1769 als Erzieher in das gräfliche Haus Noftig in Prag trat, konnte er ſich ziemlich frei feinen literarifchen Neigungen widnten, die ſich zuerft der jhön- geiftigen Richtung zumandten. Der Plan, ein Epos über die Einwanderung der Tſchechen in Böhmen in deutfcher Sprache, eine „Czechiade“ nad; Klopſtocks und Miltons Vorbild zu ber- fallen, zeigt ihn ung aber auch ſchon mit der baterländifchen Geſchichte befchäftigt, in jener von Schlöger und Herder be- einflußten Richtung, die das ſlawiſche Volk insgemein, alſo auch dag tichechifche, aus dem Dunkel emporheben, feine Ge- ſchichte in glängender Weife beleuchten wmollte* Pelzel war Tein geſchulter Siftorifer, auch bon irgendwelchen erniteren geſchichtlichen Studien erfahren wir zunächſt nicht, erft feine Erziehungstätigfeit veranlaßte ihn, fid, mit diefem Gegen- ſtand zu befallen. Gleichwohl gab er ſchon 1774 eine „Ge hichte der Böhmen von den älteiten big auf die neuteften Zeiten“ heraus, die fpäter mehrmals neu aufgelegt wurde. Sie ftellt fid) dar als eine Geſchichte de3 tichechiichen Volkes in Böhmen; nur bie und da gedenft er auch des Deutjchtums im Lande,” ohne aber noch jener Frage nach deflen Urfprung näher zu treten; allein fie beichäftigte ihn. Der Gegeniag fiel ihm auf zwiſchen der großen Vergangenheit des ſlawiſchen Volkes auch in Böhmen und Mähren, von der er erfüllt und überzeugt war, und der überragenden Stellung, die gerade zu feiner Zeit Deutfhtum und deutſche Sprache im Lande einnahmen; und es berührte ihn peinlich, da er kaum mehr zu hoffen wagte, daß ſich diefe Verhältniſſe noch jemals zugunften des Tſchechentums wenden könnten. „Wenn e8 alſo“ fo ſchrieb er wörtlich im Jahre 1788 „mit der Zeit heißen follte: ‚In Böhmen ſprach man einftens flawijch” da wird eg dent gang deutfchen Böhmen nicht unangenehm feyn, zu vernehmen, wie es zu- gegangen, daß die Tſchechen deutfch worden find“, Diefe Vor- Stellung von einer ernften Bedrohung der tihechiichen durch die deutſche Sprache in Böhmen war Anlaß und Anfporn zu der

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im genannten Jahre erſchienenen, wie man mit Recht gefagt bat, „eigenartigen“ Abhandlung: „Gefchichte der Deutfchen und ihrer Sprache in Böhmen“. Die Ausführungen entiprechen durchaus nicht dem ernften, gelehrten Titel. Es ift vielmehr ein Berfuch, jenes Problem vom Auffommen und Werden des Deutfchtumg in diefen Ländern zu löfen, eine Arbeit, über die ſchon längft von einem tſchechiſchen Gelehrten da3 Urteil gefällt worden it: „boll bon lächerlichen Hypotheſen, verfrümmten Zitaten, übertriebenen Yolgerungen und verichiedenen anderen Kritikloſigkeiten“.“ Dennoch; geht die Kolonifationstheorie, wie fie Bis beute gelehrt wird, in vielen Punkten auf diefe Arbeit aurüd,

Pelzel war e8, der dag Deutfchtum in Böhmen und Mähren zu erklären verſuchte aug einer ſchrittweiſe vor fi} gegangenen Einwanderung, die im 10. Sahrhundert begann und im 12, bereits ihren Höhepunkt erreicht hatte, während fie im 13. nidjt mehr „fo fruchtbar“ geweſen jein fol. Und als die erften Bahnbreder diefer Bewegung ſah er die deutſchen Priefter an, die „auch viele Bayern... (und Schwaben)“ ins Land brachten, „gleihfam das Sausgefinde der Priefter”, die fid) „nach deut- ſcher Art bedienen und die Nahrung subereiten Iafien mußten”. Tann aber, als „die Böhmen aus ihrer eigenen Nation Priefter haben Fonnten“, fich fomit, bereits im 10. Jahrhundert, „die Einwanderung der deutfchen Geiftlichkeit verminderte”, eröff- neten ſich angeblid) vier neue Wege, auf denen das Deutfchtum diefen Ländern „zuftrömte”: 1. Die deutſchen Gemahlinnen der böhmiſchen Herzöge, die „nicht ermangleten .. . ihre Landsleute au befördern”, 2. die deutſchen Biſchöfe zu Prag, 3. die deutfchen Mönche und Nonnen, die „immer eine gute Anzahl ihrer Qands- leute zur Bedienung, wenigſtens Sandwerfsleute, mit fi) brachten“, und 4. Verg- und Sandelgleute.

Diefe Pelzel ſchen Behauptungen, die hier nur kurz ange- deutet wurden, find die Unterlage für die in fo vielen neueren Gefcjichtsbihern bertretene Anſchauung: zuerſt kam der deut · ſche Kaufmann, dann die Prinzeſſin und ſchließlich der Geift liche als Prieſter und Mönch, um dem Deutſchtum in dieſem ſlawiſchen Gebiet den Boden zu bereiten, auf dem ſich dann der deutſche Bürger und Bauer heimiſch macjte.10

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Gewiß: Zuwanderung und Abwanderung hat wie überall fo aud in Böhmen und Mähren wohl zu allen Zeiten beitanden, bald ftärfer bald ſchwächer, je nad) den politifchen und mwirt- ſchaftlichen Verhältniffen. Wer wollte daß beftreiten? Schon Cosmas bringt aus der böhmifchen Gejchichte begeichnende Be⸗ lege dafür. Zum Jahr 1091 fhildert er ung den Auszug ded mit feinem Vater zerfallenen Prinzen Bretiflam aus Böhmen noch Ungarn mit feiner ganzen Gefolgichaft, mehr als zwei- tauſend Rittern, allem Vieh und Leibeigenen, Und 1107, als Herzog Boriwoi entthront wurde und ſich nad) Polen begab, bemerkt Cosmas wieder, daß ihn viele von denen begleiteten, die er aus „Proſelyten“ zu Nittern gemacht Hatte. Wir lernen bier eine Schichte von Auswanderern und Einwan derern, wie nad Böhmen fo aus Böhmen fennen, an die Pelzel nicht gedacht Hat: rittermäßiges Volk. Allerdings bleibt es unentichjieden, ob dag ausſchließlich oder auch nur borzugs- mweife Deutiche gewefen feien, oder nicht vielmehr Leute aus allen Ländern und Völfern. Doc; aud) die Anmwefenheit fremder deutfcher Geiftlicher in Böhmen, deutſcher Fürftentöchter, deuticher Mönde und Nonnen in den neu begründeten Klöftern ift eine quellenmäßig feifitehende Tatſache. Eine andere Frage ift e8 aber, ob man diefen Sremdlingen einen folden Einfluß und eine jolde Bedeutung zuſchreiben kann, daß fie einer Zumanderung bon Bürgern und Bauern die Wege bahnten, daraus dann ein ganzes zweites Volk entitehen konnte?

Am ftärkiten ſchlägt man die Wirkung an, die die deutichen Geiftlichen und Klöſter auf die Germanifierung gehabt haben follen. Wohl war eine Anzahl Prager und Olmüter Biſchöfe deut- ſcher Herkunft, weil auf ihre Erhebung der deutſche Kaiſer und der Mainzer Metropolit neben dem böhmifchen Herzog und Volk weſentlichen Einfluß bejaßen. Aber die Lebensgeſchichte der meiften zeigt ung deutlich, wie beicheiden ihre Stellung und Macht im Lande ſelbſt war. Die Grabrede des Olmüger Biſchofs Heinrich für den 1135 verftorbenen Amtsbruder Meinhard von Prag, die in die Worte ausflang: „Verzeihet ihm, dem armen Fremdling“, könnte als Motto gelten für alle diefe aus Deutſch- Iand hierher verpflanzten hohen Geiftlihen. Sie blieben zu-

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meiſt Fremdlinge und galten als foldhe. Der Gedanke, dab fie in diefem Lande für ihre Landsleute aus dem Reich hätten tätig fein und ihnen bier eine neue Heimat hätten verfchaffen Zönnen, erfheint umfo unmwahrfcheinlicher, wenn man ſich der von Cosmas überlieferten Szene erinnert, die fich anläßlich der Biſchofswahl in Prag im Jahre 1099 abipielte. Der fächlifche Graf Wigbert von Groitich empfahl dem ihm verwandten und befreundeten. Herzog Bretiflatv II. für diefe Stelle einen Kaplan Hermann mit dem Bemerfen: „wenn ihm nur nicht der Um- ftand im Wege ift, daß er ein Ausländer iſt“. Worauf der Herzog erwiderte: „Daß Hermann ein Ausländer ift, fommt der Kirche nur zuftatten. Ihn wird feine Verwandtſchaft nicht be- helligen, die Sorge für die Kinder nicht ablenken, der Schwarm bon Angehörigen nicht ausplündern. Was immer ihm zufallen wird, dag wird feine Braut und Mutter, die Kirche, behalten” .!2 Eine folde Außerung in unferer heimiſchen Duelle wider- fpricht von Grund aus der Anſchauung, dab Biſchöfe oder andere

. Geiftliche, die aus Deutfchland nah Böhmen und Mähren

kamen, hier die deutfche Kolonifation gefördert Haben ſollten.

Auch nicht die Mlöfter, von denen man fo oft lieſt, daß es gleichſam ihr natürlicher Beruf geivefen fei, zu germanijteren und zu folonifieren, in dem Sinne der Serbeirufung fremder Anfiedler. „Die Mlöfter gingen im Eifer, durch deutfche An- fiedlungen ihren Gütern einen höheren Reinertrag abzuge- innen, allen anderen voran”; „die Klöſter mögen in ihre Güter wohl in der Regel Leute aus ihrer eigenen Heimat... herangezogen haben“; „mit den Mönchen zogen ins Land berein viele Arbeiter und Handwerksleute, vor allem aber der deutfche Bauer... .; die deutfchen Bauern wurden bon den Klöſtern zur Urbarmachung ihrer großen Wälder berbeigegogen und riefen nad; und nad) eine große Menge blühender Dörfer ind Leben;“ und wie die vielen ähnlichen Sußerungen lauten mögen, "die fehließlid) nichts anderes find als ein MWeiterfpinnen und Ausſchmücken jener Pelzel'ſchen Ideen, von denen wir als dem Gerippe diefer ganzen Theorie gefprochen haben.

Wir fennen die Gründungsgefhichte und die weitere Ent- wicklung einiger der bedeutendften böhmifchen und mährifchen

Die fogenannte deutſche Kolonifation. 10

Klöfter recht genau ;'* wir willen, woher die erſten Mönche oder Nonnen kamen, wir erfahren mehrfad, die Zahl und Namen der erften Anfömmlinge, wir fennen den urjprünglichen Beſitz, wir berfolgen das Wachſen und die Befikvergrößerung, wir bliden hinein in die Sorgen und Mühen des anfänglichen Auf- baues, aber auch ſchon in die werdende Fülle der Blütezeit, Wir find aljo durch unfere Quellen, wie wir fehen, gerade über das Kloſterweſen im 11., 12. und 13, Jahrhundert befonderg gut unterrichtet. Aber nirgend begegnet man dem leiſeſten Hinweis darauf, daß dieje paar Dutzend deuticher Mönche und Nonnen, die aus deutſchen Klöſtern hierher berufen wurden, aug ihrer Heimat Laienvolf mit fi) genommen hätten, oder daß es aus eigenem Antrieb deren Spuren gefolgt wäre, feien es Bürger oder Bauern, Wie wäre das aud) durchführbar ge- wejen? Anfangs wacen die Verhältniffe, unter denen die Heinen Kloſterkolonien lebten, viel zu beicheiden und auch zu unficher, un Fremde anzuloden und ihnen Arbeit und Unter - halt zu fichern. Später aber, ala die Klöſter gediehen, war der Zufammenhang mit der deutfchen Heimat längſt zerriſſen. Sie hatten doc) auch gar nicht den Zived, als Sammelpunkte füc die fremde Geiftlichfeit, geſchweige denn für fremdes Laienbolf zu gelten, jondern waren gedacht als Bildungsftätten für die heimifche Bevölkerung. Nur der Grundftod war fremd, weil auf andere Weiſe nicht leicht ein Klofter geichaffen werden konnte, der Zuwachs aber heimisch, deutſch und ſlawiſch. Much ift zur Genüge befannt und wird auch in den Kloſtergeſchichten deutlich genug hervorgehoben, daß die Mönche bejonderg in den erſten Zeiten-die geſamte wirtſchaftliche Arbeit, die für ihren Lebens- unterhalt und für die bauliche Erhaltung von Klofter und Kirche notwendig war, den „labor manuum“, dag Händewerk, ielber bejorgen mußten, Klofter- und Kirchenbau, Feld- und Sortenpflege, Land- und Waldwirticaft, Handwerk und Kunft.° Geftalteten ſich dann im Laufe der Zeit die Verhält- niffe großzügiger, da mangelte eg an heimiſchen Silfs- und Arbeitskräften gewiß nicht. Erhielten doch die Klöſter ganze Dörfer und Liegenſchaften ftet3 mit dem dort lebenden Volk, über dag fie verfügen Eonnten. Wozu hätten fie fremder Kolo-

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niſten bedurft, mit aller Verantwortung für ſie und deren Familien, wie und wo dieſelben verſorgen können?

Nicht weniger unwahrſcheinlich iſt die Rolle, die man bei der vermeintlichen nationalen Umgeſtaltung des Landes den deut- ſchen Prinzeſſinnen auf dem böhmiſchen Thron zuſchreibt. „Die deutſchen Fürſtinnen“, ſo leſen wir gelegentlich auch in neueren Geſchichtswerken ganz in Anlehnung an Pelzel, „brachten ihr deutſches Gefolge und insbeſondere ihre deutſchen Hofkapläne mit ins Land und wirkten nach Frauenart auf Gemahl und Kinder für ihre Nationalität”; „dieſe Herzoginnen .... kamen nicht allein ins Land, fondern brachten ihren deutſchen Hofſtaat mit... .; foll eg da wundernehmen, daß fie für deut- ſches Wejen und deutiche Kultur ein befonderes Verſtändnis und hohe Wertihägung an den Tag legten?” An diejen und Ähnlichen Außerungen ift nur die eine Tatſache richtig, daß in der Zeit von der Mitte des 11. big ang Ende des 18, Jahrhunderts, von Judith bon Schweinfurt, der Frau Bretiſlaws I, big auf die habsburgiſche Guta, Gemahlin Wenzelg II, etiva ein Dutzend böhmiſch-mähriſcher Herzogin- nen und Königinnen bon deutſcher Herkunft waren. Allein nicht zu bemweifen ift, auch nicht bei einer einzigen, daß fie ihre Stellung benugt hätten, um den Hof zu germanilieren oder fremde deutiche Landsleute, ja auch nur Dienerjdaft und Geiftlichkeit aus der Heimat mit fi zu bringen. Wir hören nie, daß eine diefer deutſchen Fürftinnen unmittelbar auf die Regierungsgeſchäfte Einflug genommen Habe. Nur von Elifobeth, der Gemahlin Herzog Friedrichs (1177—1189) ichreibt ein gleichgeitiger Chronift, daß fie „mehr als ihr Gatte über Böhmen berrichte”; diefe Herzogin war aber eine ungarifche Prinzeſſin. Man darf eben auch nicht überfehen, daß die Reihe der deutſchen Fürftinnen in Böhmen und Mähren feine geichlofjene ift, jondern immer wieder unter- brochen wird durch fait ebenfoviele, die aus Polen oder Ungarn, aus Serbien oder Rußland ftammten, daß Bozena, Breti- ſlaws I, Mutter eine einheimijche Slawin war, da fomit ein etwaiger deutſcher Einfluß immer wieder durch ſolchen einer

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Nachfolgerin anderer Nationalität ausgeglichen und aufe gehoben worden wäre.”

Erübrigt noch der deutſche Kauf- und Handelsmann, der fih in Böhmen und Mähren niedergelaffen Habe, nit im ſlawiſchen Volt aufgegangen fei, fondern feine Nationalität bewahrt und durch Nadgug geitärkt haben fol. Wenn dem wirklich jo wäre, dann müßte fid, diefer Vorgang ganz unaufe fällig vollzogen haben, aljo im beiceidenften Maße, da wir durch die ganzen Jahrhunderte hindurch weder aus heimifchen noch aus fremden Quellen auch nur einen einzigen ficheren Fall nachzuweiſen vermögen. Denn der Beſtand jener viel- genannten deutſchen Raufmannsniederlaffung in Prag, in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts, deren Statuten man jogar fennen will, ift eine jener irrigen Annahmen, die, wie fich fpäter zeigen wird,“ jobiel Verwirrung hervorgebracht haben.

Als gegen Ende der Regierung Kaifer Ottos I, um das Sahr 970, vom deutidhen Hof in Merjeburg fommend, der arabiſche Jude Ibrahim ibn Jakub fi) in Prag aufhielt und in fein Vormerkbuch über die Stadt einige wenige fultur- geihichtlich merfwürdige Bemerkungen eintrug, fiel ihm be- jonders auf, daß Prag ein wichtiger Sandelsplag ſei, dahin Ruſſen und Slawen von Krakau her, Mufelmanen, Juden und Türfen (Ungarn?) fümen. Des deutihen Kaufmannes gedenkt er nicht. Und als Cosmag mehr als Hundert Jahre ipäter (1091), alſo zu einer Zeit, da der vermeintliche Kaufhof für die fremden Deutichen ſchon beitanden und geblüht haben fol, von den Reichtümern fpricht, die in Prag aufgejpeichert liegen, erwähnt er die dortigen Juden, „die von Gold und Silber ftrogen”, jpricht von den „jehr reichen Kaufleuten jed- wedes Bolfes“, die dort wohnen und an denen fich der König Wratiſlaw leichter bereichern könne, ala an der Stadt Brünn. Bon einem. fremden deutſchen Kaufmann weiß aber auch er nichts, obwohl der Anlaß gegeben geweſen wäre, auf dieſes vermeintliche fremde Element hinzumeifen. Solche auffallende Unterlaffung erflärt ſich aber nicht daraus, daß deutiche Kauf- leute in diefer Zeit überhaupt noch fehlten wie wäre daß möglic, geweſen, wenn ſolche „iedwedes Volkes“ hierherfamen,

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ſondern weil fie hier zu Hauſe waren, einheimiſch und an- fäffig, fo daß ihre Anweſenheit nicht weiter auffiel, ihre auß- drüdliche Erwähnung nicht am Plage war und überflüffig‘ erſchien. Erinnern wir in diefem Bufammenhang daran, daß auf böhmifchen Münzen eines Herzogs Bolejlam, aljo im 10. Sahrhundert, die deutſche Aufichrift „GOT“, wie auf anderen „DEVS“ und auf dritten „B. D.“ (mag wohl nicht „BVH. DEVS“, fondern wahrjcheinlich „BOLEZLAVS DVX“ bedeutet) borfommt, jo haben wir einen ſprechenden Beleg, melde Stellung Deutfchtum und deutſche Sprache in jener Zeit im Wirtichaftsleben Böhmens eingenommen hat, da man fie bei der Müngprägung berüdfichtigte”" Aus der gleichen Zeit, da Herzog Boleſſaw II, regierte, jtammt ja auch die durch Cosmas verbürgte Nachricht, da beim Gottesdienft am Hofe die deutſche Sprache neben der Iateiniihen in Übung war, daß der Herzog und die Großen das Gebet des Prieſters auch mit der deutichen Überjegung des Kyrie eleyson in der altdeutichen Form Christus keinado (Chriftus gib Gnade) beantworteten.

Wenn fremde deutiche Kaufleute jeit dem 10. Jahrhundert nad, Böhmen und Mähren vereinzelt gefommen find, was trog mangelnder Beweife nicht anzuzmweifeln ift, dann brauchten fie bier feinen Pionierdienft für das Deutſchtum zu leiften, fie fanden deutiches Wolf bereits vor.

Faſſen wir diefen Überblid über die angeblichen Wegbahner der deutfchen SKolonifation in unjeren Ländern noch einmal äufammen, jo erhellt wohl, in welchen Selbſttäuſchungen wir ung bewegten. €3 fehlt allen diefen Annahmen und Voraus- fegungen nidjt nur der für geſchichtliche Erfcheinungen vor alleın anderen notivendige quellenmäßige Beweis, jondern auch die innere Wahrſcheinlichkeit. Wenn das Deutſchtum in diefen Kändern lediglich auf die Förderung durch den fremden deut- ſchen Kaufmann, die deutiche Fürftentochter und den deutfchen Geiftlichen angewiefen geweſen wäre, dann hätte es wohl nie jene Bedeutung gewinnen fönnen, die e8 in Wirklichkeit ſchon in frühprempflidifcher Zeit hier befefien hat. Es wäre diefen deutſchen Eintwanderern das Schickſal beſchieden geweſen, das die aus den romaniſchen, ungariſchen und polniſchen Ländern

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traf: in der Flut der heimiſchen Bevölkerung aufzugeben. Cosmas bat uns ein Beifpiel einer folden Sremdenanfiedlung überliefert. Die von Herzog Bretijlam I. in Böhmen 1039 begründete Kolonie der „Gedcanen”, der er daß Recht ber- lieh, daß fie und ihre Nachkommen für „ewige Zeiten“ nad dem Gefetze leben follten, dag fie in Polen bejeffen Haben, ift ſpurlos zugrunde gegangen.” Aus der ungarifchen Siedlung int Gebiete von Znaim, aus der romaniſchen in Brünn, die damals gewiß nicht vereinzelt waren, hat ſich fein Wolf heraus- aubilden vermocht.”®

Die Pelzelſchen Ideen, die ſich troß ihrer Haltlofigkeit heute befonders in der deutſchböhmiſchen Kiteratur einer ſolchen Wertſchätzung erfreuen, wurden aber jehr bald abgelöft durch eine ganz andere Auffaſſung über die deutſche Kolonifation, alg Stanz Palacky im Jahre 1836 mit jeiner neuen „Geſchichte von Böhmen“ hervortrat. Zwar räumte auch er bier noch zunächſt ein, daß in Böhmen „das deutſche Element bor- züglich feit dem 10. Jahrhundert immer größeren Eingang fand“, aber nur in der Einleitung zur deutſchen Ausgabe. In der tichechifchen Ausgabe, deren erfter Band 1848 erſchien, fehlte diefe Bemerkung bereit. Aber auch in dem deutfchen Werk wird man in der Parftellung ſelbſt vergebens irgend- welche näheren Ausführungen über dag Deutfchtum in Böhmen feit dem 10. Zahrhundert finden. Nur einmal, im Zuſammen bang mit der Erzählung von der Deutſchenvertreibung im Jahre 1055, heißt es unter außdrüdficher Berufung auf die Forſchungen Dobners gang kurz, dag damals „Deutſche jedes Standes nad) wie vor in Böhmen lebten“. Wenig ſtimmt damit überein, wenn wir bald darnach leſen, daß unter Wratiſlaw (1061— 1092) der böhmiſche Handel „vorzüglid, ir den Händen bon Ausländern, Zuden, Stalienern und Deutichen, die ſich in Prag zahlreich anfälfig machten“, geruht habe.”* Zu den Vorftellungen Pelzels vom fteten Anwachſen des Deutſchtums vom 9. bis 12. Yahrhundert, oder von der Aus- bildung „einer deutichen Gemeinde zu Prag gegen Ende des 12, Jahrhunderts” nimmt Palacky überhaupt Teine Stellung. So wenig klar und beftimmt er fi) über die Frage ausfpricht

Bretholz, Geld. Bögmens u. Mäörens. I. 8

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man erſieht aus ſeiner Darſtellung doch, daß er bis zum Ende des 12. Jahrhunderts eine deutſche Bevölkerung von irgendwelcher Bedeutung in Böhmen und Mähren nicht kennt und nicht gelten läßt. Bis in diefe Beit ift e8, wie er ion in der Vorrede zum erften deutjchen Bande betonte, „dag allgemeine ſlawiſche Efement”, dag im gefamten Staats- leben vorherrjchte.”° Erft im 13. Jahrhundert wurde nad) ihm „die Einführung deutfcher Kolonien und mit ihnen auch des deutſchen Rechtes... eifrig befördert und erfolgreich gemacht." Die Regierungszeit Otakars I, (geit. 1230), Wenzels I. (geit. 1253) und Otakars II, (get. 1278) bedeuten Palacky gleidyjam Beginn, Gipfel und Abſchluß einer Deutfchen- zuwanderung, die mit ähnlichen früheren Erfcheinungen in ger feinem Zufammenhange fteht. Eine planvolle Tolonifa- torifche Bewegung vor dem 13. Jahrhundert, unterftügt und gefördert von einflußreichen deutjchen Kräften, die im Lande teilten, Geiſtlichen und Sürftinnen, wie es ſich Pelzel dachte, tritt in der Palacky'ſchen Darftellung der Geſchichte Böhmens nirgends zutage.

Diefer grundſätzliche Unterſchied zwiſchen Palacky und Pelzel, zeitlich ſowohl als ſachlich. wird erſt verſtändlich, wenn man ſich vor Augen hält, daß zwiſchen 1782 und 1886, den Erſcheinungsjahren ihrer beiden Hauptwerke, ein für die Geſchichtsforſchung in Böhmen verhängnisvoller Abfchnitt Tiegt: die Zeit der „Auffindung“ der gefälſchten Sandichriften von Königinhof und Grüneberg, über die ſchon früher ein- gehend geiprochen wurde. Dieje angeblichen neuen Quellen zur Gefchichte Böhmeng und Mährens, von denen Pelzel noch nichts ahnte, find für Palacky die Grundfteine geworden, auf denen er feine eigene Geſchichtsauffaſſung aufbaute. Sie eröffneten ihm ganz neue Ausblicle in die Zandesgejchichte. Cie ließen ihn nicht nur wie durch ein Wunderglas in ein großartiges, weit zurückreichendes Heldenzeitalter ſchauen, fondern vor allem in eine rein jlawifche Welt, ohne den leife- ften deutfchen Einfchlag; in ein Böhmen mit nur tichechifcher Sprache und Kiteratur, mit rein tſchechiſchem Zürftentum und Adel, mit ausſchließlich tſchechiſchem Staats- und Volksleben

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in jedweder Beziehung. Es wurde fchon früher erwähnt, welches Gewicht Palacky gerade auf jenen Abſchnitt feines eriten Bandes legte, der ſich mit „Böhmens Volksleben im Heidentume“ bejchäftigte, mit diefem „bei den Slawen eigen- tümlichen alten Rulturftand“, der ſich ihm für Böhmen bor- züglich aus den „Handfchriften“ erſchloß. „Das Gedicht bon Libuſcha's Gericht”, heit es da einmal, „iſt an ſich eine umftänd- lie Schilderung eines Landtags-Aftes, und daher fo wichtig für die Kenntnis der inneren Zuftände Böhmens .. .” In dem Böhmen, von dem die Königinhofer und Grüneberger Lieder jangen, war fein Play für Deutſche und Deutjchtum. Ber, wie Palacky, an die Echtheit diefer Quellen glaubte, für den waren fie ein bollgültiger Beweis, daß zu jenen Zeiten, aus denen die Gedichte angeblich ftanımten, deren politiſch- tulturellen Niederjchlag fie gleichſam bildeten, im 9, big 12. Sahrhundert, Böhmen ein ganz ſlawiſches Land geweſen fein. müffe, ohne jede Spur daneben beftehenden Deutſchtums bon irgendweldem Belange. Und wenn in den Quellen, jogar in Cosmas' Chronik, ſich dennoch Hinweiſe auf ein im Lande borfommendes Deutjchtum fanden, jo fonnte eg fi nur um zufällig bereingeratene Fremdkörper handeln, um deutiche Kaufleute, die man mit Romanen und Juden, die ſich hier an- ſäſſig machten, auf gleidje Stufe ftellen durfte, ohne Bedeutung für den ſtaatlichen Organismus. Im alten Böhmen, wie es fi) in den „Handſchriften“ mwiderfpiegelte, Tann eg bon der ſlawiſchen Einwanderung angefangen, im 7., im 8. und in den folgenden Sahrhunderten fein Deutichtum gegeben haben; Tſchechen mußten die einzigen Bewohner fein, das war Palackys innerfte Überzeugung, die auch aus feinem Werfe klar hervorleuchtete. Und dieſe feine Anficht ift die „populäre“, die „offizielle” geworden in der gefamten fpäteren Geichicht- ſchreibung. „Im übrigen waren die Tſchechen bis zum 10. oder 11. Jahrhundert die einzigen Bewohner des Landes”, haben wir ſchon oben gehört. Palacky Hatte diefen Zuftand fogar big ang Ende des 12. Jahrhunderts ausgedehnt. Allein damn Fam er ing 13, Jahrhundert, in eine Zeit, da auch in Böhmen und Mähren die Quellen nicht nur reicher fließen, gs.

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ſondern vor allem zu den Chroniken, die im weſentlichen doh nur Fürften- und Kriegsgeſchichte erzählen, die Urkunden hinzutreten, die in das Rechts - und MWirtichaftsleben des Zandes, in die geſellſchaftlichen Zuftände des Volkes klareren Einblie gewähren. Und fiehe da! Mit einem Male zeigte fich, daß bier in Böhmen ein hochentmideltes Deutfhtum beftand. Deutſche Ort3- und Perfonennamen tauchten auf und ließen ſich nicht mehr überjehen und als Zufälligfeiten abtun; dann aber als wichtigfte Erſcheinung: „deutiches Recht“ und „deutjche Gewohnheit”, und zwar mit folder Deutlichkeit, dag an dem Vorhandenfein einer ftarfen einflußreidhen deutſchen Be- völferung nicht gezmweifelt werden fonnte. Palacky mußte fich und feinen Leſern bei der Daritellung der böhmifchen Geſchichte im 13, Jahrhundert die Frage beantworten: woher fommen mit einem Male diefe Deutjchen und ihre Einrichtungen, die das nad) feiner Anficht bisher einheitliche Gefüge des böhmi- ſchen Staates zu durdjjegen begannen?

Nun war feit jeher befannt, weil nämlich gleichzeitige Quellen darüber ausführlich berichten, dag im 12. Jahrhundert eheden von heidniichen Slawen bewohnte Gebiete anı Ditiee- ftrand und öſtlich der Elbe mit deutſchem Volk mus Weſtdeutſch- land und den Niederlanden befiedelt worden waren, nachdem die Slawen dajelbft von deutjchen Zürften, Heinrich dem Löwen von Sachſen, Albrecht dem Bär von Brandenburg, Adolf bon Schauenburg, eben wegen ihres Glaubens zubor zum großen Zeil außsgerottet worden waren, jo daß das ganze Land öde, verwüſtet, menſchenleer dalag; die befannte nordoftdeutjche Kolonifation des 12, Zahrhunderts.?”

Dieſes gejchichtlich geficherte Ereignis im fernen Wenden- Iande meinte Palacky zur Erklärung der Entwidlung in Böhmen heranziehen zu Fönnen, trogdem die Verhältnifje hier fo ganz anders lagen. In Böhmen gab es längſt feine heid- nifhen Slawen mehr, die man verfolgen und bernidjten zu müffen glaubte, um dem Chriftentum Eingang zu bverichaffen; bier kann von kriegeriſchen Einbrüchen benachbarter deuticher Zürften Feine Rede fein; hier gab es fein Odland, Feine leeren Burgen und niedergebrannten Dörfer, in die man neues Volk

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hätte einführen können. Nichts mas die nordoftdeutiche Kolo- nifation de8 12. Jahrhunderts verftändlih macht, paßt für Böhmen oder Mähren. Gleichwohl knüpfte Palacky daran an; ohne weitere Begründung, nur nebenbei und ganz kurz. Er deutete bloß an, dab, wie deutſche Auswanderer „jeit der Mitte des 12. Jahrhunderts bis tief ing 13, nad) und nad) alle ſlawiſchen und ungarifchen Länder vom baltifchen Meer bis zur unteren Donau ſtrichweiſe einnahmen”, jo damals auch Böhmen und Mähren mit Deutfchen befiedelt worden fei. Und was ihre Serfunft anlangt, erklärte er, wiederum nur beiläufig: „Die neuen Anfiedler waren, wo nicht insgeſamt, doch größten- teils aus dem nordweſtlichen Deutſchland und den Nieder- landen einwandernde Koloniften”, wie eben im Wenden- land. Zeit, Ort und Art der Befiedlung Fennzeichnete er in wenigen Sätzen: „Unter Otafar II. (1253—1278) wurden in den reifen (Bupen) von Elbogen, Trautenau und Glatz, dann im Mährifchen Geſenke Deutſche in Maſſen angefiedelt; in einzelnen Niederlaffungen erſcheinen fie an der Südweſtgrenze häufig. Die Städte aber in Böhmen und Mähren wurden alle von ihnen mehr oder weniger angefüllt, jo daß fie in einigen auch das Übergewicht über die alte einheimifche Bevölkerung erhielten. An manden Orten mußte diefe den neuen An— kömmlingen Platz machen; an anderen jchmolz fie mit ihnen allmählich) zufammen“. So war auch, was die Vertreibung betrifft, eine befcheidene Parallele feitgeftellt.?°

Diefe teils auf falf her Analogie, teils, wie wir jehen werden, auf irrigen Auslegungen der Quellen beruhenden Anfichten Palackys, die in fo ſchroffem Gegenjag ftehen zu allem, mas Relzel hierüber gefchrieben Hatte, bilden aber nur da3 Samen- forn, aus dem dann die ganze Koloniſations und Emigra- tionslehre emporſchoß, wie fie bis heute die Gefchichtfchreibung beherrſcht.?⸗

Jahrzehnte vergingen. Auf dem Gebiet der Landesgeſchichte wurde in den bei ung jo dürren dreißiger und vierziger Bohren wenig gefchrieben, noch weniger geforicht. Die Xdeen Valackys Hatten Zeit ſich einzumurzeln, beſonders angeſichts des hohen Anſehens, das er als Politiker und Gelehrter in der

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Heimat und auswärts gewann. Als dann die hiſtoriſchen Studien wieder reger einſetzten, ſtand ebenſo wie manch andere auch die Koloniſationstheorie bereits wie ein Dogma feſt und wurde von Geſchichtswerk zu Geſchichtswerk weiter verbreitet. „Palacky iſt der Schöpfer der böhmiſchen Geſchichtsauffaſſung von heutel”, bei Deutſchen und Tſchechen. Nur daß deutſche und tſchechiſche Hiftorifer, wenn fie auch beide an der Koloni- fation feithielten, in der Bewertung dieſes Ereignifjes für die Landesgeſchichte einigermaßen auseinander gingen. Diefe übernahmen die Palacky'ſche Lehre, meil ſich eine günftigere Löſung des Problems nicht leicht finden ließ, gedachten aber diefer Emtwidlung nur furz, nüchtern und fühl. Anders die deutſchen, insbejondere die deutſchböhmiſchen Geſchichtſchreiber. Auch fie fanden ſich mit dem Palacky’ichen Koloniftentun der Deuiſchen in Böhmen und Mähren ab, aber fie fuchten es zu vertiefen, zu verflären, mit nationalem Pathos zu umbüllen.

Gleich der erjte Schriftfteller, der jeinen „deutichen Randesgenoffen“ 1868 eine neue „Geſchichte Böhmens“ darbot, 2. Sclefinger, ſprach von der im 13, Jahrhundert „großartig in Schwung gebrachten Kolonifation in zufammenhängenden Maſſen“, während bisher die Deutſchen „nur in ſchwachen Überreften und vereinzelten Anfiedlungen vertreten waren“; er rühmte von ihnen, daß fie „durch ihre Geſchicklichkeit und sähe Arbeitsfraft weite Streden des Landes offupierten und einen immer engeren Gürtel um die Landesgenoffen ſlawiſcher Zunge zogen, deren Gebiet die vielen oafenartig in der Mitte de3 Landes gegründeten Stadtfolonien fiebartig durch- brachen“.? Ein zweiter ſchilderte, wie diefe Deutſchen „wohl- habend oder doch mit den Schäßen fachlicher Kenntniffe aus- gerüftet hereinfamen als friedliche Sendbaten des neuen Glauben, der Kultur und der fegenjpendenden Arbeit”; wie „ber deutſche Bauer Wälder und Sümpfe in fruchtbaren Ader berivandelte, der deutſche Bürger Städte anlegte, Handel und Gewerbe eröffnete, der deutſche Kiünftler und Gelehrte den Ruhm des Landes hob, der deutfche Ritter und Kriegs- knecht auf zahllojen Schlachtfeldern für den Landesherrn jein

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Blut vergoß ...“ Und in dem Buche, das für die deutiche Geſchichtſchreibung im Neich vielleicht am maßgebenditen wurde, in Bachmanns „Böhmiſcher Geſchichte“ Tiejt man von dem „Strom beutfcher Koloniften, der feit 1133 durch die offene Breſche des Egertales, bald auch durch den Paß zwiſchen Kaiſerwald und Dillenberg in das Innere Böhmens“ ein- drang, ohne daß weder diefer Beitpunft noch diefe Ortlich- feiten durch irgend eine Quellennachricht belegt würden; hört man meiter, daß unter König Wenzel I. „von Mähren ganz abgejehen Böhmen taufende befigender und intelligenter Vürgerfamilien aus allen Xeilen Deutichlands gewann”, daß an der „beutihen Einwanderung von Bauernfchaften nach Böhmen und Mähren die benachbarten Landſchaften Bayern und Sranfen, aber aud) das ferne Rheinland und Schwaben, Hefien, Weſtfalen und die Niederlande unmittelbar oder doch mittelbar beteiligt erfcheinen”.” Wenn man nicht, wie andere, ſchlechtweg von den „ungezählten Mengen arbeitsluftiger Menfchen, die über die Grenzen ftrömten, aus allen Gegenden Deutſchlands, Bayern, Franken, Sachſen, Weftfalen und den Niederlanden“ ,* oder von den „Taufenden, die da kamen“,*“ erzählte, denn e3 erben ſich nicht nur Gefeg und Rechte wie eine ewige Krankheit fort, jondern auch Gefchichtslügen.

Mit diefem Wort muß man folde Schilderungen bezeichnen, wenn man fic überzeugt, daß nirgend3 aud) nur ein einziger quellenmäßiger Beweis für fo meitgehende und fo beftimmt auftretende Behauptungen angeführt wird. Palackys Saat ſchoß merfwürdigerweife auf deutſchem Boden am Fräftig- ften in die Salme. Nein Wunder, wenn foldem Übereifer alsbald von tſchechiſcher Seite entgegengehalten wurde, daB diefe Einwanderer doch wohl nur dem „unfinnigen Drud”, der auf ihnen in der deutjchen Heimat gelaftet habe, wichen, daß fie „nad; einem Winkelchen Erde ausfpähten, wo fie Schuß und $reiheit für ihrer Hände Arbeit finden fönnten”, oder daß fie „dag Verlangen nad) befferem und leichterem Verdienft” in die Fremde trieb, weshalb bei ihnen an „irgend eine kulturelle Einwirkung“ nicht zu denken fei, „vorausgefegt, daß fie über- haupt in irgend einem Zweige des geiltigen Lebens Wifjen-

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ſchaft und Kunſt dazu geeignet waren, worüber man be— gründete Zweifel hegen dürfe". Mit anderen Worten, dab es armes, unglüdliches Volk geweſen fei, das in feiner Not und Verzweiflung Böhmen und Mähren blo als Zuflucht ftätte anjah, oder Abenteurer, Anficyten, die nicht minder falſch und unbemeißbar find, als jene früheren,

Denn nod) hat Fein Forſcher, ſoviel auch ſchon drüber ge- ſchrieben wurde, auch nur einen einzigen Ort in Böhmen oder Mähren namhaft machen können, in den Deutfche feien es wohlhabende oder arme, Städter oder Bauern im 12, oder 13. Jahrhundert auf diefe Weife aus Deutfchland herüber gefommen wären. Bei der jo außerordentlich großen Zahl von Ortſchaften, die man ſich auf diefe Weife entftanden dent, man berechnet allein „weit über 700” neubegründete deutfche Dörfer ohne die Städte und Märkte” gewiß eine auf fallende Erſcheinung. Und noch bezeichnender iſt es daß bisher auch i im weiten Deutſchen Reich oder in den Niederlanden nicht ein einziger Ort angeführt werden konnte, von dem eine ſolche Kolonie nad) Böhmen oder Mähren ausgezogen wäre; denn dort fließen die Quellen in diefer Zeit reichlicher alg bei ung, und wenn ſchon nicht die Ankunft hätte doch der Abzug fo ungeheurer Mengen aus den vericdhiedenften Gebieten einem Ehroniften auffallen oder Anlaß zu einer urfundliden Auf zeichnung geben müſſen.“

In Ermangelung jedwedes ſicheren Beleges, den man nicht aufzufinden vermochte, begnügte man ſich, immer wieder auf zwei oder drei Quellennachrichten hinzuweiſen, die ſchon Palacky dazu gedient hatten, feine Theorie zu ſtüten, die aber von ihm irrig aufgefaßt worden waren.” Im Jahre der Doppelwahl Richards bon Cornwall und Alfons’ von Kaſti- lien zu deutſchen Königen (1257), an der Otakar II. Iebhaf- teften Anteil genommen hatte, in derfelben Zeit, da er einen Feldzug gegen Bayern vorbereitete, den er dann im Sommer mit wenig günftigem Ausgang durchführte, alſo in einer politifch bewegten, unruhigen Periode, meldet eine Prager Chronik ganz kurz, daß der König zu Beginn des Frühjahrs Böhmen” aus der Prager Vorftadt vertrieb und Fremde dort

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einfeßte.° Die Nachricht fteht ganz zufammenhanglos da, ohne jede Erklärung diefer ſcheinbar fo ſchwerwiegenden Ge- walttat des Landesherrn, ohne Angabe der Schuld der Aus- getriebenen noch auch der Herkunft der neuen Anfiedler und ihres Standes. Ein ähnliches Vorkommnis aus dem Jahre 1277 erzählt dann ein anderer Chronift, der aber erft in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts gelebt und gefchrieben hat, der Abt Neplach von Opatowitz, während die zeitgenöffiichen Quellen davon nichts willen. Auch ift der Bericht Neplachs berworren und widerſpruchsvoll. Er befagt, daß König Otakar damals, als er nad) der Ausföhnung im Vorjahre dem deutfchen König Rudolf anhing, die Seinen zu mißachten und Fremde in fein Land einzuladen begonnen habe, wobei er jenen dur Wegnahme ihrer Güter viel Gewalt antat. „So entrig er den Witigonen UfE und Neuhaus...“ und nun folgt die Aufzählung einiger Burgen und Güter, die damals ihre Beſitzer wechlelten, mit dem Schlußfag: „das Elbogner, Xrautenauer und Glatzer Land übergab er unter Hintanſetzung der Seinen an Deutjche.”*!

Trotz moncherlei Srrtümern und Unmwahrfcheinlichkeiten, die der Bericht anerfanntermaßen enthält, fo daß ihn Palacky in feiner Daritellung gar. nicht veriwertete, fieht man ganz Har, worum es fi) in Wirflichfeit handelte. Wiederum, wie 1257, in einer überaus „fritiichen Zeit, da die Politik des bögmifchen Königs eine gefährliche Wendung nahm und er ſich für einen neuen Kampf mit König Rudolf vorbereitete, zerfiel er mit einem Teil feines Adels, der den im Vorjahr mühlam bergeftellten Frieden aufrecht zu erhalten wünſchte. Otakar ſah ſich nun veranlaßt, gewaltfam in die Befigverhältniffe diefer Großen feines Landes einzugreifen, um nicht wichtige Burgen und entſcheidende Grenzgebiete in ihren Händen zu lafien. Seine Verbündeten waren die Fürſten Schlefiens, Thüringens, Meißen und Bayerns. Ihnen zu Liebe mußte er das Glager, Trautenauer, Elbogener Land unter eine Verwaltung ftellen, die die Nachbargebiete vor jedem feindlichen Überfall von diefer Seite ficherte. Er nahm alfo einigen Adligen, denen zu mib- trauen er Grund hatte, beftimmte Güter zum Teil gegen

12 Sechſter Abſchnitt.

anderweitige Entſchädigung weg und übertrug ſie ſeinen Anhängern, vielleicht Thücingern und Meißnern, worauf die Bemerkung Neplachs jchließen ließe, daß er dieſen verſprochen babe, Böhmen ihnen dauernd zu überlajjen, „wenn er Sieger bliebe”. Die zweite Bemerkung des Chroniften in diefem Zu- fammenhang, dag Otakar gedroht habe, nad; feiner glüdlichen Nüdfehr den Berg Petrin mit dem Blute der Adeligen rot zu färben, weilt, jo widerfinnig fie auch ift, darauf Hin, daß es fi) bei diefen Maßnahmen um nidyts anderes gehandelt haben kann, als unguberläffige oder unzufriedene Adlige unſchädlich zu machen, nicht aber um eine bürgerliche oder bäuerliche Kolonifation aus dem Deutſchen Reich. Zu einer Zeit, da dieſes fich zum Kampf gegen den Böhmenfönig rüftete und diefer einzelne feiner Bundesgenoſſen vor dem „uner- fättlihen Schlund der Deutfchen“ warnte, fomit beiderfeit3 nationale Gefühle erregt wurden, wären wohl koloniſatoriſche Pläne wenig am Plage geweſen.

Faſt fcheint es überflüffig, num noch des dritten Schein- beweifeg für die in Böhmen angenommene Kolonifation durch Deutſche zu gedenken, den zwar nicht Palacky geltend gemacht bat, auf den man ſich aber hier und dort noch beruft. Eine fernabliegende Quelle, die Kolmarer Chronik bringt zum Jahr 1249 die Nachricht, daß nad) Beendigung des Krieges zwiſchen König Wenzel I. und feinem Sohn Otafar „ſich die Deutfchen in Böhmen vermehrt hätten”® Allerdings wird bie Bedeutung dieſes Sates durch die allfogleih folgende Er- Härung, daß Otafar nad) dem Tode feines Vaters (1253) „dieje Deutfchen wieder vertrieben habe“, aufgehoben, aber immerhin Tönnte e8 einen Anhaltspunft bieten, daß ſolche Ein- wanderungen doch vorgefommen feien, wenn es jid) auf bürger- lidje oder bäuerliche Kolonifation bezöge. Eine merkwürdige Analogie überzeugt uns aber, daß auch diefe Stelle anders aufzufaffen ift.

Von Herzog Albrecht I. von Öfterreich (1276—1298) wird glaubwürdig berichtet, daß er „nicht aufhörte, ſchwäbiſches Volk in Öfterreidh zu vermehren, die Einheimiſchen und im Rande Geborenen dagegen zu unterdrüden”. Man bat dieje

De jogenannte deutſche Kolonijation. 123

Bemerfung nie anders aufgefaßt, ala daß Albrecht ſchwäbiſchen Adel nad) Kfterreich gezogen und diejen „Fremden“ auf Koften der heimiſchen Großen „hohe mit reidem Ginfommen und hohen: Anfehen verbundene Würden“ übertragen habe, um feinen Anhang gegenüber feinen Gegnern zu ftärfen;** nicht aber um bier zu Eolonifieren, Bürger und Bauern anzufiedeln. Man wird die auch im Wortlaut anflingende Bemerkung des Kolmarer Chroniften betreff Böhmens nicht anders auf- faffen dürfen. Wir wiſſen von König Wenzel I., daß er fein Heer durch deutiche, aber auch öſterreichiſche und ungariſche Kriegsleute vermehrte, die er dann nah Ablauf des Krieges in entſprechender Weiſe entlohnen mußte. Auch bier, wie in den beiden früheren Fällen, handelt es fich nicht um Eolonifatorifhe Pläne, fondern um Verftärfungen für Triegerifche Unternehmungen. Es mar ein arger Irrtum, ſolche in kriegeriſchen Zeitläuften borübergehend eintretende Verwendung von fremdem Kriegsvolk umzudeuten in eine Ein- wanderung oder Berufung dauernd ſich niederlaffender Bürger und Bauern aus allen Gauen des deutfchen Reiches in die verſchiedenſten Gegenden des böhntifch-mährifchen Landes, wie es zuerſt Palacky verſuchte und worin ihm dann die fpäteren Geſchichtſchreiber treulich gefolgt find. Allein e8 war ein ver- bängnisboller Mißgriff, darüber hinaus zur Stüße für die KRolonifationstheorie num noch eine Stelle ing Xreffen zu führen, die Palacky jehr wohl gefannt*® aber nicht herangezogen bat, deren unrichtige Deutung wiederum auf Pelzel zurüdgeht,

Es gibt eine Urkunde des Herzogs Sobieſlaw (1173—1178) für die Deutſchen in Prag, bon der noch in anderem Zu- fammenhang zu fpredhen fein wird, die ſich aber nur alg eine Betätigung und Erneuerung eines nod) älteren Privilegs bon König Wratiflam (10611092) darftellt. Sie ift nachher von den meiften böhmifchen Königen bis auf den Luxemburger Johann (27. Suli 1319) beftätigt worden, fo auch bon König Wenzel I. (1230-1253). Und in der Einleitung diefer Be fätigung, nicht in der Urkunde felbft, geſchweige denn in jener Sobieſlaws und Wratiſlaws, wie man irrtümlich angibt, heißt es, daß Wenzel den Deutſchen auf ihre Bitte hin die Statuten,

124 Sechſter Abſchnitt.

die ſie von ſeinen Vorgängern beſitzen, wortgetreu erneuern und nichts daran ändern noch davon wegnehmen wolle, was fie „feit ihrer erſten Berufung nad) Böhmen“ an Rechten und Sreiheiten durch die Fürften mit Recht erlangt haben.“

Pelzel, der die Urkunde zum erſtenmal mit allen Beftäti- gungen abdrudte,* mußte nichts Rechtes mit ihr anzufangen, da ihr bedeutfamer Inhalt mit feinen Anſchauungen über das böhmifche Deutſchtum wenig übereinftimmte. Ihm galt fie nur als ein Beleg dafür, daß die bon Herzog Spitignew 1055 vertriebenen Deutſchen unter deſſen Nachfolger Wratiſlaw doc; wieder zurüdgefommen fein mußten, wenn diefer ihnen ein ſolches Privilegium ausftellen konnte. Erſt in Schlefingers Geſchichte der Deutfchen in Böhmen beginnt die Ausnützung dieſes Satzes für die Frage der Kolonifation, troßdem, mie bemerft, Palacky wohlweislich über ihn hinweggegangen war. Schlefinger glaubte die wenigen Worte von der „eriten Be- rufung nad; Böhmen“ dahin erläutern zu können, dag „die Deutihen von den böhmiſchen Fürften ausdrüdlid) eingeladen wurden, in dag Sand zu fommen, um ſich dafelbft unter vorteilhaften Bedingungen niederzulafjen ... .“;“ ja er ging fpäter ned) weiter und berief ſich auf diefe Stelle als Zeugnis dafür, daß ſchon Wratiflam „den erften Anlaß zur planmäßigen folgenfhmweren Kolonifation der Deutſchböhmen gegeben habe“, indem er „fremde Kauf- leute und Handwerker zur dauernden Niederlaffung in Prag einlud . . .";°° Behauptungen, für die auch nicht der Schein eines Beweiſes zu erbringen ift. Im günftigiten Fall könnte man nur fagen, daß der Schreiber der Urkunde König Wenzels die Deutfchen in Böhmen als ind Land „gerufen“ angefehen babe. Bon einer Berufung durch die böhmischen Fürften, von vorteilhaften Bedingungen, von Kaufleuten oder Sandiverfern, von dauernder, Niederlaffung fagt auch er nicht8, die Urkunden Sobieflaws und Wratiflamg enthielten aber au die Worte bon der „eriten Berufung nach Böhmen“ nicht, wie ſich aus dem erhaltenen Wortlaut Klar erfennen läßt.

Allein aud) die Annahme, daß der Urkundenfchreiber Wenzel I. an wirklid ing Land gerufene Deutiche gedacht habe, ift unwahrſcheinlich.

Die fogenannte deutſche Kolonifation. 125

Wer fich mit mittelalterlichen Urkunden beichäftigt hat, weiß, daß ſolche Einleitungen, die jogenannten Arengen, gerne Bibelzitate, rhetorifche Wendungen, tönenden Wortſchwall ver- wenden, denen man feinen geſchichtlichen Wert zuſchreiben darf.’ Audi in unferem Falle hat der alte Schreiber gewiß nicht an eine zeitlich beftimmbare Berufung der Deutichen nad) Böhmen durch weltliche Fürften gedacht, fondern in Anlehnung on befannte Bibelworte an die erfte uranfängliche Berufung durch Gott.” Die Worte in der MWenzelurfunde find zu allgemein und unbeftimmt und auch an einer biel zu belang- Iofen Stelle, um aus ihnen für eine Kolonifation in Böhmen irgendwelche Schlüffe zu ziehen, geſchweige jene weitgehenden Bolgerungen, die wir bei Schlejinger gelefen haben und die bon fpäteren Verfechtern der Theorie iibernommen wurden.

Man muß nur den berühmten erjten „Roloniftenvertrag bon 1106“, den der Erzbiichof Friedrich von Bremen mit Holländern abgeſchloſſen hat,°® zum Vergleich heranziehen, um ſich zu über- zeugen, wie ſonſt in Urkunden geſchichtliche Vorgänge diefer Art ar und fachlich behandelt werden. Hier kann fein Zweifel darüber auffommen, daß es fremdes Volk war, das berufen wurde, hier wird gefagt, woher fie famen, zu welchem Zweck man fie berief. Und dieſe Urkunde bildet keineswegs ein bereingeltes Beifpiel in unferer Überlieferung, felbjt wenn wir bon den Belegen für die nordoftdeutiche Kolonifation im 12. Zahrhundert, von der ſchon geſprochen wurde, abjehen. Auch über viel bejcheidenere Aus- und Einwanderungen werden mir ftet3 unzweideutig unterrichtet, wie es ſich bei Ereignifjen bon ſolcher Tragweite von felber berfteht.

Wie einfach und beftimmt lautet die Nachricht von einer Verſchickung deutſcher Bürger und Bauern aus dem Lütticher Bistumfprengel nad Ungarn in der zweiten Hälfte des 11. Sahrhunderts. Infolge einer jchredlihen Hungersnot mußten fie ihre Heimat verlaffen und fanden Aufnahme in der Erlauer Diözefe, zum Dank dafür, dab einige Jahrzehnte zubor ungarifches Wolf, das von ähnlichem Unglück heingefucht worden war, auf den Ländereien de3 Biſchofs Reginhard von Lüttich (1025—1037) angefiedelt worden war.” Zu Beginn

126 Sechſter Abſchnitt.

des 12. Jahrhunderts, um 1104, erfolgte durch den Grafen Wigbert bon Groitſch Anſiedlung fränkiſcher Bauern aus Lengefeld im Gebiet der ſächſiſchen Mulde, mag der heimifchen Geſchichtsſchreibung im Klofter Pegau nicht entging und der Aufzeichnung für wert erachtet wurde, obwohl es fih nur um eine beſcheidene Kolonifation handelte.” Bon der Ankunft „tüchtiger Männer aus Flandern“, denen der Meiner Biichof Gerung 1154 ein Dorf überließ, ſpricht eine gleichzeitige Urkunde; eine andere „von dem Volk aug dem Lande Holland”, das Bifchof Wichmann von Naumburg 1152 anfegte.” Im Sahre 1259 führte eine Sungersnot in Bayern zur Aus— wanderung einer „ungezählten Menge“ nach Ungarn.““ Nur in Böhmen ſollte das Einſtrömen von tauſenden und aber- taufenden Bürgern und Bauern unbemerkt geblieben, jollte eine Eintvanderung Jahrhunderte hindurch an der zeitgenöffi- ſchen Berichterftattung ſpurlos borüber gegangen fein? Und ſolche geſchichtliche Unwahrſcheinlichkeit, um nicht zu fagen Un- möglichkeit, fuchte man wettzumachen durch falſche Auslegung einer biblifhen Redensart eines Urkundenſchreibers, die man neueiteng jogar zum „denkbar unzweideutigſten Beugnig für die Bumanderungsbewegung“ ftempelte.s®

So häuften ſich Übertreibungen, Fehler auf Fehler. Es war ein falſcher Weg, als man Palacky's brüchigen Unterbau, anftatt ihn zu überprüfen, noch mit den Pelzel'ſchen durchaus willfürlihen Hypotheſen krönte. Dadurch erft entitand die allgemeine Vorjtellung und der Glaube, daß diefe Kolonija- tionsbeivegung eine Stärke und Ausdehnung gehabt haben müffe, die alles in den Schatten ftellte, was fonft bon Kolo- nifation und Germanifation bekannt war, daß fie ſich jener in Nordoftdeutichland an die Seite ftelle. Fragt man aber nad ben Beweisgründen, nah den glaubwürdigen geſchichtlichen Beugniffen, dann erweiſt fi) alles als unhaltbare Theorie, teils ausgeflügelt, teil3 auf irrigen Vorausſetzungen aufgebaut.

Siebenter Abfchnitt.

Das deutfche Recht, die deutfhen Städte und Rloͤſter in premyſlidiſcher Zeit.

Wenn eine ftärfere deutſche Einwanderung in Böhmen und Mähren, geſchweige denn eine „Rolonifation“ nad) der Nawifchen Befiedlung, alfo nad; dem 8. Jahrhundert nicht ftatt- gefunden haben kann, jo bleibt wohl für das Vorhandenfein deutſchen Volkes in diefen Ländern in premuflidifcher Zeit eine andere Erflärung übrig, als alte Anfäffigfeit. Nun willen wir, daß vom Beginn der dhriftlichen Zeitrechnung an bier germanifche Völfer gewohnt haben, über die zivar die gefchicht- lichen Nachrichten jeit dem 5. Sahrhundert feheinbar ver- ftummen, über deren Untergang aber, Auswanderung oder Vernichtung, nichts befannt ift. Und ebenſo ficher ift, daß die Länder rings um Böhmen und Mähren gegen Norden, Weiten und Süden die ganzen Jahrhunderte hindurch ohne Unter- brechung von Germanen bewohnt geweſen ſind, die ſich dann in deutſche Völkerſchaften, Bayern, Schwaben, Thüringer, Franken, Sadjfen, umbildeten, wenn wir auch diefen Um- bildungsprogeg um die Worte eines neueren deuffchen Geſchichtsforſchers zu gebrauchen „im einzelnen feftzulegen” nicht mehr vermögen; ich möchte hingufügen: ebenſowenig wie mir die Grenzen, die diefe Völker urfprünglid) innegehabt haben, und insbefondere die Ausdehnung ihrer Gebiete nach Dften bin beftimmen fönnen,

Wir jehen nun, dab bi zum heutigen Tage in Böhmen und Mähren längs der ganzen füdlidyen, weitlichen und nörd- lihen Grenze zufammenhängend Deutfhe wohnen, die den Völkerſchaften jenjeit8 des Gebirges entiprechen, Bayern im Süden und Südweſten, weiterhin Oftfranfen, Oberſachſen, Schlefier; „nicht befondere deutſchböhmiſche Stämme, fondern gleichſam über dag Grenzgebirge vorgetriebene Glieder deuticher Volksſtämme aus dem betreffenden Nachbarlande“, wie man

128 Siebenter Abfchnitt.

gelegentlich gejagt hat, um fich den merfwürdigen Bufammen- hang zwiſchen deutſchböhmiſchem und reichsdeutſchem Volks· tum zu erklären.⸗

Um wiebiel tiefer ins Land dieje deutſche Maffe bis zur erften gewaltfamen Burüddrängung in den Huflitenfriegen gereicht hat, Fann man aus der Nachricht eines heimifchen Chroniften fließen, welche bejagt, daß um das Jahr 1334 „ber Gebraud) der deutſchen Sprache faft in allen Städten des Königreiches und aud) am Hofe allgemeiner war, als der der böhmifchen (ſſawiſchen)“. Das Deutſchtum wurzelte aljo nod im 14. Sahrhundert überall im Lande, war damals Feines- wegs auf den Rand und Spradjinfeln beſchränkt, deren Ent- ftehung ohnehin nur aus dem Zurüdfluten ehedem ringsum anfäfligen deutſchen Volkstums zu erklären ift. Es liegt fein Grund vor, diefe vom Chroniften bezeugte alljeitige Aus- breitung des Deutjchtums über das ganze Land nicht auch für die früheren Jahrhunderte gelten zu laffen, wenn auch noch feine Städte, fondern andersartige Anfiedlungen die Wohnfige bildeten. Das Vorhandenfein von Slawen neben den Deutſchen ſtellt auch die Nachricht von 1334 feit.

Es gebt zurüd auf ihr Eindringen in die deutfche aus ber- ſchiedenen Stämmen ſich zufammenjegende Völkermaſſe Mittel- europas, dazu aud) Böhmen und Mähren gehört, ſpäteſtens feit dem 8. Jahrhundert. Diefe ſlawiſche Einwanderung bon Oſten her ging langjam aber ftetig vor ſich und allem Anfchein nad) ohne auf deutfcher Seite ernftlicjeren Widerftand zu finden. Die neue Bebölferung verſchmolz aber nicht organisch mit der alten, ſondern lebte mit ihr nur räumlid) auf dem gleichen Boden; „jo dab die Slawen... über Gebirg und Fluß nad) Weiten hin fich ausbreiteten, wo in ſpärlich bevölferten Wald- und Sumpfdiftriften niemand hemmend und wehrend ihnen entgegentrat ... weſtlich der Elbe und Saale, wie des Böhmer- mwaldes“.* Alfo nicht nur im heutigen Böhmen und Mähren, ſondern weit darüber hinaus in bayriſchem, fränkiſchem, fäd- ſiſchem Gebiet. Die Siedlungsmiſchung zwifchen Deutſchen und Slawen beſchränkte fi) von Anfang an nicht auf unfere Länder, die gleiche Erſcheinung zeigte fich auch im ganzen Umfreiß

Das deutſche Recht, die deutfchen Städte und Klöſter. 19

nördlich, weftli und ſüdlich. Die böhmifchen Berge und Wäl- der bedeuteten für das Vordringen der Slawen ebenfowenig eine Schranke, wie fie Jahrhunderte zuvor auch germanifche Völker nicht gehemmt hatten, in das damals keltiſche Land ein- audringen. In borgeichobenen Stellungen jaßen Slawen im 8. Sahrhundert am Main, in Hannover, Braunfchweig und anderwärts.“ Es ijt felbitverftändlich, daß entiprechend dem entgegengejegten Ausgangspunkt der Wanderung das Slawen- tum gegen Weſten, da3 Deutichtum gegen Oſten hin ſich ab- ebbte; denn ſcharfe Grenzen konnten bei folder Entwicklung zunächſt nicht entitehen. Böhmen und Mähren famen gleichſam in eine mittlere Bone zu liegen, wo die einander entgegen- wirkenden Ströme fich am meiften mifchten und ein gewiſſes Gleihmaß behaupteten. Immerhin bis ins 14. Sahrhundert überwog nad) der obigen Ausfage die deutſche Bevölkerung zumindeſt in den Städten; jomit früher in jenen Siedlungen, die ſich allmählich zu Städten ausbildeten.

Wenn dann im Verlaufe der Jahrhunderte das Slawen - tum aus Franken und Thüringen, Bayern und Sachſen wieder verſchwand, nicht aber aus Böhmen und Mähren, wenn das Deutſchtum nördlich und ſüdlich von Böhmen wieder ſtark bor- geichoben wurde, einerſeits bis an die Oder, andererſeits bis an die Leitha, dazwiſchen aber bie böhmiſch-mähriſche Aus- buchtung ala national gemiſchtes Gebiet beitehen blieb, wie dieg jede Völferfarte des fpäteren Mittelalter8 jo markant herbortreten läßt,* fo hängt dies mit den geſchichtlichen Bor- gängen und Ummälzungen am der Mende des 8. und 9. Jahr- bundert3 zufammen, Den wahren Grund zu diefer Geftaltung der nationalen Schichtung im Mittelalter Iegte Karl d. Gr., als er Bayern und Sachſen Thüringen hatte dag gleiche Schickſal jchon früher getroffen dem Frankenreiche ein- berleibte. Es war feine friedliche Verbindung, Fein freiwilliges Aufgehen diefer deutichen Stämme in den karolingiſchen Staat, der in Wefteuropa feinen Schwerpunkt hatte. Nicht nur die langen Stiege beiveifen e8, die Karl deswegen führen mußte, fondern auch, daß die Bayern und fpäter auch die Sachſen fogar die Bundesgenoſſenſchaft der Awaren fuchten, um biel-

Bretdolg, Sei. Böhmens u. Mäfrene, T. [2

130 Stebenter Abſchnitt.

leicht mit deren Hilfe fich behaupten zu fönnen; auch die Teilnahme jlawifcher Völfer an den Kämpfen der Sadjen gegen Karl ift durchaus wahrjcheinlich.”

Bei ſolchem Widerftand mußte ſich Karl fchlieblic) begnügen, wenigjteng die weitlichen Teile der von Bayern und Schwaben, Thüringern und Sachſen bewohnten Gebiete für das Franken- reich zu gewinnen, und tradjten, durd) eine natürliche Grenze feine Eroberungen zu fichern. Sie bot fi) dar in dem Fluß - laufe der Elbe und Saale ſowie in dem Randgebirge Böhmens, Damals, unter Karl d. Gr., aljo rund 800, wurde erſt die böhmifche Zandedgrenze geſchaffen oder zu fchaffen begonnen, die nun Deutſche von Deutichen fchied. Was von den deutſchen Stämmen jenjeit3 diefer Grenze wohnte, mit Slawen ſchon ftärfer gemifcht ſich leichter gegen die Einverleibung wehren Tonnte, wurde nicht aufgenommen in dag karolingiſch-fränkiſche Neid). Die Teile des deutfchen Volkes, die öftlic) vom Böhmer- wald faßen, waren nun abgetrennt von dem Zufammenhang mit den Stammesgenofjen, die fortan zum Franfenreich ge- hörten, Karl verzichtete oder mußte verzichten auf die öftlichen Ausläufer des bayriichen, fränfifchen, thüringiſchen und ſäch- fiihen Stammes im böhmifd-mähriicen Kefiel, erhielt aber dadurch um fo fiherere Grenzen für die jeinem Reiche eingefüg- ten Sauptgebiete diefer Völferfchaften.

Man wird einigermaßen gemahnt an das, was Bismarck 1866 und 1871 hatte tun müfjen: ein deutfcheg Reich gründen ohne die Deutſchen in den Sudetenländern und in Üfterreich; ähnlid) mußte ein Jahrtauſend früher Karl d. Gr. ein frän- kiſches Reich aufbauen ohne die Deutſchen in den uralten deutſchen Ländern Böhmen und Mähren.

Und nun erſt, nadjdem diefer Schmitt mitten durch das deutſche Volkstum vollgogen war, konnte fid) Iangjamft, von Prag feinen Ausgangspunkt nehmend, ein neues Staatätvejen ausbilden in den natürlichen Grenzen Böhmens und Mährens, beftehend aus uralter deutfcher Bevölkerung gemiſcht mit jpäter Binzugefommenem Slawentum.

Was es nun aber für ein Volk zu bedeuten bat, wie füc Deutſche fo für Slawen, vom Kauptftamm, mit bem man

Das deutſche Recht, die deutichen Städte und Klöfter. 131

ſprachlich und Fulturell verwachſen ift, abgefchieden zu werden und mit einem ſprachlich und Fulturell fremden Volke rein nur durch ftaatliches Band verknüpft zu fein, das lehrt die weitere Entwidlung. Die Slawen in oitfränfifchen, fpäter deutichen Reich Eonnten ſich bis auf Kleinere Reſte überhaupt auf die Dauer nicht halten, nachdem ihr völkiſcher Bufammen- bang mit dem Dften unterbunden war, fondern wurden, hier raſcher dort langſamer, vom Deutſchtum aufgejogen. Diefe Kraft beſaß das Deutichtum in Böhmen und Mähren, nın- mehr auf fich jelber angewieſen, nicht. Hier fonnte ſich jomit das Slawentum nicht nur neben dem älteren deutſchen Volke leicht behaupten, fondern ſich fortentmwideln und innerlich Eräf- figen. Aber umgefehrt, an eine Slawiſierung der Deutſchen in dieſen Ländern war ebenſo wenig zu denken. Dazu war das Deutſchtum im Boden des Landes zu tief eingewurzelt und hing trotz politiſcher Scheidung kulturell zu enge zuſammen mit dem großen deutſchen Volk jenſeits der Grenze, Zurüd- drängung, Verfolgung, Unterdrüdung begann früh und nahm in den Zeiten der Huffitenfriege einen gewaltſamen Charakter an, eine bollfommene Vertreibung war aber ebenfowenig durch⸗ führbar wie eine Slawiſierung.

Und fo lebten denn Jahrhunderte lang Deutſche und Slawen in Böhmen und Mähren als zwei verſchiedene Völker neben einander und unter einander, bald diefes bald jenes im Aufftieg oder Niedergang. Diefe Berjchiedenheit und Gefondert- beit, diejes Getvenntfein trog räumlicher Berührung hat nie- mand fo klar und beftimmt ausgeſprochen und gleichjam als geichichtliche Tatſache feitgelegt, als der Herzog Sobieslaw II. mit dem Beinamen „der Bauernherzog“, der von 1173 big 1178 regierte. Und zwar in einer Urkunde, die mit den Worten beginnt:

„Sch Sobieflaus, Herzog der Böhmen, tue fund allen Gegen- wärtiger und Bufünftigen, daß ic} in meine Gnade und meinen Schuß aufnehme die Deutfchen, die unter der Burg von Prag leben und ich will, daß diefe Deutjchen als Wolf (natione) geidhieden bleiben von den Böhmen, wie fie auch bon ihnen verſchie den find durch ihr Recht und ihre Gewohnheit. Sch

9.

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gewähre daher dieſen Deutſchen zu leben nach dem Geſetz und der Gerechtigkeit der Deutſchen, die ſie ſeit den Zeiten meines Großvaters, des Königs Wratiſlaw, gehabt haben ...“. Damit iſt Wratiſlaw, der treue Freund Kaiſer Heinrichs IV. gemeint, der von 1061—1092 regiert hat.

Der Beitand deutfcher Bevölkerung in Böhmen ift fomit durch diefen urfundlichen Beleg fpätefteng fr die weite Hälfte des 11. Sahrhunderts verbürgt. Es handelt ſich nur darum, wie man die Urkunde auffaßt und welchen Wert man ihr für die Gefchichte des Deutichtums im Lande zuſchreiben darf, da fie nur don Deutſchen bei der Prager Burg ſpricht.

Die Urkunde ift eigentlich erft dur; Dobner im Jahre 1782 befanntgemadht und von Pelzel, wie früher erwähnt wurde, verivertet worden.” Palacky war fie jelbitverftändlich geläufig, doch berief er fi) auf fie nur an der einzigen Stelle, wo er von dem Kandel in Böhmen unter Wratiflaw jpridjt, der damals „in den Händen von Ausländern, Juden, Stalienern und Deutichen, ſich befand“. Und wie Palacky diefe Prager Deutihen nur als fremde zugezogene Händler anfah, jo Iefen wir in den heute berbreitetiten böhmiſchen Geſchichts- büchern unter Hinweis auf diefe Urkunde: „Aug der anfangs fo Heinen Raufmannsfolonie bei St. Peter entwidelte ſich die mächtige Stadt Prag“; oder „Sobiejlam hat den deut- ſchen Kaufleuten des Prager Burgfledeng die Privilegien feines Großvaters, König Wratiflaws, neu beftätigt und ver- mehrt“; oder „der Freibrief Sobieflaws, die ältefte ehrwürdige Urfunde diefer Gemeinde (der älteften Anfiedlung deutfcher Gejhäftsleute)“ u. ähnl Die „ſuggeſtive Macht“ der Anfichten Palacky's, wie man es genannt at, getgt ſich wohl bier am klarſten. Palacky hatte die Urkunde als eine Rechts- verleihung an eingeiwanderte deutiche Händler eingeichägt, die ganze Weitere Geſchichtſchreibung übernahm dieſe Auf- faſſung. Und doch kann fich jeder Leſer leicht überzeugen, daß nicht ein Paragraph, nicht ein Say und niit ein Wort in der ganzen langen Urkunde darauf Hindeutet, daß fie ſich auf Handels · oder Kaufleute bezöge; daß von Waren, Zoll, Nieder- lage, Münze und anderen Dingen, die man in Raufmannz-

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ftatuten erwarten müßte, nicht nur Feine Rede ift, fondern ſich auch nicht der Ieifefte Hinweis darauf entdeden läßt. Und mit gleicher Entichiedenheit muß darauf Gewicht gelegt werden, daß nirgends bon Einwanderung oder Berufung, nichts bon Deutichen, die aus dem Reich gefommen wären, zu leſen ift ober irgendwie herausgelejen werden kann, wie e8 leider wieder- holt geichehen ift. Schon die völlige Parallelftellung der Deut- ſchen mit den Slawen in der Einleitung widerjpricht der Auf- faſſung, als ob es fich bei jenen um eine kleine Zahl Koloniften, bei diefen um die Maſſe des heimifchen Volkes handeln könnte. Aber auch der Wortlaut und Sinn des ganzen Privileg und einer Anzahl von Paragraphen fteht folder Anficht ſchroff ent- gegen.

Ein Sag lautet: Die Deutſchen braudyen zu Feiner Eriege- rifchen Unternehmung außer Landes mit außzuziehen, fondern nur, wenn e3 gilt, für das Vaterland (pro patria) zu kämpfen. Schon bier tut ſich der Gegenjak Fund, den der Fürft zwiſchen der deutſchen und ſlawiſchen Bevölkerung betont. Nur dieje wird aufgeboten, wenn Böhmen ala Lehensland des deutichen Reiches an den Kriegszügen des deutichen Kaiſers wohin immer teilnehmen muß. Die Deutichen find von einem ſolchen Dienit frei und ihre kriegeriſche Mithilfe kommt nur in Betracht, wenn e3 fi) um die Verteidigung des Landes handelt, das hier ausdrüdlich als ihr, der Deutfchen, Vaterland begeichnet wird.

Es drängt fid} hiebei wohl auch der Gedanke auf, daß eine ſolche Beitimmung fi) doch unmöglich auf eine Eleine Kolonie bon einigen zugewanderten Familien beziehen fönne, daß ein Deutichtum, das zur Verteidigung ganz Böhmens herangezogen wird, doch wohl nicht auf einige Dutzend wehrfähiger Männer nächſt Prag und nicht leicht blos auf Händler und Kaufleute beſchränkt geivejen fein Tann.

Von bejonderer Wichtigkeit ift aber diefe Beſtimmung des · halb, weil fich hier Grundanfchauungen wiederfinden, die im Kampf ſowohl der Bayern als der Sachen gegen Karl d. Gr. eine Rolle gefpielt haben, indem beide Völker ſich bei ihrer Unterwerfung der Verpflichtung zur Heeresfolge gegen

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andere Nationen, alfo außerhalb ihrer Seimat, widerfegten.t? Diefen Standpunkt, den das ſächſiſche und bayrifche Volt am Ende des 8. Jahrhunderts vertrat, jehen wir hier im Prager Deutſchenrecht des 11. Jahrhunderts wieder ausgeſprochen und aud vom Böhmenherzog anerkannt.

Ebenſowenig wie diefer Sat, der die Verteidigungspflicht der Deutfchen auf dag Land Böhmen befchränkt, läßt ſich mit der Auffaſſung der Prager Deutſchen als bloßer Kaufmanns kolonie ein anderer Paragraph in Einklang bringen, welcher lautet: Wenn fid) der Herzog auf einer Friegerifhen Unter- nehmung außerhalb Böhmens befindet, dann ift e8 Sache der Deutfchen, die Prager Burg zu bewachen. Ein ſolches Ver- trauen zu „Sremden“, eine folde Vorzugsſtellung hier einge wanderter „Kauf⸗ und Handelsleute“ erjchiene wohl unfaßbar und würde eine Sintenjegung der einheimifchen Bevölkerung ſlawiſcher Nationalität bedeuten, für die eine Erflärung erſt erbracht werden müßte. Weiters aber fordert die Beftimmung die Frage heraus, wer wohl die anderen landesfürftlichen Burgen im Lande in diefer Zeit betvachte, da doch die ſlawiſche Bebölferung den Herzog auf feinem Seereszug zu begleiten hatte. Doc; wohl wiederum nur die Deutſchen, die, wie am Fuße der Prager Burg, auch im Umkreis der anderen Burgen anfällig waren.

Ein nächſter Baragraph heißt: Die Deutfchen find frei bon allen den Verpflichtungen, die für Gälte, Fremde, Anfümm- linge zu leiften find. Wollte man diefe Verfügung mit der Koloniften- und Emigrantentheorie in Einklang bringen, dann müßte man annehmen, daß dieſe Deutſchen, die ſelbſt erſt vor kurzem als Säfte, Sremde, Ankömmlinge ing Land gefommen mären, ſich in geradezu durchtriebener Weiſe allfogleich von jenen Pflichten au befreien verftanden hätten, danf derer fie fich bier überhaupt anfällig gemacht haben könnten. Sie hätten die Laſten für etwaige neue ſtammverwandte Zuwanderer von ſich abgewälzt und der heimifchen ſlawiſchen Bebölferung aufgebürdet! Als neue Einrichtung tft eine ſolche widerfinnige Beſtimmung nidt su verftehen. Wohl aber als altes Gewohnheiisrecht, ala Herkommen, wonach, wie dies auch im

Das deutſche Recht, die deutſchen Städte und Klöſter. 135

fränfifchen Reich der Fall war, Beherbergung, Bewirtung und Reifebeförderung gewiſſer Perfonen, die mit Iandezfürftlicher Erlaubnis oft mit ftattlichem Gefolge ins Land kamen, nicht ala Gaſtfreundſchaft galt, fondern als Untertanenpflict, die bie Deutſchen nicht traf.

Schon diefe Beftimmungen zeigen, daß es ſich nicht um die bejonderen Rechte, „Statuten“, einer Berufsgenoſſenſchaft handelt, fondern um ererbte Freiheiten, um uralte, feit langem gültige Volfögejege, die vom Herzog aus irgendeinem Grunde damals anerfannt und beftätigt wurden; Gewohnheitsrecht der Deutichen unter Wratiſlaw in gefeliche Form gebracht.

Mlein der mwichtigfte und begeichnendite Say in diefer Urkunde ift der $ 12, Er ift ganz kurz und lautet: Denn ihr follt wiſſen (in diefer Befehlsform), daß die Deutichen freie Menfchen find. Daraus erhellt, daß es im damaligen premy- ſlidiſchen Staat auch nichtfreie Leute gab, nur gehörten die Deutfchen, die hier lebten, nicht zu ihnen. Gewiß auch nicht die ganze ſlawiſche Bebölferung, aber beftimmte Schichten.

Eine Reihe weiterer Beltimmungen diejes Privilegs erläutern diefen Grundfag bon der perſönlichen Freiheit der Deutichen im Lande. Sie wählen frei ihren Pfarrer und ihren Richter; über fie urteilt nur ihr eigener Richter, auch wenn die Klage gegen einen Deutjchen von einen Slawen oder Romanen bor dem oberften Kämmerer erhoben wird. Die Deutjchen dürfen nicht gefangen genommen und in den Kerker gebradjt werden, wenn fie Bürgen ftellen oder im Befik eines eigenen Hauſes ſich befinden. rei find fie auch in der Aufnahme von Ankömmlingen und Gäften, „aus welchem Lande immer fie fommen“, in ihre Gemeinſchaft, die damn aber auch nad) den Gefegen und Rechten der Deutſchen Ieben müſſen.

Nein; diefe Deutichen in Prag, die über einen folchen Heimatſchein ihrer uralten Buftändigfeit in diefem Land ver- fügen, find nidjt ein befonderer Stand von bloßen Nauf- und Handelsleuten, nicht ein zufällig hierher unter die Mauern der Prager Burg von außen hereingetriebener Fremdkörper, nicht ein bereinfamtes Inſelchen im ſlawiſchen Meer. Mit dec irrigen und grundlojen Annahme, daß die Wratiſlaw-Sobies ·

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lawſche Urkunde nur für etliche eingewanderte Deutſche ad hoe erlaſſen wurde, hat man ſich von vornherein den klaren Blick füc ihren Wert getrübt und dag Urteil über fie in eine falſche Richtung gelenkt. Mit einem Häuflein Iandfremder Händler, die fort und fort auf der Wanderjchaft find, verteidigt man feine Burg, geſchweige daß ganze Land, begründet man Feine Stadt, noch weniger ein ganzes Volk.

Diefe Deutſchen in Prag find, wie die Urkunde erfennen Täßt, Beamte und Geiftliche, Krieger und Kaufleute, Hand- werker und Aderbauer, Hausbeſitzer und Inſaſſen, find mit einem Worte ein Stüd vom deutichen Volk, dag im ganzen Rand lebt; ein Stüd aud) vom gefamten Deutfchtum, das hier nad) der Abtrennung als jelbftändig gewordener Zweig eines mächtigen Stammes geiftig und wirtſchaftlich ſchafft und arbeitet, auf diefem Boden, den e8 mit vollem Recht jein Vater- land, feine patria nennt. Jahchunderte lang währt diefe Arbeit, ohne daß fie in den Quellen beſonders hervorträte; es ift die Zeit des Wachſens und Neifens. Erſt jeit der Mitte des 11. Jahrhunderts zeigen fi) aud) hier in Böhmen und Mähren, ganz ebenjo wie anderwärts auf deutfcher Erde, die deutlichen Anfäte der Frucht, die aus diefem Schaffen emporwächſt: in der Begründung und Schöpfung der mittelalterlichen deutſchen Stadt und Städtefultur, die bekanntlich felbft Palacky als rein deutjches Werk in diefen Landen gefennzeichnet und aner- Tannt hat.

Allein bier ftoßen wir wieder in unjeren bisherigen Geichichtsdarftellungen auf Anfchauungen, die das ganze Städte wefen in Böhmen und Mähren nur zu einem Ableger der deutſchen Kolonifation machen; Anſchauungen, deren Unbalt- barleit zuerjt Zlargelegt werden muß, bevor die wahre Ent- widlung der deutſchen Stadt im premyflidiichen Reich in ihren Sauptzügen gezeichnet werden kann. Auch zu diejen Beute ganz allgemein geltenden Anſichten hat Palacky den Grund gelegt. Ihm erſchien die Begründung von Städten auf böhmiſch- mãhriſchem Boden als der eigentlicjite Zweck der deutſchen Ein- wanderung; er glaubte darin gleichlam den, taftifhen Stütz- punkt zu finden, von dem aus feine Kolonifationstheorie erklärt

Das beutfche Recht, bie deutſchen Städte und Ktlöfter. 187

oder wenigiteng wahrſcheinlich gemadyt werden fünne. Denn da für die vermeintliche planmäßige Herbeiziehung Deutſcher ins Land im 12. Jahrhundert ſich gar Fein Grund finden ließ, der fonft für Kolonifationen maßgebend war, nicht Landöde infolge langer, ſchwerer Glaubenskriege, wie in Nordoftdeutich- land, nicht nachweisbare Hungersnöie, wie bei der Ein- wanderung niederländifchen Volkes in Ungarn, nicht Sicherung des Landes gegen vom Oſten ber drohende Einbrüche wilder Horden, wie in Siebenbürgen, nicht Ausbau der ländlichen Kultur, wie bei der Berufung von Holländern und Flamändern ing bremijdje Gebiet und anderwärts, fo mußte bier eine andere Urfache vorliegen, denn der Glaube an die deutiche Kolonifation Böhmeng und Mährens ftand bei Palacky uner- ſchütterlich feit.

Eine von ihm aus falſchen Vorausfegungen Zonftruierte rein ſlawiſche Staatsverfafjung in Böhmen und Mähren in ben erften Jahrhunderten der premuflidifchen Zeit, die jo- genannte „Bupenberfaffung“, die feit langem als ungeſchicht · lich und unhaltbar erwieſen ift;t* beitimmte ihn zu der weiteren willkürlichen Annahme, daß, infolange diefe Verfafiung galt, die Ausbildung eines Städtetvejen in diefen Ländern unmög- lich war. Nach feiner Auffafjung konnte „ein freier Bürger- ftand“ in Böhmen und Mähren eigentlich erſt unter Otafar II, auffommen, aber nicht aus dem heimifchen ſlawiſchen Volke, fondern, wie er jagt, nur durch „Berufung“ bon Soloniften und Schaffung „neuer Städtennlagen”, „planmäßig“, ohne alle Vorſtufen und geſchichtliche Entwidlung. Selbit wag in diefer Hinficht unter deffen beiden Vorgängern gefchehen war, unter Otafar I, und Wengel I., „waren nur die erften gleid)- jam zufälligen Verſuche geweſen“, noch ohne beſtimmenden Einfluß auf die inneren Verhältniſſe beider Länder.

Diefe Grundauffafjung über die Entftehung unferer Städte kehrt in der deutfchhöhmifchen Gefchichtsliteratur immer wieder, wie etwa der Satz zeigt: „Sieht man bon der deutſchen Ge- meinde Prags und bon Eger ab, dag eben nicht zu Böhmen gehörte, jo ann bis zum 183, Jahrhundert von Städten in Böhmen nicht die Rede fein“, denn hier fehlte angeblich, wie

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weiter behauptet wird, „eine freie Bürgerfchaft, die auf echtem Eigen figt und nad eigenem Rechte lebt“ "* mit anderen Worten: da3 deutſche Volk. Und der in verfejiedenen Ven- dungen fich wiederholende Say in unferen Geſchichtsbüchern: „Nicht alle Städte Böhmens und Mährens find durch einen eingigen Aft wie aus dem Boden geguollen“,° befagt auch nichts anderes, als daß diefer Vorgang denn doch die Regel gebildet Habe, daß unjere Städte zumeijt künſtliche Gebilde fremder geſchulter Städteerbauer darftellen.

Nicht fo unbedingte Zuftimmung fand Palacky's Städte gründungstheorie bei den tſchechiſchen Geſchichtsforſchern. Erſt jüngft ift der „Verwunderung“ darüber Ausdrud gegeben worden, daß fich in unferen Ländern ftädtifches Weſen „fo rajch” eingebürgert habe, daß zwei Generationen genügten, um bier, mo zu Beginn des 13. Jahrhundert? noch faum eine wirk- liche Stadtgemeinde beftanden haben foll, wenige Jahrzehnte darnach faſt keine Landſchaft mehr zu finden war, in der man nicht auf blühende Städte geſtoßen wäre, die ich wie ein Netz über das ganze Königreid) außbreiteten.‘” Allein ſolche berechtigte Bedenken mußten glei) wieder zurüdtreten vor der Autorität Palackys und vor dem „Rührmichnichtan“ der deut- {chen Kolonifation.

Bedeutfamer erfcheint, daß ſchon früher von anderer Seite die Frage, die ſich gleichfalls gegen Palacky richtete, auf- geworfen wurde, ob fich ſtädtiſches Leben in Böhmen ſchließlich nicht auch ohne die deutfche Zuwanderung hätte ausbilden Tönnen, „auf natürlichere Weife, wenn auch langſamer“, da doch „die Tſchechen, die in die Fremde kamen, diefe ſtädtiſchen Einrichtungen kennen lernten und felber in der Heimat hätten einbürgern fönnen“.° Mit ebenjopiel, ja mit nody mehr Grund hätte diefer Forfcher die Notwendigkeit der Begründung fo aahlreicher deutfcher Bauernkolonien in diejen Ländern in Frage ziehen fönnen. Denn Böhmen und Mähren waren damals vorzugsweiſe Bauernland und die ſlawiſche Bevölkerung bäuer- lich. Wozu alſo die „maffenhafte” fremde Bauernihaft? Nur um de3 angeblich in Böhmen noch unbekannten ſchweren deut- fen Pflugs willen? Das würde, ſelbſt wenn es ſich nadj-

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weifen Tieße, doch nur außreicen für die Erklärung der Ein- führung dieſes Gerätes, nidyt aber aud) der Menfchen mit ihren gangen Familien in folder Zahl aus allen Ländern des weiten deutſchen Reichs nach den verſchiedenſten Gegenden Böhmens und Mährens.

Man darf die Gründung deutſcher Städte, Dörfer und Märkte aber nicht vom Standpunkt der handwerklichen Fähig- feit ihrer Schöpfer beurteilen. Nicht die Geſchicklichkeit im Städtebau, nicht irgendeine befondere Veranlagung oder fonft welche äußere Umſtände waren e3, die die Deutjchen wie drüben fo bei ung zu Städtegründern prädeftinierten; fon- dern, zum Unterjchied von den ſlawiſchen Landesgenofien, ihre politiide und. ſoziale Stellung im Lande, die Herzog Sobieſlaw II. in der genannten Urkunde mit einem gewiſſen Nachdruck, faſt feierlich hernorhebt: Denn ihr follt wiſſen, daß die Deutſchen freie Menfchen find. Das Selbitbeitimmungs- recht in Verfaſſung und Verwaltung, diefes Erbſtück uralter Entwicklung, ſchloß die rechtliche Möglichkeit in ſich, alle Vers bältniffe, unter denen die Deutfchen Iebten, weiter mıSzugeftal- ten, gab ihnen die Kraft, Hinter der wirtfchaftlihen Entwid- Iung der Nachbarländer nicht zurüdzubleiben. Die ſlawiſche Bevölkerung dagegen ſtand unter dem Drud von Laſten, Ab- gaben, Untertänigfeiten, Dienften aller Art, mußte fich Ienfen und leiten laſſen von höheren und niederen Perjonen, die der Herzog einſetzte und die in eriter Linie ihren eigenen Vorteil fuchten, den fie mehr in der Ausnützung der Maſſe als in deren Kräftigung und Fortentwidlung fanden. Die Freiheit der hier uralt angejeffenen deutjchen Stämme und die Unfreiheit der fpäter hingugefommenen ſlawiſchen Einwanderer ftehen einan- der noch ſchroff gegenüber und bedingen dag Übergewicht jener,

Ebenſowenig wie das deutfche Volk Böhmens und Mähreng erit im 13. oder 12. Jahrhundert zugewandert ijt, ebenjowenig ift das deutſche Recht, das in der Wratiſlaw⸗Sobieſlawſchen Urkunde zum eriten Mal in die Erfcheinung teitt, aug der Fremde eingeführt worden, fondern mit dem Volke auf hei- milden Boden erwachſen.

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Es iſt allerdings richtig, daß dieſe Urkunde ſich nur auf die Deutſchen in der Prager Vorburg bezieht und daß uns aus fo früher Zeit kein zweites ähnliches Beiſpiel aus der Ge- ſchichte des böhmiſch mähriſchen Deutſchtums bekannt ift. Daraus aber zu folgern, daß das Deutſchtum damals auf die einzige Siedlung bei der Hauptſtadt beſchränkt geweſen ſei, hieße aus dem Schweigen der Quellen, das nur zu begreiflich ift, Fehl- ſchlüſſe ableiten. Berüdfichtigen wir borerft, daß, wie ſchon angedeutet wurde, das Deutichenprivileg bon mindeftens ſechs böhmifchen Herzögen und Königen beftätigt worden ift, ſomit ebenjobiele Originale einft beftanden Haben und doch heute und ſicherlich feit Jahrhunderten nicht ein einziges mehr er- halten ift. Nur dem glüdlichen Zufall, dab das Dokument auch in jogenannte Urkundenbücher abgefchrieben wurde, bie beſſer aufbewahrt wurden, verdanken wir feine Kenntnis. Wenn ſolche Verlufte in Prag eintreten fonnten, mag e3 wenig wundern, daß in anderen Orten etwaige ähnliche Reſte einft- maligen deutſchen Rechts fpurlos zugrunde gegangen find. Die Zeit der Huſſitenkriege allein, die fait an feiner Stadt Böhmens und Mährens ohne Schädigung der geſchichtlichen Denkmäler vorüber gegangen ift, vermag folen Mangel und ſolche Armut an deutſchen Quellen zu erflären; und aud) die fpäteren Jahrhunderte brachten allerorten ähnliche Verlufte.

Aber aud) abgefehen von dem blinden Zufall, den man hier wird in Redmung ſetzen dürfen, können wir in fo früher Zeit des 11: und 12. Jahrhunderts Aufzeichnungen des Volks— rechts faum erwarten. Sit doch nody im berühmten großen Mainzer Reichsgeſetz Kaifer Friedrich II. vom %. 1235 die wichtige Erklärung enthalten: „Da die Deutfchen bisher nach unbeftimmtem Gewohnheitsrecht Ieben und gejhriebener G®efege entbehren . .“. Wenn alfo ſelbſt im Reich die Nie- derſchrift alten Rechts erft fo ſpät einfegte, dann tritt der Wert und die Bedeutung der Prager Urkunde aus dem 11. Jahr- Hundert nur umfo klarer hervor. Nach dem Jahre 1235 be- ginnen auch bei ung ſolche Aufzeichnungen (Kodififationen) des Gewohnbeitärechtes, wofür die beiden berühmten in ihrer ur-

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ſprünglichen Form (als Originale) erhaltenen Privilegien von Brünn (1243) und Sglau (1249) Belege bilden.

Wie verbreitet und allgemein befannt deutfches Recht bier war, beweift die Tatfache, daß eg in einer Anzahl von Urkunden des 13, Jahrhunderts genannt wird, ohne dab man es für notwendig erachtet näher ausguführen, was es in jedem einzelnen Fall beinhaltet. Es erfcheint unter ver- ſchiedenen finnverwandten Bezeichnungen ala: „Recht der Deut- ſchen (ius Teutonicorum)“, „Deutiche Sreiheit (libertas teu- tonica)“, „Gejeg und Gerechtigkeit und Gewohnheit der Deut- ſchen (lex et iustitia et consuetudo Teut.)“, „Deutſcher Brauch (teutonicus mos)“; man verfteht auch ohne nähere Erklärung, was darunter gemeint ift, ja man jagt ſchlechthin: „wie eg die Deutſchen haben (sieut habent Teutoniei).” Man bezieht fich darauf, ebenfo wenn ein Kloſter ein Dorf erwirbt und dort „deutſches Recht“ einführen will, wie wenn man Wein- bergaehnten nad „deutihem Recht” verleiht. Die Fürſten gewähren es „gegen die Arglift und Unficherheit der Zeit”, gegen die „Gier einiger weniger”, oder damit daß Volk „un- gefährdet und ohne Pladerei“ Ieben könne. Wir erhalten zum Sabre 1274 ſogar den urfundliden Nachweis, dab in dem mähriſchen Dorf Groß-Teinig (bei Olmütz) das bislang dort geltende böhmiſche Recht (ius bohemieum) bei allem, „mag es zu richten und zu berwalten gebe”, abſichtlich erjegt wurde durch deutiches Recht (ius teutonieum), „zu größerer Gerechtig- keit und zu beſſerem Nugen des Dorfes und feiner Bewohner“. Wir fehen, wie das deutfche Recht nit nur dag ganze Wirt- ſchafts· und öffentliche Leben des deutichen Volkes wie das Blut den Körper durchädert, jondern auch, daß eg allmählich übergreift auf die ſlawiſche Bevölkerung. Allerdings allzuoft mag eine ſolche Umwandlung nidyt ftattgefunden haben, da fürftliche, adlige, kirchliche Kreife dadurch am untertänigem Volk ſtark einbüßten.

Das deutſche Recht hätte die Kraft gehabt, die „Verſchieden · beit“ und „Gefdjiedenheit“ der beiden Nationen im Lande, bon der Herzog Sobieſlaw in jeiner Urkunde fpridjt, bis zu einem gewiſſen Grade auszugleichen, wenn es zum allgemeinen

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Geſetz erhoben worden wäre an Stelle des für die ſlawiſche Bevölkerung gültigen „Landrechtes“, das die Beamten und Adligen im Namen des Fürften übten. Allein dazu kam es nicht. In den Städten, in denen dag deutſche Recht ausihlieg- li galt, fam es zu einer Annäherung, allein ſchließlich war es doch nur das Recht, in dem fich die ſſawiſchen Inwohner den Deutihen anpaßten. Sprache und Sitte, Beſchäftigung, Tracht, Feſte u. andere Gewohnheiten trennten auch weiter beide Völker, beſonders bei der nationalen Scheidung auf dem Lande, die beftehen blieb, bon wo aber der Zuzug in die Stadt erfolgte.

Wie das deutſche Recht niemandem aufgeziwungen wurde, fondern eigentlicy nur für die deutſche Benölferung galt und für die, die aus freiem Antrieb „mit den Deutſchen leben wollten“ und von ihnen in ihre Gemeinihaft aufgenommen wurden, jo bejchränfte eg niemanden in feiner völfifchen und häuslichen Zugehörigkeit. Die deutihen Städte Böhmens und Mährens im 13. Jahrhundert hatten deutiche Verwaltung und Verfaffung, richteten ſich in allem und jedem nad) dem Rechte der deutſchen Bevölkerung, waren aber national gemifcht.

Vielleicht hätte gerade die urfundlich jo klar zu ecweijende Durchdringung aller Verhältniffe in Böhmen und Mähren mit deutſchem Recht die Forſchung auf die Spur gebracht, daß ein ſolches Recht nicht leicht Fünftlicy eingeführt fein könne, wenn nicht auch hiebei wiederum eine arge moderne Urfunden- fälſchung irregeleitet hätte,

€3 war im Jahre 1839, daß in einem Quellenwerke erften Ranges, im Codex diplomaticus et epistularis Moraviae, eine Urkunde veröffentlidt wurde, durch die König Premyſl Ota- far I. am 30. Dezember 1213 dem Ortchen Sreudental „deut- ſches Recht“ verliehen haben follte, mit der ausdrüdlichen Erklärung, daß dieſes „deutſche Recht“ eine „neue und ehren- werte Einrichtung“ daritelle, die „in den Rändern Böhmen und Mähren bisnun ungewohnt und ungebräuchlich“ geweſen ſei.“ Es war ſozuſagen eine zeitgemäße Ergänzung der Handſchriften · fälſchungen Hankas nach der urkundlichen Seite hin, eine Erfindung des mähriſchen Landesarchivars Frang Boczek, dem man eine ſtattliche Zahl ähnlicher Erdichtungen bereits nad

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gewieſen bat. Und wie früher durch die Königinhofer und Grüneberger Fragmente ließ man ſich auch jeßt durch diefe falfche Urkunde gerne täufchen. Ohne nadguprüfen, ob das Stück auch echt fei, ohne nadigufragen, wo fich ein jo wertvolles Dokument befünde, ob es richtig gelefen und aufgefaßt wurde, baute man auf diefen hohlen Grunde weiter und beachtete nicht die Warnungen ernfter Forſcher. Es war und blieb die Sauptitüge für die Annahme fpäten Auffommens deutſchen Rechts in Böhmen und Mähren und feiner fremden Herkunft. Gab e8 aber hier fein deutjches Recht vor dem 13. Jahrhundert, dann konnte es folgerichtig auch feine deutſchen Städte geben und fein deutiches Volk, das fie geichaffen hätte. Ein Irrtum erzeugte den anderen und ließ die Windungen des wirren Kno- tens nicht mehr erkennen.

Das bedeutjamfte Werk der Deutichen in Böhmen und Mähren in premyſlidiſcher Zeit, die deuiſche Stadt wie ift fie nun in Wirklichkeit entftanden, wie ift fie zu verftehen?

Wir wiſſen, daß die Deutſchen auch bier wie anderwärts urfprünglid; in Dörfern (villae), Weilern (viei), Gehöften (euriae) wohnten, und wahrſcheinlich ift die ſpäter zugezogene Bevölkerung, vor alleın die Slawen, aber auch Romanen, Juden, Volen, Ungarn, diefem Beifpiel gefolgt. Die wichtigſten diefer Wohnfige waren die, die ſich an eine Herrenburg an- ſchloſſen. Deren Entjtehung aus urjprünglic wohl nur durch die Lage in Wäldern, an Ylüffen, in Sümpfen, an Bergab- hängen geicügten Siten erfahren wir aus unferem heimiſchen Geichichtichreiber Cosmos.

Er erzählt, daß Herzog Boleſlaw I. (929—967), dem er den Beinamen „der Graufame” gegeben hat, eines Tages bon den Vorftänden des Volkes (populi primates), verlangte, daß fie ihm eine Burg nad) römifcher Art, d. h. aus Steinen, erbauen; wie fie ſich dagegen auflehnten, wie er ihren Widerftand gewaltfam brad) und fie dann willig feinen Wunſch erfüllten. Die Mühſal des erften Burgenbaues in Böhmen, die neue Laſt, die das ohnehin geplagte Volk auf ſich nehmen mußte, bildet ben Untergrund zu diefer Sage und ſpricht aus diefer Erzählung. Die Einführung diejer fremdartigen Bauwerke,

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„wie etwas dergleichen unjere Väter nie getan haben“, läßt Cosmas einen der älteften aus dem Volke jagen mit ring3- berumgehender hoher Mauer, blieb in der Erinnerung haften. Und diefer erfte Burgenbau in Böhmen bei der alten Siedlungs- ftätte Bunzlau, die auch Fürſtenſitz war, fällt ganz in diefelbe Zeit, da aud im ſächſiſchen Nachbarlande unter König Hein- ri) I, „dem Städtegründer”, zwar feine Städte, aber fefte Burgen, gleichfalls nach römiſchem Mufter angelegt wurden, zum Schuß gegen die Ungarn, deren Raubzüge ſich damals Jahr für Jahr wiederholten. Wie ſich dann im weiteren Ver- lauf diefe Umwandlung im ganzen Lande vollzog, läßt ſich begreiflicherweife nicht mehr im einzelnen feitftellen. Genug daran, daß wir diefe bedeutfame Ausgeftaltung oder Neu- gründung menſchlicher Wohnftätten, durch die auch dag Land- ſchaftsbild eine weſentliche Veränderung erfuhr, nad) Zeit und Ort fo genau fennen lernen. Denn mit dem Um- und Neubau der alten Selten zu gemauerten Burgen (urbes) hängt auch die Entftehung der fogenannten Vorburgen (suburbia), d. h. unter der Burg liegenden Siedlungen des Volkes zufammen. Im 10., 11. und 12. Jahrhundert werden bei Chroniften und in Urkunden joldje Suburbien genannt: bei Prag und Wilchehrad, Bunzlau, Nimburg, Saaz, Bilin, Brünn, Znaim, Olmüß; gewiß nur ein Bruchteil derer, die in Wirklichkeit beitanden Haben.

Cosmas ſchildert ung zum Jahr 1091 aus beſtimmtem Anlaß, daher ein wenig ausgeſchmückt, das Leben und Treiben in den beiden Vorburgen von Prag und Wiſchehrad. Wir wiſſen aus der Sobiejlaw’fchen Urkunde, dab fi) eben damals, in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, im Prager Suburbium eine national gemifchte Bevölkerung befand, aber getrennt lebend und räumlich geichieden. Diefe räumliche Abgeſchloſſen- heit der einzelnen Siedlungen gegeneinander mag noch deut- licher zum Ausdrud gekommen fein durd) die UmfchlieBung mit Bäunen, Pallifaden, Pfahliverk, bald auch mit Graben und Mauer, ganz nach dem Vorbild, dag die Zeiten und Burgen boten. Es ift für dag Aufkommen befeftigter Siedlungen unter der Burg wichtig feftzuftellen, daß Cobmas anläßlich eines feind-

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lichen Einfalles in Böhmen im Jahre 1041 ausdrücklich bemerkt, viele Ortichaften jeien niedergebrannt worden, weil man fie nicht verteidigen konnte und fie vom Volk verlaſſen waren. Diefe Schilderung Fennzeichnet jenen Zuftand des Siedlungs- wejens, da die Benölferung ihre offenen oder nur ſchlecht ge- ſicherten Ortichaften preisgab und in die nächſte ummauerte Burg flüchtete, die zu ſchützen und zu verteidigen als die Saupt- aufgabe erſchien. Und eben damit hängt die Pflicht der Deut- ſchen zufammen, diefen Schu und diefe Verteidigung der Burgen im Lande bei Abweſenheit de3 Fürften auf fich zu nehmen, wovon das Wratiflam-Sobieflaw’ide Privileg jo beftimmt jpricht.

Allein manche diefer Siedlungen waren inzwifchen zu widjti- gen wirtſchaftlichen Mittelpunften erwachien, waren Märkte ge- worden mit regerem Handel und Verkehr, wie dies Ibrahim ihn Safub und aud; Cosmas bon dem Prager Suburbium erzählen. Sie ließen fi) nicht fo leicht räumen, man mußte vielmehr auf ihre Wehrhaftigfeit und Verteidigungsfähigfeit bedacht fein. Damit mag man bei Prag und ähnlich wichtigen Plägen früh begonnen und die Pefeftigungen immer beſſer ausgeftaltet haben. Im Sabre 1135, alfo ein Jahrhundert etwa nad) jener obigen Nachricht von der Hilflofigkeit vieler Ortſchaften, hören wir davon, dag man daran ging, Prag nad) Art der lateiniſchen Städte zu „erneuern“, d. 5. die Vorburgfiedlung mit Mauern aus Stein zu umfaſſen;⸗ denn die Prager Burg mar, nad) dem Zeugnis Ibrahims, ſchon unter Herzog Boleſſaw I. „aus Steinen und Half“ erbaut. ſtimmt dazu, daß etiva zwei Jahrzehnte nach dem Beginn jener „Erneuerung“, nad) 1153 die fteinerne Moldaubrüde in Prag fertiggeftellt wurde, gleich fam der Abſchluß des neuen Befeſtigungswerkes.“

Die große Siedlung alfo, die fich von der Menge der anderen durd) Dearkt, Handel, Verkehr, durch größeren Reichtum und Anhäufung von Menſchen abhob, wurde befeitigt: die zweite Grundbedingung für die Entwidlung zur mittelalterlichen Stadt. In Prag wenigiteng jehen wir dieje Arbeit um die Mitte des 12. Jahrhunderts bollendet. Und als drittes und legteg Glied fügt ſich diefer Entwidlung ein: die Ausbildung

BretHolz, Geld. Bögmens u. Mährens. I, 10

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eines eigenen Rechtes, des geichriebenen und vom Landes- herrn anerfannten Stadtrechte, wie wir es beim Prager Suburbium gleichfalls nad) Zeit und Inhalt fo genau über- liefert finden in dem großen Privileg, das zuerſt König Wratiflam (1061—1092) gegeben, d. h. beftätigt hat, und das dann, wenn nicht ſchon von feinen nädjiten Nachfolgern, jpä- tefteng vom Herzog Sobiejlam (1173—1178) erneuert wurde.

Diefes Recht war urſprünglich ausdrücklich nur für die deutſche Bevölkerung Prags beitimmt. Allein allmählich bildete es fi zum Recht der gefamten Bewohnerſchaft des zur Stadt ausgebauten Suburbiums heraus, mit Ausnahme natürlich der Judenſchaft, die ihr eigenes Territorium und ihre eigenen Gefege behielt. Noch König Otafar II, ſpricht in feiner Beſtäti- gung vom Jahre 1274 von dem ihm borgeiviefenen „Privileg der Prager Deutſchen“; König Johann dagegen 1319 nur noch von dem „Privileg der größeren Stadt Prag”. Das anfänglich auf die Deutſchen beſchränkte Recht ift zum Gemeinrecht aller Bürger diejes Stadtteiles geworden; das Sonderrecht und die Sonderftellung der Slawen und der gewiß nur bejcheidenen Zahl von Romanen und etwaigen anderen Nationen ber- ſchwindet, nur dag Recht der Deutjchen behauptet fich.

Was fi) um die Prager Burg in einer in den Grundzügen durchaus erfennbaren Weife in premyſlidiſcher Zeit vollzog, die allmähliche Ausgeſtaltung einer kleinen Deutichenfiedlung aus uralter Zeit zum Markt und zur befeftigten Stadt mit deut- ſchen Verfafjungs- und Verwaltungseinrichtungen, das konnte und mußte. ähnlich auch an anderen wirtſchaftlichen Knoten- punkten fich bilden; vor allem im Anſchluß an die böhmifchen und mährifchen Fürftenburgen, alfo bei Brünn, Olmüg, Znaim, die lange Zeit Refidenzen felbftändiger Herzöge waren, bei Bunzlau, Pilſen, Melnik und anderwärts, dann dort, wo der ſchon früh geübte Bergbau das Gedeihen der Siedlung förderte, oder aud) im Anſchluß an diefes und jenes ſeit der Mitte des 12. Jahrhunderts begründete deutſche Kloſter. Zahlreiche ‚andere Siedlungen blieben, was fie von Anfang an waren, Dörfer, wieder andere brachten es über die Entwidlung zum Marktort nicht hinaus, wenn aud) ein Zultureller und baulicher

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Fortſchritt bei ihnen nicht außblied. Nur ift man, ebenjo wie in anderen deutjchen Ländern, nicht in der Lage, das Wachſen und Werden diefer Städte aud) nur in dem Maße genauer zu berfolgen, wie bei Prag, der Hauptitadt und dem Mittelpunkt des ganzen Reiches. Die meiften diefer Ortſchaften treten ung erſt am Ende diejer Entwidlung, im Mannesalter, entgegen; die Sugendzeit, die Zeit der Ausbildung bleibt uns zumeijt verborgen.

Wie könnte dag auch anders fein bei einem natürlidyen Wachstumsprozeß, bei dem ſich Iangfam aber ftetig Ring an King anſetzt, von den Zeitgenofjen kaum beachtet und daher nur felten überliefert, vor allem nicht in der Ablicht, damit die ftädtifche Entwicklung zu Fennzeichnen. Die Nachricht vom erften Prager Brüdenbau findet ſich nur ganz nebenbei erwähnt in der Widmungsſchrift einer Chronif an die Königin Judith, die Gemahlin König Wladiſlaws II., die irgendwelchen Einfluß auf die Entitehung diefes „Faiferlichen Werkes“ genommen hat. Nur vereinzelte Nachrichten aus dem 11. und 12. Jahrhundert, bald bon diefer bald von jener werdenden Stadt, bald wirt- ſchaftlicher bald reditlicher Natur find ung erhalten. Als wid tigfte wohl diejenige, die ung zeigt, wie weit diefe ftädtifche Entwidlung bei einzelnen Landesburgen zurüdreicht.

Glas, feit der Einverleibung des ſlawnikingiſchen Fürften- tums in das premyſlidiſche Reich zu Böhmen gehörig, wird am Ende des 10. Jahrhunderts als wichtige Grengburg genannt und am Ende des 11. als Mittelpunkt einer eigenen Pro- vinz mit einer Anzahl zugehöriger Orte; das Gebiet ift jomit tultibiert, bewohnt und gut befiedelt. Im Jahre 1114 wird neben der Burg (castrum, urbs) aud) ſchon die Stadt (eivitas) genannt, mit Mauern, Türmen, Toren und wehrhaften Bür- gern (cives). Das erfahren wir wiederum nicht, weil. ein Chronift uns über den damaligen Buftand dieſes Ortes be- ftimmtere Nachricht geben will, fondern rein zufällig im Zu- fammenhang mit einem kriegeriſchen Ereignis, das Glatz be- trifft, Ein aus Böhmen vertriebener Premyilide, Sobieflaw, ber fpäter (1125) Herzog von Böhmen wurde, fuchte ſich Damals mit polnischer Hilfe diefeg Ortes gu bemächtigen, bat auerft

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die Bürger um Öffnung des Stadttores, was diefe aber ab- lehnten. Als fie ſich auch zu kräftigem Widerftand rüjteten, ließ der Prinz den außerhalb der Stadt vor der Stadtmauer liegenden Palas (Burgfaal) anzünden, das Feuer griff auf den nädjitgelegenen Stadtturm über, gefährdete bald die ganze Stadt und zwang die Bürgerjchaft fi} zu ergeben, um wenig- ſtens das Leben zu retten; die Stadt felbft brannte völlig nieder.’

Aus diefer furzen Erzählung fehen wir, daß Glatz gewiß fein bereinzelter Ausnahmsfall fpäteitens zu Beginn des 12. Jahrhunderts vollkommen ausgebildete ſtädtiſche Verhält- niffe befaß; eine Feititellung, die für die ganze Frage der deutſchen Kolonifation von größter Bedeutung ift. Das Glaßer Beiſpiel allein, das weder Palacky noch irgendein fpäterer Forſcher berüdficytigt hat, wiewohl die Nachricht von Cosmas überliefert wird, vermag die ganze Theorie zu widerlegen. Denn wenn Glatz, und wohl nicht nur diefer, fondern auch manch anderer Burgplag in Böhmen und Mähren, ſchon fo früh deutiche Bevölkerung hatte, dann braudjte diefe nicht erft im 13. Jahrhundert dorthin berufen zu werden. Wollte man aber annehmen, daß die Glager Bevölferung um und vor 1114 rein ſlawiſch war, was tatſächlich behauptet worden it,” dann entfiele erjt recht jeder Grund für eine fpätere deutſche Ktolo- nifation, denn dann hätte eben dieje ſſawiſche Bevölkerung all das bereits ausgebildet, wozu man die eingewanderten Deut- ſchen angeblich brauchte: die Schaffung der deutfchen Stadt.

Sn diefem BZufammenhang darf auch darauf verwieſen werden, dab ſchon im Jahre 1004 alfo noch um ein Jahr- hundert früher als in Glag in der gleichgeitigen ſächſiſchen Chronif Thietmars von Merfeburg anläßli des Durdguges des deutſchen Mönigs Heinrich II, des Netters der Premy- fliden Udalrih und Saromir, nad; Prag, dabon gefprodyen wird, dag ihm in Saag, das er auf dem Marſche berübrte, die Xore der Stadt fofort geöffnet wurden und daß ec die Bürger (coneives) dafelbit als feine Freunde erfannte." Man wird aud) diefe ganz zufälligen Bemerkungen nicht anders

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deuten Zönnen, als daß hier deutſche Bevölkerung figt und die Anfänge einer deutſchen Stadt bereits vorhanden find.

Solche Hiniveife zeigen, wie wenig enticheidend es ift, wenn , wir in anderen Fällen die Merkmale einer deutſchen Stadt quellenmäßig erft im 13. Yahrhundert zu belegen bermögen. Wir jehen und darin liegt dag Enticheidende die Anfäge zu einem deutſchen Städteweſen frühzeitig an ganz verſchiedenen Stellen auftauchen, was der vielverbreiteten Anficht mwider- ſpricht, als ob unjere Städte, wie gefagt wurde, „durch einen einzigen Aft wie aus dem Boden gequollen wären”. In Wirk- lichkeit find bei ung die „aug wilder (grüner) Wurzel” ge- ſchaffenen Städte äußerft jelten gegenüber jenen, die langſam gewachſen find. Man darf ſich hiebei durch die Eigenheiten der mittelalterliden Urkundenſprache nicht beirren laſſen. Aus- drüde, wie „eine Stadt begründen, errichten (fundare, constru- ere)” und ähnl., die öfters vorfommen, können wohl die Vor- ftellung erwecken, al3 ob aug dem Nichts etwas ganz Neues geichaffen worden wäre; und bezeichnen doch nur einen bedeut- famen Wendepunkt, in gewiſſem Sinne den endgültigen Ab- ſchluß einer langen Entwidlung. Die Geſchichte der Stadt Znaim bietet einen ſprechenden Beleg hiefür.”

In einer Urkunde König Premyſl Otakars I. vom Yahre 1226 leſen wir: „Als wir im Begriffe waren, vor Bnaim (der Burg) eine Stadt zu errichten (civitatem construere) und in biefe Leute zuſammenzurufen (convocare) .. .“ und könnten glauben, daß es fi) um eine Neugründung mit Herbeiziehung fremder Anfiedler handelte, wie denn auch angenommen wurde, Allein aus einer zweiten, um wenige Monate älteren Urfunde desjelben Fürften erjehen wir, daB ſich damals zunächſt der Znaimer Burg reich Fultiviertes, gut bejiedeltes Land befand. Es ftanden ſchon die zwei Kirchen St. Nikolaus und St. Michael, die nachher innerhalb der Stadtmauer lagen; jede beſaß ihr augehöriges Pfarrbolf. Weiler werden uns genannt und Einzel- höfe mit einer Reihe bon namentlich angeführten Inſaſſen, deren verfdyiedenartige Berufe wir kennen lernen. Es ift von einem Graben die Rede und von einem Ofttor, durch das man zum Dorfe Bucoherdel (heute Zuderhandl) gelangte; von

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Häuſern, Wein- und Obſtgärten. Aus dem unmittelbar an die Burg ſich anfchließenden Zöniglihen Grund und Boden unter Sinzuziehung aller diefer Weiler und Höfe und eines vom nahen Klofter Brud erfauften Landgutes wird nun die neue Stadt Znaim gebildet, mas die Urkunde „eine Stadt errichten“ nennt, und was eine fpätere aus dem Jahre 1292 als „urſprüngliche Gründung und Ausſetzung (primaeva fun- dacio et locacio)“ bezeichnet.

Man kann auch bier nicht annehmen, daß die Umgebung Bnaims außergewöhnliche Beliedlungsperhältniffe aufwies, vielmehr erhalten wir hier ein klares Bild, unter welchen Vorbedingungen man wohl in den meiften Fällen an die Grün- dung bon Städten ging.

Aber aud) dort, mo nachweislich eine Stadt auf Neubrud- land erftand, wie dies bei Ungariſch-Hradiſch bezeugt ift, das König Premdfl Otakar II. 1257 auf Wunſch des nahen Kloſters Welehrad ala Grenzfeftung gegen Ungarn errichtete”, bedurfte es weder gefchulter Städtegründer aus dem deutſchen Reich, noch fremder Siedler, um ſelbſt ein jo verantwortliches Werk zu bollbringen. Zandezfürftliche Beamte, der Landeshauptmann Biſchof Bruno an erfter Stelle, regelten mit dem Abt Hartlieh alle Befigfragen. Untertanen des Königs aus dem nahen Dorf Kunowitz und ſolche des Nlofter aus Welehrad wurden als Siedler beftimmt; das Stadtrecht übernahm man von Brünn.

Das 13. Yahrhundert, das letzte der Premyſlidenherrſchaft, ift nicht, wie man in Verfennung der ganzen Entividlung an- genommen bat, der Beginn eines neuartigen Prozeſſes, fondern bereit3 der Höhepunkt. Er konnte jegt „io raſch“ bor fich gehen, weil überall die Grundlagen bereit3 vorhanden waren, zumeift nur noch die Zuftimmung des Grundherrn, des Königs, eines Adligen oder eines Kloſters, notwendig war, um dort eine Stadt entftehen zu Iaffen, wo bislang deutiches Volk in Märkten, Dörfern oder ähnlichen Siedlungen gefeflen hatte. Es fonnte die alte Siedlung zur Stadt erweitert und umgebaut werden, was im 13. Zahrhundert daß gebräucjlichere war, aber auch auf noch unbewohntem, benachbartem Boden eine neue Stadt- anlage geihaffen werden, wie es im 14. Jahrhundert öfters

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geihah. Die Mannigfaltigkeit in den äußeren Formen, die Verſchiedenartigkeit im Recht liegt begründet in den gejchicht« lichen und wirtſchaftlichen Verhältniffen, denen die Städte ihre Entftehung verdanken.

Es ift eine allgemeine Vorftellung in unferer Gejchichts- literatur, daB die eigentlichen Träger des ſtädtiſchen Gedankens bei ung die prempflidifchen Fürften waren, daß fie aber in erfter Linie aus Eigennuß, um geldlicher Vorteile willen die Ausbildung von deutſchen Städten begünftigten und diefem Wunſche fogar den einheitlich nationalen Charakter des Landes opferten. Es braucht faum mehr betont zu werden, wie un- geſchichtlich und unrichtig auch diefe Auffaffung tft. Die Fürften haben nur eine natürliche unaufhaltfame Entwidlung unter- ftügt, die das ganze Land förderte. Sie haben erfannt, wie es einmal in einer Urkunde heißt, „daß auf der Schönheit der Städte die Würde, auf ihrer Stärke die Feftigfeit des Reiches beruht“. Der große Reichtum der Iekten Premyſliden machte es ihnen möglid), gerade die auf ihrem Grund emporgefom- menen Städte, die fogenannten „königlichen Städte“, bejon- ders zu unterftügen im inneren Ausbau und in ihrer mwirt- ſchaftlichen Entwicklung, durd; Verleihung bon immer neuen Privilegien, durch Erlaffung der üblichen Steuern und Ab- gaben, die dann zum Wohl der Stadt verwendet wurden.

Dieje „ſchöne“ und „feite“ frühmittelalterliche Stadt der Premyſlidenzeit ift nicht mehr erhalten.” Kaum noch in aller- befcheidenften Reiten findet fich Hier und dort ein Fahles Mauer- ſtück oder fonftige Überbleibfel, in Saaz, Kaaden, Leitmeri, Prachatitz, Nimburg, Beraun, Brünn, Bnaim, Teltſch und andertwärts. Einen ſchwachen Erjag bieten einige zeritreute Nachrichten in Chroniken und Urkunden. Schon damals Hat fi) auch hier jenes gewaltige Befeſtigungsweſen ausgebildet, mit hohen Mauern in Kolin erreichten fie zwanzig Ellen mit Türmen und Toren, Wällen und Gräben, durch dag der Eindrud der „Stadtburg“ erweckt wurde, insbefondere wenn mit der Stadt aud) nod) die alte Burg verbunden war oder über fie emporragte. Bon öffentlichen Gebäuden werden bereits dag Rat- oder Morgenſprachhaus, dag Kauf- oder Gemeinhaus,

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gelegentlich „theatrum“ genannt, der Tuchſpeicher (apotheca pannorum), dann die Behelfe richterlicher Gewalt, wie der Pranger (statua), erwähnt. In Prag ſchmückten fteinerne Bild- fäulen, die zum Andenken an König Wenzel I. ſchon ein Jahr nad) jeinem Xode errichtet wurden, den weiten Marktplatz. Dozu fommen nod; die baulich und künſtleriſch Herborragenden Kirchen und Mlöfter, Hofpitäler und andere Sumanitätsanftal- ten, für deren Gründung die reidhen Bürger die Mittel darboten.

Denn ein Bürgertum bon großer wirtichaftlicher Kraft und beruflicher Vielfeitigfeit bewohnte diefe Städte. Neben dem Handiverf, deſſen wohl kaum ein Bürger entraten fonnte, fpielte der landwirtſchaftliche Betrieb eine wichtige Rolle, nicht nur beſchränkt auf Hof, Garten, Stall und Feld beim Haufe oder außerhalb der Mauern; die Bürger: bejaßen aud} ſchon im 13. Zahrhundert eigene Dörfer, übernahmen geiftlichen und weltlichen Befig in Pacht, rodeten Wälder, begründeten neue Siedlungen in unmittelbarfter Nachbarſchaft der Stadt, die man „Pflanzungen (plantationes)“ nannte, aus denen ſich Vorftädte bildeten, ſchufen in weiterer Entwicklung, wenn die alte Stadt aus irgendwelchem Grunde nicht ausbaufähig war, eine neue, „bie Neuftadt“.

Gleich rege geftaltete fich aud) damals ſchon der Handels- verkehr diejer Städte. Er griff in der letzten premyſlidiſchen Zeit ſchon aus bis nad) Venedig und Rom, Braunſchweig, Hamburg, Brandenburg, Slandern. Berleihung von Handels- pribilegien an die Städte oder einzelne Bürger fpielt in der landesfürſtlichen Kanzlei eine wichtige Rolle. Von Waren, die aus Böhmen ausgeführt wurden, wird Tuch vornehmlich be- zeichnet. Die Handwerfe und ihre Vertreter treten einzeln noch jelten hervor, höchſtens daß uns in Prag in Wenzels I. Zeit ein berühmter Bimmermann oder Baumeifter namens Robert, ein Steinmeg Pilgram aus Brünn und, was bei dem Goldreichtum Leicht zu verſtehen ift, Goldidymiede alg eigene Zunft jchon genannt werden. Bei der Schilderung des durch die Hungersnot des Jahres 1282 ausgebrochenen allgemeinen Elends in Böhmen erfahren wir, daß unzählige Handwerker und Arbeiter, die borher bermögende Leute waren, zu Bettlern

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wurden und den Schmud ihrer Frauen, Armbänder, Obr- gehänge, Halsketten verfaufen mußten. Aber gleich im nächften Jahre heißt e8 doch wieder, daß beim Empfang K. Wenzels II. in Prag am 4. Mai 1283 die Sandwerfer aller Berufe zu- gegen waren. Zebhaften Anteil nahmen die Städte und Bürger- ſchaften am Bergbau; von Brünn, Kolin, Tſchaslau, Iglau wiſſen wir, daß jie ſchon damals das Eigentumsrecht auf alle Bunde an Metallen im weiten Umfreis ihrer Städte erwarben.

Es find wohl überall erft nur Anfänge, aber fie zeigen, wie die deutſche Stadt auf allen Gebieten des wirtſchaftlichen und geiſtigen Lebens ſich zu einer führenden Kraft im Staate ge- ftaltete, Von Beftrebungen nad) der politifchen Richtung hin gewahrt man dagegen nichts; die Abhängigfeit. von den drei Yauptgewalten im Staate, Fürft, Adel und Geiftlichfeit, die Scheidung der Städte in Fönigliche, adelige und geiſtliche be- deutete von allem Anfang einen Hemmſchuh für ihre politiſche Entwicklung.

Das Kulturbild unſerer Länder, wie es ſich im 12. und 13. Jahrhundert durch das deutſche Städteweſen geſtaltet hat, wäre unvollſtändig, wenn wir nicht auch auf die neuen Klöſter hinwieſen, auf den Einfluß, den ein Säuflein fremder Deutfcher, die heimifche Bebölferung ergänzend, in ähnlicher Richtung aus- geübt hat: neue Kulturmittelpunfte zu ſchaffen, die topogra- phiſchen Verhältniffe mannigfaltiger und reizboller zu geftalten und auf dag geiftige Leben beider hier lebender Völker ein- zuwirken. Die Arbeit der fremden deutſchen Mönde war im Vergleich zu jener des deutſchen Volfes im Lande die leichtere, nicht nur, weil biebei religiöje Gefühle mitfpielen, die die Menge unſchwer gewinnen, fondern auch, weil fich die Klöſter bon Anfang an der befonderen Gunft der Fürften und Großen erfreuten, von ihnen unterftügt und gefördert wurden,

Der Aufſchwung des Kloſterweſens in Böhmen und Mähren beginnt erſt um die Mitte des 12, Jahrhunderts, denn die älteren Benediftinerftifte aus dem 10. und 11. Sahrhundert Et. Georg in Prag, Brewnow, Kladrau, Sazawa, Selau, Roigern, Hradii u. a.) wurden durch die aufblühenden Kolle- diattirchen (Prag, Wiſchehrad, Bunzlau, Leitmerig, Melnif) in

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den Schatten geftellt und hatten wenig Bedeutung für dns Volk. Die ftrenge Klofter- und Kirchenreform, die jeit Beginn des 11. Sahrhundert3 zuerft von Frankreich, bald auch von Deutſch- Iand ausging, dort bon Kluni (Cluni), bier von Hirſau aus, fand bei ung erjt in dem Biſchof Heinrich Sdik von Olmütz (1126—1151) einen begeiterten und erfolgreichen Vertreter. Er, der die bejondere Freundſchaft des böhmiſchen Herzogs, de3 deutichen Kaiſers und des Papſtes genoß, konnte e8 wagen, allen Sindernifien, die ihm bereitet wurden, zun Xrog den neuen Orden der Auguftiner, Prämonftratenfer und Bifter- sienfer, die im neuen Geifte wirkten, in Böhmen und Mähren Eingang zu verſchaffen. .

Die erjte Gründung diefer Art war das Prämonitratenfer- kloſter Strahow nächſt der Prager Burg, deifen Mönde aus dem durch feine Frömmigkeit befonders ausgezeichneten Kloſter Steinfeld bei Aachen kamen. Eine andere Möglichkeit, Klöſter der gleichen Regel zu ſchaffen, als durch Berufung erprobter und in allen geiftlichen Dingen erfahrener Mönche, gab es nicht. In diefem eriten Falle Fam’ der Steinfelder Propſt Eberwin von Selfenftein jelber im Jahre 1142 nad) Prag, um die mit- gebrachten Geiftlichen einzuführen und die Einrichtung des neuen Kloſters zu überwachen, im folgenden Sahre nochmals, um den Steinfelder Mönch Gezo als erjten Abt in Strahow einzufegen. Bald folgten das erfte Prämonitratenferinnen- Hofter Doxan an der Elbe mit Nonnen aus dem rheinifchen Zuntvald, im öftlichen Böhmen im Gebiet des fpäteren Kutten- berg daß erfte Bifterzienferflofter Sedleg mit Mönchen aus dem bayriſchen Waldfafien, 1144 Plaß, nördlich von Pilfen, das Langheim in Sranfen, und Nepomuf, ſüdöſtlich bon Pilſen, das Ebrach in Bayern fein Mutterflofter nannte, aus dem nämlich die erſten Mönde famen. Binnen kurzem fonnte das eine und amdere diefer Mlöfter felber jogenannte Tochterſtiftungen veranlafien, wie Plaß in Müncdengräg im nordöftlichen Böhmen an der Iſer, Selau, das die Brämonitratenjerregel angenommen hatte, da3 Srauenflofter Launowitz an der Blanik. Und wie Selau hatten aud) die Benediktinerflöfter Kladrau, Leitomiſchl, Hradiſch, wenn audy nicht ohne Kampf, das alte mit dem neuen

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Kleid gewechſelt. Nach Biſchof Heinrichs Tod trat zwar in den Kloftergründungen eine Unterbredjung ein, aber nody in den legten zwei Zahrzehnten des 12. und zu Beginn des 13. Jahr- hunderts entitanden in Mähren das Nonnenklofter Kanitz (1183), in Böhmen zwifchen 1184 und 1200 Mühlhaufen, Xepl, Chotieſchau, Maſchau und Offegg, dann neuerdings in Mähren Brud (1190), Welehrad (1202), Obrowitz (1205). Das 13. Yahr- Hundert wetteiferte mit dem vorangegangenen nidjt in der Zahl der neugejchaffenen Kloſterhäuſer, ſchuf aber wohl die dlanzvolliten Stiftungen: Oſlawan (1225), Tiichnomwig (1234), Saar (1251) in Mähren, Hohenfurt (1259), Goldenfron (1268), Königfaal (1292) in Böhmen, um die bedeutendften zu nennen, Saft Fein regierender Premyjlidenfürft hat es unterlafjen ein neues Kloſter zu begründen, abgejehen bon der Sorge um die bereit3 beftehenden. Man Hat es Wenzel I. jehr berargt, als er nad faft fünfzehnjähriger Regierung noch immer „feines Kloſters Gründer geworden war“. Er mußte mit einem „proh dolor (o Schmerz)“ diefen Vorwurf in eine unter feinem Namen ausgeftellte Urkunde vom 17. Feber 1244 für das Brünner SHerburgerflofter aufnehmen und fi) ent- ſchließen, als Mitbegründer diefer befcheidenen Stiftung ange- führt zu werden, „damit wir wenigſtens etwas um Gottes willen und zur Ehre unferer Hoheit getan zu haben jcheinen”.

Die erjten deutjchen Mönde und Nonnen waren, wie wir .gefehen haben, nicht aus eigenem Antrieb nad) Böhmen und Mähren gekommen, fondern gerufen und gebeten, ſei es vom Randesfürften, fei es von Bilchöfen oder bon Adligen. „SH babe”, heißt es in der Stiftungsurfunde für Plaß von König Wladiſlaw unter dem Datum des 5. Auguft 1146, „einige Brüder, Männer von bewährten und heiligem Lebenswandel, Förderer eines nicht bloß ſcheinbaren Glaubens... eingeladen, damit das Land Böhmen durch ihre fromme Anfiedlung er- leuchtet, gefräftigt und mit dem Duft des Wohlgeruches erfüllt werde“. Und vom Grafen Milgoft, dem Stifter Mafchaus, bezeugt der Prager Biſchof Heinrich, daß er den Konvent nur „durch große Bitten“ in Waldiafien erlangen und nach Böhinen bringen konnte.

186 Siebenter Abſchnitt.

Der Hauptzweck, den man mit dieſen Gründungen verfolgte, mar. natürlid ein religiöfer und kirchlicher, wie es Propft Ulrich von Steinfeld einmal in einem Briefe an den Prager oder an den mährifchen Biſchof ausdrüdt: um die Religion des Tanonifchen Ordens in eurem Lande zu pflanzen und zu ber- vielfältigen. Durch diefe Mlöfter entwickelte ſich aber auch die literariſche, künſtleriſche und wirtſchaftliche Arbeit im Lande. In Strahow wurde König Wladiflams Sohn Adalbert, der fpäter Erzbiſchof bon Salzburg war (1168-1171), in Doxan die Prinzeſſin Agnes, feine Schweſter, erzogen, und wohl nicht nur fie, fondern auch fonft Kinder des Fürftenhaufes und adeliger Familien. In den Klöſtern wurde die Geſchichtſchreibung eifrig betrieben, wir wiſſen e8 von Selau, Kladrau, Hradiſch, Opator wis, Strahow, Königfaoal, wenn auch nur ein Bruchteil der Erzeugnifie erhalten ift. Bon Abt Diethard vom Kloſter Sazawa wird berichtet, daß er „Tag und Nacht” lateiniſche Bücher abgefchrieben, Handſchriften gefauft und auf andere Weiſe fich verſchafft habe. Sn diefem Kloſter herrſchte auch reger Kunft- finn und eifrigfte Tätigfeit auf diefem Gebiete. Es war mit Wandgemälden geſchmückt, die Kirche mit geglätteten Steinen, die vom Berge Petrin bei Prag kamen, gepflaftert; Schlaffaal und Speifefaal, Borratsfammern, Küche, Kloſterhof mit Säulen und Bögen geziert. Abt Reinhard, au Met gebürtig (feit 1162), der früher in Selau var, Eonnte malen, meißeln, ftein- ſchneiden, Bildniffe aus Holz und jedivedem Metall anfertigen, war in der Schmiedefunft und Glasfchmelgerei erfahren.

Kenntniffe und Übung in handwerklichen Arbeiten gehörten gleihfam zum Nüftzeug der Mönde. Wir willen, daß die erſten Kloſterbauten in Strahow bon den Steinfelder Mönden allein durchgeführt wurden; ebenfo, daß bei der Begründung des Kloſters Kanitz Prior, Subprior und ein Kloſterbruder dahin Tamen, um „einftweilen die Häufer einzurichten und die Wohnung für den neuen Konvent in Stand zu feßen”.

Doch auch die Beſorgung der notwendigften landwirtſchaft · lichen Arbeiten gehörte zu ihren weſentlichen Obliegenheiten. Wenn die Selauer Mönche in dem „leeren Haus“, das fie über- nahmen, fi, behaupteten, jo mag ihnen ihre Fähigkeit, den

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Boden zu bebauen, Fiſch- und Viehzucht zu üben, nicht zulegt Helfer in der Not geweſen fein. Bor Abt Diethard von Sazama wird ausdrüdlich berichtet, daß er „Sandarbeit” beforgte, die Hauptfähli in der Pflanzung und Pflege von Weinbergen beitand. Das Kloſter Selau verdanfte feine ganze Entitehung folder „Handarbeit“ des Priejter8 Reinhard, der, wie erzählt wird, einen dichten Wald in Befig nahm, daraus Felder machte und aus dem gefällten Holz ein Peterskirchlein nebft Klofter erbaute.

Solch emfige und verftändige Tätigfeit im Heinen und im großen trug reichlichſte Früchte. Am Ende der premyſlidiſchen Zeit ftehen die böhmijch-mährifchen Klöſter als großartige und mächtige Herrſchaften da, die den fürftlichen und adeligen gleich- Tamen, fie oft übertrafen. Nicht zuletzt durch die Funftoollen Bauten. Iſt auch das Meiſte davon verſchwunden, profaniert oder in Trümmer gelegt, wie in den Städten, fo geben doch felbft die fpärlichen Refte des Prager Agnesflofters, der Kreuz- gang und Kapitelfaal in Offegg, die kunſtreichen Portale von Hradiſcht bei Mündengräg und Tiſchnowitz, um nur einiges wenige hervorzuheben, eine deutliche Vorftellung von der Herr- lichkeit diefer Periode des Kirchen und Hlofterbaues in Böhmen und Mähren. Aus den Erzählungen des Königfenler Abtes erfieht man ferner, wie ftattlich diefeg Kloſter mit Koftbarfeiten aller Art außgeftattet war: Kreuzen, Monftrangen, Ornaten, Gefäßen aus Gold, Silber, Verlen, mit Kirchenbüchern, Hand» ſchriften, deren manche in Paris gekauft wurden, und allem anderen Kircheninventar. Ein einziges Kreuz beivertete man mit 1400 Marf, das ift mehr, als der Aufbau des ganzen Agnes- kloſters Toftete, der in einer Urfunde vom Jahre 1245 auf 1200 Mark berechnet wird. Für einen mit Edelfteinen beſetzten goldenen Becher und einige andere Kirchenfachen, die fih König Wenzel I. vom Kloſter Oſlawan erbat, um fie einem anderen au übermweifen, gab er ein ganzes Dorf als Erſatz.

Diejem inneren Glanz und Reichtum der meijten unferer Klöfter jener Zeit entſprach dann der ausgedehnte Beſitz an Grund und Boden, befonders auch an zugehörigen Dorfſchaften. Die Überlaffung untertäniger Dörfer, über die der Landesfürit

158 Stebenter Abſchnitt.

frei verfügen fonnte, war die gewöhnliche Art, Dienſte zu ent- lohnen oder Gnaden auszuteilen; daher begegnen wir in den zahlreichen Kauf-, Verkauf und Schenfungsurfunden fo vielen Namen flawifcher Dörfer, während die deutichen Dörfer mit ihrer freien Bebölferung vor ſolchen willfürlichen Verfügungen gefihert waren. Und die hier anſäſſige Bauernfchaft oder Tonftiges Volk die „Armen“, wie man die Maffe bezeichnete mar durd) althergebrachte :Verpflicitungen gegenüber dem Landesherrn gebunden, jtand, wie e8 in den Urkunden zu wiederholten Malen heißt, unter der „Gewalt und Tyrannei (potestas vel tyrannis)” des Richters, der Beamten, hoher und niederer Perſonen in den Dörfern und auf den Höfen, die fie bewohnten. Grell beleuchtet e8 die fozialen Buftände, wenn fremde arabijche Schriftiteller noch im 12. Sahrhundert davon erzählen, daß die in Böhmen Iebenden Juden das Land ala „Ranaan“ bezeichneten, „weil die dortigen Bewohner ihre Söhne und Töchter allen Völfern 'verfaufen, ganz jo wie die Leute von Rufia (Rußland)”. Nach diefer Richtung hatten fich alfo die Verhältnifje nicht wefentlich geändert gegenüber jener Zeit, da fich der heilige Adalbert darüber bejchwerte, daß der jüdifhe Kaufmann chriſtliche Gefangene und Sklaven in Böhmen um das unfelige Gold in folder Menge zufammen- Taufe, daß der Biſchof fie auszulöfen nicht mehr in der Lage fei.

Auch die Mlöfter Kitten unter dieſen Zuftänden, denn ihre Dorfſchaften unterlagen gleichfall3 jenen mannigfachen ſchweren Verpflichtungen, der Robotleiftung bei Burgenbau und Graben- auswerfung, bei Waldausholzungen, der Gewährung bon Unterkunft und Geleite, der Haltung und Wartung bon Jagd- Hunden und deren Hütern, der Herbeiſchleppung von Neten zur Sagd, der Kieferung bon Naturalabgaben und anderen Schuldigfeiten, bald an den Herzog, bald an den herzoglichen Marſchall, Sägermeifter, Waldmeifter, Kämmerer, Kaftellan und andere, dieſe sezin& und ceztn&, pojezda und ossada, svod und hlava, vrez, pohone, ranne und wie alle diefe Abgaben und Bußen mit ausſchließlich tſchechiſchen Bezeichnungen heißen. Dadurch waren die Klöſter in ihrer wirtihaftlicden Entwidlung unterbunden, abhängig bon der fürſtlichen Beamtenſchaft, fie

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entbehrten einer wirklichen Autorität, insbejondere da ihre Untertanen in allen gerichtlichen Angelegenheiten nicht dem Schuß noch der Zucht der Klöfter unterſtanden, fondern der Landesbeamtenſchaft. Die weltlichen Grundherren, die Adeligen empfanden dieje Verhältniffe minder ſchwer, weil fie vielfach als die Inhaber der hohen Amter daraus Nuten zogen. Bor allem aber Tonnte eine ſolche aller Willfür der Großen preis- gegebene Dorfbewohnerſchaft nicht aus eigener Kraft und durch noch fo fleißige Arbeit zu beſſerer wirtſchaftlicher und fogialer Stellung gelangen.

Sn diefe Buftände eine Wandlung gebradjt zu haben, war das DVerdienft de3 Prager Bistums und der deutfchen Klöfter in Böhmen und Mähren; von ihnen ift der erfte Verfuch aus- gegangen, mit diefen Einrichtungen altſlawiſchen Gewohnheits⸗ rechtes auf ihren Befigungen aufzuräumen, nicht ohne Kampf und erjt nad) langivierigen Verhandlungen zwifchen dem König Premyjl Otafar I., dem Biſchof, dem Mainzer Metropoliten und dem päpftlicjen Stuhl. Sie fiherten den böhmifch-mähri- ſchen Kirchen und Mlöftern die jogenannte Firchliche Immunität (Steiheit), d. h. Selbitändigfeit gegenüber der allgemeinen Landesverwaltung, wie dies in den beiden großen Föniglichen Privilegien vom 2. Suli 1221 für dag Prager Bistum und vom 10, März 1222 für die Klöſter und Konbentualfirchen der Prager Diözefe allgemein ausgeſprochen ift; im einzelnen er- warb dann im Verlaufe der Zeit jedes Klofter und jede Kirche ihr eigenes Immunitätspribileg. Handelt e3 ſich dabei in erſter Linie um die Stellung der geiſtlichen Perſonen und ihres Befiges, jo bilden doch die Untertanen einen wejentlichen Beftandteil des letzteren. Ausdrüdlich wird im erjten Privileg ihre Befreiung von allen den Xaften, deren einige früher namentlich angeführt wurden, als in der Firdjlichen Immunität inbegriffen erklärt. In einzelnen Fällen mochte man bierin verſchie dene Beltimmungen treffen, in der Regel fcheidet mit der Kirche oder dem Klofter auch deifen Untertanenfchaft in den äugehörigen Dörfern, deren Zahl fich nicht felten auf viele Dutende, auch hundert und mehr belief, aus der Abhängigkeit von jenen Beantten und Adligen aus, deren Forderungen König

160 Stebenter Abſchnitt.

Otakar I. noch im Jahre 1224 in einer Urkunde als „ſchändliche Reiftungen (turpes exactiones)” bezeichnet, „eher für Heiden als für Chriften” paſſend.

Wie die von den einheimifchen Deutichen geidjaffenen Städte haben alfo aud) die von den fremden deutfchen Mönchen gegrün- beten Klöſter beigetragen, die flawijche Bevölkerung im Lande fozial und wirtiaftlich zu heben, ohne da fie dadurch iır ihrer nationalen Eigenart bedroht worden wäre, Beide deut- ſchen Schöpfungen, die Städte und die Klöſter, ſchienen anfangs die Kraft zu bejigen, die Verfchiedenheit des Kulturzuftandes beider Völker im Lande auszugleidien. Das Städteivefen, dag aus dem heimiſchen Deutſchtum, aus feinen uralten Redhts- gewohnheiten naturgemäß hervorgegangen war, hat ſich dauernd als ein mächtiger Kulturfaktor erwieſen. Nicht auf dieſem Boden bildete ſich der Gegenſatz zwiſchen Deutſchen und Slawen in unferen Ländern aus. Die kirchlichen und religiöſen Ver- hältniffe in ihrer weiteren Entwidlung find es, durch die in den beftehenden Spalt ein mädjtiger Keil hineingetrieben wird, der alle Iofen Bande der Annäherungsmöglichleit wieder zerreißt.

Die Premyſliden haben es in ihrer vierhundertjährigen Herrſchaftszeit vermocht, die alte Geſchiedenheit und Ber- ſchiedenheit wenn auch nicht zu bejeitigen, fo dod zu über- Brüden; unter dem neuen Königsgeichledyt der Luxemburger führt fie zu einem furdhtbaren nationalen Kampf.

Achter Abſchnitt.

Die drei böhmifchen Könige aus luxemburgiſchem hauſe: Johann, Karl und Wenzel. 1311-1419.

Die Frau fpielt in der Geſchichte Böhmens und Mähren keine nebenſächliche Rolle. Selbſt in diefer kurzen Überficht fehen wir, wie fie von den früheſten Seiten an immer wieder im holitifchen und gefellihaftlichen Leben des Landes bedeutſam berbortritt. Wir mannten die fromme Marfomannenkönigin Sritigil, die fagenhafte Luboſſa, Ludmilla die Märtyrerin, Qudith, die erfte fiher bezeugte deutſche Fürſtentochter, die einem Premyjliden in feine Seimat folgte. Bei den immer inniger fi} geitaltenden Beziehungen zwiſchen Böhmen-Mähren und den deutſchen Fürftenhöfen blieb der Fall nicht vereinzelt; und als dag premyſlidiſche Geſchlecht die höchſte dynaſtiſche Staffel erftiegen und die erbliche Königswürde erlangt hatte, Stand nichts im Wege, daß auch eine deutſche Königstochter, die Staufin Runigunde in die Prager Refidenz einzog. Jetzt hätte Cosmas nicht mehr, wie bei der Eheichliegung Judiths mit Bretiflato, davon ſprechen können, daß diefen „der angebo- rene Stolz der Deutſchen“ beftimmt habe, die Braut Lieber ge- waltfem zu entführen als um fie zu freien.

Saft wäre e3 damals auch ſchon zur Verbindung einer böhmijchen Prinzeffin mit einem deutichen Naiferfohne ge- kommen. Friedrichs II, unglüdlicher Sohn Heinrich (VIL), der bon 1220 bis 1235 als deutfcher König feinen Vater int Reiche vertrat, empfand tiefite Zuneigung zu Agnes, der Schweſter Wenzels I., von der diejer einmal in einem Briefe an den Papſt fagt, fie fei ihm teurer als Weib und Find und jegliches Gut. Die Politik ftellte ſich diefer Heirat, die die hohenſtaufiſch premyſlidiſche Freundſchaft nur hätte ftärfen fönnen, entgegen; Heinrich mußte eine babenbergiſche Prin- zeſſin ehelichen und ftarb in der Blüte feiner Jahre als Ge-

BretHolg, Geld. Böhmens u. Mäfrend L u

162 Achter Abſchnitt.

fangener feines eigenen Vaters in Stalien, Agnes wurde Nonne. Erft unter dem neuen deutſchen Königsgeſchlecht der Habsburger Fam eg zu einer folden Doppelheirat, alg Agnes, Otakars II. Tochter, König Rudolfg gleichnamigen Sohn und der Sohn Otakars, Wenzel (II.), Rudolf Tochter Guta ver— bunden wurde. Unglüdlige Ehebündniſſe: dem eriten ent- iprang Johannes Parricida, der Mörder ſeines Oheims, König Albrechts I.; Guta von Habsburg war die Mutter des Iegten Prempjliden, Wenzel III.

Nun aber, nad) dem Ausſterben des premyflidifchen Mannes- ftammes, fiel den überlebenden weiblichen Gliedern die wichtige und ſchwere Aufgabe zu: das angeſtammte Herrſcherhaus nicht ſpurlos aus der Geſchichte des böhmischen Reiches, mit dem es in Sahrhunderte alter Entwidlung emporgefommen war, verſchwinden zu laſſen. Über ein halbes Jahrtauſend mar allein vergangen, feitdem Boriwoi die Kaufe empfangen und mit ihm die Reihe der hriftlichen Premyfliden ihren Anfang genommen hatte. Die Karolinger und Ottonen, die Salier und Staufer hatte diefeg Geſchlecht überlebt; dag Aufkommen aber auch der Untergang fo menden großen Fürftenhaufes fällt in feine Zeit; die Habsburger in Oſterreich, die Anjou in Ungarn, denen beiden die Premyſliden hatten weichen müſſen, Batten in ihren neuen Herrichaften kaum noch feiten Fuß ge- faßt. Es ift begreiflich, da ſchon mit Rückſicht auf Geſchichte und Ahnenreihe die Anfprüde der weiblichen premyſlidiſchen Rinie nicht don vornherein hoffnungslos waren.

Böhmen ftand aber in Lehensabhängigkeit vom deutfchen Neich; d. h. e3 mußte an diejes wieder zurüdfallen, wenn das belehnte Haus feinen männlichen Sproffen mehr bejaß, da Böhmen nicht, wie etwa das Herzogtum Oſterreich ſchon ſeit 1156, ein „Weiberlehen“ war und daher nit auch an die fürftliden Frauen, Töchter oder Schweitern des legten Lehen- träger8 vererbt werden konnte. Auf diefes Rechtsverhältnis Böhmens zum Reich fi) ftüßend, erklärte der damalige deutſche König, der Habsburger Albrecht J. Böhmen und Mähren noch Wenzels III. Xod für heimgefallene Lehen, die er frei vergeben könne, wem er wolle. Daß er dabei in allererjter Linie an

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 168

feine eigene Familie dachte, war nad; der Lage der Dinge ſelbſtherſtändlich. Gegen diefe Auffaſſung wehrte ſich aber Herzog Heinrich bon Kärnten, der Gemahl der älteſten Schweſter Wenzelg III, Anna, und madjte ein Erbrecht der weiblichen Rinie geltend, wobei er ſich auf Eaiferliche Privilegien berief, die dieſes Recht erweifen follten.? Da die Adeligen und Bürger der königlichen Städte das Recht zur Wahl eines neuen Landesherrn für fich beanfpruchten, bildeten fi infolge diefer einander widerſtreitenden Anjchauungen im Lande zwei große Parteien, die habsburgiſche und die Färntnifche, die nun um den Beſitz des verwaiſten Erbes ftritten? Die kärntniſche hatte ‚war den größeren Anhang, aber die habsburgifche hatte die Macht des deutichen Königtumg Hinter fi. Heinrich wurde zum böhmifchen König zwar gewählt, aber der deutſche König Albrecht I. belehnte kurzerhand nicht nur feinen älteften Sohn Rudolf, jondern auch gleich für den Fall von deifen Ableben oder Abgang die übrigen Söhne mit der böhmifchen Krone und rüdte mit zwei Heeren vom Weſten und Südoiten gegen das Land. König Heinrich) mußte fich vor der Übermadjt feines Gegners zurüdziehen und das Land fluchtartig verlaſſen. Herzog Rudolf fegte num auch feine Wahl durch Adel und Bürgerſchaft durch, hielt es aber doc; für angezeigt, ſich mit Wenzels II. Witwe, der Polin Elifabeth, zu vermählen, viel- leicht nicht fo fehr um feiner Herrichaft den Schein der Legi- timität zu geben, als um Anhang zu gewinnen (16. Oft. 1306). Nur ſtarb Rudolf ſchon am 4, Juli 1307. Nun auch den zweiten Sohn, Friedrich den Schönen, auf Grund der früher erfolgten Gejamtbelehnung de3 Hauſes Habsburg in Böhmen und Mähren einzufegen, wurde K. Albrecht I. ſchon biel ſchwerer. Der Kärntner kehrte mit feiner Frau nad Prag zurüd, verftärkte feinen Anhang, der Kampf der Par- teien begann im ganzen Lande von neuem und artete devart aus, dab man Adlige und Bürger, die fi) zu den Habsburgern befannten, in Prag auf der Straße mordete. Am 15. Auguft 1307 wurde Heinrich zum zweiten Male zum böhmiſchen König ausgerufen. Albrecht I, ſprach zwar über ihn die Reichsacht aus, drang mit feinem Heere von Eger aus ing Land, Friedrich 11°

184 achter Abſchnitt.

mit einem zweiten von Mähren ber, wo ſich ihm Brünn und andere Städte, nicht aber Znaim, anfchlofjen, allein einen raſchen Erfolg Tonnten die Habsburger nicht erreichen. Und ala dann im folgenden Jahr Albrecht I. am 1. Mai 1308 er- mordet wurde, Herzog Friedrich ſomit die Unterftügung des Reichsoberhauptes einbüßte, war dag premyſlidiſche Erbe für die Habsburger trog Belehnung verloren.

Aber auch das auf dag vermeintliche Erbrecht feiner Ge- mahlin fi; ftügende Königtum Heinrichs bon Kärnten hatte nicht die Kraft, fi) audy nur im Lande allgemeine Anerkennung zu berichaffen. Der neue deutfche König Heinrich VII. von Luxemburg (1308—1313) konnte ſich daher um jo leichter auf den gleichen Standpunft ftellen, wie früher Albrecht I. Auch er betrachtete Böhmen als ein dem Reich heimgefalleneg Lehen, das der Kärntner zu Unrecht fi) aneigne. Er hatte es jedoch nicht nötig, wie Albrecht I. jogleich mit beivaffneter Sand ein- zugreifen. Sein eriter Berater in politifchen Dingen war der Mainzer Erzbiichof Peter Aipelt, der zu Zeiten Wenzels II. jechgehn Jahre lang die Regierung Böhmens geleitet Hatte, Sn feiner jegigen Stellung als Metropolit, dem aud das Prager Bistum umterftand, konnte er auf die Geiftlichfeit im Sande einigen Einfluß nehmen. Seinen Einwirkungen dürfte es wohl zuzuschreiben fein, daß fi) in maßgebenden Kreifen Böhmens der Gedanke Bahn brach, dag der Anſchluß des Landes an dag neue deutſche Königtum den ficherften Ausweg aug den inneren Wirren biete. Nur verlangte diefe Partei Rückſichtnahme auf das prempflidifche Geſchlecht. Dur eine Vermählung der zweiten Schweſter Wenzels III., der noch Iedigen Elifabeth, mit einem Familienmitglied des deutichen Königs Eonnten diefe Schwierigkeiten am eheften überwunden werden. Heinrich VII. ging auf diefen Vorfchlag, den ihm der Abt Konrad vom Zilterzienjerflofter Königfaal, der berühm- ten Gründung 8. Wenzels IL, an der Spike einer böhmifchen Geſandtſchaft unterbreitete, ein. Er empfahl zunächſt feinen Bruder Walram, einen gereiften Mann, der felbitändig hätte auftreten können. Allein der auf jeine Macht eiferfüchtige böhmifche Adel zog des Königs Sohn Johann vor, der, kaum

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 165

den Knabenjahren entwachſen, um vier Sabre jünger war, als die für ihn in Ausficht genommene rau und der König gab nad. Allerdings ftellte er ſeinerſeits die Bedingung, daß er dem jungen Ehepaar eigene Ratgeber mitgeben dürfe, in erfter Linie den genannten Erzbiichof Peter von Mainz. Am 31. August 1310 fand in Speier zuerft die feierliche Belehnung Johanns mit der Krone Böhmens ftatt und noch am felben Tage, „bamit fein Recht umfo Fräftiger fei“, die Vermählung mit der Premyflidin Elifabeth, „der gefegmäßigen Erbin des Neiches”*. Die Eroberung Böhmenz und insbefondere der Stadt Prag, des Hauptitükpunftes des Kärntners, war nicht ganz leicht, allein fie gelang, fo dat Johann und Elifabeth am 7. Sebruar 1311 in der Domkirche auf dem Hradſchin gekrönt werden fonnten. Damit beginnt die Regierung der Lurem- burger in Böhmen, oder richtiger geſagt, des premyſlidiſch- luxemburgiſchen Hauſes, das, wenn auch nicht ohne Unter brechung, 126 Jahre diefen Thron innehaben follte,

Bon dem neuen böhmifchen Königspaare befigen wir Schil- derungen, die ſelbſt nad; Abzug der üblichen Verherrlihungen auf giwei geiftig nicht unbedeutende Menſchenkinder ſchließen loffen. Umfo merfwürdiger ift e8, daß fie der inneren Ver- bältniffe Böhmens nicht Herr zu werden vermochten. Zwiſchen den fremden Ratgebern des jugendlichen Königs, den „fremden Deutſchen“, und dem heimifchen Adel entitanden Gegenſätze, die, folange Johann und Elifabeth an dem Zaiferlichen Vater einen Rüdhalt hatten,. niedergehalten werden konnten. Als aber Heinrich VII. am 4. Auguſt 1313 geftorben war, zwang man alsbald Sohann, die Herren aus dem Reich zu entlafien

“und die Regierung dem Haupte der heimifchen Adelspartei, Heinrich bon Zippa, zu übertragen, der ſchon im Kampf gegen den deutſchen König Albrecht I. eine führende Stellung ein- genommen hatte, Ruhigere Berhältniffe traten aber damit Teinesweg3 ein. Finanzielle Auseinanderſetzungen zwiſchen dem ftet3 geldbedürftigen, unternehmungsluftigen König und dem Adel, ernites Zerwürfnis zwiſchen der Königin und ihrer Stiefmutter, der zweifachen Königinwitwe Elifabeth, die in Königgräg glänzenden Hof hielt und auffallende Beziehungen

166 Achter Abfchnitt.

zu Heinrich bon Lippa unterhielt, und noch andere innere Zwiſtigkeiten machten die Lage unhaltbar. Ende Oftober 1315 ließ fid) der König beftimmen, Heinrich nicht nur aus feiner hohen Amtsftellung eines Landesfämmerers, dem dag ganze Finanzweſen unterftand, zu entfernen, fondern ihn auf der Burg Angerbad) einzuferfern. Der Mainzer Erzbiſchof wurde neuerdings nad) Prag berufen und übernahm als Statthalter Böhmens die Verwaltung des Landes. Aber nad) zweijährigen ſchweren Kämpfen mit der Adelsſippe Lippas, der nad; ſechs Monaten aus dem Gefängnis entlafjen werden mußte, unterlag das Königtum völlig. Der Mainzer war in fein Erzbistum ſchon früher zurüdgefehrt, der König lebte zumeiſt außer Landes, die Königin, der die Leitung der Regierung über- tragen war, fand an Heinrich; bon Lippa einen entjdjiedenen Gegner, dem fie auf die Dauer nicht gewachſen war. König Johann, der Ende 1317 wieder in Prag eridjien, gab ben Kampf mit den Baronen bald auf, befonders als man ber- fuchte, mit allerlei Verdächtigungen feine Stellung zu unter- graben. Soll ja damals durch „Rügenboten” überall verbreitet worden fein, daß der König alle Böhmen aus dem Lande, d. h. der Landesverwaltung, ausſchließen wolle.’ Der heimifchen Wirren überdrüffig, fchüttelte fchließlich Johann in dem wenig würdigen Vergleich mit den Baronen zu Taus im April 1318 die Laſt der Regierung von ſich ab, behielt nur die königliche Würde und bejtimmte Einfünfte und wandte ſich nunmehr umfo freier der auswärtigen Politik zu. Ein danfhares Feld der Betätigung für feinen ſtaatsmänniſchen Sinn und un- ruhigen Geift, angejichtS des andauernden Gegenfages zwiſchen den beiden Häuſern der bayriſchen Wittelsbacher und öfter- reichiſchen Habsburger, die um die deutfche Königskrone ftritten, und bei der unficheren allgemeinen Weltlage. Nie müde in alle Händel einzugreifen und immer neue Unternehmungen zu wagen, trug er mandjen Gewinn dabon und bereitete den Wiederaufftieg feines Gefchlechtes Iangjam aber filjer vor. Er bat dabei Böhmens Grenzen nicht unweſentlich erweitert, Schon 1319 fiel ihm nad) dem Tode des Markgrafen Wal- demar von Brandenburg die Oberlaufig zu; dann 1922 Stadt

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 167

und Landſchaft Eger, die ſchon Früher zu Böhmen gehört Hatten, fpäter wieder verloren gegangen waren, bon jet aber dauernd bei Böhmen verblieben. Die Lombardei, die Johann 1331 bis 1333 innehatte, Tieß fich nicht behaupten. Dagegen ſchien e8, daß in Tirol und Kärnten eine luxemburgiſche Sefundogenitur für den jüngeren Sohn Johann Heinrich würde begründet werden können, ala diefer 1330 mit der Erbtochter beider Län- der Margareta Maultafch, einer Tochter Herzog Heinrich von Kärnten, der 1306 und 1307 Furze Zeit die böhmifche Königs- krone befeffen hatte, vermählt wurde. Zwölf Jahre, bis 1341, währte diefer ſchon infolge des Altersunterſchiedes der Ehe- gatten unmatürliche Ehebund, dann mußte er, nicht zulegt durch die Umtriebe des wittelsbachiſchen Haufes, das diefe Gebiete beanspruchte, in einer für die Luxemburger ſchimpflichen Weile gelöft werden, womit auch die dortige Herrfchaft verloren ging. Glüdlicher war Johann, als er die Befigergreifung von ganz Schleſien für die Krone Böhmens einleitete.

Der Anſchluß der ſchleſiſchen Fürſtentümer hatte ſchon unter den legten Premyſliden im Zuſammenhang mit der Eroberung Polens begonnen. Durch das Ausfterben des Gefchlechtes war die Verbindung allerdings wieder in die Brüche gegangen. Bei feiner Thronbefteigung hatte Johann aud) den Titel eines Königs von Polen angenommen, zum Beichen, daß er die Anſprüche feiner Vorgänger auf dieſes Land aufrecht halte, Aber erft 1327 unternahm er einen Feldzug dahin, und bei diefem Anlaß huldigten ihm zunächſt die oberſchleſiſchen Ser- zoge von Teichen, Falkenberg, Aufchtwig, Ratibor und Oppeln als ihrem Oberherrn. Ihnen ſchloß fich bald darnad) der Herzog bon Breslau an und 1329 folgten die oberſchleſiſchen Zürften bon Liegnitz, Brieg, Sagan, Ols; Glogau wurde 1331 durch Krieggandrohung zur gleichen Enticheidung gezwungen. Es blieb angeficht3 dieſer Entwicklung K. Kaſimir von Polen nichts übrig, als 1335 gegen bloße Verzichtleiftung Johanns auf den polnifchen Königstitel dieſes neugeſchaffene Verhältnis anzuerfennen, dag die allmähliche Einverleibung bon ganz Schleſien in die Krone Böhmens bedeutete,

168 Achter Abſchnitt.

Bei vielen diefer Unternehmungen wurde König Johann un- terftügt von feinem erftgeborenen Sohn Wenzel-Karl. der ſchon zu Lebzeiten des Vaters eine herborragende politifche Tätigkeit entfaltete, wie kaum je ein Thronfolger im böhmiichen Reid). Er mar nad) zwei vorangegangenen Töchtern, Margareta und Gute, das dritte Kind Elifabeths, geboren in Prag am 14. Mai 1316. In der Taufe erhielt er den Namen Wenzel. Schon im Alter von fieben Jahren, 1323, wurde der Knabe nad) Paris gebracht, an den Hof König Karls IV. von Frankreich und deifen Gemahlin Maria, einer Schwefter Johanns, um dort erzogen zu werden. Der zeitgenöffifche, in die. innerpolitifchen Angelegenheiten des Landes gut eingemweihte Chronijt bon Königfaal erklärt allerdings ausdrüdlich, dab die Furcht König Johanns, die Adelspartei Fönnte fich des jungen Wen- zel bemächtigen und ihn an des Vaters Stelle zum böhmi- {chen König erheben, der Hauptgrund für. die Entfernung des Knaben aus dem Lande geweſen fei. Noch im felben Jahre wurde er mit einer Kuſine des regierenden und Schweſter des 1328 auf dem frangöftichen Thron nachfolgenden Königs Philipp VI. namens Blanca berlobt, Bei der Firmung nahm er nach feinem föniglicgen Oheim defien Namen Karl an, den er fortan behielt. Sieben volle Jahre hatte Karl in Paris, wo er aud) die berühmte Univerfität befuchte, geweilt. Dann ließ ihn der Vater nach Quremburg fommen und 1331, aljo fünfzehn- jährig, in die Lombardei, damit er hier in der für dag Iugem- burgiſche Haus neu erworbenen Provinz mit dem Xitel eines „Reichsvikars in Italien“ den Vater vertrete. Sn den Kämpfen, die um diefen Befig geführt werden mußten, auf dem Schlacht- feld von San Felice, am 25. November 1332 beftand Karl auch feine erfte Feuerprobe. Als aber König Johann die Lom- bardei fchließlich doc; preisgeben mußte, jdjidte er den Sohn nad) Prag, in die mütterliche Heimat, mo er die Mutter mar nad) längerer Krankheit im Alter von 38 Jahren am 28. September 1330 geitorben nad) zehnjähriger Abweſen- heit am 30. Oftober 1333 anfam. Im nächſten Sommer Tieß er feine Gemahlin Blanca aus Paris nadjfolgen; am 12, Juni 1334 langte fie in Prag ein,

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 188

Karl übernahm nun als „Markgraf von Mähren und Lan- deshauptmann von Böhmen“ die Verwaltung beider Länder. Eine ſchwere Aufgabe für den jungen Prinzen, da die Herr- {haft der Barone durch mehr als anderthalb Jahrzehnte dein Rande fehr zum Nachteil geraten war. Karl ſchildert ung die Buftände in Böhmen, wie er fie vorfand, in feiner Selbft- biographie: wie er nur mit großen Koften und Mühen die königlichen Burgen, Schlöffer und Güter, die alle verpfändet oder anderweitig belaftet waren, zurüderlangte; wie er fi, erft ein Kriegsvolk fchaffen und heranbilden mußte; wie er es langſam dahinbradhte, daß „die Gefamtheit der Guten und liebte, die Schlechten ſich aber fürdhteten und das Böſe mieden“; daß „die Gerechtigkeit wieder zu gebührendem Anſehen ge- langte, während bisher die Barone größtenteils Tyrannen im Rande geweſen waren und nicht, wie ſich ziemte, den König gefürchtet, fondern die Herrſchaft unter ſich geteilt Hatten“. Damit ftimmt die Nachricht einer anderen gleichzeitigen Duelle überein, daß nicht nur fein Schloß im ganzen Neich mehr dem König gehörte, jondern aud) die ehemals königlichen Städte, Dörfer, Gehöfte, Wälder faft jämtlid) in fremde Hände ge- raten waren, daß die Prager Burg, die 1303 niedergebrannt war, noch immer in Trümmern lag und jegt erſt wieder auf- gebaut wurde, wie auch Königgräß, die Refidenz der Königin witwe Elifabeth.

Karl begann auf allen Gebieten, politiſch, militärifh, wict- ſchaftlich, kulturell, eine ebenfo eifrige als wirkungsvolle Tãtig · keit zu entfalten, die allerdings gleid) in ihren erſten An- fängen für kurze Zeit durd) einen peinlichen Zwiſchenfall unter- broden wurde. Wie er felber erzählt, getvannen bei einem Beſuche des Vaters in Böhmen im Juli 1385 „böfe und falfche Angeber, die ihren eigenen Vorteil fuchten, fomohl Böhmen als Zugembdurger”, deſſen Ohr und nahmen ihn gegen den eigenen Sohn ein. Sie follen König Johann gewarnt haben: „Herr jeht euch vor; euer Sohn hat im Land viele Burgen und einen. großen Anhang unter euren Leuten. Wenn er lange ſolches Übergewicht behält, wird er, ſobald es ihm beliebt, euch berdrängen. Denn er ift der Eche des Rei und vom Stamm

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der böhmiſchen Könige und beim Volke ſehr beliebt. Ihr aber ſeid ein Fremdling.“ Karl wurde daraufhin ſeiner Stellungen enthoben und mit dem bloßen Titel eines mähriſchen Mark- grafen nad Brünn veriviefen. Aber lange konnte der Vater, der mit Gejchäften itberlaftet war, der Mitarbeit eines jo tat- Träftigen Sohnes, gegen den fid} überdies alle Anſchuldigungen als falſch erwieſen, nicht entraten. Dieſes kurze, Fünftlich her- vorgerufene Zerwürfnis zwiſchen Vater und Sohn war nur wie ein Nachſchauer aus der früheren Zeit, in der die Barone und Ratgeber des eiferſüchtigen Königs ſchon ſo oft Zwietracht zu ſäen vermocht hatten. Bald herrſchte wieder volles Ein- vernehmen zwiſchen Johann und Karl, doch wurde dieſer zu- nächſt nur im auswärtigen Dienft verwendet und erhielt erſt 1341 feine frühere Stellung in Böhmen und Mähren zurüd. Und noch im felben Jahre am 11. Juni wurde er auf einer Randesverfammlung in Prag in Anivefenheit der böhmifchen Prãlaten, Fürften, Serren, Ritter und Bürger der Töniglichen Städte fowie der Abgefandten von Breslau zum Erben und Nachfolger im böhmifchen Reiche ernannt.

Weitausgreifende Pläne beicäftigten damals den König, die denn doch in erfter Linie feinem Erftgeborenen zugute kommen mußten. Noch im Herbſt 1335 zog Karl im Auftrag des Vaters nach Schlefien, dann nad, Ungarn. In den fol- genden Jahren fehen wir ihn bald allein, bald mit Johann in Tirol, Öfterreih, Litauen, Oberitalien, Paris, Aoignon, Bayern, Sriaul und anderwärts, hier kämpfend, dort ber- bandelnd.” Er wird immer mehr die rechte Hand des Vaters und ihm um fo unentbehrlidjer, als diefer von einer ſchweren Augenkrankheit heimgeſucht ſicherer Erblindung entgegenging. Aber bis zur letzten Stunde feines Lebens blieb er unermüd- lich, entfaltete gerade jegt eine fieberhafte Tätigfeit auf poli- tifchem, diplomatifchen, militärifchem Gebiete.

Die Hauptſorge galt allerdings der Erlangung der deut- {chen Königskrone, ohne die die machtvolle Stellung des Iugem- burgiſchen Saufes auf die Dauer nidyt zu behaupten mar.

Seitdem die Staufer durch dag Papfttum auf dem Lyoner Konzil von 1245 um ihre deutſche Königs und Kaiſerkrone

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. m

gebradjt und Friedrich II. abgefet worden war, verfagte das Erbrecht bei diefer Würde, die doch bereits jedes Fürften- geſchlecht für feinen Velig innehatte. Bon einer Wahl zur anderen mwechjelte das Königshaus, Kuriale Beeinfluffungen und Eingriffe, wie nie zubor, ein unwürdiger Schacher um dieſe höchſte Stellung im eich wirkte dabei mit.

Auf Kaiſer Friedrich II. (geit. 1250), deſſen Sohn Konrad (geft. 1254) und Enkel Konradin, der letzte Hohenſtaufe (geft. 1268), noch den Titel eines deutichen Königs führten, folgte zuerſt Heinrich Raſpe (1246—1247) aus dem Haufe der thürin- giſchen Landgrafen, dann Wilhelm von Holland (1247—1256), ſonach die beiden Gegenfönige Richard von Cornivall (1%56 bis 1272), der nur am Rhein einen fleinen Anhang fand, und Alfons bon Kaſtilien (1257—1273), ein deutſcher König, der nie deutſchen Boden betreten hat. Rudolf I. von Habsburg (1273—1291) erneuerte und ftärfte die deutfche Königswürde, aber trog feiner Xücjtigfeit und großen Berdienfte um das Reich war es ihm nicht möglid), die Nachfolge feines Sohnes durchzuſetzen. Zunächit wurde Graf Adolf von Naſſau gewählt und erjt nad) deſſen Tode (12%) konnte Rudolfs I. ältefter Sohn Albrecht I. von Öfterreich den deutichen Thron erlangen (1238—1308). Nach feiner Ermordung fpringt die Würde wieder auf ein neues Haug über, Heinrich VII, Grafen bon Zuremburg (1308—1313). Sein Sohn, unfer König Johann von Böhmen, bemühte ſich vergebens um die Nachfolge, Die deutiche Königskrone wurde vielmehr zur Streitfache zwiſchen dem Wittelsbacher Qudivig dem Bayern und dem Habsburger Friedrich dem Schönen bon HÖfterreih, dem Sohne König Albrechts I. Bis zum Tode Friedrichs (1330) hatte dag Reich wenigftens der Form nad) wieder zwei Gegenfönige. Ludwig der Bayer, der jenen überlebte, war gewiß einer der tüchtigiten und rührigſten Vertreter des deutſchen Königtums, trat auch mit Entſchiedenheit der Beeinfluffung Deutſchlands durch dag Bapfttum entgegen. Aber gerade diefe ausgefprochene anti. päpftliche Politif brachte ihn zu Falle.

Zu feinen entſchiedenſten Gegnern gehörten die. Luxem - burger, nicht nur weil er ihnen nad) HGeinrichs VII. Tod den

1 Achter Abſchnitt.

deutfchen Königsthron entriffen hatte, fondern noch mehr, weil fie ihm die Schuld an dem Verluft Tirols zuzuschreiben allen Grund hatten, in deſſen Befig er fich bald nad) der Vertreibung Sohann Heinridig im Sahre 1342 geſetzt hatte. Zur jelben geit, am 7. Mai 1342, war Klemens VI. zum Papſte erhoben worden, der einftmals in Paris Lehrer des Prinzen Karl ge weſen war, deifen Aufmerkſamkeit, ja Bewunderung er durch eine meijterhafte Predigt erregt haben fol. Schüler und Lehrer ſahen einander wieder, als Karl in Begleitung feines Vaters 1340 auf einer Reife durd; Frankreich auch nady Anignon Fam, dem Site de3 Papſttums feit 1309. SM lemens, mit feinem meltlien Namen Peter Roger, war damals Erzbiſchof von Rouen und Kardinal. Im Gefpräd) joll er, wie Karl felbit erzählt, feinem einftmaligen Bögling prophezeit haben: „Du wirſt noch König der Römer werden“, worauf Karl ſchlagfertig erwiderte: „Du twirft noch vorher Papit fein“. Es waren wohl ihre geheimen Wünſche und Hoffnungen, die fie außtaufchten.

Gleich nach der neuen Papſtwahl tauchte auch der Plan auf, König Ludwig, den man als einen gefährlichen Gegner der Kirche erklärte und der ſich durd) feine auf Bereicherung hinauß- laufende Sauspolitif auch viele deutſche Fürſten entfremdet hatte, abzuſetzen. Die beiten Ausfichten auf die deutiche Königs- Trone befaßen für diefen Fall die Luremburger, nicht zulegt durd) ihre engen freundfchaftlichen Beziehungen zum neuen Papft. Schon im Februar 1344 hatten Johann und Karl Papſt Klemens in Aoignon aufgeſucht und mit ihm die deutiche Königdfrage erörtert. Ludwig glaubte durch allerlei Beziehun- gen, die er anfnüpfte, feine Stellung fijern zu fönnen. Aber der Papſt kannte fein Erbarmen. Am 13, April 1346 erfolgte die feierliche Verfluchung, Bannerflärung und Abfegung Lud- wigs. Am 20. April beſchwor Karl alle Eide, die ihm der Papſt vorlegte, und willigte in Forderungen, wie fie nie zubor ein deutiher König oder Kaifer dem Papfttum zugeftanden hatte, Wiederum acht Tage fpäter, am 28., verlangte der Papſt von den Kurfürften die Neumahl eines deutſchen Königs und be- zeichnete ihnen alg jeinen Kandidaten Karl, den Markgrafen von Mähren. Am 11. Zuli wählten ihn zu Renje am Rhein

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fünf von den berufenen fieben Kurfürften: die drei geiftlichen, die Erzbiſchöfe von Mainz, Köln, Trier, und zwei weltliche, der böhmiſche König Johann und der Herzog von Sachen; der Rheinpfalzgraf und der Markgraf von Brandenburg hielten fi fern. Von den mwählenden Kurfürften war der Böhme Karls eigener Vater, der Kölner deifen Großoheim und der Mainzer wer wenige Monate zubor eigens zu dieſem Zwecke nad; Abſetzung feines Vorgängers ernannt worden. Das Biel, das dem Prempfliden Otafar II. vorgeſchwebt und für dag er ſchließlich fein Leben eingefegt hatte, erreichte der Luxemburger auf böhmiſchem Thron faft mühelos,

Ein berühmter geiftlicher Widerfacher des damaligen Papit- tums und Anhänger Kaifer Ludwigs, einer der größten mittel- alterlichen Theologen und Gelehrten überhaupt, Wilhelm von Occam, den jchon bei Lebzeiten der Beiname „doctor invinci- bilis et singularis (unbefiegbar und einzig)“ ſchmückte, erflärte diefe gewiß anfechtdare Wahl als einen „Treubruch“ der deut- {hen Rurfürften gegenüber ihrem früheren Herrn und bradjte für Karl die Bezeichnung eines „Pfaffenkönigs” auf®, nannte ihn wohl aud) „eine übertünchte Statue“, „dag Idol der häre- tifchen Geiftlichfeit von Avignon“.

‚, Das erite politiſche Geichäft, das Karl in feiner neuen Eigenſchaft al deuticher König durchzuführen hatte, war, dem frangöfiichen König Philipp VL, jeinem Schwager, dem treuen Anhänger des Papfttums in Aoignon, Hilfe zu bringen in deſſen ſchwerem Kampfe gegen England. In der Schladyt bei Crécy am 26. Auguft 1346, dem Todestag Otakars II., in der die Franzoſen eine ſchwere Niederlage erlitten, fiel auch der blinde Böhmenfönig Johann, der eg ſich nicht Hatte nehmen laſſen, im größten Kriegsgetümmel mitzufämpfen. Auch Karl wurde verwundet, fo daß er einige Zeit in einem franzöfiichen Kloſter feine Genefung abwarten mußte. Am 18, September weilte er aber bereit8 wieder in Qugemburg und orönete die Zerhältniffe diefer ihm nunmehr heimgefallenen Grafſchaft. Diefe Unglüdsfälle ftärkten wohl die Reihen des Gegenkönigs Ludwig des Bayern. Karl verblieb noch biß Ende 1346 in feinem. Stammland und wagte e8 mur ala Knappe verkleidet

174 Achter Abſchnitt.

mit einer Schar Adeliger durch Elſaß und Schwaben nach Böhmen zu eilen, wo er Anfang 1347 glücklich anlangte. Ein Verſuch im Frühjahr diefes Jahres von Tirol aus den Kampf gegen die Wittelsbacher zu beginnen, mißglüdte. Sm Septem- ber begann er in Prag alle Vorbereitungen für einen neuen Feldzug zu treffen. Da erlag Raifer Ludwig einer Verwun- dung, die er auf der VBärenjagd in der Nähe bon München erlitten hatte, am 11. Oftober 1347. Noch im felben Monat Tonnte Karl feinen Einzug in die wichtige Stadt Regensburg, bald auch in Nürnberg halten und feine Anerfennung überall durchſetzen. Der neue Gegenkönig, den die wittelsbachiſche Partei in Graf Günther von Schwarzburg aufitellte, wurde ihm nicht mehr gefährlich, denn er Heß ſich durch eine Geld- jumme abfinden und ftarb ſchon am 18. Juni 1349.

Die Doppelftellung, die Karl IV. feit dem Xode feines Vaters als deutſcher und ala böhmifcher König durch ein ganzes Menſchenalter einnahm, hat ſchon bei gelehrten Beitgenoflen die Vorftellung eriwedt, daß er wenig für das Reich, um fo mehr für Böhmen geforgt habe; . eine Auffafjung, die nachmals Kaiſer Marimilian I. in dem ſprichwörtlichen Sat ausgedrüdt bat: Karl jei des Reiches Eraftiefpater, dagegen Böhmens Erz- bater geweſen. Von den bedeutenditen Geſchichtsforſchern der neueften Zeit wird aber mit Recht beitritten, daß feine Tätigkeit für Deutichland bedeutungslos, geſchweige denn nachteilig ge- weſen wäre. Wir haben uns damit hier nicht zu beichäftigen. Daß aber feine Regierungszeit für Böhmen und Mähren ſchon in politiſcher Hinficht alles übervagt, was damals in irgend» einem Zürftentum durchgeführt wurde, läßt felbft ein Furzer Überblick feiner Tätigfeit erfennen. Pläne und Wünſche, die ſchon in der großen Zeit der Iekten Premyſlidenkönige bezüg- lid) Böhmens Geftalt gewonnen hatten, ohne aber verwirklicht werden zu können, find jegt in vollſten Mae in Erfüllung gegangen,

Schon zu Lebzeiten ſeines Vaters als- Statthalter von Böhmen hat er jeine freundichaftlichen Beziehungen zum päpft- lichen Stuhl ausnügend die Firchliche Selbftändigfeit Böhmens, dag bisher unter dem Erzbistum Mainz ftand, gefichert, Prag

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wurde durch eine Bulle P. Klemens VI. vom 30. April 1344 du einem Ergbistum erhoben und ihm dag alte mährifche Bis- tum in Olmüß und ein eben erft damals neu errichteteg in Reitomifchl unterftellt. mar nad; Mainz, Köln, Trier, Salz- burg, Samburg-Bremen, Magdeburg und Riga das achte auf deutſchem Boden geichaffene Erzbistum”. Am 21. November erfolgte in der Domkirche zu St. Veit in Prag die Übergabe des Palliums, des Abzeichens der erzbiichöflicen Würde, an den bißherigen Prager Biſchof Ernſt von Pardubitz, der feit dem 11. Januar 1343 diefe Stellung innehatte.

Erſt mehr als ein Jahr nad) dem Xode feines Vaters, am 2. September 1347, ließ Karl ſich und feine Frau feierlich in Prag durch den neuen Erzbifchof als König und Königin von Böhmen frönen. Zu diefem Zwecke wurde eine der franzöſiſchen nachgebildeten Krönungsordnung geidhaffen, die dann für alle ſpäteren Afte diefer Art im Gebrauch blieb. Wenige Monate darnad), am 7. April 1348, begründete er durch eine Reihe feierlich außgeftellter Urkunden die neue ſtaatsrechtliche Stel- Iung Böhmeng gegenüber feinen Nebenländern und dem deut- ſchen Reiche. Böhmen wurde damals eine Erbinonardjie, in der die Primogenitur, d. 5. das Erbrecht des älteften Sohnes, und für den Fall des Ausfterbens der männlichen Linie in gleicher Weife das der Töchter gelten jollte. Den Ständen, d. h. der Vertretung der Geiftlichleit, des Adels und der königlichen Städte, wurde das Recht zur Wahl eines neuen Königshaufes erft dann zugebilligt, wenn der männliche und weiblide Stamm der Luxemburger bollitändig ausgeſtorben wäre. Die Erbverbrüderungen mit dem öfterreichifhen und ungariſchen Füritengeichlecht, di2 Karl IV. ir. der Folgezeit ab- ſchloß, haben dieſes ftändikhe Recht noch weiter eingeſchränkt. Und am gleidyen Tage, da diefe wichtigen rechtlichen Beftim- mungen Geſetzeskraft erlangten, begründete Karl in Prag eine Univerfität, ein ſogenanntes „studium generale“, mit den gleihen Privilegien und Freiheiten für Doktoren, Lehrer und Schüler, wie zu Paris und Bologna.

Mit diejer inneren Kräftigung des Reichs ging eine Er- weiterung feiner Grenzen Hand in Hand. Die Größe der Herr-

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ſchaft, die Karl ſchon von feinem Vater übernommen hatte, hielt ihn nicht ab für weitere Vermehrung zu forgen. Er erwarb einen Xeil der Oberpfalz, fo daß Böhmens Grenzen im Weiten bis nahe an die Reichsſtadt Nürnberg heranreichten (1355); vorher ſchon das Fürſtentum Schweidnitz-Jauer, das letzte ſchleſiſche Gebiet, das noch nicht zur Krone Böhmens gehörte (1353); weiter die Niederlauſitz (1367) und endlich nad) langen Verhandlungen im Jahre 1373 die Mark Brandenburg. Die Srbverträge mit den Habsburgern und dem ungarifchen Königshaufe, die am 10. Feber 1864 in Brünn abgeſchloſſen wurden, fiherten feinem Haufe für den damals nicht unwahr- icheinlichen Fall des Ausfterbens diejer Geſchlechter Anſprüche auf deren Erbe, aljo auf ganz Oſterrreich und Ungarn.

Allerdings, ein jo weit ausgedehntes Reich in feiner eigenen Hand allein zu behalten, war für Karl nicht möglich. Er über- trug jomit einzelne Zeile an feine Brüder. Johann Heinrich (geb. 1322), der einſtmals als Gemahl der Margareta Maul- taf für Xirol auserſehen mar, erhielt für ſich und feine Familie die Markgrafſchaft Mähren als ein Lehen von Böhmen durd) befondere Verträge vom 26. Dezember 1349. Der jüngfte Bruder Wenzel (geb. 1837), von König Yohanng zweiter Ge- mahlin Beatrip von Bourben, übernahm am 13. März 1354 die Grafſchaft Luxemburg, die zu einem Yürftentum erhoben wurde. Alles übrige behielt Karl zunädjit für ſich Denn weder aug feiner erften Ehe mit Blanca, die am 1. Auguft 1348 ftarb, noch aus der zweiten mit Anna bon der Pfalz hatte er Söhne, die am Xeben geblieben wären. Erft feine dritte Gemahlin Anna, die Tochter Herzog Heinrichs bon Schweidnitz, die er am 27. Mai 1353 heiratete, ſchenkte ihm am 26. Feber 1361 einen Sohn Wenzel und die vierte, Elifabeth von Pommern, nebjt drei Töchtern Sigmund, geb. 14. Geber 1868 und Yohann, geb. 22. Juni 1370. Schon mit zwei Jahren, am 15. Juni 1363, wurde Wenzel zum König von Böhmen gefrönt und am 29. September 1370 mit Johanna, der Tochter Herzog Albrecht bon Bayern bermählt,

Die mächtige Stellung, die Karl IV, einnahm, und die gewaltige Hausmacht, die ſein Vater und er zufammengetragen

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hatten, ließ fich auf die Dauer nur behaupten, wenn dem Iugem- burgifchen Geſchlecht auch die deutſche Krone, die Nachfolge im: Reich gefichert würde. Denn Fam, wie dies jeit bündert Sahren regelmäßig eingetreten mar, nad Karls Tod ein deutfcher König aus einem anderen deutſchen Haufe zur Herr- ſchaft, dann entitand die Gefahr, daß er diejen großen Beſitz nicht anerfennen- würde. Es handelte fi) fomit für Karl IV. legten Endes darum, feine politifhen und diplomatischen Erfolge noch bei feinen Lebzeiten durch die Wahl feines älteften Sohnes Wenzel zum deutichen König zu krönen. Das war umfo ſchwieriger, al3 eine Erbfolge im deutſchen Königtum nicht gefegmäßig feftgelegt war und auch die berühmte „Goldene Bulle“ Karla 1V., eine Art Reichsgrundgeſetz, das unter ihm auf zwei Reichstagen in Nürnberg (November 1355) und Metz (Dezember 1356) beichloffen worden war, eine Erblichkeit der Königswürde nicht anerkannte, ja nicht einmal die Wahl eines Nachfolgers bei Lebzeiten des Königs in Erwägung 30g, aller- dings auch nicht ausſchloß. Es war darin nur feitgefegt, daß den fieben deutichen Kurfürften, die mit den fieben Armen des Reuchters in Serufalem verglichen werden, das Recht der Wahl eines deutichen Königs zuftehe, ohne nähere Angabe des Zeit- punktes, wann diefe Wahl vor ſich gehen folle..°

Karl IV., der geſchickte Diplomat, hat ein Jahrzehnt lang und mehr das Biel im Auge gehabt, feinem Sohne die Nach- folge im Reich zu ſichern. Er hat hiefür alles vorbereitet, ſowohl im Reich bei den Kurfürſten, als auch bei der Kurie, die bisher eine jo große, ja oft entſcheidende Rolle bei der deutſchen Königswahl gefpielt hatte. Allerdings nur widerrechtlich, und auch die „Goldene Bulle“ erkannte dem Papſttum in diefer Hinficht gar Feine Befugniffe zu. Die feit längerer Zeit von Gelehrten und Stantsmännern vertretene Lehre, daß die Räpfte fein Recht befäßen, die deutſchen Könige ein- und ab- äufegen, hatte endlich in gang Deutichland allgemeinere An- erfennung gefunden.

Karl mußte nur warten, bis Menzel fein fünfzehntes Rebensjahr erreicht und damit die Volljährigfeit erlangt hatte, Dann ließ er auf Grund feiner längit getroffenen Verein-

Bretholz Geſch. Böpmens u. Mahrens. I. 12

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barungen die Wahl vornehmen, die am 10. Juni 1876 in Frank - furt a. M. einftimmig ftattfand "und der ſchon am 6, Suli die Krönung in Aachen folgte. Der Papft Gregor XI. mußte not- gedrungen nachher feine Zuftimmung geben, um die ihn Karl in einem bor die Wahl zurüddatierten Schreiben gebeten hatte, um fein Entgegenfommen zu beweifen. Wenig mehr als wei Jahre darnach, am 29. Nobember 1378, ſtarb Karl IV. in Prog nad) längerem, qualbollem Leiden; „der Vater des Baterlandes”, wie er in Böhmen genannt wurde. Mit feier- lichem Gepränge wurde er im Prager St. Veitsdom beigefekt.

Der Nachfolger im Reid) und in Böhmen, König Wenzel IV., bat aber nicht die ganze päterliche Erbichaft übernommen. Ab- gejehen von Mähren und Luxemburg, die ſchon abgetrennt worden waren, erhielt im Juni 1378 der zweite Sohn Karls, Sigmund, der itberdieg mit der ungarifchen Erbtochter Marin verlobt war, die Mack Brandenburg und der dritte, Johann, wahrfcheinlich jchon 1377 einen Teil der Oberlaufig als Heraog- tum Görlig. Wenzel verblieben Böhmen, Schlejien, Bautzen, Niederlaufig und die Iugemburgifchen Vefigungen in Bayern, Franken, Sachen, ſowie eine gewiſſe Oberhoheit über die anderen Gebiete.

engel, beim Regierungsantritt erft fiebgehn Jahre, war im Gegenfag zum zarten Vater von robuftem Körperbau, auch in feiner geiftigen Veranlagung dem Bater wenig ähnlic.'* Er ſoll als Süngling freundlich, fparfam, gerechtigfeitsliebend, im ganzen natürlich und begabt geweſen fein. Doch zeigte ſich früh ein Sang zu Iuftigen Gelagen, ja zu Trunkſucht, daraus fich fein Jähzorn erklären dürfte, der ihn in fpäteren Jahren beherrichte. Es gibt einen gleichzeitigen Chroniften, den Abt Zudolf von Sagan (im Fürftentum Liegnitz), geit. 1422, der über Wenzel ungemein jchlecht urteilt, für alles Unglüd, das unter ihm im Reich und in Böhmen eintrat, nur ihn allein verantwortlich machen möchte.

Die Schwierigkeiten, auf die er zunächſt in Deutſchland ftieß, waren der ſchon unter feinem Water begonnene große Krieg der Städte (rheinifcher und ſchwäbiſcher Städtebund) gegen Fürften und Ritterſchaft (Röwenbund und andere), in

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dem er zuerſt zu diefer, dann gu jener Partei hielt und eg fich mit beiden berdarb; weiter dag große päpftliche Schisma, das das ganze Reid, und bald jedes Land in zwei feindliche Lager fpaltete und dem gegenüber ſich Wenzels Politik als verfehlt erwies.

Vom Jahre 1308 bis 1867, begiehungsweiſe 1377 hatten die Päpſte nicht in Rom, fondern im ſüdfranzöſiſchen Avignon ihren Wohnfig: lebten in der „babyloniichen Gefangenſchaft“ der franzöſiſchen Könige, zu der fie Philipp IV. und feine Nachfolger gezwungen hatten. Nach ihrer Rüdfehr nach Rom unter Gregor XI. (17. Sänner 1377), auf die Karl IV. be- fimmenden Einfluß genommen hatte, bildeten ſich im Kardinalsfolleg zwei Parteien, von denen nad) Gregors Tod zwei berichtedene Päpfte gewählt wurden: Urban VI., gewählt am 8, April 1378, verblieb in Rom, und Klemens. VII, ge mwählt am %0. September 1378, 30g wieder nad; Abignon. Die Spaltung im Papſttum, da3 fogenannte Schisma, war vollzogen,

Karl IV., in deſſen allerlete Lebenszeit dieſes melt- geſchichtliche Ereignis fiel, konnte nichts mehr tun, als ſich für den römiſchen Papft als das allein rechtmäßige Oberhaupt der Kirche enticheiden, und feinem Beiſpiel folgte dann aud) Wenzel. Dagegen ſchlug fi) Sranfreich von allem Anfang an auf die Seite des abignonenfiihen Papſttums, und andere Reiche und Länder ſchloſſen fich ihm an. Es währte aber dann nicht mehr lange, fo waren die einzelnen Fürſtentümer in fi geteilt. Die Obedienz des römiſchen und des abignonenfiichen Papſttums kehrte fig nicht mehr am die Grenzen der Xerritorien. In jedem fanden beide Anerfennung. So auch in Deutſchland und in Böhmen. Man gab König Wenzel ſchuld, daß er ſolche Verhältniſſe ſich hatte ausbilden laſſen, dieſes übel nicht im Keime erſtickt habe; Karl IV., jo meinte man, hätte es ſicherlich vermocht.

Wengels Ohnmacht und Untätigkeit als deutſcher König in den großen Fragen der Reichspolitik ſtand aber in ſchroffem Gegenfag zu der rohen Kraftentfaltung, die er als König bon Böhmen in wichtigen Angelegenheiten diejeg Landes an den Tag legte. 19»

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In ſeiner Umgebung und unter ſeinen Beamten bevorzugte Wenzel ſehr bald nach ſeinem Regierungsantritt den niederen Adel und auch das Bürgertum gegenüber dem Herrenſtand und der hohen Geiſtlichkeit. Beſonders mit dem Prager Erz- biſchof Johann von Senzenftein, der feit dem 6. März 1379 diefe Würde innehatte, geriet er in heftigen Streit. Der Um- ftand, daß diefer aus einem Iebensfreudigen Hofmann, der er früher geivefen, in feiner neuen Stellung ein überftrenger, eifernder Priefter geworden mar, mag zur Entfremdung wefent- lid) beigetragen haben. Schon 1384 enthob ihn der König bon dem hohen und einflußreicden Amte eines böhmifchen Kanzlers und überließ e3 dem bisherigen Unterfämmerer und Propit von Lebus Sohannes Bruno, an defien Stelle er einen Prager Bürger und Kaufmann Sigmund Huler ernannte. Die beiden Emporfömmlinge, durch die fönigliche Gunft gefichert, griffen wiederholt in die GerichtShoheit des Erzbiſchofs ein, der wiederum feine geiftliche Macht gegen fie ausfpielte, indem er über Suler und andere Fönigliche Beamte den Bann ausſprach. Der Ab- fit des Königs, die Abtei Mladrau zum Bistum zu erheben und diefeg einem feiner Günftlinge zu verleihen, widerjekte fich der Erzbifchof mit Erfolg. Dieſe gegenfeitigen Zeindfelig- feiten erreichten ihren Höhepunft im Sahre 1393. Um einen Ausgleich herbeizuführen, entſchloß ſich der Erzbiſchof, einer Einladung des Königs Folge leiftend, von Raudnitz, feinem befeftigten Schloſſe, auf dem er fi) gewöhnlich aufhielt, nad) Prag zu kommen, in Begleitung mehrerer Geiftlicher feiner Kanzlei, darunter des greifen Domdedjanten Bohuſlaw, des Offizials Puchnik, des Probites Wenzel von Meißen und feines Sefretärs Johann von Pomuk (Nepomuf), eines Sohnes des Prager deutſchen Bürgers Wölfel. Während der Verhand- lungen am 20. März entbrannte aber der alte Streit von neuem, der König geriet in heftigiten Zorn und ließ das Ge- folge des Erzbiſchofs fofort verhaften, während diejer nur nod) durch Flucht entfommen fonnte. Noch am jelben Tage wurden die Gefangenen unter Anwendung der Folter einem peinlichen Verhör unterzogen. Der König foll nicht nur zugegen geweſen fein, jondern auch bei der Marterung eingegriffen Haben.

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Dabei .erlitt der Sekretär Johann von Pomuf jo ſchwere Wunden, daß an fein Aufkommen nicht mehr zu denken war. Halbtot, die Hände auf den Rüden, die Füße an den Kopf gebunden, den Mund mit einem hölzernen Anebel geftopft, damit er feinen Wehfchrei von ſich geben fönne, wurde er am genannten Tage jpät abends bon der Karlsbrücke in die Mol- dau geivorfen, wo ec ertranf.!? Nach einigen Tagen berief der König, von ſcheinbarer Reue erfüllt, den Erzbiſchof unter Zu- ſicherung voller Sicherheit nochmals nach) Prag, eine äußerliche Ausjöhnung wurde zwar erzielt, allein jehr bald ergaben fi) neue Mißhelligfeiten, der Erzbiſchof eilte nach Rom, um vor dem Bapfte gegen den König und deifen oberjte Beamten ſchwere Klage zu erheben. Er forderte, daß der Papſt Wenzel und die Mitſchuldigen als Kirchenſchänder, Mörder und Ge- bannte erkläre und Böhmen mit dem Interdikt bedrohe, falls die Übeltäter nicht Genugtuung leiſten würden. Papſt Bonifag IX., unter dem Drude des Schismas ftehend, mar jedoch nicht in der Lage, den Erzbifchof in feinem Kampfe gegen den König zu unterftügen; faum daß er ihm für wenige Jahre einen ficjeren Aufenthalt in feiner Prager Refidenz verichaffen konnte. Am 2. April 1396 verzichtete Sengenftein auf Amt und Würde umd berbradite den Reft ſeines Lebens bis zu feinem Xode am 17. Juni 1400 in Rom als Patriarch von Megandrien,

Aber nidyt bon geiftlicher, fondern von weltlicher Seite follte in Böhmen der Kampf gegen Wenzel und fein ganzes Regiment mit Erfolg aufgenommen werden. Der hohe Adel ſchloß fi) unter Führung des mächtigften Barons im Lande, Heinrichg von Rofenberg, zum jogenannten „Serrenbund” zu- jammen und fand Unterftügung an Wenzels Vetter, dem hoch- begabten ehrgeizigen Marfgrafen Jodok (Soft) von Mähren, der 1375 feinem verftorbenen Vater Johann Heinrich gefolgt war, allerdings unter Abtrennung gewifler mäbrifcher Gebiete für feinen jüngeren Bruder Profop. Am 5. Mai 1394 wurde in Prag zwiſchen Jodok und neun Mitgliedern des Herren- bundes ein Vertrag geſchloſſen, durch den fich beide Parteien gegenjeitig verpflichteten, einander beiguftehen, das allgemeine

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Wohl des Landes zu fördern, Unredyt abzuſchaffen, Recht und Gerechtigkeit wieder zur Geltung zu bringen, „wie e8 zu Zeiten ihrer Vorfahren Sitte geivefen”. Des Königs, gegen den fich die ganze Vereinbarung richtete, wurde mit feinem Worte ge- dacht. Drei Tage fpäter nahm man Wenzel, als er fid) während eines Jagdausfluges im Minoritenkloiter in Beraun aufhielt, gefangen, brachte ihn nady Prag und zwang ihn auf einem am 31. Mai abgehaltenen Bamdtag, Jodok zu einem „Haupt- mann“ im Königreich Böhmen zu ernennen.

Die Aufforderung, diefe Menzel aufgedrungene Berein- barumg allgemein anzuerkennen, ftieß aber bielerorten auf Widerftand und an die Spike diefer Fönigstreuen Partei trat Herzog Johann von Görlitz, Wenzels Stiefbruder. Schon am 7. Suni befand er ſich in Kuttenberg, der königlichen Berg- ſtadt, und erließ bon dort eine geharnifchte Erklärung, daß er dem Bunde Jodoks mit den Landherren nicht beitrete und defien Maßnahmen und Pläne für ungefemäßig halte, Er bat in feine Dienfte einzutreten, um „unjerm Seren, dem König in feinen Nöten“ beizuftehen, und verſprach reichlichen Sold und jeglichen Schadenerfag. Noch im felben Monat fonnte er mit hinlänglicyer Heeresmacht gegen Prag ziehen und die Stadt, die ſich am 5. Yuni urkundlich dem Markgrafen Jodok und dem $errenbund verpflichtet hatte, zwingen, bon diefer Einigung zurüdzutreten, ihn, Johann bon Görlik, als Wenzels Stellvertreter anzuerkennen, ja fogar als deſſen Erben und König von Böhmen, falls, „dar Gott vor fei”, Wenzel in feiner jekigen Gefangenſchaft fterben follte (28. Juni). Der König war nämlich wenige Tage zubor angefichts des aus- brechenden Kampfes von Prag heimlid, weggebracht worden, auerft auf ein Roſenbergiſches Schloß in Böhmen, dann aber auf öfterreichiiches Gebiet nach Wildberg bei Linz, das den Herren von Starhemberg gehörte. Die freundichaftlichen Be- siehungen, die ſchon feit mehreren Jahren (etwa 1390) zwiſchen Sodof und Herzog Albrecht III. von Oſterreich beitanden, er- möglidhten eine fo unerhörte Tat, den böhmiſchen und deutfchen König in fremdem Lande gefangen zu halten,

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 188

Es konnte nicht ausbleiben, daß das Reich zu diefen Vor- gängen Stellung nahm, um fo mehr, als beide Parteien fich bemühten, die deutſchen Fürften für fi) zu gewinnen. Eine Ver- fammlung zu Frankfurt a. M. unter dem Borfig des Pfalz- grafen Ruprecht als Reichsvikar erließ an Markgraf Jodok und feinen Anhang den Befehl, „einen heftigen Brief“, König Wenzel freizugeben, „den er wider Ehre und ane Recht ge- fangen” Halte. Pfalzgraf Ruprecht erfchien ſelber am 26, Juli in Budweis, von wo aus Herzog Johann den erfolgreichen Kampf gegen die böhmifchen Landherren, insbefondere die Rofenberge führte, und vereinbarte die Bedingungen über die Sreilaffung Wenzels, die denn aud) am 2, Auguft ftattfand, indem’ der König aus Wildberg nad; Krummau gebracht und biec den Seinigen übergeben wurde. Der Friede von Piſek, den Rupredjt am 25. Auguſt auf der Grundlage gegenfeitigen Verzeihens und Vergeſſens vermittelte, ſchuf in Böhmen keineswegs geordnete Berhältniffe; die Unruhen ſetzten fofort wieder ein und hätten fait zu einem Krieg Wenzels gegen Herzog Albrecht III. von Sfterreich geführt, wenn diefer nicht durch Erneuerung feines Bündniffes mit Jodok und Aus- dehnung desjelben auf die böhmifchen Zandherren feine Macht weſentlich geftärft Hätte (1394, Dez. 17). überdies bemühten fi Johann von Görlig, deifen Eifer für die Sache Wenzels nachzulaſſen begann, und die mit Wenzel nahe berivandten Fürften Markgraf Wilhelm von Meiken und Herzog Stephan bon Bayern, zwiſchen dem König und Sodof einen freund- ſchaftlichen Ausgleich zu treffen. Aber alle Bemühungen waren umfonft. Der König veritand es, Jodok nad Karlitein zu locken und dort gefangen zu nehmen. Auf die Frage Herzog Stephans, wer ihm dazu geraten habe, antwortete er: „Sch habe e8 von Joſt gelernt, und wie er mir getan hat, will auch ih ihm tun“, Allein ſchon nad) wenigen Wochen mußte er ihn freilaffen. Ein allgemeiner Krieg begann in Südböhmen und in Mähren, Albrecht III. von Oſterreich unterjtügte wieder Joſt und den böhmiſchen Adel, fogar Herzog Johann bon Görlig ſchloß ſich jet der Gegenpartei an und zwang Wengel, ihn zum „Hauptmann“ von Böhmen zu machen, aljo jene

184 Achter Abſchnitt.

Stellung einzuräumen, die früher Kurze ‚Zeit Jodok inne- oehabt hatte (10. Auguft 13%). Als aber durd) den Tod Herzog Albrecht III. von Sfterreih am 29. Yuguft der wider Wenzel gerichtete Bund dag tatfräftigfte Mitglied verlor, mwiderrief der König im Dftober Johanns Ernennung und begann den Kampf bon neuem. Johann vermochte nicyt fich in Böhmen zu behaupten und fehrte im Januar 1396 nad) Görlitz zurück, wo er ſchon am 1. März plötzlich ſtarb. Der Hauptteil ſeines Beſitzes, das Herzogtum Görlig und die Lauſitz, fielen an Wenzel, die Neumark an den zweiten Bruder, König Sig- mund von Ungarn. Eben diefen erwählte ſich damals Wenzel zum Schiedsrichter und Vermittler in jeinen noch immer ſchwebenden Streitigkeiten mit Jodok und deſſen Anhang, be ziehungsweiſe ala Helfer gegen fie. Er fuchte ihn an ſich zu knüpfen durch die Zufage der Nachfolge im Königreich Böh- men, ſodann am 19, März 1396 dund die Erhebung zum ftellvertretenden Reichsvibar in gang Deutichland und den sugehörigen Ländern. Allein die ſchwere Niederlage, die Sig- mund als ungarifcher König in feinem Kampf gegen die Türken bei Nikopolis (an der Donau) am 28, September 1396 erlitt, die Schwierigfeiten, die ihm daraus in Ungarn entitanden, zerſtörten alle Ertvartungen, die Wenzel auf die Unterftügung durch diefen feinen Bruder geſetzt hatte. Es blieb ihm nun doch nichts übrig, als mit Jodok ein Übereinfommen zu treffen. Sn den erften Tagen des Februar 1397 wurden die wichtigen Urkunden auögefertigt, durdy die Wenzel das Herzogtum Gör- li$ und die Oberlaufig feinem „Lieben“ Vetter Jodok über- trug, der damals außerdem die ihm 1388 von Sigmund ver- pfändete Marf Brandenburg, ſowie das gleichfalls 1388 über- antwortete Herzogtum Luxemburg und die Landbogtei Elſaß neben dem Hauptbejig Mähren innehatte,

Auch diefe Vereinbarungen waren nur von kurzer Dauer und löften neue Seindfeligfeiten aus, denn, wie ein fremder Berichterftatter aus Prag damals fchreibt: „es ftet gar ubel in des Kunigs Hofe und in dem Lande zu Beheim; die Land- berrn Friegent unter einander, de3 Kunigs Rete find gepartiet (geteilt)" 2? In diefen Zwieſpalt der Töniglichen Ratgeber

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 185

fpielte auch ſchon die Stellung Wengel3 im Neid; mädjtig hinein. Am 11. Juni 13897 wurden auf der Burg Karlftein während einer ſolchen Beratung vier königliche Räte von an- deren, an deren Spike Herzog Johann von Troppau ftand, niedergeftochen, unter dem Vorwand, daß fie e3 feien, „die Tag und Nacht unferm Herrn König raten, daß er nicht nad) Deutichland jolle und wollt ihn vom Reich bringen”. Der Biſchof von Bamberg und der Burggraf von Nürnberg, die eben um diefe Zeit mit einer Botſchaft von der legten Zranf- furter Fürftenzufammenfunft an den König nad Böhmen fuhren, fehrten an der Grenze um. Markgraf Joſt wurde von Wenzel aus Prag verwiefen; er wolle feine Stadt und fein Sand jelber wohl verfehen, lieg er ihm fagen. Und alsbald rüftete er zu einer Fahrt ins Reich, in dem er feit gehn Jahren, jeit dem Sommer 1387, nicht mehr geweſen war, um daſelbſt einen Reichstag abzuhalten, „des Reiches Sachen zu ricjten und zu handeln”. Von Mitte September 1397 bis November verweilte er in Nürnberg, von Mitte Dezember bis Anfang 1398 wurden die Verhandlungen in Frankfurt fortgefegt. Hier wurden von den Rurfürften eine Reihe ernfter Klagen gegen Wenzels Regierungsweiſe borgebradit, die ergänzt werden durch nicht genau datierte, aber in diefelbe Zeit fallende Vor- haltungen von böhmifcher Seite, mo Befürdtungen ausgeipro- chen werden, daß bei Fortdauer folder Verhältniffe das Reid) und das Königtum verloren gehen müßten.

Es mutet wie ein Hohn des Schiefals an, dag Wenzel eben damals, am 1. Januar 1398, den Bewohnern des Dorfes Renfe eine befondere Vergünftigung, eine Bollfreiheit, verlieh, damit fie den von feinem Water im Jahre 1376 bier auf- gebauten „Königsituhl“, wo die Kurfürſten ſeit alteräher „einen römiſchen König zu nennen und zu wählen pflegen“, dauernd in gutem Stand erhalten.“ Denn fchon damals ar- beiteten die Aurfürften, vornehmlich der Erzbiſchof Johann von Mainz und Ruprecht III. von der Pfals, an feiner Ab- jegung. In einer Reihe von Kurfürftentogen und fonftigen Zerfammlungen „viel Teg“ jagt ein zeitgenöfiiicher Chroniſt —, die mit der Zuſammenkunft gu Boppard im

188 achter Abſchnitt.

April 1399 beginnen, wurde das Werk weitergeſponnen, in großer „Heimlichkeit“ Ym September vereinbarte man bereits zu Mainz, dab der neue König nur aus den Häufern Bayern, Meißen, Seffen, Nürnberg oder Württemberg genommen werden jolle, zu denen jpäter noch Sachſen hinzukam. König Wenzel hatte bon den gegen ihn gerichteten Plänen gute Kenntnis und die Uneinigfeit der Fürften untereinander, die Anhänglichfeit vieler Reichsftädte hätten eg ihm möglich ge- macht, den Fürftenbund zu fprengen. Sein Zögern und feine Unentſchloſſenheit verdarben aber alles. Selbft die ernfte Auf- forderung der bier rheinifchen Kurfürften vom 4. Zuni 1400 an König Wenzel, am 11. Auguft mit ihnen in Oberlahnftein und dem gegenüberliegenden Renfe zufammen zu fommen und zu beraten wegen der „mannigfaltigen Gebrechen“ im Kirchen- und Staatsweſen, die „zu befjern oder niederzulegen“ er bisher nichts getan habe, „als Sr daz billich und vom recht getan foldet haben“, und die Warnung, falls er nicht erſchiene, ſich aller Eide und Verpflichtungen gegen ihn entbunden zu betrachten, ver- mochten ihn nicht zu enticheidenden Schritten zu beitimmen, „Ser bleif gemeinlich liggen in Behem as ein Swin in fime Stalle”, ſchreibt der derbe Kölner Chronift.!

So kam denn, was fommen mußte. Nachdem die berbünde- ten Kurfürſten und ihr Anhang vom 11. Auguft gehn Tage lang, „von Tag zu Tage”, auf die Ankunft Wenzels vergebens gewartet hatten, erfolgte am 20. in Oberlahnftein die förmliche Abfegung. Im Hinblid auf fein „unziemliches und erjchred- liches Leben“ und feine „Sandlungen” wurde er als „ein un- nüter, berfäumlicher, unachtbarer Entgliederer und unmwürdiger Handhaber des heil. römifchen Reichs“ von allen damit au- fammengehörigen ihm gebührenden „Wirden, Ehren und Herrlichkeit... abgetan und abgejeßt”. Am folgenden Tage, am 21. Auguft, wurde im Königituhl zu Renſe der Pfalsgraf Ruprecht III. von der Pfalz und Herzog von Bayern zum tömifchen König gewählt.

Als Wenzel durd) einen Boten Frankfurts am 80. Auguft die erfte Kunde von diefen Ereigniffen erhielt, fol er aus- gerufen haben: „Sch will das rächen oder will tot darumb fein,

Die Könige Johann, Karl und Wenzel. 187

und er (Ruprecht) muß als tief herab als er je hoch uf den Stuhl gefagt ward“ und ſchwur bei St. Wenzel, „er wolle ihn totftechen oder jener mußte ihn totſtechen“. Und ähnlich ſoll auch der Markgraf Jodok erklärt haben: „Wir wollen das rächen oder ich enwill nirgend ein Haar in mime (meinem) Barte behalden”.

Es waren Ausbrüche ohnmächtiger Wut. Die getreuen Städte, vor allem Frankfurt, dann Straßburg und Regend- burg, Baſel, Bern u. a. wurden allerdings gebeten, feſt und treu au bleiben, da Wenzel unterftügt bon Sigmund, Joſt „und andern unfern Fürſten“ mit aller feiner Macht nad Deutichland kommen werde; mit König Karl VI. von Sranfreich wurden Verhandlungen angefnüpft, aber ein guter Kenner der BVerhältniffe meldete ſchon am 2. September aus Prag mit Beziehung auf Wenzels Gegenmaßregeln: „Gott gebe, dag eg gut werde; aber der Glaube ift Kleine, man fordjtet, daB daruß nit enwerde ...“; und etliche Tage fpäter: „Wir find wanfel mit unfern Sadjen, waz des morgen? ja ift, daz ift des abends nein...“ Bald tauchten fogar Gerüchte auf, man denfe daran, jemand anderen es kann nur Sigmund ge- meint fein zum böhmiſchen König zu machen. Sn einer Unterredung zwiſchen den drei Quremburgern Wenzel, Sig mund und Jodok, die etwa Anfang Oftober in Auttenberg ftattfand und in der Wenzel ernfte Vorwürfe über fein Ter- halten gemacht wurden, klagte er nur noch: „ch weiß nit, was tun“ und tröftete ſich da ihm, jelbft wenn er Böhmen verliere, doch noch drei Schlöffer verblieben.

Dazu kam es zunächſt nicht. Die gegenfeitige Eiferiucht Sigmunds und Jodoks ermöglichte eg Wenzel, die böhmiſche Königsfrone zu behmupten. Selbft als es Sigmund gelang, im Bunde mit den Varonen den Bruder am 6. März 1402 noch einmal gefangen zu nehmen und nad) Wien zu bringen, wo er der Obhut der Habsburger überantwortet wurde, währte diefe Unterbrechung feiner Regierung und die Herrſchaft des ungarifchen Königs in Böhmen nicht allzulang. Am 11. No- bember 1408 entlam Wengel aus Wien und gelangte mit Hilfe Sohanns bon Liedjtenftein über Nikolsburg zuerft zu feinen

188 Achter Abſchnitt.

Getreuen nach Kuttenberg und bald auch nach Prag. In dem kurzen Kriege, der zwiſchen den beiden Brüdern um den Beſitz Böhmens entſtand, unterſtützte Markgraf Jodok Wenzel, der ſeine Herrſchaft vollkommen wiedergewann und ſich fortan wenigſtens in Böhmen behauptete.

Der Tod König Ruprechts am 18. Mai 1410 madjte eine Neuwahl im Reiche nötig. Sie hatte das feltfame Ergebnis, daß die beiden Iugemburgifchen Vettern Sigmund und Jodok, der eine mit bier, der andere mit drei Stimmen gewählt mwurden; und da auch Wenzel feine Rechte auf die deutſche Königskrone nicht aufgegeben hatte, waren alle drei Zurem- burger deutfche Könige; eine unhaltbare Lage, die denn auch nur kurz währte. Nach dem Tode Jodoks am 18. Jänner 1411 in Brünn tvafen die beiden Brüder ein friedliches Überein- tommen. Sigmund follte fich einer neuen Wahl unterziehen, die denn auch am 21. Suli 1411 zu feinen Gunften ausfiel; Wenzel verzichtete auf die deutſche Königsfrone und follte dafür die Kaiſerkrone empfangen. Dazu kam es aber nicht infolge der ſchweren Unruhen, die das ganze letzte Jahrzehnt feiner Regierung in Böhmen ausfüllten,

Die Urſachen hievon lagen auf kirchlichem Gebiete; ihre Anfänge reichen weit zurüd in die Zeit Karls IV., erlangten aber erit unter Wenzel jene unheimliche Gewalt, durch die dag ganze böhmifche Staatsweſen eine ſchwere Erjchütterung erfuhr, die inneren, politifhen und nationalen, wirtſchaftlichen und ſozialen Verhältniffe von Grund aus umgewandelt wurden,

Neunter Abfchnitt.

Die fozialen und geiftigen Steömungen in Böhmen und Mähren unter den Euxemburgern bis zum Aus⸗ bruch der huſſitenkriege (1419).

Bir fennen das abfällige Urteil ſchon, das Marl IV. nad) feiner Rückkehr in die Heimat über den böhmifchen Hohen Adel gefällt hat. Allerdings ftand der Prinz damals ganz unter dem Eindruck der ftantlichen Verhältniffe, die er in Frankreich wahrgenommen hatte, Dort war es den Königen gelungen, wie man gejagt hat, „Herren im eigenen Haug zu bleiben und ſich nicht etwa einen ihrer großen Diener über den Kopf wachſen zu Iafjen“.t Hier in Böhmen dagegen waren zu Karls Vertwunderung, wie er ſich außdrüdt, „die Barone großenteilg Tyrannen geworden, die nicht, wie fid) ziemte, den König fürchteten, fondern die Herrſchaft unter fich geteilt hatten“. Das Königtum galt wenig. Die Entwidlung Böh— meng im legten Sahrhundert hatte es dahingebracht.

Die Geſchichte der Adelsbildung in unferen Ländern gilt befanntlid; als ein überaus ſchwieriges Problem. Noch vor kurzem bezeichnete man e3 ala ein „unerforjchteg und un- bearbeitete Gebiet“? Aber doch wohl nur, weil man auf hiebei bon einer eigentümlich ſlawiſchen Entwidlung, bon einem „nationalen Urfprung“ ausgehen zu müſſen meinte, mwodurd) die Überleitung in die jpäteren Verhältniffe, die mit den deutjchen ſoviel Übereinftimmung zeigen, erſchwert wurde. Mit Palacky's Aufbau des älteften böhmifchen Adels in „Kmeten, Lehen und Wladyken“, den „drei Stufen, welche in dem Fragmente von Libuſa's Gerichte gleichſam die Volfs- bierarchie bilden” waren Vorftellungen erweckt, die auf falſche Zährten führen mußten. In Wirklichkeit fehen wir auch in diefer Hinficht in Böhmen vom Beginn der hiftorifchen Zeit an ganz ähnliche Erſcheinungen obwalten, wie in den deutſchen Ländern. Man braucht nur die Stellung, die der

190 Neunter Abſchnitt.

Graf (comes) in der bayriſchen Gauverfaſſung einnimmt“*, zu vergleichen mit jener, die Cosmas demijelben Amt in Böhmen zuſchreibt, um die Übereinftimmung kennen zu lernen®, Wie dort beruht auch hier, wie Cosmas einmal bezeichnend fagt, „das ganze Reich” auf diefem einen beborrechteten Stand. Die Grafen haben die Burgen inne und leiten dag Volk, fie üben daß richterlihe Amt im Namen des Herzogs aus, fie find feine oberſten Ratgeber, feine höchſten Beamten, mit ihnen figt er bei den Verfammlungen, fie find feine Begleiter auf jeinen Fahrten und Feldzügen, fein mwichtigerer Aft vollzieht fi) ohne ihre Buftimmung. Schwere Kämpfe fpielten fich ſchon in früher premyſlidiſcher Herzogszeit zwiſchen einzelnen mäch- tig gewordenen Grafenfamilien und dem Fürſtengeſchlecht ab. Der Rückhalt am deutſchen Königtum ficherte diefem jein Über» gewicht und den Sieg. Aus dem Grafentum bildete ſich die herzogliche (königliche) und Hohe Landesbeamtenſchaft mit ben berfchiedenften Xiteln, es entitand geradefo wie in Bayern und anderwärts der zweifache Adelsrang, die fogenannten primates, wie fie in volliter Übereinjtimmung mit der in Bayern üblichen Benennung aud) Cosmas wiederholt bezeich- net, aljo der hohe Adel mit feinem reichen Befig an Grund und Boden, und daneben die zweite Adelsklaſſe der Edeln (nobiles), die Ritterſchaft. Diefer niedere Adelsftand war nicht an Geburt und Abitammung gebunden, noch auch an Na- tionalität und Herkunft. Der Herzog konnte ihn verleihen, auch an Niedriggebarene, an Fremde, Eingewanderte,

Das anfänglide überwiegen des Deutſchtums beſonders im höheren Adel in der prempflidiichen Beit erhellt daraus, daß die Namen der Burgen und Schlöffer, auf denen diefe Großen figen, bis ins 13, und 14. Jahrhundert zum weitaus größten Teil deutſch find: Biberſtein, Lichtenburg, Richenburg, Rofenberg und zahlreiche andere; was man früher in dem Glauben, daß e3 in Böhmen und Mähren urjprünglid) nur flawifchen Adel gegeben haben könne, entweder als eine zeit- weilige Geſchmacksrichtung anſah oder gar damit erklärte, daß „die Baumeifter der alten einheimifchen tſchechiſchen Ge— ſchlechter Deutſche waren“ Wir willen übrigens, daß auch

Sogiale und geiftige Strömungen. 191

im Innern der Schlöffer und Burgen, ivie etiva in Neuhaus um 1338, Wandmalereien, die die Georgslegende oder Adeld- wappen daritellten, mit deutſchen Aufichriften verfehen waren.® Es find das Belege für den alten Beſtand eines deutſchen Adels im Lande, der fi) au aus Cosmas und anderen Quellen nachweifen läßt. Und eben diefe durch den Beſitz der höchſten Ämter und reidjiten Herrichaften mit zahlreichen Untertanen ausgezeichneten im Innern des Landes jo mäch⸗ tigen Adelsherren bejaßen auch enticheidenden Einfluß auf die auswärtige Politif des Herzogs oder Königs. Wie früher zu wiederholten Malen traten in der legten Prempflidenzeit ſchwere Gegenfäße zwiichen dem König und der Mehrheit des Adels ein. Als Wenzel I. unter fremder Einwirkung feinen Übertritt vom ftaufifchen Kaiſertum zum römifchen Papſttum— vorbereitete und 1248 durchführte, der Löhmifchen Politik alfo eine Richtung gab, die mit Kahrhunderte alten Überlieferungen brach geſchah e8, daß fic der größte Teil des heimiſchen Adels dagegen auflehnte und raſch entichloffen den Sohn Otafar (II.) zum „Herzog oder König“ an Wenzel3 Statt erhob; er fand auch Unterftügung bei Bürgertum und Geiſtlichkeit. Es war ein entſchiedenes Eintreten fait des gangen Landes für die Sache des Kaiſers umd des deutjchen Reiches, für die Erhaltung der uralten Beziehungen zu Deutichland. Diefer Aufruhr des Taifertreu und deutſch gefinnten böhmifcdhen Adels war aber ausſichtslos, ala ſich das Staufertum in Deutſchland jelbit zu behaupten unfähig erwies. Man erkennt ſchon an dieſer Ent- widlung der Dinge, wie ausgeſchloſſen es erſcheint, im 18. Sahrhundert vom einem national-flawifchen Adel in unferen Rändern zu fpredien; er hätte fonft von Anfang an mit Bes geifterung fi) auf die Geite König Wengzels ftellen müſſen. Daß allerdings durch einen ſolchen Rückſchlag das deutiche Be— wußtſein im heimiſchen Adel einen ſchweren Stoß erhielt, ift gleichfall8 leicht begreiflich,

Der faft drei Jahrzehnte fpäter unter Otafar II, von neuem und in anderer Weil: ausbrechende Kampf zwiſchen böhmi- ſchem und deutſchem Königtum rief wiederum auch den Adel auf den Plan und wiederum nahm diefer gegen den Landes-

192 Neunter Abſchnitt.

herren Stellung. Das ganze in mehrere Linien geteilte Ge— fchledht der Witigonen, die Herren von Krummau und Rofen- berg, von Zandftein und Neuhaus, mit Zawiſch von Salkenftein am der Spike, aber auch die Niejenburg, Lichtenburg, See— berg u. a. wurden Anhänger Rudolfs von Habsburg, trugen da3 Ungemad) der Verfolgung durch Otafar in dem richtigen Gefühl, dab diefe Politik der Loslöfung vom Reich für Böh— men und fein Königshaus berhängnispoll werden müffe, Aus dem Elend der Zeiten, das nad; Otakars Untergang über die prempflidifchen Länder hereinbracdh, erhob ſich daher diefer einheimifche alte Adel zu umfo größerer Macht, und Zawiſch als Hein mächtigfter Vertreter Fonnte ſich bereits au jener für das böhmiſche Königtum jo gefährlichen Stellung emporſchwingen, die dieſes zwang, fich feiner mit Gewalt zu entledigen; auf König Wenzels II. Befehl wurde er Hingerichtet. Dieſes Ereignis von erſchütternder Tragik fprengte aber auch die letzten Bande zwiſchen premyſlidiſcher Dynaſtie und heimi— ſchem Adel. Wenzel regierte fortan mit fremden Ratgebern, deren legter und einflußreicdjiter der Luxemburger Peter von Aipelt, der nachmalige Mainzer Erzbifchof, war, hinter denen die böhmiſchen Barone ftarf in den Hintergrund traten.” Die lange und ftarfe Zurüdjegung der heimifchen Magna- ten war aber doch nicht imftande, ihre Macht weſentlich zu er- fchüttern. Nach dem Ausſterben der Premyfliden waren fie es, die die Führung der Politik fofort an ſich riffen. Sie nahmen vor allem das Recht der Wahl eines neuen Königs für fich in Anſpruch;“ fie führten die Verhandlungen mit den Thron- werbern; fie entichieden zu Gunften des Habsburgers Rudolf gegen Heinrich) von Kärnten; fie, ein Heinrich von Rofenberg, Albrecht von Seeberg und Friedrich von Schauenburg, begaben ſich, als ihnen die zweite Herrfchaftsperiode des Kärntner unerträglid wurde, zum neuen deutfchen König Heinrich VII. bon Luxemburg noch Nürnberg, um dem jungen Königfohn den Weg zum böhmischen Thron zu ebnen. An diefem Plan, dag böhmiſche Staatsſchiff in die Fahrtrichtung des deutfchen Reichsichiffes zu lenken, war anfangs nur ein Teil des böhmi- chen. Adels unterftügt vom Klerus beteiligt, während ein

Soziale und geiftige Strömungen. 198

anderer mit Heinrich bon Lipa an der Spike, bei dem man nicht unſchwer eine jtärfere Betonung des national-böhmifdhen Standpunfteg wahrnehmen kann, noch zum Slärntner hielt. Aber bald ſchloſſen fi) die beiden Gruppen zufammen und gemeinfam verhalfen fie dem Zuremburger zum Sieg. Der Preis war jenes bedeutſame Snauguraldiplom vom Dezember 1310, durch dag der neue König nicht nur im allgemeinen die Nechte des Landes feierlichſt befchtvor und eine gerechte und fegensreiche Regierung verſprach, fondern dem Adel im be- fondern eine Reihe widjtigfter Bugeftändniffe machte.n Es iſt bezeichnend und zeigt den Zuſammenhang mit der VBergangen-

heit, daß gleich das erfte diefer Bugeftändniffe ſich dedt mit

einer Beitimmung des uralten Deutichenprivilegs vom Jahre c. 1173. Wie damals Herzog GSobieflatv, verpflichtete ſich jetzt König Johann, feine Untertanen zu feinen Friegerifchen Unternehmungen außerhalb Böhmens und Mähreng zu ztvin- gen; nur aus freiem Willen fönnen fie einer folden Bitte willfahren. Und weiter um von anderen Punkten hier ab» zuſehen ließ fi) der Adel vom neuen König berfpredhen, dab er feine Fremden zu Hauptleuten, Burggrafen oder Raftellanen einer Föniglihen Burg ernennen, ihnen feine ämter im Lande oder bei Hofe verleihen, ihnen die Erwerbung unbeweglicher Güter nicht geftatten werde. Nicht deutfchfeind- liche Gefinnungen bilden den Antrieb dazu, jondern im Gegen- teil die Vorfälle während und nad, der Regierungszeit Ota— Tara IL, dann unter Wengel II. und Heinrid) von Kärnten, da fremde Ritterſchaft und fremde geiftlihe Ratgeber den beimifchen zumeift deutichen Adel zurüdgedrängt hatten,

Aber troß feierlicher Zuſicherung unterſchied ſich gerade in dieſer Hinſicht die neue Regierung nicht im mindeften von der der Vorgänger. Wiederum regierten Fremde, Iugemburgifche Abelige und Geiftliche, in Böhmen am der Seite König Jo— hanns. Daraus mußte fich ein neuer Kampf zwiſchen dem König- tum und den böhmischen Baronen entwideln. Unter der ziel- bewußten Führung Heinrichs von Lipa endete er mit der Auf- richtung einer Adelsherrſchaft im Innern, die Karl IV. wie eine Gewaltherrſchaft gegenüber dem Königtum erſcheinen

Bretyolg Geig. Bohmens u. Dahrens. 1. 18

194 Neunter Abſchnitt.

mußte. Er hat ſie nicht durch Zuhilfenahme fremder Kräfte zu brechen verſucht, ſondern allmählich zurüdgedrängt durch Stärkung der königlichen Macht, durch allſeitige Hebung der übrigen Stände, unter denen allerdings die Geiſtlichkeit ſich ſeiner beſonderen Begünſtigung erfreute.

Aber Karl IV. war fein aus ſich jelbft ſchaffender Geiſt, fondern nur ein überaus frebfamer Nachahmer, der, unbe- kümmert um alle geſchichtliche Entwidlung und Eigenart des Randes, Böhmen fo raſch als möglich, zu einem Spiegelbild der ihm befannten und von ihm beimunderten Kultur des Weſtens und Südens zu machen beitrebt war. Beginnen wir mit feiner an ſich großartigen Bautätigkeit.

Die Refidenz der böhmiſchen Könige, die Burg auf dem Hradſchin, Tag jeit mehr als dreißig Jahren, da fie durch eine große Feuersbrunſt im Jahre 1303 zerjtört worden war, öde und wüſt. Karl begann fofort einen Neubau, „ehr koſtbar, ber mwunderungswürdig, wie e3 niemals früher in diefem König- rei gejehen worden mar“, ſchreibt ein gleichgeitiger Chronift.? Als Vorbild diente der Palaſt der franzöſiſchen Könige in Paris, in dem Karl feine Yugendjahre verbracht hatte. Zum prächtigen Schloß gehörte notwendig die würdige Kirche. Hier Fonnte zwar Karl an beitehendes anknüpfen, denn die St. Veitskirche erhob fi) auf dem Hradfchin als ein uralter Bau, deſſen Anfänge bis ins zehnte Sahrhundert und früher zurüdreichten. Karl aber hat fie zum gemwaltigen Dom ausgeweitet in dem neuen gotiſchen Stil, der im Weiten bereit3 die ältere romaniſche Bauart abgelöft hatte. Er über- trug die Ausführung einem damals ſchon bewährten deutſchen Baumeiſter, Peter Parler von Gmünd in Schwaben, der. unter Zuhilfenahme anderer Künſtler, Maler, Bildhauer, Mofaiten- berfertiger, Golzſchniver, ein Bauwerk ſchuf, das ſich von außen und innen mit den bedeutendften Domen jener Zeit meſſen Tonnte.i®

Bu gleicher Zeit hat Karl dem Burgenbau in Böhmen neue Wege gewieſen, als er auf einem Felſen an der Beraun in prächtiger, romantiſcher Zage die gewaltige Yurganlage des päpftlichen Palaftes in Avignon in verfleinertem Maßſtabe als

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Burg Karlſtein nachahmen ließ. Und da mit den heimifchen Künftlern allein ein ſolches Werk nicht durchzuführen war, ließ er einen Meifter aus Aoignon fommen, Mathias bon Arras, der diefen Bau, wahrſcheinlich auch andere, Karla- berg und Karlskrone, Karlshaus und Karlsburg, ausführte, die längft Ruinen find, während Karlftein, wenn audy vielfach umgebaut, noch befteht. Aber auch für den Bau einer ganzen Stadt mit allen ihren Außenbefeftigungen und der inneren Anlage von Straßen und Plägen, zahlreichen Kirchen und öffentlichen Gebäuden hat Karl ein Mufter geichaffen, wie e8 in gleicher Weife in Böhmen noch nicht vorhanden war, durd) die Gründung der Prager Neuftadt oder auch Karlftadt in un mittelbarem Anſchluß an die Altitedt. Im Jahre 1357 begann Karl den Neubau der fteinernen Prager Moldaubrüde, die durd) die beiden Brüdentürme einen jo prächtigen Abichluß erhielt. Das find nur einige wenige Beifpiele. Karl hat un- endlich viel bauen laſſen in Prag, in feinen Städten, auf dem Rande. ‚Und der König blieb nicht allein, Ihn unterftüßte bor allem der Prager Biſchof Johann IV. (1301—1343), der fi) von 1318 bis 1329 unfreiwillig am päpſtlichen Hofe in Aoignon hatte aufhalten müfjen und nun unter dem Ein- drude, den die dortigen Bauten auch auf ihn gemacht hatten, daranging, zuerſt mit frangöſiſchen Werfmeiftern in feiner Stadt Raudnig bedeutfame Werke zu errichten: dag kunſtreiche Kloſter der Auguftiner mit Kreuzgang und Kirche, ſowie eine Steinbrüde über die Elbe.

Solde Anregungen von höchſter weltlicher und geiftlicher Seite wirkten anfpornend im ganzen Zande, bei Adel, Geift- lichkeit und Städten, deren Profan- und Kirchenbauten, die in Karla Zeit begonnen und zum Xeil aud) ſchon zu Ende geführt wurden, nicht nur durch ihre überaus große Zahl, fondern auch durch die kunſtvolle Ausführung (Prager Rat- haus, Barbarakirche in Kuttenberg, die ergbiichöflichen Burgen in Senzenftein, Selfenburg, die Rofenberger Bauten in Wittin. gau, Krummau u. v. a.) überraſchen. Die Bautätigkeit wirkte dann weiter auf alle verwandten Künſte, Bildhauerei, Malerei und Kleinkunſt, auf Gewerbe, Handel und Verkehr, die ſich

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übrigens gleichfall8 der Föniglichen Unterftügung und För⸗ derung im bolliten Maße erfreuten.

Es war tatſächlich eine neue Zeit für Böhmen angebrocdhen. Karl wollte eg auch geiftig zum eriten Lande Deutichlands emporheben durch die Auszeichnung, die erſte und einzige Uniberfität im ganzen Reiche zu beſitzen, die er ganz nad dem Mufter, das er in Paris Fennen gelernt hatte, nun in Prag begründete, .

Höhere Schulen hat e8 wie überall in Deutſchland fo auch in Prog und in anderen Städten Böhmens und Mährens nachweislich ſchon im 13, Jahrhundert, vielleicht auch früher gegeben. Ein berühmter deutjcher Lehrer, Hubald von Lüttich, wirkte, wenn auch nur kurze Zeit, ſchon 1018 in Prag. Aber es ‚gab dort Fein „Generalftudium” wie in Paris, Bologna, Oxford, an bem in den Zehrgegenftänden aller vier Fakultäten, Theologie, Zus, Medizin, Vhilofophie (artes genannt) unterrichtet wurde und das auch das Privileg befaß, Magifter- und Doftorgrade zu berleihen. Für dieſe „Generalftudien“ bildete ſich erft fpäter der big heute übliche Name „Univerfität” heraus, .

Unter dem Premyfliden Wenzel II. hatte man in Prag bereits den Plan ertoogen, dort eine ſolche Anftalt zu errichten. Er jcheiterte, weil, wie es heißt, die notwendige Vorausſetzung für das Gedeihen einer foldien Schule, Ruhe und Friede im Rande, nicht herrichte. Wiederum Fam das, was unter dem gealterten Premyſlidengeſchlecht vergeblich angeftrebt worden war, leicht und raſch unter den jugendfräftigen Qugemburgern auftande.

Am %. Januar 1347 erließ Papſt Klemens VI., der päter- lie Sreund Karls IV., die Bulle, durch die er beivilligte, daß in Prag ein „Generalftudium“ errichtet werde, mit allen den Vorrechten, wie fie die älteren gleichartigen Anftalten ſchon bejaßen. Er entſprach damit einer Bitte Karls, der ihm bor- gejtellt hatte, dat e8 „die Bewohner Böhmens, welche e8 nad) der Frucht der Wiſſenſchaft unaufhörlic hungert,“ vollauf berdienten, „im eigenen Lande den Tiſch gededt zu finden, ohne genötigt zu fein, in fremden Rändern zu betteln“.t Nach- dem dann Karl am 7. April 1348 den Stiftbrief ausgeſtellt

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batte, der übrigens faft vom Anfang bis zum Ende mit dem Stiftbrief Kaifer Friedrich II. für die Univerfität in Neapel bom Sabre 1224 und dem König Konrads IV. für Salerno von 1%52 übereinftimmt, war das Werk vollendet. Die erſten Lehrer wurden von auswärts berufen; einer aus Bologna, ein anderer aus Tuſzien. Schüler famen alsbald aus der gangen Welt (de diversis mundi partibus), auch aus England, Frankreich, der Lombardei, Ungarn, Polen; die meilten aus Deutſchland. Die Univerfität nahm einen glänzenden Anfang, denn „raſtlos bis zu feinem Tode forgte Karl IV. für. fein Schoßkind“. Ein heimischer Chronift, Beneſch von Weitmühl, frohlodte: „Und die Stadt Prag wurde danf diefer Schule ſehr befannt und berühmt in fremden Landen und wegen der Zahl der Schüler wurden die Zeiten dafelbit ein wenig teuer, weil eine fehr große Menge hier zufammenfloß”.'°

Man kann verftehen, welchen bedeutenden Vorſprung dadurch; Böhmen vor den übrigen Ländern des Reichs, Prag bor allen anderen deutſchen Städten errang, welcher Gewinn für Wiſſenſchaft umd Literatur beide Nationen daraus ziehen Ionnten, umjomehr, al3 e3 insbeſondere auf dem letzten Ge- biete an erfolgverheißenden Anfägen nicht fehlte.

Die tichechifche Literatur hatte neben Legenden und welt⸗ lihen Dichtungen, dabon aber nur Bruchſtücke erhalten find, ſchon unter König Johann die gereimte Chronik des fogenann- ten Dalimil erzeugt, eine vielfach fagenhaft ausgeftaltete Randesgeichichte in Verjen, wie jolde damals in Deutichland mehrfach vorkamen.“ Eine wichtige Leiſtung der tſchechiſchen Riteratur der borfarolinifchen Zeit ift das „Rofenberger Buy“, eine furze Zufammenftellung des damals geltenden ſlawiſchen Gemwohnheitsrechtes. Es zeugt dann bon dem Vordringen der tichechifchen Sprache in immer weitere und höhere Kreife, wenn in der zweiten Hälfte des 14, Jahrhunderts lateiniſch- tichechifche Wörterbücher in auffallender Zahl auftauchen mit den begeichnenden Xiteln: Bohemarius, Nomenclator, Voca- bularius, Dietionarius, Mammotrekt, Sequentionarius. Auch die Überfegung deutiher Dichtungen, Sagen, Fabeln, Lieder nimmt ſtark zu; ſatiriſche Erzählungen in Profa und Vers,

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Paſſions⸗ und Ofterfpiele, insbefondere aber dem religiöfen Bug der Zeit entipredhend Legenden, Heiligenleben find be- ñebte Stoffe. Und im legten Viertel des Jahrhunderts bahnt fich die tſchechiſche Sprache auch fehon den Weg in die wiljen- ſchaftliche Literatur: in den zahlreichen Schriften des Ritters Thomas von Stitny (1331—1401), dem allerdings vorgehalten wurde, daß über gelehrte Dinge tſchechiſch zu fehreiben die Wiſſenſchaft profanieren heiße.

Zu größter Bedeutung erhebt fich aber in Karla IV. Zeiten das deutſche Schrifttum in Böhmen, das dafelbft ſchon einmal unter Wenzel II. zu hoher Blüte gelangt war. Wie diefer wurden audj Johann und Karl von deutfchen Sängern, die an ihrem Hofe meilten, bejungen.

„Der vierte Kaiſer Karle war der wahre Berg,

Der Kirchen Schiff, Maft, Segel und dag ganze Werk“, fchreibt Heinrich von Mügeln, der mindeſtens bon 1346 Bis 1358 in Prag gelebt und Karl auch fein großes Epos „Der Meide (Mädchen) Kranz“ gewidmet hat.

Es möchte zu weit führen, feine und anderer Marien- dichtungen, die damals gang bejonder3 beliebt waren, die Kirchenlieder, die Liebeslyrik, die geiftlichen Schaufpiele in Poeſie und PBrofa, die in jener Zeit in Böhmen in deuticher Sprache entitanden find oder bon früher her befannt waren, anzuführen. Nicht diefe rege Mitarbeit am allgemeinen lite- tarifchen und geiftigen Leben ganz Deutſchlands bildet das entiheidende Merkmal des deutichen Böhmen in jener Periode; Tondern: daß es damals auf diefem Gebiete in einer Weiſe ſchöpferiſch wurde, daß gerade von hier aus die folgenreichiten Einwirkungen auf dag übrige Deutſchland ausgingen. „Hier“, fo urteilt der berufenſte Nenner diefer Beitperiode, „wird der Grund gelegt für den oftmitteldeutichen Charakter der neu- hochdeutſchen Schriftiprache, hier bildet fich zuerft eine form- gewandte wiffenichaftliche und Titerarifche deutfche Profa, hier entfteht die erſte wirkſame über ein Jahrhundert verbreitete deutfche Überfegung des neuen Teſtaments, hier werden erfolg. reihe Verſuche einer profaifchen Verdeutihung der ganzen

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Bibel gemacht, bier unternimmt man e3 zuerſt, antife Autoren in deutfcher Profarede ſprechen zu Iafjen“.*

Das Hauptverdienft um diefe wahrhaft epodjalen Antegun- gen und literariſchen Erzeugnife gebührt Johann von Neus markt, der mindeſtens vom Jahre 1347 an in der Kanzlei Karls IV. beichäftigt wurde, von 1354 big 1374 an der Spike diejeg wichtigen und einflußreichen Amtes ftand, überdies bon 1353 bis 1364 Biſchof von Xeitomifäl, dann von Olmüg war und 1380 geftorben ilt. Er, der deutſche Kanzler am Prager Hof, wurde infolge feiner freundfchaftlichen Beziehungen vornehmlich zu Petrarca, dem florentinifhen Dichterfürften, der erfte und begeiftertite Vermittler der neuen italienifchen Geiftesrihtung, des Humanismus, nad) Böhmen hinüber. Und rafcher ala irgendivo anders auf deutfchem Boden trug der für alle Nulturarbeit jo empfänglicde Boden der deutſch- böhmifchen Städte „die bemundernswerte Frucht der ſprach- lichen und geiftigen Einwirkung dreier großer Bahnbrecher der Nenaiffance, Dante, Petrarca, Rienzo”, in dem „einzigs artigen Beifpiel deutſcher Sprachkunſt, dem Ackersmann aus Böhmen“. *

Es behandelt den Streit ziwifchen einem Bauersmann und dem Xod, der ihm feine Frau, feines Herzens Troft und feiner Sreuden Hort, ohne ſichtbaren Grund entriffen hat. Es hat die Form eines Streitgeſpräches, „der Lieblingsform der damals neu entitehenden humaniſtiſchen Dichtungsweife” und zeigt „eine fo eigenartige, innerlich bedeutende künſtleriſche Geftaltung”, wie fie „in Iandesfpradjlicer Proſa überhaupt kaum irgendivo fonft der Humanismus herborgebradyt hat“. Und diefeg Werk ift um das Jahr 1400 auf deutſchböhmiſchem Boden bon einem GScriftfteller namens Yohann, der Saaz als feine Seimat nannte, geſchaffen worden.*

Es genügt der Hinweis auf diefe Schrift allein, um die Behauptung aufguftellen, daß das deutjche Bürgertum bei ung auch auf literariſchem Gebiet dag höchſte geleiftet hat, mag man von ihm erwarten Fonnte, aus eigener Schaffenskraft und Scaffensfreude, ohne fürftliche Unterftügung, ganz ebenjo wie e8 auch auf dem Felde des Rechts und der Kunſt, des

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Gewerbes und des Handels ſich im 13. und 14. Jahrhundert zu größten Leiftungen emporgeſchwungen hatte. Was hätte diejes deutſche Bürgertum noch au leiften vermocht, zu welcher Zulturellen Höhe wären Böhmen und Mähren gediehen, wenn diefer Entwidlung eine längere Dauer bejchieden gewejen wäre, Dabei muß im Gegenjag zu alltäglichen Anſchauungen und Darftellungen darauf mit Nachdruck hingewieſen werden, wie frei von Feindſeligkeit oder Gehäffigfeit gegen die flawifche Nation diefe geiftige und Zulturelle Arbeit des böhmifchen Deutſchtums verläuft. In den deutſchen Städten Böhmens und Mährens des 13. und 14. Yahrhundert3 waren nationale Gegenfäge, die zu Kampf und Streit geführt hätten, voll- tommen fremd. Sie wurden durd) religiöje Wirren erft Hinein- getragen und allmählid) groß gezogen. Wichtig ift dabei die Stellung, die die böhmiſchen Könige Karl IV. und Wenzel IV. den beiden Nationen gegenüber eingenommen haben.

In den fiebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde zwiſchen tſchechiſchen und deutichen Gelehrten eine heftige Pole- mit darüber geführt, ob Karl IV. der deutſchen oder tſchechiſchen Nationalität zuzurechnen ſei. Beide Parteien Fonnten für ihre Auffaffung aus den Quellen Belege anführen. Sene beriefen ſich unter anderem darauf, daß der Prager Erzbifchof in feiner Leichenrede auf den Kaifer- die böhmiſche Sprache (linguam bohemicam) als deffen „Mutterſprache (quae est naturalis)” bezeichnete, und daß Karl in einer Urkunde, durd) die er in Prag ein Klofter mit teilweife ſlawiſchem Gottesdienft begrün- dete, aud) jelber dabon fpricht, gegen jene bejondere Gnade üben zu wollen, „die mit ung durd) die füße und angenehme Gemwöhnung der heimatlichen Sprache verfnüpft find“. Die deutſchen Forſcher wiederum beriefen ſich auf zeitgenöffifche Chroniften, von denen der eine ausdrücklich erklärt, daß Karl unter den ſechs Sprachen, die ihm geläufig waren, „deutfche Sprache allerliebeft hatte“, der andere genau unterfcheidet, dag Karl deutſch naturgemäß, eigentlich (proprie), böhmifch, wo es nötig war (debite), franzölifh, wenn es angemeſſen ſchien (congrue) und lateiniſch wie ein Magifter vollkommen (magistraliter et perfecte) ſprach⸗ Wir jehen, auf diefer

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Grundlage ift die Frage nicht zu entjcheiden und wohl auch müßig. Karl fah in den beiden Nationen feines Landes noch fo wenig einen Antagonismuß, daß er nicht die Empfindung batte, feiner Würde als deutfcher Kaiſer etwas zu vergeben, wenn er dem tichechifchen Volke in feinem Erbreiche ſprachlich und fulturell im volliten Make entgegenfam. War er es doch felber, der in der „Goldenen Bulle“, dem neuen Staatsgrund- geſetz des deutfchen Reiches vom Jahre 1356, ausdrücklich gebot, daß fortan die Söhne der vier weltlichen Kurfürſten, von Böh- men, vom Rhein, bon Sachfen und Brandenburg, neben ihrer deutſchen „Mutterfprache” von ihrem fiebenten bis vierzehnten Lebensjahr auch in der italienifchen und ſlawiſchen (sclavia) Sprache unterrichtet werden follen, weil auch Gebiete, in denen diefe Sprachen gejprochen werden, zum deutichen Reich gehören, Und ebenfo verdient Beachtung, daß er in der allerdings nicht zum Gejeg erhobenen böhmiſchen Zandesordnung, befannt unter dem Namen Majeſtas Carolina, feitfegen wollte, daß nie- mand in Böhmen ein Amt befleiden fönne, der nicht auch die böhmifche Sprade, die man die ſlawiſche nennt (idioma seu linguam Boemicam generalem, quam scilicet sclavonicam dieimus), verftünde; allerdings mit Ausnahme jener, denen „die Tönigliche Gnade in Anbetracht ihrer lobenswerten Sitten und Kenntniffe auch ohne folden Nachweis ein Amt daſelbſt vers leihe”. Karl IV. war, wie man richtig gefagt hat, „phyſiſch ein Deutſcher mit einer Beimifchung flamwifchen Bluts . . geiftig halb Franzoſe, halb Deuticher“.”? Der nationale Kampf- gedanfe lag nicht nur ihm fern, jondern aud) dem Volke in Böhmen und Mähren, wenigfteng in feiner Gefamtheit.

Auch unter der Regierung Wenzels haben ſich diefe Ver- bältniffe nicht weſentlich geändert. Deutfche Sprache blieb am Hofe hochgeachtet, was die Handfchriften (darunter die be- rühmte deutfche Wenzelsbibel) beweifen. Aber fie war fein Hemmnis für die gleichgeitige Fortbildung des Tſchechiſchen, wie die Tätigfeit eines Thomas von Stitny lehrt. Wenn man ihm wehren wollte tſchechiſch zu fchreiben, fo geſchah dies nicht etwa mit Rückſicht auf die deutiche, fondern auf die lateiniſche Sprache, nicht aus nationalen, fondern aug kirchlichen Gründen.

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Unterfagte doc; auch Karl IV. in Deutſchland durch eine Ur- Zunde vom 17. Juni 1869 in der Volksſprache, alſo deutich ge— ſchriebene Predigten, Abhandlungen und andere Bücher, weil fie die Laien zu Irrtümern verführten. Erjt durch den religiöjen Biiefpalt empfangen die fogialen und nationalen Gegenſätze eine Schärfe und Verbitterung, die ihnen früher vollkommen fremd gewejen find.

Das 14. Yahrhundert ift gefennzeichnet durch einen maß- Iofen Aufftieg des Klerus in materieller, durd ein tiefes Sinfen gleicgeitig in religiöfer Hinficht, vom Papfttum an= gefangen bis zu den Pfarreien hinab, „Die berderbliche Macht des Goldes machte ſich in der furchtbarſten Weiſe geltend... . Der Klerus der hohe wie der niedrige folgte, einzelne ehrentverte Perjönlicjkeiten ausgenommen, dem Zuge der Zeit". Die Simonie, d. h. die Erwerbung geiftlicher Würden und Amter durch Beſtechung, die ſchon einmal im 11. Zahr- hundert das firchliche Leben unterwühlt hatte, wucherte wieder auf, am üppigiten am päpſtlichen Hofe. „Die mit dem fteigen- den Wohlleben fühner herbortretende Sittenlofigfeit der Zeit” riß aud) den Klerus mit fi. Der Verfall der Kirchenzudjt wac ganz allgemein, wie in Stalien fo in Frankreich und England, wie in Deutichland fo in Böhmen. Wenn das Bild, das der Abt Zudolf von Sagan von dem wüſten Leben in diefem zu Böhmen gehörigen jchlefiichen Mlofter in der zweiten Hälfte des 14, Jahrhunderts entwirft? felbft nur im abgeſchwächten Maße berallgemeinert werden darf, dann waren die Buftände in den übrigen böhmiſch⸗mähriſchen Klöſtern allerdings nieber- drüdend. Die Verordnungen der Prager Erzbifchöfe jener Beit, eines Ernft von Pardubig (1343-64), Johann von Wlaſchim (1364—79), Yohann bon Yenzenftein (137996) zeigen ebenfo wie die erhaltenen Viſitations und Korrektions⸗ bücher der Prager Erzbiichöfe tatſächlich, dab alle Kirchen- ordnung in Auflöfung begriffen mar. Und wenn man ala Grundgebrechen vielfach den großen weltlichen Befig der Kirche und die Menge unbeſchäftigter Geiſtlicher anſah, fo laſſen ſich hiefür gerade auch aus Böhmen ſprechende Beiſpiele anführen. Huſſens Angabe, daß hier ein Viertel oder ein Drittel von

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Grund und Boden der Geiſtlichkeit gehörte, mag vielleicht nur , die leere Wiederholung einer Behauptung Wiclifg über die Verhältniffe in England fein.” Allein wir wiſſen beftimmt, daß der Prager Erzbifchof nur in Böhmen adjtzehn Herr- {haften bejaß, ohne die Ländereien und fonjtigen Einfünfte in Mähren und anderwärts. Die Zahl der Geiftlihen beim Prager Dom in Karls IV. Zeit wird mit 250-500, in Wifche- brad mit 350 angegeben. König Wenzel gebraucht einmal in einer Urkunde den Ausdrud bon der „unbändigen (effrenata) Menge von Geiftlichen“. „Wenn wir ſchwer arbeiten wollten, dann würden wir eher Bauern oder dergleichen und nicht Prieſter fein“, follen fie iiber fich felber gefpottet haben. Und dieje Zuftände Hatten fich nicht nur unter Kaiſer Karl IV. ausgebildet, ſondern waren von ihm gefördert worden, einer- feits durch die Vermehrung der äußeren Macht des geift- lien Standes, andererjeits durch die Übertreibung des reli— giöfen Gefühls, „der leeren Pracht des kirchlichen Lebens“. Auf ihn ging zurüd die Gründung fo vieler neuer Kirchen und Klöfter, wie in Prag, jo im ganzen Lande; er hatte die neuen Möndgorden der Karthäufer, Karmeliter, Serbiten, Eöleftiner u. a. eingeführt; „feine Stadt der Welt, nicht ein- mal Rom, Tonnte fi) einer jo großen Menge heiliger Reli- quien, weldie der Kaiſer mit allen Mitteln erivarb, rühmen“. Die größten Meifter mußten für diefe Schäße die koſtbarſten Schränke, Schreine und Reliquiare berfertigen. Aus der gangen Welt ftrömten Gläubige und Neugierige nah Prag zum „Blutstropfen Chrifti“, zu den „Windeln des Jeſu— kindleins“, zu der „Milch der heil. Jungfrau” u. ſ. f., wie umgekehrt die Böhmen in die fremden Pilgerftädte zogen, nad) Aachen, Rom, Serufalem und anderwärts, Diefer Fröm- migfeit und Inbrunſt halte man nun gegenüber die ftarfe Verweltlichung und Sittenlofigfeit, um die gefährlichen Gegen- füge zu erkennen, die oft an einem und demfelben Orte auf» tauchten und am ftärkiten in der Refidenzftadt Prag, „dem fittenlofen Babylon”, ſich kundtaten.

Kein Wunder, daß gerade dort frühzeitig, ſchon unter Karl IV., Prediger auftraten, die zur Umkehr mahnten.

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Und wiederum gewahren wir aud) auf diefem Felde zunächit ein einträcitigeg gemeinſames Arbeiten von Deutfchen und Slawen Sand in Sand zu gleichem Biel und Zweck. Im Jahre 1858 erfchien in Prag, ſogar von Karl felber aus Sfter- reich berufen, der deutſche Auguftinermönd, Konrad von Wald- haufen, der bon der Gallusfirdje und fpäter von der Haupt» kirche der Stadt, der Teynkirche aus, feine reformatorifche Arbeit begann. „Soviele Menſchen jo heißt e8 beſuchten feine deutfchen Predigten, daß er aus der Kirche hinaus auf den freien Markt zu gehen und dort zu fprechen gezivungen mar... . Wucherer ließen ihr Geſchäft fahren, wenn fie die Macht feiner Rede traf; manden Leichtfinnigen durchſchauerte fein Wort fo tief, daß ihn die innigfte Reue ergriff”. Und neben ihm wirkten dann iſchechiſche Strafprediger und Sitten- verbefferer, als der befanntefte Militſch von Kremſier, der feine Stellung als Domherr und in der königlichen Kanglei aufgab, um mit fanatiſchem Eifer die Tätigkeit des deutſchen Auguftinermönds im befonderen beim tſchechiſchen Wolf zu ergänzen. Er lernte fogar deutfch, um in beiden Sprachen predigen zu können. Er ging dem Übel ungefcheut und Fräftig an ben Leib; ftand nicht an, in großer Verfammlung Kaiſer Karl, der felber zugegen war, als Begünftiger des Papfttums, als freigebigen Förderer aller Kirchen und Möfter anzuflagen, ihn ala den „großen Antichrift” zu begeichnen, der „dem Ende der Dinge borangehe”, und mit dem Finger auf ihn zu weiſen. So groß aber auch der Zulauf zu feinen Predigten war, jo tief ihre Wirkung er hat ein Dirnenhaus „Venedig“ in eine fromme Stätte „Serufalem“ verwandelt —, die Geift- lichkeit, die die Gefahr erkannte, die von diefem dag Volk aufwühlenden Redner ausging, war ftärker. Er wurde auf verſchiedene Anklagen Hin, die gegen ihn erhoben wurden, vor die päpſtliche Kurie in Woignon geladen, um fid) zu ber- antivorten; dort ift er 1374, alfo noch zu Lebzeiten Karls, ge» ftorben. Andere folgten ihm, ohne, ebenfowenig wie er, das Unfraut ausjäten zu können. Aber nicht aus diefen örtlichen ütbeln erfolgte der Zuſammenbruch; fie untergruben nur die Widerftandsfraft des Staates, Ein fern abliegendes Wirrnis,

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das päpftlide Schisma, dag auch in unſere Verhältniffe ein- eriff, führte zur Kataftropfe.

„Alle fibel, welche fich in das Firchliche Leben eingeſchlichen hatten, wurden durch diefe Spaltung ing Unendliche vermehrt“. Sie war es in legter Linie, die auch die Prager Univerjität zerriß, dann die Geiftlichkeit, in weiterer Folge das gamze böhmifche Volt, Stadt und Land, Deutſche und Tſchechen.

Bon den beiden erjten Gegenpäpften Urban VI. und Kle— mens VII., die 1376 gewählt worden waren, ftarb jener in Rom 1389; doc, ſchloſſen ſich die römiſchen Kardinäle auch jegt nicht Klemens in Avignon an, wie er gehofft hatte. Eie erhoben vielmehr jofort einen neuen römiſchen Papft in Boni- faz IX. (1889—1404) und nad, diefem noch Innozenz VII (1404—06) und Gregor XII. (1406—15), ebenjo. wie die in Avignon nad) Klemens’ Tod im Jahre 1394 Benedikt XIII. (Betrug de Luna), der den römiſchen nicht nur durch feine große Gelehrfamkeit, fondern auch durch mufterhaften Lebens - wandel in den Schatten ftellte, Die Welt aber beſaß andauernd zwei Päpfte, feit dem Pifaer Konzil vom Jahre 1409 jogar drei, und ſowohl die geiltlichen als die weltlichen Gewalten mußten zu ihnen Stellung nehmen,

Bir wiſſen, daß Wenzel anfangs, fo lange er noch deuticher König war, alfo bis 1400, fi zur Obödienz (Gehorjam), wie man es nannte, des römijchen Papſtes befannte. Später aber, als fein Gegenfönig Ruprecht von der Pfalz ſich für Bonifaz IX. in Rom ausfprach und von diefem auch anerfannt wurde, trat Wenzel zwar nicht auf die Seite Avignons, allein er erklärte fi) neutral, Natürlich verlangte er aud in Böhmen, bor allem bon der Geiltlichkeit und der Univerfität, Anerfen= nung biejes feines neuen Standpunkte. Der Erzbiſchof e8 war feit 1403 Shinfo.von Haſenburg widerjeite fich als offener Anhänger des avignonenſiſchen Papittums ent- ſchieden diefer Mahnung, mit ihm der größte Teil des Klerus. Schwieriger war die Entſcheidung bei der Uniberfität. Die damaligen Uniberfitäten hatten die Einrichtung, daß Schüler und Lehrer aus den berjchiedenen Ländern, die an einer foldyen Schule zufammentamen, ſich nad) „Nationen“ ſchieden. Wie

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in Paris hatte man auch in Prag vier Nationen, In Paris waren e3 die normannifche, franzöfifche, pifardifche und eng- liſche, zu der auch Dänen, Polen, Ungarn, Böhmen und Deutiche gehörten. In Prag hießen die vier Nationen: Böh- men, zu denen nur die Deutſchen und Slawen aus allen Län— dern der böhmifchen Krone zählten”, dann Bayern für gang Weftdeutichland, Sachſen für Norddeutichland und Polen für alle übrigen nichtdeutſchen Nationalitäten. Die „Nationen“ entfchieden nach Mehrheit in allen fie berührenden gemein- famen Angelegenheiten. König Wenzels Forderung, daß fich die ganze Uniberfität in der päpſtlichen Obödienzfrage neutral erfläre, fand nur bei der böhmifchen Nation Zuftimmung, nicht aber bei den drei anderen, Bayern, Sachſen, Polen. Ein dem föniglichen Wunfch entgegenitehender Beſchluß mußte für jeden Fall verhindert werden. Nach langwierigen Berhand- lungen, die zu feiner Einigung führten, erließ Wenzel am 19. Januar 1409 ein Dekret, welches verfügte, daß fortan in allen Univerfitätöfragen die böhmiſche Nation drei, die an- deren drei Nationen zufammen aber nur eine Stimme haben follten. Man begründete diefe Maßregel damit, dab die deutſche Nation (natio Teutonica)“, worunter man alle Nationen, Bayern, Sachen, Polen? zufammenfaßte, fein Hei— matsrecht im Königreich Böhmen befige (iure incolatus .. . prorsus expers), während die „böhmiſche Nation (natio Bo- hemica)“ der wahre Erbe diefes Königreiches fei (eiusdem regni iusta heres), Ale Bemühungen, den König zur NRüd- nahme diefer eigenmächtigen Anderung eines fo wichtigen Statuts der Uniberfitätverfafjung zu beſtimmen, blieben erfolglos. Daraufhin entſchloſſen fi im Sommer 1409 Schüler und Lehrer der drei unterlegenen Nationen Prag für immer zu berlaffen. Daß die Deutichen aus den Exrbländern, die zur böhmifchen Nation gerechnet wurden, fi) den drei Nationen angeichloffen hätten, wird nirgends gejagt und ift auch durch-⸗ aus unwahrſcheinlich. Aber in welche Stellung gerieten fie nun gegenüber den Tſchechen. Noch im Yahre 1384 hieß eg in einer Appellation der „böhmifchen Nation“ an den Bapft, daß die drei Nationen nicht nur zwei⸗ ſondern zehnfach die böhmifche

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Nation übertreffen. Jetzt befaßen oder gewannen wohl in der einen aurüdgebliebenen Nation die Tſchechen die Mehrheit. Über die Menge der abziehenden Studenten waren ſchon damals und find bis heute ganz unwahrſcheinliche Ziffern ver- breitet; man fprad) und ſpricht von 20, ja audı 26.000. Die ernfteften Forſcher auf diefem Gebiete find der Meinung, daß e8 ſich im höchſten Fall um „ein paar Tauſend“ gehandelt babe.” Sie zeritreuten ſich nad) mehreren deutſchen Städten, in denen mittlerweile Uniberfitäten gegründet worden waren, Wien, Heidelberg, Erfurt, Krakau; die Univerfität Leipzig verdankte diefem Ereignis ihre Entftehung.

In diefem Uniberfitätsftreit, den das päpftlide Schisma berborgerufen hatte, gewinnt ein Lehrer eine ausſchlaggebende Bedeutung, der jhließlic) der ganzen Bewegung, die ſich daraus entwidelte, den Namen gegeben hat, Johannes Huß.” Bon der Kindheit und Jugend diefer neben Wallenftein größten weltgefchichtlichen Geftalt, die auf böhmiſcher Erde entitanden ift, weiß man äußerft wenig. Sein Geburtsjahr zwiſchen 1865—1370 läßt fi; nur annähernd daraus beftimmen, daß er fi) im Jahre 1414 als nod) nicht fünfzigjährig bezeichnet. Der Name Huß ift nur eine Abfürzung von Huffineg, einem zur Herrſchaft Wimberg gehörigen Orte im Pradatiger Kreis, aus dem fein Vater ftammte. Seine Eintragung in die Uni- verfitätsmatrit lautet nämlich: Johann, der Sohn Michaels von Huſſinetz. Daß er in Prag ftudierte, dort im Jahre 1385 das VBaffalaureat, die niederfte akademiſche Würde, erlangte und 1396 Magifter, d. h. Univerfitätlehrer, wurde, ift fiher. Die Priefterweihe erhielt er 1400, im folgenden Jahr war er Dekan, 1402 Rektor der Univerfität, und zugleich be» Hleidete er die Stelle eines Predigers an der Bethlehemkirche, in der er an Sonn» und Feiertagen tſchechiſch zu predigen Batte. Seine innere Entwidlung, fein Studiengang im ein- zelnen entzieht fi) unferer Kenntnis. In feinen zahlreichen Schriften ſpricht er wenig von ſich, bemerft nur gelegentlich, daß auch er anläßlich des Jubiläumsablaſſes im Jahre 1398, wie Taufende und aber Taufende, feine legten Grofchen geopfert babe, bedauert ein andermal, als Student. an den Eitelfeiten

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der Welt, ſchönen Kleidern und Modetorheiten Gefallen ge- habt zu haben. Bon ausſchlaggebender Bedeutung für fein ganzes weiteres Leben war, und damit beginnt eigentlich erft jeine Geſchichte, daß er 1398 als Lehrer der artiftifchen (philo- ſophiſchen) Fakultät die Schriften Wiclifs, des berühmten engliſchen Theologen und Reformators, Fennen lernte und bon ihnen mächtig ergriffen wurde,

Johann von Wiclif aus angelſächſiſchem Adel wurde zivi- fen 1320 und 1330 geboren, alfo etwa ein Menſchenalter vor Hub. Als er in Oxford ftudierte, wirkten dort hervor— ragende Gelehrte, die durch; ihre Stellungnahme für und wider da3 Papfttum in ſcharfem Gegenjag zu einander ftanden: Nominaliften und Nealiften. In diefe Bewegung griff Wiclif ein und trat in einigen Schriften entichieden gegen jede welt- liche Herrſchaft der Kirche ‚auf. Er ſprach den Satz aus: „Die Kirche muß arm fein, wie in den Tagen der Apoftel, der große Beſitz bringt ihr Fein Heil“ oder: „Am beiten wäre e8, wenn der Staat die Fürſorge für die Geiftlichfeit übernähme“. Räpftlie Drohungen beantwortete Wiclif mit nod) heftigeren Angriffen, indem er auf politifches und foziales Gebiet über- greifend erklärte, daß durch die Kurie und die Kirche England außgefogen, feine Volkswirtſchaft zerftört, feine Landesver- teidigung geſchwächt werde. Und als dann das päpftliche Schisma ausbrach, zog er die legten Folgerungen aus feinen Kehren, ftürzte fi) mit dem Aufgebot feiner ganzen Kraft in den Kampf. „Geiftlichkeit ift nicht die Kirche; der Papft ift nicht das Haupt der Kirche”, lehrte und predigte er allerorten, verbreitete er in gelehrten Schriften, in volfstümlichen Flug⸗ und GStreitblättern ohne Unterlaß. Die Wirkung auf dag Volk war einige Jahre außerordentlich, insbefondere als er dieſem eine zum großen Xeil bon ihm felber hergeitellte erſte englifche Bibelüherfegung darbot, während bis nun die Bibel nur auf lateiniſche oder franzöſiſche Texte angewieſen war. Seine Anhänger bezeichnete man als Lollarden, vielleicht fobiel als „Unkrautſäer“.

Und das Ende der wielifiſchen Bewegung? Im Jahre 1381 brach in England aus mannigfachen tiefer liegenden politiichen

Soziale und geiftige Strömungen. 209

und wirtſchaftlichen Urſachen ein furchtbarer Bauernaufftand, man fönnte aud) jagen Arbeiterausftand aus. Wiclif miß⸗ billigte ihn. Aber Geiſtlichkeit, Adel und die beſitzende Bürger- Hoffe machte Wiclif wegen feiner Lehren von der Säfulari« fierung Verweltlichung) des Kirchengutes und Untergrabung der priefterlichen Autorität verantwortlich für das über das ange Land hereingebrochene Unglüd. Der Erzbiſchof von Canterbury ergriff die Gelegenheit, um bon diejer ſozialen Plattform aus den Kampf gegen Wiclif mit Erfolg aufzu- nehmen. Seine Stellung war aber immerhin noch fo ftarf, daß man nicht wagte, ihm perſönlich ein Leid anzutun; der Höhe- punkt feiner Tätigkeit war jedoch überjchritten. Die Bauern- unruhen Hatten feine Reformbeitrebungen zunichte gemacht. Am 38. Dezember 1384 ereilte den durch Überarbeitung und Enttäuſchungen geſchwächten Mann der Tod. Eine Zeit lang, während der weiteren Regierung des ſchwachen Königs Richard II. (1377—1399), der manche Sihnlichkeit mit dem böhmifchen König Wenzel IV. zeigt, indem er wie diefer der Bewegung freien Lauf ließ, ohne fie in die richtigen Bahnen zu lenken, hielt fich nod) das Lollardentum. Unter: jeinen bei- den Nachfoigern Heinrich IV. (1399—1413) und Seinrich V. (1418—1422) wurde e3 dann umfo graufamer in einem furdjt- baren Bernichtungsfampfe ausgerottet, der Iekte Lollarden- führer Kohn Oldcajtle Lord Cobham 1417 verbrannt.

Inzwiſchen aber hatte der Wiclifismug weit ab vom eng- liſchen Boden, der ſich für ihn nicht genug aufnahmsfähig er- wies, in böhmifcher Erde Wurzel gefaßt und fich hier mit un- heimlicher Raſchheit und Üppigfeit entfaltet.

Des engliſchen Königs Richard II. Gemahlin war Anna, eine Tochter Karls IV., eine Schwefter Wengeld. Die Ehe, vom römischen Papſte Urban VI. gefördert und 1382 gefchloffen, verfolgte ein politifches Biel: Böhmen von feiner unter den Ruremburgern gejchaffenen politifchen Abhängigkeit von Frank- reich loszureißen und England zu nähern. Das gelang zwar nicht, aber immerhin herrſchten infolge diefer Familienver— bindung Anna ftarb 1897 rege Beziehungen zwiſchen beiden Ländern, ingbejondere aud) zwiſchen den beiden Univer-

Brethola, Bei. Böhmens u. Mäbrens. L 14

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fitäten von Orford und Prag. Engliſche Luft ftrömte herüber und war erfüllt von den reformatoriſchen papit- und Firchen- feindlichen Ideen des Wiclifismus; die Schriften Wiclifs fanden Eingang an der Prager Univerfität bei Lehrern und Schülern. Auf diefe Weife lernte fie auch Huß kennen und wie ſchon feine Zeitgenofien erfläcten, haben fie ihm „die Augen geöffnet“, jo daß er fie „Ia8 und wieder las“, mit eigener Sand abichrieb und fie mit Randbemerfungen verfah, die feine Be- mwunderung für den Verfaſſer deutlich) Fundtun: „DO Wiclif, o Wiclif, nicht nur einem wirft du den Kopf wankend machen“; „Teurer Wiclif, gebe dir Gott das himmliſche Königreich”.

Die päpftlice Kurie und der erzbiichöfliche Hof in Prag verfolgten diefeg unerwartete und faft unnatürliche Übergreifen des in feiner Heimat in ſich felbft faft erlofchenen wielifiſchen Brandes auf Böhmen nicht ohne Beforgnis. Schon 1403 wurde an der Prager Univerjität die Disputation über Süße Wielifs unterjagt, das Verbot 1408 erneuert. Das blieb ohne Wirkung. Wiclifs Schriften verbreiteten fidy nur umfo mehr und Huß wurde einer ihrer eiftigften Verfündiger.

Mitten in diefe Bewegung fiel nun die durd) den Schisma - ftreit berborgerufene Neutralitätsforderung König Wenzels an die Uniberfität. Leider verfagte fi) das fremde Deutfchtum an der Prager Uniberfität bei der Durchführung dieſes Ge- dankens, der immerhin einen erjten Schritt auf dem Wege zur Reform der Kirche bedeuten konnte, indem dadurch bezweckt wurde, durch Verweigerung der Anerkennung beider Päpfte auf ihre Abdanfung und die Neuwahl durch ein Konzil hinzu- arbeiten. Huß galt als ein Hauptvertreter der Konzilsidee, begrüßte daher, wenn er ihn nicht beeinflußt hat, Wenzels Entfhluß, die Prager Univerſität durch Umbildung des Stimmenverhältnifjes für die Neutralitätserflärung zu ge- innen. Er hat aud) den König von der Kanzel herab wegen feiner Liebe zum Volke laut gepriefen.

Aber das Auffehen erregende Ereignis des „Exodus“ der drei Nationen hatte neben der ſchweren Schädigung der Uni- verjität jelbjt die Folge, daß die Kurie nunmehr mit größerer

Soziale und geiftige Strömungen. 211

Entſchiedenheit gegen die wielifiſche Richtung in Böhmen ein- ſchritt. Durch eine Bulle des Papſtes Alerander V. aus Abignon vom 20. Dezember 1409 erhielt der Erzbiſchof Sbinko, „mehr Kriegsmann als Priefter“, dag Recht mit allen Mitteln dagegen vorzugehen. Er verlangte zuerſt die Auslieferung aller wiclififhen Schriften. Trogdem Huß, der der erſte Rektor der neugejtalteten Univerſität wurde, ſich widerſetzte, an Papit und König Berufung einlegte, fand die Verbrennung von etiva 200 Handſchriften am 16. Juli 1410 in feierlicher Weiſe ftatt; ein Fleiner Bruchteil der wirklich in Prag und Böhmen bor« handenen Schriften des englifchen Reformators; ein Berluft, der durch neue Abfchriften leicht erjegt wurde. Huß, wie mancher feiner Anhänger, hatte nichts von feinen Schähen abge- liefert und wurde dafür zwei Tage fpäter, am 18, Suli, in den kirchlichen Bann getan. Die Aufregung, die ſich des Volkes ſchon durch das Autodafé bemächtigt hatte, ſtieg. Daß Hub trotzdem weiter öffentlich predigen konnte, beweiſt die Ohn- macht des Ersbiſchofs, die noch deutlicher zutage trat, als die Regierung Wenzel unter Zuftimmung des neuen Papſtes in Piſa Sohanns XXIII. (feit dem 17. Mai 1410), zwar die Ver—⸗ brennung der Schriften Wiclif3 guthieß, aber den Erzbifchof zum Schadenerfag an die Befiker verpflichtete. Dagegen ver- Iamgte die römiſche Kurie, alfo Papſt Gregor XII. (jeit Dezem- ber 1406), daß Huß perſönlich vor ihm erfcheine, um ſich zu rechtfertigen. Huß aber konnte es wagen, geitügt auf die Stimmung im Bolfe, beim Abel, in der Uniberfität und beim Hofe, wo er fich der befonderen Gunſt der Königin Sofie, einer bayrifchen Prinzeſſin, erfreute, der Vorladung feine Folge zu leiften. Der neuerliche Bann, den er hiedurch über ſich am 15. März 1411 heraufbeſchwor, erwies ſich als Fraftlos, Predigt und Gottesdienft gingen weiter. Erft als Huß im folgenden Jahre aus ganz beſtimmtem Anlaß auch gegen das päpftliche Ablaßweſen, dag wie wenige andere kirchliche Einrichtungen autiefft im Volke wurzelte, auftrat, jchien es, ala ob die Lage fi) von Grund aus ändern follte. Someit, daß der Papit nicht mehr das Recht der Sündenvergebung und Ablaßverleihung haben follte, wie Huß ganz im Sinne Wiclif3 lehrte, wollten 10

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biele feiner bisherigen Anhänger nicht gehen. Die Uniberfität fpaltete fich für und gegen den Ablaß, auch König Wenzel und feine Regierung politifhe Gründe, der Plan der Kaijer- Trönung Wenzels in Rom, fpielten mit hinein rüdten bon Huß ab. Leute aus dem Volke, die öffentlich den Ablaß einen Betrug genannt hatten, wurden enthauptet oder in den Kerker getvorfen und gefoltert. Über Huß wurde im Juli 1412 der große Kirchenbann verhängt und in feiner düſter⸗ſchauerlichen Form in allen Kirchen verfündet. Das blieb diesmal nicht ohne Wirkung. Wegen Anwejenheit des Gebannten hörte in Prag aller Kirchen und Gottesdienjt auf, feine Taufe, fein feier- liches Begräbnis fand mehr ftatt, Handel und Verkehr ftodte und Huß klagte: das Volf zeigt nicht jo viel Mut, auch ohne des Papſtes Gottesdienft zu bleiben, die Toten wo immer zu begraben, die Kindlein ſelbſt zu taufen. Es blieb ihm nichts übrig, als Prag im Oftober 1412 zu berlafien, der König, das Volk in feiner Mehrheit hielt ihn nicht zurück. Es mochte ſcheinen, als ob Huß den Höhepunft feines Einfluffeg über- fritten habe, wie Wiclif bei Ausbruch des Bauernkrieges. Eine umfichtige, zielbewußte Regierung hätte den Augenklid nügen Zönnen, die ganze Bewegung einzudämmen und dem Rande allmählich wieder Ruhe und Frieden zu ſichern. Aber Wenzel hatte ja nie die Kraft beſeſſen, ein Ziel klar und be— ſtimmt zu verfolgen, ſtets ſchwankte er zwiſchen entgegengefeß- ten Richtungen und Stimmungen. Huß kehrte zwar in den nächſten Jahren nur zeitweilig nad) Prag zurück, Iebte zuerft in Rogi Hradek bei Aufti, fpäter auf der Burg Krakowetz bei Rakonitz, blieb aber in fteten Beziehungen mit feinen An- hängern in der Hauptitadt, die dort ihre Stellung behaupteten und verftärkten, die huffitiiche Lehre verbreitete fi) auf dem Zande durch Huſſens eifrige Tätigkeit immer weiter. „Sch predige in Flecken und Burgen, auf den Gaffen der Städtlein und Dörfer, in Feld und Wald, zwifchen Heden und unter Linden“, fchreibt er felber. War aber der König nicht mehr fähig, der Bewegung, die die Kirche für Fegerifch erflärte und nidyt dulden wollte, Herr zu werden, dann mußten andere Mächte den Kampf auf fich nehmen.

Soziale und geiftige Strömungen. 213

Seit dem 1. November 1414 tagte in Konſtanz eine Kirchen verfammlung, ein Konzil. Seine vornehmſte Aufgabe war die Befeitigung des päpftlichen Schismas, die, wenn auch erft nad) langen Verhandlungen, vollkommen gelöft wurde. Die Päpſte wurden abgeſetzt oder leiſteten Verzicht. Dann wählte man am 21. November 1417 als alleiniges neues Oberhaupt der Kirche mit dem Sitze in Rom Papſt Martin V. Vorher aber, noch in der papftlofen Zeit, wurde die Frage der Wiclii Böhmen zur Entfcheidung gebracht. Früher einmal hatte König Wenzel den Standpunkt vertreten, daß die Sache de3 Magiſters Hub in Böhmen entjcdjieden werden müffe, daß Landesange- legenheiten nicht vor ein auswärtiges geiftliches Gericht ge- bracht werden dürften. Seht ließ er Huß ziehen, als fein Bruder, der deutfche König Sigmund, der Erbe Böhmens, wie e3 fcheint, äuerft die Anregung hiezu gab. Huß felber war, wie leicht zu berftehen, von zwiefpältigen Gefühlen erfüllt, als er fich ent- ſchloß, vor dag Konzil zu treten, weil ihm ja fein anderer Auß- weg übrig blieb. Zeitweilig war er fiegesgewiß und ſprach da= bon, daß er auf dem Konzil feinen Glauben darlegen werde, damit feine Gegner den wahren Glauben hörten. Daß aber die Verhandlungen, wenn er ſich nicht vom Banne, der auf ihm laſtete, befreie und widerrufe, auch zu feinem Tode führen fonn- ten, mußte er genau. Der Geleitäbrief, den er vom König Sig- mund forderte und der ihm auch für die Hin- und Rückreiſe gewährt wurde, hatte mehr den Sinn, daß er „in Frieden Tommen fönne” und nidjt wie ein bereit verurteilter Neger der Synode ausgeliefert werde. Ein Schußbrief gegen die Ver- urteilung fonnte er nicht fein.

Am 11. Oftober 1414, alfo faft drei Wochen vor Eröffnung des Konzils trot Huß die Reife an. Wie wenig felbft damals noch nationale Gefühle eine Rolle fpielten, beweift die von Huß felber bezeugte freundliche Aufnahme, die ihm überall auf deut⸗ ſchem Boden, in Böhmen, in Bayern, zulegt in Konftanz, zuteil wurde. „Sch bin bisher”, fchreibt er am 20. Oktober aus Nürnberg, „auf feinen Feind geſtoßen.... Ich geftehe alfo, daß nirgend die Feindfchaft gegen mich größer ift, ala bei meinen böhmifchen Landsleuten.“ Sie waren ja aud), wie der

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Pfarrer Michael de Caufis und Stephan Paletſch feine Saupt- mfläger auf dem Konzil. Huß hat in allen größeren Städten, durch die er kam, den Zweck feiner Reife in Iateinifchen und deutſchen Ankündigungen öffentlich Fundgegeben. Nirgend ift eine Gehäfligfeit, nicht einmal Boreingenommenheit gegen Huß wahrzunehmen. Am 3. November Iangte er in Konſtanz ein, ſchon am 28, wurde er unter Verlegung jeines Geleitöbriefes gefangen gefegt und fol hart und unwürdig behandelt worden fein. Erſt im Juni 1415, am 5., 7. und 8. fam es zu einem öffentlichen Verhör vor den Konzilsvätern, am mittleren Tage in Gegenwart Sigmunds. Man forderte von Huß das Be- kenntnis, geirrt zu haben, Abſchwörung der Irrtümer, öffent lichen Widerruf und das Verjpredhen, die Gegenlehre anzu- nehmen. Als er erklärte, Süße, die er nie behauptet habe, nicht abſchwören zu können, das berbiete ihm fein Gewiſſen, erfolgte am 6. Juli feine Verurteilung und noch am ſelben Tage feine Verbrennung vor dem Tore der Stadt.

Gleichgeitig mit Huß wurde fein begeifterter Verehrer, Hie— ronymus bon Prag, der für die Ausbreitung des Wiclifismus in Ungarn, Kroatien, Öfterreich, Polen und anderwärtg gewirkt hatte, ſeit dem Ahlaßftreit aber zumeift in Prag an Huffens Seite ftand, angeklagt. Er war am 4. April 1415 freiwillig in Konftanz eingetroffen, die Gefahr erfennend aber ſogleich ge- flohen, wurde jedoch gefangen genommen, zurückgebracht und ihm der Prozeß gemacht. Er widerrief fogar ganz nad Wunfch des Konzils. Als man dann von ihm noch weiter forderte, feinen Widerruf felber in Böhmen Fundgutun umd dadurch zur Beruhigung des Volkes beizutragen, lehnte er ab. Am 80. Mai 1416 ftarb er wie Huß auf dem brennenden Holzſtoß.

Die Abreife Huffens aus Böhmen war im Lande mit Ruhe hingenommen worden. Seine Behandlung in Ronftanz hatte ſchon peinliches Auffehen und Unwillen erregt, wie die Bu- ſchrift von 250 Mitgliedern des hohen und niederen Adels bom 12. Mai 1415 an das Konzil beweilt. Die Verbrennung aber verfegte da8 Land in eine furdhtbare Aufregung. Ein Teil des Adels ſchickte am 2. September eine mit 452 Siegeln ver- jehene Urkunde nad Konftanz, in der außdrüdlich erklärt

Soziale und geiftige Strömungen. 215

wurde, daß die Verurteilung Huſſens „zur dauernden Schmach und zum Brandmal für Böhmen und Mähren“ gefchehen jei. Sie bedeutete zugleich eine Anklage gegen König Sigmund.

Der Name Huffiten begann ſich an Stelle des früher ge- brauchten Wiclifiten in Böhmen iumd Mähren einzubürgern. Daneben gewann noch eine andere Bezeichnung Anklang. Während Huffens Aufenthalt in Konſtang war einer feinet Schüler, Safobellus von Mies, mit der Forderung aufgetreten, gemäß den Geboten der heil. Schrift das Abendmahl, wie es ſchon früher in der Fatholifchen Kirche üblich geweſen aber wieder abgefommen war, fünftighin unter beiderlei Geftalt (sub utraque specie) des Leibes und Blutes Chrifti zu er« teilen. Und da Huß feine Buftimmung dazu gegeben hatte, was biel zu feiner Verurteilung beitrug, fand man darin ein willkommenes finnenfällige® Merkmal der Abweichung vom katholiſchen Ritus, ein Symbol des Huffitentums, und nannte fi) Utraquiften, oder nad) dem Kelch, deſſen man ſich bei der Spende des Weines bediente, Naliztiner.

Diefen Huffiten, Utraquiften oder Aaliztinern ftellte fich nun alles entgegen was katholiſch war und bleiben wollte, im Adel, in der Ritterfchaft, in den Städten. Es konnte nicht aus— bleiben, daß es zwiſchen beiden Parteien bald hier bald dort au Bufommenftößen Bam, befonders da das Konzil mit ftrengen Maßregeln gegen die Abtrünnigen, Bann, Interdift und an= deren geiftli—hen Strafen, nicht fäumte. Die Verbrennung huf- fitiſcher Sünglinge in Olmütß, die in diefer deutichen und Fathos liſchen Stadt die neue Lehre zu berbreiten fuchten, die Er- nennung des Biſchofs Johann von Leitomifchl, den man neben König Sigmund am meiften für die Verurteilung des Huß und Sieronymus verantwortlich machte, zum Biſchof von Olmütz, beffen und vieler anderer Fatholifcher Geiftlicher Eifer für eine raſche und gründliche Ausrottung der Härefie, all das ver— ſchärfte die Gegenfäße von Jahr zu Jahr und machte den Bruch binnen kurzem unheilbar.

Angeſichts des überaus ftarfen, immer weitere Kreiſe er- fafienden Zunehmens des Suffitentums im Lande glaubte nun aud König Wenzel, der anfangs nad) Huffens Verurteilung

216 Neunter Mbichnitt.

deffen Anhänger begünftigt hatte, der Bewegung Einhalt ge— bieten zu müffen, bejonders als fein Bruder Sigmund und der Papſt ihn dazu mahnten. Huffitifch gefinnte Beamte wurden entlaffen, hufiitifche Priefter mußten ftreng katholiſchen wei- Gen. Im Jahre 1413 Hatte der König ſelber den bis dahin ftets deutſchen, alſo katholiſchen, adjtzehngliedrigen Nat der Prager Altitadt zur Hälfte durch Huflitifche Tſchechen erjegt. Jetzt, 1419, erneuerte er den Neuftädter Rat und ermwählte lauter Ratholifen. Als diefe am 30. Zuli d. X. eine borüber- siehende huſſitiſche Prozeſſion ftörten oder fogar berhöhnten, brad) der Sturm aus, Die Angegriffenen ftürmten in furdt- barer Wut das Neuftädter Rathaus, warfen fieben katho— liche Ratsherren, die ſich nicht mehr hatten flüchten Fönnen, zum Benfter hinaus auf die Spieße und Lanzen der beiwaff- neten Menge. Das war das Zeichen zum allgemeinen Aufruhr, der ſich nun Tag für Tag fortfegte. Der König geriet ob der Nachrichten, die ihm aus der Sauptftadt in jein Schloß Wenzel- ftein überbracht wurden, in furdtbare Aufregung. Am 16. Auguft 1419 erlitt er einen Schlaganfall und ftarb „bor Schmerzen brüllend wie ein Löwe” nod am felben Abend im Alter von 69 Jahren.

Bevor fein Erbe und Nachfolger, der deutſche König Sig- mund die Regierung antreten fonnte, brachen hier die Hufliten- kriege auß, die alle Verhältniffe in Böhmen und Mähren boll- ftändig ummandelten, die beiden Länder auf eine ganz neue Grundlage ftellten.

Anmerkungen.

Erfter Abfchnitt.

1. (S. 1). Als allgemeine Literatur für biefe Fragen vermeife ich auf: E Bernheim, Lehrbud ber hiſtor. Deitode, u. ber Geſchichtsphiloſophie. 6. Aufl, 1908; E. Bernheim, Einleitung in bie Geſchichtswiſſenſchaft (Slg. Göſchen). 1905; U. Meijter, Grundgüge der hiſior. Methode (Grundriß der Geſchichtswiſſen- —X Zur Einführung in das Studium der deutſchen Geſchichte es Mittelalter8 und der Neuzeit, Hrg. bon U. Meiſter, Bd 1, Abt. 6). 2. Aufl. 1918; &. Wolf, Einführung in das Studium der neueren Gefchichte. 1910.

. (S. 4). Eine Überficht der Urkunden, die fih auf Böhmen und Mähren beziehen, gint das Wert von K. %. Erben u‘. Emler, Regesta di

»

iiplomatica necnon epistolaria Bohemise et Moraviae (für die Zeit bon 6001346), 4 Bde. Brag, 1855—1892; vollen Abdrud der auf Mähren bezüglien Urkunden: Codex dipl. et epist. Moraviae (896-1411), 15 Bbe, Olmüt-Brünn, 1886—1903; für Böhmen und Mähren: G. Friedrich, Codex dipl. et epist, regni Bohemiae (8307—1230), 2 Bde., Prag, 1904—12, 8. (6. 5. Die wichtigſten fremden Chroniken für bie Geſchichte Böhmen? und Mährens in diefer Zeit find: Die Chronit des Negino bon Prüm (} 915); die Jahrbücher bon Fulda aus dem 9. Jahrh.; die fächfiiche Gedichte. Widulinds dv. Korvei (967); die Lebenẽgeſchichten der Heiligen Wenzel u. Adalbert vom Eni des 10. Jahrhs; die fächftfche Beicichte Thietmars v. Merfe- burg (9876—1018); vgl. dazu W. Wattenbud, Deutſchlands Geſchichtsquellen im Mittelalter, Bd. 1 (7. Aufl., 1904), BD. 2 (6. Aufl., 1894); W. Botthaft, Bibliotheca historien medii aevi. Wegweiſer dur die Geſchichtswerke des europ. Mittelalters, 2 Ehe 2. Aufl, 1895—86; ©. Torenz, Deutfhlands Geſchichts quellen im Mittelalter feit ber Mitte des 13. Jahrhdrts., 2 Bde., 8. Yufl., 188687. . (©. 5). Über die Gtreitfrage, ob e8 einen älteren böhmiſchen Chro» niften, namens Chriftian, gibt, vgl. ®. Bretholz, Zur Löſung ber. Ehriftianfrage, in: aciter d. deutfchen Vereines f. d. Geſch. Mähren u. Schlejiens, X (1906), 1 ff. J (©. 5). fiber die böhmiſchen Chroniken vgl. F. Palackh, Wür- digung ber alten böhm. Geſchichtſchreiber, Prug 1880, und die in Anm. 8 genannten Werke. Veröffentlicht find die. nuttelalter« lien Chroniken in dem großen Werte: Monumenta Germaniae historiea, Scriptores; danr. in den Fontes rerum Bohemicarum,

»

x

218

Anmerkungen.

6 DBbe., Prag 1878—1907, foweit fie fi auf Vöhmen beziehen. Biele in beutfcher Überfegung in: Geſchichtſchreiber der deutſchen Vorzeit, 2. Gejamtausgabe.

6). Vgl. bie allgemeine: Werte: Rukovöt

10.

döjinam Üteratury denke do korce 18. veku (Yandbud) 3. Gef. ber böhm. Literatur bis 3. Ende bes 18. Jahrh.’s), Prag, 1875; J. Yalubec, Gef. der dech. Literatur, 1907, und die größeren acsitsen Riteraturgefhichten bon }, Vie ei J. YJatubec,

®. Flajöhans; ferner R. Wolfan, u ber deutſchen Kiterahur in Diner bis 3. Ausgang bes 16. Jahrh. DR 100, und Böhmens Anteil an ber deutfchen Literatur des 16. Jahrh.’3,2 Vde. 1890-91; Chr. dElveri, Hiſtor. te bon Mähren u, Öfterr.-Schlefien, Brünn i

. (©. 9). Kal, * —* Weſchichte Böhmens, I ET.

(1920), 267 it Hajek dafelbit

(&.10). BL. 3. 9a nu 8, Podätky —E döjerpytu v Oechäch (Die Bnfänge Bil, rit. Gefsictsforfäung i. Böhmen), in: Ceskf &as. hist. X , 5 ff. und Listy filolog. XXXVI (1909), ©. 141; Dobne selbftbiogeaphie in: Cesky as. hist, XXI (1917), 129 ff.

. (©. 10). Wenc. Hagek a Liboosan Annales Bohemorum e bohemica

editione redditi... a L. Gelasio (Dobner), 6 Bde, Brag 176182. (©. 10). Diefe und andere Literatur iſt verzeichnet bei 0. Bibrt, Bibliografie Zesk6 historie (die Bibliographie der böhm. Gejdjichte), IL, 791—85; dad umftändlicde Werk, borläufig 5 Bde. (1900-12, u behandelt bie Zeit bis 3. 3. 1679,

©. 11). Diet} ifhe, ftart erweiterte und veränderte Aus - ee u. b. X. Döjiny närodu esk. v Cechäch a na Moravö (Gejdj. des tichech. Volkes i. Böhmen u. Mähren) begann 1848 gu erſcheinen und wurbe gleichfalls 1867 abgeſchloſſen. Won der deutſchen Ausgabe erſchien ein 2. Abdrud feit 1844, ein 8. feit 1864; bon ber iſchechiſchen mehrere Aufl.; vgl. Zibrt a. a. O. (S. 11). Vgl. 8. Novotnf, Ceske dejiny (f, unten Anm. 20) g 9 mit ber dort genannten Literatur; aud) J. Hanus ©. 468.

. (S.12). Vol. J. Gebauer, Unechtheit ber Königin) fer u. Grünes

berger Handigrift, in: Archis f. flaw. Philologie, X (1887), 496 ff. I. Trubläf, Zur Deleu tung des nee in Böpmen, in: Mitteil. d, Inf. f. öfterreih. Gefhictsforichung, IX (1888), 869 ff. Den volliten überblid über die Gtreitfrage bietet: 3. Sanud, Padesätilet& diskusse o rukopisech (Die 80; A ufjion über die Handſchriften), in Tinty filolog. XXXII (1806), 109 ff.; dazu I Hanus, Die este böhm. Gedichte aus den 2 1816-49, Prag, 1868; J. J. Hanus in: Pamätnfk na oslavu padesätilet£ho panovnickeho jubilen..

Frantiäka Josefa I. (Denkſchrift 3 50jähr. Regierungsjub. R. Franz Jofefs L), herausgeg. v. d. tſchech. K.-Frang · Joſefs-

14.

1, 16.

17. 18.

19.

Anmerkungen. 219.

Alad. Prag 1898, II, 16-88; 3. Kniefchet, Der Streit um bie 8. dandſchrift, in: Slg. gemeinnüß, Rorträge, Prag, 1888; ®. Kifch, Der Kampf um die 8. Hanbiärift, ebenda Kr. 4724 (ie uni Aue), 5 25 Ba bet, mit ee Bibliographie; %. Sruby, Be :opis A ee 2 Santa bie 8. N, im: das hist, X (1917), 1 das. desk. musea VIII "(1884), 484; b u J. Ha⸗ —* —E derra 19. stol. (Wöhm. Kitera: Be des 10. Yahıh. ’3), I (1902), 892. Balackys Ainfiäten über bie Senbiäritien j. in feinen „Gebenfhlättern“, Prag, 1874: Nr. IV; Nr. XXIX. Safafil.- Balactf, Die älteiten —e der böhm. Sprache, Prag 1841, J. Belaf (Ces. das. hist, VIIL, 2a) wirft Balack$ vor, daß feine Antwort auf Büdingers Einwände gegen die Echtheit der Handſchriften „ſch wach und redt un. aufriätig mar (slab& a dosti neupffmne)“. (©. 17). Qgl. Jatubec ©. 147 und Literatura desk& ©. 8645. (©. 17)._Bgl. T Lippert, die Wyſchehradfrage, in: Mitteil. d. Ber. f. Geſch. d. aentiöien in Böhmen XX (1898), 214, 215. (©. 17). Vgl. I (1848) ), 12 ff. (©. 17). In dem Aufſatz „An- und Ausſichten der böhm. Sprache u Riteratur vor 50 Jahren“ en} 1822, in „@ebentblätter” a. ©. ©. 19, 20; dazu J. Kaloufet, O vüdeich myälenkäch * hist, ätle Pal. (Über bie Teitenden green in Balacty’s hiſtor. Werke), in: Pamätnfk nn oslavu stych narozenfn F. P. (Bent. ſchrift 3. 100jähr. Geburtsfeier F. wel. 3), Prag, 9868, ©. 209 ff. (©. 18). Olim equidem sub Ottonibus, Henricis Fridericisque Germania florente etiam opes (nostrae) in immensum ereveruut nobilissimaque portio vestri imperii Boemia putabatur; nune autem rebus vestris inclinantibus no quoque non solum incli- namus, sed plane ruimus. Bol. J. Truhläk, Listär Boh. HasißtejnskCho z Lobkovic (Die Briefihaften B. 9. v. 2.) in: Sbirka pramenüv, Reihe II, Nr. 1, ©. 176, Nr. 146. iS 19). Die Befannteiten Dazftelungen ber, böhm.-mähr. Ge» omel, Geſch. Boͤh Ihmens. Aus dem Böhm. überfeßt. Tan 1865 (reijt bis 3. J. 1860); 2) 8. Sötelingen eich. Vöhmens, 2. Aufl., Prag, 1879 (bi? 1848); 3) 4. Bahmann, ses, Vöhmend, 2 Bde, 1809, ‚eske Döjiny Böhm, &eic. Prag 1912, © 1, g. 1. 2 (bi 1197; 8b. 9, X. 2 bearbeitet v.R. Urbänel, behandelt bie 3. 1444-1467); ® Brethols Sienere Ni Vöhmenz, Bd. 1, 1920 „ga jandelt 1526—1576). 2. Dubdit, Mährens allg. Gefch,, de. Brünn, 1860—88 bis 1860); ®. Bretholz, Gele Da rend, L T. 1.2, Brünn 1898. 95 (bis 1197); R. ne Rielag Geſch. Vahrens) Brünn, 1899-1908. 1914; ®. Bretholg, Gele. Vöhmens u. Mährens bis 4. Ausfterben der Premyzliden. 1806.

Anmerkungen.

10. 11.

12.

1912; 8. Beer, Gefch. Böhmens mit bef. Berüdfichtigung der Geſch. der Deutihen in Böhmen (Subetendeutiche Bücherei), Reichenberg, 1921. Die Arbeiten von E. Denis werben bei ben einzelnen Abſchnitten angeführt werden.

Zweiter Abfchnitt.

. (&. 21). Nach der Baſeler Ausgabe (1575): Quae res palam

indicat, regionem ipsam olim Teutonicam fuisse sensimque sub- intrasse Boicmos, quod Strabonis testimonio confirmare licet (©. 5); dann: Nos ista tanquam anilie deliramente praetermitti- mus (©. 6).

. (S, 21). Tacitus cap. XXVIII: ... Boii, Gallica gens. Manet

adhuo Boiohacmi nomen significatque loci veterem memoriam quamvis mutatis cultoribus. Vgl. die Ausgabe mit Erläuterungen bon Ed. Schioyger (1912), ©. 82.

. ©. 2). Vgl. 2. Schmidt, Geſch. der deutſchen Stämme bis

zum Ausgang ber Völferwanderung, II (1911), 8.

. (©. 22). Ebda ©. 62, Anm. . (©. 23). Ebda S. 325; die auf Tacitus zurüdgehende glaub-

mwürdige Annahme, daß die Hermunduren in Böhmen an ben Quellen der Elbe jagen, verſucht er zu widerlegen ©. 171.

. (©. 28). Ebda ©. 159. 160. 325 u. f.; wegen Marobudum ©, 168.

(&. 25). Tacitus, Annales II, 08. (©. 26). „Die Marcusfäule in Rom“, hrg. von Peterſen, Dos maczewäli, Calderini (1896); 2 Bde. Abb., 1 Tertband.

. (©. 28). 2. Schmidt a. a. O. ©. 199 verlegt ohne nähere Be-

gründung Fritigils Herrfchaftsgebiet in einen „an die Donau an- grenzenden Gau“, während „die Hauptmaffe des Volles nad wie bor in Böhmen ſaß, wie fich aus den Yunden ergibt“.

(S.28). VgL.U.Naegle, Kirchengefchichte Böhmens I (1916), 10. (6:2) ©. Balac!$ 1,51; Bahmann I, 59 nimmt war feine völlige und dauernde Abwanderung ber Markomannen aus Böhmen zu jener Zeit an, aber doch eine Unterwerfung unter die Hunnen, Zeilnahme am Hunnenzug und ſtarke wächung in Böhmen, aber ohne Beweife. Daher trat diefen Anfichten ent« egen Nobotny 1, 1, 162, teilweife in Übereinftimmung mit ® Sämidt aa. O. Die ganz rätjelhafte Nachricht von einer Serzichaft Attila in Böhmen geht zurüd auf das Chron. Venetum (Altinate) aus dem 10. Jahrh. (Mom-Germ. Seript. XIV, 44) und lautet: Atila... it (obsedit) ... . Concor- dia... . Cardisana . .. Ovederco... . Ausolum castellum, Boemia. (©. 29). Vgl. insbejondere R. Much, Deutſche Stammfike (1892), ©. 50.51; 2. Schmidt, Allgem. Geſch. der germ. Völker bis zur Mitte bes 6. Jadıh.’3 1909, ©. 172 ff.

Anmerkungen. 221

18. (©. 29). Rgl. den ſchönen Auffag von $. Thudihum, Rechts- gebichtiner Streifgug durch Norbböhmen, in: Beil. 3. Allg. Bei- tung in Münden, Jahrg. 1901, Nr. & ontag 18. Ser).

14. (©. 80). Vgl. Novotnfa.a. O. ©.

16. 8; 30). Bol. 3. Lojertb, Die getafagfı der Zangobarben in

öhmen, Mähren und NRugiland, i in: Mitteil, d. Inſt. f. öfterreich. Geidichtsforfäung II (1881), 858 ff.

18. (©. 81)._ Die Anfiht von KafparBeuß, in befien Berüßemten Buche „Die Deutſchen u. ihre Nadbarbölfer” (1839), ©. „und in ber Abhandlung „Die Herkunft der Bayern von ben ‚arlo- mannen gegen die biöherigen Mutmaßungen bewiejen“ (1857).

17. (©. 81). M. Doeberl, Entwidlungsgefh. Bayerns I (1906), 8.

18. (©. 31.) Ebda. ©. 6.

19. (©. 81). Schon Balacty Hat auf bie Sehaltung Zeltifder Namen in Böhmen hingewiefen; er recnete dazu ben Bergnamen Rip u. die Flußnamen Wltawa (olban), Gizera (Iſer), Labe (169; bgl, Cas. &esk. mus, Jahrg, 1892, ©, 289; dazu Nobotn$ a. a, D. ©. 195. 36) Habe den Ortsnamen Brünn aus dem Keltiihen au erHlären berjudt, j. Geſch. ber Stadt Brünn (Brünn 1811), ©. 10 ff. In einer Urfunde vom 22. Oltober 1045 (Cod. dipl,

em, I, 3565) heißt die böhm. Bergitabt Eulau: Ylou und u dort abgeleitet von ylouare, d. B. goldgraben (aurum de terra decutere). Der Name ift weder noch ſlawiſch zu erklären (wenn Brandl, Gloſſarium ©. 83, daraus ein. br [jes Wort „ilovati“ madt, fo ift das gang willfürlih). Ob ber ame keltiſch iſt, wie wahrſcheinlich angunermngi/ tann ich nid)

beurteilen. Won dem gleichen Wort ylovare, Ylou jch ie bann aud) al baeieitet werben gu müffen der Name der mährifchen Bergſtadt Fr jo daß auch diefer Name terifh fein dürfte. Xgl. auch J. Partſch, Vitteleuropa (1904) ©.

2. (©. 8). Vgl. D. Schäfer, Deutihe Geid. Fr 3.

21. (©. 83). Ebda ©. 44.

Dritter Abſchnitt.

1. (©. 8). Schon Balactf I, 86, fagte, daß die verſchiedenſten & re zwifchen 278 und & 4 angegeben wurden; vgl. meine Geld).

jmens u. Mährens ©.

2. «© 8). So ®. —A 8 D., I, 1, ©. 287. 800.

8. (©. 8). Vgl. feine Abhandlung über Samo in Borns Abhand- Iungen einer Privatyefelihaft in Böhmen I (1775), 242.

4. (©. so). Es iit die Conversio Bagoariorum et Carantanorum aus dem 9. Sahrh. (Mon. Germ. SS. XI, p. 7) mit der bejtimmten Angabe, dat; unter dem Frantenkönig Dagobert (629839) Samo Herzog der Slawen in Kärnten (( antanis) war. Es gibt

222 Anmerkungen.

einen ernftliden Grund, biefe Nachricht in Frage zu giehen, noch aud Samos Herrſchaft über dieſes Gebiet Hinaus weit nad) Norden bis Böhmen auszubehnen,

5. (©. 86). Wie allgemein angenommen die Palack 'ſche Anficht in der deutſchen Geſchichtsliteratur ift, dafür nur einige wenige

Belege: älefinger ©. 16: „Samo gebot über die Tſchechen,

bie Mährer und die Tarantanifhen Slawen’; Bachmann L 86: „Über die Gebiete der außerungarifhen Slawen, wie es ſcheint Böhmen und die SOftalpenlande, herrſchte Samo”;

. ©. Schulze, Die Kolonifierung und Germanifierung der Gebiete zwiſchen Saale und Elbe (1896), S. 5, Anm. 4: „Samo war... 623—624.... zu ben Böhmen gefommen, die damals ihren Befreiungskampf gegen die baren bereit begonnen hatten“; Zampredt, D. Wei. II (1904), 27 fpricht ohne Sinföräntung bon dem Cechenfürften Samo“, u. ſ. f. Der einzige O. NE me et („Das Reich des Slawenfürjten Samo“ im 23. Jahresber. ber dt. 8.-Oberrealjhule in Mähr. Oftrau f. 1008 / 6) beftritt die hergebrachte Anſicht von „Samos großem Reich“ und befien Aus- dehnung über Böhmen, und wies mit Recht hin auf die „fug- gejtive Macht eingewurzelter Vorftellungen“.

6. (©. 86). Die insbefondere von 9. Schreuer (bgl. feine Unter- funungen zur Verfaſſungsgeſchichte der böhmiſchen Gagenzeit, 1902, ©. 18) verſuchte Gleſchſtellung Samos mit Premyjl ent« behrt jeder Wahrſcheinlichkeit; vgl. dazu Novotnf a. a. O. ©. 267 mit reicher Xiteratur, Nömedel u. a.

7. (©. 86). Als Anhaltspuntte das Vorhandenfein von Slawen aud in Böhmen im 8. Jahrh. liege ſich anführen, daß der Heil. Bonifag 751 der „Slawen, die im Lande der Chriften wohnen (de Sclavis Christianorum terram inhabitantibus)“ aber ohne nähere Bejtimmung ſpricht; ©. Schulze, Die Kolonifierung ©. 9, nimmt an, daß damit Thüringen und das äftiche Franken gemeint fein dürfte, alſo weitlic von Böhmen gelegene Länder. In Bonifaz' Biographie it auch die Rede von Kirchen an den Grenzen der Franken, Sachen und Slawen; ſ. Jaffe, Bibl. ver. Cerm. I, ©, 228, 461.

6. (©. 87). Auch Balacty I, 160 ift dies aufgefallen, nur mußte er feiner Grundauffaflung entſprechend ſolche lichkeiten ent» ſchieden ablehnen.

2. (©. 89). Der Wortlaut der Stelle lautet: Selavi qui dieuntur Beheimi, was nad) Novotny a. a. O. ©, 267 bedeutet: Slawen bie vom Lande Böhmen ihren Namen haben, nit aber: Slawen, die Böhmen heißen. Daß ber Name „Ziehen“ nicht, wie man

über angenommen bat, ſchon in den fränkiſchen Quellen bor-

mt, ift Heute allgemein anerkannt; ſ. meine Geſch. Böhmenz und Mährens ©. 45. Über den Urfprung des Wortes f. Novotny 11,6. 2858, 1,2, ©. 62.

Anmerkungen. 228

10. (S. 39). Der Wortlaut: XIII ex dueibus Boemorum läßt darauf fliegen, daß die Gefamtzahl größer war.

11. GS. 40). Die Diefelbigteit ber beiden Namen Wratizlaus und Witizla, die oft angegmweifelt wurbe (f. Novotnf 421) ift ‚paläoe raphiſch leicht zu erklären, benn ein abgekürzt ‚gelgriebenes drzla® ante mit Überfeyung ber Kürzungszeichen leicht wirds gelejen werben.

12. (©. 42). Die Form Swatopluk ift bie tſchechiſche, die auch in deutſchen Werfen vielfe gebraucht wird. Die urſprünglichen Quellen, die fränkiſchen Chroniken und die päpftlihen Urkunden, kennen fie noch nicht,

18. is: 46). Es wirb bezweifelt von U, Sa ud, Kirchengeſch. Deutjch- lands II (1900), 694, entfchiedener beftritten von Nobotnf 291 im Gegenſatz zu ben meiften früheren Hiftorifern; ſ. auch A. Naegle, Kirchengeſch. Böhmens I, 1 (1915), 51.

14. (©. 48). Hauda. a. ©. ©. 6M.

15. (©. 58), Vol. oben Anm. 4 zu ©. 8.

Dierter Abſchnitt.

1. (S. 56). Die Gleichftellung mit Weitra in Nieberöfterreich wegen

ſcheinbarer Namensähnlichteit ift durchaus willkürlich.

(©. 59). Vol. D. Schäfer, Deutſche Geſch. I, 140 ff.

(©. 59). wel. €. Mühlbader, Die Regeſten bes Kaiſerreichs

unter den Karolingern. 751—918. Bd. 1 (2. Aufl, 1908), ©. 802,

Nr. 2005 (1958).

4. (S. 61). Daß 929, und nicht, wie big vor kurzem mit Balact$ allge» mein angenommen wurbe, 985 oter 936 K. Venzel J. Todesjahr ift,

ibe ich, unabhängig von J. Pekar, der kurg zuvor dieſelbe nficht ausſprach, nachgewieſen in einem Aufſatz im Neuen Archib f. ält, deutſche Geſchichtsforſchung XXXIV (1909), 867 und wird bon ben neueren Forſchern allgemein angenommen, f. Novotn$ I, 1, 478, U. Naegle 1, 2 (1918), 276 u. a.

5. (©. 68). Novotny ©. 489.

6. (©. 72). Seine Herkunft ift unbefannt, denn daß er ein Sohn des Geſchichtsſchreibers Tosmas geweſen fei, wie ganz allgemein angenommen wird, beruht nur auf einem Mißverſtändnis einer Cosmasftelle; vgl. meine Geſch. Böhmens u. Mährens ©. 227, Unm. 1; Nobotnf 1, 2, 687.

. (©. 74). Ih fchreibe hier und fpäter „Otafar“ und nicht, wie in deuiſchen Büchern Beute allgemein üblich ift, „Ottolar“, weil nur die erſte Form durch die Originalurfunden allein überliefert ift. Bei den Ehroniften erſcheinen begreifliherweife bie ver- ſchiedenſten Formen und Verballhornungen, aber auch bort über wiegt diefe Form. Wenn Palactf I, 1, 65 davon jpricht, daß

E22

PR}

24 Anmerkungen.

dies „die nationale Namensform” fei, jo iſt dies nicht richtig, denn auch die Fürſten dieſes Namens in Steiermark werden „Dtafar“ und nicht „Ottofar” genannt; vgl. 9. irchegeer Geſch. ber Steiermark I (1920), Stammtafel u. Text ©. 125 ff.

Fünfter Abſchnitt.

. Di. Vol. Oſw. Redlich, Eine Wiener Brieffammlung 1894), ©. 2.

. (S. 79). Vgl. M. Eisler, Geſch. Brunos von Schauenburg, in:

Zeitſch. d. deutſchen Vereines f. d. Geſch. Mährens u. Schleſiens

VIII (1904), 2839, IX, 885, X, 837, XI, 86, 844.

(©. 80). gl. 8. Bretholz, Die Tataren in Arätnen, u, bie moderne mährifce Urfundenfälfhung, ebenda I (1897), 1.

4. (©. 84). den Wortlaut in latein. Sprade im God. dij Moravise II, Pr. 199 u. 201.

5. (©. 84). Auf ben wirtſchaftlichen Aufſchwung in Böhmen und Mähren während feiner Regierung fomme ih in den nädjiten Abſchnitten zurüd. Ihn allein oder hauptſächlich feiner Tätigkeit augufchreiben, liegt bei der Art der ihm Buldigenden zeitgenöfli= ſchen Überlieferung nahe, entſpricht aber nicht kritiſcher Geſchicht- ihreibung. Schon 3. $. Böhmer made die zutreffende Be- merfung: „Bu der Vorftellung, bie ſich Balacky von Ottokars Eha- rakter und Handlungsweife macht, pafien die hier aujammen- gejtellten Tatſachen Fa nicht. Ich bedauere, da dieſer font berdiente Hiftorifer hier gröber und weiter von der augenfhein- lien Wahrheit abgewiden ift, ala man der Vaterlandsliebe nadjehen Ian.” sta imperii. Die Megeften des Raifer- reihe ... 1246-1318, Stuttgart 1844, ©. 98.

6. (©. AN "Für die Beziehungen Otakars II. zum Reich und zu 8. en, bgl. insbeſondere Ofjw. Redlic, Die Regeſten des

Raiferreihs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, einech VII. 1273—

1318, Innsbruck 1898; daneben deſſen Bud: Rudolf von Habs»

burg. Das Deutſche Reich nad) dem Untergang des alten Rail ijer-

tums, 1903. Dann auf O. Lorenz, Geih. K. Ottofars

Böhmen u. feiner Zeit (Wien 1866), ein Separatabdrud aus

feiner Beutfüen Geſch. im 18. u. 14. Jahrh., Bd. 12. (Wien

367). 1.©. Fin Vgl. D. Schäfer, Deutſche Gef. I. (1916), 3607 1. 8 (©. 91). Er hatte Dtafard II. natürlide Tochter Elifabeth (Agnes) geheiratet, Über Ad und ihre Mutter, die man für eine Nuenringerin hielt, vgl. E. Frieß, Die Herren bon Kuen · ring, 1874, ©. 170, Er 9. (©. 98). Comer, Geſchichte vornehmlich, allerdings mit zahlreichen Rücblicken in die älteren Zeiten der böhmiſchen Geſchichte, Au der erite Band des zweibändigen Werkes bon J. Sujta, Dvi

vv =

®

Anmerkungen. 225

10.

»

[S]

‚Unter dem Ießteren wurde auch Mähren Zolonifiert. Die Für

knihy eskfch döjin. Kus starovek6 historie naäeho kraje [Bwei Bücher böhmifcher Geſchichte. Ein Stück mittelalter- lijer Geſchichte unſeres Gebietea], 1917, gewidmet. Es ſoll eine Ehrenrettung Wengels II. darftellen, hauptſächlich gegenüber der abſprechenden Schilderung dieſes Fürften bei Palady; in Wirt- lichteit ift es nur eine Schönfärbung, indem der politifhe und Zulturelle Aufiäwung Böhmens in diefer Periode als das Wert des Königs Hingeftellt wird. (©. 8). Die Hauptquelle für die Regierungszeit Wenzels II. und ID, find die Königfaaler Geſchichtsquellen, herauögegeben bon I. Bolereh in den Fontes rer. Austriacarum. I. Abt, Scriptores, 2b. VII (1875). Sie find entjtanden im Klofter Königfaal, einer Gründung Wenzel3 II. aus dem J. 1292. Den weſjentlichſten Xeil bildet eine Lebensbeſchreibung des Gründers, Wenzel IL, „ganz in legendenartigem Style,“ von dem zweiten Sönigfaaler bt Otto von Thüringen begonnen und von befien Nachfolger Beter von Zittau bis in bie Regierungsgeit K. Johanna des Luxemburgers fortgeführt, Das ganze Wert „Chronicon Aulae regise“ wurde dann laut Auftrag viſchof Johanns IV. von Prag überarbeitet von dem Prager mberen Franz, geft. 1362, in feiner zweiten und letzten % Karl IV. gewibmeten Faſſung bis zum 9. 1862 reichend. Cine zweite Iateinifhe Ausgabe in den Font. rer. Bohem. IV (1884), 1 ff.; eine tee). Überfegung von 3.8. Noval u. V. Rovoiny ala Chronica Zbraslavsk& (rag 1906).

Sechfter Abfcpnitt.

(S. 102). Bgl. U. Hauffen, Die bier deutihen Volksftämme in Böhmen, in Mitteil. d. Vereines f. Geſch. der Deutſchen in Böhmen XXXIV (1896), 181, aus dem bie erfte, und ©. Weber, 1848. Sechs Vorträge (Aus Natur- und Geijteswelt BD. 58, 1904), ©. 83, aus dem die zweite Anführung herrührt.

. (S. 108). Als Belege bürften genügen: I, U. Beehe, $. Hei-

drih und J. Grungel, Oſterreich. Vaterlandskunde f. d. oberite Klaſſe der Mitteljhule, 6. Aufl. (1915), ©. 169: „Won befonderer Wichtigkeit wurde die deutfche Einwanderung etwa jeit dem J. 1200, alfo unter den Königen Ottofar I, Wenzel L und Ottofar A

n sogen beshalb ins Land, weil ſie an ihnen eine Stütze gegen die Großen fanden, und der Heiß der Einwanderer bie Einkünfte der Krone fteigerte;“ vgl, ai S. 199. I. ©. en Deutſche Gejch., 5. Aufl. (1916), I, 342: „Was fih an Deutſchen in Böhmen und Mähren niedergelaffen Bat, ift von ben Landesherren herbeigerufen worden, zu allermeift um die Bildnis zu roden ober im Boden verborgene Schäße zu gewinnen. So iſt es gelommen, daß der Nand beider Länder, vor allem der

Breipolg Geld. Böhmens u. Mahrens. I. 15

226 Anmerkungen.

fie umgebende Gebirgswall fo gut wie ausſchließlich von Deut ſchen bewohnt wird." ©. 860: „Ottofar II. iſt ein Yauptförberer deutſcher Einwanderung in Böhmen und Mähren geweſen.“ I. 8. Lampredt, Deutſche Geich., 3. Aufl. 008), III, 897: So veriteht es fi, wenn die Könige Böhmens in der 1. Hälfte bes 18. Jahrh. ... . aud) in ihren Landen va beutfihen Bürger tum... Eingang ufften;“ vgl, auch ©. 884, 894 u. f. TV, Midael, Get des deutſchen Woltez, 8% Fr (1897), 1, 126: „Doch der Strom ber Auswanderung . . . ergoß fi aud, wenngleid) in geringerer Stärke, nad Böhmen, nad) ähren . .” Mit Recht fogte daher {don W. Schulte, Silefiaca (Breslau 1898), ©. 64, dab das Bild, das Lamprecht und Michael in ihren Deuifhen Geigigten von ber ſchleſiſchen Relonifation gezeichnet haben, „in feinen Hauptzügen unrichtig ift.“ Ahnlich wie die {don genannten Hiſtoriker fpricht über die böhmiſche u. mähriſche KRolonifation aud Th. Lindner, Geſch. des deutfchen Volles, 1 (1894), 184/56. Bon ben beutjch-böhmifchen Gejhichtsfchrei« bern wird jpater im Text jelber zu reden fein.

8. (©. 103). Vol. 9. Lojerth, Kritifhe Studien zur älteren Ge- ſchichte Böhmens. I. Der Herzog Shitihniew und die angebliche Vertreibung ber Deutſchen aus Böhmen, in Mitteil. d. In⸗ ſtituts f. öſterreich. —B——— IV (1883), 177.

4. (©, 104). Bol. J. ubec (U, Nova), der tſchechiſchen Riteratur (Teipgig 1907), ©. 16, deſſen Ausführungen zurüdgehen auf 3. Jiredek, den Herausgeber des Dalimil in den Font. rer. Bohem. III (1882), ©. XIII, u. $. Tadra, Kulturnf atyky Cech s eizinou a3 do välek husitskych [Kult, Beziehungen Vöh- mens mit der Fremde bis zu ben Huffitenkriegen], 1897, ©. 318. Ebenfo erklären ſich die in der alttſchech. gereimten „Alegandreis” (Anf. d. 14. Iht3.) dem Helden in den Mund gelegten, gegen das

embe Deutſchium gerichteten Worte: „Die Deutjchen, diehier Gäſte

jind (Nömei jiz sa zde hosei)“ und andere, die wörtlichen An-

Hang an Dalimil zeigen; vgl. F. Z. Pruſit, Staroẽ. Alexandreidy

rfman. rag, 1896, ©. 58 unb Font. rer. Bohem, III, ©. 92, 8. 48-82, deutid 2. 100-107.

b. —— VvolJ. Sanus, F. M. Pelcel, Ceskf historik a bu-

1 [FM P., De eh, Hiftorifer und Wiedererweder], in:

Be teske akı AL, Nr. 38 (1914), ferner 3. lee,

Döjiny desk6 —Se Hm 1 (1898), 168 ff.; 93. Sauber a. a. O.,

©. 120 ff.

(©. 105). Kal. u FAME) Y Der Banflawismus bis zum Welt-

Trieg (1919), ©. 2,8 -- Auch Majaryk Hat erklärt: „ES

it interefjant, daß Die Hhöesifgen Wiedererweder die Grund» een ber deutfchen Philoſophie afgeptierten und auf das Slawen

tum appligierten. Wo Herder bom Deutfchtum fpricht, dort ſchreibt Kollar vom Slawen», reſp. Tſchechentum. Walacdig ift

Anmerkungen. 227

Kants, Smetana Fichtes Anhänger. Originelles gibt es nur wenig in der Philofophie unjerer Wiedererweder.“ G. Fluſſer, Aus Maſaryks Werten, 1921, ©. 98.

7. (©. 106). gl. etwa in der 3. Auflage (1782), Bd. I, ©. 66, 68, 89, 94, 108, 185. ©. 18 nennt er die Slawen in Böhmen „Roloniften“.

8. (©. 106). In den Abhandlungen der Böhm. Geſellſchaft d. Wiſſ. auf bad Jahr 1788 (Prag u. Dresden, 1789, ©. 344-883), fort-

ejeßt u. d. T.: Geſch. der Deutihen u. ihrer Sprache von 1341

i Neuere Abhandlungen der kön. böhm. Gef. d. Wiſſ. I (1790), 281—864. Als „eigenartig“ bezeichnet die Abhand⸗ lung Viẽet a. a. O. ©. 120.

9. (©. 108). So W. W. Tomet im Öas. desk. mus. XIX (1845), 214.

10. (©. 106). Es genügt Bier, auf %. Schlefinger, he Böh- mens, 2, Aufl. (1870), ©. 88—97, hingumweifen. Neuejtens hat W. Weizſacker in einem Aufſatzt Das Recht der Fremden in Böhmen, in ben Mitteil, f. er . d. Deutfhen i. Böhmen, LIX (1921), diefe Lehre vertreten; vgl. ©. 29, 40, 47.

11. (©. 108). gl. meine Geſch. Böhmens u. Mährens, ©. 819 ff.

12. (©. 108). Cosmas III, 7.

13. (©. 108). Aus 2. Schlefinger ©. 91, 182, 176; ähnlich bei den meiften anderen Verfaſſern boͤhmiſcher und mähriſcher Geſchichts- bũcher; auch in der neueſten „Geſch. Böhmens“ bon 8. Beer

(1920) Heißt es ©. 24: „Mit Vorliebe wurden au folder Neu» bejegung (bon Nloftergütern) Leute aus ber mohlvertrauten Heimat herbeigeholt.“ Großes Gewicht legt auf die Folonifa- ioriſche Arbeit der deutſchen Möndsorden in Böhmen und Mäh- zen au Lampredta.a. DO. ©. 884.

14. (©. 109). gl. meine Geſch. Vöhmens u. Mährens, ©, 23: ff 248 ff., 322 ff., 329, 388.

15. (©. 109). 1. etwa R. Schröder, Die niederländifhen KRolo»

Pe gemeinverſt. wiſſenſch. Vorträge, hrg. v. Virchoy u. Holken- Dorf, u

Säulsze, Die Kolonifierung und Germanifierung ber Gebiete geilen Saale und Elbe, ©. 143: „Überfhäßt wird dagegen ihre ätigleit auf dem Gebiete der eigentlichen Kolonifation, wenn man unter leßterer das Seranziehen und Anſetzen felbitändiger bäuerlicher Beſitzer verjteht.“ 16. (©. 10. Vol. 2. Schleſinger a, a. ©, S. 88; Beer a. a. O. S. . 17. (©. 111). Es ift begeichnend, wie irreführend biefe Verhältuiffe felbft in berühmten deutichen Geſchichtswerken dargeitellt werben, wenn man 3. ©. bei Bamprecht, Deutſche Geſch. III (1606),

15°

228 Anmerkungen.

397, lieft: „Im 13. Jahrhundert hatten die premyslidiſchen Kö— nige fajt ohne Ausnahme deutihe Fürftentöchter zu Müttern, ſprachen deutſch und pflegten deutſchnationale Bildung.” In Wirklichteit war Wenzels I. Mutter Konftanza von Ungarn, Wen, gzels ILL. Kunigunde bon Polen. Ron ſechs böhmiſchen Stöni- ginnen im 18, Jahrhundert waren nur drei deutſcher Abitam- mung; biefe lebten in Böhmen insgeſamt 87, die drei nicht- peutfhen 96 Jahre!

18. 5 111). Eine Behauptung, wie die bei Shlefinger, 6.98, in rag, im Kaufhof, genannt Teyn, ... „die fremben,

vr 5. aumeift die Be n Kaufleute, ihre Niederlagen hatten“,

iſt eben rein willkürlich und entbehrt jeder quellenmäßigen

Grundlage. Ganz ebenfo, wenn U. By ha, Prag, Ein Beitrag

zur Rechtögeihichte Böhmens im Beginn der Rolonifationszeit,

in den Mitteil, des Vereins fi Geſch. der Deutſchen in Böhmen,

XLIX (1911), 297, 298, 801 uff. vom „Strom des deutſchen Han-

dels in Böhmen im 12. Sahrh.“ fpricht, den er fi bon außen

zugeführt vorftellt und diefe Vorſtellung durch Ausdrüde, wie

„offenbar“, „wahrſcheinlich“, „ar gen bie die mangelnden

—— * erſehen fetten, au Gen di bemüht.

(©. 111) Bejtberg, A eg Neifebericht

über vi ———— in ben M&moires de 1’ acad6mie imp£riale

des sciences de St. Petersbourg, Ger. VII. ®ol. III, Pr. 4

(1898) und W. —ãA in den Geſchichtſchreibern der

deutſchen Worzeit, 2. Geſamtausg. Bd. XXXIII (1891), idu ·

inde fähfifce Geicichte," ©. 198 ff.

20. (©. 111). gl. Cosmas II, 46.

21. (©. 112). Vgl. U. Lufhin v. Ebengreutb, Allg. Münzkunde und Geldgefhichte, im Handbuch der ın. a. und neueren Ge— {dichte (1904), ©. 58, nah M. Donebauen Beſchreibung böhm. Münzen und Medaillen (1888), ©. 10, Nr. 88, x 40, 425 dazu M. Dannenberg in ber Numigmat, Zeitic., Sg. 1900, PS XXX (Wien 1901), ©, 218; €. Biete Beſchreibung bähım. Münzen und Medaillen I (Prag 1891), ©. 16, nr, 110 id 118,

22. (©. 118). Vgl. Cosmas IL, 2, und dazu E. Komaref, Die polnifche Kolonie der Hedcane in Böhmen, in den Abhandlungen ber fon. böhm. Geſellſchaft d. Will. VI, 2 (1889).

23. (©. 119). Vgl, meine Geſch. Böhmens und ährens ©. 976; meine Geſch. ber Stadt Brünn I (1911), ©. 88, 62.

24. (©. 113). Bd. I (1844), ©. 298. 833, an der gweiten Stelle mit Berufung auf Eosmas, ber aber Deutjche nicht nennt.

3. (©. 114). Ebda ©, VIII; gegen biefe lin vr au Ion bon tſchechiſcher Seite eingewendet worden, daß lach in der neueren Gejchichte Böhmens das Vorherrfen Fr ‚alflawifcen Verfaſſung „allerdings häufiger vorausgefegt als überall nadj«

19.

5

Anmerkungen. 9

gewiefen” Habe; vgl. 9. Goll, Frant. Palackf im Ceskf das. hist. IV (1898), 266.

26. (S. 114). Xgl. Band II, Ubt, 1, (1847), ©. 92/8, 184I6.

27. (©. 116). gl, die bezüglien Schilderungen aus Helmolds „Slawendronit” (eine dentſche überfekung in den „Gejchicht-

ſchreibern der deutſchen Vorzeit,“ XII. Jahrh., Bd. 56, 1894) überſichtlich zuſammengeſtellt bei R.Kötfchke, Quellen z. Ge- ſchichte der oſtdeutſchen Koloniſation im 12. bis 14. Jahrh. (1912), ©. 18 ff. und ſonſt oft abgedrudt. ©. auch W. Wattenbad, Die Germanifierung der öftlihen Grengmarken bes deutſchen Reiches, in der Hiftorifchen Zeitſchrift von Shbel, Bb. IX (1868),

ff; E. O. Schulze, Die Kolonijierung und Germanifierung ber Gebiete zwifchen Saale und Elbe (1886), u. a. m.

. (©. 117). Bd. I, Abt. 1, ©. 154/5. Die Hier nur angedeu- tete Gemwaltjamfeit der deutſchen Kolonifation wurde ohne jeden Grund bon deutſchböhmiſchen Geſchichtsſchreibern viel ſtärker betont, gl. 3. ®. Bachmann a. a, ©. I, 478, 579.

29. (©. 117). Ob Palackf_hiebei von dem 1832 erſchienenen Wert bon Taihoppe u. Stenzel, Nrktundenfammlung 3. Geſch. des Urjprungs der Städte u. der Einführung deutſcher Koloniften u, Rechte in Schlefien u. der Oberlaufiß, in dem Gtenzel „die Grundlagen der heutigen Anſchauung von diefen Dingen... gelegt Hat,“ beeinflußt worden ift, läßt fich nicht entfcheiden, da er dad Werk dort noch nicht erwähnt. Was die fchlefiiche Kolo- nifation anlangt, fo beweifen die Arbeiten von W. Schulte, V. Seidel, DO. Gorfa zur Genüge, wie jehr bie Gtenzel’ihe Auf» feffung, die bort im allgemeinen borherrfcht, einer Überprüfung

dürfte. Beſonders W. Schulte hatte bereit3 ein ganzes Pro— amm für die Neubearbeitung dieſes Themas aufgeftellt; vgl. eitſch. d. Vereines $& Geſch. Schleſiens LIV (1920), 141 bis 143. ©. Menz, Die Entwidlung der Anfhauung bon der Germanifierung Schleſiens in der fehle. Geſchichtsſchreibung bis (Diff. Breslau, 1910) zeigt, obwohl ganz in her=

2

8

richtet Einigermaßen ein Auffaß von $. Zimmermann, über deutſchen Einwanderer nad Siebenbürgen, in:

80. (©. 118). Vgl. 4.8. WW. Tome, Geſch. Böhmens, ©. 91, 117.

31. (©. 118). 2. Aufl. (1870), ©. 167.

&. (©. 119). 9. Hauffen in den Müteil, d. Vereınes f. Geſch. d. Deutfegen i. Böhmen XXXIV (1896), 181.

280 Anmerkungen.

88. (©. 119). 3b. I (1890), 470, 475, 477, 489 u. f.

3. (©. 119). ©. itſch, Die Deutſchen und ihre Rechte in Böhmen und ihren im 18, und 14. Jahrh. (1905), ©, 27 mit der bezeichnenden Bemerkung: „Es wäre ein lohnendes Kapitel ber —— Geſchichte, die Herkunft der Deutſchen im einzelnen nachzuweifen.“ an möchte meinen, daß dieſe Frage gerade in diefem Buche zu allererft hätte beantwortet werden jollen.

85. (©. 119). 9. Simondfeld, Die Deutihen als Golonifatoren in ber Geſchichte, 2. Aufl, 1885, ©. 15, das id) nur infoweit bes rüdſichtige, als es auf Böhmen Bezug nimmt.

80. (S. 120). $. Tabra, Kulturnf styky a, a. ©. ©. 311 ff., 895. Den Grundton zu diejer Aus effung hatte fon W. W. Tome

in einem Aufſatz: Cesk& a nömeck& närodnost v Praze (Die does u. Beuticie Nationalität in Prag) im Cas. Zesk. mus. XIX (1845), 217 gegeben. Sehr merkwürdig ift bie Stellung, die 3. Sufta in dem oben ©. 224, Anm. 9, genannten Buch zu diefen Fragen einnimmt. Er afgcptiert die Palacky'ſche Kolonifations« theorie, kann aber nicht umhin zu bemerken, daß die damit zus fammenhängenden Erjeinungen „Verminderung erweden“. Eben beöhalb wären fie zu überprüfen gewefen. Einen Gaß, wie ben, ba unter den legten Prempliden nah Böhmen Giebler „auß den en Zandftrihen und Weltgegenden” unter Anführungszeichen ſetzen, ald ob die Worte einer Quelle 'ent« nommen wären, heißt den Leſer irreführen, denn eine ſolche oder ähnliche Ungabe findet fich nirgends. Auch fpäter (II, 105, 300j1) weiſt er auf die Unrichtigfeit gewiffer mit der Kolonifationstheorie aufammenhängender Anſichten bei Cchlefinger, Koß u, a. hin, weicht aber jeder Erklärung aus.

. (©. 120). Vol. R.Beera a. DO. ©. 88.

. (S. 120). An diefer gewiß auffallenden Tatſache find die Forſcher zwar nicht ftumm borübergegangen, haben aber nicht die not» wendigen Folgerungen daraus gezogen; bgl. etwa See ch a. a. DO. ©. 46/7: „Leider find darüber, woher die deutſchen Einwanderer famen, welche wir als Städtebürger treffen, Teinerlei birelte Nachrichten erhalten”, oder „Die Chronijten übergingen bie Einwanderung der Deutſchen und die Gtädtegründungen itill- ſchweigend.

. (©. 120). Bd. II, 1, ©. 168, 188.

. e 121). gl. Mon. Germ. 88. IX, 176, aud) Font. rer. Bohem. I, 294 (Annales Pragenses 1186—1278): Anno d. i. 1257° Prziemysl, dominus regni Bohemorum, filius regis Wenceslai, tertio anno sui ducatus in principio veris pepulit Bohemos de suburbio et locavit alienigenas, Ausfũhrlich habe ich über diefe und die folgende Stelle gehandelt in meinem Aufſatz: Zur böhm. Rotonifationsfeage, in den Mitteil. d. Inſt. f. öſterreich. ſchichtsforſchung VII (1917), 216 ff.

83

88

Anmerkungen. ‚a

41. S. 121). Font. rer. Bohem. III, 476: Rex Prziemysl regi Rudolfo adhesit (1277) et cepit suos despicere et extraneos ad terram suam invitare, unde suis multas violencias inferebat bona eis auferendo. Nam Witconibus Usk et Novam Domum abstulit . . terras eciam videlioet Cubitensem, Tratnovioensem, Gladensem Theutonieis tradidit suos postergando. ©. auch meinen Auffag ©. 219 ff., insbeſondere auch wegen ber in dem Bericht enthals tenen offenbaren Irrtümer, Auf die Stelle hat ion B elgel a. a. D. ©. 372 hingewiefen. Palacky befprit fie in einem Anhang II, 1, ©. 389.

42. (©. 122). Er XVIL, 245: Filius ex eivitate fugit et regnum

patri reliquit, Post haee multiplicati sunt in Bo- hemia Theutoniei, per hos rex ingentes divicias collegit ex auri et argenti fodinis .... Mortuo hoe rege filius regnum oceupat, Theutones expellit, nobiles impugnat . . .

43. (S. 122). Font. rer. Austriac,, Abt. I, 8b. VII, ©, 128, Kap. 48: Albertus .... nationis suae gentem Suevicam in ipsa terra (Austriae) multiplicare non desiit, indigenas quoque et eos, qui in terra nati fuerant, opprimere ....

4. (©. 128). Vgl. ©. E. rief, Die Herren bon Kuenring (1874), ©. 110; dl, 9. Albrecht L und die Bienftberren bon Oſterreich. I ben Blättern d. Vereines f. Landeskunde bon Niederöfterreich,

Koch a ge ak ft, 894; A. Huber, Geſch. Oſterreichs II (1886) Kurz, Oſterreich unter Oltolar und rt N) as

45. (©. 128). aut alacty I, 1, ©. 180.

46. (&. 128). ®b, I, 838, Unm. 180.

47. (©. 124). oe vero statuta antecessorum nostrorum dinoscentes ex pia deliberatione et gratia processisse, litera ad literam, verbo ad verbum petimus renovari, precibus eorum humilibus exauditis nihil de his immutantes nec dementes, quae a prima. ipsorum voeatione in Boemiam obtinere per principes meruerunt“. Pie Urkunde mit allen Beſtätigungen abgebrudt bei E. Mösler, Deutſche Rechtsdenkmäler aus Böhmen u. Mähren I, (1845), 187; die Sobieflamurfunde allein bei G. Friedrich, Cod. dipl. regni Boem, I, 255, nr. 290 mit Ungabe aller älteren Drude. Vgl. den nädjften Abſchnitt.

48. e 124). Geſch. d. Deutſchen u. ihrer Sprache a. a. O. ©. 880—883.

49. (©. 124). ©. 869, 880.

50. (©. 124). über die Abftammung ber Deutf gen Böhmens, in ber

20. gemeinnüß. Vorträge Nr. 44 (1878),

51. (©. 125). Leſer, die mit diefen Fragen Be gerkaut find ver- Ci ih etwa auf die Urkundenlehre von R. Thomen im Grunbriß der Geſchichtswiſſenſchaft I, 2 (1913), ©. 27 oder urtun⸗ denlehre bon W. Erben im Handbug der mittelalt. u. neueren Geſch. Abt. IV: (1907), ©, 888 ff.

233 Anmerkungen.

52. (©. 126). Val. Timoth. II, 1,9: qui nos... vocavit vocatione sun saneta; Xhefl. I, 2, 12: qui vocavit vos in suum regnum; Philipp. 8, 14: superne vocationis Dei uſw.

59. (©. 126). Vgl. E. de Bordgrane, Histoire des colonies bel; en Allemagne pendant le XII. et XIII. siöcle, (Bruyelles 1868), ©. 284 ff., 334, Nr. IL

54. (©. 1%). Ebenba ©. 11 ff-, dafelbft nl andere Beifpiele.

65. (©. 126). gl. Mon. Germ. 88. XVI, 24°

56. (©. 126). I. Rn. Kötichte, Audlen z u ber oſtdeutſchen Kolonifation im 12. bis 14. Jahrh. (1912.) ©. 1 ff-

57. 126). Ad 3. Eurfhmann, Hungersnöte im Mittelalter,

ws eg. So Prof. 4. 3yha in den Mitteil. d. Vereines f. eſch der Deutſchen in Böhmen LIII (1914), 9. Vgl. übrigens feinen Yufjag über „Prag’ ebenda L (1912), 490, wo er felber über gewiſſe Schwierigkeiten, die der Ausbrud „a prima vocatione” feinen 5 eigenen Ausführungen berurfadt, nicht hinwegkommen

I. Zippert, Sozialgefdichte Böhmens II (1898), 158, Hatte fon die Möglichkeit erivogen, „ob es bloße Rebensart ift, wenn nachmals Wenzel I. erklärte, auch jene erjte Gemeinde fei nad Böhmen gerufen worden”.

Siebenter Abfchnitt.

1. (©. 127). Bol. ©. esäfer, Deutfiüe Geſch. I (1916), 98.

2. (©. 128). gl. oben ©. 226, U

8. (©. 128). Nam in omnibus —e tere regni et coram rege communior est usus lingune Teutunicae quam Boemicae ista vioe, in ben Königfaaler Gersichtsauelen, Brg. bor. 3. Beier, in den Fontes rer. Austriac., I, Abt, (Scriptores), 8 Wb. (1876), 602.

4 (©. 128), Bol. E. Schulze, Kolonifierung und Germanifierung,

1

6. (©. 129). Bol. ebenda ©. er Bartich, Mitteleuropa ao), . 162 ff. By zei, au au, Kirchengeſch. Deutfihe lands II (1900), 838 ff; er, Das deutſche Wolf und ber Often, in wi ãA * —E zu Dresden, Bd. 7 (1915), Heft 8, ©. 7, 8 und die Deuiſche Geſch. P (1916), ©. 66.

6. (©. 129). Val. Bartih a a. O. Taf. IX; au Drohſen, BE Mine (1886), Karte 28.

Vol. M. Doeberl, Entwidlungsgefh. Baherns I, 71 gt —S E. Mühlbader, eutſche Geſch. unter Barolingen ©. 186, 197 (bea. ber fen); wegen Xeil«

m ber Slawen an ben Kämpfen der Sachſen ebda 124; au db. Hoffmann, eier Geſch. den Deuiſchen I (1981), 818. & (©. 18). Vol. oben ©. 124, Anm. 47.

Anmerkungen. 283

9. (©. 182). Vgl. oben ©. 124. Gel. Dobner, Annales VI, 628, benußte die Urkunde, um durch fie Hajeks Märchen bon. Sobieſlaws Deutjhfeindlicfeit zu widerlegen. Seine Angabe, daß bis dahin niemand ihrer Erwähnung getan, ift nicht aus treffend, da Baprocky, Diadochus (1802), O stavu möstekem ©. 16 eine recht genaue Inhaltsangabe gegeben hatte,

10. (©. 182). gl. Gef. von Böhmen I (1844), 388, Anm, 189; IL, 1 (1847), 86, Unm.

11. SG: 182). Die Araaben ammen aus Schlefinger, Geld.

öhmens ©, 166 (f. aud Pitkei. 2 Vereines f. eig. der Deut» {hen in Böhmen V, 1867, ©. Aff.); Badhmann I, 861,408, 487; wrper 4 Sogialgefdjihte —8 IL, 181; ebenſo fpricht a. 3ucha, Prag, ©. 186 von den „feßhaft gewordenen Kauf Teufen“, , ©. 192 bon ber „territorialifierten Kaufmannsgemeinde der Deutfhen” uſw.

12. (©. 134). Vgl. Doeberla. a, O. ©. 70; Mühl bacher 197.

18. (©. 197). So erklärte der iesjifghe Sititer Prof. Y. Belat (Sbornfk pracf hist... . Jar. Golla 1906, ©. 97); „War Böhmen in Bupen geteilt? Die Ankost Tann nur berneinend lauten und das ohne jeden Vorbehalt“; vgl. meine Geſch. Böhmens u. Mährens, ©. 311; Novotns Cesk& döjiny ], 1, ©. ff.

14. (©. 197). Balactf IL, 1, ©. 1478 ff.

15. (©. 188), Bahmann I, 488,

16. (©. 188). Juritf ©, 46.

17. (©. 188). %gl. 3. Bu fta, Dvö knihy deskjch döjin I (1917), 45; © zmöne ... udäla se tu tak rychle, Ze to vzbuzuje podiv .

©: Hat aud) fähon früher [Otroctvi a velkostatek v Öschäch (Gfla«

berei u, Großgrun! Beh in Böhmen) im Öeskf Zas. hist. V, 1899, ©. 94) gegen Palacty angedeutet, daß Deutihe (allerdings nur als Koloniften) fon im 11. ee in Böhmen geweſen zieim müßten. Nobotnf iC. D. I, 1, 584) wundert fi iber, vs fo gar feine Nachrichten über ſtãrkere Rolonifierung zu finden feien.

18. (©. 188). Vgl. F. Tadra, Styky Öech » cizinou ©. 811.

19, (©. 140). Vgl. K. Brandi, Deutſche Geſch. ao), © 68; ber

egt der Urkunde in den Mon. Germ., Abt. Leges II (1837), 713.

20. (5. 142). Cod. dipl. Moraviae II (1889), 68, nr. LX: „ius teuto-

nieum, quod hactenus in terris Bohemiae et Moraviae inconsuetum

et inusitatum extiterat ... . hoc novum et honestum institutum”. Bon Palackh erft in der tes Ausg, 1,2 (1854), 143 erwähnt.

Erben, Regesta Bohem. et Morav. I (1886) 258, nr. 544. Wiewohl

ich auf die Unechtheit der Urkunde on 1897 Bingewiefen hatte

(vgl. Zeitfehr. f. Geſch. Mährens u. Schlefiens I, 28), wurde fie

bon Bach ma ag 1 (1899), 485, Juritjc, Die u. ihre

Nechte (1906), ©. 59, 92 u. a. als echt benũtzt. G. Friedrich

Anmerkungen.

21.

®

>

Cod, dipl. regni Bohem. II (1912), 572, nahm fie als Fälſchung nicht mehr auf.

(©. 148). Cosmas I, cap. 19. Er kennzeichnet auch bie älteren Feſten, Thetin, Qubofjin I, cap. 4, die eıne als „auf dem Gipfel eines teil abfallenden Feiſens am Fluſſe dur ihre Lage fehr feſt“, die andere als „die macjtigfte Burg bei dem Walde”.

(©. 145). Der fog. Kanonitus von Wifchehrad 3. 3. 1185, SS. IX, 141, Font. rer. Bohem. II, 222,

(©. 145). Qingenz b. ®rag, Font. rer. Bohem. II, 408.

(©. 148). Cosmas III, 40; vgl. bazu meine Ausführungen in den d. Inſt. f. öſterreich. Geſchichtsforſchung AXXVIII (1018), 218 698

. (©. 148). Kl. E. Maetfchle, Die Beſiedlung des Glater Lan-

des. (Eine Nachprüfung), in der Zeitjchrift des Vereines für Geſchichte Schleſiens (Breslau), Bd. 50 (1916), ©. 120.

. (©. 148). Chronik des Thietmar von Merfeburg in den Seript.

rer. Germ. (1889), Bud; VI, Rap. 11 (8); Geichichtichreiber d. deutſch Vorzeit, 11. Jahrh, 1. 3d., ©. 190.

. (©. 149). Vgl. meine Geſch. Böhmenz u, Mährens ©. 976.

. (©. 150). Xgl. Cod. dipl. Morav. ]II (1841), 246, Nr. 258.

. (©. 151). Vgl. meine Geſch. Wehmens u. Mährens ©. 527 ff. . (©. 154). Ebenda ©, 231, 243 ff., 520.

Achter Abſchnitt.

. (©. 161). gl. B. Bretholz, Geſch. Böhmens und Mährens ©, 402.

(©. 163). Entgegen der Annahme Palackhs, der diefe Privile- gien für Fälfhungen erflärte, hat J. Sufta es wahrfcheinlich zu machen verſucht, daß Prempfl Otakar II. ein ſolches Privileg vom deutſchen König Nidard von Cornwall zwifchen 1265 und 71 erhalten haben fünnte, da3 aber verloren gegangen fei (K volbe roku 1806, in Sbornfk pracf histor. Jar. Golla 1906, ©. 158 ff.) Dem widerſpräche, dab es bei den weiteren Thronfämpfen nicht mehr erwähnt wird, weder Heinrich) bon Kärnten noch die Ver- treter Eliſabeths ſich darauf berufen.

(©. 163). Die Hauptquelle für diefe Zeit iſt die „Chronik von Königfaal*, & 0. ©. 225, Anm. 10. Über 8. Johann handelt das weibandige Werk von J. Schötter, Johann, Graf von Lugem- Burg und König von Böhmen (1865).

(©. 165). Königſaaler Chronik ©. 269.

(©. 166). Es ijt wiederum willkürliche Auslegung ber Quelle, wenn der Gab der Königſaaler Chronit (6, 392): quia omnes Boemos intendit exeludere rex de terra aud) in deutihen Wer- ten (vgl. Th. Hofchek, Der Abt von Königfaal und die K. Eli» fabeth von Böhmen, Prager Studien, Heft 5, 1900, ©. 81) wie-

Anmerkungen. 286

bergegeben wirb: „Der König beabfitige die Tſchechen aus dem Rande zu vertreiben unb dahın Fir bon „bertreiben“ noch vom „Unfiedeln Deutfher“ jet in ber

icht auf die Nationalität t aber der Tſchechen im

o DR * * * 3, Br = a Ei 8 3: ® = 37 3 41 5 3 „re

Üeralarfhreihern der deutſchen de 14. 5. .

heio. II (1882), 92 ff.

. G. 170). gl. das grunbfegenbe Werk „Die Regeſten des Kaifer- reichs unter K. Karl IV. 1846—1378“, heraußgeg. bon X. Huber, Inusbrud 1877. Eine neuere umfaffende eſchichte Karls IV. befigen wir nicht, da das Werk von E. Werunsty, Geſch. N. Karls IV. und feiner Zeit Innsbr. 1880-92) mit dem 3. Bande, der bis 1368 reicht, abbricht. Einen teilweifen Erſab bieten neben M. Belgel, Geſch. Karla IV. Königs von Böhmen, 2 Bde. (Dresden 1783) Th. Lindner, Deutſche Geſchichte unter x Habsburgern u, Qugemburgern, 2 Bde. (Stuttgart 1890—88);

3. Loferth, Geſch. des fpäteren Mittelalters von 1197—1492 Ründen 1908); 3. Raloufet, Karel IV., otec vlasti. (Prag 1878).

=

8. (©. 179). Rex clericorum; vgl. €, Höfler in den Abhandlungen der böhm. Geſellſchaft der Si, 6. Folge, 2. Bd. (1869), ©. 1416. 9. (©. 175). Vgl. A. Haud, Kirchengeſchichte Deutfchlands V (1920), ©, 1197, 1191. 2 dm), nal. NR. Zeumer, Die Goldene Bulle K. Karla IV.

11. (©. Ye die Regierungszeit Wenzels vgl. Th. Lindner, eich. des deutſchen Heiden unter 8. Wenzel, 2 Bde. (Brauns weig 1875, 1881), nebft der oben Anm. 7 angeführten Literatur. 'erner das wichtige Quellenwerk: ei Nei eeragaalten unter Fenge —— bon J. Weizjäder, Bd. 1-8 (1876—

1400), Di inchen 1867—1877. 12. (©. 181). ber ihn dgl. die gründliche Unterſuchung von 2. Mei» mann, Johann von Nepomuf, nad) der Sage und nad ber Gelaihte, in der Hiftor, Zeitſchrift (von Shbel), Bb. 27 (1872),

18. 8 nge Reichstagsakten unter K. Wenzel. II, ©. 456. 14. (©. 186). Ebba I, 180. 15- (©. 186). Vgl, chroniten ber deutſchen Städte, XIV (1977), 788.

236 Anmerkungen.

Neunter Abſchnitt.

1. (©. 189). R. Hol zmann, Fransöſiſche Verfafjungsgeidichte went), ©. 198.

2. (©. 189), 4. Seblätet, Gedanken über den Urfprung bes böhm.-mäbr. Adels, in: en ‚ber f. böhm. Gefelihaft der Wiſſenſchaften, Claſſe f. Bhilofophie, Geſchichte, Jahrg. 1890 (®rag 1891), Nr. 8, ©. 229 ff.

. (S. 189). Balacty, Geſch. Vöhmens I, 165.

. (S. 190). gl. 3. ©. Doeberl, Entwicklungsgeſch. Baherns I,

52, 188; Riegler, Gef. Bayerns, u. a.

(©. 190). gl. meine Geſch. Böhmens u. Mährens, ©. 388.

(©. 19). Eine lange Lifte folder deutſcher Burgennamen in

Böhmen und Mähren führt an J Truhlaf, Styky Oech

8 cizinou ©. 823 ff.

7. (S. 190). So merfvürdigerweife Bahmann I, 581. Ab- gejehen von dem Widerfinn, daß die Baumeifter auf die Namens» gebung einen Einfluß gehabt Haben follten, kennen wir auch nicht in einem einzigen Fall ben Erbauer, geſchweige feinen Namen und feine Herkunft.

& S. 191). Cal. I. Branis, Döjiny stfedoväk. ument v Oechäch Gef. der m, a. Kunft in Böhmen) II (1893), 20.

9. (S. 192). Val. meine Gef. Böhmens u. Mährens ©. 501.

10. (S. 192). Chron. Aulae regiae ©, 211. Die Behauptung Buftaß a. a. O. ©. 466, daß das Privileg von 1212 (f. oben ©. 75) dem Abel ein Wahlrecht „ausdrüdlich“ beitätigt habe, ift unrichtig, de fidy dort ab iisdem auf successoribus bezieht und vom Abel nirgends die Rebe ift.

11. G. 199). Vgl. R. Ko, Zur Kritik der älteften böhmifch-mähri» hen Landezprivilegien, in: Prager Studien Heft (1810). &3 beiweift, in welde Schwierigfeiten die Hachifhen Forſcher durch ihr Feſthalten an der Koloniſationstheorie Palackys geraten, wenn man z. B. wie bei Sufta, Dv& knihy II, 300, das Ein- geftänbnis Tieft: Schwierigkeiten verurſacht die Er⸗ lärung, warum ſich die Prager um die Beſtätigung der Sobieſſlaw- ſchen Rechte bemühten, die doch nur für die deuiſche Kaufmann- Haft in Prag gegeben worden waren”; Bier liegt eben auch ein

jeweis, daß es nicht Kaufmannfhaft, fondern Bürgertum war.

12. (S. 194). Franeisci Prag. Chron. in den Font. rer. Bohem. IV (1884), 418.

18. (©. 194). Xgl. hiegu und zum folgenden J. Neuwirth, Geſch.

ı bildenden Kunft in Böhmen I (1898).

14. (©. 198). ©. J. Lofertb, Hus und if 1884, ©. 94.

15. (©. 197). ©, 9. Denifle, Die Univerfitäten des Mittelalter

1 (1886), 682 ff., 688. 16. (©. 197). Font. rer. Bohem. IV 618.

en ao

Anmerkungen. 237

17. (©. 197). gl, Jakubec, Gef. d. ied. Kit. ©. 16 ff.

18. (©. 198). R. Wolkan, Geid. der deutſch. Literatur. ©, 214 ff,

19. (©. 199). Val. 8. Burdad, Zur Kenntnis altdeutiher Hand- ſchriften unb aur Geſchichte altbeuticher —S arg Kunſt, im: —S f. Wibliothefäwefen, VIII (1891), 162 ff.

20. (©. 199). Vgl. K. Bur d a ee Reformation, Renaifjance, Humanis- mus (1918), ©. 188 ff., 1

21. (©. 199). Vgl. R. Bu ah Vom Mittelalter zur Reformation, II, 1 (1917): „Der Adersmann aus Böhmen“. Undere Urteile f. bei Gerbinus, Geſch. ber deutſchen Dichtung IT (1868), ©. 222: „bad vollfommenfte Stück Proſa, das wir N unferer älteren Riteratur befigen"; Wadernagel, Kleine Söriften 314: „eine der ſchönſten altdeutſchen Proſaſchriften Wolkan a. a. O. ©. 239.

2. (S.200). Vgl. 3. 2ojertä in den Bitte bes Vereins f. Geſch. der Deutfcjen in Wöhmen XVIL (1897), 291 ff.

28. (©. 201). Burdad im Eentralblatt a. a. O. ©. 935.

24. (©. 202). au 8. Baftor, Geſch. der Päpſte I (1886), 81.

2. (©. 202). J. Lofjerth, Peiträge 3. Geſch, der Buflit. Bewegung. Ir Der Tractatus de longevo schismate des Abies Ludolf v. Sagan, im Archiv f. öſterreich. Gef. LX (1880), 843 ff.

26. (©. 203). Vgl. U.Haud, Kirchengeſch. Deutſchl. V, ©. 872, Ann. 4,

27. (©. 206). Vgl. 8. Müller, Kirchengeſchichte II (1900), 75,

28. N 206). In 9. v. d. $arbt Rerum magni concilii Constantiensis 'V (1698), Sp. 18 Heißt es von ben Polen in Prag: „Cum Slesitae, qui sunt de natione Polonica, essent omnes Teutonici,

ita quod veri Poloni minorem partem habebant“.

29. (©, 207). So Deniflea. a. O. ©. 801; woher N. Müller ©. 77 die Zahlen der Weggezogenen „elta 2000“, der Zurüd- ne „eitwa 500“ nimmt, iſt mir nicht belannt.

. [a über Hus ei 8. Krummel, Sohannes Hus. Ein

bereit —W Lechler, Johannes Hus, ein Lebens» bild (1890); 3. Xofertb, Hus und ei, Zur Genefis der Bufttiien Rebre (1884); 3. Sedlät, M. Jan Hus 8ety8 NM. Jan Hus (Svötova Knihovna nr. 1000; Zur; gefaßt), M. Jan Hus, Zivot a udent, 1. 0. Gis 1412), 1919, 31. (©. —5 wit, * Balactf, Documenta magistri Joannis Hus (1868), ©.

en

Geſchichte Böhmens nnd Mähren

Bon

Bertold Bretholz

‚weiter Band

Huflitentum und Adelsherrfchaft Bis 1620

1. bis 5. Taufend

EN

Baul Sollors' Nachf, Reihenberg.

Alle fedıte, insbejonbere das ber Überfegung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1922 by Paul Sollors' Nachfolger, Reichenberg.

BVerlags-Nr. 186. IX. 29.

Peud vor Gebrüder Stiepel, Gef. m. 6. 6. in Meichenberg.

- Inhaltsüberfit.

GrfterAbfänitt: Die Quffitenkriege. 1419-1486 . . . 2... ... 148 Zweiter Abſchnitt: Die Wirkungen der Huſſitenkriege in politifcher, nationaler und —S— 7 Richtung u iſcher Er |) Dritter Abſchnitt: Das Königtum Georgs von Kunftadt-Bodiebrad . . . . 81-126 Vierter Abſchnitt: Der Niedergang des Königreiches durch bie politifhen,

kirchlichen und ftändif Ke unter Wladiſlaw IL und Ludwig ee wu . " . . 197-174

Fünfter Abſchnitt: Kerenrererneee 1211

Sechſter Abſchnitt:

Vöhmen und Mähren zur aut der Gegenreformation bis zum Ausbruch bes Dreibigjährigen Krieges. 1564—1620 212—244

Anmertungen . 2... ...-*24261

Erfter Abſchnitt.

Die Huffitenkeiege. 1419— 1436.

Unter den drei Königen aus dem Iuremburgifchen Haufe, Johann, Karl und Wenzel, Vater, Sohn und Entel, bat Böhmen binnen einem Zahrhundert eine fo raſche auf- und abfteigende Entwicklung durchgemacht, wie nie borher oder nachher. Diefer Aufſchwung und Niedergang erklärt ſich nicht aulegt aus dem grundverfchtedenen Weſen der drei Yürften.

on dem diplomatiſchen Geſchick Johanns, das ſich bei Karl in ſtaatsmänniſche Geſchäftsklugheit wandelte, iſt bei Wenzel kaum mehr der beſcheidenſte Reſt politiſchen Verſtändniſſes wahrzunehmen. Johann ſtellen wir uns vor als eine groß- zügige Natur von ungebundener Ritterlichkeit, die ihren Tod im Schlachtgetümmel ſucht und findet; Karl ift eine mehr bürgerlic) behäbige Geftalt, ohne Vorliebe für Kampf und Streit, aber auch ohne Furcht, tätig und pflichtbewußt, um- fihtig und rührig; bei Wenzel tritt frühzeitig die Bequemlich- feit und Läſſigkeit hervor, die bald in Unentiäloffenheit und Teilnahmsloſigkeit ausartet, verbunden mit Genußſucht und Rohheit. Die Verſchwendungsſucht des Vaters weicht beim Sohne einer beachtenswerten Wirtſchaftlichkeit und fetzt ſich beim Enkel in Geiz um. Was Johann in kühnen Anfängen vorbereitet, Karl in unverdroſſener Arbeit gefeſtigt hatte, die Machtſtellung des Hauſes Luxemburg und des Königreiches Böhmen, iſt durch Wenzels Unfähigkeit zunichte gemacht worden. Er hat die Herrſchaft in Deutſchland verioren und jene in Böhmen, die er als Erbherr bis an ſeinen Tod behaupten konnte, ſeinem Bruder und Nachfolger Sigmund in einem Zuſtand vollſter Verwirrung hinterlaſſen.

Dieſer vierte und letzte Luxemburger auf dem böhmiſchen Thron iſt wiederum eine von den drei Vorgängern merklich verſchiedene Geſtalt; ein buntes Gemiſch aus deren guten und

Beerholz Seſch Bögmens u. Mahrens. IL 1

2 Erſter Abſchnitt.

ſchlechten Trieben! Ein ſtattlicher, berühmt ſchöner Mann, ritterlich, weltklugen Sinnes, bon heiterem Gemüt, dabei aber mit unzweifelhaften Neigungen zu Laſterhaftigkeit; ein Schwel · ger in ſinnlichen Genüſſen, ein blinder Verehrer des weiblichen Geſchlechtes faſt ohne Wahl. Nach dem frühen Tod ſeiner erſten Gemahlin, der ungariſchen Maria, mit der er keine Kinder hatte, blieb er ſechzehn Jahre Witwer (1392—1408), unbefüm- mert darum, daß mit ihm das Iugemburgifche Geſchlecht aus- ſterben würde, bis er der blendend jchönen, aber wenig fitten- ftrengen Barbara von Cilli in die Neke ging. Die Ehe, der nur eine Tochter, Elifabeth, entiprang, war feine glüdliche, was bei Sigmunds Anlage aud) nicht zu erwarten war. Zu Geſellig - feit jediveder Art, Turnier und Tanz, Gelage und Yagd, ſtets bereit, bejaß er im Verkehr mit den Menſchen Eigenfchaften, die ihn überall gern gefehen machten. Er wird, und hierin gemahnt er an den Großpater, als leutfelig und umgänglich geſchildert, Höflichkeit, felbft gegen Niedriggeborene, galt ihm als felbit- verſtändlich.

Eigentümlich berührt an ihm, dem Sohne des überfrommen Karl IV., feine Gleichgültigkeit gegenüber religiöſen Dingen. Er hielt äußerlid) an den hergebrachten kirchlichen Formen feft, war aber frei von jeder Übertreibung, ſowohl nad) der einen als anderen Richtung. Es gehört gewiß zu den größten Aus- nahmen in jener Zeit, daß er fogar gegen die Juden feinerlei Voreingenommenheit empfunden bat. Umſo merfwürdiger berührt feine entichiedene Abneigung gegen dag böhmiſche Huffitentum, die ſich wohl nur aug politifchen Rückſichten er- Hären läßt.

In fteatlichen Geichäften war er wie der Vater unermüdlich, gewandt und gewinnend, nicht zuletzt dank feiner glänzenden Beredfamkeit und der Kenntnis von mindeſtens fieben Sprachen, deutſch. ungarifch, tſchechiſch polniſch lateiniſch, frangöſiſch, italieniſch; ein mittelalterlicher Mithridates. Seine politiſche Aufgabe war nicht leicht. Der Staat, auf ben er fein Haupt · augenmerf richten mußte, war Ungarn, in dem er feit der Ber- mählung mit Maria (1885) fi als Erbherr fühlte, ber Ungarn bejaß damals .an der Türkei und an Venedig ernfte

Die Yuffitentriege. 14191436. 8

Feinde, fo dab Sigmund ftet3 feine Blicke nad, Often und Süden gerichtet halten mußte, um die großen Gefahren, die ihm von dorther drohten, reditzeitig zu bannen. Was ihm neben Ungarn als Herrſchaftsgebiet noch unterftand, fonnte die gleiche Sorgfalt nicht mehr beanſpruchen. Die Mark Branden- burg, die ihm 1378 nad; Marla IV. Tod zugefallen war, bat er ſchon 1388 wieder preißgegeben, in dem Bewußtſein, zwei fo entfernte und verſchiedenartige Länder, von denen jedes feinen Fürften und Herrn ganz benötigte, nicht zugleich regieren zu können. Das deutſche Königtum aber, dag er feit 1410 inne- hatte, rüdte unter ſolchen Berhältniffen, ganz fo wie zu Zeiten Raifer Karls IV., wiederum in zweite Linie. Vier Jahre währte e8, bevor Sigmund nad) erfolgter Wahl überhaupt ing Reid) kam, um ſich Frönen zu laſſen; die deutſche Geſchichte „fennt fein ähnliches Vorkommnis“. Die deutiche Königskrone war Sigmund nur ein Mittel, um leichter in die große europä- iſche Politik eingreifen zu Fönnen, fie verlieh feinem Fürften- tum Glanz und Würde. Die wirklichen Pflichten gegenüber dem deutſchen Reich befümmerten ihn wenig.

Nun fiel ihm nad) dem Tode feines Bruders Böhmen zu. Eine gefährlide Erbſchaft, denn ein Xeil des Landes und der Bevölkerung ftand in Aufruhr und betrachtete vor allem den neuen Herrſcher als Feind. Denn ſchon feit den Ereignifien in Konſtanz machte man ihn als deutfchen König nidyt ohne Grund verantwortlich für die berhängnisbolle Wendung, die die religiöfe Frage, wie man erflärte, „zu Schimpf und Schande für das ganze Neid, und die Nation” genommen hatte. Noch vor Huffens Märtgrertod hatten ihm dritthalb- Hundert böhmifche und mähriſche Adlige gefchrieben, er hätte all das, was bis dahin in Konſtanz geichehen, „Leicht ver- bindern“ und bewirken Fönnen, dag Huß, „wie er frei nad) deinem Willen dahin gefommen, aud) frei zu ung nad Böh- men aurüdfehte”. Sie gaben ihm deutlich au verftehen, daß fich das auch „für einen guten und gerechten König und Herren” gesiemt und „zur Kräftigung feines guten Rufes, fowie des Friedens und der Ehre Böhmens und ihres treuen und befon- deren Eifers für ihn auf immerdar“ beigetragen hätte? Der

1

Geſchichte Bohmens und Mährens

Von

Bertold Bretholz

Zweiter Band

Huſſitentum und Adelsherrſchaft Bis 1620

1. bis b. Tauſend

EN

Baul Sollors' Nahf, Reigenberg.

6 Erſter Abſchnitt.

Wie wohl auch an anderen Orten, wo Anhänger der Kommunion unter einerlei und beiderlei Geſtalt neben einander wohnten, gerieten insbejondere in der Gegend von Bechin im mittleren Böhmen Geiſtlichkeit und Volk beider Bekenntniſſe in ſchroffen Gegenfag zu einander. Hier war die Erinnerung an Hu befonderg lebhaft, weil er nad; dem Verlafjen Prags im Sabre 1412 fid) längere Zeit in diefem Gebiete aufgehalten hatte, lehrend und predigend unter dem Landvolk herumgezogen war. Seine ganze Lehre verdichtete fich dann befanntlich kurz nad) feinem Xode in der neuen Art der Abendmahlfeier unter beiderlei Geftalt de3 Brotes und Weines, von der Huß kurz vor feinem Tode Kenntnis genommen hatte, die aber bon ihm weder ausgeübt nod) gelehrt worden war. Es heißt, daß der Urheber eigentlich ein Deuticher, Magifter Peter von Dresden geweſen ift, der fpäter, 1421, in Regensburg als Wiklifit verbrannt wurde. Er gewann Anhänger Huffens dafür, darunter Jakob von Mies, der die Form in Prag und Böhmen einführte, wo dag Volk mit Begeilterung nad) der neuen Einrichtung griff, durd) die man ſich ſichtlich vom alten Katholizismus abhob.* Dem ſuchte nun die katholiſche Priefterichaft zu wehren, bezeich- nete jene ala Irrgläubige und Häretiker und vertrieb fie aus den Sirchen. Das hatte zur Folge, dab die Verdrängten ſich enger an einander fchloffen und nad} einem Ausweg ſuchten, um unabhängig von der unduldfamen Fatholiichen Geiftlichkeit ihre religiöfen Bedürfniſſe zu befriedigen. Sm Umkreis bon Bechin entſchloſſen fie fi es war im Frühjahr 1419, als König Wenzel in Prag und überall im Lande entſchiedener gegen die Huffiten auftrat auf einer Bergfuppe, die aus einer weiten Ebene herausragte, auf einfachite Art eine Kapelle zu errichten, indem über eingerammte Pflöde ein großes Linnen ausgebreitet wurde. Den Ort nannten fie nach bibli- ſchem Vorbild „Berg Tabor”. Hier famen fie zu beftimmten Zeiten zufammen, hielten @ottesdienft ab, empfingen das Sakrament sub utraque, dann brachen fie daß Zelt wieder ab und gingen ruhig ihrer täglichen Beichäftigung nad. Die gläubigen Beſucher diefer frommen Stätte nannten fid) „Tabo- riten“. Der Ruf diefer Einrichtung verbreitete fic) alsbald aller-

Die Huffitenkriege. 14191488. 7

orten, fand aud) Nachahmung, bejonders berühmt blieb aber der Urfprungsort. An den Feſttagen kamen die Anhänger unter Führung ihrer Priefter aus der näheren und meiteren Umgebung nad „Tabor“; nit nur aus den umliegenden Dörfern und Städten, fondern bald aud) aus Prag und Rilfen, Taus und Königgräg und aud) aus mährifchen Gemeinden. Es gab bald „Xaboriten” auch außerhalb Xabors, im ganzen Lande.

Alle Verbote des Königs und auch der katholiſchen Barone am ihre Untertanen, diefe Verfammlungen zu befuchen, blieben wirkungslos. „Wie der Magnet das Eifen anzieht”, vergleicht der Chronift Zaurenz, „jo lodte und zog der Berg Tabor die Bauern zu fi”. Am 22. Juli (Maria-Magdalenentag), alfo noch zu Wenzel Lebzeiten, jollen fich weit mehr als 40.000 Menſchen am Berge Tabor zufammengefunden haben.

Gegen diefe Taboriten erhob man von Fatholifcher Seite bie ſchwerſten Vorwürfe. Man fagte, daß bei ihnen Schuſter und Schneider den Gottesdienft verjehen, da fie einen Unter- ſchied zwiſchen Prieftern und Laien nicht anerkannten, daß ihre Geiftlichen mit Bart und ohne Tonfur einhergehen, in den gewöhnlichen Gewändern die Meffe zelebrieren. Man hielt ihnen vor, daß fie Kirchenbücher und Bilder , Kelche, Monftran- zen und Reliquien mißachten, daß fie überhaupt gegen Kirchen und Altäre Haß hegen und den Glauben verbreiten, daß diefe nicht zu Gottes, fondern irgendeined Heiligen Ehre dienen und daher ebenfo zu vernichten feien, wie alles, was fie ent- alten. Man jagte, daß fie die Klöfter als „Räuberjpelunfen“ bezeichnen, dag geheiligte Chrisma, das Kranfenöl und Tauf- waſſer nur als menſchliche Erfindungen anfehen, daß fie die Ohrenbeichte meiden, das Fegefeuer leugnen, die Yürbitte der Heiligen, die Schriften der heiligen Väter verjpotten. Man ftellte fie mit einem Worte al3 Leugner und Läſterer des ganzen kirchlichen Kults hin und wir geiwahren, wie ſich hiebei ſchon religiöfe mit fogialen Fragen zu vermengen begannen.

Bis zu einem gewiſſen Grade waren aud, wirklich folde Anfhatungen unter diefen Taboriten verbreitet, ja mußten fi) au8bilden, wenn man fie aus den fatholifchen Kirchen aus-

& Erſter Wſchnitt.

ſchloß und aller Behelfe, das religiöſe Gefühl in herkömmlicher Weiſe zu befriedigen, beraubte. Dieſe Gegenſätze konnten aber auch leicht zu Gewalttätigkeiten von beiden Seiten verleiten, insbeſondere wenn die Macht fehlte, Ordnung und Recht zu ſchützen. Und das geſchah in den letzten Wochen der Regierung Wenzels und unmiitelbar nach ſeinem Tod, zuallererſt in Prag, der Hauptſtadt. „Denn da kein König und Fürſt in Israel herrſchte, auf den die Untertanen Rückſicht zu nehmen hatten, tat jeder, was ihm recht ſchien“, kennzeichnet Laurenz die Lage und fährt fort: „Nie zuvor hat ein Auge geſehen, ein Ohr gehört, noch ein menſchliches Herz empfunden, was und wieviel infolge dieſer verpeſteten Lehren durch das Volk Böh- mens geſchehen iſt, das vorgab, für die Freiheit des Geſetzes Gottes und gegen die Diener des Antichriſts die Waffen zu erheben“. Er meint vor allem den furchtbaren Sturm gegen Tatholifche Kirchen und Geiſtliche, Klöſter Mönche und Nonnen, der in Prag einfekte; den Beginn jener dritthalbjährigen Pe- riode, von Mitte Auguſt 1419 bis Ende 1421, von der man mit Recht gejagt hat, fie Fönne für zwei Jahrhunderte böhmi- ſcher Gejchichte gerechnet werden, fo vom Grunde aus habe fie alle Verhältnifie im Lande umgewandelt.’

Denn gleih am Tag nad Wenzels Tod, am 17. Auguft, begann dort ein gefährlier Umzug der Volksmaſſen von Kirche zu Kirche, von Klofter zu Mlofter, verbunden mit Be- drohungen und Vergewaltigungen der geiftlichen Inſaſſen, ſowie mit Beſchãdigungen und Verwüſtungen der Gebäude außen und innen. Die größte Wut richtete fich gegen das Karthäuferflofter, weil die Karthäufer ſich allerorten alg Geg- ner Huſſens und aller Neuerungen herborgetan hatten. Der wegen feiner Schönheit viel bemunderte Bau, von König Johann begonnen und unter Karl IV. etiva 1363 vollendet, wurde zu- nächſt vollſtändig außgeplündert, die wenigen Mönche, die nicht geflohen waren, führte man ing Rathaus ab, um fie dann aus- zuweiſen; am folgenden Tage brannte man Kirche und Klofter nieder, „fo daß nur die kahlen Mauern übrig blieben“.

Das Beifpiel Prags zündete fofort in einigen anderen Städten Böhmens, in denen das huſſitiſch gefinnte Volk ftark

Die Yuffitenteiege. 1419-1488. 9

genug war Unruhen zu erregen, in Klattau, Piſek, Pilfen, Königgräg, Laun, Sons, Wittingau, Budweis, aljo in den ber- fchiedenften Gebieten des Landes, In diefen Wirren gingen auch ſchon Menſchen zugrunde: Geiſtliche und Weltliche, Adelige, Nitter und Bürger, Männer, Frauen und Finder, wie berichtet wird. In Beraun wurden ſchon im Jahre 1419 dreiundfünfsig Inwohner, Priefter, Magifter und Mönche, und mit ihnen drei NRittersleute „gleihfam in einer Stunde” verbrannt.

Sn folder Gärung und Wirrnis befand fi Böhmen, als Sigmund davon Befig ergreifen follte. Infolge feiner In- anſpruchnahme durch die ungarifchen Angelegenheiten, wahr- fcheinlich aud) wegen jeiner befannten Art, unleidliche Geſchäfte aufzufdjieben, ließ er zunädjit den Dingen ihren Lauf, über- trug der Königinwitwe Sophie, die ſich ſchon feit Iangem als Gönnerin des Suffitentumg gefiel, und einigen hohen Adeligen mit dem utraquiftifch gefinnten Cenef von Wartemberg an der Spike die Regierung, denen nun auch die Aufgabe zufiel, den Aufruhr niederzumerfen. Ihre halben Maßregeln führten zu neuen fchweren Kämpfen wie auf dem Lande jo auch in Prag. Am 3. Oktober mußte die königliche Beſatzung die Wiſchehrader Burg den Aufftändifchen überlaffen; am 4. No- vember bedrohten dieſe auch ſchon die ganze Kleinſeite und alle Gebäude bis knapp an das Schloß; die Königinregentin floh mit Ulrich von Rofenberg mitten in der Nacht und ſuchte in einer der Töniglichen Burgen Schu bor denen, die ſich bisher ihrer Förderung zu erfreuen gehabt hatten. Die Prager Burg wurde zwar behauptet, aber „es war für viele eine Nacht von Furcht und Schreden, Sorgen und Wehklagen, nur vergleichbar dem Tag des jüngften Gerichts“, ſchreibt Laurenz, der Augenzeuge aller dieſer Ereigniſſe.

Nicht ohne große Schwierigkeiten brachte die Regierung am 13. November einen Waffenſtillſtand mit den Pragern zuſtande, der bis zum 23. April 1420 dauern follte. Sie verpflichtete fi) die Kommunion unter beiderlei Geftalt im ganzen ande zu fügen, dafür wurde ihr die Burg Wilchehrad von den Aufftändifchen zurücgeftellt. Die Angſt der „Prager“ vor dem in der Stadt und im Lande überhandnehmenden Rabikalis-

10 Erſter Abſchnitt.

muß, den man nur ſchalten ließ, wenn man ihn benötigte, hieß fie diefen wenig günftigen Vergleich ſchließen, mit dem feines- weas alle einverftanden waren.

Eine kurze Ruhepaufe trat ein. Und nun, im Dezember 1419, kam auch Sigmund, zwar nicht nad) Prag, aber doch nad Brünn, um borerft bier einen Landtag zu berjammeln und Heerſchau zu balten über feinen Anhang. Aud eine Gejandtihaft der „Prager“ ftellte fi ein, um Sigmund als ihrem Herrn und König zu huldigen, zugleich aber aud) An- erfennung zu fordern für eine Anzahl von Artikeln, die auf einem ohne Wilfen und Willen des Königs abgehaltenen Prager Landtag beſchloſſen worden waren und das Firdliche, politifche und nationale Programm der Utraquiftenpartei be» inhalteten.® Ihre huſſitiſche Gefinnung trug die Geſandtſchaft offen zur Schau, indem fie ihre eigene Geiftlichfeit mit ſich brachte und fi) von den katholiſchen Kirchen fernhielt. Sig- mund vermied jedwede enticheidende Zufage, äußerte fich aber unmillig über beridjiedene Eriegerifche Vorkehrungen, die die Prager zu ihrer Verteidigung gegenüber den beiden fönig- lien Burgen, Hradſchin und Wilchehrad, getroffen Hatten, forderte ihre fofortige Befeitigung, gebot die Rückkehr der Ver- triebenen und Gefloheren und befahl, die Fatholifche Geiftlich- feit fortan in feiner Weife zu beläftigen, fowie feine Anfunft in Prag abzuwarten. Er aber begab ſich nicht dahin, fondern zunächſt, zu Beginn des Sahres 1420, nad; Breslau, wohin er ſchon Anfang Oftober einen Reichstag für den 11. Dezember einberufen hatte, der denn auch mit der üblichen Verfpätung, mit der bei Sigmunds ſprichwörtlicher Unpünktlichkeit ftet3 gerechnet werden mußte, unter reger Beteiligung der Fürften und Städte aus dem Reich abgehalten wurde.

Während feines dortigen Aufenthaltes, der fi Monate Bin- 309, ließ er an verſchiedenen Regierungsmaßregeln deutlich erfennen, daß er nicht gewillt fei, wegen der religiöfen Frage zu unterhandeln, weder Taboriten noch Utraquiften noch ſonſt welche Richtung dulden werde, vielmehr entichloffen ſei, jeden BWiderftand mit Gewalt zu brechen. Die Straßburger Gefand- ten beim Reichstag meldeten ſchon im Januar 1421 an ihre

Die Yuifitentriege. 1410 1486. 11

Stadt, der König plane von Breslau nach Prag zu ziehen „und wölle die Hufen ftrafen umb den Ungelouben“, außer fie ergeben ſich vorher, aber auch in diefem alle behalte er fi) vor „etliche“, die den Anfang gemadt haben, zur Ver- anttvortung zu ziehen.‘ Am 10, Februar erließ er an die Stände und Städte im Saazer Kreis und wahrſcheinlich in gleicher Weiſe an alle übrigen Kreife Böhmens einen ftren- gen Befehl, nirgend „die Willefie zu unterftügen“, Städten, in denen fie heirſche er nennt nur Pilſen, Piſek und König. grätz weder Hilfe noch Rat zu gewähren, vielmehr fich darum zu befümmern, dab „alle gänzlic) von demjelben neuen Glau- ben entwichen”. Er ließ es geichehen, daß mährend feines Aufenthalts in Breslau ein Prager Bürger, Johannes Kraſa, der fi) dort offen als Huſſit befannte, durch das GStadt- gericht zum Tode berurteilt, gejchleift und verbrannt wurde, daß ein anderer Prager, ein Abgefandter der Uniberfität, zur Abſchwörung feines Glaubens geziwungen wurde, um ähnlichem Geſchick zu entgehen. Er gab Weifungen an fchlefifche und lau- figifche Städte, wie mit gefangenen Sufliten zu verfahren fei. Und fchließlid,, veranlaßte er Papſt Martin V. oder beftärfte ihn in feinem Entcchluſſe, die gefamte Chriftenheit zu einem Kreuzzug gegen „willifitifche und huſſitiſche Kegerei” aufzurufen. Denn ſchon am 22. Februar 1418 hatte diefer durch eine Bulle verkündet, daß die Härefie, die „insbejondere im Königreich Böhmen und in der Markgrafſchaft Mähren und diefen be- nachbarten Gebieten” entitanden fei, ohne jedes Zugeftändnis ausgetilgt werden müffe.“ Jetzt erließ er am 1. März 1420 von Slorenz aus die „Kreuzbulle” (Omnium plasmatoris do- mini), die zu allererft am 17. März in der Breslauer Kirche feierlich verfündet wurde.

Solche ſichere Anzeichen einer Böhmen drohenden Frie- gerifchen Unternehmung Sigmunds an der Spitze eineg Kreuz- heeres blieben Utraquiften und Taboriten nicht verborgen und trieben fie zu Gegenmaßregeln, die umſo fräftiger ausgebaut werden fonnten, je länger Sigmund mit dem Zuge zögerte. Bor allem erfolgte in jenen erften Monaten 1420, da Sigmund in Breslau Hof hielt, eine für die Folgezeit höchft bedeutfame

12 Erſter Abſchnitt.

Umgeſtaltung der Verhältniſſe in Tabor durch zwei Männer, die zum Kampf gegen Sigmund und ſein böhmiſches Königtum bis aufs äußerſte entſchloſſen waren: Nikolaus von Huß und Johann Ziska.

Aus der Vorgeſchichte des erſten wiſſen wir nur, daß ſchon König Wenzel ihn im Verdacht hatte, er wolle an der Spitze ſeines Anhangs ihn vom Throne ſtürzen und ſich an ſeine Stelle ſetzen, weshalb er aus Prag verbannt worden war. Später kehrte er wieder dahin zurück und war bei dem Sturme auf die Nleinjeite und die Prager Burg Anfang November 1419 einer der Sauptanführer. Der Chronift Laurenz, der nicht zu feinen Freunden gehörte, kann nicht umbin, ihn al einen Menſchen „bon großer Klugheit und Vorausſicht“ zu be- zeichnen und fagt von ihm ein andermal, daß er „bon allen Zaboriten im Handeln der verjchlagenfte” geweſen fei. Der Prager Waffenftillftand, den er mißbilligte, veranlaßte ihn die Stadt zu verlaffen und ſich in Tabor einen neuen Wirfungs- kreis zu ſchaffen. Da aber Nikolaus ſchon in den Kämpfen des Jahres 1420 fiel, überragt ihn an Namen und Bedeutung Johann Ziska.“

Er dürfte um 1375 geboren fein. Aus den erften Sahrzehn- ten feines Lebens ift glaubwürdig nur überliefert, daß er lange Zeit im Hofdienft König Wenzels ftand, an defien Feldzügen ſich beteiligte, dabei ein Auge einbüßte und das Kriegshand- werk praftifch erlernte. Ein fleibiger Beſucher der Predigten Huſſens in der Bethlehemfapelle, wurde er ein begeifterter und überzeugter Anhänger der neuen Lehre, vor allem ein ent- ſchiedener Feind der Fatholifchen Priefterihaft und des Mönd- tums, galt aber anfangs als Mitglied der gemäßigten Utra- quiften oder „Prager“. Er wird jchon als Teilnehmer bei dem Sturm auf da3 Prager Neuftädter Rathaus am 30. Juli 1419 genannt, verblieb aber auch nach Wenzels Tod im Hofdienft. Während der Belagerung der Burg Wiſchehrad durch die Pra- ger im Oftober dieſes Jahres gehörte er zur dortigen Fönig- lichen Beſatzung, trat aber nad) der Erftürmung und Übergabe auf die Seite der Prager und ſchon beim Kampf um den Hrad- ſchin im folgenden Monat kämpfte er gegen die Föniglichen

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Statthalter und tat fi) in einer Weife hervor, daß er beim ganzen Volke befannt wurde und fortan eine erite Führer ftelle einnahm. „Denn damals begann er zu fümpfen und fämpfte bi3 an fein Lebensende”, heißt eg in einer gleid)- zeitigen Quelle. Auch er war ein Gegner de3 Waffenſtillſtands vom 13. November, aber außerftande ihn zu verhindern, ber- ließ er Prag und ging mit feinem Anhang nad) Pilfen, der „Sonnenftadt“, wie die Hufliten fie Damals nannten, in der Hoffnung, bier einen neuen Stüßpunft für feine Partei zu ge- innen, die eine Mittelftellung zwiſchen Taboriten und Pra- gern einnehmen follte. Allein Ziskas Feſtſetzung in diefer Stadt, die noch keineswegs dem Huflitismug ganz verfallen war, führte zu Kämpfen mit dem mächtigſten Adligen jenes Kreifes, Bohuslam von Schwamberg, eines eifrigen Katholiken und ergebenen Anhängers Sigmunds. Die Stimmung in der Stadt, die unter den Kriegsnöten ſchwer litt, ſchlug um, und als auch ein von den Statthaltern abgejandteg Heer unter Wenzel von Duba heranzog, um Pilfen zu belagern, erfannte Ziska die Unhaltbarfeit feiner Stellung. Er trat in Verhand- lung mit Duba und erhielt für fi und feine Getreuen freien Abzug. Unter fortwährenden Bedrängungen durd) adelige Gegner ſchlug er fich kämpfend (Schlacht bei Sudomier am 3. März 1420) zu den Taboriten in Sübböhmen dur, zu denen er ſchon früher von Pilſen aus Beziehungen an- geknüpft hatte,

Die ‚Verftärfungen, die die Taboriten auf diefe Weiſe er- hielten, ließen bier einen Plan reifen, der jchon feit längerer Zeit erivogen wurde, ja ſchon in Durchführung begriffen war. Der Berg Tabor bot weder genügende Sicherheit, noch hin- reichende Unterkunft für die Menge, die fi bier anfammelte und beifammen bleiben wollte. Man fuchte nad) einem geeigne- teren Orte und fand ihn in einer nicht weit davon gelegenen Feſte und ehemaligen Stadt namens Hradiſcht, die in den Kämpfen Otafars II. mit feinem Adel zerftört worden ‚war. Nun wurde die Burg ihrem rechtmäßigen Beliger entriffen und die Stadt wieder aufgebaut. Es ift die Gründung der heutigen Stadt Kabor der bibltjge Name wurde übernommen

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etwa eine Wegſtunde von jenem älteren Berg Tabor entfernt, bon dem die ganze Bewegung ausgegangen war.“ Der einft- malige linfe Flügel der „Prager“ unter Ziska ging nunmehr in den Xaboriten auf, allein Ziska nahm fortan die erſte Stel- fung unter ihnen ein, wenn auch mehrere Sauptleute von gleihem Rang eingeſetzt wurden. Ziska ließ e3 ſich vor allem angelegen fein, das Xaboritenvolf, das ſich zum großen Teil aus Bauern und Heinen Handwerkern zufammenfegte, über die eine Anzahl fanatiicher Priefter und entichloffener Ritter (niederer Adel) die Herrihaft führte, Friegeriich auszubilden, jo daß es binnen kurzem zu größeren Unternehmungen zu ge brauden war. Sie begannen ſchon im April 1420, als die Sammlung des Kreuzheeres unter Sigmund feinem Zweifel mehr unterliegen konnie. Es gelang den Xaboriten, um nur das Wichtigſte anzuführen, am 5. April (Charfreitag) das Städtchen Wozik, wenige Meilen von Tabor entfernt, ein- aunehmen, obwohl eine Beſatzung von etwa 2000 Neitern dort Ing, am 24. April dag Rlofter Mühlkaufen niedergubrennen, gleichzeitig ſich das huſſitiſch gefinnte Piſek zu fichern, tags darauf das entferntere Prachatitz zu ftürmen, von dort in den Pilſner Kreis vorzuftoßen, Klofter Nepomuk zu zerftören, auf dem Rückweg, da Grüneberg von Bohuslat von Schwamberg tapfer verteidigt wurde, Burg Nabie bei Horazdiowitz, die einem Niefenberger gehörte und als äußerft feft und ſicher galt, au brechen

In ähnlicher Weife, wie Tabor ganz Südböhmen, fo be- herrſchte in Nordoftböhmen der Berg „Horeb“ bei Sohenbrud das ganze Königgräher Gebiet. Die „Horebiten“, wie ſich die Huſſiten bier nannten, ftanden unter der Anführung des hoch- adeligen Seren Hinko Kruffina von Lichtenburg und einiger Nitter. Ihren Angriffen unterlag unter anderem die Stadt Bidſchow und das herrliche Kloſter Münchengrätz, das auß- geplündert und völlig niedergebrannt wurde; unbehindert zogen fie fodann nad Prag zur Unterftügung der dortigen Kriegs- Partei.

Denn fo verderblich und gefährlid) diefe über große Teile des Landes ſich außbreitende Herrſchaft der Taboriten auch

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war, legten Endes lag die Enticheidung denn doch bei der Hauptitadt. Von ihrer Stellungnahme zu Sigmund hing das Schickſal ganz Böhmens ab. Mit ihr im Bunde und unter- ftügt bon feinen eigenen bedeutenden Kräften und den zahl- reichen ihm treu gebliebenen Adligen, Städten und Klöftern wäre er ftarf genug geweſen, die Ruhe im Lande herauftellen, bon welder Seite immer fie geitört würde.

Mlein ſchon geraume Zeit vor Ablauf des Waffenftillftands (8. April 1420) fonnte man gerade in Prag ein ftetes An- wachſen der Fönigfeindlichen Stimmung feftitellen. Die ber- hetzenden Predigten fanatifcher Priefter Famen wieder in Schwung und riljen das Volk mit. Am ftärfiten wirkte Johann von Selm, jo genannt nad) feiner früheren Zugehörigkeit zu diefem Kloſter, das er verlaffen hatte, nunmehr Prediger an einer der großen Kirchen in Prag-Neuftadt. Seine glühende Beredſamkeit erhöhte er noch, indem er feinen Predigten den Text der Apokalypſe (Offenbarung) des Apoftels Johannes augrunde legte, mit ihren fchaurigen Bildern von dem höllifchen Ungeheuer des feurigen Höllendradyen, die er in gefchidter Weiſe auf Sigmund, den Stifter des Drachenordens, anzuwen · den wußte. Er war es aud), der ſchon am 3. April die Mafjen des Volkes vor das Altitädter Rathaus führte, um fie von neuem ſchwören zu lafien, den Kelch big zum äußerften zu ber- teidigen. Neue Hauptleute wurden für die Alt- und Neuftadt gewählt, denen man neben verſchiedenen militäriſchen Boll- machten die Schlüffel der Rathäufer und Stadttore übergab. Und ſchon in den folgenden Tagen ging es an Schuharbeiten zur Verteidigung der dur die Burg Bifhehrad befonders gefährdeten Neuftadt Prag, an denen ſich Sung und Alt, Männer, Frauen und Kinder beteiligten, unbefümmert um die höhnenden Burufe der Bejagung: „die Gräben werden euch nicht nußen, wenn ihr euch eurem Erbherrn Sigmund, dem römifchen und ungarifchen König, widerfegen wollt“, Die Iampfbereite Stimmung der Prager Hufliten erregte in ge- wiſſen Kreiſen der Stadtbebölferung Sorge und Furcht, nicht fo fehr vor den „Häretikern“, wie der Ehronift fagt, fondern weil man in der flberzeugung lebte, Sigmund werde mit ben

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ſchwerſten Strafen, Brand und Mord, gegen dieſes Volk vor- gehen; „fliehen wir alfo“, fo rieten fie, „fo ſchnell als möglich an ſichere Orte, damit wir nicht mit ihnen zugrunde gehen“. So kam e8, daß ein Xeil der Bürgerſchaft die Stadt verließ und ſich bornehmlih in den Schu der Prager und Wifchehrader Burg begab. Es war aljo die Angft vor den ſcheinbar unausweichlichen Gefahren, die der Stadt drohten, was fie zum Preisgeben von Haus und Hof veranlaßte. Oben aber mußten fie fid) dann gegenüber den baronalen Burg- berrn, die auf dem Hradſchin und Wiſchehrad fchalteten, ver- pflichten, an dem beborftehenden Kampf gegen die Stadt Prag teilzunehmen.

Dazu fam e8 aber nicht. Am 17. April, eine Woche vor Ablauf des Waffenftillftandes war Wartemberg, der Burg- Hauptmann und erfte Statthalter in Böhmen, nad Prag aurüdgefehrt, nachdem er fich längere Zeit am Hoflager König Sigmunds aufgehalten hatte. Dort hatte er, der eifrige aber geheime Utraquift, die Überzeugung geivonnen, daß der König es bei feiner Unternehmung gegen Böhmen auf alle Anhänger des Kelches, radifale und gemäßigte, Taboriten und Prager, abgejehen habe. Vor dem König Hatte er feine wahre Ge— finnung verborgen gehalten, fo daß er mit allen Vollmachten in feine alte Stellung zurüdfehren Eonnte. Diefe nüßte er nun aus, um Sigmunds Kriegsplan zu durchkreuzen. Nach Vereinbarung mit feinem engeren Anhang nahm er bie Tönigstreuen Hauptleute in Haft, bemächtigte ſich der Burg und vertrieb vor allem die hieher geflüchteten Prager Katho- lifen, die nun in furchtbarſtes Elend gerieten, da Wartem- berg ſich aud) ihres ganzen Beſitzes bemädjtigte, des Geldes, des mitgebrachten goldenen und filbernen Geſchmeides, anderer Kleinodien und Dinge. Alles Bitten und Flehen blieb nug- los. Als Bettler mußten fie ihre Zufluchtftätte verlaffen und in Wiſchehrad, Kuttenberg und anderen fönigstreuen Orten Schut ſuchen.

Sodann ſchloß Wartemberg ſofort ein Bündnis mit der huſſitiſchen Partei in Prag „zur Verteidigung der Wahrheit“ und zum Kampf gegen König Sigmund. In Rundſchreiben,

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die die Siegel Wartembergs, ſeines Mündels Ulrich bon’ Rofenberg und der beiden Prager Städte trugen, wurde das ganze Land Böhmen und aud, Mähren aufgefordert, Stgmund nicht länger als König anzuerkennen. Sie nennen ihn „einen großen und graufamen Feind des Königreichs und der Hchecht- ſchen Sprache“, fie mahnen und drohen, verfünden bon neuem die vier Prager Artikel, für die fie eintreten wollen „und nichts anderes“. Noch entſchiedener lautete ein Manifeft, daS die Prager allein wahrſcheinlich an alle übrigen königlichen Städte Böhmens ausfandten.'

Das Huffitiiche Böhmen, der Adel, die Prager und die Taboriten, jchienen zum Kampf gegen Sigmund und daß Kreuzheer geeinigt. Der Aufruf Wartembergg und feiner Bundesgenofjen trug das Datum des 20. April 1420. Am 9. April, am Dienstag nad) dem Ofterfeft, war Sigmund von Breslau aufgebrochen und zunächſt nad; Schweidnig gezogen. Hier erft jammelte ſich in den nächften drei Wochen „grot Volk“, mit-dem er dann „über den böhmiſchen Wald“ in Böhmen eindrang, zuerft in Germer (aromierz), dann in Königgräß halt madjte. In diefer ſtark dem Huffitismus zuneigenden Stadt verweilte er neun Xäge, „ſetzte den behmifdyen Rat ab und machte einen beutfchen Rat“, dann begab er ſich nad) Nuttenberg; „da fand er noch gute Chriften überall”. Auch die von der Prager Burg Vertriebenen, die zum großen Xeil hier Zuflucht gefunden hatten, „freuten ſich alle feiner An- Zunft“, Man empfing ihn in einer Progeflion, an der fich über „taufend Betggeſellen“ beteiligten, die ihm verſprachen, fie wollten mit dem König „durd) des Chriftesglauben willen in den Xod gehen“.

Die uralte deutſche Bergſtadt Nuttenberg war damals einer der felteften Site des Katholizismus und des Deutſch- tums. Sie hatte auch ſchon vorher und auf eigene Verant- mortung den Kampf vor allem gegen die Xaboriten auf- genommen. „Bon jo entfeglicher Graufamfeit jchreibt der utraquiftifche Chronift Laurenz entbrannte das Volk in Auttenberg, daß binnen kurzer Beit mehr als 1600 Menſchen dort elend niedergemacht und in die Schächte geworfen

Brerdoln. Selb. Böhmens u, Madrens. II. 2

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wurden, jo daß die Henker oft bei der Mordarbeit ermatteten“. Ja e8 heißt jogar, daß man für eingefangene Taboriten Geld- preiſe ausfegte; den Schacht, der die meiften Opfer aufnahm, nannte man zum Hohn „Tabor“.

In diefer dem alten Glauben und dem König blind er- gebenen Stadt ſchlug Sigmund Mitte Mat jein Hauptquartier auf, eine neue Herausforderung feiner Gegner. Und doch verſuchte es wenigfteng nad, dem Berichte unferer Haupt- quelle, des Laureng die gemäßigte Partei in Prag noch ein- mal mit dem König zu verhandeln. Sie ſchickte nad, Kutten- berg eine Gejandtichaft, die um nichts anderes gebeten haben fol, als daß Sigmund die Kelchkommunion geftatte; er möge ihnen alle bisherigen Ausſchreitungen verzeihen, dann woll- ten fie ihm nicht nur die Tore öffnen, jondern die Mauern niederreißen und ihn anflehen, zu ihnen zu fommen. Allein Sigmund jei ihnen, die ſich nur allzu tief erniedrigten, wie ein zweiter „aufgeblafener Lucifer“ entgegengetreten, habe ihnen befehlen wollen, vorerft alle Verteidigungswerke, die fie inzwiſchen aufgerichtet hatten, niederzureißen, alle Waffen abauliefern, dann werde er in Prag ericheinen und ihnen bis zu einem gewiſſen Grade Gnade gewähren (aliqualem gratiam). Dieje fchroffe Antwort Hätte die Prager zum äußerften Widerftand angefpornt. Es jcheint aber, daß die unmittelbare Urfadje eine andere war. Gleichzeitig mit den Pragern hatte aud) der eben erft von ıhm abgefallene Burg- Hauptmann MWartemberg mit Sigmund vertrauliche Ver- Bandlungen angefnüpft, die raſch zu einem günftigen Ergeb- nis führten. Für das Bugeftändnis, dab ihm und feinen Angehörigen volle Verzeihung für feinen Verrat zuteil werde umd daß er auf jeinen Gütern den Kelch gebraudjen Iafien dürfe, verpflidjtete er fich dag Bündnis mit den Pragern preißzugeben und die Prager Burg den königlichen Leuten frei zu überlaffen. Diefe Auslieferung vollzog ſich insgeheim ohne Wiffen der Prager in der Nacht vom 6. zum 7. Mai und erregte einen fo furdjtbaren Wutausbrud) in der Stadt, daß begreiflicherweife alle gemäßigten @lemente in den Sinter- grund geſchoben wurden. Man verfuchte eine Erftürmung

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der Burg, die aber mißglücte, und rächte ſich dafür an Klöſtern und Kirchen; Strahow mit feinen einzigartigen Schäßen an Kunſtwerken, Kirchengeräten, Bildern, Handſchriften ufm. ging in Flammen auf; tagelange Kämpfe zwiſchen den Pragern einer-, den Befagungen der beiden Burgen Gradſchin und Wiſchehrad anderfeits folgten; von einer Fortführung der Verhandlungen zwiſchen den Pragern und dem König in Nuttenberg konnte nicht mehr die Rede fein; der Krieg war unausweichlich.

Die Prager, die ſich allein zu ſchwach fühlten, Sigmund entgegenzutreten, riefen nun die Taboriten aus allen Teilen des Landes zu ihrer Unterſtützung herbei, dieſe fanatiſchen zu jedem Opfer bereiten Kämpfer. Die Horebiten unter Kruffina von Lichtenburg waren ſchon feit einiger Zeit in Prag. Nun famen noch die Xaboriten unter der Führung Ziskas, Nikolaus’ von Huß und der anderen Hauptleute, die Huffiten aus Saas, Laun, Schlan, Königgräg und von anders- ber; ihr Zug war gefennzeicdjnet durch neuerliche Verwüſtung und Niederbrennung von Städten (Benefhau) und Klöſtern Grewnow, Poftelberg). Wo immer fie mit ihren Gegnern aufammenftießen, blieben fie Sieger. Selbſt einen gefähr- lichen Angriff auf Xabor, der von Ulrich von Rofenberg, dem mit dem Wartemberger auf die Fönigliche Seite übergetretenen mädhtigften Herrn in Siidböhmen, verfucht wurde, ſchlugen fie am 80. uni mit großem Erfolg ab. Prag, die Verwaltung der Stadt, das ganze Leben und Treiben dafelbft in jeder Hin- ficht, geriet ganz unter ihre Yührung.

Inzwiſchen hatte auch Sigmund in Kuttenberg fein Kreuz- heer zuſammengebracht Die Markgrafen Friedrich und Wil- helm von Meißen und der Tandgraf Friedrich) von Thüringen brachten 18.000, Herzog Albrecht von Ufterreich 6000 Mann, „und andere Herren und Fürſten unzählig Volk“, fo dab der Magdeburger Chronift eine Gefamtfumme von 100.000 an- nehmen zu fönnen meint.’ Am legten Mai kam man bis Wiſchehrad. Es verging dann ein voller Monat mit mandher- kei Zügen. Kämpfen und Verluften (am 26. Juni wurde Königgräg durch die Huffiten zurückgewonnen), bevor man

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am 30. Juni an die Belagerung Prags durch dieſes große Kreuzheer jchreiten Zonnte. Aber ein erfter Anfturm am 14. Juli auf den Witkow, auch Tabor genannten Berg, der nachher Bisfaberg hieß, mißlang.”” Man ließ die an erfter Stelle ftürmenden 7- bis 8000 meißneriſchen Reiter unter Graf Heinrich von Iſenburg, der auch im Kampfe fiel, fich verbluten, ohne ihnen gegen die mit grenzenlofem Opfermut fämpfenden Taboriten, unter denen fi) ein Mädchen befon- ders hervortat, Hilfe zu bringen. Im Kreuzheer ſprach man pon berräterif—hen Umtrieben der böhmiſchen Adligen in Sigmunde Umgebung, die ihn bon einem ernften Angriff abhielten. Si2 hätten verſprochen, ihm auch ohne Kampf zum Sieg über die Stadt Prag, ja das ganze Land zu verhelfen. Mißmut und Zweiung entitand, das Kreuzheer wurde durch Kagerbrände, Krankheiten, Mangel an Lebensmitteln, Plagen durch Ungeziefer, Gewürm und Schlangen heimgeſucht. Die deutfchen Fürſten warteten nur ab, bis Sigmund am 8. Juli im Prager Dom auf dem Hradſchin gefrönt und gefalbt wurde, dann „Löfte fich das große und berühmte Heer, ohne die Häretiker vernichtet zu Haben, auf“, fchreibt Andreas bon Regensburg. Viele von ihnen, bemerkt Laurenz, ſchimpften ſchmählich über Sigmund „als Begünftiger der SHäretifer und als Verräter”. Auf dem Seimzug wurde da8 Land von den Söldnerfcharen begreiflicherweife ſchwer verwüſtet. Der erfte Kreuzzug gegen die Huffiten war verunglüdt.

Ohne das deutfche Heer, dem troß feiner Buntſcheckigkeit Laurenz zählt 35 Völferfchaften namentlich auf, die darin vertreten waren und fügt noc Hinzu: und fehr viele andere doch das Deutſchtum feinen Grundzug gab, Fonnte ſich König Sigmund auf der Prager Burg nicht halten; die böhmiſchen Barone boten ihm, Faum dab dag Heer abgezogen war, feinen genügenden Schuß, noch verhalfen fie ihm zum Frieden mit den Pragern, mie fie verſprochen hatten. Nach Burüdlafiung einer entfprechenden Beſatzung auf dem Sradichin und in Wiſchehrad, über die die Burghauptleute frei ber- fügten, ‘begab ſich Siamund zunächſt nach Kuttenberg, dem fiherften Hort. Bon dort zog er dann „wie unfinnig (veluti

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insensatus)“ «in den ihm noch treuen Städten Oftböhmens umber, Tſchaslau, Kolin, Nimburg, Leitmerig u. a., ſchalt auf die Prager, die bon einer ihnen angebotenen Beiprechung zur Serbeiführung des Friedens nichts wiſſen wollten, ſchrieb an den Papft und die Neichsfürften um Hilfe gegen die „Säretifer, die fich feines Landes bemächtigt hätten und im Begriffe ftünden, fich einen anderen König zu wählen“, und bat dann doch wieder die böhmischen und mährifchen Barone um ihre Vermittlung bei den huffitiichen Pragern. Sigmund bietet ſchon jegt beim Beginn des Kampfes das Bild völliger Hilflofigkeit und Unentichloffenheit, vielleiht zum Keil herbeigeführt infolge Irreführung durch die huſſitiſchen Barone feiner Umgebung.

Mit feiner in aller Eile am 38. Juli durchgeführten Krönung hatte Sigmund beziwedt, den Vorhalt feiner Gegner, der auch ſchon in den beiden Manifeften vom 20. April eine wichtige Rolle geipielt hatte, er ſei noch nicht gefrönt und des- halb gebühre ihm feine Anerkennung, aus der Welt zu ſchaffen. Aber wie in vielem Fam er auch damit zu ſpät. Es hätte jeine allererite Regierungsmaßregel unmittelbar nad) Wenzel Tod fein müffen. Seht erklärte man den Aft nicht für vollgültig, da mehrere Barone des Landes und die Ver- treter der Stadt Prag nicht zugezogen worden waren. Man leugnete fein Königtum und trat fpäteftens anfangs Auguſt mit König Wladislaw II. von Polen wegen Übernahme der böhmifchen Krone in Verhandlung, Sigmunds Schtwager.’*

Zu diefem Schritt, von dem fie ſich aud) neue Friegerifche Hilfe erhofften, mögen ſich die Prager umfomehr veranlaßt gefühlt haben, da fich dag Verbleiben der taboritifchen Scharen in Prag wegen des religiöjen und fozialen Gegenſatzes auf die Dauer nicht aufrecht erhalten ließ. Schon am 22, Auguft verließen die Bauernſcharen, von denen die Bürger ſchwer gelitten hatten, die Stadt, die nunmehr auf fi) allein ange- wieſen war. Die größte Gefahr für ihre Freiheit bedeuteten die beiden Burgen Prag und Wiſchehrad, folange fie ſich in töniglihem Befi befanden. Daher begannen die Prager den ſchon mehrmals um diefe Orte geführten Kampf von neuem

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und wandten fi zunächſt gegen den Wiſchehrad (September 1420).

Trotz des nidjt unbedeutenden Zuzugs, den die Prager von huſſitiſchen Adeligen und den Horebiten, die allein an 7000 Mann entfandten, für diefen Kampf erhielten, ver- teidigte fich die Burg unter Johann von Boskowitz auf Bran- deis wochenlang mit Erfolg, ohne vom König Hilfe erlangen zu können. Er irrte im Lande mit feiner ungzulänglichen Mannſchaft an Ungarn, Böhmen und zufammengemwürfeltem . Volt umber, ließ, wie die Taboriten, plündern, morden und niederäfchern, eine ſchwache Stadt, eine ungenügend berjorgte Burg berennen, zeriplitterte aber auf diefe Weiſe feine Kraft. Noch Wiſchehrad konnte er nur äußerſt Iangfam bordringen. Verfude, die Burg wenigſtens mit Probiant zu berjehen, fcheiterten zumeift an der Wachſamkeit der Prager. Der Boskowitzer geriet unter ſolchen Verhältniſſen mit feiner Be— fagung in die größte Not. Er mußte mit dem Befehlshaber des huffitifchen Velagerungsheeres, Hinek Kruſſina von Lich- tenburg, da8 Abkommen treffen, die Burg am Morgen des 1. November gegen freien Abzug der Befagung zu übergeben, wenn fie der König nicht bis zum Abend des 31. Oftober entfegt Haben würde. Nun erft verftärfte Sigmund fein Heer insbefondere aug Mähren und entſchloß fi) zum Angriff. Doch auch jet traf er feine Maßregeln jo wenig umfichtig, dab die Wifchehrader Beſatzung von feinen Plänen zu fpät erfuhr und die Übergabe fich in demfelben Augenblide boll- 30g, als der Kampf am Fuße des Berges begann. Der Unter- ftügung von feiten der Wifchehrader, die nicht mehr in den Kampf eingreifen durften, entbehrend, erlitt Sigmunds Heer in der mörderiſchen Schlacht unter dem Wifchehrad am Aller- beiligentag 1420, in der der mähriſche katholiſche, zum Xeil auch utraquiftifche Adel und feine Bauernfchaften, ſowie die deutſchen Städte Böhmens und Mähreng mit ihren Bürger - maffen fi) aufopferten und verbluteten, eine furchtbare Nie- derlage, bei der übrigens wiederum Verrat in den Föniglidyen Reihen eine verhängnispolle Rolle geipielt haben ſoll. Wenig- ſtens ſchreibt Andreas von Regensburg: „man beichuldigte

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beide Teile, Sigmund und die Barone, der böswilligen Täu- ſchung (dolus)“,

Der Wiſchehrad blieb für Sigmund verloren. Die uralte Burg, der ehrwürdige Dom, alle Koftbarkeiten, Dentmale, Schäße wurden bis auf den Grund zerftört. Sigmund aber mußte von neuem Schuß und Zuflucht in den Mauern der aufopferungspolliten deutſchen Stadt Kuttenberg ſuchen und trachten, fi im Lande zu behaupten, bis feine Mahnrufe, ihm ein frifhes Heer zur Verfügung zu ftellen, Erfolg hätten. Mit den Reften, die er bei fi) hatte, brannte und mordete er auf den Herrſchaften huſſitiſcher Barone, war aber zu ſchwach, um den furchtbaren Vernidytungszug zu verhindern, den nad) dem Wiſchehrader Sieg einerfeit3 die Prager, ander- feitg die Xaboriten unter Zisfa unternahmen, gegen alle, die fich ihnen bisher noch nicht angeſchloſſen hatten.

Sekt, am 18, Nobember, mußte der Rofenberger, der ſich dom Huflitentum bereit losgejagt hatte, den Taboriten doch wieder berfpredhen, den Gebrauch des Kelches auf feinen Gütern überall zu geftatten. Der Burgherr auf Leſtna (bei Beneſchau), Wenzel von Duba, „König Sigmunds vor allen geliebter Rat“, ſchloß tags darauf, 19. November, eine Treuga auf beitimmte Zeit ab. Diwiſch von Ritſchan aber mußte ihnen am 4. Dezember jeine nahe bon Prag gelegene ge- waltige Burg außliefern. Damit war aud) dag Schidjal des - benachbarten berühmten Klofters Königfaal, der herrlichen Stiftung aus der Zeit der legten Premysliden, befiegelt. Den Abt und die Mönche ftürzte man in einen Brunnen und ber- fchüttete ihn mit Steinen; der Bau wurde bollfommen ber- wüſtet. Andreas von Regensburg hörte von Leuten, die bei der Belagerung zugegen waren, fie hätten „auf der ganzen Erde etwas ähnliches an Pracht nicht gefehen”. Mit der Ein- nahme und Zerftörung der noch näher bei Prag gelegenen königlichen Feite Wenzelftein bei Nundratig am 26. Januar 1421 beherrſchten die Hufliten den ganzen Weg von Tabor bis Prag.

Das nächſte Ziel, das die Taboriten ins Auge faßten, war Pilfen, die einftmalige „Sonnenftadt”, die fi) aber von

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ihnen vollkommen abgewandt hatte und dauernd Vorkämp- ferin des ſtrengen Katholizismus blieb. Auf dem Wege dahin gewann man zuerſt die beiden Klöſter Chotieſchau und Kla— drau und die mächtige Burg Schwamberg (bei Tepl) des gleichnamigen Adelsgefchlechtes, das zu den angejehenften in Böhmen gehörte und big nun Widerftand geleitet hatte. Das Städtchen Rokitzan ergab fich freitwillig. Nachdem auf dieje Weife die ganze Umgebung Pilſens erobert und gewonnen ſchien, begann am 14. Februar die Belagerung der Stadt jelbft. Sie währte einen ganzen Monat, führte aber nur zum Abſchluß eines Waffenftillftandes am 13. März, der vor- läufig bis zur Jahreswende dauern jollte,

Mehr Erfolg hatten die Taboriten im Umkreis des ſchon feit langem mit ihnen verbündeten Saaz. Komotau erlag am Balmfonntag (16. März). Seinen tapferen Widerftand hatte eg furchtbar zu büßen. Buld folgten die Städte Maſchau, Zaun und Schlan, die Burgen Makotraſch und Okor, die Pra- ger Bürgern gehörten, um nur einige der wichtigeren Orte herauszuheben.

König Sigmund war zwar Anfang Februar 1421 bis ins weſtliche Böhmen vorgedrungen, hatte verſucht, ſich dort bei Kladrau den Huſſiten entgegenzuſtellen, allein die völlige Ausſichtsloſigkeit ſeines Unternehmens erkennend, war er raſch wieder zurückgewichen, befand ſich am 14. Februar bereits in Leitmeritz, am 26. in Kuttenberg, verließ ſodann Böhmen und begab ſich nach einem längeren Aufenthalt in Znaim (vom 9. März bis 2. April) nad, Ungarn. Er über- ließ feinen getreuen Anhang im böhmiſchen Adel und in den Städten ſich felber. Dem Biſchof Georg von Paſſau, feinem deutſchen Reichskanzler, fchrieb er am 16, April aus Ungarifd-Brod, daß Gefahr vor den Türken, „die ſich den Wicleffen zulegen“ (d. h. ſich mit ihnen verbinden), ihn ge- zwungen habe nad) Ungarn zurüdzufehren, denn diefe Sache ſei ebenfc „notlich“, als die „von den Wicleffen wegen“.

Und nun fand der Siegeszug der Huflitifchen und tabo- ritifchen Heere fein Semmnis mehr. Die deutichen und Zatho- liſchen Städte, nur auf ihre eigene Macht angeiviefen, waren

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ebenfo wie die Klöfter und Burgen in ihrer Vereinfamung gegenüber diefem brandenden Meer Hilflos. In dieſe Zeit fällt auch der Übertritt des Erzbiſchofs Konrad von Prag, der fich ſchon feit längerer Zeit auf feinen Schlöffern außer- halb Prags aufgehalten hatte und ſich nun beeilte, einem Zu- fammenftog mit den Hufliten redjtzeitig vorzubeugen. Am 21. April erfdjien er in Prag, Fnüpfte Verhandlungen mit dem Feinde an und befehrte fi) zum Utraquismus, indem er die „bier Artikel" als „erlaubt, katholiſch und heilfam“ anerkannte und ſich zu ihrer Durchführung verpflichtete. Die Prager ließen aus Freude über diefen Erfolg, über diefes „Wunder (miracula)“, wie man fagte, das Xedeum fingen und die Kirchengloden läuten; die Taboriten dagegen waren ungehelten und fpotteten: „die Prager kurieren ſchon wieder eine antichriftliche Beſtie“. Sein Übertritt hinderte allerdings die Taboriten nicht, fpäter die erzbiſchöfliche Stadt Raudnitz heimzuſuchen und zu berwüften. Was fich nicht freiwillig an- ſchloß, wie Melnif und Kolin, Nimburg und Tſchaslau, erlag und wurde zerjtört, darunter neben zahlreichen Klöftern (Sedleß, Opatowitz, Sazawa, Wilemow) die tapfere Stadt Böhmiſch-Brod am 16. und 17. April in geradezu grauen- hafter Weiſe. Kuttenberg, anfangs entichloffen zu fämpfen, ſah fi) gezwungen angefichts der feindlichen Übermacdt zu verhandeln, Es bat die heranrüdenden Prager, dieſes „leinod des Königreichs“ nicht zu zerſtören und ſchloß am 24. April mit den Feinden einen Vertrag, Fraft deifen die Stadt auß- geliefert wurde und die Bürger fi) nur das Recht wahrten, fortziehen zu dürfen, wenn fie bis zum 15. Auguſt die bier Artikel nicht angenommen hätten. Nach Eroberung der noch öftlicher gelegenen Städte Chrudim, Hohenmaut, Politſchka u. a. fand man Anfang Mai an der mäbrifchen Grenze.

In diefes Land fchon jekt einzudringen und den blutigen Vernichtungskrieg auch bier zu erregen, ſchien angefichts der Kräfte, die ſich hier entgegenftellen Fonnten, nicht geraten. Auch hatten ſich Furz zuvor der mähriſche Landeshauptmann Peter von Krawarn auf Stragnig und andere Barone diejes Zandes gegenüber den böhmiſchen Huſſiten verpflichtet, die

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vier Prager Artikel allgemein zu verkünden und das König- tum Sigmunds preiszugeben. Mit diefer Zufage begnügten fi die Böhmen und gaben Weifung an ihre Anhänger in Mähren, ſich an den genannten Landeshauptmann ſowie an Johann von Lomnitz zu halten und jene als Freunde zu be- handeln, die diefe beiden als ſolche bezeichnen würden.?

Man mandte fi) nad) dem Nordoiten Böhmens, deſſen Eroberung um fo dringender erſchien, als hier die Gefahr eines Einbruchs von Schlefien her zu befürchten war. Teils mit, teils ohne Kampf befegte man die größeren Städte, darunter Germer (Yaromierz), Königinhof, Trautenau, dann auf dem Rüdzug nad Prag cd Jungbunzlau, Leitmerit, Melnif u. a. Der Adel rettete feine Burgen durch ſcheit baren Übertritt zur neuen Lehre. Damals wechſelte der War- uemberger sum drittenmal feine Gefinnung und wurde wieder

uffit.

Diefer mehr als halbjährige Feldzug der Huffiten und Taboriten durch faſt ganz Böhmen wurde dann durd einen befonderen Erfolg abgeihloffen. Seit dem 11. Mai wurde der zweite für die Prager gefährliche Stügpunft der Königlichen, der Hradſchin, belagert. Die Eingefchlofienen wehrten fich, folange fie noch zu leben hatten. Aber ſchließlich brach die Not jeden Widerftand. Es wiederholte ſich der Vorgang, zu dem vor einem halben Jahr die Burg Wiſchehrad fich hatte ent- ſcheiden müffen, Man machte die Übergabe abhängig von dem rechtzeitigen Entſatz durch Sigmund binnen einer gewiſſen Zeit. Als dieſer ausblieb, mußten am 8. Juni an die drei- taufend Mann den Hradſchin -äumen, den je hundert Krie- ger aus der Prager Alt- und Neuftadt befegten. Zuerſt läu- teten die Gloden in der Stadt und auf der Burg und man fang daß Te Deum laudamus aus $reude über das Ereignis. Dann aber am dritten Tage, am 10. uni, brach beim Bolt, das der fanatiiche Johann von Selau antrieb, die Wut und Zeritörungsluft gegen alles Katholifche und Königliche duch, es wurde geplündert und verwüftet und nur durch dag Ein- greifen einiger Barone und anderer „billig denfender Män- ner“ wurde die Burg und der Veitsdom bor dem Schickſal

Die Yuffitenkriege. 14191438. 27

Wifchehrads, vor völliger Vernichtung gerettet. Die ganze königlich gefinnte dritte Prager Stadt, die Nleinjeite, ging in diefen furchtbaren Kämpfen zugrunde. Noch um das Jahr 1489 lag fie in Trümmern, fo daß man zweifeln konnte, ob fie den Namen einer Stadt verdiene.

Der Huffitismus herrſchte in einem großen Xeile des Landes, kirchlich und politiſch. Es gab feine Macht im Innern, die fich ihm hätte entgegenfegen Fönnen.

Dan fonnte daran gehen, das Staatsweſen auf der neuen Grundlage neu zu ordnen. Am 7. Juni 1421 wurde in Tſchaslau noch vom 28. Februar bis 5. März hatte König Sigmund dort ſicher geweilt unter Zuziehung der hufli- tiſchen Mährer ein allgemeiner Landtag abgehalten. Seine Aufgabe follte fein, „die bisherigen großen Mißftände, Stürme, Verwüftungen, Brände, Gewalttaten und fonftigen Unordnungen im Königreich“ umzumandeln in Ordnung, Ruhe und Eintracht. Die Vertreter der beiden Prager Städte, dann der jüngfte Konvertit, Erzbiſchof Konrad, der Hochadel mit den wanfelmütigften Gliedern Ulrich von Rofenberg und Cenko von Wartemberg an der Spike, ſowie die Vertreter der Taboriten, als eriter Johann Ziska, ferner der Münz- meifter der Stadt Kuttenberg und viele andere, die ſich zum „Geſetz Gottes” befannten, waren zugegen. Nachdem die religiöfen Lerhältniffe durch feierliche Anerfennung der bier Artikel raſch bereinigt waren, fam man zu den politifchen Fragen. König Sigmund wurde von allen Parteien für ab- gefet erflärt kaum ein Jahr, nadjdem viele von ihnen ihm als gefrönten und gefalbten König von Böhmen gefchmo- ren hatten da er „ein offenbarer Xäfterer der Beiligen Wahrheiten und Mörder der Ehre des böhmifchen Volkes und feiner Sprache fei”. Zur vorläufigen Regierung des Landes erwählte man zwanzig Perſonen: fünf Barone, vier Prager und elf Vertreter der verſchiedenen Taboritengemeinden. Wer fi, fo wurde ausdrücklich beitimmt, den Beſchlüſſen dieſes Zandiages nicht fügen würde, follte als Feind betradjtet und gezwungen werden fünnen.?t

28 Erſter Abfchnitt.

Es ſchien einen meitern großen Erfolg der Hufliten zu bedeuten, daß bald darnach (Auguft 1421) zwar der Polen- könig Wladislaw II. für feine Perfon die ihm angebotene böhmiſche Krone ablehnte, aber feinen nahen Verwandten Herzog Witold von Littauen dafür in Vorſchlag bradjte.

Dagegen hatte die päpftlihe Kurie in Gemeinfchaft mit den deutſchen Kurfürften die Bekämpfung der Huffiten durch ein neues Sreuzheer ſchon feit Monaten ing Auge gefaßt. Sammerbriefe, die bon deutichen Städten Böhmens an die Reichsfürſten und alle Stände, „allen und jeden des heiligen Hriftlichen Glaubens Übern und Liebhabern“ einlangten, das Elend in entſetzlichen Schilderungen darlegten und um raſche Hilfe baten,” boten den äußern Anlaß, ſich mit der Frage, die religiös und politifh von großer Bedeutung fchien, zu beichäftigen. Schon am 2. März 1421 erflärten die Rurfürften in einem öffentlichen Ausſchreiben, daB, wie fie felbit ſich ver- pflidytet fühlen nad) gangem Vermögen und mit ihrem eigenen Leben Heeresdienft zu leilten, fie auch von jedem Reichsſtand erwarten, daß er „at ſolchen der heiligen Chriftenheit und des heiligen Reichs ſchweren Nöten“ fommen und helfen merde.”” Es bildete fi ein mächtiger Fürftenbund „zur Unterdrüdung der böhmiſchen Ketzerei“, dem auch die Reichd- ftädte beitraten; „aller deutfcher Zunge ein Bund”. Auf dem Nürnberger Reichstag im April d. 3. follte alles nähere be- ſchloſſen werden. Da aber König Sigmund nicht erſchien, fonnten entſcheidende Beichlüffe nicht gefaßt werden. Erft auf einem Mainzer Tag am 29. Juni, dem Sigmund aller- dings aud) fernblieb, erklärten fich die Reichsſtädte bereit, an einem neuen Kreuzzug gegen Böhmen teilzunehmen, für den der eigens nad) Deutichland entjandte Kardinal und päpft- lie Legat Branda wirkte und zu dem König Sigmund von Ungarn aus mahnte. Er werde, jo ſchrieb er am 19. Juli 1421 von Preßburg aus an Branda, wenn nicht unter den eriten, fo doch gewiß nicht unter den letzten fein, die mit ihren Völfern in Böhmen auf dem Kampfplag ericheinen und, damit niemand ihn befhuldige und mit Hinweis auf ihn fehle, mit Botſchaften und Briefidyaften eifrig bemüht fein;

Die Huffitentriege. 1410 1486. 20

denn „was für einen Ruhm könnten wir dabontragen ... wenn wir daß berderblichfte Geſchlecht aller Häretiker, Wifle- fiften und YHuffiten, nicht bernichteten?“”* Das Reichsheer follte von Eger aus, der Markgraf Friedrich von Meißen vom Norden, die Schlefier vom Diten, König Sigmund mit dem öfterreichifchen Herzog Albrecht V., dem er noch im jelben Jahr 1421, am 28. September, feine einzige Toter Elifa- beth vermählte, vom Süden ber in Böhmen eindringen. Die große Unternehmung verfprad; um fo fichereren Erfolg, als ein Buffitifches Heer unter Führung des Priefters Johann bon Selau, nachdem es Bilin zerjtört, die Klöſter Doran, Teplitz und Oſſegg vernichtet hatte, vor Brüx durd) die Bür- gerichaft diefer Stadt, die durch Zuzug aus der Nachbarſchaft und ein meißniſch · ſächſiſches Entfagheer unterftügt wurde, am 5. Auguft eine ſchwere Niederlage erlitten hatte.

Wenige Wochen darnach, am 24. Auguft, rückte das deutſche Heer in Böhmen ein. Aber vor den feiten Mauern der Huffitenftadt Saaz, mit deren Belagerung das vereinigte Weft- und Oftheer am 16, September begann, feheiterte der zweite Kreuzzug, an dem mindeltens 100.000 Mann, vielleicht noch mehr, teilgenommen hatten, nicht zuletzt aus dem Grunde, weil König Sigmund feine Bufäge, gleichzeitig vom Süden ber Prag zu bedrohen, nicht einhielt. Dadurch wurde das große QTaboritenheer unter Bißfa frei für den Vormarſch nach Norden. Bevor er noch vor Saaz eingetroffen war, hatte man die Belagerung aufgehoben und das Seer, defien Verpflegung Schwierigkeiten verurfachte, am 2. Dftober aufgelöft, das nun unter Verwüftung des Landes zuchtlos und ſchmachbeladen heimzog.

Seinem erſten Fehler, das deutſche Kreuzzugsheer nicht rechtzeitig unterftügt zu haben, fügte Sigmund einen zwei · ten binzu, indem er in harter Winterzeit allein den An- griff auf Böhmen unternahm. Über Mähren, das inzwiſchen ſtark Huffitifch geworden mar,” aber in Fürzefter Zeit faft vollftändig unterworfen wurde, eilte er mit feinen gefürd- teten ungarifchen Horden an die böhmifche Grenze. In Jalau, wo ſich der König in der eriten Hälfte Dezember auf-

80 Erſter Wöfcmitt.

bielt, fand ſich auch ſchon böhmifcher Adel bei ihm ein. Unter furchtbaren Vermwüftungen und Gewalttaten rüdte er fieg- reich bis Kuttenberg vor. Die Stadt wurde ebenjo wie viele Dörfer und andere Städte im Tſchaslauer Kreis nieder- gebrannt, die huſſitiſche Bevölkerung ermordet. Eine Quelle berichtet, daß die Knaben durch die Ungarn geraubt, Weiber und Mädchen bis auf den Tod gejchändet wurden. Bis Kolin gelangte der König. Ziska, der mit feinen Taboriten dem ungenügenden Huflitenheer vor Nuttenberg zu Hilfe kam, geriet in Gefahr umzingelt zu werden und mußte fich gleich- falls nördlich hinter Kolin zurüdziehen (22. Dez.). Ein gleich- zeitiger Angriff des deutſchen Reichsheeres von Norden her hätte die Böhmen in eine verzweifelte Lage bringen können. Sigmund allein waren fie bald gewachſen. Er wurde raſch aus Böhmen bis an die mähriſche Grenze zurüdgedrängt. Am 8. Januar 1422 erlitt fein Heer durch Ziska eine fo furdytbare Niederlage bei Deutſchbrod, dak Sigmund mit den Überreften zu einer traurigen Flucht durch Schnee und Eis ins mähriſche Land hinein gezwungen wurde. Deutſchbrod, von den Xaboriten verwüſtet und zeritört, blieb fieben Jahre berödet Tiegen.

Die Erbitterung über den König wuchs im Reid) und auch in Böhmen. In diefer Beit entitand die Rede eines ungenann- ten böhmifchen Katholifen über die Schandtaten König Sig- munds, die man mit Recht als das Schärffte und Feindfeligfte bezeichnet hat, was über ihn gefchrieben wurde.” Drüben im Reich ſchwirrten Abſetzungsgerüchte auf. Der polnische Thron- plan ſchien ſich jet zu verwirklichen. Witold von Littauen entfandte feinen Better Sigmund Korybut mit einem pol- nifchen Heer durch Mähren (Mähriic-Neuftadt) nach Böhmen; am 16. März 1422 hielt diejer ala Stellvertreter des neuen Königs feinen Einzug in Prag Sein Erfcheinen hatte unıfo größere Bedeutung, al3 eben damals in der Hauptſtadt zwiſchen den beiden huſſitiſchen Parteien eine Perbitterung und Kampfeswut herrichte, die in ſchroffſtem Gegenſatz ftand zu der vor wenigen Monaten in Tſchaslau vereinbarten Frie- dengeinigung. Am 9. März hatten ſich die Prager des ihnen

Die duſſitenkriege. 1419-1488, 83

jeit langem unbequemen Führers der Radifalen in der Stadt Johannes von Selau und feiner nächſten Anhänger bemächtigt und fie enthaupten laſſen. Daraufhin erhob fi ein Tumult, ein Stürmen und Berftören von Kirchen, Häufern der Gegner und der Juden, daß, wie der Chronift ſchreibt, Prag in diefen zwei Tagen größeren Schaden litt, al$ von König Sigmund und feinen hunderttaufend Mann, da fie vor der Stadt lagen. Sigmund Korgbut warf fi zum Schiedsrichter auf, ftellte aud die Ruhe einigermaßen ber, indem er die Prager für fid) gewann, aber nur mit Mühe feste er es durd), daß ihn auch Bisfa als „Helfer und oberiten Verwalter diefeg Lan- des" anerkannte,

Unter diejen inneren Zerwürfnifien, die die Schwäche des ganzen Huſſitismus erkennen ließen, fonnten die Katholiken und Anhänger der Föniglihen Sache wieder zu Kräften tommen und den Gedanken an Widerftand von neuem faſſen. Xrog der ungeheuren bisherigen Verlufte waren fie noch anfehnlich genug. In: Welten war e3 da3 ganze Egerland und die füdlich daranftoßende jogenannte Pilfner Vereinigung mit den Städten Pilfen, Ludig, Tachau, Mies, Biſchofteinitz n.a.m.; Bifchofteinig Hatte Anfang Mai 1422 fogar eine ſchwere Belagerung glücklich überftgnden. Im Süden war Budweis mit dem ganzen Nachbargebiet bis an die öfter- reichiſche und bayriſche Grenze eine zwar ſtark umbrandete aber widerftandsfähige Inſel. König Sigmund hatte fie gleichzeitig mit Mähren bereits 1421 Serzog Albrecht V. von fterreid, abgetreten, um ihm auch Bier einen Stüßpunft für den Kampf gegen die Huffiten zu ſichern. Im nordweſtlichen Böhmen waren Brüx, Kaaden, dad den Huffiten wieder ent- tiffene Komotau, Rafonig u. a. Orte, in denen die königliche Macht, Deutſchtum und Katholizismus noch immer da3 Über- gewicht bejaßen. Und in wiebiel huffitifch gewordenen Städten beſonders im Often wartete man nur mit Ungeduld auf den Augenblid, da man die bergende Hülle sub utraque bon fich werfen und die alte Gefinnung befunden durfte Ahnlich unſicher war die Haltung eines Teiles des Adels, während andere fi noch immer mit großer Entfchloffenheit gegen

82 Erſter Wſchnitt.

Huſſiten und Taboriten auf eigene Gefahr verteidigten, wie die Gefchlechter Rieſenburg, Schtvamberg, Plauen, Kolowrat im Weſten; im Nordweiten Nikolaus Lobkowitz von Saffen- ftein, der Hauptmann de3 Saazer Landfriedenskreifes, Albrecht von Koldig auf Bilin, zugleich Hauptmann von Schweidnit und Breslau; die Berka von Duba auf Lippa; die Safenburg, Sigmund von Wartemberg auf Xetichen; im Oſten die Michelsberg, die Boskowitz auf Brandeis; im Süden die Nofenberg und mand) andere.

Es hätte ingbefondere in der erften Hälfte des Jahres 1422 nur eines redjizeitigen und einheitlichen Eingreifens vonjeiten deg Reiches und Sigmunds bedurft, um eine ent- ſcheidende Wendung herbeizuführen. Der Anlaß hiezu war auch vorhanden.

Das glänzendfte Beifpiel von mutiger Ausdauer und tapferer Standhaftigfeit bot damals die Beſatzung der Fönig- lichen Burg Rarlftein, das Juwel unter den Burgen aus der Zeit Karls IV. Ihren Widerftnd zu brechen ftellte ſich ins- bejondere Prinz Korybut zur Aufgabe und belagerte die Feſte feit dem Frühjahr 1422. Die Rettung diefes legten Symbols des luxemburgiſchen Königtums in Böhmen benügte Sig- mund als wirkſames Loſungswort für die Verhandlungen, die er mit den Reichsfürften im Juli 1422 in Nürnberg wegen einer neuen Unternehmung gegen die Huſſiten führte. Er erwirfte, daß ſich in der eriten Hälfte Oftober ein doppeltes deutſches Kreuzheer, eines vor Nürnberg, eines bor Eger fammelte, um ſich dann auf böhmiſchem Boden mit den bon andern Seiten, Sachen, Meißen, Schlefien, Oſterreich, herbei- geführten Scharen zu vereinigen. Aurfürft Friedrich von Brandenburg, unzweifelhaft der tüchtigſte, politiih und Triegerifch geeignetfte deutiche Fürſt, empfing- bereits jegt in Nürnberg nad) feierlihem Hochamt in der Sebaldusfirche die vom Papfte geweihte Sahne des heiligen Kreuzes aus den Händen Sigmunds, als deſſen „Oberfter Hauptmann wider die Wyflefen, die man Huffen nennet”.

In umfo fchrofferem Gegenfag zu diefen Vorbereitungen ftand dann die Durdführung des ganzen Unternehmens.

Die Yuffitentriege. 14191488. 88

Das Heer, mit dem der Kurfürft in Böhmen einzog, etwa 4000 Wann, betrug noch nicht ein Fünftel der vereinbarten Zahl; gleichwohl vermochte es jogar Pilfen zu beſetzen, das von den Huffiten arg bedroht war. Dagegen fam der jo not- - wendige Zuſammenſchluß mit den Meißnern, die unterftügt bon den Schlefiern und Lauſitzern bis nad Brüx borgerüdt waren, nicht mehr auftande. Und die unverantivortliche Un tätigfeit Sigmunds, der in Wien jaß und dem Brandenburger, zu dem er ın Wahrheit in wenig freundichaftlichem Verhält- nig fand, die ſchwere Arbeit allein überließ, erzeugte allgemeinen Mißmut und Stodung. Ungenüßt vergingen Monate, Im Dezember 1422 hatte das gejamte deutiche Heer dag böhmifche Land wieder verlafien, da aud) vom Kur- fürften eingeleitete Verhandlungen mit den Huffiten zu einem Ergebnis geführt hatten. Die Narliteiner Bejakung hatte nad) mehr als halbjähriger Belagerung, an einem Entjaße ver- äweifelnd, am 8. November mit dem belagernden Heer der Huſſiten einen Waffenftilftand abichließen müffen. Der dritte Kreuzzug war gleichſam in’ ſich zufammengebrochen.

Der Kurfürft von Brandenburg empfand die Schmach folder Erfolglofigkeit einer mit größtem Pomp angefündig- ten Unternehmung umſo ſchwerer, ala er. ſich vollfommen Klar darüber war, daß es nur einer leichten Kraftanftrengung und des ernften Willens auf allen Seiten bedurft hätte, „fo wären all Sad) gerinklich zu einem guten Ende zu bringen” gemwefen; „des fein wir”, erflärt er in feinem Klaren Kriegs- bericht auß Tachau vom 26. November 1422 nachdrücklichſt, „an (ohne) allen Zweifel“. Nicht geringe Bedeutung hatte er dabei dem Umftand beigelegt, „daB die Prager und die vom Tabor in großen Bweiungen mit einander fein“. Gemeint ift der alte Gegenjag zwiſchen Taboriten und Pragern, der durch Korybuts Dazmwiichentreten nicht nur nicht befeitigt, fondern noch verſchärft worden war.

Der ſchmähliche Rüdzug des Kreuzheeres am Yahregende 1422 ſchien Zeit zu bieten, diefen Kampf auszutragen. Er währte ſchon Monate ohne Unterlaß, führte aber zu Feiner Enticheidung, da die beiden Parteien einander gewachſen waren.

Bretdols. Seid. Wöhmens u. Madrens. II. 8

3 Erſter Abſchnitt.

Da entſchloß ſich Ziska im Herbſt 1428 durch kriegeriſche Unternehmung ſich und feiner Partei neue Erfolge im Felde au erringen, die dann auf die innere Lage nicht ohne Einfluß bleiben fonnten. Er 30g zuerft nad; Mähren und bemächtigte fi) dann auf dem Heimzug 1424 einer Reihe wichtiger böhmi- ſcher Städte, in denen bisher die gemäßigten Elemente das Übergewicht gehabt Hatten, wie in Nuttenberg, Kaurim, Böhmisch Brod, Nimburg, fegte den Anſchluß von Klattau, Soaz, Zaun an feine Partei durch und war nun entichloffen, das Regiment Korybuts in Prag zu bredien und die Saupt- ftadt zu unterwerfen. Er Iagerte bereits mit feinem Heere in Rrags unmittelbarer Nähe bei Lieben, als e8 ebenda am 13. September und dann im Oktober in Zditz zu Ver- handlungen Fam, die zu einem halben Ausgleich führten. Nicht zuletzt beftimmten Ziska dabei bie großen Gefahren, die dem Suffitentum in feiner Gefamtheit insbefondere durch die Fortſchritte der Sfterreicher in Mähren drohten. Dorthin in allererfter Linie gedachte er ſich mit feinem Heer zu wenden. Mlein gleich zu Beginn der Unternehmung erlag er der in feinen Reihen ausgebrochenen Peit am 11. Oftober 1424 vor Pribislau an der böhmiſch-mähriſchen Grenze, während der Ort erftürmt und in Brand geitedt wurde. Die Flammen der in Feuer aufgehenden Burg und die lebenden Fackeln der tapferen Verteidiger beſchienen graufig Ziskas Totenbahre. Die Unternehmung gegen Mähren wurde zivar fortgefekt, verlief aber ohne bedeutfamere Erfolge, denn vor allem war die Einheit des taboritifChen Heeres ohne den allgemein ge- fürchteten gewaltigen Seerführer nicht mehr aufrecht zu erhal- ten. Die engeren Anhänger Ziskas Löften fich als die „Waiſen“ von ben Taboriten ab und bildeten fortan eine politifch, mili- täriſch und religiös ſelbſtändige Gruppe, die in Profop dem Kleinen (Profupef) ihr Oberhaupt anerfannte, Ihn über- ragte aber fehr bald der eigentlihe Führer der Taboriten Prokop der Große (aud) der Kahle genannt), die bedeutendfte Belt in der zweiten Hälfte der Huflitenfriege nad) Bis- 8 .

Die Yuflitentriege. 1419-1486. 86

Es heißt, daß er eigentlich aus einer in Böhmen eingewan · derten Aachener Familie ftammte und ſich zuerft dem Kauf- mannftand widmete. Mit feinem Oheim, der das Geſchäft führte, machte er große Reifen nad, Italien, Spanien, Frank- rei) und nad) dem Often bis Serufalem. Dann aber unter der Wirkung der Huffitiichen Bewegung wandte er fich dem Studium der Theologie zu, wurde Prieſter und bald auch Anhänger der Taboriten. In Ziskas Schule wuchs er zum Feldherrn heran und übernahm deſſen Erbichaft bei dem eigentlichen Taboritenheere. Im Felde erſt gewann er jeine überragende Stellung.

Wie König Sigmund die Laſt des Huffitenfriegeg in Mähren und Südböhmen vornehmlich auf feinen Schwieger- john, Herzog Albrecht V. von Öfterreid; abgewälzt hatte, fo fand er einen ähnlich mutigen. und treuen Vorfämpfer für Nordböhmen in dem Markgrafen Friedrich von Meißen. Er hatte ihm ſchon Sanuar 1423 nad; dem Ausſterben des askaniſchen Saufes die ſächſiſche Kurftimme verliehen, mwie- wohl andere Fürften bereditigtere Ansprüche befaßen, und ver- pfändete ihm Auffig und Brüg mit dem zugehörigen Gebiete.” Dank Friedrichs Unterftügung konnte denn aud), wie Brüx ſchon im Sommer 1421, jo Auſſig im Herbſt 1424 einen ſchweren Angriff feiner huſſitiſchen Feinde glüdlich abwehren. Das Jahr 1425 verging mit den langwierigen Außeinander- fegungen zwiſchen Taboriten und Waifen, während die Prager unter Korybut bereit nad) einer Verftändigung mit König Sigmund und den Katholiken ftrebten. Erft zu Beginn des Sahres 1426 gewannen die Xaboriten ihre frühere Tatkraft wieder und erfannten fofort die Gefahr, die ihnen durch die Feitfegung der Meißner in Brür und Auffig drohte. Sie bemãchtigten ſich zunädjft einer Reihe Zleinerer Ortſchaften

. im Umfreis diefer feften Plätze: Weißwaſſer und Leipa, Treb- nig und Xeplig, Graupen, Dur und anderer. Im uni 1426 Tonnte dann der Angriff auf Auſſig gewagt werden, an dem fi au die Prager unter Korybut beteiligten, den Haupt- befehl führte aber Prokop. Trotz aller Xapferfeit der Bewohner von Auffig, trog aller Buzüge aus Sachſen,

»”

86 Erſter Abſchnitt.

Meißen, Thüringen ging die Stadt am 17. Juni nach einem mörderiſchen Kampf verloren und wurde durch die Wut der Sieger völlig zerſtört. Brüx behauptete ſich dagegen auch dieſesmal, bereitete ſogar, unterſtützt von den Meißnern, den Pragern, die den Angriff allein unternommen hatten, eine ſchwere Niederlage. Ohne die werktätige Mithilfe der ge- fürdteten Taboriten waren fie ſchwach und unentſchloſſen. Umfomehr fehnten fie fi nad) Frieden mit dem König und der Aurie und Ietteten von neuem Verhandlungen mit ihnen ein, die den ganzen Winter 1426/7 bis ins Frühjahr hinein währten. Dieje Zeit des Zwiſchenſpiels benützten die tabori- tifchen Seere, um zum erjtenmal über die böhmiſchen Grenzen hinaus in das öſterreichiſche Nachbarland einzubrechen, Weihnachten 1426 und März 1427 (Stift Biwettl). Als Prokop aber durch feine Anhänger in Prag der Magifter Johann von Rokihan tritt jeßt bedeutfam in den Vordergrund bon den für ihn und feine ganze Partei gefährlichen Frie- densverhandlungen der Prager Utraquiften Kunde erhielt, kehrte er zurüd und warf feine Gegenpartei mit einem Schlage nieder. Korybut wurde (April 1427) aus dem Lande verwieſen, Prag für längere Zeit den Taboriten gefichert. Und wie fie dann auch ihre Eriegerifchen Unternehmungen in die Nachbarländer, in die Lauſitz und nad) Schlefien, wieder aufnahmen, alle Ausfichten auf Ruhe und Frieden ſchwanden, fiegte auch in Deutſchland und bei König Sigmund der Gedanke, durch einen neuerlichen Kreuzzug ihre Macht endlich au bredjen.

Die Unternehmung wurde monatelang vorbereitet; Böh- men follte zu gleicher Beit von vier Seiten überrannt werden. Als aber im Juli 1427 ein Xeil des Kreuzheeres unter Kur- fürft Sriedrih von Brandenburg ohne die anderen Teil- nehmer abzuwarten über das Gebirge bis Mies, etwa dreißig Milometer von der Weſtgrenze entfernt, vordrang, um diefe Stadt, die 1426 von den Hufliten eingenommen worden war, zu befreien, ftob es auf die bloße Nachricht, daß die Taboriten unter Prokop herannahten, außeinander (3. Auguft). Tachau, das fi) bisher behauptet hatte, ging verloren, und

Die Yuffitenfriege. 1419—1486. 87

Pilfen mußte mit den Feinden Waffenftillftand fließen. Das, wie der Chronift Andreas bon Negensburg jagt, „nicht nur fchlechte, jondern ſchmähliche Ende” dieſes Kreuz 3ug8”° verleidete in ganz Deutſchland Fürften und Reichs - ftädten die Luft, fi) nochmals in ſolche Unternehmungen ein- zulaſſen. Die Xaboriten waren für lange Zeit bor jeder ernfteren Gefahr im Innern und bor feindlichen Einbrüchen bon außen ber ſicher. Sie fonnten ſich umfo unbefümmerter jelbft über die Grenzen ihrer Heimat auf meitausgedehnte Raubzüge wagen. Es find die jchredlichen Huffitenzüge von 1428—1430, unter denen Mähren und Ungarn, Öfterreich und Bayern, die Lauſitz und Schlefien, Meißen, Thüringen und Franken fo ſchwer zu leiden hatten, und die aulekt jogar über Berlin hinaus Brandenburg und Preußen bis Danzig hinab bedrohten. Zeitweilig fürdhtete man in Braunſchweig, Rüneburg, Hamburg. In Franken zählte man an die fiebzig zerſtörte Ortichaften, von Dörfern umd dem freien Land nicht zu reden. Die Huffiten mieden zwar die großen Städte, aber an Wien, Dresden, Leipzig u. a. kamen fie recht nahe vorbei. Daß die Niederbrennung und Zerftörung ganzer weiter Gebiete, die ſich nicht durch ſchwere Leiſtungen Ios- kaufen wollten oder konnten, daß Mord und Totſchlag zu den gewöhnlichen Erſcheinungen gehörten, bedarf keiner beſonderen Erwähnung. Es genügt die Beſchreibung Windeckes über den Einfall in Meißen und Franken an der Wende vom Jahre 1429 zu 1430 anzuführen, um ein Bild won dem Elend dieſer Zeit zu geben. Er erzählt: „. . . da zogen fie in das Land zu Meißen wohl mit 100.000 Menfchen und gewannen da wohl 18 Städte und Märkte und berbrannten da wohl 1400 Dörfer und taten da verderblichen Schaden. Und zogen da wieder hinweg in des Marfgrafen von Brandenburg Land und Herzog Hanſen Land und geivannen Bayreuth (30. Sanuar 1430)... Rulmbad) ... und taten da gar großen Schaden an Leute Zutodefchlagen, an Rauben und Brennen... und Hatten dag leicht zu tun, denn die edlen Leute und die reifigen Gezuge (ausgerüfteten Zeuge), die titten aus den Städten und ließen die armen Leute aljo elendiglidh und die guten

38 Erfter Abſchnitt.

Städte alle ftehen; fie wurden alle verloren. Der Adeligen niemand wußte, warn fie (die Huffiten) gefommen wären; und wurde durch ihren großen Unmut (Feigheit) unmäßiglich biel armer Leute um ihr Leben gebracht; dag man fand das Kind an der Mutter Bruft tot, die Mutter tot, das Rind lebend faum vor großem Hunger. Und wären die ehrbaren Bürger von Nürnberg nit geweſen mit ihrer Speife, die fie alle Woch darfandten, ein wenig Fleiſch und Brot, 4000 Menſchen wären mehr geftorben, denn die fonft tot verbliebeh; denn fie (die Huffiten) Weiber und Kinder nicht töten, nur die Städte brannten fie aus. Und es wehrte ihnen niemand, alfo gar war das Volk verzagt. Denn da die Edlen hinweg- titten, fo flohen die Bürger und Bauern zu Holz (in den Wald) und ließen Weiber und Kinder Hinder ihn (zurüd). Dazu nahmen fie (die Huffiten) mehr denn 3000 Wagen mit Gut (beladen) und führten das Hinter fi) gen Böhmen. Und alfo zogen fie gegen Bamberg. Da fandten die von Bamberg zu ihnen und tegedingeten (verhandelten) mit ihnen um eine Summe Geldes, 12.000 Gulden. . . . Und alfo zogen fie gen Nürnberg zu; und alfo bejorgete ſich Markgraf Friedrich und Herzog Hans gar jehr und ritten zu den Huſſen und die Ratsfreunde von Nürnberg und tegedingeten (mit) ihnen über 13.000 Gulden, daß fie fiher wären bis auf St. Jakobs- tag. Und alſo zogen die leidigen Huſſen wieder nad, Böhmen.” ??

Planvoller Widerftand wurde nur felten verſucht. Ein einzigmal in diefen drei furditbaren Jahren, Anfang 1430, bildete fi) ein eigentliches deutjches Heer, das zwiſchen Leip- sig und Grimma den Feinden entgegentreten follte; es floh auf die erfte Kunde von deren Herannaqhen erſchreckt aus- einander. Auch von auswärts wollte man den Deutſchen zu Hilfe fommen; der Kardinal Heinrich von Winchefter, ein Oheim des damaligen englifchen Königs SHeinri VL, rüftete in England ein Heer, aber der Krieg, in den England mit Frankreich damals verwidelt war, und das Auftreten der Qungfrau bon Orleang zwang ihn, feinen Scharen auf dem Marſche eine andere Richtung zu geben. Die Sungfrau foll

Die Yuflitenkriege. 1419-1488. 80

dann ſpäter in einem Schreiben an die „häretiſchen Böhmen“ vom 23. März 1430 den Huffiten gedroht Haben, jelber den „atlen und unzüchtigen Aberglauben“ mit dem Schwerte auszulöſchen, ohne daß aber näheres über diefen Plan, wenn er ernft zu nehmen ift, befannt wäre.“

Es ſchien nicht abzufehen, wann und wie dieje Vermwüfhun- gen und Leiden im deutichen Volke und Lande ein Ende finden könnten, beſonders da König Sigmund vom Frühjahr 1426 bis in den Sommer 1480 dauernd fernab in Ungarn mit ganz anderen politiſchen Aufgaben beichäftigt fchien, als ob ihn bie Dinge in Böhmen und im Reich am mwenigiten an- gingen. Selbft die mächtigften der deutfchen Fürſten, wie der Markgraf von Brandenburg, die Herzöge bon Bahern, der Burggraf von Nürnberg, mußten, da an eine gemeinfame Abwehr vonjeiten des Reiches nicht zu denfen war, fein anderes Mittel ſich der Feinde zu erwehren, als ſich mit ihnen abzufinden. Denn diefe Huffitenzüge waren nicht zulegt aus der Not heraus geboren, da die ausgeſogene verarmte Heimat nichts mehr darzubieten vermochte, um das Seer zu erhalten; daher ließen fie fich durch Lieferung von Vieh und Geld nicht unſchwer ablenken. Allein folk traurige Ausfunftsmittel Tonnten niemanden befriedigen. Die Reichsſtände verhandel- ten denn auch faft ununterbroden auf großen und kleinen Verſammlungen wegen der Huffitengefahr mit einander und dem in der Ferne mweilenden König, bis dieſer ſich entſchloß, der Frage feine Aufinerffamfeit wieder zuzumenden. Am 10. April 1429 jchrieb er aus Preßburg an verſchiedene Fürften und Städte des Reichs, daß Verhandlungen, die er felbft mit den Führern der Huſſiten, unter denen ſich ſogar Profop der Große befand, eingeleitet hatte, ohne Ergebnig verlaufen feien, fo daß er im Sommer einen neuen Feldzug nad) Böhmen zu unternehmen entſchloſſen jei. „Wiewohl in unferm ARunigreich zu Behem fo lautet der Eingang von viel Jahren bisher leider viel Unfürs, Un- menfchlichfeit und Jammers begangen worden ift von den ver- boften Ketzern, die alle Gejeg und Ordnung der heiligen Kirchen und chriftenliden Glaubens zurüdgefchlagen, mit

Erſter Abſchnilt.

Mord, Brand, Kirchenbrechen, Vertilgung geiſtlichs Standes, des ganzen Adels und viel frommer Chriſten ſo mannich Übel begangen haben und täglich begehen, daß das Fein menſchlich · Hand vollfommenlich vollichreiben kann: und darumb daß das in allen umbgelegen Landen Gott ſei geklagt landkundig iſt, ſo iſt nicht notdürftig, ſolch Unfür, die nicht allein häßlich zu begehen, ſondern auch zu hören und zu ſehen ſein, in dieſer Schrift auszudrücken. Und wiewohl von uns und anderen chriſtenlichen Fürſten, Herren, Städten und Anderen ettwedike (etliche) darzu gegriffen und Zug und Ordnung gemacht und getan worden ſind, damit man ſolchen Jammer aus der Mitt der Chriſtenheit ausgerotten und ausgetilgen möchte, ſo haben doch alle menſchliche Sinne und Tat, vielleicht durch Laſt willen unſerer Sünde und bon Verhängnuffe wegen des allmächtigen Gottes, feinen end- lichen Austrag gehaben mögen, ſondern dieſelb Ketzerei ſchleicht alfo täglich je verrer je verrer (weiter). Und wo die nicht in Zeiten unterftanden wird, fo ift au beforgen, daß die alfo wachſen mag, ob man Binfür gerner dorzu tum wollte, daß das nicht jo Teichtlich zu gehen mugen wird... .“. Xrog diefer tiefernften Rüdihau und Mahnung verging Monat um Monat, diefes und das ganze folgende Jahr 1480, BVerfammlungen, Fürften-, Städte- und Reichstage wurden aller Orten abgehalten, ohne daß man zu einem Entihluß gefommen wäre. Noch am 26. Mai 1430 verfündeten bie Kurfürften, daß, da der beichloffene und fo überaus not- mwendige „gemeine (allgemeine) Ketzerzug nad; Böhmen „nicht alfobalde zumege und auszubringen” ſei, man ſich auf einen „täglichen und reifigen Krieg” (Nleinfrieg) und Beihügung der Grenzen beſchränken müffe. Selbit die Sturmnadrichten im Sommer 1430 über den neuerlichen Angriff der Xabo- riten auf Pilfen und deren Einfälle in Bayern, während König Sigmund fi in Straubing aufhielt, und in andere Länder blieben ohne Wirkung. Erft der große Nürnberger Reichstag, den Sigmund im Februar und März 1431 abbielt, feit zehn Jahren die erite wirklich zahlreicher beſuchte Ver- fammlung im Neid), an der aud) der päpftliche Vertreter Kar-

Die Yuffitenfriege. 14191436. 4

dinal Julian Cefarini teilnahm, befchloß einen neuen Kreuz- zug gegen die Huffiten, den fünften und legten. Aber nur dem unermüdlichen Drängen des Kardinals iſt es zuzuſchrei - ben, daß dieſer Beſchluß auch in die Tat umgefegt wurde.

Am 1. Auguſt brach das deutſche Kreuzheer unter der Führung des Rurfürften von Brandenburg über den Böohmer · wald in der Richtung nach Tachau ziehend in Böhmen ein, den Troß mit eingerechnei an hunderttauſend Mann. Von Süden ber erwartele man den Herzog Albrecht V. von Öfter- reich, vom Norden den Kurfürften bon. Sachjen. Aber rajcher war das taboritifche Heer zur Stelle, eben als die Kreuz fahrer damit beſchäftigt waren, die ſüdlich von Tachau gelegene damals huſſitiſche Stadt Taus zu belagern. Das bloße Heran- nahen des Feindes „mit feinem ungeheuren Geſchrei“, über- triebene Gerüchte von feiner Stärke, obwohl er nicht halb fo ftarf war als das Kreuzheer, erzeugte eine ſolche Entmuti · gung, daß eine wilde Flucht entſtand, die in eine maßloſe Verwirrung ausartete, als die Taboriten die Fliehenden zu verfolgen begannen. Das Kreugheer „erging wie Rauch, zer · floß wie Wachs“ ſchreibt ein gleichzeitiger Chroniſt; und ein anderer, Andreas von Regensburg, leitet die Beichreibung mit den Worten ein: „Xraurig iſt alles und voller Schmerz“. Unendliche Beute, unzählige Gefangene blieben in den Händen der Sieger. Wie ein Hohn auf die feierlichen Burüftungen der Kreusfahrer vor dem Auszug mußte es jet ericheinen, daß die päpftliche Sahne, die Kreuzbulle, der Hut, Mantel und die ganze geiftliche Ausrüſtung des Kardinals den Ketzern als Trophäe aufiel.

Es ift kaum zu verftehen, daß nad) ſolchem bollitändigen Mißerfolg, der auf die Unfähigfeit der Führung, die Zucht- Iofigfeit und Feigheit der zufammengemwürfelten Seerhaufen, die gegenfeitigen Feindjeligfeiten unter den deutfchen Fürjten zurüdzuführen ift, König Sigmund und der Kardinal Cefa- rini doch fofort an eine neue gleichartige Unternehmung für das Jahr 1432 dachten und dem Reichstag in Frankfurt, der Bart am 16. Oftober 1431. zufammentrat, Vorſchläge unter-

reiteten.

42 Erſter Abſchnitt.

Allein das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem im Felde für unbeſiegbar geltenden Feind ließ endlich den Ge- danken reifen, der ſchon feit längerer Zeit insbeſondere an dem Kurfürſten Friedrich) don Brandenburg einen eifrigen Verfechter beſaß und ihn ſchon im Februar 1430 zu ernften Beſprechungen mit den huſſitiſchen Parteien zu Beheimſtein veranlaßt hatte: durch unmittelbare Verhandlungen mit den Huſſiten und Xaboriten dem endlofen Blutvergießen und Kriegführen ein Ende zu bereiten. Immer entſchiedener brach fi) die Stimmung dur, die ein zeitgenöſſiſcher Chronift in die Frage zufammenfaßt: „Wenn es erlaubt ift einen Ketzer zu quälen und fein Sleifch zu betrüben und ihn dem weltlichen Arm zur Sinrichtung zu überliefern zur Sicherung und Abichredung der übrigen, warum follte es nicht erlaubt fein, mit ihm zu reden, feine Bedenken zu beantworten und zu zerftreuen, auf daB er fich befehre und lebe?”

Es war eine bedeutfame Förderung dieſes Gedankens, daß damals auch ein geeignetes Forum für eine derart wichtige politifchreligiöje Verhandlung beitand. Am 23. Juli 1431, alfo in denfelben Tagen, da das Kreuzheer zum fünften und legten Male gegen Böhmen auszog, hatte ſich in Baſel ein Konzil berjammelt. Sein Hauptzweck war nicht die Zurüdführung der Huffiten zur Fatholifchen Kirche, fondern waren Reformen und Umgeftaltungen der ganzen Kirchenverfaffung. Das Papft- tum und die Kirche ftanden noch allzu fchroff auf dem Stand- punkt, daß fie mit Häretifern nidyt unterhandeln dürfen. Aber das Unglüd von Taus belehrte zum mindeften den bom Papſte jowohl für die Leitung des Konzils als des Kreuz- zugs eingefegten Kardinal Cejarini, daß der Weg zu Ver- handlungen nicht mehr unbedingt abgelehnt werden dürfe, folle nit Deutihland durd) die Kriegsfurie, die bereit3 ein Dugend Jahre das ganze Sand verheerte, vollfommen zu- grunde gerichtet werden. Auch hatten die Huffiten noch am 21. Zuli 1481, zwei Tage vor der Ronzileröffnung in einem offenen Ausfchreiben an die ganze Chriſtenheit ausdrüdlich erflärt, auf einem Konzil erſcheinen und ihre Grund- lehren, wie fie in den bier Artikeln niedergelegt ſeien.

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rechtfertigen zu wollen, wenn fie eg aud) ablehnten, fi einem Urteilsfpruh zu unterwerfen. Es konnte nicht ohne Birfung bleiben, wenn fie vor aller Welt erklärten, daß fie doch mit höchſtem Bemühen beftrebt geweſen feien, vor einen Konzil der allgemeinen Kirche „öffentliches, freies, ficheres und liebevolles Gehör” zu erhalten, das ihnen aber abgefchlagen worden ſei. „Urteilet jo riefen fie aus ihr felber über das, was wir gejagt haben; wir beſchwören euch, prüfet und überleget ihr alle und jeder einzelne Chriftgläubige, ob jene Biſchöfe die Site der Apoftel mit Recht und Würde ein- nehmen, da fie von ihnen im Leben und in Sitten fo ber- ichieden find. ... Und wenn fie, wie fie vorhaben, mit ihren übergewwaltigen Heeren unſer Königreich überſchwemmen, um es, wie es beißt, bis zur bölligen Vernichtung zu zerftören: mir vertrauen auf die Gnade des Höchſten, deilen Sadje wir vertreten; mir werden gezwungen, Gewalt mit Gewalt abzumeifen, wie es alle Geſetze und alle Rechte erlauben“. Und fie hatten im legten Kampfe wieder Recht behalten. Es ift daher wohl zu verftehen, daß der Widerftand gegen ihre Einladung zum Konzil bald aufgegeben wurde. Am 15. Ofto- ber 1431 erfolgte fie mit der Zuſicherung vollen Gehörs und fiheren Geleites, Allerdings vollzog ſich die weitere Entwid- lung ungemein langjfam. Im Februar 1432 beſchloß ein Prager Landtag die allgemeine Beteiligung unter beftimmten Voraus - fegungen; am 18. Mai wurde in Eger mit Abgejandten des Konzils verhandelt, unter welchen Bedingungen die Hufliten nad) Baſel kommen würden; ein Kuttenberger Landtag wählte am 5. September Vertreter aller „bier Parteien“: Xaboriten, Waiſen, Prager und Adel. Am 4. Januar 1433 erfchienen fie in der Zahl von vierzehn in Bafel, darunter die Taboriten Prokop der Große, Magifter Sodann von Rofikan, Peter Eng- liſch, der Taboritenbifchof Nikolaus von Pilgram, Meinhard bon Neuhaus, Wenzel bon Krawarn u. a.

Die Verhandlungen in Bafel dauerten mehr als ein Vierteljahr; dann mußten ſich im Juni 1433 Konzilsgeſandte wieder nach Prag begeben, um dort neuerdings langiwierige Beiprehungen wenigſtens über die Grundzüge eines Aus-

4 Erſter Abfchnitt.

gleiche zu führen. Sie blieben nicht ganz ohne Erfolg. Am 11. Auguft 1483 legten die Böhmen dem Konzil die bier Artikel zur Annahme por mit der ausdrüdlichen Erklärung: „Bir find bereit ung zu vereinigen und eins zu fein in der gleichen Weife wie alle Chriftgläubigen nad) Gottes Geſetz einig zu fein verpflichtet find, und Gehorfam zu leiſten jenen, die ung gejegmäßig vorgefeßt werden, in allen kirchlichen Dingen, die fie uns nach Gottes Geſetz auftragen erden. Sollte aber das Konzil, der Papſt oder die Prälaten befehlen, etwas zu tum, was bon Gott verboten ift, oder etwas zu unter- laſſen, was im Kanon der Bibel niedergeſchrieben ift, indem fie folde Kanones für verwerflich und berflucht (anathema) erklären, dann find wir nicht ſchuldig zu gehorchen ...

Man kann ſchon aus diefem Wortlaut der Berhandlungs- grundlage erfennen, wie ſchwer es war zu einer vollen und Haren Einigung zu gelangen. Immerhin ſchwirrten ſchon im September Gerüchte auf, „dab der Böhmen Botichaft von dem Beil. Konzil zu Bafel . . . gutlich und wohl verhöret und mit einem guten Ende wieder von dannen gefertigt ſei, heim- zuziehen“. Eine neue Gefandtichaft des Monzild, an deren Spitze eine der einflußreichiten Berfönlichkeiten der Berfamm- lung, Biſchof Philibert von Coutances ftand, machte ſich auf den Weg nad) Prag und erreichte es, da auf dem Martini- landtag nad) langwierigen Verhandlungen am 30. November die fogenannten Baſeler Kompaktaten, d. h. Vereinbarungen des Konzils über die bier Artifel, von der Mehrzahl der Stände und der Geiftlichfeit angenommen wurden: eine Grund- lage für Verhandlungen war endlich gewonnen. Aber ent- ſcheidend für den weiteren Fortgang war die Tatſache, daß fih unter den Einwirkungen der Bajeler Beſprechungen und Vereinbarungen der längft beitandene tiefe Spalt zwiſchen den Huffitifchen Parteien zur Aluft erweiterte, die nicht mehr, wie früher fo oft, im letzten Augenblid zu über- brüden war.

Im Juli 1433 begann Profop der Große aus Mißtrauen gegen die Basler Verhandlungen und getreu feinem und der Taboriten altem Grundſatze: „wir kämpfen um der gefamten

Die Yuflitentriege. 1419—1438. 45

Kirche den Frieden zu verſchaffen (bellamus itaque, ut pacem universali ecelesiae procuremus)“ die Belagerung der einft- maligen „Sonnenftadt” Pilfen, die feit Jahr und Tag ge ftügt auf den benadjbarten Adel treu zur Katholifchen Sache bielt. Obwohl fi allmählich ein fünffaches Seer aller huffi- tiſchen Parteien in der Stärke von 36.000 Mann um Pilfen anfammelte, wurde die Einnahme von Tag zu Tag unwahr- ſcheinlicher. Nicht nur daß die Unterftügung, die der Stadt bon verſchiedenen Seiten zuteil wurde, erfolgreichen Widerſtand ermöglichte, im belagernden Heer herrſchten Zwiſtigkeiten und Unzufriedenheit, die ſich ſchließlich gegen Prokop, den oberſten Befehlshaber richteten. Ein tätlicher Angriff während eine Xumultes im Lager veranlaßte ihn fogar auf feine Stellung zu verzidjten und nad) Prag zurüdzufehren. Während ſich hier vor Pilfen in vielmonatiger Belagerung die innere Schwäche des Taboritenheeres Fundtat, gleichzeitig das Basler Konzil ſich unermüdlich um die Gewinnung ber gemäßigten Parteien bemühte, vollzog fich in Böhmen wohl der enticheidendfte Schritt, der zu einer Wendung führen mußte: der Bufammenjdluß des Adels ohne Unterſchied des Bekennt · nifies, alfo Utraquiften und Katholiken, gegen die radikalen Elemente in Form eines Herrenbundes, wie e8 in den un. ruhigen Beiten der Regierung Wenzels mehrmals vorgefom- men war. Meinhard von Neuhaug und Ulrich von Rofenberg, der Utraquift und der Katholif, waren die treibenden Kräfte. Schon auf dem Martinilandtag 1433 fegten fie e8 durch, daß einer der angefehenften Adligen im Lande aus altem berühm- ten Geſchlecht, Albrecht von Riefenburg zum Verweſer Böh- mens und Mähren? ernannt wurde. Im März und April 1434 jchloffen ſich diefem adeligen Herrenbund, in dem utra- quiſtiſcher und katholiſcher Adel im gleicher Weife vertreten mar, Mähren, dann die Prager Altftadt, Kuttenberg, Pilſen, Melnik an, wogegen ſich die Neuftadt Prag entſchieden ab- lehnend verhielt und fich au befeftigen begann, ebenfo wie die meiften übrigen Städte Böhmens, die zu den Taboriten hiel- ten. Der legte Kampf zwiſchen den beiden Richtungen, Huffi-

46 Erfter Abſchnitt.

ten (Bragern) und Taboriten, begann, bei dem nun jene die Unterftügung durch die Fatholifchen Barone im Lande erführen. > Prokop ftellte fi) wieder an die Spike feiner Partei. Nach Einnahme der Neuftadt durch den Adelsbund am 6. Mai berief Profop das gefamte vor Pilfen lagernde Heer, das unter dem Oberbefehl Prokops des Kleinen ftand, herbei mit einem die Lage grell beleuchtenden Schreiben, welches lautet: „Gott der Allmädjtige, der nad; Gewitterfturm Helle und nad) Betrübnis Troft verleiht, ſei mit dir, mein in Chrifto vor andern geliebter Bruder. Wille, daß mit Gottes Zulaſſung die faljhen Barone mit den Pragern der Altftadt unfere lieben Brüder, die Neuftädter Bürger, angegriffen haben; fie er- ſchlugen einige und eroberten die Stadt, wovon wir jelbft Augenzeugen waren. Nach unferem Dafürhalten folltet ihr daher alles andere laſſen und von Pilfen nad) Seltichen rüden. Denn Capef fammelt viel Kriegsvolk und wir bon Tabor desgleichen. Beſſer iſts, wir fterben, als da wir das mit Sinterlift vergofiene Blut umferer lieben Brüder nicht rächen. Gott mit euch und feid gewiß, daß er nad) der Be- ftrafung der Seinigen fie auch wieder erfreut”.

Obwohl diefes Schreiben aufgefangen. worden war, erfolgte der Abzug von Pilfen am 9. Mai. Nach Prag borzudringen mar unmöglid, man zog weiter öftlich bis über Böhmiſch- 2rod hinaus, In deſſen Nähe bei Lipan kam e8 dann am 30. Mai zur Schlacht. Prokop der Große fiel mit vielen anderen Führern in dem heißen Kampf, der den Tag über, die ganze Nacht hindurch bis in den Morgen des 31. gewährt hatte.??

Der Sieg des Herrenbundes, der Untergang der nam- hafteften Säupter der Taboriten bedeutete den Bufammen- bruch der Partei. Alljogleich fielen bis auf Königgrätz alle Städte, die in der legten Zeit zu ihnen gehalten Hatten, etwa zwei Dutzend, von ihnen ab und fchlugen ſich auf die Seite der gemäßigten Prager.

Die Schlacht bei Lipan bedeutete aber zugleich das Ende der Huffitenfriege überhaupt. So urteilte man jofort in Deutſchland. Das Basler Konzil beranftaltete Prozeſſionen, an denen mehr als neunzig Biſchöfe teilnahmen. In Nürn-

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berg wurde der Sieg feierlich begangen; aud) Hier zog man in Progefjionen umher, fang das Tedeum in allen Kirchen „und jedermann, Yung und Alt, trug Lichtlein in der Hand, Gott zu Lob und Ehren“, fchreibt der heimiſche Chronift.

Die wichtigfte Trage, die zunächit gelöft werden mußte, war die Wiederanerfennung Sigmunds als König, der in- zwiſchen, am 31. Mai 1438, in Rom die Kaiſerkrone erlangt hatte. Die Verhandlungen wurden fofort auf dem Landtag, der am 24. Zuli 1434 in Prag abgehalten wurde, aufgenom- men und dann in Regensburg, wo fi der König vom 20. Auguft bis Ende September aufhielt, fortgeführt. Was die Böhmen in erfter Linie von ihm verlangten, war die alte Forderung: die gefjegliche Geltung des Abendmahles unter beiderlei Geftalt im ganzen Lande. Aber die Konzilsvertreter, die an den Verhandlungen teilnahmen, wehrten fid) entfchiedenft gegen den Zwang, der dadurch auf diejenigen ausgeübt werden follte, die die beiden Geftalten ablehnten. Eine zweite ſchwie- rige Frage betraf die Wiederbefegung des Prager Erzbistums, da Konrad Vechta, der zum Utraquismus übergetretene Iekte Inhaber diejeg Amtes am 4. Dezember 1431 geftorben und diefe Stelle feither nicht bejegt worden war. Haft zwei Jahre sogen fi die Verhandlungen über diefe und andere Punkte bin, ohne daß eine Einigung erzielt werden konnte, ohne daß Sigmund den böhmiſchen Boden hätte betreten dürfen. Er weilte bald in Wien, bald in Preßburg. Erft im Juli 1484 kam er nad; Brünn und unbefümmert um die Forderungen der Konzilvertreter, die aud) hier erſchienen waren, trat er in-unmittelbare Beziehung zu den Böhmen und machte ihnen BZugeftändniffe, die weit darüber Hinausgingen, was bie Kirche beiwilligen wollte.

Die Mbendmahlsfeier unter beiden Geitalten follte in Böhmen zur Regel werden; unter einerlei Geitalt jollte fie nur dort geduldet fein, two der neue Ritus nicht eingeführt war. Die Wahl des Erzbiihofs überließ er dem Adel, dem Klerus und den Städten, behielt fih nur ein Beftätigungs- vecht dor, während die Kirche die erftmalige Wahl dem Basler Konzil vorbehalten wiſſen wollte. Und vielleicht daS wichtigſte

4 Erfter Abſchnitt.

Zugeſtändnis beftand darin, daß fih Sigmund verpflichtete, bei Papſt und Konzil dafür zu forgen, daß diefe Bufagen aud) verwirklicht würden. Der König kehrte bon Brünn nad) Ungarn zurüd und wiederum erft nad Jahresfriſt, nachdem ein ‚böhmifcher Landtag die in Brünn getroffenen Verab- redungen angenommen und am 21. Oftober 1435 Johann von Rofikan zum neuen Prager Erzbiſchof gewählt Hatte, - erfchien er in Jalau, wo am 5. Juli 1486 der endgiltige Ab- ſchluß des Friedenswerkes vollzogen wurde. Auf dem großen Marktplaß dafelbit im Faiferlichen Ornate und in Gegenwart der Konzilsabgeſandten empfing er feierlich die böhmifche Geſandtſchaft. Die Urkunden wurden vorgelefen und aus- getauft; der Erzbifchof vom König beftätigt (13. Zuli). Am 2. Auguft hielt er mit feiner Gemahlin von Iglau fommend feierlihen Einzug in Prag. Der Legat des Basler Konzils Johannes Balomar, der über des Kaijerg glänzenden Empfang in Prag am 24. Yuguft einen Bericht abfaßte, beichließt ihn mit den Worten: „Was er einft mit 80.000 Kriegern nicht er- reihen konnte, hat er jetzt ohne Schwert, ohne Bogen und ohne Vanze auf friedliche Weife erreicht”.

Nur mit einer kurzen Unterbrechung im Sommer (Zuli) 1437 aus Anlaß wichtiger Reichsgeſchäfte, die in Eger ftatt- fanden und denen er beimohnte, verblieb Sigmund dauernd in der böhmiſchen Hauptftadt, die ihm fo ſchweres Leid an- getan Hatte. Als er aber jeinen Tod herannahen fühlte, eilte er in fein geliebte Ungarn, wo er begraben fein wollte. Auf dem Wege dahin ift er am 9. Dezember 1438 in Znaim geitorben, der legte böhmifche Luxemburger.

Zweiter Abſchnitt.

Die Wiekungen der huſſitenkriege in politifcher, nationaler und wirtfchaftlicher Richtung.

Laurenz von Brezomwa, der bedeutendfte böhmiſche Gejchicht- ſchreiber des Huffitenkrieges, oder „vielmehr der einzige, der diefen Namen verdient”? der diefe Zeit vom Anfang bis zum Ende miterlebt hat, beginnt feine Chronik mit einer tiefen Wehklage: „Wenn ich das gegenwärtige mannigfaltige und unermeßlie Unglüd und Verderben des einft jo glüdlichen und berühmten Königreiches Böhmen betradjte, das allmählich ſich heranſchlich, das Land weit und breit berzehrte und durch die Zwietracht inneren Kampfes vernichtete, dann ſchwinden mir die Sinne und der Verftand, erſchöpft von Schmerz, er- ichlafft an geiftiger Spannkraft. ...“. Diefe Worte find etwa 1485 niedergejchrieben, Furz nad) dem Basler Friedensſchluß, am Ende der Leidenzeit.

Ihn, den aufridtigen, tief empfindenden Utraquiften drüdte das Gefühl, daß ein hehrer Gedanke, die Befreiung des Menfchen von dem Drud priefterlicher Herrſchaft, der Ver- ſuch der Wiederherftellung des „wahren Gottesgeſetzes“, auf böhmifchem Boden ausgeartet war in einen der leidenfchaft- lichſten Kriege, in einen furdhtbaren Kampf aller gegen alle, der das ganze Land und feine uralte Kultur binnen wenigen Sahren von Grund aus zeritörte. In Anlehnung an Bibel- worte vom Schidfal des Volkes Israel fagt er, daß auch das einft ruhmvolle Böhmen allen übrigen Nationen zum Schau- ſpiel (spectaculum) und zur Spottrede (proverbium) ge- worden jet.

Diefe für jeden überzeugten Huffiten ſchmerzliche und kaum faßbare Entwidlung erklärt fich wohl daraus, daß die geiftige und religiöfe Xdee, von der die ganze Bewegung ausging, nicht auf böhmiſchem Boden erwachſen war, fondern hier nur aufe

Brethols, Geſch. Bohmens u. Mahrens. IT. 4

50 Zweiter Abſchnitt.

gegriffen wurde und fi) alsbald umſetzte in politifche, nationale, wirtihaftlihe und foziale Umfturzpläne Für die Tirchliche Reform mar Böhmen damals ebenfowenig reif, wie andere Ränder; umfo weniger al3 der Hufjitismus im Grunde nichts war. al& der fremde Wiclifismus. Auf engliichem Boden war er zufammengebrochen, als er ſich auf das foziale Gebiet auszudehnen begann, die niederen Volksklaſſen ent- fefielte und den Fortbeftand der ftaatlichen und gefellichaftlichen Einrichtungen bedrohte, denn Adel und Bürgertum batten fi) dort raſch zu deren Schuge vereinigt. Der Huffitismug in Böhmen dagegen fpaltete frühzeitig Adel und Bürgertum in ſich, fo daß er, al3 die Mafjen für ihn gewonnen waren, die bereit3 brüchigen Dämme der höheren Kreife mit Erfolg an- rennen fonnte. Sie dann auch niederzureißen, war zwar feine leichte Arbeit, aber Schwäche, Uneinigfeit und Behler aller Art auf der Gegenfeite madjten eg möglich. Nur dab nicht8 neues, beſſeres, lebensfähigeres aufgebaut wurde. Vor allem nicht auf kirchlichem Gebiete. Dem ftand von allem Anfang der Umftand entgegen, daß jeit Huſſens Tod der ganzen Bewegung die inheitlichfeit fehlte. Dem alten Katholizismus trat nicht ein neues Bekenntnis entgegen, zu dem ſich das tichechiiche Volk hielt, vielmehr zerjplitterte der Utraquismus in allerlei Lehrmeinungen und konnte auch nicht berhindern, daß im Lande von ıhm ganz unabhängige Sekten emporwuchſen. In einer Schrift des bayrifchen Chroniften Andreas von Regensburg, der erſt 1439 ftarb, ſomit die ganze Entwidlung überſah, wird die böhmiſche „Häreſie“, wie er fie nennt; verglichen mit einem Ungeheuer, das verſchiedene &e- fihter zeigt, am Schweif aber zuſammengewachſen ift;? und dann heißt es weiter: „Die Irrtümer, die die einen behaupten, leugnen die anderen und umgefehrt, und oft genug haben fie unter einander gefämpft und ſich gegenfeitig totgeichlagen . .“ Das Gemeinfanie, das fie verband der Chronift bezeichnet es als den leeren Schein (vanitas) war einzig und allein ihre Feindſchaft gegen die Fatholifche Kirche. Ein halbes Sahr- Hundert nad) den Yuflitenkriegen nennt man aber Böhmen „aller Irrtümer und Blasphemien Spülicht”, vermag die hier

Die Wirkungen der Huflitenkriege. 51

beſtehenden mannigfaltigen Sekten weder zu unterfcheiden nod) aufsuzählen.

Wir fennen bon früher her die beiden Pole des Huffitis- mus: Prager und Taboriten. Ihr Verhältnis zu einander war dauernd das von feindlichen Brüdern, die nur der gemein- ſame Gegner von Beit zu Zeit zum Zuſammengehen zwang. Seit jenem 5. Auguft 1420, da die Taboriten den Pragern, denen fie die Stadt gegen König Sigmund gerettet hatten, ihre Auslegung der gemeinfam angenommenen bier Prager Artikel vortrugen, die aber von diefen abgelehnt wurde, war an eine kirchliche Annäherung geſchweige denn Vereinigung nicht mehr zu denfen. Der Gegenſatz vertiefte ſich jpäter immer mehr und alle Verſuche, einen Ausgleich zu finden, ſcheiterten. Es kam zwifchen ihnen zu den blutigften Kämpfen. Die Ver- brennung des taboritiſchen Priefters Martin Loquens in Raud- nig am 21. Yuguft 1421, die Enthauptung des den Taboriten jehr "naheftehenden Prager Predigers Johann bon Selau mit mehreren Gefinnungsgenofien am 9, März 1422 dur die Prager, die gleiche Strafe, die wiederum die Taboriten über den utraquiftiichen Geiftlichen Johann Sadlo am 20. Df- tober 1421 verhängten, find einzelne Belege diefer erbitterten inneren Gtreitigfeiten. Dann kam daS blutige Jahr 1494, in dem Prager und Xaboriten monatelang gegen einander in Waffen ftanden, ſich gegenfeitig ſchwere Schlachten ſchlugen und Ziska nahe daran war, Prag, „das große Babel“, zu zerftören.

Nicht minder vom Vernichtungswillen erfüllt wie gegen einander waren beide Parteien gegen alle Sekten, die unter ihnen erftanden. Die bedeutendfte, die ſich Damals bildete, die fogenannten Pikarden, die da Iehrten, daß Gott nicht im Himmel, jondern in den guten Menfchen, der Teufel nicht in der Hölle, fondern in den ſchlechten Menfchen wohne, -wurden bon Ziska, ſoweit fie fih in Labor bemerkbar machten, im Oftober 1421 unbarmherzig außgerottet. Und nicht nachſichtiger waren die Prager. Am 21. Juli 1421 hatte der Stadtrat die Verfügung erlafien: „Sn jeder Stadt follen fünfzig zuber- läffige Männer ausgewählt werden, die von jeglihem Verdacht der Ketzerei frei find, und diefe follen fleißig nad Pilarden

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52 Zweiter Abfcmitt.

fuchen und nad) denen, die ſolchen oder anderen Irrlehren oder fonftigen Vermefjenheiten zugetan find, insbefondere jenen Prieftern anhängen, die fich dem Gehorfam unferer Magiſter, die als Senioren aufgeftellt worden find, entzogen haben. Und diefe Fünfzig follen Vollmacht haben, ſolche Leute in Haft zu nehmen und ohne ihre Zuftimmung darf feiner wieder frei- gelafjen werden.”®

Mit folhen Mitteln der Ausfundfhaftung aller Abtrün- nigen, ihrer Beitrafung, Verfolgung und Ausrottung behaup- teten ſich die beiden ftärfften Firchlichen Parteien, Prager einer- feits und Taboriten mit ihren verwandten Abarten (Horebiten, Baifen oder Orphaniten, Gemäßigten, medioeres, in Mähren) anderfeits, bis e8 ziwiichen ihnen zum Enticheidungsfampf Fam.

Die Schlacht bei Lipan hatte das radifale Taboritentum furchtbar erjchüttert und geſchwächt. aber ihm politiſch und kirchlich noch lange fein Ende bereitet. Es Fonnte faum mehr hoffen, daß fein Ritus fich noch durchſetzen werde. Man unter- Heß zwar nicht, darüber mit Kaifer Sigmund und den Utra- quiften zu verhandeln, aber ohne Erfolg‘ Die Xaboriten galten fortan bon Kirche und Staats wegen als Häretiker.

Die Utraquiften dagegen hatten durch die Basler Kompak - taten von feiten der Fatholifchen Kirche und durd) den Iglauer Vertrag bon feiten de3 Kaiſers Anerkennung errungen, weil ſchließlich ihr ganzes Kirchenweſen von dem der Katholiken fi) nur unweſentlich unterfchied. Im Dezember 1432 hatte ein bom Basler Konzil nad Prag entjandter Kardinal aus- drücklich erklärt: er Habe in der Altftadt Prag in den Kirchen nichts wahrgenommen, mas bon dem Fatholifchen Ritus ab- gewichen wäre, ausgenommen die Kommunion sub utraque specie.®

„Bon den Reformgedanfen des großen englifchen Theologen (Wichif)”, jchreibt ein deutſcher Kirchenhiftorifer, „blieb den Heinen Geiftern, die fich in Böhmen um Worte zankten, nicht das mindelte erhalten. Die Tſchechen waren trog ihrer oppo- fitionellen Reden ftet3 katholiſch getvefen, jegt waren fie e8 auch äußerlich. Sie kehrten zur Gemeinſchaft mit der Kirche zurüd und nahmen deren Ordnungen wieder an. Das eingige, mag

Die Wirkungen ber Yuflitenfriege. 58

ihnen als Sonderrecht gewährt wurde, war die Abendmahls- feier unter beiderlei Geftalt. Dies BZugeftändnis aber wurde noch weiter befchränft: der Laienkelch follte nur da zuläſſig fein, wo er bereit3 in Übung war“.“ Dieſe Auffaſſung bat ihre Richtigkeit für einen fehr großen Teil des tſchechiſchen Volkes in Böhmen in den dreißiger und bierziger Jahren, berüdfic- tigt aber nicht die Maſſe der ſchon damals beftehenden anderen Sekten und ebenjowenig, daß diefe fi) immer noch ber» mehrten, während der reine Utraquismus in ftetem Abnehmen begriffen war.

Der Katholizismus, der während diejer Kriegszeit in Böh - men oft aufs äußerfte bedrängt war und die größten Ein- bußen erlitten hatte, war nad) dem Friedensſchluß nicht nur gerettet, fondern auf eine ſichere Grundlage geftellt. Man Tonnte verfuchen, für ihm wieder Boden zurüdzugewinnen. Es ift bezeichnend, dab nunmehr vom Basler Konzil der Bifchof Philibert von Coutances, der ſchon an den Verhandlungen regften Anteil genommen hatte, nad) Prag entfandt wurde und dort bis zu feinem am 20. Juni 1439 erfolgten Tode unan- gefeindet verblieb. Seine Aufgabe, die er aud) mit großem Erfolg durdführte, ging dahin, vor allem in Prag, aber auch auf dem Lande, zu refatholifieren. Er weihte Kirchen und Altäre von neuem ein, forgte dafür, dab die Feiertage und ſonſtigen Firchlichen Weitlichkeiten in alter Weife wieder begangen wurden, daß man an bielen Orten zu ben alten katholiſchen Gewohnheiten und Ordnungen zurüdfehrte. Er erließ felbitändig Verfügungen an den Klerus wegen Befolgung der Kompaktaten und der Kirchengebräuche von ehedem.” Als am 18. Februar 1437 Sigmunds Gemahlin Barbara zur böhmi- ſchen Königin im St. Veitsdom gekrönt wurde, war es Bilchof Philibert, der den feierlichen Aft vollzog, an dem die Abtiffin bon St. Georg und andere Äbte und Prälaten teilnahmen. Der Zurüdführung der Nonnen in ihre Klöſter im felben Jahre wohnte König Sigmund mit den Konjuln aller drei Prager Städte bei. Gegen Ende des Jahres, am 19. November, fonnte Philibert wahrheitägetreu von den ſtets wachſenden Fortſchritten der katholiſchen Religion in Böhmen nad) Bafel

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berichten. „Außer der Kathedralkirche und St. Apollinaris find in fünfzehn Klöſtern Mönde und Nonnen wieder ein- geſetzt worden .. .; nur in zweien müſſen nod) die notwendigen Vorkehrungen getroffen werden, damit fie dafelbit wohnen können. In den vorgenannten Kirchen wird der Ritus der allgemeinen Kirche eingehalten. Den Ausgewiefenen und allen anderen, die in dieje Stadt zurüdfehren wollen, fteht dag Recht zu kommen und zu verweilen frei. Man verlangt von ihnen nichts, als daß fie die Beſchlüſſe des (Basler) Konzils einhalten. Kürzlich ſchien es, als ob neue Unruhen im Königreich erregt werden follten, die aber nad) göttlichem Ratſchluß, danf der Hilfe des Kaiſers und der Unterftügung der Barone, Ritter und Städte feinen Eingang (ingressum) hatten. Was die Bufunft bringt, weiß Gott.“

Es war ein deutliches Merkzeichen der Erftarfung des Katho- lizismus und der Schwächung des Utraquismug, daß gegenüber diefer angejehenen Stellung des Fatholifchen Konzilsgejandten der wohl vom Kaiſer, aber weder vom Konzil noch vom Papſte anerkannte utraquiftifche Erzbiichof Johann von Rokitzan ſich in Prag nicht behaupten konnte. Er fühlte ſich dort bald jo wenig fiher, daß er am 16. Juni 1437 heimlid) die Stadt verlieh. Das Erzbistum wurde fortan von dem neuernannten Admini-

* ftrator Chriſtian von Prachatitz verwaltet, der einftmals ein treuer Anhänger Huffeng geivefen war, aber ſchon während der Kriegszeit auf die Wiedervereinigung der Utraquiften mit der katholiſchen Kirche hingearbeitet hatte. Er gehörte denn auch zu den erften, die fih nah Abſchluß der Kompaktaten, im Dezember 1433, in die Gemeinſchaft der Fatholifchen Kirche hatten aufnehmen laſſen.

Kirchlich hatten die Huflitenfriege in Böhmen nur ein Chaos herbeigeführt, Schon jet nad) dem Friedensſchluß durfte man als ſicher anfehen, daß die religiöfe Frage auf huſſitiſcher Grundlage nicht gelöft werben könne, der Katholizismus daher feine Opfer ſcheuen würde, feine Herrſchaft zurüdzuerobern. Der weitere Kampf zwiſchen den Konfeſſionen und Seften war unausweichlich.

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Mit gleicher Heftigfeit wie gegen den Katholizismus fehen wir im Verlaufe des Krieges das Huſſitentum gegen das Deutihtum im Lande auftreten. Religion und Nationalität find unftreitig die entſcheidenden XTriebfräfte der ganzen Bewegung. Über das Verhältnis beider zu einander ift in der wiſſenſchaftlichen Forſchung viel geitritten worden. Man hat bald dag religiöfe, bald dag nationale Moment in den Vorder- grund geftellt und als das Urſprüngliche erklärt” Die An- ſchauung, als ob „der Huffitismus ... . feinem wahren Kerne nad) ein jchlecht verhüllter Nationalitätzftreit war, welcher aus der ziweifachen Bevölkerung Böhmens eine einzige jchaffen follte*, ift mit gutem Grunde zurüdge:viefen worden. Man Tann nicht finden, daß die gleichzeitigen Quellen, weder die ein- heimifchen böhmifchen, noch auch die fremden deutfchen, diefen Gedanken irgendivie nahelegten. Es tft im Gegenteil auffallend, wie ftarf fie den nationalen Gejichtspunft in diefem Kampf zurückſtellen. Das hängt wohl damit zufammen, daß die Ver- folgung der Deutſchen im Lande urfprünglich gar nit in der Idee des Huffitismus gelegen war. Die Verfolgung des Deutſchtums in Böhmen in der Zeit der Huffitenfämpfe ift viel. mehr eine Rückwirkung des unbedingten Eintretens der Deut- chen für den Katholizismus und für das angeftammte Königs- haus. Was die Kaadener am 24. April 1420 auf die Forderung Wartembergs, dem König Sigmund den Gehorjam aufzufündi- gen, antworteten: „Wenn wir das täten, fo taugten wir fürbas nimmermehr in alle Ewigkeit zu Biederleuten” 10 bezieht fich ebenſo auf ihr Verhältnis zur Kirche und ift der Standpunft, den das ganze Deutſchtum im Lande einnahm. Für Kirche und König ſich aufzuopfern, hatten die Kuttenberger eidlich ber- ſprochen und wiederholt durd) die Tat bewieſen, ebenfo wie eine Neihe anderer deuticher Städte. Die Treue zur Religion der Väter und zur angeflammten Dynaftie, von der die Deutichen nicht laffen zu dürfen meinten, ohne ihren guten Ruf ein- aubüßen, wurde ihr Verhängnis. Denn unter folden Ver- bältniffen mußte das Huſſitentum zu allererft gegen biefen inneren Gegner fi) wenden und ihn unſchädlich zu machen trachten, um dann unbehindert dem äußeren, Königtum und

56 Zweiter Abſchnitt.

Bopfttum, gegenübertreten zu können. Nicht das Deutichtum an fi) wurde verfolgt, jondern das Deutichtum, das den König und die Kirche unterftügte Allein da gab es faum einen Unterfchied; fait alles, was in Böhmen und Mähren deutſch war, war zugleich Fatholifch und Fönigstreu und wollte von einem gewaltfamen Umfturz nichts wiffen. Der Haß und die Feindſchaft des Huffitismug richtete fich fomit bald gegen das heimiſche Deutſchtum in feiner Allgemeinheit.

Die es befannt ift, daß die Hufjitifche Bewegung felbit in Dresden und Bayern Anhänger bejaß, jo willen wir auch, daß es anfangs auch deutſche Suffiten in Böhmen gab. Man kann e8 daraus fchließen, daß ſchon am 5. April 1421 die Altftadt Prag die Verfügung traf, daß „Fein geborener Deutſcher in alle Ewigfeit in der Stadt weder erben noch bererben dürfe, mit Ausnahme jener Deutichen, die mit un in den göttlichen Wahrheiten bisher ausgeharrt haben“. „Nach Gaſtrecht und Gewohnheit“, jo hieß es weiter, „dürfen die geborenen Deut- {hen in der Stadt Ieben, jo lange fie der Gemeinde recht find“. Aber die Zahl wie der einen fo det andern Gruppe dürfte bejonders in der Folgezeit Faum erheblich geweſen fein.

Die Kommunion unter beiderlei Geftalt einerjeit8 und die tſchechiſche Sprache andererjeit3 wurden alsbald die Kenn- zeichen wahren huſſitiſchen Bekenntniſſes. So kam es, daß die Yufliten König Sigmund beiculdigten, er wolle ihren Glauben und aud ihre „tſchechiſche Zunge“ außrotten;** jo vollkommen dedten ſich binnen fürzefter Beit Kelch und Idiom. Der Huflitenkrieg, aus religiöfen Gegenjägen entjprungen, mußte ein nationaler Krieg werden, der e8 vor allem auf die Burüddrängung der Machtſtellung, die das Deutfchtum im Rande in allen Belangen bejaß, abgejehen Hatte. Mit dem Sieg der Kommunion sub utraque mußte aud) der tſchechiſchen Sprache das Übergewicht gewonnen und geſichert werden, denn nur ihre Vefenner galten auch als ſolche des Huflitismus, des „echten Gottesglaubens“,

Diefer Kampf zwiſchen Huſſitentum und deutſchem Volk in Böhmen war von Anfang an ein ungleicher. Das Rückgrat des Deutſchtums im Lande bildeten die Städte. Aber ab-

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gejehen davon, daß der Entwidlung entſprechend die Städte in ihrem Innern auch tſchechiſche Bevölkerung befaßen, war die deutfche Bürgerfchaft auf fich allein angewiefen und ſah ſich gegenübergeftellt entweder einer fanatifierten Menge in ihren Mauern felbjt oder einem Friegäluftigen Heer, das bon außen angriff, oder einer Verbindung beider Kräfte. Die Hilfe, die der König oder die deutichen Fürften bringen follten, erivieg fich einmal wie da8 anderemal als ein Danaer- geichent, das die Lage der Deutſchen nur verſchlechterte. Ein engeres Band unter den Städten jelbft, da8 fie zu gegen- feitiger Unterftügung verpflichtet hätte, beftand nicht. Wo es ſich in der Zeit der Not bildete, wie im Egerer oder Pilſner Kreis, tat e8 Auch bis zu einem gewiſſen Grad feine Wirkung und ftärfte die Widerftandsfraft. Ebenjo bewährte fi) der Schuß, den die eine und andere Stadt an einem benacibarten Fürften fand, wie Brür und Aufjig und der weite Umfreis an dem Meißner, Budweis und das füdmährifche Gebiet an Herzog Albrecht V. von Hfterreich, Olmütz und Nordmähren, fowie andere mähriſche Gebiete an dem Olmüger Biſchof.

Aber niemand fam den Deutichen in Prag zu Hilfe, als fih in den Augufttagen 1419 das erfte Unwetter über fie ergoß. Ohne Unterſtützung blieben die einzelnen deutſchen Städte und Märkte, als im Frühjahr 1420 die Taboritenheere unaufhaltſam duch halb Böhmen dahinfluteten, alles zer- ftörend, was fich nicht ihren Geboten fügte. Unter foldy un- günftigen Verhältniffen mußte das deutjche Bürgertum be- fonder3 in der Mitte des Landes, in der Nachbarichaft der feften Site des Huſſitismus aufgerieben werden. Nicht zu reden bon den deutſchen Dörfern, die einer ſolchen Sturmflut noch weniger Widerftand zu leiſten vermochten. „Ob, wiebiel Städte, Märkte, Dörfer und Schlöffer”, ruft einmal Laurenz aus, „mitfamt ihren Einwohnern hat nur daS euer zerftört”; da3 Feuer, das gleichſam den Abſchluß jedes dieſer graufigen Kämpfe zwiſchen Xaboriten und deutſchen Städten bildete. Denn fo hoffnungslos e8 von Anfang an aud) war, verfuchten doc) eine Reihe deutſcher Städte auf ihre eigene Kraft bauend auszuharren und ftellten fi) entichloffen dem Feinde entgegen.

bs Zweiter Abſchnitt.

Sie büßten aber faſt regelmäßig ihren blinden Opfermut mit vollkommenem Untergang. Wir beſitzen aus der gleichzeitigen Uberlieferung eine Anzahl ſolch überaus trauriger Bilder vom Elend deutſcher Städte in jener Zeit.

Eine der am ſchwerſten heimgefuchten Städte war Pradja- tig, dem Wifchehrader Kapitel zugehörig, durch feinen Salz - handel mit Paſſau ebenfo wichtig als reich, noch von König Wenzel IV. im Jahre 1382 mit verjchiedenen Privilegien und Gnaden bedacht. Am 25. April des Jahres 1420, fo berichtet der Ehronift, wurde e8 im Sturm von den Taboriten ein- genommen, „worauf ihre blutige Sand mit hundertfünfund- dreißig Dreichflegeln und eifernen Kolben durch die Straßen dahingog und die Menſchen graufam niedermadjte, wie Schweine. Fünfundfiehzig wurden in der Safriftei eingefperrt, diefe mit Fäſſern und Stroh verrammelt und dann er- barmungslos verbrannt. Nichts half eg ihnen, daß fie auf die Knie fanken, die Hände zum Himmel erhoben und herzbrechend flehten, daß man ihnen Zeit zur letzten Beichte gewähre und daß fie alles tun wollten, was man ihnen befehlen würde”. Und ebenjo geſchah es, führt der Bericht fort, „den Deutichen in Biltrig”. Aber die Leiden von Prachatitz erneuerten fich nod) einmal. „Im jelben Jahre 1420, eg war am 12. November fo erzählt diefelbe Quelle nachdem die Taboriten in Piſek fich feftgefegt hatten, Iitten fie’ ſchwer durch die Angriffe der Pradyatiger auf die, welche dem Geje Gottes treu blieben. Denn nad) der Niederbrennung der Stadt und der Berftörung ihrer Mauern (am 25. April) waren doc, wieder viele Pracha- tiger in ihre Stadt zurüdgefehrt, die früher vor den Taboriten geflohen waren, hatten die Häuſer halb und halb, die Mauern aber von Grund aus wiederhergeftellt und begannen jegt jene graufam zu verfolgen, welche sub utraque fommunizierten, nahmen fie in Saft, zwangen fie zu falfchen Ausfagen, ver- trieben einige, nachdem fie ihnen Hab und Gut meggenommen hatten, und berbrannten, was ärger ift, zwei oder drei Eiferer. Als Ziska davon erfuhr, madte er ſich mit Brüdern und Scheitern in feierlicher Prozeflion auf den Weg nad, Pracha- tig, fand aber deflen Tore verſchloſſen. Er ſprach fie friedlich

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an: Öffnet daS Xor und erlaubt ung mit unferem Corpus Chrifti.und unferen Prieftern in die Stadt hineinzufommen, e8 wird euch weder an Leib noch Gut etwas gefchehen. Diefe aber antworteten läfterlih: Wir brauchen fein Corpus Chrifti und feine Geiftlichen mehr, wir haben die unfrigen, die ung genügen. Da ſprach Bisfa mit erhobener Stimme: Ich ſchwöre heute vor Gott, wenn id) die Stadt mit Gewalt in meine Hände befomme, bleibt niemand am Leben, fondern alle, wiebiel eurer aud) find, laſſe ich töten. Ein Sturm wird unternommen und troß aller Tapferkeit der Bewohner die Stadt gewonnen. Wag auf der Straße var, wird wie die Kälber abgeſchlachtet, etwa 230 Menſchen. Dann zieht die Prozeſſion feierlich in die Stadt und wird in die verſchiedenen Säufer verteilt, dort rauben fie die Sachen, fpüren die ver- borgenen Männer auf, töten fie graufam, nur Frauen und Kinder werden geſchont; oder man führt fie vor Ziska, der mit Ausnahme bon fieben Leuten, die als Taboriten befannt waren, fie in die Safriftei zuſammenpferchen läßt, die, 85 an der Zahl, dafelbft verbrannt wurden. Die Frauen und Kinder aber vertrieben fie aus der Stadt.“'*

Auch er, der huffitiiche Chronift, empfindet das Entfegliche diefer Kriegführung, wenn er in diefem Zufammenhang ein- mal ausruft: „Es gibt feine Feder, welche fo viele und fo furchtbare Tatſachen beichreiben Fönnte. ... . Stark geworden find damals die Feinde der Kirche, und gefräftigt wurden die, die Unrecht taten und das chriſtliche Wolf mit Unmenſchlichkeit, Feuer, Schwert und Drefchflegeln, wie die Knechte Neros, peinigten und verfolgten“.

Prachatitz blieb dann viele Jahre in den Händen der Ta- boriten, bis 1436 Sigmund die Stadt königlich machte. Hier muß wohl die urſprüngliche Bebölferung fait ganz zu grunde gegangen, das frühere Deutſchtum vernichtet worden fein. Immerhin wird man die Bemerkung des Chroniften nicht überfehen dürfen, wie menigftens nad) der erften Zerſtörung diefer Stadt die geflohenen Bürger doc wieder zurückkehrten und fich fofort an die Wiederherftellung madjten. Wenn auch nicht bei Prachatitz, fo mag do in anderen Fällen auf diefe

0 Zweiter Abſchnitt.

Weiſe ein Teil des alten Stockes erhalten geblieben ſein. Von bedeutenderen deutſchen Städten, die ähnliches Schickſal zu erleiden hatten, werden in den Quellen noch genannt: Bene- ſchau, Kaaden, Beraun, Deutid- und Böhmifch-Brod, Germer, Trautenau und andere. In diejen allen hätte man nad; dem Bericht einer Quelle alle, die im Glauben feft blieben, alſo Katholiken, was faft gleichbedeutend ift mit Deutichen, Adelige und Bürger, Weiber und Mädchen, Säuglinge und Greife, insbejondere aber Priefter und Mönche teils durch Feuer, teilg durch das Waffer, teils durch da8 Schwert ſchonungslos nieder- gemadjt. Diefe Verallgemeinerung mag übertrieben fein; allein welches fchredliche Los mancher deutſchen Stadt befchieden war, zeigt uns die Schilderung der Zerftörung Komotaus. Der zeitgenöſſiſche Vericht Tautet: „Im Jahre 1421 bewegte fich das ganze Heer (der Huffiten) von Pilfen nad; Komotau, wo man am 15. März anlangte und es mächtig einſchloß. Die Deutichen verläfterten das jich Tagernde Heer von den Mauern und drängten es am erften Tage zurüd. Am folgenden, einem Sonntag, machte da3 Heer einen Angriff von allen Seiten gegen Graben und Mauern, Troßdem die Inwohner der Stadt flüffiges Pech und fiedendes Waſſer auf die Angreifer icjütteten, drangen die Prager bon der einen, die Taboriten bon der andern Seite in die Stadt und Burg ein und begannen einen Raubzug durch diefe, wobei fie ſoviel Reichtümer bor- fanden, wie nie vorher irgendwo. Alle Männer der Stadt wurden ermordet oder verbrannt, nur etiva dreißig zurüd- gelafien, die die Toten zu begraben hatten. Und fie begruben mehr als 3500, nicht gerechnet die verbrannten Krieger, Bürger, Priefter und Juden. Die feindfeligen Xaboriten- weiber begingen ein fehredliches Verbrechen. Sie führten die Frauen und Mädchen, die ihre Männer und Väter beweinten, vor die Stadt, nachdem fie ihnen freien Abzug berjprochen hatten; draußen angefommen beraubten fie fie aber borerjt ihrer leider, ihrer Wäfche, ihres Geldes und aller anderen mitgenommenen Habe, fperrten fie in eine Weinberghütte und berbrannten fie, nicht einmal der Schwangeren jdhonend“.'

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Man ftand gleichfam wilden unbezähmbaren Natur gemwalten gegenüber, gegen die es feinen Schug gab, die nur verheerten, ſchonungslos in blinder Wut. Man muß den Verzweiflungsichrei in dem Brief der Stadt Tachau an alle Stände des deutſchen Reichs vom 3. April 1421 Iefen, um eine Vorftellung zu gewinnen, in welcher Angſt die vom Un- glüd noch verſchonten deutſchen Bürgerſchaflen um fremde Hilfe baten; „darumb fo zwingt Angſt und Luſt nun mit higigem Seufzen außzufchreien: o du Liebe ...“

Es ift nicht zu vertvundern, daß unter ſolchen Verhältniffen die weitaus größere Zahl der Städte es gar nicht auf einen Kampf mit den Huffiten oder Xaboriten ankommen ließ, fondern lieber mit ihnen Verträge abſchloß und Abkommen traf, die fie wenigftens vor Zerftörung und Niedermeklung ficherten. Bu ihnen gehörte von vielen anderen abgefehen, die geichloffene Reihe ehedem deutfcher Städte in Oftböhmen: Kaurim, Kolin, Tſchaslau, Nimburg, Kuttenberg, Chrudim, Hohenmaut, Trautenau, Königinhof, Leitomifchl ufw. Ging e3 zwar auch da nicht überall ohne Blutvergießen ab, jo kam es doc) wenigfteng nicht zu Ausrottungen. Der Charakter der Stadt wandelte fi) allerdings um: die deutſchen Katholiken mußten fi unter eine tſchechiſch-huſſitiſche Herrſchaft beugen, ftumm gehordjend einem politiſchen Schiefal, das unerivartet und faſt unbewußt über Nacht über fie Hereingebrochen war. Ein fpredjendes Beifpiel diefer Art bietet die Stadt Autten- berg, diefer Pfeiler des Katholizismus und des Deutfchtums. Selbit al3 die Schwefterftädte Kaurim und Kolin, Nimburg und Tſchaslau in der Überzeugung, daß jeder Widerftand zwecklos fei, bereits ihren Srieden mit den „Pragern” gemacht hatten, waren die Auttenberger mit ihrem Bergmeifter an der Spige und geſtützt auf ihre tüchtige Mannſchaft ent- {chloffen den Kampf aufzunehmen. Erft als fie die Menge des Feindes erkannten, von der Unteriverfung der umliegenden Städte erfuhren und überdies die Brüche in ihren Stadt mauern gewahr wurden, Fehrten fie um und entfandten Mit- bürger an die „Prager“ mit der Bitte, diefes „Kleinod des Königreichs“ doch nicht zu zerftören, mit ihnen edelmütig zu verfahren und denen, die fi) den „Pragern“ und dem Geſetze

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Gottes nicht anſchließen wollten, freien Abzug mit Hab und Gut zu gewähren. Auf diefer Grundlage wurde denn auch am 24. April 1421 ein Vergleich abgeſchloſſen, mit der Friſt des 15, Auguft für alle, die ihm nicht jofort beitreten würden. Daraufhin ging man am folgenden Tage den Pragern in einer Prozeffion mit Weibern, Mädchen und Kindern unter Lorantragung des allerheiligften Saframenteg bis zum Klofter Sedle entgegen und bat unter Aniebeugung um Ver- zeihung für die begangenen Tötungen jener, die fih zum Geſetz Gottes befannt hatten. Ein huffitifcher Priefter nameng Sohannes hielt ihnen in langer Predigt alle ihre Übeltaten vor und verfündete ihnen dann die Verzeihung Gottes und der „Prager“, was auf beiden Seiten Weinen und flehent- liches Beten auslöfte. Einige Prager begaben fich fodann mit den Ruttenbergern in die Stadt, um fie in Befik zu nehmen und die Neuordnung durchzuführen, während dag Heer zu weiteren Unternehmungen fortzog. Die Kuttenberger ſetzten es fogar dureh, daß ihr früherer Bergmeifter Peter von Swojſchin, genannt Zmrzlif, in fein Amt wieder eingejegt wurde, denn nur unter ihm wollten viele Bergleute in Nuttenberg ver - bleiben. Die Abziehenden allerdings wurden tro aller er- haltenen Bürgfchaften beraubt und aud) durch Abfchneiden der Nafen verftümmelt, fo daB fie zurüdfehren mußten.’

Diefer Iangfame innere Tſchechiſierungsprozeß der ſich dem Huffitentum anſchließenden Städte im Gegenfag zu dem ge- waltfamen in den eroberten machte aus vielen Deutſchen Tſchechen, aus Katholiken Huffiten; die neue Generation wuchs in einer überwiegend tichechiich-Huffitiichen Umgebung auf. Städte, die die Väter noch als ganz oder vorwiegend deutſch und katholiſch gefannt hatten, lernten die Kinder als tichechifch und huſſitiſch kennen. Auch tſchechiſche Hiſtoriker erflären ausdrüdlich, daß es damals zu einer maſſenhaften Tſchechi- fierung der Deutfchen in Böhmen gekommen ift. Alfo nicht Untergang des Deutſchtums durch Auswanderung oder völlige Vernichtung, jondern gemaltfame Umbildung des nationalen Beſitzſtandes im größten Maßftabe, vor allem in dem Randftädten.‘*

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Einen anderen Leidensweg hatte das Deutichtum in Prag durdgumachen. Hier ſchrumpfte es ein durch Flucht und Aus- meifung. Seine Stellung war ſchon unter König Wenzel, abgejehen von dem Auszug der fremden deutichen Studenten und Lehrer im Jahre 1409, geſchwächt worden, als 1413 ein Tönigliches Dekret verfügte, daß fortan die Stadtfonfuln nur noch zur Hälfte deuticher Nationalität fein jollten, die andere Hälfte aber Tſchechen. Der Sturm in den Tagen nad) Wen- zels Tod richtete ſich, fobiel wir jehen, ausſchließlich gegen die Geiftlichkeit; nirgends ift in den Direllen die Rede davon, daß aud) Deutfche, feien e3 einheimifche oder fremde, wegen ihrer Nationalität und Sprache verfolgt wurden. Aber die Unficher- heit der Lage, die Gefahren, die ſich auftürmten, veranlaßten doch viele zur Flucht. Die Chroniken fehreiben, daß mit den Kanonikern und Mönden auch „viele Kaufleute und die reichen Bürger“ die Stadt verließen? ohne daß aber hiebei auf ihr Deutichtum hingewiefen würde. Man wird daher aud) nicht fagen dürfen, daß Prag „über die Nacht (vom 17. zum 18. Auguft) eine rein tſchechiſche Stadt geworden fei".” Es war zunächit nicht auf eine gewaltfame Ausrottung des Deutſch- tums abgefehen, fondern vielmehr auf eine Verdrängung aus Amt und Würden, auf eine Entreißung der Herrſchaft in der Stadt. Das beweiſt aud) ein Beſchluß des Landtages, der im Herbſt 1419 in Prag abgehalten wurde. Er beftimmte: „Welt- liche und geiftliche Sremde follen zu feinem Amt, feiner Würde oder Pfründe im Lande zugelaffen und beſonders in den Städten nidyt Deutſche in Amter eingefegt werden, wenn Tſchechen da find, die fie verwalten können. Urteile und lagen follen in Böhmen in tfchehifcher Sprache ausgeitellt werden und die Tſchechen überall im Königreich und in den Städten die erften Stimmen haben.“

Allein diefer erfte Anfturm ging noch vorüber. Wir willen, daß König Sigmund bei feinen Verhandlungen mit den Pragern in Brünn im Dezember 1419 aud) auf freier Rüd- kehr der Geflüchteten in die Stadt beftand und daß diefer Forderung fofort entſprochen wurde. Herolde berfündeten diefen Beſchluß überall im Lande im Namen des Königs und

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der Schöffen. Man darf annehmen, daß in Prag und in an- deren Städten, die deſſen Beiſpiel gefolgt waren, big zu be- ftimmtem Grade die früheren Verhältniſſe wieder hergeftellt wurden. Aber nicht für lange. Im Frühjahr 1420 Fam es neuerlich zu einer Maſſenflucht aus Prag. Nicht unmittelbar aug Furcht vor den Huffiten, fondern aus Angjt vor ben Ge- fahren, denen fid) die Stadt durch ihren Wideritand gegen den König ausfegte. Man glaubte annehmen zu dürfen, dat Sig- mimd mit feinem großen Kreuzheer die Stadt in Schutt und Aſche legen würde und fuchte fich zu retten.

Diesmal bezeichnet der heimifche Chronift unter den Ge- flüchteten „die mächtigeren und reicheren Inwohner der Alt- ftadt, ettva 400 Gäſte (Fremde) aus der Alt. und Neuftadt und beſonders Deutfche””. Als erften und ficherften Zufluchts- ort betrachteten fie die Prager Burg. Wir wiſſen, daß fie fich dort eidlich verpflichten mußten, bei der Rückeroberung der Stadt mit eigener Hand mitzuhelfen. Dazu kam e8 aber nit; der für Sigmund unglüdliche Ausgang ded erften Kreuzzuges befiegelte aud ihr Schickſal. Ihre Flucht, ihr Schwur gegen die eigene Vaterſtadt Fämpfen zu wollen, gab den neuen Machthabern die Möglichkeit, fie ala Feinde der neuen Ordnung zu erflären und fi) ihrer dauernd zu ent- ledigen. Ihre Käufer und Wohnungen wurden zunächſt den aus Xabor und von anderwärts herbeigerufenen Bauern und Kriegern überlafjen, fpäter, als diefe Prag wieder verlaffen mußten, in anderer Weife vergabt und verkauft.

Auf diefer Bahn der Ausmweifung und Enteignung ging man fehr bald um einen Schritt weiter. Der Chronift erzählt, dab ſchon im Juni 1420 Prager Anſäſſige, „befonders Deut- che“, jelbjt wenn fie „unter beiderlei Geftalt kommunizierten oder zu kommunizieren verſprachen“, dennoch gezivungen wurden, die Stadt zu verlaffen. Er fagt auch offen heraus, daß dabei nicht ſowohl religiöfe oder nationale Gründe ent- ſcheidend waren, jondern „weil fie volle Vorratsfammern be» faßen”. Diefe Deutſchen waren aber, wie er ausdrücklich hin- aufügt, nur Fremde, Gäfte (hospites),”* die fomit die frühere

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Flucht ihrer Stammesgenofjen nicht mitgemadyt hatten, fon- dern in Prag verblieben waren.

über die Zahl der damals aus Prag Geflohenen und Ver · triebenen haben wir keine ſicheren Nachrichten. Selbſt die Prager Univerſitätschronik verzeichnet es bloß als Gerücht, daß in der Altſtadt im Jahre 1420 ſiebenhundertzwanzig Häufer verlaſſen daftanden.”” Es wäre aber irrig, ſelbſt wenn man die Biffer gelten ließe, jämtliche als Beſitz geflohener deutfcher Bürger anzufehen. Ein großer Xeil wird der Geift- lichkeit und den Fremden gehört haben, mandje Adeligen und auch tſchechiſchen Katholiken. Als der Rat am 26. Zuli 1420 die nella gnahme aller Gitter derjenigen Prager Mitbürger verfügte, die die Stadt in ihrer Not berlaffen und fid) mit den Feinden verbunden haben, ift mit feinem Worte an- gedeutet, dab damit ausfchließlich Deutſche gemeint ſeien.“ Bir befigen bielmehr fichere Beugniffe, daß Deutſche troß aller Ummälzungen in Prag ſich behauptet haben, und zwar fomohl katholiſche als Huffitifche Deutſche. Von diefen Haben mir ſchon oben geſprochen. Wir willen aber auch, daß Fatholifche Deutſche in Prag verblieben, denen für den Gottesdienft in ihrer Mutterfpradje die Kirche des SHeiligengeiftflofter8 zur Verfügung geftellt wurde.”

Alfo: zurüdgemworfen aus feiner ehemaligen die ganze Stadtverwaltung beherrjchenden Stellung, beraubt um das uralte Recht nad) eigenem Geſetz und als freie Bürger in der ererbten Religion Ieben zu Fönnen, ohne Rüdhalt an den mädjtigen und reichen Patriziergefchlechtern, die feit Nahr- hunderten einen fo großen Einfluß auf das politifche und wirtſchaftliche Leben der Stadt ausgeübt hatten fo ftand dag Deutſchtum nunmehr in Prag da; aber entwurzelt, ver- nichtet, ſicherem Untergang preisgegeben war e3 nicht.

Prags Beifpiel mag in einer Anzahl böhmiſcher Städte, in denen fid) ſchon zu Zeiten König Wenzels eine huffitifche Mehrheit gebildet hatte wir hatten die wichtigſten ſchön früher in anderem Zufammenhang zu nennen nadjgeahmt und den dortigen Deutſchen ein ähnliches Schichſal bereitet worden fein, allein unmittelbare und beftimmte Angaben von

Bretbols, Geld. Böhmens u. Mahrens. IT. 5

e6 Zweiter Abſchnitt.

einer Deutſchenverfolgung oder Vertreibung fehlen, ſelbſt für Königgrätz, Piſek und Pilſen, in welchen Städten ſich die Be- geiſterung für den religiöſen Umſturz anfangs am heftigſten äußerte.. Wir wiſſen, wie raſch in Pilſen die Stimmung um- ſchlug. Hier dürfte die deutjche Bevölkerung kaum irgend- welchen Angriffen außgefegt geweſen fein. Sand doc) hier der umgefehrte Fall ftatt, da Bürger, die, wie e3 in der Urkunde heißt, „der verruchten wiflifitifchen Sekte“, angehörten, die Stadt verließen, und daß mit Zuftimmung König Sigmunds vom 19. Dezember 1420 deren zurücdgehliebene Erbgüter der Stadt anheimfielen. Mitten in der Zeit der Huſſitenkämpfe fchreibt der Pilfner Rat noch am 29. September 1428 nad) Ezer in deutſcher Sprache.ꝰ

Sehr wichtig für die weitere Entwicklung war, dab, wie ſchon angedeutet wurde, die mährifchen Städte bis auf wenige Ausnahmen, und insbefondere die wichtigiten, Brünn, Olmüß, Bnaim, Iglau, Kremfier, Neuftadt und viele andere troß zeit- weiſer Stürme bon folden Umwälzungen nicht berührt wurden, daB bier die alte deutſche Bevölkerung unangefochten in ihrem Beſitz und in ihren Rechten fortleben fonnte. In nod) viel außgefprochenerer Weife war dies in den fchleftichen und laufigifchen Nebenländern der Fall.

Überbliden wir aber den Vorgang, der ſich in dieſen andert. halb Sahrzehnten im böhmifchen Reiche abfpielte, im ganzen, dann wird man jagen müfjen. daß die Wirfung, die der teligiöfe Kampf auf das Deutſchtum im Lande ausübte, un- geheuer war. Die Einbußen, die das deutfche Volk erlitt, waren nicht minder groß alg die Verlufte der Fatholifchen Kirche. Der Rückſchlag in nationaler Hinficht ftand dem reli- giöſen nicht im mindeften nad); er war vielmehr weit ber- hängnisvoller. Denn die Kirche ging unmittelbar nad dem Friedensſchluß daran, die beſcheidenen Überrefte, die ihr ver- blieben waren, zu neuer Fräftiger Entwidlung zu bringen und faud an König Sigmund und Biſchof Philibert, dem Kon- 3ilsgefandten, mächtige Helfer. Wir kennen feinen hoffnungs- freudigen Bericht vom Ende 1437, ein Jahr nad) den Jglauer Abmahungen. Das verftümmelte Deutſchtum blieb auf fich

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allein angewiefen. Es hatte ſich in dem langwierigen Kampfe bis zur äußerften Erjchöpfung für das Ingemburgifche König- tum und noch mehr für die alte Kirche eingeſetzt. Aber feine diejer beiden Mächte dachte daran, ihm feinen alten Beft- ftand wieder zu verſchaffen. Der Kirche handelte es fich nicht darum, das ehemalige Fatholifche Deutfchtum zu erneuern, fondern die Huffitifch gewordenen Tſchechen zurüd zu gewin · nen, Und ebenfo lag Sigmund wenig an den deutſchen Min- derheiten, die noch vorhanden waren, an ihrer Stärkung und Vermehrung. Seine Politif war allein darauf gerichtet, mit Silfe jener tſchechiſchen Partei, die ihn willig anerkannte, der gemäßigten Utraquiften, feine Stellung -im Königreich zu fihern, Die nationalen Verhältniſſe, wie fie fi) unter dem Einfluß eines furchtbaren Religionskrieges gewaltſam ver- ändert hatten, wieder herzuftellen, die hiſtoriſchen echte der Deutſchen im Friedensſchluß zu berüdfichtigen und zur Gel- tung zu bringen, lag ihm vollkommen fern.

In dem großen Maojeftätbrief, den er als Naifer am 20. Juli 1436 in Sglau den böhmifchen Ständen ausſtellte,“ wird diefe Srage mit feinem Worte berührt. Nur die Stellung der Ausländer in Böhmen, die ſomit trog aller Ausichlie- Bungen, Flucht und Vertreibung nod; immer borhanden waren, wurde geregelt: in Böhmen follte feiner ein Amt er- halten fönnen, fondern nur ein geborener Böhme; in den augehörigen Ländern dagegen, alfo in Mähren, Schlefien und in den Zaufigen, follte eg damit fo gehalten werden, wie zu Beiten Kaiſer Karla IV.; d. h. mehr oder weniger von dem Willen des Landesherrn abhängen. Zwei Tage fpäter, am 22. Juli, beftätigte er dann noch Prag und den übrigen Städten in Böhmen das Recht, daß fie nicht verpflichtet feien, jene weltlichen und geiſtlichen Inwohner, die in den Kriegs- seiten geflohen waren, wieder aufzunehmen und ihnen ihren Beſitz zurüdzuftellen, wodurch zweifellos auch biele Deutfche ſchwer betroffen wurden. Nur dort, wo es ſich um des Königs eigenen Nuten handelte, machte er eine Ausnahme. Er felber regte an, daß in die Silberbergiwerfe von Nuttenberg „die erfahrenen deutfchen Arbeiter und andere, die in den Zeiten

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der Wirren von dort fortgegangen waren, wieder zurüd- kehrten“. Aber „die neuen Inwohner der Bergftadt“ ver- langten, daß die Anfümmlinge „sub utraque“ zu fommuni- deren berfprechen follten. Wir geivahren wiederum, wie es ſich den Huſſiten auch jetzt noch nicht fo fehr um Sprache und Nationalität, ala um den kirchlichen Anſchluß, um die religiöfe Einheit handelte. Als die deutichen Bergleute diefe Forderung ablehnten, fegte es Sigmund durch, dab für die Katholiken eine Kirche mit ihren Geiftlihen, für die Utraquiften eine weite dauernd beftimmt werde, und daß „der eine Teil den anderen nicht berunglimpfe noch behellige, jondern beide in gutem Srieden miteinander leben follten”®. Es dürfte aber kaum Nuttenberg der einzige Fall diefer Art gemwejen fein, fondern nur ein Beifpiel dafür, dab die Rückkehr der alten kunarterung fi) als eine wirtfchaftliche Notwendigkeit heraus- ſtellte.

Auf dieſem gewaltſamen Wege vollzog ſich eine bedeutſame Umwandlung in der nationalen Schichtung des Landes. Das Deutſchtum bisher überall anfällig, in Städten und Dörfern, auf Burgen, bei Mllöftern, wurde bier geſchwächt, dort ver- nichtet, fügte ſich hier freiwillig in die neuen Verhältniffe und wurde dort dazu gezivungen. Im Innern Böhmens wurde es duch Ziskas Eroberungszug verſchüttet und in Sahrhunderte langer teiterer Entwidlung fonnte eg in diefem Teile des Landes nicht mehr zu früherer Kraft emporfteigen. Hier, in Böhmen, geftaltete es fich zu einem umfo Fräftigeren und ge- ſchloſſenen Randdeutfchtum aus, In Mähren, wo das Huffiten- tum nicht mehr mit fo ungeftümer Kraft wütete, ift außer dem Rand. noch ein ſtarkes Inſeldeutſchtum im Innern zurüd- geblieben, geftügt von einer Reihe deuticher Städte, die bon den Yuffiten nicht überrannt werden Eonnten, und von ben widerjtandsfräftigen großen Grundherrſchaften der Olmützer Biſchöfe, wie beifpielsmeife um Wiſchau und Zwittau und einiger Tatholifcher Adliger, wie der Boſkowitze um Trübau. Rand · und Sprachinſeldeutſchtum, das man bisher fo grund- falſch aus dem Gang der Rolonifation im 13, Jahrhunderte zu erklären verſuchte, ift vielmehr dag Ergebnig der furdyt-

Die Wirkungen ber Huffitenkriege. 6

baren huſſitiſchen Sturmflit. Mllein zu verdrängen war das angeftammte Deutſchtum weder aus dein einen nod) dem anderen ande.

Diefer Überzeugung entipringt wohl auch die Erklärung, die Franz Palackd einmal getan hat, indem er fagte: „Wir dürfen ung nicht verhehlen, daß auch... .im 15. und 16. Jahr- hundert, als wir eine nationale Regierung, tſchechiſche Schulen und Amter hatten, die Zahl der Deutichen in Böhmen zu- nahm umd ganze Dörfer und Landichaften, langſam zwar aber genug ftarf, fi germanifierten. Daraus ſchöpfen mir die ımliebfame und betrübende Erkenntnis, daß in dem Wefen beider Völfer, des tſchechiſchen und deutſchen, etwas liegt, mas dieſem gegenüber jenen, auch abgefehen von den politifchen Zerbältniffen, eine größere Erpanfivfraft verleiht und ein dauerndes Übergewicht fichert; daB wir irgend einen Fehler befigen und zwar tief eingemwurzelt, der wie ein geheimes Gift gleihfam an dem Kern unferes Weſens zehrt . . .“ .

Diefer hier angedeutete Gegenfaß tritt nie deutlicher zu- tage, ala in den berhängnisvollen Suflitenfriegen. Was das deutſche Volk gemeinfam mit dem tſchechiſchen in Jahrhunderte langer mühebolliter Arbeit in diefem Lande an Kulturwerten auf allen Gebieten gejchaffen hatte, wurde -binnen wenigen Jahren vom tichechifchen Huffitentum bis auf den Grund zer- ftört und vernichtet, als dag tichechiiche Volk ohne die Deut- ſchen, ja gegen fie, nur meil fie katholiſch bleiben wollten, eigene Wege einſchlug.

Die Niederreißung eines gewaltigen Staatsbaues, mit dem damals fein zweiter in Mitteleuropa wetteifern Eonnte, war ein leichtes Werk für das tſchechiſche Volk; die Aufrichtung eines neuen erivieg fi) alsbald als eine Unmöglichkeit. Nichts bon dem, was ſich die huſſitiſchen und taboritifchen Träumer erdacht hatten, ließ ſich au) nur im beſcheidenſten Maße ver- wirklichen. Ein Elend trat ein, politiſch und wirtſchaftlich, „ein fchredlicher ja ungeheuerlicher Sturz (horrenda immo prodigiosa labes)“, jo dab ernften Patrioten „die Sinne ſchwanden“. Der Bruch mit der Vergangenheit, der Verſuch eine Entwidlung einzuleiten, die die wurzelfräftigften Stämme,

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die auf diefem Boden erwachſen waren, grundlos und gewalt- ſam aug der Erde herausriß und diefe dann brach liegen ließ, mußte fi) am ganzen Lande und Volke ſchwer rächen. Böhmen tritt in eine Periode geiftigen, wirtſchaftlichen und fozialen Stilftends ja Rüdihritts, der in fchroffitem Gegenſatz fteht au dem glänzenden, faft ununterbrocdhenen Aufitieg und Aufe ſchwung der vergangenen Sahrhunderte.

Diejer Niedergang Fündigt ſich auf allen Gebieten an. Betrachten wir zuerſt dag Schickſal der Prager Univerfität, feitdem fie aufgehört hat, eine hohe Schule für daß ganze deutfche Reich zu fein. Denn als ſolche war fie von Kaifer Rarl IV. bei ihrer Begründung gedacht. Von nirgendher ftrömten denn aud) Lehrer und Schüler gahlreicher zu, als aus den verfchiedenen deutfchen Ländern, Nicht minder eifrig beteiligte ſich die tſchechiſche Jugend an diefem für fie jo leicht augänglichen geiftigen Ringkampf, ohne die mindefte Hemmung bon feiten der Deutfchen.

Man behielt e8 dauernd in Erinnerung, als „der Erſte unter den Tſchechen“ in Paris die Magifterwürde erlangte und dann 1855 zum Uniberfitätßreftor gewählt wurde. Es war Adalbert Ranconis aus einer Ortihaft Haid in Böhmen, daher auch de Heituno oder de Ericinio genannt.” Seine nationale Gefinnung tat ſich darin fund, daß er eine Stiftung für Studierende in Paris und Oxford ſchuf, die er auf die „böhmifche Nation” beſchränkte. Deutlicher ſpricht fie fich darin aus, daß Thomas von Stitny von ihm erflärt, er habe nicht zu jenen gehört, die „alles anſchwärzen, weil ich tiche- chiſch fchreibe; es ſchien ihm nicht ſchlecht zu fein, für Tſchechen tſchechiſch zu ſchreiben“, aber nicht eiwa im Gegenjag zum Deutſchen, ſondern zum Lateiniſchen.

Die Gegenſätze an der Univerſität ergaben ſich aus der unglückſeligen Trennung der Lehrer und Schulen nad „Na- tionen”, einer äußerlihen Nachahmung einer Einridjtung an der Parifer Univerfität, die aber dort einen anderen Sinn hatte, da dag frangöfifche Volk nur eine Sprache ſprach, wäh- rend dag böhmifche fi in zivei Stämme, deri deutſchen und tſchechiſchen, jchied. Vor allem aber betradjteten ſich die

Die Wirkungen der Huffitenfriege, 71

Deutſchen aus dem Reich mit vollem Recht an der Prager Univerſität für ebenſo gleicjberedjtigt, wie die Tichechen. In den Sahren 1884 und 1390 herrfchten ſchon Mißhelligkeiten zwiſchen den drei deutfchen und der einen böhmifchen Nation. Trotzdem beide Male der Prager Erzbifchof als Kanzler Her Univerfität zu Gunften der böhmiſchen Nation entichied, zogen die Deutichen daraus Feine Folgerungen? Wir wiljen, wie erft das päpftliche Schisma den Nik herbeiführtee In den früheren Fällen hatte es fich mehr um Fragen materieller Art gehandelt. Jetzt aber, da eine grundfägliche kirchliche Ange- JIegenheit entfdjieden werden mußte, Tonnten die deutſchen Nationen nicht nachgeben, ohne mit ihrer engeren Heimat in Wideriprud; zu geraten.

Die Prager Univerfität wurde aus einer deutfchen Reichs - univerfität im Jahre 1409 zu einer böhmifchen Zandesuniver- fität umgeftaltet, in der naturgemäß Lehrer und Studenten tſchechiſcher Nationalität ausfchlaggebend wurden. Aber nicht infolge eines nationalen Kampfes, fondern weil die deutfchen Profeſſoren aus dem Neid) die antipäpftliche und antifatholifche Richtung, in die ihre tichechifchen Kollegen bewußt oder unbe wußt ımter dem Schutze des Hofes ımd eines großen Teiles des Adels trieben, nicht mitmachen konnten. Nicht, daß fich die Univerfität in drei deutfche Nationen und eine böhmifche ſchied, fondern, daß ſich in ihr zwei religiöfe Parteien ge- bildet hatten, war das Unglüd. Die eine Richtung vertraten die Deutſchen aller Länder und Stämme, die zweite nur die Tſchechen; aber fie obfiegten, dank dem Machtwort, das der unberechenbare König Wenzel zu ihren Gunften ſprach. Kaum aber waren die drei deutſchen Nationen aus Prag verdrängt, fo übertrug fich die Kirchliche Spaltung auch auf die eine böh- mifche Nation; denn, wie der angefehene Magifter Andreas von Brod, ftimmten auch andere tſchechiſche Lehrer mit Huß und feiner Partei nur in nationalen nidyt aber in teligiöfen Fragen überein. Und von der Lehrerſchaäft griff diefe Spal- tung weiter auf die Geiftlichfeit im ganzen Lande und auf das Volf. Schon 1413, vier Jahre nad) dem Auszug der Deutfchen, erflärte anläßlich einer Verfammlung im Prager

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erzbiſchöflichen Palaft der Univerfitätslehrer Stanislausg bon Bnaim: im böhmiſchen Klerus feien zwei Gruppen zu unter- iceiden, „eine größere, die nicht aufhöre, der römifchen Kirche ... Gehorfam zu leiften und fie als die einzig wahre Quelle und Richtſchnur des Glaubens anzufehen; wogegen eine Anzahl fchlechter Geiftlicher fich erhebe, die Gebote der Kirche veradhte, die von ihr verbotenen Lehren Wiclifs Halte und berbreite und als den einzigen Richter in Glaubensjachen die Heilige Schrift anfehen wolle, die von ihnen nad ihrem eigenen Sinne auögelegt würde”.

Die tſchechiſchen Univerfitätslehrer, die auf ftreng fatho- liihem Standpunkt ftanden, Hatten geglaubt, diefer ihrer Gegner aud) ohne die deutfchen Nationen Herr werden zu tönnen und hatten die Deutfchen ziehen laffen. Allein waren fie jedoch wie ſich raſch genug zeigte, ohnmächtig. Die Univerfität wandte fi) nun in ihrer Mehrheit mit Begeifte- rung der neuen Bewegung zu; allerdings murde fie auch dadurch das erfte Opfer in diefem Vernichtungsfampfe. Wenige Jahre zubor noch hatte der ebengenannte Andreas von Brod den Ruhm der Prager Schule in überſchwänglichen Worten gefeiert. „Der Wohlgeruch diejer Univerfitit fo ſchrieb er insbeſondere meiner Mutter, der Artiftenfafultät, breitet fi duftend überall auf dem Erdfreis aus, gegen Oft und Welt, Nord und Süd. Preußen und Ruſſen, Polen und Ungarn, Engländer und Spanier, Sadjfen und Schweizer, Norweger und Skandinavier, Beneter, Italer, Lombarden, Frankreich mit Übergehung von Paris, Neapel und das meer- umflutete Cypern, der Rhein und Schwaben und beide Bayern ſchicken ihre Söhne hierher, um zu ſchweigen von den benadj- barten Ländern, die alle diefe Mutter, die Artiftenfafultät, berühmt gemadjt hat. Was follen wir bon ihrer Erhabenheit fagen, die andere Univerfitäten gleich edlen Töchtern herange- 30gen und wie ausgewähltes Neiß in neues Erdreich einge- pflanzt bat. Wien, Krakau, SHeidelberg, Köln, Würzburg, Erfurt bat fie ertwwiefenermaßen mit glänzenden Lehrern ge- ſchmückt. Sie ift dag Licht, fie ift der Glanz der umliegenden Provinzen; die Quelle und der Urfprung der benachbarten

Die Wirkungen der Huſſitenkriege 78

Uniberfitäten. O glüdliches Böhmen, geſchmückt mit einem fo foftbaren Kleinod. O glückliche Krone, die du ſoviel leuchtende Edelfteine in dich faſſeſt. O überglüdliches Prag, das du diefen edlen Schag in deinem Innern verſchließeſt. Was fol ich von dir jagen, du edles, edelites Prag . .

Und jegt, 1416, verfügte das Konftanzer Konzil ihre Auf- bebung, verbot alle Vorlefungen und Schulhandlungen und erflärte alle von ihr in Zukunft erteilten afademifchen Grade für ungültig. Wenn nun aud) die Univerfität diefe :Verfügun- gen nicht anerfannte und weiter beitand, jo büßte fie als wilfen- ichaftliche Lehranftalt alabald jede Bedeutung ein. Mit dem Sahre 1417 ſchloſſen bereit3 für lange Zeit die Promotionen zum Magifterium, dem höchſten Lehrftand. Die drei Fakul- täten, Zus, Medizin und Theologie Löften fich völlig auf, e8 blieb nur die artiſtiſche oder philofophifche übrig. Und auch an ihr mußte vom Frühjahr 1420 bis 1423 mit dem Unter- richt ganz außgefegt werden. Eigentlich erft 1430 begann die ſchulgemãße Tätigfeit an diefer einzigen Fakultät wieder. Allein der Mangel an Lehrkräften, die Unterbindung allen Verfehrs mit den übrigen Uniberfitäten, dann der Verluft faft aller Vefigungen, Stiftungen und anderer Einfünfte, über die fie früher verfügt hatte und nicht zulegt „die Vernichtung faft aller Bibliotheken der Kollegien, weldye von dem Pöbel ver- ſchleppt oder vernichtet worden waren“, und das allgemeine Elend im ganzen ande vereitelten für lange Zeit die Wieder- aufrichtung des bon Karl IV. geſchaffenen ftolzeften Werkeg.3°

Wie hätte auch. ganz abgefehen bon der geiftige Arbeit bemmenden Kriegszeit, Wiſſenſchaft und Kunſt ihren alten Ruhm behaupten Tönnen, wenn die Tahoriten, deren zer- ftörenden Einfluß alle übrigen huſſitiſchen Parteien grund- fäßlich dulden mußten, ſchon im Jahre 1420 dag Volk lehrten: „Jeder Menſch, der die freien Fünfte ftudiert oder in ihnen einen Rang erwirbt, ift eitel und heidniſch und fündigt gegen das Evangelium Chrifti”.

Der Huflitenfrieg hat Böhmen um feine berühmte Uni- verfität gebracht; er hat die Foftbarften Kunſt. und Bauwerke augrunde gerichtet, wertvollſte Bücherſchätze, ganze Vibliothe-

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Ten und Archive, die Quellen der Geſchichtskenntnis, unmwieder- bringlich zerftört””. Die großartige geiftige Kultur Böhmens aus der Premysliden- und Zugemburgerzeit ift damals zum großen Teil vernichtet worden; das an geiftigen und Fünft- leriſchen Schöpfungen reiche Böhmen begann zu berarmen. Diefe Zerftörungsmut der Huſſiten ein gleichzeiti- ger Chronift jagt einmal: „diefer Sekte Grundlage war Ber- folgungen, ‚Bugrunderichten, bollftändiges Vernichten“ und ein anderer fpäterer: „mie in der Geſchichte wurde ein Land fo verheert” erklärt ſich auß den Umſturzideen, die in daS Volk Hineingetragen wurden. Es follte ein neues Beitalter geichaffen werden, das nichts mehr mit dem früheren gemein haben würde. Es gab befonders einflußreiche taboritiſche Geift- liche in Prag, die offen erflärten, „in diefer Zeit der Ver- geltung müßten alle Städte, Dörfer und Burgen verwüſtet, äugrunde gerichtet und verbrannt werden,” und auch Prag, „da8 Babylon“ der Städte, wollten fie nicht außgenommen miffen.’® Dazu Fam e3 zwar nicht der Tat, wohl aber der Wirkung nad. Die Vernichtung des Fräftigen deutfchen Bürgertums ließ die Städte tief herabfinfen. Der Reichtum war aus den Städten verſchwunden und mit ihm für lange Zeit der Bürger- ftolg und die Vürgerfraft, der Unternehmungsgeift, dag gol- dene Handwerk und der blühende Sandel. Der päpftliche Bann allein hatte damals die Kraft, ein ketzeriſches Land handelspolitiſch bon der Welt abzufchneiden. Sehr bald nad) Ausbruch der Wirren begann man die Handelswege nach und dur) Böhmen zu meiden. Das alte Prager Niederlags- recht, wonach Kaufleute, die aus Salzburg, Paſſau, Regens- burg, Münden nach Bittau, Bautzen, Görlig, Schweidnig, Breslau handelten, zuerft in Prag Halt machen mußten, ging langiem zugrunde” Am 17. Mai 1424 ‚befahl König Sigmund dem Rat zu Regensburg, er folle gemäß früheren Anordnungen feinen Mitbürgern ftrengftens berbieten, „daz niemand den Kekern zum Behem und anderswo fein För- derung, Hilf und Rat mit Worten noch mit Werfen tun, noch ihnen feinerlei Speife, Trank oder andere Notdurft reichen

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folle, e8 fei mit Wein, Brot, Getreid, Salz, Kaufmannſchaft, Spegereien, Gewürzen, Harniſch, Büchſen, Pulver oder feinen anderen Sachen, wie die möchten benennet fein... .”.° Daß mit Ungarn, Oſterreich, Sachſen und Schlefien ber Verkehr faft völlig unterbunden mar, ift durch die Stellungnahme der Landesherren zur Huffitifchen Frage gegeben.

Mas Tonnte weiters, ganz abgejehen von diefer Aus- ſchließung, diejes plötzlich emporgehobene tihehiic-Huffitiiche Kleinbürgertum, was der in die Stadt berpflanzte Bauer für die Städteentwidlung bedeuten, Wir haben gehört, dag nicht einmal der Ruttenberger Bergbau ohne die altbewährte deutjche Knappenſchaft fortgeführt werden Fonnte. Nach Yahrzehnte langer Entwillung fällte ein Staatsmann unter Georg bon Vodiebrad noch das Urteil: Der Bauer Tann Feine Stadt verwalten.“

Zum Niedergang des Städte und Bürgertums kam nun noch wohl als merkwürdigſte Folgeerſcheinung der Huffiten- Triege die Verelendung der Bauernſchaft auf dem Lande,

Neben dem Kleinen Handwerker und niedrigen Arbeiter in den Städten und Märkten mar es inbejondere der tiche- chiſche Bauer, den die Heilslehre der Huffiten und Taboriten gelodt hatte. Für ihn, den ſchwer gedrüdten Gläubigen, ſchien dag „Reich Gottes auf Erden“, dag man ihm in Ausficht ftellte, in dem es feinerlei Unterſchiede des Beſitzes, deg Standes, der Bildung mehr geben follte, jedes Opfers wert. In Maffen verließen fie Haus und Feld, verfauften ihr Iektes Hab und Gut. Wurden die deutſchen Dörfer geplündert und zerftört, verwüſtet und verbrannt, fo die tſchechiſchen durch Ent- völferung in Wüfteneien verwandelt. Auf diefe Weife ent- ftand, was man den „agrarifchen Ruin“ des Landes genannt hat:v dieſes ſtarke Abziehen der Bauernmafien in die Städte, „in fremde ihnen unbehagliche Umgebung“, oder „in bie Reihen der heimatlofen Kriegsrotten”. Was aber auf dem Zande außhielt, geriet, ob deutſch oder tſchechiſch, in eine ver- zweifelte Tage, da e8 allen Unbilden der Kriegszeit ſchutzlos preisgegeben war und fid jeden Tag bereit halten mußte, die Schlupfwinkel in den Wäldern aufzufuchen. Wir befigen

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aus dem Jahre 1432 eine recht anfchauliche Schilderung des Bauernſchickſals, wie es die Huffitenfriege gebracht hatten. „Ihre willigen Anhänger, denen fie jedivede Freiheit in den Wäſſern, Wäldern, Feldern verſprochen Hatten, haben fie aller Freiheit beraubt und zur Anechtichaft gezwungen, wie einft Pharao die Ägypter; denn fie fordern von ihnen Yahı für Jahr Bing und Behent und Abgaben, dabon diefe nicht einmal da3 Wenige, was fie verſprechen, einhalten können, geichweige das Diele, was von ihnen gefordert wird... DaB fie fie aber der Freiheit beraubt haben, dafür ift ein ſprechen- der Beweis, daß die Bauern, die in Friedengzeit, wohin fie wollten, gehen fonnten, jest aus Furcht bor jenen in die befejtigten Städte ſich flüchten, wo fie in der ihnen gewohnten Beife, wie auf dem Lande, nicht Ieben und ſich den Bürgern nicht anpaffen können, von großen Sorgen und Betrübnis geängftigt werden. Manche, die ihr Schickſal nicht mehr er- tragen Fönnen, fehren auf das Land zurüd, wo fie zur Nacht - zeit, von der Xagesarbeit ermattet, durch das Hundegebell aus ſchwerem Schlaf aufgeichredt, durch die Sintertür in die BWaldverftede eilen, wie das Wild, wenn es der Jäger mit feiner Meute verfolgt, und fi) dort verborgen halten ... Am Tag furchtſam, in der Nacht unruhig, und jo immer elend ...“* Man bat mit Grund gefagt, daß der Bauer damals in einen Zuftand verſetzt wurde, d.. „feine Wider- ſtandskraft gegen fünftige Unterjodhung völlig lähmen mußte“. Alle die Ideen don Gleichheit und Brüderlichkeit, die ſchönen Grundfäge bon Liebe und Glauben und Reinheit, die in fo vielen huffitifchen und taboritifhen Köpfen umherfchwirr- ten und das Volk blendeten und berwirrten, trieben dieſes nur immer tiefer ing Unglüd und Verderben, Nichts blieb übrig bon der geplanten neuen Geſellſchaftsordnung ohne Mein und Dein, ohne Sondereigentum, in gleihem Rang und Stand. Vor dem Basler Konzil gaben die taboritifchen Führer ohneweiters zu, daß die Menſchen ſich aus drei Klaſſen aufammenfegten, den Prieftern, den weltlichen Serren und dem Bolfe, das fich nad) feiner Beſchäftigung in verſchiedene Gruppen ſcheide und die beiden höheren Schichten „in ihren

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körperlichen Notwendigkeiten erhalten müſſe“.“ In ihren Schriften und Briefen legten fie dar, daß „die Liebe, die die dritte Perſon in der Gottheit darftelle”, die drei Stände mit- einander verbinden müſſe; daß der Priefterftand den beiden anderen durch religiöfe Strenge und Sittenreinheit ein Mufter abgeben; der der weltlichen Herren jenen Hilfe und Schug gewähren; der dritte Stand aber, das Velf, willig nach Gottes Ratſchluß Prieftern und Herren „dienen (servire)” müſſe. In Wirklichkeit war alfo- in ihren Gemeinden Feinerlei Unter- ſchied gegen früher zu gewahren. Adel, Ritterſchaft und Geiit- lichkeit fpielte bei ıhmen die herrichende, das Volk, das bür- gerliche und bäuerliche, die dienende Rolle. Nachdem das Ber- bängnis der Niederlage bei Lipan über fie hereingebrochen war, erfannten fie auch die Unwahrheit ihrer Grundfäge und geftanden: „das arbeitende Volf, deffen wir eine Menge gehabt haben, die wir nad; unferen Willen gebrauchen Fonnten, find von uns abgefallen ... denn wir haben fie mit Abgaben überlaſtet“.« Diefes arbeitende Volk, oder wie es ein ander Mal einzeln aufgeführt wird, die Bauern, die Arbeiter und die Sandiwerfer, waren die eifrigiten geweſen, wenn es fich um die Erjtürmung der Burgen oder der feiten Städte han- delte und wurde deshalb jtet3 in die erfte Kampflinie ge- ſtellt.“ Aber nicht genug daran, hatten fie auch in Friedens- weiten das ſchwerſte Los zu tragen. Die Verfammlungen der Zaboriten in den Jahren 1422 und 1424 in Piſek, Tabor, Klattau ftellten ausdrüdlich feit, daß gerade die Gemeinden, die borgaben, nad dem „Geſetze Gottes“ zu leben, „das Bolt tingsherum in ausnehmender und unmenfclicher Weiſe pla- gen, tyranniſch und heidniſch bedrüden, und den Zins, der „holdy“ (Suld) Heißt, ohne Unterjchied auch bon den ge- treueften ohne Barmherzigkeit einfordern”. Wie furdit- bar waren die Bauern und das niedere Volf enttäufcht worden.

Alles Elend, das ſich über dag gefamte Volk ausbreitete, über Städter und Bauern, Tihechen und Deutſche, Fam nur einem einzigen Stand zu Nuten: dem Adel, den mächtigen Baronen, deren langfamen aber fidjeren Aufftieg wir troß manchen Rückſtoßes feit den Zeiten König Wenzels I., feit

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der eriten Schwähung des Königtums in Böhmen fehritt- weiſe verfolgen können.

Eine kurze Zeit mochte es ſcheinen, als ob die Wut der Taboriten ſich auch gegen den Adel wenden würde. Aber ein Teil des Adels hatte rechtzeitig, anders als die deutſchen Patri- sierfamilien in den Städten, eine Schwenfung zu dem ge- mäßigten Suffitentum bin vorgenommen, der niedere Adel ftand ohnehin in deſſen Lager, das fchügte den ganzen Stand bor Untergang. Wir wiſſen, daB jelbft die radikale Partei der Xaboriten „den Adel fchonte und fogar in ihrer Mitte ſchalten ließ“, daß die Beziehungen zwiſchen den Prager Utra- quiften und den Adeligen oft überaus innige waren.

Der Chronift Andreas von Brod ſchiebt fogar die Saupt- ſchuld an den Huffitenfriegen den Adeligen zu. Es fei ganz unwahrſcheinlich, erflärt er, dab Bürger, Bauern und nie- dere Sandiverfer den höheren Gewalten, weltlichen und geiit- lichen, ſolchen Widerftand hätten Ieiften Fönnen, wenn nicht eine Anzahl von Adeligen „nicht alle, aber viele“, jagt er fid) mitverſchworen hätten.“ „Wer hätte denken Fünnen”, ſchreibt er weiter, „daß Menſchen, in denen der chriftliche Glau- ben ganz beſonders Fräftig lebte. in denen Treue und Gewiſſen- haftigfeit, Tugend und Ehrbarfeit ihre „Lagerftatt (cubile)” hatten, fi) mit einem Male zu Verächtern alles Ehrbaren wandeln, alles, was Gottes ift, verachten und zerftören, und was des Maifers ift, ſich aneignen und gegen ihn fi auf lehnen würden?" ... „Was trieb fie dazu, dem Fürſten fich du widerfegen und das Heilige niederzureißen? Ich glaube, nicht8 anderes, ala der Köcher der Magnaten, unter deſſen Schuß fie ihre böfen Wünfche durchguführen fich erfühnten”... „Sie wußten aber nicht und überlegten nicht” fo fließt er dann „mas der geheime Gedanke diefer Hochedlen war, die ſich fagten: Siehe da, diejeg Bürgertum überragt uns in feinen Arbeiten, die Geiftlichfeit an Beſitz; der König ſchwelgt in Schägen und Ländern. Man muß alfo trachten, da8 Bürger- tum gegen den König aufzubringen. Wenn das geichehen ift, werden wir uns, wie immer die Sache ſich wenden mag, be- reichern und die weltlichen Güter, jei es der Geiftlichen, fei es

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der Bürger unter ung umfonft teilen. . Denn ftimmt der König den Bürgern und ihren Lehren bon der Beſihloſigkeit des Klerus bei, dann müſſen deren Güter unfehlbar (infallibiter) ung geſchenkt werden. Stimmt er ihnen aber nicht bei, dann gibt e8 Krieg, hier und dort, und Ritter und Kriegsleute bereichern fich allenthalben. Was aber an weltlichen Gütern unferen Burgen und Schlöffern benachbart liegt, fällt unferem dauernden Belig anheim ... Im Köcher dieſer Adligen lagen die Pfeile, genannt: Raub, Mord, Brand, niemand ſchonen, fein Mitleid fühlen, nit mit Witten, nicht mit Waijen. Ob, ihr wahnwitzigen Magnaten ... Leuten bon ſchlechtem Glauben und armfeligen Bauern Habt ihr euch ſchmählich beigefellt, zur Beraubung und Verfolgung anderer und der Kirche ...“

Diefe Kennzeichnung des Adels als des eigennüßigen Ur- hebers der Bewegung fteht in der zeitgenöffifchen Literatur nicht allein da. Auch Sohann von Pribram, ein ſehr gemäßig- ter Anhänger der Prager Richtung, der auch guten Einblid in die damaligen Verhältniffe Böhmens befaß, erflärte, daß die Adligen „ohne Verftändnig für die kirchlichen Fragen ihr Augenmerk nur auf das Kirchengut richteten”*°, Taboritenführer der jhärferen Richtung, wie etwa ein Johann von Selau, waren dabon überzeugt und fagten es offen heraus, daß „die Herren Verräter und Ungläubige feien, die der Wahrheit nicht aufe richtig anhingen”®,. Am ſchlechteſten iſt auf den bBöhmifchen Adel König Sigmunds Hofchronift Eberhard Windede zu ſprechen, der ihn mit ganz geringen Ausnahmen als „Ketzer“ und „gemeine Rute“ erklärt, die ihr dem König verpfändetes Wort nicht hielten, und „taten auch den Werfen (Worten?) gleich in biel Stüden“, Er ift überzeugt, daß fie alles nur taten, „um der Pfaffen Güter zu haben... Wir wiſſen auch aus Urkunden, da Sigmund anläßlich feiner Krönung in Prag am 8. Juli 1420 den Adeligen auf das bloße Ver- ſprechen bin, ihm, wie Windede fagt, Prag binnen 28 Tagen einzuantworten, Güter und Einkünfte überließ und diefe Ver- ſchleuderungen ſich noch mehrmals wiederholten.” Den Stolz der Barone Fennzeichnet Windede vorzüglich durch das Wort,

9 Zweiter Abſchnitt.

dag fie angeblich dem Könige gegenüber gebrauchten: „Wir find die Krone von Behem, und nit die Bauern (Geburen)”.

Diefes ſelbſtbewußte Auftreten geftügt auf die ungeheure Macht, die fie fich in diefen Zeiten des Umfturges angeeignet hatten, erinnern wir uns, wie der Wartemberger die Schätze der auf die Burg geflüchteten Prager gewann —, das Be- mußtfein, feinen Stand und feine Macht im Lande zu haben. die ihmen noch gefährlich werden fönnte, weder das Bürger- tum noch die Geiftlichfeit und auch nicht den von ihnen abhän- eigen König, ficherte dem Adel eine übergeivaltige Stellung, politifch, wirtſchaftlich in jeder Beziehung. Schon im Tſchas - lauer Landtag vom Juni 1421, der eine zwanziggliedrige Re- gierung in Böhmen einſetzte, hatten die Adligen es verſtanden, ſich die Hälfte der Stellen zu ſichern, während der Reſt unter die Prager und die taboritiſchen Gemeinden geteilt wurde. Der Untergang der gebietenden und beſitzenden Kirche, des geiſtig und materiell ſchaffenden deutſchen Bürgertums konnte nur ſeine Macht mehren. Der utraquiſtiſche Klerus und dieſes neue tſchechiſche Volk in den herabgekommenen Städten konnte ihm nicht mehr gefährlich werden. Und als ſich der huſſitiſche Radikalismus, wie jede derartige Richtung, ſchließ- lich in der Schlacht bei Lipan verblutet hatte, erhob ſich der höchſte Adel auf diefem allgemeinen Trümmerfeld al3 ein- iger Sieger. Wie er niemals ein entichiedener Gegner ber alten Kirche und des Königtums gewefen, fondern nur ihrer übermädtigen Stellung in Böhmen, fand er fehr bald den Weg zu ihnen. Durd) die Kompaktaten und die Abmachungen in Iglau mit Sigmund fiherte er fi) einen Vorrang, wie er ihn bisher noch nie im Lande befeffen hatte.

Er konnte den Verſuch wagen, aud) zur alleinigen Serr- ſchaft emporzufteigen, dag Königtum für fi zu beanſpruchen.

Dritter Abfchnitt.

Das Königtum Georgs von Kunftadt- Podiebrad.

Bei dem erften großen Siege, den die Prager über König Sigmund am Allerheiligentage 1420 vor der Burg Wifchehrad errangen, wurden fie von zwei hodjadeligen Herren befehligt, die fchon feit langem mit großem Eifer die huſſitiſche Be— wegung gefördert Hatten: von Johann Kruſſina von Lichten- burg und Botſchek von Kunftadt und Podiebrad. Der Neffe dieſes Botſchek, der Sohn bon defien jüngerem Bruder Vif- torin, Georg von Kunftadt und Podiebrad, eben in dieſem Sabre 1420 am 23. April geboren, wurde Sigmunds Nachfolger im böhmiſchen Königtum. Nicht alljogleic) nad) deffen Tode, erft zwanzig Jahre nachher, Aber dieje zwei Jahrzehnte böh- miſcher Politik und Geſchichte erfcheinen nur wie eine lang- fame aber ſichere Vorbereitung zum nationalen Adelsfönigtum.

Sigmund hatte feine männlichen Erben hinterlafjen. Nach feinem Wunſche follte ihm in allen drei Würden eines deut- ſchen, ungarifchen und böhmifchen Königs fein Schwiegerſohn, der Gemahl feiner einzigen Tochter Elifabeth, Herzog Albrecht V. von fterreich, der damals im Alter von vierzig Jahren ftand, nachfolgen. In Ungarn, mo man Elifabeth als Erbin und geborene Königin anerkannte, mit der ihr Gemahl, wie man ſich außdrüdte, „einen Leib und eine Seele“ bilde, erfolgte die Wahl beider ohne Schwierigkeiten bereit3 am 18. Dezember 1437 und die Krönung in Stuhlweißenburg am 1. Januar 1488. Im Reich wurde Albrecht mühelos am 18. März 1488 von allen Kurfürften zum römiſch-deutſchen König als Albrecht II. erhoben. Nur die Nachfolge in Böhmen ſtieß auf ernftere Gegnerfcheft, die ſich aus der Geichichte der legten Vergangenheit leicht erklärt.

Albrecht war als glaubensitarfer Katholit in der langen Beit ber Huffitenkriege „ber Vorkämpfer der Kirche gegen die

Bretdols, Beh. Bobmens u, Mädrens. IT. 6

83 Dritter Wſchnitt.

Böhmen“, „der umermüdliche Sammer auf den Ketzern“ ge- weſen, „der gegen die Wut der Härefie mit Schwert und Bogen 1o830g“, ein unverſöhnlicher Feind der huffitiichen Bewegung in allen ihren Abarten, Wie ehedem Sigmund durch fein Ver- halten gegen Huß fich den Weg nad; Böhmen verrammelt Hatte, fo ſchien der Haß der Huffiten gegen Albrecht unvereinbar mit defien Anerkennung als Nachfolger. Allein die Verhältnifie lagen bereit3 ganz anderg als vor zwei Jahrzehnten. Abgejehen dabon, daß Albrecht feit 1421 im Beſitze der Markgrafſchaft Mähren war das Budweiſer Land hatte im Friedensvertrag von Iglau (1436) wieder mit Böhmen vereinigt werden müffen —, der kirchliche Standpunft gab nicht mehr allein den Ausſchlag. Wenn fi Albreht nur zur Aufrechterhaltung der „vier Artikel” verpflichtete, waren die gemäßigten Utra- quiften aufriedengeftellt. Mit den Katholifen zufammen bil- deten fie die Mehrheit im Landtag und wählten denn auch Albrecht am 27. Dezember 1437 zum böhmifchen König, Fraft des Erbredhtes feiner Gemahlin, und auch im Hinblick auf die „Verichreibungen, die die Krone zu Böhmen und das Haus von Üfterreich zufammen haben“. Die nambhafteiten feiner Anhänger und Wähler waren teils Katholiken, teils Utra- quiften: Ulrich von Rofenberg, Meinhard von Neuhaus, Al- brecht von Sternberg, Peter von Micjelsberg, Hans von Ko- lowrat, Johann von Smirik, Sohann von Kunmwald, Hinko Kruffina von Lichtenburg, Johann von Riejenberg, dann die Safenburg, Wartemberg, Walditein, Lobkowitz, Plauen, Guten- ftein, Rabenftein, von Städten Prag, Kuttenberg, Pilſen, Bud- weis, Eger, Schlan, Tſchaslau, Leitmeritz, Kaurim. Überblict man dann allerdings die Reihe feiner Gegner, fo findet man dort nicht minder bedeutende Namen, vor allem auch einige hohe Würdenträger aus der Zeit Sigmunds: Hinko Ptatſchek von Pirkftein, ehedem Oberfthofmeifter, Bertold von Lippa, Oberft- marſchall, dann den erft fiebzehnjährigen Georg von Kunftadt auf Podiebrad, Friedrich; von Straſchnitz, Pernſtein, Ruffi- nowsky, Koſtka, Kolda, Ziwiretig, Klenau, von Städten Tabor, Königgräg, Saaz, Zaun, Nimburg, Kolin, Klattau, Piſek. Allerdings gab e8 auf der einen wie auf der anderen Seite

Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 88

Mitglieder, nennen wir dort den Sternberger, hier den Pirk- fteiner, die unentſchieden waren und eine zweideutige Rolle ſpielten.

Die Gegenpartei nahm nicht nur an der Wahl Albrechts nicht teil, ſondern entſchloß ſich dem deutſchen Habsburger einen polniſchen Jagellonen ala Gegenkönig entgegenzuſetzen; ent- weder den regierenden König Wladislaw III. (geb. 1424) oder defien jüngeren Bruder Kafimir. Sie wählten aus ihrer Mitte eine förmliche Gefandtihaft, die dag Anbot der böhmifchen Krone zu unterbreiten hatte. Es wurde aud) auf einem pol- nifchen Reichſstag am 20. April 1488 von König Wladislaw für feinen Bruder Kafimir angenommen und ein polnifches Heer bon etwa 5000 Mann nad, Böhmen entfandt, um den polnifchen Anhang im Lande zu ſchützen und zu ftärfen. Mitt- lerweile hatte aber Albrecht in aller Form von Böhmen Beſitz ergriffen, war am 14. Juni 1438 im St. Veitsdome gekrönt worden und fammelte ein Heer, mit dem er den Kampf gegen feine Gegner aufnehmen konnte.

So anfehnlid; nun auch fein Anhang in Böhmen war, fo ftarf der Zuzug aus Oſterreich und Ungarn, ſowie von Fürſten und Städten aus dem Reich, die fi) für verpflichtet hielten, Albrecht als deutihem König die von ihm erbetene Hilfe zu leiften, jo daß er jchließlich über rund 8000 Mann zu Pferd, 12.000 zu Fuß und an die 1800 Kriegswagen verfügte, während die Gegner nur etwa 9000 bis 12.000 Mann im ganzen zähl- ten, eine Entideidung im Felde vermochte Albrecht nicht herbeizuführen. Noch ſchwieriger wurde der Kampf, als fich die Gegner in die zur ftarfen Feſtung ausgebaute Stadt Tabor aurüdzogen, die Albredht von Anfang Yuguft an belagerte. Mitte September entließ er daher die ſächſiſchen, bayrifchen, brandenburgifchen und anderen Hilfstruppen, die auf ihrem Rückzug noch Hleinere Zufammenftöße mit den Gegnern hatten (bei Sellnig am 23, September 1438), hob die Belagerung Tabors auf und fehrte mit feinem eigenen Heer nad) Prag zurück, um ſich für einen ernfteren Kampf zu rüften. Denn König Wladislatv hatte mittlerweile mit unvergleichlich ftär- teren Kräften Schleften angegriffen und bedrohte von dort

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3 Dritter Abſchnitt.

aus nicht nur Böhmen. fondern aud) Ungarn. Es blieb Al- brecht nichts übrig, als ihn vor allem dort aufzuſuchen, bevor es zu fpät wurde.

In Böhmen wurde auf Wunſch des böhmischen Landtages, „nicht von des Königs Saken und Schaffen, fondern von Bitte wegen der Landherren, der Edlen, der Stadt zu Prag und anderer Städte”, ein Ausländer, Graf Ulrich von Cilli, ein Vetter der Königin Elifabeth, „zum Oberſten Hauptmann (®ubernator) des Königreichs“ Böhmen beftellt, fo raſch hatten die Adeligen an ihre fo oft erhobene Forderung ver- gefien, daß die hohen Ämter nur mit Heimiſchen bejegt werden follten. Ihm beigegeben wurden als Räte: Meinhard von Neuhaus, Johann von Roloivrat, Hinef Kruffina u. a., und zu- gleich Sauptleute für die zwölf Kreiſe, in die das ganze Land geteilt war, ernannt.

Böhmens Zuftand in den nächiten Jahren unter dem neuen Regiment des Cillierg Fennzeichnet eine gleichzeitige heimifche Quelle mit den wenigen Worten: „... und in Böhmen er- hoben ſich die einen gegen die anderen, von den Burgen und von den Städten, und es berbanden ſich die einen mit den anderen, die früher gegen einander geftanden hatten, jo daß man nicht mehr mußte, wer wem noch treu und wohlgefinnt fei; und des dauerte bis zu Albrechts Tod.““ Wir hören denn aud) bon ununterbrodjenen Unruhen und Kämpfen der Ade- ligen und der Städte untereinander, aber auch mit den Nach- barn in Bayern, Sachſen und anderwärts. Hiezu kam noch 1439 eine fürchterliche Peft, die in Böhmen von Mitte Juni big Ende November mehr denn 50.000 Menſchen dahinraffte; in Prag allein wurden an mandjen Tagen hundert Tote ge- zählt. Diefer Krankheit erlag damals am 19. Juni auch der Biſchof Philibert von Coutances, deifen wir früher zu gedenfen hatten. Albrecht aber mußte das Land in feinen ſchweren Nöten ſich felbft überlaffen, durch ernite Aufgaben, die er au löfen hatte, ferngehalten. Am 21. Oftober 1438 hatte er Prag verlaffen, war nad) der LZaufig und dann nad) Schlefien gezogen, um diefe Gebiete von den Polen zu befreien. Das gelang auf. Bor der Macht und dem Anfehen des deutſchen

Das Königtum Georg von Kunſtadt · Podiebrad. 85

Königs wid) das polnifche Heer und fein jugendlicher König raſch zurüd. Im polnifchen Reichstag wurde darüber Klage geführt, „wie man fo unüberlegt den eitlen und trügerifchen Verfpredjungen der Böhmen gefolgt fei”.? Friedensperhand- Iungen wurden eingeleitet und wenigftens längere Waffen- ftilftandsverträge abgeſchloſſen, fo dab Albrecht nad; kaum halbjährigem Aufenthalt in Schlefien, zulegt in Breslau, An- fang März 1439 das Land im Frieden verlafien und nad) Ungarn fich begeben konnte, um ſich der dringendften Pflicht, die ihm oblag, zuzuwenden, dem Kampf gegen die Türfen. &leich während der erften Unternehmung, die ihn im Sommer diefes Jahres nad) Südungarn führte, erkrankte er aber im Roger bei Salanfamen. mußte unter großen Beichwerden die Rückreiſe nach Wien antreten und ftarb unterwegs in Langen- dorf, weftlich von Gran, am 27. Oftober.

Die Bedeutung feiner kurzen Regierung liegt darin, daß damals zum eritenmale der Verſuch gemacht wurde, Oſterreich, Ungarn, Böhmen unter einem Regenten zu vereinigen und mit der deutichen Königsfrone zu verbinden, ein Gedanke von außerordentlicher Tragweite. Die zwei Jahre, die diefer Bund gedauert hatte, Fonnten nicht ausreichen, um die Schwierig- Teiten, die fi) ihm von Haus aus entgegenftellten, zu über- winden, geſchweige ein Bufammengehörigfeitägefühl zu weden. Und Albrecht ftarb ohne männlichen Erben, der das begonnene Werk hätte fortführen können. Er hatte nur zwei noch unver- beiratete Töchter Hinterlaffen, dod) war feine Frau in Schwan- gerſchaft. Vier Monate nad Albrechts Tode, am 22. Weber 1440, gebar fie in Komorn einen Sohn, der in der Geichichte den Namen Ladislaus Poſtumus (der Nachgeborene) führt. (Siehe die Stammtafel.)

Derjelbe Prager Chronift, von dem die kurze, treffende Kennzeichnung der Verhältniſſe in Böhmen von 1437 bis 1439 ftammt, gibt aud) in einem einzigen Satze ein Bild der nun folgenden Yahre: „Nach dem Tode des Könige Albrecht Tämpften die böhmiſchen Herren, die einen mit den anderen; und wer de3 einen habhaft werden konnte, der unterwarf ſich ihn, indem er ihn beraubte und dag währte bis zur Zeit, da

86 Dritter Abſchnitt.

Herr Georg von Podiebrad die Verwaltung übernahm ..“. Es iſt der Beginn der mehr als zehnjährigen königsloſen Zeit in Böhmen, die durch ihre Verwilderung und Verworrenheit das Elend der letzten zwanzig Jahre vervollſtändigte.

Der unerwartete Tod Albrechts, dem der tichechifche Chronift Bartoſchek von Drahonik (geft. nad) 1443) den Nach- ruf bielt: „er war gut, troßdem er ein Deuticher war, kühn und mitleidig”,® bedeutete für Böhmen eine Schmädung der öſterreichiſchen aus Katholiken und gemäßigten Utraquiſten beftehenden Partei mit Ulrich von Rofenberg an der Spike und eine Stärkung ihrer Gegner, die noch vor Yahresfrift eine Anlehnung an Polen gejucht hatten. Daran war der- malen nidyt zu denken; man hatte fid) gegenfeitig enttäufcht. Dieſe Gegenpartei fah ſich zunächſt ganz auf ſich felbit an- gewiefen, was den inneren Bufammenhang unzweifelhaft feftigte; als ihr Haupt galt damals Hinko von Pirfftein. Wie der Rofenberger in Sübböhmen, jo gebot diefer bon feiner Burg Ratai aus in Oftböhmen, aber nicht fo fehr, wie jener, durch feinen ungeheuren Eigenbefi, jondern durch den poli- tiſchen Einfluß, den er fi) in feinem Gebiet verſchaffte. Es gelang ihm den gefamten Adel des Kaurimer, Tſchaslauer, Chrudimer und Königgräßer Kreiſes, an vierhundert Herren, Nitter, rittermäßige Diener und Edelleute in dieſe bier Gruppen wird der damalige Adel geihieden nebft allen äugebörigen Städten zu einem jogenannten Qandfriedensbund zu einigen, dem ſich bald auch der Bunzlauer Kreis mit feinem Hauptmann Georg bon Kunftadt-Podiebrad anſchloß. Sie traten am 17. März 1440 in Tſchaslau zu einem gemeinfamen Kreistag zufammen, wählten Sauptleute und Räte, gaben ſich eine Zandfriedensordnung in dreißig Punkten und feßten feft, daß diefer Bund bis zur Krönung des nächſten Königs dauern folle und noch drei Monate darüber.” War der Haupt- zweck, wie fie felber erflärten, „den zahlreichen und überaus nachteiligen Verderben und Schäden im ganzen Königreid) und befonder8 in unferen Kreifen” zu fteuern, fo hatte eine ſolche Verbindung dod auch eine große politifche Bedeutung. Sie ftellte immerhin eine Macht dar, mit der die Gegner

Das Königtum Georgs von Kunftabt-Robiebrab. 87

fortan rechnen mußten. Wir ſehen denn auch, daß anders als im Jahre 1437 bei der neuen Königswahl, die den im Juni 1440 in Prag zufammengetretenen Landtag be» Ichäftigte, Ulrid) von Aofenberg und fein Anhang beitrebt ivaren, im Einvernehmen mit der Partei des Pirkſteiners bor- zugehen. Man beichloß, daß „alle... ohne Verlefung oder Ärgernis der Rechte umd Freiheiten irgendeinesg von ihnen den König und Fünftigen Herrn gemeinihaftlidh wählen follten“, So kam e3, daß der erite Wahlgang am 16. Juni, bei dem 37 von 47 abgegebenen Stimmen auf den Kurfürſten Friedrich I. von Brandenburg entfallen waren, nicht als wirklich vollzogen angefehen wurde, fondern am 2%. uni eine zweite Wahl vorgenommen wurde, bei der ſich alle Stimmen auf Herzog Albrecht III. von Bayern, den Schwager des 1419 verftorbenen Königs Wenzel von Böhmen, einigten. Die Entſcheidung zu feinen Gunften fcheint nad) verſchiedenen Andeutungen in gleichzeitigen Quellen der Um- ftand beeinflußt zu haben, daß man ihn für den reichten und freigebigften unter den Bewerbern anfehen zu müfjen meinte. Cheltſchitzky, von dem fpäter die Rede fein wird, ſchreibt in feinem „Net des Glaubens“ die bezeichnenden Worte: „Daher wollten diefe Landherren einen fremden König, einen reichen Deutichen, der fein fremdes Land in feine Herr- ſchaft Hineinreißen würde; denn fie, die die Fönigliche Macht fi) angeeignet hatten, geben nichts her, fondern wollen einen König, der ihnen auf Koften anderer Länder noch dazu gibt.“

Allein Herzog Albrecht lehnte fchließlich ab oder Fnüpfte Bedingungen an die Übernahme der Krone, die einer Ab- lehnung gleichtamen. Es bedrüdte ihn doch aud das Gefühl, einem Kinde fein päterliches Erbe zu entreißen und fich damit noch die Feindfchaft des ganzen öfterreichiichen Fürftenhaufes auzuziehen. Und nun begann das Suchen nad) einem anderen König, den man nicht fand, weil man ihn in Wirklich“ feit nicht finden wollte; es folgten die Verhandlungen zuerſt mit Albredjt von Brandenburg, dann mit dem Vetter Ladis- laws, Herzog Friedrich von Öfterreich, der am 2. Februar 1440 zum deutſchen König gewählt worden war. Auch er wies

88 i Dritter Abſchnitt.

die ihm angebotene Krone zurüd und wehrte ſich überdies entihieden, fein Mündel Ladislaw den Böhmen außguliefern und nad) Böhmen zu fchiden, in welchem alle man vielleicht bereit geivefen wäre, diefen zum Aönig zu wählen, da ihn die Nebenländer Mähren, Schleften und die Zaufig bedingungslos als erblichen Serrn bereit an- erkannt hatten. Merkwürdigerweiſe mar e8 die Partei des Pirkſteiners, die diefen Vorſchlag machte, während dag Haupt der Katholiken und gemäßigten Utraquiften, Ulrich von Rofen- berg „ein Menich, der fich immer der Zeit anzupaffen ver- ftand“, fagt Eneas Silvius in feiner Geſchichte Böhmens die Entſcheidung über die Königsfrage abſichtlich hinauszog.

Mitten in diefen ausſichtsloſen Beſprechungen ftarb Hinek von Pirkftein am 27. September 1444. An feine Stelle trat num Georg bon Kunſtadt · Podiebrad, zwar erft vierundzwangig · jährig und doch ſchon ſeit geraumer Zeit neben dem Pirkſteiner das angeſehenſte und einflußreichſte Mitglied des oftböh- miſchen Landfriedensbundes. Von feiner Geburt und Ab- ſtammung haben wir ſchon geſprochen. Aus feiner Jugend- zeit ift wenig befannt. Man lieft vielfach, daß er 1484, alfo im Alter von vierzehn Sahren, an der Schlacht bei Lipan teilgenommen babe. Das ift aber mehr als aweifelhaft.” Sicher Iann man ihn erſt 1437 politifch tätig nachweiſen. Als in diefem Jahre am 26. Dezember die Stände zufammentraten, um über die Nachfolge in Böhmen nad; Sigmunds Tode zu beraten, ftellte fi) Georg auf die Seite jener, die fi für den Bruder des polniichen Königs, für Kaſimir entſchieden. Mili- täriſch trat er erft 1488 hervor, indem er den Xaboriten gegen König Albrecht II. zuzog und auf dem Marſche dahin, im Auguft, auf einen Xeil der Töniglichen Reiterei ftieß und fie zurüd- flug, „Von da an“, bemerft der Chronift, „hatte er einen Namen”? Zur Zeit der Wahl Herzog Albrechts von Bayern nahm Georg bereits eine jolde Stellung unter feinen Stan- deögenoffen ein, daß er mit Ulrich von Roſenberg, Meinhard von Neuhaus und Hinef von Pirkſtein zu unmittelbaren Ber- Handlungen mit dem erwählten Fürften in Cham an der bayriſch · böhmiſchen Grenze am 24. Yuguft 1440 außerjehen

Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. s80

wurde. Daß er in dieſem Jahre zum Hauptmann des Bunz- lauer Kreiſes ernannt wurde und fich dem oftböhmifchen Land- friedensbunde anſchloß, ift jchen früher gefagt worden, Wann er, der Führer der ftrengen Utraquiften, ſich mit der Katho- likin Johanna von Rozmital bvermäblte, ift nicht befannt. Sedenfalls brachte ihn diefer Ehebund in nahe Beziehungen dur Gegenpartei; er wurde Schwager Ulrichs von Rojenberg.

Kaum war Georg nad) Pirkſteins Tod auf einer Zu- fammenfunft der vereinigten oſtböhmiſchen Kreiſe (Ende 1444) zum oberften Hauptmann erwählt, machte er ſich auch ſchon an die Löſung ber wichtigſten Landesangelegenheiten: die Einfegung eines Könige und eines Ergzbiſchofs. Am 25. November, auf einem gemeinfam mit den Anhängern Ulrichs von Rofenberg in Böhmifch-Brod abgehaltenen Land- tag wurde vereinbart, eine Geſandtſchaft an den deutſchen König Friedrich III. nad; Wien zu richten und die Ausfolgung Ladislaws zu verlangen. Eine zweite Gejandtichaft follte an den Papft abgeordnet werden und die Beitätigung Johanns bon Rofikan fordern, der, 1436 zum Erzbiichof gewählt, bald darauf bor Sigmund, der ſich verpflichtet hatte, feine An- erfennung bei der Kurie durchgufegen, aus Prag geflohen, nad) deſſen Tod aber wieder zurüdgefehrt war und nun bon feiner Partei feine endgültige Einjegung erwartete. Allein beide Unternehmungen blieben ohne Erfolg, und eine neue gemeinfame Landtagsverhandlung der Rarteien in Prag im Februar 1445 kam zu feinem Beichluß mehr. Man handelte fortan gejondert, auf eigene Fauft, gegeneinan- der. Ulrich ftand in fortwährenden Beziehungen zum Wiener und zum päpftlichen Scfe, deren Verhalten in den böhmiſchen Fragen er weſentlich beeinflußte; Georg unterlieg e8 zwar nicht, gelegentlich auch mit Kaiſer und Papft zu verhandeln, allein fein Sauptaugenmerf war darauf gericjtet, feine und feiner Partei Stellung in Böhmen zu ftärken, indem er einer- feit8 mit den radifalen Xaboriten, anderjeit8 mit den Pra- gern in Beziehung trat. Unbeftimmte Pläne tauchten auf, die böhmifche Krone doc wieder irgend einem fremden Fürften, in erfter Linie dem Brandenburger Markgrafen anzubieten.

oo Dritter Abfchnitt.

Eine allgemeine Unruhe und Unficherheit herrfchte die ganzen Jahre hindurch bis in den Beginn 1448, überdies drohten Triegerifche Verwicklungen des ganzen Landes mit Sachſen.

Ein Vorſtoß der katholiſchen Vartei mit Wiſſen der Kurie brachte endlich Bewegung in dieſe ſtockende drückende Luft. Den böhmiſchen Machthabern katholiſcher und gemäßigt utra- quiſtiſcher Richtung erſchienen damals „die Gemüter der Böhmen fo leicht zu behandeln (tractabiles)”, daß man den Zeitpunkt gefommen erachtete, entichjiedener vorzugehen. Man beranlaßte Papſt Nikolaus V. feinen Legaten in Deutichland, den berühmten Kardinal Don Juan de Carvajal nach Prag zu entfenden, um eine Einigung in der böhmiſchen Kirchen- frage herbeizuführen. In huſſitiſchen Kreiſen ‚gab man fi äuerft der Hoffnung bin, daß er den Frieden im Sinne der Basler Kompaktaten, die das Papſttum bis nun noch nicht angenommen hatte, vorſchlagen und aud) Sohann von Rokitzan als Erzbifchof einfegen werde. Deshalb wurde er bei feinem Einzug am 1. Mai 1448 von NKatholifen und Utraquiſten feierlichft empfangen. Man ging ihm vor die Stadt in großer Progefjion entgegen, der ganze Klerus, die Uniberfität, der Stadtrat, die Zünfte und Unmengen Volkes, „ald ob man einen neuen König begrüßte“. Unter einem Xraghimmel, den die Stadtfonfuln geleiteten, wurde er eingeführt. Von allen Kirchen, auch jenen der Utraquiften läuteten die Gloden und man fang: „Du bift eingefehrt, geliebtefter Vater, den wir erwartet haben in unferer Xrübfal; du bift eingefehrt mit himmliſchen Geſchenken, um zu fegnen alle, die eines guten Willens find“. Der Chronift bemerkt: „Nie feit Menichen- gedenfen war einem jterblichen Menſchen folde Ehre zuteil geworden, wie diefem Legaten“. Gleichzeitig tagte der Land- tag in Prag, jo daß alle Parteien hier verfammelt waren; auch Georg von Podiebrad war zugegen.

Allein jehr raſch änderte ſich die Lage, als die Radifalen im Landtag gewahr wurden, daß des Legaten einziges Be- ftreben dahin gehe, die Böhmen in den Schoß der Mutter- firhe und zum unbedingten Gehorfam gegenüber dem Papſt zurüdzuführen, während er die Frage betreffs

Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 9

des Erzbifchofs und der Kompaktaten ins ungewiſſe hinaus- zuſchieben verftand. Das Volk in Prag wurde unruhig, ein Sturm bereitete fi) vor, fo daß eg Kardinal Carvajal geraten fand, unter dem Schutze Roſenbergiſcher Kriegsleute am 23, Mai die Stadt eiligft zu verlafien. „Der Legat“, jo faßt der Chronift den ganzen Zwiſchenfall zufammen, „hat nichts durchgefekt, aber zu größerer Zwietracht Anlaß gegeben . . .“.

Wiederum, wie ſchon fo oft während der huſſitiſchen Be- mwegung, hatte e3 ſich gezeigt, welche Bedeutung die utra- quiſtiſche Stadt Prag in dem Kampfe der beiden Parteien einnahm. Sie war für die Katholifen ſchon Halb gewonnen geweſen; nur zwei Pfarrer in der Neuftadt bei St. Michael und St. Caſtuſus teilten dag Saframent nod) unter beiberlei Geftalt aus. Eifrige Utraquiften trieb man aus, machte fie unſchädlich, Tieß fie enthaupten. Sn den Kollegien waren wieder deutſche Studenten und Magifter, d. h. Katholiken; im Rat ſaßen jene Konfuln, die König Albrecht II. 1438 eingeſetzt hatte, So erflärt fid) der begeifterte Empfang, der dem päpft- lichen Wbgefandten in Prag zuteil wurde. Unter diefer Ober- ſchichte lebte aber in der Stadt eine zweite, die, wie in den Beiten Huſſens und der Huffitenkriege, mit den Radikalen im ganzen Lande eines Sinnes war und ſich leicht empor- bringen ließ, Sie war e3, die aud) jet den Umſchwung herbei- führte. Vor ihrem wilden Erwachen zog ſich alles, was ge- mäßigt mar, angftvoll zurüd und ließ feine urfprünglichen Pläne wieder fallen, Georg, der zwifchen diefen beiden äußeren Flügeln eine mittlere Stellung einnahm, benüßte diefe Stim- mung, ftärfte die Radifalen in Prag in den nächſten Mona- ten, um dann von ihnen unterftügt mit der Heeresmacht des oftböhmifchen Landfriedensbundes Prag in der Nacht vom 2. zum 3. September einzunehmen, ohne auf einer erniteren Widerftand zu ftoßen, da der Überfall der Gegenjeite über- tafchend Fam. Burggraf Meinhard von Neuhaus wurde ge- fangen genommen; jeine adeligen Anhänger, die Domgeiftlich- Teit, die Deutſchen an der Univerfität, viele Bürger flohen. Georgs Freunde und Parteigenofjen übernahmen die oberjten Randesämter; Sdenko von Sternberg, obwohl Katholik, wurde

9 Dritter Aſchnitt.

Oberftburggraf, Nikolaus Safe von Haſenburg Oberftland- tichter, der Rat in den Prager Städten wurde mit ftrengen Utraquiften befegt. Es war eine Niederlage ber Katholiken und der zur Einigung mit ihnen bereiten gemäßigten Utraquiften, wie fie entſchiedener kaum ermartet werden fonnte, Georg hatte eine Stellung errungen, die ihm einen unvergleichlich ftärferen Rückhalt darbot, als feine bisherige Oberhauptmann- ſchaft in Oftböhmen; er war nun Herr von Prag und dies umfo ficherer, als beide Führer der Gegner, Meinhard und auch Ulrich don Rofenberg nad) diefem politifhen Umfturz ihre Rollen im öffentlichen Leben ausgeſpielt hatten und feine gleichiverfigen Nadjfolger fanden. Meinhard ftarb am 1. Be- bruar 1449 in der Gefangenfchaft und alsbald verbreitete ſich das Gerücht, ja foger die offene Beſchuldigung wurde laut, daß er auf Anftiften Georgs vergiftet worden ſei.“ Ulrich zog ſich nad} verſchiedenen ausſichtsloſen Verjuchen, bald mit Georg, feinem Schwager, zu verhandeln, bald ihn au befämpfen, immer mehr zurück; gelang es doch Georg, ihn aud) aus feiner ein- flußreichen Stellung bei König Friedrich III. zu verdrängen. Das nahm feinen Anfang auf dem bedeutungspollen böh- mifchen Landtag zu Benefhau im Juli 1451. Er war berufen worden, um die Königsfrage zur Löſung zu bringen; denn je

. mehr George Macht und Anfehen im Lande ftieg, umfo eifri- ger waren feine offener und geheimen Gegner bemüht, jet, ganz im Gegenſatz zu ihrer bisherigen Haltung, dur Ein- führung Ladislaws in Prag die drohende Gefahr feiner Ober- herrſchaft im ganzen Lande zu bannen.

Schon auf dem Katharinenlandtag in Prag, der vom 25, November 1450 bis in den Yanuar 1451 hinein währte, war aus allen Barteien eine Botſchaft gewählt worden, die ſich zu König Friedrich III. nach Wien begeben und mit allem Nahdrud die Ausfolgung Ladislaws verlangen follte. Die Weifung, die fie vom Landtag miterhielt, ermädjtigte fie, nach Darlegung uller Gründe, die den König zu einer zuftimmen- den Entſcheidung veranlaffen jollten, für den Fall einer Ab- Iehnung zur Erklärung, dag man ſich mit Gottes Hilfe felber helfen werde, „damit wir länger ohne König und ohne Herrn

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nicht bleiben“. Diefe Drohung beftimmte den König wenigftens zuzuſagen, daß er ſich beim nädjiten Landtag vertreten laſſen und feine Antwort dort den Ständen mitteilen werde. Diefer Randtag hätte am 8. Juli 1451 in Prag abgehalten werden follen. Wegen der neuerlih in Böhmen aufgetretenen Peft, die in der Kauptitadt an manchen Xagen bis zweihundert Menſchenleben forderte, mußte er in die einige Meilen ſüdlich von Prag gelegene Stadt Benefhau „Benediftsdorf (Bene- dicti villa)“ nennt fie Eneas Silbius verlegt werden, Dort erſchienen am 18. Juli Friedrichs III. Gefandte: feine Räte Prokop von Rabenftein, ein gebürtiger Böhme, Heinrich Truch- feß, Albrecht von Ebersdorf, vor allem aber fein Kangzler Eneas Silvius, der von da an anderthalb Jahrzehnte auf die Geſchicke Böhmens den allergrößten Einfluß nehmen follte.”

Die Bedeutung diefer Föniglichen Botſchaft lag nicht jo fehr in den bor dem berfammelten Landtag geführten Ber- Handlungen, als vielmehr in den geheimen Beſprechungen, die Eneag mit verſchiedenen böhmifchen Baronen zu führen &e- legenheit fand. „Sie kamen” fo erklärt er „zahlreich zu uns bon beiden Seiten und die einen beſchwerten fich über die andern”. Mit Georg von Podiebrad fuchte er felber durch Vermittlung Rabenfteins Fühlung; denn er wurde gewahr, daß er „ein großer und mächtiger Mann fei, dem der größte Teil des Königreichs folge“. Wenn er !hn für den Einheit3- gedanfen bereit fände, jagte ſich Eneas, wie er ſelber geſteht, dann würden die übrigen leicht auch dahin zu bringen fein. Es fam zu einer überaug wichtigen Ausſprache zwiſchen dieſen beiden Männern.“ Eneas begann mit einem Hinweis auf die Verhältniffe in Böhmen einft und jet. „Dieſes König- teich”, fo will er gejagt haben, „Itand einft in höchſtem An- fehen und war unter den weſtlichen Ländern das reichite. Hier blühte der Glaube und glängten alle Wiſſenſchaften. Jetzt ift e8 arm, zerrüttet, zerfleiſcht. .. Ihr Böhmen ſeid nicht nur untereinander zerworfen, fondern von dem größten Teil der Chriftenheit abgetrennt ..... Wenn ihr aber zur Ein- beit der Kirche zurückkehren und im Kaufe des Herrn wandeln molltet, Zönnte leicht euer Königreich die frühere Würde und

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feinen ehemaligen Glanz wieder erlangen.“ Und fi fofort unmittelbar an Georg wendend fuhr er fort: „Der du das Volk dieſes Reiches führft, wohin du willft, erwirb dir einen großen Namen, mad), dab did) der apoftolifhe Stuhl liebe, gib ihm die Söhne zurüd, die der Satan ihm abfpenitig ge- macht hat... Alle werden zurückkehren und die römiſche Kirche verehren, wenn du e3 vollen wirft. Did) wird dann der Bapft und der Kaiſer lieb und wert halten, und wenn Ladislaw in fein Neid kommen wird, wird er dich jeinen Beſchützer, feinen Vater nennen, dir größten Dank wiſſen, wenn du ihm ein beruhigtes Land zurückſtellen wirft, von Irrtümern gereinigt, friedfertig, gefittigt, glaubenseifrig, Und nicht allein du wirft Ruhm erlangen, fondern auch deine Nadj- tommen und Kindesfinder werden davon für immerdar Ehre haben; ewig wird das Andenken deines Namens fein, geſichert der Stand deiner Familie... Und wenn du aus diejem Xeben fcheideit, wirft du... die ewige Glückſeligkeit vereint mit Unfterblichfeit erlangen . . .”.

Man fieht, dab Eneas das Geſpräch von Anfang an darauf angelegt hatte, durch Überredungsfunft Georg für den Über- tritt zur Fatholifchen Kirche zu gewinnen, in dem Glauben, daß dann aud) faft alle Utraquiften deſſen Beiſpiel folgen würden. Allein der weitere Bericht des Eneas läßt nicht den Eindrud auffommen, als ob ſich Georg jo leicht hätte um- ftimmen laffen. Er leugnete zwar nicht die nadten Tatſachen, aber mit einem „Gott weiß, wer die Schuld daran trägt“, lehnte er die Verantwortung für feine Glaubensgenofien ab. Er gab im meiteren Gefpräche deutlich zu verftehen, daß er ſich der Schwierigkeiten, den Prager erzbiichöflicden Stuhl mit Sohann von Rofikan zu befegen, bewußt fei; er billigte bis su einem beftimmten Grade die Forderung der Kurie, daß die der böhmifchen Kirche entriffenen Güter vom Adel zurücgeftellt werden. Aber in einem Punkte blieb er unerbittli und ließ fich nicht überzeugen: was nämlich) die vom Basler Konzil be- willigten aber vom Papfttum noch immer nicht beftätigten Kompaktaten anlangte, „Wünſcht Papft Nikolaus“, jo erflärte er, „baß wir ihm gehorfam feien, dann befehle er die Mer-

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träge einzuhalten und wir werden ihn verehren. Dies ift der fürgefte und der einzige Weg zum Frieden und zur Einheit; er muß beſchritten werden, denn nur er führt zur Eintradjt“. Ale Einwände, die der Kanzler erhob, dat doch die Utraquiften felber die Kompaktaten nicht im urfprünglidien Sinne be- folgten, ſich allerlei Übergriffe erlaubten, lehnte er mit der kurzen Bemerkung ab: „Das alles find mir unbefannte Dinge”; fügte jedoch allſogleich hinzu: „Aber das fage ich dir, wenn die Verträge nicht eingehalten werden, kann von Frieden und Eintradyt nicht die Rede fein“. Sa er begann mit dem Krieg zu drohen: „Greifen wir wieder zu den Waffen, dann werdet ihr die olten Verträge gern (ultra) anbieten, fie werden aber nicht angenommen werden . ... Hätte ich dem Papfte zu raten, würde ih für die Einhaltung der Kompaktaten ſprechen“. Und im weiteren Geſpräch noch einmal: „Über die Kompaktaten babe ich dir gefagt, was id, denke; bleibt der Papſt hart, dann wird er das Königreich noch härter finden; wer fiegen wird, weiß ich nicht”,

Diefe vertraulichen Beſprechungen übten auf die öffent lichen Verhandlungen im Landtag eine entfcheidende Wirkung. Eneas hielt dort eine ſchwungvolle aber nur Furze Rede, die im wefentlidien nur die Ausfolgung Ladislaws behandelte. Er fnüpfte an das Wort des Propheten Jeſaias an: „Der Fürft wird, was des Fürften würdig ift, bedenfen“.t” In ent- gegenfommendfter Art wurde die Entihuldigung König Fried- richs III. vorgebracht, daß Ladislaw doch noch ein Kind fei, noch nicht jelbftändig regieren Fönne, weshalb die Stände, die doch ſchon an die zwölf Jahre auf ihren König warteten, „noch ein Elein wenig“ fid) gedulden möchten. Der Widerftand von feiten jener Partei, die früher die Ausfolgung Ladislaws mit jolchem Eifer betrieben hatte, äußerte ſich nur noch in einigen zurüdhaltenden Gegenbemerfungen, als ob die Wiener-Neu- ftädter Verhandlungen vom März bereits vollkommen in Ver- geflenheit geraten wären. Und Georg hatte gewiß feinen Grund dem deutichen König Schwierigkeiten zu bereiten, ala er die fichere Überzeugung gewonnen hatte, daß deſſen Vertreter ihn bereit als Führer des maßgebenditen Teils des böh-

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miſchen Volkes anerkenne. Die wichtigen kirchlichen Fragen aber, die im Mittelpunkt des Zwiegefpräches geftanden hatten, wurden vor bem Landtag kaum berührt.

Noch im felben Jahre 1451 erfolgte denn auch George An- erfennung ala „Gubernator Böhmens“ durch König Friedrich II. Er erhielt eine ähnlide Stellung in Böhmen, wie fie in Ungarn Johann Hunyady ſchon feit 1446 mit ried- richs Buftimmung hatte: Stellvertreter des Königs Ladislaw big zu deſſen Regierungsfähigfeit. Dieje Anerfennung durch das Reichsoberhaupt erleichterte nun Georg den weiteren Auf- ftieg in Böhmen. Am 27. April 1452 erklärte ihn auch der Prager Landtag zum „bevollmächtigten und redytmäßigen Ver- wefer des Königreichs Böhmen“, ftellte ihm für die Verwal · tung einen zwölfgliedrigen Rat zur Seite und beftimmte, daß jeder, der von den fehlenden Ständen, Adel, Nittern und Städten, bis zum 15. Auguft jeine Zuftimmung nicht gegeben babe, als „Störer des allgemeinen Wohles“ angefehen würde. Diefer Beſchluß der Mehrheit des Landtags gab Georg, der mittlerweile fortwährend gerüftet und ein Seer gefammelt hatte, das Recht, gegen feine Iekten Gegnerſchaften im Lande einzuſchreiten: einerfeit8 gegen die taboritiche, anderſeits gegen die Rofenbergiiche Partei. Die Stadt Tabor, mit der Soaz, Laun und Piſek im Bündnis ftanden, unterwarf ſich am 1. September, als Georg mit feinen 17.000 Mann bor den Mauern erſchien.“ Eine Woche jpäter, am 7. September, er- ſchien der ſtolze Ulrich von Rofenberg im Lager Georgs zwiſchen Budweis und Frauenberg und verftändigte ſich mit ihm im eigenen Namen und in dem aller feiner Bundesgenoſſen auf der Grundlage des Landtagsbeichluffes vom 27. April.

In diefen Tagen, Ende Auguft und Anfang September, da fi) in Böhmen die Einigung aller maßgebenden Parteien unter der Führung Georgs vollzog, war in Öfterreih ein überaus bedeutung3voller Umfturg eingetreten. Die öfterrei- chiſchen Stände hatten Friedrich III, der eben bon feiner Kaiferfrönung und Vermählung mit Leonore von Portugal in Rom zurückgekehrt war, gezwungen, ihnen Ladislaw aus- zuliefern und diefen am 13. September ſiegreich nad) Wien

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gebradjt. Georg plante zwar, Friedrich mit feinem ganzen Heer gegen feine Bedränger zu Hilfe zu kommen, wurde aber durd) die Vorgänge in Böhmen, die Auseinanderfegung mit den Taborern und Rofenberg, zu lange aufgehalten. „Da ſeht ihr wohl“, jo fol er zu den Seinigen geſprochen haben, als er bon den Abmachungen zwiſchen den Aufitändiichen und dem Kaiſer erfuhr, „wieviel Kriegsruhm, melde Fülle des Ge- winnes ung in diefem Feldzug wieder entgangen ift. lter- reich, das einft reiche Sand, wäre ung zur Beute geworden und der Ehrentitel, den Kaiſer verteidigt zu haben, ung ewig geblieben. Fürwahr, jene, die in feinem Rate figen, find wei- biſche Männer und verrüdt, daß fie nicht einmal bis zum achten Tag die Belagerung aushalten fonnten.“

Aber Ladislaw in den Händen der Wiener zu belafien, war weder feine, noch de3 ungarifchen Gubernators Abficht. Der Kampf der Machthaber in Ungarn, Ofterreich und Böhmen, Hunyadys, Ulrichs von Cilli und Georgs, um den jungen zmwölfjährigen Fürften begann. Die inneren Wirren, die daraus in Öfterrei und Ungarn entftanden, können uns bier nicht weiter beſchäftigen. Sieger blieb der böhmifche Gubernator. Zaut Landtagsbefhluß vom 16. Oftober begab ſich eine Ge- ſandtſchaft von faft 400 Adeligen unter der Führung Heinrichs bon Rofenberg, des Sohnes Ulrichs, dann eines Sternbergers, Safenburger8 und Schwambergerd nad Wien und forderte Zadislarm für Böhmen. Dabei ftellte man aber aud) Bedin- gungen für feine Annahme, vor allem in religiöfer Hinficht. Der junge König foll damals gejagt haben: „Aber wenn fie mid) zum König haben wollen, müffen fie notwendig Chriften fein und fi) zu dem Glauben befennen, zu dem id) mid) be- kenne“. Das war aber keineswegs die Anſchauung feiner maß- gebenden öſterreichiſchen Ratgeber. Sie brauditen gegen den Kaiſer und gegen Ungarn Unterftügung und glaubten fie am ficheriten bei den Böhmen zu finden. An der Firchlichen Frage das Bufammengehen mit den Böhmen ſcheitern zu laſſen, ſchien ihnen politiſch unflug. Ein Johann von Schönberg, dem man nad) Eneag** ſchon längft Verrat und Treulofigfeit vor- warf, fol offen erklärt Haben: „Wozu forgen wir ung um

Bretdols, Seſch. Vöhmens u. Mahtens. II. 7

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Dinge, die den römiſchen Stuhl angehen? Was kümmert es uns, wie ſich die Böhmen zum Papft ſtellen, woher fie den Erzbiſchof empjangen, welches Recht fie für ihre Kirchen als bindend aufftellen, nad) welchem Ritus fie Gottesdienſt halten? Mögen die Geiftlichen darauf hedadyt fein, wag ihres Amtes ift, wir aber forgen für das Reich, damit es dem Könige nicht verloren gehe. Die Böhmen, gleichviel ob fie Chriften oder Heiden find, gehören au den unfrigen. Wenn fie nur dem Könige die Abgaben zahlen, mögen fie einer Sekte folgen, welcher fie wollen.”

Radislam mußte, wenn auch „widerwillig“, alle Verträge unterzeichnen, die ziwifchen den Böhmen und Öfterreichern auf geheimen Zufammenfünften, wie Eneas fagt, zwiſchen Georg von Podiebrad und Ulrid von Cilli vereinbart wurden, in denen den Böhmen politiih und kirchlich alles zugeftanden wurde, wonach fie begehrten. Dann erft entſchloß ſich der Gu- bernator, jelber am 29, April 1452 vor dem Könige in Wien zu erfcheinen, Noch am 17, April hatte Eneag nad; Rom ge- ſchrieben. „Mir ift noch nicht bewußt, was der Chriftenheit beffer wäre, die Annahme des Königs Ladislam durch die Böhmen oder feine Ausihließung”. Während Georgs drei- tägigem Aufenthalt am Wiener Hofe wurden nidjt nur alle früheren Vereinbarungen vom König von neuem befräftigt, fondern vor allem auch Georgs Stellung ala Gubernator, die der Landtag nur für zwei Jahre feitgefegt hatte, in einem geheimen Vertrag für weitere ſechs Jahre gefichert: haben darumb den gemelten Görzifen bon Kunſtadt duch feine Nedlichkeit willen .. . nad) Ausgang der obberürten zwaier Sahr noch hinfür auf ander ſechs Jahr ... zu unfern Ber- weſer und Gubernator deg genannten Königreichs von Funig- licher Macht gefagt und ihm die Verweſung desjelben Kunig- reichs gänzlich) empfohlen“, wie es in der deutſch abgefahten Originalurfunde lautet." Aufgefallen ift damals der innige Verkehr, der gleich bei diefem eriten Zufammenfein zwifchen Georg und dem Königafind herridjte, fo daß Georg nicht von Ladislaws Seite wich, diefer ihn „Water“ anſprach.

Das Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. oo

Die zwiſchen dem König und den Böhmen vollkommen her- geftellte Einigkeit follte num auch befiegelt werden durd den Beſuch Ladislaws in Prag und feine feierlihe Krönung zum König. Wiederholt feftgejegt wurde fie immer wieder ber- ſchoben. Im Juli 1453 war Ladislaw bereit3 in Brünn und nahm dort die Huldigung der Stände, die ihn zu nicht ge- ringem Verdruß der Böhmen vom Anfang an alg Erbfönig anerfannt Hatten, entgegen, kehrte aber gegen Ende des Monats wieder nad) Oſterreich zurüd; nad) amtlicher Verlaut- barung wegen dringender politiicher Geſchäfte, in Wirklichfeit wegen Geldmangels am Hofe und vielleicht auch aus Angft vor Gefahren, die Ladislaw in Böhnen zu drohen ſchienen. Wenig- ſtens verzeichnet Eneas Silvius einen höchſt merkwürdigen Zwiſchenfall, der damit im Zuſammenhang ſieht. Der König habe eben damals, als er ſich zur Reife nad; Böhmen (Sommer 1453) anfchidte, einen Brief folgenden Inhalts erhalten: „Johann Smirzitzky entbietet Ladislam, dem König von Böh- men, feinen Gruß. Es geht da3 Gerücht, da du in Kürze zu ung fommen willft. Wenn- du in der Weile fommit, daß des Herrſchers Anſehen mit dir, auf feiten der Böhmen aber die Notwendigkeit zu gehorchen ift, dann gut; wenn nicht, dann wirft du befier zu Haufe bleiben, es fei denn, daß du etwa zweiköpfig wäreft, jo daß du dag eine Haupt in Wien zurüd- laſſen, da8 andere mit zu ung bringen fönnteft. Lebe wohl.“'7 Smirzitzky, ein reicher nicht, wie Eneas behauptet, Fatholi- ſcher, fondern utraquiſtiſcher Baron, der feit langem eine einflußreiche politifche Stellung einnahm und in dem am 27. April 1452 Georg beigegebenen Zwölferrat ſaß, büßte die ſchwere Verdächtigung, die fi wohl in erfter Linie gegen den Gubernator richtete, mit dem Tode durch Enthauptung, am 7. September 14583.

Im folgenden Monate wurde dann endlid, die Krönungs - fahrt Ladislaws nad Böhmen durdgeführt. Am 19. Oftober leiltete er an der Zandesgrenze bei Jalau, big wohin ihm die böhmiſchen Stände entgegen gefommen waren, in beutjcher Sprache den vereinbarten Eid auf die Landespribilegien, der mit den Worten begann: „Wir Ladislaw von Gotis Genaden

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erwählter König zu Behemen“ und endete: „Das belf uns Gott der Herre und alle Heiligen”. Am 24. Oftober erfolgte der Einzug in Prag, wie er nad) dem Ausſpruch eines Augen- zeugen jo glänzend in Böhmen noch nie gejehen worden war.t* Am 28. folgte die Krönung im St. Veitsdom durch den Biſchof Johann XIII, von Olmüg „unter den größten Freudenbezeugungen des Volles und mit ungeheurem Auf- wand“, jagt Eneas.

Mehr als ein Jahr verblieb der junge König in Böhmen unter der Zeitung des Gubernator3 Georg, her fich feiner voll- kommen bemädjtigt hatte. Er ſchlief fo heißt e8 ausdrücklich mit ihm im felben Simmer, fprad) ihn „mein Sohn” an, ließ fid) von ihm „Vater“ nennen. Um fo auffallender er- ſcheint e8, daB, mie gleichfall3 berichtet wird, Ladislaw in teligiöfer Hinficht während feines Prager Aufenthaltes feinen katholiſchen Standpunkt fehroff herborfehrte und feine Ab- neigung gegen da3 Huflitentum offen zur Schau trug. Er lehnte e3, „fo fehr er auch darum gebeten wurde”, fagt Eneas, entjdjieden ab, utraquiftiiche Kirchen zu beſuchen, geichweige dem Gottesdienft dafelbit beizuwohnen. Als ein utraquiftiicher Priefter ſich anfdicte, in der Föniglichen Kapelle vor dem König den Gottesdienft zu berfehen, foll er ihm gedroht haben, ihn mit Gewalt vom Altar wegichleppen und vom nächſten Felſen berubftürzen zu lajfen, wenn er nicht freiwillig weide. Der Gubernator fheint auf das religiöfe Empfinden des Königs feinen Einfluß genommen zu haben, jo fehr er ihm auch ſonſt nahe ftand. Hatte er gegen die Stärfung des Fatholifchen Glaubens in Böhmen nicht? einzumenden oder war es ihm nit unerwünſcht, daß ſich Ladislaw durd) diefe Bevorzugung des Katholizismus die Zuneigung der utraquiftiihen Qe- völferung Boͤhmens verfcherzte? Der Unwillen über die religi- öfe Richtung am Prager Hofe Fam denn auch auf dem Prager Saftenlandtag 1454 unverhofft zum Ausbruch. In Gegenwart des Königs und des Gubernators erklärte ein utragquiftifcher Baron Beneſch Mokrofous von Huftiran: „Herr König und Herr Gubernator und ihr anderen Herren und Edlen, zivar habt ihr fehr gut angefangen bei der Verwaltung Böhmens,

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aber da8, was am meiften notwendig ift, habt ihr ausge- ſchloſſen und Hintangefegt, nämlich den Glauben, davon ihr hättet ausgehen müffen, um dann erft zu anderen Anordnungen und Arbeiten euch zu wenden”. Er ſprach immer eifriger von den Sompaktaten, vom Ersbiſchof Johann von Rofikan, und als ihm andere Barone zu mwiderfprechen berfuchten, wandte er fi) an den ganzen Landtag mit der Frage: „Habe ich wahr geiprochen?”, worauf ihm mit dreimaligem: „Es ift fo” geant- wortet wurde. Der König, der fid) den Vorfall verdolmetſchen ließ, fo wenig beherrichte er noch die tſchechiſche Sprache, und der Gubernator waren anfangs gang verwirrt (perplexus), fchließlich verwies Georg den Redner darauf, daß diefe Fragen doch nicht in den Landtag gehörten, fondern vor den fönig- lichen Rat. Diefe Mahnung und die Angft vieler vor einem neuen Ärgernis (scandalum et obprobrium) war der Grund, daß die Angelegenheit nicht weiter verfolgt und Beneſch befänftigt wurde. Vielleicht hüngt es mit diefem Auftreten der Utraquiften zufammen, daB eben auf diefem Landtag die dringende Forderung des berühmten Prediger Johann von Kapiſtran, auch nad) Prag kommen und dort frei reden zu dürfen, wie er dies ſchon in zahlreichen anderen Städten Vöhmens und Mährens getan hatte, abgelehnt wurde. Und ebenfo Hingt die Erklärung des Enens nicht unwahrſcheinlich, daß, „als der König den Wunfc äußerte, nad) Öfterreich aurüdgufehren, ihm feiner der Ketzer entgegen war”; fein längeres Berbleiben in Prag ſchien eine fortwährende Stär- kung des Katholizismus im ganzen Lande zu bedeuten, ind- befondere angejichts der Zurückhaltung, die der Gubernator in dieſer Hinſicht an den Tag legte.

Ladislaw begab ich. ale er am 29. November 1454 von Prag aufbrach, zuerft- nad) Schlefien, um in Breslau die Huldigung der Stände diefeg böhmifchen Nebenlandes ent- gegenzunehmen, das ſich entichieden gemeigert Batte, diefen Akt, wie Georg und die Böhmen gefordert hatten, in Prag zu vollziehen. Georg begleitete den jungen König auf dieſer Fahrt, obgleich ſowohl die Schlefier als insbeſondere die Bres- lauer feinem Gubernatorentum ſchon damalg den heftigiten

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Widerftand entgegenfegten, der fidy dann von Jahr zu Jahr verſtärkte. Nirgend wurde der Huffitenfeind Yohann von Kapiſtran mit folder Vegeifterung aufgenommen, wie gerade in Breslau. Auch noch auf der weiteren Reife nad) Wien, die Ladislaw am 31. Januar 1455 antrat, blieb der Gubernator an deilen Seite und erſt Mitte Mai fehrte er allein von Wien heim, Ladislaw in ſchweren politifhen Sorgen zurüdlafiend. Schuld daran war vor allem eine ernfte Verfeindung mit dem Kaiſer, dann der furchtbare Türkenkrieg, der als Folge des weltgeſchichtlichen Greigniffes der Einnahme NKonftantinopels durch die Osmanen am 29. Mai 1453 ausgebrodyen var, weiter der Tod des ungariſchen Gubernators Johannes Yunyady am 11. Auguſt 1456, als deſſen Folge in Ungarn blutige Parteikämpfe ausbrachen, und ſchlieblich ſchwierige Verhält- niſſe in Wien und in Oſterreich. Georg von Podiebrad wußte um alle dieſe Fragen, ohne aber den Standpunkt, den Ladislaw einnahm, in vielen Punkten zu teilen. Das Ver- bältnis zum @ubernator hatte fi) von dem Augenblick gewandelt, da Ladislaw aufhörte ein Kind zu fein und daran dachte, die Regierung feiner Erbländer in eigene Hand zu nehmen. Dag gegenfeitige Vertrauen war, wenn es je auf- richtig beftanden, längft verſchwunden. Nur unter dem Schuge einer ftattlihen Ritterſchar entſchloß ſich Georg einer Einladung des Königs nad) Wien zu folgen, betrat aber nicht die Stadt, die ihm nicht ſicher ſchien, fondern Ingerte auf freiem Felde am linken Donauufer und forderte vom König, Fran er u ihm hinauskomme, was diejer auch nad) einigem

yembette fi) bei diefen Beſprechungen, wie es fcheint, um die Stage, wo die bevorftehende Vermählung des Königs mit Magdalena, der Tochter König Karls VII. von Frankreich, ftattfinden folle, in Wien, in einer ungarifchen Stadt oder aber in Prag, wie Georg verlangte. Bei den Verhandlungen vor Wien ſcheint Ladislaw noch nicht ingewilligt zu Haben, denn der Gubernator „lenkte in hellem Born und unter Drohungen jeinen Weg nah Mähren zurüd”. Allein bald änderte Ladislaw feinen Entſchluß und am 29. September

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1457 fam er nah Prag „mit außerordentlich glängendem Gefolge“ und „mit nicht geringeren Ehren als das erfte Mal empfangen“. Kaum zwei Monate fpäter, am 23. November, erlag er, inmitten der Ießten Vorbereitungen zur Hochzeit, binnen ſechsunddreißig Stunden einem peftartigen plölichen Anfall. Aber der Verdacht, dab er vergiftet worden fei, ent« weder auf Veranlaffung Johanns von Rokitzan oder Georgs Gemahlin Sohanna von Rozmital oder gar des Gubernators jelber, erhob ich fofort. Auf dem am 21. Januar 1458 in Wien eröffneten Landtag hielt Georgs Sekretär, Jobſt von Einfiedeln, eine längere Rede, die die auch ſchon in Wien um- laufenden Gerüchte widerlegen follte.°

Die Lage nad) diefem umverhofften Tode war ſchwieriger als nad) König Albrechts II. Sinfcheiden, ja man kann fagen ſchwieriger als bei irgend einer Xhronerledigung borher. Zwar an Bewerbern um die Krone mangelte e8 nicht und jeder fonnte mehr oder meniger begründete Rechte bor- bringen. Es meldeten ſich die Habsburger, Serzog Ludwig bon Bayern, der Kurfürſt Friedrich von Brandenburg, fein Bruder Markgraf Albrecht, foger König Karl VII. von Frankreich für feinen gleichnamigen Sohn, den Bruder der Braut des beritorbenen Lodislaw. Geht man zurück auf die berühmten Staatsgrundgefefe Karls IV. vom Sahre 1348, durch die in Böhmen die Erbfolge in männlicher und auch weiblicher Linie feitgefegt worden war, dann waren unbe dingt die beiden Schweſtern Ladislaws die beredtigten Erbinnen, bezw. ihre Gatten. Die ältere Anna mar feit 1446 mit Herzog Wilhelm von Sachſen, die jüngere Elifabeth feit 1453 mit König Kaſimir von Polen vermählt. (Dal. die Stammtafel). Wilhelm redjnete denn auch mit Beftimmtheit auf feine Erhebung auf Grund des Erbrechtes feiner Gemahlin. Allein der böhmiſche Adel hatte ſich bei der Erhebung der legten drei Könige Sigmund, Albrecht und Ladislaw auf den Standpunft geftellt, daß nur die Wahl durch die Stände im Landtag das mahre Recht zur böhmifchen Königskrore berleihe und war entichloffen, diesmal Erb. und andere Rechte nicht gelten zu laffen. Der Landtag, der am

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27. Februar 1458 eröffnet wurde, und ohne als Wahllandtag angefündigt zu fein, über den fünftigen König entſcheiden follte, verlief nicht nur fo formlos ala möglich, ſondern ftand bor allem unter dem Zwang der insbefondere durch Johann von Rokitzan aufgereizten Straßenmenge. Während im Saale des Alftädter Rathaufes, allwo der Landtag fi) verfammelte, bie Vertreter des franzöfifchen und ſächſiſchen Anſprechers, die allein erfchienen waren, ihre Reden hielten, rief das Volk unten auf dem Pla und auf den Gaſſen bereits: man möge nur „Herrn Girzif (Georg) oder fonft einen anderen behemi- ichen Herrn und feinen Deutjchen oder andern zum Könige wählen und aufnehmen”. Die Gefandten der Städte Görlik und Baußen, die einzigen, die aus den Nebenländern er- ſchienen waren. verließen eiligft „in großem Verdrieße und Mibfallen” Prag, als fie das Lärmen und Schreien auf den Straßen vernahmen, Der ſächſiſchen Geſandtſchaft, der fie beim Außreiten aus der Stadt begegneten, erflärten fie, e8 gehe in Prag zu, „daß es Gott erbarmen modyt”. Die Fatho- liſchen Barone juchten anfangs die Wahl hinauszuziehen. ALS fie dann am 2. März im Sigungsfaal erfchienen, mar alsbald das Rathaus von einer ungeheuren Vollsmenge umftellt, in die fid) beivaffnete Saufen mifchten; im Saal. jelbft erjchienen der Stadtrichter, Kerfermeilter, Schergen und Henker, an- geblich um Unruhen rechtzeitig niederhalten zu fünnen. Da erſchraken die Gegner, die Rojenberg, Schwamberg, Kolowrat, Neuhaus, Michelsberg und andere, denn, wie Roſenbergs Se- fretär, der anweſend war, zutraulich bemerkt: fterben, das tut gar weh. Dieſe Lage benüßte der Fatholifche Baron und Oberit- burggraf Sdenko von Sternberg, damals und nod) lange Zeit der treuefte Anhänger Georgs, und rief in den Saal: „Der Gubernator fei unfer König. Es lebe Georg, unfer gnädigfter König und Herr.” Indem die Mehrzahl antwortete: „Hoch Iebe König Georg von Böhmen“, war die Wahl vollzogen und entichieden.?t

Wahl ift aber nur der erfte Aft einer Königserhebung; den zweiten bildet die Krönung. Dieſe hatte für Böhmen einft Karl IV. durch eine eigene franzöſiſchem Vorbild nach-

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gebildete Ordnung als eine rein kirchliche, feierliche Handlung geftaltet. Darauf wollte Georg nicht verzichten; ohne fie hätte er fi nicht ala wahren König gefühlt. Hier bricht wieder die alte katholiſche Überlieferung durch, von der ſich frei zu machen den böhmifchen Utraquiften fo ſchwer wurde. Wer follte ihn aber krönen und falben, das Hochamt halten und den Segen erteilen? Der gewählte aber von den Katholiken und dem Papfte nicht anerkannte huſſitiſche Erzbiſchof Johann bon Rokitzan? Durch feine außerordentliden Bemühungen um Georgs Wahl hätte er fich diefen Dank wohl verdient. Mlein daran dachte der neue König feinen Augenblid, Er verlangte nad Fatholifchen Geiftlichen. Im eigenen Lande fanden fi) feine, da der Olmüger Biſchofſtuhl eben damals unbefegt war und der Biſchof bon Breslau Soft aus dem Haufe der Rofenberg fid weigerte Georg anzuerfennen. Da half ihm König Mathias von Ungarn, der Sohn Johann Hunyadys, der nach Ladislaws Tode ſchon am 24. Januar 1458, in ähnlicher Weife wie jpäter Georg in Böhmen und nicht ohne deſſen Zutun von den Ungarn auf den Thron feines Landes erhoben worden und überdies mit einer Tochter Georgs verlobt war. Er gab feine Zuſtimmung, daß die beiden un- gariſchen Biſchöfe Vinzenz von Waiten und Auguftin bon Raab fich diefer Aufgabe unterzogen und erwirkte hiezu auch die Zuftimmung des bei ihm weilenden päpftlidien Zegaten, des Kardinal Carvajal. Mllerdings nicht bedingungslos. Georg mußte ſich verpflichten, vor der Krönung einen Eid zu Ieiften, der gleichſam die Abſchwörung der huſſitiſchen Lehren und den Übertritt zum Katholizismus bedeutete und ihn auch band, in gleihem Sinne bei feinem Volke zu wirken, Nur fobiel fegte er durch, daß diefer vor einer beſchränkten Zahl geift- licher und weltliher Großen am 6. Mai 1458 abgelegte Eid vorläufig geheim gehalten wurde. Wir kennen den vollen Wortlaut; er heißt mit Hinweglaſſung alles Formelhaften:

„Ich Georg, gewählter König von Böhmen, der ich dem- nädjit gefrönt werden foll, veripredhe, gelobe und beſchwöre vor Gott und feinen Engeln in die Hände der beiden Biſchöfe ... und in Gegenwart der Herren ..., dab ich bon jet

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an in Hinkunft treu und gehorfam fein werde ber heiligen römifchen und Fatholifchen Kirche und dem beiligften .. . Papſt Caligt III. und feinen Nachfolgern ... und treu, wie die anderen katholiſchen und chriftlichen Könige, den Gehorfam und die Gleichmäßigfeit (obedientiam et conformitatem) ein- halten werde in der Einheit des orthodogen Glaubens, den die heilige römiſch-katholiſche und apoftolifche Kirche befennt, verfündet und hält. ch will diefen Fatholifchen und ortho- bogen Glauben bewahren, fchügen und berteidigen nad, gan- zem Können und werde da8 mir unterftellte Volt nad) der mir bon Gott verliehenen Klugheit von allen Irrtümern, Sektenweſen und Härefien und bon anderen der heiligen römischen Kirche und orthodoxen Lehre entgegenftehenden Artikeln zurüdrufen (revocare); ich will und werde mich be- mühen, e8 zur Beobachtung des wahren Fatholifchen und ortho- dogen Glaubens, zum Gehorfam, zur Gleichförmigkeit, Einheit, zum Ritus und Kult der heiligen römiſchen Kirche zu führen und diejen wieder herzuftellen. Ich werde allen Fleiß an- wenden, daß alles Vorgejchriebene nad) meinem ganzen Kön- nen und Bemühen zum Xob, Ruhm und zur Ehre Gottes und zur Erhöhung der heiligen Fatholifchen Kirche erfüllt werde. So helfe mir Gott und die mit meinen Händen för- perlich berührten heiligen Evangelien Gottes.“

Nicht enthalten war in dem Eide eine von Georg gleicdh- zeitig mündlich abgegebene „Abſchwörung der Irrlehre (abiu- ratio errorie)“, die er nicht aufnehmen laſſen wollte, um nicht durch eine öffentliche Urkunde der Härejie geziehen zu werden, da er doch in diefen Lehren erzogen worden fei.

Am Xage darauf konnte die feierliche Krönung bor ſich gehen. Mit diefem Entſchluß, fo verhängnisboll er aud) für die Zufunft wurde, waren zunädjft die erniten Schwierig- feiten für feine allgemeine Anerkennung überwunden. Der Widerftand, der fich in den Nebenländern, Mähren, Schlefien, Raufig gegen feine Wahl erhoben und fich in erfter Linie gegen den „Reber“ geridjtet hatte, entbehrte nunmehr, da ihn der Papſt als König anerkannte, jediveder Berechtigung. In Mähren waren e8 insbefondere die großen deutſchen Städte

Dad Königtum Georgs von Kunftabt-Rodiebrad. 107

Olmütz, Brünn, Znaim, Jalau, auch Mähriſch-Neuſtadt und Hradiſch, die ſich mit Herzog Albrecht VI. von Oſterreich, dem Bruder Kaiſer Friedrichs III. verbunden und von ihm auch militäriſche Unterſtützung erhalten hatten. Allein nun fügten ſich die meiſten willig; Jglau, das ſich am längſten wehrte, erlitt ſchwere Strafe. Nicht anders erging es in der Lauſitz und in Schleſien. Nur das ſtarke, ſtreng katholiſche Breslau unterwarf ſich nicht und beharrte in ſeiner Feindſchaft gegen den huſſitiſchen König.” Mit Herzog Albrecht VI. kam es allerdings zu einem Sleinfrieg, der in die Sommermonate 1458 fiel. Ein böhmifcd-mährifhes Heer drang in Nieder- öfterreich ein, brannte und verwüſtete dag Land bis an die Donau. Der Herzog mußte die Hilfe feines Bruders, des Kaiſers, anrufen, der nad) mehreren Zufammenfünften mit dem Böhmenkönig am 3. Oktober den Frieden herſtellte. Georg war auch aus diefem Kampfe als Sieger hervorge- gangen. Seine Rage am Ende de3 Jahres, in dem er die Königskrone erlangt hatte, erjchjien über alle Maßen günftig; und die nächſte Zeit brachte neue Erfolge. Die Nachbarfürſten von Sadjfen, Brandenburg, Bayern fuchten Annäherung oder lehnten die Annäherungsverfuche nicht ab. Im April 1459 fand in Eger ein glänzender Fürftentag ftatt, auf dem durch Vermittlung des Markgrafen Albrecht Achilles von Ansbach- Bayreuth alle Gegenfäge zwiſchen Böhmen und Sachſen bei- gelegt wurden. Ein Ehegelöbnis zwiſchen Georgs Sohn Heinrich (Hinko) und Katharina, der Tochter des Mark- und Randgrafen Wilhelm III. von Meißen-Xhüringen, Georgs ehemaligen gefährlichften Rivalen im Xhronfampf, und weiters zwiſchen feiner Tochter Sidonie (Zdenka) mit Wilhelms Neffen Albrecht, dem Sohne des Kurfürften Friedrich IT. von Sachſen, befiegelte den Freundſchaftsbund. Es bedeutete die Aufnahme des Podiebradſchen Geſchlechtes unter die deutichen Sürftenfamilien, mochte man auch noch bier und dort über den „uffgerüdten Kunig“ fpotten.”* Die Anmwejenheit des Pfalz- grafen Ludwig von Bayern in Eger ermöglichte auch böhmiſch- bayrifche Srrungen aus früherer Zeit, ſowie bayrifch-branden- burgifche Gegenjäße vorläufig wenigſtens auszugleichen.

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Georg gewann Stimme und Anfehen unter den deutſchen Fürſten, wiewohl er kaum ihre Sprache beherrſchte und fich in den Verhandlungen eines Dolmetſch bedienen mußte.

Diefe io rafch errungene Machtftellung des huffitifchen Böhmenfönigs erklärt ſich nicht zulegt aus den verworrenen Verhältnifien im Neid unter Kaiſer Sriedrih II. Er fümmerte fi nicht um die mannigfadyen Streitigkeiten, die dort herrſchten, alle Aufforderungen dahin zu fommen, „um die Bürde des Reiches löblich zu tragen“, blieben von ihm un- beachtet, den zahlreichen Fehden, die dort ausbradyen, ließ er ruhig ihren Lauf, den Übergriffen des Papfttums entgegen- autreten, wie bon ihm verlangt wurde, Fam ihm gar nicht in den Sinn. Er fügte fi) vollkommen der Anſchauung feines Kanzlers Eneas Silvius, daß bor allem Kaifer und Papſt aufammenhalten müfjen, und fah auch darin feine Beeinträchti- gung, daß im Neid) die päpftliche Macht im allgemeinen faft in jeder Beziehung Höher al die faiferliche gehalten, der päpftliche Stuhl, wie man fagte, als „der oberfte Brunnen der Chriftenheit” angejehen wurde. Die Unhaltbarfeit diefer Ver- hältniffe, die Notwendigkeit einer Neuordnung durch eine Träftige Hand drängte fich immer weiteren Kreifen auf. Der Gedanke, dem deutichen Kaifer zum mindeften einen römiſch- deutfchen König an die Seite zu ftellen, der für das Reich forgen follte, wurde in politiichen reifen ſchon Ende der fünf- ziger Jahre ernft erwogen. Man dachte an ben Herzog Philipp von Burgund, an des Kaiſers Bruder Herzog Albrecht VI. von Öfterreich, auch an den Pfalzgrafen Ludwig, allein feftere Geftalt gewannen diefe Pläne nicht. Die Gegnerſchaft der deutfchen Zürften unter einander erftidte jeden ſolchen Ge- danken im Keime.

Da tauchte eben damals das Neugeftirn des tatfräftigen Böhmenfönigs auf und Ienkte fofort die Aufmerkſamkeit auch im Reiche auf fi. So unnatürlich der Plan auch von Anfang an war, einen Tſchechen und Huffiten zum deutſchen König erheben zu wollen, fo daß Georg jelbit e8 zunächſt als eine Sache erklärte, „dabon fein Nuten, fondern allein großer Un- wille entftehen möchte”, nad) einer erften Ablehnung ließ er

Das Königtum Georgs von Kunftabt-Podiebrab. 109

fi) doch gewinnen, wie es ſcheint im November 1459 anläßlich deg glänzenden Hodgeitfeites feiner Kinder in Eger. Der Kanzler des bayrifchen Pfalzgrafen, ein Doktor Martin Mair, dürfte den Plan erfonnen haben und betrieb ihn fodann mit größtem Eifer. Für Georg hätte eine folde Erhöhung, die die Zeiten eines Kaiſers Karl IV, wieder aufleben machen konnte, vor allem die Bedeutung gehabt, da dadurd) jo ziemlich alle Schwierigkeiten, die feine Stellung in Böhmen barg, über- wunden geweſen wären. Dem böhmifchen König, der ala erfter weltlicher Rurfürft auch die römisch-deutfche Königsfrone trüge, hätten wohl auch die ftrengeren Utraquiften Zugeftändniffe in politiſcher und kirchlicher Hinficht gemacht, wie Georg jelbit fie bereits für feine eigene Perjon als notwendig erfannt hatte.

Der Böhmenkönig wandte fich zunächſt an den Markgrafen Albrecht von Brandenburg, den bewährten Unterhändler. Der wollte auch gern vermitteln, aber doch nur mit Wiſſen und Zu- ftimmung des Kaifers. „Wenn Euer Gnaden bon unferem Herrn dem Aaifer nur einen Zettel brächten, nur ein Finger lang, darin uns Geine Majeftät befehlen in der Sache zu arbeiten, ſei e8 bei den Kurfürften oder anderswo (d. h. wohl beim Papſte), dann wollen wir dem getreu und fleißig nad- Tommen“, lautete feine Antwort. Am 1. Mai 1460 fchidte Georg dieſem Nat folgend jeine Gefandten an den Kaiſer nad) Wien, erhielt aber eine ablehnende Antwort. Er ließ ſich nicht abfchreden, verfuchte es vielmehr, feinen Plan mit Umgehung des Raifers, ja gegen den Kaiſer zu verfolgen, durch DVer- bindung mit den größten Gegnern des Naifers, den Wittels- bachern, Polen und Ungarn.

Bon Anfang Januar bis zum 20. Februar: 1461 ſaß Georg wiederum in der bdeutfchen katholiſchen Reichsſtadt Eger, die ihm zeitlebens befondere Treue und Freundſchaft bewies, mit deutſchen Fürſten in der gleichen Angelegenheit beifammen und hier überzeugte er fich, daß die deutſche Königskrone viel- leicht ohne den Kaiſer, nie aber ohne den Papſt durchzuſetzen fei. Papft war damals Pius II. jener Eneas Silvius Piccolo- mini, der, wie wir willen, Böhmen und Georg feit langem Iannte, Er hatte von feiner erflen Begegnung mit ihm einen

110 Britter Abſchnitt.

tiefen Eindrud bon feiner Perfönlichkeit dabongetragen und fein Urteil Eonnte fi durch den gewaltigen Aufitieg des Huffitenführers in Böhmen feither nur gefeftigt haben. Aber ſchon damals, als er im Juli 1451 in Beneſchau mit ihm das berühmte politifce Geſprůch geführt hatte, muß ſich in ihm die Vorftellung gebildet Haben, daß Georgs Ehrgeiz größer fei als feine huffitifchen Überzeugungen; daß e8, wenn aud) nicht ſofort To doch fchrititveife gelingen werde, Georg zur katholiſchen Kirche zurüdzuführen. Im ſelben Jahr 1458, da Georg König bon Böhmen geworden war, hatte Eneas im Auguſt den päpft« lichen Stuhl beitiegen, als Nachfolger Calixts III. Und wie diefer ſchon früher, fo brachte auch der neue Papſt Georg zu- nächſt volles Vertrauen entgegen, betrachtete Georg als voll- wertiges Glied der Fatholifchen Kirche, zögerte nicht, ihn ganz ebenfo zu behandeln, wie andere Fürften des Reichs. Dadurch erwies er ihm einen ganz außerordentlichen Dienft. Als der Rapit im Oktober 1458 wegen der Türfengefahr einen Fürſten · kongreß nad; Mantua einberief, erhielt auch Georg eine Ein- ladung. Der Papſt ſprach ihn, wie die anderen Fürſten mit „geliebter Sohn“ und „König“ an, nannte aud) ihn einen „frommen Fürſten, Verehrer des Glaubens und der Religion“. Georg ließ diefes Schreiben allgemein verbreiten zum Beichen, daß fein Königtum nun auch bei der Kurie voll anerkannt werde. Damals urteilte der Breslauer Stadtehronift Ejchen- Ioer ſehr richtig: „Das Fleine Brieflein unterwarf ihm Fürften, Lande und Städte, die nachher durch große Bullen und auch durch Kreuzpredigten, durch Bann und alle Ver- maledeiungen nicht wieder bon ihm abgebracht werben fonnten“.°

Die Schlefier und Laufiger gaben von da an ihren Wider- ftand auf. Denn nur von ihm als Ketzer glaubten fie ſich bisher fernhalten zu follen; da er aber den urkundlichen Beweis er- brachte, daB der Papft zwiſchen ihm und den übrigen Fürften feinen Unierſchied mehr made, entfiel für die meiften jeder Grund die bisherige Politik noch weiter zu verfolgen, Nur die Breslauer blieben päpſtlicher als der Papft. Sie jhidten Bot- ſchaft um Botſchaft und Brief um Brief, um den Papſt zu „unter

Des Königtum Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 111

richten, wie e8 um Girfifen eine Geftalt hätte“. Aber fie er- wirkten fchließlich doch nur, daß ihnen ein Aufihub für ihre Huldigung auf drei Jahre gewährt wurde (13, Januar 1460); au einer Art Vorhuldigung mußten fie fich durch eine eigene ſtädtiſche Gefandtichaft bequemen. Es war das Werk Papit Pius’ und jeiner eigens zu diefem Zwecke nad; Breslau und Prag beorderten Zegaten. Und Georg Eonnte fich nunmehr rühmen, da in feinem weiten Reid) feine Landſchaft und feine Stadt mehr beftünde, die feine Herrſchaft nicht anerkannte. Er aber zögerte noch immer jenen legten Schritt zu tun, den er in feinem Eid verſprochen hatte und auf den der Papft nun- mehr ficher rechnete. Am 12. September 1460 fchrieh er dem Bapfte: „Die Ihuldige Ehre, Achtung, Unterwerfung und den vollen Gehorfem, die wir bei unferer Erhebung eurer Heilig- feit und der heiligen römischen Kirche durch eidlichen Schwur geleiftet haben fie wollen wir unvberbrüchlich eurer Heilig- feit nad) Art hriftlicher Könige bewahren, wie wir fie durch unfer königliches Wort verfprochen haben. Jenes ſchon längft gegebene Verſprechen zu erfüllen, haben wir im Geifte beſchloſſen; aber der ſchwere Lauf unferer Angelegenheiten, der eurer Heiligkeit nur zum Zeile befannt ift, erlaubt ung nicht unfer @elübde einzuhalten; wir fuchen in Frieden und ohne ſchwerere Verwirrung unferes Reiches nad) einer Gelegenheit, um der Schledtigfeit der Menfchen und Zeiten bei der heiligen Wiedereinführung des Glaubens nicht mit den Waffen, jondern mehr mit Rat und Klugheit zu begegnen.”” Er führt ala ein Hindernis die herrfchende Zwietracht der Barone und Adligen an, die vor feiner Zeit entitanden jei. Er bittet den Papſt dringend (obnixe), feinen etwaigen Unmut zu mäßigen „und gegen ung und unfer Reid, die wir den apoftolifchen Befehlen ſowohl gehorchen als zu gehorchen ſtets bereit find, nicht daß zur Ausführung bringen, was uns durch den Gejandten an- gedroht wurde”. Er verſpricht, feine Botſchaft behufs „feier- Ticjer und öffentlicher Obedienzerflärung” fpäteftens big zum 2. Februar 1461 „mit voller und ausreichender Vollmacht zu den Füßen eurer Heiligfeit” zu entfenden, die „alle Schuldig- keit nad) Art unferer Vorfahren, der Könige non Böhmen, und der übrigen hriftlichen Fürſten erfüllen werden”.

112 Dritter Abſchnitt.

Der Papft konnte nad) ſolchen Berfiherungen und nad) dem Dienft, den er ihm bei den Breslauern erwieſen hatte, nicht zweifeln, daß die Angelegenheit in Rürze günftig er- Iedigt jein würde, umſomehr als auch die Frage der deutſchen Königswahl Georg ganz auf den Papſt hinwies. Aber die fo beſtimmt zugeſagte böhmiſche Geſandtſchaft Fam wiederum nicht. Man arbeitete vielmehr in Prag eine merkwürdige Denkſchrift für den Papſt aus, die den Titel führt: „Die Unter- richtung des Handels, der bei unferm heiligen Vater den Papſt bon unfereg gnädigiten Herrn, des Königs zu Böhmen, wegen iſt fürzunehmen“.° Wenn ſie auch, wie es ſcheint, nicht in die Hände Papft Pius’ gelangte, da fie von den Ereigniffen über- holt wurde, fo gewährt fie doc den beiten Einblid in die ge- beimen und wahren Xriebfräfte der Politik Georgs in jener Zeit. Der Grundgedanke, den die Schrift verfolgt, geht dahin, den PBapft zu überzeugen, daß e8 feine Pflicht fei, aber auch ihm nur zu eigenem Nutzen gereichen Fönne, wenn er dem böhmischen König borerft zur deutichen Königswürde verhelfe. Er geht auß von der der ganzen Chriftenheit drohenden Türkengefahr, die auch den Papſt damals in bollitem Maße beichäftigte. Der Ungarnkönig Mathias fo führte die Denk - ſchrift aus könne ohne die Hilfe des Reiches den Türken nicht Iange mehr Widerftand leiften, das Reid) aber werde feine Hilfe leiften, bevor nicht darin Friede herriche. Und der Kaiſer „nit allein fein $riede madjt, fonder auch zu mehrer Auf- ruhr Urfach gibt”. Daher müffe „das Reich mit einem andern Regierer verſehen werden, der gevorchtig (gefürchtet), mächtig, großmutig und zu dem Fried im Neid), au) dem Zuge an (gegen) die Türfen geneigb jei”. Der König bon Ungarn habe ihm, @eorg, bereit3 nahegelegt, fi) um die deutſche Krone zu bewerben, da er „bas (beffer) dann jemand in der Chriften- heit die Sachen löblich vollenden und handhaben” Tönnte; er (Georg) fei, „baft (ehr) geforcht, großmächtig vernünftig, zu dem Fried in dem Reich geneigt”, fein Reid) ſei günftig gelegen, er jelber mit den Fürften von Ungarn, Polen, Öfter- reich, Bayern, mit einigen Kurfürjten und mächtigen Städten deg Reichs durch Erbeinigungen, Lehensband, Verſchwägerung

Gas Königtum-Georgs von Kunſtadt · Podiebrad. 118

(„Heiraten“) in folden Beziehungen, „daß fie auf ihn mehr dann feinen anderen Fürften ein Auffehen haben und fid) auch nad) ihm mehr dann niemand anders halten und richten“.

WIN alfo der Papſt den Chriftenglauben und Ungarn vor den Xürfen retten, „jo muß er bor allen Dingen jemand dorzu ordinieren, der bollen Gewalt und Macht Hab, Fried und Einigfeit und was dorzu not ift, im Reich zu maden, den zu

. handhaben und den chriſtenlichen Zug zu bollbringen“; denn fonft fällt in diefer oder jener Meife Ungarn den Türken anheim und dann werde der Türke jo mächtig fein, daß er das römische Reich „leichtiglich auch unter ſich pringen mug“.

Um nun den Papſt für diefen Königsplan zu gewinnen, verrät ihm Georg, daß er, der Papft, ernite und gefährliche Gegnerjchaften habe, einerfeit3 unter den deutfchen Kurfürſten, aber auch anderwärt3 (Tirol, Sizilien); „aus dem allen berftee der Papſt wohl, was ernſt gegen ihm fürgenommen wird“. Die ſechs Kurfürſten jeien bereits feit mit einander verbunden, nur er, Georg, der fiebente, „der oberfte Kurfürft“, wie er fi wiederholt hier nennt, habe ihrer wiederholten Aufforderung ſich ihnen anzuſchließen, noch nicht willfahrt, ‚vielmehr fie zurückzuhalten verſucht, „dem Papſt zu gut”. Wenn aber der Papſt das Reich „mit einem Negierer verficht, der ſich nad) feiner Seiligfeit richtet, jo iſt die Sad) alle geſprochen und würdet (würde) der Kurfürſten Einung auch zerrütt“; der Papft wiſſe ja wohl, was ſolche Einigungen bedeuten, wenn eine „Obergemwalt“ eingreift.

Damit aber der Bapft „noch gruntlicher veritee”, daB Georgs Anerbieten ſowohi eines Kreuzzugs gegen die Türken, als der Herftellung der Ordnung im deutſchen Reich „aus einem guten Herzen komme“, folgt die ausdrüdliche Erklärung, Georg brauche ſich eigentlich um alle dieſe Dinge nicht au kümmern, „ihm in feinen Weg not wär, fi) in eine Unrue und Arbeit zu geben”. Habe ihm doc Gott die Gnade getan, baß er das Königreich Böhmen, „das dann vaft lang Zeit her mit Kriegen und Aufruren beladen und befümmert und des Friedens und der Gerichte entſetzt und beraubt geweſen ift“, binnen Jahresfriſt zu Friede und Einigfeit gebracht habe, „daß

Wrethols, Geld. Böhmens u. Mährens. IL. 8

114 Dritter Abſchnitt.

ein jeder bin und herwider dorinnen und dodurd) friedlich und fijer wandern und Rechten... . befommen mag .. .“. Da- her glaube und hoffe er, daß er auch die anderen Sachen, den Zug gegen die Türken, die Reichgangelegenheiten und allem voran die Erhaltung des Anſehens des heiligen Stuhls in Rom, derart durchführen werde, „daß feiner Heiligkeit und ihm die Ehre und Lob durch Gott vorbehalten fei, daß fie Beſchützer und Schirmer des heiligen Chriftenglaubens, des. Beiligen Stuhls zu Rome und de heiligen Reichs geheißen und gehalten werden”.

Wenn ihm dann der Papſt in der Frage der Ernennung eines Erzbiichofs für Prag und in der Entjendung eines Regaten entgegenfomme, der mit ihm gemeinjam einen Weg einſchlage, „dodurd ohne Plutvergieffung ein Einigkeit des Glaubens im Konigreich furgenommen werde” .. .., fo wolle der König dem Papſt „offenlid, Obedienz und Gehorfam tun, inmaffen fein Vorfahren, Kunig zu Beheim, getan haben“.

Er ſchildert ihm damn die Vorteile eines gemeinfamen Vor- gehens in allen großen und kleinen politiſchen Fragen im ein- zelnen, ebenfo wie die Gefahren für das Papfttum, wenn e8 zu diefer Einigung nicht käme.

Wenn aber der Papft im Grunde Geneigtheit zeige, dann folle man ıhm erflären, daß ſich Georg mit einem bloßen Titel, Gubernator, Coadjutor, Vikar, Präfident oder NRegierer des Reichs, oberfter Hauptmann wider die Xürfen oder Confer- bator und Handhaber des Reichsfriedens, nicht zufrieden geben könne; vielmehr fei „hart darauf zu dringen”, daß Georg „rönuſcher König“ würde, denn nur im Belike diefes Titels tönne er „Ehr, Gehorfam und Volg (Folgjamkeit) im Reich erlangen“; höchſtens „vorläufig“ könne man einen beſcheide- neren Titel in Verhandlung ziehen. Als römiſcher König würde er dein Papſte „offentlic Obedienz und Pflicht tun, wie einem romiſchen König zu tun gebührt“; er würde den Nurfürften nicht geitatten, „in ein concilium ober. pragmatica fanctio“ zu willigen, wie gegen den Papſt geplant jei; er würde nicht „furnehmen“ laſſen, „dodurch den Papft einicher- lei Strung an feiner Obrigkeit beſchehen möcht”; er würde

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fi) in nichts „von feiner Heiligfeit nit trennen noch ſcheiden laſſen in feinen Weg“. Sodann werden die Mittel angegeben, wie der Kaiſer zur Anerkennung einer ſolchen Ernennung Georgs zum deutichen König zu bringen wäre in Frieden oder mit Gewalt. Zum Schluß verpflichtet fi der König, alle von den Kurfürften bereit3 geplanten Sufammentünfte du verhindern oder mindeftens bis zum 24. Auguft 1462 (Bartholomäustag) verſchieben zu laſſen, „bis der König ſein Sad) bei dem Papſt und Kaiſer, wie vorſteht, ausgetragen hab“.

Wir jehen aus diefer „Unterrichtung“ ar, wohin das Schiff des utraquiftiichen Böhmenkönigs fteuerte: zu einem Bündnis mit dem Papfte gegen alle: Kaifer, Reich, Rurfürften. Um den Preis, daß ihn der Bapft sum deutichen Könige mache, war Georg bereit, überall und in allen politifchen Fragen mit der Rurie Hand in Hand zu gehen; vor allem auch das hufli- tiſche Böhmen wieder zurüdzuführen in den Schoß der all- gemeinen fatholifchen Mutterkirche. Und hier wurde auch der Anfang gemacht, um dem bereits mißtrauifchen Papfte nicht bloß durch Worte, fondern durch Taten den guten Willen des Königs zu bezeugen.

Zu Beginn des Jahres 1461 begannen in Böhmen religiöfe Verfolgungen der in Böhmen beftehenden zahlreichen Seften wir ſprechen noch in anderem Bufammenhange davon insbefondere an der Prager Univerfität gegen Studenten und Lehrer, wie e8 ausdrüdlich heißt: „auf Befehl der königlichen Majeftät“.”* Noch bezeichnender für die Lage mar daß wieder- holte Vorkommen von Rekatholifierungen” und die erniten Verhandlungen mit den Aöligen wegen Rückgabe der geift- lichen Güter, die fie fi in den Huflitenfriegen angeeignet hatten. Am Gründonnerstag (2. April) 1461 wagte eg dann Biſchof Joſt von Breslau im Prager Dom König Georg meilte allerdings in Nuttenberg zu predigen „gegen den Kelch“. Das rief aber unter den Orthodogen fofort „einen großen Sturm gegen den dicken Biſchof“ berbor, jo daß er Prag lieber verließ und fich eiligft zum König nad Kutten- berg begab.*! Georg lernte an diefem Ziwiichenfall die Grenzen feiner Macht in Böhmen kennen. Die freiwillige Preisgabe

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bes Kelches war ſchon in Prag nicht zu erreichen, fo lange er nicht deutiher König war. Georg ftand in Gefahr die böh- miſche Krone einzubüßen, zum mindeiten einen ſchweren Bür- gerkrieg berborzurufen, wenn er noch länger über feine Stel- lung zum Utraquismus im Zweifel ließ. Es blieb ihm nichts übrig, als vor den zum Landtag in Prag verfammelten Stän- den am 15. Mai „ein feierliches Gelübde über die unverjehrte Erhaltung der Kompaktaten“ abzulegen und es in einer eige- nen Urfunde niederjchreiben zu lafjen.’*

Mit diefem Belenntnis brad, aber der ganze an ſich über- aus Fühne Königsplan jäh zuſammen. Nur nod) als Schred- mittel gegen den Kaiſer oder die Fürften taucht er gelegent- lich auf" Mit dem Papſte Zonnte darüber nicht mehr verhandelt werden. Allein Georg gab die Hoffnung noch immer nicht auf. Denn ſcheinbar erfuhr ſeine Stellung im Reiche und im Rate der Fürſten zunächſt noch keine weſentliche Schwächung. Überall bedurfte man des jo mächtigen Böhmen- Tönigs; „überall waren die Böhmen mit“, jagt der Breßlauer Chronift. Diefe feine Verftridung mit allen Angelegenheiten des Reichs, die dadurch gegebene Möglichkeit Hier zu ver- mitteln, dort Srieden zu ſchließen, hier „die Fehde zu zunden, dort fie auszulöſchen“, ficherte ihm auch weiterhin noch hohes Anfehen und Einfluß. Darauf baute er; er wurde fid) gar nicht bewußt, welche ſchwere Niederlage er in Wirklichkeit bereits erlitten hatte. Am 11. Dezember 1461 ſchrieb er ſcheinbar ganz unbefangen dem Papſt über diefe feine Tätigfeit in der Iekt- vergangenen Zeit; „wir haben weder Arbeit, noch Wachſamkeit noch Fleiß geipart, um all diefe Kämpfe und diefe gräßlichen (atroeissimas) Schlachten zu dem den Sterblichen gewinfchten Frieden zu führen“* Er fühlt fi) als der Friedensbringer überall. „Noch dauert die alte Zwietracht und das vor langer Zeit entftandene große Wirrfal zwiſchen Polen ‚und Preußen leider Gottes an; ... aber wir haben unfere Gefandten ſchon an beide Xeile gefandt und mwenigitens von einem, dem preu- Bifchen Ordensmeilter, haben wir ſchon die Vollmacht zu unter- handeln .. .“. „Und alles dag tun wir bloß, um dem all- mächtigen Gotte und der ganzen triumphierenden Kirche Lob

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und Ruhm zu mehren, damit eure Heiligkeit ind der erhabene Kaiſer, die als Spigen und Häupter bon Jeſus Chriftus auf Erden eingejeßt find, Namen, Ruhm, Sieg vermehren, bie Kirche und das Heilige Reich wachſen und geflärft werden“. Und alle diefe ſchönen Worte hatten nur den Zwech feine Ge- fandtichaft anzufündigen, die er „wegen Serftellung der Einig- keit im Glauben in unferem Königreid, abzufenden im Begriffe ſtand. Am 10. März langte fie in Rom an; fie beitand aus dem Ranzler Prokop von Rabenftein, einem Katholiken, Sdenko Koſtka von Poſtupitz, Georgs allergetreueftem Anhänger, einem Hufliten, aus zwei utraquiltifchen Theologen Wenzel Wrbensky und Wenzel Koranda, und Wolfgang Forchtenauer, einem Taiferlichen Gefandten, der fi in Wien angefchloffen Hatte. Die Geſandtſchaft Fam, um, wie es nad) dem Vorfall vom 15. Mai 1461 nicht ander3 mehr möglic war, die Beitätigung der Kompaktaten zu erlangen; ein ausſichtsloſes Beginnen, da fi) in den Händen des Papftes der Eid König Georg und das Zeugnis über feine „Abſchwörung des Irrglaubens“ befand. Der PBapft, der einftmalg über Georg geurteilt hatte, er jei zwar „mit dem Jertum der Huffiten behaftet, aber ſonſt ein Verehrer des Rechten und Guten,... mehr getäufcht al ſtarrſinnig“, fol in diefen Tagen ſich über ihn geäußert haben, er fei „ein halber Ketzer, ſchlecht vom Nefte aus, man könne ihm feinen Glauben ſchenken.

Die Verhandlungen führten denn auch zu feinem Biele weder in vertraulichen Beſprechungen noch in der feierlichen Audienz, die an 20. März ftattfand und in der der Papſt den Gefandten felbft antwortete und zwei Stunden lang fprad). Er verlangte die Verzichtleiftung auf die Basler Kompaktaten von feiten König Georgs im Namen des ganzen böhmifchen Volkes, während die Gejandtichaft gefommen war, um beren Beſtätigung durch den Papſt zu erbitten. Hier ließ ſich Feine Brüde ſchlagen. Und um feine Entſchloſſenheit klar Zund- zutun und Georg jede Hoffnung auf eine Umftimmung der Kurie jegt oder jpäter zu nehmen, erklärte Papſt Pius II. am 31. März in öffentlidem Konfiftorium vor 4000 Menichen und auch in Anwefenheit der böhmiſchen Gefandten die Kompak-

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taten, weldye das Basler Konzil den utraquiftifhen Böhmen augeftanden hatte, für vernichtet und Fraftlos. Dazu fam nod) unmittelbar darauf die Veröffentlichung des Eides, den Georg bor feiner Krönung geleiftet hatte, in vollem Wortlaut mit- jamt den Briefen, die der Kardinal Carvajal aus diefem An- laß dem Papfte Caligt III. gefchrieben hatte, die nun all- gemein berbreitet wurden.

Die Boten des Böhmenkönigs erfannten die ernfte Lage, in die ihr König nunmehr gerate und regten die nochmalige Abfendung eines päpftlichen Zegaten nad; Böhmen an, der vielleicht doc noch von Georg jene BZugeftändnifle erwirken könnte, die fie zu machen nicht die Vollmacht befaßen. Der Papſt ftimmte dieſem Iekten Friedensverſuche bei. Er betraute mit der Aufgabe Fantinus de Valle, der eigentlich da3 Amt eines Unterhändlerg Georgs in Rom verjah und nunmehr von Pius II. auch zum außerordentlihen Gefandten aus- erjehen wurde. Der König weilte in politiichen Geſchäften, die mehr Sachſen, Brandenburg und Polen als Böhmen betrafen, außer Landes. Aber auch als er Mitte Juni nad) Prag zurüd- Tehrte, 30g er die Verhandlungen mit Fantin nicht ohne Grund binaus. Ihn befchäftigte damals ein neues überfühnes Projekt, das ein franzöſiſcher gefchäftlicher und politiſcher Abenteurer, Antonio Marini von Grenoble, erfonnen hatte, wie früher den deutichen Königsplan der landshutiſche Kanzler Doktor Mair. Georg follte mit dem franzöſiſchen König Ludwig XI. an die Spige eines europätfchen chriſtlichen Fürftenbundes treten, deſſen Hauptaufgabe die Vertreibung der Osmanen aus Europa und die MWiedereroberung Konftantinopels zu bilden hätte.” Der Papſt und der deutſche Kaiſer follten dabei um- gangen, Frankreich zur Vormacht im Weiten, Böhmen im Dften Europas erhoben, Georg vielleicht gar zum Kaiſer bon Byzanz gemacht werden. Dann hätte die römiſche Kaiſerwürde nicht mehr Tage, auf fi) warten laſſen und einen Kaiſer von Byzanz uni Rom würde der Bapit kaum mehr geivagt haben, an feinen Eid zu erinnern und ihn als Ketzer zu verfolgen.

In folden Träumen Iehte der König, als er ſich entſchloß, den Kampf mit dem Popfte aufzunehmen. Für den 12. Auguſt

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1462 war nad) Prag ein Landtag einberufen, auf dem zu aller- erit Bericht über das Ergebnis der letzten Geſandtſchaft nach Rom erjtattet wurde. Daran ſchloß ſich unmittelbar eine lange Rede des Königs, die mit den Worten begann: „Wir wundern uns, was der Papft tut. Will er etwa wiederum diefes Reich, das kaum durch die Kompaktaten geeint und zur Ruhe gelangt ift, fpalten und zu den Waffen drängen? ... Der Papſt Hagt uns an, daß wir den bei unferer Krönung geleijteten Eid nicht genüge tun. Wir werden ihn euch vorleſen ...“ Und aus dem Wortlaut folgerte er und fuchte zu beweifen, daß er nur geſchworen habe, alle Härefien in Böhmen zu vernichten, daß er aber nie zugeben werde, daß die Kompaktaten zu Häreſien geitempelt werden und daß er fie abgeſchworen habe. Er ſchloß: „Wiſſet denn für gewiß, daß, da wir in diefer Kommunion (unter beiderlei Geſtalt) geboren, erzogen und in ihr nad) Gottes Willen zu diefer Föniglichen Würde erhoben worden find, wir deshalb auch geloben, fie feſtzuhalten, zu verteidigen und mit ihr zu leben und zu fterben...... Und wir glauben, daß e3 feinen anderen Weg des Seelenheils gibt, als mit den Kompaktaten zu fterben und die Kommunion sub utraque anzuwenden nad) der Feftfegung des Erlöſers“. Daß aber ſeinerzeit Georg nicht nur bon Häreſien geſprochen hatte, fondern aud) „bon anderen der heiligen römifchen Kirche und orthodogen Lehre entgegenitehenden Artikeln”, darunter die Darreihung des Kelches eben auch verftanden werden konnte, wurde leichthin übergangen. Auf die Schlußfrage des Königs, ob alle anmefenden * Herren ihm, fall® er der Kompaftaten wegen mit jemandem in Streit und Krieg geriete, beiftehen würden, erfolgte fofort die Scheidung der Landtagsteilnehmer in Utraquiften und Katholiken. Nur jene erklärten fich bereit mit Leib und Gut zu helfen; diefe lehnten die Kompaktaten ab und verlangten für fi) dag gleiche Recht, in dem Glauben zu leben und zu fterben, in dem fie geboren feien, d. h. in der Einheit mit der römischen fatholifhen Kirche. Im übrigen verpflichteten fie fich alles zur Ehre des Königs und des Reichs zu tun und ihn zu unterftügen. Am folgenden Tage fam der Legat zu Wort.

120 Dritter Abſchnitt.

Seine Darlegungen führten zu einem ernften Wortgefecht zwiſchen ihm und dem ungemein aufgebrachten König, das tagsdarauf einen bedenklichen gewaltſamen Abſchluß fand. Fantin, der unverleglide päpftliche Legat, wurde verhaftet, der Kanzler Rabenftein, der die Gefandtichaft nad Rom geführt hatte, feines Amtes enthoben, fo daß die Fatholifchen Herren in bolliter Beſtürzung Prag verließen.

Der Biuch zwiſchen König und Papft mar vollzogen. Gleichwohl Fam es vorderhand noch zu feinem Kampfe. Der Papſt fand nicht den mächtigen weltlichen Arm, der fi ihm biefür zur Verfügung geftellt hätte. Georg nahm insbeſondere unter der. deutfchen Fürften angefichts ihrer gegenjeitigen Ber- fplitterung und Berfeindung eine fo maßgebende Stellung ein, daß e3 niemand gewagt hätte, ihn anzugreifen.. Als e8 im Herbſt diejes Jahres wiederum zu einem ernten Krieg zwiſchen Herzog Albrecht VI. und feinem Bruder Kaiſer Friedrich III. Fam, die Bürgerſchaft Wiens fid, auf Albrechts Seite ftellte und den Kaiſer in feiner Burg belagerte, war es doc bon allen Fürften des Reichs der Böhmenkönig allein, der eine Heeresmacht von über 20.000 Mann aufbringen und dem Kaiſer zur Unterftügung zuführen konnte. Auf biefe

Weiſe erzivang er den Frieden zwiſchen den feindlidjen habs- burgifchen Brüdern. Diefer neue Freundſchaftsbund zwiſchen Sriedrich III. und Georg band auch dem Papit die Hände. Am 31. Dezember 1462 jchreibt Papft Pius II. an den Kaiſer in entgegenfommendfter Weife: er nehme zur Kenntnis, daß er, der Raifer, feine einzige Hoffnung auf den Böhmenkönig ſetze, „daß diefer allein die ſchlechten Wiener bändigen und ihm die Freiheit wiedergeben könne“. Wenn der Raifer mit Rücficht darauf ihn, den Papft, bitte, Feine geiftlichen Strafen gegen Georg zu berhängen, trogdem er ſich als Häretiker erflärt babe, jo fönne der Papſt nur jagen: „Oh unfelige Beit, in der wir leben. Armes Deutichland, bejammernswerte Chriftenheit, deſſen Kaiſer nur nod) von einem häretifhen König geſchützt werden fann ... Und wenn wir es auch für unbillig halten die Anmaßung eines Häretikers nicht zu zügeln, noch unbilliger erſchiene e3 ung, dir in ſolchem Unglüd nicht beiguftehen . . .

Das Königtum Georg von Kunftabt-Rodiebrad. 121

So haben wir denn das Haupt geneigt und deinetivegen bie gegen den Böhmen ſchon befchloffenen Strafen aufgehoben.” Die gange Ohnmacht des deutichen Reiches in jener Zeit Ipricht aus diefen Worten; bor ihr ſchien fi) auch das Papittum beugen zu müffen, fie war e8, die Georg vor der gefährlichen Bedrängung durch die Kirche ſchützte. Aber nur für kurze Zeit. Die Kirche Fonnte und durfte nicht aus politiſchen Rüdfichten von ihren Grundfägen, Häreſien nicht zu dulden, zurückweichen. Noch in den letzten Wochen feines Pontififates, als ein ſchwerſiecher Mann faßte Pius II. den Entſchluß, den wider- fpenftigen Böhmenfönig niederzuringen, nicht zuletzt auf das Drängen der Breslauer Bürgerihaft Hin, deren Hab und Feindſchaft gegen Georg durch all die Jahre mit ihren Wand- lungen unverändert geblieben war.

Am 16. Yuni 1464 erfolgte in einem öffentlichen Konfifto- rium in Rom die Eröffnung des geiftlichen Progefjes gegen den ketzeriſchen Böhmenkönig nad) Verkündigung aller feiner Vergehen und feine Borladung bor den päpftlicden Stuhl hinnen 180 Tagen.’ Zange bevor die Zeit abgelaufen war, am 14, Auguft erlag aber der Papit feinem Leiden. Sein Nady folger Paul II. getvählt am 30. Auguſt, mit der böhmifchen Frage wenig bertraut, fand vor einem ſchweren Zwieſpalt. Einer jeiner eriten Ratgeber, der Kardinal Carbajal, der jeit einem Jahrzehnt und länger die böhmifche Frage verfolgte, den Papft Pius II. aud) in die Kommiffion wegen Führung des Prozeſſes gegen König Georg ernannt hatte, ein Mann von höchſtem Anfehen in kirchlichen Kreifen, nahm bereits den Standpunft ein, „daß es unerläßlic; werden dürfte, die

- Wunden, die fein Heilmittel annehmen, mit dem Eifen zu behandeln und die faulen Glieder zur Verhütung einer giftigen Anſteckung bon dem Leibe der heiligen Kirche Lieber gänzlich wegzuſchneiden“.“ Anderſeits machten ſich beim Vapſte fremde Einflüſſe zu gunſten Georgs geltend. „Auf Bitten verſchiedener Fürſten“, wie er ſelber ſpäter erflärte, „bie auf die Umkehr Georgs ſicher hofften“, ſtellte der Papſt den von ſeinem Vorgänger eingeleiteten Prozeß wieder ein, bot neuerdings zu friedlichen Verhandlungen ſeine Hand, die

122 Dritter Abſchnitt.

in Wiener-Neuftadt vor dem Kaifer Anfang des Jahres 1465 geführt wurden, aber wiederum ergebni8los verliefen. Im Auguft ftand man foweit wie bor einem Jahre: Georg wurde aud) vom Papite Paul II. nad; Rom vorgeladen und troß neuerlicher Verſuche, Georg mit der Kurie zu berföhnen, die bon Herzog Ludwig bon Bayern im November unternommen wurden, erfolgte {don am 8. Dezember der zweite Schlag von feiten des Papftes: er entband alle Untertanen Georgs ihrer Eide gegen den König und verbot ihnen jedweden Verfehr mit ihm, jede Zeilnahme an deſſen Verfammlungen, Kriegszügen und anderen Unternehmungen.” Dieſe Verfügungen er- ſchienen um fo ernfter, als unmittelbar zubor, am 18, Nobem- ber der Zatholiiche Adel Böhmeng und Mährens fi unter der Führung Bilchof Joſts bon Breslau und Sdenkos von Sternberg, des einftmaligen madjtvollen Anhängers Georg, zu einem Serrenbund (Grünberger Bund) für fünf Jahre geeinigt hatte, zum Schutze jedes Mitglieds, das vom König angegriffen würde. Am 23. Dezember 1466 wurde über ihn der Bann ausgejprochen, Am Gründonnerstag, %. März 1467, erfolgte feine Berfluhung mitfamt jeiner Familie und feinem ganzen Anhang; furdjtbare Verfügungen in jener Zeit, die da3 ganze politifche und öffentlidje Leben eines Volkes zum Stillftand bringen konnten. Wenn fie zunächſt ohne ſichtbare Wirkung blieben, jo lag das daran, dat wie früher Pius II., fo jet Papſt Paul II. unter den deutichen Fürften niemanden fand, der Krieg mit Böhmen gewagt hätte, am wenigften der Kaiſer, der ſich kaum feiner eigenen aufrühreriſchen Bafallen in Oſterreich zu erwehren bermodjte, und dab Georg in Böhmen, Mähren und auch in Schlefien nicht nur an utra- quiftifchen fondern auch an Fatholifchen Adligen und Städten treuergebene Anhänger beſaß. Der böhmiiche Herrenbund, das ftets Tampfbereite Breslau, der Olmüßer Biſchof Protha- fius und eine Anzahl deutſcher und Fatholifcher Städte in Mähren reichten nicht aus, um König Georgs Tage in feinem Reihe ernſilich zu gefährden. Der Nleinfrieg, den fie begannen, konnte feine Entſcheidung bringen. Das Neid aber, das zeigte ſich deutlich auf dem am 14. Juli 1467 eröff-

Das Königtum Georgs von Kunftabt-Bodiebrad. 128

neten Reichstag in Nürnberg, verjagte fi) dem Kaiſer und dem Rapfte für den böhmifchen Krieg. Dagegen fand ſich zu ihrer Unterftügung bereit König Mathias von Ungarn, der zweite Wahlfönig jener Zeit, der Schwiegerjohn Georgs, den aber berwandtichaftlie Bande umſoweniger hemmten, als feine Gemahlin, Georgs Tochter, Katharina drei Jahre zuvor, 1464 geftorben war. „Girſik erfchraf, wann er hatte ſich aller deutſchen Fürſten und etlidjer Könige, da er arges bermutete, gefihert, und uf diefen Mathiam hatte er Feine Sorge, achtete fein nichts”; fo Fennzeichnet der Breslauer Chronift die Über- raſchung, die diefe Wendung im Kampfe verurfachte. Die wahren Gründe, die den Ungarnfönig beranlaßten einzu- greifen, kennt er nidjt, auch andere Quellen enthalten wenig darüber; e8 mögen wohl bedeutfame Verſprechungen geweſen fein, die ihm die Kurie gemacht hatte; Hoffnungen und Pläne ähnlich jenen, mit denen ſich Georg eine zeitlang gejchmeichelt hatte, deutſche Königs- und Kaiſerwürde, Weltherrichaft.

Bir wiſſen nur, daß Mathias in einem Schreiben vom 2. Oftober 1465 Papſt Paul II. verfiherte: „Eure Heiligkeit gebietet mir jchriftlich, den apoftolifchen Prozeſſen gegen Georg, der ſich König von Böhmen nennt, Gunft ... . und tätigen Beiſtand zuzuwenden ... Ob e8 gegen die Böhmen, ob es gegen die Türken gilt, immer find Mathias und feine Ungarn bereit, und foweit meine und meines Reiches Kräfte reichen, bleiben fie eurer Seiligfeit und dem apoftolifchen Stuhle vor allem ergeben”.

Georg nahm den Kampf auf, wenn er aud) daneben Auß- gleichs · und Vermittlungsverfuche mit dem Papfte in feinem Namen faft ununterbrochen führen ließ. Wichtiger mar, daß er damals den entſchloſſenſten und leidenſchaftlichſten Kämpfer gegen päpftliche Ubermacht in feine Dienfte rief, Gregor Heint- burg, den einftmaligen Syndifus des Nürnberger Rats, der ihm nun ein gefährlicher Berater wurde, wie früher einmal Martin Mair oder Marini. Aber alle feine Manifeite zur Verteidigung der „Ehre und Unſchuld“ des Böhmenkönigs, der von Rom ärger behandelt werde, „al der Brudermörder Rain und die Sodomiten“, feine leidenjchaftlichen Anklagen

124 Dritter Abſchnitt.

gegen das Papfttum und den Papſt hielten diefe nicht mehr zurück, das geiftliche Strafgeriht gegen Georg zu vollenden.

Am 31. März 1468 erfolgte die Kriegserflärung von feiten des Ungarnfönigs und binnen kurzem war Mähren und Schleſien für den Böhmenkönig verloren. Mitte Februar 1469 lagerte Mathias mit feinem Heer bereit3 vor Chrudim. Weiter vorzudringen war ihm aber nidyt möglich, weshalb er ſich nicht ungern auf Verhandlungen einließ. Der Vertrag von Wilemow, den die beiden Könige perſönlich am 28. Februar abſchloſſen, ſicherte Mathias folde Vorteile, daß er fi nicht nur in Mähren behaupten Eonnte, fondern fogar am 3. Mai 1469 in Olmüg zum König von Böhmen wählen ließ, dafelbft die Suldigung der mähriſchen Stände und im folgenden Monat die der fhlefiichen in Breslau, der alten Todfeindin Georg8, entgegennahm. Georg Fonnte es nicht verhindern.

Darmıf entbrannte der Krieg von neuem; ein wirrer jahre- langer Krieg, „der noch biel graufamer geführt wurde" beißt eg in einer gleichzeitigen Schrift vom Jahre 1469 „als es bei dein früheren, der ſchon fo wild geweſen, der Fall mar“. Ein Entſcheidungskampf war nicht herbeizuführen. Die Unflarheit der Beziehungen der beiden Gegner zu den benach -

. barten Fürften, zum Kaifer, zu Polen, zu den deutfchen Kur- fürften, die Unentfchlofjenheit der Kurie, die Kürfengefahr, Zwiſchenfälle verichiedeniter Art, die die parteipolitiſchen Verhältnijje immer ins Schwanken bradjten, Tießen auch das Zünglein an der Wage nicht zur Ruhe fommen. Zangfam, aber noch gang unficher jchien fi) fogar Georgs Lage ettva feit Beginn des dritten Kriegsjahres zu beifern, al3 er nad) kurzer Krankheit am 22. März 1471 ftarb. Einen Monat zuvor war dohann von Rofikan, das ewig mahnende utraquiſtiſche Ge- wiſſen Georgs, vom Tode ereilt worden. Zwei dem unaufhalt- famen Chidial Böhmens trogende Kämpfer hatten, einer höheren Gewalt mweichend, da8 Feld räumen müffen.

Sn einem berühmten Geſpräche, das einige hohe böhmifche Adlige und Geiftlihe im Jahre 1469 inmitten der Kriegs- wirren, die im ganzen Lande herrfchten, über die Lage des Vaterlandes führten, wandte Sdenko von Sternberg, der einft-

Das Königtum Georgs von Kunſtadt⸗Podiebrad. 125

mals als eriter vor König Georg dag Knie gebeugt hatte, um ipäter fein verbifjenfter Gegner zu werden, auf diefen das Vibelmort an: Auch wenn man wie ein Adler emporfteigt, ftürzt man durch einen Windhauch.“ Seine Lage mag damals darnad) ausgejehen haben und bor allem war: es ber Wunfch des Sternbergers, dem man nachjfagte, daß er jelber nad) der böhmiſchen Königskrone ftrebe, und feines mächtigen Anbangs, Georg vollitändig zu Fall zu bringen. Das gelang nicht. Er hat bis an fein Lebensende die Herrſchaft wenigſtens im Lande Böhmen behauptet. Allein, welches Elend hatte er über feine Heimat gebradjt. Diejelbe Schrift jagt einmal: „Wir lefen in den Geſchichtsbüchern jo mande ergreifende Schilderung mienſchlicher Unfälle; ſchrecklichere als die, melde unſer Land jeßt betroffen haben, finden wir nicht, ... nicht in Sagunt ... Babylon ... Tıoja... Rom... Serufa- lem... Das Verderben Böhmens ift im Vergleiche zu dieſen biel größer“, Und an anderer Stelle: „Unfere älteren Leute, die es nod) im Gedächtnis haben, ... befennen, daß jo lange die grimmen Xaboriten im Lande fehalteten, Fein ſolches Wüten mit Feuer und Schwert zu jehen war”. Sie ſpricht bon „io viel Raub, Mord, Brand, Klofterzeritörung und Sungfrauen- ſchändung ... Ermordung bon Säuglingen, bon Nieder- brennung ganz katholiſcher Dörfer, wegen der ſich jo manche Getreue aus Verzweiflung felbft erhängten ...“.

Das war der Ausgang der Regierung Georgs, den neuere Geſchichtsſchreiber gleich neben den größten böhmifchen König, Karl IV., den berühmten „Water des Baterlandes“ ftellen, wenn fie ihn nicht gar voranſetzen, indem fie fein ganzes Weſen auffaffen als „vollite und reinfte Hingabe an das Vaterland“. Dem ftehen aber andere Urteile gegenüber, in denen er als „Typus des politifchen Wbenteurers, der, unbeſchwert durch religiöfe und moralifche Semmungen, nad) den höchſten Bielen ſpäht, des Hazardeurs, dem fein Einſatz zu hoch ift,” bezeichnet wird. „Meifter in allen Waffen“, heißt e8 da weiter, „verbirgt er heute dem Gegner fein wahres Geſicht hinter der Maske demütiger Unterwürfigfeit, überrafht ihn morgen durch zyniſche Ableugnung alles Verheißenen, durch rüdfichtslofe

126 Dritter Abſchnitt.

Gemalttätigfeit, um es übermorgen wieder mit gütlichen Ver- getpcen zu verſuchen, der echte Sohn einer barbariſchen ei.“

Der Sieg der huſſitiſchen Ideen im böhmiſchen Volke hatte die Rostrennung vom Deutſchen Reid) und der römiſchen Kirche bedeutet. Georgs ganzes Streben giñg aber dahin, Böhmen aus feiner politifchen Entfremdung und religiöfen Berein- famung beraußzureißen. Er wollte deutſcher König werden, gleichgültig auf welchem Wege: ob durd; den Kaiſer oder die NRurfürften, mit Hilfe des Papftes oder im Bunde mit dem frangöfifchen Hofe, um geftüßt auf diefe Würde, die trog ihres Niedergangs noch immer etwag galt, Böhmen wieder ein- fügen zu fönnen in den deutichen Reichskörper. Die Krone Deutſchlands follte ihm die Möglichkeit bieten, die kirchlichen Sonderbeitrebungen. Böhmens niederzuringen, die an all dem politifchen, wirtſchaftlichen und kulturellen Elend ſchuld waren. Aber wie einftmalg unter Premyſl Otakar II., mit defien Zeit feine Regierung im glänzenden Aufftieg und jähen Untergang eine gewiſſe Ahnlichkeit hat, war aud) für ihn diefes Biel un- erreichbar, Ein Fürft, der im Innerſten fein. Deutſcher war, wenn er auch das Deutſchtum, wo es ihm nützte, gelten ließ, mit deutſchen Herrſchern fich verband, deutſche Stantsmänner, deutfche Ratgeber und Beamte an fi) 30g, deutſche Städte und Bürger, die ihm Xreue und Ergebenheit bewieſen, förderte; ein Zürft, der fid) vom Huffitismug nicht Iosmachen konnte, wenn er auch dem Katholizisnmus zuftrebte, eine Katholikin zur Frau wählte, in feinem Rat oft faft lauter Katholiken hatte, konnte nicht deutfcher König werden.

Das huſſitiſch· tſchechiſchnationale Königtum Georgs, an dem er fefthalten zu müffen meinte, infolange er feine andere höhere Würde errungen habe, hat die Wirrniffe, in die Böhmen ge taten war, nicht nur nicht befeitigt, e8 bat fie noch weiter vermehrt.

Vierter Abfchnitt.

Der Niedergang des Königreiches durch die politifchen, kichlihen und ſtändiſchen Kämpfe unter Wiadislaw II. and Ludwig I. 1471—1526.

König Georg Tod entfefjelte von neuem, zum fünften Male binnen einem halben Jahrhundert, einen Thronfampf in Böhmen. Herzog Albrecht von Sachſen, Georgd Schwiegerfohn, König Mathias von Ungarn, und Prinz Wladislaw, der fünf- sehnjährige Sohn des Königs Kaſimir von Polen, traten einander als Hauptbewerber gegenüber; jeder beſaß feinen nicht unanfehnlichen Anhang im Lande. Die Entfcheidung fiel au Gunften des Polen aus. Auf einem Landtag, der nicht in Prag, wo fi) Herzog Albrecht bereits feſtgeſetzt hatte, fondern in Ruttenberg abgehalten wurde, erwählte ihn am 27. Mai 1471 die Mehrheit der Stände. Zur feierlichen Krönung auf dem Hradſchin Fam e3 dann am 22. Auguft. Für Wladislam hatte man ſich entichieden nicht nur, weil er von König Georg ſchon 1469 den böhmifchen Ständen empfohlen worden war, fondern bor allem, weil er nad} der alten Thronfolgeordnung tatſächlich als der einzige berechtigte und gejegmäßige Erbe im Königrejd; Böhmen gelten mußte: feine Mutter war eine Urenkelin Kaifer Karls IV. Vor dem ungarifchen König ent- ſchuldigten deſſen ehemalige adelige Wähler ihren ſcheinbaren Treubruch mit dem Hinweis, dag Wladislaw „königlich böhmi- ſchem Blute entſproſſen fei”.t \

Allein Mathias gab den Kampf um die Krone noch nicht, wie Herzog Albrecht von Sachſen, auf. Er trug dod) jeit dem 8. Mai 1469 den Xitel eines Königs bon Böhmen, war im wirflichen Beſitz des größten Teils von Mähren und Schlefien, hatte auch in Böhmen eine Anzahl. Fatholiicher Barone und Städte (Budmweis, Pilſen) auf feiner Seite und konnte ſich vor allem auf feine ftarke ungariſche Macht ftügen. Die Wahl

128 Vierter Abfchnitt.

Wladislaws in Kuttenberg beantivortete Mathias damit, daB er fi) in Iglau am 238, Mai in feierlicher Weiſe durch den pãpſtlichen Gefandten Biſchof Laurenz Rovarella bon Ferrara in Anweſenheit hoher Geiftliher und Adliger aus Böhmen und Mähren in feiner Würde als König von Böhmen beftätigen ließ. Und fon im nädjften Monat nahm er den Kampf auf, der fich zuerſt nur auf böhmiſchem und mähriſchem Boden abipielte, bald aber auch nad) Schlefien, Ungarn, Polen, ja jogar Öfterreich übergriff. Ein wüftes, langwieriges, wenn auch durch Waffenftillftände und Friedensperfuche mehrmals unterbrochenes Kriegstreiben, das den ohnehin elenden Zuſtand der Länder verichlimmerte, von neuem öde Dörfer ſchuf, den Handel, Verkehr, Ackerbau und alle Fulturelle Arbei. untergrub. Cine Entſcheidung vermochte feine der beiden Parteien herbeizuführen. Die Friedensperhandlungen, in die fi fremde Mächte, insbefondere der Kaifer und der Papft, mifchten, zogen fich lange Beit Bin und kamen erjt 1479 zum Abſchluß. Y einer Zuſammenkunft beider Könige in Olmüg am 25. Juli diejes Jahres in Anwejenheit mehrerer deutfcher Zürften oder ihrer Gejandten wurde endgültig beichloffen, was ſchon Monate zubor, im Februar-März 1478 in Brünn, im September-DOftober d. 3. zu Ofen, zwiſchen den beider- feitigen Unterhändlern vereinbart worden war.” Beide Herr- ſcher, Mathias von Ungarn und Wladislam von Polen, nahmen den Titel „König von Böhmen“ an und betrachteten fich gegenfeitig als Erbherrn des ganzen Reiches, das aber zunächſt zwiſchen ihnen geteilt wurde. Wladislaw behielt nur Böhmen, Mathias dagegen Mähren, Schlefien, die Nieder- lauſitz, das Gebiet der fogenannten Sechsſtädte Gautzen, Zittau, Görlitz, Kamenz, Löbau und Laubau), d. h. die Ober- lauſitz und die beiden Herzogtümer Schweidnitz und Jauer. Für den Fall, als Mathias früher ſtürbe, ſollten dieſe Länder gegen eine Entſchädigung bon 400.000 Dukaten oder ungariſcher Gulden wieder mit Böhmen vereinigt werden. Würde aber Wladislaw zuerft mit Tod abgehen und Mathias König von Böhmen werden, dann follten die genannten Provinzen frei an die Krone des Königreichs Böhmen zurüdfallen.

Der Niedergang bes Königreiches. 1471—1526, 129

Die alte Monardie Karls IV. war entzwei geriffen, die Nebenländer vom Hauptkörper abgetrennt, allein der lang- wierige Krieg, der ausdrücklich als ein Erbftüd aus den Zeiten König Georgs erflärt wurde, hatte nach achtjähriger Dauer ein Ende gefunden. Böhmen fam gleichwohl nicht zur Ruhe; den politifchen Kampf Löfte allſogleich der religiöfe ab.

Die Verſuche einer Verföhnung zwifchen dem utraquiftifchen Böhmen und der Papitkirche hatten nie folde Ausſicht auf Erfolg gehabt, wie unter Georg von Wodiebrad. Er felbit fcheint fie gewünjcht zu haben und bat feinen guten Willen durd) die Vernidytung des Taboritentums, das man ala Hemm⸗ ſchuh der Einigung anfah, bekundet. Allzuſchwer allerdings war ihm der Kampf gegen die früher für uneinnehmbar angefjehene Glaubensburg nicht geworden. Seitdem auf dem Ianuarlandtag 1444 das utraquiftifche Bekenntnis, wie es Rofigana und Johann von Pribram lehrten, von der Mehr- beit für „befier, gewiſſer und verläßlicher“ erklärt worden war, als das taboritiiche, das der Priefter Nikolaus Biskupetz von Pelhrimow vertrat, war das Taboritentum gleichſam zur Sekte berabgemürdigt. Wie nad) Lipan der politifche, begann jegt der geiftige Rüdgang; Tabors Einfluß ſank von diefer Zeit an. Georg fand bei feinem Angriff im Auguft 1452, deilen wir gedachten, Feine alten Taboriten mehr vor. Noch ſchützten zwar, wie uns Eneas Silbius, der 1451 zweimal in diefer „Burg und Zufluchtftätte der Häretiker“ unangefeindet einfehren konnte, feite doppelte Mauern, gewaltige Türme und tiefe Gräben die Stadt, über den Toren prangte noch das Bildnis Ziskas und der Kelch als Wahrzeichen, zahlreiche Krüppel erinnerten an die Kriegszeit, aber die alte wilde Huffitenfraft war verbraucht, der taboritifche Gemeingeift völlig abhanden gefommen. „Set Iebt jeder fich felber, und ſchlaff und träg geworden fürchten fie bereit3 die Nadjbarn, ftreben nad Schätzen und Gewinn“, jagt Eneas. Die 4000 mwaffenfähigen Männer, die die Stadt damals ungefähr zählte, waren Feine bon Opfermut befeelte, unüberwindbare, einheitliche Maſſe mehr; fondern zum großen Teil dürftig bon Leinenmeberei lebendes, in fid; geipaltenes Wolf. Vor allem aber: der alte

BretHols, Geld. Bobmens u, Mahrens. II. 1)

180 Vierter Abſchnitt.

Glaube ja nicht mehr feit. Eneas' Gaftfreund hatte in einem

Verſteck Marien- und Chriftusbilder, aber offen die taboritifche

Häreſie abzuſchwören, mied er aus Furcht um feinen Beſih.

Denn fo bemerkt Eneas „et war reich“, wie fie alle viel

Sansgerät und große Schabe befahen, „die Beute bieler ölfer“,

Die Bürger felbft waren es, die die Stadt, als Georg mit feinen 17.000 Dann ſich zu ihrer Belagerung anſchickte, mitfamt ihren geiftligen Yührern, an erfter Stelle Biskupetz, aus- lieferten. Die legten Taboritenpriefter ſchmachteten fortan in den Kerkern der Burgen Georg, zu Podiebrad, Lititz und anderwärts. Noch vor Ausgang diefes Jahres 1452 herrſchte auch in Tabor, wie in den anderen Städten, die ihr zuletzt noch anbingen, Saas, Piſek, Klattau, Zaun, Kolin und Rachod, utraquiftifcher Gotbesdienft, geleitet von neuen dort ein- geſetzten utraquiftifhen Prieftern,

Der Untergang des Taboritentums bedeutete aber feinen Sieg, ja nidjt einmal eine Stärkung des Utraquismus. Es ift bezeichnend, daß eben im Jahre 1453 das Prager katholiſche Domkapitel, das 1448 wieder, wie ſchon früher, feinen Sig Hatte aufgeben und nad) Pilfen flüchten müſſen, in die Saupt- ftadt zurückkehren konnte. Dem Utraquismus und Katholizis- mus erftanden vielmehr auf böhmifchem Boden neue Firhliche Widerfadher, denn beide Bekenntniſſe entbehrten damals jed- weder Anziehungskraft auf dag Volk, das fid) nad; einem neuen Glauben fehnte.

Eneas verſichert ung in feinem Bericht über Xabor, dort feien „jobiel Härefien ala Köpfe geweſen und für jeden herrſche die Freiheit, zu glauben, was er wolle”. Wir werden ähnlid;e Bemerkungen fpäter bon anderen mit den religiöjen Buftänden Zöhmens bertrauten Perſonen hören. Die meiften biefer Sekten haben wegen ihrer Aleinheit und Abgeſchiedenheit für die allgemeine Geſchichte wenig Bedeutung. Eine Ausnahme bildet nur die Religionsgenofienfhaft, die unter dem Namen des böhmiſchen Brüdertums (Brüderunität) gerade in der Zeit Georgs von Podiebrad auffam und fortan Jahrhunderte in das teligiöfe Leben beider Länder mädjtig eingriff.

Der Niedergang des Königreiches. 14711526, 181°

Das böhmiſche Brüdertum geht in feiner eigentlichen Ent- ftehung zurüd auf einen einfachen Mann, der den kirchlichen Kampf in Böhmen faft von feinen eriten Anfängen mit- erlebt hatte und den die Enttäuſchung über die religiöfe Ent- wicklung zum Begründer einer neuen Sefte machte: es ift Peter Cheltſchitky.

Wie von Huß und Ziska wiſſen wir auch bon feiner Jugend nichts Beſtimmtes, aus ſeiner ſpäteren Zeit nur ſoviel, als ſeinen eigenen Schriften zu entnehmen iſt. Sein Geburtsjahr dürfte um 1390 fallen; der Geburtsort iſt unbekannt. Der Bei- name läßt darauf fließen, daß er zu dem Dorfe Cheltichig im füdlichen Böhmen bei Wodnian Beziehungen hatte, von dort berftammte oder ſich fpäter dort niederließ. Zu Huſſens Zeit befand er fi) in Prag, befuchte aber nicht einmal die Univer- fität. Gleichwohl galt fein ganzes Denken und Fühlen ben kirchlichen Fragen, die im Vordergrund des geiltigen und politifchen Lebens jener Zeit jtanden. Die Erlangung des wahren Seelenheild auf Erden beichäffigte ihn ebenjo ernſt, wie die Magifter und Doktoren an der hohen Schule. Ihm aber ſtand, je weiter der Kampf ging, je furchtbarer die Men- {den im eigenen Lande gegen einander mwüteten, das eine Bibel- wort vor Augen: „Du follft nicht töten”. Auch die utraquifti- ſchen und taboritifchen Geiltlichen hatte eg feit jeher beichäftigt, aber alle hatten ſich ſchließlich dafür entidjieden, daß Töten und Morden und Kriegführen notwendige Übel jeien. Peter ann diefes Zugeftändnig nicht- machen und baut fich bon diefem Gottesgebot, das er in feine Seele einpflanzt, außgehend eine neue Sittenlehre und eine neue Welt auf, grundverfchieden bon der, in der er lebte. Suchen wir uns mit Silfe einiger feiner Ausführungen bineinzufinden in das Denken dieſes {lichten Bauern, der nicht nur viele feiner Beitgenofien mit- geriffen, fondern noch auf Generationen hinaus, wenn auch nicht mehr in urfprünglicher Weife, fortgewirkt hat. In feiner bedeutendften Schrift, dem etwa 1440 entitandenen „Neb des Glaubens“* zeigt er, welches Verderben die Verbindung bon weltlicher Macht mit dem Ehriftentum für den wahren Glauben sur Folge hatte. Aus diefer Verbindung entitand nad) Peters

182 Vierter Abſchnitt.

Überzeugung ber Adel, den er ſchildert: als Leute, die auf ihre hohe Geburt und auf ihre lächerlichen Wappen ftolz find, ver- gmügungsfüchtig und faul, ſich über Arbeiten erhaben fühlen, in prächtigen aber lächerlichen Gewändern einherjchreiten, ſich guttun bei reihen Tafeln, in Bädern, weichen Betten, höflichen Umgangsformen und leerem Geſchwätz, die eine bejondere Ehre beligen, die fie angeblich mit Gericht und Hand verteidi- gen müſſen, Ausprefier und Verächter des untertänigen Volkes find, das fie ernährt, Schuldenmadjer, fchlechte Vorbilder für ihre Kinder, Diener und Bürger und doch Chriftenmenjdyen fein wollen. Für eine Scheidung der Menſchen nad der Geburt gebe e8 in der heiligen Schrift feine Stütze, das fei bloß eine heidniſche dee.

Dem Adel ftehen am nächſten die Bewohner der um. mauerten Städte, die auch einen wahren Chriſten unter fich nicht dulden. Denn wie der Vater der Städte Kain, der Bruder- mörder, ift, fo ift ihre Grundlage Mord, Diebitahl, Gewalt. Liebe zum Nädjiten gibt es in den Städten nicht. Nach außen hin ſichert man fi} durch Graben, Mauern und Blutvergießen, im Innern hört das Gegänfe und der Streit nicht auf. In den Städten blüht nur Nade, Stolz, Gewinnſucht, Völlerei, Trunfenheit, Vergnügungsfudt, Gefallen an ſchönen Gewän- dern und prächtigen Häufern, Schacher, ertragreiches aud) die- biſches Geldleihen auf Hypothefen und anderweitig, dort blüht der Betrug mit faljhem Maß und Gewicht, mit hohen Preifen und falichen Waren. Das Land hat an den Städten ein fehlechtes Beifpiel. Der gute Priefter fann ſich in ihnen eher jelbft jchädigen, als die Menſchen beffern. Rein mildereg Urteil fällt er über die Mönde und Klöfter, über die Magiſter an der Uniberfität, „die Umfehrer des Geſetzes Gottes” und über die Pfarrer.

Cheltihigfg verurteilt den chriſtlichen Staat, die Ver einigung der ftaatlichen Gewalt mit der Kirche; ihm gelten der Kaiſer und der Papit als die beiden großen Walfifche, die in dag „Net des Glaubens“ eingedrungen find, e8 durchlöchert haben und gemeinfam mit den früher angeführten „Rotten“ des Adels, ber Bürgerſchaft, der Geiftlichkeit und der Gelehrten

Der Niedergang des Mönigreiches. 1471—1528. 188

an der Vernichtung des wahren Chriftentums und Chriften- glaubens arbeiten. Die Kirche, jo lehrt Peter, bedarf Feines Krieges, erft die weltlichen Mächte haben ihn geſchaffen.

Es find Gedanken und Anſchauungen, die wiederholt und lange vor ihm ausgeſprochen wurden, die er ſich aus anderen Quellen zu eigen machte und nun in feinen vielen Schriften in bolfstümlicer Weiſe fundgab. Eine Heine Gemeinde jam- melte ſich in Cheltichig um ihn, wie ähnliche Damals an ver- ſchiedenen Orten, in denen ſolche Grübler und Weltverbeiferer auftraten, entitanden: in Wilemow, Diwiſchau, Witanorwig, Wlaſſenitz, vielleicht aud, in Kolin, Saaz, Leitomiſcht, in Mähren in Kremfier, Proßnitz, Meſeritſch u. a. Allein während die meiften diefer Seftenhäupter von Anfang an bon ber utraquiftifchen Kirche verfolgt wurden, empfand insbefondere das Oberhaupt der utraquiftifchen Kirche, der ungeweihte Erz- bifchof Yohann bon Rokitzan für Peter von Cheltſchitz und feine Lehre eine bejondere Achtung, jo wenig aud beide in ihren religiöfen Anfichten übereinftimmten. Rofikana ging fo weit, daß er eine Gruppe befonder8 treuer, aber mit den Prager Verhältniffen nicht ufriedener Anhänger, unter denen ſich auch fein Schwefterfohn Gregor befand, die ihn am liebſten an der Spike einer kleinen von ihnen zu bildenden religiöjen Gemeinfchaft gejehen hätten, während er nad) Höheren ftrebte, an Peter wies. Das war um dad Yahr 1453. Sie ließen fich von Peter, den fie in Cheltihig auffuchten, belehren, laſen jeine Schriften. Aber ein völlige Aufgehen in deifen Lehre, ein Zuſammenſchluß mit den Cheltſchitern ftieß doch wieder auf Schwierigkeiten; in manden Punkten entiprad ihnen der Standpunkt Peters nicht. Wie wäre das aud) bei Fragen, die in da8 Leben eines jeden tief eingriffen, möglich geweſen. Sie tradjteten darnad) eine eigene neue Religionsgenofjen- ſchaft zu gründen. Rofikana felbft mar e8, der es bei König Georg erwirkte, daß fi diefe „Brüder“ im Jahre 1457 in einem berödeten Dorfe Kunwald, das zur Podiebradichen Herrſchaft Senftenberg gehörte, an der äußerften Oftgrenze Böhmens, anfiedeln durften. Gregor und der Pfarrer Michael don Senftenberg, der nad; Kunwald überfiedelte, wurden die

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erſten Häupter der Gemeinde. Katholiſche, utraquiſtiſche, tabo- ritiſche Prieſter, Magiſter und Bakkalare, Adelige und Leute niedern Standes, Handwerker und Bauern ſchloffen ſich ihnen an; alle unter Verzichtleiſtung auf Rang und Stand, mas damals nod) ala Grundbedingung galt. Religiöje Gemeinden in Böhmen und Mähren, die nad) ähnlichen Grundfägen ihr Tirchliches Leben eingerichtet hatten und fi) den Runmwaldern verwandt fühlten, traten durch wechſelſeitige Befuche mit ihnen in nahe Verbindung. Das Brüdertum, wie e8 fid) in Kunwald einen erften Mittelpunkt ſchuf, begann gleich in den erften Jahren feines Beſtandes eine Gefahr für den Utraquismus gu werben. Der taboritifchen Sekte hatte Georg den Todes- ftoß erteilt; eine ihr in manden Anſchauungen nidjt allzufern ſtehende neue, jugendfräftige „Brüderſekte“ ſchien an ihre Stelle zu treten. Sie gewann auch in Prag felbft Anhänger und Bruder Gregor fam wiederholt zu ihnen, jammelte fie um fi) und ftärkte fie in ihrem Glauben. Bei einer ſolchen Bufammenfunft im Sabre 1461 es ift die Zeit, in der König Georg durd) Verfolgung der Sekten der Fatholifchen Kirche feinen Eifer für die Herſtellung der Glaubengeinheit beiveifen wollte wurden fie, auch Gregor, in Haft genom- men, gefoltert und mußten jchließlih, um nicht ſchwerere Strafe au erleiden, vor Rokitzana in der Xeinfirche gewiſſe Kehren, in denen fie von den litraquiften abwichen, wider- rufen. Nach fürzerer oder längerer Zeit freigelafjen, erduldeten fie doch auch fernerhin Verfolgungen, jo daB fi) der Nik zwiſchen ihnen und den Anhängern der utraquiftiiden Staats- teligion immer mehr vertiefte. Daß zwang die einander räumlich fernftehenden Gemeinden zu engerem Bufammen- ſchluß und zur Ausbildung einer eigentlichen Verfaffung. Im Jahre 1467 wurde hiezu der Anfang gemadjt. Eine Synode in dem Dorfe Lhota bei Reichenau, wohin Gregor feinen Wohnfig von Kunwald verlegt hatte, befucht von „mehr denn ſechzig Brüdern“ aus verſchiedenen Gemeinden, von denen ſich die meiften im Prachiner, Coager, Chrudimer Kreis in Böhmen, im Olmützer und Prerauer in Mähren befanden, wählte in „apoſtoliſcher“ Weiſe die erſten drei Priefter, zwei

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Bauern und einen dürftigen Dorfichreiber, die durch Wieder- taufe der Verfammelten ihr Amt einleiteten; ferner einen Rat, der den Prieftern zur Seite ftehen follte, Von den drei gewählten Prieftern erhielt einer, Mathias von Kunwald, die Würde eines Biſchofs, im Rat nahm Gregor die erjte Stelle ein, Raum wurden diefe Beichlüffe befannt, begann auch fofort eine nene Verfolgung von Staatswegen. Ein Landtag in Beneſchau (1468) verfügte, daß die Brüder überall aufgegriffen, zum Übertritt gezwungen, im Weigerungsfall mit ſchweren Strafen heimgefucht werden follten. Die Brüder verteidigten ſich in öffentlichen Schreiben, die an ihren Hauptgegner Ro- Tigana gerichtet waren, in denen fie ihn gleichſam als den gelftigen Urheber ihrer Vereinigung bezeichnen: „Haft du uns nicht felbft gelehrt rufen fie vor aller Welt aus wie es mit der alten (utraquiftiichen) Kirche nichts fei . ..; end- lich wiefeft du uns an Peter von Cheltſchitz, an dieſem hielten wir feit. Da erfannten wir, daß der Antichrift ſich überall feftgefegt babe und zweifelten nun auch an dir. Du weißt doch, daß, ala wir zwei von den unjern an did) abjandten, damit du dich ung amfchließeft, du . . .erwiderteft: „Ich weiß. wohl, daß ihr Recht Habt, doch kann ich mich euch nicht ohne Schimpf anſchließen““. Geſchmäht und gequält, weil wir einige Zere- monien aufgaben, haben wir öfter Gehör verlangt, felbft an den König geichrieben, doch umfonft. Du Fennft ung doch wohl nad) innen und außen, unfern ganzen Glauben; wie tannft du alfo ſolche Dinge über uns in die Welt fchreiben? ... Unfere Trennung bat nicht Geringfügigfeiten zum Grunde, fondern weil es mit euch durdjaus nichts mehr ift; weil Glaube und Liebe bei euch zu Grunde gehen, jo haben wir ung bon euch ab · und dem Evangelium zugewandt”.

Der Bruch war ſchon mit diefem erſten Schreiben vollzogen. Die Brüder wurden verfolgt, in Nerfer geworfen, auch der Scheiterhaufen gegen fie in Anwendung gebracht. Wäre nicht der Krieg mit dem Ungarnkönig ausgebrochen, der die Auf merffamfeit von innern Fragen ablentte, jo wäre dem Brüder- tum ein frühes Ende bereitet worden. König Georgs und Rolkihanas Tod zu Beginn des Jahres 1471 befreite fie bon

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ihren ſchwerſten Bedrängern in der erften Zeit ihrer Ent- mwidlung. Der utraquiftifche böhmifche König, dem fie in einem verzweifelten Schreiben ihre Zugehörigkeit mit den Worten in Erinnerung gerufen hatten: „Gehören wir nidjt zu der Partei sub utraque, genießen wir nicht das Abendmahl unter beiden Geftalten (wie Du)?“, bedeutete für fie Untergang, der Tatholifhe polnifhe Wladislaw, mit dem fie nichts verband, Rettung. „Wenn irgend einem Menichen, fo hat die Unität ihre feite Entwidlung der gütigen Nachſicht des Königs Wla- dislaw zu danken.“

Der oſtböhmiſche Zwickel von der mähriſchen und Glatzer Grenze bei Leitomiſchl und Neuſtadt in großem Bogen, der bei Chlumetz und Chrudim ſeine größte Weite gegen Weſten hin erlangte, war ihr zuſammenhängendſtes Machtgebiet. Ein Mitglied des Herrenſtandes, Johann Koſtka von Poſtupitz, der bier feine Befigungen hatte, wurde zuerſt ihr Beſchützer, ſpäter als einfacher Bruder ihr Mitglied. Ohne äußere Kämpfe, ins- bejondere mit den Prager Utraquiften, ohne innere Spaltungen und Berjegungen, insbefondere nad; dem Tode Gregors im Sabre 1473, ging e3 zwar auch bei ihnen nicht vorwärts, allein eine Macht im böhmifchen Staate bedeuteten fie jchon zu Be— ginn der Regierung König Wladislaws und bon diefer Zeit an breiteten fie fid) immer mweiter aus und gruben den Utra- quiften den Boden im Lande ab.

Und von der andern Seite bedrohte die Utraquiften der, wenn auch nicht jo jehr an Volfszahl, wohl aber an Anſehen und Einfluß wachſende Katholizismus. Mit der Wahl des polnifchen Wladislam war nun aud) das Königshaus Tatholifch, neben den vielen mächtigen Fatholifchen Adelsgeſchlechtern: Nofenberg, Neuhaus, Sternberg, Hafenburg, Guttenftein, Schwamberg, Kolomwrat, Schwihau, Riefenberg und anderen. Sie hatten die meilten hohen Amter inne, bejegten die Pfarr- herrn· und andere geiftlie Stellen auf ihren ausgedehnten Gütern mit Katholifen, Nicht anders als auf dem Lande ent- wickelten fi) die religiöfen Dinge in den Städten, vor allem in Prag. Am 22. April 1467 hatte König Georg den deutichen Egerern, denen wegen ihrer Treue und Anhänglichfeit zu ihm

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die Strafe des Bannes drohte, zugefichert, fie „in der gewohn- lichen Form der Heiligen römifchen Kirchen, ald eure Eltern und ihr ſelbs hergebradht habt, .. . . zu ſchützen und ſchirmen“ und ftellte zugleich feit, daß „hie zu Prage“ eine „große Zahl“ von Katholiken leben, „viele Klöfter und Kirchen in derjelben Form fi) halten“, d. h. katholiſch ſeien.“ Dieſer ftarfe Zufak an Katholiken bewirkte e8, daß Prag ſeit Georgs von Podiebrad Tod wiederum das Ausfehen einer religiös gemiſchten Stadt annahm, in der man eg am eheſten berfuchen Fonnte, das Aus- gleichswerk der vollen Verföhnung einzuleiten. Es mar ganz die gleiche Lage wie vor den Septembertagen 1448, als die Tatholifchen Barone und die gemäßigten Utraquiften das Über- gewicht in der Sauptitadt zu haben meinten und dann durch die Verbindung George von Podiebrad mit den taboritifch gefinnten Maſſen plöglic” entwurzelt wurden. Nur fehlte es diesmal an einer jo machtvoll gebietenden Perfönlichkeit, die die Bewegung nad) ihrem Willen zu leiten und unnüte Aus- fchreitungen und Gewalttätigfeiten Hintanzuhalten vermocht hätte. König Wladislaw, an ſich ſchwach und ohne Einfluß auf die Parteien, befand fi) wegen der in Prag und in Böhmen wütenden Peft in Mähren, in Trebitſch; fein Stell- vertreter auf dem Hradſchin, Burggraf Medek von Waldel, und die übrigen hohen Beamten ließen ſich bon der Be- wegung überraſchen; ebenfo der zur Partei des gemäßigten Utraquismus gehörige Prager Stadtrat. So konnte am 24. September 1483 in Prag ein Aufftand ausbrechen, der an den Sturm des 17. Augujt 1419 nad) König Wenzeld Tod gemabnt. J

Als plötzlich in der neunten Morgenſtunde die großen Glocken in der Teinkirche ertönten, die nur in außergewöhn- lichen Fällen geläutet wurden, ahnten die verfammelten Rats- herren gar nicht, was fich borbereitete, Sofort mar aber auch ſchon „der Bopel des Volkes” beifammen, ftürmte bewaffnet das Rathaus unter den Rufen „zabaj, zabaj (ſchlag tot, ſchlag tot)”. Der Stadtrichter, etliche Ratsheren wurden fofort nieder- gemacht und aus den Fenſtern des Rathauſes in die angefam- melte Menge geworfen, die übrigen in Haft genommen. Auf

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dem Neuftädter Rathaus Famen auf dieſe Weife fieben Rats- herren um, einige, weil die wirtende Menge es verhinderte, die beim erften Angriff ſchwer Verwundeten zu verbinden und au pflegen. Zwei Tage jpäter wurden fünf von den Verhafteten nad) ſchweren Foltern und Martern, die fie überſtanden hatten, geföpft und ihre Leichen auf der Erde liegen gelaffen, „als die Hunde uf dem Steinwege oder uf dem Plahen“.

Mit diefem Sturm gegen das Stadtregiment verband fich vom erſten Yugenblide an eine ſchwere Xudenverfolgung, denen man „alles nahm, was ſie hatten; nicht ein Nagel hatten fie ihnen laffen fteden”; ferner eine Beraubung der Kirchen und Klöfter: „und nahmen da Kelche und Meßgewand, Bücher und $eiligtum und was fie Iey fanden; und nemlich die Teßeri- ſchen Frauen“. Mönche wurden vertrieben, Mlöfter bis auf den Grund zeritört, der Vorſteher der Barfüßer, von dem man ver- geblich über verborgene Schätze Auskunft berlangte, wurde gemartert und fchließlich geföpft, obwohl ſelbſt „viele aus den Ketzern ſprachen, ihm geicheh Ungerechtigkeit“. Der Abt von Wiſchehrad wurde ertränkt. Und die nächiten, die die Wut der aufgereigten Maſſen zu fühlen befamen, waren die Deutfchen: Darnach wo fie einen Deutzſchen funden, den fingen fie; der Tegeten fie über einand im Gefängnis bei dritthalb hundert unde gaben ihnen nicjtes anderes denn Waſſer und Brot zu eſſen, unde nicht halb genug, alfo daß ihr aus ihn Yumgers halben etliche ftarben“. Wer dem Utraquismus beitrat, wie Hans Büchfenmeifter bon Nürnberg, „dem laſſen fie das fein“; wer ſich wehrte, den trieben fie auß „und nehmen ihm, was er bat“. Gleichwohl verſichert der Bericht: „jo find noch viel Ehriften (d. h. deutiche Katholiken) in der Stadt“.“

Wenn es in anderen huſſitiſch gefinnten Städten, wie bor- nehmlich in Saaz, Kaaden, Komotau, Brüx, Laun, Schlan Nimburg, Königgräg, Germer, nidyt zu ähnlichen Ausbrüchen tam, fo war dod) die Angft groß, denn der Chroniſt fährt fort: „bie armen Chriſten (Katholiken), die noch heimelich bei ihnen wohnen, find in fteten (beftändig) voll Sorgen Tag ımd Nacht, unde haben ſich zu der Were unde Marter gefchidt (auf Ber- teidigung und Marter vorbereitet), unde wiſſen nicht den Tao

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und die Stunde, wenn fie bon den vermaledeiten Ketzern unde Rüffen (Buben?) . überfallen werden.“

Der Gedanke, daß man bor neuen ſchweren Yuffitenfämpfen ftehe, drängte fi) allgemein auf. Papſt Sixtus IV, fchrieb bereit8 am 4. Dezember unter diefem Eindrud an deutſche Fürften, an den Kaiſer und die Könige von Ungarn und Polen: „Ungeheurer Schmerz ift uns kürzlich widerfahren, Gott ift uns Zeuge, als wir bon fo viel Gräueltaten hörten, welche dag böfe Geſchlecht der Säretifer in der Stadt Prag gegen die Gläubigen verübt hat, und wir befeufzten jenes Volk, das durch fo viel harte Schläge erregt wird. Wir fürchten aber, daB ſolche Ungeheuerlichteit der Häretifer, wie e8 zu geſchehen pflegt, wenn einmal Schande und Furcht abgelegt find, ſich meiber außbreiten Tönnte und in jenen Gegenden noch größeres Unheil anrichten. Deshalb haben wir ſogleich, nachdem wir mit unfern Rardinälen die Sache beraten hatten, unferem Gefandten . . . gefchrieben und ihm aufgetragen, mit Euren Majeſtäten ... . über die Wichtigkeit diefer Angelegenheit zu ſprechen, was borzufehren notwendig ift, damit dort der Tatho- liche Glauben nicht noch größeren Schaden erleide ., .“

Mlein die Prager Vorfälle erwieſen fih nur als ein ver eingelter, verfpäteter Nachichauer der einitmaligen ſchweren Gewitter. In Wirklichkeit hatte der religiöfe Gedanke nicht mehr die Kraft, die politiſche Entwidlung auf die Dauer zu beftimmen. Andere Gegenſätze bedrüdten Volt und Stände in weit höherem Maße.

König Wladislar, der anfangs über die Prager äußerft anfgebradyt war, verglich fich fpäterhin mit ihnen unter der Bedingung der Wiederherftellung der früheren Zuftände, der Rückberufung der Vertriebenen und Geflüchteten, der Rüd- ftellung der geraubten Sachen und der Entihädigung der betroffenen Perſonen. Genau am eriten Jahrestag des Ereignifjes, am 29. September 1484, kehrte der König bon Ruttenberg nach Prag zurüd, ehrenvoll begrüßt; und „alles Ientte fi) zum Guten, wofür Gott ewig Dank ſei“, ſchreibt ein Prager Ehronift. Wenige Monate darnach wurde auf einem Nuttenberger Landtag (13. bis 20. März 1485) ein Religiong-

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frieden zwiſchen Utraquiften und SKatholifen für 31 Jahre abgeichloffen, der die religiöfe Frage bis zu einem gewiſſen Grade mwenigftens für lange Beit aus dem Brennpunkt des öffentlichen Lebens fortſchob. Diefer Vertrag fekte feit, daß Katholifen und Utraquiften fich nicht weiter verfolgen noch bedrüden dürfen, weder Weltliche noch Geiftliche; daß vollſte Gleichberehtigung auf den Herrſchaften am Lande, ſowie in den Gtädten berrfchen ſollte. Katholiſche Serren, Ritter, Bürgerfchaften, die Priefter, Volk oder Untertanen unter ſich haben, welche Leib und Blut Chrifti unter beiderlei Geftalt empfangen, follten e8 ihnen nicht im mindeiten wehren; und umgekehrt. Ferner follten die Basler Kompaktaten und fonfti- gen Verträge, die aber gar nicht einzeln angeführt werden, ihre Macht behalten, „wie fie find“. An den Papft jollten beide Parteien eine Geſandtſchaft entjenden, „damit bei Seiner Heiligkeit die entſprechenden Wege gefunden werden“. Der König möge felber und durch feine Freunde, Geiltliche und Weltliche, Fleiß und Mühe beim Papfte verivenden, damit auch dort die Einigfeit durchgefegt werde; wann aber Seine Majeftät eine ſolche Geſandtſchaft nad) Rom abfende, bleibe ihm überlaffen, nur möge es recht bald geſchehen und ohne Verzögerung.’

Die Ausgleiheitimmung benügte man, um mit den Fir” lichen auch alte Iangivierige jtändifche Schwierigkeiten zwiſchen Hochadel, Ritterſchaft und Städten auf dem Kuttenberger Land - tag gütlich beizulegen. Sener erfte Stand hatte nämlich den Nittern die Teilnahme am Gerichtätvefen, „den Sig in den Gerichtsbänfen”, den Städten ſogar an den Landtagsverhand- Iungen überhaupt nehmen wollen. Durch die Verbindung der beiden niederen Stände, Ritterfchaft und Bürgertum, wurde diefer Anſchlag verhindert. Die Nitterfchaft erhielt im Land- recht act, der hohe Adel die doppelte Anzahl, ſechzehn Stimmen; den Föniglichen Städten wurde im Landtag die fogenannte dritte Stimme zugebilligt, aber nur in Fragen, die fie betrafen.

Solche überrafhende Erfolge waren recht eigentlich das Verdienſt des Fürften, der fich jeit anderthalb Jahrzehnten um

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den Frieden im Lande bemühte. „Wir ruhen jet aus unter dem Schutze König Wladislaws“, ſchreibt 1489 Bohuslaug Lob- kowitz bon Haffenftein, von dem wir noch zu ſprechen haben werden, in einem feiner die Stimmung der Zeit jo getreu widerſpiegelnden Briefe.” Wladislams Güte und Milde, feine Freundlichkeit und feine Menfchlichkeit wirkten bis zu einem gewifien Grade auf die allgemeinen Verhältniffe. Man konnte einem Herren folder Art, einem folden Friedensfürſten, nicht durch fortwährende Zänkereien das Leben vergällen. Volk und Rand bedurften dringend einer Ruhezeit, um die Zerftörungen aller Orten wieder gutmachen zu fönnen. Wladislaw gedadjte auch hierin mit gutem Beifpiele voranzugehen. Er begann im Jahre 1484 den glangvollen Neubau der Prager Burg, der als Wladislawſcher Trakt dauernd feinen Namen trägt, wenn er auch fpäter durch den großen Brand von 1541 zum Teil zerſtört wurde. Ebenſo dürfte die Fortführung des Pracht baues der Barbarakirche in der Föniglichen Bergitadt Kutten- berg, der 1419 durch den Ausbruch der Huffitenfriege unter- brochen worden war, de3 Pürglitzer Schloffes, vielleicht auch die Errichtung des Prager Pulverturmes im Jahre 1476 auf Anregungen des Königs zurüdgehen. Es gab fo viel vor Jahrzehnten begonnene und unterbrodhene Bauten im Lande fortzuführen, wiederherzuftellen, injtandaufegen. Es fehlte auch nicht an fremden und einheimifchen Baumeiſtern Benedikt Rieth von Zaun und Mathias Raifek find die befannteften und Künftlern auf den verſchiedenſten Gebieten, die ſich gerne den Arbeiten unterzogen hätten.!t

Wenn gleichwohl die Kunfttätigfeit in Böhmen und Mähren ſich damals nur auf das Notwendigite beſchränkte, fo erflärt ſich das aus dem Mangel an allgemeiner Schaffensfreudigfeit. Der König und einige beſonders reihe Adelsfamilien Eonnten bauen und fdhaffen, den andern Ständen und Schichten des Volkes fehlten die Mittel oder fie ſchloſſen ſich aus Unver- ftändnig bon felber aus. Die berufenften Anreger, die für folde Aufgaben Sinn und an ihrer Durchführung Freude hatten, der bodenftändige Bürgerftand und die alte Kirche, zählten nicht mehr. Auch emtbehrte man des innigeren Zufommenhangs mit den Nachbarländern,

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Es ift nicht anders, wenn wir unfere Aufmerkjamteit dem geiftig-twiffenfdaftlichen Xeben zumenben. Auch da zeigen ſich zwar eifrige aber Hoffnungslofe Verſuche, den entnerbten Körper zu neuer Tätigkeit anzuflacheln.

Die alte Univerfität beiteht noch, aber in welch kläglichem Zuftand. Auf Grund zeitgenöffifcher Berichte. wurde er ſchon oft gefchildert: „Der Stand der Prager hohen Schule war damals (am Ende des 15. Yahrhundert3) ſehr traurig. Die Univerfität war feit den Zeiten der Huffitenfriege immer tiefer gefunfen, wurde ein Qummelplag religiöfer Streitig- feiten und entfremdete ſich dadurch ihrem wahren Bivede, Fremde fuchten fie ſchon lange nicht auf, aber auch ein großer Zeil des böhmifchen Volkes entfernte fich von ihr, da fie aus · ſchließlich in Dienſten des Utraquismus ftand. Die katholiſchen Adligen ſchickten ihre Söhne zum Studium in die Fremde. Aber aud) die Utraquiften Fümmerten fi) um ihr fogenanntes „Kleinod“ nicht ſehr. .. Die Univerfität ſank unter ihrer Herr- ſchaft zu einer gewöhnlichen Partifularichule herab und bewahrte fchließlih nur noch die artiftiiche (philoſophiſche) Fakultät, und auch hier waren die Vorlefungen aufs niedrigfte geiunfen, die Hörerzahl war fo gering, daß oft die Prüfungen aus Mangel an Kandidaten entfallen mußten“. „Sie war oft im 15. Jahrhundert zum Auslöfchen”. „Auch ſtak fie im Sumpf der Scholaftif und ließ den neuen Geiſt de8 Humanismus nicht eindringen“. „Won allen mittelalterlidhen Univerfitäten war die Prager die allerlegte, an der die neuen Bumaniftifchen Studien eine entſprechende und dauernde Vertretung fanden, erft im 16. Sahrhundert”.??

Es gab wohl Männer in Böhmen und Mähren, die das übel erfannten und fi bemühten, die kirchliche und politische Abfonderung nit aud) noch auf das geiftige Gebiet über- greifen zu laſſen, vielmehr fie durch die neue’ Kultur des Humanismus zu überwinden, die ſich anſchickte die Welt zu erobern und die Menfchheit aus dem Mittelalter in die neue Zeit hinüberzuführen. Und mweldes Land mwäre feiner Ver- gangenheit nach berufener geweſen in diefer Entividlung eine Führerrolle zu fpielen, als Böhmen, das diefe Aufgabe ſchon

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ange vorher auf fich genommen hatte, aber durdy das Ber- bängnis der Huſſitenkriege darin aufgehalten worden war. Einftmals, im 14. Jahrhundert, unter Kaifer Karl IV, hatte der humaniftifche Geift auf böhmiſch mähriſchem Boden Wurzel gefaßt. Die italienifchen Humaniſten, vor allem Petrarca und Cola die Rienzo jegten alle ihre Hoffnungen auf Böhmen. Die Wiederbelebung des Kaiſertums, die Erneuerung des römifchen Reiches, das aud) Stalten aus feiner inneren Zer- fplitterung und Ohnmacht herausreißen würde, erwarteten fie von Karl. Und als diefe Erwartungen nicht in Erfüllung gingen, da glaubten die Epigonen ſich noch an feinen Sohn, Wenzel IV. Zlammern zu follen. Der böhmifche Humanismus des 14. Jahrhunderts war wie die ganze damalige Kultur eine Treibhausblüte, die im freien Erdreich des Landes feine Wurzeln faſſen Eonnte. Und als unter ungleich günftigeren Bedingungen ein Sahrhundert fpäter humaniſtiſcher Geift und humaniſtiſche Bildung überall in Deutſchland empor- feimte, war Böhmens Boden bereit3 durd die Huſſitenkriege sum großen Teil vertrodnet. Es gab nur noch Dafen in einer Wüſte. Der merfwürdige Ausſpruch des Eneas Silvius: „Dieſes tieuloſe Geſchlecht von Menſchen hat nur das eine Gute, daß es die Wiffenſchaften liebt (guia litteras amat)“,* ift fider- lich nur fo zu deuten, daß er dabei entiveder an die übereifrige Beichäftigung der utraquiftifchen Magifter, ja aud) von Leuten aus dem Volke mit der Bibel und anderen kirchlichen Schriften denkt oder an die zahlreichen Gelehrten, die ſich in Italien oder Deutichland Wiſſen holten, ohne es aber in der Heimat zum allgemeinen Wohle verwerten zu fönnen, Hatte Silvius, „ber Apoftel de Humanismus in Mitteleuropa”, doc feldft mehrfache Beziehungen zu verwandten Geiltern dafelbft ſchon um die Mitte des Sahrhunderts. Mit gutem Grunde bat man aud) jenen bon ung früher erwähnten Dialog des in Italien ausgebildeten Johannes bon Nabftein „die große Streitfchrift zwiſchen Mittelalter und Neuzeit“ genannt, Aber trotzdem Johannes geiftig und ſittlich über viele feiner Zeit- genoffen in Böhmen berborragte, mußte er ſich beſcheiden, als Bropit von Wiſchehrad jein Leben „in glüdlichem, wiſſenſchaft ·

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lichem Stilleben” zu verbringen, Nicht ander erging es an- deren Vertretern der neuen Richtung, unter denen neben dem Biſchof Prothaſius von Olmüg (1457—1482) einige Mitglieder des hohen Adels erfcheinen: Udalrich von Rofen- berg auf Krumau, Ladislaus bon Boskowig in Mähriſch- Zrübau, der Begründer einer großartigen Bibliothef, und alle überragend der als „Leuchte der Böhmen“ und „göttlicher Dichter“ gepriefene Bohuslaus Haſſenſtein von Lobkowitz (1460—1510). Er war ein Jünger de3 italienifchen Sumanis- muß, aber hingezogen fühlte er fich zu Deutſchland und deſſen Geiftesleben, wie er denn auch in dem berühmten Briefe vom 27. September (1507) von ſich fogt: „Sch bin gewiß ein Deut- fer, befenne e3 und rühme mid; deſſen“:“ als folder aber ein böhmifcher Patriot, der an dem Elend feiner Heimat ſchwer trug, weil er, der fich viel mit Geſchichte beichäftigte er fhrieb aud) eine berloren gegangene Chronif bon Böhmen den Irrweg erkannte, auf dem man fich befand. Auch er gab fi Mühe, durch geiftiges Schaffen, durch An- legung von Sammlungen, Bücher- und Handſchriftenſchätzen neue Mittelpunfte Fulturellen Zebeng zu begründen. Es war alles umfonft. Ein Jahr vor feinem Tode hatte er in einem Briefe an feinen Freund Johann Schlechta von Wſchehrd der völligen Soffnungslofigfeit, von der er überzeugt war, in dem furzen Satz Ausdruck gegeben: „Denn unfer Staats- weſen ift berderbter und verdorbener, als daß es gebefiert werden könnte“. Seine Briefe, bon denen allerdings aud) nur ein Bruchteil erhalten ift, find nit nur klare BZeugniffe feines eigenen Innenlebens, fondern ein Spiegelbild der damaligen politiichen und geiftigen Buftände in Böhmen überhaupt.

Er ſieht in der berühmten Schilderung Prags bon ungefähr 1489 vor allem trog des Friedensſchluſſes bon 1485 den religiöfen Kampf nicht beendigt, weil die Boraus- fegungen für einen foldyen nicht behoben wurden. „Eine große Freiheit herrſcht bei diefem Wolfe fo ſchreibt er was den Aberglauben betrifft und niemandem gereicht e8 zum Schaden, welchem Belenntnis er will anzuhängen. Sieht man bon Wiklefiten und. ſogenannten Pikarden gemeint find Utra-

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quiften und Böhmiſche Brüder ab, jo gibt es folde, bie Jeſus Chriftus überhaupt Ieugnen, andere die behaupten, daß unjere Seele mit dem Körper zugleich ftirbt, ſoiche die bor- geben, daß jeder in feinem Glauben jelig werden Fönne, fehr viele, die alles Überirdifche und Unterirdifche für erdichtet er- Hären, um über zahllofe ähnliche Anſchauungen hinweg zu gehen. Und darüber nicht nur nachzudenken, jondern öffent- lich zu predigen, ift erlaubt. Uber Glaubensfragen disputiert man allerorten: Greiſe und Sünglinge, Männer und rauen Iehren und erflären die heilige Schrift, die fie nie gelernt haben. Jede Sekte, wenn fie nur erft ang Licht gefommen ift, Hat auch ſchon Anhänger, So groß ift die Neuerungsgier bei ihnen“, Dies der eine Fehler der Bevölkerung, den er feit- ftellt. Der zierte, von dem er nicht minder offen ſpricht, be- weiſt, wie wenig ernit diefe ſcheinbare Beſchäftigung mit reli- giöfen Problemen zu nehmen ift. „Das Volk fährt er fort dient insgefamt nur dem Xeib und fennt nichts, was wünſchenswerter fein fann als Eſſen und Trinken. Kein Preis ift zu Hoch für das, was den Gaumen reizt: mäßig fein, Halten fie für einen Schimpf. Der Trunkenheit ſchämt man fich nicht und fo oft einer den Becher in die Sand nimmt, jo oft folgen ihm die anderen. Ein Bifchof Roderich“ habe daher über die Böhmen launiſch gefpottet, e8 fei ganz merkwürdig, wie e8 einen dürfte, dürfte eg gleich; alle. Beim Trinfen ver- geude man die Zeit mit Schwätzen und wie in Stalien die Barbierftuben, fo feien bier die Wirtshäufer die Brutftätten aller Fabeleien, denn jeder erzähle, was ihm wahrfcheinlich dünfe und behaupte leichthin, e8 von anderen gehört zu haben. Gegen Fremde fei man zuborfommend, außer gegen foldye, die fi) der deutichen Sprache bedienen, denn fie halte man für die größten Gegner ihrer Religion”. Wiederum, wie wir es fo oft bemerkt haben, ift es nicht die Nationalität, fondern die Religion, die dem Tſchechen den Deutſchen entfremdet, Rernichtend lautet Saffenfteins Urteil über feine Lands- Ieute im fittlier Beziehung; den Frauen geiteht er nichts weiter zu als Schönkeit und auffallende üppigfeit; die wei · tere Kennzeichnung wirft auf fie ein fchlechtes Licht.” Da er

BWretdols, Bei. Böpmens u. MRährens. II. 10

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einmal einen gelehrten Freund in Deutſchland zu feiner Ver- mählung beglüdtwünfcht in der Vorausſetzung, daß deſſen Gattin aud) feine Liebe zu den Wiſſenſchaften teile, fügt er Hinzu: „Wenn unfer Böhmen ein ſolches Wunder (von Frau) befäße, würde ich glauben, dab Fiſche unter dem Pflug ge- funden werden”.

Nicht minder fcharf fpricht er ſich über den Charakter der Männer aus. Sie feien wild (feroces) und zu Stolz geneigt, jo dab fie ſich höher dünken als jedes ihrer Nachbarvölker. Sie geraten leicht in Aufruhr und laffen fi) dann ſchwer wieder beruhigen; wohin fie Wut und Raſerei führt, dorthin ftürzen fie ſich und verlafien den Ort nicht mehr, aud) nicht auf vernünftigen Rat und Ermahnungen hin, Es fehle dem Volke von Natur aus nicht an Geift (ingenium), aber durd) Ausſchweifung und Faulheit (luxu et desidia) fei e8 berderbt. Er zieht dann einen Vergleich zwiſchen einft und jekt, zwiſchen den Zeiten Kaiſer Karla IV., da Prag der vornehmſte Sandelspla (emporium) Deutſchlands und deſſen Namen in ganz Europa berühmt war, und heute; „aus mas für einer Höhe von Ruhm und Würde find wir herabgeftürzt, weil mir mehr wiſſen wollen, als zu wiſſen nötig ift, und unfere befonderen Vorteile dem öffentlichen Wohl voranfegen“.

Ihm, dem melterfahrenen, vielgereilten Manne entgeht auch nicht der wirtfchaftliche Stillſtand oder Rückgang im Lande. Sehr bezeichnend jagt er einmal: „Unter fo vielen taufenden Sandwerfern, die wir gewohnt find Mechaniker zu nennen, findet man faum einen, der ſich durch bejondere Kenntniſſe in feinem Fach auszeichnen würde”. Den gleichen Eindrud batte ſchon etwa zwanzig Sabre früher, unter der Regierung Georgs von Podiebrad, den man fo oft als einen Erneuerer des wirtichaftlichen Lebens in Böhmen hinftellt, einer feiner eriten Ratgeber Magifter Paul Zidef, der für den König eine Art „Handbud der Verwaltung (Spravovna)“ geſchrieben hatte. Auf Anftiften der utraquiſtiſchen Geiftlichen, erklärt diefer, iſt es felbft tüchtigen Handwerfern und Kaufleuten nicht erlaubt fi) niederzulafien, bevor fie fich nicht au dem der ganzen Welt verhaßten utraquiſtiſchen Glauben befennen.

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Es gereiche dem König überall zu großem Nadjteil, daß er das zulaſſe; es vermindere die Serrichaft, den Ruhm und Reichtum des Königreichs, denn jeder König fei um fo gefeier- ter, je mehr Volk er unter ſich habe und je reicher das Volk unter ihm ſei. Einftmals habe e8 in Prag reiche Leute ge- geben, die Kauher, Rotleb u. a., die mehr Gold hatten, als jet die Prager Bürger Silber. Die Straße der Goldſchmiede fei voll bon Goldſchmieden geweſen, jet ftehe fie verlaſſen da und fönne nicht einmal Trödler bekommen. Das fei leider eine ſchlechte Wirtſchaft und halte fie lange an, müſſe Prag veröden, Denn, fo fagt er an anderer Stelle, das Volk fei für viele Sandiverfe dumm (hlaupf), insbefondere für Verg- und Hüttenbau, für die Bearbeitung von Gold, Silber, Kupfer, Mefling, Zinn, ebenfo für Seidenmeberei, Zur Bearbeitung folder feinen Sachen eignen fid) die Tſchechen allein ohne die Deutfchen nicht (sami Cechovs bez Nömcuov se nehodi). Und was den Sandel anlangt, bemerkt er, daß in früheren Zeiten aum Betvundern feine Werfe (na divy Zistä diela) von Prag nad; Wien, Nürnberg, Venedig, Rom ausgeführt und bon bort andere eingeführt wurden ... Die Handwerker hätten doch gegen das Handwerk nichts verbrochen, daß man fie verjage.

Das find gewichtige Urteile von Beitgenoffen, die man niit darum unterſchähen darf, weil es Katholiken waren, die fo fpraden. Man kann durdaus der Meinung beipflichten, die nene tſchechiſche Geſchichtsſchreiber mit ſoviel Eifer ver- treten,” daß faft alle Handwerke und Geſchäfte in Prag und den anderen Städten Böhmens und Mährens weiter beftanden, wie im glangbollen 14. Sahrhundert, da die Deutſchen die Sauptträger des ganzen Wirtſchaftslebens waren. Handel und Handwerk, Geſchäft und Verkehr haben natürlich nicht auf- gehört; fie wurden weder durch die Huflitenfriege, noch in der folgenden Leidenszeit außgemerzt. Es handelt fich nicht um die Zahl der Gewerbe und fonjtigen Tätigkeiten, fondern um die Art; und die Fitt durch den Abſchluß von Deutichland, dur) die Niederhaltung und Erſchwerung aller Mitarbeit der Deutichen.

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Ewig denkwürdig bleibt wohl die wichtige Nachricht, daß ein Prokop Waldvogel aus Prag in den Sahren 1444—1446 in Avignon, der alten Papitrefidenz, die Kunſt des Buchdruckes übte, die er vielleicht unmittelbar von Guttenberg in Straß» Burg erlernt hatte.” Er war, wie ein tichechifcher Forſcher er- Härt, „offenbar fein Bugehöriger unferes Volkes“, jomit alfo ein Deutfchböhme, defien Geſchlecht fich in Prag ſchon am Ende des 14. Jahrhunderts nachweiſen läßt und trotz Huflitenkriege dort verblieben war, Dem Deutichen war aber jede Betätigung in feiner Seimat unmöglich gemacht, er mußte feine Kennt- niffe, die für Böhmen damals hätten epochal werden Fönnen, in die Fremde tragen, Ganz ebenfo verließ einige Jahrzehnte fpäter Sigmund Hruby von Seleni, der ſich mit klaſſiſcher Kiteratur beichäftigte, Böhmen und arbeitete lieber in der berühmten Druderei Frobenius in Bafel, ala in der Heimat. Der auf ausſchließlich national -tſchechiſchem Standpunkt fußende Utraquismus verhinderte im Lande jeden Fortſchritt.

Das Deutſchtum und die deutſche Sprache wurden aus Angft vor dem Katholizismus zurückgedrängt, wo und wie es nur möglich war. Was nicht während der Huflitenfriege dur „Kampf, Austreibung, Flucht und haufenweiſes Er- ſchlagen“ vernichtet worden war, befam fpäter die planvollen Tſchechiſierungsberſuche zu fühlen. Denn merkwürdigerweiſe hatte das Deutſchtum jene furdjtbare Zeit mit ſehr anfehnlichen Neften, die wahrſcheinlich jelbit in Böhmen weit bedeutender fein dürften als man annimmt, überftanden. Die Palackyſche Anſicht, als ob noch um 1458 „in den Städten des König - reiches, Eger, Kaaden und Brür ausgenommen, das Deutiche kaum irgendwo zu hören war“, gilt allgemein als über- treibung.”” Schon 1437, ein Jahr nad; dem Iglauer Friedens- ſchluß zwiſchen Kaiſer Sigmund und den Böhmen, in ben auch die Deutfchenverbote aufgenommen waren, beſchwerte man fi), daß entgegen den Vereinbarungen -Sremde Amter innehaben und richten, „sum großen Schimpf der tſchechiſchen Sprache” ; 1443 beklagten fid) die Taborer bei Ulrich von Rofen- berg, „daß einige böhmiſche Herren, die ſich bemühen, die deutſche Sprache emporzubringen und die tſchechiſche zu

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ſchwächen, Deutſche ing Land bringen“ und fpredien die Be- fürchtung aus, daß durch jene, die die deutſche Spradye immer emporzubringen tradjten, dem Land Schaden zugefügt werde“. Das bezieht fih auf Vorfommnifie in Südböhmen. Gleich- zeitig erfahren wir, daß Auffig (1443) einen faſt ausſchließlich deutſchen Nat befaß, in Graupen (1444) alle Bürgernamen deutſch waren, Böhmiſch-Kamnitz während des ganzen 15. Zahr- Hunderts deutſch geblieben war, in Kuttenberg die geſamten ergarbeiter, in Chrudim viele Handwerker deutſch waren, in Dug, Brüx, Kaaden, Komotau, im Xepler Gebiet die deutſche Sprache auch nad den Huflitenfriegen vorwiegend oder gar ausfchließlih in Verwendung ftand. Bis zu einem gewiſſen Grade erhielten fi diefe Verbältniffe trog mancher Bandlungen im einzelnen auch ſpäter. Es darf ſchon Bier erwähnt werden, daß der Haflenfteiner einmal im Jahre 1505 fehreibt, das Volf in Kaaden ſei zum größeren Teile der tiche- chiſchen Sprache unkundig. Im derjelben Zeit empfiehlt er dem Sanzler der Prager Altitadt Magifter Johann Paſchetk einen Egerer Bürgerfohn aus angefehenfter Familie, Johann Schmidl, der dort tichechifch Iernen will, was fomit in Eger unmöglid) war.” Aber auch für Prag felbft find Belege für das Vorhandenfein von Deutfchen nach den Huffitenfriegen zu erbringen. Im Jahre 1448, als Georg von Podiebrad die Stadt befegte, „gab es“, jo heißt eg in der gleichgeitigen Chronif, „ſchon viele Studenten und Meifter in den Kollegien”; 1446 war Heinrich Dornde aus Mühlhaufen Dekan, andere Lehrer ftammten aus Erfurt, Leipzig, Frankfurt. Die Schüler waren, wie man wohl mit Recht annimmt, Deutſche aus Böhmen, wies wohl gerade aus den deutichen Gegenden Böhmens (aus Eger, Graupen, Elbogen, Kamnitz) viele Studenten nad) Italien sogen.” Das beweiſt, dak nicht nur alle Einmanderungs- berbote fich nicht aufrechterhalten Fießen, fondern daß auch das einheimische Deutſchtum ſich langſam emporrang. Es war ja doch im Grunde genommen durch die Huſſitenkriege nur eine ungeheuer ſtarke Tſchechiſierung zahlloſer Deutſcher und deutſcher Ortſchaften eingetreten. Es bedurfte gar keiner beſonders ſtarken Zuwanderung fremder Deutſcher, ſondern

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bloß ruhigerer Zeitumftände, um den naturgemäßen Rüd- wandlungsprozeß zu ermöglichen. Er wurde gewiß durch die wenn auch nur kurze Regierung des deutſchen Habsburger Albrecht II. gefördert, dann allerdings wieder unter Georg bon Podiebrad und den beiden polniſchen Königen zurüd- gehalten. Aber das Deutſchtum ganz auszuſchalten, geſchweige völlig aufzufaugen, war ſchon damals ein Ding der Unmöglich- keit. „Es zeigte fid) nämlich, dab die Tſchechen die Deutichen, deren Bugug fie abwehrten, nidyt überall erfegen fonnten .. .; wirtſchaftliche Urfachen zwangen daher den König und die böhmiſchen Stände zur Milderung ihrer grundjäglichen deutjch- feindlichen Politif; . , eg ift bemerkenswert, daß in einer Zeit ftarf enttwidelten tichechifchnationalen Bewußtſeins den deutfchen Gemeinden in der Sprachenfrage ſcheinbar voll- kommene Freiheit gelaſſen wurde, die erjt fpäter die Koldini- {hen Stadtrechte einzufchränfen fuchte; aber ohne Erfolg“, ift das Urteil eines tichedjifchen Hiſtorikers.“

Wiederum war es der Adel, der auch bei diefen Verfuchen, das Deutichtum zurüdzudämmen, den Ton angab und feinen Standpunkt durchzuſetzen verſuchte. Er felber "hörte auf, deutfch zu ſprechen, zu lernen, zu verſtehen; gewiß nur ein Xeil, aber immerhin in den maßgebendften Kreiſen. Schon Georg von Podiebrad dürfte außer der tſchechiſchen Feine andere Sprache gefannt haben. Der Oberftburggraf von Prag Sdenko Leo bon Rofenthal, deſſen mir noch als des höchſten Landes - beamten unter Wladislaw und Ludwig zu gedenken haben werden, ebenſo der Oberſthauptmann von Böhmen Radislaw Berkowsky von Schebirow erklären ſelber, daß ihnen die deutſche Sprache fremd ift. Noch 1516 verkaufte ein Trzka von Lippa die großen Herrſchaften Tetſchen, Kamnig, Benfen und Sandau an die aus Sachſen ftammenden Saalhauſen, weil ihm in Nordböhmen „die Wege zu ſchlecht und der Deutſchen zu viele waren”?

Ob man allerdings daraus den Schluß ziehen darf, daß im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts es jelbit hodhgeitellten PVerfonen nicht ſchwer war, ſich auch ohne die Nenntnis der deutichen Sprache zu behelfen, möge dahingeftellt bleiben. Wir

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wiſſen, welche wichtige Stellung bei Georg von Podiebrad der deutſche Sekretär Georg Joſt von Einfiedeln einnahm. Und Paul Zidek belehrte den König, daß „man durch eine Sprache das Königreich gewiß nicht fördert, jondern nur durch die Ver- ſchiedenheit der Sprachen und des Volkes“. Er gibt ihm zwar eine ſehr unrichtige Darſtellung von der Entwidlung beider Sprachen, des Deutſchen und Tſchechiſchen, in der Landesber- mwaltung feit Karl IV., fordert aber mit Recht die Kenntnis beider und verurteilt die ausſchließliche Herrſchaft des Tſchechi- ſchen: „Leider gefällt mir der jegige Buftand nicht, denn Ruhe haben wir dabei nicht. Gerechtigkeit, Ordnung, Liebe, die ganze Eintradit find gefallen“.

Allein der Adel ging in feiner Einfeitigfeit und blinden Feindfeligfeit gegen das Deutfche immer noch weiter. Man fuchte das Tſchechiſche zur ausſchließlichen Amtsſprache zu erheben, zum mindeften in der Landesverwaltung. In Mähren gebot ſchon ein Landtagsbeihluß nom Jahre 1480, dab die Einlagen in die Landtafel nur in tſchechiſcher Spradje erfolgen durften.” Im Jahre 1495 folgte der böhmifche Landtag diefem Veifpiele, wobei allerdings die königlichen Schreiben aus- genommen wurden, die in ihrem urſprünglichen Wortlaut, lateiniſch oder deutjch, eingetragen werden mußten. ühnliche Beitimmungen wurden ſchließlich dem Oberſten Gerichtähof, dem Landrecht, durch die Wladislawſche Landesordnung von 1500 gegeben.

Zu diefer Unterftüßung und Förderung der einen Landeb- ſprache kamen noch hinzu die Bemühungen einiger Literaten, das Tſchechiſche auch zur Schriftiprache auszubilden. In vor- beriter Linie jteht Viktorin Kornel von Wichehrd (1460-1520) aus Chrudim, der berühmte Verfafler der „Neun Bücher vom Rechte des Landes Böhmen“ aus den Jahren 1495—1499,# der damals das bedeutfame Wort ausgefprochen hat: „Obgleich auch ich vielleicht Iateinifch fchreiben könnte, wie andere, aber wiſſend, daß ich ein Tſcheche bin, will ich Iateinifch lernen, aber tſchechiſch fchreiben und fprechen”. Oder Wenzel Piſenſis (1482—1511), der verſuchen wollte, ob die tſchechiſche Sprache fo reich fei, daß fie, „ohne Bettelei bei deutihem Gefafel oder

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lateiniſchem Miſchmaſch“ felbftändig diefelbe Sadje jo aus- drüden Fönne, wie die Griechen fie ausdrüden würden.

Man kann daraug erkennen, wie von allen Seiten daran gearbeitet wurde, Böhmen in einen tichechijch-nationalen Staat umzuwandeln und nicht mit Unrecht wurde erft kürzlich wieder erklärt: „Nie vorher oder nachher war die tſchechiſche Sprache amtlich fo ausgezeichnet geichügt, wie im 15. und 16, Jahr- Bundert“. Dennoch herrſcht überall politifcher, fittlicher und geiftiger Niedergang und Haſſenſtein will, wie er in einem feiner Epigramme fchreibt, lieber die Peitgefahr in Bologna überdauern, als das Elend der Heimat mitanfehen, denn, jo fagt er, „aus dem Vaterland flieht, wer recht zu leben beftrebt ift, da im Vaterland gut zu bleiben kaum möglich erfcheint.”®” Und felbft der begeifterte Tſcheche Viktorin von Wichehrd hat in einem Schreiben an Haffenftein ihm zugeitanden: „Man kann in unferem Staate faft fein Glied finden, das nicht zer- brochen oder geſchwächt daliegt." Wo lag wohl die tiefere Urſache?

König Georg hatte Böhmens gefährliche Lage richtig erfannt, al3 er mit allen Mitteln darnach ſtrebte, e8 wieder in den Mittelpunft der deutſchen Reichspolitik zu ftellen, ein neuer Karl IV. zu werden. Er war feinem Biele nicht gar fo fern, wenn er nur die Scheidewand, die die Kommunion sub utraque zwiſchen dem damaligen Böhmen und der übrigen chriſtlichen Welt aufrichtete, nicht allzu hoch angefchlagen hätte. Einen Schein des Rechts für die furdjtbaren Huffitenkriege, ein winziges Ergebnis, den Laienkelch, wollte er feinem Volke nad) all den Opfern menigfteng ſichern. Daß ihm der Papft auch diefen befcheidenen Triumph nicht zugeltand, daran ſchei- terten alle feine oder feiner Ratgeber Pläne,

Sein Nachfolger, der König aus polniſchem Stamme, den Haſſenſtein den „beicheiden gemäßigteiten und geredjteften Fürften“ nennt, der ftet3 „mehr nad fremdem ala eigenem Urteil handelte“, unterfing fich fold; hoher Aufgabe nicht. Durch tete Nachgiebigfeit jeden Anlaß zu Unzufriedenheit zu befeitigen, ſchien ihm oberfte Regentenpflicht. Allein nicht für die Dauer vermochte dies Mittel feine heilfame Wirkung auß-

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zuüben, fondern nur folange er felbjt im Lande weilte. Als der „gute König“ Prag verließ, um fortan in Ungarn dauern- den Wohnſitz zu nehmen, fomit fein unmittelbarer Einfluß auf- börte, war es um den Frieden in Böhmen geichehen.

Am 6, April 1490 war Mathias Corvinus geitorben. Unver- aleichlich glüdlicher in feiner langen Regierung (1458—14%0) als Georg von Böhmen Hatte er e8 doch ebenſowenig wie diejer durchſetzen fönnen, feinem Sohn Johann die Nachfolge zu ſichern und eine neue Dynaſtie zu begründen." Am 15. Juni wurde Wladislaw zum König bon Ungarn erhoben und ſchon am 23. Juni zog er mit einem anſehnlichen Seere, das eben für eine friegerifche Unternehmung gegen Bayern ſich gefammelt hatte, dahin, um nur noch zweimal während feines weiteren Rebens für Furze Zeit nad) Böhmen zurüdzufehren. Dort tegierten inzwiſchen die hohen Landesbeamten, die er an feiner Statt eingefegt hatte. Sie erwieſen fi) alle zu ſchwach, die böhmifchen Verhältniffe aud nur auf dem Ruhepunkt zu erhalten, den Wladislaw erreicht hatte. Ein anfangs ungemein ausſichtsreich fcheinender Einigungsverſuch zwiſchen dem böhmiſchen Utraquismus und Rom, der 1493 unternommen wurde, ſcheiterte wie alle früheren. Sogar Haſſenſtein hatte ſich diesmal guten Hoffnungen hingegeben.

Sch brenne fo ſchreibt er am 10. Oktober 1493 an einen Freund von außerordentlicher Sehnſucht, daß dieſes heil- ſame Werf, das mit folder Buftimmung aller begonnen worden ift, eheftens zu frohem Ende komme, wie e8 die Velten und Eifrigften in diefem Staate erwarten”. Denn wenn, erflärt er weiter, nicht jet diefem Übel des religiöfen Zwieſpalts mit allem Eifer und Fleiß entgegengetreten werde, „dann ich will nicht3 anderes prophezeien kann man einen guten Aus- gang nurmehr mwiünfchen, nicht mehr hoffen“. Er erwartet davon den größten Auffchtvung im ganzen Lande. „Und bon Prag gar, was foll id) jagen? Wenn mid) nicht mein Gefühl täuſcht, wird es binnen kurzem ein wunderbares Wadstun nehmen. Diefe Hoffnung gibt mir die Annehmlichfeit des Ortes, das Mlima, die Fülle an allem, was der Menſch braudit. Es wird fich füllen mit ungähligen Sandelgleuten, eg wird

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beſucht werden bon der wißbegierigen Zugend. Ob jemand im Krieg oder zu Haufe ſich hervortun wird mollen, nad) Prag, zur Vehrmeifterin folder Künſte wird er ftrehen. Den benad)- barten Fürften und Völkern, die alle jet auf unſere Zwie- trat ihre Hoffnung fegen, werden wir wieder zum Schreden und zur Verehrung fein. Hab und Streit werden weichen und nicht mehr wird einer den andern als Schismatiker und Häre- tifer verachten, jondern als die Söhne einer Mutter in dem- ſelben Saufe, das ift in der Kirche, erzogen, werden wir wieder unter gleichen Gejegen und Einrichtungen leben“. Ausfichts- lofe Erwartungen eine® Mannes, der, wie biele andere, unter den Buftänden der Heimat ſchwer litt, helfen mollte und zu ſchwach war, fie zu ändern. Anfang der neunziger Jahre plante man, ihn nad) dem Tode Johanns XIV. zum Biſchof bon Olmüg zu machen, er wurde aud) im Mai 1493 vom Kapitel einftimmig gewählt, allein die Nepotenwirtſchaft am römifchen Hofe hob diefe gewiß glüdliche Wahl auf. Weder feine Briefe an den König, noch an den Kanzler Johann von Schellenberg, dem Bohuslam als Mufter eines Beamten ein berühmtes literariſches Denkmal gefegt hat, nod) an den Adminiftrator des Prager Erzbistum und andere Perfönlichkeiten, noch auch der unmittelbare Appell des mährifchen Adels an Papſt Alerander VI. fruchteten. Die, die auf die „Wolle“ ſehen, waren glüdlicjer als die, die nur an daß Heil der Schäfchen dachten, jpottet Haſſenſtein felber in einem feiner Briefe. Neue Hoffnungen Fnüpften fi an des Königs Wladislaw Befuh in Prag im Sahre 1497, der vom .27. Februar bis 6. Zuli währte. Ein Landtag wurde abgehalten, in dem alle wichtigen Fragen zur Sprache kamen und zahlreiche Beſchlüſſe gefaßt wurden, ohne daß aber der abſchüſſige Gang der inneren Politik fi) dadurch änderte. Auch, Haffenftein, das mahnende Gewiſſen, benügte die Anweſenheit des Königs, um ihm in einem eingehenden Bericht vom 22, April die Lage zu ſchildern und ihn zu Entfchlüffen zu drängen, von denen allein er eine Beſſerung der allgemeinen Verhältniffe erwartete: Wieder- befegung des Prager Erzbistums und Wiederberftellung der Tatholifchen Kirche in ihrer alten Macht. Er ſchmeichelt ihm,

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übertreibt feine Erfolge. „Andere bewundern zwar, dag du fo viele Reiche faft ohne Blutvergießen erworben haft, zählen die deiner Herrſchaft unterworfenen Völker auf, rühmen weit und breit dein weites Reich; ich ſehe in dir anderes, tvag größer und beivunderungsmürdiger ift. Ungarn und Böhmen waren durch ſchwere Kriege bedrängt, litten an innerem Aufruhr, die der waren verwůſtet, die Dörfer rauchten in Bränden, die Märkte waren zerftört, nirgend war Achtung vor den Gefeken, nirgend ein Pla für Billigfeit und Rechtſchaffenheit: das alles haft du gefeftigt, befänftigt und zur vollen Ruhe ge- bradjt; diefe zwei wildeften Völker, die immer ebenfo nad Krieg als Frieden gierig find, haft du gelehrt: dab Gefeke ertragen werden fönnen. Das fage ich nackt ohne Übertreibung, ohne Ausſchmückung und doch fürchte ich dir läſtig zu fein, denn deine Natur ift: lieber gutes zu tun als gutes zu hören und du hältſt es für beſſer, de3 Lobes würdig zu fein, als gelobt zu werden“.

Der König verließ von neuem Prag und Böhmen für ein bolles Jahrzehnt, ohne die Anregungen Bohuslaws auch nur in Erwägung gezogen zu haben. Und aud) der von ihm an feiner Statt ernannte Statthalter Peter von Roſenberg, zu dem Haſſenſtein in freundidhaftliciten Beziehungen ftand und dem er jchriftlich eine eingehende Belehrung darüber gab, wie man dieſes hohe Amt verwalten müffe, wurde jehr bald (1499) feiner Stellung überdrüffig; fo ausſichtslos erwies es ſich, die immer gefährlidjer fich geitaltenden Gegenfäge zwiſchen den Ständen auszugleichen. Alles ftrebte einer Adelsherrſchaft au, der die übrigen Bevölkerungsſchichten untertan fein follten.

Am wehrloſeſten erwies fi in diefem Kampf die Bauern- ſchaft; fie verfanf damals in einen der Sklaverei ähnlichen Buftend, wie er wohl nie zubor in Böhmen befannt war. „Beinahe ein ganzes Jahrhundert wurde an dem Werke ge- arbeitet, das LTandvolk in Böhmen in die Leibeigenichaft zu bringen“, jagt Palacky, und weiter: „Es läßt fi nicht ver- kennen, daß eine der Haupturſachen diefer Veränderungen die langjährigen Huſſitenunruhen und Kriege waren“. Erft jegt nad) der fozialen und nationalen Umwälzung, nachdem das

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deutiche Bauernvolf aus weiten Gebieten des Landes ver- ſchwunden wor, Fam der Grundfaß in Böhmen auf: „wer nicht jelbft ein Herr ſei, müffe einen Seren haben”, wodurch der Fortbeſtand eines freien Bauerntums unmöglich gemacht murde.* Nach einigen Jahrzehnten allmählicher Verſchlech- terung der rechtlichen Verhältniffe diefes Standes verfügte der böhmifche Landlag im März 1487 die eriten gejeglichen Maßregeln gegen den freien Abzug der Untertanen und bes Gefindes. Ein Jahrzehnt fpäter, auf dem Pfingftlandtag 1498 hatten, um Palackys Worte zu gebraudyen, „die Stände Teine amgelegentlichere Sorge, ala durd neue Beſtimmungen die erbliche Leibeigenſchaft des niederen Volkes zu fihern und zu verſchärfen“. Wie hätte das auch anders kommen Tönnen, da ſchon um 1467 der mähriſche Landeshauptmann Ctibor von Tobitſchau, von dem Palacky jagt, daß er in die Reihe jener vorzüglichen Männer gehört, auf die nicht bloß fein Volk, fondern auch das Menſchengeſchlecht ftolz fein darf, die bezeichnenden Worte niederfchrieb: „Und beſonders diefe Bauern (er nennt fie „Roboter“) wären im Sinblid auf ihre Armfeligfeit nicht wert auf der Welt geduldet zu werden, wenn fie nicht, wie der Efel, dazu gut wären, den Boden zu bearbeiten“. = Nach Ctibors Überzeugung find diefe Roboter von Gott dem Adel, darunter er Kaiſer, Könige, Fürſten, Herren, Ritter und Edelleute indgefamt berfteht, „zu eigen gegeben“, damit diefer nad) feinem Willen mit ihnen jchalte und fie auch) beftrafe für ihre Sünden. Auch haben die Ro- boter dem Adel für diefe Leitung Zins zu zahlen und Ab- gaben zu leiften. Das war die Auffafjung von der Stellung der Bauern ſelbſt bei den edeliten Männern jener Beit.

Es ift bezeichnend, dat Etibor das gejamte Volk in die drei Stände, Adel, Geiftlichfeit und Roboter ſcheidet und einen eigenen Bürgeritand gar nicht mehr Fennt oder anerkennt. Die Lage der Einwohner in den dem Adel gehörigen Städten war nidjt viel beſſer als die der Dorfleute: Unterjtellung in rechtlicher, Bedrückung in wirtſchaftlicher, Abhängigkeit in teligiöfer Hinſicht. Die wenigen freien jogenannten könig - lien Städte hatten damals -Sahrzehnte Lang ſchwer zu kämpfen

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um ihr altes Recht, im Landtag überhaupt vertreten zu fein, die dritte Stimme im Landtag, wie man eg nannte, zu be- baupten. Der Adel betradjtete fie als Untertanen des Königs, wie die Bürger in den adeligen Städten als feine eigenen.

Der hohe Adel war am Bielpunft feiner Beitrebungen. Er konnte nun auch getroft darangehen, feine errungenen Rechte, die Stellung, die er im Staate einnahm, geſetzlich feitzulegen. In Mähren geſchah es durd das fogenannte Tobitſchauer Buch,“ entitanden 1480—1490, eine Art Geſetzbuch der mähri- ſchen Landesverwaltung, das Werk des ſchon genannten Ctibor bon Cimburg und Tobitſchau, der 1469 zur höchſten Würde eineg Landeshauptmannes emporgeitiegen war, die er biß an fein Lebensende (1494) behauptete. Er verfaßte die Schrift auf Wunfd feiner Standesgenofien, die über die ſtaatsrecht - lichen Angelegenheiten des Landes, über das Verhältnis des Randesfüriten zu den Herren, über die Gerichtsverfaſſung, über Privat · und öffentliches Recht unterrichtet jein wollten. Und Ctibor belehrte fie in ftreng ariftofratifhem Geifte: „Der Herrenſtand berricht über dag Land und richtet, die Land- edelleute- ſowie die Bürger find in ihren Rechten möglichit beſchränkt, dem Bauer liegt e3 ob, Frondienfte zu leiften und au zahlen“.

"Noch ftärker ausgeprägt ift diefer Grundzug in der vom den böhmiſchen Ständen 1500 herausgegebenen fogenannten Wladislawſchen Landesordnung, dem „eriten offiziellen Ge- ſetzbuch“. Sie ift das Werk eines Mannes rittermäßigen Standes, Albredit Rendl von Uſchau, der ſich hiedurch den Ruf eines böhmifchen Machiavelli erwarb, indem im Lande fortan „vendeln“ fobiel bedeutete, wie eigenmächtiges Fälfchen bon Rechten. Im Dekanatsbuch der Prager Univerfität‘ heißt es von Rendl, er habe die alten Geſetze Böhmens verſchlechtert und verderbt, indem er viele ganz befeitigte, andere beſchränkte, diefe verkehrte, jene veränderte. Ein anderer Zeitgenoffe, dem insbeiondere die Vergewaltigung der Städte durch diefe „wun- derlichen neuen Rendlſchen Rechte“ auffiel, ſcheute fich nicht zu erflären: „Es wäre fein Schade, wenn man auf diefen Rendlik vier Wagen trodenen Holzes aufichüttele und alle dieſe Be-

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ſchlüſſe (nälezy, aud) Erfindungen) mit ihm berbrannte, damit fein Menſch fi) je daran verſuche“.

Nun verließ auch Haflenitein feine einftmalige Zuverſicht vollfommen. Als er 1508 nad) längerer Abweſenheit heim- tehrte, ſchrieb er einem Freunde: „Wie e8 hier zugeht, Tann id) dir ohne tiefften Schmerz nicht fchreiben. Außer den Bergen und Wäldern und den Orten, wo id; aufgewachſen, habe ich im Baterland nichts gefunden, was mic) freuen könnte. Überall wuchert Räuberunmeien, unzählige Aufftände entitehen, alle Stände murren, das Vol ſchielt geradezu nad; den Waffen, wenn die Adeligen nicht ihre Rechte aufgeben; wir fürchten die heimiſchen und die auswärtigen Feinde (Bayern, Pfalz, Brandenburg, Sachen). Die Herren unjerer Regierung find zum Herrſchen bereit, die Ungerechtigkeit der einzelnen zu ber- folgen find fie aber zu ſchlaff, und, was ſchmählich zu ſagen iſt, fie kranken zum Teil an jener alten Krankheit des gegen- feitigen Neides und ftimmen nur dann überein, wenn es ſich um die eigene Sache handelt; zum andern Xeil dienen fie dem Genuß und der Habgier. Wenn fie auch) oft zuſammenkommen und Landtage abhalten, jo bringen diefe dem Stante feinen Nutzen. Innen und außen fein Friede und feine Hoffnung, daß die Dinge beifer werden, jo daß ich meinem Vaterland nichts gute3 prophezeien kann“. Und drei Jahre fpäter: „Alles zielt auf den Krieg hin, und fommt nicht die Peſt, die in den Nachbarländern ſchon hauft, und hemmt unfern Aufruhr, dann bricht im nächſten Frühjahr (1507) der innere Krieg aus“. Von Brief zu Brief fteigert fi fein Unmut und feine Ber- Zweiflung. Ein Freund aus Nürnberg, Bernhard Adelmann, ſchildert ihm die traurigen Verhälmifie im Reid. Darauf ant- wortet er: „Wie du mir das Leben in Deutichlend fchilderft, haſt du unbewußt zugleich; das unfere gegeichnet, und da ich deinen Brief las, glaubte ich wie in einem Spiegel unfere Verderbnis und unfere Wirren zu fehen, Aber uns droht nicht nur Bürgerkrieg und alles was daraus folgt, jondern Verwüſtung, Zufammenbrud), Untergang, und was die großen Neiche einzeln zugrunde zu richten pflegt, das häuft ſich auf ung insgefamt zufammen. Auberorbentlich ift der Sochmut

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und der Neid unferer Vornehmen ... unglaublich die Faul- heit aller unferer Klafjen ..... , in Vegierden und Vergnügun- gen fein Maß... .; Geſchenken und Beſtechungen find wir derart zugänglid), daß nichts bei ung nicht käuflich iſt ... Was die Religion anlangt, fo ift es ſchon fo weit gefommen, daß die meilten dem Dogma des Diagorag und Theodorus verfallen Himmel und Hölle leugnen und... . fagen: Aus nichts find wir geboren und nachher werden wir fein, als ob wir nie geboren geweſen wären. Und niemand tritt diefer tödlichen Krankheit entgegen, nicht die Geiftlichen ... . nicht die Weltlichen...... Der König felber, deſſen Srömmigfeit und Glauben alle chriſtlichen Völker preifen und beivundern, ift entiveder durd) das Alter für die Geſchäfte läſſiger geworden oder überdrüffig unferes Weſens und Iebt bei den Ungarn, ala ob er an Schlafjucht litte. Darnach kannſt du beurteilen wie mir, der id) bei diefem Gefchlechte lebe, zu Mute ift. Einft freilich unter den Ottonen, Seinrichen, Sriedrichen, als Deutſch- land blühte, da wuchs auch unjere Macht ins unendliche und als der edelite Teil eures Reiches galt Böhmen; jetzt aber, da euer Staatsweſen wankt, wanken wir nicht nur aud), fondern brechen völlig zufammen .... Euch reiben die Kriege auf, ung berzehrt der Roſt“.

Seitdem König Wladislam das Land verlaffen hatte, ſeit 14%, waren alle Übelſtände gewachſen und wurden nod) ber- ftärft durch die Unklarheit der dynaſtiſchen Verhältniffe für den Fall des Ablebens des Königs.

Wladislaw mar lange unbermählt geblieben. Erft 1502, im Alter von 46 Jahren, heiratete er eine nahe Verwandte König Ludwigs XII. von Frankreich, Anna von Yoig-Kendal. Sie gebar ihm zwei Rinder, 1505 Anna, 1506 Ludwig, ftarb aber bald darauf. Schon mit drei Jahren wurde der Sohn auerft zum König bon Ungarn, dann in Prag am 11. März 1509 zum König von Böhmen gefrönt. Aber feine Erziehung genoß Ludwig in Ungarn. Ob er wirklich tichechifch geſprochen hat, bleibt fraglich, da noch im Jahre 1514 Wladislaw zweimal die böhmischen Stände um einen Lehrer für Ludwig erfuchte und auf die Nachteile hinwies, die aus der Unfenntnis der

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Sprade entitehen würden. Bei Lebzeiten feine Vaters kam er nicht mehr nad Böhmen. Im Sabre 1515 wurde er am 20. Zuli in Wien bon Kaiſer Marimilian an Sohnes Statt angenommen, fogar mit der Buficherung, die deutfche Kaifer- Trone dereinft zu erhalten, Zwei Tage fpäter erfolgte dajelbft die merfwürdige Doppelheirat: Marimilian, zum zweiten Male Witwer geivorden, 56 Jahre alt, reichte der zehnjährigen un- garifchen Prinzeſſin Anna die Sand, behielt aber einem feiner beiden Enfel, Karl oder Ferdinand, den Kindern feines ber- ftorbenen einzigen Sohnes Philipps des Schönen von Bur- gund, das Recht vor, binnen Jahr und Tag am jeine Stelle zu treten; König Ludwig von Ungarn und Böhmen wurde mit der öſterreichiſchen Maria, der Schweiter Karls und Fer- dinands getraut (f. die Stammtafel).”

Wenige Monate darnach, am 13. März 1516, ftarb König Wladislam der Gutherzige.

Herrſcher in Ungarn und Böhmen war nun ein zehnjähriges Kind. Die Stellvertretung in Böhmen übernahm der Baron Leo Sdenek von Rofental (Rozmital), den Wladislam 1507 zum Oberftburggrafen in Prag ernannt hatte. Er war ein Neffe Georgs von Podiebrad: fein Vater und Georgs Gemahlin Sohanna waren Geſchwiſter. Es genüge bier über diefe poli- tiſche Geſtalt, die ein Vierteljahrhundert die Geſchicke des Landes Ienkte, die Worte Palackys anzuführen, die diefer ge- braucht, ald Leo zum erjtenmal in den Vordergrund trat, an- läßlid) feiner Ernennung zum Oberftlandrichter durch König Wladislaw im Jahre 1504: „Seine Wirkſamkeit wurde für unfer Vaterland wahrhaft verhängnisboll”.

Neben ihm ragten unter den Adelsgefchlechtern hervor die mädjtigen ungemein reich begüterten Rofenberge und die Pernſteine, diefe jowohl in Böhmen al3 Mähren angejeffen. Ein Johann von Pernftein fchaltete al8 Landeshauptmann in Mähren, deſſen Bruder Wilhelm war das Saupt der böhmifchen Kinie und hatte von 1490—1514 das zweithöchſte Landesamt eines Oberftlandhofmeifters inne. Es jcheint auf feinen Ein- fluß aurüdzuführen zu fein, daß gleich zu Beginn der vor- mundfchaftlichen Regierung der Ausbruch eines Bürgerfrieges

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ſchon machten fich hier und dort VBauernunruhen bemerfbar hintangehalten wurde, hauptſächlich durch eine rechtzeitige Ver- ftändigung des Adels mit dem Bürgerftand. Man ſchloß auf dem St. Wenzelslandtag 1517 über die wichtigſten Streitpunfte Buftändigfeit von Stadtgericht und Landrecht, Teilnahme der Städte an den Landtagen, Bierbraugeredtigfeit, Steuern, Zölle den fogenannten St. Wenzelövertrag vom 24, Dfto- ber, der die Ruhe für längere Beit verbürgte. „Und der be- deutendfte Urheber diefes Vertrages war Herr Wilhelm d. A. bon Pernitein, der fich fehon mehrere Jahre darum bemühte und biel arbeitete, damit die Böhmen fich allein einigten ohne fremde Völker, weldje die Natur der Böhmen nicht Kennen“, ſchreibt der gleichzeitige Prager Chronift. Ihm mochte der Erfolg groß feinen angeſichts der Gefahren, die dadurch für den Augenblid beſchworen worden waren. Allein e3 währte nicht lang und neue ftändifche Streitigkeiten brachen aus, ja fogar Zerwürfniſſe zwiſchen den beiden Rändern Böhmen und Mähren, die den Oberftburggrafen Rofental zu dem Aus- ſpruche veranlaßten: „Sch habe gehört, daß das Königreich Böhmen das Haupt und die Markgrafſchaft Mähren ein Glied ift; allein daran liegt nicht viel, wir könnten auch Teibliche Brüder fein, wenn wir nicht miteinander gut fein wollen“.

Das Grundübel lag in dem Mangel einer die ftändiichen Gegenfäge gerecht ausgleichenden, die politifChen und wirt- ſchaftlichen Übergriffe des hohen Adels eindämmenden fönig- lien Mad. War Wladislam feiner Natur nad) diefer Auf- gabe nicht gewachfen, fo Ludwig infolge feiner Jugend. Damit hing es wohl auch zufammen, daß feine Anwartſchaft auf den deutichen Kaiſerthron, die er 1515 verbrieft erhalten hatte, gar nicht in Frage kam, als diefer durch den Tod Marimi- lians I. am 19. Sanuar 1519 erledigt wurde. Defien älterer Enkel, der König von Spanien wurde als Karl V. in Franf- furt a. M. am 28. Juni 1519 von den Kurfürften einftimmig gewählt. Ludwig hatte fi) als böhmifcher König und deut- ſcher Kurfürſt vertreten laffen und für feinen Schwager geitimmt.

Bresdols, Geſch. Böhmens u, Mährens. IL, 1a

163 Vierter Wſchnitt.

Die ganze Entwidlung ſchien dahin zu zielen, wie es auch ſchon Kaifer Marimilian I. im Auge hatte, die öfter- reichiſche, böhmiſche und ungarifche Ländergruppe einander näher zu bringen und fie unter dem Schutze des deutſchen Kaifertums zufammenzufhließen zum „Schild und zur Vor- mauer des Chriftentums” gegen das türfifche Heidentum, daß feit der Eroberung Konſtantinopels am 29. Mai 1453 zu einer großen Gefahr für ganz Mitteleuropa heranwuchs. Die lange Vereinfamung Böhmens ſchien befeitigt werden zu follen durd) den Gang der Weltgeſchichte. Die Außenpolitik begann unter König Ludwig Einfluß zu gewinnen auf Böh- mens innere Verhältniffe. Und nicht nur in politiſcher, auch in religiöfer Hinſicht.

Weder Papft noch Kaifer hatten den Utraquismus aus Böhmen und Mähren auszumerzen bermocht; nicht durd; Ge- malt noch durch Güte, nicht durch Kampf noch dur Ver- Handlungen, nicht mit kirchlichen noch politifhen Mitteln. Streng Fatholifhe Fürften regierten im Lande und waren doch machtlos angefichts der Abneigung des Volkes gegen die alte Kirche. Aber umgefehrt erwies fich die religiöfe Bewegung in Böhmen unfähig, ſich über die engen Grenzen ihrer Heimat auszudehnen, ihre Idee weiter zu verbreiten. Der engliſche Wiclifismus hatte im Sturme Böhmen erobert, der in nati- onale Bande gefeſſelte Huſſitismus blieb unfruchtbar. Aller- dings der fogiale Grundgedanke des Huflitismus, die geheime Feindſchaft wider die Priefterfchaft und die Reichen ſchwirrte während des ganzen 15. Jahrhunderts auch durch die deut- ſchen Lande. Nicht nur einmal fürdjtete man dort, daß nad) böhmiſchem Mufter die Maſſen über die Geiſtlichen, die Kom- munen und Städte herfallen würden. Das Dorf Niklashaufen in Sranfen mit feinem fanatifierten Hirten Sans Böhm, zu deſſen Predigten ſich oft zehntaufende und mehr Menjchen aus niederen und auch höheren Freien jammelten, wo man ſich gleichfalls „Bruder“ und „Schweſter“ aniprad), wo man glaubte, e8 ſei „der Simmel auf Erden gefallen“, erinnerte fehr an das Treiben auf dem Berge Tabor. Die Zeitgenofien bielten einen Zuſammenhang aivifchen diefer Bewegung und

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dem Huſſitismus für offenfihtlih. Aber in Deutfchland wurden dieſe Umfturzverfuche, wie einftens in England, mit rüdfihtslofer Strenge niedergeworfen, bevor fie noch zu einer allgemeinen fozialen Gefahr anwuchſen. Böhm mwurde am 13. Zuli 1476 zum Scheiterhaufen verurteilt und verbrannt, viele Anhänger ſchwer beftraft, Andere Bauernunruhen, wie die Bundſchuhbewegung im Elja und Breisgau am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Kahrhunderts, der ſich auch ſchon Geiftlihe und Adlige anſchloſſen, ſchlugen nicht minder fehl. Der Kampf gegen die alte Kirche mußte rein geiftig erwachſen, ohne die gefährlichen nationalen und fozialen Er- tegungen, die ihm feine wahre innere Kraft raubten.

Am 31. Oftober 1517 hatte der Auguftinermönd) und Uni- verfitätslehrer Martin Luther in Wittenberg, die Tragweite ſeines Entſchluſſes nicht ahnend, die 95 Theſen gegen den Ablaß an die Kirchentür geheftet. „In vier Wochen hatten fie die ganze Chriftenheit durchlaufen“, bezeugt ein Beitgenofie. Wie hätte Böhmen von diefer gewaltigen Bewegung unberührt bleiben jollen, die äußerlih an die früheſten Anfänge Huſſens gemahnte?

Die erſte Nachricht vom Eindringen der lutheriſchen Lehre in Böhmen kommt uns aus Deutſchbrod, alſo einem vom Schauplatz der Ereigniſſe ziemlich entfernt liegenden Punkt. Dort predigte ſchon 1518 der utraquiſtiſche Pfarrer Johann trog Warnungen und Berbote feiner Kirdjenoberen, des Prager Konſiſtoriums, im Sinne Luthers; bald auch mehrere Geiftliche an Prager Kirchen. Als dann Luther in der großen Leipziger „Disputetion” (Zuni-Suli 1519) von Dr. Ed gehöhnt wurde, er fei wohl ein Böhme, ein böhmiſcher Keker, ein Patron der Böhmen, da ftieg feine Wertihägung in Böhmen befonders hoch. Der Pfarrer an der Teinfirde in Prag, Iohann Poduſchka, fchrieb ihm ſchon am 16. Juli einen Brief, der die Bedeutung, die Quther für die böhmifchen Utraquiften gewann, deutlich erfennen läßt.

Er beginnt mit der Berfiherung, dab ihm Luther auß vielen und verſchiedenen feiner Schriften wohl bekannt fei, aus denen man Far erjehe, wer und wie er fei. Er, Podufchka, und feine

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Anhänger bewundern an Zuther, daß er troß fo vieler Schmä- hungen ganz und gar feine Bedenken trage, Ehrifti und der Apoftel Lehre frei und offen zu predigen. Er rühmt ihn als „Wächter über fein Volk“, mahnt ihn auszuharren, berfichert ibn, daß in Böhmen fehr viele feien, die „Tag und Nacht durch Gebete ihm helfen“. Schon wenige Tage fpäter, 19. Juli, er» ging ein zweites Schreiben an Luther von Wenzel Rozdalowsky, Propſt des Kaifer-Rarl-Kollegs in Prag, der ihn zu feinem „truhmbollen Sieg“ über Dr. Ei beglückwünſcht. Ein Muſikus Jakob, ein großer Verehrer Luthers, habe die Nacjricht nad; Prag gebradt. Da Luther durch diefen Mann um die Schriften Huffens, „des Apoftels der Böhmen“, gebeten babe, um fi) über ihn, den er nur nad) der Meinung der Menge und dem jchlecht beratenen Konzil kenne, ein felbftändiges Urteil zu bilden, ſchickte er ihm defjen Schrift „über die Kirche“. Er ſchließt: „Was ehemals Johannes Huß in Böhmen geweſen, bift du, Martin, jegt in Sachſen. Wache und kämpfe im Herrn und hüte dic) vor den Menfchen und laß den Mut nicht ſinken, wenn du dich Ketzer und exkomminiziert ſchmähen hörſt, ein- geben? deſſen, mag Chriſtus gelitten, was die Apoftel, mas alle auch heute leiden, die fromm in Chriftug Ieben wollen“. Es verlautete allgemein, daß die Böhmen, während Luther in Leipzig ftritt, in Prag für ihn öffentliche Gebete und täg- lichen Gottesdienft beranftalteten und Dr. Ed hielt Luther während der Disputation am 5. Juli öffentlich vor, er höre, daß die Böhmen Luther zu feinen Behauptungen, die ihren Irrtümern ſehr genehm find, Glück gewünſcht hätten. Obwohl feine beiden Hauptanhänger Poduſchka und Roz- dalowsky noch im Jahre 1520 in Prag an der furdtbar wüten- den Peſt „mie die Menſchen felten eine ſolche Krankheit gejehen haben“, ſchreibt der Ehronift dahinftarben, fein Ruf ftand in Böhmen bereits feſt. „Sie beivegen das Wort gar gewaltig unter den ihren“, jchreibt Luther ſelbſt am 17. Februar 1521 an feinen Freund Spalatin, den Hofkaplan und Vertrauten des Kurfürften Friedrich des Weiſen, da er vernommen hatte, daß feine „Behn Gebote” und jein „Bater- unfer“ ins Tſchechiſche überfegt worden feien. Und nicht minder

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bedeutfame Beziehungen Fnüpften ſich zwiſchen Luther und den Böhmiſchen Brüdern, die im letzten Jahrzehnt der Re- gierung Wladislaws, von 1503 angefangen, befonders aber feit dem St. Jakobsdekret von 1508 eine ſchwere Verfolgungszeit durchgemacht hatten.*?

Die kirchliche Vereinfamung des nichtfatholifchen Böhmen ſchien ſchwinden zu follen; neue Bande bildeten ſich zum deutſchen Volke jenſeits der Grenze. Aber für die Katholiken und die gemäßigten Utraquiften bedeutete diefe Entwidlung eine neue Gefahr. Die religiöje Frage drängte ſich in anderer Geftalt als früher in den Vordergrund. Und fein König im Rande, mit deſſen Unterftügung man rechtzeitig entgegen zu wirken vermöchte. Späteiteng jeit dem Jahre 1520 drängte Wilhelm bon Bernftein, der treue Freund und Berater des jungen Königs Ludwig, auf deifen Anweſenheit in Böhmen, in Prag. Am 19. März ſchrieb er an König Sigmund bon Volen, Ludwigs Vaterbruder und zugleich Vormund: „Was das Königreich Böhmen anlangt, jo wiſſet, da ſich dort nichts Gedeihliches für unfern Seren König vollzieht, vielmehr geht e8 immer mehr zugrunde ,... ., e8 berfommt einfach und dag Volk darin... .”.* Gleich darauf, am 236. März, an Ludwig ſelbſt: „. . . Denn in diefem Königreich haben fich ſolche Unordnungen herausgebildet und nehmen nicht ab... ., wenn nicht eiligft da augefehen und Einhalt geboten wird... .; und laßt Euch durch nichts verleiten Eure Reife bieher aufzu- ſchieben“. Aber die Peſt verhinderte fie. Im Oftober mahnt er bon neuem: „Eure Serfunft ift jo groß notwendig, daß fie nicht mehr größer fein Fann, denn häßlich geht das Königreich zugrunde.” Er mahnt ihn ſchon jet die Zügel der Regierung Träftig in die Sand zu nehmen. „Ihr müßt fo regieren”, ſchreibt er ihm, „daß Ihr der Kerr feid, der ftet3 unter Wahrung der Gerechtigfeit wenn er jagt „ich will”, auch weiß, daß es geichieht, und wenn er fagt „ich will nicht”, daß es nicht ge- ſchieht. Und wenn Eure kön. Gnaden diefen Vorſatz nicht ſchon in der Jugend fafien, fönnt Ihr niemals feft fein, werdet nur König heißen, aber andere werden das königliche Amt aus- üben und tun, was ihnen beliebt... .“. Und in einem anderen

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Briefe vom 10. Dezember 1520: „Der verftorbene König hat wegen feiner Güte fich jelber in dieſem Königreich viel Böſes angetan, worüber ich mit Euer Gnaden oft gefprochen habe . . Ale Eigenihaften Eures Baterg möchte id) Euch wünſchen, feine Gerechtigfeit und was er fonjt gehabt hat. Nur das möchte ich Euch nicht wünſchen, dag Ihr nicht anders in Eurer Regierung Euch gehabet als er; fondern dab Ihr Herr feiet und, ohne den Leuten Unrecht zu tun, herrſchet und befehlet, damit die Leute wiſſen, dab fie einen Herrn haben. Dann nur wird e3 Euer Gnaden gut gehen und Eurer Gnaden Unter- tanen“. Am 8. April 1521 ſtarb diefer Berater, Wilhelm von Bernftein.

Erft im März 1522 fam dann Ludwig nad Böhmen. Im Suli des Vorjahres 1521 hatte feine Vermählung mit der Sabsburgerin Maria, der Schweiter Karls V. von Spanien und des öfterreichiichen Erzberzogs Ferdinand I., des Gemahls feiner Schweiter Anna, ftattgefunden. Dann mußte ein Krieg gegen die Türfen unternommen werden, während befien Dauer der König an Ungarn gebunden war. Der Krieg mar unglüdlid; verlaufen. Man mußte auf einen gefährliden An- griff des gewaltigen Soliman I. für dag Jahr 1522 gefaßt fein. Diefe Sorge vornehmlich war e8, die Ludwig nad) Böhmen trieb. Aber hier drängten ſich ganz andere Fragen in den Vordergrund: dag Kirchentum, die innere Verwaltung, der Kampf der Stände, die Stellung des Königs. Der EChronift erzählt eine bezeichnende Epifode bom erjten Bufammentreffen des Königs mit den hohen Adligen, die ihm bis zur Landes- grenze entgegengefommen waren, beim Dorfe Arnolds, eine Meile von Polna, auf freiem Felde. Sie verlangten nad) der erften Begrüßung des Königspaares, dab Ludtwia. bevor er böhmifchen Boden betrete, einen Eid leifte „nach Ordnung und Recht”, Der König lehnte eg ab mit der Erklärung: „bis wir jehen werden, welche unjere Getreuen find“, und fie beftanden nicht weiter auf ihrem Verlangen. In Prag aber fand er nad) der Schilderung des Chroniften, „wie e8 damals unter allen Ständen, den weltlicden jowohl wie den utraquiftiichen Prieftern zu gären begann, daß die einen ſich von den anderen

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trennten, einander auf fonderbare Weife beſchuldigten und gegen einander predigten; was die einen lobten, tadelten die anderen und umgefehrt, die einen nannten die anderen Neger und Pikharten, die einen veränderten ältere und die anderen erfannen neue Dinge. Aus einer ſolchen Serrüttung und Un- einigfeit unter der Geiftlichfeit entitand viel Böfes, auch die Verbannung vieler guter Bürger. Denn das Volk war in feiner Religion geteilter Meinung, die einen fanden Wohlgefallen und rühmten die Lehre des Doktors Martin Luther, die anderen wiederum predigten dagegen, man folle dem Einhalt tun, daß Gottes Wort ſchon in den Gaft- und Schankhäufern gepredigt werde. Die Leute ftritten fich oft darüber, ja oft ſchlugen fie fi) deshalb unbarmherzig unter einander, auch Briefe fchrieben umd drudten fie und berfaßten Xieder darüber”.

Das ift bloß ein allgemeines Bild der Zuſtände. In den Verhandlungen zwiichen dem König und den Ständen kamen alsbald ganz beitimmte Schwierigkeiten zum Vorfchein. Schon Cheltſchitzky fchreibt in feinem „Netz“: der Hauptherr, der König, hat hier niemanden, über den er herrfchen Fönnte und aud nicht genügend Beſitz, um fi und fein Gefinde zu er- nähren. Das änderte fich allerdings unter König Georg von Podiebrad, von dem es im. Rabenfteinichen Dialog heikt, er babe 46 gut befeitigte Städte und 72 Schlöffer beſeſſen. Allein unter dem ſchwachen Wladislaw ging faft der ganze königliche Beſitz an den Adel über, zumeift.in der Form bon Verpfän- dungen, und Leo von Rofental war Meifter in der Erwerbung folder Güter. Es ging ein begeichnendes Sprichwort in Prag: dab aur Zeit König Georgs die Juden in Prag einen Löwen und eine Löwin ernährt hätten, ‚legt aber genüge dag ganze Königreich Böhmen nicht, einen einzigen „Löwen“ zu fättigen. (Rofental hieß mit feinem Vornamen „Leo".)*

Die Stände verlangten von ihm menigitens Rechnungs- Iegung über die Pfandfummen, die fich bereits auf mehr als 300.000 Meißner Schod beliefen. Aber er wehrte fi mit der Erflärung, er habe hierüber Quittungen vom feligen König Wladislaw. Die ganze Finanzwirtſchaft und die innere Ver-

168 Vierter Abſchnitt.

waltung krankten unter ſolchen Eigenmädttigfeiten der höchſten Beamten und ihrer Anhänger und Günitlinge, gegen die die übrigen Stände hilflos waren, wenn nicht der König jelbit eingriff.

Nachdem Ludwig in Prag angefommen war, ließ er ſich vorerſt feierlich inthronifieren und dann feine Gemahlin zur böhmifchen Königin Frönen. Sie war um ein Jahr älter als er und galt ſchon damals als geiftesftarf un‘ für politifche ragen empfänglih. Das junge Königspaar mar beraten bon dem Markgrafen Georg von Brandenburg, Ludwigs Vetter und früherem Erzieher, dann dem Herzog Karl von Müniter- berg, einem Enkel Georgs von Podiebrad, der ebenfo wie fein älterer am 3. April 1515 verftorbener Bruder Bartholomäus eifrigft in die böhmifchen Angelegenheiten eingriff, ſchließlich ungarifchen und polniſchen Räten, denen ſich auch eine Anzahl böhmifcher Adeliger anſchloſſen, die den König zu unterftügen bereit waren. Aber die Gegenpartei, geführt von Leo bon Rofental und Peter von Rofenberg, war lange Zeit im Über- gewicht; ein harter Kampf begann. Sieben Landtage mußte der König binnen faum Sahresfrift hinter einander einberufen, bon denen die erjten bier erfolgloß verliefen und aufgelöft wurden, der fünfte dem König in einigen Punkten entgegen- Tam, bis erft der jechite, der am 5. Februar 1523 begann, die Entſcheidung brachte, weil Leo und einige andere Mitglieder feines Anhangs anfangs nicht zur Stelle waren. Diejen günftigen Zufall benügten die königlich Gefinnten und „binnen drei Tagen wurde mehr erreicht ala früher in einem Jahre“.“ Als Leo fpäter doch erjchien, fürchtete man allerdings, daß der König wieder nor ihm zurückweichen werde, aber er gab aus- drücklich (propria vox) das Verſprechen, feft zu bleiben und die vom böhmifchen Adel, die zu ihm hielten, gegen jedweden zu verteidigen.

Man wählte den Ausweg, daß alle hohen Beamten, felbit- verftändlich auch der allmächtige Oberftburggraf Leo, ihre Ämter niederlegten. auf daß niemanden ein Verdacht treffe; die Landtafel wurde im Namen de3 Königs verfiegelt, alle unberechtigten Verfchreibungen bon Föniglichen Schlöffern und

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Gütern wurden für ungültig erflärt. Auf einem legten, dem fiebenten Landtag vom 22. Februar bis 9. März wurde Herzog Karl von Münfterberg zum Hauptmann und Gubernator des Königreich eingejegt, wiewohl er nicht zum einheimifchen Adel gehörte, und die neue Beamtenſchaft ernannt; auch wurde beſchloſſen, die Wladislawſche Landesordnung zu überprüfen und zu berbeffern. Die Hilfe gegen die Türken wurde im ein- zelnen feitgejegt. Gleichzeitig vollzog fi, am 14. März, au ein bollfommener Umſturz in der Stadtvertretung Prags: der bisherige Primator Johann Paſchek, der Hand in Hand mit Reo von Rofental gegangen war, wurde erjeßt dur; Yohann Hlawſa; ähnlich geſchah es bald darnach in der Bergitadt Kuttenberg. Ein Umſchwung hatte ſich vollzogen, wie er tief- greifender gar nicht gedacht werben konnte. Aber er war bon feiner Dauer. Dem zermürbten Körper nügten ſolche Linde- rungsmittel nidyt mehr,

Am 16. März verließ das Königspaar Prag, um nad) Ungarn aurüdzufehren. Das ſich ſelbſt überlaffene Land verfiel raſcher, ala man es hätte ahnen Fönnen, dem alten Wirrſal, und wiederum, wie immer früher, bot die teligiöfe Stage den erſten Anlaß dazu. Sm der neuen Regierung befanden fich neben Katholiken auch „Raliztiner”, weil, wie Ludwig dem König Sigmund von Polen gleichſam entichuldigend erklären ließ, geeignete Katholiken nicht durchwegs borhanden waren und fid) die „Kalixtiner“ der Sache des Königs geeigneter eriviefen hatten als die, die für „wahre Chriften” gehalten wurden. Dieſes „Raliztinertum” ftand aber bereit3 dem Luthertum ungemein nahe. Während des Königs Anweſenheit in Prag, im Juli 1522, hatte Luther offen an die böhmifchen Stände als feine „lieben Serren und Freunde“ ein Schreiben gerichtet, in dem er fie vor den lauen Utraquiften in ihrer Mitte warnt, die „darob feien, daß die Behemen wiederumb zum jchädlichen Stuhl der römifchen Tyrannei fallen follen“, weil fie fonſt „zu ewigen Zeiten feinen beftändigen Frieden mögen haben“; er fpridyt Hier die Hoffnung aus, daß „Deutſche und Böhmen dur) das Evangelium und göttlih Wort einen Sinn und Namen überfommen werden“, und verfpricht ihnen: „wahrlich,

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ih und die unfern mwöllen Johannem Hub, den Heiligen Marterer Chrifti, verteidigen und wenn aud) glei ganz Behmen, da Gott für fei, jein Lehre verleugnete, jo foll er doch der unfer fein“.

Kaum war der König von Prag fortgezogen, begann man dort fchon im April 1523 die kirchlichen Zeremonien abzuändern „nach dem Beifpiel der Lutheraner und der benachbarten Ränder”. Denn die Utraquiften hatten feit den Zeiten König Georgs und Roliganas den einfachen huſſitiſchen Gottesdienft längjt wieder aufgegeben und in bezug auf Zeremonien und Kult, was Bilder, Marien-Stetuen, Prozeffionen, Ausſtellung de3 Saframentes anlangt, fogar „die Idolatrien bei den Römern“, wie fid) Georg Piſenſis, der Univerfitätsdefan in feinen gleichzeitigen Aufzeichnungen ausdrüdt, bei weiten überboten; „aus Paulinern wurden fie Sauliner”. Jetzt geriet man wieder ind Lutheriſche Fahrwaſſer, aber nicht einheitlich, fondern, fagt Georg, „wieviel Geiſtliche, fobiel Nulte, eine babyloniſche Verwirrung”.

Da damals der Adminiſtrator Schiichmanef, das Haupt des utraquiftifchen Konfiftoriums, der ftarf dem Katholizismus zuneigte, am 29. Juni geftorben war, mußte an die Neuwahl diefer höchſten Firchlichen Behörde gejchritten werden, was im Auguft 1523 geſchah. An die Spike trat Magifter Gallus Cahera, einft Pfarrer in Saaz, der ſich aber in der letzten Zeit in Wittenberg bei Luther aufgehalten, deſſen befondere Gunſt erworben hatte und nun eigens nad) Prag berufen wurde, wo ihm auch bald die erfte Pfarre in der Stadt, die Liebfrauen- kirche im Tein, zufiel. Georg Piſenſis fällt über ihn in feiner Chronik ein vernichtendeg Urteil; er fei ein von Natur un- finniger (insensatus) Menſch, aber dabei verfchmigt und ſchlau, gierig nad) jchmeichlerifcher Rede und Gewinn, nicht um das Wohl der Neligion, fondern de3 Beutels beforgt, ein Menſch ohne @otteseifer, ohne Treue, unberfchämt, ein waghalfiger Zotterbube (lotre). Andere Zeitgenofjen weichen im Urteil nicht jehr ab, jo daß Palacky nicht Unrecht haben dürfte, wenn er feine „Nichtswürdigfeit” jo groß bezeichnet, „wie man ihres Gleichen nur felten in der böhmiſchen Geichichte findet”.

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Ein geiſtliches Oberhaupt dieſer Art konnte die politiſche Partei, die ſich ſeiner Führung überließ oder auch nur mit ihm gemeinſame Sache machte, leicht zu ſchwerem Schaden bringen, den Stadtprimator Hlawſa, den Oberſtburggrafen Johann von Wartemberg und den Statthalter Fürſt Karl von Müniter- berg, die alle in dem Rufe ftanden, der lutheriſchen Richtung zum mindeften wohlgefinnt zu fein. Schon bei der Ratswahl in Prag im März 15M, ein Jahr nad) Ludwigs Abreife, gelang es den vereinigten Katholifen und, wie fie Quther nennt, den lauen Utraquiften, Hlawſa und feinen Anhang zu ftürgen und Paſchek von neuem an die Spike des Stabt- regiments zu bringen. Sofort feßte nun der Kampf gegen das Luthertum in Prag ein. Und der erfte, der feinen Mantel nach dem Winde drehte, mar Gallus Cahera, der ſcheinbar getreuefte Lutherjünger. Auch Luthers Eingreifen blieb jetzt erfolglos; er konnte nur nod) feinem Unmut über den Verrat, der an feiner Sache verübt worden, in heftigen Worten Aus- drud geben; „Gallus, das Scheufal der Böhmen; Gott zertrete feine Abfichten, der mit ung fo fein Spiel getrieben,” fchreibt er am 22. Sebruar 1525.

Dem Umfturz im Rathaus waren wenige Monate fpäter, im Auguft 1524, ernfte Unruhen in der Hauptſtadt gefolgt, die den neuen Machthabern den erwünſchten Anlaß gaben, fi) der Gegner zu entledigen: Iutherifch gefinnte Geiſtliche und Deutſche (Alemanni), die früheren Ratsherren, darunter auch Hlawſa, und ihre Anhänger aus der Stadt außzumeifen; andere gingen bon felber. Katholifen und gemäßigte Utra- quiften behaupteten das Feld. „Niemals“, ſchreibt damals ein Tatholifcher Geiſtlicher,“ „war eine jo große Eintracht zwiſchen ung und den Utraquiften (Calixtinos), wie jegt; wenn. ber König ein Mann wäre, jet könnte er etwas zuftande bringen. Veißende Spottlieder gehen um gegen Pikarden und Quthe- raner, bejonder8 gegen gewiſſe hohe Herren der Regierung und einige angefehene Prager Bürger . . .”.

Der König, beziehungsweife feine Ratgeber am ungarifchen Sofe ließen fid) denn auch geivinnen, in dem Glauben, daß alles nur um der Erhaltung. des Fatholiichen Glaubens willen

173 Vierter Abſchnitt.

geihehe, umfomehr, als aud) der Papit Klemens "VII. und König Sigmund von Polen ihre Zufriedenheit mit der Wand- lung der Dinge in Prag König Ludwig offen ausſprachen. Auf dem Landtag, der in Prag vom 25. Januar bis zum 10. Februar 1525 tagte, wurde Leo von Roſental in dag Amt eines Oberftburggrafen, das er vor kaum zwei Jahren hatte aufgeben müffen, wieder eingefegt, mit ihm einige andere Barone feiner Richtung in ihre früheren Würden und GStel- lungen, Karl von Münfterberg behielt zwar die Statthalter- ſchaft, aber nur mehr dem Namen nad, unumfchräntter Herr und Gebieter in Böhmen war wieder der „Löwe“, den das ganze Land nicht zu fättigen vermochte und der gerade jekt in einen ſchweren Erbicdaftsitreit mit dem Kaufe Rofenberg beriwidelt war, der ihm die Perlen dieſer Herrichaft verichaffen follte: Krumau, Prachatitz u. a, Die Zuftände, wie fie vor dem März 1523 geherrſcht hatten, die allgemeine Zwietracht, der Bruderfrieg lebten von neuem auf. Damals ſchrieb ein ein- facher Prager Bürger, ein biederer Leinwandhändler, Bartho- lomäug bon St. Egid, die Beitereigniffe, wie er fie in jeiner Vaterſtadt miterlebte, nieder unter dem begeichnenden Titel: „Die Erhebung der einen wider die anderen in ber Stadt Prag“. Er entfchuldigte fich in der Vorrede beim Leſer, daß er über Dinge rede, die eg mehr berdienten berladjt als ge- würdigt zu werden (irrisione magis quam aestimatione digna sunt).

Das gegen Luthertum und Pikarden (böhmifche Brüder) geichloffene Bündnis zwiſchen Katholiken (Leo von Rofental) und Utraquiften (Cahera) follte gleichſam feine Weihe finden durch eine endgültige „Glaubengeinigung”, über die auf dem legten Landtag ernite Vorverhandlungen geführt worden waren. Und fo ausfidytsreich ſchienen diesmal die vorläufigen Ergeb- niffe, daß der päpftliche Legat von Ofen aus am 11, Februar jubelnd nad) Nom berichtete: „Heute, eben in diefer Stunde, erhalte ich die erwünſchte Nachricht von der Nüdfehr der Böhmen in den Schoß der Mutterfirche und zum römiſchen Stuhl... .”. Es bedurfte fcheinbar nurmehr der Genehmigung durch den König und den Legaten im Namen des Papftes, Zu

Der Niedergang des Königreiches. 1471-1526. 173

diefem Zwecke begab fich eine ftattliche Ahordnung, der Rofen- tal, Cahera und Paſchek angehörten, im Mai 1524 nad) Ofen. ‚Hier ftellte ſich aber fehr bald heraus, daß fie keineswegs, wie fie borgaben, im Namen des ganzen Landes oder au nur der geſamten Stände aufzutreten und zu verhandeln bereditigt waren. Zahlreiche Eingaben und Warnungen liefen aus Böh- men am föniglichen Hofe ein, die Einblid gewährten in die völlig verſtrickten politiſchen und kirchlichen Verhältniſſe des Landes. Der Kardinal überzeugte ſich, wie er am 26. Mai nad) Rom ſchrieb, daß fie nicht von Eifer für. den Glauben, nit von hriftlicher Liebe, fondern von Parteihaß, Leiden- {haft und Gewinnſucht getrieben würden, weil fie fürdten, durd) die Macht der Pikarden erdrüdt zu werden. Dazu Fam, daß einige der Verbannten mit dem Erprimator Hlawſa an der Spite trog aller Gefahren, die ihnen drohten, den Weg zum König nad Ofen fanden und ihn von dem ungeredjten und gemwaltfamen Xreiben ihrer Gegner unterrichten konnten. Daran fcheiterten die Einigungsbeftrebungen und als ſich noch Gerüchte verbreiteten, daß in Böhmen Bauernunruhen aus- gebrochen ſeien, da3 Volk in Prag fich auflehne, der gegnerifche Adel fi) in manchen Kreiſen fammle, eilten die Abgeordneten raſcheſt in die Heimat zurück (Juni 1525).

Der arme, ſchlechtberatene König Ludwig, der zu gleicher Zeit mit dem ungarifhen Adel in ſchwerem Streite ftand, dem ein furdtbarer Türfenfrieg unmittelbar drohte, konnte in die böhmifchen Wirren nicht ander eingreifen, als daß er immer wieder beide Parteien zu Mäßigung und fried- lichem Ausgleich um des allgemeinen Beften willen mahnte. Aber die Machthaber Fümmerten fich nicht darum; auch wenn der König einen vollen Wagen folder Briefe jchiete und wenn fie mit Gold geſchrieben wären, würde man fid an fie nicht Balten, follen fie offen erflärt haben,

In diefer wirren Beit mußte König Ludwig, weil der un- gariſche Adel e8 verlangte, jelber in den Kampf gegen die Türken ausziehen mit ungenügender Heeresmacht, bon Der- tat bedroht. Er verlor die Schlacht bei Mohatich am 29. Auguft

174 Vierter Abſchnitt.

1526 und büßte auf der Flucht durch Ertrinken i im Bade Czele bei Fünfkirchen fein junges Leben ein.

Mit ihm erlojch das polniſche Königsgefchlecht im Mannes- ftamme, deifen mehr als hHalbhundertjährige Herrſchaft in Böhmen (jeit 1471) dem Lande zum größten Verderben ge- reicht hatte, da alle Stände und Schichten des Volkes litten, mit alleiniger Ausnahme des hohen Adels. Eines Adels, von dem ein erniter tſchechiſcher Geſchichtsforſcher urteilt, daß es ein patriotif_her Irrtum wäre zu glauben, er ſei beſſer und ehrbarer geweſen als in allen übrigen Ländern troß einzelner Ausnahmen; fein Grundzug ſei Ausichweifung, Schwelgerei und Gittenlofigfeit." Nur die Ohnmacht der übrigen Stände, hervorgerufen durch die Huſſitenkämpfe, Hatte ihm diefes Übergewicht verichafft. Immerhin: der Höhepunkt war mit dem Ende der ſchwächlichen ziellofen Serrichaft der beiden pol- niſchen Könige erreicht. Der Kampf zwiſchen Königtum und Adel beginnt mit dem Jahre 1526. Das ift deilen Bedeutung für die innere Gefchichte Böhmens und Mährens.

Fünfter Abſchnitt.

Böhmen und Mähren im Zeitalter der deutfchen Reformation. 1526— 1564.

Dreimal im Verlaufe des 14. und 15. Jahrhunderts waren die Habsburger bereit3 zur böhmifchen Königsfrone gelangt, ohne fie behaupten zu fönnen. Nach dem Ausfterben der Premysliden hatte Albrecht I., der zweite Habsburger auf dent deutſchen Königsthron, Böhmen und Mähren als dem Reiche beimgefallene Lehen in Znaim am 18. Sanuar 1307 feinem erftgeborenen Sohn Rudolf und defien Brüdern zu gefamter Hand feierlichit übertragen. Der plögliche Tod Rudolf am 4. Juli desfelben Jahres löſte das eben erft gefnüpfte Band. Das Iugemburgifche Gefchlecht verdrängte die Habsburger aus Böhmen und Mähren. Erft nad) dem Tode de letzten Qurem- burger Kaiſer Sigmund im Jahre 1437 übernahm deifen Schwiegerſohn, Herzog Albrecht von Sfterreich, zugleich auch ſchon deuticher König, das böhmiſche Erbe und behielt es, wenn auch nicht ohne Kampf, bis ang Ende feines Lebens, 1439. Seinem nadjgeborenen Sohn Ladislam fiel e8 dann erſt nad; mancherlei Zwiſchenfällen im Jahre 1452 zu, doch war auch ihm nur eine kurze Herrſchaft beſchieden. Mit jeinem frühen Tode, Ende 1457, entſchwand den Habsburgern der mühfam wiedergeivonnene Beſitz bon neuem für mehr als ein halbes Jahrhundert.

Viel verhängnisvoller als dieje zeitweiligen, wenn aud) langen Unterbredungen wäre e8 für die Anſprüche der Habs- burger auf das nachbarliche Königreich geweſen, wenn ſich die Nachricht betvahrheitet hätte, daß fie felber auf ihre GErbrechte in Böhmen verzicgteten. Auf einem Prager Landtag im September 1465 erklärte König Georg, um einer mit feiner Negierung und Verwaltung unzufriedenen Abelsfippe die Verdienſte, die er fi) um das Land erworben habe, darzutun: „Es ift befannt, daß diefe Krone gebunden war, ihre Könige

176 Fünfter Abſchnitt.

bon nürgendondersher zu nehmen, als aus dem Fürftentum Oſterreich; am diefem bindenden Vertrag hingen die Siegel vieler böhmiſcher Herren. Aber wir haben mit Gottes Hilfe der Krone die Freiheit erwirkt, daß die öfterreichifchen Fürſten dieſes Recht aufgegeben haben und entſagten, ſich jemals in Ewigkeit darauf zu beziehen, noch ſich darüber zu beklagen. Der Kaifer (Friedrich III.) hat es als öfterreidyiicher Herzog getan, und als römifcher König hat er es mit Majeftätsbrief beftätigt, fo daß ihr dabon bereit3 befreit feid; und wenn es feinen König gibt, muß derjenige König werden, den ihr dazu wählet, was ihr früher nicht hattet”.

So beitimmt die Nachricht auch auftritt, ift e3 immerhin auffallend, daß fi) diefe Urkunden nidyt nur nicht erhalten Haben, fondern ſich auch fonft Feine Spur eines ſolchen Abkommens borfindet. Ein Bugeftändnis von jo außerordent- licher Wichtigkeit hätte Maier Sriedrih III. nur im Jahre 1462 machen Fönnen, als ihm König Georg, begleitet bon böhmifchern und mährifchem Adel, gegen die aufltändifchen Wiener und den Herzog Albrecht VI, Friedrich Bruder, Hilfe brachte. Allein den Dank, den der Kaiſer gerade für diefe Unterftügung in Form bon Gnadengaben (gratiae) abftattete, kennen wir aus den zwei großen Privilegien vom 7. und 21, Dezember 1462, in denen aber von einem ſolchen Verzicht für ſich, geſchweige für das gange öſterreichiſche Haus, au dem er gar nicht beredjtigt war, nichts enthalten ift.” Die Anſprüche der Habsburger auf die böhmifchen Ränder waren mittlerweile auf anderer Grundlage bon neuem erwachſen. Schon der 1471 zum König von Böhmen gewählte Jagellone Wladislaw hatte eine Mutter aus habsburgiſchem Gejchlecht, Elifabeth, die Schweſter des böhmiſchen Königs Ladislaw, die Gemahlin König Kafimirs von Polen. Wichtiger war, dab Wladislaws Tochter Anna, geboren 1505, trogdem ihr ſchon im folgenden Sahre ein Thronerbe nachfolgte, Erbrechte auf Böhmen berbrieft befaß. Während feines legten Aufenthaltes in Prag hatte Wladislaw am 11. Januar 1510 eine Urkunde außgeftellt, durch die für den Fall, als der Thronfolger Ludwig ohne eigene Nadjfommen ftürbe, Unna als „rechte

Böhmen und Mähren im Zeitalter ber deutfchen Reformation. 177

Erbin des Königreiches Böhmen“ gelte. Im Hinblid auf diefe Vereinbarung mit den Ständen wurde zugleich verfügt, dab Unna in diefem Sinne erzogen werden, ſich die tichechifche Sprache aneignen folle und zu ihrer Verlobung oder Ber- mählung die Buftimmung des „Königreiches“ eingeholt werden müffe, „weil fie darin... . erbt“.®

Als König Ludwig am 29, Auguſt 1526 kinderlos ftarb, war fomit feine Schweſter Anna, die Enkelin einer Habsburgerin, ſchon nad dem Erbfolgegejeg von 1510, die einzig bered- tigte Nachfolgerin und mit ihr ihr Gemahl Erzherzog Terdi- nand I. von Öfterreid, deifen Eheichließung gewiß nicht ohne Willen der böhmiſchen Stände vor fi gegangen war.‘ Allein die höchſten königlichen Beamten, in eriter Linie Roſental, bielten fi) feineswegs an die letzten Abmachungen, erklärten vielmehr Böhmen als Wahlreich und die Mehrzahl der Stände ſchloß fi} ihrem Standpunkte an. Schrieb doch Rofental ſchon am 13. September an Adalbert von Pernftein nicht ohne einen bortwurfsbollen Unterton: „man höre, e8 wolle jemand in diefem Königreich früher König fein, ala er gewählt wäre.“ Und am folgenden Tag: „Wenn irgend jemand ohne unfern Willen König werden wollte, jo dürfen wir ung weder in diefer noch in anderer Hinſicht bon unferen Freiheiten abbringen laſſen, fondern es foll eine ordentliche Wahl ftattfinden, bis es an der Zeit fein wird.”

Vom 8, bis 24. Oftober tagte denn aud) ein Zandtag,® der als feine wichtigite Aufgabe die Wahl eines neuen Landes- herrn auf Lebenszeit bezeichnete. Ein Anfallsrecht, das Anna und Ferdinand geltend machten und ſchon aus dem Privileg Kaiſer Friedrichs I. vom Jahre 1212 ableiteten,* wieſen die Stände mit dem Hinweis zurüd, daß Anna „abgefertigt und verheiratet und dadurch dieſes Anfalls verluftig gegangen ſei“. Anfallsberechtigt wäre nur ein männlicher oder weib- licher Nachkomme des letzten Königs, aljo Ludwigs geweſen, denn „Anfälle gehen nur nad) born und nicht zurück“.

Ferdinand hat daraufhin zwar nicht auf fein und feiner Gemahlin Anfallsredjt Verzicht geleiftet, allein den wirklichen Kräfteverhältniffen Rechnung tragend ſich dem Standpunkt der

Bretdols, Beld. VWöhmens u, Mahrens. II. 13

178 Fünfter Abſchnitt.

Böhmen, daß eine Wahl vorgenommen werden müffe, angepaßt. Seine Ausfichten fchienen anfangs wenig günftig, da ſich außer ihm fait ein Dutzend Bewerber gemeldet hatten: König Sigmund bon Polen, den Ferdinand für feinen ernfteften Gegner hielt, Kurfürft Johann von Sachfen, beziehungs- weiſe jein gleichnamiger Sohn, ferner Herzog Georg bon Sadj- fen, Zürft Friedrich von Viegnig, König Franz I. von Frank - reich, der den Habsburgern überall, wo er Zonnte, entgegen- trat, die beiden heimiſchen Barone Leo bon Nofental und Adalbert von Pernitein, jhlieklih die Herzöge Ludwig und Wilhelm von Bayern. Am Sonnabend den 20. Oftober be- ftimmte der Landtag den engeren Wahlausſchuß, je acht Mit- glieder aus dem Herren- und Nitterftande, ſowie auß den königlichen Städten: Prag Altitadt, Neuftadt, Kleinſeite, Kuttenberg, Saaz, Tabor, Pilfen, Kaurim. Montag ließ ſich der Ausſchuß unter Aufhebung früherer Beichlüffe das Recht erteilen, den König endgültig zu wählen und nur noch zwiſchen den beiden bayrifchen Serzogen und Ferdinand die engere Wahl zu treffen; Dienstag erfolgte die geheime Wahl, Mittwoch den 24. Oftober wurde fie öffentlich Fundgegeben. Einftimmig war bon den bierundzwanzig Ständebertretern Erzherzog Ferdinand zum König von Böhmen erwählt worden, Die Entſcheidung bedeutete eine Überraidiung, denn allgemein hatte man geglaubt, daß einer der beiden bayriſchen Brüder die Mehrzahl der Stimmen auf fi) vereinigen würde. Ferdinand, geboren am 10. März 1508 im fpanifchen Städt- Ken Alcala de Henarez, zählte damals erft dreiundzwanzig Jahre. Den Vater, Kaifer Maximilians I. Sohn Philipp den Schönen, Serzog von Burgund, hatte er 1506 durd) den Tod verloren, die Mutter Johanna verfiel alsbald in Xrübfinn. Die älteren Geſchwiſter Eleonore, Karl, Iſabella lebten in Slandern. Seine Erziehung übernahm der mütterliche Groß- vater, König Ferdinand von Spanien, nad) dem er den Namen trug, mit dem er auch im ganzen Weſen viel Ähnlichkeit hatte. Eine gefunde körperliche und geiftige Ausbildung wurde ihm zuteil. Nach dem Tode des Großbaters (8. Februar 1516) und nachdem der ältere Bruder Karl bie Regierung in Spanien

Böhmen und Mähren im Zeitalter ber beutfchen Reformation. 179

angetreten hatte, ging Ferdinand im Frühjahr 1518 als deſſen Stellvertreter in die Niederlande. Er war damit zufrieden: „mein Platz ift dort, mo es der Wille meineg Seren und Bruders ift“, fol fein offenes Bekenntnis gelautet haben, mit dem er von bornberein jeden Gedenken an Nebenbuhlerichaft bei dem mißtrauiſch beranlagten Karl zu befeitigen juchte. Der Tod des väterlichen Großvaters Marimilians I. am 12. Januar 1519 machte Karl und Ferdinand gemäß Mari- milians legten Beitimmungen zu gemeinjomen Erben der öfterreichiihen Länder. Gegen eine ſolche Doppelberrichaft wehrten ſich nicht nur die öſterreichiſchen Stände; fie war auch bei der außerordentlich großen Macht Karls, der durch die Wahl am 28. Zuni 1519 in Frankfurt a. M. aud) deuticher Raifer geivorden war, in Wirklichkeit ſchwer durchführbar. Dazu Fam noch, dab Marimilian I. ſchon 1515 einen feiner beiden Enkel verpflichtet hatte, Anna von Ungarn und Böhmen au ehelichen, um die habsburgifchen Anſprüche auf dieje beiden Länder fiherzuftellen, Karl lag als fpanifchem König eine Verbindung mit der Tochter des Königs Manuel von Portu- gal näher; er mußte fomit die Sand Annas feinem Bruder Verdinand überlaffen. Und damit ergaben ſich bereits die Grundlinien für die Erbteilung zwiſchen den beiden Brüdern, wie fie dann auch durch zwei wichtige Familienverträge durch- geführt wurde. In Worms, woſelbſt Karl V. feinen eriten Reichstag als deutſcher Kaiſer abhielt, vereinbarte man am 28. April 1521. daß Ferdinand als Gemahl Annas, welche Anſprüche auf die beiden Königreiche Böhmen und Ungarn mitbrachte, mit den fünf Serzogtümern Öfterreich ob und unter der Enns, Steiermark, Kärnten und Krain außgeftattet werde. Als dann aber die Vermählung in Ling am 26. Mai desjelben Jahres vollaogen worden war, ſchloſſen Karl und Ferdinand auf einer perfönlichen Zufammenfunft in Brüffel am 30. Januar und 7, Februar 1522 einen neuen Vertrag, wonach Ferdinand alle öſterreichiſchen umd deutſchen Länder des Hauſes Habs- burg zu ausſchließlichem und vollem Erbrecht erhielt. Die Scheidung des habsburgiichen Geſchlechtes in eine ſpaniſch⸗ niederländifche und eine öfterreichtich-beutiche Tinte war hiemit 12*

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vollzogen. Durch die Ereigniffe des Jahres 1526 vermehrte diefe ihr Herrſchaftsgebiet nun auch noch um Ungarn und Böhmen mit deren Nebenländern.

Berdinand war nad) der Schilderung des venezianiſchen Geſandten Contarini aus dem Sabre 1527 körperlich wenig anſehnlich: eher Klein, hager, blaß, eher häßlich, dabei aber fehr beweglich, ein guter Reiter, anmutiger Fechter im Tur- nier, tüchtiger Säger und ein Freund von ſchwerem und leic- tem Geſchütz, darin er fi) beitändig übe, Er jagt bon ihm weiter, dab er weit mehr Erfahrung in den Angelegenheiten der Welt zeige, ald man fie in feinem Alter von 24 Jahren zu befigen pflege und daß er ein Menſch von bollendetem Ber- ftande ſei. Als Schattenfeiten führt er an: feinen Stolz, Ehrgeiz, feine Gier nad) großen Taten, feine feindliche Ge- finnung gegen den Dogen und die benezianifche Republik, To daß er ihn kurzweg ald „einen ganz ſchlechten Menichen (miserissimo)“ bezeicdinen zu müſſen glaubt. Wenn er angibt, dab Ferdinand damals franzöfifch, engliich, ſpaniſch, ober- und niederdeutich, italieniſch und lateiniſch „vollfommen“ gefprochen babe, fo ſcheint er ſchlecht unterrichtet gewefen zu fein, denn noch 1547 erflärte Ferdinand felber, daß er nicht einmal in der lateinifchen und deutſchen Sprache „jo perfect und volkumlich beredt“ fei, als in feiner „angeborenen Zungen“ (fpaniich). Seine Teilnahme am geiftigen Leben feiner Zeit beweift die Tatſache, daß er während feines Aufenthaltes in Brüſſel (1518—1521) an dem perjönlichen Verkehr mit Erasmus von Rotterdam Gefallen fand und deiien Schriften Tas.

Was aber aus Contarinis und anderer Schilderung nicht berborgeht, ift Ferdinands Feſtigkeit und Klarheit im Wollen, Beitändigkeit und Entſchloſſenheit im Handeln; feine un bedingte. Treue gegenüber feinem Bruder, fein in der Yürften- geſchichte jener Zeit wohl einzig baftehendes Verhältnis zu feiner Frau aud) über ihren Tod hinaus er hat fie um fieb- sehn Jahre überlebt bis an fein eigene Ende, Auch war er von einem tiefen Rechtsbewußtſein erfüllt: fein Wahlſpruch Iautete: „Fiat iustitie, pereat mundus, das Recht muß feinen Gang haben und follt die Welt darüber zu Grund gehen“,

Böhmen und Mähren im Zeitalter der deutſchen Reformation. 181

Es verfteht ſich faft von felbft, daß ein folder Menfc nicht nur tief religiös war das brachte ſchon feine Erziehung am ſpaniſchen Hofe, bei feinem Großvater, der den Titel eines „rex catholicus, tatholiſcher König“ führte, mit ſich er ließ ſich auch von feinem Glauben nicht abbringen, in einer Zeit, da der Abfall bei hoch und niedrig faft allgemein war.

Mit eimer ſolchen Perfönlichkeit von fürftlihem Gelbft- bewußtfein und Serricherfreft befamen e8 nun die alten böhmifchen Machthaber zu tun, die an dag willenlofe Regiment eines Wladislaw, des Königs „Gut, gut”, und Ludwig, „des milden Zämmleins“, gewöhnt waren. In einem Nürnberger Briefe unmittelbar nach Ferdinands Wahl zum König bon Böhmen heißt es: „Ob, ich gan (gönne) e8 den ſtolzen pehami- ſchen Herten wohl, daß der Herzog Ferdinandus ihr Kunig ift worden; ohne Zweifel wird er fie nit lafien aljo mit ihm umbgehn, wie fie wollen, als fie den zweien Kunig nad einander haben getan; fie haben mohl zu ihnen geſprochen: Du pift unfer Kunig, wir fein deine Serren .. . Ich hoff, e8 werd ig nit alfo fein; es künt ja fein peffer ermählt fein, da fie Forcht auf ihn müſſen haben, denn er hat den Naditrud . . .”.

Der hohe böhmiſche Adel, diefe reichen und mächtigen Rofental, Bernitein, Rofenberg, Schellenberg, Duba, Neuhaus, Sternberg, Pflug, Wartemberg, Schwamberg Ritterſchaft und Bürger kamen faum in Betracht hatten Ferdinand bon Öfterreich gewählt und ihn allen anderen Bewerbern bor- gezogen, in der Erfenntnis, dab er nicht nur am eheften die Gefahren, die Böhmen von außen her drohten, abiwehren könne, fondern aud) reich genug fei, um die vielen Schuld- verſchreibungen der letzten beiden Könige einzulöfen; „das wahrlich ein große mädjtige Summe machen wird; fein teuticher Zürft vermöcht es mit nichte nicht“, jchreibt ein Zeitgenoſſe. Dann aber handelte es fid) ihnen um eine Reihe anderer For- derungen politiſcher und religiöfer Art, die fie von einem Wahlfönig unſchwer zu erlangen hofften. AI das war während de3 Sandtags vereinbart und in einer Anzahl von Artikeln aufammengeftellt worden, die in die Landtafel eingetragen wurden, gleichſam als grundbücerliche Vormerkung vermeint-

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licher Rechte. Um fie nun beim König geltend zu machen, begab ſich eine große ſtändiſche Gefandtichaft nad) Wien, die dort vom 1. biß 15. Dezember weilte und die Verhandlungen mit Ferdinand und deſſen Räten führte. Allein der König, der die Grſchienenen glänzend empfing und beivirtete, lehnte die ihm vorgelegte Wahlkapituletion wie man einen ähn- lihen Vorgang im deutſchen Reich vor der Krönung des gewählten deutichen Königs nannte in der von den Böhmen gewünſchten Form ab, Er fekte ſich nicht Punkt für Punkt mit ihnen auseinander, fondern gab nur eine allgemeine Zu- ftimmung und verſchob die Enticheidung auf die Zeit, da er zur Krönung in Prag fein werde. Es müßten, meinte er, auch einige Artikel, die ihm „etwas beſchwerlich und daran dem Königreich nicht jonderlich gelegen, aud) wider ihre Freiheiten nit wären, berbeifert werden“,

Schon am 21. Ianuar 1527 wurde die überaus prunfoolle Krönungsfahrt von Wien aus angetreten. Sie führte über Znaim nad) Iglau, in defien Nähe am 30. Januar die böhmiſch · mãhriſche Grenze überjchritten wurde. Noch bis in unſere Tage zeigte ein fteinernes Denkmal mit Imfchrift die Stelle, an der bie erfte Begrüßung des neuen Königs durch die böhmiſchen Stände ftattfand. Am 5. Februar langte der Niefenzug mit 3381 Roffen und zahlreichen Wagen in Prag an. Am 24. und DS. Februar erfolgte die feierliche Krönung zuerſt des Königs, dann der Königin in der Gt. Veitskirche durch die drei katholiſchen Biſchöfe Stanislaus von Olmüg, Jakob von Breslau und Bernhard von Trient, in Anweſenheit zahl- reicher Fürften aus dem Neid; oder ihrer Gejandten, auch folder des Papſtes Klemens VII, Kaifer Karls V., König Heinrichs VIII. von England, vieler Großen aus Spanien, den Niederlanden, Burgund, Brabant, Oſterreich, Tirol, Würtemberg und den übrigen habsburgiſchen Ländern, aus Ungarn und vor allem aus Böhmen. Prag begann wieder die Aufmerkjamkeit der Welt auf ſich au Ienfen, da der Bruder des Kaiſers deſſen Fürſt und Herr war. Feſtlichkeiten wurden beranftaltet, „dergleichen dieweil Prag geſtanden nie gefehen worden“. Ihnen parallel liefen die in Wien abgebrodhenen

Böhmen und Mähren im Zeitalter der beutfchen Neformation. 188

Verhandlungen zwiſchen den Ständen und dem König. Über bie legten ſtrittigen Forderungen wurde endlich am 2. März eine Vereinbarung im Landtag in folgender Form beſchloſſen und in die Landtafel eingetragen: 1. Ein volljähriger Sohn Tann aud) ſchon bei Lebzeiten des regierenden Königs ala deſſen Nachfolger gefrönt werden; 2. bei der Abfegung untaug- lier Beamten ift der König nur an den Nat, nicht an den Willen und die Entiheidung der übrigen Beamtenſchaft gebunden.

Es war ein allererfter leiſer Verſuch, in Böhmen die Iandes- fürftlie Macht zu ftärfen und die der Stände ein wenig ein- aufchränfen. In Mähren, wo Ferdinand auf Grund des Erb- rechtes feiner Gemahlin ohne Wahl und lange Verhandlungen fofort als Marfgraf anerkannt worden war, hatte er mit ähn- lichen Plänen, ebenfo wie in Schlefien und der Lauſitz, nod) weniger Erfolg,” bejonders auch, da die Zeit nicht hinreichte, folde Fragen gründlicher in Angriff zu nehmen. Schrieb doch der König nod) am 14. März aus Prag an feinen Faiferlichen Bruder: „Sch beeile mich jo jehr als möglich die Angelegen- heiten dieſes Qandes ins reine zu bringen; fie find fo übergroß und verworren, dab es kaum zu glauben ift.” Noch im felben Monat, 29. März, mußte er aber Prag und Böhmen verlaſſen, um borerft die Negierung in den übrigen SKronländern, Mähren, Schlefien, Laufik, zu übernehmen. Dann fehrte er für Zurze Zeit, vom 26. Mai bis 6. Juni, nad) Prag zurüd, weilte dort aud) im Winter 1538 einige Wochen,’ allein zu einer politifch wichtigeren Maßregel entſchloß er ſich nicht. Dazu waren aud) die allgemeinen Verhältniffe nicht genug geklärt; er mußte das Adelsregiment mit Leo von Rofental an ber Spige vorläufig noch ſchalten laffen. Ferdinand war ein viel zu guter Politiker, um nicht zu wiſſen, daß die Ent- wigflung der Dinge in Böhmen weit mehr abhängig fei bon der Geitaltung der Verhältnifie in der Welt, als daß umgekehrt eine hier gewaltfom herbeigeführte Wendung auf jene einen Einfluß haben Zönnte. Der bereits begonnene Wettfampf zwiſchen Spanien und Frankreich, der gerade im Jahre 1526 eine entjeheidende Wendung genommen hatte, mußte in feiner weiteren Auswirkung abgeivartet werden.

184 Fünfter Abſchnitt.

Am 24. Februar 1525 hatte der überwältigende Sieg der ſpaniſch · deutſchen Waffen bei Pabia das Geſchick Frankreichs gleichſam in die Hände Kaiſer Karls V. gelegt. Nicht nur, daß diefer den in feine Gefangenſchaft geratenen König Franz I. awang, auf alle frangöfiihen Anſprüche in Italien zu ber- sichten, auch Frankreich follte fo geſchwächt werden, dab es für Spaniens weitere Pläne in Europa feine ernfte Bedeutung mehr gehabt Hätte. Aber gegen diefe Gefahr einer ſpaniſchen Übermacht bildete ſich ſchon am 22. Mai 1526 die „heilige Liga von Cognac”, ein Bund Frankreich, Englands, ganz Ober- italien unter dem Schutze und der Mitwirkung des Papites Klemens VII., der damit feine langjährige Freundſchaft zu Spanien, auf die der Kaiſer mit Beitimmtheit redjmete, brad). Und im Sintergrumde diefer getvaltigen Verbindung gegen das Haus Habsburg ſtand noch der türkiſche Sultan Soliman der Große, der im Frühjahr 1526, als er gegen Ungarn heranzog, dem jungen König Ludwig I., dem Schwager Karls V. und Ferdinands I, hatte melden laſſen: er werde zuerſt deſſen Rand erobern, dann aber die Deutfchen heimfuchen, „gleich wie Dich und ſchwerer als Dich“.

Allein die Habsburger blieben Sieger auf der ganzen Linie. Der verhängnispolle, „Sacco di Roma” am 16, Mai 1527, eine furdtbare Plünderung der heiligen Stadt und des Kirchenſtaates durch das Heer Karls V., brachte zuerſt den Papit in die Gewalt des Naifers; der Damenfriede bon Cambrai am 5. Auguft 1529 zwang den franzöfifchen König die Waffen niederzulegen; England und Oberitalien hatten fi ſchon früher mit dem Kaiſer verftändigt, und ſchließlich hatte Soliman die Belagerung Wiens nad) dreiwöchiger Dauer (22, Sept. bis 15. Oft.) als erfolglos aufgeben und anftatt nach Deutſchland weiterzuziehen, den Rückzug amtreten müffen.

Solde Zeiten, da ſich alle Aufmerkſamkeit Karls und Ferdinands auf die Weltpolitif richtete, waren nidjt geeignet, an die berivorrene böhmiſche Frage heranzutreten, Allerdings mußte es fid) Ferdinand gefallen laſſen, daß fein Anhang in Böhmen, der ein kräftiges Eingreifen von feiten des neuen Königs erwartet hatte, von feiner Zurüdhaltung einigermaßen

Köhmen und Mähren im Zeitalter ber beutichen Reformation. 185

enttäuft wurde: dat man ihm als böhmiſchen König nicht begriff, weil man die Rolle, die er als Habsburger zu fpielen ſich verpflichtet fühlte, nicht zu beurteilen vermochte. Wir erkennen diefe feindfelige Stimmung aus einem Schreiben, das einer der angejeheniten böhmiſchen Adligen, Adam von Neuhaus, Oberſtkanzler des Königreiches, Ende 1529 an Ser- dinand richtete. Die Offenheit, mit der er ſpricht und die Vorwürfe, die er erhebt, überraſchen. Er erinnert an die Rat- ſchläge, die er Ferdinand gleich bei deſſen „Annahme“ als König gegeben habe. „Was die Urſache ift, daß Eure Majeſtät es ſich nicht angelegen fein laſſen, die Fönigliche Macht aus- zuüben, verftehe ich nicht; umfotveniger, weil ich weiß, dab der allmädjtige Gott €. M. mit befonderer Klugheit begabt bat, und nach dem Worte des Propheten dem Menſchen die Vernunft gegeben ift, um ſich ihrer zu jeinem Nuten zu bedienen“. Er wiſſe wohl, daß Ferdinand wiederholt erklärt babe, den geeigneten Zeitpunkt abivarten zu wollen; aber nad) feiner und feiner Freunde Anſicht habe Ferdinand die beiten Gelegenheiten wiederholt ungenüßt vorüber gehen lafien, zum Leid und Ärger aller, die ihm aus aufrichtigem Herzen alles Gute wünfchen und noch immer hoffen, er werde ihnen aus ihren vielen Bedrängnifien zur gerechten Befreiung verhelfen, da doch nad) allgemeiner Überzeugung Gerechtigkeit der Grund- zug feines Weſens fei. Allerdings wären ſchon viele des über- langen Warten müde, fühlten ji) enttäufcht und verlaffen... Und nun gibt er ihm eine genaue Schilderung der Stimmung, die gegen ihn im böhmifchen Adel herriche, wie es ſich während de3 legten Landtages Klar gezeigt habe, und mahnt ihn fo bald als möglid) ins Land zu kommen. Denn, jo ſchließt er, aus einem weiteren Zaudern und diefer gewiſſen Nachlicht Fer - dinands müßte ſchließlich auch er fiir ſich felber die nottvendigen Folgerungen ziehen, müßte dem König alle feine Verbindlich- teiten auffagen und fich, mern aud) ungern, gleich den andern, die es bereit3 getan, nur noch darum befümmern, wie er fi felber am meilten nüßen könne; Ferdinand dürfte aber daraus niemandem gerechteriveife einen Vorwurf machen, fondern nur fi felber , . ?

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Wie begründet diefe Mahnungen waren, erfennt man aus anderen Korreſpondenzen, die auf Verhandlungen zwiſchen böhmifchen Adligen und Johann Zapolya, dem Gegenfönig Berdinands I. in Ungarn, dem Verbündeten Frankreichs und anberer Feinde des Haufes Habsburg, fchließen laffen und wie e8 einmal heißt, den Zweck hatten, „dieſes jüdiſch Geſchlecht au bertreiben, welidh® .... albeg (immer) begierig und ge- fliffen getvefen, das chriſtlich Pluet zu vergießen“. Bon diefen Umtrieben wußte auch Ferdinand, denn am 28. Januar 1530 ſchrieb er dem Kaiſer: „Neulich ſchrieb ich Ihnen, in welchem Zuſtand die Angelegerheiten diejes Königreiches find, und über die üblen Praftifen, die einige der hödjiten Beamten (prineipals) dieſes Königreicieg mit dem Woiwoden gegen mid) haben ... Sch Hoffe Mittel zu finden, dem ein Ende zu machen und mich von diefen Leuten zu befreien; denn fo lange fie die Herrſchaft innehaben, werde ich mir feinen Ge- horſam verſchaffen und wird auch die Gerechtigkeit in diefem Rande nicht aufrecht erhalten werden Tünnen,!°

Der Rücktritt Leos bon Roſental von dem einflußreichen Amte eines Prager Oberften Burghauptmanns, das er mit der Zurzen Unterbrechung von 1523—158 feit dem Jahre 1507 inne gehabt hatte, am 11. März 1530, worauf e8 Johann bon Wartemberg übernahm, dürfte wohl damit zufammen- hängen; ebenjo die Einziehung der Burg Grüneberg bon Albrecht von Sternberg im Jahre 1529 und die ſchwere Anklage gegen den Prager Stadtprimator Paſchek von Wrat auf Hoch- berrat, weil er fi) „einen anderen Serren und König auß- wählte und als Seren nahm“, im April 1580. Selbit in der Fremde urteilte man, dab Ferdinand endlich mit Strenge vor. zugehen entidjloffen fei; ſchrieb doch Herzog Ludwig von Bayern damals an feinen Bruder Wilhelm: „In jumma, Du wirft Wunder noch fehen, was der Kunig (Ferdinand) ihn (den Böhmen) taglich fur und fur ain Pangett (Bankett) auf das andere ſchenken wird. Es geſchieht ihn eben recht. Jetzt wiſſen fie erſt, daß fie ein Kunig haben.“un

Eine ebenſo wichtige Rolle wie die politiſchen ſpielten die religiöſen Schwierigkeiten. Sie waren in Böhmen

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infolange nit au löſen, als nicht im Neid die jchid- ſalsſchwere Frage, die ſich an den Namen Luthers Tnüpfte, geflärt und entidjieden mar. Xutheraner gab es aud in Böhmen. Wir wiſſen, melde Ausbreitung fie ſchon unter König Ludwig geivonnen und weldyen Ein- Fluß fie auf Utraquilten und Brüdertum genommen hatten. Ferdinand hat im erften Sahrzehnt feiner Regierung nichts ge- tan und auch kaum etwas tun können, um die natürliche Ent- widlung zu hemmen. Die Vorgänge auf den beiden Reichs - tagen zu Speier im Frühjahr 1529 und zu Augsburg im Suni 1580, auf welchem erſten ſich eine Fleine Zahl bon Sünden alg „Proteſtanten“ erklärten, um dann auf dem zweiten mit ihrem von Melandjthon ausgearbeiteten „Be- kenntnis“, der fogenannten Augsburger Konfeflion, herbor- autreten, wirkten geradezu ermunternd auf die Gleichgefinnten in Böhmen. Ein hoher Beamter in der Kanzlei Ferdinands J. Kaſpat Urticello, verſicherte dem päpftlichen Nuntius Kar- dinal MWeander: gerade nad) dem Augsburger Reichstag habe der Abfall vom Katholizismus in Böhmen großen Umfang angenommen, weil der Kaiſer dort den Proteſtanten nur gedroht, den fchroffen Worten aber feine Taten habe folgen laſſen.

Es gibt in den Quellen keine genauen Berechnungen über die Ausbreitung des Luthertums in Böhmen oder Mähren in Ferdinands I, Regierungszeit, ſondern nur gang allgemeine Angoben. Auch nannten fid) die Anhänger vielfach, nicht Tuthe- raner oder Proteftanten, jondern befannten fid) weiter zum Utraquismus, fo daß man eigentlich nur von „Iutherifierenden“ Böhmen ſprechen kann. Eine Ausnahme bildete der an Sachſen grenzende Nordiveiten, vor allem die Herrichaften der Grafen Schlick mit den Hauptfigen Falkenau, Elbogen, Schladenwert und der 1516 gegründeten Bergſtadt Joachimstal, die durch ihre neu erihloffenen Schätze an Gold, Silber und anderen Metallen binnen furzger Zeit fo überaus reich und mächtig geworden war. Sebaftian Graf Schlick (1496—1527) hatte ſchon 1523 für feine Untertanen in Elbogen eine Kirchenordnung in lutheriſchem Geifte eingeführt, wofür ihm Luther ſelbſt mit

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dem Titel „der allerchriftlichite Laie” dankte, und lutheriſch gefinnte Prediger eingefeßt. Dem Grafen Wolf von Schlid auf Falkenau widmete Luther feine Schrift „Wider die Sab- bather und Mamelufen“, und auch anderer Glieder des Hauſes gedenkt er ehrenvoll in feinen Briefen und Schriften. Der ftreng katholiſche Herzog Georg von Sachſen, der mit den Grafen Schlick in geihäftlichen Beziehungen ftand, hält ihnen in einem Schreiben vom 21. März 154 vor, daß fie in ihren Herrſchaften mit ihren Untertanen „der neuen lutteriſchen Sekt und Lehre feitiglih anhangen”, Durch verwandtſchaft · liche Bande wurden dann Mitglieder anderer böhmiſcher Adels- familien, Schwamberg, Guttenftein, Pflug von Rabitein u. a., in diefe Richtung bineingezogen. Aber aud) in den Geſchlech- tern Waldftein, Wartemberg, Pernſtein, Zlutitzky von Wride- ſowitz, Malowetz von Chinow fanden ſich vereinzelt Anhänger. Nicht minder entſchieden wie die Schlics traten für das Quther- tum ein die aus Sachſen ftammenden Sealhaufen, die die großen Herrſchaften Tetſchen, Böhmiſch-Kamnitz, Benſen, Sandau beſaßen, dann die Biberſtein in Friedland und Um- gebung. Wohl der ganze Nordrand Böhmens von Eger bis Trautenau ift das Einbruchsgebiet, von wo dann die Fort« pflanzung ing Innere des Landes ausging, in dem fich diesmal im Gegenfaß zur Ausbreitung der huſſitiſchen Lehre die Städte befonder8 empfänglich zeigten. In Trautenau wurden 1526 die erſten Iutherifchen Bücher eingeführt, In Kuttenberg und Kolin finden fid) Anzeichen von Luthertum zu Beginn der dreißiger Jahre. Den utraquiftifhen Pfarrer Johann in Deutichbrod, das zur Herrſchaft der Herren von Lippa gehörte, begichtigte der Amtsgenoffe Simon von Habern, daß ihm „jener unfelige Zuther“ mehr gelte als alle heiligen Doktoren, „was übrigens bei vielen weltlichen und geiftlichen Perſonen in Böhmen bereitS der Fall fei”. Die Aufliger Ratsherren vermahnte König Ferdinand 1585, „folde neue und früher nicht beflandene Geften nicht zu dulden“. In Leitmerig, wid 1536 der katholiſche Dekan einem lutheriſchen Geiftlichen Wenzel Schidlo, den allerdings zwei Jahre fpäter der König verhaften und entfernen ließ. Über das Luthertum in Grau-

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pen und Komotau beflagte ſich in Briefen aus dem Jahre 1533 Leo von Roiental; in der königlichen Stadt Kaaden dem Sit des Malteferordens, beftand feit 1522 zwiſchen Katho- Iifen, die bier ftet3 vorgeherrſcht hatten, und Lutheranern mit utraquiftifcher Maske Zwietracht und Kampf. Im Jahre 1538 follen von den Anfäfligen ſich nur noch 50 zum Katholizismus befannt haben. Ya felbit in Pilfen, diejer treueften katholiſchen Stadt im ganzen Königreich, Tonnten von Zeit zu Zeit Iuthe- riſche Prediger unter dem Bulauf und Beifall der Menge prodigen und nur mit Mühe von dort entfernt werden. Über Prog beißt e3 in einem Berichte von 1540 an den König: es gebe dort genug Prediger, die die Kalixtiner zu Lutheranern machen wollen, und wenn nicht im nädjiten Landtag etwas entfcheidendes geichehe, fei ganz Böhmen dem Luthertum ver- fallen und das Land dem Könige verfchloffen.

Schon 1531, in dem Jahre, da Ferdinand am 5. Januar zum deutichen Könige gewählt wurde, follen die Katholiken fi vor Hm darüber beſchwert haben, daß ihnen die „Pro- teftanten” an die 150 Pfarreien entriffen hätten, Von den 34 föniglicien Städten, die 1518 noch überwiegend katholiſch waren, follen bis in die dreißiger Jahre fünfzehn bereit zum Quihertum übergetreten, und in dem Jahrzehnt nad dem Augsburger Reichſstag von 1530 nad) dem Zeugnis des Fatho- liſchen Adminiſtrators Ernft von Schleinig Hundert und mehr katholiſche Pfarren teils ihrer Geiſtlichen beraubt morden, teils zu den Ralirtinern abgefallen fein, allerdings nur dem Nomen nad, um einen Gönner zu haben, in Wirklichkeit aber zu den Lutheranern.'*

Dieſer Entwicklung ſah, wie wir aus allgemeinen An- deutungen erkennen, Ferdinand nicht müßig zu. Er ſtrebte vor allem darnach, die Konkordie, die Wiedervereinigung von Katholiken und Utraquiſten, durchzuſetzen, ein Gedanke, der feit Jahrzehnten, faſt ſeit dem Ausgang der Huſſitenkriege je nach der Lage der Dinge mehr oder weniger ernſt erwogen wurde. Ihm ſchien jett die Gefahr, die das ſtürmiſch vordrin- gende Luthertum fiir beide Religionsparteien, insbefondere aber für den Utraquismus bedeutete, neue Kraft zu

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verleihen. Der 1586 neu ernannte päpſtliche Nuntius am Hofe Ferdinands, Biihof Giovanni Morone,? erhielt als be- fondere Aufgabe die Durchführung dieſes Werkes, Er hielt fi) denn aud mit dem König, der vom 1. März bis Anfang September 1537 in Prag weilte, geraume Zeit dort auf, um die Verhältniffe aus eigener Ankhauung fennen zu lernen, kam aber zur Überzeugung, daß die Ausſichten jehr gering feien. Was ihn am meilten überrafchte, war die Wahrnehmung, daß die Utraquiften gefpalten waren und diejenigen, die einer Ausföhnung und Verfchmelzung mit der alten Kirche ſich zu- neigten, die Minderzahl bildeten. Die Iutherifch gefinnten Utraquiften ftellten aber Bedingungen, die bon den Katho- Iifen nidjt angenommen werden fonnten. Ferdinand erklärte damals diefe Verhandlungen für ausſichtslos, bevor nicht mit den Zutheranern im Reich eine Einigung erzielt wäre, Dem Beiſpiel jener würden die Böhmen leichter folgen, „benn man alte die Zutheraner für gelehrter als die Böhmen“.

Bei diefer Entwidlung der religiöfen Frage hatte man aber auch noch mit der Stellung der Böhmiſchen Brüder zu rechnen, deren Ausbreitung troß DVerfolgungen und Bedrän- gungen aller Art nidjt zu berhindern war. Yon Peter von Rofenberg, dem ftreng katholiſchen Baron, geftorben 1523, rührt der Ausfpruch her: wenn die Herren, d, h. der Adel, es dem Volke (Bürgern und Bauern) nicht wehrten, würde alles zu den Brüdern übergehen. Nicht fo ſehr ihre Glaubens- lehre, die zwifchen Katholizismus und Utraquismus ftand, als vielmehr die Sittenlehre, die werftätige Liebe, die Strenge und Einfachheit im ganzen Lebensiwandel, übte Anziehungs- kraft aus. Mit Luther ftanden fie einige Jahre im ſchriftlichem Verkehr, ſchickten wohl auch Abgeſandte zu ihm, die ihren Standpunkt erflären follten, aber ſchon 1524 gewann man beiderfeit8 die Überzeugung, daß der Berührungspunfte 3u wenige waren, um eine Verftändigung zu erzielen. Ihr langjähriger Biſchof Lukas, der ftreng an den alten Grund- fügen hing, hatte felber in zwei Streitichriften „Katechismus für Rinder“ und „Bon der fiegreichen Wahrheit” die bedeu- tendften Gegenſätze dargelegt. Nach feinem 1528 eingetretenen

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Tode fam aber ein freierer weltlicherer Zug in dag Brüder- tum; eine Anzahl utraquiftiicher Herren und Ritter, die bisher nur Gönner der Brüder geweſen waren, traten offen über, darunter Konrad von Kreif, Herr auf Brandeis, der König Ferdinand perſönlich befannt war. Im Jahre 1582 wurde zum geiftlichen Oberhaupte, zum Bifchof der Unität, Johann Augufta gewählt, der, in Prag 1500 in einfadjen bürgerlichen Verhältniſſen geboren, bis zu feinem einundzwangigſten Lebens- jahre dem Utraquismus angehört hatte, Ihm ſchwebte vor, dem Brüdertum in Böhmen eine Stellung zu verſchaffen, wie fie die Qutheraner im Neid) einnahmen. Hatten dieſe ſchon 1530 dem Kaiſer ihre berühmte Augsburgiſche Konfeſſion bor- gelegt, fo wurde jet (1535) eine Brübderfonfeffion ausgearbeitet und durch eine Gefandtiheft König Ferdinand behufs Be- ftätigung feierlich überreicht. Es braucht kaum gefagt zu werden, dab fie nicht erfolgte. Umfomehr fuchten die Brüder in den folgenden Jahren Anlehnung an Luther und die anderen Reformatoren. Wie früher öfter weilte Auguſta 1540 und 1542 in Wittenberg, andere Brüder gingen nad) Straßburg.

Ferdinand mußte um der politifchen Verhältniffe willen diefen Entwidlungen ruhig ihren Lauf laſſen, konnte nur abwehren, nidjt angreifen. Bor allem beftand die Türfen- gefahr, der wundeite Punkt feiner Regierung, trog der Be- freiung Wiens unvermindert weiter. Im Verlaufe des Jahres 1582 erhielten die bayriſchen Herzöge von ihrem ungarifchen Vertrauensmann die Nachricht, dat der Sultan diesmal feinen Marſch unmittelbar gegen Mähren, Schlefien und Böhmen richten wolle. Dazu kam es zwar nicht, der Kampf blieb auf Ungarn beſchränkt, ging aber nur durch kurze Waffenftillftände unterbrodyen Jahre lang fort, bis endlich am 24. Februar 1538 in Großwardein mit Johann Zapolya ein Geheimfriede abge- ihloffen wurde. Sein Tod am 21. Juli 1540 erzeugte neue Unklarheiten, da ihm wenige Tage zubor, am 7. Juli, ein Sohn geboren worden war, den Ferdinands Gegner fofort als ungarifchen König anerkannten, um in Serdinand Feine Hoffnungen auf Srieden auflommen zu laſſen. Gerade damals

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geichah es, daß eine Geſandtſchaft Ferdinands an den Sultan zur Antivort erhielt: Jetzt fei es noch Winter, aber e8 werde der Sommer kommen. Der König war fomit gezwungen, weiter zu rüften, bon feinen Untertanen ohne Rückſicht auf Stand, Glauben und Nationalität zu diefem Bivede Steuern und andere Abgaben zu fordern, jahraus, jahrein. Der böhmiſche Landtag bon 1540 beiilligte aber nur fehr beicheidene Mittel, wie übrigens auch die anderen Länder Terdinands und das Reich. Im Jahre 1541 ift Ofen türkiſch getworden.

Solde Zuftände, Verftimmung des Königs wegen unzu- teichender Unterftügung, Mißtrauen der Stände gegen den König wegen grundfäßlicher Verſchiedenheit in den wichtigſten Bragen der inneren Politik, kriegeriſches Mißgeſchick, fteigerten auch in Böhmen die allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung des Habsburgers. Diefe Stimmung bezeugt ein Schreiben, das Johann bon Pernitein, mit dem Beinamen der Reiche, am 2. Dezember 1539 an König Yerdinand richtete. Die befondere Veranlafiung bot zwar eine ſchwere Moßregelung, die einem nahen Verwandten Johanns, dem im Hofdienft König Ferdinands ftehenden königlichen Truch - feß und Stabelmeifter Andreas Ungnad wegen Übertrittes vom Katholizismus zum Luthertum widerfahten war. Aber dar- über hinaus läßt der Brief die vielfach angefeindete Stellung des Königs in Böhmen Far erkennen. Schon der Sat beweiſt dies, in dem der Perniteiner unverhohlen erflärt: „Sch ſehe nicht, um die Wahrheit zu geftehen, daß die Untertanen in die- ſem Königreich . . Eurer Fön. Majeftät irgendwelche Liebe ent- gegenbringen, noch ein wenig Vertrauen ſchenken; fie haben nämlid, die Meinung, dab €. M. fie nicht liebe, ihnen nicht im geringften vertraue, aud) nicht in Erinnerung habe, noch darauf Gewicht lege, dab fie E. M. aus reinem und freiem Willen zu ihrem Herrn gewählt haben“, Er mißbilligt die ganze äußere und innere Politik, beſchwert fi im Namen der Böhmen und Mährer über die furchtbaren Laften und Abgaben, hält als zum Luthertum Hinneigender Utraquift dem König feine Strenge in Glaubensſachen vor, durch bie bie

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Menſchen ſehr bedrüct würden und erinnert ihn an dag un- geredjt vergoffene Blut vieler Männer und Weiber, „das Gott zum Rächer“ anrufe, jo daß eben deswegen „verfchiedentliches Mißgeſchick und Strafen“ ihn, den König, heimfuchen.

Des Königs Antwort, bei aller Entichtedenheit höflich, wie es fich gegenüber einem mit fürſtlichen Säufern verſchwägerten mächtigen Adligen geziemte, gipfelt in dem offenen Hinweis, daß zivifchen ihm und den Böhmen vornehmlich in bier Punkten ein vorläufig unüberbrüdbarer Gegenſatz beſtehe. Er babe eine ernftere Lebensart als die böhmiſchen Herren, fände an ihren Spielen. Gelagen und anderen Vergnügungen fein Gefallen, umfoweniger al3 die Zeiten bisher gewiß nicht darnach waren, Seite zu feiern und die Tage mit nußlojen Unterhaltungen zu bergeuden. Den Krieg gegen die Türken halte er für eine Notwendigkeit zum allgemeinen Nuten. „Denn“, fchreibt er an einer Stelle, „die Böhmen, als fie zur Verteidigung Wiens gefommen waren, fi) nicht geweigert hätten, uns zu helfen und mit ung nad; Ungarn zu ziehen, jo hätten wir nad) Beliegung der Türken das ungarifche Reich bis heute ſchon in unfern Händen zur großen Ehre, zum Ruhme und zum Wohle der ganzen Chriftenheit”. Sehr bezeichnend ift feine Erklärung, daß an dem Ziwiefpalt mit den Böhmen die „nicht ſehr gute” Regierungszeit der beiden Iekten Könige viel Schuld trage. Unter ihnen hätten fid die „Untertanen“ gewöhnt, felber zu herrſchen und die Fürften mehr als gleich- berechtigte Xeilhaber (socii) an der Pegierung, denn als ihre Serren zu betrachten. Man werde es ihm aber nicht ver- übeln dürfen, wenn er fi) durchaus als Fürft fühle, der über die anderen zu gebieten habe umd dem dieſe zu Gehorfam verpflichtet feien. Und ebenfo wichtig erfcheint ihm die ver- ſchiedene Auffaifung über den Glauben. Er, der König, kenne in Böhmen nur zwei Belenntniffe: Katholizismus und Utra- quismus, in feinen übrigen Ländern aber nur den Katholizis- mus. Einen Übertritt vom Katholizismus zum Utraquismus, insbefondere bei feinen Hofleuten, dulde er nicht. Unter einer Bedingung werde er aber daB übrige Geften- weſen, alfo auch das Luthertum, geftatten und nie zu-

Breidols, Geſch. Bohmens u. Mahrens. II. 18

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laffen, dab jeder nad) feinem freien Ermeſſen glaube und lebe. Er fpridt in diefem Bufammenhang das derhängnisbolle ‚Wort aus, das fi) dann bis zu gewiſſem Grade bewahrheiten follte, daß er feine eigenen Kinder halfen twürde, wenn fie dom rechten Glauben abfielen. Er leugnet gar nicht, daß biele de8 Glaubens wegen auf feinen Befehl umgefommen feien, aber nur die Häupter und Verführer anderer, die aus Schlechtigkeit nicht aus Einfalt irrten. Er twiderfpricht dem Vernfteiner, da ihm daraus irgendwelches Ungemad) widerfahren fei, im Gegenteil, er fieht umd fejildert feine Lage, zu Haufe und in der Welt, vor allem vor Gott in tofigitem Lichte. Eigene Gefundheit, eine geliebte und zärtli lebende Gattin, zahlreiche leiblich und ſeeliſch auf blühende Kinder, einen Bruder, der der erite Fürſt der Welt fei und ihm fo zugetan wie ein Vater, eine umfangreidje und ehrenbolle Erbfchaft, die er bisher, wenn auch unter ſchwierigen Verhãltniſſen, unverfehrt behauptet habe; dazugefommen fei die römiſche Königswürde, Böhmen ohne Schweiß und Schwert · ſchlag, Ungarn mit wenig Blutvergießen, alles bereits in friedlichem Beſitz.

Es wäre für den Pernſteiner nicht leicht geweſen, dieſe „Rechtfertigung“, wie Ferdinand felber feine Antwort nennt, zu widerlegen. Aus jedem Worte Sprach ernfteß, ſtolzes Selbit- bewußtfein und Vertrauen in die Bufunft, unter Vermeidung jeder Drohung gegenüber feinen Widerfadhern. Kiezu war die Lage nod) zu wenig geflärt. Er mußte ſich ftreng an die von ihm beſchworene Verfaſſung halten, insbefondere in der religi- öfen Frage, die in Böhmen doch im Vordergrund jtand. Aber ebenjomenig wollte er das Ieifefte Zugeſtändnis machen und nütte Schwächen und Sehler der Gegner aus, insbeſondere der Utraquiften, die an die beitehenden kirchlichen Berhältnifie zu rühren wagten.

An der Spike der Utraquiften ftand, wenn auch nicht dem Rang nad), denn erfter Adminiſtrator war der Pfarrer bon St. Nikolaus Johann Miftopol, feit dem Jahre 1541 Wenzel Mitmanet, PVrediger an der Prager Teinkirche. Er ftammte aus Ungarif-Brod in Mähren, einer damals angefehenen

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großen Brüdergemeinde, war in diefem Glauben erzogen worden und aufgewachſen. Als er dann zu weiterem Studium nad) Bajel und in andere Städte Deutichlandg Fam und die teformatorifchen Lehren kennen lernte, erfüllte er ſich mit diefem fremden Geifte. Aber zum Luthertum überzutreten heute er ſich umſomehr, als er nicht im Reiche zu verbleiben gedachte, Er ging nad) Prag und ſchloß fich hier dem Utra- quismus an, in der Ablicht, diefen im Sinne des ebangelifchen Glaubens in eine Art Reform-Utraguismus umgumandeln durch unklare Vermiſchung utraquiſtiſcher, lutheriſcher und brüderlicher Ideen. Anfangs fand er viel Zuſtimmung, denn, wie ſchon Haſſenſtein und andere Beobachter der religiöfen Bewegung in Böhmen gefagt Hatten: jeder neue Gedanke finde in Böhmen auch jofort feine Anhänger. Aber die der Konkordie mit den Katholiken zugeneigten Utraquiften ver- folgten feine Tätigfeit mit Mißtrauen und während der Land- tag8verhandlungen in Prag vom April bis Juni 1543, die König Ferdinand jelbit leitete, Famen die Gegenſätze zum Aus- bruch. Ferdinand griff perjönlid) ein, Iud Mitmanef und Pfarrer Johann Miftopol vor fi, verurteilte in fchärfiten Borten ihre Neuerungen. Da fie, geftügt auf ihre mächtigen Freunde, zu denen aud) Johann von Pernitein gehörte, zu- nächſt Widerftand zu leiften verſuchten, ließ der König Mit- manek aus Prag bermeifen, und al® er nad kurzer Zeit aurüdzufehren wagte, in Haft nehmen und zwang ihn fchließ- Kid) unter Androhung der Todesitrafe, Böhmen für immer zu verlaſſen (Sommer 1544). Der Reform-Utraquismus, das böhmifche Zuthertum in neuer Form, war feines geiltlichen Führers beraubt, der Utraquismus und das Brüdertum meinten die wahren Sieger zu fein. Nicht mit Unrecht hielt Mitmanek wenigfteng den Brüdern ihren Irrtum vor Augen, imdem er dem Vater ſchrieb: „Sagt ihnen, daB fie feinen Grund haben, fich au freuen. Ich und der Herr Adminiftrator find mehr als dritthalb Jahre im Kampfe an der Spike geften- den... .. haben die mahre Lehre vor dem König berteidigt, find vor ihn getreten und haben ihm unfer Bekenntnis gewiß nicht nad) feinem Wunfc dargelegt, bis ihm die Geduld riß. 18°

196 Fünfter Abfnitt.

Mögen die Brüder nur warten, big über fie daß Unheil berein- bricht. Für fie iſt e8 leicht, im Winkel zu figen, mutig und ftandhaft zu ſcheinen, wenn kein Feind da ift. Ste werden noch erfahren, was e8 heißt, mit einen Löwen umzugehen, bis über fie das kommen wird, was auf uns fo lange gelaftet hat“.

Kirchlich war die Annäherung des böhmiſchen Utraquismug an die deutichen Proteitanten, tie fie fi) Mitmanek dachte, mißglüdt; man mußte fi) wiederum an die ftreng utraquifti- ſchen Formen halten, wenn man nicht offen den Gottesbienit der Brüder befuchte. Aber die perſönlichen und politiichen Bande, die zwiſchen den lutheriſch gefinnten Utraquiften in Böhmen und Mähren und den Qutheranern im Neid) beftanden, wurden dadurch nicht berührt. Willen wir doc, dab im Jahre 1542 zwiſchen den beiden Säuptern des am 31. Dezember 1530 begründeten Schmalfaldner Bundes, Kur- fürft Johann Friedrich von Sachſen und Landgraf Philipp bon Helen, und den Ständen von Böhmen, Mähren und Schlefien Verhandlungen geführt wurden behufs gegenfeitigen Schutzes wider die Türken, aber auch gegen alle anderen, von denen man wegen der Religion oder auß irgend einem anderen Grunde angegriffen würde." Dazu Fam, daß zwiſchen Böhmen und dem Rurfürjtentum Sachſen feit den unter König Georg bon Podiebrad im April 1459 auf dem Egerer Fürftentag geſchloſſenen Berträgen eine Erbeinigung beitand, die eben auch im Jahre 1526 dem ſächſiſchen Haufe das Anredjt gegeben hatte, fi) um die böhmiſche Königskrone zu beiverben. Ein großer Teil der Herrſchaften und Städte in Nordböhmen ftand aus religiöfen, politifchen und wirtſchaftlichen Gründen in freundfchaftlichften Beziehungen zum lutheriſchen Sachſen und damit zu den Schmalfalönern. Als daher im Sommer 1546 der lange voraußgefehene Krieg zwiſchen Kaiſer Karl V. und den deulſchen Proteftanten ausbrach, Tonnten die Schmalfaldner hoffen, daß die böhmiſchen Stände König Ferdinand zum mindeften nicht unterjtügen winden, wenn dieſer feinem Bruder zu Hilfe zöge. In diefem Sinne lauteten auch die erſten Auskünfte, die ihre Unterhändler in Böhmen erhielten. Ein turfürftlicher Beamter Könnerig d. A. erfuhr im Juli 1546

Böhmen und Mähren im Zeitalter der beutfchen Reformation. 197

bon „etlichen Gutherzigen in der Kron Beheim“, dab fie, möge der König welche Forderung immer an fie ftellen, gedächten, „ſich nachbarlichen und vermöge der Erbeinung friedlichen zu erzeigen“. Die Grafen Schlid, jo erklärt er weiter, hätten die beftimmte Verjicherung gegeben, „daß man fi) auf ihren Teil Feines Unguten bon ihnen dürfe befahren”. Von dem berühmten evangelifchen Pfarrherrn Johannes Mathe- ſius in der Bergſtadt Joachimsthal berichtete man, daß er „mit großem Fleiß und ohne Scheue meniglich“ die Sache der Ber- bündeten unterftüge, Es mag angeſichts folder Stimmungen „nicht überrafchen, daß man in Sachfen mit dem Gedanken fpielte, Ferdinands Tage als König von Böhmen ſeien gezählt. Wenigftens fehrieb damals, am 25. Auguft 1546, die fächlifche Herzogin Elifabeth von Rochlitz an Herzog Morik von Sach - fen, fie fei überzeugt, er werde „den Behmen wohl fo annehm- lichen fein und fo lieb gehalten werden, als der itzige König (Ferdinand).

Soldye Hoffnungen erwieſen fich fehr bald als völlig eitel. Der böhmilde Landtag, den König Ferdinand im Hindlid auf den unmittelbar bevorftehenden Ausbruch des Krieges in Deutſchland am 26. Juli 1546 in Prag eröffnete, zeigte bei weitem nicht jene Entichloffenheit, fi) gegen die habsburgiſche

Politik aufzulehnen, wie es die mannigfachen Beziehungen der böhmiſchen Stände zu den Schmalkaldnern vorausſetzen ließen. Die beiden Häupter des Bundes, der Kurfürſt von Sachſen und der Landgraf von Heſſen, hatten wegen der bom Kaiſer gegen fie gerichteten „Rriegsrüftung“ auch bei den Böhmen Klage geführt. Darauf antwortete der Landtag in einem amtlichen Schreiben vom 9. Auguft, man habe „nicht gern“ von dem „Widerwillen und den Irrungen“ zwiſchen ihnen und dem Kaiſer vernommen; man ſei vom König dahin unterrichtet worden, dab der Kaiſer „nicht bon wegen des Glaubens oder der Religion, jondern zu Erhaltung gebür- lichs Gehorfambs, Friedes, Gerichts und Rechts im heiligen Reich“ gegen fie vorgehe: ja fie forderten den Kurfürften drin- gend auf, das zur böhmifchen Krone gehörige und von ihm widerrechtlich beiegte Mlofter Dobrilugf in der Raufig „ame

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Verzug” zurüdzuftellen, Die Wirkung der perjönlidien An- weſenheit des Landesheren bei dieſen Landtagsverhandlungen ift nicht zu verfennen. Er hatte zum mindelten ein offenes Eintreten der Landtagsmehrheit für die Schmalkaldner hintangehalten. Und modjte nun aud) der Rurfürft in einem neuerlichen Schreiben vom 23. Auguft die Böhmen zu belehren ſuchen, daB es ſich dem Kaiſer doch nur um die Religion handle, mochte er fie warnen, daß nad) der Niederiverfung der deutichen Proteftanten fie an die Reihe kämen, mochte er mahnen und bitten, dem Kaiſer die Seeresfolge zu beriveigern, und einer der bedeutendften deutichen Neformatoren, Doktor Pommer oder Bugenhagen, in einer eigens verfaßten Schrift „Chriftliche Vermahnung an die löbliche Nachbarichaft Behemen, Sleſier und Rufatier“* des Kurfürſten Einjchreiten kräftigſt unterftügen, der Landtag konnte ſich den Forderungen des Königs nicht entziehen. Er hatte ihm bereits am 17. Auguft ein Heer von 4000 Reitern. 20.000 Mann Fußvolk und eine Steuer für Cold und Lohn bewilligt, den 13. September als Xog der Mufterung in allen vierzehn Kreifen des Landes feit- gefegt und fid) verpflichtet, das Heer bis zum 11. November im $elde zu belafjen. Es fcheint, daß nur Graf Morig Schlid und Kaſpar Pflug von Rabſtein, Herr auf Petſchau, Tachau und Schlaggenwald, fi diefen Beichlüffen offen widerſetzten. Viele andere mögen allerdings in ſchweren Zweifeln geweſen fein, denn in Briefen nad) auswärts meldete man unberhohlen: „Die Beheim willen felbft nicht, wo fie drin feint, was fie endlid) tun oder laſſen wollen”, Man begreift dieſe Unficher- heit. Die böhmifchen Herren ſahen fi) plötzlich von den Wogen der großen Politik erfaßt und fanden nicht den Mut ihr bißheriges. Schwanken zwiſchen beichworener Untertanen- pflicht und wahrer Gefinnung aufzugeben; umfoweniger, als es Ferdinand an treuen Anhängern in den böhmiſchen Ländern nicht fehlte. Aus diefen reifen erhielt fogar das kaiſerliche Heer, das fi um Regensburg gegen die Schmalkaldner jam- melte, anſehnlichen Zuzug, Unterftügung mit Kriegsmaterial, Proviant und „anderer Notturft und Handreichung ohne Scheu". In den ſtändiſchen Kreiſen Böhmens herrſchte

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Zwieſpalt. Wir find gut unterriditet, melde Schwierigkeiten die Mufterungen und andere Ariegsvorbereitungen etwa in Joachimstal und dem benachbarten Gebiet, dag man bor einem ſächſiſchen Überfall fihern zu müffen meinte, verurſachten. Die auf den 28. September verſchobene Sammlung der ftändifchen Mannſchaften im Lager von Kaaden vollzog fich äußerft lang- fam, unter ftarfem Ingrimm und offener Auflehnung. Fer- dinand konnte mit diefem „ungehorfamen Volk“ nidyts weiter unternehmen als Streifzüge in das nahe feindliche Vogtland, nad Adorf, Olsnitz, Plauen, eigentli nur zur Unterftügung de3 Herzogs Morik von Sachſen, dem die Befekung dieſes Gebietes bejonders am Herzen lag.” Diejer mit den Schmal- faldnern fo nah verwandte Fürft, der in ihren Streifen als geeigneter Anwärter auf den böhmiſchen Thron angefehen wurde, falls Ferdinand ſich nicht würde behaupten können, hatte das „verräteriſche Böſewichtsſtücklein“, von dem man ſchon geraume Zeit munfelte, tatſächlich durchgeführt, fi) dem Kaifer angeſchloſſen und den Krieg gegen das Aurfürftentum Sachſen begonnen, wodurd) der Kampf an der Donau eine für den Kaifer günftige Wendung nehmen Fonnte.

Da der böhmijche Landtag die Verwendung des ftändifchen Heeres nur bis in die zweite Woche Nobember bewilligt hatte, und Ferdinand eine wejentlide Verlängerung diejeg Termins nicht zu erzielen vermochte, beendigte er, feinen ſächſiſchen Feldzug und war ſchon Ende November wieder in Prag, vor allem aud) um Gericht zu halten über jene ſtändiſchen Mit- glieder, Herren, Ritter und Städte, die ihn in Kaaden im Stich gelaffen oder fich fonftiwie feinen Anordnungen mwider- fegt hatten. Bezeichnenderweife jeßte er den Gerichtshof faft nur aus Mährern zufammen, die ſich unbefümmert um die religiöfen Berhältniffe nur an ihre Untertanenpflicht gehalten hatten. Wir haben bon diefen Vorgängen in Prag, die ſich im Dezember 1546 abfpielten, nur allgemeine Nachridyten; die beften noch über die Verhandlungen mit den Joachimstalern und deren Pfarrherrn Johannes Mathefius. Der König be- gnügte fi mit ernſten Zurechtweiſungen und milden Strafen. Die Zeit mar noch nicht darnach, daß er den geftrengen Herrn

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hätte herborfehren fönnen. Die Loge am Kriegsſchauplatz hatte ſich plöglich zugunften der Schmalfaldner gewendet, Herzog Mori war in ſchwere Bedrängnis geraten und erflärte König Ferdinand in einem Schreiben vom 29. Dezember 1546: „Und da Eure Majeſtät neben der kaiſ. Mt. mic) nit. . . retten, hab ich nichts getvifieres zu geivarten, denn daß ich von Landen und Leuten berjagt muß werden“. Ferdinand ftand vor der Notivendigfeit, noch einmal ins Feld zu rüden, feine Länder von neuem um Unterftügung anzugehen. Die Frage, wie ſich die Böhmen zu diefem neuen Kriegszug verhalten würden, erhob ſich erniter als das erſtemal.⸗

Der König vermied es wohl abjichtlich einen Landtag, wie im Vorjahr, einzuberufen, und ſich die ſtändiſche Hilfe ausdrüd- lich beiwilligen zu laſſen. Er begnügte fid) am 12. Januar 1547 ein „Ausſchreiben“ (gedrudte® Mandat) zu verfenden und die Stände darin aufzufordern, gemäß der Iekten Schakung zwiſchen 24. Januar und 2. Februar in Leitmerig mit ihren Mannſchaften zu erfcheinen.

Dieſes Aktenſtück bezeichnete man in ftändifchen Kreifen als den „Anftoß zu allem Böfen“, das fic in der Folge in Böhmen ereignete, ala Tegte Urfache der Erhebung der Stände gegen den König, denn es hätte im volliten Widerfprud zu den Rechten und Freiheiten des Königreiches geitanden. Was ſchon auf dem legten Landtag (1546) Iangfam begonnen habe, wäre nun zu Ende geführt und fozufagen zum Überfließen gebradht worden. Diefer Stimmung entſprachen dann die Verhandlun- gen in Zeitmerig, die der König erft am 6. Februar eröffnete, weil er durch den unertvarteten Tod feiner Gemahlin, die nach der Geburt ihres fünfzehnten Kindes am 27. Januar 1547 geitorben war, feine Abreife aus Prag um einige Tage hatte aufſchieben müfjen. In Leitmerig mar nur ein Eleiner Teil der böhmischen Ständeichaft erſchienen. Insbeſondere fehlten die Xertreter der meiften königlichen Städte nad) dem Vorbild der Hauptſtadt Prag, von der Ferdinand ſchon vorher geflagt hatte: „Und fonderlich fein die Stadt Prag als die den für- nehmften Namen und das meiſt Anſehen bei den anderen Städten haben, nit die wenigiſten, die ſich bisher ungehorjam-

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lich erzeigt und andere zu gleichmeffiger Ungehorfame gezogen

Aber auch die Herren und Ritter, die den König in Leit- merig erwartet hatten, erflärten entjchieden, ohne boran- gegangenen Landtagsbeſchluß nicht ins Feld ziehen zu wollen. €3 kam zu geradezu ftürmifchen Auseinanderfegungen, der König bat und ſchalt, verſprach und drohte, aber nur einen ganz geringen Teil der Anweſenden Eonnte er für fi) gewinnen, die Mehrzahl mußte er entlaffen, wobei er ihnen allerdings zu bedenfen gab, „was ihnen hieraus entjtehen und maferlei Ehr und Lob fie darvon erhalten werden“. Der päpitlice Nuntius im Eaiferlichen Sauptquartier Verallo fehrieb am 23, Februar aus Ulm nad) Rom, daß alle Hoffnungen, die man auf die Unter- ftügung der Böhmen gejegt habe, nad) den legten Verhand- Iungen in Leitmerig geſchwunden feien. Auf 5000 Mann Neiterei, vom Fußvolk nicht zu ſprechen, habe man geredjnet, Zaum 700 kämen nun in Betracht. Sie hätten religiöfe Sicher- beit für die Zufunft gefordert und angedeutet, im Gegenfalle mit 40- bis 50.000 Mann dem Kurfürften zu Silfe zu ziehen, den fie als „Bruder und Verbündeten in der Häreſie“ haben.

Die Vorgänge in Leitmeritz, diefe volle Auflehnung gegen den Landesherrn, fanden aber ihre weit gefährlichere Fort- fegung unmittelbar darauf in Prag, woſelbſt bereit diejenigen Stände, die überhaupt nicht in Leitmerig erfchienen waren, berieten, iwas nun zu geichehen habe und denen ſich die aus Keitmerig Heimfehrenden nunmehr anſchloſſen. Verallo ſchrieb um den 7. März: in Prag herrſche „eine jehr gefährliche Bewegung, eine Rebellion gegen den König“. In zahlreichen BVerfammlungen, die ſowohl von Adligen als Städtevertretern ſtark befucht waren, wurden die widjtigiten Beratungen wegen Einrichtung einer neuen Landesverwaltung gepflogen und endli am 23. März bei Anmwefenheit von etwa 800 Herren und Edelleuten ſowie aller königlichen Städte außer Pilſen und Budweis der Beſchluß gefaßt, ein ſtändiſches Heer auf- auftellen, das bis zum 4. April unter dem Oberften Feld⸗ Hauptmann Kaſpar Pflug von Rabſtein auf feiner Herrſchaft um Schlaggenwald gejammelt fein follte, um „in das Feld zu rüden und unferen Feinden unter Augen au ziehen”.

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Aber die Durchführung diefes weittragenden Beſchluſſes ließ viel zu wünſchen übrig. Der Eifer, mit dem in Prag unter dem Drucke der entſchloſſeneren Elemente Reden gehalten und Beichlüffe gefabt wurden, hielt nicht an. Die Mannidaften und fonftigen Mittel, über die Pflug fchließlid; verfügte, reichten nicht nur zu feinem wirklichen Zeldzug, fondern nicht einmal zu einem Schachzug aus, der dem ganzen Kriege leicht eine andere Wendung hätte geben können.

König Ferdinand hatte am 17. Februar Leitmerig verlaffen, war elbabwärt3 bis Dresden gezogen, um fi) dort mit den Sachſen und Brandenburgern, feinen Bundesgenofien, zu ber- einigen und die Schmalfaldner vom Often ber anzugreifen, während Karl V, ſich zum Vorſtoß vom Weiten her anjcjidte. Wie zwiichen den Gliedern einer Bange wären jie gefaßt worden. Allein am 2. März hatte Kurfürft Albrecht von Brandenburg in übereiltem Vormarſch bei der Feſte Rochlitz nahe bon Dresden eine Schlappe erlitten und war in Gefan- genſchaft geraten, was die weitere Durchführung des Planes unmöglid; machte. Ferdinand und Morig von Sachſen blieb nichts übrig, als auf anderem Wege zum kaiſerlichen Heere im Weiten zu gelangen, um bon dort aug mit vereinter Macht den Kampf aufzunehmen. Als Treffpunkt wurde Eger be- ftimmt. Ferdinand mußte ſomit das ganze nordweſtliche Böh- men durchqueren, ein Gebiet, da8 an und für fi zum großen Zeil auf jeiten der Schmalfaldner ftand, von diejen bejeßt und bedroht war, in dem überdies Kafpar Pflug die Samm- Iung des ftändifchen Heeres borbereitete. Ein rechtzeitiger Zuſammenſchluß des kurfürſtlichen mit dem ftändifchen Heer, das Vorziehen eines Riegels bon der ſächſiſchen Grenze über Joachimsthal, Schlaggenmwald in das Innere Böhmens hätte dem König den Durchmarſch unmöglich) gemadjt, ihn von feinem Bruder abgeſchnitten. Auf diefe Handreichung warteten die Sachſen bereitd. Allein die böhmifchen Stände rafften ſich zu einem folden Entſchluß nicht auf. Sie zögerten mit der Zuſendung ihrer Mannichaften, jo jehr auch Pflug drängte, denn fie hatten ſich doch erſt für den 4. April berpflichtet im Felde zu erjcheinen. Pflug mar zu ſchwach, um, wie Ferdinand

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erklärte, „die Weg zu ſuchen, dab Ihre faif, Mt. und wir nit äufammenftoßen möchten“. Wenn auch nicht ohne Mühen, Ver- luſte und Erniedrigungen die Stadt Saaz ließ den König nicht in ihren Mauern übernadjten fchlug fi Ferdinand mit feinen Verbündeten durd und traf am 5. April bei feinem Bruder in Eger ein. Die Böhmen hatten eine günftige Gelegen- heit, Serdinand zum mindelten von der weiteren Teilnahme am Feldzug abzuhalten, verſäumt. Kaum drei Wochen darnad), am 4. April, erlitten die Schmalfaldmer bei Mühlberg die ſchwere und entſcheidende Niederlage, durch die der Kurfürſt Johann von Sadjien, das Haupt der Proteftanten, der „aus- erwehlte gute Freund der Böhmen”, dem NKaifer auf Tod und Leben in die Hände fiel,

Man kann e3 veritehen, daß diefe jähe Wendung des „deut- ſchen Krieges” die Verwirrung in Böhmen nur noch fteigerte. Die Nachricht von der Mühlberger Schlacht erhielten die Stände am 27. April, als fie in Prag bei einem Landtag verfammelt waren. €8 ift eine feine Kennzeichnung der Lage, wenn ein seitgenöfliicher Chronift die Bemerkung macht, dag man auf die Runde vom Giege des Königs oben auf der Burg das Te Deum, unten in der Stadt das Requiem gejungen,” alfo oben feiner Freude, unten feinem Schmerz Ausdrud gegeben habe. Zum mindeften maren die Böhmen nad) dem Ausſpruch des päpftlichen Nuntius „abgefühlt“.

Es folgten langwierige Verhandlungen mit dem König über eine friedliche Berftändigung. Als aber die Burüdnahme aller in der Zwiſchenzeit ohne Willen und Willen Ferdinands gefaßten ſtändiſchen Beſchlüſſe nicht durchzuſetzen war und die Prager Städte an der Spite der Oppofition lieber zum äußer- ſten Kampfe als au einer bedingungslofen Unterwerfung fi entſchloſſen blieb ſchlieblich nichts anderes übrig, als, wie es Karl V, in einem Briefe om feinen Bruder ausfprad), „jene große Bunde durd) einen Einſchnitt und nicht durch Auf weichen zu heilen“.

In derfelden Stadt Leitmerig, in der ein großer Teil der böhmischen Adeligen in den Bebruartagen Ferdinand Treue und Gehorfam aufgefündigt hatte, fanden fi nun auf feinen

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Befehl zwiſchen dem 3. und 13, Juni die Mehrzahl wieder ein, um ihm, dem ſiegreichen Fürften, zu huldigen. Die Spaltung unter den Ständen war vollzogen; gegen Ferdinand lehnte ſich eigentlid nur noch Prag auf, Fonnte aber nicht mehr auf die Unterftügung der adeligen Gegner vechnen, die bis auf einen Heinen Reft entweder mit dem König ihren Frieden gemacht hatten oder auß dem Lande geflohen waren. In den Tagen vom 2. bis 7. Juli wurde Prags Widerftand in un- gleihem Kampfe gebrochen. Am 8, erſchienen über fünfhundert Bürger vor dem König im Hradſchiner Burghof, um nad) un- bedingter Ergebenheitserflärung „auf Gnade und Ungnade“ unter Aniefall Berzeihung zu erbitten, Bu ſpät. Ferdinand verhängte gerade über Prag ſchwerſte Strafen: Auslieferung der Bindnisbriefe, aller Privilegien der Stadt, der Amter und Bruderſchaften. aller Briefe und Schriften, die ſich auf irgendwelche Abmahnungen insbefondere mit den Schmal- kaldnern bezogen, ferner aller Geſchütze und Waffen, Ein- ziehung aller ſtädtiſchen Einkünfte, Beſitzungen an Gütern, Schlöſſern, Untertanen, Zöllen, Verpflichtung zur Zahlung der Bierſteuer an den König für immerwährende Zeiten. Und gleiches Schickſal wie die Hauptſtadt traf Saaz, das durch den Befehl zur Niederreißung der Mauern, die ſich dem König befanntlich verfchloffen Hatten, noch befonders getroffen werden follte, Zeitmerik, Tabor, Königgräg, Klattau, Kaurim, Brod, Raum, Kaaden, Schlan, Taus, Mies, Beraun, Piſek, Wodnian, Kolin, Tſchaslau, Nimburg, Schüttenhofen, Chrudim, Jaro- mierz, Melnik, Hohenmaut, Königinhof und Politſchka. Nur Pilſen, Budweis und Auffig, die fi) von jeder Stellungnahıne gegen den König freigehalten hatten, blieben verſchont. Aus dem Serren- und Ritterftand, darunter aus den bedeutenden und angefehenen Familien der Kreik, Krinetzky, Slawata, Dohna, Schlid, Lobkowitz, Wartemberg, Lippa, Walditein, Pflug u. a. m, wurden fünfunddreißig Mitglieder angeflagt und au ſchwereren oder leichteren Strafen verurteilt, vor allem traf die meiften Verluft eines Teiles ihrer Güter. Alle diefe Beſchlüſſe faßte ein eigens eingefegter unter dem Vorſitz des Königs vom 20, Juli bis 3. Auguft tagender Gerichtshof, der

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mit alleiniger Ausnahme des böhmiſchen Landmarſchalls Bertold von Duba und Zippa nur aus weltlichen und geift- lien Mitgliedern der Länder Mähren, Schleſien und Laufit beftand, mit dem mährifchen Landeshauptmann Wenzel von Rubdanig an der Spike. Auch Todesurteile wurden verhängt über Wilhelm Krinekiy von Ronau, Kaſpar Pflug, Albin Graf Schlid, Heinrich Widpach, Peter Welemitzky und Melchior Rohr von Rohrau, die fic) aber alle durch Flucht gerettet hatten; über Wenzel Pẽtipetky von Schönhof, Betnard · Barchanetz von Barchow, den Prag-Neuftädter Bürger Wenzel von Jeleni und den greifen Altitädter Primas Jakob Fikar von Wrat, die nach ſchweren Folterqualen am 22. Auguſt auf dem Hradſchin enthauptet wurden. Heinrich Krabitz von Weitmühl und der Prager Kanzler und Chronift Sirt von Ottersdorf wurden nad) der Folterung freigelafien. Der päpftlide Nuntius ſchrieb damals, am 19, Auguft, nach Florenz nicht ohne eine gewiffe Schärfe, Ferdinand fei jegt in Böhmen fehr in An- fprud) genommen, „wo er nichts anderes tue, als Güter und Habe der Rebellen einziehen und Köpfe abhauen“. In Böhmen aber jammerte ein ftädtifcher Chronift: „Da janf der Ruhm des Rönigreides dahin, befonder8 der der Prager Herren, kläglich und unwiederbringlich“.

Die königlichen Städte hatte der Hauptſchlag getroffen; fie waren, trotzdem ſpäter die Strafen zum Teil nachgeſehen wurden, in ihrer politifhen und wirtſchaftlichen Selbftändig- keit ſchwer getroffen, Der Adel war gedemütigt. Und aus beider Verhängnis zog die königliche Macht in jeder Hinficht, vor allem finanziell und moralifch, neue Kraft. Ohne auf den geringften Widerftand zu ftoßen, ließ Ferdinand durd, Land- lagsbeſchluß vom 23. Auguft da8 Thronfolgegejeg zu Gunſten feines Haufes abändern, ebenfo wichtige Berwaltungsänderun- gen durchführen. Die in der Verfaffung gar nicht vorgeſehene Einrichtung einer Stellvertretung dur ein Mitglied des töniglichen Hauſes verfügte er aus eigenem und betraute damit unter dem Xitel eines Statthalter feinen jugendlichen zweiten Sohn Ferdinand, geboren 1539, ohne darüber mit dem Landtag zu verhandeln. Er ſchuf mit einem Worte ganz

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neue Verhältniffe, in dem fiheren Glauben, wie er felber er« Härte, da „dardurch verhoffentlich ... Fünftige Ufruhr und Ungehorfam verhüt und uns gepürender Gehorfem geleiftet werde”.

Die ftrittigfte umd gefährlichſte Frage in Böhmen, die religiöfe, wurde in den Prozekverhandlungen deg Sommers 1547 gar nicht berührt, Keinem der Angeklagten wurde, aud) wenn er als Anhänger des Xuthertums oder Brüdertums befannt war, fein Glauben vorgehalten, in feiner der bver- urteilten Städte wurde in kirchlichen Dingen eine Anderung verfügt, Umfo bedeutfamer war die tatſächliche Wirkung, die die veränderten Berhältniffe alsbald auf die religiöfen Zu- ftände ausübten. Das Luthertum verſchwand, man rüdte wieder als äußerfter Flügel in die Reihen des Utraquismus ein. Gegen die „Brüder“ in Böhmen, nicht auch in Mähren,?® wurden die alten Verbote aus der Zeit der Könige Wladis- law und Ludwig ſchon am 8. Oftober 1547 und 20. Januar 1548 in ſchärferer Form erneuert. Eine Verfolgung dieſer Sekte ſetzte ein, durch die ihre tapferften Vertreter, wie der Brüderbifchof Johann Auguſta in Leitomiſchl, in die Kerker Tamen, viele hunderte ihrer Anhänger zur Auswan - derung, insbefondere nach Pofen und Preußen, gezwungen wurden, mandjer uralte fefte Sik, wie Brandeis, verloren ging, weil die Gemeinde fi zum Übertritt zum Katholigis- mus entihloß. Aber alle diefe Gewaltmaßregeln, die ſich damals und in den folgenden Jahren auch gegen andere Sekten und ebenfo gegen Juden richteten, bedeuteten nur eine Schwächung, keinesweas eine Ausrottung. Wirtſchaftliche Rid- figjten zwangen immer wieder zu Nachſicht und Umkehr in den fiir das Land geradezu verhängnisvollen Maßregeln.

Ein anderes Mittel zur Löſung der religiöfen Frage ah man in der feit langem ſchon verſuchten Konkordie zwiſchen Katholiken und Utraquiſten, für die nad der, „Büchtigung“ der Stände im Jahre 1547 eine günftigere Zeit angebroden zu fein ſchien. Es war vorzüglid) die Überzeugung des damals am Hofe derdinands I. wirkenden päpftlicen Gefandten Santa Groce, daß eine Einigung unter ben beiden allein anerfannten

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Sauptbefenntniffen der religiöfen Berfahrenheit in den böhmi- ſchen Ländern allmählich ein Ende bereiten müßte. Die Durch- führung diefes „Sriedens-Werfes“ wurde ſchon auf dem Prager Landtag des Yahres 1549 verfucht, fcheiterte aber damals ebenfo wie fpäter, nicht zulegt an dem Widerwillen des ftrengen Bapftes Zulius III. (feit 1550), den Utraquiften aud) nur das kleinſte Zugeſtändnis in dogmatiicher Hinſicht u beivilligen; nicht minder aber an dem entſchloſſenen Widerftand, den manche „häretiſche“ Kreiſe an den Tag legten. Eine Szene aus den Landtagsverhandlungen in Brünn im April 1550 ift biefür befonders bezeichnend.

König Ferdinand, der fie perſönlich leitete, ftellte an die mähriſchen Stände die Forderung, die religiöfen Verhältniffe vorläufig wenigſtens auf jenen Zuftand zurückzuverſetzen, auf dem fie fi) bei feinem Negierungsantritt im Jahre 1526 befunden hatten. Die Treue, die ihm die mähriſchen Adeligen gerade während des Schmalfaldifchen Krieges in politifcher Hinſicht bewieſen hatten, fchien ihm ein Hoffnungsftrahl, dab fie ihm auch auf kirchlichem Gebiete eher Gefolgichaft Ieiften mwürden als die böhmiſchen. Allein gerade hier erfuhr er eine viel entjchiedenere und offenere Ablehnung als je in Böhmen. Der Landeshauptmann Wengel bon Ludanitz, den wir bom Prager Prozeß ber Fennen, erhob fi) im vollen Landtag und erflärte dem König in männlicher Rede, an der „mieder- gereinigten evangelifchen Lehre” wir wiſſen nicht genau, au welchem Glauben er fich befannte unbedingt feithalten au wollen. Ähnlich wie einftmalg der Markgraf Georg der Fromme bon Brandenburg auf dem Augsburger Reichdtag vor Kaifer Karl V. erflärt hatte: „Herr, ehe ich bon Gottes Wort abitünde, wollte id} lieber auf diefer Stelle niederfnieen und mir den Kopf abbauen laſſen“, beteuerte jetzt Ludanitz vor Ferdinand I: „Für uns alle fteht eg feft, nicht um Haares Breite bon unferer Überzeugung abzugeben, biel- mehr werden wir verſuchen, fie zu berteidigen, wenn es nicht anders fein könnte, mit dem Einſatz des Lebens, der Würden und unferer ganzen Sabe. ... Blut und Gut und qud; das Leben ſchulden wir dem Könige und werden es für fein und

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feiner Kinder Heil gerne vergieken und hingeben. Die Seele aber haben wir vom Schöpfer empfangen; ihm müffen wir fie unbefledt und unverfehrt beivahren und zurüdgeben. über fie gebührt dem Könige durchaus Feine Herrſchaft.“ Es war Serdinands I. Iegter Verſuch mit Hilfe der Stände die religiöfen Berhältniffe im Lande umzugeitalten. Auf ganz anderem Wege erfolgte in Böhmen die Rekatholi- fierung, die Ferdinand und feinem gleichnamigen Sohne, dem böhmifchen Statthalter, al Ziel und Endpunkt vorſchwebte. Der im Jahre 1540 von Ignaz bon Zoyola begründete Jefuiten- orden, ber ſeit Ende diejes Jahres ſchon auf deutſchem Boden wirkte, war außerfehen, auch in Böhmen der kirchlichen Ent- wicklung eine ganz neue Richtung zu geben.” Nach mehr als zweijährigen Verhandlungen zwiſchen Ferdinand einer-, Papſt Julius III. und Loyola amderjeits gelang es für Prag eine kleine Kolonie von anfangs zwölf Sefuiten zu geivinnen. Am 21. April 1556 famen fie unter Führung des Rektors Pater Ursman Goiffon aus Beaumont in Belgien dort an, eine national zufammengemwürfelte Schar, Tein einziger der tichedhi- chen, nur wenige der deutichen Spradye mächtig. Das einit- malige St. Klemenskloſter der Dominikaner in der Altitadt an der Karlsbrücke wurde ihnen zugewieſen. Ihre erſte Auf- gabe beftand darin, eine Schule zu gründen, die alg „könig- lies SInftitut” galt, darin Knaben und Yünglinge koſtenlos nad) beitimmtem bon Loyola jelbit außgearbeitetem Lehrplan Unterricht genoffen. Es fehlte in den erften Jahren nicht an inneren und äußeren Bedrängniffen aller Art. Aber die auf- opfernde Unterjtügung, die diefer Gründung vor allem der „erſte deutiche Jeſuit“ Peter Canifius, Ferdinands Beichtvater und Sofprediger,” zuteil werden ließ, der Schuß, den ihr der König, der Erzherzog, der „heros catholicorum“ und „Säule des Fatholiihen Glaubens“, der Fatholifche Adel und andere Kreife gewährten, ließ alle Schwierigkeiten überwinden, fo dag nach einem ettva ſechsjährigen probiforiidien Beftande Ferdinand am 15. März 1562 durch einen eigentlichen Stifts- brief in feierlicher Form das Jeſuitenkloſter in Prag feit begründete. Die wichtigfte Verfügung beitand darin, daß die

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Jeſuitenſchule zu einer Univerfität ausgeftaltet wurde mit allen Rechten, wie fie die anderen Uniberfitäten Deutichlands, Italiens, Spaniens, Frankreichs bejaßen. Dem utraquiftifchen Carolinum, diefem „berrofteten Kleinod“, der älteften Hoch- ſchule des Reichs, die Karl IV. 1848 geichaffen hatte, ftellte derdinand das Clementinum entgegen; dem Sig des ber- fallenden Utraquismus eine neue Stätte des reformierten Katholizismus. Das ganze geiftige und kirchliche Leben im Sande erhielt einen wichtigen Mittelpunkt, von dem ganz neue Anregungen außgingen. Das Gefühl, das den utra- quiftifchen Rektor Magifter Johannes Hortenfius bei der Nachricht vom Einzug der eriten zwölf Sejuitenpatres in Prag befchlichen hatte, ald er in das Amtsbuch die denfwürdigen Worte eintrug: „eine dem Reich und dem öffentlichen Leben ſehr berderbliche Sade, die nur wenige richtig empfinden“, follte fich bewahrheiten. Den Utraquiften war der ſchwerſte Feind im Herzen des Landes eritanden, ohne daß fie es hätten verhindern fönnen. Eine geiftige Richtung bon weltgefcdhicht- licher Bedeutung fiegte über die verknöcherte Politik eines Kleinen Landes.

Die Einführung der Sefuiten in Prag war ein Ereignis, dag eigentlich ganz außerhalb aller Erwägungen der kirch- lichen Kreife Böhmens geftanden hatte; ein wahres Gottes- geichen? für die Fatholifche Partei, durch das fie unbermutet Kräftigung, Vertiefung, Ausbreitung und neues Anfehen erfuhr. Gleichzeitig gewann fie aber für ihre Aufrichtung noch eine neue Stüße, nad) der fie ſich ſchon lange gefehnt hatte.

Das Prager Erzbistum war gleid) zu Beginn der Huffiten- kriege im Sabre 1421 zufamntengebrochen, da8 Domkapitel aus Prag geflohen, der Erzbiſchof Konrad zum Utraquismus übergetreten. Adminiftratoren verwalteten fortan die Fatho- liſche Kirche in Böhmen.” Unter König Ladislaus dachte man zum erften Male ernfter an die Wiedereinjegung eines Fatho- liſchen Erzbiihofs, König Wladislaw hatte fogar diefe Würde dem Krakauer Domherrn, feinem Erzieher, dem bekannten polniſchen Geſchichtſchreiber Johannes Dlugoſch, bereits ver- Heben, der aber darauf verzichtete. Auch ſpäter tauchten

Brerbols, Geld. Wöpmens u, Mährens. 11. 14

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ſolche Pläne wiederholt auf, blieben aber immer ohne Erfolg. Ferdinand I. hatte nad) feiner Wahl der Prager Gefandt- ſchaft, die bei ihm in Wien erfchten, am 15. Dezember 1526 das Verfprechen gegeben, fi in Rom beim Papfte um die’ Wiedereinfegung eines Erzbiſchofs in Prag zu bemühen, ohne e8 aber erfüllen zu Fönnen. Auch 1537, 1589 und abermals 1545 wurden in diefer Angelegenheit zwiſchen ihm und den Ständen Verhandlungen geführt, die nad) den Unglüdsjahren bes Schmalfaldner Krieges 1549 wieder aufgenommen wurden. Aber noch am 3. Januar 1558 mußte Ferdinand dem Landtag erffären, daß er feit langer Zeit nicht weniger als die Stände für die Wahl eines Biſchofs eintrete, der die Geiftlichkeit unter einerlei und beiderlei Geſtalt zu weihen vermöchte, daß aber darüber dermalen mit dem päpſtlichen Stuhl nicht ber- handelt werben fönne, vielmehr ein geeigneter Augenblid abgetvartet werden müffe. Schon zwei Jahre fpäter e8 war inzwiſchen Ende 1559 Pius IV. Bapft geworden im Mai 1560 wußte Canifius von Ferdinands feitem Entichluß, die Bifchofsfrage noch bei feinen Lebzeiten zur Enticheidung zu bringen. Am 5. September 1561 ernannte der neue Papfi den ihm präjentierten damaligen Wiener Biſchof Anton Brus bon Müglig zum Erzbiihof von Prag.” Nach einer Unter- bredjung von 140 Jahren hatte dag Königreich Böhmen wieder ein kirchliches Oberhaupt. Allerdings währte e8 eine Zeitlang, bevor er fich feiner neuen Stellung vollauf widmen konnte. Denn abgejehen davon, dab er die Würde eines Großmeifters des Sreugherrenordens innehatte, behielt er das Wiener Bis- tum nod) bi8 ins Jahr 1563 und war außerdem Vertreter des Kaiſers auf dem Trienter Konzil während deſſen Iekter Tagung vom 18. Januar 1562 bis 4. Dezember 1568, fo. dab er erft Anfang 1564 zu dauerndem Aufenthalt nad) Prag kam,

In Trient fiel ihm unter anderem die mißliche Aufgabe zu, die Konsilsväter vom der Notwendigkeit zu überzeugen, daß ihm das Recht verliehen werde, in Böhmen für die utraquiſtiſche Bevölkerung auch utraquiftiiche Geiftliche zu weihen, d. h. folche, die dag Saframent der Euchariſtie ſub utraque fpenden. Das Konzil kam trog langwieriger Verhandlung über diefe Frage

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au feinem Entſchluß und überließ „das ganze Geichäft“ ſchließ lid) dem Papfte allein, der nad) ubermaliger Mahnung durd) König Berdinand am 15, April 1564 einer Reihe von Erz- biſchöfen und Biihöfen in Deutichland, darunter auch Prag, das Recht verlieh, Priefter zu weihen, die unter beftimmten Bedingungen und Vorausſetzungen beide Arten der Kom- munion fpenden dürften. Erzbiſchof Anton verfündete felber das päpftliche Bugeftändnis in der Prager Domkirche am Sonntag den 23. Juli 1564.

Zwei Tage ipäter, am 3, Juli ftarb Kaiſer Ferdinand I. in Wien nad) langem ſchwerem Sranfenlager, in dem Bewußt · fein, den katholiſchen Glauben aud) in dem huffitifchen Böhmen wieder gefräftigt zu haben. Freilich foll er auf dem Xoten- bette feinen Beichtoater ermahnt haben, auf feinen Sohn und Nachfolger Marimilien II. einzumwirfen, daß er kaiholiſch bleibe und daß „die katholiſche Religion, wie fie von unſeren Vorfahren auf ung löblich fommen, in unferen Ländern gehalten werde.“ Wenn dies richtig ift, dann hat Ferdinand trog feiner Bemühungen und Erfolge wohl faum die Über- zeugung ins Grab genommen, daß der Katholizismus in Böhmen für alle Zeit geficjert war, noch weniger geahnt, dab das Ende für Utraquismus, Quthertum und andere Lehren in diefem Lande nicht mehr fern ſei.

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Sechfter Abfchnitt.

Böhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformation bis zum Ausbeud) des dreißigjährigen Krieges. 1564— 1620.

Wie man die erfte Hälfte des 16, Jahrhunderts als das Beitalter der Reformation, der Umbildung der kirchlichen Ver- bältnifie bezeichnet, fo die zweite Hälfte als das der Gegen- reformation, in dem eine Rüdbildung, eine Gegenjtrömung ſich geltend machte.” Die Benennungen find von der allgemei- nen und deutſchen Geſchichte her genommen, für welche dieſe zweimalige religiöfe Ummälzung größte Wichtigkeit hat, mag fie fi auch in den verſchiedenen Ländern ganz verſchieden vollzogen haben, in Stalien und Spanien anders alg in Sranf- reich, in England und den nordifchen Staaten anders als in Deutichland.

überall aber bedeutet diefe Bewegung eine vollfommen neue Erſcheinung. Nicht jo in Böhmen und Mähren. Hier war der Brud; mit der alten Kirche, das Reformationszeitalter, ſchon um ein Sahrhundert früher eingetreten und die gegen- teformatorifchen Beftrebungen des Katholizismus hatten ihren ſichtbaren Anfang ſchon mit dem Jahre 1433, mit dem Ab- ſchluß der Bafler Kompaktaten, genommen. Allein dieſe böh- miſche Reformation und Gegenreformation des 15. Yahrhun- derts war zu feinem Abſchluß gekommen. Es gährte Firchlich in beiden Ländern gewaltig, als von Wittenberg her der neue Keil in die Fatholifche Welt getrieben wurde. Und erſt diefer don Deutichland ausgehende religiöfe Kampf haucht dem böh- mifc-mähriidyen Kirchenweſen, das nicht vorwärts, nicht rüd- wärts Tonnte, neue Kraft ein. Luthertum in der erften, Jeſu- itentum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fpielen bier eine nicht geringere Rolle al8 in mandem deutſchen Fürftentum. Nur liegen die Dinge bier verwidelter. Die neue Lehre bat auf diefem Boden nicht mehr die Aufgabe, den

Böhmen und Mähren zur Beit der Gegenreformation. 2318

Katholizismus zu befämpfen und zu befiegen, jondern fid mit den fchon längit an deifen Stelle getretenen neuen Belennt- niffen des Utraquismus und des Brüdertumg auseinander zu fegen. Und der Sefuitismus muß den Kampf aufnehmen mit einem ſchon durch mehrere Menichenalter eingelebten, mit dem Volksbewußtſein verwachſenen Glauben, der in furdhtbaren Kriegen fcheinbar feuerfeft zufammengehämmert. worden war. Daher wird aud) der Kampf Bier ſchwerer, nimmt viel härtere Formen an, wird ein Ringen auf Leben und Tod. Die eine Beit lang gleichfam nur im Schlepptau der deutſchen dahin- siehende böhmiſche kirchliche Bewegung gerät auf einmal wie in einen Strudel, bäumt ſich auf, verjinft und überläßt dem Sanpiihfi den Enticheidungsfampf mit den aufgepeitichten N,

Ferdinand I. hatte Böhmen in einem religiös ſcheinbar berubigten Buftand Hinterlafien. Sein gleichnamiger Sohn hatte es in der Würde eines Statthalters glänzend verſtanden, bie durch die Ereigniffe des Jahres 1547 getrübten Beziehun- gen zwiſchen Volk und Landesherrn wieder herzuftellen und fo freundlich ala möglich zu geftalten.” Ter König, der zugleich deuticher Kaiſer war, hat in den lekten anderthalb Yahrzehn- ten feiner Regierung wiederholt längere Zeit in Prag gemeilt, an großartigen Feftlichfeiten teilgenommen, auch andere Städte des Landes befucht. Sein und feines Sohnes offenes und eifriges Eintreten für den Natholizismus erregte feinen Un- willen, beſonders da fich die religiöjen Verfolgungen der Jahre 1548 und 1549 nidjt mehr wiederholten, wenigitens nicht mebr in fo jchroffer, das öffentliche Leben fehädigender Form. Radikales Utraquiftentum, gleichbedeutend mit böhmifchem Luthertum, und Brüdertum mehrten fid) im Lande troß aller gegen. fie gerichteten Mandate, trog Begünftigung des Katho- ũzismus. Der Prinz-Statthalter hatte einmal im Jahre 1555 vom Vater die Weiſung erhalten, in religiöfen Dingen nur ſoweit zu gehen, „auf daß... in unfrer Kron Beheim nicht weiterer Ungehorfam und Qumult daraus erfolge”. Man ftredte keineswegs bor den Sekten die Waffen oder gewährte ihnen freie Auswirkung; man führte aber den Kampf gegen

214 Sechſter Wſchnitt

fie mehr durch Stärkung der katholiſchen Richtung in allen Belangen. Auf utraquiſtiſcher umd Brüderfeite ſchätzte man die Gefahr, die der langſam wachſende Katholizismus in fi barg, zunächſt nicht hoch ein, umſoweniger, als man der Hoff- nung lebte, auf Serdinand werde ein dem neuen Evangelium äugeneigter Fürſt folgen: Maximilian IL, fein ältefter 1527 in Wien geborener Sohn.

Die beiden Brüder Marimilien und Ferdinand ein dritter, jüngerer, Karl in Steiermark (Inneröfterreich), ſpielt für ung feine Rolle im Alter nur um zwei Jahre unter- ſchieden, haben, obwohl fie bis zu Marimilians ſechzehntem Lebensjahr gemeinfom in Smnsbrud erzogen worden waren, wenig gleichartiges. Im Gegenfaß zu Ferdinands ftreng Fatho- licher Gefinnung, um den Hauptunterſchied zu betonen, neigte Marimilian, insbefondere feit feiner Rüdfehr aus Spanien, wo er von 1548—1550 gemweilt und feine Baſe, Kaiſer Karls V. Tochter Maria geheiratet hatte, entſchieden dem reformierten Glauben zu. Diefe Gefinnung brachte ihn aber in einen ſchweren Kampf mit feinem glaubensftrengen Vater. Er war nahe daran enterbt, von feiner Gemahlin, trogdem die Ehe überaug glüdlic war, und bon feinen Kindern getrennt zu werden. Die Berfolgungen und Zurückſetzungen ſchwächten allmählich feine Willensfraft, befonders als er fi in feinen Hoffnungen auf die proteftantifchen Fürſten im Reich getäufcht ſah. Späteftens zu Beginn des Jahres 1562 unterwarf er fi) dem Vater und gelobte, von anderen Zugeitändnifien ab- gefehen, „daß er in der Zatholifchen Religion leben und fterben wolle“; nur die Kommunion unter beiderlei Geftalt mußte man ihm zugeftehen. Seinen zwiefpältigen religiöfen Stand- punkt Kennzeichnet feine Erklärung: als Menſch fei er nicht päpftlid) und nidyt evangeliſch, fondern ein Chrift; als Herr- ſcher fei er Fatholifch.”

Diefe Wandlung blieb aber für weitere Kreife Geheimnis. Dan hielt dafür, daß Maximilian, zur Regierung gelangt, feine wahre Gefinnung nidyt verleugnen werde. Insbeſondere waren es die Böhmiſchen Brüder, die ie au dem Thronfolger durd) deffen lutheriſchen Prediger Joh. Seb. Pfaufer frühgeitig Beziehun-

Vöhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformation. 215

gen ſuchten. Maximilian war kurz nad) feiner Abreife nad) Spanien gemäß dem Wunſche feines Taiferlichen Schwieger- vaters auf dem Landtage in Prag im Februar 1549 zum böhmifchen König gewählt worden, ohne aber bei Lebzeiten des Vaters und während der Statthalterfchaft des Bruders eben wegen feiner religiöfen Saltung irgendivelden Einfluß auf die Landesverwaltung nehmen zu dürfen. Dem gewählten böhmifchen König war ein Jahrzehnt und länger das Be treten böhmifchen Bodens vom Vater Strengftens unterfagt; nur gegen defien Willen hat er fi) das eine und andere Mal hineingewagt. Das Hinderte die Böhmiſchen Brüder nicht, ſchon 1555 und dann noch dreimal bis Ende 1557 Gefandt- ſchaften nad; Wien zu ſchicken, um den jungen ‚König für ſich zu gewinnen. Daß ihnen nur ganz allgemeine Berfprecjungen gemacht wurden, ergibt ſich aus der Lage, Als dann aber Marimilian II. nad des Vaters Tod 1564 wirklich die Ne- gierung antrat, waren ihm in religiöfen Dingen bereit3 die Hände gebunden, abgefehen davon, daß er den „Brüdern“ keine Neigung entgegenbradhte und den böhmiſchen Verhält- niffen an fi wenig Aufmerkſamkeit ſchenkte. Die Statthalter ſchaft feines Bruders nahm erft Anfang 1567 auf deſſen eigenes Drängen hin ein Ende, alg er fi in fein ihm noch vom Vater zugewieſenes tirolifches Erbe zurückzog.

Unter Marimilian II. bildeten fi; in Böhmen wieder Ver- bältniffe aus, wie fie unter Ferdinand I, vor 1547 geherricht hatten: die Regierungsgewalt ging an jene Adelspartei über, die die hohen Tandesämter in Händen hatte. Seit 1570 ftand der reiche und mächtige Wilhelm von Rofenberg auf Krumau als Oberitburggraf an der Spige der Vertvaltung, ein eifriger Katholif. Der König felbit entfremdete fich den Ständen, da er nur zu den Landtagsverhandlungen in Prag erſchien, um ſich die Steuern bewilligen zu laffen, Die Landtage wurden wieder der Boden, auf dem der Kampf zwiſchen Stände- und Fürftentum ausgefämpft wurde. Auf dem Landtag des Yahres 1574, auf dem ſich Marimilian durd) feine Söhne Rudolf und Ernſt vertreten ließ, Flagte man: im Lande, befonders in den gebirgigen Gegenden, herrſche Hungersnot, daran viele

216 Sedfter Abſchnitt.

Menſchen zugrunde gehen, während andere gezwungen feien, ihre Kinder umfonft wegzugeben, zu verſchenken, ja bitten müßten, fie anzunehmen, „damit fie nit alſo elendiglid) Sun- gers fterben müßten“. Die Städte kämen fo herunter, daß in vielen 80, 40, 50 und mehr Käufer öd und unbewohnt da- ftünden, Selbft Familien des Herren- und Nitterftandes „müffen ſamt Weib und Kindern große Armut und Not leiden”. Wer hätte unter ſolchen Verhältniffen dem Könige noch höhere Steuern als früher beivilligen wollen? Man konnte fi) über die Forderungen nicht einigen, der Landtag ging „alfo ohne Frucht“ auseinander. In Wien aber deutete man die Ablehnung, wie der Faiferliche Reichshofrat Dr. Georg Eder an des Kaiſers Schwager Herzog Albrecht V. von Bayern ſchrieb, dahin: „dab die Behamen gar ein kalt Herz zu uns haben“, und der Kaifer felbft nad) Prag fahren müffe, „um zur Wirtfchaft zu fehen“,

So fam e8 zum großen Prager Landtag des Jahres 1575.* Was ihm das Gepräge gab, war nicht etwa die Verhandlung über dieſe wirtſchaftliche Not, noch auch über politiic-finan- zielle Fragen; er war, wie es Wratislaw bon Pernitein, der böhmifche Oberftfanzler, in einem Schreiben an Wilhelm von Rofenberg ſchon am 9. Juli 1574 vorhergefagt hatte, „Burdj- aus von der religiöfen Frage beherrfdjt”. Und ebenfo äußerte fich der Prager Erzbifchof in einem Briefe vom 1. Sänner 1575: man jehe betrefis der religiöfen Angelegenheiten großen Kämpfen und Tragödien (concertationes et tragoedias) ent- gegen.

Die großen religiöfen Tragödien, die ſich eben damals in der chriftlichen Welt des Südens und Weſtens Europas ab- fpielten, gaben zu ſolchen Befürchtungen allerdings genügen- den Anlab.

Seit der Mitte des Jahrhunderts, feitdem die firengen Päpſte, mit dem greifen Paul III. Caraffa (1555—1559) beginnend, auf Petri Stuhl faßen, der glaubensharte Philipp II. (jeit 1556) das fpanifche Weltreich regierte und das Trienter Konzil feine Sitzungen am 4. Dezember 1563 mit einem Fluch gegen alle Neger, die Proteftanten nicht ausgenommen, feier-

Vöimen und Mähren gur Zeit ber Gegenreformation. 217

lich geichloffen hatte, war der Kampf zwiſchen dem neu belebten Katholizismus und der Reformation in allen ihren Richtungen und Schattierungen unausweichlich. Auf italienifchem und fpanifhem Boden wurde er mit Hilfe des grauenhaften Schredensregimentes der Autodafes und ber Inquiſition raſch zu Gunften der alten Lehre entichieden. In Frankreich führte er zu dem mehr als dreißig Jahre währenden hugenottifchen Religionsfrieg, der in der Parifer Bartholomäusnacht vom 3. zum 24. Yuguft 1572 feinen Höhepunkt erreichte. In den ſpaniſchen Niederlanden aber erwuchs ein politifch-religiöfer Verzweiflungsfampf, der ſchon während der tyrannifchen Statt- halterſchaft des ſpaniſchen Herzogs Alba (1567—1573) zum Ab- fall der Niederlande von Spanien den Anftoß gab.

Dieſe Ereigniffe, diefe „Morde an dent Volke, daS Leib und Blut unter beiderlei Geftalt empfängt”, wie es in einer Ylug- ſchrift hieß,’ wurden aud) in Böhmen befannt und erregten Entfegen und Aufregung. Aber zu einem Aufflammen der verborgenen Glut führten fie nicht. Man war auf beiden Seiten noch beitrebt, die Gefahr durch Verhandlungen zu bannen: das gibt dem denftwürdigen Landtag von 1575 feine Bedeutung.

Die königlichen „Propofitionen”, d. h. die Anträge, die im Namen des Königs an die im Landtag berfammelten Stände ergingen, berührten die religiöfe Srage gar nicht. Sie handel- ten bloß von Steuerſachen, Bergwerkweſen, Elbeſchiffahrt und Wiederaufrichtung der Prager Univerfität. Ein Zeuge der Randtagseröffnung am 21. Februar fchrieb zwei Tage jpäter

wörtlich: „Des Religionsweſens wurde auch nicht mit einem Wörtchen Erwähnung getan, wiewohl biele darauf warteten, was darüber gejagt werden würde; allein dag war alles um nichts." Aber die utraquiftifchen Stände erklärten in einer der erften Sikungen (3. März) durd den Oberftlandrichter Bohuslaus Felir bon Haſſenſtein-Lobkowitz, fie hätten beichloffen, im Landtag zu allererit in den kirchlichen Dingen eine Ordnung nad) dem von den Ständen des Neiches dem Kaiſer Karl V. feinerzeit in Augsburg im Jahre 1530 vor- gelegten Befenntnis fertig au ftellen, bevor an die Verhandlung

218 Sechfter Abſchnitt.

der anderen allgemeinen Artikel geichritten würde. Diefe Forderung, übrigens in enigegenfommendfter Form bor- gebracht, ging jedoch nicht von der gefamten utraquiftiichen Partei aus, fondern nur von den lutheriſch Gefinnten, die ſich Utraquiften nennen mußten, um ſich nicht „gleihjam außer- halb des Geſetzes“ zu fellen. Die Altutraquiften unter der Führung des Oberftfämmerers Johann von Waldftein ertvider- ten fofort, man möge fi) in feine Neuerungen einlaffen, da „viele Hunderttaufend gute Chriften” dem nicht auftimmen würden, „daß wir irgendein neues und deutiches Bekenntnis fuchen“. Eine für die „Utraquijten“ gültige neue Kirchen - ordnung, die aud) er wünſchte, hielt er nur dann für möglich, wenn fie auf Grund „der alten Schriften und Landtags- beſchlüſſe“ aufammengeftellt würde. Und fofort meldeten ſich Stimmen, die an die bereit3 beftehende „Ronfeflion der Böhmiſchen Brüder“, oder wie man fie damals auch nannte, „Bunzlauer Brüder“ erinnerten. Die wenn auch ſchwächere fo doch in ſich geeinigte Fatholifche Partei ftand fomit im Landtag gegenüber den in drei Richtungen geipaltenen Utraquiften. Nicht die althergebrachte ftändifche Scheidung in Herren, Ritter und Bürger gab den Ausſchlag, jondern die in vier religiöfe Gruppen: Katholiken, Altutraquiften, Neu- oder Iutherifche Utraquiften und Brüder. Zunächſt verfuchte man ein Bufam- mengehen ber legten drei. Es wurde aus allen drei Ständen ein achtzehngliedriger Ausſchuß gewählt, der aus der Yuguftana, der Brüderfonfeifion, den Landtagsſchriften und anderen alten Quellen eine „neue“ Bekenntnisſchrift verfaſſen follte, die man dem Kaiſer alg gemeinjame „utraquiftiiche Kirchenordnung” zur Beltätigung vorlegen mollte.

Dieſes Werk fam wohl, wenn auch unter größten Schwierig · feiten zuftande. Am 17. Mai war es fertiggeftellt, aber die Altutraquiften hatten an deſſen Abfaſſung feinen Anteil; fie waren gleich zu Beginn der Verhandlungen aus dem Aus- ſchuß ausgefchteden. Die neue böhmifche Konfeffion in 25 Artieln war das Werk der „Ronfeffiomiften“, wie man die lutheriſchen Utraquiften von nun am bezeichnete, und der Brüder. Sie gab bald ganze Artikel der Auguſtana in vollem

Böhmen und Mähren zur Zeit ber Gegenreformation. 219

Wortlaut wieder, bald Hatte fie Auffaffungen, einzelne Aus- drüde und auch ganze Säge aus der alten Brüderfonfeffion herübergenommen.” Im ganzen ftellte fi die Böhmiſche Kon- feffion dar als „dag Werk und Bekenntnis der unter dem Ein- drud der Iutherifch-melandhthonifchen, teilweiſe aud) kalviniſchen Reformation ftehenden und durch diefelbe geförderten und befruchteten huſſitiſchen Bewegung“; nad anderer Auffaſſung als „ein dunkles ſich oft untereinander widerſprechendes Gemiſch der lutheriſchen Lehre und jener der Böhmiſchen Brüder“. Dabei verzichteten aber die Brüder auf ihre eigene Konfeſſion und Kirchenordnung keineswegs, ſondern wollten zwei Eiſen dieſe im Rahmen und unter dem Schutze der neuen gemeinſamen „Böhmiſchen Konfeſſion“ behalten, wie fie denn aud) ihre Glaubensſchriften dem Kaiſer gelegentlich durch beffen Leibarzt Doktor Crato, ihren ſcheinbaren Gönner, über- reichen ließen.

Die ganzen Landtagsverhandlungen hatten bis zur Fertig- ftellung des Bekenntniſſes geftodt, und nunmehr, als befannt wurde, daß der Kaiſer die Schriften zur eigenen Durchſicht und Weiterberatung angenommen batte, ftellten fi, wiederum die Katholiken auf den Standpunkt, die Erledigung des Religiong- artikels abwarten zu müfjen, bebor fie zu den anderen Artikeln Stellung nehmen fönnten.

Der Kaiſer ließ über die neue Konfefjion Gutachten einholen von Altutraquiften und Katholiken; die Kurie, der Nuntius, die Sejuiten mahnten ihn, foldje Neuerungen nicht zuzulaſſen, von der Kanzel im St. Veitsdom wurde gegen die „pikardifche und räuberifche Konfeſſion“ gepredigt. Marimilian hielt die Konfeffioniften und Brüder mit ungewiſſen Verſprechungen bin, erft in einer Unterredung am 25. Xuguft ließ er fie klar erfennen, daß er ihrem Wunſche nad einer fchriftlichen Anerkennung mi Rüdficht auf den Widerftand der Katholiken und Altutraquiften nicht willfahren, fondern ihnen nur zu fiern könne, daß fie weiterhin, auch unter feinen Nach- folgern, von niemandem würden beläftigt werden. Es ſchien, als ob daraufhin der Landtag geiprengt werden follte. Nur den Bemühungen Haſſenſteins, des Führers der Konfefjioniften,

220 Sechſter Wichnitt

gelang es, den Bruch hintanzuhalten. In einer Unterredung zwiſchen dem Kaiſer und den zehn vornehmſten Mitgliedern dieſer Partei am Morgen des 2. September gab er ihnen eine mündliche „Aſſekuration und Verſicherung“, daß ſie ſich für jetzt und ſpäterhin keinerlei Beſorgniſſen bezüglich der freien Ausübung ihres Bekenntniſſes hinzugeben brauchten und ſchloß mit den feierlichen Worten: „Gott weiß, daß ich in den Sachen mit euch treulich handle und ſoferns anders iſt, ſo gebe Gott, daß das an meiner Seelen auch geht“, wobei er ſich auf die Bruſt ſchlug.

Der Sturm war beſchworen. Binnen wenigen Tagen beſchloſſen nunmehr die Stände einmütig die kaiſerlichen Propoſitionen, vor allem die angeſprochenen Steuern, wenn auch nicht, wie Marimilian verlangt hatte, für fünf oder mehr, fo doch für ein Jahr; ferner, woran dem Kaiſer befonders gelegen war, die Krönung feines älteften Sohnes Rudolf zum König von Böhmen, die am 2. September in Prag ftattfand. Vier Tage fpäter reifte Maximilian nach Regensburg ab, wo Rudolfs Wahl zum deutichen König borgenommen wurde.

Es zeugt von der Unflarheit, die die Verhandlungen diefes Landtages hervorgerufen hatten, daß zunächſt beide Parteien, einerſeits Konfeffioniften und Brüder, anderfeit3 Katholiken und Altutroquiften, in dem Glauben lebten, den wahren Erfolg errungen zu haben. Aus einem Schreiben einiger Wittenberger Profefioren an Haffenftein vom 3. Nobember 1575 erfieht man, dab diefer ihnen gemeldet hatte, der Kaiſer habe allen drei Ständen, Herren, Nittern, Städten, die neue Konfeffion bemilligt, jo daß fie „offentlich verfündet und ber- breitet werden könne“. YHaffenftein war nur darüber im Bieifel, ob fie mit der Iutheriichen Lehre in vollem Ein- Hang ftünde. Die Wittenberger beruhigten ihn hierüber und gaben ihr in ihrer Zufchrift den Namen: „Böhmiſche Kon- feifion aller drei Stände, die ſich nad) der Augsburgiſchen Kon- feffion richten“. Auch hatten fich die Konfeffioniften noch wäh- rend des Landtages eine eigene Verwaltung gegeben; fie wähl- ten am 13. September fünfzehn „Defenforen”, je fünf aus

Böhmen und Mähren aur Zeit der Gegenreformation. 221

jedem Stand, denen die Leitung des ebangelifchen Klerus und de3 ganzen Kirchenweſens zuftand.

In katholiſchen Kreifen fchrieb man mit gutem Grunde, geftügt auf Äußerungen des Kaifers, feinen den Proteftanten gegebenen mündlichen Zufagen vom 2. September feine allzu große Bedeutung zu und konnte fi) denn auch fehr bald von der Richtigkeit diefer Anſchauung überzeugen. Die Lutheraner und aud die Brüder fuchten nämlich fofort dort, wo fie die Mehrheit befaben, Geiftliche ihrer Richtung in die Kirchen ein- zuſetzen, Bethäufer zu eröffnen umd neu einzurichten, wodurch in Prag und auf dem Lande Zwiſtigkeiten befonder8 mit den Atutraquiften entftanden. Als hierauf der Kaiſer um feine Entfcheidung angegangen wurde, Imgte am 5. Oftober aus Regensburg ein Mandat ein, durch das alle „Berfamblungen und Bufammenfünfte“ unterfagt wurden, bei denen „in großer Anzahl nit allein daS gemeine Bauernvolk, fondern aud) aus den Herren⸗, Ritter- und Bürgerftand Mann- und Weibs- perfonen zufammenfomben und allda ihre Predigten und andere Religionen üben ... . in den Städtlein und Dörfern, auf den Schlöffern und Sitzen derfelben“. Ebenfo wurde den königlichen Städten verboten, in religiöfen Dingen Änderun- gen vorzunehmen, vielmehr follten fie alles jo belafien, wie e8 „bor Zeiten und bis auf jetzo gehalten worden“. Der Drud der Böhmifchen Konfeffion mußte wieder eingeftellt werden. Mllerdings bemäntelte der Kaifer auf einen erniten Schritt der Konfeffioniften hin fein Vorgehen ſpäter damit, daß feine Verfammlungsverbote doch nur „die pikardiſchen Bufammen- fünfte”, alfo die der Brüder, beträfen, daß er die Rechte der beiten oberen Stände in Bezug auf ihre Prieſterſchaft nicht beeinträchtigen wollte und die Vorfälle, über die Beſchwerde geführt worden jei, ftrenge unterfucht werben follten.

Es war ſchwer gegen Lutheraner und Brüder angeſichts ihrer Stärke mit Entichiedenheit vorzugehen. Wir willen, daß im Landtag die Lutheraner allein über 69 und mit den ſechs Mitgliedern der Unität iiber 75 von 90 Stimmen im Herren- und über 100, beziehungsweife 116 bon 185 Stimmen im NRitterftand verfügten; in die reſtlichen teilten ſich Altutra-

222 Sechſter Wſchnitt.

quiſten und Katholiken. Zu den Lutheranern und Brüdern hielten auch die Vertreter der Städte Prag, Saaz, Kaaden, Kuttenberg, Nimburg, Chrudim, Leitmerik, Beraun und viele andere, wiewohl die Bevölkerung in der Mehrzahl von ihnen religiös gemifcht war. Im ganzen Land, deſſen Eintwohner- zahl man auf drei Millionen und einige bunderttaufend Be ſchätzte man die Katholifen höchſtens auf ein intel.

Was aber der Tatholifchen Partei im Landtag und im Lande an Zahl abging, erfeßte fie durch das Anfehen ihrer Mitglieder, durd) den Rückhalt am Hof, die Unterftüßung durch die päpft- lie Kurie, den heimifchen und fremden hohen Klerus, die werftätigen Iefuiten. Bon den Landesämtern waren die höd- ften, das des Oberftburggrafen (Wilhelm von Rofenberg), Oberfthofmeifterg (Ladislaus d. A. von Lobkowitz), Oberft- kanzlers (Wratislaw von Pernſtein), Oberſthofrichters (Adam bon Schwamberg), des Burggrafen von Karlſtein (Sohann Borita von Martini), des Oberſtkammermeiſters (Sbinek Berka von Duba), des Appellationsgerichtspräſidenten (Johann Popel d. A. von Lobfowig) u. a. m. im Beſitze von Katholiken. AMlerdings ſchon ihre Stellvertreter und die Schar der niederen Beamten, Räte, Sekretäre und Schreiber, waren Nichtkatho- lifen, die aud; Stellen wie das Oberftlandrichter- und das Hof- marſchallamt bereits innehatten.

Faßt man alles zufammen, fo hielten fich die beiden Lager das Gleichgewicht; hier fiel die äußere Macht, dort die Volfs- sahl ins Gewicht; hier glaubte man an den deutſchen Proteſtanten, dort an den katholiſchen Höfen Unterftigung finden zu Tonnen. Im ganzen aber berridjte eine bejorgte Stimmung und dumpfe Spannung. Als Kaiſer Mari- miltan IL, der ſchon am 12. Oftober 1576 in Segensburg geftorben war am 22, März 1577 in Prag fei lich zu © getragen wurde, ergab es fich, daß das Gedränge eine ee Unordnung und Geſchrei im Leichenzug bervorrief. Sofort fliichteten ſich die katholiſchen Geiſtlichen und Gerichte ber- breiteten fich, als ob gegen fie und die Sefuiten ein Anſchlag

Vöhmen und Mähren zur Zeit der Gegenreformatton. 228

geplant geweſen ſei, jo unficher fühlte man fi) in der Saupt- ftadt, troß der Anweſenheit des neuen jungen Königs.

Es ift begeichnend, daß man von Anfang an ziemlich allge- mein die Überzeugung hatte, in Rudolf einen bedeutungslofen, „unanfehnlichen König“ zu befigen. Diefen Ausdrud gebrauchte ſchon im Jahre 1576 der braunſchweigiſche Gefandte auf dem Reichſstag in Regensburg. Der päpftlide Nuntius Delfino faßte fein Urteil in die Worte zufammen: Rudolf fei „unfähig, die jo ſchwere Laſt der Regierung zu tragen“, Und zu gleicher Zeit, am 18. Oftober 1576, ſchrieb der politif_he Agent des Kurfürſten Auguft von Sachſen aus Regensburg: „Viele fan- gen an zu fürditen, daß große Änderungen in der Religion beborftehen, nicht allein in Sfterreich, Ungarn und Böhmen, fondern auch im Reich“ Hiezu Fam, dat man an Rudolf jehr bald, fon im Sabre 1577, die Wahrnehmung einer beran- ſchleichenden geiftigen Erkrankung machte, die ſich fpäter in Schwermut, Menſchenſcheu, Jähzorn. Verfolgungs- und Größenwahn äußerte, ohne aber je in wirkliche Geiſtesſchwäche auszuarten.° Im Gegenteil: Rudolf war von Natur aus vor- züglich begabt, beſaß ganz außerordentliche Kenntniffe auf den verſchiedenſten Gebieten, Spraden, Wiſſenſchaften, Künſten, Kunſthandwerk, war ein unermüdlicher Sammler bon Fite- rariſchen und Fünftlerifchen Schäßen jeglicher Art, allerdings aud) von Abjonderlickeiten. Er hielt an feinem Hofe, den er 1582 von Wien dauernd nad) Prag verlegte, Künftler und Ge- lehrte, nennen mir etwa: die Maler Georg Hufnagel aus Ant- werpen, Sans bon Aachen aus Köln und Johann Breugbel, den Nupferftecher Sadeler, die beiden Aftronomen Tycho Brahe aus Schweden und Johannes Kepler aus Württemberg.

Ablenkungen folder Art beeinträctigten nebit der Krankheit Rudolfs Regententätigfeit in hohem Maße. Selbft hohe adlige Beamte, wie Karl von Zierotin aus Mähren, Eonnten, wie diefer ſelber Elagt, weder durch Bitten, noch durch Geld, noch durch eine andere Praktit” zu einer Audienz gelangen; und wer jchlteßlich doch foldjer Gnade teilhaftig wurde, mußte „in Worten” fein Anliegen erledigen. Des Kaiſers Ehrgeiz aber, alle politiihen Fragen felber zu enticheiden,

224 Sechſter Abſchnitt.

nichts aus den Händen zu geben, bewirkte eine ſchädliche Ver- ſchleppung der wichtigften Angelegenheiten, eine Zurückſetzung der hohen Beamten und ein Anwachſen des Einfluffes und der Macht der niederen Dienerichaft aus des Kaiſers perjün- lichen Umgebung, da3 mit dem Worte des „Kammerdiener- regimentes“ gefennzeidinet wird. Alle diefe ungefunden Ber- hältniſſe entwickelten ſich aber ſehr allmählich und machten ſich nicht ſofort fühlbar, am wenigſten in der Verwaltung der böhmiſchen Länder. Die Landtage wurden regelmäßig faſt Jahr für Jahr einberufen und abgehalten, zumeift in Anmejen- beit der Königs. Die Stände bemwilligten die immer fteigenden geldlihen Anforderungen und Steuern, die oft ganz unge» mwöhnlichen Koften für Kriegsvolk, das man gegen die Türfen benötigte, noch im Jahre 1590 „in einer fo herzlichen Weife, daß daraus das innige Einvernehmen, das zwiſchen dem König und dem Lande herrichte, erfichtlich ift”.t

Eine Reihe von Angelegenheiten beichäftigte einen Land- tag wie den anderen, ohne daß man einen weſentlichen Yort- ſchritt feſtſtellen könnte. Dazu gehört in erfter Linie dag leidige Schuldenweſen der königlichen Kammer, das ſchon unter Fer- dinand I. und Marimilien II. den Ständen Jahr um Jahr behufs endgültiger Abhilfe vorgetragen worden war; fodann die Schiffbarmachung der Elbe, nicht zulegt, um die Ausfuhr don Getreide und Fiſchen, daran im Lande zeitiveife Überfluß berrfchte, zu erleichtern. Immer wieder wurde die Ver- befierung des bdarniederliegenden Bergmwefens, bejonders in Kuttenberg, auch in Joachimstal, erörtert, wobei im Jahre 1587 die Gründung von Bergbaugefellichaften angeregt wurde. Ebenſo wurde nad) Abhilfe gegen die Teuerung geſucht durch Erlaffung von Handiverfer- und Polizeiordnungen. Der Ausgleich zwifchen den Stadtrechten und der Landesordnung, Grenzfiherung, der bayrifche Salzhandel im Bufammenhang mit Straßenbau, Judenſachen, das vielfach zerrüttete Münz- weſen beichäftigte viele der Landtage, neben den üblichen Standeserhöhungen, den immer zahlreidher auftretenden Inkolatsverleihungen an Fremde, Entihädigung bei Elementerereigniffen in den koͤniglichen Städten; gelegentlich

Böhmen und Mähren zur Beit ber Gegenreformation, 225

toind auch über den Mangel an raten geklagt, der bei den fo oft auftretenden Peit- und anderen Krankheiten ſchwer empfunden wurde und man fucht dem Spitalelend abzubelfen. Aber auch außenpolitiiche Angelegenheiten werden zur Sprache gebracht; die allgemein wichtige Stage der Einführung des gregorianifchen Kalenders, d. h. der bon Papſt Gregor XIII. im Sabre 1582 feitgefegten neuen Beitredimung, beidjäftigte wie die böhmifchen fo die mähriſchen Stände auf den Landtagen bon 1583 und 1584. Ihr anfängliches Sträuben gegen die Neuerung, in Mähren, weil ihnen die Einführung entgegen ihren Privilegien vom Kaiſer „befohlen“ worden war, in Böhmen, weil man nur im Einberjtändnis mit dem Neid) vorgehen wollte, gaben die Stände auf einen neuerlicdyen Antrag des Kaiſers im Landtag auf.

Die für die Zufunft bedeutfamfte und folgenſchwerſte Frage blieb aber die religiöfe.

Man möchte dem Urteil des zeitgenöffifchen Chroniften und Staatsmannes Wilhelm Slawata, daß unter Rudolf IL. zunächſt „viele Yahre hindurch die Inwohner in ihren mannigfaltigen abweichenden Neligionsgebräuden feine Behinderung er- fuhren” ,*® zuftimmen; allein er ſcheint dabei nur die Zeit unmittelbar por und nad) 1600 im Auge zu haben. In Wirk- lichkeit waren die religiöfen Verhältniffe in Böhmen auch nad, dem Prager Landtag von 1575 nicht zur Ruhe gefommen. Die Rage der Nichtkatholifen war damals nicht geieklich geregelt worden, fondern beruhte auf mündlichen Zuſagen Sailer Marimiliang II. Lutheraner und böhmiiche Brüder, der weit- aus größte Teil der damaligen Bevölkerung Böhmens in allen Schichten, Bauern, Bürgern und Adligen, mar nicht anerfannt, fondern geduldet; Katholiken, „ein kleines Häuflein“, wie der Erzbifchof dem Kaiſer jchrieb,t* und die im Ausſterben befind- lichen Altutraquiften waren und blieben die allein im Lande berechtigten und anerfannten Konfeſſionen. Die Streitig- feiten, Berfolgungen, Verdächtigungen hörten nicht auf. Mahnungen an den Kaifer und beftimmte Vorſchläge, wie daß Religionswefen in Böhmen von Grund aus geändert werden fönnte, find aus diefer Zeit nicht wenige erhalten: 1577 von

Bretdols, Geld. Böhmens u. Mahrens. II. 15

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dem Jeſuiten Lanoy, dem Viſitator der böhmiſchen Jeſuiten · provinz, 1580 von dem Nuntius am kaiſerlichen Hofe Placen- tinus, 1584 vom Nuntius Bonomi. Dieſes „Memorial” hatte denn aud; den Erfolg, dab noch im jelben Jahr am 27. Zuli ein Faiferliches Verbot gegen die Brüderunität er- lafien wurde, das, anfangs jehr ernſt gehandhabt, ſich bald als ſchwer durchführbar eriwieß.!

Nudolf dachte ſicherlich trog feiner ftreng katholiſchen Über- deugungen und feiner tiefen Abneigung gegen alle Särefien nicht daran, einen Glaubenskrieg zu entfachen. Aber auch der alte Adel, die NRofenberge und Pernfteine und andere, fagten e8 dem päpftlichen Nuntius offen, daß fie eine weitgehende Verfolgung der Brüder nicht unterftügen würden. Es mußte erft ein in der Schule des Fampfesmutigen Sefuitismus auf- gewachſenes neues Geſchlecht ans Ruder fommen, um ſolche Bahnen einzufchlagen, ein Geſchlecht, von dem ein neuerer Geichichtsfchreiber urteilt, daß, wenn zur Ausrottung der Negerei die Vernichtung Böhmens nötig geweſen wäre, e8 auch dies ohne Erbarmen und ohne Gewiſſensbiſſe getan hätte.“

Slawata fchreibt der Ernennung Sdeneks von Lobkowitz zum Oberſtkanzler am 4. Sept. 1599 für die Wandlung der kirchlichen Verhältniſſe in Böhmen die größte Bedeutung zu. „Ein im katholiſchen Glauben fehr eifriger Herr“, habe er ſich auf mannigfache Weife bemüht, die alte Kirde im Lande zu fördern. Er war ein Neffe des damaligen Erzbiihofs von Prag, Sbinek Berka von Duba (1593—1606), der gleid; nad feiner Einjegung dem Naifer wichtige Voricläge wegen Emporkringung des böhmiſchen Kirchenweſens unterbreitet hatte und fich als fo eifriger Förderer des katholiſchen Glau- bens betätigte, daß ihm ſchon im Jahre 1595 der päpſtliche Dank für feine „Sorgfalt und Mühen” zuteil wurde. Ihm und dem neuen Nuntius am Prager Hofe, Erzbiichof Philipp Spinelli, der feit März 1599 diefe Stelle einnahm, ift es zu- zuſchreiben, daß der eben damals bon feiner Krankheit ſchwer geplagte Kaifer am 2. September 1602 ein vom 22. Juli aus- geitelltes Mandat genen die Brüder berlautbaren ließ, das feine Vorläufer und Mufter, das König Wladislaws dom

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Jahre 1508, Maximilians von 1575 und Rudolf von 1584, an Strenge bei weitem überbot.!” Bezeichnend für den Wantel- mut des Kaiſers iſt e8, daß er kurz zuvor noch an eine Auß- treibung der erft 1599 in Prag eingeführten Kapuziner ge dacht hatte, von der man ihn nur mit Mühe abbrachte.

Sperrung von Bethäufern und Schulen der Brüder in Jung- bunglau und anderen Städten, Entfernung von Brüdergeift- lien waren die unmittelbare Folge des Mandats. Allein bie betroffenen Stände, insbeſondere die Ritterſchaft, trat während des Landtags im Jahre 1603 mit folder Entichieden- heit gegen die neuen DBerfolgungen auf, daß der zu früh an- geipannte Bogen wieder nachgelaſſen werden mußte. Als ihr Wortführer erhob fi) damals Wenzel Budowetz bon Budow, eine der Märtyrergeftalten Böhmens, wie wir noch hören werden. Geboren um das Jahr 1547, ausgebildet an der Prager Uniberfität, verbrachte er dann viele Jahre auf weiten Reifen in Europa und bis in die aſiatiſche Türkei hinein... In die Heimat zurücgefehrt, beteiligte er fid) jeit 1584 am öffent» lichen Leben. Sein Briefwechſel mit fremden Gelehrten und bedeutenden Menſchen, insbejondere mit dem Genfer Kalvi- niften Theodor Beza, bezeugt, da ihm die theologifchen Fragen am nädjiten ftanden. Seine allgemeine Bildung, feine fchrift- ſtelleriſche Tätigfeit, die ihm neben dem Mährer Yohann Blahoflam (1523—71), dem Verfaſſer der berühmten Kralitzer Brüderbibel, dem Auttenberger Nikolaus Datſchitzky von Heſlow (1555—1626), Daniel Adam von Weleflatvin (1545—1599) u. a, einen Ehrenplag unter den damaligen böhmifchen Ge- lehrten fidhert, eine bejondere Rednergabe und feine unbedingte Anhänglickeit an den Brüderglauben beitimmten ihn gleich - fam von jelbft zum Haupt diefer Partei im politifchen Kampfe, der jet ausbrach.

Nachdem er feinen und feiner Glaubensgenofien Stand- punkt in einer längeren Rede im Landtag dargelegt hatte, wurde ihm der Auftrag zuteil, an den Kaiſer eine Bittichrift im Namen der ganzen Brüderunität zu richten, die immer- Bin. den Erfolg hatte, daß die oberften Landesbeamten dem Kaiſer rieten, mit der Durchführung des gegen die „Pik-

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harten“ erlaſſenen Mandats innezuhalten; nur Budowetz ſelber hatte infolge ſeines entſchloſſenen Auftretens verſchiedene Unannehmlichkeiten zu erleiden.

Es iſt begreiflich, daß nad) folden Erfahrungen die Nicht Tatholifen und insbefondere die Böhmiſchen Brüder die erfte Gelegenheit zu ergreifen jtrebten, um endlich eine gefeßliche Regelung der religiöfen Verhältniffe im Lande zu erreichen, durch die fie gegen Vorftöße folder Art von feiten der Katho- Iifen einigermaßen gelichert würden, um fo mehr als die Refa- tholifierung im kleinen auf den herrichaftlichen Gütern feinen Stillftand erlitt.” Und diefe Gelegenheit bot fich eben damals im Bufammenhang mit der jeit Jahr und Tag in Verhandlung ftehenden Erbfolgefrage nad) Rudolf IL.

Der Kaiſer war nicht verheiratet, obwohl feine Vermählung mit König Philipps II. Tochter Sfabella fait zwei Jahrzehnte in Schwebe jtand, hatte Feine rechtmäßigen Finder. Seine ſchwache Gefundheit legte es nahe, bei Lebzeiten die Nach- folge im Reid) und in den Erbländern zu regeln, bejonders da verjchiedene Umtriebe und Madjenichaften gegen das Haus Habsburg die Gefahr, die eine Hinausfchiebung diefer An- gelegenheit in fich barg, deutlich genug erfennen ließen. Scheute ſich doch felbjt ein römifcher Kardinal, der nachmalige Vapſt Klemens VIIL, nicht, bei einem Bejuche in Prag im Jahre 1588 den Oberitlandhofmeifter Georg Popel von Lobfowig in einem Trinkſpruch als „Eünftigen König von Böhmen” hoch- leben zu laffen und ihn in einem Briefe an König Sigmund von Polen „wegen jeines Glaubenseifers als tauglicher für das böhmiſche Königtum zu bezeichnen als Rudolf IL“ Der Gedanke, ihn oder den ebenfo mädjtigen und reihen Wilhelm don Rofenberg oder Adam von Neuhaus an Stelle der Hab3- burger zu einem „katholiſchen Georg von Podiebrad“ in Böh- men zu madjen, ſchien bei der verzweifelten Lage des Nönig- reichs nicht ganz außgeichlofien. Allerdings ſoviel Macht beſaß Rudolf noch, um ſich eines folden Rivalen zu entledigen und ihm ein jammerbolles abſchreckendes Ende zu bereiten.”

Aber weder diefer Zwiſchenfall noch andere viel wichtigere Anzeichen einer allgemeinen Mibitimmung gegen die Hab8-

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burger” konnten den kranken Kaiſer veranlafien, fein Hans zu beitellen, jo oft er e8 aud) auf das beftimmtefte zugefagt hatte. Sein Bruder Mathias mußte „den Weg der Revolution” einfchlagen, der „Bruderfrieg im Kaufe Habsburg“ mußte ausbrechen, um die Entfcheidung herbeizuführen.

Das unglüdliche Regiment Rudolfs mit feinen ſichtbaren Schwächen und den gewaltſamen Refatholifierungsmaßregeln hatte einen fiebenbürgifchen Großen, Stephan Boczkay, ber- anlaßt, einen Aufruhr zu erregen, der um jo gefährlicher wurde, als Boczkay mit den Türken im Bunde ftand. Das habsburgiſche Ungarn ging verloren, Mähren wurde von den ſchrecklichen Heiducken 1605 in grauenhafter Weife heimgeſucht,“ Wien und Steiermark waren aufs äußerjte gefährdet. „Die ganze Machtſtellung des Hauſes Habsburg jtand auf dem Spiele”.

Raſche, ungünftige Friedensſchlüſſe mit Boczkay und den Türken (1605 und 1606) bannten zwar bie augenblidliche Gefahr, aber die Unmöglichkeit, Rudolf zu einer zielflaren Politik zu bringen, beftimmte nun jeine Brüder und Bettern fi im Wiener Vertrag vom 25. April 1606 gegen ihn zu- ſammenzuſchließen. Sie erklärten, da Rudolf zur Regierung infolge feiner Krankheit „weniger hinreichend und geeignet ſei“, Mathias zu ihrem Haupt erwählt zu haben, und faßten Rudolfs Abſetzung ernt ing Auge. Sie follte mit Hilfe der Stände aller Rudolf zugehörigen Länder, alfo Ungarns, Oſter- reichs, Böhmens, Mährens und Schlefiens durchgeführt werden. Allein wie fo oft ſchon in der Geſchichte, zulegt noch während des Schmalfaldner Krieges, ſchieden fi) wiederum die Wege der beiden Sauptländer der böhmifchen Krone, Böhmens und Mährens.

Das war vornehmlich das Werk Karls von Zierotin, des Sohnes eines der angeſehenſten und reichſten mähriſchen Barone, Johanns von Zierotin auf Namieſt und Eibenſchitz, mit deſſen Unterſtützung Blahoſſaw die Kralitzer Bibel ge- arbeitet und gedrudt hatte, und deſſen Frau Marianne aus dem nicht minder berühmten Hauſe der Boskowitze.“ Ge- boren 1564, im Todesjahr Kaiſer Ferdinands I., war er auf-

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gewachſen im Glauben der Brüderunität, wurde wahrſcheinlich zuerſt an einer ihrer beiten Schulen in Eibenſchitz erzogen, ftudierte dann in Straßburg, der deutichen, in Bajel und Genf, den ſchweizeriſchen Kalviniſtenſtädten, machte viele Reifen in Deutſchland, England, Frankreich, Italien, bewahrte zeit- lebens Verbindung mit fremden Gelehrten, war felber in hervorragendem Maße ſchriftſtelleriſch tätig, unterhielt reichen Briefwechſel; „der legte Ring an jener Kette von bedeutenden Männern der Feder und der Tribüne (im mähriſchen Brüder- tum), welde wiſſenſchaftlichen Ruhm und den Ruf tiefer poli« tifcher Einſicht diefem Lande erworben hatten“. Frühzeitig und mit großem Eifer beteiligte er ſich am öffentlichen Leben, wozu ihn feine Abftammung und feine Begabung befonders befähigten Mit feiner Berufung ins mähriſche Landrecht, die oberite Gerichts · und politifche Behörde, im Jahre 1594 begann feine Laufbahn in einer Zeit, da auch in Mähren die Fatho- . lichen Wiederherftellungverfuhe an Boden getvannen. Sie batten bier ihren mutoollen Vorfämpfer in dem in Madrid geborenen, in Spanien und Rom herangebildeten Olmüßer Biſchof Kranz Dietrichitein (15991686), dem ſchon fein Vor- gänger Stanislaug Pawlowsky (feit 1579) in diefer Richtung glänzend borgearbeitet hatte. Sie fanden aber auch tatfräftigfte Unterftügung an den hohen Fatholifchen Zandesbeamten, dem Landeshauptmann Joachim von Haugwitz, dem Oberſtkämmerer und ſeit 1602 Landeshauptmann Ladislaus Berka von Duba, dem beſonders eifrigen Unterfämmerer Siegmund von Dietrich⸗ ftein auf Nikolsburg, ſowie dem jungen Adel, der bereits ftreng katholiſch erzogen, zum Teil in der Schule des ſpaniſch- römifchen Sejuitentums aufgewachſen war. Noch 1594 waren alle hohen Landesämter Mährens von Nichtkatholiken be- jeßt, zehn Yahre fpäter waren fie aug ihnen verdrängt. Der Kampf zwiſchen alter und neuer Richtung begann, in dem Bierotin, dem „capa degli eretici“ eine wichtige Rolle zufiel, wie ja der ganze Gegenſatz fid) am ſchärfſten im Adel Tundgab. Die Städte waren zu ſchwach und abhängig, um tätig ein- greifen zu können. Schon 1565 wurden in Olmütz, 1572 in Brünn die Sefuiten eingeführt. Die Bauernſchaften aber machten

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noch im Jahre 1620 auf einen venegianiſchen Geſandten den Eindrud „bon Sklaven, welche von ihren Herren getötet werden können, ohne daß diefe darüber irgend jemandem Rechenichaft au geben fhuldig wären”. Die Entſcheidung über den weiteren Beſtand des Huſſitismus lag beim oberſien Stand, der es berfäumt hatte, fi) freie, treue Anhänger in den anderen Bevölkerungskreiſen zu fchaffen. Aber gerade der huſſitiſche Adel brödelte immer mehr ab, als Hof und Kite mit Nach- drud auf feiner Refatholifierung beitanden. Schon fanden auf. fallende Übertritte hochangeſehener Adeliger, jo des Oberit- landrichters Karl von Xiechtenftein in Mähren, wie drüben in Böhmen Wilhelms von Slawata, ftatt. Bierotin erfannte ſchon damals die Schwäche feiner Partei und 30g fich angefichts der langen und heftigen Verfolgungen, die er zu erdulden hatte, im Jahre 1602 vom öffentlichen Leben zurüd. „Mähren ift verödet, die Städte verbrannt, vor unſeren Augen ſehen wir nur Fremde“, klagte er damals. Die Jahre 1603 bis 1605 jah er für fo gefährlich an, „daß die menſchliche Er- innerung feine gefährlicheren kennt“. Seine berühmte „Apo- logie“ oder Verteidigungsichrift wegen feiner Nichtteilnahme am öffentlichen Leben aus dem Jahre 1606 ift eine ſchwere Anklage gegen die herrſchenden politiichen Zuſtände. Allein mit dem offenen Ausbrud) des Bruderfrieges zwiſchen Rudolf und Mathias kehrte Bierotin auf den Kampfplag zurüd. Er trat mit den Führern der gegen Rudolf gerichteten auf- rühreriſchen Bewegung, Tſchernembl in Oſterreich und Illyeg - hazi in Ungarn, in Verbindung, die bereits am 1. Februar 1608 in Preßburg im Namen der öfterreichiichen und unga- rifchen Stände eine „Konföderation“ mit Erzherzog Mathias abgeihhloffen Hatten und nun auch Böhmen und Mähren zum Beitritt aufforderten.

Ein gegen den Willen des Kaiſers am 13. April in Eiben- {hit bon den proteftantifchen Ständen abgehaltener Zandtag bedeutete nichts geringeres als den Anſchluß Mähren denn die anfängliche Weigerung der wenigen (ſechs) königlichen Städte hatte nidyt viel zu bedeuten an Ungarn, Gfterreich und den Erzherzog Mathias, unbefümmert, welche Entichlüfie

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Böhmen faſſen würde, allerdings in dem ſicheren Glauben, daß auch dort die große Mehrzahl der Stände Rudolfs Sache preisgeben werde. Allein gerade hierin täuſchte ſich Zierotin. Die neue Landesregierung, bie die Mährer felber einſetzten, mit Karl von Liechtenſtein als Direktor und Bierotin als leitendem Geiſt der ganzen rebolutionären Bewegung, bald aber, feit Juli 1608 als Landeshauptmann, gab ſich Mühe, die proteftantifchen Stände Böhmens, por allem Budowetz, von der Notwendigkeit gemeinfamen Handelns zu überzeugen. Bierotin warnt ihn nod am 15. Mai vor dem Nachruf, der ihnen zuteil werden fönnte, dab fie „Menfchen feien zur Sklaverei geboren“, alles war vergebens. Die böhmifchen Proteftanten harrten bei Rudolf aus, und diefe Spaltung der Erblande zwangen zu einem Vergleich, der den Keim weiterer Zwietracht in fich trug. Im Liebener Vertrag vom 3. Juni 1608 erhielt Mathias nur Sfterreih, Ungarn und Mähren, Rudolf blieb die Naiferfrone und Böhmen, Schlefien, Laufig. Für diefe Rettung vor bölligem Untergang glaubten nun die böhmifchen Zutheraner und Brüder mit Recht, vom Kaiſer Zugeſtändniſſe in religiöfer Sinficht fordern zu dürfen, Aber erft nad) langwierigen ſchweren Verhandlungen und erniten Drohungen entichloß er fich, ihnen den vorgelegten bon Bubdo- wetz abgefaßten berühmten Majeſtätsbrief am 9. Juli 1609 au beitätigen. Nicht mit Unrecht hielt Karl von Bierotin Budoweg vor: „Abgerungen habt ihr ihm das Diplom, in welchen er genehmigt hat, was ihr, nicht aber er ge- wollt hat“.

Dieje wichtige Urkunde, die dem Gang der auswärtigen Poli- HE ihre Entftehung verdankt, erlafjen genau zweihundert Jahre nad) dem Ruttenberger Defret bon 1409, dag den Anftoß zu den Huſſitenkriegen gegeben bat, follte endlich dem Lande den reli« giöfen Frieden wiederbringen und wurde der Bündftoff für den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg.

Sie ſetzte in ihren Hauptpunkten feſt: Alle drei utraquiftiichen Stände, Herren, Ritter, Städte, mit ihren Untertanen und allen, die fi zur Böhmiſchen Konfeſſion vom Jahre 1575 befennen, fönnen frei und nad) Gefallen bei ihrem Glauben

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und ihrer Religion, ihrer Geiftlichfeit und Kirchenordnung ver- bleiben, ohne ſich an die ohnehin 1567 aufgehobenen Basler Kompaktaten Halten zu müffen; diefe Stände erhalten das untere Konſiſtorium, das ihnen 1562 genommen worden var, und die Univerfität zu ihrer eigenen Verwaltung, können fie mit ihrer Prieſterſchaft befegen, tſchechiſche und deutiche Pre- diger ordinieren und bereits ordinierte ohne Behinderung durch den Prager Erzbiſchof oder jonft jemanden annehmen. Zu diefem Behufe erhalten fie aud) das Recht, aus ihrer Mitte dreißig „Defenforen“ zu wählen, unabhängig vom König. Den Ständen wurde ferner geftattet, außer den Kirchen und Gottes- häuſern, die fie bereits befigen, auf ihren Gütern neue Kirchen und Schulen zur Bildung der Jugend nad) Bedarf zu bauen. Sn den Töniglidyen Städten. in denen Befenner beider Kon- feffionen, sub una und sub utraque, leben, follten beide ihre Religion frei ausüben fönnen und ihnen Begräbnis in Kirchen und auf Friedhöfen nebft Glodengeläute nicht verwehrt werden. Schließlich wird erklärt, da in Zukunft niemand, weder von den oberen Ständen, noch die Bernohner der Städte und Märkte, aber auch nicht die Bauern durch ihre Grundobrigfeit oder irgend eine geiftliche oder weltliche Perſon von ihrem Glauben abgedrängt und zum anderen gezivungen werden dürfen.

Bon größter Bedeutung ſchien es, daß gleichzeitig zwiſchen den Ständen sub una und sub utraque ein befonderer Ber- gleih abgeichloffen wurde, der den Majeftätsbrief in einer Reihe von Einzelnheiten ergänzte, in dem fie ſich auch or allem ihren Belitftand an Kirchen, Begabungen, Privilegien, Ein- fünften gegenfeitig verbürgten

Wie eine ernfte Mahnung aber, allen diejen Abmahungen nit allzuſehr au vertrauen, mußte es angefehen werden, daß der Majeftätsbrief nicht, wie es die Rechtsgewohnheit erfordert hätte, vom Oberftfanzler Sdenek von Lobkowitz und dem eriten Sekretär Johann Menzel mitgezeichnet war, da fie ſich entſchiedenſt geweigert hatten, ihre Unterichriften unter einen Aft zu fegen, der ihr Gewiſſen beſchwerte. Statt ihrer mußten ber Oberftburggraf Adam von Sternberg und ber

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zweite Sekretär Paul Michna fertigen. Und ebenſo fehlten die Namen Martinitz und Slawata in dem Vergleichsinſtru- ment der beiden Stände, als Beweis, daß fie den bermeint- lien Frieden nicyt anerkannten, ſelbſt wenn er die Fünigliche Unterſchrift trug.

Sie und ihr Anhang, unterftügt vom päpſtlichen Nuntius am Prager Hofe Gaetani, vom fpanifchen Gejandten Buniga und dem Prager Erzbifchof Grafen Karl von Qamberg, bilde- ten die Unverſöhnlichen, jegt und fpäter, die die Firchlichen Intereſſen unter feiner Bedingung den politifchen opferten. Und der kranke Naifer förderte ihre Pläne durch unberechen- bare Entſchließungen.

Fünf Tage nad) der Unterfertigung des Majeſtätsbriefes, am 14. Suli, hatte er eine geheime Unterredung mit feinem Vetter Erzherzog Leopold, Biſchof von Straßburg und Pafjau, dem „propagator fidei (Erweiterer des Glaubens)“, der ſich ihm in der Hoffnung auf die Nachfolge gegen alle feine Feinde zur Verfügung geftellt hatte. Ein auf feine Veran- laſſung gefammeltes, aus allen Ständen, Nationen und Kon- feffionen zufammengewitrfeltes Heer, das „Paſſauer Volk“, follte zunächſt in den für die Fatholifche Sache jo wichtigen Sülich-Eleve’ichen Erbfolgefrieg eingreifen. Als dieje Auf- gabe mißlang, wälzte fich diefe wilde Maſſe von ettva 10.000 Mann, aud) die „Leopoldiner“ geheißen, zu Beginn des Jahres 1611 über Oberöfterreich gegen Böhmen und bejegte unter maßlofen Drangfalierungen die Stadt Budweis. Am 15. Februar erreichten fie bereits Prag-Rleinfeite, wo fie furchtbar hauften und alles aufboten, um die Burg, ſowie Prag Alt- und Neuftadt, die ſich verzweifelt wehrten, einzu- nehmen. Bauernunruhen brachen aus, es herrſchte im ganzen Lande Aufruhr, Unficherheit, alles befand ſich in höchſter Ver- wirrung (in summa confusione).* Rudolf felbft wußte nicht mehr,‘ ob er für oder gegen die Paflauer auftreten follte. An einem Tage (8. Februar) befahl er, fie an die böhmiſche Grenze zurüdzuführen, und fchon am nächſten verfügte er, „das Ballauer Kriegsvolf zum Schuge aller Getreuen und zur

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Dämpfung und Beztvingung aller Widerwärtigfeiten zu ge Brauchen“.

In joldjer verzweifelten Lage entichloffen ſich trotz ihres tiefen Mibtrauens gegen Mathias und feinen allmächtigen Ratgeber den Wiener Biſchof Klefl auch die Böhmen zum Anſchluß an die öſterreichiſch⸗ ungariſch⸗ mähriſche Konföderalion. Mathias Fam mit einem Heere nad) Böhmen, vor dem die Paſſauer flucht - artig zurüdiwichen, hielt am 4. März feierlihen Einzug in Prag, wurde am 23. Mai zum König von Böhmen gewählt und Rudolf gezwungen, am 11. Auguft abzudanken. Am 20. Januar 1612 erlöfte ihn der Tod bon einem Leben, das, nad) dem Ausſpruche Karls von Bierotin, „nur Allen zum Nady- teil gedient hatte“. Am 13. Juni wurde jein Bruder, der ihm bei Lebzeiten alle Herrichaften abgenommen Hatte, auch zum deutſchen Kaifer gewählt.

Es ift im höchſten Mae bezeichnend, wie der neue König

die Lage in feinen Erbländern von Anfang an beurteilte. Aın 10. November 1613 jchrieb Mathias feinem Better Erzherzog Ferdinand von Steiermarf u. a.: So lange er lebe, werde der Bau noch zufammenhalten, aber nad; jeinem Tode werde wohl alles aus den Fugen gehen und was die Ahnen erworben, auf die Nachkommenſchaft nicht vererbt werden.” In der Begründung dieſes Ausſpruches durch eine Klarlegung der Zuftände in den einzelnen Ländern heißt es bezüglich Böh- mens: „Was Böhmen betrifft, ſo wiſſen Euer Liebden, wie es damit fteht; ich kann daſelbſt keinen Landtag berufen, wenn ich nicht die ſtändiſchen Confüderationen zugeben (d. h. die im Sabre 1611 anläßlich der Wahl den Proteitanten gemachten Verſprechungen einlöfen) will, und berufe ich feinen Landtag, fo habe ich auf feine Steuern aus diefem Lande zu rechnen“. Beiter‘ „Mit Mähren fteht es wie mit Ungarn“, d. h. er fei dafelbft völlig machtlos. „Der Zandeshauptmann Karl von Bierotin regiert im Lande, ala ob er der Herricher wäre und knüpft mit dem Auslande Verbindungen an, wo und wie e8 ihm gefällt. Kein Befehl von mir langt in Mähren an, ohne daß er feine Ausführung an Bedingungen Tnüpfen würde.“

Es mödte damit übereinftimmen, wenn wenige Monate zuvor

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ein bayriſcher Agent nach Hauſe ſchrieb, daß es in Böhmen „wie bei einem herannahenden Sturme ausſehe und man dafelbft überzeugt fei, daß der Kaiſer feinen Zuſagen in be- treff der Religion nicht nachkommen wolle“.

Mathias unterſchätzte aber bei feiner eigenen Umentfchlofjen- beit und geiftigen Müdigfeit die Tatfraft und Rührigkeit der Tatholifchen Partei, mie in Sfterreich, jo in Böhmen und Mähren. Er ahnte nid, weldye Bedeutung es hatte, daß im Jahre 1612 an Stelle Lambergs der Egerer Bürgersfohn Johannes Lohelius, ein Deuticher, der nicht einmal der tiche- chiſchen Sprache mächtig war. zum Erzbiichof von Prag er- nannt wurde, nachdem er ſchon unter feinem Vorgänger als KRoadjutor die Hauptarbeit geleiftet hatte. In Mähren wirkte in gleichem Geiſte der Olmützer Biſchof Franz von Dietrich- ftein, dem es insbefondere gelang, die Föniglichen Städte zu tefatholifieren, was umfo leichter war, als die Willfürherrfchaft des alten Adels feit langem die Feindſchaft der anderen Stände hervorgerufen hatte. „Brünn tft ung feindlich (civitas nobis infesta)”, hatte Zierotin ſchon am 31. März 1608 an Xichernembl gefchrieben, als er im Kampf gegen den Kaiſer um Bundesgenofjen ward.

Bor allem wichtig erſchien e8 diefen Vorkämpfern des Katho. lizismus, den Majeftätsbrief von 1609 in feiner Wirkung ein- zudämmen. In vielen Orten wurde es mit mehr oder weniger Erfolg verjucht. Die größte Aufregung verurſachten die Vor-

- fälle in Kloftergrab und Braunau, wobei es ſich um die Frage

handelte, ob die durch den Majeftätsbrief den drei Ständen (Herren, Rittern und königlichen Städten) erteilte Bewilli- gung zum Bau proteftantifcher Kirchen auch den Untertanen geiftlicher Obrigfeiten gebühre. Der Wortlaut der Urkunde ſprach dagegen, der Sinn dafür. Eine Einigung war nicht zu erzielen, denn, wie ein Beitgenofje treffend ſagle: „Die Ruhe wollte nicht in Böhmen eingiehen; Zwietracht, Hader, Krieg ftanden bereit, wie drei Brüder“.

Die Lage verſchärfte ſich noch um ein erhebliches, als es, nicht zulegt durch Einfchüchterungen, gelungen war, Ferdinand von Steiermark, deſſen katholiſche Überzeugung und gegen-

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teformatorifche Arbeit in Inneröſterreich allgemein befannt war, die Nachfolge in Böhmen nad; Mathias zu fihern und ihn am 29. Juni 1617 feierlicjjt zum König zu Erönen. Den wenigen Ständemitgliedern, die eg gewagt hatten, fich feiner Anerkennung zu widerfegen, wurde offen bedeutet, daß fie leicht das Schickſal Georas von Lobkowitz treffen könne. Welde Erwartungen man auf diefen Fürften in katholiſchen Kreiſen Böhmens jete, beweiſt der Ausſpruch eines höheren königlichen Beamten: „Sigt nur einmal der neue König auf dem Thron, dann müffen alle einen Glauben annehmen und Petrus wird viele Nachfolger finden“, oder eines anderen: „Novus rex, nova lex (Ein neuer König, ein neues Geſetz)“. Dem Ein- wande, daß Ferdinand in Böhmen durch den Eid, den er bei feiner Erhebung gegeben hatte, gehindert fei, Veränderungen vorzunehmen, wurde kurzweg entgegengehalten: „Sat Ferdi nand feinen Erbländern den Eid nicht gehalten, jo wird er es den Böhmen gegenüber auch nicht tun.”

Noch vor Ferdinands Negierungsantritt hielt ſich eigentlich niemand an den Mafeltätsbrief gebunden und die geift- lichen und weltlichen Gerichte, die mit Beſchwerden angegangen wurden, ſchoben die Erledigungen hinaus. Hier wurde Bauern verboten, benachbarte proteftantifche Kirchen zu beſuchen, dort wieder auf Inwohner königlicher Gitter Einfluß genommen, entweder Fatholifch zu werden oder auszuwandern. Man nahm Proteftanten nicht als Beamte auf Serrichaften Fatholifcher Adeliger oder des Königs auf und ebenfomwenig als Bürger in fatholifchen königlichen Städten (3. B. Krummau, Budweis, Pilſen). Dagegen jorgte man dafür, daß in überwiegend proteftantifchen Städten Katholiken das Bürgerrecht erteilt und die Aufnahme in ben Rat nicht vermehrt wurde (Leitmerig, Kuttenberg, Brüx, Prag). Die Fatholifchen Feiertage mußten auch hier gefeiert, bei katholiſchen Feſtlichkeiten und Progeffionen die Gloden der protejtantiichen Kirchen geläutet werden. In Prag wurde Anfang November 1617 die Gemeindeordnung ehr zu Gunſten der Katholifen umgeändert, kraft weldjer dem Königsrichter, alfo dem dom König eingejegten Beamten, be- fondere Rechte eingeräumt wurden.

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Der Braunauer Streitfall wurde Ende 1617 vom Kaiſer ſelbſt dahin entſchieden, daß der Rat die Schlüſſel der neu erbauten proteſtantiſchen Kirche dem Abie auszuliefern habe, was aber infolge bedrohlicher Zuſammenrottungen des Volkes verhindert wurde. Mehr Erfolg hatte der Erzbifchof Lohelius in Kloſtergrab, indem er das jeit 1614 verfiegelte Gotteshaus im Dezember 1617 binnen drei Tagen völlig niederreißen ließ, ohne daß die verängftigten Bürger, die in der jahrelangen Verfolgung Schritt um Schritt zurüdgewiden waren, Wider- ftand gu Ieiften wagten. Umſo ſtärker war der Widerhall, den diefe Tat, die der 1609 zugeſchworenen Glaubenzfreiheit offen entgegenftand, bei den übrigen Proteftanten im Lande hervor tief. Die durch den Majeftätsbrief den Proteftanten beivilligten „Defenioren” wurden gedrängt, Vertreter aller Kreiſe nad Prag zu einer Beratung am 6. März zu berufen, in der dann die Beſchwerden wegen Verlegung des Majeſtätsbriefes zufam- mengeftellt wurden, un dem Kaiſer mit der Bitte um Abhilfe übergeben zu werden. Zugleich wurde beſchloſſen, am 21. Mai eine neue große Verfammlung abzuhalten. Das Verbot diefes PVroteftantentages erregte einige Führer in foldem Maße, dab fie fi zu einem Gewaltſchritt gegen ‚die bermutlichen Urheber und Lenfer der ihnen feindfeligen kaiſerlichen Politik entihloffen. Am 23. Mai wurden zivei bon den zehn Statt- baltern, Slawata und Martinig, als „Verleger des Majeftäts- briefes, Feinde der Stände und des Gemeinwohles“, auf der Prager Burg aus dem Fenfter geftürzt, famen aber mit dem Leben davon, ebenfo wie der Sefretär Philipp Fabricius, der mit Recht fragen durfte: „Was babe id) ihnen denn getan, daß fie mic, hinausgeworfen haben?“ An der Spike diejer Verf hmörung ftanden Seinric Mathias Graf Thurn, der Oberlehnsrichter, Albrecht Smiritzky und Wenzel Budowetz, zu ihnen geſellten ſich Graf Andreas Schlick, Wilhelm von Lob- kowitz, Wenzel von Ruppa, Colonna von Fels, Paul und Litwan von Ritſchan und Graf Ulrich von Kinsky.

„Anfang und Urſache alles folgenden Wehs“, war ſchon nach dem Urteil der Zeitgenoſſen dieſe unfinnige und zwedloſe Tat.” Und doc) ſchien e8 anfangs, als ob die aufrühreriſchen Stände

Vöhmen und Mähren zur Beit der Gegenrefsrmation. 280

die Oberhand behalten follten. Nicht nur der Großteil der proteftantifchen Herren und Ritter, auch die Föniglichen Städte außer Pilfen und Budweis, vor allem Prag, dag ſich in der legten Zeit angeblich unter dem Drud des Königsrichterd zurüdhaltend gezeigt hatte, fchloffen fi nunmehr der Bewegung an und fatholiiche, Faifertreue hohe Beamte mahn- ten in Bien, Ausgleich und Frieden zu fuchen. Der Erzbifchof Lohelius, der Abt von Braumau umd andere geiftliche Herren, die fi zufolge ihrer früheren Tätigkeit gefährdet fühlten, flohen aus dem Lande. Es wurde eine ſtändiſche Verwaltung bon dreißig Direktoren, je zehn aus dem Herren-, Ritter- und Vürgerftand, eingerichtet, ein ftändifcheg Heer aufgeftellt, an- fangs etwa 3000 Mann zu Fuß, 1000 zu Pferd, und Thurn als Generalleutnant an deſſen Spitze geftellt. Man trat in Ber- Bindung mit der pfälziihen Regierung in Heidelberg, dem Haupte der deutfchen „Union“, bedeutete dem Kurfürſten Friedrich V. daß man deilen Wahl zum Könige von Böhmen ins Auge falle, forderte die Nebenländer Mähren, Schlejien, Lauſitz, aber auch Ungarn und Öfterreih zum Anſchluß auf, ſtand auch mit Frankreich in Verhandlung, eröffnete alfo eine großzügige Politik, die auf die Abſetzung des habsburgiichen Haufes binarbeitete. Allein die Verwirklichung aller dieſer Pläne ftieß auf immer größere Schwierigkeiten. Selbft Karl von Bierotin, der 1615 das Amt eine Landeshauptmanns niedergelegt, ſpäter aber die politiiche Führung der proteftan- tifchen Partei wieder übernommen hatte, dadjte nicht daran mit den aufrührerifchen Böhmen gemeinfame Sache zu machen, fondern höchſtens die Vermittlung in dem Kampf mit dem Kaiſer zu verfuchen. Hatten ſich die Böhmen von Rudolf nicht abfpenitig machen laſſen, fo jegt wieder nicht die Mährer von Mathias und Ferdinand.

Am Wiener Hofe rangen eine Zeitlang zwei Richtungen mit einander. Kaiſer Mathias zeigte fi unter dem Einfluß Kleſls, der den Irrgang feiner Politik zu fpät erfannte, einem Frieden mit den Böhmen und der Anerfennung ihrer religiöfen Rechte im Sinne des Majeftätsbriefes nicht abgeneigt. Der böhmifche König Ferdinand aber. unterftügt von Mathias Vruder, dem

240 Sechſter Abſchnitt.

Erzherzog Marimilian, dem ſpaniſchen Geſandten Onate u. a., verlangte von Anfang an die gewaltſame Niederwerfung des Aufftandes. Dem Erzherzog Marimilien gelang es ohne Wiſſen de3 Kaiſers Klejl gefangen zu nehmen und insgeheim nach, Schlotz Ambras in Tirol zu bringen (Zuli 1618); Mathias nahm auch diefe Eigenmächtigkeit hin. Nun entichlog man fi, unter Buquoy ein Zleines kaiſerliches Heer von zunächſt 6000 Mann nad) Böhmen zu ſchicken, das den ftändi- , ſchen Truppen entgegenzutreten hatte. Die Heinen Bufammen- ftöße hatten Feine Bedeutung, umfoweniger als Thurn jedem Entiheidungsfampfe grundſätzlich auswich, aber die Ber- mwüftungen, die die heimiſchen und kaiſerlichen Soldaten im Rande anrichteten im Pradatiger Kreis in Südböhmen follen allein big März 1619 über 200 Dörfer vernichtet worden fein gaben insbefondere der bäuerlichen Bevölkerung einen Vorgeichmad von den Leiden, die ihrer harrten. Den Ständen wer überdies unter Graf Ernſt von Mansfeld eine Fleine Mannſchaft zugezogen, die am 21. November das kaiſertreue Pilfen nad) harter Belagerung einnahm, wobei die Stadt ftarf verwüſtet wurde und die Bevölkerung durch Flucht, Aus- wanderung, Tod jo weit herabianf, daß fie nur noch 150 Bürger zählte.

Inmitten dieſes Kleinkrieges, der bald auf Oſterreich über- griff, ftarb Kaiſer Mathiad am 20. März 1619.

Ferdinand von Steiermarf war nun König bon Ungarn und Böhmen und da Mathias’ jüngfter Bruder Albert ſchon früher auf die Nachfolge in Ober- und Niederöſterreich ver- zichiet hatte, auch Erzherzog und Herr in diefen Ländern. Er twird wohl zutreffend gekennzeichnet als „ein Fürſt von ſchwa- chem Urteil, mäßiger Arbeitfamfeit und ohne wahre Herrider- fraft, ein vollgültiger Vertreter jener Mittelmäßigfeit, welche die deutfchen Fürften und Staatsmänner zu bloßen Werkzeugen der großen geiftigen Gegenfähe madjte, die die Welt in den Krieg hineintrieben."* , .

Es Tann feinem Zweifel unterliegen, dab Ferdinand eine Anzahl guter Eigenſchaften befaß, wohlwollend, Tiebenswürdig, dankbar, nachfichtig, herablaffend war. Allein all dag trat

Böhmen und Mähren zur Zeit der Gegenteformation. a

völlig in den Hintergrund, wenn es fi) um die Religion handelte. Ausrottung der „Ketzerei“ hatte er ſich als treueſter Jeſuitenzögling zur Hauptaufgabe ſeiner Herrſchaft gemacht. Sn Inneröſterreich hat er fie binnen wenigen Jahren durdy- geführt. Mit Bangen mußten daher die Proteſtanten der ihm augefallenen neuen Länder feiner Regierung entgegen- fehen. Ein zielbewußter Zuſammenſchluß, ein mutiges Bu- fammenftehen, die „Ronföderation“, konnte für fie einzig und allein noch Rettung bedeuten. Dahin zielte die Politik, die die böhmifchen Stände nunmehr mit Eifer einſchlugen, vor alleın ihr militäriicher Berater Graf Mathias Thurn.

Ein fühner Einmarjd) in Mähren im April 1619 mit kaum 10.000 Dann verhalf der revolutionären Partei unter den Ständen zum Giege; des Kardinals Dietrichſtein ftreng katholiſche, Zierotins vermittelnde, beider aber ausgeſprochen habsburgiſche Richtung brach zufammen, ein Direftorial- regiment ganz nad) böhmiſchem Vorbild wurde durchgeführt, der Anſchluß der Mährer an die Böhmen war erfolgt. Die gleiche Stimmung herrſchte auch in Ober- und Niederöfterreich, allein ein Vorftoß Thurns bis nad) Wien im Juni mißglüdte in verhängnisvoller Weife. Ferdinand Fonnte unbehindert am 11. Juni, während Thurn nod) vor den Mauern lag, Wien ver- laſſen und ſich ins Reich begeben, um die deutiche Kaiferfrone au erwerben. Am 28. Auguſt 1619 wurde er mit ſechs von den fieben furfürftlichen Stimmen zum deutſchen Kaiſer gewählt, zwei Tage zubor, am 26. war in Prag der einzige Kurfürft, der ihm feine Stimme verweigert hatte, Friedrich V. von der Pfalz, zum böhmiſchen König erhoben worden, nachdem am 22. Ferdinand als „Feind der religiöfen und ſtändiſchen Frei - heiten“ abgejegt worden war. Bon den beiden anderen Kandi · daten, die in Betracht kamen, hatte der Kurfürft Sohann Georg von Sachſen, ein ftrenger Lutheraner, trog allen Drängens feines böhmischen Anhangs, an deſſen Spike Graf Andreas Schlick ftand, abgelehnt und ſich bald darauf auf die Seite des Kaiſers geichlagen; der ehrgeizige Herzog Karl Emanuel von Saboyen, der auch die Abjendung des Grafen Ernft bon Monsfeld nad) Böhmen veranlaßt hatte, war wiederum als

wretdols, Geſch. Böhmens u, Mahrens. II. 16

243 Sechfter Wſchnitt.

eifriger Katholik den Böhmen nicht genehm. Es blieb nur die Vahi des unbedeutenden Pfälzers übrig. Allein Böhmen mit feinem neuen kalbiniſtiſchen König, der tatſächlich in Prag am 8. Nobember ſamt feiner Gemahlin Elifabeth, der jugendlich ſchönen engliſchen Königstochter, gekrönt wurde, ftand ber- einfomt da. Man hoffte an der „Union“, diefem proteftan- tifchen Fürſtenbund in Deutfchland, der ſich 1608 gebildet hatte und an deſſen Spitze die Kurpfalz ftand, Unterftügung zu finden, da aber Böhmen dem Bunde nicht angehörte, fah ſich diefe zunächſt nicht veranlaßt, für dag fremde Land Opfer zu bringen und fi in Gefahren zu ftürzen, die ihr für diefen Fall bon der katholiſchen Yürftenvereinigung der „Liga“ drohten. Der Schwiegervater Friedrichs, König Jakob I. von Eng- land, war nur zur Vermittlung bereit. Die Geldunterftügung ber Generalftanten von monatlid) 50.000 Gulden mar nicht ausſchlaggebend. Lediglich mit dem Fürften Bethlen Gabor von Siebenbürgen fam ein Bündnis zuftande, dag eine mili- tärifche Unterftügung von einigen taufend Mann ertvarten ließ.

Ferdinand II. dagegen hatte nicht nur die ſpaniſche Macht inter fi, eg war ihm auch gelungen, am 8. Oftober 1619 mit Herzog Maximilian von Bayern, dem Haupt der Liga, ein feites Bündnis zu fchließen, das ihm die Hilfe dieſes herbor- tragenden Fürften ficherte, allerdings um den hohen Preis, daß diefem das pfälgifche Land und die pfälziihe Kur im Falle eines Sieges über die Böhmen und ihren neuen König aufallen follte. Kriegeriſche Unterftügung bot auch der König Sigmund von Polen, Geld der päpftliche Stuhl unter Paul V. und die italienifchen Kleinftaaten. Des Anjchluffes Kurfachfens an die kaiſerliche Sache wurde ſchon gedacht.

Als daher der Entſcheidungskampf begann, war die äußere Lage für die Böhmen bereits fo ungünftig als möglich, ganz abgejehen von der inneren Berfplitterung, dem gegenfeitigen Mibtrauen, den verzweifelten finanziellen und militärifchen Buftänden und eigenartigen nationalen Berhältniffen. Das böhmifde Heer wurde dem mit Friedrich V. nah Prag gefommenen Fürften Ehriftian von Anhalt, feinem einftmaligen

Vöhmen und Mähren zur Zeit ber Gegenreformation. 248

Statthalter in der Oberpfalz, unterftellt, unter dem nun Thurn und die anderen ſtändiſchen Feldherren dienten.

Marimilions von Bayern erfte Aufgabe war bie Nieder werfung der Oberöfterreicher, die mit den Böhmen „Eon- föderiert” waren; fie war um fo leichter, als bon Böhmen Feine Hilfe am. Am 24. Juli war der Herzog in Oberöſterreich eingerüdt, am 23. Auguft onnte er es ſchon wieder verlaffen, um fi) nach Böhmen zu wenden. Faft unbehindert gelangte er über Freiſtadi nad) Kaplig und nahm am 30. September die Stadt Pifek, faft auf halbem Wege zwiſchen der oberöfter- reichiſch böhmiſchen Grenze und Prag gelegen, ein, nachdem er ſich vorher mit dem taiferlichen Heer unter Graf Buquoy vereinigt hatte. Von Piſek zog man weſtwärts gegen Bilfen, das fid) noch immer in den Händen Ernſts von Mansfeld befand, der zwar in Dienften der Stände war, aber ſich mit ihnen überworfen hatte. Es koſtete daher feine bejondere Mühe, ihn für einen Waffenftillitand zu gewinnen, d. 5. von jeder Unterftügung der Böhmen abzuhalten.

Das kaiſerlich⸗ bayriſche Heer, von einer etwaigen Bedrohung im Rüden befreit, hätte den Kampf mit den Böhmen unter Chriſtian von Anhalt, der eilendg bis in die Nähe von Pilſen gezogen war, nunmehr aufnehmen können. Allein Buquoy wollte einen Bufammenftoß fo lange als möglich vermieden wiſſen. Zweimal, vor Pilfen und dann auf dem Weitermarſch nad) Prag bei Rakonitz febte er feinen Willen gegen Marimilian und deffen oberften Feldherrn, Freiherrn Johann Tſerklaes von Tilly, einen Brabanter, durch. Als man aber am 8. No- vember ganz nahe an Prag, bis etwa auf eine Wegitunde, berangefommen war, und das böhmifche Heer, dem Feinde zum Schuß der Stadt voraneilend, an dem ihr weſtlich vor-

gelagerten Weißen Berg jih im Scladjtordnung aufgeftellt hatte, ließ fich der Kampf nicht länger vermeiden. Die Streit Träfte des Kaiſers und der Bayern waren jenen der Böhmen nur um ein geringes überlegen, etwa 25.000 gegen 21.000 Mann.

Binnen etwas mehr als einer Stunde war das „große Schar- mügel”, wie es Buquoy bezeichnet wiſſen wollte, borüber.

16°

24 Sechſter Abſchnitt.

Furcht und Sqreden bei jenem Xeil des böhmifcdyen Heeres, der den Kaiſerlichen gegenüberftand, erzeugte Verwirrung und Flucht, Auflöfung der Maſſen und Ratlofigfeit bei den Führern und entſchied die Schlacht. Es waren allein dic Mährer unter Graf Heinrih Schlid, die ausharrten „bis zum Tod oder zur Gefangennahme”. Und mit dem Verlufte der einen Schlacht war alles verloren. Die Hauptitadt Eonnte feinen Widerftand feiften; der „Winterfönig“ floh allfogleih mit feinen Räten, Generalen und einigen böhmiſchen Adeligen, wie Ruppa und Thurn, den bisherigen ftändiihen Führern; die Lauſitz, Schle- fien, Mähren wurden binnen kurzem überwunden.” Faſt zivei- einhalb Jahre waren die aufrührerifchen Stände am Ruder geivefen, mehr als ein Jahr hatten fie einen neuen König, und fo wenig war in der ganzen Zeit zur Sicherung der neuen Herrichaft geihehen, daß ein. einziger Stoß hinreichte, um das ganze Gebäude zum völligen Bufammenbrud zu bringen.

Eine von den zahlreichen Schilderungen der Schlacht ſchließt mit den Worten: „Diejenigen, die diefeg Übels, durch das das böhmifche Königreich bedrüct wurde, Grund und Urfadhe waren, wurden alle, ſoweit fie nicht in der Schlacht erſchlagen wurden oder in die Fremde entflohen, gerecht nach ihrem Ber- dienst beftraft. Die übrigen Bewohner aber, dieſes tapfere Volt, das megen feiner kriegeriſchen Xaten den fremden Völkern einftmals genug ſchrecklich war, ging, in einer Stunde auf dem Weißen Berge überwunden, feines ganzen Helden- mutes, überdies feiner Zreiheiten und mannigfachen Faifer- lichen und königlichen Begabungen unwiederbringlich verluſtig.“

Ein Zeitabſchniit von zweihundert Jahren ging zu Ende, der von Anfang an auf der unmögliden Borausfegung auf gebaut war, ais ob dag Kernland Mitteleuropas, Böhmen mit Mähren, feine geſchichtliche Entwicklung verleugnen, geiftig, wiriſchaftlich politifch, national ſich abfondern Eönnte. j

In allen diefen Belangen war Yuffitentum und utraqui- ſtiſcher Adel feit langem ſchon auf obſchüſſiger Vahn; ihre Herrſchaft war jetzt für immer zu Ende.

Anmerkungen.

Erfter Abſchnitt.

1. (&. 2). Für Sigmund vgl. J. Aſchbach, Geſch. Kaiſer Eis uns, 4 Bde. 183845; W. Altmann, Regesta imperii XL uUr⸗ —8 K. Sigmunds 1410-37. 2 Bde, 1896—1900; Gerirge Reihstagsatten unter K. Sigmund A: gemien Sammlung 8b. 7—12), big. v. D. Kerler, 9. Ser, 187887; Eberhard Windede, een © Seid. “es Zeitalter * Sigmunds, hrg. von W. Altmann, 10dh. 2 ( 6.3 F. Balacty, Documenta magietri Johannis Hus vi- PN a 1403—18 u ustrantis, 1869, ©. 558. 3. © 4). Ebenda ©. 686. 4. ( SM Andreas v. Regensburg, brg. von U. Leidinger in: [en u. Erörterungen # bayr. u. deutſch. Geld, R $ 1 (1903), 368: Moı eravin via in qua hucusque pauci fuerant inf 5. (8.5). 4. Haud, Aindengeih. Deutſchlands V ao); 1076. 6. (©. 9 Eienda ©. T. . Die Geisel aus ber Sufitengeit zum großen A gefammelt von .E. v. Sütlen, Geſchichtſ⸗ der huſſ. Bewegung in Böhmen, T. III, in: Fontes rerum Austriacarum, Abt. I (Scriptores), Bb. 2 sie), y (1865), 7 (1866); dann in den Font. rer. Bohemic. V (1893); andere find jelbitändig heraus- ge geben. Die Urkunden bei 3. Balacky, Urkundl iträge Seid b. Huſſitenkrieges 141936, 2 Wbe., 1873..— Bon befon- beren eftell en erwähne ih: €. Denis, Huss et la guerre des Hussites, v. Bezold, K. Sigmund u. die Heage- WG gegen Di Bi Huf ten bis zum Ausgang des 3. Kreuzzuges &. Binder, Die Hegemonie ber Prager im teten, gen 8 u. 9 der Prager Studien a. d. Gebiete der Gefhichtsiwill., brg. von 9. Bachmann, 1901—08. Die über- reihe ingelliteratur. f. bet Dahlmann-Waitz, Quellenktunde deutſch. Geich., 8. Aufl., 1912, ©. 453, 459, C. ER Biblio, gi tesk6 historie III (1906), 1114, Nr. 1—2760; Novotny, Neue Bertentlihungen über en über sie huf. Ber ee in: Ceskf &asopis historicky V (1 . (&. 10). Archiv Cesky III (1844), 3 . (S. 10). Neben den Reichstagsakien VII, 886 ff. Hol mann, Der Breslauer Reichstag von 1420, in: fol. ek blätter, Breslau 1920, Nr. 1, ©. 1.

om

246 Anmerkungen.

10. S. m. Reichstagsalten VIL, 408.

11. (&. 11). 0. d. Sorbt, Rerum magni concilii Constantiensis tom IV (1699), ©p. 1518.

12. (&. 11). Balacty, Urkundl. Beiträge I, 17, 21, 22.

13. (&. 12). Neben ber bei ver; älteren Literatur vgl. 9. Toman, Über 3, feinen Geburtsort u. das fpät. ‚Sellect ber root (tſchech) in: Sitzungsber. der kön. böhm. Gefellie

Bi. 1890, Re. XIIL; aud) die Abhandlung Pr. XIV ebenda ven J. Raloufet.

14. (&. 14). Wo in dem Winfel zwiſchen Moldau und Zufchnig, weftl. von Bechin das ättefte Tabor zu fuchen tft, ift feittig; 1. Casopis musea kräl. Zesköho, odd. duch. XCV (1921), 1 Nach ber ZTaboritendhronit_ bei tler, —— L is mefelte man mit den Hügeln ab, fo daß mehrere den Namen

15. g: m rede ticpechtieh im Archiv öes. III (1844), Fort,

16. 54 Ka Berichten des Engelbrecht Wufterwig aus Branden- in: Deutfhe Städtehroniten VII (1869), 352; auch Ri twiebexholt bemükt, ggfndere Angabe |. Balacty, Geld. 17 ers a 2 Glen, Die Die Shladt igfaberg, in: Ci - (&. 20). öfler, Die Schlaht am rg, in: mas- der Sen. tab. der Wiſſ. LXXXXV (1880), &%. 18. 8 21). Sigmund hatte N. Sudtwigs d. Ungarn ältere Tochter taria, die aber ſchon 1392 geftorben war, zur Gemahlin, Wladi- Maus don Polen die jüngere, Hedwig.

19. (8. 9). Reihstagsalten VII, 25; über die Veziehungen der Hufliten Fe den Benetianern vgl. Balacty, Urkundl. Bei- träge I, 39,

20. © 6). Ebenda ©. 90/1, Nr. 89/90, aud) Archiv des. VI, 398,

5. Die Angabe Binders, Hegemonie ©. 146, als ob ade und auch einige Burgen in der Nähe, auch drader bei Gewitſch und andere Ortſchaften“ eingenommen worden wären, deint nicht begründet. Aud) C. Lid, Kur Geich d. Stabt Zwincu u. Ihrer Umgebung —X 324 bietet feine genügenben Anhalts- puntte.

21. (©. 27). Archiv &es. III, 226, Rr. 2426; Palactz, Urkundl. Beiträge I, 96, Nr. 98.

22. (S. 28). Aus einem Schreiben der Stadt Tahau vom 23. Apr. 1420, |. Bezo!d, Reichskriege ©. 49, dazu Reichſtagsakten VIII, 48, wo der Tachauer Brief mit dem Datum bes 21. Apr.

Page ie und zwei ähnliche Schreiben von Eger vom 17. u.

3. G. 28). Reihstagsatten VIIL, 18 24. (©. 29). Ebenda ©. 77.

Anmerkungen. un

3. (©. A! Seähzen u Beotun | ber Suffttenteiege 1 N B. Brei⸗

2

nen ne

Übergabe . Albreht V. 13, zu ehto für Ollerr, Beih. LEKX däss) 10H. (&. 0) ». Sitten Geigitigreiber I, A16ff.; Quellen und Er-

(©. 35) I. km fol Kurſachſen 64 böhmi Städte und löfier befefien haben, die e8 in den jitentriegen erworben itte, f. Markgraf in der Allg. deutſch. jtaphie (Georg v. diebrab) VIIL, 608.

Sul Der dritte Kreuzzug gegen bie Hufliten,

(S. 38). ®W. Altmann a. a. ©. 276; ich gebe den ftelleniweife Fee me Kacı „pertändlicien at ohne Anderung des Ginnes

6.9 "&idel in der Bibliothöque de P6eols des chartes V, $eft 2, 8. 79 1 das, ihneiben für echt, nnalactt, Ur tundf. Beiträge II, 189, Ir. 669 für apokcyph erfl

. (&. 40). Be anhalten VIII, 290; aud ie das folgende

f. diefen Band unter dem jeweiligen Datum.

(&. 46). Eine nicht beachtete jilderung der AR die auch den Ort genau bezeichnet, |. in dem Bericht dei ias ans nn gohe d. Eon. böhm. Gefellfhaft der Wifj,, Folge 5,

Sweiter Abfchnitt.

"5 F. v. Bezold, Reichskriege (f. oben S. 245, Anm. 7),

1, ©. 11, in ber uelentetiichen © Eint., die eine gute Überfiht über bie Quellen ber Bufitengeit Baurenz CHhronit in Sale, Geſchichtſchreiber I, 321 ol je Font. rer. Bohem. V, 827. 50). Andread von Regensburg (f. oben ©. 245,

m, 4), ©. 668: hii qui Hussiste nominantur, diversas quidem haben facies, oaudas vero colligatas; Höfler, Geſchichtſchreider

BE) ee 1 ah, Wr 54; dazu 9. Haud, Kirchengeſch. , 44, au Icchen; uſchlands V, 1138. e ©. ® Monum. concil. general. saec. XV., I(1857), 141.

Hauda.a. O. 1125. gt im Bohem. III (1829), Annales patrio sermone

sorip *8— S. 54) —F Selen, Urkundl. en II, 481, Nr. 987.

R der huſſ. vewegung u. anderen feiner Schriften, md ez0!d, Zur Geld. bes Yuflitentums 1874. B

28 Anmerkungen.

10. (&. 55). Balacty, Urkundl. Beiträge I, 26, Nr. 20. Sie weiſen bier im einzelnen bin auf die Verpflichtungen, die fie Sigmund gegenüber eingegangen, daß fie „irer gnoden gehorfam gelobt” und „gefworen” haben, und deshalb „von unferem angeboren erb⸗ beren“ nicht mehr zurüdtreten können.

11. (&. 56). Anti urteilt 8. Winter, Seh. der Handiwerke u. des Handels im 14. u. 15. Jahrh. ſtſchech., 1906, ©. 393: „Die

» Deutichen waren Gegner der iſchech. eformbeivegung und dadurch führten fie da8 Ende ihrer biöherigen Herrſchaft herbei...“.

12. (©. 56). Archiv es. IV, 382, Nr. 39: Eine andere Beſtimmung retrifft Bürger, die troß ihres” Eides die Stadt verlaffen haben unt Ki th daß fie nicht wieder iR enommen werben dürfen; vgl.

Bind Dr Hegemonie I, 1 . Tome, Geſch. Prags ae) 55* 13. 56). gl. isteonten den Brief der Prager an die Kaadener

vom 7. Nob. 1420 bei Windede a. a. D. (f. oben ©. 245, Anm. 1), ©. 136; Höfler, Geſchichtſchreiber I, 426.

14. (&. 59). Gefäjthtfcreiber ©. 409, 42415.

15. (8. 60). Ebenda ©. 453, 529.

16. (&. 61). —— S. 49, Anm; Reihstags atten VIII 43, Ann. 6.

17. (&. 62). Höfl I Geſchichtſchreiber S.

18. (S. 62). woburch tſchechiſierten die Nen · (tim se Nömei zöetovali) jagt 3. Winter a. a. O. ©. 405 mit Hinweis auf W. Tome und ©. 394: „In den Landſtädten verſchwanden bie Deutfchen leiter als in Prag, wo fie jehr mächtig und angejehen waren.” Eingehend, aber in vielen Punkten untichtig behandelt den Besenftand I. Lippert, Die Cedifierung der böhm. Städte

15. Jahıh., in: Mitteil. des Vereines f. Geſch. der Deutihen 3 | Böhmen V (1867), 174 ff.

19. (8. 63). J. Gelalovsty, Privilegia civitatum Pragensium Geier iuris municipalis regni Bohemiae I, 1886), ©. 208,

20. 2. 63). Scriptores rer. Bohem. III, 26; Saurentiusa.a. O.

21. (&. en & Binder, Die Seagmonie a a. O. ©. 10; ähnlich früher Sipperta. aD. 8. Wenn man in deuffchen Schriften (vgl. Mitteil. d. Berineh f. Gef. der Deutihen i. Vöhmen XXIII, 1885, ©. 52 und darnach in denticen PN

Binter, Rultuxbild N böhm. Su ſtſchech] 1,

140 K. Sigmunds Urkunde vom 20. fi 1486 ie des. u, 446) als das „Zobesurteil ber Deutſe in (ortel- smrti Nem- eäm)“ bezeichnet findet, jo ift dies eine der furchtbaren Überteei- bungen, die in die deutichböhmifche Geichichtichreibung vielfach eingetragen wurde. Die Urkunde befagt im $ 12 nur: Bir

Anmerfungen. 2

. (&. 66). I. Strnad, Urkunde

wollen, daß in, Böhmen kein Fremder ein Amt verivalte, ein Böhme ..."; nicht ber Gegenfag zwiſchen deutſch und iſchechüſch, fondern wiſchen fremd und einheimifch kommt zum Ausdruch

& 68). Archiv des. III, 207. &. 64). Saurentius a. a. D. ©. 354. ©. 64). Ebenda ©. 370.

. (S. 65). Se Geſdichtſchreibet I, 42. . (©. 24 Balacty, Urkundl. Beiträge I, 44, Nr. 39; Archiv os.

I, 217. (&. 65). Laurentius a. a. ©. ©. 39.

enbuch d. Fön. Stabt Pilfen as 1 (1891), 302, Nr. 268, 321, Nr. 299; vgl. aud 3“ Nr. (&. 67). Archiv des. a, 446, Rt. 21; 449, Nr. (&. 68). Monum. conc. ge 1, 851; befonders Aber die Tai en lie Urkunde vom 19. März 1437 bein. v. Sternberg, riſſe einer Geſch. der böhm. Bergwerke I, 2 (1837), 112, Rr. 2; auch bie folgende Nr. 80 vom J. 1454.

. (&. 69). Balacty in: Cas. desk. musea XX (1846), 80.

(&. 70). 8ofertb, Beiträge 3. Geſch. der huſſ. un, I.

Der Mogifter Adalbertus Ranconis de Ericinio, er

öfterr. Gefch. LVIT (1878), 204; dazı Mitteil. d. Bert. d

ae, i en XVII (1879), 198 und in: Hus und het .

(S. 1). A. Bahmann, Der ältefte Streit iſchen Deutſchen

und Tjſchechen an der Prager Univerfität, tn: Hiftor. Viertel] kin usgeg. v. ©. Seeliger VII (1904), 3.

= IH Geſchichtſchreiber II, 155.

BT), ). 8. Winter, Ss, der hohen Schulen in Prag. 1409 es .). 1897, ri & ee Se der Prager Univerfität (1849),

B ©. . Bezold, 3. Geſch. d. Huſſitentums, ©. 48/8. . (S. 74). Höfler, Gefhichtichreiber 111, 159, Anm.; die zweite

Let bei Zidetf. unten Anm. 41, dann nod) Geſchicheſchreder

. (©. 74). Winter, Geld. des dandwerls a. a. O. ©. 89. . (S. 75). Andreas v. Regensburg bei Leidinger S. 419,

vgl. auch 314.

.& 75). Zidet, ne herausgeg. von 8d. V. Zobolta, in:

Hist. Archiv Nr. 38

. (S. 75). Bezold, 3. Gel. d. Huffttentums, S. 62.

(&. %6). Höfler, Geſchichtſchreiber I, 628.

. (S. 77). Bgl. die Ausführungen bei Johannes de Ragusio, Trac-

tatus .da reductione Bohemorum, in: Monum. conc. gener..I, 157.

250 Anmerfungen.

45. e TT). Rede eines ‚Baboritenfüßrers im Liber de legationibus

des Aegidius Carleri, ebenda I, 46. @ m A) , * von El & Seigiätiäneier U, 344; e muB, al. & m. be hreiber zu 484 .

(©. 78). Car u, u

3 S. 79. A. Haud, Kin eſch. Deutſchlands V, 1051, nach der Professio fidei antiquae, abgebrudt bei J. Cochlaeus Historias Hussitarum libri XII (1549), ©. 545: Domini Bohemi ne sint nimis attenti ad res etc.

50. © 3 ) Selgiöttäneiber 498; vgl. Haud a. a. D. ©. 109.

61. (S Itmann, Windedes Denkwürbigteiten ©. 134.

52. (©. 9 W. Altmann, Die Urkunden K. Sigmunds. I, Nr. 4191;

ſindede Denkwürd. S. 132. 111 (für das folgende).

Dritter Abſchnitt.

1. (&. 82). &o lautet bie ErHärung in der Wohlangeige an den Marl ae gem v. Brandenburg, 1. ®. HN Albreit I in: Prager Studien aus dem Gebiet der See. u von . Bachmann, Heft 13, 14 (1906, 07), %. 2, ©. 157, Ar. VI. (©. 84). Script. rer. Bohem. mm (1829), 112*, (©. 8 ®oftry, I. T. S. 78.

©. 86). Font. ‘rer. Bohem. 623: cuius anima requiescat in sancta pace, quia fuit bonus, licot Theutunicus, audax et miseri- cors.

(&. 86). öee. 7. (©. &8). 5 2 Bud 3 Bm, die Angabe des Chroniſten Bartofiet Drahonig, daß 'ampfe auch ein Herant de Kunstadt residens in Podiebrad teilgenommen habe. Balacky, Gef. Böhmens III, 3 (59, 182, Anm. 148, zweifelt nicht daran, daß damit nur Georg, ber Sohn Biktorin, ‚gemeint jet: Ein anderer Herr von Podiebrad lebte damals gar nit und bie Romen Bodek und Heralt, in feiner Ramilte vor anderen üblich), wurden aud ihm... beigelegt, bevor no ber Name pan Jifik populär wurde“. Allein davon, daß Georg je Herant genannt wurde, findet fi nirgends eine Spur. Dagegen wiſſen mie, daß Georg unter ber Vormundſchaft eines Heralt o. amd. vd. &, Man, der urkundli 1480 und 1433 (Arch vorkommt, Das dürfte der eilnehmer an ber —— ge

Ei aud) Stovnik —* Art. t, Runftabh), wes nehmer an ber Schlacht a rn. Ei —— Eneas Eilvius

pen

®

Anmerkungen. 251

nicht nur nichts weiß, fondern anläßlich deſſen Waffentat im ‘. 1438 außdrüdlic) fagt: hine primum homini nomen gl. dazu 3d. 8. Zobolfa im Cas. Mat. Mor. XX (1896), 260, gegen Tenora im Cas. öesk. mus. 1895, ©. 190, der bereit8 an der ihtigleit der Palackzichen Behauptung gezweifelt hat.

8. 6 8). Die Nachricht, deren Wortlaut in der vor. Anm. angegeben ft, bringt —*— Suvius, Historia Bohemiae cap. LV (ed.

‚eher, 1602, ©. en, Ausgefämüdt erzählt fie Dudravius lib. XXVIII (Freher 229).

9. 8 BER. —E— Cesxò dejiny III, 2 (1918), 384 ff. in en Noten.

10. (&. 98). Über ihn, den Berfafler einer Geſch. Böhmens (vgl. Bd. I, g, D, dgl. ©. Botgt, Enea Silvio de Piccolomini als Park Fi II. u. fein gertatten, 3 Bde. 1856-63; R. Wolkan, Der FR er ©. ®., in: Fontes rer. Austriac. Abt. IL,

11. (S. 9). Der Ben t über dieſe Unterredung in einem Cchreiben des Eneas an den Kardinal Carvajal nad Kom vom 21. Aug. 1451,

gerrudt in ber Nürnberger Ausgabe der Briefe Eneas' von 1481, 130, und in der ode jamtausgabe einer ® te von 1551 und 1571; vgl. G. Bot je Briefe des Wen. Sylvius vor feiner

jebung auf den fl. Stuhl, in: Ar tert. Geſch. XVI Gase) 20, . 190; ——— Trier Ace bei P ty,

2 2. %). Er tes. II, 304 ff., Ar. 59855.

2. 0 %). Diefe Zahl nennt Eneas in feiner „Geld. K. Frie- richs TIL“, deutſche treretung in den Geihthtireibern d. deutſchen Aigen, XV. Yahrh., Bd. 88, 89 (1890), 209.

14. (8. 97). Ebenda Bd. 89, 1445.

15. (6. 98). Fontes rer. Austriac. II, 20, ©. 55.

16. (&. 98). Archiv. des. XV, 212, Nr. 104.

17. (©. 99). Einen etiva8 anderen "Wortlaut, der aber auch auf Eneas gesehn, gt Balacty, Geh. 2* IV, 1, ©. 382, Anm. ug au rbäneta. a. DO. IIL 2, 23.

18.0 300. Sigungsber. d. Eon. böhm. Gefelfhaft d. Wiſſ. 30.189,

1. (©. Fon 8 tb, Ein Ge töberi Si: } 2%. EA h Ber. f. a en i. Xvır

20. ie. In 8. alacty, Beugenberhir über den Tod K. Ladiflams,

in: Abh. ber kon. böhm. Gefel daft 9; Wiſſ. 5. Folge, 9. Bb. (1856) und nad einem Berfuh von E. ®. Kanter, Die Ermordung N. Ladiſiaws (1906), Georg v. Podiebrab die Schuld zuzuſchreiben, B. Rovotn f,überden Tohbes®. Ladiſlaw len in: —R der kön. böhm. Geſellſchaft d. Wiſſ. Jg. 1906 (Prag 1907),

Anmerkungen.

21.

Bu ben vielen Nachrichten über Ladiſlaus! Zod kommen noch 1. im Dialogus Rabenstein (Ar. für öfterr. Geſch. LIV, 859): cuius mortem multi naturalem, multi veneno obligisse di- cunt, quam illis constare credimus, in quorum scola et regimine adolescens versabatur; 2. Bohuflaus von Haffenftein in einem Briefe von 1489 an Ehriftian Pebil: Neque Ladislaus Alberti Alius orthodoxae fidei defuturus oredebatur, nisi in ipso aetatis flore veneno, ut perhibent, extinotus esset._Bgl. J. Zruhlar in: Spirka pram, Abt. IL, Nr. 1 (1899), ©. 25.

(&. 104). 3. Lofertb, Die Denkſchrift des Breslauer Domherru Nil. Tempelfeld v. Brieg über die Wahl Georgs v. Pobiebrad, in: Archiv f. öftere. Gef. LXI (1880), 89ff.; A. Bahmann, Neues über die Wahl N. 0798 v. Böhmen, in: Mittel. f. ih. d. Deutſchen i. Böhmen. XXXIII (1895), 1ff. Der Bericht des Rofenbergifhen Selretärd in: Font. rer. Austriac. II, B®. 46,

©. if. (&. 106). 4. Bahmann, Ein Jahr böhm. Gedichte. Georgs von Podiebrad Wahl, Krönung um Anerkennung, in: Archiv |. öfter. Geſch. LIV (1876), 134. gen ber Ab| [emörung das Schrei- ben des Kard. Cardajal an den Bapft vom 9. Aug. 1458, in: Script. rer. Silesiac. VIII (1873), 7, Nr. 10: Abiuracio erroris non est scripta in iuramento uf. S; 107). & Markgraf, Politiſche Korrefpondeng Breslaus im italter Georgs v. Podiebrad, in: Script. rer. Silesiac. VIII und EjdhenIoer, Historia Wratislaviensis ebenda VII; beutih u. d. T.: Beter Ejchenloers... Geſchichten der Stadt Breslau o. Dent- würbigteiten feiner Zeit von 1440—1479, bg. von T. G Kunifd, 2 Bde (1827).

. (&. 107). Balacky, Urkundliche Beiträge zur Geh. Böhmens

im Seitalter Georgs von Podiebrad. 1450-1471, in: Font, rer. Austr., 2. Abt. Bd. XX (1860), Mr. 138, 139, 182, 184.

. (&. 108). Als folder gewann befondere Bebeutung Jobſt von Ein-

iedel, ein Egerer; vgl. über ihn F. Kürfhner in: Archiv f.

Kan Gefh. XXXIX (1868), 245 ff.

(&. 110): Kuniſch a. a. ©. IL 77.

(&. 111). Script. rer. Siles. VII, 47, Nr. 45.

&. 112). Abgedrudt in der Abhandl. der kön. böhm. Geſellſch. der fi, V. Folge, 13. 8b. (1865), 53 ff, dazu Höfler in: Sigungs-

ber. der Ton. böhm. Geſellſch. der Wiſſ. Ihs 1862, &. 47 ff., und

©. v. Stodheim, Herzog Albrecht IV. u. feine Seit, 2 Bde,

Leipz. 1865.

29. (©. 115). Monumenta hist. univ. Prag, II, 56, 57; 9. Bad

mann, Böhmen u. feine Nahbarländer unter Georg v. Podie- brad 1458—1461 (1878), ©. 301.

Anmerkungen. 258

58 TIL, ®b. I (1884 . (©. 115). Script. rer Bohem. III, 176.

32. (©. 116). Balacty, Geſch. v. Böhmen IV, 2, ©. 187, Anm. 131; Bahmann, Deuiſche Reichsgeſch I, 98, Anm. 4. Die ent ſcheidende Stelle im Original (im böhm. Kron- o. St. Wenzelsarchiv Nr. 1:474, Rep. 255, böhm. Rep. XII. A. Nr. 1381) lautet (na gütiger Mitt. des Prag. Landesardhivs): My Jifi.. oznamujem... jakoz.. jednosteinym v3ie &eskö zem& svolenim za kräle.. vo- leni, vyzdvizeni i ätastnd korunoväni sme, pfi kter6mäto nasenı korunoväni od pänuv, rytierstva, möst i obce krälovstvie tesköho Zädäni a prodeni sme, abychom je v jich präviech, fadiech a obyöejich zachovali a jim na to.. list nä, tez jako& pfedkov6 nadi.. Sigmund, Albrecht a Ladislav.. dali... My jich Zadosti chtiec dosti uöiniti, rekli sme a chcem je pfi töch v&cech, coZ se töch &tyf artikuluov i tak6 volenie k arcibiskupstv! praäskömu mistra Jana z Rokycan i zachovänie compactat, poslänie o potvrzenie jich k otei svat6mu dotyde, tak jakoäto tik pfedkov6 nadi je fekli jsü, zachovati i o jind kusy totiäto, Ze my jiz jmenovand krälovstvie desk6, markrabstvie moravsk6, knie- zata slezsk&, mösta i jind zemö a krajiny k t6muZ krälovstvie pfislußejicie i kaidy stav pfi jich rädiech, präviech, svobodäch a spravednostech zachovati a ochraniovati chcem s jich radü a pomoci, jakoZ to dobre, hodns a sluäns jest. Item Ze väecky penZite dluhy

83. (©. 116). © Ichreibt noch am 21. Sept. 1461 Markgraf Albrecht

Achilles dem Kaifer: „...fo ift dem Schimpf der Boden auf und

ber Kunig von VBehem wirdet Romiſcher Konig, es Ah €. On. und

uns allen lieb oder leide,“ ſ. Font. rer. Austr., Abt. 2, ®b. XX,

5 a Nr. 248; vol. au Bachmann, Deutice Reicjögefd. L,

nm. 4.

(&. 116). Script. rer. Siles. VIII, 67, Nr. 66.

(S. 117). Bon Koranda ftammt der Sauptberidht, f. . Vybor z lite-

ratury öesk6 II (1868), 663, beſſer Archiv des. VIE (1888), 321 fi.;

die anderen Quellen berzeichnet Bahmann, D. Reichsgeſch. 1.

197, Anm. 3; dazu Script. rer. Siles. VIII, 82.

8. (&. 117). Bol. 8. Baftor, Geſch. d. Väpfte II (1889), 157: il re de Boemia... e mezo heretico et e cativo % nido et non se ze mo pigliare fede; vgl. dazu Eneas, Gefch. K. - Selebrihe IH., in:

eihichtfchreiber d. beutich. Vorzeit a. a. ©. I, 225. 37 8, 118). $. Markgraf, Über Georgs v. P. Projekt eines chriftl. ürftenbundes zur Vertreibung der Türken aus Europa u. Herr ftellung des allg. Friedens Änmergalb der Chriftenheit, in: Sybels Sit. Zeitfgrift XXI (1869), 257. 838. (©. 119). Seript. rer. Siles. VIII, 128, Rr. 106.

30. Kiss A. Bahmann, ale Reichsgeſch. im Zeitalter X. 31

RE

24 Anmerkungen,

89. (&. 120). Zum Dank für diefe Hilfe, an der im Gefolge K. George bie mährifhen Stände teilnahmen, verlieh der Kaifer ihnen

3. 1462 eine ——— bes Landes 3 dgl. D. Bret-

ol Das mähtr. di, 1908, ©. Nr. 9; dgl. die fonftigen Gnabenbeweife bei Bahmann, Dr Böhmens IL,

“m, Die barau bezigliter Atenftide in Soript. vor. Sin u 4. em. 8. Bältor a. a. ©. IL, 356, nah Balacty IV, 2,

@ 122). Script. rer. Siles. IX, 147, Wr. 311.

(&. 123). Kraus-Kafer, Deutiche Gef. im Ausgange d. Mit-

telalters I (1905), 438.

4. (&. 125). A. Bahımann, Johannis ‚Babonsteinensie dialogut in: Archiv f. öfterr. Geſch. LIV (1876), 364; |. auch Palacky IV, vi ©. 435, 2, &. 670.

45. (S. 126). Bol. einerfeit8 Balacty IV, 2, ©. 665 ff. und Denis, Fin de l’indöpendance Bohöme. I. Georges de Podiebrad. Les Jagellons (1890), 163, ber aber in ber Benrteihung Georgs von Balacty abweicht, andererfeits KRafer, Das fpäte Mittelalter, in: Weltgeſch. in gemeinverftänd!. Daritellung, herausgeg. von 8. M. Hartmann V (1921), 192 ff.

46. (8. 126). A. Bahmann, D. Reichsgeſch. I, 91

Vierter Abfchnitt. 1. (&. 127). ©. die Stanmtafel und meine Neuere Geſch. Böhmen I (1920), 23.

2. (©. 198). 3. Chmel, Attenftüde u. Briefe 3. Geſch. des Yaufes

a h Beitalter Mazimilians, in: Monumenta Habsburgica, Bd. (1868), 252 ff.; Archiv des. IV, 488.

3. G. 131). A. Gindely, Böhmen u. Mähren im Zeitalter ber Reformation, Bd. .I: Geſch. ber böhm. Brüder, 14501564 (1857); : GoLI, Quellen u. Unterfuhungen 3. Ge der böhm. Brüder,

tag 1888, Bd. II: Peter Cheleichy u. feine 2

4. (S. 131). Herausgegeben von €. Smetänta, sit virr, in: Co- menium Rt. XXII ası2).

5. (©. 186). Gindely a. a. ©. I, 49. Noch 1508 in flaus v ‚Hafienftein, daß die Brüder unter K PEN

„mudfen (hiscere)“ wagten; Listär (j. unten X 10 1

(&. 187). A. Bahmann, Unlunden u. Altenftüde 3. PN &iß,

tm Beitalter K. Friedrichs 111. in: Font. rer. Austr, 2.

© 18) om Zur Gef. Des Bufftanbes be

. achmann, Zur ei urbane tr Prager

im Sept. 1482, in: Mitteit. d. Bereins ee rede Bigmen XIX (1881), 24, mit weiteren

re

a

Anmerkungen. 255

8. (&. 199). 9. Theiner, Vetera monumenta Poloniae II (1861), 228, Nr. 254; dl, Monum Hungarine, m 488 ff.; vgl. Balacty, ſch. Böhmens v, 1,6. 260, Anm. 1 2. (©. 1% Archiv öes. V, 418/9. 10. (8. 141). J. Truhlar, Listät Bohuslawa Hasiätejnehäho x Lobkovic, in: Sbirke, gramandr der fön. böhm. Atad. d. Will. u Br). "Gruber, Die Sauptperioden de Kunftent- . zuber, Die 0 T m. a. ten wicllung in nahmen umb den Nachbarländern, in: Mitt. d. Ver eined Y Gef. d. Deutſchen in Böhmen IX (1871), 21]; 12. (&. 142). 3. Zrublar, Magister Väclav Pisecky; in: Üas. Sek mus. L (1876), * and bil. Potätky Km v Geenäch

Humanismus a humanist6 v 8 "m: Rozpı Braıy a. a. O. Se 3, Pr. 4 (1894), 144; R. Bolten, Geih. d. beutfger iteratur in ögmen N, udif

"u

16. (S. Ga). olfan.a.a.D.6©. 114.

17. (S. 146). Listär a. a. O. ©. 213: Quale monstrum si Bocmia nostre ferret, bimembrem puerum natum et pisces sub aratro inventos putarem.

18. (©. us). erausgeg. von 8. 2. gobotte in: Hist. Archiv der tön. böl Atademie Nr. 38 (1908), ©. 16,

19. S un. 8 unter in feinem oben, ©. Sie, Anm. 11 genannten

, ©. 89% u. 20. 148). %. Trublar, Potätky a. a. D. S. 44/5; dazu Central» att f. Bibliothefstvefen, hp. 1890, ©. 248.

21 (©. 148). Zul. u. a. J. Klit, Die nationalen Verhältniſſe Böh- mens son ben Huflitenfriegen bis ur Schlacht am elben Berge

| ben), m : Cesky as. hist. XXVII (1921), 18 ff, 18.

148). Geſch Böhmens IV, 1, ©. 385, dazu Klit, ©. 21. (&. 149). Archiv des. III, 457, I, 380. (&. 149). Listäf a. a. O. ©. 147, 208.

©. 149). Wolkan a. a. D. ©, 110.

(8: 150). Rlit a. a. O. ©. 23/4, 30.

(&. 150). O. Kämmel, Zur Beleuchtung der Ceditfierung ah

Bahn im 15. in: —* d. —— Geſch. d. D. Böhmen ay dar , 85 ff.; Su des. XII, 261

(&. 151). To oltaa.a.O.©. 4.

————

Anmerkungen. 257

4. (&. 165). Seine Briefe in tſchechiſcher Sprache f. Archiv des. J.

4. (eier, Balacky, Geſch. Böhmens V, 2, ©. 440.

46. (©. 167). Bartholomäus von St. —* BR Kal Chronica de seditione et tumultu Pragensi 1i iniſch berausgeg. von €. v. Höfler, Prag 1859, —S von x 3 Simatin: Font. rer. Bohem V (1907), if.

47. (©. 168). Bericht des Gefandten K. en, an K. Siegmund von Bolen, in: Acta Tomiciana VI

48. (©. 170). —— Des Georg tie 1518—26, in: Font. rer. Bohem.

49. (&. 171). Balactı, Geſch. Böhmens V, 2, ©. 518, Anm. 380.

50. (&. 174). &. Regel, Francouzekä politika v Cechäch, 161834,

: Sbornik hist. I (1883), 58.

Funfter Abſchnitt.

(&. 176). Archiv öes. IV (1846), 108.

. (&. 176). 3. Kalouſek, Cesk6 stätnf prävo @. Aufl. 1892), 188, nimmt an, daß von ben minbeftens die damals außgeftellten Ur- Iunden K. Friedrichs III. alle, bis auf eine, noch vor 1547 müffen

. entfernt worben fein; vgl. aud 4. Bahmann, Deutihe Reichs-

geſch. I, 569, Anm. 1, Art Geſch. Vöhmens IV, 2, ©. 365, auch 266; wegen deifen Annahme von einer Rüdftellung ber Ur Tunben, dom 1364, U. Huber, Gefd. Oſterreichs III (1888), 171, nm. 1. 8. (&. 17). 3. Kalonfela. a. O. ©. 513. 4. (6. 177). A. Rezet in: Cas. desk. mus. LV geed 39 39, 401. er Brager Cpronift (Script. rer. Bohem. III, 386) Tagt auße brüdlich, da die Wiener Ehebeſprechungen von 1515 dem Prager Landtag belanntgegeben wurden, „worauf unfere Getreuen das Te Deum laudamus fangen, am Pfingsmontag“.

5. (&. 177). Das Hauptiver fortan ift „Die böhm. Lanbtagsvı de» Tungen u. Landtagsbeſchlüſſe von 1526 an..., b . vom !. böhm. Landesarchiv· I (1877) XL, 1 (1910) bis , XI, 2—XIV fehlen, XV (1917) behandelt das Jahr 1611. Ausführlich habe ih den Zeitabſchnitt 1526—1576 behandelt in meiner „Neueren Geſch. Vöhmens“, I (1920), erſchienen Fa ber ‚Perdestäen „Allgemeinen Srantengeliicte: ', rg. von E22

. (S. 177). Vgl. Band I, ee

. (&. 183). Fr Hifhen® inande I. Berſuch zur Einführung

einer rein Iandesfürftl, Bertvaltung in Mähren (1528), in: Zeitfchr.

Bereines f. d. Geſch. Mährens u. Schieſiens. XVII 8. (S. 183). Br F. Stälin, Aufenthaltsorte K. I omende 1 . 1521-64, in: Forſch. 3. deuiſch. Geſch. I (1862), 384.

Brethols, Geld. Böhmen: u. Mäprens. IT. 17

vom

ap

258 Anmerkungen.

9. (&. 185). Archiv des. XI (189%), 49%. 10. (©. 186). 9. v. G6vad, Urkunden u. Aktenftüde zwiſchen Oſter- ich Ungarn u. der Pforte im 16. u. 17. Jhd. I (1840), Bief. 4,

11. 8 186). Münden, Reichsarchiv, Fürſtenſachen, Bd. XXIV, Fol. 8, |. meine N. Geſch. Böhm. 89.

12. (S. 189). Die Nachweife in meiner N. Geſch. Böhm. 93 ff.

13. (&. 190). Eine wichtige Quelle für diefe Zeit bilden die „Nurtiatur- berichte aus Deutichland“, 15; 1590. 1603 ff., brg. teils vom t. preuß. Inftitut in Nom, teils von der Wiener Alad. d. Wiſſ., teils von der Görres-Gefellicpaft in München, vgl. Dahlmann-Waig, Quellentunde d. deutſchen Gedichte, 1912.

14. (©. 193). Archiv des. XX (1902), 82.

15. (S. 196). Zu der in meiner N. Geſch. Böhmens ©. 115 ff. angeführ- ten Sit. vgl. noch 8. ®rofta in Cas. Zesk. mus. XOI taıh, a

16. 8. 1%). ©. Egelhaaf, Deutſche Gef. im 16. Jahıh. IT (1892),

17. (8. 197). &. Brandenburg, Polit. Korrefpondenz des Herzogs u. Kurfürften Mori v. Sachſen II (1904), 784; j. auch fein Buch: Morik bon Sachſen I (1898).

18. (©. 198). ©. v. Kügelgen, Beitgemäße Traktate aus der Refow mationei ft 2 (1903).

19. (S. 19). E. Brandenburg a. a. O. ©.

20. (©. 199). ©. Loefche, I. Mathefius. 2 Bde. (1895); der Briefe meet des Mathefius, in: Jahrb. f. Gef. d. Proteftantismus XI

(18%).

21. (©. 200). Die Vorgänge im einzelnen find, behandelt in: „Acta aller Handlungen, fo fih zwifhen... Ferdinanden... und etlichen Ber- fonen aus dem Herrn⸗, Ritter- und Bürgerftand der Cron Beheim des vergangen 1547 Jars verloffen... Aus behemifcher in deutſche Sprach transferiert und gebrudt 1548°. Im Auszug in: Landtags- verh. II, 69. Die zweite Hauptquelle ift: Sigt bon Dtteräborf, Knihy pamatns o nepokojnych letech 1546 a 1547 (Gebenfbücher über die unruhigen Jahre 1546 u. 47), hrg. von J. Zeige in: Svätovä knihovna Rt. 1363—79, Prag (1919). Dazu 8. Tief trundf, Der Widerftand der böhm. Stände gegen binand 1. 1._%. 1547 (tfjedh.), 1872.

2. g 208). ®. Brezan, Zivot Vildma z Rosenberka (Das Leben

. dv. R.), Dig. in: Biblioteka Starodeskä. 1847.

23. (&. 206) Bendiensivert tft, ba in den Landtagsverhandlungen des J. 1590 davon die Rebe war, daß 1547 in Mähren die Pitarden (b. h. bie Brüder) einige taufend Mann gefammelt hatten, um gegen Ferdinand zu ziehen. Landtagsverh. VII, 455.

24. (6. 208). 3. Schmidt, Historia soc. Jesu provinciae Bohemiae IAIII (1747-54); 9. Kroef, Gef. ber böhm. Provinz ber

Anmerkungen. 259

eh Jeſu I a 3. ®inter, Zivot cirkevni v Cechäch (Das fir Böhmen). 1895.

2. (©. 208). 5, ‚Biauntbergen B. Petri Canisii S. J. epistulae 8 acta I—V (1896-1910).

26. (©. 209). 9. dein, Die Kirchengeſch. Böhmens III (1872), IV

187 N. (S. tn. K. Boropy, Anton Brus v. Müglig, in: Oſterr. Bierteljahrsfgrift f. tath. Theologie, XIII, 1874.

Sechſter Abſchnitt. 1. G. 212). el, „Staat und Geſellſchaft der neueren Zeit”, in: je Aultır be r Gegenwart”, Teil II, Abt. V, a 1908.

508). 4. (&. 216). Über die Quellen zu biefem zug um und ihn felbft, vgl. * —E Der böhm. andtn b 575, in: Forſchungen Beten, Sei, III (1869), 257 se 217). Über Böhmen und bie Bartiofemäusnadit verzeichnet iteratur C. Zibrt, Bibliografie III, 456, Nr. 9564. 6. (6. 217). Die böhm. Lanbtagsverhandlungen IV, 483; die „Pro- pofitionen” &. 156

T. e 219). Vgl. F. Sreifa, Die böhm. Konfefiion, i Ent- ftehung, ihr Weſen und ihre Gefchichte, im: Jahrbuch f. Geſch, des Broteftantismus in Üfterreih, Ihg. XZXXV—XXXVII (1914 ff.), ein Auszug aus feiner gleichnamigen tſchech. Abhandlung in: Ronpzarr der kön. böhm. Alabemie in Prag, KI. I, 46 (1912); un öhm. Aanbtagsberhanblungen XI, 1 (1910), 49, Anm. 178.

8. (©. 222). U. Theiner, Annales ecclesiastici I (1856), 452, nad) einem Bericht des Gefandten Giovanni Vescovo di Torcelli an ben Kardinal di Como, ddo. Prag, 1575, Febr. 26.

2. 2 223). Bel. 3. Janjfen, Seid. des deutſchen Volles IV

896), 496.

10.8 . 223). Neben dem Hauptwerk U. Gindely, Rudolf IL und

je Zeit, 2 Bde. (2. Aufl. 1868) vgl. F. Stiene, Rudolf IL,

ee aa in: Abhandlungen, Vorträge u. Reden (1900),

gem. deutſche iogtappie). ber Rudolfs Krant-

ſ. ihm. Landtagsverhandiungen X 0, 242, unb bie unter Anm. 20 genannte Arbeit Stieves, ©. 33

11. (&. 224). Landtagsverhandlungen VII (1891), 447.

12. (S. 225). Bezüglich Mährens vgl. F. Kamenizek, Mähr. Sand- tagsverhandlungen und Sufammentünfte (tſchech) II (1902) III (1906), 677. eh dreibandige Werk ift als einzige Ber ig der mähr. Landtagsalten wichtig, wenn auch K. Krofta, Böhn. Landtagsverh. zn (1910), 2, auf „die ernften Mängel und vielen

Bretdols, Belh. Wöhmens u. Mährens. II. 18

Anmerkungen.

26.

Ungenauigkeiten“ hingewiefen hat. Zufammenfaffend Der Kalenderftreit des 16. Ihdts in Deutfchland, in: IH. (Hift.) Klaſſe der kön. bay. Alademie d. Wifl. XV, 3 (— Denk ſchriften LIV), 1880.

. (&. 225). J. Yirezek, Denkwürdigkeiten des Wilhelm Braten

Stawata (Hejeh.) I (1868), ii tm Auszug & DO posenfty, im: Svötova knihovna Wr. 1044/6 (1912), ©. 45. (&. 225). Böhm. Landtagsverh. IX (1897), 9.

. (&. 226). Vgl. außer den einzelnen Bänden ber Böhm. 2

andtags- verhandl. auch die Einleitung von K. Krofta zu Bd. XI(1910), 47.

. (©. 226). €. Denis, Fin de lindöpendance Bohöme II (1890),

335: „e’il ôtait nöcessaire, pour ruiner l’herösie, de ruiner la Bohöme, ils n’6prouveraient ni piti6 ni remords“,

(S. 227). Böhm. Landtagsverhandlungen X (100), 886, Nr. 270; vgl. dazu J. ae Das Mandat gegen die Brüber vom 2. Sept. 1602 und defien Durchführung in ben N 1602—04 each), R in: Sitzungsber. d. kön. böhm. Gejellſchaft d. Wiſſ., hg. (1905), Wr. X.

(S. 27. Briefe hat herausgegeben J. GIüdlid im: Histo- ricky Arcuiv der lön. böhm. Atad. d. . Bill, Nr. XXX (1908), XXXVIIT (1912).

(©. 228). Seifpide 4 * Winter, Kirchl. Leben in Böhmen

1896, 25} F. e, Nie Verhandlungen über die Nachfolge —— in: Abhandl. der III. Giſt.) Klaſſe der Fön. bayr. lab. b. iff., XV, 1 (= Denkſchriften LIV), 1880, &.

. (©. 228). Über den „Prozeß Loblomwig" vgl. jegt die eigenen Dar-

feltungen ergãnzend unb vwerbeffernd: Landiagsverh. VIII (1895). 141

ft. (S. 229). 3. Stiene, Briefe u, Alten 3. Geſch. des 3Ojährigen Krieges V (1883), 943 unter „Böhmen“ u. f. in diefem Werte. (©. 229). gl. dazu 3. Kamenizel, Quellen zu ben Einfällen 8 in Mähren (tſchech.), in: Historickj Archiv der kön. Bob, 3 ee d. Wiſſ. Nr. IV (1894). a) Über ihn die ſtark verherrlihende Se on ®. dv. Ari Carl von Zierotin und feine Zeit. 1864 i6ıh (1862), nebſt Beilagenbanb (Briefe) 1879; 3. Brandl, Schriften Des 80. 8 (ie 2 Bonne- (1866-72). Die Briefe 8. v. v. 8 im Archin, XVII (1904 (&. 232). der älteren umfaſſenden Arbeit von X. Ginbely, 3 ber Erteilung bes Böhm. Majeftätsbriefes von 1609 (1858), LS. Krofta, Der Majeftätsbrief Rudolfs IT. ), 19089. _ ots Brief an Budoive tm Archiv is. XXVIT (1904 (S. 234). Bol. Böhm. Sanbtagsverh. XV, 1 (1917), ©. XXX.

Anmerkungen. 201

a. 6. a a. Gindely, Gef. des SOjährigen Krieges I (1869),

2. (©. Binter.a.a. D. S. 49ff.; 2b4ff. 29. (8. 236). A. Regel, Dentwücbigfeiten des Nikolaus Datſchihty von Heflan” ltſchech.). I (1878), 80. (( und andere —5 enthält die wichtige fogen. Eu —X der —558— 3 Königreiches „zohmen en in 174 u pm, dann die Böhm. ss. des J—

32. (©. 240). M. Ritter, Deutſche Geſch. im Fr che Geyer mation u. des 30jähr. Krieges (1555—1648), III ( .

83. (©. 244). Die reihe Literatur über bie la am Behen Berge verzeichnet Zibrt, Bibliografie N, 38 ff, 6544— 7022. Die wichtigſten ſtellungen bei 4. einen "Seid. b. 30jähr. Krieges II, 39; M. Ritter, Deutihe eig. II, 106; I. Krebs, Die Stadt am Beißen 1879 u. andere Schriften biefes Berfaffers. folgende Unführung aus S. Veckouäky, el glarich pfiböhöv Zeskjch, herausgeg. von A. Hegel