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IIIIIIHIIII

600089486%

DIE

CHRISTLICHE KIRCHE

DES

MITTELALTERS

IH DEN

HAUPTMOMENTEN IHRER ENTWICKLUNG

VON

Db. lERDmÄND CHRISTIAN RAUB,

OBDBNTLICHBM PB0FE8S0B DEE THEOLOOIE AN DBB UNIVBBSITÄT TÜBINGEN.

NACH DES VERFASSERS TOD HERAUSaEQEBEN

VON

FERDINAND FRIEDRICH BAÜR,

DOCTOB DEB PHILOSOPHIE, FBOFE880B AM OnUASIUM Zu TÜBINOfiN.

TtlBIÜlSEli,

VERLAG UMD DRÜCK VON L. FR. FUE8.

1861.

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VORREDE.

Ich erfälle eine ebenso schmerzliche als angenehme Pflicht gegen meinen theuren, unvergesslichen Yater, indem ich den Ton ihm yoUkommen druckfertig hinter- lassenen dritten Band seiner Geschichte der christ- lichen Kirche, die Kirchengeschichte des Mittelalters, der Oeffentlichkeit übergebe. Er ist, ebenso wie die \^\ien ersten, die Geschichte der christlichen Kirche In den sechs ersten Jahrhunderten darstellenden Bände, die reife Frucht sowohl der Vorlesungen über Kirchen- geschichte, welche der Verewigte in einem Zeitraum von yierunddreissig Jahren mit ganz besonderer Vor- liebe an der hiesigen Hochschule gehalten hat, als auch der angestrengten und gewissenhaften Forschungen, welche derselbe im Gebiet der die Geschichte dqp Mittelalters betreffenden neuesten Literatur noch in den letzten Jahren, am späten Abend seines Lebens, für den Zweck einer neuen, zum Druck bestinmiten Umarbeitung der ersteren angestellt hat. Es war ihm vergönnt, noch wenige Wochen vor seinem ersten bankheitsanfall , der sein unermüdliches , mit jugend- üdier Frische bis in ein hohes Alter fortgesetztes gei- stiges Schaffen so plötzlich abbrechen sollte, das Werk, 80 ^e es jetzt gedruckt vorliegt, im Manuscript zu vollenden. Die Herausgabe hatte er sich noch in den

darauffolgenden Tagen des Leidens als eine der ersten

A2

I

IV Vorrede.

Arbeiten seiner, wie es eine Zeit lang ihm und Andern erschien, wieder erstarkenden Kraft vorgesetzt. Doch diess war ihm nicht mehr beschieden ; dem unendlich rei- chen und gehaltvollen Leben ward ein, immer noch zu frühes, Ziel gesetzt. Aber auch als opus postumum wird der vorliegende Band ein ebenbürtiger Nachfolger seiner Vorgänger, ein rühmender Zeuge der Forschungen des Verfassers ' auch auf diesem Gebiete der Kirchen- geschichte, ein den umfassenden, stolzen Bau seines schaffenden Geistes würdig krönender Schlussstein sein.

Tübingen, im Juni 1861.

Der Herausgeber.

INHALT.

S«lte

Einleitang in die KircBengeschichto des Mittelalters . . 1—4

Erste Periode.

Tob AnfliBg des siebenten Jahrhunderts bis Gregor TIL 5-170

Einleitung in die erste Periode 5 7

Enter AhmeknHU

Das Yerhältniss des Christenthums zum Heiden-

thum und den nichtchristlichen Religionen 7—25

l. Die Bekehrung heidnischer Völker . . 7—17

Die Apostel der Deutschen. Bonifacins. Mainz , die

deutsche Metropole 8—11

Die Bekehrung der Sachsen. Ansgar, der Apostel des Nordens. Die Bekehrung des Nordens. Die sächsi- schen Bisthümer 11. 12

Die Missionen der griechischen Kirche. Die beiden Sla- venapostel, Gyrillus und Methodius. Die Bekehmng der Bulgaren und Mähren. Collisiou der griechischen Kirche mit der röndBohen. Die Verbreitung des Chri- stenthums nach Böhmen ,< Polen , Ungarn. Die Be- kehrung der Bussen 12 17

2. Der Muhammedanismus und sein Verhältniss

zum Ghristenthum 17 22

Die Eroberungen des Islam. Seine Grundanschauung. Sein Verhältniss zum Ghristenthum, Judenthum und Heidenthum. Sein Fatalismus und sittlicher Charakter 17—20 Duldsamkeit und Unduldsamkeit des Islam gegen das Ghristenthum. Gleichartige Erscheinungen im Islam und Ghristenthum. Aristotelische Philosophie. Gegen- satz von Schrift und Tradition. Papstthum und Kalifat 20—22 3. Der Dualismus der gno stisch-manichäischen

Secten. Die Paulicianer 22—26

Die Grandlehre des Systems der Paulicianer. Ihr mani-

W Inhalt

Seite

chftischer und marcionitisoher Ursprang. Die Ver-

breitang der Manichäer 22. 23

Ihre Werthschätzung des Apostels Paulus, ihr Hass ge- gen Petrus. Verwerfung der Hierarchie. Schriftprinzip. Ihre übrigen Lehren und Lebensansioht. Aeussere Geschichte . 23—25

SE'irelter AbsoliAltt«

Das Dogma 20—73

I. Der Charakter der dogmatischen Entwicklung

überhaupt 25—32

Charakter der Periode als Uebergangsperiode . . . 25. 26

1) Versuche einer systematisirenden Darstellung der Glaubens-

lehren. Ekdosis des Johannes von Damascus. Die Sen- tenzen des Isidorus von Hispalis 26. 27.

2) Die Ausbildung der abendländischen Dogmatik in ihrer Eigenthümlichkeit. Ihr Bealismus. Das System des Jo- hannes Scotus Erigena 27 31

3) Der materielle Supranaturalismus dieser Periode in der dogmatischen Richtung, der Entwicklung des Cultus und

der Hierarchie 31. 32

U. Die dogmatischen Streitigkeiten .... 32 73

1. Der monotheletische und der ad optianische Streit 32—39

Gemeinsames Interesse beider Streitigkeiten . . 32

Der monotholethische Streit. Oekumenische Synode von Constantinopel im Jahr 680. Die Monotheleten und das Symbol von Chaloedon. Die Zweiheit des Wil- lens und die Einheit des Sol^ekts. Hauptmoment

des Streits 33—36

Der adoptianische Streit. Die Argumente der Adoptianer

und ihrer Gegner. Die Entscheidung der Kirche . 36—39

2. Der prädestinatianische Streit .... 39 56

Die Streitfrage. Analogie mit dem monotheletischen Streit 39. 40

Die Lehre Gottschalk's 40—42

Seine Gegner, Babanus und Hinkmar . . . . 43. 44 Die Frftdestinatianer. Servatus Lupus. Remigius von Lyon 44—46 Die vier Sätze Hinkmar^s. Weiterer Verlauf und Aus- gang des Streits 46. 47

Das Moment des Streits. Seine Wirkung. Abschwäoh-

ung des Augustinismus 47 49

Johannes Scotus Erigena als Gegner Gottschalks. Seine

Inhalt vn

Seite Pr&deitiluitioiiftheorie. Begriff der Freiheit, Silade

mid Stnilb. Ridhtung leiiies Byetema. Seine Qegner, Pmdentiiie tob Troyee, Floms von Lyon, Bemigius

und Hinkmar 49 56

3. Die Streitigkeiten über dieLehre vom Abend- mahl 56—73

Pasehaeios Badbertus« Fortiohritt der Entwidklnng des

Dogpna*8 durch ihn, seine Transsnbstantiationslehre 56—60

Entgegengesetzte Abendmahlslehre des Batramnns 60—63

Die Verwandlungslehre und das Zeitbewosstsein 68. 64

Berengar Ton Tours und sein Gegner Lanfrank 64—66 Die Bekftmpfong des Verwandlangsdogma's durch Beren*

gar. Dessen Verdammnng und letste Bohioksale 66—69 Der Charakter der Abendmahlslehre dieser Periodo. Bupra-

natnralismus des katholischen Dogma*s 69 73

Dritter AfeacluUtt.

Die Hierarchie. . . 73-136

1. Die Geschichte des Papstthums . 78—89

Entstehung des eigentlichen Papstthums. Lösung des AbhflngigkeitsverhiUtnisses Borns Ton Constantinopel. Die Longobarden. Die PIKpste und di&> firttnkischen Herrscher. Die Schenkungen Pipin^s. Carl M. Das Papstthum und das Kaiserthum. Die Papstwahl. Die Nachfolger Carls M. 73—78

Die Pftpste des neunten Jahrhunderts. Die Sage von der

Pttpstin Johanna. Nieolaus I. Hadrian II. Johann VIII. 76—82

Das Papstthum im zehnten Jahrhundert Zustände in Born. Johann X. XI. XQ. Die Tusoulaner. Kaiserkrönung Otto*sL Leo VIII. Johann XIII. Johannes Cresoentius. Gregor V. u. Otto IIL SilFester II. Otto's m. Plan der Verlegung der kaiserlichen Begierung nach Born 82—85

Das Papstthum im eilften Jahrhundert Benedict VIIL und IX. Anfänge einer Beform unter Heinrich HI. Der Mönch Hildebrand und Leo IX. Nicolaus II. Beine Verordnung über die Papstwahl. Das Papst- thum unter Hildebrand*s Leitung .... 86—89 2. Das hierarchische System ..... 89—120

Das Papstthum und das abendländische Kaiserthum. Uebermacht Carls M. Otto I. Heinrich III. Um- schwung zur Superiorität des Papstthums. Leo IX. . 89—93

vni Inhalt.

Seit« Die Entwioklang des Papstdiiims im bierarchiBchen Or-

ganismas. Das psendo-isidorisoheKirohenreoht. Die Stellung der Bischöfe. Dais Gerichtsverfahren . gegen sie. Die Appellation an die Päpste und die Metro- politanrechte. Der Papst als universalis episcopiu . 98—99

Die Chorepiscopen 99. 100

Das alte und das neue System des Kirch^irechts. Nico- laus I. und Pseudo-Isidor 101—107

Das innere Princip der Entwicklung der katholischen

Kirche. Die Tradition 107—109

Ursprung und Tendenz der pseudo-isidorischen Decretale 109. HO

Hinkmar von Bheims, der Veriheidiger der Metropolitan- rechte. Sein Streit mit Bothad tob Soisson und Hink- mar von Laott. Die fränkischen ^schöfe auf der Synode zu Pontigo im Jahr 876 .... 111 117

Arnulf, Erzbischof von Bheims gegen Arnulf, Bischof von Orleans und die französischen Bischöfe. Synode von Bheims im Jahr 991 . , . . . . 117—120

8. Das Verhältniss der Kirche zum Staat . 120—186

Das EÜtobengut. Die Säcularisation unter Pipin. Das Benefizienwesen. Der Lehenseid der Bischöfe. Die Be- lehnung mit Stab und Bing. Die Begalieu. Die JK- schöfe als Lehensträger und Lehensherm. Ihre poli- tische Stellung. Die Hofgeistlichkeit GarFs M. Die Beichskanzlei und die deutschen Erzbischöfe. Doppel- charakter der Bischöfe 120—128

Der Gegensatz der Kleriker und Laien. Die kanonische Lebensweise, Chrodegang von Metz. Domkapitel. Der Cölibat Widerstand des mailändischen Klerus. Die Patariner 128—132

Abhängigkeitsverhältniss der Laien vom Klerus. Das neue Ehereoht. Der Zehente. Das Interdict. Donatio Gonstantini 132—136

N

Vierter AbaclmU««

Der christliche C^Itus und die christliche Sittlichkeit 136— 170

1. Der christliche Gultus 136—150

Der Heiligencultus und die Bilderverehrung. Die bilder- stürmenden griechischen Kaiser. Die Synoden von Gonstantinopel im J. 754 und von Nicäa im J. 787 136 189 Die Gründe der Gegner und der Freunde des Bilder-

Inhalt IX

8«ite ciiltiu. Dia dogmatiBohe Bedeutung des Bildentreito.

Johannes Ton Damaskns 139^142

Die Polemik der Gegner des Bilderonltns und ihre Ver-

werfong der Bilder überhaupt 142—144

Die yermittelnde Stellung der frftnkisohen Kirehe im Bilderstreit Carl M. nnd die libri Carolini. Die Bilderfeinde im fränkisohen Beioh nnd die Pi^te als BUderfrennde 144—146

Das Messopfer nnd das Verwandlnngsdogma. Pasohasius

Badbertns 146—148

Das Latein als Kirchensprache. Die Predigt. Carl M. 148—150 2. Die christliche Sittlichkeit .... 150—170

Sittlicher Zustand der Periode. Die Zeit GarPs M. nnd

dessen Verdienste. Zehntes nnd eilftes Jahrhundert 150 152

Die Gottesnrtheile. Agohard von Lyon. Der Gottes- fiiede. Die Sendgerichte CarVs M. . . . . 153—156

Die Werke christlicher Frömmigkeit Wallfahrten nach

Palästina 166—158

Die Busse nnd deren Werke. Die Büsstheorie des Pe- trus Damiani. Die libri poenitentiales. Umwandlung der Bussdisciplin. Die Gkldbnsse und der Ablass. Sittliche Beurtheilung 158—164

MoDchsleben, Die Klöster. Das Kloster Glngny. Die

Cluniacenser und Gamaldulenser. Das Fest aller Seelen 164—167

Die Hierarchie und die mönchisch-ascetische Richtung. Die Congregation von Glugny. Otto III. und Sil- vester IL 167-170

Zweite Periode.

Tob Gregor TU bis nr Refornatioi . 171-687

Bnldtuig. Allgemeiner Charakter der Periode . . 171—174

Erster Abaclmitt«

Die Stellung der Kirche zur heidnischen Welt und

zu den Feinden des christlichen Glaubens . 174—196

1. Die Missionen und Versuche zur Ausbreitung

des Christenthums 174—176

Ausbreitung des Ghristenthums im nördlichen Deutsch-

lind und in den Ostseeländem . . 174. 175

Büssionsversucbe der Dominikaner und Franciskaner

im östlichen Asien 175. 176

Inhalt

Seite 3. Die Kreassflge und der Krieg gegen die Un-

glftnbigen 176—181

Entfltehong ond Verlauf der Kreoziüge 176—178 .

Charakter und Resoltat der KrenBEÜge. Umschwung des

Zeitbewnsatseins 178 181 .

3. Der Gegensatz au den dualistischen Beeten 181 196

Die Bogomilen. Ihre Lehre und Verbreitung . 182—184

Die Katharer. Ihre Heimath und Verbreitung . . 184—186

Das Lehrsystem der Katharer ,186 189

Die Parteien der abendländischen Katharer. Die Alba-

nenser und die Concorrezenser . . . . 189. 190

Die praktische Seite des katharischen Systems . 190 194 Die Bekftmpfdng und Verfolgung der Ketzereir Innocenz IIL

Albigenserkrieg 194—196 ^

Streiter AlMCknltt« 1|

Die Hierarchie . . 196-279 \

1. Die Päpste von Gregor VIL bis zur Reformation 196—243 <!

Die Beform der Kirche 196. 197 i

Gregor VII. Verbot der Priesterehe und Simonie. Sein >

Streit mit Heinrich IV 198—204 I

Beurtheilung und Charakteristik Gregorys VIL . . 204—210 t

Die Nachfolger Gregor'a. Der Investiturstreit. Wormser i

Concordat. Besultat des Streits . . . . 211— 215 ^

Uebergangszeit Das Pi^tthum n. Bernhard von Clainrauz 215. 216 i

Der Kampf der Päpste mit den Hohenstaufen. Fried- * rieh I. Hadrian IV. Alexander III. Das Normannen- reich und Heinrich VI 216—219 :

Innocenz lU. und der junge Friedrich. Philipp Yon Schwa- ben. Otto IV. Friedrich IL Honoriua IIL Gregor IX. Innocenz IV 220—22*4

Charakter und Stadien des Kampfes. Das Ende der

Hohenstaufen 224—227

Bonifa^us YIH. u. Philipp IV. von Frankreich. Die Niederlage des Papstthums 227—231

Benedict XL Die Päpste in Arignon. Johann XXH. und

Ludwig von Baiem 231—234

Das Schisma. Die Universität Paris. Johann Gereon. Die drei grossen Concilien zu Pisa, Constanz und Basel. Die Kirohenreform und das Papstthum. Die Conoordate 234—241

Resultat der Entwicklung des Papstthums . 241—243

Inhalt XI

Seite 2. Das Papsttham «vf der Htthe seiner Macht . 243—277

VeiliiltBiss des Papatdrama anm Kaiserthnm. Die Papat- wahl. Das Decret Nioolans II. BuperioritAt der g^istli- eben Macht Innooena IV. über die Donatio 0<mstaiitiiii 243—247

Der Papst ala epiaoopns oniTersalis ecdesiae. Die Bi- schöfe aof den Kirchenversammlongen . 247 249

Die beiden Systeme der Kirchenverfassmig. Der Papst als Statthalter Petri nnd Christi. Infkllibilitttt. Das Pi^al- nnd das Oonoiliensysteni .... 249—254

Innerer Widersprach der Kirche. Die Theorie Gerson's. 254—256 Die Gegner des p&pstlichen Absolntismns, Marsilins von Padna nnd Johannes de Janduno 256. 257

Die Eingriffe der Päpste in die Landeskirchen. Ausdeh- nung der Appellationen 258. 259

Die pttpstliöhen Legate 259. 260

Die Vergebnngen ron Beneficien and Bisthümem darch

die Pftpste 260—262

Die päpstliche Habsacht Annaten. Die Consequens des hierarchischen Systems 262—265

Die untergeordneten Sphären der Kirche . 265—278

1. Das Verhältniss der Bischöfe zu den Fürsten. Die Wah-

len der Bischöfe. Jos regaliae und spolii. Politische

Stellang der* Bischöfe 265—248

2. Die Güter der Kirehe und ihre Besteurung 268

3. Das Gerichtswesen der Kirche. Die Constitution von

Clarendon 268. 269

Innere Verfassung des Klerus. Die Bischöfe und ihre Gehilfen. Die Domcapitel. Versuche aur Wiederher- stellung der Tita canonica. Decrete gegen die Prie- sterehe 270—272

Die Herrschaft des Klerus über die Laien. Ehegesetze. Bann und Interdict Die Ohrenbeichte. Inquisition.

BibeWerbot 274—278

Die Kirchenreform Innocenz III 278. 279

Dritter Abselimitt.

Das Dogma .... 279-393

Die Hierarchie nnd die Scholastik. Wesen der letztem 279—282 Anselm vonCanterbury. Satisfactionstheorie. Sein

ontolog^cher Beweis. Die Einheit des Denkens u. Sein».

Die Kategorie der Nothwendi^^eit in seinen Beweisen 285—290

«

XII Inhalt

Seit« Realismus and NominaUsintis. Anselm und Boscellin.

Die UniversAlien. Wilhelm Ton Ghampeaiix. Abftlard. Die Vermittlimg des Gegensatzes. Thomas vonAqnino

und Dnns Scotus 290—295

Die Erkenntnisstheorie des Duns Scotns. Auflösung des

Realismus 296—299

Glauben and Wissen. Anselm nnd Abttlard . . 299—301 Die Mystik. Bernhard von Clairvaax. Die Yiotoriner: Hugo, Richard, Walter. Ihre Polemik gegen die Scho- lastik. Johannes von Salisbary .... 302—807 Die Bedentang des Aristoteles für die Scholastik . 307-309 Die Sentenzen des Petras Lombardus. Der Fortgang von

der Kirche zur Schale 309—312

Das dogmatische System der Scholastik . 312 354 Die theologische Summe des Thomas von Aquino . 312 314 Suprauaturalistischer Charakter seines Systems. Ver- nunft und Offenbarung 314—316

Dasein und Wesen Gottes. Determinismus . . . 316—319

Die Trinitätslehre der Scholastiker. Anselm und Thomas 319 322 Die Lehre des Thomas von der Welt. Verhftltniss der

Welt zu Gott. Prädestination. Freiheit. Wunder . 322—325 Die Lehre des Thomas von den Engeln, dem Menschen,

Urzustand und Sünde 325—329

Die Ghristologie der Scholastiker. Nihilianismus des

Petrus Loipb. und Thomas 329—331

Die Lehre von der Erlösung und Versöhnung. Anselm,

Thomas 331. 332

Die Lehre des Thomas von der Kirche, Gnade und Recht- fertigung. Die Arten der Gnade .... 332—337 Die Sacramente. Die Dednction der Siebenzahl bei/Thomas 337 339 Die einzelnen Sacramente bei Thomas. Taufe. Confirma-

tion. Eucharistie. Die Transsabstantiation . . -339 342 Die scholastische Rechtfertigung der Kelchentziehung.

Das Messopfer 342. 343

Sacrament der Busse. Beichte, Absolution und Schlüs- selgewalt der Kirche. Indulgenzen .... 343—347 Sacrament der letzten Oelnng, Priesterweihe, Ehe . 347 350 Auferstehung. Fegfeuer. Die Anschanung Gottes bei

Thomas 350—353

Die Stellung des Thomas zur Kirchenlehre . . . 353. 354

Der Verfall derScholastik und ihre Aaflösung 354—398

Iiili:ftlt xni

Seite Dans 800 in 8 and seine Richtung .... 854. 355

Gegenssti des Thomas nnd Dons Scotns. Das Prinsip

der llieologie bei beiden 855 358

Die Lehre des Dons Bcotns ron der Freiheit des Willens

und Prädestination 858. 359

Sein Gottesbegriff, und der des Thomas . . 860—363

Die Lehre des Dnns Scotns vom Menschen und seine

Offenbamngsthaorie 863 367

Das System des Dnü Sootns. Sein snbjeotiTer Realis- mus. Der Begriff der Willkfir. Die Lehre Ton der

Qnade. Die Anfl5snng des Standpunkts der Scholastik 367—371

Durandus de S. Porciano. Sein Begriff der Theologie

und der des Thomas 872 376

Der Uebergang cum Nominalismus. Dessen Emeurung

durch Wilhelm Occam 376—378

Die Auflösung der Scholastik durch den Nominalismns.

«Die Bedeutung des Auctoritätsprinsips . . 878—380

Die scholastische Lehre von den Sacramenten und der Transsubstantiation. Die Theorie des Thomas und

Duns Sootus. Ihr Realismus 881—387

Die nominalistische Transsubstantiationslehre Oecam*s.

Die Scholastik in ihrem letzten Stadium . . 887—898

Der christliche Ciiltus und die christliche Sittlichkeit 893—587

h) Der christliche Cultus 893—406

Cultus und Kunst der mittelalterlichen Kirche . 393 895 Der Cultus der Heiligen und der Maria. Fest und Dogma

der unbefleckten Empflbigniss der Maria . 395 399

Das Messopfer und das Fronleichnamsfest . 399—401

Die Kelchentziehung und ihre dogmatische Rechtfertigung 401—408

Die Predigt 404—406

B) Die christliche Sittlichkeit 406—537

Der sittliche Charakter der Periode. Die Sittenlosigkeit

des Klerus und die Reaction dagegen . . . 406—410 Die kirchliche Auffassung der Sünde und Tugend. Die

niedere und höhere Tugend 410—412

1. Die scholastische Sittenlehre . . ^ . . 412—448

Die Ethik AbÄlard's 412—419

Sein Begriff der Sünde und sittlichen Zurechnung . 418—416

XIV Inhalt.

BtitB

Der zweite Theil geiner Ethik. Rene, Baise, Beichte.

Seine YerwerAmg des AblasBes . . 416—418

Die wissenschaftliche Bedeatang geiner Ethik . 418

Die scholastische Sittenlehre des Thomas von Aqnino 419 436 Der Wille and das Gute. Das Böse .... 420—422 Die Tngendlehre. Die yier Gardinaltugenden nnd die

drei theologischen Tagenden. Die Geistesgaben, dona 423—426 Die Sünden, Tod- and Erlasssünden . . . 426. 427 Die praeeepta and consilia evangelü. Dio verschiedenen

Stttnde. Der Stand der VollkomiMiiheit Das con-

templativo und active lieben. Die religiosi . . 428—484 Die Verhftltiiisse des socialen Lebens. Charakter and

Bedeatang der Sittenlehre des Thomas . . 434—436

Die Casoistik. Gailielmas Peraldas. Baymandas a Penna-

forti 436—438

Die Verhandlungen der Gonstanser Synode über den

Tyrannenmord. Gerson. Die herrschende Ansicht der

Zeit Thomas von Aquino 438—442

Matthäus Grabo. Gkrson über den Mönchsstand und die

consilia 442. 443

2. Der sittliche Charakter der Periode in Bezie-

hang auf Ablass and Sündenvergebung . 443—453 Die Ablasspraxis der Kirche. Der Ablass und die Kreuz- züge. Die Jube^ahre. Die letzte Gonsequenz des

Ablasses 443—448

Die BusBübungen. Die Gtoisselbusse und die Geissler- fahrten. Das Einschreiten der Kirche. Die Grund- stimmung der Geissler und die Geisslerlieder. Jacobus de Benedictis 448—453

3. Das Mönchswesen . 453—483

Das Mönchswesen in der ersten Hälfte der Periode. Die Zeit Gregors VIL und die älteren Mönchsorden. Die Bitterorden. Die Cluniacenser und Cistercienser . 453 456

Das Epochemachende der Bettelorden. Die mit ihnen

verwandten Zeiterscheinungen 456. 457

Arnold Yon Briicen. Die Weissagungen des Abts Joachim von Floris. Seine Weltanschauung. Die drei Welt- perioden. Die dritte Periode und die beiden ordines 457—466

Der heil. F^nciscus und der heil. Dominicas . . 467 470

Dominicaner und Franciscaner. Verhältniss aa Papst

und Kirohe 470—472

Inllftlft^ ^y

Der QegeiiMte te BtreBgeroi «nd mildenn Partd cUc Franciscaner. Die Verehmi^ und Wandttamale dM heiL Franoitoiii. BonaTentiini. Bartholomäus llbiAiaa. Ubcrtiniui de Oasali 472—476

Der hdl. Franoiaciui und die WeUsafnngen JoaehioMi Die apokalyptUoheRiohtiuig der Spixitoalen. Derlntto» dnotoxiitti in evang. aetemum« Die fi^paUung der Fran- ciscaner. Felar Johann Olivi und die Spixüiialeii. Seine Angri£Bi auf Pai^ond Kirche 475--480

Die Conflicte der jS^piritMloi mit den VBfttm und deren Lösung. Gregor DL, Nioolana HL, Joham XXII. <Q>er den Armuthsgrundsats der Fmcieoaner mid die apo- stolische Armuth. Der sittüiehe Gehalt des Aminths- grundsatses der Bettelorden 480—485

Die sociale Bedeutung des Mönchslehens und der Bettel- orden. Die Tertiarier und freieren Vereine. Die Brü- der des gemeinsamen Lebens 486 489

4. Die häretischen Secten 489—516

Die Katharer 489—491

Die Waldenser. Armuth und Fredigt Ihr Conflict mit der Kirche. Schriftprinzip. Sündenvergebung u. Recht- fertigung. Die Verwerfting des Fegfeuers. Die Sacra- mente. Inneres kirchliches Leben .... 491—499 Die Verbreitung und Verfolgung der Waldenser. Der Versuch Innocenz III., die Waldenser mit der Kirche zu Tereinigen. Ihre Polemik gegen die Kirche . 499—508

Die Brüder und Schwestern des freien Geistes. Amalrich

von Bena und die Amalricianer .... 503 507

Die Apostelbrüder. Gerhard Segarelli. Dolcino von Novara. Seine Weltanschauung und Weissagungen. Sittlicher

Charakter der Secte 508—518

Das Gemeinsame dieser Secten. Die reformatorische Ten- denz der Waldenser 513 516

5. Die VorUufer der Reformation. Wicliff und Huss 516—537

Wicli ff. Sein Leben. Seine Angriffe auf Papstthum und

Hierarchie 616—519

Wicliff*s Lehre von der Schrift, vom Abendmahli von der Reue und Busse. Polemik gegen den Ablass. Sitt- liche und dogmatische Grundanschauung. Trialogus. Wicliff und Luther 519-526

xvt Inliftlt

Seite Conflict WiclüTs mit der Kirche« Die LoUluaden und

ihre Verfolgung 525. 526

Hqss und das Concil von Constu». Hieronymns Yon

Prag. Haas und Wicli£ Des Ersteren TracUtos de

9

ecolesia. Beine Lehre von der Kirche. Polemik gegen

das Papstthnm. Prftdettination. Hnss mid Luther . 526—538 Die Hnssiten. CaÜztiBer and Taboriten. Die Brüder

des Gesetzes Christi . 588. 584

Johann WeiaeL Hiefonjams SMonaiola . 584—586

Schfaiw . 586. 587

Einleitung.

Die alte Kirche hat ihren Verlauf in den sechs ersten Jahr- hunderten der christlichen Zeit genommen, sie bilden die erste Haoptperiode der Geschichte der christlichen Kirche; die zweite stellt sich uns in der Kirche des Mittelalters dar, welche, wie die Kirche der alten Zeit, den Charakter einer sich in sich selbst ab- schliessenden Einheit an sich tragt. Das Mittelalter hat seinen na- torlichen Schlusspunlit in der Epoche der Reformation; sein Anfang steht nicht ebenso fest; wie er aber auch vom Standpunkt der all- gemeinen Geschichte aus bestimmt werden mag, die Kirchenge- schichte fixirt wohl am richtigsten den in die Zeit Gregors I. fallen- den IFendepunkt, welcher sich in der ganzen Persönlichkeit dieses römischen Bischofs selbst schon dadurch zu erkennen gibt, dass er auf der einen Seite ebenso die Reihe der sogenannten Kirchenväter schliesst, wie er auf der andern im Grunde auch schon das Papst- thum des Mittelalters wenigstens vorbildlich in sich repräsentirt Wie die alte Kirche vorzugsweise auf die Entwicklung des Dogma gerichtet war, so hat sie dasselbe auch, unter den verschiedenarti- gen Einwirkungen der aus der alten Welt stammenden Bildungs- elemente, zu einem relativen Abschluss gebracht. Der substan- zielle Inhalt des Dogma hatte sich in der Periode der sechs ersten Jahrhunderte so entwickelt und festgestellt, dass es keine bedeu- tendere Lehre des christlichen Glaubens gab, die nicht schon ihre mehr oder minder bestimmte Gestaltung für das christliche Bewusst- sein erhalten hätte. Mit der dogmatischen Entwicklung hielt die hierarchische gleichen Schritt; auch sie hatte schon einen bestimm- ten Punkt erreicht und sich soweit ausgebildet, als es überhaupt möglich war, solange die Kirche über den Gegensatz der beiden rivalisirenden Mittelpunkte in Constantinopel und Rom noch nicht hinweggekommen war. Die Kirche des Mittelalters baut zwar auf derselben substanziellen Grundlage fort, sie unterscheidet sich aber

Baur, K.a. MitteUlters. 1

2 Einleitung.

dadurch von der alten , dass in ihr immer bewusster das Streben hervortritt, die absolute Idee der Kirche in dem Zusammenhang eines grossartigen, alles Einzelne auPs Engste verknüpfenden Sy- stems zu realisiren. Der Boden ihrer Entwicklung ist daher vor- zugsweise das Abendland, wo das zuvor schon an der Spitze der abendländischen Christenheit stehende Rom nun in demselben Ver- haltniss, in welchem es von der orientalisch - griechischen Kirche sich abwendet und trennt, die germanischen Völker und Staaten an sich zieht, um sie unter der Obhut desselben hierarchischen Ober- haupts zu einer grossen christlichen Völkerfamilie zu vereinigen. Enthielt die hierarchische Entwicklung der christlichen Kirche von Anfang an den Keim des Papstlhums, so konnte dieser Keim doch nur in dem germanischen Abendland das Papstthum in seiner ab- soluten Idee und in dem ganzen Organismus seines hierarchischen Systems aus sich hervorgehen lassen. Der Gegensatz der geistlichen und der weltlichen Macht, welcher die Hauptursache war, dass der Orient und der Occident sich nie zu einer organischen Einheit zu- sammenschliessen konnten, trat zwar auch in der abendlandischen Kirche in seiner vollen Bedeutung hervor, aber das von dem Papstthum selbst auf das Abendland übergetragene Kaiserthum war im Grunde nur dazu da, dass das Papstthum an diesem Gegensatz sich um so energischer in seiner absoluten Snperiorität bethdtigen konnte. Das Papstthum in seinem fortschreitenden Entwicklungsgang und in der ganzen Consequenz seines Absolutismus macht den Hauptinhalt der mittelalterlichen Kirchengeschichte aus; der hierarchischen Ent- wicklung geht aber auch hier die dogmatische in derselben Rich- tung zur Seite. Auch das Dogma begnügt sich jetzt nicht blos damit, sich in der untergeordneten Sphäre, in welcher das Eine neben dem Andern nur äusserlich und unvermittelt steht, weiter anzubauen und auszubilden, es strebt gleichfalls in die Höhe, es zieht die Conclusion aus seinen Prämissen und führt auf der ge- wonnenen Grundlage ein in dem Zusammenhang seiner einzelnen Theile, in der Einheit und Totalität seines Begriffs sich in sich ab- schliessendes Gebäude auf. Es ist hier vrie dort dieselbe systema- tisirende Tendenz; das theologische System der Scholastik, das in allen seinen verschiedenen Formen immer wieder denselben Charakter an sich trägt, ist ein ebenso künstlich gegliederter Or- ganismus, wie die hierarchische Verfassung, und wie das Papst-

SinlaitUBg. 8

tham nicht h\on dosseirlich herrschen, sondern durch die Gonseqneni seiner Idee auch die innere Nothwendigkeit seines Daseins selbst dem vernünftigen Denken einleuchtend machen wollte, so hatte es noch mehr die Scholastik von Anfang an nicht blos auf die Syslema- tisirung, sondern auch auf die Rationalisirung des Dogma abgesehen. Demungeachtet konnte es dieses Streben nach absoluter Vollendung weder auf seiner dogmatischen noch seiner hierarchischen Seite zur y ollen und reinen Realisirung seines Begriffs bringen; es fehlte dem System der vollendende Schlussstein, es zerfiel in sich selbst, noch ehe es sich in seiner letzten Spitze abschliessen konnte. Es hatte diess seinen letzten Grund darin, dass dieser Absolutismus bei allem Streben nach Verinnerlichung sosehr den Charakter der Aeusserlichkeit an sich hatte, dass der Schwerpunkt des religiösen und kirchlichen Bewusstseins in einer dem Subject mit absoluter Macht gegenäberstehenden Objectivitat lag. An dem erwachenden Selbstbewusstsein des von der Einheit des Ganzen sich ablösenden SvA^ects brach sich der Absolutismus der Kirche, die Bande waren zu schwach, die das Ganze zusammenhalten sollten, es trennte sich mehr und mehr das Eine von dem Andern und trat aus der Einheit des Ganzen heraus; mit dem Zerfall der Hierarchie hielt der Zerfall der Scholastik völlig gleichen Schritt, und hier wie dort lag die Ursache darin , dass es dem System im Ganzen an einer das Ein- zelne nicht blos äusserlich, sondern innerlich verknüpfenden Einheit fehlte. So konnte, nachdem einmal der allgemeine Mangel des Sy- stems, die Transcendenz der Idee, die es nie zur vollen Verwirk- lichung der Idee brachte und den Absolutismus der Kirche nur als abstracto Theorie erscheinen liess, auch nur auf Einem Punkte zum klaren Bewusstsein gekommen war, zuletzt nur eine allgemeine Auflösung des religiösen und kirchlichen Lebens erfolgen.

Diesem allgemeinen Ueberblick zufolge theilt sich die Ge- schichte der mittelalterlichen Kirche von selbst in die drei Pe- rioden :

13 die Periode des sich bildenden und sich in sich zusam- menfassenden hierarchischen und theologischen Systems;

2) die Periode des herrschenden Absolutismus der Kirche;

3) die Periode der Auflösung des hierarchischen und dog- matischen Systems.

Die erste Periode hat ihr natürliches Ziel in Gregor VII.; die

4 Eialeitong.

zweite, die in Innocenz in. ihren Höhepunkt erreicht, geht bis zum Anfang des vierzehnten Jahrhunderts fort; die dritte von da bis zur Reformation.

Da jedoch die Elemente der Auflösung auch schon in der zweiten Periode liegen, und überhaupt der Zusammenhang der zweiten und dritten Periode ein sehr enger ist, so kann der ganze Zeitraum^ in welchem in jedem Fall Gregor YIL die epochema- chendste Erscheinung ist, auch blos in zwei Abschnitte getheilt werden.

Erste Perlode.

Vom Anfang des siebenten Jahrhunderts bis

Gregor VIL

Wie mit dem Anfang der vorigen Periode durch den lieber- tritt Constantin's die Physiognomie der Kirche eine andere wird, ao ändert sich auch im Laufe der jetzigen Periode durch eine Reihe neuer Erscheinungen der Schauplatz der Kirchengeschichle we- sentlich. Wahrend das Christenthum in Deutschland und in den OeiAschland nördlich und östlich umgebenden Ländern ein weites Gebiet erobert, ersteht ihm im alten Orient ein neuer Gegner, durch welchen es in kurzer Zeit einen Verlust erleidet , der weit grösser ist als alles, was es im Laufe der Periode an äusserem Um- fang gewinnt. Und in welchen eigenthämlichen Gegensatz setzt sich dieser Gegner zum Christenthum dadurch , dass er so Vieles mit ihm theilt und ihm weit näher steht j als einst das Judenthum und das Heidenthumt Ein weiteres Moment, das gleichfalls sehr wesentlich dazu beiträgt, dem christlichen Mittelalter seinen eigen- tkümlichen welthistorischen Charakter zu geben, ist das dem Papst- thom zur Seite stehende Kaiserthum, das in Karl dem Grossen, dem Gründer des abendländischen Kaiserthums, nicht nur dasPapst- thum noch weit überragt, sondern auch durch seine für kirchliches Leben und allgemeine Bildung wichtigen Institute über einen langen Zeitraum ein wohlthätiges Licht verbreitet und fär die Zukunft eine fruchtbringende Aussaat zurücklässt. Indem das Papstthum selbst in dem neuen Herrscher das allgemeine weltliche Oberhaupt des christlichen Abendlands anerkannte, war hiemit schon die thatsäch- licbe Erklärung gegeben, dass das politische Band, das bisher noch in dem Papstthum den Occident mit dem Orient verknüpft hatte, vollends aufgelöst sei, was sodann noch im Laufe der Periode die weitere Folge hatte, dass der Occident auch in kirchlicher Bezie-

ß Erste Periode. Einleitung.

hung sich vom Orient trennte. Je mehr die römische Kirche ihrer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit sich bewnsst war, um so mehr liess sie sich durch den langst bestehenden Gegensatz zu der ihr äusserlich und fremd gewordenen griechischen Kirche bestimmen, sich zuletzt auch förmlich von der Gemeinschaft mit derselben los- zusagen. Im Allgemeinen sind jedoch die wichtigsten der in diese Periode fallenden Erscheinungen mehr nur vorbereitend und grund- legend, sie sind nur die Anfänge und Anknüpftangspunkte von Ver- hältnissen, die erst in der Folge in einem weiteren Umfang und mit einem grossartigern Charakter sich entwickelten. Die ganze Periode kann daher nur aus dem Gesichtspunkt einer Uebergangs- periode betrachtet werden, an deren Schlüsse erst die mannig- faltigen Elemente, die hier noch auf verschiedenen Punkten her- vortreten, sich zur Einheit zusammenschlössen, um die Kirche des Mittelalters in der vollen Bedeutung ihrer welthistorischen Grösse erscheinen zu lassen.

Auf den Jahrhunderten, welche diese Periode ausmachen, lastet ganz besonders der Vorwurf der Barbarei und Finsterniss, durch welche das Mittelalter berüchtigt ist In der That hat es auch nicht leicht fär emen so grossen Theil der christlichen Welt traurigere Zeiten gegeben, als im Laufe der Periode wiederholt ein- geUreten sind, wie besonders im siebenten und achten Jahrhundert, md in der ersten Hälfte des zehnten, Zeiten, in welchen die Auf- lösung der Bande des politischen und geselligen Lebens, dieZucht- losigkeit der Sitten, der Mangel an aller höhern Bildung grösser und allgemeiner war, als in irgend einer andern Periode der christ- lichen Kirche. Sieht man aber tiefer in das Dunkel dieser Zeiten hinein, so gibt sich auch in ihnen so Manches zu erkennen, wo- durch die allgemeine Ansicht von den Zustanden derselben wesent- lich geändert wird; wie überhaupt in einer erst in dem Uebergang zu einer neuen Ordnung der Dinge begriffenen Periode, fehlt es auch hier nicht an Kräften, die sich über den Druck der Zeit er- heben und emporarbeiten, um dem geistigen Leben eine neue Bahn zu brechen, und sobald nur ein Mittelpunkt gegeben ist, um wel- chen die zerstreuten Elemente sich sammeln können, erfolgt ein um so überraschenderer Aufschwung. So war es nicht blos als Karls des Grossen schöpferischer Geist die fränkische Kirche und das ganze mit seinem Namen benannte Zeitalter auf eine Stufe der

Erster Abschnitt Yerhttltn. des Christenth. 2. Heidenth. 7

Bildnng erhob, die durch den Contrast mit der vorangehenden nd zunächst nachfolgenden Zeit um so höher gehoben ward, son- dern auch, als in der Folge Otto der Gr. das karolingische Kaiser- tkam aus seinem tiefen Verfall wieder aufrichtete, gieng der poli- tisehen Machtstellung eine ähnliche Erweckung und Hebung des geistigen Lebens zur Seite. Auch damals gab es da und dort Männer, die durch ihre gelehrten Studien und ihr reges literarisches Inter- esie wissenschaftliche Bildung in weiten Kreisen verbreiteten 0*

Krater Abschnitt.

Das Verliältiiiss des Ghristenthnms zum Heidenthnm und den

nicbtchristlicben Religionen.

1. Die Bekehrung heidnischer Völker.'

Das Verhältniss des Christenthums zum Heidenthum und den Jiicitehristlichen Religionen nimmt in der Geschichte der Periode eine sehr bedeutende Stelle ein, und die wichtigste Seite desselben ist vor allem die grosse Erweiterung des christlichen Gebiets durch neobekehrte Völker. Das Christenthum tritt jetzt, da mit der fried- lieben Thätigkeit der Glaubensboten auch die kriegerische mächtiger

1) Zq solchen gehörte vor allen andern der Bruder des Kaisers selbst, der Erzbischof Bruno von Cöln. Man vgl. über ihn GiesebrechTi Gksch. der deutschen Eaiserzeit. 1. Bd. 2. A. 1860. S. 327. Sein Zeitgenosse war der gelehrte Rather, ein Lothringer von Gehurt. Vgl. Vogel, Ratherius von Tenma und das sehnte Jahrh. Jena 1854. Ueher den grossen Fortschritt, ikesen sich die historische Literatur im 9. Jahrhundert zu rfihmen hat, macht Baikb in den Schriften der Berliner Akad. 1854 S. 415 eine hieher gehörende Bemerkung: Es setze in Erstaunen, wenn man die historischen Auizeich- umgen aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts mit denen vergleiche, die VIS der ersten des achten übrig sind, welch* ein Unterschied zwischen ihnen n bemerken sei. Einen grossem Fortschritt in der Form habe es nie ge- geben. Im Anfang des 8. Jahrhunderts seien die Chronisten des fränkischen Reichs überaus einsylbig und formlos, an den Fortsetzern des Fredegar sehe man recht, wie die Rohheit noch zunehme, im 9. Jahrhundert finden wir richti- gen Ausdruck, eine an die classischen Mus,ter erinnernde Auffassung und Dar- stellung. Vgl. GiESEBB. a. a. O. S. 732 und besonders Wattembach, Deutsch- Unds Geschichtsquellen im Mittelalter. Berlin 1858. 8. 66 f. 79 f.

g Er«te Periode. Erster Abschnitt

Herrscher sich verband, als grosse erobernde Macht im eigentlichen Sinn auf. Die wichtigste Eroberung macht es in Deutschland, wo die Belcehrung der deutschen Volksstdmme zum Christenthum schon in der Zeit vor Bonifacius, sodann durch die Wirlcsamkeit des Bo- nifaeius und nach ihm durch die Kriegszüge Karls des Grossen ihren raschen ununterbrochenen Fortgang hatte.

In Deutschland war vor Bonifacius das bedeutendste Moment fär die weitere Verbreitung des Christenthums die Herrschaft der Franken, die sich allmahlig auf die übrigen deutschen Stämme er- streckte. Von dem herrschenden Stamm musste das Christenthum schon von selbst mehr und mehr zu den beherrschten übergehen. Am meisten war diess bei den Alemannen der Fall, welche neben den Baiern, Thüringern, Sachsen, Friesen, einer der Hauptstamme des deutschen Volkes waren. Sie standen mit dem Frankenreich in nächster Berührung und fanden auch schon in den von ihnen in Besitz genommenen Ländern, im Elsass, im römischen Vorland, im eigentlichen Schwaben, in Rhätien, christliche Ueberliefcrungen aus der römischen Zeit, die nicht ohne Einfiuss auf die neuen heidni- Kchen Bewohner sein konnten. Die Bekehrung der Alemannen in der grossen Masse des Volks erfolgte im Laufe des siebenten Jahr- hunderts, gegen dessen Ende die alemannische Kirche in den Bis- thümern Strassburg, Basel, Constanz, Chur, Augsburg schon ihre bestimmtere kirchliche Einrichtung hatte. Was aber sowohl bei den Alemannen als bei andern deutschen Volksstämmen als Haupt- moment ihrer Bekehrung in Betracht kommt und auch von der Tra- dition am wenigsten vergessen worden ist, ist die Thätigkeit der Glaubensboten, welche der christliche Missionseifer seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts aus Irland, England und dem fränkischen Reiche herüberführte 0* So kamen zu den Alemannen die beiden irländischen Mönche, Columban und sein Schüler Gallus, zu den Bojoariern, oder Baiern, Emmeran, welchen das Kloster seines Namens in Regensburg als Märtyrer verehrt, und Rupert von Worms, welcher in der alten Römerstadt Juvavum den Grund der

1) Vorzüglich waren es irlttndische, oder, wie sie in der Sprache des Mittelalters genannt wurden, sohottisohe Mönche, welche sehr zahlreich die Länder durchzogen. Sie zeichneten sich nicht blos durch ihren frommen Eifer, sondern auch durch wissenschaftliche Bildung aus. Vgl. Wattek- BACH a. a. 0. S. 73.

Die Apoitel der Deuteelieii. 9

iMchöflichen Kirche von Salzborg legte, zu den Thäringem der frttnder Kilian, zu den Friesen die Angelsachsen Wigbert und Willebrord. Auch Winfried oder Bonifacius hatte sich zuerst zu den Friesen gewandt, ehe er in dem innem Deutschland, in Hessen, Thdringen, Franken und Baiem den Wirkungskreis fand, der ihm den Namen eines Apostels der Deutschen verlieh. Was ihn vor den übrigen Glaubensboten auszeichnet und ihm seine eigenthfim- liehe geschichtliche Bedeutung gibt, ist nicht sowohl das, was er auf einem für das Christenthum schon yielfach yorbereiteten Boden nr völligen Verdrängung des Heidenthums tbat, als vielmehr die nethodische Planmdssigkeit, mit welcher er seine Bemfihungen ▼orzugsweise darauf richtete, eine auf festen Grundsätzen und Ein- richtungen beruhende deutsche Kirche zu gründen, und dieselbe f&r diesen Zweck in die unmittelbarste Beziehung zu der römischen Brehe zu setzen, die in ihm, dem Angelsachsen, schon nach den Trtffilionen der englischen Kirche einen ihrer treuesten Verehrer hitte. Darauf bezogen sich seit dem Jahr 718 seine mehrmaligen Beim nach Rom und die Instructionen und Vollmachten, mit wel- diea er von den Päpsten Gregor IL und Gregor III. für den Zweck seiner Wirksamkeit ausgestattet wurde. Das erzbischöfliche Pallium, das er, zuvor schon in Rom zum Bischof geweiht, im Jahr 732 er^ hielt, ertheilte ihm mit dieser höchsten kirchlichen Würde das Recht, für die kirchliche Organisation der Länder, in welchen er bisher gewirkt hatte, die nöthigen Einrichtungen zu treffen. Die Ütesten Bisthümer in Baiern, Thüringen, Hessen, Franken verdank- ten ihm theils ihre Gründung, theils die Ordnung und Fixirung ihrer kirchlichen Verhältnisse. Auch was er im fränkischen Reich anter den Nachfolgern Karl Martell's wirkte, hatte gleichfalls vor- zugsweise den Zweck, die strengere hierarchische Ordnung her- zustellen und zugleich solchen entgegenzutreten, welche, wie die beiden angeblichen Irrlehrer, der Franke Adelbert und der Schotte oder Irländer Clemens, eine freiere, von den Satzungen und Tra- ditionen der römischen Kirche unabhängige Richtung verfolgten. Jährlich gehaltene fränkische Synoden sollten die von ihm gegrün- dete Ordnung des kirchlichen Lebens aufrecht erhalten, und wahr- scheinUch gleich auf der ersten, von welcher wir wissen, (auf der im Jahr 742, dem germanischen Concil, wie es schlechthin genannt wird, da der Ort, wo es stattfand, völlig unbekannt ist,) verpflichtete

10 Erste Periode« Erster A^bioliniti

er die sämmtlichen Buichöfe zu unbedingter Unterwürfigkeit gegen die römische Kirche und zu genauer Beobachtung der zu ihr auf- steigenden hierarchischen Ordnung In engem Zusammenhang mit seiner bisherigen kirchlichen Wirksamkeit stand das Yerhaltniss, in das er zuletzt noch zur Mainzer Kirche kam. Die fränkische Synode im Jahr 745 übertrug ihm nach der Absetzung des Bischofs Gewinlieb den bischöflichen Stuhl desselben, was für ihn, da er schon Erzbischof war, zwar keine weitere persönliche Bedeutung, für die deutsche Kirche aber die wichtige Folge hatte, dass Mainz ein erzbischöflicher Sitz und als solcher die erste Metropole der neuen deutschen Nationalkirche wurde. Papst Zacharias, welcher diess im Jahr 748 genehmigte, stellte unter das Erzbisthum Mainz nicht nur die neuen Bisthümer in Ostfranken, sondern auch die zu Speier, Worms, Köhi, Utrecht, Tongern. Wie wenn Bonifacius hiemit das eigentliche Werk seines Lebens vollendet hätte, begab er sich im Jahr 753, seinen erzbischöflichen Sitz seinem Schuler Lnllus überlassend, auf den Anfangspunkt seines Wirkens zurück und wurde wieder Missionär unter den Friesen, aber nur um schon im folgenden Jahr als Märtyrer zu sterben. Seine Gebeine ruhen in dem von ihm im tiefsten Dunkel des buchonischen Waldes für mönchische Weltentsagung gestifteten Kloster Fulda. In der Be- schränktheit seines Geistes, wie sie sich zwar nicht in seiner un- bedingten Ergebenheit gegen die römische Kirche, um so mehr aber in der äusserlichen Gesetzlichkeit seines Handelns und in den kleinlichen Fragen zu erkennen gibt, über welche er Rath und Belehrung vom römischen Stuhl einzuholen gewohnt war, erkennt er doch sehr richtig auf dem Standpunkte seiner Zeit für die ent- stehende deutsche Kirche das Bedürfniss einer festen hierarchi-

1) Mit welchem Intereüise Bonifacius, wie auf jenem Concil, so überhaupt darauf hinwirkt, die unbedingteste Unterwürfigkeit unter die römische Kirche als das höchste Princip des kirchlichen Lebens zur allgemeinen Anerkennung zu bringen, durch die Einschärfüng der Pflicht aancto Petro et Vicario ejus veUe tubjidf per omnia praeeepta Petri eanonice sequi desiderare, und dem- gemttss alles, was in jeder Diöcese au verbessern und anzuordnen ist, in der normalen Stufenfolge vom Bischof zum Erzbischof und vom Erzbischof zum römischen Pontifex gelangen zu lassen, hat er selbst sehr bestimmt in dem Schreiben an seinen englischen Mitbischof Cudberth vom Jahr 745 (Ep. 73. ed. Würdtw.) als den in nostro synodali conventu einstimmig gefassten Be- BOhhu» «nsgesprochen.

Bonifftoivs« Die Bekehrung der Baohsen. 11

sdea Ordnung, und ebendeswegen die Nothwendigkeit der engen ioichliessung an die römische Kirche , die seinem Werke allein Halt ond Znsammenhang und die sichere Bürgschaft fär die Zu- kunft gewähren konnte.

Nach Bonifacius hatte das germanische Heidenthum seinen festesten Sitz noch bei den Sachsen. Ihre Bekehrung erfolgte erst dnrch den langen Sachsenkrieg Karls des Grossen, welcher im Jahr 772 auf dem Reichstage in Worms beschlossen, zwar erst im Jihr 805 mit der völligen Einverleibung der Sachsen in's frankische Reich endigte, aber schon im Jahr 785 den Zweck der Bekeh* nug, für welchen er gleich anfangs unternommen worden war, erreidit hatte. Im Jahr 785, nach der Taufe des Sachsenfürsten, durfte bei Todesstrafe kein Sachse sich der Taufe mehr entzie- hea. Schon im Jahr 776 hatte Karl Sachsen in Bisthümer ge<* theilt und im Jahr 781 den südlichen Theil des Landes , sodann im Jihr 786 auch den nördlichen unter die unmittelbare Gewalt des VifAes gestellt, für welchen Zweck er sich selbst zweimal nach Bob begab. Das schon im Jahr 774 dem Papst Hadrian gelobte Stfttom Osnabrük war das erste, das im Jahr 780 errichtet wurde. Darauf folgten später die Bisthümer Minden, Paderborn, Münster, Halberstadt, Verden, Bremen. Mit dem Christenthum wurde den Sachsen auch die Zehentpflichtigkeit 0 auferlegt, deren harten, durch die Habgier der Priester erschwerten Druck selbst Alcuin

1) Sie sollte das von Anfang an beabsichtigte Werk der Bekehrung vollen- den. Daher sagt Karl der Gr. in der Urkunde vom Jnli 788 Monom. Germ. VII. 8. S88 : er habe den Sachsen ihre alte Freiheit wiedergeschenkt, sie von allem ibm schuldigen Censns losgesprochen und ans Liebe zu Gott, der ihm den Sieg veriiehen, sie Gbtt tribu^fliohüg und seinem Gesetz unterwürfig gemacht, damit sie, jetzt besiegt durch Waffen und Glauben, sämmtlioh ohne Aus- nahme, dem Herrn und Heiland Jesus Christus und dessen Priestern einen allgemeinen Zehenten entrichten. Sie sollten also als bekehrt ebenso tribut- frei als zehentpflichtig sein. Vgl. über das Obige und die Aechtheit dieser llrkande Böttobb, die Einführung des Christenthums in Sachsen durch den Fmkenkönig Karl von 776 bis 785. Hannover 1859. Die beiden Epochen des Saohsenkriegs bezeichnet Böttgeb S. 65 so: Im Jahr 786 erschien das Christenthum noch als geheiligter Zweck der Züge König Karls, im Jahr 804 war dasselbe zur dienenden Magd der Herrschergelüste des gesalbten Kai- sers entwürdigt worden. Die Sachsen sahen nun das Christenthum als den Heiligenmantel, womit der König das Joch verdeckt hatte, welches er ihnen auflegen wollte und nun aufgelegt hatte«

i2 Erste Periode. Erster Absolinitt

beklagte. In derselben Richtung giengen die Bemühungen der Ka- rolinger fär die Verbreitung des Christenthums weiter fort Unter Ludwig, dem Frommen, stand hier ein neuer Bonifaeius als Apostel des Nordens in dem Corvey'schen Mönch Ansgar auf, welcher seit dem Jahr 826 in Nordalbingien, Jätland, selbst schon in Schweden, für das Christenthum wirkte , wenn auch nicht mit demselben Er- folg, wie der Apostel der Deutschen, doch mit demselben Eifer und derselben Ergebenheit gegen den römischen Stuhl, der auch ihn als seinen Legaten durch das erzbischöfliche Pallium enger mit sich verknüpfte, und ihm zum Erzbisthum Hamburg auch das Bis- fhum Bremen verlieh. Die Bekehrung des Nordens wurde im Laufe des eiiften Jahrhunderts vollendet, in Dänemark und Norwegen um das Jahr 1030, in Schweden im Jahr 1075. Dieses weite Gebiet stand auch damals noch , bis zur Stiftung des Erzbisthums Lund im Jahr 1104, unter der erzbischöflichen Kirche von Hamburg-Bremen.

Was Karl der Grosse durch Krieg und Eroberung f&r die Ver- breitung des Christenthums gegen die Sachsen vollbracht hatte, wurde von den deutschen Königen seit Heinrich L und Otto L ge- gen die das nördliche Deutschland bewohnenden slavisch- wendi- schen Volksstämme weiter fortgesetzt Unterwerfung und Bekeh- rung giengen auch hier Hand in Hand. Die von Otto I. gestifteten Bisthümer Havelberg und Brandenburg , femer Oldenburg C^päter Lübeck), sodann Meissen^ Merseburg und Zeitz (später Naumburg), zu welchen auch noch das von den Ottonen reich ausgestattete Erz- bisthum Magdeburg kam , sollten auch zur Befestigung der deut- schen Herrschaft dienen, aber der Widerwille dieser Völker gegen den Druck derselben war so stark, dass er wiederholt in grossen Empörungen, besonders im Jahr 983 und im Jahr 1066 mit tiefem Hass gegen das Christenthum ausbrach, wodurch das Heidenthum aufs Neue seine alte Macht in jenen Ländern behauptete.

Ihren Ausgangs- und Endpunkt hatten alle diese Missionser- folge in der römischen Kirche, die sie grundsätzlich beförderte, und sie als ein Hauptmittel zur Erweiterung ihrer Herrschaft be- trachtete. Die griechische Kirche hatte nicht dasselbe Interesse. Doch blieb auch sie nicht zurück; sie liess von der östlichen Seite eine gleiche mit jener andern in den slavischen Grenzländern Deutschlands zusammentreffende Richtung ausgehen, und die be- rühmten, durch einen ganzen Kreis von Legenden und Traditionen

Die Bekehrnng des Norden«, Die SlaTenaposteL 19

gefaerten Namen der l^eiden Slavenapostel, CyrillBs und Metho-» dutf, zeugen in jedem Fall von der Bedeutung des Verdienatea, das ■an auch hierin der griechischen Kirche zuschrieb, so unaufge- Ulrl auch noch immer das Dunkel ist, das auf der Geschichte der beiden ^echischen Mönche liegt.

In der Bekehrungsgeschichte der Bulgaren wird zuerst ein grfechischer Mönch Methodins als Maler erwähnt Durch ein das jangste Gericht darstellendes Gemälde soll er den Fürsten der Bul- garen, Bogoris, so erschüttert haben, dass er sich mit seinem Volke darch einen aus Constantinopel berufenen Bischof taufen liess« Ge- wiss ist wenigstens , dass die Bulgaren um das Jahr 863 von Con- ilaatinopel aus bekehrt wurden, da der Patriarch Photius in einem noch vorhandenen Briefe den Fürsten Bogoris, oder, wie er mit aoaem chrisUichen Namen hiess, Michael, seinen geistlichen Sohn namite. Auch Cyrillus, oder wie er eigentlich hiess, Constantin^ trat zuerst allein auf. Er soll die Chazaren auf der Halbinsel Krimm Wkhrt haben, als sie sich an den Kaiser Michael mit der Bitte um christliche Lehrer gewandt hatten. Das Hauptwerk der beiden Brüder ist aber das gemeinsame der Bekehrung Mährens, wobei jedoch auch wieder Cyrillus durch das besondere Verdienst aus* gezeidmet wird, dass er, da die Mähren noch keine eigene Schrift- Midien hatten, als ein zweiter Ulfilas, das seitdem bei den slavi- tchoi Völkern gebräuchliche Alphabet erfand und vermittelst des<^ leiben Stücke der hl. Schrift in das Slavische übersetzte. Von der geistigen Fähigkeit, die er auch dadurch bewährte, hatte er den Bei** ■aaen des Philosophen. Das Land , in das die beiden Brüder ka- ■en, war das Gebiet des Fürsten Rastislaw, Grossmähren, derjenige Tkril des alten Pannonien, zu welchem hauptsächlich die jetzigen österreichischen Brzherzogthümer und die Steiermark gehörten. Das Wichtigste ans der weitem Geschichte der beiden Brüder ist das Verhaltniss , in das sie zum römischen Stuhl kamen. Wie die Toouschen Bischöfe Bulgarien der griechischen Kirche streitig autchten, so ist sehr wahrscheinlich, dass auch die Thätigkeit der Mden Brüder in Pannonien ihre Eifersucht gegen die griechische Kirche erweckte. So kamen sie, wie die Sage lautet, von Nicolaus L eingeladen, unter Hadrian 0. nach Rom, Cyrillus starb während ilires dortigen Aufenthalts, Methodins aber kehrte als ernannter Brzbisdiof von Pannonien zurück, jedoch nicht in das Reich Rastis-?

J4 Erite Periode. Eriter Abtohniit

law's, sondern in das m der Grenze von Steiermark, Slavonien nnd Croatien gelegene Gebiet des mährischen Fürsten Chozil; erst später erscheint er wieder in Grossmähren, wo indess Swatoplok auf Rastislaw gefolgt war. Ans der unsichem Kunde dieser Ter- haltnisse heben sich nun folgende Ponkte als beachtenswerthe Mo- mente hervor: 1) Methodius kam mit den Päpsten wegen des Ge- brauchs der slavischen Liturgie in Gollision. 2) An dem deutseben Wiching, welchen Papst Johann YIII. zum Bischof ernannt und als Suffraganbischof unter den Erzbischof Methodius gestellt hatte, hatte der Letztere einen Gegner, welcher seinem Ansehen und sei- ner Wirksamkeit beharrlich entgegenarbeitete, und es zuletzt auch dahin brachte , dass nach dem Tode des Methodius alle Anhanger desselben aus dem Lande vertrieben wurden. 3) Nicht blos die griechische Kirche kam hier in Gollision mit der römischen, auch die dentschen Bischöfe machten ihr Interesse gegen den Papst gel- tend. Der Erzbischof Hatte von Mainz und der Erzbischof Chrotmar von Salzburg 9 beide mit ihren Suffraganen, beschwerten sich in noch vorhandenen Briefen im Jahr 900 gegen den Papst Johann IX. darüber, dass die Rechte der deutschen Kirche, von welcher aus Mähren bekehrt worden sei, durch die Errichtung eines eigenen Metropolitanverbands in Mähren beeinträchtigt werden. Johann IX« hatte, wie die Erzbischöfe in ihren Briefen sagen, einen Erzbischof und zwei Bischöfe in das Land der slavischen Mähren gesandt. In der römischen Kirche wollte man in der Folge so wenig von einem Bekehrungs verdienst des Methodius wissen, dass er sogar nur für einen Häretiker galt 0-

1) Wenn die Aechtheit der Urkunden, namentlich der Brief Johann'« VUL, nieht weiter in Zweifel gezogen werden soll, so Iftrat sich in die Nachp richten, die aie enthalten, nur dadurch einiger Znsammenhang hringen, dasa man annimmt, die Päpste hahen zwar sehr angelegentlich den Methodius an sich gezogen, sobald sie aber ihren Zweck mit ihm erreicht hatten, es absichtlich darauf angelegt, seine Stellung zu untergraben, und sich faiezu hauptsftchlieh des Deutschen Wiching bedient. Methodius selbst hegte gegen Johann VIIL den Verdacht der Intrigue; denii nur darauf kann es sich be* liehen, wenn Johann in seinem Schreiben an Methodius vom Jahr 881 sich SU der Versicherung veranlasst sieht, er habe an den Fürsten Swatopluk keinen andern als den ihm bekannten Brief geschrieben und dem Bischof Wiching keine geheimen Instructionen gegeben. Auffallend ist das Beneh- men WidhingB gegen Methodius, Er war aber «neh^ wie es Bcheiiit) gldefa

Die 81«Teliapoit6l Cyrilliii und Methodiuf. U

So legendenartig die Bekehrangsgeschichte dieser Lander an km Namen des Methodiua fortläoft, so ist doch nicht zu bezweifeln,

aaüuiga dem Methodios nicht mit dessen Willen als Soffiragan beigegeben, sondern nur Ton Swatoplak zur Ordination empfohlen (Wichinum quem nobk ÜrtxkH, schreibt Johann im Jahr 880 an Swatoplnk, eleehtm epiaeopum comeerammusj. Einen weiteren Beitrag zur Eenntniss dieser Verhältnisse gibt der Ton Wattskbach, Beitr&ge zur Gtosohicbte der christl. Kirche in Mlhren und Böhmen, Wien 1849, als neuentdecktes Aktenstück mitgetheilte Brief des Papstes Stephan V. au den König Swatoplnk, der ebenso günstig fir Wiching als ungünstig ftir Methodius lautet. Wiching wird aufs Nene te König Swatopluk angelegentlich empfohlen: Wichinffvm venerandum ^iteopum et eariasimum confr€tirem eeclenasHca doctrina eruditum reperimw ä ideo eum vobis ad regefndam iibi commisaam a Deo eeclenam remmmuSi JMA fideUuimium eum tun et jpro te satis soUieitum in ommUnu offnoviniu»* Dsgegen wird von Methodius gesagt: Met?u)ditun namque superstUionif non aei^ieationi f contentiom non paci innatentem audientes plurimum mirati wmuif et » Ua est, tU audivimua, mperstitionem ejus penitue ahdicamue. Zum \M8oikderen Vorwurf wird dem Methodius noch gemacht, dass er die dMna qfieia, et setcra mUteria ac mieeitrum eolemnia Selavorum Ungua eeMtram pnemmfeU, quod ne fäterius ftuseret supra ectcratienmum beati Petri corpus ßmmmto firmaverat, wesswegen der Papst nur mit Abscheu von diesem reatiu perjwrii reden kann. Und doch hatte Johann VIII. nach seinem Brief vom Jahr 880 dem Methodius ausdrücklich den Gebrauch der slavischen Litargie gestattet. Dass diese Erlaubniss mit jenem reaius perfwrii sich nicht verträgt, ist klar. Aber Johann VIIL selbst hatte sich ja früher in seinem Briefe an Methodius vom Jahr 879 über den Gebranch der slavischen Spiiehe bei der Messe beschwert. Audimus e^tom, quod Missas camtes in hmhara h, e, in Slavina lingiM, unde jam Uteris nostris per Pauhum £lp* AaeonUanum tibi directis prohtbuimus , ne in ea Ungua sacra Missarum so- ksima eelehrares, sed vel in Latina vel in graeca Ungua, Wie kann er nach- Iier in seinem Brief an Swatopluk vom Jahr 880 zur Rechtfertigung des Gebrauchs der slavischen Sprache gesagt haben: ^ee sanaefidei vel doetnna§ oHquid obstat, eive Missas in eadem Slavonica Ungua canere, eive sacrum estmgeUum legere, weil der Schöpfer der drei Hauptspraohen , der he- britischen, griechischen und lateinischen, auch die andern alle zu seinem Freise geschaffen habe? Es ist diess einer der schwierigem Punkte. Oder ut diese Liberalität vielleicht nur eine dem Methodius in der Voraussetzung gODachte Concession, Wiching und Swatopluk (welchen ja in dem Briefe noh noch ausdrücklich die Wahl der lateinischen Messe freigestellt wird) werden schon dafür sorgen, dass sie nichts zu bedeuten habe? In jedem Fall scheint Wiching es sich so sehr zu seiner Aufgabe gemacht zu haben, dem Methodius in seiner ganzen Stellung entgegenzuwirken , dass derselbe immer mehr vom eigentlichen Schauplatz der Geschichte zurückgedrängt wmde. So nur lässt sich erklären, wie die deutschen Bischöfe in den

16 Erste Periode. Erster AbscbnUt

das8 das Christenthum hauptsächlich von Mahren aus in das damak unter Swatopluk von Mahren abhängige Böhmen kam. Vollendet war der Sieg des Ghristenthnms nach langem Kampf mit dem Hei- denthum erst unter der Regierung Boleslaw's des Frommen von 967—999. Von Papst Johann XIII. wurde im Jahr 973 für die bil dahin nach dem Rechtsanspruch der deutschen Bischöfe zum Re- gensburger Sprengel gehörende böhmische Kirche ein eigenes Bis- thum in Prag errichtet, mit der Bestimmung, dass der Ritus nicht in slavonischer Sprache, sondern von einem der lateinischen Sprache kundigen Cleriker gehalten werde. Sowohl diess, als überhaupt der Nachdruck, mit welchem von den Päpsten seit Jo- hann VIII. , wie insbesondere von Gregor VII., der Einführung und Verbreitung der slavischen Liturgie in Böhmen entgegengewirkt wurde, macht ein längeres Fortbestehen derselben in Böhmen höchst unwahrscheinlich. Auch schon für die älteste Zeit stützt sich die Annahme einer slavischen Kirchensprache in Böhmen nur auf einzelne unsichere Data 0*

Auf demselben Wege, auf welchem das Christenthum von Mähren aus nach Böhmen gekommen war, verbreitete es sich von da aus in der zwdten Hälfte des zehnten Jahrhunderts nach Polen, und die polnische Kirche war, wie es scheint, schon früh stets ge- neigt, sich ganz unter die römische zu stellen.

Auch in Ungarn war es die griechische Kirche, von welcher die ersten Anknüpfungspunkte für das Christenthum um die Mitte des zehnten Jahrhunderts ausgiengen. Mit bleibendem Erfolg wurde es aber erst von Deutschland aus begründet, durch die Bemühungen deutscher Bischöfe^ wie namentlich des Bischofs Piligrin von Passau und des Bischofs Adalbert von Prag. Mit Stephanus, dem ersten

genannten Schreiben den Wiching zwar recht gut kennen als denjenigen, welchen Papst Johann YIII. zwar zum Bischof geweiht, und nach Mähren geschickt habe, aber nicht in den alten Passaner Sprengel, sondern zu einem neabekehrten Volk in einem erst Yon Swatoplnk eroberten und christia- nisirten Gebiet, von Methodius aber völlig schweigen. Er konnte um so eher ignorirt werden, wenn er nur im allgemeinen und unbestimmten Sinn Archi- episcopus war, während Wiching seinen bestimmten Bischofssitz in Unitra hatte.

1) Vgl. Wattbnbach, die slavische Liturgie in Böhmen und die alfr> russische Legende vom heiligen Wenzel. Abh. der hist^-pfaiL Gesellsch. in Breslau. L Bd. 1857. 8. 206 t.

Die Bakebrung der Slayen« Der MnhammedaniBmns« 17

0%, seit dem Jahr 997, hatte das Chriatenthum schon die dauernde Ihmchaft gewonnen.

Die für die Folge bedeutendste und unbestrittenste Eroberung ■lohte die griechische Kirche an den Russen, die seit der im Jahr 955 in Constantinopel getauften Grossfurstin Olga und ihrem Enkel Wladimir gleichfalls in die Reihe der christlichen Völker eingetreten waren und zu den reinen Bekennern des griechischen Ritus ge- hörten.

1 Der Huhammedanismus und sein Verhältniss zum

Christenthum.

In einem so weit sich erstreckenden Umfang wich im Laufe der Periode das Heidenthum in den verschiedenen Formen , die es in der Religion aller dieser Volksstämme hatte, vor den siegenden Fortschritten des Christenthums zurück. Um so mehr aber schien tvf der andern Seite das monotheistische Judenthum in der neuen Tom, zu welcher es sich durch Muhammed verjüngte, aufs Neue den impf mit dem Christenthum um die Herrschaft der Welt wa- gen ZQ wollen. Nachdem einmal der Islam unter der Fahne seines com Krieger und Eroberer gewordenen Propheten die Grenze des Heimathlandes überschritten hatte, fielen die christlichen Länder des Orients, welchen schon die Antipathie ihrer monophysitischen Einwohner gegen die katholische Kirche und den griechischen Kaiser dte Kraft des Widerstands schwächte, als leichte Beute den arabi- schen Eroberern zu, die zu Anfang des achten Jahrhunderts von Nord- tfrika aus auch schon im Abendland festen Fuss gefasst, Spanien ihrer Herrschaft unterworfen, und selbst in das fränkische Reich den Keil ihrer Eroberungen hineingetrieben hatten, bis Kart Martells entscheidender Sieg im Jahr 732 ihrem weiteren Vordringen auf immer ein Ziel setzte. Eine Religion, welche ihre Bekenner mit einer so energischen Thatkraft beseelt, kann nur das Bewusstsein eines neuen Princips, des Aufschwungs zu einer neuen eigenthüm- liehen Grundanschauung in sich tragen. Der Muhammedaflismus ruht wesentlich auf der monotheistischen Grundlage des Juden thums; aber es ist zugleich der Drang, sich von der particularistischen Beschränkung des Judenthums loszureissen, so mächtig in ihm, dass er vielmehr die Vollendung und zusammenfassende Einheit aller ilim vorangehenden Religionen sein will Die Grundanschauung

Baar, K.a. d. Mittelalters. 2

18 Erst« Periode. Eritev Abeolmitt

Mohamnied's ist in den Worten des Koran ansgesprochen, dtss jedes Zeitalter seine eigene Offenbarnngsschrift habe, Allah aas- lösche, was er will, und bestätige, was er will, weil bei Ihm die Quelle aller Offenbarung sei 0- Die allgemeine Ansicht ist , dasi^ die wahre, vom Anfang an überlieferte Religion, deren älteste' Triger die Patriarchen des A. T. waren, zwar an sich immer die- selbe bleibe, aber auch wieder von Periode zu Periode einer Er- neuerung und Wiederherstellung bedürfe, um von dem immer aufs Neue sich mit ihr vermischenden Polytheismus gereinigt zu werden. Yon Zeit zu Zeit werden daher zu jedem Volk Prophe- ten gesandt, um die Menschen vom Götzendienst abzuziehen und die reinere Gotteserkenntniss wieder einzuführen, obgleich sie von ihren lasterhaften und abgöttischen Zeitgenossen immer nur verkannt und verfolgt wurden. Solche Propheten waren vor allen andern Moses , Jesus und Muhammed. Es ist diess zugleich der einfachste Ausdruck für das Verhältniss, in welches der Huham-» medanisinus sich zum Judenthum und Christenthum setzt. Er er- kennt in beiden einen wahrhaft religiösen Inhalt an, steUt sich aber auch wieder über sie. Dass auch Jesus ein Prophet ist, wie Mu- hammed, ist das Positivste, was der Koran vom Christenthum aus- sagen kann; aber es schliesst diess auch die Verneinung alles dessen in sich, was der Muhammedanismus dem Christenthum nicht zuge- stehen kann. Ein Prophet, wie Muhammed, ist auch Jesus, aber auch nur ein Prophet, nicht Gott oder Gottessohn, denn dem Einen Gott einen andern beizugesellen , ist das grösste Verbrechen , das der Mensch ersinnen kann. Die christliche Trinitätslehre ist dem Mu- hammedaner der offenbarste Tritheismus oder Polytheismus und auch in den speciellen Bestimmungen dieses Dogma, dass Gott gezeugt,^ als Vater einen ihm gleichen Sohn gezeugt habe, kann er nur höchst unwürdige, der absoluten Erhabenheit Gottes, der als Schöpfer aller Dinge keines andern bedarf, und zu welchem niemand, weder im Himmel, noch auf Erden, in einem andern Verhältniss stehen kann, als ib dem des Knechtes, schlechthin widerstreitende Vor- stellungen sehen 0. Hatte freilich Jesus selbst sich als Gott pra- dicirt, so könnte er auch nicht Prophet sein; da aber Muhammed

1) Sure 18, 8. 10, 48. In Ullmann's Uebers. des Koran S. 205 f. and 167 f.

.2) Sure 4, 6. In UUmaon's Uebers. a 74 £ 80 f

Der MnliaiiimedaiiiBiiivs n. 8. Verh. e. Ohriitentlinm« |9

d»Walire des Christenthoms nicht yerkennen konnte, so unterschied iBch er, wie yor ihm die Manichder und Neuplatoniker, die ur- jprängliche Lehre Jesu, der oft ton sich bezeugt habe, dass er ein ffiener Gottes sei , von ihrer Umgestaltung und Entstellung durch seine Jünger. Wie demnach Jesus den Hosaismus von den falschen Zusätzen und Satzungen des Judenthums gereinigt hat, so hatte auch das selbst wieder dem Polytheismus verfallene Christenthum eine neue Reform oder einen neuen Propheten nöthig und Muham- mad ist schon von Jesus selbst als der nach ihm Kommende ver- kindigt worden. Im Allgemeinen ist so der Huhammedanismus in seinem Verhältniss zum Christenthum eine ähnliche Erscheinung, wie der Gnosticismus, Manicfaaismus und Neuplatonismus, eine neue Form der Religion, welche dadurch entstand, dass sie auf der einen Seite aus jeder der vorhandenen Religionen etwas in sich aufnahm, was dem religiösen Bewusstsein einen eigenthümlichen Inhalt gab, mf der andern aber sich zu jeder derselben in einen bestimmten Gegensatz setzte. Vom Judenthum hat der Huhammedanismus nicht BOT «eine streng monotheistische Gotteslehre, sondern auch so maoche durch das A. T. vermittelte Vorstellungen , wie die Lehre von den Engeln, dem Sündenfalle, dem Zustand nach dem Tode, der Auferstehung, dem Gericht, der künftigen Vergeltung. Da- gegen will er nicht blos nicht so particularistisch sein, wie das Ju- denthum ^ sondern auch in seinem praktischen Verhalten nicht so tafrei und gebunden. Zum Heidenthum setzt er sich durch die absoluta Verwerfung des Polytheismus in den schroffsten Gegensatz, itiimit aber um so mehr mit ihm in dem sinnlichen Charakter über- ein, welchen seine ganze Welt- und Lebensansicht in sich tragt Aach in dem Fatalismus, welchen der Koran lehrt, könnte man eine Nachwirkung des alten heidnischen Sabdismus sehen; nur ergab sich derselbe auch als die natürliche Consequenz des starren Honotheis- nns. Je abstracter die absolute Erhabenheit Gottes und seine Hacht iber alles Geschaffene aufgefasst wurde, um so mehr konnte das Ver- iihniss des Henschen zu Gott nur als eine Abhängigkeit gedacht wer- den, welche dem Henschen nichts Anderes übrig Hess als ein rein passives Verhalten und eine unbedingte Hingebung in den allwalten- den Willen Gottes. Die schwächste Seite des Huhammedanismus ist da, wo das tiefere, sittliche Bewusstsein in das Verhältniss des Menschen zu Gott eingreifen sollte : es fehlen ihm alle Begriffe einer

2*

90 Ente Peiiod«. Erster Absolmitt

sittlichen Selbstbestimmung. Mit dem Christenthum stellt er sich darin auf gleichen Fuss , dass er dasselbe Bedürfniss einer Offen- barung anerkennt; aber er degradirt das Christenthum, da er Chri- stus nur für einen Propheten wie Moses hält und auf diese beiden Propheten der Schriflbesitzer Muhammed als den höchsten, die Offenbarung vollendenden Propheten folgen lässt Der absolute In- halt aller Religion ist von ihm in dem einfachen Worte ausgespro- chen, dass nur Ein Gott ist und Muhammed sein Prophet Auch der Muhammedanismus lässt auf diese Weise die Religion yon Stufe zu Stufe sich weltgeschichtlich entwickeln; indem er aber Gott und die Welt oder den Menschen durch den abstracten Gegensatz des Endlichen und Unendlichen^ oder der absoluten Macht und der ab- soluten Abhängigkeit von einander trennt, gibt es für ihn keine andere Vermittlung dieses Verhältnisses, als durch Propheten wie Moses, Jesus und Muhammed in dieser Aufeinanderfolge sind*

Aus der in sich getheilten Ansicht des Muhammedanismus vom Christenthum erklart sich von selbst sein sowohl duldsames aus unduldsames Verhalten gegen dasselbe. An sich ist der Koran nicht unduldsam 0 ; er leitet die Verschiedenheit der Religionen aus der Anordnung Gottes ab, welcher jedem Volke durch einen Pro- pheten eine Offenbarung gegeben habe, den Juden die Thors ^^ den Christen das Evangelium, das die frühere Offenbarung bestätige,

1) Man vergl. über die Duldsamkeit des Koran E. Meieb über Moham- med, sein Leben und seine Lehre in der Zeitschr. für wissensch. TheoL, 1858. S. 471 f. und die S. 483 f. angeführten Stellen des Koran. Nadi Sure 29, 45 sollen die Schriftbesitzer, d. L Juden nnd Christen, mit Aus- nahme solcher unter ihnen, die Unrecht thun, nur in der anständigsten Weise, d. h. nur mit Worten bestritten und zu ihnen gesagt werden: Wir glauben an das, was uns geoffenbart, und an das, was euch geoffenbart worden ist; unser Gott und euer Gott ist Einer und wir sind ihm ganz er- geben. Auch in der Stelle Sure 3, 79: „Wer einer andern Religion an- hängt, als dem Islam, der wird nicht aufgenommen werden durch sie bei Gott, sondern er gehört in jener Welt' zu den Untergehenden'' steht, wie Meieb bemerkt, Islam in dem ganz allgemeinen Sinn, wie ihn Muhammed auch dem Abraham, dem Mose und Andern zuschreibt. Es ist die völlige Hingebung an Gott, worin Muhammed eben das Wesen der Religion, das alle Propheten gleichmässig verkündigt haben, erblickt. In demselben all-* gemeinen Sinn heissen die Glaubenshelden Muslim, wie Abraham, der we- der Jude, noch Christ, sondern ein Rechtgläubiger, ein Gottergebener (ein Muslim) war und nicht zu den Götzendienern gdiörte». ''

Der MahtümHiedaiiisinaf q. s. Yerh, s.'Ohriiteiithiim. 91

ki Arabern den Koran. Wenn Gott es gewollt hätte, so würde er lue Völker zu einer einzigen religiösen Gemeinde gemacht haben; er habe es aber nicht gethan, um sie zu prüfen in dem, was ihnen geoffenbart worden , und sie einst zur Verantwortung darüber zu dehen. Sie werden insgesammt zu Gott zurückkehren und dann werde er sie aufklären über das, worüber sie uneinig waren. Der lohammedanismus ist so weit liberaler als das Cbristenthum mit semer allein seligmachenden Kirche; aber Theorie und Praxis stimmeii in ihm nicht zusammen. Der Hass gegen alles Polytheisti- idie und Idololatrische Hess ihn so leicht auch in den Christen nur Daglaulrige sehen, die als Verachter und Feinde des wahren Gottes SB bekämpfen nicht nur für erlaubt, sondern auch für yerdienstlich gdialteh werden musste. Da noch mehr den Christen nichts ver- hasster war, als der falsche Prophet, welcher sich dem göttlichen Stifter ihrer Religion nicht blos zur Seite , sondern noch über ihn n stellen wagte, so kam es durch den Martyrerheroismus der spa- riidm Christen, dessen fanatischen Geist selbst eine Nationalsy- lade SU Corduba im Jahr 852 dämpfen zu müssen glaubte , zu ei- aea Vorspiel der blutigen Glaubenskämpfe , die in der Folge den Sehaoplatz der Weltgeschichte sosehr belebten 0* ^bs diese neue Wdtstellung besonders merkwürdig macht, ist die Gleichartigkeit der Erscheinungen bei alier Spannung der Gegensätze. Nicht nur berührten sich Christen und Huhammedaner auf dem Gebiete der dgemeinen Bildung, auf welchem in Kurzem die arabischen Fht- leiophen mit den christlichen Theologen in derselben Vorliebe für fie aristotelische Philosophie wetteiferten, sondern auch in religiöser Beiiehang standen beide nicht so weit auseinander. Auch die Be- kenner des Koran spalteten sich in den Gegensatz der Schrift und der Tradition , und wenn auch der Islam sich zu keiner Kirche und Hierarchie, wie die christliche, gestalten konnte, so verehrten doch nch seine Völker in dem Fürsten zugleich die höchste geistliche Gewalt, und was im Occident das Papstthum in Rom war, war im Orient das Chalifat in Bagdad. Der Unterschied kam nur darauf Unaus, dass der Muhammedanismus principiell an dem Begriff des Propheten hangen blieb. Da aber beide Religionen bei so vielem Gleichartigen vor allem das gleiche Bewusstsein, die allein wahre

1) Vgl. A. Helffbbigh, derweBtgothitcbe Arianiimas. Berl. 1860. S. 121 £

Erste Periode. Erster Abiohniti

und allgemein anzuerkennende Religion zu sein, und eben damit auch den gleichen Drang nach Weltherrschaft in sich trugen , «o konnten grosse Conflicte nicht ausbleiben, welche auf der einen Seite die Völker unter der Fahne des Propheten ^ auf der andern unter dem Zeichen des Kreuzes einander entgegenstellten.

3. Der Dualismus der gnostisch-manichäischen Sekten.

Die Paulicianer.

Weist uns schon der Muhammedanismus auf ein dem Gnoatids» mus und Manichäismus verwandtes Gebiet der alten Religionage- schichte zurück, so ist es schon dadurch auch gerechtfertigt, wenn ihm eine neue Form des heidnisch-christlichen Dualismus, aus wel- chem jene Religionssysteme hervorgegangen sind, zur Seite ge- stellt wird.

Das erste Glied in der Reihe der Sekten, die in beständiger Opposition gegen das Ghristenthum der katholischen Kirche ^vroh das ganze Mittelalter sich hindurchziehen, sind die in der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts auftretenden Paulicianer. Ge- wöhnlich werden sie zwar an einem andern Orte aufgeführt, indem man sie sehr gern aus dem Gesichtspunkt einer im Interesse 4%ß Schriftprincips und der evangelischen Wahrheit geschehenen Reac- tion und Protestation gegen den Glaubenszwang der katholischen Kirche betrachtet. Allein es war diess weder ihr ursprünglicher Ausgangspunkt, noch ihre vorherrschende Tendenz. Ihr religiöser Charakter war wesentlich bedingt durch die dualistische Weltänr- sicht, die sie mit den alten Manichaern theilten. Diess war der all- gemeine Eindruck, welchen sie gleich Anfangs machten. Manich&er werden die Paulicianer schon von Photius und Petrus Sicnlus ge- nannt, welche unter diesem Namen sie beschreiben.

Die Grundlehre ihres Systems war die dualistische von zwei Principien, einem bösen und einem guten Gott; der eine sollte der Schöpfer und Herr dieser Welt, der andere der der künftigen sein. Da sie sonst nichts specifisch Manichaisches haben, so kann man fragen, ob nicht ihr Dualismus nicht sowohl manichäischen als mar- cionitischen Ursprungs ist; wahrscheinlich ist jedoch sowohUasEine als das Andere anzunehmen. Beachtenswerth ist in dieser Be- ziehung, was Petrus Siculus sagt: „Die Paulicianer verwerfen die gottlosen Schriften der Manichäer, den Inhalt derselben aber pflan-

Dnalism« der g nostiseh-maiiieh. Beeten. 2S

sie Yon Geschlecht zu Geschlecht durch Ueberliefenmg unter fort Ebenso behaupten sie, dass man keine andern Schriften lesen dürfe als allein die Evangelien und das heilige Buch des Apostels. Diess thun sie desswegen, damit sie durch Entfernung der manichäischen Schriften und unserer Schriften des alten Testa- ments und durch häufiges Lesen der Evangelien und des aposto- Uschen Buches sich den Schein geben können, sie haben ihre Hä- rese von Christus und aus der Lehre des Herolds des orthodoxen Glaubens, des Apostels Paulus erhalten'^ 0- Bedenkt man, wie ver- breitet der Manichäismus früher in den Ländern war, in welchen £e Paulicianer zuerst erschienen, in Mesopotamien, Armenien, Sy- rien, so ist sehr wahrscheinlich, dass auch in der Folge noch viele muiichftische Elemente unter den Christen dieser Länder vorhanden waren. Da aber bei dem Hasse, mit welchem der Manichäismus ▼erfolgt wurde, die Anhänger desselben alle Ursache hatten, den eigeatlich manichäischen Charakter ihrer Lehre zu verbergen, so te nch sehr glaublich, dass sie ihr eine dem katholischen Christen- Ihni verwandtere Form zu geben suchten. Dazu eignete sich keine Ukn besser, als die der Marcioniten, welche mit dem Manichiis- ms die dualistische Weltansicht theilt, und in ihrem Paulinismus so sehr nur das Interesse des reinen Christenthums im Auge zu haben schien, dass sie die beste Waffe zur Bestreitung des katholischen Christenthums darbot. Wenn es, wie wir aus den Schriften des Bphraem Syrus wissen , im vierten Jahrhundert in der Gegend von Edessa sowohl Marcioniten als Manichäer gab , und in der Diöcese TM Cyrus die Marcioniten im fünften Jahrhundert so verbreitet waren, dass der Bischof Theodoret mehr als zehntausend von der marcionitischen Ketzerei bekehrt haben wollte 0 9 so muss schon damals in jenen Ländern der Manichäismus mit dem Marcionitismus lieh so verschmolzen haben, dass die Unterscheidung beider kein besonderes Interesse mehr hatte. Der Marcionitismus führt von leihst auf den Apostel Paulus, mit welchem der Name der Pauli- cianer unstreitig zusammenhängt, mögen sie ihn sich selbst ge- geben oder von Andern erhalten haben. Es kann nur vom Ursprung

1) Vgl. Petri SicuH bist. Manich., herausgegeben von Gieseler. Göt- tiogen 1846. 8. 26.

2) Theod. Opp. ed. Schulb. T. IV. Ep. 81. 8. 1141. Ep. 145. 8. 1262. Vgl. OiMViJBB, Tbeol. StacUen and Kritiken. 1829. 8. 104 f.

94 Erste Periode. Eriter AbBohnitt

des PauUcianüimus aus dem Manichdismus verstanden werden, wenn erzählt wird , eine Frau aus Samosata , Kallinike, habe zwei Söhne gehabt, Paulus und Johannes, diese habe sie als Herolde des Irr- tums ausgesandty und als sie ihre Irrlehre verbreitet hatten , seien die Manichöer Paulicianer genannt worden. Kallinike ist eben die manichaische Lehre in ihrem Uebergang zur paulicianischen; sie wurde dazu dadurch, dass sich die Manichöer, aus welchen die Pau- Mcianer hervorgingen, vorzugsweise an die Schriften des Apostels Paulus hielten und an die Evangelien, welche der Name des Joban- nes repräsentirt. Ihre vorzügliche Werthschätzung des Aposteb Paulus gibt sich bei ihnen auf verschiedene Weise zu erkenneA. Sie hielten sich nicht nur neben den Evangelien ganz besonders, m die paulinischen Briefe, sondern es nannten sich auch ihre Vorsteher der Reihe nach nach den paulinischen Gehulfen Silvanus, fUmi, Timotheus, Tychikus, und ihre Gemeinden hatten die Namen der paulinischen Gemeinden Korinth, Achaia, Macedonien, Philipp! v. s.w. Wenn sie ferner nicht blos das alte Testament verwarfen, sondern auch im Kanon der neutestamentlichen Schriften sich sehr entschie- den gegen die beiden petrinischen Briefe erklärten, neben weldi^ sie nur die Apokalypse für unkanonisch hielten, so kann auch diess nur aus ihrem Paulinismus erklärt werden. Nach dem Brief an die Galater konnten sie in dem Apostel Petrus nur den Hauptgegner ihres Apostels sehen; ohne Zweifel hatte aber der Hass, welchen sie gegen ihn hegten, auch darin seinen Grund, dass sie ihn als den Hauptträger der katholischen Hierarchie betrachteten. Wie den Marcioniten war auch ihnen alles Hierarchische zuwider; sie woll- ten von Presbytern schon um ihres Namens willen, wegen der Ael- testen als der Feinde Jesu in den Evangelien, nichts wissen, und dem Glaubenszwang der katholischen Hierarchie setzten sie unter Berufung darauf, dass nach dem Willen Gottes alle selig werden und zur Erkenntniss der Wahrheit kommen sollen , das Recht ent- gegen, alles in der Schrift Geschriebene selbst zu lesen, und das Wort Gottes nicht durch Priester sich verfälschen zu lassen. In diesem antihierarchischen, auf die freieren Grundsätze des pauli- nischen Ghristenthums sich stützenden Bewusstsein wollten sie allein, während sie die katholischen Christen schlechthin Römer nannten, die acht katholischen Christen die wahren jpiaricL^ol und ^(OTOTToXlToci sein. Diese evangelische Opposition änderte jedoch

•i

Gnosi-maniolu Seoten. Panlieiftner. 85

iB ihrem aonsligen Charakter nichts. Wie sie prindpiell Doalisten firen, so waren sie es auch in den übrigen Lehren. Sie liessen im Leib vom Demiurg, die Seele von dem guten Gott geschaffen sem, hielten für die Gottesgebarerin nicht die Maria, durch welche Jens mit seinem vom Himmel gebrachten Leib nur wie durch einen Giail hindarchgegangen sei, sondern das obere Jerusalem, wo Jesus ein- und ausgegangen; den Sakramenten gaben sie nur eine geistige Bedeutung und verabscheuten alles , was ihnen im katho- lischen Cnltus einen zu materiellen Charakter zu haben schien. Alles diess ist sowohl gnostisch als manichäisch. Um so bemerkens- mrther ist, dass sie in zwei sonst für so wichtig gehaltenen Punk- ta, in Betreff der Ehe und des Fleischgenusses , die Lebensansicht iet llmrcioniten und Manichder nicht theilten, sondern beides für erimbt hielten, was bei dem Dunkel, das auf dem Ursprung der Sede liegt, sich nicht weiter erklären lasst.

Was ihre äussere Geschichte betrifft, so war der eigentliche

Stifter der Secte unter der Regierung des Kaisers Constantinus

Pogoutos C668 685) der Armenier Constantin , in dem von Mani-

fiUm bewohnten Dorfe Mananalis im Gebiet von Samosata. Unter

den folgenden'Yorstehem machte Sergius mit dem Beinamen Tychi-

loM ÜB Jahr 801 als Reformator Epoche. Nach seinem Tode im

Jahr 835 wurde die Gemeinde nicht mehr wie bisher von Einem

Vorsteher geleitet, sondern von den Schülern und Gehülfen, welche

Sergius als seine mivsx^iipu; (2 Cor. 8, 19. Apg. 19, 29.) zurück-

ictassen. Die Verfolgungen und Niederlagen, welche die Secte

wiederholt erlitt, unterdrückten sie nicht, und als im Jahr 969 ein

IkQ derselben nach Philippopolis in Thracien versetzt worden

nr, öffnete sich ihr dadurch nur der Weg zu ihrer weiteren Ver-

hreitoüg nach Bulgarien und in das Abendland.

Z^nrelter Absehnltt.

Das Dogma.

l Der Charakter der dogmatischen Entwick- lung überhaupt

Das Dogma ist seinem substanziellen Inhalt nach schon vor- lumden, die symbolischen Bestimmungen der grossen Synoden des

S6 Erste Periode. Zweiter AbioliBitt

Tiertea und fanften Jahrfannderls betreffen aUe Hnptartikel dif ehristlichen Gkubens, der in ihnen fnr alle folgenden Zoten muib- inderlich festgestellt worden ist Es kann daher zn dem Dogma ia materieller Hinsicht nichts Wesentliches hinzukommen; wenn -m anch jetzt nodi theologische Streitigkeiten gibt, so snid es doih nicht die grossmi Bewegungen einer nm den Inhalt mid Ansdrwk ihres dogmatischen Bewosstseins erst ringenden Zeit, die in 4m früheren Periode in das gesammte Leben der Kirche so tief eilige griffen haben, sie beziehen sich nur auf untergeordnete Punkte, -aif die Verständigung über Fragen , die in der Hauptsache schon b^ antwortet sind, und bei welchen es sich jetzt nur noch darum hi»« delt, das schon fest stehende Dogma genauer zu bestimmen und weiM zu entwickeln, und gegen Missverstandnisse, einseitige Deutmgin und falsche Folgerungen sicherzustellen. Demungeachtet hal andi diese Periode zur weiteren Ausbildung des Dogma wesentlich bat- getragen; sie war die yermittelnde Uebergangsperiode, die erst Yorangehen musste , um das sich entwickelnde dogmatisdw Be^ wusstsein der Stufe entgegenzufahren, auf welcher es reif gfmi% war, um seinen höheren Aufschwung in der folgenden Periode^B nehmen. Fasst man die einzelnen Punkte in's Auge, von wolahea aus dieser weitere Fortschritt des Dogma geschehen ist, so lassen sich hauptsächlich folgende Momente unterscheiden.

1. Da das Dogma seinen bestimmten, in sich abgeschlossenrti Inhalt hatte, so konnte die dogmatische Thätigkeit yorzugawmiB nur darauf gerichtet sein, das Gegebene festzuhalten, in das äuge?- meine Bewusstsein der Zeit aufzunehmen, und im Radd>liidL isiidHe Vergangenheit, in welcher das Dogma fixirt worden war, 8ick|||i die Auetoritaten anzuschliessen, die die Hauptstützpunkte dar.JEir0lkp^ liehen Tradition waren. Je grösser aber der schon vorhaifdmieSlfiP war, und je mehr er seiner ganzen Beschaffenheit nach nodi )itte Gestalt eines aus verschiedenartigen Elementen bestehenden, zu- fällig entstandenen Aggregats hatte, um so mehr musste man jetzt auch das Bedurfniss fühlen, denselben, wäre es auch nur für den Zweck einer leichteren Uebersicht, in sich zusammenzufassen, nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen und zur Einheit eines zu- sammenhängenden Ganzen zu verbinden, wobei von selbst das Wesentliche von dem minder Wesentlichen sich strenger scheiden, und das Untergeordnete gegen die das Ganze beherrschenden

l

Das Dogma. Joh. t. Damaso. iL Isidor. t. Hispalis. 27

Poikte zuijicktreteii miuiste. In einer Periode, welche in ihrem imen Verlauf sich mehr und mehr dazu anschickte, den kirch- itten Organismus zu einem grossartigen, alles Einzelne in strenger fiaheit verknüpfenden System auszubilden, darf mit Recht auch ichon diess als ein Moment derselben systematisirenden Tendenz betrachtet werden, dass jetzt der Inbegriff der Dogmen in der Form eiaes dogmatischen Systems wenigstens seinem äusserlichsten Um- risse nach aufgestellt wurde. Es geschah diess zuerst in des Jo- kaanea von Damaskus Sx^oa^ axptßi^; Tf;; 6p6oS6^ou TTiorecdc, welche W tiler Unvollkommenheit der Form, wie sie sich in der ungleich- ■inigen Behandlung der einzelnen Lehren, in dem Mangel an Zn- OBDienhang und dem da und dort sehr bunt durcheinander laufen- dea Lnhalt zu erkennen gibt, doch mit Recht als der erste Versuch ma das Ganze umfassenden systematischen Darstellung der christ- liden Glaubenslehren anzusehen ist In der lateinischen Kirche wir schon Isidorus von Hispalis mit einem ähnlichen, aber minder Meatenden Werke vorangegangen, in seinen drei Buchern Sen- teBMa, welche in bestimmten, kurzgefassten, auf der Auetoritat j/torer Lehrer beruhenden Lehrsätzen 0 den ganzen dogmatischen ■d moralischen Inhalt des Christenthums als positive, für das Be- WDSstsein feststehende Wahrheit darlegen sollten. Man sieht aus scddien Werken , wie es jetzt hauptsachlich darum zu thun war, dem aus der Vergangenheit überlieferten dogmatischen Stoff die idner kirchlichen Geltung entsprechende Form zu geben, und so uicheinbar diese ersten Versuche sind, so waren sie doch die Man Anfänge einer systematischen Entwicklung des Dogma, die dwelben Stoff immer wieder aufs Neue verarbeitete und sich von hiiode sn Pariode auf die verschiedenste Weise gestaltete.

2: Wie schon in der vorigen Periode ein dogmatischer Gegen- Mli iwischen der orientalisch-griechischen und der occidentalisch- litemisehen Kirche sich herausstellte , so bildete sich die Eigen- ftfioilichkeit der abendlandischen Dogmatik in demselben Verhältniss weiter aus, in welchem die abendländische Kirche von der morgen- Uodischen sich trennte, und die kirchliche Entwicklung zu den germanischen Völkern fortschritt und auf diesem Boden sich fest-

1) Diess ist unter senteniicie im kirchlichen Sinn zu verstehen. Die Sentenzen Isidor*8 zeigen in den allgemeinen Gnmdzügen schon die Anlage der Kholastischen Werke onter diesem TiteL

88 Erste Periode. Zweiter Abiohnitt

setzte. Dieselbe Richtung, die schon in dem die Iatein||Siche Kirdii in der Trinitätslehre charakterisirenden symbolischen fiKoque «^ gesprochen ist (sofern diese Form den Sohn nicht gegen den Yitftr Eorückstehen lassen will), liegt auch den monotheletischen, adof^ tianischen und prödestinatianischen Streitigkeiten zu Grunde. Es tt das Interesse , das Besondere, Individuelle, das Reale und Wirü^ liehe, und ebendesswegen auch das Menschliche in seinem UntM^ schied vom Göttlichen zu seinem vollen Rechte kommen zu lasaeki und daher auch so viel möglich alles abzuweisen, was die enl^ gegengesetzte Richtung zu einer transcendenten, rein idealen, dto Realität des Gegebenen aufhebenden oder das Menschliche mit dem Göttlichen vermischenden Anschauungsweise nehmen will. DieMr Realismus tritt nicht nur da hervor, wo, wie im monotheletischei Streit, die abendländische Kirche ihre Lehrweise im Gegensali? n der der morgenländischen geltend macht, sondern es lässt Üdi auch daraus allein der Zug erklären , welchen die abendltadisclie Kirche vom Augustinismus immer wieder zum Pelagianismu «üi Semipelagianismus hatte. Die augustinische Lehre von der Sflnde schien dem Menschen auf dem realen Boden seiner menschlichen Existenz gar zu wenig zu lassen , und das Recht der IndivfditalHit und der freien Persönlichkeit zu sehr zu beschränken. Unter den^ selben Gesichtspunkt ist femer die bedeutendste und eigenthönh- lichste Erscheinung zu stellen, welche uns in dieser Periode auf dem dogmatischen Gebiet der abendländischen Kirche begegnet, dM System des Johannes Scotus Erigena. Die platonische TranscendiBAi der Gottesidee , die durch die Vermittlung des Areopagiten DiOBf- sius ihre Bedeutung für die christliche Theologie auch noch imMfl^ telalter behauptet, hat in dem System des Scotus Erigena sieh Ub^ zur äussersten Spitze vollendet. Gott ist nach dieser Lehre w über^ wesentlich, dass man von ihm nur sagen kann, was er nicht ist fit der absoluten Identität Gottes mit sich selbst verschwindet jeder Unterschied , nicht einmal , dass Gott sich selbst weiss und erkemili kann von ihm gesagt werden. Alles Denken, alles Wissen und Er^ kennen ist von der Idee Gottes ausgeschlossen^ Gott ist nur das reine sich selbst gleiche Sein, das in seiner Unendlichkeit und ab^ soluten Beziehungslosigkeit ebenso gut das absolute Nichts ist; da nun aber gleichwohl Gott nur als der absolut Seiende und als die absolute Ursache alles Seins gedacht werden kann , so fasst Scotau

Dftt Bystem des Job. 8oot«s Erigen«.

ttigpu diese Seite seines Systems in dem Begriff der Natur und in fier Formen auf, zu welchen sie sich differenzirt. Diese vier flXarenzen beben sich so in sich selbst auf, dass zuerst nur die tttden Begriffe Schöpfer und Geschöpf bleiben , sodann aber auch tie Schöpfung mit dem Schöpfer zusammenfällt, sofern er allein der wahrhaft Seiende ist, und ausser ihm nichts wahrhaft und wesent- : Kdisein kann, weil alles, was von ihm ist, so weit es ist, nichts nderes ist, als die Theilnahme an seinem Sein, so dass die Gott und iie Creatar in sich begreifende Allheit aus den vier Formen , in wdehe sie sich theilt, zu einem und demselben ungetheilten Princip wird, das der Anfang und das Ende von allem ist Aus diesem eir^en Zirkel des Widerspruchs zwischen Sein und Nichtsein, Ne« gaÜTero und Positivem kommt Scotiis Brigena nur dadurch heraus, ku er der Transcendenz des platonischen Idealismus den realen Begriff des Menschen gegenüberstellt und den Menschen zum eigent^ Uchsn Mittelpunkt seines Systems macht. Er stellt ihn so hoch, dass er m ihm die Einheit alles Geistigen und Sinnlichen erblickt. Alles SicUMre und Unsichtbare ist in ihm geschaffen; er hat wesentlich aus Ummlische Natur, ist Verstand und Vernunft, aber auch die giBze sinnliche Welt ist in ihm geschaffen, und es gibt nichts Kör- periiches sowohl als Unkörperliches , das nicht im Menschen exi- itirte. Er ist ein intellektueller Begriff, der im göttlichen Geist auf eirige Weise existirt, eine intellektuelle und rationelle Natur, wie te Engel, der nach dem Bilde Gottes geschaffene Mensch. Aber fisier Mensch an sich ist durch die Sünde in die Zweiheit von Ihm und Weib zerfallen , und dieser Fall aus der Einheit in die bnSkeii ist ein durch die gtfnze Natur hindurchgehender Biss. Nur iit der Mensch, da er an sich die Einheit aller Gegensätze ist, durch fieSflnde nichts geworden, was er nicht an sich schon war; ehe er Ed, war er in sich schon zerfallen. Was aber vom Fall und der Sünde gilt, gilt auch von dem ihnen Gegenüberstehenden. Auch die leaschwerdung Gottes ist nichts Zeitliches, es gibt keinen Zeit- paikt, in welchem der Sohn Gottes nicht schon Mensch geworden wir. Wie er nach der göttlichen Seite seines Wesens der Inbegriff und das Princip der primordialen Ursachen ist, so kann sich seine Menschwerdung nur auf die Wirkungen der Ursachen beziehen. Er wird Mensch oder steigt aus den Ursachen in die Wirkungen her- ab, um die Wirkungen der Ursachen, die er seiner Gottheit nach

Erste Periode. Zweiter Abeehnitt

ewig und unveränderlich in sich hat , seiner Menschheit nach' iilr- Zusammenhang mit den Ursachen zu erhalten. Er ist also mit Efaieit' Worte die Einheit der Ursachen und Wirkungen. Ist aber AiM nicht auch der Mensch, wenn in ihm die ganze Natur geschaffen ist? Ist er die Einheit und Totalitat aller Dinge, so kann in einem Sy^' Stern, in welchem überhaupt nichts erst wird , sondern alles an sicih in der Immanenz Gottes und der Welt enthalten ist, auch Christus nichts sein , was nicht an sich schon der Mensch wäre , und HHUt kann nur so unterscheiden, dass während in dem Menschen nadü der einen Seite seines Wesens die Ursachen in die Wirkungen het^' absteigen oder Ursachen und Wirkungen in ihren Unterschied Und' Gegensatz auseinandergehen, nach der andern in Christus die Wir-=>' kungen zu den Ursachen aufsteigen, und zur Einheit mit ihnen ver^' knüpft werden. Ausdrücklich sagt Scotus Erigena, dass zwisohM Gott und dem menschlichen Geist nichts Trennendes und Hemmen-^ des ist; auch Christus ist also keine Schranke zwischen Gott «iil dem Menschen, er ist selbst dasselbe, was der Mensch ist, det ideale urbildiiche Mensch. Da aber der Mensch die alles Geistige und Sinnliche, alles Hohe und Niedrige in sich vereinigende intelr lektuelle Natur ist, so kann auch hier die Bedeutung des Menschev nicht blos darin bestehen, dass er die Einheit aller Gegensätze ist, sondern dass sie in ihm auf geistige Weise ist, d. h. eine gewusstOi in das Bewusstsein des Geistes erhobene, sofern er überhaupt wesentlich der wissende, selbstbewusste Geist ist. Das System dteff Scotus Erigena hat daher überhaupt seine höchste Bedeutung darin,'' dass es Crott, als dem abstracten unendlichen Sein, nicht sowohl die' Welt als den Reflex der Idee, sondern den Menschen als die hitel^ lektuelle Natur, als den denkenden und selbstbewus^ten Gei^t gegenüberstellt. So mühsam auch Scotus Erigena ringt , um sich aus den Banden loszureissen, mit welchen die alterthümliche An-* schauungsweise des transcendenten platonischen Idealismus ihn noch umfangen hält, so wenig lässt sich doch in seinem System dei^ Uebergang zu einem ganz andern Standpunkt verkennen , auf wel- chem das Princip der absoluten Betrachtung nicht die objektiv^' Gottesidee ist, sondern das Bewusstsein derselben, oder der Mensch als der wissende, seiner selbst sich bewusste Geist. Das System den Scotus Erigena ist, so betrachtet, eine Hieroglyphe, deren Deutung nach unendlich vielen Vermittlungen erst auf dem Standpunkt dei^'

1

Syst des Beot Erigena. Die Lehr« t. Abendmahl. 31

neiereo Philosophie möglich war, es enthält die Keime einer über Joe Zeiten weit übergreifenden Speculation, deren Voraussetzung ■d Grundlage aber doch der Gegensatz ist, mit welchem die abend* Kadisdie Kirche die Realität des Menschlichen gegen die den Unter- schied des Göttlichen und Menschlichen aufhebende transcendente Uditong der orientalisch-griechischen Kirche geltend machte 0-

3. So sehr es zum Charakter der abendländischen Dogmatik gddrt, die Realität und Selbstständigkeit des Menschlichen dem GSttUdien gegenüber festzuhalten, so geneigt war sie doch* auf der adem Seite, die Schranken immer mehr aufzuheben, die das Na«- tiiMe und Uebernatürliche von einander trennen. Ein weiterer ebnkteristischer Zug der dogmatischen Richtung der Periode ist du immer stärker hervortretende Uebergewicht, mit welchem der lutoiellste Supranaturalismus die rationelle Auffassung des Dogma, so wot sie auch jetzt noch ihre Ansprüche zu behaupten suchte, mackdrangte. Am auffallendsten zeigt sich der Gegensatz dieser Buteagen in den beiden in diese Periode fallenden Streitigkeiten ober die Lehre vom Abendmahl; es kämpft noch die eine Richtung suMer andern; die vernünftige, das Sinnliche und Uebersinnliche, Inhalt und Form, Bild und Idee auseinanderhaltende Ansicht sträubt rieh gegen die, welche über diesen Unterschied völlig hinwegsehen will; aber so überwiegend ist der Drang, das Göttliche, das das Objdrt des religiösen Bewusstseins ist^ in der Unmittelbarkeit der Gegenwart and der sinnlichen Anschauung vor sich zu haben, dass im Transsubstantiations-Dogroa nicht blos des populären Bewusst- um sich bemächtigte, sondern auch theoretisch gerechtfertigt WBrde. Es tritt aber hier nur auf einem bestimmten Punkte klar nd augenscheinlich hervor, was nicht blos im Dogma, sondern wk ui der Entwicklungsgeschichte des christlichen Gultus und der Hierarchie der allgemein herrschende Zug der Zeit war, das Be- itreben, das Göttliche mit aller Macht in das Sinnliche herabzuziehen vi mit demselben so zu identificiren, dass es mit ihm zur Einheit eiser nnd derselben Anschauung zusammengeht. Wie diess im CUtns der Fall ist, zeigt der Bilderstreit, in welchem nicht nur die beiden Richtungen im heftigsten Streit mit einander waren, sondern

1) VgL über Joh. Scotus Eng., meine Lehre von der Dreieinigkeit und ^Unsehwerdiing Gottes Th. II. & 308 £

32 Erste Perlode. Zweiter Abeehniti

auch die in der griechigchen und römischen Kirche unieriiegenda Meinung in einem bedeutenden Theil des Abendlandes sich neok längere Zeit behauptete, bis endlich auch sie dem übermächtige» Materialismus des Bilderdienstes weichen musste. Denselben Gan^ nahm ja aber auch die Hierarchie selbst. Denn was ist die Reali- sirung der Idee des Papstthums in der Form, zu welcher dasselbl) gegen das Ende der Periode übergieng, anders als eine Verkörpe- rung dieser Idee, die nur darauf hinzielte, die göttliche Persönlich*" keit, die man sich als das Haupt der Kirche dachte, auch sichtbar und leiblich an die Spitze der Kirche zu stellen? Auch das Dogma folgt daher in dem materiellen Supranaturalismus, zu welchem wir es ganz besonders in der Abendmahlslehre sich gestalten sehen; nur dem allgemeinen Zuge der Zeit. Doch ist alles, was in dieser Beziehung zur Charakteristik der Periode gehört, noch nichts Fer^ tiges und Geschlossenes, sondern etwas erst Werdendes und sich Fixirendes , und es rechtfertigt sich auch dadurch die obige Be- zeichnung, dass sie im Allgemeinen als Uebergangsperiode zu be- trachten ist

n. Die dogmatischen Streitigkeiten.

1. Der monotheletische und der adoptianische Streit.

Diese beiden Streitigkeiten haben ihr gemeinsames Interesse' darin, dass sich in ihnen auf zwei verschiedenen Punkten der Widef^ Spruch herausstellt, in welchem das symbolisch fixirte Dogma immer'' wieder mit sich selbst kommen musste, so bald man es genauer und schärfer darauf ansah , wie in ihm die allgemeine Aufgabe , um die es sich handelt, gelöst ist Es zeigte sich schon an diesen beiden aufs Neue die Lehre von der Person Christi betreffenden Streitig-^ keiten, wie die Elemente, aus welchen das symbolische Dogma con-' struirt ist, nur äusserlich zusammengebracht, nicht aber innerlich^ ^ in der Einheit eines in dem Innern Zusammenhang seiner Momente '■ sich durch sich selbst bestimmenden Begriffs geeinigt sind. Doch ' dienten auch sie dazu, dem kirchlichen System, in dessen Entwich^ Inng die Periode begriffen ist, die Idee seiner Aufgabe zum klare- ren Bewusstsein zu bringen, und dasselbe in dem Vorsatz zu be- festigen, Folgerungen und Behauptungen, deren Widerspruch man nicht lösen kann, wenigstens durch Machtsprüche niederzuschlagen.

t>crr monotbeletisohe Streit 3S

Den nächsten Anlass zur Entstehang des monotheletischen ätreiCes gab die Politik: der Plan, welchen der byzantinische Kaiser I Umiklius in Verbindung mit dem PatHafchen Sergius von Constan«- ; tinopel hatte, die Monophysiten durch die Concession einer nenen, ihrer Einheitsidee entsprechenden Formel zur Vereinigung mit der katholischen Staatskirche geneigter zu machen. Kaum war aber ein solcher Einigungsversuch in Alexandrien im Jahr 630 zu Stande gekommen, so rief die dadurch in Bewegung gekommene Frage iber die Einheit oder Zweiheit des Woliens und Wirkens in Chri- fba einen neuen Streit hervor, welchem sowohl das Einverständ- nis der drei Patriarchen von Constantinopel, Alexandrien und Rom, ab auch die das strengste Stillschweigen über die Einheit und Zweiheit gebietenden Glaubensedikte der Kaiser Heraklius und Con- staus IL im Jahr 638 und 648 (die Ekthesis und der Typus) ver- geblich zu begegnen suchten. In der griechischen Kirche waren fie eifrigsten Verfechter der Lehre von der Zweiheit des Willens imd der Wirkungen in Christus die beiden Mönche Sophronius und Maiimos, der erstere besonders seitdem er im Jahr 634 Patriarch yoB Jerusalem geworden war. Das Hauptgewicht der Entscheidung lig aber auch hier wieder in der römischen Kirche, in welcher schon nach dem Tode des noch mit Sergius einverstandenen römi- schen Bischofs Honorius die Lehre von der Zweiheit des Willens ZOT orthodoxen wurde. Nachdem der römische Bischof Martinus ior seinen Widerspruch und seine Verdammung der kaiserlichen Ghnbensedikte mit dem Märtyrerthum gebüsst hatte, gelang es dem roaischen Bischof Agathe auf der zur Herstellung der Kirchenge- aemschaft zwischen Constantinopel und Rom im Jahr 680 zu Con- stiatinopel gehaltenen ökumenischen Synode durch seine Abgeord- aeten sich dieselbe gebietende Stellung zu geben , wie einst sein Torgänger Leo I. auf der Synode zu Chalcedon. Ueber alle Mono- theleten wurde das Anathema auf der Synode ausgesprochen und vk denselben Bestimmungen , wie zu Chalcedon zur Zweiheit der Kttoren, bekannte man sich jetzt zur Zweiheit der Willen, so je- <(oeh, dass die zwei natürlichen Willen nie im Widerstreit sind, sondern der menschliche dem allmächtigen göttlichen sich unter- ordnet. Unstreitig konnte auf dem Grunde des chalcedonensischen Dogma die neue Streitfrage nicht anders entschieden werden , und die römische Kirche machte demnach auch hier nur dasselbe In- fi aar, K.G. d. Mittelalten. 3

34 Erste Periode. Zweiter AbtchnitL

Xeresse für die reale Bedeatang des Uenschlicben in seinem Unter«- schied vom Göttlichen geltend, das schon Leo als die maassgebende Norm der abendländischen Dogmatik angesehen wissen woUtiu Zwar wollten aach die Monotheleten nicht 6ber das Symbol Yop Chaicedon hinausgehen, auch sie bekannten sich zur Zweiheil der Naturen^ nur war sie nicht der HauptbegriiF, an welchen sie sidi hielten, sondern vielmehr das die Naturen zur Einheit verknüpfend^, persönliche Subject, indem sie sich darauf beriefen, dass Ein Sab-. ject auch nur Einen Willen haben kann. Allein wenn nun auf dieio. Weise beides zugleich sein sollte, sowohl die Zweiheit als die Ein» heit, so war der Streit nur die völlige Wiederholung des alten, die Frage war auch jetzt, ob die Zweiheit, wenn auch an sich Vorhang den, nicht sosehr nur ein verschwindendes Moment ist, dass sie ohne alle concreto Realität ist, dass somit in der Wirklichkeit ebenso wenig von zwei natürlichen Willen die Rede sein kann, als die Mo-: nophysiten von zwei Naturen gesprochen wissen wollten, weflin der Wirklichkeit die eine ganz in der andern aufgegangeil ist Wenn man^ wie früher gegen die Monophysiten die Zweiheil der Naturen, so jetzt gegen die Monotheleten die Zweiheit des WOleiia behauptete, so war der Hauptgrund, auf welchen man sich stälzl0| dass, wenn einmal in Christus an sich eine Zweiheit zu unter-, scheiden sei, dieselbe auch in der Wirklichkeit existiren müsse, dass sie weder durch die Einheit der Person aufgehoben, noch durch Vermischung etwas Anderes aus ihr entstanden sein könna Man konnte mit allem Rechte sagen, die beiden an sich verschier, denen Willen können ebenso wenig in Einen Willen zusammep^ gehen, als das Geschaffene und Ungeschatrene, das Endliche und. Unendliche, das Bestimmte und Unbestimmte, das Sterbliche und Unsterbliche eine natürliche Einheit bilden können. Was wurde aber dadurch für die Sache selbst gewonnen? Kann schon die menschliche Natur neben der göttlichen in der Einheit der Person, zu keiner concreten Realität, zu keinem wahrhaft menschlichei]^ Dasein gelangen, so kann diess noch weit weniger bei dem mensch-, liehen Willen der Fall sein. Ja, es ist aus dieser neuen Streitfrage, in welcher, wie früher das Wissen, so jetzt das Wollen als der höchste Begriff aufgefasst ist, an welchem das Verhältniss des Gött- lichen und Menschlichen bestimmt werden soll, nur zu sehen, wie das allgemeine Problem der orthodoxen Lehre von der Person Christi

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Der monotheletiflche Streit 35

zamer Frage sich schärft, auf welche schlechthin keine Antwort mehr m geben ist. Ist der Wille als das Vermögen der Selbstbe- lÜBraiiing das Princip, das den Menschen zu einem für sich seien- bm freien vernünftigen Subject macht, so war die eigentliche Frage, UD die es sich handelte, wie zwei wahre und wirkliche Subjecte t nur Emheit eines und desselben Subjects zusammengehen können? Wie diess an sich unmöglich ist, so blieb auch den Gegnern der loaotheleten als Antwort auf die diese Frage betreffenden Arga- li neote nur die Behauptung übrig, dass zwei Willen nicht zwei wollende Subjecte voraussetzen. Es sollte also ungeachtet der Zvoheit des Willens doch nur Ein wollendes Subject sein , wer Inders aber konnte dieses Eine wollende, in der Dualität des Wil-> tau schlechthin mit sich identische Subject sein, als eben nur der die Persönlichkeit (Christi constituirende göttliche Wille, neben weldiem der nie zur Actualität kommende menschliche Wille nur emiobject- und willenloser Wille sein konnte? Wie zu Chalcedon ^Ml demnach auch hier der Streit keine reelle Differenz wesent- lich verschiedener Meinungen, man stritt nur um leere Begriffe Bod Messe Worte, beide Parteien behaupteten im Grunde dasselbe Bfld ans der Behauptung der einen wie der andern ergab sich die- selbe C!onsequenz einer menschlichen Natur, die keine wahre und wirkliche, sondern eine blos scheinbare war. Die Lehre der Mo- Botheleten gieng, da sie in dem Einen Willen das menschlich Na- ttriidie nicht durch den natürlichen menschlichen Willen vermittelt werden liessen, von selbst in die Ansicht der Monophysiten über, mA welcher das Menschliche in Christus nichts Natürliches, son- dern etwas rein Willkürliches sein sollte. Durch dieselbe Behaup- tng hoben aber auch ihre Gegner, die Dyotheleten, die Realität der menschlichen Natur auf. Wenn auch Christus, lehrte z. B. So- phrados, der menschlichen Natur Zeit liess, das Ihrige zu wirken md zu leiden, damit seine Menschheit nicht für ein blosses Schein- Ud gehalten würde, so war doch alles, was er that und litt, nur 6lwi8 freiwillig Uebernommenes, worüber er ganz nach seiner ei- geien freien Willkür verfügte. Sein Menschliches war also immer zugleich ein Uebermenschliches, ebendarum aber auch kein wahr- ludt Menschliches.

Das Hauptmoment des Streits kann demnach nur darin erkannt werden, dass an dem neuen Streitpunkt, zu welchem man durch

36 tvsiit Period«. Zweiter Abschnitt.

die Co^ioeqnenz det Sache selbst fortgetrieben wurde, dieUnlösbar- keit der ganzen Aufgabe sich um so klarer und evidenter heraus- stellte, der innere Widerspruch, in welchen das Dogma mit sich selbst verwickelt war, wenn es Begriffe vereinigen wollte, die an sich un- vereinbar waren. Man hatte jetzt nicht blos eine Zweiheit der Naturen, sondern auch eine Zweiheit der Willen, aber nur Ein wollendes Sob- ject, dessen Willensbestimmungen zwar auch die Form des mensch- lichen WoUens und Wirkens hatten, in dem man aber den mensch- lichen Willen nur zu einem selbstlosen Accidens des freien Sub- jekts machte , das in der Einheit der Person nur der göttliche Wille sein konnte. Wenn man also auch die Realität der menschlichen Natur festhalten wollte, so war sie doch ein blosser Name ohne reale Be^ deutung und die beiden Momente der Einheit und der Zweiheit stan- den auch jetzt völlig unvermittelt neben einander. Es war nur con- sequent, wenn jetzt zu den Bestimmungen der orthodoxen Lehre von der Person Christi ausdrücklich auch der zuerst von Johannes von Damaskus in dieser bestimmten Form aufgestellte Satz gehörte, dass die menschliche Natur nur in der Einheit mit der göttlichen hypostatisch existire, somit keine eigene Hypostase habe 0*

Auch der Adoptianismus brachte eine Frage zur Sprache^ auf welche man nicht eingehen konnte, ohne dass man in Gefahr kain, an der orthodoxen Lehre selbst irre zu werden. Es handelte sich auch hier wieder um die Einheit und Zweiheit, um die Frage, ob Christus in demselben Sinne als Mensch der Sohn Gottes sei, in welchem er es als Gott ist, d. h. ob der Begriff Christi als des Got- tessohnes nach der Zweiheit seiner Naturen oder nach der Einheit seiner Person zu bestimmen sei. Aus welcher Veranlassung Eli- pandns, der Erzbischof von Toledo, und Felix, der Biscliof von Urgella, diese Frage äufwarfen, und welcher von beiden der ei- gentliche Urheber derselben war, ist nicht näher bekannt; in jedem Falle wurde Felix, da er zu Karls des Gr. Reich gehörte, und <Ue entstandene Bewegung bedeutend genug war, um über die neue Irrlehre im Jahr 792 in Regensburg und im Jahr 794 in Frankfurt das Verdammungsurthcil auszusprechen, die Hauptperson des Streits und der Hauptverfechter dieser Lehre, deren treuer Anhänger er auch, nachdem er sie wiederholt widerrufen hatte, bis zu seinem

1) Vgl Lehre von der Dreieinigkeit u. s. w. Thl. 2. 8. 96 f. 188 f.

Der adoptianischo Streit ST

Ende hn Jabr 818 blieb. Das Hauptargument der Adoptianer war: Da Christos als Gott Sohn Gottes im wahrsten und eigentlichsten Sinne ist, als der natürliche, aus dem Wesen des Vaters erzeugte Sohn, so kann er, wenn er auch als Mensch Sohn Gottes sein soll, es nicht von Natur sein, sondern, wie man von dem natürlichen Sohn den Adoptivsohn unterscheidet, nur durch Adoption. Diesen Satz suchten die Adoptianer auf verschiedene Weise, besonders dorch Stellen der Schrift, in welcher, wenn auch nicht der Aus^ druck Adoption, doch die Sache selbst deutlich enthalten sei, zu begründen, der Hauptgrund aber war in letzter Beziehung der ein- fache, sich von selbst verstehende Satz, dass aus dem Wesen Got^ tes nichts Menschliches, keine fleischliche Natur, wie die mensch« liehe , hervorgehen könne. Von Natur ist also Christus nicht Sohn Gottes, er ist vielmehr als Mensch ein geborner Knecht Gottes, wie alle Menschen von Natur Knechte sind. Da er aber gleichwohl auch als Mensch Sohn Gottes ist, so kann er es blos dadurch geworden sein, dass er von Gott durch einen besonderen Act zum Sohn Getu- tes angenommen wurde. Der Zeitpunkt, in welchem diess gesche«- ben sein sollte^ ist etwas zweifelhaft. Wahrscheinlich Hessen jedoch die Adoptianer, wenn sie auch bei dem Menschen Jesus schon von Empfangniss und Geburt an ein eigenthümliches Verhältniss zum Sohn Gottes annehmen mussten, den eigentlichen Act der Adoption erst bei der Taufe Jesu geschehen. Damals erst trat der Mensch Jesus aus dem Verhältniss des Knechts in das des Sohnes ein, und die Taufe selbst war zugleich Vorbild der Auferstehung, dorch welche erst das Adoptionsverhältniss seine Vollendung erhielt. Was also Christas nicht dorch Zeogong von Nator war ond sein konnte, sollte er durch Adoption oder durch Gnade geworden sein. Adoption ist Sache der Wahl, des Wohlgefallens, der freien Annahme oder der Gnade. Der Gegensatz von Natur ond Gnade ist der Gesichtspunkt, unter welchen die Adoptianer das hier in Frage stehende Verhalt- lUM stellten. Da nun aber, was nicht von Nator ist, nichts Natur- liebes, sondern nor etwas erst Uebertragenes, in der blossen Vor- steilnng oder dem Namen nach Vorhandenes ist, so ist die göttliche Würde, welche Christus als Mensch hat, eine blos nominelle, oder er ist, wie die Adoptianer sagten, nor nuncupatite Dens, Dass die Gegner der Adoptianer in einer solchen aof dem Gegensatz von Natur ond Gnade bcrohcnden Unterscheidung' eines doppelten Got-

3C i'-T*it Pi:rir.d«. Zweiter Absclin itl.

die Cb..av*qnenz der Sache selbst fortgetrieben wurde, dieUnli keil der ganzen Aufgabe sich um so klarer und evidenter ht stellte, der innere Widerspruch, in welcbi-n das Dugma mit sich verwickelt war, wenn es BegrilTe vereinigen wollte, die an sit vereinbar waren. Man hatte jetzt nicht bloR oine Zweiheit der Na sondern auch eine Zweiheil der Willen, aber nur Ein woltendei ject, dessen Willensbesliminungen zwar aiirh die Funn des me liehen Wollens und Wirkens hatten, in dem man aber den mi liehen Willen nur zu einem selbsllosen Accidens des freien jekts machte, das in der Einheil der Person nur der göttliche sein konnte. Wenn man also auch die Realilät der menschlichen festhalten wollte, so war sie doch ein blosser Xame ohne real deulung und die beiden Momente der EinhL'il und der Zweiheil den auch jetzt völlig unvermitlelt neben einaniler. Es war nn; sequent, wenn jetzt zu den Bestimmungen der orthodoxei. von der Person Christi ausdrücklich auch der zuerst von M von Damaskus in dieser bestimmten Form aufgeslcllte Salz gl dass die menschliche Natur nur in der Einheit mit der göH hypostatisch existire, somit keine eigene Hypostase habe*)- Auch der Adoptianismus brachte eine Frage zur Sf auf welche man nicht eingehen konnte, ohne dass man in kam, an der orthodoxen Lehre selbst irre zu werden. Es t sich auch hier wieder um die Einheit und Zweiheit, um dii ob Chrislns in demselben Sinne als Mensch der Sohn Gotle' welchem er es als Gott ist, d, b. ob der Begriff Christi als tesBohnes nach der Zweiheit seiner Katuren oder nach di seiner Person zu bestimmen sei. Aus welcher Veranlai pandus, der Erzbischof von Toledo, und Felix, der B Urgella, diese Frage aufwarfen, und welcher von bei gentlicha Urheber derselben war, ist nicht näher belur Falle wurde Felix, da er zu Karls des Gr. Reich geftk entstandene Bewegung bedeutend genug war, um Irrlehre im Jahr 792 in Begensborg und im Jahr t das Verdammungsnrtheil auszusprechen, die Haup^v and der Haaptverfechter dieser Lehre, deren tv« auch, nachdem er sie wiederholt widerrufen hfl

1) Vgl Uhre

88 Erste Periode. Zweiter Abschnitt

tessohHS, eines wahren und wirklichen und eines blos aogenoainr menen, die Irrlehre des Nestorianismus sahen, lasst sich voratl nicht anders erwarten: aber was war denn das eigentlich Nestoriftf ^ nische der adoptianischen Lehre? mussten denn nicht auch ihraM^ . thodoxen Gegner zugeben, dass Christus als Mensch nicht in dem k selben Sinne Sohn Gottes sein kann, in welchem er es als GoR ii| ^ dass zwischen Natur und Gnade ein absoluter Gegensatz ist, softil ^ man, was man von Natur nicht ist, auch durch die Gnade nie weid^l kann, indem ja das erst durch die Gnade gesetzte Verhältnisf «4lrl nigstens einen ganz andern Charakter an sich trägt, als das reii natürliche Sein? Den rationellen Satz, auf welchen alles diess fiih rflckführt, dass die Natur ewig Natur bleibt, dass man das, i man einimal von Natur ist, auf absolute Weise ist, konnten freili«! i auch die Gegner nicht bestreiten, aber sie setzten dem Begriff der * Natur die Allmacht ihres Wunderbegriffs entgegen. Sehen wir ¥ti|i ] allen jenen leeren und nichtssagenden Argumenten ab, durch welcfte ' man die Adoptianer zu widerlegen suchte, so lag die eigenffiche Antwort nur in der von Alkuin offen ausgesprochenen Behauptmili dass für den Schöpfer der Naturen nichts unmöglich sei, daaa ef aus jeder Natur machen könne, was er wolle, dass er somit aus deü Fleische der Jungfrau einen eigenen Sohn sich habe erzeugen kön^ nen. Was ist hiemit anders gesagt, als eben nur diess, dass der aus dem Fleisch Erzeugte identisch ist mit dem aus dem Wese» Gottes Erzeugten, dass somit in der Allmacht Gottes auch der Ihtf terschied von Geist und Fleisch aufgehoben ist? Hiemit wird dif absolute Forderung gemacht, was die Kirche lehrt, schlechthin f&r wahr zu halten, und jede Frage nach dem Wie durch die AU^ machtswunder, auf welche die Kirche ihren Glauben gründet, von Yom herein als abgeschnitten zu betrachten. Ist demnach nach der Lehre der Kirche Christus der Sohn Gottes, so muss man auch an** nehmen, dass er es auf absolute Weise ist, man darf nicht fragen, wie er es ist, ob er es als Mensch in demselben Sinne sein kanuy in welchem er es als Gott ist. Geschieht es aber gleichwohl, dasi solche die Glaubenssätze der Kirchenlehre analysirende Fragen ge- macht werden, so muss man auch zugeben, dass die Frage, wie Christus als Mensch der Sohn Gottes ist, nur im Sinne der Adop- tianer beantwortet werden kann. Da jedoch die Kirche weder die von den Adoptianern gegebene Antwort anerkennen, noch auf die

Der adoptian. u. d. prttdestinatian. Streit 30

im Anen aufgeworfene Frage eine andere Antwort geben kann, m Ueibt nur übrig, es überhaupt zu keiner Frage dieser Art kom- «en zu lassen, den fragenden Verstand durch den Glauben zum Schweigen zu bringen, oder ihn höchstens durch Distinctionen zu beruhigen, wie die^ dass das Menschliche in der Person Christi nur Natur, nicht Person sei, weil ja sonst eine Dualität von Personen entstände, in jedem Fall aber in letzter Beziehung, was man durch Gründe nicht widerlegen kann, durch die Machtsprüche der Kirche riederzuschlagen 0-

2. Der pradestinatianische Streit *3* Wir kommen mit demselben auf den eigentlichen Boden der abendländischen Dogmatik, in das von der Lehre Augustins und

1) Vgl. Lehre von der Dreieinigkeit u. 8. w. Tbl. B. 129* Lehrb. 4k Dogmengesch. 2. A. S. 212. Zu einer andern Auffassung des Adoptia- limis kann man sich auch durch A. Helfferich, welcher in der Schrift: wcstgothische Arianismns und die spanische Ketzer -Geschichte, 3erlin ]8S0^ das Ketzerische des Adoptianismus für einen yernehmliiehen Nachklang fa westgothischen Arianismus erkl&rt (8. 91) , nicht wohl veranlasst sehen. Mx Temehmlich ist dieser Nachklang nicht, und wenn die spanischen Adoptianer, wie Helfferich selbst den einfachen Gang der Sache sich denkt, twar annahmen, der Mensch gewordene Sohn Gottes sei als gewöhnlicher Mnsch geboren und hinterher adoptirt worden, zugleich aber die drei Per- MMn der Gottheit in der Herrlichkeit ihres über- und ausserweltlichen Da- ins beharren Hessen, so ist diess nicht arianisoh, sondern die gewöhnliche a&odoxo Trinitätslehre , von welcher Elipandus und Felix ebenso gut aus- fiagen als ihre Gegner. £s möchte daher doch zu viel gesagt sein, wenn khanptot wird, man lege au die damaligen kirchlichen und wissenschaft- fiehen Zustände Spaniens einen völlig unbercclitigten Maasstab an, wenn at& nicht von vornherein auf alle gelehrten Klilgelcien verzichte, woftir daem Elipandus und Genossen es an den nothwendigsten Organen und HUfjBmitteln gemangelt habe. Zur Berichtigung dient dagegen die literarische liehweisung, dass in der mozarabischen Liturgie (dem von dem Pater Udev herausgegebenen Missale mixtum dictum mozarabes, Romae 1755) der Andruck cidoptio sich nicht findet, wohl aber in den Handschriften von lliledo, an welchen sich eine gänzliche Umgestaltung und Umarbeitung des ihesten Textes vor Augen stelle. A. a. O. S. 99.

2) Vgl. G. Maitouin Veternm auctorum, qui sacc. IX de praedestinatione et gratia scripserunt, opcra. Par. 1650. 2 Vol. Wiooers, Schicksale der ingustiniBchcn Anthropologie von der Verdammung des Semipelagianismus Inf den Synoden zu Orange und Valenco 529 bis zur Rcaction des Mönchs Qottschalk für den Augustinismus, in Nicdncr's Zeitsclir. für bist. Thcol.

40 Erste Periode. Zweiter Abicbnitt

noch mehr von der hohen Auctorität seines Namens beherrschte Gebiet, und doch ist auch hier wieder die Einheit auf der einen uM die Zweiheit auf der andern Seite das Losungswort des Streibi; man streitet über die Frage, ob es Eine Prädestination gibt, oder eine zweifache. Dem Wortlaut nach sollte man auch hier glauben^ es handle sich um eine sehr weitgreifende Differenz, der Sackf nach aber verhalt es sich auch hier anders. Da bei allen dieMI Streitfragen das orthodoxe Dogma vorausgesetzt und die Wahrfa^ desselben von keiner der beiden streitenden Parteien in Zweife) gezogen wird, so ist der Spielraum, innerhalb dessen der Streit sieh bewegt, voraus schon sehr eng abgegrenzt, und das Moment des^ selben nicht sehr bedeutend. Welcher grosse Unterschied ist ei, ob man zu Einem Willen Christi sich bekennt, oder zu zwei, M Einem Gottessohn, oder einem doppelten, einem göttlichen und menschlichen, wenn in jedem Fall das Dogma von der Einheit der Person und der Zweiheit der Naturen feststeht? Dasselbe gilt von der neuen Streitfrage. Steht man durchaus auf dem Grande der augustinischen Lehre von der Prädestination , was hat es auf sich, ob man von Einer Prädestination spricht, oder einer doppel-^ ten? Gleichwohl ist es auf dem Standpunkt der allgemeinen Be-^ trachtung nicht ohne Bedeutung , dass wenigstens so weit noch die Möglichkeit einer nach verschiedenen Seiten gehenden Bewegung bleibt.

In dem sächsischen Mönch Gottschalk, welcher nach eine«i nicht blos für seine äussern Verhältnisse, sondern, wie es scheint|. auch für seinen Charakter sehr bestimmenden Lebensgang zuerst im Jahr 847 in seiner Bedeutung für die Geschichte der Prädesti- nationslehre auftrat, macht sich auf einmal der Augustinismus mit neuer Energie in seiner ganzen Strenge geltend. Was die Persön- lichkeit Gottschalks auszeichnet, ist die innige Uebereinstimmung seines Charakters und seiner Lehre. Wie er das harte, von der' Inhumanität seiner Feinde und seiner Zeit zeugende Schicksal, das ihn um seiner Lehre willen traf^ bis an sein Ende ungebeugt trug- und lieber ohne die Aussöhnung mit der Kirche starb, als dass er sich zu einem Widerruf und einer Aenderung seiner Ansicht hätte

1859. S. 471. Weizsäcker, das Dogma von der göttlichen Vorherbestim- mnog im neunten Jahrhundert, in den Jahrb. für deutsche Theol. 1859. S, 627.

Der prttdestinatian. Streit. Gottschalk. 41

betrafen lassen^ so war das Unveränderliche nicht Mos das Object ääes WoUens, sondern auch seines Denkens, der Grundgedanke, in ira/chem er lebte. Unveranderlichkeit ist das absolute Wesen Got- tei. Daraus folgt unmittelbar, dass was Gott in Ansehung der Gu- ten und Bösen thut und zu thun beschlossen hat, sein ewiger un- tUaderiicher Rathschluss ist Was von den Guten gilt, muss ebenso oto noch mehr auch Ton den Bösen gelten 0* Ware es, sagt Gottsehalk, absolut besser gewesen, dass niemand selig wird, I oto auch nur geschaffen worden ist, wenn diess nicht hätte ge- idMben können^ ohne dass eine Veränderung in Gott stattfand, so IM sich noch weit weniger denken, dass er um der Gefässe sei- Ml Zorns willen sich ändert. In der absoluten Unveränderlichkeil Gottes hat daher beides auf gleiche Weise seinen Grund, was Gott den Guten und was er den Bösen prädestinirt, und Gottschalk trägt Uer auch kein Bedenken, mit Anhängern Augustins, wie nament- lek der Bischof Fulgentius von Ruspe und der Bischof Isidor von SenUi waren, schlechthin von einer doppelten Prädestination zu rden, der Erwählten zum Leben und der Verworfenen zum Tode '). Vff aber ist an den Bösen Gegenstand der göttlichen Prädestina- tioB, ist es nur die Strafe für das Böse, oder auch das Böse selbst? Ke Gegner Gottschalks, Rabanus und Hinkmar, haben ihm schuldge- geben, er lehre, Gott habe die Bösen zum Bösesthun prädestinirt; es it jedoch schon von dem Erzbischof Remigius von Lyon in seiner leuitwortung der drei Briefe die Unrichtigkeit dieser Behauptung kserkt und als eine Verröckung der Streitfrage gerügt worden, h ?on keinem der Jetztzeit eine solche Blasphemie bekannt sei,

1) JSicut Deu8 incommutabiliSf sagt Gottschalk in seinem zu Mainz über- gebenen Glaubensbekenntniss (bei Mauguin 1. S. 6), arUe mundi constiiutionem tmes electos suoa incommutabiliter per gratuitam suam gratiam jpraedestina-. ^ ad intam ctetemanif aimiliter omnino omnea reprobos, qui in die judicii immabuntur propter ipsorwn mala merita , idem ipse incommtUabilis Deui ftr jvLstum Judicium suum incommutabiliter praedestinavit ad mortem merito la^iiemam.

2) Praedestinaiio gemina, in electos videlicet et reproboa bipartitay cum <t( una, licet sit dupla. Mauo. 1. S. 17. Isidor von Sevilla sprach zwar Sent 2, 6 von einer gemina praedestinatio ^ er Hess aber, wie Gregor, wel- chem er vorzugsweise folgt, die auf Präscienz sich gründende Präedestina- tion durch das sittliche Verhalten des Menschen bedingt sein. Vgl. Wic;- 6EBS in Niedncr's Zeitficbr. für bist. Theol. 18üj. b. 312 f. 321.

4S Erste Periode, Zweiter Abschnitt.

sondern die Frage sei nur, ob Gott diejenigen ^ von welchmi e^ voraus wusste, dass sie durch ihre eigene Schuld böse und gotlhk sein und in ihrer Gottlosigkeit bis zum Tode beharren werden, JBtt ewigen Strafe prädestinirt habe 0- Auch Gottschalk kann demnaA keine Prädestination zum Bösen gelehrt haben, und er selbst spricfll auch immer nur von einer Prädestination zum Tode, nur ist irfoll klar, wie er der Prädestination zum Bösen als einer Conseqnett seiner Lehre ausweichen konnte, da er zwischen Vorauswissen «il Vorherbestimmen so wenig unterschieden wissen wollte, dass Gol| wenn er die Handlungen der Bösen voraus wusste^ sie ebendefl#* wegen nothwendig auch vorherbestimmt haben muss. Es lasst sksl darüber um so weniger etwas sagen, da Gottschalk in den noA vorhandenen Urkunden seiner Lehre auch nie auf die Sünde AdaM zurückgeht und von den Werken der Bösen immer nur so sprioMi wie wenn sie einzig nur ihrer eigenen Selbstthätigkeit zuzuschrei- ben wären ^. * *

1) De tribas ep. c. 41. Mauo. 2. S. 136.

2) Gottschalk sagt zwar, worauf sich Neander beruft, K.G. IV. 8. 418|^ im Eingang seiner grossem Confession: Credo siquidem ac confiteor^ prMh sdsse te ante secuta', quctecunque erant fwtura eive bona sive mala^ JP**^*^ deatinaase vero tantummodo bona. Allein er verwh'ft im Folgenden so 1^ stimmt jede Unterscheidung von Fräscicnz und Prädestination, dass mai die Stelle nur so verstehen kann : wenn man auch an sich in BeziehiUii|p auf den Begriff der Präscienz zwischen dem Guten und Bösen unterscheid«!! könnte, so könne doch der Begriff der mit der Prüscicnz identischen Präde- stination nur auf Gutes gehen. Die bona praedestinata sind bifariam grOß' tiae beneficia et Juatitiae aimtU Jttdicia, PrHscienz und Prädestination sind ihlli schlechthin identisch. Äbait ergo , ut inter ^praeadentiam et praedeatinatuh nem operum tuorum ullum vel momenii guüibet Catkolicorum tuorum auapU eetur intervallum ßdaae , dum omnia quae voluiati te legit vel audit credUqu4 wnul feciaae, A. a. O. Ö. 10. Er spricht hier zwar nur von den Werken Gottes, wenn aber, wie er zuvor sagt, praeacire so viel ist als velle, so amss, wie es scheint, beides auch vom Bösen gelten. Die Hauptsache ist ihm freilich nur, was Gott in Beziehung auf das Böse thut, wie kann aber Gott etwas über das Böse beschliessen, wenn er es nicht voraus weiss, und aht Torauswissend auch will? Es bleibt also hier eine Lücke in unserer Kennt- niss seiner Lehre. Ueber seinen Begriff von Prädestination vgl. man S. 20: Quodai animaa reproborum, quae ab eorum prww videlicet Cain ad uaque navis» simum ante dlem dumtaxat judicii moriturum de propsrUa corporibua extraetuf^ <8umt, aine coaetema tibi praedeatinatione iua destinaaiiy poatniodum et qttotidie •deatinaa et destinabis (quotiea videlicet cumqv^ mortui auait, moriuntur aive mo-

I

Der prAdettinatianitohe Streit 48

Is musste den Zeitgenossen erst wieder znm Bewusstsein frincht werden, dass diese Lehre wesentlich keine andere als aogustinische war. Rabanas nnd Hinkmar wenigstens Hessen iA in dem Eifer des Widerspruchs gegen Gottschalk nnd seine Mre soweit fortreissen, dass man daraus nur schliessen kann, wie fremd diesen beiden Erzbischöfen der augustinische Begriff der Pridestination geworden war. Es ist gegen den Begriff der hidestination überhaupt gerichtet, wenn Rabanus in seinem Bcfareiben an den Bischof Notting von Verona, von welchem er lA Gottschalks Lehre bekannt gemacht worden war, es für einen bfdiam erklarte, welchen er in einer eigenen Schrift zn wider* kgen beabsichtigte, dass man glaube, die Prädestination mache a, dass weder ein zum Leben pradestinirter Mensch dem Tode nheimfallen, noch ein zum Tode pradestinirter zum Leben gelan- ge könne, da Gott der Urheber aller Dinge und der Schöpfer der Hitaren keinem die Ursache des Falls und Untergangs, wohl aber nfüen die Quelle des Heils sei. Wenn er auch von einer Prädesti-

f) in tormenta $iH debita meritoque prornu dispoiüa: non aolum mutti' Mfir et Ofnle secula^ 8ed etiam mutatus es ereberrimU vidbusy immo in- wmeri» vicissitudinibua etc, propter aolos videUcet fiUoa gehennae. Daher Uttet er, dass man endlich einsehe, qucde €lc quantum malum de te incom- fnMiK Domino Deo nortro in ecclesia tua longe atque mendaciter et exi- Mer palam pmedicoverint ete, Ist schon diess eine VerAndernng in Gott, iNttiCtott das definitiv heschliesst und vollzieht, was, solange die Bedingung, atfe es geknüpft ist, nooh nicht stattfand, nur bedingt beschlossen sein konnte, ib steht es mit dem Fall Adams? Warum nennt Gottschalk in der an- fefiflirten Stelle nur Kain nicht Adam? Offenbar weil er nicht den Fall Adams, sondern nur die Verdammung Kains als eine unter den Begriff der hidestination gehörende Handlung Gottes betrachtete. £s handelt sich dabei tti das Yerhftltniss der beiden Begriffe Präscienz und Prädestination , Gott- Kkalk fasst aber dieses Verhältniss einseitig auf. Alles was Gott thut, thut er Ton Ewigkeit, es gibt daher auch kein Vorauswissen Gottes, in welchem itm Wissen nicht auch schon sein Thun wäre. Manifestum est procul dubiOf fdoquid foroA futurum est in opere, jam factum esse a te in praedestina>tione 11,0. S. 10. Vom Begriffe des Thuns aus ergibt sich so die Identität von Wissen und Thun. Sind aber in Gott Wissen und Thun identisch, so gibt tt überhaupt kein Wissen in Gott, in welchem er nicht das, was er weiss, >Qch will und thut, oder prädestinirt. Dass nun unter diesen Begriff der Identität von Präscienz und Prädestination nicht blos das was Gott unmit- telbar thut, sondern auch die Handlungen der Menschen fallen, scheint Gott- ichalk ganz ignorirt zu haben.

44 Erste Periüdo, Zweiter Abschnitt.

nation zum Leben sprach, so verband er doch damit keineswegs den augustinischen Begriff der Erwahlung, sondern man 8qUII| * wie er in seinem Schreiben an den Graren Eberhard von Fritil a sagte, die Prädestination nicht davon verstehen, dass Einer, weili < er selig werden wolle und mit dem rechten Glauben und gotei «i Werken sich bemühe, durch die Gnade Gottes zum ewigen Lebet' ^ zu gelangen, umsonst arbeite, wofern er nicht zum Leben pti^ ^ destinirt sei. Den grössten Anstoss nahm er an dem sittlichen h4 >- differentismus, zu welchem nothwendig die PrädestinationsIehcA » führe 0* Man begreift so, wie es ihm an sich schon im Begriff dM ^^ Prädestination zu liegen schien, dass Gottschalk auch eine Prij* ^ destination zum Bösen lehre. Er argumentirte im Sinne Gottschaliul v so : gebe es solche, welche die Prädestination Gottes so zum Tode > zu gehen zwingt, dass sie sich von Irrthum und Sünde nicht be^ kehren können, so sei es ja Gott, der sie von Anfang an unver? besserlich geschaffen oder zum Bösen prädestinirt hat ^). Gottr' Schalk selbst beschuldigte daher den Rabanus der semipelagind^ sehen Irrlehre. Statt an die heilbringende Lehre des catholicUd^ mu8 doctor halte er sich an die irrigen Meinungen des Massilienserr Gennadius, welcher dem verderblichen Dogma des unseligen Cassfahf folge und dem katholischen Glauben sich widersetze 0. RabaiiuiC folgte hierin nur einer damals sehr verbreiteten Richtung der Zeit} i um Gott nicht zum Urheber des Bösen zu machen, wandte mi^dk i sich lieber vom Prädestinationsdogma der semipelagianischei^ { Lehre zu 0. '■ t

Indess gab es noch Kirchenlehrer, welche mit den Schriftcni { und der Denkweise Augustins zu vertraut waren, um nicht aucb |

1) Man vergl. die Fragmente aus des KabaniLS Briefen bei Mauguin Jl, . S. 3 f.

2) So stellt Rabanus in seiner Ep. synodalis ad Hincmarum bei M«jd4 XIV. S. 914 die Lehre Gottsclialks dar, es verhalte sich in Ansehung der Bösen mit der Prädestination (iottes so, quad Deus eos fecisset iniHo. incorrigibUes et poenae obnoxios in interUum ire^

3) Bei Hinkmar de praedest. c. 21.

4) Vgl. Servatus Lupus de tribus quaest. 2, 30: De his (die Bösen) praedestinationem Dei dici Iiorrent plerique atque refugiunt, in quihut^^ qnaedam praeclara praesulum lumin a^ scilicct ne credcUur Deus Übidine pu-^ niendi aliquos condidiase et injuste darnnare eus, qui non valueiint peccahi'^ QC per hoc nee suppliciiivi declinare.

PrUdcstinstianer. I^ervatus Lnpas. Ffcmigins r. Lyon. 4S

smcr Pradestinationslehre beizustimmen. Zu ihnen gehörten vor aÜM andern der Bischof Prudentius von Troyes, der Mönch Ra- tnmnvts in dem Kloster Corbie und der Abt des Klosters Ferrieres Servatus Lupus, welche, wenn auch nicht unmittelbar zur Yer- Iheidigung Gottschalks, doch aus Veranlassung seiner Sache und nur Rechtrertigung derselben Lehre, wegen welcher er als Häre- tiker verdammt worden war, sich öffentlich erklärten. Am pra- dsesten hat Servatns Lupus die zur Sprache gekommenen Streit- funkte in den drei Fragen über den freien Willen, die Prädesti- «tion und die Erlösungskraft des Blutes Christi zusammengefasst Eilst durchaus die augustinische Lehre, welche von diesen Kir- 5 ckenlehrern vorgetragen wird. Wie Augustin gründen daher auch e sie die Prädestination auf die Sünde Adams als die freie That, in welcher der Mensch durch seine eigene Schuld die Freiheit zum Goten verloren habe. Sie unterscheiden daher auch genauer, als lon Gottschalk geschehen zu sein scheint, zwischen dem Voraus- Vttea Gottes und der erst nach dem Fall erfolgten und durch ihn bediflgten Yorherbestimmung. Nur darin erhielt das augustinische J Sjäm noch eine schärfere Bestimmung, dass nun auch der Zweck

I md die Wirkung des Todes Christi ausdrücklich nur auf die Er- wifclten beschränkt wurde, da, so scheinbar es auch laute, dass Christas für Alle gestorben sei, sich doch durchaus nicht denken hsse, was sein Tod denen genützt haben solle, die unabänderlich

II zun Tode bestimmt sind. An die genannten Kirchenlehrer schloss I iA auch noch der Erzbischof Remigius von Lyon in der Schrift

«, welche er im Namen seiner Kirche zur Beantwortung der Briefe ▼erfasste , welche Hinkmar und der Bischof Pardulus von Laon an semen Vorgänger Amulo gerichtet und welchen sie auch des Ra- banas Brief an den Bischof Notting beigelegt hatten. An den fünf Sätzen, welche Hinkmar an der Lehre Gottschalks verwerflich ge- fanden hatte: 1. dass Gott von Ewigkeit die, die er wollte, zu sei- nem Reich und die, die er wollte, zum Tode prädestinirt habe; 2. dass die zum Tode Prädestinirten nicht selig werden, und die 2001 Reich Prädestinirten nicht verloren gehen können; 3. dass Gott nicht alle Menschen selig machen wolle; 4. dass Christus nicht für alle gelitten habe, sondern nur für die, die durch das Geheim- niss seines Leidens selig werden; und 5. dass, nachdem der erste Mensch durch seinen freien Willen gefallen ist, niemand den freien

46 Erste Periode. Zweiter Abschnitt

Willen zum Gutesthun, sondern nur zum Bösesthun gebranehot könne wusste er nur das Eine auszusetzen, dass in dem fünftp- ' gesagt zu sein scheine, die Gnade wirke in dem Gefallenen o]u||| i den freien Willen, welcher, wenn auch erstorben, doch-imflM#4 noch vorhanden sei 0- Er sprach sich daher so anerkennend AbW ^ die katholische Rechtglaubigkeit der Lehre Gottschalks aus, di|| il er das mit ihm Geschehene nur bedauern konnte, da man in ili||ili nicht diesen elenden Mönch, sondern die kirchliche Wahrheit vei^jlif dämmt habe ^3*

Nach dieser offenen Erklärung standen die beiden Erzbischi von Rheims und Lyon einander als Gegner gegenüber. Zur BcijjHpi hauptung seiner Lehrweise liessHinkmar von der Synode zu Chiei^^ im Jahr 853 folgende vier Sätze genehmigen: 1. Es gibt nur Bfam tt Prädestination, die sich entweder auf die schenkende Gnade odei^ k auf die vergeltende Gerechtigkeit bezieht; 2. wir haben den GreiM. )i Willen zum Guten, aber die Gnade muss ihm zuvorkommen Bad i ihn unterstützen; 3. Gott will alle Menschen ohne Ausnahme idig machen; 4. wie es keinen Menschen gibt, dessen Natur ChrillW nicht angenommen hat, so gibt es auch keinen, für welchea^BI^, , nicht gelitten hat ^). Dagegen wurde sogleich von mehreren SeiUMI^^ Widerspruch erhoben, ganz besonders von dem Erzbischof Reottry * gius von Lyon, welcher eine eigene Schrift verfasste, um diai r Wahrheit der heiligen Schrift und die Auctorität der orthodoxe!, \ Väter gegen sie aufrecht zu erhalten 0* Iin Allgemeinen wunkf, i| an jenen vier Capiteln getadelt , dass in ihnen mehr vom fireual^ H Willen als von der Gnade, mehr von der Präscienz als von dof^ ) Prädestination und nicht sowohl von einer doppelten Prädestinatioa als vielmehr nur von Einer, der der Erwählten die Rede sei. Auch die Synode zu Valence im Jahr 855 war gegen sie gerichtet; sb. i bekannte sich entschieden zu einer Prädestination der Erwahltn zum Leben und einer Prädestination der Gottlosen zum Tode %^.

6Y J

1) De tribus ep. c. 21. -

2) A. a. 0. c. 24.

3) HiNKMAR de praedest. c. 2.

4) De tenenda immobilüer scriptume sanctcLe veritate et aanctorum oT' thodoxorum PcUrum auctoritcUe fideliter aectanda*

5) Wenn es in demselben Zusammenhang im dritten Canon bei Mangoin a. a. 0. 2. S. 233 beisst: In ekctione tarnen salvandorum müericordiam Düi

I

I Der pr&destinatianisclie Streit 47

uderilarte es für den verwerflichsten Irrthum, dass Christus üdfir die zum ewigen Tode Verdammten gestorben sei, wobei MWgar ausdrücklich jene vier Capitel als unnütz, schädlich und iiirbeltswidrig bezeichnete. Doch näherte man sich auf den aadiher gehaltenen Synoden zu Langres und zu Savonnieres, einer Yorstadt von Toul, so wie auch auf der Villa Tussiacum in der Diöcese von Toul Cdem concUium tusaiacense) im Jahr 860 wieder nehr der Gegenpartei, der Streit wurde nicht länger fortgesetzt lad Hinkmar behielt das letzte Wort, indem er zur Behauptung Niner Lehrweise nach seiner nicht mehr vorhandenen Vertheidi- gug gegen die Beschlüsse der Synode zuValence noch ein zweites grösseres Werk über die Prädestination Gottes und den freien Wil- len gegen Gottschalk und die Prädestinatianer, wie er die Verthei- 6fjet seiner Lehre nannte, schrieb 0-

In keinem Streite scheint sosehr über blosse Worte und leere fonaeln gestritten worden zu sein, wie hier. Denn welches Mo-

I

i

I F^tttitre fnerüum honuniy in damnatione atUem perüurorum meriium makim fntteiere justum Dei Judicium, so ist diess nicht so semipelagianisch za JKifaBen, wie es WiaoEßs a. a. O. S. 565 nimmt, »»die Prftdestination sei von ^ Sjnode auf Fräscienz gegründet worden, welche auf das sittliche Ver- lulten des Menschen Rücksicht nehme u, das honum meritum kann ja nur Ab Wirkung der Barmherzigkeit Gottes folgen. Warum ist aber überhaupt

|l TOB eittem horw/m meritum parallel mit einem mcUum merituvm, das gana

f Stehe äeir jperiiuri ist, die Rede, wenn es doch als Wirkung der Gnade keines iit? So gibt sich auch bei den Vertheidigem der augustinischen Prädesti- iMlioiislehre immer wieder ein gewisser Hang zum Semipelagianismus zu cAomen, er drängt sich unwillkürlich den Ausdrücken auf, deren sie sich Menen.

1) Doch soll zuletzt noch der Papst die Entscheidung für die augusti- oiieh-gottschalk^sche Prädestinationslehre gegeben haben. Pmdentius, der Kiehof von Troyes, bezeugt in den vob ihm vom Jahr 835 bis 861 fort- g^ßhrten Bertinianischen Annalen zum Jahr 859 bei Pebtz Mon. Germ. !•

> &453: Nicolaua PonHfex Bomanus de gratia Dei et libero arbitrio, de *<H(ate geminae jprctedeBtifnationia et sanguine Christi, ut pro crederUibua ^^ribus /usus sit, fideliter confirmat et eatholica deeemit, Hinkmar Opp. 2, ^' 292 in einem Schreiben an den Erzbischof Egilo von Sens bezweifelt ^egg, er habe es von keinem andern gehört und sonst nirgends gelesen, nur

ff, Pnidentius, der bekannte Gönner Grottschalks behaupte diess, er will aber eigentlich nur deswegen diess nicht von Nicolaus ausgesagt wissen, ne eccm-

J2 ^m inde in ecclesia venicU, quctsi ipse (der Papst) juod absit, talia eicut

\^ ^otteschalcus sentiat.

4s Erste Periode. Zweiter Absclmitt.

ment konnte es haben, ob man Eine Prädestination lehrte oder eiae doppelte, wenn doch auch die Gegner der letztern behauptete!, dass Gott den Bösen die Strafe prädestinirt habe. Der Unterschiei' bestand eigentlich nur darin, dass die Einen sagten, die Strafe irf . den Bösen prädestinirt, die Andern, die Bösen seien zur Stral^ . ' prädestinirt. Das Erstere sei, sagt Hinkmar O9 orthodox gespro^ chen, das Letztere schreibe das Verderben der Bösen der göttliclMi' Prädestination zu. Hatte aber nicht auch Gottschalk Recht zu sagei;^ . das Eine schliesse von selbst das Andere in sich? Ohne Grund hiHn|| Gott den Verworfenen die Strafe des ewigen Todes prädestinivf - wenn er nicht auch sie selbst dazu prädestinirt hätte '). Will mil . also nicht einen gar zu äusserlichen Wortstreit annehmen, so niliP^ man das dem Streite zu Grunde liegende Interesse von dem StreiM . selbst unterscheiden. Was ist denn die Ursache, dass man tdM sagen will, die Gottlosen seien zum Tode prädestinirt? Unstreitig, r weil man sie nicht zu sehr 2u einem blos passiven Objekt der gft^' liehen Strafgerechtigkeit machen will. ,Man will also auch ife als ^ sittliche Subjekte betrachten, hiemit ist dann aber im Grunde «oImMi ^ die Prädestination im eigentlichen Sinn aufgehoben, und wenn mall ^ auch noch von einer Prädestination der Strafe spricht, so soU epi ^ doch nur Sachß der Präscienz sein, dass sie verloren gehen Oi*- ''' Man abstrahirt also davon, dass Gott beschlossen hat, sie in der ^ massa perditionis zurückzulassen, und stellt es so dar, wie weiMT ^ sie nur durch ihre eigene Schuld verloren gehen, auch jßtzt nocki '- wenn sie nur wollten, selig werden könnten. Aber auch dicfdtl ^' lässt sich nicht festhalten, ohne dass man auch auf der Seite der. ^ Erwählten an die Stelle der Prädestination eine blosse Präscieu. ' setzt, und an die Stelle der blossen Gnade die sittliche Bedingtheil ^ Alles diess lag zwar noch weit ausserhalb des Gesichtskreises jener > Controverse, allein die Prämisse dazu war doch schon da. S0 ' gering daher auch das Streitmoment zu sein scheint, in welchem ' beide Theile auseinandergehen, da beide auf demselben Boden der augustinischen Orthodoxie stehen, so wäre doch auch schon diese geringe Differenz, wenn man nur Ernst mit ihr gemacht hätte,

1) De praedest c. 8.

2) Bei Mauguin 1. S. 9.

8) Perituros jpraescivity heisst es in dem ersten Capitel der Synode sn Chiersy, sed norif tU perirentj praedestinavit.

Der prAdeatinatianitche ßtreit 49

itarkgreniig gewesen, das gfanze aagustinische Prädestinations-

d^ifaui zu zersprengen O9 wie auch bei andern scheinbar ebenso

■ftedetitenden Streitigkeiten dasselbe hotte geschehen können.

litten die Dyotheleten ihren doppelten Willen Christi, die Adop-

imsr ihren doppelten Gottessohn besser festzuhalten und von die-

fen Punkt aus die Christologie zu entwickeln gewusst: das Dogma

vonChalcedon wäre auseinandergefallen, ohne sich je wieder zur

Bnheit zusammenschliessen zu können. Da aber jeder eine solche

Kchtong nehmenden Bewegung ihre Spitze sogleich wieder abge-

Inchen wurde, ehe sie tiefer eindringen konnte, so dienten diese

Ikeitigkeiten nur dazu, dass die eine Richtung an der andern sich

drieb, die Gegensatze sich abschwächten und sich in einem Hitt-

kn neutralisirten, das unbestimmt und zweideutig genug war, um

aletzt derjenigen Richtung Raum zu geben, die dem allgemeinen

Zige der Zeit am meisten zusagte. So konnte auch hier die in

Hjdmar's Lehrbegriff liegende Richtung sich nicht bestimmter und

eiMUedener gestalten und doch hatte sie die Wirkung, dass der

i^faitinisnius zurückgedrängt und der semipelagianischen Denk-

wme der Boden geebnet wurde, auf welchem sie sich mehr und

■dbr festsetzen konnte. In der That war es die alte Antipathie

gegen den Absolutismus der augustinischen Prädestinationslehre,

die dem Streite mit Gottschalk sein dogmatisches Interesse gab,

wie sich bei Hinkmar auch schon darin aussprach, dass er die An-

Uhiger Gottschalks und die Vertheidiger seiner Lehre geradezu

hUestinatianer nannte. Wenn man also auch femer von einer

hidestination nach hergebrachter Weise sprach, so hatte doch die

i^pistinische Lehre ihre Schärfe und Consequenz verloren, und

m dem Schicksal Gottschalk's war zu sehen, wie man in einer

Kirche, deren höchste Auktorität noch immer Augustin war, auch

A Märtyrer des Augustinismus werden konnte. War auch die

Siehe nicht mehr vorhanden, so sollte doch dem Namen nichts

^ergeben werden und ein Anderer das auf sich nehmen, was man

M einem Augustin sich nicht zu gestehen wagte. Auch dadurch

bante nur die Illusion eines falschen Scheins befördert werden.

Noch ist eine Seite dieses Streits nicht berührt worden, die schon dadurch, dass sie bisher unerwähnt bleiben konnte, sich in

1) Vgl WsizSACKBE a. a. 0. 8. 587. Baor, K.a. d. IfittotaHors.

60 Erste Periode. Zweiter Abiohnitt

ihrer Eigenthümlichkeit zu erkennen gibt Auf die Auffordennv , Hinkmars und des Bischofs Pardulus von Laon schrieb auch J o kaa«* ^ nesScotus gegen Gottschalk 0* D& er aber die Lehre von im ^ Prädestination nur unter den Gesichtspunkt seines platonisireaddi | Systems stellen konnte, so wurde durch seine Theilnahme an dieffll n Streit und die Stellung, in welche eV zu beiden Parteien ktn, im |. um so auffallender, in welchem eigenthümlichen YerhSlIaiM ;tf j^ überhaupt zu seiner Zeit stand. '*^Jl

Hatte man bisher nur über die Frage gestritten, ob Eine MRt destination anzunehmen sei oder eine zweifache, sosteilte J.ScaMJ^ im Grunde den Begriff der Prädestination selbst in Frage, indeaül die Prädestination mit dem Willen und Wesen Gottes so identUeblli dass sich in dem Begriff der Prädestination nur das tbaoM schlechthin mit sich identische Wesen Gottes ausdrückt Gibt m U aber eine Prädestination, so ist sie in jedem Fall nur eine nnd-dis- ^ selbe, da durch eine doppelte Prädestination nur ein Widerifmi ^ in das Wesen Gottes gesetzt würde, wenn seine PrädesliiititelD ^ in sich getheilt wäre, dass sie auf zwei verschiedene und einaik ^ so entgegengesetzte Objekte geht, wie Leben und Tod. Man Iniil L daher vom Begriff der Prädestination nur auf den mit dem Wi Gottes identischen göttlichen Willen zurückgehen, wodurch telbar die zwingende Nothwendigkeit, die man mit dem Begriff dtf Prädestination zu verbinden pflegt, aufgehoben ist Denn der Wilh Gottes ist nur seine eigene Nothwendigkeit und als solche die ikt solute Freiheit 0* Das Wesentliche im Begriff der PrädestinalM Z ist nicht die Nothwendigkeit, sondern die Freiheit, als das dM

a

1) Die noch yorhandene Schrift de diyina praedestinatione bei liangdi S. 103 £ in neonzehen Kapiteln. Mit Recht bemerkt Wiogebs a. a. 0. 8.471 über den Namen des Johannes, dass die beiden Beinamen Scotas and BrigoM ] ihn als Irländer bezeichnen. Bei Hinkmar de praed. Opp. 1. S. 232 heM er auch Johannes Scottigena.

2) De div. praedest. c 3: Vera ratio wasitf dwinam vokuUatem prindpaiem iolam^te esse causam onintum, guae pater per veriiaim^ fecU, ipsatnqtie vohmtatem omnimodo cuncta neeessitate earere quae «elM* impeüeretf vel ei iaipediretf sed ipsa est sua necessitas. Ihta est igitmt fo* haüas, Proinde si omnis^ necessitas divina toüitur vokuUate^ eeirütmmft toüUur divina praedestinatione, Non enim Deo cUiud est veüe, aüud pmb^ destinare , quoniam omne quod facit praedestinando vohtit et voiendo prmt' destinavit.

Der prftdestinatianisohe Streit. Johannes SootiiB. 61

Wien constitoirende Princip. Wie Gott die freie wollende Ursache alorCreataren ist, so hat er der vernänftigen Creator, die er dazu fBsehaffen hat, dass sie ihn erkenne und in der Betrachtung ihres lAöpfers das höchste Gut geniesse, als das höchste Geschenk die fMheit des Willens verliehen, so dass der Mensch dieses höchste Sil ganz nach seiner eigenen Willkur entweder gut oder schlecht febrtnchen kann. Wäre das vernünftige Leben nicht auch ein frei roHendes, so wäre der Mensch nicht substanziell nach dem Bilde lOttea geschaffen, da die höchste Ursache, die summa unwerai- Mit ratio selbst der freie absolute Wille ist Diese Freiheit des mens gehört so wesentlich zur Substanz des Menschen, die we- wflich Sein, Wollen und Wissen ist, dass er sie auch durch den hD nicht verloren haben kann 0- Es ist daher weder das Böse, Im der Mensch thut, noch die Strafe, die er dafür leidet, von Gott ■Idcfltinirt, sondern so wenig das Vorauswissen Gottes die Ursache kr. Stade ist, so wenig ist es seine Prädestination. Aber auch in Itaknng des Guten findet keine prädestinirende Nothwendigkeit MN^ da der Wille überhaupt nicht frei wäre, wenn er nicht absolut M ist. Wie verhält sich aber der Wille zur Natur? ist der Wille von Itar frei, oder kommt die Freiheit erst als Geschenk des Schöpfers ■rHatur hinzu? Man kann nur annehmen, dass die Freiheit zur iialanziellen Natur des Willens gehört, der Wille ist als solcher M und als frei ist er auch veränderlich und beweglich, das Prin- if der Bewegung kann er nur in sich haben; weil es aber auch eben andern grössern und bessern Willen gibt, den göttlichen, so km er auch durch diesen bewegt werden. Wird er durch sich iewegt^ so kann er sowohl zum Guten als zum Bösen bewegt wer- te, wird er aber von oben herab bewegt, so kann seine Bewe- gng nur so sein, wie sie sein soll ^. Hienach ist nun zu bestim-

1) A. a. O. c. 4.

3) A. a. O. c. 8 : Quid nos prohihety et om/nea recioa motua ammi nostri ^laiUori noatro referre gut cum ae ipavmi movtai aine tempore et locoj movet Jtfaw» noatrum apiritum per tempua aine loco, movet eorpora noatra per kmpuB et loeum, Hoc ergo confectum eat cauaaa ommimn rectefaetortim, püma ad coronam jttatae be<ttiHidvn%a pervenituTj in Ubero humanae vohm- Mm 4arinirio, praepcurente ipaum, ipaique eooperante graimto divinae graiiae ■wb^pjiei^e d(mo conatüiUas eaaCj mcdefaetofwn vero gmbua in contumeliam «ftoe miaeriae ruitur in perverao mx>tu liberi arbiirü atuidente diaboio prm* i^pafem radMem eaae ßxaim, Quanta eat igitur deawntia eorum , ^ taUmn

4*

68 Erste Periode. Zweiter Abiohnitt.

men , in welchem Sinn in Beziehung auf Gott von einer PrtodeiB und Prädestination die Rede sein icann. Im eigentlichen acbon det» i wegen nicht, weil Gott überhaupt ausser allen Formen der Zeit itehl i Es kann daher das von zeitlichen Verhältnissen Genommene arir u auf ewige Weise von Gott ausgesagt werden, sofern Gott abfoM i vor demjenigen ist, was er geschaffen hat. Es gibt aber auch ebfe j| Ausdrucksweise, bei welcher das von Gott Ausgesagte nur vi$ i demjenigen verstanden werden kann, was Gott in der CreaUnr dnrdl i^ ihre freie aber verkehrte Bewegung geschehen lässt Diess ist dJl^ Fall, wenn von Gott gesagt wird, dass er zur Sünde und cum Todl' % prädestinire. Scotus wendet hier seinen negativen Begriff dil ti Bösen an. Ist alles Böse entweder Sünde oder Strafe der .Sindi^ fa wie kann das, was an sich nicht ist und nur als Vemeinuig M ij Guten existirt, von Gott prädestinirt sein? So wenig er Urhebtr i des Bösen ist , so wenig gibt es für ihn ein Wissen und PrldM^ i niren des Bösen. Das Böse existirt also überhaupt für Gott nuM^ i Was von der Sünde gilt, gilt auch von der Strafe der Sliili i Existirt die Sünde für Gott nicht, so gibt es auch keine vo»'4Ml ^ verhängte Strafe der Sünde '). Die Sünde straft sich selbst, AM ^ Strafe ist nichts anders, als das Bewusstsein und die EmpfindMl | des mit ihrem Begriff verbundenen Mangels 0- Das ewige FeaerM | nicht zur Bestrafung des Teufels geschaffen, der seine zureichM# t. Qual schon in seinem Stolz hat, sondern es gehört zur VoIIständigkÄll || des von Gott geschaffenen Universums. Wie man sich auch dtP |

' b

eau8ci8 inevitahiles coMtivaaqus necesdttUes in prciedesHnatume divinä fMi* g WIM fifngwnty impudentissme adstrmmt. - ^

1) A. a. O. c. 10.

2) A. a. O. c. 15: Swnvma essentia nuUomodo effickj quae ndn $im$f peccatirnij mors, poena jmtitiaej vitae beatitudinia defeetua suntf ab eo igitiltt qui est, non swnt,

3) A. ä. O. c. 16: In magno aetemi ignia ardore nihü alivd sU poenaRi mUeriay quam beatae felicititHs ahsentia, in qua tarnen nuUus erit, jvj.fioii Tiabeat insitam aHn natu/raliter absentis beatitudinia notumem, ^uaque deiiduktt^ ut eo maxime torqueaAwr quo ardenter appetat, quod juatum Dei judieium «N»- pre?iendere non ainat, qui procul dubio appetitua in miaero non eaaet, ti p&mhUi quod appetit, non haheret, NuMwn peccatum eat, quod peecantem nonpumati in omni enim peccatore aimul incipiunt oriH et peceaiwn et poena ^futf quia nuUium peccaium est, quod non ae ipaum puniait, occuUe tamien tn haß vitOf aperte vero in (dterOf quae estjutwra.

Dei prttdestinatianiiohe Streit Jobannes Sootus. 53

nk vorstellen möge, sagt Scotas, körperlich oder unkörperlich, ibfonGott geschaffen sei es an sich gut; es sei nicht selbst Strafe aseh zur Strafe bestimmt, sondern als ein Theil derGesammtheit des Goten sei es der Sitz der Gottlosen geworden. In Wirklichkeit woh- ■8B in ihm sowohl Selige als Unselige; wie aber dasselbe Licht ge- nmden Angen angenehm, kranken unangenehm sei, dieselbe Speise den Einen süss den Andern bitter schmecke, so sei es auch hier. Wenn es keine Seligkeit gebe als das ewigeLeben, das ewige Leben aber die Erkenntniss der Wahrheit sei, so gebe es auch keine Selig- kntals die Erkenntniss der Wahrheit Was von der Seligkeit gilt, gilt ■dl Yon ihrem Gegentheil. Gibt es keine Unseligkeit als den ewigen Tod, isl aber der ewige Tod der Mangel an Erkenntniss der Wahr- keity so gibt es auch keine Unseligkeit als den Mangel an Erkenntniss der Wahrheit Wo die Wahrheit nicht erkannt wird, gibt es kein Leben, wo kein Leben ist, kann nur bestandiger Tod sein. Wie kiBB man also sagen, dass Gott die Strafe prädestinire, wenn man whi den zum Urheber der Unwissenheit machen will, von welchem de Erkenntniss kommt? Demungeachtet gibt es auch in Beziehung iif die Gottlosen einen Begriff der Prädestination, welcher in der Uee Gottes selbst begründet ist Gibt es auch keine von Gott pra- deitinirte Strafe, so gibt es doch eine von Gott geordnete Schranke für das Böse, wie überhaupt Gott durch die Schöpfung jeder Creatur #e Grenzen bestimmt hat, innerhalb welcher sie den Zweck ihres Daseins erfüllt, die sie aber nicht überschreiten darf. Die ver- BUifUosen Naturen bleiben von selbst innerhalb der Ordnung des evigen Gesetzes, von den vernünftigen dient ein Theil durch die bade des Schöpfers freiwillig den ewigen Gesetzen, und eben- dann besteht seine Seligkeit, der andere aber sträubt sich in seinem SMz und Ungehorsam gegen die ewige Naturordnung, er kann sie jedoch nicht durchbrechen und durch seine Hässlichkeit die Schön- keit des Ganzen nicht mindern. Hätte die Bosheit der Gottlosen Iren freien Lauf, so würde sie bis zum absoluten Nichts fortgehen; dein durch die göttlichen Gesetze ist ihr eine Schranke gesetzt, die es ihr unmöglich macht, so weit in's Unendliche fortzustre- ben, als sie will, und weil sie nicht kann, so empfindet sie darüber die Unlust und Pein, die die natürliche Folge der unbefriedigten Begierde ist In diesem Sinne kann man daher auch von einer Prädestination der Gottlosen zur Strafe reden, es ist aber unter ihr

54 Ente Periode. Zweiter Abiebiilit

nur die allgemeine auch für die Bösen fcistgeselzte Ordnung dUt i Natur, und die Stelle, die sie in ihr einnehmen, zu venAeben^ Das Unterscheidende zwischen dieser Pradestinationatheorii la und den beiden andern, der Gottschalk'schen und Hinkmar*aehai| : ist die Bedeutung, welche dem Freiheitsbegriff gegeben wird.- Dil i System des J. Scotus schliesst sich hier noch von einer neuen Sflül tu auf, und es kann dadurch nur die Ansicht bestätigt werden, daH ^ es seiner allgemeinen Richtung nach ganz auf dem Punkte liagtih auf welchem die allgemeine Weltanschauung sich dazu anschielfll)^ aus der metaphysischen Transcendenz des Platonisrous in den IdM^ \- lismus der modernen oder germanischen Philosophie äberzttgehaqf g d. h. auf den Standpunkt, auf welchem der Mensch als das ailtlidl | Subject, als das denkende und wollende Ich, als der freie selbstbei^ ifa wusste Geist das absolute Princip ist Dieser Uebergang wird y$m ^ Scotus durch die biblische Idee vermittelt, dass der Henseh dal i, Ebenbild Gottes ist. Als solches ist er auch alles, was Gott aaM ^ ist; ist also Gott die absolute Freiheit, so ist auch er absolutlNL | Es ist somit, da er nur als freies sittliches Subject betrachtet Wttr \ den kann, alles, was sich auf ihn bezieht, seine eigene sitttiftha i^ That, oder eine immanente, in dem natürlichen Zusammenhang dal ^ Ursachen und Wirkungen begründete Bestimmung seines sittücbü ,, Selbstbewusstseins. Was auf dem metaphysischen Standpunkt ia letzter Beziehung sich in abstracto und rein negative Bestimmungen .g verliert, wird auf den concreten Standpunkt des menschlichen Be^ <

1) A. a. O. c. 17: Non cUiud inteJUgere jubemwr quam ipsum ante pora praeseisee et prctedestinassej qtM ordine universitatia fubwti euni ü guag occulHanmo , jusHssimo tarnen judicio amoHtudinem peccaiorum suortm aentire permisit. C. 18: Proinde summa et ineffahüis divina sapieTUia pra&- destitKwit in suis legibus modos^ ultra quos impiorum malitia progredi nos potest: non enim sinitur alicujus malitia in inßnitwm, prout velit^ extendit divinis legibus progrediendi modum imponentibus, Sed quoniam ei d^' ficukas ex aetemis legibus obsisiity ne in tantum cadcU, quantum veUet, 60 ea difficultcUe Idborat, laborando torquetu/Ty punitur, crueiaiur, et undt.ßt misera inanivm voluptatum egestate, Fraedestinavit itaqtie Dens impios cd poenam vel interitumy hoc est, drcumscripsit eos legibus suis incommutaibiU' buSy quas eorwm impieias evadere non permittitury ad poenam profecto suam; ea quippe difficuUas qua prohibentur pervenire ad ea, quae libidinose op- petunty effidtur eis poenalis interitus et sucte misserimae cupidinis justiasimius cruciatus.

Pr&deiUBatioBstbeorie des Job. Seotas. 55

heribergenommen , lud in sittliche Begriffe imgesetKt, Mf die0eB Boden erst seine wahre reale Bedeutung m erhal- Mit dieser Ansicht griff jedoch Scotns weit über seine Zeit ')• Sosehr er sich bemühte , seine freieren und selbststan- digen Ideen in die hergebrachten Formen der auguslinischen Or- thtdoxie einzukleiden, und durch Benutzung scheinbar cntspre* Aaaier Stellen aus den Schriflen Augustins sich auf die Auetoritat dSeses Kirchenlehrers , welchen auch er nicht hoch genug stellen hsmite O9 zu stützen, so gross war gleichwohl der Anstoss, wel- chen man an ihr nahm. Man konnte sich weder mit einem Frei- Utab^friff, welcher das Wollen und Wissen des Guten auch nach ia Sdnde zur Substanz des Menschen rechnete und die Wirksam- keit der Gnade völlig bedeutungslos machte, noch mit einem Begriff derSfinde und Strafe befreunden, durch welchen an die Stelle des PoiitiTen etwas blos Negatives gesetzt wurde, und sah überhaupt in ÖMB solchen System eine rein philosophische, den traditionellen Udl der kirchlichen Lehre zersetzende Dialektik. In diesem Sinne aMeben der Bischof Prudentius von Troyes und der Diaconus Flo- m von Lyon ihre auf diese Streitigkeit sich beziehenden Schriften, ii wdchen sie die Lehre des Scotus in allen ihren einzehfien Siliea zu widerlegen suchten '). Auch der Erzbischof Remi-

1) Neahders Behaaptaog, IV. S. 446: SootoB gehe von demselben Princip ans i wie die Theologen von der Richtung Gottschalk^s , ist offenbar miehtig. Wer den Bogriff der Freiheit so rein und so entschieden anf- tteOt, wie Scotns, ist weder Determinist noch Pantheist. Ncanders Auffas- ittg ist Überhaupt darin verfehlt, dass er das System des Scotus als Pan- Aftgmas nimmt, ohne davon die andere Seite, die auch dazu gehört, zu ■ntencheiden, die idealistische, auf welcher der Mensch in der Einheit mit Gott, als der höchsten Causalität, das absolute Subject ist; aber als die Ein- lieit des Endlichen und Unendlichen hat er auch eine von Gott abgekehrte oe^tive Seite.

2) A. a. O. 18, 6.

3) Prudentius war von dem Erzb. Wouilo von Scns dazu aufgefordert *oiden in einer Zuschrift, welche 19 capüula ex Uhro cußtualani Scott se- f^eta enthielt Quibus decursiSf soUicUeque perspectis, sagt Prudentius iu der an Wonilo gerichteten Vorrede zu seiner Schrift (bei Mauouin a. a. O. 2. 8. 194) , reperi in eis Pelagianae venena perfidicie , et cUiqtioiies Origenis <Hnen<iam Coüyricmorumque haereticorum fvriositatem. Hauptsächlich aber sah er in dem Johannes Scotus aectatoreni Juliani (des Pclagianors, des Bischofis von Eclaimm) tanta impudentia orthodoxcte fidei po/nöu^^e catJu>-

A6 Erste Periode. Zweiter Abiekaitt

giQs 0 und die Vdter der Synode von Valence im Jabr 856 ap^ a kldrten sich sehr nachdrücklich gegen die phantastischen mul hir ii retischen Behauptungen des Sectios Erigena und selbst Hintanr % wurde durch die neunzehn Kapitel so wenig befriedigt, diit M von einer Gemeinschaft mit dem Verfasser nichts wissen woHhl ( ihn sogar nicht zu kennen behauptete 0- -^ tf

3. Die Streitigkeiten über die Lehre vom AbendmahL.dj^

Verlieren sich die Streitigkeiten über die Prädestination \ rsMi nur Eine anzunehmen sei oder eine zweifache, ob der Tod^« Gottlosen, oder sie selbst dem Tode pradestinirt seien, ob ChrisUk ^ auch für die gestorben , für die er umsonst gestorben , mleM 4l l inhaltsleere Unterscheidungen, so weiss man dagegen bei der LekM \ vom Abendmahl um so bestimmter, um was man streitet, mid kau I daher auch darüber nicht im Zweifel sein, wohin der eigenffiehe i Zug der Zeit geht. ' ' i

Der Streit, zu welchem Paschasius Radbertus, derAUvok I Corvey, die Veranlassung gab^, war schon darin ein FortsdiiMy i dass nun das, was bisher immer in den Meinungen und AusdrfldBH I über das Abendmahl das Unklare und Zweideutige war, in der M^ \ stimmten Frage aufgefasst wurde, ob Brod und Wein nur biMlkl i der Leib und das Blut Christi sind, oder in der Wirklichkeit? Snd i sie es wirklich, so können sie es nur durch eine Umwandlung Ourei i Wesens geworden sein. Eine Veränderung , eine Umsetzung aus I dem Einen in das Andere, und insofern eine Wesensverwandloag i findet aber auch schon bei dem blossen Bilde statt, wenn DiBg% die an sich nur sind, was sie der äussern Erscheinung nach sind, durch die bildliche Bedeutung, die msn ihnen gibt, etwas Anderes geworden sind , als sie von Natur sind , und je grösseres Gewicht

/tew oblaArwnJtem ac ai unus spiritua Julianwm Joawnemque docueriL Dia Synode zu Valence bezeichnete die Schrift des Joh. Scotus mit dem Ane- drnck pultes Scotorum, in demselben Sinn, in welchem Hieronymm is seinem Gonunentar über Jeremias den Cölestius, den Gefährten des Pelagiiif, Seotorum ptiUüms praegravahmi genannt hatte. Wiggers a. a. O. S. 565.

1) De tribus epist. c. 40.

2) In dem Schreiben, mit welchem er sein erstes Werk über die Prä- destination Karl dem Kahlen widmete und Opp. 1. S. 232.

3) Durch die Schrift vom Jahr 831 de corpore et sanguine Domini.

Die Streitigk. üb. d. Lehre ▼. Abendmahl. 57

iiff die Ideniitit des Bildes und der Sache gelegt wird, um so mehr Im MM^li schon bei dem blossen Bilde eine solche Steigerung der isfchaonngs- und Ausdrucksweise stattfinden, dass der Unter- lAied zwischen dem- Bildlichen und Wirklichen so gut wie ver- schwindet, und das Bild eben das wirklich ist, was es eigentlich mir bildlich in sich darstellt. Ein weiterer Schritt in derselben Richtung ist nur dadurch möglich , dass nun auch die Brücke ab- gebrochen wird, über welche man vom Bild zur Wirklichkeit ge- kommen ist; diess kann nur dadurch geschehen, dass mit aus- dricklicher Protestation gegen die blos bildliche Bedeutung die Wirklichkeit schlechthin gesetzt und weil sie anders nicht entstan- ien sein kann , für ein absolutes Wunder erklärt wird. Diess ist der Standpunkt , auf welchen Paschasius Radbertus in der Schrift fich stellt, die mit Recht für den ersten urkundlichen Ausdruck des Transsobstantiationsdogma gehalten wird. Seine ganze Abend- «aUstheorie ist schon in dem Einen Satze enthalten, mit welchem er ihre Entwicklung beginnt, dass für Gott nichts unmöglich ist. Brod und Wein sind der wahre Leib und das wahre Blut Christi, wäl Gott yermöge derselben Allmacht , mit welcher er alles ge- fdaffen hat, auch das bewirken kann, was uns gegen die Natur der Dinge zu sein scheint, und überhaupt alles nur von seinem Willen abhängt 0* Die weitere Entwicklung ist nur die Explication des dabei stattfindenden Wunders. Brod und Wein werden sub- ftanxiell verwandelt^, denn sie werden ganz dasselbe Fleisch, das HS der Maria geboren worden ist, am Kreuze gelitten hat, und vom Grabe auferstanden ist ^. Daher ist auch, hier wie dort das- idbe schöpferische Princip. Derselbe Geist, welcher das Fleisch Christi in der Jungfrau geschaffen hat, macht durch die Consecra-

1) A. a. O. 6, 2: Patet igUur, qtu>d nihü extra vel contra Dei veUe poiettf $ed eedunt Uli omnia omnino. Et ideo nuUus moveatwr de hoc corpore C&rul» et sanguine, guod in mysterio vera sit coro et veru$ sit aanguis, int sie volmt iUCi 9^^ oreanit, et quia voluU, licet in figura panis et vim Hneat, haec sie eese omnino^ nihUqtte aUud quam caro Christi et sanffuie fott consecrationem credenda nmt,

2) Am nächsten kommt Paschasius auch dem Ausdruck nach dem Trans- labstantiationsbegriff c. 8, 2: Substantia panis et vini in Christi camem et tanguinem effieaciter interius commutaUw.

8) A. a. O. 1, 2 : non alia plane qaam quae nata est de Maria u. s. w. der stärkste Ausdruck für die Realität der Verwandlung.

56 Erste Periode. Zweiter Abiohnitt

tion die Substanz des Brodes und Weines zum Fleisch und Christi Fleisch und Blut Christi werden im Sacrament immer Neue geschaffen 0* Die Realität des Fleisches und Blutes hiemit fest; gleichwohl muss auch Paschasins sich mit demje» auseinandersetzen, was auch nach seiner Lehre bei dem Aben unter den Begriff des Bildlichen gehört. Da Brod und Wein nach der Consecration noch vorhanden sind, so kann die Verwi lung nur innerlich geschehen, oder mystisch, was mystisch isty auch figürlich oder bildlich, es fragt sich somit, wie beides gleich sein kann, Bild und Wirklichkeit, worauf nur die Ani gegeben werden kann, dass das Eine das Andere nicht a oder das Bild kein blosses Bild ist. Was Brod und Wein änsse; sind, ist das Bildliche an ihnen, was sie innerlich oder in der Willis lichkeit sind, ist das Fleisch und das Blut Christi'). So ubemaHf^

1) Paschasius dachte sich die Verwandlung als eine neae SohSfltay und gebraucht ohne Bedenken von ihr den Ausdruck erearif c. 15: liMr emm ibidem ex {diqtw non qwUiscwnquef eed nova sahuis ereaturcty coro ttttK^ guU ChriiH, veluti in bapiismo homines efimmtur novi et corpus CkritU; o;4: quia Christum vorari fas dentibus wm est^ voluit in Tnyiterio hune ptm&m il vimim vere camem suam et $anguinen conaecratione spiriiua saneti Uter erearif creando vero guotidie pro mundi vita mystice immolari^ wU de virgine per spiritum vera coro sine coitu crearetur, ita per eundem 0 subsUmtia panis <ic vini mystice idem Christi corpus et sanfftds eonseeraretsk» Da der Leib im Sakrament derselbe sein soll mit dem wirklichen ron Jungfrau geborenen , ungeachtet der Leib Christi im Himmel in seiner ¥011? ligen Integrität bleibt , so kann die Identität nur in das schöpferische Pziiittf gesetzt werden, durch welches hier wie dort derselbe Leib geschaflfen wild. Vgl. DiBCKHOFF, die ev. Abendmahlslehre im Bef.-Zoitalter , 1 Bd. 1864| 8. 22 f., WO auch die falschen Auffassungen von Ebrard und Kahnis, wfe in Betreff des Ausdrucks poientieUiter ereari, gebührend abgewiesen sind.

2) A. a. O. c. 4, 1 : Qyia mysticum est sckcramentum , nee figuram ilkd negare possumus , sed si figura est , quaerendum quomodo veritas esse possüL Omnis enim figura oMcujus rei figura est , et semper ad eam refertur , ut mt res vera , cujus figura est, Nam fiywras V, T. umJbras fiiisse , nemo qui to- eras literas legit, -ambigity hoc vero Ttvysterium aut veritas est^ aut figura et per hoc umbra est^ aut certe quaerendumj hoc totumi utrwni veritas did queat nM falsitoitis umbra, Si veradter inspicimus , jure simul veritas et figura dicitutf ut sit figura vel character veritatis , quod exterius sentitur , veritas vero quid- quid de hoc mysterio interius recte vnteüigitwr aut creditur, Non enim omnti figura vel umbra vel falsitas, Totum veritas et nulla adumbratiOf quod intrinsecus peroipitur^ ac per hoc nihil aliud hinc inde quam veritas et iocramentum ipsius camis aperitur.

AbendmahUitreit des Paiohasiai Badbertus. A9

itihlDer alles geschieht, so geht demnach doch das Wander nicht » weit, dass es auch die natürlichen Erscheinungsformen von Brod ■d Wein aufhebt, es hat an ihnen gleichsam seine Schranken, da ier diese Schranke auch wieder die Realität des Wunders in Frage stellm scheint, so muss ein Grund davon angegeben werden Umen, warum ungeachtet der Verwandlung der Substanz, wie Kschasias sich ausdrückt, keine Decoloration der Substanz statt- Uet and alles sosehr nur innerlich geschieh^ dass man ausserlich Mi§ wahrnimmt. Der Grund hieven liegt theils in dem Anstoss, vilehen man an dem unmittelbaren Genuss von Fleisch und Blut Mknen müsste, theils in dem Verdienst, das sich der Glaube durch «e solche Erprobung seiner Kraft erwirbt, wenn er trotz des Widerspruclis der äussern Erscheinung an die Wirklichkeit der kiAe glaubt 0* Die Realität des Wunders wird dadurch nicht vanmidert, sondern erhöht , da der Unterschied dieses Wunders allen andern Wundern eben darin besteht , dass sie alle nur tttisa Zweck geschehen sind, damit dieses Eine um so gewisser gigjnbt werde. Aber auch selbst diese zwischen dem Natürlichen ■d Uebematürlichen der Sache noch stehen gebliebene Schranke Mit nicht so fest, dass sie nicht bisweilen wenigstens auf Augen- kücke aufgehoben würde. Paschasius weiss ja genug von Erschei- mgen zu erzählen , in welchen man Christus in der leibhaftigen Gestalt von Fleisch und Blut, als Lamm oder Kind, geschlachtet od blutend auf dem Altar und in der Hand des Priesters gesehen latO* "VVer kann bei solchem Wunderglauben den geringsten breifel daran haben, dass er an das Wunder der Verwandlung in Mioem eigentlichsten Sinne glaubte, wenn auch seine Ausdrucks- wose noch nicht durchaus so genau formulirt ist^ wie diess erst in der Folge geschah. So materiell aber seine Vorstellung ist, so wollte auch er wieder alles nicht fleischlich, sondern geistig ge-

1) A. a. 0. c. 4, 1: Christum voran fcu dentibus non est, c. 10, 1: •^Wma es9et contra conauetudmem humcmam, c. 13, 1: Bidicukum nuUum M paffcmisy quod crtiorem occisi hominis bibamus. Avidius envm requiritw^ 9u<k2 lotet , et pretiosius est , quod cum fide quaeritur, Ideo quoque sie dt- hoc mysterium temper a/ri,, t^ et arcana secretorum cekirentur infidis et veritum cresceret de mrtiUe fidei , et nihil deesset interius vere credentibus promissae veritatis. Vgl. 1, 5. 8, 2.

2) A. a. O. c. 14 f.

60 Ente Periode. Zweiter Abiobnitt

gedacht wissen 0 9 und von dem natürlichen Process, durch wet- ' chen das Fleisch in unser Fleisch, der Wein in das Blut übergeht, ' sollte alles Unwürdige ferngehalten sein '). -r

So sehr man längst gewohnt war, in den überschwdnglichea i Ausdrücken von Brod und Wein als dem Leib und Blut Christi n > reden, so erregte doch die Entschiedenheit, mit welcher jetzt Fi* >l schasius Radbertus die Identität des Leibes Christi im AbendmaU mit dem von der Maria geborenen und am Kreuze gestorbenen be« hauptete, Aufsehen. Wenn ein Kirchenlehrer, wie Rabanus Haonm^ kein Bedenken trug, diese Behauptung für einen Irrthum zu erkü- ren 0, so standen ohne Zweifel nicht Wenige auf seiner Seite. Die Frage zog das Interesse der Zeit auf sich, man wurde sich jettt k erst klarer bewusst, um was es sich handelte. Auch Karl der KaUd

1) Auf die Frage, wie genossen werden soll, gibt Paschasins b wieder die Antwort: gpiritaliter, SpiriteUiter enim, sagt er 20, l, Am0 aecipienda twni et non ccvmaliter. Vgl. 8, 2: Disce aUud gtutarCf pum quod ore camis serUitur, €diud viderej qtiam quod oculis iitis comeiff moii- atraiur. Disee quia Deut »piritui irdocaXUer uhique est, IrUeUige qma sji' rüdUa haee sicut nee localiter, sie utique nee oarrmliter a/ni€ eomapetihm diioinae majestatia in ntblime feruniur Dass wenn eine wirkliche Verwandr long stattfinden soll, dieselbe Sache nicht zugleich spiritcUiter nnd eine Uter gegessen werden kann, ist klar. In denselben Widersprach verwiekeU sich Paschasios in seiner Vorstellong vom Genüsse der Unwürdigen, welfllis er trotz der Verwandlung nicht wirklich den Leib Christi empfangen Uni Vgl. BüoKEBT, der Abendmahlsstreit des Mittelalters in der Zeitsohr. flr wissensch. Theol. 1858. S. 364 f.

2) A. a. O. c. 3 : JFrivohmi est ergo , in hoc mygterio cogitare de «l6r- core , ne eoTiimiececitur in digestUme aiUeriua dbi tibi spirittAaUs eeea d pottLS sumitur,

3) Vgl. BOcKERT a. a. O. S. 521 f. Wenn Bückert S. 517 die Beden- tong des Paschasios für die Abendmahlslehre so bestimmt: er habe av etwas schftrfer und vollständiger ausgesprochen, was seit dem Ende d^ vierten Jahrhunderts die Vorstellung der meisten Kirchenlehrer gewesen sei, so möchte hiemit doch zu wenig gesagt sein. Eben das, was Babanai Manms in seinem Liber poenitentialis ad Heribaildum AnHsndarentm JEpise. an den qmdtrni de ipso saeramento corporis et stmgmnis Domini «um rite sentientes besonders hervorhebt, dass er derselbe Leib sei, der von Jnngfran Maria geboren sei u. s. w. , war zuvor noch nio auf dieselbe Weise, wie von Paschasius, zur Hauptbestimmnng gemacht worden. Dar- aus erklärt sich auch allein, wie der bisher immer noch fiiessende Unter- schied der beiden einander gegenüberstehenden Ansichten jetzt erst so ei- nem so bestimmten Gegensatz geworden ist.

Paiohasiui Badbertni« BatramnitB. 61

w«de dadurch yeranlasst , den Mönch Rttramnns za eiaem Gut- MMBn hierüber anfzofordern. Nachdem emmal die eine der beiden ODinder gegenüberstehenden Meinungen einen so prägnanten Aus- drack erhalten hatte, wurde die Frage, die sie betrafen, nach bei- den Seiten hin in ihrer Spitze aufgefasst. Die rationelle Ansicht katte inRatramnus einen so entschiedenen Vertreter, dass die Sdirifk^ in welcher er sie entwickelt, nicht nur dem Scotus Erigena ngescbrieben , sondern auch wiederholt als häretisch verdammt wurde 0*

Ralramnus fasste die Frage, die er zu beantworten hatte, so Alf, dass die Behauptung des Radbertus von vom herein, schon dvch die Fragestellung, ausgeschlossen war. Es frage sich, sagte er, ob das, was in der Kirche vom Munde der Glaubigen als Leib und Blut Christi empfangen wird, in myaterio (mystisch, d. h. figürlich, bildlich) fiat an in veriiate (in der Wirklichkeit), d. h. ob etwas Ver- borgenes dabei sei, was nur Gegenstand des Glaubens ist, oder ob te, was der Geist innerlich anschaut, äusserlich und körperlich in leiaer nahten Gestalt so vor Augen liege, dass das Ganze, das hier nirsich geht, sich im klarsten Lichte darstellt, ob es also der von der Maria geborene, gestorbene und begrabene, auferstandene und nm Himmel erhobene Leib sei. Da nun diess Letztere augen- lAeinlich nicht der Fall ist , so habe man nur die Wahl , entweder i&lechtbin zu läugnen, dass im Abendmahl der Leib und das Blot Christi seien, oder, wenn man, wie natürlich, diess nicht läugne, «zunehmen, dass sie mystisch oder figürlich da seien. Von einem lysterium könnte gar nicht die Rede sein , wenn nicht auch etwas figürliches dabei wäre. Wo nichts Verborgenes, nichts Verhülltes iei, sei auch kein Mysterium. Das Brod, das durch den Priester am Leib Christi werde, sei äusserlich etwas Anderes für den umschlichen Sinn , und etwas Anderes innerlich für den Geist der Ghobigen. Aeusserlich sei das Brod, was es zuvor war, nach Gestalt, Farbe und Geschmack, innerlich sei es der Leib Christi. Wäre hier nichts Figürliches, sondern alles Wirklichkeit, so hätte

1) Dass die Schrift des Batramnas De corpore et aangume Domini di«»- selbe ist, die unter dem Namen des Joh. Scotus auf zwei Synoden zu Rom und SU Yercelli im Jahr 1060 verdammt worden ist, kann nach Laufs^ Un- tennchung in den Theol. Stnd. und Krit. 1828. 4. nicht wohl bezweifelt wer- den. Vgl. BüüKEBT a. a. O. S. 521.

68 Ente Periode. Zweiter Absolinitt

der Glaube, dessen Object das Geistige ist, niclits dabei zu Ebenso wenig liesse sich eine Veränderung denken, durch das Brod zum Leib Christi geworden wäre, da an Brod und Wete keine Veränderung wahrzunehmen ist. Die Veränderung katti daher nicht körperlich, sondern nur geistig geschehen, d. h. Brrt und Wein sind figürlich der Leib und das Blut Christi, sofern ü^ ter der Hülle des körperlichen Brods und des körperlichen Weni der geistige Leib und das geistige Blut Christi existirt, jedoii nicht so, dass zwei unter sich verschiedene Dinge neben einuidlr existiren, sondern eine und dieselbe Sache ist einerseits die äpedm Ton Brod und Wein , andererseits der Leib und das Blut ChrUf durch die mit Brod und Wein sich verbindende Kraft des gdltlichaa Worts 0- Zum zweiten Theil seiner Untersuchung machte Ratrav- nus die Frage, ob der Leib , welcher in der Kirche von den 6ha- bigen als Sakrament empfangen wird, der aus der Maria geborene, gestorbene und begrabene Leib sei Diese Frage ist jedoch icftoii durch den ersten Theil so beantwortet , dass hier nichts Weseal- liches hinzukommen konnte; es war daher nur noch der Unler^ schied zwischen dem einen und dem andern Leib genauer zu be- stimmen, dass der eine ein wirklicher, der andere ein geistiger Leib sei, und was so wesentlich verschieden ist, nicht eines und dasselbe sein könne. Das was äusserlich erscheint, sei nicht die Sache selbst, sondern ein Bild der Sache, die Wirklichkeit der Sache sei nur das, was im Geiste empfunden und gedacht wird. Zur Begründung seiner Ansicht berief sich Ratramnus auf die d0 Abendmahl betreffenden Stellen des Neuen Testaments, namenffich Job. 6., die Auctorität von Kirchenlehrern, wie Ambrosius lind Attgustin, und auf Gebete der Abendmahlsliturgie, in welchen Leib und Blut des Herrn ein Unterpfand des ewigen Lebens oder ein

1) De corpore et scmguine DonUni c. 1 19. 2^on ergo sunt üZem, ^[uod eemunturf et quod credtmtur, Seamdum enim quod eemtmtuTf corpus pai- eunt cormpiibile ipsa corruptibiliä, aectmdum vero guod credtmtur ammat pascunt in (letemvm victaras, ipsa immortalia. Vgl. c. 44 : In aaeramenio corporis et sanguinis Dominik quidqmd exterius swmitur, ad corporis rt/ec- tionem ctptattir , verbum autem Dei , qm est panfds invisibilis inoisibiliier in iUo existens saerevmentOf invisibiliter particip<xtione std fideUum mentea vivifi- cando pascit, secundum invisibilem substantiam , i, divini potemAam verhi corpus et sanguia vere Christi exisiunt»

Abendmahlilehre des Batramnas.

KU dessen, was erst künftig sich Yerwiridichen soll, genannt

fwden ^;).

Hit dieser Absichtlichkeit und dogmatischen Präcision war die

ifmbolische Ansicht vom Abendmahl noch nie entwickelt worden. Wbb für sie geltend gemacht werden kann , hat Ratramnus so zu- ' mimengefasst , dass seine Darstellung mit Recht als die classische Anctorität dieser Ansicht fär jene Zeit anzusehen ist Es gab unter ien damaligen von der Bildung des Carolingischen Zeitalters noch erienchteten Kirchenlehrern mehrere, welche dieser Ansicht zuge- ftn waren, und Paschasius Radbertus selbst bezeugt in seinen ipitern Schriften den Widerspruch, welchen seine Lehre fand. Er iusert sein Befremden darüber, dass so Manche die Realität des Fleisches und Blutes Christi laugnen, im Sakrament nur die Bedeu- taBg des Fleisches, nicht Fleisch, nur die Bedeutung des Blutes ncht Blut , nur Figürliches, nicht Wirkliches , nur einen Schatten

I> Mt des Körpers annehmen, während doch hier die $pecie$ beides nfjlBich sei, Bild und Wirklichkeit, der Körper der alten Opfer, Zv Bestreitung dieser Ansicht, die hiemit deutlich als die des Ra- ' tannus bezeichnet ist, beruft er sich mit allem Nachdruck auf den Wwtlaut der Einsetzungsworte, so wie darauf, dass weil im Leib

JüdBlat Christi die Vergebung der Sünden sei. Fleisch und Blut Ckristi auch wahrhaft und wirklich da sein müssen ^). Dieses ein- e bdie Argument, dass das, was im Abendmahl dem Namen nach sein t nll, auch der Sache nach in der Wahrheit und Wirklichkeit sein I üse, trug ohne Zweifel in jener auf die Realität des sinnlich ^ Gegebenen gerichteten Zeit am meisten dazu bei, dass sich dieVer- r' nndlangslehre immer mehr des Zeitbewusstseins bemächtigte. i Als Paschasius Radbertus mit seiner Lehre zuerst auftrat, war

ij Bin gleichsam überrascht, ein Dogma, über dessen unbestimmten Inhalt das dogmatische Bewusstsein sich noch keine genauere Re- ckenschaft gegeben hatte , mit Einem Male auf einen so bestimmten

1) lieber die Bedentnng der von Ratramnus gebrauchten Ausdrücke «peeie», figwray veritaSf mysterium ^ aacraanenta vgl. man RtJcKBBTS genaue Erörterung a. a. O. S. 536 f.

2) Man yergl. das zwölfte, erst nach dem J. 851 geschriebene Buch seiner Erklärung des Matthäus bei der Stelle 26, 26., und BQine MpUtola de fwpore et scmguine Domini od Frudegwrd/wm,

64 Erste Periode. Zweiter Abiohnitt

und SO Tielsagenden Ausdruck gebracht zu sehen ; es konnte sogtf -' gewagt erscheinen, an den Glauben der Zeit eine so starke Bh muthung zu machen und der Widerspruch, der sich dagegen eriMl| ^k glaubte im Vertrauen auf die Zustimmung, die ihm nicht fehlen M '- können schien , um so mehr in seinem Rechte zu sein. Wie goi '^^ anders war es aber als zwei Jahrhunderte nachher, gestfitct aaf US ^1 Auctorität des Ratramnus, welcher jedoch schon der der Hiraril yerdächtige Johannes Scotus untergeschoben war, Bbrenuar f(äA^ Tours dieselbe Ansicht als seine Ueberzeugung aussprach, und AI17! Anerkennung ihrer Wahrheit als eine wenigstens für jeden DmI^ *f kenden sich von selbst verstehende Sache betrachtet wissen woWI U So tief war indess der Glaube an die substantielle Verwandlang'icf Abendmahlselemente in das allgemeine Zeitbewusstsein eingedroi^ gen, dass die neue unerhörte Behauptung überall, wo sie YertaateMI den entschiedensten und heftigsten Widerspruch hervorrief; atf f 1 allen Synoden, die darüber verhandelten, wurde einstimmig selbe unbedingte Verdammungsurtheil gefallt, und die we Freunde und Anhanger, die auf der Seite des so schwer Bei digten standen, waren es sich wohl bewusst, wie sie zur öfl) eben Meinung standen und was sie vom Fanatismus der grimät Hasse zu fürchten hatten. Kein Wunder, dass auch der Ausdrud^' welchen man jetzt dem schon zur stehenden Lehre der Kirche fä*^ wordenen Dogma gab, ganz die Farbe des ungestümen, durch M Widerspruch zur Leidenschaft gereizten Eifers an sich trug, aft welchem man sich dem Glauben an die Verwandlung in die Ami warf. Zum rohesten Begriff derselben musste Berengar auf der rö» mischen Synode im Jahr 1059 sich bekennen, und, von dem gewdir tfiatigen Cardinal Humbert gedrängt, im Namen der römischen Kirche beschwören, dass der wahre Leib und das wahre Blut des Herrn nicht Mos sinnlich im Sakrament sei, sondern leibhaftig von den Händen des Priesters gehalten und gebrochen und von den Zähnen der Glaubigen zermalmt werde. In das leitende Motiv, das dabei zu Grunde lag, sieht man hinein, wenn man bedenkt, was nut dem Worte gesagt wurde , durch welches auf der Synode zu Ver- celli im Jahre 1050 die aus Veranlassung der Sache Berengars zur Sprache gebrachte Ansicht des Ratramnus zu Boden geschlagen werden sollte : ,,wenn wir jetzt noch im Bilde stehen, wann wer-

Berengar von Tonn and Lan frank. 66

dei wir die Sache haben ?'^ 0 Nicht blos Bildliches und Figärliches

wotte man also haben, sondern das Reale und Wirkliche, die Sache

mlbst in ihrer materiellsten Gestalt, in welcher sie als sinnliches

(Mgect mit den Händen gegriffen werden konnte. Dieser Materia-

lisBQs der Verwandlungslehre war aber nur ein weiterer Schritt in

derselben Richtung, welche schon PaschasiusRadbertus dem Dogma

gegeben hatte, und in dieser materiellen Versinnlichung hatte es

gidi mit dem Zeitbewusstsein so befreundet und ein so volksthüm-

lidies Interesse gewonnen, dass selbst ein Papst, wie Gregor VII,

Aasen persönliche Ansicht, wie aus der Geschichte Berengar*s

tatliGh zu sehen ist, mit seiner Lehre sich wohl zu verständigen

imste, dem allgemeinen Andrang nicht widerstehen konnte. Was

äA aber noch besonders als einen charakteristischen Zug der Zeit

la erkennen gibt, ist die entgegenkommende Bereitwilligkeit, mit

wddier die schon zum Bewusstsein ihrer Bedeutung erwachende

ttdektik es auf sich nahm , das wunderglaubige Dogma auch dog-

«tiich zu rechtfertigen. Der Hauptgegner Berengars, Lanfrank,

^^ Mkea ihm der erste Dialektiker jener Zeit , ist in dieser Hinsicht

^ itoa der Vorlaufer der spatern Scholastik in ihrer Stellung zur

Erche. In der Darstellung Lanfrank's wird nicht nur die Verwand-

hng der irdischen Substanzen, die an dem Tische des Herrn durch

deaDienst des Priesters göttlich geweiht werden, als ein unbegreif-

Kekes Wunder der göttlichen Allmacht geltend gemacht, sondern

[ och der Begriff der Verwandlung durch genauere Bestimmungen

) feikgestellt Die Verwandlung der Substanz schliesst nicht aus,

; ku die Bpeciea der Dinge selbst und die übrigen Qualitäten in

\ Irem Dasein erhalten werden und ebenso wenig wird die Identität

' k$ Leibs im Abendmahl mit dem aus der Jungfrau genommenen

i didnrch beeinträchtigt , dass der Leib des Herrn im Himmel zur

Bechten des Vaters ganz und Yollständig bleibt. Es ist derselbe

Leib nach der substanziellen Eigenthümlichkeit seiner Natur, und

Hr insofern nicht derselbe, als man dabei auf die äussere Erschei-

BQog Ton Brod und Wein sieht ^). Es gibt schon diess einen Begriff

1) Berengar de eaera coena adv. Lanfr. ed. Yischer. 1834. S. 43. £8 vn Petras Damiani, Diaconns der römischen Kirche, welcher durch dieses Aosrof den Beschlnss der Versammlnog heschleunigte , die augenhlickliche Verdammung der Schrift des Joh. Scotus Erigena.

2) De euchar. sacr. c. 18 hat Lanfrank die Haupthestimmuugen seiner

Baar, K.G. d. Hittelalters. 5

64 Ente Periode. Zweiter Abiohniti.

und 80 Tielsagenden Ausdnick gebracht zu sehen ; es konnte sogtr gewagt erscheinen , an den Glauben der Zeit eine so starke Zu- mnthung za machen und der Widersprach, der sich dagegen erhob, glaubte im Vertrauen auf die Zustimmung, die ihm nicht fehlen zu können schien , um so mehr in seinem Rechte zu sein. Wie gtu anders war es aber als zwei Jahrhunderte nachher, gestützt auf die Auetoritat des Ratramnus, welcher jedoch schon der der Hfirese Terddchtige Johannes Scotus untergeschoben war, Bbrenuar von Tours dieselbe Ansicht als seine Ueberzeugung aussprach, und die Anerkennung ihrer Wahrheit als eine wenigstens für jeden Den- kenden sich von selbst verstehende Sache betrachtet wissen wollte. So tief war indes^ der Glaube an die substantielle Verwandlung der Abendmahlselemente in das allgemeine Zeitbewusstsein eingedrun- gen, dass die neue unerhörte Behauptung überall, wo sie verlautete, den entschiedensten und heftigsten Widerspruch hervorrief; auf allen Synoden, die darüber verhandelten, wurde einstimmig das- selbe unbedingte Verdammungsurtheil gefallt, und die weni(;6ii Freunde und Anhänger, die auf der Seite des so schwer Beschiä- digten standen, waren es sich wohl bewusst, wie sie zur öffeBdl-» chen Meinung standen und was sie vom Fanatismus der grossen Masse zu fürchten hatten. Kein Wunder, dass auch der Ausdruck, welchen man jetzt dem schon zur stehenden Lehre der Kirche ge^ Mfordenen Dogma gab, ganz die Farbe des ungestümen , durch den Widerspruch zur Leidenschaft gereizten Eifers an sich trug, nnt welchem man sich dem Glauben an die Verwandlung in die Arne warf. Zum rohesten Begriff derselben musste Berengar auf der rd- mischen Synode im Jahr 1059 sich bekennen, und, von dem gewalt- tfidtigen Cardinal Humbert gedrängt^ im Namen der römischen

Kirche beschwören, dass der wahre Leib und das wahre Blut des

Herrn nicht Mos sinnlich im Sakrament sei, sondern leibhaftig von den Händen des Priesters gehalten und gebrochen und von den Zähnen der Glaubigen zermalmt werde. In das leitende Motiv, das dabei zu Grunde lag, sieht man hinein, wenn man bedenkt, was mit dem Worte gesagt wurde , durch welches auf der Synode zu Ver- celli im Jahre 1050 die aus Veranlassung der Sache Berengars zur Sprache gebrachte Ansicht des Ratramnus zu Boden geschlagen werden sollte : „wenn wir jetzt noch im Bilde stehen, wann wer-

Berengar ron Tours und Lanfrank. 65

den wir die Sache haben ?'^ 0 Nicht blos Bildliches und Figürliches wollte man also haben, sondern das Reale und Wirkliche, die Sache selbst in ihrer materiellsten Gestalt, in welcher sie als sinnliches Object mit den Händen gegriffen werden konnte. Dieser Materia- lismus der Verwandlungslehre war aber nur ein weiterer Schritt in derselben Richtung, welche schon PaschasiusRadbertus dem Dogma gegeben hatte, und in dieser materiellen Versinnlichung hatte es sich mit dem Zeitbewusstsein so befreundet und ein so volksthüm- liches Interesse gewonnen, dass selbst ein Papst, wie Gregor YII^ dessen persönliche Ansicht, wie aus der Geschichte Berengar*s deutlich zu sehen ist, mit seiner Lehre sich wohl zu verstandigen wusste, dem allgemeinen Andrang nicht widerstehen konnte. Was sich aber noch besonders als einen charakteristischen Zug der Zeit zu erkennen gibt, ist die entgegenkommende Bereitwilligkeit, mit welcher die schon zum Bewusstsein ihrer Bedeutung erwachende Dialektik es auf sich nahm , das wunderglaubige Dogma auch dog- matisch zu rechtfertigen. Der Hauptgegner Berengars, Lanfrank, ■eben ihm der erste Dialektiker jener Zeit, ist in dieser Hinsicht schon der Vorläufer der spätem Scholastik in ihrer Stellung zur Kirche. In der Darstellung Lanfrank's wird nicht nur die Verwand- lung der irdischen Substanzen, die an dem Tische des Herrn durch den Dienst des Priesters göttlich geweiht werden, als ein unbegreif- liches Wunder der göttlichen Allmacht geltend gemacht, sondern auch der Begriff der Verwandlung durch genauere Bestimmungen festgestellt Die Verwandlung der Substanz schliesst nicht aus, dass die species der Dinge selbst und die übrigen Qualitäten in ihrem Dasein erhalten werden und ebenso wenig wird die Identität des Leibs im Abendmahl mit dem aus der Jungfrau genommenen dadurch beeinträchtigt , dass der Leib des Herrn im Himmel zur Rechten des Vaters ganz und vollständig bleibt. Es ist derselbe Leib nach der substanziellen Eigenthümlichkeit seiner Natur, und nur insofern nicht derselbe, als man dabei auf die äussere Erschei- noog von Brod und Wein sieht ^3* Es gibt schon diess einen Begriff

1) Berengar de sacra coena ady. Lanfr. ed. Vischer. 1834. S. 43. Es war Petras Damiani, Diaconus der römischen Kirche, welcher durch diesen Ansrnf den Beschlnss der Versammlaog beschleunigte, die augenblickliche Verdammung der Schrift des Job. Scotus Erigena.

2) De euchar. sacr. c. 18 hat Lanfrank die Hauptbestimmungen seiner

Banr, K.G. d. Mittelalters. 5

66 ErRte Periode. Zweiter Abflohnitt

davon, wie leicht es die Dialektik mit ihren Definitionen und Di-* stinctionen nahm um in ihnen dem kirchlichen Supranataralismus eine Stütze für seine Postulate darzubieten.

So überwiegend die Macht war , mit welcher das Dogma von der Verwandlung schon jetzt das allgemeine Zeitbcwusstsein be- herrschte, so energisch war gleichwohl der Angriff, welchen es noch von der Schärfe des Berengar'schen Geistes zu erleiden hatte*. Ganz anders als Lanfrank, welcher der Auetoritat nie durch die Dialektik zu nahe treten wollte, stellte Berengar die letztere so hoch über die erstere, dass er die wahre Bestimmung des nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen in dem vernünftigen dialekti- schen Denken erkannte ^). Je mehr er sich mit seiner freieren An- sicht im Gegensatz zu seiner Zeit sah, um so mehr kam dadurch der acht protestantische Grundsatz zumBewusstsein, dass die Mei- nung der Mehrheit überhaupt das Kriterium der Wahrheit nicht

Lehre so zugammengefasst: GredimtiB terrenaa substantias converti tn esteniiam divini corporis , reservatio ipsarum rerum apeciebus et quilmadmn dlUs quaUtatihuSy ne percijnentea cruda et cruenta horrerent et ut credenUi fidei praemia ampllora perciperent^ ipso tarnen dominico corpore eociatente im eoeleatibus ad dextram patria^ immortali , inviolafo , integro , incontaminato, iUaeao, ut vere dici poaait et ipaum corpua, quod de virgine aumptum efC, noa anmere et tarnen non ipaimiy ipaum quidem, quantum ad esaentiam vera^ que naturae proprietärem atque virtutem , non ipaum autem y ai apectea pani9 vinique apeciem ceteraque. Zur Objectivität dieses Verwandlungsbegriffs ^ hört auch die Bestimmung, dass, wie Lanfrank behauptet c. 20, auch bei den Unwürdigen ein wirklicher Genuss des Leibs und Bluts Christi statt- iindet. Paschasius hatte diess noch nicht zu sagen gewagt, da er unge- achtet seines materiellen VerwandlungsbegrifTs doch alles wieder geistig fassen zu müssen glaubte. AlitMy sagt Paschasius c. 6, camem Christi spiritualüer manducat, et aanguinem bibity alivs vero nony quamvia buceUam de manu aacerdotla videatur percipere. Et quid accipity cum una ait conse- cratioy ai corpus et aanguinem Chriati non accipit? Die Antwort ist; das Ge- richt. Propter quod Uli f'dem peccator) virtus aacramenii svhtrahitUT, So objectiv ist also die Verwandlung nicht, dass sie nicht zugleich auch durch die Subjectivität der Geniessenden bedingt wäre.

2) A. a. O. S. 101: Maximi plane cordia estj per omnia ad dlalectieam eonfugere, quia confugere ad eam ad rationem est confugere, quo qui non eonfugity cum aecundum rationem ait fa^tua ad imaginem Deiy auum honorenk reliquit, nee poteat renovari de die in diem ad imaginem Dei, Es zieme sich nicht für einen cordatv^ homoy ut malit auctoritatibua drca aliqu^ ce- derCy quam rationCy ai optio sibi detury perire.

Opposition Bc'rengar'8 gegen d. Verwandlungsdogma. 07

sein könne, und er setzte daher der grossen, Irrthnm und Wahrheit verwechselnden Menge die innerlich gewichtige, wenn auch ausser- lieh noch so geringe Zahl der Einsichtsvollen entgegen, in welche als diej allein wahre]aus Gliedern Christi bestehende Kirche die Wahrheit sich so oft zurückgezogen habe 0- Von diesem Stand- punkt aus konnte er ein solches Dogma nur als eine der Sinnlichkeit und dem Aberglauben des ungebildeten Volkes sich empfehlende Vorstellung ansehen und sein dialektischer Scharfsinn deckte mit leichter Mühe die Widersprüche auf, in welchen es sich in sich selbst auflöste. Alles, was von Seiten der Vernunft und der Schrift gegen das Transsubstantiationsdogma gesagt werden kann, ist im Wesentlichen schon von Berengar demselben entgegengesetzt wor- den. Unter den verschiedenen Argumenten, mit welchen er es an- griff, ist für den strengen Dialektiker besonders charakteristisch das rein logische: es sei in dem die Identität von Brod und Wein mit dem Leib und Blut aussprechenden Satz der Widerspruch zwi- schen Subject und Prädicat, dass man ein Subject habe, von welchem als einem nicht existirenden auch nichts prädicirt wer- den könne, womit logisch dasselbe gesagt ist, was in der Sprache der Metaphysik die substanzlosen Accidenzien sind. Substanz und Accidens können ebensowenig getrennt werden, als das Prädicat ohne ein Subject existiren kann. Es ist ebenso unmöglich, dass die Substanz des Fleisches und Bluts Christi da ist, ohne sinnlich wahr- genommen zu werden , als dass die Substanz von Brod und Wein nicht mehr da ist, ohne dass auch die zu der Substanz gehörenden Accidenzien aufgehört haben da zu sein. Nur der Verstand trennt in der Betrachtung, was dem Sein nach an sich unzertrennlich ist^.

1) Vgl. a. a. O. S. 53 f. Auch seine freien Aeosserungen über die PSpste Leo VIIL, welcher minime leo de tribu Juda S. 84 und Nioolaus IL S. 71 erinnern an Luther.

2) Es stehe fest, sagt Berengar a. a. O. S. 190, hciec a Deo compctctOy tdbjectum dico et quod in mbjecto est, solo irUeüectUf minime visu vel quo^ cmque sensu corporeo separarif ut etiam ad vecordiaan tuam hcmc, qua du- citj colorem videri coloraio manente invisibili, secundum evangelium illud: quod JDeus conjunxity homo non separet, convenientissime possit inferri, quae Deus in ipsa eorum instiiutione inseparabilia , qu^intum ad sensum eoT" poris, esse insiituit, Lcmfranci vecordia separare non debuit, Bemerkenswerth ist, wie Berengar gegen den Wunderbegri£f ankämpft. Das logisch Unmög- liche sollte ja eben durch das Wunder bewirkt werden. Dagegen blieb nur

5*

68 Ente Periode. Zweiter Absehnitt.

Als Widerspruch mit der Schrift hob er hervor, dass Chrislas auf der Erde gegenwärtig sein soll, während er doch nach der Schrift bis zum Ende der Dinge im Himmel bleiben müsse; auch bemerkte er sehr richtig, dass eine Gegenwart an so vielen Orten nichts an- deres als eine dem Begriffe eines Körpers widerstreitende UbiquH tat sein würde 0* Der Grund, mit welchem man das Dasein der $pecie$ nach der Verwandlung der Substanz rechtfertigte, erschien ihm als höchst nichtssagend , da der horror vor einem solchen Ge- nuss nicht sowohl in dem sinnlichen Anblick liege, als in der gei- stigen Natur des Menschen , von welcher alles Begehren und Ver- abscheuen ausgehe 0. Im Gegensatz gegen die sinnlich materielle Vorstellung des Verwandlungsdogma's war die Grundanschanang seiner Lehre dieselbe symbolische Ansicht, deren Hauptvertreter Ratramnos war, aber er blieb nicht blos bei ihr stehen, sondern gab ihr auch eine festere ausgebildetere Form , indem er nicht blos die Spiritualität des nicht den äussern sinnlichen, nur den reinen intel-

die Instanz übrig, dass, je grösser der Widerspruch ist, welcher sich in der Sache herausstellt, auch dtis Wunder um so undenkbarer ist Per mirat»' Iwni, hält Berengar S. 96 seinem Gegner entgegen, dicis iata fieri^ itdmira-'. iioni deberiy veritLS dixisaes , ad injuriam et conteniptwni Dei. Äd eon- temptian vel injuriam Dei valere neeease eaty quod tu errasj veritatem Deum a ßdelibus suia exigere ut mentiantur , portiunculam camia , qttae nunquam ante celebratianem mensae dominicae extiterity in celebratione menaae domi- nicae twnc primum exiatere coeperity eaae de Chriati corpore^ cujus nuUa om- nino pars negari poaait per miUe et ampliua retro annoa extitiaae. Ad Det injuriam valety quod jubeaty ne dicam auamy cujuacunque camem hominis per dentesy per flagitium vel fa,cinu8 manducari,

1) Quiay quod diver ais in locia eodem momerUo aenaualiter adait corpus, corpus non eaae conataMt, A. a. a. O. S. 199.

2) A. a. O. S. 222. Si tibi auctor sahuls uaum cruoris Twmani sensu- aliter indieerety quaai flagitium vel facinus merito perhorrerea , horreres au- temy non aecundum quod deaipit Lanfrancua atque Faacaaius Corbeiensis monacuSy quantum ad sohim eontuitum oculorumy aed quantum ad quemcun- que senaum corporeumy et maxime et primo , qtuintum ad interioria hominis decu8y ad intelleciualitaiia contuittmiy ubi primum locum habet omnis appeti- ius vel horror et maximum, Sed nihil tibi propoaitum eaty quod jure pos- sit eaae horrori, Exigit a te Christus dominus y ut credaa exigity ut per comestionem et bibitionem corporcdemy quae fit per res exteriores per ptmem et virnmiy commonefa^ias te apirituaUs comestionis et bibitionisy quae fit in mente de Chriati came et sanguiney dum te reßcis in interiore tuo inc€tma^ tione verbi et paaaione.

Opposition Berengar^s gegen d. Verwandlnngsdogma. 00

lektuellen Menschen angehenden Gennsses mit allem Nachdruck hervorhob, sondern ganz besonders auch darauf drang, dass das Object dieses Genusses nur der ganze Christus in seiner ungetheil- ten Einheit sei, welcher, da er immer im Himmel bleibt, so wenig auf die Erde herabkommt, dass vielmehr der Genuss seines Leibs und Bluts nur als eine Erhebung in den Himmel gedacht werden kann 0- Seine Lehre war überhaupt dem Verwandlungsdogma in allen seinen Bestimmungen entgegengesetzt, die kraftigste Prote- station gegen den Materialismus desselben für alle folgenden Zeiten. Nach seiner letzten Verdammung in Rom im Jahr 1078 lebte er, ohne Zweifel mit dem bittern Gefühl der gemachten Erfahrungen, 10 stiller Zurückgezogenheit Es war, wie wenn mit seinem Ver- schwinden vom Schauplatz der Geschichte das freie, selbstgewisse, durch keine Auctoritätsrücksicht gebundene Denken nun auf lange von der Kirche Abschied genommen hatte, um auf andere, noch im dunkeln Schoosse der Zukunft ruhende Zeiten zu warten 0*

1) £ine der für seine Ansicht bezeichnendsten Stellen ist folgende in seiner Schrift de sacra coena S. 157. Coristituity non tüicubiy $ed ttbicun- que coelo devocatam ernte tempora restüuHoms omnium Chriaii camem ad- ette , gut nihil accipere ßdeles aXivd confirmae ah altari nin camem ««tuu- aUter et sanguinem Christi, Quod ita est contra rationes fidei , ut nuUu§ ßdeOum cogitare deheat se ad refectionem animae tuae cuicipere niai totam etvntegram Domini Dei sui camem: non atUem coelo devocatamy aed in coelo manentemy quod ore corporis fieri ratio nvüa permitiit, cordis ad videndum Deum mtmdati devotione spationssvma^ nvUa indignitate, nuüis fieri prohi- heiur angustiis, Nemo tibi concedet confingere adesae in altari portiwncth- lam camisy poriiunculam sanguinis Christi, Vgl. S. 130: Cum dicis camem, guae nunc primum in altari fit per generationem suhjecti, fideles accipere, portixMnculam nimirwm corporis indtuiis, non totum corpus Christi, quia incre- dilnle videtur, te usque eo potuisse desipere, ut totum Christi corpus ntme posse incipere esse per generationem subjecti putaveris. 8i ergo de porti- uncula camis CJiristi ita asseris, non solu/m te ipsa verit-as deficit, quia et indesecabile est Christi corpus, et qu>antulamcunque partictdam, camis nunc j/nm/u/m factam esse ^;er generationem subjecti concesseris, etia/ni minime de corpore Christi esse concessisti.

2) Neue Aufschlüsse über das Verhältniss Berengar's zu Gregor VII. gibt die überhaupt für Berengar^s Lebensgeschichte höchst wichtige Schrift : Berengarius Turonensis oder eine Sammlung ihn betreffender Briefe her- ansg. von Sudendokp. Hamb. u. Gotha 1850. Die aus einer Handschrift der K. Bibliothek in Hannover neu mitg^theilten Briefe enthalten neue Be- weise der Anhänglichkeit Gregors Yll. an Bercngar und der Ucbereinstim-

70 Erste Periode. Zweiter Abschnitt.

In der Lehre vom Abendmahl , wie sie in der ihr durch Pt* schasitts Radbertus gegebenen Richtnng bis zum Ende der Periode

mung mit seiner Lehre. Vgl. a. a. O. S. 169 f. Ebenso geht aber auch ans ihnen hervor, wie vorsichtig und diplomatisch zurückhaltend Gregor von Anfang an in dieser Sache sich benahm. Man sieht wohl, trotz seiner Ueberzeugung von der Wahrheit der Lehre Berengar*8 war ihm, dem soiiM so kühnen Manne, die Sache nicht wichtig genug, um etwas für sie %A wagen und seine hierarchische Machtstellung im entscheidenden Moment anfs Spiel zu setzen. Es ist bekannt, wie niederschlagend für Berengar nach den unmittelbar zuvor gegebenen Zusicherungen Gregorys Benehmen auf der eweiten römischen Synode im J. 1079 war. Aber auch schon früher hatte sich Berengar auf ähnliche Weise von dem Cardinal Hildebrand getäusÖfatt gesehen. Die Folge seines Verhaltens auf der Synode zu Tours im J. 1054 war, dass diejenigen , die sich zur Lehre Berengar's bekannt und von dem Legaten Hildebrand mit Zuversicht erwartet hatten, dass er sich für die- selbe öffentlich entscheiden werde, durch sein Schweigen erbärmlich einge- schüchtert wurden (a. a. O. S. 134). Indess hatte man noch das Vertrauen zu Hildebrand, er habe aus weisen Gründen die Gegner nur bis zu einer gelegenem Zeit geschont. Eine solche wäre die römische Synode unter Ni- oolaus H. im J. 1059 gewesen, zu welcher Berengar auf Hildebrands Raih freiwillig nach Rom reiste. Eine merkwürdige Stimme der Zeit über die Erwartungen, die man auf Berengar^scher Seite von dieser Synode hatte, enthält das höchst charaktervolle Schreiben, das Graf Gaufrid von Anjon, der Stiefvater der Kaiserin Agnes, der eifrigste Anhänger und Beschützer Berengar's, an Hildebrand um jene Zeit erliess: „Jetzt musst du*S so be- ginnt der Brief, »den Muth eines wahren Christen bewähren, damit Beren- gar nicht wieder dieselbe Elrfahrung an dir mache, wie zu Tours, als du in der Eigenschaft eines päpstlichen Legaten zu uns kamst. Du kamst, um zu beleben die Seelen, welche den Tod verdienten und zu tödten die Seelen, welche leben sollten. Du hast dich benommen, wie Joseph von Arimathia, von dem geschrieben steht: Er war selbst ein Jünger Jesu, doch heimlich aus Furcht vor den Juden. Ich will dir sagen, wem du gleich bist: du gleichest jenem, welcher sprach : ich finde keine Ursach des Todes an ihm, ihn aber aus Hücksicht gegen den König vom Tod nicht befreite. Ja du hast noch weniger gethan als jener. Denn Pilatus Hess Jesum zu sich rufen und scheuete sich nicht, das Zeugniss zu geben, ich finde keine Schuld an ihm. Dich trifft der Ausspruch des Evangeliums: Wer sich mein und meiner Worte schämt, dess werd' ich mich schämen vor meinem Vater. Dich treffen die Worte des Herrn : Wehe euch, denn ihr habt die Schlüssel der Erkenntniss, ihr kommt nicht hinein und wehret denen so hinein wol- len.« — »Ich will dir zu erwägen geben, wie sehr du dich jetzt, weil die rechte Zeit gekommen ist, beeilen müssest, durch freies öffentliches Bekennt- niss der Wahrheit den Nachtheil auszugleichen, den du derselben durch Ver- hehlen deiner Ueberzeugung bereitet hast.(( Selbst mit dogmatischen Grün-

Die Abondmahlfllehre dieier Periode. Ji

sich schon zu ihrer bestimmten Gestali ausgebildet hat, stellt sich uns das katholische Dogma ganz besonders in seinem specifischen Charakter dar, und ebendadurch erhält auch der Gegensatz, in wels- chen Berengar zu ihr trat, eine um so grössere Bedeutung. Die Grundanschauung, von welcher schon Paschasius ausging, ist der transcendenteste , alle Schranken des Natürlichen durchbrechende and aufhebende Supranaturalismus. Es ist in dieser Beziehung höchst bezeichnend, wie er die Entwicklung seiner Lehre mit dem katholischen Glaubensartikel von der Schöpfung der Welt aus Nichts beginnt, und aus diesem Begriff ein Verhältniss der Natur zu Gott ableitet, vermöge dessen der allmächtige Wille Gottes, wie er die Welt aus Nichts geschaffen hat, so auch in der geschaffenen Na- tur das allein wirkende Prinzip ist. Die Natur ist so schlechtbin vom Willen Gottes abhängig, so sehr nur durch ihn bestimmt, dass nichts gegen die Natur geschehen kann, weil alles, was in der Na- tur geschieht, nur die schlechthinige Wirkung, der reine Ausdruck des göttlichen Willens ist. Die geschaffene Natur hat auf jedem Punkte ihres Daseins so wenig eine immanente Realität und die Fähigkeit zu einer eigenen Substanz , dass ihr eigentliches Wes^n dasselbe Nichts ist, aus welchem sie geschaffen worden ist. Alle Veränderungen, die in der Natur geschehen, sind nicht gegen die Natur, sondern in der Natur selbst begründet, sofern die Ordnung der Natur ebendann besteht, dass sie schlechthin durch den Willen Gottes bestimmt wird 0* Uiemit ist ein so absoluter Begriff des

den setzte der Graf ?>dcr Hummer in den Schlacbtenu dem Cardinal zn. Jener Volkswalm führe, wenn er jemals um sich greife, zu der grössten Kezerei. Die Auferstehung des Fleisches, von welcher der Apostel sag« »diess Yerwesliche muss anziehen das Unverwesliche«, könne nicht beste- hen, wenn wir noch behaupten, dass der Leib Christi auf sinnliche Weise durch die Hände des Priesters gebrochen und mit den Zähnen zerkauet werde. nDa rühmtest dein Rom an Kechtgläubigkeit und Kriegesruhra nie besiegt. Du selbst würdest diesen Ruhm schmälern, wenn zur jetzigen Zeit, in welcher dich Gott vor allen Uebrigen beim päpstlichen Stulil er- hoben hat, jene Irrlehre, diese Pflanzschule unläugbarer Kezerei, durch deine Verstellung und durch das {Schweigen des päpstlichen Stuhls ermuthigt, ihr Haupt erhübe.tt Trotz aller dieser Motive fand Hildebrand für gut, sich auch jetzt wieder in den sichern Schlupfwinkel des Schweigens zurückzu- ziehen. Vgl. ßudendorf a. a. O. S. 128 f. 215 f.

1) C. 1 : Quiötßie cathoUcoram rede JJeum cmicta crecuse ex uihilo Corde credit ad Juötillam et vre conßtetur ad saliUevif jiuiujuam duhitare pO'

9S Erste Periode. Zweiter Abtofanitt

Wunders aufgestellt, dass im Grande nichts mehr ein Wunder ist Aach in der Verwandlung des Brods und Weins in das Fleisch im4 Blut Giristi tritt somit nur in einem bestimmten Punkte das hertor, was an sich der Charakter der Natur in ihrem Yerhdltniss zu GM ist. Das Wesentliche dieser Weltanschauung ist, dass sie, um nur alle Realität in das Göttliche zu legen, das Endliche in ein rein ne^ gatives Verhältniss zu ihm setzt und es im Grunde nur doketisch bestehen lasst; es ist dieselbe Anschauung, nach welcher in dar Person Christi das Menschliche dem Göttlichen so untergeordnet wird, dass es ein blos verschwindendes Moment an demselben ist Das Interesse für das wahrhaft Menschliche in der Person Christi hat diese transcendente Ansicht in diesem Theile des Dogma wenig« stens so weit zurückgedrängt, als diess in dem Symbol von Chalce- don geschehen ist. Dagegen hat sich dieselbe dem katholischea Dogma angeborene Tendenz, in dem Endlichen das Absolute, itt dem Menschlichen das Göttliche, in dem Natürlichen das Ueberaa^ türliche anzuschauen, auPs Neue in der Lehre vom Abendmahl geltend gemacht. Das in seiner bestimmteren Form zuerst von Pascha^ sius Radbertus ausgesprochene Transsubstantiationsdogma ist def charakteristische Ausdruck des Supranaturalismus der katholischen Weltanschauung. In demselben Verhältniss, in welchem im Abend- mahl Brod und Wein zum Fleisch und Blut Christi stehen, steht überhaupt das Endliche zum Absoluten; wenn es auch eine eigene Realität zu haben scheint, so ist es doch nur scheinbar, der innere Grund des Seins der endlichen Dinge, die eigentliche Substanz ihres Wesens ist nur der an ihnen wirkende göttliche Wille ; in

terüf ex aliquo aliquid rursus fieri posse, quasi contra naturam aliudy imo jure naiurae quod necdum erat. Kam natv/ra omnium creatu/rarum non ex $e egtf neque ex aese creoit rursum omniaf quae vel sunt naiu^alia rerum nascentiay sed voUmtate Dei omnium rerum natu/ra condita est. Ideoque qtiotiescunque in seculo videtur quasi contra na/turam aliquid evenire, quo- dammodo non contra naturam, est , quia potissimum rerwm na^wa creaUt- rum hoc habet eximium, ut a quo est semper ejus obtemperet jussis, ut sieut veUe Dei ejus profecto est esse^ ita quoque quidquid eam rursus Dei virtus esse decreverit et ideo natura creaiurae quoties mutoitwr aut augetur vel mbtrahitur non ab iUo esse divertUur in quo est, quia sie est et sie JU ut ille decemit in quo est. Es ist diess übrigens nur die weitere Entwicklung des augustinischen Wanderbegriffs. Vgl. mein Lebrb. der cbr. Dogmengesch. 2. A. 1858. S. 157.

AbendmahUUhre. Das Papstthnm« 78

diesem Verhältnis^ ist daher auch die Möglichkeit begründet, dass in jedem Aagenblick, auf jedem Punkte des endlichen Seins, an die Stelle der natürlichen Causalität der endlichen Dinge die absolute Causalitat Gottes tritt Von diesem Gesichtspunkt aus lässt sich erst der Widerspruch Berengar's gegen ^ie Lehre des Paschasiuf in seinem tieferen und aligemeineren Interesse richtig verstehen; denn worin anders bestand es als darin, dass er gegen eine alle Realität der endlichen Dinge aufhebende Wundertheorie die Ge- setze des vernünftigen Denkens, die Wahrheit der allgemeinen Begriffe und Kategorieen, die Ordnung der Natur, die Thatsachen der sinnlichen Wahrnehmung, der allgemeinen Erfahrung, des un- mittelbaren Bewusstseins aufrecht erhalten wollte? Der Katholicis- mus ist um so principieller widerlegt, je mehr für eine an feste Gesetze gebundene Weltanschauung Raum gewonnen und der Boden gesichert ist, auf welchem das Endliche gegen das Abso-^ lute, das Natürliche gegen das Uebernatürliche, das vernünftige Denken gegen das über alles übergreifende Wunder in seinem, wenn auch nur relativen Recht sich behaupten kann. Berengar*s Opposition erhielt dadurch ihre Schärfe und Energie, dass dieses allgemeine Interesse überall aus ihr hervorblickt, während dagegen die Bedeutung des Paschasius darin besteht, dass er dem Trans- substantiationsdogma eine Form gab, die nur als der concrete Aus- druck dessen angesehen werden kann , was das katholische Dogma überhaupt seinem Wesen nach ist.

Dritter Abschnitt.

Die Hierarchie.

1. Die' Geschichte des Papstthums.

Die Haupterscheinung ist die Entstehung des eigentlichen Papstthums, die mehr und mehr steigende Macht des römischen Bischofs und seine Erhebung auf die Stufe, auf welcher er der souveräne Herr der Kirche ist. Dazu wirkten neben der gross-- artigen Consequenz, mit welcher das hierarchische Princip die von Anfang an in ihm liegende Idee des Papstthums aus sich hervor-

74 Erste Periode. Dritter Abschnitt

gehen liess, die Zeitverhaltnisse auf eine vielfach günsUge Weise mil; aber es musste auch noch durch schwere Kämpfe und höcbst kritische Zeiten hindurchgehen bis es fest auf sich selbst stand*

Wahrend die theologischen Streitigkeiten, die im Laufe dei siebenten und achten J^rhunderts die Kirche des Orients und 0£* cidents aufs Neue bewegten und den römischen Bischöfen Geleges^ heit gaben, die Selbstständigkeit ihrer Stellung zu behaupten, ebea- sosehr als die politischen Verhältnisse Italiens, welche die Unmaofat des griechischen Kaisers immer oiTener an den Tag legten, dam beitrugen , das Abhängigkeitsverhältniss zwischen Rom und Gont- stantinopel, dem Papstthum und Kaiserthum mehr und mehr au£HH lösen Of eröffnete sich dagegen den Päpsten im Abendlande die Aussicht zu einem neuen Stützpunkt für ihre hierarchischen Bestre- bungen. Wie die Päpste das weitere Ziel, das vor ihnen lag, erst zu erringen im Begriff waren, so trug auch das fränkische Beich den Keim einer erst sich bildenden Macht in sich. Was dort die Hierarchie als ihre Aufgabe verfolgte, erstrebte hier der politische Ehrgeiz von Machthabern, die auch erst aus ihrer noch unterge- ordneten Stellung sich emporarbeiten mussten. Der Gedanke, wie förderlich die beiderseitigen Interessen einander werden konnten, lag so nahe, dass das wirkliche Entgegenkommen beider, eine Reihe von Ereignissen, in welchen wir die geistliche und die weltliche Macht, jede für ihre Zwecke, Hand in Hand gehen sehen, nur als die natürliche Folge der Zeitverhältnisse anzusehen ist. Den äus- sern Anstoss dazu gaben die Longobarden, deren immer weiter gegen Rom sich ausdehnende Herrschaft den Papst seine Blicke dahin zu richten nöthigte, wo er allein Hülfe finden konnte. Ver- geblich hatte sich zwar noch Gregor III. im Jahr 739 durch eine die Schlüssel zum Grabe des heiligen Petrus überbringende Ge- sandtschaft mit der Bitte um Schutz gegen die, Bedrängnisse des Longobardenkönigs Liutprand an Karl Martell gewandt; nachdem aber indess Bonifacius die fränkische Kirche aus der Verwilderung

1) In dem langen Kampf zwischen Rom und Byzanz ragen als Gründer der römischen Hierarchie und Befreier von der griechischen Despotie be- sonders Gregor II. und Gregor III. hervor. Der erstcre folgte als Hohter Römer im Jahr 715 auf sieben Päpste griechischer oder syrischer Abkunft Beide stehen auch als Meister der diplomatischen Kunst Gregor I. würdig jBur Seite.

Die Pftpste und die frlnkisohen Herrscher. 75

und Zerrüttung, in die sie unter Karl MartelFs kriegerischer Regie- rung gerathen war, zu einem geordneteren Zustand zurückgebracht und schon dadurch das Band mit Rom enger geknüpft hatte, konnte dem die Zeit zur Ausführung seiner politischen Plane reif erachten- den Pipin um so weniger auf die bekannte Frage die gewünschte Antwort fehlen, im Jahr 752. Die Päpste Zacharias und Stepha- nns ni. waren es, welche die Franken ihrer alten Treue gegen die Merowinger entbanden und dem neuen Königsgeschlecht der Karo- linger die geistliche Weihe ertheilten. Hatte so die geistliche Macht der weltlichen den wesentlichsten Dienst geleistet, so war es nur hiliig, dass auch die weltliche der geistlichen ihre hülfreiche Hand reichte. Nach den zwei Feldzügen, welche Pipin in den Jahren 754 und 755 gegen das Reich der Longobarden unternahm, hatten nicht nur die Papste von der Macht derselben nichts mehr zu fürch- ten, sondern sie erhielten auch einen nicht unbedeutenden Theil des eroberten Gebiets, das Exarchat und die Pentapolis Cd. h. den Küstenstrich von Rimini bis Ancona), welche stets für den am un- zireifelhaftesten aus der karolingischen Schenkung herstammenden Länderbesitz galten 0* In Folge dieser Schenkung nahm Pipin den Yom Papste verliehenen Titel eines Patricius an, welcher die lan- desherrliche Gewalt, die Pipin auch über Rom hatte, wie es scheint aus Rücksicht auf den byzantinischen Kaiser, noch mit dem Vorbe- halt bezeichnen sollte, dass sie nur in stellvertretender Eigenschaft ausgeübt werde 0* In dasselbe Verhältniss trat Karl der Grosse ein, als er im Jahr 773 dem longobardischen Reich ein Ende machte. Er bestätigte die Schenkungen Pipin's; ob und wie weit er sie mit neuen vermehrte , ist zweifelhaft *). Für Karl war je-

1) Eomania (la Romagna) schon im Mittelalter genannt, Gfbüheb a. a. 6, 1. S. 95.

2) In Rom hiess Patricias der die Stelle des Kaisers vertretende hOchste weltliche Machthaher.

3) Nach dem Papstbuch hätte Knrl der Grosse die yon Pipin der römi- schen Kirche gemachten Schenkungen in grossem Maasstab vermehrt Es

x ist aber nicht nur der Verfasser dieses Buchs kein sehr glaubwürdiger Zeuge, sondern es befanden sich auch die Päpste dieser Periode nie in dem faktischen Besitz der ihnen augeblich in so grossem .Umfang geschenkten Länder. Es ist hier ein Punkt, von welchem zwei verschiedene Auffassungen der Papst- geschichte dieser Zeiten ausgehen. 'Während man auf protestantischer Seite sehr geneigt ist, bei den Nachrichten und Urkunden über diese Schenkungen

76 Erste Periode. Dritter Absohnitt

doch die anch von ihm unier dem Namen eines Patricias ausgeübte Gewalt über Rom und die Päpste nur der Uebergang zu einer für die Zukunft höchst bedeutungsvollen Normirung des Yerhiltnissei zwischen der geistlichen und weltlichen Macht Hatte Papst Hadrianl schon im Jahr 777, nur um die Freigebigkeit Karl's zum Wetteifer mit einem so hohen Vorbild anzufeuern, ihn als einen neuen CSon- stantin begrüsst, der als allerchristlichster Kaiser in diesen Zeilai aufgestanden, durch welchen Gott seiner heiligen Kirche, der Kirche des Apostelsfürsten Petrus schon so Vieles verliehen und nock so Vieles, worauf sie die gerechtesten Anspräche habe, in Aussiekk stelle, so wurde der schmeichlerische Titel zur ernsten Wahrheit, als Karl am Weihnachtsfest des Jahrs 800 durch Papst Leo III. sieh zum weströmischen Kaiser krönen Hess. Es versteht sich von selbst, dass die Uebertragung dieser Würde, deren Bedeutung dem Herr- scherideal KarFs des Gr. sosehr entsprach, nicht blos etwas so zufalh'g improvisirtes war, wie die gewöhnliche Erzählung glauben lassen will, sondern das Werk längst eingeleiteter Plane ^ deren Verwirklichung nur durch die Verhältnisse, in welchen sich LeoUL

den Einfiuss des päpstlichen Interesses vorauszusetzen, behauptet dagegei Gfrörer die Aechtheit der Schenkungsakten, zugleich aber dass sie blosse Versprechungen blieben, die nie in Erfüllung gingen und nur in der Absiolit gemacht wurden, um die Statthalter des Stuhls Petri durch ein goldenes Nett von den Karolingern abhängig zu machen. Die angebliehen Gebietserweite- rungen wurden von der römischen Kirche um einen schweren Preis, die Freiheit der Papstwahl, erkauft. Ehe Karl der Grosse seine Schenkung machte, bedang er sich von Hadrian I. als Gegenpreis das Herrenrecht Über Petri Stuhl aus. Die Schenkung war eine blosse Zusicherung ; innerhalb des angeblich und scheinbar geschenkten Gebiets kommen seit dieser Zeit grösseie und kleinere Dynasten zum Vorschein, wie in Spolcto, welche Karl als welt- liche Lehnträger und zur Ucberwachung der Päpste einsetzte, zum Ersati erhielten die Päpste nur gewisse Renten. Indem so die weltlichen FürsteOi Karl der Grosse und Otto I., in welchem „Karls des Gr. Schatten, ein ans dem Grabe heraufbeschworenes Gespenst wieder durch die Welt schritt*', nie leisteten, was sie versprachen, eidlich übernommene Pflichten nie erfüllten, erscheinen sie als die ungerechtesten Bedrücker der Kirche, die wortbrüchig nnd meineidig sich alles Mögliche erlaubten und es immer nur darauf alh gesehen hatten, durch Intriguen von den Päpsten selbst die Veranlassung sn neuen Gcwaltthaten zu erhalten, und die Päpste, die nur ihr Recht verfech- ten und für das Patrimonium Petri sich wehren, sind, so schlecht und sitten- los sie auch sonst sein mögen, doch -ächte Päpste, des Stuhls Petri würdige Vertreter! üfkoreu a. a. 0. 8, 38 t 51. 80. 273. 293.

Das Papstthmn nnd das Kaifertbnm. TT

den Römern gegenüber befand , ToIIends herbeigeföhrt wurde 0* Es stellt sich in der Anschauung des folgenreichen Akts sehr klar Tor Augen, wie die beiden höchsten die Welt beherrschenden Mächte nur durch einander und an einander den Gipfel ihrer welt- geschichtlichen Grösse ersteigen konnten. So wenig auch weder der, der diese Würde ertheilte, noch der, der sie empfing, dadurch unmittelbar einen reellen Zuwachs an Macht gewann, so unendlich viel hing gleichwohl in der Vorstellung der Völker an diesem Akt einer geistlichen Weihe, wie sie nur das höchste Oberhaupt der Kirche ertheilen konnte. Erschien das Kaiserthum bei der lieber- tragung seiner Krone auf das Haupt Karl's des Gr. als eine Stufe weltlicher Macht, die auch dem mächtigsten Herrscher, solange er noch nicht auf ihr stand, ein noch über ihm stehendes Ziel vor- hielt, so war es dagegen nur der Papst, der auf diese Stufe er* heben und diese Würde zu dem machen konnte, was sie wesent- lich war, und auch er stellte sich der neuen Würde gegenüber in einer Grösse seiner Macht dar, die ihm nur ein solcher Akt ver- leihen konnte. Indem auf diese Weise jede der beiden Mächte an der andern sich hob und durch sie etwas wurde, was sie nur durch sie werden konnte, lag in dem Verhältniss, in das die beiden Herr- scher an der Schwelle des neuen Jahrhunderts zu einander treten,' der Anfangspunkt einer neuen Epoche mit der inhaltsreichsten Zu- kunft, aus deren Schoosse alle Gegensätze und Kämpfe hervorgingen,

1) Die Sache hängt mit dem Aufstand zusammen, in welchem römische Adelige, Verwandte des Papstes Hadrian (vgl. GregoroTius a. a. 0. S. 522 fL)^ sich gegen Leo III. erhoben, wodurch er genöthigt worden war, sich in das Lager KarFs des Grossen nach Paderborn zu flüchten, im Jahr 799. Im Jahr 800 zog Karl nach Rom, um als Schutzherr und Patriciut der Römer über die Schuldigen Gericht zu halten und die Ordnung herzustellen, und der Schluss dieser Vorgänge war, dass ihm Leo die Krone der römischen Imperatoren auf das Haupt setzte. Nach Gfröbeb a. a. O. 5, 1. S. 99 kann man mit Händen greifen, dass die römische Bewegung vom fränkischen Hof ausging. Karl hat. die beiden Römer, Campulus und Paschalis, welche die Verschwörung gegen Leo angezettelt hatten, als Werkzeuge gebraucht, um den Papst in die Notbwendigkeit hineinzutreiben, dass er entweder auf Petri Stuhl verzichte, oder die Kaiserkrönung yomehmen müsse. Karl hatte hie- mit ein heisserschntes Ziel erreicht, auf das er seit Jahren unablässig hin« steuerte. Auffallend ist wenigstens, dass erst Leo DI. diesen Wunsch KarPs des Grossen erfüllte, nicht schon Hadrian I., zu welchem doch Karl in so ▼ieljähriger, dem Anschein nach so vertrauter Beziehung stand.

78 Erste Periode. Dritte? Absohüitt

die in dem langfen Zeitraum des nm den Conflict des Papstthums mid Kaiserthums sich bewegenden Mittelalters sich vorfinden. An dem Yerhaltniss, in welchem Karl als Kaiser zu dem Papste stand, änderte sich zunächst nichts, ausser sofern das Recht, das er, wie Pipin, schon bisher durch die Bestätigung der Papstwahl alsPatricius aus- übte, nun in derselben Weise auf ihn überging, in welcher ei tm den byzantinischen Kaisern bis auf Gregor III. ausgeübt wordei war. Die Gelobung unbedingter Treue war die Bedingung, unter welcher allein der vom römischen Clerus, Adel und Volk gewähUe Papst der Bestätigung seiner Wahl gewiss sein konnte. Auch die nächsten Nachfolger Karl's des Gr., Ludwig der Fromme undLothar, hielten streng an dem ihnen als Kaisern bei der Papstwahl zustehen* den Recht der Oberaufsicht und Genehmigung. Als nach dem Tode des Papstes Paschalis I. im Jahr 824 Lothar nach Rom gekomraen, nahm er bei der Wahl des Papstes Eugenius IL den Römern die eidliche Verpflichtung ab, dass nie eine andere Papstwahl stattfinde als in völlig kanonischer und gesetzlicher Weise, und dass nie ein zum Papst Gewählter Weihe und Einsetzung erlange, ehe derselbe in Anwesenheit der kaiserlichen Sendboten und des Volkes den Huldigungseid abgelegt haben werde, welchen Papst Eugenius frei- willig zum Wohl aller geleistet und schriftlich niedergelegt habe ^> In der Reihe der Päpste des neunten Jahrhunderts hat keiner eine hervorragendere Stellung als der auf Leo IV. von 847 855 und Benedict IIL von 855—858 ^3 folgende Nicolaus L, welchen

1) Vgl. Pertz Mon. Leg. I. S. 240. Aus dem dritten Art. der Lothar* sehen Constitutio Rom. bei Pertz a. a. O. S. 239: dass kein UnberechtigteTi sei er freien oder hörigen Standes, an den Papstwahlen tbeilnehme, sondern nur die stimmen sollen, welchen altes Herkommen gemäss den Satzungen der hl. Väter solche Befugniss verlieh, schliesst Gfbörer a. a. O. S. 12Sf dass das Volk für immer von den Papstwahlen ausgeschlossen worden seil um den bei der Wahl des Papstes Eugenius gewonnenen Sieg des Adels SB verewigen. £3 ist aber auch diess eine der prekären Voraussetzungen, aaf welche in dem Gfrörer 'sehen Werke so vieles gebaut wird.

2) Zwischen diesen beiden Päpsten soll die berüchtigte Päpstin Johanna ihre Bolle gespielt haben, die den langen Glauben an ihre geschichtliche Existenz nur dem protestantischen Partei -Interesse zu verdanken hatte. Es lässt sich nicht leicht bei einer angeblichen Thatsache dieser Art ihr nn' historischer Charakter so genau und sicher nachweisen wie hier. Zwischen den genannten Päpsten ist für die Päpstin nicht einmal die Möglichkeit der geschichtlichen Existenz vorhanden, da mehrere unzweifelhafte Data den

Papste n. Kaiser naeh KartM« DiePftpstia Johanna. 70

urkundlichen Beweis dafür geben, dass unmittelbar anf Leo IV. Benedikt III. folgte. Der erste, der die Sache ausftihrlioher erzählt, ist der schlesisohe oder böhmische Dominicaner Martlnus Polonns, welcher als päpstlicher Pöni- tentiar und Capellan am päpstlichen Hofe lebte und seine Chronik zwischen 1250 nnd 1278 schrieb. Schon vor ihm hat sie auch der Dominicaner Ste- phanus de Borbone in seiner Schrift de Septem donis Spiritus um das Jahr 1225 erwähnt Man kann nur noch fragen, wann und aus welcher Ver- anlassung die Sage entstanden ist. Für die Zeit der Entstehung gibt einen festen Haltpunkt das Schreiben Lco^s IX. an den Patriarchen Michael von Constantinopel vom Jahr 1054 (bei Mansi XIX. S. 649.), in welchem Leo sagt: Er wolle nicht glauben, was die öffentliche Sage behaupte, in der Kirche von Constantinopel sei schon der Fall yorgekommen, dass man, wie ja auch schon Eunuchen im Widerspruch mit dem ersten Kanon der nioä» nischen Synode promovirt worden seien, ein Weib auf den Patriarchenstuhl erhoben habe. Wie hätte Leo es wagen können, die Sache hier auch nur zu berühren, wenn er wusste, es gehe die Sage, in Kom selbst sei dasselbe auf die anstössigste Weisie geschehen? Die Sage kann also erst nachher entstanden sein; aber aus welcher Veranlassung? Die Zeit, in welche die Pftpstin gesetzt wird, legte es nahe, an den Betrug mit den pseudoisidorischen Decretalen zu. denken und die Erzählung als eine Satire auf das Papstthum im Sinne des Verses zu deuten : Farce Pater Fatrum PapUsae pandere pactum. So C. Blascus in dem Commentarius de collectione canonum Isidori Merca- toris in Gallandi de vetustis canonum collect T. 2. S. 135 xmd Henke in der Kirohengesch. 2. S. 22. Auch Gfbörer Kirchengesch. 3, 2. S. 978 stimmt bei, nur hält er die Fabel für einen allegorischen Tadel des Bundes, welchen Leo IV. mit den Byzantinern habe schliessen wollen. Dieselben, welche in dem aus Mainz gekommenen Isidor einen gräulichen Betrug sahen, haben auch den Plan Leo's missbilligt, sich den Byzantinern in die Arme zu werfen« Diess habe man so ausgedrückt: die päpstliche Gewalt sei damals zur Hure geworden. Schon dieses letztere trifft nicht zu, da das Mädchen zwar in dnem geheimen Liebesverhältniss steht, nicht aber als Hure geschildert wird» Aber auch die ganze Hypothese einer Beziehung amf die falschen Decretalen ist durchaus unhaltbar. Wer sollte denn den mit ihnen gespielten Betrog aach nur in dieser verhüllten Weise yeröffentlicht haben? Doch wohl nicht die Verfasser der Decretalen, die darin theils keinen Betrug sahen, theils nicht selbst darauf aufmerksam gemacht haben werden. Es kommt bei allen Versuchen einer Erklärung vor allem darauf an, die Grundanschauung richtig ao&ufassen. Ist die Erzählung nicht factisch, sondern erdichtet, so muss sich auch ein bestimmter Gedanke in ihr kund geben. Betrachtet man die einzelnen Züge genauer, so ist der Hauptzug offenbar die Verkleidung des Mädchens, seine Verstellung, die Täuschung und Enttäuschung. Dem Papst' thum soll zunächst kein Schimpf angethan werden. Das Papstthum ist nur hereingezogen um an ihm der Erzählung vollends ihren Haupteffekt zu geben.. Die Pointe ist, dass die Rolle einer solchen Verkleidung und Geheimhaltung

80 Erst« Periode. Dritter Abiohnitt

des Geschlechts sogar bis luin Papstthnm hinauf gespielt worden sei. Eine auf diese Weise so lange und mit solchem Erfolg fortgespielte Bolle konnte mit keiner passenderen Katastrophe enden, als wenn man sich nach solcher Täuschung zuletzt so enttäuscht sah. Die Erzählung enthält mit Einem Wort die Anlage eines Romans oder einer Novelle ohne ursprüngliche Be- ziehung auf dos Papstthum. Auch die verschiedenen in sie eingeflochtenes Orte, England, Mainz, Griechenland, Athen, Born: gehören nur zur romaih haften Ausschmückung. Indess ist die Sage doch nicht blosse DichLtang, sie hat gleichwohl auch einen historischen Hintergrund. Es ist höchst auf- fallend, dass in der zuerst von Muratori in den Script rerum Italic IL 2. herausgegebenen Chronik eines Anonymus Salemitanus (der Chron. Salem, bei Pebtz Mon. G. III. S. 464) folgende Erzählung sich findet: In Gob- ■tantinopel war ein Patriarch, ein sonst rechtschaffener Mann, der aber ans fleischlicher Liebe seine Nichte als Eunuchen in seinem Hanse hatte, äk er mit vorzüglichen Kleidern ausstattete. Vor seinem Tode empfahl er den Eunuchen allen zu seinem Nachfolger, er wurde zum Patriarchen gewählt und hatte den Patriarchenstuhl anderthalb Jahre inne. Nun kam aber bei Nacht der böse Geist vor das Lager des longobardischen Fürsten tob Be- nevent, Arichus (er lebte zur Zeit KarPs des Grossen und ist hier wohl desswegen genannt, weil überhaupt die Fürsten von Benevent in näherer Be- ziehung zu Constantinopel standen), rief ihn bei seinem Namen auf und sagte ihm: Ich will dir kund thun, was ich gethan habe. Die Constantmo- politaner haben nicht einen Mann, sondern eine Frau zum Patriarchen, dest- wegen liegt der Zorn des Erlösers auf dem Lande. Der Fürst sohiddt sogleich nach Constantinopel und es fand sich wirklich alles so, woranf die Pest aufhörte. Es ist diess der Sache nach dasselbe, worauf Leo. IX. in dem erwähnten Schreiben anspielt, und man erkennt hierin sogleich das Vorbild der Sage von der Päpstin Johanna. Man kann daher nur eine Uebei^ 'tragung der Sage vom Patriarchenstuhl in Constantinopel auf den römischen annehmen. In den Streitigkeiten zwischen der römischen und grieehisohen Kirche im neunten Jahrhundert wurde der letztem besonders auch diess zum Vorwurf gemacht, dass sie, wozu eben die Erhebung des Photius zum Patriarchen den Anläse gab, mit der Beförderung zu geistlichen Aemtem es gar zu leicht nehme, sogar Eunuchen zulasse, worin von selbst die Mög- lichkeit des Falls zu liegen schien, dass nicht blos ein Eunuche, sondecn sogar ein Weib zur höchsten geistlichen Würde gelange. Die Möglichkeit wurde zur Wirklichkeit und als ein wirklich in der römischen Kirche vor- gekommener Fall erzählt, nicht gerade aus Hass gegen die römische Kirohei sondern weil der Fall an sich ganz zu einer romanhaften Ausschmäckung sich eignete, und vom päpstlichen Stuhl erzählt noch mehr zu bedeuten hatte, als bei dem Patriarchenstuhl in Constantinopel. Wenn Leo IX. a. a. 0. als von einem der Sage nach wirklich vorgekommenen Fall, welchen er nur aus brüderlicher Liebe der publica fama nicht glauben wolle, davon sprach, dass die Kirche zu Constantinopel eine femina auf die sede* ihrer ponHßcei

Die Pftpste Nicolaus I. Hadrian II. Johann VIII. 81

ein nur wenig jüngerer Zeitgenosse 0 treffend so charakterisirte: seit den Tagen des ersten Gregorius sei kein Hohepriester auf Petri Stuhl gesessen, der mit Nicolaus verglichen zu werden verdiente, Könige und Tyrannen habe er bezähmt und wie ein oberster Ge- bieter beherrscht, frommen Priestern sei er ein Vater, gewissen- losen schrecklich gewesen, so dass man mit Recht sagen könne: ein Elias sei in ihm erstanden. In dieser hohen Bedeutung seiner Macht trat er da vor allem auf, wo ihm neben der Gunst der äus- seren Verhältnisse in den so vielfach getheilten Reichen der karo- lingischen Herrscher auch die Gerechtigkeit der Sache, für die er sich verwandte, zur Seite stand. So gelang es ihm, nicht blos den ehebrecherischen und charakterlosen König Lothar II. von Lotha- ringien das ganze Gewicht seines strafenden Ernstes fühlen zu lassen, sondern auch über die beiden Erzbischöfe von Cöln und Trier Günther und Thietpaud als Theilnehmer an derselben Schuld das Absetzungsurtheil aus eigener Machtvollkommenheit auszu- sprechen, welchem sie trotz aller Protestationen und Gegenschritte, die sie auch mit Hülfe des Kaisers Ludwigs IL versuchten, sich unterwerfen mussten. In den Streitigkeiten desselben Papstes mit dem Erzbischof Hiokmar von Rheims, dem eifrigsten Verfechter der Hetropolitanrechte, kamen zuerst die Grundsätze des neuen Kirchenrechts öffentlich zur Sprache, dessen nächste Quelle die damals zuerst in Verbindung mit der Isidor'schen Gesetzessamm- lung in Umlauf gesetzten falschen Decretalen waren, deren Er- scheinung jedoch für die Geschichte des Papstthums nicht das epo- chemachende Ereigniss ist, wofür man sie sonst zu halten pflegte. Wie Vieles bei der Geltendmachung der päpstlichen Rechte und Ansprüche theils von der Zufälligkeit der yerhältnisse, theils von der Persönlichkeit der Päpste abhieng, zeigte sich bei dem näch- sten Nachfolger Nicolaus L, bei Hadrian IL, 867—872, welcher in der Verfolgung derselben Zwecke weit nicht so glücklich war, wie sein Vorgänger, und wiederholt fallen lassen musste, was jener in fester Hand gehalten hatte. Johann VIIL, 872—882, erwarb

erhoben habe, so ist diess der Sache nach schon dasselbe, was die römische Sage, nur romanhaft ausgeführt, erzählt. Wie die Chronik von Salerno die Sache als eine Veranstaltung des bösen Geistes darstellt, so sollte sie auch nach Stephanus de Borbone a. a. O. procurante diabolo geschehen sein.

1) Der Abt Begino von Prüm in seiner Chronik, bei Pebtz Mon. I. S. 578. Baar, K.a. d. Mittelalten. 6

88 Erste Periode. Dritter Absohnitt

sich zwar durch die Verleihung der Kaiserkrone an Karl den Kahlen in reichem Maasse die Gunst des neuen Kaisers, nach dem Tode Johanns YIII. aber und dem bald darauf erfolgten Erlöschen des karolingischen Kaiserthums trat eine Periode in der Geschichte 'des Papstthums ein, in welcher es eine der schwersten Proben seiner Innern Consistenz zu bestehen hatte.

Während in Italien Markgrafen und Herzoge, wie Berengar von Friaul und Guido von Spoleto, um die Königs- und Kaiser- krone stritten , fiel in Rom das Papstthum ganz in die Hände der seit dem Anfang des zehnten Jahrhunderts in Rom herrschenden adeligen Familien. An der Spitze derselben stand der römische Consul Theophylakt mit seiner Gemahlin, der vornehmen Römerin Theodora, und ihren beiden Töchtern Marozia und Theodora. Auf die Rechnung der erstem hauptsächlich, der unzüchtigen, sittenlosen, herrschsüchtigen Marozia, kommt der dem Papstthum des zehnten Jahrhunderts nicht mit Unrecht gegebene berüchtigte Name des päpstlichen Hurenregiments 0* Aus der Reihe der in dieser Periode in raschem Wechsel aufeinander folgenden und beinahe durchaas eines nicht natürlichen Todes gestorbenen Päpste sind besonders zu nennen: Johann X., der, ohne Zweifel ein Bruder des Markgrafen Alberich von Camerino, durch diesen vom Erzbisthum Ravenna im Jahr 914 auf den päpstlichen Stuhl erhoben wurde, aber gleich- wohl selbstständiger regierte, und im Jahr 916 den Markgrafen' Berengar von Friaul zum Kaiser krönte; Johann XL, ein Neffe Johanns X., durch dessen Bruder Alberich, den Markgrafen von Camerino, aus seiner Ehe mit der Marozia, durch welche das Hans Theophylakts mit den Tiisculanern in Verbindung kam, einer zwei- ten römischen Adelsfamilie ^ die von der in ihren Besitz gekom- menen Grafschaft Tusculum diesen Namen erhielt und zu welcher schon Alberich und Johann X. gerechnet werden. Als Sohn der Marozia und Alberichs bestieg Johann XI. im Jahr 931 den päpst-

1) Gfrörer, a. a* O. S. 179, nennt diese Benennung eine Lüge. Er hat auch in der Hauptstelle, aus welcher sie stammt, bei Liutprakd, dem Bischof von Gremona, einige Angaben als unrichtig und unwahrscheinlich nachgewiesen, wie namentlich in Betreff der Päpste Sergius III. und Jo- hann X., in der Hauptsache wird aber dadurch nichts geändert. Man Tgl., wie Gfrörer selbst früher über diese Periode „des Weiberregiments" sich äusserte in der Geschichte der Karolinger 2. Bd. 1848. 8. 419.

Pas Papstthum im X. Jahrhundert 83

liehen Stuhl, während sein Bruder Alberich II. als weltlicher Fürst sich der Herrschaft über Rom bemächtigte , und sie nicht nur bis zum Jahr 954 unter den von ihm abhängigen Päpsten Johann XL, Leo YIL, Stephan IX., Marinus IL, Agapet IL behauptete, sondern sie auch noch auf seinen' Sohn Octavian übergehen lassen konnte, welcher Fürstenthum und Papstthum in seiner Person vereinigte, als Papst aber den Namen Johanns XIL annahm ^) , der erste Fall einer solchen Namensveränderung. Der tyrannischen Macht dieser Tuscttlaner wurde endlich dadurch ein Ende gemacht, dass Jo- hann XIL gegen die Bedrängnisse des Königs Berengar von Italien den deutschen König Otto L herbeirief. Er salbte und krönte Otto im Jahr 962 zum Kaiser, wurde aber wegen seiner Untreue im Jahr 963 seiner Würde entsetzt, und an seine Stelle Leo VllL, der Kanzler der römischen Kirche, erhoben, dessen Wahl Otto sowohl gegen die Umtriebe Johanns XIL als auch gegen den Wankelmuth der Römer und den Gegenpapst Benedict V. aufrecht zu erhalten hatte. Auch Johann XIII. , der im Jahr 965 auf Leo VIII. folgte^ war ein von den Römern nach dem Willen des Kaisers gewählter Papst. Vergebens hatte Otto L den römischen Factionsgeist durch wiederholte strenge Maassregeln, wie namentlich das furchtbare Strafgericht im Jahr 967, zu brechen gesucht. Gleich nach seinem Tode im Jahr 973 erhob sich ein neuer Aufstand unter Johannes Crescentius, dem Haupte eines römischen Adelsgeschlechts, dM seit dem Anfang des zehnten Jahrhunderts neben dem Hause Theo- phylakts und denTuscuIanern gleichfalls eine hervorragendere Stel- lung hatte. Nach einer Reihe im Streit der Parteien schnell erho- bener und gestürzter Päpste fa$ste das Papstthum erst wieder fe- steren Fuss, als nach dem Tode des Papstes Johann's XV., der als

1) Nicht, wie Hasr K.G. 8. A. 1854. S. 207 sagt, als hoffe er die AusschweifuDgon seines weltlichen Lebens von seinem kirchlichen Namen and Amte zu trennen, sondern, wie Gpröker K.G. 3. S. 1237 bemerkt, in der Weise , wie solche Namensänderungen auch schon früher vorkommen, wie E. B. Winfried, der Apostel der Deutschen, Bonifacius, Wilbrod, der Bekehrer der Friesen, Clemens von den Päpsten genannt wurde. Statt des zu weltlich und zu barbarisch lautenden Namens sollte ein kirchlicher, den Traditionen des Clerus entsprechender gewählt werden. Vgl. Gfröree, Gre- gor Vn. Bd. T. S. 585. 640. Der öfters mit besonderer Absicht gewählte Name war in der Folge zugleich ein Programm der neuen päpstlichen Be- giemng.

6*

84 Erste Periode. Dritter Abiolmitt

fägsames Werkzeug des Crescentius vom Jahr 985—995 auf dem päpstlichen Stuhl sass , Otto III. auf seinem ersten Römerzag den Sohn des Herzogs Otto von Kärnthen, Bruno, zum Papst emaniite, welcher als der erste auf den Stuhl Petri erhobene Deutsche zur Erinnerung an Gregor den Grossen sich Gregor Y. nannte und nach dem Vorbild seines Namens in Gemeinschaft mit dem Kaiser die Herstellung eines geordneten Regiments mit allem Nachdruck sich angelegen sein Hess. Er behauptete die Auetoritat seines Stohb nicht nur gegen die Bischöfe Frankreichs in der Angelegenheit des Rheimser Erzbisthums und gegen den König Robert in dessen Ehe- sache^ sondern nahm auch gegen den Kaiser eine sehr selbststdn*- dige römische Stellung. Auch der wortbrüchige Crescentius konnte gegen die vereinigte Macht des Kaisers und Papstes seine Gewalt- herrschaft nicht länger fortsetzen. Otto Hess ihn, um den Ueber- muth des römischen Adels zu beugen, mit zwölf seiner Genossen hinrichten. Nachdem den jugendlich kühnen Papst mitten in seinen Reformentwürfen ein rasch erfolgter Tod schon im Jahr 999 hin- weggerafit hatte, erhob Otto III. seinen Lehrer, den nicht lange zuvor zum Erzbischof von Ravenna ernannten Gerbert, auf den päpstlichen Stuhl, auf welchem er sich Silvester II. nannte. So eng und innig auch jetzt die Verbindung von Kaiserthum und Papstthtim war, so war doch unter der kurzen Regierung eines Papstes, der mit seinen hohen geistigen Fähigkeiten auch Arglist, diplomatische Gewandtheit und politisch hierarchische Herrschsucht in engem Bunde vereinigte, und schon bisher in den politischen und kirchlichen Verwicklungen jener Zeit, und insbesondere in der Sache des Rheim- ser Erzbisthums, bei welcher er so nahe betheiligt war, eine sehr zweideutige Rolle gespielt hatte, das ganze Verhällniss des Kaiser- thums und Papstthums mehr als je auf eine höchst kritische Spitze gestellt. Der abenteuerliche Plan Otto's III., den Sitz der kai- serlichen Regierung nach Rom zu verlegen, in der alten Haupt- stadt des römischen Reichs einen kaiserlichen Hofstaat nach icht byzantinischen Formen einzurichten und das Weltreich der alten römischen Imperatoren im Abendlande herzustellen, wurde, wie es scheint, von dem Papste nur in der Absicht unterstützt und in seine Hände genommen, um das dem Stammlande seiner Macht und seiner natürlichen Grundlage entrückte deutsche Kaiserthum in ein völlig abhängiges Verhältniss zum Papstthum zu bringen und den

Silvester IT, and Kaiser Otto III. 85

schwachen, von dem künstlichen Gewebe der papstlichen Politik umstrickten Kaiser zu einem willenlosen Werkzeug für die Zwecke der Hierarchie zu machen 0* Die Folge hievon war aber nur, dass

1) Man vgl. hierüber besonders Gfrörer, K.G. III. S. 1610. Unter den vielen und kühnen Combinationen dieses Werkes ist wohl die Darstel- lung der kurzen Regierungsperiode Silvesters II. eine der scharfsinnigsten und glücklichsten. Nach GpkÖrer wäre die Idee eines neuen römischen Kaiserthums nach constantinischem Zuschnitt von Otto^s III. Mutter, der By- zantinerin TheophanOi ausgegangen, Gerbert hätte auf dem von ihr ge- legten Grunde fortgebaut, wie er auch schon als Erzbischof von Rheims durch schmeichlerische Redensarten solche Ideen in Otto's jugendlichem Gemüth anzufachen suchte. Das Resultat wäre das umgekehrte Byzanz ge- wesen, ein Kaiser, der ebenso dem Papst nur als Werkzeug diente, wie in Constantinopel der Patriarch nur der geistliche Handlanger des Kaisers war. Der Plan, wie ihn Gerbert auffasste, habe aber zugleich ein Mittel der höchsten Entwicklung des Papstthums in sich geschlossen. Wie die römische Kirche überhaupt das Streben gehabt habe, Völkern, welche den Keim eigener Nationalität *in sich trugen, eine von den Nachbarn unabhängige Metropo- litanverfassnng zu verschaffen, so habe Silvester die Befreiung der Polen und Ungarn, die auf der deutschen Ost- und Südmark seit Otto I. unter dem Scheine des Christenthums von der deutschen Herrschaft geknechtet wurden, im Auge gehabt, indem er ihnen durch Ertheilung einheimischer Me- tropolitanverfassung politische Selbstständigkeit zuwenden wollte, dazu habe er der Mitwirkung des Kaisers bedurft. Dicss seien daher die geheimen Gründe der Wallfahrt Otto'sIII. nach Gnesen im Jahr 1000 gewesen, zum Grabe des h. Adalbert Der Bruder des Märtyrers wurde damals zum Erzbischof von Gnesen eingesetzt und Polen hatte somit jetzt seinen eigenen Metropolitan- verband. Auch die Urkunde, durch welche Silvester Stephan I. die Krone von Ungarn und die Errichtung einer Metropole bewilligt haben soll, hält GmöBKR in diesem Zusammenhang für acht. Polen und Ungarn seien so als neue gleichberechtigte Glieder in die um den Stuhl Petri sich sammelnde christliche Staatenfamilie eingetreten. Selbst den von Gerbert bei seiner Ernennung zum Papst angenommenen Titel Silvester bezieht Gfrörkr auf diese Entwürfe. Ohne Zweifel habe er dadurch andeuten wollen , dass er dieselbe Rolle dem deutschen Kaiserthum gegenüber zu spielen gedenke, welche laut der Sage Silvester I. gegen Gonstantin den Grossen durchge- führt haben soll. Und doch hätte Otto III. in der Urkunde vom Jahr 999, in welcher er dem h. Petrus acht römische Grafschaften schenkte, zuerst die donatio Constantini für eine lange genug geglaubte Lüge erklärt, an deren Stelle er jetzt erst eine wahre Schenkung setzen wollte: Spretia ergo commentitiis praeceptis et imaginariis acriptu ex noatra liberalitate a. Petro donamtMj quae noatra au/ntf non aibif quae aua auntj veluti noatra conferi- mua» Aus der gereizten Stimmung, die sich in diesem Actenstücke aus- spricht, besonders in den Aeusserungen über die früheren Päpste, welche

86 Ente Periode. Dritter Abiolinitt

nach dem frühen Tod des Kaisers im Jahr 1002 und dem kiipse Zeit darauf erfolgten des Papstes der italienische Yollishass gegen die deutsche Herrschaft offen hervorbrach, und die Grafen von ToscqIuib rissen mit der Herrschaft über Rom auch das Papstthum an sich, um es an die schlechtesten Menschen preiszugeben. Benedict Y|II. zwar, der im Jahr 1013 auf mehrere bedeutungslose Päpste folgte und selbst jenem gräflichen Geschlecht angehörte, war einer der würdigern Repräsentanten des Papstthums und selbst durch Bestre- bungen zur Reform der Kirche mit Heinrich U., welchen er feier- lich zum Kaiser krönte, eng verbunden. Nach Johann XIX. aber, welcher, obgleich noch Laie, im Jahr 1024 auf seinen Bruder Bene- dict VUI. folgte^ hat Benedict IX., von derselben aristokratischeo Partei als Knabe auf den päpstlichen Stuhl gesetzt, tiefer als je toi einem Papste geschehen ist, das Papstthum durch sittliche Aerger- nisse aller Art herabgewürdigt Cvon 1033—1046). Auch jettt war es das deutsche Kaiserthum, welches das Papstthum aus die-

das Gut Petri verschleudert und sich dafür am Reichsgut vergriffen haben, schliesst Gfröbeb, Otto hahe bei seiner Schenkung seinen Aerger darüber nicht verbergen können , dass er schenken müsse, wie auch sonst Silveirter des Kaiser mit Forderungen behelligt habe. So weit geht Gibsbbrecht nibht, aber auch in seiner Darstellung liegen die Prämissen zu solchen Goum- quenzen. Vgl. a. a. O. S. 716. Es unterliege keinem Zweifel, dass der FnmoM Gerbert es war, der wesentlich dazu beitrug, jene Ideen einer Her8teQiiB|' des alten Römerreichs in Otto zu nähren und zu zeitigen es gebe firiifr von Gerbert, deren Schreiber man eher in der Toga eines alten Bömof als in der Kutte eines Mönchs vermuthe auch das sei gewiss , daM Otto* sobald er die Kaiserkrone empfangen hatte, mit diesem selbstgewabltm Lehrer seiner Jünglingsjahre am liebsten seine Gedanken über die Zukunft des Reichs ausgetauscht habe ; hier liege das Geheimniss ihrer innigen Yer bindung. Mit magischer Gewalt habe er das Gemüth des jungen Kaisers umstrickt und sei nicht die geringste Ursache seines Verderbens gewesen (S. 756). Auch über Einrichtungen, welche Otto in Gemeinschaft mit dem Papst in Polen und Ungarn durch Errichtung eigener Metropolen zum Nach- theil der deutschen Kirche traf, urtheilt Gibsebrecht S. 739 auf ähnUehe Weise, wie Gfröber. So viel ist wohl gewiss, dass an Grossartigkeit des Geistes und hierarchischem Herrschertaleut unter den Päpsten zwischen Nicolaus I. und Gregor VII. keiner Silvester II. gleichkommt. Wie Gregor VII. hatte auch er schon die Idee eines allgemeinen Kreuzzugs, und wie die Zeit- genossen die geistige Ueberlegenheit Gregors VII. dadurch anerkannten, dass sie etwas Dämonisches in seinem Wesen ahneten, so bildete sich bei Silvester we- nigstens bald nach seinem Tode die Sage von einem Bunde mit dem Teufel.

Das PapsttHnm im XL Juhrh. Hildebrand. 87

sem Zustand der Knechtschaft und der Verwirrung aller Verhält- nisse befreite und es in die Bahn hin überleitete, in welcher es mit sicherem Selbstbewusstsein aus der Tiefe des sittlichen Verfalls zur höchsten Stufe fortschritt. Den ernsten reformatorischen Charak- ter, welchen die nächste Periode der Geschichte des Papstthums an sich trägt, nimmt sie schon auf der Synode in Sutri im Jahr 1046 an, auf welcher der deutsche König Heinrich III. die drei Päpste, welche damals neben einander waren, absetzte 0 9 und den Bischof Suidger von Bamberg als einen deutschen Papst, dessen Sittenrein- heit durchaus unangefochten war, auf den apostolischen Stuhl er- hob. Auch die drei folgenden Päpste vom Jahr 1048 1057, JD a- mas US II., Leo IX. und Victor IL, waren deutsche Bischöfe. ,Die Bekämpfung der Simonie und des unkeuschen, sittenlosen Lebens der Kleriker, als der beiden in naher Verwandtschaft stehenden Haqptübel der Kirche, war nun die stehende Aufgabe aller Päpste dieser Zeit, auf deren Lösung sie nicht nur auf allen Synoden, die sie theils in eigener Person, theils durch ihre überallhin umherge- sandten Legaten hielten, durch die gewöhnlichen Mittel, sondern über- haupt durch Erweckung eines ernsteren, von der Nothwendigkeit einer sittlichen Reform der Kirche durchdrungenen kirchlichen Sinnes hinzuarbeiten suchten. Gleich anfangs stellte sich auch den diesen Weg betretenden Päpsten der Hauptführer dieser neuen Bewegung MF Seite, der Mönch Hildebrand, um dem neuerstarkenden Papst- thmn nicht nur den im Kloster Clugny gepflegten Geist mönchischer Zucht und Strenge einzuhauchen, sondern ihm auch das weitere Ziel der nur auf diesem Weg erreichbaren Befreiung der Kirche von aller weltlichen Abhängigkeit in Aussicht zu stellen. Wenn Hildebrand, wie ein glaubwürdiger Biograph Leo's meldet % gleich bei seinem ersten ZusammentreflTen mit dem neugewählten Leo IX.

1) Nicht blo8 den schändlichen Benedict IX. und Silvester III. (Johann, Bischof der Sabina), sondern auch den besser gesinnten Gregor VI., welcher jedoch selbst abzutreten für gut fand, da er im Bewnsstsein seiner gleichfalls erkauften Würde sich selbst für unwürdig hielt, sie länger zu bekleiden, eine Handlungsweise, welcher, wie Bischof Otto von Freising in seiner Chronik 6, 32 bezeugt, in der Folge Hildebrand dadurch seine Anerkennung bezeugt haben soll, dass er mit Rücksicht auf die von Gre- gor VI. thatsächlich ausgesprochene Missbilligung der Simonie sich Gre- gor VIL nannte.

2) Bruno, der Bischof von Segni, in der Vita Leonis IX.

gS Ente Periode. Dritter Abiohnitt

dessen Wahl nur unter der Voraussetzung als gültig ängesehe« wissen wollte, wenn sie durch die freie Wahl des römischen Kien» and Volks als der alleinigen kanonischen Auctorität bestätigt wfirde, so war diess eigentlich schon das Programm des seitdem befolgten päpstlichen Regierungssystems. Er war es unstreitig, der, seit- dem er Leo IX. nach Rom begleitet hatte, auch in Rom die Schritte der Päpste solange leitete, bis er selbst ihren Stuhl bestieg» Wich- tige Einleitungen zur Begründung und Ausführung des schon ent- worfenen Systems waren im Jahr 1059 die beiden gleichzeitig«! Regierungsacte Nicolaus IL, die Verordnung in Betreff der Paptt- wahl und das Lehensyerhältniss mit den Normannen. Sollte du Papstthum der Willkür und Gewaltthätigkeit der aristokratischen Parteien, in deren Händen es bisher so oft war, entrissen und Ita seiner Grundlage gesichert werden, so konnte diess nur durch dne festbestimmte Form der Papstwahl und die Uebertragung derselben an ein geschlossenes Collegium geschehen. Es sollten also künftig nur die Kleriker der römischen I^irche, als der Hauptkirche, um welche als ihre Angel alle übrigen Kirchen sich bewegen, zur Papstwahl berechtigt sein 0* Aber nicht blos gegen die Eingriflfe Unberechtigter, auch dem Kaiser gegenüber musste das jetzt aus- schliesslich für die Kirche in Anspruch genommene Wahlredit so viel möglich sichergestellt werden. Es ist daher in dem Wahld^ cret noch besonders bemerkenswerth, wie das herkömmliche Beebt des Kaisers, den gewählten Papst entweder zu beslätigen oder zu verwerfen, zwar nicht geradezu bestritten und geläugnet, aber ab eine blosse Concession von päpstlicher Seite und als rein persön- liche Verleihung an den König Heinrich und seine Nachfolger be-

1) Das Wort Cardinalis erhielt seine specifiscli römische Bedeutung wohl erst dadurch, dass man sich die römische Kirche selbst als den eairio aller andern dachte. Die römischen Kleriker, die Bischöfe, Presbyter und Diacone , waren Cardinäle nicht blos in dem Sinne , wie man die Kleriker jeder Hauptkirche so nennen konnte, wie z. B. auch die roailändische Kürehe ihre Cardinäle hatte (Cardinalis ecclesiae amhrosianae bei Perte Mos. S. S. 20), sondern noch in einem ganz besonderu. Man vgl. ausser der Stelle in Leo*s IX. £p. 1. an den Patriarchen Michael bei Gieseler 2, 1. B. 285 in den falschen Decretalen Anacleti epistola altera de ardine ^piseoporum vel primatum : Saec vero apostolica sedes cardo et caput factum est a Do- mino et non ab cUio constituta et sicut cardine ostium regitür , sie hxipis sanctae sedis auctoritate omnes ecclesiae Domino disponente reguntur.

Dai Papstthnm unter Hildebrands Leitnng. 80

handelt wird 0* Schon bei der nächsten Papstwahl , die anter Hil- debrands Leitung auf den Bischof Ans elm von Lucca fiel, war auf das Recht des Kaisers so wenig Rücksicht genommen worden, dass aas diesem Grande dem auch von einer Partei römischer Grossen nicht anerkannten Alexander IL von kaiserlicher Seite Mono-* rius IL als Gegenpapst entgegengestellt wurde, welcher sich jedoch nicht behaupten konnte, nachdem auch in Deutschland der die vormundschaftliche Regierung fuhrende Erzbischof Hanno von Cöln sich fär Alexander H. enschieden hatte. Während so das hildebrandische System nach dieser Seite hin seinen ersten Sieg ge- wann , hatte es auf der andern schon an den durch ihren Lehens- eid ausdrücklich zur Unterstützung des Papstes verpflichteten Nor- mannen für ähnliche Conflicte, wie sie in der Folge zu erwarten waren , einen sichern Rückhalt gewonnen.

2. Das hierarchische System.

Die Geschichte des Papstthums enthält das Wesentliche der thatsächlichen Verhältnisse, aus welchen die Ideen und Grund- sätze zu entwickeln sind, welche dem ganzen hierarchischen Sy- stem, nach den verschiedenen Beziehungen, unter welchen es auf- zufassen ist, zu Grunde liegen.

Die Bedeutung und der Umfang der hierarchischen Macht kann nur an ihrem Verhältniss zu der weltlichen gemessen werden. Die höchsten Spitzen, in welchen die beiden Mächte, die geistliche und die weltliche, sich berühren, sind das Papstthum und das Kai- serthum. Das Verhältniss beider zu einander ist auch jetzt noch während des ganzen Verlaufs der Periode im Allgemeinen dasselbe, wie bisher. Das Kaiserthum ist noch so sehr im factischen Besitz der höchsten, die Welt regierenden Macht, dass das Papstthum von selbst in allen äussern Verhältnissen sich ihm unterordnen muss,

]) Nach Gfrörkr*s Darstellung Greg. 1. 8. 580 f. 636 f. war die von Nikolaus II. auf der grossen allgemeinen Synode im Jahr 1059 entworfene Wahlordnung die Frucht der suvor am deutschen Hofe gepflogenen Verhand- lungen, dorch welche sie zum voraus die Beistimmnng der Reiohsgewalt er- langt hatte. Als ahor nach Nikolaus Tode die römischen Capitane den Car- dinälen das Recht der Papstwahl wieder zu entwenden suchten und die Kaiserin Agnes auf ihre Anträge einzugehen im Begriff war, kam Hilde- brand dadurch zuvor, dass er und die gleichgesinnten Cardin äle den Bischof Anselm von Lucca zum Papst wählten.

90 Erst« Periode. Dritter Abiohaitt

obgleich schon jelzt auf so manchen Punkten deutlich genvg n sehen ist, mit welcher ideellen Bedeutung das Papslthum dem Kii- serthum gegenübersteht. Solange die alte Verbindung Italieas m\ Constantinopcl noch fortbestand, war ohnediess an eine prindpialle Aenderung dieses Verhältnisses nicht zu denken. Doch trat uHm jetzt auf einzelnen Punkten , besonders wenn aus Veranlassung der theologischen^treitigkeiten die römischen Bischöfe das Recht «hier selbstständigen Stellung für sich zu haben glaubten, in dem Ver* hältniss zwischen Rom und Byzanz der Gegensatz der geistUcheo und der weltlichen Macht und das Bestreben der erstem, als derea Vertreter sich die Päpste betrachteten, sich von der letztern u emanzipiren, sehr bestimmt hervor 0- Das neue abendUndiscke Kaiserthum konnte zwar die Weihe seines Ursprungs nur aus der Hand des Papstes empfangen, aber auch darüber sah man sosebr hinweg, dass das neue Kaiserthum auch in dieser Beziehung nur in die Stelle des alten eintrat. Der Titel eines Patricius der Stadt Rom sollte dieses Verhältniss auch rechtlich vermitteln , das durch das Kaiserthum in der Hand Kfirls des Gr. nur eine um so festece Begründung erhielt Als die Oberherrn der Stadt Rom übten Karl der Gr. und die nachfolgenden Kaiser auch gegen den Papst die Hoheitsrechte aus, sie überwachten und leiteten die Vl^ahl, sia be- durfte ihrer Bestätigung, der neugewählte Papst musste ihnen den Eid der Treue schwören und konnte, so oft es nöthig schien,. von ihnen zur Rechenschaft gezogen werden. Was insbesondere Karl den Gr. betriflTl, so war er sich auch den Päpsten gegenüber nidit blos seiner Herrschermacht, sondern auch seiner geistigen Grösse

1) Am meisten war diese bei Gregor IL und Gregor III. der Fall/ wäh- rend des Bilderstreits, welcher, wie Greoobovius, Gesch. der Stadt Rom 2. S. 269 mit Recht sagt , an sich nur das Symbol des tiefern Streits swisehen der Kirche und dem absoluten Staatsprincip war. Als der Kaiser Leo im Jahr 726 sein Verbot gegen die Bilder auch nach Rom sandte, erklärte nicht nur Gregor IL in einem Schreiben an den Kaiser, dass es dem Kaiser nicbt zukomme, in Glaubenssachen Befehle zu erlassen oder die alten Satiim- gen der Kirche despotisch umzustossen, sondern er rief auch durch Sendschrei- ben die Bischöfe und Städte Italiens auf, sich dem ketzerischen Ansinnen des Kaisers zu widersetzen. .Er scheute sich nicht, sich an die Spitee einer offenen Rebellion zu stellen. Mit demselben Nachdruck trat Gregor III. in seinem apostolischen Sendschreiben an den Kaiser und an den Patriardien Yon Constantinopcl auf. Greoob. a. a. O. S. 254 f. 269 £,

Das PApstthnm und das abendl. Kaii«rthnm. 91

sosehr bewvsst, dass er selbst in dogmatischen Fragen, wie im Bilderstreit, seine Aoctoritat der papstlichen gegenüberstellte, und papsUiche Eingriffe in die fränkische Kirche zu dulden, lag so we- nig in seinem Sinne, dass er selbst die Gältigkeit des durch, die Canones der Synode von Sardica begründeten Appellationsrechts den Päpsten in Frage gestellt zu haben scheint 0* Wenn auch eine Regierung, wie die Karls des Gr., nicht als allgemeine Norm gelten kann und dieses Verhältniss überhaupt nach der Individualitat der Herrscher sich auf verschiedene Weise gestaltete, so hatte doch Karl's des Gr. Persönlichkeit dem Bewusstsein der Zeit sich so tief eingeprägt und einen so mächtigen Eindruck zurückgelassen , dass daa von ihm zuerst repräsentirte germanische Kaiserthum eine auch für die folgende Zeit maassgebende Bedeutung haben musste. Wie das neue Kaiserthum aus dem Bunde der geistlichen und der weltlichen Macht hervorgegangen war^ so hatte auch die Kirche das Ihrige dazu beigetragen , um in der universellen Idee des Kaiser- tbums alles zu vereinigen, was in dem Kaiser, als dem von Gott ein- gesetzten Statthalter, den Herrscher eines christlichen Staats erschei- nen liess, in welchem die göttliche Weltordnung sich verwirklichen sollte. So überwiegend stand damals noch das Kaiserthum über dem Papstthum, dass es auch alle Rechte der geistlichen Gewalt in sich begriff und mit eigener Machtfülle ausübte *). Dieser Bedeutung des Kaiserthums ist es zuzuschreiben, dass als in der Folge in der Auf- lösung des karolingischen Reichs die weltliche Macht in sich zer- fiel und die geistliche unter der Gewaltherrschaft der politischen Parteien und in einer Reihe der unwürdigsten Päpste alle innere

1) Es geschah wohl nicht unabsichtlich, dass Karl der Gr. auf der Synode in Aachen im Jahr 789, auf welcher er die wichtigsten Canones des ihm von Hadrian I. geschenkten dionysischen Gesetzbuchs als orga- nische Gesetze für die fränkische Kirche annahm (das Capitulare eccle- siasticum bei Pbbtz Monum. Germ, hist T. IIL Leg. 1. S. 53 f.), die Ca- nones der Synode von Sardica hinwegliess , die nicänischen und anüocheni- schen aber , die den Provinzialsynoden die höchste Auctorität belegen , bei- behielt Vgl. GiBS. 2, 1. S. 63 f. Gerade für das, was in der Anarchie der folgenden Zeit im Streit der Parteien und des kirchlichen und politi- schen Interesses der Hauptpunkt war, um welchen es sich handelte, die Appellation an den Papst, war unter der wohlgeordneten Reichsverwaltung Karls des Gr. am wenigsten ein Bedürfniss vorhanden.

2) GiBSEBBBCHT a. a. O. S. 124.

98 Erste Periode. Dritter Abfcbniti

Kraft einer Wiodergebart verloren zu haben schien, das Bewawt- sein einer die Verwirrung der Zeiten bewältigendien Macht zuerst wieder in einem Herrscher erwachte, der kein höheres Ideal mei- nes Strebens kannte, als das Kaiserthum Karls des Gr. Otto I. gib nicht nur der durch die Einheit der Kirche verbundenen römiaek- ger manischen Welt denselben politischen Einheitspunkt, welcb« sie in Karl dem Gr. gehabt hatte, sondern trat auch dem so tief gesunkenen Papstthum mit aller Energie einer die göttliche Wdür Ordnung aufrecht erhaltenden Macht entgegen. Dieselbe richter- liche Gewalt, mit welcher Nicolaus I. einem sittenlosen König sein Urtheii gesprochen hatte, übte Otto an einem noch verwerflicherei Papste aus, und indem er die Römer verpflichtete, niemals -ohne ausdrückliche Zustimmung und Bestätigung des Kaisers einen Papst m wählen und zu weihen, war das wichtigste Recht, von welchem die Regierung der ganzen abendländischen Kirche abhieng, die Verlei- bung des Primats Petri, in die Hand des Kaisers gekommen 0- Unter den folgenden Kaisern war es namentlich Heinrich III., welcher dieses Recht unter dem Namen des Patriciats mit der kaiserlichen Gewalt vereinigte und als ein wesentliches Attribut derselben betrachtete *)• Es^ ist diess jedoch nur die eine Seite des Verhältnisses, in wei- chem die beiden Mächte zu einander stehen. So sehr das Kaiser- thum das Papstthum noch überragt, so hat doch auch das letztere

1) GiESEBBKCBT A. a. O. S. 464. Nach einer noch vorhandeneo Urkunde (Pertz Mon. Leg. II. 2. S. 166) soll, gleichwie Hadrian Karl dem 6r. die Würde des Patriciats und die Besetzung des apostolischen Stuhls, sowie auch der andern Bisthümer verliehen hahe, auch Leo VIII. dem deatschen König Otto I. und seinen Nachfolgern im Reiche Italien , mit Zustimmaog der im Jahr 963 in der Kirche zum Lateran versammelten Cleriker nnd Laien, auf ewige Zeiten die Befugniss verliehen haben: 1. sich selbst einen Nachfolger zu ernennen, 2. den römischen Stuhl zu besetzen und demgem&ss 3. Erzbischöfe und Bischöfe zu erheben, so zwar, dass letztere die Einsetsnng nur von ihm , die Weihe dagegen von denen empfangen , die hiezu tauglich erachtet werden. Die Aechtheit dieser Urkunde ist jedoch zu bezweifeln und zwar auch in der ausführlichen Fassung , in welcher sie Floss «ob einer Handschrift der Trierer Stadtbibliothek herausgegeben hat: Leenis P, VEH. Frimlegium de investituris Ottonil, ImpercUori concessum^ Frib. 1858. Die Papstwahl unter den Ottonen. Freib. 1858. Vgl. Giesbbrecht a. a. 0, 8. 822. GiESEBKBCHT sctzt dic Fälschung des Documents in die Zeit des Investiturstreits, Gfbörer, Greg. 5, 1. S. 204 f., vertheidigt die Aechtheit

2) Giesebkrüht a. a. O. 2. S. 394.

Das Papstthmn und dai Kaiserthum. 93

)ine fiber das erstere übergreifende Bedeutung. Es steht, wie liess ausdrücklich ausgesprochen wird, in der aligemeinen Ansicht ler Zeil fest, dass die geistliche Macht an sich über der weltlichen^ ler Priester als solcher über dem König und Kaiser stehe, die »äpstliche Würde überhaupt der Gipfel aller irdischen Grösse sei und zuletzt auch der Besitz der weltlichen Macht seine Weihe nur ron der geistlichen erhalte. Den thatsächlichen Beweis hievon sah n'an, seitdem nicht nur Pipin seine Königskrone, sondern selbst iarl der Gr. die Krone des abendländischen Kaiserthums aus der Hand des Papstes empfangen hatte 0 9 bei jedem so oft wiederhol- ten Acte der Kaiserkrönung. Dadurch war von selbst dem Papst- Ihum die Aufgabe vorgezeichnet, diese höchste Superioritdt, wie sie an sich in der Idee des Papstthums lag und in der öffentlichen Meinung sich immer mehr befestigte, auch factisch so zu realisiren, wie diess schon gegen das Ende der Periode das sichtbare Streben des in der Energie seines Selbstbewusstseins sich erfassenden Papstthums war. Den Anfang dieses Umschwungs aus dem Ab- hängigkeitsverhältniss in das entgegengesetzte der Superioritat bezeichnet die von Leo IX. dem Kaiserthum gegenüber gegebene Emancipationserklärung, mag er sie aus eigenem Antrieb gegeben oder in ihr den Rath Hildebrands befolgt haben.

Ehe jedoch das Papstthum diesen weiteren Schritt seiner Ent- wicklung thun und den entscheidenden Kampf mit der ihm gegen- überstehenden weltlichen Macht iftifnehmen konnte, musste es in sich selbst so erstarkt sein, dass es innerhalb des hierarchischen Organismus selbst alle Gewalt, die es auf diesem Gebiet an sich ziehen konnte, in sich vereinigte. Den grössten Fortschritt seiner Entwicklung machte das Papstthum in der Periode, von welcher hier die Rede ist, dadurch, dass es in der Kirche keine hierarchische

1) Mit welcher angenscheinlicben Absichtlichkeit wurde diese Anerken- nang von Pipin an den Tag gelegt, wenn er, um der gegen alles Herkom- men gewonnenen Königsmacht Heiligung und Weihe eu verleihen , sich zu- erst von den Bischöfen und hierauf noch von dem Papste selbst salben liess und sich seitdem »König der Franken von Gottes Gnaden« nannte. Einen bemerkenswerthen Contrast bildet damit die Königwahl des deutschen Kö- nigs Heinrich I., der, obgleich auch nur ein Wahlkönig, es für hinreichend erachtete, zum König gewählt zu sein und diesen Namen zu führen, und es dagegen entschieden zurückwies, von priesterlicher Hand gesalbt und ge- krönt zu werden. Giesebbecht a. a. O. S. 207. 104.

94 Erste Periode. Dritter Ablcbnitt

Gewalt mehr gab, die ihm eine hemmende Schranke, olam lidA zu beseitigenden Widerstand hätte entgegensetzen kAnsM. Bei sichersten Haasstab zur Beurtheiiung dessen, was das Papftthim fai dieser Beziehung zu Anfang der Periode war, und was es erst im Laufe derselben geworden ist, geben die falschen Decretalen U- dor's. Wenn auch die Erhöhung der päpstlichen Macht nmiöbl nicht diesen Decretalen selbst zuzuschreiben ist, so waren dock sie es, welche die Rechte und Anspräche, die das Papstthiim theHf schon errungen hatte, theils noch weiter erringen musste, weai es nicht auf halbem Wege stehen bleiben wollte , zuerst 80 ab- sprachen und auf ihren bestimmten Ausdruck brachten, dass ebea- dadurch die Behauptung derselben die grosse Frage der Zeit wurde, um welche es sich in allen darüber entstandenen Streitigkeftee handelte. Das pseudoisidorische Kirchenrecht bezeichnet so efaw sehr wichtige Stufe in der Entwicklungsgeschichte des Papstthums, als der Inbegriff und urkundliche Ausdruck alles dessen, was di8 Papstthum bis dahin in der Meinung der Zeit geworden war mul was seitdem die öffentlich anerkannte Grundlage des hierarchi- schen Gebäudes geblieben ist Ihr eigentliches Ziel haben jedoek die falschen Decretalen nicht in dem Papst, sondern in den Bi* schöfen 0-

Der Mittelpunkt, um welchen sich das ganze kirchliche Leben bewegt, die substanziellen Träger desselben sind in der Ansicht Pseudoisidors die Bischöfe. Sie*sind die Augen, die gleichsam der Herr sich erwählt hat, die Säulen der Kirche, die, welchen er die Macht zu lösen und zu binden gegeben hat, die Gesandten Gottes, die Stellvertreter Christi, in ihnen ehrt man den Herrn selbst, sie muss man wie seine eigene Seele lieben , von ihnen gilt das Wort: wer euch hört, hört mich, wer euch verachtet, verachtet mich, wer aber mich verachtet, verachtet den, der mich gesandt hat Wenn auch mit Petrus die priesterliche Ordnung beginnt, und ihm zuerst das Pontificat an der Kirche Christi gegeben worden ist, so haben doch die übrigen Apostel die gleiche Ehre und Macht mit ihm em- pfangen und die Nachfolger der Apostel sind die Bischöfe; wer sie

1) Citirt sind im Folgenden die Decretalen nach der Ausg. von Dbh- eiNGBR: Isidori Mercatoris decretaUnm coUectio in der WiGAM^schen PatroL T. CXIX 1853.

Das psendoisidoriflche Kirchenreoht. 95

lufnimmt and ihre Worte, nimmt Gott auf 0- Alles was in diesen Hecrel^len ober die zwischen Klerikern and Laien bestehende, beide ?rie Menschen ganz verschiedener Art von einander trennende Hüft O gesagt wird, über den Frevel, welcher durch weltliche Sin^iffe an «den Gütern der Kirche durch Raub und Plünderung, in den Personen der Kleriker durch Anklagen, Vertreibungen, Ab- setzungen begangen wird, alle Grundsätze und Normen, die hier auf- fesiellt werden, um die Kleriker gegen gerechte und ungerechte Hagen sicherzustellen und sie nach allen Seiten so viel möglich an«- intastbar zu machen, alles diess geschieht vorzugsweise im Interesse ler Bischöfe. Laien sollen überhaupt nicht über die Bischöfe ar- heilen, es ist eine Verletzung des Pietdtsverhältnisses, wenn -die Schafe die Hirten, die Söhne die Väter, die Knechte die Herrn adeln und über sie klagen. Darauf beruht der Rechtskanon, dass kein major von einem minor gerichtet werden kann. Wie aach ias Leben und das sittliche Verhalten eines Bischofs beschüifen sein mag, wenn er nur nicht im Glauben irrt, muss die Gemeinde alles, was er thut, sich gefallen lassen, weil auch diess zu tragen, eine Uebung der Geduld im Zeitlichen ist'). Kommt es aber gleich- wohl zur Anklage eines Bischofs, so kann nicht genug geschehen, um sie zu erschweren und ihren Erfolg so gut wie unmöglich zu machen. Wenn man auch die Ueberzeugung hat, dass das, was ge- gen einen Bischof vorgebracht wird, wahr ist^ so darf man es doch nicht glauben, ehe es bewiesen ist; die Herstellung eines solchen Beweises aber begreift so Vieles in sich, was sowohl in Hinsicht der Befähigung des Klägers als auch der übrigen zur Giltigkeit einer Klage gehörenden Erfordernisse vor allem im Reinen sein muss, dass sich daraus nur die Unmöglichkeit ergibt, auf einem sol- chen Wege zum Ziele zu kommen 0. Es wird geradezu als Zweck

ä

1) Melch. ep. 1. Eyar. ep. 2. Anacl. ep. 2. Urbani ep. A. a. O. 238. 83. 78. 138.

2) Diacreta debet esse vita clericorum a laicorum eanversatione. De- creta Telesphori Papae. S. 103.

3) Decreta Zephyrini : Epiacopi a phhibuB et eUrOy et domini a aerms ferendi sunt^ ut sub exerdtoHcyne toUnmHae mstineantur temporeiUa, sperefh tw aetema. Äuget enim merita virtutisy quod propontum non vioUU reU» jionis, Decr. Calixti: magis portamdi quam reprehendendi sunt, 8. 125.180.

4) EpUt. Sixti (S. 186) : Quamvia vera ainty non tarnen credmda auni, im certia indiciia comprobentury niai quae mcmifeato judicio convmcmUur^ fim

96 Erst« Periode. Dritter Absolmitt

der Decrctalen ausgesprochen, solche Rechtsformen wfsuteUei, dass jede Klage gegen einen Bischof, sobald man den für sie einsa- schlagenden Rechtsweg kennt, dem Kläger selbst ala leine aolche Thorheit und teuflische Verblendung erscheint, dass er aichcj^ei Bessern besinnt und davon absteht, und so die dem fiischof n|ge- dachte Krankung nur zu seiner Ehre ausschlägt Da Laien über* haupt in Sachen der Bischöfe nicht richten können, üo sind Yon-Yonir herein alle weltlichen Gerichte, die judicia puölUa, auageaohlof- sen, und ebenso werden auch alle judicia perefftina scUechtUi verworfen, der Bischof kann nur in seiner Provinz, ^on juäke» eomprovincinles gerichtet werden. Kann somit der Bischof nur vitf ein geistliches, aus Bischöfen seiner Provinz bestehendes Gendt gestellt werden ^), so muss vor demselben mit derselben Strenge, mit welcher die persönliche Beschaffenheit des Anklägers zu uh tersuchen ist, auch die Befähigung der Zeugen geprüft werdtfi. Zeuge kann überhaupt nur sein, wer auch Ankläger sein kann, hk es an sich schon höchst schwierig, Zeugen zu erhalten, welche die erforderlichen Eigenschaften haben, so wird diese Schwierigkeit

quae judidario ordine publieantur, Nuüua ergo potest ex hunumo eondß»' nari examiney quem Dens mo judicio reaervavit, Hiaec amnia §ummop0rt sunt prciecavenda , ne praegumptoree esse videamur. Et aceusatio eipistopO' rum non est fctcUe redpiendaj dicente Domino: Non suscipicLS vocem mm- dacii (Exod. 23, 1.). So wahr etwas also an sich ist, so soll es doch auf diesem Rechtsweg nur als Lüge gelten!

1) Vgl. die Ep. Felicis (8. 196) wo auch das zu beobachtende Verfüh- ren im Allgemeinen angegeben ist. Vgl. die Decr. Elenth. (S. 119): ihkä absque legitimo et idoneo aecusatore fitU, Nam et Dominus noster Jesut Christus Judam fwrem esse sdebatj sed quia non est accusatus non est ^ee- tus, Nam si leges seculi accuscUores requiruntf quanto magis eccUsiasiieae regulae. Docent enim terrena et humcma, quae sint ecclesiastica qitque coeU- lestia. So weit also soll das Weltliche als Norm gelten, als es im Interesse der Kleriker ist. Ist es aber im Interesse der Kleriker, so heisst es aneb wieder, wie in den Dec. Yictoris : aiia ratio est causarvan secularittm, aUa est divinarum, S. 123.

2) D. h. Episcopi a Deo sunt judicandij qui eos sihi oculos elegit, nam a subditis aut pravae vitae hominiJms non sunt arguendi vel accusaruti aut lacerandi (es sind diess die infcmies, wie so oft alle Kläger gegen Kleriker bezeichnet werden), ipso Domino exemplum dante, qua/ndo per se ipsum et fMn per alium vendentes sacerdotes et ementes ^ecit de templo, Decreta Papae. S. 112.

Das pseadoisidorisohe Kirohenreoht 97

durch die grosse Zahl der Zeugen, die zu einer rechtsgiltigen Klage löihig sind, noch unendlich erhöht Denn nicht weniger als 72' ieogen verlangt der falsche Isidor zu einem Zeugniss gegen einen Bischof) so viele als der Herr Jünger zur Unterstätzung der Apostel jrewahlt habe. Ist diese Zahl glucklich beigebracht, so muss das Hscböfliche Gericht aus 12 Richtern derselben Provinz bestehen^ lie jedoch der Beklagte selbst sich wählen darf 0* Sollte es nun lach zur Verurtheilung des Angeklagten kommen, so ist seine Sache auch jetzt nicht verloren; es steht ihm nicht nur frei, voii iem bischöflichen Provinzialgericht an den Papst, als den höhern EUchter, zu appelliren, sondern es kann überhaupt jede Sache die- ser Art nur in Rom, als der höchsten Instanz, entschieden werden. Hier ist daher erst der Punkt, wo das Papstthum in die ihm im pseu- ' doisidorischen Kirchenrecht gebührende Stelle eintritt. In allen bi- schöflichen Sachen sind die finttiva judicia nur in Rom Hiemit war die Selbstständigkeit des bischöflichen Provinzialgericbts lof- gehoben und da an der Spitze der Provinzialsynoden die Metropo- liten standen, ebendamit der Metropolitangewalt ihr Nerv zer- schnitten. Hierin hat die durch den ganzen Inhalt der falschen De- cretalen sich hindurchziehende Opposition und Antipathie gegen die Metropoliten ihren eigentlichen Grund. Da es im Interesse der Metropoliten lag, die selbststandige Rechtsgiltigkeit der unter ihrem

1) Anacleti decr. S. 67 : Ad duodecim ^tudem provinciae judiees, ad quorum Judicium omnes cauacte civittUum ref&nmtwt^ dtferatu/r negotium, Ze- phyr. decr. : Duodecim judiees quilihet episcopUB oectMofu« , ti necesse fueritf iUgatf a quibus ejus cau$a jutte Judieetur, nee prius auditMiwr, aut excom^ mmmeetur vel judicetuTf quam ipsi per se (d. h. durch ihn, den Angeklag- ten) eügantur, S. 126.

2) Anacleti decr. S. 67: Quodn dtßeiUores ortae fuerint quaeetionee aut epieeaporum vel majorum judicia auit majores eaxieae fuerint y ad sedem apo- ttoUeamy si appeUatum fuerity referantur. Zephyr. decr.: Finie caueae ad tedem apoetolicam deferatuTy ut ihidem terminetur. Nee antea finiatury ticut ab apostolia vel eucceasoribus eorum oUm statutum eatj quam tju$ audoritaie fiUdaiWy adeam quoque aib omnibus (maosime tarnen oh oppree^ie) appeüan' dum est et concurrendum, qu€ui ad matrem, ut ^u» uberibus nutriantur, auetoritate defendantWTy et a suis oppressionibus releveniur, quia non potest^ nee debei mater obUvisci filium suum. Vgl. Decr. Eleuth. : Quia omnes feie- rieorumj aecusationes dißcile est ad sedem apostoUeam drferrey fautiva epis- eoporum judicia tantum huc deferantury et hujus sanctae sedis auetoritate finianiur. S. 126. 119. .

Banr, K.O. des MitteUlten. 7

98 Erstt Periode. Dritter Absohnitt

Vorsitz gefassten Beschlüsse aufrecht zu erhalten und den Weg ^lach Rom nicht jedem so offen zu lassen, dass das schon Beidiloi- sene wieder in Frage gestellt und für ungiltig erkUrI wenka konnte, so erschienen sie als die dem Interesse der Bischöfe eaHr gegenstehende Schranke, die beseitigt werden musste, lun die U- schöfe unter die unmittelbare Hoheit des römischen Stuhle lo etat- len, dessen Dekrete, wie so oft in diesen Decretalen eingeediirft wird , nur zum Schutz und Schirm der Bischöfe dienen soUleB ^> Um aber dieses Schutzes um so gewisser zu sein, müssen, was die nothwendige Voraussetzung hievon war, die darauf sich benehea- den Rechte und Ansprüche der Päpste selbst so festgestellt und nr allgemeinen Anerkennung gebracht sein, dass sie ober alle Zweitü erhaben waren. Dazu gehörte vor allem das unbeschrinkteate Ap- pellationsrecht. Welche Bedeutung hatte noch die Metropolitange- walt, wenn sie in den wichtigsten Fällen so gut wie nmgangea werben konnte? Aber auch die höchste Appellationsinstanz soUtei die Päpste nur vermöge einer noch tiefer in die Metropolitanrecht» eingreifenden Gewalt sein. Wie kein Bischof ohne die Bestfitigang des Papstes verurtheilt werden konnte, so sollte nach der Behaop* tung des falschen Isidors überhaupt keine Synode ohne die vonm- gehende Genehmigung des apostolischen Stuhles gehalten werdea können ^. Zielte aber diess nur darauf hin, die Auctorität der Me- tropoliten den Päpsten gegenüber völlig in Schatten zu stellen, so erinnerte sie der falsche Isidor, um sie recht absichtlich noch tief^ herabzudrücken, nicht blos an die christliche Pflicht der Demnth, die gerade der Höhere am wenigsten vergessen dürfe, sondern auch noch an ihr Abhängigkeitsverhältniss zu den Bischöfen , ohne deren Rath und Mitwirkung sie überhaupt nichts thun dürfen 0-

1) Ut inde acdpererU tuitionem et HberoHonem tmde aecfipefunt vitfof' mcUionem et eoiuecrationem. Decr. Marcelli. S. 218.

2) Decr. Marcelli : Constittterunt (Apoitoli) vi nuüa gynodus ßerei prm$ ter €JU9dem sedia auctoritatem , nee uUus ^piscopusy nisi in lepUma tynode 9W> tempore apostolica auctoritate convoctUaf auper quibvsUbet crtmtntfttM jnU- $atiUj audiatwr vel judicetwr^ quia epiacoporvm judida ei 9umm<ufvm eauäth mm negotiay aive cuneta dtibia apostoUcae aedia a/uetoriiate nml a^enda af finienda, et omnia eomprovincitäia negotia hujue sanctae wnivefwUh- ei afo-^ BtoUeae eccleaiae atmt retntctcmda judicio , n hufus eceleiiae pont^eso prae» ceperit. S. 219.

3) Epist Papae Calixti ad omnes Galliae episcx S. 181.

Die paendoisidorische Gesetsgebnng. 99

Auf diese Weise bahnten die Bischöfe selbst dem Papstthum den Weg*, um über die Metropoliten hinweg zur absolutesten Behaup- tung seiner Machtvollkommenheit fortzuschreiten. Der Papst ist mit Einem Worte, wie er hier genannt wird, universalii ecclesiae epUcopuB, und die römische Kirche selbst ist die umver$alii eccle- na, sofern alle andern Kirchen in dem Sinne in ihr aufgehen, dass sie nach dem schon von Leo I. gebrauchten classischen Ausdruck, in pqrtem iini vocatae soUicitudtnii, non in plenUudinem pote$iatii. Dass dieselbe überwiegende Macht, mit welcher die Päpste zunächst auf die Metropoliten herabdrückten , sich bald genug auch den Bi- schöfen fühlbar machen werde , scheint damals noch keine Beden- ken erweckt zu haben , die Bischöfe sahen in den Päpsten nur ihre natürlichen Schutzherrn nicht blos gegen die sie belästigende Ge- walt der Metropoliten, sondern auch gegen die weltliche Macht der Könige and Landesherm, mit deren politischem Interesse die Erzbi- scböfe sehr eng verflochten waren und von welchen sie sich sogar nicht selten zur Bedrückung der Bischöfe und der Landeskirche gebrauchen Hessen. Die in den Decretalen noch über die Metropo- liten gestellten Primaten sind nicht als eine Stütze der Metropoli- tangewalt anzusehen, sondern auch sie sollten zum Schutze der Bischöfe dienen und je höher sie standen, als die unmittelbaren Stellvertreter des Papstes nur um so willigere Organe zu Voll- ziehung seiner Befehle sein 0*

Wie die pseudoisidorische Gesetzgebung überhaupt darauf hinzielt, die Bischöfe in die unmittelbarste Beziehung zum' päpst- lichen Stuhl zu setzen und alles zu beseitigen , was mit selbststän- diger Auctorität hemmend dazwischen treten konnte, so hatte diess fär die Ausbildung des hierarchischen Organismus die Folge, dass er sich um so reiner in den Bischöfen als den Organen abschloss, durch welche allein die vom Stuhle Petri ausgehende höchste

1) Decr. Felicia Papae: Uli qui pulsaHu fuerity n judieei mapeetoa ha- buerii, Ueeat appellare pnmates, S. 190. Vgl. über die Primaten beson- ders Decr. Anitii (Aniceti) S. 115: NtUli cvrchiepiacopi primates vocentwr^ iiwt iUiy qui prinuu tenent civitcUeSy qtuMrum episcopoa apostoli et tuceessoret üpogtolotvm regtUariter patriarcJuta et prkncUes esse constituentntf tim aliqua gen» deineeps ad fidem corwertaiur y cm neeesse sit propter muUitudineni pri- matem conetitui, Beliqui veroy qui alias metropolitanas sedes adepti euntf non primatee sed metropoUtani nominentur,

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100 Ente Periode. Dritter Abfohnitt.

geistliche Gewalt ausgeübt werden konnte. Und wie die Biscbofe in dieser hohen Bedeutung nichts über sich haben wollten, wu tfie absolute Gleichheit aller Bischöfe aufgehoben hätte, so sollte Uum auch nichts zur Seite stehen , woraus irgend eine BeeintrAchtiguag der bischöflichen Gewalt und Würde hätte entstehen können. Uiitar diesem Gesichtspunkt gehören auch die Chorepiseopen in den Kreif der {>seudoisidorischen Gesetzgebung. Wir finden sie ohne nihari Zusammenhang mit den Chorepiseopen der alten Kirche im ne4BteB Jahrhundert im fränkischen Reich, als Stellvertreter der BiscMft, die ihre bischöflichen Geschäfte durch sie besorgen liesien, Biekt selten nur dazu, um selbst der Ruhe zu pflegen und dem Vergaflgoi nachzugehen. Da sie schon dadurch Aergerniss gaben, und öfters auch als Auskunftsmittel dazu dienten, um durch längere Nichtbe- setzung einer bischöflichen Stelle die Güter der Kirche in der Zwi- schenzeit willkürlich verwenden zu können, überhaupt aber die Sphäre ihrer Befugnisse als zweifelhaft erschien, so entspann sidi gegen sie ein länger dauernder, auch mit der pseudoisidorischea Bewegung zusammenhängender Kampf, bis endlich auch hierin die pseudoisidorischen Grundsätze zur Anerkennung kamen und alle bischöflichen Verrichtungen der nur in die Kategorie der Presbyter gehörenden Chorbischöfe für ungültig erklärt wurden ^).

1) Vgl. Weizsäcker, der Kampf gegen den Chorepiscopat des frinki- gchen Reichs im neunten Jahrhundert. Tüb. 1859. Nachdem actum meh- rere Concilien, zu Paris im Jahr 829, 849, zu Meaux 845, Maaaaregeln gegen sie ergi*iffen hatten, wollte selbst Papst Nicolaus I. sie noch zu Recht bestehen lassen. Seit der Erscheinung des falschen Isidor*s aber handelte es sich nicht blos um ihre Befugnisse, sondern um ihre Existens. Ihr Haüptfeind ist Pseudodamasus , der sie als eine jeder Begründung entbeh* rende Klasse mit der Wurzel ausgerottet wissen wollte. Schon die Ezisteni ihres Amtes sei eine Gottlosigkeit, ihre hochmüthige Erhebung gereiche der ganzen Kirche zur Verwirrung, sie haben aber auch die Auctoritftt der Schrift nicht für sich. Sie seien nach Art der siebenzig Jünger eingesetzt, da es aber Überhaupt nur zwei ordines unter den Jüngern des Herrn gebe, die zwölf Apostel und die siebenzig Jünger, so entsprechen jenen die BiachöÜB, diesen die Presbyter. Sie sollten daher bei ihrer ganz unberechtigten Exi- stenz verboten sein, damit nicht durch ein solches consariium das heilige Amt befleckt werde und der Name der Bischöfe vilescire. Auf dieselbe Seite stellte sich der Erzbischof Hinkmar von Rheims, auch er sah in ihnen ein aeandtUumf das einige Bischöfe pro 9ua gviete et vohtpttUibua in eeeJk" tiam intromisertmt ordinantes chorepiteopot et quae «ummw pontificXbm oon«

Das neue und das alte System des Kirchtnreohts. |01

Vergleicht man dieses neue System des Kirchenrechts mit dem vor der Erscheinung der falschen Dekretalen bestehenden, so fällt sogleich in die Augen, wie schwierig es ist, die Grenzlinie zwischen dem Alten und Neuen zu ziehen und in bestimmten Sätzen anzu- geben, worin eigentlich die epochemachende Bedeutung dieser De- kretalen besteht, was in ihnen so neu und unerhört war, dass sich Yon ihnen eine neue kirchliche Gesetzgebung datirt. Den besten Anhaltspunkt für diese Yergleichung gibt die Regierung des Papstes Nicoians !., welcher, wie sich überhaupt in ihm das Papstbewusst- sein in seiner vollen Energie aussprach, so auch die Auctorität, die ihm als Papst in der Handhabung der kirchlichen Gesetze zukam, in ihrem ganzen Umfang geltend machte. Zwar fällt in die Zeit seiner Regierung das erste Bekanntwerden des falschen Isidors, es darf jedoch als erwiesen angenommen werden , dass sich in der grossem Zahl seiner Dekretalen, in den vor dem Jahr 864 erlasse- nen, noch keine Spur der Bekanntschaft mit dem falschen Isidor und eines von seinen Dekretalen gemachten Gebrauchs verrälh. Gleich- wohl spricht schon in jenen altern Dekretalen Nicolaus I. alle Rechte der kirchlichen Jurisdiction an, welche der falsche Isidor dem Stuhl Petri zuschreibt. Kein Papst hat so nachdrücklich wie Nicolaus be- hauptet, nicht nur, dass von allen bischöflichen Gerichten an den apo- stolischen Stuhl zu appelliren sei, sondern auch, dass überhaupt alle bischöflichen Angelegenheiten als cau$ae majores nur in Rom ihre Endentscheidung erhalten können, und dafür berief er sich nicht auf pseudoisidorische Salze, sondern nur auf allgemein anerkannte Dekretalen seiner Vorgänger, namentlich der Päpste Innocentius L, Leol., Gelasiusl. Wie vieles lag in den hohen Ausdrücken, mit wel- chen so hervorragende Päpste von den der römischen Kirche durch den Apostel Petrus verliehenen Vorrechten und ihrer über jeder an- dern Instanz stehenden richterlichen Auctorität sprachen, wie vieles hatten schon sie aus den für die Jurisdiction der römischen Kirche so wichtigen Kanones der Synode zu Sardica abgeleitet? In der That war ja auch das ganze Appellationsrecht, wie es schon vor dem falschen Isidor und durch ihn in Gebrauch kam, nichts anders als die Erweiterung und Verallgemeinerung eines Rechts, das

veniuntj agere permittentes, Opp. 11. S. 756. In diese Kategorie gehörte anch die Weihe Gottschalks, der nur von einem Chorepiscopen zum Pres- byter ordinirt worden war. Weizs. S. 26. 34. 41. 50.

108 Erste Periode. Dritter Absohnitt

zwar in jenen Kanones noch auf bestimmte Fälle b'eiohrinkt w«, aber in dieser Beschränkung doch schon das Allgemeinei tu wei- chem das Specielle in der Folge erhoben wurde, zu seiner Vortut- setzung hatte. Es ist in dieser Beziehung höchst merkwürdig, wie auch in denjenigen Decretalen , bei deren Abfassung Nicolaua okae Zweifel schon mit dem falschen Isidor bekannt war, nicht die ge- ringste Veränderung seines kirchenrechtiichen Bewusstaeiai iidi zu erkennen gibt. Nach einer sehr wahrscheinlichen Vermudnuig erhielt er die erste Kenntniss von den falschen DecreMen duick den Bischof Rothad von Soissons, als dieser in seiner AppellatiOBft- sache im Jahr 864 nach Rom kam und sich längere Zeil daaelbit aufhielt 0- Er nennt das neue Gesetzbuch nie ausdrücklich, oad macht nie einen speciellen Gebrauch von ihm, um Behaoplangen zu begründen, die nur auf ihm beruhten; es lässt sich aber doch in der Art und Weise, wie er sich seiner Rechtsquellen bedient, m gewisser Unterschied wahrnehmen. Wenn er in einem Schreiben as den Erzbischof Hinkmar vom Jahr 863 sich auf die Constitutionen der römischen Bischöfe Siricius, Innocentius, Zosimus, CöleatOHU, Bonifaciüs, Leo, HUarius, Gelasius, Gregorius beruft so muif man fragen, warum er nur diese Verfasser ächter Decretalen neaat und keinen von denjenigen, von welchen so viele noch ältere De- cretalen verfasst sein sollten. Er kannte sie ohne Zweifel danab noch nicht; als er bald darauf mit ihnen bekannt wurde, war es ihm weit weniger um ihre namentliche Aufführung als vielmehr nur um die Versicherung zu thun, dass tot et fanta decreta von verschiedenen römischen Bischöfen zu verschiedenen Zelten ver- fasst vorhanden seien, dass sie die römische Kirche von Alters her in ihren Archiven und alten Monumenten aufbewahre, und dass sie alle mit derselben schuldigen Achtung zu behandeln seien ^3. Man

1) Vgl. (xFRÖRBB, Gesch. der ost- und westfränkischen Carolinger. Freib. 1848. Bd. 1. S. 483.

2) Vgl. die Epist. u. decreta Nicol. in der MiaisE'sche Patrol. T. CXIX. S. 822.

3) A. a. 0. Ep. 71. S. 892. Ep. 75. S. 901. Es ist wohl auch als eine Spar der Bekanntschaft mit Pseudoisidor und der Rücksicht auf ihn anzusehen, wenn Nicolaus in dem Schreiben vom Jahr 864 an den Erzbischof Bodnlf ▼on Bourges, nachdem er von der faculUu des apostolischen Stuhls gespro- chen hat, in tota Christi eccleaia Uff es spedali praeroffoHva p<mere,ae de- creta statuere ac sententias promfidffare^ fortfährt: quod vestra reverenUa n9s

Nicoläas I. und FB«ado-Isidor. J03

sieht deafliob, er will die Aechtheit weder bestätigen noch Ifiugnen and vermeidet es absichtlich, darauf einzugehen. Als der Abt Lupus von Ferneres im Auftrag des Metropoliten Wenilo von Sens lieh mit der Bitte an Nicolaus wandte, aus dem römischen Archiv die Decretale zu schicken, in welcher, wie verlaute, sein Vor- gänger Melchiades verordnet habe, dass ohne Einwilligung des römischen Bischofs kein Bischof abgesetzt werden dürfe, beant- wortete er zwar die Frage, zu deren Entscheidung die Urkunde gewünscht wurde, ob aber eine solche wirklich vorhanden sei und für acht gehalten werden dürfe, darüber gieng er mit völligem Stillschweigen hinweg 0- Wenn er auch damals im Jahr 858 mit Pseudoisidor. selbst noch nicht bekannt war, so erhellt doch auch «US diesem Falle, wie er sich zu der Frage über die Aechtheit sol- cher Urkunden stellen zu müssen glaubte. Er wollte sich über- haupt darauf nicht einlassen , solche Fragen schienen ihm auf dem absolaten principiellen Standpunkt seiner päpstlichen Superiorität eine so untergeordnete Bedeutung zu haben, dass man sie auf sich beruhen lassen konnte; es konnte ja aus solchen Rechtsquellen nichts erhoben werden, was nicht zuvor schon entweder in den altern längst anerkannten Decretalen, oder in jedem Fall in dem allgemeinen Princip, das überhaupt bei allen Decretalen vorausge- setzt werden musste, enthalten war^]). Diess war die eigentliche

non exisiimet, quia nostra cUcimuSf in hoc quidquam praeter veritatem di- cerCy cum Dei potiiM quam nostra sinty hecUi Petri meritis Bomanae sedi coUata'f et arhitremurj quod nos hie asserimus etiam vos nullatenua ignorare, et qiLoe in praeeenti pagina scribimua, vos affatim in archivis vestris recon- dUa poseidere. Warum spricht er auch hier wieder von Archiven und zwar von auswärtigen, bei welchen er nicht, wie bei den römischen, dafür ein- stehen xnuss, dass sie solche Urkunden enthalten? '

1) A. a. O. 8. 608. und 8. 769.

2) Vgl. A. Thiel, De Nicoiao Papa I. Comment. duae bist, canonicae. Bmnsbergae 1859. Comm. II. Nicolai Papae I. idea de primaiu Bomani Poniißcis explieata. Dass Nicolaus, wie Thiel 8. 37 behauptet, den Pseu- doisidor gar nicht gekannt habe, ist gewiss unrichtig; die von Thiel bei- gebrachten Data beweisen nur, dass er keinen Gebrauch von ihm machen wollte. Auch die Zwölfzahl der bischöflichen Richter zur Verurtheilung eines Bischofs und die siebenzig Zeugen hat er nicht aus Pseudoisidor, er verlangt sie schon in einem Brief vom Jahr 862. Ep. 28. a. a. O. S. 806 und die Zwölfzahl der Richter war schon eine vorisidorische Bestimmung. Vgl. Thiel Comm. 1. S. 18.

104 Erste Periode. Dritter Abfohnitt

Ansicht des Papstes Nicolaus L, wie er sich selbst hierAber in im aufführlichen Schreiben an die sämmtlichen gallischen BiichöEe, durch das er die Rotbad*sche Sache yollends erledigte ^ aeht be- stimmt erklärt hatO- Er g^ht mit Recht davon aus, data ea vor allem auf das Princip ankomme, auf welchem das ganse Gebinde beruhe. Wenn man demnach behaupte, dass Deoretalen der aUca römischen Bischöfe desswegen nicht anzuerkennen seien « weO sie nicht im Codex der Kanones stehen, so dürfte man nicht nnr vea dem h. Gregor, oder einem andern vor oder nach ihm, nidils an- nehmen , sondern müsste sogar selbst die göttlichen Schriften dtf A. und N. T. verwerfen, weil ja auch sie nicht im Codex der kurch- liehen Kanones stehen. Sage man dagegen, es finde sich unter des Kanones ein Kapitel des Papstes Innocentius, durch dessen AnckH rität wir über die Annahme der beiden Testamente belehrt werdea, so könne man in derselben Weise weiter argumentiren und saget, es finde sich unter den Kanones auch ein Kapitel Leo's, in wel- chem die Bewahrung aller Decretalien des apostolischen StnUf so eingeschärft werde, dass wer sich dagegen verfehle, arf keine Vergebung rechnen dürfe. Es gelte daher der allgemeine Satz: decretales epiitolae Romanorum poutificvm suni redpiio^ dae, etiamn non stint canonum codici compaginaiae : sie sind eine von dem Gesetzescodex unabhängige Rechtsquelle. Wie Leo wdle auch Gelasius die Decretalen mit aller Ehrerbietung anerkannt wis* sen und zwar nicht blos die unter den Kanones befindlichen, auch nicht blos die der neueren Päpste, sondern überhaupt die, welche die Päpste zu verschiedenen Zeiten aus Rom erlassen haben. Wenn nun aber bei der so grossen Zahl von Decretalen die Frage um so wichtiger sein muss, ob alle und jede, die sich dafür ausgeben, auch wirklich für acht zu halten sind, so weicht Nicolaus auch hier wieder aus, indem er von dem Besondern, in der concreten Wirklichkeit Gegebenen auf das allgemeine zurückgeht. Wie er die Frage nach der Gültigkeit der Decretalen nicht von dem zufal- ligen Umstand abhängig gemacht wissen will, ob sie in dem Ge* setzescodex stehen, so kommt es auch, wenn über eine bestimmte Rechtsfrage, wie z. B. die Frage, ob ein Bischof ohne Vorwissen und Genehmigung des Papstes. abgesetzt werden kann, entschieden

1) A. a. 0. S, 899, Ep. 76.

Nii>olaii8 I. über die Deoretalen. t05

I

werden soll, nicht darauf an, ob man sich gerade auf eine be- stimmte Decretale, die sich hierüber speciell ausspricht, berufen kann, es ist genug, den speciellen Fall unter eine allgemeine Ka- tegorie zu subsumiren und auf ein Rechtsprincip zuräckzuffihren. Da nun schon Leo in einem Schreiben an den Erzbischof Anasta- sius von Thessalonik ausdrücklich erklart habe, dass bei den ma- jora negofta et difficiliorei camanim exitui der Ausspruch des römischen Bischofs abzuwarten sei, so könne doch kein Zweifel darüber sein, dass die judicia epUcoporvm zu den majora negotia gehören. Ohne sich daher durch die gegen die Aechtheit der fal- schen Decretalen erhobenen Einwendungen irgendwie irre machen zu lassen, und ohne für sich selbst irgend einen Gebrauch von je- nen Decretalen zu machen, erklärte er in der Sache Rothad's, dass dieser Bischof, auch wenn er nicht an den Papst appellirt hätte, ohne das Vorwissen des apostolischen Stuhls nicht habe abgesetzt werden können 0- Aus derselben Veranlassung und nach dersel- ben Argumentationsweise behauptete Nicolaus, dass auch die Syn^ ode^ auf welcher Rothad abgesetzt worden war, ohne Vorwissen und Genehmigung des Papstes nicht hätte gehalten werden sollen, weil Niemand das Recht habe, ein concUium generale sine apoato- lieae eedia praecepto zu berufen '3. Erst der falsche Isidor war es, welcher auch die Provincialsynoden ausdrücklich unter die päpstliche Auctorität stellte; aber es kam ja nur darauf an, eine von einem König berufene , unter dem Vorsitz eines Metropoliten gehaltene Synode einer grössern Kirchenprovinz, eine Reichssyn- ode im engern Sinn , auch ein getierale concUmm^ zu nennen , so verstand es sich ja von selbst, dass auch die Berufung einer Pro- vincialsynode der alles Allgemeine in sich begreifenden päpstli- chen Superiorität vorbehalten sein musste 0- Wenn also, abge- sehen von allen die einzelnen Decretalen betreffenden Fragen, die

1) yjQuia eacra steUuta et veneranda decreta episcoporum causam ^ utpote majora negotia , nostrae dißniendas censurae mandanmt**. So lautet der Schlnss der von Nicolaus am Tage vor dem Weihnachtsfest im Jahr 864 in der Basilica der h. Maria ad praeaepe gehaltenen Rede a. a. O. S. 890.

2) A. a. O. 8. 891.

3) Dass Provincial - und Diöcesansynoden vom apostolischen Stuhl be- stätigt werden müssen, wurde bis dahin nicht ausdrücklich behauptet Vgl. Thibl a. a. O. Conmi. II. S. 15.

106 Erste Periode. Dritter Abechaitt

Überhaupt den Decretalen an sich gebührende Achtang «nd Aner- kennung nicht ZQ bestreiten ist, so kann man nur noch fragm, warum gerade den Decretalen der römischen Bischöfe dieae abso- lute Rechtsgültigkeit zukommen soll; aber jeden Zweifel dieaw Art achlägt Nicolaus schon durch das Zeugniss des in der Reihe der römischen Bischöfe so hochstehenden Gelasius nieder; die KirAe der ganzen Welt wisse, dass der Stuhl des Apostels Petras das Recht habe, alles, was irgendwelche Bischöfe gebunden haben, wieder zu lösen , weil er das Recht habe , über die ganie Kirche zu richten.. Und wenn Gelasius sich gegen die ereifert habe, wel- che, während doch ein menschliches Gesetz schon nach dreissig Jahren nicht für ungültig erklärt werden könne, nach fünfhundert Jahren die Satzungen Christi umstossen wollten , so seien die noch mehr zu tadeln , die jetzt nach mehr als achthundert Jahren den- selben Versuch machen , zudem sei auch das wohl zu beachten, dass Gelasius, wenn er von fünfhundert Jahren spreche, die Privi- legien der römischen Kirche nicht erst von der nicänischen Synode datire, die ja auch selbst nicht gewagt habe, über die römiscbe Kirche etwas festzusetzen, weil sie wohl wusste, dass der röan- schen Kirche alle ihre Privilegien durch den Ausspruch Christi selbst verliehen worden sind. Diess ist somit der höchste Punkt, auf welchen die päpstliche Deduction der Rechtsgültigkeit der De- cretalen zurückgeht, das Princip, auf das sie sie gründet 0* So ge- wiss also Christus seine privilegia consfituta in dem Apostel Petrus niedergelegt, und sie durch ihn der römischen Kirche verliehen

1) Die classische Stelle für die Papstidee des Nioolaas, in welcher das Fapstthnm mit dem von Ewigkeit geordDeten Erlösuogsplan zusammenge- fasst wird, lautet am Schlüsse des genannten Briefs S. 907 so: Christus jpn- vUeffia constittUa in Petro disjaosita vel ßrmata Bomcmae contuUt eceUsiaet sttper quam nihil synodus quaelibet ausa est merito consHtuere, cum idat omnia ilU Domini aermone concessa, Dispensationem quipjte redempiionia g^Mrit hwmani ante tempora saecularia Dominus omnipotens penes se ordinatam cu- atodiens et tempore carnis osiendenSj ascensurus ad coelos in apoatoU Petrii per ^em et apostolatus et episeopatus mmait exordium^ confessione curofue praedpue coüocavit, qui twic per se et deinceps per suae soUicitudinia Aoe- redeSi circa hwmcmum genus, quae sibi Dominus commendavit, non deHitit exhibere, Haec enim illCf haec auccessores ejus ex tunc agere non omittumt modo verbis , modo decretorum suorum epistolis ab urbe Bomana diveraia tem- poribua dcUis y commissarum sibi ovium providentiam principaliter exereaaiea»

Bedaction der Beohtigttitigkeit der Decretalen. 107

hat, 80 gewiss haben die Aussprüche der römischen Bischöfe ihre Wahrheh and Rechtskraft in sich selbst, und es spricht sich in ihren Decretalen das von Christus durch die Vermittlung des Apostels Petrus auf sie übergegangene göttliche absolute Selbstbewusstsein aus. Sobald daher nur nachgewiesen ist, dass die in der Regierung der Kirche bestehende Superiorität ohne die Ausübung dieser oder jener Rechte nicht gedacht werden kann, so sind die darauf sich beziehenden Decretalen der römischen Bischöfe über jeden Zweifel erhaben, es kommt ddher auch nicht darauf an, von wem diese oder jene Decretalen yerfasst sind, welche Namen die einzelnen anter so vielen mehr oder minder hervorragenden führen, das beste Zeugniss ihres Ursprungs ist ihr Gehalt.

Es ist hier einer der Punkte , auf welchen sich in das innere bewegende Prinoip des Entwicklungsgangs der katholischen Kirche tiefer hineinblicken lässt. Das Eigenthümliche ist eine so immanente Entwicklung, dass aus ihr nichts hervorgehen kann, was nicht an sich in der absoluten Bedeutung des Princips wesentlich enthalten ist An der römischen Kirche und dem in ihr von Christus an die Spitze seiner Kirche gestellten Apostel Petrus hängt hier alles; setzt man nur einmal diesen unmittelbar göttlichen Ursprung und Primat der römischen Kirche voraas, so ist alles, was den absoluten Cha- rakter dieser Kirche reiner herausstellt, ihn zum klareren und be- stimmtem Bewusstsein erhebt und zur allgemeinem Anerkennung bringt, und die Macht und Herrschaft dieser Kirche in gcösserem Umfang erweitert, nur die natürliche und nothwendige Consequenz aus Prämissen, deren Wahrheit von Anfang an fest steht Wie diess die acht katholische Anschauungsweise eines Nicolaus und aller seiner Vorgänger ist, auf deren Auctorität er sich Vorzugs?- weise beruft, so gibt sie auch den nächsten und sichersten Auf- schlass über den Ursprung der Decretalen. Auch sie spinnen ja nur an demselben Faden fort und enthalten nichts, was nicht eine Folgerung aus dem längst Anerkannten, eine Ergänzung des schon Vorhandenen wäre, die concreto Realisirung der Papstidee nach den besondem Beziehungen, in welchen sich ein Bedürfniss ihrer Zeit herausstellte. So natürlich man ihren Ursprung, so betrachtet, finden muss, so gross ist der Anstoss an dem falschen Vorgeben, dass so viele Decretalen von Päpsten herrühren sollen, die nach den sichersten Kriterien ihre Verfasser nicht waren, und nickt

108 Ente Periode. Dritter Abiolinitt*

einmal sein konnten. Es ist diess ein offenbarer Betrug, welcher, je systematischer er darchgefShrt ist, um so mehr aacb twt tb einen bewussten und absichtlichen gehalten werden tainn;- IM doch , wenn schon das Princip , von welchem die ganze Bntwiek- Inng aasgeht, eine Fiction ist, wie kann man sich wundem, dan es auch in dem geschichtlichen Verlauf nicht an Fictionen und Tit- schungen fehlt? Es lässt sich auch der an den Decretalen haftende Betrag nur aus dem Charakter der römisch-katholischen Kirche und ihrem Princip erklären. In einer geschichtlichen Entwiekhni(|[, die eine so rein immanente ist, dass alles, was aus ihr herrorgelit, von Anfang an in der Absolutheit ihres Princips begriffen ist, ver- halten sich die geschichtlichen Personen nur wie ein AcGidens n der Substanz der geschichtlichen Entwicklung; sie sind nur die zu- fälligen Träger eines in seiner absoluten Wahrheit hoch Ober ihnen stehenden Inhalts, die Vermittler einer Ueberlieferung, zu deren Begriffes gehört, dass sie in ihrer steten Identität mit sich selbst nur das Empfangene weiter gibt und von dem Einen an den Andern gelangen lässt Da bei einer solchen Ueberlieferung alles wesentlidi. sich gleich bleibt, so kann sie auch nichts enthalten, was nicht eben- so alt als wahr ist; es gibt nichts, was nicht der Eine ebenso git gesagt haben kann als der Andere, der Frühere so gut wie der Spätere, und der Spätere wie der Frühere, es verschwindet der Unterschied der Personen und Zeiten, das höhere Alter ist nur ein bestimmteres Zeugniss von der Wahrheit und Wichtigkeit des Ge- sagten, wesswegen der falsche Isidor die Namen der Päpste, die er zu den Trägern seiner Decretalen macht, vorzugsweise aus*der vornicänischen Periode entlehnt. In der That sind die falschen De- cretalen nichts anders als die Consequenz der alles zurückdatiren- den und das Bewusstsein der Zeitunterschiede auslöschenden Tra- ditionsidee. Für eine Zeit, die so sehr gewohnt war, alles auf Auctorität und Tradition zu bauen und nichts für wahr und gewiss zu halten, was sie nicht an schon Vorhandenes anknüpfen, aus ihm ableiten und erklären und als eine längst ausgesprochene Wahr- heit betrachten konnte, war der Schritt zur Fälschung und Unter- schiebung von Urkunden, in welchen nur vollends zum klaren und bestimmten Ausdruck kam, was schon in der Strömung des Zeit- bewusstseins lag, ein sehr geringer, und so wenig man auch eine solche Fiction für eine sittlich indifferente Form der Darstellung

Uriprnng and Tendenz der ps.-iiid. Deeretale. 109

halten mag, so darf doch der trübende Einfluss nie unbeachtet ge- lassen werden, welchen eine Anschauungsweise, wie sie dem ka- tholischen Traditionsdogma zu Grunde liegt, sehr natürlich auf das sittliche Wahrheitsgefühl ausübt. Da bei allem Festhalten an der Identität der Tradition nicht verhindert werden kann, dass nicht immer wieder neue mehr oder minder bedeutende Differenzen zum Vorschein kommen, und mit der wachsenden Zeitferne es nur eine am so auffallendere Erscheinung ist, dass Papste des zweiten und dritten Jahrhunderts die Sprache des achten und neunten führen, so kann auch den Verfassern der Decretalen unmöglich der Wider- spruch sich verborgen haben , in welchen sie durch ihre Fiction mit ihrem eigenen Selbstbewusstsein kamen, und je mehr diess der Fall gewesen sein mnss, um so weniger lässt sich annehmen, dass sie sich nicht einer bestimmten Absicht bewusst waren, und ans einem besondern Interesse dieser tauschenden Form der Dar- stellung sich bedient haben. Wozu sollten sie,- nur um alte längst bekannte Wahrheiten und Rechtsbestimmungen zu wiederholen, eine so grosse Zahl von Decretalen in Umlauf gesetzt haben?

Nöthigt also gerade die eigene Form der Darstellung um so bestimmter nach der Absicht und Tendenz der Verfasser der De- cretalen zu fragen, so kann die Frage nur sein, ob das Interesse, aus welchem der Ursprung der Decretalen zu erklaren ist, auf der Seite der Päpste oder der Bischöfe vorauszusetzen ist? Den Päp- sten konnte es nur erwünscht und vortheilhaft sein, wenn sie in einem Gesetzescodex, wie der pseudoisidorische ist, ihre Ansprüche und Rechte so vollständig zusammengestellt und so genau formulirt und so Manches, was bisher noch ziemlich unbestimmt und zweifel- haft war, auf einen so klaren und entschiedenen Ausdruck ge- bracht sahen; auf der andern Seite aber wollten sie, wie das Be- nehmen Nicolaus I. bei der Erscheinung Pseudoisidors deutlich genug zeigt, keineswegs dafür angesehen sein, wie wenn erst auf einem solchen Wege ihre Stellung und Macht in der Kirche be- gründet werden müsste. Seinen Werth hatte der falsche Isidor für die Päpste nur darin, wenn das, was sie für sich selbst unbestreit- bar zu sein sich bewusst waren und zu sein behaupteten, ihnen als ein auch thatsächlich anerkanntes und immer mehr in das all- gemeine Bewusstsein der Kirche übergehendes Recht entgegen- kam. Diess war auch unstreitig der Fall Das Hauptinteresse, aus

110 Erste Periode. Dritter Abtehnitt

welchem die Decretalen hervorgingen , liegt nicht auf der pApit» liehen', sondern der bischöflichen Seite. Nicht um die Erhöhing der päpstlichen Macht ist es den Verfassern derselben m tinn, sondern um die Sicherstellung der Bischöfe htoptsAchlich gegei Gericht und Anklagen, um sowohl die Gerichte über Bischöfe der weltlichen Gewalt völlig zu entziehen, als auch überhaupt eiae Anklage gegen einen Bischof so gut wie unmöglich zu machen. Diess ist sosehr der überwiegende Inhalt der Decretalen, data voi neunzig, die die Sammlung enthält, mehr als siebenaig davon handeln. Der Papst ist im Grunde nur dazu da, um mit amner Macht zur Erreichung dieses Zweckes zu dienen. Es ist daher auch als ein sicheres Resultat der neuesten Untersuchungen ann*' sehen, dass die Decretalen nicht römischen, sondern frftnkiachm Ursprungs sind. Im fränkischen Reich fanden liaupts&chlich die Verhältnisse statt, auf die sich die Decretalen fortgehend beziehei. Dort hatten die Bischöfe am meisten von der Macht der Könige vaä der weltlichen Grossen zu leiden, durch Gewaltthaten, Absetxoag, Beraubung des Kirchenguts; insbesondere befanden sich in Folge der Kriege Ludwigs des Frommen mit seinen Söhnen viele Bischöfe in einer Lage, in welcher sie ihre Zuflucht nur zu dem päpstUckea Stuhl nehmen konnten. Im fränkischen Reich ist demnach auch der Schauplatz, auf welchem der falsche Isidor in der ersten Zeit nack seiner Erscheinung seine Hauptrolle spielt 0-

1) Nach den altem Untersnchnngen yon Bloxdbl, Ballebini, Spittls» tu A. über Aechtheit, Alter, Ursprung und Zweck der falschen Decretalen sind die wichtigsten aus der neuesten Zeit: Kunst de fontibus et conailio pseudoisidorianae collectionis Gott. 1832 (ygl. die Unters, über die Capita- larien Benedicts in Pbrtz Mon. Leg. II. 6. S. 19 f. Yom Jahr 1886) Was- BEascHLBBEN, Beiträge sur Geschichte der falschen Decretalen. Breslaa 1844. Gfbökeb, Unters, über Alter, Ursprung, Zweck der Decretalen des falschen Isidor, Freib. imBr. 1848. vgL Gesch. der ost- und westfr. Carolinger, Freib. 1848. 1. Bd. S. 71 f. GöoKB Dissert de exceptione spolii. Berol. 1868. J. Weizsäcker, Hinkmar und Pseudo-Isidor in Niedner*s bist theol. Zeitaohr. 1860. H. 3. S. 383 f. Die pseudoisidorlsche Frage in ihrem gegenwftrtigvi Stande in SybeVs bist. Zeitschr. 3. Bd. 1860. S. 42 t Nähere Anhaltapnnkta lür die Untersuchung gibt theils das Yerhältniss, in welchem die Decretalen SU den capitula Angilram*s und der Capitulariensammlung Benedicts stehen, theils die Beziehung, die sie auf die Streitigkeiten zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen, und insbesondere auf die Sache des Ersbisdboft Ebbo Yon Rheims haben. In Betreff dieser beiden Funkte hat Göcke a. a. 0.

Ursprung und Tendenz der pf.-i8id. Deoretale. Hl

Da der engere Anschluss der Bischöfe an den Papsl, auf wel- chen die Decretalen hinzielen, ohne die Beseitigung des in der

ipedelle Nachweisnngen gegeben, welche die überwiegend«^ Wahrscheinlich- keit für sich haben. Man könne nur annehmen, die Capitel Angilram's seien selbst ein Theil des pseudoisidorischen Betrags, fast alle finden sich auch in den Decretalen, sie setzen dasselbe Material yorans, handeln anch TOD nichts Anderm als von den judida nnd aeeusationeB epUeoporwn, Ebenso Terfaalte es sich mit den Capitularien Benedicts; auch er habe, wie anch Wasserschleben annimmt, nur die von dem falschen Isidor gesammelten Materialien benätzt Was Bbbo betrifft, so war er in den genannten Strei- tigkeiten einer der auf der Seite Lothar^s stehenden Bischöfe und, nachdem sich Ludwig der Fromme der Regierung wieder bemächtigt hatte, anf der Synode zu Dienhofen im Jahr 835 abgesetzt worden. Göcke zeigt, dass die Decretalen den zu Gunsten solcher Bischöfe, die sich im Falle Ebbo's befanden, aufgestellten Rechtsgrundsatz der exceptio apolii^ der überhaupt zuerst bei Psendoisidor erscheint, noch nicht enthalten haben können. Eine gleiche Beziehung auf die Person und Geschichte Ebbo^s, namentlich seine Restitution durch Kaiser Lothar im Jahr 840 und seine nichtkanonische Ver- setntng auf das Bisthum Hildesheim im Jahr 844 durch Ludwig den Deut- schen, Iftsst sich in mehreren Stellen der Decretalen nicht verkennen, in welchen überhaupt alles, was gegen Ebbo geschah, für ungerecht, und was er selbst gegen die Gesetze der Kirche that, fär gerecht erklärt wird. Mit Rücksicht auf solche Data wird die Abfassung der Decretalen zwischen die Jahre 844 und 853, und die der Capitularien zwischen 845 und 847 gesetzt. In der Narratio cfericortim, welche, von Ebbo im Jahr 841 ordinirt und Yon Hinkmar und der Synode zu Soissons im Jahr 853 abgesetzt, sich anf die decreia aanetorum Fatrum berufen, findet sich die erste sichere Spur der falschen Decretalen. Die erste Synode, die sie ausdrücklich erwähnt, ist die zu Carisiacum vom Jahr 857, vgl. Wasserschi. a. a. O. S. 75. Der Hauptrerdacht des Betrugs fiel bisher anf den Verfasser der Capitularien- sanunlung, den Mainzer Diaconus Benedict, oder, da dieser als der Unter- gebene yielleicht mehr der Betrogene als der Betrüger war, auf den Ers- biflchof Otgar von Mainz, der gleichfalls einer der bei den Kämpfen des firänkischen Reichs um Theilung oder Einheit besonders betheiligten Bischöfe war; auf ihn würden namentlich die Bestimmungen der Decretalen über die Primatialrechte eine passende Beziehung haben. Da jedoch der sogenannten Otgarhypothese auch Manches entgegensteht, so hat die Untersuchung neue- stens ihren Weg vom Ostreich in das Westreich, von der Mainzer Diöcese in die Rheimser genommen. Die scharfsinnige Verfolgung dieser Ansicht, für welche neben den über Ebbo beigebrachten Data hauptsächlich auch schon dies 8 spricht, dass die Rheimser Provinz voll von Psendoisidor und der Sitz der lebhaftesten Streitigkeiten über ihn war, ist das Hauptrerdienst WsnuilcKER's in den beiden genannten Abhandlungen, besonders der erstem; in der zweiten sind S. 92—94 die Gründe für den Rheimser Ursprung in

119 Erste Periode. Dritter Absehnitt

Mitte dazwischen liegenden Hindernisses nicht zu Stande kornmeB konnte, so waren es die Metropoliten, mit welchen der fiilscke Isidor in die nächste Coliision kommen masste. Es war natftrlidi, dass sie die so stark angegriffene Selbstständigkeit ihrer Stellmig nicht ohne Widerstand aufgaben. Der kräftigste und gewandteste Vertheidiger der Metropolitanrechte war der Erzbischof Hinkaar von Rheims , in dessen Streitigkeiten mit den Päpsten sich nna der Kampf des alten und neuen Kirchenrechts, der Gegensatz d^r voo den Synoden beschlossenen Kanones und der päpstlichen Deere- taien, der Conflict der Landeskirchen und der römisch-katholischea vor Augen stellt.

Die Veranlassung, aus welcher diese Frage zuerst zar Sprache kam, gab der schon erwähnte Streit des Erzbischofs Hinkmar voa Rheims mit seinem Suffraganbischof Rothad von Soissons. Es haa- delte sich zunächst um das Recht der Appellation an den Papst, dai der auf der Synode zu Senlis im Jahr 863 abgesetzte Rothad ftr sich in Anspruch nahm und in dessen Geltendmachung er von Hi- colaus I. unterstützt wurde. Da Hinkmar dieses Recht aus de« Grunde nicht anerkennen wollte, weil kaiserliche Geseze die Bera- fung auf fremde Gerichte verbieten, so erinnerte Nicolaus 0 sehr nachdrücklich an die Kanones der Synode von Sardica, und zugleüch daran , wie wohlthätig die Privilegien des apostolischen Stuhls ffir die ganze katholische Kirche seien, sie seien eine Schutz wehr gegen alle Angriffe der Schlechtigkeit Woher sie denn wissen, führte er den in dieser Sache betheiligten fränkischen Bischöfen zuGemütfae, dass das, was heute einem Rothad begegne, nicht morgen jedem von ihnen widerfahre, und wenn diess geschehe, wohin sie ihre Zuflucht nehmen wollen? Hinkmar konnte das Recht der Appella- tion nicht weiter bestreiten, drang aber um so mehr darauf, dass es nur innerhalb der von den alten Kanones bestimmten Grenzen zur Anwendung kommen könne. Es sei gegen die dem Stuhl Petri

einer kurzen Ueberslcbt treffend zusammengestellt Da sich nicht wohl nehmen lässt, dass das gesammte pseudoisidorische Material auf einmal and in so kurzer Zeit producirt worden ist, so bleibt die Frage, aus welchen Quellen es geflossen und zu diesem Ganzen geworden ist, immer noch eine weitere kritische Aufgabe.

1) In dem Schreiben an die Bischöfe der Synode von Senlis bei Mansi T. XV. S. 302. Bei Mionb Patrol. T. CXIX. S. 826.

Streit swlsohen Hinkmar nnd Rothad. 113

rebührende Ehrfurcht, alles und jedes, worüber hohe und niedere Lleriker streiten, vor denselben zu bringen; nur in solchen Fällen labe man sich an ihn, als das göttliche Orakel, zu wenden, in wei- hen die Kirchengesetze nichts bestimmen, oder wenn entweder ler Bischof einer Provinz dem Ausspruch selbsterwählter Richter ich nicht unterwerfen wolle, oder wenn er von einer Provinzial-« ynode abgesetzt im Vertrauen auf seine gute Sache an den Stuhl ^etri appellire. In einem solchen Falle seien die, die einen Bischof Iferichtet haben, verpflichtet, an den Papst zu schreiben und ihn zu Tauchen, dass er gemäss den Beschlüssen von Sardica eine neue Un- erauchung anordne. Diese Beschlüsse ermächtigen den Papst nicht, »nen Bischof, der an ihn appellirt habe, ohne Weiteres wieder- lerzuatellen , sondern eine solche Sache müsse an eine Synode der Provinz , in welcher allein den Carthagischen Kadones zufolge die lölhigen Zeugen beigeschafft werden können, zurückgewiesen nrerden 0* Als indess Rothad nach Rom gekommen war, von der Segenpartei aber niemand erschien, erklärte Nicolaus das über Rolhad ausgesprochene Absetzungsurtheil desswegen für ungültig, weil ohne Befehl des römischen Stuhls keine Synode berufen werden könne und weil durch zahlreiche päpstliche Decretalen bestimmt werde, dass alle bischöflichen Angelegenheiten der Entscheidung dea Sluhla Petri vorbehalten seien. Wenn daher auch Rothad nicht an den römischen Stuhl appellirt hätte, so wäre Hinkmar nicht be- fugl gewesen, ohne vorangegangene Einwilligung des Papstes Rothad seines Bisthums zu entsetzen. Nach mehreren in derselben Sache erlassenen Schreiben betehrte Nicolaus zum Schlüsse noch die sämmtlichen Bischöfe in dem ausführlichen Schreiben vom Jahr 865 iuf die schon angegebene Weise über die hohen Vorrechte des ipoatolischen Stuhls und die Rechtmässigkeit seines Verfahrens, und linkmar musste es geschehen lassen, dass Rothad durch einen )äpstlichen Legaten in sein Bisthum wieder eingesetzt wurde Slücklicher war dagegen der Erzbischof unter dem Nachfolger- Kicolaus L, Hadrian IL, in einem ähnlichen Streit mit einem andern seiner Suflraganbischöfe, dem Bischof Hinkmar von Laon, welcher lurch sein gewaltthätiges und widerrechtliches Benehmen recht

1) Das Schrjeiben Hinkmar^s an Nicolaus Opp. Hincm. ed. Sirm. Paris 1646. T. IL S. 244 f.

B aar, K.a. d. Mittelalters. 8

114 Erste Periode. Dritter Absehnltt

absichtlich den Versuch machen zu wollen schien, wie Vieles ein Bischof im Vertrauen auf den falschen Isidor und den Schutz des Papstes sich herausnehmen dürfe. Die Grundsatze der Deeretalen und die Kanones der alten Kirche standen sich in diesem Streit des altern und des jungem Hinkmar, des Oheims und des Neffen, in ^direktem Gegensatz gegenüber. Der jüngere Hinkmar hatte rar Rechtfertigung seiner Appellation an den römischen Stuhl dieKem- stellen der Deeretalen in einem Auszuge zusammengestellt; der ältere setzte demselben ein ausführliches Werk entgegen O9 ^ welchem er zur Behauptung der Metropolitanrechte eine sehr eh- gehende Kritik des neuen Kirchenrechts gab. Er drang Tor aUem auf die unverletzliche Gültigkeit der von den Vätern der Eird» für alle folgende Zeiten gegebenen Gesetze; selbst der apostoUÄdie Stuhl dürfe sich nichts gegen die heiligen vom Geiste Gottes efai- gegebenen, durch die Verehrung der ganzen Welt geheiligten Kanones herausnehmen; was ihnen zuwider sei, sei ebendanü von selbst dem Anathema verfallen. Wenn man sich auf euie De- cretale Leo's des Grossen berufe, nach welcher den VerordnuDgen Folge zu leisten sei, welche die römischen Oberhirten über kirch- liche Ordnung und Zucht bekannt gemacht haben, so dürfe min auch den grossen Unterschied nicht übersehen, welcher zwischen Gesetze geben und Verfügungen über schon bestehende Rechte erlassen stattfinde. Leo deute mit dem von ihm gewählten Aus- druck selbst an, dass alle päpstliche Verordnungen auf früher vor- handene Synodalschlüsse sich stützen müssen. Viele römische Ur- kunden beweisen, dass die Päpste selbst die Gültigkeit ihrer Deere- talen stets auf Concilienschlüsse gegründet haben; es gelte Übet' haupt nichts, was mit den Concilien streite und auch der aposto- lische Stuhl könne nichts gegen das Ansehen der Kirchenversanim- lungen anordnen. Wie sich hieraus von selbst der allgemeine Grundsatz ergab, dass die päpstlichen Deeretalen nur soweit 'gSÜig seien, als sie mit den allgemein anerkannten Kanones übereinstfm'- men, so suchte Hinkmar den Unterschied und Widerspruch zwischen beiden auch durch die Unterscheidung der Personen, Zeiten und Orte auszugleichen. So dürfe nach den Deeretalen ohne Zustiffl-

1) Das Opusculum LV capitulorum adv. Hincmarom Laadun. vom Jahr 870. a. a. O. S. 877 f.

Hinkmarg Y^rtheldigung der Metropolitanreohte. 115

mang und Gehdss des apostolischen Stuhls keine Synode zusam- mentreten, während die nicanischen, chaicedonischen, antiocheni- schen und afrikanischen Schlüsse und die Decrete mehrerer Päpste es den Metropoliten zur Pflicht machen, in regelmässigen Zwischen- räumen Synoden zu berufen. Die Metropoliten handeln somit nur dem Willen des päpstlichen Stuhls gemäss, so oft sie ihre Bischöfe Tersammeln, und jener Ausspruch müsse auf allgemeine Concilien beschränkt werden, sofern diese freilich nicht ohne die besondere Erlfiubniss des Papstes gehalten werden können. Für den Unter- schied, der zwischen den Concilienschlüssen und den päpstlichen Decretalen zu machen sei, berief sich Hinkmar noch besonders auf die Auctorität des Papstes Gelasius, der in seinem Gesetz über die kanonischen Schriften von den Concilienschlüssen zwar sage, dass sie von aller Welt befolgt und heilig gehalten werden müssen, von den Decretalen aber nur, dass sie mit Ehrfurcht entgegenzunehmen seien. Jene haben daher bleibende Gültigkeit, in diesen sei Vieles blos örtlich und zeitlich, woher es auch komme, dass sie manch- mal selbst den Satzungen der allgemeinen Synoden widersprechen. Bei aller Achtung, die sie verdienen, dürfe man die von Gelasius selbst empfohlene Regel: prüfet alles und das beste behaltet, nicht vergessen. Er wolle damit keineswegs behaupten, dass die Decre- talen Dinge enthalten, welche nicht gut seien, sondern nur, dass sie nicht überall mit den heiligen Kanones übereinstimmen; es ver- halte sich mit ihnen, wie mit dem mosaischen Gesetz, das der Apostel recht und gut nenne, aber nur für die Zeiten des alten Bundes. Die Schreiben der alten Päpste seien gut für ihre Zeiten gewesen, seitdem aber durch allgemeine Kirchen Versammlungen bleibende Gesetze eingeführt worden seien ^ müsse man sich an diese halten 0- Diessmal war der Sieg auf der Seite des Erzbischofs, sdne Yertheidigung der Metropolitanrechte wurde mit dem glän- zendsten Erfolg gekrönt. Die Synode zu Doucy im Jahr 871 Hess sich durch die Appellation Hinkmars an den Papst nicht abhalten, den in seinem Ungehorsam beharrenden Bischof zur Verantwortung zu ziehen, da nach den Kirchengesetzen jeder zuerst innerhalb seiner Provinz angeklagt und gerichtet werden müsse, und das Absetznngsurtheil über ihn auszusprechen. Der Versuch, welchen

1) Man Tgl. besonders c. 10 f. 20 t

8*

il6 Ente Periode. Dritter Abtohnitt

der Papst noch machte, die Sache zu einer neuen Unterraohung nach Rom zu ziehen, gab dem Erzbischof Hinkmar nur Gelegenheit, in einem im Namen des Königs verfassten Schreiben dem Papite noch nachdrücklicher entgegenzutreten, worauf Hadrian fflr gut fand, die Sache fallen zu lassen und die Absetzung des Bischofs still- schweigend anzuerkennen. Noch einmal hatte Hinkmar YeranlassuBf, den pseudoisidorischen Ansprüchen der Päpste entgegenzatreten, ab nach der Ernennung Karls des Kahlen zum Kaiser Papst Johann TBL den Erzbischof Ansegisus von Sens als Primas und apostolischen Vicar in Gallien und Germanien aufstellte. Da Hinkmar dadorct seine eigenen hierarchischen Plane vereitelt sah, so galt es nm so mehr, die Selbstständigkeit der Metropolitanrechte zu wahren. Bl geschah diess auf der Synode zu Pontigo im Jahr 876, aof welcher die fränkischen Bischöfe mit Hinkmar an der Spitze nur unter den Vorbehalt der durch die Kanones den Metropoliten bestimmten Rechte dem päpstlichen Befehle sich fügten 0- Es hatte die«

1) Vgl. Hincmari tract ad episcopos de jnre Metropolitanomm , ooa de primatn Ansegisi ageretnr. Opp. 2. 8. 719. Tiefet hat wohl nienuBd in der ftltern Zeit die Tendenz der Decretalen dnrchsohant als HinlEinar. Er nennt sie (in dem opuso. gegen den Bischof von Laon a. a. O. 8. 418« 569) nicht nur eine den Metropoliten gestellte Mäusefalle {circumponta nohi» cmm- huB Metropolitcmis muscipulajf sondern vergleicht sie auch mit einem am Rande ein wenig mit Honig bestrichenen Giftbecher, und mit dem Apftlt durch welchen der Satan die Stammeltem unter Vorspiegelung der Gabe dM ewigen Lebens in die tiefste Sklayerei gestürzt habe. Wenn sein Meft gewisse Bischöfe zur Annahme jenes Machwerks anreize und zu ihacfi spreche: nehmet und verfechtet mit mir diese Decretalen und Ihr werdet niemand unterworfen sein als dem Papst allein, so heisse diess ebenso Tiali als wenn er sagte: zerstöret mit mir die göttliche Ordnung, welche einen Unterschied der Würde im bischöflichen Stande eingeführt hat Ja, man kann es sich kaum anders denken, als dass seine Polemik nicht hlos gegen die Gültigkeit sondern auch gegen die Aechtheit gerichtet ist, wenn «r sie decreta sedia Bomanae PonHficum commenta und Jigmenta eomjpüata nennt (a. a. O. 0. 46.) und am Schlüsse seines im Namen des Königs Karl des Kahlen verfassten Schreibens an den Papst Hadrian sagt: was den ftohten Quellen gemäss sei, nehmen sie an, was aber ihnen zuwider von irgend jemand zusammengestoppelt oder erdichtet sei, glauben sie nicht blos Ter- werfen, sondern auch widerlegen zu müssen. A. a. O. S. 716. Wofür andeis konnte er sie halten, als für den schlimmsten Betrug, wenn er in demselben Briefe a. a. O. S. 709 sogar in die Worte ausbricht: Quia igiiur hone um- versam legem infemua evomuitf Quia iartarus de m%$ abdUis et lenedrofM

Hinkmar nnd Arnulf Ton BheimiT. 117

aber keine weitere Bedeutung. Je mehr bald darauf das regere und geistigere Leben der karolingischen Periode erlosch, wurde man gleichgiltiger gegen d^ von Hinkmar verfochtene Interesse, die Opposition verstummte, man fügte sich mit schweigender Devotion dem Joche der papstlichen Herrschaft O9 und seitdem mit dem Ende des neunten Jahrhunderts systematische Kanonensammlungen ent- standen, die einen grossen Theil des Stoffs aus dem Werke Pseudo- isidors entlehnten, geschah es durch ihre Vermittlung, dass der Kern der falschen Decretalen ein integrirender Theil des corpus jwris canofiici wurde ^). Nur einmal noch, mehr als hundert Jahre nach Hinkmar, kam es zu einer sehr ernstlichen Protestation gegen das Kirchenrecht des falschen Isidor. Auch jetzt war Rheims der Ort des neuen Streits, aber der Erzbischof von Rheims war jener Arnulf, welcher von Hugo Capet beschuldigt, die Stadt Rheims an den Herzog Karl von Lothringen verrathen zu haben, im Jahr 991 vor eine Synode in Rheims gestellt wurde, auf welcher seine Ver- theidiger sich darauf beriefen, dass seine Sache, wie überhaupt die Angelegenheiten der Bischöfe, vor den römischen Stuhl gehöre, während die Gegner, deren Wortführer der Bischof Arnulf von Or- leans war, nur das Kirchenrecht der Synodalkanones gelten Hessen.

cunieulia ertbctavit^ Der Gedanke an eine solche Unterdcbiebung lag Hinkmar aach tonst nicht so fem. Aach in dem im Namen Karls des Kahlen an Papst Johann YIII. geschriebenen Briefe (Ep. 47) spricht er von epistolae miss€te ^[uaH ex apo8toUc<ie hujus sedU attctoritate ctc nomine , guoks tenorig inconvemenlia hanc stmctam et cUscreHsaimam sedem non miaisae oatendit. Er glaube , dass diese Briefe nee auctoritate apoatolica fuiaae miaaaa , aed com- pHataa quorumque vafrieia. Non enim aibi ipai aed-ea apoatolica poteat eaae contraria vel diveraa a. a. 0. S. 778. Dass er in der Aufdeckung des Be- tmgs nicht weiter gieng, hatte seinen Grund darin, dass er sie theils selbst fSr seine hierarchischen Bestrebungen benützte, und mit so vielem ganz ein- verstanden war, theils überhaupt an einer solchen Fälschung keinen so gros. sen Anstoss nahm. Steht doch er, der Bestreiter der Decretalen, im Ver- dacht, fär die Primatialwürde seines erzbischöflichen Stuhls. in Kheims sich auf ein Schreiben des römischen Bischofs Hormisdas berufen zu haben, dessen Verflasser er selbst war. Vgl. Weizsäckeb in der Abb. in Niedner^s Zeitschr. 8. 858. 381. 388. Roth, Gesch. des Benef.- Wesens S. 462.

1) Die Synode zu Tribus im Jahr 895 wollte, um nur die humilitaa mit der memaiLetttdo zu vereinigen, licet vix ferendum ab illa aancta aede imponaitir jugum, auch diess pia devotione sich gefallen lassen. Wasser- schieben Beitr. S. 88.

2) Vgl. Wasserschlebbn a. a. O; S. 90 f.

HS Ente Periode. Dritter Abtolmitt

Und nicht blos vom Standpunkt der alten Kanonea aua wordoi die Vorrechte der römischen Kirche bestritten, sondern man hielt den Papstthum auch dieSittenlosigkeit und Unwissenheit vor, dnrch wel- che mehrere Papste der letzten Zeit sich vor aller Welt so yerichtlidi gemacht haben, dass es nur als empörend erscheinen könne, wenn so viele Priester Gottes in der ganzen Welt unter solchisii «loiislni stehen sollen. Ja selbst daran wurde erinnert, dass die Ver- hältnisse Roms überhaupt nicht solcher Art seien , dasa die Unab- hängigkeit der Kirche damit bestehen könne, wenn sie ihre Rick- tersprüche immer in Rom holen müsse. Wie diess möglich so, wenn Rom selbst einem Barbaren unterworfen, den Herrscheriai- nen desselben fröhnen und seine geistliche Gewalt zuni Vortheil barbarischen Ehrgeizes misbrauchen müsse? Es sei schon soweit gekommen, dass die Völker und Kirchen von Rom sich loareissen 0*

1) YgL die von Gbrbert abgefassten Acten der Bheimser Synode id PEBTzMon. Germ, bist Script T.III. S. 658—686. Die Rede desEnbiechofe Arnulf Yon Orleans, des Hauptwortführers der französischen Bischöfis, enthllt das Stärkste, was gegen das damalige in der öffentlichen Meinung sosehr m Miscredit gekommene Born und die auf das pseudoisidorische Kirchenre^t sich stützende Auctoritttt der römischen Kirche gesagt werden konnte. A. a. 0. 671 677. Die Antwort auf Arnulfs Kede und das wahre Gegenstfiok m ihr ist das Schreiben Leo's an die Könige Hugo und Robert als der kone Ausdruck dessen , womit die römische Anmaassung alle gegen sie erhobenen Einwürfe niederschlug. Ein charakteristischer Beleg dafiir ist die Erwiede- rung, die Leo auf die Worte Arnulfs (8. 673): Cum hoc tempore Bcmae miXba paene sit, ut fama est, qui Utteras didicerity Hne quibus tU scnptum est, vix hoatiariiLB effickv/r, qua fronte oMquia eorum docere audebit, quod minime didicU^ gab S. 687 : Quia vicarii Petri et ejus discipuli nahmt habere moffistrutn Pfo- tonem, neque Ftryi/tum, neque Terentium, neque ceteros j^ecudes jphüosopTionm dieüia eot nee hostiarios dehere esse, Pro qua re sciatis Petrus non novit talia et hostia/rms caeli effectus est. Den Vorwurf, dass in Rom alles um Geld feil sei, die judicia ad nvmmorum quantitatem abgewogen werden, der Papst sich bestechen lasse, Geschenke annehme, weist der Abt Leo als ein Unrecht gegen den Herrn der Kirche zurück, welcher ja auch a magis oblata sibi munera non respuit, A. a. O. Unter den Zeugnissen gegen die unbedingte Anerkennung der Superiorität des römischen Stuhls verdient auch das des Erzbischofs Elipandus von Toledo in seinem Schreiben an den Häretiker Migetius (in Florenz Espaiia sagrada T. Y. S. 543) bemerkt zu werden. Auf die Behauptung des Migetius, quia in sola Borna sit potettas Dei, in qua Christus habitat et quia ipsa sit tanhim eeclesia cathoUeaM omnes sancti swnt^ absqv^ macula et ruga, et quia de ea sola dicaturi tu es

Arnnlf von Orleani und die fransöck Bischöfe« fftf

Die französischen BischOfe hielten damals noch« fest gegen den Papst zusammen , liessen aber doch bald darauf den Abt Leo als Stellvertreter des Papstes erklaren, dass, weil überhaupt in der Kirche nichts ohne Zucht und Gliederung sein könne, auch sie sich unterwerfen müssen; wenn auch die römische Kirche manchmal wanke, so richte sie sich doch stets wieder auf, ihre Vorrechte seien dem Stuhl Petri von Christus selbst übertragen, nicht von den Synoden, man möge sie antasten, aber auf eine andere Kirche können sie nicht übertragen werden, man möge an ihnen rütteln, aber man könne sie nicht umstürzen 0- Die Verhältnisse brachten es von selbst so mit sich, dass auch der hier zuletzt noch so ener- gisch erhobene Widerspruch völlig wirkungslos verhallte. Alle Beschlüsse der Rbeimser Synode vom Jahr 991 wurden umgestos- sen, Arnulf nahm seinen erzbischöflichen Stuhl wieder ein, Ger- bert musste ihn verlassen und wenn auch der Letztere nicht lange nachher trotz seiner früheren Opposition selbst den päpstlichen Stuhl bestieg, so sah man an ihm nur um so klarer, wie der über-

Petru8 ete, et qtUa non intralfit in ea aUquid eoinquinatumf et faeiena abomi- nationmn et mendcxium: et qida ipsa est Jerusalem nova^ quam vidit Joannes deseendentem de coeh, erwidert Elipandus a. a. O. S. 553 : nicht von Born allein habe der Herr zn Petras gesagt: tu es Petrus^ scilieet firmitas fidei u. s. w., sondern von der allgemeinen katholischen, durch den ganzen Erdkreis im Frieden yerbreiteten Kirche, von welcher der Herr selbst sage Matth. 8, 11 f.: Sage Migetins, dass Rom die Kirche ohne Makel und Runzel sei, in die nichts Unreines komme, so müsse er fragen: si ita est, quare Liberius ^jusdem eceleiiae pontifex inter haeretieos damnaius estf Cur heatus Qregorius tot seelercUoe homines in Borna fuisse protesttUur^

1) Man ygl. wie in den Decretalen die Pflicht der Unterordnung i^nter den Papst durch die Idee des hierarchischen Organismus motivirt wird, £p. Dionjsii Papae S. 189. Äd hoc divinae dispenstttionis provisio gradus et dSversoa cofistituit ordines esse disHnetos ut, dum reverentiam minores potio- ribue exkiherent et potiares minoribus dileetianem impenderent, una concordiae ßeret ex diversitate eontextiof et rede offidorum generaretur administraiio singidorum, Neque enim universitär aliapoterat ratione subsisterej nisi htyus- modi magnus eam differentiae ordo servaret. Quia vero creatura in tina eademqtte aequaUtaie gvhemari vel vivere non potesty coelestium müiHaru/m exemplar nos instndt, Si ergo inter eos, qui sine peccato sunt, ieta constat esse distinctio, quis hominum abnuat huic se lihenter dispositumi submittere^ ünumquodque tunc seUubriter eompletur officium , cum fuerit tinur, ad quem possit reeurrere praepositus.

|gO Ente Perlode. Dritter AbfohnUt

wiegende Zug der Zeit nach einem Mittelpunkt der BUmR wIm endliche Befriedigung nur in der römischen Kirche fmd.

3. Das Yerhaltniss der Kirche zum StaaL

Wahrend auf der Grundlage des hiemit nach seines weseit- lichsten Bestimmungen entwickelten hierarchischen Systent die Kirche in ihren Häuptern , den Bischöfen , sich von der wdflidm Macht unabhängig zu machen und sich zu einem selbstsibidifeii in ihrem eigenen Princip begründeten Organismus zu gestalten «adile, wurde sie auf der andern Seite durch ihren unzertrennlichen Zi- sammenhang mit dem Staat in Verhältnisse hineingezogen , die ae nicht nur in eine sehr tief eingreifende Abhängigkeit von der welt- lichen Macht versetzten, sondern auch ihr einen sehr vorhemche»- den weltlichen Charakter gaben. Der Grund hievon lag darin, im die Kirche auch nach weltlicher Macht strebte und ihre gjSstliche Gewalt auf den Besitz von Hab' und Gut zu gründen suchte. Eine Reihe von Veränderungen, die auf Kirche und Staat den widi- tigsten Einfluss hatten , hängt einzig und allein an dem Kirchengst, das im Abendland in den durch die Völkerwanderung neu entstan- denen Reichen, und vor allem in denjenigen, von welchen vorzugs- weise die Entwicklung der politischen und kirchlichen Verhältnisse des germanischen Mittelalters ausgieng, durch die Freigebigkeit der neubekehrten Stämme die ansehnlichste Erweiterung erhielt. In Gallien, wo die Kirche schon unter der römischen Herrschaft einen reichen Güterbesitz sich erworben hatte , war derselbe nach der fränkischen Eroberung durch die Schenkungen der merovingischen Könige von Chlodwig an und durch Stiftungen von Privatpersonen so angewachsen, dass man eher zu wenig als zu viel zu sagen glaubt, wenn man annimmt , dass zu Ende des siebenten Jahrhunderts m Dritttheil alles Grundeigenthums in Gallien Kirchengut gewesen sei Dieser übermässige Besitzstand der Kirche rief eine Maass- regel von Seiten des Staates hervor , die ganz darauf berechnet war, dem dadurch entstandenen Missverhältniss zu begegnen. Gewöhnlich schreibt man sie dem in der Tradition der Kirche so übel berüchtigten Karl Martell zu. Allein so gewaltsam Karl Mar-

I) Vergl. P. BoTH, Geschichte des Beneficialwesens von den ftltesten Zeiten bis in's zehnte Jahrhundert. 1850. S. 249.

Verhälinitt der Kirche Enm Staat KiroheDgut. |]|1

teil in die innern Verhältnisse der Kirche eingriff und so sehr die Kirche besonders durch die Willkür , mit welcher er bei der Be- setzung der Bisthümer und geistlichen Stellen verfuhr, ihre Selbst- ständigkeit verlor und in ihrem ganzen Zustand sich verschlimmerte, so lässt sich doch eine Einziehung des Kirchenguts , wie sie unter seinen Söhnen stattfand , unter seiner Regierung nicht nachweisen. An die Stelle einzelner vorübergehender und partieller Eingriffe in das Kircbengut, wie sie bisher vorkamen, trat unter Pipin eine all- gemeine nach einer bestimmten Norm durchgeführte und selbst ak gesetzlich anerkannte Säcularisation des Kirchengots 0* Sie sprach dem Staat das Recht auf alles Kirchengut zu und stellte es seiner Entscheidung anheim, welche Theile desselben den einzelnen kirchlichen Instituten bleiben sollten, nur soweit sollte sie sich nicht erstrecken , dass diese selbst Mangel litten. Die Verfugung sollte zwar nur eine temporäre sein , sofern der Beliehene das Gut der Kirche nur für Lebenszeit behielt, dem König war aber zugleich das Recht vorbehalten , das durch den Tod des Inhabers heimge- fallene Kirchengut wieder zu verleihen 0. Dass der Kirche selbst

1) Dass das damals Verfügte niolit Ton einer Restitutioni sondern einer Sttonlarisation zu verstehen ist, ist erst von Roth a. a. O. 8. 313 f. richtig erkannt nnd festgestellt worden. Der Hass der Kirche wegen dieser vom Staat erlittenen Beeintrftchtignng fiel von Pipin anf Karl Martell znrfick. Darauf bezieht sich die Erzählung, der Bischof Encharins von- Orleans habe eine Vision gehabt, in welcher er Karl Martell dafür die Höllenpein erdnl- den sah, dass er das Kirchengnt angegriffen und vertheilt habe. Nach Roth a. a. O. S. 327 f. hätte Hinkmar von Rheims diese Fiction erfunden, um den Söhnen Ludwigs des Frommen Schrecken einzujagen.

2) StcOmmus quoque^ lautet diese Bestimmung des Capitulare Liftinense Karlomanni Prinoipis a. 743 bei PsaTz Monum. Germ. bist. T. M. Leg. 1. B. 18 cum eonsiüo $ervorum Dei ei popuU ehritiiani propter imminentia beUa et perseeutionei ceterarwn gentium, quae in circuüu no$tro w/nt, ut sub precario (d. h. in der Form einer precaria, als einer freiwilligen Verleihung, bei welcher das Recht des Besitzes bei der Kirche bleibt und das von ihr Verliehene nur die Nutzniessung ist) et censu aliquam pctrtem ecclesiaUa pecumae (d. h. des Vermögens überhaupt) in adjutorivm exercitua nostri cum induJffentia Dei aUquanto retineamus ea eonditionef ut annis Hngiblia de unaquaqtie caacUa (Haushaltung) »olidu», id est, duodecim denarii ad ec- deeiam vel ad moncuterium reddatwr; eo modo, ut n moriaiur iüe, eui pecu» nia eommodata fuit, eccleHa cum propria pecunia reveatita sit. Et iterum, si neeeasitaa cogat , ut princeps jubeat ,. preearium renoveiu/r et reacribatur nomun. Et omnino ohservetur, ut eccleaia vel monaeteria penuriam et paiu-

ISS Ertte Perlode. Dritter AbfchBiti.

die Unvermeidlichkeil dieser Maassregel einleaohtete , n weldier sie auf der Synode zu LitiliS 0 im Jahr 743 ihre EinwilUgiBg n geben nicht umhin konnte, beweist am deutlichsten, wie tief sie in den Verhältnissen jener Zeit begründet war. Die Ursaehe ihrar Nothwendigkeit lag in der frankischen Heerverfassung. Ja.grtaer der Grundbesitz der Kirche war und je gewöhnlicher 6i wurde, dass Freie, die kein selbststandiges Grundeigenthum besasaeii, tUk an einen grösseren Grundbesitzer anschlössen , um so schwteriger wurde es , die unter dem Schutze der kirchlichen Privilegieii ste- henden Heerpflichtigen für den Kriegsdienst herbeizuziehen. Karl Martell half sich dadurch , dass er Bisthümer und Abteien nil Per- sonen besetzte , die willfährig genug waren , seinen Forderungea entgegenzukommen und ihn für seine Zwecke über das Kirchangvt verfQgen zu lassen. Es entstand hieraus im achten Jahrhundert die Sitte, dass die hohen Geistlichen selbst, als Anführer der auf den Gutem der Kirche lebenden Freien , persönlichen AntheU an den Kriegszügen nahmen. Nachdem durch die Reformen des Bonifaoias die fränlüsche Kirche neu organisirt wurden war und die Kirchen- zttcht sich befestigt hatte , erschien die förmliche Einziehung eines grossen Theils des Kirchenguts als das zweckmässigste Mittel , das Interesse des Staats mit dem der Kirche auszugleichen. Die wich- tigste Folge dieser Säcularisation war die allgemeinere Einführung des Beneficienwesens. Die eingezogenen in die freie Disposition des Staats gestellten Kirchengüter wurden nun als Beneficien, d. h. als ein nicht erblicher , sondern blos lebenslänglicher , nach den Ableben des Besitzers an den ursprünglichen Eigenthümer zurück- fallender Besitz an solche vergeben , die dadurch in Stand gesetzt werden sollten als Seniores durch ein zahlreiches Gefolge das fränkische Heer zu verstärken. Das durch die BeneGcienverleihung sich bildende Seniorat musste auf der einen Seite in demselben Yerhältniss , in welchem es zu höherer Bedeutung gelangte , die Schwächung der königlichen Gewalt zur Folge haben , auf der an-

peri€Uem non paiianiiir , quorum pecunia in precario praegtita nt» Sed «i paupertcu cogtU^ ecclesiae ei domui Dei reddatur irUegra possessio. Das Neue und Eigenthümliche ist, dass der König über das gesammte Kirchengut yerfögt.

1) Eine königliche Villa in der Diöcese Cambrai. Vgl. Hefelb, Con- . ciliengesoh. 3ter Bd. S. 467.

Bocnlarif «tion dtt Kirehengnti. Benofioienweten. JS8

dern Seite wurde aber der daraaf beruhende Leheiisverband die aUgemeine Reditoform, in welcher der Niedere dem Höheren sicli unterordnete. Auch die Kirclie konnte sicli derselben nicht ent- ziehen. Wie der Grundbesitz der Kirche die Bischöfe den welt- lichen Grossen als den niSchtigsten Grundbesitzern in gleicher politischer Bedeutung zur Seite stellte , so mussten auch sie den König als den obersten Lehensherrn anerkennen und sie konnten ihr geistliches Amt wegen des zu demselben gehörenden weltlichen Besitzes nur unter der Bedingung übernehmen , dass auch sie in die Hände des Landesherrn den gewöhnlichen Vasalleneid ablegten. So ungeistlich es auch den fränkischen Bischöfen noch um die Mitte des neunten Jahrhunderts, wo, wie es scheint, diese Sitte noch ziemlich neu war , erscheinen mochte , ihre priesterliche , mit dem heiligen Chrisma gesalbte, Brod und Wein zum Leib und Blut des Herrn weihende Hand in die weltliche Laienhand zu legen 0 9 80 sprach doch selbst der Brzbischof Hinkmar die praktische Bedeu- tung des Lehenseides sehr entschieden aus, wenn er das Ansinnen des Papstes, sich dem Landesberm zu widersetzen, mit der Erklft- rung zurückwies, die Folge hieven würde nur sein, dass der König den ungehorsamen Bischöfen ihre Güter und Leute entziehe , und ihnen die blosse Kirche zum Singen lasse 0- Die Belehnung mit Stab und Ring war auch in Deutschland seit Otto L die gewöhnliche Form , durch welche die Bischöfe in die ihnen von dem König ris dem Lehensberrn verliehene geistliche Stelle eingesetzt wurden. Die neugestifleten deutschen Bisthümer insbesondere waren durch die Freigebigkeit der deutschen Könige mit einem so reichen Güterbesitz versehen, selbst mit Grafschaften und Herzogthümern belehnt und mit verschiedenen Rechten und Privilegien , den soge- nannten Regalien, beschenkt worden, dass bei der Verleihung einer geistlichen Stelle sehr natürlich die Belehnung mit dem zu ihr

1) In dem wahraoheinlloh toh Hinkmar yerfastten Schreiben der im Jahr 868 zu. CariBiacom yersammelten Bisohöfe an den König Ludwig den Dentachen. Vgl. Gxbsblbb a. a. O. 2, 1. S. 246.

2) Yergl. das Schreiben Hinkmabs an Papst Hadrian IL Opp. 2. Seite 689, in welchem er dem König Karl dem Kahlen die Drohung in den Mund legt gegen ihn, denErzb. : siininea$entenHa permanerem^ ad aUare eccletiae carUare posaem, de rebiu vero et honUnibua nuUam potesteUem haberem, 8. 697.

IJI4 Erste Periode. Dritter AbeehBÜt

ipehdrenden weltlichen Gut als die HaaptMche betrtditet wiorde, um die es sich handelte. Wie die Henogthamer und GnÜNdiaftea, so wurden auch die Bisthümer und Abteien von dem König ds Lehen verliehen Schon seit Karl dem Grossen war daher nichts gewöhnlicher als dass die Könige die Bischöfe nadi freior Willkür ernannten , wenn auch bisweilen noch der Sdiein eimr kanonischen Wahl beibehalten wurde ^). Durch die Art und Weiie ihrer Ernennung traten die Bischöfe in dasselbe VerUltnifli ein, is welchem die weltlichen Grossen als Vasallen zu dem König stai- den , auch sie hatten daher alle Dienste zu leisten , die der Leheni- verband mit sich brachte , so wenig sie sich auch mit ihrer geistli- chen Würde zu vertragen schienen. So ernstlich noch Karl der Grosse den Klerikern verboten hatte, Waffen zu tragen, und in des Krieg zu ziehen, so waren doch jetzt selbst die Bischöfe der PHichl nicht enthoben , in eigener Person mit ihrer Dienstmannachaft de« allgemeinen Heerbann zu folgen. Sie führten, wie in der jeinen Hand ddn Krummstab, so in der andern das Schwert. Seit der MiHe des neunten Jahrhunderts nahmen Bischöfe regelmässig an allen Krie- gen und Schlachten Theil. So sehr durch alles diess die Bischöfe in ein Abhangigkeitsverhaltniss versetzt wurden , das in so viel- facher Beziehung als eine Herabwürdigung des geistlichen Antef erscheinen musste, so gross waren auf der andern Seite nicht bkf die äussern Vortheile, die sie als Lehenstrager der Krone genossen, sondern auch die Vorrechte und Auszeichnungen , die in ihnen dem höhern Klerus zu Theil wurden. Die Lehensverfassung war in dar That die vollkommene weltliche Parallele zu dem geistlichen Orga- nismus, der Kirche ; das eine System wie das andere beruhte auf derselben allgemeinen Rechtsansqhauung, der Idee eines Verhält- nisses, in welchem der unter einem Höhern stehende für seine Un- terordnung sich dadurch entschädigt sieht, dass auch zu ihm hin- wiederum Andere in demselben Verhältniss der Unterordnung

1) Ueber die strenge Form des Lehens Verhältnisses vergl. man Gieskbkbbt a. a. O. S. 290. In einem Schreiben an den Erzbischof Hermann von Cöfai im Jahr 921 nannte es Papst Johann X. eine prUea consuetudo, guaUUr nuüvs aUcui elervso episeopatum eonferre debeat, nin rex, Jaffi Beg, Ponitf. Bam, no. 2731. Giesebrecht a. a, O. 8. 804. So ausschliesslich kam somit damals noch das Recht der Ernennung der Bischöfe den Königen su.

Die BisehSfe als LehenBtrttger nhd Lehensherrn. IM

Stehen 0* Die Bischöfe waren nicht Mos Lehenstrflger der Krone, sie waren selbst anch wieder Lehensherren, die eine g^ssere oder geringere Zahl von Lehensleuten unter sich hatten. Laien wurden Vasallen der Bischöfe und erhielten Kirchengüter als Lehen , wie namentlich die Advokaten oder Schirmvögte der Kirche ^ selbst Grafen wurden Dienstmannen der Kirche oder der Bischöfe , indem sie sich für ihre im Kriege geleisteten Dienste mit Gütern belehnen Hessen. So bildete sich um die Bischöfe, nachdem sie einmal durch den reichen Güterbesitz der Kirche weltliche Fürsten geworden waren, ein ähnlicher, mit denselben Aemtem ausgestatteter Hofstaat, wie der der Könige und Fürsten war. Weit wichtiger aber als die- ser äussere Glanz war die politische Bedeutung , mit welcher die Bischöfe als die ersten Lehensträger des Reichs den weltlichen Grossen zur Seite standen. Die freiere Verfassung des neuentstan- denen germanischen Reichs , in welcher die Freien als solche auch einen selbststSndigen Antheil an der Berathung der öffentlichen Angelegenheiten hatten, gab auch den Bischöfen eine politische Stellung. Sie wurden als ein integrirender Bestandtheil der Na- tionalgemeinde betrachtet und waren ebendesswegen stehende Mit- glieder der Reichs Versammlungen, auf welchen sie als geistlicher Stand sogar die erste Rolle unter den Reichsständen einnahmen« Wie auf den Reichstagen auch über kirchliche Gegenstände ver- handelt wurde, so nahmen dagegen die Bischöfe auch an der Bera- thang aller politischen Angelegenheiten Theil ; erst Karl der Grosse machte den Anfang , die Bischöfe und Aebte von den Laieii , den Richtern und Grafen, zu trennen, und beide Stände ihre Angelegen- heiten besonders berathen zu lassen. Je höher in der Folge die Bedeutung der Bischöfe stieg und je enger sie als Lehensträger des Reichs mit der sich ausbildenden Lehensverfassung verflochten wurden, um so grösser wurde auch der politische Einflnss, welchen besonders in Deutschland die höher stehenden Bischöfe ausübten. Nicht selten waren es die Bischöfe, welche sowohl in ihrem als dem

1) Was die Decretalen so ausdrücken: Naaa et q%U se scU aUis esH prae^positum nan moleste ferat aliquem esse sibi praelatwn, Vigüii ep, ad Prqfuhirum o. 7. Es findet diess ganz anch aof das Lehenssystem sein« Anwendung. Der Höhere wie der Niedere ist ein die Einheit des Oansen yermittebides Glied. ;

186 Erste Periode. Dritter Abtohnitt.

allgemeinen Interesse auf den Reichstagen den Henogen ind Grafen das Gleichgewicht hielten , in den wichtigsten Angdegei- heiten den Ausschlag gaben und in kritische Epochen der deiil- schen Reichsgeschichte sehr entscheidend eingriffen, wie nament- lich die Erzbischöfe von Mainz und Cöln 0- Ds femer die nr Führung der Geschäfte nöthige Bildung und Kenntniss nur Im der Geistlichkeit zu finden war, so trug 'auch die Beziehung, in welche Bischöfe und Kleriker zum Hofe zu stehen kamen , zu ihrer kirch- lich-politischen Stellung sehr Vieles bei. Unter Karl dem Grosses stellte sich der geistlich-weltliche Charakter des Reichs auch in der

1) Ueber ein Jahrbimdert lang, bemerkt Gibsbbbroht a. a. O. 4S9 «I den Jahren 965 960, geht die Qeschichte der deutiehen Kirohe ftit gana in die Reichegesohichte anf und diese iat snm guten Theil in Jener enthalten. Das ganze Reichsregiment nahm einen überwiegend kirohliohcn Charakter an, und die deutschen Bischöfe erhielten ihre hauptsächliche Be- deutung gerade durch die Stellung, die sie in dem Reiche bekleideten. Zu- gleich widerspricht aber auch Giesbbbbcht der Behauptung, dM deatMhe Reich sei aus dem Organismus der römisch-katholischen Kirche ervACluMi und die Idee eines einigen deutschen Volkes sei gleichsam im Sohoosü der römischen Kirche ausgebildet und von ihr in^s Leben gerufen worden. Erst als die Könige mit den Herzogen, Pfalzgrafen und Grafen dM B6icfc nicht mehr zu regieren yermochten, haben sie angefangen, mit den BiBohö- fen zu regieren und die nationalen Ideen der Krone mit den weltomfasieB- den Anschauungen der katholischen Kirche verbunden. So habe sidh- im Grunde erst aus dem deutschen Reich eine deutsche Kirche entwickelt. Auf dem Bunde, welchen namentlich unter Ottol. Reich und Kirche, Kaiser und Klerus in dem Bewusstsein der Einheit der beiderseitigen Interessen mit einander schlössen, habe es yomehmlich beruht, dass der EpiscopAt in Deutschland zu einer grossem weltlichen Macht gelangte als in den andecn Landern Europa^s und eine selbstständige fiirsUiohe Macht viele Jahrinm- derte hindurch behauptete, auf ihm nicht minder, dass das Kaiserthnm aeine alte Bedeutung verlor, sobald die KirchenHirsten einen mächtigeren Herrn über sich erkannten als den Kaiser; a. a. O. S. 444. Unter den folgenden Kaisern fdhrte insbesondere Heinrich II. das Regiment im engsten Bunde mit der Kirche und der Geistlichkeit, die er als seine Stütze gegen des Adel betrachtete. Ein nicht unwichtiges Glied der Vermittlung war in die- ser Beziehung die durch den Erzbischof Bruno neuorganisirte Hofkapelle, in welcher junge Kleriker meist aus den ersten Geschlechtem in der unmit- telbaren Nähe des Königs ffir die Kanzleigeschäfte sich bildeten. Einge- weiht in die politischen Grundsätze des Reichs und des Königs wirkten sie fiodann als Bischöfe im Interesse desselben. Vgl. Gibsebbbcht a. a. (X 820. 329. 2. S. 77. 277.

Kirolrlidh-poUtiBohe Stellvng der Biseiiöf e. IST

zahlreichen Hofgeistlichkeit dar , die er um seine Person ver«-' einigte. An der Spitze derselben stand der Erzliapellan oder Erz« Itanzler , dnrch dessen Hand alle kirchlichen Sachen an den Kaiser gingen. Nach der Auflösung des karolingischen Reichs nannten sich die Erzbischöfe von Mainz, Cöln, Trier, Salzburg, Erzkanzler des Reichs. Um die Reichskanzlei besser zu organisiren , ernannte Otto I. seinen Bruder Bruno, den Erzbischof von Cöln, zum alleini- gen Erzkanzler, welches Amt sodann auf den zum Erzbischof von Mainz erhobenen Sohn Otto's Wilhelm überging , und seitdem mit dem Erzbisthum Mainz verbunden blieb 0- So sehr aber alles die- ses dazu beitrug , das Ansehen , die Macht und den Einfluss der Bischöfe zu erhöhen , so klar stellte sich dadurch nur heraus, wie eng gerade in ihnen, den Häuptern der Kirche, Geistliches und Weltliches mit einander verwachsen und verschlungen war. Wie auffiillend trat in dem doppelten Charakter, welcher in den Bischö- fen zu unterscheiden war, der geistliche gegen den weltlichen surflck ! Die Hirten der Gemeinde waren weltliche Herrn, Lehens- träger und Lehensherrn , Reichsstande und Reichsfürsten : was war natürlicher, als dass der weltliche Glanz, der sie umstrahlte, ihr kirchliches Bewnsstsein schwächte und verdunkelte ? Die Kirche hatte es sich recht gerne gefallen lassen, alles, was zu ihrer weit-» Hohen Ausstattung gehörte, von der weltlichen Macht anzunehmen; aber welcher tiefen Abhängigkeit musste sie sich bewusst sein, wenn sie selbst das Zeichen ihres geistlichen Amtes aus der Hand des Lehensherrn empfing, der sie mit seinem weltlichen Gut bdehnte ? Während also die Kirche auf der einen Seite mit aller Macht darnach strebte , sich in sich selbst zusammenzunehmen und abzuschliessen und alle Theile ihres vielgegliederten Organismui zur strengsten Einheit mit dem alles beherrschenden Oberhaupt zu verknüpfen , gibt sie sich auf der andern Seite dem nicht minder überwiegenden Zuge hin, sich in die Welt zu vertiefen, Abhängig- keitsverhältnisse verschiedener Art einzugehen und in der Berei- cherung mit weltlichem Gut die erste Bedingung ihrer Existenz und Wirksamkeit zu sehen. Es konnte nicht anders sein , als dass Richtungen so entgegengesetzter Art in Widerstreit mit einander gerieften. Die Frage musste daher erst noch zur Sprache kommen^

1) Tgl. GiBflEBBBOHT a. ft. 0. S. 188 f. 822 f. 486 f.

188 Erste Periode. Dritter Absehnitt

wie die Kirche beides in sich vereinigen kann , du GdiUiche ml das Weltliche, ob es ihr möglich ist, in ihrer Abhängigkeit von der weltlichen Gewalt ihre geistliche Unabhängigkeit sa behaii|rteD. Die Frage wäre einfach entschieden , wenn nur das Eine ohne das Andere sein könnte , und es nicht am so schwieriger wflre, beides auseinanderzuhalten, je tiefer es gegenseitig in einander an- greift.

Da das Verhältniss der geistlichen und der weltlichen Madit in der höchsten Region, da, wo es in den Häuptern der ffirche md des Staats zur Anschauung kam, zwei so verschiedene einander widerstreitende Seiten hatte , so musste auch in allen untergeord- neten Verhältnissen, wo Kirche und Staat mit einander inBertthrang kamen , derselbe Conflikt entgegengesetzter Interessen entstehen. Die verschiedenen Beziehungen , in welchen in den Verhfiltnisiea des socialen Lebens Kirche und Staat zu einander standen , wie ia allem demjenigen, was sich auf das Güter- und Gerichtswesen der Kirche bezog, konnten nur durch positive Rechtsbestimmongea festgestellt werden. Aber nach welchem Prinzip sollten sie gege- ben werden, wenn das Verhältniss zwischen Kirche und Staat überhaupt noch so unbestimmt war ? Auf der einen Seite war es die Kirche , di6 für alle ihre Güter und Personen das Recht ihrer geistlichen Unabhängigkeit geltend machte, auf der andern der Staat, welcher seiner oberherrlichen Autorität auch der Kirche gegenüber nichts entzogen wissen wollte, und die von der Kirche angesprochenen Privilegien nur innerhalb bestimmter, aber nidit allgemein 'annerkannter Grenzen gelten liess. Da alles diess noch sehr schwankend und unsicher war, so ist es nicht nöthig, hier weiter dabei zu verweilen.

Es ist nur ein anderer Gesichtspunkt, unter welchen das Vw- hältniss der Kirche und des Staats , der geistlichen und der weltli- chen Macht, auf das man in letzter Beziehung immer wieder zurück- . gehen muss , gestellt wird , wenn es auch noch als der Gegensatz der Kleriker und der Laien aufzufassen ist. Auch hier lassen sich die zwei divergirenden Richtungen unterscheiden, von welchen schon die Rede war. Auf der einen Seite ging der im Klerus sich weiter entwickelnde Organisationstrieb dahin, sich vom Laienstande abzusondern und in Gegensatz zu demselben zu setzen , auf der andern war doch alles nur darauf berechnet, auf die Laien einzu-

Der Klerus. Kanonische Lebensweise. ]S9

wirken , und das Abhängigkeits verhältniss , in welchem sie zum Klerus standen , noch allgemeiner und durchgreifender zu machen.

Die erstere Richtung stellt sich in der tita canonica und in dem Cölibat der Kleriker dar.

So oft in dem Klerus das Bedürfniss einer Reform und ein ernsteres und tieferes Bewusstsein seiner geistlichen Bestimmung erwachte , konnte er das Vorbild und Ziel seines Strebens nur in dem Hönchsleben und in einer Annäherung an die Vollkommenheit desselben erblicken. Daraus ging auch die von dem Bischof Chro- degang von Metz (vom Jahr 742—766) eingeführte kanonische Lebensweise hervor. Die Kleriker einer Kathedralkirche wohnten und lebten wie Mönche zusammen und versammelten sich auf die- selbe Weise, wie diess in den Klöstern die stehende Ordnung war, zu den vorgeschriebenen Stunden, nach welchen die verschiedenen Verrichtungen des geistlichen Tagewerks in seinem bestimmten Cydus von einer Mitternacht zur andern abgetheilt waren. Das klö- sterliche Zusammenleben , zu welchem sich schon früher einzelne Bischöfe , wie namentlich Augustin und Eusebius von Vercelli mit ihren Klerikern vereinigt hatten , sollte jetzt, wie diess auch durch Verordnungen Karls des Grossen und Ludwigs des Frommen befoh- len wurde , die allgemeine Regel sein , nach welcher der Bischof seine Kleriker ebenso regierte, wie der Abt die Mönche. Kleriker, welche diese Lebensordnung befolgten, waren jetzt als die regu-' lariier oder canonice lebenden, die eigentlichen Canonici. Die neue Regel bewirkte , dass die Bischöfe mit den ihr Domkapitel bildenden Klerikern sich enger zusammenschlössen ; aber der kol- legialische Verein gab auch den Klerikern den Bischöfen gegenüber eine Selbstständigkeit, die es ihnen möglich machte, sich des Zwangs der kanonischen Lebensweise mehr und mehr zu entbinden. Nach- dem die Domkapitel zuerst die von den Tafelgütem des Bischofs abgesonderten Kapitelgüter in ihre eigene Verwaltung genommen hatten, löste sich ein Stück nach dem andern von dem gemeinsamen Leben ab und es blieb zuletzt neben den von dem Mönchsleben entlehnten Namen monaaterium, fratreB, capitulaf decani, prae- poiiii s. w. nur die höhere Achtung , in welcher auch in der Folge noch die reguläres standen, und die unabhängigere, genauer fijürte, durch eigene Präbenden gegen die Willküc der Bischöfe geschützte Stellung der Mitglieder eines Domkapitels.

B%nr, X.a. d. Mittelalten. 9

130 Erste Periode. Dritter Abioknitt

Der Cölibat sollte von Anfang an die die Kleriker, wie die Mönche, von den Laien trennende Scheidewand sein. Die Yolbde- hung des Cölibatgesetzes stand aber noch immer auf demfelben Punkte, wie in der vorigen Periode. Das Gesetz galt nur soweit, um als halbe Maassregel durch seine Befolgung wie durch seine Uebertretung das öffentliche Aergerniss zu vergrössem, du in einer an sittliche Ordnung noch so wenig gewöhnten Zeit die alle Schranken der Zucht und Scham überschreitende Unkeoschheit der Kleriker gab. Da man nur zwischen zwei Uebeln wählen zu könaen schien , so war man gegen die Priesterehe als das kleinere mn so duldsamer; viele Kleriker lebten noch im eilflen Jahrhundert, beson- ders in Deutschland und Italien, im ordentlichen Ehestand. Aber auch von dieser Seite erhielt die Kirche, nachdem sie die Erfahnuig gemacht hatte , welche Gefahr dem Kirchengut von- den verheira- theten Klerikern drohe , welche die als Beneficien zu ihren SlelleB gehörenden Güter als Erbgut für ihre Kinder an sich zu bringen suchten ^), nur ein neues, durch ein so gewichtiges Interesse ver- stärktes Motiv , mit allem Nachdruck auf die allgemeine Dordif&h- rung des Cölibatgesetzes zu dringen. In dem Eifer, mit welchM schon unter Leo IX. und Nikolaus II. Priesterehe und Concabinat als eines und dasselbe mit dem dafür neugebrauchten Namen der nicolaitischen Ketzerei bekämpft wurden , kündigte sich schon die Schärfe des hildebrandischen Geistes an. Vergebens machte der unbekannte Verfasser des dem Bischof Ulrich von Augsburg beige- legten, wahrscheinlich an Nikolaus IL gerichteten Schreibens auf die schlimmen Folgen aufmerksam, die der Grundsatz haben musste, dass es honestius sei, pluribua occulte implicari, quam aperU cum una ligari. Auch der Widerstand , welchen der maildndische Klerus dem Cölibatgesetz entgegensetzte, diente, trotz des guten Zeugnisses, das die verehlichten Kleriker in Mailand und Torin durch ihre Bildung und Sittenzucht für die Priesterehe gaben , nur dazu, dass auch die ambrosianische Kirche unter das Joch der römischen sich beugen musste. Auf eine sehr bemerkenswerdie

]) Gegen diese Folgen der Priesterehe waren besonders die Beschlüsse der Synode zu Pavia im Jahr 1018 gerichtet, unter Benedikt VIII., dessen Reformbestrebungen auch Heinrich n. kräftig unterstützte. Mansi XIX. S. 843.

DerCölibat. MaiUnd. Streitigkeiten. 131

Weise hielten die maildndischen Gegner der Prtesterehe, an deren Spitze die Kleriker Ariald und Landulf standen, dem Gewicht der paulinischen Aussprüche , auf die sich die Vertheidiger derselben beriefen, die Behauptung entgegen, es sei überhaupt das Alte ver- gangen und alles neu geworden. Was in der alten Kirche von den Vätern noch erlaubt worden sei , werde jetzt unbedenklich verbo- ten. Die schlagendste Autorität sollte Ambrosius sein ; aber auch er hatte, wie die Vertheidiger der Priesterehe geltend machten, den Priestern wenigstens die Monogamie gestattet , aus Rücksicht auf die menschliche Schwachheit 0* Di^ damaligen mailändischen Strei- tigkeiten über die Priesterehe waren schon ein Vorspiel des bald darauf weiter sich erstreckenden Kampfes. Wie in Mailand Adel und Klerus in der Vertheidigung der Priesterehe zusammenhielten, so stüzten sich die römisch -gesinnten Gegner derselben auf die Volkspartei , die als solche mit dem Namen der Patariner bezeich- net wurden 0- Schon vor Landulf und Ariald war der Kleriker an der mailfindischen Domkirche Anselm Cder nachmalige Papst Alexan- der IL) sehr entschieden gegen die verheiratheten Priester aufge- treten, und auch als Bischof von Lucca mit jenen beiden Häuptern der Pataria in enger Verbindung geblieben. Unter Nikolaus IL waren es sodann Anselm und Peter Damiani , der Cardinalbischof von Ostia, welche nach Mailand gesandt, es dahin brachten, dass der Erzbischof Guido mit seinen Klerikern nicht nur der Priester- ehe und Simonie entsagte, sondern auch der römischen Kirche

1) Vgl. OiESEBB. K.G. 2, 1. S. 328. 330.

2) Vgl. Gfröreb Greg. VIT. Bd. 1. S. 568: »Pataria kommt «rkund- Heh in solcher Verbindung yor , dass es unzweifelhaft die Tnchmacherwerk- Btfttte besdchnet. Nach dem Sinne derer, die den Parteinamen anfbrachted, hieas Pataria allem Anschein nach : alter Tachlappen und die orsprüngliche Bedeutung von Patarinus war so viel als unser deutsches Wort Lumpp.« Vgl. auch ScHMiD bist et doctr. de la secte des Cath. 2. S. 279. Vogel, Peter Damiani S. 2 1 : der Bottengeist tauchte unter den oberitaliftnischen Wollenwebem und Handelsleuten auf, und machte sich in Mailand vorzüg- lich im Tncbmacherviertel heimisch. Verftebtlich nannte man die ganze Erregung nach dem verachteten Gewerbe oder dem armseligen Aufzuge der Schwarmgeister die Haderei oder Lumperei; die Gescholtenen machten aber den Scbimpfiiamen zum Partei - und Ehrennamen. Patariner und Mönche gelten seitdem den Gegnern der Hierarchie als das von Hildebrand befeh* ligte Heet. Gpböbeb a. a. 0. S. 659.

138 Erste Periode. Dritter Abscknitt.

huldigte und zur Anerkennung ihrer Oberhoheit auf der römiMhefl Synode im Jahr 1059 sich einfand.

Der hohe Vorzug, welchen der Cölibat dem Kleriker Tor den Laien ertheilte, stellte den Unterschied der beiden Stände in sefaier ganzen Weite vor Augen; aber es sollte dadurch so wenig eine die Gemeinschaft zwischen beiden aufhebende Kluft befestigt werden, dass vielmehr der Klerus auch im Cölibat nur für den 2weck i& sich selbst zurückgehen und die der Idee seines Standes entspre- chende Haltung gewinnen wollte , um mit um so grösserer Energie auf die Laienwelt einwirken und das die Laien mit dem Klerus Ter- knüpfende Band der Abhängigkeit um so schärfer anziehen la können. Alles ^ was den Kleriker über die Laien erhob, und den Klerus seinen eigenthümlichen, ihn specifisch vom Laienstand un- terscheidenden Charakter gab, sollte auch ein Mittel seui, um die Herrschaft, welche der Klerus über die Laien in Anspruch nahn, um so sicherer in ihrem ganzen Umfang auszuüben. Diese auf die Laien gerichtete, ihre Leitung und Beherrschung bezweckende Thätigkeii des Klerus ist daher die andere Seite des hier in Be- tracht kommenden Verhältnisses.

Je weiter das hierarchische System ausgebildet und nach seines verschiedenen Beziehungen durchgeführt wurde, um so mehr musste dadurch das Abhängigkeitsverhältniss der Laien von den Klerikern befestigt und erweitert werden. Es blieb nicht nur bei allen bis- her geltenden Bestimmungen, es kamen auch immer neue hinzu. Wie dem Laien das, was er glauben sollte, durch die symbolis<A fixirten Lehrsätze des immer vollständiger sich abschliessenden dogmatischen Systems der Kirche vorgeschrieben und auf jede Abweichung vom kirchlichen Glauben die grösste Strafe gesetzt war , so gab es auch für sein äusseres Verhalten keine Beziehung des geselligen, bürgerlichen und kirchlichen Lebens, in welcher er sich nicht von der Kirche nicht blos überwacht, sondern auch mit einem solchen Netz von kanonischen Vorschriften und Bestim- mungen, von Verordnungen und Satzungen umstellt gesehen hätte, dass er sich nach allen Seiten hin sehr beengt fühlen musste. Wie beschränkend wurde namentlich das neue Eherecht mit seiner wei- ten Ausdehnung der Ehehindernisse , seiner Steigerung der Ver- wandtschaftsgrade und seinem unnatürlichen Begriff einer nicht blos leiblichen, sondern auch geistigen Verwandtschaft! Welche

Klerus and Laien. Der Zehente. I33

geistige ond moralische Druck lag femer auf der Laienwelt, wenn man an alle jene Vorstellungen und Vonirtheile denkt, die nur dar- auf hinwirkten , und zum Theil recht absichtlich vom Klerus darauf hingerichtet wurden, die Laien um so abhängiger und unterwür- figer und ebendamit um so willfähriger zu allem zu machen , was zwar zunächst für das Heil ihrer Seelen, noch weit mehr aber für das materielle Interesse der Kirche geschehen sollte. Wie aber sodann in Gemässheit der von der Kirche consequent verfolgten Richtung der von ihr ausgehende geistige Druck immer fühlbarer auch ein materieller wurde und ein Verhältniss, das seiner Idee nach nur auf einer geistlichen, sittlich religiösen Leitung beruhen sollte, auch äusserlich immer mehr den Charakter einer mit allen Attributen eines weltlichen Regiments ausgestatteten Herrschaft annahm, erhellt aus einer in der jetzigen Periode neuentstandenen Einrichtung, welche die Laien dem Namen und der Sache nach zu steuerpflichtigen Unterthanen ihrer geistlichen Oberherrn machte, der Einführung des Zehenten. Nachdem schon in der alten Kirche das alttestamentliche Priesterrecht auch für den christlichen Prie- ster in Anspruch genommen und das dadurch begründete Zehent- recht auf den gallischen Synoden zu Tours im Jahr 567 und zu Macon im Jahr 585 mit allem Nachdruck , aber doch ohne Erfolg, geltend gemacht worden war, gelang es dem Klerus, von Karl dem Gr. das Reichsgesetz zu erlangen , dass der Kirche der Ze- hente als allgemeine Abgabe entrichtet werden solle 0*

1) Es geschah diess durch das Capitulare vom Jahr 779. Pertz Mon. Leg. 1. S. 35. Der siehente Beschluss desselhen setzte fest: de decimiSf ut wnu»quMque mam decimam donet, atqtie per jussionem Pontifids dispensetur. Der Zehente sollte nach seiner nrsprfinglichen Bestimmang vor allem für Annensweoke verwendet und vom Bischof darüher verfügt werden. In dem- selben Capitulare werden zuerst die nonae und decimae erwähnt. Man vgl. fiber sie Both, Gesch. des Beneficienwesens S. 364 f.: „Diese Abgaben waren iwei Zehenten oder ein Fünftel des Ebrtrags und es beruhte der Name of- fenbar auf der Berechnung, dass wenn man von dem Ertrag eines Guts den Eehenten Theil abzieht, neun Zelientheile übrig bleiben, so dass die zweite Zehntang in der That den neunten Theil des noch übrigen Ertrags weg- nimmt. Diese Abgabe wird im neunten Jahrhundert sehr häufig erwähnt und ihre Bezahlung den Besitzern der kirchlichen Beneficien nicht nur in den Capitularien, sondern auch in besondem Erlassen für einzelne Kirchen einge- schärft*' Gegen Birnbaum u. A. zeigt Roth, dass die nonae und decin^fie nicht eine bäuerliche Abgabe waren, sondern eine Leistung, zu welchem

134 Erste Periode. Dritter Abschnitt

Da die Ausübung einer solchen Herrschaft nicht seltea aif Widerstand stiess, so musste die Kirche auch die Mittel haben, ikn zu brechen und die Widerspenstigen zum Gehorsam gegen ihre Befehle zu zwingen. Sie konnte sie nur in ihren geistlichen Waffen finden, wusste sie aber auch mit der Erweiterung ihrer Herrschaft zu verstarken. Zu dem Anathem oder der Excommunication kau im Laufe der Periode das Interdict, das nicht blos wie jene über eincii Einzelnen, sondern um eines Einzebien willen über eine ganze Ge- meinde oder Landeskirche verhängt wurde und ganz daraal be- rechnet war, durch den Eindruck, welchen die Einstellong aUer gottesdienstlichen Handlungen, die völlige Sistirung des kirehli- chen Lebens und gleichsam die Verschliessung der Erde gegen die Gnadenspendungen des Himmels auf die für solche Schrecknisfe empfanglichen Gemüther des Volks machen musste, den SchnldigeB in die Arme der Kirche zu liefern.

Fassen wir alle diese auf das Verhaltniss des Geistlichen und Weltlichen, der Kirche und des Staats, der Kleriker und der Lai^ sich beziehende Züge in ihrer Einheit zusammen, so ist der eigen- Uiümliche Charakter der Periode ein solches Ineinandersein dm Geistlichen und Weltlichen, dass das Eine nicht ohne das Andere sein kann und jede der beiden Machte bei allem Gegensatz andi wieder die über die andere übergreifende ist. Die Kirche steht iai Bewusstsein ihrer höheren Würde über dem Staat; aber der faeti- sche Oberherr der Kirche ist der weltliche Staat, er ist die die Kirche überwachende, sie in ihrem Sein und Bestehen erhallende Macht Das Geistliche sondert sich in seinen bestimmten Formen vom Weltlichen, es sammelt und concentrirt sich in sich selbst; aber es bedarf auch einer weltlichen Ausstattung, die es nur von der weltlichen Macht erhalten kann , einer Bekleidung mit weltli- chem Gut, ohne die es sich selbst kahl und nackt erscheint, es strebt nach weltlichem Gut und Besitz, und in diesem Streben ver-

diejenigen verpflichtet wurden, welche vom König wirkliche Benefioien ans Kirohengüt erhalten hatten. Es sollte dadurch der Verlust der Kirche m eingezogenem und als königliche Beneficien vertheiltem Kirchengut in etwas ersetzt werden. Schon unter Pipin war auf der Synode zu Jäptinae im Jahr 743, auf welcher die divieioy die allgemeine Einziehung des Kirohen- guts beschlossen worden war, diese Entschädigung der Kirche vorbehalten worden.

Weltl. Besitz der Kirohe. Constantin. Bchenknng. 136

weltlicht 68 selbst, es theilt sich ihm ein weltliches Interesse mit, das es nur in weltlicher Macht und Herrschaft befriedigen kann. Die Kirche wird selbst zur weltlichen Herrscherin^ und wie ihre Bi- schöfe weltliche Herrn und Fürsten sind, so kann auch ihr höchstes Haupt die allgemeine hierarchische Gewalt, die es für sich in An- sprach nimmt, nur auf welllichen Besitz und weltliche Macht stützen. In dieser Beziehung ist die Donatio Constantini 0 der sprechende Ausdruck der von dem höchsten Haupte der Kirche respräsentirten allgemeinen Zeitrichtung. Je offenbarer sie auf nichts Thatsächlichem berabt, sondern blosse Erdichtung ist, um so reiner tritt der Gedanke hervor, welcher ihr als leitendes Motiv zu Grunde liegt. In derselben Zeit, in welcher das Papstthum sich höher zu heben begann und sich nach neuen Stützpunkten für seine Ansprüche umsah, schien es we- sentlich zum Begriffe des Papstthums zu gehören, dass es auch eine weltliche Herrschaft habe. Wie man längst die Kirche durch nichts besser ehren zu können glaubte, als dadurch, dass man sie be- schenkte und bereicherte, in den Besitz von Gütern und Einkünften setzte, mit Land und Leuten belehnte, so fand man nun den Ge- danken besonders einleuchtend, dass schon Constantin, der erste christliche Kaiser, dem Papstthum diese weltliche Ausstattung ver- liehen habe, die es nicht blos zu seinem Glanz, sondern überhaupt zu seiner zeitlichen Existenz, zur sichtbaren Darstellung dessen, was es an sich seiner Idee nach war, nicht entbehren zu kön- nen schien. Das constantinische Edict ist höchst bezeichnend für die damalige Auffassung des Papstthums, das zwar gesteht, dass es seine weltliche Macht nur vom Kaiserthum empfange, aber sie gleichwohl nur dazu haben will, um sich mit derselben selbst noch über das Kaiserthum aufzuschwingen. Es ist unser Wille, lässt das angebliche Edict den Kaiser Constantin sagen, dass, wie unsere irdische kaiserliche Macht, so auch die heilige römische Kirche gebührend geehrt, und der heilige Sitz des Petrus noch über unser Reich und unsern irdischen Thron erhöht werde, indem wir ihm Macht und Würde und alle kaiserliche Auszeichnung verleihen. Daher schenkt er ihm den lateranensischen Palast und alle kaiser- lichen Insignien; damit der ponfificalta apex nicht vilescire, son-

1) In den pseudoisidorischen Decretalen als Edicium Domini Oonttan- tini Imper,

136 Erste Periode. Vierter Abiohnitt.

dem noch mehr als die Macht und Wfirde des Reichs verherrlidit werde, übergebe er sowohl den genannten Palast alt auch die Stadt Rom und alle Provinzen , Oerter und Städte Italiena vaA der westlichen Gegenden seinem Pontifex Silvester, dem imirertafii Papa zu seinem und seiner Nachfolger bleibendem Eigenthn. Ebendesswegen habe er sein Reich aus dem Occident nach Byiau verlegt, weil es nicht recht sei, dass da, wo der Princlpat der Prie- ster und das Haupt der christlichen Religion vom himmlischen Kaiser errichtet sei, der irdische Kaiser noch Gewalt habe. Es war dieai damals noch blosse Idee, aber die Idee verwirklichte sich in der Folge, und alle Gegner der römischen Kirche, welche das Biicl für acht und historisch hielten, sahen schon die Regierung Coft- stantins oder den Pontificat Silvesters als die verhfingnissvolle Epo- che an, in welcher das Gift der Verweltlichnng der römischen Kir- che eingegossen worden sei.

Vierter AbschnlM.

Der christliche Cnltns und die christliche

i. Der christliche Cultus.

Wie wir in der Geschichte der Hierarchie die Kirche sich nicht blos hierarchisch, sondern auch weltlich gestalten und in demseUnm Verhdltniss, in welchem sie ihre hierarchischen Zwecke verwirk- licht, in weltliche und politische Interessen sich vertiefen sehen, so wird überhaupt in dem ganzen Wesen der Religion und des Chri- stenthums alles ausserlicher und materieller, concreter und sinnli- cher. Dieser allgemeine Charakter der Zeit zeigt sich in den ver- schiedenen Formen , in welchen er sich auf verschiedene aber we- sentlich analoge Weise ausgebildet hat, ganz besonders auch in der Geschichte des christlichen Cultus 0) in welcher der Streit

1) Wie wenig man jetzt Bedenken trug, die Analogie des chmtliolien Cultus mit dem heidnischen auch dadurch anzuerkennen , dass man, was Mher nicht geschah, heidnische Tempel für den christlichen Cultus weihte, beweist die Umwandlung, die mit dem altrömischen Pantheon vorgieng, das von dem alten Römer Agrippa erbaut, auch nach der Schliessung aller heid- nischen Tempel sich noch unversehrt erhalten hatte. Papst Bonifiacins V. erbat es sich von dem Kaiser Phokas als Geschenk und weihte es im Jahr

Christlioher Cnltnt. Bilderverehrung. |37

nber den Bildercultus die wichtigste Stelle einnimmt und anschau- licher als irgend etwas Anderes die Richtung, die überhaupt das Christenthum in seiner bisherigen Entwicklung in der christlichen Kirche genommen hat, vor Augen stellt.

Die anfangs im Gegensatz zum Heidenthum verworfenen, in der Folge aber seit der allmdhligen Befreundung des Christenthums und Heidenthums und im natürlichen Zusammenhang mit dem die heidnische Anschauungsweise auf den Boden des Christenthums verpflanzenden Heiligencuitus zugelassenen und in allgemeineren Gebrauch gekommenen Bilder zur Darstellung religiöser Personen md Begebenheiten waren schon zu Ende des sechsten Jahrhun- Anis Gegenstand einer religiösen Verehrung geworden , bei wel- cher man zwischen dem Bild und der Sache, die es darstellen sollte, nicht mehr unterschied 0- Wenn auch Einzelne in einem solchen Cultus eine Verletzung des alttestamentlichen Bilderverbots sahen, so würde doch ihr Widerspruch wenig beachtet worden sein, hätte nicht der neue Gegensatz , in welchen das Ghristenthum zum Mu- hammedanismus zu stehen kam, auch der Frage über die Bilder ein neues Interesse gegeben. Was hier zunächst in die Augen fallt, ist, dass Kaiser es waren, die als die ersten Gegner der Bilder auf- traten , und zwar solche , die als energische und verstandige Re- genten 'alles daran setzten , das erschlaffte Reich wieder zu kräf- tigen und ihm nach aussen neue Achtung zu verschaffen. Musste ihnen der Bildercultus schon wegen des Aergernisses, welches, wie bbher die Juden, so jetzt ganz besonders die glaubigen Verehrer des bilderfeindlichen Korans an ihm nahmen , als eine Herabwür- digung des Christenthums erscheinen ^, so lag auch der Gedanke

604y oder einem der folgendeHi zu einer Kirche der immer jungfräulichen hei- ligen Maria und aller Märtyrer ein, ohne Zweifel mit Beziehung auf die Tra« dition, dass es Agrippa der Cyhele, als der Mutter der Götter, und allen Göt- tern üherhaupt geweiht hahe, wie man auch sonst die Wahrnehmung gemacht hat, dass die römische Kirche es liebte^ in die zum Gottesdienst verwandten Tempel der Heiden solche Heilige einzusetzen, welche den daraus verdrängten Gtöttera einigermaassen entsprachen. Vgl. Gsbgoboyius a. a. 0. 2. S. 118.

1) Schon Leontius, Bischof von Neapolis in Gypem zu Ende des sechsjten and zu Anfang des siebenten Jahrhunderts, sprach in seiner Apologie ftlr die Christen gegen die Juden nach den Acten der zweiten nicänischen Synode (Mahsi Xni. S. 43) von einem TcpooxuvIivOai der Bilder.

2) Der Patriarch Germanus von Constantinopel sagt in einem Briefe

138 Erste Periode. Vierter Abeohnitt

sehr nahe, eben diese Idololatrie, in welche die Chriileii des rö- mischen Reichs verfallen waren, sei die Ursache der Unfllle, die sie so oft im Kampfe mit den hierin wenigstens dem reineren CStaa- ben treugebliebenen Ungläubigen erlitten haben. In den Heere fanden daher die bilderstürmenden Kaiser, seitdeni sie die Sol- daten unter diesem Panier zum Siege geführt hatten , die krifkigite Stütze, um den Widerstand zu bezwingen, welchen der Fanatinwi der Mönche und Weiber ihnen entgegensetzte. Gerichtet war du Bilder verbot , das Leo der Isaurier im Jahr 726 erliesi^ iimftckit nicht gegen die Bilder selbst, sondern nur gegen die YerduroBf, die man ihnen nicht anders, als wären sie die auf ihnen dargeelettlei göttlichen und wunderthatigen Personen selbst, zu erweiiea pflegte; allein es zeigte sich bald, dass das Eine von dem Andern nioht ge- trennt und der Anbetung der Bilder nur durch ihre völlige Besei- tigung und Vernichtung begegnet werden konnte. Constanthioi Copronymus fuhr nicht nur mit derselben Strenge gegen die Bilder und Bilderfreunde fort, sondern that auch den weiteren Schritt, dass er auf der im Jahr 754 nach Constantinopel berufenen allge- meinen Synode die Verehrung der Bilder mit dem Anathema der Kirche belegen Hess. Die nachfolgenden Kaiser hielten zwar das Ansehen der Synode aufrecht und Hessen es , wie namentlich Leo der Armenier , nicht an strengen Maassregeln gegen die Bilder- freunde fehlen, demungeachtet aber gelang es der weiblichen Hinter- list der Kaiserin Irene und der in ihre Fussstapfen tretenden Kaisma Theodora, der sinnlichen Bichtung, aus welcher der Bildercultos hervorgegangen war, zuletzt noch das Uebergewicht und den blei- benden Sieg zu verschaffen. Auf der im Jahr 787 zu Nicfia gehal- tenen Synode, die sich als die siebente ökumenische an die Stelle der früheren setzte, wurden die Beschlüsse derselben aufgehoben und das entgegengesetzte Dogma als Orthodoxie sanctionirt So wenig hatten also die über ein Jahrhundert fortgesetzten Bemüh- ungen kräftiger, mit despotischer Gewalt regierender Kaiser in einem Kampfe vermocht, in welchem es sich doch nur um die Ehre und Würde einer die Verehrung Gottes im Geist und in der Wahr- heit als ihr höchstes Princip aufstellenden Religion zu handeln und

(Mansi XIIL HO), Juden und Saracenen verlftnmden die Christen wegen der VerehruDg der Bilder.

Gegner und Freunde des BildercnltnB. 139

der klare Ausspruch der Schrift auf der Seite derer zu sein schien, die zu seiner Behauptung auch die äussere Macht in ihrer Hand hatten , woraus demnach nur die Folgerung gezogen werden kann, dass auch dieses Resultat durch die ganze bisherige Entwicklung des kirchlichen Christenthums mit innerer Nothwendigkeit bedingt war. Diess gibt sich auch , wenn man die Grfinde vergleicht, mit welchen der Bildercultus auf der einen Seite bestritten, auf der andern vertheidigt wurde, deutlich genug zu erkennen.

Was die Gegner des Bildercultus zunächst und am scheinber- sten geltend machten, war der Vorwurf der heidnischen Abgöt- terei. Damit begann auch die Synode im Jahr 754. Nachdem uns Christus von der verderblichen Lehre der Dämonen und von dem Irrthmn und Dienst der Idole befreit und die Verehrung im Geist ■nd in der Wahrheit gelehrt habe, habe der Urheber der Bosheit zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedenen Wegen es darauf angelegt, die Menschen mit List wieder in seine Gewalt zu bringen; in der Gestalt des Christenthums habe er die Idololatrie wieder ein- gefAhrt, indem er die, die mit ihren eigenen Sophismen auf ihn sahen, beredete, sich nicht von der Schöpfung loszusagen, sondern sie anzubeten und zu verehren und die Creatur unter christlicher Benennung für Gott zu halten. Diesem neuen Betrug des Teufels mäaien daher die Kaiser, zur Wiederherstellung der reineii Lehre, entgegentreten. Erschien so den Gegnern der Bildercultus nur als die dem A. T. widerstreitende heidnische Abgötterei, so erinnerten die Bilderfrennde, wie namentlich der beredteste Apologet der Bilder^ Johannes von Damascus O9 an die Verschiedenheit des jüdi- schen und christlichen Standpunkts. Was im A. T. gegen die Bil<- der gesagt sei , beziehe sich nur auf die abergläubische Meinung der alten Zeit, dass der unsichtbare, unendliche, gestaltlose Gott in einem Bilde dargestellt werden könne» Vor dieser Gefahr der Idololatrie dürfen die Christen nicht bewahrt werden, sie seien über die Periode der Unmündigkeit zum vollkommenen Mannesalter fortgeschritten und wissen daher wohl zu unterscheiden , was bild- lich dargestellt werden könne, was nicht. Wenn der Unkörper- liche um des Menschen willen Mensch geworden , der Unsichtbare

1) In den drei \6yoi &7ioXo'pr)Ttxo\ Tcpb; tou< Siaß^XXovTa; i«; ayia^ elxöva^. Opp. ed. Leqtiien T. 1. S. 307 f.

140 Ente Periode. Vierter Abfobnitt

im Fleisch sichtbar erschienen , der in der Gestalt Gottes Existi- rende , der in der Erhabenheit seiner Natur ohne Körper and Ge- stalt, ohne Quantität urtd Qualitfit sei, Knechtsgestalt angenomoen, sich in Quantitfit und Qualität zusammengezogen und mit elaeii Körper bekleidet habe, so sei doch gewiss, dass er auch bildlidi dargestellt werden könne 0* Hiemit ist die Streitfrage in ihrem ei- genthümlichen christlichen Interesse aufgefasst So wesentlich Christenthum vom Judenthum und Heidenthum verschieden ist, so wenig hat der christliche Bildercultus weder mit dem jüdischen Bil- derverbot noch mit der heidnischen Idololatrie zu thun. Er ist in Wesen des Christenthums selbst begründet. So gewiss Gott ii Christus Mensch geworden ist, so gewiss kann auch das Mensch- liche, in welchem er erschienen ist, bildlich dargestellt und er selbil im Bilde verehrt werden. Der Vorzug des Christenthums vor im Judenthum ist, dass während Israel Gott nicht sah, wir mit ent- hülltem Antlitz die Herrlichkeit Gottes schauen , in dem menschge- wordenen Gott das Wesen Gottes sich abspiegelt

Auf dem Boden des Christenthums selbst aber wurde die Frage in den Conflict der theologischen Gegensätze hineingezogen und es fragte sich , ob der Bildercultus nicht nach der einen oder andern Seite hin mit einer der beiden Häresen zusammenfalle, die durch die orthodoxe Lehre von der Person Christi und dem Verhültniff der beiden Naturen ausgeschlossen waren. Die Synode im Jahr 754 beschuldigte den Bildercultus beider Häresen zugleich, sowohl des Eutychianismus als des Nestorianismus. Nach sorgfaltiger Prü- fung der früheren Synodalbeschlüsse habe sie gefunden , dass die gottlose Malerkunst den wichtigsten Heilsartikel, die Lehre von der Menschwerdung Christi, lästere und die heiligen Synoden um- stosse, indem sie sowohl mit Nestorius ' den menschgewordenen Logos in zwei Söhne trenne, als auch mit Arius, Dioskur, Euty- ches und Severus die zwei Naturen des Einen Christus vermische und vermenge. Eutychianisch schien es der Synode zu sein, dass die Maler das seiner Natur nach unendliche Göttliche in das krea- türliche Gebiet irdischer Farben herabziehen und dadurch entwür^ digen; der Nestorianismus aber sollte darin liegen, dass sie auf die Frage, wie sie dazu kommen, die unbegreifliche und auf keine

1) A. a. 0. 1, 5 f.

Dogmat Bedentnng des Bildelrstreits. 141

Weise durstellbare GöUlichkeii Christi mit Farben zu zeichnen, doch nur die Antwort geben können, sie malen einzig und allein die menschliche Natur, wie sie Gegenstand der Anschauung ist; da-* lurch sondern sie die Menschheit von seiner Gottheit und machen ^ne %n einer eigenen Person 0* Die Natur des Bildes bringt es ron gelbst mit sich, dass beides zugleich von ihm ausgesagt wer- len kann, sowohl die Trennung als die Vermischung. Das Bild trennt , sofern auch die treueste bildliche Darstellung doch immer inr ein Bild der Sache ist, die sie darstellen soll, und daher imnfer beides auseinandergehalten werden muss, das Bild und die Sache, leren bildliche Darstellung es ist; aber auch eine Vermischung indet statt, sofern das Bild keine bildliche Darstellung wäre, wenn 38 nicht die Sache, die sie darstellen soll, auch selbst in sich hätte md insofern mit ihr Eins wäre. Wird nun aber auch die Meinung 1er Bilderfeiiide unter den Gesichtspunkt derselben Gegensätze {egtellt, so ist sie zwar von dem eutychianischen Irrthum weit ßnUernt, aber der nestorianischen Härese entgeht sie nur dadurch, liasg sie in einem Dualismus stehen bleibt, welcher noch über die sestorianische Trennung hinausliegt und die Möglichkeit der Menschf- Rrerdung Gottes überhaupt in Frage stellt In dieser Spitze fasst Fohannes von Damascus die Frage auf, wenn er nicht nur die Geg- ner daran erinnert, dass sie aus demselben Grunde, aus welchem ne die Bilder verwerfen, auch andern religiösen Gegenständen, lern Kreuzesholze Christi, dem Evangelienbuch, dem Tische des Lebensbrods, ja selbst dem Leib und Blut Christi die Verehrung verweigern müssen, sondern in der Feindschaft gegen die Bilder iberhaupt eine manichäische Verachtung der Materie sieht, gegen (reiche er die Materie als ein Werk Gottes in Schutz nimmt 0* liner solchen Ansicht von der Materie und der aus ihr für die lenschwerdung Christi sich ergebenden Folgerung kam selbst die iynode vom Jahr 754 nahe genug. Wenn sie von dem erhöhten, licht mehr Fleisch seienden Christus sagt, dass er zwar nicht un- Körperlich, aber über alle körperliche Materialität zu erhaben sei, ilfl dass die menschliche Kunst auf irdischem Stoff nach Analogie edes andern menschlichen Körpers ihn abbilden könnte und daher las Anathema über diejenigen ausspricht, welche die göttliche

1) Maksi XIII. S. 251 f. 2} A. a. O. I. 16.

148 Erste Periode. Vierter Abtohnitt

Gestalt des Logos in Beziehang aaf die Menschwerdiiii|f dendbei durch sinnliche Farben anschaulich zu machen suchen und nidrt von ganzem Herzen mit geistigen Augen den, welcher den Ghu der Sonne überstrahle, und zur Rechten Gottes auf dem Throne der Herrlichkeit sitze, verehren, so setzt sie das GöttUcbe als das rrii Geistige in einen so abstracten Gegensatz zu dem smnlich Hat»- riellen, dass man nicht begreift, wie das Göttliche und Menfchlicbe jemals in der Menschwerdung Gottes zu einer realen Einheit ge- woVden sind, oder warum überhaupt es notbwendig war, Golt in der menschlichen Natur anzuschauen, wenn nur das geistige Alge zur Anschauung Gottes befähigt ist Es findet sich daher mch di und dort in dem Verlauf des Streits die Andeutung, die eigeDtUdw Intention der Bilderfeinde gehe dahin, Christus för einen blösiea Menschen zu halten und das Wesen des Christenthums anf das reia Menschliche herabzusetzen.

Die Frage, die hier noch nahe liegt, warum die Polemik dar Gegner, wenn sie doch eigentlich nur gegen die religiöse Verdi- rung der Bilder gerichtet war, soweit ging, dass sie auch die Zn- lassigkeit der Bilder überhaupt verwarf, beantwortet sich voa selbst. Da hier durchaus von Bildern Christi, der Jungfirau Maria und der Heiligen die Rede ist, so wurde einfach voransgeaelit, dass wenn einmal solche Bilder da sind, sie nur dazu sein können, um religiös verehrt zu werden; denn wer sollte die Ergiessnngen seines religiösen Gefühls zurückhalten können, wenn er die Per- sonen und Gegenstande vor sich sieht, die sie darstellen? Und ebensowenig glaubte man zwischen Bildern Christi und Bildern d^ Heiligen einen Unterschied machen zu können, da, wo Christas ist, auch die das Heer des himmlischen Königs bildenden Heiligen sein müssen. Ueberhaupt ist ja durch die Menschwerdung Gottes in Christus eine so innige Gemeinschaft zwischen dem Göttlichen nnd Menschlichen begründet worden, dass was von Christus gesagt wird, in gewissem Sinn auch von allen durch ihn geheiligten Men- schen gelten muss. Man kann daher jene Frage nur aufwerfen, am an ihr zu sehen, in welchem engen Zusammenhang hier das Eine aus dem Andern hervorgeht. Wie dem in Christus zu göttlicher Würde erhobenen Menschen die Heiligen zur Seite stehen, so müssen sie auch dieselbe Verehrung mit ihm theilen; wie können sie aber verehrt werden, wenn man sie nicht auch gegenwärtig

Die Polemik der Gegner dee Bilderenlttis. |43

and sichtbar vor sich hat, und warum sollten sie nicht Gegenstand einer sie vergegenwärtigenden bildlichen Darstellung sein, wenn doch die Menschwerdung Gottes in Christus selbst die sichtbare Erscheinung des Unsichtbaren ist, und auf demselben Bedürfniss der menschlichen Natur beruht, das Geistige durch das Sinnliche, das Abstracte durch das Concreto, das Göttliche durch das Mensch- liche zu vermitteln? 0 Eine solche von Stufe zu Stufe weiter herabsteigende Versinnlichung wird freilich zuletzt bis zu einem Punkt fortgeheui auf welchem sehr natürlich das entgegengesetzte Interesse erwacht, vom Sinnlichen und Materiellen zum Geistigen und Abstracten zurückzugehen. Hierin hatte die Opposition der Gegner des Bildercultus ihre vollkommene Berechtigung, sie hatte dne reformatorische Tendenz und auch darin ein protestantisches Element in sich, dass sie der Berufung auf die kirchliche Ueber- lieferung den Mangel der Schriftbezeugung entgegenhielt '); aber sie griff auf einem Punkt ein, auf welchem schon zuviel zugegeben war, um dem vorwärts treibenden Drange widerstehen zu können. Dieselbe Synode, welche die Bilder verdammte, sprach das Ana- thema gegen diejenigen aus, welche nicht bekennen,* dass die ewig jungfräuliche Maria, die wahrhafte Gottesgebdrerin, höher sei als alle sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe, und gegen die, welche nicht zugeben, dass alle Heiligen, die von Anfang der Welt bis jetzt gelebt haben, vor Gott hochgeachtet seien, und dass ihre FftrlHtle uns nützlich und nöthig sei. Auf welchem innem, in der Natur der Sache liegenden Grunde beruhte aber die Schranke, die

1) Vgl. Joh. von Damaac. a. a. 0. 1, 31. Er spricht von dem Unver- mögen &|JLeaco( iiii Ta( vo7)Ta( &vaT6{v6aOai OEa)p{a( und fährt fort: s? toivuv Tvji ^(Aüiv Tcpovocov avocXo^iac h 6^o( X^Y^^) ^^v'^o^^v to avaxatixbv ^[jCtv 7coptl^ö(ievo( xa\ Ttf!( &3cXot( xa\ atuTccoroic vinou^ tiv^ nepiT{Oy)ai, n&i |jl^ etxovfl^ei xk (U(iop9Ctf- {ilva xatd( x^v o2xeiacv ^üatv, xa\ noOoüfuva (ikv, 8ia hi to |jl^ napitvai bpMax |AJ^ Suv^va; Wenn das Göttliche bildlich versinnlicht werden darf, warum nicht noch mehr das Menschliche, wenn die Sehnsucht nach demselben es in der (Gegenwart haben will?

2) Es ist diess aus der Widerrufsformel zu schliessen, mit welcher die bisherigen Bilderfeinde auf der Bynode im Jahr 787 ihre Reohtglaubigkeit bezeugen sollten. Sie sollten das Anathema über diejenigen aussprechen, welche die Lehren der Yftter nach der Ueberlieferung der katholischen Kirche verachten und sagen: wenn wir nicht aus dem Alten tmd Neuen Testament mit Sicherheit belehrt werden, so folgen wir nicht den Lehren der Yttter, den ökumenischen Synoden tmd der Ueberlieferung der katholischen Kirche.

144 Ente Periode. Vierter AbfohnÜt

dadurch zwischen dem Heiligencultus und dem Bflderciiltiu gesebt werden sollte? Geht nicht der eine wie der andere aoi deraelbea Befreundung des Christenthums mit dem Heidenthom herror, die längst in der christlichen Kirche festen Boden gewonnen hatte und nun nur vollends in den Bildern, vor welchen, als ihren Hdlig^ thumern, die Christen ihre Kniee beugten, in ihrer aichlbantoa Gestalt so offen hervortrat, dass auch die Unlerscheidungy die man zwischen der absoluten Verehrung Gottes und der relalive» der Heiligen machte O9 eine sehr schwach gezogene Greniliiie war? Aus demselben Grunde konnte auch die vermitteUide Stel- lung, welche die fränkische Kirche in dem Bilderstreit nahm, uad die Freisinnigkeit, mit welcher auch sie sich gegen die Anbetoif der Bilder erklärte, keine weitere geschichtliche Folge haben. El war sehr verständig, zwischen der Aufstellung der Bilder nui Schmuck und ihrer Anbetung, der Zulässigkeit des Einen und der Verwerflichkeit des Andern so zu unterscheiden, wie in den so- genannten karolingischen, zur Widerlegung der zweiten nicäni- schen Synode geschriebenen Büchern geschieht; welche praktisdie Bedeutung hatte aber diess für das Volk, das seine Heiligen nur in der Gestalt, in welcher es sie vor sich sah, verehren konnte? Ist Karl der Gr. der Verfasser dieser Bücher, so ist eigentlich nur diess bemerkenswerth, wie auch sein männlicher Geist, gleich den energischen bilderfeindlichen Kaisern des byzantinischen Reichs, in dem sinnlichen Hang, mit welchem man sich dem Bildercnltus hingab, eine Herabwürdigung der Kirche durch eine Richtung sah, die ihren sprechendsten Ausdruck auf eine für Karl den Gr. nodi besonders anstössige Weise darin hatte, dass ein Weib, wie ^die Kaiserin Irene, hierin die Gesetzgeberin der Kirche gewesen war. Nun wird zwar der acht karolingische Ursprung der genannten Bücher mit gutem Grunde bezweifelt 0 9 d&ss aber die fränkische

1) Joh. von Damasc. 1, 8: §Tepov y^p loriv ^ t^( XaTp6{o(( 7cpo9xUvY20ic %(ä iTEpov ^ Ix Ti(Ji^$ TcpoaaYOfJt^T) T(^( xax^ ti aS(b>(jLa 6}cep^ouaiv. In diese letztere Kategorie gehörten auch solche Gegenstände, wie das Kreuz, welche die Bilderfeinde gleichfalls stehen Hessen.

2) Die schon an sich sehr unwahrscheinliche Annahme, dass Karl der Grosse die nach ihm henannten Bücher proprio Marte yerfasst habe, oder auch nur an seiner Stelle Alcuin, wird durch die neueste Untersuchung von H. J. Floss in der Commentatio de suspecta librorum Carolinorum a Joanne Tilio editorum fide. Bonnae 1860 so zweifelhaft, dass die gewöhnliohe

Widersprneb der frftnk. Kirche gegen d. Bildercultns. 145

Kirche zur Zeit Karls des Gr. dieselbe Stellung im Bilderstreit hatte, welche ihr die libri Carolini geben, ergibt sich sowohl aus der Beantwortung, mit welcher Papst Hadrian I. die durch den Abt Angilbert ihm überbrachten Capitula Karls des Gr. gegen den Bil- dercaltas zurücksandte O9 als auch aus dem auf der Frankfurter Synode im Jahr 794 gegen die zweite nicänische gefassten Be- sAIoss. Auch noch unter Ludwig dem Frommen beharrte die frflnkische Kirche in ihrem Widerspruch gegen den Bildercultus, und es fanden über denselben als eine für die Kirche des Orients und Occidents gleich wichtige Angelegenheit Verhandlungen mit Rom und Constantinopel statt, die hauptsächlich den Zweck hatten, den Bildereifer der Päpste nicht zu weit gehen zu lassen. An der Spitze der Bilderfeinde standen damals im fränkischen Reich die durch ihre freiere Richtung sich auszeichnenden Bischöfe, Clau- dius, der Bischof von Turin, und Agobard, der Erzbischof von Lyon, weldie beide den Bildercultus in seinem Zusammenhang mit dem Aberglauben der Zeit überhaupt auffassten und ihn in seiner Wur- zel dadurch angriffen, dass sie mit ihm zugleich auch den Heiligen- cttltos bekämpften, in welchem sie eine vom Schöpfer zum Ge- schöpfablenkende, die Ehre Gottes beeinträchtigende, die sittlichen. Begriffe durch falsches Menschenvertrauen und durch die Meinung, dass, was jeder nur für sich sein kann, ein Anderer für ihn sein könne O9 verkehrende Richtung erkannten. Da die Päpste von Anfang an um so entschiedener auf die Seite der Bilderfreunde traten, je mehr sie den Machtgeboten und kirchlichen Anmaassun- gen der Kaiser gegenüber als Vertheidiger der Bilder nur in ihrem Rechte zu sein glaubten, da ferner die heftige Polemik solcher

Meinung sich nicht mehr wird behaupten können, wenn sie nicht auf neue bisher ganz unbekannte Data gestützt wird.

1) Epistola Hadriani P. ad Carolnm R. de imaginibus, qua confütantur Uli, qui Synodum Nicaenam II. oppugnamnt Mansi T. XIII. 8. 759.

2) Sehr treffend sagte Claudius gegen den Heiligencultus: BeatUudme aUenus hominis nonßt alter heoAua, Neque pruderOia cujuadam fit prudena aSus, aut forti$ foriitudvne^ aut temperans temperantiaf aiU justua jusütia Aomtni« aUerius quisquam efficitur, sed coaptando animum HUa incommutabi' Ubut reguUs luminibtMqtie virtutum guae incormpiibiUter vivurU in ipsa veri- tote Bopiwiiaque commwni^ quibus et iUe eoaptavit etßxit animum , ^[uem iitii virtutibu» praeditum sün ad imitandum propomit, YgL Gibsbler 2, 1. S. 100.

Baar, X.a. des Mittelalters. 10

146 Erste Periode. Vierter Abfibnitt

Gegner, wie Claudias und Agobard waren, selbst auch wieder Widerspruch hervorrief und das Interesse für die Bilder belebte, und da überhaupt die Abhdngiglieit von der römischen Kirche md ihren Traditionen immer mehr die maassgebende Norm fttr allei Kirchliche wurde, so konnte auch die fränkische Kirche den all- gemeinen Zuge der Zeit zum Sinnlichen und Materiellen nicht wider- stehen, und es hatten so auch in ihr, wie überall in der kathoUicha Kirche, seit dem Ende der karolingischen Periode die Heiligen md die Bilder das gleiche nicht weiter angefochtene Recht

Während der Heiligencultus nicht nur mit Bildern sidi schmückte, sondern auch durch die für orthodox erklärte Bildor- anbetung eine neue dogmatische Sanctionirung gewann und dordi die zunehmende Zahl von Heiligen, die Auffindung neuer HeiligOB^ leiber und zahlloser Reliquien der verschiedensten und seltensteil Art und die Einführung neuer Feste sich fort und fort erweiterte^ erhielt der Cultus auch in dem Theile seines Gebiets, in welchem die Messe der Mittelpunkt der vom Priester verrichteten Handlmh* gen ist, eine neue vom Dogma ausgehende Bedeutung. Je fester die mit der Feier der Eucharistie verbundene Vorstellung eines Opfers durch den Glauben an die übernatürliche Verwandlang des Brods und Weins in den Leib und das Blut Christi begründet wurde, um so höher musste auch die Meinung von der Heiligkeit und den heilbringenden Wirkungen der Messe steigen. Paschasius Radber^ tus selbst setzte sein Dogma in die innigste Beziehung zur Feier der Messe, indem er aus der hohen Bedeutung und dem Zwecke des von Christus einmal in seinem Kreuzestode zur Vergebung den Sünden dargebrachten Opfers die Folgerung zog, dass es sogar täglich wiederholt werden müsse. Täglich muss, behauptete er, das durch die Macht des heiligen Geistes geschaffene Fleisch und Blut Christi für das Leben der Welt mystisch geopfert werden ^), und zwar aus folgenden Gründen: 1. weil wir täglich sündigen, wenigstens solche Sünden begehen^ ohne welche der Mensch in

1) De corpore et sanguine Domini c. 4: VoluU (Christus) in mytieno hunc panem et vinum vere camem atiam et sangmnem eonseeratiane spiwitHt saneti potentialiter crearif creando vero quotidie pro mimdi vita mffttiee immth lorif ut sictU de virgine per spiritum vera caro sine caitu ereatUTj iia per eundem ex substantia panis etc vini myatiee idem Christi corpus et Hmgms eonseoretur.

Dai Messopfer. Paschasins Radbertns. 147

seiner sterblichen Schwachheit nicht leben kann, weil, wenn auch alle Sunden in der Taufe vergeben sind, doch die Schwachheit der Sande noch immer im Fleische bleibt. Täglich nimmt er die Sünden der Welt hinweg, und wascht uns von unsern Sünden täglich in seinem Blut, wenn das Gedächtniss seines Leidens am Altar er- neuert wird und Brod und Wein in das Sakrament seines Fleisches und Blutes verwandelt werden. 2. Wie ein Lebensbaum im Para- diese war, so muss die heilige Kirche Gottes das durch jenen Baum vorgebildete Mysterium des Lebens in sich haben. Die, die davon essen, können, wenn sie die Gebote des Lebens halten, in Ewigkeit nicht sterben. 3. Alle Wiedergeborenen müssen mit Christus so Eins werden, dass er, wie sie ihn in der Taufe ange- zogen haben, so nun durch das Sakrament seines Leibs und Bluts auch körperlich in ihnen bleibt Wie Vater und Sohn nicht blos durch die Einheit des Willens, sondern die Einheit des Wesens Sins sind, so soll auch zwischen uns und Christus nicht blos eine Uebereinstimmung des Willens, sondern auch eine Einheit des Wesens sein. Da das Wort Fleisch geworden und wir das fleisch- gewordene Wort wahrhaft als die Speise des Herrn empfangen, so sagt man mit Recht, dass Christus wesentlich in uns ist und wir Einen natürlichen Leib mit ihm bilden. Diess ist das wahre Yer- hältniss der beiden Sakramente. Die Taufe macht uns durch den Glauben mit Christus Eins , das Sakrament seines Leibs und Bluts bewirkt die Einheit des Fleisches und Blutes, als Glieder Christi essen wir sein Fleisch und das substanzielle Element unsers Lebens ist nichts anders als sein Leib und Blut 0* Nachdem also das Dogma das Verhältniss, in welchem Brod und Wein zum Leib und Blut Christi stehen, auf den höchsten Ausdruck der Einheit ge- bracht hatte, vollzog der Cultus diese Einheit praktisch, indem das tägliche Messopfer nur die Wirkung haben konnte, dass die Glau- bigen durch den unmittelbaren Genuss des in den Leib und das Blut Christi verwandelten Brods und Weins auch substanziell mit Christus Eins wurden. Paschasius setzte noch voraus, dass die Glaubigen selbst den Leib und das Blut Christi empfangen; je höher aber die Opferidee gestellt und je grösseres Gewicht auf die täg- liche Darbringung des Messopfers gelegt wurde, um so natürlicher

1) A. a. 0. c. 9.

10

148 Erste Periode. Vierter Al>te1iaitt

ergab sich daraus die Folge , dass es aach ohne die eigene Theil- nahme und Gegenwart der Laien gehalten werden könne. Schon vor Paschasius war die Sitte entstanden, dass auch Hessen Ton dem Priester allein gehalten wurden. Da das Abendmahlsopfer von Anfang an hauptsächlich auch für die Gestorbenen dargebracht wurde, so waren die Privatmessen wahrscheinlich zuerst solche, welche die dafär bezahlten Priester für die Ruhe der Gestorbenen zu halten pflegten. Die Synoden in Mainz im Jahr 813 und in Paris im Jahr 829 tadelten den an vielen Orten aus Gleichgültiglteit and Habsucht entstandenen Gebrauch, indem es dem Begriff der Messe widerstreite, wenn niemand da sei, der auf die Anrede des Prie- sters die entsprechende Antwort gebe. Aus demselben Grunde verbot der Bischof Theodulf von Orleans den Priestern seiner Pa- rochie, Messen ohne die Gegenwart der Gemeinde zu halten ^). Was aber anfangs nur ein Missbrauch war, kam bald in allgemei- nen Gebrauch. War das Messopfer, wie es Paschasius Radbertos sehr trefl^end bezeichnete, ein mystisches Opfer für das Leben der Welt, ein allgemeines Weltopfer, das taglich für die Erhaltung des allgemeinen Weltlebens dargebracht werden musste, so Meng alles, was zum Heil der Welt frommte, einzig nur von dem prie- sterlich vollbrachten Opferacte ab, und man kann sich daher nicht wundern, dass es schon im neunten Jahrhundert gewöhnlich wurde, Messen für geistliche und leibliche Bedürfnisse aller Art zu halten. Der Priester stieg ja nur um so höher, wenn in seine Brod und Wein zum Leib und Blut des Herrn consecrirende und als Opfer Gott darbringende Hand die ganze Fülle der Segnungen ge- legt war, die aus der unmittelbaren und substanziellen Gegenwart des Göttlichen in a]Ie Gebiete des allgemeinen Welllebens ausflies- sen sollte. Seine höchste Bedeutung hatte demnach der Cultus auch in dieser Beziehung darin, dass er das Göttliche dem Menschen so sinnlich nahe als möglich brachte. Wie es in den Heiligen sichtbar vor Augen stand, so sollte es in der Messe leiblich mit dem Munde genossen werden, und wenn auch nicht jeder selbst das Sakrament empfing, so war es der Priester, der die göttliche Lebenssubstanz taglich in seiner Hand hatte und als den theuersten Schatz verwaltete, der der Welt nie verloren gehen konnte.

1) In dem Capitnlare ad parochiae suae sacerdotes c. 7.

Das Messopfer. Das Latein als Kirchensprache. |4tt

Es hingt diess noch mit einem andern for den Csltus charak- teriatiachen Zug zusammen. So sinnlich nahe das Göttliche dem Menschen kommen sollte, so lag doch für den Laien immer noch etviras dazwischen, das ihm das Heilige in demselben Verhaltniss, in welchem es ihm nahe kam, wieder entrückte. Es war nicht nur der Priester, durchweichen alles vermittelt wurde: selbst in der Sprache, deren man sich bei den heiligsten Handlungen des Cultus bediente, sollte der Laie nicht den unmittelbaren Ausdruck seines religiösen Bewusstseins vernehmen dürfen. In der abendländischen Kirche galt nur die lateinische Sprache als die heilige Kirchen*- spräche und die römische Kirche hielt streng daran fest, wie ins- besondere aus der Bekehrungsgeschichte der slavischen Völker er- hellt, den liturgischen Gebrauch der Landessprachen, durch welche die Mysterien der Religion entweiht zu werden schienen, nicht zu- zulassen. Wenn man auch mit Rücksicht auf Schriftstellen wie Ps. 117, 1. Phil. 2, 11 das Predigen in der Landessprache nicht für unzulässig halten konnte, so sollte doch wenigstens die Messe vorzugsweise nur der heiligen Sprache, der lateinischen oder griechischen vorbehalten sein 0* Auch religiöse Lieder und Ge- sänge in der Volkssprache galten als plebejisch und profan '). Wie sehr diess im Geiste der römischen Kirche war, beweist der Nachdruck, mit welchem auch Gregor VH. sich gegen den litur- gischen Gebrauch der slavischen Sprache erklärte; schien es ihm doch in demselben Interesse sogar eine weise Veranstaltung Gottes, dass die heilige Schrift nicht überall bekannt sei , damit sie nicht missachtet und missverstanden werde. Sei die alte Kirche hierin zu nachsichtig gewesen, so sei es jetzt an der Zeit, die laxe Sitte zu corrigiren ^> Alles also, was die Religion für den Menschen Volksthümliches und Populäres hat, alles, worin sie ihm zur natür- lichen Sprache seines Herzens, zum lebendigen Ausdruck seiner innersten Gedanken und subjektivsten Empfindungen wird, sollte ihm in der objektiven Einheit der Kirche und der Aeusserlichkeit des priesterlichen Cultus ferngehalten sein I Karl der Grosse hatte insbesondere auch das Predigtwesen zum Gegenstand seiner kirch-

1) Vgl. das oben S. 14 f. angeführte Schreiben Johanns VIII. aa Me- thodins vom Jahr 879. Mansi XVII. 8. 188.

2) Agobard De divina psalmodia in der Migne*sohen Patrol. CIV S. 827.

3) Ep. VII. 11. Mansi XX. S. 296.

150 Erste Periode. Vierter Abfohnitt

liehen Vorsorge gemacht und noch am Ende seiner Reglermg hal- len die auf seinen Befehl gehaltenen Synoden zu Tours und Mskn im Jahr 813 das Predigen in der Volks- und Landessprache Ar das Verständniss des Volks ausdrücklich empfohlen Oi *1>^ nn Laufe des neunten und zehenten Jahrhunderts unterlag Aberlwipi die Predigt in dem allgemeinen Zuge der Zeit immer mehr im todten Mechanismus des liturgischen Gottesdienstes.

2. Die christliche Sittlichkeit

In jeder Periode spiegelt sich schon im Cultus der itlffide Charakter der Zeit ab. In einer Periode, in welcher, wie in der jetzigen, die ganze Richtung des Cultus in den HauplerscheimrageB, in welchen er sich zu bestimmteren Formen gestaltet, nur daUi geht, statt den Menschen zum Göttlichen zu erheben und ihm das Ziel seines sittlichen Strebens in einem hoch über ihm stehenden Ideal zu zeigen, dasselbe vielmehr zu ihm herabzuziehen, es zu ver- sinnlichen und zu vermenschlichen, darf man auch an die sUUichen Begriffe keinen sehr hohen Anspruch machen. Denn wozu anders will der Mensch das Göttliche in seiner sinnlichsten N<he habea^ als eben nur dazu, um es mit allem demjenigen, was er auch auf der niedrigsten Stufe als die von seiner Seite zu erfüllende Be- dingung der göttlichen Gnade und seines auf .ihr beruhenden Heik betrachten muss, sich um so leichter und bequemer zu machen? Schon hieraus ergibt sich die allgemeine Vorstellung, die man nch von dem sittlichen Zustand der Periode zu machen hat, von wel- cher hier die Rede ist; aber die für die Geschichte des Cultus charakteristischen Erscheinungen weisen uns ja nur auf den ali- gemeinen Charakter der Periode zurück. Auf keinem andern Ge- biete des kirchlichen Lebens unserer Periode darf man es weniger vergessen, in welchem Stadium der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung man sich hier befindet, als auf dem sittlichen. Alles

1) Die Bischöfe sollen, sagt die Synode zu Tours in ihrem KanoB47, Homilien haben, die die nöthigen Ermahnungen enthalten, und diese quU- que studeat aperte trcmaferre in linguam Bomanam msticamf vel JTieodiaeam (in das Romanische oder Deutsche), qito faciliua cwncti poasirU inteüifferef qttoß dicuntur; und die S3mode zu Mainz in ihrem Kanon 25: fwnquam dent diebtis dominicis aiU/esHvUatibiUf qui verbum Dei praedicet^ juxta quod mtelUgere vulgus poasit

Die christliche Sittlichkeit. Karl Martell. |5|

was man unter der Barbarei und Finaterniss des MittelaHera aich zu denken gewohnt ist, lastet vorzugsweise auf den Jahrhunderten, in deren Verlauf sich die Geschichte dieser Periode bewegt. In liei- ner andern Periode stand die christliche Sittlichkeit auf einer so niedrigen Stufe, vor allem aus dem Grunde, weil es an den Voraus- setzungen fehlte , durch welche ein der Idee der christlichen Sitt- lichkeit entsprechendes kirchliches Leben bedingt ist. Durch die allgemeine Rohheit und Verwilderung der Zeit wurde die Kirche verweltlicht und der Klerus entsittlicht; es gab Zeiten und Länder, in welchen hohe und niedere Kleriker an allem weltlichen Thun und Treiben sich betheiligten und durch dieselben Laster und Verbre^ chen, durch welche die Zeit am meisten berüchtigt ist, sich selbst befleckten. Die Zucht und Ordnung des kirchlichen Lebens löste sich nicht selten völlig auf, und um alles mit Einem Male zu sagen, was in einer solchen Periode an sittlichem Aergerniss möglich war, darf man nur an die notorische Unsittlichkeit so vieler Papste des zehnten Jahrhunderts erinnern. Es kann Jedoch der Kirche das Zeugniss gegeben werden, dass sie es auch in solchen Zeiten nie an Gegenwirkungen fehlen Hess, und immer auch wieder Mdnner in ihrer Mitte hatte, die dem Verfall der Kirche entgegentraten an*d zum Bessern zurucklenkten. Nachdem Bonifacius die unter Karl MartelFs kriegerischer und soldatischer Regierung eingeris- sene Ungebundenheit gezügelt und mit einer geordneteren Ver- fassung auch die kirchliche Disciplin wiederhergestellt hatte O9 war es Karl der Grosse, welcher auch in dieser Beziehung durch seine auf den Klerus verwandten Bemühungen sich um die Kirche verdient machte. Den Ermahnungen, die er nicht selten erliess, am den Klerikern die Pflichten ihres geistlichen Berufs einzuschär- fen, der Aufmerksamkeit und Sorgfalt, mit welcher er ihre kirch- liche Wirksamkeit und ihr sittliches Verhalten überwachte, der Strenge, mit welcher er Unordnungen und Missbräuche rügte, ins- besondere aber auch den Anstalten und Mitteln, die er anwandte, un# den Klerikern die für ihren Beruf erforderliche Bildung zu verleihen, ist es zuzuschreiben, dass die fränkische Kirche sich bedeutend

1) Man vgl. die Disciplinarverordnungen in dem Capitulare vom Jahr 742 Pbrtz in. 6. 16. Es verbietet den Geistlichen vor allem Waffen zu tragen, in Krieg zu ziehen, auf der Jagd umherzustreifen, Falken zu halten, und setzt strenge Strafe auf Unzuchtvergehen.

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I5S Ente Periode. Vierter Abfohaitt.

hd>, md wahrend der karolingischen Periode eine in GaueB sdr achtongswerthe Stellung behauptete. Ais auch diese Frichte wie- der verloren gegangen waren, und in den verworrenen und dMen Zustanden des zehnten und eilften Jahrhunderts der in sdner üa- wissenheit und Sittenlosigkeit das treue Gepräge seiner ZeH u sich tragende Klerus tiefer als je gesunken war waren gwade die Uebel , die vorzugsweise dem Klerus zur Last fielen and n ihrem Zusammenhang mit den allgemeinen Verhältnissen der Kirdie als die grössten Gebrechen der Zeit erschienen, Unzucht und Suno- nie, die Ursache der tiefer gehenden Bewegung, durch welche eis ernsterer sittlicher Geist in der Kirche wieder erweckt wurde. Was ausser den bekannten und am meisten hervortretenden Zeit- übeln den Klerus noch besonders charakterisirt und ihn gleichblb in einem sehr ungünstigen Licht erscheinen lisst, ist das naterielle Interesse, das ihn in so hohem Grade beherrschte, die Habgier, mit welcher er seinen Grundbesitz zu vergrössern suchte, und fir diesen Zweck nicht blos die durch das Lehenswesen gegebene Ge- legenheit, sondern auch noch den Glauben und Aberglauben der für das Heil ihrer Seele besorgten Laien zu benützen wusste ^

1) Einen reichhaltigen Beitrag zur Sittengeschichte besonden des Klema im zehnten Jahrhundert, gibt YoaEL, Ratherins von Verona und das sehnte Jahrhundert Jena 1854. Man vgl. besonders 1. S. 48 f. 282 t

2) Welche Mittel die Kirche für diesen Zweck anwandte, und wie weit sie hierin ging, ist ans der scharfen Rüge su sehen, an welcher Kmil der Grosse noch in einem Capitnlare vom Jahr 811 sich veranlasst sah. Es wird in demselben gesagt (Pebtz Monum. T. 3. Leg. 1. Ö. 167): Kann man von Weftentsagung bei Menschen reden, welche nicht müde werden, täglich auf Jede Weise und durch jegliches Mittel ihr Vermögen zu mehren, indem sie die Leute bald mit Vorspiegelungen himmlischer Seligkeit, bald mit Drohun- gen des höllischen Feuers so lange bearbeiten, bis sie die Einfalt der Armen wie der Reichen berücken und dieselben zur Abtretung ihrer Güter rerleiteD, wodurch es geschieht, dass die Erben solcher Bethörten uro Hab* und Gut kommen, und zuletzt aus Mangel Verbrecher und Diebe werden müssen. Man vgl. hierüber und über Anderes, was sich darauf bezieht, Gfböbbr, K.G. III. S. 616. Roth, Benef. S. 254 f. „Wirklich verächtlich sind die Mittel, die wir anwenden sehen, um die Lust zu Schenkungen immer von neuem zu erwecken. Zogen die Schilderungen der himmlischen Seligkeiten und höllischen Qualen nicht mehr, so Hess man aus entferntem Gegenden Reliquien kommen, hielt Translationes und baute neue Kirchen, es war (Bess im neunten Jahrhundert ein förmlicher Geschäftszweig". In die Kategorie solcher Speculationen der Kirche gehörte auch die Einrichtung der sogenann»

SittL Oebreohen der KiroHe. Gotteiartheile. m

Welchen liarten Kampf der auch in diesen dunkeln Jahrhun- derten nieht unbezeugt bleibende sittliche Geist des Christenthuns zo bestehen hatte, zeigt sich tiberall,' wo er mit der rohen Sitte der Zeit zusammentraf und einen Versuch machte, sie seiner Isitt- liehen Macht zu unterwerfen. Aus dem uralten Heidenthum der germanischen Völker stammte die auch nach ihrer Bekehrung zum Christenthum beibehaltene Sitte der sogenannten Gottesurtheiie. Wie tiefgewurzelt waren sie noch immer auch in dem christlich- religiösen Bewusstsein jener Zeit, wenn nicht nur Bischöfe, wie der Erzbischof Hinkmar von Rheims, sie vertheidigten, sondern selbst sein Gegner Gottschalk den sehnlichen Wunsch hatte, die Wahrheit seines Glaubens an eine doppelte Prädestination in Gegen- wart des Königs, der Bischöfe, Priester, Mönche, des Volkes durch ein Gottesurtheil zu bekräftigen! 0 Oer rüstige Bestreiter des Aberglaubens der Zeit, der Erzbischof Agobard von Lyon, schrieb audi gegen die damnahUii opinio putantmm dwini judicii Verität fem igne vei aquii, vtl conflictu armomm patefieri; Kwl der Gr. und Ludwig der Fromme erliessen Verbote, auch Papste wie Nioo- iaus L Stephan V. erklärten sich gegen den unchristlichen, Gott yersuchenden Missbrauch, zunächst jedoch bestand alles, was die Kirche über die rohe Sitte vermochte, nur darin, dass sie sie selbst in ihre Obhut nahm 0* Ein anderes Beispiel dieser Art, aus wei-

ten Preoariae, die darin bestand, dass den Stiftenden der Qennss ihrer Scben- knng nnd wohl auch noch anderer Güter fQr ihre Lebenszeit angestanden wurde. Both a. a. 0. S. 256.

1) Er drückt seinen Wunsch in seiner in der Form eines Gebets ab- geüsssten Confession in folgenden, seinen Glauben an die Wahrheit der Got- tesgerichte sehr charakteristisch bezeichnenden Worten aus: Ut jtMrftior doUii uno post unium pantUf atque ferventi sigiUatim repleHs aqua, oleo pmgui et.piee et ad ulHmium aeeenso copionstimo igne Heeret mt'A«, invocaio ffhrioeisiimo nomine tuo ad approbandam hanc ßdem meamy immo ßdem eatho- lieamj in Hngula introire et ita per aingula iraneire, donec te praevement«f eomiiante ac eubsepiente dexteramque praebenU ac clementer educewte vaiUrem ioepee exire^ ^[uatenua in ecdena tua tandem aU^ando catholieae huic ßdei eUnitae elareeeerety et falsitas evaneaceret fidesque firmaretur et perfidia vitaretur.

2) Die Ordalien sollten nur unter specieller Mitwirkung des Klerus in Anwendung kommen. Erst spftter wirkte die Kirche ihnen positiver entgegen. Auf dem vierten lateranischen Concil verbot Innocens III. den Klerikern jede liturgische Mitwirkung bei der Feuer- und Wasserprobe, und Honorius

154 Ente Periode. Vierter Abtohnltt.

chem gleichfalls zu sehen ist, wie der sittliche EInflusi des Chri- stenthoms sich auf blosse Milderangen und einzelne derRöhheit der Zeit abgerungene Concessionen beschränken musste, ist der lo- genannte Gottesfriede , oder die ireuga Bei. Die Kirche war es, die in dem anarchischen Zustand, welcher im Laufe des zehnten nd eilften Jahrhunderts besonders im südlichen Frankreich herrsdite, und in Ermangelung einer allgemeinen weltlichen Regiennigsge- walt alle Verhältnisse des geselligen Lebens zerrüttete, zu diesen Rettungsmittel in der Zeit der Noth griff und es durch die lebhafte Vergegenwirtigung des Gegensatzes, in welchem das firiedloze vd iflndhafte, nicht einmal den Tag des Herrn feiernde Leben aif der Erde zu den Vorschriften Gottes stand , den verwilderten Ge- müthem so eindringlich zu machen wusste, dass sie im RewiMrt- sein ihrer Schuld das Gebot der heiligen Waffenruhe als eine ton Himmel herab durch göttliche Gnade eingegebene Verordnung be- trachteten. Es sollten wenigstens die durch den Erlöser Yorzogs- weise geheiligten Tage, auf welche die Kirche isin besonderes Recht geltend zu machen hatte, dem gewohnten weltlichen Treiben entnommen und als Tage eines Gottösfriedens heilig gehalten wer- den , unter dessen Schutze jeder frei von jeglicher Furcht leben könnte, die Tage von Mittwoch Abend bis Montag Morgen, der fünfte Tag der Woche zur Ehre der Himmelfahrt Christi, der sechste zum Gedachtniss seines Leidens, der siebente zur Erinnerung sei- ner Ruhe im Grabe und der folgende als der Tag der Auferstehung. Die diesen Gottesfrieden unverbrüchlich halten, sollten vor Gott und allen Heiligen jetzt und immerdar von ihrer Sündenschuld er- löst, wer ihn aber absichtlich breche, für alle Ewigkeit verflucht und verdammt sein ^). Auf dieselbe Weise, wie hier die Kirche

untersagte die Feuerprobe als ein Judicium secundum iegitimai ei eanumieat gemeUones penitus inierdictum , tUpote in quo I>eu8 terUari videtur, YgL Theol. Quartalschrift 1858. 8. 490 f.

1) Vgl. GiESEBRKCBT a. a. O. 2. S. 3Ö0 f. Kluckhohn, Gesohichte des Gh>ttesfHedens. Leipzig 1857. Nach den genaueren Untersuchungen Kluek- hohns sind die seit dem Ende des zehnten Jahrhunderts in Frankreich durch die Geistlichen bewirkten Friedensvereinigungen , auch die im Jahr 10B4 mit so grosser Begeisterung aufgenommene Vereinbarung, von der eigentli- chen Fax Dei oder Treuga Dei (treuga = Treue, Sicherheit, Bürgsohaft) wohl zu unterscheiden. Das Charakteristische der letztem ist die Festhal- inng der genannten vier Tage. Das älteste Denkmal des ursprünglich dem

Gottesfriede. Karl Martell. Sendgerichte. iM

erat von nnten herauf die socialen LebensTerhältnisse wieder neu begrfindeii maaste, waren die von Karl dem Grossen für den Zweck der Volksbildung und der öffentlichen kirchlichen Ordnung getroffe- nen Haassregehi und Einrichtungen zunächst nur auf das Noth- wendigste gerichtet, wodurch erst für die christliche Sittlichkeit Bahn gebrochen werden musste. Die von ihm im Jahr 789 einge- führten Senden, Sendgerichte, Synodalgerichte waren eigentlich nur eine Erweiterung und Verschärfung der seit alter Zeit gewöhn- lichen Kirchenvisitationen, bei welchen jetzt der jährlich die Paro- chieen seiner Diöcese bereisende Bischof hauptsächlich theils heid- nische Gebräuche wie Zauberei, theils grobe Verbrechen, wie Incest, Ehebruch, Mord u. A. zum Gegenstand seiner Nachforschung zu machen hatte. Einen gleichen, nur hohem und allgemeinern Zweck hatte das Institut der Missi, welche die höchste überwachende geistlichweltliche Aufsicht führen und, wie Karl der Grosse in dem Capitnlare der Merzsynode vom Jahr 802 im vollen Bewusstsein der ihm als Kaiser von Gott verliehenen Stellung erklärte, im Auf- trage des Kaisers ausgesendet werden sollten , damit jedem nach dem Willen Gottes Recht und Gerechtigkeit zu Theil werde und jeder in seinem Stande und in seiner Beschäftigung dem Rechte gemisa leben könne, die Kanoniker nach ihren Vorschriften, die Nonnen in aller Zucht nach ihrer Regel, die Laien ohne Trug in

Badliohen Frankrßiob angehörenden Gottesfriedens ist das von dem Ensbisobof Ton Arles, den Bischöfen von Avignon und Nizza und dem Abt Odilo von Clngny im Jabr 1041 im Namen des gesammten Klerus von Gallien an alle Greistlicben Italiens erlassene Schreiben (Kluckb. a. a. O. S. 39 f.). Im Laufe des zwölften Jahrhunderts traten an die Stelle des Gottesfriedens die durch geistliehe und weltliche Waffen auf die Einführung eines beständigen Friedens hinzielenden Friedensinstitute. Vgl. die theol. Quartalschrift 1858. S. 475 f. Die überhaupt hieher gehörende Abhandlung von Prof. Dr. Kobeb a. a. O. 8. 443 £ über den Einfluss der Kirche und ihrer Gesetzgebung auf Gesittung, Humanität und Givilisation im Mittelalter bringt hauptsächlich aus der hier vor uns Jiegenden Periode die Data fär den im Allgemeinen zwar sehr wohl- thätigen, aber noch ziemlich beschränkten Einfluss bei, welchen die Kirche in Hinsicht der Sklaverei, der Gewalt des Familienvaters über Frau und Kinder, der Armen und Verlassenen, namentlich der Wittwen und Waisen, femer der von der Blutrache Verfolgten, der barbarischen Sitte des Strand- rechts (das laganuro), des Fehde- und Faustrechts, der principiellen Umge- staltung des germanischen Strafirechts und der Verbesserung des bürgerli- chen Processverfahrens ausgeübt hat.

1A6 Ente Periode. Vierter AbiohBiti

Liebe and Frieden; sie solllen allem Unrecht steuern, den Kirchee, den Armen, Wittwen, Waisen, dem ganzen Volk nach Gottes Willen und in Gollesfnrchl Recht schaffen, und zwar ohne Schmeichelei, Gunst, Verwandtschaft, Furcht. Was sie nicht selbsl auaftthreB, sollten sie an den Kaiser bringen. Es sollte durch sie hauptsidi- lich eine allgemeine christlichsittliche Lebensordnung begründet werden, nach der Karl dem Grossen vorschwebenden Idee ams christlichen Staates, als dessen theokratischen Herrscher er sich selbst als Kaiser betrachtete 0- Wie wenig dieses Metl realiiirt wurde, zeigt die Geschichte der folgenden Zeiten und wenn mn bedenkt, wie despotisch Karl der Grosse auch in seinen Bemflhut- gen für die christliche Volkserziehung verfuhr, so erhält man aich durch die Lichtpunkte des karoiingischen Zeitalters keinen höhm Massstab für die sittlichen Zustande der Periode.

Der Rohheit der Zeit gegenüber konnte die sittliche WirkiaaH keit des Christenthums zunächst nur auf das Negative gerichtet sein, das Unsittliche zurückzudrängen und auszustosJBen. Fragt man aber nach dem Positiven der christlichen Sittlichkeit, was man für das Wesentliche des sittlich -w religiösen Lebens oder des praktischen Christenthums hielt, so begegnen uns auch hier Erschei- nungen , welchen nur die ausserlichsten Begriffe des Sittlichmi n Grunde liegen. Es wird nicht nur der sittliche Werth des Handelns nicht sowohl in die Gesinnung und die innern Motive, aus welchen es hervorgeht, als vielmehr nur in das äussere Thun als solches gesetzt, sondern es haben auch die Werke , in welchen das wahre Wesen der christlichen Religiosität bestehen soll, nicht einmal einen unmittelbar sittlichen Charakter. Denn wodurch kann man sich nach den herrschenden Begriffen der Zeit ein höheres sittliches Verdienst erwerben, als durch Gaben an Kirchen und Klöster, welche je grösser der materielle Werth der Schenkung ist, auch dem Schenkenden einen um so höhern sittlichen Werth verleihen, sofern er nach der Grösse seiner Gabe auch einen um so grossem Anspruch an die Segnungen der Kirche zu machen hatte. Nach demselben Maassstab sah man auch bei solchen Werken der christ- lichen Frömmigkeit, bei welchen die Selbstthätigkeit des sittlichen Subjekts wenigstens in höherem Grade betheiligt war, als bei blossen

1) Pebtz Mon. Leg. I. S. 90 f. Vgl. Rettbbrg Kirchengesoli. Deutsch- limds I. S. 432 £

Werke ohrittlicher Frömmigkeit 157

Schenkangen , nicht sowohl auf die sittliche Qualität als die mate- rielle Quantität der als verdienstliches Werk geltenden Leistung. Je schwieriger und mühevoller das war, was man that, je mehr es tls etwas Ausserordentliches, über das gewöhnliche Maass der nenschlichen Kräfte Hinausgehendes erschien, und je augenschein- Mer man darin nur ein zur Ehre Gottes und Christi, der Jungfrau Maria und der Heiligen, oder ein im Interesse der Kirche geschehe- nes Werk sehen konnte, um so geeigneler war es zur Abbüssung Ton Sfinden oder zur Erwerbung eines positiven Verdienstes. Bierin lag die Ursache , dass neben den so hochgeachteten Uinera ad Omina beatorum Äposiolorum und den Pilgerreisen nach andern heiligen Orten des Abendlandes , zu welchen seit dem Anfang des aeonten Jahrhunderts, nach der Entdeckung der Gebeine des Apo- stels Jakobus des altem, auch das spanische Compostella gehörte, gegen das Ende der Periode Wallfahrten nach Palästina immer gewöhnlicher wurden 0* Bemerkenswerth ist in dieser Hinsicht besonders die grosse Bewegung um das Jahr 1033. Damals begann, wie ein Augenzeuge berichtet 0) eine so unzählige Menschenmenge aus diBr ganzen Welt zum Grab des Erlösers nach Jerusalem zusam- menxoströmen, wie sie kein Mensch zuvor erwarten konnte, zuerst gemeines Volk, dann Leute vom Mittelstand, hierauf Vornehme und Mächtige, Könige und Grafen, zuletzt auch viele edle Frauen; die meisten haben den Wunsch gehabt^ zu sterben, ehe sie in die Hei- math znrfickkehren. Ohne Zweifel hing diese so lebhafte Sehnsucht nach dem heiligen Lande mit dem schon durch das ganze zehnte Jahrhundert hindurchgehenden , damals nicht bloss allgemein ver- breiteten, sondern auch bis zu seiner höchsten Spitze gesteigerten Glauben an den bevorstehenden Untergang der Welt zusammen. Am Schlüsse des ersten christlichen Jahrtausends sollte er erfolgen; man war nur darüber ungewiss, von welchem Zeitpunkt an die

1) Auf welche Weise solche Wallfahrten dem religiösen Bedürfiuss der Zeit zur Befriedigung dienen sollten , kann man aus Beispielen sehen, wie dem dea Grafen Fnlco Yon Anjon (zu Ende des lOten nnd zn Anfang des 11. Jahihonderts), welcher zn Jerusalem, wohin er zweimal pilgerte, sich Nachts snm heiligen Grah schleppen und öffentlich geissein liess nnd vom Steine dea heiligen Grabs, indem er ihn küsste, ein grosses Stück als Reli- quie heraosbias. Vergl. Sndendori; Bereng. Tnron. S. 70.

2) Der Benedictinermönoh Glaher Badolf Eist. 4, 6.

158 Ente Parlod«. Vierter Abiohnitt

Jahre desselben sn zählen seien, ob von' der Gebart oder doiTode des Erlösers. Nachdem das Jahr 1000 ohne die geffirchtete Kata- strophe vorübergegangen war, glaubte man sie am so gewisser 33 Jahre nachher erwarten und sich darum jetzt am so ernstlicher sa demjenigen anschicken zu müssen, was dem glaabigen GeaAth allein den sichersten Trost in der letzten irdischen Noth gewihren zu können schien. Man unternahm daher nicht nur dorch die Pil- gerreise nach Jerusalem das verdienstlichste Werk, sondern lUleh- tete sich auch wie aus den Trümmern einer in sich zasammeostfir- zenden Welt auf den Boden des heiligen Landes, am hier dar Za- kanft des wiedererscheinenden Erlösers entgegenzusehen. Ist Jenw Glaube an sich höchst charakteristisch für eine Zeit, die in ihm nr bezeugte , wie leer und hallungslos sie sich in sich selbst fUdte, wie sehr sie ihrer eigenen Innern Nichtigkeit sich bewuast war, so sind auch die Aeusserungen deä religiösen Lebens, in welchen sich ihr durch eine solche Angst tiefer erwecktes sittliches Bewoaalr sein kund gibt, nicht minder bezeichnend. Das Höchste, wodwoll sich ihre sittliche Kraft beurkundet, and worauf sie ihr höekslaa Heils vertrauen stellt, sind Handlungen, dorch welche sie mit im Gegenstanden des Heils in eine so viel möglich nahe und anmittil- bare Berührung zu kommen sucht, und wenn jene Zeit, hi welcher, man mit dem Ende des Jahrtausends auch das Ende der Welt er^ wartete, auch dadurch merkwürdig ist, dass sie dem mittelalter- lichen Kirchenbau einen neuen Aufschwung gab und in den damals erbauten Munstern so vieler Städte das grossartigste Zeogniss ihrer kirchlichen Religiosität zurückliess % so ist auch daraus zu sehen, welcher Art Werke es waren, durch welche man aos der vergäng- lichen Gegenwart der Erde am sichersten in den Himmel der Ewig- keit hineinbauen zu können glaubte.

Tiefer sehen wir jedoch erst in das sittliche Bewusstsein jener Zeit hinein, wenn wir sie fragen, welche Begriffe sie von der Busse hatte. Zur Abbüssung und Vergebung der Sünden sollten vor allem die guten Werke dienen. Man machte Schenkungen an Kirchen und Klöster , wie man sich auszudrücken pflegte , pro re- media animae und wollte durch sie peccaia ma reditnere. Almosen sollten die Sünden löschen , gerade so wie Feuer durch Wasser

1) Aach diess meldet Glaber Badalf HUt. 8, 4. Vgl. GissEuuiy K.G. S, S. 268.

Baste. Bnsitheorie des Petms DftmianL .159

gelöscht wird. Es gab aber auch Werke, in welchen der Zweck und das Charakteristische der Busse sich noch unmittelbarer und anschaulicher vor Augen stellte. In die Kategorie solcher Werke gehörte ganz besonders die von Petrus Damiani gepriesene Und durch ihn hauptsachlich in allgemeinere Uebung gekommene Geis-^ selbusse 0* Nach den materiellen sittlichen Begriffen jener Zeit sollte man hierin, in einer Periode, in weldier die kaum überstan- dene Angst vor der grossen Weltkatastrophe dem sittlich-religiösen Bewasstsein einen so mächtigen Antrieb gegeben hatte , in sich sa gehen und seine Rechnung mit dem Himmel abzuschliessen, nur die Erweckung zu einem neuen ernstern Busseifer sehen. Bei aller Strenge aber, mit welcher so Manche die Geisseibusse an sich voU-^ ziehen mochten, sehen wir selbst in der Busstheorie des Petrus Damiani eine Ansicht von der Busse im Hintergrund lauem, welche das ganze Busswesen in eine blosse Illusion zu verwandeln suchte. Man wollte zwar allen Ernst der Busse zeigen , aber dabei doch dem Fleische nicht gar zu wehe thun. Wenn nach des Petrus Da- ■iani Theorie dreitausend Ruthenstreiche, die man sich bei dem Absfaqpen von Psalmen gab, so viel sind als die Busse eines ganzen Jahn, so wurde dabei nicht nur vorausgesetzt , dass das Eine an die Stelle des Andern treten könne, sondern es sollte auch bei aller iatensiven Schärfe der Busse das Surrogat doch zugleich eine Mil- demng sein. Wer mit dreitausend Streichen die Busse eines gan* sen Jahrs abmachen kann , glaubt leichter hinwegzukommen , als wena er ein ganzes Jahr auf seine Busse verwenden muss. Durch diese Substituirungstheorie erhielt die ganze Bussdisciplin einen andern Charakter. Es galt jetzt als Grundsatz, dass eine bestimmte Art der Busse mit einer andern vertauscht werden könne. Sollte aber ein solches Aequivalent zur Anwendung kommeni so musste man zuvor wissen , wie hoch überhaupt ein bestimmtea Yergehen zu berechnen war; für alle Vergehungen, für welche die Kirche eine Basse auferlegt, musste ein bestimmtes Straf maass, eine be-« stimmte Quantität der Busse festgesetzt sein. Dafür war schon durch die Ubri poenitenfiales Vorsorge getroffen worden, die Buss- ordnungen, Beichtbücher, wie sie zuerst hauptsächlich in der an-

1) Vergl. VooEL, Peter Damiani. Jena 1856. S. 12.

180 Erste Pariode. Vierter Abiehnitti

gelsdchrischen Kirche Terfasst wurden 0* Die Terschiedenen Ar- ten der Vergehungen waren nach bestimmten Kategorieen , unter welche die einzelnen Falle subanmirt werdm konnten, clasiiflcirt nnd für jedes Vergehen war eine bestimmte Bosse festgesetit Dt diese regelmassig im Fasten bestand , so lag hierin ohne Zweifel der Haoptanlass zu der bei der Busse stattfindenden Yerindernng, dass, wenn die Fastenbnsse, wie namentlich im Fall einer Krank- heit, nicht ausgeführt werden konnte, oder die für mehrere schwere Vergehen auferlegte Fastenzeit die muthmassliche Lebemdaner überschritt, dieselbe in eine andere verwandelt wurde, und iwar am liebsten in eine solche, bei welcher die Kirche einen materieUea Vortheil hatte. Die Verwandtschaft dieser neuen Einrichtung mit der altgermanischen Sitte der Bezahlung von Wehr- und Sühngel- dern trug gleichfalls dazu bei, dass sie um so leichter in allge- meineren Gebrauch kam. War es zuerst nur der Bischof oder Pres- byter, welcher in einem bestimmten Fall eine solche Bussverwand- lung anordnete, so überliess man es in der Folge dem Büssenden selbst, nach Haassgabe der für diesen Zweck gegebenen Anwei- sungen, für einen Faslenlermin eine andere Art der Busse zu wüh- len 0- Die Vergleichung der spätem Bussordnungen mit den frü- heren zeigt, wie nicht nur der Gebrauch dieser sogenannten Re- demtionen immer weiter ausgedehnt wurde, sondern bald auch der weitere Schritt geschah, dass nicht mehr eigene Busswerke, son- dern gewisse Leistungen Dritter als Aequivalent der Busse betrachtet wurden , um dem Reichen die Busse mit Hülfe seines Reichthnms zu erleichtern, indem man es ganz der Natur der Sache gemäss fand, dass der Reiche auch diesen Vorzug vor dem Armen habe *). Diese Hbri poeiüientiales hatten zwar noch im neunten Jahrhundert Manche gegen sich, und es war nicht blos die Verschiedenheit der neben einander bestehenden Bussordnungen, was die Handhabung der Bussdisdplin erschwerte imd verwirrte, sondern es erklärten sich auch mehrere Synoden gegen eine Neuerung, durch welche die zur Busse verordnete Satisfaction willkürlich verändert, der

1) Vgl. WA88BR8CHLEBEM, die BuDSordnuDgen der abendländischen Kizehe. Halle 1851.

2) A. a. O. S. 29.

8) A. a. O. S. 50. Die Bassordnung König Edgar*8 unter der Auf- aohrift: De magnatnm poenitentia.

ümwandlnng der Bnssdisoiplin. Geldbnste. 161

Ernst der Basse entikrflftet and die Sande and ihre Vergebung gar za leicht genommen werde 0- Gleichwohl empfahlen sich diese Bücher für den praktischen Gebrauch zu sehr, als dass es nichl bei der durch sie eingeführten Veränderung des Busswesens geblieben wäre *).

Es sind demnach überhaupt zwei Momente zu unterscheiden, durch welche die bisherige Bussdisciplin wesentlich Tcrändert wurde: einmal, dass überhaupt eine Vertauschung der einen Art der Busse mit einer andern stattfand und sodann, dass die Busse auch in eine Geldbusse verwandelt werden konnte. Es fehlte nur noch , dass die Kirche dieses neue Busssystem für ihr materielles Interesse recht gewinnreich zu machen wusste. Wie gut sie diess verstand , beweist die zahllose Menge von Schenkungen an Kirchen und Klöster. Es kam nur darauf an, dass man reich genug war, und noch zur rechten Stunde daran dachte^ von seinem Reichthum einen so segensreichen Gebrauch zu machen. Selbst Petrus Damiani, so sehr er sonst für die Strenge der Busse eiferte, sprach es mit Uaren Worten aus , dass man um Geld und Gut alles , was man zu seiner Seligkeit nöthig habe, von der Kirche bekommen könne. Wir empfangen, sagt er in einem seiner Briefe, von den Büssenden Ländereien und lassen ihnen nach dem Maasso ihres Geschenks von der Quantität der Busse nach, wie geschrieben steht: dwitiae ho- mmiM redemtio ejus CProverb. 13, 8> So bezeugte es also die Schrift selbst, dass das Geld der Preis sei, durch welchen man sich von seinen Sünden loskaufen konnte; nach dem Maasse des Vermö- gens richtete sich die Erlassung der Sünden, wenn z. B. der Reiche sieben Fastenwochen mit zwanzig solidi abzukaufen hatte, so nahm man auf den minder Vermöglichen die billige Rücksicht, dass man auch mit zehen zufrieden war. Um diese neue Einrichtung der Kirche noch einträglicher und dem sündigen Menschen noch trost- reicher zu machen y kam man jetzt auch auf die Idee, Busszeiten,

1) Vgl. GiESELEB a. a. O. 2, 1. S. 167. Am nachdrücklichsten sprach sich hierüber die Synode zu Chalons im Jahr 813 aus, welche repudiaHa ac pe- nitus eliminatis libelliSj quos poenitentiales vocanty durch die dem Sünder nur ein Ruhepolstcr bereitet werde (nach Ezech. 13, 18.) , das Maass der Bnsse nach der Institution der alten Kanones , oder nach der Auctorität der h. Schrift, oder nach der kirchlichen Gewohnheit bestimmt wissen wollte.

2) A. a. O. 8. 77 t 83.

Baar, K.a. d. Mittelalters. 11

Iffii ' E»t« Poriodai Vierter Abiolmitt.

die noch Aber die gewdnliche Dauer des menschlicheii Lebens hin- aosgiengen, von hundert und mehr Jahren anzuseilen: durch Geld konnte ja auch die längste Busszeit mit Einem Male abgelhan werden, es war nur eine neue Form , um eine um so grössere Summe ver- langen zu können. Man legte daher, wie gleichfalls aus einen Briefe des Petrus Damiani zu sehen ist , bei der Ansetznng einer solchen Busse sogleich eine Berechnung ihres Geldbetrags bei Endlich schritt man auch noch dazu, dass man nicht blos auf die Bitte der Bussbedürftigen die Pönitenz in eine Geldbnsse verwan^ delte , sondern ganz allgemein einen Ablass für eine gewisse Zeit promulgirte. Eines der ersten bekannten Beispiele dieser Art ist die Ablasspromulgation des Erzbischofs Pontius von Arles im Jahr 1016. Schon ertheilten auch die Papste, nicht blos Benedict IX., auch Ale- xander U., aus besondem Veranlassungen, wie bei der Einweihung einer neuen Kirche, eine solche induigentia poeniteniiae,

Hiemit hat demnach jener Ablass- und Sündenhandel seinen Anfang genommen, welcher mit Recht als ein so grosser Grind der christlichen Kirche betrachtet wird. Und doch muss man erst fragen, worin das eigentlich Anstössige dabei besteht Dass Sün- den erlassen werden , unter den für ihre Vergebung bestimmten Bedingungen ist der Lehre des Evangeliums gemäss, und wer an- ders als die Kirche kann über die Bedingungen urtheilen, unter welchen in den einzelnen Fällen die Vergebung der Sünden ertheilt werden soll. Auch das ist an sich nicht unevangelisch, dass die Ertheilung der Sündenvergebung an eine äussere Leistung ge* knüpft wird , wofern nur in dem Aeussem das Innere sich bethi- tigt, das als die wesentliche Bedingung der Sündenvergebung vor- ausgesetzt werden muss. Die Hauptfrage ist aber, wie sich dieses Aeussere zu der sittlichen Gesinnung des Menschen verhälL Die ganze Disciplin erhält einen um so äusserlicheren und zufälligeren Charakter, je weniger der Mensch bei demjenigen, das zur Be- dingung der Sündenvergebung gemacht wird, als sittliches Subject betheiligt ist. Als solches kann er aber nur dann betrachtet wer- den, wenn alles, was ihm seinen sittlichen Werth geben soll, durch seine eigene Selbstthätigkeit bedingt ist. Je passiver er sich ver- hält, oder je zufälliger die Beziehung ist, in welcher das seine Sün- denvergebung Bedingende zu ihm selbst steht, um so weniger kann einem solchen Busssystem irgend ein sittlicher Werth zugeschrie-

Die Geldbatse a. der Ablass. Bittl. Beartheilnng. 163

m werden. Das Aeusserlichste and ZufSlligste , das der Mensch iben kann, ist das Geld. Wenn daher alle jene Veränderungen in Qsehung der Busse zuletzt nur darauf hinauskamen , dass man bei )m Geld, als dem einfachsten Mittel, stehen blieb, durch das man m seinen Sünden sich loskaufen konnte, so war diess nichts Ande- !8, als die offene Erklärung, dass das Yerhfiltniss des Menschen zu M überhaupt nicht aus dem sittlichen Gesichtspunkt zu betrachten i, das Christenthum somit auch nicht den Charakter einer sitt- ihen Religion an sich trage. Was kann daher in grösserem Wi- irstreit mit dem sittlichen Charakter des Christenthums stehen, als ne Busstheorie , die den Ernst seiner sittlichen Forderungen se- hr herabstimmt, dass sie dem Menschen nichts leichter macht, als 9 Reinigung seines Gewissens von der Schuld der Sünde? Bedenkt in ferner, welche grosse materiellen Vortheile die Kirche von dieser luen Theorie hatte , und wie natürlich die Annahme ist, dass sie

Auren sittlichen Forderungen um so laxer war, je mehr sie da- inrdi Gelegenheit erhielt, sich selbst zu bereichern, so wird auch idurch das allgemeine Urtheii über den sittlichen Charakter der sriode noch weit tiefer herabgedrückt. Worin hat aber alles diess, enn wir es rückwärts verfolgen, seine letzte Wurzel? Der Ab- is in seiner schlimmsten Form war schon darin enthalten, dass die rche die Bussdisciplin in ihre Hand nahm, und für die Sünden, B ihr gebeichtet wurden, bestimmte Busswerke auferlegte. Wer ndet, kann auch lösen, und man bindet so oft nur dazu, um das 3lrandene wenigstens zum Theil auch wieder lösen zu können. IS ganze Verhältniss von Schuld und Strafe wurde dadurch, dass I die Kirche bestimmte, ein völlig willkürliches. Man kann sich iher nicht wundern, dass die Willkür, die von Anfang darin lag,

der Folge immer mehr hervortrat, und ein Verhältniss, das an ch kein sittlich bedingtes war, sondern nur auf der Herrschaft smhte, die der Klerus über die Laien ansprach, zuletzt in seiner inzen Aeusserlichkeit sich darstellte. Subjecte, welche so be- dnnandet und geleitet werden, wie diess in Betreff der Laien die raxis der katholischen Kirche seit ihrer hierarchischen Gestaltung ar, sind keine sittlichen Subjecte, sondern sie haben in letzter Be- ehung nur einen numerischen Werth, d. h. sie gelten nur so viel, s sie für die Sünden bezahlen, wegen welcher sie mit der Kirche !)zurecfanen haben, und die Kirche selbst liann die in's Unendliche

164 Erste Periode. Vierter Abiofanitt

wachsende Sündenschuld der Menschheit so wenig bedauern , dass sie vielmehr nichts für werthvoller und segensreicher halten muss, als eben diess, dass es Sünden gibt, die nicht erlassen werden, ohne dass auch etwas dafür bezahlt wird. In welchem Missver- hdltniss steht eine Kirche, die von der Sünde eine solche Ansiclit haben muss, zum evangelischen Sündenbewusstsein ! Soll diese vöUige Yerkehrung aller sittlichen Begriffe principiell abgeschnitten werden, so kann diess nur dadurch geschehen, dass man es in der ganzen Auffassung des Christenthums nicht vergisst, dass der Mensch nicht blos ein sündiges, sondern auch ein sittliches Wesen ist, d. h. ein solches, dessen Sünden weder gebunden noch gelöst werden können, ohne dass es sich zu dem Einen wie zu dem An- dern als selbstthatiges, durch die Idee des Sittlichen sich bestim- mendes Subject verhält.

In der Reihe der Erscheinungen , in welchen sich vorzugs- weise der sittliche Charakter der Periode zu erkennen gibt, findet auch hoch das Mönchsleben seine Stelle.

In einer Periode , die sich über einen so langen Zeitraum und über Lander erstreckt, in welchen die christliche Kirche theils erst in ihrer weitern Verbreitung begriffen, theils sehr verschiedenar- tigen Veränderungen unterworfen war, bietet auch die Geschichte des Mönchslebens ein Gemälde dar, in welchem Licht und Schatten auf sehr verschiedene Weise vertheilt sind. Während die Mönche des Orients schon ganz den starren Typus der byzantinischen Kirche an sich tragen und nur da die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wo sie im Streite der Meinungen und Parteien ein orthodoxes und populäres Interesse mit fanatischem Eifer verfechten, bietet das Mönchsleben des Abendlands, wo derBenedictinerorden alle christ- lichen Länder mit einer immer grösseren Zahl nach derselben Re- gel eingerichteter Klöster übersäte und der Stifter des Ordens in dem gleichnamigen Abt von Aniane, dem Vertrauten Ludwigs des Frommen einen würdigen Nacheiferer seines Ruhms erhielt, eine in vielfacher Beziehung ansprechende und achtungswerthe Erschei- nung. Es ist noch die Zeit, in welcher die Klöster an so manchen Orten erst mit Mühe und Anstrengung sich emporarbeiten müssen, und die Mönche selbst noch den Drang in sich haben, durch ihre Dienste der Kirche sich nützlich zu machen. Von den Klöstern gehen die Boten des Glaubens aus, sie sind die Colonien, in wel-

Mönehsleben. Benedictiner« Kloster Olagny. 165

eben das Cbristentham in einem neueroberten Gebiet fieh festsetzt, die Pflanzstätten, von welchen aus eine nene, öfters auch erst mit dem Anbau des Landes beginnende Cultur sich verbreitet, die Sitze der wissenschaftlichen Stadien, soweit sie auch jetzt noch eine Pflege finden, die bergenden Orte, in welche so viele sich zurück- gehen, um sich aus der rauhen Umgebung der Gegenwart in die Stille eines friedlichen, den Uebungen der Frömmigkeit gewidmeten Lebens zu flächten. Die Klöster bilden so unter verschiedenen Ge- sichtspunkten einen mehr oder minder in die Augen fallenden Con- trast mit der sie umgebenden Welt; oft genug hatten sie aber auch mit den Uebeln und Gebrechen der Zeit einen Kampf zu bestehen, welchem sie nicht gewachsen waren. Bald waren es die Bischöfe, die ihr Aufsichtsrecht zu dem lästigsten Druck missbrauchten, bald streckten die Laien ihre gierigen Hände nach ihnen aus, indem sie entweder sich selbst in den Besitz von Klöstern setzten, oder sich von den Königen Klöster schenken Hessen, um als Laienäbte über ne verfugen zu können, wie diess besonders in den Unruhen und yerwirrungen des fränkischen Bürgerkriegs sehr häufig geschah. Durch das weltliche Regiment solcher Laienäbte kamen die Klöster so herab, dass die Klage nicht blos über die Auflösung der Kloster- zncht, sondern auch den völligen Verfall der Klöster überhaupt eine sehr laute und allgemeine wurde. Durch das ganze zehnte Jahrhundert hindurch lag das Mönchswesen im Allgemeinen sehr darnieder; wie wenn es aber selbst hätte zeigen wollen, dass wenff irgendwo noch eine sittliche Kraft vorhanden ist, durch welche die Kurche zu einer neuen Energie ihres Selbstbewusstseins sich er- beben kann, eine solche nur im Kreise des Mönchslebens zu finden ist, wurde gerade der tiefste Verfall der Klöster der Anfang einer der wichtigsten Reformen des Mönchslebens. Die Stiftung des Klo- sters Clugny im Jahr 910 war ein für die Kirche überhaupt Epoche machendes Ereigniss. Auf den Rath des Abts Berno, welcher schon in zwei andern burgundischen Klöstern die Regel Benedicts in ihrer alten Strenge hergestellt hatte, stiftete es der Herzog Wilhelm von Aquitanien, wie er in der Stiftungsurkunde sagte, zum ewigen Heil seiner eigenen Seele, seiner Gattin, seiner Verwandten, seines Königs, sowie auch zum Heil aller schon gestorbenen, jetzt leben- ben und künftigen Christen, zur Erhaltung des katholischen Glau- bens, für Mönche, welche arm die Welt verlassen, nichts mit sich

166 Ente Periode. Vierter Abieliiiitt

bringen als guten Willen and entschlogfen seien, nach der Regel des heiligen Benedictus zu leben. Es soOte, was gleichfalls em be- merkenswerther Zog des Charakters dieser neuen Stiftung ist, in völliger Unabhängigkeit von jeder andern Gewdt allein unter der römischen ' Kirche stehen. Der hier zuerst neu erwachte und in emer Reihe gleichgesinnter Aebte kräftig erstarkte Mönchsgeist, welcher von Clugny aus in weiten Kreisen sich verbreitete und die nach dem Vorbild des Stammklosters reformirten Klöster zuerst zu einer grossen Mönchscongregation vereinigte, gab nicht nur dem Mönchsleben einen ebenso nachhaltigen als durchgreifenden Auf- schwung, sondern er wurde auch die Ursache, dass derselbe ernste und strenge Reformationseifer der Kirche überhaupt sich mitüieilte. In dem Kloster Clugny war der Heerd, an welchem die neuauflo- demde Flamme der hierarchischen Macht und des kirchlichen Le- bens sich zuerst entzündete; auch Hildebrand hatte vor der grossen Epoche seiner römischen Laufbahn daselbst verweilt; überall , wo es die grosse Sache der Kirche gilt, sind es die Aebte und Mönche von Clugny, die in der ersten Reihe stehen. Mit demselben ernsten Sinne der Mönchsascese traten den Cluniacensern die von Romaald im Jahr 1018 gestifteten Camaldulenser zur Seite. Auch sie bezeu- gen es, dass was jene Zeit sittlich Kräftigendes und Refonnatori- sches in sich hatte, ihr vor allem in der Form des Mönchslebens zur Anschauung kommen und durch die Strenge der Mönchsascese und der klösterlichen Discipiin in seiner Energie sich bethätigen musste, um die Kirche mit einem neuen Geiste zu beseelen. Einen bedeu- tungsvollen Blick lässt uns in die religiöse Weltanschauung der Cluniacenser das in Clugny zuerst eingeführte und von da aus in der ganzen Kirche angenommene Fest aller Seelen werfen. Wie schon der Herzog Wilhehn sein Kloster sowohl für die Gestorbenen als für die Lebenden gestiftet wissen wollte , so gieng auch dieses Fest aus der Sympathie der Cluniacenser für die Seelen der Sünder hervor , die in dem Feuer der Hölle von einem Heer von Dämonen Tag für Tag bis zu der bestimmten Zeit mit unerträglichen Schmer- zen gequält werden. Sie selbst, diese Seelen, Hessen, wie die Sage von dem Ursprung dieses Festes erzählt % mit ihrem Schmer- zenslaut die Kunde auf die Erde gelangen, dass zur Befreiung aus

1) Vgl. GiESELBR K.a. 2, 1. S. 319 f.

Claniaoensen Camaldalenser. Fest aller Seelen. 167

ihrer Qnal nichts wirksamer sein würde, als die Gebete und Al- mosen der Mönche in Clogny nnd ihres Abts. Darum wurde nun in Clugny beschlossen, unmittelbar nach dem Aiierheiiigenfest ein Fest für die Ruhe aller glaubigen Seelen zu feiern mit Messen nnd reichlichen Almosen für die Armen, zum Verdruss für den einen Stelen Verlust erleidenden Widersacher und zur Freude für den auf die Barmherzigkeit Gottes hoffenden armen Christen. So steh^ die heiligen gottgeweihten Mönche , wenn sie ihres göttlichen Be- rufs so treu warten , wie die frommen Brüder in Clugny, und das- selbe Mitgefühl für alle Glaubigen in sich tragen, als die Vermittler zwischen der jetzigen und der künftigen Welt, in stetem Kampf mit dem Teufel , um sein Reich fort und fort zu mindern , und die aus den Qualen des höllischen Feuers erlösten Seelen dem Himmel zu- zuführen 0-

Für den allgemeinen Rückblick drangt sich an den Cluniacen- lem noch besonders die Bemerkung auf, in welchem engen Bunde überhaupt hierarchische und mönchisch-ascetische Ideen und Ten- deuen durch die ganze Periode hindurch Hand in Hand gehen. Das Hierarchische stützte sich auf das Mönchisch- Ascetische , und dieses selbst hatte seine tiefste Wurzel in dem religiösen Leben des Volks. Je verworrener und trauriger, wie so oft im Laufe der Periode, die Zeiten waren, um so ernster sprach die äussere Noth auch zu dem Herzen des Volks, das, je weniger die gewöhnlichen Mittel zureichend zu sein scheinen, die Hülfe des Himmels zu er- langen, sich um so weniger durch diejenigen befriedigt sah, an die es zoiiächst für sein religiöses Bedürfniss gewiesen war. In Zei- ten, in welchen man den äussern Druck des Lebens und den Un- bestand aller irdischen Güter so schwer empfand, schienen nur die Recht zu haben, die Weltverachtung und Kreuzigung des Fleisches in sich selbst als den Weg darstellten , auf weichem man von der Erde zum Himmel gelange. Am liebsten wandte sich daher das Vertrauen des Volks frommen heiligen Mönchen zu, deren Einfluss, besonders wenn hervorragende Bischöfe derselben Richtung sich

1) Für so allyermögend hielt man die Gebete Clugny *s, dass die Kai- serin Agnes nach dem Tode Heinrichs III. in ihrem Briefe an den Abt die frommen Mönche bat, da sie ihren Herrn nnd Gemahl nicht haben im Fleische erhalten wollen, mögen sie wenigstens den Todten mit ihren Brfidem der Gnade Grottes empfehlen. Giesebb. a. a. O. 2. S. 497. 620.

168 Ente Periode. Vierter Abiobnitt

anschlössen, nichl selten in weiten Kreisen dem religfiösen nad kirchlichen Leben einen sehr mächtigen AuEschwung gab. So war es wenigstens in Deutschland, wo die hohe Bedenlang, die zor Zeit Otto*s I. dessen Bruder der Erzbischof Bruno von Cdh gewan§, hauptsachlich auch auf dem ascetischen Geiste beruhte , der in ihm selbst durch Mönche angeregt worden war. Brittische und irische ^önche waren es, die auch damals, wie einst in den Tagen ema Fridolin, Columban und Gallus, einen tiefgehenden Einflusa auf das religiöse Leben der deutschen Stamme ausübten 0- Der Haupt- punkt aber, von welchem die mächtigsten Wirkungen des die Zeil beherrschenden Mönchsgeistes ausgiengen, blieb immer das Kloster Clugny. Es ist in der That bemerkenswerth, in welchen ausge- breiteten Verbindungen die Aebte und Mönche von Clugny mit den hervorragendsten Personen'ihrer Zeit standen 0, und mit welchem Erfolg es ihrem Ansehen und Einüuss gelang, der streng kirchli- chen Richtung den Sieg über entgegengesetzte Interessen und weltliches Thun und Treiben zu verschaffen '). Ueberall, wo es

1) Vgl. GiESEBBECHT a. a. O. 1. S. 325 f.

2) Wie namontlioh mit der Kaisorin Adelheid, dem burgundischen und sächsischen Königshanse; seihst weltlich gesinnte Herrscher, wie Alberich in Rom, König Hngo von Italien folgten dem Rathe von Clngny. YgL GiESEBB. a. a. O. 1. 8. 366. 372. 668. 674.

8) Die Gongregation von Clugny, sagt Giesebbecht a. a. O. S. 676 t, gewann für jene Zeit und die nächstfolgenden Jahrhunderte etwa dieselbe Bedeutung, wie sie in der neueren Zeit die Gesellschaft Jesu erhielt, mit der sie in ihren Grundsätzen und in ihrer Verfassung die mannigfaltigsten Vergleichungspunkte darbietet. Ueberhaupt enthält das Werk Giesebrechts eise Reihe der wichtigsten Belege für den ausgedehnten und tiefeingreifenden Ein- fluss, welchen die Gongregation der Gluniacenser auf die ganze abendUn- dische Kirche jener Zeit ausübte. Kaiserthum, Papstthum und Glugny waren die drei grossen geistigen Faotoron des Jahrhunderts,7dessen Signatur die Re- formation der Kirche war, a. a. O. 2. S. 190. Mit zäher Conseqnenz hielten schon die schwachen Päpste unmittelbar vor Benedict VIII., am meisten aber dieser reformeifrige Papst an der Verbindung mit Glugny fest, a. a. 0. S. 166. Das Ideal Glugny^s war die Herrschaft des Stuhls Petri über alle Gewalten der Welt, S. 363. 462. Insbesondere war es der grosse Abt Odilo, welcher in der langen Dauer seiner einflussreichen Wirksamkeit von 994 1048 zu den vier deutschen Kaisem, die er in dieser Zeit erlebte, su Otto III., Heinrich IL, Konrad IL und Heinrich lU., in den vielfachsten Beziehungen stand. Auf ihn folgte der Abt Hugo, welchen Heinrich HI. ersah, seinen erstgeborenen Sohn, den Kaiser der Zukunft, aus der Taitfe

Aflieetisoh-hieraröh* Bioht der Congregation t. Clagny. 109

galt, das auf pseadoisidorischen Grundsätzen beruhende Kirchen- recht zu verfechten, fand es bei Claniacensern und den mit Ciugny in Verbindung stehenden Mönchen, zu welchen auch jener Abt Abbo des Klosters Fieury auf der Rheimser Synode im Jahr 991 gehörte, eine Hauptstütze, und alle von der notorischen Schlech- tigkeit so vieler Papste hergenommenen Vorwürfe waren nicht im Stande, sie in dem unbedingten Glauben an die Heiligkeit des päpst- lichen Stuhls irre zu machen. Die Erhebung eines von dem Be- wusstsein seiner geistlichen Macht so tief durchdrungenen Papstes,, wie Gregor V. war, war ganz im Geiste der eng mit ihm verbun- denen Cluniacenser. In Italien hatte nicht nur der strenge Romuald einen gleichgeachtoten Geistesgenossen in dem heiligen Nilus, der als griechischer Mönch ein ascetisch - mystisches Einsiedlerleben führte, sondern es gieng aus demselben Kreise auch der heilige Adalbert hervor, welcher, ein geborner Böhme , aber weit mehr dem römischen Bonifaciuskloster auf dem Aventin als seinem Bis- ttnun Prag zugethan, nachdem er als Heidenbote unter den Preussoi zBm Märtyrer geworden war , durch das hochgefeierte Andenken seines Namens den Eindruck, welchen schon Romuald und Nilus auf das ascetisch erregbare Gemüth des jungen Kaisers Otto HL gemacht hatten , so mächtig verstärkte , dass das Kaiserthum selbst nur dazu bestimmt zu sein schien, den hierarchischen Bestrebungen, welche Gerbert als Papst Silvester IL auf diese ascetische Grund- lage baute, zum willigen Werkzeug zu dienen 0* Kann es einen augenscheinlichem Beweis des übergreifenden Einflusses geben, welchen die ascetisch-hierarchischen Ideen auf die damalige Welt gewannen, als das Beispiel eines Herrschers^ welcher, wie Otto IH., Kaiser und Mönch in Einer Person war, welcher, um nur das An- denken des heiligen Adalbert zu ehren ^ und über den Gebeinen des Märtyrers eine polnische Metropole zu errichten, in der Gestalt eines Büssenden zu dem Grabe desselben nach Gnesen pilgerte und.

zn heben. A. a. O. S. 357 f. Vgl. Gfböbeb, Greg. VU. Bd. 1. 8. 663. Bd. 2. 8. 431.

1) Man vgl. über ihn Giesebb. a. a. O. 1. 8. 712: „Augenscheinlich wandelte Papst Silvester II. jetzt anf ganz andern Wegen als die waren, die Gerbert einst zu Rheims eingeschlagen hatte. Es war gewiss keine leere Form, wenn er den Cluniacensern schrieb, solange er in der Macht stände, solle ihre Congregation keinen Abbruch irgend einer Art erleiden.'*

170 Erste Periode. Vierter Abichaitt

wie schon zuvor 8o seftdem nur um so mehr, in der vertrautesten Gemeinschaft mit italischen Mdnchen und Einsiedlern, wie Romuald und Nilus, mit schwfirmerischem Geist Wallfahrten und Bussäbungen bis zu seinem frühen Tod sich widmete. Es war ein sehr vergrfingli- oher Bund, welcher in den damaligen Hfiuptem der geistlichen und der weltlichen Macht, in Silvester IL und Otto IIL, zn^hen Mönch- ttium, Papstthum und Kaiserthum geschlossen war. Mit dem in sei- nem Bnsseifer sich yerzehrenden und von dem Vertrauen semes Volkes verlassenen Kaiser sank auch dem Papstthum die Stfltiei deren es noch immer bedurfte , es fiel aufs Neue in die alte Ver- wirrung zurück, aber dauernder als alle diese wechsehiden Ereig- nisse war der erwachte und indess erstarkte ascetisch hierarchische Geist, und wenn er auch noch einmal dem weltlichen Andrang der Zeit weichen und sich in sich selbst zurückziehen musite, so ver- tiefte und kräftigte er sich nur um so mehr in sieh selbst, um anf der von ihm gelegten Grundlage das Gebfiude der Hierarchie aubu- ftthren. Die hauptsächlich an dem Heerde des Klostera Clugny ge- pflegte und durch seine einflussreiche (üongregation in weiten Krei- sen verbreitete Mönchsascese war das kräftigste Lebenselement das Hildebrand'schen Papstthums 0-

1) Hildebrand selbst stand fortgehend in sehr naher persönlidher Be- siehnng sn Clugny. In seiner nAchsten Umgebung war es besonders der eng mit ihm Terbnndene und Ton seinem (leiste wie mit dämonischer Maoht beherrschte Peter Damiani, in dessen Leben und Wirken der enge Zusam- menhang der beiden Richtungen , der mönchisch -ascetischen und der hierar- chischen, sehr anschaulich sich darstellt. Ursprünglich ein Einsiedler m Fönte ÄTellana mit dem schwärmerischen Bnsseifer des heiligen Boniuald, wurde er später als Cardinal und Bischof von Ostia eines der thtttigstea Organe iür die hierarchischen Zwecke des Papstthums und zu wichtigen Missionen Terwendet Vgl. Vogel a. a. 0. 11. 18. 22. 24.

Zweite Perlode.

Von Gregor VII. bis zur Reformation.

Die bedeutungsvollste Epoche in dem Entwicklungsgang der mittelidterlichen Kirche hat von Gregor YIL ihren Namen. Durch die ganze Kirche, so weit sie in Rom den Mittelpunkt ihrer Einheit und in dem römischen Bischof das allgemeine Oberhaupt der Oiri- stenheit erkennt, geht ein neuer Aufruf 2u energischer Tfaätigkeit, und in der ganzen folgenden Geschichte greift alles in ununterbro- chenem Zusammenhang bo eng in einander ein, dass es in der ra- schen Folge der Begebenheiten keinen Punkt gibt, auf welchem die gewaltige, durch das Ganze hindurchgehende Bewegung nicht von selbst immer weiter führte, bis auch sie endlich dabin gelangt, wo ihre atolzen Wogen sich brechen müssen. So epochemachend aber dieser neue Zeitpunkt ist, so kann doch das Verhältniss der jetzt folgenden Periode zu der ihr vorangehenden nur so bestimmt wer- den, dass in ihr zur Ausführung und Vollendung kommt, was zu- vor schon BO «ingeleitet und vorbereitet war, dass es mit innerer Nothwendigkeit daraus hervorgeben musste. Man sieht deutlich, die Kirche hat sich in sich selbst gesammelt und in ihr eigenes Be- wusstsein vertieft; sie weiss, was sie will, sie ist sich ihrer Macht bewnsst und steht gerüstet da, um die Kämpfe, auf die sie gefasst sein muss, mit sicherem Erfolg zu bestehen. Der in einer noch so vielfach in sich zerfallenen und zerrissenen Welt durch die ernste Zucht des Mönchslebens in sich concentrirte und sittlich gekräftigte ascetische Geist war es, welcher dem von ihm beseelten und jetzt in eigener Person den apostolischen Stuhl besteigenden Gregor VU. Muth und Kraft zu einem Kampf verlieh, in welchem die geistliche und die weltliche Macht, Papstthum und Kaiserthum, Kirche und Staat im principiellsten Gegensatz einander gegenüberstanden. An dem Verlauf und Erfolg dieses weltgeschichtlichen Kampfes stellt

178 Zweite Periode. Eialeitiing.

dar, welcher Gestaltung eine Kirche fähig war, die von Anfang an alles dem Streben nach Einheit unterordnend im Bewusstsein ihrer fibergreifenden Macht durch die innere Nothwendigkeit ihres Prm- cips von Stufe zu Stufe immer weiter gefuhrt 'wurde. Nicht zu- fallig geschah es auch, dass zu derselben Zeit die abendländische Kirche sich vollends von der morgenländischen trennte, wie wenn sie selbst das Gebiet sich enger hätte abgrenzen wollen, innerhalb dessen allein eine solche Entwicklung des kirchlichen Princips mög- lich war. Um so ungehinderter konnte die römische Kirche, der Verbindung mit einer ihr fremd gewordenen und von ihr innerlich ver- schiedenen Kirche enthoben, ihr eigentliches, nur auf dem Boden des Abendlands erreichbares Ziel verfolgen, welchem sie in dem kunea Zeitraum eines Jahrhunderts so nahe kam , als nur immer die Ver- hältnisse der Zeit es gestatteten. In Innocenz III. stand sie auf dem Gipfel ihrer Macht und auf dem Punkte der reichsten Entwicklung eines die ganze Kirche beherrschenden Systems. Durch das ganze dreizehnte Jahrhundert behauptete sich die Kirche auf ihrem Höhe- punkt^ aber schon mit dem Anfang des folgenden Jahrhunderts tra- ten Symptome ein , welche einen immer tiefer gehenden Riss des kühn aufgeführten Gebäudes kund gaben. Mit derselben strengen Consequenz, mit welcher das System des hierarchischen Absolu- tismus von Stufe zu Stufe sich aufgebaut hatte, ging es auch wie- der seiner allmähligen Selbstauflösung entgegen, welche, nachdem einmal der vcrhängnissvoUe Wendepunkt erreicht war, durch den zähesten Widerstand nicht mehr aufgehalten und abgewendet wer- den konnte. In dem Gange, welchen das Papstthum nahm, stellt sich vor allem der allgemeine und wesentliche Charakter der Pe- riode dar. Was aber am Papstthum sich ereignete, wiederholt sich nach demselben Grundtypus auf den übrigen Gebieten des kirch- lichen Lebens. Insbesondere ist in keiner andern Periode eine so grosse Analogie zwischen der Geschichte der Hierarchie und der des Dogma. Was in jener das System der päpstlichen Monarchie ist, ist in dieser das dogmatische System der Scholastik, das bei aller Mannigfaltigkeit seiner Darstellungen doch sosehr nach dner und derselben Grundanschauung angelegt und construirt war , dass alle Hände, die dabei thätig waren, an einem und demselben Bau arbeite- ten. So kühn und grossartig auch die Scholastik ihr Gebäude auf- führte, so konnte doch auch sie, so wenig als die Hierarchie, jemals

Der kirohliehe Absolntismas der Periode. 179

den Schlassslein finden, welcher das Ganze vollendete und zusam- menhielt Darum gingen auch hier, wie dort, Aufbau und Auf- lösung mit einander Hand in Hand. Auch den Erscheinungen des sittlichen Lebens hat das der Periode eigenthümliche hierarchische und dogmatische System denselben Charakter aufgedrückt. Alles, was dem Menschen seinen sittlichen Werth geben soll, kann einen solchen nur so weit haben, als es dem kirchlichen System sich ein- fügt und unterordnet, in welchem alles seine Einheit und seinen letzten Endzweck hat. Hier war es aber auch, wo der Wider- spruch in seiner ganzen Stärke sich geltend machte, welchen das herrschende System, je yoUständiger es sich entwickelte, um so entschiedener gegen sich hervorrief und an welchem es zuletzt zu Grunde ging. Alle jene feindlichen Machte, welche eine durch das ganze Mittelalter hindurchgehende Opposition gegen die katholische Kirclie bilden , nahmen ihre kraftigsten Waffen von dem durch den kirchlichen Absolutismus so tief verletzten sittlichen Interesse. So blieb auch hier immer etwas zurück, worüber selbst die höchste Steigerung einer alles sich unterordnenden und unterwerfende Gewalt niemals hinwegkommen konnte. Auch diess trägt wesent- lich zu dem grossartigen Eindruck bei, welchen die Kirche des Mittelalters auf jeden machen muss, der sie in ihrer Einheit und in der Gesammtheit ihrer Erscheinungen auEsufassen weiss. Wie es überhaupt zum Charakter des Mittelalters gehört, sich in Gegen- sätze zu spalten und sich in grosse Massen zu sondern, zugleich aber auch allen besondern Lebensformen immer wieder denselben allgemeinen Grundtypus aufzudrücken, so ist es ganz besonders auf dem Gebiete der Kirche, deren lebensvolle charakteristisch aus- geprägte Gestalt so wesentlich zum Gesammtbilde des Mittelalten gehört, dass es ohne sie nicht gedacht werden kann. Alles strebt in allen von einander gesonderten Lebensgebieten demselben Ziele zu , mit wetteifernder Anstrengung tragen alle Kräfte zu demsel- ben Werk das Ihrige bei und was menschliche Macht zu leisten vermag, kommt auch hier zu Stande; und doch kann dem schär- feren Blick von Anfang an der Punkt nicht entgehen , an welchem das kühne Werk misslingen und das Ganze sich wieder auflösen muss. In allem diesem offenbart sich das Walten und Wirken des in seine selbstgeschaffene Welt sich vertiefenden, aber auch aus ihr wieder in sich selbst zurückgehenden und über die End-

174 Zweite Periode. Briter Abiohnitt

lichkeit aller seiner wechselnden Lebensformen dbergrrifenden Geistes.

Erster AbsctanUt.

Stellimg der Kirche rar heidnischen WeK und n dei Feinden des christlichen Glaubens.

1. Die Missionen und Yersuche zur AasbreitHiig des

Christenibums.

Auf allen Punkten, anf welchen das ChristenUnun mit den Heidenthom zusamroengrenzte, rückte es weiter vor, um seine die Welt sich unterwerfende Herrschaft in grösserem Umfang in die heidnischen Lander hineinzutragen. Immer seltener werden Aer die Glaubensboten , die mit der apostolischen Einfalt eines Bonir facius und Ansgar auf die Predigt des Evangeliums ausgehen. Am nächsten stehen ihnen, obgleich auch sie nicht mehr denselben Quk rakter an sich tragen, der Bischof Otto von Bamberg, welcher in den Jahren 1124 und 1128 die Pommern bekehrte und ihnen das ChH- stenthum hauptsachlich auch durch den Eindruck seiner bischöflt- chen Würde zu empfehlen suchte, und der Cisterciensermönd Christian, welcher um das Jahr 1208 sich als Prediger des Chri- stenthums zu den Preussen begab , aber bald sein Werk in andere Hände kommen lassen musste , die ihm selbst die Freude an den- selben verdarben. In einer Zeit, in welcher das Streben der Kirdie überhaupt auf Kampf und Eroberung gerichtet war, theilte sich auch dem Hissionswesen derselbe Geist mit Im nördlichen Deutsch- ' land hielt auch jetzt, wie zuvor, die weitere Verbreitung des Chri- stenthums gleichen Schritt mit der Bezwingung und Germanisirung der wendischen Yolksstamme. Die Vorkämpfer der deutschen Waffen, der Markgraf Albrecht von Brandenburg und Heinrich der Löwe, der Herzog von Sachsen ^ erkämpften auch dem Christen- thum den Boden seiner künftigen Herrschaft. Wo nicht solche Er- oberungskriege es waren, die das Gebiet des Christenthums erwei- terten, führte die Kirche ihre Heere selbst in's Feld. An die Stelle der friedlichen Glaubensboten der altem Zeit traten jetzt Kriegs- schaaren, die unter der Fahne des Kreuzes versammelt mit Feuer

Miflfionen n. Kftmpfe lar Ansbreitang Ckristenthnrns. 175

und Schwert das Cbristentbum den heidnischen Völkern aufdrang^m So wurden die Rugier yon dem kriegerischen Bischof Absalom yon Roschild bezwangen im Jahr 1168, so die Liefen und Esthen von dem Bischof Albrecht und dem für diesen Zweck errichteten Orden der Schweribrüder , so die Preussen von den Rittern des deutschen Ordens, welche in dem durch langwierige Kriege verwüsteten Lande einen festen Sitz ihrer Ordensherrschaft gründeten. Es war sehr natürlich, dass je gewaltsamer die Mittel waren, durch welche die Christianisirung dieser Völker erzwungen werden sollte, da- durch ihr innerer Widerwille gegen das Ghristenthum nur um so grösser wurde; zugleich Idsstsich aber auch nicht verkennen, dass das Heidenthum des slavisch - wendischen Volksstamms und der an ihn angrenzenden Völker einen weit zäheren und dem Christen« thun schroffer gegenüberstehenden Charakter hatte, als das der alten Germanen.

Die zur Unterwerfung dieser Völker unter das Cbristentbum im Namen der Kirche mit bewaffneten Schaaren unternommenen Zuge waren im Kleinen^ dasselbe, was im Grossen die eigentlichen KreujEzüge waren, von welchen sie den Namen hatten. Da die Letztern vorzugsweise gegen die Hauptfeinde des christlichen Glau- bens, die Bekenner des Islam, gerichtet waren, so nehmen sie miter den Erscheinungen, mit welchen sie zusammengehören, eine eigenthündiche Stelle ein , und es sind daher hier zunächst nur die Ussionsversuche zu erwähnen, welche schon jetzt im östlichen Asien bei den Mongolen und ihren Fürsten und Heerführern ge- oacht wurden. Seit der Mitte der Periode wurden wiederholt Or« densgenossen der beiden neugestifteten Bettelorden, der Domini- caner and Franziscaner, die zu solchen Unternehmungen sich ganz besonders eigneten, in die Tartarei entsendet Wie aber schon die Päpste Eugenius UL und Alexander HL durch die fabelhafte Kunde von einem im fernsten Osten, in den Hochländern Asiens, thronen- den Priesterkönig Johannes getäuscht worden waren , so beruhte auch alles , was in der Folge über ein mongolisches Cbristentbum in das Abendland gelangte, auf falschen Vorstellungen und leeren Vorspiegelungen. Die Mongolen waren dem Christenthuiti nur so- weit geneigt, als diess der acht heidnischen Ansicht, die aucbsie hatten , entsprach , dass eine Verschiedenheit der Religionen zum Zwecke der Weltordnung gehöre, und sofern auch sie den Grund'->

176 Zweite Periode. Erster Abeohnitt

Satz einer gewissen Accommodation zu den religiösen YorsteUnngeii und Gebrauchen der Vöilier, die sie bezwingen und beherrschea wollten, befolgen zu müssen glaubten. Nachdem der Grosdüum Kublai in China im Jahr 1260 den ersten Dalai-Lama eingesetart hatte, war es neben den beiden in diesen Ländern herrschenden Re- ligionen, dem Buddhaismus und dem Muhammedanismos, nur das nestorianische Christenthum, das sich fortdauernd im östlichen Asien zu erhalten wusste. Während so Asien sich für längere Zeit dem Christenthum mehr und mehr verschloss, eröffnete sich dagegen am Schlüsse der Periode in dem neuentdeckten Amerika, wohin schon Colombo mit dem Vertrauen zu dem Worte Jesu gesegelt war, dass das Evangelium zu den Völkern am Ende der Erde komr men werde, auch dem Christenthum ein neues weitaussehendei Gebiet; auch hier waren es Dominicaner und Franziscaner, welche das Bekehrungsgescliäft übernahmen und mit ihm die eigene Mis- sion, unter den Grausamkeiten der Spanier die Segnungen des Christenthums zu predigen.

3. Die Kreuzzüge und der Krieg gegen die Ungläubigen.

Den Hauptgegensatz gegen das Christenthum bildete der blani da nur die zu ihm sich bekennenden Völker an Bildung und Macht 80 hoch standen, dass sie in gleichem Kampfe mit den christlichan sich messen konnten. Dieselbe Stelle, in weicher einst die alte heidnische Religion und die jüdische der christlichen gegenüber- standen, nahm jetzt die muhammedanische ein; sie war daher aadi Gegenstand apologetischer Schriften, in welchen die Wahrheit und Göttlichkeit des Christenthums durch die Widerlegung des blam vertheidigt werden sollte. Noch weit lebhafter aber als zur Be- streitung durch Rede und Schrift fühlte jene Zeit den Trieb in sich, den mächtigsten Feind des christlichen Glaubens mit den Waffen der 'materiellen Macht zu bekämpfen, wozu sie die dringendste Aufforderung noch besonders darin vor sich sah , dass es die Ehre des Christenthums gebot, die durch die christliche Urgeschichte geheiligten Orte, die, solange sie in den Händen der Ungläubigen waren, nicht einmal so besucht werden konnten, wie es der fromme Wunsch so Vieler war, den Saracenen zu entreissen. Diess war der Ursprung der Kreuzzüge, welche, obgleich sie nach verschie- denen Seiten betrachtet werden können, doch wesentlich unter den.

Die Krenzsttge. Entstebang. 177

Gerichtopunkt des Gegensatzes zu stellen sind, in welchem das Christenthum und der Islam ihrer ganzen Weltstellung zufolge zu einander standen. Es waren religiöse, dem absoluten Anspruch des Christenthums auf Weltherrschaft geltende Kampfe, die für den Christen auf dem Punkte entbrannten, auf welchem es sich für ihn Bfli den Besitz des Heiligsten handelte, das die Erde seiner from- men Anschauung darbieten konnte.

Nachdem schon Silvester II. am Schlüsse des ersten christli- chen Jahrtausends in seinem Namen einen Hülferuf der bedrflngtea j^maalemischen und morgenlandischen Kirche an ihre abendlan- (Bsche Schwester hatte ergehen lassen, war es Gregor VII., aa deaaen grossartigen Planen auch diese Idee gehörte. Hit Begei- ileniiig trug er den Gedanken einer solchen Hülfeleistung in sich. Schon habe er, versicherte er, den Aufruf dazu erlassen, schon ra- sten sich viele Tausende in Italien und den ultramontanen Landern, die ihn selbst, wie er sich nicht weigere, als ihren priesterlichen Führer an der Spitze ihres Zugs haben wollen. Dabei hoffte er, die constantinopolitanische Kirche und die Armenier für den Glauben des Apostels Petrus zu gewinnen; denn es scheine, es solle jptäi in seiner Zeit das Wort in Erfüllung gehen, das der Erlöser aui besonderer Gnade zu dem Apostelfürsten gesprochen habe CI'UC. 22, 32) 0- Erst unter Urban U. kam die Idee zur Ausführung und zwar nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, durch den Ein* druck, welchen der von einer Pilgerreise zurückkehrende Peter, der Einsiedler, mit seiner Botschaft aus dem Morgenland er- wedde 0, sondern durch den Papst selbst, welcher aber hierin

1) So äusserte sich Gregor £p. 2, 31 im Jahr 1074 in einem Schreiben an Heinrich IV., in welchem er den König nicht zur Theilnahme an dem Zog aufforderte, sondern ihm nur die Beschützong der römischen Kirche vihreiid seiner Abwesenheit empfahl.

2) VgL Stbkl, aeschichte de« ersten Krenzzugs, 1841. S. 225 ff. 288 ff. WiaaencliaftL Vorträge, gehalten za Iffinchen im Winter 1858. (Braanschweig, 1658.) H. T. Stbel: Ans der Greschiohte der Kreazafige. S. 1—95. Allg. Ifonatflsohrift für Wissenschaft und Literatur, 1851. Juli. Sagen und Ge- dichte fiber die Kreuzzüge, S. 36: „Der Ruhm Peter^s des Eremiten ist ein weltgeschichtlicher geworden. Jahrhunderte lang hat kein Mensch es be- zweifelt, das« er dem Abendlande den entaelheidenden Impuls zu den Kreuz- sfigen gegeben. Alles das hat keine Grundlage als die Lieder, die sonst kaum ein wahres Wort enthalten. Alle geschichüichen Aufzeichnungen der Zeit

Banr, K.a. d. MitteUOten. 12

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178 Zweite Period«. Erster Abiolmitt

nur dem allgemeinen Zuge der innerlich erregten Zeit folgte, und das Wort aussprach, das längst unbewusst die Gemüther bewegte und, sobald es laut geworden war, alle wie mit Einem Schlage ^- griff und als der offen erklarte Wille Gottes erschien. Man darf mit Recht behaupten, dass höchst selten menschliche Worte einen so mächtigen und in seinen Wirkungen so bedeutenden BindmclL hervorgebracht haben, wie die Rede Urbans II. auf der grossei Synode zu Clormont im Jahr 1095. Gross und allgemein war die dadurch geweckte religiöse Begeisterung, aber es wirkten bei de- nen , die zur Reise des Herrn sich entschlossen und nach der Wei- sung des Papstes das rothe Kreuz auf die rechte Schulter sich hef- ten liessen CLuc. 14, 27.), neben dem allgemeinen Antrieb, welcher an sich in einer so heiligen und verdienstlichen Sache und in einen Ib so hohem Grade die Phantasie reizenden und den Durst nach Thal» weckenden Unternehmen lag, auch Ursachen und Motive sehr ver- schiedener Art mit, die bittere Noth der Zeit, der Druck der Le- hensverfassung mit so vielen andern auf dem Boden der Heimith lastenden Uebeln, die schwere Schuld, die Manchem au^ sehiea Gewissen lag und nur durch ein solches Werk gesühnt zu werdei schien.

Von Frankreich aus, wo dieses heilige Feuer zuerst angefackt und am hellsten aufgelodert war, verbreitete es sich über alle christlichen Länder des Abendlandes. Aus jedem der bedeuten- deren Reiche zogen mehr als einmal Schaaren von Kriegern am, zahlreiche, aufs beste gerüstete Heere. Die Thaten und Schick* sale dieser Kreuzfahrer füllen mehrere der schönsten Blätter der allgemeinen Weltgeschichte mit ihrem allbekannten Inhalt; aher die Weltgeschichte wie die Kirchengeschichte kann, wenn sie zuletit beinahe spurlos wieder verschwunden sieht, was im Laufe einei Jahrhunderts mit so grosser Anstrengung erstrebt worden waTi alles, was die abendländische Christenheit im Morgenland erobert und besessen hat, am Ende nur fragen, wozu alles diess geachehea ist, worin die wahre geschichtliche Bedeutung dieser Zuge besteht

Sie können, wie sich von selbst versteht, nur vom Standpunkt

widersprechen, allen ist Peter ein obsonrer Fanatiker, ^ der erst naob dem Anfhif des Papstes sein Baaembeer gebildet hat" Nicht blos Neander, aaeb Gieseler und Hase folgen noch in den neuesten Ausgaben ihrer kirohenhi- storischen Werke der gewöhnlichen Angabe.

DiQ Krenzzüge. Verlauf and Charakter. 179

ihrer Zeit aus begriffen werden und alles, was man so oft zu ihrem Lob oder Tadel nach den Anschauungen und Begriffen einer spä- tem Zeit gesagt hat, ist fär die Sache selbst mehr oder minder (fleichgültig. Je sichtbarer in ihnen eine Erscheinung sich dar- stellt, in welche eine lange lebhaft bewegte Zeit mit der ganzen Stärke ihrer Empfindung und Thatkraft sich vertieft hat, um so grössere Bedeutung hat die Frage, welche allgemeine Form des Bewusstseins in ihr sich ausdrückt, was der innerste Gedanke ist, taf welchen sie zurückzuführen sind. So äusserlich es zu sein scheint, wenn man sagt, der Zweck der Kreuzzüge sei gewesen, den Christen den Besitz des heiligen Landes zu verschaffen , so ist doch hiemit, wofern es nur richtig verstanden wird, alles gesagt, woraus der Ursprung und das Wesen dieser Züge zu begreifen ist. WaH von der heiligen Urgeschichte des Christenthums noch vor- hmden war, waren die Orte, an welchen die Urthalsachen des Heils geschehen waren; welche Heilsgewissheit lag also schon darin, wenn man so glücklich war, das Göttliche dieser Orte mit eigenen Augen zu sehen, mit den Händen zu umfassen^ mit dem Munde zu berühren , mit den Füssen auf diesem heiligen Boden zu stehen und zu wandeln! Was ist diess anders als der Drang des religiösen Gemüths, sich zu dem Göttlichen, das das Objekt des religidsen Bewusstseins ist, in die unmittelbarste Beziehung zu setzen, wie wenn man seines Heils nicht gewiss sein könnte, wenn man nicht das, woran man glaubt und worauf man sein höchstes Vertrauen setzt, in der unmittelbaren Gegenwart vor rieh hat, sich äusserlich und körperlich mit ihm Eins wissen kann? Äo unfrei, so rinnlich materiell, so räumlich beschränkt diese Auffassung des CIristenthums und des ganzen Wesens der Religion ist, so drückt ridi doch darin nur der allgemeine religiöse Charakter jener Zeit MOMj und das Eigen thümliche der Kreuzzüge ist nur, dass in ihrem kirsen Verlauf und in der engern Sphäre, in welpher sie sich be- wegen, sich in einer um so concreteren Anschauung vor Augen stellt, was sonst in weiten Wogen und Schwingungen in dem tiefer liegenden Zusammenhang unendlich vieler Beziehungen in's Unbe- bestimmbare verfliesst. Die Kreuzzüge selbst haben die Illusion, aus welcher sie hervorgegangen sind, auch wieder zerstört, und in demselben Verhältniss, in welchem diess geschah, haben sie dazu mitgewirkt, den Geist der Völker von der sinnlichen Beschränktheit

12»

ISO Zweite Periode. Erster Abiohniit

seiner religiösen Anschauungsweise , die allein eine solche Illusion möglich machte , mehr und mehr zu befreien. Diese Aeusserlich- keit des religiösen Bewusstseins, diese Hingebung des Geistes an eine unmittelbar für göttlich gehaltene Objectivität, die der Cha- rakter der Kreuzzüge ist, musste auch wieder überwunden wer- den und die Kreuzzüge selbst waren in ihrem Verlauf der geistige Process, durch welchen diess geschah. Ihr Resultat war, dass man am Ende nicht mehr an das glaubte, was man anfangs mit der höchsten Glaubensgewissheit ergriffen hatte. Dieser Umschwung des Zeitbewusstseins spricht sich in der spätem Zeit der Kreuzzfige da und dort auf eine sehr bemerkenswerthe Weise aus. Man wurde immer bedenklicher darüber, dass alle diese Züge so völlig erfolg- los waren, dass das Kreuz Christi immer wieder der Fahne des Propheten weichen musste, und glaubte sich diess zuletzt nur dar- aus erklären zu können^ dass diese Züge überhaupt nicht das gott- wohlgefällige Werk seien, wofür man sie bisher gehalten babeO* Eine religiöse Begeisterung für das heilige Land, wie sie einst die Völker des Abendlandes ergriffen hatte , war in der Folge in dem Grade nicht mehr möglich, je mehr man über die Meinung hin- weggekommen war, dass man in ihm vor allem die Gewissheit sei- nes Heils zu suchen habe. Eben dadurch erhob sich aber das re- ligiöse Bewusstsein aus seiner räumlichen Beschränktheit und ma- teriellen Gebundenheit in eine freiere und geistigere Sphäre. »Es war, wie wenn den Christen am Grabe Christi dasselbe wäre ge- antwortet worden, wie den Jüngern, die den Leib des Herrn da- selbst suchten: was suchet ihr den Lebendigen bei den Todten? er ist nicht hier, er ist auferstanden. Das Princip eurer Religion habt ihr nicht im Sinnlichen, im Grabe bei den Todten zu suchen, son- dern im lebendigen Geist bei euch selbst Diess war das absolute Resultat der Kreuzzüge. Das Abendland hat vom Morgenland am heiligen Grab auf ewig Abschied genommen , von hier fängt dann die Zeit des Selbstvertrauens, der Selbstthätigkeit an« ^. Dazu

1) Man vgl. was bei Ne ander 5, 1. S. 362. 368 f. ans Matthttos Ton Paris za dem Jahr 1250 aus dem dem Abt Joachim zugeschriebenen, aber nicht von ihm, sondern von einem Spätem, aas der Mitte des 13. Jahrbim- derts, herrührenden Commentar über den Propheten Jeremias und ans den Schriften des Baimundus Lullus angeführt wird.

2) Worte Hegel's, Philos. der Gesch. Werke 9. S. 398.

Die Krenazüge. Umsohwnng dei Zeitbewnistseiiii. iSl

irkte auch alles das mit, was man sonst zu den Wirkungen der reuzzüge rechnet. Sie haben nicht nur durch die Berührung so erschiedenartiger Völker eine Menge neuer Ideen und Kenntnisse I Umlauf gebracht, Handel , Künste und Gewerbe befördert und IT Entstehung eines freien Bürgerstandes in den Städten beige- agen, sondern überhaupt den ganzen Gesichtskreis erweitert, iess hatte von selbst auch wieder auf das Religiöse und Kirchliche nen sehr wichtigen Einfluss. Sosehr die papstliche Macht anfangs irch sie gehoben worden war, so nachtheilig wirkten sie in der olge auf sie zurück. Da die Päpste, auch nachdem der Eifer für 18 heilige Land längst erkaltet war^ nicht aufhörten, diese Züge

8 die heiligste Sache der Christenheit zu empfehlen und zu be- eiben, so kamen sie dadurch in Widerspruch mit dem Geist 3r Zeit und man hatte um so mehr Ursache, hierin nur ein sehr irticuläres päpstliches Interesse zu sehen, da die Art, wie sie ie Kreuzzüge pecuniär für sich auszubeuten wussten, nur dazu lente, die Blossen des päpstlichen Regiments aufzudecken. Hier, enn irgendwo, ist zu sehen, wie so Vieles in der Geschichte der enschheit, wofür man Jahrhunderte hindurch schwärmt, eine losse Illusion ist, deren man sich früher oder später bewusst erden muss, und das Resultat ist immer ^ dass der Geist aus der eösserlicbkeit , an die er sich hingegeben hat, um in ihr sein öchstes und Heiligstes zu haben, sich in sich selbst zurückgewie- m sieht, mit der Aufgabe, in sich selbst zu finden, was er ausser ch vergeblich gesucht hat. Derselbe geistige Process vollzieht ch am Papstthum, nur an ihm unendlich langsamer und zäher, ährend er an den Kreuzzugen seinen raschesten Verlauf genom- len hat.

3. Der Gegensatz zu den dualistischen Sekten.

Da die jetzt auftretenden Häretiker als Anhänger einer vom hristenthum principiell verschiedenen Lehre und ebendesswegen s Feinde der christlichen Kirche betrachtet wurden, deren sich die irche nicht anders erwehren zu können glaubte, als dadurch, dass e auch gegen sie das Kreuz ergriff und ähnliche Kriege gegen sie ihrte, wie gegen die Saracenen des Morgenlandes, so ist hier um

9 mehr der Ort, wo diesen häretischen Sekten, die in die Ge-

188 Zweite Periode. Erster Absebnitt

schichte des Mittelalters so bedeutend eingreifen, ihre Stelle in derselben anzuweisen ist.

Den Paullcianern der vorigen Periode stellen sich hier za- nachst die Bogomilen zur Seite, als neues Mittelglied zwischen den gnostisch-manichäischen Sekten der alten Kirche und den Katha- rern der abendländischen Kirche des Mittelalters. Die Bogomilen 0 erscheinen zuerst um das Jahr 1111 zu Constantinopel, wo der be- kehrungssüchtige Kaiser Alexius Komnenus ihnen solange nach- forschte, bis es ihm gelang, sich des Hauptes der Sekte, Basilius, auf hinterlistige Weise zu bemächtigen. Da alle Bekehrangsver- suche vergeblich waren, wurde Basilius zum Feuertode verurtheilL Auch nach der Unterdrückung seiner Sekte zeigten sich noch bis in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts da und dort Spuren der bogomilischen Ketzerei. Nach der wahrscheinlichsten Ableitung bezeichnet sie ihr, auch sonst vorkommender, slavischer Name CBo- gomil soviel als Theophilus, Gottlieb) als Gottesfreunde. Ihre Lehre hat einen durchaus dualistischen Charakter, nur war ihnen detr böse Dämon, der Satan oder Satanael, ursprünglich auch ein Sohn Gottes, und als der Erstgeborene der Mächtigere der beiden Söhne. Aus Uebermuth empörte er sich gegen den Vater; da er aber auch nach seinem Sturz vom Himmel noch seine göttliche Gestalt und Schö- pferkraft hatte, so schuf er mit seinen Engeln einen zweiten Him- mel und Alles in derselben Ordnung, wie der erste Gott. An der Schöpfung des Menschen tritt hauptsächlich die Dualität der beiden Principien hervor. Satanael bildete den Körper Adams aus Erde und Wasser und stellte das Gebilde aufr^pht; da aber das Geistige, das es von Satanael hatte, nicht bei ihm blieb, weil sonst aus ihm nicht ein Mensch, sondern ein Teufel geworden wäre, so wäre die Schöpfung des Menschen schlechthin unmöglich gewesen, wenn nicht der gute Vater auf die Bitte Satanaeis den belebenden Hauch gesendet hätte, unter dem Versprechen, dass der so geschaffene Mensch beiden angehöre und aus dem Menschengeschlecht die Wohnungen der herabgestürzten Engel wieder gefüllt werden. Mit der Eva er- zeugte Satanael zuerst den Kain, erst nachher den Abel. Der Ver-

1) Die Hanptquelle für die Geschichte der Bogomilen ist des Euthymins Zygadenus Panoplia dogmatica tit. XXIII. besonders herausgegeben von GlESELEB. Gott. 1842.

Dnaliftigohe Sekten. BogMiileM. t88

lauf der ersten Weltperiode ist die Herrschaft der Dämonen ; nur wenige Menschen gelangten in die Reihen der Engel, nur die in den beiden Genealogieen bei Matthäus und Lucas genannten. End- lich Hess Gott aus Mitleid das Wort, d. h. den Sohn, aus seinem Her- zen hervorgehen. Er stieg vom Himmel herab, ging in das rechte Ohr der Jungfrau und durch das Ohr wieder heraus. Das ganze yferk der Oekonomie im Fleisch war doketisch; was Christus we- sentlich ist, ist er als das hörbare Wort. Darauf beruhte die Kraft, die sie dem Gebet zuschrieben. Ihr einziges Gebet war das Vater- unser, das sie täglich zwölfmal beteten, siebenmal bei Tag und f&nfmal bei Nacht, es hatte die Wirkung, dass vor ihnen aliein die Dämonen flohen, so schnell, wie der Pfeil vom Bogen. Neben dem 'Gebete war ihr wichtigster religiöser Akt die Geistestaufe, bei welcher dem Aufzunehmenden das Evangelium Johannis auf das Haupt gelegt wurde. Alle, welche auf diese Weise den heiligen Geist empfingen , nannten sie Gottesgebärer , denn auch sie tragen das Wort Gottes in sich und gebären es, indem sie Andere lehren, sie sterben nicht, sondern scheiden ab, wie im Schlaf, indem sie ohne Qual dieses schmutzige Gewand des Fleisches abthun und unter dem Geleite der Engel und Apostel zum Reiche des Vaters zugelassen werden. Alles Andere hatte für sie keine Bedeutung. Ihre Verachtung gegen die katholische Kirche drückten sie dadurch aus , dass sie ihre Kirchen Wohnungen der Dämonen nannten.

Aus der Verwandtschaft mit den Paulicianern lässt sich die ganze Eigenthümlichkeit der Sekte nicht erklären. Die Bogomilen unterscheiden sich auch in Manchem von den Paulicianern, wie namentlich darin, dass sie die Ehe und den Fleischgenuss verwar*- fen. Weit unmittelbarer werden wir auf die Massalianer oder Eu- cheten zurückgewiesen, die schon von Theodoret im fünften, so^ dann von dem Presbyter Timotheus im sechsten , von Johannes von Damaskus und Photius im achten und neunten und von Michael Psellus im eilften Jahrhundert mit ähnlichen Zügen geschildert wer- den. Sie begegnen uns zuerst in Mesopotamien, sodann in Syrien, Pamphilien, Lykaonienund andern Ländern des griechischen Reichs, im eilften Jahrhundert traten sie besonders in Thracien auf. Viel- leicht hat der altpersische Dualismus, in welchem auch das Gebet für den in die Mitte des Kampfs der beiden Mächte gestellten Men- schen die kräftigste Schutzwaffe gegen die steten Angriffe des Da-

184 Zweite Periode. Erster AbiOlittttt

monenreichs ist, auf diese Gebelsbrflder der östlichsten chrMüdien Welt eingewirkt

Da schon diese orientalischen Sekten dem Abendland nfiher kamen, so dringt sich um so mehr die Frage auf, wie die seit dem Anfang des eilften Jahrhunderts in so grosser Zahl in meh- reren Ländern des Abendlands auftretenden llfiretiker, die am ge- wöhnlichsten Manichaer oder Katharer genannt werden, aidi la jenen verhalten. Bedenkt man, wie weit die gnostisch-manichii- schen Sekten in der alten Kirche verbreitet waren und wie sehiiall jetzt mit Einem Haie ganz ahnliche Häretiker an verschiedüMi Orten auftauchen, so liegt der Gedanke sehr nahe, dass Ueberreste der alten, nie ganz unterdrückten Ketzerei auch in den dazwischen liegenden Jahrhunderten sich in der Stille erhalten hidben. Efaie solche Zähigkeit der Fortdauer liegt ganz in der Natur solcher Leh- ren, die auf der einen Seite durch ihren mysteriösen transcendenten Inhalt die Wissbegierde reizen, auf der andern wegen des öffent- lichen Anstosses, den sie geben, es nicht wagen dürfen, aus ihrem Dunkel an das Licht hervorzutreten. Sobald sie einmal, wie diess ja auch bei dem alten Manichaismus der Fall war, im Volksbewosst- sein Wurzel gefasst haben, leben sie mit dem Volke fort, und ge- wuinen in solchen Kreisen , die nur der innem Seite des Volksle- bens angehören, eine gewisse volksthümliche Existenz. Hanichäer wurden sie nur von den Gegnern genannt, für sie selbst scheint das Andenken ihres manichäischen Ursprungs keine besondere Bedeutung gehabt zu haben; aber der nicht minder gewöhnliche Name Katharer, welcher alle diese Häretiker als die Reinen von der unreinen katholischen Kirche unterscheiden sollte , in der Volks- sprache aber die entgegengesetzte Bedeutung der Ketzer erhielt, verknüpfte sie auch mit den alten Manichäern 0* Demungeachtet würde der alte Manichaismus in seinen noch vorhandenen Ueber- resten einer solchen Verjüngung nicht fähig gewesen sein, wenn er nicht vom Orient her aufgefrischt und durch eine neue Strömung derselben dualistischen Härese verstärkt worden wäreO* Aller

1) Der Abt Ekbert von Schönau, der jedoch in seinem Sermo L adr. Gatharos die neuen Manichaer za sehr mit den alten identificirt, leitet die Katharer von den CathaHstae der Manichaer ab. Vgl. Aug. de haer. c. 46.

2) Vgl. C. Schmidt, Histoire et doctrine de la secte des Gaihares on Albigeois. Paris 1849. 2 Thle. Der erste Theil enthftlt die Geschichte

Dualis titoh« SekUn. Katharer. . 185

Wahrsoheinlichkeit nach gietig der Hanptzag der heuen Hfiretiketr von Osten her durch die slavischen Lander, Bulgarien und Dal- matien, nach Oberitalien. Unter den Katharem selbst hatte sich die Sage erhalten, sie stammen aus dem östlichen Europa und zunächst aus den ?on Slaven bewohnten Landern. Einige im Jahr 1146. 2u Cöln verbrannte Mitglieder derSecte sollen ausgesagt haben 0> ihre Lehre sei seit der Zeit der Märtyrer in Griechenfand und eint^ gen andern Ländern im Verborgenen vorhanden gewesen. Der Doonnikaner Rainerius Sacchoni, welcher siebzehn Jahre lang selbst nur Katharersecte gehörte, bestätigt diess in seiner Summa de (ktfharh et Leoniatia durch die bestimmte Behauptung, dass alle Gemeinden der Katharer von der bulgarischen und vonf der zu Tragurram*) in Dalmatien abstammen. Diese letztere Gemeinde war eine der bedeutendsten, welche den Verkehr auf der einen Seite mit den slavischen Ländern bis nach Thracien und Macedonien, auf der andern mit den südlichen vermittelte. Von da kamen sie ohne Zweifel zuerst nach Italien, wo Mailand einer ihrer Hauptsitze wurde. Nach den eigenen Angaben mehrerer dieser Häretiker sollen sie von Italien aus, wo sie schon früh sich auch in der Gegend von Turin zeigen, nach Frankreich gekommen sein; zwischen den Jahren 1020 und 1030 erscheinen sie hier an mehreren Orten, in Aquitanien^ in Orleans, in Arras, hauptsächlich aber verbreiteten sie sich durch das ganze südliche Frankreich, wo Toulouse der bedeutendste Mittelpunkt der Secte war. Die Verhältnisse waren ihnen hier sehr günstig: die Verfassung des Landes unter so vielen grdssten- flieils unabhängigen Baronen, der leichte, bewegliche, kirchlich freiere Charakter der damals auch durch den Aufschwung des Ritterthums und die Podsie der Troubadours geistig angeregten Bevölkerung, der Widerwille gegen Hierarchie und Kleriker, deren weltliche Lebensweise mit dem ernsten Sinn und der Sittenreinheit dieser Häretiker sehr contrastirte. So geschah es, dass sie hier in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts die grössten Fort- schritte machten und zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts granz Languedoc, die Provence, Guienne, einen grossen Theil der

der Sekte und weist ihre Herkunft ans den östlichen Lftndern Europa^s nach. VgL Thl. 2. S. 252 f. 271.

1) Nach Everrin^s, des Propsts zu Steinfelden, Schreiben an den h. Bernhard.

2) Tran oder Tragnr auf einer Insel an der dalmatischen Küste.

186 Zweite Periode. Kreter Abfolialtt

Gafdogne mil ihrer ketzerischen Lehre behemohtaiFO* Volk md Adel hieng ihnen an, man ehrte sie als die golu Leate Cdie boai homines, los bos homes) , sie hatten offenen Zutritt m -Aem ScUöi- sern der Barone, hielten daselbst ihre Versammlungen wid Pre- digten und durften auf ihren Schutz rechnen. Die yornehmsten Ritter und Frauen gehörten selbst zu den Gläubigen der Seele, sie vertrauten ihnen die Erziehung ihrer Kinder an und lieasen sich von den Häuptern der Secte, als ihren geistlichen Vätern, in allen Angelegenheiten berathen. Ein besonders bemerkenswerther Punkt in der Geschichte dieser Häretiker ist das von ihnen im Jahr 1167 an Saint Felix de Caraman in der Nähe von Toulouse gehaltene ConoiL Es erschien auf demselben der Katharerbischof Nicetasaus ConslanlF nopel oder der Papa Niquinta, wie er sonst genannt wird; die Vor- steher der Katharergemeinden in Nordfrankreich, in der Lombardei, in Albi, Carcassonne, Arras, Toulouse fanden sich bei ihm mit ihren Untergebenen ein und empfingen von ihm das consolamentnm und die Ordination zu Katharerbischöfen. Dabei erstattete er Bericht aber den Zustand und die Verfassung der ursprünglichen Gemein- den in Bulgarien und Dalmatien, und tadelte es an dem lombardi- schen Bischof Marcus , dass er sich bisher nicht an den ordo Dru- guriae^ sondern den ordo Bulgariae gehalten habe ^3. Dieses Cenoil, auf welchem offenbar der Papa Niquinta mit der Würde eines die* Gemeinden visitirenden und organisirenden Oberbischofs auftrat, gibt demnach den deutlichen Beweis des Zusammenhanges, in welchem diese südlichen Gemeinden mit den östlichen Standen, die Sie fortgehend als die Muttergemeinden betrachteten, nach deren Norm sie sich zu richten haben.

Der hier zuerst sich benierklich machende Unterschied eines doppelten ordo kommt hauptsächlich bei der Darstellung des ka- tharischen Lehrsystems in Betracht Die gemeinsame Grundanschau- ung war zwar dualistisch, i^ber die strengere manichäische Form der beiden Grundprincipien hatte nur der ordo Druguriae. Der böse Gott ist der eigentliche Weltschöpfer, der gute Gott hat nicbts ge- schaffen, oder, wenn er als Schöpfer betrachtet werden soll, so isl

1) Vgl. Schmidt, die Katharer in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Beiträge zu den theo!. Wissenschaften von den Mit- gliedern der theol. Gesellschaft in Strasburg. H. 1. 1847. S. 85 f.

2) Vgl. GiESELBB 3, 2. S. 550.

D«0 dnftliititohe 0yst«m der Katharer. 187

niir das Uomhlhare« Bleibende, Ewige, dieLichiwelt mit ihrer Sonne und ihren Sternen, das himmlische Jerusalem das Werk seiner Schöpflmg* Da sie den bösen Gott für den Gott hielten, welchen Moses als Weltschöpfer beschreibt, so schrieben sie vor allem den ganzen Pentateuch demselben. Gott zu, doch giengen sie in derVerwerfang des A.T. nicht soweit, dass sie nicht wenigstens bei den Propheten, den Psalmen und den salomonischen Schriften eine Ausnahme machten; von dem Inhalt der prophetischen Bucher hatten sie aber die eigene Vorstellung, er beziehe sich auf das himmliache Jerusalem , in welchem die Propheten vor der Schöp- fung der gegenwärtigen Welt geweissagt haben. Der Hauptpunkt des Systems ist auch hier der Fall der Geister, der himmlischen Seelen« Aecht manichäisch erklärten sie sich denselben durch einen auf das Lichtreich geschehenen Angriff. Eifersüchtig auf das Reich des guten Gottes schlich sich der Böse in Gestalt eines Lichtcngels in den Himmel und verführte die himmlischen Seelen, ihm auf die Erde zu folgen, wo sie in Leiber eingeschlossen wurden. Der gute Gott Hess diess zur Strafe für die gefallenen Seelen geschehen, da^ mit sie auf dem Wege der Busse des Himmels wieder würdig wür- den. Schon in dieser höchsten principiellen Region erlitt die allge- meine dualistische Grundanschauung nach zwei Seiten hin bedeu- tende Modificationen , indem der Dualismus sowohl geschärft als gemildert wurde. Der Impuls dazu lag in der gar zu mythischen Torstellnng eines Angriffs auf das Lichtreich und eines erst dadurch bewirkten Falles der Seelen. Glaubte man sich das Böse nur aus einem ursprünglichen anfangslosen Princip erklären zu können : war- um sollte der Conflict der beiden Grundwesen erst in einer be- stimmten Zeit seinen Anfang genommen haben? und ist er erst die yrsache des Falls der Seelen: wie soll man sich denselben denken? erfolgte er durch die Uebermacht des bösen Gottes, so streitet diess mit der Würde ihrer Lichtnatur, erfolgte er dagegen durch eine nicht ganz unfreiwillige Verfuhrung, so muss zuvor schon eine gewisse Neigung und Disposition dazu vorhanden gewesen sein. Es lag daher sehr nahe, den Fall der Seelen dadurch zu beseitigen, dass man sich den Conflict der beiden Grundwesen so ewig dachte, als sie selbst Diess ist der von Johannes de Lugio zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts gemachte Versuch, dem dualistischen Systeme eine strengere Haltung zu geben. Nach seiner Lehre sind die beiden

188 Zweite Periode. Erster AbteliBitt

Grundwesen in ihrem steten Kampf and Widerstreit 8o ineinander verschlungen, dass es nie Seelen gab, die von aller Berührung des bösen Princips völlig frei geblieben wären. Der gute Gott erscheint daher hier dem bösen gegenüber noch weit unmfichtiger als in der gewöhnlichen Vorstellung; er kann sich seiner Einwirkung so wenig erwehren, dass er, Christus ausgenommen, überhaupt nichts an sich Vollkommenes und Unsundliches hervorbringt 0- Unter denselben Gesichtspunkt ist die Modification des Systems zu stellen, durch welche der Fall zwar nicht aufgehoben, aber von den Seelen auf den bösen Gott selbst übergetragen wird. Ist aber der böse Gott selbst gefallen, so kann er nicht von Anfang an böse gewesen sein. Es gab daher eine Partei der Katharer, welche statt den Dualismus zu verscharfen ihn vielmehr prinzipiell aufhob. Nach ihrer Lehre ist der böse Gott des katharischen Systems der von den guten Gott gut geschaffene, aber von ihm abgefallene Ludfer. Da sie mit der kirchlichen Lehre auch in dem Begriff einer Schöpftmg aus Nichts übereinstimmen , so weichen sie nur in der Behauptung ab, dass Gott als Weltschöpfer zwar die Materie hervorgebracht, Lucifer aber sie geordnet und gestaltet habe *). Es ist diess die*

1) Raimebius a. a. 0. S. 1772: Johannes dicit quod akeruter agü in aUenUrum ab aeterno j et quod causa mala, id est Deus malus ägk im Deum verum et in ejtu fiUum , atque in eu/nda ejus opera ah oelemo. Jtem dicit j quod iUe, qui est swnmus in malo, plus poiest, quam ereaimae, quae sunt infra summum Deum in bono : unde concludit ex praemissis^ fuod Bonus Deus non potuit peffectas facere creaturas suas, quamvis hoc vcikmü et hoc sibi et creaturis suis accidit propter resistentiam mali Dei, qui actum suum sive quandam malitiam ab aeterno inseruit in eas, ex qua mtilitia erea- turae hahuerwtit posse peccare,

2) Vgl. Rainebiu« a. a. 0. S. 1773. Moneta adv. Katharos et YalcL libp 5. in der Ausgabe des Ricchinius Rom 1743. S. 109: Veritatifermenium immit Cent haereticae pravitatis dicentes, quod Deus quoituor elementa mundi, id est maieriam eorv/m, ex nihilo in esse produxit, quod alii Cathari non fatentur; dicunt tameny quod diabolus iUam materiam prius confus€mi in quahtor de- menta disiinxit, et spedes rerum ex iUis quaiuor elemeniis feeit ei dMnxit propriis et specijUis diferentiis; meUeriale igitur prvncipimn dedüDeus ^mü speciebuSf propter quod etiam dicunt Deum esse creatorem horum visibiiiumi

factorem autem non dicunt ipsum istorum, nisi sub velamine; sed diahobu secundum eos suas formtu spedßcas dedit his rebus , unde cum proprie fac- torem dicunt visibüium rerum , quia de aliquo operatus est et propter hoc ipsum etiam mundi principium a Christo asservnt appeUari,

Die Parteien der abendL Katharer. |89

selbe Form des Dualismus, die uns bei den Bogomilen begegfnet, und ohne Zweifel steht sie mit der letzteren auch in einem geschicht- lichen Zusammenhang. Es ist wenigstens von einem katharischen Bischof Nazarius die Rede, welcher das eben diese Form des Dua- lismus enthaltende katharische Evangelium Johannis 0 >us Bul- garien nach Italien gebracht, und dadurch auf dem Grunde der zuvor schon vorhandenen Lehrverschiedenheit die Spaltung der abendländischen Katharer in die beiden Hauptparteien der Alba- nenser und Concorrezenser veranlasst habe C^wischen 1180 und 1200^. Die Albanenser, deren Hauptgemeinde in Alba in Piemont war, hatten die ältere Form des katharischen Dualismus, die Con- correzenser, von ihrer Hauptgemeinde in Concorrezo im Herzog- thom Hodena so genannt, die zum Monismus modificirte. Die Alba- lenser theilten sich wieder in zwei Parteien, da die meisten jüngeren Mitglieder der Secte das Lehrsystem des Johannes de Lugio aus Bergamo, des zum Bischof ordinirten ftliua major, an- Bahmen, während die altern mit dem Bischof Belasmansa von Verona die alte Lehre beibehielten. Auch von den Concorrezensern werden die Bagnolenser Qm Bagnolo bei Brixen) als Nebenzweig unter- schieden, obgleich sie fast in allem mit jenen übereinstimmten. Bei aller unter den Katharern herrschenden Meinungsverschiedenheit bildeten den Hauptgegensatz nur die Albanenser und Concorre- zenser, die sich gegenseitig verdammten. Die Katharergemeinden im südlichen Frankreich blieben beinahe durchaus dem altern Sy- steme der Albanenser treu, namentlich die zu Toulouse, Albi, Carcasson ^. In die übrigen Lehren des Systems greift diese prinzipielle Verschiedenheit weniger ein, da alle Katharer in der doketischen Auffassung der Person und Geschichte Jesu überein- stimmten. Alles, was zur Person Christi gehört, Leib, Seele und Geist hat er vom Himmel mitgebracht und von der Maria nichts angenommen, was er nicht schon in sie hineingebracht hatte. Dar- auf sollte sich |uch der Ausspruch Christi bei Johannes 2 , 4 be- ziehen : Quid mihi et tibi est mulier? An diesem himmlischen Leib ist alles erfolgt, was zur Geschichte Christi gehört, sein Leiden,

1) Der Liber 8. Johannis apocryphus bei Thilo Cod. apocr. N. T. T. 1. S. 884 f.

2) Vgl. Rainebius a. a. 0. S. 1767 f. Das katharische Evang. Joh. in Thilo*! Codex apocr. N. T. I. 8. 884 f.

190 Zweite Periode. Ereter Abtehnüt

sein Tod, feine Auferstehung und Himmelfahrt, d. h. es ist dies diess nicht in der Wirklichkeit so geschehen, sondern nur doke- tisch 0* Auch auf die Maria dehnten sie ihren Doketismas aus Sie habe, sagten sie, keinen wahren menschlichen Leib gehabt, sondern einen himmlischen, sei ein Engel gewesen, wie der Sohn Gottes Christus, der durch das Ohr der Maria In sie einging und durch das Ohr wieder aus ihr herausging '). Allegorisch erkJtrIen sie auch die Maria für die Katbarer-Gemeinde, ni welcher alle, die sie aufnehme, zu Söhnen Gottes geboren werden ^.

Seine wichtigste Bedeutung hatte das katbarische System auf seiner praktischen Seite. Wie die alten Manichaer betrachteten auch die Katbarer als die Hauptaufgabe der Bekenner ihrer Lehre die Befreiung der Seele aus den Banden der Materie. Wie die Seele durch die Ursünde in die Gewalt der Materie gekommen ist, so gilt alles vorzugsweise als Sünde, was entweder dazu dient^ die Herrschaft der Materie über die Seele zu befestigen oder in Haid- lungen besteht, die einen rein weltlichen und materiellen Charaktttr an sich tragen. Sie zählten folgende sieben Todsünden ^)t 1. dM Besitz irdischer Güter , den sie einen Rost der Seele nannten. IHe Vollkommenen mussten nach dem Beispiel Jesu und der Apostel

1) Credunty sagt Mos et a a. a. O. 8. 5, quod in iüo eofpcTt cmM pa»ms ait et martuus u. s. w. Rainerius a. a. 0. S. 1769: nee vere pautt est, nee vere nwrtuus et s^auUus, nee ejus remrreetio ßUt vera, 9ed fimwi haee omnia ptOtUiva, eicut de eo UgUur in Luca (8, 18), ut pukiUHm fiUus Joseph, Bei der Lehre der Concorrezenser spricht Raineriui aneb von solchen, gui confitentur Christum assumsisse verum humcmum eorpus*

2) MoNETA a. a. 0. 8. 232. Dieselbe Vorstellung, die die Bogomilen hatten. Die ersten Elemente derselben finden sich schon bei alten Kirchenlehrem, Tgl. die Nachweisungen bei Schmidt a. a. 0. 2. 8. 41. Tiscremdorf de am« 0f ariffine evang, apocr. 8. 104. Man dachte sich, schon in dem Ton dem Biigd zu der Maria gesprochenen Wort sei der Sohn Gottes als Logos .in sie einge- gangen. Als Vorstellung der Slaven , d. h. der Katharer der slayisclien Ge- meinden führt Moneta 8. 238 an, Gott der Vater der Q%echten habe di^ Engel in die Welt gesandt, einen in der Gestalt eines Weibs, die Mari«, die beiden andern haben männliche Gestalt angenommen, Christas und der Evangelist Johannes; von diesem glaubten die strengeren Dualisten, er exi- stire noch in der angenommenen Gestalt Die Concorrezenser behaupten «tr- gmem fuisse in veritcUe feminam de sola muliere sine virili semine natam,

3) Schmidt a. a. 0. 2. 8. 42.

4) Schmidt a. a. 0. 2. 8. 79 f.

PraktiBobe Seite des kathar« Systems. |91

in strenger Armuth leben , als die pauperes Christi , wie sie sich selbst nannten. 2. Den Verkehr mit weltlichen Menschen , ausser sofern man die Absicht hat,, sie zu bekehren. 3. Untreue gegen die Wahrheit, hauptsächlich jeder Verrath an ihrer Secte; selbst der Eid galt ihnen als Todsünde. 4. Den Krieg und den Gebrauch des Schwerdtes, selbst zur Vertheidigung, setzten sie in die Kategorie des hamicidium, 5. Die Tödtung eines Thiers, das kein kriechen- des ist 6. Den Genuss des Fleisches und ^berilaupt der anima- lischen Nahrungsmittel. 7. Die Hauptsünde war iUe Ehe oder über- haupt die Geschlechtsgemeinschaft, weil sie nach Seht manichäischer Anschauung hur eine Fortsetzung des Akts ist, durch welchen der böse Gott die Seelen in materielle Leiber eingeschlossen hat. Da jeder, der in der materiellen Welt lebt, schon dadurch befleckt ist und von der Macht der Sünde mehr oder minder beherrscht wird, so muss jeder den Weg der Busse betreten. Busse thun aber und durch die Busse selig werden kann man nur in der Gemeinde der KaIhMrer, in welche man durch die Geistestaufe oder das como^ Utmenium aufgenommen wird. Alle Seelen, die in der Welt Busse thim müssen, haben so lange ihre Busse nicht vollendet und müssen daher immer wieder nach dem Tode ihres Leibes von einem Leibe mm andern wandern, bis es ihnen gelingt durch den Eintritt in die Gemeinde derKatharer in dem Sünden vergebenden conso/atnen/um das Ziel ihrer Busse zu erreichen. Da durch das consolamentum der Geist als Tröster, als Paraklet ertheilt wird, so greift hier die Lehre vom heiligen Geist in das System ein. Wie Christus oder der Sohn als ein Geschöpf Gottes unter dem Vater steht, so der Geist unter Christus. Der Vater, der Sohn und der Geist bilden so zwar auch nach der Lehre der Katharer eine Trinität, aber weil grössere Bedeutung als der trinitarische Geist hat in dem System der von Gott jeder Seele zu ihrer Bewachung gegebene indivi- duelle Geist, welcher im Unterschied von dem spiritua prindpalis eigentlich der heilige Geist und der Tröster genannt wird. Die Er- theilung des heiligen Geistes durch das conBolamentum besteht darin, dass die Seele mit ihrem Schutzgeist wieder vereinigt wird. Jedes himmlische Wesen ist nach der Lehre der Katharer eine aus Leib , Seele und Geist bestehende Einheit ^). Durch den Fall der

1) MoNBTA a. a. 0. S. 3. Dicwnt et endmt , quod Ute Dtu% 9€mefm

m Zweite Perlodt. Erster AbicliBitt

Seelen ist das Band dieser Einheit aufgelöst, die Seele ist tob Ihrem Leib und ihrem Geist getrennt. Sie kann zwar vermöge ihrer Na- tur nicht verloren gehen, jede Lichtseele muss zuletst wieder selig werden, aber es kann diess nur dadurch geschehen, dasssiesof dem langen Wege der Busse und Wanderung dahin wieder surfldc- gelangt, wo sie zuerst war, und die ursprüngliche Binbeit ihres Wesens wiederherstellt Der Anfang hiezu wird durch das caur aalamenfum gemacht, bei welchem durch den einfachen Act der Handauflegung der Seele mit dem empfangenen heiligen Geist alle Sunden vergeben werden 0- Die Seele erhält dadurch wieder, in

et venu euum populum ?iabuerU eoelestenif conetantem ex tribui, acUiee$ eor- pore et anima et spirüu. Änima intra eorpue exUtU, epiriim tfmrOf fiU euetoe e$t animae et rector ipeiuSf intra corpus non est : et ^[uod tmagMaeyne anima a Deo hono ereata proprium habet spiriium ad sui eustodiawi,

1) MoNETA a. a. O. S. 278: Impositionem manuum btigpiiistnum dksmt esse Spiritus sancti, sine qua manuum impositione neminem dicmU poeee saL vari, Sie geschieht durch den Bischof, in seiner Abwesenheit durch den FlHos major oder Filius minor. Ein solcher docet eum, eui dat mmmntm tn- positumemj quid debeat credere, et quaiem conversationem habere z item nuUam spem ponere in fide aut sacrameniis eecUsiae Bomanae ei pro «va flde immo errore usque ad mortem tribulationes sustinere. Jnqwitiiiane facta j tUrum velit hoc ohservaare^ Praelaius major texhsm evangeUi Caput ^jus imponit et alii fraireSf qui ibi sunt, manum dexteram eapUi vd hwmeris ejus imponunt; Praelatus vero, qui librum tenetf in haee verba pro- rumpens ait: In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti, et s^9tiee dida oratione dominica tandem evangelium Johcmnis, quod in die n€U€dis DowM eantatur dicit: In principio erat verbum etc. Eis ita cdebratis eredusU HU omnia peccata dimitti , et gr<Uiam spiritus sancti ei ir^undi. Ein blos ftoner- licher- Act sollte diese Handauflegung nicht sein, sie sagten nach Monett a. a. O. 8. 126 qiu>d non per impositionem manus visibiUs sed manu» in- visibilis datwr spirittu sancius et salus, et iüa manus invisibiUs lotet sub manu visUnHy wie der Apostel einen äusseren und inneren Menschen unter- scheide. Eine merkwürdige Urkunde ist das katharische Rituale, das Cn- nitz Jena 1852 aus einer Lyoner Handschrift aus dem finde des 18. oder dem Anfang des 14. Jahrhunderts, in welcher es an den Schlosa einer Uebersetzung des N. T. in romanischer Sprache angeh&ngt ist, bekannt ge* macht hat Es ist darin alles zusammengefasst, was die Gemeinde vor den- jenigen, welche Aufnahme begehren und welchen sie die höchste Ehren- stufe und den vollen Segen gewährt, den sie von dem Herrn selbst erhalten SU haben und durch ihn ertheilen zu können sich rühmt, bekennt und lehrt und was sie von ihnen verlangt Der erste Abschnitt des Bituale's gibt das Formular fElr die Beichthandlung, welche einen wesentlichen Theil des Cnl-

Das Lehrsystem der KAtharer* 193

der Wiedervereinigung mit dem bei ihrem Fall in der hohem Welt zurückgebliebenen Schutzgeist» die Gemeinschaft mit dem Himmel, und hat nun in dem sie regierenden Geist, ihrem Paraklet, einen festen Haltpunkt für das irdische Leben. Wer auf diese Weise das conaolamentum oder die Taufe des Geistes empfangen hat, ist eben- falls in die Classe der Perfecti aufgenommen, und hat als ein solcher die Verpflichtung, die Lebensregel, in deren Beobachtung nach katharischer Ansicht die christliche Vollkommenheit besteht, welche wenn auch nicht die Credentea, doch die Perfecti an sich darzustellen haben, in ihrer ganzen Strenge zu befolgen. Bleibt er ihr treu und stirbt er in der Katharergemeinde, so ist sein Tod das Ende seiner Busse, die Befreiung der Seele aus ihren materiel- len Banden, doch ist auch so noch nicht alles vollendet. Eine leib- liche Auferstehung nahmen die Katharer so wenig als die Manichäer an, aber eine Bückkehr der Seele in den Leib, mit welchem sie an- fangs bekleidet war und mit welchem sie auch wie mit ihrem Geist wieder eins werden muss 0* Aus ihrer Lehre von der Handauf-

tOB der Katharer bildete, ein im Namen der Beichtenden abgelegtes allge- meinea Bekenntniss der Sflnden und ein Gebet um Vergebung derselben in der Form einer Anrede ad Gott, die versammelten Perfecti und die Kirche. Uebendl spricht sich das Bewusstsein der Partei von dem ausschliesslichen Besitz der Kirche auf das Nachdrücklichste aus und ihr Gegensatz g|gen alles, was ausserhalb ist, als Welt, Sünde und Verderben ; die Kirche besteht nur ans der innem Gemeinschaft der Perfecti, der durch die Geistestanfe von jeder Unreinheit und Sünde befreiten , diese sind die Mittler zwischen Gtott und dem Sünder und besonders dem noch ausserhalb der Gemeinde stehenden blossen Glaubigen. Achtungswerth ist der Ernst, mit welchem auf die Sündhaftigkeit im Denken und in der Gesinnung hingewiesen wird und das Bedürfhiss sich Äussert, das Innerste der Seele im Gefähl der Schuld Gott aufzuschliessen. Die Hofihung der Vergebung wird auf die Gnade Gottes, die Kraft des Gebetes und die Verheissung des Evangeliums gebaut, ohne dass der Person und des Werkes Christi besondere Erwäh- nung geschieht. Der Katharismus erscheint hier in einem reinem Licht als in den Berichten der Gegner.

1) MoNETA sagt a. a. 0. S. 353 von den Katharem , welche zwei Prin- dpien annehmen: ponunt resurreciionem corporum dUtinguentes irUer corpus et animvmf aed aliorum corponwi reaurreciumemj 8cilicet coelesHum corporum^ ex quibus cmimae , quae ovea Israel secundum eos dictcte sunt , propter pec- tatum in hv/nc mwndtmi venenmt. Welcher Art Leiber es waren, ist aus der von Schmidt a. a. O. 2. S. 50 aus den Acten der Inquisition zu Gar- Baar, K.a. d. Mittelalterfk 13

104 Zweite Periode. Erster Abtohnitt

legrang und der durch sie ertheilten Gnade folgt, dass es in der kflnfUgen Welt nur Selige und Unselige gibt, ohne allen Stufen- unterschied 0-

Ein Lehrsystem , wie daa katharische , bildete an sich schon den schroffsten Gegensatz gegen das ganze katholische Dogma. Alles was die Kirche seit der ältesten Zeit gegen Gnostiker und Manichäer als die schlimmsten aller Haresen bestritten hatte , trat ihr in verjüngter Gestalt, schärfer und drohender als je entgegen. Es war auch nicht mehr eine still und geheim sich einschleichende Härese, die neuen Häretiker traten als offene und erklärte Gegner der katholischen Kirche auf, die sie des völligen Abfalls von dem evangelischen Christenthum beschuldigten, während sie allein die reine und lautere Wahrheit zu lehren und das acht aposto- lische Leben in sich darzustellen behaupteten. Je klarer der Con- trast vor Augen lag und je weniger der unverdorbene Wahr- heitssinn des Volks darüber im Zweifel sein konnte , wo das wahre Christenthum zu suchen sei , bei der Armuth und Weltsentsagung derer, die, wie sie selbst sich schilderten, wie Schafe unter Wdifen Verfolgungen erduldeten, gleich den Aposteln und Märtyrern, und ihr ganzes Leben unter Entbehrungen in Gebet und Arbeit hinbrachten, oder bei den stolzen üppigen Priestern einer auf welt- lichem Reichthum und hierarchischer Macht sich aufbauenden Kirche, um so grösser wurde die Gefahr. Die Kirche sah sich nicht nur innerlich in ihrer Herrschaft über die Gemüther den Grund ihrer Existenz untergraben, sondern auch schon äusserlich einen grossen Theil ihres Gebiets von den Feinden ihres Glaubens entrissen. In Italien drangen sie aus der mit ihrer Ketzerei erfüllten Lombardei selbst in die nächste Umgebung des Papstes vor, und von Frankreicb

cassonne angeführten Behauptung zu seh Hessen: redibtmt ad ccUhedroi et tunicaSf queu dimUerunt in paradUo,

\) Der katholische Rainerius nimmt a. a. 0. 8. 1763 besonderen AnstOM daran, qiiod pro aliquo peccato nee gloria aetema alicui poenitenti diminukurf nee poena infemi non poenitenti augetur, et quod ignis purgatoriua nemini reservatur; sed impositione manus culpa et poena a Deo totaliter relaxatw, Non enim gravitis punietur ludas proditor, quam infana diei uniuSf M omneB erunt aequales tarn in gloria ^ quam in poena^ sicut ipH credunt, ex- eeptis Albanenaibus, qui dicunt, quod quisque restituetur in statum prigtinumf non tarnen propriie meritiSf et quod in utroque regno, Dei scilicet et diaboUi aUi aliis sunt majores.

Die Yerbreitang and Bekftmpfviig der Ketierei. 105

ans verbreiteten sie sich immer weiter in die benachbarten Lfinder, nach Spanien , in die Niederlande , die Rheingegenden. Seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts wurden sie ein immer ernstlicherer Gegenstand der Wacnsamkeit und Thätigkeit der Kirche. Auf mehreren Synoden, wie insbesondere auf der lateranensischen des Jahrs 1179 unter Alexander HL, wurden Beschlüsse gegen sie ge- fasst, zu deren Vollziehung man schon jetzt mit bewaffneter Gewalt schrill, aber auch mit so vergeblichem Erfolg, dass die immer weiter um sich greifende Ketzerei selbst auf den Glanz der Regie- rung Innocens III. ihren düsteren Schatten warf. Wir sehen ohne Zweifel in das von dieser Sorge bewegte päpstliche Gemüth sehr tief hinein , wenn Innocens versicherte, unter den vielfachen Stür- men, durch welche das SchifBein Petri auf der Fluth umherge- trieben werde, erfülle ihn nichts mit so grosser Betrübniss, als dass die Diener teuflischer Bosheit zügelloser und verderblicher als je gegen die rechtgläubige Lehre sich erheben, die Einfältigen um- garnen, ins Verderben reissen und die Einheit der katholischen Kirche aufzulösen sich bemühen. Bezeichneten die Häretiker iiß Kirche mit den in der Apokalypse ihnen dargebotenen Na- men, so nahm auch Innocens aus ihr die stärksten Züge seiner Schilderung der Häretiker. Er verglich sie mit Scorpionen, die mit dem Stachel der Verdammniss verwunden , mit den Heuschrecken Jodls, mit Leuten, die Schlangengift in Babels goldenem Kelch dar- reichen, oder auch mit Füchsen von verschiedenem Aussehen aber zusammengekoppelten Schwänzen, weil sie, gleichviel, ob sie Waidenser, Katharer, Patarener oder wie sonst heissen, alle ein Bestreben vereinige, den Weinberg des Herrn zu verwüsten. Diese Füchslein zu fahen, die den Weinberg des Herrn verwüsten, war schon seit des hl. Bernhard's Ketzerpredigten der stehende Text und das allgemeine Losungswort der Kirche geworden, aber noch immer waren alle ihre Bemühungen ohne Erfolg. Kam sie mit dem Ansehen ihrer Legaten, so wurde sie darüber verhöhnt, dass sie, die Reichen und Ueppigen, den Armen und Niedrigen Christus pre- digen wollen, siellie sie sich mit ihnen auf denselben Fuss der ein- fachen apostolischen Predigtweise, so bekam sie alle ihre Vorwürfe nur um so empfindlicher zu hören, je näher sie sich in Streitunter- redangen mit ihnen einliess. Was blieb der Kirche anders übrig, tb ihr längst erprobtes Mittel? Mit demselben Eifer, mit welchem

13»

196 Zweite Periode. Zweiter Abiohnitt

der hl. Bernhard das Kreuz gegen die Ungläubigen gepredigt halte, stellte sich sein Ordensgenosse der Abt Arnold von Citeaux, von Innocens zu aller Wuth der Leidenschaft gestachelt , an die Spitze des Kreuzheers, das im Jahr 1209 zuerst gegen das Gebiet des Vicomte von Albi und nach der Eroberung des Landes gegen den Grafen von Toulouse sich wandte. Unter allen Gräueln des Ketzer- hasses dauerte dieser Albigenserkrieg bis zum Jahr 1229 fort, um sodann sein noch äbriges Werk in die Hände der Inquisition zu über- geben. Zu hunderten, zu tausenden starben die Märtyrer ihres Glaubens den Feuertod. Nach langem Widerstand verschwand endlich der Katharismus; aber das Vergängliche an ihm war nur das Dua- listische das er hatte: das religiöse Bedürfniss, das ihm zu Grunde lag, der Drang nach geistiger Freiheit lebte als das geistige Ele- ment fort und es darf wohl auch als eine Nachwirkung des Geistes jener Zeiten angesehen werden, dass in denselben Ländern des südlichen Frankreichs, in welchen die Macht der Hierarchie so schwere Kämpfe zu bestehen hatte, in der Folge der evangelische Glaube einen um so empfänglichem Boden fand. Die katholische Kirche aber hat auch hier nur ein gegen sie selbst zeugendes Denk- mal gesetzt, sie hat auch hier nur an ihrer Zerstörung gearbeitet Welche Vorstellung muss man sich von einer Kirche machen, die auf dem Höhepunkt ihrer Macht so vieler in ihrem innersten Lebens- grunde sie angreifender Gegner nicht anders als durch Feuer und Schwert sich erwehren kann? Sie hat gesiegt, aber aus dem voll- brachten Werke ihrer Verheerungsscenen und Scheiterhaufen hat sie denselben Feind nur weit kräftiger und gefährlicher gegen sich wieder erstehen gesehen I

Zweiter Abschnitt.

Die Hierarchie.

1. Die Päpste von Gregor VH. bis zur Reformation.

Die Reform der Kirche ist die grosse die Zeit bewegende Idee, welche die vorangehende Periode mit der jetzt beginnenden ver- bindet. Der Unterschied der beiden Perioden aber ist , dass die- selben Mächte , welche bisher so oft im besten Einverständniss an

Die Reform der Kirche. 197

derRealisirong dieser Idee gfearbeitet haben, sich nun selbst gegen einander kehren und, während die eine nur darauf bedacht ist, das soweit geförderte Werk in seiner prinzipiellen Spitze abzuschliessen, die andere sich kaum der Consequenzen erwehren kann, welche aus den von ihr selbst anerkannten Prämissen gegen sie gezogen werden. Wie harmonisch haben auch nach den Ottonen Heinrich II. und Benedict VIII. , Heinrich HI. und die drei von ihm ernannten Päpste für die Zwecke der Kirche zusammengewirkt, um gemein- sam die Uebel zu bekämpfen und auszurotten , die die Kirche fär ih^e schlimmsten Feinde hielt , Priesterehe und Simonie ! An dem Kaiserthum hatte unstreitig die Kirche ihre kräftigste Stütze: Kaiser waren es, die das Papstthum auf den Stuhl seiner Macht erhoben und ihm die Stätte bereiteten, auf welcher das Gebäude der Hier- archie aufgeführt werden konnte. Und sie haben nicht blos wieder- holt das Papstthum aus dem Abgrund gerettet, in welchen es auf der tiefsten Stufe seiner sittlichen Entwürdigung zu versinken schien, sondern auch nicht selten mit frommer glaubiger Hingebung dem mönchisch ascetischen Geiste gehuldigt, welcher in Clugny ge- pflegt und im weiten Kreise dieser C!ongregation wirkend der mäch- tigste Hebel des Aufschwungs der Kirche war. Mit dem Anfang der jetzigen Periode ist es mit einem Male ganz anders. Im ge- spanntesten Gegensatz stehen Kaiser und Papst einander entgegen. Und doch ist es derselbe streng kirchliche Reformationsgeist, wel- cher bisher Kaiser und Päpste in demselben Streben vereinigte, der sich jetzt gegen die Kaiser richtet, sich mit ihnen entzweit, und nachdem sie so vieles für die Kirche gethan haben, an sie die For- derung macht, dass sie ihr eigenes Werk durch die Unterwerfung anter die Kirche krönen , sich vor ihr als der höchsten auch über sie unbedingt gebietenden Macht beugen, ihre Hand von allem zu- rückziehen, worauf die Kirche Anspruch macht, selbst die Bande auflösen sollen, durch welche bisher in dem Oberhaupte des Reichs Weltliches und Geistliches zur Einheit verknüpft war. Darüber entstand der lange und schwere Kampf zwischen Kaiser und Papst Nur mit Mühe und Anstrengung konnten dem damals noch so un- klaren und verworrenen Gegensatz des Weltlichen und Geistlichen die Begriffne sich entwinden, deren man sich vor allem bewusst sein musste, um die Grundlage zu haben, auf welcher das Verhältniss von Staat und Kirche sich feststellen konnte.

198 Zweite Periode. Zweiter Absohaitt

Die epochemachende Bedeutung^ mit welcher der Cardinal Hildebrand den von ihm längst inapirirten apostolischen Stahl end- lich im Jahr 1073 unter dem Namen Gregor's des Siebenten selbst bestieg, um ihn ohne Widerspruch als derjenige einzunehmen, der wie kein anderer zu dieser hohen Würde berufen schien , liegt an sich schon in der Stellung, die er in der Reihe der ihm sowohl vor- angehenden als nachfolgenden Päpste hat. Es ist wie wenn jetzt erst in ihm das Papstthum im Hinblick auf die Idee, die seiner Ent- wicklung von Anfang an zu Grunde lag, zum vollen Bewusstsein dar- über gekommen wäre, was es bis dahin geworden war und was es für die Zukunft noch werden müsse , wenn es nicht auf halbem Wege stehen bleiben und in sich selbst wieder zurückfallen sollte. Alles, was wir aus der ersten Zeit seiner Regierung von ihm selbst in seinen Briefen vernehmen, die Versicherung, wie schwer er sich zur Uebernahme seines Amts entschlossen habe, seine ernsten Klagen über das von allen Seiten in die Kirche eindringende Ver- derben, die Entschiedenheit, mit welcher er schon damals erklärte, wenn es ihm nicht gelinge, sich mit Heinrich über das Interesse der Kirche zu verständigen, werde er das Wort der Schrift nicht über sich kommen lassen: MiüeMctua hämo, qui prohihet gladbm iuum a sanguine ^), alles diess lässt uns nur um so tiefer m die Gedanken und Plane hineinsehen, die seinen Geist schon da- mals bewegten und die stete Norm seiner Handlungsweise blieben. Im Argen sah er die Kirche liegen, weil sie durch fleischliche und weltliche Bande gefesselt und dadurch gehindert war, das zu sein, was sie an sich sein sollte. Fleischlich war die Kirche durch die in aimine fomicationia jacentea und weltlich durch die, die sich der haereaia simoniaca schuldig machten. Die Bande dieser dop- pelten Knechtschaft mussten zerschnitten werden, um die von Fleisch und Welt abgelöste Kirche ihrer eigenen Freiheit zurückzugeben. Da das eine dieser beiden Hauptübel der Kirche so verderblich war, wie das andere, so mussten sie mit demselben Nachdruck bekämpft werden; es waren daher schon die auf der römischen Fastensynode im Jahr 1074 gefassten Beschlüsse auf gleiche Weise gegen beide gerichtet. Die Vollziehung derselben galt zuerst der Priesterehe, die als f&micatiOj wie sie Gregor schlechthin bezeichnete, den ver-

1) Vgl. die Briefe Gregors 1, 9. 42. 2, 49.

Gregor VU. Verbot der Prietterehe and Simonie. 199

ehiichten Priester seines Amtes so unwürdig machte, wie den Hurer und Ehebrecher. Da hier der Kampf gegen die eigenen Diener der Kirche zu führen war , so schien er leichter und schneller sein Ziel zu erreichen. So wenig hatten aber noch die alten Cölibatsge- setze im kirchlichen Leben Wurzel gefasst, und so wenig hatten auch die wiederholten Verordnungen der Päpste seit Leo IX. indess vermocht, dass das päpstliche Decret, dessen Strenge nicht blos den untergeordneten Clerikern, sondern zum Theil den Bischöfen selbst das Unmögliche zu verlangen schien, den heftigsten Wider- sprach hervorrief, zu dessen Bezwingung Gregor selbst das dema- gogische Mittel nicht verschmähte, durch das Verbot, das er gegen die Messen der unkeuschen Priester gab, das Volk gegen seine geistlichen Hirten aufzuwiegeln und Laien zu Richtern über Cleri- ker zu machen 0* Es war diess nur die Einleitung des grösseren Kampfes, welchen Gregor gegen das zweite Hauplübel der Kirche auf der Fastensynode des folgenden Jahrs dadurch eröffnete, dass er mit der Drohung der Excommunication gegen die vorschrilt, die sich des Verbrechens der Simonie schuldig gemacht hatten. Je un- bestimmter der auf alter Tradition beruhende Name der Simonie ist, um so mehr ist vor allem der Anlass und Gegenstand des so folgereichen Streits in's Auge zu fassen. Dass damals das, was im Sinne der alten Kirche und nach dem ältesten an die Stelle der Apostelgesch. 8, 18 sich anknüpfenden Sprachgebrauch als Simonie bezeichnet wurde, in allen christlichen Ländern etwas sehr Gewöhn- liches war, obgleich in Deutschland, wo Heinrich HL der Simonie gesteuert hatte, weit weniger als in Italien und Frankreich, ist nicht zu bezweifeln. Waren die geistlichen Aemter, wie ein Schrift- steller jener Zeit sagt, so feil^ wie die Waaren auf dem Markte, so

1) Dicss war es, was Gregors Cölibatsdecret noch besonders verhasst machte, dass, wie es in den Annales Augast. zum Jahr 1075 heisst, Papa» deeretum enorme de continentia clericorum per laicos divulgatv/r» Auch auf dem Wormser Conoil im Jahr 1076 wurde sowohl in dem Absagebrief der Bi- schöfe als auch in dem Schreiben Heinrichs an Gregor mit besonderem Nachdruck hervorgehoben, dass er, so weit er gekonnt, den Bischöfen alle Auctorität genommen, die Verwaltung der Kirchensachen dem Pöbel über- tragen und die Laien zu Aufsehern über die Priester gemacht habe, so dass die Priestor nun von ihren Pfarrkindem verachtet und abgesetzt wurden, zu deren Lehrern sie Gott selbst durch die Weihe der Bischöfe eingesetzt habe. YgL Floto, Kaiser Heinrich IV. Bd« 2. 8. 85. 82 f. .

SOO Zweite Periode. Zweiter Abiohnitt

können freilich die Fälle nichts Seltenes gewesen sein , in welcheB selbst die höchsten Stellen, Bisthümer und Abteien, denjenigen ge- geben wurden, die die grössten Geldsummen dafür bezahlten. Ins- besondere aber hatte der schandliche Handel, welcher in Rom selbst mit der höchsten geistlichen Würde so lange getrieben wor- den war, und sehr natürlich die Folge hatte, dass unter der Regie- rung solcher Papste vollends jede Scheu vor der Simonie in dem Bewusstsein des geistlichen Standes erlöschen und aus der Praxis des kirchlichen Lebens entschwinden musste, so grosses Aergerniss gegeben, dass die Bekämpfung und Ausrottung des immer weiter sich verbreitenden Uebels allgemein als das grösste Bedürfniss der Zeil erkannt iverden musste. Wäre aber der Zweck Gregorys nur die Abschaffung eines notorischen, nach der allgemeinen Ansicht der Zeit verwerflichen Missbrauchs gewesen, so hätte der darüber sich

erhebende Streit nie eine so grosse Bedeutung gewinnen können. Der gegen den Missbrauch gerichtete Angriff schloss unter dem Namen, mit welchem er bekämpft wurde, von Anfang an eine wei- ter gehende Absicht in sich. Wie Gregor um das Uebel der Priesterehe in der Wurzel auszurotten, die Priesterehe selbst ab fomieatio bezeichnete und zwischen dem Einen und Andern nicht unterschieden wissen wollte , so wurde bei der Verleihung geist- licher Aemter nicht blos, was dabei interventu pretii geschah, son- dern auch, da geistliche Aemter und Würden als Lehen nur durch die Investitur der Lehensherrn verliehen werden konnten, diese Verleihung selbst unter demselben Verbrechen der Simonie begrif- fen oder wenigstens so eng damit zusammengedacht, dass beides als wesentlich Eins genommen werden konnte. Bestand die Simonie da- rin, dass die weltlichen Fürsten, statt die Kirche das ihr zukom- mende Wahlrecht frei ausüben zu lassen, die geistlichen Stellen selbst nur nach ihrer Gunst und Willkülir und auch ah solche verlie- hen, die durch Geld und Geschenke oder irgend ein unlauteres Mitte) dieselben sich zu verschaffen wussten, so hatte das Uebel darin seinen eigentlichen Grund, dass überhaupt Laien geistliche Aemter verleihen konnten und sogar das Recht dazu zu haben behaupteten 0*

1) Wenn Gregor von einer haeresis simomctca sprachi so meinte er da- mit nicht blos den factisch bestehenden Missbrauch, sondern auch das von Seiten der Laien dafür geltend gemachte Bechtsprincip. In demselben Simie

Gregor VIL Das Verbot d er «8 im o nie. Ml

Gegen die Laieninv^titar wurde daher der Beschluss der Synode im Jahr 1075 gefasst: Wenn jemand künftig ein Bistham oder eine

iflt es za nehmen, wenn Paschalis II. in einem Schreiben an den Grafen Robert von Flandern (Mahsi XX, 8. 986), Heinrich das Haupt der Häretiker nennt, denjenigen, der sich gegen Gott erhoben, nm der Kirche Gottes das Beich zu entreissen, nnd an heiliger StAtte das Götzenbild Simons anfge- richtet habe. Unter diesem idoktm Simonis kann man nur die Laienin- Testitar selbst verptehen. Nicht bei Gregor findet sich znerst, wie Gibselkb 2, 1. 8. 327 sagt, der Ausdruck Jiaeresis simonitica, sondern schon bei Pe- tras Damiani. NovOf proh dolor! noatro tempore haeresis orta est, schreibt derselbe Ep. 1, 13 an Papst Alezander II., eut nisi qtiantocius auctoritaiis vestrae se rigor objicifU , timendum est, ne (id reUgionis christianae pernio eimn , animarumque perieulum , vehit Cancer feraUter serpat. Aus diesem Behreiben ist auch erst zn ersehen, von welcher Behauptung eigentlich die \aereHt nmomaca ihren Namen hat. Es gebe Kleriker, sagt Petrus Da- vnaaiy welche pertinaciter dogmatizarU : non ad sim^miacam haeresim per-- tiwere, $i guis episcopatus a rege vel quolibet mimdi principe per intervenbum cotmiiemie acquiraty si tantumm^do consecrationem gratis accipiat. Sie sagten : mm didrahitur ecclesia sed facultas, nee emiiur saeerdotium, sed possessio pmddiorum, 8uh hoc emm praestaiione pecuniae opes tantum , non honoris 99I eeelesiae redimiiur sacramenium. Venalia siguidem sunt, sicut tjywiU, tmde atfU diviies, gratis accipiunt , tmde fieri debecmt sacerdotes. Diese Be- haoptnng widerlegt Petrus Damiani. Er frage, was die Investitur betreffe, den, der nicht die Kirche, sondern die Güter der Kirche sich verschafft haben will, ob der, der ihm den Stab übergab, gesagt habe: aedpe terras aigue dioitias HHus ecelesiae, oder nicht vielmehr: accipe ecclesiam. Habe er die Güter der Kirche ohne die Kirche empfangen, so sei er ein schisma- tieus nnd sacrüegus, der die Güter der Kirche von der Kirche trenne; habe er die Kirche empfangen, wie nicht zu läugnen sei, so sei er ohne allen Zweifel ein simoniacus. Es sei klar, dass er die Consecration erkauft habe, da er das, um dessen willen er zur Consecration zu promoviren war, känf- Hefa an sich gebracht habe. Um diess abzuschneiden, musste man dafür lieht blos die Kleriker, sondern auch die weltlichen Fürsten in Anspruch nehmen, wie auch schon Petrus Damiani sagt : non modo cavenda haeresis iUa soUs dumtaxat episcopis, qui consecrandis mantu imponimt, sed et seou- laribus guoque prineipihus , qui Ucet injuste, aliquo modo tarnen ecclesias fu- iuris reetoribus tradunt. Ein solches tradere von weltlicher Seite sollte also nicht stattfinden, nur so konnte verhütet werden, dass die Fürsten, wenn sie Kirchengüter als Lehen vergaben, sich nicht inmier wieder etwas bezahlen Hessen, was nicht gerade immer ein Kaufgeld war, sondern nur eine bei Verleihung von Lehengütern gewöhnliche Gebühr (vgl. Girsbbr. a. a. O. 2. 8. 277 f.), aber auch so unter den Begriff der Simonie subsumirt werden konnte. Die Laien-Investitur war also überhaupt Simonie, wenn sie irgend-

Zweite Periode. Zweiter Abeehnitt

Abtei aas der Hand eines Laien empfange , so solle ein solcher gar nicht als Bischof oder Abt angesehen sein und die Gnade des E Petras and der Zutritt zur Kirche ihm so lange versagt sein, bis er die auf unrechtmassige Weise erworbene Stelle verlasse. Dasselbe solle auch von den niedern kirchlichen Stellen gelten. Und wenn ein Kaiser, König, Herzog, Markgraf, Graf oder irgend ein Laie sich herausnehme, die Investitur von Bisthümem oder irgend einer kirchlichen Stelle zu ertheilen , so solle ihn dieselbe Strafe treffen. Es betraf somit das Decret sowohl die Verleiher als die Empfinger der geistlichen Stellen. Beides konnte der Natur der Sache nach nicht getrennt werden. Sollten die Geistlichen nichts Geistliches aus der Hand der Laien empfangen, so musste es vor allem den Laien selbst untersagt sein. Geistliches zu verleihen. Wie konnte ihnen abef dieses Recht abgesprochen werden ? Waren sie doch die rechtmässigen Lehensherrn der Guter, die als weltliche Aus- stattung mit den geistlichen Stellen wesentlich zusammengehörten. Das Decret gegen die Laieninvestitur stellte daher mit einem Worte die ganze Verfassung der Kirche in Frage, wie sie sich langst nach den Formen des Lehensrechts gestaltet hatte. Wollte man jetit hierin nur eine Verweltlichung der Kirche sehen, so hatte man nvr die Wahl, entweder freiwillig auf alles zu verzichten, was dieKirdie Weltliches von den Laien empfangen hatte, oder, wenn auch ferner beides , Geistliches und Weltliches, auf dieselbe Weise vereinigt bleiben sollte , den Laien mit dem geistlichen Recht auch das welt- liche, worauf sie als Lehensherrn Anspruch machten, zu entreissen. Da von dem Ersteren damals nicht die Rede war, und ebensowenig von den Laien eine freiwillige Verzichtleistung auf ihr herkömm- liches Recht zu erwarten war, so warf sich die Kirche in einen

wie durch Geld Ycrmittelt wurde, und wie konnte diess anders sein, so lange die Verleihung der höhereu Kirchenämter zu den Rechten der weltlichen Ge- walt gehörte. So eng aher die Simonie in diesem Sinn mit der damaligen Beichsverfassung überhaupt zusammenhing, so war dabei doch ein grosser Unterschied unter den einzelnen Regierungen. Von Heinrich III. wird sein ernstes Bemühen für die Ausrottung der Simonie gerühmt (Giesebbecht a. a. 0. S. 360. 383. Gpbörbr K.G. 4. 399 f. 409 f. 452) , während Conrad II. von Simonie nicht frei geblieben war (Giesebb. S. 571); am meisten aber wurde Heinrich*s lY. Regierung wegen ihrer Willkühr und Gewinnsucht bei Vergebung der geistlichen Stellen dieser Vorwurf gemacht Vgl. Gfböber Gregor VII. Bd. 2. S. 166. 213. 225. 234. 311.

Gregor Vn. and Heinrieh IV. 808

Kampf hinein , in welchem sie zwar nur das Recht ihrer Freiheit and Unabhängigkeit zu verfechten schien, das eigentliche Streitob* jeci aber doch nur ein weltlicher Besitz war, welcher selbst die liegende Kirche, staH sie freier zur Welt zu stellen, nur um so liefer in weltliche Interessen hineinzog und um so mehr in ihrem weltlichen Charakter befestigte. Eine prinzipielle Be- deatang hatte aber Jer Kampf auch so, da man sich nur entwe- der das Geistliche vom Weltlichen oder das Wellliche vom Geist- lichen abhängig denken konnte. Wen anders konnte daher auch Gregor in einem auf diese Spitze gestellten Kampf sich als seinen nächsten Gegner ersehen, als denjenigen, der als der erste der weltlichen Fürsten ihm dem Vertreter der Kirche gegenüberstand and nach der Lage seiner politischen Verhältnisse die beste Ge- legenheit gab, den Streit auf einen Boden hinül»crzuziehen, auf welchem durch Aufregung der Parteiinteressen die weltliche Ge- wali mit ihren eigenen Waffen bekämpft werden konnte. Der Streit nahm, nachdem der Papst den König zu Anfang des Jahres 1076 in strengem strafendem Ton zur Busse aufgefordert hatte, einen schroff persönlichen Charakter an. Die Drohung mit Excommunication und Absetzung erwiderte Heinrich unmittelbar mit dem auf der Synode zu Worms über Gregor ausgesprochenen Absetzungsurlheil, worauf der Papst auch von seiner Seite das Racheschwert zog, den König der Regierung entsetzte, alle Christen des ihm geleisteten Eides entband und ihn mit dem Fluch der Kirche belegte. Trotz der Zweifel, die Manche hegten , ob dem Papst ein solches Recht gegen Könige zustehe, wurde dieses Recht von der Mehrheit der deutschen Für- sten und Bischöfe auf der Versammlung zu Tribur im Jahr 1076 anerkannt, und Heinrich sah sich seinem Gegner gegenüber in einer Lage, die ihn zu dem raschen Entschluss bestimmte , die päpstliche Absolution in eigener Person bei dem Papst einzuholen und sie so dringend bei ihm nachzusuchen, bis sie ihm durch die bekannte Scene zu Canossa gewährt wurde. So tief aber der, schon damals selbst von Manchenseiner nächsten Umgebung wegen seiner Härte getadelte, Papst den mit allen Zeichen der Busse erscheinenden König vor sich gedemüthigt sah , so kurz und bedeutungslos war die Freude einer solchen Genugthuung. Der den bittersten Groll in sich tra- gende Heinrich führte nun erst den Kampf mit einer Energie und politischen Berechnung, deren er früher nicht fähig schien; er wurde

804 Zweite Periode. Zweiter Absohnitt

m einem für beide Theile gleich gefährlichen Krieg, der viele Jibre hindurch Deutschland und Italien durch alle Gräael eines roben Parteikampfs verwüstete und die unseligste Zerrüttung in alle öffent- liche Verhältnisse brachte. Dem König stand ein Gegenkönig, dem Papst ein Gegenpapst entgegen und zuletzt konnte der in Rom ind in der Engelsburg hart bedrängte und vor dem Hasse der Römer aus der durch Mord und Brand verwüsteten Stadt entweichende Papst zu Salerno im Lande der Normannen unter neuen Flüchen gegen Heinrich sein Leben nur mit dem Tröste beschliessen, dass er, weil er Gerechtigkeit geliebt und Ungerechtigkeit gehassl habe, darum in der Verbannung sterbe.

Wer wollte bezweifeln, dass es ihm mit diesem Zeugniss seines Gewissens ernst gewesen sei? Die von Anfang an so weit ausein- andergehenden Urtheile über Gregor haben sich allmählig in der Anerkennung festgestellt, dass man die Ueberzeugung von der Ge- rechtigkeit seiner Sache für eine wahre und aufrichtige hält Er sei sicher von etwas Höherem beseelt gewesen als von Ehrgeiz und Herrschsucht, von der Idee der Unabhängigkeit der Kirche nnd des Richteramts, das sie über alle andern menschlichen Verhältnisse auszuüben habe, von der Idee der religiös sittlichen WeltherrscM des Papstthums; nur darin glaubt man ihn sogar von verschuldeter Selbstverblendung nicht frei sprechen zu können, dass er mit acht politischer Klugheit die Mittel nur nach dem Zweck bestimmt und der Kirche völlig den Charakter eines weltlichen Staats aufgedrückt habe 0- Wie will man aber hier zwischen Zweck und Mittel unter-

1) Vgl. Neandek 5, 1. S. 156 f. Gieseler 2, 2. S. 8 f. Auch Floto sagt a. a. 0. S. 174: Man kann überzeugt sein, dass Gregor es im Grande redlich meinte, wenn er nach der Oberherrschaft griff. Sie sollte ihm nur ein Mittel sein, die Menschheit zu bessern. Er wollte die Fürsten zwingen, dass sie als Christen und in Gottesfurcht regierten. Er wollte den ge- plagten Völkern Glück und Ruhe yerschaffen. Allein er yergisst, dass seine Herrschaft nur ein Mittel sein soll , sie wird allzusehr zum Zweck. Vgl. S. 274. Hätte Gregor zwischen Zweck und Mittel so unterschieden, so wäre er sittlich nicht zu rechtfertigen. Seine Rechtfertigung liegt einzig darin, dass er nichts Höheres kannte als die Kirche. Sie war der absolute Zweck seines Handelns, der von selbst alles in sich begriff. Der Zweck die Menschheit zu bessern hatte für ihn keinen Sinn, wenn es nicht durch die Kirche und im Interesse der Kirche geschah. Was liegt also daran, wenn über solchen Planen Länder und Völker zu Gnmde gehen, wofern nnr die Kirche siegt und die Idee ihrer Herrschaft realisirt?

Beartheilung Gregorys YIL SOS

scheiden? Hat denn die Kirche erst durch die von Gregor gewähl- ten Mittel den Charakter eines weltlichen Staats erhalten, hatte sie diesen nicht zuvor schon? Und wie kann man es ihm zum Vorwurf machen, dass er die Mittel nach dem Zwecke bestimmend, nur die Mittel für die wahren und rechten hielt, die ihm mit der Idee der Kirche, wie er dieselbe nach der Ansicht seiner Zeit und nach dem bisherigen Entwicklungsgange der Kirche auffasste, am besten zu- sammenzustimmen schienen? Will man nicht geradezu die Forde- rung an ihn machen, dass er der Mann einer ganz andern Zeit hätte sein sollen^ so kann man auch ihn nur nach dem Maasstab seiner Zeit beurtheilen und von diesem Standpunkt aus das Grosse und Hervorragende seiner Stellung nur darin erkennen, dass er die Richtung, welche die Kirche bisher genommen hatte, .mit aller Ent- schiedenheit.verfolgte, aus den an sich schon im kirchlichen System liegenden Prämissen die Folgerungen zog, die sich als nothwen- dige Consequenz aus ihnen ergeben, mit aller Klarheit und Selbst- gewissheit des Bewusstseins nur aussprach, was für den Blick des bellerm intelligenteren Geistes an sich schon vorhanden war und nur ausgesprochen werden durfte, um es als die herrschende Idee der Zeit aufzustellen und durch die Macht des Zeitbewusstseins thatsAchlich zu realisiren. Daher lässt sich in allen seinen Planen und Unternehmungen, so kühn und weitgreifend sie waren, nichts aufweisen, was nicht durch die Tradition der Kirche sich recht- fertigte, nichts, was nicht durch die ganze folgende Geschichte sich als das bewährte, wofür er es hielt, als das nothwendige Mittel, wenn die Kirche auf dem einmal genommenen Wege das vor ihr liegende Ziel erreichen sollte. Hat er der Kirche mit seinem Cö- libatsgesetz eine unerträgliche Last auferlegt, so hat ef ja nichts gethan, was die Kirche nicht längst verlangt und zu ihrem Gesetz gemacht hat, und noch jetzt ist man ja allgemein dar- über einverstanden, dass der Fortbestand der katholischen Kir- che wesentlich durch den Cölibat ihrer Priester bedingt sei Wo- zu also die schon damals gegen ihn erhobenen Vorwürfe, mit tyrannischer Gewalt zwinge er die Menschen wie Engel zu leben, und indem er der Natur ihren gewohnten Lauf versage, mache er Hurerei und Unreinheit der Sitten um so zügelloser ! Ist der Cöli- bat in der Idee der Kirche begründet, kann sie ohne ihn nicht bestehen, so müssen gegen die Unbedingtheit dieser Forderung

S06 Zweite Perlode. Zweiter Abiohnitt

alle andern Rücksichten zurücktreten. War das Terbot der Laien- inveslitar ein Eingriff in die Rechte der Laien, welches Recht habeo die Laien , wenn es die Freiheit and Unabhängigkeit der Kirche gilt? Wie wäre die Kirche frei, wenn sie nicht blos die dnsseni Güter, deren sie zu ihrer äussern Existenz bedarf, sondern mit ihnen auch ihr geistliches Amt aus der Hand der Laien empfangen oifisste? Kann niemand laugnen, dass das Geistliche unendlich mehr ist ib das Weltliche, wie sollte die Kirche die Macht zu lösen and za bin- den, die sie für das Geistliche hat, nicht noch weit mehr im Welt- lichen haben? Auf dieses einfache Princip der unbedingten Unter- ordnung des Wehlichen anter das Geistliche gründete Gregor die absolute Machtvollkommenheit der Kirche auch über das Weltlicha „Wohlan, heilige Vater^^ rief er auf der römischen Synode im Jahr 1080 aus , auf welcher er Heinrich auPs neue absetzte and den Gegenkönig Rudolf bestätigte, „lasst die ganze Welt erkennen und einsehen, dass wenn ihr Macht habt im Himmel zu binden nnd n lösen, ihr auch Macht habt, auf Erden Kaiserthümer, Königreiche, Fürstenthümer, Herzogthümer, Markgrafschaften, Grafschaften und alle menschlichen Besitzungen nach jedes Verdienst zu geben uad zu nehmen. Ihr, die ihr so oft Patriarchate, Primate , Erzbisthümer und Bisthümer Unwürdigen entrissen und Frommen gegeben. Wea ihr Geistliches richtet, was vermöget ihr nicht über Weltlichesf^ Da die Kirche alles, was sie ist, in der Person des Papstes als ihres sichtbaren Oberhauptes ist, so steht der Papst als der höchste Herr- scher auf so absolute Weise über allen andern Herrschern, dass diese, was sie sind, nur in der Abhängigkeit von ihm und durch seine Vermittlung sind. Diess war ja das Verhältniss , in welchem Gregor alle weltliche Fürsten zu sich dachte, sie sind nur die Va- sallen und Lehensträger des apostolischen Stuhls, die milites des hl. Petrus. Je unmittelbarer alles diess aus der iabsoluten Idee der Kirche folgt, um so mehr ist ein einzig nur in dem Bewusstsein dieser Idee lebender und von ihr aufs tiefste durchdrungener Papst, wie Gregor , selbst nichts anders als der lebendige Reflex dieser Idee und mit der Kirche so unmittelbar Eins, dass in seiner ganzen Persönlichkeit nur das Denken , Wollen und Handeln der Kirche selbst sich uns darstellt. Es ist daher ein besonders characteristi- scher Zug Gregors, dass er sich schlechthin mit dem Apostel Petrus identificirt, und zwar nicht blos, sofern er überall im Namen und

Charakteristik Gregorys YII. S07

Auftrag des Apostelfursten auftritt, und die classischen für das Papstihum constitutiven Aussprüche Jesu von dem Felsen, aufwei- chen er seine Kirche gründen will, und von der Schlüsselgewalt zu lösen und zu binden, die er ihm vor allen andern gegeben hat, fort und fort im Munde führt; sondern sofern er sich auch in seinem innersten Selbstbewusstsein so unmittelbar Eins mit dem Apostel weiss , dass dieser eigentlich das in ihm redende und handelnde Subject ist. Man solle bedenken, schrieb er i. J. 1075 in dem den grossen Streit eröffnenden Brief C3, 10) Heinrich, dass alles, was schrifUich oder mündlich an ihn, den Papst, gelange, Petrus selbst in Empfang nehme, und wenn er, der Papst, entweder die Briefe lese, oder die mündlichen Aufträge höre, so durchschaue Petrus genau, aas v^elchem Herzen sie kommen. Wer Gott gehorsam sein wolle, nfisse die Eruinerungen des Papstes als Aussprüche des Apostels selbst befolgen. Wer so bis zur unzertrennlichen persönlichen Einheit mit dem Apostel Petrus und in ihm mit der Kirche, deren Hauplund Einheitspunkt der Apostel ist, sich identificirt, kann auch nur vom Standpunkt dieser Kirche aus beurtheilt werden, und da ann die Kirche nur ihre absolute Idee festhalten k|inn, so konnte aach das Prinzip der Handlungsweise einer schlechthin von dieser Idee beherrschten Persönlichkeit nur ein kirchlicher Absolutismus sein, welcher das Ziel seines Strebens überall unverrückt in's Auge fasst, und immer nur so weit eine Ermässigung und Beschränkung erleidet, als er der Natur der Sache nach in den gegebenen Verhält- nissen eine ihn hemmende Schranke findet, wie diess ja auch bei Gregor da und dort der Fall war, dass er von der Unbedingtheit seiner Forderungen das Eine und Andere nachlassen, nach den Um- standen sich richten und nicht auf allen Puncten seines Wirkens mit derselben Consequenz sein Ziel verfolgen konnte, worin nicht sowohl eine persönliche Inconsequenz als vielmehr die natürliche Schranke eines solchen Princips, seine zeitliche Bedingtheit zu sehen ist 0* Was

1) Eine bei aller Consequenz nach den Umständen und Zeitverhftlt* niesen sich richtende, den beabsichtigten Erfolg politisch berechnende Hand- hingsweise gehört hauptsächlich zum Characteristischen Gregors. Von die- ser Seite hat er sich ganz besonders in seinem Streit mit Heinrich in der Periode zwischen der Scene zu Canossa und der zweiten Ezcommunication des Königs im Jahr 1080 gezeigt So entschieden er innerlich gegen Hein- rich war, wollte er sich öffentlich dooh nur den Schein eines unparteiischen

808 Zweite Periode. Zweiter Abiehnitt

aber bei allem diesem die grössteEigenthfimlichkeit einer durch eine solche Stellung zur Kirche und dem kirchlichen Zeitbewusstseia bestimmten Persönlichkeit sein musste, ist jene jede menschliche Sympathie verläugnende Rücksichtslosigkeit, jener eiserne Wille, jene starre bis zum letzten Hauch ungebeugt bleibende Standhaftig- keit und Charakterfestigkeit, die an Gregor selbst seine Gegner aner- kennen und bewundem mussten. Sie wäre auch aller Bewundemog werth, wurde nur nicht eine so schneidende Rücksichtslosigkeit von selbst auch die Nichtachtung aller sittlichen Rücksichten in sich schliessen. Aber man vernehme die Sprache, mit welcher gewidi- tige Stimmen jener Zeit in den Tagen des brennendsten Kampfes,

Bchiedsrichters geben. Während er immer die Sache der Gerechtigkeit ia Monde fQhrte, zog er zweideutig nnd zweizüngig unter angeblioli Yorlli- figen Verhandlungen die Entscheidung immer weiter hinaus, nm sie aioli ftlr den rechten Moment erst noch Yorzuhehalten , und liess indeas duzoh seinen Legaten geschehen, was er selbst nicht thun wollte, um so das Gesche- hene, je nachdem es in seinem Interesse war, ebenso gut anerkennen als yerläugnen zu können. Von diesem Gesichtspunkt aus hat Lipsins in Ißed- ner's Zeitschr. für bist. Theol. 1859. 8. 275: Zur Geschichte Papst Gregoi^ VII. eine sehr beachtenäwerthe Darstellung der genannten Periode gegelML 1) Die bedeutendsten in diesem Streite erschienenen Schriften sind & des Mönchs Sigebert aus Gemblouz (EpUtola cujusdam advernu laiconm in preahyieros conjugatos ccUumnicUf und die ganz kurze Schrift : Dicta et^tu- dam de discordia regis et papaej und die von dem Scholasticus WenriGh von Trier im Namen des Bischofs Dietrich von Verdun verfasste Epistolt ad Gregorium VII. vom Jahr 1082, in welcher dem Papst vorgehalten wird, was die Anhänger des Königs über ihn, den Papst, seine Pläne und Maasa- nahmen urtheilen. „Wenn ich die Decrete des römischen Stuhls", sagt der Bischof Dietrich über das Gesetz gegen die Priesterehe, „deinen Gegnern als gut und nöthig zur Besserung der Sitten preise, so erwiedem sie mir zuerst, wie ich jemals das Decret hätte annehmen können, dass die Priester durch den Wahnsinn der Laien zu eheloscm Leben gezwungen werden sollen. Ob ich denn in dem Honig das Gift nicht gesehen ? Denn diess Decret m zum Scandal der Kirche erlassen, von der Hölle ausgespieen, von der Ver- blendung angenommen, von der Dummheit verbreitet, vom Wahnsinn bestätigt Durch diess Decret sei der Frieden der Kirche und die Ruhe des Volkes Gottes vernichtet, dem Stande der Geistlichen jede Zierde genommen, der Glaube erschüttert, kurz das ganze Haus des grossen Allvaters zertrümmert und zerschlagen. Und so sprechen nicht etwa Leute, die ihr böses (Ge- wissen in das Lager deiner Gegner getrieben, sondern Männer, die durchaus einen ehrbaren Wandel der Priester wünschen ; nur sagen sie, wird ein Sias

Cliarakteriftik Gregor*! YH 809

als Heinrich dem Papste gegenüber sich darauf berief, d«88 er Rex Dei gratis sei, wie ihm der Papst nehmen könne, was er nicht vom Papste habe, die Frage aufwarfen, ob denn der Papst die in allen Jahrhunderten bei allen Völkern als unverletzlich geltende Heilig- keit des Eidschwurs so einfach lösen könne, dass er nur zu sagen brauche, ich absolvire euch alle von dem Eide, welchen ihr dem König Heinrich geschworen habt, man bedenke den Ernst, mit wel- ebem solche Stimmen an das Rechtsbewusstsein der Völker und die sittliche Macht des Gewissens gegen die Machtbefehle und Bann- * flache des Papstes appellirtenl Welches gefährliche Spiel mit dem Gewissen der Völker war es , wenn man ihnen nur die Wahl liess, entweder gegen die Stimme ihres Gewissens zu handeln, oder um des Gewissens willen dem Papst nicht zu gehorchen I Hier , wenn irgendwo, wird klar, mit welchen Verletzungen des allgemeinen litllichen Bewusstseins und mit welchem Nachtheil für die öffent- Udie Sittlichkeit das Papstthum dem Gipfel seiner Macht entgegen- fdirilt, auf welchem Grunde sie von Anfang gegründet war, wenn es nor mit Untergrabung des tiefsten Fundaments, auf welchem alle lebttisverhaltnisse beruhen, insbesondere diejenigen, welche Für- al0B und Völker in der Einheit des Staates mit einander verknüpfen, den Stuhl seiner Herrschaft aufrichten konnte. Fragt man, ob sol- che Gedanken und Zweifel nie in der Seele eines Mannes, wie Gre- gor, auEstiegen, so sehen wir uns in seinen Briefen vergeblich nach

in der Wand nicht dadurch geheilt, dass man das Fundament des ganzen Haiuies in Trümmer schlägt." In demselben Ton werden auch die übrigen Punkte, die Absetzung des Königs, der Bann, die Nichtigkeitserklärung der Etdei das Investicurrerbot besprochen. Vgl. Floto a. a. O. 2. S. 292 f. Ton Siegbert von Gembloux ist auch, ,wie Giesklkb 2, 2, S. 62 bemerktj das noch vorhandene Schreiben der Lütticher Kirche an Papst Paschalis 1I.| in welchem von der inveterata discUsio imperii Bomani gesagt wird, dass de tarn divinas quam humcmas leges pede abolevit ipmm regnwn noUrwm non tcmtvmi in solüudinem , aed eiiam ad apostatiam catholicae ßdei tive in ^}fum jpaganismum propemodum redegit. Welche tiefe moralische Zerrüttung der Investiturstreit zur Folge ]iattc, beweist nicht nur der auch nach Gre- gors Tod durch rebcUisclic Fürsten in Deutschland fortdauernde Bürgerkrieg, sondern insbesondere auch der Abfall der beiden Söhne Heinrichs, Conrad uid Heinrich, welche beide theils unmittelbar durch päpstliche Umtriebe, theils durch die Einwirkung päpstlicher Ansichten und Grundsätze zu Ter- räthem an dem unter dem Banne der Kirche stehenden Vater worden. Bsar, X.a. d. MitteUltsn. 14

810 Zweite Periode. Zweiter Absohnitt

AeasseruDgen dieser Art um. Gibt ihm auch einmal einer der ver- trauteren Freunde, wie der Bischof Hermann von Hetz, das Ge- fährliche seiner Schritte zu bedenken, so antwortet er nur mit dem frevelhaften Wahnsinn derer , die dem apostolischen Stuhl sein ab- solutes Recht streitig machen wollen , und wir hören nur wieder das alte Lied von dem Felsen, den Schlüsseln, dem unendlich hohei Vorzug des Priesters vor dem Fürsten, dass unter allen Kaisern uid Königen , auch den besten und grössten keine Wunderthäter ge- wesen seien, wie der h.Martinus, Antonius, Benedictus. Alles diesi hat seinen guten Sinn nur, wenn es die Kirche ist, die diese Sprache in ihm führt Nur da können wir den Menschen und Christen ia ihm sehen, wenn er des verketzerten Berengar sich annimmt, der Harkgräfin Beatrix und ihrer Tochter Hathildis die Liebe als dii vom Himmel gekommene Hutter aller Tugenden preist, den AU Hugo von Glugny darüber tadelt , dass er einen frommen Herzog, einen guten Fürsten, wie es so wenige gebe, unter seiae Mönche aufgenommen und dadurch der Welt entzogen habe, in welcher er ein Vater der Armen, eine Stütze der Wittwen und Waisen geweiea sei. Aber auch solche Regungen einer edleren acht christlichei Humanität müssen alsbald verstummen, so bald es die Sache dsr h. Petrus gilt, den Absolutismus der Kirche, dessen treoester, be- wusstester, thatkräftigster Vertreter Gregor VII. für alle geblieben ist

1) Wie von jeher zwischen Heinrich IT. and Gregor VII. nach der Verschiedenheit des Standpunkts, von welchem aus ihr Kampf geschildeft wurde, Licht und Schatten auf sehr verschiedene Weise sich yertheilte, lo ist nun vollends der Gegensatz zwischen diesen beiden hervorragende Häuptern der Geschichte des Mittelalters in Gfrörer*s grossartig angelegtem Werke: Papst Gregorius VIL und sein Zeitalter. Schaffhausen 1859. Bd. 1 8. bis zur höchsten Spitze gesteigert. So hoch Gregor erhoben wird, 80 tief wird Heinrich herabgesetzt. Es gibt nichts Schlechtes und Niedrigei^ nichts Unsittliches und Irreligiöses , nichts Intrigantes , Gewaltthätiges , VA- brecherisches , das nicht Glauben verdiente , sobald es nur ein noch so pa^ teiisch gesinnter Chronist als von Heinrich begangen erzählt, und was ihs von Geistesgrösse , Verstand und Herrschertalent eingeräumt wird , scfaeiot er nur dazu zu haben, damit sein sittlicher Charakter in einem um so grOf* seren Oontrast dazu steht. Hildebrand dagegen ist wie ein incamirter EagA nur zum Segen der Menschheit auf Erden erschienen, er ist in geistis« and sittlloher Beziehung ein unerreichtes Ideal. Nie hat ein Sterblichar i9

Gregor YIL n. ■. Naohf. Victor m. Urban n. tll

Das Papstthum befand sich nach Greg^or's Tode in einer Lage, die nichts weniger als beneidenswerth erscheinen konnte. Der schon so lange mit dem bittersten Hass und allen Waffen der geistlichen and weltlichen Macht geführte Streit hatte statt des von der Kirche gehofiten Kampfpreises für sie selbst die schlimmsten Uebel zur Folge gehabt, und in einem grossen Theile der Christenheit den Glauben an sie so erschüttert, dass sich das Ziel ihrer Völkerherrschaft in eine weitere Ferne hinauszurücken schien. Nur mit anfangs noch schwa- chem Muth ergriffen die von Gregor selbst unter seinen Freunden und iiönchischen Geistesgenossen gewählten Nachfolger, Desiderius, der Abt des Klosters Monte Gasino, der sich als Papst Victor III. lannle, and Otto, Bischof von Ostia, wie Gregor ein Zögling des Klo- sters Clogny, als Papst Urban IL, das von Gregor verlassene Ruder der Kirche. Aber schon hatte der von Gregor und den ihm gleich- gwinnten Weltverächtern geweckte Geist angefangen, sich eine neue Bahn seiner Weltentwicklung zu brechen. Die rasch auflodernde Flanmeder Kreuzzugsbegeisterung stellte mit Einem Male dasPapst-^ thaoi ab lenkende Macht an die Spitze einer Völkerbewegung, die

Miclitig auf die Mitlebenden eingewirkt, als er, und nie beherrschte Petri Stahl die Qeister in solchem Umfang, wie während des halben Jahrhunderts, das Tor, unter und nach seinem Pontificat verlief. Das sittliche Feuer, das Ton dem geweihten filreise ausströmte, dessen Haupt und Mittelpunkt Car- dinal EBldebrand war, brach sich nach allen Seiten Bahn und nöthigte der ganzen Welt, mochte sie ihn hassen oder lieben, Ehrfurcht ab. Vielleicht hat es nie einen Menschen gegeben, der solchen Zauber auf Andere übte, dem so^^ie ihm das Herrscher-Siegel aufgedrückt gewesen wäre, der so hohe Ziele yerfolgte und ohne Geld, ohne Heeresmacht so erstaunliche Er- folge errang. Ein Herrschergenius der seltensten Art ist Hildebrand ge- wesen. Entweder enthält das Christenthum nichts als Täusc]\ungen , oder M kann das Reich Gottes nur in Hildebrands G^ist hier unten gefördert werden. So lautet das Urtheil Gfböbbb^s über Hildebrand, vgl. a. a. O. 1. 8. 572. 2. S. 106. 403. Nur Einer ist in jenem an geistigen Grössen so idehen Zeitalter würdig, ihm gegenüber gestellt zu werden, der Erzbischof Hanno von Cöln, der erste Staatsmann des deutschen Mittelalters, . der zwan- fig Jalire lang gleich einem Schutzengel Deutschlands wirkte, von seinem Bieehoftsitxe aus die halbe Welt regierte und die Bosheit des ränkevollsten Hefes im Zaume hielt. A. a. O. 2. S. 115. 126. 332. Es ist eine der deut- Mhen Geschichtsforschung noch obliegende Aufgabe, die in der Gfböbeb- lohen Darstellung nach einem so hohen Maassstab entworfene Charakteristik Qngor*s, Heinrich*s und Hanno^s an der historischen Wirklichkeit zu con- ttoBrea und ihr gegenseitiges Yerhttltniss thatsächlich festzustellen.

14*

919 Zweite Periode. Zweiter Abeeirnitt

ihm selbst den mächtigsten Aufschwung gab. Im sichtbaren Bewusst- sein dieses ungeheuren Machtzuwachses hielt Urban, welcher, so schwach er anfangs noch dem kaiserlichen Gegenpapst Clemens U. gegenüber ist, doch hier recht deutlich als der den Ruf der Zeit ver- stehende und von ihrem Geist getragene Papst erscheint, auf der grossen Kirchenversammlung zu Glermont im Jahr 1095 seine be- rühmte, damals in aller Mund lebende, der grossen Angelegenheit des Kreuzes gewidmete Rede. Was ausserhalb dieser neuen Zeit- strömung lag, verlor für den Augenblick seine Bed^utang^ von Heinrich und Deutschland und ihrem fortdauernden Groll gegea den Papst wandte das öffentliche Interesse sich ab, der noch immer in Rom sich haltende Gegenpapst wurde von Kreuzfahrerachaarea verjagt und in Ansehung der Investitur hatte Urban schon zu Met im Jahr 1090 und zu Glermont im Jahr 1095, wie wenn damit die Sache entschieden wäre, den unbedingten Grundsatz aufgestdlt, dass kein Kleriker in irgend einer Form der Lehensabhingigkeit zu Laien stehen dürfe. Unausgefochten ging der alte Streit voa Heinrich IV. auf Heinrich V. über, der mit neuem Nachdrudk seia hergebrachtes Recht geltend machte. Bei den seit dem Jahr 1107 zwischen Heinrich und dem Papst gepflogenen Verhandlungen ta> endlich auch die, wie man denken sollte, von Anfang an so «Afi liegende Frage zur Sprache, ob nicht die Kirche, um sich ihr geist- liches Recht rein zu bewahren , auf die Belehnung mit weltlichen Gütern lieber ganz verzichten sollte; allein die entschiedene Wei- gerung der deutschen Bischöfe, ohne die Bekleidung mit weltlichem Gut eine nackte und kahle Heef de unter dem päpstlichen Oberhirten zu bilden, stellte nur um so klarer heraus, wie wenig von der mit ihren weltlichen Gütern so eng verwachsenen Kirche eine Beile- gung des Streits auf solchem Wege zu erwarten war. Der voa Papst Paschalis IL im Jahr 1111 schon eingegangene, dem Kateer die Investitur zugestehende Vergleich nahm nur die Wendung, dass die jede Nachgiebigkeit verwerfende streng kirchliche Partei auf Heinrich als einen zweiten Judas neue Bannflüche schleuderte und Kaiser und Papst wieder in offener Fehde gegenüberstanden. In- dess hatte sich doch das Bewusstsein der Zeit in dem langen Ver- lauf des Streits über das eigentliche Moment desselben so weit auf- geklärt, dass eine Verständigung nicht zu fern liegen konnte. Nur in Deutschland dauerte der Streit so lange fort; in Frankreich und

Pasch. IL. Call xt IL lüTestiturstrelt. Worms. Goncord. S18

England hatte man weit früher eine praktische Auskunft zu finden gewusst. Man hatte sich überzeugt, dass, wie bei den geistlichen Aemtem zweierlei in Betracht kommt, das geistliche Amt als sol- ches und das zur Ausstattung desselben gehörende weltliche Gut, so auch bei der Verleihung ein doppelter Act unterschieden werden müsse, der geistliche^ der zunächst unter der Investitur verstanden wurde, und der weltliche als Belehnung. Wenn man also nur bei- des wohl auseinanderhalte und anerkenne, dass die weltlichen Für- sten nichts eigentlich Geistliches zu geben beabsichtigen, sondern nur entweder der Wahl beistimmen oder die Belehnung mit den von ihnen der Kirche verliehenen weltlichen Gütern ertheilen, so sei die Investitur etwas höchst indifferentes, und keine Ursache vor- handen, dass die geistliche und die weltliche Macht, in deren Ein- tracht allein das Wohl der menschlichen Gesellschaft bestehen kann, sich darüber so sehr entzweien. So hatte der Bischof Ivo von Ohartres schon im Jahr 1099 in einem Schreiben an den Bischof Httgo von Lyon, den päpstlichen Legaten, die Sache aufgefasst. In Eogland hatte Papst Paschalis II. selbst im Jahr 1106 den Erzbi- icfcof Anselm von Canterbury, da auch in England der König streng auf feinem hergebrachten Rechte beharrte, von dem Verbot Urban's n. diapensirt, und es galt seitdem in England für erlaubt, dem König wenigstens den Lehenseid Cdas hominium) zu leisten. Diese An- sicht drang endlich auch in Deutschland durch, und es kam nur noch darauf an, dass die beiden bei der Verleihung der geistlichen Aem- ler concurrirenden Acte in ihrem Unterschied von einander auch dorch besondere Symbole fixirt werden konnten. So hartnäckig noch immer der Kaiser und die deutschen Reichsfürsten auf dem herkömmlichen Recht der Investitur mit Stab und Ring bestanden) so gaben sie sich doch endlich zufrieden, als ihnen für das aufge- gebene geistliche Symbol ein anderes weltliches als Ersatz gegeben werden konnte. In dem im Jahr 1 122 zwischen Heinrich II. und Ca- lixt IL zu Worms geschlossenen Concordat verzichtete Heininch auf die Investitur mit Stab und Ring und Calixt von seiner Seite gab leine Zustimmung dazu, dass der rechtmässig gewählte Bischof oder Abt durch das Scepter die Regalien vom Kaiser empfange, nnd was er ihm dafür von Rechtswegen schuldig ist leiste. Zu einem so bedeutungslosen Streit über eine blosse Form sank also zuletzt der zwischen Heinrich und Gregor so gewaltig entbrannte

814 Zweite Periode. Zweiter Abiohnitt.

Kampf herab, und so reaaltatlos standen die beiden Hichtei die bei dem schneidendsten Widerspruch ihrer Interessen Kirche und Reich aus allen ihren Fugen reissen zu wollen schienen, einander gegen- über, als sie nach fünfzigjährigem Krieg und Hader sich wieder die Hand zum Frieden boten ! Daher kann das Hauptresultat eben nur in diese Resultatlosigkeit selbst gesetzt werden, dass es auch fem«r blieb , wie es schon bisher war , oder es kann nur darin erkanat werden, dass man durch alle Versuche, die gemacht worden warea, die beiden einander gegenüberstehenden Mächte, die geistUche und weltliche, entweder völlig auseinanderzureissen, oder die eine der andern schlechthin unterzuordnen , sich nur von der Unmög- lichkeit überzeugen musste, das bisher bestehende Verhilinist we- sentlich zu ändern. Hatte die Kirche alles daran gesetzt, den sie mit der Laienwelt verknüpfenden Lehensverband völlig zu trennei, so musste sie ihn jetzt ausdrücklich anerkennen; hatten die well- lichen Fürsten, nur um ihr hergebrachtes Recht zu behaupten, sich geweigert, auf die Investitur zu verzichten, so sahen sie ja jetst sich förmlich bestätigt, was für sie von Anfang an das Haopl- moment des Streits sein musste. War es der Kirche gelungen, Stab und Ring , als die ihr allein zustehenden Symbole , wieder an äA zu ziehen, so konnte ihr ja auch zuvor schon die durch sie bezeidh nete Sache nicht abgesprochen werden, und was die weltlidna Fürsten dadurch zu verlieren schienen, wurde ihnen durch ein an- deres entsprechendes Symbol ersetzt. Reide Theile blieben so zwar nur in dem Resitz dessen, was sie zuvor schon hatten, aber sie hatten es jetzt auf ganz andere Weise, mit dem bestimmten Be- wusstsein des Verhältnisses, in welchem sie zu einander standea, dass, wie sie auf der einen Seite nur in und miteinander sein könnmi, so auf der andern auch jeder an dem andern eine Schranke hat, die er nicht aufheben kann. Glaubte die Kirche nicht ohne weltliche Güter existiren zu können, so sollte sie sich auch der Abhängi^it bewusst werden, in welcher sie als Lehensträgerin zu den welt- lichen Fürsten stand; aber ebenso sollten auch diese, wenn sie die Kirche mit ihren Gütern belehnten , es mit der Anerkennung thun, dass die Kirche von ihnen nichts Geistliches , sondern nur Well- liches empfangen könne. Diess ist es, was für jeden der beiden streitenden Theile aus dem Verlauf des Streites sich ergab; halte man zuvor noch keine klare Vorstellung des gegenseitigen Ter-

Der lüTestitatitreit und sein Reialtat S15

halinisses, so konnten jetzt die die Sache bezeichnenden Symbole dazu dienen, Geistliches und Weltliches, Kirche und Staat, das Recht des Priesters und das der Laien in der ganzen Weite ihres Unterschieds auseinander zu halten. Die Kirche, die den Streit begonnen hatte, war in ihrem absolutistischen Streben auf einen Punkt gestossen, auf welchem ihre Macht an einer andern sich brach, die sie nicht schlechthin negiren konnte, sondern in ihrer thatsächlichen Realität sich gegenüber bestehen lassen musste. Blieb also auch der Gegensatz objectiv, wie er zuvor schon war, so war er doch subjectiv ein anderer; an der Schranke, die jede der beiden Mächte an der andern hatte, war man sich der innern Notwendigkeit des bestehenden Gegensatzes bewusst geworden 0* Papstthum und Kaiserthum sind in jenen Jahrhunderten des Mittelalters so eng mit einander verschlungen, dass beide nur mil und an einander zu ihrer vollen geschichtlichen Bedeu* Vmg gelangen können. Erst mit dem epochemachenden Auf- tretea der hohenstaufischen Herrscher trat auch das Papst- ihnli in ein neues Stadium der Bestrebungen ein, welche es dem Höhepunkt seiner Macht vollends entgegen führen sollten. Zwischen das Ende des Investiturstreits und das unmittelbar diniiif erfolgte Erlöschen des . frankischen Kaiserhauses auf der einen und das Aufblühen des hohenstaufischen in Fried- rich Barbarossa auf der andern Seite fallt eine Periode, die für beide Mächte nur dazu bestimmt zu sein scheint, Kräfte zu neuen Kämpfen zu sammeln. Und doch durfte sich das Papstthum auch in dieser Zeit keiner ruhigen und fried- lichen Existenz erfreuen. Nicht nur trat damals der durcfi den sittlich ernsten Charakter seines Lebens und seiner Grund-

1) Man kann somit nicht so geradezu i^t Floto a. a. O. S. 426 sa- |in: Das Papstthum hahe den Sieg davon getragen, die Sache des Kaiser- flifimis sei jetzt nicht mehr zu retten gewesen , die Bischöfe seien zwar zu- aldurt noch in der Abhftngigkeit rom Kaiser geblieben, aber es sd' nicht mehr das alte gute Verh&ltniss gewesen, wo sie zuerst im Kaiser und dar- nach in zweiter Linie im Papst ihren Herrn erblickt hatten. Das erste Becht hatte die Kirche von jeher auf ihre Bischöfe, und sie that nur, was de der Natur der Sache nach thun musste, wenn sie um der weltlichen Qflter wiUen, die an dem geistlichen Amt hiengen, das Band dieser Ab- hlogigkeit doh nicht lösen lassen wollte, sondern es nur um so fester sog.

S16 Zweite Periode. Zweiter Abiohnitt

Sitze mächtig auf das Volk wirkende Arnold von BrUei mit seinen priesterfeindlichen, Kirche und Staat scharf trennen- den und dem Klerus jedes Recht auf weltliches Gat absprechende! Predigten auf, sondern es theilte sich auch unter solchen Binflässei selbst den Römern ein solcher Widerwille gegen die Priesterherr* Schaft mit, dass sie in offener Empörung gegen sie mit den Ge- danken sich trugen, an die Stelle derselben die hochgeprieseni Verfassung des alten römischen Staats zu setzen. Als der vor solchen Beginnen aus Rom und Italien nach Frankreich entweichende Papal E u g e n i u s in. als Zögling des Klosters Clairvaux sich aufs Neue der Obhut und Leitung des Abtes Bernhard anvertraute, stand zwar fai ihm das bedrängte Papstthum unter dem Schutze eines hochge^ achteten Namens, aber auch eines solchen, dessen weithin strah- lende Mönchsheiligkeit es tief in Schatten stellte. In ihn das schwachen unscheinbaren Mönch lag die bewegende Macht der Zeit, als er, was damals selbst die Päpste nicht vermochten, dis durch die Unglucksbotschaft aus dem Orient niedergeschlageae abendländische Christenheit und die Herrscher des mächtigste Reichs zu neuen Anstrengungen für das heilige Land begeistolfc Auch das war nur eine neue Art der Demüthigungen, die daaiii dem Papstthum widerfuhren, dass selbst der Abt Bernhard «A veranlasst sah, an den endlich nach Rom zurückkehrenden Eugeniu Betrachtungen über das Papstthum zu richten, die nur als Me ernste ahnungsvolle Stimme der Warnung vor der Klippe des welt- lichen Strebens angesehen werden konnten 0-

Der jetzt beginnende Kampf der Päpste mit den Hohenstaufea hat einen andern Charakter, als der mit den fränkischen Kaisera geführte Investiturstreit Kann man den letztern mit Recht einen Prinzipienstreit nennen, so gilt dasselbe nicht von dem erstem. Obgleich es sich auch im Investiturstreit um ein weltliches Inter- esse handelte, um den unabhängigen Besitz der zu den geistlichen Aemtern gehörenden weltlichen Güter, so war es doch die Kirche, in deren Name n er Streit geführt wurde, es stand Prinzip

1) Wie die Httretiker die Verweltlichung der Kirche von BÜTester datirten , so hält auch Bernhard, nachdem er den weltlichen Pomp des Papstes geschildert hat, ihm entgegen: in hu aucceasisH non Peiro, $ed Oomtaniino. eongidercUiane ad Mtgenium Fapa 4, S.

Kampf der Päptte u. Hohenitaufen. Friedr. L a. Hadrian IV. {117

gegen Prinzip, das geistliche Recht gegen das weltliche, der Priester dem Laien, der weltliche Fürst dem Papst, die Kirche dem Reich gegenüber. Von einem solchen Gegensatz ist jetst kaum noch die Rede, er ist wenigstens nicht die bewegende Trieb- feder. Reide streitenden Theile erscheinen vielmehr nur wie zwei Mächte, welche in gleich eroberungssüchtigem Streben begriffen, überall auf einander stossen , und von welchen jede zur Erweite- rung ihrer eigenen Herrschaft der andern so viel möglich abzu- gewinnen sucht So vielfachen Gebrauch auch die eine der beiden Mächte von ihren geistlichen Waffen macht, so tragt doch der Kampf selbst durchaus einen weltlichen Charakter an sich, die Frage ist nicht, ob die weltliche Macht mit der geistlichen gleidi b^echtigt oder ihr schlechthin untergeordnet ist, sondern nur welcher der beiden Gegner im Stande ist, den andern zu überwäl- tigen und zu unterdrücken. Daher ist auch deutlich zu sehen, an welchenn Punkte der nie ruhende Kampf sich immer wieder ent- itadet, bis er, merkwürdig, wie er ist, durch das Hervorragende seiiMr Persönlichkeiten, die Consequenz seiner Führung, den IFeehsel der Geschicke, mit einer grossartigen Katastrophe endigt Als die Scene des neuen Kampfes sich zuerst eröffnete, stand dem imn Herrscher geborenen , hochherzigen, ritterlichen Friedrich der vom Rettlerknaben durch alle Stufen der Hierarchie hindurch auf den apostolischen Stuhl erhobene Hadrian IV. gegenüber, und gleich bezeichnend für beide waren die ersten Rerührungen, in die sie einander kamen. Während sich in allen Handlungen Fried- richs das sichere Selbstvertrauen eines Herrschers ankündigte, welcher im vollen Rewusstsein seiner Stellung zwar willig genug war, zu erweisen, was die Ehrfurcht vor dem Haupte der Kirche and die schuldige Rücksicht auf die Verhältnisse zu erheischen sdiien, aber auch in stolzem Selbstgefühl nichts weniger ertragen konnte, als die Aeusserungen einer Anmassung, die seiner per- sönlichen Ehre oder der Würde und Selbstständigkeit des Reichs zu nahe trat, gab sich dagegen in dem Renehmen Hadrians eine scheue argwöhnische Aengstlichkeitkund, die die beiden Herrscher sich nur entfremden konnte. Je entschiedener und durchgreifen- der Friedrich geltend machte, was er als sein wohlbegrundetes kaiserliches Recht ansprechen zu dürfen sich bewusst war, und je mehr er dadurch seine Macht befestigte, um so mehr sah Hadrian

JMS Zweite Periode. Zweiter Abechaitt

fchoD darin eine Verkfirzung der seinigen, und je weniger er offen ■nzagreifen wagte , um so weniger konnte er in Klagen nnd Be- •chwerden den tiefen Groll verbergen, welchen er innerlidi in sich hegte. Wie gespannt das Verhältniss zwischen dem Papst und dem Kaiser schon unter Hadrian war, zeigte sich nach dem Tode desselben, als aus dem in zwei Parteien getheilten CoUegini der Kardinale zwei Päpste hervorgiengen, der kaiserliche Vieler IV. und der dem Kaiser persönlich abholde AlexanderlDL In dem letztem hatten die gegen Friedrich eng verbündeten lombardisdiea Städte, deren Streben nach freien Municipalverfassungen mit dem kaiserlichen Recht in Widerspruch kam, ihren natürlichen Bun- desgenossen. Die harten Kämpfe, die gegen solche Feinde zn bestehen waren , nöthigten zwar den von den Weifen verlassenea Kaiser, sich mit Alexander IIL auszusöhnen; aber der im Jahr 117T zu Venedig geschlossene Friede war für Friedrich ehrenvoll ge- nug, und von keiner der Demüthigungen begleitet, mit welchen eis anderer der mächtigeren Herrscher jener Zeit schon damals vor demselben Papste sich hatte beugen müssen, Heinrich IL, der KAnigf von England , welchen die maasslose hierarchische HerrschsiA des von ihm selbst auf den erzbischöflichen Stuhl von CantertaT erhobenen Thomas Bocket in eine Reihe von Verwidklungen Ha- einzog, in deren Folge er sich zuletzt noch der niedrigsten Busw am Grabe des heil. Märtyrers unterwarf, im Jahr 11740*

Die Ursache des feindseligen Misstrauens, das auch die folgen- den Päpste gegen «Friedrich an den Tag legten, deckte sich mehr und mehr auf, und erschien um so gerechtfertigter, je mehr auch Friedrich den eigentlichen Zielpunkt seiner politischen Plane enthüllte. Man konnte darüber nicht mehr im Zweifel sein, dass er in dem Reich der Normannen in Unteritalien und Sicilien lag. Die Päpste hatten sich längst alle Mühe gegeben^ dieses Reich zum Stützpunkt ihres Widerstands gegen die von Oberitalien her gegen sie andrängende Macht der Deutschen zu machen und den Be- herrscher der Normannen mit den festesten Banden an das Interesse des apostolischen Stuhls zu knüpfen. Er war der Vasalle des hl.

1) So demüthigend war jedoch die Unterwerfung Heinrichs unter die weltliche Macht des Papstes nicht, wie sie gewöhnlich dargestellt wird, dass er sich selbst zum Vasallen der römischen Kirche bekannt hätte. Vgl Pauli, Gesch. von England. Bd. 8. Hamb. 1853. S. 108. 123. 124.

Friedrioh I* Heinrich VI. Das Normannenreioh. 919

Petrus geworden mit der ausdrücklichen Verpflichtung , die römi- sche Kirche gegen alle und jede Feinde nach besten Kräften zu schützen , und selbst der jeden Lehensverband der Kirche mit den Laien so streng verwerfende Papst Urban IL hatte dem Grafen Roger von Sicilien in der Monarchia ecclesioMtica SicUiae landes- herrliche Rechte in Sachen der Kirche eingeräumt , wie sie keinem andern Fürsten bewilligt worden waren. Man denke sich, welphen Eindruck es auf die Päpste machen musste, als ein ohnediess so gefürchteter Gegner die Absicht kund werden liess, in der nächsten Nähe des Stuhles Petri und einem Lehensland desselben festen Fuss zu fassen. Trotz aller^ Vorsicht von Seiten der Päpste und alier zur Vereitlung des Planes gemachten Versuche konnten sie nicht hindern, dass der verhängnissvolle Ehebund zwischen Hein- rich, dem Sohn j'riedrichs, und der Prinzessin Constantia, der Brbin des Normannenreichs, im Jahr 1186 zu Stande kam und Hmrich im Jahr 1191 das anererbte Reich in Besitz nahm. WeUke Besorgnisse der ernstesten Art lagen für das Papstthum JB der Zukunft eines Herrschers, welcher mit der Kaiserkrone, die er schon auf seinem Haupte trug, auch die Krone von Netpel und Sicilien vereinigte, und in der kurzen Zeit seiner Regierung so viele Beweise hohenstaufischen Herrschergeistes gab, dass er keinem der beiden Friedrich an Geisteskraft und Staatsklugheit nachzusetzen, an Entschiedenheit und Energie viel«- ImchX noch über sie zu stellen ist! Aber auch welcher rasche Umschwung der Verhältnisse, als schon im Jahr 1197 den zwei- anddreissigj ährigen Kaiser das Schicksal in dem Augenblick abrief, da die volle Saat seiner Entwürfe zur Ernte gereift schien, und „als wollten die beiden grossen sich gegenseitig bedingenden und be- kämpfenden Gewalten, welche die Jahrhunderte des Mittelalters beherrschten , all ihre Herrlichkeit und Macht zusammenfassen in dem kurzen Zeitraum eines Menschenalters,^^ um dieselbe Zeit nach dem Tode des neunzigjährigen Papstes Cölestin, „den Stuhl Petri ein Mann bestieg, der nach der Kraft seines Geistes und ViTillens berufen schien, den Gedanken Gregors VH. zu verwirk- Kchen« ^).

1) Abel, König Philipp der Hohenttaafe. Berlin 1862. S. 85. 71 and 18 f.

mO Zweite Periode. Zweiter Abselmltt

Es ist nur Eine Stimme darüber, das« mit I n no c e nx IIL das Papstthum den Gipfel seiner Grösse erstieg, und in der lanfsn Reihe der Jahrhunderte in keiner andern Periode einer so unge- störten Ruhe und einer so glänzenden Entfaltung seiner Macht und Herrlichkeit sich erfreute, wie unter der Regierung dieses Papstes, welcher nicht blos durch alle Herrschoreigenschaften, sondern ■ucii durch persönliche Vorzüge, wie durch hohe Geburt, so auck durch Geist, Bildung und Gelehrsamkeit, wie kein Anderer atf dieser höchsten Stufe sich auszeichnete. Von dem ersten Tage seiner Regierung bis zu der grossen Synode am Schiasse der- selben bildet die Geschichte seines Pontificats vom Jahr 1198 bis zum Jahr 1216 eine fortgehende Reihe der wichtigsten Be- schlüsse und Handlungen, der glänzendsten Siege und BroberungeL Planmässijr begann er seine Thäkigkeit damit, die päpstliche Her^ Schaft vor allem in ihrem unmittelbaren Sitze so herzustellen und zu befestigen, dass er als der eigentliche Gründer des Kirchen- staates zu betrachten ist. Die bisher vom Papslthum noch ge- trennten und so oft in Streit mit den Päpsten gerathenden städti- schen Behörden, den vom Kaiser eingesetzten und in LehenspflieK genommenen Präfect der Stadt und den vom Volke gewfihta Senator, vereinigte er zuerst mit dem Papstthum zur Einheit, eimer päpstlichen Regierung, und zog sodann nicht nur in dem die Stadt zunächst umgebenden Gebietden der Kirche entfremdeten Besitz ihres Erbguts wieder an sich , sondern erweiterte auch allmählig die päpstliche Herrschaft über ganz Mitteiitalien durch Verdrängung der deutschen Machthaber, die dem nationalen Hass, welchen die deutsche Herrschaft durch ihren Druck sich zugezogen hatte, nor einen schwachen Widerstand entgegensetzen konnten. Mit dem- selben glorreichen Erfolg führte er das päpstliche Regiment über die ganze unter dem apostolischen Stuhl stehende Kirche. Kein Papst hat den so oft von den Päpsten vergeblich erhobenen An- spruch, dass die weltliche Macht unter der geistlichen stehe, aud die weltlichen Fürsten den Befehlen des Papstes unbedingten Ge- horsam zu leisten haben, so sehr zur thatsächlichen Anerkennung gebracht, wie Innocenz III. Welche Beweise seiner über Kaiser und Könige waltenden Macht bat er an dem von derselben Hand erhobenen und gestürzten Herzog Otto von Brauiischweig und dem bis zur tiefsten Stufe der Erniedrigung gedemüthigten

Inaoccni IIL und der Jung« Friedrich II. )f9|

König Johann von England gegeben! Selbst aber die griechische Kirche sah er wahrend der kurzen Zeit des lateinischen Kaiser- thums die Oberhoheit der römischen Kirche sich erstrecken. Ein so wunder Fleck der Kirche gerade während seiner Regierung die so weit verbreiteten Häretiker waren, so hatten doch auch sie nur die unter seiner Hand alles überwältigende Macht der Kirche au erfahren. Als er nach solchen Thaten und Erfolgen das vierte lateranensische Goncil mit einem Glanz, mit welchem noch kein Concil gehalten worden war, um sich versammelte, hatte er in dieser Welt nur noch zwei Wunsche, die seinem apostolischen Herzen besonders nahe lagen, die aber freilich damals so wenig als nach- her in Erfüllung giengen, die Eroberung des heiligen Landes und die Reformation der allgemeinen Kirche. Ein so grossartiges Bild pipstlicber Hoheit stellt sich uns in der Regierung dieses Papstes dur und doch schwebte um all diesen Glanz und Schimmer, der das Papstthum und die Person eines solchen Herrschers umgab, lAi dftsterer Schatten, der nur schwere Ahnungen für die Zukunft enreeken konnte. Alles, was von hohenstaufiscber Macht und Herr- iicUeit noch vorhanden war, lag auf dem Haupte eines kaum xi^-* jährigen Kindes, das, nachdem schon ein Jahr nach dem Tode des Kaisers Heinrich auch die Kaiserin Co nstantia gestorben war, „keinen andern Schutz seines Rechts hatte, als fremdeik Mitleid und fremden Eigennutz.^^ War es für die Regierung Innocenz Ul. als eine besondere Gunst des Glücks anzusehen, dass sie keinen hoben- staufischen Gegner, wie Heinrich geworden wäre, zu bekämpfen hatte, so lag auch wieder eine eigene Ironie des Schicksals darin, dass von demselben Papst zum zweitenmal ein Herrscher auf den Kaiserthron erhoben wurde, in welchem die Kirche nur ihren schlimmsten Feind sehen konnte. Ja, noch mehr, derjunge Fried- rich war unter der eigenen Pflege des Papstes herangewachsen. Constantia hatte in ihrem letzten Willen Innocenz zum Vor- mund ihres Sohnes und zum Reichsverweser ernannt So wenig auch der Papst seinen eigenen Vortheil dabei vergass, so war es doch nur ihm zu verdanken, dass dem verwaisten Kinde sein bohenstaufisches Erbe erhalten blieb. Friedrich war jedoch nicht blos König von Sicilien, er war auch schon, sogar noch unge- tauft, zum römischen König erwählt worden. Davon wollte man aber, als nach Heinrich's jähem Tod die Macht der Hohenstaufen

SM Zweite Periode. Zweiter Abschnitte

in Trümmern zu liegen schien, nichts mehr wissen. Einem Kinde, einem Ungetauften , hiess es jetzt, habe kein Eid geleistet werdes können. Es war dem Papste nichts erwünschter, als dass die deutschen Fürsten selbst über Friedrichs Wahl so dachten; die päpstliche Politik konnte ja nie zugeben, dass die Krone von Sicilien mit dem deutschen Kaiserthum verbunden wurde. Da bei dieser Lage der Dinge der Herzog Philipp von Schwaben jede Verwendung für das Recht seines Neffen als erfolglos betrachten musste, so trat er selbst als Bewerber um die deutsche Kaiserkrone auf, er, der Hohenstaufe, gegen den Weifen Otto, den Herzog tob Braunschweig. Der Papst war von Anfong an für den letzten. Ungeachtet der trefflichen Eigenschaften, die für Philipp sprachea, und der Anerkennung, die er bei den meisten und würdigstes deutschen Fürsten fand, war bei dem Papste das Bedenken entp* scheidend, dass er ein Verfolger sei und aus dem Geschlecht der Verfolger stamme; würde er sich ihm nicht widersetzen, so würde es scheinen, meinte er, er bewaffne einen Wüthenden gegen steh und gebe ihm gegen sein eigenes Haupt das Schwert in die Hand. Auch würde, wenn, wie früher der Sohn dem Vater, so jetzt der Bruder dem Bruder folgte, das Wahlreicb in m Erbreich verwandelt zu sein scheinen. Nur das hielt ihn ab, offen auf die Seite Otto's zu treten, dass die Kräfte der beiden Parteien noch zu ungleich vertheiU waren und er nicht hoffen konnte, durch seinen Beitritt der Sache Otto's den entscheidend«! Ausschlag zu geben. Um so mehr beeilte er sich, sich für ihn sn erklären, als die Ermordung Philipps durch den Pfalzgrafeo Otto von Witteisbach jedes weitere Schwanken und Zurückhalten höchst überflüssig zu machen schien. Wie hatte sich aber der Papst auch jetzt verrechnet! Als Otto nach kaum erfolgter Krö- nung die gegebenen Versprechen und Eidschwüre nicht achtete und nur die Rechte des Reichs gegen die der Kirche geltend machte 0) was blieb, um auf das Haupt des Treulosen und Meineidi-

1) Es hatte dieBS, wie O. Abel, Kaiser Otto lY. und König Fried- rich n. Berl. 1856 S. 57 f. treffend zeigt, darin seinen Grund, dass Otto welchen Innocenz in den Jahren 1207 und 1208 dem Frieden mit Philipp XU liebe aufzuopfern bereit gewesen war, nicht eine besiegte Partei auf- genommen , sondern einer siegreichen sich angeschlossen und deren politi- sche Grundsätze und Absichten sich angeeignet hatte. Als Kaiser mussti •r «loh der i taufischen Politik unterwerfen.

Innoo.IIL H011.IIL Greg.IX. PhIL ▼. Sohw. OttoIV. Ffiedr. IL MS

gen den vernichtenden Schlag fallenzulassen, dem schmerzlich 6e- kränklen anders übrig, als die Aufstellung seines hohenstaufischen Zöglings, dessen Name und Recht ihm allein den Sieg verbürgen konnte? So wurde Friedrich im Jahr 1216 in Aachen zum deut- schen König gekrönt. Innocenz hatte jedoch nicht verfehlt, das Interesse der Kirche auf doppelte Weise zu wahren: durch das Gelübde eines Kreuzzugs, das Friedrich bei seiner Krönung über- nahm^ und durch das Versprechen, dass er seinem Sohn Heinrich das Königreich Sicilien als blosses Lehen der römischen Kirchs ohne irgend eine Verbindung mit dem Kaiserthum überlassen werde. An diesen beiden Funkten spinnt sich der Faden der Ge- schichte weiter fort.

Das gegebene Versprechen hielt Friedrich nicht ab, seinen Sohn Heinrich, der schon zum König von Sicilien ernannt war, im Jahr 1220 auch zum deutschen König wählen zu lassen. Hono- rims ni., der Nachfolger Innocenz III. seit dem Jahr 1216, um mr der Vollziehung des Kreuzzugsgelübdes, woran ihm alles ge- legen war, kein Hinderniss in den Weg zu legen, sah nicht nur dtriber hinweg, sondern krönte auch Friedrich selbst in dem- selben Jahre zum Kaiser. Allein trotz aller Mahnungen erlebte er * den Krenzzug nicht mehr; doch hatte er noch in dem Vertrag von Sl Gennano im Jahr 1225 den August des Jahrs 1227 als äusserstea &d gesetzt, und als er selbst noch kurz zuvor gestorben war, itamte Gregor IX., der nicht den milden und versöhnlichen Sinn seines Vorgängers hatte, keinen Augenblick, den Bann über Friedrich auszusprechen, welchen er auch dann nicht aufhob, als Friedrich im folgenden Jahr nicht nur den Kreuzzug antrat, sondern auch so glücklich war, Jerusalem wieder in den Besitz der Christen zu bringen. Selbst offener Feindseligkeiten hatte sich der Papst wahrend der Abwesenheit des Kaisers zum Aergemiss fär Viele nicht enthalten , und auch nachher gegen ihn aufzuwie- geln gesucht. Gleichwohl versöhnten sich beide im Jahr 1230 zu St Germano. Je glücklichere Fortschritte aber der Kaiser in der Befestigung seiner Macht auch in der Lombardei machte, um so vreniger konnte der Papst sich zurüclihalten. Als er im Jahr 1239 aufs Neue mit Bann, Interdict und Absetzung gegen Friedrich her- vorgebrochen war, standen beide als die erklärtesten unversöhn- lichsten Feinde einander entgegen. In den heftigsten Schriften

W4 Zweite Periode. Zweitet Abeohnitt

warfen beide, der Eine den Andern überbietend, die gehftssIgsleB Namen und Pridicate der Apokalypse sieb zu; war der Kaiser Am Papst das Thier der Lästerung, so war dagegen der Papst den Kaiser der grosse Drache, der Antichrist, ein zweiter Bileam, der Engel des Abgrunds mit den bittern Schalen; sollte der Papst, ak der Verbündete der Lombarden, der Beschützer der Ketzer in Mai- land, dem Sitze der Ketzerei, sein, so sollte dagegen von den Kaiser, dem König der Pestilenz, die blasphemische Rede ansge* gangen sein, dass von drei Betrügern, Jesus, Moses und Muhamed, die ganze Welt betrogen worden sei, von welchen zwei in Ehm gestorben, der dritte am Holze aufgehängt worden sei, Thorkeit sei es, zu glauben, dass Gott der Weltschöpfer von einer Jungfim geboren worden, der Mensch habe nichts zu glauben, was er nicM aus Vernunft und Natur (vi et ratione naturae) beweisen könai Da die Umtriebe des Papstes gegen den Kaiser an der iallgemefaiai Achtung, in welcher Friedrich stand, und dem Völkerhass, wel- chen das Papstthum durch seine Erpressungen sich zugezogen hatte, scheiterten, und der Kaiser den Papst im Kirchenstaat seUnt immer enger einschloss, so hoffte zwar Gregor noch durch die Be- ' rufung einer allgemeinen Kirchenversammlung aus der Bedrängutf sich zu retten; als aber der Kaiser auch diesen Ausweg ihm ab- schnitt, konnte der bei dem Tode Gregors im Jahr 1241 unbefrie- digte Rachegeist des Papstthums sein Werk nur in die Hände d|jHr Nachfolger legen, unter welchen InnocenzlV. nach tauschendes Friedensverhandlungen, für diesen Zweck alsbald aus Italien nach Frankreich entweichend, dasselbe auf der allgemeinen Kirchenver- sammlung zu Lyon im Jahr 1245 fortsetzte. In der übermüthigstea Form wurde aufs neue Bann und Absetzung über Friedrich aus- gesprochen, und wie schon bisher auch ferner in einer Zeit, in welcher die europaische Christenheit eines neuen Martells bedurfte, nichts unversucht gelassen, den Einen, der sich an ihre Spitze bitte stellen können, mit allen Mitteln der geistlichen Gewalt und der giftigsten Rachsucht zu bekämpfen und niederzuwerfen; aber ungebeugt und unbesiegt konnte Friedrich am Schlüsse des Jahrs 1250 mit dem Bewusstsein sterben, nach Pflicht und Recht als eia Vorkämpfer für Mitwelt und Nachwelt der römischen Tyrannei widerstanden zu haben.

Erbitterter, gehässiger, zum Aeussersten entschlossener war

Gregor IX. InnooenzIV. uad Friedrich 11.

der gewaltige Kampf auf keinem andern Punkt. Man sieht, es ist ein Kampf auf Leben und Tod , es gilt dem Papstthum den Boden seiner Existenz. Da es als geistliche Macht doch auch eine welt- liche Herrschaft ist, aus dem Widerspruch nicht mehr herauskom- nen kann, Geistliches auf Weltliches zu' gründen und mit weltlichen Mitteln zu erstreben, wie kann es bestehen, wenn die es auf allen Seiten umgebende weltliche Macht es immer enger einschliesst und ihn den Raum nicht gönnen will , auf welchem sein völkergebie- tender Thron stehen soll? Von Neapel her hat das Kaiserthum dem Papstthum denFuss auf den Nacken gesetzt, dieses hat seinen Rück- halt verloren, seitdem derselbe Feind, welchen es bisher Stirn gegen Stirn bekämpft hat, ihm in den Rücken gefallen ist. Wie kann man sich wundern, dass es alle Kräfte des Widerstands aufbietet, den aufgeregten Geist bis zur Leidenschaft steigert und zu allen Mitteln der yerzweifeltsten Gegenwehr greift? Es ist nicht mehr ein Streit, in welchem es sich um Principien handelt, um allgemeine Interessen, üit sich gegenseitig das in der Natur der Sache selbst liegende Gleichgewicht halten, es ist ein rein politischer, von weltlichen MobVen bewegter und nach der Individualität der Streitenden rein persönlicher Streit geworden, der immer mehr die Wendung nimmt, dass alles, was noch das allgemeine Interesse anspricht und das öffentliche Urtheil über sich hervorruft, nur zum Nachtheil des Papstthums ausfallen kann. Je begieriger dieses jeden Anlass lom Streit ergreift und ihn am liebsten da sucht, wo es den Gegner am empfindlichsten treffen kann, je rücksichtdoser es alles an sich reisst, was ein auf solche Weise geführter Streit an weltlichen Mitteln erfordert, um so mehr ladet es schon jetzt den Hass der Völker auf sich, und das Kaiserthum erscheint in der öffentlichen Meinung immer mehr als die Macht, die allein noch im Stande ist, gegen die immer weiter um sich greifende Gewaltherrschaft den nöthigen Schutz zu gewähren. Was aber den Päpsten ihre Stellung den Hohenstaufen gegenüber am schwierigsten machen musste, war, dass sie es hier nicht mit Gegnern gewöhnlicher Art, sondern mit einer Reihe von Männern zu thun hatten, die einem solchen Kampfe vollkommen gewachsen waren, die nicht blos an äusserer Macht, sondern auch an geistiger Energie, politischer Einsicht, Festigkeit des Charakters zu den Ersten ihrer Zeit gehörten und gebildet und aufgeklärt genug waren, um sich durch hierarchische

B%ut, K.G. dee Mittelalten. 15

Zweit« Periode. Zweiter Abfobnitir

Anmaassungen weder blenden noch schrecken za laisen. wel- cher stolzen selbstbewussten Würde trat Friedrich L den Pipstai entgegen, welche kalte, schneidende Rücksichtslosigkeil sieht au der Handlungsweise Heinrichs VI. hervor, welche gemessene, besonnene, staatskluge Haltung wusste Friedrich H. selbst gegen solche Gegner, wie Gregor IX. und Innocenz IT., zu behaaptenl Friedrich IL insbesondere hatte das ganze päpstliche System, die römische Art und Weise, wie er sie selbst öfters beschreibt, tief durchschaut, er kannte alle Künste ihrer Arglist, Falschheit, Heu- chelei zu genau, er dachte, wie aus seiner Bildung, seinem Um- gang, seinem ganzen Benehmen zu schliessen ist, ohne Zweifel auch über religiöse Dinge so hell und freisinnig, dass wir uns nicht wundern dürfen, wenn in ihm selbst schon ein Bewusstseii des Widerspruchs erwachte, in welchen ein solches System der Religion und Kirche mit der allgemeinen Bildung und Aufklärong der Zeit kommen musste. Auch die Papste selbst hatten vielleicht eine solche Ahnung bei dem Friedrich gemachten Vorwurf der Ketzerei. So keck Gregor IX. hierin vorangegangen war, so wagten doch selbst die folgenden Papste es nicht, die arge Beschuldigong in Betreff der drei Betrüger zu wiederholen und weiter zu ver- folgen. Es war keine greifbare nach den bekannten KetzerUe- gorien bestimmbare Härese. Es war der freiere Geist der Zeit, der ihnen in Friedrich IL entgegentrat und freilich der schlimmste Feind war, welcher, wenn er einmal gegen den Glauben der Zeit sidi erhob, wie die Papste selbst wussten, durch Bann und Interdict nicht zu bezwingen war.

Nach Friedrichs II. Tod nahm die Katastrophe der Hohenstao- fen vollends rasch ihren Verlauf. Die äusserste Vernichtung des verhassten Geschlechts, in welchem die Kirche nur ihre Verfolger und Todfeinde sehen konnte, stand für die Päpste längst als Ziel ihrer Bestrebungen fest. Das Erbe des ebenbürtigen Sohns wurde als freies herrenloses Gut ausgeboten, aber erst in Karl von Anjoa war der harte, herzlose Mann nach dem Sinne der Päpste gefun- den und erst Clemens IV. es beschieden, sein und der Vorgänger Werk mit dem ersehnten Erfolge gekrönt zu sehen. Nachdem noch einmal, wie so oft in der Geschichte der Hohenstaufen, ein plötz- licher Umschlag mit Einem Male die ganze Scene verändert hatte, war das tragische Ende des langen Kampfes das Blutgerüst, auf

Bude dar Hohenstaufen. BonifaoUs VIII. gJiT

welchem das schuldlose Haupt des letzten Sprossen aus dem edlen Stamm unter dem Beile des Henkers fiel. Der Rachegeist der Päpste hatte nun seine Befriedigung erhalten; aber das alte Wort des heidnischen Dichters von dem unabwendbaren Fluch, der von Ge- schlecht zu Geschlecht sich fortpflanzt, sobald die Pfade der Ge- rechtigkeit verlassen sind, konnte auch in dem Hause der Päpste nicht unerfüllt bleiben.

Nach dem Untergang der Hohenstaufen treten die Deutschen ■nf dem Schauplatz der Geschichte auf einige Zeit in den Hinter- grund. Deutschland hat sich an Italien verblutet, und hat nun genug damit zu thun, die böse Saat^ die aus dem von den Päpsten so reich- lich ausgestreuten Samen der Zwietracht auf seinem Boden aufge- gangen ist, wieder auszurotten, und nachdem es nun schon durch die Sdiuld der Päpste einer festem nationalen Einheit unter einem krftfUgen Oberhaupt verlustig gegangen ist, die widerstrebenden bifle wenigstens soweit zusammenzuhalten, dass sie nicht völlig anaeuMinderfallen. Zunächst trittjetzt Frankreich in seine geschicht- liehe Mission ein.

Auf dem Uebergang aus der durch die Hohenstaufen begrenz- ten Zeit des Mittelalters in die beiden noch übrigen Jahrhunderte nimmt der am Schlüsse des Jahrs 1294 auf den päpstlichen Stuhl, das Ziel seiner Wünsche und Ränke, gelangte Bonifa c ins VllL eine eigehthümliche Stelle ein. Es ist, wie wenn er auf dieser Grenzscheide der Zeiten recht absichtlich, und zwar gerade an demjenigen Reich, das bisher von den Uebergriffen der päpstlichen Macht noch am meisten verschont geblieben war, den Versuch hätte machen wollen, bis zu welchem Grade der fortgeschrittene Geist der Zeit die alten päpstlichen Ansprüche noch ertragen könne. Dass er für diesen Zweck seine Forderungen und Anmaassungen aufs Höchste spannte, hatte nur die Folge, dass der gemachte Versuch, je kühner er war, mit einem um so tieferen Fall verun- glückte. Sobald der Papst durch seine schlaue schiedsrichterliche Einmischung in den Krieg Philipps des Schönen, des Königs von Frankreich, mit dem König Eduard I. von England den Zorn des erstem sich zugezogen und nun auch von seiner Seite sich veranlasst gesehen hatte. Gleiches mit Gleichem zu erwiedera, handelte es sich um nichts Geringeres als die alte Frage, ob die weltliche Macht der geistlichen unbedingt untergeordnet sei,

15*

SISg Zweite Periode. Zweiter Absohnitt

oder der lotztem mit gleicher Berechtigang gegenfiberttehe. Boni- Tacius entschied diese Frage darch die beiden im Verlauf dieses Streites erlassenen Ballen Clericis laicos vom Jahr 1296 und Utuam sanctam vom Jahr 1302 im strengsten Sinne des päpstlichen Ab- solatismus. In der erstem sprach er für die Kleriker in ibrea Unterschied von den Laien die Privilegien eines hoch über all» Verpflichtungen gegen die bürgerliche Gesellschaft stehenden Stan- des an, in der letztern stellte er es als die nothwendigste Bedin- gung der Seligkeit für Jede menschliche Creatur auf, unter dem römischen Pontifex zu stehen, um durch diesen allgemeinen Sati auch die Unterordnung der weltlichen Macht unter die geistliche n begründen, wofür er sich noch besonders sowohl auf das Wort des Propheten Jerem. 1, 10., als auf die beiden Schwerdter LiKi 22, 38 berief. Hatte man sonst die Zweiheit der Schwerdter flr das selbststandige Bestehen der weltlichen Gewalt neben der geist- lichen geltend gemacht, so schienen Bonifacius VIII. die beiden Schwerdter nur dazu da zu sein, damit das eine für die Kirche, das andere von der Kirche geführt werde, das eine von der Harnt des Priesters, das andere von der Hand der Könige und Krieger, aber nur nach dem Wink und der Zulassung des Priesters. Di nemlich nach dem Ausspruch des Apostels Rom. 13, 1 nmi ed potestas niai a Deo, quae autem sunt a Deo, ordinatae sunt, 10 wären ja die beiden Gewalten nicht geordnet, wenn nicht das eine der beiden Schwerdter unter dem andern stände, es wäre ein ma- nichäischer Dualismus, wenn nicht die beiden Gewalten, die welt- liche wie die geistliche, in einer und derselben Hand wären. Dieser päpstliche in der schrofl^sten Form ausgesprochene Absolutismus stiess nun aber in Frankreich auf einen Widerstand , an welchem er theoretisch und praktisch völlig in sich selbst zu Grunde gieng. Es war schon die Theorie einer ganz andern Auffassung des Ver- hältnisses von Staat und Kirche, wenn Philipp in seiner Erwiede- rung auf die Bulle Clericis laicos mit allem Nachdruck hervorhob, dass die Kirche nicht blos aus Klerikern, sondern auch aus Laien bestehe, dass die Einen wie die Andern, die Laien wie die Kleriker, den gleichen Anthcil an der von Christus seiner Kirche erworbe- nen Freiheit haben, dass unter Voraussetzung dieser allgemeinen Freiheit der Kirche alle von den Päpsten verliehenen Rechte und Freiheiten das Recht der Fürsten in der Verwaltung und Verthei-

Bonifaoins Vin. und Philipp U. ron Frankreich. JM9

dig^ng ihres Reichs und in allem , was als das notwendige Mittel für diesen Zweck anzusehen ist, auf keine Weise aufheben können. Begründete der Papst seine Unterordnung der weltlichen Gewalt anter die geistliche durch die Stelle Rom. 13, 1, so stützte dagegen der König die von ihm behauptete gleiche Berechtigung beider auf das von Christas zu den PontiGces des Tempels gesprochene Wort: dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes. Aber nicht blos neben einander stehen auf diese Weise die beiden Gewalten, die geistliche und die weltliche oder Kirche und Staat; leitete der Papst aus seinem Begriff der Kirche die strengste Unter- ordnung des Staats unter die Kirche ab, so konnte auch auf dem Standpunkt des Königs der Staat sich nicht so indifferent zur Kirche verbalten, dass nicht auch die Kleriker unter den Staat sich stellen mfissen. Bleibt auch der Satz, dass der Kleriker über dem Laien stehe, in seiner alten Wahrheit stehen, so tritt dagegen der jetzt em in diesem Streit in seiner vollen Bedeutung zum Bewusstsein kommmde Begriff des Staats als das diese neue Theorie über das TerMbiiss von Staat und Kirche begründende Prinzip auf. Da es zu dem Begriff des Staats gehört, dass er einen eigenen für sich bestehenden Organismus bildet, in welchem der Theil durch das Ganze, dessen Theil er ist, bestimmt wird, und da auch die Kleri- ker nicht minder als die Laien Glieder des Staats sind, sofern sie ja nur im Staat existiren und dieselben Rechte und Vortheile mit den Laien genicssen, so ist es das unbestreitbare Recht des Staats, auch die Kleriker zu den Leistungen beizuziehen, ohne welche die bürgerliche Gesellschaft in der Einheit des Staats nicht bestehen kann 0- Man muss sich das Staats- und Rechtsbewusstsein des Königs Philipp als ein schon sehr kräftig entwickeltes denken, wenn er der absoluten Behauptung des Papstes, er stehe als König lowohl im Welllichen als im Geistlichen unter dem Papst, die ebenso absolute entgegensetzte, im Weltlichen habe ihm niemand

1) Dieser neue StaatshegrifF ist deutlich ausgesprochen in den Worten des im Namen des Königs im Jahr 129(> erlassenen »Schreibens. Quia turpis e»t pars, quae suo luni congruit universo et membrum intUile et quasi para- lyticumy quod corpori suo subsidium ferre recusatj fjuicimque sive clerici tite laid qui capUi suo vel coriKyri hoc est domino regi et reyrw auxilium ferre recusant^ semet ipsos partes inconyi'uas et membra invfilia et quasi paralyUca esse demonstrcmt. ' Vgl. Gieseleb a. a. O. 2, 2. S. 189.

Zweite Periode. Zweiter Abiebnitt

ZU befehlen, und das Gcgentheil für eine allem gesunden Verstand widerstreitende, mit der Freiheit und Selbstständigkeit seines Reidii schlechthin unverträgliche Behauptung erklärte. So schroff sich entgegenstehende Behauptungen konnten nur dialektisch yermittdt werden. Es war rein dialektisch, wenn Bonifa cius ,in dem Aber den Ausdruck recognoacere regnum a papa entstandenen Strdt, unter der Versicherung diesen Ausdruck nicht gebraucht zu haben, überhaupt an eine in der Form des Lehensverhöltnisses bestehende Abhängigkeit nicht gedacht haben wollte, auf der andern Seite aber um so grösseres Gewicht darauf legte, dass, weil ja alle Sünden geistlich gerichtet werden müssen, und es auch Sünden des welt- lichen Regiments gebe, der König insofern wenigstens auch m Weltlichen dem geistlichen Oberaufsichtsrecht des Papstes unter- worfen sei. Es lag jedoch nicht im Sinne Philipps, sich auf eins solche Dialektik weiter einzulassen, er hatte diess auch auf keine Weise nötbig, da es ihm gelang, seiner neuen Staatstheorie nvf kürzerem Wege praktische Geltung zu verschaiFen. Das nationale Bewusstsein des französischen Volkes war schon damals ein so lebendiges, dass der König den Hauptpunkt seines Streits mit dea Papst nur in der bestimmten Form der Frage, ob das Kdaigreick Frankreich ein papstliches Lehen sei, den Standen seines Reidis vorhalten durfte^ um der gewünschten Antwort sicher zu sän. Schon der blosse Gedanke an eine solche Abhängigkeit rief bei den drei Standen des Reichs, die Philipp im Jahr 1302 recht absicht- lich zu einer auch den dritten Stand in sich begreifenden National- versammlung berief, eine so lebhafte Entrüstung hervor, dass wohl kaum eine papstliche Anmaassung je durch eine so einmüthige, auch vom Klerus getheilte Protestation zurückgewiesen worden ist Hatte bisher die papstliche Politik ihre grösste Stärke darin gehabt, die Völker zu entzweien, die Unterthanen gegen den Landesherm aufzuwiegeln, Parteien zu stiften, von welchen die eine mit den Kräften der andern bekämpft werden konnte, so war jetzt das Beispiel eines Widerstandes gegeben, an welchem, sobald nur ein Volk mit sich selbst einig ist und alle Theile des Reichs zusammen- halten und in demselben Interesse einverstanden sind, alle Anmaas« sungen und Eingriffe der päpstlichen Gewalt zuletzt nothwendig scheitern müssen. Die Absolutheit der Kirche hatte ihre Schranke an dem seines eigenen Prinzips sich bcwusst gewordenen Staat,

Niederlage des Papstthumi. Benedict XI. S3t

welcher jetzt als eine neae Macht in die Geschichte eintrat, und in demselben Verhaltniss, in welchem er sich selbst befestigte, die Kirche auf dem bisher von ihr beherrschten Gebiet zurückdrängte. Ebendarauf, die Uebergriffe des Papstthums abzuschneiden und es auf engere Grenzen zurückzuweieen, zielte audi ein anderes Streit- mittel hin, dessen sich Philipp zuerst mit allem Nachdruck bediente. Die Appellation Philipps an eine allgemeine Kirchenversammlung und an den von ihr zu ernennenden rechtmässigen Papst war zwar zunächst ein Versuch, auf dieselbe Weise, wie die Päpste so oft das Volk von dem Fürsten getrennt hatten, die Kirche mit sich selbst zu entzweien, durch die Trennung des Haupts von seinem Körper sie mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen, es war aber zugleich ein Rechtsmittel, gegen dessen Zulässigkeit auf dem Stand«- punkt der Kirche selbst kaum ein gegründeter Zweifel erhoben werden konnte. Es war auch dadurch, wenn auch nicht die Ab- lolatheii der Kirche, doch die des Papstthums auf eine Weise in Fnge gestellt, welche die neue im Bewusslsein der Zeit angeregte Mee lu einer sehr gefahrlichen Waffe gegen die Papste machen koBBte. Der Ueberfall und die Gefangennehmung des Papstes zu Anagni durch den Siegelbewahrer des Königs Wilhelm von No^ garet mit Hülfe des Parteihauptes Sciarra Colonna war nach dem sehen erfochtenen Sieg mehr nur ein Werk persönlicher Rache, aber auch dadurch wurde die grosse Niederlage, die das Papstthum erlitten hatte, nur so offenkundiger vor die Augen der Welt gestellt.

Durch die Ueberspannung seiner Ansprüche hatte das Papst- thum sich selbst gestürzt, und da man in der Ansicht der Zeit schon gewohnt war. Geistliches und Weltliches schärfer zu tren- nen und auseinander zu halten, so konnte man seinen Fall nur als einen selbstverschuldeten betrachten, als die natürliche Folge eines alle Schranken überschreitenden absolutistischen Strebens. Ver- gebens suchte Benedict X(. durch Nachgiebigkeit und Zurück- nahme der Beschlüsse seines Vorgängers das Geschehene wieder gut zu machen. Das Papstthum musste noch tiefer gebeugt und der Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen aufgedeckt wer- den, in welchem die jetzt folgende Periode seiner tiefsten Schmach and Erniedrigung, der tödtliche Schlag, von welchem es jetzt selbst getroffen wurde, mit der verhängnissvollen Katastrophe der Hohen-

]|3S Zweite Periode. Zweiter Absohnitt

staufen stand. Aus Frankreich hatten die Päpste das Werkieog ihrer Rache an den Hohenstaufen herbeigerufen, sie hatten Karl von Anjou mit Neapel und Sicilien belehnt und selbst alles gethan, die französische Macht in ihrer nächsten Umgebung festen Fosi fassen zu lassen. In Kurzem drang sie in Rom ein und setzte sich im CoUegium der Cardinäle fest, das in zwei Parteien getheilt fran- zösischem Einfluss so offen stand, dass nach dem Tode Bene- dicts XI. im Jahr 1305 die französische Partei mit Ueberlistung der italienischen die Wahl eines französischen Bischofs QdeB Brz- bischofs Bertrand d'Agoust von Bordeaux) einleiten konnte, welcher feil genug war, in seiner Person das Papstthum vollends in die Hände des Königs von Frankreich auszuliefern.

Mit diesem Papste, der sich Clemens V. nannte, und in Jahr 1309 seinen bleibenden Sitz zu Avignon nahm, beginnt dia Periode der babylonischen Gefangenschaft des Papstthums, wie sie nicht mit Unrecht heisst, da das Papstthum in ihr seinem uralten heiligen Sitze entrückt, in fremdem Lande auch nur fremdem Willen dienen konnte. Dieses Gepräge der Abhängigkeit ist der Regier rung Clemens Y. in sehr starken Zügen aufgedrückt. Gelang er ihm auch, die Ehre des Papstthums so weit zu retten, dass er ideU auch noch das förmliche Yerdammungsurtheil über seinen verhiH- ten Vorgänger aussprechen musste, so legte er dagegen gleich anfangs durch die Yerurtheilung und Aufhebung des Ordens der Tempelritter, zu welcher er seine Einwilligung und Mitwirkung dem König nicht verweigern konnte, um so auffallender an den Tag, welche Ansinnen jetzt an einen Papst gemacht werden konn- ten. In demselben Zustand der Herabwürdigung, der Unterwürfig- keit und Dienstbarkeit für fremde Zwecke blieb das Papstthum unter den folgenden Päpsten, von Johann XXII. bisUrban Y., vom Jahr 1316 bis 1370. So nachtheilig aber diese Yerhältnisse für das Papst- thum werden zu müssen schienen, so vortheilhaft waren sie ihm auch wieder auf der andern Seite, und es behauptete auch in die- ser Zeit sein Ansehen weit mehr, als man erwarten sollte. Es hatte nicht nur in Frankreich einen sichern Rückhalt und Schutz gegen Gefahren, welchen es in Italien ausgesetzt war, sondern es durfte auch in allen Fällen, in welchen das päpstliche Interesse mit dem französischen zusammentraf, auf eine kräftige Unterstü- tzung rechnen. Die Päpste stimmten auch in dieser Zeit so wenig

Die Pftpite in Avignon. Ludwig von Baiern. 983

ihre Anspräche und Anmaassungen herab , dass sie dieselben nur noch mehr steigerten, wie wenn sie recht absichtlich zeigen woll- ten, dass sie auch jetzt noch dieselben seien, sich nur um so über- möthiger vernehmen liessen, und nur um so furchtbarer ihre Bann- flflche schleuderten, wie schon Clemens Y. in seinem Streite mit der Republik Venedig mit dem besten Erfolg gethan hatte. Am meisten galt es den alten Kampf mit dem Kaiserthum zu erneuern, wozu Johann XXII. durch die zwischen Ludwig von Baiern und Friedrich von Oesterreich streitige Königswahl sich veranlasst sah. Dass Ludwig auch ohne die Bestätigung des Papstes schon durch die Wahl der Kurfürsten rechtmässig ernannter römischer König zu sein behauptete, war Johann XXIL genug, um die Ex- communication über ihn auszusprechen, gegen welche Ludwig an ein allgemeines Concil appellirte. Sosehr auch Ludwig die öiFent- liche Meinung auf seiner Seite hatte, so krafh'g kühne Schriftsteller, wieMarsilius von Padua und Johannes von Jandun die Unab- hingigkeit der weltlichen Gewalt von der geistlichen vertheidigten, so eobchieden auch die deutschen Kurfürsten auf dem ersten Kur- verein im Jahr 1338 den päpstlichen Urtheilssprüchen sich wider- setsten durch die zum Reichsgesetz erhobene Erklärung, dass der römische König allein durch die Wahl der Kurfürsten seine Würde und Macht empfange: alle Schritte, welche er zur Aussöhnung that, blieben sowohl bei Johann XXIL, als auch den beiden folgenden PApaten Benedict XII. und Clemens VI. schon desswegen ohne allen Erfolg, weil es gar zu sehr im Interesse des Königs von Frankreich war, diesen Zustand der Verwirrung und Schwäche so lange als möglich in dem mit dem Interdict belegten Deutschland fortbestehen zu lassen. Unausgesöhnt mit der Kirche starbLudwig im Jahr 1347, der letzte deutsche Kaiser, über welchen die päpst- lichen Bannflüche mit der alten Wuth und Zähigkeit des päpstlichen Masses ergiengen, und an welchem sie auch zuletzt nicht ohne Wir- kung blieben. Das Interdict lag an manchen Orten zu schwer auf dem Volk und der Kaiser selbst hatte in dem langen Verlauf des Streits Manches gethan, was ihm die Gemüther entfremdete und ihn selbst in den Augen Vieler als die Ursache einer so schmachvollen Lage des Reichs erscheinen liess. Gelang es doch, selbst solange Ludwig noch lebte, dem acht französischen Papst Clemens VL, den mit allen Künsten päpstlicher Politik und Ränkesucht bearbeite-

g34 Zweite Periode. Zweiter Abiclinitt

ten deutschen Forsten den Markgrafen Karl, den Sohn des Königs Johann von Böhmen als Priesterkaiser aufzudringen, welcher ab Vasalle des Papstes seine tiefe Ergebenheit gegen die Kirche so offen zur Schau stellte , dass er in gleichem Maasse das Lob des Papstes und den lauten Tadel der freier Gesinnten davon trug. In der lebhaften Entrüstung über eine solche Entwürdigung des Kai- serthums durch Priesterherrschaft blickten damals in Deutschland Viele in die Zeiten eines Friedrich IL mit dem Gedanken zurück, dass er jetzt wiederkehren und durch blutige Rache an PapstUmn und Klerus die Ehre des Reichs wiederherstellen sollte.

So sehr die Päpste alle Ursache hatten^ mit solchen Erfolgen ihrer Macht zufrieden zu sein und so geeignet sie waren, die auf dem Papstthum liegende Schmach vergessen zu lassen, so erwachte doch endlich in den Päpsten selbst die Sehnsucht nach dem altaa Felsen ihrer Herrschaft und die längst zur Rückkehr mahnenden, die Verödung der ewigen Stadt, und das Versiegen aller Heilsqaellen beklagenden Stimmen der Römer fanden Gebor. Zuerst UrbanT. im Jahr 1367, hierauf Gregor XL im Jahr 1377 nahmen ihren Siti wieder in Rom. Aber wie wenn das Papstthum die Zufälligkeit der menschlichen Verhältnisse und die Wandelbarkeit seiner aufffn Existenz in noch höherem Grade erfahren und die schwache W- wundbare Seite seines Wesens noch offener vor den Aitgen der Welt aufdecken sollte , die Zeiten seiner Heimsuchung waren auch jetzt noch nicht vorüber, und auf den schon bisher so abnormen Zustand folgte nur ein noch abnormerer. Während der Sinn der Päpste selbst noch immer zwischen Rom und Avignon getheilt war, war es ein zunächst zwar zufälliges aber sehr folgenschweres Er- eigniss, dass der schon zur Ruckkehr nach Avignon entschlossene Gregor XL noch vor der Ausführung seiner Absicht im Jahr 1378 in Rom starb. Die eigenen Umstände, unter welchen die neue Papst- wahl stattfand, und zwar gerade die Wahl eines solchen Papstes, welcher, wie Urban VL, gleich anfangs durch die Härte seines Charakters sich mit den Cardinälen entzweite, waren die Ursache, dass die Christenheit mit Einem Male zu ihrem grossen Erstaunen statt des Einen Hauptes zwei Häupter an der Spitze der Kirche er- blickte, einen römischen und einen französischen Papst, deren jeder, der eine in Rom, der andere in Avignon, der allein rechtmässig er- wählte Papst zu sein behauptete. Es blieb nichts übrig, als dass

Das Bchisma. Die Uniyeriitftt Paris. )|35

auch die Kirche auf dieselbe Weise sich spaltete und nach Maass^ gäbe der Verhältnisse theils an den einen, theils an den andern der beiden Päpste sich anschloss. Was hatte aber einer Kirche, die bisher alles auf ihre Einheit gebaut hatte, und in ihr allein das ab- solute Princip ihres Seins und Bestehens zu haben behauptete, Unheilvolleres widerfahren können, als ein Zustand , in welchem sie durch einen vom Haupte durch alle Glieder hindurchgehenden Riss sich in zwei Hälften gerissen und unter zwei Päpste getheill sah, von welchen jetzt jeder zum allgemeinen Aergerniss dieselben Anatheme dem andern zuschleuderte , mit welchen bisher nur die schlimmsten Feinde der Kirche bekämpft worden waren? Und wie war es möglich, aus diesem unerträglichen, alle Ordnung des kirchlichen Lebens auflösenden Zustand wieder herauszukommen, wenn das höchste^ Haupt der Kirche , das seine Unfehlbarkeit nur darauf gründen konnte , dass es keinen höhern Richter über sich habe, auf diese Weise in sich selbst zerfallen und in einem so un- löAiren Widerspruch mit sich selbst begriffen war? Der Kirche kooBte sich nur die Ueberzeugung aufdringen, dass, wie jetzt ge- scbehen war, eine thatsächlich sich in sich selbst aufhebende Ein- heit auch nicht die wahre, wesentliche Einheit sein könne; die innere Nothwendigkeit der Sache selbst nöthigte sie , von dieser äussern Einheit in den Mittelpunkt ihres eigenen Selbstbewusstsems zurück- zugehen , um in ihm einer ganz andern tiefer begründeten Einheit sich bewusst zu werden , als diese äussere zufällige war. Und wo anders konnte die Idee einer solchen Einheit klarer zum Rewusstsein kommen, als da, wo überhaupt der lichteste Punkt des kirchlichen Bewusstseins war, an dem erleuchtetsten Sitz der Wissenschaft, der Universität Paris? Die Universität beschäftigte sich sehr angelegent- Bch mit der Frage, wie das Schisma zu heben und die Einheit der Kirche herzustellen sei, und schlug für diesen Zweck im Jahr 1394 in ihrem Gutachten drei Wege vor , die gegenseitige Abdankung, ein Schiedsgericht und ein allgemeines Concil. Nachdem alle Mittel erschöpft waren, auf einem der beiden erstem Wege zum Ziele zu kommen, da nicht nur die beiden Päpste trotz aller Versprechungen sich hartnäckig weigerten, auch nur den geringsten Schritt zu thun, um ihr persönliches Interesse dem allgemeinen aufzuopfern, sondern auch die Cardinäle durch neue Wahlen das Schisma verlängerten (seit 1394 war Renedi et XHI. Papst zu Avignon, zu Rom seit

S86 Zweite Periode. Zweiter Abiohnitt

1406 Gregor XII.), so konnte man zuletzt nur zo einem all^e- meinen Concil schreiten, das die auf beiden Seiten die Partei ihres Papstes verlassenden Cardindle von Livorno ans auf den Merz des Jahrs 1409 nach Pisa ausschrieben. Die Idee eines allgemeinen Concils, deren Entwicklung und Begründung Hanner, wie nament- lich Johann Gerson, der Kanzler der Pariser Universität, um die Zeit der Berufung des CJoncils nach Pisa in besondem Abhand- lungen sich zur Aufgabe machten, bemächtigte sich jetzt des allge- meinen Zeitbewusstseins. Hatten bisher nur Gegner der Päpste, wie Philipp der Schöne und Ludwig der Baier, zu ihr ihre Zuflucht genommen und die Päpste selbst mit der entschiedensten Protesta- tion sie als eine der schlimmsten Häresen zurückgewiesen, so wurde sie jetzt die Grundanschauung eines neu sich bildenden Kirchen- rechts. Im Zwiespalt mit dem Papst als dem falschen Haupte konnte die Kirche nur ihrer über alles Einzelne und Besondere übergrei- fenden Einheit und Allgemeinheit sich bewusst werden und auf Christus als das wahre Haupt zurückgehen, dessen Stellvertreter nur der Papst ist. Es schien daher auch nur als ein göttliches und natür- liches Recht betrachtet werden zu müssen, dass die Kirche das, sie an sich ist, als ein mystischer Körper, der so gut wie jeder an- dere mystische, bürgerliche oder natürliche Körper seine Einheit m sich selbst hat, auch in der Wirklichkeit vollzieht auf einenn allge- meinen, die allgemeine Kirche repräsentirenden Concil, und in einen Falle, wie der damals gegebene war, sich selbst einesPapstes entledigt Könne der Papst, argumentirteman, als der stellvertretende Bräutigam der Kirche sich von der Kirche scheid en, so habe auch die Kirche als die Braut dasselbe Recht der Scheidung, wenn sie sich anders als auf dieseWeisegegen den Missbrauch seiner Gewaltnicht schützen könne. Diess sind die Hauptsätze der von Gerson zuerst in den beiden zusam- mengehörenden, dieselbe Zeitfrage behandelnden Schriften über die Einheit der Kirche und die Auferibilität des Papstes aufgestellten Theo- rie, welche sodann zu Pisa und zu Constanz durch die Absetzung dreier Päpste ihre praktische Geltung erhielt. Die Kirche constituirte sich auf einem neuen Princip, als sie lauf den drei grossen Concilien zu Pisa, Constanz und Basel den Grundsatz von der Superiorität der all- gemeinen Concilien, welche die ganze katholische Kirche zu reprä- sentiren und ihre Gewalt unmittelbar von Christus selbst zu haben behaupteten, an die Spitze ihres Systems stellte und zur Grundlage

Die drei grossen Oonoilien. Ji37

ihrer Reformationsbestrebungen machte* Reformationssynoden sind die drei grossen Concilien; nach dem allgemeinen Verlangen der Zeit sollte die Kirche an Haupt und Gliedern reformirt werden; aber nicht blos die Reformation der Kirche, auch die Restauration des Papstthums war ebenso die Aufgabe, die man sich setzte, und die ganze Periode von dem Concil zu Pisa bis zur Reformation kann nicht richtig aufgefasst werden, wenn man sie nicht aus dem doppelten Gesichtspunkt betrachtet, dass was auf der einen Seite eine Refor- mation der Kirche sein sollte, auf der andern auch wieder eine Restauration des Papstthums war, dass beide Hand in Hand mit einander gehen , aber auch so lange in steten Widerstreit mit ein- ander kommen bis endlich die eine ganz in der andern sich aufhebt. Das dringendste und unmittelbarste Bedurfniss einer Refor- mation der Kirche lag, wie sich von selbst versteht, in dem Schisma, in welchem die Kirche schon äusserlich in einem so unnatürlichen Zustand sich befand , dass die Herstellung fhrer Einheit, die Rück- kfllnr zo einem von der ganzen Kirche als rechtmassig gewähltes Obeihaupt anerkannten Papst die erste und nothwendigste Bedin- , gang von allem war, womit eine Reformationssynode sich beschaf- fenen konnte. Aber das Schisma war ja nur die äussere Erschei- mmg des grossen tiefer liegenden Uebels, an welchem der ganze Organismus der Kirche litt; es hing damit so vieles unmittelbar sosammen, was die natärliche Folge der Spaltung der Kirche in ein doppeltes Oberhaupt war, und alles diess selbst konnte in sei- nen wahren Ursachen nicht erkannt werden, wenn man nicht auf den weiter zurückliegenden Grund zurückging, die Verlegung des päpstlichen Stuhls von Rom nach Avignon, durch welche zuerst die knrche in ihrem Haupte auf die gewaltsamste Weise aus ihren alten Fugen gerissen wurde. So schwer auch zuvor schon das zur ab- aolnten Monarchie gewordene Papstthum auf der Kirche lastete, so ist doch allgemein anerkannt, dass alle jene Hissbräuche und Uebel, durch welche sich vollends die päpstliche Herrschaft in raschem Fortschritt zum unerträglichen Völkerdruck steigerte, ihre Anmaas- sungen und Eingriffe in alle Rechte ' der Kirche, die Aergemisse, welche die Päpste durch ihre unersättliche Habsucht, die für alles feile Bestechlichkeit ihrer Curie, ihr üppiges und ausschweifendes, schamloses und unsittliches Leben der ganzen Christenheit gaben, aos der Zeit des Avignon'schen Papstthums sich datiren. Je mehr

838 Zwoite Periode. Zweiter Abtchnitt

schon dadurch die Kirche aus ihrer gewohnten Ordnung gekommen war, um so ungescheuter und rücksichtsloser setzte man sich über alle gesetzlichen Schranken hinweg. In noch weit höherem Grade musste diess der Fall sein , als die Kirche statt des Einen Papstei zwei Päpste hatte , von welchen jeder nicht blos dieselben Rechte ausüben, sondern auch dieselben Einkünfte geniessen wollte. Gegen alle diese Missbräuche und Uebel sollten die Concilien Abhülfe ge- währen und schätzende Haassregeln für die Zukunft treffen; man war in Constanz sogar ungewiss darüber, welche der beiden Auf- gaben des Concils der andern als die wichtigere vorangehe, die Aufhebung des Schisma oder die Reformation der Kirche. Das« aber überhaupt das eine nicht ohne das andere sein sollte, dass die Kirche nicht reformirt werden konnte, ohne dass das Papstthum re- staurirt wurde, die Reformation der Kirche selbst vor allem die Re- stauration des Papstthums sein sollte, diess war es, was in die Ver- handlungen aller dieser Concilien einen so fortgehenden, sich selbst aufhebenden Widerspruch brachte, dass man aus der völligen Re^ sultatlosigkeit des Erfolgs nur auf das Hangelhafte des Principf schliessen kann, das dem ganzen kirchlichen System .zu Grunde lag. Es kann nur den Eindruck einer in der Geschichte selbst Ji»- genden Ironie machen, wenn man sieht, wie, nachdem das Gnoil zu Pisa durch die Absetzung der beiden schismatischen Papste Bc das wichtigste Bedürfniss der Kirche gesorgt zu haben glanbtei das Constanzer vor allem sich nicht blos zweier, sondern dreier Päpste zu entledigen hatte, und was ist es anders als dieselbe Ironie, wenn das Concil das beabsichtigte Reformationswerk in die Hände desselben Papstes legte , an welchem als dem Haupte die Reform mation der Kirche an Haupt und Gliedern zuerst beginnen sollte? Wie kann man sich wundern , dass der Papst, statt sich selbst zu reforniiren, alles so viel möglich nur liess, wie es war, und wenn man meinte, der Fehler sei nur gewesen, dass man die Reformation nicht schon vor der Papstwahl , sondern erst nach derselben vor- genommen habe, so irrte man sich sehr, da ja derselbe Papst auch kein Bedenken trug, den von dem Concil gleich anfangs feierlich sanctionirten Grundsatz von der Superiorität der allgemeinen Con- cilien noch auf dem Concil selbst für null und nichtig zu erklären. Ja, je grösser die Anstrengung ist, die man macht, um dem herr- schenden Uebel mit allem Nachdruck zu steuern und die lieber-

Inn. Widersprach der Conoilien. G^ncordftte. 8S9

macht des Papstthums in ihre bestimmten Grenzen zuräckzuweisen, der £rfoIg ist nur um so geringer, wie ganz besonders auch noch an dem Basler Concil zu sehen ist, das nach einem so kühnen und so vielversprechenden Anfang kaum schmählicher und bedeu- tungsloser hätte enden können. Das ganze Reformationswerk, das beinahe ein halbes Jahrhundert mit so grossem Eifer von geistlicher Qftd weltlicher Seite, von den bedeutendsten, einflussreichsten und einsichtsvollsten Männern der Zeit betrieben worden war, kam zu- letzt nur darauf hinaus, dem restaurirten Papstthum die alte Stel- lung zur Kirche wiederzugeben , die es vor dem Schisma und der Verlegung des Stuhls nach Avignon hatte. Von den Anmaassungen and Bedrückungen, die der Gegenstand der allgemeinen Klage und Unzufriedenheit waren, wurde die Kirche so wenig befreit, dass das unausgesetzte Streben der Päpste, sobald sie sich wieder im gesicherten Besitz ihrer Macht sahen, nur dahin ging, auch das Venige, das von der Errungenschaft der Concilien zu Constanz mid Basel noch übrig war, wieder an sich zu ziehen, und als ein mdkestreitbares Recht ihrer apostolischen Machtvollkommenheit zu tekavpten. Was zu Constanz durch besondere Concordate mit den euizelnen Nationen bewilligt worden war, war ohnediess nicht sehr bedeutend, aber auch die weiter gehenden, namentlich die Reser- vitionen und die Annaten aufhebenden Reformationsdecrete des Baaler Concils, die sich die deutsche Kirche durch die Mainzer Ac- o^ilations-Urkunde im Jahr 1439, die französische durch die prag- matische Sanction von Bourges im Jahr 1438 aneigneten, brachten ebensowenig irgend einen reellen Yortheil. Man war ja voraus lehon so billig, den Paps6 für das Verlorene durch eine ihm zuge- dachte Provision zu entschädigen. Die nie ihr Ziel vergessende Politik^der Päpste hatte sodann gegen das oft so getheilte Interesse der Bischöfe und Fürsten immer wieder gewonnenes Spiel. Schlaue^ jedes Mittel für erlaubt haltende Diplomaten , wie Aeneas Syl- Tius, wussten schon damals Päpste und Fürsten, die geistliche und die weltliche Macht zum engsten Bund gegen die Freiheit der Völ- ker zu verknüpfen. Was Nicolaus V. schon im Jahr 1448 bei dem Kaiser Friedrich III. durch das Aschaffenburger oder Wie- ner Concordat erreicht hatte, gelang Leo X. bei König Franz L im Jahr 1515 durch die Aufhebung der pragmatischen Sanction. Der Reformationsgeist des Jahrhunderts war so nach hundert Jahren

940 Zweite Periode. Zweiter Abeolmitt

wieder beschworen und alles vernichtet, was er za Tage gefördert hatta Triumphirend konnte das Papstthum auf die lange Reihe der bestandenen Gefahren und Kampfe zarückschaaen, ea schien fester als je auf dem uralten Felsen seiner Herrschaft zu stehen. Und nachdem es in einer Reihe der schlechtesten und verworfensteo Päpste seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts auch noch er- probt hatte, was es von Lastern und Grauein, von Schand- und Frevelthaten, von weltlichem Streben und heidnischem Sinn zu er- tragen vermöge und die Christenheit an ihm sich gefallen lasse, wer sollte nicht denken, dass das Papstthum seine Bestimmung er- füllt, seine Idee verwirklicht und alles vollbracht habe, was aus der christlichen Kirche in ihrer Einheit mit dem Papstthum innerhdb dieses Stadiums ihres zeitlichen Verlaufs werden sollte ? Bbenda- mit hatte nun aber das Princip, das dieser ganzen Entwicklungspe- riode der christlichen Kirche zu Grunde lag, sich selbst erschöpft, ei hatte sich abgenützt und ausgelebt, der thatsächliche Beweis lag vor Augen, dass alle Bemühungen eines ganzen Jahrhunderts, eine hö- here Entwicklungsstufe zu erringen , immer nur in sich selbst zer- fielen und auf einen Punkt zurückführten, auf welchem jenes Princ^ im tieferen Bewusstsein der Zeit langst keinen festen HaltpMb mehr hatte. Der schärfste Gegensatz der Ansicht und Stimapag ging durch die ganze Zeit hindurch. Wahrend die Einen frriHA die höchste Befriedigung ihres fleischlichen Sinnes und ihrer weK- lichen Interessen in der im Papstthum verweltlichten Kirche fanden und alle ihre Gedanken in ihr aufgehen liessen , drängte sich so Manchen auf verschiedene Weise das ahnungsvolle Bewusstsein aui^ dass man auf einem Boden stehe, welcher alle Augenblicke unter den Füssen zubrechen drohe, dass die unter den Völkern gährende Aufregung, die Erbitterung über getäuschte Hoffnungen, den immer nur wieder erneuerten Druck, der Hass und Widerwille gegen die Satzungen der Kirche, die tiefe und allgemeine Verachtung des ganzen geistlichen Standes die Vorzeichen einer unabwendbaren Katastrophe seien, dass die Kirche am Ende ihres Laufes stehe, in den Zeiten des Antichrists 0- Entweder konnte man also nur in dem Papstthum das schon erschienene Antichristenthum und in ihm das Ende aller Dinge erblicken , oder den einzigen Trost für eine

1) Man vgl. die merkwürdigen Aeusserungen von Zeitgenossen bei GiESELER 2, 4. S. 46. 55 f. 68. 239.

Resultat der Entwicklung des Papstthnms. S41

Zukunft der Kirche nur in der Ueberzeugung gewinnen , dass der Fels , auf welchem der Herr seine Kirche zu bauen verheissen hat, nicht derjenige ist, auf welchem die Nachfolger des Apostelfürsten mit einem nur um so tieferen und unheilvolleren Missverstand- niss, je entschiedener sie diese Worte des Herrn fort und fort durch alle Jahrhunderte hindurch zur Begründung aller ihrer Ansprüche im Hunde führten, ihre Kirche errichtet und zu einem solchen Ge- bände aufgeführt hatten.

Was ist demnach , wenn man den ganzen Entwicklungsgang der Geschichte des Papstthums in einem Blicke zusammenfasst, das Resultat am Schlüsse der Periode des Mittelalters? Man könnte sogar mit einem Worte sagen : das gerade Gegentheil dessen, wo- rauf auf der höchsten Stufe der päpstlichen Machtentwicklung das gröfste Streben gerichtet war, statt der absoluten Herrschaft, auf die alles hinzielte , der unbedingten Unterordnung der Völker und IndiTidoen unter das Eine geistliche Haupt, eine nur um so grössere FfeiheU und Selbstständigkeit im nationalen und politischen, wie im religiösen und geistigen Leben der Völker. So stolz und ge- Ueleriach die päpstliche Macht ihr Haupt über die ganze, zu ihren Füuen liegende christliche Welt erhebt , mit so kühnem Vertrauen ihr hierarchisches Gebäude nach so vielen bestandenen Gefohren und abgewehrten Angriffen auch allen Stürmen der Zukunft trotzen za können scheint, so durchwühlt und untergraben ist der Boden, auf welchem es steht, nach allen Richtungen. Ist doch schon wäh- rend des ganzen Verlaufs der Periode wahrzunehmen, wie der päpstliche^ Absolutismus eine Reaction hervorruft, in deren Folge er in das gerade Gegentheil des von den Päpsten beabsichtigten Erfolgs umschlägt. Grössere Triumphe hat im Kampf mit der welt- lichen Macht kein Papst errungen wie Innocenz HL, kein weltlicher Fürst durch die Bannstrahlen des päpstlichen Interdict seine grös- sere Demüthigung erlitten , als der zum Vasallen der römischen Kirche und den päpstlichen Machtgeboten völlig dienstbar gewor- dene König Johann von England, und doch stammen aus derselben Periode der tiefsten Schmach die in Urkunden verbrieften gros- sen Freiheitsrechte der englischen Nation, die von den in dem- selben Interesse gegen Papst und König verbundenen englischen Baronen und Bischöfen errungen, in der Magna Charta die bleibende Grundlage der freiesten Staatsverfassung geworden sind, und schon

Baor, K.a. d. Mittelalters. 16

248 Zweite Periode. Zweiter Abiehnitt.

damals am meisten dazu beitrugen, dass den maasfloaen Bedrück- ungen , za welchen der papstliche Herrscher sich in England vor allen andern Landern berechtigt glaubte, ein um so kräftigerer Widerstand entgegentrat Nicht anders war es in Frankreich, wo an dem Absolutismus der berüchtigten Bullen des Papstes Bonifaciiu Vni. das französische Nationalbewusstsein in der Einheil und glei- chen Berechtigung der sdmmtlichen Stände einen um so energi- scheren Aufschwung nahm, und auf lange Zeit an der Emiedriginig und Knechtschaft des Papstthums aller Welt sich vor Augen stellte, wie machtlos es ist, sobald Völker und Fürsten in demselben Inter- esse einig sind. Und wenn in Deutschland der päpstliche Absolu- tismus die freiere Entwicklung des nationalen und politischen Le- bens nicht ebenso zur unmittelbaren Folge gehabt hat, so stellt sich dagegen in der durch den Sturz der Hohenstaufen befriedigten päpstlichen Rachelust um so anschaulicher der fatale Wendepunkt dar, von welchem an das papstliche System, wie sich von Sehritt zu Schritt verfolgen lasst , mit unabwendbarer Nothwendigkeil der Katastrophe seiner Auflösung entgegenging. So haben fiberhaupC alle Fortschritte, je grösser sie ihrem äussern Umfang nach warea^ es innerlich nur um so mehr entkräftet; in allen Erfolgen üd Triumphen, die es errang, standen mit verstärkter Macht dieselbai Feinde wieder auf, auf deren Unterdrückung es am meisten bedaiM war, und gegen die es in stetem Kampf mit allen seinen geistlidiea und materiellen Waffen je länger je weniger vermochte. Bedenkt man den allgemeinen grossen Umschwung der Zeit am Ende des Mittelalters, alle jene Elemente der Bildung und Aufklarung eines unendlich erweiterten Ideenkreises, einer völlig veränderten Welt- anschauung, welche unwiderstehliche, über alles übergreifende Macht stellt sich dem Papstthum entgegen, welche Geister der ver- schiedensten Art scheinen sich überall gegen das höchste geistlidie Haupt verschworen zu haben ! Während es selbst im ironischen Wahn der Selbsttäuschung noch auf der Höhe seines Absolutismus zu stehen schien und die Zügel des Weltregiments noch in fester Hand zu halten glaubte, waren sie ihm schon entfallen und es war auf eine Stufe herabgekommen, auf welcher es als ein blos ver- mittelndes Moment einer Weltentwicklungsperiode nur dazu dage- wesen zu sein schien, um im Conflikt mit den Mächten der Zeit sich an sich selbst zu zerreiben und, als seine Zeit vorüber war, in eine

Höhepunkt der pftpstl. Macht 843

Nacht der Vergangenheit zurückzufallen , aus welcher es nie mehr zu neuem Leben erstehen kann.

2. Das Papstthum auf der Höhe seiner Macht.

Das Papstthum realisirte in dieser Periode die absolute Idee seiner Macht, soweit es nur immer möglich war, sowohl in geist- licher als weltlicher Beziehung. Nach diesen beiden Seiten ist der Absolutismus des Papstthums zu betrachten. Wie sich in dem Papst als dem^Einen und allgemeinen Bischof die ganze geistliche Macht der Kirche vereinigte, so sollte auch alle weltliche Macht. Bur in der Abhängigkeit vom Papst bestehen. Da die Spitze der weltlichen Macht das Kaiserthum ist , so stellt sich die Realisirung der Idee des Papstthums nach dieser Seite hin in dem Yerhaltniss des Papstthums zum Kaiserthum dar. Hier musste vor allem ein sdur bedeutender Schritt geschehen , wenn das Papstthum seinem Ziel ttftber kommen sollte. Blickt man zurück , so war unter den (HUmmi uud noch unter Heinrich III. das Yerhaltniss zwischen Papil md Kaiser so, dass der Papst dem Kaiser den Eid der Treue leiiMe, dass der Kaiser Patricius der Stadt.Rom.war, oder einen Patriciiui einsetzte, dass der Kaiser die Schirmvogtei der römischen Kirche 9 das höchste Imperium, die höchste Gerichtsbarkeit hatte, dass er die Papstwalilen, wenn nicht immer selbst vollzog, doch be- aobiditigte und leitete, und dass er, wenn vom Papst und vom rö- misclien Volk der Eid der Treue geleistet war, die Besitzungen der römischen Kirche bestätigte. Das Papstthum von diesem Abhängig- keitsverhaliniss zu befreien, war der Zweck des Decrets, das Ni- cola us II. in Betreif der Papstwahl gab. Der deutschen Krone sollte von ihrem alten Recht nur so viel vorbehalten sein , als der Papst Heinrich lY., als dem futnrusimperator^ und dessen Nach- folgern persönlich zugestehen wollte. Diess hatte so wenig zu be- denten, dass noch unter Heinrich lY. die Yerordnung Nicolaus IL Ton der streng kirchlichen Partei aus dem Grunde für nichtig er- kürt wurde, weil, wenn es sich wirklich mit ihr so verhielte, IHco- laus nur aus menschlicher Thorheit zugegeben haben würde, was eine an sich mit der Würde der Kirche unverträgliche Beeinträchti- gung wäre 0- Von einer Bestätigung der Papstwahl durch die

1) Vgl GiESELBB a. a. 0. 2, 2. S. 34 f.

16»

j|44 Zweite Periode. Zweiter Abtehditt

deutsche Krone ist daher nur noch bei der Wahl Gregor*« VH. die Rede O9 während dagegen nicht nur die Abhängigkeit des Kaiser- thums vom Papstlhum darin feststand, dass die Kaiserkrone nur aus der Hand des Papstes empfangen werden konnte, sondern auch diesem Yerhaltniss von den Päpsten eine so viel möglich intensive Bedeutung gegeben wurde. Wie Gregor VII. sich überhaupt das Yerhaltniss aller weltlichen Reiche zum apostolischen Stuhl nur als ein Lehensverhältniss denken konnte, so sollte auch der Kaiser der Yasalle des heiligen Petrus sein. Der Eid, welchen Heinrich V. bei seiner Kaiserkrönung im Jahr 1111 Paschalis H. leistete, war ein Vasalleneid, und auch sonst legten es die Papste recht absicht- lich darauf an , das Kaiserthum als ein Lehen des Papstthnms er- scheinen zu lassen. Wie wenig sie aber mit dieser Ansicht durch- zudringen vermochten, beweisen die kräftigen Protestationen, die n verschiedenen Zelten von der deutschen Nation dagegen erhobei wurden; selbst Innocenz III. konnte seine Anspräche nur aaf das beschränken, was sich ihm als allgemeine Rechtstheorie ans den dem Papstthum unstreitig zustehenden Act der Kaiserkrönung n ergeben schien, wobei auch noch zur Unterstützung an die angdH liche Thatsache erinnert wurde, dass der Papst das Kaisertham

1) Als, sogleich nach Alexanders II. Tod, Gregor ohne Anfragen \iä dem deutschen König gewählt und desshalh ein deutscher Gesandter in Born erschienen war, erklärte Gregor nach Lamhert von Hersfeld (Moniim, Qenn. hist. 5, S. 194), es sei ihm die hohe Würde von den Römern wider seinen Willen aufgenöthigt worden ; so weit jedoch lasse er sich nicht zwingen, dass er einwillige, die Weihe als Papst zu empfangen, ehe sowohl der dentsche König als die Keichsfürsten ihre Einwilligung durch unzweifelhafte Urkun- den zu erkennen gegeben haben würden; er verschiebe daher die Weihe, bis ihm der Wille des Königs bekannt sei. Mit Recht behauptet Gfböbeb Greg. Vn. 2. S. 63, es lasse sich nicht denken, dass Gregor so gehandelt haben würde, wenn er nicht die gesetzlich bestehende Verpflichtung dasn gehabt habe. Gfrörer vermuthet daher , der Erzbischof Hanno von Köln habe die Wiederherstellung des der deutschen Krone zustehenden, aber ihr ▼on Nicolaus II. noch kurz vor seinem Tode entzogenen Rechts, Papst- wahlen zu verwerfen, auf der Synode zu Mantua im Jahr 1064 durchgesetst Auf dem römischen Concil vom Jahr 1061, dessen Acten nicht auf uns ge- kommen, seien die Bestimmungen des Concils vom Jahr 1059, welche das Vorrecht Heinrichs IV. und der deutschen Krone bei der Papstwahl aner- kannten, nicht blos abgeändert, geschwächt oder verdunkelt, sondern förm- lich abgethan worden. A. a. O. 1. S. 633 f.

Höhepunkt der piLpstl. Macht. Donat. Const n. InnocIY. 245

den Griechen auf die Deutschen übergetragen habe. Der lange Streit hatte nur das Resultat, dass, wie zuerst das Papstthum seiner Ab- hängigkeit vom Eaiserthum sich entwand , so auch das Kaiserthum dem Papstthum gegenüber eine mehr und mehr selbstständige Stel- lung gewann. Wie sich aber die Päpste eigentlich dieses Yerhält- niss gedacht wissen wollten, sprach sich auch in ihrer veränderten Ansicht von der Donatio Constantini aus. Welcher Um- schwung war es gegen eine Zeit, in welcher die Päpste froh ge- nug waren, was sie selbst von weltlicher Macht besassen als ein Geschenk Constantin's empfangen zu haben, wenn sie in der Folge alle weltliche Macht als einen Ausfluss ihrer geistlichen be- trachteten! Auf diesen höchsten Standpunkt stellte sich Innocens IV, mit der Behauptung, nur irrig sage man, Constantin habe dem römischen Stuhl weltliche Gewalt gegeben, da ihm diese doch naturgemäss und unbedingt schon von Christus, dem wahren König und Priester in der Ordnung Melchisedeks, verliehen worden sei. Hiditblos eine priesterliche, sondern auch eine königliche Herrschaft habe Christus gegründet und dem h. Petrus zugleich die Schlüssel ie$ urdischen und himmlischen Reichs gegeben^ wie durch dieMehr- lieit der Schlüssel angemessen und augenfällig angezeigt werde. Die Tyrannei, die gesetz- und haltungslose Regierung, welche früher in der Welt allgemeiner Gebrauch war, habe Constantin in die Hände der Kirche niedergelegt und, was er mit Unrecht besass und übte, sodann aus der ächten Quelle als ehrenvolle Gabe zurückempfangen. Auch die Gewalt des Schwertes sei bei der Kirche, sie stamme von ihr, sie übergebe es dem Kaiser bei dessen Krönung, damit er gesetzlichen Gebrauch davon mache und sie vertheidige, sie habe das Recht, ihm zu gebieten, stecke dein Schwert in die Scheide (Luc. 22, 38). Die weltliche Macht ist somit nur soweit eine ge- setzliche, als die weltlichen Fürsten selbst diese Abhängigkeit an- erkennen, und ihr Reich als ein vom Papst empfangenes Lehen be- trachten. Abgesehen davon, hat die weltliche Macht den niedrigsten und ungöttlichsten Ursprung. Sie ist nur daraus entstanden, dass Einzelne durch Raub und Mord sich als Gewalthaber und Tyrannen aufwarfen 0* Zu einer gesetzlichen der göttlichen Weltordnung

1) Wie dicss namentlich die Ansicht Gregorys VII. war. Vgl. Gfrörbb a. a. O. S. 405. Dam lilteste Köuigthum enUtand durch den Jäger Nimrod,

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angemessenen Form der Existenz werden die weltKchen Reicke erst dadurch, dass ihre Herrscher der geistlichen Macht sich unter- ordnen , und so von ihr als rechtmässigen Besitz zurOckerhalten, was ohne diese Unterordnung nur ein mit Unrecht erworbenes 6at wäre. Eben diess sollte nun der eigentliche Sinn der Donati9 Constantini sein. Stehen so beide Mächte, die eine zwar m der Unterordnung unter die andere, aber beide auf gleiche Weise von Gott geordnet, neben einander, so kann man sie nach des schon von Gregor VII. gebrauchten und besonders von Innoceni DI. weiter ausgeführten Bild mit den beiden Himmeblichtem, Sonne und Mond vergleichen, in welchen das fleischliche Auge die Schönheit der Welt anschaut. Wie Gott der Schöpfer der Welt, sagt Innocenz CEp. 1, 401), am Firmament des Himmels zwei grosse Lichter aufgestellt hat, ein grösseres zur Herrschaft dei Tags, ein kleineres zur Herrschaft der Nacht, so stehen auch aa Firmament der allgemeinen Kirche, die der Himmel heisst, zwei grosse Gewalten, eine gröj;sere, die gleichsam die Herrschaft Aber die Seelen des Tages führt, eine kleinere^ die gleichsam den Lei- bern der Nacht vorsteht, die priesterliche und die königliche Maokt Wie aber der Mond sein Licht von der Sonne borgt, und ihr n Hinsicht der Quantität und Qualität , des Standes und der Wirtang nachsteht, so borgt die königliche Gewalt von der priesterlidwa Autorität den Glanz ihrer Würde. Der geistlichen Macht sollte immer die absolute Superiorität über die weltliche gesichert bleiben. Beide unterscheiden sich nicht blos wie Seele und Leib, Himmli- sches und Irdisches, Tag und Nacht, sondern auch wie Allgemei- nes und Particuläres. Die weltlichen Herrscher haben nur einzehe Reiche, Petrus aber oder der Papst steht als Vicarius dessen , wel- chem die ganze Welt gehört, an der Spitze von allem. Als Vicarius Christi ist er die Einheit der geistlichen und der weltlichen Macht, wie auch Christus beides zugleich ist, sowohl König als Priester. Und wie das Priesterthum den Vorrang der Würde hat, so geht es auch dem Alter nach vor. Beide, Eönigthum und Priesterthum, sind im Volke Gottes gestiftet worden , aber das Priesterthum durch gött- liche Anordnung, das Königthum durch menschliche Gewaltthätig-

der seine Mitbrüder unterdrückte und bis auf den heutigen Tag bewähren sich die meisten Fürsten als ächte Söhne dieses ihres Ahns.

Baperioritat d«x g«ittK Maoht Epiioopnt vniTersaliB. 247

kdt. Die absolute Erhabenheit der geistlichen Macht über der weltlichen wurde nie bestritten, die Frage war aber jetzt, welche praktische Folgerungen daraus gezogen werden können, wobei demnach doch wieder faktisch anerkannt werden musste, dass die weltliche Macht in ihrer Unterordnung unter die geistliche ihr auch wieder mit gleicher Berechtigung gegenüberstehe. Eben diess ist es ja , was sich immer wieder als Resultat des Streits auf allen Hauptpunkten herausstellt, auf welchen beide Machte mit einander in Conflict kommen, wie gleich anfangs im Investiturstreit, bei dem Streit Friedrichs L mit Hadrian über den Ausdruck beneficia can^ ferre und zuletzt am meisten in dem Streit zwischen Bonifacius Vm. und Philipp. Auch an den Beschluss der deutschen Fürsten vom Jahr 1338 ist zu erinnern. Allen Ansprüchen desPapstthums gegen- über behauptete sich die weltliche Macht auch in ihrer Spitze im Kaiserthum nur um so entschiedener in ihrer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit

Was der Papst der Kirche gegenüber sein sollte, hatte schon derAilsche Isidor in dem Ausdruck zusammengefasst, er sei efn- tmpu9 universaUs ecclesiae. Die weitere Entwicklung konnte nur darin bestehen, dass dieser Ausdruck zur Wahrheit wurde, der Fapst auch in der Wirklichkeit der Eine Bischof war, so dass alle Bischöfe nur durch seine Vermittlung und Auctorität oder nur an seiner Stelle ihr bischöfliches Amt verwalteten. Es ist aus der 6e^ schiebte des Papstthums bekannt, wie die Papste alle Rechte der ProTincialkirchen an sich rissen und statt in den Bischöfen die Gleichheit der Würde anzuerkennen, die Selbstständigkeit der bi- schöflichen Gewalt im Grunde völlig vernichteten. Sprach man zwar auch schon früher davon, dass bei der plenitudo apoatolicae petestatis alle andern Bischöfe, jeder in seinem Theil, nur in partem iollicihidinia berufen seien, so hatte diess jetzt, nachdem das Papst- tbum die absolute Idee seiner Macht in einem so weiten Umfang realisirt hatte, eine ganz andere, weit reellere Bedeutung. Es stand nicht blos in der Theorie, auch in der Wirklichkeit fest, dass jede geistliche Gewalt nur ein Ausfluss der absoluten Macht des Papst- thums sei, zu weldiem alle Bischöfe in einem so schlechthinigen Terhältniss der Abhängigkeit stehen, dass sie sich nur als Organe und Stellvertreter des Papstes zu betrachten haben. Gregor VII. trug auch auf dieses Verhältniss die Lehensform über^ indem er

S48 Zweite Periode. Zweiter Abtebnitt

zuerst es einführte, dass alle Metropoliten einen eigentlichen Ya- salleneid dem Papst ablegen mussten. Als der allgemeine Bischof der Kirche, der in allen andern Bischöfen nur sich selbst wieder darstellt, ist der Papst nicht nur der alleinige Gesetzgeber der Kirche, sondern er hat auch das absoluteste Recht zu lösen und zu binden; alle wichtigern Absolutions- und Dispensationsfälle sind ausdrück- lich ihm vorbehalten, und wie er überall entweder in eigener Person, oder durch seine Legaten einzuschreiten berechtigt ist, so kann auch alles auf dem Wege der Appellation zu ihm gelangen, um durch seinen Ausspruch entschieden zu werden. Welche geringe Bedeutung die Bischöfe neben dem Papst hatten, stellte sich ins- besondere auch auf den allgemeinen, unter dem Vorsitz des Papstei selbst gehaltenen Kirchenversammlungen heraus. Sie erscheinet auf ihnen nicht als mitberathend und mitbeschliessend, sondert sind eigentlich nur dazu da, die Beschlüsse und Befehle des Papstes zu vernehmen. Seit Innocenz III. wurde von ihrer Mitwirkung zu den Synodalbeschlüssen die bezeichnende Formel gebraucht: sacro approbante conciUo, oder sacro praesente coneilio. Mit dieser letztem Formel wurde z.B. von Innocenz IV. auf derSjft- ode zu Lyon im Jahr 1245 das Absetzungsurtheil über den Katar Friedrich IL ausgesprochen. Wozu wurden also noch Kiroheft- versammlungen gehalten, wenn die Thdtigkeit der Bischöfe an! ihnen zu einem solchen Schattenbild herabgesunken war? Kirchen- versammlungen waren es nun aber auch, wo der Absolutismus des Papstthums zuerst auf eine Schranke stiess, an welcher seine Macht sich brach. Die grossen Reformationssynoden zu Constanz und Basel stellten in dem Grundsatz, dass eine allgemeine Kirchenver^ sammlung als die vollkommenste Repräsentation der allgemeinen Kirche über dem Papst stehe, das Princip eines neuen von dem bisherigen völlig verschiedenen Systems auf, in welchem dasPapst- thum auf dieselbe Weise der Kirche untergeordnet wurde, wie da- gegen auf dem Standpunkt des andern Systems die Kirche in dem Papstthum völlig aufgieng. Wenn auch jener Grundsatz nicht auf- gestellt werden konnte, ohne den entschiedensten Widerspruch und Gegensatz hervorzurufen, so hatte er doch an sich eine so grosse Bedeutung und eine so unmittelbar einleuchtende Wahrheit, dass er nie widerlegt und für ungültig erklart werden konnte. Die Folge war nur, dass jetzt die Kirche in sich selbst getheilt war,

Das Papstthmn «. die Bischöfe auf den KirchenTers. S49

zwei YÖlIig verschiedene, den durchgreifendsten Gegensatz bildende Systeme einander gegenüberstanden und sich so sehr das Gleich- gewicht hielten, dass man von dem einen System immer wieder za dem andern getrieben wurde und die Kirche durch diesen Gegen- satz in dem Zustand eines innern Zwiespalts mit sich selbst sich befand, aus welchem sie nicht mehr herauskommen konnte. Hatte in dem einen der beiden Systeme der Absolutismus des Papstthums einen Punkt erreicht, auf welchem er in seiner Spitze in sich selbst wieder zerfiel und auf den Punkt wieder zurückführte, Yon wel- chem die Entwicklung des Papstthums selbst erst ausgegangen war, so liess dagegen das andere immer wieder einen Punkt in sich offen, auf welchem nach der Natur der Sache und durch die Macht der in der Wirklichkeit gegebenen Verhaltnisse die ganze bisherige Entwicklung der Kirche die Einheit eines in sich abgeschlossenen Sysleais zuletzt doch nur in dem Papstthum zu finden schien. Da wir demnach auf dem Punkte stehen, auf welchem die bisherige Entwicklung der Kirche so weit fortgeschritten ist, dass sich nicht anr das Ganze übersehen lässt, sondern ebendann auch von selbst die Aufgabe liegt, aus dem Resultat, zu welchem es führte, den ganzen bisherigen Entwicklungsgang in seiner nothwendigen Con- sequenz und ebendamit auch in seinem wahren Charakter zu be- greifen, so sind die Hauptmomente, auf welchen die beiden Systeme in ihrem Gegensatz zu einander beruhen, hier noch genauer jn's Auge zu fassen.

In dem einen der beiden Systeme handelt es sich nicht blos um den Absolutismus des Papstthums, sondern auch um die Person des Papstes, in welcher es allein in seiner concreten Erscheinung sich darstellen kann; es fragt sich daher, welche Begriffe man mit der Person des Papstes verband, um in ihr d^S Papstthum i^elbst in seiner absoluten Macht anzuschauen. Die höchste Bedeutung hatte das Papstthum bisher darin, dass sich die Päpste als die Nachfolger und Stellvertreter des Apostels Petrus betrachteten. Die im Evan- gelium von Christus zu dem Apostel Petrus gesprochenen Worte galten ihnen sosehr als die Stiftungsurkunde des Papstthums und die prinzipielle Quelle ihrer päpstlichen Auctorität, dass sie die- selben fort und fort im Munde führten und alle ihre Ansprüche mit ihnen begründeten. Je unmittelbarer sie sich mit dem Apostel Petrus identificirten, um so selbstgewisser und energischer sprach sich in

SSO Zweite Periode. Zweiter Abiohnitt

ihnen das göttliche Bewusstsein ans, mit welchem sie sich an die Spitze des Regiments der ganzen Kirche stellten, nnd Gregor YE wnsste sich so unmittelbar Eins mit dem Apostel Petms, dass er bei allem, was er als Papst that, ihn als das eigentlich in ihm han- delnde, selbst die empfangenen Briefe in ihm lesende und diemflnd- lich ertheilten Nachrichten vernehmende Subjekt sich dachte. Dt aber Petrus, so hoch er stand, doch nur ein Mensch war, so ge- nügte es den Päpsten auf dem Gipfel ihrer Macht nicht mehr, in sich nur die Stellvertreter eines Menschen zu sehen. Zwar haben selbst noch Päpste, wie Gregor VII. und Alexander III., mA ohne Bedenken einen Vtcarius Petri genannt; Innocenz HI. aber, der überall das System auf seinen höchsten Begriff und Aosdnick zu bringen suchte, machte aus dem Vicarius Pefri einen Viearkt Bei oder Christi. Der höchste Pontifex schien ihm nicht der SteD- vertreter eines blossen Menschen, sondern nur der wahre SteD- vertreter des wahren Gottes zu sein. Nachfolger des Apostelfftrstain seien zwar die Päpste, aber nicht Vicarii eines Apostels oder Men- schen, sondern nur Jesu Christi. Was also der Papst thut, tliot er nicht als Mensch, sondern als Gott, man kann, wenn er ein götflici geheiligtes Band löst, nicht den Spruch entgegenhalten: wasfiott verbunden hat, dürfe der Mensch nicht trennen, er trennt ndht als Mensch, sondern als Gott. In den Glossen zu der Dekretateft- Sammlung Gregors IX. wird diess weiter so erläutert: der Papst habe ein coeleste arbitrium, er könne die Natur der Dinge ändern, substanzielie Eigenschaften von dem Einen aufetwas Anderes über- tragen, aus Nichts Etwas, aus Unrecht Recht machen, bei dem, was er wolle, gelte pro ratione voluntas, und niemand könne ihn fragen, warum er diess oder jenes thue. Daher steht er so absolut über den Gesetzen als der Herr der Gesetze, dass er für sich selbst nicht an sie gebunden ist, und nach freier Willkür Andere von den Gesetzen, von den Gelübden und Eiden dispensiren kann. Ab immanente persönliche Eigenschaft wurde aus dem göttlichen Cha- rakter des Papstes das Attribut der Infallibilität abgeleitet, das je- doch auf dem Grunde der Stelle Luc. 22, 32 nur darin bestehen sollte, dass, wie bisher auf dem apostolischen Stuhl kein Häretiker gewesen sei , so überhaupt der Papst als solcher in allen Sachen des Glaubens keinem Irrthum unterworfen sein könne 0*

1) Vgl. GiESKLKB a. a. 0. 2, 2. S. 228 £. Ist der Papst der onmittel-

P*p*lty8teiiL Die päpstl. Infallibilitfti t51

In der Infallibilität des Papstes hat der Absolntismus desPapst- thoms seine höchste persönliche Spitze. Das Höchste, was von einem menschlichen Individuum gesagt werden kann, ist, dass seine Aussprüche als der unmittelbare Ausdruck der absoluten göttlichen Wahrheit anzusehen sind. Hier ist aber auch der Punkt, wo der Absolutismus des Papstthums seine Schranke in sich selbst hatte. Um die Infallibilität als eine nothwendige Eigenschaft des Papstes darzuthun, mussten Yertheidiger des Papalsystems, wie diejenigen, die es am Ende der Periode gegen die schon bestehende Auctoritflt des Conciliensystems zu rechtfertigen suchten von der Person des Papstes doch wieder auf die allgemeine Kirche zurückgehen. Der Papst hat diesem System zufolge definitiv zu bestimmen , was in Sachen des Glaubens gelten soll oder nicht. Um aber zu be* weisen, dass der Papst weniger irren könne, als die communitaB teütMiae ohne den Papst, konnte man sich nur darauf berufen^ dass ein Irrthum des Papstes in der Bestimmung von Glaubenssätzen ein Irrthum der ganzen Kirche wäre. Da es nun aber unmöglich seil das^ die allgemeine Kirche in Sachen des Glaubens irre, so ui tB unmöglich, dass der Papst als definitive Glaubensauctorität irre. Er ist also bei einem solchen Urtheil recftsttmu« propter

bne StellTertreter Gottes, so müssen unstreitig auch seine Aassprüohe and Entsdieidnngen der Ansdrack der höchsten Wahrheit sein. Zu welchen Ab^ tordiUlten diese Steigemng der Person des Papstes führte, zeigt der Satz, weU oben der Augnstinermönch Augustinus Triumphus in seiner Summa de potestate eoclesiastica (Gies. 2, 3. S. 42) aufstellte, dass vom Papst nicht an Gott appellirt werden könne. Da man nur vom geringeren Bichter an den hohem appelliren könne, niemand aber major se ipso ist, so könne vom Papst nicht an Gott appellirt werden, weil ja der Papst selbst schon Gott ist, quia tmvm connstorium est ipsiua Papae et ipsius Deif cujus eonsistorii ekmiger et ostiarius est ipse Papa (Gies. 2, 3. S. 102). Man kann dabei nur sagen, wie falsch müssen die Prämissen sein, aus welchen solche Con- sequenzen, wie man nicht läugnen kann, mit logischer Richtigkeit gezogen werden! Neben Aug. Triumphus gab auch der pftpstllche Pönitentiar und Bischof von Silva Alvarus Pelagius in seinen zwei Büchern de planotu ecciesiae zwischen 1330 und 40 eine Darstellung des Systems der päpstlichen Monarchie. Seine Theorie ist zwar etwas gemässigter als die des Aug. Triumphus, aber auch er rechnet zum Wesen der Kirche, dass sie sowohl die weltliche als die pxiesterliche Gewalt in sich begreift und die erstere unter der Gerichts* barkeit der letztem steht Vgl. Schwab, Job. Gerson S. 23 f. 1) Vgl. GiBSBLBB 2, 4. S. 217 f.

S5S Zweite Periode. Zweiter Abiehnitt.

assUteniiam Spbritu8 sancH 0* Eben diess ist aber auch der Ge- sichtopankt, yon welchem aos die Hanner argumentirten, die ab die Hdapter der Reformationssynoden zu Constanz und Basel, wie namentlich der Kanzler Gerson und der Cardinal Nicolaus yonCusa, das Conciliensystem im Gegensatz zu dem Papalsystem zuerst be- gründeten. Das Hauptargument war immer, dass das Persönliche dem Allgemeinen sich unterordnen muss, nur von dem Aligemei- nen als unbestreitbare Wahrheit ausgesagt werden kann, was voo einer einzelnen Person prädicirt sich thatsachlich und augeiH scheinlich widerlegt. Es lasse sich nicht bezweifeln, dass der Papst für sich sündigen und seine Gewalt zur Zerstörung der Kirche gebrauchen könne; auch das Collegium der Cardinale, das den Papst als aristokratische communitas beigegeben sei, stehe nidit so fest in der Gnade und im Glauben, dass nicht auch bei ihm das- selbe stattfinden könne. Da nun aber doch von Christus als dem besten Gesetzgeber eine unfehlbare Regel gegeben sein muss, durch welche allen Missbrauchen der Gewalt begegnet und abgeholfen werden kann, so kann diese Regel nur die Kirche oder ein allge- meines Concil sein. Daraus folgt von selbst, dass die allgemeiaea Concilien über dem Papst stehen, der Papst ihnen gehorchen anf sich von ihnen zurechtweisen lassen muss, ja nöthigenfalls sogar abgesetzt werden kann. Die gesetzgebende und regierende Gewdt kommt an sich nur der allgemeinen Kirche zu, der Papst ist, wenn auch Caput, doch nur caput ministeriale ecclesiae, er ist alles, was er ist, nur in seiner Einheit mit der Kirche. Daher der von den Reforroationssynoden mit so grossem Nachdruck geltend gemachte Grundsatz, dass in allen Fällen, in welchen der Papst aus seiner Einheit mit der Kirche heraustritt und nicht im Sinne der Kirche handelt, von dem Papst an ein allgemeines Concil appellirt werden kann. Auch auf den Primat des Apostels Petrus kann man sich nicht für das Papalsystem gegen das Conciliensystem berufen. Petrus stand nicht über, sondern in der Kirche, als Haupt der Apostel und der Kirche war er doch nur ein Glied der Kirche. Die Fülle dar päpstlichen Gewalt ist nicht dem Petrus als Petrus, sondern der allgemeinen Kirche gegeben; als er die Schlüssel empfing, hat viel-

1) GiESELER a. a. O. S. 228. Er ist infallibe], aber nnr sofern von ihm persönlich prHdicirt wird, was an sich eine wesentliche immanente EigenscUaft der Kirche ist.

Das Papal- und das Conoiliengystem. S53

mehr die ganze Kirche in ihm und durch ihn sie in Empfang ge- nommen, er führt sie nur, weil die Kirche als solche, in der Ge- sammtheit ihrer Mitglieder, sie nicht selbst führen kann; dass sie aber Christus ihm nur im Namen der Kirche gegeben hat, erhellt auch daraus, dass dieselbe Gewalt, die er in den Schlüsseln hat, auch den übrigen Aposteln verliehen worden ist Ooh. 20> Hie- mit ist auch das Verhältniss bezeichnet, in welchem der Papst zu den Bischöfen steht. Da auch die übrigen Apostel die Macht zu lösen und zu binden, die unmittelbar yon Christus kommt, so gut wie Petrus erhalten haben, so stehen sie ihm in der geistlichen Amtsgewalt vollkommen gleich. Während also das Papalsystem den Papst so absolut über alle andere Bischöfe stellt, dass deren Gewalt und Jurisdiction nur ein Ausfluss aus der seinigen ist, hält dagegen das Conciliensystem daran fest, dass alle Bischöfe mit dem Papst auf demselben gemeinsamen Grunde stehen, und dieselbe Berechtigung mit ihm haben. Was Petrus vor den andern Aposteln vonma hatte, war nur ein äusserer Vorzug und das Mittel, die Zwecke der Kirche um so leichter auszuführen 0* Der Unterschied der heiden Systeme beruht in letzter Beziehung auf dem Verhältniss des Allgemeinen und Besondern. Das Papalsystem trägt absolute Eigenschaften, die mit den natürlichen Schranken jeder mensch» Hohen Persönlichkeit und Individualität schlechthin unvereinbar sind^ auf einzelne bestimmte Individuen über, das Conciliensystem nimmt das, was auf diese Weise aus dör natürlichen Ordnung herausge- treten, die Bedeutung des Allgemeinen an sich gerissen und sich in Gegensatz zu demselben gesetzt hat, in die höhere Einheit des

4 1) Die Hauptschrift hierüber ist die Ton Gerson während der Synode m Pisa, anf welcher er nicht selbst zugegen war, geschriebene Abhandlung de anferibilitate papae ab ecclesia, in welcher er seine schon bisher ausge- fprochenen Grundsätze genauer bestimmte und weiter begründete. Er berief sioh für seine Theorie hauptsächlich auch auf die Auctorität des Aristoteles, naeh welchem jede Communität das Recht bat, ihren Fürsten zurechtzuweisen und, wenn er sich unverbesserlich zeigt, zu entsetzen. Dass die dieselben Grundsätze enthaltende, aber in der Unterordnung des Papstes unter die Kirche viel weiter gehende und die Machtfülle des Papstes nur als ein geschicht- liches Product auffassende Schrift de modis uniendi ac reformandi ecclesiam, nicht Yon Gerson ist, sondern höchst wahrscheinlich von dem Prof. und Benedictinerabt Andreas von Randulf hat Schwab a. a. 0. S. 482 t sehr evident nachgewiesen.

8A4 Zweite Periode. Zweiter Abseliniti

Allgemeinen wieder zurück. Der Papst steht unter der Kirehe, et verhält sich zu ihr, wie das Einzelne und Besondere zum AUge- meinen, alles Absolute, das der Papst fOr sich in Anspruch ge- nommen hat, kon^mt nur der Kirche zu, sie also allein, nicht dar Papst, hat das Attribut der Unfehlbarkeit. Von selbst versteht sich, dass, nachdem die geistliche Macht des Papstes in diese Grenzen zurückgeführt ist, sie auch der weltlichen Macht gegenüber nidit mehr dieselbe Bedeutung hat Dass der Papst in allen weltUchea Dingen nichts zu befehlen hat, die weltliche Macht von der geist- lichen unabhängig ist, ist einer der Hauptsätze des Condliensystemii Das Conciliensystem hat so betrachtet sosehr die in der Natir der Sache selbst liegende Wahrheit auf seiner Seite, dass man kau» begreift, wie das Papalsystem sich noch langer behaupten konnte, nachdem sein Gegensatz auf den Reformationssynoden mit so ent- schiedenem Uebergewicht hervorgetreten war. Demungeachtet war diess der Gang der Geschichte und muss demnach auch seinen natürlichen Grund haben; er kann nur darin gefunden werden, dass das hierarchische System in seiner von Anfang an genoratmeBet Richtung einen so tief in ihm begründeten Zug zur Einheit hatlfl^ dass das Papstthum nicht nur als nothwendige Folge aus ihm hep- vorgieng, sondern auch dann, als der päpstliche Absolutismu tfft sich selbst in Widerspruch gerieth und sich in sich selbst aoftal», nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Das monarchisdia Papstthum war einmal da und mit dem ganzen Organismus derKirdie so fest verwachsen, dass es nach allen Niederlagen nur bestritte^ aber nicht besiegt werden konnte. Aber auch dem andern System konnte, nachdem man sich seiner innern Wahrheit mit so klaren Gründen bewusst geworden war, seine Bedeutung nicht mehr ge- nommen werden. Daher befand sich die Kirche am Schlüsse der Periode durch den Gegensatz der beiden Systeme in einem Zustand der Auflösung, die alten Formen bestanden fort, aber man hatte den Glauben an sie verloren, und die bessern Grundsätze, deren man sich bewusst geworden war, hatten nicht Kraft und Stärke genug, um sich praktisch zu verwirklichen. Sie erweckten nur das Bewusstsein eines Bedürfnisses, für welches die Kirche sieb selbst keine Hülfe zu geben wusste, zum deutlichen Beweis, dass diese ganze Form der kirchlichen Entwicklung sich selbst überlebt hatte, und weit über sie zurückgegriffen werden musste, wenn die

In« Widerspruch der Kirche. Gerion. 865

Kirche sich aus sich selbst wieder erneuern sollte. Wie war aber diess möglich? Die Kirche befand sich im Widerspruch mit sich, selbst, die eigentliche Ursache aber, warum sie sich nicht bloa in einem solchen Widerspruch befand, sondern auch aus dem- selben nicht herauskommen konnte, und immer wieder von der einen Seite desselben auf die andere hinübergetrieben wurde, kann nur darin erkannt werden, dass man sich zwar mit den Con-< seqaenzen des herrschenden Systems nicht mehr vertragen konnte, aber sich noch nicht zu der Einsicht der Nothwendigkeit erhoben hatte, um die Consequenzen abzuschneiden, müsse man sich auch der prinzipiellen Prämissen entschlagen, aus welchen diese hervor-* giengen. Und solange man in seinem denkenden Bewusstsein sich- diess noch nicht klar gemacht hatte, konnte man auch praktisch den Math nicht haben, mit dem System so gründlich zu brechen, wie diess geschehen musste, um auf immer von ihm loszukommen. Dieser Mangel an logischer Consequenz stellt sich bei keinem der- berforragenden Manner jener Zeit so klar vor Augen, wie gerade bei Gtfson. Was halfen alle Argumente, durch welche er den Ataofitismus des Papalsystems widerlegte und seine neue entge- gengesetzte Theorie begründete, wenn er dabei doch zugleich die' Grundvoraussetzung stehen liess, dass der Primat des Papstes eine nmafttelbare göttliche Institution sei? 0 Ist er eine solche, so ist der Papst der absolute Herr der Kirche , und man kann nicht mit Gerson zwischen dem Primat an sich und dem Papst als dem Träger desselben so unterscheiden, dass sich beide wie Göttliches und Menschliches, Bleibendes und Vergängliches, Souveränes und Ab- hängiges zu einander verhalten. Denn wozu wäre der Primat gött- Üchen Ursprungs und mit übernatürlicher Gewalt unmittelbar von Gott eingesetzt, wenn er nur als abstracto Idee über der Kirche sehwebte und nicht in der Ausübung bestimmter Rechte bestände,

1) Vgl. Schwab a. a. O. S. 748 : Die Möglichkeit eines Erfolgs konnte, nor in der Annahme gewonnen werden, dass der Primat aus dem kirchlichen Lehen sich entwickelt hahe, d. h. nicht unmittelhar göttliche Institution sei; nur dann schloss das Concil, als die gesammte Kirche repräsentirend, anch die Gewalt des Papstes in sich. Dieser Annahme trat aher Ckrsoa während des ganzen Verlaufs der kirchlichen Bewegung bei jedem Anlass entgegen und sicherte dem Primat bei allen Schranken, die er seiner Macht- fälle im Interesse der Kirche zog, auf der Grundlage „göttlichen Rechts** die Möglichkeit, seinen frühem Einflnss wieder zu gewinnen.

S56 Zweite Periode. Zweiter Absclmitt

durch welche der Papst nicht in und unter der Kirche, sondern nur über ihr steht und ihre volle und freie Regierung so führt, dass er dafür niemand verantwortlich ist als Gott? Wenn man in Ansehung des Papstthums auch nur so viel zugab, wie von Gerson geschehe! ist, gab man sich dadurch schon dem Absolutismus des Papstthuni gefangen. Noch zur Zeit des Basler Concils hatte die Ansicht, dasi der Primat nicht auf göttlicher Institution, sondern auf dem Consens der Kirche ruhe, d. h. eine Frucht kirchlicher Entwicklung sei, selbst an dem Cardinal Nicolaus von Cusa einen bedeutenden Ver- treter; je tiefer aber die Identität des Primats mit dem Papstthum in der ganzen geschichtlichen Entwicklung der Kirchs und schoi in ihrem übernatürlichen Ursprung begründet war, um so mehr hatten die vor allem auf den Primat des Apostels Petrus sich stö- Izenden Gegner der neuen Theorie durch die Consequenz ihrer Be- hauptungen immer wieder gewonnenes Spiel. Nach den Reforma- tionssynoden war der Dominikaner Johannes de Turrecremata der entschiedenste Gegner der Gerson'schen Theorie 0- Vm den Sali zu widerlegen, dass die Kirche als das Ganze über dem Papst stehe, sprach er sogar der Kirche, dem die Stelle Christi vertretendes Papst gegenüber, die Fähigkeit ab, das Rechtssubject der Jaiiv- diction zu sein und stellte es als einen Widerspruch geget & Vernunft und das natürliche Recht dar, dass ein Concil als der Üb über dem Papst als dem Haupte stehe; eine vom Papste unabhifr- gige Macht in der Kirche schien ihm nur eine Zerreissung der Ein- heit der Kirche zu sein. In Ansehung der weltlichen Gewalt gab er den Zeitverhältnissen nur soviel nach, dass er in dem Papst nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, sofern der Papst das geistliche Hirtenamt auch über die weltlichen Fürsten führt, auch die Spitze der weltlichen Macht erblickte.

Der radicalste Gegensatz gegen das System des papstlichen Absolutismus ist die Theorie, welche schon zur Zeit des Streits, welchen Ludwig der Baier mit den Päpsten hatte, die beiden Vertheidiger des Kaisers Marsilius vonPadua und Johannes de Jan- duno in der gemeinschaftlich von ihnen verfassten Schrift Defensor pacis aufstellten. Die Auctorität der h. Schrift, die Superioritat der

1) Er schrieb de potestate jpapali und de concilm vgl. Schwab a. a. 0. S. 749 f.

Gegner d. pftpstL Absolat Marsil ▼. Päd. Job. de Jand« SS7

Concilien und die Souveränität des Staates sind die Instanzen, die dem Primat des Papstes entgegengestellt werden. Die kanonische Schrift allein , und zwar nur die des neuen Gesetzes, enthält das, was zur ewigen Seligkeit zu glauben und zu thun und zu lassen ist, woYon niemand dispensiren kann. Was unbestimmt und zweifelhaft ist, kann nur durch ein allgemeines Cfoncil bestimmt und erklärt werden, und die Berufung eines solchen steht der gesetzgebenden Macht zu, die in der Gesammtheit der Bürger, dem Willen des Volks oder im Staat ihren Ausgangspunkt und das Princip hat, auf welchem sie beruht Es ist schon der Begriff des Staats, in welchem die absolute Bedeutung der Kirche aufgehoben , das Geistliche dem Weltlichen untergeordnet und eine von der katholischen wesentlich verschie- deae, Acht protestantische Rechtsanschauung aufgestellt wird. Was to in der genannten Schrift enthaltenen Theorie noch eine be- imdare Bedeutung gibt, ist ihre geschichtliche Begründung, der mit idff richtigem Blick gemachte Versuch, alles, was den päpstlichen Prinift über den allgemeinen Episcopat erhebt, in welchem alle Bi-^ iMto dieselbe Würde unmittelbar von Christus haben, als etwas erst Ol der Folge, durch die Bewilligung der Kaiser, die Anmaassungen ud Usurpationen der Päpste, die Zeitverhältnisse überhiaupt hinzu- gekommenes nachzuweisen. Ja selbst darüber taucht hier der erste emitlicher gemeinte Zweifel auf, ob Petrus auch wirklich in Rom gewesen und als erster Bischof der römischen Gemeinde daselbst gewesen sei; aus der h. Schrift wenigstens lasse sich diess nicht beweisen, aus dieser erhelle nur, dass Paulus in Rom gewesen und in jedem Falle vorzugsweise als erster römischer Bischof anzu- sehen sei. Auf ganz ähnliche Weise sprach sich auch W. Occam in mehreren Schriften über den Primat des Papstes aus , welchen auch er sich nicht als eine Christus gleiche, sondern nur als eine durch das göttliche und natürliche Recht beschränkte Macht denken konnte, und so wenig schien ihm der Primat auf der Person des Petrus zu beruhen, dass er sogar die Möglichkeit seiner Bestellung zum Haupte der Kirche aus dem Grunde in Zweifel zog, weil ein solcher Primat nur dann stattfinden könne, wenn der Eine, dem sich die Andern unterordnen, sie auch an Tugend überrage; diess sei aber bei Petrus dem Paulus und Johannes gegenüber nicht der Fall gewesen ^).

1) Vgl. GissBLSB a. a. O. 2, 8. S. 85 f. Schwab a. a. O. S. 80 f. Banr, K.a. d. Mittolalton. 17

St58 Zweite Periode. Zweiter Abiolmitt

Der Abiolutismus der Päpste bestand, wie schon bemerkt wor- den ist, den Bischöfen gegenüber hauptsächlich darin, dass die Pfipste auch in den Landeskirchen soviel möglich an die Stella der Bischöfe traten , sie in der Ausübung ihrer ordentlichen Amtsge- walt auf die vielfachste Weise beschrankten und ihre Selbstständig- keit mehr und mehr schwächten. Die Art, wie diess geschah, ist noch kurz anzugeben. Die Wege, die die Päpste zur Dnrchführmig ihres Absolutismus einschlugen , waren der Hauptgegenatand der in steigendem Maasse gegen das Papstthum erhobenen Klagen und Vorwürfe.

Das Nächste war 1. dass die Päpste alles Wichtigere, das zu- nächst zur bischöflichen Amtsgewalt gehörte und bisher auch nur ein Gegenstand derselben gewesen war, an sich zogen und die Entscheidung darüber als ein ihnen ausschliesslich zustehendes Recht sich vorbehielten. Unter diesen Gesichtspunkt gehören vor allem die Absolutionen und Dispensationen. Je wichtiger Fälle dieser Art waren , um so mehr galt als Grundsatz , dass nur der Papst absolviren und dispensiren könne. Schwerere Verbrechea verwies man schon zu Anfang der Periode gern nach Rom; so bildela sich die Praxis, dass bestimmte Classen von Verbrechen als canti Papae reservati betrachtet wurden, deren mit der Zeit inner mehrere wurden. Man zählte dahin namentlich Incest, Tempelraab, Elternmord, Mord eines Geistlichen u. s. w. Seit Alexander DL sprachen die Päpste auch die Canonisation als ein nur durch die Auctorität der römischen Kirche auszuübendes Recht an. Am mei- sten wurde jedoch der Kreis der bischöflichen Jurisdiction durak die grosse Ausdehnung beschränkt, welche die Appellationen nach Rom erhielten. Die Päpste machten es als einen Grundsatz des ' kanonischen Rechts geltend, dass nach ihm nicht blos wie nach dem bürgerlichen Recht post »ententiam^ sondern auch ante sen^enf um appellirt werden könne. Da auf diese Weise in allen und^eden Sachen an den Papst appellirt werden konnte, und je willkommener solche Appellationen in Rom waren , um so leichter durch sie das zu erreichen war, was vor dem ordentlichen Gericht an der strenge- ren Handhabung des Rechts gescheitert wäre, so lässt sich von selbst denken, welche zahllose Menge von Appellationen nach Rom strömte und wie sehr dadurch die bischöfliche Jurisdiction ent- kräftet werden musste. Schon Bernhard von Clairvauz beklagt

PftpttL Eingriffe in cL Landeskirchen. Appellftt Legate. 959

in einem Schreiben an Innocenz II. vom Jahr 1135 die nachthei- ligen Folgen, welche diese Appellationen nach Rom für die kirch- liche Disciplin haben : die Gerechtigkeit gehe in der Kirche zu Grunde, die Schlüssel der Kirche werden annullirt, die bischöfliche Aucto- ritdt komme in völlige Verachtung. Dieser sittliche Gesichtspunkt ist eine andere höchst wichtige Seite der Sache; bleiben wir aber hier nur bei der Ursache stehen, deren Wirkung diese Folgen wa- ren, so fällt recht klar in die Augen, wie in demselben Yerhaltniss, in welchem die Papste um sich grifl^en und alles an sich zogen, die Bischöfe immer weniger zu bedeuten hatten und wenigstens für ihre amUicbe Wirksamkeit zu einer blossen Scheinexistenz herabge- setBt wurden.

Bei den Appellationen durften die Päpste nur annehmen, was ihnen von selbst entgegenkam. Was sich aber nicht auf diesem Wege nach Rom ziehen liess, eigneten sie sich auf einem andern m, indem sie

% selbst ihre Arme überallhin ausstreckten, um das, worauf ne enn absolutes Recht zu haben glaubten, in ihre Hand zu bringen. Am Mittel, dessen sie sich dazu bedienten, waren ihre Legaten, die ebensosehr und in noch höherem Grade dazu beitrugen, die Selbst- stftndigkeit der Bischöfe zu untergraben und ihre Auctorität völlig * in Schatten zu stellen. Es ist bemerkenswerth, wie von demselben Zeitpunkt an, in welchem Gregor VII. schon als Cardinal Hildebrand die päpstliche Politik zu leiten anfing, Legaten hauptsächlich dazu ge- braucht wurden, die Zwecke des päpstlichen Absolutismus durch- zuführen. Hildebrand selbst reiste öfters als Legate umher. Durch ihn eingeführt wurden die Legaten die kräftigsten Organe des geist- lichen Regiments. Mit der ausgedehntesten Vollmacht ausgesandt, gaben sie der sonst in so vielen Fällen nur aus der Ferne wirken- den päpstlichen Auctorität die volle Bedeutung einer überall an Ort und Stelle gegenwärtigen Macht. Sie hielten, wo sie wollten, Synoden, führten den Vorsitz auf ihnen, hatten den Vorrang vor Bischöfen und Erzbischöfen, visitirten die Kirchen, setzten Bischöfe ab, vergaben Aemter, entschieden Streitigkeiten oder zogen wenig- stens alles nach ihrem Gutdünken nach Rom. Sie sollten, wie In- nocenz III. von ihnen sagte, an der Stelle des Papstes nach dem Wort des Propheten ausreissen und zerstören, bauen und pflanzen,

was Gott ausgerissen und zerstört, oder gebaut und gepflanzt haben

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X80 Zweite Periode. Zweiter Abiehnitt

wollte. Durch sie wurde die minmechränkte Herrschaft ToUeadB zur tbatsächlichen Wahrheit. Einer der Päpste selbst, ClemenB IV., hat sie treffend mit Proconsnln verglichen: sie seien die ordi' narii der ihnen anvertrauten Provinzen ad instar proeon' sulum ceterorumque praesidumy quibus ceriae pro- vinciae sunt decretae moderandae. Waren sie die or^ narii, was blieb den eigentlichen ardinarii, den Bischöfen, neben ihnen noch äbrig ? Widersetzten sich Bischöfe und Fürsten, wie öfters geschah, ihren Eingriffen, so hielten die Päpste nur um so nachdrücklicher das Ansehen ihrer Bevollmächtigten aufrecht In- no cenz III. erklarte sogar geradezu, die Aussprüche pipsUicher Legaten müssen in den Provinzen für sacrosanct gehalten werden. Bald war man zufrieden, wenn man sich nur gegen die Habsucht, mit welcher sie ganze Kirchen und Länder ausplünderten, sicher stellen konnte. Die Klagen über ihre schaamlosen GelderpressongeBi wozu sie das Recht missbrauchten , dass sie von den Kirchen ihre sogenannte procuratio verlangen durften, wurden so staiiL and all- gemein , wie über irgend etwas Anderes. Wie weit es auch dand^ wie mit den Appellationen, schon um die Mitte des 12. Jahrhnnderll gekommen war, bezeugt gleichfalls der h. Bernhard, wenaar von einem Cardinallegaten sagt, dass er vom Fusse der Alpen «d von Deutschland an alle Kirchen Frankreichs und der Nomumdie replevit non evangelio, sed sacrilegio.

Aber auch ein so offenes und unmittelbares Eingreifen üesf noch so Vieles übrig, was auf diese Weise nicht erreicht werden konnte. Man musste daher 3. auch den Weg eines milderen Ver- fahrens wählen, um erst versuchsweise und allmählig zu dem be- absichtigten Ziel zu gelangen. Auch von solchen Mitteln wussten die Päpste zur Erweiterung ihrer Macht sehr geschickt Gebrauch zu machen, und sie verschafften sich dadurch hauptsächlich das Recht, über alle kirchlichen Beneficien zu verfügen. Bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts kam es nur in einzelnen Fällen aus Veran- lassung eines Streits vor, dass die Päpste selbst Beneficien der Lan- deskirchen vergaben. Als sie um jene Zeit auch diess in's Auge fassten , verfuhren sie zuerst noch sehr vorsichtig und gemässigt Sie fingen damit an, dass sie den Bischöfen und Kapiteln sogenannte Precisten zusandten, d. h. Personen, die sie mit Empfehlungsschrei- ben versahen, in welchen sie nur baten, man möchte auf sie in

PftpitL Eingriffe, Vergeb. v; Benefioi^n v. Bisthflmeriu JMi

einem solchen Falle Rücksicht nehmen. So bat, was eines der ersten bekannten Beispiele dieser Art ist, HadrianIV. ftr den Kanzler Ludwigs VII. von Frankreich, Hugo, bei dem Bischof von Paris um ein Canonicat Bald aber gingen' die Pfipste vom Bitten zum Befehlen über nnd sandten nicht mehr blosse preces, son- dern Mandate. Diesen Ton stunmte schon Alexander ID. an, und seit dieser Zeit drängten sich päpstliche Precisten , nnd noch daza grösstentheils Fremde, in immer grösserer Zahl in alle Landeskirchen ein. Nach England wurden (nach Matth. Paris zum Jahr 1240) in Einem Jahr drei Bischöfen nicht weniger als dreihundert italische Kleriker mit solchen Provisionsmandaten zugeschickt. Selbst Patronatsrechte wurden nicht geschont In- Bocenz in. wandte auch darauf die Idee der pleniiudo po^ teMiaiis an, vermöge welcher der Papst das Recht habe, über alle Beneficien zur Belohnung besonderer Verdienste zu verfügen. Bei der Besetzung der Bisthümer hatte man sich bisher noch nicht toelbe Willkür erlaubt Selbst InnocenzIII. sprach auf der Msrftn. Synode im Jahr 1215 die Ernennung zu einer bischöflichen Ifrche nur in dem Falle an, wenn nach 6er gewöhnlichen Ord- aoBg innerhalb einer bestimmten Frist von dem Wahlrecht kein Gabraach gemacht werde , somit nur nach dem Devolutionsrecht, wornach Rechte, die von den Untergeordneten nicht ausgeübt werden, an den Höheren zurückfallen. Von einzelnen Ausnahmen, zu welchen man berechtigt schien , ging man auch hier allmählig weiter. So gab dem Honorius III. die Ketzerei im südlichen Frank- reich im Jahr 1220 einen Vorwand, sich auf einige Jahre die Be- setzung aller erledigten Bisthümer daselbst vorzubehalten. Das- selbe that InnocenzIV. Einen weitem Schritt that Clemens IV. Er erklärte im Jahr 1266 in einem Decret: Obgleich das volle und unbeschränkte Verfugungsrecht über alle Beneficien dem Papst zu- stehe, so dass er sie nicht blos wenn sie vacant geworden, sondern auch schon vor der Vacatur vergeben könne, so wolle er sich doch nach alter Gewohnheit auf die vacantia apud curiam be- schränken, d. h. die Besetzung solcher Stellen, deren Inhaber an der päpstlichen Curie starben. Auch diess sollte blos als Ausnahme gelten, deren Fälle jedoch damals, wo so viele fremde Bischöfe sich in Rom aufhielten, gar nichts Seltenes waren. Der Grund aber, der dafür angeführt wird, ist ganz allgemein, und die folgenden Päpste,

S6S Zweite Periode. Zweiter Abiehnilt

wie z. B. Clemens V., machten ihn wiederholt geltend. Längere Zeit reservirten sich die Päpste nur bestimmte Fälle, deren Zahl ae immer zu vergrössern suchten , wie z. 6. Johann XXIL auch die durch Absetzung oder Versetzung erledigten Beneficien dem päpst- lichen Stuhl vorbehielt 9 endlich aber, als mit dem grossen Schisnui die Willkür und Habsucht vollends alle Schranken niederrias, re- servirten sie sich ohne Ausnahme die Vergebung aller BeneficieD, mochten sie apud oder extra curiam vacant werden. Daher mach- ten die päpstlichen Reservationen auf den Reformationasynoden einen Hauptartikel der Beschwerden gegen die Päpste aus, welchem namentlich durch die pragmatische Sanction und die Mainzer Ao- ceptationsurkunde abgeholfen werden sollte. Auch hier war es demnach die Unabhängigkeit der bischöflichen Landeskirchen, die ihrer um sich greifenden Macht unterlag.

Je allgemeiner und vollständiger der päpstliche Äbaolatismus durch alle diese und ähnliche Mittel durchgeführt wurde, am so mehr wurde das päpstliche Regiment eine unerträgliche Herradn sucht und dieser Herrschsucht ging die unersättlichste Habandit zur Seite. Es war nicht blos ein geistiger, auch ein materielbr Druck, welcher in dem Papstthum je weiter sich seine Hemolift erstreckte, um so schwerer auf den Völkern lag. Alles war zriM doch nur auf Bereicherung, die Eröffnung neuer Einkünfte imd Geldzuflüsse abgesehen; alle Appellationen, alle Absolutionen und Dispensationen, alle Ablässe, alles , was von geistlichen Aemtem und Würden verliehen wurde, sollte Geld einbringen, und wie alles nur nach dem Geldgewinn bemessen wurde, so war auch alles um Geld feil. Auf dem Golde, sagt der mit dem päpstlichen Hofe zn Avignon sehr vertraute Dichter Petrarca in einer seiner Schilde- rungen desselben, beruht hier alle Hoffnung des Heils, mit Gold wird in diesem Labyrinth das Ungeheuer gebändigt, mit Gold der rettende Faden gewoben, mit Gold Riegel und Stein erbrodien, mit Gold der finstere Thürhüter erweicht, mit Gold der Himmel eröffnet, ja, was sage ich weiter, mit Gold Christus verkauft. Mit der Be- kämpfung des Uebels der Simonie hatte die Periode begonnen, in welcher vermittelst der als dringendes Bedürfniss der Kirche er- kannten Reform die hierarchische Entwiklung ihren mächtigsten Aufschwung nahm; nachdem das Papstthum den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte, bestand die Praxis, die sich an der päpstlichen

Pftpstliohe Habsaoht Annatea. M8

Curie f&r die vom Papst angemaasste Vergebnng der geistlichen Aemter bildete, in einer Reihe von Missbraachen, die den offen- kundigsten Charakter der Simonie an sich trugen. An dem Hofe zu Avignon war es nnter mehreren Päpsten ganz gewöhnlich, dass die Beneficien denjenigen gegeben wurden, die am meisten dafür bezahlten. Unter den verschiedenen Namen, unter welchen die päpstliche Habsucht diese 'Bedrückungen der Kirche ausübte, ist der der Annaten einer der berüchtigtsten. Schon in der griechischen Kirche wurde für die Ordination oder Consecration etwas bezahlt, das später zu einer Taxe wurde, obgleich die Synode von Chalcedon es für Simonie erklärte. In der römischen Kirche sah sich Gregor I. zu dem Verbot veranlasst, dass für Ordinationen etwas bezahlt werde. In der Folge wurde es, seit der Mitte des dreizehnten Jahr* hnnderts, gewöhnlich, dass einem Bischof, der zu Rom consecrirt wurde, dafür ungefähr der Betrag der jährlichen Einkünfte seines Ksthums abgefordert wurde, und ein Theil dieser Gebühren schon tetls unter dem Namen Annatae, so wurden sie genannt, weil sie nach dem Verhältniss des jährlichen Einkommens bestimmt wa- ML Am. drückendsten wurden auch diese Abgaben in der Periode ieg Papstthums zu Avignon, wo auch sie ganz zu dem schändlichen Handel gehörten, der mit allen geistlichen Aemtem getrieben wurde. Die Simonie lag hier offen vor Augen, da die Annaten als stehende Taxe von der päpstlichen Curie für die Verleihung der geistlichen Aemter eingezogen wurden : was hatte man sich aber noch um den Vorwurf der Simonie zu bekümmern , seitdem von den Vertheidi- gem des Papalsystems der Canon aufgestellt worden war, dass der Papst keine Simonie begehen könne ? Curialisten dieser Art waren unter Johann XXH. namentlich der Augustinermönch Augusti- nus Triumphus und der Franciscaner Alvarus Pelagius* in deren Schriften sich überhaupt die überspanntesten Sätze über die Macht des Papstes finden. Certum est, sagt der erstere in sei* ner Shumma de potestate eccles, , mmmum Pontificetn canonicam rimoniam a jure poaitivo prohibitam non poase cammittere, quia ip$e est supra jus, et eutn jura positiva non ligant. Was unter- geordnete Prälaten nicht ohne Sünde ihun können, kann der oberste Pontifex ohne Sünde thun, er kann von den Bischöfen und andern Prälaten eine Geldsumme pro bono publice empfangen, wie es ihm zweckmässig zu sein scheint. So wurde der päpstliche Absolutis-

864 Zweite Periode. Zweiter Abiohnitt

miM in demselben Verbältnisf , in welchem er alle Fraheii ond Selbstständigkeit des kirchlicben Lebens vernichtete, auch dn in zahllosen Gelderpressungen alle materiellen Güter in sich ver- schlingender Abgrund , und wie man sonst nur mit dem Ansdrad der höchsten Ehrfurcht von der römischen Kirche sprach, so sprach man jetzt nur von einer römischen Curie, als dem Sitz einer in der sinnlichsten Genusssucht und Ueppigkeit schwelgenden and das Heilige entwürdigenden Geistlichkeit Ja, auch daran war es nodi nicht genug! Wenn für den Papst allein nicht Sünde sein sollte, was für alle Andern Sünde war , an der römischen Curie allein Si- monie ohne Sünde begangen werden konnte, so war dieser Abso- lutismus mit seiner alles in sich negirenden plenitudo potestatis auch die Aufhebung aller sittlichen Begriffe. Diess ist es also, wai die Entwicklung des kirchlichen Systems zu seinem letzten Resul- tat hatte, und das Schlimmste ist, dass man nicht einmal sagen kana, es sei damit sich selbst untreu geworden: es stellte sich am Ende nur heraus, was die von Anfang an in ihm liegende Tendenz war, und es zu einer zuletzt in ihrem eigenen Widerspruch zu Gnmde gehenden Erscheinung machte. Wird die Kirche zur Hierarchii^ die Hierarchie zum Papstthum , der Papst zum irdischen Ciott, » kann auch das Papstthum zuletzt nur werden , was es im VaM der Periode zum Abscheu aller, in welchen noch ein christlich rift- liches Gefühl lebte , offenkundig geworden ist. Ist der Papst der sichtbare irdische Gott, so ist zwischen dem, was er der Theorie nach sein soll, und dem, was er in der Wirklichkeit ist, ein Wider- spruch, durch welchen das ganze Regiment der Kirche in ein Reidi der Lüge verwandelt wird ; an die Stelle der göttlichen Absolutheit, zu welcher der Papst erhoben sein soll , kann im Bewusstsein des in dieser Idee lebenden Subjects nur die schrankenloseste Willkür menschlicher Selbstsucht treten, die Grenzen des Göttlichen und Menschlichen sind verrückt und die Unterschiede aufgehoben, ohne welche keine göttliche Weltordnung bestehen kann. Will man diess nicht für die nothwendige Consequenz des Jiierarchischen Systems halten, so weise man den Punkt nach, auf welchem es aus der Con- sequenz seines Princips herausgetreten ist! Eben darin besteht die grösste Eigenthümlichkeit des hierarchischen Entwicklungsganges, dass alle seine epochemachenden Erscheinungen eine zusammen- hängende Reihe sich gegenseitig bedingender Momente bilden, ia

OoBseqvem des hier arefa. Bytten«. S65

welcher das Eine immer wieder die Voranssetzmig oder die Folge des Andern ist und im Ganzen nichts geschieht, was nicht in dem innem Zusammenhang dieser Ursachen und Wirkungen hinlinglich begründet wäre. Es ist wahr, die Verlegung des päpstlichen Stuhls nach Avignon war der fatale Wendepunkt, von welchem an das Papsttiium mit raschen Schritten seiner Katastrophe entgegenging. In welchem engen und naturlichen Zusammenhang steht aber auch diese Epoche des Papstthums mit der ihr vorangehenden Periode ! Wie konnte es, nachdem einmal das Papstthum auf der Höhe seuies Absolutismus stand, anders sein, als dass auf irgend einem Punkte der überspannte Bogen brach, der Widerspruch seiner Idee mit dor thatsachlichen Wirklichkeit seine volle praktische Bedeutung erhielt, und in einem unvermeidlichen Selbstauflösungsprocess aus- ttnanderfiel, was von Anfang an auf blosse Illusionen und Selbst- tinschnngen gebaut war? Je weiter man diesen Zusammenhang «rück verfolgt, um so tiefer kann dadurch nur die Ueberzeugung hegrindet werden, wie wesentlich der ganze Verlauf der hierarchi- iohei Entwiklung zum Charakter einer Kirche, gehörte ^ die von Anfang an die Tendenz hatte , in ihrer Geschichte den Ausspruch Jesa in seiner realsten Bedeutung in Erfüllung gehen zu sehen, dm Petrus der Felsen sei, auf welchem er seine Kirche erbaut habe.

Steigen wir von der höchsten Sphäre , in welcher die geist- liche und die weltliche Macht im Papstthum und Kaiserthum ein- ander gegenüberstehen, zu den untergeordneten Verhältnissen her- tby in welchen die beiden Mächte, oder Staat und Kirche, innerhalb der einzelnen Staaten und Landeskirchen mit einander in Berüh- rung kommen und ihre gegenseitigen Rechte festzustellen haben, ^so kommen hier folgende Punkte in Betracht: 1. Das Verhältniss der Bischöfe und Kleriker zu den weltlichen Fürsten als den Lan- desherrn ; femer fragt es sich 2. wie sich die Kirche in Ansehung ihrer Güter, und 3. wie sie sich in Ansehung des Gerichtswesens n dem Staat verhielt?

1. Das Verhältniss der Bischöfe als der Häupter des Klerus der Landeskirchen zu den Fürsten als den Landesherrn war durch die Entscheidung des Investiturstreits bestimmt Die Fürsten blieben, wenn auch in der durch das Wormser Concordat festgesetzten Form, auch ferner die Lehensherrn der Bischöfe, und diese hatten den- selben alle Pflichten zu leisten', die der Lehensverband in sich be-

Zweite Periede. Zweiler Abiehnltt.

So unabhängig die Bischöfe in ihrer geiftlicfaen Würde tob den weltlichen Fürsten waren , so wenig durften sie sich dem AIh hfingigkeitsverhältniss entziehen, in welchem sie durch ihre Leheas- güter zu den Fürsten standen. Zur Freiheit der Kirdie in Hinsioht der geistlichen Würde gehörte vor allem , dass die Bischöfe uad Äebte nicht mehr, wie bisher, schlechthin von den Fürsten emamit, sondern von den dazu berechtigten WahlcoUegien frei oder nad canonischer Weise gewählt wurden. So streng aber in dieser Be- ziehung Geistliches und Weltliches geschieden sein sollte, so konnte doch, da in der Wirklichkeit beides zu eng in einander eingriS^ der Einfluss der Fürsten auf die Wahlen nicht ganz ausgeschlossei werden. Nicht nur kamen auch noch im zwölften Jahrhundert kai- serliche Ernennungen von Bischöfen vor, durch welche die Pfipile veranlasst wurden, in den Vertragen, welche Otto IV. and Fried- rich IL beschwören mussten, die vollkommene Freiheit der kaa^ nischen Wahlen zur ausdrücklichen Bedingung zu machen, sonden es fand auch eine gewisse berechtigte Betheiligung , dabei statt Das VKprmser Concordat setzte fest: die Wahlen der Bischöfe wd Aebte sollen in Gegenwart des Kaisers ohne Kauf, Bestechung oder Gewalt geschehen, im Fall eines Streites soll der Kaiser nachdn Rath und Urtheil der Erzbischöfe und Mitbischöfe dem beMraa Theil seine Beistimmung und Hülfe geben. In andern Landern, wie namentlich in Frankreich, England und Spanien, war es gesetzHdM Ordnung , dass vom König die Erlaubniss der Wahl und nachher die Bestätigung derselben eingeholt wurde. Zuletzt blieb den welt- lichen Fürsten bei der Besetzung der geistlichen Stellen nur das sogenannte jus primarum precum, d. h. sie konnten erwarten, dass auf ihre Empfehlung die erste Rücksicht genommen wurde. Es war diess ein sehr schwacher Rest der Gewalt, welche die Für- sten früher bei der Besetzung der geistlichen Stellen hatten. Treuer erhielt sich das alte Lehensverhältniss in dem sogenannten jtf t r»- galiae. Es bestand darin, dass der Lehensherr die Einkünfte eines Lehens wahrend der Zeit der Erledigung bezog, um die Kosten dei Lehensdienstes zu bestreiten. Diess galt auch bei den Lehensgüten der geistlichen Stellen. In Frankreich und England gehörte zum Recht der Regalie hauptsächlich auch das Recht, dass der Lehens- herr, wie der Bischof, die wahrend der Erledigung vacant gewor- denen Beneficien oder geistlichen Stellen vergab, was nur aus der

Die Blsohöfe v. die FflrsteD« Jns regeliee «. ipeüL 987

Zeit noch sich erhalten haben konnte, in welcher die Landesherm anch die Hauptatellen selbst, die Bisthumer und Abteien, noch selbst zo besetzen pflegten. Mit dem Regalienrecht wird öfters das Spo- lienrecht, ju« spolii oder jti« ea^urtartim zosammengenannt, d. h. das Recht, sich der beweglichen Yerlassenschaft eines Bischofs zo bemächtigen. Auch dieses Recht übten die Fürsten als Lehens- herrn aus. Die Kirche that gegen diese beiden Rechte Einsprache. In Deutschland behaupteten sie noch Friedrich I. und Heinrich YL standhaft, Otto IV. aber musste ihnen entsagen und nach ihm anch Friedrich II.; in dem grossen Freibriefe aber, welchen Fried- rich n. im Jahr 1220 den Prälaten ausstellte, ist nur die Spolie^ nicht die Regalie erwähnt, auf diese leistete erst Rudolf von Habsburg völlig Verzicht In Frankreich sprach Bonifacios VIII. dem Kö- nig P h i 1 i p p dem Schönen vergeblich die Regalie ab. In Frank- rmch und England blieben die Könige im Besitze dieser Rechte, nüer 80 weit endlich der Papst, der dieses verabschenongswfir- iUgcTUnrecht bekämpfte und als oberster Regent die Einkünfte er- l6d%ter Pfründen und den Nachlass aller ohne Testamente sterben- den Geistlichen für sich ansprach, mit seinen Forderungen durch- drang. Wie das Lehens verhältniss die Bischöfe von den weltlichen Firstta abhängig machte , so machte es sie auf der andern Seite selbst m Fürsten, und gab ihnen als Reichsfürsten eine politische Bedeutung. Es ist in dieser Beziehung nur an das schon früher Bemerkte zu erinnern. Je mehr die innere Verfassung des Reichs sich ausbildete, um so fester wurde auch die politische Stellung der Bischöfe, sie hatten auf den Reichstagen Sitz und Stimme und nah- men an allen Reichsangelegenheiten einen mehr oder minder wich- tigen Antheil, als ein eigener, dem König und den weltlichra Fürsten mit selbstständigem Recht gegenüberstehrader Stand. Auch in der Periode, von welcher hier die Rede ist, nehmen bes(mders die dentachen Bischöfe in der Geschichte des deutschen Reichs eine sehr wichtige Stelle ein, und mehrere derselben greifen in die ent- scheidendsten Epochen mit einer sehr hervorragenden Bedeutung ein. Nachdem die Verfassung des deutschen Wahlreichs in der SiebenzaU ihrer Kurfürsten zum Abschluts gekommen war, mach- ten die drei geistlichen Kurfürsten einen integrirenden Bestandtheil der deutschen Reichsverfassung aus, und der Primas der deutschra )it, der Erzbischof von Mainz, war als solcher auch der

M6 Zweite Periode. Zweiter Abiebnitt

Kanzler des Reichs. Wie in andern Lfindem Denis und Adel die gleiche politische Berechtigung hatten, so theilten in England die Bischöfe mit den Baronen die grossen Vorrechte der Mapia Charta.

2. In Ansehung der Güter, welche die Kirche besass, war ihr Verhältniss zum Staat im Allgemeinen durch die LehenaverCusuiig bestimmt Die Kirche wurde aber auch ausser den ordenfUcbai Leistungen , zu welchen sie in Gemdssheit des Lehensyerhfiltnissei verpflichtet war, auf ausserordentliche Weise durch Abgaben und Steuern in Anspruch genommen. Zu solchen Bestenrongen, n welchen man' bei dem reichen, noch immer sich mehrenden Gflter^ besitz der Kirche ein sehr natürliches Recht zu haben glaubte, gaben hauptsachlich die Kreuzzüge die Veranlassung, und waren es die Päpste selbst , von welchen die Anregung dazu ging. Was zuerst nur zur Beförderung einer so heiligen Sache and zur Unterstützung der dem Ruf der Päpste zu einem neaen Kreoi«- zng folgenden Fürsten von den Päpsten angeordnet worden war, ein von der Kirche zu erhebender Zehente, wurde in der Folgs von den Fürsten für verschiedene nichtkirchliche Zwecke in Af- spruch genommen. Da die Päpste den in dieser Hinsicht an iie ge- machten Forderungen sich nicht entziehen konnten , öfterAienit ein Interesse hatten , die Hand zu solchen Bewilligungen zu Mtitaa, so wurden auf diese Weise immer mehr Canale eröffnet, dnrdi welche das im Besitz der Kirche befindliche Vermögen einen für das allgemeine Interesse erwünschten Abfluss in das politische und bürgerliche Leben erhielt. Von demselben Gesichtspunkt aas sollte der Staat durch die sogenannten Amortisationsgesetze gegen die Gefahr sicher gestellt werden, in der todten Hand der Kirche eine zu grosse Masse von Gütern dem allgemeinen Verkehr ent- zogen zu sehen.

3. Auf analoge Weise verhalt es sich mit dem Gerichtswesen der Kirche. Je mehr die Kirche ihre hierarchische Gewalt erwd- terte, um so mehr ging ihr Streben dahin 5 sich in ihrer eigenen Gerichtsbarkeit abzuschliessen und alle Vergehen der Kleriker, auch die gegen die bürgerliche Ordnung begangenen, vor das geist- liche Forum zu ziehen. Dieses Streben musste sowohl an den auch auf die Kirche sich erstreckenden Formen der Lehensverfassung, ak auch an dem sich mehr und mehr entwickelnden Staatsbe-

Gflter und Qeriobtsweielk der Klreha«

WQSStsein der Reiche seine nothwendigen Schranken findett Auf eine der merkwürdigsten C!olIisionen dies^ Art bezog sich der Streit zwischen dem König Heinrich IL und dem Erzbischof Thomas Becket von Canterbury. Der auf der Reichsversammlung . zu Cla- rendon im Jahr 1164 zum Reichsgesetz erhobene Beschlnss, dass die eines Verbrechens angeklagten Kleriker von dem königlichen Richter zur Untersuchung zu ziehen seien und im Falle der Ueber- weisong yon der Kirche nicht geschätzt werden dürfen, bezeichnet die Grenze , welche der Klerus nie überschreiten konnte 0* Aber nicht blos in Criminalsachen konnte sich die Kirche dem weltlichen Gericht nicht entziehen, sie musste auch über die bürgerliche Rechts- pflege , deren Handhabung in so grossem Umfang an die bischöf*- Heben Gerichtshöfe übergegangen war, sich mit dem Staat ausein« andersetzen und dem Staat das wieder zurückgeben, was derselbe, je mehr er sich seiner Selbstständigkeit bewusst wurde , als sein mprüngliches, erst von der Kirche ihm entzogenes Recht für sich zurftikforderte ^}. In Frankreich waren es die Parlamente, die mA in dieser Beziehung den Uebergriffen der Kirche am kräftig* Sien entgegentraten.

Die bisher beschriebenen Verhältnisse sind verschiedene Seiten und Beziehungen des allgemeinen Verhältnisses, in welchem Staat nd Kirche zu einander stehen. Es gestaltet sich verschieden , je nachdem sich das kirchliche Leben, das in ihm zu seiner Erschei- nung kommt, in einer höhern oder niedern Sphäre bewegt Unter denselben Gesichtspunkt gehörtauch noch der Gegensatz des Klerus

1) Die Gonstitntioiien von Clarendon wurden trotz des Conflicts, in welohen Heinrich II. mit dem Papste kam, aa&echt erbalten. Für so un- sinnige Ansprüche, wie sie Thomas Becket so hartnäckig zum Naohtheil seines Standes festgehalten hatte, war die Zeit vorüber. Die Mitwirkung des weltlichen Richters, damit der wirklich Schuldige zur Strafe gezogen werde, und die strenge Sondemng der Competenz der beiden Gerichtshöfe, ohne den einen oder den andern völlig auszuscbliessen, war schon die Ten« denz der clarendonischen Constitutionen. Vgl. Pauli Gesch. von England, 8. a 42. 144.

2) Charakteristisch ist in dieser Beziehung, was Matth. Paris in seiner Chronik zum Jahr 1246 berichtet: Die französischen Barone drangen auf strenge Begprenznng der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit, ut sie jurisdieHo nostra restjueitata reapiret, et ipsi hactenu$ ex noetra depmtpe^ ratiime dUati reducantur ad etahtm eodenae prinUtwae.

S70 Zweite Periode. Zweiter Absehnitt

ond des Laienstandes. Dabei kommt lonächf t in Betracht, was der Klerus für sich war, nach seiner innem Yerfassang, als ein eigeamr für sich bestehender Stand.

Die Bischöfe hatten noch immer trotz der BeeintrCchH^riuigeB, welche ihre kirchliche Stellung theils durch ihren politischen Cha- rakter, theils durch die Eingriffe der Pöpste erlitten hatte, eine so hervorragende Bedeutung , dass von ihnen als den Hfinptem dei Diöcesanklerus alles ausgieng und seinen Namen hatte. Je höher sie aber standen, um so weniger war ihre Thätigkeit eine unmittel- bar persönliche, sondern eine in ihrem Namen durch Andere Ter- mittelte. Da sie nicht nur für die verschiedenen Theile ihres Anti einer mehrfachen Unterstützung bedurften, sondern auch vomebi und bequem genug waren, ihrer eigenen persönlichen Thitigkeit nur das Wichtigste vorzubehalten, so traten an ihre Stelle tb^ schiedene neue klericalische Personen, Offlcialen, für die allmflUii sowohl den Bischöfen als den niedern Klerikern durch ihre A»- maassung lästig gewordenen Archidiakonen, Fönitentiarii, Yon bwH cenz HL durch eine Verordnung der lateranensischen Synode na Jahr 1215 eingeführt, zur Aushülfe für die Bischöfe im BeichtitoU und in der Seelsorge, Weihbischöfe, die als Vicarü in potiltfcf- lUus seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts häufiger erwlkil werden, und besonders durch die nach dem Verlust des heiligea Landes im Abendland eine Unterkunft suchenden episcopi m pat' tibu8 infidelium einen starken Zuwachs erhielten.

Die wichtigste Stelle im Diöcesanklerus nahmen neben den Bischof die Domkapitel ein, nachdem sie allmählig den Bischöfen gegenüber grössere Selbstständigkeit erlangt hatten. Die Freiheit, die die Kirche in Folge des Investiturstreits durch ihreEmancipatioD von den weltlichen Fürsten gewann, bestand hauptsächlich darin, dass die Domkapitel das Recht der freien Bischofswahl erhielten. Wenn auch bisweilen noch von einer Mitwirkung selbst der Ge- meinden zur Wahl die Rede ist, Cwie z. B. Geroh von Reichersberg die Wahlberechtigten in der Ordnung aufführt, den spirtiaies et religiosi viri, d. h. den Mönchen oder den Aebten, deren Zuziehung auch Innocenz n. auf der lateranensischen Synode im Jahr 1139 befiihl, komme zu das consulere, den canomci das digere, dem populuB das petere, den hanarati das assentire) so hatte diess doch keine weitere Bedeutung. Diejenigen, durch welche die Wahl

Inn. Verfaisüng des Klerus. BUohOfe und Domkapitel. JV7i

ihre kanonische Gültigkeit erhielt, waren vorzugsweise nur die canonici, die Mitglieder der Domkapitel. Ihr Wahlrecht wurde ihnen auch in dem Eid, welchen Otto IV. im Jahr 1209 Inno- cenz III. leisten musste, durch eine Verordnung der lateranensi- schen Synode im Jahr 1215, so wie auch von Friedrich IL in der sogenannten goldenen Bulle bestätigt Wie die Domkapitel den Bischof wählten, so hatten sie auch, freilich mit den Beschrankun- gen, die überhaupt solche Rechte durch verschiedene Eingriffe er- litten, das Recht, wenn auch nicht ausschliesslich, doch in Gemein- schaft mit dem Bischof, die Mitglieder der Kapitel selbst zu wählen. Die Kapitel waren seit dem dreizehnten Jahrhundert meistens so- genannte eapitula dausa, d. h. auf eine bestimmte Zahl von Mit- gUedem beschrankt, die nicht überschritten werden durfte. Sehr gewöhnlich wurde es jetzt, dass der Adel sich in die Kapitel Magte und die Stiflsstellen mit seinen jüngeren Söhnen besetzte. Die Mitglieder der Kapitel hatten gleiche Rechte, doch gab es auch eiMB Unterschied der Würden und Aemter, sie hatten einen Prior, DediBten, Cantor, Scholasticus, Kämmerer u. s. w. Auch diese fskörle zu der bestimmteren Form , zu welcher sich ihre innere Yerüasnng allmählig ausgebildet hatte. Versuche zur Wiederher- stellong der vita canonica wurden zwar zu Ende des eilften Jahr- hunderts gemacht, namentlich drangen die mit der Reform der Kirche so ernstlich beschäftigten Päpste Nicolaus IL und Alexan- der IL auch darauf, die alte vita canonica sollte sogar noch ge- schärft werden, man tadelte an der Regel Chrodegangs, dass sie den Canonici den Besitz eines eigenen Vermögens gestattet habe, und rechnete zu der regtUa s. Auffustini, nach welcher die vita canonica normirt werden sollte, vorzugsweise das communiter ptr«re/d. h. die volle Gütergemeinschaft; allein, wenn auch da und dort ein solcher Versuch gemacht wurde, wie in der Diöcese Passaa im Jahr 1091, es hatte diess keinen weiteren Bestand. Wie überhaupt der Klerus, wenn er sich reformiren wollte, die Norm, nach welcher diess geschehen sollte, immer im Mönchsleben vor sich sah, so konnten alle Versuche dieser Art, das Leben der Kleriker dem der Höqche mehr anzunähern, nur eine um so grössere Scheidung des Klerus vom Laienstande zur Folge haben. Welche Mühe kostete es aber, die Kleriker auch nur im Cölibat den Mönchen gleichzustellen! Auf jeder Synode, welche di#

878 Zweite Periode. Zweiter Abiehnitt

Pipste im Laufe des zwölften Jahrhunderte hielten, von der Synode zu Clermont im Jahr 1095 bis znr Vierten lateranensischen im Jahr 1215, wurden die Dekrete gegen die Priesterehe wiederholt und Zwangsmittel verschiedener Art angewandt In diese Kategorie gehören auch die Gesetze, durch welche alle Söhne verehlichter Kleriker für durchaus unfähig zur Aufnahme in den Klerus eridirt wurden. Alexander III. sah sich jedoch auf der dritten latera- nensischen Synode zu mehreren Milderungen veranlasst, wie man überhaupt von der Strenge der Gesetze immer wieder etwas nach- lassen musste. In England, wo der Erzbischof Anselm von Gaii- terbury die Priesterehe sehr nachdrücklich bekämpfte, worden die Cölibatsgesetze nicht einmal seit den Synoden in London im Jdur 1127 und 1129 mit besserem Erfolg durchgesetzt; in Dänemark und Schweden, sowie in Polen und Ungarn, konnten sie erst um tb Mitte des dreizehnten Jahrhunderts eingeführt werden. Selbst Ü Deutschland findet man noch im dreizehnten Jahrhundert da vi dort verheirathete Geistliche, wie z. B. in der Gegend von Lfltikli wo um das Jahr 1220 mehrere Stiflsherrn mit Beobachtung äOtf Förmlichkeiten heiratheten ; in Böhmen hatte selbst der Erztnsaksf von Prag zur Zeit Innocenz IIL Frau und Kinder. Erst allnttlf und nur zum grossen sittlichen Nachtheil für die Kirche konnte & Priesterehe durch die Consequenz des Systems vollends ganz unter- drückt werden.

Stellen wir nun den Klerus in seiner organisirten Form den Laien gegenüber, so sollte alles, was zu seiner innern Verfassung gehörte und ihn von dem Laienstande unterschied, ein Mittel zur Befestigung und Erweiterung seiner Macht über die Laien sein.

Auf welche Weise diese Herrschaft ausgeübt wurde, darf hier nicht erst gezeigt werden, da die Kirche nur bei dem bisher be- folgten System mit aller Consequenz beharrte. Wie wenig irgend eine Abweichung von den Glaubensdogmen der Kirche gestattet war, beweist die grausame Strenge gegen die Häretiker, welcher in der jetzigen Periode besonders so viele bekannte Opfer fielen. Denselben unbedingten Gehorsam verlangte die Kirche auch in allem andern, worauf sich ihre Gesetzgebung erstreckte. Je mehr diese durch so viele immer neu hinzukommende Bestimmungen sich er- weiterte und verschärfte, um so tiefer griff sie in die Verhältnisse des kirchlichen und bürgerlichen Lebens ein, die durch sie immer

Cölibat. Ehegesetse. Bann nnd Interdict.

mehr eiageengl und dem Kreise der freieren Bewegung entzogen wurden. Einen Beleg dafür geben die kirchlichen Ehegesetze, deren verbotene Verwandtschaftsgrade eine so unnatürliche Ausdehnung erhielten, dass Innocenz III. sich veranlasst sah, sie auf den vierten Grad herabzusetzen. Das Hinderniss der cofnatio spiri" tuaUs wurde dagegen nicht nur nicht aufgehoben, sondern von Gregor IX. sogar noch erweitert. Damit es bei so vielen Ehe- hindernissen nicht an der nöthigen Aufmerksamkeit fehle, gab Innocenz IIL den schon in der alten Kirche gebräuchlichen, spfiter aber beinahe überall abgekommenen öffentlichen Ankündi- gungen der Heirathen die in der Hauptsache noch jetzt gewöhn- liche Form der Proclamationen. Die Hauptmittel, deren sich die Urche bediente, um die Laien zum Gehorsam gegen ihre Gesetze fad Beschlüsse nöthigenfalls auch mit Gewalt zu zwingen, waren l|Oeh immer Bann und Interdict. Je öfter sie aber die Kirche, und ii 80 vielen Fallen auch aus ganz ungenügenden Ursachen, an- jfvfadte, um so mehr verloren sie ihre Wirkung. Sie machte auch JpMMr häufiger die Erfahrung, wie wenig man geneigt sei, die Urgerlich nachtheiligen Folgen, die sie damit zu verbinden wSnschte, thatsächlich eintreten zu lassen. Schon um das Jahr 1100 hört man die Klagen, dass man sich um die Excommunica- tioB wenig mehr bekümmere. Um nicht auch Unschuldige durch die Wirkungen des Banns und Interdicts zu sehr leiden zu lassen, musste man auch wieder Hilderungen eintreten lassen, selbst Gregor YII. entschloss sich dazu im Jahr 1078. Um aber die Schuldigen um so wirksamer zu treffen, bemühte man sich um so mehr, bürgerlich nachtheilige Folgen mit dem Bann zu verbinden. h Frankreich wollten die Bischöfe von Ludwig IX. das Gesetz auswirken, dass die Güter aller confiscirt werden, die nicht in Jahresfrist Lossprechung vom Bann erlangt haben. Allein Ludwig gieng nicht darauf ein und in Deutschland hatte ohnediess das Ver- sprechen keine Folge, das der Herzog Philipp von Schwaben Innocenz III. gab, es solle allgemeines Reichsgesetz werden, dass jeder vom Papst Gebannte auch in die Reichsacht verfalle; man sieht hieraus nur, wie sehr ein solches Anerbieten im Sinne der Kirche war. Schreckhafter wirkteA noch längere Zeit die Inter- dicte, wie mehrere auffallende Beispiele zeigen. In Frankreich Hessen aber im dreizehnten Jahrhundert die Könige ihren Gerichts-

Banr, K.G. d. Mittelftlten. 18

S74 Zweite Periode. Zweiter Abschnitt

hof Über die Rechtmässigkeit der kirchlichen Interdicte entocheide& und es galt als Recht, dass vom Interdict der Kirche an das Par- lament appellirt werden durfte. So war auch die Zeit der Inter- dicte mehr und mehr vorüber.

Als aber die alten Mittel immer mehr verbraucht und ab- genützt waren, war die Kirche erfinderisch genug, neue an ihre Stelle zu setzen, die auch ohne den Aufwand grosser materieller Mittel und die Anwendung von Gewaltmaassregeb, die an sich an- stössig nur Hass und Widerwillen erwecken mussten, um so inten- siver dadurch wirken sollten, dass sie auf das Innere des Menschen, auf Herz und Gewissen, berechnet waren, um sich aaf diesem Wege der Herrschaft über die Laien zu versichern, und durch Aufsicht und Ueberwachung alles voraus abzuschneiden, was audi nur den Keim eines Widerspruchs und Widerstands gegen den der Kirche schuldigen Gehorsam in die Gemüther der Laien legen

konnte. Diess ist der Gesichtspunkt, unter welchem hier die Ohren*

im

beichte, die Inquisition und das Bibel verbot als neue vom Klemi zur Beherrschung der Laien in Anwendung gebrachte Mittel st- sammenzustellen sind.

In Ansehung der geheimen , nicht öffentlich bekannt gewor- denen Sünden konnte man es zu Anfang der Periode noch inuaer halten wie man wollte, und es machte sich noch immer die Ansicht geltend, dass man, wenn man beichtete, nicht gerade nothwendig vor dem Priester beichten müsse, dass man nach den Umstfindea auch einem Laien beichten könne. Dagegen verordnete Inno- cenz in. auf dem vierten lateranensischen Concil im Jahr 1215 in Betreff der Beichte : Jeder Christ beiderlei Geschlechts solle, wenn er zu den Unterscheidungsjahren gekommen sei, alle seine Sünden wenigstens einmal im Jahr für sich allein dem eigenen Priester beichten und die ihm auferlegte Busse nach Kräften zu erfüllen suchen, indem er zum wenigsten an Ostern das Sakrament der Eucharistie glaubig empfange, widrigenfalls müsste ihm zu seinen Lebzeiten der Zutritt zur Kirche und im Tode das christliche Be- gräbniss versagt werden. Einem fremden Priester kann er nur mit Erlaubniss des eigenen beichten. Der Priester aber soll discret und vorsichtig sein und nach der Art eines erfahrenen Arztes Wein und Oel auf die Wunden giessen, er soll die Umstände des Sünden und der Sünde genau erforschen, um aus ihnen mit Verstand zu err

Ohrenbeichte. S75

fahren, welchen Rath er geben, welches Mittel er anwenden müsse, indem man yerschiedene Versuche machen müsse, um den Kranken za heilen. Durchaus aber müsse ersieh hüten, mit einem Wort oder Zeichen oder auf irgend eine Weise den Sünder zu verrathen; wenn er einen verstandigeren Rath nöthig habe, solle er ihn ohne ausdrückliche Nennung der Person mit Vorsicht zu erhalten suchen. Wer eine im Beichtstuhl entdeckte Sünde bekannt mache, solle Bichl blos seines Priesteramts entsetzt, sondern auch zur bestan- digen Busse in ein enges Kloster gesteckt werden. Wenn nun aus- drücklich vorgeschrieben war, dass alle und jede Sünden gebeich- tet werden müssen, und nur vor dem Priester gebeichtet werden können, so stand eben damit fest, dass man nur durch eine solche Bdchte Vergebung der Sünden erlangen konnte. Von allen ,nicht gebdcbteten Sünden konnte man demnach nur das Bewusstsein haben, dass sie nicht vergeben seien. Die Nothwendigkeit der IMchte öffnete so dem Priester den Blick in das ganze Sündenbe- wnntiein der Laien, ihr Inneres lag vor ihm aufgeschlossen, und soaehr auch dem Priester Vorsicht und Discretion empfohlen war, wer bürgte dafür, dass das Geheimniss bewahrt wurde, und wenn es bewahrt wurde, wie drückend musste für die Laien auch schon dieia sein, an den Priestern solche Mitwisser aller auch der ge- heiflniten Vergehungen zu haben? Welchen geistlichen Nutzen aich eine solche Beichte und specielle Seelsorge haben mag, sie war zugleich das Mittel, die Laien auf eine Weise von den Priestern abhftngig zu machen, die um so tiefer begründet war, je mehr sie auf dem Gewissen und dem Bewusstsein der Laien beruhte, beide, Laien und Priester, durch ein inneres geistiges Band miteinander verknüpfte. Wer kann bezweifeln, dass es der Kirche vor allem um diese Abhängigkeit zu thun war; sie war ja nach ihrer Ansicht die erste Bedingung des Seelenheils der Laien, die Kirche musste vor allem die Laien ganz in ihrer Gewalt haben, um für ihr Seelenheil sorgen zu können; wie wichtig war es also, mit dem ganzen gei- stigen Zustand der Laien, ihren innersten Gedanken, so genau be- kannt zu werden, als die Geheimnisse des Beichtstuhls ihr dazu Gelegenheit gaben, und welchen Werth hatte diess überhaupt für das ganze Regiment der Kirche! Das inquirere ist schon bei der Ohrenbeichte die Hauptsache für die Kirche. Der Kanon InnocenzIIL verlangt von dem Priester ein düigenter mqmrere et peccalerU

18»

S76 Zweite Periode. Zweiter Abichnitt

ebreum$tanHa$ et peecati. Die Kirche will ihre Leute so genau als möglich kennen lernen, um zu wissen, wessen sie sich von ihnen zu versehen hat

Das inquhrere, auf das die Kirche schon damals so emsUidi drang, um sich auch die geistige Herrschaft über die Laien sa sichern, ist schon die Bezeichnung des Wegs, auf welchem die Kirche nun weiter gieng und das inquirere so sehr sich angelegea sein liess, dass daraus ein eigenes stehendes, mit diesem Namen benanntes Institut hervorgieng, die Inquisition. Auf derselben Syn- ode gab Innocenz III. aus Veranlassung der Ketzer, deren Unter- drückung überhaupt eine so wichtige Aufgabe seiner päpstlichen Regierung war, auch die Verordnung: Jeder Erzbischof oder Bischof solle entweder selbst oder durch seinen ArchidiaconuSi oder durch taugliche ehrbare Personen zweimal oder wenigstem einmal des Jahrs seine der Ketzerei verdächtige Parochie bereisen, und daselbst drei oder mehreren in gutem Credit stehenden HäiH nem, oder auch, wenn er es für zweckmässig erachte, der gaDzen Gemeinde den Eid abnehmen, sie wollen es sich angelegen sein lassen, alle Ketzer, von welchen sie wissen, oder die, welche ge- heime Conventikel halten, oder von der Gemeinschaft der GlauUffli durch Leben und Sitten sich entfernen, dem Bischof anzuzeigen. Der Bischof selbst solle die Angeklagten vor seine Person berufen, aai wenn sie sich nicht von der gegen sie vorgebrachten Beschuldi- gung reinigen, oder nach geschehener Reinigung in die vorige Perfidie zurückfallen, sollen sie kanonisch bestraft werden. Die, welche den von ihnen verlangten Eid durch verdammlicbe Hart- näckigkeit verweigern, sollen ebendesswegen als Ketzer angesehen werden. Die weitere Ausführung derselben Verordnung war es, als auf der Synode zu Toulouse im Jahr 1229 der päpstliche Legat den Beschluss sanctioniren liess, es sollen in jeder Parochie zwei oder drei oder auch mehrere Laien von gutem Ruf eidlich dazu ver- pflichtet werden, in ihrer Parochie fleissig^ getreu und oftmals die Ketzerei auszuforschen, die Häuser und Schlupfwinkel zu durch- suchen, und wenn sie Ketzer und Ketzerbeschützer entdecken, sie nach getroffenen Maassregeln gegen ihr Entfliehen den Prälaten und Beamten des Orts eilig anzuzeigen, damit sie zur gebührenden Strafe gezogen werden. Für den Zweck derErforschung und Unter- drückung aller und jeder Ketzerei wurden die genauesten speciellen

Inquisition. BibeWei^bot. S77

Bestimmungen gegeben. Zur Vollendung des neuen bquisitions« Instituts fehlte nur noch, dass Gregor IX. im Jahr 1233 die Domini- caner zu bestandigen päpstlichen Inquisitoren der ketzerischen Bosheit ernannte. Ueberallhin verbreiteten die stehenden Inquisi- tionsgerichte ihren dumpfen Schrecken. In keinem Lande aber ge- staltete sich die Inquisition zu einem solchen Ungeheuer wie in Spanien, wo die königliche und die geistliche Gewalt zu dieser sdilimmsten und härtesten Form des Völkerdespotismus harmonisch zusammenwirkten.

Die Absicht der Kirche bei Errichtung der Inquisition war nicht blos, ein Institut zu haben, das mit der erforderlichen Auo- loritit ausgerastet wäre, um in jedem vorkommenden Fall sogleich mit den kräftigsten Maassregeln gegen alle häretischen Attentate einschreiten zu können, sondern es war auch die ganze Einrieb- tng der Inquisition, als eines stehenden Instituts, das man immer Iror Augen hatte, die gerichtliche Procedur mit ihrer methodischen Coasequenz, die Aufsehen erregende Oeffentlichkeit und Förmlich- keft bei der Vollziehung der Verdammungsurtheile auf eine allge- MBe moralische Wirkung berechnet. Alles, was Ketzerei heisst, sollte in der öffentlichen Meinung als etwas so Abscheuliches und Verpöntes sich darstellen, dass auch nicht einmal ein Gedanke daran entstehen konnte, oder, wenn audi ein solcher entstand, er schon in seinem ersten Entstehen sogleich als etwas so Entsetzli- ches erschien, dass er in sich selbst ersticken musste. Der ganze Eindruck, welchen die Inquisition hervorbrachte, konnte daher nur vrie ein geistiger Druck auf dem Bewusstsein der Laien liegen, durch welchen ihnen Ketzerei psychologisch zur moralischen Un- möglichkeit gemacht wurde. Mag diess mehr oder minder plan- massig beabsichtigt worden sein, gewiss ist^ dass wenn irgend ein System im Stande war, die Laien in eine solche Abhängigkeit von der Kirche zu bringen, die es ihnen schlechthin unmöglich machte, in ihrem Denken und Wollen weiter zu gehen, als die Häupter der Kirche gestatten wollten, diess nur durch ein Institut geschehen konnte, das, wie die Inquisition, von Anfimg an darauf angelegt war. In em solches System der Ueberwachung und Beaufsichti- gung, der Bevormundung und Knechtung aller freien Gedanken stellt sich von selbst auch das Bibelverbot hinein, wie es ja auch geschichtlich in die Reihe der Maassregebu gehört, die bei der

]|78 Zweite Periode. Zweiter Abichnitt.

ersten Einfühning der Inquisition für denselben Zweck getroffen wurden. Aber auch schon früher, ehe es noch ansdrücklidi ge- geben wurde, war den Urhebern des hierarchischen Systems nicht entgangen, wie gefährlich es für die Kirche werden konnte, wenn den Laien der freie Gebrauch der heil. Schrift in der Volks - und Landessprache so offen stand, dass sie sich selbst mit ihr besdiif- tigen konnten 0*

Die Anordnungen und Einrichtungen, von welchen hier die Rede war, führen uns immer wieder auf das Papstthnn, ab den principiellen Punkt zurück, von welchem alles ausgeht Da sie aber nur durch den den Laien zunächst stehenden Klerus ausge- führt und zur allgemeinen Praxis gemacht werden konnten, so ist es nicht sowohl das Papstthum, als vielmehr der die Kirche in der Gesammtheit seiner Glieder repräsentirende Klerus, weldier sidi uns hier in seiner die Laien beherrschenden Macht vor Augen stellt, und die Laien selbst in ihrer schlechthinigen Abhängigkeit von der Kirche, die wesentlich nur in dem Klerus existirt, erscheinen lissl

Sieht man auf den Punkt zurück, von welchem die Inquisitioi und die mit ihr zusammenhängenden Institutionen ihren Ausgaiy nahmen, so verdient noch besonders beachtet zu werden, im auch sie zu den Maassregeki gehörte, durch welche Innoceni DL neben dem einen Hauptzweck der grossen seine Kirchenr^emg krönendenLateransynode im Jahr 1215, dem der recuperaiio tmrrüt Bonctae, auch den andern, ihm nicht minder am Herzen liegenden, den auf die reformatio univeraalia ecclesiae sich beziehenden inr Ausführung bringen wollte. Von einer Reformation der Kirche ist somit aurs Neue die Rede und zwar machte sie sich gerade dem auf dem höchsten Glanz und Gipfelpunkt der mittelalterlichen Kirche stehenden Papste als eine der wichtigsten, die allgemeine Kirche betreffenden Angelegenheiten fühlbar. Blickt man sodann von dieser Reformalionsepoche auf die frühere zurück, die mit Leo IX. begann und in Gregor VIL ihre höchste Spitze hat, so fällt auch sogleich der Unterschied dieser beiden Reformationsepochen in die Augen. Jene frühere Reform war gegen den Klerus gerichtet und die bei- den Hauptübel, an welchen die Kirche in den hohen und niedern Klerikern litt, waren die Priesterehe und die Simonie. Die Schuld

1) VgL oben g. 149.

Dia Kiroheiiraform InnooeBi HL 979

der letztern fiel zwar nicht Mos auf denKIenu, aondem ebenaoaehr oder noch mehr auf die weltlichen Ffirsten^ in jedem Fall aber konnte erat durch die Bekämpfung der Simonie der Klenu die sei- ner Würde entsprechende Stellung zur Kirche erhalten. Der Haupt- gegenstand der neuen Reformation der Kirche war nicht mehr der Klerus, sondern die Laienwelt. Auch nachdem die Kirche am Klerus ihren Zweck erreicht und ihn in allen seinen Gliedern so reformirt hatte, wie es der hierarchische Organismus erforderte, konnte sie gleichwohl ihrer Herrschaft noch nicht froh werden. In der auf so verschiedenen Punkten und so gewaltsam hervorbrechenden Ketzerei erhob sich ein neuer Feind, der um so gefährlicher war, da man sich selbst sagen musste, dass er mit Erfolg nicht bekämpft werden könne , wenn ihm nicht innerlich , in der Gesinnung und dem Gemüthe der Laien die Ursachen, Anlässe und Motive eines der Kirche feindlichen Unglaubens abgeschnitten werden. Wie war ' £ess aber möglich? Die Kirche versuchte es; aber der Weg, auf welehem sie es versuchte, war auch wieder nur der äusserliche md materielle, der nie zu dem erstrebten Ziel führen konnte. Was halfen alle Beichtstühle der Ohrenbeichte, alle Inquisitions- gericbte, alle Bibel verböte? Sie stiessen immer wieder auf eine Schranke, die sie nicht durchbrechen, auf das Geheimniss eines fainem Heiligthums, in das sie nicht eindringen konnten. An dem den Laien verbotenen Bibelwort entwickelte sich eine im innersten Mittelpunkt des religiösen Bewusstseins erwachte Reaction, die mächtiger als alle Mittel einer geistlichen Zwangsherrschaft das ganze System des papstlichen Absolutismus über den Hänfen wart Diess war auch wieder eine reformatio univer$ali8 eedetiae, aber keine, wie sie ein Innocenz IH. hiter omnia derideralnlia seines Herzens principaliter affectirte, die aber doch auch die natürliche Folge und Wirkung jenes schon von dem Gedanken seines innem Widerspruchs ergriffenen Systems war.

Dritter AbsctanUt.

Das Dogma.

In keiner andern Periode ist eine so auffallende Analogie zwi- schen dem Entwicklungsgang des Dogma und dem der Hierarchie; es drückt sich auch hierin der grosstftige Charakter aus, welchen

980 Zweite Periode. Dritter Abiolmitt

alle auf ein grösseres Gebiet sich erstreckenden Bestrebungen die- ser Zeit an sich tragen. Die Kirche hat hier wie dort eine con- struirende und systematisirende Tendenz, sie will alles, was sie mit ihrem Princip beherrschen kann, durch strenge Unterordnnng unter die an der Spitze stehende Idee zur Einheit eines Systems ver- knüpfen. Wie der hierarchische Organismus sich dadurdi Yollendf in sich abschloss, dass alle Glieder desselben sich ihrer gemein- samen, durch verschiedene Stufen vermittelten Abhängigkeit von dem Einen Oberhaupt bewusst wurden, so ging auch auf dem Ge- biete des Dogma das allgemeine Streben dahin, die einzelnen Lehr- satze des kirchlichen Glaubens mit ihren dogmatischen Bestim- mungen so unter sich zu verbinden, dass sie als zusammengehörende Theile eines und desselben Ganzen begriffen werden konnten. Alles Einzelne soll nicht für sich, sondern nur in der Einheit des Ganzen bestehen, von welchem es getragen und gehalten wird; die Haupt- sache ist daher jetzt für das Dogma , dass es , wozu bisher nur schwache Versuche gemacht worden sind, nicht blos Dogmen, son- dern ein ganzes System von Dogmen gibt. Zur Scholastik, deren Periode jetzt beginnt, gehört es wesentlich, dass sie ein dogmatH sches System construirt; so verschieden auch die Systeme warfl% die sie aufstellte, so war doch jedes ein nach derselben Ideete Einheit aufgeführtes Gebäude, nach welcher die Hierarchie zu ihrer bestimmten Form sich gestaltete. Von der Idee der Einheit ging alles aus, und alles, was die Einheit in sich begreift, sollte die Ver- wirklichung der das Ganze beherrschenden Idee sein. Ihren Auf- schwung zur Scholastik nahm die Entwicklung des Dogma von dem- selben hohen Bewusstsein aus, aus welchem der epochemachende Forlschritt der Hierarchie hervorging. Die Kirche war sich ihrer absoluten Idee bewusst geworden; dieses Bewusstsein musste daher das bewegende Princip einer neuen Entwicklung sein, durch welche die Idee der Kirche auf dem einen Gebiet wie auf dem andern re- alisirt werden sollte. Was in hierarchischer Beziehung die absolute Superiorität des an der Spitze der Kirche stehenden Hauptes war, war für das Dogma die absolute Wahrheit des kirchlichen Glaubens. Wie nun aber die Idee der Hierarchie sich nicht blos dadurch realisirte, dass alle Glieder des kirchlichen Organismus dem Einen Haupte sich unterordneten und jeder Widerstand bezwungen wurde, welcher der hierarchischen Machtentwicklung der Kirche sich entgegenstellte,

ü

Dia HisrftTohie and die SchoUitik. jJtSl

sondern hauptsächlich auch diess dazu gehörte, dasa die ganze Ge- staltung des hierarchischen Systems als die nothwendige Consequenz der ihr zu Grunde liegenden Idee sich darstellte, die anders als auf solche Weise in ihrer Absolutheit sich nicht bethätigen konnte, so kam es auch auf dem Gebiete des Dogma nicht Mos darauf an, dass das kirchliche Dogma als das allein seligmachende geglaubt wurde, sondern dieser Glaube selbst sollte als eine innere aus der Natur der Sache selbst sich ergebende Noth wendigkeit , als eine vemunflgemdsse Wahrheit oder als eine Forderung der denkenden Yernunft erkannt werden. Hiemil ist schon das eigentliche Wesen der Scholastik ausgesprochen. Sie hat denselben rationellen Cha- rakter an sich, welchen das kirchliche System überhaupt für sich in Anspruch nahm. Wie die Kirche nicht blos herrsjpiien wollte, sondern mit ihrer Herrschaft nur die Seligkeit der Menschen be- zweckte, das was jeder für sein eigenes subjectives Interesse als das Höchste und Wichtigste wünschen musste, so setzte sich auch die Scholastik in dieselbe subjective Beziehung zum eigenen Be- wontsein des Menschen. Ihre Aufgabe war, den Inhalt des kirch- lichen Glaubens so zu analysiren ufid für den reilectirenden Ver- stand zurechtzulegen, ihn, soweit es überhaupt möglich war, so ver-^ stindlich und begreiflich zu machen, dass der Mensch ihn als eine tua ihren Gründen abgeleitete , seiner eigenen Vernunft einleuch- tende Wahrheit in sein denkendes Bewusstsein aufnehmen konnte. Dieaa ist das Charakteristische der Scholastik, wodurch das Dogma in ihr in ein neues Stadium seiner Entwicklung eintrat. Es handelt« sich jetzt nicht mehr, wie in der alten Kirche, um den positiven In- halt des Glaubens, um die Hauptfrage, was als wesentlicher Bestand- theil des Glaubens, als Glaubensartikel, gelten soll, sondern um die Form des Glaubens, die Frage, wie es sich mit dem Inhalt des Glaubens als solchem verhält, was an ihm blosse Sache des Glaubens ist, oder als ein für die denkende Vernunft begreifliches Object angesehen werden darf. So gross aber das Selbstvertrauen der Scholastik in der Periode ihrer Entwicklung war und so viel sie auf die Beweis- kraft ihrer dialektischen Argumente baute , so konnte sie doch auf dem von ihr eingeschlagenen Wege nie zu ihrem Ziel gelangen, ihr dogmatisches System musste trotz aller Mühe und Kunst, die auf die Begründung desselben verwandt war, so gewiss sich wieder in sich selbst auflösen , so gewiss auch das Gebäude der Hierarchie

1811 Zweite Periode. Dritter Abiobaitt.

wieder in sich selbst zerfiel. Wie in ihrem Aofbau , so ^g die Scholastik aach in ihrem Zerfall Hand in Hand mit der Hierarchie. Beide Systeme trugen den Keim ihrer Auflösung in sich selbst, di das eine wie das andere auf einer absoluten YoraosseUnng be- ruhte, die sich in letzter Beziehung immer wieder ab eine reit willkflrliche herausstellte. Wie der Grundfehler der Hierarchie die falsche Voraussetzung war, dass in dem Haupte der Kirche die all- gemeine Idee der Kirche mit dem menschlichen Indiyidaom, das sie in sich reprfisentirt, absolut eins sein könne, so setzte die Scholastik mit derselben Willkür voraus , dass die Dialektik ihrer Argamente die Brücke sei, die sie aus der sinnlichen Welt in die übersinnliche huiüberfübre. War es dort die menschliche Schwachheit der fib absolut göttUch geltenden Individuen, woran das hierarchische Sy- stem zu Grunde ging^ so war hier der Syllogismus des endüdiei Verstandes die gebrechliche Stütze, welche das darauf mhende 6e- btade nicht zu tragen vermochte.

Von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus kann es nidit fir zufällig gehalten werden , dass auch die Scholastik gleich in ihrsa ersten Aufschwung einen ebenso energischen Vertreter ihrer Ideea hatte, wie die Hierarchie in ihrem Gregor VU. In dem aider Spitze der scholastischen Periode stehenden Erzbischof An sola von Canterbury stellt sich uns schon die Scholastik in der speei- fischen Eigenthümlichkeit ihres Wesens dar, und unter den auf die scholastische Theologie sich beziehenden Schriften Anselms ist fa dieser Beziehung keine beachtenswerther als diejenige, jn welcher er den berühmten Versuch machte , die Nothwendigkeit einer gott- menschlichen Satisfaction zu beweisen. Hatte man bisher nur ge- glaubt und als geschichtliche Thatsache hingenommen, dass Gott durch das Blut seines eingeborenen Sohnes die Menschen von der Sünde und dem Tod erlöst habe, so sollte jetzt der ganze Hergang der Erlösung dialectisch so construirt werden, dass derselbe durch die innere Nothwendigkeit der Sache selbst nicht anders gedacht werden konnte, als er wirklich geschehen war. Und diess sollte einzig nur auf dialektischem Wege nachgewiesen werden. Es Inna somit darauf an, einen Punkt zu finden, von welchem ans durch dialektische Argumentation von einem Moment zum andern so- weit zurückgegangen werden konnte , um den Gedanken zn er- fassen, welcher im Geiste Gottes selbst sich als der allein mögliche

Die BohoUttik. Batiafaotiomtheoric Asselms. 9SS

and dämm so nothwendi^ darstellte, dass das Werk der Erl&sung nichts anderes ist als die Ansfühmng des im Geiste Gottes entwor- fenen Plans , und die Darstellung Anselms selbst nichts anderes als die Beproduction der auf das Werk der Erlösung sich beziehenden göttlichen Gedanken. Den Ausgangspunkt dazu nimmt Anselm von dem Begriff der Sünde. Sünde ist ein Raub an der Ehre Gottes, der nur durch Satisfaction gut gemacht werden kann; zur Satis^ fisction gehört aber zweierlei, es muss nicht blos das Geraubte zu- zäckgegeben, sondern auch für die zugefügte Beleidigung noch mehr als genommen worden ist gegeben werden. Diess ist f&r den Menschen absolut unmöglich, da er ohnediess alles, was er that, Gott schuldig ist, und jede Sünde selbst durch die ganze Welt nicht aufgewogen werden kann. Was soll also geschebfpf? Schlecht- hin Yergeben kann Gott die Sünde nicht, weil diess einWidersprudi mit seiner Gerechtigkeit wäre. Es scheint somit nur die von der Gerechtigkeit geforderte Vollziehung der Strafe übrig zu bleiben. Die Folge hieven aber wäre die Vereitlung des Schöpfungszwecks dmrdi den Untergang der vernünftigen Natur und die Unmöglich* Jkeil die Zahl der gefallenen Engel durch eben so viele selige Hen« sehen zn ergänzen. Man muss daher doch wieder ituf die Idee der Satiifnction zurückkommen und fragen, wie eine solche möglidi iit Da zur Satisfaction für die Sünde mehr gegeben werden muss, ab «UeiT, was ausser Gott ist, grösser aber als alles, was nicht Gott ift| nur Gott selbst ist, so folgt hieraus, dass nur Gott selbst diese Satisfaction leisten kann. Und doch soll sie eine Satisfaction für den Menschen sein , nur als Mensch kann sie also Gott leisten , um aber Mensch zu sein , muss Gott Mensch geworden sein. Ist nun Gott Mensch geworden, so ist es nur die Satisfactionsidee, die die Antwort auf die Frage : ctar Deus hämo ? gibt. Aber auch in dem Gottmenschen ist die Argumentation noch nicht an ihrem Ziel ; es fragt sich zunächst, wie wird Gott Mensch und in welcher der drei Personen, und nachdem auch darauf die nöthige Antwort gegeben ist, entsteht sodann erst noch die Hauptfrage, wie kann der Gott- mensch den der Idee der Satisfaction entsprechenden Gehorsam leisten ? als Mensch ist er ja selbst , wie jede vernünftige Creator, Gehorsam schuldig, es bleibt somit nur das Eine übrig, dass er, was er durch sein Thun nicht leisten kann, durch sein Leiden leistet Den Tod sn leiden war er, weil er ohne Sünde war, nicht schuldig.

1184 zweite Pertode. Dritter Abteliiiitt

Da er gleichwohl dem Tod sich unterzog, so hat demnach sein Tod, als der Tod des Gottmenschen, einen unendlichen Werth, nur fragt sich auch jetzt noch, wem dieser Werth zu gut kommt SEunftdut hatte ihn der Sohn für sich in Anspruch zu nehmen, ein Geschenk von solchem Werth , wie dieser Tod war , konnte Gott nicht uner- wiedert lassen , und doch hatte der Sohn zuvor schon alles, Gott konnte ihm ebensowenig etwas geben, als etwas erlassen: was sollte also geschehen, da ein solches Werk in keinem Fall umsonst vollbracht sein konnte ? So sind es also die Menschen, weldien dai zu Theil wird, was der Sohn für sich verdient hatte. Aecbt scho- lastisch ist hier die durch eine Reihe von Syllogismen fortachrei- lende dialektische Argumentation und das mit der Notiiwendigkoft einer streng logischen Consequenz sich ergebende Resullal. Es ist absolut unmöglich, dass die Erlösung auf eine andere Weise ib gerade nur auf diese zu Stande kommt. Der Syllogismus ist der Hebel , der an die endliche Welt so angesetzt wird, dass die äber- sinnliche aus ihren Angeln herausbewegt ihre innersten Gedankea dem menschlichen Verstand aufschliessen muss. Sobald man den Punkt hat, auf welchem man gleichsam festen Fuss fassen ksn^ kann nichts der eindringenden Scharfe der dialektischen ArgUMBt» widerstehen , iim die Schranken zu durchbrechen , die die sinibte Welt von der übersinnlichen trennen. Es schliesst sich das mda- physische Gebiet einer intelligibeln Welt auf, in welcher der mensch- liche Verstand so zti Hause ist , dass er mit dem Maasstab seiner Begriffe und Kategorien dieses transcendente Gebiet vollkommen aas- zumessen im Stande ist, und das, was er in ihm erkennt, sind gött- liche Gedanken, Verhältnisse der übersinnlichen Welt, Thatsachen, in welchen die übersinnliche Welt in die sinnliche so eingreift, dass zwischen beideti keine feste Grenzlinie gezogen werden kann. Wie die Menschwerdung des Sohnes und die durch seinen Tod ge- leistete Satisfaction in ihrer durch Anselms Argumente demon- strirten Nothwendigkeit die objective Vermittlung zwischen Gott und dem Menschen, der übersinnlichen und der sinnlichen Welt ist, so macht überhaupt den Inhalt des scholastischen Systems ein In- begriff von Sätzen aus, in welchen alles, wodurch das Verhfiltniai der Menschen zu Gott und der übersinnlichen Welt vermittelt wer- den soll, den Charakter der objectivsten Realität an sich trägt Al- lein sieht man auf das Ganze zurück und die Hauptbegriffe,

Anselxn. Satigfactionstlieorie. Ontolog. Beweis. 885

welche sich die Argumentation bewegt, an welchen .achwachen Fäden hängt hier alles! Gibt man auch die allgemeine yorausse-- tzong, die hier zu Grunde liegt, zu, den Schiusa, welcher vom Denken auf das Sein gemacht wird, dass, was wir uns nicht anders denken können, auch an sich so sein müsse, 30 kommt doch alles darauf an, mit welchem Grade der Evidenz die innere Nothwendigkeit des so oder anders Gedachten, oder diese Identität des Denkens und Seins behauptet werden kann. Wie relativ ist aber in dieser Beziehung so vieles , was als absolute Wahrheit ausgesprochen wird. Man bedenke z. B. nur, wie die ganze Reihe der Anselm'schen Ar- gumente alle Haltung und Consequenz verliert, sobald auch nur seine Definition vom Wesen der Sünde , oder seine Bestirnt mvmg des Begriffs der Satisfaction , oder seine Behauptung, dass sich die sittliche Terpflichtung des Sohns nur auf sein Thun^ mdit auf sein Leiden oder seinen Tod bezogen habe^ in An- spruch genommen wird^). Je willkürlicher solche Voraussetz- «ngea sind, um so weniger wird, wie sich von selbst versteht, durch die scholastischen Argumente das bewiesen , was durch sie hewiesen werden soll; aber es ist überhaupt das Eigene der Scho- lastik, dass sie immer von einer Yoraussetzung ausgeht, welche, sobald sie schärfer geprüft wird, nicht als schlechthinige Wahrheit anerkannt werden kann, und wenn es auch sonst nichts Anderes wäre , so ist in jedem Fall in letzter Beziehung der allgemeine Grundfehler der Scholastik die Voraussetzung, dass aus der Realität der subjectiven Vorstellung die Realität des objectiven Seins folge und die Beweiskraft des Syllogismus aus der sinnlichen Welt in die übersinnliche hinüberreiche. Dieser Mangel zeigt sich gerade da am meisten, wo sich die dialektische Methode in ihrer ganzen Stärke zu erproben scheint.

Noch berühmter als Anselms dialektische Begründung des Satisfactionsdogma ist sein ontologischer Beweis für das Dasein Gottes. Das Grösste, was die Scholastik unternehmen konnte, war, dass sie selbst das Dasein Gottes mit der Consequenz eines logi- schen Schlusses zu beweisen suchte. Diess glaubte Anselm ge- leistet zu haben und war seiner Sache so gewiss, dass ihm nichts unwiderleglicher zu sein schien, als das Argument: Gott ist seinem

1) Ueber das Speciellere der Anselm^schen Satisfactionslehre vgl. man meiiie Behrift: die ehr. Lehre von der VersölmuBg 1888. S. 142 ß.

S86 Zweite Periode. Dritter Abs ohnitt.

Begriff nach das Höchste and Grösste, das gedacht weirden kna; wird er als solches nur gedacht , so ist er auch nur eine snbjectifa Vorstellung und es muss somit erst noch bewiesen werden, dass üt Vorstellung auch objective Realität hat, ihr Gegenstand auch wirklieii existirt. Aber Gott wäre ja nicht, was er nach der Definition aeinei Begriffs sein soll , das Grösste und Höchste , fiber welches hinaas nichts Grösseres und Höheres gedacht werden kann, wenn er ia der blossen Vorstellung wäre ; man könnte sich ja noch etwas Hö- heres und Grösseres denken, als Gott ist, nämlich das, was nicht blos in der subjectiven Vorstellung, sondern aucH in der objectifea Realität existirt. Es ist somit bewiesen , dass Gott nicht blos In hh* tMlectu, sondern auch in re existirt Das Eigenthümliche diesas Arguments ist, dass es eine unwidersprechliche Wahrheit enthält nd auf der andern Seite doch das ganz wahr und richtig ist, was sohl» ein Zeitgenosse Anselms , der Mönch Gaunilo, gegen dasselbe ein* gewendet hat. Das Hauptmoment, das Gaunilo geltend machte, wpr die einfache nnläugbare Wahrheit, dass es auch falsche WoH^h lungen gibt, d. h. solche, bei welchen dem Gedachten in der Wiil^ lichkeit nichts entspricht. In intellectu könne etwas sein, ohne daw es in re sei , man könne daher aus dem Vorhandensein in intelbflli nicht auf das Vorhandensein in re schliessen. Aus der Vorateüng des Absoluten oder daraus , dass man es in intellectu habe, fol|e nicht nur nichts für die Realität desselben, sondern man könne sich auch nicht einmal eine Vorstellung von demselben machen. Wemi das Absolute ein in seiner Art so einziger Begriff sei, dass sich schlechthin nichts mit ihm vergleichen lasse, so wisse man weder, was Gott sei, noch könne man es aus einem verwandten Begriff, wen auch nur vermuthungsweise, erschliessen. Man habe einen blossen Wortlaut, welcher auf die Einbildungskraft irgend einen Eindruck mache. Gebe man aber auch zu, dass sich ein Absolutes vorstellen lasse, so folge doch daraus, dass man es sich als ein Wirkliches vorstellen muss, nicht, dass es auch ein Wirkliches sei. Eine blos vorgestellte Realität sei noch keine objective. Anselm berufe sich darauf, dass das Absolute sonst nicht das Absolute wäre; ob denn aber damit, dass das Absolute das Absolute sei, schon bewiesen sei, dass es ein Absolutes gebe. Vor allem müsse die Existeni bewiesen sein» und dann erst könne man daraus, dass es das Ab- solute ist , den sichern Schluss ziehen , dass es in sich selbst sab*

▲nielm. Ontologisoher Beweis. 987

fiftir e. Alles diess ist so wahr , das« es nur gesagt werden darf^ «m anerkannt zu werden, allein es betrifft nur die Form des Argu- ments, nicht seinen Inhalt. Daher konnte Anselni in seiner Erwie- derung auf Gaunilo's Kritik nur darauf dringen, dass es sich mit dem Absoluten ganz anders verhalle , als mit allem andern Sein. Das raumliche, zeitliche, getheilte Sein ist immer sowohl ein Sein als ein Nichtsein, da es zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort nicht sein kann , ohne ebendesswegen zu allen andern Zeiten und an allen andern Orten nicht zu sein. Was so zwar ist, gleich- wohl aber auch irgendwo, irgendwann, irgendwie nicht ist, kann atn sich auch überhaupt als nichtseiend denken. Das Absolute abor moss stets und überall und ganz das sein was es ist, so dass Mm sich ein Nichtsein zu einer bestimmten Zeit, an einem be- SÜDBiten Ort, in einer bestimmten Beziehung schlechthin nicht deaken kann, es ist mit Einem Worte als solches auch das schlecht- Vm Seiende. Ist demnach das Absolute eben dadurch das Absolute, itm dafi Sein von seinem Begriff nicht getrennt werden kann, das Scto sein Wesen selbst ist, Denken und Sein somit in ihm unmittel- bar ms sind, so kann der Fehler Anselms nur darin liegen, dass er seinem Argument eine Form gab, in welcher er erst auf dem Wege det logischen Schlusses von dem Denken auf das Sein zu kommen schien. Ein solcher Schluss ist hier gar nicht möglich. Als Syllo- gismus ausgedrückt könnte Anselms Argument nur so lauten: alles fMO mtöus coffUari non potest, existirt nicht blos in inteUectu, sondern in re. Nun ist Gott ein solches etwas, quo majus coffitari tum potest, also existirt er nicht blos in intellectUj sondern auch im re. Diese Satze haben nicht die Natur eines Syllogismus, da die beiden Termini nicht in einem solchen Verhältniss zu einander ste- hen, dass der eine unter den andern subsumirt werden kann. Das quo majuB cogitari non poteat, ist ja eben nur Gott, der Terminus minor ist somit mit dem Terminus major schlechthin identisch, man hat in beiden nur denselben Begriff des Absoluten und der Inhalt des Arguments ist daher nur der einfache Satz , dass das Absolute als solches auch das Seiende ist. Es ist kein synthetisches Urtheil, sondern ein rein analytisches. Indem nun aber Anselm in der Ent- wicklung seines Arguments nicht nur das «sse in inteUectu und das esse in re, sondern auch das quo majus cogitari non poteat, oder das Absolute und Gott als das Wesen, dessen Dasein erst bewiesen

S88 Zweite Periode. Dritter Absolinitt

werden soll, so auseinanderhält Ot daas seine ganze Argan^enlttkm nur darauf angelegt zu sein scheint, von dem Einen auf das Andere zu kommen und beides durch Schlüsse mit einander zu vermitteln, 80 war der Gegner dadurch zu der Einwendung berechtigt, im das Eine nicht aus dem Andern folge, dass man aus demjenigen, was man in der blossen Vorstellung hat , nicht schliessen dürfe, es existire auch in der Wirklichkeit , wogegen Anselm sein Argu- ment nur dadurch rechtfertigen konnte , dass er die in ihm ausge- sprochene Einheit des Denkens und Seins einzig nur von dem Ab- soluten ausgesagt wissen wollte. Kommt sie aber ausscbliesdich nur dem Absoluten zu, so ist sie auch nicht erschlossen und von einem andern Begriff abgeleitet, nur in dem Absoluten als solchen ist diese Einheit des Denkens und Seins, sie ist somit eine un- mittelbare und immanente Bestimmung seines Begriffs. So richtig also auch Anselm erkannte, dass das Absolute seinem Begriff nad nur als die Einheit des Denkens und Seins bestimmt werden könne, so gibt sich doch auch bei ihm das Charakteristische der scholasti- schen Methode darin kund , dass er diese Einheit des Denkens und Seins sich nur in der Form des Syllogismus zum Bewusstsein bracUa Der Syllogismus hat hier zwar seine Wahrheit darin, dass das, er erst logisch zu erschliessen scheint, an sich schon da ist, ab dto unmittelbare Einheit des Denkens und Seins; wenn aber der SjOo- gismus diese Einheit auch da vermitteln soll, wo die beiden la- sammengehörenden Elemente so unbestimmbar weit auseinander liegen, wie diess bei allen Begriffen der Fall ist, welche nicht das Absolute unmittelbar in sich enthalten, sondern nur in irgend einer nahern oder entfernteren Beziehung zu demselben stehen, seist die natürliche Folge hieven eben jene charakteristische Eigenthüm- lichkeit der Scholastik, die sich von Anfang an als ihre schwächste Seite und als ihr wesentlichster Mangel herausstellte. Bekannter ist ja nichts, als die Zuversicht, mit welcher die Scholastik alles Mögliche , was sie in die Form eines Syllogismus bringen konnte, auch beweisen zu können glaubte, und die Leichtigkeit, mit welcher

1) So, wenn es Prosl. c. 3. heisst : sie ergo, vere est aliquidy q%io majui eogitari non poiesty ut nee cogitari poasit , non e$$e , et hoc tu , DomiWi DeuB noster ; so ist das aliquid , quo moQua etc, das Allgemeine, unter wel- ches erst Deua sabsumirt wird.

Anielm. Die Einheit des Denkern und Beins, iS9

sie das, was sie nach ihren Bestimmungen und Voraussetzungen sich nidit anders denken zu können meinte, für das an sich Seiende und Nothwendige , für die objective Realität der Sache selbst hielt, und sich zufrieden gab, sobald sie in der doppelten Reihe der Ar- gumente, in welchen sie alle möglichen pro und contra einander gegenüberstellte , auch nur ein geringes Uebergewicht von Wahr- scheinlichkeit auf die eine oder die andere Seite fallen lassen konnte. Alles diess ist acht scholastisch, aber ebendesswegen hangt es auch aufs Engste damit zusammen, dass die wesentliche Form des scho- lastischen Denkens der Syllogismus war, und die Scholastik in der- selben Weise, in welcher sich ihr in ihren Argumenten die beiden Termini des Syllogismus zur logischen Gonclusion zusammen- schlössen, auch die Einheit des Denkens und Seins zu haben glaubte. Jeder Terminm major ^ welcher aljgemein genug war, um einen andern Begriff unter ihn zu subsumiren , hatte so für sie dieselbe Bedeutung, welche für Anselm sein aliquid, quo mßjus cogitari mtm potesi hatte , um aus ihm das Dasein Gottes zu beweisen , als die Einheit des Denkens und Seins , die an sich zum Begriff des Ahsoluten gehört.

Bei dem Aufschwung , welchen die hierarchische Entwicklung nil Gregor VIL, die dogmatische mit Anselm nahm, findet auch darin eine bemerkenswerthe Analogie statt, dass das Princip, dessen Triger der Eine wie der Andere ist, in ihnen selbst in einem rei- neren, ernsteren und edleren Charakter sich darstellt, als in der nachfolgenden Zeit. Wie der hierarchische Absolutismus Gregors sich dadurch rechtfertigt, dass er selbst nichts anders sein will, als die unmittelbare Consequenz der absoluten Idee der Kirche, und an Verhaltnissen und Erscheinungen sich bethätigt, gegen welche die Kirche ihr absolutes Recht geltend zu machen hatte, so tritt auch bei Anselm das Willkürliche und Zufällige, das in der Folge zum Wesen der Scholastik gehörte, sehr zurück gegen den Anspruch, welchen die Scholastik darauf machte, nichts anders zu sein, als das vernünftige Denken in der Innern Nothwendigkeit seiner Conse- cjuenz. Die scholastischen Deductionen und Argumente Anselms haben darin einen imponirenden Charakter, dass sie an den wich- tigsten Objecten des Glaubens und Wissens nur die innere in der Sache selbst liegende Nothwendigkeit aufweisen und für das den- kende Bewusstsein auseinanderlegen wollen. Es ist daher auffal-

Baar, K.a. des MitteUlten. 19

890 Zweite Periode. Dritter Abichnitt.

lend , das8 die folgenden Scholastiker sowohl bei Anselms Satis- factionstheorie, als auch bei seinem ontologischen Argument gerade das nicht anerkannten, was ihm selbst die Hauptsache war. Was ihm selbst als eine so absolute Nothwendigkeit erschien , dasa Gott selbst keinen andern als den von ihm entwickelten Weg bitte ein- schlagen können, erklarten die folgenden Scholastiker für eine blosse Sache der Willkür, der Schicklichkeit und Zweckmässig- keit, die zwar unter den gegebenen Verhältnissen nicht anders sein konnte, als sie wirklich ist, bei welcher aber Gott so wenig an den vom ihm gewählten Weg gebunden war, dass er ebenso gut auch einen andern hätte wählen können. Indem sie so die Kategorie der Nothwendigkeit, auf die sich Anselm stützte, mit der der Willkür vertauschten, sprachen sie ebendamit unbewusst aus, was die Scho- lastik immer mehr als ihr eigentliches Wesen erscheinen Hess, dass ihr Denken, weitgefehlt, das innerlich nothwendige und an sich vernünftige zu sein , am Ende doch nur den Charakter der Willkür an sich trug.

Je energischer die Scholastik in Anselm in ihrer epoche- machenden Bedeutung auftritt, um so bestimmter geben sich in ilui alle geistigen Elemente zu erkennen, die die Scholastik in siek schliesst. Die Scholastik ist nicht blos Theologie, sie ist ebensoietr auch Philosophie, sie ist beides zugleich in der innigsten Durch- dringung beider, da sie selbst aus einer allgemeineren Bewegmig hervorging und das Product einer sich in der Tiefe ihres geistigen Bewusstseins ergreifenden Zeit war. Als Theologie hatte sie die Aufgabe, sich über den Glauben zu verständigen und zu unter- suchen^ wie weit der Inhalt des Glaubens auch Object des Wissens werden kann. Wie sehr aber auch schon diese Aufgabe aus einem tiefem Interesse der denkenden Vernunft und aus einem über den Glauben zurückgehenden , an ihm nur zur bestimmteren Form und zum klareren Bewusstsein sich entwickelnden Wissenstrieb ent- sprang, ist daraus zu sehen, dass schon in der ersten Zeit der Scho- lastik die allgemeine Frage über die Möglichkeit und die Principien des Erkennens zur Sprache kam. Der Gegensatz des Nominalismus und Realismus greift in die Geschichte der Scholastik so tief ein, dass die verschiedenen Stadien, die sie durchlief, sich nur an ihm fixiren lassen und durch die verschiedenen Formen dieses Ge- gensatzes bedingt sind. Der Gegensatz selbst betraf den alten

AnseJm u. Boseellin, BeAliBm. u, NominAlism. V91

Streit zwischen Plato und Aristoteles, die Frage fiber die all- gemeinen Begriffe oder die Universalien , ob das Besondere seine Realität nur im Allgemeinen habe, oder das Aligemeine selbst nur eine Abstraction aus dem Besondem sei. Nachdem der Neuplato- niker Porphyrius in seiner Einleitung in die Kategorien des Ari- stoteles zuletzt noch diese Frage als ein aus der griechischen Phi- losophie sich ergebendes Problem aufgestellt, hierauf Commenta- toren des Aristoteles, wieBodthius, sie nach yerschiedenetfi Seiten hin erörtert hatten, und nachdem sie auch in der Folge nie ganz in Vergessenheit gekommen war, erhielt sie durch die schroffe Form, in welcher Rose eil in sich für den Nominalismus erklärte, und durch die Anwendung, die er von seiner nominalistichen An- sicht auf die Trinitätslehre machte, ein solches Interesse, dass An- aelm sie als eine Lebensfrage für die scholastische Theologie betrachtete. Anselm rechnete Roscellin zu den modernen Dialek- tikern, welche nichts für wahr und wirklich halten, als was für sie Gegenstand einer sinnlichen Vorstellung ist , die von der Menge der Bilder, die sie erfüllen, so erdrückt werden, dass sie sich nicht zo der Einfachheit des Gedankens erheben können. Als solche, die sich unter der Farbe nichts anderes denken können, als den Kör- per, an welchem die Farbe ist, unter der Weisheit des Menschen anderes als die Seele, in welcher die Weisheit ist, seien sie Untersuchung geistiger Fragen so wenig befähigt , dass sie als hiretische Dialektiker davon völlig auszuschliessen seien. In ihren Seden sei die Vernunft, die die Herrscherin und Richterin von dlem, was im Menschen ist, sein soll, so sehr in körperlichen Vor- stellvngen befangen , dass sie sich davon nicht losmachen, und das, was sie für sich allein zum Gegenstand der reinen Betrachtung machen müsse, von ihnen nicht unterscheiden könne. Wer sich nicht vorstellen könne, wie mehrere Menschen der Art nach Ein Mensch seien, ^er so wenig Klarheit des Geistes habe, dass er das Pferd von seiner Farbe nicht unterscheiden könne, sich unter dem Menschen nichts anderes denken könne, als ein Individuum, könne noch weit weniger solche Fragen begreifen, wie diejenigen sind, die die Theologie zu untersuchen hat. Der Nominalismus jener Zeit, wie wir ihn theils aus der Beschreibung Anselms, theils aus Roscellin's Bes.treitung der Trinitätslehre kennen lernen, war eine Denkweise, welche die Realität der allgemeinen Begrifft schlecht-

19*

ftdUt Zweite Periode. Dritter Abeohaitt

hin Ifiognete. Es gibt keine Arten, keine allgemeinen Begriffe; die Farbe kann nicht von dem einzelnen Körper, an weldiem sie er- scheint, die Weisheit nicht von der Seele, in welcher sie ist, ge- trennt werden, alles, was ist, existirt nur als Einzebies, in seinem reinen Fürsichsein; ein Allgemeines , ein Gemeinsames, wodurch die einzelnen Dinge in eine solche Beziehung zu einander gesetzt würden, welche nicht durch die sinnliche Empfindung, sondern nur durch die denkende Vernunft erkannt werden kann , gibt es nicht, es gibt also auch keine auf das ^Igemeine gerichtete geistige Thätigkeit, kein Denken, sondern nur ein Vorstellen, das nur der unmittelbare Reflex des sinnlichen Empfindens und der Bindrücke ist, die die Dinge und ihre Erscheinungen auf die Seele machen. Abgesehen von diesen sinnlichen Vorstellungen sind die allgemeinen Begriffe blosse Worte ohne alle Realität, also nicht Worte als Aus- druck von Gedanken und Begriffen, sondern blosse Hancbe, Be- wegungen der Luft , durch das Organ der Stimme hervorgdnradit CflatuB vocia). Eine geringere Vorstellung kann man von dem Ursprung und der Bedeutung der allgemeinen Begriffe nicht haben, wenn sie nicht einmal logische Abstractionen und ein Frodnct iM Denkens sein sollen; so einseitig aber dieser Nominalismus war» 10 einseitig war auch der Realismus Anselm's. Gibt Roscelliadie Universalien für blosse Hauche der Stimme , so waren sie für Aa- selm keine Begriffe, sondern Substanzen. Die allgemeinen Begriffe sind umversalea aubstantiae , es gibt also nicht blos Einzelnes und Besonderes, sondern auch ein Allgemeines; dieses Allgemeine ist aber so sehr das Substanzielle, dass nicht nur alles einzelne Sein durch das Allgemeine bestimmt wird, sondern das Allgemeine eigenUich das allein Existirende und Reale, das wahrhaft Wirkliche ist. Alles, was ist, ist nur durch die summa veritaa, die höchste Realität, das Allgemeine , die an sich seiende absolute Vernunft; desswegen kann auch alles nur so sein , wie es der wmma verUat gemäss ist. Alles Seiende ist nur die Verwirklichung der tumma veritas, oder die summa verUas ist selbst das Wirkliche in den Dingen , alles Wirkliche ist daher auch vernünftig und alles Ver- nünftige wirklich. Anselm drückt diess so aus: alles, was ist, ist wahrhaft, soweit es das ist, was es dort ist, d. h. in der summa veritas, oder absolut ausgedrückt: alles, was ist, ist wahrhaft, weil es nichts anderes ist, als was es dort ist, in der nimma writas*

NomiiiAliim. Boioellin*8« Be«HinL Aiiielm*!. 99S

IgUur cmne, quod e$t, reete est; certum e$t^ veriiatem rerum esse reetiiudbMmf d. h. alles, was ist, ist so, wie es sein soll; die Wahr- heit , das wahrhaft Wirkliche in den Dingen ist , dass sie so sind, wie sie sein sollen. Wie kann diess aber sein, da es auch so yieles gibt, das nicht so ist, wie es sein soll? es gibt ja auch Böses. An- selm gibt diess zu durch die Behauptung, dass bei einer und der- selben Sache sowohl von einem Seinsollen als einem Nichtsein- sollen die Rede sein kann. Wenn Gott eine böse Handlung zulSsst, BO ist die Zulassung auch ein Seinsolien , sofern aber die Handlung Yom Willen des Menschen ausgeht, ist sie ein Nichtseinsollen. Wenn also auch in den Dingen so yieles ist, was nicht so ist, wie es sein soll, 80 kommt es nur darauf an, sie aus einem Gesichtspunkt auf- zufassen, unter welchem das Nichtseinsollende auch wieder als ein Seinsollendes betrachtet werden kann. Was daher vom Bösen gilt, gilt auch von allem besonderen Sein , sofern es vom Allgemeinen UBtmrschieden wird. Wenn auch das Allgemeine das allein wahr- haft Seiende und Wirkliche ist, so kann doch nicht geläugnet wer- den, dass es auch Einzelnes und Besonderes gibt; sofern aber alles Einzelne und Besondere auch wieder eine Beziehung auf das All- gemeine hat, hebt sich auch so das Besondere als das Nichtsein- aoüende zum Allgemeinen als dem Seinsollenden auf, alles Be- iondere ist nur ein verschwindendes Moment des Allgemeinen. Wie die Zeit eine und dieselbe ist, und die Zeit nicht in den Dingen ist, sondern die Dinge in der Zeit sind, indem die einzelnen Dinge hin- weggedacht werden können , ohne dass darum die Zeit hinwegge- daoht werden muss, so ist überhaupt, wie Anselm sagt, una omnium rectiiudo und una in omnibus veritas, und der Realismus seiner Weltanschauung besteht wesentlich darin, dass das Allgemeine nicht durch das Besondere, sondern das Besondere durch das All- gemeine bestimmt wird. Da demnach das Allgemeine allein das wahrhaft Wirkliche ist , so hat auch das Denken seine Wahrheit nur darin, dass sein Inhalt das Allgemeine ist, und nur soweit das, was es denkt, eine Beziehung auf das Allgemeine hat. So gewiss es ein Allgemeines gibt, so gewiss gibt es auch ein Denken des Allgemeinen, das Eine ist objectiv, was das Andere subjectiv ist, und je unmittelbarer diese Einheit des Denkens und Seins ist , um 80 mehr ist das Denken das , was es seinem Begriff nach sein soll.

IHM Zweite Periode. Drittev Abeohpii«.

die reine Beirachiang des an sich Seienden 0* Wahrend so der Nominalismus, da es für ihn kein Allgemeines gibt, anch keinen Inhalt für das Denken hat , und das Denken selbst aufhebt , ist da- gegen nur der Realismus die Ansicht, unter deren Voraussetzung allein eine Erkenntniss der Wahrheit und ein System des Wisset» möglich ist Nur auf der Grundlage des Realismus konnte daher die Scholastik das ausführen, wozu sie in Anselm den so yiel ver- sprechenden Anfang gemacht hat. Doch war der Realismus bei folgenden Scholastikern nicht so vorherrschend, dass nicht auch der Nominalismus sein Recht gegen ihn hätte behaupten können. Es war ja nur Rose eil in, der den Nominalismus in Misscredit ge- bracht hatte , und dem Realismus konnte man immer wieder den Vorwurf machen, dass er das besondere Sein zu sehr in das allge- meine aufgehen lasse. Ist, wie Wilhelm von Champeaux lehrte, in den einzelnen Dingen an sich, ihrem substantiellen Wesen nach, kein Unterschied, ist das Individuelle an ihnen, das, was sie zu die- sen bestimmten Dingen macht, nur eine Modification der allgemei- nen Substanz, ein blosses Accidens : wie nahe liegt es, alles besondiffe Sein für eine blos subjective Vorstellung, für blossen Schein za halten? Indem Abälard sowohl den Realismus Wilhelms von Champeaux als auch den Nominalismus Roscellin's bestritt , machte er schon den Uebergang zu der Ansicht, welche die tinlrersufis nicht mit Anselm ante rem^ sondern nur in re haben wollte. Die einzelnen Dinge sind das Reale, von Ivelchem man ausgeht, um auf die höheren und allgemeineren Begriffe zukommen; diese sind aber doch keine blosse Abstraction, sondern selbst etwas Substanzielles, ein Inbegriff objectiver Realitäten, ein materielles Substrat für die Bestimmtheiten des Besondern. Dem Nominalismus und Realismus sollte zwar die schroffe Gestalt, welche der eine in Roscellin, der andere in Wilhelm von Champeaux hatte, genommen und für die Universalien der doppelte Gesichtspunkt festgehalten werden, dass sie sowohl Begriffe als Realitäten sind; wie sie aber beides zugleich sind, bleibt bei allen Bemühungen Abälards, die Frage zu einer be- stimmteren Ansicht auszuprägen, völlig unklar. Die Vermittlung des Realismus und Nominalismus war auch für die grossen Scholastiker, Thomas von Aquino und Duns Scotus, deren Ansicht im All-

1} Vgl. Amselm's Abh. de veritate.

Die Veimittlmig des Bealifnu Nomiiimlieiii. 995

gemeinen als die realistische zu bezeichnen ist, die Hauptaufgabe ihrer Untersuchungen über das Verhältniss des Allgemeinen und Besondem. Der Gegensatz sollte sich dadurch ausgleichen, dass das Allgemeine die objektive Realität der Dinge zwar zu seiner Voraussetzung hat, aber doch auch wieder etwas davon Verschie- denes , nur durch die Thätigkeit des Denkens Gesetztes ist Nach Duns Scotus sind die Dinge als qualitative Einheiten zu betrachten, welche als solche ein Gemeinsames in sich schliessen, in welchem das Allgemeine als ein Reales objektiv existirt, dieses Allgemeine wird aber erst durch die Thätigkeit des Verstandes zum Begriff des Allgemeinen erhoben. Wenn auch die Hauptsache immer sein sollte, dass die allgemeinen Begriffe nicht blos Abstractionen des Ver- standes sind, sondern auch objektive Realität haben, so blieb dabei doch zugleich auch der Satz des Thomas von Aquino stehen, über welchen auch Duns Scotus nicht hinwegkommen konnte, dass das Allgemeine in jedem Ding nur als Möglichkeit oder nur als Kng an sich enthalten ist. Es ist diess wesentlich der Standpunkt der aristotelischen Philosophie, zu deren Prinzipien das scholasti- sche Denken sich seit Abälard immer entschiedener bekannte 0* Wie man auch das Verhältniss des Allgemeinen und Besondem be- stimmen mochte, darin waren doch alle Scholastiker diesW Periode noch einverstanden, dass es ein Allgemeines gibt, dessen objektive Realität die Grundbedingung aller objektiven Erkenntniss der Wahrheit und der Möglichkeit ist, ein dogmatisches System auf- zustellen 0.

1) In diesem Sinn sagt schon Johannes von Salisbury Metalog. 2, 20: Ergo dtmtaxat inteUiguntti/r secundum Aristotelem tmiversdlia: sed in aotu rerwn nihü est, quod sit universcde. D. h. die Universalien sind weder blosse Wortlaute, noch singulare Existenzen, wie man die platonisohen Ideen zu nehmen pflegte, sondern das Allgemeine, wie es nicht als losgelöst von dem individuell Existirendea, sondern als demselben immanent gedacht werden muss und auch als Gedachtes objective Bealitftt hat

2) Darüber spricht sich Duns Scotus sehr bestimmt so 4ius: Dicendum guod universale existens, quia sub rtxtione non entis inteUigitWf quia in- telUgibiU movet inteUectvm, Cum enim inteUectus sit virtus passiva, non operoitwr nisi movetur ah objecto, Non ens non potest movere eUiquod oh- jeetwn, quia movere est entis in actu. Ergo inteUigiitMr stib raiione non entis, quidquid a/utem intelligitu/r, inteUigitur sub roHone universaKs, ergo iUa

996 Zweite Periode. Dritter Abeohiillt.

Da die Frage über die Realitit des Allgemeinen, wie Thomas mid Duns Scotus sie auffassten, von der Frage nicht geirmnt wer- den kann, wie das Allgemeine erkannt wird und wie sich die Thfttig- keit des erkennenden Subjekts su der Objektivität des realen Seins verhält, so handelte es sich um eine Theorie des Erkennena über- haupt Scharfsinniger hat diese Frage kein Scholastiker nntersudit, als Duns Scotus 0; um so bemerkenswerther ist aber, wie auch seine Lehre von der Erkenntniss mit demselben Mangel behaftet ist, der allem scholastischen Denken anhieng. So angelegentlich sich die Scholastiker fortgehend mit den höchsten Problemen des Wis- sens beschäftigten und so verschiedene Versuche ihrer Lösung sie machten, so blieben sie doch immer innerhalb eines Gegensatsei stehen, über welchen sie sich nie zur Einheit eines absoluten Prin- zips erheben konnten. Duns Scotus schreibt dem Verstand an sich das Vermögen zu, Gott zu erkennen , und zwar nicht blos im Allgemeinen, sondern auch in concreto. Er ist, da er als Potenz eine illuminirte virtu8 actica hatO) oin unendliches Vermögen, aber es ist kein qualitativ unendliches, sondern nur die quantitativ unendliche Capacität für allen und jeden Inhalt. Da der Verstand Gott als ein transcendentes Object nicht erreichen kann, so htt ihm Gott eine intelligible ipecies vor, die auf abstracto Weise du Wesen Gottes repräsentirt. Die $pecie$ ist zwar nur eine entUm finita 0 9 sie soll aber doch das Unendliche raf tone infinit a reprä- sentiren. Da die species, wie der Erkenntnissact, eine mnUitudi objecti ist, und zwar nicht in modo essendi, sondern nur m modo

ratio non est omnino non ens. Vgl. Haur^au Philos. soolastiqne 2. S. 1333. Denken nnd Sein müssen also an sich Eins sein, alles logisch Gedachte mnss anch objektive Realität haben; woher hätte denn sonst das Denken das Allgemeine, ohne das es kein Denken wäre, wenn das Allgemeine nicht anch wirklich existirte? Nikü est in inteüectUy quod non est in re. In diesem Sinne ist die Bealität der Universalien die Ornndvoranssetzong der scholastischen Dialektik. Sobald diese Voraussetzung nicht mehr fest steht, das Band der Identität des Denkens und Seins sich dadurch löst, dass man die immanente Objektivität des Denkens in Zweifel zieht, tritt die Selbstaoflö- sung der Scholastik ein.

1) Im Comment zu den Sent. K 1. dist. 3. qu. 1. 3. 5. 7. 9.

2) A. a. O. qu. 7. nr. 39.

3) A. a. 0. qu. 9. nr. 13.

Erkemitnigitheorie 4-ei Dung Beotui. 897

repraesentandi^ so soll die $pecie$ zwar endlich bleiben^ aber doch das Unendliche reprSsentiren 0- ^ie l^*nn aber die endliche Be- griffsfomi einen unendlichen Inhalt in sich fassen ? Der Verstand kann bei Duns Scotus nie zur qualitativen Unendlichkeit fortschreiten. So wahr er immer hervorhebt, dass die Aehnlichkeit bei dem Er« kennen keine substanzielle, sondern eine freie geistige ist, so wenig vermag er, weil Inhalt und Form nicht wesentlich fflr einander ge- ordnet sind, der Verstand nur die quantitativ unendliche Capacittt für allen und jeden Inhalt ist, den Begriff selbst als die lebendige Einheit des Endlichen und Unendlichen sich zu denken, als die Be- wegung des Unendlichen im Endlichen als einem ihm adäquaten Element; dazu kann die Scholastik nicht kommen, weil sie im End- lichen nur das schlechthin Endliche, und keine Anlage, keinen Keim des Unendlichen sieht. Wenn auch Duns Scotus so weit geht, dass er vom Verstand sagt, er sei im Stande, das Unendliche tatensiv secundum modum suae inflnitatU zu erkennen, so fallt er doch immer wieder auf den Standpunkt seiner quantitativen Betrach- tungsweise zurück, und es bleibt dabei, dass, wie er ausdrücklich Mgt, objectum et potentia sunt nbi dif mit/ia. Nur sollen beide nch proportionirt sein , sofern die Verschiedenheit des Proportio- Birten zum Begriff der Proportion gehört^. Duns Scotus lässt Wille und Verstand als Potenzen zu Unendlichen Objekten im Ver- hfiltniss der Correlation stehen, ja er bezeichnet Gott als den End- zweck des Willens und Verstandes, aber Wille und Verstand bleiben auch so als Potenzen schlechthin endlich. Die Capacität des Men- schen ist in sich selbst in qualitativer Beziehung eine endliche, wenn auch das Objekt^ auf das sie geht, unendlich ist Man kommt daher nicht über das Dilemma hinweg: entweder ist die Potenz eine schlechthin endliche und behauptet sich als solche gegenüber dem Unendlichen, dann kann sie aber nicht wesentlich auf das Un- endliche als ihr Ziel gehen , und nimmermehr es in sich ertragen, oder sie richtet sich auf das Unendliche als ihr wesentliches Cor- relat und hat die Kraft, es in sich zu gewinnen, dann kann sie aber nicht mehr rein endlich sein. Ein Drittes ist nicht möglich, und

1) A. s. O. qu. 3. nr. 6. qu. 9. nr. 9.

2) A. a. 0. qu. 1. nr. 6. qu. 5. nr. 4.

t96 Zweii» Periode Dritter Ab tolioitt

doch 8oU nach Duns Sootos ein Drittes sein^ wofür eben der Begriff der propartio der Ausdruck ist, der höchste Punkt, m, welchem sich die speculativen Gedanken des Duns Scotus erhoben. Die Seele als Potenz ist dem qualitativ Unendlichen unihnlicb, und so als schlechthin versdiieden soll sie doch wesentlich das Unendliche als ihr Ziel haben, allein Endliches und Unendliches schliessen sich aus. AU unendliche Kraft im qualitativen Sinn kann Dons Scotus die Potenz der Seele nicht nehmen, weil er nicht zugeben kann, dass die Seele als Potenz dem Objekt in modo Msondi assimilirt werde. Da ihm Gott nur unendliche Substanz ist, so würde die Seele , wenn sie als erkennende dem Objekt wesratlich assimilirt wfirde, selbst unendliche Substanz , wie Gott. In letzter Beziehung hangt also alles daran , dass Gott dem Duns Scotus nur die unend- liche Substanz isL Daher kann auch der Verstand nur als Sein, nicht als Geist erscheinen und das Denken kann nie als der adäquate Ausdruck des Absoluten erscheinen , weil dieses nicht der an sidi seiende Geist, sondern die starre Substanz ist Der Geist als den- kender steht nur der Substanz gegenüber, er kann diese, soll er nicht selbst Substanz werden, nicht auf adäquate Weise in sich ant- nehmen; sobald es also darauf ankommt, das Unendliche zu dei* ken, kann der Geist, weil er am Ende selbst endliche Substa» ist, seine Unendlichkeit nicht behaupten, d. h. er kann nicht sein Objekt als wahrhaft unendliches in sich adäquat auSTassen und der Begriff proportio ist der Ausdruck dieses irrationalen Verhältnisses. Der Verstand wird Gott im Element des Begriflb proportionirt, aber dieser Begriff ist nicht der wahre, sondern nur der annähernde Ausdruck des Absoluten, und um den Verstand nicht als unendliches Vermögen erscheinen zu lassen, muss der Verstand als Potenz schlechthin endlich sein, weil nur so der Be- griff der oMskinUatio in modo essendi abgewiesen werden kann. So können absolute und endliche Substanz nie zur lebendigen wahren Einheit zusammengehen, sie bleiben so lange starr und un- vermittelt und bringen es nur zum unvermittelten, begrifflich nicht zu denkenden Nebeneinander, das seinen concreten Ausdruck in der species repraesentativa Bei und im Begriff der proportio zwi- schen zwei Unähnlichen sich gibt, bis die absolute Substanz sich entschliesst, selbst der lebendige absolute Begriff zu werden, und bis die endliche Substanz der im Endlichen unendliche Geist wird.

Erk.theorio dei Dang Seotns. Anflug. derBeAlism.

Dann erst kann der Begriff Gottes , als des Absoluten , als das im Endlichen werdende Unendliche sich zeigen und die blosse pro- portio wird zor adaequatio. Das Höchste ist also bei Duns Scotus der Begriff der quantitativen Unendlichkeit des Verstandes als Po- tenz: ein höherer Begriff wird allerdings angestrebt, er sinkt aber zurück auf den Begriff des Verstandes als der reinen Indifferenz, welche allen Inhalt in sich aufnehmen soll, aber in Folge des immer wieder sich geltend machenden Substanzbegriffs, jedenfalls beim bitelligibeki der transcendenten Welt, wenigstens nicht in der adä- quaten Weise kann.

Konnte das System des scholastischen Denkens auf seiner höchsten Spitze und auf der höchsten Stufe seiner Entwicklung sich so wenig zur Einheit zusammenschliessen und über die Gegensätze hinwegkommen, die es vermitteln wollte, wie kann man sich wun-* dem, dass es zuletzt wieder in sich selbst zerfiel, und jene Einheit des Denkens und Seins, in welcher Anselm den höchsten Begriff des Absoluten erkannte, und mit ihr die Einheit des Glaubens und Wissens und alle jene Gegensätze, die das System in sich begreift, Ach zuletzt wieder auflösten und sich nur äusserlich und unver- mittelt gegenüberstanden? Am auffallendsten stellt sich diess in d^ eigenthümlichen Erscheinung vor Augen, dass derselbe Nomi-* nalismus, mit dessen Bestreitung die Scholastik begann, um den Boden zu gewinnen, auf welchem sie ihr Gebäude auffahren konnte, zuletzt wieder die herrschende Denkweise wurde, aber nur um alles aufzulösen und auseinanderfallen zu lassen, was die Scholastik in ihren Systemen zu Stande gebracht zu haben glaubte.

Wenn man als das Charakteristische der Scholastik das Streben betrachtet, sich über den Glauben zu verständigen und seinen Inhalt dem denkenden Bewusstsein näher zu bringen, den Glauben zum Wissen zu erheben, so darf dabei nicht unbeachtet gelassen werden, was wesentlich zum Begriff der Scholastik gehört, dass der Glaube an sich schon eine Schranke in sich hat, welche das Wissen nicht überschreiten darf. Die Scholastik setzt die Wahrheit des kirchlich überlieferten Glaubens an sich voraus; ihre Aufgabe ist daher nicht, die Wahrheit des Glaubens erst zu beweisen^und zu untersuchen, wie weit das, was der Glaube enthält, an sich wahr ist oder nicht, sondern sie will sich nur dessen, was der' Glasbe an.sich schon ist, bewusst werden und sich Rechensehafk

SOO Zweite Perlode. Dritter Abeehiilti

darüber geben, ob es nicht irgendwelche ratione$ gibt, durch welche der Inhalt des Glaubens auch rationell anfgefasst vnd der denkenden Vernunft zugänglich und begreiflich gemacht werden kann. Die rationelle Tendens der Scholastik ist nur die /Met in- feUecium quaerena, wie sie Ansei m bezeichnet und niher so bestimmt: neque enkn quaero int eiligere, ut credam, eed credo vi intelligam, nam et hoc credo, qtäa, titti credidero, nm% inlef- U§am. Diese Aufgabe hatte die christliche Theologie, seit es eine solche gab , von Anfang an , Glauben und Wissen sollten immer wieder irgendwie mit einander vermittelt werden, das EigenttiAni- Hche der Scholastik dabei ist nur, dass sie diese Aufgabe mit einem bestimmteren Bewusstsein ihrer Bedeutung ergriflf und sie durch den ganzen Inhalt des christlichen Dogma methodisch durchsuffthren suchte. Das Interesse des Denkens an dem Inhalt des Glaubens war in der Scholastik so erwacht, dass ihr ganzes Streben von demselben beherrscht wurde, und nichts sosehr zu ihrer innersten Natur gehörte, als der immer rege Trieb, alles, was das Dogmi in sich begriff, darauf anzusehen, wie es sich zum Denken ver- halte, was sich für und wider die Wahrheit derGlaubenssfttse sagen lasse, ob es nicht da oder dort einen Punkt gebe, auf welches die dialektische Vernunft in das Geheimniss des Glaubens eindringen könne. Je allgemeiner und lebendiger aber dieses Streben war, um so schwieriger war es, es innerhalb der Schranke festzuhal- ten, die als die unverrückbare Grenzlinie zwischen dem Glauben und Wissen angesehen werden musste. Wie leicht konnte das dialektische Verfahren, wenn einmal durch dasselbe der Versuch gemacht werden sollte, wie viel sich am Glauben beweisen lasse oder nicht, auch weiter gehen, als die Natur des Glaubens gestat- tete ! Nicht alle Scholastiker hatten die Selbstverläugnung A n s elms, dass sie da, wo es nöthig war, dem intelligere sein Ziel setzen und lieber caput ad venerandum mbmittere, als comua ad ventUan^ dum immittere wollten. Es konnte überhaupt nicht anders sein, als dass die Scholastik erst allmälig, nachdem sie nach verschie- denen Seiten hin auch zu freie Bewegungen gemacht hatte, auf die Sphäre beschränkt wurde, innerhalb welcher sie sich ihrer Auf- gabe zufolge zu halten hatte. So genau und vorsichtig Anselm der Scholastik ihr Gebiet abgegrenzt hatte, so giengen doch gerade in der ersten Periode die Gegensätze, die die Scholastik herrmr-

Anselm und Abftlard. Glauben und Wissen, 301

rief, am weitesten auseinander. Es war nicht nur Roscellin, dessen dialektische Behandlungsweise der Trinitatslehre als Ketzerei verdaramt wurde, auch Abalard zog sich dasselbe Schicksal zu. Eine so bewegliche dialektische Natur, wie Abalard war, der durchaus im Element der Dialektik lebte und nicht nur selbst das volle dialektische Selbstbewusstsein der Zeit in sich trug, sondern auch durch die grosse Zahl der seine Stärke m der Dialektik be- wundernden Schüler sehr bedeutend auf seine Zeit einwirkte, konnte nicht verfehlen, die neue Bewegung in einem Licht erscheinen zu lassen, m welchem sie bei Vielen Bedenken erwecken musste. Es ist sehr bezeichnend für Abälard's Richtung, dass er dem Anselm- sehen aus Jes. 7, 9 genommenen Wahlspruch den Spruch Sir. 19,4 gegenüberstellte: qui cito credit, levis est carde et minorabitur, womit er sagen zu wollen schien, dass man nichts glauben könne, was man nicht verstehe und begreife. Es war diess jedoch nicht 80 gemeint, wie wenn der Glaube dem Wissen schlechthin unterge- otdnet werden sollte: der absolute Inhalt des Glaubens wurde auch von Abalard anerkannt; wenn man aber einmal darauf ausgieng, den kirchlichen Dogmen so viel möglich eine rationelle Seite abzu- gewinnen, und selbst bei einem Dogma, wie das von der Trinität, wie Abalard sagte, wenigstens aliquid verisknile atque humanae raiianivicinum nee sacraefidei con/rartum aufzufinden, im Gegen- sitz gegen die, welche auch in Sachen des Glaubens nur Vernunft- gründe und menschliches Wissen gelten lassen wollten, so war es sehr natürlich, dass solche Versuche einer dialektischen Begrün- dung und Deduction, wie sie nicht blos Abalard, sondern auch Anselm mit dem Trinitatsdogma machte, auf eine Fassung des- selben führten, bei welcher die eine Seite der kirchlichen Bestim- mungen gegen die andere sehr zurücktreten musste, und das Dogma im Ganzen zuletzt einen andern Charakter erhielt, als es der Vor- aussetzung der Kirche nach haben sollte. Diess konnte sehr ver- schieden beurtheilt werden. Während die Dialektiker hierin nichts sahen, wodurch sie dem Glauben zu nahe traten, indem sie ja mit ihren rationes fidei nur dem Glauben zu Hülfe kommen und ihm eine neue Stütze geben wollten, schien dagegen Andern schon dieses angelegentliche Forschen und Fragen nach Gründen eine Kritik des Glaubens zu sein, die nur aus Hisstrauen gegen die Wahrheit des Glaubens hervorgehen konnte, wie wenn man Gott selbst nicht

aOS Zweite Periode. Dritter Abefthaitt.

glauben dfirfte, was er im Glauben geoffenbart hat Der Haop^ reprfisentani dieses Gegensatzes zur Scholastik ist der Abt Bern- hard von Clairväux, in dessen Verhältniss zu AbSlard sich uns die CoUision vor Augen stellt, in welche die moderne Dialektik mit dem Auctoritätsprincip der Kirche kommen musste. Bernhard sek in Abalard nur einen Neuerer, der mit einer der Selbstüberhebung des Teufels ähnlichen Vermessenheit in die Geheimnisse der Haje- •tät Gottes eindringe, sich über alle Auetoritaten hinwegsetze ud der einstimmigen Meinung Aller den Widerspruch seines eigenea Ich entgegenzustellen wage. Sein dialektisches Streben erschien ihm als ein in Widersprüche sich auflösender Rationalismus, hdea Abfilard alles durch die Vernunft erklären wolle, auch was tbex die Vernunft hinausliege, streite er sowohl gegen die Vernunft ab gegen den Glauben; denn was der Vernunft mehr entgegen sei, ab durch die Vernunft über die Vernunft selbst hinausgehen zu wollen, und was mehr dem Glauben, als das nicht glauben zu woUeni was man durch die Vernunft nicht zu erreichen vermag? Mit ängst- lichem Argwohn beobachtete er alle seine Bewegungen, um sich gegen die der Kirche drohende Gefahr vorzusehen: er klagte über ihn bei dem Papst und den Cardinälen, übergab ein Verzeicbniii •einer Irrlehren, und brachte es durch seinen frommen Eifer daUi, dass Abälard im Jahr 1 140 auf der Synode zu Sens vemrtheft wurde. Er hatte die richtige Ahnung, dass die dialektische Be* wegung der Zeit auf einem Princip beruhe, das die Auctorität dar Kirche überhaupt in Frage stelle und Consequenzen nach sich ziehe, die tiefer eingreifen, als sich mit der ganzen bisheriges Entwicklung des Dogma vertrage. Und doch konnte auch Bern- hard die Bedeutung der durch die Dialektik angeregten Frage über das Verhältniss des Glaubens und Wissens nicht von sich weisen. Indem er der fides die mittlere Stelle zwischen der optnto und dem nUeUectua anwies, setzte er die fidea und den intellectUM dadurch einander gleich, dass beide, Glaube und Erkenntniss oder Anschau- ung zwar dieselbe objektive Wahrheit mit derselben Gewissheit haben, aber nicht mit derselben Klarheit. Der Glaube ist eine vom Willen ausgehende sichere Vorempfindung einer noch nicht ganz enthüllten Wahrheit, von Ungewissheit ebenso frei, wie das Er- kennen, aber verschlossen und verhüllt Das Erkennen hat nicht nur die Gewissheit der Wahrheit, sondern ist auch das Wissen ün

Die Mystik; Bernh«rd von ClAirr. Die'Vi^toriner. 308

dieselbe, and lässt sich definiren als das zuverlSssige und offenbare Wissen um das Unsichtbare. Diese Erkenntniss ist identisch mit der Anschauung, und die Seligkeit vollkommen, wenn das, was durch den Glauben schon gewiss ist, auch klar erkannt wird; im sterb- lichen Leibe aber ist diese intellectuelle Anschauung nicht er- reichbar 0- Es ist hier der Punkt, wo die der dialektischen Scho- lastik Ton Anfang an zur Seite gehende Mystik den tiefsten Grund ihres Ursprungs hatte. Nachdem einmal der Wissenstrieb der Scho- lastik so lebhaft erwacht war und so allgemein sich mitgetheilt hatte, machte sich auch solchen, die keine Freunde der Dialektik waren, das Bedürfhiss fühlbar, etwas zu haben, das noch mehr war, als der blosse Glaube als solcher: nur setzten sie dieses Höhere, statt es in dem dialektischen Wissen zu finden, in die intensive Bedeu- tung, die sie dem Glauben selbst gaben, in die Warme des Gefähls, in die durch Gebet und fromme Betrachtung gewonnene innere Erleuchtung des Geistes und die praktische Bethätigung des Glau- bens durch Reinheit des Lebens. Ein solches mystisches Element hatte schon Bernhard in sich, und wie es ihm gleichsam zum Schutz gegen die Versuchungen und Verirrungen der Dialektik dienen sollte, so konnte es auch wieder mit dieser selbst sich verbinden, und eine der verschiedenen Stufen bilden, durch welche die Scho- lastik ihre Erkenntnisstheorie vom Glauben als der untersten Stufe zum Höhepunkt ihrer Betrachtung hinaufführte. Die Vereinigung des dialektischen und mystischen Elements bildete insbesondere den Grundcharakter derjenigen Gasse von Scholastikern, die von dem Kloster zu St. Victor in einer Vorstadt von Paris den Namen der Victoriner erhielt. In diesem Kloster gründete Wilhelm von Champeaux eine Schule im Jahr 1109, als schon sein Ruhm in der Dialektik durch die Ueberlegenheit seines Schülers Abälard ver- dunkelt worden war, und es scheint somit auch aus dieser Veran-

1) So wenig als die vierte Stufe der Liebe. Bernhard unterscheidet in seiner vorherrschend praktischen Mystik vier Stufen der Liebe. Auf der ersten liebt der Mensch sich selbst um seiner selbst willen, auf der zweiten liebt der Mensch zwar Gott, aber um seiner selbst, nicht um Gottes willen, auf der dritten liebt er Gott um Gottes willen, auf der vierten liebt er sioh selbst nur um Gottes willen. Vgl. Helffebich, die christl. Mystik 1. Tlu S, 263 f. S. 319.

SM Zweite Periode. Dritter Abiehnitt.

lisrangf die eigenthümliche Richtung der Victoriner ans dem Be- dürfniss hervorgegangen zu sein, der Einseitigkeit einer Dialektik, wie die Abfiktrd'sche war, durch das praktische Interesse einer Religiosität, wie sie zu St. Victor geübt wurde, ein Gegengewicht entgegenzustellen. Frömmigkeit und Wissenschaft sollten hier Hand in Hand miteinander gehen, und es gelang auch die harmonische Vereinigung dieser beiden Interessen und Richtungen den Nach- folgern Wilhelms auf solche Weise, dass die Schule zo St Victor, wie sie namentlich in ihren beiden Lehrern Hugo und Richard in ihrem bestimmter ausgeprägten Charakter sich darstellt, zu deo schönsten Erscheinungen der scholastischen Periode gehört Sie erkannten es als ihre Hauptaufgabe, die Gegensätze, statt sie zu verschärfen, so zu mildern und auszugleichen, dass die verschie- denen Elemente sich gegenseitig ergänzten und zur Vollendung des Ganzen zusammenschlössen. Es sollte weder der Glaube den Wissen, noch das Wissen dem Glauben schlechthin untergeordnet werden, das Wissen zwar über dem Glauben stehen, der Glaube selbst aber nicht nur die substanzielle Grundlage von Allem bleibe!, sondern auch über Gktuben und Wissen noch etwas Anderes ge- setzt werden, dessen Quelle sich ihnen nur in der Tiefe ihrei christlich frommen Bewusstseins aufschliessen konnte, die Unmittet- barkeit des Gefühls, die in ihrer Steigerung zur Unmittelbarkeit der Anschauung, zur intellectuellen Anschauung und mystisch-speci- lativen Betrachtung wurde. In diesem Sinn unterschied Hugo von St Victor 0 drei Classen von Glaubenden. Einige, sagteer, glau- ben nur in einfacher frommer Hingebung, ohne sich mit der Ver- nunft Rechenschaft darüber zu geben, warum etwas geglaubt oder nicht geglaubt werden müsse; andere sind sich der Vernunftgründe ihres Glaubens bewusst, noch andere fangen in Reinheit des Her- zens schon innerlich an zu schmecken, was sie glauben. Bei der ersten Classe ist allein Frömmigkeit der Glaubensgrund, bei der zweiten kommt noch die vernunftgemässe Ueberzeugung hinzu, bei der dritten gibt die Reinheit der Anschauung die volle Gewissheit. Der Geist nämlich, durch Vernunftgründe gestärkt und gehoben, gelangt zu höherer Glaubensinnigkeit, durch diese aber wird er so gereinigt und geheiligt, dass er nun im Herzen schon gewisser-

1) De sacr. L. 1. P. X. c. 4.

Die Yiotoriner. Hugo. Biofaard. Walter. 305

maassen zu kosten und zu schmecken auffingt, was er iii seiner Glaubensgluth gern deutlich schauen möchte. Und so wird denn das reine Herz durch unsichtbare Zeichen und durch geheimen vertrauten Umgang seines Gottes taglich sicherer und gewisser gemacht, so dass es ihn nun schon fast in der Anschauung gegen- wärtig zu haben anfängt und auf keine Weise mehr vom Glauben und von der Liebe zu ihm abwendig gemacht werden kann, wenn auch die ganze Welt in Wunder sich verkehrte. Diess sind die drei Grade der promotio fidei, durch welche der Glaube wachsend zur Vollendung hinansteigt. Der erste ist per pietatem ettgere, d. h. credere, der zweite per rationem approbare, der dritte per veri* taUm apprehendere, die Unmittelbarkeit der Mystik. Diese Unter- scheidung verschiedener Grade einer vom Glauben ausgehenden, auf das Absolute als ihr höchstes Object gerichteten Theorie wurde m der Folge zu einem noch durch weitere Bestimmungen ausge- fUirlen System; hier stellt sich uns in ihr die einfachste Versöh- mig des dialektischen und mystischen Elements der Scholastik dar, oder des ursprünglichen Gegensatzes, der zwischen Glauben und Wissen in ihr stattfand. Demungeachtet gieng aus derselben Schule noch ein sehr heftiger Angriff auf die Dialektik hervor. Walter, der im Jahr 1173 als Prior von St Victor auf Richard folgte, ist der Verfasser einer um das Jahr 1180 geschriebenen, noch in eini- gen Handschriften vorhandenen Schrift in vier Büchern contra movas haereses, oder, wie die Schrift gewöhnlich angeführt wird, anUra qtiatuor labyrinthos Franeiae oder Oalliae. In der Ein- leitung wird gesagt, dass unter den vielen Irrthümem Abälards einer der bedeutendsten derjenige gewesen sei, quo Christum a$$eruitf secundum quod fiomo est, non esse aliquid. Man habe diesen Satz von Anfang an als Verläumdung verworfen, er habe sich aber doch bei Vielen Eingang verschafft, besonders bei Petrus Lombardus, Gilbert von Porreta und Petrus Pictavinus; diese drei sind mit Abälard die vier Häretiker, gegen welche die Schrift ge- richtet ist. Es sei kein Zweifel, dass diese vier Labyrinthe Frank- reichs uno spiritu Aristotelico afflatos, dum meffabilia s. trinitatis ei ineamationis scholastica letitate tractarent, multas haereses o/tm vomuisse et adhuc errores puUulare. Mit Rücksicht auf die Methode der Scholastiker, ihre Behauptungen auf die Auctorität

Baar, JLQ. d. MitteUators. 20

306 Zweite Periode. Dritter Absekttitt

älterer Krchenlehrer ZU stützen und durch deren LehriStse zu noti- ▼iren , wird jenen Scholastikern auch der Vorwurf gemtcht, da« sie, indem sie ihre Irrthämer sub aliorum per$onis imumt, acwmt, robarani, den Verdacht der Häresie von sich wegwfilzen, beson- ders aber verwirre der Lombarde , indem er sich fär seine Ketze- reien auf die heiligen Väter berufe, alles, soviel an ihm sei, so sehr, dass nicht einmal die katholischen Christen den katholisdieB Glauben zu erkennen vermögen« Walter halt sich fär den Zweck seiner Polemik hauptsächlich an die beiden Dogmen von der Trinitfit und der Menschwerdung, besonders das letztere, er kann in iet scholastischen Behandlung der Lehre von Christus nur eine Bestiti- gung des namentlich auch von dem Lombarden aufgestellten Satzes sehen, dass Christus als Mensch kein aliquld ist Der Christus der genannten Scholastiker ist ein phaniasUcus Chritius, er hat weder Leib noch Seele, wie wir, er hat seine Menschheit nur geheuchelt, wie ein Zauberer, er gleicht dem im Labyrinth eingeachiossenen Hinotaur : wie dieser weder Mensch noch Thier und doch wieder beides ist, so ist ihr Christus weder Mensch noch Gott und doch beides. Allerdings haben die Häretiker Recht, die Existenz einei solchen Christus zu läugnen, denn ihr Christus sei und bleibe cn nihil, aber wir verfluchen ihn im Namen des dreieinigen GotiBi. Das Verfahren dieser Dialektiker bestehe darin, dass sie indem deatmunt, invicem concedurU, oder alterum ex altero sie exclU" dunty ut utrumque negent Diess sei aber überhaupt der Charakter der Philosophie, gegen welche Walter ganz in der Weise der alten Apologeten und im Ton eines Tertollian declamirt. Die ganze heidnische Weisheit sei ein blosser Klingklang, nulla veritaH$ mü- turitas, nulla juatitiae refectio. Und aus diesen Philosophen haben sich alle Häretiker, alte wie neue gebildet Durch unendliche Um- kehrung der Dinge und der Beweise läugnen und behaupten sie alles, wie sie es gerade brauchen. So seien auch die genannten vier Scholastiker nur Gaukler und Schauspieler und ihre Argumente könne man nur mit Irrgärten, Aehrenspitzen, Spinnengeweben ver* gleichen 0* So leidenschaftlich und verketzerungssächtig der An- griff Walters war, so bezogen sich doch die Vorwürfe, die er der

1} Vgl. Plahox, TheoL Stnd. und Krit 1844. a 828.

Polemik gegen d. BchoL Walter y. B. Viet JoIl t. Salisb. S07

Scholastik machte, nicht bloa auf die Beeinträchtigungen, welche die Lehrsätze des kirchlichen Glaubens durch sie erlitten, sondern auch auf ihre dialektische Methode überhaupt. Darin erkannten schon damals auch Andere das Hauptgebrechen der Scholastik, wie namentlich Johannes von Salisbury, Bischof von Ghartres um das Jahr 1176, welcher an der Scholastik hauptsachlich den leeren Be* griffsformalismus ragte, mit welchem sie alles umzustossen und an die Stelle des Alten etwas Neues zu setzen suchte, ohne dass ihre logischen und grammatischen Subtilitaten etwas Anderes zur Folge haben konnten, als eine immer grössere Vernachlässigung des posi- tiven Wissens, woran es den Scholastikern selbst bei ihrer einseitigen dialektischen Richtung in so hohem Grade fehle 0- Da die scho-* Iflstische Dialektik ihre Quelle in den Schriften des Aristoteles halte, so nahmen die Gegner der Scholastiker auch daran beson- dem Anstoss, dass sie, wie Walter sich ausdruckt, uno apiritu ArUtotelico afßati seien. Es liegt aber auch darin ein charakteri- sfischer Zug der Scholastik. Nachdem schon längst an die Stelle det in der alten Kirche vorherrschenden Piatonismus mehr und mehr die aristotelische Philosophie getreten war, und ihre Bedeu- tong Immer wieder da geltend gemacht hatte, wo es darauf ankam, den Lehrsätzen der kirchlichen Lehre durch schärfere Begriffsbe- atimaiiingen und eine dialektische Behandlung eine bestimmtere, dem denkenden Bewusstsein mehr zusagende Form zu geben, wurde in demselben Verhältniss, in welchem die dialektische Richtung sich

1) Johannes von Salisbury geborte zu den Männern, die darob Geist und Vielseitigkeit der Bildung, insbesondere auob Kenntniss der alten Lite- ratur, sich am meisten auszeicbneten und über ihre Zeit erhoben. Er hatte in seiner geistreichen, die Gebrechen und Verkehrtheiten seiner Zeit mit klarem Verstand und witzigem Spott kritisirenden Weise und mit seiner praktischen Tendenz ungefähr dieselbe Stellung zu seiner Zeit, wie in der Folge Valentin Andrelt zu der lutherischen Scholastik des siebzehntem Jahr^ hunderts. Obgleich auch er den Aristoteles als den Meister des dialektischen Denkens hoch verehrte und die Aufgaben der scholastischen Philosophie in ihrer ganzen Schärfe aufzufassen wusste, so setzte er doch im Bewusstsein der Schranken des menschlichen, nur durch den Glauben sich ergänzenden Wissens die Hauptaufgabe der Wissenschaft in ihre praktische Bedeutung für das Leben und betrachtete als die Krone aller Philosophie die Ethik. Vgl .Bbutur, Johannes Ton Salisbury. Zur Geschichte der christliohen Wis- senschaft im zwölften Jahrhundert. Berlin. 1843.

20

308 Zweite Periode. Dritter Absolinitt

entwickelte und in die Scholastik ubergieng, das Ansehen^ das Ari- stotelesin der Kirche gewonnen, immer grösser und allgemeiner. Schon solange man mit seinen Schriften nur sehr dürftig bekannt war, und nur seines Organons in der lateinischen Uebersetznng des Boethius sich bedienen konnte, galt er vorzugsweise als der Heister der Dialektik; einen noch weit höheren Aufschwang nahm aber dann erst die Vorliebe für die aristotelische Philosophie, als die Kenntniss derselben durch die Vermittlung der Araber und der ftr sie in so hohem Grade begeisterten arabischen Philosophen sich auch dem christlichen Abendland vollständiger und allgemeiner mitgetheilt hatte 0* Die grössten Scholastiker waren eben sosehr aristotelische Philosophen als christliche Theologen, sie beschiftig- ten sich fortgehend mit den Schriften des Aristoteles, hielten Vor- lesungen aber sie und schrieben Gommentare, die noch jetzt einen grossen Theil ihrer Werke ausmachen. Ja, Aristoteles eriiielt sogar eine gewisse canonische Auctorität, und wie das Hittelalter über- haupt zum Systematisiren und Classificiren so geneigt war, und in allen Gebieten des Lebens ein hervorragendes, mit einem principielleii und idealen Charakter an der Spitze einer bestimmten Sphäre ste* hendes Haupt haben wollte, so wurde Aristoteles in den Augea seiner Verehrer der Patron der Philosophie, der absolute Philosofk, die leibhaftige Incarnation der Philosophie. Auch darin waren sdm die Araber vorangegangen, die in Aristoteles als dem Erfinder der drei Wissenschaften, der Logik, Physik und Metaphysik, eine mdur als menschliche Erscheinung, ein von der göttlichen Vorsehung verliehenes Geschenk sahen, und ihn als die Regel und Norm zur höchsten menschlichen Vollkommenheit, seine Lehre als den Inbe- griff aller Wahrheit und seinen Verstand als das höchste Maass alles menschlichen Erkennens betrachteten. Vom christlichen Standpunkt aus modificirte sich diese hohe Verehrung nur so, dass man den Aristoteles als den grössten Lehrer und Erfinder der natürlichen

1) Johannes von Salisbury, zu dessen Zeit man erst im Abendland mit der Metaphysik des Aristoteles bekannt wurde, bezeugt das Ansehen, in welchem schon damals Aristoteles stand, Metalog. 3, 7: I\iü apud Pen- patetieos tantae auctorüeUis scienUa demonstrcmdif ut Aristoteles, qui aUos fere omnes eifere in omnüms philosophos sujperahat, hinc commtme nomen siifi qnLodam jproprietatis jure vindica/ret (er hiess schlechthin der Philosoph), quoA demonstrativam tradiderat discipUnam,

Bedevtang des AriBtoteles für die Soholastik. 309

Gesetze Christas gegenfiberstellte; was Johannes der Täufer in Hinsicht der Gnade gewesen war, als Vorläufer Christi, sollte auch Aristoteles sein, als der Vorläufer im Natürlichen , und seine Er- scheinung vor der Menschwerdung des Worts für ebenso nothwendig gehalten werden, wie die Natur iie nothwendige Voraussetzung der Gnade ist. Hanchen schien sogar die christliche Kirche nicht viel zu verlieren, wenn sie statt des Evangeliums wenigstens die Ethik des Aristoteles hätte. Der Natur der Sache nach erstreckte sich die Herrschaft der aristotelischen Philosophie zwar vorzugsweise auf die Dialektik und das Gebiet des abstrakten logischen Denkens, aber auch die metaphysischen Sätze des Aristoteles waren für die Sdiolastiker maassgebend; auf die materielle Gestaltung des scho- lastischen Systems hatte jedoch der Platonismus durch die Vermitt- Iniig Augustins, des Areopagiten Dionysius und des Scotus Erigena bei Thomas von Aquino einen noch grösseren Einfluss.

Wie wenig die Gegner der Scholastik ihrer fortschreitenden Entwicklung ein wesentliches Hindemiss in den Weg legen konn- ten, erhellt am deutlichsten daraus, dass unter den vier Schola- stikern, welche Walter zum besondern Gegenstand seines Angriffs machte, auch Petrus Lombardus war. Solche Angriffe konnten nur vorsichtiger und besonnener machen und dazu mitwirken, dass die Scholastik um so strenger innerhalb der Grenzen sich hielt, auf die sie der Natur der Sache nach sich beschränkt sehen musste. Diesen Punkt hat sie schon in Petrus Lombardus erreicht. Sie er- scheint in ihm schon auf der Stufe, auf welcher sie, alles ihr Fremde von sich fernhaltend, sich so in sich gesammelt und zusammenge- nomaien und ihr ganzes Gebiet so übersichtlich abgemessen und geordnet hat, dass sie mit dem bestimmten Bewusstsein ihrer Auf- gabe in die Bahn ihrer weiteren Entwicklung eintreten konnte. In der ganzen Geschichte der Scholastik gibt es kein theologisches Werk, das eine so grosse Bedeutung hätte, wie die berühmten vier Bücher der Sentenzen des Petrus Lombardus. Wie ihre Er- scheinung eine neue Entwicklungsstufe der scholastischen Theo- logie bezeichnet, so blieben sie auch der stets un verrückte Punkt, auf welchen alle Scholastiker der folgenden Zeit immer wieder zu- rückweisen. Wenn auch dem Petrus Lombardus schon Andere mit ähnlichen Werken vorangiengen, so waren doch seine Sentenzen die erste systematische Darstellung der scholastischen Theologie,

310 Zweite Periode. Dritter AlbsoliBitt

die nach Inhalt und Form ihrem Zweck und dem BedOrfniss der Zeit 80 sehr entsprach, dass ihnen kein anderes Werk dieser Arl nh gleicher Bedeutung zur Seite gestellt werden kann. Der dogmatische Stoff ist in einer langen Reihe von Distinctionen, deren jede eines eigenen Lehrsatz behandelt, so zerlegt und abgetheilt, dass an ibaeo das System nach seinem ganzen Inhalt und Umfang sich entwickelt Wenn auch die einzelnen Distinctionen nicht immer sehr genau unter sich zusammenhängen, so ist doch das Ganze in seinen Tier Büchern, von welchen das erste die Lehre von (xott, das zweite die Lehre tob der Schöpfung und dem Menschen, das dritte die Lehre von den menschgewordenen Sohn Gottes, das vierte ^ie Lehre von des Sakramenten und den letzten Dingen behandelt, nach der Idee einer systematischen Darstellung angeordnet, in welcher jedes einietae Lehrstück seine bestimmte Stelle einnimmt Der Gesichtspunkt, au welchem das Dogma aufgefasst wird, ist so umCassend, dass nack dem Vorgang der Sentenzen jedes System mit der Dogmatik Mck die Anthropologie, Psychologie und Moral verbindet, die nach im theologischen Anschauungsweise der Zeit noch als wesentliche Be- standtheile des dogmatischen Systems betrachtet wurden. Wm Petrus Lombardus den Inhalt des Systems zuerst zu dieser tar heit des Ganzen zusammenfasste, so war sein Werk auch für A Form und Methode der Darstellung gleich maassgebend. So db- lektisch es angelegt ist, so wenig kann es der sonst der Scholastii gemachte Vorwurf der Neuerungssucht treffen, da es selbst nicUi anders sein will als eine Sammlung der wichtigsten dogmatisckei Auetoritaten. Sein Hauptvorzug besteht darin, dass es die Lehrbe- stimmungen der älteren, meistens lateinischen Kirchenlehrer bis auf Beda den Ehrwürdigen herab über die Lehrsätze des kirchlichei Systems in einer zweckmässigen Auswahl enthält, für sich selM keine Entscheidung gibt, die nicht durch Auctoritäten vermitidt und auf sie gestützt wäre, und, wo diese selbst nicht zusammen- stimmen und zu weit auseinander gehen, das Urtheil problematisch j offen lässt Volumen, sagt Petrus Lombardus selbst in dem Prolfigi f compegitnua ex teatimoniia veritatis in aeternum fundatu^ in fM , majorum exempla doctrinamque reperiea. In diesem Sinne gab er seinem Werke den Titel Sentenzen, und er selbst wurde nach ihn der Magister sententiarum genannt. Es zeugt von einem sehr be- deutenden Fortschritt der dogmatischen Entwicklung, dass der

Die Bentensen des Petras Lombftxdns. Sil

ganze dogmatische Stoff, welchen die Kirche bis auf jene Zeit her- Torgebracht hatte, so übersichtlich geordnet und methodisch ver- arbeitet als vollendetes System vor Augen lag. In. welches Stadium seiner Entwicklung aber das Dogma jetzt eingetreten war, wird erst vollkommen klar, wenn man bedenkt, welcher Gebrauch von den Sentenzen gemacht wurde, und für welchen Zweck sie schon vrsprünglich bestimmt waren. Wie sie selbst aus den von Petrus Lombardus gehaltenen Vorlesungen hervorgegangen waren i io wurden sie das allgemeine Lehrbuch , über welches alle theologi- schen Vorlesungen gehalten und unzählige Commentare geschrieben wurden. An den Sentenzen stellt sich so heraus, wie das Dogma aus der Kirche in die Schule übergegangen und die Theologie zu einer Wissenschaft geworden ist, deren Studium die Hauptursache der gleichzeitig mit der Scholastik entstehenden Universitäten war. Auf die Patres eccleaiaef die Väter, die das Dogma erzeugt haben, lind jetzt die Doetorea gefolgt, alle jene Doctores angelM, sera" iMei, irrefragahUeB y reiolutisrimi, mbtilea und wie sie sonst kibsen, die den gegebenen dogmatischen Stoff in den mannigfaltig- siBii Formen verarbeiteten und eine Arbeit begannen, mit welcher in denkende Geist bis auf den heutigen Tag so wenig fertig ge- worden ist, dass er noch immer als eine unendliche Aufgabe vor ihn liegt Man kann daher das Wesen der Scholastik nicht besser dMuren, als mit dem einfachen, ihrem Namen entsprechenden Aus- druck i sie sei der Fortgang von der Kirche zur Schule Das Dogma ist jetzt Sache der Schule, eine Wissenschaß, die an den

1) Am thatsächliohBten steUt sich der, fttr denUebergang ans der alten Zeit in die mittlere nnd neuere so charakteristische, Fortschritt des Dogma Ton der Kirche zur Schule an der, für die Geschichte der Theologie und der Wissenschaften überhaupt epochemachenden, Entstehung der Pariser UniTcr- ■itit dar. Henrorgegangen aus der theologischen Kathedralschule von Notre Dame nnd den grammatisch-logischen Schulen von St. Gknofeva, und sohneil gehoben durch die Thfttigkeit anregender, eine grosse Zahl von Schülem her> beisiehender Lehrer, wie namentlich Abttlard, wurde sie die mit der Scholastik Hand in Hand gehende, vorzugsweise der scholastischen Philosophie und Theo- logie gewidmete Lehranstalt, die selbst Päpste den Lebensbaum im Para- diese, den Leuchter im Hause Gottes, die den Durst der Seelen nach G^ leohtigkeit löschende Quelle der Weisheit, das Auge der Erkenntniss in der dnrch den Fall erblindeten Menschheit u. s. w. nannten. Vgl. Schwjji, Job. Gnsos 8. 57 £

318 Zweite Periode. Dritter Absohnitt

Glauben die Forderung des Wissens macbt und seinen Inhalt in iKe Form des denkenden Bewnsstseins erheben will. Die Scholastik ist der erste im Grossen gemachte Versuch der Lösung dieser Aufgabe, eine Reihe von Bestrebungen, welche vier Jahrhunderte hindurch in derselben Richtung und mit einem im Ganzen völlig gleichmässigeB Charakter fortgesetzt wurden , bis zuletzt der Zerfall und die völ- lige Auflösung des scholastischen Systems den thatsachlichen Be- weis gab, dass das Princip, von welchem es ausging, an einem we- sentlichen Mangel leide.

Das dogmatische System der Scholastik.

Unsere Aufgabe ist hier nicht, die Geschichte der soholastisdimi Theologie nach allen Seiten hin zu verfolgen und fftr diesen Zweck genauer zu untersuchen , was die einzelnen Scholastiker su der- selben beigetragen haben , sondern nur das System im Ganzen in derForm, die es auf der höchsten Stufe seiner Entwicklung erhalten hat, nach seinen charakteristischen Zügen darzustellen. Es kani kein Zweifel darüber sein^ dass der Scholastiker, an welchen nai sich in dieser Beziehung vorzugsweise zu halten hat, Thomas von Aquino ist % da seine Darstellung des scholastischen Systems vidi- endeter ist, als die seiner Zeitgenossen Alberts des Gr. und Es- naventura's, und der einzige, der ihm zur Seite gestellt werdet kann, DunsScotus, einer Periode angehört, in welche schon der Wendepunkt der Scholastik fällt Thomas von Aquino hat sein System in drei Hauptwerken, dem Inhalt nach zwar auf dieselbe

1) Vgl. über Thomas das ausführliche und gelehrte Werk von D. K. Webnbb, der h. Thomas von Aquino 1. Bd. Leben und Schriften. 2. Bd. die Lehre. 3. Bd. Geschichte des Thomismus. Regenshurg 1858—59. Thomas erscheint hier ganz als der Gipfel der Scholastik und als der Mittelpunkt der katholischen Theologie. Wie vor ihm Alexander von Haies in seiner die Sentenzen des Petrus Lomh. commentirenden Summa tmiveratie theologiM schon den Uebergang machte von den blossen Sententiariem zu den grossen Systematiken! des dreizehnten Jahrhunderts und auch der erste war, welcher die aristotelische Philosophie in grösserem Umfang auf die Theologie an- wandte und die aristotelische Psychologie und Anthropologie mit ihr verband, so war dagegen Albert der Grosse neben seinen Bemühungen um das Yer- ständniss der aristotelischen Philosophie darin ein maassgebender Vorgänger des Thomas, dass er schon als sein Lehrer ihn auf die Mystik des Areopa- giten Dionysius hinlenkte, um dessen Weltanschauung gleichfalls zu einer wesentlichen Grundlage des aufzubauenden Systems zu machen.

System der Soholftfltik. Thomas tob Aqnino. 818

Weise, der Form nach aber in verschiedener Fassung, darge- stellt, in seiner Summa eatholicae fldd eanira gerUües^ in seinem Commentar über die Sentenzen des Petras Lomb. und in seiner Summa iothts thtologiae. Das erste, aus vier Büchern bestehende Werk geht vom apologetischen Gesichtspunkt aus. Es sollen die der kadiolischen Wahrheit entgegenstehenden Irrthümer widerlegt werden. Da man Gegnern gegenüber, wie die Heiden und Ml^- hammedaner sind, etwas gemeinsam Anerkanntes haben muss, das nicht die Schrift sein kann , so kann man sich nur auf den Stand- punkt der Vernunft und der natürlichen Erkenntniss der Wahrheil stellen; die Wahrheit ist daher überhaupt doppelter Art, je nachdem sie ihre Quelle entweder in der Vernunft oder in der Offenbarung hat Nachdem Thomas in den drei ersten Büchern von der Vollkom- menheit der göttlichen Natur, von der Macht Gottes, sofern er der Schöpfer und Herr von allem ist, und von der Vollkommenheit seiner Auotorität, sofern er der Endzweck von allem und der Regent, wie der Creatur überhaupt, so speziell der vernünftigen ist, gehandelt hat, geht er erst im vierten auf die geoffenbarten Wahrheiten über. In dem Commentar über die Sentenzen folgt Thomas ganz der von dem Magister gemachten Anordnung, in seiner theologischen Summe aber fand er diess nicht mehr zweckmässig. Der Stoff schien ihm durch die Menge unnützer Fragen, Artikel und Argumente zu sehr zer- stflckelt zu werden und die Anordnung des Systems nicht methodisch zu sein. Mit Rücksicht auf die Idee und den Zweck der Theologie construirte er seine Summe so, dass der erste Theil Gott zu seinem Inhalt hat als das vollkommenste Wesen und dasjenige, was Gott durch seine Allmacht hervorgebracht hat, der zweite den Menschen als das Ebenbild Gottes, sofern er als freies vernünftiges Wesen nach einem höchsten sittlichen Zweck seiner Handlungen oder nach Gott strebt (der ethische Theil des Systems), der dritte Christus, seine zur Erlangung der Seligkeit angeordneten Gnadenmittel, die Sacramente und das Ziel des unsterblichen Lebens, zu welchem wir durch ihn in der Auferstehung gelangen. Die Hauptidee ist, wie Thomas selbst in dem Prolog zu seiner Summe sie bestimmt, Gott, sowohl an sich , als auch sofern er das Prinzip und der Endzweck von allem ist, insbesondere der vernünftigen Creatur, oder Gott, die vernünftige Creatur in ihrer Beziehung zu Gott, und Christus, sofern er als Mensch der Weg ist, auf welchem der Mensch zu Gott

S14 Zweite Periode. Dritter Abseliaiti

gelangt Es ist diesf unstreitig ein Fortsdiritt der Metbode, der ganze Inhalt ist in der Einheit der Gotteaidee begriffen , deren we- sentliche liomente ebenso viele Theile des Systems sind, die Eot- wicklong des Systems ist die Selbstbewegung der Idee. Es iit diess die dem Thomas wenigstens im Allgemeinen in der Anord- nung seines Systems vorschwebende Idee, wenn auch gleich die Ausführung im Einzelnen derselben nur in geringem Grade eatF- spricht

Die allgemeine dem System zu Grunde liegende Anschauungs- weise ist wesentlich supranaturalistisch. Das Naturliche soll jedock durch das Uebernatürliche nicht ausgeschlossen werden, sonden auf der Grundlage des Natürlichen kommt das Uebernatürliche nur hinzu, um das Ganze zu vollenden und um dem Menschen das, was er von Natur nicht sein und werden kann, auf übernatürliche Weise XU verleihen. Der pelagianische Charakter des Systems drückt sich in der Unterscheidung einer doppelten Klasse von Wahrheileu aus: es gibt sowohl Vernunft- als Offenbarungswahrheiten. Einiges kann die menschliche Vernunft erreichen, wie dass Gott ist, dasi nur Ein Gott ist und anderes dergleichen, was die Philosophen k Beziehung auf Gott bewiesen haben; Anderes aber geht scUechtUi über die menschliche Vernunft hinaus. Das menschliche Erkeun geht vom Sinnlichen aus, das Sinnliche kann aber den Verstand toM so weit führen, dass er in ihm die göttliche Substanz erkennt, indem die Wirkungen immer in einem inadäquaten Verhältniss zu dea Ursachen stehen. Da nun die Erkenntniss des Uebersinnlichea doppelter Art ist, so gibt es nicht nur sowohl Vernunft- als Offen- barungswahrheiten , sondern Gott hat auch beide für den Menschen zu einem Gegenstand des Glaubens gemacht, 1. weil so viele Men- schen gar nicht zur Erkenntniss Gottes kommen, 2. weil auch die, welche dazu kommen, erst nach so langer Zeit und so schwer daza gelangen, und 3. weil demjenigen, was durch die menschliche Ver^ nunft erkannt wird , wegen der Schwäche des menschlichen Ver- standes immer so viel Falsches beigemischt ist. . Diess ist eine zweck- massige Einrichtung Gottes; nothwendig aber ist es, dass das, was der Mensch durch seine eigene Vernunft nicht erforschen kann, für ihn von Gott zur Sache des Glaubens gemacht wird. Die Menschen sind von der göttlichen Vorsehung zur Erreichung eines Guts be- stimmt, das über alles Gegenwärtige weit hinausgeht, daher müssen

System des Thoma« Aqo. Vemanft u. Oflesbarang. 915

sie auch mit demselben zuvor bekannt gemacht lein, um es mm Gegenstand ihres Hoffens und Strebens machen zu können. Aach kann man nur dann Gott wahrhaft erkennen, wenn man weiss, daaa er aber alles, was Menschen von ihm sich vorstellen können, ab* solut erhaben ist. Ein solcher Glaube , wie der christliche Offen* baningsglaube, ist jedoch keineswegs ein grundloser, da er sich auf Wunder stützt. Zur Bestätigung einer Lehre , welche Abor die menschliche Vernunft hinausgeht, hat Gott Werke vor Augen g9^ stellt, die über das Vermögen der ganzen Natur hinausgehen. Ebensowenig kann eingewendet werden, dass die Offenbarungs- wahrheiten mit den Vernunftwahrheiten in Widerstreit kommen. Ein solcher Widerstreit findet nicht statt, und kann nicht stattfinden, da Crott der Urheber der einen Wahrheiten wie der andern ist; er würde demnach nur sich selbst widersprechen. Wenn also auch die menschliche Vernunft nicht im Stande ist, aus sich selbst die Offenbarungswahrheiten zu beweisen , so kann sie auf der andern Saue sie ebensowenig widerlegen, weil vielmehr die beiden Wahr*^ heäen in letzter Beziehung doch immer wieder eins sein müssen, tat vorauszusetzen, dass es nie an Vemunftgründen fehlen werde, durch welche alle Einwendungen gegen die Offenbarungswahr- keilen widerlegt werden können 0- Das System trägt, wie hierans erhellt , einen wesentlich supranaturalistischen Charakter an sich, Bar steht die Vernunft mit gleicher Berechtigung der Offenbarung zar Seite. Sie ist für sich ein selbstständiges Prinzip der Wahrhdtb Da aber die Offenbarung nur über der Vernanft stehen kann , so ergibt sich für das Verhältniss der Vernunft zur Offenbarung das Doppelte, dass das, was die Vernunft aus sich selbst erkennt, sei-« nen festen Haltpunkt erst durch die Offenbarung erhält und dass die Vernunft nicht blos qualitativ in Hinsicht der Gewissheit dessen, was $ie aus sich erkennt, sondern auch quantitativ mangelhaft und unvollkommen wäre , wenn nicht über ihr noch eine Offenbarung wäre, durch welche das ihr Fehlende ergänzt wird. Hierin ligt von selbst , dass das Dasein einer Offenbarung, wie das Christen- thnm ist, nicht blos als eine Thatsache der Geschichte, sondern auch als eine Forderung der Vernunft zu betrachten ist. Es ist, sagt Thomas, an sich nothwendig, dass es ausser den philosophi-*

1) Summa cath, fidei contra gentUet e. 3-r>8.

S16 Zweite Periode. Dritter Abselinitt

i€hen WiMenichaften, die durch die menschliche Yerniinft erfoncht werden, auch eine geoffenbarte Lehre gibt, weil der Menacfa crdih naiur ad Deum, sicut ad quendam /biem, gtä cam^n^henuonem raiUmii exeedU 0* Aus der Bestimmung des Menschen xar Selig- keit wird die Nothwendigkeit einer Offenbarung abgeleitet, aar durch sie kann die Endlichkeit der menschlichen Natur mit der Un- endlichkeit der Bestimmung des Menschen ausgeglichen werden. So gewiss es also eine übematärliche Seligkeit gibt, so gewiss warn es auch eine übernatürliche Offenbarung geben. Woher weiss aber Thomas, dass der Mensch zu einer über seine Natur hinauagehendei Seligkeit bestimmt ist? In das ordinatur hämo ad Daum wird schon etwas hineingelegt, was nur aus der Offenbarung genommea sein kann. Kann es für den Menschen keine übematfirlidie Selige keit geben , die ihm nicht voraus als das Ziel seines Strebens be- kannt ist, so kann man eben so gut sagen, das, was er als Ziel er- streben soll, ist von selbst durch das Maass seiner natürlidiea Kräfte bedingt Ist es also nicht ein Zirkel, in dem sich die Scho- lastik bewegt, wenn sie aus der Bestimmung des Menschen xu einer über seine Natur hinausgehenden Seligkeit die Nothwendig^ einer übernatürlichen Offenbarung folgert, während sie doch toi einer solchen Bestimmung des Menschen ohne eine übemalörlieb Offenbarung nichts wissen kann ?

Jedes scholastische System stellt an seine Spitze den BewM tat das Dasein Gottes. Die Gewissheit, dass Gott ist, ist die Grund- voraussetzung für alles Andere. Bewiesen werden kann das Dasein Gottes nur aus der Vernunft, und der Weg, auf welchem es nadi den anerkanntesten Auctoritäten der Scholastik allein bewiesen werden kann, ist der von der Wirkung auf die Ursache schliessende Syllogismus. Auch Thomas erklärte sich gegen Anselms ontolo- gisches Argument, weil aus dem esse in intellectu nicht folge,, quoi Mit aliquid in verum natura, quo majuu cogitari non posrif. Es sei nicht ineonvemens^ quoübet dato, vel in re, vel in intellectu, aiiqmd majue cogitari posae, ntst ei, qui concedit eaae aliquid, quo majue cogitari non poaeit^ in rerum natura ^}, d. h. das ontolo- gische Argument setzt schon voraus, was erst bewiesen werden

1) Summa theoL 1. qa. 1. art. 1.

2) Summa cath. fidei 1. c. 11.

Syst dei TbomftB Aqii. Dasein u. Wesen Gottes. 3I7

soll, es ist daher kein der Form d^s Syllogismus entsprechendes Argument Ebendesswegen hat es für den Scholastiker keine Be- deutung, denn der Scholastiker will, was er behauptet, auch be-» weisen, und bewiesen werden kann nichts, was nicht in der Form des Syllogismus von den Prämissen zu der Conclusiott, als dem Satz, der bewiesen werden soll, fortschreitet. Daher ist auch bei Thomas die Grundform aller seiner Argumente für das Dasein Gottes die kosmologische Argumentationsweise.

Das Wesen Gottes bestimmt Thomas schlechthin als das Sein» Alles was ist, hat das Sein von Gott als dem allgemeinen Sein, alles was ist, ist in Gott und Gott ist in Allem. In der Sttmma canira ffentile$ Ci 9 36) widerlegt zwar Thomas den Satz , dass Gott das allgemeine Sein der Dinge sei ; er könne es nicht sein , weil er als solches nicht über Allem, sondern in Allem und etwas von Allem wäre, in der Summa iheologiae aber ist eben dieser Satz das Positivste, was Thomas über das Wesen Gottes sagt, dass Gott die Allgemeine Form der Dinge ist, das formale respectu amamm, qtioe in re 9unt, und zwar, sofern alles, was ist, nichts hat, was tiefer Qsd innerlicher in ihm ist als das Sein, Gott ist substanziell in Allem als die Ursache des Seins, die allgemeine Substanz alles Seienden« Dass Gott schlechthin das Sein ist, ist sosehr die wesentliche Be* Stimmung des Begriffs Gottes, dass alles, was von Gott ausgesagt wird , nur ein anderer Ausdruck für das absolute schlechthin mit sich identische Sein Gottes ist. Da in der absoluten Einfachheit der götilichen Substanz kein Unterschied sein kann, so ist alles, was Gott als ein Wissender und Wollender ist, auch wieder nur die ab- solute Identität seines Seins mit sich selbst. Was vom Wissen und Wollen Gottes gilt, gilt auch von allem Andern, was von Gott pri- dicirt werden kann. Ausdrücklich sagt Thomas 0) tui sidi be- trachtet sei Gott schlechthin eins und einfach, weil aber unser Verstand Gott, wie er an sich ist, nicht zu erkennen vermöge, so fasse er ihn unter verschiedenen Begriffen auf. Alle göttlichen Ei- genschaften sind somit nur verschiedene Gesichtspunkte, unter welchen das an sich Eine, jeden objektiven Unterschied von sidi ausschliessende Wesen Gottes betrachtet wird. In keiner Lehre konnte sich die Speculation der Scholastiker so frei bewegmi, wie

1) Summa theoL 1. qn. 13. art. 12.

818 Zweite Periode. Dritter Absdl&Bitt

in der Lehre von Gott, in keiner lagr aber «och fflr ihre Theologie die Gefahr so nahe, ihren christlichen Charakter sa yerliognea So einfach und sich von selbst verstehend die Bestimmiing zu $m scheint, dass Gott schlechthin das Sein ist, das absolute, sabstannelle Sein , so wichtig und entscheidend für die ganze Richtung des Sy- stems ist sie. Ist Gott so schlechthin dss Sein, dass alles, was von ihm zu prädiciren ist, nur dasselbe einfache, unterschiedslose, mit sich identische Sein ist, so kann man, sofern alles bestimmte Sein von Gott verneint wird, ebenso gut sagen, er sei das Nichtsein ab das Sein. Der Gottesbegriff des Thomas ist mit Einem Worte keii anderer als der des Areopagiten Dionysius , welchen auch Thomai selbst als eine seiner höchsten Auctoritäten anerkannte. AUei, was die christliche Theologie seit der ältesten Zeit durch Augustin, den Areopagiten Dionysius , Johannes Scotus aus dem Platonismoi in sich aufgenommen hat, ist durch Thomas die Grundanschauung des dogmatischen Systems der katholischen Kirche geworden und auf keinem andern Punkt tritt die Analogie des Dogmatischen uml des Hierarchischen so klar hervor, wie hier. Wie der Areopagüe sein theologisches System sowohl platonisch als hierarchisch cdb- struirt hat , so ist der gemeinsame Charakter des Platonischen und Hierarchischen die quantitative Anschauungsweise. Die ganze B^ trachtung geht von oben nach unten ; die Hierarchie steigt von der höchsten, alles umfassenden Spitze durch verschiedene Stufen herak, auf dieselbe Weise kann, wenn Gott das^Eine allgemeine Sein ist, alles Besondere nur dadurch entstehen , dass das Allgemeine ta einem durch den quantitativen Unterschied des Plus und Minus be* stimmten Sein wird. Nach dieser Grundanschauung ist in dem Sy- stem des Thomas alles Existirende in seinem Unterschied von Gott eine Modification des Einen allgemeinen Seins, ein Accidens der Einen absoluten Substanz und von Gott als der höchsten alles be- wegenden Ursache so abhängig, dass alles besondere Sein nur ein schlechthin determinirtes Sein ist. Determinismus ist daher der Charakter des Systems, ebenso aber auch Supranaturalismus. Seinen christlich religiösen und theologischen Charakter erhält das auf einer rein philosophischen Anschauung ruhende System erst dadurch, dass das, was auf der einen Seite ein von oben nach unten gehendes Determinirtsein ist, auf der andern ein ortünari ad Deum ist. Da Gott als die höchste absolute Causalität zu allem , was nicht er

Syst d. Tbomat Aqn. D et ermini im. n. SupTanataraL 819

»Ibst ist, sich schlechthin transcendent verhilt, so kann das zum ^esen der Religion gehörende , das Verhdltniss des Menschen za Dil als seinem höchsten Endziel bestimmende ordinari ad Deum it allem, was es zu seiner Voraussetzung hat, nur auf übematür- ;he Weise zu Stande kommen. Determinismus und Supranatura-* rmns verhalten sich daher auf dieselbe Weise zu einander, wie e causae secundae und die causa prima. Das Abhangigkeits- irhSltniss des Menschen zu Gott ist ein wesentlich anderes , je ichdem es als ein durch die causae secundae vermitteltes, oder seiner unmittelbaren Beziehung zu Gott als der causa prima be-* achtet wird. Das durch die causae secundae Vermittelte ist das dbiet des vernünftigen Denkens, des durch den logischen Schlusf Teichbaren; was aber ohne die Vermittlung der causae secundae Uechthin und unmittelbar von der causa prima ausgeht, kann ir auf übernatürlichem Wege durch Offenbarung an den Menschen Bhngen. Rationalismus und Supranaturalismus gehen daher in der dhndastik durchaus Hand in Hand, und es ist jedes Dogma in sei- erscholastischen Behandlung immer darauf anzusehen, wie das ver- Inftige Denken in ihm zwar soweit geht, als die dialektischen Ar- unente und rationes zu gehen gestatten, sobald aber der Inhalt des «ditionellen Offenbarungsglaubens dadurch noch nicht erschöpft 1 sein scheint, über das Rationale noch das Supranaturale als aus- »rordentliche Zugabe gestellt wird, sei es nun, dass das auf ratio- alem Wege Ermittelte in irgend einer Form als identisch mit dem ^enbarungsinhalt genommen, oder, wenn diess nicht möglich ist, dt Ueberspringung aller causae secundae und der auf sie sich be- lebenden rationes auf Gott als die prima causa recurrirt wird. Ationalismus und Supranaturalismus machen so zwar auf gleiche reise den Charakter der Scholastik aus , aber beide stehen auch, de sich hieraus von selbst ergibt , so ausserlich neben einander, aas eben diess, dieses unvermittelte Verhftltniss des Natürlichen nd Uebematürlichen, die grösste Eigenthümlichkeit der Schola- tik ist.

Wenn irgend eine Lehre der christlichen Offenbarung den dia- dktischen Scharfsinn der Scholastiker reizen musste, so war es die Vinitätslehre. So sehr man in ihr das tiefste Geheimniss des christ- idien Glaubens anerkannte, so wenig konnte man sich dabei beru- igen 9 dass es tat das menschliche Erkennen völlig verschlossen

3t0 Zweite Periode. Dritter Abiolinitt

lein sollte. Das TrinitStsdogma galt seit Anselm als das böolisla Problem der Specalation, und Anselm selbst hatte schon den Scho- lastikern den Weg vorgezeichnet, anf welchem es zu rationalisirea war, wofern man nur Gott selbst als die tnen» raiiamUU sich dadite. Da der Sohn das Wort ist und das Wort der ausgesprochene Ge- danke des Geistes, so lag es nahe, das Hervorgehen des Worts aus dem denkenden Geist oder das Denken selbst als eine Zeugung auf- zufassen. Was materiell die Zeugung im physischen Sinne ist, ist geistig der Prozess des Denkens. Alles Denken ist die Erzeugung eines der Sache, die das Objekt des Denkens ist, mehr oder minder adäquaten Bildes , in dem Gedanken , in welchem der Geist etwas denkt, bildet sich die Sache selbst ab. Wenn nun der Geist sich selbst denkt, ist der Gedanke, in welchem er sich denkt, ein Bild seiner selbst, und der höchste absolute Geist erzeugt anf diese Weise ein mit ihm selbst gleich wesentliches Bild, d. h. sein Wort So hatten schon Anselm und Alexander von Haies den Begriff der Zeugung auf das Wesen der denkenden Thfitigkeit des Geistes, als einer immanenten Zeugung zurückgeführL Auch Thomas von Aquino weiss den Unterschied der Personen, welchen die kirchliche Trinitatslehre in das Wesen Gottes setzt, nicht anders aus demselben zu begreifen als durch die Annahme eines der Zea^ gung analogen geistigen Prozesses. Wie das Gezeugte dem, woraii es entsteht, ahnlich ist, so ist auch die Vorstellung der Sache, aal die sie sich bezieht, ähnlich. Da nun in Gott Denken und Sein eins sind , das Denken die Substanz des Denkenden selbst ist , so sub- sistirt das hervorgehende Wort in derselben Natur und wird als gezeugt der Sohn genannt. Vater und Sohn verhalten sich also zu einander wie der denkende Geist, der, indem er sich selbst denkt^ im Denken sich selbst gegenstandlich wird, sich als Subjekt und Objekt gegenübersteht und in diesem Unterschied mit sich selbst eins ist. Die kirchliche Lehre unterscheidet aber von dem Sohn den Geist, es muss daher auch im Wesen Gottes eine doppelte Form des zum Wesen des Geistes gehörenden geistigen Prozesses geben. Genauer betrachtet ist die geistige Thatigkeit doppelter Art, siQ besteht nicht blos im Denken und Vorstellen, sondern auch im Wollen, dem Verstand steht als gleich selbstständiges Vermögen der Wille zur Seite. Wie die Thatigkeit des Verstandes darin be- steht, dass das gedachte Objekt seiner Aehnlichkeit nach in dem

Die Trinitlttlehr« dar SelioUttiker. 3SH

denkenden Yerstand ist , so ist bei der Thätigkeit des Willens nicht eine Aehnlichkeit des Gewollten im Willen, sondern eine Hinneif gnng des Willens zu dem Gegenstand seines Verlangens , ein An- trieb und eine Bewegung zu etwas Anderem, und das, was auf diese Weise hervorgeht, ist kein Erzeugtes, wie der Sohn, sondern GeisL Bs gibt also neben der denkenden Thätigkeit des Geistes , die der Zeugung des Worts entspricht, oder neben der Procession des •Verstandes, noch eine andere, der Thätigkeit des Willens entspre- chende Procession, die der Liebe, welcher gemäss das Geliebte ebenso im Liebenden ist, wie ein Wort, das Gedachte oder Ausge-« sprochene im Denkenden. Seitdem wurde es zur stehenden Theorie der Scholastiker, Denken und Wollen als die beiden productiven Principien des Sohns und Geistes zu betrachten und beide in das- selbe Verhältniss zum Vater zu setzen, in welchem Verstand und Wille, oder auch Natur und Wille, als zwei wesentlich verschiedene Thitigkeiten , als die beiden substanziellen Formen der geistigen Thiligkeit zum Wesen des Geistes selbst stehen. Unstreitig hat die Scholastik auf diesem Wege sich über das kirchliche Dogma auf eine Weise zu verständigen versucht, die alle Anerkennung ver- dient und, so mangelhaft auch die Entwicklung der dabei zu Grunde liegenden Idee ist, doch der einzige Weg ist, auf welchem das Trinitatsverhältniss aus dem Wesen des Geistes selbst zu begreifen ist Demungeachtet behauptet Thomas, es sei schlechthin unmög- lich, durch die natürliche Vernunft zur Erkenntniss der göttlichen Personen der Trinität zu gelangen, die Vernunft könne in Gott nur die Einheit des Wesens, nicht den unterschied der Personen er- kennen und jeder Versuch, die Trinität der Personen durch die nttärliche Vernunft zu beweisen, diene nur zur Beeinträchtigung des Glaubens 0* Wenn es sich aber so verhält, wozu gibt sich die Scholastik so grosse Mühe zu beweisen was, wie sie selbst gesteht, der Natur der Sache nach nicht bewiesen werden kann? Sollen aber solche Deductionen der Trinitätslehre, wie die des Thomas und so vieler andern Scholastiker, nur etwas dem Inhalt des Glau- bens Analoges geben und ein blosser Versuch sein zu zeigen, wie weit die natürliche Vernunft auf ihrem Wege dem Glauben sich an- nähern kann, so bleibt auch in dieser Beziehung die fide$ quaeren» ixdeUectum so tief unter ihrer Aufgabe, dass man nicht recht sieht,

1) Summa iheoL 1. qn. 32. art 1. Bftur, K.O. d. MitteUOtera. 21

3S9 Zweite Periode. Dritter Abeokaitt

wie die Scholastik gerade darauf so grosses Gewicht legen kana Kann die Yernahft nur die Einheit des Wesens, nicht die Dreiheit der Personen erkennen , so kann sie gerade das nicht erkennen , was das Wesentliche des Trinitätsdogma's ist; es ist somit reine Sache des Glaubens, eine Lehre, die nur durch übernatürliche Offenba- rung zur Kenntniss der Menschen gekommen ist Die Vernunft reicht aber nicht blos nicht dazu hin , sie kommt sogar in Wider- spruch damit Denn wenn in dem einfachen, schlechthin mit sich identischen Wesen Gottes so wenig ein realer Unterschied ist, dass das Wissen und Wollen Gottes auch wieder nur das Sein Gottes ist, so schliesst der natürliche Gottesbegriff geradezu alles Trinitarische von sich aus. Vernunft und Offenbarung, das Natürliche und Ueber- natürliche verhalten sich demnach so äusserlich zu einander , dass eine Vermittlung beider nicht einmal möglich ist, und für die Scho-^ lastik ergibt sich in illrer zwischen beiden getheilten Stellung nur die Wahl, entweder auf alles natürliche Erkennen zu verzichten, oder, wenn sie einmal so weit gekommen ist, wie die SchdasÜ^ ker in Ansehung der Trinitätslehre gekommen zu sein glaubtflBi die Schranke vollends zu durchbrechen, die sich der Vemmft ia dem Inhalt des Glaubens noch entgegenstellte. Daran konnte jedool die Scholastik auf ihrem Standpunkt überhaupt nicht denken; ir Schicksal war daher nur, dass sie von jedem Fortschritt auf im Wege der rationalen Theologie um so entschiedener in einen reia dusserlichen Supranaturalismus zurückfiel.

Denselben Charakter der Halbheit und Aeusserlichkeit trägt die Scholastik in der Lehre von der Welt an sich. Wollte sie nicht mit der Lehre der Kirche inConflict kommen, somusste sie eine Schöp- fung aus Nichts und einen zeitlichen Anfang der Welt behaupten. Beides behauptet Thomas , aber seine speculative Weltanschauung streitet mit diesen beiden Lehrsätzen. Nach seinem Begriff Gottes konnte er die Welt nur in ein immanentes Verhältniss zu Gott setzen: ist Gott das allgemeine, substanzielle Sein, so ist die Welt nicht ausser Gott, sondern in Gott. Das Verhältniss der Welt zu Gott betrifft nur die Frage , wie sich die Vielheit der Dinge in der Welt zu der absoluten Einheit Gottes verhält. Zur Beantwortung dieser Frage geht Thomas auf das Verhältniss der Idee und der Wirklich- keit zurück. Die Welt ist die reale Verwirklichung des ideell in Gott Enthaltenen. Wenn aber die Vielheit der Dinge in der Welt

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Die, Lehre ron der Welt bei Thomas. 898

aich eine Mehrheit der Ideen voraussetzt, so fragt sich, wie diese Mehrheit sich mit der absoluten Einfachheit Gottes vereinigen Ifisst? Thomas sucht diese Vereinbarlieit zu beweisen, aber er setzt immer schon voraus, was erst bewiesen werden soll. Dass es im Wesen Gottes nicht blos eine Idee, sondern eine Vielheit von Ideen gibt, soll seinen Grund darin haben, dass die Ideen nach dem re9pe€tu$ ad res sich vervielfältigen, oder darin, dass die Ideen zwar nichts vom Wesen Gottes Verschiedenes sind, aber das Wesen Gottes in sich darstellen, nicht, wie es an sich ist, sondern sofern an der Aehnlichkeit mit Gott Verschiedenes auf verschiedene Weise ptrticipiren kann. Woher haben aber die Ideen ihren reapectui ad r€9j als eben nur von den Dingen? und wenn dieser respecha die Einheit der Idee zu einer Mehrheit von Ideen macht, so ist auch dabei die Realität der Dinge, die erst erklärt werden soll, schon voriiusgesetzt Die Ideen sind das Vermittelnde zwischen Gott und ierWelt, aber es ist in ihnen nur einfach ausgesprochen, dass Gott and Welt in einander sind, oder beide sich zu einander verhalten, wie Einheit und Vielheit , wie Idee und Wirklichkeit In dem im- Aaaenten Verhältniss Gottes und der Welt ist auch die Ewigkeit der Welt mitgesetzL Thomas führt so viele Grande für sie an und gesteht die Unwiderlegbarkeit derselben so offen zu, dass er dem ^Widerspruch mit der Lehre der Kirche nur durch die Erklärung msweichen kann, die Nichtewigkeit der Welt sei als ein Glaubens- latE and als eine dem Menschen von Gott geoffenbarte Wahrheit an- insehen, worin sich demnach nur derselbe Zwiespalt wieder heraus- itellt, in welchen das scholastische Bewusstsein mit sich selbst kommt, wenn der Glaube das gerade Gegentheil dessen für wahr zu halten gebietet, was sich der natürlichen Vernunft als die richtige Folgerung aus ihren Principien ergibt.

Das Eigene dieses Systems ist, dass es zwar auf jedem Punkte, auf welchem Vernunft und Offenbarung in Confiict mit einander kommen, sogleich bereit ist, sich die Reihe seiner philosophischen Argnmente und ihre Consequenz durch die Glaubenssätze der Kirche durchbrechen und aufheben zu lassen , dass es aber gleichwohl in der Durchführung seiner speculativen Ansicht sich nicht irre machen lisst Wenn somit auch als Lehre der Kirche feststeht, dass die Welt aus Nichts geschaffen ist und einmal angefangen hat zu sein, so wird doch das Verhältniss der Welt zu Gott so aufgefasst, wie

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384 Zweite Periode. Dritter Abichnitt

es der Grundanschauang des Systems, dem Begriff Gottes als des absolaten substanziellen Seins gemäss ist Was Gott absolut ist, ist die Welt in unendlich relativer Weise. Die absolute YoUkom- menheit Gottes kann sich in der Welt nor in unendlicher Getheiltheit und Ungleichheit , in dem Plus und Minus des quantitativen Unter- schieds darstellen. Darin liegt der Begriff des Bösen, welcher auf diesem Standpunkt nur negativ bestimmt werden kann. So wenig sich auch erklaren las st, wie aus der defectlosen Vollkommenheit Gottes ein Defect entstehen kann, so ist doch die Ordnung und Voll- kommenheit des Universums ebendadurch bedingt, dass es auch einen Defect in demselben gibt, eine Corruption der Dinge. Wie es an sich zum Begriff der göttlichen Vorsehung gehört, dass sie in den Dingen, die ihr Object sind, auch einen Defect zulasst, so theilt sich die Vorsehung von selbst in Prädestination und Ver- werfung. So relativ ist aber hier alles, und so rein nur vom quan- titativen Gesichtspunkt aus bestimmt, dass es Verworfene in diesen System nur darum gibt, weil in der Verschiedenheit der Stufig, die zur Vollendung des Ganzen gehören, auch die unterste Stufe, aaf welcher die Verworfenen stehen, nicht fehlen darf. Die zum ewigei Leben Erwählten sind Gegenstand der göttlichen Barmherzigkeit, die aber, welchen dieses Ziel nicht zu Theil wird , fallen der gött* liehen Gerechtigkeit anheim; aber auch zwischen der Barmherzig- keit und der Gerechtigkeit Gottes ist nur ein relativer Unterschied: auch die Verworfenen sind ein Gegenstand der göttlichen Güte, die sich an ihnen in der Form der strafenden Gerechtigkeit offenbart, oder vielmehr es ist die Macht Gottes, die die Einen dahin, die An- dern dorthin stellt, damit in der Verschiedenheit der Formen die Absolutheit des göttlichen Wesens zur Erscheinung komme und jede Stufe die ihr entsprechenden Subjecte habe. Ein System, in welchem alles, was ist, nur durch den quantitativen Unterschied der verschiedenen Formen des Seins bestimmt und jede Stufe durch die ihr vorangehende bedingt ist, kann nur einen streng determi- nistischen Charakter an sich tragen. Alles hängt von Gott als dem Princip alles Seins oder als der ersten bewegenden Ursache ab, nur wirkt Gott, wie es das immanente Verhältniss Gottes und der Welt mit sich bringt, nicht unmittelbar auf das Einzelne, sondern durch die Vermittlung der secundären Ursachen , von welchen die eine immer wieder durch die andere bedingt ist Eine Freiheit des Willens,

Verh&ltn. d. Weltsa Gott Prädest Freiheit. Wunder. 3S5

als Vermögen der Selbstbestimmung, gibt es in einem solchen Sy- stem schlechthiniger Abhängigkeit nicht. Wenn auch Thomas zwischen Naturursachen und Willensursachen unterscheidet, so sind doch beide auf gleiche Weise von der ersten bewegenden Ursache abhängig und es ist zwischen ihnen nur der Unterschied, dass die einen äusserlich, die andern innerlich bewegt werden. So schlechthin determinirt aber in einem solchen System alles Seiende ist, so darf doch die Möglichkeit des Wunders in ihm nicht fehlen. Sie liegt in der Unterscheidung der ersten Ursache und der secun- dären Ursachen, indem sich denken lässt, dass die Abhängigkeit der Dinge von den secundären Ursachen keine ebenso nothwendigfe Katurordnung ist, wie die von der ersten Ursache. Ein Wunder wäre demnach, was ohne Vermittlung der secundären Ursachen nur durch die erste Ursache gewirkt wird. Thomas hat aber die Möglichkeit hievon nicht nur nicht bewiesen , sondern es folgt aus geitteni System vielmehr die Unmöglichkeit dieser Annahme. Wie kami die göttliche Causalität die natürlichen secundären Ursachen überspringen, wenn nach der Grundanschauung des Systems Gott und Natur so ineinander sind, dass beide nicht getrennt werden können? Wenn auch die abstracto Betrachtung über die Mittelur- sachen so hinwegsehen kann, dass ihr das Natürliche als übernatür- lich , die Mos mittelbare Wirkung Gottes als eine unmittelbare er- scheint, so ist doch diess eine rein subjective Ansicht Da aber Thomas den Glauben an eigentliche Wunder nicht fallen lassen kann, so hat ihm auch hier der Supranaturalismus des kirchlichen Systems seine rationale Weltanschauung durchbrochen.

Die Lehre von den Engeln hatte für die Scholastik das eigen- thömliche Interesse einer in das transcendente, metaphysische Gebiet der intelligiblen Welt eingreifenden Speculation. Hier besonders war der Ort, ein «System weiter auszubauen, das mit seinen rein dialectischen Bestimmungen nur der Sphäre des abstracten Denkens angehörte. Dazu hatte sie schon an dem Begriff der Engel, sofern sie als Mittelwesen zwischen Gott und dem Menschen nach beiden Seiten weder das Eine noch das Andere waren, während doch dieses Negative auch wieder etwas Positives zu seiner Voraussetzung haben musste, einen bestimmten Anhaltspunkt. An jeder der beiden Clas- sen, in welche die Engel sich theilen, sofern sie theils gute, theils böse sind, fasste die Scholastik eine Frage auf, die eine acht specu-

386 Zweite Periode. Dritter Abielmitt.

lative Aufgabe in sich schloss. Bei den gnlen Engeln betraf die Hauptfrage die Art und Weise des Erkennens, welche Thomas von Aquino durch die Unterscheidung des apriorischen und aposterio- rischen Erkennens beantwortete. Wenn auch bei den Engeln das Denken und Erkennen, das intelligere^ nicht die Substanz ihres Wesens selbst ist, so dass auch in ihnen, wie in Gott, Denken und Sein unmittelbar eins sind, so erkennen doch auch sie durch Be- griffe, welche als ipeciea annaturalea zu ihrer Natur gehören. Da aber in dem Allgemeinen des apriorischen Erkennens die Erkennt- niss des Einzelnen noch nicht enthalten ist, die der kirchliche Glaube den Engeln zuschrieb , so konnte sich Thomas nur auf die Bestim- mung beschränken , die Engel erkennen nicht blos das Allgemeine, sondern auch das Einzelne, sofern das Eine einfache Wesen Gottes in der Vielheit der Formen sich darstellt Bei den bösen Kigelii kam es darauf an, den Fall oder den Ursprung des Bösen, und zwar des Bösen als solchen, aus der Natur eines rein geistigen Wesens zu erklaren. In dem Fall der Engel sah Thomas die Verkehrung des natürlichen Verhältnisses, in welchem das Geschöpf zum Schöpfer steht, sofern der gefallene Engel durch sich selbst sein wollte, was er nur in der Abhängigkeit von Gott sein konnte. Indem er die über^ natürliche Seligkeit, die nur die Gnade verleihen kann, ohne die Gnade haben wollte, galt ihm das Natürliche für das Uebematur- liehe, das Endliche für das Unendliche, das Creatürliche für das Absolute. Das Böse wäre also diese Umkehrung des an sich seien- den Verhältnisses, oder das Unnatürliche statt des Natürlichen; das Princip dieser Umkehrung kann nur der Eigenwille der Creatur sein, wie lässt sich aber eine solche Umkehrung in einem System denken, in welchem auch der Wille, wie alles Andere, in seiner Abhängigkeit von der absoluten Causalität schlechthin determinirt ist ? Das Böse in diesem Sinne ist daher ein rein abstracter Begriff, welchem in der concreten Wirklichkeit nichts entspricht. In einem so rein deterministischen System kann schon der Gedanke nicht ent- stehen, dass etwas anders sein könne, als es wirklich ist An die Stelle des Sollens tritt das Sein und an die Stelle des qualitativmi Unterschieds zwischen dem Guten und Bösen der blos quantitative des Plus und Minus, der höhern und niedern Stufe, wie sich diess in der Lehre vom Menschen noch klarer herausstellt.

Auch bei dieser Lehre konnte ein System, wie das des Thomas,

Lehre d. Thom. ▼. d. Engeln, d. Mensch., Ursaeio. Sünde. 3S7

nar die Aufgabe vor sich haben , an die Stelle des kirchlichen Be- griffs etwas ganz Anderes zu setzen. Vorausgesetzt wird zwar, dasf der Mensch gefallen ist und in Folge des Falls sein Zustand sich wesentlich verändert hat; um aber nicht annehmen zu müssen, das8 der Mensch durch die Sünde qualitativ ein anderer geworden sei, wird über das, was der Mensch von Natur ist, noch die höhere Stife eines übernatürlichen Seins gestellt, von welcher der Mensch herabfallen kann , ohne an seiner eigentlichen Natur einen wesent^ liehen Verlust zu erleiden. Diess ist der charakteristische Unter- schied zwischem dem augustinischen und thomistischen Begriff der Erbsünde. Wie Augustin schrieb auch Thomas dem Menschen eine ju9iiiia originalii zu, in welcher das Niedere dem Hohem und der Mensch Gott sich unterordnete wie es an sich sein sollte und seiner Natur gemäss war. Dieser an sich natürliche Zustand war aber lugleich ein übernatürlicher, da jene an sich naturgemdsse Unter- iMTdomig nur durch die Gnade bewirkt wurde , welche Thomas, um ab in ein um so engeres Verhältniss zur Natur des Menschen zu seton, zu dem Menschen schon im Moment seiner Schöpfung so hinzukommen Hess, dass er sich keinen Augenblick im Zustand der pura naiuralia befand 0. Auch nach Thomas hatte der Fall den

1) Summa theol. P. 1. qn. 95. art. 1.: Quod fuerit eandüus in gratia^ Metwr reqmrere ipsa recHtudo primi «fafiM, m qua Dens haminem fedL Erat eittiti reeHtudo aecwidum TioCf quod ratio whdebatur Deo, roHoni vero iniferiores vires et animae corpus. Frima autem subjectio erat causa secundae H tertiae. Quamdiu enim manebat Deo subjeeta^ inferiora ei subdehantur. Memifestum est autem ^ quod %Ua subjectio corporis ad armnam et inferiorvm tirium ad rationem non erat ncUurcUiSf alioquin post peccatum mansisset, emii etiam in daemonibus dcUa naturalia post peccatum permanserint, Unde manifestmi est, quod et iUa prima subjectio^ qua ratio Deo subdebatur, non erat solum secwndwm naturamy sed secimdwn supematurale donum gratiae. An sich haben also Geist und Körper dasselbe natürliche Heobt, die Sinn- lichkeit ist von Natnr nicht dazu bestimmt, sich schlechthin der Vernunft miterzilordnen. Klarer ist nirgends als hier, wie wenig die Lehre des Tho- mas dieselbe ist mit der augustinischen. Denn wenn Thomas so argn- mentirt: wenn die Unterordnung der Sinnlichkeit unter die Vernunft zur Natur des Menschen gehörte, so würde sie auch nach dem Sündenfall ge- blieben sein , so ist diess das gerade Qegentheil der augustinischen Be- hanptting, dass jene Unterordnung ebendesswegen, weil sie zur Natur des Menschen gehörte, nach dem Sündenfall nicht geblieben ist. Eben das also, was hei Angustin der Hauptbegriff seiner Lehre von der Sünde ist , eine qualitative Veränderung der menschlichen Natur, nimmt Thomas nicht an.

8S8 Zweite Periode. Dritter Abeeknitt

Verlust der juMtiiia ariginalU cur Folge, da er aber den Fall nicht ans einem* freien Willensact ableiten, sondern ihn nor deterministisdi auffassen konnte , so wird mit dieser Lehre wesentlich nur diess gesagt, dass zwar der Mensch an sich, ideell aufgefasst, nor so ^ dacht werden kann, wie ihn die Idee der iu$tiiia originali$ be- stimmt, der Mensch in der Wirklichkeit aber tief unter jener Idee steht; sofern aber der Zustand der Wirklichkeit nur der rein natfir- liche ist, liegt in der Idee der juBtiiia oriffinalU die Bestimmung, dass, wenn auch der Mensch nicht mehr ist, als er in der Wirklich*- keit ist, doch seine Natur die Fähigkeit in sich hat, auch Ueber- natürliches in sich aufzunehmen. Die beiden Zustande vor und nach dem Fall verhalten sich daher zu einander nur wie Ueber- natürliches und Natürliches und nur dem Uebematürlichen gegen- über, das der Mensch ursprünglich hatte, kann von einem der Erb- sünde analogen Zustand die Rede sein; er besteht somit nur in des Negativen, dass jenes Uebematürliche fehlt, und kann daher usaA nur als ein Mangel, eine Schwäche, oder als eine Verwundiing der Natur beschrieben werden , womit aber immer nur der quanlitatife

Die Natur des Menscben ist dieselbe, wie sie urspriloglioh war. Alles, der Mensch als ein scblechtbin durcb die Veninnft bestimmtes Wesen iflii ist fOr ibn nnr etwas Uebematürlicbes , blosse Wirkung der Gnade. Dk jiuiitia or%gvnaJi$ ist, wie Thomas auch qu. 100. art 1. sagt, ein bloseee m- eidens naturaet das als donwn divinihu datum toii naturae von dem erst« Menschen auch auf seine Nachkommen übergegangen wäre, wenn es nicU durch die Entziehung der Gnade wieder von ihr hinweggekommen wln. Auf dem Standpunkt des Determinismus gibt es überhaupt kein Sollen, sondern nur ein Sein, und man kann Ton dem Menschen nur sagen, dass er ein theils durch die Vernunft, theils durch die Sinnlichkeit bestimmtes Weses ist. Dass der Mensch nicht so sein so^ , wie er von Natur ist, nimmt Tho- mas nur aus dem Christenthum in sein System auf, der Mensch muss dalier erst wieder werden , was, er ursprünglich war , aber auch diess ist f^ ilm keine Aufgabe einer sittlichen Forderung, da alles, was er auf diesem W^ erst wird, für ihn etwas rein Ucbematürliches ist; da nur auf diese Weise das ordinari ad Deum im Sinn der christlichen Offenbarung sich reaUsiree kann. Dem übernatürlichen Endziel entspricht der übernatürliche Anfimg» zwischen beiden Zuständen liegt das, was der Mensch seiner eigentlichen Natur nach in der Reihe der eausae aecundae ist, was er auf Übematfir- liche Weise am Anfang war und am Ende wird, ist ohne die VermittloBg der catMoe Beeundat unmittelbare Wirkung Gottes als der caiasa prima^ sofon Gott, wie im Interesse der christlichen Offenbarung vorausgesetzt wird, auch ohne die catMoe secimdac wirken kann.

Lehre d. Thomet y. Ursnttend vu fifinde. ChriitoL d. Behol.

Unterschied zwischen dem Uebernatürlichen und Natärlichen, als der hohem und niedem Stufe ausgedrückt ist. Die Lehre von der SQnde dient nur dazu, den doppelten Gesichtspunkt festzustellen, aus welchem die Natur des Menschen zu betrachten ist, theils als das, was sie in der Wirklichkeit ist, theils als das, was sie durch die zu der Natur hinzukommende Gnade auf übematärliche Weise sowohl gewesen ist, als auch wieder werden soll. In einem de- terministischen System, das von dem absoluten Sein als der höch- sten Stufe durch verschiedene Stufen herabsteigt, ist es der Grund- anschauung ganz gemäss, dass es auch innerhalb der menschlichen Natur den quantitativen Unterschied eines übernatürlichen und na- türlichen Seins annimmt; der Zustand der Sünde ist die unterste Stufe dieser absteigenden Ordnung, aber auch diejenige, von wel- cher aus das System nun auch wieder in umgekehrter Richtung f0D unten nach oben hinaufsteigt. Der Wendepunkt liegt in der Lehre von Christus.

In der Lehre von der Person Christi ist das Bezeichnendste Ar die Scholastik, dass sie zu der Hirese des Nihilianismus zu /Ihren schien. Darüber wurde sie ja von Walter von St. Victor so hart angegriffen und selbst der Magister der Sentenzen wurde beschuldigt, dieser Hdrese den grössten Vorschub geleistet zu haben. Er hatte ja in seinen Sentenzen den Satz, dass Gott serun- Aim habiium Mensch geworden sei, gar zu problematisch neben andern Meinungen aufgestellt. Der wiederholt auch auf Synoden zur Sprache gekommene Nihilianismus ist seit Petrus Lombardus ein die Scholastik peinlich verfolgender Gedanke, da auch die An- hänger der kirchlichen Lehre nicht wussten, wie sie sich desselben erwehren sollten. Sobald man einmal durch die dialektische Methode sich daran gewöhnt hatte, nach demrBegriff der Dogmen zu fragen, musste sich auch bei der Lehre von der Person Christi sehr einfach herausstellen, dass Gott durch die Menschwerdung nichts gewor- den sein könne, was er nicht zuvor schon oder an sich war, das Verhältniss Gottes .und des Menschen in Christus konnte daher nichts Reales sein, sondern eine blosse Beziehung, etwas blos äusserlich Angenommenes, ein blosser habitus. Darin war, so wenig man es gelten lassen wollte , und sosehr man die Consequenz für * das kirchliche Dogma künstlich zu verdecken suchte, doch der innerste Gedanke ausgesprochen, welcher sich der Scholastik aus ihrer

Zweitt Period«. Dritter Abtthaitt

Analyse desselben ergab. Darüber kann andi Thomas yon Aqnno nicht hinwegkommen. Man erwige in dieser Beziehung nur, wie er in seiner langen dialektischen Erörtemng der Lehre vom dir Person Christi sich aber die beiden Sätze : Deu$ fachu esl harn und hämo factu» est Deui erklärte. Beide Satze sind, ibmi strengen Begriff nach genommen, gleich falsch, sie sind nur wahr, wenn man sie so versteht: factum esf, ui homo aU DeuM. Wts soll diess aber heissen, wenn es nicht der künstlich gesuchte Ausweg ist, am damit za sagen, wenn auch die Menschwerdung Gottes aif keinen bestimmten Begriff gebracht werden kann, sondern den denkenden Bewusstsein nur als eine unhaltbare, sich selbst aaf- hebende Vorstellung sich darstellt, so muss sie gleichwohl als kirch- licher Lehrsatz festgehalten werden. Will man sich also etwas Bih stimmtes unter ihr vorstellen, so kann man an kein reales YerhÜl- niss Gottes und des Menschen denken, sondern nur an etwas A«h loges, an eine äussere Beziehung, in welche die menschliche Malor in Christus zu Gott gesetzt worden ist 0- Die Scholastik gibt sidi

1) YgL Summa theol. F. III. qu. 16. art. 7. Der Satz: hämo JaOm ui DetM, sagt Thomas, könne anf dreifache Weise yerstanden werden, 1. so, dass das Partioip /oc/u« determinet absolute vel subfeetum vel jpraedieatmu In diesem Sinne sind die beiden Sfttse: homofaehu estDew und Detufadm tit homo^ falsch; 2. so, dass das Faxt /actus determinet eompontionemy ui dt eenms, hämo f actus est Deus, id est^ factum estj ut homo iii Dens; in dieica Sinne seien die beiden Sätze wahr, aber es sei diess nicht der eigentliche Siaii dieser S&tze, wenn man nicht unter dem Menschen kein persönliches SultJd^ verstehe. Licet enim hie homo non sit /actus Dens , quia hoc siu^ppoeUms^ twe persona filii Dei ah aeterno fuit Deus, tarnen homoj communiter lo^^uends^ non semper /uit Dens, 3. kann man das Particip /actus auch so verstehes, dass es anf den ierminiu /actionis geht ; so sei aber der Satz falsch , weil, wenn man sagt, homo /actus est Deus^ homo habet personalem eupposUionem» Ein persönliches Subjekt darf man sich aber unter hoTno nicht denken, weil das suppositum der menschlichen Natur der Sohn Gottes ist; da dieser immer Oott war, so ist der Satz falsch. Si veroy setzt Thomas hinzu, esset aH» persona vel hypostasis Dei et homvniSf ita quod esse Deum praediearetuir de homine et e eonverso, per qutmdam conjunctionem suppositorum, vel digmteiii personaKSf vel affectionis vel inhabittUionis, ut Nestoriami dixenmt, timc pari raiione posset diciy quod homo /cbctus est Deusj i, e, conjunctus Deo, sieut et, ^fuod Deus /actus est homo, i. e. conjwnctus homini. Diese letztere Vorstel- lung, durch welche erst ein bestimmter Unterschied zwischen 1 und 3 ent- steht, verwirft Thomas nicht ausdrücklich. Die kirchliche Lehre kann er nur so festhalten, dass er streng zwischen Natur und Person unterscheidet,

CliriitoL cL Thomas. SohoL Lehre t. cLErlöi. mVersShiiiiiig. 381

demnach auch hier nach den beiden Seiten zn erkennen, die an ihr zu nnterscheiden sind , sofern sie auf der einen Seite in ihrer Be« griffsanalyse das Bewusstsein der innem Zusammenhangslosigkeit des kirchlichen Dogma nicht in sich zurückdrängen kann, auf der andern aber in sich fest genug ist, um sich die Ueberzeugung von der objektiven Wahrheit des kirchlichen Dogma nicht erschüttern zu lassen. Bedenkt man aber sodann, aus welchen Elementen hier die Person Christi construirt wird , wenn das Menschliche in ihm der abstracto Begriff einer unpersönlichen Natur und diese Natur selbst wieder die Trägerin von Eigenschaften sein soU^ die ohne ein persönliches Subjekt nicht gedacht werden können, und welche Vorstellung man sich von dem Selbstbewusstsein dieses Christus machen soll, wenn sein Wissen sich nicht blos in ein göttliches and menschliches, sondern auch das menschliche in drei verschie- dene Formen sich theilt, als das Wissen der Seligen, als das ein* gegossene oder apriorische und das empirische Wissen, in welche ihalracte transcendente Feme wird die Person Christi und alles, was sie Menschliches an sich hat, hinausgerückt!

In der Lehre vom Werke Christi oder von der Erlösung und Tersöhnung hat Anselm einen sehr wichtigen Fortschritt dadurch getfcan, dass er das Dualistische, das in der Gottesidee durch die Beziehung des Todes Jesu auf den Teufel noch stehen geblieben war, aufhob und, indem er den Tod Jesu einzig nur auf Gott und die göttliche Gerechtigkeit bezog, unter diesem Gesichtspunkt die von Christus als dem Gottmenschen geleistete stellvertretende Ge* nngihuung als einen aus der innern Nothwendigkeit der Sache selbst sich entwickebiden Process auffasste. In keiner andern Theorie stellt sich die Erlösung und Versöhnung sosehr in ihrer reinen Ob- jektivität als die nothwendige Vermittlung zwischen Gott und den Menschen dar, wie in der Anselm'schen Satisfactionslehre. Aber die von Anselm behauptete Nothwendigkeit gaben schon die zu- nächst folgenden Scholastiker nicht zu, indem sie es mit ihrer Idee der göttlichen Allmacht nicht vereinigen konnten, dass Gott auf keinem andern Wege als gerade nur auf diesem die Befreiung der

das Menschliche in Christus sei nur eine menschliche Natur nicht aber ein menBehliches Subjekt gewesen. Deus dicitur f actus homOf eo quod humana natura vneepit esse in supposito divmae natu/rae^ ah aeterno praeexistevUe (art 6). Was ist aber diess anders als eine rein abstrakte Menschwerdung?

33t Eweite Perlode. Dritter Abtohnitt

Menschen von der Schuld der Sünde hfitte bewirken können. Wem also auch dieser Weg der in jeder Bezfehang schicklichste mri zweckmässigste war, so war er doch nur ein freigewihlter und willkürlicher, und die scholastische Dialektik brachte es auch hier in ihren Argumenten zu keiner so zwingenden Evidenz, dass sie nicht selbst hfitte gestehen müssen, es könne ebensogut auch anders gewesen sein, als sie meinte, dass es sein müsse. Ihre höchste Idee war in letzter Beziehung doch immer wieder eine über alles übergreifende Allmacht und Willkür Gottes. Soweit hielt jedodi auch Thomas die objektive Nothwendigkeit der Anselm'schen Satta^ hctionsidee fest, dass er die unendliche Schuld nur durch ein un- endliches Verdienst, oder nur durch eine nicht blos zureichende, sondern noch überschüssige Satisfaction getilgt werden liess. Eigen- thümlich ist dem Thomas in Gemfissheit seines Systems, dass er neben der Satisfactionsidee Christus vorzugsweise unter den Ge- sichtspunkt des Verhältnisses stellte, in welchem Haupt und Glieder zu einander stehen. Christus hat die Gnade nicht blos als einzehie Person, sondern als Haupt der Kirche, damit sie von ihm in die Glieder ausfiiesst, desswegen beziehen sich seine Werke sowohl auf ihn als auf seine Glieder und er hat durch sein Leiden nidit blos sich, sondern auch allen seinen Gliedern das Heil yerdient Die Kirche ist ein mystischer Leib, zu welchem nicht blos die Mei- schen, sondern auch die Engel gehören, das Haupt des Ganzen ist Christus, weil er Gott naher steht auch als die Engel. Innerlich fliesst alle Gnade nur von ihm aus, sofern seine Menschheit wegen ihrer Verbindung mit der Gottheit die virtus juatificandi hat, äos- serlich kann sie aber auch durch Andere in die Glieder der Kirche einfliessen. Es ist daher schon hier der Ort, wo der Papst seine Stelle findet, als Haupt der ganzen Kirche für die Zeit seines Pon- tificats und für den Stand, in welchem der Mensch als Wanderer sich befindet 0*

Ueberhaupt schliesst sich hier die Reihe der Dogmen an, in welchen das Dogma am unmittelbarsten in das Gebiet der Hier- archie eingreift, da beide sich auf dasselbe Objekt beziehen, die Kirche. Das Dogma hat den Begriff und das Wesen der Kirche theoretisch zu bestimmen, für die Hierarchie ist es der Gegenstand

1) Summa theol. P. III. qn. 48 und 8.

Lehre des Thomas toh der Kirche^ und Gnade. 333

ihrer praktischen Aufgabe, sofern sie in dem Regiment der Kirche besteht Daher folgt in der theologischen Summe des Thomas auf die Lehre von dem Werlie Christi unmittelbar die Lehre von deU: Sakramenten. Was Christus an sich durch sein Leiden verdient hat, sollen die Sakramente in die Kirche als die Gemeinschaft der Glaubigen hinüberleiten und in ihr die Wirkungen hervorbringen, durch welche der Zweck seines Werkes, die Wiederherstellung der Menschen sich realisirt Da aber das, was in der Kirche im Grossen und im Ganzen geschieht, dasselbe ist, was an jedem Einzelnen *geachieht, so fragt sich vor allem, wie überhaupt die Wiederher- stellung des Menschen, sofern sie darin besteht, dass er aus dem Zustand der Sünde in den Zustand der Gnade versetzt wird, mögr lieh ist. Davon hat Thomas schon in dem ethischen Theil seines Systems gehandelt, in der Pars prima »ecundae, wo er qu. 109 Abergeht auf die Lehre de exteriori principio hum'anarum actuum, utiieet de Deo, prout ab ipso per gratiam adjuvamur ad recU offCHiiifmy und die beiden Fragen voranstellt, ob der Mensch ohne die Gnade etwas Wahres erkennen und ohne die Gnade etwas Gutes thon oder wollen kann. Da aber die Gnade ihre reale Bedeutung « erst durch die Lehre von Christus erhält, so ist hier anticipirt, was. erst in der weitern Entwicklung des Systems dogmatisch begründet werden kann , und es kann daher die Lehre von der Gnade ihre Stelle nur zwischen der Lehre von Christus und der Lehre von den Sakramenten finden.

Die Lehre des Thomas von der Gnade trägt ganz den deter- ministischen Charakter seines Systems an sich, sie kann daher auch nicht verstanden werden, ohne dass man auf die Grundanschauung desselben zurückgeht Die Gnade ist das Mittel zur Erlangung der Seligkeit; das Wesen der Seligkeit aber setzt Thomas in die intel- lectuelle Natur des Menschen, sofern alles, wornach der Mensch strebt, für ihn vor allem ein Objekt seines Vorstellens sein muss ^).

1) Prima sec. qu. 3. art 4. : a principio volwmua eonsequi ßnem irUeUi* günlemf conaequimur autem ipsum per hoc quod fit praesens nobis per octtufi inteüecHUf et twnc vohmtas deUctaia conquiesdt infine jam adepto, Sieigitur esserUia heatitudinis in actu intellecttta consistitf sed ad voluntatem pertinet deleetatio beatitudinem eonseguens. Vgl. Art. 5. : Opüma potentia est inteU leeiuSf cujus ohjectum cptimum est bonum divinum ^ quod quidem non est ob^ jeetum praetici intellecius, sed speculativif unde in tali operatione^ scilicet in eoniemplatume divwiorunif maxime eonsistit beatitudo»

S84 Zweite Periode« Dritter Abeclmiti

Wie überhaupt das YorateUanga- ond Erkenntniaarennftgen dai Hdchate iat, ao kann die vollkommenate Seligkeit nur in der An- achaunng dea göttlichen Weaena beatehen; Gott aber aeinem Weaei nach za sehen, geht nicht nur Aber die Natur deaMenachen, sondern überhaupt über allea Creatürliche unendlich hinaus 0* Steht aonit der Mensch an aich aeiner Natur nach in einem inadäquaten Yer- hältniaa zu dem Objekt aeiner Seligkeit, so kommt noch besonders in Betracht, dass er im Zustand der natura carmpta noch weniger vermag als im Zustand der natura inteffra. Ea musa daher zu Atm natürlichen Vermögen ein durch die Gnade geachenktea hinzukoiH * men, und zwar im Status naturae integrae, um daa damon ntper* naturale, daa auch für die natura Me^a kein ihr proportionirtea, aondern ein superexcedens ist, zu bewirken und zu wollen, im af o/tia der natura carrupta aber vor allem dazu, daas aie geheilt wird. Ausserdem jedoch hat der Mensch für beide Status eine gött- liche Hülfe nöthig, um zum Thun des Guten bewegt zu werden, da auch der freie Wille sich nicht bewegen kann, wenn er nicht \m Gott als der ersten bewegenden Ursache bewegt wird 0* Es g0* hört diess noch nicht zur eigentlichen Lehre von der Gnade, da ea die allgemeine Voraussetzung für die Thätigkeit des Willens über- haupt iat. Auch dazu iat noch keine Gnade nöthig, dass der HenaiA Gott über alles liebt 5 da Thomas diess als etwas für den Menschei wenigstens im Status naturae integrae natürliches betrachtet *> Ohne die Gnade aber kann der Mensch das ewige Leben nicht ver- dienen, weil er nicht im Stande ist per sua naturalia hervorzu- bringen Opera meritaria proporiianata titae aetemae; dazu ge- hört eine höhere t^tus, die rtr^ua gratiae, welche, sofern der Wille durch sie vorbereitet wird ad bene operandum et ad Des fhiendum, als das immanente Princip des opus meritorium das donum habituale gratiae ist, das keine weitere Vorbereitung des Willens voraussetzt, sondern einfach auf dem auxüium gratuüum

1) Qn. 5. art 5.

2) Qu. 109. art 2.

3) So tief setzt Thomas das Wollen unter das Erkennen, das Ethische unter das Intellectuelle, dass er sagt art 3.: DUigere Deum super omma est guiddam connaturale homini et eticm*. cuilibet ereaturae non solum ratio- naU sed irrtttumcUi et eiiam inanimatae sectmdum modttm amoris, qui unl- cuique ereaturae competere jpotest. Es ist somit nnr der allgemeine Zag der Creator asum Sohöpfer, wofür sich Thomas auf den Areopagiten beruft

Lehre des Thomas Ton der Gnade vod Beohtfert S8ft

Ilei mieriuM anbnam maveniii beruht 0* Di® Wirkiamkeil der Gnade ut nichto anderes als die dorch alleMütelnrsaclien hindurclH' gehende und in ihnen im Grunde allein wirkende absolote gdttlicht Caasditat Auch in Ansehung des freien Willens, bei welchem Thomas auch daran erinnert, dass der Wille durch den Verstand bedingt sei, hangt alles an der prima moiio Dei; nur diess macht einen Unterschied, dass nach derselben quantitativen Anschauungs*- w^ae, nach welcher sich hier überhaupt alles in höhere und nie- dere Stufen theilt, die Wirkungen der in der Form der habituellen Gnade wirkenden göttlichen Causalität nach der Verschiedenheil der Stufen, aufweichen die einzelnen Subjekte stehen, Terschie* dener Art sind. Wie es nach der platonischen Weltanschauung zur Vollkommenheit der Welt gehört, dass sie alle möglichen Grade dea Seins in sich begreift, deren Einheit und Mannigfaltigkeit ästhe- tisch betrachtet auch die Schönheit des Universums ist, so theilt öott auch die Geschenke seiner Gnade auf verschiedene Weise aus« danit aus der Verschiedenheit der Stufen die Schönheit und Voll- komenheit der Kirche entstehe 0- Di® allgemeine Wirkung der &ade ist die jtutificatio des Menschen. Sie soll den Menschen in das adäquate Verhältniss zu Gott setzen ^ oder ihn aus einem Un- gerechten zu einem Gerechten machen. Thomas beschreibt sie daher als eine transmutaiio aus dem einen Zustand in den andern, oder als einen motug de contrario in contrarium, sie ist eine Be- wegung, die von der Sünde als dem terminua a quo zu der Ge- rechtigkeit als dem ierminua ad quem fortgeht. Hinwegkommen kann der Mensch von der Sünde nur durch die remiaHo peecati, diese selbst aber hat zu ihrer Voraussetzung die infimo gratiae; die Schuld, in deren Erlassung die remiaaio peccati besteht, ist solange da, solange nicht an ihre Stelle die Gnade tritt; beide, die remMsto peecati und die infiiüo gratiae, verhalten sich zu einan- der wie Negatives und Positives , das Negative aber ist durch das Positive bedingt: nur in dem Verhältniss, in welchem das Positive

1) Art. 5. 6.

2) Qu. 112. art. 4,: Prima causa dwertitatis aeeipienda est ex parte ipdue Dei, qui diversimode suae gratiae dona diepemat ad hoe, quod em dhereie grad^bm pulchritudo et petfectio ecaienae eansurgat^ eicut etiam «K- venoe gradui rerwn inetituit, ut esset Universum perfectwn.

836 Zweite Period«. Dritter Abiehiiitt

der Gnade dt ist, ist das Nejratiye der Sünde nicht da 0* Dio infiiä$ gratiae selbst aber geschieht durch einen motu$ liberi arbUrä, und dieser moiu$ mnss ein motug ftäei sein, sofern das Gemüth vor allem anf Gott als das Objekt der Seligkeit und die Ursache der juitificatio hingerichtet werden muss. Vollendet ist die Bewegung und das Ziel der ju$tificatio erreicht in der remiaia peccaii oder cuipae, die als solche auch die infinio gratiae ist, und so successif die Reihe aller dieser Momente ist, so geschieht doch die ju$iifieath selbst nicht successiv, sondern in Einem Moment, sofern sie we- sentlich oder originaliter in der infusio gratiae besteht, dnrek welche der freie Wille bewegt und die Schuld erlassen wird.

Wie in diesem System, so determinirt alles ist, doch von einem freien Willen die Rede ist, so ist es nur consequent, wenn Thonai auch den Begriff des Verdienstes nicht fallen lassen will , so wenig man auch begreift, was hier unter einem Verdienst von Seiten dei Menschen verstanden werden soll. Das Verdienst beruht auf des Begriff der Gerechtigkeit Da aber zwischen Gott und dem Men- schen ein unendlicher Abstand ist und der Mensch alles Gute nur ▼on Gott hat, so findet hier kein absolutes Gerechtigkeitsverbältnte statt, sondern der Begriff der Gerechtigkeit kann nur in einem sek relativen Sinn genommen werden, sofern einem bestimmten Maaii der dem Menschen von Gott verliehenen Kraft eine bestimmte Wii^ kung entspricht Ohne Verdienst kann das ewige Leben nicht er- langt werden, aber das Verdienst kann aus einem doppelten Ge- sichtspunkt betrachtet werden, je nachdem man es auf den freies Willen oder auf die Gnade des heiligen Geistes bezieht Das eine ist das meritum ex condtgtio, das andere das ex congrua, die Unterscheidung selbst aber ist rein illusorisch. Ist die Gnade oder der heilige Geist das wirkende Princip, so versteht es sich von selbst, dass die Kraft in dem vollkommen adäquaten Verhältniss zu

1) Das erste in der Reihe dieser Momente ist daher die infasio gratiae qu. 13. art. 8.: Naturali ordine primum in justifieatione impii est gratiag infuno (als die motio ipsius fnoventis), secwndum est motus liberi arhürii in DemHy tertium vero est motus liberi arbitrii in peccatum, Fropter hoc enim iUe qui jusiifieatur detestatur peccatum ^ quia est contra Deum^ v/nde motM Kberi arbitrii in Deum praeeedit naturaUter motum Uberi arbitrii in peceatm^ cum sit causa et ratio ^jus, qu€urtum vero et ultimum est remiuio et^poe, ad g[uam tota ista transmutatio ordUnatur ticui ad ftnem.

Lehre des Thomas ron der Gnade n. d. Saoramenten. 837

der Wirkung steht, somit eine condignitaa stattfindet;. welche Art des Terdienstlichen Wirkens kann aber dem Willen zugeschrieben werden, wenn er die blosse Form ist, durch welche die Wirksam- keit der Gnade vermittelt wird?0 Auf dieselbe Weise verhält es sich mit der Unterscheidung verschiedener Arten der Gnade, unter welchen nur diejenige einen bestimmteren Sinn hat, die zwischen der graiia gratum faciena und der gratia gratis data gemacht wird, sofern es dem Charakter des Systems gemäss ist, dass die Wirksamkeit der Gnade für die Einen durch die Andern vermittelt wird '3- In Beziehung auf den Menschen für sich ist es immer die- selbe schlechthin wirkende Gnade , zu welcher sich der Wille rein passiv verhält; denn was will es heissen, wenn die gratia Operons setn soll, sofern der Wille durch sie innerlich bewegt wird, coope^ ran$ aber sofern der innerlich bewegte Wille nach aussen wirkt? Ke gratia Operons und cooperans verhalten sich auf dieselbe Weise n einander wie die fides informis und formata. Wie die Bewe- güg des Willens durch die Gnade sich auch nach aussen erstrecken and wohlthätig wirken muss , so erhält der Glaube seine Form erst dorch die Liebe, das Princip des auf das Gute als den Endzweck gerichteten WoUens und Handelns.

In der Lehre von den Sacramenten geht die Wirksamkeit der Gnade aus der Sphäre des individuellen Lebens in die des gemein- samen über, um sich hier in der ganzen Mannigfaltigkeit ihrer die Erlangung des Heils vermittelnden Formen auszubreiten. Zur Zeit des Thomas war die Lehre von den Sacramenten schon so ausge- bildet, dass sie Thomas nur vollends abzuschliessen und zu dem eigenthümlichen Charakter seines Systems in nähere Beziehung zu setzen hatte. Da die Sacramente nach der scholastischen Vervoll- ständigung der augustinischen Definition nicht blos zum significare, sondern auch zum sanctiflcare bestimmt sind, so musste diess der

1) Qu. 114. art. 8. Videtur congruum ut homini opercmti secmidum iturni virtutem Dens reeompenset secundum excellentiam mae virtutis.

2) Qu. 111. art. 1. Duplex est graiia: una quidemf per quam ipse hämo Dto conjungiiur, quae vocatur gratia gratum fadenSy altera vero, per quam unus homo cooperatur dlteri ad hoc, quod ad Deum redueatv/r. Diese letztere heisst die gratia gratis data, -weil sie mpra facuiteUem natwrae et supra meriiwn personae homini conceditur, nicht gratum fa^ens, weil sie nicht dazu gegeben wird, ut homo ipse per eam justißcetur , sed potius ut ad juitißealianmn aUerius cooperetur.

Baur, X.a. d. MittoliU«nu 22

338 Zweite Periode. Dritter Abtehnltt

leitende Gesichtspunkt sein , um sowohl die Art und Weifle ihres Wirkens als auch das Yerhaltniss der verschiedenen Sacramente zu einander zu bestimmen. In ersterer Beziehung gab Thomas den BegriflP des Sacraments die intensivste Bedeutung dadurch , dass er in den Sacramenten, die sich zu Gott als der causa prmdpaUs wie die causa instrumentalis verhalten, eine immanente äbematurliche geistige Kraft annahm. Sie sind also nach derselben Anschauung, nach welcher man von einer Infusio gratiae s^rtich^ gleichsam die Kanäle, durch welche die Gnade sich ergiesst und nach verschiedenen Ridn tungen sich verbreitet Durch die Verschiedenheit dieser Richtangen wird der Umfang der sacramentlichen Gnade bestimmt. Die Zahl der Sacramente hatte sich allmählig so vermehrt, dass die SiebenzaU seit Petrus Lombardus schon zur stehenden geworden war. Dei Thomas war es vorbehalten, die Sacramente als einen Kreis heiliger Handlungen darzustellen, deren Einheit und Totalitat unmiUeUMr mit ihrem Begriff gegeben ist. Die Sacramente der Kirche habea die doppelte Bestimmung, sowohl den Menschen in allem , was sidi auf die Verehrung Gottes bezieht, zu vollenden, als auch ein Heil- mittel gegen den Defect der Sünde zu sein. In dieser doppeltet Beziehung werden schicklich sieben Sacramente angenommen, di das geistige Leben dem körperlichen conform ist. Im körperlichei Leben erhält man die Vollendung auf doppelte Weise, in Beziehuf auf sich und in Beziehung auf die Gemeinschaft mit Andern, und ii ersterer Beziehung ist wieder das Doppelte, dass man entweder ai sich eine gewisse Vollkommenheit des Lebens erlangt, oder per accidensy durch Entfernung der Lebenshemmungen. An sich wird das körperliche Leben auf dreifache Weise vollendet 1. durch die Geburt, durch die der Mensch zu sein und zu leben anfängt, was im geistigen Leben die Taufe als geistige Wiedergeburt ist; 2. dorcb das Wachsthum, wodurch man zu vollkommener Quantität und Kraß gelangt, das Sacrament der Confirmation; 3. durch die Ernährung, durch welche im Menschen Leben und Kraft erhalten wird , das Sacrament der Eucharistie. Weil aber der Mensch bisweilen nicht blos körperlicher , sondern auch geistiger Schwäche unterworfen ist, der Sünde, so ist desswegen auch Heilung von der Schwachheit nothwendig. Diese ist doppelt, Heilung zur Herstellung der Ge- sundheit, im geistigen Leben die Busse, und Herstellung der vorigen Gesundheit durch angemessene Diät und Uebung, im geistigen Leben

Dedaotion der Siebenzahl der Saorftmente, 339

die letzte Oelung, welche den Ueberrest der Sünden entfernt und den Menschen zur Endesglorie bereit macht. In Ansehung des Ge- sammtlebens, der tota cammumtasy wird der Mensch auf doppelte Weise vollendet 1. dadurch, dasser die Macht und Fähigkeit erhält, die Menge zu regieren und öffentliche Acte zu verrichten, wozu im geistigen Leben das Sacrament der Priesterweihe bestimmt ist; 2. durch die natürliche Fortpflanzung, die durch die Ehe geschieht, sowohl im körperlichen als im geistigen Leben , weil die Ehe nicht Mos ein Sacrament , sondern auch eine Naturpflicht ist. Betrachtet man die Sacramente nach ihrer zweiten negativen Bestimmung, so- fern sie ein Heilmittel gegen den Defect der Sünde sein sollen , so hil auch in dieser Beziehung ihre Siebenzahl ihren Grund in sich selbst. Die Taufe ist bestimmt gegen den Mangel des geistigen Lebens, die Confirmation gegen die Schwachheit der Seele, wie sie in Neugeborenen sich findet, die Eucharistie gegen die Hinfällig- kdl der Seele zum Sündigen, die Busse gegen die wirkliche Sünde, wenn eine Sünde begangen ist, die letzte Oelung gegen die Ueber- reste der Sünde, die durch die Busse nicht hinlänglich getilgt sind, entweder aus Nachlässigkeit oder aus Unwissenheit, die Priester- weihe gegen die Auflösung der Menge; die Ehe ist ein Mittel gegen die persönliche Begierde und gegen den Defect der Menge> der durch den Tod entsteht Einen weiteren Gesichtspunkt, unter wel- chen die Siebenzahl der Sacramente gestellt werden kann, geben die sieben Tugenden, die drei theologischen und die vier Cardinal- tugenden. Dem Glauben entspricht die Taufe als Mittel gegen die Erbsünde , der Hoffnung die letzte Oelung als Mittel gegen die er- Idssiiche Schuld, der Liebe die Eucharistie im Gegensatz gegen das Strafbare der Bosheit , der prudentia die Priesterweihe als Mittel gegen die Unwissenheit, der jut/ilia die Busse als Mittel gegen die Todsünde, der temper antta die Ehe als Mittel gegen die sinnliche Lust, der fortitudo die Confirmation als Mittel gegen die Schwäche

Bei den einzelnen Sacramenten zeichnet sich die Darstellung des ^Thomas dadurch aus, dass sich in ihr ebensosehr der de- tonninistische als der acht katholische Charakter seines Systems ausdrückt

Durch die Taufe wird zunächst und vorzugsweise die Schuld der Erbsünde getilgt, aber auch überhaupt alle Schuld und Zurech-

1) P. 111. qu. 65.

22»

Ü40 Zweite Perlode. Dritter Absehnitt

nung der Strafe aufgehoben, weil die Taufe den Getauften den Leiden und Tod Christi, der die hinreichende Genugthnung für die Sünden der Menschen ist, so einverleibt, wie wenn er selbst fär alle seine Sünden hinreichend genug gethan hätte. Auch die, die nack der Taufe sündigen, werden dem Leiden Christi durch etwas, was sie als Strafleiden auf sich zu nehmen haben, configurirt, sie müssen also zwar für diese Sünden selbst genugthun, aber durch ein Leiden, das weit geringer ist, als sie durch ihre Sünden eigentlich verdient hätten, weil die Genugthuung Christi cooperirt. So wird dem Sünder immer nur so viel erlassen, dass er seiner Sünden nie ganz los «nl ledig wird, sondern immer noch etwas bei ihm zurückbleibt, wom die Kirche sich halten kann , um ihn in ihrem Interesse selbst aueh noch etwas thun zu lassen^ Gnade und Tugenden aber werden des Getaufken als einem Christus einverleibten Gliede zu Theil.

Das Sacrament der Confirmation wird hauptsächlich auf die Zweckmässigkeit gegründet, den Menschen auf der Lebensstufe, aif welcher er in das reifere Alter eintritt, mit einer neuen. Gnade aus- zustatten, der Macht das zu thun, was sich auf den geistigen Kampf gegen die Feinde des Glaubens bezieht; daher wird in diesem Sa- crament ein Charakter aufgedrückt.

Das vorzüglichste unter allen Sacramenten ist das der Eucha- ristie, da in ihm Christus selbst substanziell enthalten ist, während in den andern nur eine an Christus participirende instrumentale Kraft ist ; auch beziehen sich alle andern Sacramente auf dieses ab ihren Endzweck. Auch Thomas legt daher das Hauptgewicht auf den Begrifl^ der Verwandlung, welchen er im Sinne einer convenio so festhält, dass er sie sowohl dem Bleiben der Substanz von Brod und Wein als auch der Vernichtung derselben entgegensetzt. Bleiben kann die Substanz von Brod und Wein nicht, weil sonst der Leib und das Blut Christi nicht da wäre, weil nichts irgendwo sein kann, wo es zuvor nicht war, ausser durch eine Veränderung des Orts oder die Verwandlung von etwas Anderem. Eine locale Bewegung des Leibes Christi dürfe man sich aber bei diesem Sacrament nicht denken, weil Christus sonst aufhörte, im Himmel zu sein , und weil es unmöglich sei, dass ein Körper durch eine und dieselbe locale Bewegung an verschiedene Orte kommt. Ebenso wenig ist an eine Vernichtung oder Auflösung in die vier Elemente zu denken, weil auch diess keine Verwandlung wäre. Da die Verwandlung darin

Sacram. der Taafe, Gonfirmation, Eaoharistie. 341

besteht, dass die Substanz eine andere wird, während die Acci- denzien bleiben, so ist hier das Eigene, dass es Accidenzien gibt ohne einSubject, dessen Eigenschaften sie sind. Allein diess ist nichts Anderes als das Wesen des Wunders , wie Thomas den Be- griff desselben bestimmt. Wie ein Wunder entsteht, wenn etwas ohne die Vermittlung der secundaren Ursachen unmittelbar durch die erste Ursache bewirkt wird , so werden hier die Accidenzien YOnBrod und Wein ohne ihr eigentliches Subject, als die secundare Ursache , von Gott in ihrem Sein und Bestehen erhalten 0* Das Wunder der Transsubstantiation hangt somit von der allgemeinen Frage ab, wie überhaupt in einem System, in welchem Gott und Sota wesentlich identische Begriffe sind, ein Wunder möglich ist, ob es nicht blos der subjectiven Betrachtungsweise anheimfallt, die Dinge nicht sowohl von den secundaren Ursachen als vielmehr nur von der primären sich abhängig zu denken. Aber auch noch von tiner andern Seite droht die Transsubstantiation eine rein illusorische in werden. Thomas untersucht auch die Frage, ob die fractio bei dem Sacrament eine wahre oder blos scheinbare sei, und be- faraptet, sie müsse eine wahre sein, weil das, was bei dem Sacra- ment in die sinnliche Anschauung fällt, keine blosse Sinnentäuschung sein könne. Ebenso gewiss sei aber, dass der wahre Leib Christi idcfat gebrochen werden kann, da er incorruptibel und impassibel and in jedem Theil ganz enthalten ist, das Subject der fractio könne daher nur die dimensive Quantität des Brods als eines der Acciden- aien sein. Wie die apeciea aacramentales ein sacramentum des wahren Leibs Christi seien, so sei die fractio hvjusmodi specierum ein ßacramentum dominicae paasionisj quae fuit in corpore Christi vero 0- Wenn somit das, was am Brode geschieht, nur ein BiM den am wahren Leib Geschehenen sein soll, warum soll nicht überhaupt

1) Qu. 77. art. 1.: Äcddentia in hoc sctcramento maneni nne siU>jectOf quod quidem virtute divina fieri potest : cwm enm effectus magis dependeat « causa prima, quam a causa seeunda, DeuSj qui est prima causa substantiae et €iecidentis , per suam infinitam virtutem conservare potest in tsse acddens subtracta substantiaj per quam conservabatur in esse sieut per proprium causam, sicut etiam alios effectus naturaliwm causarum polest producere sine naturalibus causis , sicut corpus humcmum formavit in utero virffinis sine viriU semine.

2) Qu. 77. art. 8.

34S Zweite Periode. Dritter Abeohnltt

das Brod blos bildlich der Leib Christi sein? Und wie kann der Leib genossen werden, wenn er nicht gebrochen wird? Won ist die Substanz des Leibes da, wenn nicht der Gennss ein substanzieller und ein solcher ist, wie der Genuss jeder andern Substanz?

Wie das Dogma dem Interesse der Hierarchie sich unter- ordnete und dienstbar machte, zeigt bei dem Sacrament der Eucha- ristie noch besonders die scholastische Rechtfertigung der Sitte dar Kelchentziehung. Es war schon seit Petrus Lombardus stehender Lehrsatz, dass in jeder der beiden Gestalten der ganze Chrislas ent- halten sei 0. Diess schien die Einheit des Sacraments zu erforden, da ja das Subject des einen Elements wie des andern nur der Eine Christus war. Wenn also auch das Sacrament in zwei Gestalten empfangen wurde , so sollte dadurch zwar gezeigt werden , das Christus die ganze menschliche Natur angenommen habe, um sie ganz zu erlösen, weil das Brod sich auf das Fleisch bezieht nnd der Wein auf das Blut oder die Seele , sofern der Wein Blut erzeugt und das Blut der Sitz der Seele ist ; aber jede der beiden GrestaHen sollte nur dieselbe Bedeutung haben , wie die der andern ^. Um der ganze Christus, d. h. die drei Substanzen , aus welchen er b^ steht, Gottheit, Seele und Leib, in jeder der beiden Gestallen ent- halten sei, behauptet auch Thomas, er unterscheidet jedoch in Hin- sicht der Art und Weise, wie Christus in dem Sacrament iil, zweierlei. Christus ist in dem Sacrament einmal kraft des Sacn- ments, dann aber auch in Folge der natürlichen Concomitanz. Kraft des Sacraments ist in den Gestalten desselben zunächst das, in was die Substanz von Brod und Wein unmittelbar verwandelt wird, ver- möge der natürlichen Concomitanz ist auch das realiter damit

1) Diess war jetzt der orthodoxe Aasdruck. Vgl. Sent 4. dist 10.: eonstat verum corpus Christi et scmguinem in aUari esse, immo inteffrun Christum ibi suh utraque specie. Es sollte ja der lebendige beseelte Leib des in den Himmel erhöhten Christus sein, als oder leibhaftige Christus selbst Früher hatte man blos von Brod und Wein als dem Leib und Blut Christi gesprochen. Geschah es vielleicht, seit Berengar der Transsubstantiatioins- lehre ihre p<»rtiwnculas camis vorgehalten hatte, dass man jetzt auf die Einheit drang, die nur der persönliche Christus selbst sein konnte ? In jedem Fall ist diess ein nicht unwesentliches Moment der Ausbildung der Tnuu- substantiationslehre, von welchem mehrere Bestimmungen der scholastischen Lehre abhängen.

2) Petrus Lomb. Sent. P. IV. Dist 11.

Sacram« d. Eacharistie. Kelchentziehnng, Messopfer. 343

Verbundene in denselben; wo also der Leib ist, ist auch das Blut oder die Seele und umgekehrt, und wo diese beiden sind, ist auch die Gottheit. Gleichwohl ist es nicht umsonst, dass der ganze Christus in zwei Gestalten enthalten ist, es wird dadurch das Leiden Christi, in welchem das Blut vom Körper getrennt war, anschau- licher repräsentirt; es ist für den Gebrauch des Sacraments ange- messen , dass der Leib als Speise , das Blut als Trank ausgetheilt wird, und es dient so das Eine zum Heil des Leibes, das Andere sum Heil der Seele. Darauf beruht sodann der Satz, dass die Voll- kommenheit des Sacraments keineswegs den doppelten Genuss von Seiten der Laien erfordert. Die Vollkommenheit des Sacraments igt nicht blos nach dem Genuss der Empfangenden , sondern auch mch dem zu beurtheilen, was der Priester dabei thut Der das Sftcraroent consecrirende Priester darf zwar auf keine Weise den Leib ohne das Blut nehmen, von Seiten der Empfangenden aber ist ÜB grösste Ehrfurcht und Vorsicht nöthig, dass nichts zur Beein- trichtigung des Mysteriums geschehe, was besonders bei dem Em- pAmg des Bluts leicht der Fall sein könnte, da in der grossen Menge des Christenvolks nicht alle so viel Discretion haben. Die Laien können daher den Leib ohne das Blut empfangen, ohne dass daraus etwas Nachtheiliges entsteht, weil der Priester im Namen aller das Blut darbringt und geniesst und in beiden Gestalten der ganze Christus enthalten ist 0*

In dem Messopfer sieht zwar Thomas eine bildliche Darstellung des Leidens Christi als des wahren Opfers; es ist diess aber nur die eine Seite der Betrachtung, was die Wirkung des Leidens Christi betrifft, sofern wir durch dieses Sacrament der Frucht des- selben theilhaftig werden: proprium est hutc sacramento, quod in efus celebratione Christus imtnoletur.

Noch enger als in dem Sacrament der Eucharistie greift indem der Busse Dogmatisches und Hierarchisches in einander ein. Kein anderes Sacrament begreift nach der Construction, die schon Petrus Lomb. dem System der katholischen Kirche in dieser Lehre gegeben hat, so Vieles in sich; alle auf die subjective Seite der Heilsordnniig fallende Lehren haben ihren gemeinsamen Mittelpunkt in der Lehre von der Busse. Thomas zieht in dem Commentar zu den Sentenzen

1) P. 111. qu. 76. art. qu. 80. art 12.

344 Zweite Periode. Dritter Absohnitt

ZU derselben auch die Lehre von der Recfalfertigiingi and alles die« erhält eben dadurch, dass es unter den Gesichtspunkt eines Sacri- ments gestellt wird , einen eigenthämlichen Charakter 0* Fasset wir hier hauptsachlich die hierarchischen Elemente des Dogma in*! Auge, so werden wir von der contritio cordia, als dem ersten Thdl des Sacraments, sogleich zu dem zweiten, der confeaaio oriM geWal In der Behauptung ihrer Nothwendigkeit macht sich schon dai Interesse der Kirche geltend. Wie das Leiden Christi, ohne destea Kraft weder das actuale noch das originale peccatum erlassen wird, in uns nur durch die Vermittlung der Sacramente wirkt, so ist auch das zur Erlassung der Schuld bestimmte Sacraroent zm Seligkeit nothwendig, und da der Diener der Kirche das zur Erlas- sung geeignete Mittel nicht anwenden kann, wenn er die Sund« nicht kennt, so ist auch das Bekenntniss zur Seligkeit nothwend]| Vor dem Priester aber muss dass Bekenntniss geschehen , weil der Diener der Sacramente, von welchem die von Christus als dem Haupt in die Glieder ausfliessende Gnade ertheilt wird, nur der ist, der den wahren Leib Christi zu verwalten und die Eucharistie zu con- secriren hat. Vor einem Laien kann man daher nicht beichtes, aber auch der Priester muss nach dem Decret Innocenz HL der eigene eines jeden sein, weil nur dieser das zu thun befehlen kam, was zur Absolution gehört. Die Absolution geschieht durch & Schlüsselgewalt der Kirche , deren lösende Kraft sich unmittelbar nicht auf die Erlassung der Schuld, sondern nur auf die der Strafe bezieht, da das Sacrament als blosses Instrument, wie auch bei der Taufe, zu der Gnade, ohne welche die Erlassung der Schuld nicht stattfindet, nur disponirt. Aber auch die Strafe wird nicht schlecht- hin erlassen, sondern nur soweit, dass bei dem Büssenden immer noch etwas zurückbleibt, woran die Kirche sich halten kann. Darauf bezieht sich die Unterscheidung der ewigen und der zeitlichen Strafe. Die Erlassung der ewigen gibt die Kirche ohne Bedenken zu; aber mit der ewigen ist nicht auch die zeitliche erlassen , über welche erst die Kirche verfügen will. Es verhält sich nemlich mit dem Sacrament der Busse anders als mit dem der Taufe. Bei der Taufe

1) Petrus Lomb. Sent. P. IV. dist. 14—22. Da die Summe des Thomas in der Lehre von der Busse schon nach den ersten quaest. abbricht, so ist sie aus dem Commentar über die Sentenzen ixl ergänzen.

Baoram. cL Basse. Abiol. u. Schlüsself^^walt 4. Kirche. 345

wird die Strafe ganz aufgehoben , weil der Mensch durch die Con- figuration mit dem Leiden Christi wiedergeboren wird und die ganze Wirksamkeit des Leidens Christi , das zur Aufhebung jeder Strafe zureicht, in sich aufnimmt. Da aber die Busse keine Wiedergeburt, sondern eine blosse Heilung ist, so wird durch dk| bei diesem Sa- crament wirkende Schlüsselgewalt nicht die ganze Strafe erlassen, sondern nur etwas von der zeitlichen Strafe, deren reatus auch nach der Absolution von der ewigen Strafe zurückbleiben konnte. Die zeitliche Strafe ist aber nicht blos die, die der Büssende bei der Beichte auf sich nimmt, weil sonst Beichte und Absolution eine blosse Last waren, sondern auch die des Fegfeuers. Auch von dieser wird etwas erlassen 0. Alles diess gehört zu der poteatas ciavium^ wie sie ausschliesslich dem Priester zukommt. Weyn man anch anerkannte, wie diess besonders noch Petrus Lombardus her- vorhob, dass die würdigen Inhaber der Schlüsselgewalt nur die nnd, die sowohl im Leben als in der Lehre Nachfolger der Apostel nad, so sollte doch dadurch das priesterliche Vorrecht des Lösens aad Bindens auf keine Weise beschrankt werden 0. Für das hier- ardiische Interesse ist besonders wichtig die Frage, ob von der satisfactorischen Strafe durch Indulgenz etwas nachgelassen werden kann. Das Recht, das sich die Kirche für die zeitliche Strafe vorbe- halten hat, wird dann erst für den Nutzen der Kirche recht verwen- det, wenn es bei dem Priester steht, auch von der nicht von ihm selbst

1) Vi ndnus a purgatorio ptmitUur absolutua ernte atUitfacHonem deeedetUf quam si ante ahsoluHonem deeederet, Thomas za dist 18. qn. 2. art 3.

2) Dist 19.: Per Dominum tofntum, vel per aanctos, in quibus habitat tpiritus^ sanctusy digne et rede fit renUsgio vel retenHo peecatorum. Fit tarnen et per iUos, qui sancti non mrUf sed non digne vel recte, Dat enim Deue benedictionem digne poaeenti etiam per indignum ministrum. Thomas de- dncirt den Satz, dass sancti homines non sacerdotes den usus elavium nicht haben dist. 19. qn. 1. art. 2. so: cum in actu elavium principale agens eit Chrittua ut Dens per auctoritatem et ut homo per meritumy ex ipsa pleni- tudine divinae honit^itis in eo, et ex perfectione graiiae conaequitw^ quod posiit in actum elavium, aed ?iomo aUus non poteet in actum elavium y eieut per se agene , quia nee ipee ciUeri gratiam , qua remittwntwr peeeata , dare poieet, nee eufficienter mereri, et ideo non est,' niai sicut agens instrumenteile,

Unde et iüe, qui effectum claviwm consequitur, non assirnüatur utenti clavibusy aed Chriato, et propter hoc quantumcunque aMquia habeat de gratia non potest pertingere ad effectum elavium niai applicetu/r ad hoc^ ut minister per ordinia waceptionem.

346 Zweite Periode. Dritter Abschnitt

angesetzten Strafe ein grösseres oder geringeres Ooantum za er- lassen. Die Kraft der Indulgenzen ist allgemein anerkannt, die Frage ist nur, ob lich ihre Wirksamkeit blos auf die Strafen er- streckt, die der Priester dem Bässenden auferlegt, oder ob sie auck von dem reahm der Strafe absolviren, die man im Fegfeuer nadi dem Urtheil Gottes verdient Allein auch das Letztere ist dem Thomas ausser Zweifel, weil dem Apostel Petrus ausdrücklich das Privilegium gegeben ist, dassdas auf Erden Gelöste auch im Himmel gelöst sein soll , und weil ja sonst die Indulgenzen mehr schadm als nützen würden, wenn das, wovon man durch sie frei wird, im Fegfeuer um so schwerer gebüsst werden müsste. Die Indulgeniei müssen daher dieselbe Kraft und Wirksamkeit , wie für das fanm eecleriae, so auch für dBS Judicium Dei haben. Thomas begründet diess durch seine Idee der unitaa corporis mpatici 0- Viele habet durch ihre Busswerke und ihre ungerechten Leiden einen Ueber- schuss über das Maass ihrer Schuld. Die Menge dieser Yerdiemte ist um so grösser, da auch die Wirksamkeit des Verdienstes Chriiti nicht in die Sacramente eingeschlossen ist, sondern in seiner Unend- lichkeit über sie hinausgeht. Da nun die Heiligen, bei welchen eil solches Ueberverdienst von Satisfactionswerken sich findet, mcht bestimmt für diesen oder jenen, der der Vergebung bedarf, sokhe Werke vollbracht haben, sondern gemeinsam für die ganze Kir^ Aach dem Wort des Apostels Col. 1, 24, so sind diese Verdienste ein Gemeingut der ganzen Kirche, über dessen Verwendung an die Einzelnen der zu verfügen hat, der der Menge vorsteht Wie daher Einem die Strafe erlassen wird, wenn ein Anderer für ihn genug- gethan hat, so ist es dasselbe , wenn ihm die Satisfaction eines An- dem zugetheilt wird. Die Indulgenzen hatten, wie aus den Erör- terungen des Thomas zu sehen ist, noch immer das Vorurtheil gegen sich, dass sie mehr versprechen, als sie wirklich leisten. Man hatte von ihnen die Ansicht, dass sie nur so viel wirken, als Glaube und Demuth in ihnen wirken , und man sah in ihnen sogar nur eine pia fraus der Kirche , die durch sie die Menschen zum Gutesthun anlocken wolle, gleich einer Mutter, die dem Kinde einen Apfel verspricht, um es zum Gehen aufzufordern. Thomas verwirft alle Ansichten dieser Art, bei welchen die Wirkung des Ablasses

1) Zu dist. 20. qu. 1. art 3.

IndalgenzeiL Buerament der letA%6B Gelang. ^ 847

nur auf einer subjectiven Vorstelinng bemhen würde, um die Wirk- samkeit der Indulgenzen objectiv so zu bestimmen, dass sich die Quantität der Wirkung nach der Quantität denUrsache richte. Die wirkende Ursache der Indulgenzen ist weder die Demuth des Em- pfieingenden oder sonst etwas, was er thut oder gib|^ noch die Sache, fttr welche die Indulgenz ertheilt wird, sondern nur der Ueberschuss der Verdienste der Kirche; in demselben Maasse in welchem dieser Torwendet wird , erfolgt auch die Erlassung der Strafe. Die Ver«- wendung beruht daher nur auf der Berechtigung, über diesen Schatz zu verfügen, auf der Beziehung dessen, welchem er ertheilt wird, zu dem, der ihn verdiente, wobei die Liebe das Vermittelnde ist, und der Voraussetzung, dass er nach der Intention derer ver- wendet wird , die ihre verdienstlichen Werke zur Ehre Gottes und zum allgemeinen Nutzen der Kirche verrichtet haben, wobei weder ffie Barmherzigkeit Gottes zu sehr in Anspruch genommen , noch fleiner Gerechtigkeit zu viel entzogen wird , indem von der Strafe iddits erlassen , sondern nur die Strafe des Einen dem Andern an- gerechnet wird 0* Dft bei der Lehre von der Busse auch die Zeit n Betracht kommt , innerhalb welcher ein Erfolg derselben noch möglich ist, so verbanden nach dem Vorgang des Petrus Lomb. die Commentatoren seiner Sentenzen schon mit dem Sacrament der Busse die Lehre vom Fegfeuer.

Als fünftes Sacrament lassen die Scholastiker das der letzten Oelung folgen. Wie die Taufe das Sacrament der Eintretenden ist, die Confirmation, Eucharistie und Busse das Sacrament der Fort- schreitenden sind, so ist die letzte Oelung das Sacrament der Austre- tenden. Mit dem Sacrament der Busse scheint das der letzten Oelung dadurch in Collision zu kommen, dass zu der Sündenvergebung, die durch dasselbe ertheilt werden soll, gleichfalls Busse gehört Daher ¥rird der Begriff dieses Sacraments näher so bestimmt, dass es sich nur auf die Defecte einer geistigen Schwäche beziehen soll ').

1) Ideo dicendum, qtwd indidgentiae simpUciter ta/ntum valent, quantum praedieatur, dummodo ex parte dantia sit auetoritctSf ex parte recipienHs eharitas, ex parte eausae pietcu, quae comprekendü honorem Dei et proximi uHlitaitem. Thomas a. a. 0.

2) Thomas zu dist. 23. qu. 1. art. 2.: hoc saeramentum non daiur cofUra defeetu8f quibus spiriiualis vita tollitur^ scüicet peecixtum oriffiruUe et mortakf sed eorUra iUos defectusy quihus homo ynrituaUter infimutiurf ut non haheat perfedtun vigorem ad actus vit€te gratiae i>el gloriae, et hie defeetus nihU

348 ZweitrPeriode. Dritter Abtohnitt.

Die beiden noch übrigen Sacramente , das der Priealerweilie und der Ehe, beziehen sich nicht auf das persönliche Leben, sondera das Gesammlleben der Kirche, um es sowohl geistig als materiell ii seinem Bestehen zu erhalten.

Bei der Beitimmung des Begriffs des ordo kann Thomas nlcU umhin, die Unterordnung, die zum Begriff des ordo gehört, gegen die Idee der allgemeinen christlichen Freiheit zu rechtfertigen ; er sieht aber darin nur einen Reflex seiner allgemeinen Weltanschau- ung, Tormöge welcher die Schönheit der Kirche eben darin besteht, dass das Eine durch das Andere vermittelt wird. Es ist daher eine indem allgemeinen Naturgesetz begründete göttliche Ordnung, dan es solche gibt, durch welche die Sacramente Andern mitgetheilt werden. Das Sacrament des ordo gehört unter diejenigen, welchi; da sie nicht wiederholt werden können, dem, der sie empfängt, einei eharacter indelebilia aufdrücken. Daher kommt es auch dabd nicht auf die Heiligkeit des Lebens an ; denn diese kann verlom gehen, während der einmal erhaltene ordo unverlierbar bleik Wie der ordo dem Ordinirten einen eigenthümlichen Standescha- rakter verleiht, durch welchen er sich von allen Nichtordinirtet unterscheidet, so theilt sich der ordo selbst wieder in verschiedeoe ordinei, deren es sieben sind nach der siebenfachen Gabe des hei- ligen Geistes. Die höchste Stufe ist die potestas epiacopalia, die aber von dem ordo sacerdotalia nicht so verschieden ist, dass A etwas wesentlich Anderes wäre. Man niuss bei dem Priester zwa Acte unterscheiden, einen prinzipiellen, der in der Consecration des wahren Leibs Christi besteht, und einen secundären, vermöge dessen die Gemeinde zur Aufnahme dieses Sacraments vorbereitet wird. In ersterer Beziehung hängt der Priester nur von Gott ab, in letz- terer aber kann er nicht lösen und binden ohne durch die Juris- diction eines Vorgesetzten, welche die, die er zu absolviren hat, ihm unterordnet, dazu berechtigt zu sein. Insofern steht daher die jfO' teitas epiacopalis über der aacerdotalis. Auf dieselbe Weise ver-

6it cdiudf quam quaedam dehüitaa et ineptUudo, quae in nobis relinqttüurex peccato ctctuali vel origincdi , et contra hanc debilitatem homo rohoratur jper hoc sa^iratnentvm : sed quia hoc robur gratia faxüty quae secum non compatitur peecaium, ideo ex coruequenti, si invenü peccatwm aliquod vel mortale vel veniale, quoad ctUpam toUit ipsam, dumm^do non ponatur obex ex parte rt- dpientu (wie aach bei der Eucharistie und Confirmation).

Saorament des ordo und de» Ehe. 849

hält es sich auch wieder mit der bischöflichen Gewalt Wo Tiele in dieselbe Gewalt für denselben Zweck sich theilen, muss das Par- ticalare dem Allgemeinen sich unterordnen. Da die ganze Kirche Ein Leib ist, so muss es zur Erhaltung dieser Einheit eine die ganze Kirche regierende Macht geben, welche über der bischöflichen Ge- walt einer jeden speciellen Kirche steht Diess ist die Gewalt des Papstes, zwischen welchem und dem einfachen Bischof es wieder verschiedene Grade einer höheren oder geringeren Würde gibt Wie die allen Aposteln gemeinsame Gewalt des Lösens und Bindens vorzugsweise und allein dem Petrus verliehen worden ist, um von ihm zu den Andern herabzusteigen, so verhält sich der Papst zu den Bischöfen ^). Das Sacrament des ordo enthält somit die dog- «alische Grundlage , auf welcher das ganze hierarchische Gebäude beruht. Es ist hier der Ort, wo die Lehre von dem Papst als dem dlgemeinen Oberhaupt der Kirche ihre Stelle in dem dogmatischen 8|item der Kirche hat Auch der Papst ist an sich nur Priester; im es aber keine Ordnung ohne eine Unterordnung gibt, so schliesst der durch die Weihe ertheilte allgemeine priesterliche Charakter eme Stufenfolge nicht aus, in welcher das Regiment der Kirche Ton der untersten Stufe der Macht bis zur höchsten aufsteigt

Durch das Sacrament des ortfo wird ein Unterschied der Stände begründet, vermöge dessen der Priester mit absoluter Superiorität über dem Laien steht, und der Laie in allem, was sich auf sein gei- atiges Wohl bezieht, schlechthin dem Priester sich unterordnen muss. Diese geistige Herrschaft des Priesters über den Laien hat aber, da das Geistige und Religiöse in alle Verhältnisse des Lebens dngreifl, einen noch weiteren, über das eigentlich Geistige hinaus- gehenden Umfang; sie erstreckt sich auch auf das bürgerliche und sociale Leben, in welchem der Laie gleichfalls in so vielen Bezieh- ungen von den Bestimmungen abhängig ist, welche die Kirche als maassgebende Norm aufstellt Diess ist der Gesichtspunkt, von welchem aus dem Sacrament der Priesterweihe das Sacrament der Ehe zur Seite gestellt wird. Das eine wie das andere ist zur Re- gierung der Menge bestimmt 0* Indem die Kirche die Ehe für ein

1) Thomas zu dist. 24. qu. 3. art. 2.

2) Sacramentum ordinU ordincOur ad spiritualem muUipKcationem ei ffubematiimem ecclesiaef 8<icramenium nuUrimimU «d maUrialein muU^plU eaiwnem fidelium. Thomas bu dist 24. n. 26.

SM Zweite Periode. Dritter Absoimitt

Sacrament erklärte, somit jede Ehe nur durch ihre Vemiiltlaiig und nach ihrer Anordnung geschlossen werden konnte , erhielt de da- durch die Berechtigung, alles, was irgend eine Beziehung auf die Ehe hatte, in ihre Hand zu nehmen. In welcher weiten Ausdehnung diess geschah , ist schon aus den Sentenzen des Petrus Lombardm zu sehen, dessen das Sacrament der Ehe betreffende Distinctionea C26 42) ein sehr ausgeführtes Eherecht enthalten.

So umfassend ist die Lehre von den Sacramenten. In ihr eat- wickelt sich aus dem Dogma ein System , das alle Verhydltnisse dei gegenwartigen Lebens so in sich begreift, dass sie principiell an dai Dogma geknüpft und durch dasselbe bestimmt sind. Das gegei- wirtige Leben ist ja aber nur die Vorstufe des künftigen. In seiner weiteren Entwicklung kann das dogmatische System nur über dl« Grenzen des gegenwärtigen Lebens hinausgehen ; die Scholastikei lassen daher auf die Lehre von den Sacramenten unmittelbar die Lehre von der Auferstehung folgen. Der mit dem Tode für gegenwärtige Leben abgerissene Faden der Entwicklung wird für das künftige wieder aufgenommen, und es ist daher, da derselbe Leib, der gestorben ist, wieder auferweckt werden soll, in der Lehre von der Auferstehung vor allem die Identität des künftigen Lebeai mit dem gegenwartigen aufgefasst; das künftige Leben ist theib die Fortsetzung des gegenwärtigen, theils die durch alles Vorai- gehende bedingte Vollendung desselben. Da die Todten nur daa auferstehen, um in der künftigen Welt den vollen Lohn dessen u empfangen , was sie in der gegenwartigen im Guten oder Böten verdient haben, so zerfällt der auf das künftige Leben sich bezie- hende Theil des dogmatischen Systems in die beiden Hauptlehren von der ewigen Seligkeit und der ewigen Verdammniss. Die letzte Entscheidung aber über Seligkeit und Verdammniss geschieht erst durch das in einem bestimmten Zeitpunkt eintretende Gericht; daher ist auch der zwischen Tod und Gericht fallende Mittelzustand ein besonderes Moment , das um so weniger unbeachtet bleiben kann, da in ihm ganz besonders die durch die Kirche vermittelte Gemein- schaft der Lebenden und Gestorbenen in ihrer vollen Bedeutung sich bethatigt.

Wie es für die abgeschiedenen Seelen verschiedene Aufent- haltsorte gibty so befinden sich die, deren Beschaffenheit weder zur Seligkeit noch zur Verdammniss vollkommen zureicht, in dem Feg*

Fegfener. Seligkeit tu Verdamm« Anschanaikg Gottes, 361

feaer. In diesem Hittelzustand können ihnen die Fürbitten, die mffragia der Lebenden nützlich werden. Wenn auch keiner für km Ändern so viel bewirken kann , dass sein Zustand im Ganzen ttch ändert und er aus einem Unseligen ein Seliger wird, so können loch Gebete und verdienstliche Werke wenigstens eine Milderung les Zustands zur Folge haben. Dazu eignen sich ganz besonders lolche Werke, welche den Charakter der mittheilenden Liebe an ich tragen, wie namentlich das Messopfer, als das Sacrament der drchlichen Einheit, das den in sich hat, in welchem die ganze Kirche lins ist, und Almosen. Aber nicht blos die Lebenden wirken auf iiese Weise zum Besten der Gestorbenen, auch die Gestorbenen, L h. die Heiligen unter ihnen, verwenden sich durch ihre Fürbitten ftr die Lebenden. Es ist daher hier überhaupt der Ort für die Idee ler Gemeinschaft der Heiligen, welche Thomas noch besonders auf lau Grundsatz des Areopagiten stützt, dass das Untere durch das Ifitllere mit dem Obern vermittelt werden muss 0*

Den Schlussstein des Systems bilden die beiden Lehren von der Sdigkeit und Verdammniss, wobei nur die Frage noch besonderes In-- teresse hat, wie dasselbe in der Darstellung des Thomas in der An- pchanung Gottes, als dem einen der beiden Punkte des Gegensatzes, a welchen das System auslauft, zu seinem letzten Abschluss kommt Meseit Augustin stehend gewordene Bestimmung, dass die Selig- Bift der Vollendeten wesentlich in der Anschauung Gottes besteht, »iiielt bei Thomas in Gemässheit seines Systems die eigenthüm- iche Bedeutung, dass er die Anschauung Gottes in rein intellec-- aellem Sinne nahm, und sich daher bei der Lehre von der künftigen ieligkeit die Beantwortung der Frage zur Aufgabe machte, wie es lem menschlichen Verstand möglich ist, Gott seinem Wesen nach n sehen 0* T^^ ist hier der Punkt, wo in dem System Anfang und Inde sich zusammenschliessen. In einem schlechthin deterministi- ushen, auf der rein quantitativen Anschauungsweise beruhenden

1) Zu dist 45. qu. 3. art 2.: Cum aanctif qtti mnt in patnOf sirU Dbo jrapinquUmniy hoc divinae legis ordo requirit, ut noSt qui manentes in corpore 9eregrinamur a Domino, in cum per scmctos medioa reducamwr, qiwd qvidem iontingit, dum per eos divina bonitaa suum Rectum diffundit ($6eimdum Oianysiumf ut per media ultima reducantur in DeumJ,

2) Zu dist. 49. qu. 2. art. 1. Utrum intellectus humanw poasit pervmttre d videndvm Deum per essentiam.

359 Zweite Periode. Dritter Abtohnitt

System kann das Yerhaltniss Gottes zur Welt nur aos dem Gesiobti- ponkt eines rein theoretischen Interesses aufgefasst werden. Da es in einem solchen System kein freies selbstthdtiges Wollen gibt, du höchste Princip nur das schlechthinige absolute Sein ist, sa kau 1 der Fortschritt der Entwicklung nur darin bestehen, dass das Seia sich zum Erkennen fortbewegt, das an sich Seiende auch als Objeot des Erkennens aufgefasst wird. Was das Sein objectiv ist, ist sab- jectiv das Erkennen, das Erkennen ist selbst nur die ideelle Seile des Seins. In dem Erkennen , als dem Reflex des Seins , hat soduI das System sowohl seinen Ausgangspunkt als seinen Endpunkt ^). Das Erkennen ist wesentlich ein Unterscheiden, die Höglichkeit im Erkeniiens beruht daher darauf, dass es in dem Seienden, als den Object des Erkennens, auch Unterschiede gibt, welchen gemäss du Eine in seinem Unterschied von dem Andern erkannt werden kanii und die höchste Frage, um deren Beantwortung sich das ganie System bewegen muss, kann daher nur sein, woher es überhaupt kommt, dass das Seiende auch ein in sich unterschiedenes ist Diese Frage beantwortet Thomas, wie gezeigt worden ist, durch seiae Lehre von den Ideen. Die Vielheit der Ideen ist das Princip, ii welchem die geschaffene endliche Welt in der ganzen Mannigfaltig* keit des getheilten Seins und in dem ganzen Umfang ihrer quantttri^ tiven Unterschiede dem erkennenden Verstand sich aufschliesit Wie auf diese Weise die Entwicklung des Systems ein stetes Eü^ gehen in die Unterschiede des endlichen Seins ist, so muss auf der andern Seite auch wieder die Einheit im Unterschied erkannt wte^ den. Es ist diess die Seite des Systems, auf welcher das Christen- thum mit der ganzen Reihe seiner Offenbarungen und Heilsveran- staltungen liegt, und der höchste Punkt der Entwicklung des Systems ist daher die Anschauung Gottes als des Einen absoluten Seins. Da es auf dem Standpunkt dieses Systems nichts Höheres gibt als das Erkennen , so kann auch die höchste Seligkeit der Vollendeten aar in das Erkennen gesetzt werden, d. h. die Anschauung Gottes als den höchsten Act, in welchem der erkennende Verstand mit seinem Object dem Weseri Gottes als dem an sich Seienden sich zur Einheit zusammenschliessL Die Frage ist nur, wie diese Einheit des End-

1) InteUigere est propria operatio substarUiae inteUectuaUs , ipsa igüur €tt film ^W. Summa c. gent III. 25.

Thomas. Ansohsnuiig Qottei. Stellung i; Kirolienlelire. 858

liehen und Unendlichen möglich ist. Aus der dcht scholastischen Erörterung des Thomas lässt sich nur der Satz hervorbeben : das absolute Wesen Gottes und der endliche menschliche Verstand ver- halten sich zu einander, wie Form und Materie 0- Die eigentliche Lösung der Frage wird nur durch den Supranaturalismus des Systems gegeben. Da das Endliche sich nicht zum Unendlichen erbeben kann und nicht die Fähigkeit in sich hat, es in sich aufzunehmen, so wird das Resultat des ganzen Processes nur gewaltsam herbei- geführt. Die Schranken der endlichen Natur werden durch die unendliche Kraft Gottes durchbrochen, um den Menschen auf über- natürliche Weise über seine Natur hinauszurückcn, wie diess Tho- mas in den Worten ausdrückt: quod fit virtute ntpernaiuraU, non impedifur propier naiurae äiterailatem, cum 4icina virtus $U inftmia 0-

Es darf wohl mit Recht behauptet werden, dass die theolo- gische Summe des Thomas von Aquino die vollendetste Darstel- Img des dogmatischen Systems der katholischen Kirche des Mittel- allers isL Es gibt kein anderes scholastisches System, in welchem der ganze Inbegriflf der kirchlichen Lehren nicht nur so umfassend, sondern auch so systematisch nach der leitenden Idee einer be- stiaimten allgemeinen Ansicht behandelt worden isL Fasst man 4ie charakteristischen Züge dieser Darstellung naher in's Auge, so jmchnet sie sich vor allem durch das consequente Bestreben aus, pich so genau als möglich an die traditionelle Lehre der Kirche an- nschliessen. Es gibt keinen dogmatischen Lehrsatz, in welchem Thomas der in der Kirche geltenden Lehre widerspräche; wenn ihm auch das vernünftige Denken nicht immer mit dem Glauben durchaus Hand in Hand zu gehen scheint, so wird doch von ihm

1) Za dist 49. qn. 1. art. 1.: Esaentia divina ie hdbebit ad inteUedum ticut forma ad tnateriam. Cum esaentia divina nt adlua jmrti«, poterii tue forma , qtia inteUectus inteUiffit , et haee erit visio beatifieana , et ideo Magister didt (Sent. 2. dist. 1.), quod unio animae ad corpuB^ est quoddam exemplum iÜius heatae unionis, qua spiritus unietur Deo, Didmus, quod materia debet esse proportionaia ad formam , et hoe modo nihil prohibet^ in- telieetum nostrum^ quamvia sit finitus , did proportionatum ad vidsndum es- senHam vofinUam, non tarnen ad comprehendendum eam et hoe propter suam immensitatem*

2) Summa c. gent III. 57, 1.

Banr« X.Q. des MittehOften. 23

SM Swelta Periode. Dritter Abselialtt

das IntereMc des Glaobens nie dem der Yerniinft nacbgresetit; adM solche Lohrsfilze , welche erst durch die spätere Entwicklang dcf hierarchischen Systems hinzugekommen sind, worden von ihm ofaie Bedenken angenommen und so viel möglich durch Gründe ge- rechtfertigt. Seiner ganzen Darstellung liegt die feste Ueberzeagoaf cu Grunde, dass es keine andere Wahrheit geben könne, als die ia der Lehre der Kirche enthaltene, auf ihrem eigenen theologischea Princip beruhende, und dass es ebendarum auch fiberall Grflnde geben müsse, durch welche das an sich Wahre für einen zumWii- sen sich erhebenden Glauben gerechtfertigt werden kann. Seine Darstellung will daher gar nichts anders sein, als das Wissenschaft 1 liehe Bewusstsein der kirchlichen Lehre. Auf der andern Säte iit sie aber auch nichts weniger als ein blosser Nachhall der kirch- lichen Lehre ; sie geht yielmehr von einer Weltanschauung aus, A sogar in einen unverkennbaren Conflict mit dem OOenbamngf- glaubcn kommt , der nur dadurch verhöllt wird, dass beide avck wieder einen gemeinsamen Berührungspunkt in dem Supranatunh lismus haben, der auch zum Charakter der deterministischen Wdl- ansieht gehört In dem absoluten Determinismus seines Sysleai hat Thomas ein Princip in sich aufgenommen, das, so sehr es aid zur hierarchischen Seite des Katholicismns passte, doch um so we- niger mit der pelagianisirenden Richtung sich vertrug, die im kirchliche System trotz seiner augustinischen Orthodoxie nicht ve^ läugnen konnte. Hier wenn irgendwo war die Scholastik auf des Punkte, sich in sich selbst zu spalten und in neue Gegensätze aus- einanderzugehen.

3. Der Verfall der Scholastik und ihre Auflösung.

Mit Thomas von Aquino stehen wir auf dem Höhepunkt der Scholastik. Diese hervorragende Bedeutung gestand auch schon jene Zeit selbst seinem theologischen System zu. Das grosse An- sehen, zu welchem es nicht blos bei den zunächst folgenden Scho- lastikern, sondern in der ganzen katholischen Kirche gelangte, war die gebührende Anerkennung seines Innern Werths, des uner- schöpflichen Scharfsinns , welchen er zur wissenschaftlichen Dar- stellung und rationellen Begründung der kirchlichen Glaubenslehre angewandt hatte. Wenn nun aber gleichwohl dem Thomas ein nicht minder ausgezeichneter Repräsentant der scholastischen Theo-

VerfAll deir ScheUstlk. Dons Beotvi. 995

Ipgie inDonsScotus gegenübertrat, und diese beiden, in wel- chen auch die beiden Orden der Dominicaner und Franciscaner ihre höchsten theologischen Auctoritdten verehrten, sich so sehr das Gleichgewicht hielten, dass seitdem die ganze katholische Welt in die beiden Parteien der Tbomisten und Scotisten sich theilte, ao kommt es zunächst darauf an, das Verhältniss, in welchem die bei« den grössten Scholastiker zu einander stehen , aus dem richtigen Gesichtspunkt aufzufassen. Schöpfer eines mit so grosser Conse^ qaenz und in einem so engen Zusammenhang aller seiner einzelnen Theile durchgeführten inhaltsreichen theologischen Systems istDuns Scotus nicht, hierin steht Thomas mit einer von keinem Andern er- reichten Grösse auf dem Gipfel der Scholastik; das Eigenthflmliche des Duns Scotus dagegen ist die kritische Stellung, die er sich zu dem als höchste Lehrauctoritat vor ihm stehenden System gab. Seine vorherrschende Richtung ist das kritische Bestreben alle dog- ■atischen Behauptungen seines Vorgangers darauf anzusehen, auf Wfdchem Grunde sie beruhen, ob nicht ebensogut etwas ganz an- deres behauptet werden könne. Könnte man denken-| er sei za nancben seiner Antithesen nur durch das Interesse des Wider- spruchs bestimmt worden, so weicht er dagegen vor allem in einem Punkte von Thomas ab, welcher eine zu principieile Bedeatung hat| als dass nicht seine Kritik von selbst den Charakter eines systema- tischen Gegensatzes hatte erhalten müssen. Es tritt in Duns Scotus die Scholastik in ein neues Stadium ihrer Entwicklung ein; aber es ist der Wendepunkt, in welchem dem transcendenten Dogmatismus die Kritik gegenübertritt, um ihn aus der Einheit und Objectivitit des bisher behaupteten Standpunkts herauszudrängen. Es ist, wie wenn die Scholastik jetzt selbst recht methodisch an ihrer eigenen Auflösung arbeiten wollte und, nachdem einmal die Kritik in ihr dogmatisches System eingedrungen und sie in ihren beiden Hauptern selbst in diesen Zwiespalt mit sich gekommen war, ihr zuletzt nichts anderes übrig bliebe, als in ein Aggregat subjectiver Vorstellungen auseinanderzufallen.

Der Hauptunterschied zwischen Thomas und Duns Scotus besteht vor allem in dem principiellen Gegensatz der deterministi- schen und indeterministischen Anschauungsweise, womit zunächst zusammenhängt, dass der Eine auf dieselbe Weise das Wollen dem

Erkennen, wie der Andere das Erkennen dem Wollen unterordnete.

23

856 SwalU Pariode. Dritter Abeehniti

Beide haben sich über diese principielle Verschiedenheit ihres Sttnd«» punkts sehr bestimmt aasgesprochen 0- Da Thomas die prinirt Bedeutung dem Erkennen gab, so musste bei ihm das religiöse b- teresse gegen das rein theoretische zuräckstehen, er konnte du Wesen der Religion überhaupt nur in das Wissen und Erkennei setzen, in die Erkenntniss der Wahrheit durch den Verstand, oder die Erkenntniss Gottes als der ersten absoluten Ursache Ton allesL Der bekannte, der Scholastik gemachte Vorwurf, dass die in ihr vorherrschende Richtung ein einseitiges Verstandesinteresse ge- wesen sei, ist bei keinem Scholastiker so sehr in dem ganzen Cha- rakter seines Systems begründet , wie bei Thomas. Die Religioa, wie die Theologie, ist ihm wesentlich ein Wissen. Es ist daher sehr bezeichnend für den Standpunkt des Dans Scotus, dass er dieTheO" logie für wesentlich praktisch erklärt 0* So abstract dialektisch auck seine Erörterung dieses Satzes ist, so klar ist doch der Hauptge- danke, um welchen sie sich bewegt, dass die Theologie ihr Prindp nicht im Verstand, sondern im Willen hat ^), woraus demnach, wem man von der Theologie auf die Religion zurückgeht, nur die Fol- gerang gezogen werden kann, dass die Religion wesentlich eh praktisches Verhalten ist Für die Behauptung, dass die Theologie praktisch ist, beruft sich Duns Scotus auf die Schrinstellen, Röat 13, 10 und Matth. 22, 40, über die Liebe als den wesentlichen Inhalt des Gesetzes und den Ausspruch Augustin s de laude charltatUi nie fenet, quldqnid latet et guidquid pafei in divinU aermonibHt, qui charitafem servat in moribus. Hieraus erhelle, dass die Theo- logie nicht specttlaliv sei , weil sie als speculative Wissenschaft auf

1) Auf der einen Seite behauptet Thomas: Jnter omnea hominis parta inteUeciua inveniiur superior motor. Volunias igiiur, secundum idy guod ut appetUuSf nun est proprium inteUeciuaUs naturae, std solum secundum qußd ab intellectu dependet. Summa c. gent. III. 26, 1; auf der andern Dom Scotus: Volunias est motor in toto regno animaef et omnia obedivuU sUn, In Sent. II. dist. 42. qu. 4, 2.

2) Die vierte der vier Fragen, welche Duns Scotus in dem Prolog seines Commentars über die Sentenzen ontersncht, ist: utrum theologiä sit pracHcct,

8) Prolog, qn. 4, 3.: Praxis, ad quam eogniiio practica extenditur^ est actus aUerius potentiat, quam inteUectus, ncUurcdUer posterior inteüectione, nattu elici conformiter rationi rectae ad hoc, ut sit actus recius, PraanSt qua txtenditur Habitus praeticus, non est msi actus VQhiniaHs»

Diiiit 8cotiit tu Thomas. Prinoip der Tbaologie. 857

nichts anderes als das speculari gehen könnte. Gegen das Ar^ ^ment, dass der Glaube selbst specolativ sei, weil er in das Schauen öbergehe, wendet Duns Scotus ein, die fides sei kein Habitus speculatitusy das credere kein actus speculatnus, die tisio keine apeculativa, sondern eine practica j weil sie dem Genuss con- form sei Entsprechend der praktischen Aufgabe der Theologie kann auch die Seligkeit, da sie nicht wie bei Thomas durch den Verstand, sondern durch den Willen vermittelt wird, nur in einen Genuss gesetzt werden, in welchem der Wille durch die Erlangung dessen, womach er begehrt, befriedigt wird. Mit der Bestimmung der Theologie als einer praktischen ist daher nichts anderes gesagt, als was wesentlich zum Begriff der Religion gehört, dass sie nur darauf gerichtet sein kann, das Seligkeitsintercsse des Menschen zu befriedigen, das seiner Natur nach nicht theoretisch, sondern prak- tisch ist. In der durchaus scholastischen Ausfuhrung des Duns Scotos, in welcher das, was gesagt werden soll, so oft mehr ver- dukelt, als verdeutlicht wird, wird der eigentliche Gedanke am eiafacbsten und klarsten in dem Satze ausgesp^hen, «| komme in der Theologie nicht auf die Quantität des Wisseiis an, sondern auf die Kraftlgkeit der Motive des Handelns Im Allgemeinen zielt die ganze Entwicklung des Duns Scotus, deren praktischer Kern erst aus einer Reihe der abstractesten Distinctionen herausgefunden werden muss, darauf hin, der Theologie ihr eigenes für sich be- stehendes Gebiet abzugrenzen, und es insbesondere von dem der Metaphysik zu unterscheiden ^3 ; nur bleibt auch er blos bei der

1) Prol. qn. 4, 41 : nata e$t enim Uta vino cof^formi» e$»e fruitiom ^ ei priuB ntUuraliter haberi in inteUedu ereato, uifruüio reeta ÜU conformUer elieiatur,

2) A. a. O. 42 : non est inventa ad fugam ignorantiaCy quia muJfo plura eeihiiia poesent poni vel tradi in tanta quantitate doetrinae, quam kie tradita emt, Sed haee eadem replicantur frequenterj ut effieaciue indueatur audäor ad operationem eorum, quae tibi perwadentur, Sie sei inventa non propter neeessaria extrinseca^ sed prcpter neeessaria intrinseca^ seiHcet moderatUiOM pauionum et operationutn,

3) Man vgl. hierüber auch Prol. qa. 8, 29, wo Dans Scotns die Selbst- ständigkeit der Theologie so begründet: haee scieniia nuüi eubaltemaiur» Quia Ueet suijectum ejus possit aliquo modo eoniineri sub subjecto Metaphy^ eieae (wie bei Thomas das Snbject der Theologie nnr dasselbe sein kann mit dem der Metaphysik), nuüa tarnen prineipia aeeipü a Metaphyiiea^ ^[uia

858 Eireita Periode. Dritter Abtelmltt

Theologie stehen, ohne seine Ansicht Ton der praktischen Anffibe derselben dadurch zo begründen , dass er sie auf das snrQckfQbrt, was sie zu ihrer nothwendigen Voraussetzung hat, das Wesen dar Bellgion.

Der principielle Punkt, um welchen sich die Theologie im DunsScotus in ihrem Unterschied von der des Thomas bewegt, ist die Freiheit des Willens. Dass es eine Freiheit des Willens gibt| steht dem Duns Scotus als unmittelbare Thatsache des BewusstsefaM absolut fest Im ganzen Reiche der Seele gibt es kein anderes be- wegendes Princip als den Willen. Diese Superiorität könnte de« Willen , da Verstand und Wille die beiden gleich wesentlichen B»- standtheile des geistigen Wesens des Menschen sind, liur der Ver- stand streitig machen. Wenn afier auch der Wille theilweise durd den Versland bedingt ist, so kann doch in letzter Beziehung nur dei Wille das schlechthin bestimmende Princip des geistigen Lebe« sein, da der Wille, wenn er nicht absolut frei wäre, überhaupt nicht frei wäre« Die Freiheitstheorie des Duns Scotus zeichnet sich efcea dadurch atts, daa^fie den BegriiF der Freiheit in seinem reinen üh soluten Sinne auffasst und sie als das Vermögen deGnirt, sich schledil' hin aus sich selbst zu bestimmen. Auf die Frage, ob der geschaffeae WiHe die totale und unmittelbare Ursache seines Wollens sei, ff dass Gott in Ansehung desselben keine unmittelbare, sondern ehM blos mittelbare Wirksamkeit hat, gibt Duns Scotus eine schlechtin bejahende Antwort, die er durch folgende Argumente begründet: der Wille wSre ja sonst nicht frei, er könnte nichts auf zufSllige Weise bewirken , er könnte nicht sundigen , er könnte überhaopt nicht handeln, und es wäre zwischen ihm und andern geschaffenen Ursachen kein Unterschied 0- Zwischen Willensursachen und Na- turursachen hat auch Thomas unterschieden; wenn aber die ersten von den letztern sich zwar dadurch unterscheiden, dass sie als freie selbstbewusste Subjecte sich selbst bewegen, beide jedoch das Bit

nuMa pasaio theologica demomtrabilia est in ea per prineipia enti» , vel per rmtionem nmpUmi ex raüone entie. Nee ipea aiiam eiln euhaüemai, q[uiä imlla aUa edetUia aceipü prineipia ab ipea, Nam quaeHbei aUa m fernere eognitUmie naturaUe Tiabet reeoluUonem euam uUimo ad aUqua princ^pw m- mediaia natwaliter nota,

1) In dem Comm. tn den Sent IL dist 37. qu. 2.

Diiiis Beotuf« Fseilieit cL Willens o. PrAdaiiination. 8fi0

einander gemein haben, dass die einen wie die andern von Gott be- wegt werden, so ist klar , dass die Freiheit nur eine andere Form der Nothwendiglceit ist, des allgemeinen schlechthin determinirten Seins. Auf dieselbe Weise verhalt es sich mit dem Zuralligen. Von Zufälligem ist auch im System des Determinismus die Rede, in einem System aber, in welchem überhaupt alles determinirt und das Eine durch das Andere bedingt ist, kann auch zwischen dem Zufälligen und Nothwendigen nur ein relativer Unterschied sein, und nur auf dem Standpunkt des Duns Scotus ist man mit dem BegriiT der Freiheit nach berechtigt, das Zufällige und das Noth wendige als die beiden gleich wesentlichen Formen des Seins zu bestimmen. Es erhellt hieraus von selbst , wie wesentlich von diesem Standpunkt aus die ganze Weltanschauung eine and^ wird, als sie bei Thomas iiL An die Stelle der quantitativen Anschauungsweise^ die überall ■or höhere und niedere Stufen des Einen allgemeinen Seins er« Uicken kann, tritt die qualitative; dem Nothwendigen, schlechthin Bedingten und Abhängigen steht das Freie, als das absolut sich dvch sich selbst bestimmende Princip gegenfibgipf, und 'der Mensch wird erst dadurch, dass er frei in diesem absolnten Sinne ist, zu einem wahrhaft sittlichen Subject Am auffallendsten spricht sich dieser Unterschied der Weltanschauung in der Reihe der einzelnen Dogmen in der Lehre von der Prädestination aus. Während sich «ach Thomas in der Prädestination nur die Schönheit des Universums darstellt, die ohne eine Verschiedenheit von Stufen nicht sein kann, nach deren Maassgabe der Eine dahin der Andere dorthin zu stehen kommt, hängt dagegen in der durch die Idee der Freiheit bedingten sittlichen Weltanschauung des Duns Scotus alles daran, wie sich Gott und der Wille zu einander verhalten. Allgemein wurde Gott, was er antecedenier gibt, auch conaequenter geben, so viel auf ihn ankommt, wenn nicht ein Hinderniss wäre. Indem er den Willen frei gab, gab er aniecedenievj d. h. an sich, die in der Macht des Willens liegenden opera recta^ von seiner Seite gab er daher jedem WiUensact seine rechte Beschaffenheit und er würde sie dem Willen auch consequenter geben , wenn der Wille selbst von seiner Seite jeden wirklichen WiUensact auf die rechte Weise vollbrächte. Was also Gott consequenter thut, ist bedingt durch die eigene Selbstbe- slimmung des Menschen.

Wie die Idee der Freiheit das bestimmende Princip für die

Ewalte Perlode. Dritter AbteliBttt

ganze Wellanschiinnng ist, so rnnss auch das Wesen Cotlea unter denselben Gesichtspunkt gestellt werden. Gott kann nur als der absolut Freie gedacht werden. Vermöge seiner absoluten Freibeil steht er in einem Yöllig freien Verhdllniss zur Welt, und es Itat sich nicht denken, dass das, was aus ihm als der ersten Ursache ib erste Wirkung hervorgeht, auf nothwendige und natürliche Weise gewirkt wird. Dicss beweist Duns Scolus durch folgende Argo- menteO'* 1* Ein absolutes Wesen, das an sich so vollkommen nolb- wendig ist, als etwas als nothwendig seiend gedacht werden kani, muss sein, wenn auch alles ausser ihm nicht existirt Diess wäre aber nicht der Fall, wenn es in einer nothwendigen Beziehung zu seiner ersten Wirkung stände, denn so würde es, wenn diese nicht existirt, selbst auch nicht existiren. Es gehört somit zum absoluten Begril Gottes, dass er in keinem immanenten Verhältniss zur Welt stek 2. Wenn die erste Ursache in einem nothwendigen VerhÄltnissa der nächsten Ursache stände , so würde diese von der ersten asf nothwendige Weise bewegt, und würde auf dieselbe Weise aack die folgende bewegen und ebenso würde es sich mit allen folgendes verhalten, es würde somit überhaupt nichts Zufdlliges geben; da <f aber eine allgemein anerkannte Thatsache ist, dass es etwas Zu- fSIKges in der Welt gibt, so kann Gott als die erste Ursache nickt auf nothwendige, sondern nur auf zufällige Weise wirken. 3. ti könnte nichts Böses in der Welt geben, wenn Gott auf nothwendige Weise wirkte. Da das , was nothwendig wirkt, seine Wirkung so vollständig als möglich hervorbringt, so könnte die Gute und Voll- kommenheit Gottes nur Gutes hervorbringen. 4. Jede nothwendig wirkende Ursache wirkt in dem ganzen Umfang ihrer Macht, weil sie, so wenig es bei ihr steht zu wirken oder nicht, eben so wenig auch in höherem oder geringerem Grade wirken kann, wenn also die erste Ursache nothwendig wirkt, so wirkt sie alles, was sie wirken kann; und da sie nun die Macht aller andern Ursachen in sich hat, alles be- wirkbare zu wirken^ so wirkt sie es auch wirklich, und es gibt daher auch keine zweite Ursache, die etwas wirkt, und auf diese Weise ist zuletzt alles eins. D. h. die secundären Ursachen sind eigentlich keine Ursachen, da in allen secundären Ursachen das bewegende Frincip nur die primäre ist, als das primum movens; an sich also ist alles nur das Eine, die Welt ist nur ein Accidens der Substanz,

1) Trin. Lehre 2. S. 645 t

Oiias Seotnt. OottesliegrifC 861

die ah das allgemeine Sein GoU genannt wird. Da dieae Einheit Gottes nnd der Welt die dem System des Thomas zu Grande lie- gende Ansicht ist, so wfiro demnach der Gottesbegriff des Dons Scotos ebenso theistisch, wie der des Thomas pantheistisch. Wenn San aber Gott als wirkende Ursache in keiner nothwendigen Be- ziehartg zu dem von ihm Bewirkten stehen kann, so scheint das ab- aolute Wesen Gottes selbst als ein Yerdnderliches gedacht werden zu mfissen. Dans Scotus gibt diess nicht za, weil der Wille, ohne sich za verändern , etwas Neues hervorbringen könne. Gott habe von Ewigkeit wollen können , dass zu einer bestimmten Zeit etwas von ihm Verschiedenes sei, und da überhaupt in ihm nichts Unvoll- kommenes sei, so falle auch die Wirksamkeit seines Willens nicht in die Zeit Wenn somit auch d^ Wille der Weltschöpfung ein ewiger ist, so folgt doch daraus nicht die Ewigkeit der Welt Dans Scotus wirft aber auch die Frage auf, wie überhaupt Gott wirkend gedacht werden könne, wenn er vermöge der absoluten Freiheit ffliies Willens so indeterminirt sei, dass er contradictorischen Ge- fsudtzen gegenüber sich eben so gut zu dem Einen wie zu dem Andern bestimmen könne. Darauf gibt er jedoch nur die Antwort, aun dürfe nicht bei allem nach einer Ursache fragen , es gebe auch einen absoluten Anfang; der Anfang des Willens sei äben diess, dass er unmittelbar ohne alle Vermittlung etwas Bestimm- tes wilL Die Ursache des Willens ist also nur der Wille selbst, and et gibt somit ein unmittelbar, oder absolut Zufälliges, dessen UnVeränderlichkeit bei aller Veränderlichkeit des Zufalligen die absolute Zufälligkeit ist Gott ist mit Einem Worte das reine Wollen selbst ohne allen bestimmten Inhalt Ebendarin besteht die absolute Zufälligkeit des göttlichen Willens, weil der Wille, wenn er einoi bestimmten Inhalt hätte, auch durch seinen Inhalt bestimmt werden nflsste. Für den Willen Gottes gibt es so wenig etwas schlechthin Bestimmendes, dass selbst das an sich Gute nicht als ein nothwen- diges Object des göttlichen Willens gedacht werden kann, weil sonst der dadurch bestimmte Wille nicht der absolut freie wäre und der Wille sich nicht rein aus sich selbst durch absolute Zu- fälligkeit bestimmen würde. Aus diesem Grunde wird von Dons Scotus auch der Unterschied nicht anerkannt, welchen man zwischen der geordneten und der absoluten Macht Gottes zu machen pflegte. Die absolute Macht Gottes kann nie in Widerstreit kommen aut

Swelta Periode. Dritter Abselmitt

seiner geordneten, weil Gott thiin mag, was er will, and es immr recht ist, eben ilamm weil er es wilL Ist alles, was Gott will tnri thiit, nor darum recht und gut, weil er es will, so gibt es auch kei- nen Unterschied zwischen dem Guten und Bösen; Gott will das Gate nicht, weil es an sich gut ist, sondern das Gute, das er will, ist nur darum gut, weil er es will 0- Der Unterschied des Guten und Bösa wird also in der Idee Gottes völlig indiflTerent und was von deai Guten und Bösen gilt, gilt von allem überhaupt, es gibt nichts n sich Seiendes, es ist alles nur in den absoluten Willen oder die aln solute Willkur Gottes gestellt Der Wille Gottes ist nicht nar im reine Wollen, sondern es ist auch das reine Wollen das Wem Gottes selbst , Gott ist wesentlich der sich schlechthin durch lid selbst bestimmende absolute Wille.

Der Gottesbegriir desDuns Scotus kann, wenn man ihn mit des des Thomas vergleicht, zu welchem er den geraden Gegensatz bildeli nur als ein wesentlicher Fortschritt betrachtet werden. Es ist dtf Fortschritt von dem abstracten beslimmungslosen Sein, das, sofen es die absolute Ursache von allem ist, nur als das primum moten bestimmt werden kann, zu einem intelligenten, durch die Autonomie des Willens sich selbst bestimmenden Princip, von dem BegrilFdcr absoluten Substanz zu dem des absoluten Subjects, von einem Ineia- andersein Gottes und der Welt , wie es zur pantheistischen Wett- anschauung gehurt, zu einer über der Welt stehenden und zu alle«, was nicht sie selbst ist, sich absolut frei verhallenden CausalillL Nur ist der einseitigen Begriflfsbestimmung des Thomas gegenüber auch diess wieder für eine nicht minder grosse Einseitigkeit so halten, dass dem Duns Scotus die absolute Freiheit Gottes gleich- bedeutend mit einer absoluten Zufälligkeit ist, durch welche alle Objectivitdt der sittlichen Begriffe aufgehoben wird, und, da auch Duns Scotus Gott als ein Verstandesobject betrachtet, das nur unter den Gesichtspunkt des Gegensatzes des Unendlichen und Endliches gestellt werden kann, so fehlt hier überhaupt noch das vermittelnde Band, durch welches alle Gegensätze, die hier in Betracht kommen, zwischen Sein und Wollen , Substanz und Subject, Natur und Frei-

1) Der Gegensatz dazu bei Thomas Summa th. P. 1. qu. 19. art 8. Voluntat divina necessariam habiiudinem habet ad honitatem «uam, quM ut proprium ejus oljectwnu Unde bonitatem mam esae^ Dtua ex neom-

nJnfM naUL.

Dmis Seotiii* 04>tt«ibeffriffl Natur des Meaielieii. 86S

beit, Noihwendigkeii und Zofälligkeit, zur lebendigen Einheit ver- knüpft werden. Gott ist mit Einem Worte das absolute Subjed, aber als solches nicht der absolute Geist, sondern der absolut Trete Wille, welcher nur in Einer Beziehung ein absolut nothwendiger iai, aofern Gott nichts Anderes auf absolute Weise wollen kann, als sich selbst, nicht, wie nach Thomas, weil er das an sich Gute ffl, sondern schlechthin und ohne irgend etwas objectiv Vermittelndes, nar sofern er als das absolute Subject die schlechthinige IdentitSt asit sich selbst ist Desswegen ist auch för alle geschaflTene ver- Dflnfkige Wesen nicht die Selbstliebe, sondern die Liebe Gottes die absolute Voraussetzung ihres sittlichen Wollens.

Es ist bekannt, wie die DiflTerenz der thomistischen Lehrweise hanplsflchlich in allen denjenigen Lehren hervortritt , die sich auf ieo Gegensatz der Sonde und der Gnade beziehen. Ist schon die Lehre des Thomas eine wesentlich andere als die augustinische, aa hat dagegen DunsScotus sich noch entschiedener auf die p&- lagianische Seite gestellt. Wer die Idee der Freiheit so hoch stellt, md die Freiheit des menschlichen Willens so sehr als eine unmittel- bare Thatsacbe des Bewusstseins betrachtet, dass durch sie die ganze Weltanschauung und der Begriff Gottes als des absolut freien Wesens bestimmt wird, der muss sie auch für das allein zureichende Princip alles dessen halten , was das Object der sittlichen Thfltig- keU des Menschen ist. Sie macht so sehr sein substanzielles Wesen aas, dass durch die Sünde eben so wenig etwas von ihr hinweg, als durch die Gnade etwas zu ihr hinzukommen kann. Diese Ansicht von der Natur des Menschen spricht DunsScotus in dem Salze aus : natura non deficit in necesaarüa 0- Es ist diess aber nur der Standpunkt der Philosophie, von welchem der der Theologie zu unterscheiden ist Es zeugt von einem wesentlichen Fortschritt der wissenschaftlichen Ausbildung des theologischen Systems, dass die grossen Scholastiker an die Spitze ihrer Darstellung die Unter- sncbiing der allgemeinen Frage stellen , was die Theologie ist und wiefern die übernatürliche Offenbarung als das Object der Theologie für den Menschen nothwendig ist Mit der Beantwortung dieser allgemeinen Frage war sodann auch schon der principielle Ge- sichtspunkt für die Auffassung der auf die Natur des Menschen und

1) FroL qn. 1, 1.

88A Zweite Pariode. Dritter Abtebaltt

den Gegensuls der Sünde und der Gnade sich besiebenden Lebm anfgestellt Tbomas hat schon aus dem allgemeinen Salie, dass der Mensch ardinatur ad Dwmy in seinem Bewusstsein sich auf Gelt hingewiesen sieht, die Nolbwendiglceit einer übernatürlichen Oi^ fenbamng abgeleitet, somit vorausgesetzt, dass dem Mensclm etwas XU seiner Natur Gehörendes fehlen würde, wenn es kdie fibernatürliche OOTenbarung gäbe. Schärfer hat Dnns Scotus dieie Frage als den Streit der Philosophen und der Theologen aufgefant, sofern die erstem die Vollkommenheit der menschlichen Natur ba- haupten, die letztem die Nothwendigkeit einer überaatfirlidei Offenbarung nicht annehmen können , ohne auch einen Defect der menschlichen Natur vorauszusetzen 0- Da nun Duns Scotos Te^ möge seines Freiheitsbegriffs einen wesentlichen Defect der NaHr nicht annehmen konnte, so scheint für ihn die Frage über das Ve»* haltniss der Philosophie und Theologie nur im Interesse der ersten entschieden werden zu können. Allein das Dasein einer übemalft^ liehen Offenbarung wurde ja von den Scholastikem nie in Frage gestellt; das Eigenthümliche ihres Standpunkts besteht eben darii^ dass diess für sie eine absolute Voraussetzung war, sie musslei daher mit der Thatsache der Offenbarung auch ihre Nothwendigkd in irgend einem Sinne anerkennen, und es konnte sich nur um die Hotivirung derselben und die nähere Bestimmung ihrer Art ori Weise handeln, in welcher Beziehung voraus zu erwarten wff) dass Duns Scotus nur zu denen gehören werde, die ein so viel mög- lich freies und ausserliches Verhältniss zwischen Vernunft uad Offenbarung annahmen. Er stellt verschiedene Gründe für du Zureichende der natürlichen Erkenntniss und die Nothwendigkeit einer übernatürlichen Offenbarung einander gegenüber. Der Haupt- gedanke ist, dass wenn auch schon die natürliche Erkenntniss den

1) Prol. qn. 1, 3. In ista quaettione (utrum homini pro 9taiu tfto neeeaaarmmf aiiqtuim doetrinam apedcUem supemtUurtdUer ingpirarif ad qum non poMsü attingere lumine naturtUi intellectuaj videiur eaae eorUrovenU ifUer PhUoaophoa et Theologoa. Tenent enim Philoaophi perfectianem natura et negant perfectionem auperacUurdlem, Theologi vero cognoacunt drfeehm naturae, et neceaaittUem grettiae et peffeeiionum aupematuralium, Diceret ergo PhüoaopJma, quod nvUa est eognitio auperruUuraUa Tiomini necesaaria pro aiatu iato , aed quod omn&n notitiam aibi neceaaariam poaaet acquirere ex actione eauaarum naturaUum.

Duns Sootui. Offenbarungstheorlt* 8ft$

ansehen in GoU das höchste Princip seiner Beselignng erkennen flst, diese Erkenntniss noch so allgemein ist, dass sie nichts Yon imjenigen in sich begreift, was zum specifischen Inhalt der ge^ fenbarlen Lehre gehört Die edelste Art der Erkenntniss, die rkenntniss der immateriellen Substanzen und ihrer Eigenthümlich- dt, wie namentlich der Dreieinigkeit des göttlichen Wesens, ist ex irit naturaülma nicht möglich. Es gibt so Vieles, was der Mensch cht aaf natärlichem Wege, sondern nur darch Offenbarung wissen inn, da äberhaupt das Verhältniss Gottes zu dem Menschen kein rthwendiges , sondern ein freies und willkärliches ist Wenn der ensch so handeln soll, wie es seinem höchsten Endzweck gemäss ty so wird mit Recht dreierlei dazu gerechnet: er muss wissen, ie und auf welche Weise der höchste Zweck erreicht wird , was nr Erreichung desselben nothwendig ist, und dass alles diess auch ü zureichende Mittel für diesen Zweck ist Alles diess aber kann er Mensch auf natürlichem Wege nicht erkennen. Sein höchster Mhiweck kann nur die Seligkeit sein ; Belohnung und Verdienst Men aber so wenig in einer nothwendigen Beziehung zu einander, m es schlechthin von der Willkür Gottes abhängt, welche Uand- Agen er für Yerdiensllich haltep will oder nicht *). Es folgt diess ihr natürlich daraus, dass es nach Duns Scotus nichts objectiv

1) Prol. qu. 1. 9.: Naturaliter cognoBcihiU est^ primum objeetum intelleetu$ m ens et ntUuraliter est eognoBcibile, in Deo peffectissifne BtdveMri rationem ti$ , finU autem eujttseunque poterUiae est optimum eorum quae eonHnerUur h ^fua objecto primo, guia in illo solo est perfecta quietatio et deieetoHo^ i$ur naturaliter cognosdbile est hominem ordinari seeundum intellecium ad MMR tanquam finem. Dagegen : es ist diess nicht die ratio propria et eciaKsy suh qua natura nostra ad taUm finem ordinatur et stdf qua eapax t graticte eonsummoitae et sub qua Deum habet pro perfectissimo objecto^

Mt nar ratio aliqua generalis abstrahibiUs a sensibiUbus.

2) Pro], qu. 1, 8: Beatitudo confertur tanquam praemium pro meritis Uf quem Deus accepiai tanquam dignum tau praemio et per conaequens Ma naturali necessitaie sequitur ad actus nostros qualeseunqiie^ sed eon^ ige/nter datur a Deo, actus aliquos in ordine ad ipsum tanquam meriturio^ eipiente, Hoe autem non est naturaUter scibile, ut videtur, quia in hoe f^ant pMlosophif ponentes omniOf quae sunt a Deo immediate, esse ab eo eessario, Non pot^t sdri ntUureUiter aeceptatio divinae voluntaiiSf ut ia tanquam contingenter acceptantis talia vel talia digna vita aetema^ €t od ctiam iüa svffidant, dependet mere ex vokuUate divina. ,

SM Zweite Periode. Dritter Abielittitt

Gutei gibt. Ist nichts an sich gut, sondern nur sofern es ein Objed y des gölllichen Willens ist, so kann es auch keine Handlung gcbei, die durch ihren innern Werlh einen Anspruch auf Belohnung bin«) sondern der innere sittliche Werlh einer Handlung wird Yielmek erst durch die Belohnung bestimmt, welche Gott als Äussere Fdgi nit ihr verbindet. Da aber diess rein willkürlich ist, so kann Mi auch nicht wissen, suf welche Weise die Seligkeit als höchster Endzweck zu erreichen ist. Es hängt diess, wie Yon selbst erhelH, sehr eng mit dem GottesbegriiT des Duns Scotus zusammen. Da dii Beziehung Gottes zur Welt und zum Menschen überhaupt keine notb- wendige, sondern eine freie und zufällige ist, so kann der Mensch av Yon Gott selbst, somit nur auf übernatürliche Weise das wissen, in| ihn Gott über sein Verhältniss zu Gott und seinen letzten Endzweck wissen lassen will Er kann es Yon Natur nicht wissen, und dsi muss er es wissen, wenn, wie vorausgesetzt wird, ein reelles Ve^ haltniss zwischen Gott und dem Menschen bestehen solL So sabc alles diess dazu dient, die Nolh wendigkeit einer übematürlidMa Offenbarung festzustellen , so sehr ist Duns Seotus auf der anders Seite darauf bedacht, den Begriff des Uebernatürlichcn dadurch n beschranken, dass er die zur Mittheilung einer nicht natürlich er- kennbaren Lehre sich äussernde übernatürliche Wirksamkeit sid auPs Innigste an die natürliche Empfänglichkeit und Disposition def Menschen für das Uebematürliche anschliessen Idsst Es ist eil Vorzug der höhern Wesen, dass sie auch eine über ihre Natv hinausgehende Vollkommenheit in sich aufnehmen können 0; weoi sie also auch dieselbe nicht activ aus sich hervorbringen , so habes sie doch die Receptivitat für die übernatürlich auf sie einwirkende Causalitat und es findet so eine gewisse Proportion statt zwisckea

1) Prol. qn. 1, 83: Superiora ordina'nJtwr ad perfeetumem fiu^oftim passive recipiendam , qtuxm ipsa possent aetive producere et per eoMequem ittorum perfectio non potest produei , niai ab aUquo agerUe mpematunJi Non sie est de peffectione inferiorumj quorum perfectio ultima potest subesss aUcui inferiorum agentium. Et ideo neOura non deficit in necessarOs m potentiis superioribus , quia perfectiones ^ ad quas ordinantur, ex emait naitwraiUms non possunt habere , quia non possunt subesse aUeui causaUtati agentis naturalis. Wenn aber der Natar nichts Nothwendiges fehlt, wosa noch das Uebematürliche? Es ist diess nicht motivirt, sondern beruht aar darauf I dass eine übernatürliche Offenbarung thats&chlich gegeben ist

Dvns Seotnii Offenbariiilgitkeoric S67

den Natflriichen und Uebematurlichen 0* So gross der Unterschied zwischen Thomas und Duns Seotus ist, wenn der letztere die Frei- heil als ein gleich absolutes Princip in Gott und dem Menschen setzt, 00 bleibt doch auch er in letzter Beziehung bei der quantitativen An« echanongsweise stehen, sofern Gott und Mensch sich wie Endliches ■Bd Unendliches oder wie Natürliches und Uebematurliches zu einander verhalten. Ein Endliches, das qualitativ die Anlage einer fnendlichen Entwicklung in sich hat, kennt Duns Seotus nicht, das Höchste, wozu er sich erhebt, ist nur der Begriff einer den quanti- tativen Unterschied voraussetzenden Proportion. Bei allem Be- itreben , den Supranaturalismus zu mildern , das Natürliche dem Uebematurlichen zu assimiliren , ist auch sein System rein supra- ntaralistisch , und nur um so äusserlicher, je weniger die Bezie- heng, in welcher Gott durch die übernatürliche Offenbarung zu dem ■euchen steht, eine an sich nothwendige ist.

Freiheit und Willkür oder Zurälligkeit sind die beiden Haupt- kalegorien, um welche das System des Duns Seotus sich bewegt; ii beiden hat es sowohl den eigenthümlichen Vorzug, durch wel- dben es sich auszeichnet, als auch den wesentlichen Mangel, der fkm anhängt Es war nicht blos ein sehr bedeutender Fortschritt,

1) FroL qu. 1, 25: Muka $unt fuUuraUter reetpiha oHei^ perfeetioni^ mffu» non habetU jprineipwm intrinMeeum aetivum, Potemtia pamoa nen mi fnubra tn wOwra^ jruta JiUt ptr agen» naturale nan pasnt pritiF' nIpaUUr reduei ad aetum , tarnen potett per tale agene dupotUio ad ipsum mduci, ei poteet per aUquod alitid agene in naiwra^ id eit, in tota coordi- nßHane entium, puta per agene mpematurale eomplete reduei ad aetum. Man kann nicht sagen, ^[uod iüud fnUfieat naturaim, quod ipea non poetit oonfegiM petfectionem euam ex naiuraUbiUj vielmelir tn hoe magis dign^atur natura^ qntam ei euprema sibi poetibüUt poneretur eolum esee i$ta naturaUe, Jfee etiam est mirum , ^[uod tut majorem perfeetionem sit eapadias passiva Ml aU^[ua natura^ quam ejus eausaUtas aetiva $e extendat. Vgl. a. a. 0. 84: Jnielleetug ex »e est in poteniia obedietUali ad agens et ita sußeienter pro» portionalur iUi ad hoe ut ab ipso moveatur. SimiUter^ si ex se est eapax assensus eausati a tali agente, etiam est nattiraiiter capax, Dasu gehört, was Duns Sootns zu Sent. 1. dist 17, qn. 8, 34. bemerkt: Actus non est proprie supematuralis ^ quia etsi habitus praesupposiius sit a eauta super* naturaU immediate, tarnen iste positus in esse est causa naturalis respectu §m actus et ideo actus f gui producitur per talem habitum, non est proprio mpemaiuraHs. Es kommt auch auf das receptivum actus an« d. den WiUsti oder Yentaad.

968 £w6it6 Periode. Dritter Abielmitt.

iondem auch ein Umschwung der ganzen Anscbauungaweise, dm Duns Scotua die Idee der Freiheit zum Princip und Mittelpunkt lei« nea Systems machte. Wie er in ihr den auch in aittiicher Bezie- hung so wichtigen Begriff des freien sich selbst bestimnnenden Sab* jekts auffasste, so stellte er sich mit dieser Idee, da er die Freiheü nur als eine unmittelbare Th^sache des Bewusstseins betrachtea konnte, auch auf den Standpunkt des concreten Bewusstseins uad der realen Wirklichkeit. Sosehr auch er in der abstracten Be- griffswelt der scholastischen Dialektik sich bewegt, so Idsst sidi doch bei ihm da und dort eine sehr entschiedene Reaclion gegca den transcendenten Dogmatismus der scholastischen Metaphyak wahrnehmen. Das Reale, Thatsachliche, in der empirischen Wirk*^ lichkeil Gegebene hat für ihn eine andere Bedeutung als fürThomift Während Thomas sich immer dazu hinneigt, das Besondere nur ii Allgemeinen anzuschauen und in dasselbe aufgehen zu lassen, Ul dagegen Duns Scotus an der Realität des Besondem und Einzelaca fest, er wahrt das Recht des Fürsichseins, er siebt in ihm die aidi ii sich selbst zusammenziehende Natur der Dinge; es gehört an sich zum Begriff des Individuums, dass es der Theilbarkeit widerstreUi nicht blos durch Verneinung entsteht, sondern in sich selbst dea Grund der Bejahung hat 0- In diesem an das Gegebene sich hal- tenden Realismus liegt so oft der Grund seines Widerspruchs gegei Thomas, wie namentlich wenn er einen empirischen Ursprung der Erkenntniss der Engel behauptet, weil das Einzelne im Allgemet nen nicht so enthalten sei, dass es als Einzelnes aus ihm erkaaal werden könne, ein Wissen des Künftigen nicht zugibt , wenn es Gott nur als ein ewig Gegenwärtiges anschaut, weil er es so nicht nach seiner zeitlichen empirischen Wirklichkeit weiss, und Christos vor allem auch die intuitive Erkenntniss zugeschrieben wissen will» weil diese durch keine andere ersetzt werden kann und Christos ohne sie die concreto Wirklichkeit des menschlichen Bewusstseins gar nicht gehabt hätte '). Wie alles diess von einer Richtong

1) Vgl. meine Gesch. der Lehre von der Dreieinigkeit 2. S. 452 £ RiTTBR Geschichte der Philos. 8. S. 433.

2) Vgl. die Lehre von der Drcieinigk. 2. S. 761. 847. 915 f. Eben diese den Dans Scotns wesentlich von Thomas unterscheidende Eigentbüm- licbkeit drückt sich bei ihm auch darin aus, dass bei keinem Scholastiker in so specifischem Sinne i wie bei ihmi von einer Entität» QuiditAt wa^

Duns Seetus. 8ein ReAlismas a. FreiheitsbegrifH 869

sengt, deren Bestreben es ist, Yon der scholastischen Transcen- denz zu der realen Wirklichkeit, zu den Thatsachen des unmittel- baren Bewusstseins, zu welchen auch die Idee der Freiheit gehört, zorückzulenken , so ist dagegen die schwache Seite des Systems des Dons Scotus, dass ihm die Freiheit des göttlichen Willens nur die absolute Willkür und Zufälligkeit ist Je grössere Bedetitung der Begriff des Willkürlichen bei Duns Scotus erhielt, um so mehr /frerlor dadurch die Consequenz des scholastischen Denkens ihren ifi^nUichen Nerv. Es ist überhaupt bemerkenswerth, wie der Sobolastik das Bewusstsein der objectiven Nothwendigkeit, deren Charakter ihre dialektischen Beweise an sich tragen sollen, in der Zeit nach Anselm mehr und mehr entschwand, indem man über das da nothwendig Erwiesene immer wieder einen Begriff der göttli- chen Allmacht stellte, durch welchen an die Stelle des Nothwendi- fen etwas blos Willkürliches gesetzt wird. Was nützen alle logi- achen Deductionen, dass etwas so und nicht anders habe geschehen «taiey, wenn Gott doch vermöge seiner Allmacht thun kann, was ar will? Es ist im Grunde nur die Steigerung des Hisstrauens, das

HAooeitat die Bede ist Statt die Dinge in ihrem von oben herab determi- ■faten und transcendenten Sein ihrem eigentlichen Wesen zn entrücken und m in das Allgemeine zerfliesaen sa lassen, hält sie Dnns Scotus bei dem- jndgm fest, was sie für sich sind, in ihrer Singularität, als dieses bestimmte Baiiiy das sich nicht weiter erklären lässt, aber bei allem, was ist nnd für sieh existirt, der innerste Grund seines Daseins ist Die Häcceität ist der Terminus, Über welchen das Denken nicht hinausgehen kann, welches das en$ Bnr als hoe ens in dieser seiner Unmittelbarkeit oder als das schlechthin ge- gebene SU nehmen hat SingularitaiU ratio fnuira quaerUur, Mit dieser Bedeutung der Häcceität hängt bei Duns Scotus der Nachdruck zusammen, mit welchem er sich auf den Standpunkt des unmittelbaren Selbstbewusstseins stellt. Während nach Thomas die im Bewusstsein sich aussprechende Selbst- bestimmung nur illusorisch sein kann, ist dagegen für Duns Scotus die Auuwage des Selbstbewusstseins das Allergewisseste, das es für den Menschen gebe; wasCartesius vom Denken sagte, sagte schon Duns Scotus vom Wollen. Er sagt de rerum principio qu. 15, 16: Änima humana cognoicU $e e$t9 ac eorpori ineue per actus 9Uo% intrkueeoB et extrvn$eco$f ciira omnem apedem umeo mentii experimento. Dum enim volo, seruua iUe mentia interior eer- iuiime eognoacit atque experitur , me veüe. Nee anima in praesenti vita Ofsegtit pateet tantam eertitudinem de aUquo, quantam hattet de aetihm rata MilTinjeew; adt enim $e veUe eertieaime, dum vult, et quia per experimentum AofM» tfcAmm ecit «e eue^ ideo etc* VgL Wabiubb a. a. 0. 3. 8, 96. Baur, K.a. d. MiUeUtters. 24

370 Zweite Periode. Dritter Abiohnitt.

sich der Scholastik selbst gegen die Consequenz ihres Denkens nf- drang, wenn Dans Scotus im allgemeinsten Sinne behauptete^ diu es für Gott überhaupt nichts an sich Nothwendiges gebe. DieNottn wendigkeit einer objectiven Vermittlung, wie sie die Idee des an- selm'schen Satisfactionsdogma ist, lag dem Duns Scotus so sehr aus- serhalb aller Kategorien seines Denkens, dass er nicht einmal eines Gottmenschen als Erlöser für nothwendig hielt und der Meinmif war, auch ein blosser Mensch hätte für alle genugthun können ^> Es kommt ja nicht darauf an, was etwas an sich ist, sondern nn wofür es Gott hält, und in welcher Qualität er es annimmt Won braucht das Verdienst Christi objectiv ein unendliches zu soi, wenn es nur von dem Willen Gottes abhieng, wofür er es gelMi lassen wollte? Auch das Gute ist ja gut, nicht weil es an sich gri ist, sondern nur weil es Gott will. Aus demselben GesichtspunM muss auch die Lehre des Duns Scotus über die Gnade aufgefaafi werden. Auch die Gnade ist keine objective Realität, keine rede Wirkung Gottes, durch welche im Menschen das erst hervorga- bracht wird, was von ihm belohnt zu werden verdient, auch sie beruht nur auf dem Begriff einer Mvina acceptatio. Die Gnada besteht, wie Duns Scotus sagt, wesentlich in eaaendo propter qu$i actus acceptetur, darin, dass etwas da ist, was als gottgefälliger Act angesehen wird; so betrachtet erscheint eine Handlung als Wirkong der Gnade, wobei von selbst in die Augen fallt, wie sich die Ao- ceptation zur Idee der Freiheit verhält Das Innere eines Willens acts kann nur Sache des freien Willens sein, die wirkende Ursache, das bewegende Princip, das eigentliche Subjekt der Handlung ist der Wille; was durch die Gnade hinzukommt, ist blos eine äussere Beziehung, indem der Willensact in das Verhältniss zu Gott gesetxt wird, dass ihn Gott acceptirt oder für einen gottgefälligen erklärt. Auch in dieser Beziehung kommt es demnach nicht darauf an, wie etwas an sich imd objectiv ist, sondern nur, wofür man es hält, wofür es genommen wird, was es für das Bewusstsein des Subjekts ist, und wenn auch das Subjekt, um dessen subjektive Ansicht und Willensbestimmung es sich handelt, Gott ist, für welches als das absolute Subjekt nichts blos subjektiv sein kann, so ist doch schon von Duns Scotus der Anfang gemacht, die Subjektivität der Vor-

1) Vgl. meine Gesch. der Lehre von der Yersölmang. S. 266 f.

Dnns Sootiif« AaflOi. des Standpunkts der Bcliolastik. 371

stellong Yon der Objektivität der Sache so zu unterscheiden, dass man begreift, wie dieser Gegensatz der allgemeine, die Richtung der Zeit bestimmende Gedanke werden konnte.

In die compacte Einheit, die das Wesen der Scholastik auf der ktöchsten Stufe ihrer Entwicklung ausmacht, kam zuerst durch Dons Scotusein Riss, der immer tiefer eindrang und zuletzt die ▼öUige Auflösung der Scholastik herbeiführte. Die Objektivität der' scholastischen Weltanschauung beruhte auf derVoraussetzung, dass, was der erkennende Verstand mit seinen rationea sich nicht anders denken kann, auch in der Wirklichkeit nicht anders sein könne. Da das eigentliche Objekt des Denkens die allgemeinen BegrifiPe find) ohne deren Realität das Denken keinen realen Inhalt hätte, ao bestand ebendann der scholastische Realismus. So gewiss die allgemeinen Begriffe objektive Realität haben, so gewiss muss auch dies, was aus ihnen abgeleitet wird, objektiv wahr sein. Wie ttess die Einheit des Denkens und Seins war, so war auch zwischen dem Glauben und Wissen kein Zwiespalt Die fidea quaerena in- Uhctum vollzog die Einheit des Glaubens und Wissens, indem es dem scholastischen Verstand nie an rationea fehlte, um den als absolute Wahrheit geltenden Inhalt des Glaubens der denkenden Yemonft so begreiflich zu machen, dass der inteUe€tua der fiäea seh imterordnete. Es gab daher für die Scholastik keine doppelte Wahrheit, sondern nur Eine, indem als Grundsatz galt, dass för die denkende Vernunft oder die Philosophie nichts wahr sein könne, was es nicht auch für die Theologie sei. Diese Einheit des scho- lastischen Bewusstseins wurde zuerst durch Duns Scotus dadurch getrübt, dass er den ganzen Standpunkt der Betrachtung verrückte. Indeffl er, um den Willen in seiner reinen Eigenthümlichkeit als ein vom Verstand unabhängiges Princip aufzufassen, das Wollen über das Erkennen setzte, und auf so vielen Punkten des Systems für eine willkürliche, schlechthin positive Willensbestimmung Gottes erklärte, was nach der bisherigen Ansicht in der objektiven Reali- tät der Sache selbst gegründet zu sein schien, trennte er nicht nur den Willen vom Verstand , das Praktische vom Speculativen , den Glauben vom Wissen, die Theologie von der Philosophie, sondern leitete auch schon den Uebergang auf einen Standpunkt ein, auf wdchem die Objektivität des Seins von der Subjektivität des den- kenden und vorstellenden Bewusstseins sich ablöste.

24»

379 Zweite Periode. Dritter Abiohnitt

Der auf diese Weise von Duns Scotus ausgehende Um- schwung des Zeitbewusstseins lasst sich zunächst an Durandas de S. Porciano und Wilhelm Occam weiter verfolgen.

Durandus gehörte zwar als Dominicaner der thomistisdieB Schule an, er trat aber in allen die Theologie überhaupt betreffen- den Fragen, deren Beantwortung seit Thomas als Einleitung dei dogmatischen Systemen vorangestellt wurde, so entschieden wi die Seite des Duns Scotus, dass schon daraus die Bedeutung n ersehen ist, die diese neue Richtung gewann Das Interesse, das die Scholastik getrieben hatte, nach der Einheit des Wissen und Glaubens zu fragen , fiel jetzt so wenig noch auf die Seite dei ] Wissens, dass vielmehr alles, was Objekt des Wissens sein konil% zum Glauben gerechnet wurde. Durandus konnte die Frage, i die Theologie eine Wissenschaft sei 0, in dem dreifachen Sinn, t welchem er den Begriff der Theologie nahm , nur verneinend be^ antworten. Versteht man unter der Theologie den habiiu$, durdi welchen die in der Schrift enthaltene Lehre in der Weise, wie ne in ihr enthalten ist, erkannt wird, so ist zwischen Theologie vai Glauben kein Unterschied, da die Zustimmung zu einer Lehre, & auf göttlicher Auetoritat beruht, nur Sache des Glaubens ist U ferner die Theologie der habUua, durch welchen der Glaube und die Schriftlehre vertheidigt und erklart werden, so haben zwar Glaabe und Theologie denselben Inhalt, und der Unterschied ist nur, dass der Glaube sich allein der Auctorität, die Theologie sich der Vemanfk bedient; es fragt sich aber sodann, ob dasselbe zugleich Objekt des Glaubens und Wissens sein könne. Auch diese Frage wird verneint, weil in der Theologie nichts an sich gewiss ist Es ist z. B. nicht an sich gewiss, dass durch die Wunder Christi seine Person beglaubigt werden sollte. Die Apostel haben durch das, was sie von Christus hörten und ihn thun sahen, kein eigentliches Wissen davon erhalten, dass er Gott ist Es ist auch diess nv Sache des Glaubens. Versteht man drittens unter der Theologie den habituB dessen, was aus Glaubensartikeln so deducirt wird, wie man Folgerungen aus Principien zieht, so ist die Theologie auch in diesem Sinn keine wahre und eigentliche Wissenschafii

1) Man ygl. seinen Commentar über die Sentenzen in der Ausg. Lngd. 1563;

2) Prologi qu. 1.

Durandas de S. Porciano. 878

weil der demonstrative Syllogismns, der allein ein eigentliches Wissen bewirkt, von nothwendigen nnd an sich gewissen Sätzen ausgeht; diess findet aber bei reinen Glaubensartikeln, wie die Lehren von der Dreieinigkeit nnd der Menschwerdung sind, nicht statt, sie beruhen nur auf der Auctorität der Schrift und dem Glau- ben , dass sie von Gott inspirirt ist. Durandus untersucht sodann weiter die Frage, ob nicht dem Menschen als Wanderer auf ausser- ordentliche Weise ein Wissen von Glaubensartikeln, eine voll- kommene und absolut gewisse Erkenntniss Gottes, als des drei- einigen, mitgetheilt werden könne, die nicht intuitiv, sondern afo- stractiv wäre. Es erscheint aber diess unmöglich, da die abstracto Erkenntniss nur aus der intuitiven abstrahirt werden kann, eine iolche intuitive Erkenntniss Gottes aber, wie sie die Seligen haben, der Mensch, solange er Wanderer ist, nicht haben kann. Dieselbe Richtung, vermöge welcher das Wesen der Theologie vorzugs- wrise nicht in das Wissen, sondern den Glauben, nicht in das Speoulative, sondern das Praktische gesetzt wurde, tritt besonders bd der Frage über das Subjekt oder vielmehr das Objekt der Theo- logie hervor. Das Objekt ist der actus meritoriua, das auf die Selig- fcatl abzweckende Handeln des Menschen. Ebendiess ist der Haupt- inhalt der Schrift, alles l)ezieht sich in ihr darauf, dass der Mensch durch verdienstliche Werke sich die Seligkeit erwirbt. Daher gibt lie theils Vorschriften für das rechtschaffene Handeln , theils Bei- ^iele desselben, theils heilsame Ermahnungen, theils stellt sie Be- lohnungen und Strafen auf. Auch was die Schrift über Sachen des Glaubens enthält in Betrefi" Gottes an sich und des menschgewor- denen Sohnes, hat die gleiche Beziehung auf das opus meritorium. Die Hauptsache ist nicht, dass wir durch den Glauben eine Er- kenntniss von Dingen gewinnen, die an sich keiner Evidenz fähig sind, und von deren Wahrheit wir uns nicht überzeugen können, sondern sie sollen für uns nur ein Gegenstand des Glaubens sein, damit sie geglaubt werden , weil der Glaube an sich etwas Ver- dienstliches ist. Diess ist bei allem , was sich auf den fleischge- wordenen Christus und sein Verdienst bezieht, von selbst klar; nicht ebenso klar ist, welche Beziehung der Artikel von der Trini- tat auf das opus meritorium habe, und doch hat auch er eine solche, und zwar ist, je schwieriger das Objekt ist, der Glaube als solcher nur um so verdienstlicher. Der Hauptgesichtspunkt, aus welchem

874 Zweite Periode. Drittes Abiolmitt

die heil Schrift zu betrachten ist, bleibt daher das wepkUiiti||e Handeln, durch welches die übernatürliche Seligkeit erworbei wird Aus allem Bisherigen ergibt sich, dass die Theologie wesentlich praktisch ist, da alles, auch das Speculative in'ihr, so- fern es nur auf den letzten Endzweck bezogen werden kann, en praktisches Interesse hat

In diesem Hauptsatze besteht , wenn wir den Standpunkt im Duns Scotus und Durandus mit dem des Thomas von AqvM vergleichen, die wesentliche Differenz zwischen beiden. Wen auch schon Thomas, wie Durandus, ausdrücklich erklirte, fie Theologie unterscheide sich von allen andern Wiaaenschafitt wesentlich dadurch, dass sie auf der in der Schrift enthaltenoi göttlichen Offenbarung, somit auf Auetoritat beruhe, und alle ihn Satze in letzter principieller Beziehung nicht Sache des Wiaseai, sondern des Glaubens seien, so gab er doch auf die Haaptfirage, ob die Theologie speculativ oder praktisch sei, eine ganz anden Antwort. Auch er konnte zwar nicht verkennen, dass die Theologi0 auch eine praktische Seite habe, aber das Praktische halte fitarfti nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Theologie iat niobt so* wohl praktisch als speculativ, weil sie es principiell nicht mit dfli menschlichen Handlungen, sondern mit den göttlichen Dingen u thun hat, und die menschlichen Handlungen nur aus dem GesiehbH punkt betrachtet, dass sie dazu bestimmt smd, den Menschen sar vollkommenen Erkenntniss Gottes zu führen ^). Das Objekt der

1) A. a. O. qn. 5. de sabjecto theologiae : Sieut nauta conHderat attn et moium agtroruan non secundum ae et absohUef sed prout sunt regula na* vigandi ad determincttum portum, ut patet de steüa, quae dicitur nautica et connmÜibuSf secundum qtwrvm situm navigatio est tuta vel periculotaj tic fidee et aaera acriptura conaiderat de Deo incamcUo paaao, et sie de aSu non aeetmdum ae et abaohUe, aed inquantma awnt quaedam adjuvantia, JO' vtmtia ac dirigenHa noa ad namgandum per mare kujua aeculi vuqu» od portwn aalutia. Et ideo, aicut in arte navigaiiva aatra et motua aatronm non atmt aubjectum aed navigeUiOf aic in fide abaolute aumta, aeu in thealogia prent nunc amaitur^ Deua aub quacunque reUione aumtua, non eat avijectuin^ aed opua meritorium.

2) A. a. O. qn. 6 : Licet fidea articulorum ait hahitua apecuUxtivuaj tarnen theologiaj quae artieuloa fidei applicat ad opua meritorittmy eat pritctiea,

3) Samma theol. P. 1. qu. 1. art. 4 : Magia eat apeculativa quam prac- tica, qyia prindpaUua agit de rebus divinia, quam de actibua AtmumM» de

Darandnt und Thomas» Begriff der Theologie. 375

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Theologie ist daher nach Thomas schlechthin Gott, weil die Theo- ]ogie alles, wovon sie handelt, nur unter den Gesichtspunkt der Idee Gottes stellen kann, sofern es entweder Gott selbst ist, oder eine Beziehung auf Gott als Princip und Endzweck hat. Sie be- trachtet die Menschen nicht praktisch als handelnde Subjekte, son- dern speculativ als Objekte der göttlichen Thätigkeit Und da die Principien der Theologie Glaubensartikel seien, in welchen das Objekt des Glaubens Gott ist, so erhelle auch daraus, dass das Objekt der Theologie nicht anders bestimmt werden könne. Wenn nun im Gegensatz gegen diese Bestimmung des Begriffs der Theo- logie Durandus das Objekt derselben nicht in Gott, sondern in den aeiua fneritorius, das menschliche Handeln in seiner Beziehung auf die Seligkeit, als den Endzweck des Menschen, gesetzt wissen wollte, so ist hieraus deutlich zu sehen, wie der ganze Standpunkt der Betrachtung der gerade umgekehrte ist. Nicht von der Idee CiOttes, sondern der Idee des Menschen aus muss der ganze Inhalt der Theologie aufgefasst werden, ebendesswegen ist das, um was es rieh in der Theologie handelt, nicht das Wissen, sondern das Thnn. Ist das Objekt der Theologie Gott, so kann ihre Aufgabe nur sein, das Wesen Gottes für das Bewusstsein des Menschen, sein Wissen und Erkennen aufzuschliessen, und der Mensch verhält sich zu Gott nur so , wie er im Erkennen durch das Objekt seines Erkennens bestimmt wird; ist aber der Mensch der Hauptbegriff, 80 kann er auch nur in der Eigenthümlichkeit seines Fursichseins, als freies selbstthätiges Subjekt aufgefasst werden, und die Haupt- firage kann daher nur sein, was er selbst zu thun hat, um den End- zweck, für welchen er bestimmt ist, zu erreichen. So wichtig auch das ist, was er durch die Offenbarung von Gott weiss, so ist diess doch nur ein Mittel fär den praktischen Zweck. Ist diess der Hauptgesichtspunkt, so war er nur dadurch möglich, dass das ursprüngliche Wissensinteresse der Scholastik nicht mehr dasselbe war; in demselben Verhältniss, in welchem das Wissen gegen das , Thun zurücktrat, musste es auch gegen den Glauben zurückstehen,

quibiu agitf seetmdum qiwd per eos ordiruüur hämo ad perfectam Dei eogni- iianem, in qua aeterna beatitudo eonnstit

1) A. a. O. Omnis acientia practica est de rebus operabUibuB ah homine^ ut moralis de actUma hominum sa^ra atUem doctrina est prindpaUter de DeOf ei^w magis homines sunt opera.

376 Zweite Periode. Dritter Absohiiitt

und stau des Bestrebens , den Gkuben mit dem Wissen auszuglei- chen, war es jetzt vielmehr absichtlich darum zu thun, den Glau- ben in seinem specifischen Unterschied vom Wissen anfzaEeissa, und die Theologie auf das Princip der Auctorit&t zu gründen. Ob- gleich diess auch schon von Thomas anerkannt worden war, n hatte doch sein System eine so überwiegend speculative Tenden, dass es in der metaphysischen Idee Gottes, als des absoluten Seui, sich zu einer Weltanschauung gestaltete, deren Consequenz in lo mancher Beziehung mit der kirchlichen Lehre in einen unvermeid- lichen Conflict kommen musste. Alles diess musste von selbst aif einem Standpunkt hinwegfallen, auf welchem das Interesse im Wissens dem des Glaubens untergeordnet und die ganze Aufgalw der Theologie als eine wesentlich praktische bestimmt war. Nv war auf der andern Seite dieser Umschwung der allgemeinen Aa- sicht für die Scholastik im Ganzen keineswegs so durchgreifend, wie man nach seiner principiellen Bedeutung erwarten sollte. UTie wäre sonst der formelle Charakter des scholastischen Systems aud jetzt noch derselbe gewesen , wie bisher, wie hätte die Scholastik noch immer in die zwingende Macht ihrer Syllogismen so grosse! Vertrauen setzen und in derselben Methode des dialektischen Di- stinguirens und Demonstrirens fortfahren können, wenn sie des praktischen Zwecks, für welchen alles diess geschehen sollte, sich klarer und bestimmter bewusst gewesen wäre? 0 Indem so die Form und Methode der scholastischen Systeme mit der Idee, die ihnen zu Grunde lag, nicht mehr zusammenstimmte, können wir auch hierin nur ein neues Symptom desAuflösungsprocesses sehen, in welchem die Scholastik begriffen war. Alles, was diese Systeme noch Scholastisches an sich hatten, wurde zu einem rein äusserli- chen Formalismus, da es für den praktischen Zweck, welchem es der Idee nach dienen sollte, im Grunde völlig gleichgültig war. Wie auf diese Weise das Band, das die Scholastik zwischen

1) Vgl. Dnrandus Prol. q^. 1: Syllogismus dcmonstroHvuSf qui facU Bolus proprie scirey procedit ex propositionibus necessariis et per se notis vsl reducibüibus ad aliqua per se nota , sed nuUa ratio procedens ex articvUsy qui merae sunt fidei^ est hujusmodif ergo nuüa talis ratio facit proprie sdre. Und doch bediente man sieb, wie wenn es um ein solches Wissen zn thiin w&re, fort und fort derselben scholastischen Methode, die auch schon mit dem Commentiren der Sentenzen eng zusammenhieng.

Nominaliimiis« Dnrandni und Willielm Oooain. 377

dem Glauben und Wissen zu knüpfen sachte, sich so auflöste, dass die Scholastik selbst den Gedanken an die Lösbarkeit ihrer ur- sprünglichen Aufgabe aufgegeben zu haben scheint, so sehen wir im Durandus auch schon die Einheit auseinanderfallen, welche der scholastische Realismus zwischen Sein und Erkennen Yoraus- fetzte. Durandus war noch kein erklärter Nominalist, aber die Primissen der nominalistischen Denkweise finden sich schon bei ihm« Er läugnete nicht nur alles apriorische Erkennen und die Realität der allgemeinen Begriffe, indem er alles, was sie Wahres enthalten, nur für eine Abstraction des Verstandes aus den in der ainnlichen Anschauung gegebenen einzelnen Dingen hielt, Sondern atellte auch die Uebereinstimmung des Verstandes mit der Sache in Krage. Ein adäquates Verhältniss, eine Conformität zwischen bei- den schien ihm schon desswegen nicht möglich, weil zwischen der Vorstellung des Verstandes und dem Gegenstand, auf welchen sie ridi beziehen soll, keine Aehnlichkeit stattfinde. Er nahm zwischen iem Erkennen und dem Erkannten nur eine gewisse Proportion ai| fie er nicht weiter zu erklären wusste 0* Diess ist schon der taikt, von welchem aus Wilhelm Occam, der eigentliche Er- neuerer des Nominalismus, dieselbe Richtung weiter verfolgte. Sein Hauptargument gegen die Realität der allgemeinen Begriffe war, dass sie die Natur der einzehien Dinge nicht erklären und aiasdrücken, weil ein Ding durch etwas, das kein Ding ist, em Reales durch ein Nichtreales nicht ausgedrückt werden könne. Wenn ausser der Seele nur Substanzen seien, der Gedanke aber nnr ein Accidens in der Seele sei, die Dinge ausser der Seele etwas Einfaches und Einzelnes, jeder Gedanke aber aus Subjekt und Prä- dikat zusammengesetzt, so erhelle hieraus nur die Unmöglichkeit, dass Denken und Sein zur Einheit zusammengehen. Die allgemei- nen Begriffe waren ihm nur Fictionen oder Abstractionen und ver- worrene Vorstellungen, deren Beziehung zu den Dingen ausser der Seele er durch gewisse theils natürliche theils willkürliche Zei- chen vermittelt werden liess. Je weniger er seine dem Realismus entgegengesetzte Erkenntnisstheorie auf einen klaren Begriff zu

1) Vgl. zu Sent. 11. dist 19. qa. 5: Omnef quod ett subjtctive in in- teUeetUf ut aecidena, res aiUem exterior est quandoque substantia materialiSf vel ii aeddens est^ aecideTis eorporeum. IrUer haee tum pottit esse similüudo vel eorrformiUM in esdendo, cum wrU dioenorum generum.

378 Zweite Periode. Dritter Abiehnitt.

bringen vermochte , um so gewisser stand ihm als Resultat aller seiner Argumentationen das Eine fest, dass nicht blos die allge- meinen Begriffe, sondern alle Begriffe keine objectite Wafarhot haben, überhaupt zwischen Denken und Sein eine unübersteiglidw Kluft liege 0-

In demselben Verhaltniss, in welchem die scotistische Sdnde zu ihrer Bedeutung gelangte, gewann auch die mit ihr in so engen Zusammenhang stehende nominalistische Denkweise einen allge- meineren Einfluss. Es standen nicht nur Thomisten und Scotistei, sondern auch Realisten und Nominalisten einander gegenüber, ni die Letztern hatten gegen das Ende der scholastischen Periode du entschiedene Uebergewicht. So war bei derselben Frage, bei wel* eher einst Anselm gegen Roscellin die ersten Zweifel an der Reh litat des Denkens mit so kühnem Selbstvertrauen niedergeschlag« hatte, der scholastische Verstand , nachdem er mehrere Jahrhnih derte an der Lösung seiner Aufgabe gearbeitet hatte, an sich seiht irre geworden; er wusste nicht, welchen realen Inhalt seine Ge- danken und Vorstellungen haben, ob sie nicht etwas blos Subjek- tives seien y welchem ausserhalb des vorstellenden Bewosstsentf nichts objektiv Seiendes entspreche. Wie wenn die Scholastik Off eigenes Gewebe wieder auflösen müsste, gieng sie nicht nur voi der erstrebten Identität des Wissens und Glaubens auf den Stand- punkt des Glaubens zurück, sondern zog sich auch aus der Objek- tivität ihrer realen Welt, in welcher sie mit ihrem transcendenter Dogmatismus so feste Positionen genommen hatte, in die Sphäre des vorstellenden Bewusstseins zurück, in welchem sie zu allem, was ausserhalb desselben war, sich nur skeptisch und kritisch ver- halten konnte. Wie sehr der Scholastik selbst zuletzt das Vertrauea zu ihrer schöpferischen Kraft entschwand, lässt sich an einem sehr einfachen Beispiel nachweisen. Der Hebel ihrer Bewegung, das Princip, auf welchem die Wahrheit ihrer Demonstrationen, das ganze System ihres Wissens beruhte, war der Syllogismus. Durch die Nothwendigkeit der logischen Consequenz, mit welcher sie von dem Einen auf das Andere, von der Wirkung auf die Ursache schloss, schwang sie sich aus der sinnlichen Welt in die übersinn-

1) Vgl. RiTTEB, Gesch. der Philos. 8. S. 582 f. Schwab a. a. 0. S. 280 t. meine Gesch. der Lehre tod der Dreieinigk. 2. S. 867 f.

Nominaliti Denkweise. AnotoTÜfttiprinoip. 379

liehe, und die Grundlage ihres ganzen Gebäudes waren daher ihre Argumente für das Dasein Gottes. Ihre Beweiskraft hatten aber diese Argumente nur solange die Voraussetzung feststand, dass es keine unendliche Reihe von Ursachen und Wirliungen , kein yiro- cedere in uiftnUum gebe. Der Nerv der scholastischen Methode war daher mit Einem Male zerschnitten, als auch dieses Axiom be- sweifelt wurde, und es ist gleichfalls sehr bezeichnend für Occam, dass er einer der ersten war, welchem ein unendlicher Fortgang In der Reihe gleichartiger Ursachen keineswegs als unmöglich erschien 0* Wie misstrauisch musste man gegen die Beweiskraft der syllogistischen Argumente werden, wenn sie gerade bei dem Hauptproblem sich so unzureichend zeigten, um zu dem Punkt zu gelaoigen, wo die Subjektivität des Denkens mit der Objektivität des realen Seins sich zusammenschliessen sollte. Die natürliche Folge aber, welche alle diese den Verfall und die allmählige Auflösung der fkdiolastik bewirkenden Momente hatten, war die steigende Auctorität deifilaubens. Die Bedeutung des Auctoritätsprincips hatte die Scho- laslik nie verkannt, je mehr ihr aber im Wissen und Denken die idjektive Realität entschwand, um so mehr konnte sie zuletzt den Haltpunkt des Bewusstseins nur noch im Glauben haben, und je we- niger man jetzt noch, nachdem man sich solange vergeblich abge- mfihi hatte, dem Glauben eine von ihm verschiedene Stütze zu geben, das ursprüngliche Wissensinteresse haben konnte, um so mehr galt nun der Glaube in der äusserlichsten Weise und selbst im Wider- spruch mit den Aussagen des denkenden Bewusstseins als dieunum- stossliche absolute Auctorität Dieser Zusammenhang fällt von selbst in die Augen, wenn man sieht, wie gerade Durandus und Occam, so- sehr sie sich sonst durch ihre Freisinnigkeit auszeichneten, sich zum unbedingtesten Glauben an die Auctorität der römischen Kirche bekannten, und es geradezu als einen sich von selbst verstehenden Grundsatz aussprachen, dass in die Auctorität dieser Kirche sich jede Vernunft gefangen geben müsse 0- Da man auch jetzt von

1) CentUoquiam theol. conoloBio 1 : non ut impoanbilef sedpotUis neeu^ Barium in moveniibua ponere proeeiwm in inßnitum. Um das Dasein Gottes za beweisen, hatte noch Durandus das Gegentheil behauptet Köhler a. a. O. B. 153 f.

2) DuBANDUs sagt in der Vorrede cum Prolog der Sent.: Quia tntor- pretatio duHarum $aorae $eripturae ad sanctam ecektiam Bomanam et ea-

380 Zweite Periode. Dritter Abiohnitt

der alten scholastischen Methode des unendlichen Fragens nnd Unterscheidens nicht lassen konnte, so trat auch in dieser Bezie- hung, nachdem der Ernst der Sache entschwunden war, ein reii äusserliches Verhalten ein, das seine Spitze in so vielen Fragen hat, die so höchst müssiger und paradoxer Art waren, dass mn in ihnen, wenn sie auch nicht so gemeint waren, doch nur eine Selbstparodie der Scholastik sehen kann. So hatte zwar auch schon Thomas Yon Aquino 0 die Frage aufgeworfen, ob die menschliche Natur für den Sohn Gottes annehmbarer gewesen sei, als eiae andere, und sich für die Bejahung entschieden, weil der irratimü- len Creatur die c&ngruitaa^n sich, der Natur der Engel die co»- gmita$ der Nothwendigkeit fehle, auch Durandus hatte sie nod durch die Unterscheidung der potentia absoluta und ordmaia i demselben Sinne beantwortet *) : in welchem andern Sinne naha dagegen Occam die Frage! f)

thoUeam perHnetj omnia opera nottra ^jua eorrecHoni Maliier mpjpommm. Vgl. Ocoam zn Sent I. dist 2. qu. 1 : prcpter feeelenaej auctoritaUm dtht omnia ratio capHvari und in dem Prolog zu dem Tract de B«or. altaiii: quidquid Bomana ecelena credit , hoc aolum et non aUud vel esqtUeit» mI implicite credo. Auch hierin folgten sie dem Duns Scotus, der einen Lein- Bfttz, wie den von dem characteTf welchen die Sakramente der Taufe, C<m- firmation und Priesterweihe imponiren sollten, auch nur wegen der Anototitit der römischen Kirche gelten lassen wollte.

1) Summa theol. P. IIL qu. 4. art. 1.

2) Zu Sent. III. dist. 2. qu. 1.

3) Gott hätte auch die Natur eines Steins, eines Holzes, eines Esels i&- nehmen können. Centiloquium theol. conclusio 6. Schon aus dem Titel dieser hundert Conclusionen ist zu sehen, in welchem inhaltsleeren Formi* lismus sich diese Scholastik bewegte, und wie sehr sie sich in der spielenden Kunst gefiel, dialektische Paradoxa aufzustellen. Vgl. Schwab, Joh. Qerson 8. 288. Uebrigens hatte auch schon Duns Scotus behauptet, dass der Logos nicht blos die menschliche Natur, sondern jede andere annehmen, auch nüt einem Stein sich hypostatisch uniren könne. Vgl. Webneb, der h. Thomas 3. S. 43. 87. Ueber Occam's Nominalismus und seinen die Nothwendigkeit eines übernatürlichen habitus läugnenden Pelagianismus und Indifferentismiu ebendas. S. 280 f. Einer der auffallendsten Sätze ist in dem Conun. über die Sent. Lib. 3. qu. 8: Non est impoasibile^ quod Deus ordinety quod qid vimt sectmdum dictamen rectae rationisj sie qiLod non credat aliquid niti iUud sit sibi naturaU ratione conclusum tanquam credendwia, sit dignu» vita aetema» Wie ist diess möglich, wenn es thatsächlich eine übernatürliche Offenbarung gibt? Kann man ohne sie selig werden, so ist zwischen dem

AnflSsang der SohoUst. Lehre v. cL Sacrainenteii. 981

Um den Gang, welchen die Scholastik in der Periode ihrer allmähligen AuiQösung nahm, noch concreter kennen zu lernen, eignet sich keine andere Lehre besser, als die überhaupt Ton den Scholastikern mit so grosser Vorliebe behandelte Lehre yon den Sakramenten und insbesondere die Lehre Yon der Transsub- slantiation. Die Veränderung bestand, wie sich auch daraus ergibt, hauptsächlich darin, dass an die Stelle der objektiven Realität, wie rie zum Charakter der altern Scholastik gehörte, und einer in der Natur der Sache selbst begründeten innem Nothwendigkeit, etwas blos Aeusserliches, Zufälliges und Willkürliches, in die Sphäre der blossen Vorstellung Fallendes trat, dass die Scholastik selbst kein Interesse hatte, die objektive Wahrheit der kirchlichen Lehre als eine sich von selbst verstehende Sache darzuthun, sondern ihren Scharfsinn lieber nur darauf verwandte, zu zeigen, dass auch eine andere Vorstellung als die kirchliche denkbar, wenn auch aus Bflcksicht auf die Kirche nicht ebenso annehmbar sei.

Im Sinne des scholastischen Realismus hatte Thomas be«- kauptet 0 9 dass die Sakramente , sofern sie die instrumentale dnache der Gnade sind, eine gewisse rtrfus m$tnimentaÜ9 ad bidueendum Macramentalem effectum haben. Das Sakrament sollte didurch in eine innere reale Beziehung zu der Wirkung, deren Ursache es ist, gesetzt werden, es sollte die Gnade nicht blos per guandam concomitantiam bewirken, so dass die die Sakrament- Bebe Wirkung hervorbringende göttliche Kraft dem Sakrament nur assistirt Wenn auch ein Körper keine geistige Kraft habe, so hindere doch nichts, anzunehmen, dass eine solche Kraft instru- mentaliter in einem Körper sei, sofern ein Körper von einer gei- stigen Substanz bewegt werden kann , um eine geistige Wirkung hervorzubringen. Nach Duns Scotus dagegej^ steht das Sakrament

GUmbigen und Ungläubigen kein Unterschied. Ebenso unklar ist, wie mit seiner Derotion gegen die römische Kirche der Schriftgrundsatz sich ver- tiftgt: Omnes veritcUes, qucte nee in bibUa aurU maertae^ nee ex eontvnii» in ea eansequentia neceaaaria et formali poswmt vnferri^ Ucet in »criptuiris San- eiorum et in deßniHonihua sanctorum PonHfieum asseranturj et etiam ab aminilma fideUbua teneantur, non sunt catholicae reptUanda», nee est necee- eaaium ad »ahUem eis per fidem firmiter adhaerere^ vel propter eae rotionem vel inteüectum hnmanum captivare, (In dem Dialogus bei Qoldast Monarch. 2. S. 410.) Kann das Eine so ernstlich gemeint sein als das Andere? 1) Summa theol. P. m. dist 62. art 4.

389 Zweite Periode. Dritter Abicbnlti

als instramentale Ursache der Gnade in einer blos flnMem Beiiehuig za seiner Wirkung; es beruht nur auf einer Anordnung Gottes, im er einem solchen Zeichen, weiin es seiner Einsetsung gemfiss ge- braucht wird , so assistirt , dass in dem Empfangenden eine Gnade bewirkt wird, die ohne das Sacrament nicht stattfände. Dnns Scotu nennt diese Anordnung auch einen von Gott mit der Kirche einge- gangenen Pact 0* Es ist hier demnach keine innere reale Notk- wendigkeit, vermöge welcher die Wirkung der Gnade durch be- stimmte körperliche Dinge, die zum Wesen des Sacramentsgehörei, vermittelt werden muss , das eine fst mit dem andern nur sufUlii verknüpft und es hängt auch diess in letzter Beziehung nur voi einer willkürlichen Bestimmung Gottes ab. Wie auf diese- Won an die Stelle des Innern Zusammenhangs zwischen dem Zeich« und der Sache ein blos äusserer trat , so dachte man sich auch tri der Seite des empfangenden Subjects die Wirksamkeit der Sacra- mente nicht innerlich vermittelt Nicht nur wurde der zuerst im DunsScotus dogmatisch fixirte Begriff des opus aperaium so bestimmt 0: weil die Sacramente die Gnade ex tbriuie operk operati ertheilen, so werde dabei keine gute innere Bewegunf/ welche die Gnade erst verdienen roüsste, erfordert, es genüge vid- mehr, dass der Empfangende nur nicht gerade einen Riegel vor-

1) Za Sent IV. dist. 1. qn. 5.: Suseeptio saeramenH e$t dUpotUio «f- eessitans ad efeetum aigruUum per aacramentum , non quidem per aUqum formam intrineecam ^ per quam neeessario cauearet terminum vel diapostHonem praemam^ aed tantitm per aeaUtenHam Dei eausantU ü effeetum, Statuit enm, qtwd adhünto tali ngno sectmdum modum et famum 9uae institutiomB iirftülUnUter vtUt aaeUtere suo signOf producendo graiiamt ri non poruUw obex in suaeipierUe saeramerUum , quam graiiam alia» wm produceretf ei eacramenium ülud non exhiberetur. Et iata ordinaHo sive im^ etitutio divina vocatur pactum Dei initwn cum eeclesia. Auch Durandiu n Sent IV. dist. 1. qu. 4 beantwortet die Frage, ob die Sacramente eine virtMt inhaerene causativa gnttiae haben yemeinend. Quod enim in re epiriiuaK, eieut est anima ratUmalia cum suis potentüa sepa/rabiUbuSf poeait eeee aUqua diepoeitio tpirituaUs caneonum est ratiani, »ed quod in rebus pure ecTpora- UbuSf quales sumt res sacramentaUSf possit esse virius seu qualitas spirituaüi non videtur rationi eonsonum. Da es aber doch die instrumentale Ursache ist, so ist zwischen der Ursache und der Wirkang eine blos ftosserliohe Beziehung.

2) Duns Scotns a. a. O. qu« 6. Vgl. Q, Bibl Collectoria super Sent. KU Sent. IV. dist 1. qu. 8.

Lehre ▼. d. Bacramenten n. TranBinbBtaniiation. 383

schiebe sondern es worde auch dieses obicem ponere selbst in einem so laxen Sinne genommen, dass man es eigentlich nur von dem Hinderniss einer Todsünde verstand.

Ganz besonders war es die Transsubstantiationslehre, an wel- cher der scholastische Verstand sich fort und fort zerarbeitete. Es war nicht genug, dass der Begriff des Transsubstantiationswunders festgestellt wurde, die Scholastik wollte auch unter Voraussetzung des Wunders die ganze Denkbarkeit der Sache untersuchen, nicht sowohl um den Glauben der Kirche zii rechtfertigen , als vielmehr BBf tun zu sehen , welche Grenzlinie zwischen dem Denkbaren und Ihdenkbaren sich ziehen lasse. Diess geschah durch die Frage ttier die Art und Weise , wie Christus unter dem Sacrament der Bacharistie sei. Es steht fest, dass er ganz unter diesem Sacrament Ml und ganz nicht nur unter jeder der beiden specieg des Sacra- ments, sondern ganz auch unter jedem Theil der ipecie$; aber man msste sich dagegen die Einwendung machen, da ein Körper von grtsierer Quantität unter dem Maass einer kleinern Quantität nicht gmM enthalten sein kann, und das Maass des consecrirten Brods lad Weins viel kleiner ist als das eigene Maass des Leibes Christi, in könne auch der ganze Christus nicht unter dem Sacrament ent- hdten sein. Diese Einwendung beantwortet Thomas 0 durch eine ähnliche Distinction, wie er in Betreff der $pecie$ zwischen dem mtH diu existendi ex vi $acramenti und dem ex naturali ctmcomitimtia unterscheidet. Da die Accidentien von Brod und Wein bleiben, so erhellt , dass die Dimensionen von Brod und Wein nicht in die Di- mensionen des Leibes Christi verwandelt werden , sondern ver- wandelt wird nur Substanz in Substanz. Wenn also auch die Sub- stanz des Leibes oder Blutes Christi in dem Sacrament ex vi Macra- menü ist , so gilt diess doch nicht auch von den Dimensionen des Leibs oder Bluts , der Leib Christi ist somit in dem Sacrament per modum 9%ib$tantiae , nicht aber per modum qtiantitatis. Da nun die Totalität der Substanz zu einer grossem oder geringem Quan- tität sich indifferent verhält, so ist die ganze Substanz des Leibs und Bluts Christi in dem Sacrament enthalten *). Darin liegt von selbst,

1) Summa theol. P. III. dist 66. art. 1.

2) SiciU tata ntOura aeria in magno vel pafw> aere , et tota natura ho^ wAm tu magno vei parvo Aomtne, unde «< tota wibttanOa eorpam etiangfdnk

384 Zweite Periode. Dritter Abiehnitt

dass der Leib Christi im Sacrament nicht räumlich oder localUer ist Die Substanz des Brods war localUer da, weil ihr Yerhallnifli zum Raum durch ihre eigenen Dimensionen vermittelt wurde. Bei dem Leibe Christi treten fremde Dimensionen dazwischen , daher ist für den Leib Christi das , was sein Verhältniss zum Raum ya^ mittelt, nur die Substanz. Um nun aber doch die Eigenschaft der Raumlichlteit oder der dimensiven Quantität von der Substanz dei Leibes Christi nicht ganz abzulösen, wird auch hier wieder zwischei dem modus ex ot aacramenii und dem modui ex reali concoad- taf^ia unterschieden. Ex vi aacramenii ist die dimensive QuantHi des Leibes Christi nicht im Sacrament, denn ex ti $acramenH U im Sacrament nur das, was die conversio unmittelbar zu ihr« ierminu» hat Direct terminirt wird aber die Conversion in dff Substanz des Leibes Christi, nicht in ihren Dimensionen, weil ja db dimensive Quantität des Brods bleibt ; weil jedoch die Substanz da Leibes Christi von ihrer dimensiven Quantität und den andern Ae- cidenzien nicht reaUter getrennt werden kann, so ist sie in des Sacrament ex vi reaüs concomitatUiae 0- Trotz aller dieser K- stinctionen ist der Hauptsatz immer derselbe, dass der Leib ChriiH im Sacrament nicht als dimensive sondern nur als substanziefli f Quantität ist Wie aber diess möglich ist und die räumliche Aus- dehnung als ein solches Accidens einer körperlichen Substanz be- trachtet werden kann , dass sie auch ohne dasselbe wesentlich iil) was zum Begriff ihres Wesens gehört, ist nicht erklärt, und diA ganze scholastische Erörterung des Satzes, dass Christus im Sacra-

ChrisH eontinetur in hoc Bocramento pott canseeraHonem, gieut ante eoNM- crtUionetn continebiUur Un tota tuhstiinlia panU et otni.

1) A. a. O. art. 4: Sübatantia corporis Chrisii reaUter non denudaiM a 8ua quantitatc dimensiva et ab aliis accidentilmSf inde eatf guod ex vi reeXi eoneomitantiae est in koc sacra/mento tota qtMntitas dimensiva corporis CkfuA et omnia a^cidentia ejus. QuantittM dimensiva corporis Christi est in koc sitcramento non sectmdum proprium modum, ut scUicet sit tota in toto tt eingulae partes in singulis partibus, sed per modum substantiae, cujus natufü est tota in toto^ et tota in qualibet parte. Vgl. art. 5 : accidentia corporis CkrisA sunt in hoc sacramento secu/ndum realem concomitantiam. Et ideo Uia a«- cidentia corporis Christi sunt in hoc sacramento, quae sunt ei intrinseea, Msse atUem in loco est accidens per comparationem ad extrinseeum coniinens (kommt einem Ding nur im Verhältniss zu dem es äusserlioh UmfasBenden zu) et ideo non oportet^ ^^uod Christus sit in hoe sacramento eieut tti looo»

TranBinbBtAntiationslebre d. TbomaB u. Dans Sootui. S85

ment nicht auf räumliche Weise ist, ist daher nichts anderes als ein anderer Ausdruck für das Wunder, ohne das die Transsubstantiation nicht gedacht werden kann. Ist es nicht geradezu ein Widerspruch, la sagen, der Leib Christi ist an sich oder innerlich räumlich , aber er ist es nicht in der Wirklichkeit , in der äussern Ausdehnung des Raums wie wenn es einen Raum geben könnte, der nicht auch aus- gedehnt wäre ? Oder gehört denn die Ausdehnung nicht so wesent- lich zum Begriff des Raums, dass man sich den Raum an sich, oder die im Räume seienden Dinge auch ohne ein räumliches Sein in der Form der Ausdehnung denken kann? Auf eine solche Unterschei- dung, wobei das räumliche Sein nicht an sich zum Sein der Dinge, nach der uns nur im Raum erscheinenden körperlichen Substanzen, fehört, oder das ene per modum 8ubitantiae etwas anderes ist, all das eise per modum quantitatU (dimenaivae), das esse defini» fiae etwas anderes als das esse circumscripthe , drängt auch bei Dana S cot US die ganze Untersuchung dieser Frage hin. Er nimmt die Substanz als Quantität, unterscheidet aber die Quantität an sich Taa der äusseren Beziehung auf das räumliche Sein. Die Quantität M lieh nennt er die differentia quantitatis, sofern die Substanz als kjffai quantitatives Sein in dem Unterschied und Auseinandersein JB*er Theile sich nur auf sich selbst bezieht. Es gibt also eine Diffe- renz, ein Auseinandersein, das noch nicht als räumlich, unter der Fornn der Ausdehnung des Raums gedacht werden muss. Die äus- sere Beziehung auf ein bestimmtes Sein im Raum kommt erst hinzu durch den ordo loeati ad locum, oder den ordo commensuratitus pariU loeati ad certam partem loci. In dieser letztern Beziehung loll wieder so unterschieden werden, dass ein Ding zuerst nur als Ganzes in den Raum tritt, ohne dass seine eigenen Theile, der ordo bUrbuecus des Dinges, mit entsprechenden Theilen des äusseren Raumes zusammenfallen , worauf sodann erst noch das räumliche Sein modo quantitativo hinzukommt Diesen Distinctionen zufolge denkt sich DunsScotus eine positio als möglich, bei welcher ein Ding zwar ein wirkliches quantum in sich ist, aber ausserhalb des bestimmten, das All der Dinge umfassenden Raums. Gott könnte einen Körper extra Universum machen, für welchen es demnach keinen loeuB continens geben würde , a^us partibus commensurarentur partes loeati. Ebenso lasse, sich denken, dass ein Ding als quantum mil einem quantum im Raum coexistirt, ohne dass diese Coezistenz

Bair, Z.a. d. Mittolalton. 25

386 Zweite Periode. Dritter Abiohnitt

auch eine coextenno partium iimif« ad partei alteriUB wire; ei wäre ein Sein innerhalb des Raumes, bei welchem aber dem iml einem andern im Raum coexistirenden Ding seine räumliche Au- dehnung eine blos innerliche bliebe. In dieser Weise soll der Lrik Christi mit den ipecie$ in demselben Räume coexistiren, ohne dod als qtianhnn in sich mit den im Räume auseinanderliegenden Theilea der species dieselbe räumliche Ausdehnung zu theilen. Wonraf anders kommen aber alle diese Distinctionen hinaus, als auf die Forderung, sich ein quantitatives Sein der Dinge ohne die rSamlide Ausdehnung zu denken, oder die Voraussetzung, dass das raun- liehe Sein nicht an sich zum Wesen der uns in der Ausdehnimf des Raums erscheinenden Dinge gehört? Wie lässt sich aber difs« denken, so lange die objectiye Realität des Raums voraasgeseM wird? Ist der Raum die objective Form für alles, was auf qm* ' titative Weise existirt, wie lässt sich denken, dass es einen Körper extra univertum, ausserhalb der nur im Raum existirenden Wdl gibt, wie ist es möglich bei der Vorstellung eines Körpers, der oir als ausgedehnt gedacht werden kann, Yon dem räumlichen Sflia und dem Raum , der nothwendigen Bedingung seiner Existenz, a abstrahiren ? Ist in den Distinctionen der Scholastiker irgend di | haltbarer Gedanke, so liegt er nur darin, wenn nicht blos das quaa» ' titative Sein von dem räumlichen, und von dem räumlichen Sein das Ausgedehntsein getrennt, sondern der Raum selbst aus derObjecti* vität des Seins in die Subjectivität der blossen Vorstellung herüber- genommen, oder mit Einem Worte nach Kant'scher Weise das Ding an sich von den Formen seiner Erscheinung unterschieden wird. Gehört der Raum nur zur subjectiven Form der Anschauung, so folgt daraus, dass uns die Dinge im Raum erscheinen, keineswegs, dass das räumliche Sein an sich zum objectiven Wesen der Dinge gehört. Nach dieser Unterscheidung könnte demnach auch voa dem Sacrament der Eucharistie gesagt werden, dass es an sick etwas ganz Anderes ist, als es in der sinnlichen Erscheinung ist, dass, wenn auch seine sinnliche Erscheinung nicht ohne die räum- liche Existenz gedacht werden kann, diese nicht an sich zu seinem Wesen gehört ; da nun aber dieselbe Unterscheidung nicht blos bei dem Sacrament, sondern auch bei allem andern, das auf dieselbe Weise existirt, gemacht werden muss, so müsste doch erst noch die Frage beantwortet werden, warum das, was es an sich ist, nichts

Realiim. d. Transsabstant-lehre d. Thomas n. D. Sootns. 387

anderes als der Leib Christi sein soll. Kann nun auch Duns Scotus in letzter Beziehung die Antwort auf diese Frage nur in der Vor- aussetzung eines Wunders finden O9 so erhellt hieraus klar, dass die Distinctionen der Scholastiker zwar alles Mögliche versuchen, den eigentlichen Wunderbegriff von einem Punkt zum andern immer weiter hinauszuschieben, zuletzt aber doch bei dem einfachen Satze, von welchem die ganze Erörterung ausging, stehen bleiben mfissen, dass die Transsubstantiation nur als absolutes, nicht weiter erklar- bares Wunder gedacht werden kann. Kann man sich nicht denken, wie der leibhaftige Christus mit der ganzen Quantität seines Leibes in dem kleinen Quantum der Hostie ejcistiren soll, so ist ja auch ein riumliches Sein ohne die Ausdehnung des Raums eine nicht minder nvollziehbare Vorstellung, und so grosse Anstrengungen auch der scholastische Scharfsinn macht, das Uebernatürliche in das Natur- lidie hinüberzuspielen und dem Wunder eine rationelle Seite abzu- gewinnen, so kann doch der Grenzstein nie verrückt werden, an welohem das Denkbare von dem Undenkbaren sich scheidet

Bei Thomas von Aquino und Duns Scotus gründen sich dSe Unterscheidungen , die sie machen, auf ihre realistische An- lÄauangsweise. Es ist acht realistisch , abstracto Begriffe, deren Höglichkeit blos darauf beruht, dass man von den in der concreten Wirklichkeit gegebenen sinnlichen Bestimmungen abstrahirt, als für sich bestehende Realitäten zu betrachten, somit anzunehmen, dass ein Körper auch dann noch ein wirklich existirendes Wesen sei, wenn man alle Attribute ihm genommen hat, durch welche sein Dasein in der realen empirisch gegebenen Welt bedingt ist. Dem Realismus trat auch in dieser Beziehung der Nominalismus entgegen; Occam bestritt 0 sowohl den thomistischen Begriff der quanfitas modo iubstantiae, als auch des Duns Scotus ordo partium in toto, weil sich keine Quantität ohne räumliche Ausdehnung denken lasse. Als guantum sei der innere ordo der Theile auch ein situalis und habe als solcher auch eine bestimmte Beziehung auf den Raum , es

1) Licet corpus animatum naturaliter non poasit consistere sine debita diHtMniia p€vrtium in ordine ad locuniy neque figura commenmirativa sine ordine partium ad partes loci , in quo solo videtur consistere figura y tarnen miraculosa per potenHam Dei potest consistere sine illis,

2) In deif Quaestiones super IV. libr. Sent. und in dem Tractatus de laormmento altaris. Vgl. Rrttbebg theol. Btud. tind Krlt. 1839. S. 69 f. DiBKHOVF a. a. O. S. 117 f.

25»

388 Eweite Periode. Dritter Absohnitt

könne kein quantutn in ordine ad totum geben , das nicht «ach eil quantum in ardine ad loeum sei Als Nominalist konnte sick Occam die Quantität nicht als eine von der Sabstanz der Dinge getrennte und für sich bestehende Realität denken, so dass eine Substanz erst durch das Hinzutreten der Quantität zu einer ttit- Mtantia quanta würde; die Quantität ist, was sie ist, nur in der ra quanfa als das wesentliche Attribut derselben, jedes qaantHatin Sein ist daher als solches auch ein ausgedehntes. Da nun aber avdi der Leib Christi eine res quanta ist, so konnte hieraus nur die Fol- gerung gezogen werden, dass er entweder nicht im Sacrament iti oder, wenn er in demselben ist, ebendesswegen aufgehört hatib re$ quanta mit dem Attribut der Quantität und der Ausdehnung a existiren. Diess konnte nur durch ein Wunder geschehen, wi Occam trug kein Bedenken ein solches Wunder anzunehmen, k hatte vollkommen das Recht zu behaupten , so gut es nur als alM Wirkung der göttlichen Allmacht gedacht werden könne, wenn die Accidenzien ohne ihr Subject , oder die Substanz, zu welcher rie gehören, fortbestehen, eben so gut könne man es sich auch denkea, dass die göttliche Allmacht die Substanz ohne die ihr wesentlfiok inhärirenden Accidenzien bestehen lasse ; in dem einen Fall md k dem andern werde das nach natürlicher Ordnung Unauflösliche durA ein von der göttlichen Allmacht bewirktes Wunder getrennt^. Da man doch der Annahme eines Wunders bei allem Bestreben, sie zi umgehen, nicht entgehen kann, so ist es an sich völlig gleichgültig, ob es in der einen oder andern Form angenommen wird. Dernun- geachtet bleibt auch er nicht dabei stehen, sondern auf acht scho- lastische Weise will auch er wieder das Wunder durch Analogieen erläutern, die von natürlichen Dingen genommen sind, oder das

1) Vgl. die qnaest. super Sent zu 4. qu. 4. Videtw penitug imnUßi' gUnle, guod pctrtes disient in ordine ad totum et non in ordine ad loa» praesentem et continentem. Vgl. Diekh. a. a. O. S. 119.

2) Vgl. Tract. de sacr. alt. c. 12. 13: Tanta est divina Potential qw» de creaiuris suis poterit facere^ quidquid nhi placuerit, Duhium esse n(ß dehet quin eadem poteniia possit siibstaniiam quamcunque produeere et €0»- servare sine omni accidente absoluti sibi formaliter inhaerente^ Wenn Qott ein Acoidens ohne Subject erhält, so gehört weniger dazu, ein Subject ohne Aocidens zu erhalten ; weil die Substanz an sich YoUkommener and der gött- lichen Substanz näher ist, so hängt sie weniger Ton dem Acoidens ab als daf Aooidens Ton der Sabstanz.

Nominalist. Tran8BabBtant«-lehre Oooam*s. 889

Uebernatfirliche dialektisch rationalisiren. Ist man einmal überzeugt, dass bei der Lehre Yon derTranssubstaniiation nichts Anderes übrig bleibt, als die Annahme eines absoluten Wunders, welches Interesse kann man haben, mit Occam zu fragen, wie ein numerisch Einer Körper als Ganzes zugleich an mehreren Orten sein kann, und wie Yiele Theile zugleich an Einem Orte sein können, und sich für daiT .Brstere auf das Sein der antma intellecHva im Körper, für das Letztere darauf zu berufen , dass zwei Engel in demselben Raum coexistiren können? Auch Occam unterscheidet zwischen dem eise circufMcriptive und dem esse diffinitwe 0. Bei dem ersteren ist e^as so an einem Ort, dass jeder Theil einem Theil des Raums eatepricht und das Ganze dem ganzen Raum; bei dem letzteren ist •dts Ganze in dem ganzen Raum und nicht ausserhalb desselben und ganz in jedem Theil desselben Raums. In dieser diiBnitiven Weise igt der Leib Christi räumlich im Sacrament, weil der ganze Leib mit ieai ganzen Raum, in welchem die consecrirte specieg ist, coexistirt -nd das Ganze mit jedem Theil desselben Raums. Auf dieselbe dif- iaüiTe Weise ist die Seele ganz in dem ganzen Leib und ganz in fadem Theil und ebenso ein Engel ganz an einem Ort und an jedem Theil desselben. Dieses eaae diffinitite ist nichts anderes als ein finmliches Sein ohne räumliche Ausdehnung. Was folgt aber hier- aiia für das Sein der Substanz des Leibes Christi unter der species des Brods? Wenn Occam so argumentirt: sicut non repugnat alicui buüciMUtUi, guod tecundum $e totum cöexistat dUtinctis lodi, aicut angelua secundum se est in toto loco et in qualibet ejus parte, simi^ Hier antma inteUectiva secundam se totam est in toto corpore et in qualibet ßjus parte ^ ita non repugnat divisibili, qxiod secundum se totum coexistit alicui toti et cuilibet ejus parti 0 > so fällt ja hier' sogleich in die Augen, wie willkürlich die Voraussetzung ist, dass was von dem einen gilt, auch Yon dem andern gelten müsse, da zwischen dem inditisibüe und divisibile eben diess der specifische Unterschied ist, dass das eine geistiger, das andere materiell theilbarer Natur ist Und wenn Occam selbst, um den Schluss aus der Analogie des Einen mit dem Andern zu begründen , sich wieder auf die göttliche All- macht beruft '), so sieht man überhaupt nicht, wozu alle diese Ana-

1) Vgl. Bettbebo a. a. O. S. 87 t

2) Zu Sent IV. qn. 4.

8) Tract, de sacr. altaris o. 6.: Ita snim tsnemut, ^[uod ontme vM-

390 Zweite Periode. Dritter Absohnitt

logieen dienen sollen, wenn sie ihre Beweiskraft erst durch die Vor- aussetzung des Wunders erhalten. Es verhalt sich ebenso and mit der Analogie, die Occam von dem Verhältniss des Worts n dem von ihm angenommenen Fleische nimmt. Wie das Wort, das Fleisch geworden, in seinem Sein über das Fleisch hinausreiche, so könne auch der Leib Christi da sein, wo seine Quantität nicht sei und er selbst nicht in quantitativer Weise existirt. Das Wort sei zwar illimitirt, der Leib limitirt, allein durch die Macht Gottes könne auch eine körperliche Substanz illimitirt sein 0* So ist es überhaapt immer wieder der weiteste Begriff der göttlichen Allmacht oder in» Wunders, worauf Occam zurückgeht, um dadurch erst zu ergdnzeii was seinen Analogieen und dialektischen Argumenten für den Zwed, für welchen er sie gebraucht^ an Beweiskraft fehlt Man sieht dv nicht nur nicht , wozu alles diess nöthig ist, sondern es stellt mk vielmehr ebendadurch nur um so deutlicher heraus, wie der tu Occam verfolgte Weg zu einem Resultat führt, das zu dem Zweck» um welchen es eigentlich zu thun ist, nicht passt. Wenn die alten Scholastiker, Thomas von Aquino und Duns Scotus, die Frage untersuchten, wie der Leib Christi im Sacrament sei, so wollten A zeigen, wie man es sich zu denken habe, dass der Leib Christi nidt auf dieselbe quantitative und dimensive Weise im Sacrammt iit,

lectiva est tota in toto corpore et in qualibet parte ejus «ic eiiam fanenw, quod angelua est totus in aliquo loco diffinitive et in qualibet parte : per uieii non dehet etiam aliquis negare^ quin per divinam potentiam possint duo Corpora tarn ejuadem speciei specialissiTntie qua/ra diveraae simul eidem loco coexistere,

1) In Seilt. 1. 4. qu. 4.: Non est contradictio y quod substemtia habsm ' aecidens sit alicubij uhi non est suum accidens, Hoc patet per exempla, ühum est de natura assumpta a verbo. Secundum omnes unio humtmae na- turae ad verbum est similis unioni accidentis ad subjectum , licet tum m omnihus. Sed non obstante ista similitudine potest natura divina et verbum esse, , et est alicv^if vM non est natura assumpta , igitur eodem, modo poMt esse in proposito. Si dicis, quod non est simile, quia verbum est iOimitatsm et sie non est subjectum acddentisj contra : licet svhjectum accidentis sit mk- pliciter limitatum^ tarnen est iüimitatum secwndum quidy quia sictU verbun divintmi dicitur illimitaium quoad locwm quantum ad essentiam divinaM, quas se ipsay virtuie propria^ est ubique^ ita substantia corporea est ilUmitata, quia potest esse in diversis locis simuly immx> ubiqus per potentiam divinam et non virtuie propria, Ideo dicitur tantum iüimitcUum secu/ndum quid et non 9imfiUeiter.

TraBssobitaBtiationslebre Oecam^i. 891

wie es die Accidenzien yon Brod und Wein sind. Bei Occam aber ist es sosehr darauf abgesehen, die Möglichkeit des Zusammenseins iweier Körper an einem und demselben Orte nachzuweisen, dass •ich daraus Yon selbst die Folgerung ergibt, wenn überhaupt ein solches Zusammensein möglich ist, so kann der Leib Christi eben se gut mit der Substanz von Brod und Wein als mit den blossen Accidenzien derselben Zusammensein, es ist somit kein Grund vor- handen, warum die Substanz von Brod und Wein der Substanz des Leibes Christi weichen soll, damit die eine an die Stelle der an«» dern trete, ja es muss sogar um so wahrscheinlicher sein, dass die Substanzen von Brod und Wein bleiben^ .da auf diese Weise kein neues Wunder nöthig ist, dafür aber das Eine Wunder, das in jedem Fall anzunehmen ist, als ein um so grösserer Beweis der gdttlichen Allmacht erscheint/ Diese Folgerung hat Occam selbst gesogen 0) und nicht blos er, sondern auch andere Theologen jener Zeü, haben sich in demselben Sinn über das Transsubstantiations- iogma ausgesprochen, wie namentlich Peter d'Ailly, welcher giaiehfalls der Meinung, dass die Substanzen von Brod und Wein Ueiben, als der wahrscheinlicheren den Vorzug gab 0. Da es aber gleichwohl bei dem Lehrsatz der Kirche sein Verbleiben haben sollte, und alle Wahrscheinlichkeitsgründe der Vernunft in letzter Beziehung immer wieder der Auetoritat der Kirche weichen muss- ten^y so sehen wir auch hier wieder die Scholastik an einem Punkt

1) De sacr. alt. c. 5. : Quamvis sttbstaniia panis de fctcto non maneat emn corpore Christif tarnen contradictionem non inclttdit, quin per potenHam dhintnn poisit mcmere panU cum corpore iUa opinio videtur mihi prO' habüior et magU consona theologiae, quia mtiffis extdtat omnipotentiam Des mhü ab ea negandoy nisi quod evidenter et expresee impUc<U contradictionem, 27bn juxta modum eauaarum naiuralium potentiam divinam artare de- henMiSf cum divina potestas mrtutem omnium creatorum in infinitum excedat,

2) Qnaestiones super libros sent. IV. qu.'6. : Paiet ^ quod tue modus (euhetantiam panis coexiatere substanHae corporis) est possihilis^ nee repugnat

mficmt nee auctoritati bibUae. Imo est fadlior ad inteUigendum et raiiona- hiUor quam cdiquis cdiorwm , quia ponit , quod substantia panis deferat acei- dmUia ei non substantia corporis Christi, Et sie non ponit tuscidentia sine aubfeeto^ quod est unum de diffieUUms, qucie hie pontmiur. Si autem dieatur^ fuod magis difficile videtur, duas substantias corporeas esse simul, dico, quod non f quia non est magis dißeile , quam duas qualitates aut quanHtcUes esse iimittl, vel unam suhstcmtiam et quantUaiem,

Oocam a, a. O. dieo tarnen ^ quod aubstanUa panis non maneat, aed

Zweite Periode« Dritter Abiehiiitt

angekommen, an welchem es rieh klar heranastellt, wie sehr es ihr in ihrem letzten Stadium an jedem Princip einer innem Haltong fddl Die Scholastik ging arsprünglich von dem Interesse ans, den InUl des Glaabens dem denkenden Bewasstsein so zagdnglich und elh leuchtend zu machen, als es nur immer durch die sich darbietendeik rationes fldei geschehen konnte, sie hatte dabei immer die besihnmte Aufgabe im Auge, das, was sich auf dem Wege des dialektiseheB Denkens ergab, in eine solche Beziehung zur kirchlichen Lehre n setzen, dass es nur zur Bestätigung und Begründung derselben dienet konnte, und je mehr es ihr gelang, die im Allgemeinen vorausge- setzte Rationalitat des Glaubens auch im Einzelnen nachzuweisee, um so mehr fühlte sie sich dadurch innerlich befriedigt Ein solcki Interesse hatte die spätere Scholastik nicht mehr, es blieb ihr der scholastischen Methode nur der Trieb, alles Gegebene dand anzusehen, wie sich der dialektische Verstand dazu verhalte, w^ eben Gebrauch er von seinen Denkkategorieen machen könne, m an dem jedesmaligen Object das ganze Gebiet des Möglichen und Denkbaren so viel möglich zu erschöpfen. Und wie Vieles mossle nicht als möglich und denkbar erscheinen, wenn man es so leicht nahm, was nicht auf natürliche W^ise geschehen konnte, auf über- natürliche geschehen zu lassen , das an sich Undenkbare mit Hülfe des Wunders sich denkbar zu machen, und der Idee der göttlichen Allmacht, durch welche schon die altern Scholastiker die Con- sequenz ihrer dialektischen Deductionen immer wieder in Frage stellten, eine so weite und vage Ausdehnung zu geben, wie diess bei den spätem der Fall ist Wo alles gleich möglich und denkbar ist, gibt es kein inneres materielles Interesse an der Wahrheit, son- dern nur ein formelles; es ist dieser spätem Scholastik weder ob die Rationalität noch die Irrationalität des kirchlichen Glaubens XB thun, sie behandelt ihn nur als ein Object ihrer Denkübungen, and

deainit esse et sitb ilMs apeciehus incipit esse corpus Christi, Peter d'Aüly a. a. O. : Et ideo nuUum inconvenieru videtur sequi ex primo modo ponenßi, si tarnen concordaret cum determinatione ecclesiae. Ebenso schliesst aneh G. BiEL seine Expos, sacr. can. missae mit den Worten: tenenda est ergo hasc veritaSf quod pcmis substantia non manet, sed eonvertitv/r in corpus Chfiti^ propter ecclesiae determinatUmem et auctoritatem sanctorum. Occam gestand auch , dass er die Transsubstantiationslehre nicht in der Schrift begrfindst finden könne. Traot, de sacr. alt c. 2. 3.

■r

LetBtei Stmdiiim der SohoUat Cnltni. 393

iiin unter so verschiedenen einander durchkreuzenden Vorstellungen, deren grössere oder geringere Wahrscheinlichkeit immer nur etwas f ehr Relatives ist, irgend einen Haltpunkt des Bewusstseins zu haben, ist es zuletzt immer wieder die Auetoritat der Kirche, die als das •Hein Feststehende den Ausschlag gibt. Diess ist das zerfahrene, haltungs- und principlose Wesen der in ihrem letzten Stadium sich befindenden Scholastik, die völlige Indifi^erenz gegen den objectiven Inhalt des Denkens und Glaubens, womit sie als ihrem endlichen Resultat endete 0*

Vierter AbschnUt.

Der christliclie Cnltns und die christliche Sittlichkeit

A. Der christliche Colins.

Wir betrachten den christlichen Cultus nur als den vermitteln- den Uebergpng auf das für unsern Zweck wichtigere Moment der christlichen Sittlichkeit und beschränken uns darauf, die zur Ge- schichte desselben gehörenden Erscheinungen unter die allgemein zur Charakteristik der Periode dienenden Gesichtspunkte zu stellen.

Auch der Cultus entwickelte sich, wie die Hierarchie und das Dogma, ganz in derselben Richtung weiter fort, die er schon bisher genommen hatte, nur mit dem Unterschied, dass jetzt alles einen weil grossartigern und mannigfaltigem Charakter erhielt. Wie der Cultus überhaupt nur der äussere Reflex dessen ist, was im Dogma und in der Hierarchie die allgemeine Grundanschauung und der das Bewusstsein der Zeit bestimmende Gedanke ist, so mussten in

1) Noch in dem gewöhnlich für den letzten Scholastiker geltenden G. Biel kann die Scholastik das ursprüngliche Bewusstsein ihrer Aufgabe nicht Terlftngnen in den Worten: Quamvia aimpliciter credere sußcit ettilibet arthodoxo tarnen hie sumus in seJiohutieo gymnanOf tUd nedum quid ere- denduM, aed quemadmodum eredenda eathoUee irUeUigamiur investigandun ett , qtumtum humana fragilitcu Hnit, JEiaque loquor, qui parati esse dehe- hunt ad satisfaciendvm omni poscenti raiionem de ea quae in nobis est spe (Expos, saor. can. miss.). Aber wie ftasserlich verhält sie sich dazu, wenn sie in ihr eine blosse Sohulübung sieht, und wie gering ist im Bewusstsein der menschlichen Schwäche das Vertrauen zu ihrer Kraft!

894 Zwtite Periode. Vierter Abiehnitt.

der Periode, von welcher hier die Rede ist, Dogma und Hierardiie nm 80 bedeatender auf die Gestaltung des Cultus einwirken , je grösser der Aufschwung der Kirche in dieser doppelten Beziehoag war. Eine Kirche, die in ihrer hierarchischen Verfassung einen von der höchsten Spitze irdisch göttlicher Macht durch yerschiedeae Stufen herabsteigenden , in bestimmten Formen ausgebildeten viel- fach gegliederten Organismus in sich darstellte, musste nicht nur auch im Cultus ihre ganze Grösse und Herrlichkeit entfalten, sondorn auch allen Bestandtheilen desselben bei aller Mannigfaltigkeil seioer Formen den Charakter einer Einheit und Gleichförmigkeit auf- drücken, zu deren Wesen es ebenso gehörte, die zum Begriffe der Hierarchie gehörenden Unterschiede und Gegensätze in sich zur Anschauung zu bringen. Wie im Dogma und in der Hierarchie <0 Hauptrichtung der Zeit dahin ging, der Grundidee des ChriatenthuM) der Einheit des Göttlichen und Menschlichen, den concreteslen ob- jectivsten Ausdruck zu geben, so war es vor allem die Aufgabe des Cultus , diese Idee auch in der äussern sichtbaren Erscheinung darzustellen, und dem Drange des Geistes, den Inhalt des religiöseo Bewusstseins aus sich herauszustellen und in der Objectivität des Begriffs und der Anschauung vor sich zu haben, dadurch entgegen- zukommen , dass er mit den Objecten des religiösen Bewusstseins sich äusserlich eins wissen konnte, um dadurch erst das volle con- crete Bewusstsein der Einheit des Menschen mit Gott zu gewinnen. Ihre Realität hatte die Religion erst darin, dass sie in grossartigen Formen sich äusserlich objectivirte. Je erhabener aber in dieser Beziehung die Bestimmung des Cultus war, die höchsten Ideen, die im Dogma wie in der Hierarchie dem Bewusstsein der Zeit seinen absoluten Inhalt gaben, zur Anschauung zu bringen, um so mebr theilte er dieselbe Aufgabe mit der Kunst, die Einheit des Endlichen und Unendlichen in sinnlich idealen Formen darzustellen , und es verband sich das ästhetische Interesse mit dem religiösen. Alles, wa& das Mittelalter besonders in den bildenden Künsten der Archi- tektur, der Plastik und Malerei Grosses hervorbrachte, trägt einen wesentlich religiösen Charakter an sich, da es ursprünglich nur dazu bestimmt war, zum Ausdruck der Ideen und Gefühle zu dienen, die das innere beseelende Princip des Cultus waren 0* In der

1) Vgl. Hase Kirchengesch. 8. A. S. 315 ü

s

Cnltiit vBd KiiBit der mitteUlterl. Kirche. 895

ganzen' Mannigfaltigkeit der Formen , mit welchen der Cultas sich umgab, in dem reichen prunkenden Geprange, mit welchem er sie ausstattete, in den bedeutungsvollen Beziehungen, die er in das Kleine wie das Grosse, in das Einzelne wie in das Ganze hineinzu- legen wusste, drückt sich immer wieder dasselbe Bestreben aus, den unendlichen Inhalt, der das religiöse Bewusstsein erfüllte, in die reale Welt der sinnlichen Formen hineinzubilden. Dieses ästhe- tische Interesse, das sich mit dem Cultus der Kirche des Hittelalters verknüpft, ist der idealste Gesichtspunkt, von welchem aus derselbe aufgefasst werden kann; aber es liegt eben darin auch schon der wesentliche Mangel, welchen er an sich hatte. Bei der Richtung auf das Aeusserliche und Sinnliche, die überhaupt zum Charakter der Zeit gehörte, ging das ästhetische Interesse dem religiösen nicht blos zur Seite, sondern es wurde so sehr das überwiegende und vorherrschende^ dass das religiöse sich ihm nur unterordnen konnte und in ihm verschwand. Auch die ästhetische Seite des Cultus in der Schönheit seiner Formen wirkte so nur dazu mit, das religiöse Leben dem Mittelpunkt zu entrücken , in welchem allein das innere Princip seiner Bewegung ist, und an die Stelle dessen, was es inner- lich bewegen und erwärmen sollte, die Acusserlichkeit sinnlicher Anschauungen, materieller Objecto, mechanischer Uebungen zu setzen. Wie sehr der nachtheilige Einfluss, welchen diese Richtung des Cultus für das religiöse Leben haben musste, schon damals von ernsteren und tiefern Gemüthern erkannt wurde, beweist die auch darauf sich beziehende Opposition der die katholische Kirche be- streitenden Sekten, die im Gegensatz gegen eine Kirche, die in der Verfiusserlichung und Materialisirung ihrer Cultusformen der Idee der Religion sich völlig entfremdete, sich um so mehr in die Inner- lichkeit und Unmittelbarkeit ihres religiösen Gefühls zurückzogen, und die Verachtung des Aeussern sich so sehr zum Grundsatz machten , dass sie nahe daran waren, in das andere, entgegenge- setzte Extrem überzugehen.

Einer der Hauptgesichtspunkte , unter welche der christliche Cultus gestellt werden kann, ist noch immer der heidnische Cha- rakter, welchen derselbe in der Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien an sich trug. Je mehr noch immer die Zahl der Heiligen sich vermehrte, je mannigfaltiger und ausserordentlicher die Wunder waren, die man von ihnen zu erzählen wusste, je maassloser die

Zweite Periode. Vierter Abiohmitl

Menge Ton Reliquien der seltsamsten Art, die ans dem, besonder! dorch die Kreozzfige erweiterten, Verkehr mit den vorzugswdie heiligen Orten der gläubigen Christenheit in reichster Fälle so- flössen, je harmonischer Aberglaube und Betrug zusammenwirktea, um diesem Cultus eine immer neue Nahrung zugeben, umsostirbr füllt dadurch nur die Analogie in die Augen, die er mit der heid> nischen Religion hatte. Was jetzt noch zu diesem Cultus hinzukaH^ war nur, dass man in das bunte Aggregat dieser poIytheistischeB Welt so viel möglich Ordnung und Einheit zu bringen suchto. Ei geschah diess schon dadurch, dass das Recht der Heiligspreclnmi oder Kanonisation ein ausschliessliches Privilegium der Pipile wurde; ganz besonders aber war man jetzt auch darauf bedad( die Zahl der Heiligen nach der Folge ihrer angeblichen Mirtyiv- tage so zu ordnen, dass der Glanz ihres Heiligenscheins und kt von ihrem Namen ausfliessende Segen sich aber den ganzen Cyds der Jahrestage verbreitete. Und da man für diesen Zweck auch die Legenden der Märtyrer zu revidiren und schon der Variation wegea so vieles zur Ergänzung und Ausschmückung hinzuzufQgen hatte, so erwuchs aus der Sammlung dieser Heiligenbiographien eine netfe christliche Mythologie, die der alten heidnischen nicht nachstand und die goldene Legende zu einem würdigen Seitenstück der Ovi- dischen Fasten und Metamorphosen machte. Veranlasste auch da und dort die Abenteuerlichkeit der Legenden und Reliquien, odm* die Handgreiflichkeit der Tauschung und des Betrugs Verdacht und Zweifel, oder auch ein helleres und freieres Urtheil, wie das des Abts Guibert von Nogent (zu Anfang des zwölften Jahrh. Oi so bezog sich doch auch diess nur auf Einzelnes, nicht auf den Cultus im Ganzen, der herrschende Glaube Hess sich ohnediess da- durch nicht irre machen und die Heiligen blieben das nächste und unmittelbarste Objecto auf das die religiöse Verehrung des katho- lischen Christen gerichtet war.

Unter den Heiligen selbst aber war es die Jungfrau Marii, die vor allen Andern ausgezeichnet und als die an der Spitze dieses himmlischen Staats stehende Vorsteherin gedacht wurde. Nachdem man zuerst Bedenken getragen hatte, die Gottesgebärerin auf die gewöhnliche menschliche Weise sterben und begraben werden so

1) Vgl. GlESBLEB 2, 2. S. 461.

Cnltiii der Heiligen and der Maria, 397

lassen, warde die unmittelbar in den Himmel Aufgenommene in der steigenden Verehrung der christlichen Völker des Abendlands ins- besondere zu der Würde einer allgebietenden Himmelskönigin er- hoben. Die Analogie des heidnischen und christlichen Cultus bil- dete sich demnach auch nach dieser Seite aus, und wenn auch der christliche Olymp kein geschlechtlich verbundenes Paar in sich auf- nehmen konnte und an die Stelle des Geschlechtsverhältnisses viel- mehr das Pietätsverhaltniss der Mutter und des Sohnes setzte, so lag doch auch jenes der überschwanglichen Phantasie der Verehrer der göttlichen Frau nicht zu fern, um es gleichfalls in den Kreis der sie verherrlichenden Pradicate wenigstens in bildlichen An- spielungen hereinzuziehen. Konnte doch selbst Petrus Damiani sich nicht enthalten, in ihr die im hohen Liede geschilderte Himmels- braut Gottes anzuschauen. In den Jahrhunderten des blühenden Mittelalters wetteiferten gleichsam Minnesanger und Scholastiker in dem Bestreben, zu ihrer Verherrlichung alles zu erschöpfen, was sowohl die dichtende Phantasie als der dialektische Verstand aa&ubieten vermochte. Während jene die Begriffe des ritterlichen Anaendienstes auf die himmlische Curie und die himmlische Frau übertrugen und dadurch hauptsächlich den Glauben motivirten, dass, wenn auch die göttliche Gnade und Erbarmung ihr bestimmtes Maass habe, es doch nichts geben könne, was nicht aus Rücksicht auf die Fürbitte der von dem Vater Erwählten und der Mutter des Sohns von dem Vater und Sohn der an eine solche Fürsprecherin sich wendenden Menschheit gewährt werden müssteO« schienen dagegen diese an dem dogmatischen Begriff der Heiligkeit der Jung^

1) Man vgl. z. B. das Lied der Qeissler: Maria stnnt in grossen Nöthen. Jeans rief:

Die Christenheit wil mir entwichen,

Des wil ich l&n die Welt zergftn»

Des wizzent sicher dne wftn.

Maria bat im snn den süezen!

Liebes Kint, Ift sie dir büezen,

So wil ich schicken, daz sie müezen

Bekeren sich. Des bitt ich dich,

Yil liebes Kind, des gewer du mich. WHiter ausgeführt in der Legende bei Förstemann die christL Geisslergea. S. 111. Vgl. Hoffmann von Fallebbl. Gesch. des dentsohen Kirchealiedf 2. A. 8. 189.

398 Zweite Periode. Vierter Abieknitt

frau den Versuch machen zu wollen , wie weit in der YergötUich- ung des Menschlichen zu gehen möglich sei, ohne den Punkt n überschreiten, der als unverrückbare Grenzlinie zwischen dem Gött- lichen und Menschlichen stehen bleiben muss. Hatte man keinen Anstand genommen, in dem der Jungfrau Maria gewidmeten CulUu so Vieles einzuführen., was unmittelbar darauf hinzielte, ihre Ver- ehrung der Verehrung Gottes und Christi in gleicher Bedeutung nt Seite zu stellen, so konnte man doch vom dogmatischen Standpunkt aug die Frage nicht ununtersucht lassen, ob der absolute Vorzig der Unsündlichkeit, welchen Christus als Mensch vor allen anden Menschen voraus hatte, ihm allein vorbehalten bleiben müsse, oder auch von der Mutter mit ihm getheilt werden dürfe. Aach hier anticipirte derCultus, was erst die dogmatische Reflexion in nähen Erwägung ziehen musste. Canonici zu Lyon thaten zuerst in der Verehrung der Maria den weiteren Schritt, nicht blos ihre Geburt, sondern auch ihre Empfängniss als eine unbefleckte, von der Berüh- rung der Erbsünde völlig frei gebliebene, durch ein eigenes Fest zu begehen, das ungeachtet des Anstosses, welchen insbesondre der heilige Bernhard daran nahm, als an einer weder durch die Tradition noch die Natur der Sache selbst berechtigten Nenemiig, sich allmählig weiter verbreitete. Wie schon Bernhard erinnerte, dass man, wenn es an der Heiligkeit der Geburt nicht genüge, mit demselben Rechte noch weiter zurückgehen könne, so hieltea auch die grossen scholastischen Theologen, Alexander von Haies, Albert der Gr., Bonaventura, Thomas von Aquino daran fest, dass die Jungfrau Maria, wenn auch schon im Mutterleibc geheiligt, doch darum nicht der Erbsünde völlig enthoben worden sei. So entscheidend der von Thomas von Aquino mit Recht geltend ge- machte Grund sein musste, dass Christus der allgemeine Erlöser der Menschen nicht wäre, wenn nicht auch die heilige Jungfrau von der Schuld der Erbsünde hätte befreit werden müssen, so fand doch der scholastische Begrifi^ der Möglichkeit darin keine Schranke. Seitdem Duns Scotus es an sich für möglich erklärt hatte, dass die Jungfrau niemals im Zustande der Erbsünde sich befand , weil Gott diess so bewirken konnte , blieb das Dogma von der unbe- fleckten Empfängniss der Jungfrau Maria eine stehende Streitfrage zwischen den Dominikanern und Franciskanern. Man kann darin eine Antmomie des Cultus und des Dogma sehen. Der Cultus hatte sich

Fett Q. Dogm« der onbefleoktenEmpfftiigiiiii d. Mari«.S99

zuerst dazn hingeneigt, die h. Jungfrau auch durch die Anerkennung ihrer unbefleckten Empfangniss zu ehren; um ihr das Ausgezeich- netere zuzuschreiben, hielt Duns Scotus das an sich Mögliche auch für das Wahrscheinliche; selbst Thomas von Aquino hatte, weil ja doch die römische Kirche die Gewohnheit dulde, dass einige Kirchen das Fest feiern, eine solche Feier nicht ganz verwerfen zu müssen geglaubt. Der dogmatische Grund, der entgegenstand, konnte nicht beseitigt werden , aber auch in der Folge kämpfte das im Cultus liegende Interesse der Verherrlichung der Maria immer wieder gegen das Dogma an. Es ist daher hier der Punkt, wo es sich am. anmittelbarsten herausstellt, wie der CuUus in seiner steten Ten- denz, die das Menschliche vom Göttlichen trennenden Schranken so viel möglich aufzuheben, in Gefahr kommt, den specifischen Cha- rakter des Christlichen in der Person Christi selbst zu verläugnen. - Der CuUus hat überhaupt die Bestimmung, das Göttliche, das der Inhalt des Glaubens ist, dem Menschen so sinnlich nahe zu legen , dass es für ihn Gegenstand der unmittelbaren Empfindung and Anschauung und solcher Handlungen wird, durch welche er das Bewusstsein seiner Einheit Dbit Gott bethätigt. Kein Dogma steht daher in einem engern Zusammenhang mit dem Cultus, als dasjenige, dessen wesentlicher Inhalt die substanzielle Gegenwart des Göttlichen ist War die Messe zuvor schon der wichtigste Theil des Cultus, so musste sie durch das Transsubstantiationsdogma, nachdem dasselbe nicht nur dogmatisch festgestellt, sondern auch durch einen Kanon des vierten lateranensischen Concils zum all- gemeinen, durch papstliche Auetoritat sanctionirten Glauben der Kirche erhoben worden war, noch in weit höherem Grade der heiligste Mittelpunkt des gesammten christlichen Cultus werden, in welchem das priesterliche Amt die höchste Spitze seiner den Men- schen mit Gott vermittelnden und den Segen des göttlichen Erlö- songs- und Versöhnungswerkes allen Gliedern der Kirche mitthei- lenden Thätigkeit hatte. Die objektive Realität des Leibes und Blutes in der durch den Priester geweihten Hostie war der ausserste Punkt, in welchem die durch die Menschwerdung Gottes zur Wahr- heit einer geschichtlichen Thatsache gewordene Gegenwart des Göttlichen in der Welt und Menschheit dem Bewusstsein des Men- schen entgegentrat und für ihn Gegenstand seines Glaubens, seiner Verehrung und innigsten Hingebung wurde. Kein Wunder, dass

400 Zweite Periode. Vierter Abiobmitt

das religiöse Gefühl den Drang in sich hatte, dieien intensivstei Punkt, auf welchem sich ihm die Objektivität des Göttlichen dar- stellte, noch durch einen besondern Cultusact in dem Fronleich- namsfest zu fixiren. Wie bei dem Feste der unbefleckten Empf&og- niss, ging auch hier die Anregung von etwas aus, das, so zufallig es zu sein scheint, doch wie durch göttlichen Instinct nur der Auf- druck für das war , was die kirchliche Entwicklung als natürliche Folge aus sich hervorgehen liess. Was zuerst in der Kirche n Lattich frommen Gemüthern als eine noch der Ergänzung bedür- fende Seite des Sakraments sich fühlbar machte, fand auch in an- dern Kirchen so lebhaften Anklang, dass die Papste, welche die Feier des neuen Festes für die ganze Kirche festsetzten, Urbanl?« im Jahr 1264 und Clemens V. im Jahr 1311, nur bestfitigten, m sich zuvor schon als ein allgemeines Bedürfniss der Kirche hentt- gestellt hatte. Der Zweck des Festes war, wie sich schon PapA Urban IV. in seiner Bulle hierüber erklärte, das, was weder bei den einzelnen Acten des täglichen Messopfers, noch bei der so vielen andern Ceremonien verbundenen Jahresfeier der Ein- setzung der Eucharistie geschehen konnte , in Einem Feste so n concentriren , dass die Göttlichkeit des Sakraments mit dem voUea Eindruck ihrer objektiven Realität in der äussern Erscheinung sich darstellte. So wurde es von selbst das Fest, an welchem die Kirche alljährlich in dem freudigen stolzen Bewusstsein, das Göttliche ia seiner leibhaftigen Gestalt und in sichtbarer Gegenwart als Gegen- stand der unmittelbarsten Anbetung in ihrer Mitte zu haben, dea ganzen Reichthum und Glanz ihrer Herrlichkeit entfaltete, and allen, die nicht zu ihrer Gemeinschaft gehörten, mit triumphirender Gewissheit vor Augen stellte, von welcher Fülle des Segens sie ausgeschlossen seien 0*

1) Wie das Fronleichnamsfest, obgleich Darstellung eines Dogma, mit •einen Schaustücken und Aufzügen eine scenische Ausstattung hatte, so gingen aus derselben Grundanschauung die geistlichen Schauspiele herror, die ursprünglich in der Kirche aus der Altarsliturgie entstanden, nachdem sie im eilften Jahrhundert sich zuerst in Frankreich entwickelt und bei allen romanischen und germanischen Völkern Eingang gefunden hatten, seit dem dreizehnten Jahrhundert wieder aus den Kirchen verwiesen wurden. Vgl. Hase, das geistliche Schauspiel. Leipzig 1858. Man unterschied Mysterien und Moralitäten. Die erstem hiessen so als Darstellungen der HMptthatsaohen der Geschichte des Erlösers, besonders seines Leideoi,

FroBleichnamsfest. 401

In dem Fronleichnamsfest feierte die Kirche das Bewusstsein einer Gemeinschaft, welcher alle katholische Christen auf gleiche Weise angehörten. Um es recht klar vor Augen zu stellen, dass das Göttliche in dem Leib und Blut des Herrn nicht blos auf die objektivste und realste Weise, sondern auch für alle als dieselbe Quelle des Qeils und als derselbe Gegenstand der Anbetung da ist, sollte das Fest mit allem Gepränge einer öffentlichen volksthümli- chen Feier begangen werden. Es ist der Glanzpunkt des Katholi- cismus, wenn die Kirche in einem solchen Acte ihres Cultus sich bewusst wird, dass sie als diese sichtbare in der Wirklichkeit exi- itirende, alle Glaubige in sich begreifende Gemeinschaft in der nibstanziellen Gegenwart des in der Hostie leibhaftig enthaltenen Christus die Substanz ihres Wesens, den substanziellen Grund ihres Daseins in sich selbst hat, und der katholische Cultus hat eben darin seine höchste Bedeutung, dass er das, was die katholische Kirche wesentlich ist, auf solche Weise zur Anschauung bringt Der Qnrakter der katholischen Kirche besteht aber nicht blos in dem- jenigen, was sie als die Gemeinschaft aller glaubigen Christen ist, es gehört dazu ebenso wesentlich der aristokratische Unterschied, welcher den Laien von dem Priester trennt, und der katholische Caltua würde daher seiner Idee nicht entsprechen , wenn er nicht auch diese Eigenthümlichkeit der katholischen Kirche in sich re- fiedirte. Dasselbe Sakramept, das dem katholischen Christen die götiUehe Heilssubstanz in der sinnlichsten Gegenwart vor Augen stellt, gibt ihm auch zu erkennen, dass alles, was zu seinem Heile

■eineB Begprttbnisses und seiner Auferstehung, die letztere als allegorische Darstellungen von Tugenden und Lastern, lieber ihren Ursprung und Zu- sammenhang mit dem Hauptdogma des Christenthums bemerkt Hase a. a. 0. S. 11 trefifend: „Die Kirche eines menschgewordenen, in seinem Abend- mahl auch sinnlich gegenwärtigen Gottes musste irgend einmal die jüdische Beben vor der sinnlichen und künstlerischen Darstellung alles Menschlichen und Gtöttliohen durchbrechen." Die schon diesen geistlichen Spielen eigene Mischung des Heiligen und Komischen fand noch in höherem Grade bei den sogenannten Narren- und Eselsfesten statt, bei welchen die Kirche mit ihren Klerikern, dem Narrenbischof und Narrenpapst sich selbst persifliren SQ wollen schien. „Es waren christianisirte Satumalien, später auf den Car- neral übertragen." Hase a. a. 0. S. 80. Das Narrenfest entstand aus dem Schene, am unschuldigen Kindertage, dem 28. Dec., alle kirchlichen Func- tionen Ton Knaben YoUziehen zu lassen.

Banr, K.G. d. Mittelattns. 26

408 Zweite Periode. Vierter Abiolmitt

dient, ihm nur darch dieVermittlang des Priesters zaTheil werden kann. So zufällig die erst im Laufe des zwölften Jahrhunderts weiter verbreitete Sitte , den Laien das Sacrament nur unter der Einen Gestalt des Brodes auszutheilen, aus den Vorkehrungen ent- stand, durch welche man den geweihten Wein gegen die Gefahr einer Profanirung schützen zu müssen glaubte, so hätte sie dodi nie zum allgemeinen kirchlichen Gebrauch werden können, wenn sie nicht aus einer im Wesen der Kirche tiefer begründeten Rich- tung hervorgegangen wäre , oder wenigstens eine sehr nahe lie- gende Beziehung zu ihr gehabt hätte. Zur dogmatischen Recht- fertigung dieses Gebrauchs bot sich die zuvor schon gangbar ge- wordene Idee dar, dass in jeder der beiden Gestalten der gaua Christus enthalten sei, somit die Laien nicht verkürzt werden, wch sie das Sacrament auch nur unter der Einen Gestalt des Brota empfangen. Allein wenn auch in jeder der beiden Crestalten der ganze Christus ist, so ist er doch in jeder auf andere Weise. Er ist unter der Gestalt des Brods wesentlich als Leib, unter der Gestalt des Weins wesentlich als Blut, und es muss daher erst d«r scholastische Begriff der eoncotnitantia reaH$ oder naturaiii n Hülfe genommen werden, um die Gewissheit zu erhalten, dass min in der einen der beiden Gestalten immer zugleich auch das hat, was die andere in sich enthält; nur drängt sich auch so wieder Au Bedenken auf, ob nicht ein Mangel in dem Sacrament zurückbleibt, wenn das, was die eine der beiden Gestalten von der andern hat, nur vermöge der natürlichen Concomitanz in ihr ist Dem este ew eoncotnitantia reali stellt sich das esse ex rt sacramenti gegen- über, und es fragt sich daher, ob die Wirkung des Sakraments so vollkommen ist, wie sie sein soll, wenn Christus nicht in beiden Gestalten auf dieselbe sacramentliche Weise ist. Um dieAustheildng des Sacraments unter der Einen Gestalt des Brodes zu motiviren, hat man auch gesagt: wenn das Sacrament immer nur unter den beiden Gestalten des Brods und Weins ausgetheilt würde, so würde da- durch bei den Laien die irrige Meinung veranlasst, dass der ganze Christus nicht schon in jeder der beiden Gestalten für sich enthalten sei. Wie wäre aber diesem Irrthum vorgebeugt und ebendamit die Besorgniss gehoben, dass die Laien das Sacrament nur unvollkom- men empfangen, wenn mit jener Unterscheidung nichts anderes gesagt ist, als der Mangel des sacramentlichen Charakters dessen,

Die Kelchentsiehnng nnd ihre dogmai Rechtfertigung. 403

was die eine Gestalt von der andern nur vermöge der Concomitanz in sich bat? Das entscheidende Moment zur Rechtfertigung des kirchlichen Gebrauchs liegt daher zuletzt nur darin, dass das Wesen des Sacraments überhaupt nicht in das, was die Laien empfangen, sondern nur in das, was der Priester dabei thut, gesetzt wird. Es fehlt dem Sakrament nichts zu seiner Vollkommenheit, wenn nur von Seiten des das Sakrament consecrirenden und vollziehenden Priesters alles geschieht, was zur wesentlichen Form desselben gehört 0* Empfangt nur der Priester das Sacrament unter seinen beiden Gestalten, so hat es nicht das Geringste auf sich, dass dem Laien das Brod ohne den Wein, der Leib ohne das Blut gegeben wird. Der Laie beweist so nur seine Ehrfurcht gegen das Sacrament, wenn er glaubt, dass er auch so das Ganze empfange, und von seiner Seite alles vermeidet, was der Heiligkeit des Sacraments schaden könnte. Daraus ergibt sich von selbst, welches hierarchische Interesse die Kirche bei der Einführung dieser neuen Form des Cdtos hatte, welche die den Priester auszeichnende höhere Würde nd die Wahrheit, dass nur in ihr die Substanz des religiösen Le-* iens enthalten sei , in ein so helles Licht setzte. Je auffallender aber gerade hier auch die Unselbststandigkeit und Abhängigkeit der Laien sich äusserlich vor Augen stellte, je schwieriger es auch fftr den scholastischen Scharfsinn war, den aristokratischen Particnla- rismns der neuen Form gegen den universellen Charakter der nr- sprflnglichen zu rechtfertigen, und je unmittelbarer der Vorzug auf der Seite des Priesters als eine Entziehung und Verkürzung auf der Seite der Laien erscheinen musste, um so mehr war hier einer der Punkte, auf welchem dieKirche in Gefahr war, den entschiedensten Widerspruch gegen sich hervorzurufen. Die Klage über die Kelch- entsiehung begann, sobald die Opposition gegen die Hierarchie ein allgemeineres sittlich ernsteres Interesse gewann und in dem innem Grande des religiösen Lebens festere Wurzel fasste.

Wie auf diese Weise die Laien bei dem Sacrament verkürzt worden und das religiöse Interesse der Empfangenden dem hier-^ archischen der das Sacrament verwaltenden Vertreter der Kirche

1) Vgl. Thomas Samma theol. P. III. qa. 80. art 12: PerfecHo hujus ioermmenii tum eit in usu fideUuniy sed in eontecratione materiae. Et ideo nihU derogat petfeetumi hujus sacramentij n papuhu attmat corpus sine guime, ämmnodo Mocerdos coruecram tum4a tttrumque.

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404 Zweite Periode. Vierter Abiobnltt

nachstehen musste, so g\\i diess auch im Allgemeinen, wenn man fragt, welchen praktischen Werth und Nutzen der Cultna für die Laien gehabt habe. Während er von Seiten der Priester in seinea liturgischen Formen als eine rein ästhetische Darstellung religiöser Ideen betrachtet wurde , hatte er auf der Seite des Volks als .Hei- ligencultus, Ceremoniendienst, Beobachtung der kirchlichen Satzu- gen und Gebote das Gepräge einer rein mechanischen Uebung. Wie sehr es gerade da, wo beide Theile, die Gebenden und die Eropbn- genden, in die lebendigste geistige Berührung mit einander komma sollten, an aller tieferen Anregung und Befriedigung der sitUidh religiösen Bedürfnisse fehlte, zeigt am besten die seit Karl'a des Gr. auch hierin verdienstlichen und dasZeitbedürfniss treffend in's Aaga fassenden Bemühungen so dürftige Geschichte des mittelalterlicliei Predigtwesens. Konnte auch die Predigt nie ganz in Vergessenhcl gerathen, ao hat man doch nicht einmal darüber eine sichere Kunde, ob und wie weit selbst zur Zeit des h. Bernhard, dessen jSSermoMi die heryonügendste Erscheinung dieser Art sind, in der Landes- sprache gepredigt wurde 0- Dass es dem Volk nicht an dem Sma für eine erbauliche Predigt fehlte, bezeugt der ungewöhnliche Beifall, welchen EinzeUie, die da und dort auftraten, wie Peter von Bruis, Heinrich, die Vorläufer der Waldenser und insbe- sondere der Presbyter Fulco zu Neuilly im Bisthum Paris zu Ende des zwölften Jahrhunderts mit ihren ernsten Buss- und Sittenpre- digten fancfen. Auch bei den Katharern bildete die Predigt einen wesentlichen Theil ihrer gottesdienstlichen Versammlungen und der Eindruck ihrer Vortrage wird gleichfalls sehr gerühmt 0- Eine neue Epoche trat aber erst ein, als die Waldenser mit ihrem Aufruf zur apostolischen Predigt die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zogen. Der Eindruck, welchen die verständliche und eindringliche Sprache ihrer Volkspredigten machte, legte auch der Kirche die Bedeutoag der Predigt auFs Neue nahe. Schon auf der Synode zu Avignon im Jahr 1209 wurde dem Beschluss gegen die Häretiker die Er- mahnung an die Bischöfe vorangeschickt, häufiger zu predigen

1) Vgl. die überhaupt för die Geschichte der Predigt im Mittelalter sehr wichtige Abhandlung Schmidt*s, über das Predigen in den Landessprachen wahrend des Mittelalters. Theol. Stud. und Krit. 1846. S. 248 f. Vgl. CüNiTs, ein kathar. Bit S. 47 f.

Die Predigt. 405

oder predigen za lassen 0- Ganz besonders aber sah sich das vierte lateranensische Concil veranlasst, auch diesen Gegenstand in ernste Erwägung zu ziehen, um die Nothwendigkeit der Predigt aufs Neue einzuschärfen und solche Verordnungen zu geben, wie sie die bisherige Vernachlässigung derselben zu erfordern schien 0- Zar Befriedigung desselben, der Kirche durch die Waldenser und Katharer mit Einem Male so fühlbar gewordenen Bedürfnisses tra- ten die um eben diese Zeit gestifteten Bettelorden ein, und so zwei- deutig im Allgemeinen ihr Verdienst auch in dieser Beziehung sein mag, so gebührt ihnen doch der Ruhm, dass aus ihrer Mitte die Männer hervorgingen, welche in der Folge als acht volksthümliche Prediger sowohl durch ihre ernste sittliche Tendenz, als auch den Reichthum und die Tiefe ihrer Gedanken sich am meisten auszeich- neten, wie namentlich der Franciscaner Berthold in Regensburg in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts ') und der Do- minicaner Johann Tauler in Strassburg um die Mitte des vierzehn- ten Jahrhunderts, in welchem seines Ordensgenossen H. Eckart mystischef Tiefsinn mit dem Vorzug der praktisch-erbaulichen Rede sich aufs schönste verband. Im Gegensatz gegen die auch die Kanzeln beherrschende trockene unfruchtbare Scholastik jener Zeit sachten Manche die Predigt dadurch noch mehr zu popularisiren nnd praktisch eindringlicher zu machen, dass sie, wie diess insbe- sondere die Predigtweise des Strassburger Dominicaners Joh. Gai-

1) Vgl. Mansi XXII. S. 787.

2) Vgl. bei Mansi XXIL S. 998. Cap.' 10. der Bescblfisse: Cum saepe eoniinfftU^ quod episcopi propter occupatumea mukipUces vel in valeiucUnei e&r- porales aut hostiles incursua aeu occationes alias (ne dMomua defeetum scientiaey quod in eis reprobandum omnino nee de eetero tolerandv/m,) per se ipsos non et^ficitmt ministrare populo verbwn Dei, maxime per amplas dioeeeses et dif- fusas, generaU constitutione sancimusj ut episcopi vires idoneos ad sanetae praedicationis officium salubriter exequendum assumant, potentes in opere et sermone, qui plebes sibi commissas, vice ipsorum cwn per se idem nequiverint, soüieite visitantes eas verbo aedificent et exemplOf quibus ipsi, cum indiguerint^ eongrue necessaria administrent y ne pro necessaaiorum defeetu compellantur desistere ab ineoepto.

8) Seine deutsche Predigten sind nacb Scbmidt^s a. a. O. S. 272 Urtheil wohl das Vollendetste von dem, was in Bezag anf geistliclie Beredtsamkeit ans dem Mittelalter übrig geblieben ist. Verbum ejus quasi facuLa ardebaty sagt ein Chronist jener Zeit, ihn mit Elias Sir. 48, 1 yergleichend.

406 Zweite Periode. Vierter Abichnitt.

1er von Kaisersberg am Ende des fünfzehnten und zu Anfong des sechszehnten Jahrhunderts war, durch tinschauliche aus der unmit- telbaren Wirklichkeit des Lebens entnommene Sittenscbilderungeo die herrschenden Sünden und Laster der Zeit als närrische Thor- heit darstellten und lächerlich machten. Sosehr fehlte es aber noch immer an einem tiefern Sinn für das Wesen der acht eyangeliscben Predigt und an der aligemeineren Anerkennung ihrer wahren Bestim- mung und Würde, dass Manchen selbst auf der Kanzel die aristo- telische Ethik mehr galt als das Wort des Evangeliums. Unter den Predigern des fünfzehnten Jahrhunderts war es der Kanzler GersoD, welcher sowohl die Bedeutung und Aufgabe des Predigtamts stkt richtig erkannte , als auch in seiner praktischen, auf das SitÜicbe gehenden Bichtung, seinem evangelischen Sinn un^ seiner tiefer« Welt- und Henschenkenntniss, die Eigenschaften eines Predigen in hohem Grade besass; aber auch seine Predigten können durck ihren grossentheils scholastisch-casuistischen Inhalt und ihre nickt selten den Begriff der Sünde abschwächenden casuistischen Erörte^ rungen den Charakter ihrer Zeit nicht verläugnen

B. Die christliche Sittlichkeit

Wenn die höchste Aufgabe des Christenthums nur darin er- kannt werden kann, die Erfüllung der sittlichen Forderungen in der Menschheit zu bewirken, durch welche die Erlangung alles dessen, was dasChristenthum verheisst, wesentlich bedingt ist, so muss man mit Becht fragen, was in dieser Beziehung eine Periode aufzu- weisen hat, in welcher das kirchliche System zu einer so hohen Stufe seiner hierarchischen und dogmatischen Entwicklung fortge- schritten ist. Welche Antwort gibt die Geschichte auf diese Frage? Sie kann sehr verschieden lauten. Beurtheilt man den sittlichen Charakter der Periode nur nach dem Maasstab, welchen sie selbst für das Sittliche hatte, so gab es keine Zeit, die durch die Grösse und Menge ihrer verdienstlichen Werke, durch Bereitwilligkeit zu Opfern aller Art, Hingebung an die Kirche, Gehorsam gegen alles, was ihr als der Wille Gottes erschien, in so hohem Grade sich aus- zeichnete, wie jene, in welcher die ganze Christenheit in zahllosen Schaaren auf den Weg in das heilige Land sich begab, die reichsten

1) Vgl. Schwab a. a. 0. S. 376 f.

Sittlicher Charakter der Periode. 407

Geschenke aaf den Altar der Kirche gelegt wurden, die Vollkom- inenheit des Mdnchslebens in so vielen neuen Mönchsorden im wei- testen Umfang sich in der Kirche verbreitete, und der fromme zu Gott sich erhebende Sinn in so vielen grossartigen Denkmälern sich beurkundete. Ganz anderer Ansicht aber muss man sein, wenn man die Sittlichkeit der Zeit nicht nach ihren eigenen gangbarsten Vorstellungen, sondern nach der absoluten Idee des Sittlichen be- ortheilt, wie sie auch schon in dem unmittelbaren Bewusstsein sich ausspricht, und trotz aller sittlichen Verirrungen in jeder Zeit immer «ach wieder auf irgend eine Weise unzweideutig zu erkennen gibt. Konnte das kirchliche System schon für die Zeit, in welcher es seinen kraftigsten Aufschwung nahm, dem von so vielen Seiten gemachten Vorwurf nicht entgehen, dass es in demselben Verhält- liss, in welchem es sich in seiner ganzen Conseqnenz entwickle, die sittlichen Interessen verletze und selbst nur zum grossen Nach- Iheil für die öffentliche Sittlichkeit durchgeführt werden könne, in wdchem Lichte stellt sich vollends der sittliche Charakter der Periode seit dem Zeitpunkt dar, in welchem das kirchlidie System . selbst immer mehr in sich zu zerfallen begann und die Bande immer lockerer wurden, die die Einheit des Ganzen und ebendamit die Ordnung des kirchlichen Lebens aufrecht erhalten sollten! Auf keinem andern Gebiet tritt die allgemeine Auflösung, welcher die Kirche seit der zweiten Hälfte der Periode entgegengeht, so augen- scheinlich hervor, wie auf dem des sittlichen Lebens. Nachdem das in dem Papstthum auf der Spitze seiner Macht realisirte System der absoluten kirchlichen Monarchie ganz den Charakter einer auf irdische Zwecke berechneten weltlichen Herrschaft angenommen hatte, stellt sich auch in der Regierung der meisten Päpste dieser Periode nichts anderes vor Augen, als die sinnlichste Genusssucht, die ausschweifendste Ueppigkeit und Verschwendung, die selbst- süchtigste Anmaassung, eine Reihe der gewaltthatigsten Handlungen und der SQhändlichsten Verbrechen. In einem so enggegliederten System musste auch in dieser Beziehung die von dem Haupte ge- gebene principielle Richtung die maassgebende Norm für alle unter- geordneten Stufen sein. Was die Päpste im Grossen waren, waren in ihrem Kreise die Bischöfe, und in demselben Verhältnisse wur- den sodann wieder die untergeordneten Kleriker die Glieder, in welchen das von den Häuptern der Kirche in seiner ganzen Grösse

408 Zweite Periode. Vierter Abiobnitt

ausgehende sittliche Verderben sich dnrch alle Adern der Kirche ergoss, um sich im weitesten Umfang zu verbreiten und in dei mannigfaltigsten Formen zu entwickeln. Tiefer und allgemeiner war noch nie ein Priesterstand in der öffentlichen Meinung gesunkei als der Klerus der katholischen Kirche in der Zeit Yor der Refor- mation, und wie klar liegt hier die Thatsache vor Augen, dass die Kirche selbst durch Gesetze und Einrichtungen, die ihre Wund schon in der ältesten Entwicklungsperiode der Kirche haben, die Urheberin der völligen Entsittlichung ihres Klerus geworden ist? Das Hauptübel, das unter dem Klerus herrschte, und daa ihm alle persönliche Achtung rauben musste, war die schamloseste Unzuok^ die natürliche Folge des aufgedrungenen Cölibatgesetzes. In aUei Beschwerden gegen den Klerus, in jedem Verzeichniss der groM Zahl seiner Laster nahmen immer die Scandale derFriester-UnzoÜ die erste Stelle ein. Die Kirche hörte nicht auf, auf allen Synodea, besonders auf den Reformationssynoden zu Constanz und Basdi gegen das unsittliche Leben der Kleriker zu eifern, die Sitteng^" schichte dieser Synoden selbst aber gibt den besten AufsdlM darüber, aus welchem sehr natürlichen Grunde alle Beschlüsse und Maassregeln, alle Ermahnungen und Drohungen völlig erfolglos waren. Dnrch die Sittenlosigkeit der Kleriker waren Unzu<Als- vergehen auch unter den Laien so gewöhnlich geworden, dass Bin sie gar nicht mehr unter die eigentlichen Sünden rechnete. Die- selbe Verdorbenheit herrschte in dem Mönchsstande, insbesondere in den Nonnenklöstern. Welche Vorstellung muss man sich von dem sittlichen Zustand der Periode machen, wenn man von der Kirche mit allem Rechte sagen konnte, sie sei gerade in denjenigen Ständen, die auf einer höhern Stufe der christlich-sittlichen Voll- kommenheit zu stehen behaupteten, zu einem grossen Hurenhaose geworden? Es gab wohl nie eine Zeit, in welcher alles, was ran sittlichen Charakter einer Periode gehört, auf einer so niedrigen Stufe stand, in welcher in so hohem Grade und so allgemein jede Achtung christlicher Sitte aus dem Leben entschwunden war und das sittliche Bewusstsein alle Energie verloren zu haben schien

1) Ein merkwürdiger Beitrag zur SitteDgeschichte des Mittelalters und ein neuer Beweis der tiefen Entsittlichung ganzer Gemeinschaften wftre es, wenn es sich mit „der Schuld der Templer" wirklich so verhalten würde, wie J. Y. Hahheb nach der schon früher in den Fundgraben des Orients (Bd. TL

Sittenloiigkeit der Kleriker und Beaotion dagegen. 409

Unter den vielfachen Angriffen, die von verschiedenen Seiten igen das kirchliche System gemacht worden, fehlte es auch nicht Reactionen, die vom sittlichen Interesse ausgingen. Je dringen- r im Verlaufe der Zeit das Verlangen nach einer allgemeinen (form der Kirche wurde, um so mehr stützte es sich auch auf tliche Grande, und dieselben Männer and Parteien, die die be- Dtendsten Gegner des herrschenden kirchlichen Systems waren, ichneten sich auch am meisten durch die Reinheit ihrer sittlichen ündsätze aus. Ja, es gibt sogar Erscheinungen, weichen bei em demjenigen, das ihnen nur das Gepräge einer weiteren Ent- cUangsform des Katholicismus zu geben scheint, doch das Prin- \ einer sehr ernsten sittlichen Opposition gegen die herrschende Bbtang der katholischen Kirche zu Grunde liegt. Es gilt diess rzagsweise von dem Mönchswesen, dessen wichtige in diese riode fallende Veränderungen nicht richtig begriffen werden, BBii sie nicht auch aus dem Gesichtspunkt einer die sittliche Re- nn der Kirche bezweckenden Richtung aufgefasst werden. Auch sr grosse Gegensatz, in welchen die Häretiker dieser Periode sich

18 in der Abhandlung: Mysterium Baphometis revclatum, seu flratres Mi- Ue Templi, qua Gnostioi et quidem Opbiani, apostasiae, idololatriae et ipnritatis conyicti per ipsa eomm monumenta) erhobenen Anklage suletst ieder in den Druckschriften der kais. Akademie der Wissensch. Philos. st. Classe Bd. VI. 1855 8. 175 f. gegen Havemann Gesch. des Ausgangs des smpelhermordens 1846 behauptet hat Hammer führt 120 Aussagen an, siehe alle in den vier den Templern angeschuldigten unerlaubten Punkten uatuor illidta, wie sie in den Aussagen heissen) übereinstimmen, nemlich IT Yerläugnnng Christi, der Anspeiung des Kreuzes, dem unanständigen OM und der Beftigniss zur Sodomie. Durch den Schwur, allen Befehlen M Aufnehmenden zu gehorchen und die Geheimnisse des Ordens nicht 1 verrathen, habe sich der Aufzunehmende voraus gefangen gegeben. Das igstliche Gewissen der Strenggläubigen, welche sich der Yerlttugnung Christi id der Anspeiung des Kreuzes weigerten, haben die Aufiiehmenden selbst durch m Rath beruhigt, dass, wenn die Aufgenommenen das yon ihnen Geforderte r Bünde "hielten, sie es ja beichten könnten: »Fatue oonfitearis«, oder durch e Versicherung, dass alles nur Scherz (truffa) sei, oder der Aufiiehmende ibe den aus Gewissenszweifel sich weigernden Au&unehmenden oft selbst tsser der Beichte andere Mittel an die Hand gegeben, um ihr Gewissen zu sruhigen, indem er ihnen sagte, dass sie Christus nur mit dem Munde, nicht it dem Herzen verläugnen, dass sie nur neben, nicht auf das Kreuz speien Irfton.

410 Zweite Periode. Vierter Abichnitt

zur katholischen Kirche setzten, hatte seine tiefste Bedealnng dt, wo sie das sittliche Verderben der Kirche zum besondern G^et- stand ihrer Angriffe machten. Es gibt sich so überhaupt in der ganzen Bewegung der Periode auf verschiedenen Punkten «id gerade auf denjenigen , in welchen die Hauptmomente der kirdh liehen Entwicklung liegen, ein der herrschenden Richtung entge^ gengesetztes sittliches Interesse auf verschiedene Weise zu Jea- nen. Wenn aber demungeachtet auf der einen Seite wie auf dar andern, sowohl da, wo das kirchliche System in seiner fortgebea- den consequenten Entwicklung begriffen ist, als auch da, wo es in sich zu zerfallen und sich aufzulösen beginnt, das Resultat immer nur ein solches war, das gerade den Forderungen des sitttichai Bewusstseins am wenigsten entsprach, so weist diess auf eine pn- cipielle Ursache hin, die nur in dem aligemeinen Charakter iv kirchlichen Systems liegen kann. Die Idee des Sittlichen kann äA nicht in ihrer Energie geltend machen, wenn sie nicht als die ab- solute Macht anerkannt ist, welcher alles Andere sich unterordoeo muss. Es ist mit Einem Worte der zu seiner vollen Erscheinnag gekommene kirchliche Absolutismus, der auch das sittliche Bewusst- sein lähmte und entkräftete und alle sittlichen Begriffe so verkehrte, dass sie nur das sittliche Gefühl verletzende Erscheinungen hervor- bringen konnten. Es lassen sich in dieser Beziehung zwei Homeote unterscheiden, die auf gleiche Weise daraufhinzielten, die abso- lute Bedeutung der Idee des Sittlichen so zu beschranken, dass sie zu einer sehr relativen und bedingten wurde. Das eine dieser bei- den Momente begreift alles in sich , was in das grosse Capitel der kirchlichen Dispensationen und Indulgenzen gehört, wobei immer die Ansicht zu Grunde liegt, dass es keine sittliche Verpflichtuag gibt, die für den Menschen so bindend wäre, dass er derselben nicht entbunden werden könnte, sei es unmittelbar durch Aufhe- bung derselben oder dadurch, dass an die Stelle der eigentlichen Leistung etwas ganz anderes gesetzt wird, das die sittliche Tbä- tigkeit so wenig in Anspruch nimmt, dass auch schon ein Minimum derselben genügen kann. Der Zusammenhang zwischen Sünde und Schuld wird als ein blos willkürlicher betrachtet und um diese An- sicht zu rechtfertigen, scheint es nur darauf anzukommen, dass man die für sündhaft geltenden Handlungen darauf ansieht, ob sie auch wirklich in die Kategorie der Sünde gehören oder nicht. Je

Die kirohl. Anffaiiung der Sfinde und Tugend. 411

genauer eine Handlung in ihre einzelne Theile zerlegt und je schar- fer unterschieden wird, was an ihr ein blos zufälliger Nebenum- ftand oder ein bewusster zurechnungsfähiger Akt ist, um so ge- wisser gelingt es, die an ihr haftende Schuld zu yerringern und den Begriff der Sünde so einzuengen, dass wenig oder nichts zu- rückbleibt, was eine solche Handlung zu einer eigentlichen Sunde nacht Das zweite Moment dieser Art ist, dass dieselbe analysi- rende Operation, durch welche der Begriff der Sünde seine eigent- liche Bedeutung verliert, mit dem Begriff der Tugend und VoUkom- ■enbeit vorgenommen wird. Wie, um dem Begriff der Sünde seine floUürfe zu nehmen, für keine Sünde erklart wird, was an sich Sünde ist, so wird, um den Begriff der Tugend abzuschwächen und kiainen zu hohen Maasstab für das Wesen derselben haben zu Bflasen, für Tugend gehalten, was dem Begriff derselben nur sehr unroUkommen entspricht. Es ist auch hier nur darauf abgesehen, Ami Begriff so zu theilen und zu spalten, dass ihm, weil der Theil fitr sich nicht sein kann, was nur das Ganze ist, darüber seui ^igODÜiches Wesen verloren geht. Es gibt also eine doppelte nigend und Vollkommenheit, eine niedere und höhere, und die Folge dieser Unterscheidung ist, dass weder die eine noch die andere die Tugend im wahren und absoluten Sinne ist In der nie- dem Tugend ist schon dadurch , dass eine höhere über sie gestellt wird, der Begriff des Sittlichen degradirt, und was die höhere vor der Biedern voraus hat, hängt an einem Begriff von Vollkommen- heit, durch welchen das Sittliche in ein fremdartiges Gebiet hin- übergezogen und zu etwas blos Zustandlichem gemacht wird, was nur Sache der sittlichen Selbstihätigkeit sein kann. Der aristo- kratiache Unterschied der Stände wird auf das sittliche Gebiet über- getragen; es gibt eine doppelte Tugend, wie es zwei durch gewisse äussere Bestimmungen unterschiedene Stände gibt, und 68 wird demnach vorausgesetzt, dass man schon dadurch auf einer hohem Stufe der Vollkommenheit steht, wenn gewisse Tugenden, lu welchen nicht alle dieselbe sittliche Verpflichtung haben sollen, als besondere Standespflichten geübt werden. Was blickt aus sol^ chen Erscheinungen, wenn wir sie auf ihren tiefer liegenden Grund zurückführen, anderes heraus, als die Tendenz, der Idee des Sitt- lichen den Boden, auf welchem sie zu ihrer eigentlichen Geltung kommen soll, so viel möglich zu beschränken und die Aufgabe, die

41S Zweite Periode. Vierter Abicbniti

nor «nf sittlichem Wege gelöst werden kann, aas der Sphäre, ia welcher die Forderungen des sittlichen Bewusstseins ihr niclutei und unmittelbarstes Objekt haben, in eine immer fernere, weit flhr die Gegenwart hinausliegende Region zu entrücken? Anders km es auch nach dem ganzen Charakter der Zeit nicht sein. Je mekr in der transcendenten Anschauung, in welcher man lebt, der Schwerpunkt des Bewusstseins in das Jenseits fallt, um so gieich- gdltiger wird für den Menschen und sein sittliches Verhalten du Diesseits, in welchem er in der unmittelbaren Wirklichkeit dei Lebens steht, und je mehr eine Kirche, wie die katholische dei Mittelalters, es übernimmt, mit allen ihr zu Gebot stehenden Mitteii die Vermittlerin des Einzelnen mit dem Jenseits zu sein , utt m ruhiger kann er , ohne dass seine eigene Thatigkeit und Anshr gung in Anspruch genommen wird, es der Kirche überlassen, hm Stelle zu vertreten. Wofern er nur es an den Leistungen wA fehlen lässt, welche die Kirche zu den Bedingungen ihrer Vemitt- hmg tnacht, darf er, wie es sich sonst mit ihm, als einem sittlichei Subjekt verhalten mag, seines Antheils an dem seligen Jenseib versichert sein 0* Da das Sittliche der Hauptgesichtspankt ist, vm welchem aus das MangelhaHe und Einseitige in der Entwicklung der Kirche des Mittelalters aufzufassen ist, so gehört unter denselbei alles, was noch der weitere Inhalt der Geschichte dieser Periode ist und so betrachtet schon auf dem Uebergang zur Refonnatioi liegt

1. Die scholastische Sittenlehre.

Fragt man, was von Seiten der Scholastiker zur Bestinumng der sittlichen Begriffe und zur wissenschafUichen Behandlung der Sittenlehre geschehen ist, so kann man ihnen nicht den Vorwarf machen, dass sie ihr Nachdenken nicht auch nach dieser Seite hin gerichtet haben. Nicht nur macht in jedem dogmatischen Syslen die Sittenlehre einen wesentlichen Bestandtheil des Ganzen aus, sondern es wurde auch schon das Sittliche an sich als GegenstaDd der denkenden Betrachtung aufgefasst Den bedeutendsten Versock dieser Art machte Abälard in seiner EthicaOi deren zweiter

1) Vgl. Bossmann, Betrachtungen iiber das Zeitalter der RefonnAti(m. Jena 1858. S. 3 f. Die mittelalterliche Anschauung.

2) Vgl. Pez Thesaurus anecdot. III. 2. S. 628 f.

Die lohoUitiBclie Sittenlehre. Ethik AhftUrd's. 413

itel Scito te ipsum das rühmliche Bestreben bezeugt, auf den nem Grund des sittlichen Bewusstseins zurückzugeben. Seine ftenlehre beruht auf dem Hauptgrundsatz, dass das Sittliche der andlungen nicht nach dem Aeusserlichen, Materiellen, sondern idi der innern Gesinnung, die Gott allein offenbar sei, zu beur- leOen sei ; durch die hinzukommende äussere That könne Schuld ad Verdienst in den Augen Gottes nicht bestimmt werden. Diese ^hauptung suchte er gegen die Einwendungen, die dagegen ge* acht werden konnten, zu rechtfertigen. Wird das Sittliche we- Mrtlich in das Innere gesetzt, so fragt sich wieder, was im Innern ü Menschen das eigentliche Princip des Sittlichen sei. Abäbrd ichte auch nach dieser Seite hin den Begriff der Sünde so genau möglich abzugrenzen. Es gibt auch ein Wollen und Begehren, tf das der Begriff der sittlichen Zurechnung nicht angewandt wer- m kann. Zu einer bösen That wird eine Handlung nicht, sofern t. flberhaupt ein Objekt des Wollens und Begehrens ist, sondern V durch die Einwilligung, die Selbstbestimmung des Willens. Es an ja so Vieles, was sonst Sünde ist, aus Zwäng oderUnwissen-* 00^ somit unfreiwillig geschehen. Die Einwilligung in etwas, das ^t sein sollte, macht also erst das Wesen der Sünde aus, die in a^ehung auf Gott die Nichtachtung Gottes ist, indem man thut ler nicht thut, wovon man sich bewusst ist, dass man es um Got- m willen nicht thun oder thun sollte 0- Hier zeigt sich nun aber ihon, wie schwankend Abäiard's Begriff der sittlichen Zurechnung ty wenn er selbst ein solches Gebot, wie das Matth. 5, 28, nicht >n dem concupUcere als solchem, sondern nur von dem ccncu-' \9eentiae consensus verstanden wissen will 0- Denn wie kann

1) A. a. O. c. 3. S. 629 : Consenwm proprie peeeaiwn nominamuSf hoo tf cuipam animae, qua damntUionem merdur vel apud Deum rea itaiuiUur^

id ut enim täte coruenstUy nisi JDei contempiua et offevua ipakta, Non emm ex damnOf sed ex contemptu offendi potest, Ipae qyippe est iumma Ea potestaSf guae damno tUiquo non ndnuitWf aed contemptum gui ükiscitw, 'eceatum itaqus noatrum contempius cretttoris est , et peccare est creatorem mtemnere, hoc esty id nequaguam fticere propter ipsumy qttod credimus propter mun a nohis esse faciendum, vel non dimUtere propter ipstmif quod credimus we dimittendum,

2) Non est peecatum, uxorem akerius coneupiseere , vel cum ea con-^ mnberef sed magis huic concupiscentiae , vel aetioni eonsentire, quem pro* ieto consensum coneupiscentiae lex concupisceniiam vocatj cum ait: non eon« upiiceit non emm concupiseeSf quod vitare wm possumuSf vel in quo^

414 Zweite Periode. Vierter Abiobnitt

man wissen, ob das concupitrere zu einem camennii concupu- ceniiae geworden ist, solange es noch nicht Sasserlich hervorge- treten ist? Solange die innere That nicht aach zu einer dossen geworden ist, kann man immer noch sagen, es sei noch nicht um wirklichen consensus gekommen; es fehlte somit, wenn nicht tu der That als solcher auf den consennia geschlossen werden soll, noch das eigentliche Kriterium, nach welchem eine Handlung ib Sünde anzusehen ist. Während demnach alles Gewicht darauf ge-* legt wird, das Wesen der Sünde nicht blos nach der äussern nn zu beurtheilen, wird das sittliche Urtheil doch wieder von der i«»- sem Erscheinung des Innern Willensakts abhängig gemacht Wirf die Sünde durch die drei vonAbälard unterschiedenen Momente, is Buggestio, delectatio und den consentus vollzogen, was fehlt db eonseniUM noch, um unmittelbar zur äussern That zu werden ? M auf dieses Hauptmoment einzugehen, nimmt Abälard nur auf eise Einwendung Rücksicht, die vom Standpunkt der Kirche aus erbobei werden konnte. Welchen Maasstab hat die Kirche für ihre Safit- factionen, wenn sie ihn nicht von der äussern Beschaffenheit der Sünden entnehmen darf? 0 Bs kann ja, wie Abälard selbst behaa^ tet, Fälle geben, in welchen, ohne dass eine entsprechende Schidi stattfindet, eine grosse Satisfactionsstrafe auferlegt wird. Un die- sem Einwurf zu begegnen, erinnert er an den grossen Unterschied zwischen dem göttlichen und menschlichen Gericht, sofern das letz- tere freilich die Schuld nur nach der äussern That bestimmen kann; doch ist diess nicht so gemeint, wie wenn dadurch dem menschliches Gericht jeder Werth abgesprochen werden sollte, sondern es komnt dabei nur das weitere Moment in Betracht, dass das menscbliGke Gericht seine Strafen nach den Folgen zu bemessen hat, welche gewisse Handlungen für die öffentliche Sittlichkeit haben, während dagegen Gott den Menschen nur nach der Sittlichkeit seiner Ge- sinnung beurtheiltO* Da hieraus nur die Folgerung gezogen wer-

ut dictum estf non peccamuSf prohiberi debuit, sed (useniire iUL A. a. O. o. S. S. 638.

1) Sunt eüam qui non mediocriter moventutj cum audiwnJt^ no« dteerc» opus peccaii non proprie peccatum diei, vel quidguam non addere ad peceati augmentum, cur gravior aatUf actio injwngaiur de operis effectu, quam ät culpae reatu. A. a. O. c. 5. S. 645.

2) A. a. O. c 7. S. 647 : Haec qtUdem non tarn juititiae debito^ quam

Abftlard*B Theorie der sittl. ZnreohBiing; 4f5

den kann , dass der Mensch im Unterschied von Gott über die Sitt- lichkeit Anderer entweder gar nicht oder nur nach Maassgabe ihrer fiussern Handlangen urtheilen kann, so ist aach hier wieder ein Punkt, anf welchem sich Abälard's Sittenlehre in einen Widerspruch mit sich selbst verwickelt, welcher sie der kirchlichen Satisfactions- lehre nicht sehr gefährlich machte und sie dieser gegenüber in jedem Fall als sehr unpraktisch erscheinen liess. Wie die Sünde wesent- lich nicht in der äussern That, sondern in der Gesinnung, aus wel- cher die That hervorgeht, besteht, so verhält es sich auch mit dem Gnten. Es kommt nur auf die bona intentio an ; die operatio hat in 8ich selbst nichts Gutes, sie geht nur aus der intentio hervor. Um 80 mehr aber fragt sich, was die intentio zu einer guten macht. Kdumt es nur auf die intentio an, auf das Bewusstsein, mit welchem gtDhandelt wird, so scheint ja dadurch das Gute nur in die Subjectl- viUit des Bewusstseins gesetzt zu werden. So subjectiv will auch AMHnrd das Gute nicht betrachtet wissen; gut ist die intentio, nicht aofem der Handelnde sie für gut hält, sondern nur, wenn sie an sich gvt isl, sonst würden ja auch die Ungläubigen gut handeln, da auch rie von dem, was sie thun, die Vorstellung haben, dass es Gott ge- falle O* Allein Abälard kommt hier über die Subjectivität deiner Theorie nicht hinweg, er kann die Schwierigkeit, die sich ihm hier nfdrftngt, nur so heben , dass er in einem solchen Falle zwar die

dupen»eUiom$ afftmtur temperamerUo, ut, quemadmodum dixitmuj pubHea prae^ ' vemendo da$nna eommuni eoruulamus tUUitaH, Saepe igkur minima peccata wu^orünu poenia vindiccrniua non tarn aequitate juatitiae adtendenteSf quat eidpa prtieeesseritf quam discretione providenUae cogitamtes^ quania hinc con- tingere poisit incammoditas, si leviter puniatur, Culpas itaque animt divino n9ervanie8 judieio effeeta eorwn , de quibua fudicare habemus , protequimur mo§tro* Deua vero unius eujtieque poenam secundum quaatitatem diiponU et quieunqtie ipaum aequaliter contemnwnt , a^equcdi postm^um poena puni- vmtwTy cujuscunque conditionis out profesdonis sint. Vgl. S. 640 : Non emm, ptae fiwni, sed quo animo fiant, penaai Deua, nee in opere^ aed in intentione meriium operantia vel laue eonaistit. Aus einer solchen Trennung des Aenssem und Innern folgt zuletzt nur, dass alle Sünden an sich und innerlich einander gleich sind und, da nur Gott in das Innere sieht, niemand wissen kann, oh eine Handlung Sünde ist oder nicht.

1) A. a. 0. 12. S. 663: Non eat itaque intentio bona dieenda, quiabona videtttTf aed inauper quia talia eat, aicui exiatimatuTf cum videlicei t2fctd, ad quod tendit, ai Deo placere credit, in hoc inauper exiatimaiione aua nequa- quamfallatur.

416 Zweite Periode. Vierter Abiohnitt

Schuld liagnet, gleichwohl aber das stehen lasst, was nur unter Voraussetzung der Schuld gedacht werden kann Ungläubige, Christenverfolger handeln im Bewusstsein ihrer guten Sache qdI man kann ihre Unwissenheit und was sie aus Unwissenheit thun keine aus Verachtung Gottes entspringende Sünde nennen, da sie, wenn sie anders handelten, nur gegen ihr Gewissen handeln wor- den, und doch ist die nothwendige Folge ihrer Unwissenheit die Verdammung. Um diess mit dem sittlichen Bewusstsein zn Yer- einigen, kann sich Abalardnur auf die Unbegreiflichkeit der göttp liehen Gerichte berufen, womit er aber nur gesteht, dass er den Widerspruch, in welchen seine abstracto Theorie des Sittlichea mit dem Dogma kommt, nicht zu lösen wisse.

Offener tritt seine Opposition gegen die Grandsätze und ih Praxis der Kirche erst im zweiten Theil seiner Ethik hervor, in id- chem er, nachdem er in derErkenntniss der Sünde die Wunden ta Seele aufgedeckt hat, nach den Mitteln ihrer Heilung fragte, und bei jedem der drei Momente, in welche die Kirche die Versöhnung des Sünders mit Gott setzt, die poenitentia, canfenio und 9aii$faelkf dieselbe Verkehrung der sittlichen Begriffne zu bekämpfen hatte. Seine reinere sittliche Ansicht spricht sich auf eine sehr anerkennungs- werthe Weise in dem Ernste aus, mit welchem er sowohl die roke Vorstellung derer, die, wenn die Furcht vor den Strafen desFegfeoerf und der Hölle ihnen in den letzten Augenblicken ein reuiges Sündeo- bekenntniss erpresst, durch bezahlte Priestermessen für die Ruhe ihrer Seele die Vergebung ihrer Sünden von Gott zu erhalten mei- nen, und auch dann noch so wenig in sich gehen, dass sie statt das ungerechte Gut zurückzugeben, sich mit der eitlen Hoffnung trösten, ihre Erben werden dafür um so mehr durch Almosen für das Heil ihrer Seele sorgen, als auch die Habsucht und Schlechtigkeit der

1) A. a. 0. c. 14. S. 655: Saepe eienim Deus aKquos hie corporaUUr punitp nuUa eorum culpa hoc exigentCf nee tarnen sine caueay vekui eumjuttit etiam afflictiones immittit ad aliquam eorum purgatUmem , vel prohatumm» -— Bicut enim sine meritis nonniUli salvtmturj ut parvuUf et sola ffratia vittun assequuntur aetemam , ita non ahsurdvm est , nonnuUos poenas carpo- raks sustinere , g[W»s non mentenmt, Abyssus quippe muUa Dei judida sunt f qui nonmmguam reluctantes , vel minus de sua salute solUcitos irMi et se offerentes, vel ad credendum paratiores pro/tmdissimo dutpensationit suae eonsilio respmt.

Abftlard*8 Ethik. Reue, Bnise, Beiohte. 417

Priester ro^ die die Thorheit der Menseben durch leere Heilsver- gprechungen nur zu ihrem Vortheii zu benätzen suchen. Die wahre Reue, der wahrhaft mit Gott versöhnende Schmerz über die Sünde entspringe nicht aus der Furcht -vor der Strafe, sondern aus der Liebe zu Gott, aus der Erkenntniss seiner Güte und Barmherzigkeit; mit einer solchen Zerknirschung des Herzens könne die Sünde nicht bestehen. Die wahre, aus der Liebe zu Gott entspringende Reue gestatte auch nicht, dass man nur über Eine Art von Sünden Busse thae und nicht auf gleiche Weise über alles, dessen man sich bei der Reflexion auf sich selbst bewusst ist. Alle Sünden werden durch die Busse vergeben; nur die Sünde gegen den heiligen Geist macht eine Ausnahme und selbst die Sünden gegen Christus als des Menschen Sohn haben nicht denselben verdammlichen Charakter, da nur die Sünde gegen den heiligen Geist eine solche ist, bei wel- cher man wider besseres Wissen und Gewissen für diabolisch er- kUrt, was man nur für ein Werk der offenbaren Gnade Gottes hallen kann 0- Die Beichte betrachtet Abälard als ein Mittel der Demüthigung und der Unterwerfung des eigenen Willens unter emen fremden; man darf sich nicht scheuen, vor den Menschen zu bekennen, was man vor Gott zu thun sich nicht gescheut hat Die Beichte ist, wenn auch nicht schlechthin nothwendig, doch nützlich, da es eine Gnade Gottes ist» dass er uns gestattet, uns selbst eine leichtere Strafe aufzulegen, um uns nicht schwerer strafen zu müssen« Sehr stark äussert sich Abalard dabei über die Indiscretion und Schlechtigkeit der Priester, die nicht blos aus Unwissenheit ihre Uniergebenen übel berathen , sondern auch in ihrer Habsucht so weil gehen , dass sie um Geld die auferlegte Satisfaction entweder ganz, oder zum Theil erlassen 0. Und nicht blos Priester sind so

1) A. a. 0. c. 22. S. 672.: Non enim in hoc dliguis contemptu Dd natari pote$tf si veritcUem per errorem contradiccut^ nee contra contcientiam agatf maaeme cum id tcde süf quod humana ra/Hone investigcuri non posHtf §ed magis rationi vtdeatur conirarium, Bkuphemare autem in Spiritum egt ita opera numifestae gratiae Dei calumniari , tU iüa , quae credebant per ßpiritium sanctum , hoc est , divina bonitcUe misericorditer ßeri, per didbolun^ tarnen iueererent agi,

2) A. a. O. c. 25. 8. 680: Suhjectoa decipientes, tu pro nummorum Madone aoHsfcictionis injunctae poenae eondonent vel relaxentf non adten- denteSf guid veKt Dominua^ quam quid valeai nvmmua. Die game StellS

Banr« K.a. dei MitMUtten. 27

418 Zweite Periode. Vierter Abiohnitt.

schamlos, anch die Obern derselben, die Bischöfe, machen bei Eia- weihnngen von Kirchen, Einsegnungen von Altfiren und bei jeder ihnen vortheilhaft scheinenden Gelegenheit den verschwenderisch- sten Gebrauch von dem Ablass, wobei man sich nur darüber wun- dem müsse, dass sie, wenn sie es, wie natürlich, nur aus Liebe und Güte thun, mit der in ihre Hände gelegten Gewalt über den Himmd nicht alle von allen ihren Sünden absolviren und keinen yerdanmt werden lassen 0* Schon hieraus erhellt, wie er über die Schlüssel- gewalt der Bischöfe dachte. In ihrem schönsten Lichte erschemt die Berechtigung seines sittlichen Standpunkts der hierardhischeB Anmaassung der Bischöfe gegenüber, in welchen er nur unter der Bedingung die Nachfolger der Apostel sehen wollte, wenn sie ihnei auch in sittlicher Würdigkeit ähnlich seien. Der Aussprach Herrn Job. 20, 23 gelte nur persönlich den Aposteln und sei nidt allgemein auf alle Bischöfe zu beziehen. Mit aller Entrüstung seinei sittlichen Gefühls wies er die Vorstellung zurück, als ob die gött- liche Gerechtigkeit sich nach der Willkür richten müsste, mit wel- cher irreligiöse und indiscrete Bischöfe vermöge ihrer löseadea und bindenden Gewalt den Einen für unschuldig, den Andern flr schuldig erklären 0* Indem er anch den Excommunicationen der Bi- schöfe alle Bedeutung absprach, wofern sie nicht der gotUichea Gerechtigkeit gemäss seien , stellte er ebendamit die Selbstgewisi- heit seines sittlichen Bewusstseins als höchstes Kriterium über alle Ansprüche der hierarchischen Anctorität.

ist für die Geschichte der schon damals sehr gangbaren Ablasspraxis nicht unwichtig.

1) A. a. O.: In relaxandis poenitentiia prodigi wnt^ modo tertiam mocto qiMrtam poenitenUae partem omnibus communüer indulgentes , mb quadam scUicet specie cfiaritcUia, sed in veritcUe summae cupidüctHs,

S) A. a. O. c. 26. S. 684 : Manifetta rcOio habet, quod Petro coneeiwm estf nequcLguam omnibua epiacopia a Domino collatum eaae, sed his soKs, qyi Petrum non ex aublimitate cathedraCf sed meritorum imitaniwr digniUtUe. Non e/mm suam vohmtatem sequentes et a vohmtate Dei se avertentea contra divinae recHtudinis jttatiHam quicquam posatmt, nee cum iniqtie aUquid aguntj ad iniquitcUem Deum inclinare poaaunt, vi eum qutm similem std qfficiant, Quia emm vnagis Dewn obliviaci et in reprobum aenattm dari dicendus t^ quam qui hanc aibi arrogat potestatem , ut in subjectia pro oM^rio suo If- gandis atque sohendis divinam sibi subjacere senteTttiam dicat, vi quod etiam injuste praeaumpserit, sumiMon Dei juatitiam pervertere queat, quasi reos v^ trmoceitfM faeere poatit quo» vohterit.

AbftL Yerwerfl d. Ablats. Wisgenscfa. Bedent b. Ethik. 419

So einseitig abstract die von A b a I a r d aufgestellte Theorie des Sittlicheii ist, so ist doch die acht wissenschaftliche Bedeutang seiner Ethik darin nicht zu verkennen, dass er die Idee des Sitt- lichen in ihrer selbstständigen, von den herrschenden dogmatischen Vorstellungen und kirchlichen Grundsätzen unabhängigen Wahrheit auffflsste und sie als die absolute Norm anerkannt wissen wollte, durch welche das Verhalten des Menschen für das praktische Leben bestimmt werden muss. Es kann als ein Beweis der Energie seines riltlichen Bewusstseins angesehen werden, dass er gerade dasjenige Moment der Idee des Sittlichen mit aller Scharfe hervorhob, das durch die herrschende Richtung der Zeit am meisten beeinträchtigt war. Je mehr alles, was dem Menschen seinen sittlich religiösen Werth gibt, nur in das werkthätige Handehi, in die Verdienste der guten Werke, in die Abbässung der Sünden durch die von den Priestern auferlegten Satisfactionen gelegt wurde, um so mehr kam •i der Wissenschaft zu, mit allem Nachdruck daran zu erinnern, dasi das wahre Wesen des Sittlichen nicht in dem Aeussern der Haidlung, sondern in dem Innern der Gesinnung bestehe. Diess ist das Verdienstliche der abälard'schen Ethik und es kann nur als ein sie besonders auszeichnender Vorzug anerkannt werden, dass sie, statt nach der gewöhnlichen Weise den Maasstab für das Sittliche «US der Wirklichkeit des Lebens zu entnehmen und sich nach der gangbaren Praxis zu accommodiren, sich vielmehr auf den entgegen- gesetzten Standpunkt stellte und die Idee des Sittlichen als die ideale Norm betrachtete, durch welche das nttliche Verhalten bestimmt werden muss.

Abälard's Ethik hat das Interesse einer aus dem frischen Quell des sittlichen Bewusstseins entsprungenen Frage, in welcher der Begrifif des Sittlichen überhaupt in's Auge gefasst wird. Einen andern Charakter hat die Sittenlehre bei den folgenden systema- tischen Scholastikern schon dadurch , dass sie die Sittenlehre nicht fär sich behandeln , sondern zu einem integrirenden Bestandtheil des von ihnen construirten theologischen Systems machen. Sie ste- hen auf dem Standpunkt der Sittenlehre, sobald sie nach der Lehre Toa Gott und dem Verhältniss Gottes zu der Welt auf den Menschen kommen und das Verhältniss des Menschen zu Gott betrachten. Als freies vernünfUges Wesen muss der Mensch einen höchsten End- zweck haben, aufweichen als das höchste Gut, in welchem seine

27»

480 * Zweite Periode. Vierter Abiohnitt

Seligkeit bestellt, sein Wollen und Handeln gerichtet ist Wu aber den Menschen als Objekt seines WoIIens auf absolute Weise be- friedigen soll, kann nicht ein geschaffenes Gut sein, spndem nv das absolut und allgemein Gute, d. h. Gott. Die höchste und toU- kommenste Seligkeit des Mensehen kann nur die Anschauung dei göttlichen Wesens sein. Hiemit ist schon der supranatnralistiiche Charakter dieser Sittenlehre ausgesprochen ; ihr oberster Grundsati ist , dass der Mensch das Objekt seines SoUens nicht per ma nähr ralia erreichen kann. Es gilt diess aber nur Ton dem höchstei und letzten Ziel, der vollkommenen Seligkeit, von welcher die o- voUkommene des gegenwärtigen Lebens zu unterscheiden ist. Dieie kann der Mensch durch seine natürliche Kraft, in deren Uebungd« Wesen der Tugend besteht, erlangen Die scholastische Sitts- lehre, wie sie Thomas von Aquino in ihrer vollendetsten DarsteUai in dem zweiten Theil seiner theologischen Summe , der prhna vak $ecunda ueundae gegeben hat, hat daher das Eigene, dass sie keil allgemeines Princip aufstellt, das auf absolute Weise das ganze sitt- liche Gebiet umfasst. Sie macht an den Menschen nicht die abs^ lute Forderung: du kannst, denn du sollst; indem sie von von herein voraussetzt, dass die Natur des Menschen eine endliche, in dea schlechthinigen Gegensatz des Natürlichen und Uebernaturlichea hineingestellte ist, wird ihr das Absolute des sittlichen Soll^ns ein blos relatives, sie beschrankt es auf das der Endlichkeit der mensch- lichen Natur entsprechende Gebiet, und theilt auf diese Weise über- haupt das Gebiet des Sittlichen in mehrere auf verschiedene Weise gegen einander abgegrenzte Regionen, deren keine die Idee des Sittlichen in der Reinheit ihres Princips in sich darstellt Die Be- schreibung dieser verschiedenen Regionen und der ihnen ange- hörenden Erscheinungen des sittlichen Lebens macht den Haupt- inhalt der Sittenlehre des Thomas aus.

Ungeachtet des deterministischen Charakters seines Systems hält Thomas die Freiheit des Willens als das Princip fest, auf wel- chem alles Sittliche beruht Ein sittliches Subjekt ist der Mensch nur sofern er ein Wollender ist; das Objekt seines Wollens ist das Gute. Wenn aber auch die Richtung des Willens nur auf das Gute gehen kann, so folgt daraus nicht, dass das gewollte Gute das aa sich Gute ist, sondern es kommt nur darauf an, dass es dem wol-

1) Vgi Thomas Boinma theoL prima sec qu. 6. art 5.

Ethik d/Tliomas r. Aqu. Der Wille n. dfts Gute. 4SI

lenden Subjekt als etwas Gutes und Wönschenswerthes erscheint 0* Es bezieht sich diess auf das für Thomas besonders wichtige Ver- hältniss des Verstandes und Willens. Der Wille bewegt sich zwar durch sich selbst, er wird aber durch den Verstand bestimmt, sofern das erste formale Prineip, das Seiende und allgemein Wahre, ein Objekt des Verstandes ist, und der Wille nur dadurch in Tbatigkeit gesetzt wird, dass ihm der Verstand in der Vorstellung eines be- stimmten Objekts das Objekt seines WoUens vorhält. Würde das dem Willen vorgehaltene Objekt ihm als das in jeder Beziehung absolut Gute erscheinen, so würde seine Richtung mit Nothwen- digkeit nur auf dieses Eine Objekt gehen können; da aber das particulär Gute immer einen Hangel des Guten in sich hat, und iMch verschiedenen Beziehungen so oder anders betrachtet wer- den kann, so kann sich der Wille zu demselben Objekt auf ver- schiedene Weise verhalten ^ es sowohl annehmen als verwerfen. Wenn auch der Wille in letzter Beziehung von Gott als dem bewe- genden Princip bewegt wird , so ist doch seine Bewegung keine flofhwendige, sondern Gott bewegt den Willen nur so, wie es der -Katar des Willens als eines freien gemäss ist, so dass er sich eben so gut zu dem Einen als dem Andern bestimmen kann, seine Be- wegung somit keine nothwendige, sondern eine zufällige ist Thomas lietrachtet die Willensthätigkeit nach den verschiedenen zu ihr ge- hörenden Momenten und setzt die Vollendung des Willensakts in die Zustimmung der den Willen in sich begreifenden obem Vernunft zu einer bestimmten Handlung. Die sittliche Beschaffenheit, ver- möge welcher eine Handlung entweder gut oder böse ist, hangt von dem Objekt ab, auf das der Wille gerichtet ist; da aber dem Willen sein Objekt durch die Vernunft gegeben wird, so hängt die Güte des Willens von der Vernunft ab, die Vernunft selbst aber kann die für die Güte des Willens maasgebende Regel nur durch das ewige Gesetz oder die göttliche Vernunft sein. Wird die Güte des Willens nach dem beabsichtigten Endzweck bestimmt, so kann der letzte Zweck des menschlichen Willens nur das höchste Gut oder Gott sein und der Wille ist somit gut, sofern er auf das höchste Gut sich richtet Da aber das höchste Gut das unmittelbare und eigentliche

1) A. a. 0. qn. 8. art. 1. Ad hoc quod vohmtas in aUquid tendeU, non requirituvt quod rit honum in rei veritatet sed quod apprehendaiur in raiicne boni.

4M Zweite Periode. Vierter Abeehnitt.

Objekt des göttlichen Willens ist, so ist der eigenüiche Matsstab, nach welchem die Güte des menschlichen Willens bestimmt wird, die Uebereinstimmung mit dem göttlichen Willen 0- Dieser absofaite Maasstab für das sittlich Gute wird jedoch, da nach Thomas alki, was sich auf den Willen bezieht, durch den Verstand Termiltelt nd bedingt wird, auf einen sehr relativen herabgesetzt Wennabo auch der Wille im Allgemeinen und formaliter dasselbe will, wif der göttliche Wille will , so kann er doch materiaiiter auf etwas ganz Anderes gehen, da dieselbe Sache, je nachdem sie unter diea« oder jenem Gesichtspunkt betrachtet wird, dem sittlichen Bewasitr sein als gut oder nicht gut erscheinen kann. Das sittliche HauMa ist so in letzter Beziehung nur durch die Subjectivität des vonld* lenden Bewusstseins bedingt '> Nimmt man noch dazn, wie wof in dem Determinismus des Thomas weder der Begriff der Willaii- freiheit noch der des Bösen , sofern das Böse nur der Defect ta Guten ist, zu seinem Rechte kommt, so ist klar, wie weit eine solehe nur in der Beschreibung der verschiedenen sittlichen Zustande siek bewegende Sittenlehre unter einem Standpunkt zurückbleibt, nt welchem die Realisirung der Idee des Sittlichen mit der Unbedingt- heit eines kategorischen Imperativs als die der sittlichen Natur dea Menschen immanente absolute Aufgabe betrachtet wird.

1) A. a. O. qn. 19. art 9.

2) A. a. O. qu. 19. art. 10: Voluntas fertw in 8uum dbjectum^ dum quod a ratione proponiiur, CkmHnffü autem dUquid a roHone can- nderari diversimodef ita quod wh waa rtUione est bonum et seeundum ofion roHonem non bonum. Et ideo ai vohmtas alicujiu veUt iüud e$9e aeeumdim quod habet rationem boni, est bona^ et vobmtae aUerkUf <t veUt iOud idem non eaaCf iectmdum quod höhet rationem m4iU^ erit vohmtae etiam hinuL JBonum toUue wniverai est id quod est apprehensum a Deo unde quid- quid vüU, vuU sub ratione boni communis, quod est sua bonitas, quae est bonum totius umversi. Äpprehensio autem creeUurae secwndum suam naiuram est alicujus boni particularis proportionati suae naiwae. Coniingit oMUem aUquid esse bonum secundum rationem particularemf quod non est homm secundum rationem universalem. Et ideo coniingit, quod aUqua vokmtas est bona volens aliquid secundum rationem particularem eonsideratum , quod tarnen Deus non vuÜ secunduan rationem universalem, out e eonverao. Vokmtas hwmana tenetur co^formari divinae vo^untaii in voUto formtditer, ienetur enim velle bonum divinum et commune , sed non materiaUier, Und .doch ist diess gerade die sittliche Forderung, dass der menschliche Wille auch im Materiellen dem göttlichen sich conformirt.

Ethik des Thomfts. Dag sittl Gute. Tagen dl ehre. 483

Es gehört zum beschreibenden Charakter dieser Sittenlehre, dftss in ihr das Psychologische vom Moralischen noch nicht ge- schieden isL Nach der Bestimmung der allgemeinen Begriffe be- ginnt sie mit der Beschreibung der leidentlichen Zustande, der paM9ione$ der Seele, um sodann von diesen, durch die Vermittlung der habUu8, der geistigen Dispositionen, die in der Potenz sind, was die Tugenden actueU sind , zu der Lehre von den Tugenden fortsugehen. Das weite Gebiet, auf das sich der Begriff der Tugend bezieht, theilt sich auf verschiedene Weise. Ihrem allgemeinsten Begriff nach ist die Tugend entweder intellectuell oder moralisch. Da es nur zwei Principien der menschlichen Thatigkeit gibt, den Yenitand oder die Vernunft und das Begehrungsvermögen, so ist die Tugend intellectuell, wenn sie den speculativen oder practischen Verstand zum Rechthandeln bestimmt, und moralisch, wenn sie dem B^gehrungs vermögen dieselbe Richtung gibt. Aufderintellectuellen Seite ist die Klugheit die nothwendigste Tugend, da es bei allem, was man thut, nicht blos darauf ankommt, was man thut, sondern aacli wie man es thut, dass man das dem Zwecke Entsprechende wihlt, was Sache der Klugheit istO- Ohne Klugheit gibt es keine moralische Tugend, weil die moralische Tugend ein habiiuM elec- thuM ist, d. h. ein solcher, durch welchen man das richtig wählt, was zum Ziele führt; diess kann nur durch die Klugheit und die zu ihr gehörenden Eigenschaften geschehen. Die prudentia ist mit Binem Worte die recta ratio agibüium. Die Haupteintheilung be- tiiffk jedoch den Unterschied der vier Haupttugenden der Alten, die Thomas nach dem Vorgang des Ambrosius die Cardinaltugenden nennt, und der drei theologischen Tugenden. Die erstem umfassen das der Natur des Menschen adäquate sittliche Gebiet nach den all- gemeinsten Gesichtspunkten, unter welchen es classifidrt werden kann. Es sind die vier Tugenden der Klugheit, Gerechtigkeit, Mas- sigkeit und Tapferkeit'). Da es eine doppelte Seligkeit gibt, die

1) Qn. 57. art. 5: Neeuse ut in ratione es§e aUguam virtutem irUel- Uetuaiefo^ per guami perfidatur ratio ad hoCf guod eonvenienter se habeai ad ea, quae sunt ad ßnemy et haec virtue est prudentia.

2) Qu. 61. art. 8: dicuntur prindpales^ quasi generale» ad omnes vir- tutes, vi puta, quod omnis virtus, quae facit b<mum in eonsideratione rationis, dietUur prudentia , et quod omnis virtus , quae ftusit honum debiti et recti in eperaiionibuSf dicatur /usiitia, et omnis virtus t jfuoe eokihet passione» ^ de-

484 Zweite Periode. Vierter Abiehnitt. i|

eine der Natur des Menschen so proportionirt ist, dass der Mensck durch seine natürlichen Principien zu ihr gelangen kann, die andere aber über seine Natur und seine natürlichen Krfifte hinausgeht, lo i gibt es auch theologische Tugenden , welche so heissen , weil sie sich auf Gott als das Objekt der übernatürlichen Seligkeit bezieheii, allein von Gott uns eingegossen werden , und weil wir nur darA die göttliche Offenbarung in der heiligen Schrift von ihnen wisseBi Es sind die drei, Glaube, Hoffnung und Liebe. Der Glaube ist die übernatürliche Ergänzung des Verstandes; dasselbe sind die Hoff- nung und die Liebe in Beziehung auf den Willen und die aus den Willen hervorgehende Bewegung, die nur durch jene Togenda dem Ziel, auf das sie gerichtet ist, conform wird. Zwischen diee« beiden Arten von Tugenden steht vermittelnd der eigenthämlieb Gesichtspunkt, unter welchen Thomas die Cardinaltagenden stA, um sie in urbildliche, reinigende und politische zu theilen^). Wut alles in Gott urbildlich existirt, so gibt es auch ein Urbild der menschlichen Tugend in Gott und die Cardinaltugenden köanei nach ihrer urbildlichen Bedeutung betrachtet werden , so dass der göttliche Geist in Gott selbst Klugheit genannt wird, die Hfissigkeft die Beziehung des göttlichen Bewusstseins auf sich selbst *), wie bei uns die Massigkeit davon ihren Namen hat, dass das Begehrungf- vermögen mit der Vernunft conformirt wird, die Tapferkeit Gottee seine Unveranderlichkeit, seine Gerechtigkeit die Beobachtung dei ewigen Gesetzes in allen seinen Werken. Und da der Mensch ein politisches Wesen ist, so werden die seiner Natur entsprechenden Tugenden politische genannt, sofern der Mensch, wenn er an diese Tugenden sich hält, in der Verwaltung der menschlichen Angelegen- heiten sich wohl befindet. Der Mensch soll aber auch nach dem Göttlichen streben, wie sowohl Aristoteles sagt (Ethik 10, 7}, ab

primit , dicatttr temperantia , et omnia virtus , qtbae facit firmitcUem contra quaacunque ptusiones, dicaiur fortitudo, AJio vero modo poanmt tiecip sectmdum quod iatat virtutes denominantw ab eoy quod eat pr<tecipuum in wntiquctque meUeria, Et sie simt speciales virtutes contra alias divisaef di- cu/ntur tarnen principaies respectu aHarum propter prindpaUtatem maieriaej puta, quod prudentia dieatUTj quae praeceptiva est^ justitia, quae est eirea (»ctiones debitas inter aequcdes etc»

1) Qu. 62. art. 5.

2) Conversio divinae intenHonis ad se ipium.

Ethik des Thom«g. Tngeadlehre. 4S5

•ach die h. Schrift befiehlt CMatth. 5, 48); es mnss daher auch g^ wisse Tilgenden geben , die in der Mitte stehen zwischen den poli- Üschen oder menschlichen und den orbildlichen oder götthchen ; sie sind verschieden in Hinsicht der Bewegung und des Ziels. Es gibt Uebergangstugenden bei denen, die erst nach der göttlichen Aehn- Hchkeit streben, diese heissen daher reinigende Tugenden. So aufge- fasat besteht die Klugheit darin, dass die Seele alles Weltliche in der Betrachtung des Göttlichen verachtet und alle ihre Gedanken allein auf das Göttliche richtet; die Massigkeit darin, dass sie, soweit es die Nator sulfast^ alles, was das körperliche Bedärfniss verlangt, zurück- lisat; die Tapferkeit darin, dass die Seele nicht erschrickt, wenn sie ans dem Körper scheiden und dem Obern nahen soll; die Gerechtig- keit darin, dass die ganze Seele ihre Zustimmung zu dieser Lebens- ricblang gibt Im Unterschied von diesen Tugenden gibt es auch solche, welche die haben , die die göttliche Aehnlichkeit schon er- reichen. Sie sind die Tugenden der schon gereinigten Seele und beslehen darin, dass die Klugheit allein das Göttliche anschaut, die Missigkeit von keinen irdischen Begierden weiss, die Tapferkeit keine Leidenschaften kennt, die Gerechtigkeit in der Nachahmung Gottes lail dem göttlichen Geist durch ein ewiges Bündniss verbunden ist. Es sind diess die Tugenden der Seligen und Einiger, welche in diesem Leben die höchste Vollkommenheit erreichen. Die Sitten- lehre des Thomas hat hier einen platonisirenden Zug ; Thomas beruft sieh auch für diese Aufifassung der Tugenden auf Plotinus und den Neuplatoniker Hacrobins. Wie in dem System des Thomas über das Natürliche immer noch etwas Uebematürliches gesetzt wird, das vom Natürlichen zwar wesentlich verschieden ist, aber mit dem- selben so zusammengehört, dass es erst dadurch ergänzt und voll- endet wird , so nehmen in seiner Sittenlehre auch noch die soge- nannten äona oder Geistesgaben eine eigene Stelle ein. Der Mensch wird durch ein doppeltes Princip bewegt, innerlich durch die Ver- nunft, ausserlich durch Gott Alles, was bewegt wird, muss dem Bewegenden proportionirt und so disponirt sein, dass es gut be- wegt wird. Je höher das Bewegende ist, um so vollkommener muss die Disposition sein, durch welche das Bewegliche ihm proportionirt wird. Die menschlichen Tugenden qualificiren den Menschen dazu, dass er in dem, was er innerlich oder ausserlich thut, durch die Vernunft bewegt wird. Es müssen aber im Menschen auch noch

486 Zweite Periode. Vierter Abt ohnitt

köhere Vollkommenheiten sein, dorcli die er cun gdtUich Be- wegtwerden disponirt wird. Diese perfeeiwne$ heinen dcna, mcht blos weil sie von Gott eingegossen werden, sondern weil der Mensch darch sie dun disponirt wird, dass er darch die göttliche InspinrtioB leicht bewegt werden kann und dem Antrieb des heiligen Geist« willig folgt. Diess bewirken sie ^benso, wie die moraliflchen Ta- genden bewirken, dass das Begehrungsvermögen der Vernunft ge- horcht Diese sieben dona sind nach Gregorys Moralin Weidieit, Verstand, Rath, Störke, Wissenschaft, Frömmigkeit und Furcht^). Es erhellt auch hieraus, wie auf dem Standpunkt dieser Sittenlekn das sittliche Subjekt nie das Bewusstsein in sich haben kann, dM sein sittliches Sollen als solches auch sein sittliches Können ist wi seine sittliche Selbstbestimmung ihren sittlichen Werth in eich mM hat Die sittliche That hat ihr Princip nicht in sich selbst, sie kmaft erst durch ein Princip ausser ihr zu Stande.

Mit demselben das ganze sittliche Gebiet ausmessenden «ad eintheilenden dialectischen Scharfsinn handelt Thomas nach ist Lehre von den Tugenden von den Fehlern und- Sonden. Das Cha- rakteristische seiner Sittenlehre tritt auch hier am meisten da hervor, wo das sittliche Princip mit dem die Reinheit desselben trfibendaa kirchlichen Supranaturalismus in Conflict kommt Man nehme s. K nur den Unterschied der Erlass- und Todsünden. Todsünden sind, wie Thomas ihren Begrifif bestimmt, solche, durch welche der Mensch des Endziels völlig verlustig wird, Erlasssünden solche, die sich nicht auf das Endziel selbst, sondern nur auf etwas zum Endziel Führes- des beziehen '). Worauf beruht aber die Voraussetzung, dass es

1) Qu. 68. art. 4. In omnünu viribus hofmnii, gfftae poanmt esee jprw- cipia Tvumumorum ctctuum^ sictU sunt virtuUs, ita etiam sunt dona^ m raiions et in vi appetiHva, BcUio autem est specuUativa et pracUca , et in utrenjint eonsideratur apprehensio veritaHs , quae pertinet ad inveniionem et ad juäi- dum de veritttte. Ad apprehensionem igitwr venta/tis perfieitwr speeulatioa per inteUeetum , practica vero per consilium. Ad rede autem judieandsm, specuJativa quidem per sapientiam, practica vero per sdentiam penfieiiisr. Appetitiva autem virius in his quidem , quae sunt ad {Uterum , perfieitur per pietatemf in his autem , quae sunt ad se ipsum^ perfioitur per fortitudinem contra timorem perieuiorum, contra concupiscentiam vero inordinatam deleeta- hiUum per timorem, Et sie patet, quod haee dona extendunt se ad omnto, ad quae se extendwnt virtuUes tarn inteUectuales quam morales,

2) Qo. 88. art 1: Principium spirituaUs vitae, quae est eecundum vir'

Ethik des Thonaftt. Tugenden nnd Sflnden. 487

Sünden gibt, durch welche die Wirksamkeit des sittlichen Princips in Menschen so aufgehoben wird, dass die Herstellung des durch die Sünde gestörten Verhältnisses schlechthin unmöglich ist? Bs liegt diess nicht im sittlichen Bewusstsein und im Princip desselben, ider sittlichen Willensfreiheit, sondern es ist nur die Behauptung der Kirche, die nach ihrer äusserlichen Betrachtungsweise auf ge- wisse Arten von Sünden, solche, die gegen die öffentliche Sittlich- kMt am meisten Verstössen, die Strafe der ewigen Verdammniss gesetEt hat

In der Geschichte der christlichen Sittenlehre handelt es sich jiuner wieder um die Frage, wie sich die Begriffe und Grundsätze, die als der substanzielle Inhalt des allgemeinen sittlichen Bewusst- JWDS aniusehen sind, zu demjenigen verhalten, was die Sittenlehre «M dem Christenthum in sich aufgenommen hat, ob die Gestalt, welche die Sittenlehre in der christlichen Kirche erhalten hat , für «in reinere Entwicklung des sittlichen Bewusstseins gehalten wer- den kann, oder ob es dadurch vielmehr getrübt und beeinträchtigt worden isL Dass diess beinahe überaU geschehen ist, wo das Bogma und die in der Kirche herrschende Praxis in das sittliche Leiien eingreift, lüsst sich nicht läugnen. Wie kann von einem sittr- ydien Subjekt die Rede sein, wenn Verdienst und Schuld so wenig dnroh die Selbstthätigkeit des bandehiden Subjekts bedingt sind, dass sie von dem Einen auf den Andern übergetragen werden können ? Ganz besonders ist es die dem Hönchsleben zugeschrie- bene Heiligkeit und Vollkommenheit, in welcher das reinere sitt- liche Bewusstsein mit .den Moralbegriffen der Kirche in Conflict kommt; es ist daher auch diess ein Hauptmoment, das bei der Sitten- lehre des Thomas in Betracht kommt.

hUem, est ordo ad uUimum ßnemy qui quidemf si destUutiu foierit , reparari nen potest per aiiguod principwm irUrinseettm , sed aolum per virttttem divi- lum», jfiiMi inordmaiiones eorwn^ qvLoe swni ad ßnem, nparantur ex ßne, eieuU error ^ qui accidU circa eonehtnonetf per veritatem prineipiorwn. De- feetue ergo ordinie tUtimi finis non poteet per aUguid aUud reparariy qttod eit principaUua, Was ist aber principaliue als das principium intriruecwn des sittlichen Handelns ? Wie unklar ist daher das reparari ex fine and wie unhaltbar die ganze Unterscheidung: eecundum hoc ergo mortale et venidU opponuntur , sictU reparabile et irreparabile , et hoc dico per princi' puun interUUf non autem per comparaHonem tut virtutem dimnam.

498 Zweito Periode. Vierter Abiobnitt

Thomas will anch hier nur die in der Kirche herrschende An- sieht und Praxis theoretisch rechtfertigen. Die hergebrachte Untei^ scheidangf zwischen praecepta und comilia wird daher auch im ihm beibehalten und er rechnet es in der Lehre Tom Gesetz lu dea Vorzug, durch welchen sich das neue Gesetz als ein Gesetz dar Freiheit Tor dem alten auszeichnet, dass es nicht blos praeeefla hat, die nothwendig befolgt werden rofissen, sondern auch eonsiiis, die der freien Wahl anheimgestellt sindO- Ohne die pra^e$ßl§ kann das Ziel des ewigen Lebens gar nicht erreicht werden, die eon$üia sollen nur dazu dienen, dass man es besser und leichter erreicht Die praecepta sollen nur verhindern, dass man sich gm an die Gäter dieser Welt hingibt, ihnen aber ganz zu entsagsaitf nicht nöthig, wenn man nur nicht den höchsten Zweck seines Ukm in sie setzt, sind sie der Erlangung der ewigen Seligkeit nicht Wi- derlich, leichter aber gelangt man zu derselben, wenn man itai, wie diess die coneitia evangelii empfehlen , ganz entsagt. Da ft Güter dieser Welt in dreierlei bestehen, in Reichthum, Fleiscbesliit und Ehre, so gehört auch eine dreifache Entsagung zu dem Sind der Vollkommenheit, in welchen man durch die caneUia evan^dÜ eintritt, man entsagt dem Reichthum durch Armuth, der Fleisches- lust durch beständige Keuschheit, der Ehre oder dem Stolz durd die Knechtschaft des Gehorsams. Aber auch schon dann, wenn du nur in einem einzelnen Fall entweder einem Armen ein Almosen gibt, zu welchem man nicht verpflichtet ist, oder sich einer be- stimmten Fleischeslust enthält, oder seinem Willen bei etwas nicht folgt, was man erlaubter Weise thun könnte, erhält man einen ptr- ticulären Anspruch auf die Vollkommenheit, zu welcher die ammlk evangelii die Anweisung geben. Es ist hier nur an das zu erinnern, was schon früher über diese Unterscheidung einer doppelten Moral gesagt worden ist. Es erhält hier von selbst seine Bestätignng. Was Thomas das Freie des neuen Gesetzes nennt, ist in der That nichts Anderes, als die willkürliche Dispensation von der allgemän verpflichtenden Kraft des Sittengesetzes. WeVin die völlige Ver- zichtleistung auf die weltlichen Güter auch nur dazu dient, dass man leichter und^ sicherer die ewige Seligkeit erlangt, so kann doch nicht geläugnet werden, dass der Rücksicht auf die ewige Seligkeit

1) Qu. 108. art. 4.

Ethik des Thomai. PraeoeptJi^«n.d oontilia. 489-

•Des Andere nachstehen muss. Wanim sollen also die comilia niohl auch praectpta sein, und wenn die praeeepta nur das ent- balten sollen, was die unumgänglichste Bedingung für die ewige Seligkeit ist, welcher weite Spielraum ist zwischen den praeeepta md eaneUia , um sich der Anhänglichkeit an die weltlichen Guter wd eine Weise hinzugeben, die entweder mit der Forderung des föHigen Verzichtens auf der andern Seite den unnatürlichsten Con- taat bildete, oder von selbst vermuthen lässt, dass es auch mit dieser Forderung nicht so ernstlich gemeint ist. Um nun aber dem Mönchs-* leben den specifischen Vorzug seiner Vollkommenheit zu vindiciren, |8li< Thomas davon aus O9 d*8S es eine Verschiedenheit der Stände gHM. Es gibt im geistigen wie im bürgerlichen Leben einen Stend der Freiheit und einen Stand der Knechtschaft. Dass es in der Brche verschiedene Stände und Aemter gibt, erfordert sowohl die follkommenkeit und Schönheit der Kirche, als auch die Beschaffen- Wl der in ihr nöthigen Verrichtungen. Die Freiheit und Knecht- fiteft ist eine doppelte, es gibt eine eertitue peccati und eine «er« eiAir iuetitiae und eine liberta$ a peccato und eine libertae a JmMia. Die wahre Knechtschaft ist die nervifuM peccati 9 die alt iolche die Uberta$ a juetUia ist, und die wahre Freiheit ist die Uerlof a peccato, die als solche die terri^ii« ju$titiae ist Da der Hensch zum $ervu8JtutUiae oder peccati durch sein eigenes Streben wird, und bei jedem Streben Anfang, Mitte und Ende zu unter-» idieiden sind, so gibt es in dem Stende der geistigen Knechtschaft UBd Freiheit drei, Momente, einen Stand der Anfänger, einen Stand der Fortschreitenden und einen Stand der Vollkommenen. Die Voll-* kommenheit wird durch das bestimmt, was zum letzten Endzweck fiUirt Da der letzte Endzweck des menschlichen Geistes Gott ist, die Liebe aber uns mit Gott einigt, so besteht die Vollkommenheil des cbristlichen Lebens speciell in der Liebe. Die Vollkommenheit durcb die Liebe ist entweder eine absolute oder relative. Die ab- solute ist entweder sowohl in objektiver als subjektiver Hinsicht rihsolut oder blos in subjektiver. Gott so zu lieben , wie er nach seinem objektiven Wesen geliebt werden kann, ist nur Gott möglich; ihn so zu lieben, wie er nach der Totalität des menschlichen Wesens geliebt werden kann, ist zwar dem Menschen möglich, aber nur im

1) Bocond* seoandae qu. 188 f.

430 Sweite Periode. Vierter Abiohaltt

feiigen Leben. Ausser dieser absolaten Vollkommenheit gibt ei aber auch eine solche, die blos darauf geht, alles ausmischliessei, was der Bewegung der Liebe zu Ciott widerstreitet. Es wird nicta blos das, was der Liebe so direct entgegen isl, wie eine Todsflade^ sondern auch alles femgehalten , was den Geist hindert, sich gau auf Ciott hinsurichten. Ebendiess ist der Punkt, wo die Untersdu»» düng zwischen den praeeepia und conMa wieder in BetnMÜ kommt. Die Liebe gehört unter die praeeepia und da man Gott ni den Nfichsten nicht blos in einem bestimmten Maasse lieben soU^ fs bleibt hier nichts übrig, was in die Kategorie der canaiiia gehftm könnte. Sofern aber nicht blos, was der Liebe direct entgegeaii^ 1 sondern auch solche Hindernisse zu entfernen sind, die an siebk keinem Widerspruch mit der Liebe stehen, wie die Ehe ueHk Beschäftigung mit weltlichen Dingen, kann die darauf sich bri»* hende Vollkommenheit nur durch die comiUa erreicht werden, li aber der Vollkommene auch in einem Stande sich befinden mifl^ und Freiheit und Knechtschaft nicht blos etwas Inneres mr GiMi sondern auch etwas Aeusseres vor den Menschen sind , so gehört man dem Stande der Vollkommenheit nicht blos dadurch an, im man die vollkommene Liebe actuell hat, sondern man muss sish auch mit einer gewissen Feierlichkeit für immer zu dem verpflichtea, was zur Vollkommenheit gehört Wenn auch Thomas zugibt^ dasi es VoUkojnmene gibt, die nicht un Stande der Vollkommenheit sind, und dass man im Stande der Vollkommenheit sein kann, ohne voll- kommen zu sein 0 9 so steht doch für ihn fest, dass der etaiue ra- ll^nt«, welcher so heisst, weil er vorzugsweise das hat, worin die Vollkommenheit des Menschen besteht, dass nämlich der Mensch ganz Gott anhängt und sich ihm hingibt, nicht sein kann, ohne dasB man durch ein unverbrüchliches Gelübde zur Armuth, zur Enthalt- samkeit und zum Gehorsam sich verpflichtet')- Dieses Aeusser-

1) Qu. 184. art 4.

2) Qa. 186. art. 4. Ex hi$ tribui voHs integraiur reUffiotds siaäu, Frimo enim qucmtum ad exercüium petfecdonü requirituTf guod aüquU a « removeoit iUa^ per quae jpoaset impediri, ne totaUter ^ftu affechu tendat m Deum, in quo eonnatU peffecHo caritatU. Simüiter aiUiUm aoUeUudim taeeudarii inqvietudo jpraecipue ingeritw homini circa tria^ pritno quidemj circa dispensationem exteriomm rerum, et haec aoUcitudo per voium poMpet' toHt homini aufertttr» Secimdo circa gubematianem tußorii ei ßUorumf quM

Ethik dei Thomai. Btand der Vollkommenlieit 431

liehe , die Uebernahme eines auch äusserlich bindenden Gelübdes, gehört somit wesentlich zum Charakter dieser Vollkommenheit. Wer ein solches Gelübde geleistet hat, steht an sich höher, als die, die es nicht leisten. Glaubt man nun aber, es müssen alle, die m diesem Stande der Vollkommenheit gehören, es eben damit auch alf ihre eigentlichste Aufgabe betrachten, die höchste Idee der sitt- Meken Vollkommenheit in sich zu realisiren , so begegnet uns auch Uer wieder dieselbe Zweideutigkeit, die überhaupt ein charakteristi- sidier Zug dieser Sittenlehre ist, dass sie jeder Forderung, die sie als eine absolute aufstellt, ihre absolute Spitze sogleich selbst wie-* der niaunt Man stelle sich nicht vor, dass die, die das Gelübde ier Vollkommenheit auf sich genommen haben , das auch wirklich min müssen, wozu sie verpflichtet sind : sie sind ja nur verpflichtet, dwiMch zu streben, sie brauchen die Vollkommenheit der Liebe sieht SU haben, sondern nur nach ihr zu streben, und nicht alles zu Üben, was zur Vollkommenheit gehört, sondern nurwas ihnen durch ihre Regel vorgeschrieben ist 0- D& niemand Idugnen kann, dass d|s Streben nach Vollkommenheit nur eine allgemeine sittliche Knrderung ist , so bleibt der hier prütendirten Vollkommenheit als qpeeifischer Vorzug in letzter Beziehung nur die äussere Form des Gelübdes und der speciellen Vorschriften, in welchen es besteht, und es kommt dabei nur auf das an , was man fiusserlich auf sich nimmt, nicht auf das, was in sittlicher Beziehung geschieht, da man von Keinem mehr als ein blosses Streben nach Vollkommenheit ver- langen kann, das dem äussern Gelübde, als der Hauptsache, gegen- über von selbst zur blossen Nebensache wird.

mmpuiaitir per vohim eontmentiae, IbrHo drea dupotUianetn propriorum aetuumf g[W»e amputatu/r per notwn obedientiae^ quo aUquie ae aUeriue die^ poeüioni commUiü.

1) Qu. 186. art. 4. Man\featum est guod iUe, gpU operaiur ad finem^ non ex necesaitate convenit , quod jam assecutua eit finem , sed requiritatf fuod per aliquam viam iendat ad finem. Et ideo iUe, qui atcavm religionU aeeurnkf non tenetUTf habere petfeetam earitatemf sed tenetur ad hoc tendere^ et aperam dare, ut habeat caritaiem petfeetam. Et eadeai raiione non te- meiur ad hoc quod iüa impleatf quae ad perfectionem caritatis consequuniur, Tmeiur autem' tU ad ea implenda intendat^ contra quodfacit contemnene^ unde non peceat , ei ea praetenmttat , sed si ea contemnat, Swiüüer etiam non tenetur ad omnia exercitiaf quibus ad perfectionem pervenitur^ sed ad {ÜOf quae determinate eunt ei taxata, aecwidum regulam quasn prqfeaeue eet.

43S Zweite Periode. Vierter Absebnitt.

Wie alles diess auf der für diese Sittenlehre so wichtigei Unterscheid ang zwischen praecepta und can$Uia beruht, so iit auch diess ein weiterer charakteristischer Zug, dass das, wonwf die consilia gehen, nicht sowohl etwas Positives ist, als Tielmebr nar das Negative, alles abzuschneiden, was der ungetheilten Ridn tung auf Gott hinderlich sein könnte. Es versteht sich von selbit, dass der Mensch nach Gott als dem höchsten Gut streben soll, dm nicht sowohl das, was in Gemassheit dieses absoluten Gebots er- strebt werden soll, macht das Wesen der Vollkommenheit ans, ak vielmehr die Art und Weise, wie man darnach strebt, wie wen alles nur darauf ankäme, dass der Mensch von allem abgesogM wird, was seiner Richtung auf Gott entgegenwirken könnte. Diw ist ja der Gesichtspunkt, unter welchen die drei Mönchsgelfib^a stellen sind: jedes derselben soll eine dem Menschen besoiiii nahe liegende Gefahr der VersDchung abschneiden und femhibni Betrachtet man die Sache genauer, so beruht der negative Charsb- ter der consilia auf dem Gegensatz einer sittlichen Anschauung, te die Sittenlehre in zwei sehr verschiedene Richtungen theilt, je nachdem der Mensch entweder im Bewusstsein seiner Gemeinsehsft mit Andern das Object seiner sittlichen Thfitigkeit nur in der Welt ausser sich sehen kann, oder dagegen nur in der Abkehr von im Welt und in der Reflexion auf sich selbst seine höchste sittliche Aufgabe erfüllen zu können glaubt. In dieser letztern Richtnaf wirkt die alte Scheu vor der Berührung mit der Welt als euiflr materiell unreinen nach , welcher gegenüber dem seiner Reinheä sich bewussten Geist nur die Flucht aus der Welt übrig bleibt El gibt somit sowohl eine Moral des Handelns als des Nichthandelos, und da das Nichthandeln kein reines Nichthandeln, sondern auch wieder ein Handeln ist, nur kein äusseres, sondern ein inneree, um so innerlicher, je abgezogener von der Welt, so theilt sich dal sittliche Leben überhaupt in das thätige und das beschauliche. Diese Unterscheidung macht auch Thomas 0 und es ist nur con- sequent, dass er dem contemplativen Leben den Vorzug vor den activen gibt; doch lässt sich an dem Gewicht der Gründe, die er auch das active Leben für sich geltend machen Idsst, nicht ver- kennen, dass ihm die Antinomie nicht ganz entgieng, in welcbe

1) Beo. ser. qtu 179«

Ethik des Thomas. Contemplatires n. actives Leben. 433

liier auf seinem Standpunkt das sittliche Bewusstsein mit sich selbst kommen musste. Er erklärt zwar die Virginitdt für besser als das eheliche Leben, kann aber nicht läugnen, dass das letztere als kititim commune dem erstem als einem donum prira/um gegenüber- steht 0« Ein ahnlicher Fall findet statt bei der Vergleichung des Standes der episcopi mit dem der religiosi 0* Beide gehören zum üatU9 perfeciionii, weil sie eine obligaiio perpetua ad ea, qtiae mmt perfeciionis, cum aliqua aolennitate geleistet haben , demun- geachtet wird den episcopi der Vorzug vor den religiosi gegeben, weil sie zu diesen wie die perfectores im activen Sinn zu den per- lecti im passiven Sinn sich verhalten. Da das Verzichten auf eigenes Vermögen actuell keine wesentliche Vollkommenheit ist, sondern nur ein Mittel zur Vollkommenheit, so kann der dem Armuthsge- Ubde zu Grunde liegenden sittlichen Forderung, wie Thomas sagt, Wßch schon dadurch Genüge geschehen, dass man nur innerlich \m der Disposition dazu ist, nöthigenfalls all das Seinige wegzugeben waA auszutheilen« In diesem Falle befinden sich ganz besonders die Bischöfe, sofern es ihre Pflicht ist, für die Ehre Gottes und das Heil ihrer Heerde alles zu verachten und ihre Güter den Armen anfzulh eilen. Und wenn auch der Stand der religiosi sich unmittel- bar auf die Liebe Gottes bezieht, der Stand der Bischöfe nur auf die Liebe des Nächsten, dessen Seelsorger sie sind, so kann man ja sagen, dass die Liebe zum Nächsten aus dem Reichthum der Liebe zu Gott hervorgeht. Wie wenn durch solche Gründe nicht aUea widerlegt würde, wodurch Thomas- selbst den Stand der Mönche als einen Stand specieller Vollkommenheit zu begründen

1) A. a. O. qa. 152. JSed potest esse, erwiedert er, quod bonum priva- nt melius secundum suum gentis, aber das Eine wie das Andere gebort

Ja unter denselben sittlichen Gesichtspunkt. Der rationelle Grund für den Yoraug der Virginität ist : quia bonum divinum est potius hum^no bono, quia hoimmn anitime praefefrtar bono corporis tum etiam quia bonum contemplativae vkae prckrfertur bono activae, Virginitas autem ordinatur ad bonum animae 9eeundum vitam contemplativam, quod est cogitare ea, quae sunt Dei, con- .jugium aiutem ordinatur ad bonum corporis, quod est corporalis mulHplicatio generis humani et pertinet ad vitam activam. Wie wenn das sittliche Leben nicht die Einheit des Geistigen und Leiblichen wäre! Die einseitige Tren- nung von Geist und Leib, worauf der Vorzug des Gontemplativen beruht, ist hier klar ausgesprochen.

2) A. a. O. qu. 184. art. 5 f.

Banr, K.a. d. Mittelalters. 28

434 Zweite Periode. Vierter Abiehnitt

sucht! Gibt Thomas doch sogar zu, dass der Beruf des Seelsorgen mit grösseren Gefahren und grösserer Anstrengung verbunden ist, als das Leben des Mönchs 0* Welchen Vorzug hat demnach du contemplative Leben vor dem activen?

Seiner ganzen Stellung zur Kirche zufolge kann Thomas nur die Aufgabe haben, die auf dem sittlichen Gebiet in der Kirche bestehende Ansicht und Praxis theoretisch zu rechtfertigen; er geht aber auch noch weiter und sucht nicht selten auch Erschei- nungen des socialen Lebens, bei welchen die Gefahr des Unsillli» eben wenigstens sehr nahe liegt, eine dem sittlichen Bewusstseii scheinbar einleuchtende Seile abzugewinnen. So betrachtet ThoM den Wucher ungeachtet des biblischen Verbots als etwas, du A menschlichen Gesetze geschehen lassen müssen, weil man efW der menschlichen UnvoIIkommenheit mit den Sunden nicht i«Mr so genau nehmen könne, und sagt, wenn auch das Geldabsleiheo flt Zinse sittlich nicht zubilligen sei, so könne man doch Geld aufZi^n von einem Wucherer nehmen, wofern man nur etwas Gutes davl bezwecke '3. Auch in dem Gewerbe der Schauspieler Cder hisliiih nes und joculatores, von deren Kunst man sich nach dem Matsslili jener Zeit keine sehr hohe Vorstellung machen darO sah Thomf nichts an sich Verwerfliches. Da Spiel und Scherz ein Elencil des geselligen Lebens sei, so müsse es auch Leute geben, wekk diess zu ihrem besonderen Geschäft machen, und wenn nurdk Histrionen das rechte Maass nicht überschreiten und dabei ordeik lieh leben, beten und biisweilen auch den Armen ein Almosen gebM» so könne man keinen Anstoss an ihnen nehmen und es für keise Sünde halten, ihnen zur Ausübung ihrer Kunst behülflich zu sein *)-

1) A. a. 0. art. 8.

2) See. sec. qu. 78. art. 1. Legea humanae dimiuunt aliqua jpeceata impunüa propter conditiones hominum impeffectorum, in guünu muüae idili- tates impedirentur f st omnia peccata districte prohiberentur poeni» eMihi^i» Et ideo usuras lex humana concessitj non quasi exiatimans eas esse secMr dum justitiatrij sed ne impediretUur tUilitates muMorum, Art. 4 : NuUo moi» licet inducere aliquem ad mutuandum suh usuriSf licet tarnen ab eo, qui hiK paratus est facere et usuras exercetf mutuum accipere sub usuris propttr aUquod honum, S^iod est subvenHo suae necessitatis vel aUerius, Wenn also nur der gute Zweck das Mittel heiligt, so darf man kein Bedenken dabei haben.

3) Sec. sec. qu. 168. art 3: Ludas est neeeHorius ad eonioer§aUcnm

\

Charakter tu Bedentung der Sittenlehre dep Thomai. 483

en Gebrauch der sortes, zu welchen er auch die Duelle und die auer- und Wasserproben rechnete, hielt er gleichfalls nicht für lerlaubt, wofern man nur mit der schuldigen Ehrfurcht an das ittliche Urtheil sich wende 0-

Es ist so überhaupt die charakteristische Eigenlhümlichkeit eaer Sittenlehre, dass sie nicht blos die kirchlichen Grundsätze id Institute als die leitende Norm für das sittliche Urtheil betrach- te sondern sich auch sonst so viel möglich an die bestehende Ute zu accommodiren sucht. Sie kann dabei nur von der Voraus* »Ixung ausgehen, dass je allgemeiner gewisse Erscheinungen des Itlichen Lebens sind, um so mehr auch anzunehmen ist, dass sie 1 der Natur des Menschen selbst ihre sittliche Berechtigung haben erden. Die Sittenlehre wird so im Grunde zu einer Klugheitslehre, 0 es dem sittlichen Bewusstsein zur Aufgabe macht, sich über u, was einmal ist und sich so leicht nicht ändern lässt, auf kluge wi verständige Weise zu verständigen, und man versteht es so ffü recht, was es bei Thomas zu bedeuten hat, wenn er die Klug- iil für die erste aller Tugenden erklärt. Es ist ganz dem Begriff mi Charakter des Katholicismus gemäss, dass er sich auch im Sittr Dben nur durch das Ueberlieferte, Hergebrachte, allgemein Gang- ire bestimmen lassen kann. Wie man auch über das Verhältniss jliier Sittenlehre zur absoluten Idee des Sittlighen urtheilen mag, }jß steht in jedem Fall, dass die theologische Summe des Thomas 1^ in diesem Uaupttheil ein die höchste Anerkennung verdienen- IN|.Werk ist So umfassend und methodisch, mit einem solchen Auf- rand dialektischen Scharfsinns, mit einer so exacten, in alles Ein- eine eingehenden Genauigkeit, sowohl in Ansehung der zur Theorie es Sittlichen gehörenden Begriffe, als auch der so verschiedenen erhältnisse und Zustände des praktischen Lebens, war die Sitten- )hre noch nie bearbeitet worden, wie in diesem Werke, das in Dinem allgemeinen Theil, der prima aecundae, 104 und indem spe- iellen, der secunda secundae^ nicht weniger als 189 quaestiones

vunarme vUae. Ad omnia autem , qttae sunt. tUilia canveracUwni humcmae t^nUari possunt aliqua officia licka^ et ideo etiam officium histrionum ^ qtu)d xU/iMtur ad solatium hominibus exhibendum , non est seewmdum se iUidtumy te tunt in stcUu jpeccatif dummodo niodercUe ludo utantur. Das contra üt: jo iuperfluitas ludi sei eine Todsünde. 1) Seo. sec. qu. 95. art 8.

28*

486 Zweite Periode. Vierter Abiehnitt

beantwortet. Auch in der Art und Weise, wie das System der christlichen Sittenlehre aof der Grundlage der sitUichen Anschai- ung der alten Welt aufgebaut und das Christliche mit dem Antika zur Einheit yerbunden ist, macht das Werk, wie kein anderes sei Aristoteles, Epoche 0*

Wie schon vor Thomas von Aquino der Dominicaner Gii- lielmus Peraldus eine Summa de tirMibui et ritih geschrie- ben hatte, so bestand auch in der Folge die Behandlung der Hon! hauptsächlich in der Beschreibung der verschiedenen Tugenden wd Laster. Schon hierin gibt sich eine Vorliebe für das Specielle te Moral zu erkennen, gegen welche die wissenschaftliche Betrach- tung des Allgemeinen sehr zurückstehen musste; noch fiberwiegcs- der wurde aber dieser Zug zum Speciellen und Einzelnen, daii^ dürfniss, die Idee des Sittlichen in der bestimmten Form einfdNt concreter Fälle anzuschauen, als die Sittenlehre in ihrer weitien Ausbildung vorzugsweise in der Form der Casuistik bearbeite wurde. Die erste Veranlassung gaben die HÖH poenitentUkit unter deren Bestimmungen die vorkommenden einzelnen Ffille sak- sumirt werden mussten. Für denselben Zweck wurden in Grathmf Decret in dem zweiten Theile sogenannte caueae aufgestellt, nadi welchen die moralische und kirchenrechtliche Zulässigkeit der ii dieselbe Kategorie gehörenden Fälle beurtheilt werden sollte. F&r das erste eigentliche Lehrbuch der Casuistik gilt gewöhnlich die von dem päpstlichen Pönitentiarius Raymundus a Pennaforti verfasste Summß de poenitentia et matrimomo, auf welche sodan mehrere andere Werke dieser Art folgten. Die Casuistik war die Anwendung der Sittenlehre und des kirchlichen Rechts auf be- stimmte Fälle, deren Beurtheilung besonders schwierig zu sein schien. Es sollte aber durch sie nicht blos das sittliche Urtheil fest- gestellt werden, sondern sie machte es sich auch noch zur beson- dern Aufgabe, bei solchen Fällen, die als caaue conscUntiae zur Amtspraxis der Seelsorge und des Beichtstuhls gehörten, das Ge- wissen des dabei Betheiligten so zu berathen, dass es wegen der

1) Vgl. Neamdbb^s (übrigens nicht sehr bedeutende) Abhandlong fiber die Eintheilung der Tugenden bei Thomas Aquinas und das Verhftltniss dieser ethischen Begriffsbestimmung zu den dabei zu Grunde liegenden philofopbi- schen Standpunkten des Alterthums. In den von Jacobi herausgeg. wisseiiBeli' Abh. Berlin 1851. 8. 42 t

Cainiitik. Ötiilielm. Perald. Baymand. a Pennaf. 437

t

if ihm liegenden Schuld so viel möglich beruhigt sein konnte. all das sittliche Bewusstsein zu schärfen, hatte die durch die isaistik herrschend gewordene Behandlung des Sittlichen viel- ehr die entgegengesetzte Folge , dass der Begriff der Sünde ab- ischwächt und durch das dialektische Bestreben, jeden vorliegen- mFbII vor allem darauf anzusehen, in welche Kategorie der Sünde * gehöre und wie viel oder wie wenig an ihm für Sünde zu halten 1, oder nicht, der sittliche Indifferentismus begünstigt wurde. iza musste man sich schon durch die hergebrachte Eintheilung nr Sünden in Erlass- und Todsünden aufgefordert sehen. Gibt es eier Eintheilung zufolge auch solche Sünden, die von vornherein ir nicht als Sünde anzusehen sind, so liegt es sehr nahe, bei jeder Inde, auch wenn sie eine Todsünde ist, den Versuch zu machen, i sie sich nicht als Erlasssünde auffassen lasse. Wenn auch eine Mdlung ihrem äussern Charakter nach in die Kategorie der Tod- iden gehört, so kommt es doch immer noch darauf an, was an (^wesentlich oder unwesentlich ist, da jede Handlung auch ver- Hedene sie begleitende Umstände hat, die als circumstantiae von ir Substanz der Sache selbst zu unterscheiden sind. Sind sie auch M ein Accidens an ihr, so können sie doch auch wieder eine lebe Bedeutung haben, dass durch die Bücksicht auf sie das sitt- he Urtheil über die Handlung selbst eine wesentliche Modification leidet. Je mehrere solcher mehr oder minder erheblicher ctr- m9tanHae aufgezählt werden konnten, wozu die bekannten Kate- (rien: ff/it, fuid, ubi, quibui auxiliii, cur, quamodo, qtiando le sehr bequeme Anleitung gaben, um so mehr war dadurch die ^lichkeit gegeben, durch das Zufällige einer Handlung das Zu- chnungsfähige an ihr so zu mindern, dass sie den Charakter einer ^entliehen Todsünde verlor ^> Die Casuistik war die Kunst, jede

1) Man Tgl. das in den Werken Gersons (ed. du Pin Tom. I. P. IIL 384 f.) stehende , nicht von Gerson verfasste (Schwab a. a. O. 8. 780) mpendium theologiae 8. 347: Licet ipsa Septem vUia capüalia cum suii a&tw et ipeciebus (vgl. 8. 327) pro peccatis mortdiihus asaignenturf et fueniius in naturam et actum peccati mortalis transeant; non ttmien semper Kota morieUia eoAstumt, imo nannunquam secundum (Uiquaa circumstanttM et tUtatee committi posrnnt, quod nonniii peccata venialm stmL Daher wird 418« £ besonders de natura et qualitate et numero circumstantiarum ge- sdelt. Ad cognoBcendam differentican naturae et qtuüittttii peccatorum tarn rtaU$ punn venialie non modice confert Iwjuimodi circum§tantia/rum naiwram

438 Zweite Perlode. Vierter Abeebnltt

in die Kategorie der Todsünden gehörende Handlung in ihre ein- zelnen Bostandtheile so zn zerlegen, dass über'dem Einzelnen, k das sie getheilt wurde, das, was sie zur Sunde machte, völlig eat- schwand. Denselben dialektischen Scharfsinn, mit welchem die Scholastik in Ansehung des Dogma durch ihre fn^o und contra zu- letzt alles schwankend und unsicher machte, verwandte die Ci- suistik auf das sittliche Gebiet, um auch auf diesem alles znnei- tralisiren, und sie hielt sich für diesen Zweck nicht blos an dasis der Wirklichkeit Gegebene, sondern fingirte auch noch Fälle, die verwickelt genug waren , um das in ihren Distinctionen befangene sittliche Bewusstsein so zu verwirren, dass ihm jeder feste Bilt- punkl zu einem in sich entschiedenen Urtheil fehlte.

Einen merkwürdigen Beweis des nachtheiligen EinfloM^ welchen eine so laxe Ansicht, der Mangel an aller Schürfe der litt- eben Begriffe, auf das allgemeine sittliche Bewusstsein haben muiilB) geben die langen Verhandlungen der Constanzer Synode über eil Verbrechen, das das öffentliche Interesse in hohem Grade auf sidi zog, den von dem Herzog vonBurgund an dem Herzog von Orlean im Jahr 1407 begangenen Mord 0* Schon damals erhielt die nachherige jesuitische Lehre von der Bechtmassigkeit des Tyraa- nenmords einen sehr entschiedenen Verfechter in dem Franziscaner Johann Petit (Johannes Parvus). Er erklärte die Ermordung eines Verralhers und gottlosen Tyrannen unter Umständen, wie sie immer wieder eintreten konnten, nach dem natürlichen, morali- schen und göttlichen Gesetz nicht nur für erlaubt, sondern aocli für ehrenvoll und verdienstlich und stützte seine Behauptung am Ehren der zwölf Apostel auf zwölf Grunde, von welchen drei von theologischen Auctoritäten, drei von Moralphilosophen, drei aus den bürgerlichen und kaiserlichen Gesetzen, drei von bibli-

cognoecere, diligenterque, dum caeus occummtf eonaiderare cu: debüe attendere. Die circumstantia ist ein acddens ctctus htmiani in demselben Subject, aber exlra substantiam ipsius actus nee de ejus substantia. Solcher circumstaDtiae, nach welchen actus hujusmodi judicari dehent boni vel maU, melions vd pejores, meritorii vel demeritorii et per consequens ad beatitudinem sedutemqM aetemam ordinati, sind es nach Tal I ins in der Rhetorik sieben nach dem oben angeführten Vers.

1) Vgl. Marheineke, Gesch. der christl. Moral 1. Th. 1806. S. 161 f. Schwab, Job. Gerson. Würzburg 1858. 8. 609 f. Die Acten des langen Processes in Gersunys Opp. ed. du Pin T. V.

Casnistik. Die Const Synode über den Tyrannenmord. 439

sehen Beispielen genojnmen waren. Das biblische Verbot des Mords beseitigte er dadurch, dass er von dem Inhalt des Ge- setzes den Zweck unterschied, welchen der Gesetzgeber yorzugs- weise im Auge gehabt habe. Unter den Lehrern der Pariser Uni- versität drang der Kanzler Gerson sehr ernstlich auf die Verdam- mang der von Petit aufgestellten Propositionen. Sie erfolgte endlich dnrch den Bischof von Paris. Ais aber die Sache durch den Herzog ▼on Burgund selbst auf der Synode zu Constanz zur Sprache ge- bracht wurde, sah man jetzt erst, wie leicht es die Häupter der Kirche nahmen, sich selbst der Anerkennung der allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre zu widersetzen. Um die Satze Petita nicht namentlich und unmittelbar zu verdammen, erklärte die Synode MUT den Satz für häretisch: jeder Tyrann könne durch jeden seiner Ttsallen und Untergebenen mit Recht, auch mit List und unbe- schadet eines ihm geleisteten Eids oder mit ihm geschlossenen Vertrags, ohne richterliche Bevollmächtigung getödtet werden. 8ihr nachdräcklich trat insbesondere der Dominicaner Martin Porree, Bildiof von Arras, gegen die Verdammung der Sätze Petita auf. Es ■isse vor allem, behauptete er, die Probabilität der Sätze Petita dahingestellt bleiben, solange noch nicht über die Frage entschie- den sei, ob sie zum Glauben gehören oder nicht. In jedem Falle aber sei das Urtheil des Bischofs von Paris als ein völlig unberech- ligles anzusehen. Denn gehören sie zum Glauben, so habe der Bischof von Paris sie nicht für sich verdammen können, ohne die Rechte des römischen Stuhls oder die des Concils, dem jetzt das Urlheil darüber zustehe, zu verletzen, sein Urtheil müsse daher ftr null und nichtig erklärt werden, weil sonst auch andere Bischöfe ihs Recht zu haben glauben würden, neue Glaubensartikel zu machen. Gehören sie aber nicht zum Glauben, so wisse er nicht, warum der Bischof von Paris sie verdammt und das Gegentheil zu glauben befohlen habe; es sei doch die grösste Ketzerei, was kein Artikel des Glaubens sei und nirgends als solcher anerkannt sei, in der Kirche als Glauben vorzuschreiben 0. Die Sätze Petits seien wegen ihres particulären Charakters nicht unter den von der Syn- ode verworfenen Satz von dem Tyrannenmorde zu subsumiren , ja selbst dem Gebote: „du sollst nicht tödten^% stehen sie nicht ent- gegen; das Gebot könne nur den Sinn haben : du sollst nicht töd-

1) Mabbsikesk a. a. O. S. 180. 185 £ Schwab a. a. O. S. 626.

440 Zweite Periode. Vierter Abeobnitt

ten den Unschuldigen, oder aus Rache oder auf eigene Anctoritlt hin. Ein Tyrann aber sei nicht anschnldig, und der Untergebene, der ihn tödte, handle unter der Auctorität des Gesetsea, nicht im Rache, sondern zum Besten des Fürsten und Staates 0* So an- gelegentlich Männer wie J. Gerson und Peler d'Ailly die Verdan- mung der Satze Petits durchzusetzen suchten, die Synode giag nicht darauf ein. Als die von ihr niedergesetzte Commission die auf der Synode anwesenden Doctoren der Theologie and der bei- den Rechte zu einem Gutachten aufforderte, erklärten sich foa achtzig derselben mehr als sechzig für die Zulässigkeit der Silie Peius und gegen die Censur des Bischofs Ton Paria, und die Um Mendicantenorden gaben ihren gemeinsamen Beschlnss noch be^ sonders dahin ab: keiner der Sätze Petits dfirfe durch eine itf- matische Censur verdammt werden, denn diese Verdammang «Ire nur möglich, wenn die Sätze entweder einem Glaubensartikel, ote einem Satze der heil. Schrift, oder einer Entscheidung der aUga- meinen Kirche oder eines allgemeinen Concils widersprfichen, 4im sei aber nicht der Fall , somit ihre Verdammung unzulässig. Wie sehr es dem sittlichen Bewusstsein der Zeit noch an Schärfe wU Energie fehlte, zeigte sich hauptsächlich auch an der Frage, ob ei in einem Falle, wie der in Rede stehende war, sich um einea Glaubensartikel handle oder nicht. Diese Frage wurde überhaupt nur aufgeworfen, um den Fall, welchen sie betraf, aus der Sphäre des sittlichen Bewusstseins hinauszurücken, da durch die Bejahun|[ die Entscheidung dem Papste vorbehalten blieb, und durch die Ver- neinung die ganze Frage für indifferent erklärt wurde, wie überhaupt alles, was nicht unter den dogmatischen Gesichtspunkt gestellt werden konnte, keine weitere Beachtung zu verdienea schien. Der Absolutismus der Kirche hebt auch die Autonomie dei silllichen Bewusstseins auf, es ist sehen ein Eingriff in die Rechte der Kirche, mit der absoluten Selbstgewissheit des sittlichen Be- wusstseins zu behaupten, dass es Handlungen gibt, die vom sittli- chen Standpunkt aus schlechthin und unbedingt zu verwerfen sind. Gerson stellte sich wenigstens darin auf den richtigem Standpimkt, dass er, während die Gegner eine kirchliche Verdammung aus deai Grunde für unberechtigt erklärten, weil es sich auch bei den Ge- boten des Decalogs um Principien der natürlichen Moral handle, die

1) Schwab a. a. O. 8. 629 f.

Catnittik« ZnlAttigkeit des Tyranilenmordt. 441

in das Gebiet der Philosophie , nicht des Glaubens gehören , den dogmatischen Charakter auch für die Grundsätze der christlichen Moral in Anspruch nahm und beides, das Sittliche und das Dog- matische, dadurch in gleicher Würde und Bedeutung einander gegenüberstellte , dass er Beides unter dem Begriff der göttllbhen Offenbarung zusammengefasst wissen wollte 0*

Eine eigene Erscheinung jener Zeit ist überhaupt die laxe Ansichl von der Zulässigkeit des Tyrannenmords. Wenn diess aach, wie mit Recht bemerkt worden ist, darin seinen Grund hatte, dass man bei der Willkürherrschaft, wie sie damals geübt wurde, and bei der Unzulänglichkeit eines gesetzlichen Schutzes die Lehre ▼en der Zulässigkeit des Tyrannenmords als die durch das Natur- gesetz erlaubte Nothwehr betrachtete, so ist daraus nur um so deutlicher zu sehen, welchen Einfluss die Zustände des politischen nd socialen Lebens auf die sittlichen Begriffe hatten, und wie ge- neigt man war,. sich selbst den absoluten Forderungen der christ- Hdhen Moral gegenüber auf den Boden des Naturgesetzes zu stellen. iekr gern berief man sich, um diesen Standpunkt auch theoretisch m rechtfertigen, auf alte vorchristliche Auctoritäten, wie die eines Aristoteles und Cicero. Die Hauptauctorität hatte man aber an dem, •ach hierin seine Zeit treu repräsentirenden Thomas von Aquino, welcher in seinem Commentar zu den Sentenzen und in der Schrift ven der Regierung der Fürsten den Ausspruch gethan hatte , dass das Volk mit demselben Recht, mit welchem es die Regentenstelle besetze, einen seine Gewalt tyrannisch missbrauchenden Regenten asoh wieder entsetzen könne , wenn es aber gegen den Tyrannen keine Hülfe finden könne, solle es sich an Gott wenden, und um dessen Hülfe zu erlangen, von seinen Sünden ablassen. Den Auf- ruhr eines Volkes gegen einen Tyrannen hielt Thomas für keinen Aufruhr, wenn nur die Lage des Volkes dadurch nicht verschlim- mert werde. Diess war auch die Ansicht Gerson's. Trotz des Eifers, BUt welchem er die Sätze Petits bestritt, hielt auch er den Tyran- nenmord nicht an sich für unzulässig, es kam nur darauf an, ihn ven Bedingungen und Bestimmungen abhängig zu machen, durch welche der Widerspruch mit dem Gesetz beseitigt zu werden sdiien wie diess überhaupt der Charakter der Moral jener Zeit

1) Schwab a. a. O. S. 623 f. 3) Schwab S. 616.

4M Zweite Periode. Vierter Abeclmiit

war, alles ao viel möglich zuzulassen, wofern es nur so Terclit- sulirt war, dass an die Stelle des Unbedingten and Absoluten eUrai blos Bedingtes und Relatives zu stehen kam.

Eine andere in das allgemeine Gebiet der Sittenlehre gehö- rende Frage wurde angeregt, als der Dominikaner Matthäus Grabe gegen die Brüder des gemeinsamen Lebens mit dem Vorwurf auf- trat, dass ihre Lebensweise eine zu freie, der Idee des Mönchs- lebens und den gesetzlichen Bestimmungen desselben gar zu wenig entsprechende sei. Auch in dieser Sache stellte sich Gerson, all darüber gleichfaUs zu Constanz verhandelt wurde, auf die Seite der ernsteren, mehr evangelischen als traditionellen Richtung. Stitt dem Mönche Recht zu geben , nahm er in Verbuidung mit Fetar d'Ailly von dem Angriff desselben Veranlassung, dem Mönchsebntf selbst den Anspruch zu bestreiten, welchen er darauf machte, nr- zugsweise der Stand der Vollkommenheit zu sein. Die christliehi Religion, welche Christus aufs Vollkommenste beobachtete , be* hauptete er, sei allein wahrhaft und eigentlich Religion zu nemieai sie verpflichte nicht zur Beobachtung von camilia weder mit eineai Gelübde noch ohne ein solches, sonst wären es keine conMiüa, soa^- dem praecepta (die Religion kann somit überhaupt nicht bloi rathen, sondern nur gebieten; was sie dem Menschen als Ziel seuei Strebens vorhält, verpflichtet unbedingt). Die christliche Religkm könne ohne ein zu den camilia verpflichtendes Gelübde aufs voll- kommenste beobachtet werden. Wir lesen ja auch von Christof! nicht, dass er ein Gelübde der con$ilia auf sich genommen habe und viele der Apostel und ersten Junger seien verheirathet ge- wesen und haben Besitzungen gehabt Die christliche Religion er- fordere zu ihrer vollkommeneren Beobachtung keine andere zu ilir erst noch hinzukommende religio, es sei nur Missbrauch und An- maassung, wenn solche selbstgemachte (facticiae) Religionen cid Stand der Vollkommenheit genannt werden, da die Bekenner solcher Religionen sehr unvollkommene Menschen sein können. So richtig die hier ausgesprochene Ansicht von dem Wesen der christlichen Vollkommenheit ist, so ist diess doch auch von Gerson nicht so ge- meint, wie wenn dadurch der Unterschied, welchen man zwischen praecepta und comilia zu machen pflegte, völlig beseitigt werden sollte. Dass es consilia gebe, und dass sie ein sehr zweckmässiges Mittel zur Beförderung der christlichen Vollkommenheit seien, wollte

Hatth. Grabo. Qerson Aber die oonsilia erang. Ablast. 448

aacH er nicht bestreiten. Wenn man auch in einzelnen Fällen der mönchischen Prälension entschieden entgegentrat, so konnte man sich doch Ton der Ansicht nicht losmachen, dass es an sich schon ein sittlicher Vorzug sei/ einem nach mönchischer Weise von der ilbrigen Lebensgemeinschaft dnsserlich abgesonderten Stande an- lagehörea %

2. Der sittliche Chari^liter der Periode in Beziehung

auf Ablass und SündenTorgebung.

Die in der vorigen Periode entstandene Ablasspraxis bestand darin, dass die Sünden durch eine so viel möglich leichte Leistung abgebdsst und sogar durch Geld abgekauft werden konnten. Je »ehr diese Praxis sich erweiterte, je freigebiger die Kirche mit ihrem Ablass war, und in je grösserem Umfang sich derselbe in den verschiedensten Formen vervielfältigte , um so mehr gibt auch diesa einen charakteristischen Maasstab zur Beurtheilung des sitt- fiohen Geistes der Periode. Der so ausgedehnte Gebrauch, welchen die Kirche im Laufe der Periode von dem Ablass machte , bezeugt flicht nur, welche Ansicht die Kirche von der ihrer Ablasspraxis ni Grunde liegenden evangelischen Lehre von der Vergebung der Sünden hatte, sondern er lässt auch gar nicht anders annehmen, als dass die auf diesem Wege in das allgemeine Bewusstsein der Zeit äbergegangene Ansicht den grössten Einfluss auf das sittliche ▼erhalten hatte. Das subjektive Bedürfniss des Einzelnen, für dessen Seelenheil die Kirche ursprünglich durch die Ertheilung ihres Ab- lasses Sorge tragen wollte , kam so wenig noch in Betracht , dass der Ablass in der Hand der Kirche ein ganz allgemeines Mittel war,

1) Opp. T. 1. S. 2. 4. 567. J^rapontione$ mtper tLuertionUms fratrU 1 Chrabon, de vera rtUgione et perfecHone. VgL T. IL S. 680. Quaeetio iheologica in qua tractatur de connHis evangeUeu ei statu perfeetionis, S. 675 : die paupertae ist an sich keine Tagend, auch nicht die virginitas, aUat eonjugaH non ponent otnnea virtutee habere. Aber gleichwohl sind die eon- tiUa evangeUea skut inatrumenta promaventia ad perfectUmem vüae spiritaUe und Christus hat das consilium paiupertatis , eaetitatis gegeben, wodurch toUuniur et abdicantur ea, quae extra nos mrU. Wer also ein solches con- tiUum befolgt, hat schon dadurch ein sittlich verdienstliches Werk gethan, und doch wird zugegeben, dass diese Befolgung des eonaiUum für sich das Wesen des Bittlichen noch nicht ausmacht Tgl. B. 682 de reUgicme jmt- f§oU<me et wutderamine. VgL Schwab a. a. S. 764 f.

444 Zweite Periode. Vierter Abiohnitt

dessen sie sich zur Ausführang ihrer Zwecke bediente. Seit Gre- gor VII., welcher zuerst den Ablass im Grossen anwandte, indes er, um seinen Gegner Heinrich zn stürzen, allen denen, die de« von ihm aafgestelllen Gegenkönig unterstatzen würden, die unbe- bedingte Absolution von allen Sünden yerhiess , geschah von Seite der Kirche nichts Bedeutendes, ohne dass dabei auch der Ablaei zu Hülfe genommen wurde. Er sollte zunächst das mächtig wirkende Motiv sein, um die zur Erreichung des von der Kirche beabsichtigtei Zwecks nöthigen Kräfte in Bewegung zu setzen; als die Belohmng des Verdienstes , das man sich im Interesse der Kirche durch die Theilnahme an einer an sich verdienstlichen Sache erwarb , im seine Ertheilung durch Dienste bedingt, die ohne einen hohem Grad von Selbstentsagung und Selbstthätigkeit nicht geleistet weida konnten. Je mehr aber in der Folge mit dem allgemeinen InteicM der Kirche sich verschiedene demselben mehr oder minder freaA- artige Zwecke verbanden, verwandelte sich auch der Ablass, je materieller diese Zwecke selbst waren, um so mehr in ein Mittel sehr materieller Art

Die Kreuzzüge gaben zuerst der Ablasspraxis ihren gross- artigen Aufschwung und so lange die Begeisterung für diese Züge selbst noch in ihrer reinsten Flamme aufloderte, hatte auch der Ablass noch einen gewissen idealen Charakter. Man konnte es nur natürlich und billig finden , dass die Kirche den Streitern Christi, die von ihr aufgerufen, sich einer so heiligen Sache hingaben und für sie Blut und Leben wagten, das Höchste verlieh, was sie in ihrer Hand hatte, dass sie sie nicht blos von der auf ihnen liegenden Sündenschuld freisprach, sondern ihnen auch für den Fall des Todes auf dem heiligen Zuge die sündenfreie Aussicht in die andere Welt eröffnete. Seit Urban's IL berühmter Rede zu Ciermont wurde es zur stehenden Ordnung, dass kein Aufruf zu einem allgememen Kreuzzug von der Kirche erging, welchen nicht auch die Erthei- lung eines aligemeinen Ablasses für alle und jede Sünden derer, die an ihm theilnahmen, begleitete, und die Kirche hatte dabei nocb kein anderes Interesse^ als den Wunsch, durch dieses Motiv die Mitwirkung zu einer so heiligen Sache so kräftig als möglich ge- fördert zu sehen. Hatte der Ablass bisher in der Weise, wie er m den einzelnen Kirchen von den Bischöfen aus verschiedenen zu- fälligen Veranlassungen ertheilt zu werden pflegte, nur zu oft sehr

Der AbUss und die Kreniifige. 445

onlaaleren Absichten gedient, so schien nun erst von ihm, seitdem der Papst als das Hanpt der Kirche ihn in seine Hand nahm und ihn im Grossen für die allgemeinen Zwecke der Kirche verwendete^ der seiner Idee entsprechende Gebrauch gemacht zu werden. Allein diese ideale Betrachtung kann, sobald sie mit der Wirklichkeit der Sache selbst zusammengehalten wird, nur in sehr beschränktem Sinne gelten, und es ist leicht zu sehen, dass auch der Ablass nur dazu ein Vorrecht des päpstlichen Stuhles wurde , um dem allge- meinen Entwicklungsprocess , durch welchen das Papstthum hin- darchging, um so gewisser zu unterliegen, je mehr er schon von Anfang an die Disposition dazu hatte. Es dauerte nicht lange, so verwandelte sich das Förderungsmittel, das der Ablass für die geistigen Zwecke der Kirche sein sollte, in der Praxis der Päpste in ein rein materielles Geldmittel. Der Uebergang dazu war die Concession, dass man das, was man für den Ablass persönlich zu leisten hatte, auch durch ein Surrogat leisten konnte, sei es, dass man für einen Andern, der das Kreuz auf sich nahm, den dazu er- förderlichen Aufwand bestritt, oder auch von der Verpflichtung des Gelübdes sich unmittelbar durch Geld loskaufte. Schon seit der Zeit Alexanders III. konnte man für Geld denselben päpstlichen Plenarablass erhalten, welcher sonst nur den wirklichen Kreuz- fahrern ertheilt wurde, und nachdem einmal das Geld das gewöhn- liche Mittel geworden war, seiner christlichen Pflicht gegen das heilige Land sich zu entledigen, sollte eben diess der stärkste Reiz zur Bezeichnung mit dem Kreuze sein , dass man von dem über- nommenen Gelübde sich sogleich auch wieder absolviren lassen konnte , wofern man nur die dafür bestimmte Geldsumme bezahlte. Wenn auch das dadurch zusammengebrachte Geld dem Vorgeben nach für denselben Zweck, die Eroberung des heiligen Landes, ver- wendet werden sollte, so lag doch klar am Tage, dass der Ablass in dieser Form zu einer blossen Geldspeculation geworden war, die, besonders seitdem die Bettelmönche mit ihrer aufdringlichen Betriebsamkeit die ab$olutione$ a voto cruci$ zu ihrer eigensten Sache machten, den päpstlichen Ablass immer mehr in allgemeinen Misscredit bringen musste. Als ein Vermächtniss der Kreuzzüge konnte er nur den herabstimmenden Eindruck, welchen diese zu- rückliessen, verstärken und statt der Illusion, die man sich mit ihnen gemacht hatte, um so fühlbarer an die gemeine Wirklichkeil

446 Zweit« Perlode. Vierter AbioliBitt

der Dinge mahnen. Die Päpste aber waren, je mehr mit dem er- u kälteten Interesse für die Krenzzuge die durch sie eröffnete Gdd- i quelle zu versiegen drohte, nur nm so mehr darauf bedacht, sie all andern Wegen wieder flüssig zu machen. Gab es irgend etwti, li was im Kleinen und Grossen der Christenheit zu ihrem Heil nid Segen ans Herz gelegt werden konnte , so war immer der AUm der lockendste Name, unter welchem es empfohlen und der ixe Preis, mit welchem es feilgeboten wurde. Eine der sinnToUstci und .glücklichsten Erfindungen dieser Art war unstreitig das zaenl im Jahr 1300 mit der Verheissung der vollkommensten Sündenver- gebung für alle nach Rom pilgernde und an bestimmten Tagen mi Orten daselbst botende und opfernde Glaubige gefeierte Jubeljikr, dessen Veranlassung und Ursprung der Stifter Bonifacius VIÜ ii ein so anziehendes mysteriöses Helldunkel zu hüllen wussta Di der reiche Segen des ersten Jubeljahrs nichts mehr bedauern laüci konnte, als seine so spute Wiederkehr nach hundert Jahren, M fehlte es dem Scharfsinn der folgenden Papste nicht an einer ge* eigneten Motivirung, um es theils aus humaner Rücksicht auf die Kürze und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens, theils in der Er^ wagung der besondern Heiligkeit der für die kürzere Dauer ge- wihlten Zahl zuerst auf das fünfzigste, sodann das dreiunddreissigste und zuletzt das fünfundzwanzigste Jahr herabzusetzen. Die Jubel- jahre gössen die reichste Fülle der ablassspendenden Freigebigkeit der Päpste über die ganze Christenheit aus, und doch was sind selbst diese so hervorragenden Jubelablässe gegen die unendlich grosse Zahl der mit so vielen Orten und Zeiten, Festen und Instituten ver- bundenen und sonst bei den verschiedensten Veranlassungen er- theiiten kirchlichen Gnadenacte derselben Art? Ja nicht einmil auf die Grenzen des gegenwärtigen Lebens war die Ablassgewalt des Papstes beschränkt. Wenn der Ablass auch, wie man sich anfangs noch, auch nach der Lehre der Scholastiker, seine Aus- dehnung auf das Fegfeuer vermittelt dachte, den Gestorbenen nur per modum mffragii zu Theil werden sollte, d. h. nur so, dass Lebende zur Erwerbung des Ablasses das für sie thaten, was sie selbst unmittelbar nicht thun konnten, so wurde doch später von den Päpsten selbst die unbedingte Behauptung aufgestellt, dass der Ab- lass auf die im Fegfeuer befindlichen Seelen sich nicht minder er-

Jubeljahr«. Letite Conseqneiui des Ablasiet. 447

Strecke ab auf die Lebenden, dass der Papst, wenn er wollte, durch die Kraft seines Ablasses das ganze Fegfeuer entleeren könnte 0* Erwägt man, was diese maasslose Lehre und Praxis zu be-* deuten hatte, was sie in ihrem ganzen Umfang in sich begriff, so kann man sich die Entsittlichung der christlichen Kirche , die der Theorie nach in ihr lag und nothwendig auch als praktische Folge ans ihr hervorgehen musste, nicht gross genug denken. Die evan- gelische Lehre von der Vergebung der Sünden ist durch sie zu einem offenen Freibrief der Sünde geworden. Welche Scheu vor der Sünde konnte es noch geben, wenn der Ablass es so leicht machte, die Schuld aller und jeder Sünde mit Einem Male von sich abzuschütteln? Auch ist ja das ganze Ablasswesen keineswegs nur als' ein durch zubillige Zeitverhältnisse entstandener sittlicher bdifflerentismus anzusehen , sondern recht methodisch und syste- matisch war es von der Kirche selbst darauf angelegt, jeden ernste- rcB Begriff der Sünde aus dem sittlichen Bewusstsein zu vertilgen. YoB dem Haupte der Kirche ging die alle Sittlichkeit untergrabende Lehre aus, die Bischöfe, die untergeordneten Kleriker, die zur Voll- ziehung der päpstlichen Befehle ausgesandten Mönche gaben sich alle Muhe, sie allgemein, selbst mit der frechsten Verhöhnung des sRdichen Gefühls, unter dem Volke zu ihrer practischen Geltung zu bringen, und um die Praxis auch durch die Theorie zu begründen, führten die scholastischen Theologen der Reihe nach in ihren Sy- stemen den Beweis, dass die Lehre vom Ablass mit allem, was zu ihr gehört, ein wesentlicher Artikel des christlichen Glaubens sei. und wie hätten sie diess nicht mit gutem Grunde thun sollen ? Wie weit muss man in der Entwicklung des kirchlichen Systems zurück- gehen, um die falschen Prämissen zu entdecken, deren letzte Con- sequenz die Lehre vom Ablass war? Wo von Anfang an so Vieles darauf hinzielt, die Begriffe von Schuld und Verdienst von der Selbst- bestimmung und Selbstthätigkeit des sittlichen Subjekts abzulösen, kann das Resultat zuletzt nur sein, dass der Mensch überhaupt kein sittliches Subjekt ist, kein Selbstzweck, sondern ein blosses Mittel ; eine Kirche, die den Papst zu ihrem absoluten Herrscher macht, muss es sich auch gefallen lassen, wenn er mit absoluter Willkür bestimmt, was Sünde ist oder nicht, und eine Herrschaft, welche

1) Vgl Gix«ELKB 2, 4. S. 367.

448 Zweite Ptriode. Vierter Abiohnitt

80 principiell, wie das Papsttham, das Weltliche zur Grundlage des. Geistigen macht, kommt zuletzt auch dazu, dass sie die Würdigkeit des Menschen fär das Reich Gottes nach seinem Geldwerth bestinuiL Es liegt klar am Tage, dass die Kirche mit ihrer Ablassprazis io den der Reformation unmittelbar vorangehenden Jahrhunderten auf der tiefsten Stufe der Entsittlichung und der Herabwürdigung dei Christentbums stand. Wer will es läugnen, dass die damals allge- mein herrschende 9 alle Verbältnisse des geselligen Lebens be- fleckende und vergiftende Sittenlosigkeit die natürliche Folge der insbesondere über den Ablass gangbaren sittlichen Begriffe war? Man kann nur fragen, wo die reagirende Macht war, die der föl- ligen Auflösung aller sittlichen Bande des Lebens die Schraub setzte, die auch jetzt nicht überschritten werden konnte ? Sie wir nicht in der Kirche, die von ihrer Seite nur alles that, jeden Fmitt eines sittlichen Gefühls in dem Herzen des Volkes zu erstid»« nicht in dem durch die Kirche theils entsittlichten theils unter dea Scheff'el gestellten Christenthum, sie war nur da, wo kein noch M grosser Betrug im Stande ist, das unmittelbare natürliche sittliche Bewusstsein über sein wahres Heilsinteresse zu tauschen. Aus der Mitte des Volkes, aus dem Munde von Männern, die als Volks- dichter 0 und Volksprediger ') dem Volke nahe genug standen ua ein lebendiger Ausdruck seines sittlich religiösen Bewusstseins n sein, kamen die ersten gegen den Unfug des Ablasses zeugendes Stimmen, und nur dem Eindruck, welchen solche Weckstimmea machten, ist es zuzuschreiben, dass unter allen Aegernissen uad Gräueln des Ablasses das Gewissen des Volks immer noch wach genug blieb, um nicht an allen seine Seligkeit betreff^enden Fragen völlig irre zu werden.

Mit der Leichtigkeit der Sündenvergebung, die der Ablais gewährte, bilden einen sehr starken Contrast Uebungen einer Bosse, bei welchen der Mensch, wie wenn er an der Möglichkeit einer Vergebung der Sünden verzweifehi niüsste, gegen sich selbst nicht

1) Vgl. GiESBLER 2, 2. S. 509.

2} Wie namentlich der Francislcaner Berthold , welcher schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts die neulich auferstandenen Pfennigprediger def Teufels liebste Knechte nannte, und das Volk warnte, ihnen zu geben, weil man sich damit nur in den ewigen Tod verkaufe. Vgl. Gdbselbb a. a. 0. 8. 511.

Geisielbnsse nnd Geiislerfahrten. 449

Streng genug sein zn können scheint, um den Zorn Gottes zn ver- söhnen. Es sind die Erscheinungen der Geisseibusse, welche durch diese, bisher nur von Einzelnen geübte Art der Busse eine weit- verbreitete Bewegung hervorriefen, die seit der grossen Geissler- fahrt im Jahr 1260 von Zeit zu Zeit wiederlcehrte und den tiefen Eindruck bezeugte, welchen der Ernst der Zeitereignisse auf die trotz aller Ablassertheilungen ihrer Schuld sich bewussten Gemüther machte. In drei Hauptscenen wurde das Schauspiel dieser neuen Art der Busse aufgeführt Die erste nahm im Jahr 1260 von Pe- rogia aus ihre Richtung nach Oberitalien , die zweite bildeten die Geisslergesellschaflen, die im Jahr 1349 sich durch ganz Deutsch- land verbreiteten, die dritte, die Geisslerfahrt der Weissen, gieng im Jahr 1399 von den Alpen aus nach dem innern Italien. Die Ur- nche dieser Erscheinung liegt am unmittelbarsten bei den Geissel- bnsszögen des Jahrs 1349 vor Augen. Sie waren die Wirkung der allgemeinen Bestürzung und Entmuthigung, die die furchtbarste aller Seuchen, der damals in Deutschland und in andern Ländern wtikende grosse oder schwarze Tod verursachte. Nur eine Selbst- demfithigung, wie die der Geisseibusse, mit allen zu ihr gehören- den, ihren Eindruck verstärkenden Uebungen und Ceremonien, schien den vom Zorn des Himmels gebeugten Menschen wieder aufrichten zu können. Dieselbe Ueberzeugung, die sich damals so lebhaft aufdrang, wie wenig die gewöhnlichen kirchlichen Mittel der Busse in solchen Fällen einer grossen öffentlichen Noth dem erschütterten Gewissen einen zureichenden Trost zu gewähren ver- mögen, konnte auch bei den beiden andern Hauptacten der Geissel- busse nicht fehlen. Auch im Jahr 1260 lag auf dem Theil Italiens, in welchem die Geisseibusse ihren Anfang nahm, ein sehr schwerer Druck. Es war die Zeit, in welcher der Streit der Weifen und Gibellinen und der heftigste Parteigeist alle Bande des geselligen Lebens zerrissen hatte. In demselben Jahre hatten kurz zuvor die Weifen in Toscana durch die Gibellinen in der Schlacht von Monte Apdrto eine Niederlage erlitten, die auch die acht weifische Stadt Perugia sehr nahe berührte. Man empfand es in dem Gefühl seiner Zerrissenheit, dass der Mensch, um in sich zu gehen, noch weit tiefer in sein Inneres greifen , den Schmerz der Sünde noch weit stärker in sich eindringen lassen müsse, als durch die kirchlichen Bossmittel geschieht, deren Wirkung ja die Kirche so viel möglich

Baar, X.a. d. MittoUttttf. 29

450 Zweite Periode. Vierter Abeobsitt

wieder entkräftet Es ist sehr bezeichnend für die ^. «««»«»».,»19, aus welcher damals unter den überall herrschenden Lastern oid Verbrechen dieser Bnsseifer hervorging, dass, wie ausdrücklich die Chronikenschreiber jener Zeit berichten, niemand wusste, woher er i kam, wie mit einem Male eine solche Zerknirschung die Gemütha j ergriff, dass von Seiten der Kirche auf keine Weise dazu mit- gewirkt worden war, dass sie nicht von oben, sondern nur von unten im Kreise der Laien und geringer Leute ihren Ursprung ge- nommen hatte. Wenn sich auch zunächst nichts von einer aiti- kirchlichen Tendenz zeigte , so gab ihr doch schon ihr nichtkireh- licher Ursprung einen eigenthümlichen Charakter, aus wekkes sich sehr leicht auch eine Opposition gegen die Barche enlwickch konnte. Nicht blos der allgemeine Druck der Zeit, sondern iiie- sondere auch der unheilvolle und traurige Zustand , in weicta sich die Kirche in Folge des grossen päpstlichen Schisma betMi, war es, was die Veranlassung zu der dritten grossen (Seisslerfalit im Jahr 1399 gab, die ihre gerade Richtung auf Rom nahm, den römischen Papst Bonifacius IX. aber so gefährlich erschien, dass er dieser Brüderschaft der Weissen, wie man sie wegen ihres weissei Bussgewands nannte , durch die Hinrichtung ihres Haupts eiaea tödllichen Schlag versetzte. Auch in den Geisslergesenschaftea des Jahrs 1349 trat, obgleich die Ursache ihrer Entstehung eine andere war, mehr und mehr eine der Kirche feindliche Richtung hervor. Indem schon darin, dass man zu so ausserordentlichen Bussmitteln seine Zuflucht nehmen zu müssen glaubte, ein Miss- trauensvotum gegen die Kirche lag, musste, da auch die Srche gegen ein solches Ueberschreiten der gesetzlichen Ordnungen sich nicht gleichgültig verhalten konnte, das Verhältniss dieser Bussga- sellschaften zur Kirche von selbst ein gegensätzliches werden. Nach der Regel, welche die Geisseibrüder des Jahrs 1349 hatten, sollten zwar die Pfaffen von ihrer Gemeinschaft nicht ausgeschlossen sein, aber keiner sollte Meister unter ihnen sein noch zu ihrem heimlichen Rath zugelassen werden 0- Sie hatten ihre Meister unter sich selbst, die, ohne nach der Kirche zu fragen, die Abso- lution einfach dadurch ertheilten , dass sie die Marterbusse für ab-

1) Vgl. Closener*8 strassbnrgiflohe Cbronik. Bibliothek des litter. Yenbi in Stnttg. 1. Ü. 85. TheoL Stad. q. Krit 1837. 8. 892.

Di« Qeiiselbasse nnd die kat-hol. Kirche. 451

solvirend erklärten und sich künftig vor Sünden zu hüten er- mahnten 0* Welche Ansicht die Kirche von der Geisseibusse hatte^ ist ans der von Papst Clemens VI. im Jahr 1349 an die deutschen Brzbischöfe erlassenen Bulle zu sehen, die sich in den stärksten Ausdrücken gegen das eigenmächtige, die Schlüssel der Kirche und die ganze kirchliche Disciplin und Sitte verachtende Bussverfahren der Plagellatores erklärte 0. Die Kirche hatte um so mehr Ur- aache, sich vorzusehen, da besonders in den kleineren, seit der grossen Bewegung des Jahrs 1349 da und dort, namentlich in Thü- ringen, zurückgebliebenen Gesellschaften dieser Art mit der fort- dauernden Uebung der Geisseibusse Grundsätze und Lehren sich Torbanden, in welchen ganz der Geist der vom bittersten Hass fegen die katholische Kirche erfüllten häretischen Secten athmete. Der Eifer aber, mit welchem die Kirche alle diese Gesellschaften 9a unterdrücken suchte, zeugt nicht blos von ihrer Unverträglicb- knt mit den Satzungen der Kirche, sondern auch von dem ernsteren -rfÜBchen Geist, der sich in ihnen regte. So schroflP und abstossend, 'wschwärmerisch fanatisch auch die Gestalt ist, in welcher die 'CSeisselbusse überall auftrat, so ist doch auch hier besonders von der rauhen materiellen Aussenseite ihrer Erscheinungen ihr innerer geistiger Kern wohl zu unterscheiden. Aus den so eigenthümlichen and seltsamen Gebräuchen und Ceremonien, die sie bei der Ue- bung ihrer Busse beobachteten, blickt eine Anschauung heraus, die ans die Grundstimmung ihres vom Schmerz der Sünde zer- Imirschten Gemüths sehr klar zu erkennen gibt. Hinweg über •Ues^ was die Kirche mit ihrer unkräfUgen priesterlichen Vermitt- lang zwischen den Sünder und Erlöser stellt, wollten sie, um un- millelbar aus der allein wahren Heilsquelle den Trost der Verge- bung der Sünden zu schöpfen, sich ganz in das Leiden Christi selbst

1) A. a. 0. Der Meister schlug mit seiner Geissei die Büssenden auf dep Leib und sprach:

Stant uf durch der reinen Martel em Unn hut dich vor der Sünden mem.

2} Ihre vana religio et supersiitioBa adinventio besteht hauptsäclilioh cUrin, dass sie ctieterorum vitam et statum contemnendq $e juaüficarU , et ehme» eceleaiae vüipendunt, ae in contemptum diseipUnae ecclenaaticiie crucem Domini ante «e, et habitum certum, nigrum videlicet ante et retro ipnus friv\ficae eruci$ appenaum habentem iignacubim, eine auperiorie Ucentia defe- renteSf iub nomine poenitenHae vitam genuU imoUtam,

29»

459 Zweite Periode. Vierter Abiohnitt

versenken. Sein Bild stand mit allen Wondenmalen seines Leidens vor ihrer Seele, allem was sie thaten und an sich trogen war die Gestalt seines Kreuzes aufgedrückt, durch die Geisselschlfige, nit welchen sie sich blutig schlugen , wollten sie seinen bis zum Tode gemarterten Leib und in der Zahl der dreiunddreissig Tage, die oe zur Vollbringung ihrer Geisseibusse umherzogen, sein ganzes den Sundern geopfertes irdisches Leben in sich darstellen 0- Im Geiste dieser von dem Gedanken an das Leiden Christi tief durchdrangenea Bosstimmung machten die Weissen das Lied des Franciskanen Jacobus de Benodictis oder Jacoponus, Giacopone di Todi: Stabat mater dolorota zu ihrem stehenden Busslied. El war in seinem : Fac me plagii vulnerari, cruce hac ineäriari ^ der sprechendste Ausdruck ihrer Bussubung 0- Es ist üb^rliqf auch diess charakteristisch und gleichfalls als ein Beweis derfe- fern Erregung des religiösen Gefühls anzusehen, aus welcher dieM Erscheinung hervorging, dass bei den Bussaufzügen Lieder ge- sungen wurden, die sowohl in ihrem Inhalt als auch, da sie in der Landessprache gedichtet waren, in ihrer Form, gleich bezeichoead für die neue Art der Busse waren ')• Was so unmittelbar aus der innersten Herzensempfindung kam, konnte auch in keinem anden als dem natürlichsten Medium ausgesprochen werden. Auch darin

1) Vgl. FörBtemann die ehr. Geisslergesellschaften S. 29 £ 78 t Daher sollte auch Christus selbst diese Busse erweckt haben. Was in der Chronik des Mönchs von Padua in der Beschreibung der Geisseifahrt vom Jahr 1260 noch so lautet: timor Domitii irrnit super eos, wurde in der Folge bei der Geisselbnsse des Jahrs 1349 zu einer in einem Briefe vom Himmd gekommenen Botschaft Christi, die als Sünden- und Busspredigt bei dca Bussaufzügen vorgelesen wurde. Closener a. a.. O.

2) Förstemann a. a. 0. S. 115 f. VgL Mohnike Kirchen- and lit. hist Studien und Mittheil. H. 2.

3) Schon einer der ältesten Berichterstatter über die GkisselbnsM, der im Jahr 1275 gestorbene Abt Hermann zu Nieder- Altaich bemerkt in Beinen Annalen (in Böhmer*s Fontes rerum germ. II. 516) zu dem Jahr 1260, daM die Geisseibrüder qucudam caniüeruu de pamone ac motte Domini dieta- verant. Man vgl. über diese fär die Geschichte des deutschen Lieds merk- würdigen Lieder der Geissler Hoffmann von Fallersleben Geschichte dci deutschen Kirchenlieds 2. A. 1854. S. 130 f. Der Befhun ihrer Boif- lieder war:

Jesus wart gelabet mit gallen

Des sollen wir an ein orüse Tallen.

Die Geisselbnsse. Das Möncbsleben i. Zeit Greg. VII. 453

traten sie somit der römischen Kirche entgegen, dass ihre in den Uebnn^en ihrer Busse sich äussernde Religiosität, wie sie nur der Ausdruck ihres eigensten Selbst sein sollte, so auch in ihrer Sprache einen acht nationalen , jede fremdartige Vermittlung von sich zu- rfickweisenden Charakter an sich trug.

3. Das Mönchswesen.

Wie wir bisher das Mönchswesen unter den Gesichtspunkt der Erscheinungen gestellt haben, in welchen sich der sittliche Cha- rakter einer Periode zu erkennen gibt, so rechtfertigt sich diese Stißllnng ganz besonders in einer Periode, in welcher die Geschichte des Mönchswesens eine so bedeutende Stelle einnimmt. Je mannig- fiiltiger und verschiedenartiger die Gestaltungen sind, die das Mönchsleben in den Jahrhunderten des Mittelalters angenommen bat, um so mehr spiegelt sich in ihnen der in der christlichen Kirche dieser Zeit herrschende sittliche Geist ab. Da das Mönchsleben baoier als die höchste christliche Vollkommenheit galt, so ist von ikm hauptsächlich der Maasstab zu nehmen, nach welchem die sitt- liefcen Begriffe und der sittliche Charakter der Zeit zu beurlheilen amd. Sie steht in sittlicher Beziehung um so höher, je reiner sie die Idee der in dem Blönchsleben sich realisirenden christlichen Yollkommenheit aufgefasst hat und je grösser der Einfluss derselben auf das kirchliche Leben war.

Die bedeutendste Erscheinung der Periode, von welcher hier die Rede ist, ist in der Geschichte des Mönchswesens die Stiftung der beiden Bettelorden. Durch sie theilt sich die Periode in Be- siehung auf das Mönchswesen in zwei wesentlich verschiedene Abschnitte.

In der ersten Hälfte der Periode hält die Entwicklung des Hönchslebens völlig gleichen Schritt mit dem neuen Aufschwung, welchen überhaupt die Kirche durch Gregor VII. nahm. Der neue kräftige Geist, der vom Haupte der Kirche ausging und alle Glieder derselben durchdrang, hatte seine mächtigste Anregung aus dem Schoosse des Mönchslebens erhalten, und Gregor VH. hatte als Cluniacensermönch das Ideal aufgefasst, das durch ihn im Papst- tbnm verwirklicht werden sollte. Auch die beiden Hauptpunkte, auf welche die kirchliche Thäligkeit Gregors VII. gerichtet war, die völlige Verdrängung der Priesterehe und die Lostrennung der

454 Zweite Periode. Vierter Abfelinitt^

Bande, welche die Kirche von den weltlichen Fürsten und von der Welt abhäng[ig machten, zielten wesentlich daraufhin, den Klerikern und der Kirche so viel mög[lich den Mönchscharakter aufzudräcken. Die Heiligkeit des Mönchslebens erfüllte die Gemüther mit neuer Begeisterung für dasselbe , wie sich vor allem in der grossen Zahl der neuen, gicichzeilig mit der Regierung Gregors und nicht lange nach ihr gestifteten Mönchsorden zeigt. Alles drängte sich des Klöstern zu, wie wenn man nicht Christ sein könnte, ohneauck Mönch zu sein, und je grösser die Zahl der Mönche wurde, uro w mannigfaltiger gestaltete sich das Mönchsleben, da jederneue Stifter einer Mönchsgesellschafl das Mönchsideal von einer neuen S^ aufzufassen glaubte, durch die es die Nacheiferung in noch höherea Grade erwecken musste, sei es durch die strengere Uebung der Pflichten des Mönchslebens, oder die Bestimmung eines sokki Vereins für einen der christlichen Liebe sich besonders empfehleir den Zweck. Und nicht blos die Zahl der Klöster vermehrte fld in's Unendliche, sondern es prägte sich auch der dem Mönchslebei eigene organisirende Trieb in Verbindungen aus, in welchen dii derselben Ordensregel angehörenden Klöster ihre eigene, mekr oder minder monarchische Verfassungsform hatten und einen aadi ihr eingerichteten Mönchsstaat bildeten. Welche bunte Mannig- faltigkeit der Formen stellt sich uns so schon in den den altera Typus des Mönchslebens an sich tragenden Mönchsorden dar, und welche neue eigenthümliche Form kam noch vor der Entstehung der Beltelorden zu den bisherigen Formen durch die geistlichen Ritter- orden hinzu, in welchen nicht nur die Romantik des Mittelalters in ihrem schönsten Lichte sich zeigt, sondern auch die Eigenthümlich- keit des mittelalterlichen Mönchswesens in einer sehr concreteo Anschauung hervortritt ! Die Ritterorden , in welchen die Demoth des Mönchs in den Harnisch des Ritters sich hüllte, um die Streiter Christi, was ja die Mönche von Anfang an waren, auch an diesem Kampfe für die grosse Sache Gottes theilnehmen zu lassen, waren, wie so Vieles, ein Erzeugniss der Kreuzzüge und wir sehen demnach auch an ihnen, in welchem engen Zusammenhang das Mönchsleben, seitdem es nicht mehr in seinen isolirlen Klöstern von der Welt sich absonderte , sondern in grossen Ordenssystemen in das 6e- sammtleben der Kirche so tief eingriff, mit allem stand, was die Kirche im Grossen bewegte. Es konnte nichts geschehen, wobei

Dag Mönchswesen. Cluniacenser n. Cistercienser. 455

nicht auch das Mönchswesen betheiligt war; ebendesswegen nahm es nach Maassgabe der jedesmah'gen Bedürfnisse selbst auch ver- aehiedene Formen an. Unter den dem alten Stamme der Benedi.c- tiner entsprossenen Orden sind die der Cluniacenser und der Cister- cienser sowohl wegen ihrer weiten Verbreitung als auch wegen der Eigenthümlichkeit ihrer Richtung die bedeutendsten. Sie bilden innerhalb derselben Ordensregel einen Gegensatz, der auch schon ioaaerlich in der schwarzen Ordenstracht der Cluniacenser und der weissen der Cistercienser sich bemerklich machte und durch die gegenseitigen Vorwürfe, sowie die Apologien, in welchen ange- sehene Häupter, wie Peter der Ehrwürdige und der heilige Bern- btrd, die Sache ihrer Orden führten, sich um so mehr befestigte. In keinem Orden trat in der Folge die düstere Seite des Mönchs- lebens gegen die heitere so sehr zurück , wie in dem der Clunia- censer, welche behaglichen Lebensgenuss mit mönchischer Enthalt- samkeit, Weltbildung mit Weltverachtung, Reichthum, Pracht und Lunis mit der Armseligkeit und Einfachheit des Mönchslebens so gol zu vereinigen wussten , dass in ihnen jede Erinnerung an den Ernst, mit welchem einst Clugny die alte Mönchszucht wiederher- gestellt hatte, verschwunden zu sein schien. Ihnen gegenüber waren jetzt die Cistercienser die Reformatoren des Mönchslebens, die am meisten der Strenge, mit welcher sie sich an die ächte Be- nedictiner-Regel hielten und alles beobachtet wissen wollten, was zur alten Ordnung des Mönchslebens gehörte, die so rasche und weite Verbreitung ihres Ordens zu verdanken hatten. Darin aber huldigten auch sie gleich anfangs, noch ehe auch sie derselben Yerweltlichung wie andere Orden anheimfielen, dem Geiste der Zeit, dass sie es als eine Aufgabe des Mönchslebens betrachteten, in den öfi^entlichen Angelegenheiten der Kirche mithandelnd aufzu- treten. Ein Cistercienser- Abt, wie der heilige Bernhard, hatte, wie wenige seiner Zeitgenossen, die bewegenden Kräfte der Weltge- schichte in seiner Hand. In diesem Interesse schlössen auch sie sich, so wenig es ihnen um päpstliche Principien zu thun zu sein schien, sehr eng an den päpstlichen Stuhl an. Mehr als einmal waren Cisterclenseräbte mit den wichtigsten Aufträgen als päpst- liche Legaten bevollmächtigt. Kein Orden jener Zeit hatte, nachdem der neue Glanz der Cistercienser selbst den Ruhm der Cluniacenser verdunkelt hatte, so sehr wie der der Cistercienser das auch durch

456 Zweite Periode. Vierter Absohnitt

die neue Einrichtung der Ordenscapitel gehobene Bewnssisein li sich, eine Macht in der Kirche zu sein.

Ein ganz anderer Geist kam erst durch die beiden Bettelord« in das Mönchswesen. Das Epochemachende ihrer Erscheinung iit die Originalität der Idee, die an ihnen hervortrat In ihr dleii liegt der Grund, dass nicht nur neben so vielen schon bestehendoi Mönchsgesellschaften auch für sie noch eine Stelle war, soa- dern auch in Kurzem ihre Stellung in der grossen Mönchsge- meinschafl eine so fiberwiegende wurde, dass alle andern Mönchs« Orden durch sie zurückgedrängt wurden. Nur dem imponirenda Eindruck, welchen die neue, in ihnen zum Bewusstsein gekon- mene Idee machte, ist es zuzuschreiben, dass um dieselbe Zeit, i welcher im Interesse der Kirche die Einführung einer neuen b- 1 ligion oder die Stiftung eines neuen Mönchsordens verboten wvie, ihnen die papstliche Bestätigung des Bechts ihrer Existenz udt verweigert werden konnte. Um aber die Bedeutung, die sie nidt blos für die Geschichte des Papstthums, sondern der christlickM Kirche überhaupt haben, richtig aufzufassen, muss man auf den tie- feren Grund der Zeitverhaltnisse, in die sie eingreifen, zurflckgebea. In dem glanzvollsten Zeitpunkt der päpstlichen Herrschaft, nacbdea sie schon auf der höchsten Stufe ihrer Macht und Grösse stand, stieg in der Seele jener Ordensstifter eine Ahnung der Katastrophe auf, welcher das Papstthum und mit ihm die Kirche schon damab entgegenzugehen begann. Mitten in dem Glanz, der das Papstthum umgab, in dem stolzesten Bewusstsein der Siege, durch welche es über alle seine Feinde triumphirte, konnte man sich den Contrast* nicht verbergen, in welchem diese irdische Herrlichkeit zu der ur- sprünglichen Idee des Christenthums stand, und fühlte sich unwill- kürlich getrieben, an Mittel und Wege zu denken, die zur Abwehr der drohenden Gefahr dienen konnten. Was in den Stiftern der beiden Bettelorden durch die That zur Ausführung kam, ging aus demselben Gedanken hervor, der schon damals in so vielen Stimmen jener Zeit laut geworden war und bei aller Verschieden- heit der Form, in welcher er ausgesprochen wurde, nnr als ein gemeinsames Zeugniss gegen die Bichtung einer Kirche angesehen werden kann, die die Idee der apostolischen Armuth ebendadurch hervorrief, dass sie selbst in das gerade Gegentheil derselben ver- kehrt war. Die kühnen Beformplane , die Arnold von Brixen mn-

Die Bettelorden. Arnold Ton Brixen. 457

hertrieben, die dunkeln Weissagungen, in welchen der Abt Joachim die nahe bevorstehende Weltkatastrophe verkündigte, die Grund- falze und Lehren , welche Kalharer und Waldenser der römischen Kirche entgegenstellten, alles diess trifft in einem und demselben Punkt mit demjenigen zusammen , was auch der h. Franciskus und der h. Dominikus mit der Bettlerarmuth ihrer Orden wollten, und es müssen erst alle diese Erscheinungen in ihrem gemeinsamen Berührungspunkt zusammengenommen werden, um in ihnen eine die Zeit in ihrem tiefern Grunde bewegende Macht zu erkennen. Die unwillkürlich sich aufdringende, mehr oder minder bewussle Idee der Nothwendigkeit einer Reform der Kirche war es, welche Bestrebungen erzeugte, die theils völlig erfolglos blieben, theils nur dazu zur Ausfuhrung kamen, um dem allgemeinen Schicksal SU erliegen, das in der katholischen Kirche alles haben musste, was auf der Grundlage desselben Princips, auf welchem die Kirche selbst beruhte, zu ihrer Reform versucht wurde.

Arnold's von Brixen Wirksamkeit hieng mit den Ideen zusammen, ffie durch den Investiturstreit über das Verhältniss von Staat und Brche angeregt worden waren. Um beide in ihrem strengen Ge- gensatz auseinanderzusetzen und wie Weltliches und Geistliches tuf abstracto Weise zu trennen, sollte alles weltliche Gut nur den Fürsten gehören, und der Clerus ohne weltlichen Besitz nur auf sein geistliches Amt verwiesen sein. Auch ihm schwebte die Idee Tpr, dass das Heil der Kirche nur in Armuth und Weltentsagung bestehe und er selbst wollte in der strengen enthaltsamen Lebens- weise, die er befolgte, den ächten Christensinn an sich darstellen. Die populäre Beredsamkeit seiner Predigten machte lebhaften Ein- druck, und seine Ideen fanden bei den Laien, an die er sich vor- zugsweise wandte , in Frankreich , Italien und in der Schweiz und am meisten bei den mit dem Papste zerfallenen Römern einen sehr empfanglichen Boden; aber vom Papste vertrieben und vom Kaiser ausgeliefert endete er unter den Händen der römischen Curie, wie der schlimmste Ketzer. Als ein Schüler Abalard's, wie er genannt wird, erschien er in den Augen des h. Bernhard nur um so schwfir- ser und in der That kann man auch nicht blos in seinem Mitwirken gegen den Clerus, sondern auch in der Schärfe, mit welcher er die -Gegensitze, wie dialektisch, auseinandergehalten wissen wollte, einen dem Abälard verwandten Geist nicht verkennen.

4ft8 Zweite Periode. Vierter Abschnitt

Nicht lange nach Arnold war es ganz besonders der contem- plative Geist des Abts Joachim in dem Kloster Floris in Calabrien, der sich in die Idee einer Reform der Kirche und ihrer Notwen- digkeit vertiefte. Die Weissagungen, in welchen er sich in mehreren in derselben Grundidee zusammengehörenden Schriften ^3 über den damaUgen Zustand der Kirche und die der Kirche beycrstehende grosse Veränderung aussprach, zogen die öffentliche Aufmerksam- keit in so hohem Grade auf sich, dass wir sie mit Recht als eine sehr bedeutungsvolle Stimme jener Zeit betrachten dürfen.

So wenig auch damals gerade, in den letzten Decennien des zwölften Jahrhunderts, die äussere Lage der Kirche ein so trübet Rild darzustellen schien, so hatte doch für ihn die ganze Entwick- lungsperiode, in welcher sich die christliche Kirche befand, 10 wenig Befriedigendes, dass er nur den Drang in sich hatte. Her sie hinauszublicken, und schon in der nächsten Zukunft eine & jetzige Ordnung der Dinge zum Abschluss bringende neue Epodtt zu erwarten. Diess war es, was ihn, wie er sich überhaupt wA den biblischen Büchern und der Erforschung ihres verborgenea Sinns sehr angelegentlich beschäftigte, mit besonderer Yorliebe auch zur Apokalypse hinzog , deren Erklärung eine seiner Haupt- Schriften gewidmet ist 0* Wenn man sich auch auf seine Erklänmg der Apokalypse nicht zum Beweise dafür berufen kann, dass er zu- erst innerhalb der rechtgläubigen Kirche in dem Papstthum und der römischen Kirche die babylonische Hure der Apokalypse gesehen habe, so fehlt es doch in seinen anerkannt ächten Schriften nicbt an Aeusserungen, aus welchen deutlich zu sehen ist, wie sehr er die Hauptursache dessen, was er in dem damaligen Zustand der Kirche vermisste, in der Verweltlichung des hohen Clerus, in seiner Genusssucht und Geldbegierde und allem demjenigen erkannte, was der römischen Kirche von ihren Gegnern zum Vorwurf gemacht wurde 0, und es ist daher mit Recht anzunehmen, dass der ganze

1) Vgl. Engelhardt Kirchengesohichtlicbe Abhandlungen. 1833. Der Abt Joachim und das ewige Evangelium S. 1 f. Hahn Gesch. der Ketzer im Mittelalter Bd. 3. S. 72 f. 262 f.

2) Exposido in librwm apocalipsis etc, Venetiis 1527.

3) Eine Hauptstelle dieser Art ist in der Concordia V. et N. T. IV, 36 (Vgl, Hahn a. a. O. 8. 101): Ubi enim lU, ubi /raus, nUi inter fiHoi JudOj fUai inter elericos Dominif ubi zeku, vhi ambitio, niai inter clericos Vcmkiit QtMerit unus^i$que , quod suum e$t , non quod Jesu Christi^ ptucuiU

Weissagungen Joachims, Abts von Florig. 469

Eindruck, welchen die unmittelbare Gegenwart auf ihn machte, sehr wesentlich zu der Grundanschauung beitrug , welche er sich über-

umet ipioi non aves, Omne$ requirunt muneret, Etenim ordo tstet qui pro claritate Bopientiae did poterat aurumf modo obicuratua e$t et venui vtitU in nigrwn phmUfum. Ntme aittem ipaku eceUsiae exigentüm» eulpi» ki qui sueeeiserwU in ipto ordine sacerdotalif nihil paene Tiabentes de tmito- Ijone eoeleatie hominis y terreni eunt omnino et terrena sectantur, non ingre» dienUes per Deum ad akare, ted per homines^ non intuitu divini Uteri ^ sed obtemu muneris temporalis etc» Vgl. Expos. Ap. zu 18, 11 f. 8. 200. Weiter griit Jedooh Joachim nicht Er spricht vielmehr in den höchsten Ausdrücken Tom Papst als dem Stellyertreter Christi und seiner ewigen Snccession« Wenn er auch Conc. 5, 65. S. 95, 2 sagt: in servando ordine auo antiquö meipiet romanu$ pontifex frigescere per senectutem^ so sagt ei; gleich nachher: MOffi igitUTy quod absitf deficiet ecclesia Petri, qui est thronus Christi ^ sed cosmnutata in majorem gloriam manebit stahiUs in aetemum. In seiner Er- klimng der Apokalypse bemerkt er zu 17, 1 f. über die Hure: hone mag- iiaM dixerwU patres catholici esse Bomam , non quoad ecclesiam justorum^ qmae peregrinata est apud eam^ sed quoad muUiiudinem reproborum, qui Umgphemant et impugnant opUms iniquis eandem apud se peregrinantem eeeiniom. Allein man solle diese famosissima meretrix an keinem bestimmten Oita Sachen , sondern sicut per totam aream christiani imperii diffusum est iriiicuin eledorwa^ ita per omnem latitudinem ejus dispersae sunt paleae re- proborum. Eine specielle Beziehung auf die römische Kirche als den Sitz des Antichristenthums würde auch nicht zu der Devotion stimmen, mit welcher er in dem Vorwort zu seiner* Expos., wie alle seine Schriften, so anch diese dem apostolischen Examen unterwirft und sich unbedingt zu allem bekennt, was die römische Kirche tarn in moribus quam in doctrina annimmt oder verwirft. Anders wftre es freilich, wenn die beiden Gom- mentare über die Propheten Esaias und Jeremias ächte Schriften Joachims wlbren. Diess ist jedoch keineswegs der Fall, und nicht so unsicher zu be- zweifeln wie noch von Engelhardt und Neander geschehen ist, sondern ihre Unftchtheit ergibt sich jedem, der diese Commentare liest, mit aller Evi- denz. Sie unterscheiden sich in der ganzen Form ihrer Darstellung so auf- fiillend von den Achten Schriften Joachims und bewegen sich so augen- scheinlich in der spätem Zeitgeschichte unter Kaiser Friedrich II., in dessen letzte Jahre ihre Abfassung fällt, wenigstens die des altem über Jerem., dasB nur daraus die Verschiedenheit ihrer kirchlichen Anschauungsweise zu erklären ist. Sie stellen sich zwar auf den Standpunkt der Joachim- schen Weissagung, gehen aber weit über ihn hinaus und tragen durchaus den Oppositionscharakter der Spiritualen unter den Franziskanem an sich. Das Motto ihrer Weltanschauung ist die Stelle Es. 1, 7. Das Ende ist ge- kommen sowohl für die seneseens ecclesia clericorum^ als auch das über- mflthige Reich der neuen Chaldäer, weil die Liebe erkaltet ist und die Bosheit in erschreckender Weise überhand genommen hat Die Wurzel des

460 Zweite Periode. Vierter Abfclinitt

haupt von dem Entwicklongsgang der Kirche bildete. In jeden Fall ist dieses Allgemeine, die Theorie, die bei ihm allen seinen Ab* sichten und speciellen Ausführungen zu Grunde lag, das Eigen- thümlichste, wodurch er sich auszeichnet. Es lassen sich in der- selben drei, zwar dem Ausdruck nach yerschiedene, aber wesenffidi zusammengehörende upd der Sache nach identische Elemente unter- scheiden. Wie er überhaupt durchaus auf biblischem Gmnde stand, so war der Hauptpunkt, von welchem er ausging, die Analogie und Correspondenz des Alten und Neuen Testaments, die Zosammea- schauung der beiden Testamente in der Weise wie er sie in seiner ersten und wichtigsten Schrift als die concordia veieris ei md te$lamenli darlegte 0- Dns alte Testament enthfilt in seinen Be-

Uebels ist, dass die Kirche den armen Glirigtas Tergessen hat andMol seitliolien Qütem giert , die ihr nicht zu üppigem Gennse , sondern in blossen Glebraach dienen sollen. Nudus Chriitu$ nudaim erucem €ueeiiA, et tu fructui ^ftu puta$ habere veititum (Comm. in Jer. 19, 2). Die & hebong der Kirche nnter Silvester I. war das grösste Unglück. Das ¥«• derben des Papstthnms wird durch die künftigen evangeliachen Predig« offenbar werden, insbesondere einen doetor verittUUf gegen welchen sieh dis Papste und Prälaten verschwören, weil die alten Schläuche die Worte des neuen Lebens nicht fassen. Dieser Lehrer ist der von Innocens HL ▼«- dämmte Abt Joachim. Der ordo fuiurus oder die ordines fatwri tretev aaf mit der Predigt zur Busse und der Wiederbelebung der erkalteten Liebe, sie sind die praedieatares evangelii aetemi. Gestürzt werden mnss die rö- mische Curie und an die Stelle der fleischlichen Päpste ein wahrer Hirte kommen, der kein Räuber ist. Das Werkzeug der göttlichen Strafgerichte ist Kuser Friedrich II., der sicilische Adler, der Zeitgenosse des Antichrists und der Prediger der Wahrheit Die beiden Orden der Bettelmönche werden nach ihren charakteristischen Zügen so kennbar geschildert, dass schon dieses Eine Moment hinreichend wäre, die Frage über den Ursprung dieser Schriften zu entscheiden. Vgl. die Abhandlung von D. Friderich in der Hilgen- feld'schen Zeitschrift für Wissenschaft]. Theologie. 1859. H. 3. S. 349. und H. 4. S. 444.

1) VgL Conc. V. et N. T. Lib. 2. tract 1. bei Hahn a. a. O. S. 264: Concordiam proprie dicimtis nmilittidinem aequae proportionU novi ae vet&rit teitamerUif aequae dico quoad numerum non quoad dignittUemj wie Abraham und Zacharias, Sara und Elisabeth, Isaak und Johannes der Täufer, der Mensch Jesus und Jakob, die zwölf Patriarchen und die zwölf Apostel u. s. w. quod totum, uhicwnque oecurreritf non pro senm allegorico^ ied pro concordia duorum testamentorum facere certum est , unum vero spirüttalem inteUeehm ex utroque procedere. Duo siffnißcantia zeigen unum siffnißceUwn^ welcher als mysHeua inteüectus ebenso aus beiden hervorgeht, wie der h. Geist sni

Weltansohauang des Abt Joachim t. Florit« 461

gebenheiten, Personen und Zahlen den Schlüssel für das neue; ins- besondere ist in der Reibenfolge der alUestamentlicben Generatio- nen der Verlauf der neutestamentlichen Kirche so Yorgezeichneti^ dass um das Jahr 1260 der Eintritt der entscheidungsvollen Epoche bevorsteht 0* Da aber diese Einheit des A. u. N. Testaments ihre Be- deutung nur darin hat, dass beide zugleich characterisUsch ver- schieden sind, so ist der Gegensatz von Fleisch und Geist ein weiteres Moment, auf welchem diese Weltanschauung beruht, und da der Gegensatz dieser Principien selbst nicht ohne eine Vermitt- lung gedacht werden kann, in welcher das eine in das andere über- geht, so schliesst die Zweiheit auch die Dreiheit in sich, deren Goncreter Ausdruck die christliche Idee der Dreieinigkeit ist als das höchste Princip, aus welchem alle Momente der christlichen Geichichtsanschauung zu entwickeln sind.

Wie uns schon in der alten Kirche bei den Montanisten und in der Trinitatslehre des Sabellius, sodann in einzelnen Ideen des Jo- hannes Scotus Erigena, und besonders zur Zeit Joachims selbst bei

Vater und Sohn. J^itw gecundum hune modum penonae 0t perwnae duormm tettammUorum mutuis <e vuUibua intuentur^ and nan sohtm persona penonam verum etiam muUUudo muüitudinem rapicit, ut est Bierusalem Bomanam «edetiamf Samaria ConstaniinopoUtanamf Babylon Bomanif Egyptum Ckmr HoHtinopoUtanum imperium et his «tmi/io. VgL bei Hahn a. a. 0. S. 269 f. In der Vorrede snm Psalterium deeem chordarum (so nannte er die Schrift, weil die Figur eines Psalters die beste Veranschanliohang des Mysterinins der Dreinigkeit sein sollte) cbarakterisirte er seine drei Werke so : die Concor» dia besiehe sich auf den Vater, die Expos. Apoc, die aus dem ersteren Wei^ nateendo proeessity auf den Sohn, das Psalt dec. chord. auf den h. Geist

1) Doch ftossert er sich hierüber nur so Conc. IV. bei Hahn a. a. O. 8. 282: Quantum seeundum coaptationem eoneordiae aestimare qwo^ si pax eoneedüur ab hi$ malis usqiie ad annum miUenmum dueentedmum tneoma- Hom$ dommicaej exinde ne mbüo %$ta ßani, stupeeta mihi sunt otnnmodu €t tempora et momenta. Er sah die Generationen bei Matthäus c 1. als maassgebend für die Zeit des Neuen Testaments an. Vierzig Generationen SU 80 Jahren geben die Zahl 1200. Da es aber 42 Generationen sind, so nahm er die zwei weitem als den unbestimmbaren Uebergang aus dem zweiten 9tatus in den dritten. Inter initium enim tertii Status et finem seeundi dtio- rum tempora generationum quasi communiter peraffuntur, übieunque ergo didmus: usque ad praesens, ita recipiatur, ae si toium tempus generationwn iftanun, ad quarum prope finem devenisse videmur , pro fine seeundi staiue et imtio tertii recipiatur, VgL Hahn a. O. S. 85.

469 Zweite Periode. Vierter Abeclinitt

den für häretisch erklärten Pariser Lehrern David von Dinant nd Amalrich von Bena, vielleicht in Folge der Bekanntschaft mit de& Schriften Joachims, mit verschiedenen Modificationen eine Weltn- schaoung begegnet, die wesentlich darin besteht, dass nach Haasi- gabe der trinitarischen Gottesidee der ganze Weltverlauf in drei Perioden getheilt und die Periode des Geistes als diejenige be- trachtet wird, in welcher die erst allmählig von Stufe zu Stufe tüA vergeistigende Weltentwicklung zu ihrer Vollendung kommt, lo nahm auch Joachim drei, den drei Personen der Trinitfit, Yater, Sohn und Geist, entsprechende Weltalter und Stände Cstaftu) a Der erste Stand war zur Zeit des Gesetzes, als das Volk to Herrn in seiner Kindheit noch den Weltelementen diente und St Freiheit des Geistes, die erst der Sohn bringen sollte, noch M erlangen konnte. Der zweite Stand war unter dem Evangdm, und dauerte bis jetzt als ein Stand der Freiheit, aber nar in Yer- gleichung mit der Vergangenheit, nicht in Vergle^chung mit der Zukunft. Der dritte Stand ist bis an's Ende der Welt nicht mekr unter der Hülle des Buchstabens, sondern in der vollen Freihrit des Geistes, wenn nach Entleerung und Vemicjitung des falscbea Evangeliums des Sohnes des Verderbens und seiner Propheten die, welche viele zur Gerechtigkeit unterrichten, leuchten werden, wie die Sterne des Firmaments. Der erste Stand unter dem Gesetz und der Beschneidung nahm mit Adam seinen Anfang, der zweite unter dem Evangelium mit Usias, der dritte mit dem heiligen Benedict; er wird aber erst dann in seiner vollen Klarheit erscheinen, wenn Elias geoffenbart und das ungläubige Volk der Juden bekehrt wer- den wird; dann wird der heilige Geist mit seiner Stimme das Wort der Schrift rufen : Pater et fUius uaque modo operati iuni, et ego operor. Wie der Buchstabe des Alten Testaments auf den Vater sich bezieht, der Buchstabe des neuen auf den Sohn, so das geistige Verständniss, das aus beiden hervorgeht, auf den heiligen GeisL Wie die Unterscheidung der drei Personen nach bestimmten Eigen- thümlichkeiten die Wesenseinheit nicht beeinträchtigen sollte, so sollten auch die drei Perioden nicht so geschieden sein, dass sie nicht gegenseitig in einander eingreifen. Jede Periode hat daher sowohl ihre inUiatio als ihre fiructificatio. In der ersten Periode lebte man nach dem Fleisch, in der zweiten lebt man, wie noch jetzt, nach beidem, nach Fleisch und Geist, in der dritten wird man

Joachim, Abt y. Flor. Die drei Weltperioden. 468

ach dem Geist leben. Die erste Periode nahm ihren Anfang in kdam und trieb ihre Frucht seit Abraham bis auf Zacharias, den ater des Täufers Johannes; die zweite begann mit Usia, der, ob- leich aus dem Stamme Juda, ein Brandopfer dem Herrn darbrachte, der mit der Zeit Asa's, unter welchem Elisa von dem Propheten lias berufen worden ist ; ihre Frucht aber trieb sie seit Christus, Is dem wahren König und Priester. Die dritte Periode geht von em heiligen Benedict bis zum Ende der Welt, zur Reife aber ummt sie erst mit der noch eintretenden Epoche. Den drei Pe- löden entsprechen die drei ordine$ der conjugati, der clerici und er monachi. An der Spitze der conjugati steht Adam, an der pitze der clerici Usia, an der Spitze der monachi, in deren ordo ar heilige Geist, der der Urheber der Seligen ist, vollkommene aclorität gewann, der heilige Benedict. In gewissem Sinne nahm e dritte Periode schon mit dem Propheten Elisa, in dessen Geist enedict kam, ihren Anfang. Dasselbe dreifache Verhaltniss, dessen nndtypus in allen diesen Formen die göttliche Trinität ist, stellt Ick in den drei Aposteln Petrus, Paulus und Johannes dar. Petrus qirfisentirt den Vater, Paulus den Sohn, weil er auf dieselbe Weise, ie der Sohn, nach Vollendung des Alten Testaments das Neue be- uin, nicht auf den von Petrus gelegten Grund baute, sondern selbst inen neuen Grund legte, Johannes den heiligen Geist, der zuletzt ommen und das Werk des Sohns vollenden wird. Wie Petrus als ar erste Apostel die Prärogative des Glaubens hat, so hat Paulus \b der jüngste die clatii scientiae^ und in Johannes ruht die tran^ \tUHiai der amatores Christif in welche, wenn die dem Petrus Dgewiesene Arbeit aufhört, seine ganze Succession übergehen ird. In der letzten Zeit, in welcher sich alles vollendet, tritt der eist frei hervor aus der Hülle des Buchstabens, das Evangelium as Buchstabens ist zeitlich, das Evangelium des Geistes ist das pvige Evangelium. Daher gibt es nur zwei Testamente, nicht wie rei Perioden drei, weil die dritte Periode nur die geistige Ent- Bllung dessen für das Bewusstsein ist, was in den beiden ersten iich in der Hülle des Buchstabens verborgen war 0*

1) Man vgl. die auf das Obige sich beziehenden Stellen bei Engelhardt

A. S. 70 f. und Hahn a. a. 0. S. 107 f. Die Grundanschauung, auf wel-

ler das Verhaltniss der drei Perioden zu einander beruht, ist die in he<

464 Zweite Periode. Vierter Abschnitt

Was nun aber die Verkündigung dieser dritten Periode, ia welcher der heilige Geist als das regierende Princip zu seiner vollen Wirksamkeit kommen soll, besonders merkwürdig macht, ist dien, dass die Trager derselben mit Zügen geschildert werden, in welches man schon die Mönche der bald nachher entstandenen Bettelordeo Yor sich zu sehen glaubt So natürlich es ist , dass auch Joachia kein höheres Ideal zur Reform der Kirche sich denken konnte, ab die Vollkommenheit des Mönchslebens, so überraschend ist es, «n- mittelbar darauf das durch Mönche verwirklicht zu sehen , was es für die erste Bedingung des Eintritts einer neuen Periode erkUrt hatte. Mönche sollen die rirt tpirifuaUu sein, durch welche in der letzten Weltperiode das im Grossen vollendet werden wird, bisher nur in einigen wenigen seinen Anfang genommen hat AmA als praedicatorei bezeichnete er sie, und sie sollten in der hbEtai

stimmten Momenten fortschreitende Aafhebang des Sinnlichen dorch göttlich Geistige. Der Sohn und der Geist bilden bald sasammen den Cto- gensatz gegen den Vater, bald werden sie in sich selbst nnterschiedes. Der Vater ist das principium ^»rmctpaJs, der Bohn und der (}eiflt sind die prindpia de prineipio. Sehr schön beseichnet Joachim Conc 5, 6S ^ dreifache Stufenfolge so : In primo itatu tanquam in proßmdae nodu es- Ugine oMtennaa est myiUrium regni Dti, in stcwado da/ndt %U in ourerSi in tertio spUnd^itf qutui in perfecta die, Nam et qpera jfnrimi attUus ob§eun fuerunt valde^ opera secundi inter tUrumquef opera tertii lueida et tnan^este. Die Periode des Vaters ist von dem Gefühl der Furcht beherrscht, weil Gott nur als der Mächtige erscheint, als der schreckliche Gott der Gerichte. Um daher den Schrecken, welchen der Vater gezeigt hatte, durch barmhersige Liebe zu mildem, das durch den Vater in der Menschheit begonnene Werk der Offenbarung zu vollführen, nimmt der Sohn die menschliche Natur in der Einheit der Person an, der heilige Geist die Gestalt der Taube als eine Figur auf die heilige Mutter Kirche, da diese als in der Zeit fortschreitend nicht in Einem Moment sich darstellen liess. Wie der Sohn in der eon- eummatio corporis euif quod noB tumue, ein Ende hat, so der heilige Cteiet in effusione donorum, Fsalt dec. chord. 238, 2. 3. Aber auch das Zeit- alter des Geistes muss aufhören, um dem ewigen Beich Gottes Platz sv machen. Expos. Apoc. 142 : pro eo, quod Deua trinit€U est, in tribtu magvi» eertaminihtis oportebat disaolvi regnum mwndi hujus a compage $%jm , ti/ Jis- tueretur perpettatm regnum Dei. Der Zweck der ganzen Weltgeschichte ist die Entwicklung der Trinitätslehre zu ihrer vollen Realität, sowohl Ausser- lieh im Weltverlauf, als innerlich im Bewusstsein, wenn dem erkennenden Geist die Dreiheit der Personen zur Einheit des Wesens sich zusammen* schliesst Die notitia tmiu$ eseeniiae ist die conwmnuUio veritaüe.

Die Weifsagnngen Joachim*« von Florig. 465

Zeit, zur Zeit der Fülle der Völker dazu auftreten, um die Ueber- reste der Juden zu dem Herrn zu bekehren. Ein Vorbild von ihnen sah er in den zwölf Mönnem, welche nach der Ap.gesch. c. 19, 1 f. durch die Handauflegung des Apostels Paulus den heiligen Geist gerade in der Stadt empfingen, in welcher Johannes so lange ge- lebt hat und zu seiner Ruhe eingegangen ist. Etwas Aehnlichea habe im Beginn des dritten itatus in einem ordo monachorum sei- nen Anfang genommen 0* Wenn einst, wie die Kirche glaube, Enoch und Elias kommen, werden auch wieder zwölf Manner gleich den Patriarchen und Aposteln zur Predigt für die Juden gewählt werden und es werden zwölf herrliche Klöster gleich den zwölf Stimmen und den zwölf apostolischen Gemeinden sein. In diesem Zusammenhang schien ihm schon die grosse Bedeutung, zu welcher damals der Cistercienserorden gelangt war, eine gewisse Beziehung auf dieses grosse Mysterium zu haben, und nur diess machte ihn noch etwas irre, dass die fünf Hauptabteien dieses Ordens den fünf petrinischen Gemeinden Cl Petri 1, 1), die mit den sieben johan- naschen die Zwölfzahl bilden und den letztern der Zeit nach voran- gehen, zu entsprechen scheinen; es müsste denn nur sein, meinte er, dass in Gemässheit der durch den heiligen Geist erfolgenden Ver- indemng das Erste das Letzte und das Letzte das Erste wird. In den höchsten Ausdrücken spricht er von einem ordö, der als das heilige Volk, als der ordo pastorum auf der ganzen Erde herrschon und von welchem das Wort des Herrn durch den Propheten Nathan gelten werde: Ich will sein Vater sein und er soll mein Sohn sein. Wie er in solchen Hinweisungen auf eine nahe grosse Epoche schon das im Auge gehabt zu haben scheint, was in den beiden Bettel- orden zu seiner wirklichen Erscheinung kam, so spricht er bedeut- sam auch von zwei ordinet dieser Art. Zwei Engel werden nach Sodom gesendet, gleichsam als Moses und Elias, weil es zwei Arten der sphituales tiri gibt, die als tätimi praedicatores von Gott in die Welt ausgesendet werden; die Einen gleichen dem Moses als dem Führer und Vorsteher des geistigen Volks in der Wüste, die Andern dem ein einsames Leben führenden Elias. In diesen viri

1) Der dritte atatus ist jam non, 9ub velamine lüterae , sed in plena Bpirkus Ubertate, In dem ordo der Mönche realisirt sich diese Periode. Da- her war der h. Benedict daza gesandt, tU ederet inspirante Deo regtdam unUaHs et eharUaUs et dairet muUis frtUribue legem eommunem, Baar, K.a. d. Mittelaltai. 30

466 Zweit« Periode. Vierter Abeohnitt.

tpMiualei heisst der Sohn selbst mit dem heiligen Geist die Gottes- fürchtigen, die Loth repräsentirt, aus der Mitte der Sünder aus- gehen. Die beiden Söhne der Töchter Loths von ihrem Vater re- präsentiren duo novUshnot ardinei, ypn welchen der eine die Laien, der andere die Kleriker in sich enthält; beide leben r«fute- riier^ aber nicht in der Form der mönchischen Vollkommenheit, sondern nach der Anweisung des christlichen Glaubens, oder naek jener allgemeinen Regel , welche die Glaubigen nach der Apostd- geschichte (4, 32) befolgten und von welcher auch Verhmathele nicht ausgeschlossen waren. Auch Petrus und Johannes sind die Typen der beiden ehrwürdigen ardinet, durch welche die Kirche fort und fort mit dem Worte des Heils beglückt wird, die arüm der Kleriker und der Mönche. Die Zweiheit musste in den beita Zeugen der Apokalypse , in dem Glauben an die Wiederkehr ta Enoch und Elias, in der Gegenüberstellung des Moses und Elias, n der Bedeutung, die er den beiden Aposteln Petrus und Johamm gab, in dem Unterschied der Kleriker und der Mönche, als der bei- den Stände, von welchen der eine das praktische, der andere das der letzten Periode vorzugsweise vorbehaltene contemplative Lebet in sich darstellt^ von selbst seiner Anschauung sehr nahe liegeih man kann aber auch darin nur eine eigenthümliche Vorahnimg der Zukunft sehen, und wenn in der Folge auch wirklich die beiden Bettelorden im Allgemeinen durch dieselben Züge sich von ein- ander unterschieden, welche er an seinen beiden ordinei hervorhob, so erhellt auch hieraus, dass ein solches Zusammentreffen mit der Wirklichkeit nicht etwas blos Zufälliges war, sondern seinen tiefem Grund in der Natur der Sache selbst hatte 0*

Die Weissagungen Joachims sind^ so aufgefasst, in der That nichts anders als der Ausdruck dessen, was als allgemeine Zeitidae jene Zeit in ihrem tiefern geistigen Grunde bewegte und was anch in den beiden Bettelorden nur darum zur geschichtlichen Erschei- nung sich verwirklichte, weil die Stifter derselben von demselben Gedanken tiefer ergriffen waren. Auch sie waren es sich bewusst, dass die Kirche einer wesentlichen Reform bedürfe, dass sie nur aus dem Mönchsleben hervorgehen könne, dass aber auch das Mönchsleben selbst erst nach dem Vorbild des apostolischen Lebeos sich erneuern müsse.

1) VgL Enoslhasdt a. a. O. S. 75 f. Hahn S. 119 t

Joachim toh Floris. Der heilige Franoiskns. 467

Wie einst der heilige Antonius durch das Evangelium vom reichen Jänglingzu dem Entschluss erweckt worden war, alles, was er hatte, den Armen zu geben und jedem irdischen Gut und Besitz entsagend das Vorbild jener streng ascetischen und von der Welt abgeschiedenen Lebensweise aufzustellen, in welcher er als der Vater der Mönche eine so zahlreiche Nachfolge hatte, so war es das Wort, mit welchem Jesus seine Jünger aussandte, um das Reich Gottes und Busse zu predigen CMatth. 10, 9 fO, worin der heilige FranciskusO) als er es ans dem Evangelium vernahm, den ihm von dem Herrn gegebenen Beruf erkannte. Sobald er die ersten Jünger am sich gesammelt hatte, sandte auch er sie aus in die Welt ohne Hab und Gut, ohne Tasche, ohne Schuhe, ohne Stab. Hatte man bisher die höchste Vollkommenheit des christlichen Lebens in die mönchische Armuth und Weltentsagung gesetzt, so konnte man jetst nicht mehr dabei stehen bleiben; die evangelische Armuth sollte selbst nur das Mittel sein, um als hohem Zweck das zu erreichen, was jetzt als das grösste Bedürfniss der christlichen Kirche erschien, dlaForm, in welcher die Kirche zu der Reinheit ihres apostolischen KrMds erneuert werden sollte. Wie wenn das Evangelium aufs Nene der Welt verkündigt werden müsste, sollten neue Junger aus- gehen, um das Reich Gottes zu predigen und den Ruf zur Sünden- ▼ergebenden Busse auf ganz andere Weise, als es bisher den Kleri- kern und Mönchen gelungen war, an die Herzen der Menschen gelangen zu lassen. Wenn auch diese neuen Bussprediger nur eine neue Form des Hönchslebens waren, da auch sie durch die- selben Ordensgelübde sich verpflichteten, wie die bisherigen Mönchsorden, so waren sie doch eine von allen bisherigen wesent- lich verschiedene neue Gattung von Mönchen, und es lag in der Art und Weise ihres Auftretens die thatsächliche Erklärung, dass auch die Mönche die eigentliche Aufgabe ihres Standes erst dann erfüllen, wend sie, statt sich von der Welt abzuziehen und nur sich selbst zu leben, unter Beibehaltung derselben Grundsätze vielmehr nach acht apostolischer Weise für die Zwecke des Evangeliums in der Welt zu wirken suchen. Zu diesem Fortschritt trieb von selbst das Bedürfniss der Zeit. Die Anerkennung der Nothwendigkeit einer Reform der Kirche sprach sich eben darin aus, dass man sich

1) HiUEf Franz von Aisiti, ein Heiligenbild« 1856.

30»

468 Zweite Periode. Vierter Abiohnitt

gedrungen fühlte, ans der Gegenwart in die Vergangenheit zth rückzusehen, und in dem apostolischen Vorbild der ersten Jünger den Beruf zu erkennen, welchem man sich zu widmen habe. Ab Prediger wollte ja auch Joachim die Spiritualen der neuen Periode betrachtet wissen, obgleich sie vorzugsweise die Juden bekehres sollten, und noch weit entschiedener hatten schon yor dem heiligen Franciskus die Waldenser beides in die engste Verbindung mit em- ander gesetzt, die evangelische Armuth und die apostolische Predigt Dass eine Idee, welche damals in dem allgemeinen Zeitbewosstsdn so viele Anknüpfungspunkte hatte, in Franciskus gerade durch im Einfluss der Waldenser angeregt worden ist, lasst sich nicht be- haupten ; ohne Zweifel aber hatte die Bereitwilligkeit, mit welcher die neuen Orden 'Von den Päpsten anerkannt und bestätigt wmrdei; hauptsächlich darin ihren Grund , dass sie den besten Ausweg te- zubieten schienen, um Ideen, die schon zu emer Macht der Zeit ge- worden waren, aber auch sehr leicht, wie man schon an den Wil- densem sah, e\ne der Kirche gefährliche Richtung nehmen konateo, so weit zuzulasser^, als es das Interesse der Kirche gestattetei ms sie zugleich innerhalb der Schranken zu halten, die nicht fiber- schritten werden durften. Ging bei dem heiligen Franciskus die Ueberzeugung, dass die Kirche zu ihrer Erneuerung einer neuea apostolischen Wirksamkeit bedürfe, aus dem Innern Drange seines erweckten Gemüths hervor, aus der unendlich seligen Befriedigung, die er in der Armuth fand, als 99 dem verborgenen Schatz, für wel- chen man alles daran geben müsse, der königlichen Tugend, in welcher man des Gottessohns, der sich arm für uns gemacht, and seiner armen Mutter Bild an sich trage«« , so wurde dagegen dem heiligen Dominikus die Nothwendigkeit dieses Wegs vor allem durch die Gefahr nahe gelegt, welche der Kirche nicht Mos von den Wtl- densern, sondern noch weit mehr von den gefährlichsten Gegnern, den Katharern, drohte. Die völlige Erfolglosigkeit aller päpsUichen Bemühungen zur Bekehrung der Ketzer brachte ihn zuerst auf die Idee seines Ordens. Die Einwendungen der Ketzer, die ihren Be- kehrern ihre Ueppigkeit und Prunkliebe und ihre schlechten Sitten vorhielten, schienen dadurch allein abgeschnitten werden zu können, dass man ihnen mit der Demuth und Einfachheit des apostolischen Berufs entgegentrat. So wurde derselbe Ausspruch Jesu, der auf Franciskus einen so tiefen Eindruck gemacht hatte, auch für Domi-

Der heiL Franoiskns n. der heil. Dominiktie. 400

nikos die maassgebende Norm. Beide Orden ffingen aus derselben Grandaoschauang, derselben Auffassung des christlichen Berufs hervor. Entsagung und Armuth, völlige Verzichtleistung auf Besitz und Eigenthum sollte der erste Grundsatz des ächten Jüngers Christi aein , aber nicht um dadurch nur sich selbst etwas zu verdienen und für seine eigene Seligkeit zu sorgen, sondern um im Geiste der apostolischen Mission für das Heil Anderer zu wirken und ächten Busseifer in der Welt zu wecken. Gleichwohl lag aber auch gleich anfangs sowohl in der Art, wie beide Orden ihre Auf- gabe anffassten, als auch in der Individualität der beiden Ordens- alifter der Grund zu einer charakteristischen Verschiedenheit 0- Ea ist in der That derselbe Unterschied, welchen schon der Abt Joachim bezeichnen wollte, wenn er von seinen beiden ordines als den eleriei und monachi oder als den derlei und laici sprach. Die Do- minikaner konnten ihren clericalischen und durch den Zweck der Ketaserbekehrung bedingten Ursprung nicht verlängnen. Der evan- gelische Armuthssinn hatte für sie nicht dieselbe wesentliche innere Bedeutung, wie für den heiligen Franciskus, sondern mehr nur eine seeandäre und äusserliche; er war für sie nur das Mittel für ihren eigentlichen Zweck, wie sie ja auch erst mehrere Jahre nach der Stiftung ihres Ordens auf ihrem ersten Generalcapitel im Jahr 1220 die Grundsätze des heiligen Franciskus über die evangelische Ar- math auch zu den ihrigen machten und sich ausdrücklich zu ihnen beicannten. Was bei dem weichen, gefühlvollen, phantasiereichen Franciskus Sache des Gemüths und innigste Herzensangelegen- heit war, war bei dem kalten, ernsten und strengen Dominikus eine einfache Verstandesreflexion, und wie Dominikus von der Ketzer- bekehrung aus Ordensstifker geworden war, so betrachteten sich seine Ordensgenossen als diejenigen, welche vorzugsweise die Aufgabe haben , die Wahrheit des christlichen Glaubens innerhalb und ausserhalb der christlichen Kirche durch Widerlegung und Bekämpfung alier Andersdenkenden zu vertheidigen und über der Reinheit der Lehre zu wachen. Da alles , was sich auf die Lehre bezieht, das den Cleriker von dem Laien unterscheidende Attribut ist, so liegt hierin der Grund der gemessenen, strengen, bei aller Demuth sogar vornehmen Haltung, die zum Charakter der Domini-

1) Vgl. Hase a. a.' O. 69 £1

470 Zweite Periode. Vierter Abiehniti

kaner gehörte, während dagegen die Franciskaner schon nach der IndiTidoalital ihres Stifters alle Anlage in sich hatten, der populäre, volksthümliche , acht humane, die Sympathie für alle Menschea- olassen und alle menschliche Bedürfnisse in sich tragende Orden si werden. Statt für das Heil der Seelen vor allem durch die Abwekr von Irrthümem zu sorgen, sahen die Franciskaner die Hauptaufgabe ihres Ordens in dem praktischen Zweck der Ermahnung zur Busse, und da der Weg der Busse für alle, die nach dem Himmel streben, derselbe ist, so waren auch sie es zuerst, die ihrem Orden durch Errichtung sowohl eines zweiten weiblichen, als auch eines drittel, des tertiuB ardo de poenitentia , der Tertiarier oder der firatru conversi eine so viel möglich weite Ausdehnung zu geben sucUa So bildete sich in jedem dieser beiden Orden bei aller Gleichartigiet ihres Ursprungs und Zwecks eine eigenthümliche Individualitat oi, die auf verschiedenen Punkten, im Dogma, im Cultus, in ikiet ganzen Stellung zu Papst und Kirche sehr charakteristisch hervoi- tritt und in allen diesen Beziehungen immer wieder dieselben Grundzüge an sich trägt

Wie die beiden Orden aus dem lebhaft gefühlten Bedurfaiis einer allgemeinen, auf das sittlich religiöse Leben gerichteten Re- form der Kirche hervorgingen, so lässt sich nicht verkennen, dass sie diesem Interesse hauptsächlich die weite Verbreitung und grosse Bedeutung, zu welcher sie in so kurzer Zeit gelangten, zu ver- danken hatten. Fragt man aber nach dem Erfolg ihrer Reformbe- strebungen und vergleicht man zur Beantwortung dieser Frage die Zeit ihrer Entstehung mit der spätem, in welcher sie schon hin- längliche Beweise ihrer Wirksamkeit gegeben hatten, so sieht man sich in allen Erwartungen, die man von ihnen haben mochte, so sehr getäuscht, dass sich an der Geschichte der beiden Orden viel- mehr nur der immer allgemeinere Verfall der Kirche, und zwar m meisten in der Beziehung, in welcher das kirchliche Leben durch sie erneuert werden sollte , verfolgen lässt. Die Ursache dieser Erscheinung liegt so offen vor Augen, dass sie nicht im Geringsten befremden kann. Hatten die beiden Ordensstifter die ernstlich ge- meinte Absicht, die Kirche auch nur so weit, als ihnen nöthigza sein schien, zu reformiren, so durften sie sich nicht scheuen, um dem Uebel da zu begegnen, wo es seinen tiefsten Sitz hatte, sich zu Papst und Hierarchie in ein gegensätzliches Verhältniss zusetzen.

Dominikaner und Franciskaner. 471

Diefls War jedoch go wenig der Fall , dass vielmehr die unbeding- teste Treue und Unterwärfigkeit gegen den Papst und die römiache Kirche die erste Pflicht der Ordensgenossen warO- Die Folge hieven war, dass, während die päpstliche Bestätigung und Begünsti- gung wesentlich dazu beitrug, den durch die neue Idee einer apo- ftoUfchen Wirksamkeit in's Dasein gerufenen Orden den grössten Binfluss zu verschaffen, dagegen auch die Hierarchie alles, was Re- formatorisches in ihnen lag, an sich zog, und für ihre Zwecke ver-

1) Es ist auffallend, wie wenig auch bei Franciskns nur eine Spur roh Opposition gegen das seiner Annnthsidee Hohn sprechende Papstthmn sieh aeigt Eine solche mochte freilich seinem kindlich weichen, nur in der Liebe ap seinem Herrn , dem armen Gottessohn, lebenden Gemüth fem liegen. Verbot er doch sogar seinen Jüngern, ein ernstes Wort an die Beiohen and Ueppigen zu richten (Hase a. a. O. S. 59). Wie will, man aber den ungeheuren Eindruck sich erklären, welchen seine Armuthspredigt auf die ganze christliche Welt machte, wenn man in ihr nicht eine Anti- fheae gegen das Papstthum sah? Der weltlichen Herrlichkeit, sagt man, kibe Franciskus die Weltentsagung nicht entgegen, sondern nur ergänzend nr Seite gesetzt (Hase a. a. O. S. 49). So ist es ; aber was ist damit ge- §Mgi7 Stehen Armuth und Weltlichkeit nur ergänzend neben einander, so ist es weder der Armuth mit ihrem evangelischen Armuthssinn sehr ernst, noch darf es der Weltlichkeit vor einer solchen Armutb sehr bange sein. Beide yertragen sich so gut, dass die Armuth selbst nur eine andere Form der Weltlichkeit wird. Auf ein solches Capituliren war es ja auch von An- üuig an abgesehen, wenn man bei der päpstlichen Berathung der Regel zwar nicht sagen wollte, die evangelische Vollkommenheit, die sie vorschreibe, sei etwas Neues oder Unvernünftiges und Unmögliches, aber doch der Mei- nung war, sie sei zu hart und man müsse auch die in Betracht ziehen, welche kfinitig dieser Bahn folgen werden (Hase a. a. O. S. 38 f.). Dieselbe Kirche, die mit ihrem Reichthum in Misscredit gekommen ist, will es jetzt mit der Armuth versuchen, um auch mit diesem Namen die Seelen der Glaubigen an sich zu ziehen. Nur sollte sich die Armuth auch zu bescheiden wissen. Sicher wollte der scharfsichtige Innocenz IH., nachdem einmal die evange- lische Armuth durch Franciskus das Losungswort der Zeit geworden war, der lästigen Consequenz, die für die Kirche darin lag, begegnen, wenn ar, •tatt den neuen Orden förmlich zu bestätigen, vielmehr auf der Lateransjn- ode im Jahr 1215 die Verordnung gab, damit nicht die zu grosse Ver- achiedenheit der Mönchsorden eine schwere Verwirrung in die Kirche Gottes bringe, solle fortan Niemand eine Ordensregel erfinden, sondern wer sich sum Mönchsleben bekehre, eine von den anerkannten Regeln annehmen. Gegen wen anders kann dieser Kanon gerichtet sein, als gegen die neuen Armuthsprediger ?

47S Zweit« Periode. Vierter Abiohnitt

wandte. Die Orden wurden eine Macht, die sich swifchen dii Papatthum und die yon demselben abhängige Kirche stellte, um wt der einen Seite die Zägel der papstlichen Herrschaft selbst in de Hand zu nehmen, auf der andern im Dienste des Papatthums die Schranken vollends zu beseitigen, die der päpstlichen Gewalt nadi entgegenstanden, und ihren Einfluss auch auf solche VerhUtnbee aoaxudehnen, in welche sie bisher noch weniger einzudringen ter* mochte. Seit ihrer weitem Verbreitung wurde es zur slehendea, immer lauter erhobenen Klage, dass die Bettelmönche in alle kirchlichen Gebiete eingreifen und durch ihre päpstlichen PriTi- legien die verfassungsmässige Ordnung der Kirche mit der grösetea Willkür stören, indem sie planmässig darauf ausgehen, das Ansehes der Diöcesanbischöfe zu untergraben , ihre Rechte an sich zu mh Ben und die Glieder der Gemeinden von ihren eigentlichen fflrtn und Seelsorgern abzuziehen. Da sie in allen Streitigkeiten, ia it sie verwickelt wurden , stets der kräftigsten Unterstützung foa Seiten der Päpste gewiss sein konnten , so wurden sie nur die Werkzeuge, durch welche der auf den Völkern lastende Druck der päpstlichen Herrschaft in's Maasslose verstärkt wurde, und zwar nicht Mos in materieller, sondern noch mehr in geistiger Beziehnngi da sie als Seelsorger, Beichtväter, Gewissensrathe und unter ver- schiedenen andern Namen das Netz ihres klug entworfenen Systems auch über die Gewissen der Laien und ihr inneres geistiges Leben auszuspannen wussten 0- Indem sie auf diesem Wege einer die Gemtither innerlich bewältigenden Macht die papstliche Herrschaft auch nach dieser Seite hin mit methodischer Consequenz zu be- gründen suchten, waren sie mit Einem Worte die achten Vorläufer der Jesuiten.

Demungeachtet fügte sich der von dem heiligen Franciscus in seinen Ordensgenossen geweckte Geist nicht so willig in das System, das auch von ihnen die unbedingteste Unterordnung und Hingebung verlangte, dass nicht der der ursprünglichen Tendenz nach that- sächlich vorhandene Gegensatz auch äussere Conflicte hervorge- rufen hätte. Zweierlei wirkte hauptsächlich dazu mit: der noch zu

1) In England war es nach kaum 24 Jahren, seitdem sie daselbst sich festgesetzt hatten, schon so weit gekommen, dass, wie Matthäus Paris zum Jahr 1243 bemerkt, nuUus ßdeUs, nisi Fraedicatorum et Minorum regatw consiUUf jam credit acdvari.

Bpirit y«relir. n. Wnndenmale des h. Francisküs. 473

Lebzeilen des heiligen Franciskns selbst in dem Orden entstandene Gegensatz einer mildem und strengern Partei und der schwärme- rische Geist, der, wie er zur Eigenthümlichkeit des Ordensstiflers ^hörte, so von ihm auch auf viele seiner Jänger überging. Da die Papste, nachdem einmal in dem Orden selbst die Neigung her- Torgetreien war, das strenge Gelübde der Armuth, deren über- spannte Forderung von selbst zu einer Ermässigung zu berechtigen schien, zu mildern , sehr natürlich auf die Seite der mildern Partei traten und derselben sehr bereitwillig mit Concessionen entgegen- kamen, welche ganz geeignet waren, den Contrast der evangeli- schen Ordensarmuth mit der weltlichen Richtung des Papstthums weniger auffallend zu machen, so zogen sie sich dadurch nicht nur den Unwillen und Hass aller derer zu, welche die Ordensregel in ihrer ursprünglichen Strenge aufrecht erhalten wissen wollten, sondern sie halten auch diesen Gegensatz um so ernster zu nehmen, da das sohwfirroerische Element, das diese Spiritualen in sich hatten, audi ihre Opposition gegen die Papste um so schärfer und energischer «achte. Charakteristisch ist auch in dieser Beziehung die enthusi- astische Verehrung, die man gegen den heil. Franciskus hegte und aaf einen so hohen Grad steigerte, dassman in ihm gleichsam Christus sellwt wiedererscheinen sah. Zunächst waren es nur die Wunden- nale Christi, die heiligen Stigmata, die auch er an seinem Leibe an Händen und Füssen an sich tragen sollte. Ohne Zweifel sollten sie ursprünglich nur den tiefen Ernst bezeichnen, mit welchem der heilige Franciskus zur Erweckung der Busse sich ganz in das Leiden Christi versenkte. Wer nach dem Geiste jener Zeit auf die rechte Weise seine Sünden abbüssen wollte, musste ja selbst plagU rtil- nmrari, um sich mit dem Gekreuzigten Eins zu wissen, und aus seinem Leiden und Tod den Trost der Vergebung zu gewinnen. Es ist nur der gesteigerte Ausdruck für dieses Bewusstsein der Ein- heit mit Christus, wenn Christus selbst dem heiligen Franciskus er- achienen sein sollte, um ihm seine Wundenmale einzudrücken

1) Vgl. über diese Wandenmale Hase a. a. O. 8. 121 f. 143. Hase hat denaelben eine eigene Untersuchung gewidmet, deren Resultat ist: die Grund- lage aller spätem Vorstellungen ist das Schreiben, in welchem Elias von Cortona als Generalvicar den Brüdern in Frankreich den Tod des hl. Fran- eiacus gemeldet hat. Auf dieses weltklugen Mannes Zeugniss ist die Wahr- heit dieser Wundmale gestellt, und es ist beides möglich, dass er eine Er-

474 Zweite Periode. Vierter Abeohnitt.

Wir einmal FrancisknB in diesem Sinne ein leibhtftiget AUhU Christi, so konnte ja auch seine ganze Erscheinung überhaupt omI der Zweck, welchen er sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hiAe, unter den Gesichtspunkt derselben Anschauung gestellt werden. Je bedeutungsvoller die Idee war, die Franciskus sueral aussprack und durch die Stiftung seines Ordens zu realisiren suchte, je Uarer sie das in sich begriff, was als der ursprüngliche Ausdruck des christlichen Bewusstseins angesehen werden musste , omsonikr lag es, die Erscheinung des Franciskus selbst als eine neue Offeid»- rung, einen neuen Act der erlösenden Gnade Gottes, als eine neie eyangelische Botschaft zu betrachten. So fasste schon BonayentBi fai seiner Vita Francisci das Leben dieses Bervu$ Det auf, und weai er die evangelische Armuth, zu welcher Franciskus das Lebes der Christen zurückführen wollte, um den allgemeinen Zustand der im Idee so wenig entsprechenden christlichen Kirche nach dem UAU dessen zu reformiren, der selbst arm und niedrig gelebt hatte, treffeal als das ChrUto conformter vivere bezeichnete, so war diess anck schon der verroittehndeUebergang dazu, diese Conformitdt mtt(äii- stus in dem heiligen Franciscus selbst anzuschauen. Diese Uee ergriff die Phantasie der Franciscaner , um sie zum concretestes Ausdruck der schwärmerischen Verehrung, von welcher sie gegen ihren Ordensstifker erfüllt waren, auszubilden. Noch ehe derFraa- dscaner Bartholomäus Albicius in dem im Jahr 1385 erschie- nenen Liber conformttatum dieConformitatdes heil. Franciskus mit Christus in einer Reihe der kleinlichsten und spielendsten Zuge in einer Weise durchzuführen unternahm, die vollends jede Schranke des Unterschieds zwischen beiden aufhob, hatte der Ordensbruder Ubertinus de Casali um das Jahr 1312 in seiner Ärbar vitae crucifixae die BimUitudo conformitatU unter vier Kategorieen ge- bracht, welchen zufolge das veatighim conversationisj das fattir gmm contemplatwnis, das prodigium admiratiomi und das |»riri- legmm conngnationis ttUnerum die vier Merkmale waren, die den heil. Franciscus zum signactdum similitudinU vitae Christi machten.

dichtoog den Brüdern in der Feme berichtete, von denen sie als Thatudie nach Assisi zurückkam, oder dass er selbst in der Sterbenacht zn Portitmcoli) in welcher er bei Franciscus war und den Leichnam ganz in seiner G^wal' hatte, die Wundmale eingeprftgt habe. Auch das Letztere hält Hase fBr möglich und nicht für unwahrscheinlich.

Der heiL FrAnoiskus. Seine Verehrnng u. Wandenmale. 475

Durch die $aera itigmata j von welchen diese Anschauung ausge- gangen war, wurde somit zuletzt nur noch das Sigel der Bestflti- gang der CoHformitat aufgedrückt, welche Franciskus zuvor schon durch seine acht evangelische Armuth, sein contemplatives Leben, wid die von ihm verrichteten Wunder mit Christus hatte. Denn auch in den Wundem durfte er Christus nicht nachstehen, auch er iollte alle Arten von Krankheiten und Gebrechen geheilt, Todte auferweckt und die ganze Creatur mit seinem Winke so regiert haben, wie wenn in ihm der Stai\^ der Unschuld wiederhergestellt worden wöre. Daher sah man in ihm auch den ersten Menschen erneuert, welchen Gott nach dem Werke der fünf Tage zu seinem Ebenbild als den Herrscher für alle Zeiten geschaffen hat Alles dieaa soll den heiligen Franciskus als denjenigen darstellen, welcher all der prtnctpa/ts hujuB tetnporis refortnator, wie er genannt wird, dazu gekommen ist, durch die von ihm begründete Lebens- weiie, als die reformatio vitae Christi, die Kirche zu reformiren nd sie zu ihrer urbildlichen Würde und Bestimmung zurückzu- fahren.

Die Conformität und Identität mit Christus ist der höchste Aus- druck für die Bewunderung und Verehrung, die man gegen den heiligen Franciscus hegte. Je mehr man sich aber in diese An- adiauung vertiefte, um so mehr musste man auch von den apoka- lypUschen Ideen angezogen werden, die durch Joachims Schriften und Weissagungen verbreitet, ohne Zweifel schon damals viele Ge- müther tief ergriffen hatten. Es berührten sich daher die beiden verwandten Ideenkreise, und da nun der heilige Franciskus in die Chronologie der apokalyptischen Weltanschauung hineingestellt werden musste, so modificirte sich dadurch auch die Anschauung von seiner Person und Erscheinung. Der von Joachim geweissagten künftigen Weltepoche gegenüber konnte er nur als der Vorlaufer und Verkündiger derselben betrachtet werden. So fasste ihn schon Bonaventura auf als den von Gott bestimmten Praecursor, welcher in der Wüste der tiefsten Armuth den Weg bereiten und durdi Beispiel und Wort Busse predigen sollte. Er ist der im Geist und in der Kraft des Elias Kommende, ein anderer Freund des Bräuti- gams neben dem Apostel und Evangelisten Johannes, aber auch jener Engel, welchen der Seher der Apokalypse C7, 2) bei der Eröffnung des sechsten Sigels vom Aufgang der Sonne mit dem

476 Zweite Periode. Vierter Abeebniit

Zeichen des lebendigen Gk)ttes aufsteigen sab. Eben diese apoki- lyptiscbe AnfTassung war es nun aber auch , in welcher nach der in dem Orden entstandenen Spaltung die mit den Päpsten zerfalleneR Spiritualen eueren Name gleichfalls auf die yon Joachim verUi- digte Geistesepoche hinweist) den willkommensten Anknflpfungi- und Stützpunkt für ihre Oppositionstendenz fanden, indem sie mr dieselbe Richtung weiter verfolgen und den noch unbestimmten Ai- deutungen Joachim's eine concretere Beziehung auf die Zeitge- schichte geben durften. Wie Joachim's prophetischer Geist sich der Apokalypse zugewandt hatte, so war es nur eine Nachahmang seiner Methode und Darstellungsweise, wenn papstfeindliche Spni- lualen dem Joachim'schen Commentar aber die Apokalypse Coih mentare über die Propheten Esaias, Jeremias, Ezechiel, Daniel nr Seite setzten, um in der Form der Weissagung die Zustände to Kirche in dem trübsten, auf eine nahe grosse Ifotastrophe himra- senden Licht erscheinen zu lassen. Aber auch die Schriften J^ achim*s selbst enthielten so Vieles, was, sobald es nur unter den zeitgemässen Gesichtspunkt gestellt war, für denselben Zweck be- nutzt werden konnte. Diese Tendenz hatte der Inirodudariui in evangelium aetemum $eu in libros aöbatU Joachim, welchen der Bischof von Paris aus Veranlassung des Streits, in welchen die Pariser Theologen seit dem Jahr 1252 mit den Bettelmönchen yer- wickelt waren, an Papst Innocenz IV. im Jahr 1254 sandte. Zar Untersuchung der Schrift wurde eine aus mehreren Cardinälen be- stehende Commission niedergesetzt, nach deren Gutachten der Nachfolger des Papsts Innocenz IV., Papst Alexander IV. die Ent- scheidung gab, dass die Schrift unterdrückt werden solle. Soweit wir ihren Inhalt kennen, bestand er wesentlich aus Sötzen, die aas den Schriften des Abts Joachim genommen waren, und die Haupt- ursache des Anstosses, welchen man an ihr nahm, lag in der Joachim zugeschriebenen Behauptung, dass das Evangelium Christi in seroer bisherigen Form aufhören und dem ewigen Evangelium des heü. Geistes Platz machen müsse. Der Introductorius enthielt nichts, was sich nicht principiell auch in den Schriften des Abts Joachim nachweisen lässt; nur war alles, was ein besonderes Zeitinteresse hatte, bestimmter ausgedrückt und naher modificirt, um es theils in Gegensatz zur römischen Kirche zu setzen, theils ihm eine spe- eielle Beziehung auf die Bettelmönche und insbesondere den Orden

Apokal. KLehtmig d. Bpirtt. IntrodnotorinB in er. «et 477

des heil. Franciscus zu geben. In diesem Sinne wurde auch die Schrift ein introductorha in etangelium aeternum genannt; sie lollte durch genauere Bestimmung dessen, was Joachim noch nicht so klar ausgesprochen hatte, eine Einleitung in die Lehre vom ewigen Evangelium sein, wie sie in den Schriften des Abts Joachim enthalten war. Liess Joachim die dritte Periode, die des Geistes, aar als die vollkommene auf die noch unvollkommene zweite, die des Sohns, folgen, so wurde dagegen im Introducterius in be- itioiniten Sätzen gesagt: Quod evangelmm ChrUti non e$t evan^- fMum regni, et ideo nan est aedißeaJorivm; quod novum Testa-' flMififm est etacuandum Heut vetus est etacuatum; quod notum TBoiamentum non durabii in tirfute gua, nisi per $ex annoa usque mi annmm Christi incamationi$ 1260; quod adveniente etangelio OfMtuM sancti, nve cUnrescente opere Joachim Cdas das ewige Evan- gdiain des hl. Geistes genannt wird) evacuabitur evangelium Christi. Hatte Joachim es vermieden, sich in einen directen Gegensatz zur Tonischen Kirche zu setzen, so sehr auch die Consequenz aus sei- nen Prämissen sich von selbst ergab, so ging dagegen der Intro- dncCorius auch darin weiter, wie besonders aus dem Satze zu sehen ist: Quod ipiritnaUi inielligetitia novi testamenii non est com'' iKiieea papae romano, sed tantum literaüi. Et per hoc datur in" MUgi, qtiod ecclena romana non potest judicare de ipiriiuali tn- teiliffentiaf et si judicat, temerarium est ejuBJu^cium, ei ei non eei aequie$cendum, quia ecclesia romana, ut dicunt, ammali» e$t, nan gpiritualis. Charakteristisch ist sodann noch besonders die Bestimmtheit, mit welcher der Introducterius die Weissagungen Joachims von der dritten Periode, als der Herrschaft des Geistes, in den Bettelmönchen erfüllt sah und sie als diejenigen bezeichnete, in welchen die Kirche ihre höchste Verherrlichung feiern werde. Man kann sich nicht wundern, dass der Papst eine Schrift, welche auch nur solche Sätze enthielt, die noch anders lauteten, als die weit stärkeren Stellen in den Commentaren über die Propheten, sum Feuer verdammte; doch wollte er die Sache, um Aergerniss and Aufsehen zu verhüten, so viel möglich mit Vorsicht und Scho- nung behandelt wissen 0* Als Verfasser des Introductorius wird in den Akten der Franciskaner Gerhard genannt. Er war ein ver-

1) Wie Matthftus Paris berichtet Engellu a. a. 8. 12.

478 Zweit« Periode. Vierter Absohnitt

trauter Freund des Jobannes yon Parma, welcher im Jahr 1347 zum General der Franciscaner gewählt worden war. Beide drangei mit grossem Eifer auf die strenge Beobachtung der Ordensregd, beförderten aber dadurch die Spaltung des Ordens in eine strengere und laxere Partei. Die letztere beschwerte sich bei dem Pqil darflber, dass Johannes von Parma, ohne auf die von den Pfipitn 'gegebenen Erläuterungen der Ordensregel Rücksicht zu nehmea, nur das Testament des heil. Franciscus anerkenne und nach dies« allein die Regel erklart wissen wolle. Wer das Testament ver- achte, behaupte er, verachte damit zugleich den Testator, der dock zu der Zei}, da er das Testament machte, schon mit den Wandca- malen Christi begnadigt gewesen sei; der Orden werde in iwd Classen getheilt werden, in strenge Beobachter der Regel ari« solche, welche Privilegien und Erläuterungen verlangen, und m dieser Spaltung werde dann erst eine reine Congregation henr«- gehen. Auch das wurde ihm zum Vorwurf gemacht, dass er dei Abt Joachim zu hoch halte und sogar dasjenige vertheidige, wti Joachim gegen Petrus Lombardus geschrieben habe. Auf eiacr von Papst Alexander IV. berufenen Generalcongregation legte Jo- hannes von Parma als General des Ordens seine Stelle nieder, die päpstlichen Erläuterungen der Ordensregel wurden bestätigt, und der neue Ordensgeneral Bonaventura musste den Gegnern seinaf Vorgangers auch darin nachgeben, dass er ihn und dessen Anhanger noch zur Untersuchung zog. Ungeachtet man bei ihnen nichts Tadelnswerthes fand, als ihre Verehrung Joachims und seintf Schriften, wurde namentlich Gerhard zu ewigem Gefängniss ver- urtheilt und Johannes von Parma selbst kaum mit derselben Strafe verschont 0* Nicht lange nach den Verhandlungen in Rom sahei sich die auf der Synode in Arles im J. 1260 versammelten Biscböb zu einem neuen Anathema über die Schriften Joachims und die An- hänger derselben veranlasst, da in den Provinzen, welchen sie vor- stehen, diese Phantasien immer weiter um sich greifen und in vie- len darüber verfassten Schriften von Hand zu Hand mitgetheilt und in auswärtige Lander verbreitet werden 0* An den Schriften des

1) Engelh. a. a. O. S. 82 f.

2) Vgl. Hahn, Qesch. der Ketzer Bd. 3. S. 260 f. Die Joachitici werden als solche gesoMldert, qui in ftmdamento mae vesaniae vera quaedam m jparte et varia jaciendo temaria eademgue pemiciose adaptando dodrintm

SpAltvag d. Franeiie. Spiritnalen. P«t. Olivi 479

Abts Joachim, an dem Gebrauch, welchen dieFranciscaner von ihnen machten und besonders an der Deutung, weiche sie nach ihrer An- leitung der Apokalypse gaben, stellte sich immer klarer heraus, in welchem principiellen Gegensatz der Orden zu dem Papst und der römischen Kirche stand. Alles, was bisher gegen die römische Kirche gesagt worden war, übertraf an Schärfe und Bitterkeit Peter Johann Olivi, welcher an der Spitze der Spiritualen, die er in der Congregation von Narbonne vereinigte, seit dem Jahr 1283 durch den Eifer, mit welchem er auf die strenge Befolgung der Ordensregel und auf vollkommene evangelische Armuth drang, vielfachen Anstoss gegeben halle, die heftigsten Angriffe auf das Papstthum aber in der, wie es scheint, erst nach seinem Tode im Jahr 1297 bekannt gewordenen Postille über die Apokalypse zu- riddiess. Auch er theilte den Verlauf der Welt in drei Status und den der Kirche in sieben Perioden. In der ersten wurde die Kirche in Jndenthum durch die Apostel begründet, in der zweiten durch die Mftrtyrer seit Nero geprüft, die dritte war, seit Constantin und SQveeter, die der doctrinalen Entwicklung des Glaubens, um die Uresen durch Gründe der Vernunft zu widerlegen, die vierte die des anachoretischen Lebens seit Antonius, die fünfte die des ge- meinschaftlichen Lebens der Güter besitzenden Mönche und Kleri- ker seit Karl dem Grossen , die sechste ist die der Erneuerung des evangelischen Lebens, die Bekämpfung des Antichristenthums und der endlichen Bekehrung der Juden und Heiden, oder des Wieder- anfbaoes der ersten Kirche; auf sie folgt die siebente, in welcher

^foediMmam concordcmtiarum suairum eontextu iMfcmo staiuere fM^ikmiur et maKUota veneroHone tpifitiu »ancUj quem tecundum ordinem numeragidi tetiiam dicmua in trinitate per»(mam, smgtdari redemtioni facttie per fUum tarn impudenter quam nefarie nüvmiur (soyiel als obniiuniur), dum tempue et cpera filii mb annorum curriculo et scieculi hv^usmodi parte quadam eignata et media claudere perhibenttiTy ut^ quemadmodum dicit filius in came mundo apparena viailnlis: Pater meua uaque modo operoitwr et ego operor^ ffie et spiriiue sumctua eompleto fiUi tempore dieat: haetenu» post pairem operatus eat filiue et ego de eetero operor, oper<Uionem ßlii aub iUo annorum numero claudendo, quo atUanaa oUm ligatua per fiUum denuo pro- nunciatur aolvendua. Von den libri Concordantiarum und andern libri Joa- ehitici sagen sie, dass sie a moQoribua noatria uaque ad haec tempora re- manaerwU intacti, utpote laiitantea apud quoadam reUgioaoa in anguik et antria^ dodorüua mdiaeuni.

480 Swaite Periode. Vierter Abeebnitt

man schon an der himmliscben Herrlichkeit so theilnimmt, dass es scheint y das himmlische Jerusalem sei auf die Erde herabgekon- men. Der Hauptnerv seiner Opposition liegt in dem scharfen Ge- gensatz, in welchen er die sechste Periode zur fünften setzte. In der fünften Periode wurde die römische Kirche über die Patriar- chate der orientalischen Kirche zum allgemeinen Sitz erhöbt, aber in ihr schlug dann auch das Thier der Apokalypse seinen Sitz nL Das Weib, die grosse Hure der Apokalypse, ist die römische Kirche ; sie heisst so , weil sie in ihrer Weltlust von der Liebe so ihrem Bräutigam abgefallen ist. Vorzugsweise ist aber unter den Thier der Apokalypse der fleischliche Klerus zu verstehen, welcher ui dieser Periode über die ganze Kirche herrscht Weil mehr ak in den Laien und Gemeinden hat das thierische Leben seinen Sb in dem Klerus, in welchem es wie auf dem Thron seiner Hemehift sitzt Der Antichrist selbst sollte daher in der Gestalt eines Papito, als Pseudo-Papa erscheinen. Zur Vernichtung dieser fleischliita Kirche ist der heilige Franciscus erschienen. Die eigentliche Eröff- nung des sechsten Sigels CApoc. 6, 12.), das sich auf ihn bezieht, beginnt aber erst dann, wenn seine Regel von den Meisten sophi- stisch bestritten und von der fleischlichen Kirche auf dieselbe Weise verdammt ist, wie Christus von der gottlosen Synagoge der Jodea verdammt worden ist Der ganze Zustand der Kirche wird in den Prälaten, Gemeinden und Mönchen so zu Grunde gerichtet, da» die Kirche nur noch in wenigen Erwählten im Verborgenen existirL Aber in dieser höchsten Noth der babylonischen Versuchung, in welcher der hl. Franciscus in seiner Regel gleichsam wie Christus an's Kreuz geschlagen wird, wird er auch glorreich wieder aufer- stehen, um, wie in seinem Leben und in seinen Wundenmalen, so auch durch die Auferstehung Christus ähnlich zu werden und wie einst Christus, den Seinen zur Stärkung zu erscheinen. Alles diess ist so bestimmt und so speciell gegen den Papst und die römische Kirche gerichtet, dass es nur die natürliche Folge hieven war, wenn Johann XXU. die Postille im Jahr 1325 als eine Schrift ver- dammte, welche ein grundverderbliches und häretisches Dogma gegen die Einheit der katholischen Kirche und die Gewalt des rö- mischen Bischofs und des apostolischen Sitzes enthalte.

Diese Conflicte der Spiritualen mit den Päpsten zeigen dent^ lieh, welcher Widerspruch von Anfang an in einem Orden lag,

Spiritnalen. Confliote mit den Pftpsten n. deren Lösung. 481

welclker nach der Idee des heil. Franciscus die Kirche reformiren und dabei zugleich der treue und gehorsame Sohn der päpstlichen Kirche bleiben wollte. Die Folge hieven konnte nur entweder ein solcher Zwiespalt sein, wie er in den Spiritualen zu einem immer schärferen Gegensatz wurde, oder ein Abfall von der Ordensregel, la dessen scheinbarer Rechtfertigung die Päpste dem dazu ge- neigten grössern Theil der Ordensgenossen wie natürlich mit aller Bereitwilligkeit die Hände boten. Schon wenige Jahre nach dem Tode des heil Franciscus wurde von Gregor IX. in einer Bulle vom Jahr 1231 erklärt, dass das Testament, in welchem der heil. Fran- eisQUS sich aufs Ernstlichste gegen jede Milderung und Missdeu- Uuig seiner Ordensregel verwahrt hatte, nichts Bindendes für s^ne Nachfolger habe, da sie als Generale des Ordens ihm völlig gleichstehen. In derselben Bulle wurde nicht nur vom Papst selbst ein Weg angegeben, wie man in der Form eines Almosens die Erwerbung eines Eigentbums durch Kauf umgehen könne, sondern avch der für das Gelübde der Armuth so wichtige Grundsatz auf- gestellt, dass man zwischen Gebrauch und Besitz wohl zu unter- sdmden habe. Man konnte somit alles,* was man wollte, haben md gebrauchen, wofern man nur nicht den Anspruch machte, auch der eigentliche Herr und Eigenthümer dessen zu sein, worüber man nach freier Willkür verfügte. Es kam daher nur noch darauf an, für die im Gebrauche des Ordens befindlichen Gegenstände ein Subject zu haben, das als der rechtliche Besitzer und Eigen- thümer derselben gelten konnte; aber auch dieses Bedenken wurde durch die Bulle gehoben, in welcher InnocenzIV. im Jahr 1245 das Eigenthumsrecht auf alle Güter des Franciskanerordens dem päpst- liqhen Stuhl selbst vindicirte. Dieser päpstlichen Bestimmung zufolge waren die Ordensgenossen in allen auf Hab und Gut sich beziehen- den Verhältnissen nicht im Geringsten beschränkt, dasselbe zu thun, was Andere ohne ein solches Ordensgelübde thaten, sofern sie nur nichts in ihrem eigenen Namen, sondern alles im Namen des apostolischen Stuhls thaten. Es war diess in der That eine so glücklich getroffene Auskunft, alle Gegensätze, um die es sich handelte, Armuth und Reichthum, Weltverachtung und Weltliebe, das päpstliche Interesse und das der Bettelmönche, zu vereinigen, dass die Päpste mit sichtbarer Vorliebe darauf zurückkamen und sogar die Form einer begrifflich begründeten Theorie gaben.

Baar, EUG. des Mittelftltera. 31

488 Zweite Periode. Vierter Abiohnitt

Zeitliche Dinge sind , entwickelte Papst Nicolaus III. in einer Baue im Jahr 1279, aus dem Gesichtspunkt des Eigenthnms, des Besitze!, der Nntzniessung, des Rechts zum Gebrauch und des faktischei Gebrauchs zu betrachten. Der letztere findet in jedem Fall statt, da kein Mensch, in welchem Stande er auch sei, das Nothwendige entbehren kann. Wenn daher auch der Stand, der das Gelfibde gethan hat, der Armuth Christi nachzufolgen, jedem Eigenthuns- recht entsagt, so fblgt doch daraus nicht, dass er auch auf dea Gebrauch verzichten muss. Verliert man nur bei demjenigen, du man gebraucht, nie die Unterscheidung dessen aus den .Augea, was dabei juris oder facti ist, so kann man sich in Hinsieht dei Armuthgelübdes vollkommen beruhigen, und es ist nicht einMl nöthig, bei dem Nothwendigen , das ja in jedem Fall gestattet ii( sich auf den strengsten und engsten Begriff zu beschränken. Bi die Pfipste, wie Nicolaus III. aufs Neue erklärte, nicht das ge- ringste Bedenken dabei hatten, für alles, was die OrdensgenosM gebrauchten und genossen , das Eigenthumsrecht auf den päpstli- chen Stuhl zu fibernehmen, so schienen dadurch alle GewisseuH scrupel beseitigt, die man sich etwa noch machen konnte. Nur die Spiritualen konnten dazu nie ihre Zustimmung geben; es wurde dadurch nur die Spannung^ in welcher sie zu dem Orden standra, gesteigert, und sie mussten selbst Märtyrer ihres Ordensgelfibdes werden, da die Päpste sich zu den strengsten Maassregeln gegea sie berechtigt glaubten. So sehr aber die Päpste durch die Distinc- tion zwischen Recht und Gebrauch sich gegen alle gefährliche Con- sequenzen, die aus dem Armuthsgrundsatz der Franciskaner ge- zogen werden konnten, sicher gestellt zu haben schienen, so führte doch zuletzt noch die Fiction, die dabei zu Hülfe genommen wer- den musste, auf einen Punkt, auf welchem das ganze Gewebe dieser absichtlichen Selbsttäuschungen wieder zerriss. Da die Armuth, deren Gelübde der Orden auf sich genommen hatte, die Nachfolge in der Armuth sein sollte, in welcher Christus selbst mit den Apo- steln gelebt hatte, so musste sehr natürlich auch die Frage ent- stehen, ob jene Distinction auch auf Christus und die Apostel ihre Anwendung finde. Als im Jahr 1321 vor der Inquisition in Nar- bonne die Frage zur Sprache gekommen war, ob Christus und die Apostel für sich oder gemeinsam mit wirklichem Eigenthumsrecht etwas besessen haben, trat bei der Beantwortung dieser Frage der

DieP&pste Hb. den Arrnnthsgrundsatz derFranciskaner. 483

bisher nur scheinbar verdeckte Gegensatz der beiderseitigen An- sichten und Richtungen sehr entschieden hervor. Auf der einen Seite konnten auch die nicht zur Partei der Spiritualen gehörenden Franciscaner ihrem Armuthsgelübde nicht sosehr zu nahe treten, dass sie das Princip desselben fallen Hessen, sofern ja ihre Armuth nur das Nachbild der urbildlichen Armuth Christi sein sollte, wenn sondit sie selbst kein Eigenthumsrecht haben wollten , konnte auch Qiristus keines gehabt haben; auf der andern Seite konnten aber die Päpste , die ja auch Nachfolger Christi sein wollten , nicht zu- geben, dass Christus selbst in einer Armuth gelebt habe, die als völlige Verzichtleistung auf jedes Eigenthumsrecht der schneidendste Gegensatz zur römischen Kirche gewesen wäre. Sie hatten, nach- dem einmal die Frage über die Armuth auf diese Spitze gestellt war, -durch die kategorische Verneinung der aufgeworfenen Frage sich selbst das Urtheil gesprochen. Es war, wie wenn Papst Johann XXII., da nun schon die Franciscaner so gute Beweise ihrer Fftgsamkeit gegen das papstliche System gegeben hatten, es nicht mehr für der Mühe werth gehalten hätte, durch künstlich ersonnene , Aofirege sich mit ihrem Armuthsgrundsatz abzufinden, um sich die Belfistigungen vom Halse zu schafi^en, die er für die Päpste haben miisste; es schien ihm mit einer bei den Päpsten in solchen Fällen seltenen Entschiedenheit nichts dem klaren Buchstaben der heiligen Schrift und der katholischen Lehre augenscheinlicher zu wider- streiten, nichts in dem Verhalten Jesu und der Apostel ein grösseres Unrecht vorauszusetzen, als die Behauptung, dass sie kein wirk- liches*-Eigenthumsrecht gehabt und ausgeübt haben. Trotz des Widerspruchs mit den Verordnungen seiner Vorgänger erklärte er es für eine blosse Fiction , dass der ein blosser Nutzniesser sein soll, der über das, was er geniesst und gebraucht, mit der freiesten Willkür verfügt. Nachher wie vorher haben die Brüder Güter er- worben und besessen und sie haben sich ohne das Eigenthumsrecht nicht für ärmer halten können als mit demselben. Es sollte daher für die Zukunft die hartnäckige Behauptung, dass Christus und die Apostel weder speciell noch gemeinsam irgend etwas besessen haben, als der heil. Schrift entgegenlaufend, für häretisch gelten

1) Wie hfttten die Pftpste als StelWertreter Christi die obige Behauptung offen und aufrichtig zu der ihrigen machen können? Die sophistisehe Ab*

31*

484 Zweite Periode. Vierter Abtolmitt

So vergeblich schon vor der Erlassung der beiden darauf sidi be- ziehenden Bullen vom Jahr 1322 und 1323 die BemühnngeB der Ordensbrüder gewesen waren , den Papst von einer Ansicht absih bringen , die die Sache so rücksichtslos mit ihrem wahren Namea benannte, so wenig richteten sie auch nachher durch die feindseligei Schritte aus, die sie gegen den Papst thaten. Der Papst hatte sidi nicht in der Voraussetzung getäuscht, dass die Annuthsidee des Ordens schon so weit abgeschwächt und abgenützt sei, um voa ihr nichts befürchten zu müssen, was einen bedeutenden Einflnsi auf den bestehenden Zustand der Kirche hätte haben können. Sdae Verfügung behielt ihre Gültigkeit, und dem biossgestellten, aberbaU genug den päpstlichen Befehlen sich fügenden Orden blieb nr übrig, sich nach einem neuen Rechtssubject umzusehen, da etmA Jetzt zu gewissenhaft war , selbst das Eigenthumsrechl auf me Güter und Besitzungen zu übernehmen, und sie doch auch aickk als herrenloses Gut ansehen lassen konnte. Um auch femer ari der via perfectionis in den Fussstapfen Christi und der Apostel si

snrditftt, mit welcher die Ordensglieder ihre These veriheidigteii , ist m besten ans einer Darstellung eu sehen , wie die des Alyams Pelagins (de plancta eeclesiae lib. 2.) ist, in welcher derselbe, wie er selbst sagt, obie sophistische Beweise und Bedekünste, nur im ehrlichsten Armnthsinteressa die Sache seines Ordens vertreten will. Auf die Behauptung der Gegner, die gllnzliche Eigenthumslosigkeit sei eine blosse Fiction, zumal wenn Grebraach der Sache zugleich Verbrauch derselben sei, wie bei Speisen, also ohne Besitz gar nicht gedacht werden könne in rechtlicher Weise, erwiederte Alyams, es sei ein Irrthum, dass ein blos thatsächlicher Gebraach dnrchaiu unmöglich sei ; als bleibender Besitz finde er wohl nicht statt, aber doeh in der Form des successiven Torübergehenden Gebrauchs. Denn der Gebraach sei nicht mehr flüssig als die Zeit und doch sage die heil. Schrift, dass mtn die Zeit besitzen könne: nso lange wir Zeit habena Gal. 6, 10., und »es war ein Mensch, der hatte 38 Jahre", Job. 5, 5. Das schlagendste Beis^el von einem Gebrauche ohne alles Eigenthumsrecht sollte der Genuas des Saera- ments sein. Denn niemand werde etwas anbeten, was ihm als Eigenthum unterworfen seL Die Apostel sollen keinerlei Eigenthum mehr gehabt haben, weil es ja heisse, sie haben alles verlassen, so wie es Christus verlange llatth. 19, 29., mit völligem Aufgeben des Besitzes und Eigenthums. Der Soharfisinn in der Auffindung solcher Schriftbeweise verdient alle Anerken- nung. Vgl. Schwab a. a. O. S. 46 f. Wozu anders hätte eine solche Ver- wirrung der beiden Begriffe Recht und Gebrauch zuletzt führen müssen, ab zum radicalsten Gommnnismus?

BittL Gehalt ArrnnthigrundsatseB der Bettelorden. 485

wandeln, nahm der Orden die alte Lüge wieder zu Hülfe, dass daa Eigenthumsrecht seiner Güter bei denen bleibe, die sie ihm geben.

Hiemit hatte alles, was der heilige Francis cns mit der glühend- sten Begeisterung für die evangelische Erneuerung der Kirche be- zweckt und begonnen hatte, sein natürliches Ende erreicht. So ra- dical'eine Reform werden zu müssen schien, die der verweltlichten Kirche das Ideal einer selbst bis zur Bettlergestalt sich erniedrigen- den evangelischen Armuth entgegenhielt, so wenig hatte doch alles diesa in der Wirklichkeit zu bedeuten. Man sah auch an den Bettel- orden nur, wie auch solche Bestrebungen, die dem Verderben der Kirche mit dem ernstesten Eifer entgegentraten, zuletzt doch wieder dem herrschenden Zuge der Zeit folgen mussten und selbst nur eine neue Form des allgemeinen, immer tiefer gehenden Verfalls der Kirche wurden. Nur des Contrastes wegen gab es mitten in einer auf weltlichen Reichthum gebauten und mit weltlicher Macht herrschenden Kirche auch einen zum strengsten Gelübde der evan- gelischen Armuth sich bekennenden Orden; an sich war zwischen dieser Armuth und jenem Reichthum kein principieller Unterschied. Es fehlte auch der Armuthsliebe der Bettelorden jeder tiefere gei- ftfge und sittliche Gehalt, da man sich auch die Armuth wie den Reichthum, nur als einen das äussere materielle sinnliche Leben be- treffenden Zustand dachte, zu welchem sich die innere sittliche Ge- rinnung in dem einen Fall so indifferent verhalten konnte, wie in dem andern. Nur so konnte seit der Entstehung der beiden Orden ihr Hauptbestreben immer dahin gehen, der Armuth, zu welcher sie sich bekannten, unter verschiedenen Namen und Formen eben das wieder unterzuschieben, was sie mit dem Gelübde der Armuth, prin- dpiell von sich gewiesen zu haben schienen. Armuth und Reich- thum wurden in dem sittlichen Bewusstsein der Bettelmönche völlig indifferente Begriffe, deren abstracto Unterscheidung für das prak- tische Leben ohne alle Bedeutung war. Die Folge war daher nur, dass die bewusste oder unbewusste Selbsttäuschung, dem Namen nach etwas Anderes zu sein, als man der Sache nach wirklich war, die sittlichen Begriffe immer mehr verkehrte und verwirrte und unter dem Namen der Religion und des Christenthums das sittlich religiöse Leben der Kirche immer tiefer und allgemeiner entsitt- licht wurde.

4S6 Zweite Periode. Vierter Abiolmiti

Soll das Mönchswesen des Mittelalters nach seinen yerschie- denen Beziehungen richtig gewürdigt werden, so darf man es nicht blos aus dem ascetischen Gesichtspunkt betrachten, sondern mm in ihm eine eigenthümliche Form des socialen Lebens sehen. Wu so viele dem Mönchsleben zuführte und die Ursache der Entstehung so vieler Mönchsorden war, war nicht blos die Meinung, dass mm nur im Mönchsstande die höhere christliche Vollkommenheit er- langen könne, sondern auch das Bedürfniss, das der Einzehie ia seinem Fürsichsein hatte, sich an eine Gemeinschaft anzuscUiessea, die ihn als organisches Glied in ihre höhere Lebenseinheil aufhaha. Es ist diess der Punkt, in welchem der Corporations- und Associt- tionsgeist des Mönchswesens mit dem Charakter jener Zeit sebr eng zusammenhieng, sofern es überhaupt ein eigenthümlicher lag des Mittelalters ist, sich in grössere Massen abzusondern und äck um bestimmte Mittelpunkte zu gruppiren , Stande und Genosm- schafken, Zünfte und Innungen, geschlossene Vereine verscbiedeaei Art zu bilden. So hoch auch gewisse persönliche Eigenschafiea in der Meinung der Zeit standen, so hatte doch der Einzelne dea eigentlichen Schwerpunkt seines Bewusstseins nicht sowohl in sich als ausser sich, in der Gemeinschaft mit Andern, mit welchen er dasselbe Gesammtbewusstsein theilte. In dem Standes^ und Ordens- geist, welchen jeder mit seinem Eintritt in einen Mönchsorden in sich aufnahm, in dem Bewusstsein, das er in sich hatte, einem so weites Kreise anzugehören, fühlte er sich über sich selbst gehoben, und insbesondere waren es die Mitglieder der Bettelorden, in welchea überall, wo sie auftraten, ein solches höheres, durch die Ordensge- meinschaft gewecktes Selbstbewusstsein sich aussprach. Während so der Corporations- und Standesgeist des Mittelalters in den Mönchsorden selbst zu einer neuen Form sich gestaltete, waren dagegen eben diese und insbesondere die Bettelorden auch wieder ganz darauf angelegt, die noch so engen Schranken des socialen Lebens jener Zeit zu erweitern und zu durchbrechen. Indem sie durch den freien Eintritt, welchen sie jedem gestatteten, es auch dem Geringsten und Niedrigsten möglich machten , sich emporzu- arbeiten und aufzuschwingen und so manchem Talent, das sonst seine schlummernde Kraft nie hatte entwickeln können , die Bahn einer Thatigkeit eröffneten, die es selbst auf die höchste Stufe stellen konnte , setzten sie dadurch den aristokratischen Begriffen

Boo. Bedent d. Bettelord. Tertiär, v. freiere Vereine. 487

md PriTÜegien das mfichtigste Gegengewicht entgegen. Aber auch abgesehen Yon einem solchen in den allgemeinen Verhältnissen der Zeil begründeten Gegensatz hatte das Mönchsleben in seiner eigenen Sphtre, wenn wir die yerschiedenen Formen, die es durchlief, mit einander vergleichen, den Trieb einer freieren Entwicklung in sich; ea atrebte immer wieder über seine eigenen Schranken hinaus und anchte sie wenigstens zu erweitern und über die zuerst gezogene Linie hinauszurücken. Auch in dieser Beziehung bezeichnen die Bellelorden eine neue Epoche in der Geschichte des Mönchslebens. Die den Mönch von der Welt trennende Clausur des Klosterlebens lial von selbst für einen Orden hinweg, dessen Genossen als firatre$ ntmkBcaniei die Mittel ihrer Subsistenz und als apostolische Buss- prediger das Feld ihrer Wirksamkeit nur in der weiten Welt , in dem freiesten Verkehr mit Andern finden konnten. Wie auf diese Weiae das Mönchsleben in den Bettelorden seinen ursprünglichen, die Berührung mit der Welt scheuenden Charakter völlig ablegte, so aochten sie auch ihren Ordensgrundsätzen für alle, die auch nur in eine freiere Verbindung mit ihnen treten wollten, eine so viel ■dgUch weite Ausdehnung zu geben. Diess sollte durch den Orden der Terliarier geschehen, in welchem der Laie, so weiteres als Laie vennochte, sich dem Mönch assimilirte. Wenn auch die Tertiarier durch ein specielleres Band mit dem Orden verknüpft waren, ao bfldelen sie doch nur eine solche Verbindung, in welcher die Ordens- geaseinschaft schon ganz auf dem Uebergang zu den gewöhnlichen Lebenaverhältnissen erscheint und die Ordensregel nur in entfern- lerem Grade einen bestimmenden Einfiuss auf sie hatte. Der weitere noch mögliche Schritt der Annäherung des Mönchslebens an das Laienleben konnte nur sein, dass man das, was solche Verbindungen, wie die Tertiarier, bisher nur im Anschluss an einen auf der sub- alanziellen Grundlage eines Ordensgelübdes stehenden Orden sein am können glaubten, auch ohne einen solchen zu sein wagte, oder daaa man sich von dem Zusammenhang mit einem bindenden Or- densgelübde vollends ganz ablöste. Diess war zwar längst durch solche Vereine geschehen, die unter den Namen der Beguinen, Beg- harden, Lollharden und andere ähnliche auf verschiedene Weise den vermittelnden Uebergang vom Zwange des Mönchs- und Klo- slerlebens zur Freiheit des Laienlebens bildeten; da aber solchen Geaellscbaften in der gewöhnlichen Meinung so viel Zweideutiges

488 Zweite Periode. Vierter Abiohaitt.

und Ketzerisches anhieng , so musste erst durch einen sich höhere Achtung erwerbenden Verein die Ansicht begründet werden, dm es auch ohne ein bestimmtes Ordensgelübde eine die VolIkomnieB- heit des Mönchslebens erstrebende Verbindung geben könne. Diess ist es, was den von dem Niederländer Gerhard Groot und dessen Schüler Florentius Redewiin in der zweiten Hälfte des 14. Jahr- hunderts gestifteten Brüdern des gemeinsamen Lebens hier gerade ihre Stelle in der Geschichte des Mönchslebens gibt. Ohne durch ein unverbrüchliches Mönchsgelübde gebunden zu sein, lebten sie in ihren Bruderhäusern zusammen und suchten durch Erbauangi- stunden CCoIlatien) , an welchen jeder, der wollte , theibiehaeB konnte, durch Volks- und Jugendunterricht und verschiedene nAIi- liche Bemühungen ein christlich religiöses Leben bei sich miU Andern zu befördern. Je weiter dieses Institut des genneins<Mt- lichen Lebens, gestützt auf die Windesheimer Congregation dern- gulirten Chorherrn, nicht blos in den Niederlanden, sondern auch in nördlichen Deutschland sich verbreitete und je mehr es wegen seiner wohlthätigen Wirksamkeit geschätzt wurde, um so mehr vnirde da- durch die Eifersucht der Bettelmönche erregt. Sie sprach sich, als der Dominikaner Matthäus Grabe die Brüder wegen ihrer Lebensweise angriff, sehr charakteristisch in der Behauptung aus, es sei Air eise Todsünde zu halten, wenn man die Pflichten allgemeiner Weltent- sagung erfüllen wolle und dabei doch in der Welt bleibe , ohne in einen der Orden einzutreten, die sich durch ein förmliches Ordens- gelübde dazu -verpflichtet haben. So weit war aber doch schon die Meinung der Zeit davon abgekommen, das Ideal der christlichen Vollkommenheit einzig nur in den Bettelorden zu suchen, dass iet Ankläger der Brüder selbst von dem Constanzer Concil genöthigt wurde, seine Behauptungen als Irrthümer abzuschwören. Damals waren Männer, wie Johann Gerson und Peter d'Ailly, nahe daran, den specifischen Vorzug, welchen die Vollkommenheit des Mönchs- lebens haben sollte, in seinem Princip zu bestreiten. Die Anmaas- sung schien gar zu gross, dass die Mönchsorden, als reÜgUme$^ wie man sie nannte, mit der religio christiana so identisch sein wollten, wie wenn diese nur in jenen den Boden ihrer Existenz haben könnte. Wäre diess nur consequent festgehalten worden, so hätte schon dadurch eine sittliche Lebensanschauung begründet werden können, durch welche alles, was die Mönche vor anderen

Brüder d. gemeiBiamen LebenB. Hftret Sedt Kathar. 489

Christen in sittlicher Hinsicht voraus haben wollten, in Frage ge- stellt werden mnsste.

4. Die häretischen Secten.

Sie gehören gleichfalls zu den in sittlicher Beziehung charak- teristischen Erscheinungen der Periode, und können, so weit sie christliche Secten sind, nur unter den Gesichtspunkt der christlichen Idee des Sittlichen gestellt werden. Da es sich bei den hier in Betracht kommenden Secten , wenn wir von dem principiellen Ge- gensatz des katharischen Dualismus, von welchem schon früher die Rede war , absehen , nicht sowohl um bestimmte dogmatische Abweichungen handelte, wie sie bei den altern Secten vorzugsweise den Begriff des Häretischen bestimmten, sondern um die Richtung der Kirche im Ganzen, die Grundsätze, Formen und Bestimmungen, auf welchen das ganze Gebäude des kirchlichen Systems beruhte, die allgemeine Frage, ob und wie weit die Kirche , wie sie sich im Laufe der Zeit bis dahin gestaltet hatte, der sittlich religiösen Be- Jtlniniang des Christenthums entsprach, so konnte nur die Idee des fiitflichen und das Interesse för das wahre und ursprüngliche -Qiristenthum das Motiv sein, von welchem der von diesen Secten eiliobene Widerspruch gegen die katholische Kirche ausging. Nur aus der kräftigern Erweckung des sittlichen Geistes des Christen-^ thums ist die Entstehung von Secten zu erklären, welche Armuth und Weltentsagung als den ersten Grundsatz ihrer Lebensansicht bekannten und es sich zur höchsten Lebensaufgabe machten , nach der Lehre und dem Vorbild Christi die acht evangeliche Lebens- weise der Jünger in sich selbst darzustellen und durch die Predigt des Evangeliums Andere zu derselben Gemeinschaft mit sich heran- zuziehen. Secten dieser Art waren vor allen andern die Katharer and Waldenser, die in allem, was die sittlich religiöse Auffassung des Christenthums betrifft, sich so nahe berühren, dass man über dem Gemeinsamen sehr leicht die sie sonst so wesentlich unter- scheidenden Momente übersehen kann. Beide wollten als paupere$ CkrisH die Idee des evangelischen Christenthums in sich verwirk- lichen und hielten daher auch in ihrer praktischen Religiosität alles von sich fern, was ihnen damit nicht zusammenzustimmen schien. Indem sie es sich zum Grundsatz machten, sich nur an die einfach-

4tf0 Zweite Periode. Vierter Abtehnitt

Sien und ursprfinglichsten Formen des apostolischen Christenttranf IQ halten , mussten sie alles verwerfen , was den Geist des Met- schen, statt ihn auf sein Inneres zurückzuweisen , auf die äussere Welt richtet und an sie fesselt und statt des Vertrauens auf des Einen Mittler nur den falschen Trost äusserer nichtiger Heilsrer- mittlungen gibt Je tiefer sie von der sittlichen Idee ihres evan- gelischen Christenthums ergriffen waren » um so entfchiedeaer musste ihre Opposition gegen die katholische Kirche sein , derea ganze Gestaltung ihnen das gerade Gegentheil dessen zu seia schien, was sie allein als das wahre Wesen des Christenthuai erkennen konnten. Was innerhalb dieser gemeinsamen Gmad- ansicht beide Secten scharfer von einander trennte , war nur die dualistische Richtung derKatharer, wie sie sich ganz besoadbfy in ihrer Verwerfung der Ehe und des Fleischessens zu erkMM gibt So sehr auch ihre Lebensansicht mit dem evangelizohen Sm der Armuth und Weltentsagung zusammenstimmte, so erhielt diN^ ihre Sittlichkeit eine eigenthümliche Färbung und Motiyirang da- durch, dass das bestimmende Princip derselben nicht sowohl die Idee der christlichen Vollkommenheit als vielmehr der sie als Dut- listen beseelende Haas und Widerwille gegen die Materie und dtf materielle Leben war. Statt die Triebe des materiellen leihliokea Lebens in der harmonischen Einheit der beiden Elemente geistig m beherrschen, glaubten sie die sittliche Lebensaufgabe nur durdi die schroffe Trennung des Geistigen und Materiellen, durch einen ab- stracten , dem Wesen des Christenthums widerstreitenden Gegen- satz beider vollziehen zu können. Bei aller Reinheit ihrer sittlichen Tendenz haben daher ihre Grundsätze und Forderungen überhaupt einen unpraktischen, einseitigen, rigoristischen Charakter. Diese Scharfe ihrer Welt- und Lebensansicht machte von selbst auch ihre Opposition gegen die katholische Kirche um so schroffer und schnd- dender. Das Papstthum erschien ihnen nicht blos als ein entartetes, sondern als das dämonische Antichristenthum der Apokalypse, ab das Reich des materiellen Princips, in welchem der böse Gott den Thron seiner Herrschaft errichtet hat Dieses Verderben der Kirche datirten sie von dem Papst Silvester, welcher mit der Annahme der Constantinischen Schenkung die Kirche verdarb und sich selbst zu dem 2 Thess. 2, 3. 4. geschilderten Antichrist machte 0- Seitdem

1) BoRAcuBSus Vüa haeredcorum b, manifutaUo haeresis Oa^usronm:

Hftret Seoten. Katharer nnd Waldenaer. 491

ist es in der Kirche immer schlimmer und arger geworden, sie ist ein mit Falschheit und Betrag erfülltes Haus, ihre Wunder sind die Zeichen der falschen Propheten, ihre Sakramente ein Werk des bdsen Gottes zur Tauschung der Menschen O9 dessen einziges Be-- streben es ist, alles zu verkehren und zu vernichten, was der gute Gott zum Heil der Seelen veranstaltet hat, sie ist mit Einem Worte die Hare der Apokalypse 0* Auch hier bleibt also nichts übrig, als die Flucht aus der argen Welt, die jedes glaubige Gemüth nur mit Hass und Abscheu erfüllen kann.

Dieselbe Ansicht vom Papstthum hatten zwar auch die W a 1- denser, aber ihr Gegensatz zur katholischen Kirche hatte nicht denselben finstern dämonischen Hintergrund, wie bei den Katharern, nit welchen sie daher auch nicht dieselben streng ascetischen Grund- sitze theilten. Es war der reine Eindruck der aus den Schriften des Neuen Testaments erkannten evangelischen Wahrheit, welcher Waldus CValdez), als er um das Jahr 1170 zu Lyon Stifter der nach ihm benannten Secte wurde (der Waldenser oder der Leonistae, wie sie nach Leona, der Stadt Lyon, genannt wurden), beweg, seine Güter zu verkaufen, das daraus gelöste Geld den Armen zu geben, und in Gemissheit des apostolischen Berufs theils selbst das Evan- gelium zu predigen, theils Genossen derselben freien apostolischen Predigtweise um sich zu sammeln. Es ist charakteristisch, wie alles, was die Secte acht Evangelisches und Reformatorisches hat, sich sdion in dem ursprünglichen Gedanken ihrer Entstehung zur aus-

B. Syhuhvm dicunt Äntichriitum fuisBe^ 2 Thess. 2, 4. et tempore iUo dietmt eecleeiam eise perditam.

1) Rainebius a. a. O. S. 1761: S<»cramefUa non wnt vera nacrar mmia Christi et tijue eeeieeiae^ sed deceptoria et diahoUea et eccleeiae ma- Kffnantiwn»

2) MoHKTA a. a. O. S. 397: Ad detegteUionem Bomantte eeelenae m- duxii haereHeua iOud Apoc. 17, 3. et ut hretnus comprehendamf totum^ vifere totym quod Ugitwr Apoc. 17, 18 et 19 contra eeckeiam Bomanam dictum eredunt tcun Cathari qitam Leonistae; per beetiam enim eecleeiam Banumam inteüigtmt et per mülierem^ 17, 3. 4. dicmU eorwenire Domino Papa/e^ qui est eaput Bomanae ecdeeiae, Eodem etitun eapite dieitur midier e6rui de sanffuine sanctorwn^ quod eeclesiae Bomanae adscribunt propter hoe^ quia oceidi eos jubet; se enim sanctos eredunt. Vgl. Schmidt a. a. 0. & 106 £

49S Zweite Periode. Vierter Abeclinitt

drackflYolIen pripianten Anschauung benrordrängt Als WaUis Abschnitte aus den Evangelien bei dem öffentlichen Gottesdievt vorlesen hörte, jBmpfiind er den lebhaften Trieb in sich zu verstdo, was sie enthalten, sich durch unmittelbare Einsicht das YerstindoN ihres Inhalts zu verschaffen , wesswegen er sich die Evangefieo li die Volks- und Landessprache fibersetzen liessO* Wie sich ii diesem Verlangen das Princip des dcht evangelischen Bewusstsou kund gibt, so war die nächste Folge seiner Befriedigung der Bi^ schluss, die aus der Schrift erkannte Wahrheit in seinem eigeaai Leben zu verwirklichen ^ oder die evangelische VoUkommeahtit nach dem Vorbild der Apostel zur Aufgabe seines Sirebena la li- ehen. Was war aber das Erste und Ursprüngliche, das weseaflU den Charakter der Secte bestimmte? war es die evangelische ir- muth , von welcher sie schlechthin die Armen hiessen *) , ote fe apostolische Predigt, in welcher die katholische Kirche gleidU der Entstehung der Secte das Eigenthfimliche derselben im Gegea- satz zu ihr sah? Obgleich ausdrücklich gesagt wird, daas jeaei das Vorangehende, dieses das Nachfolgende gewesen seif), so ksai doch das Eine von dem Andern nicht getrennt werden. Wie ma nicht predigen kann , ohne die evangelische Vollkommenheit warn Inhalt der Predigt zu machen, so kann man auch nicht die evange- lische Vollkommenheit als die Aufgabe des Christen betrachten, ohne für sie auch durch die apostolische Predigt zu wirken. Um die evangelische Vollkommenheit in der Armuth, um welcher willen das Evangelium seine Bekenner selig preist, in sich darzu- stellen , muss man vor allem der Welt entsagen und Busse thm,

1) Vgl. Stephanus de Borbone de septem doniB spiritns und 7, 31 bei d*Argentr^ Collectio judio. 1. S. 87 : WcUdennSf audiens BoofngeUa^ cum fum euel muüum UtercUua, curionu inteüigere^ quid dieererUf fecit pactum «< trtmrfcrret ei in vulgaris

2) Stephanns de Borb. : dicwUur etiam Pauperei de Luffduno^ quia t6i ineeperunt in profesnone paupertatie. Vocant autem $e Pauperee 8fMl» propter quod Dominue dieit : BetUi pamperes spiritu !

3) Diess hebt der Traetatus de haaresi Paupenun de Lngd. bei Martene Thea. V. S. 1777 besonders hervor. Die gimpUcee laiei wollten zuerst nur omnino vivere seetmdum evamgeUi dodrinam et iUam eul litercan petfede eer- vare. Pottea eoeperunt ex bb, ut plenitu $e Ckritti discipuloe et apodo- loruim tuccesBcrei cstenderent , etiam tibi praedicationU officium jaettmtm' a$eumere.

WftldeBier. Armntli il l^redigt Conflict m. d. Kirolie. 493

wie ja auch Christas selbst seine Predigt vom Evangeliam mit dem Rnf 2ur Bosse begonnen hat, und wie er mit diesem Ruf seine ersten Jfinger ausgesendet, so kann man auch kein achter Jünger Christi fein , wenn man nicht seinen ersten Jüngern in derselben aposto- lischen Predigt nachfolgt Indem so von selbst das Eine an das Andere sich anschloss , beides, das Bussethun und Bussepredigen, wesentlich eines und dasselbe war, machte erst die freie apo- stolische Predigt , zu welcher sie als Laien das Recht für sich in Ansprach nahmen, das aus, was sie als Waldenser von allen andern Seelen unterschied. Schon vor ihnen waren zwar Peter vonBruis nnd der Cluniacensermönch Heinrich auf ähnliche Weise umher- gesogen, um gegen die todte Aeusserlichkeit der Kirche und die Unsittlichkeit des Klerus zu predigen; doch war es erst Waldus, welcher als Laie die apostolische Predigt als seine eigentliche Mission betrachtete und alle, die achte Nachfolger der Apostel werden wollten, als Genossen desselben Predigtberufs in seine Gemeinschaft einzutreten aufforderte 0- Eben diess war es nun aber, was die Waldenser in Conflict mit der Kirche brachte. Auf der Synode zu Verona im Jahr 1184, auf welcher wahrscheinlich die Sache der Waldenser zum erstenmal zur Sprache kam, in dem Deoret des Papstes Lucius Hl. wurde ihnen unter Berufung auf den Ausspruch des Apostels Rom. 10, 15 entgegengehalten, wie sie inredigen können, ohne berufen zu sein. Die Kirche konnte ihnen als blossen Laien dieses Recht nicht zugestehen, ohne dadurch das Princip, auf welchem der ganze kirchliche Organismus im Unter- schied der Kleriker und Laien beruhte , in Frage gestellt zu sehen. Es blieb diess daher auch seitdem der Hauptgrund, durch welchen die Kirche ihr Yerdammungsurtheil gegen sie motivirte, und die Waldenser selbst konnten sich ihrer Stellung zur Kirche nicht be- stimmter bewusst werden, ohne sich vor allem darüber genügende Rechenschaft zu geben, mit welchem Grunde sie gerade dieses Recht für sich in Anspruch nehmen. Wenn sie sich auch darauf

1) Stephanus de Borb.: Evangelia et ea, quae eorde reiinueraif per ffiea» ei plaieaa praedUandOf muitoe Jtamine» et muUeree ad idem faeiendum ad «6 eam>ocando, fimumt eis EocmgeUa^ quos etiam per viüae eireun^aeentee «wtte&o^ ad praedicandum vÜiseimorum qtu>rumque offidorwn^ qui etuun ad idefa aUo» pravoeabant.

4M Zweite Perlode. Vierter Abiolmitt

beriefen, dass Christas seinen Jfingem befohlen habe, das Etib- gelium tu predigen nnd Schriftstellen, wie Jac. 4, 17, auch damf belogen, so fragte sich doch erst, wie sich das Recht des Einzehiei zo der Auetoritat der Kirche verhalte. Sprachen sie als Laien das- selbe Recht an, das bisher die Kirche ausschliesslich für sich in An- spruch nahm, so folgte daraus zunächst nicht, dass es der Kirdie abgesprochen werden müsse, sondern es konnte nur als aHgemeinei Christenrecht betrachtet werden, wobei es demnach erst danif ankam, unter welchen Bedingungen jeder für sich, sei er Kleriker oder Laie, dazu berechtigt und berufen sei. Ist es der Klw&er als Kleriker nicht, so ist es auch der Laie als Laie nicht, sonden der Eine wie der Andere muss erst ein weiteres Merkmal häbei, das ihn dazu befähigt. Sobald daher die Waldenser mit der Brake sich über das Recht der Laien zur apostolischen Predigrt ammr anderzusetzen hatten, konnte das nächste Moment nur die Fnge nach der subjectiyen Befähigung sein, worauf die Antwort mit det Behauptung gegeben wurde, dass sie nicht sowohl in dem durch die Ordination ertheilten Amtscharakter, als vielmehr in der fet- sönlichen Würdigkeit derer liege, welche die figura Christi m sich tragen , d. h. sich durch die Nachfolge Christi in der evangelisdien Vollkommenheit als seine ächte Jünger bewähren. Daher behaop* teten sie, dass man nur den guten Prälaten gehorchen dürfe. Wena sie somit zwar den Prälaten und Klerikern den Gehorsam nicht schlechthin verweigerten, so Hessen sie ihn doch durch ein Pcfidicat bedingt sein, das dem Laien eben so gut zukommen konnte, als ien Klerikern , das sittlich Gute oder das der Idee der evangelischen Vollkommenheit Entsprechende. Der Begriff des bonu$ Imcui hatte überhaupt für sie eine sehr vielsagende Bedeutung. Indem sie so dem Kleriker den Laien, dem priesterlich Heiligen das Gute im sittlichen Sinn, dem äusserlich Kirchlichen das innerlich Religiöse gegenüberstellten, fiel für sie alles hinweg, was nur von priester* lieber Benediction und Consecration und den Satzungen der Kirche seine Heiligkeit im katholischen Sinne hatte , und sie setzten sich über alle Begriffe dieser Art selbst mit dem Ausdruck des lebhaften Bewusslseins ihrer geistigen Freiheit hinweg, wie sie z. B. die Ein- weihungsfeste der Kirchen Feste der Steine nannten, lieber in Ställen und Kammern beten wollten als in Kirchen , jedes Land für gleich heilig und gesegnet vor Gott erklärten u. s. w. So negativ sie sidi

Waldeng. Apoit Predigt Sohriftprine. SfindeiiYergeb. 495

aUem diesem verhielten, so streng drangen sie dagegen auf alles, was sie einmal auf dem Grunde ihres Schriftprincips als den aus-* drficklich erklarten Willen Gottes erkannten, woraus hauptsfichlieh der Rigorismus so mancher Gebote ihrer Sittenlehre zu erklSren ist, wenn sie jede Lüge, jeden Eid schlechthin fär eine Todsände wkMrten und auch die rechtlich vollzogene Todesstrafe unter dem Terbote des Tödtens begriffen wissen wollten. Fassen wir den da- ifairch bedingten Charakter ihrer Religiosität aus einem hohem und allgemeineren Gesichtspunkt auf, so hatte sie überhaupt die Richtung^ au dem Verhdltniss des Menschen zu Gott alles zu beseitigen und 10 entfernen, was ihnen auf eine unnöthige und zwecklose, mit einem reineren Gottesbegriff streitende und die eigene Selbstthdtig- keit des Menschen schwachende Weise dazwischen zu treten schien. Be spricht sich diess schon in ihrem unmittelbaren Zurückgehen auf die heilige Schrift als die allein reine und lautere Quelle der gött- Hdien Wahrheit aus, wozu auch der Vorzug gehört, welchen sie dem Neuen Testament vor dem Alten gaben, so wie der Gebraudi, woldien sie von der heiligen Schrift nicht in dem fremden, das un- flultelbare Yerstandniss hemmenden Medium der lateinischen Sprache, sondern in der ihnen von selbst geläufigen Volks- und Landes- sprache machten ; es sollte auch diess dazu dienen , den Inhalt der göttlidien Offenbarung da, wo er uns selbst am nächsten entgegen- kommt, dem unmittelbaren Selbstbewusstsein so nahe als möglich SB bringen. In demselben Sinne, um sich nur an das zu halten, was der gerade und sicherste Weg zu Gott ist, verwarfen sie die Anbetung der Heiligen, des Kreuzes, der Bilder, der Hostie und dies was damit zusammenhängt ; ihre intensivste Bedeutung hatte aber diese Bestimmtheit ihres religiösen Bewusstseins in allem dem- jenigen , was sich unmittelbar auf die Vergebung der Sünden und die Rechtfertigung des Menschen vor Gott bezieht. Hat man ungern bei ihnen eine dem lutherischen Imputationsbegriff näher kommende Rechtfertigungstheorie vermisst, so verdient dagegen um so mehr der Nachdruck beachtet zu werden, mit welchem sie das acht evan- gelische Vertrauen auf die freie Wirksamkeit der bei der Verge- bung der Sünden an nichts Anderes als die sittliche Bedingung der Reue und Busse gebundenen Gnade Gottes hervorhoben. Je un- evangelischer die katholische Lehre die sündenvergebende Gnade Goltes durch so Vieles beschränkte und vermittelte, was erst durch

496 Zweite Periodt. Vierter Abtohnitt.

den ganzen Proceai der priesterlichen Absolation und die tob Priester auferlegten Satisfactionen hinzukommen masate und die ▼olle und reine Wirkung der Gnade nie mit Einem Male , sondm immer nur theilweise und successiY eintreten lieas, am so grösserei Gewicht legten sowohl die Waldenser als die Katharer auf das Mo- mentane und Absolute ihrer Wirksamkeit Nur zwischen Gott umI dem Menschen, da Gott allein die Sünden vergeben kann und keinor priesterlichen Vermittlung bedarf, sollte der Act der Rechtfertigung sich vollziehen und ebendarum auch die Gewissheit der Sündei- ▼ergebung unmittelbar in sich selbst haben. Doch liessen auch rie die einzelnen Sünden beichten und schrieben gewisse äussere Baff- werke , Fasten und Gebete vor; wenn auch diess nur zur Betbiti- gung der innern Busse geschehen sollte, so ist doch nicht nku Grund zu behaupten, dass sie von den katholischen Begriffet der Satisfactionen und verdienstlichen Werke sich noch nicht so tm gemacht haben, wie man nach ihrer evangelischen GrundanschiBr ung erwarten sollte. Um so weniger ist zu übersehen, wie es auck hier wieder Punkte gibt, auf welchen die Kräftigkeit ihres evange- lischen Bewusstseins sich bewährt Mag man auch lange geiuig an dem endlosen Faden menschlicher Werke und Verdienste fori- spinnen, er muss am Ende doch abgebrochen werden, damit sidi rein und klar herausstellt, was der Mensch im Grunde seines Her- zens vor Gott ist oder nicht ist In diesem ernsteren sittlichen Sinn ist es zu nehmen, dass die Waldenser das Fegfeuer verwarfen. Sie wollten nicht über die Grenze des menschlichen Lebens einen Zo- stand sich erstrecken lassen, in welchem der Mensch um so weniger zur Entschiedenheit seiner sittlichen Gesinnung kommt, je weiter noch die Möglichkeit der Entscheidung hinausgerückt ist Mit dem Tode soll daher dem Menschen sein Ziel gesetzt sein; es gibt janor zwei Wege, den der Erwählten zum Himmel und den der Ver- dammten zur Hölle. Darum, auf welche Seite der Baum ßillt, da bleibt er liegen, sagten auch sie, wie die Katharer, mit den Worten des Predigers 11, 3. Je kürzer so die Zeit der Busse ist, um so grösser muss der Ernst derselben sein, und je weniger der Mensch durch seine eigenen Werke dazu thun kann, um so mehr kann der Maasstab seines sittlichen Werths nur in die Gesinnung gelegt werden. In der Verwerfung eines solchen Mittelzustandes, wie das Fegfeuer ist, spricht sich daher eine weit grössere sittliche Energie

Waldenser. Busse. Fegfaner. Inn. kirobl. Leben. 497

aus, als im Glauben an dasselbe mit seinen Darbringnngen, Fär- bitten und Messen. Fehlt es also nur auf der Seite der Menschen nicht an dem Ernst der Busse, so steht auch der Macht der Gnade nichts hemmend entgegen 0* Ohne Zweifel würde die Lehre von den Sacramenten noch weitere Züge zu dieser Charakteristik des waldensischen Christenthums darbieten, wenn sie uns näher bekannt wäre. Die Kindertaufe scheinen sie weder verworfen noch be- sondern Werth auf sie gelegt zu haben. Stellten sie wirklich über das Abendmahl den ihnen beigelegten Satz auf, dass die Transsub- atantiation nicht in der Hand des unwürdig Consecrirenden, sondern in dem Munde des würdig Geniessenden geschehe, so sehen wir auch hier in das ihnen eigene Streben hinein, das objektiv Kirchliche dorch die sittliche Beziehung, die sie ihm gaben, zu verinnerlichen und zu subjectiviren. Dass über ihre Lehre von den Sacramenten weniger berichtet ist, hat seinen Grund wahrscheinlich darin, dass sie, om die Aufmerksamkeit ihrer Feinde nicht auf sich zu ziehen, ridi an den öffentlichen Gottesdienst hielten, uqd daher besonders in Beireff der Sacramente sich von den übrigen Christen nicht ab- sondern durften ^). Wenn sie auch da und dort eine eigene Feier der Sacramente imter sich hatten, so gestatteten wenigstens den Waidensem im südlichen Frankreich die Verhältnisse nicht, sich so voilstdndig zu constituiren, dass sie einen für sich bestehenden kirchlichen Cultus gehabt hätten. Indem ihre Vorsteher und Pre- diger sich der eigentlich priesterlichen Functionen zu enthalten halten, wandte sich ihre Thätigkeit um so mehr der Innern Seite des kirchlichen Lebens zu, der Lehre, Seelsorge, Beichte. Die hiezu durch einen besondern Act Ordinirten wurden, wie diess die Secte von Anfang an im Gebrauch hatte, je zwei und zwei ausgesandt, ein älterer und ein jüngerer, um zu predigen oder wenigstens An- sprachen in den Häusern zu halten und aus der h. Schrift oder an-

1) Qtumdocunque poenitet quicunque peccator^ sagten daher die Wal- denser nach Stepb. de Borb., quantumctmque magna et muUa peccata com- TnUenty ai moritury atatim evolat,

2) Vgl. in dem anonymen tractat. de haer. paup. de Lugd. a. a. O. S. 1782 : £ke eadem simulatione frequentamt nobiscum ecclesiaSf interatmt divinisj offe- runt ad aüare , perdpiunt sacramenta , confitentur sacerdotibusy jejunant je- jtmia ecclesiae et festa colunt et henedictionea sacerdotum incUnato capite smeipiwni, Frequenta/nt eccleeias et praedicationes et in omnibtu reUffio- Huime se fferunt.

Banr, K.a. d. Mittelalterg. 32

498 Zweite Periode. Yiertet Absolmitt

denn Buchern vorzuleien , hauptsächlich aber um zur Beichte uit- zufordem und den Beichtenden Absolution zu ertbeilen. Uder diese innere Seite des in steter Busse und Nachfolge Chiitti be- stehenden christlichen Lebens der Waldenser geben die ersi ii der neuesten Zeit näher l>ekannt gewordenen waldensiscken Schrifki weitere Aufschlüsse; sie unterscheiden sich ebendadurch von te Schrifken der katholischen Berichterstatter, bei welcken zunäckrt der Gegensatz zur katholischen Kirche und die schroffere Seite der waldensischen Lehren und Grundsatze hervortritt Die noch ii romanischer Sprache vorhandenen Schriften, unter wichen die iMte Fjeyczon die älteste und merkwürdigste ist, enthalten sich nicht mr beinahe jeder Polemik gegen die katholische Kirche, sondern gebet überhaupt ein milderes und ansprechenderes Bild ihres Yoragf- weise praktischen Christenthums. Sie handeln von dem Gebonii gegen Gott und Christus, vom Glauben und der Liebe und den ü^ rigen christlichen Tugenden, unter welchen Armuth und Keusohheü besonders hervorgehoben werden. Dem Leben in voIIkoBmenei Armuth und Keuschheit wird zwar der Vorzug gegeben; diair- sprüngliche Strenge der Lebensansicht ist aber dadurch sehr ga- mildert, dass es verschiedene Stufen und Stande gibt, Verheirathete, Enthaltsame und Vollkommene. Die Stufe der Verheiratheten ist schön durch das Gesetz der rechtmässigen Ehe, die Stufe der Eni*- haltsamen ist schöner durch die Enthaltung des Fleisches und durch die Verachtung der Welt, die Stufe der Vollkommenen ist die schönste durch die innigere Gemeinschaft der nicht blos in Keuschheit son- dern auch in Armuth Lebenden mit Christus im Himmel 0* Wie sich auf diese Weise bei den Waidensem im Gegensatz zur katholischen Kirche ein einfacheres, reineres, aufächt evangelischen Grundsalzen beruhendes Christenthum herstellte , so kamen sie mit allen reli- giösen Gemeinschaften in Berührung, die mit ihnen dieselbe freiere Richtung theilten. Schon früh scheinen sich Brüder des freien Geistes an sie angeschlossen zu haben; später waren es besonders die Hussiten, Taboriten, böhmische Brüder, zu welchen sie in eine nähere Beziehung traten; zuletzt suchten sie sich auch mit den Re- formatoren und Protestanten als Genossen desselben evangelischen

1) Vgl. Herzog, die romanischen Waldenser, hauptsächlich nach ihren eigenen Schriften. Halle 1853. S. 171 f.

Waldens. Innf. kircbl. Leben. Verbreitung n. Verfolg. 499

Crhiübens zu verständigen. Mit den Lebren und Grundsätzen aller dieser Parteien hatten die ihrigen so viel Verwandtes, dass es nicht an Anknüpfungspunkten fehlen konnte, und sie selbst hatten nur zu sehr das Interesse, ihre Uebereinstimmung mit ihnen hervorzu- heben. Wie sie sieh schon von Anfang an als die Träger und Ver- mittler der seit der ältesten Zeit virenigstens in Einzelnen sich er- haltenden reinen evangelischen Wahrheit betrachteten ^), so wollten sie auch in der Folge alles sich aneignen und als bei sich schon vorhanden nachweisen, was erst der weitern fortschreitenden Ent- widtlang des evangelischen Bewusstseins angehörte ^>

Werfen wir noch einen Blick in die ältere Zeit zurück, so ver- breiteten sie sich nicht blos im südlichen Frankreich, sondern auch iHicli Oberitalien, wo sie, wie die Katbarer, sich hauptsächlich in Mafland festsetzten; Rainerius unterscheidet daher lombardische und ültramontane pavperes und leitet die erstem von den letztern aft. Auch in die Gegenden , in welchen sie in der Folge ihren Hatoptsitz hatten, nach Piemont, kamen sie schon früh; schon Klber Otto tV. gab im Jahr 1198 ein Edict gegen die häretischen WaMenser, die in der Diöcese von Turin Unkraut aussäen. In feind- Iidie Berührung mit der römischen Kirche kamen sie wahrschein- Jich nicht schon auf dem dritten lateranensischen Concil im Jahr 1 i79 unter Alexander III. , von welchem sie unter den damals yerdannnten Häretikern nicht genannt wurden, sondern erst auf dem Concil zu Verona im Jahr 1184, auf welchem Lucius Ilt. neben deh Katharem und andern auch die anathematisirte, die sich fälsch- lich für Humiliaten oder pauperes de Lugduno ausgeben, und unter deihr Schein der Frömmigkeit sich das Recht zu predigen anmassen, ungeachtet der Apostel CRöm. 10, 15) sage, quomodopraedicabunt, ntsi mittuntur. Seitdem waren die römischen Ketzerverfolgungen

1) Kach Rainerias a. a. S. 1775 behaupteten sie, die Kirche sei im Papst Sylvester abgefallen, quous^^ ipsi eam reataurarunt , tarnen dicuntj quod s&mper fuerunt aliquiy qui Deum tvmehant et salvabamtw,

2) Daher es eine besondere Aufgabe der historischen Kritik war, die Fftlscbungen zu untersuchen, die die waldensische Literatur durch hussiti- sohe und reformatorische Einflüsse erlitten hat. Es ist diess das Hauptver-^ dienst der Schrift von Dieckhoff, die Waldenser im Mittelalter. Göttingen 1861. Ueber die Verbindung der Waldenser mit den böhmischen Secten Tgl. a. a. O. S. 71 f. 127 f.

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500 Zweite Periode. Vierter Absehnitt

auch gegen sie gerichtet; merkwürdig ist jedoch der von Innocenz IIL bei den Waldensergeseilschaften unter Durandus de Osca und Bernhardus Primus gemachte Versuch, die waldensischen pmtpere» als katholische pauperes mit der katholischen Kirche zu vereini- gen 0* Innocenz genehmigte einen ihm von Durandus de Osca abergebenen Entwurf einer Lebensregel Qpropotitum contena- tionis), welchem zufolge die Waldenser, die denselben annehmen, sich zum katholischen Glauben bekennen und ihren mit den katho- lischen Ordinationsbegriffen streitenden Lehrsätzen entsagen sollten, dagegen auch femer nicht nur ihren Grundsatz der Armuth und Weltentsagung, sondern auch ihre apostolische Mission beibehalten durften; die letztere jedoch nur mit der Bestimmung, dass sie jebrt die Bekehrung der Häretiker und namentlich ihrer waldensiscko Glaubensbrüder selbst als die Hauptaufgabe ihres Berufs anznsdMi hatten. Auch die den Päpsten besonders anstössige Sitte der Wd- denser, nach oben offene Holzschuhe in der Form der apostolischen Sandalen zu tragen ^3, war einer der Punkte, über welchen sich Innocenz mit Durandus verständigte. Wie sehr es Innocenz DL darum zu thun war, auf diesem versöhnlichen Wege die Waldenser für die Kirche wieder zu gewinnen, beweist die Nachsicht^ die er hatte, als der auf der Grundlage jenes Entwurfs geschlossene Ver- gleich von Seiten der Waldenser nicht sehr genau gehalten wurde, und die, die ihm beitraten, sich auch ferner um die Satzungen der Kirche wenig bekümmerten. Gab er doch sogar dem Erzbischof von Narbonne und dessen Suffraganbischöfen die Weisung, mit Du- randus aus Klugheit vorerst noch glimpflich zu verfahren , falls er, wie er voraussetzte, von seinen früheren Irrthümern das Eine und Andere wohl nur in der Absicht beibehalte, um damit um so leichter

1) Es beziehen sich darauf mehrere Briefe von Innocenz zwischen den Jahren 1208—1212. Wahrscheinlich gehört in dieselbe Zeit auch die Ver- handlung mit den Waldensern, die nach der gewöhnlichen Annahme auf der römischen Synode im Jahr 1179 unter Alexander III. stattgefunden haben soll, Dieckhopp a. a. O. S. 182. 343 f.

2) (Woher die Waldenser insabbatati , Xabatatenses, Sabotiers genannt wurden.) So wichtig erschien diess auf katholischer Seite , dass Feter von Vaux Cemay in seiner Hist. Albig c. 2. bei Duchesne Hist Franc Script. T. 5. S. 557 diess allem andern yoranstellt: in guatuor prcLtdpv» consistehat e/rror eorum : inportcmdis scüicet sandalis more Apostohrum n. 8. w.

Waldenser. Pftpstliche VereinignngsYersnche. 501

die F&chslein zu fahen, die den Weinberg des Herrn zu verwüsten trachten. Wenn man nur der Substanz der Wahrheit nichts ver- gebe, könne man füglich so handeln; sage ja auch der Apostel Paulus; cum essem asfutvs, dolo tos cepi^'). Man sieht hier nicht undeutlich in die Dialektik der päpstlichen Gedanken hinein. Der Papst befand sich den Waldensern gegenüber in demselben Colli- sionsfall wie bei der gleichzeitigen Stiftung der Bettelorden. Auf der einen Seite konnte man eine so thatkräftige Anerkennung des christlichen Armuthsprincipes nicht geradezu zurückweisen, auf der andern konnte dem Scharfblick eines Innocenz nicht entgehen, welcher Widerspruch mit der Kirche, wie sie war, darin lag und welche Gefahr für sie entstehen musste, wenn sie mit einer solchen Principienfrage zu kämpfen hatte. Die Klugheit schien daher zu rathen, dieser Armuthsschwarmerei ihre gefährlichste Spitze da- durch zu nehmen, dass man sie, statt sie von der Kirche auszustossen, Tielmehr in sie hereinzog, sie zu einem löblichen und nützlichen Institut der Kirche selbst machte, zugleich aber unter der Auctorität der Kirche so überwachte und beschränkte, dass die Kirche von ihr nidits zu befürchten hatte. Diess war ohne Zweifel der Plan des Papstes ; da aber die Waldenser nicht dieselbe demuthsvolle Er- gebenheit und Fügsamkeit gegen den apostolischen Stuhl , wie der firommePranciskus, zeigten und auf der andern Seite den Bischöfen ein 90 schonendes Verfahren gegen Häretiker nicht einleuchten wollte, so scheint das beabsichtigte Institut der pauperes catholici keinen weiteren Erfolg gehabt zu haben. Die divergirenden Richtungen trennten sich, die Kirche konnte es nicht unterlassen, die Abtrün- nigen zu verfolgen, und die Verfolgten trugen nun auch kein Be- denken, die Kirche offen für das zu erklären, wofür sie sie nach ihren Grundsätzen halten mussten. Eine Kirche Christi habe es nur

1) So deutet der Papst die Worte des Apostels 2 Cor. 12, 16, wo der Apostel in seiner Vertheidigung zu seinen Gegnern sagt: Ihr könnet freilich noch sagen, dass ich als TtavoupY^^ SöXb) C[xa; sXaßov, wo demnach auch nicht entfernt daran zu denken ist, der Apostel seihst hahe ein solches h6\M Xaß^v gebilligt. Die päpstliche Moral yerräth hier schon sehr deutlich ihren acht jesuitischen Grundsatz, dass, wenn mau nur der Kirche einen Dienst damit erweist, jedes Mittel hiezu erlaubt ist, besonders wenn man sich dafür auch noch auf eine Schriftstelle berufen kann. Weil der Papst selbst nach dieser Maxime handelte, sollten sie auch seine Waldenser befolgen.

50S Zweite Periode. Vierter Absohnitt.

bis aaf die Zeit Sylvesters gegeben; in diesem, der auf Anstiften des Teufels der erste Erbauer der römischen Kirche gewesen sei, sei die Kirche von sich abgefallen und zur Kirche der Bösen (der ecclesia malignantium) geworden, nachdem das Gift der zeitlichen Gäter in sie gegossen war 0- Solche Vorwurfe gerade aus dem Munde der Waldenser zu hören , schien selbst ihren katholischen Gegnern um so bedenklicher, da sie nicht wie Andere durch das Blasphemische ihrer Lehren von sich abstossen, und durch ihren rechtschaffenen Wandel und guten Glauben an Gott eine günstige Meinung von sich erwecken. Indem sie nur die römische Kirche und den Klerus verlästern, haben sie einen weit schädlicheren Ei«- fiuss auf die Laien als alle andern Häretiker 0. So hat ja auch der englische Franciskaner Walter Mapes, als er auf einer römisckflo Synode mit Waidensem zu thun hatte, über diese Armen, die, wie er sie schildert, zu zwei umhergehen, barfuss, in wollenen Kleiden^ nichts besitzen, wie die Apostel, alles unter einander gemein haben und nackt dem nackten Christus folgen, das ahnungsvolle Urtl^eil ge- fällt: so fangen sie jetzt auf die demüthigste Weise an, weil sie noch nicht festen Fuss gefasst haben, lassen wir sie aber zu, werden wir selbst hinausgetrieben werden ^3. Man muss es der Kirche zo-

1) Vgl. Herzog a. a. 0. S. 194 f. Nach Moneta a. a. O. verstanden die Waldenser unter dem rex impudens fade, bei Daniel 8, 23 f., cujug^for- titudo roborabitur, sed non in viribus suis, den Sylvester, dicentes eum in viribus Constantini roboratum. In dem waldensischen Tractat Tribulacions, welchen Herzog in die Zeit Innocenz IV. setzt, werden die beiden Bettelordeo, die man mit den Beiden Hörnern des Lammes verglich, für die zwei Homer des Thiers Apoc. 13, 11 erklärt. „Das Thier des Abfalls wird aus dem mönchischen Boden in die Höhe steigen mit zwei Hörnern von falschen Mönchen und falschen Propheten, Diese werden Zeichen geben von ihrer kirchlichen Auctorität und wer ihnen widersprechen will, der wird als Schismatiker, Aufrührer, Narr und Thor erscheinen". Diese Deutung, die auch die Deutung des Thiers der Apok. auf das Papstthum voraussetzt, wird sehr treffend weiter ausgeführt.

2) Pseudo-Rainerius c. 4 ; da sie in so vielem den Glauben der Kirche theilten, so wurde auch wieder anerkannt , dass sie, wie Petrus von Vaux- Cernay sagt (Gieseler 2, 2 S. 375), comparatione aliorum haereticorum lange minus perversi seien.

3) Vgl. Dieckhoff a. a. O. S. 183. Nach Dieckhoff's Vermuthung waren es katholische Arme unter Bernhardus Primus auf dem römischen Concil im Jahr 1210.

Waldenser tu d. katli.Kircbe» Brttder d. freien Geistes. MI3

gestehen, dass sie in solchen Momenten die Stimme ihres bösen Gewissens nicht ganz verläugnen konnte.

Wie die Katharer und Waldenser, ungeachtet ihrer princi- piellen Verschiedenheit, in derselben radicalen Opposition gegen die katholische Kirche zusammenstimmen, so stehen auch die bei- den andern Secten, die hier noch zu erwähnen sind, die Brüder und Schwestern des freien Geistes und die Apostelbrüder, in dem- selben Verbaltniss zu einander und zu der katholischen Kirche.

DieBrüder und Schwestern des freienGeistes bezeich- «et schon ihr Name als eine Secte, die in ihrer spiritualistischen schwärmerischen Richtung sich über die äussere gesetzliche Ord- nung hinwegsetzte, um dem innern Triebe des sie beseelenden Geistes zu folgen. Dass in einer an Secten verschiedener Art so finichtbaren Zeit auch eine solche nicht blos mit der Kirche , son- dern auch mit den allgemein geltenden sittlichen Begriffen mehr oder minder in CoUision kommende Secte auftauchte, ist an sich keine die Aufmerksamkeit besonders auf sich ziehende Erscheinung. Was der genannten Secte ihr geschichtliches Interesse gibt, ist der UttTerkennbare Zusammenhang, in welchem sie mit dem im Jahr IS09 SU Paris als Irrlehrer verurtheilten Pariser Theologen Amal- rieh von Bona steht, dessen geschichtlicher Einfluss selbst erst in den unter dem Namen Begharden weit verbreiteten Anhängern geiner Lehre in seinem wahren Licht erscheint. Als Lehre Amal- richs können wir nur die ihm selbst ausdrücklich zugeschriebene Behauptung betrachten, jeder Christ müsse glauben, er sei ein Glied Christi und habe als Glied des Leibes Christi gemeinsam mit ihn am Kreuze gelitten, niemand könne selig werden, der daran nicht ebenso gut glaube, wie an die Geburt und den Tod Christi und an die übrigen Glaubensartikel. Wie er diess meinte, und in welchem Sinne er so heterodox von einem Leibe Christi sprach, dass er, wie ausdrücklich gemeldet wird, hauptsächlich wegen dieses constant von ihm behaupteten Satzes verurtheilt und zum Widerruf gezwungen wurde, ist aus Hangel an Nachrichten nicht klar; nur diess lässt auf einen weiteren Zusammenhang seiner Lehre schlies- sen, dass sie mit dem System des Job. Scotus Erigena in Verbindung gebracht wird und auch ihm die demselben eigenthümlichen Ideen von der Identität des Schöpfers und der Schöpfung, des Schaffens nnd Geschaffenwerdens, der Alleinheit Gottes als des allgemeinen

A04 Zweite Periode. Vierter Absolinitt

Seins aller Creatoren, von der Spaltung der Einheit in die Unter- schiede and Gegensätze als der Folge des Sündenfalls und der ein- stigen Rückkehr aller Dinge in die untheilbare und unwandelbare Einheit des göttlichen Seins und Wesens zugeschrieben werden. Hatte demnach seine Lehre im Allgemeinen eine pantheistische Ten- denz, so kann wohl auch jener Satz vom Leibe Christi nur so ver- standen werden, dass er behauptete, derselbe Process, dessen Ver- lauf der Leib Christi als die Einheit aller zu ihm gehörenden Glieder von der Geburt an besonders in seinem Leiden und Tode in sich darstelle, müsse auch in jedem Einzelnen, als einem Gliede dieses Leibs, vor sich gehen, weil ja jeder als Glied des Leibes Chrnti wesentlich nichts anders sei als Christus, somit nur dessen sidi bewusst werden dürfe, was er an sich sei. Was bei Amalrifik, wenigstens soweit wir seine Lehre kennen, noch innerhalb dertU- gemeinen Begriffe von Gott und Christus stehen bleibt, ist bei seiM Anhängern, den Amalri cianern, zu einer Trinitatslehre fort- gebildet, deren drei Momente auf der Anschauung eines von Periode zu Periode fortschreitenden Weltentwicklungsprocesses beruhen. Der Vater, lehrten sie, hat von Anfang an gewirkt ohne den S<An und den heil. Geist bis zur Fleischwerdung des Sohnes, der Sokn hat bis jetzt gewirkt, aber der hl. Geist fängt jetzt an bis zum Ende der Welt zu wirken. Der Vater ist in Abraham Fleisch geworden, der Sohn in der Maria, der heil. Geist wird täglich in uns Fleisch. Des Vaters Gewalt habe solange gedauert, als das mosaische Gesetz seine Gültigkeit hatte, und weil es in der Schrift heisse, wenn das Neue komme^ werde das Alte abgethan sein, so seien, nachdem Christus gekommen, alle Sacramente des Alten Testa- ments erloschen und das neue Gesetz bis auf diese Zeit in Kraft gewesen ; jetzt aber haben die Sacramente des Neuen Testaments ein Ende und die Zeit des heil. Geistes habe angefangen, in wel- cher Beichte, Taufe, Eucharistie und was sonst zum Heil nöthig sei, nicht mehr an ihrer Stelle seien, sondern jeder nur durch die innerlich ohne einen äussern Akt inspirirte Gnade des Geistes selig werden könne. Da sie sich selbst als die Incarnation des hl. Geistes betrachteten, so sagten sie, dass der Geist ihnen alles offenbare, und diese Offenbarung nichts anders sei als die Auferweckung der Todten, und sie selbst daher schon auferweckt seien. Ihre pan- theistische Anschauung spricht sich in den Sätzen aus : an sich sei

Amalrieh ron Bena nnd die Amalrioianer. 505

alles, was ist, Gott; was Offenbarung und Fleischwerdung Gottes genannt werde, sei nur die sichtbare Erscheinung dessen, was an sich schon da sei; der Sohn werde Fleisch, wenn er einer sicht- baren Form sich unterziehe, d. h. in einem bestimmten Individuum als Gott oder Gottmensch erscheine, als solcher sei er nicht anders Gott, als es auch Einer von ihnen sei. In diesem Sinne sagten sie vom Sacrament, dass es nicht, wie die Kirche lehre, durch das Hin- zukommen des Worts zum Element entstehe, sondern vor dem Aus- sprechen der Worte sei der Leib Christi in den sichtbaren Acci- denzien des Brods, durch das Aussprechen der Wofte werde nur gezeigt, dass das, was zuvor schon da war, unter den sichtbaren Formen da sei. Der Leib Christi sei auf dem Altar nicht anders als in anderem Brod und in jeglichem Ding. Alles ist also an sich göttlich, so verschieden es auch seiner äussern Erscheinung nach sein mag, in welchem Sinne sie auch sagten, Gott habe in einem Ovidf so gut gesprochen wie in einem Augustin. Wenn alles an sich Eins ist, so gibt es auch kein eigentliches Werden, sondern alleg Werden ist nur einBewusstwerden dessen, was an sich schon ist Wie sie die Auferstehung nicht erst geschehen Hessen , son- dern als schon geschehen betrachteten, so sagten sie auch, es gebe keufie Hölle und kein Paradies, sondern wer die Erkenntniss Gottes habe, der habe das Paradies in sich, und wer eine Todsünde habe, habe die Hölle in sich, wie einen faulen Zahn im Munde Dass eine Lehre, nach welcher alles an sich Eins ist, und alle Unterschiede nur äusserlich sind und das an sich seiende Wesen so wenig berühren, dass sie in keiner Innern Beziehung zu demselben stehen, sehr leicht in sittlichen Indifferentismus übergeht, liegt aO; sich in der Natur der Sache. Es wurden daher den im Jahr 1210 zu Paris zum Feuertode verurtheilten Mitgliedern der Secte nicht blos die wegen ihres pantheistischen Inhalts verwerflichen Lehren, sondern auch unsittliche Grundsätze und Handlungen schuldge- geben, und Amalrich selbst erschien als Urheber der Secte so ver- dammungswürdig, dass seine Gebeine ausgegraben und aus der geweihten Erde entfernt wurden. Die Lehren der Secte dürfen

1) Vgl. den Bericht über die Uäresen der zu Paria im Jahr 1210 Vet- nrtheilten in Marlene Thes. anecd. T. IV. S. 163. Rigordus de gestis Phil. Aug. bei £nge]h. a. a. 0, Gäsar's von Heisterbach Hist bei Mart. V, 22.

ft06 Zweite Periode. Vierier Absohnitt

swar nicht geradezu dem Stifter selbst zugeschrieben werden, doch lässt sich kaum annehmen, dass die Lehre Amalrichs in der so kurzen Zeit zwischen seinem Tode und der Verurtheilung seiner Secte eine sehr wesentliche Verinderung erlitten habe; was non aber hier hauptsachlich in Betracht kommt, ist das bemerkenswerthe Zusammentreffen der Lehren der Secte mit den gleichzeitigen Ideen des Abts Joachim. Beide betrachten ihre Zeit als die Epoche, in welcher nach der Herrschaft des Sohns schon die des heil Geistes angefangen hatte, als des Princips, durch welches die letzte Welt- Periode ihrer geistigen Vollendung entgegengeführt werden sollte. Diese Idee ist es nun auch , die den Zusammenhang der Anhinger Amalrichs mit den Brüdern und Schwestern des freien Geistes fer- mittelL Der Geist, von welchem jetzt die Secte selbst ihren Nomo hat, ist der nach der Periode des Sohns die Herrschaft der Welt führende trinitarische Geist. Was über die Verbreitung dieser Sedn bekannt ist, bestätigt einen solchen Zusammenhang. Als maniB Jahr 1210 der Secte Amalrichs nachforschte, zeigte sich in den Diöcesen von Paris, Langres, Troyes, Sens, eine grosse ZaU von Anhängern. Die Verurtheilung bewirkte, dass sie sich weiter ver- breiteten und an verwandte Secten anschlössen. Seit dem Jahr 1212 erscheinen im Elsass, im Thurgau, in Schwaben, in Cöln Secten, die theils mit den Anhängern Amalrichs, theils mit den Brüdern des freien Geistes so verwandt sind, dass sie nur für dieselbe Sede gehalten werden können. Auch bei den Waldensern fanden sie Anknüpfungspunkte, die eine Vermischung der beiden Secten leickt möglich machten. Wie die Waldenser in der Idee ihres b0nu$ hämo das äusserliche kirchliche Christenthum verinnerlichten, so konnte nach derselben Anschauungsweise der bonua Itomo als ein /Uwi Dei aufgefasst werden, in welchem der bonus hämo durch densd- ben Process der Entwicklung und Vollendung hindurchgehen muss, welchen die evangelische Geschichte in Christus darstellt, es ist somit das erst die wahre Empfängniss, Geburt, Passion, Auferstehung und Himmelfahrt Christi, wenn das eigentliche Subject dieses nicht so- wohl geschichtlichen als sittlichen Processes der gute Mensch ist 0*

1) Stephanus de Borbone schreibt den Waidensera Sätze su, wie folgende: Qu4}d quüibet bonw homo sit Dei ßUuSj aicut Christus eodem modo, dicmU, gmd iUam eredunt veram conceptionem Christi^ naüviUxtemy pauiontm et re-

Brüder de« freies Geistes. Amalricianer. Begharden. 507

Während das Volk sie in ihrer weitern Verbreitung unter dem allge- meinen Namen der Begharden begriff, nannten sie sich selbst die Secte des freien Geistes. Es werden ihnen die crassesten pantheistischen Lehren schaldgegeben, sie haben sich schlechthin mit Gott identificirt, von Christas gesagt, dass jeder vollkommene Mensch von Natur Chri- itus sei, den Leib Christi blasphemisch verhöhnt und behauptet, dass jeder guter Laie den Leib Christi so gut consecriren könne, wie ein sündhafter Priester, die priesterliche Beichte für unnöthig er- klärt, den Glauben an Gericht, Hölle und Fegfeuer verworfen, weil im Tode des Leibs der Geist zu dem zurückkehre, von welchem er ausgegangen seL Aus der Reihe solcher und ähnlicher Sätze tritt als das eigentliche Princip der Secte die Behauptung hervor, dass der Mensch mehr dem innern Trieb des Geistes zu folgen habe, als der Wahrheit des Evangeliums 0- Mit diesem Grundsatz setzten sie sich in die radicalste Opposition zur katholischen Kirche , die sie auch ausdrücklich für eine Thorheit erklärten. Der in ihrem Sinn vollkommene, gegen Tugend und Laster sich gleich frei ver- haltende Mensch ist frei von jeder Verbindlichkeit des Gehorsams gegen die der Kirche von Gott gegebene Gebote und ebendarum auA an die Beobachtung der Gebote der Prälaten und die Satzungen der Kirche nicht gebunden. Ist in solchen Grundsätzen das Princip des Geistes schon auf dem Wege, in den entschiedensten Liberti- msmus überzugehen, so hatte die Kirche alles Recht, mit dem gansen Gewicht ihrer Auctorität gegen sie einzuschreiten ^).

gurreetionem et ascermonemf cum honua homo concipitury netscüur, resurgit per poenitentiam f vel ascendü in coehim, cum ma/rtyrium patüurj iUa est vera pOBsio Cfhrisfi. Es sind diess, worauf Gibseler 2, 2. S. 643 aufinerksam maoht, offenbar Sätze, die erst aas der Lehre der Amalricianer in die der Wal- denser gekommen sind. Ja, man versteht eigentlich erst mit diesem Gommentar, wie Amalrich so emphatisch behaupten konnte, jeder Christ müsse sich für ein Glied Christi halten, das mit Christus gelitten habe.

1) Vgl. den Yon dem Erzbischof Johannes yon Strassburg im Jahr 1317 gegen die Begharden erlassenen Hirtenbrief, bei Mosheim de Beghardis et Beguinis S. 255 f.

2) Wie diess auch von dem Erzbischof Heinrich von Cöln in dem Statut vom Jahr 1306 contra Becgardos et Bccgardas und von Papst Clemens Y. im Jahr 1311 durch die Bulle gegen die Begharden und Beguinen in Schwaben geschah. Tgl. Mosheim a. a. O. S. 210 f. 618 f. Auch in diesen Urkunden wird als Wahlspruch der Secte hervorgehoben: qucie spiritu Dei agunttWf non sunt eub lege; ubi Spiritus Domini, ihi Ubertcis,

508 Zweite Periode. Vierter Abschnitt

Bei den Apostelbrfidern ist es wieder das Princip der Ar- moth und der apostolischen Lebensweise, das in ihnen der Kirche entgegentritt. Wie der Stifter, GerhardSegarelli aus Pamn, anfangs nur in den Franciscanerorden treten wollte , so konnte er auch, als ihm dieser Wunsch nicht gelang und er dem Drange sei- nes Herzens nur durch die Stiftung einer eigenen Gesellschaft ge- ndgen konnte, das Vorbild dazu nur von den Franciscanem eat- nehmen , von welchen sich seine Gesellschaft nur dadurch unter- schied, dass sie ein freierer, an kein Gelübde gebundener Yeroa war, und auch in ihrer äussern Erscheinung und Tracht ganz die Apostel als umherwandernde Bussprediger vor Augen stellen w<dlte. Wie die Kirche gegen alles argwöhnisch war, was nicht innerhilb der von ihr vorgeschriebenen und genehmigten LebensordanfBO blieb , und Vorwurfe über das in ihr herrschende Verderbe» lie ungeahndet lassen konnte, so ergingen auch schon gegen Segudä von den Päpsten Gregor X. und Nicolaus IV. Verordnungen, & die Folge hatten, dass er im Jahr iSOO auf dem ScheiterhavieB endete. Die Gesellschaft erhielt nun aber erst in seinem Jfing« Dolcino aus Novara ein bedeutenderes Haupt, durch dessen Hur- tigkeit und Energie sie sich sehr verstärkte, aber auch mit der Kirche so verfeindete, dass es zu einem offenen, von beiden Seiten mit aller Wuth eines fanatischen Hasses und allen Grauein einer barbarischen Grausamkeit geführten Kriege kam, welcher mehrere Jahre bis zum Jahr 1307 dauerte, bis es endlich der Kirche gelang, sich auch dieses Gegners zu bemächtigen, welcher auch noch durch seinen martervollen, ohne alle Zeichen einer Empfindung erdulde- ten Tod ein Zeugniss seines unversöhnlichen, tief innerlichen Wider- willens gegen Papstthum und Kirche gab 0* Nach der grossen Erbitterung dieses Kampfes sollte man auch inDolcino's Lehren und Grundsätzen mehr Originelles erwarten, als sich wirklich bei ihm findet 0* Seine Eigenthümlichkeit besteht mehr nur darin, dass er

1) Die äussere Geschichte dieses Kampfes hat J. Kroke in der 8chrift: Frk Dolcino und die Patarener, historische Episode aus den piemontesischen Religionskriegen. Leipz. 1844 ausführlich geschildert.

2) Die Hauptquelle für die Lehre Dulcins ist das Additamentum ad historiam Fratris Dvldni haeretici ab auctore coaevo scriptum in Muratori^s Rerum Ital. Script. T. IX. S. 447 f. Der Verfasser beruft sich auf drei Briefe Dulcin's , von welchen er zwei selbst in Händen hat. Aus diesen gibt er Auszüge.

Apostelbrüder. Gerh. Segarelli. Dolcino. 509

verschiedene in der Zeit liegende Elemente und Richtungen in sich aufnahm und verknüpfke, und ihnen in seiner persönlichen Auf- fassung eine neue Schärfe gab. Auch er stützte seine Mission vor allem auf den Grundsatz der Armuth und der apostolischen Buss- predigt, durch welche die Vollkommenheit der apostolischen Le- bensweise hergestellt werden sollte, jedoch nicht in der Form ei- nes Ordens, weil ohne ein Gelübde zu leben ein vollkommeneres Leben ist, als mit einem Gelübde. Es ist charakteristisch für eine Zeit, in welcher schon die Idee des freien Geistes die Gemüther bewegl hatte, dass auch Dulcino seinen Verein als eine innerlich freie, durch keinen äussern Zwang, sondern nur durch freien Ge- horsam zusammengehaltene Verbindung angesehen wissen wollte 0- Mit der apostolischen Predigt verband er die Ankündigung einer der Kirche bevorstehenden grossen Katastrophe. Auf der Grund- lage der von dem Abt Joachim ausgegangenen Ideen und apoka- lyptisehen Anschauungen bildete er sich die Vorstellung von einem Batwicklungsgang der Kirche, welchem zufolge in seine Zeit so- wohl der höchste Grad der Verschlimmerung, als auch die dadurch bedingte Epoche der geistigen Vollendung der Kirche fallen sollte. In engem Zusammenhang damit stand die Heftigkeit der Angriffe auf die römische Kirche, durch welche er sich vor andern ähnli- chen Häretikern auszeichnete.

Dolcino ging ia seiner Auffassung und Skizzirung der ver- schiedenen Perioden und Zustände der Kirche in die älteste Zeit der Menschengeschichte zurück. Gleich den Montanisten betrachtete er die Zeit der Väter des Alten Testaments, der Patriarchen und Pro- pheten bis auf Christus, als die zur Vervielfältigung der Menschheit bestimmte Weltperiode. Da in der Eolge die Spätem von dem Gei- stigen dieses ersten Zustandes und dem ursprünglich Guten abwi- cheu; so kam Christus mit den Aposteln, seinen Jüngern und ihren

1) A. a. O. S. 450: Ipse Duldnus asserit iUam mam congregettionem spiritualem esse et proprumi in proprio modo vivendi apostolico et proprio fumane cum paupertaie propria^ et Hne vinculo obedientitie eaßterioriSf sed cum interiori tantum. Vgl. S. 456 : Töta üla potestaa spirittudis, quam Christus dedit eccle»iae ab initioy tra/nslata est in sectam, iüorum.^ qui dicwntur Apostoli, Ipai soli »mit ecclesia Dei, et sunt in iUa perfectionCy in qua fuerwnt primi Apostoli Christi, Et ideo non tenentur alicui ohedire^ nee summo Pontifiei nee alteriy qiiia eorum regulay quae fuit immediate a Christo ^ libera est et petfeeHseima vita.

fflO Zweite Periode. Vierter Absofcniti

Nachahmern, um jene Schwachheit zu heilen. Im zweiten Stande der Kirche war jetzt die Form des Lebens eine andere als zutot; Jangfraulichkeit und Keuschheit war besser als Ehe, Armuth besser als Reichtham, nichts Eigenes zu haben, besser als Güter zu be- sitzen; so war es bis auf den Papst Silvester und den Kaiser Con- stantin; dann aber wichen die Spätem wieder von derVoIlkoifimen- heit der Frühem ab. Die Weltanschauung Dolcino's unterschied sich dadurch von der der Katharer und Waldenser, dass er nicht, wie diese, mit der Zeit Silvesters einen plötzlichen Abfall der Kirche eintreten Hess, sondern Reichthum und Herrschaft nicht för schlecht- hin unvereinbar mit der christlichen Vollkommenheit hielt, der Feh- ler war nur, dass die Liebe mehr und mehr erkaltete. Solange ffl dem dritten, mit Silvester beginnenden Stande der Kirche die inwr allgemeiner zum christlichen Glauben sich bekehrenden Meidet in der Liebe Gottes und des Nächsten noch nicht erkalteten, war Ar Silvester und die Nachfolger Güterbesitz und Reichthum besser all die apostolische Armuth. Als aber die Völker in der Liebe Golles und des Nächsten erkalteten, und von der Lebensweise Silvesters abwichen, dann war die Lebensweise Benedicts besser als eine andere , weil sie es mit dem Irdischen strenger nahm und sich von weltlicher Herrschaft mehr lossagte. Schon jetzt verminderte sieb die Zahl der guten Kleriker in demselben Verhältniss, in welchen die der Mönche zunahm, und als sodann Kleriker und Mönche mehr und mehr in der Liebe Gottes und des Nächsten erkalteten, war die Lebensweise des heil. Franciscus und des heil. Dominicus als die strengere besser als die Benedicts und der Mönche, und weil jetzt alle Prälaten und alle Klerik'er und Mönche in der Liebe erkaltet sind, so ist die apostolische Lebensweise wiederherzustellen, die, von dem gottgesandten und gottgeliebten Bruder Gerhard eingefährt, als der vierte und letzte Stand der Kirche fortdauern wird bis an's Ende der Welt. Sie unterscheidet sich von der des hh Franciscos und des hl. Dominicus dadurch, dass wir, sagt Dolcino, nicht wie jene Häuser haben und Erbetteltes mit uns nehmen. Wie er seine Behauptungen durch Schriftstellen zu belegen suchte, so gab er namentlich den sieben Engeln der sieben Gemeinden der Apoka- lypse eine auf seine Ansicht von der Kirche sich beziehende Deu- tung. Der Engel von Ephesus ist Benedict mit seinen Mönchen, der von Pergamus Papst Silvester mit den Klerikern, der von Sardes

Apostelbrüier. Dolcino. Seine WeltanBcliAaang. 511

Franciscus mit den Minoriten, der von Laodicea Dominicus mit den Predigermönchen, der von Smyrna Gerhard von Parma, der von Thyatira Dolcino selbst, und der von Philadelphia der heil. Papst, der noch kommen soll. Die Gemeinden der drei letzten Engel sind die apostolische Gemeinde der letzten Periode; sie stellen ihren AnCang, ihren Fortgang und ihre allgemeine Verbreitung durch die ganze Welt dar. Seine die ganze Kirche umfassende Geschichts- anschauung sollte ihm die geschichtliche Grundlage für die Weis- sagungen geben, deren Hauptgegenstand die römische Kirche virar. Weil die Kirche von Periode zu Periode sich sosehr verschlimmert hat, 80 kann auch die Strafe nicht ausbleiben. Die ganze von Chri- stiui der römischen Kirche verliehene Auetoritat hat durch die Bos- heil der Prälaten aufgehört, die römische Kirche mit dem Papst und den Cardinälen , den Klerikern und Mönchen ist nicht die Kirche Gettee, sondern die verworfene, fruchtlose, die abgefallene, die Bore der Apokalypse. Von dem Verdammungsurtheil, das er über die Pipste nach Silvester aussprach, machte er nur bei Cölestin IV. eine Ausnahme; um so mehr aber traf es dessen Nachfolger Boni- fadaaVIII., welchem Dolcino ankündigte, dass er mit vielen Präla^ tea, Klerikern und Mönchen durch das Schwert getödtet und der ganzen Kirche ihr Reichthum und alle ihre zeitliche Macht genom- men werde. Das von Gott dazu erwählte Werkzeug sollte der zum Kaiser erhobene König Friedrich von Sicilien, der Sohn des Königs Vet&r von Arragonien sein. Die Herrschaft dieses Kaisers wird bis zur Zeit des Antichrists dauern. In dieser Zeit wird der von Gott gesandte, nicht von den Cardinälen, die ja alle getödtet sind, son- dern von Gott gewählte heilige Papst kommen, unter welchem die stehen, die zum apostolischen Stande gehören, und die, die sich an sie anschliessen; sie werden dann dieselbe Gnade des heil. Geistes empfangen , die die Apostel in der ursprünglichen Kirche gehabt haben. Die ganze geistliche Gewalt, welche Christus der Kirche von Anfang an und dem Apostel Petrus gegeben hat, geht in der letzten Zeit auf die von Gott gesandte und erwählte geistige Ge- meinschaft über. Diess erwartete Dolcino in seinem im Jahr 1300 geschriebenen prophetischen Sendschreiben in der Zeit vom Jahr 1303—1306.

Es gibt nicht leicht eine Erscheinung, in welcher die geistigen, auf eine Reform der Kirche hinzielenden Bewegungen mit so vielen

51S Sweite Periode. Vierter Abiehnitt

nnlaulern Elementen vermischt sind, wie hier. Sieht man tndi davon ab , dass hier zuletzt nur das Schwerdt den bösen Schaden der Kirche heilen und auf der entweihten Stätte für eine neue Ordnung Raum schaffen soll, so gibt es hier auch sonst nochso Manches, woran man Anstoss nehmen muss. Welche Yorstellang muss man sich von dem geistigen Charakter einer Secte machen, die sich vorzugsweise als eine geistige, durch das freie Band der Liebe verbundene Gemeinschaft betrachtet und das Princip des Geistes xa seiner vollen Herrschaft bringen will, wenn man bedenkt, wd- che Grundsätze die Apostelbrüder über die Geschlechtsgemeinschaft hatten, wie fremd ihnen die keusche Scheu vor Geschlechtsvenu- reinigungen war, durch die sich die Katharer und Waldenser aai- zeichneten. Die mit Gewalt unterdrückte Sinnlichkeit hat sich IM- lieh immer wieder auf verschiedene Weise für das ihr geschikia Unrecht gerächt; wie wenig war es aber hier auch nur auf dw: ernstliche Probe der Bekämpfung der Sinnlichkeit durch den GeUt abgesehen? 0 Treue im Bekenntniss ihrer Lehren und GrandsiUe, Heilighaltung der Wahrheit war den Katharem und Waldensen eine ernste Pflicht; bei den Apostelbrüdern begegnen wir schon dem jesuitischen Grundsatz, dass man nach Umständen auch £e Wahrheit verläugnen und Lüge und Meineid für erlaubt halten dürfe '). Beweise von Muth , Seelenstärke , Standhaftigkeit haben

1) A. a. O. 8. 457: Quilibet Iwmo et quaelihet mvMer nudi nmul pos- 8tmt licite jctcere in tmo et eodem leeto, et licite tangere mutuo vmua akenm in omni parte sui et osciUari se invicem sine omni pecccUa et conju/ngen ventrem suum cum ventre mulieria ad nvdumf si quis siimuletur ctxmaKter, ut cesset tentatio , non est peccatvm. Item quod jacere cum muMere et wm commiseeri ex cctmaUtate majus est, quam resusdtare mortuwn. Dazn ge- hört dann aber auch, was weiter gesagt wird a. a. O. S. 459: Duidnus Tiabuit et tenuit et secum ducehat amasiam nomine Margofritamy quam dieebat se teuere more sororis in Christo provide et honestCj et quia fuit deprehenia esse gravida, ipse et sui asseruerunt esse gravidam de spiritu sancto.

2) A. a. O. S. 457: Pro nuÜa causa nee in aliquo caeu debet homo ju/rare^ nisi pro ariicuHs ßdei vel praeceptis Dei, Si tarnen cogamiw jurare meiu mortis , in eo casu dehent jurare verbo seu voce sohun et in mente tenere, quod in nuUo casu teneantur respondere veritatem^ niei de hUf quae verbaliter continentur in a/rticulis fidei vel praeceptis ^ et si de aliis rS' quiramtury licet eis sine pecccUo mentiri , et veritatem suae sectae negare ore^ dummodo solum teneant eam in corde, ad hoc ut evadant potestatem Inqtd- «ttorum, sed debent respondere inficiando vel negando seu patUamdo^ qucem^

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Die.Apoitelbrüder und die kathol. Kirche. 513

unstreitig die Apostelbnider in hohem Grade gegeben ; wie zwei- deutig wird aber auch dieser Ruhm, wenn sie sich gerade fQr die Zeit der grössten Gefahr, unter dem Antichrist, einen Vorbehalt machten, durch welchen sie für sich gegen alle Versuchungen dieser Art vollkommen gesichert waren? 0

Das Gemeinsame der hier geschilderten Secten ist ihr Gegen- satz und Oppositionsverhältniss zur katholischen Kirche, und zwar iai es nicht Mos der eine oder andere Irrthum, dessen sie bald von dieser bald von jener Seite beschuldigt wird, sondern sie sind sftmmtlich in demselben principiellen und radicalen Widerspruch unter sich einverstanden, sie greifen die Kirche in dem tiefsten und innersten Grunde ihrer Existenz an, und sprechen ihr so gut wie alles ab, was sie berechtigen könnte, sich für die wahre Kirche Christi zu halten. Fragt man nun aber, auf welchem Grund ihr ^Widerspruch beruht, was sie Positives an die Stelle der von ihnen Hegirten und verworfenen Kirche setzen wollten, oder in welchem Sinn sie es nicht blos auf die Bestreitung, sondern auch die Re- fornation der Kirche abgesehen haben, so steht beides in einem sehr ungleichen Verhältniss zu einander, die Schärfe ihrer Opposition und das, was sie Reformatorisches an sich haben. Man denke sich, was aus der christlichen Kirche geworden wäre, wenn das, was die Katharer, die Brüder des freien Geistes und die Apostelbräder ans ihr machen wollten, sich thatsächlich verwirklicht hätte. Wie

qae modo possint pertranaire. Si tarnen non possent mortem evadere , tune in idU eaeu debent aperte profiteri et defendere in omnünu et per omnia doeirinam auam et mori in ea paHenter et eonatanterj et nuUatenue aliquoe de eoeÜB euii vel credentibua revelare. Wie äoht jesnitischl Auch jenes Entere, dass keine Art von Geschleehtsgemeinschaft Sünde sei, wenn ea nur nicht zam commUceri ex camalitate komme, ist ein Achtes Stüok jesuiti- scher Moral.

1) A. a. O. S. 436: Item qtwdf poatquam venisset (Antichristus)^ ipee JDtUeinus et mi sequaces tranaferrentur in Paradisumy in quo sunt Enoe et JSUoi et eonservao'entwr ilUieei a perseeutione Äntichriati eo vero AnH- chrieto mortuo, ipse DulcinuSy qui tune eeset Papa sanciua et hvjus sequaces reeervati descendent in terram, et praedieahunt fidem Christi rectam omnibua, Sie sagten auch, vgl. S. 458, anfangs haben sie noch nicht den h. Geist asur Stärkung gehabt, wenn aber Friedrich als Kaiser aufgestellt sei, werden sie den h. Geist in solcher Fülle zur Stärkung empfangen, wie die Apostel am Pfingstfest, und dann in aller Welt ohne alle Furcht predigen. Baar, K.a. d. MitttUltttn. 33

514 Zweite Ptriode. Vierter Abiehiiltt.

eine auf den Lehren und Grundsätzen der Katharer erbaute Kirche nur ein Rückfall in die dualistische Weltansicht gewesen wdre , so bitten die Brüder des freien Geistes und die Apostelbrüder sich nv daxQ zur herrschenden Macht in der Kirche aufwerfen können, vm auf den Trümmern des positiven Christenthums dem Naturalismus und Libertinisrous den freiesten Spielraum zu verschaffen. Welchen trostlosen Zustand eines inhaltsleeren verödeten oder verwilderten religiösen Lebens sieht man vor sich, wenn an die Spitze eines nen sich gestaltenden kirchlichen Lebens als leitende Norm Sütze ge-* stellt werden, wie diese: dass jeder nur dem Triebe des Geistes zu folgen habe, dass eine geweihte Kirche nicht geeigneter sei zum Gebet zu Gott, als ein Pferde- oder Schweinestall, dassChristai in den Waldern eben so gut oder noch besser als in den Kircki angebetet werden könne 0* Mag man auch gern anerkennen, im auch diese Secten manche evangelische Wahrheit treffend gegen die katholische Kirche geltend gemacht haben und dass sie in jedes Fall schon durch ihre Opposition das lebhaft gefühlte Bedürfiiifli einer Reformation der Kirche bezeugen, so kann doch , sobald wir sie darauf ansehen, nur bei den Waidensem von einer elgenfiidi reformatorischen Tendenz die Rede sein. In welcher nahen Be- ziehung stehen sie auf dem Boden ihres Schriftprincips, durch die Verwerfung der katholischen Traditionen und die Uebereinstim- mung in so manchen Lehrsätzen zu der Reformation und dem Pro- testantismus! ') Und doch welcher grosse Unterschied ist auch hier wieder auf der andern Seite, wenn man bedenkt, wie äusser- lich und unfrei noch ihr ganzer Standpunkt ist; wie fern stehen auch sie noch dem acht evangelischen Christenthum, wenn sie als die geistig Armen das Wesen des Christenthums vor allem in die äussere Verzichtleistang auf den Besitz irdischer Güter, in Armuth und Weltentsagung in diesem Sinne setzen zu müssen glaubtenl Wollten auch sie nur Arme derselben Art sein, wie es die Bettel- mönche waren , so kann man freilich mit Recht sagen, sie hätten besser gethan, wenn sie auf dieselbe Weise, wie diese, ihrArmuths- geläbde auf sich genommen und sich nicht des häretischen Irrthums

1) Vgl. Muratori a. a. O. S. 457.

2) Pseiido-RaineriaB sagt von ihnen: quid^id praedieahtTf quod fCf textwn bibU<»e non probatur^ pro fabuUa habent»

Die Apoitelbrüdor. Benrtheilnng der Waldenser. ftift

fdmldig gemacht hatten, der hierarchischen Ordnung dadurch ler- störend entgegenzutreten, dass sie das von ihnen in Anspruch ge- nommene Recht der Predigt von der Bedingung des kirchlichen Ordo und der Bewilligung der kirchlichen Obern loslösten. Ihre epochemachende Bedeutung für die Geschichte der abendländischen Christenheit im 12. und 13. Jahrhundert würde nach dieser Ansicht nur darin bestehen, dass sie sich als das bedeutungsvolle Mittelglied zwischen den antikirchlichen Bewegungen des 12. Jahrhunderts and den kirchlichen Bettelorden darstellen , die vom Anfang des 13. Jahrhunderts an die katholische Welt beherrschten, nachdem sie sich das von seinem häretischen Gegensatze gegen die Kirche grereinigte Princip jener Bewegungen angeeignet haben 0* Gleich- wohl kann diese Beurtheilung der Waldenser nur für eine sehr un- berechtigte gehalten werden. Wie kann man es ihnen zum Vor- wurf machen, dass sie als apostolische Prediger der katholischea Hierarchie entgegentraten? Jede Möglichkeit einer Reformation iil abgeschnitten, wenn man zur ersten Bedingung macht, dass der kirchliche Ordo, der doch selbst nur der Hauptsitz und die Haupt- qjMÜe des kirchlichen Verderbens ist, in seinem hergebrachten Ansehen respectirt werde. Es ist mit einem Worte nur der katho- lische Standpunkt, auf welchen man sich stellt, wenn man in dieser Bexiehung von einem häretischen Irrthum der Waldenser spricht Als Häretiker würden sie so freilich tief unter den Bettelmönchen stehen; aber welcher Widerspruch wäre auchdiess, wenn doch der ganze Eindruck ihrer Erscheinung, das acht evangelische Gepräge, das sie bei allem Einseitigen an sich tragen, klar genug davon zeugt, wie hoch sie über den mönchischen Dienern des päpstlichen Abso- lutismus stehen. Statt sie katholisch zu den Bettelmönchen zurück- zuweisen, kann man es protestantisch nur loben, dass sie über sie hinausgegangen sind, und was an ihnen zu tadeln ist, nicht in dem was sie zuviel, sondern nur in dem, was sie zu wenig haben, sehen. Es spricht sich in ihnen das ernstere Verlangen nach einem aus der frischen Quelle der evangelischen Wahrheit sich erneuernden Christenthum aus, aber sie sind darüber noch nicht klar, worauf als sein eigentliches Objekt dieses Streben gerichtet sein muss; sie er-

1) DiesB ist der ßtandpiinkt, aufweichen Dieckhoff in seiner Anffassang der Waldenser sich stellt, man vgl. a. a. 0. S. 178 f. 212.

33*

516 Eweite Periode. Vierter Abeehiiltt

kennen die Schrift als die alleinige Quelle der götüichen Wahrheit, aber ihre Auffaasang des Schriftinhalts ist noch zu dusserlich and einseitig, zn kleinlich und buchstäblich ; statt innerlich die Weh n Aberwinden, lösen sie sich fiusserlich von dem Besitz weltlicber Güter ab, statt in sich selbst zurückzugehen und sich in ihr eigenes Herz zu vertiefen, treibt sie der Drang nach evangelischer Wirk- samkeit nach aussen auf den Weg der apostolischen Wandemsg, sie dringen auf Busse und Beichte, sind aber selbst noch nicht tief genug von dem auf der Erkenntniss des menschlichen Unvermögeni gegründeten Heilsbedürfniss durchdrungen. Was sie Reformato- risches in sich haben, muss erst eine intensivere Bedeutung nitd eine festere Cönsistenz gewinnen und sich zur Einheit eines B^ wusstseins zusammenschliessen, das in sich selbst kräftig genug i^ ein thatkräftiges, durch keine äussere Rücksicht gebundenes B«- dehi aus sich hervorgehen zu lassen und sich, woran es den Wil- densem noch besonders fehlte, zu einem selbstständigen Glaubem- system fortzubilden, endlich muss es auch erst aus dem geheunen Dunkel des Sectenwesens und seiner Conventikel 0 en das hdle Tageslicht der Oeffenüichkeit hervortreten. Diess ist der Fort- schritt von einer Secte, die, schwankend zwischen dem Alten, über das sie hinaus ist, und dem Neuen, das sie nicht klar und fest zu er- fassen vermag, immer nach in Gefahr ist, sich selbst wieder untrea zu werden, zu der Individualität der Männer, die das allgemeine Urtheil als die wahren und nächsten Vorläufer der Reformation über alle ihre Vorgänger stellt.

5. Die Vorläufer der Reformation.

Wioliff und Hnss.

Wie unkräftig und beschränkt der zwar längst rege gewordene, aber nur in sectirerischen Kreisen sich bewegende Reformations- geist noch war, welcher Läuterung und Fortbildung die eine innere Reform der Kirche bedingenden sittlich religiösen Begriffe bedurften und wie überhaupt der ganze Standpunkt ein freierer, allgemeinerer und das Wesen der Sache schärfer in's Auge fassender werden musste, sieht man erst, wenn man das Leben und Wirken eines

1) Bezeiohnend ist in dieser Beziehung der den Waldensem in Strasfl* bnrg und andern Orten gegebene Name Winkler.

Die VorUafer der Reformation. Wioliff: 517

Wicliff und Huss näher betrachtet Man fühlt sich in ihnen schon durch den allgemeinen Fortschritt der Zeit auf eine höhere Stufe gehoben. Mit dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts hat das mittelalterliche Dunkel, das noch auf dem dreizehnten liegt, sich fichon in weiterem Umfang aufgehellt, die freimüthigen Erörter- ungen, die über dasVerhaltniss der beiden höchsten Gewalten, der geistlichen und weltlichen, im Laufe des Jahrhunderts stattfanden, waren auch für die allgemeine Bildung und Aufklärung höchst för- derlich, und diese selbst erhielt jetzt ihren mächtigsten Stützpunkt an den neugestifteten Universitäten.

Kann man den Maassstab der Beurtheilung für die Vorläufer der Reformation nur der Persönlichkeit des Grösseren entnehmen, . der auf sie folgen sollte, so darf mit Recht eines der wichtigsten Momente, die hier in Betracht kommen, darin erkannt werden, dass Wicliff und Huss, wie Luther, jeder als Lehrer an einer der schon damals bestehenden Universitäten in die reformatorische Laufbahn eintraten. Schon dadurch waren sie in einen Mittelpunkt geistiger Kräfte und Bestrebungen hineingestellt, welcher auch ihrem reför- matorischen Wirken grössere Bedeutung und vielseitigere Theil- nahme verlieh; das religiöse Interesse verknüpfte sich so von selbst so eng mit dem wissenschaftlichen, dass alle, die von dem freieren Geist der Zeit angeweht waren, ihre natürlichen Freunde und Ver- bündeten sein mussten. Als Lehrer der Theologie an der Univer- sität Oxford seit dem Jahr 1372 machte Wicliff seine nicht blos dem hierarchischen System, sondern hauptsächlich auch dem Dogma der katholischen Kirche entgegengesetzten freieren religiösen Ueberzeugungen mit aller Energie und Freimüthigkeit geltend, bis er der Macht der Verhältnisse weichend im Jahr 1382 sich auf seine Pfarrei Lutterworth zurückzog. In diese letzte Zeit seines Lebens, kurz vor seinem Tode im Jahr 1384, fällt die Abfassung der bedeutendsten seiner Schriften, des Trialogus, in welchem er die Resultate dessen zusammonfasste, was er zum Gegenstand der ganzen Thätigkeit seines Lebens gemacht hatte.

Der Punkt, in welchem Wicliff sich am unmittelbarsten an die früheren Gegner der katholischen Kirche anschloss, waren seine Angriffe auf das Papstthum , wozu er noch eine besondere Veran- lassung durch das nationale Interesse erhielt , mit welchem unter dem König Eduard IIL Volk und Parlament den auf dem Lande lie-

518 Zweite Periode. Vierter Abeobnitt

genden Druck der Lehensabhangigkeit von Rom abzuschütteln und die päpstlichen Eingriffe in die Rechte der Krone abzuwehren suchten. Schon in den Ausdrücken, mit welchen er vondenPfipsten zu reden pflegte, sprach sich seine volle sittliche Entrüstung ms. Um das Verderben der Kirche in seinem Grund und Ursprung su erforschen, ging auch er in die ältesten Zeiten zurück , auf die Schenkung Constantin's, mit welcher das Gift der Weltlust in die heilige Kirche Gottes ausgegossen worden sei; durch die Annahme dieser Dotation habe sich Silvester schwer versündigt, im zweiten Jahrtausend sei aber sodann der Satan vollends losgelassen worden. Nicht blos berechtigt, sondern auch verpflichtet seien die weltlichen Fürsten, um das Uebel in seiner Wurzel auszurotten, die von der Kirche gemissbrauchten weltlichen Güter ihr wieder zu entreissa; nur dadurch können sie ihre Thorheit bereuen und für die Siide genugthun, durch die sie die Kirche befleckt haben. Dass er abci nicht blos in der Verweltlichung der Kirche, sondern haoptsäcU^ auch in der ganzen hierarchischen Gestaltung derselben die Ursache ihrer Entartung sah, kann nur als ein Reweis der helleren Einsidl betrachtet werden, zu welcher er in der Reurtheilung dieser Ver- hältnisse fortgeschritten war. Die jetzigen hierarchischen Stufea- unterschiede seien der ursprünglichen Kirche fremd gewesen, sie habe sich mit den zwei ordines der Kleriker begnügt, den Prie^m und Diaconen; Rischof und Presbyter seien zur Zeit des Apostels' Paulus dasselbe gewesen. Papst und Cardinäle, Patriarchen und ^rzbischöfe, Rischöfe und Archidiaconen, Ofiicialen und Decane mit den übrigen zahllosen Ofiiciarien und Mönchsgesellschaften habe es damals noch nicht gegeben. Nach der Schrift genüge es an Presbytern und Diaconen, in dem Stand und Beruf, welchen der Herr ihnen gegeben habe. Es sollte nur Einen geistlichen Stand geben, der Feind aber habe viele Farben daraus gemacht; sub spede cleri habe er zwölf gegen die Kirche Christi machinirende Procu- ratoren eingeführt, Papst, Cardinäle u. s. w., zuletzt auch noch falsche Rrüder undQuästoren; alle diese Schüler des Antichrists seien nur dazu da, die Freiheit Christi aufzuheben, die heilige Kirche zu be- lästigen und zu verhindern, dass das Gesetz des Evangeliums seinen freien Lauf habe. Der vornehmste Antichrist sei der Papst, denn er selbst dichte auf falsche Weise, dass er der unmittelbarste und in dem Leben ahnlichste Stellvertreter Christi, folglich der demfi-

Wiclift Angriffe «nf Papsttham und Hierarcbie. 519

thjgste Wallfahrer, der drmsle Mensch, der der Welt und den welt- lichen Geschäften am fernsten Stehende sei, da er doch gewöhnlich auf dem Gipfelpunkt der entgegengesetzten Sünde sich befinde. Man könne nicht zwei Häupter annehmen, ohne die Kirche zu einem Ungeheuer zu machen, es sei also das Haupt im Himmel das einzige des Vertrauens würdige. Im Gegensatz gegen Papstthum und Hie- rarchie und die Verweltlichung der Kirche wollte auch er das Cbristenthum auf Armuth und Weltentsagung zurückfuhren; so fern aber lag seinem Geiste das mönchisch-ascetische Armuthsideal, wie ea doch immer auch noch bei den Waidensem hindurchblickt, dass ihm vom ersten Anfang seines Wirkens an nichts verhasster war, als das ganze Wesen der Bettelmönche, in deren Thun und Treiben er das gerade Gegentheil dessen sah, was das Evangelium von seinen Bekennern verlangt. Von ihnen hauptsächlich wünschte er die Kirche befreit zu sehen; habe man die Tempelherrn aufgehoben wegen ihrer Entartung, wie viel mehr sollten sie aufgehoben werden ! Von den Waldensern dagegen nahm er die Idee der apostolischen Mission in den armen Priestern auf, welche ohne Beneficien als lebte Junger Christi nach dem Vorgang der Apostel evangelische Reiseprediger sein sollten ; aber auch dabei hatte er nicht blos die schriftgemässe Befolgung des Gebotes Christi, sondern vor allem die Bedürfnisse des vernachlässigten Volkes im Auge. Wie er überhaupt nicht von abstracien transcendenten Ideen ausging, son- dern eine durchaus praktische Richtung hatte und überall das Aus- führbare, Zweckmässige, das den Verhältnissen der Wirklichkeit und Gegenwart Entsprechende in Erwägung zog, so wollte er den Besitz irdischer Güter auch für die Kleriker nicht schlechthin ver- werfen, sondern ihn nur auf das für ihren Beruf Nöthige und Nütz- liche beschränken und den Gedanken festgehalten wissen, dass sie Christus mehr gefallen, wenn sie in evangelischer Armuth ihren Beruf erfüllen.

Am unmittelbarsten sprach sich WicliflTs reformatorische Tendenz in dem von ihm zuerst mit aller Entschiedenheit und Be- stimmtheit aufgestellten Grundsatz aus, dass die Schrift allein die höchste Auctorität in allen Sachen des Glaubens sei. Es gibt nichts Wahres, das nicht unmittelbar oder mittelbar in der h. Schrift ent- halten ist; als die unmittelbare Quelle der von Gott geoffenbarten Glaubenswahrheiten ist sie authentisch, während die Schriften an-

5S0 Zweite Periode. Vierter Abeohnitt

derer grosser Lehrer, so wahr sie auch sein mögen, nur för ape- kryphisch gelten, und nur soweit Glauben verdienen, als sie auf der Schrift des Herrn beruhen. Selbst alle Päpste und Cardinäle können nichts behaupten, was Glauben verdient, wenn es nicht seinen Grund in der Schrift hat. Wenn ihm das Fundament dieser Materie der Glaube der Kirche war, dass Christus der menschgewordene Golt sei und so, wie es das Evangelium berichte, unter den Menschen gelebt und seine Schreiber, die Evangelisten dazu bestellt habe, das Gesetz Christi und den katholischen Glauben zu verfassen, so war diess zwar kein sehr logisches Argument, aber auch so ein Ausdruck der Ueberzeugung, dass die Schrift in allen ihren Theilen der schlechthinige InbegriiT der Wahrheit ist und die heilige Schrift nicht wäre, was sie als solche sein soll, wenn sie nicht den Sin Christi enthielte. Würde man daher den wahren Werth der Sekriil darin erkennen, dass jede Wahrheit, die der Mensch als Wanderet nicht durch die Sinne erhiyit, nur dann von den Glaubigen geg^aoU werden kann , wenn sie aus dem Glauben an die Schrift abgeleitet wird, so würden die päpstlichen Bullen der Schrift nachstehen und sowohl die päpstlichen Gesetze als die Lehrmeinungen i& neuen Lehrer, die erst nach der Loslassung des Satans promul- girt worden sind , auf ihr gebührendes Maass herabgesetzt sein 0* Ist die Schrift als die schlechthinige Quelle der geoffenbarten Wahr- heit anerkannt, so kommt es zwar zunächst darauf an, sie richtig zu verstehen und auszulegen; wäre aber die Auslegung der Schrift nur dem Clerus vorbehalten, so wäre auch nur der Clerus im Besitz derselben und man hätte keine Bürgschaft dafür, ob der Gebrauch, welchen er von ihr macht, nicht einzig nur durch das hierarchische Interesse bedingt wäre. Daher hängt es mit dem Werth, welchen Wicliff auf die heilige Schrift legte, aufs engste zusammen, dass er mit demselben Interesse, mit welchem er überhaupt die hierar- chische Gewalt, die die Cleriker über die Laien ausübten, zu brechen und den Letztern eine freiere und selbstständigere Stellung jenen gegenüber zu geben suchte, insbesondere auch darauf bedacht war, die heilige Schrift zu einem Gemeingut für alle zu machen. Da diess nur dadurch geschehen konnte, dass jeder von dem Recht, das er schon als Laie hatte, die heilige Schrift selbst zu lesen und für sich

1) Trial. 3. o. 31.

Wiolift Lehre von der Schrift und dem Abendmahl. 591

m benutzen, auch wirklich Gebrauch machen konnte, so nimmt unter den Verdiensten, die sich WicliiT durch seine reformatorische Wirk- samkeit erwarb, seine im Jahr 1380 begonnene Uebersetzung der Bibel in's Englische eine besonders wichtige Stelle ein. . Auch diess wurde als etwas häretisches betrachtet und er musste gegen solche, die in seiner Uebersetzung sowohl einen Eingriff in die Vorrechte der Hierarchie , als auch eine Profanirung des Heiligen durch eine Vulgärsprache sahen, das Recht des Volks auf die heiligen Schriften Tcrtbeidigen.

Erscheint Wicliff schon hierin als ein würdiger Vorganger des deutschen Reformators, so sehen wir ihn auch sonst in sehr wich- tigen Punkten einen ihm ahnlichen Gang nehmen. Wie Luther machte auch Wicliff die Lehre von den Sacramenten zu einem Haupt- auagangspunkt seiner Polemik gegen das katholische Lehrsystem. Das vierte Buch seines Trialogus ist in dieser Hinsicht ganz parallel mit Luthers Schrift über die babylonische Gefangenschaft der Kirche, und hier wie dort ist es vorzugsweise die Lehre vom Abendmahl, auf welche die stärksten Angriffe gerichtet werden. Wie überhaupt bei Wicliff. das Verstandes-Interesso sein Recht mehr geltend macht als bei Luther, so nahm Wicliff noch grösseren Anstoss an dem katholischen Transsubstantiationsdogma als jener. Unter allen Ketzereien^ welche jemals in der Kirche hervorgesprosst, gebe es keine, welche schlauer durch Heuchler eingeführt worden sei und das Volk mehr betrogen habe als diese; sie beraube das Volk, verleite es zur Abgötterei, verläugne den Glauben an die Schrift und fordere daher durch Unglauben die Wahrheit (Christus) viel- fach zum Zorn heraus. Was aber noch am meisten seine Entrü- stung gegen diese Lehre hervorrief, war, dass sie das Sacrament ' zu einem Accidens ohne Subjekt mache, und so zu etwas, was allem vernünftigen Denken widerstreite. In den Einsetzungsworten, sagte er zur Begründung seiner Ansicht, lasse sich das Demonstra- tivpronomen nicht anders als vom Brode verstehen, auch der Apostel Paulus würde, wenn das Sacrament etwas Anderes wäre, als Brod, nicht unterlassen haben , es irgendwo mit seinem wahren Namen zu benennen, als Prophet habe er ja vorausgewusst, dass so viele Haresen hierüber entstehen werden. Man habe nur die Wahl, ent- weder die übereinstimmenden Zeugnisse der Schrift nichts gelten zu lassen, oder den Sinnen und dem gesunden Menschenverstand

Sm Sweite Periode. Vierter Abeohnitt

darin recht zu geben , dass es Brod seL Gegen die Transcendenz des Dogma machte er die Thatsache der sinnlichen Erfahmng geltend, dass , wenn eine solche Verändemng mit dem Subjekt der phy- sischen Eigenschaften der geweihten Elemente vor sich gehen würde, sie auch sinnlich wahrgenommen werden müsste; wollte man aber annehmen , dass die äussere Sinneswahrnebmung trüge, so würde auch der innere Sinn nur Illusionen erzeugen können, und wir würden somit mit gewissen aberwitzigen Philosophen ge- ' stehen müssen, gar keine Erkenntniss von den Aussendingen n haben. Mit Einem Worte, der Antichrist zerstört in dieser Ketzerei die Grammatik, Logik und Naturwissenschaft, ja was noch mehr zu beklagen ist, er hebt den Verstand des Evangeliums auf. Aber Gott erhält jeder Zeit wie bei den Laien die natürliche Erkenntnis, so den katholischen Sinn bei einigen Klerikern , wie in Griechediid, oder wo sonst es ihm gefällt. Steht somit fest, dass das Brod meto aufhört zu sein, sondern bleibt, so soll dagegen durch das Dasehi des Brods die Realität des Leibes Christi nicht aasgeschlossen werden; es ist beides zugleich, Brod und der Leib, indem seine Nator statt zerstört zu werden, vielmehr zu einer würdevolleren Substanz erhöht wird Derselben Kritik unterwarf Wicliff auch die Lehre von den übrigen Sacramenten, bei welchen es ihm gleichfalls vor- zugsweise darum zu thun war, dem blossen Zeichen das Wesen der Sache , dem erst nachher Eingeführten das in der Schrift Be- gründete, dem Aeussern das Innere gegenüberzustellen. In diesem Sinne legte er insbesondere bei dem Sacrament der Busse alles 6e- Mricht auf die innere Busse, bei welcher man in der Stille des 6e- müths dem Herrn seine Sünden bekenne, und es schien ihm hin- reichend zur Tilgung der Schuld, wenn man mit der Reue über das frühere Leben den festen Vorsatz der Besserung verbinde. Welches Recht der falsche Bischof habe, den^Ausspruch Matth. 16, 19 für sich anzuführen? Da der Papst und die Beichtväter den Prädesti- nirten vom Präscitus nicht unterscheiden können, so sei es eine lo- ciferianische Anmassung , durch Auflegung der Hände schlechthin von der Sünde loszusprechen. Was denn dieses sinnli<5he Zeichen, was die Bulle und ihr bleiernes Sigill oder die Geldgabe mit den Reuegefühl des Sünders zu schaffen habe? Solche Beichtväter be-

1) Trial. 4, 2 f.

Wioliff. Abendmahl« Rene nnd Bnsse. AblasB. AS3

lugen sich selbst und die Beichtenden. An sich selbst könne der Mensch abnehmen, dass seine Sünde getilgt werde, oder dass seine Reue innig und aufrichtig sei ^). Mit der Lehre von der Busse, so- fern sie wesentlich in dem Satze besteht, dass Gott die Schuld des Sünders nicht erlassen kann , wenn er sie nicht wahrhaft bereut, hängt die Bestreitung des Abiasswesens zusammen, nur knüpft sie Wicliff zunächst an seine Polemik gegen die Bettelmönche an. Die Päpste verleihen die Indulgenzen nur unter der ausdrücklichen Be- dingung der Reue und Busse, die Bettelmönche aber nehmen darauf keine Rücksicht; wenn es sich nun somit den Indulgenzen verhalte, M schmecken sie nach offenbarer Blasphemie. Der Papst soll sich die Macht anmassen, jeden noch auf der Wanderschaft begriffenen, wie auch sein Wandel beschaffen sein möge, selig zu machen, und swar nicht nur die Strafen der Sünder zu mildem, sondern auch mil Absolutionen und Indulgenzen dazu behülflich zu sein, dass man BieHials in's Fegfeuer komme, und den heiligen Engeln zu ge- bieten, dass sie die vom Körper getrennte Seele unverzüglich zur ewigen Ruhe hintragen ! Diese Blasphemie beschönigen die Bettel- mönche durch die Behauptung, dass Christus allmächtig sei und der Papit als sein voller Stellvertreter auf Erden dasselbe vermöge, wie Christus nach seiner Menschheit. Dabei setzen sie voraus, dass es in Himmel einen unendlichen Ueberschuss an Verdiensten gebe, and gpeoiell an dem Verdienst Christi, und dass Christus den Papst über diesen ganzen Schatz gesetzt habe, über welchen er unbe- schränkt verfügen könne, da er immer gleich unendlich bleibe. Die höchste Instanz, die Wicliff dagegen erhebt, ist, dass weder der Papst noch Christus zu jemandes Gunsten dispensiren oder Ablass ertbeilen kann, anders, als so wie die Gottheit auf ewige Weise durch ihren gerechten Rathschluss bestimmt hat^). Damit verbindet er aber noch folgende seinen Widerspruch näher motivirende Gründe. Er frage, sagt er, wie es sich mit dem stets fortdauernden Ueberschuss von Verdiensten verhalte, in welchem Gliede der Kirche sie ihr Subjekt haben. Wenn in Christus und seinen Gliedern, so habe man alle Ursache , sich darüber zu wundern , dass der Papst jene Verdienste von ihren eigentlichen Subjekten hinweg-

1) A. a. O. c. 23 f.

2) A. a. 0. c. 32 f:

AM Zweite Periode. Vierter Abiohnitt

nehmen könne. Einmal könne ein Accidens nicht ohne ein Subjekt sein, sodann habe keines jener Subjekte ein solches Verlangen, deBB die hora merendi sei für sie vorüber, und endlich werde ja jedes Verdienst an seinem eigentlichen Subjekt m seinem TOllen Maasse belohnt 0- Dasselbe Argument also, das Wiciiff nach seiner logi- schen oder metaphysischen Seite dem Transsubstantiationsdogma entgegenhält, dass es kein Accidens ohne ein Subjekt geben kann, macht er auch vom sittlichen Standpunkt aus geltend. Auch auf dem sittlichen Gebiet gilt als unbestreitbarer Grundsatz, dass Sub- jekt und Accidens nicht von einander getrennt werden können. Bei aUem also, was eine so wesentlich innere Beziehung auf das Selbrt des Menschen hat, wie alles, was das Heil seiner Seele betrifft, km sich der Mensch nicht blos leidend und empfangend Tcrhaltes, er muss selbst dabei sein, als das dabei thätige Subjekt; alles, im er somit in Sachen des Heils thut und sich aneignet, dient nur insofeni zu seinem Heil, sofern sein sittlicher Werth^darin besteht, dass es in irgend einem Sinne seine eigene freie, ihm allein als dem seUM- Uidtigen Subjekt zuzuschreibende That ist. In diesem Sinne ge- hören auch auf dem sittlichen Gebiet Subjekt und Accidens, oder Thatigkeit und Verdienst, ebenso unzertrennlich zusammen, wie anf dem der Metaphysik Substanz und Accidens. Diesen auf dem Stand- punkt des sittlichen Bewusstseins auch für die christliehe Heilslehre geltenden höchsten Grundsatz, durch welchen sogleich alles hin- wegfallt, was das katholische Dogma in seiner Lehre von den Hei- ligen, vom Ablass, vom Schatz der Kirche u. s. w. in eine rein äusserliche Beziehung zum Menschen setzt, hat Wiciiff in unmittel- bar ethischer Beziehung sogar noch bestimmter ausgesprochen als die spätem Reformatoren. Am meisten stimmt Wiciiff mit ihnen in der Lehre von den Sacramenten und den mit diesem Gebiet zunächst zusammenhängenden Lehrsätzen des katholischen Systems überein. Geht man aber von ihnen auf den innern Mittelpunkt des Systems zurück, in welchem sie begründet sind , so tritt der Wiciiff von Luther trennende Unterschied um so stärker hervor, je tiefer man

1) QiMero de iUis supererogatis meritis aempitemisy in qtio memiro ee- clesiae sttbjectäntur, Si in Christo et membria suis, mirahile mdetury quod Papa potest a svibjectis propriis iUa suhtrahere, propter muka, Primo, qitia accidens non potest esse sine suhjeeto ete.

Wiolift Sittl. und dogmat Grnndftiiscliaauiig« 685

das reformatorische Grundbewusstsein Luthers in seiner Einheil auffasst Zwar hat auch Wicliff in seinem Trialogus ein System aufgestellt, in welchem er in die principielle Bedeutung der christ- lichen Glattbenswahrheiten tiefer einzudringen sucht und manche treffende, zur Läuterung der dogmatischen Begriffe dienende Ge-

Vi

danken darlegt, aber theils hat seine Darstellung im Ganzeh noch ein za scholastisches Gepräge, theils lasst er da, wo er wieder- holt, wie im Widerwillen gegen die scholastischen Subtilita ten, seine Erörterungen plötzlich abbricht, nur eine Lücke zurück , die er noch nicht auszufüllen vermag. Die tiefere Einheit des theore- tischen und praktischen, des objektiv theologischen und des subjektiv religiösen Interesses , wie sie in Luthers Lehre von der Sünde und Gnade und von der Rechtfertigung durch den Glauben enthalten ist, hat sidi dem Bewusstsein Wicliff's noch nicht aufgeschlossen. Im Allgemeinen aber hat seine dogmatische Grundanschauung, wenn wir sie mit der der Reformatoren vergleichen, eine weit grössere Verwandtschaft mit dem reformirten als dem lutherischen Lehrtypus. Lehren und Grundsätze^ welche sotief in das katholische Lehr- system eingriffen und so offen und freimüthig vorgetragen wur- den, wie von Wicliff geschah, konnten nicht unangefochten bleiben. Schon im Jahr 1377 schickte Papst Gregor XL ein Verzeichniss von 19 Irrlehren, deren sich Wicliff schuldig gemacht habe. Als Wicliff im Jahr 1381 die Transsubstantiationslehre angriff, gegen welche er zwölf conclusione» aufstellte und öffentlich vertheidigen wollte, und um dieselbe Zeit unter dem englischen Landvolk ahn- liche Bewegungen entstanden, wie spater in Deutschland im Bauern- krieg, hielt der Erzbischof von Canterbury ein Concil in London im Jahr 1382, auf welchem mehrere wiclefitische Sätze als ketzerisch verdammt wurden. Auch eine Citation nach Rom erliess noch Papst Urban VL kurz vor Wicliff's Tod im Jahr 1 384. Da er jedoch immer auch wieder Beschützer und Gönner hatte und zu rechter Zeit sich zurückzog, so starb er im Frieden mit der Kirche und erst das Con- stanzer Concil befahl, dass seine Gebeine ausgegraben und aus der geweihten Erde entfernt werden. So bedeutend wirkte die von ihm gegebene Anregung auch nach seinem Tode fort und so ver- hasst war die Partei seiner Anhänger, die unter dem Namen LoU- harden eine wichtige Stelle in der Geschichte der englischen Kirche jener Zeit einnehmen! Die Ausrottung der um sich greifenden

Af6 Zweite Periode. Vierter Abichnitt

Ketzerei machte sich besonders der Erzbischof Thomas Amndel ab Primas der englischen Kirche seit dem Jahr i396 zn seiner wich- tigsten Aufgabe; doch war für die blutigen Verfolgungen, die die folgende Zeit bezeichnen, die Bahn erst gebrochen, als der nach Richard's II. Sturz auf den Thron erhobene Heinrich IV. es seinen Interesse gemäss fand, das weltliche Schwert zur Verfügung der Geistlichkeit zu stellen. Seitdem durch die Parlamentsacte de eom^ hwrendo haeretieo vom Jahr 1400 die Todesstrafe gegen die Häre- tiker zum förmlichen Gesetz gemacht war, verdoppelte die Inqui- sition ihre Wachsamkeit zur Aufspürung aller, die in der Stille durch Verbreitung wiclefitischer Lehren und Schriften sich des Lollhard»- mus verdächtig machten. Aber trotz aller Ketzergerichte und Ketzerverbrennungen pflanzten sich die wiclefitischen Grandiitie und Ueberzeugungen, wenn auch aus dem öffentlichen Leben nt- rückgedrängt, nur um so mehr in der Stille fort und legten so iv um so tiefer den Grund zu der künftigen Reformation der eag- lischen Kirche.

Ausserhalb Englands gab es kein Land, in welchem die wicle- fitischen Lehren und Grundsätze eine so günstige Aufnahme fanden wie in Böhmen, das überhaupt damals, nachdem es in Karl IV. dem deutschen Reich einen Kaiser gegeben und durch diesen für jene Zeit sehr gebildeten Fürsten eine Universität, die erste der deut- schen Universitäten erhalten hatte, ein in geistiger Beziehung sehr hervorragendes Land war. WieHuss selbst in einer seiner Schriflea vom Jahr 1411 sagt, waren schon seit dem Jahr 1381 Schriften WiclifiTs in Prag gelesen worden, er selbst hatte solche seit mehr als zwanzig Jahren gelesen. Der Einfluss, welchen solche Schriften auf Huss hatten, kann nicht unbedeutend gewesen sein, obgleich er in Böhmen selbst mehrere geistesverwandte Vorgänger hatte, unter welchen namentlich Matthias von Janow als ein auf ein innerlicheres, freieres, von Menschensatzungen und hierarchischen Ansprüchen gereinigtes Christenthum dringender Prediger in Prag sich aus- zeichnete. Aufsehen erregte Huss zuerst als Prediger an der Beth- lehemscapelle in Prag, die mit der besondern Bestimmung gestiftet war, das Wort Gottes in der böhmischen Sprache zu verkündigen, durch den Ernst, mit welchem er insbesondere auch gegen die schlechten Sitten des Klerus predigte. Wiclefitische Ketzereien wurden ihm zunächst nicht schuldgegeben; als aber Papst Alex-

Lollharden. Hnss. 5S7

ander V. durch die Bulle vom Jahr 1409 nicht nur das strengste Verfahren gegen die Schriften WiclifTs einschärfte, sondern auch das Predigen in Privatcapelien verbot, weil diese hauptsachlich zur Verbreitung der Irrlehren unter das Volk dienen, hatte die Appel- lation Hussens an Papst Johann den XXIII. gegen dieses Verbot sdne Citation nach Rom und nach dieser seine Excommunicalion zur Folge. Es war diess nur das Vorspiel zu der neuen Reihe von Ereignissen, die mit der im Jahr 1412 in Prag bekannt gemachten Kreojszags- und Ablassbulle begann. Als Huss gegen die Bulle auftrat und den päpstlichen Ablass für eine Anmaassung erklärte, entstanden so tumultuarische Auftritte, dass Huss, aufs neue mit Bann und Interdict belegt, sich entschloss, Prag zu verladen und vom Schauplatz abzutreten , bis das Constanzer Concil auch ihn wieder auf denselben rief und den dritten wichtigsten Act seines reformatorischen Wirkens herbeiführte, die bekannte Scene seines . Mirtyrertodes, als die unmittelbare Folge seiner Weigerung, Sätze za widerrufen , die er theils nicht behauptet hatte, theils nicht als Irrlehren verdammen konnte. Diese tragische Katastrophe, die ihm in dem geschichtlichen Zusammenhang der reformatorischen Be-« strebungen seine eigenthumliche Stellung zwischen Wicliff und Lather gibt, stellt ihn auf dem Standpunkt der welthistorischen Be- trachtung weit höher, als alles, was er durch Wort und Schrift Re- formatorisches gewirkt hat. Er bewährte sich nicht nur durch das grosse Märtyrerthum seines Todes als den treuesten und stand- haftesten Zeugen der evangelischen Wahrheit, sondern setzte sich auch dadurch zu seinen Feinden und Richtern in einen Gontrast, der nicht schlagender sein könnte. Ein Concil, das zur Reformation der iQrche berufen war, verurtheilte den, der auch nichts Anderes wollte, als die Reform der Kirche, nur mit dem Unterschied, dass er die Kirche nicht im hierarchischen Interesse, sondern nach den acht sittlichen Grundsätzen des evangelischen Christenthums refor- miren wollte. Welcher schreiende Widerspruch lag darin, Huss aus dem Grunde zum Tode zu verurtheilen, weil er, was im Grunde allein seine grosse Ketzerei war, als Nichtanerkennung der unbe- dingten Auctorität der Kirche, vom Papst an Christus appellirt hatte, und als Haupt der Kirche einen Papst zu haben, welchen das Concil selbst als notorischen Sünder und Verbrecher in demselben Schlosse gefangen hielt, in welchem Huss zuvor gewesen war»

5i8 Zweite Pariode. Yiertav AbiehniCt

Welches Denkmal der Iraurigsten Art setzte sich dadurch selbst das Concil, das ein solches Urtheil fällte, durch das es nur um so mehr gegen sich selbst zeugt, je mehr es recht absichtlich alles gethin hat, den Spruch seines Ketzergerichts mit allem Apparat seiner Ce- remonien an Huss zu vollziehen und die Flamme seines Scheiter- haufens in die weiteste Feme leuchten zu lassen. Und doch konnte, trotz dieser fleischlichen Selbstverblendung, das Concil sich den Widerspruch nicht verbergen , in welchen es mit sich selbst kant Man sieht ja so deutlich, wie gern es den letzten Act seines Ketser- gerichts vermieden hätte, wenn es nur mit dem Schein der äussern Wurde hätte geschehen können. Welche Mühe gab man sich imner wieder, unter irgend einer annehmbaren Form einen Widerruf von Huss zu erlangen I Mehr als einmal kamen in dieser Absichl oS- eielle Deputationen des Concik und Kaisers zu Huss , und nur m diesem Grunde verzögerte sich die endliche Entscheidung seines Schicksals nach dem dritten Verhör so lange, weil man immer nod glaubte , ihn durch eine mildere Formel zur Abschwömng sein« Ketzereien zu bewegen. Zwar hätte Huss, auch wenn er sich dan verstanden hätte, nur den Kerker mit dem Scheiterhaufen yertauscht, das Concil aber hätte den grossen Vortheil gehabt, eines Blutge- richts enthoben zu sein , das , wie es selbst fühlte und sich un wQl- küriich gestehen musste, einen düstern Schatten auf eine Kirche warf, die nur durch solche Mittel die Anerkennung ihrer Auetoritat behaupten konnte. Da Huss bei der einmal gegebenen Erklärung standhaft beharrte, gaben sich die Vertreter des Goncils eine noch grössere Blosse durch die schlechten Gründe, mit welchen sie ihre Aufforderung zum Widerruf motivirten, indem sie nicht begreifen konnten, warum Huss sich so hartnäckig weigere, wenn es auch gegen seine bessere Ueberzeugung sei, sich der Entscheidung des Concils zu unterwerfen; es sei diess ja nur die Pflicht des schul- digen Gehorsams gegen eine Auetoritat, die man höher achten müsse als sich selbst; wenn ihm auch so Vieles aufgebürdet sei, woran er nie gedacht habe, so habe es nichts auf sich, wofern er nur in De- muth unter das Concil sich stelle. So leicht nahm man es mit allen Gewissensfragen, um nur dem unbedingten Recht der Aucto- rität der Kirche nichts zu vergeben I Wie wenn das Concil noch einmal auf dieselbe Probe gestellt werden sollte, wiederholte sich dieselbe Scene bei Hieronymus von Prag. Schon glaubte es bei

Hnis und Hieronymus von Prag. Wicliff andHnss« 589

ihm mit dem verlangten Widerruf weit glücklicher zu sein, als bei Huss; aber nur um so nachdrücklicher nahm Hieronymus mit rascher Fassung alles zurück, was er über Wicliff und Huss aus- gesprochen hatte, und mit feurigen Worten verwies er seine Rich- ter auf das künftige Gericht , vor das er sie mit allen denen rief, die auch noch nach ihm als Opfer der Arglist falscher Priester fallen werden. So blieb den aufs Neue in ihrer Erwartung ge- lauschten Vätern des Concils nichts anderes übrig, als der Welt noch einmal das Schauspiel eines Märtyrertodes zu geben, dessen standhafte heroische Erduldung bei allen Zeugen desselben einen liefen Eindruck zurückliess.

In welche öde trostlose Zeit leuchtete die Flamme dieser bei- den Scheiterhaufen hinein! Eine Synode, welche die Kirche aus ihrem tiefen Verfall wieder aufrichten sollte, übergab selbst das Einzige, das die Kirche retten konnte, das treue Bekenntniss der evangelischen Wahrheit, der verniehtenden Gewalt des Feuers. Aber nicht ohne Grund knüpften sich an diesen Feuertod ideale Anschauungen in der Sage, dass schon damals weissagende Stim- men verkündigt haben, was hundert Jahre nachher in Erfüllung gehen sollte. Der mächtige Eindruck des von Huss gegebenen und tär alle folgenden Zeiten aufgestellten Glaubenszeugnisses ist die eigenthümliche Glorie, welche ihn umgibt.

Vergleicht man Huss mit Wicliff, so hat unstreitig Wicliff den Vorzug grösserer dogmatischer Schärfe, er ist weit mehr als Huss, dessen Richtung vorzugsweise eine praktische war, auch Reformator des Lehrbegriffs; so oft es um das Dogmatische sich handelt, weiss man das in dieser Beziehung Häretische mit keinem andern Namen zu bezeichnen, als mit dem Wicliff's; im Grunde ist es aber die Transsubstanliationslehre, auf die sich seine dogma- lische Bestreitung des Papstthums beschränkt. Hussens wichtigste dogmatische Schrift ist sein unmittelbar vor der Constanzer Synode zu seiner Vertheidigung verfasster Tractatus de ecclesia, aus wel- chem am besten zu ersehen ist, auf welchem Punkte die reforma- lorische Opposition gegen Papstthum und Katholicismus sich befand nnd bis an das Ende der Periode stehen blieb. Wie Wicliff definirt auch Huss die heilige katholische oder allgemeine Kirche als den Inbegriff der Prädestinirten , in welchen sich die Kirche in eine Iriumphirende, streitende und schlafende theilt; in der triumphiren-

B%UT, K.a. d. Mittelalt«». 34

530 Zweite Periode. Vierter Abioliititt

den befinden sie sich am Ziel, in der streitenden anf dem Wege der Wanderung , in der schlafenden leiden üe im Fegrener. Von den praedeitinati sind die praeiciti ebenso zn unterscheiden, wie vob dem eae de eecleBia das esie in eeeleiia; es gibt daher ein vier- faches Verhfiltniss zur Kirche: der Sache und dem Namen nach sind in ihr die Christus gehorchenden katholischen praedeitinati, weder der Sache noch dem Namen nach die heidnischen praeseiti, den Namen nach die heuchlerischen praeiciti, der Sache nach die YGa den Satrapen des Antichrists verdammten prfidestinirten Christen. Huss unterscheidet zwar auch noch die Prddestinirten, je nachdem sie entweder zum ewigen Leben oder nur zur Gerechtigkeit im ge- genwärtigen Leben prddestinirt sind; die Hauptsache aber ist, dassio seiner dualistischen Weltanschauung alles , was Kirche heisst, is zwei grosse Körper sich theilt, von welchen der eine Christus, to andere den Teufel zu seinem Oberhaupt hat. Fragt man, wie Huss vtä diesem Standpunkt aus das Verhältniss des Papstes zur Kirche be- stimmt, so ist sein einfaches Argument: weil Christus das Oberhaupt der Kirche ist, so kann es der Papst nicht sein, ausser in der Einheit und Conformitat mit Christus ; wie kann er aber Christus conform sein, da er nicht nur, wie so viele Beispiele beweisen, irrthumsfKhig ist, sondern auch so viel Unsittliches sich zu Schulden kommen lässt, das mit der Conformitat mit Christus in geradem Widersprach steht 0*

1) De eccles. c. 7. Unter der Kirche tum potest irUelUgi quiübet JPapa cum 9U0 eoüegio CkurdinaUum. Uli enim sunt sciepiuB macuUUi deceptione prava et peccaiOy vt tempore Joanrds Tapat Änglicae muHeris, qui Magna dicebahw (auf diese Hagna, Agnes, die Päpstin Jobanna beruft sieb Huss wiederholt). Cum ergo juxta decreta Eomana ecclesia Tiahet prwioivm et dignitatem quoad Deum super omnes tdiaSf patetj quod iUa est totaüs ecclesia militanSf quam Deus plus diligit, quam aliquam ejtbs partem, Nor aneigentlich wird die Kirche in diesem Sinn 'die römische genannt Ünde nee Papa est Caput f nee CardintUes corpus iotum sanctae universalis ecclesiae cathoUcae, Nam solum Christus est caput ilUus ecclesiae et sui praedesiinaii sunt corpus et quilibet m^mbrum, quia una est persona cum Christo Jesu ipsa sponsa. Vom Papst und seiner Curie gilt (c. 8.) quodfaUit et faiüitwr, FalUt Papam hierum et faUitu/r propter ignorantiam. Kein Artikel ist gewisser, sagt Hose 1. c. 11, quam quod impossibile foret, quemquam de militamte eeclcsia absolvere vel ligare, nisi de quanto cot^ormtUur capiti ecclesiae Domino nostro Jesu Christo, Würde man daher glauben, dass das, was der Papst löst oder bindet, auch wirklich gelöst oder gebunden ist, so würde man damit zugeben, Papam esse impeccabHem et sie Deum,

Hnss. Lehre ▼. d. Kirche. Polemik gegen d. Papstthnm. 531

Desswegen kann der Papst und alles, was von ihm ausgeht, kein Gegenstand eines solchen Glaubens sein, wie er zur Seligkeit noth- wendig ist. Mit der absoluten Gewissheit, die zum Begriff des Glau- bens gehört, kann man nur an die in der beil. Schrift geoffenbarte Wahrheit glauben , nur für eine solche muss man auch sein Leben aufopfern;* das in den Bullen der Päpste Enthaltene aber ist man nicht zu glauben verbunden, ausser sofern es mit der heil. Schrift conform ist. Ausser diesem das Papstthum unmittelbar betreffen- den Hauptargument machte Huss besonders die von den Päpsten behauptete Nachfolge des Apostels Petrus zum Object seiner Be- streitung. Dass Christus auf die Person des Apostels Petrus seine Kirche habe bauen wollen, ist gegen Schrift und Vernunft. Der Fels, von welchem er Matth. 16, 18. spricht, ist er selbst, als das Haupt und Fundament der Kirche, die Propheten und Apostel sind Fundamente nur sofern ihre Auctorität unsere Schwachheit trägt. Zum capitaneus nach sich hat zwar Christus den Petrus gemacht, aber nur wegen seiner vorzäglichen Befähigung zur Regierung der IQrche, und da alle Tugenden unter sich connex sjnd, so ist es der sitttiche Vorzug überhaupt und insbesondere der Besitz der drei Tu- genden, des Glaubens, der Demuth und der Liebe, der den Petrus aaszeichnete. EinVicar des Apostels Petrus kann somit auch nur der sein, welcher ihm auf dem Wege dieser Tugenden nachwandelt Durchaus ist es das sittliche Moment, das Huss allen Prätensionen des Papstthums entgegenstellt und neben welchem er nichts von allem demjenigen gelten lässt, worauf man die Nothwendigkeit und gött- liche Einsetzung des Papstthums zu gründen pflegte. Nicht einmal als leibliches Oberhaupt der streitenden Kirche kann man den Papst betrachten, da ja die Kirche, ehe der Papst durch Constantin seinen Namen und seine Rechte erlangt hat, drei Jahrhunderte ohne einen Papst gewesen ist. Auch das leibliche Oberhaupt der Kirche ist Christus als Mensch, und der Kirche nicht minder gegenwärtig als der so viele Meilen entfernte Papst ^).

Es ist der sittliche Gesichtspunkt, von welchem aus Huss die stärksten Angriffe auf das Papstthum richtet; wie stimmt aber dazu der von ihm aufgestellte, auf der Prädestinationsidee beruhende

1) A. a. O. c. 9. d) A. a. O. 0. 28.

34»

539 Zweite Periode. Vierter Abeohnitt

Begriff der Kirche? Zur Kirche kann niemand gehörcD, der nicht prädestinirt ist; wer sind aber die Prädestinirten, an welchen Merk- malen sind sie zu erkennen? Wie schwankend und zweideutig wird das ganze sittliche Gebiet, wenn die Seligkeit denen, welchen sie bestimmt ist, zwar von Ewigkeit prädestinirt ist, auf dem ganzen Verlauf des zeitlichen Lebens aber ein so tiefes Dunkel liegt^ dass erst durch die im letzten Moment aus ihrem Dunkel hervortretende absolute Gnade offenbar wird , wer zu der Zahl der zur Seligkeit Prfidestinirten gehört, wer nicht; wenn es eine Prädestination nur juititia praeient gibt, die als solche noch keine Prädestination nr Seligkeit ist, wenn selbst bei den unsittlichsten Menschen immer noch die Möglichkeit vorausgesetzt werden muss, dass auch sie n den Prädestinirten gehören? In einer von Ewigkeit pradeatinirteB Weltordnung fällt alles , was durch die freie Thätigkeit der sittli- chen Subjecte bewirkt werden soll, von selbst hinweg; soweit voa einer Weltentwicklung die Rede ist, kann sie nur dahin zielen, dasi; durch sie der grosse dualistische Gegensatz, in welchen sich alles theilt, wenn auf der einen Seite Christus als Oberhaupt der Kirche an der Spitze der Praede$tinati steht, auf der andern der Teufel an der Spitze der Praesciti, immer klarer und entschiede- ner zum Bewusstsein kommt. Wozu soll es nun aber dienen, mit der grössten sittlichen Entrüstung gegen das Papstthum zu kämpfen, ihm alle seine Sünden und Laster vorzuhalten als augenscheinlichen Beweis davon, dass eine Kirche, wie die päpstliche, das gerade Gegentheil der Kirche der Prädestinirten sei, wenn man darin nur eine von Gott bestimmte Weltordnung sehen kann und bei dem Papst so gut wie bei jedem andern sich selbst durch die unsittlich- sten Erscheinungen in dem Glauben an die Möglichkeit seiner Prä- destination nicht irre machen lassen darf? Mag auch diese Incon- sequenz bei Huss so wenig als bei Andern einen praktischen Ein- fluss gehabt haben: es fehlte auch dem sittiichen Interesse seines reformatorischen Wirkens der unmittelbar praktische Ausgangs- punkt, welchen Luther darin fand, dass er die Lehre vom recht- fertigenden Glauben in ihrer innersten und tiefsten Beziehung zum Sündenbewusstsein des Menschen als die Grundwahrheit aufstellte, durch welche das ganze Heilsinteresse des Menschen und das darauf beruhende unveräusserliche Recht der Geistes- .und Gewissens- freiheit bedingt ist Dadurch erst wurde das Wichtigste, das es

Hnis nad die Hnasiten. Calixtiner und Taboriten. 533

für den Menschen gibt, dem Selbstbewusstsein eines Jeden so nahe gelegt, dass die Sache Luthers sein eigenstes Interesse war, und er nur darüber sich zu entscheiden hatte, ob er es mit dem Papst oder dem Evangelium halten wolle. Auf diese Spitze die ganze Reformationsfrage zu stellen, in ihr alles zusammenzufassen und sie in dieser Bedeutung auch dem populärsten Verstand so einleuch- tend als möglich zu machen, war weder Wicliff noch Huss auf gleiche Weise gelungen; eben diess ist es, was bei aller Aehn- lichkeit mit Luther den Hauptunterschied zwischen ihm und ihnen ausmacht.

WicliflTs reformatorisches Wirken lebte in den LoUharden fort, die Huss iten verknüpil ihr Name noch enger mit Huss, und doch muss man erst fragen, mit welchem Recht sie sich nach ihm nennen, da gerade das, was sie zu ihrem Losungswort machten, eine Frage betraf, welche Huss selbst noch nicht zur Sprache gebracht, und auch als diess von einem Andern seit dem Jahr 1414 geschehen war, nur so beantwortet hatte, dass er sich mehr für ihre Zweck- mässigkeit als ihre Mothwendigkeit aussprach. Es bestätigt sich dadurch das zuvor Bemerkte. Es konnte nicht anders sein, als dass Huss, nachdem auch die Glorie des Märtyrers sein Leben verherr- lichte, einen sehr tiefen, bei einer bedeutenden Partei mächtig fort- wirkenden Eindruck zurückliess; wie sollten sie aber das, wozu sie sich als seine Anhänger bekannten, bestimmter formuliren? Dazu fehlte es seiner Lehre und Wirksamkeit an einem sich klar und bestimmt herausstellenden Punkt; ein solcher bot sich erst in der von Jacob von Misa aufgestellten Forderung des Abendmahls- kelchs für die Laien dar. Eine weltbewegende Macht aber, wie Luthers Wort vom Glauben, war der Kelch nicht, um welchen als ihr Panier die Hussiten sich sammelten, und da sie darüber sich selbst wieder trennten und durch Zersplitterung der Kräfte die Macht der Partei schwächten, stellte sich der innere Mangel, an welchem das Hussiten thum litt, um so klarer heraus. Während die Calixtiner, nachdem das Basler Concil sich mit ihnen über die Prager oder Iglauer Compactate im Jahr 1436 verständigt hatte, unter der von der Kirche gemachten Concession des Kelchs im Uebrigen um so eher katholisch bleiben konnten, trieb dagegen die, auch durch Waldenser und Begharden oder Picarden verstärkten, Taboriten der schroff verneinende und fanatische Geist, zu wel-

B34 Zweite Periode. Vierter AbieliBitt

chem die durch Hnss geweckte nationale Aufregung in ihnen sich steigerte , unter den verheerenden Zügen und heroischen Thateii, durch die sie den Namen der Hussiten zu einem weithin gefürchte- ten machten, mehr und mehr nur ihrem eigenen Untergang za. Erst allmfihlig läuterten sich unter den Reibungen und Kämpfen der Parteien die in dem trüben Gährungsstoff enthaltenen bessern Ele- mente zu der reineren Form des hussitischen Christenthums, das unter dem Namen der Brüder des Gesetzes Christi, oder der Brüder, der Brüderunität, die vermittelnde Bruderhand auch dem deutschen Protestantismus reichen konnte. Aber auch an dieser, erst doreh ihre Anlehnung an den Protestantismus in ihrem Fortbeslehen ge- sicherten Brüdergemeinde, so wie an den in der Folge vom Katbo- licismus wieder verschlungenen Calixtinem, ist nur zu sehen, wie die von Huss ausgegangenen Wirkungen , da es ihnen selbit an einem festern innem Einheitspunkt fehlte, nach beiden Seiten Un in die Hauptrichtungen sich verloren, in die der allgemeine Siron der Zeit sich theilte. Konnte doch selbst das Wenige, das von der grossartigen Persönlichkeit Hussens im Gedachtniss der Böhmen zi- rückblieb, nur in der Umgestaltung zum katholischen Heiligencultas sein geschichtliches Dasein sich fristen I 0

Je nfiher man der Reformationsepoche kommt, um so grösser wird die Zahl solcher, die sich zu den zuerst von Wicliff und Huss aufgestellten Grundsätzen bekannten und sie weiter verbreiteten;

1) Auf eine sehr anziehende Weise bat O. Abel in der gescbichtlicben Abhandlung: die Legende des heiligen Johann von Nepomuk 1855 in seiner kritischen Analyse derselben in dem heiligen Nepomuk der Böhmen die von Huss entlehnten Züge nachgewiesen. »Wie auffallend und fast unglaublich das erscheinen mag, so erklärt es sich doch zur Gentige, wenn man die böhmische Kirchengeschichte von der Zeit der Compactaten bis zur Refor- mation aufmerksam in^s Auge fasst: die schwärmerischen, mit der römischen Kirche ganz und gar brechenden Parteien, die Taboriten, gingen zu Grunde, die Caliztiner aber, die sich der Anspräche auf gute Katholicität nicht be- geben wollten, auch durch zu wenig tiefgehende Unterschiede in Lehre und Verfassung von der alten Kirche getrennt waren, vermochten das Eindringen oder Wiederaufleben katholischer Bräuche und Anschauungen nicht von sich abzuwehren; und so musste die Inbrunst, mit der man an dem grössten Märtyrer hieng, fast unausbleiblich zu einem neuen Heiligendienst führen, der ohne das Eintreten der Reformation des sechzehnten Jahrhunderts sich uns noch deutlicher darstellen würde, nach deren Unterdrückung er in den Nepomukscultus über- und in ihm unterginga. A. a. 0. S. 65.

Brflder des Gesetzes Christi. Joh.Wessel. Savonarola. 535

sie können aber weder in Hinsicht des Eifers und Erfolgs, mit wel- chem sie wirktön, noch der Erfahrungen, die sie zu machen hatten, auf gleiche Linie mit den beiden grossen Vorläufern gestellt werden. Am meisten wird Joh. Wessel, zu Groningen in den Niederlanden im Jahr 1419 geboren, als derjenige genannt, welcher in der Rei- nigung des Lehrbegriffs Luther am nächsten kam, und Luther selbst nannte ihn denjenigen, dessen Geist mit dem seinigen so zusam- menstimme, dass man glauben könnte, er habe seine Lehre aus WesseFs Schriften genommen; keiner ist aber wegen seiner Lehre und Wirksamkeit so wenig angefochten worden, wie Wessel 0* Ist unter denen, die man zu den Vorläufern der Reformation im weitern Sinn zählen kann, neben Wicliff und Huss noch Einer wegen der Eigenthümlichkeit seiner Richtung und des Schicksals, das ihn traf, besonders hervorzuheben, so ist es unstreitig Hieronymus Savonarola, der sich von seinen Vorgängern durch den prophe- tischen Charakter, mit welchem er als Reformator auftrat, unter- scheidet, und im Jahr 1498 durch den Urtheilsspruch des Papstes und der Inquisition als Märtyrer seiner Ueberzeugung starb 0* Auch er hat das Heil der Kirche in der Nothwendigkeit einer sittlichen Reform erkannt, und die darauf sich beziehenden Grundsätze nicht Uos theoretisch aufgestellt, sondern auch praktisch zur Geltung zu bringen gesucht; auch er ist desswegen das Opfer einer hierarchi- schen Gewalt geworden, die ihre Herrschaft nicht anders behaup- ten konnte, als durch den entschiedensten Gegensatz gegen alles, was ihr als sittliche Macht entgegentrat. Neben seinem propheti- schen Charakter unterscheidet er sich von Wicliff und Huss noch besonders durch die politische Tendenz seiner Wirksamkeit, wo- durch seine Reformationsbestrebungen eine sehr specielle Beziehung auf die localen Interessen des Staats, in welchem er lebte, erhiel- ten. In dieser Beengung seines Gesichtskreises und der Eigen-

1) Ullmann hat in seinen Beformatoren vor der Reformation 1. Bd. 1841 mit Joh. Wessel noch einige andere Männer derselben Richtung zusammen- gestellt, namentlich Joh. von Wesel, Doctor der Theologie in Erfurt, nachher Prediger in Worms, und Joh. von Goch, Prior eines Nonnenklosters in Mecheln, von welchen der Erstere nach einem Widerruf sein Lehen im Ge- fängniss endigte im Jahr 1482 , der Letztere im Jahr 1475 im Frieden mit der Kirche starb ; aber schon in diesen hat das Reformatorische zu wenig einen specifischen Charakter.

2) Vgl. Hase, Neue Propheten, 1851. S. 97 f.

536 Zweite Periode. Vierter Abiohiiitt»

thömlichkeit der Verfadllntese, in welche er als politisches Parlei- hanpt hineingezogen wurde , so wie dagegen auch in der Gröne und Bedeutung der Aufgabe, die er als der einrache Mönch, der Prior von San Marco, sich dadurch gestellt sah, lag wohl hauptsäch- lich der Grund , dass der Reformator sich unwillkürlich asum Pro- pheten steigerte. Wie man auch das Prophetische, das er hatte, betrachten mag, es sollte doch nur das Mittel ßr seinen eigenlh^ eben Zweck sein. Um den sittlich religiösen Zweck, auf welchen sein ganzes Streben gerichtet war, um so sicherer zu erreichen, und um so energischer durchzusetzen, nahmen seine ernsten Buss- und Strafpredigten die Form prophetisch verkündigter Gottesge- richte an. Immer aber bleibt dieses Prophetische, das seiner Natu* nach etwas Unklares und Zweideutiges war, über das er nie gesä- gend sich erklären konnte, das er ebenso wenig von sich weim als entschieden sich aneignen konnte, die schwache Seite seines Wesens, der verwundbare Fleck, welchen seine Gegner scharf in*s Auge fassten , um ihn an diesem gefährlichsten Punkt anzugreifen. Bedenkt man sodann noch^ wie dieses Prophetische auch mit seinem Glauben an die Wahrheit der Gottesgerichte zusammenhieng , so weist diess auf eine Beschränktheit und Gebundenheit seines Be- wusstseins hin , durch welche er weit mehr, als diess bei Wiciiff und Huss der Fall ist, in der Unfreiheit der katholischen Anschau- ungsweise befangen erscheint. Propheten der Reformation waren auch Wiciiff und Huss, aber sie waren es in rein objectiver Weise, durch den ganzen Charakter ihrer Wirksamkeit und die Bedeutung, die sie für die Zukunft hatte; Savonarola machte das Prophetische zum Stützpunkt und Hebel seiner reformatorischen Thätigkeit, es reflectirt sich in ihm zu einem persönlichen individuellen Vorzug, er wollte selbst Prophet sein und für einen Propheten gelten. Diess ist das Einseitige, Particuläre, Beschränkte seines Wesens, das ihn niedriger stellt als jene andern, die bei allem, was auch ihnen noch Einseitiges anhängt, doch eine reinere und universellere Er- scheinung sind.

So concentrirt sich alles Grosse und Bedeutungsvolle , das schon seit Jahrhunderten die Kirche bewegt, zuletzt in der Persön- lichkeit weniger hervorragender Individuen. Sie sind die Vertreter des sittlich religiösen Interesses und stehen als Einzelne der Macht der Hierarchie gegenüber, um im Kampf mit ihr das für sich in

BATonarola. Sohlnss. 537

Ansprach zu nehmen, was als die Freiheit des sittlichen Sabjects das nnveränsserliche Recht jedes Einzelnen ist. Die Frage, mit welcher die Geschichte vor einer neuen Epoche steht, kann daher nur sein: entweder siegt die Hierarchie mit ihrer alle sittlichen Interessen niederschlagenden Macht, oder es siegt das Recht des Individnums durch die Macht des sittlichen Princips, und das letz- tere macht sich schon jetzt als eine Macht geltend, die in der Tiefe des sittlich religiösen Bewusstseins einen weit festern und unwan- delbarern Grand ihres Bestehens hat als das Gebäude der Hier- archie auf ihrem von dem Apostelffirsten gelegten Felsengrunde, und schon jetzt wird diese sittliche Macht von einem allgemeinen Umschwung des geistigen Bewusstseins getragen, welcher das ver- altete System hierarchischer Traditionen und Blendwerke auf allen Punkten durchbricht und eine neue unendlich erweiterte und ver- geistigte Weltanschauung begründet

REGISTER.

Aachen 228.

AbUard 294 t dOl. 803. 811. 457.

Ethik 413 £, ihre wissenschaftl.

Bedeutung 419., Ab. n. Walther von

St Victor 305., Ab. nnd Bernhard

▼on CL 802. 457. Abbo, Abt Ton Flenry 169. Abel, O., 219. A. 222. A. 534. A. Abendland n. abendlftnd. Christenheit

1. 164.172. 177 f. 180. 308., abend-

Iftndische Dogmatik 27 f. 31. 39.

Trennung der abendl. Kirche vom

Morgenland 27. 74. 172. Abendmahlslehre und Streitigkeiten

über sie 31 f. 56—73. Symbolische

Ansicht 68. Beziehung zur Lehre

von der Messe 146 f., scholastische

Lehre 340 ff. 402 f. Wioliff 521 f. Abendmahlsliturgie 62. Ablass 162. 262. 345 f. 417 f. A. 2.

443 ff. 523. 527. Absalom von Roschild 175. Absolution 258. 262. 344 ff. 444. Adalbert, Bischof von Prag 16. 85. *

169., Erzb. von Qnesen 85 A. Adam, seine Sünde 43 A. 45. Adel, in den Capiteln 271. Adelbert, der Franke 9. Adelheid, Kaiserin 168 A. 2. Adoptianismus und Adoptianischer

Streit 28. 32. 36—39. 49. Adoptio,

Ausdruck 39. Aeneas Silvins 239. Aequivalent in der Busse 160. Agapet II. 83. Agatho, römischer Bischof 33.

Agnes, Kaiserin 70. 89 A. 1. 167 A. Agobard, Enb. von Lyon 146. 168. Agrippa, Erbauer d. Pantheon 186 f. A. Albanenser 189. Alberich von Camerino 82. 168, Alb.

U. 88. Albert M. 812. A. 898. Albi 189. 196. Albigenser 196. Albrecht, Markgraf von Brandenbvg

174. Albrecht, Bischof 175. Alcuin 11. 35. 144 A. 2. Alemannen, Bekehrung a. BisthümerS. Alezander von Haies 312 A. 320. 398. Alexander II. 89. 131. 162. 201. 244.

271. lU. 175. 195. 218. 250. 258.

261. 272. 445. 499. 500 A. IV. 476.

478. Alexandrien, Einigung der Monophysi-

ten mit der kath. Kirche i. J. 630. 33. Alexius Comnenus 182. Almosen 158.

Alvarus Pelagius 251 A. 263. 484 A. Amalrich von Bena 462. 503. Amalricianer 504 f. Ambrosius 62. 131. 423. America 176. Amortisationsgesetze 268. Amulo 45.

Anagni 231. *

Anastasius, Erzbischof von Thescs-

lonik 105. Anathem 134. Andrea, Valentin 307 A. Angelsächsische Missionäre 9. Angilbert, Abt 145.

Register.

539

Angilram, oapituU 110 f. A. Ansäte 239. 268.

Ansegisufl, Erzbischof von Sens 116. Anselm, Bischof von Lucca 89. 181. Anselm, Ersbischof Ton Ganterbtiry

218. 272. 282. Trinitätslehre 801.

820. Satisfactionstheorie282ff. 881.

870. Ontolog. Beweis 285 ff. 816 f.

Realisnins 290 ff. 299. 369. 378.

Glauben tind Wissen 299 f. 371. Ansgar, Mönoh in Corvey 12. 174. Antichrist 240. 459 A. 460A. 479.511.

518. Antike und christl. Sittenlehre ver- bunden 436. Antonius 210. 467. Apocalypse bei den Manidiäem 24.,

apocalypt. Ideen bei Abt Joachim n.

den Spiritnalen 458 ff. 475 ff. 509. Apostel, mit den Bischöfen verglichen

97. 100, 1. Armnth oder Besitz 482 ff. Apostelbrüder 503. 508 ff 513. Appellation an den Pi^t s. n. Päpste. Araber, Eroberungen 17., arabische

Philosophen 21. 808. Archidiaconen 270. 276. Ariald, mailftnd. Kleriker 181. Arianismus der Westgothen 89. Arichus, longobard. Fürst von Beue-

vent 80. Aristoteles bei Arabern und christl.

Theologen 21., in der Scholastik

291. 295. 805. 807. A. 808 f. A.

812 A. 441., Ar. u. Christus 808 f. Arius 140. Armenier 177. Armuth, apostolische 456 t 467 ff

489. 509. 514. 519, und die Päpste

481 ff. Arnold von Brixen 216. 456 ff. Arnold von Citeaux 196. Arnulf, Erzbisch. vonRheims 117 f. Arnulf, Bischof von Orleans 117 ff.,

seine Bede auf der Bheimser Syn- ode 118 A. 1.

Ascese 166 ff., mit hierarch. Ideen verbunden 167 ff. 171.

Aschaffenburger Coneordat 289.

Asien und das Christenthum 175 £

Auctoritätspnnsip der Scholastik 305 f. 810.

Augsburg, Bisthum 8.

Augustin 129. Urzustand u. Erbsünde 327. Anschauung Gottes 351. De- finition der Sacramente 337. Auc- torität des Batramnus 62.

Augnstinismus der abendl. Kirche 28. 39 f. 43. 44 f. 47 A. 1. 48. 309. 318. 354. 363., weitere Ausbildung 45., Verdrängung n. Abschwächung 49., Umbildung bei Job. Scotus 55.

Augustinus Triumphus 251 A. 263.

Aventin, Bonifacinskloster 169.

Avignon 232 ff. 262.

Bagnolenser 189.

Baiem 8 f.

Ballerini 1 10 A.

Bann 283. 273. 527.

Barbarei, Jahrhunderte der, 6 f. 151 f.

Bartholomaeus Albicius 474.

Basel, Bisthum 8., Concil 289. 583.

Basilius, Haupt derBogomilen 182.

Beatrix, Markgräfin 210.

Beda Venerabilis 810.

Begharden, Beguinen 487. 508. 507 A.

533. Beichte 274. 845. 417. Belasmansa, Bischof von Verona 189. Benedict, AbtvonAniane 164. Benedict von Nursia 210. 468. 465. Benedict, Mainzer Diaconns, Capitu-

lariensammlnng 1 10 f. A., Verf. der

pseudoisidor. Decretale 111 A. Benedict III. 78 t VIII. 86. 180 A.

168 A. 8. 197. IX. 86. 87 A. 162.

XI. 281 1 XII. 233. XIU. 235. Benedictiner 164 f. 455. Benefioien 260 f.

540

Beglster.

Benerent, Ffirtten Ton, 80.

Berengar, König ron Italien 88.

Berengar Ton Frianl 82.

Berengar ron Tonn, über das Abend- mahl 64 f. 71. 78, «eine Dialektik 66 ff., gegen den Wnnderbegriff 67. A. 2. Verdammnng 69. Verhftltniss SU Gregor YII. ebd. A. 2. 210.

Bembard ron Clainranx 195 f. 216. 258. 455.) Gegner Abftlarda 802 f. 457. , Stnfen der Liebe 808 A. 1., über die Maria 898., seine sermones 404.

Bemhardns Primns 500.

Bemo, Abt 165.

Berthold, Franciicaner 405. 448»

Bertinianische Anoalen 47 A.

Bertrand d*Agonst, Ersbisch. von Bor- deaux 232.

Bettelorden 175 f. 405. 440. 445. 453. 456 iL 460 A. 464. 466 ff. 485 ff. 502 A. 1. 514.519.528.

Blei, Gabriel, 392 A. 393 A. '

Bild, sein Wesen 141.

Bildercnltos n. Bilderstreit 81. 90 A. 91. 137 ff.

Bischöfe, nach dem psendoisidor. Kir- chenreoht 94 ff. 100 A. 247., ihr Interesse am Erscheinen der De- cretale 109 ff., unter Gregor VII. 199 A., Wahl 266. 271., Belehnung 123 f., Lehenspflicht ebd. 265 ff., Ernennung durch den König 124 A. 265., als Lehensherm, kirchl. polit. Stellung 125 ff. 267 f., nach dem Investiturstreit 215 A., Schlüssel- gewalt 418., Auftiohtsrecht über die Klöster 165. Inquisition 276. Häupter des Diöcesanklerus 270, Bischöfe und Bettelmönche 472, Bisehöfe und Papst im Papal- und Conciliensystem 253 t 407. Be- schränkungen durch d. Päpste 258 ff. Jurisdiction 258 f. 269. Consecra- tion 263. Weihbischöfe 270., ^isc.

in part infid. ebd. Bischöfl. Gewilt

nach Thomas 348 f. Bissens 79. Blondel 110 A. Böhmen 16. 526., böhmische Brüder

498. Boethius 291. 808. Bogomilen 182 ff. 189. 190 A. 2. Bogoris, Fürst der Bulgaren 13. Boleslaus der Fromme 16. Bonaventura 812. 898. 474 f. 478. Bonlfaoius, Apostel der Deutschen 8 f.

12. 174., sein Name 83 A., Erzb. 9,

Yon Mainz 10. Ordner der firlnk.

Kirche 74 f. 122. 151. Unterwfiiü^-

keit unter Rom 10. 12. 75, Mm

Ende 10. Bonifaoius, röm. Bischof 102. BonifaciuB V., weiht das Pantheim

186 f. A. Bonifaoius YIIL 227 ff. 242. 267. 446.

511. IX. 450. Bourges, pragmatisohe Sanction i. J.

1488. 239. 262. Brandenburg, Bisthum 12. Bremen, Bisthum 1 1 f. Brittische Mönche 168. Brüder des gemeinsamen Lebens 442.

488, des freien Geistes 498. 503 t

506 f. 513 f., des Gesetzes Christi

534. Bruno, Erzb. vonCöIn 7. 126 f. A. 168. Bruno, Bisch, yon Segni 87 A. 2. Bruno, S. d. Otto von Kämthen 84.

8. u. Gregor V. Buchonischer Wald 10. Buddhaismus 176. Bulgaren, Bekehrung 1 3 ff. Bulgarien 25. 185 f. Bullen, Glericis laicos u. unam ssno-

tam 228. 242, über die apostolisdi«

Armuth 484, goldene Bulle 371,

gegen Begharden 507 A. Burgund, Johann, Herzog 438 f., bnr-

gundisches Königshaus 168 2.

B«giBt«n

Ml

Busse und Bnsstheorie 158 ff., des Petras Damisni 1 59 f., der Katharer 191. 193, in der Scholastik 388 f. 343 ff. 847, bei Abftlard 417 f. Bass- übnngen 448 ff.

ۥ

Calixt II. 213 f.

Calixtiner 533 f.

Camaldnlenser 166.

Campulus 77 A.

Canones, der Synoden der alten Kirche 112. 114fl, der Synode von Sardica 91 A. 1. 101. 112 f., carthagische ebd., der röm. Bischöfe 104, syste- matische Sammlungen 117.

Canonici 271, vita canonioal29. 271.

Canonisation 258. 896.

Canonisches Recht 258.

Canossa 203 f. 207, 1.

Capitula Carls M. 145.

Capitulare t. J. 779. 183, 1. ecdesi- asticum 91; 1. Ldftinense 121, 2.

Carcasson 189.

Cardinalis 88, 1.

Cardinaltagenden 339. 423 f.

Cardinftle, röm. 88, 1. 89, 1. 218. 232. 234 ff. 252.

Carl Martell und seine Nachfolger 9, gegen liatprand angerafen 74, Sieg über die Araber 17, seine Erobe- rungen 75, Kirchenordnung 151, Eingriffe in das Kirchengut 120 f., Besetzung der Bisthümer 122.

Carl M. 5 f. 8. 11. 12, Verhftltiiiss zum Papst 75 f. 90 f. 92, 1. In Pa- derborn i. J. 799. 77, 1., auf der Synode in Aachen i. J. 789. 91, 1. Kaiserkrdnung 76 f. 77, 1. 93, als theokratischer Herrscher 156, Auf- sicht über die Kirche 151. 152, 1. 155, Vorsorge für die Predigt 149 £ 404, Volksbildung 155, im BüdM> streit 91. 144 f., Verf. der caroHng. Bücher 144, 2., Verbot des Waffen*

tragens der Kleriker 124, der Got* tesurtheile 158, Verhftltniss zu den Bischöfen 125, seine Hofgeistlich- keit 127, Sendgerichte, missi 155| Einftihrang des Zehenten 133, 1.

Carl der Kahle 56, 2. 60 fl 82. 116^ 123, 2.

Carl IV. 234. 526.

Carl von Anjou 226 f. 282.

Carl, Herzog von Lothringen 117.

Carolinger, Bemühungen fKr Verbrei- tung des Christenthums 12, ron den Päpsten als Könige geweiht 75. 93, 1, carolingische Büdher 144, 2., caro* lingisohe Schenkung 75, 8., carcK ling. Zeitalter, seine Bildung 68, 151 f. 156 , Auflösung des Reicht 91. 117. 127.

Cartesius 369, 1.

Cassian 44.

Casuistik a. casus oonscientiae 4360^

Causae majores 101. 105, causaein dor Sittenlehre 436.

Chalifat in Bagdad 21.

Chazaren auf der Krimm, Bekehrung 1

Chorepiscopen 100, 1.

Chozil, mfthrischer Fürst 14.

Christenthum, Ausbreitung in Deutschi« 5. 7 ff., bei den SlsTcn 13 ff., Ungarn 16, Bussen 17, Pommern, Prenssen 174 ff , Kampf mit dem Mahamme* danismus 1 7 ff , Stellung im Islam 20.

Christian, Cistercienser 174.

Christologie 82 ff. 36 ff 40. 49. 72, Be- ziehung zum Bilderstreit 140 ff., dei; Katharer 189 f., Scholast. 306. 829 ff.

Christus, sein Tod bei den Prädesti* natianem 45. 47. 56, in der Lehr« Ton der Messe 146 f., bei den Gtoiss- lem 451 f., Auferstehung bei den Adoptianem 37, der erhöhte Chri* stus, nach der Ansicht der Bilder- feinde 141 £, Bilder Christi 142«

Chrodegang, Bisch, von Mets 129« 27 1.

Chrotmar, BrzbisGjiof Ton Salabitrg li^

B«f ittft;

Clinr, BUthvM 8.

Cicero in der scholMtiielieii Ethik

488, 1. 441. CUtenieMcr 174. 465. 466. aunratiz 216. Clarendon, BeiehiTersaimiilaDg i. J.

1164. 369, 1. Clandiua, Biachof von Tnrin 146, 8. demeos, der Schotte 9. aemeiia m. 212. IV. 226. 260 t V.

282 f. 262. 400. 507, 2. VI. 288. 461. 1 Cjbele 187, 1.

Conataatiiiiia OopwwiyauM 188.

Conataas, Biithnm 8, ConoU 258. 488it 627 f.

Conatitationeii der rOm. Biaohöfe 102.

Correy 12.

Creacentina, Johaanea 83 f.

Cüdberth, engl. Biachof 10, 1.

Coltoa, chriitlicher, und aeine Ent- wicUong81. 186 C 160. 398 £400, der Heiligen und der Maria 896 £

Clagny 87. 166 01 211, Congregation

168, 8. 169, 1. 197. Cloniaeenaer 166 ffl 468. 466. Ooeleatin 102. ill. 224. IV. 511. |

Cöleatioa, Pelagianer 66, 1. |

COlibat 180 ff. 198 f. 206. 971 f. 468 C I Dalai-Lama 176.

Gjrillua, BlaTeoapoatel 13 ff. Cyrua, Diöceae 28.

Dftnemark 12. 272.

Columban 8. 168.

Colombo 176.

Colonna 281.

Cömposteüa 167.

Concilienachlflaae and pftpatlicbe De- cretale 116.

Concilienayitem 251 ff.

Coneordate auf und nach den Coa- cilien 289.

Concorrezenser 189. 190, 2.

Confirmation 888. 840. 847.

Conrad II. 168, 8. 202, 1.

Conradin 226 f

Consilia n. praeoepta 428 ff. 442.

Conaolamentam derKatharer 191.198.

Conitans IL Glaubensediote 88.

Conatantia 219. 221.

Constantin M. 5. 86 j 1. 186, aeine Schenkung 85, 1. 135 f. 246 f. 490. 518, sein Edict 185.

Cpnstantin, Armenier, Stifter der Pau- licianer 25.

Constantinopel u. Rom 1. 74. 90. 186. 145, in den Kreaaaügen 177, Ver-< einigungarerauche mit Rom 88 , in der Sage Ton der P&patin Johanna 80, der Patriarch und derKaiaer 85. 90, 1. Conatantinua Pogenatos 86.

Dalmatien, Katharer d^B» 186fl

Damaauall. 87. Paeudodamaaua 100,1.

Darid Ton Dinant 462.

Decretale, päpatUohe 95 £ 112. 114 t 260. 8. u. Paeudo-Iaidor, Tor dem Jahr 864 erlaaaene 101, Yert Achter Decretale 102. NicolauaL über die Decretale der r5m. Biachöfe 104,

Demiurg, bei den Paulioianem 25.

Denken u. Sein in der Scholaatik 293. 295 f. 2.

Desideriua, Abt 211.

Deutschland, nördl., Miaaionen 174 t, nach dem Fall der Hohenatanfen 227. 242.

Deutschorden 176.

DcTolutionsrecht 261.

Dialektik, ihr Erwachen 65. 66, Inder Scholastik 281 f. 296, 1. 300 f. 807 ff 329. 369, in der Sittenlehre 437 f. , Dial. und Mystik 308 ff., Bekämpfung der acholaat. Dialektik durch Walther von St Victor 306, Job« von Saliabury 307.

Dieckhoff 499, 1. 502, 3. 516, 1.

Dietrich Ton Verdnn 208, 1.

Diöeeaanklerua 270 f. 472.

Diöoeaanqmoden 106, 8.

R«gi*ter.

M».

Dionysisches Gesetzbuch 91, U

Dionysiui, der Axeopagite 28. 809. 312, 1. 818. 834, 8. 351.

Dioskur 140.

Dispensationen 258. 262. 410.

Doctores und patres eccl. 311. Docto- ren der Theo!, auf der Constanzer Synode 440.

Dogma in den 6 ersteh Jahrh. 1. 25 f., Yon Chaloedon 34. 49, des Mittel- alters 2 f., abendiftndisohes 27 f. 81. in der ersten Periode 26 ff. 82. 71 ff., in der zweiten 172 f. 279 ff.

Doketismus 72.

Dolcino von Novara 508 ff.

Domcapitel 129. 270 f.

Dominicaner 175 f. 277. 355. 372. 469 ff.

Dominicas, h. 457. 468 ff. 510.

Donatio Constantini s. Constantin.

Drugnria, ordo 186.

Daalismas, altpersischer 183, der Ka- tharer 186 ff. 514, in der Person Christi 34. 38f., derBilderfeiude 141.

Dualistische Secten 22 ff. 181 ff. 514.

Dons Scotns 312. 355 ff. Aber die all- gemeinen Begriffe 294 f. , 2 , Er- kenntnisstheorie 296 ff. 864 f. 368, Prinzip der Theologie 856 ff., Lehre von der Willensfreiheit n. Prädesti- nation 358 f. 363 f. 368 ff» 1., Wesen Gottes 360 ff. 366, Philosophie und Theologie 363 f. 371, Welt n. Schö- pfung 361. 366, Engel 368, Natur des Menschen 368, das Gute 365 f. 870, Offenbarungstheorie 864 ff., Er- lösung 370. 880, 1, Gnade 870, Sa- cramente 381 ff., Transsubstantia- tlon 385 ff. 390 f., unbefleckte Em- pf&ngniss der Maria 898 f. Glauben und Wissen 371, Auctorlt&tsprinzip 380, 1, Duns Sc. u. Thomas 855 ff.. Aufgeben des scholast Standpunkts 371. Supranaturalismos 367. 387. Bealismus seiner Anschauungsweise 368 f., 1. 387. ScotSsten 872. 878 IL

Durandus de Oica 500.

Durandua de S. Porciano 872 ff. 879«

Dyotheleten 23 ff. 49.

Ebbo, Erzbisch. yonBheims 110 f., 1.

Eberhard, Graf von Friaul 44.

Eckart, Dominicaner 405.

Edessa 23.

Edgar 160, 8.

Eduard I. von England 227. ID. 517 f^

Egilo, Erzbisch, yon Sens 47, 1.

Ehe , als Sacrament 839. 349, Ehe und Fleischgenuss bei den Paulieiaoem 25, Bogomilen 188, Katharem 190<^ 490, Dolcino 510.

Eherecht 182. 278.

Eid, bei den Katharem 191.

Ekbert, Abt 184, 1. Ekthesis, Glaubtnsedict 88. Elias von Cortona 473, 1. Elipandus, Erzbisch, von Toledo 86#

89. 118, 1. Elsass 8. 506. £!mmeran 8.

England und engl. Kirche 241 f. 261. 266 f. 268f. 272. 472. 5171 525 f. . Ephraem Syras 23. Erzbischöfe, s. Metropoliten, deutsche

451. Erzkansler 127. Esthen 175.

Eucharistie 146. 888. 840 ff. 347. Euoharius, Bisch, von Orleans 121, 1. Euoheten 188.

Eugenius 11. 78. IIL 175. 216. Eunuchen, auf dem Patriarchenstuhi

von Gonstantinopel 80. Eusebius, Bisch, von Yercelli 129. EuthymiuB Zygadenus 182, 1. Eutychianismus 14011 Evangel. Christenthnm 194. 196. 406,

489 ff. 514 f. 527. Evervin 185, 1. s

Exarchat 76. . ;

M4

Baf ittar.

Exceptio spolii 111, 1. Escommaniestion 184. 199. 208. 288. 278. 418. 527.

FMten 160.

Fegfeuer 846. 847.850 t 446. 496 f.

Felix, BUchof von UrgelU 86. 89.

Fest aller Seelen 1661, der unbe- fleckten EmpftogniM der Maria 898 1

Filioque 28.

Filius rnnjoTf minor der Katharer 189. 192, 1.

Fleury, Kloiter 169.

Florentiua Bedewiin 488.

Florus, Diaconns ron Lyon 64.

Flo«8 über Leo VIII. u. Otto I. 92, 1, über die caroUng. Büober 144 1 2.

Floto über Gregor VII. 204, 1 , über das Resultat de« ^Testiturstreits 215, 1.

Fdrstemann 452, 1.

Fönte Avellana 170, 1.

Franciscaner 175 f. 855. 459, 1. 470 fil 508 , die beiden Parteien 473. 478, Armutbsgelübde 481 ff.

Franciscus, h. 457. 467 ff. 510, Verhttlt- niss zum Papst 471, 1. 501. Seine Yer- dirung u. Wundenmale 473 ff. 480.

Franken 8 f. 75. 120.

Fränkisches Reich 74. 165. Lage der Bischöfe und Entstehung der ps.- isidor. Decretale 110. 111, 1. 116. 128. Fränkische Synoden 9, im J. 745. 10. Ueerverfassung 122. Ost- fränkische Blsthümer 10.

Frankreich 178. 185. 224. 266. 278 f., unter PhiUpp lY. 280 ff. 242. 267, südliches, Verbreitung der SLatharer 185 f. 196.261.457, Waldenser 499. Kordfrankreich 186. Parlamente 269. 274« Geistl. Schauspiel 400, 1.

Franz L 239.

Französische Bischöfe 118 f. 1. 273.

Friderich, über Abt Joachim 460,

Fridolin 168.

FriederiohL 216 £& 226.247.267.457.

n. 219. 221 ff: 226. 284. 248. 266 f.

271. 469, 1. 460, 1. IIL 239. Friedrich toq Oestreich 288. Friesen dt 10. Fronleidmamsfeat 400 1 Fürbitten 351, der liarU 897. Fnloo, Graf von Ai^joa 167, 1. Foloo, Presbyter aa Neuilly 404. Fulda, Kloster, Gründung 10. Folgentins von Bxmpe 4l5

Gailer von Kaisersberg 405 f.

Gallus 8. 168.

Ganfrid, Graf Ton Ai^oa 70, 1.

Gaunilo 286 t

Geisseibusse 159. 449 ft , Qdsfler-

fahrten 449 ff. Geisslerlied 397, 1. 451t 1. GelasiusL 101t 104. 106. 115. Geldbusae 161 £ 445 t Gelübde 481. 442. 509. Gennadius Ton MassUia 44. Gerbert 84ff. 118, 1. 119. 169, 1. s. o.

Silvester II. Gerhard, Franciscaner 477 t Gerhard Groot 488. Gerhard SegarelU 508. 511. Gerichtswesen der Kirche 268 t , Ge- richtsverfahren gegen Bischöfe 95 ff.

110 t 1. 115. Germanische Völker 2. 27. 120. 168,

Sitten 163. 160, Philosophie 64. Germanisches Conoil i. J. 742. 9. Germano, Vertrag i J. 1225. 1230.

223. Germanus, Patriarch von Constantino-

pel 137 t 1. Geroh von Reichersberg 270. Gerson, Johann 236. 252. 263, 1. 255, i.

406. 437, 1. 439 ff. 488. Gewinlieb, Bischof von Mainz 10. Gfrörer, über die Schenkungen der Ca-

Register.

545

rolinger an die Päpste 76, 1, über die Eüiserkiönniig Karls M. 77, 1, über die Papstwahl 78, 1. 244, 1, über die Päpstin Johanna 79, über das päpstl. Hurenregiment 82, 1, über Namensänderongen der Päpste 83, 1, über Silvester II. 86 f. 1, über die Wahlordnung Nicolaus IL 89, 1, über das Privilegium Leo^s VIII. an Otto I. 92, 1, über Pseudo-Isidor 110, 1, über die Wahl Gregor's VII. 244, 1 , über Heinrich IV. und Gre- gor VII. 210 f. 1. 245, 1.

Giesebrecht, über Otto III. u. Gerbert 86, 1, über das Privilegium Leo^s VIII. an Otto I. 92, 1, über die Ge- schichte der deutschen Kirche und die Reichsgeschichte im 10. Jahrb. 126, 1, über die Congregation von Clugny 168, 3.

Gieseler 178, 1. 201, 1. 209, 1. 252, 1. 507, 1.

Gilbert von Porreta 305.

Glaber Radulf, Benedictiner 157, 2. 158, 1.

Glauben und Wissen 299 ff. 371 ff., 378, Stufen des Glaubens bei Hugo von St Victor 304 f.

Gnosticismus 19. 22.

Gnostisch-manich. Secten 22 ff. 182 ff.

Goch, Job. V. 535, 1.

Göcke über Pseudoisidor 110 f. 1.

Gottesfriede 154.

Gottesurtheile 153 f.

Gottschalk 40 ff. 48. 54, über Prä- scienz u. Prädestination 42. 45, sein Schicksal 49, seine Weihe 101, 1, über Gottesurtheile 153, 1.

Gratian, Decret 436.

Gregor I. der Gr. 1. 74, 1. 81. 102. 263. II. u. III. 9. 74, 1. 78. 90, 1. V.;84. 169. VI. 87, 1. VH. 3 f. 16. 86, 1. 171. 177, 1. 198ff. 213. 243. 245, 1. 246. 247 f., 250. 259. 273. 278. 282. 289. 444. 453 f., als M5nch und Baur, K.a. cU Ifütelalters.

Cardinal Hildebrand 70. 87 ff. 89, 1. 93. 170, 1. 198. 259, sein Name als Papst 87, 1, seine Wahl zum Papst 244, 1, sein Verhalten zu Berengar 65. 69 f. 2. 210, gegen den liturg. Gebrauch der slav. Sprache 149. Charakteristik 204 ff. 207 f., 1.210 f., 1. IX. 223 f. 226.250.273.277.481. X. 508. XI. 234. 525. XH. 236.

Gregorovius 90, 1.

Guibert, Abt von Nogent 396.

Guido von Spoleto 82.

Guido, Erzbischof von Mailand 131.

Günther, Erzbisch, von Cöln 81.

Hadrian I. 11. 76. 77, 1. 91, 1. 92, 1. 145, 1. n. 81. 113. 115. IV. 217 fc 247. 261. ^

Hahn 478 f. h

Halberstadt, Bisthum 11.

Hamburg, Erzbisthum 12.

Hammer, J. v. , über die Schuld der Templer 408 f., 1.

Hanno, Erzbisch, von Cöln 89. 211, 1. 244, 1.

Hase, über Namensänderung der Päpste 83, 1, über Peter den Eins. 178, 1, geistl. Schauspiel 399, 1, Franz von Assisi 473, 1, Savonarola 535, 1.

Hatte, Erzbischof von Mainz 14.

Havelberg, Bisthum 12.

Hegel, über die Kreuzzüge 180.

Heidenthum und heidn. Idololatrie 137. 139 f. 144. 153. 395. 397, der Slaven und der Germanen 175, Verhältniss desChristenthums zu ihm 7 ff. 174 f.

Heiligencultus und Bilder 137. 142 f. 145, der Hussiten 534, 1. Fürbitte der Heiligen 144.

Heinrich, Erzbischof von Cöln 607, 2.

Heinrich, Mönch 404. 493.

Heinrich der Löwe 174.

Heinrich I. 12. Königswahl 93, 1. II. 86. 126, 1. 130, 1. 168, 8. 197. HI.

35

546

Register.

87. 93. 167, 1. 168, 3. 197. 199. 202, 1. 248. iy.88f: 168,3. 177, 1. 198 f. 201 f. 1. 208 f. 206 t 209. 210(1, 1.212 t 243. 444, seine Söhne 209,1. V. 212 f. 244. VL 219. 221. 226.

Heinrich, 8. Friedrioh's, II. 223.

Heinrich II. Ton England 218. 269. IV. 526.

Helfferich über den Adoptiftnismus 39.

Henke 79.

Heradins, Kaiser 33.

Hermann, Erabisch. von Cöln 124, 1.

Hermann, Erzbisch, von Metz 210.

Hermann, Abtv.Nieder-Altaich 452, 3.

Herzog 498, 1. 502, 1.

Hessen 9.

Hierarchie, ihre Entwicklung 1. 2. 9. 31 f. 73 ff. 89 ff. 132. 166 ff. 172. 196 ff. 216. 241. 254. S62. 268. 278. 280.289. 342 ff. 345.403, Consequenz 264 f., Zerfall 3, Verwerfung bei den Panlicianem 24, Katharem 194, Waldensem 514 1 Widiff 518. 536, Hierarchie n. die Bettelorden 470 ff. Hierarchie und Dogma in der Scho- lastik 279 ff. 318. 393 f.

Hieronymns, über Cölestins 56, 1.

Hieronymns von Prag 528 f.

Hilarius 102.

Hildebrand, Cardinal, siehe unter Gre- gor VII.

Hildesheim, Bisthum 111, 1.

Hinkmar, Erzbisoh. von Bheims, Geg- ner Gottschalks 41. 43.45f: 48. 50. 54, die fünf von ihm verworfenen Sätze Gottschalks 45 f., seine vier Sätze 46, Richtung seines Lehrbe- griffs 49, über Job. Scotus 66, Ver- fechter der Metropolitanrechte 81. 112. 114 ff., seine hierarch. Rich- tung 117, 1, über die Chorepisäbpi 100 f., 1, auf der Synode von Soisson 111, 1, Streit mit Rothad von Sois- son 112 f., mit Hinkmar von Laon

113 t, über die p8.-iaidor. I>eere- tale 116 t 1, über den Lehenseid der Bischöfe 128, Gottesnrtheil 153, Brief an Jobann VUL 117, 1, an Ludwig d. D. 123, 1, an Hadrian n. 1 23, 2. Fiotion üb. Carl Martell 121,1.

Hinkmar, Bischof von Laon, Streit mit Hinkmar von Rheims 113 f.

Hoffmann von Fallersieben 452, 3.

Hofkapelle der deutschen Kaiser 126, 1.

HohensUufen 215 ff. Ende 226 f. 231 f. 242.

Honorius, röm. Bischof 33. n. 89. UL 153, 1. 223. 261.

Hormisdas, röm. B. 117.

Hugo, B. von Lyon 213.

Hugo, Abt 168, 3. 210.

Hugo Capet 117 t

Hugo von St Victor 304 f.

Humbert, Cardinal 64.

Hurenregiment, päpstliches 82.

Huss u. dieHussiten 498. 517. 526 ff. 535 f. Tractatns de eoclesia 529 ff. Huss und Nepomak 534, 1.

I.

Iglauer Compactate 533. Indulgenzen 162. 345 f. 410. Innocenz L 101 f. 104. U. 259. 270.

III. 4. 153. 2. 195. 220 ff. 241.

244. 246. 248. 250. 259 ff. 270

ff. 273 f. 275 f. 278 f. 344. 460.

471, 1. 500 f. IV. 224. 226. 245 f.

248. 261. 476. 481. 502, 1. Inquisition 196. 276 f. 526. Interdict 134. 223. 233. 241. 273. Introductorius in evang. aet. 476 ff. Investitur 200. 212 f. Investiturstreit 209, 1. 212 ff. 216 f.

247. 265. 270. 457. Irene, Kaiserin 138. 144. Irländische Mönche als Missionäre

8 f. 168. Isidor von Hispalis, Sentenzen 27,

Prädestinationslehre 41, 2.

Register.

547

Italien^ Geissler 449. Arnold y.Br. 457.

Ivo, B. von Chartres 213.

Jacob von Muia 583.

Jacobns d. ä., seine Gebeine 157*

Jacobus de Benediotis 452.

Jahr 1000 158.

Jahrhunderte, VIII. u. IX. 7. 160.

X. u. XI. 151 f. 157. 165. XII. 458.

515. XIII. 172. 515. 517. XIV. 517. Jerusalem, Wallfahrten 157, in den

Kreuzzügen 223. Jesuiten und Cluniacenser 168, 3.

Jesuitische Grundsätze 434, 2. 438. Joachim, Abt vonFloris 180, 1. 457 ff.

468 f. 509 , Commentare über Je-

sajas u. Jerem. 459, 1, Weltperioden

463 f., 1, Weissagungen 464 ff.

475 ff., Joachim und die Amalri-

cianer 506. Johann, Bischof der Sabina 87, 1.

Johann Petit (Johannes parrus),

Franciskaner 438 ff. Johann Vni. 14 f. 81 f. 116. IX. 14.

X. 82. 124. XI. 82. XII. 83. XIH.

16. 83. XV. 83 f. XIX. 86. XXII.

232 f. 262 f. 480. 483. XXIII. 527. Johann von England 221. 241. Johann von Böhmen 234. Johanna, Fftpstin 78 ff., 2. Johannes der Tftnfer 809. Johannes, der Evangelist und dieMa-

nichäer 24, bei den Katharem 189,

bei Joachim von Floris 466. 475. Johannes, Priesterkönig in Asien 175. Johannes, Sohn der Kallinike 24. Johannes von Damascns, Ekdosis 27.

Christologie 34, Apologet der Bilder

139. 141, über Versinnliohung des

Göttlichen 143, 1. 144, 1, über

Eucheten 183. Johannes von Jandun 233. 256. Johannes de Lugio 187 ff. Johannes von Parma 478. Johannes Scotus Erigena, sein System

28 & 54. 309. 316, flein Name 50,

1, Gegner Gottschalks 50, über die Prädestination 50 ff. Freiheitsbegriff 54 f., angeblicher Verfasser einer Schrift des Ratramnus 61, 1. 64. 65, 1, Parallele mit Abt Joachim 461 f. mit Amalrich yon Bena 503 f.

Johannes von Salisbnry 807, 1. 308, 1, über die Universalien '295, 1, Be- kAmpfer des scholast. Formalismus 807.

Johannes, Erzb. v. Strassburg 507, 1.

Jubeljahre 446 f.

Judenthum, durch Muhammed ver- jüngt 17. 176, in der Bilderfrage 137 ff.

Jünger, die siebenzig 97. 100, 1.

Jütland 12.

Julianus, B. von Eclanum 55, 3.

Jurisdiction, kirchliche, vor und nach Pseudo-Isidor 101 ff. 258 f.

Jus primarum precum, regaliae, spolii 266 f.

Juvavnm 8.

I&.

Kaiser, griechische 74 f. 78.85. 90,1, als Gegner der Bilder 137 ff. , rö- imische, s. Papstthum, bei der Papst- wahl 88 f. 90, fränkische 215 f.

Kaiserthum 2. 5. 7. 77 f. 89 ff., seine Idee 91. Verhältniss zu den Kirchenfürsten 126, 1, lateinisches 221.

Kanon des N. T. bei den Manichäem und Paulicianem 24.

Kallinike aus Samosata 24.

Kanonische Lebensweise der Kleriker 129. 271.

Katharer 182. 184 ff. 457. 489 ff 499. 510. 512 f., Name 184, 1, Lehr- system 186 ff. Rituale 192 f., 1, Predigt 404. Verbreitung und Be- kämpfung 185. 194 ff:

Kelchentziehung, scholast. Rechtferti- gung 342. 401 ff.

KiUan 9.

35*

54S

Register.

Kirche, alte 1. 307, des Mittelalters 1 ff, Perioden 8 f. 171 f., abendlftn- dische und oriental. grieoh. 2. 6 f. 27. 31. 164. 172. 221. 263. Mis- sionen der griech. 12 f. 16 f. Col- lision beider in M&hren 12 ff. Theo- log. Streitigkeiten 74. 80. röm. ka- tholische 28. 33. 85. 99. 149. 412, ihre Privilegien 106 f., Polemik gegen sie 118 f., 1. 194 ff. 450 ff. 490 ff. 507.509. 511. 513 ff. 517 f. Babylon. Hure und Sitz des Anti- christenthnms 458 f. 480. Bekämpf- ung ihrer Gegner 195 f., Herrschaft über die Laien 274. 276 ff. 401. Schlüsselgewalt 344 f., Idee und Princip ihrer Entwicklung 107 f. 172 f. 205. 230. 235. 240. 248 f. 256. 265. 272. 278. 28(i 289. 400. 407. Die K. und die. apostol. Ar- muth 456 ff. Conflict mit den Lan- deskirchen 112, 247 f. Communitas ecclesiae und der Papst 251 ff. 349. Gegensatz der beiden Systeme und innerer Wiederspmch 254 f. Kirchl. Absolutismus und seine sittl. Folgen 173. 410 ff. 440. Sittlicher Stand- punkt 435. 441. 447 f. Deutsche K. 9. 10. 126, 1. 212. 272, fränkische 6. 74 f. 91.* 100. 110. 122 f. 151 f., im Bilderstreit 144 f., gallische 120, französische 213, angelsächsische 160, englische 213. 261, böhmische 16. 272, mailändische 88, 1. Ver- hältniss zum Staat 120 ff. 127 f. 134 f. 171. 197. 202. 206. 214 ff. 220. 228. 246 f. 257. 265 ff. 453 f. 457. Auflösung und Verfall 407. Kirche derb. Maria in Kom 137, 1. Kirchenbau 158.

Kirchengeschichte, wechselnder Schau- platz 5. Kirchengesch. und Reichsge- schichte im 10. Jahrb. 126, I.Stand- punkt bei den Kreuzzügen 178 f.

Kirchengut 100. 110. 120 ff. 130.

184 f. 201 f., 1. 206. 212. 214. 216. 268.

Kirchenrecht, pseudoisidorisches 94 ff. 117, mit dem firüheren Terglichen 101 ff. 112. 114. 117.

Kirchenreform 196 ff. 237 ff. 262. 271 f. 278 f. 408 ff. 453 f. 457. 466. 470. 515 f., ihre beiden Epo- chen 278 f.

Kirchensprache 149 f.

Kirchenstaat 220. 224. 278.

Kirchenväter 1.

Kirchenversammlung, allgemeine 248 f. Appellation an sie 231. 233, Idee und Princip 236, die drei grossen Concilien 236 ff. 248 £. 252. 262. Resultatlosigkeit 288 f.

Kleriker 87. 124. 151. 163, 1, Ve^ hältniss zu den Laien im pseudo- isidor. Kirchenrecht 95 ff. 128 £f., unter Gregor VH. 199, 1, nach ihm 212. 270 ff. unter Bonifao. VIII. 228 f. , bei den Scholastikem 349» b. Joachim t. Floris 466. 469, in der Kelchentziehnng 401 ff. Kleriker der Kathedralkirchen 129 , der ro- mischen Kirche 129, Hofkleriker der deutschen Könige 126 f., 1, Gerichtsverfahren gegen Kl. 268 f. Sittliche Zustände des Klerus 152 f. 407 ff., Reform 278 f. 408. 447. 458.

Klöster 164 ff. 454. Nonnenklöster 408.

Kluckhohn, über Gottesfrieden 154 f., 1.

Knust, über die pseudo-isidor. Deere- tale 110 f., 1.

Kober 155.

Köln, Bisthum 10. 185. 506. Erzbi- schöfe 126.

Koran 5, Grundanschauung 17 f.

Kreuzzüge 175 ff. 211 fl 223. 268, Ursprung 176 f., Charakter 178 ff. 454, Kr. und Ablass 444 ff.

Krone J.» 508, 1.

i

Register.

649

Eublai, Grosskhan in China 176. Kurfürsten 233. 267. Knrverein i. J. 1338 233. 247.

Laien s. Kleras. Laienäbte 165. Laieninvestitur 200 ff. 206. Landeskirchen, gegenüber den PApsten

258 ff. Landessprache 149. 278. 404 f. 452 f.

492. 521. 526. Landulf, mailftnd. Kleriker 131. Lanfrank, Gegner Berengar^s 65, sein

Yerwandlungsbegriff 66, 1. Langres 506.

Latein, als Kirchen spräche 15 f. 149. Lateranensischer Palast 135. Lateransynode im Jahr 963 92, 1.

im Jahr 1139. 270, im Jahr 1179

195. 272. 499 f., viertes lateran.

Concil im Jahr 1215 153, 2. 221.

261. 270. 272 f. 276. 278. 399.

405. 471, 1. Legate, päpstliche 87. 248. 259 f. Legenden 396. Lehensverhältniss der Kirche 123. 202.

212 ff. 230. 244. 247 f. 266 f. 268. Leo L 33 f. 99. 101 f. 104 f. 114.

IIL 76 f. 77, 1. IV. 78. 79. VII. 83.

VIIL 67, 1. 83. 92, 1. IX. 87 f.

93. 130. 199. 278, Schreiben an

den Patriarchen Michael 79 f. 88, 1.

X. 239. Leo, Abt, auf der Rheimser Synode

118 f. 1. Leo, derlsaurier, s. Bilderverbot 138,

der Armenier 138. Leona und Leonisten 491. Leontius, B. aufCypernin der Bilder- frage 137, 1. Lesley, Pater, Herausgeber der mo-

zarab. Liturgie 39. Letzte Oelung 839. 347. Libri carolini s. Carolin gisch. Libri poenitentiales 159 f. 436.

Lieder, religiöse 149.

Liefen 175.

Lipsins 208, 1.

Liturgie u. liturg. Gottesdienst 1 49 f.

Liutprand, Longobardenkönig 74.

Liutprand, B. von Cremona 82, 1.

Livomo 236.

Lollharden 487. 525 f.

Lombardei 185. 194. 223. 499.

Lombardische Städte 218.

Longobarden 74 f.

Lothar L 78. 111, 1. IL 81. 92.

Lucifer, bei den Katharem 188 f.

Lucius III. 493. 499.

Ludwig der Fromme u. s. Söhne 12. 78. 110 f., 1. 145. 153. 164.

Ludwig der Deutsche 111, 1.

Ludwig n., Kaiser 81.

Ludwig der Baier 233. 286. 256.

Ludwig VII. V. Frankreich 26 1 . IX. 273.

Lübeck, Bisthum 12.

Lüttich, Kirche, Schreiben an Pascha- lis 11. 208, 1, Priesterehe 272, An- regung zum Fronleichnamsfest 400.

Lullus, Schüler des Bonifaz, 10.

Lund, Erzbisthum 12.

Lupus, Abt von Ferneres 103.

Luther, Anklänge an ihn 67, 1. 521. 524 f. 527. 533. 535, luther. Scho- lastik s. Scholast.

Lyon 491, pauperes de Lugduno 499.

JH.

Mähren, Bekehrung 13 ff.

Magdeburg, Erzbisthum 12.

Magna Charta 241. 268.

Mailand, Streitigkeiten über die Prie- sterehe 130 ff., Sitz der Katharer 185, Waldenser 499.

Mainz, Erzbisthum und deutsche Me- tropole 10 , Erzbischöfe 126 f. 267, Entstehungsort der ps.-isidor. De- cretalen 79. 111, 1, Mainzer Ac- ceptationsurkunde im Jahr 1439. 239, 262.

«50

Begitter.

Kananalis, manioh. Dorf 25.

ManichAer 19. 22. 184, ihre Vwbrel- tang 23, manich&isohe Beeten 22 ff. Verachtimg der Materie 141, Mani- chJliBiniia der Katharer 186 ff.

Marcioniten, ihre Verbreitimg 23, Yer- werfong der Hierarchie 24. Marcio- nititoher Uraprang des Daaliainaa der Paolioianer 22 ff.

Marcus, Eatharerbischof 186.

Maria, bei den Panlicianem 25, Ka- tharem 190, Bilder und Verehrung der M. 142 f. 396 ff. , unbefleckte Empfftngniss 398 f.

Marinus II. 83.

Marozsia 82.

Marsilius von Padua 233. 256.

Martin Porree, Dominikaner 439.

Martinns, röm. Bischof 33.

Martinus Polonus 79.

Massalianer 183.

Materie, nach der Ansicht der Bilder- freunde 141, bei den Katharem 190.

Mathildls 210.

Matthäus Paris 180, 1. 472, 1.

Matthäus Grabo, Dominikaner 442. 488.

Matthias von Janow 526.

Maximus, Dyothelete 33.

Meier, E. über die Duldsamkeit des Koran 20, 1.

Meissen, Bisthum 12.

Melchiades 103.

Menschwerdung Gottes in der Bilder- frage 142 ff.

Merovinger 75. 120.

Merseburg, Bisthum 12.

Messe und Messopfer 146 ff. 343. 351. 399 ff.

MethodiuB, Slavenapostel 13 ff.

Metropolitanverfassung 85. 248, Me- tropoliten und ihre Gewalt nach Pseudo-Isidor 97. 112, im Gegen- satz gegen ihn 115.

Michael s, Bogoris.

Michael, Kaiser 13.

Michael, Patriarch 79, 1. 88, 1.

Michael Psellus 188.

Migetins, Häretiker 118 f., 1.

Minden, Bisthum 11.

Miss! 155.

Missionen der röm. und griecbr Kirche

12 ff., in Asien 175, im nördl.

Deutschland 174 t, der Bettelorden

175 f. Mittelalter, Anfang und Sohlusspunkt

1, Charakter 5 t 151. 173. 219.

242. 308. 458. 486 t, germanisches

120, Cultus und Kunst des M. 394 £ Mönohsgelübde 432. 442. Mönchswesen 162 ff. 171. 271. 407 i

427. 442. 453 ff. 467 ff. Sociale

Bedeutung 486 ff. Moneta 190 ff: 502, 1. Mongolen 175. Monophysiten 17. 33 ff. Monotheletischer Streit 28. 32 ff. Montanisten 461. 509. Mozarabische Liturgie 39. Münster, Bisthum 11. Muhammedanismus 5, in Asien 175 f.

Verhältniss zum Christenthum 17 ff.

175 ff., in der Frage über die Bil- der 137. Muratori 80.

Mysterium im Abendmahl 61. Mystik 303 ff.

Narbonne, Congregation 479. Narrenfest 401, 1. Naumburg, Bisthum 12. Nazarius, Katharerbischof 189. Neander über Gottschalk 42, über

Job. Scotus 55 , 1 , über Peter d.

Eins. 178, 1, Matth. Paris 180, ],

über die Tugendlehre des Thomas

Aqu. 436, 1. Nepomuk 534, 1.

Begiattr.

«51

Nestorianlsmus 38. 140 f., in Asien 176.

Neaplatooiker 19.

Nicetas, Eatharerbisohof 186.

Nicolaitische Ketzerei 180.

Nicolaus von Cusa 252. 256.

Nicolaus I. 13. 47, 1, 78. 81. 92. 100, 1. 101 ff. 102, 3. 103, 2. 153, über die Deoretale der alten röm. Bischöfe 104 f., seine Papstidee 106, 1. 107, Benehmen Psendoisidor ge- genüber 109, in der Sache Bot- hads 112 f. 11., 67, 1. 70. 88. 89, 1. 130 f. 243. 244, 1. 271, UI. 482. IV. 508, V. 239,

Nihilianismus 329.

Nilns, griech. Mönch 169 f.

Nobla Leyczon 495.

Nogaret, Wilhelm 231.

Nominalismus und Realismus 290 fi'. Emeurnng des Nomin. 299. 377 ff. 387 ff.

Nordalbingien 12.

Norden, seine Bekehrung 12.

Normannen , Verhältnis« su den Päp- sten 88 f. 204. 218 f.

Norwegen, Bekehrung 12.

Notting, Bischof von Verona 43. 45.

Occam, W. 257.

Occident und Orient 164.

Octavian röm. Fürst und Papst Joh.

XII. 83. Odilo, Abt von Clugny 155, 1. 168, 3. Officialen 270. Ohrenbeichte 274 ff. Oldenburg, Bisthum 12. Olivi, Peter Johann 479. Olga, russische Grossfürstin 17. Ontologischer Beweis 285 ff. 316 f. Ordalien 153, 2. Ordenscapitel 456. Ordination 263. 339. 348 f. Orleans, Herzog, ermordet 438.

Osnabrück, Bisthum 11.

Otgar, E.B. Ton Mainz 111, 1.

Otto I. 7. 12. 76. 85, 1. 92, 1. 123.

126. 168, seine Krönung 88. lU.

84. 168, 3. 169 f., Wallfahrt nach

Gnesen 85 f., 1. 169 f. IV. 220.

222. 266 f. 271. 499, Ottone 243. Otto Ton Witteisbach 222. Otto von Kämthen 84. Otto, B. von Freising, seine Chronik

87, 1. Otto, B. von Bamberg 174. Otto, B. von Ostia 211. Oxford 517.

Paderborn, Bisthum 11.

Padna, Mönchschronik 452, 1.

Pannonien 13.

Pantheon, römisches, als ohristl. Tem- pel 136 f., 1.

Papa Niquinta 186.

Päpste, Verhältniss zu Longobarden und fränkischen Herrschern 74 ff., Päpste griechischer Abkunft 74, 1, angenommene Namen der P. 83, 1, Appellationsrecht 91, 1. 97. 101 ff., 105. 112 f. 248. 258 f. 262. 440. Schutzherrn der Bischöfe 99, Recht der Berufung allgemeiner SynodeÄ 105. 248, von Provinzialsynoden 113.259, Abhängigkeit vom Kaiser 243 f., Lchensherm der Kaiser 244 ff., ihr Interesse bei den psendoisidor. Deoretalen 109, die Pflicht der Unterordnung unter den Papst 119, 1, im Bilderstreit 145, Ablasspraxis 445 ff., in Avignon 232 ff. 237 f. 262 fc, als Nachfolger Petri 249 ff. 257, als Stetthalter Chriflü 236. 250 f., 1. 256. 459, i, ali episcopi universales 247 f. , den Bischö- fen gegenüber 253 f., J67. Infalli- bilität 250 f. , Auferibilität 253, 1 , Primat der Päpste 255 ff., 1.,

658

Segitter.

Yergebong Ton Beneficien nndBis- thümera 260 ff., ihre Habsaoht 269 ff.

PapstiHloh 75, 8.

Fapstgeschichte, yenchiedene Auffas- sungen 75, 3.

Papstthum, unter Gregor I. 1 , aeine Idee und Entwicklung 2. 32. 73 ff. 93. 106, 1. 107. 171 ff. 198. 206. 240. 243. 247. 264 f. 278. 280. 407. 447 f., gegenüber dem Kaiser- thum 5. 77 f. 84. 89 ff. 135. 168, 3. 171 ff. 197 ff. 215 ff. 219. 233. 243. 265, in dem ps.-isidor. Kirchen- recht 94. 97 ff., nach dem Erschei- nen der ps.-isid. Decretale 81 f. 117. 247, Satire auf es 79, im 10. Jahrb. 82 f. 92. 118, unter Otto lU. 84 ff: 170, V. Gregor VII. bis Refor- mation 196 ff , reformatorische Pe- riode 87. 170. 196 ff. 262. 278 f. 453 f., nach Gregor YU. 2111, 8n- periorität über das Kaiserthum 98. 206. 220. 246 f., weltliche Ausstat- tung 135 £, in den Krenzzügen 181. 211 f. 268 444 f., im Investitur- streit 214 f., vor den Hohenstaufen 215 f., P. und Bernhard v. Clairv. 216, 1, im Kampf mit den Hohen- staufen 216 ff., P. u. die Normannen 88. 204. 218 f., Höhepunkt 220 ff. 243 ff. 262. 265. 456, P. und die Bettelorden 456f. 471. 477 ff., seine Politik 230. 239, seine Niederlage 231 f. während des Exils 232 ff. 237. 262 ff. , des Schismas 235 f. 262, Restauration durch die Con- cilien 236, im Kampf mit diesen 248 f. 252 ff. , nach diesen 239 f., Resultat seiner Entwicklung 241 f., Papalsystem 251 ff. 263, päpstl. Ab- solutismus 254 ff. 262 ff. 407, scho- last. Lehre 349.

Papstwahl 76, 1. 78, 1. 88. 90. 92. 243 f.

Pftraklet, der Kathajrer 191. 193.

Pardulus von Laon 45. 50.

Paris, Diöcese 506, Universität, Ent- stehung und BedeutQDg 311, l,dem Schisma gegenüber 235 f. über Jo- hann Petit 439 , Bischof von Paris über ihn 439, Pariser Theologen u. die Bettelmönche 476.

Paschalis, röm. Grosse 77, 1.

Paschalis I. 78, IL 201, 1. 209, L 212 f. 244.

Paschasius Radbertus, über das Abend- mahl 56 ff., sein Verwandlungsbe- griff66, 1.71, Besiehung zur Messe 146 f., seine Richtung 70 ff.

Passau 16. 271.

Pataria u. Patariner 131, 2.

Patricius , in Rom 75 , 2. 77, 1. 78. 90. 92, 1. 243.

Pauli 218, 1. 269, 2.

Paulicianer 22 ff 182 f.

Paulus, Apostel und die Paulicianer 28 f.

Paulus, Sohn der Kallinikc 24.

Pelagianismus in der abendl. Kirche 28, des Thomas Aqu. 314. 354. 363, Dans Scotus 363.

Pentapolis 75.

Peraldus Guilielmus 436.

Perugia 449.

Peter, der Einsiedler 177, 2.

Peter d'Ailly 391. 392, 1. 440. 442. 488.

Peter von Bruis 404. 493.

Peter, der Ehrwürdige 455.

Peter von Vaux Cemay 500, 2.

Petrarca 262.

Petrus, Apostel, in der kath. Kirche 106 f. 177. 206 f. 241. 245. 249 f. 252 f. 256 f. 265. 346. 511. 531. P. und die Petrinischen Briefe bei den Paulicianem 24, P. bei Joachim von Floris 466.

Petrus Siculns 22.

Petrus Damiani, Einsiedler 170, 1,

BegUter.

558

Diaconus der röm. Kirche 65, 1, B. von Ostia 131. 170, 1, Verhält- niss zu Gregor VII. 170, 1, Bass- theorie 159 f. 161 f., über Simonie 201, 1, Mariencnltus 397.

Petrus Lombardus 305 f. 329. 338. 342 f. 347, Sentenzen 309 ff. 312 f., 1.

Petras Pictavinus 305.

Philipp von Schwaben 222. 273.

Philipp der Schöne 227 ff. 236. 267.

Philippopolis 25.

Phokas, griech. Kaiser 136 f., 1.

Photius, Patriarch yon Constantinopel 13. 22. 80. 183.

Piemont 499.

Pilgerreisen 157.

Piligrin, Bischof von Passau 16.

Pipin, der Kl. als römischer Patricias 75. 78, seine Schenkungen 75. Königskrönung 93, 1, Feldzüge ge- gen die Longobarden 75, Seculari- sation des Kirchenguts 121.

Pisa 236. 238.

Plato 291. 295, 1.

Piatonismus im Mittelalter 28 ff. 50. 54. 307. 309. 318.

Poenitentiarii 270.

Polen, Bekehrung 16, Befreiungsplan Silvester^s II. 85, Metropolitanver- fassung ebd.u.f. 169, Cölibat 272.

Pommern, Bekehrung 174.

Pontius, E.B. von Arles 162.

Porphyrius 261.

Prädestination, einfache u. doppelte 40 f. 46. 48. 50. 56. 324. 359, Prä- destinatianismus und prädestinatiani- scher Streit 28. 39—66. 41, 2, dog- matisches Interesse 49, Präscienz u. Prädestination 42, 2. 46. 52.532.

Prag, Bisthum 16. 169, Erzbischof 272, Universität 526 f.

Precaria 121, 2. 153, 1.

Precisten 260 f.

Predigt 149 f. 404 ff: 467. 494 f. 509.

515.

Presbyter, ihre Venrerfung bei den Paulicianem 24, nach Pseudo^Isidor 100, U

Preussen 169. 174 f.

Priester bei der Messe 148 £, bei der Absolution 344 f., Charakter 348 f.

Priesterehe 130 ff. 278, Verbot 198 f. 272.

Priesterrecht, des A. T. 133.

Primate 99, Primatialrechte 111, 1. 117, 1.

Propheten im Muhammedanismus 18. 20. 21.

Protestanten und Hussiten 534, pro- testantische Geschichtsauffassung 75, 3. 78, 2, Protestant. Grundsatz Be- rengar^s 66 f., der Bilderfeinde 143, Katharer 194. 196, Waldenser 498 f. 515 f.

Provinzialgerichte der Bischöfe 97.113.

Provinzialsynoden 91, 1. 113, unter päpstl. Auctorität gestellt 105, 3.

Prüden tius, B. von Troyes 45. 47, 1. 55, über Joh. Scotus ebd. 3.

Pseudoisidorische Decretale 79. 81. 94 ff. 247, Kirchenrecht 169, erste Spuren ihres Gebrauchs löl ff. 102, 3. 111, 1 , Ursprung u. Tendenz 107 ff., Zeit der Abfassung 111, 1, Idee des hierarch. Organismus 119, 1. 125, 1.

Rabanus Maurus, Gegner Gottschalks

41. 43 t , Brief an B. Notting 43. 45, Gegner des Paschasius Rad- bertus in der Abendmahlslehre 60 ff.

Baimundus Lullus 180, 1.

Rlunerius Sacchoni 185 ff. 499.

Randulf, Andreas 253, 1.

Rather von Verona 7.

Ratislaw, Fürst von Mähren 18.

Ratramnus 45. 61 ff. 68.

Raymundus a Pennaforti 436 f.

Realismus 290 ff. 368. 371. 377.

M4

Seipittor.

Bed«intUHieii 160.

Beformatorische Tendens 148. 614.

519 f. , Vorlftufer der BefonnatioD

516 £ Begalien 128 f. 266 f. Begeniburg 8. 16. Bogfaio, Abt Yon Prüm 81. Beich, dentflches nnd die röm. kath.

Kirche 126 f . , Reichiverfasinng

202, 1. 267. i

Religio und religiosi 480. 442. 456. |

488.

Bothad, B. too Boissona 102. 104 f.

Streit mit Hinkmar 112 f. Rudolf, Gegenkfinig 206. I Rudolf, Ton Habsborg 267. iRQckert über Paachaains Radbertiu

60, 3. Ragier 175. Rupert Yon Worms 8. Rassen, Bekehmng 17.

S.

Sabäismns 15.

Sabellins Trinitfttslehrc 461.

Sachsen 8. 11, Sachsenkrieg Carls M. 11 f., sächsische Bisthümer U, sftchs. Königshans 168, 2.

Sacramente 147 f. 337 fL 505. 521 f. Siebenzah] 888.

Remigius, E.B. von Lyon, über Gott- achalk 48. 45, Gegner Hinkmars 46 t, über Job. Scotns 55 f.

Benter 807, 1.

Bhfttien 8.

Bheims, Erzbisthom 84, DiÖcese, Ur- sprung der ps. - isidor. Decretalen ! Salemo 204, Chronik 80 f. 111 f., 1. Ort eines spttteren Streits Salsburg 9, Erzbischöfe 127. 117 ff. 'Samosata 25.

Bichard U. 526. Sarazenen 176. 181.

Bichard von St Victor 804. i Satanaöl 182.

BIchter, eines Bischofs 97, Zwölfzahl { Satisfactionslehre 282 ff. 344. 415. 100, 1. 103, 2.

Bitterorden, geistliche 454.

I Savonarola 535 f.

I Schauspiel, geistliches 400 f.,* 1.

Bobert, König 84. 118.

Bobert v. Flandern 201, 1.

Bodulf, E.B. von Bourges 102, 3.

Boger Yon Sicilien 219.

Born gegenüber Constantiuopel 1 f., Kampf mit ihm 74, »Schenkung an den Papst 136, Zustände der Stadt ▼or der Kaiserkrönung Carls M. 77, 1, im 10. Jahrb. 82 ff., vor Gre- gor YII. 200. 242, zur Zeit Ar- nold^s V. Br. 457, unter Innocenz III. 220, vor und während des päpstl. Exils 232. 234, röm. Curie 237 f. 263 f. 457.

Bomagna 75, 1.

Bomuald 166. 169 f.

Boscellin 291 f. 294. 301. 378.

Both, P. über Kirchengut 121, 1, über Zehenten 133, 1, precariae 152 ff., 1.

Schenkungen an die Päpste 75 £, 3. 85, 1, an die Kirche 120 ff. 156 ff. 161.

Schisma 235 ff. 450.

Schmidt C, die Katharer 184, über die Predigt 404, 1.

Schöpfung bei den Katharem 188 f.

Scholastik 2 f. 65. 279 ff., Wesen 281. 290. 295. 299 f. 311. 319. 325. 331. 356. 369. 371. 392, Methode 284. 288. 305 f. 308 f. 310 t 376. 378 f. 392, System 309 f. 312 ff. 316. 350, Trinitätslebre 319 ff., Lehre von der Welt 323 ff., Wunder 325. 387 ff., L. von den Engeln 325 f., Christologie 329 ff., L. von den Sacramenten 337 ff. 350. 381 ff., Transsubstantiationslehre 383 ff. 402 f.. Auferstehung 350, Verfall

BegiBter.

JU»

n, AuflösQng der Scbolagtik 354 ff. 371 ff., Anctoritätsprincip 379 f., Predigtweise 405 f. Sittenlehre 41 1 ff., ihre Stellung im dogmat. System 419 f.

Schrift^ Berufung auf sie 139. 143, 2. 256 f. 373. 381, 1. 392, 1. 440. 492. 510. 516. 519 f. 531 , Verbot 277 f., Schrift u. Tradition im Is- lam 21 , Schriftprincip der Pauli- oianer 22.

Schwab 311, 1.

Schwaben 8. 506.

Schwarzer Tod 449.

Schweden 12 f. 272.

Schweiz 457.

Schwertbrüder 175.

Secularisation des Eirohenguts 121.

Semipelagianismns, des Babanus Mau- ras 44, der Synode von Yalence 47, 1, der Yertheidiger der augustin. Prädestinationslehre ebd. Sein Auf- kommen 49.

Sendgerichte 155.

Seniorat 122 f.

Sens 506.

Sergius, Patriarch 33.

Bergius III. 82, 1.

Sergius Tychikus, Pauliciauer 25.

Seryatus Lupus 44, 4. 45.

Severus 140.

Sigebert von Gembloux 208, 1.

Silvanus, paulin. Gehülfe 24.

Silvester I. 85, 1. 186. 216, 1. 460, 1. 490. 502. 510. 518. n. 84. 85 f., 1. 169 f. 177. m. 87.

Simonie 87. 152. 198 ff. 262 f. 278 f. Erster Gebranch des Ausdrucks 201, 1.

Siricius 102.

Sittenlehre der Kirche 427. 435. Sy. Stern christl. Sittenl. 435.

Sittlichkeit, christliche u. sittl. Leben 150 ff. 173. 406 ff. 441.

Slaven, ihre Bekehrung 12 ff. tlavi-

flohe Sprache und Liturgie bei der Messe 15. 16. 149.

Sophronius, Dyotbelete 33.

Spanien 39. 266. 277.

Spanier 176.

Speier, Bisthum 10.

Spiritualen 459, 1.465. 468. 473. 476 ff.

Spittler 110, 1.

Spoleto, Fürsten von^ 76, 1.

Spolie 267.

Staatsbegriff 229, 1.

Stephan IIL 75. V. 15.153. IX. 83.

Stephanus, König von Ungarn 1 6 ff. 85.

Stephanus deBorbone 79. 81, A. 506, 1.

Strafen, ewige und zeitliche 344 f.

Strassburg, 516, 1. Bisthum 8.

Subject und Acoidens 524.

Substanz und Species in der Abend- mahlslehre 65. 68. 383. Subst. und Accidens 67.

Sudendorf 69, 2. 71.

Sünde, kirchl. Lehre 410 f., Erlass- und Todsünden 437.

Sündenvergebung 162 f. 443 ff.

Suidger, Bischof von Bamberg 87.

Supranaturalismus 31 f. 71 ff. s. u. Duns Scotus, Scholastik, Thomas von Aquino.

Sybel V., über die Kreuzzüge 177, 2.

Syllogismus in der Scholastik 284. 287 ff. 316 f. 373. 376. 378 f.

Symbol von Chalcedon 34 f. 72.

Synode von Aachen i. J. 789. 91, 1. Arles i. J. 1260. 478. Avignon L J. 1209. 404. Basel 239. 248. 252. 256.533. Carisiacum i. J. 857. 111, 1. 123, 1. Chalcedon 33. 263. Cha- lons i. J. 813. 161, 1. Chiersy i. J. 853. 46. 48, 1. Clermonti. J. 1095, 178. 212. 272. 444. Constantinopel, ökum. i.J. 680. 33. i.J.764. 138 ff. 143. i. J. 787. 143 , S. Coubtanz 238 f. 248. 252. 438 ff. 488. 525. 527 f. Corduba 21. Dienhofen i. J. 835. 111, 1. Doucy i. J, 871. 115.

Register,

8. Felix de Caramau i. J. 1167.

186. FrankfVirt L J. 794. 86. 145.

Langren 47. Lateran h. n. Lateran-

syBode. Liptinae L J. 74.3. 121, 2.

122. 184, 1. London i. J. 1127.

«72. L J. 1828. 525. Lyon i. J. 1245.

S24. 248. Macon i. J. 585. 138.

Mainz i. J. 818. 148. 150. Mantaa

i. J. 1064. 244 , 1. Mcanx i. J.

845. 100, 1. Meli! i. J. 1090. 212.

Nic&a zweite, 187, 1. 144 f. i. J.

787. 188. Pari« i. J. 829. 849. 100,

1. 148. Pisa i. J. 1409. 286. 288.

268, 1. Pontigo i. J. 876. 116. Re-

gensbnrg i. J. 792. 86. Rheims i. J.

991. 117. 119. 169. Rom i. J. 1059.

64. 70. 89, 1. 132. 244, 1. i. J. 1074.

198 f. 201. i. J. 1078. 69 f. i. J.

1080.206. Sardica91, 1. 101. 112f.

Savonnieres 47. Senlis i. J. 868.

112. Bens i. J. 1140. 302. SoisBonB

i. J. 853. 111, 1. Sutri 87. Tou-

lonse i. J. 1229. 276. Tonn i. J.

567. 183. i. J. 813. 150. i. J. 1054.

70. Tribnsi. J. 895. 117, 1. Valence

L J. 855. 46 f. 55, 8. 56. Vercelli

i. J. 1050. 64. Verona i. J. 1184.

493.499. Villa Tussiacum i. J. 860.

47. Worms i. J. 1076. 199, 1. 203. ßysteme christl. Dogmen 27 ff. 309 ff. Swatopluk, Ffirst y. GrossmAhren Uff.

f.

Taboriten 498. 533 f.

Tartarei, Missionen 175.

Taofe 147. 338 ff. 344 f. 847, bei den Bogomilen 183, Katharem 191 ff. Taufe Jesn bei den Adoptianem 37.

Tanler, in Strassburg 405.

Tempel, heidnische, in christliche um- gewandelt 136 f., 1.

Templerorden 232. 408 f., l. 519.

Tertiarier 470. 487.

Theodora, Mutter und Tochter 82. Kaiserin 138.

Theodoret, Bisch, von Edessa 23. 183.

Theodulf , Bisch. Ton Orleans 148.

Theophano, Mutter Otters IIL 85, 1.

Theophylact, röm. Consul 82, sein Haus 88.

Thiel, über Nicolans* I. Bekanntschaft mit Psendoisidor 103, 3.

Tliietpand, Erzbisch. Yon Trier 81.

Thomas von Aquino 812, 1. 354, über die allgemeinen Begriffe 294 f. 368. Realismus 387. Platonismns 309. Determinismus 818 £ 824 f. 328 f., 1. 838. 336. 889. 351 f. 354 f. 359. 869, 1. 420 ff. Supranaturalismns 314 f. 318 f. 358. Werke u. System der Scholastik 312 ff. 372. Wollen und Erkennen 334, 8. 352. 358. 355 £ Ideenlehre 852. Wesen der Religion und Theologie 856 t Vernunft und Offenbarung 814—816. 328. 353 f. 364. Prinzip der Theologie 374 f. Dasein und Wesen Gottes 816 319. 361 f. 876. Trinitätslehre 320—822. Lehre von der Welt u. Schöpftmg 322 ff. 852. 361. 367, vom Wunder 341. 383, Prädestination 359, yon den Engeln 326. 368, vom Bösen und Erbsünde 326 ff. 863. 422. Urzustand 327 f. 1. Cbristologie 330 f. Satisfactionslehre 832. 340. 380. Lehre von der Kirche 332 f. 340. 346. 351. Gnade u. Rechtfer- tigung 333 ff. 840. 368, den Sacra- menten 337 ff. 381, der Eucharistie 340 ff. 383 ff. 390 f. Bosse 343 ff. Seligkeit als Anschauung Gottes 851 ff. Stellung zur Kirchenlehre 353. lieber unbefleckte Empf&ng- niss der Maria 898 f. Th. u. Duns Scotus 355 ff. Thomisten 378. Sit- tenlehre 420 ff. 431, 435. Der Wille und das Gute 420 ff. Tugendlehre 423 ff. Die Geistesgaben, dona 425 f. Erlass- und Todsünde 426 f. 435, 1. Praecepta u. consilia 428 ff. Die

Begister.

667

Stände in derKirohe and der Stand der Vollkommenheit 429 ff., aotivefl und öontemplatives Leben 432 f. Virginitftt, episcopi und religiös!, Armuth, Wacher, Spiel, sortes 483 & Aufrahr 441. Charakter and Be- deutung seiner Sittenl. 485 f. 441.

Thomas Arundel 526.

Thomas Beoket 218. 269,

Thüringer 8 f.

Thurgau 506.

Timotheus, paalin. Gehülfe 24.

Timotheus, Presbyter 183.

Titus, paulin. Gehülfe 24.

Todsünden der Katharer 190 f., bei Thomas Aqa. 426.

Tongern, Bisthum 10.

Toulouse 185. 196.

Tradition der röm. Kirche, ihr Wesen 108 f. 205. im Bilderstreit 143, 2.

Tragurium 185.

Transsubstantiationsdogma 31. 57 ff. 65. 146. 340 f. 383 ff. 401. 521. Materialismus 65. 66, 1. 67 ff. 72 f.

Treuga dei 154.

Tribulacions 502, 1.

Tribur, Fürstenversammlung im Jahr 1076. 203.

Trier, Erzbischöfe 127.

Trinitätslehre der latein. Kirche 28. Bestreitung durch Boscellin 291. Deduction bei Abälard und Anselm 301. 320. Bestreitung durch Walther von St. Victor 306. Scholast. Tri- nitätslehre 319 ff. des Abts Joachim 462 ff. der Amalricianer 504 f.

Troubadours 185. ^

Troyes 506.

Tugend und Vollkommenheit, kirchl. Lehre 411 f.

Turin 130. 185. 499.

Turrecremata, Johannes 256.

Tusculaner, röm. Adelsfamilie 82 f. 86.

Tussiacense, concilium 47.

Tychicus, paulin. Gehülfe 24,

Typus y Glaabensedict 83. Tyrannenmord 438 ff.

IJ. .

Ubertinus de Üasali 474. Ubiquität des Leibs Christi 68. Ulimann 535, 1.

Ulrich, Bischof von Augsburg 130. Ungarn, Bekehrung 16 f. Befreiongs-

plan Silvester's IL 85, 1. Metropoli-

tanverfassnng ebd. n. f. Cölibat 272. Unitra, mährischer Bischofssitz 16. Uni Versalien 291 ff. Universitäten 517. 526. Untergang der Welt erwartet 157. Urban H. 177 f. 211 ff. 219. 444. IV.

400. V. 232. 234. VL 234. 523. Urzustand und Sünde, bei Augustin

und Thomas 327.

V.

Venedig, Friede im Jahr 1177. 218.

Streit mit Clemens V. 233. Verden, Bisthum 11. Victor IL 87. III. 211. IV. 218. Victoriner 303 ff. Vogel 152, 1.

Volksdichter und Prediger 448. Vorland, römisches 8.

nr.

Waldenser 457. 468. 489. 491 ff. 506. Vorläufer 404. Verbreitung u. Ver- folgung 499 £, W, XL Amalricianer 506 f. 1. W. u.Doloino 510, Taboriten 533. Tracht 500, 2. Schriftprinzip 495. 516. Bekenntnisstreae 512. Sündenvergebung 496. Sacramente 497. Busse 498. 516. Armuth und apostol. Predigt 404 f. 492 f. Con- flictmit derKirohe 493 f. Pl^iche Vereinigungsversuche 500 ff. Feg- feuer 496 f. Beurtheilung der W. 514 ff., ihre Namen 500, 2. 516, !•

Waldiu 491 ff.

U8

Hegitter.

Wallfahrteo, nach Pallitina 157, 1.

Walter Mspes, Franoisoaner 502.

Walthcr tod St. Viotor 305 ff. 809. 829.

WasHcrsohleben IIO, 1.

Wehrgeld 160.

Weissen, die 449. 452.

WeizsAcker J., Über Chorepisoopi

100, 1, aber Hinkmar nnd Paendo-

iflidor 110, 1, über dessen Rheimser

Ursprung 111, 1. Weifen 218. Weifen nnd Gibellinen

449. Wenden, ihre Bekehrung 12. 174. Wenrich, Ton Trier 208, 1. Werke chriitl. Frömmigkeit 156 ff. We«el Y. Joh. 535, 1. Wessel, Johann 535. Wiching, mfthrischer Bischof 14 ff. Wicliffni?«: W. und Hubs 526.529f.

W. und Savonarols 535. Wiener Concordat 239. Wigbert 9. Wig^gers, über die Synode yonValence

I 47, 1 , über den Namen Scotns Eri-

gena 50, 1. Wilhelm ron Champeauz 294. 808. Wilhelm Ton Occam 877 ff. 387 iL Wilhelm, Sohn Otto*» L, Enbiaoh. Ton

Mains 127. Wilhelm, He»og y. Aquitanien 165 t Wlllebrord 9. 88. Windesheimer Gongregation 488. Winfried 83, 1. 8. Bonifac. Wladimir 17.

Wonilo, Erzbisch. YonSena55, 2. 108. Worms, Bisthum 10. Reichstag im J.

772. 11. Concordat 218 f. 265f. Wimderbegriff 71 fl 887 ff.

Zacharias, Papst 10. 75.

Zehente 11. 133, 1, ron der Kirehe

erhoben 268. Zeitz, Bisthum 12.

Zeugen, gegen einen Bisoli. 97. 103,3. Zosimns 102.

Druckfehler.

8«ite 94 A. 1 zu lesen : Migne'achen statt Wlgaa'sehen.

107 in der Seitenüberschrift DedacÜon statt Baduetion.

110 A. L. S Knost statt Kunst. «. 122 L. 8 Liftinae statt Litiliae.

155 in der Seitenüberschrift Carl M. statt Carl MarteU.

21S L. 8 V. u. Heinrich V. statt II.

289 in der Seitenüberschrift Philipp IV. statt II.

865 ~ Inn. statt In.

854 L. 11 r. u. au streichen 8).

Set S. %x. Sned in XüVm^ttt ftn^ erfc^ienen ttnb bttv(^ a&c

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Der Verfasser hat sich bemüht, an das zuerst im Jahr 1863 erschie- nene Bach noch einmal die prüfende und bessernde Hand anzulegen und die gegebene Darstellung durch alles in TerroUständigen, was ihm theils aus seinen eigenen weiteren Forsohongen, theils aus der sonstigen Lite- ratur Beachtenswerthes dargeboten schien. Mehrere Parthieen sind neu be- arbeitet. Das Princip der Geschichtsanschanung selbst, dessen Vertrete^ der Verfasser ist, ist, wie sich von selbst rersteht, dasselbe j^\)Vie\)en.

Banr, Dr. F. Chr., Prof., die christliche Kirche vom Anfang des vier- ten bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts in den Hauptmo- menten ihrer Entwicklung, gr. 8. br. 2 fl. 45 kr., 1 Thlr 18 ngr.

Diese Schrift schliesst sich an „Das Christenthum und die christ- liche Kirche der drei ersten Jahrhunderte" als Fortsetzung an. Das Bestreben des Verfassers ist auch hier, hauptsächlich den allgemei- nen Gang der Entwicklung in's Auge zu fassen, um durch genauere Er- forschung des innem Zusammenhangs der Erscheinungen und schiirfem Hervorhebung der Hauptmomente eine soviel möglich klare und an- schauliche Uebersicht über den genannten Zeitraum zu geben. Von be- sonderem Interesse dürfte in dem das Dogma betreffenden Abschnitt die neue eingehendere Darstellung des augustinischcn Systems sein.

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Das Lehrbuch, das in der ersten Ausgabe vom Jahr 1847 sich haupt- sächlich durch seine strengere wissenschaftliche Methode empfahl, ist in der zweiten nach denselben leitenden Grundsätzen grossentheils neu be- arbeitet und auch materiell sehr erweitert. Es gibt nicht nur unter sorgfältiger Berücksichtigung der reichhaltigen neuesten Forschungen eine nach Inhalt und Umfang soviel möglich vollständige, übersichtlich geordnete, bis in die neueste Zeit fortgehende Darstellung der Geschichte des Dogma, sondern macht es sich auch zur besondern Aufgabe, in die Entwicklung des Innern Zusammenhangs tiefer, als sonst geschieht, ein- zugehen, und in klarer, präciser Fassung die Momente hervorzuheben, welche das bewegende Princip der Geschichte sind, und das dogmatische Urtheil bedingen. Die zweite Ausgabe unterscheidet sich auch dtdurch von der ersten, dass in ihr die wichtigsten Beweisstellen aus den Quel- len kurz angegeben sind. Im Uebrigen aber ist auch in ihr alles blos Litterarisohe und Kirchenhistorische, das sonst in den Lehrbüchern als unnöthige und fl'emdartige Zugabe soviel Raum einnimmt, streng aus- geschieden.

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