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Geſchichte

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Deutſchen Frauenwelt.

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Alle Rechte vorbehalten.

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Gecſchichte Deutſchen Frauenwelt.

In drei Büchern nach den Quellen.

Von Johannes Scherr.

Wahrheit iſt Feuer und Wahrheit reden heißt leuchten und brennen. 8. Schefer.

Dierte, neudurchgeſehene und vermehrte Auflage.

Erfier Band. BuhTIund II: Altertbum und Mittelalter.

XCQRXXXX

Leipzig Verlag von Otto Wigand. 1879.

443 I340

VBorwort zur vierten Auſlage.

„I do not pretend to understand those prudent form of decorum, those gentle rules of discretion, which some men endeavour to unite with the conduct of the greatest and most hazardous and most delicateA affairs.* Junius.

Am Zürihberg, Mai 1879.

Vorwort zur dritten Auflage.

Der dritten Auflage meines Buches habe ich nur wenige Geleitöworte mit auf den Weg zu geben. Denn ihon in dem nachſtehend wieder abgenrudten Vorwort zur zweiten Auflage iſt mit voller Beſtimmtheit und Deutlichleit ausgefproden, in welchem Sinne meine: Arbeit unternommen und durchgeführt wurde. Ich wüßte

4321

VI Borwort zur zweiten Auflage.

nichts hinzu⸗ und nichts wegzuthun. Verbächtigungen und Anfeindungen find für einen Dann meines Schlages, welcher weiß, was er foll, will und muß, ganz beveutungs- 108. Es lohnte auch nicht der Mühe, von ſolchen Gefellen zu Sprechen, welche mein Buch wader ausgefchrieben und zum Danfe dafür in ven Vorreven zu ihren Machwerfen darüber geihimpft haben. Das ift fo Brauch in Geiftesarmuthheim . . . . Zu einer Umarbeitung des Buches fand ich mich nicht veranlafit, weder bezüglich des Inhalts noch bezüglich ver Form. Es hat, denke ich, durch feine bisherige Aufnahme bei verſtändigen Menfchen Frauen wie Männern das Recht erworben, zu bleiben, wie e8 iſt. Für unverftänpige Leute fehrieb und fchreibe ich überhaupt nicht. „Odi profanum vol- gus et arceo.“

Am Zürichberg, Juli 1873. J. Scherr.

öVVVVVVVVVVVVVVVVX

Borwort zur zweiten Auflage.

Dieſes Buch erſchien in erſter Auflage (1860) unter dem Titel „Geſchichte der deutſchen Frauen“. Die bor- genommene leichte Veränderung bes Titels rechtfertigt ſich dadurch, daß der jegige den Inhalt des Buches beut- licher und bejtimmter ankündigt.

Borwort zur zweiten Auflage. VII

Daſſelbe bringt wie ich aus der hier weggelaſſenen Vorrede zur erſten Auflage herübernehme eine Ge- ſchichte des deutſchen Frauenlebens, wie dieſes in und mit den verſchiedenen Entwickelungsphaſen unſeres Landes ſich geſtaltet hat. Meine Arbeit zerfällt demnach in drei Abſchnitte: Alterthum, Mittelalter und Neuzeit. Unter erſterem verſtehe ich die Zeit vom Aufdämmern der deutſchen Geſchichte bis zur Epoche Karl's des Großen; unter dem zweiten die Periode, welche mit dem karlingiſchen Reichsbau anhebt und mit dem geiſtigen und ſittlichen Verfall der romantiſchen Weltanſchauung im 15. Jahrhundert endigt; unter der dritten ſelbſtverſtändlich die Zeit vom 16. Jahrhundert abwärts.

Zweierlei erkläre ich mit Betonung: Erſtens, daß ih Geſchichte ſchrieb, aus den Quellen gefchöpfte Geſchichte, und daß demnach von einer Verherrlichung der jogenannten „guten, alten, frommten Zeit“ feine Rebe fein fonnte. Männer von Wiffen und Gewiffen über- laſſen folche Falſchmünzerei billig unwiffenden Phantaften oder gemeinbenfenden Spekulanten, vie „auf Earriere dienen“. Zweitens in einer Gejchichte der deutſchen Frauenwelt mußten begreiflicher Weife häufig Verhält- niffe berührt werden, deren Betrachtung nicht für das unreife Alter taugt. Um fo weniger, da dem Kultur- harakter der verſchiedenen Zeitalter fein volles gejchicht- liches Recht nur widerfährt, wenn man fich nicht fcheut, fie, wo nöthig, in ihrer eigenen Ausdrucksweiſe reden zu

lafien. Bon allen Mufen bedarf die ver Sittengefhichte

VIII Vorwort zur zweiten Auflage.

des muthigſten Auges. Sie muß es energiſch offen halten, wo ihre Schweſtern erröthend die Wimpern ſenken. Aber fie beſitzt zugleich auch den ſtrengſten Mund und ven Dffenbarungen veffelben können nur grumdverborbene Gemüther unlautere Anregungen entnehmen. Vielleicht - ift dieſe Hindeutung ganz überflüſſig. Sie wäre e8 gewiß, lebten wir nicht in einer Zeit, wo die veligiöfe, polttifche und literarifche Heuchelei gewinnbringenver ijt als jemals.

Sch ſchrieb alfo und ich fchreibe überhaupt nicht für balbwüchfige Jungen over gedankenloſe Zierpuppen, fondern für venfende Männer und für denkende Frauen, und ich weiß recht gut, daß bie lekteren, gerade wie vie erfteren, überall in der Minderheit fin.

Trotzdem gibt es, foweit deutſch geſprochen wird, immer noch Männer und Frauen, welche es vorziehen, ſtatt der Duckmäuſer, Fuchsſchwänzer und Schönfärber einen aufrichtigen Wahrheitsſucher und rückſichtsloſen Wahrheitsſager zu hören. Wahrheit aber „iſt Feuer und Wahrheit reden iſt leuchten und bren— nen“. Falls durch meine Wahrhaftigkeit da und dort einer oder eine ſich gebrannt fühlen ſollte, um ſo ſchlimmer für ſie, nicht für mich!

Zu meinen Feinden zu ſprechen, habe ich längſt auf- gegeben, maßen ich nachgerade zu alt geworben, um bem Unverftand Vernunft, der Gemeinheit Hochfinn, ver Bosheit Gerechtigkeit zu prebigen. Aber meinen Freunden und Freundinnen im Vaterland und in ver Fremde gebe ih die Verſicherung, daß, fo lange ich athme, niemals

Borwort zur zweiten Auflage. IX

ein Zag kommen wird, wo ich nicht mehr das Recht hätte, von mir zu fagen:

„Moi quand j’ai vu le mal debout sur mon chemin,

J’y marche le front haut et la hache & la main“.

Eine von redlichem Freimuth getragene Gefchicht- ſchreibung tft die Stimme des Gewiſſens der Menfchheit. Mag fie, wie Wiffende wollen, nur eine Stimme in ber Wüſte fein, dennoch würde ihr Verftummen eine unges heure Lücke im intelleftuellen und fittlihen Dafein ver Völfer bald ſchmerzlich empfinden laſſen. Gerecht, aber nit angefränfelt von der Farblofigfeit erfünftelter Gleichgiltigfeit, lauten die Wahrſprüche der Weltrich- terin. Sie verihmäht es, die Maffe einer angeblichen „Objektivität“ worzufteden, welche die diplomatiſche Ht- Itoriographte zufammengeleimt hat, um damit die wahren Züge ihrer Gefchichtemufe Unkundigen zu verbergen, ihrer Gefchichtemufe, welche aus ver Familie des „ſcharlachenen Weibes“ ftammt.

Die echte, die herbjungfräuliche Klio hält in unbe— ſtechlicher Hand die Wage, worin der Menſchen Wollen und Walten, Verdienſte und Verſchuldungen gewogen werden. Höflingen, Hämmlingen und Halblingen zum Trotz und Tort übt ſie ſtreng ihr ſtrenges Amt. Sie hat Kränze bereit für jede gute und das brandmarkende Eiſen für jede böfe That, und wie fie jedem Märtyrer

. einen von jenen um das bleiche Haupt windet, jo läfit

fie unter der Weißglühhite von dieſem jede Schurken⸗ ſtirne aufziſchen. Denn nicht dazu iſt ſie da, alle Principien auszu—

X | Borwort zur zweiten Auflage.

beinen, alle fittlicben Unterfchieve zu verwiſchen, alle Gegenfäge zu dem flauen Brei ver Charafterlofigfeit zufammenzurühren, alle Begeifterung, allen Schmerz, allen Efel und Zorn auf dem Kühlſchiff einer feigen Anbequemungsthbeorie verbampfen zu laffen, nein! fondern das ift ihre Pflicht, der Wahrheit Hochrothe Fahne ven Luftſtrömungen beftandlofer Tagesmoden beharrlich entgegenzutragen, und das ift ihr Recht, gleich unbefünmert um Zuftimmung over Widerſpruch, mit voller Bruftftimme zu jagen: „Dies ift recht und dies iſt ſchlecht!“ So nur erfüllt fie ihre Beſtimmung, als eine Wederin und Warnerin, als eine Richterin und Rächerin, als eine rüdwärts veutende, aber vorwärts ſchreitende Prophetin die Menfchheit zu geleiten auf ihrer leidvollen und dennoch glorreichen Bahn.

Zürich, December 1864. J. Scherr.

Erſtes Bud.

Alterthbum.

Bis zum achten Jahrhundert.

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 1

Inesse quin etiam sanctum aliquid feminis et providum putant Germaniae populi: nec aut consilia earum aspernan- tur ant responsa negligunt.

(Deutihlands Völkerſchaften glauben, daß etwas Heiliges und Prophetifches den Frauen innewohne; darum mifjachtet man nicht die Rathichläge derjelben und überhört nicht ihre Weiffagungen.)

Tacitus, Germania, 8.

Erftes Kapitel.

In den germanifchen Wäldern.

Dämmerungen der deutſchen Geſchichte. Unferes Volkes Urhei⸗ mat. Die indogermaniihe Bölferfamilie. Einwanderung nah Europa. Mythiſches. Eintritt der Germanen in bie Weltgeſchichte. Die Frauen der Teutonen und Kimbrer. Julins Cäfar über Deutſchland. Das germanifche Blondhaar in Rom. Ein propbetifches Dichterwort. Die „Germania“ des ZTacitus. Tracht und Stellung der Frauen. Die deutiche Ehe. Das „Heilige und Vorahnende“ im Weibe. Frauengeftalten der dentſchen Borzeit: Aurinia, Beleva, Ganna, Thufnelda, Biffula.

Die Anfänge aller Völkergeſchichten bergen ſich in Finfterniß und Schweigen. Unfere Mutter Erde felbit zwar hat angefangen, ihre Millionen und wieder Millionen Jahre zurücfreichende Urgefchichte zu erzählen; aber bie Urge— ſchichte der Menſchheit ift vergangen wie der Schatten eines Schattens. Mit beivunderungswürbiger Gebulb und Kombinationsgabe hat die Wiffenjchaft der Geologie aus dem Trümmerfchutt ver Erderevolutionen die veritei- nerten Hierogluphen herausgefucht und zu dem Alphabet zufammengefeßt, in welchem bie worfintflutliche Gefchichte

1 %

4 Buh I. Kap. 1.

des pflanzlichen und thierifchen Lebens unferes Planeten gefchrieben if. Ein Rückblick in unvordenkliche Ver- gangenheit ift uns demzufolge da aufgethan. Wir jchauen den gigantischen Kampf der ſchaffenden und zerſtörenden Kräfte, deſſen Envergebniß die Bildung ver Menſchenheimat war. Freilich, dieſe ungeheuren Kataftrophen in ihrer ganzen Furchtbarkeit fich vorzuftellen, vor ſolchem Wagniß muß felbft die Fühnfte Bhantafie ſchwindelnd zurüdbeben. Aber fie kann e8 Doch unternehmen, ein mehr oder weniger deutliches Bild von jener Urwelt zu entwerfen, wo durch das Geichling einer riefenhaften Pflanzenwelt vie Riefen- leiber der Behemothe fih wanden und Lewiathane vie Oceane durchfurchten, und fie hält auch den ſchreckens— vollen Anblid aus, wie die rothglühenden Baſaltmaſſen aus dem Gewoge emporftiegen und mittels einer aber- maligen Schöpfungskrife die Erde endlich eine feſte Ge- ftalt gewann. Auf die Frage nach vem Urfprung und der Scheivung ver Menſchenraſſen dagegen hat vie Wiljen- fchaft bislang Teine befriedigende Antwort zu finden ge- wußt und nur die dichtende Einbildungskraft hat eine folche zu geben verjucht oder vielmehr mannichfachite, alle die bunten religiöfen Mythen vom Urfprung des Men- ſchengeſchlechtes. Aus Analogieen gezogene Schlußfolge- rungen find alles, was bie Forfchung hier zu bieten ver- mag. AS Neufeeland zuerſt von Europäern betreten wurde, fanden fie dort einen Ranibalismus vor, welcher in jenen Infelgebieten noch heute keineswegs ganz auf- gehört hat. Und doch mußten ſchon zahllofe Generationen jener Wilden gelommen und gegangen fein, bevor fie fich

In den germanifchen Wäldern. 5

aus thieriihem Vegetiren auch nur zu dem Zuſtande heraufgebilvet hatten, in welchen Coof und feine Ge- fährten fie trafen. Ste befaßen doch fchon eine ziemlich entwidelte Sprache, eine gewiffe ſociale Ordnung und das Bedürfniß der Erinnerung an ihre Vorfahren. Wo aber das letztere als ein nothwendiges Zubehör der eigenen Eriftenz von den Menſchen einmal gefühlt und gepflegt wird, da hebt die Meberlieferung, die Amme alles Wiſſens von Gefchehenem, ihre Thätigfeit an und damit fchreitet ein Volt, welches überhaupt bilvungsfähig ift, aus dem bloßen Naturdafein mälig auf das Gebiet des Geiftes und der Gefchichte vor.

Wie unendlich langfam im Anfange dieſes Vorjchreiten der Menſchheit fein mußte, ift jevem einleuchtend, welcher beobachtet, was für Schwierigfeiten die Kraft der Träg- heit und die Macht ver Gewöhnung den Forderungen ber Bernunft und Humanität nicht allein in den urtheilsloſen Maſſen, ſondern in allen Geſellſchaftskreiſen auch heut⸗ zutage noch entgegenſtellen. Es müßte ſehr anziehend ſein, im einzelnen zu wiſſen, wie vieler Jahrhunderte es be- durfte, bis die Ahnen der jetigen Kulturvölker Europa’s auch nur die erjten Elemente der Civilifation, ja jogar nur die erjten Vorbedingungen eines über das thierifche emporgehobenen Daſeins fich zu eigen gemacht. Alle geiftige Kultur hat ſchon einen gewiffen Grad von mate- rieller zur unumgänglicen Vorausfegung und höhere Bildung Tann befanntlih überhaupt erft dann beginnen, wann der Menih aus einem Jäger, Fiſcher oder Hirten zum Aderbauer geworben ift. Schweifende Nomaden find

$ Buhl. Kap. 1.

und bleiben Horden; erft jeßhafte Stämme bilden eine Geſellſchaft mit feften, der Entwidelung fähigen Sakuns gen. Die erften Furchen, welche die Pflugfehar gezogen hat, überall find fie zugleich die Grundlinien ftaatlicher Ordnung gewejen und finnvoll hat darum der hellenifche Götterbienft in der Aehrengöttin Demeter auch die große Kulturbringerin verehrt.

Unjere vaterländifche Altertbumsforfhung, von ver vergleichenden Sprachwiſſenſchaft getreulich unterftügt, hat es fich angelegen fein laffen, das Alter ver aders bauenden Kultur unferes Volkes wenigſtens annähernd zu beftimmen. Es liegt jedoch in der Natur ver Sache, daß bei folhen Verſuchen ver Aufbellung urzeitlichen Dunkels fcharffinnige Bermuthungen gar häufig vie Stelle allfeitig geficherter Thatfachen vertreten müfjen. Als feft- ftehenn gilt, wie jedermann weiß, daß der germanifche Stamm, deſſen Auszweigungen die Deutfchen, Dänen, Schweden, Norweger und, freilih in Vermifchung mit keltiſchen und normannifch = franzöfischen Elementen, vie Engländer find aus derjelben Völferwurzel erwachjen fei, aus welcher auch die Stämme der Inder, der Iranier, der Hellenen, der Italiker, ver Kelten und ver Slaven ber- vorgegangen. Diefe große Gefammtfamilie der Indoger⸗ manen oder Arier war zu Anfang wahrfcheinlich auf ver mittelafiatifchen Hochebene des Hindukuſch oder Baropa- miſos gejejjen, aus deſſen Schneeregion der Indus gen Süden, der Orus gen Norden herabiteigt. Aus ver arifchen Urheimat (Airijana vaödsha) geſchah vie große Aus- wanderung, welche die indogermaniſche Familie trennte.

In den germaniihen Wäldern. 7

Das Refultat viefes Auszuges war, daß das Sanffritvolf in der Halbinfel des Ganges, das Zendvolk in Iran, die Hellenen und Italiker im ſüdlichen, vie Kelten im weſt⸗ fihen, die Germanen im nörblichen und mittleren, bie Slaven im äftlichen Europa fich feftfetten. Won welchen ungeheuren Ummwälzungen viefe Völferftrömungen be- gleitet fein mußten, bis fie endlich zur Ruhe gekommen, fann nur geahnt werden. ‘Dagegen ift fiher, daß das Band indogermanifcher Völkerverwandtſchaft nicht ganz zerriffen wurbe; denn es blieb die Wurzelgemeinfchaft der Sprachen, e8 blieb die Gemeinſamkeit ver religöfen Grundanfhauung !) und e8 blieb auch die dunkle Er- innerung an gemeinfame Weberlieferungen urzeitlichen Heldenthums?). Wann aber und unter welchen Um: ftänden die Trennung der Germanen von ben indo- germanifchen Brüdern und ihre Einwanderung nad Europa jtattgefunden, wird wohl für immer ungewiß bleiben. Vorausgeſetzt indeſſen, die zweifelhafte Annahme,

1) Das fanftritiihe deva, Gott, ehrt in den indogermaniſchen Idiomen und ihren Töchterſprachen wieder: im Zend da&va, im Griechiſchen Heos, im Lateiniſchen deus (davon franz. dieu, ital. dio, ſpan. und portug. dios), im Gothiſchen tius, im Skandinaviſch⸗ Eddiſchen tivar (Mehrz.), im Althochdeutſchen Zio (auf einen be- ftimmten Gott beſchraänkt), im Lithauiſch⸗Slaviſchen diowas. Das Wort ſtammt von der Wurzel div, leuchten. Auf den Licht begriff Läfft ſich daher alles indogermanifche Gottesbewußtſein zurückführen.

2) Am deutlichſten lebt dieſe Erinnerung in der Verwandtſchaft unferer uralten Sage von Hildebrand und Hadebrand mit ber alt⸗ perfiihden Sage von Ruſtem und Sohrab, fowie in den hellen An⸗ Hängen unferer Sigfridfage an bie altindiſche Karnafage.

8 Buch I. Kap. 1.

daß die aderbauende Kultur ver indifchen und iranifchen Arier nicht vor dem 12. Jahrhundert v. Ehr. ihren An- fang genommen, befige irgendwie den Werth einer hiſto⸗ riihen Thatfache, jo würden wir dadurch einen Anhalts- punft gewinnen, um wenigftens einigermaßen bie Zeit jener Trennung beftimmen zu können. Denn das Deutjche jtimmt in ver Bezeichnung mancher Gegenftänte ver Vieh: zucht faft bis zum Wortlaute mit dem Sanſkrit zufammen, wogegen die Gleichheit oder Aehnlichkeit ver beiverfeitigen Wortformen für ackerbauliche Dinge ſchon undeutlicher wird und bald ganz verſchwindet. Hieraus dürfte folgen, daß die Germanen auf ver Gränzſcheide zwiſchen noma- diſchem und aderbauendem Leben von ihren arifchen Stammgenojfen in Afien fich getrennt haben müſſen, alſo im 12, oder 11. vorchriftlichen Jahrhundert. Mit ihrem Vorrüden nah Welten erlofch dann in ihnen bie Erinnerung an den gemeinfamen Stammnamen der Arier, welcher übrigens, wie mir jcheint, den Indogermanen in ihren urfprüngliden Sigen noch gar nicht eigen ge⸗ wejen war, jondern vielmehr erſt nach der Feftjegung indo⸗ germaniſcher Völkerſchaften in Indien und Iran aufge- fommen fein mag ?).

Werdende Völfer Hat man oft und pafjend mit Kindern

3) Das Sanjfritwort arja bedeutet nämlich der Ehrwürdige, der Herr, Meifter, Gebieter, das Zendiwort airija die Herren. Es ift demnach anzunehmen, daß die indogermaniſchen Etämme, welche erobernd nah Indien und Iran einmwanderten, erft nach ihrer Nieder- lafjung daſelbſt fih Arier genannt haben, im Gegenfate zu ben unteriworfenen und gelnechteten Ureinwohnern.

Sn den germanischen Wäldern. 9

verglichen, weil bei biefen wie bei jenen alfe geiftige Thätigfeit durch die Phantafie beftimmt und beberricht wird. Erſt mit der vworfchreitenden Kultur tritt an bie Stelle der Mythen⸗ und Sagenbilonerei, in welcher fich der intellektuelle Trieb der Völker in ihrem Kindesalter bethätigt, die gefehichtliche Meberlieferung, welche, jo lange fie nur mündlich von Geſchlecht zu Gefchlecht fortgepflanzt wird, wiederum gern eine mythen⸗ und fagenhafte Färbung annimmt. Der Gebrauch der Schrift gibt dann vie Möglichkeit chronifartiger Aufzeichnung von Gefchehenem und Geſchehendem und an dem fo Feftgehaltenen mag die fpätere Kritit ihren Scharffinn üben, das Thatfäch- liche oder wenigftens Mögliche von den mythiſchen Zu- thaten fcheidend. Die Urkunden hetonifch » germanifchen Lebens und Webens, wie fie in deutfcher Sprache uns leider nur ſpärlich und fragmentarifh, in altnorbifcher dagegen reichlich überliefert worden find, bezeugen uns ein dichteriſches Schaffen ver Germanen, deſſen An- fünge vielleicht über ihre Anfievelung in Europa hin- aufreihen. Denn mitunter ift uns, als wehte aus ben alten Götter- und Helvenlievern Urheimatlich = Afifches ung an. Auf die verwandten Anklänge in der deutſchen und der indiſchiraniſchen Heldenſage iſt bereits flüchtig hingedeutet worden und ebenſo auf die gemeinſame Grundvorſtellung von Göttlichem. Allerdings haben ſich auch die Germanen, wie das noch manches andere Volk von eigenthümlicher Entwickelung that, für ein mit dem Boden ihres Landes von Urbeginn an verwach⸗ ſenes Urvolk, für Autochthonen (Erdentſproſſene) ge⸗

10 Buch I. Kap. 1.

halten. Allein ich finde, daß gerade in ver religiös - dog- matifchen Firirung dieſer Vorftellung von Autochtbonie in dem norbifhen Mythus vom Urriefen Ymir eine Erinnerung an die alpenhafte inpogermanifche Urheimat am Hindukuſch nachklingen könnte. Freilich, fowie wir aus den ahnungsreichen Nebelregionen phantajftifcher Mythen auf den feſten Grund gefchichtliher Zufammen- hänge vorfchreiten möchten, gähnt uns eine Kluft ent- gegen, über welche eben nur bie Einbilvungsfraft eine Brüde zu fchlagen vermag. Der Faden hiſtoriſcher Tradition, welcher die europätfchen Inpogermanen mit ven afiatifchen verknüpfen jollte, ift geriſſen. “Die Ger- manen wußten nicht, ob, wann und wie fie aus Afien gefommen. Noch mehr, bevor fie in Folge des feind- lichen Gegenfates, welchen die germanifche Welt zur griehifch-römifchen bildete, in die Weltgeſchichte einge- führt wurden, hatten fie überhaupt feine Gefchichte oder ift uns diefelbe wenigftens nur im Gewande der Sage überliefert worden, und da an diefem Gewande nicht nur die ganze heidnifche Zeit, welche von ver Anfievelung unferer Altvorderen in Europa bis zu ihrer Berührung mit den Römern verfloß, fondern auch noch manche chrift-

4) Rüdert (Kulturgeſch. d. d. Volles 3. 3. d. Ueberg. a. d. Heidenth. in d. Chriftenth. I, 51) verwirft dieſe Möglichkeit, indem er meint, der Mythus vom Urriefen Ymir, alfo die nordiſch⸗ ger⸗ manifche Lehre von der Entftehung ber Welt, könne nach „ber da⸗ bei verwandten landſchaftlichen Dekoration von Eis und Schnee” nur in Skandinavien felbft entfprungen fein. Er hat aber überſehen, daß e8 in der muthmaßlichen Urheimat der Germanen am Paro- pamiſos ebenfalls Schneelager und Gletſcher gab.

Sn den germaniichen Wäldern. 11

liche Jahrhunderte gewoben haben, fo ift vie Möglichkeit, den gefchichtlichen Kern aus ver vichteriichen Hülle zu löſen, unmwieberbringlich verloren. Wir wiffen nur, der griehifeh- römischen Welt ftand die germanifche als ein Unbefanntes, Drohendes, Geheimnißvolles gegenüber. Das Geheimnißvolle hat aber von jeher vie Menfchen angezogen und jo kann es nicht wundernehmen, daß Die germanifche Ferne ſchon frühzeitig die Neugier oder Aben- teuerluft von einzelnen Angehörigen ver antiken, d. b. der griehiich -römiichen Gefellichaft herausforverte. Solche Reiſende jetten dann im heimiſchen Süden die Kunde von dem, was fie bei ven Hyperboräern“ und im „Wun⸗ derlande Thule” gefehen over auch nicht gefehen, in Um⸗ lauf und es iſt nicht unglaublih, daß in ven Stäpten von Hellas und Italien Sagen von germanifcher Natur und Art umgingen, welche nicht weniger wunderbar lauten mochten als das, was Swift feinen Gulliver von den Zuftänden in Liliput, Brobvingnag und Laputa erzählen läſſt. Mit ſolchen Fabulirern darf, fomweit eine Ent- ſcheidung möglich, jener Pytheas aus Maffilia (Marſeille) nicht zufammtengeworfen werben, welcher etwa zur Zeit Aleranders des Großen, alfo im 4. Jahrhundert v. Chr., von feiner phofäifchen Vaterſtadt aus zwei Fahrten zur Umfegelung des Feitlandes von Europa unternahm. Von dieſem wifjbegierigen Griechen ftammen aller Wahrfchein- Yichkeit nach die älteften Berichte über den germantjchen Norden und e8 ift daher zu beklagen, daß von feinem Reiſebuch nur ganz dürftige Fragmente auf uns gekommen find. Pytheas muß weit in den hoben Norden vorge-

12 Buch I. Kap. 1.

drungen fein. „Dort jagt er ift werer Yand nod) Meer noch Luft, fondern von alledem ein Gemifch, das einer Qualle (Seelunge) ähnelt. Wie ein Band umgibt: dies das All und weder zu Fuß no zu Schiff ift da weiter vorzufchreiten.” Das Klingt freilich märchenhaft genug; aber denkt man fich einen Scefahrer, ver, von den fonnigen Geftaden der Provence gefommen, in einen norwegifchen Fjord oder zwiſchen die däniſchen Infeln fich verſetzt fieht, bleigraue und bleifchwere Nebelwände ringsher, vom ver: hangenen Himmel ein Fürglich = bleihes Winterjonnenlicht dämmernd und das chaotifche Düfter von Land und Meer mehr nur zeigenp als erhellend, fo wird man nicht leugnen wollen, daß in jenen Worten nur ein wirklicher und wahr- hafter Reiſeeindruck wiedergegeben fei- Der ältere Blinius hat uns in feiner Naturgefchichte eine Stelle aus Pytheas überliefert, welche von hohem Belang ift, infofern fie zu- erit ven eigentlichen VBolfs- und Stammmamen der Deutfchen nennt. Es ift da von einem nordifch = germanifchen Volke die Rede, welches an einer bernfteinreichen Bucht des Oceans wohne. Unter leßterem fann demnach 'nur bie Ditfee verftanden jein. Das Volf führe ven Namen ver Guttonen und verhandle den in jenem Frühjahr vom Meer an die Küfte geworfenen Bernftein an feine nächften Nach- barn, die Teutonen).

5) Dies ift, wie befannt, ber eigentlihe Stammname unferer Ahnen, zurüdzuführen auf ihren mythiſchen Stammvater Tuiſto oder Teut (Deut), welcher Name feinerjeits unverlennbar deut- lich mit dem Ausdrud des Gottesbegriffes in den indogermaniſchen Sprachen (ſ. o. Anm. 1) zufammenftimmt. Den Namen Germanen

In den germanifchen Wäldern. 13

Ob viefer Name hundert und einige Jahre vor Chri- ftus in Rom ſchon befannt oder beachtet war, fteht dahin. "Genug, im 640. Jahre nah Erbauung der weltbeherr- fhenden Stadt ſchlug fein Schall, verbunden mit dem des Namens der Kimbrer, drohend an die Wände des Kapitols. Der „Eimbrifchsteutonifche Schreden*, welcher die Römer äÄngftigte, war der Schatten, welchen eine noch fernabliegende weltgefchichtliche Kataftrophe, die Zer- trümmerung des römiſchen Weltreichs durch vie Ger- manen, weit vor fich herwarf. Denn das Auftreten ver Kimbrer und Teutonen, welche aus unbelannten Gründen mit Weib und Rind, Heerden und Habe ihre nörbliche Heimat verlaffen hatten, an ven Gränzen Italiens darf

baben die Deutichen von den Römern überlommen , vielleicht durch Bermittelung ber Gallier. In diefem Falle wäre er von dem kel⸗ tiſchen gairm oder garm abzuleiten, welches Ruf bedeutet, und hier⸗ nah wären unfere Ahnen bei ihrem feindlichen Zufammenftoßen mit den gallifchen Kelten von diefen die Lautrufenden, d. h. bie mit Geſchrei in die Schlacht Gehenden genannt worden. Eine mehr gäng und gäbe Ableitung des Namens ift die von dem altdeutſchen Ger (Speer) und demnach bedeuteten Germanen ober richtiger Germannen Speermänner, d. i. Krieger ... . . Merkwürdig ift, daß erft zur Zeit Kaiſer Otto’8 des Erften in Deutichland ſelbſt für die im Reichsverband ſtehenden deutſchen Volksſtämme der Nationalname Deutſche (Teutonici, Teutones) auflam. Urkundlich wenigſtens laäfft er ſich auf deutſchem Boden früher nicht nachweiſen, und wäh- rend jenfeits der Alpen die Bezeichnungen „Deutſchland“, „deutſches Reich“, „deutſcher König” „deutſches Boll“ ſchon Lange gebräuchlich waren, trat bei uns felbft erfi von der Mitte des 11. Jahrhunderts an ber gemeinfame Bollsname allmälig an bie Stelle der einzelnen Stämmenamen.

14 Buch I. Kap. 1.

füglich als das Vorſpiel ver ſpätern großen Völker⸗ wanderung bezeichnet werden, die auf den Trümmern der antiken Welt die mittelalterliche begründen ſollte. Dieſes Auftreten iſt zugleich das der Germanen auf der Weltge⸗ ſchichtebühne und mit den germaniſchen Männern treten auch die germaniſchen Frauen in den Umkreis geſchicht⸗ licher Helle.

Holdes freilich und Anmuthiges iſt es nicht, wohl aber Gewaltiges und Furchtbares, was uns die Geſchicht⸗ ſchreiber und Anekdotenſammler der Alten von der erſten Erſcheinung unſerer Ahnmütter zu erzählen wiſſen. Die Uebertreibungen, zu welchen das vergrößernde Entſetzen ſie dabei verleitet haben mag, wer könnte dieſelben von dem Reinthatſächlichen genau ſondern? In den Kämpfen der Römer mit den Kimbrern und Teutonen trat eine jugendfriſche Naturkraft einer ſchon der Verderbniß und Entnervung zuneigenden Kultur gegenüber und es lag nahe, nach abgewandter Gefahr vie Wildheit und Bar⸗ barei der Beſiegten hohlſpiegelartig zu verzerren. Allein wir haben keine andere Wahl, denn die Berichte zu nehmen, wie ſie uns geboten werden. Als auf den Feldern von Air i. J. 102 v. Chr. der ungeſtüme Anſturm ver Teu⸗ tonen dem Feldherrngenie des Gajus Marius und der römiſchen Taktik erlegen war und die Römer den fliehen⸗ den Feind bis zum Lager verfolgten, da „kamen ihnen die teutoniſchen Weiber mit Schwertern und Beilen entgegen und trieben unter furchtbarem und wüthendem Geheule die Fliehenden ſowohl als die Verfolgenden, jene als Verräther, dieſe als Feinde zurück, indem ſie ſich unter

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die Kämpfenden mifchten, mit bloßen Hänven bie Schilde der Römer 'berunterriffen, die Klingen ver Schwerter fafften und, bis zum Tode unbefiegten Muthes, fich ver⸗ wunden und in Stüde bauen ließen“ 9%). Ein weiterer Bericht bei Valerius Maximus hebt nicht nur den Todesmuth, jondern auch die Keufchheit der germanifchen rauen hervor. Denn die gefangenen Weiber ver Teus tonen baten ven Sieger Marius, er möchte fie dem Dienfte ver heiligen Sungfrauen der Veſta widmen, mit ver Ver- fiherung,, fie würden fich unbefledt bewahren wie viefe Göttin und ihre Dienerinnen; al8 aber ver Bitte nicht entfprochen wurde, erproffelten fie ſich in der nächiten Nacht. Im folgenden Jahre vernichtete Marius bei Ver- cellä auch die Kimbrer. Unter ven Frauen verjelben be- fanden fich weiſſagende Priefterinnen, grau vor Alter, barfüßig, mit weißen Gewänbern, ehernen Gürteln und feinen Flachsmänteln angethban. So traten fie, Schwerter in den Händen, ven Rriegsgefangenen im Lager entgegen, befränzten fie und führten fie zu einem großen ehernen Keſſel. Dann beftieg eine von ihnen einen Tritt und durchſchnitt, über den Kefjel gebeugt, dem über ven Rand vejfelben emporgehobenen Gefangenen die Kehle und aus dem Blut, das in den Keſſel ftrömte, weiljagten fie. Während ver Schlacht trommelten fie auf Tellen, welche über die geflochtenen Wagendeden gejpannt waren, und machten einen fehredlichen Lärm”). Der größte und

6) Plutarch, Marius. 19. 7) Strabon, VII, 2.

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jtreitbarfte Theil der Kimbrer fand bei Vercellä ven Tod. Hatten fi doch die Vordermänner, damit ihre Reihe nicht gefprengt würde, mit ihren langen Gürtelfetten fejt an einander gebunden. Als aber die Römer ven Fliehen- den bis zum Lagerwall nachdrängten, wurden fie „durch ein hochtragiſches Schaufpiel“ überrafeht. In ſchwarzen Gewändern auf ven Karren ftehend, gaben vie fimbrifchen rauen den Flüchtlingen ven Tod; dieſe ihrem Gatten, jene ihrem Bruder, wieder eine andere dem Vater. Ihre Kinder aber erwürgten fie und warfen fie unter die Räder der Wagen und die Hufe der Zugtbiere. Zuletzt legten fie mörberifche Hand an fich ſelbſt. Eine, erzählt man, hatte fih an die Spike einer Deichjel gehängt und an den Knöcheln der Mutter hingen, von ihr mit Striden angebunden, ihre Kinder). Von ſolcher bis zur Ber—⸗ ferfermuth ſich erhebender Verachtung eines Xebeng, welches nur noch Schmach und Knechtichaft bot, weifen auch die jpäteren Kämpfe zwifchen Römern und Deutfchen noch Beifpiele auf. Zur Zeit als Drufus mit ven Che- ruffern, Sueven und Sigambern fich herumſchlug, kam e8 vor, daß die Frauen diefer Stämme, durch die Römer in die Wagenburgen verſperrt, ftatt ſich zu ergeben, mit allem, was als Waffe dienen fonnte, verzweifelnd fich wehrten und zulegt ihre feinen Kinder mit ven Köpfen auf ven Boden ftießen und die Leichname ven Feinden ins Geficht warfen 9).

8) Plutarch, 1. c. 27. 9) Orosius, Histor. VI, 21.

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Man ift verfucht, zu fagen, ein geheimer Inftinkt habe die Römer geftachelt, der Gefahr eines germanifchen Einbruch, wie der Zug der Kimbrer und Teutonen ihn angefündigt, dadurch zuvorzukommen, daß fie Noms Herr- ſchaft und damit auch Roms Gefittung in die unwirth⸗ lihen Gegenden nördlich von den Alpen trugen. Cpoches machend waren in dieſer Beziehung die Kriegszüge, welche Julius Cäſar, ald Statthalter von Gallien, um die Mitte des letzten Jahrhunderts v. Chr. rheinüber unternahm. Diefer geniale Staatsmann, General und Literat ging darauf aus, Germanten nicht nur phyſiſch, Jondern auch geiftig zu erobern, indem er e8 erforjchte und befchrieb. Sein Bericht über Deutichland, den unvergleichlichen Kommentarien über ven gallifhen Krieg einverleibt, bleibt auch dann noch von großem Werthe, wenn man nicht verhehlt, vaß er am Generalifiren leide, d. b. die bei einzelnen germanijchen Stämmen beobachteten Zu- ftände allzu willfürlih auf die ganze Nation überge- tragen habe. Im Vergleiche mit ven Galltern, welche von der römischen Kultur ſchon einigermaßen beledt waren, fand Cäfar unter ven Germanen noch ſehr wald- urfprünglide Zuftände vor. Namentlich weiſ't feine Nachricht von der geringen Neigung und Sorgfalt der Deutſchen für den Aderbau auf einen niebrigen Rultur- grad Hin. Es dürfte aber feine allgemein gehaltene Notiz: „Um Aderbau fümmern fie fich nicht” ſehr einzufchränfen fein, wenn man bevenft, daß ſchon Tacitus Germanien „ziemlich fruchtbar an Getreide” fand. Für’

unſer Thema von größten Belang ift, was Cäler über Scherr, Frauenmwelt. 4 Aufl. I.

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die geichlechtlichen Verhältniffe ver Germanen beibringt. Der Jugend eines Volkes, fagt er, deſſen Sinn von Kind» heit an auf Anftrengung und Abhärtung gerichtet gewefen, habe e8 zum höchſten Lobe gereicht, gejchlechtlich möglichſt lange unentwidelt zu bleiben, weil das den Wuchs ftatt- lich machte und die Muffeln ftählte. Den Sünglingen habe es Schimpf eingebracht, vor dem zwanzigften Sabre von einem Weibe gewußt zu haben. Und vergleichen habe fich auch nicht geheim halten laſſen, pa beide Ge⸗ ſchlechter gemeinſam in den Flüſſen babeten und als Kleidung nur Felle trugen, welche den Körper großen Theils nadt ließen 19).

Bon Cäſars Zeit an blieb die Aufmerkſamkeit Roms fortwährend auf Germanien gerichtet und feltfamer Weife wurde fie durch zwei jehr verjchievene Motive wach erhal- ten, durch die Mode und durch die Furcht. Das kaiſerliche Nom war wie der Eentralpunft der Weltherrichaft fo auch ver Sammelplat alles Luxus, alles Sinnengenuffes und aller Moventhorheit der Erde. Unerfättlich gierte die römische Meppigfeit nach neuem umd ungewöhnlichen. So gewann auch das blonde, ins Röthliche ſpielende Haar der germantichen Frauen das Wohlgefallen ver römifchen Modedamen und bei Ovid, wie bei fpäteren römifchen Dichtern, finden fich häufige und deutliche Winfe, daß die Putzkünſte der NRömerinnen das Schwarz ihres Haarwuchſes mit dem germaniichen Blond zu vertaufchen eifrigft fich mühten, fei es mittels Farbftoffen, ſei

10) Caesar, De bello Gall. VI, 21.

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es mittel8 Perüden. Das germanifhe Haar wurbe ſörmlich zu einem römiſchen Handelsartikel. Merk würdig ift dabei der von dem älteren Plinius erwähnte Umftend, daß auch in Germanien felbft die Haarfärbe- funft jchon in Uebung war, jedoch mehr von Männern als von Frauen angewandt wurte!). Wenn aber bie römischen Damen mit germanifchem Haarihmud in Geſellſchaft erjchienen,. da mögen ernfte Männer wohl mit bejorgnißvoller Ahnung auf das deutſche Blond Hin» gefhaut Haben. Die Erinnerung, wie die Krieger Cä—⸗ jars, als ihnen das erfte Zufammtentreffen mit ven Ger- manen bevorftand, vor Dem bloßen Gedanken, „das Feuer ber gerimanifchen Augen” ertragen zu müffen, fich entſetzt hatten, und alle die Kagererzählungen von der „unglaub- fihen Tapferkeit und Waffenfertigkeit" der Deutjchen waren nur zu jeher geeignet, denkende Römer mit Bangen in die Zukunft blicken zu laffen. So aud) einen jungen Boeten, welcher, nachdem er eigenem Geftänpniß zufolge auf dem Schlachtfeln von Philippi, wo die Republif ver- bfutete, feinen Schild „nicht fehr rühmlich“ weggeiworfen, ein Chorführer ver Literatur des auguftifchen Zeitalters werben follte. Die ungeheure Gefahr, welche von Ger- manien her Rom bebrohte, fehwebte ver Seele des Horaz vor, als er feine 16. Epode, eins feiner Erjtlingsgedichte, ſchrieb (41. v. Chr.). Ahnungsvoll wies er darin auf die „blauäugige Jugend Germaniens“ hin und e8 war wie eine prophetifche Viſion von Maris Erſtürmung

11) Hist. nat. XXVIII, 12.

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der ewigen Roma, wenn er „den Hufſchlag barbariſcher Sieger auf den Trümmern der Stadt erdröhnen“ hörte. Freilich ſtand das germaniſche Str fgericht der römiſchen Wölfin vorerſt noch fern; aber für ein zweites Vorzeichen deſſelben ſeit dem kimbriſchen Schrecken konnte der große Sieg gelten, welchen im Jahre 9. n. Chr. über die erobernd vom Rhein her bis zur Weſer vorgedrungenen römiſchen Legionen der cheruſkiſche Edeling Armin (Her- mann) erfocht. Auf dieſem Sieg, ſowie auf dem Wider⸗ ſtand, welchen Armin, der erſte, ebenſo unglückliche als große Vorfechter deutſcher Einheit!), nachmals ben Römern unter Germanikus entgegenſtellte, beruhte die Rettung unſerer nationalen Exiſtenz, die Sicherung der ſelbſtſtändigen Entwickelung unſeres Volkes. Ohne den großen Cheruſker wären wir wohl auch ſo ein Miſchvolk wie die Franzoſen, Italiener und Spanier geworden. Die Waffenthaten Armins, ſowie vie um ſechzig Jahre ſpä— teren des Civilis am Niederrhein machten die Römer den Gedanken, ganz Deutichland zu unterwerfen, aufgeben. Aber die fünlichen und weftlihen Gränzmarken behaup- teten fie bis zur Völkerwanderung und fo fonnten mannig- fache Wechfelbeziehungen zwifchen ihnen und ven Ger- manen nicht ausbleiben, um fo weniger, da einestheil®

12) „Arminius hatte, da er, nachdem die Römer abgezogen, nad der Königsherrjchaft trachtete, den Freiheitsſtun feines Volkes gegen fih. Während er, mit bewaffneter Hand angegriffen, mit wechſelndem Glücke ftritt, fiel er durch Hinterlift feiner Verwandten, er, unftreitig der Befreier Germaniens.” So erzählt Tacitus (Annal. II, 88) ven Ausgang Hermanne.

In den germanischen Wäldern. >21

der Handel, anberntheil® der ebenfo eifrig begehrte als bewilligte Dienft germanifcher Jugend im römiſchen Heere vielerlei Verbindungsfäden fnüpfte.

Auf der Scheide des erjten und zweiten chriftlichen Sahrhunterts unternahm es ein Römer, der große Ge- ſchichtſchreiber Tacitus, feine Landsleute genauer, ale bislang gejchehen war, über Land und Volf von Germa⸗ nien aufzuflären. Er that dies, indem er in feinen „Annalen“ und „Hiftorien” die Gefhichte feiner Zeit und ber nächſten Vergangenheit erzählte, dann aber auch mittel8 eines eigens zu dem angegebenen Zwecke gefchrie- benen Buches, der berühmten „Germania“, einer um fo ehrenvolleren Urkunde deutſcher Vorzeit, als dieſelbe von Feindeshand ausgeſtellt worden if. Die Germania, deren ganze Haltung vermuthen läſſt, daß ihr Verfaffer jeinen Gegenftand aus eigener, wenigjten® theilweife eigener Anſchauung gefannt habe, war für Nom eine, freilich unbeachtet gebliebene Lehre, Drohung und. Wars nung. Für und dagegen ift fie „ein mitten in das vor» zeitliche Dunkel unferes Alterthums bineingeftelltes Mor⸗ genroth“. Unſer Vaterland ſchildert Tacitus als zu damaliger Zeit mit rauhen Wäldern bedeckt und von Sümpfen ſtarrend, alſo abſchreckend genug, wie es denn auch einem an den Anblick der üppigen Gärtengeſtade des Mittelmeeres gewöhnten Auge erſcheinen mochte und mußte. Doc ſei die Landſchaft nicht ohne Abwechſelung geweſen. Für Getreideſaat ſei der Boden ergiebig, aber Obſtbäume trage er nicht, womit aber doch wohl nur die feineren Arten derſelben gemeint ſind; denn ſchon Plinius

2 Buch J. Kap. 1.

weiß von Kirſchen und Aepfeln zu reden, welche in ven Rheingegenben gediehen. Mit Nachprud betont Tacitus die Anficht, die deutſchen Stämme feien dadurch, daß fie nicht duch Ehen mit anderen Völferfchaften fremdes Blut in fih aufnahmen, zu einem ureigenen, unvermifch- ten, nur fich ſelbſt ähnlichen Volke geworden („Germa- niae populos, nullis aliis aliarum nationum conu- büs infectos, propriam et sinceram et tan- tum sui similem gentem exstitisse*). Deſſhalb auch ungeachtet ver großen Einwohnerzahl in Altgerma- nien bei allen viejelbe Körperbefchaffenbeit: blaue Augen voll Feuer und Trotz, röthliches Haar, mächtige Leibes- geftalten, doch mehr nur zum Anftürmen, weniger zur. Ausdauer, mehr zum Ertragen von Hunger und Kälte, weniger zum Aushalten von Durft und Hite tüchtig.

Bei Erwähnung ber fehr waldurfprünglichen Tracht ber Germanen, deren meiſt aus Thierfellen bereitete Haupt- jtüäd ein Mantel war, durch eine Spange oder in Er- mangelung verfelben durch einen Dorn zufammengehalten, fommt Zacitus auf die Frauen zu ſprechen. Er fagt zwar, die frauliche Tracht babe fih won der männlichen nicht unterſchieden, fügt jedoch fogleich hinzu, daß fich die Frauen häufiger in leinene Gewänder hüllten, die fie auch wohl mit Burpurftreifen verbrämten. Wir werben. nicht fehlgehen, wenn wir dieſes ärmellofe Leinengewand, welches die Arme, ven Naden und den obern Theil des Bufens unbevedt ließ, für ein langherabfallendes, ven Körperformen ſich anſchmiegendes Unterffeiv nehmen, für einen der römischen Tunika ähnlichen Leibrod,. über

In den germanifchen Wäldern. 23

welchem als Dberkleiv der Mantel getragen wurde 13), Bedenkt man dieſe dürftige Verhüllung des Körpers, welche am Herdfeuer ſogar völliger Nacktheit Platz machte, ſowie das ſchon erwähnte gemeinſchaftliche Baden der beiden Geſchlechter, ſo ſteht das Lob, welches Tacitus der Keuſchheit germaniſcher Liebe und Ehe ſpendet, nur um fo höher. Er rühmt es, daß die Deutſchen, entgegen der Bielweiberei anderer Barbaren, mit einer Frau ſich begnügten. Nur vie Bolitif veranlafite feltene Aus« nahmen von dieſer Regel, indem hochftehenve Häuptlinge zur Mehrung ihres Anſehens mehrere Frauen nahmen, Töchter aus. einflußreichen Samilien. In unangetafteter Keuſchheit, durch feine wolluftreizenden Gaftmähler, durch feine verführeriſchen Schaufpiele verdorben, des Xiebes- briefewechſels unkundig, jo wuchs die Jugend heran. Spät erit famen bie Jünglinge zum Liebesgenuß. Auch die Iungfrauen wurben nicht übereilt („nec virgines festi- nantur“) und daher blieben fie jugendfriſch wie jene und waren. an hochſchlankem Wuchs ihnen ähnlich. Für vor der Ehe verlorene weibliche Unſchuld gab e8 feine Sühne und die Strafe war bie Ichärfite, denn einem gefallenen Müdchen gewann weder Schönheit noch Neichthum einen Gatten. In Gegenwart ver Eften und Verwandten wurbe der Ehebund gefchloffen. Die Mitgift brachte nicht die Braut dem Bräutigam, fondern der Bräutigam ber Braut zu und es beſtand viejelbe nicht in Putzſtücken und

13) Bol. Weiß, Koſtümkunde, II, 618, und Falle, Die dentſqhe Trachten⸗ und Modenwelt, I, 6.

24 Buch I Kap. 1.

Zändelfachen, fondern in einem Stierepaar, einem gezäum⸗ ten Pferd, einem Schild nebft Speer und Schwert. Auf dieſe Geſchenke Hin wurde die Frau in Empfang genommen und auch fie brachte ihrerſeits dem Manne einige Waffen- ftüde zu. Das, meinten unfere Altvorderen, ſei das feftefte Band, das die geheimnißvolle Weihe, das feien die Götter des Ehebündniſſes. Dadurch wurde die Frau, damit fie nicht wähnte, fie dürfte mannhaften Gedanken und des Krieges Wechjelfällen fernbleiben, auf der Schwelle zur Brautfammer erinnert, daß fie Täme, in Arbeit und Gefahr des Mannes Genoffin zu fein. Mit ihm habe fie im Frieden und Krieg Gleiches zu dulden und zu wagen. Und dies war Teineswegs nur eine leere Ceremonie. Wir wiffen, daß die germanischen Frauen ven Männern in den Krieg folgten, daß fie Speifen und ermunternden Zuſpruch in die Reihen ver Kämpfenden trugen, daß fie ftolz die Wunden ihrer Gatten und Söhne zählten und prüften, bevor jie Diejelben verbanten, und daß fie durch Borwurf und Bitte, durch Darhbalten ver Bruft und durch Hinweifen auf ihr Loos in der Gefangenschaft wankende Schlachtordnungen wieder hergeftellt haben. Heilig und ftreng war der eheliche Bund, äußerft felten ver Ehebruch, feine Beftrafung dem’ hintergangenen Ehemann anheim- gegeben. In Gegenwart ver Verwandten fchnitt er ber Schuldigen das Haar ab, ftieß fie nadt aus dem Haufe und peitfchte fie Durch Das ganze Dorf. Im einigen Gau: genoffenfchaften galt ver Brauch, daß die Frauen unter - allen Umftänden nur eine Ehe eingehen durften, wie ja bis auf unfere Tage herab auch bei den Invern die Witwen

In den germanifchen Wäldern. 235

nicht wieder heiraten burften. Im übrigen war, wie ſchon angedeutet worden, das Daſein unferer Ahnmütter um fo weniger ein müfliges, da die Sorge für Haus, Herd und Feld auf ihnen laftete. Die Männer kümmerten fih nur um Jagd⸗, Kriegs» und Staatsfachen 19).

Erwägt man noch, daß uns von dem gefelligen Ver⸗ balten der Bewohner Germaniens fein Zug fanfter Ge- fittung überliefert worden, daß das Leben der Männer zwifchen wilder Aufregung und trägem Müſſiggange ver- floß, daß fie ſich gern im Bier beraufchten, daß fie in un- bändiger Spielwuth nicht allein ihre ganze Habe, ſondern auch vie eigene Perſon und Freiheit auf die Würfel feß- ten, und daß endlich nur eine Art von Schaufpiel, nadter Sünglinge wilder Tanz zwiſchen aufgerichteten Speerfpigen und Schwertllingen, die feſtlichen Zuſammen⸗ fünfte des Volkes erheiterte, jo müßte man allem bisher Beigebrachten zufolge verſucht fein, anzunehmen, daß in Altdeutſchland edlere Weiblichfeit faum Habe gedeihen können, falls nicht beftimmte Zeugnifie für das Vorhandenſein einer folchen vorlägen. Aus ver taciteifhen Schilderung ver Eheverhältnifie erhellt deut⸗ lich, daß die germanifche Frau nicht die Sklavin, ſondern die Genoffin des Mannes war, und alibefannt ift vie berühmte Stelle ver Germania: „Die Deutfchen glauben, daß dem Weib etwas Heiliges und Prophetifches (anc- tum aliquid et providum) innewohne; darum achten fie des Rathes ver Frauen und horchen ihren Ausfprüchen.”

14) Germania, 4, 5, 7, 8, 15, 17, 18, 19, 20, 23, 24.

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Die Frau erſcheint demnach mit der Würde der Prieſterin und Prophetin bekleidet. Schon haben wir bei den Kim⸗ brern opfernde und weiſſagende Prieſterinnen gefunden und wir finden ſolche auch ſpäter. Als im Jahre 58 v. Chr. der Germane Arioviſt dem Julius Cäſar gegen⸗ überſtand, verboten die weiſſagenden Frauen den Deut- fhen, vor dem Neumond in eine Schlacht fich einzu- laffen 19). In der Germania wird der Aurinia erwähnt, welche die Germanen vor Zeiten als Prophetin verehrt Hätten 1). Die größte Bedeutung aber gewann zur Zeit ver Kämpfe des Eivilis gegen die Römer die Veleda, in welchem Namen vielleicht ein Anklang an die norbifch- germaniſchen Walkyrien, Walen, Völur verborgen ift. Diefe nah alter Sitte als „Schickſalsverkündigerin“ hochverehrte Jungfrau vom Stamme der Brufterer hauſ'te einfom und unzugänglich auf einem hoben Thurme und war die Pythia der nieverrheinifchen Germanen. Sie vermittelte Bündniſſe, fie führte eine entſcheidende Stimme in Kriegs⸗ und Friedensjachen, ihr wurden Stegestrophäen zu Füßen gelegt N. ine britte jung- fräulihe Prophetin, Ganna, war zur Zeit Domitians

15) Cassius Dion, XXXVII, 48.

16) Grimm (D. Mythologie, III. X. 375) lieſt ftatt Aurinta Aliruna, wo dann in dem Namen felbft der Begriff der Weiffagung liegen würde. Selig Caffel („PBrophetinnen und Zauberinnen“, Weimar. Jahrb. II, 383) ſchlägt vor, ftatt Aurinia zu leſen Nau- rinia oder Norinia, fo daß die Veziehung auf die Nornen, bie Parzen der nordiſch⸗germaniſchen Mythologie, deutlich wäre.

17) Tacitus, Histor. IV, 61. 65; V, 24.

In den germanischen Wäldern. 27

in Deutfchland einflußreich 18). Tacitus fagt auch, daß bei wachſendem Aberglauben ſolche Prophetinnen im Bolfsbewußtfein allmälig zu Göttinnen geworben feien („et augescente superstitione arbitrantur deas“), Die Frauenverehrung ift aljo ein uralter Charakter⸗ zug der Deutichen, aus welchem jpäter die Innigfeit des deutſchen Mariakults und des deutſchen Minnevienftes entfpringen ſollte. Die altgermaniichen Frauen waren feineswegs nur auf die Gefchäfte des Haufes, des Herdes und des Feldes, auf Harfe und Sichel, Spinvel und Webſtuhl, auf Kinvererzeugung und Kinderſäugung be Ihränft, fondern wann immer ber göttliche Funke in ihnen fich regte, war ihnen Raum gegeben, eingreifend und einflußübend auf ven Schauplat zu treten, wo „um ver Menfchheit große Gegenftänve, um Herrichaft und um Freiheit wird geftritten”. Es ift Grund vorhanden, zu glauben, daß auch Thuſnelda, vie Gattin des DBefreiers Armin, eine jener höheren weiblichen Natuven geweſen ſei, deren Spuren unfere Vorzeit aufzeigt. Thuſnelda's Geſchichte ift zugleich die Ältefte deutſche Tiebesgefchichte, von der wir wiffen. Denn auf eine leivenfchaftliche Neigung deutet der Umftand, daß Armin die einem An- dern Verlobte ihrem Vater Segeft, feinem politifchen Gegner, mit Gewalt entführt. Aber das Glüd war dem Ehebund der Beiden unhold. In Abwefenheit des Gatten verrieth Segeft, der römerfreundliche Landesver⸗ rätber, vie Tochter, welche einen Sohn Armins unter

18) Cassius Dion. LXVII, 5.

28 Bud I. Kap. 1.

dem Herzen trug, an die Soltaten des Germanifus. Mehr vom Geifte des Gatten als des Vaters befeelt erzählt Tacitus entrang ſich Thuſnelden bei ihrer Gefangen nehmung feine Thräne, fein klagendes oder flehentes Wort; mit über dem Buſen gefalteten Händen fchaute fie ftumm auf ihren ſchwangeren Leib. Die Nachricht, daß die Gattin ihm entriffen wäre und die Sklaverei tragen foltte, jtachelte Armin zu mwahnfinniger Wuth. Aber vergebens flog er zur Rettung herbei. Thuſnelda wurte nah Rom gebracht und dort gebar fie den Thumelifus. Mit anderer Siegesbeute mußte fie fammt ihrem Kinte und ihrem Bruder Segimunt den Triumphzug des Ger- manifus zieren, während ver Verräther Segeft zufah, wie

Sohn, Tochter und Enkel vor dem Wagen des Trium- - -

phators in Ketten einhergingen 1). Der Gram mag die

19) Tacitus, Annal. I, 55, 57, 58. Strabon, Geographica, VII, 1, 4. Da Strabon e8 ift, welcher bie Namen von Armins Gattin und Sohn uns überliefert bat, will ich die verdeutſchte Stelle herjegen. „Ihnen (db. h. den Germanen ‚' welche den Barus im teutoburger Walde gefchlagen hatten) verdankte der jüngere Germanilus einen glänzenden Triumph, wobei bie nam⸗ bafteften Feinde in Berfon aufgeführt wurden: Segimuntos, der Sohn des GSegeftes, bes CheruflersHäuptlings, und feine Schwefter Thufnelda (Bovarsida), des Arminius Gattin, fammt ihrem dreijährigen Sohn Thumelitus (Bovw£rsxos). Segeftes aber, des Arminius Echwiegervater, welcher die Gefinnung feines Schwiegerjohns von Anfang an nicht getheilt hatte, ſondern viel⸗ mehr zu uns übergelaufen war, ſah, mit Ehren überhäuft, mit an, wie die, welche ihm die Fiebften waren (db. h. hätten fein follen), in Ketten vor dem Wagen bes Triumphators einhergingen.”“ Man

In den germanischen Wäldern. 29

edle Frau bald getöntet haben. Die Rache Noms an dem Befieger des Varus zu vollenden, foll mit gemeiner Bos⸗ heit Armins und Thuſnelda's Sohn in Ravenna zum Gladiator oder gar zum Luſtknaben erzogen worben fein. Wenn, wie vermuthet wird, die ſchoͤne Marmorftatue einer Germanin, welche in der Loggia de’ Lanzi zu Florenz fteht, wirflih Armins Gattin darſtellen jollte, jo würde das beweifen, daß die Seelenhoheit und die tragifche Größe des Geſchickes diefer Frau auch auf vie Römer ihres Eindrucks nicht ganz verfehlt hätten). Es bilvet einen eigenthüimlichen Gegenſatz zu dieſer tragifchen Frauengeftalt, wenn wir das Bild anjehen, welches ein römischer Spätlingspichter, Aufonius, von einem germa- nifchen Mädchen entworfen hat, welches in ven Feldzügen Kaiſer Valentinians des Erften gegen die Alemannen am Nedar und Oberrbein gefangen und als Kriegsbeute dem genannten, in hohen päpagogifchen und politifchen Aemtern ftehenden Poeten gejchenft wurde. Wenn wir bis dahin an den germanifchen Frauen mehr nur helvifche, nicht felten bis zur furchtbaren Herbigfeit gejteigerte Züge wahrgenommen haben, jo bezeugt uns das Bild ver Alemannin Biſſula zum erjtenmal die Schönheit und ven Xiebreiz der deutſchen Frauenwelt. Biffula fcheint ftatt ver Sklavin ihres Herrn recht eigentlich feine Herrin

fiebt, e8 gab deutſche Rheinbundsfürften jchon achtzehn Jahrhunderte früher, als Napoleon den Rheinbund geftiftet bat.

20) Bol. Söttling, Thufnelda und Thumelikus, in gleichzeitigen Bildniffen nachgewieſen, 1856.

30 Buch I. Kap. 1.

gewefen zu fein, fo enthufiaftifch zärtlich fpricht Aufontus von ihrem lieblichen Antlig, ihren blauen Augen und blon⸗ ben Haaren. Diefe Barbarin, jagt er, befiege mittels ihrer natürlichen Holdſeligkeit alle die „verzärtelten "und gefchniegelten römiſchen Puppen“, und triumphirend fügt er Hinzu, die Runft befite feine Mittel, fo viel Anmuth nachzubilden 22).

21) „Biſſula, die nicht in Wachs nachahmbar ober in Farben, Schmiüdte mit Reizen Natur, wie nimmer der Kunft fie

gelingen. Ya, mit Mennig und Weiß malt Bilder euch anderer Mägpdlein ; Doch dies Farbengemiſch des Geſichts nicht malen es Hände.

Mile doch, Dealer, wohlan, die Ro’ und Lilienweiße Und die duftige Farbe dann nimm zu Biſſula's Antlig.“

Zweites Kapitel.

Zur Völkerwanderungszeit.

Die Götterdämmerung der alten Welt. Niederlaſſung germa⸗

niſcher Völkerſchaften in den römiſchen Provinzen. Die Stellung

ber Frauen nad germanischen Recht. Verhältniß der Frauen

zum Chriftenthum. Gothiſche, langobardiſche und fränkiſche

Frauen. Die merowingifhe Tragödie. Gährungsproceh der Zeit. Häuflihe Einrichtung und Tracht.

Fern im Nordmeer liegt ein Eiland, welches das letzte Aſyl des germaniſchen Heidenthums geworden iſt. Hierher, nach Iſland, zogen ſich in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts (von 874 an) edle norwegiſche Männer zurück, als in ihrer Heimat Chriſtenthum und Königsherrſchaft die alteinheimiſche Religion und Ver⸗ faſſung zerſtörten. In dieſe inſulariſche Abgeſchiedenheit von einer Welt, welche neue Götter anbetete und neue Lebensformen anthat, hatte das Germanenthum ſeine theuerſten Schätze gerettet, feine religiöſen Mythen, feine alten Helvenfagen. Hier hütete es dieſen Hort und mehrte ihn. Hier blühte eine Kultur auf, deren fchrift- liche Erzeugniffe den Völkern germaniſcher Zunge nicht

32 Buhl. Kap. 2.

weniger ehrwürbig und heilig fein follten als e8 ven Hebräern „Das Gefeg und die Propheten“ find, d. h. ihre unter dem Titel „Bibel“ befannte Sammlung nationaler Mythen, Sagen, Gefchichten und Dichtungen. Hier wurde auch die germanifche Bibel aufgezeichnet, die Edda, d. i. die Urahne, die Urgroßmutter, welche den Enfeln vom Glauben der Väter, von den alten Stammgöttern und Stammhelden erzählt 2). Wie die heiligen Urkunden vieler anderen Religionen eine Lehre von ben erjten und legten Dingen vortragen, fo auch die Edda. Mußte ſich doch die religidfe Phantafie überall zur Beantwortung der Frage aufgefordert fühlen, wie die Welt und ver Menich entftanvden wären und was zulegt aus beiden wer- den follte? Auf die eddiſche Weltichöpfungslehre bat, will mir ſcheinen, die Natur Iſlands keinen geringen Einfluß geübt. Wenigftens dürfte e8 geftattet fein, an⸗ zunehmen, daß auf die Dichtung einer Koſmogonie, in

22) Jedermann weiß, daß es eigentlich zwei Edden gibt: die ältere, in gebunbener Rebe verfaflte, genannt die Edda Sä- munds, weil nah gäng. und gäbem Dafürhalten die Samm- lung ber ®dtter- und Heldenlieder, welche ihren Inhalt bilden, durh den tjländiichen Gelehrten Sämund Sigfusfon (fl. 1133) veranftaltet wurde; und die jüngere in ungebundener Rebe ver-- fafite, genannt die Edda Snorri's, weil der 1241 erjchlagene länder Snorri Sturlufon für den Sammler und theilweife auch für den Verfaſſer ihres Inhalts gilt. Eine neue, ſehr verbienftliche Handausgabe der Urſchrift der Sämunds-Edda, mit Gloffar, ſprach⸗ lichen und ſachlichen Erläuterungen, lieferte H. Lüning (Züri 1859). Simrod bat ung 1851, Wenzel 1877 mit einer Neuhoch— deutſchung der Edda beichenft.

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welcher die heiße Slammenwelt Mufpelheim und vie eifige Nebelwelt Niflheim eine jo große Rolle jpielen, ver An- blick von Hekla's Lavaftrömen, die über Gletſcher rollen, und der Anblic ver Geyſerquellen, die aus Schneefelvern hervor ſiedendheiße Wafferjtralen in vie Luft treiben, eingewirft haben müſſe. Die ganze Größe und Furdht- barfeit nordifcher Natur widerfpiegelt fih auch in dem ungebeuren Bhantafiebilde, welches die Edda von ber Götterdämmerung (Ragnaröh), d. i. nom Weltuntergang entwirft. In Uebereinftimmung mit dem, was in ber älteren Edda die Wöla vom Vergehen ver Welt jingt, fagt das althochdeutiche, im 9. Jahrhundert aufgezeichnete Gedicht Mufpilli: „Die Berge entbrennen, fein Baum bleibt ftehen auf ver Erde, vie Waffer trodnen aus, das Meer verdampft, in Lohen vergeht der Himmel, der Mond fallt herunter, Mittelgart (die Erde) flammt auf, fein Fels ſteht feſt. Der Tag der Vergeltung fährt über vie Rande, fährt über vie Völfer mit Feuer.“ In dieſe ent- jegliche Rataftrophe wird alles Seiende bineingezogen, Menſchen und Götter gehen gleichermaßen zu Grunde. Aber dem Dogma ver Vernichtung verfnüpft ſich das ver MWiedererneuerung: aus dem Trümmerchaos der unter- gegangenen erſteht eine neue Erde, eine neue Menjchen- und Götterwelt.

Was die mythenbildende Phantafie der Germanen von Ragnarök gefagt und gefungen, ericheint in jener Umwälzung Europa’s, welche im 4. Jahrhundert n. Chr. ihren Anfang nahm und welche wir Völlerwanderung zu nennen pflegen, in weltgejchichtliche Thatſachen von un⸗

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. J.

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ermefjlicher Bedeutung überfegt. Durch die germanifchen Bölfer, welche aus Often und Norven nad Süben und Weſten vordrangen, erlebte ja die römifche Welt ihre Götterdämmerung, nach deren Verraufchen an die Stelle ber vernichteten antiken Gefellichaft die germaniſche trat. Zweifah war die Natur dieſer koloſſalen Revolution. Denn ihrer materiellen Seite gefellte fich eine geiftige, das Chriftenthbum, welches in eben dem Maße, in welchem e8 fich die germanifchen Sieger unterwarf, zur Gewinnung der Stellung einer weltbeherrichenden Geiftesmacht vor⸗ ſchritt. Wunderbarer Anblick! Aus den düfteren Todes- chatten, welche das Kreuz Über die erblaſſende Götter- welt des griechiſch⸗ römifchen Alterthums geworfen, ging, als die „Barbaren“ ihre Streithämmer, womit fie vie marmornen Göttergeftalten zerichlagen hatten, am Fuße dieſes Kreuzes huldigend niederlegten, ein neuer Tag der MWeltgejchichte hervor. Der ſüdliche Olymp jowohl als das nordiſche Afenheim traten in die Fabelnregion zurück und über einer neuen Geſellſchaft wölbte ſich ein neuer Slaubenshimmel, ver des dreifältigen Chriftengottes, welcher einen nicht minder zahlreihen und nicht minder mannigfach geglieverten mythologiſchen Hofſtaat von Göttern und Göttinnen, Helden und Heldinnen um ſich verſammelte, als der alte, jetzo abgedankte Zeus⸗-Jupiter einen gehabt hatte. So erſetzte und erſetzt der Menſch allzeit verbrauchte Gottheiten mit neugeſchaffenen, weil er, von der „Angſt des Irdiſchen“ umgetrieben, nicht umhin kann, immer wieder nach einem Halt- und Stütz⸗ punkt ins Ueberirdiſche hinaufzugreifen ....

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Es ift hier nicht der Ort, taufennmal Gefagtes zu wiederholen und dem Schaufpiel einer allgemeinen Auf: löſung anzuwohnen, aus weldem fich erſt nach vielen Zerftörungen, Schöpfungen, abermaligen Zertrümme- zungen und Wiederaufbauungen eine neue ftaatliche Ge⸗ ftaltung unjeres Erdtheils ergab. Für unfern Zwed genügt es, flüchtig auf die germanijchen Reiche von für- zerer oder längerer Dauer binzumweijen, welche, nachdem die Völferflut fich geftaut oder verlaufen, fraft des Rechtes der Eroberung in den ehemaligen Provinzen Roms ge- gründet wurden. Cine Folge dieſer Staatengründungen war, daß mancher Schöſſling vom germaniichen Stamme (o8gelöft und vemfelben für immer entfremdet wurbe. Die rohe Naturfraft vermag zwar eine verrottete Kultur niederzutreten; aber in Geftalt von taufend und aber- taufend fohmeichlerifchen Einflüffen richtet fich dieſe wieder auf, den Sieger zuleßt befiegend. Das erfuhren bie ger- manifhen Stämme, welche als Beuteftüde ver Völker⸗ wanderungsfriege Italien, Spanien und Frankreich an ſich genommen hatten. Sie erlagen ver Beitridung durch das römische Weſen, welches, in Verbindung mit dem Chriften- thum, ihnen allmälig ihre Nationalität und fagar bie Mutteriprache abfchmeichelte.e So wurden fie aus Ger» manen römische Miſchlingsvölker und Mutter Germania mußte e8 bald genug erleben, daß ihre in die Fremde gegangenen Söhne fich gegen fie fehrten, mit dem ganzen Haß, welcher ver Abtrünnigfeit allzeit und überall zu entfpringen pflegt. Aud daheim in Deutſchland fchien, wie wir feines Ortes fehen werben, bie römiſch⸗chriſt⸗

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liche Kultur über das germanifche Wefen triumphiren zu follen; aber hier erwies fich der nationale Geift, im Süden hauptjählih durch den großen alemannijchen, im Norden durch ven großen ſächſiſchen Stamm getragen, mächtig genug, die deutſche Eigenthümlichkeit zu retten und zu bewahren.

Zur Zeit, als die jpäter zu Romanen gewordenen germaniichen Völkerſchaften ihre Nationalität noch be- wahrten, hatte ver Stamm der YBurgunden in den Ge- birgen von Savoien fich gejeßt und dehnte von dort im 5. Jahrhundert feine Herrichaft über das ſüdöſtliche Gal- lien aus. Weftlich von ihnen, in Aquitanien, hatten jich nach mancherlei Wanderungen die Weftgothen niever- gelaffen, welche über vie Pyrenäen vordrangen und fo ziemlich ganz Spanien fih unterwarfen. In Italien waren, nachdem Odoaker i. 3. 476 den legten Schatten- faifer Weſtroms abgejett hatte, zuerft die Heruler ver herrfchende germanifche Stamm. Ihr Reich währte aber nicht volle zwanzig Jahre, denn ſchon 493 machte dem- felben der große König ver Oſtgothen, Theodorich, ein Ende und ſchuf den oftgothiihen Staat, welcher ganz Italien umfaffte und darüber hinausreichte. Den Oft gothen folgten in der Gewalt über Italien die Lango⸗ barden, welche feit der zweiten Hälfte des 6. Sahrhunderts ihre Eroberungen vom Norden der Halbinfel bis in ven Süden auspehnten. Der weitverzweigte Stamm ver Franken, Schon um die Mitte des 3. Sahrhundert den römischen Nheinprovinzen zur Bedrängniß geworben, drang unter dem Namen ver falifchen Franken im 5. Jahr⸗

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hundert von den batavifchen Gegenven her erobernd in Gallien ein und bis zur Somme vor, während er unter dem Namen ver ripuariichen Franken in ben Stroms gebieten des Rheins, ver Mans und Mofel ein Reich mit der Hauptſtadt Köln gründete. Durch den Salier Chlo- devech over Chlopwig, den Merowinger, einen der that- kräftigſten, jchlaueften und gewiffenlofeiten Könige, welche die Welt gejehen, wurden von 480 an vie fränfifchen Gebiete in Gallien und Germanien vereinigt und allfeitig erweitert. Durch Chlodwig kam, beſonders nah DBe- fiegung der Alemannen, die vortretende Rolle unter ven germanifchen Stämmen an die Franken, und da der König das Chriftenthum zu einem Hebel feiner Politit machte, ſo datiren von feiner Zeit die Anfänge einer umfafjen- deren Verbreitung des neuen Glaubens nach dem Oſten und Norden Deutfchlande. Welcher Art übrigens viejes „Chriſtenthum“ war, trat zu Tage, als die Theilung des Frankenreichs nach Chlodwigs Tode (511) unter feine vier Söhne jene gräuelvollen Stürme heraufführte, welche das merowingifche Haus zerrütteten. Es folgten in ben entjeglihen Kämpfen zwijchen den drei Hauptmaffen des Frankenreichs, Auftrafien, Neuftrien und Burgund, mannigfache Theilungen, Wiedervereinigungen und aber- malige Trennungen, bis die Dynaſtie der Merowinger von dem Gefchlecht der Karlinger verbrängt wurde und diefe jenen gewaltigen germanijch = chriftlichen Neubau errichteten, mit welchem die Gefchichte des Mittelalters anhebt. | Indem wir jetzt zur Betrachtung der Stellung vor-

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fchreiten, welche die germanifchen Frauen zur Völler- mwanderungszeit einnahmen, veren charakteriftiiche Merk male bis zur karlingifchen Periode reihen, fagen wir zu- vörderſt, daß alle foctalen Einrichtungen ver germanifchen Stämme, ver Berührungen mit der römijch » chriftlichen Welt ungeachtet, noch das nationale Gepräge ver heib- niſchen Vorzeit trugen. Wenn auch "die germanifchen Häuptlinge im Verlaufe der Völkerwanderung römijche Herrſcher- und Herrentitel annahmen, wie Rex, Dur, Comes, welche allerdings fchon die allmälige Uebertragung der Souveränität von ver Berfammlung aller Freigeborenen auf die Berfon des Anführers, des Vorderſten, des Fürften andeuteten, jo wurde doch erft durch Karl ven Großen biefe Hebertragung eine vollendete ftaatsrechtliche Thatſache, und obzwar die alten Rechtsfagungen ver veutfchen Stämme in Iateinifcher Sprache aufgezeichnet wurden 29, fo war der Geift verfelben dennoch ein germanifcher. Demzufolge blieb auch die alte Ständeglieverung, welche fih auf Männer wie auf Frauen erjtredte. Es braucht daher heutzutage nicht mehr betont zu werden, daß, wenn ber römiſche Dichter Lukan fagte: „Die Freiheit ift ein ger- manifches Gut!“ dieſe altveutjche Freiheit keineswegs In dem idealen und humanen Sinne genommen werben darf,

23) Eine Sammlung biefer alten Rechtsbücher wurde 1824 duch Walter in drei Bänden veröffentlicht: „Corpus juris germa- niei antiqui“. ine noch umfaſſendere bringen die Perk’fchen „Monumenta Germaniae historica“ unter dem Abtheilungstitel „Leges“. Beide liegen dem im Tert Über die fraulihen Rechtsver—

bältniffe Beigebrachten zu Grunde.

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wie er ver jeßigen Vorjtellung entipriht. Die Gefammt- maſſe unferer Ahnen zerfiel nämlich, wie bekannt, in zwei große Stände, in Freie und Unfreie, von welchen zwei Klaſſen jede wieder zwei Unterabtheilungen hatte. Der Stand der Freien umfafjte die Adalinge oder Edelinge (nobiles) und die Freilinge oder Gemeinfreien (liberi); der Stand der Unfreien bie zins⸗ und bienftpflichtigen Hörigen (liti) und die eigentlichen Sklaven (Schalfe, servi). Demzufolge waren auc die germanifchen Frauen adelige, freie, hörige over fHlanifcheleibeigene. Der Sklavenſtand war durchaus rechtlos und hatte feine perfönliche, ſondern nur eine fachliche Geltung. Freigebung der Unfreien durch den Herrn war aber für beide Gefchlechter zuläffig. Außer- dem waren zur Milverung der fchroffen und harten Kaſtenunterſchiede zwei mächtige Schranfenbrecher de, Krieg und Liebe. Der aus den friegerifchen Gefolg- Ihaften ver Häuptlinge, wie Deutfchland zur Zeit des Tacitus fie gefannt hatte, während der Völkerwanderung hervorgegangene Waffenadel (die, Leudes“, Leute, d. i. Dienftleute, Vaſſi, Vafallen) fußte entſchieden mehr auf dem Schwert als auf ver Geburt, war alfo auch Unfreien erreichbar, und ebenfo öffneten Verdienſt oder Tönigliche Gunst Unfreien den Zutritt zu dem Amts⸗ und Hofadel der „Minifterialen” (d. i. ver Dienftmänner, Beamten) des Farlingifhen Königthums. Was aber vie Frauen an- geht, fo find gerade zu dieſer Zeit die Betfpiele nicht felten, daß Schönheit und Klugheit Teibeigene Mägde aus Bei- fchläferinnen der Fürften zu ihren Gemahlinnen und Be- herricherinnen gemacht haben.

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Wie ein urfprüngliches und raffenhaftes, fo war und blieb unfer Volk auch ein familienhaftes. Auf Sippe und Blutsfreundſchaft, auf die Familie ift das ganze germa- nifhe Wefen begründet. Nicht vie Idee des Staats, ſondern die der Familie bepingte und beftimmte die ganze

Xebensführung unferer Altuorveren. Des ſocialen Baus

werfes Grund- und Edftein war die Hausvaterfchaft, der Familie Mittelpunkt und fefter Halt. Aus der Familie entwidelte fih die Gemeinde, aus dieſer ver Staat, wie denn das Germanenthum überall, wo e8 ungeftört und ungehindert durch fremde Einwirkungen feine Ziele ver- folgen konnte, nicht vie Wege abitrafter Theorie, ſondern die der Natur wandelte. Das PVerhältniß von Mann und Frau war rechtlich ganz Kar das des Gebietens und des Gehorchens, des Beſchützens und des Beſchütztwerdens. Die Frau war dem Manne entjchieven untergeoronet. Die Frauen hatten in alter Zeit feine Stimme in der Bolfsverfammlung, fie konnten vor Gericht nicht als Zeugen over Eiveshelfer auftreten und waren bei den meiften Stämmen ausprüdlich von der Regierung über Land und. Leute ausgefchloffen, welche letztere Nechts- fagung übrigens, wie das ja zu allen Zeiten ver Rechts⸗ fagungen Schidfal war, ift und fein wird, oft genug um- gangen oder gar nicht beachtet wurde. Trotz alledem war die Stellung ver Frauen unter einem Volfe, welches im Weibe von Uralters her etwas Heiliges gefehen hatte, feine unehrenhafte. Im Gegentheil, Sitte und Recht vereinigten fich, gegenüber ven Ausfchreitungen des „ſtar⸗ fen“ Gefchlechts um das „schwache“ ſchützende Schranken

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herzuziehen. Unwiderlegbare Beweije hierfür gibt nament- ih auch das germaniſche Strafrecht, welches befanntlich nicht vom Grundfaße ver Beftrafung, fondern vielmehr von dem ver Buße, Sühne, Entſchädigung ausging. Demnach fonnte mit Ausnahme von Lanbesverrath und Heerführers- mord der freie Mann jeves Verbrechen, auch Mord nicht ausgenommen, durch Entrihtung von Sühngeld („Wer- geld“ , Iat. compositio) an die Familie des Beleidigten, Geſchädigten oder Getöbteten büßen, welche Buße natür- lich nach der Schwere ver Verfehuldung bemeifen war und in Ermangelung des baren Geldes aud in Vieh ent- tichtet werben konnte. Weit entfernt nun, im Sinne der Morgenländer oder auch der hriftlichen Kirchenväter ven Werth des Weibes geringer anzufchlagen als ven bes Mannes, beftimmte das germanifche Strafrecht umgefehrt dem wehrlofen Gefchlecht ein höheres Wergeld als dem wehrhaften, wenigftens weitaus bei den meisten Stämmen. Sp fam nach alemannifhem und baierifchen Necht ven Frauen ein Wergeldsanſatz zu, welcher ven ver Männer um das Doppelte überftieg.. So auch nach ſächſiſchem, während der Zeit der Gebärfähigfeit von Frauen und Mädchen. Auch bei den Weftgothen war das Wergeld der Frauen während der Periode ihrer Fruchtbarkeit höher als das der Männer, bei ven Sranfen aber betrug es während biefer Periode das Dreifache ver letteren. ‘Der Mord einer Frau mußte bei ven Franfen mit 600 Solivi ever Kühen gefühnt werben, weil ver Werth eines Soli» dus (Schilling) dem einer Kuh gleichjtand. Das Wergeld für pie Tödtung einer Schwangeren betrug 700 Schillinge.

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Oft angeführt find die Strafbeftimmungen des jalfränfi- ſchen ©efetes für Vergehungen gegen weibliche Zucht und Schamhaftigfeit. Wer einer Frau oder Jungfrau wider ihren Willen in unehrbarer Weife die Hand jtreichelte, mußte das mit 15 Schillingen over Kühen büßen; ver- ftieg er fih bis zum Oberarm, ftieg vie Buße auf 35 Schillinge; wagte er gar ihr die Bruft zu betaften, hatte er ein Wergeld von 45 Schillingen over Kühen zu ent- richten. Merkwürdiger Weife fanf im Mittelalter, wo doch ver Minne- und Frauendienſt ſyſtematiſch ausge- bildet wurbe, das Wergeld der Frauen auf den halben Betrag des männlichen herab. Dagegen finvet fich in mittelalterlihen Nechtsfagungen („Weisſsthümer“) bie zarte NRüdficht, daß fchwangeren Frauen geftattet ift, etwaige Gelüfte nach fremdem Obft, Gemüfe. und fogar Wildbrät, bei Gelegenheit unbeftraft zu befriedigen.

Der Hausherr hatte die Mundſchaft (das „Mun⸗ dium“) 24), d. h. das Recht ver Herrichaft, aber auch vie Pflicht des Schußes über feine Frau und bis zu ihrer Derheiratung über feine Töchter und Schweitern. Das neugeborene Find blieb auf dem Boden liegen, bis ver Vater e8 aufhob. Dadurch anerkannte er es, worauf es mit Waffer befprengt und benamfet wurde. Hob er eg aber nicht auf, fo war dies das Zeichen der Nichtaner- fennung und das Rind wurde ausgejegt d. h. dem Tode preisgegeben, was häufiger Mäpdchen als Knaben wider:

24) Vom althochd. munt, was eigentlih Hand bedeutete. Vgl. Grimm, Rechtsalterthümer, A. 2. S. 403.

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fuhr 29). Dem Vater ftand aud das Recht zu, feine Kinder zu verkaufen, die Söhne bis zur Zeit der Voll: jährigfeit, vie Töchter jo lange fie ledig waren, und dieſe Barbarei wurde häufig genug geübt. Beim Tode des Vaters ging deſſen Mundſchaft über Ehefrau, ledige Töchter und Schweſtern auf den nächſten männlichen Verwandten („Schwertmagen“, im Gegenſatz zu den weiblichen „Spill⸗ oder Spindelmagen“) über und hieß dann Vormundſchaft. Mit der in rechtmäßiger Form vollzogenen Heirat eines Mädchens kam das väterliche Mundium ſelbſtverſtändlich an den Gatten.... Das ger⸗ maniſche Erbrecht bevorzugte die Söhne auf Koſten der Töchter in höchſt parteiiſcher und ungerechter Weiſe. Da und dort waren die Töchter von der Erbſchaft ganz aus⸗ geſchloſſen, anderswo wurden fie mit der Hälfte oder dem Drittel des Erbtheild der Söhne abgefunden. Jedoch bezog ſich dieſe Zurüdiegung nur auf das eigentliche Familiengut, auf das liegende Eigen („Odal“), denn das jonftige Vermögen erbten Söhne und Töchter zu gleichen Zbeilen. Sehr beveutfam griff die Vorjtellung von der Stanvesgleichheit, der Begriff ver Ebenbürtigfeit auch in die Erbfchaftsverhältniffe ein. Die Frauen gingen durd) Verheiratung mit einem Unebenbürtigen jedes Anſpruchs

25) Das Ehriftenfhum verdammte bie heidniſche Sitte der Aus⸗ jegung, welche befonders über früppelhafte, ſchwächliche, uneheliche oder in unebenbürtiger Ehe und im Ehebruch erzeugte Kinder ver- hängt wurde. Diefer Brauch lebte, wie die heibnifchen Bräuche überhaupt, im germanifchen Norden viel länger fort als in Deutjch- land. Bol. Weinhold, Altnord. Leben, S. 260 fg.

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auf das Erbe ihrer Sippe verluftig und Kinder aus ber Ehe eines Freien mit einer Unfreien fonnten ihren Vater nicht beerben ; ebenfo nicht Kinder einer Freien mit einem Unfreien die Sippe der Mutter.

Das Verhältniß der beiden Gefchlechter zu einander zeigt in ver Zeit, welche uns dermalen bejehäftigt und ſo— dann das ganze Mittelalter hindurch feineswegs mehr vie Reinheit, welde ihm Zacitus vordem nadzurühmen wußte. Das Konkubinat war vor und in ver karlingi⸗ ſchen Beriode unter den Vornehmen eine landbläufige Sitte, welche durch die Leichtigkeit, womit die Herren unfrete Mäpchen, deren Schönbeit fie reizte, zu ihrem Willen bringen und zwingen fonnten, ungemein begünftigt werden mußte. Es wimmelte da ordentlich von Kebfen und „Frillen“, wie die Beifchläferinnen hießen. Große Könige und Helven ver Völkerwanderung, wie Theodorich und Marich, lebten mit folhen. Unter ven Merowingern ftieg die Kebſenwirthſchaft zu abjcheulichem Wergerniß. Aber auch Karl ver Große und Ludwig der Fromme hiel- ten ſich Konfubinen und ift dies befanntlich bis heute ein fürftliches Vorrecht geblieben. Die Kirche hat ſchon früh- zeitig den vwergeblichen Verjuch gemacht, vagegen einzu- ſchreiten, und fie that redlich das Ihrige, wenigftens ver Vielweiberei, dieſer Frucht der Sittenverwilderung zur Böllerwanderungszeit, entgegenzuarbeiten. Auf der main- zer Synode vom Jahre 851 wurde deſſhalb Straflofigfeit gegen folche beftimmt, welche fih mit einem Weibe begnügten, wäre es auch eine Kebfe, wogegen das Konku⸗ binat neben ver Ehe mit Kirchenftrafen bedroht ward.

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Aber freilich mußten alle Beftrebungen ver Kirche für Beſſerung der Sitten meift ſchon an dem bevenflichen Umſtande fcheitern, daß die Häufer der Geiftlichen felbft nur allzuhäufig Haremen glichen. Hat doch ſchon der Haupt» Bekehrer der Deutichen, Winfriv oder Bonifaz, in einem Bericht an den Papft vom Jahre 741 geklagt, die frän- kiſchen Diakonen hielten fih vier und mehr Beifchläfes rinnen. Die eingerifjene Bolygamie bejchränfte fich aber nit auf das Kebſenweſen, fonvdern manche Fürften leb⸗ ten mit mehreren Frauen zugleih in förmlichen Ehe- bündniffen. Insbeſondere hielten e8 die Frankenkönige gerne fo und vie Kirche fand e8 lange Zeit gerathen, zu ber föniglichen Zwei- oder Mehrweiberei ein Auge oder auch beide zuzudrüden, wie fie ja dieſe Politik” allzeit vortrefflich zu üben verftanden hat. Der energijchite Widerftand gegen die polygamiſche Sitte ging ver Natur der Sache nah von den rauen ſelbſt aus und dieſer Widerftand drang, verbündet mit ven firchlichen Beſtre⸗ bungen, nad) und nach wenigftens infoweit durch, daß Einweiberei das Grundprinzip einer rechtmäßigen Che wurde. Wir wiffen namentlich von Frauen der ſtandi⸗ navifchen Germanen, daß fie in diefer Sache ihren Willen durchzufegen mußten. Ein vorragendes Beiſpiel ift bie Prinzeffin Ragnhild, um welche König Harald Schönhaar warb, obgleich er bereits nicht weniger als zehn Frauen und zwanzig Kebjen hatte. Ragnhild wollte nicht bie Einunddreißigſte in dieſem Bunde fein, und erft nachdem Harald ſich von feinen bisherigen Frauen geſchieden und feine Frilfen fortgefchicht Hatte, wurde fie fein Cheweib.

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Das Wort Ehe (althochd. Ewa oder ©a) beveutete urfprünglid Bund oder Band überhaupt, erlebte aber dann die Einfehränfung auf ven Sinn von Eheband oder Ehebund. In Liedern und Sagen, deren Wurzeln in die arifche Urzeit zurüdreichen, kommt es vor, daß Jung⸗ frauen in voller Volfsverfammlung feierlich ven Mann felber fih wählen, und weif’t dieſes auf uralt Indoger⸗ manifches hin, indem ja auch in den altindiſchen Helven- gevichten vie Königstöchter ſolche Gattenwahl halten 2%. In der hiftorifchen Zeit aber war die germanifche Ehe urfprüng- lich ein Kauf. Daher der Ausprud: „Ein Weib laufen für heiraten, welcher fich das ganze Mittelalter entlang erhalten hat und 3. B. noch in der Limburger Chronit aus dem Ende des 14. Jahrhunderts gäng und gäbe ift. Der Bewerber entrichtete dem Vater oder dem, in befjen Mundſchaft fonft vie begehrte Jungfrau oder Witwe war, einen Preis, wofür vie Braut ihm verlobt wurbe. Diefe Brautgabe hatte feineswegs bloß eine ſymboliſche Bedeutung, wie die bezügliche im vorigen Kapitel aus Tacitus angeführte Stelle erſcheinen laffen könnte, fon- bern fie war ein wirklicher Kaufpreis. Daraus noch mehr als aus der allerdings hohen Wertbung jungfräulicher Ehre erklärt fich die Strenge, womit das altgermanifche Strafrecht Entführung und Raub von Sungfrauen ver-

26) Berühmteſte Beifpiele find die Gattenwahl der Sawitri und die der Damajanti in ven beiden fo betitelten Epifoden bes „Ma- habharata“. Deutſch in Holtzmann's Indiſche Sagen, 1, 48; II, 5, 16fg. An letterer Stelle wird die Ceremonie ber Gatten« wahl ausfüßtlid und ſchön befchrieben.

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pönte. Ihrerſeits entließ ver Vater oder Vormund, falls er nämlich zu den Vermögenpen gehörte, die Braut auch nicht ungefehmüdt und mit leeren Händen und in manchen Fällen mag das Eingebrachte verjelben, die „Mitgift *, „Heimfteuer” oder „Ausſteuer“, den vom Bräutigam bezahlten Kaufpreis aufgewogen ober gar überwogen haben. Die Verlöbniffe gefehahen unter den verfchienenen beutihen Stämmen unter verjchiedenen Formeln und Bräuden. Im allgemeinen fanden biefelben öffentlich im Kreiſe der freien Gemeinbegenoffenfchaft ftatt. Die Strenge, womit die heidniſche Sitte auf Ebenbürtigfeit hielt, jo daß zwiſchen Freien und Unfreien feine recht⸗ mäßige Che jtatthaben konnte ein Surrogat hierfür war dann eben das Konfubinat wurde durch das Chriftentbum zwar gemilvert, aber doch nur fo allmälig, daß ja noch heute von „Mifiheirat” die Rede ift, wenn ein Junker eine Bürgerstochter freit, e8 wäre denn, daß die Braut Geld, viel Geld mitbrächte. Die Verheiratung der Knechte und Hörigen hing völlig vom Belieben des Herrn ab und Könige und Fürften übten das ganze Mittel- alter hindurch als ein Recht ven Brauch, auch für vie Söhne und Töchter freier und edler Familien Ehefrauen und Ehemänner auszufuchen, wie e8 ihnen gut vünfte. Zwiſchen ven nächften Blutsverwandten, Eltern, Kindern und Gejchwiftern, berrfchte auch im Heidenthum das Ehe- verbot, welches dann die chriftlihe Kirche noch auf Schwägerſchaft und fogenannte geiftlihe Verwandtſchaft Pathenſchaft) auspehnte. Es wurde aber im Heidenthum und Chriſtenthum vielfach Dagegen gefündigt.

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Eine „Hochzeit“ hieß im heibnifchen und chriftlichen Altertum unferes Volkes jede feftliche Zeit, und erft fpäter erhielt das Wort die ausfchließliche Bedeutung von Bermählungsfeit. Im Heidenthum kam dabei, wenigſtens im germaniſchen Norden nachweiſbar, wahrſcheinlich aber auch in Deutſchland, der religiöſe Akt vor, daß die Braut durch Berührung mit dem heiligen Hammer Thorrs oder Donars zum Eheſtand eingeweiht wurde. Im übrigen galt die Ehe für rechtskräftig vollzogen, ſobald das Braut⸗ bett beſchritten war und „eine Decke das Paar beſchlug“. Auch Spuren von einem Hemdenwechſel zwiſchen Brauti⸗ gam und Braut kommen im Mittelalter vor. Bis zum Ende deſſelben aber war die kirchliche Trauung ganz un⸗ weſentlich. Zwar ſchrieb das Chriſtenthum ſchon zur karlingiſchen Zeit den Brautleuten ein „Bekenntniß der Ehe in der Kirche“ vor und wollte auch eine „prieſterliche Einſegnung“; aber die Kirche hat ihren Willen offenbar erſt viel ſpäter durchzuſetzen vermocht. Auch iſt nicht einmal zu beſtimmen, ob ſie gewollt, daß die „Benedictio sacerdotis“ dem Beilager vorangehen oder nachfolgen ſollte. In vielen mittelalterlichen Gedichten werden ohne alle kirchlichen Umſtände Ehen geſchloſſen und vollzogen. Ein vortretendes Beiſpiel hiervon gibt das Nibelungen⸗ lied an die Hand, wo Gunther mit Brunhild und Sigfriv mit Kriemhild Hochzeit macht und vie Ehe vollzieht, ohne daß von einem Priefter auch nur die Rede wäre. Erſt am Morgen nad der Hochzeitnacht, welche für ven armen Burgundenkönig fo mifflich verlief, gehen die bei- den Paare zum Münfter, wo eine Meſſe gejungen wird,

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und es ift nicht einmal Mar, ob die Worte in der 650. Strophe des Liedes: „Dö wurden si gewihet“ auf vie Neuvermählten oder aber bloß auf „ir kröne unt ouch ir kleit“ gehen. Erft vom 14. und 15. Jahrhundert an erfcheint in Deutjchland die bürgerliche Nechtsbeftän- digkeit der Ehe von der Firchliden Trauung abhängig.

Am Morgen nah dem Beilager, wann die Neuver- mählten mitfammen das Trühgericht verzehrt hatten, welches man ihnen vor das Bett brachte, empfing vie junge Frau, welde von nun an ihr Haar nicht mehr nad Yungfernart frei fliegen und wallen laffen durfte, fondern e8 binden und knoten mußte, von ihrem Gatten die „Morgengabe”, ein Gefchenf, welches urjprünglich ven Sinn einer Dankfbezeigung für Hingabe des Magdthums hatte und unter allen Umftänden ihr Eigenthum blieb. Bon Stund’ an trat die Frau in alle Rechte und Pflichten eines Eheweibes ein und lettere waren entſchieden vor- wiegend, obzwar e8 unfern Altuorveren zum Lobe gereicht, daß ihre Geſetzgebung namentlich für Schwangere und Kinvbetterinnen zarter Rüdfichtsnahme nicht ermangelte. Auch war uralter Nechtsüberlieferung zufolge vorgeforgt, daß die Frau in ihren ehelichen Rechten im wörtlichiten Sinne des Wortes genommen nicht verfürzt und ver Hauptzwed der Ehe, die Beihaffung eines gejetlichen Erben, unter allen Umftänden erfüllt würde). Immer

27) Daer ein man were, der sinen echten wive oerfrowelik recht niet gedoin konde, der sall si sachtelik op sinen ruggen setten und draegen si over negen erstuine und setten si sachtelik neder sonder stoeten, slaen und werpen und sonder enig quaed

Scherr, Frauenmelt. 4. Aufl. I. A

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jedoch ftand die Frau gejeglih zu vem Mann in dem Verbältni der Unterorvnung. Er war der Verwalter und Nußnießer ihres Vermögens und fie durfte darüber nicht verfügen. Gütergemeinfchaft zwiſchen Eheleuten kam erft fpäter auf und da hieß e8 dann: „Wann bie Dede über ven Kopf (ver Brautleute) ift, find bie Ehleute gleich reich” over: „Leib an Leib, Gutan Gut.“ Daß ein Theil des in der Ehe erworbenen Vermögens, der Errungenfchaft, beim Tode des Mannes an die Witwe fäme, bier die Hälfte, dort ein Drittel, bejtimmten ſchon ältere Rechtsbücher, wie das ſächſiſche und das ripuarifch- fränfifhe. Die an den Ehemann übergegangene väter- liche Gewalt geftattete viefem vie Förperliche Züchtigung des Weibes, welche oft genug in Anwendung kam, ges ftattete ihm ferner die ftraflofe Tödtung ver Ehebrecherin, geftattete ihm auch ven Verkauf ver Frau, welcher leßtere

woerd of oevel sehen, und roipen dae sine naebur aen, dat sie inne sines wives lives noet helpen weren, und of sine naebur dat niet .doen wolden of kunden, so sall hie si senden up die neiste kermisse daerbi gelegen und datsiesik süverlik tie make und verzere und hangen ör einen buidel wail mit golde bestikt up die side, dat sie selft wat gewerven kunde; kumpt sie dan- noch wider ungeholpen, so help ör dar der duifel. Weisthum aus dem Amt Blankenburg, bei Grimm (Rechtsalterth. 444), mo folder naiv-ibylliicher Weisthümer noch mehrere angezogen find. Daß diefe für unfere Ohren fo jeltfam klingende Rechtsſatzung jur Anwendung gelommen, dürfte fich hiſtoriſch kaum nachweisen Taffen. Daß fie aber in ältefter Zeit wirklich in Hebung geweſen fein könne oder müfle, zeigt ihr nicht feltenes Vorkommen in den alten Bauern- rechten.

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Rechtögebrauch fich in England von den Angelſachſen ber be- kanntlich bis ind 19. Jahrhundert herein erhalten hat. Un⸗ glüdliche Ehen konnten mitteld Scheivung gelöft werben. Der Mann war befugt, wegen Unfruchtbarkeit der Frau, dieſe war berechtigt, wegen Unvermögens oder Verweigerung ber Beimohnung ſeitens des Mannes auf Scheidung zu Hagen. Die Bräuche hierbei waren verfchieden. Gewöhnlich wurden der Frau die Schlüffel abgefordert. Auch von einem Leinentuch tft die Rebe, welches die zu Scheidenden bei den Enden anfafjten, worauf e8 zwiſchen ihnen entzwei gejchnitten wurde. Bei den Franken werden Scheidebriefe erwähnt. Im germaniſchen Norden genügte e8, fo ber Mann vor Zeugen der Frau erklärte, daß er fie entließe. Wenn aber feine Scheivung ftattfand, riß das Band ber germanifchen Ehe ſelbſt mit dem Tode nicht, d. h. mit dem Tode des Mannes. Denn die Witwe folgte dem verftorbenen Gatten auf den Scheiterhaufen, um zugleih mit dem Leichnam verbrannt zu werden, gerade wie in Indien, wo dieſer religidfe Brauch erft in unjeren Zagen durch die Engländer abgeftellt worden ift?). In Deutfchland feheint derſelbe fehon zur Zeit

28) Die letzte Witwenverbrennung (Sattib) im großen Stil bat in Indien i. 3. 1839 beim Tode des berühmten Maharadſchah der Sikhs, Ranadſchit Singh, zu Labor flattgefunden. Bier feiner Frauen und fieben feiner Sklavinnen ließen fih mit dem tobdten „zöwen des Pendſchab“ verbrennen. Näheres Über den indifchen und germaniſchen Religionshraud der Ritwenopferung |. in meiner „Seichichte der Religion“, I, 144 fg. ; II. 342.

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des Tacitus abgefommen gewefen zu fein, venn bie Germania weiß bei Erwähnung der veutichen Beftattungen nur zu berichten, daß mit den Todten auch ihre Streit- roffe verbrannt wurden. Dagegen bat im germantfchen Norden der freiwillige Opfertod der Witwen in Mythe, Sage und Gefchichte bis zum Ende des 10. Jahrhunderts fortgelebt. Die religidfe Vorftellung, daß einem Gejtor- benen, falls fein Eheweib ihm fofort nachftürbe, vie ſchweren Thore der Unterwelt nicht auf die Ferien ſchlügen, lag dieſem ſchrecklichen Rechtsbrauch zu Grunde, welchem ſich zu fügen den Frauen zu höchſter Ehre, welchem ſich zu weigern ihnen zur Schande gereichte. Die nordiſchen Quellen wiſſen davon zu erzählen. Die Göttin Nanna wird mit dem getödteten Gotte Baldur, ihrem Gatten, verbrannt. Die Walküre Brunhild tödtet ſich ſelbſt, dem geliebten Sigurd nachzuſterben und mit ihm auf einem und demſelben Holzſtoß verbrannt zu werden. Hakon Jarl, der i. J. 995 geſtorbene letzte große Vorkämpfer des Heidenthums in Skandinavien, freite noch in alten Tagen um die ſchöne Gunnhild, ward aber abſchlägig beſchieden, weil Gunnhild ihre kaum erblühte Jugend nicht der Gefahr ausſetzen wollte, einem greifen Gemahl vorausſichtlich binnen kurzem in den Tod folgen zu müſſen.

Nachdem wir im Vorſtehenden die rechtliche Stellung der Frauen im germaniſchen Alterthum betrachtet haben, deſſen Gränzmarken, wenn ich recht erwäge, bis zur far- Iingifchen Periode hinanreichen, wollen wir im Folgenven verfuchen, aus dem zeritreuten Material, wie es bie

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Duellen bieten, ein Moſaikbild germanifcher Yrauenart zur Zeit ver Völferwanderung zufammenzufegen.

Wie ſchon in den früheiten Kämpfen ver Römer mit unferen Altvorderen auffeiten der legteren die Frauen eine nicht geringe Bedeutung gewannen und behaupteten, fo auch in den jpäteren. Als in ver zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts der Kaifer Aurelian feine Siege über die Gothen in Ungarn und über die Markomannen in Italien durch einen Triumphzug in Rom feierte, wurden babet auch mehrere gothiſche Iungfrauen aufgeführt, welche mit den Waffen in der Hand gefangen worben waren. Darunter befand ſich die Hunila, deren Schönheit und Klugheit die Sieger fo bezauberte, daß ein vor- nehmer Römer ihr feine Hand bot. Der römiſche Poet Claudian, welcher zu Anfang des 5. Jahrhunderts den Sieg Stilicho's über Alarich bei Pollentia befang, erwähnt einer oftgothtichen Frau, welche ihren Mann, ven Häupt- ling Tribigild, zum Kampfe gegen Oſtrom aneiferte, ſprechend: „OD, warum hab’ ich einen fo trägen Mann? Wie glüclich find doch die Weftgothinnen, welche mit dem Raub der Stäpte fich ſchmücken und denen die Jung— frauen Griechenlands als Mägde dienen.” Der große Dftgothenkönig Theodorich, welcher als Dietrih in ver deutſchen Heldenſage jo herrlich fortlebt, hat ſeinem kühnen Gedanken, die germanischen Reiche von damals in einen großen Bund zu fammeln, auch die Frauen dienftbar zu machen gewußt, indem er feinen weiblichen Verwandten politiihe Ehebündniſſe ausmittelte und feine Schweiter Amalfreda mit dem Vandalenkönig Thrafimund, feine

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Tochter Theodikuſa mit dem Weſtgothenkönig Alarich, feine Tochter Oſtrogotha mit dem YBurgundenprinzen Sigismund und feine Nichte Amalberge mit dem Thüringerfönig Hermanfriv vermählte 2%. Der Brauch, Brinzeffinnen zu Binde⸗, Hilfe- und Hebemitteln ver Politik zu machen, ift demnach jehr alt und ven heutigen Opfern diefer Vermählungsfunft bleibt der freilich leidige Troft, daß fie, fo lange es eine deutſche Geſchichte gibt, jeder Zeit Schiejalsgenoffinnen gehabt haben. ‘Der große Geift Theodorichs lebte in feiner Tochter Amalafwintha fort, welche für ihren Sohn Athalarich die Vormundſchaft führte. Der. Italiener Caſſiodor und der Byzantiner Prokop, ihre Zeitgenojjen, preifen fie wetteifernd als eine geniale, hochgefinnte und hochgebilvete Frau, als eine treffliche Negentin und feinfinnige Pflegerin der Wifjen- ſchaften.

Die Langobarden ſtanden den übrigen germaniſchen Völkerſchaften, welche ſich erobernd im Süden niederließen, an Zähigkeit im Feſthalten nationaler Art und Sinnes- meije weit voran und es ftimmt zum Nachvenfen, wenn man fieht, daß die Nachlommen gerade des deutſchen Stammes, welder fib in Italien am entfchievenften gegen die Romanifirung fträubte, in unferer Zeit von einem wilderen Haß gegen das deutſche Wejen glühten als die übrigen Italiener. Der Bebarrlichkeit ihres Germanismus verdankt die Geſchichte der Langobarden,

29) Bon den deutfhen Frauennamen wird im 2. Buch an paifender Stelle gehandelt werben.

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wie ver um 730 geborene langobarbifche Eveling und nadh- malige Mönch Paul Warnefrivs Sohn, genannt ver Dia- fon, fie geſchrieben hat, jene reizende Frifche und Naivität, jene quillende Sagenfülle, welche fie über alle die alten Chroniken erheben und fie, ihres Iateiniichen Gewandes ungeachtet, zu einem germanifchsnationalen Epos in Proſa maden. Da fehlt es venn auch nicht an Frauen- geftalten, welche, obgleich mehr finfter als Ticht, wie fie find, unfere ganze Theilnahme erregen. Weit zurüd im Sagenvänmmter begegnet uns die unheimliche Rumetrud, bes Königs Tato Tochter, deren tüdifche Morpluft einen blutigen Krieg zwiſchen ven Langobarven und den Heru- lern veranlajite. Auf feiteren gejchichtlihen Boden führt ung ſchon die vielbefungene tragifche Gejchichte der Roſi⸗ munda, der zweiten Gemahlin des zehnten Langobarden⸗ königs Albuin. Sie war die Tochter des Gepidenfönigs Kunimund, welchen Albuin in der Schlacht getöbtet und aus deſſen Schädel er jich einen Trinkbecher hatte machen lofien. Einmal, zu Verona, hatte der König dieſes bar- bariſche Trinkgeſchirr mit Wein gefüllt vor fich ftehen und zwang im Zaumel des Uebermuthes und Raufches jeine Gemahlin, ebenfalls aus vem Schädel ihres Vaters zu trinfen. Das ward fein Verderben, denn in Rofi- munda glühte der Wunfh auf, mit dieſem brutalen Schimpfe zugleich ven Tod ihres Vaters zu rächen. Sie fcheute zu dieſem Zwecke vor nichts zurück, auch nicht vor dem Yufgeben weiblicher Zucht und Sitte. Sie verfchwor fi zu Albuins Untergang mit feinem Skilpor (Schilv- träger) Helmigis und gab fih, mit ihrer Kammerfrau

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das Bett taufchend, dem Peredeus preis, um auch dieſen Mann für ihr Vorhaben zu gewinnen. Nach einem An- ſchlag deſſelben erſchlug Helmigis den König während deſſen Mittagsruhe und hatte Rofimunda das Schwert des verrathenen Gemahls zu Häupten des Auhebettes feftgebunden, damit er um fo ficherer dem Mörder erläge. Helmigis hoffte aber nach Albuins Tod vergebens, auf den erlebigten Königefig zu gelangen. Er mußte mit, Rofimunda nah Ravenna zu dem oſtrömiſchen Statt- halter Zonginus entweichen, welcher das verrätherifche Weib aufitiftete, ven Helmigis aus dem Wege zu fchaffen, um fich mit ihm felber zu vermählen. Roſimunda reichte demzufolge dem Helmigis vergifteten Wein, aber als er den Becher zur Hälfte geleert, merkte er, vaß er den Tod getrunfen, und zwang mit blanfem Schwerte vie arge Königin, den Reft zu trinken und mit ihm zu fterben.... In anderen, helleren Farben fptelt die Geſchichte ver Zheubelinda, des Baierkönigs Garibald Tochter, um welche ver jugendſchöne hellgelodte Langobardenkönig Authari warb. Seine Brautfahrt ift ein Stüd frühejter Romantik. Voll Verlangen, feine Erwählte mit eigenen Augen zu ſehen und zu prüfen, ging er mit ven Werbe- boten ſelbſt nach Baiern, verbot aber feinen Begleiter, fein Inkognito zu verrathen. Als Garibald in die Wer- bung gewilligt, erbaten die Boten, daß deſſen zum Zeichen Theudelinda ihnen ven Becher kredenzte. Es geſchah, und als die Reihe an Authari gekommen und er ven Becher zurüdgab, fand er Gelegenheit, ver Prinzeffin Hand und Wangen zu ftreiheln. Schamroth erzählte Theupelinpa

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da8 ihrer Amme, aber die Huge Frau fagte: „Wenn diefer Mann nicht der König felbft und dein Bräutigam wäre, jo hätte er nicht gewagt, bich zu berühren.“ Die Ehe zwifchen Authari und Theudelinda ſcheint inveffen feine jehr glücdliche gewefen zu fein. Wenigftens ftarb der König Thon ein Jahr nach ver Hochzeit, an Gift, wie es hieß, und nach fagenhaften Andeutungen mag biejer Todesfall, wenn auch nicht von ihr angeftiftet, ver Königin doch willkommen gewejen fein, weil vie herbe Mann- haftigkeit Authari's ihrer religiöfen Stimmung wenig entiprach.

Theubelinda war nämlich eine jener Frauen, welche zur Zeit der DVölferwanderung mit Begeiſterung und Ausdauer ver Ausbreitung des Chriftenthums unter den germantfchen Völkerfchaften ſich widmeten. in welt Uuger Beobachter von Menschen und Dingen, der Eng- länder Horace Walpole, hat einmalgefagt, fein Weib hätte jemals eine neue Religion erfunden und doch ei feineneue Religion anders als durch Weiber ausgebreitet worden. Dies gilt in ganz vorzüglihem Maße von der Ver- breitung des Chriftenthbums über die germaniiche Welt. Prinzeffinnen aus Fürftenhäufern, welche ven neuen Ölauben angenommen hatten, wurben recht eigentlich die Miffionärinnen veffelben. Das Myſtiſche im Chriſtenthum beftach vie Phantafie der Frauen und die Xehre, für alles Dulden, Entfagen und Leiden im Diefjeits reichlich im Jenſeits entichädigt zu werden, gewann ihr Gemüth um jo mehr, als ja ver chriftliche Himmel mit feinen in's Un- fafjlihe und Unvorftellbare verſchwimmenden Seligfeiten

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ein rechter Frauenhimmel ift. Zweierlei aber kam den eifrigen Senvbötinnen des neuen Glaubens Hilfreich zu ftatten: von oben herab die Politik, welche ſelbſt dem beichränfteften Fürftenverftand einleuchtend machte, was für Hilfemittel die hriftliche Lehre von der unbebingten Unterwürfigfeit der Menſchen unter die Obrigleit zur Gründung und Behauptung fürftliher Gewalt und Will- für an die Hand gäbe ; von unten herauf pie Bereitwilfig- feit, womit die Armen, Unterbrüdten und Gefnechteten einer Religion ſich zuwandten, welche ihnen wenigjtens nah dem Tode die Freiheit und nah ihrer Auffaffung der DVergeltungslehre Erſatz für ihre Leiden hienieven verhieß. Es ift auch nur gerecht, anzuerkennen, daß bie chriſtliche Kirche zu diefer Zeit und noch im Mittelalter vielfach im Sinne der Humanität für das Volk thätig war, wie fie denn damals überhaupt die Trägerin mate- rielfer und iveeller Civilifation gewefen iſt. Der feinere Inſtinkt der Frauen fühlte das wohl heraus und die erbarmungs- und hilfereichen Regungen ihrer weicheren Seelen fanden in der Miffion ein gern bebautes Feld ver Thätigkeit. Die chriftliche Kirche Hat daher nur einen Alt wohlbegründeter Dankbarkeit vollzogen, wenn fie mittel Vergöttlichung der Mutter Iefu die heidniſche Unterordnung der Frauen aufhob und diejelben wenigftens religiös den Männern gleichftellte..... Zu Theubelinda zurüdfebrend, finden wir, daß fie nicht nur eine fehr fromme, fondern aud eine fehr Fuge Frau gewefen fein muß. Sie hatte fi) den Langobarven fo genehm zu machen gewußt, daß dieſe nach Authari's Hingang fie

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baten, die königliche Würde beizubehalten und fich aus fänmtlichen Männern des Volkes einen zweiten Gemahl zu füren. Da beſchied fie den Herzog von Turin, Agilulf zu fih, ging dem Kommenden entgegen, ließ, nachdem fie einige Worte mit ihm gewechfelt, Wein bringen, tranf zuerit und reichte ihm den Becher dar. Wie aber der Herzog Inieend den Becher entgegennahm und der Königin ehrfurchtsuoll die Hand küßte, ſprach fie lächelnd und erröthend, ver dürfte ihr nicht die Hand Füllen, welcher ihr einen Ruß auf ven Mund vrüden follte. Darauf hieß fie ihn aufftehen, küſſte ihn, ſprach ihm von Hochzeit und Königthum und bald wurde das Vermählungsfeft unter großem Jubel gefeiert.

Wieder ein ganz anderes Bild bietet die Romilda, Gemahlin Gifulfs, des Langobarpifchen Herzogs in Friaul. Als der ins Land gefallene Avarenkönig Kakan den Her- zog in der Schlacht erjchlagen hatte und vie Herzogin in der Stadt Forojuli belagerte, erregte der ſchöne Todt⸗ Ihläger ihres Gemahls die Begierden Romilda's und fie überlieferte ihm vie Stadt, als er geſchworen, ſie zu feinem Weibe zu machen. Er hielt feinen Schwur für die Dauer einer Nacht nämlich, überließ dann die Verrätherin zwölf jeiner Mannen zur Schändung und ließ fie enplich im freien Feld auf einen Pfahl fpießen mit dem Hohnwort: „Das ift ver Dann, ven du verdienſt.“ Unähnlich viefer Mutter waren ihre vier mit ihr gefangenen Töchter, welche, ihre Keufchheit zu wahren, rohes Hühnerfleifch zwifchen vie Brüſte legten und durch den ſchrecklichen Geruch des verwefenden Fleifches die lüfternen Avaren

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von fich fernbielten, eine, wie man gejtehen muß, in ihrer Art heldiſche, wenn auch nicht gerade wohlriechende Zugenplichfeit.... Ein eigenthümlicher Zug von weib- licher Unflugheit ift uns von Exrmilinda, ver Gemahlin des Königs Kuninkpert, überliefert. Sie hatte einft ein ſchönes römijches Mönchen, Theodote geheißen, im Babe erblicdt und konnte nun nicht aufhören, dieſe Schönheit ihrem Gatten zu rühmen, bis er in Leidenſchaft für Theo- dote entbrannte und fie zu feiner Kebje machte. Klüger war die Natperga, Gemahlin des friaulfchen Herzogs Pemmo. Wahrfcheinlich nicht ohne Grund lag fie ihrem Manne an, er möge fie, die unſchön wäre und einem fo mächtigen Herrn übel anftände, verftoßen und fich ein ſchöneres Weib ſuchen. Gerade viefe Uneigennügigfeit aber kam ihr zu gute, denn Pemmo fagte, ihr demüthiges Betragen und ihre Züchtigfeit gefalle ihm befjer als vie Schönheit anderer Frauen). Die Probe ehelicher Treue bejtand Gundiperga, König Charoalds Gemahlin. Als diefe einft im Hoffreife ver fehönen Geftalt des Eve- lings Adalulf Xob fpendete, flüfterte ihr der Freche ins Ohr: „Du haft meine Geftalt des Lobes gewürdigt, laſſ' mich dein Bett theilen.” Gundiperga's Antwort war, daß fie dem Verfucher verachtungsvoll ins Geficht ſpuckte. Darauf ging Adalulf zu dem König und bezüchtigte die Königin, fie Hätte fih mit dem Herzog Tafo zur Ermor- bung ihres Gemahls verſchworen. Dieſer glaubte es

30) Paulus Warnefridus, De gestis Langobard. I, 20, 27; 1, 28; III, 30, 35; IV, 37, V,37; VI, 26.

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und ließ die Königin gefangen fegen. Allein Gundiperga’s Freunde vermochten ven König, zu geftatten, Daß die Un- ſchuld der Königin durch ein Gottesurtheil erwiefen würde. Charoald willigte ein, der Gottesgerichtsfampf fand ftatt, für Gundiperga trat ein gewiſſer Pitto in die Schranfen und erfchlug den falſchen Ankläger Adalulf 31).

Das Gottesurtheil war ein wefentliches Zubehör ver Strafrehtspflege unferer Ahnen. 8 reichte ins fernfte Heidenthum zurüd und blieb wie befannt, das ganze Mittelalter hindurch in Kraft. Ihre Wurzel hatte viefe Einrichtung in dem religiöfen Glauben, daß in Fällen, wo das Recht für Findung eines gerchten Wahrjpruches durch menſchliche Einficht zu zweifelhaft fchien, das Ur- theil der Gottheit felbft anheimzugeben fei, welche dem unfchuldigen Theile beiftehen müßte und würde. ine folhe Berufung auf die göttliche Gerechtigkeit hieß ein Gottesgericht, Gottesurtheil, Ordalium (vom angeljäch- ſiſchen Wort ordal). Das germaniſche Strafverfahren war aber ein öffentliches und mündliches, feine Form ver Anklageproceß. Der Angellagte hatte fich durch feinen eigenen Eid und ven feiner Bürgen (,Eidhelfer“) zu reinigen. Falls nun der Anfläger diefen Eiden nicht traute, fo konnte er noch auf einen gerichtlichen Zwei⸗ Tampf als auf ein Gottesurtheil antragen, und ebenfo der Angellagte, falls er feinerfeits feine Eivhelfer beizubringen vermochte. Diefe Form des Gottedgerichts war aber nur

31) Die Chronik des Fredegar („Die Gefhichtichreiber der deut⸗ ſchen Borzeit”, VII. Jahrhundert), ©. 33.

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für Freie zuläffig. Unfreie und ebenfo die Frauen, auch freie, wenn fie Keinen fanven, welcher ihre Sache gegen den Anfläger im Zweikampfe verfechten wollte, wurben anderen Formen unterworfen, wie ber Unjchuldsprobe durch Feuer, durch glühenvdes Eifen, durch heißes oder faltes Waffer und anderen, auf welche wir, wie auf das Gottesurtheil überhaupt, feines Ortes zurückkommen werben. |

Gehen wir von den Frauen der langobarviichen Könige und Fürften zu denen der fränkischen fort, fo jehen wir ſchon an ver erften namhaften in dieſer Reihe Bedenkliches haften. Baſina nämlich, die Gemahlin des Thüringerkönig Bifinus, lief ihrem Verführer Childerich, der ſich als Verbannter in Thüringen aufgehalten hatte, in feine falfränfifche Heimat nad und wurde durch ihn Mutter des gewaltigen Chlopwig. ‘Die Gemahlin des leßteren war die ſchöne burgundifche Prinzeſſin Chlotilve, welche in einem Kloſter zu Genf nad) Nonnenweife gelebt, aber die Werbung des Königs erhört hatte, weil fie, eine eifrige Bekehrerin, in dieſer Richtung als Königin mehr leiften zu können hoffte denn al8 Nonne. Ste hat dann au ihren Mann wirklich zum Chriftenthum herübergeführt over ihm wenigftens die politiiche Räthlichkeit, fich taufen zu laſſen, begreiflich gemacht. Ihr eigenes Chriſtenthum hin- derte indeſſen Ehlotilde nicht, die ſtrupellos ruchloſen Er- oberungspläne des Gemahls mit den Eingebungen. ihrer eigenen Rachgier zu würzen.... SImmitten der Gräuel, welche nach Chlodwigs Tod unter feinen Söhnen und deren Nachkommen anhuben und welche man nach dem

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Stamnmamen des Haufes füglich als merowingifche be- zeichnen Tann, begegnet uns gleich anfangs eine reine und fromme Frauengeftalt, die der Radegunda, einer Tochter der von Chlodwigs Söhnen ausgetilgten thü- ringifhen Dynaſtie. Gezwungen, die Frau Chlotars von Seiffond zu werden, wurde fie als eine Weltver⸗ ächterin, Die nur dem Andenken ver Ihrigen lebte, von ihrem Gemahl gar gern in ein Klofter zu Poitiers ent- loffen. Hier ergoß fie ihre Trauer über Das Elend einer Zeit, deren viehifche Wilpheit fie vergeblich zu mildern verfucht Hatte, in elegiihe Klagen, welche ihr Freund, der fromme und gelehrte Priejter Venantius Honortus Fortunatus, in lateiniſche Verſe gekleivet hat. Es ift oſſianiſche Wehmuth in dieſen Klagelauten. So, wenn Venantius in ſeiner Elegie vom Untergange Thüringens die Königin ſagen läſſt: „Die Frauen ſah ich in die Knechtſchaft ſchleppen, mit gebundenen Händen und fliegenden Haaren, den nackten Fuß im Blute des Gatten oder tretend auf eines Bruders Leichnam. Alle weinten und für alle weinte ich ſelber, um die erſchlagenen Eltern und um die noch Lebenden. Wenn der Wind rauſcht, lauſch' ich, ob nicht der Schatten eines meiner Theuren mit erſcheine. Die ich liebte, wo ſind ſie? Den Wind, die ziehenden Wolken frag' ich und ich wollte, ein Vogel brächte mir Kunde von ihnen.“ Geiſtesverwandt mit Radegunda war Balthilde, als Sklavin aus England herübergeführt und durch ihre Schönheit und Tugend zur Gemahlin Chlodwigs des Zweiten erhoben. Auch ſie beſchloß ihr Leben im Kloſter, wie denn überhaupt die

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Klöfter in jener ſchrecklichen Zeit häufig die Zufluchtftätten für vornehme Jungfrauen und Witwen wurden, welche, ohne wirklich den Schleier zu nehmen, ein fittfames Leben führen wollten. In den ftillen Mauern viefer Aſyle fteigerte fih dann vie affetifche Abkehr von ver Welt oft zu allerlei frommer Hellfichtigkeit und Schwarm⸗ geifterei, wie bei jener Nonne Difciola, von deren Ge- fihten und Gregor von Tours zu erzählen weiß. Mit- unter fahen freilich die Klöfter auch Scenen ganz anderer Art und gerade das Klofter der heilig gefprochenen Rade⸗ gunda zu Poitiers, wo Difciola ihre Vifionen gehabt, wurde fpäter lange Zeit durch die Ränke und Schwänfe verwirrt, welche Chrodichilde, eine Nonne aus königlichem Geblüt, deren „Herz der Teufel verführte“, angeftiftet hatte. Als Bekehrerin muß noch Bertha genannt werben, die Tochter Chariberts, des Enkels Chlodwigs des Erften, welche ven angeljächfifchen König Ethelbert von Kent heiratete und dem Chriftenthbum gewann.

Es kann nicht wundernehmen, daß zu einer Zeit, wo in einer der zahllöfen merowingifchen, zwifchen Brüdern, Dheimen, Neffen und Bettern gefchlagenen Schlachten mit folcher Wuth geftritten ward, daß vie Körper der Getödteten nicht zu Boden fallen fonnten, fondern auf- recht ſtehend, als lebten fie noch, zwifchen ven Kämpfenden mit fortgefehoben wurden, zu einer Zeit, wo mit Brand, Mord und Schändung gegen Raten und Geiftliche, gegen jedes Alter und Gefchlecht, gegen Frauen und Nonnen fo unerhört gewüthet warb, daß der Chronift ausruft: „Damals ift mehr Klagegefchrei in den Kirchen gewefen

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als in den Zeiten ver Chriftenverfolgung Diokletians“ zu einer Zeit, wo der fränfifche Eveling Rauching ein höriges Liebespaar, melches nicht zu trennen er dem Priefter am Altar gejchworen hatte, zum Spaß lebenpig mitſammen begraben ließ, nein, es kann nicht wunder- nehmen, daß zu einer foldhen Zeit auch die Frauennatur da ins Zuchtloſe und Unflätige, dort ins Ungebeure ver- zerrtt wurde. Die Sitten ver früheren Zeit, wo bie germanischen Völker von der fittlichen Verberbniß des in Trümmer gegangenen Römerreihs noch nicht angeftedt gewefen, erfennt man jett gar nicht mehr. Mit ver ganzen Gier barbarifcher Jugendkraft eigneten fich namentlich unter ven Franfen Männer und Weiber bie im römiſchen Gallien vorgefunvenen Ueppigfeiten an und tobten den dämoniſch verbundenen Zrieb zur Wolluft und Graufamfeit in ungeheuerlichen Schwelgereien und Srevelthaten aus. Grundquelle des Uebels war eine Vielweiberei, welche ven Unterſchied zwifchen rechtmäßigen Ehefrauen und Beifchläferinnen zulegt fo ganz verwifchte, daß Gregor von Tours von den flüchtigen Luftbefrie- digungen der Merowinger als von Vermählungen fpricht. Man fehe nur vie Geihichte von Chlotar dem Erſten und feinen Frauen Ingunde und Aregunde, zwei Schweſtern, welche Geſchichte Gregor im Bibelftil erzählt. Derjelbe Chlotar Tieß feinen rebellifhen Sohn Chramm erbroffeln und mit dem Leichnam des Ermorbeten zugleich deſſen Weib Chalda und ihre Züchter lebendig verbrennen. Markatrude, eine der Frauen König Gunthramms, ver- giftete ihren Stieffohn Gundobald, wie denn vie e Gift— Scherr, Yrauenwelt. 4. Aufl. I. 5

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phiole überhaupt fo zu fagen zu einem Spielzeug dieſer merowingifchen Weiber geworden war. Ingoberga, die Gemahlin König Chariberts und durch diefen Mutter ver Belehrerin Bertha, hatte Grund, auf Markovefa und Merofleva, vie Töchter eines armen Wollarbeiters, Eifer- ſüchtig zu fein, und gab dieſem Gefühl in fo ungeſchickter Weile Ausprud, daß ihr Gemahl fie verftieß. Zu den genannten beiven Mädchen nahm er dann noch die Theu⸗ dichilde, eine Schäferstochter, in fein Bett. Chariberts Bruder, König Sigibert, freite um Brunhild (Bruni- childe), die Tochter des weftgotbifchen Königs Athanagiln, welche nach Gregors Befchreibung eine Jungfrau von feiner Geftalt war, ſchön von Angeficht, züchtig und wohlgefällig im Benehmen, Fugen Geiftes und anmutbig im Gefprädh. Noch begeifterter Hat fich Venantius For- tunatus über die Braut ausgelafien, indem er fie eine zweite Venus nannte, einen ſpaniſchen Edelſtein, deſſen Glanz den der Saphire, Smaragde und Kriftalle völlig verbunfelt habe, und ihre Güte und Holpfeligfeit, Befchet- denheit und Klugheit bis an den Himmel erhob. Gemiß ließ fich der Poet nicht träumen, daß aus der Gefeierten mit der Zeit ein Ungeheuer werden würde, wie e8 bie Weltgefchichte kaum ein zweitesmal erblidt hat. Sigi- bert8 Bruder Chilperih heiratete Brunhilds ältere Schweſter Galefwintha, ließ fie aber auf Anftiften feiner Beiſchläferin Frevegunde erdroſſeln. Dieſe letztere, eine ausgelernte Buhlerin, welche ſich kein Gewiſſen daraus machte, gegen ihre in Buhlerei und Hochmuth mit ihr wetteifernde Tochter Rigunthe einen wahrhaft teufeliſch⸗

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liſtigen Mordanfchlag auszufinnen, auf der einen und Brunbild auf der andern Seite fteigerten, einander tod» feindlih gefinnt, die merowingifhen Bruderzwiſtgräuel zur höchſten Höhe. Das hölliſche Schaufpiel, welches biefe beiden Furien im Gang erhielten, ging erft i. 9. 614 mit einem gräfflichen Schlußaft zu Ende. Da fiel, nachdem Fredegunde ſchon fiebzehn Jahre früher ges ſtorben, die alte Brunhild als Gefangene in die Hände Chlotars des Zweiten, des Sohnes ihrer Todfeindin, und im Lager zu Chalons erging das barbariſche Strafgericht über die greiſe Frevlerin. Chlotar rechnete ihr vor, wie zehn Fürſten merowingiſchen Stammes auf ihr Anſtiften oder Verſchulden ermordet worden ſeien. Hierauf ließ er ſie drei Tage lang martern, dann auf ein Kameel ſetzen und ſo zum Hohn durch das ganze Heer führen, endlich mit dem Haupthaar, einem Arm und einem Fuß an den Schweif des wildeſten Pferdes binden und ſo ward ſie von den Hufen des dahinſprengenden Thieres zerſchlagen, bis ihr Glied für Glied abfiel 32).

32) Fredegar (a. a. O.), S. 25, 115 fg., 28. Gregorius Turens., II, 7; VI, 29; IX, 39 fg.; IV,47; V, 3; VI, 3, 20, . 25, 26, 27, 28; IX 84. Venantius Fortun. VI, 1, 2,3. Mit gewohnter Markigkeit bat ein beutfcher Dichter, Freiligrath, geihildert

........ .„Wie vormals im Gefilde

Der Marne bei Chalons die Sünderin Brunhilde

Durd Knete binden ließ mit ihrem grauen Haar

An einen wilden Hengft, daß am dem dichten Schweife

Er galoppirend fie durch's Frankenlager fchleife,

Der Sohn des Ehilperich, der andere Chlotar.

5 %

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Ein hartes und robes Geschlecht von ftrogender Sinn- lichkeit, dieſe Männer und Frauen der Völferwanderungs- zeit, mit ſouveräner Willfür die religiöſen Satungen wie die Gebote der Menjchlichkeit unter die Füße tretend und den Taumelfelh des Genuſſes, ob die Wolluft oder vie Race ihn Fredenzte, mit Gier bis auf die Hefen leerend. Diefe im Gährungsproceß einer focialen Neubildung begriffene Welt zeigt uns überall ein wildes Ringen von Heidnifhem und Chriftlihem, Germaniſchem und Rö⸗ miſchem, ein ſich Abſtoßen und Wiederanziehen fünlicher Kultur und nordifcher Lebensfriſche. Das befiegte Rom rächte ſich an den germanifchen Siegern, indem es fie feinen Laftern unterwarf, und die fiegreichen Germanen, von früher ungeahnten Genüffen bis zur Sinnlofigfeit berauſcht, nahmen das Dafein wie eine Orgie, welche mit tobenvder Zertrümmerung ver Luſtwerkzeuge fchließen müßte. Aber ihre Kraft hielt aus, und wie äußerlich auch die Belehrung zum Chriftenthum fein: mochte, den-

Der Hengft riß wiehernd aus; bie Hinterhufe fchlugen Das nachgeſchleppte Weib; verrenkt in feinen Fugen Ward jedes Glied an ihr; um ihr entftellt Geficht

Flog ihr gebleichtes Haar; die ſpitzen Steine tranfen

Ihr königliches Blut und ſchaudernd ſah'n die Franken Chlotars des Zürnenden erſchrecklich Strafgericht.

Jetzt auf ihr Antlitz, das blutrünſt'ge, fiel der rothen Wachtfener Glut, die da vor jedem Zelte lohten;

Jetzt wuſch mit eiſ'gem Guß den Staub von ihrer Stirn ü Ein Arm des Marneftroms; weit vorgequollen ftierte

Ihr Aug’, und das Kameel, drauf man fie Morgens führte Durchs ganze Heer, warb jett befprigt von ihrem Hirn.”

Zur Bölferwanderungszeit. 69

noch kam dadurch mehr und mehr ein neuer fittlicher Gehalt in ihr Leben. In dem Maße, in welchem das germanifche Gemüth mit dem neuen Glauben fich füllte, wurde dieſer aus einer römiſch⸗byzantiniſchen Polizei⸗ anftalt zu einer eine neue Kulturperiode bedingenden und beftimmenden Geiſtesmacht. Des beveutenden Antbeils, welchen die Frauen an dieſer Umwandlung von uner- meffliher Tragweite hatten, ift jchon gedacht worden. In Wahrheit, fie waren e8, welche das Kreuz mit Rofen ummwanden, d. h. die Starrheit des Dogma's mittels ver Einflüffe germanifcher Gemüthsinnigfeit milverten, und fie waren e8 auch vorzugsweife, unter deren pflegenven Händen die im Chriftenthbum liegenden Keime ver Huma⸗ nität zu einer Entwidelung geviehen, welche ven während der Völkerwanderung zur Brutalität gefteigerten germa- nifhen Individualismus allmälig den Gefegen bürger- liher Drbnung und häuflicher Sitte allmälig wieder fich fügen lehrte.

Das alles dämmerte freilich vorerſt nur in ſchwachen Umriffen aus dem Chaos einer allgemeinen Verwilderung auf. Es war noch weithin, bis auf vem Boden, welden der Zuſammenſtoß der germänifchen und ver lateinifchen Welt mit Ruinen bevedt hatte, ein neuer Gefellichafts- bau, der germanijch-chriftliche, fich erhob. Man bat das Leben der Germanen in den römischen Provinzen pafjend mit einem Teppich verglichen, welcher auf der einen Seite glänzenve Farben und prunfhafte Gebilde, auf der andern aber ein verworrenes Gewebe von verzerrten Geftalten zeigt. In der That war das häufliche und gefellige

70 Buch I. Kap. 2.

Dafein zur Völferwanvderungszeit ein unerquickliches Ge- miih von Pracht und Armfäligfeit, Vergeudung und Dürftigkeit, Schwelgeret und Elend. In den Holzhäufern der germanifchen Großen hatte ſich der Raub ver römifchen Welt aufgebäuft und diente, ohne Kunftfinn und Ge- ſchmack gebraucht, nur zu groteffer Ueberladung, hinter welcher dann doch wieder alfenthalben Ungefügheit, Blöße und Ungemächlichleit hervorſah. Maß und Takt fehlten durchweg. Wie in der häuflichen Einrichtung, fo auch in der Kleidung, auf welche vie römische Art Einfluß gewann, ohne daß die Gegenfähe zwifchen An- geerbtem und Angenommenem jchon eine harmoniſche Ausgleichung gefunden hätten. Beide Gefchlechter liebten ed, im Anzug von grellbunten Farben zu glänzen und von Golds und Gefteinchmud förmlich zu Elingeln. Für die männliche Tracht warb das Auflommen der Hofen, welche, wie es fcheint, zuerft von den Langobarden ge⸗ tragen wurden, von großer Bedeutung. Sonft blieben Rod, Gurt und Mantel für. Männer und Frauen vie Hauptitüde des Anzugs. Hauptitoff der Frauenkleidung war in diefer Zeit noch immer die Leinwand. Wenn der Ueberlieferung zu trauen ift, haben wir uns die Erfchei- nung vornehmer Schönen von damals fo worzuftellen : Auf dem über der Stirne gefcheitelten Haar, das an ven Seiten in zwei Zöpfe geflochten war, welche über vie Bruſt bis zu den Knieen herabfielen, lag ein Schleier, welcher, durch einen reich verzierten Metallreif feftgehalten, das Geficht frei ließ. Das linnene Unterfleid, die Tunika ‚oder befjer der eigentliche veutiche Frauenrod, marfirte

Zur Böllerwanderungszeit. 71

feſtanliegend und engärmelig die Formen des Oberkörpers, war über den Hüften von einem breiten Gürtel umſpannt und fiel von da in reichen Falten auf die Schuhe herab, auf deren Verzierung ſehr viel Sorgfalt und Luxus verwandt wurde. Hals und Bruſt bedeckten Ketten und andere Goldzieraten und das mantelartige, aber mit ſehr weiten Aermeln verſehene Oberkleid von Seide wurde ſo getragen, daß es Farbe und Form des Unterkleides mehr hervorhob als verbarg und der freien Bewegung des Körpers nicht hinderlich war.

Drittes Kapitel.

Göttinnen und Heldinnen.

Menſchen und Götter. Charakter der germanifchen Götterwelt. Das „Ewig-Weibliche“ in den Religionen. Deutiche Söttinnen: Nerthus, die Mutter Erde, Frikka, Frouwa, Holda, Perabta, Hluodana, Nebhalennia, Folla, Oftara, Hellia. Walküren. Frau Sälde. Die germanifde Eva. Die eddifche Lehre vom Sündenfall. Bedenkliches von ber Frigg und der Freia. Die Frauen im Havamal. Sigyn. Brun- bild, Kriembild und Gudrun. Die Lehre der germanifchen Bibel vom Urjprung der Stände.

Mit den Gefchlechtern der Menfchen kommen und gehen auch ihre Götter ; aber jete ver einander ablöfenden und verdrängenden Erſcheinungsformen der religiöfen Idee ift bereihtigt, fich für die „alleinſeligmachende“ zu halten. Denn jede jucht ja in ihrer Art die ewig wieder⸗ kehrende Frage nach des Menfchenlebens Sinn und Zwed zu beantworten; jede gibt ihren Gläubigen Troſt für das Dieffeits und Hoffnung auf ein Jenſeits; jene beeifert fich wenn nicht den Verſtand zu überzeugen, fo doch die Ein-

Söttinnen und Heldinnen. 713

bildungsfraft zu überreden. Set die Götterwelt nur bie idealiſche Widerfpiegelung der Menfchenwelt, immerhin ift es, wie ſchon weiter oben betont worden, eine ganz unbeftreitbare Thatſache, daß der Menſch jener bebarf, weil ihn, den in die Schranken ver Endlichkeit Gebannten, bas fchmerzlich-füße Gefühl ver Unenplichkeit, welches ihn über das Thier hebt, zwingt, fich einen Himmel zu er- bauen, in deſſen Geftalten ihm das eigene Wefen, zum Ideal erhoben, gegenftänblich und Mar wird. Aber in bem Maße, wie die Erve ſich verwanvelt, geftaltet fich auch der Himmel um. Anders find die Gottheiten bar- barifcher Horden und anders die der Kulturvölfer, denn in feinen Göttern „malt fi) ver Menſch“. Daher, wenn ein Zag der Weltgefchichte zu Ende Tage, welche Sahrhunderte und Jahrtauſende währen erblafien auch die Geftirne, die ihn erhellt hatten, d. h. die Ver⸗ bilvlihungen der Idee von Göttlihem, die DVerför- perungen von Naturgewalten oder fittlichen und focialen Begriffen, die Gottheiten, um anderen, oder wenigftens anders gejtalteten Plag zu machen. Aber die Verdrängten jterben deſſhalb nicht. Die Verflärerin der Vergangen- heit, Zröfterin der Gegenwart und Ahnerin der Zukunft, die Poefie, ſchlägt den mütterlich weichen Mantel ſchützend um fie und rettet fie, wie Schiller ſchön gejungen, hinüber in ihr Heiligthum?s). Da, „in den heitern

33) „Aus der Zeitflut weggeriffen, ſchweben Sie gerettet auf des Pindus Höh'n: Was unfterblich im Sefang fol Ieben, Muß im Leben untergehn.”

74 Buch I. Kap. 3,

Regionen, wo die reinen Formen wohnen“ und wohin der Arm des Fanatismus nicht reicht, leben fie unver- gänglid. Ein unendlicher Strom von Schönheit und Begeifterung fließt von dort in die Welt der Kunft her- über und ein frommer Schauer überlommt die Seelen der Völker, wenn eine geheimnißvoll nachwirkente An⸗ hänglichkeit te nach ven Götterbildern zurüdbliden macht, vor welchen ihre Altworveren vie Kniee gebogen haben. Den Germanen war es nicht gegeben oder gegünnt, ihre nationale Götterwelt zu der plaftifchen Beftimmtheit und Vollendung herauszuarbeiten, vermöge welcher die helleniſche fo ewig anziehend auf ven Schönheitsfinn wirkt. Auch bei den Germanen gewannen zwar die Naturerfchet- nungen und bie intelleftuellen Borftellungen Tontrete Geftalt, menſchenähnliche natürlich, da der Menſch über ven Menfchen überall nicht hinauskann, indem er vie Umriſſe ver Menfchenform höchftens zu vergrößern oder auch zu verkleinern, d. h. zu verzerren vermag. Aber anders mußte an den fonnigen Geftaden Joniens und Attifa’s, anders in den nebeligen Waldregionen des Nor- dens das Göttliche der finnenden und bildenden Phantafte fih darftellen. Daher dort die maßvolle Beſchränkung der Götterbiloneret auf die Linten ver idealiſch⸗ſchönen Menſchengeſtalt, vaher bier Das Hinausgreifen ins Riejen- bafte, Ungeheure, Schredliche. Fügt man bierzu noch den Umstand, daß die germaniiche Religion, felbit in Skandinavien, durch das Chriftenthum verbrängt wurde, bevor fie die in ihr gelegenen fünftlerifchen Anregungen und Stoffe irgendwie zu einer höhern Stufe ver Ent-

Göttinnen und Heldinnen. 75

widelung zu führen vermochte, fo erklärt fich Leicht, warum die germantichen Götter felbft da, wo fte als beftimmtere Perfönlichleiten auftreten, d. h. in den beiden Edden, dennoch bloße Nebelgeftalten find. Der olympifche Zeus, die Aphrodite oder Pallas ftehen in feſtmarkirter Schönheit vor der Seele jedes Gebildeten; aber fogar dem Auge des Forſchers verſchwimmen Woban ober Dphin, Frouma oder Freia zu vagen Umriffen. Deifhalb find auch die Verſuche ver klopſtock'ſchen Schule, die germanifche Mythologie gls dichteriſches Motiv in bie Literatur einzuführen, befanntlich völlig gefcheitert.

Die mythologiſchen Bildungen aller auf Naturan⸗ ſchauung bafirten Religionen wurden durch den Gegen- fa von Männlichem und Weiblichem beftimmt. Noch mehr, es gibt überhaupt nur drei Religionen, in welchen das „Ewig⸗Weibliche“ gar feine Bedeutung gewinnen fonnte, aber dieſe drei, Sahvetbum, Iflam und Buddhis⸗ mus, find darum auch zu Feiner mythologiſchen, d. i. fünftlerifchen Entwidelung gelangt, während das Chriſten⸗ thum mittels feiner Vergottung ver Maria zu feiner äfthes tiſchen Geftaltung den Grund legte. In ven alten Natur- religionen hatte aber der Gefchlechtsunterfchten nicht nur eine mythologiſche, ſondern auch eine dogmatiſche Bedeu⸗ tung. Auf der Vorſtellung von einem männlichen und einem weiblichen Grundprincip beruhte die ganze Lehre von der Entſtehung und Erhaltung der Welt. Zeugung und Empfängniß, Befruchtung und Geburt, Himmel und Erde erſcheinen als die ewig wirkenden Kräfte des Lebens⸗ prozeſſes. So im altindiſchen, im ſyriſch⸗phönikiſchen,

16 Buch I. Kap. 8.

im ägyptiſchen, im griechifch-italifchen und im germa- nifchen Heivdenthum. Die Wefenheit der zeugenden wie ber gebärenvden Grundfraft faltet jich zu einer Reihe von Naturmächten und .von. fittlich-foztalen Vorſtellungen auseinander oder, mythologiſch gefaßt, ver Gott Himmel vermählt ſich mit der Göttin Erde und aus diefem Ehe- bund entipringen vie Götter und die Göttinnen.

Soweit e8 jett ſchon eine Möglichkeit, ven heipnifchen Glauben unferer Altvorderen zu überblicken, ſteht feit, daß auch bei den Germanen dig Erbe als Die große Öötter- mutter gedacht und verehrt wurde. Wo Tacitus in der Germania (40) des von geheimnißvolfen. Schauern um- wehten Kultus der Nerthus (Nirdu? Nertha? Hertha?) gedenkt, bezeichnet er die Göttin ausprüdlich als „Mutter Erve* („Nerthum, i. e. Terram matrem colunt“) und der von ihm gebrauchte Name Nerthus ift wohl nur Zateinifirung des althochdeutſchen Erada, Erda, angel- ſächſiſch Eordhe, altnordiſch Jörthh. Mit der großen Erdgöttin zeugt der große Himmelsgott Wuotan (Wodan, nord. Odhin) das germaniſche Göttergeſchlecht. Es tritt aber in der Geſtalt der Nerthus nicht allein die phyſiſche, ſondern auch die moraliſche Natur des Weibes deutlich hervor, das Sänftigende, Sittigende, die auf Befriedung und Verſchönerung des Lebens abzielende frauliche Miſſion. „Auf einer Inſel des Oceans, erzählt Tacitus, iſt ein heiliger Hain und darin ein geweihter, mit einem Teppich bedeckter Wagen, den nur der Prieſter berühren darf. Er ahnt die Gegenwart der Göttin im Heiligthum und folgt ihrem mit Kühen beſpannten Wagen

Göttinnen und Heldinnen. 77

in tiefer Ehrfurcht nach. Fröhliche Tage alsdann, Feſte an allen Orten, welche vie Göttin ihres Beſuchs und Aufenthaltes würdigt. Kein Krieg wird geführt, jedes Schwert ift in der Scheide, Friede und Ruhe nur wird dann gefannt, nur bann geliebt, bis derſelbe Priefter die Göttin, des Umgangs der Sterblichen fatt, dem Heilige. thume wiedergibt.“

Diefe fittigende Eigenfchaft ver großen Götter mutter fehrt dann auch in ihren göttlichen Töchtern wieder, deren Geftalten freilich aus taufend zerbrödelten Zügen in Sagen und Märchen nur mühſam und unvollftändig zujammengefegt werben Tünnen. Alle viefe veutfchen Göttinnen find „Hauptfächlich gedacht als umziehenve, einfehrende Göttermütter, von denen das menfchliche Geſchlecht die Geſchäfte und Künfte ver Hauswirthichaft wie des Aderbaues erlernt: fpinnen, weben, fäen und ernten” #). So Frilfa, die Gemahlin Wodans, alfo nur eine mythologiſche Verjüngung ver Nerthus, die Spenderin des Eheſegens; jo Frouwa, von welder das Wort Grau herfommt, vie frohmachende Göttin, Verleiherin von Schönheit und Reiz, welche ven Männer beſtrickenden Halsihmud Brifingamen trug, wie die griechifche Aphro- bite ven Gürtel ver Anmuth ; fo Holda, die Ordnerin des Haushalts, vie Belohnerin weiblichen Tleißes und Be⸗ ftraferin weiblichen Unfleißes; fo Perahta (Perchta, Berchta, Bertha), die große Schüßerin des Aderbaues, welcher ver Pflug heilig war und welche, eben als Kultur⸗

34) Grimm, D. Mythol. Kap. 13.

718 Bud I. Kap. 3.

göttin, auch der Ehe vorftand. Bei ihr wohnten bie Seelen der ungeborenen Kinder und auf ihren Umzügen ſpendete fie wie Holda den Thätigen Lohn, den Trägen Strafe. Gleich dieſen find auch die noch weiter Ge⸗ nannten, Hluodana, Nehalennia, Folla und die Früh⸗ Iingsgöttin Oftara, nach welcher das alljährliche Auf- erftehungsfeft der Natur noch jet Oftern heißt, nur viel- gotteriſche Auseinanderfaltungen der großen Erbmutter. Dieſe ift aber nicht allein die Allgebärerin, ſondern auch die Allverfchlingerin, welche Kehrfeite ihres Weſens ſich darftellt in ver Hellia (nord. Hel), der unerbittlichen, grauenhaft geitalteten Göttin ver Unterwelt, zu welcher die Seelen der an Krankheit oder Altersfchwäche Geftor- benen fahren und deren perfönlichen Begriff das Chriften- thum in einen lofalen verwandelte: aus der Hellia oder Hella wurde die Hölle. Den lichten Kontraft zu dem püfteren Reich der Hellia bilvete die Walhalla, ver Himmel der Helden, wohin die im Kampfe Gefallenen von ven Walküren (nord. Walachuriun), ven Zoptenwählerinnen, den Schilojungfrauen Wuotans, geleitet wurden. ‘Die Erinnerung an diefe Göttermäpchen lebte nicht nur in Skandinavien, fondern auch in Deutichland lange fort. So inunferen Schwanhemdfagen, wie auch im Nibelungen- lied; in anmuthigfter Geftaltung bat der Mythus vom funftreihen Schmied Wieland fie bewahrt. ‘Dagegen ſcheint die Verperſönlichung ver Schiefalsivee, wie fie im nordifch-germanifchen Glaubensſyſtem in den Geſtalten der drei Normen, Urd, Skuld und Werdandi, fich darſtellt, bei uns frühzeitig verblajjt zu fein; e8 wäre denn, daR

Göttinnen und Heldinnen. 79

wir in der Vorftellung von ver Glüdsgöttin, der Frau Sälde, welcher wir bei unferen mittelalterlichen Dichtern nicht felten begegnen, einen Nachhall ver Lehre von den Normen zu erlennen hätten. Jedenfalls war die pan⸗ theiftiiche Belebung ver Natur mittels Schaffung von zahllofen alfifchen oder elbifchen Weſen, Waſſer⸗, Walds und Hausgeiftern männlichen und weiblichen Gefchlechts, ven Sfandinaven und Deutſchen gemeinfam und Volks» lieder und Märchen wiſſen bis auf unfere Tage herab zu erzählen, wie vie „Moosfräulein“, die Nixen“, „Waſſer⸗ holden“ oder Mümmelhen” ſchönen Sünglingen gern in Xiebe fich gefellten.

Eine ſinnvolle Huldigung für das weibliche Gefchlecht liegt in der germanifchen Lehre von der Schöpfung des erften Menfchenpaaree. Der jüngeren Edda zufolge fchufen die Götter aus zwei am Meeresftranvde neben einander ftehennen Bäumen Mann und Weib. Der germanifche Adam hieß Affr, die germanifche Eva hieß Embla. Diefes Wort bedeutet eine gefchäftige Frau und fo wäre ſchon in dem Namen unferer Ahnmutter die hausmütterlihde Thätigkeit und Wirthlichleit deutſcher Frauen vorgezeichnet. Merkwürbiger Weife weiß die germanifche Bibel nicht8 von einem „Sünvenfall* der Menfichenältern, aber dennoch bietet fie eine Analogie zu dem jüpifch-chriftlichen Sabe, daß durch das Weib vie Sünde in die Welt gelommen. Die Edda deutet näm⸗ ih in ihrer Inappen und dunkeln Sprache auf einen Siimdenfall der Götter, der Afen, hin. Dieſe, ſagt fie, führten in der Urzeit ein harmloſes, unjchuldiges,

80 Bud I. Kap. 3.

parabiefifches Leben, mit der Gier nach Gold noch unbe- fannt, bis drei Rieſenmädchen aus Jötunheim (Rieſen⸗ heimat) nach Aſgard berüberfamen. Man hat freilich in dieſen drei Thurfinnen (Riefinnen) die Nornen er- fennen wollen, welche den Göttern die Zukunft enthüllt und eben dadurch ihre paradiefliche Unbefangenheit zer- jtört hätten. Aber e8 liegt doch näher, in der Begegnung der Ajen mit Niefinnen eine gejchlechtliche Verbindung zu fehen, welche die Götter mit vem Weltplan in Wider: fpru fette, weil fie, als die Träger des fchaffenpen und erhaltenden Princips, mit ven Niefen, ven Vertretern des zerstörerifhen Principe, von vechtöwegen feine Verbin- dung hätten eingeben follen. Demnach erjchiene auch hier das Weib als die VBerführerin, als das Zeritörungs- mittel einer paradiefifchen Unſchuldswelt, mit deren Ein- buße fich das Böſe in der Ajenwelt ſeßhaft mat. Denn jet taucht im Kreife der Götter jener höchſt eigenthüm⸗ lihe Satan der germanifchen Religion auf, Loki, halb Ahriman halb Mephiito.

Es würde den deutfchen Göttinnen zu nicht geringem Nuhme gereichen, daß feine mythologiſchen Aergernifje von ihnen zu erzählen find, wüßten wir nur mehr won ihnen. Falls aber aus den nordiſchen Duellen ein Rückſchluß auf das Verhalten ver veutjchen Göttinnen geftattet ift, fo dürften dieſe denn doch nicht jo ganz mafellos daſtehen. Iſt und ja von der Frigg und von der Freia, mit welchen unfere Frikka und Frouwa dem Wefen nach iventijch find, genug bevenfliches überliefert. Mag auch dem chrift (ihen Briefter, Saro dem Grammatifer, welcher am Ende

Göttinnen und Heldinnen. 81

des 12. Jahrhunderts aus altnordiſchen Mythen und Sagen ein Hiftorienwert in elegantem Latein zufammen« jtellte, nicht ganz zu trauen fein, wenn er, nicht ohne priefterliche Schadenfreude, die Gemahlin des höchften Gottes Odhin mit einem Knechte buhlen läſſt, fo ift doch nicht zu leugnen, daß auch eine reinere Duelle, die ältere Edda, der Frigg buhlerifche Neigungen ſchuldgibt und von der Freia geradezu jagt, fie jei aller Ajen und Alfen Buhlerin. Allerdings find dieſe Anfchuldigungen dem böfen Loki in ven Mund gelegt und ſodann muß berift- fichtigt werben, daß in ver Frigg, als einer Metamorphofe der Muttererde, und in ver Freia, als der Frühlings- göttin, der ewigfrifche Liebesdrang ver Natur perfonificirt war. Dennoch ift nicht zu überfehen, daß, auch außer- halb des Kreiſes mythiſcher Vorjtellungen, ſchon in ver Borzeit der altgermanifche Frauenruhm ver Keufchheit . und Treue bedeutende Trübungen erfahren haben muß. Nicht nur die. bereit8 oben benüßten Zeugniffe aus der langobardiſchen und fränfifchen Gefchichte, ſondern auch die nordiſchen Urkunden reden allzu deutlich vanon. Das „Ha⸗ vamal”, ein höchſt merkwürdiges Spruchgedicht ver älteren Edda, welches vie ethiſche Weltanfchauung des alten Nordens varlegt, fpricht in vorwiegend geringfchäßiger, mitunter geradezu leichtfertiger Weile von ven Frauen. Uns beftändigfeit wird ihnen zugefchrieben ?%), trugvoller Sinn

35) Den Zag lob' Abends, die Frau im Tode, Das Schwert, wenn’s verjucht die Braut nad) der Hochzeit.

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. | 6

82 Buch J. Kap. 3.

und trugvolles Wort). Mit Schmeicheleien und Ger ichenfen feien fie zu leicht zu ködern 3”), ihre Minne made Kluge zu Thoren?d). Freilid wird dann auch nicht verhehlt, daß die Männerwelt an Falſchheit vie ver rauen noch überbiete?®), und zugeftanden, daß dem guten und treuen Manne die Frau hold und treu bleibe 40) ; jeboch darf, weil fich hierzu gerade Beranlafjung bietet, nicht verſchwiegen werben, daß Die unfreundliche, ja geradezu weg⸗ werfende Anficht über die Frauen, wie das norbifche Havamal fie kundgibt, auch in unferem deutſchen Sprüch-

36) Mädchenreden vertraue fein Dann, Noch der Weiber Worten. Auf gefhmwungenem Rab Ward ihr Herz geſchaffen, Trug in ber Bruft verborgen.

37) Schmeichelnd joll reben und Gefchente bieten, Ber des Mädchen Minne will, den Liebreiz loben Der leuchtenden Jungfrau: jo fängt fie der Freier.

38) Der Liebe verwundern foll fih fein Weifer An dem andern Mann. Oft feffelt den Klugen, Was den Thoren nicht fängt, Tiebreizender Leib. Weife zu Tröpfen wandelt auf Erben Der Diinne Macht.

39) Offen bekenn' ich, der ich beide wohl Tenne, Der Mann ift dem Weibe wanbelbar. Wir reden am ſchönſten, Wenn wir am ſchlechteſten denken: ſo wird die Klügſte geködert. 40) Willſt du ein gutes Weib zu deinem Willen bereden Und Freude bei ihr finden, ſo verheiß' ihr Holdes Und halt' es treulich: des Guten wird die Maid nicht müde.

Göttinnen und Heldinnen. 83

wörterſchatz, veſſen Goldkörner, Silberſtufen und Erz- klumpen zum Theil ins hohe und höchſte Alterthum unſeres Volkes hinaufreichen, ebenſo mannigfach als herb und derb variirt wird). Einen tiefſchönen Zug von

41) Z. B. Jungfern und Gläfer ſchweben in ſteter Gefahr. Jungfernfleiſch ift kein Lagerobſt. Auf die Iungfernfchaft kann man keine Semmel borgen. Mädchen fagen nein und thun’s doch. Ein Mädchen befommt fo Leicht 'nen Led wie ein weiß Kleid 'nen Fleck. Kein Mädchen ohne Liebe, fein Jahrmarkt ohne Diebe, kein Bod ohne Bart, Tein Weib ohn' Unart. Jungfern geben’s billig und willig. rauen haben lange Kleider und kurzen Muth. Wo die Frau im Haufe regiert, ift der Teufel Hausknecht. Junge Hure alte Heilige (oder mobernifirt) Sunge. Bettfchwefter alte Betichwefter. Weiber hüten ift ver- gebliche Arbeit. Die Schweizermaib fprah: „Mutter, i muß a Ma ba od'r i zündes Huus al” Es find nur brei keuſche Weiber (oder Nonnen) gewefen; die eine ift aus der Welt geloffen, die andere ift im Babe erfoffen, die dritte fucht man noch. Weiber und Geld fchulden alle Uebel der Welt. Wem zu wohl ift, ber nehme ein Weib. Nimmft du en Wyf, fo Friegft ven Düvel up't Lyf. Weiber find Katzen mit glatten Bälgen und fharfen Taken. Ein ſchön Weib ift nur ein Bubenfpiegel. Zwilchen eines Weibes Ja und Nein Iäfft fich keine Nadelſpitze ſtecken. Weibern und Gefhoß fol niemand trauen. Glaub’ feinem Weibe, wenn es auch tobt iſt. Weiber und Pferde wollen gefchlagen fein. Weiber verfchweigen nur, was fie nicht willen. Frauenlieb ift fahrende Hab’; heute Tieb, morgen ſchab' ab. Diejer Strauß von Stachelblumen ließe fich Teicht noch beträchtlich verftärken. Statt deffen mögen beifpielsweife etliche unferer Sprüchwörter hier Reben, die aus einem ganz anderen, aus einem, wie ich glaube, richtigeren und gerechteren Tone von den Frauen reden... Eine Sungfrau ſchwächen ift wie eine Kirch’ erbrechen. Ein Frauen- haar zieht ſtärker als ein Glodenfeil. Was die Frau eripart, ift

6*

84 Buch I. Kap. 3.

Trauentreue aber und zwar von an dem Teufel felbft ge- übter Frauentreue enthält die jüngere Edda. Als nämlich die Afen den Unheilſtifter Loki endlich an ven Felſen gefeffelt hatten, wo er bis zur Götterpämmerung bleiben fol, befeftigten fie über ihm eine Schlange, damit deren ätzendes Gift ihm ins Antlik herabträufelte. Aber feine Gattin Sigyn hielt treu bei dem Gefeffelten aus und nahm eine Schale und hielt fie zwifchen die Schlange und Loki's Geſicht, um fo die marternden Gifttropfen aufzufangen und die Bein des Gatten zu lindern. Ich wüßte im ganzen Umfange der germanifchen Mythologie Teinen echtweiblicheren Charafterzug als dieſen.

Jede myhthologiſch entwickelte Neligien fegt zwifchen die Welt der Götter und die ber Menfchen eine Mittel- ftufe, die der Helden. Dieſe find das eigentliche Mittel- glied der Himmel und Erde verbindenden Kette von Fügungen und Beziehungen, die natürlich des „Ewig- Weiblihen“ nicht entbehren können. Götter neigen fich liebend zu fterblichen Frauen, Göttinnen zu fterblichen Männern herab und ſolchen Vermählungen entfprießt das Gejchlecht der Heroen und Heroinen. Selbſt der Spirt- tualismus des Chriftentbums konnte fich des Bepürf-

fo gut als was der Mann erwirbt. Wo die Frau wirthfchaftet, wächft ver Sped am Ballen. Wo feine Frau, da gejchieht dem Kranken weh. Wen ein Mädchen lachet an, ven will fie drum nicht alsbald han. Es ift Teine Hut fo gut, als die eine Frau - ihr felber thut. Die Frau ift im Haus, was die Sonne drauf’. Kein ſchöner Ding auf diefer Erden als Frauenlieb', wen fie mag werben.

Göttinnen und Heldinnen. 85

nifjes, zwiichen Gottheit und Menfchheit eine vermittelnve Brüde zu bauen nicht entfchlagen. Er feste an die Stelle per heipnifchen Helden bekanntlich vie Heiligen. Dabei follen nun freilich, fagt man uns, die Beziehungen zwifchen ven hriftlichen Gottheiten und Heiligen durchaus fumbolifch und alfegorifch zu nehmen fein. Wenn aber in ben Legenden bie geijtlichen Ehen beiliger Frauen mit Chriftus fo glühend gefeiert werden, wenn erzählt wird, wie bie Iungfrau Maria befonvers bevorzugte Heilige aus ihren Brüſten getränkt, jo erinnert das doch fehr deutlich an die Bündniſſe zwifchen Göttern und irdiſchen Frauen, Göttinnen und Helden im Heidentbum. Auffallend un» geſchickt mußten die Verfuche ver mittelalterlich-chriftlichen Dichtung ausfallen, vie altgermanifche Heldenjage im Sinne der neuen Religion umzufärben. ‘Das berühmtefte Beifpiel hievon ift unfer Nibelungenlied. Auch in feiner jeßigen Geftalt, wie e8 biefelbe auf ver Gränzſcheide des 12. und 13. Jahrhunderts erhalten bat, iſt e8 großartig, feine Stage. Aber doch gemahnt e8 einen, als wäre bier ein germanifcher Götterhain unter dad Nothdach eines chriftlicden Doms gezwungen worben. Defihalb erjcheint denn auch in den beutfchen Nibelungen bie herrlichite Heldingeftalt des germanischen Alterthums, Brunhild, fo getrübt und verwifcht, ja geradezu gefälfcht.

Die Sage vom Sigfriv (nord. Sigurd) iſt offenbar ein Vermächtniß urältefter Zeit. Lnfere Ahnen mögen fie wohl aus ihrer indogermanifchen Urheimat mit nach Europa gebracht haben. Ueberall tönen da Anflänge an Urzeitlih-Mythifches auf. Aber um die Weberlieferung

86 Buch I. Kap. 3.

in ihrer ganzen Größe und Reinheit zu faſſen, muß man fie im Norden aufjuchen, wo die beiden Edden und bie Wölfungenfage ihre urfprünglichen Züge treuer bewahrt baben als unfere Lieder von ven Nibelungen. In leßteren ift Brunhild ein finfteres, unerquidliches Zwitterweſen, welches in ihre hriftliche Umgebung gar nicht hereinpafit. Ganz anders in den norbifchen Quellen. Da ift fie vie Schildjungfrau Odhins, die Walfüre, welche ein Gelübde gethan, fich keinem Manne zu vermählen, ver ſich fürchten fönnte. Bon Odhins Schlafdorn berührt, fchläft fie Hinter einem Feuerwall („Waberlohe”) den Zauberfchlaf, bis Sigfrid fühn durch Waberlohe reitet und die Jungfrau erwect, Indem er ihr mit feinem Schwert Gram bie Brünne vom Leibe fehneidet. Nun kredenzt fie ibm ven Minnemeth, verlobt fich ihm feierlich und empfängt fein Gelübde. So ruhen fie mitfammen auf einem Lager, aber zwifchen ihnen liegt das „beißende” Schwert des Helden. Er aber vergifjt feines Eides, wenn auch fchuld- 108. Grimhild, die Witwe des Königs Giufi, mit deffen drei Söhnen Gunnar, Högni und Guttorm Sigfrid Freundſchaft gejchloffen, veicht nämlich dem Helden einen Dergeffenheitstrunf, worauf er fih mit ihrer Tochter Gudrun (im Nibelungenlied Kriemhilo) vermählt. Durch eine weitere Verkettung unfeliger Umftände wird darauf Brunhild die Frau Gunnars. Aber am Hofe ver Giu- tungen fchlägt die Liebe der Getäufchten zu Sigfriv in Geftalt grimmiger Eiferfuht zu heller Flamme auf. „Oft ſchritt fie fingt das dritte Sigurdslied der Edda ganz von Grimm erfüllt, über Eis und Gletfcher,

Söttinnen und Heldinnen. 87

wenn Sigurd und Gudrun zu Bette gingen und der Held liebkoſend fein Weib in die Deden hüllte.“ Sie ftiftet Dann und Schwäger auf, den Sigurd zu morben, und Guttorm thut die böfe That. Aber Brunhild wollte den geliebten Helden nur todt ſehen, um ihm nachzufterben. Sie durchbohrt ſich mit dem Dolch und ordnet fterbend ihre und Sigurds gemeinfame Leichenfeier an, worauf ein Holzitoß die im Tode Vermählten verzehrt.

In diefer nordiſchen Gejtalt ver Brunhild ftellt fich germanifche Frauennatur in urzeitlicher Wiloheit und Größe dar, umfloffen von einem mythifchen Nimbus 29). In ver Kriemhild Dagegen, ver Heldin des Nibelungenliedeg, erjcheint fie zur veutfchen Weiblichkeit gefänftigt. Wenig- ftens im erften Theile des großen Gedichts. Ein echt⸗ deutſches Mädchen, fchön, hold und fanft, tritt da Kriem- bild wor uns Hin, „wie der lichte Mond, der lauteren Scheine einhergeht nor den Sternen“. Ihr erſtes Auf- treten ift wie das Aufglänzen des Morgenroths aus trüben

42) Wie belannt, hat in unferen Tagen ein deutſcher Dichter, Wilhelm Jordan, den gelungenen und mit großem Beifall auf- genommenen Verſuch gemacht, mittels feiner ftabreimenden Helden⸗ dichtung „Die Nibelunge” (I. Thl. „Sigfridfage*, II. Thl. „Hilde- brands Heimkehr”), 1867 fg. unjer nationales Epos in feinem urjprünglihen Sinn und Geift wieberherzuftellen. In biefer Neudichtung der uralten und großartigen Sage wiberfährt aud) ber walküriſchen Geftalt der Brunhild ihr volles Hecht. Auch noch zwei andere deutfche Dichter, Zeitgenofjen Jordans, Geibel und Hebbel, haben fih durch den Zauber des Dämoniſch-Tragiſchen, welcher dieſe Geftalt umfließt, angezogen gefühlt.

88 Buch J. Kap. 3.

Wollen, und al8 der theure Held und die ſchöne Maid, deren Wangen bei feinem Anblid höher entbrannten, fih zuerft begrüßten, da „zwang fie zu einander ber fehnenden Minne Noth“. Nachdem Sigfriv ihr Gatte geworben, liebt fie in ihm ven erſten Mann und Helden der Welt und aus diefer Liebe fchöpft die Sanfte jenen Stolz, womit fie tie Berunglimpfung ihres Gatten durch ihre Echwägerin Brunbild zurüdweift. Doch kann nur ver Mord Sigfrive, zu welchem fie in Folge einer teufe- lifchen Lift Hagens unbewußt mitwirken muß, eine voll- jtändige Umwandelung ihres Charakters zumegebringen. Die Rache fteigerte ihr Weſen ins Uebermenfchliche, Un- geheure. Alles opfert fie dem verzehrenden Getanfen, den Racheftahl auf ven Mörter Sigfrivs zu Ienfen, und wäre e8 über ein Meer von Blut hinweg. So wird fie zur Furie und als folche fällt fie zulegt unter dem Schwerte des alten Hildebrand.... Wenn Kriemhild, in der an- geveuteten Weife, aus dem Milden und Zarten ins ber- jerferhaft Wilde umfchlägt und von aus Liebe geborenem Haß wie von einem Dämon weit über die Schranfen fraulider Empfindung und Sitte hinausgeftachelt wird, fo Hält dagegen die deutſche Odyſſee, das Gudrunlied, in der Geftalt feiner Heldin das deutſche Ideal von Weib- lichfeit folgerichtig feit, das deutſche Frauenideal, wie bie mittelalterliche Romantik es geichaffen. Das Gedicht son Gudrun oder mwenigftens ver lebte Theil vefjelben ift ja überhaupt weit mobderneren Geiftes als das von den Nibelungen und endigt daher auch, recht im Gegenfa zu dem erſchütternd tragiichen Ausgang des legteren, mit Sühne

Göttinnen und Heldinnen. 89

und breifahem SHochzeitiubel. Kriemhild ift, obgleich getauft, noch eine ganze Kelvin, Gudrun (oder Kudrun) dagegen hat den chriftlichen Katechismus ſchon beffer ge lernt : deſſhalb ift jene eine handelnde, dieſe eine duldende Heldin. In Dultmuth und Treue bewährt fie den Adel ihrer Seele. ‘Der Heimat und ihrem Verlobten Herwig entführt, läſſt fie lieber jede Miffhandlung wonfeiten ver böfen Gerlind über fich ergehen, als daß fie ihre Treue bräche und bes Normannenprinzen Hartmuth Werbung erbörte. Zur Magb emiedrigt, muß fie, barfüßig im Schnee ftehend und nur mit einem Hemde beffeivet, am Meeresitrand als Mäfcherin arkeiten, bewahrt aber allen dieſen Demüthigungen zum Trotz ihre jungfräuliche Würde und ihren königlichen Sinn, bis Herwig mit feinen Streit- gefellen rettend naht. Dann, nad) errungenenm Siege ber Ihrigen tritt fie fchütend, vermitteln und Frieden ſtiftend für die Befiegten ein, vem Wüthen des rachegrimmen Wate wehrend. Gudrun verdient e8 wohl, für alle Zeit in dem Heiligthum der Poefie als Typus germanijcher Frauen ſchönheit und Frauenfitte aufgeftellt zu bleiben.

Im Gudrunlied tritt das Verhältniß ziwifchen Herrin und Magd in feiner ganzen Schroffheit uns vor Augen. Da dieſes aus der heipnifchen Vorzeit herübergefommene Verhältniß das ganze Mittelalter hindurch herrichend blieb, jo iſt e8 vielleicht nicht unpaffend, auf den ſchon im vorigen Kapitel berührten Stänveunterfchied bier, am Schluffe des erften Hauptabfchnittes unferer Darftellung, einläfflicher zurüdzufommen. Werden wir doch im Ver- laufe der Erzählung überall, wo von dem Gegenfag ber

90 Buhl. Kap. 8.

freien Frauen zu den unfreien die Rede fein wirb, den Finger auf diefen Punkt legen müfjen.

Es Tann feinem Zweifel unterliegen, daß die Ein- theilung ver Menjchen in Kaften eine uraltsindogerma- nische Einrichtung war. Die altindifhen und altgerma- nifchen Religionsurfunden ftimmen merkwürdig barin überein, daß dieſe Einrichtung ein Ausfluß des göttlichen Willens gewejen jei. Die Frage, ob und inwieweit es Sache priefterliher Schlauhett geweſen, der Thatfache focialer Ungleichheit ven Stämpel göttlicher Fügung auf- zubrüden und fie dadurch für vie Gefnechteten und Unter: prüdten annehmlicher oder wenigftens ehrwürdiger und unantaftbarer zu machen, Tann hier füglich unerörtert bleiben. Genug, die germanifche Bibel hat dieſe Stäm- pelung wirklich vorgenommen, und zwar im „Rigsmal“ ver älteren Edda. ‘Da wird ung der Urfprung der Stände erzählt, welcher unter ver ziemlich zweideutigen Vermitte- Yung des Gottes Heimdall vor fich geht 43). Denkwürdig ift dabei, daß die Reihenfolge der Entftehungen mit ven Unfreien beginnt und von biefen zu den Freien aufiteigt, freilich ſehr begreiflicher und Iogifcher Weiſe; denn

43) Dem indifhen Dogma zufolge fällt die Entftehung ber verjhiedenen Menſchenkaſten mit der Weltwerbung des Brahma, d. i. der göttlichen Urfuhftanz, zufammen. Die indiſche Mythologie bat das jo ausgebrüädt: Als die Götter das Brahma zum Opfer machten und feine Zerftüdelung vollzogen, wurde aus feinem Munde der Brahman, aus feinen Armen der Kichatrija, aus feinen Schenkeln der Vaiſja und aus feinen Füßen der Supra.

Söttinmen und Heldinnen. 91

erft muß: doch eine Maſſe vorhanden fein, bevor fich Einzelne aus ihr und über fie erheben fünnen.

Heimdall durchwandert unter dem Namen Rigr die . Erde und fehrt zuerjt bei einem alten Ehepaar ein, bei Ai und Edda (Urahn und Urahne). Nach neun Monaten gebiert Edda einen Knaben, ven Thrälf (Knecht), ſchwarz und rauh von Haut, knotig von Gelenfen, fragig von Antlig, krumm von Rüden. Diefer Liebenswürbige heis ratet, herangewachjen, eine Ebenbürtige, die gängelbeinige, braunarmige, plattnafige Thyr (Magd). Von Thräll und Thyr kommt das ganze Gefchlecht ver Unfreien. Weiter ge- wandert, war Rigr inzwifchen bei einem zweiten Paar ein- gelehrt, bei Afi und Amma (Großvater und Großmutter), jener im fnappanliegenden Kleid, freier Stirne, gefträlten Bartes, die Weberftange zurichtend, dieſe mit Haube und Halsſchmuck angethan, ven Roden rüftend und die Spindel orehend. Nach neun Monden genas Amma eines Sohnes, ver hieß Karl, war frifch, roth und funfelnder Augen, wuchs und gebieh fröhlich, zähmte Stiere, zimmerte Pflüge, fertigte Wagen, baute Haus und Scheune, beitellte das Feld und nahm die Snör zur Ehe, mit welcher er das GSefchlecht der freien Bauern (Karle, Kerle, daher noch jest ein „Bauerferl”) zeugte. Rigr wanderte weiter und fam zu einem dritten Ehepaar; das hieß Vater und Mutter und befehnte der Hausherr den Bogen und ſchäftete Pfeile, während die Hausfrau müffig jaß, fich vie Hände befah und die Falten ihres Kleides glattftrich. As neun Monate um, gebar die Mutter einen Sohn, deſſen Locken licht, deifen Wangen leuchtend, veffen Augen

2 _ Buch I. Kap. 3.

liftig und welcher Iarl genannt wurde. Der wuchs heran in der Halle, lernte Bogen fpannen, Speere werfen, Lanzen . fehwingen, Hengfte tummeln, Hunde heten, trieb fi in Fehden um, eroberte Land und Leute und führte als Braut die gürtelichlanfe, atelige Erna heim. Ihrem Bund entfproffte das Gefchlecht ver Adalinge (oder Jarle) und in tem Namen ihres jüngjten Sohnes, des Ichwertgewaltigen und runenfundigen Konur, ift viel- leicht vie Herausbildung des Königthums aus dem Adel angedeutet.

Auf diefer mythiſchen Grundlage gliederte fich dem⸗ nach die altgermanifche Geſellſchaft in drei große Stände: Knechte, Freilinge, Adalinge, und dieſe Dreitheilung ward zur Viertheilung, indem ven alten Rechtsbüchern zufolge die Unfreien in hörige Bauern (Liti oder Lazzi) und in eigentliche Knechte (Servi oder Schalke) zerfielen. Die Eintheilung der veutichen Frauenwelt ergibt fich hieraus von ſelbſt: leibeigene Mägde, hörige Bäuerinnen, freie Bäuerinnen (wozu im Verlaufe des Mittelalters die ſtädtiſchen Bürgerinnen kamen) und Evelfrauen. Die Zeit, bie raftlofe Wirferin am Webftuhl der Weltgefchichte, hat bie rechtliche wir fagen nicht die ſociale Schranfe zwijchen Unfreien und Freien auf deutfcher Erde mälig befeitigt. Aber was fie nicht vermochte, noch, foweit ein menfchliches Auge die Zukunft durchdringen Tann, je ver- mögen wird, das ift die Aufhebung des Unterſchiedes ver natürlihen Anlagen, des Reichthums, des Ranges und der Bildung, ſowie der daraus fich ergebenden Verſchieden⸗ heit ver Zebensstellungen. Es fteht ſodann ebenfalls leider

Söttinnen und Helbdinnen. 093

nicht zu hoffen, daß jemals eine Zeit kommen werbe, wo nicht mehr der blinde Zufall ber Geburt oder bie blinde Gunſt des Glückes die Stellung der Menfchen in ber . Geſellſchaft beftimmen, ſondern Intelligenz, Redlichkeit und Verdienſt. Und könnte auch jemals fo eine Zeit fommen, fo würde es doch immer und überall Leitende und Geleitete, Gebietende und Gehorchende geben und geben müſſen und darum in der weiblichen Welt auch . allzeit zwei große, wenn auch mannigfaltig abgeftufte Klaſſen: Frauen, d. i. Herrinnen, und Mägde.

Zweites Bud,

Mittelalter.

Bom achten bis fünfzehnten Jahrhundert.

Esn ist al der dinge dehein, Der ie diu sunne beschein, 86 rehte saelik s6 das wip, Diu ir leben unde ir lip

An die m&ze verlät.

(Von allen Dingen auf biefer Welt, Die je der Sonne Licht erhellt, Iſt keins fo felig wie dad Weib, Das ftetd ihr Leben und ihren Leib Und ihre Eitten bem Ma $ ergibt.) Gottfried von Straßburg.

Erftes Kapitel,

Karlingiſche Beit.

Karl der Große. Blid auf die römisch-chriftliche Frauenwelt der erſten Sabrhunderte. Möncherei und Nonnerei in Deutichland. Der Marienkult. Maria im „Heliand”. Maria’s Minne. Einfluß des Chriſtenthums auf die germanifche Ehe. Die Frauen und Töchter Karls. Die Weiberhäufer. Epifode vom fogenannten „Recht der erften Nacht“. Tracht und Pracht ber tarlingifhen Damen. Richardis. Die Frauen und die Gottes» urtheile.

Barl der Große ift eine jener weltgefchichtlichen Ge- ftalten, welche mit ben riefenhaften gothifchen Domen unferer Städte zu vergleichen find. Dem Befchauer, ver mit Fritifch prüfenden Bliden an diefe Hervorbringungen menfchlicher Thatkraft in einem ihrer gewaltigften Auf- ſchwünge ganz nahe berantritt, muß manche Einzelnheit auffallen, welche ven mächtigen Geſammteindruck beein- trächtigt. Dies und das mag ihm wohl geradezu unfchön und fraßenhaft erjcheinen. Zwiſchen vie himmelan

ſpringenden Strebepfeiler hineingeflebte Buden mit ihrem Scherr, fsrauenwelt. 4. Aufl. I. 7

98 Bud II, Kap. 1.

gemeinen Trödel beleidigen das Auge, bizarre Skulpturen, die menfchliche Geftalt zur thierifchen werzerrend, ver- wirren die Vhantafie und das heifere Gefrächze ver an Zinnen und Thürmen niftennen Dohlen, Sperber und Käuzlein macht fich dem Ohre widerwärtig. Alle diefe Störniffe aber verſchwinden, wenn du, der Stadt ven Rüden fehrend, von einem Hügel vor den Thoren aus den Blid nach dem ‘Dome zurückwendeſt. Da erjcheint der Koloß bir in feiner ganzen Mächtigfeit, über das Häufermeer hoch emporragend, wie ein Rieſe aus dem Gewühl von Zwergen, ein in ſteinerne Wirklichkeit überſetzter großer Gedanke.

Auch die Geſchichte darf nicht kammerdienerhaft an einer welthiſtoriſchen Perſönlichkeit herumſpähen, wenn ſie die Geſammtwirkung derſelben nicht verlieren will. Sie muß ihren Gegenſtand im ganzen und großen faſſen, und thut ſie das, ſo wird ſie in dem gewaltigen Karlinger einen Grundpfeiler des geſellſchaftlichen Bauwerkes er- kennen oder anerkennen, welches nach der Sintflut der Völkerwanderung an die Stelle des antiken getreten iſt.

Eine zwar patriotiſch geſinnte, aber mit den That⸗ ſachen mitunter fo willkürlich wie ein Rind mit Blei—⸗ foldaten fpielende Gefchichtichreibung hat den Vorwurf gegen Karl erhoben, er habe bei Begründung einer neuen Beriode der Kultur viel zu fehr die hriftlich-romanifchen und viel zu wenig die einheimifch-germanifchen Kultur- elemente berüdjichtigt. Nichts kann verfehrter und un- gerechter fein als dieſer Vorwurf. Karl, ein wejentlich germanijcher, ein deutſcher Mann, hat die altnationalen

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Karlingifche Zeit. 99

Veberlieferungen keineswegs unberüdfichtigt gelaſſen; er bat fie im Gegentheil, wie jedermann weiß, pietätvoll aus dem durch die Völferwanderung gebäuften Schutt nach Möglichkeit wieder hervorgeſucht. Aber daß ihm diefe noch dazu von der Kulturſaat des Chriftenthums von allen Seiten her bereits überwachjenen Trümmer als ausreichendes Material eines neuen Staatsbaues hätten dienen fönnen, das kann doch nur Die Phantafterei behaupten. Auch wenn er nicht ein Chrift aus Ueberzeugung gewefen, mußte er als Staatsmann ver chriftlich - romanischen Bildung, wie er fie eben vorfand, fich bedienen. Er konnte gar nicht andere. Ein Herricher, der eine Weltnonarchie begründen wollte, mußte fih mit Nom verbinden; venn bereitS war die Idee einer univerfalen Obmacht von dem antifen Cäfarendiadem auf vie Ziara des römischen Bifchofs übergegangen und hatte auf Betreiben des Boni- facius ſchon die erfte deutſche Synode (i. 3. 743) Die deutſche Kirche der Herrichaft des Papftes unterworfen. Das Chriftenthum war alfo bereits eine organifirte Macht. Der Staat mußte zufehen, wie er fich mit verjelben ab- finden könnte, denn er fonnte fie nicht überjehen und noch viel weniger fonnte er fie vernichten. Der Weg, welchen Karl bei Verwirklichung feiner Staatsidee einjchlug, war demnach ein vorgezeichneter. Daß er in Verfolgung befjelben vor feinem Mittel der Lift und Gewalt zurüd- ſcheute, daß ihm nicht davor bangte, Ströme mitleidslos vergoffenen Blutes zu durchwaden, um zum Ziele zu gelangen, mag ver Weichherzige, welcher in Karl nur den „Sachſenſchlächter“ fieht, beffagen ; aber feftjteht traurig- 7*

100 Buch II. Kap. 1.

wahr, daß der Vorſchritt der Menſchheit ſtets durch Ströme von Blut und Thränen gegangen iſt. Mira⸗ beau's bekanntes Wort, Revolutionen würden nicht mit Lavendelwaſſer gemacht, findet auch auf die karlingiſche feine Anwendung, welche übrigens weit mehr eine auf- bauende als eine zerftörende gewefen iſt. Karl war ver Vollender der allerdings ſchon durch die Alarih, Theo- borich, Albuin und Chlodwig begonnenen Umbildung ver altgermanifchen Adelsrepubliken zum chriftlich-germa- nischen Königthum, zur Erbmonardie. Schon hierzu war die Durchſetzung des neuen Glaubens in germanifchen Landen unumgänglich nothiwendig, weil nur Chriſten die jüdiſch⸗chriſtliche Königsidee begreifen und achten fonnten. - Karls Streben ging aber weiter. Er wollte nicht nur ein germanifcher König, er wollte ein Weltmonard) fein. Die im Bapfte verkörperte Einheit der abend- ländiſchen Chriftenheit follte auch ftaatlich verwirklicht werden. Dies ift ver Sinn jener Scene, als Karl zur Weihnacht des Sahres 800 in Rom von dem ihm zu Dante verpflichteten Bapfte die römiſche Kaiſerkrone fi reihen ließ. Was auch immer für Unheil dieſes Wieder: aufleben des römischen Kaiſerthums und deſſen Weber: tragung an die Deutſchen über unjer Vaterland gebracht hat, ed war für einen Monarchen, welder Europa beberrfchte und deſſen Namen Aften mit Ehrfurcht nannte, gewiß ein naheliegenver, perſönlich Iodenver und politifch fruchtbarer Gedanke, in ven Purpur römifcher Cäfaren- majeftät fich zu Hilfen.

Das mit dem Geifte des neuen Glaubens getränfte,

Karlingifche Zeit. 101

durch Karl ven Großen neu organifirte Germanenthum wurde der Träger einer neuen Kultur. Daß dieſe eine vorwiegend kirchliche und auf Firchliche Ziele gerichtete fein mußte, lag in ihrer Natur, obzwar nie und nimmer vergefjen werden darf, daß die germanifche Kleriſei und Möncherei, alfo die Vertreter der intelfeftuellen und viel- fach auch ver materiellen Bildung, von Rom her mit ven Kriftlihen Dogmen zugleich auch die literarifchen Ueber⸗ Lieferungen des Haffifchen Alterthums überlommen hatten und mit jenen auch diefe als Kulturfaaten in: den friſch geroveten beutfchen Urwaldsboden jtreuten. Wenn wir aber hier wieder, wie fchon früher, betont haben, das Chriſtenthum fei erſt durch die Germanen eine welt- geichichtliche Kulturmacht geworben, fo genügt ein flüch- tiger Bli auf die römifchechriftliche Gefellichaft der erſten Sahrhunderte, um darzuthun, daß jene Behauptung nicht etwa auf bloßem Nationalftolz, ſondern vielmehr auf alfbefannten Thatfachen beruhe. In der focialen Fäulniß, - welche die lange Agonie des römiſchen Reiches begleitete, hatte das Chriſtenthum unmöglich cine fittliche Lebeng- macht werben können. In diefem Sumpfe konnte Reines und Ideales nicht geveihen. Die römifche Ge- ſellſchaft ich fpreche von ver Regel, nicht von den Aus- nahmen nahm das Chriftentbum als ein politifches Motiv bin, Tieß es fih als ein polizeiliches Imftitut gefallen oder betrieb es als eine Modeſache oder würdigte e8 gar zu einem Hilfemittel der Ausfchweifung herab. Ein gewiß unverwerflicher Zeuge, ver Kirchenvater Hiero- nymus, läſſt hierüber gar feinen Zweifel. Er erzählt als

102 Bud II. Rap. 1.

Augenzeuge ; denn er hatte in der zweiten Hälfte des 4. Sabrhunderts in einer Stellung zu Rom gelebt, welche ihm ven Zutritt in die modiſchen Geſellſchaftskreiſe ficherte. So oft er in feinem fpäteren Briefwechjel auf jene Zeit zurüdfommt, gehen aus feiner Feder Sittengemälbe hervor, welche bald unfer Lachen, bald unfern Abjcheu erregen. Er führt uns die vornehme Frömmlerin vor, wie fie buhleriſch geſchminkt auf dem Xotterbette liegt, ein prachtvoll gebundenes Exemplar ver heiligen Schrift in der Hand, von ſchmarotzenden Prieftern und Mönchen umgeben, welche wetteifern, ver Dame bes Haufes bie geiftlihe und weltliche Skandalchronik der Stadt zuzu⸗ tragen. Oper er läfjt ung mitanjehen, wie die vornehme Ehriftin ihre Sänfte befteigt, um nach der Bafilika Petri getragen zu werben, einen Schwarm von Eunuchen vor- auf, eine Schar von Haus- und Leibſklaven hintendrein, mit pomphafter Oftentation Almofen vertbeilend und begegnende Bekannte oder Unbefannte zur einer Agape (Liebesmahl) einladend. Wenn uns als Seitenftüd zu diefem Typus einer Chriftin Hieronymus vie charakte- riftifhe Figur eines modischen Diafon jener Zeit malt, wie derſelbe, gefchniegelt und gebügelt, das ſeidene Ge- wand von Wohlgerüchen duftend, die Haare Funftvoll gefräufelt, die Finger von Ringen ftroßend, die Füße in zierlihden Saffianfchuben ftedend, in eleganter Equipage zur Viſite bei feinen „geiftlichen Freundinnen“ vworfährt, fo verftehen wir unfchwer die Winfe, welche ver Kirchen- vater über die Zuchtlofigfeit im chriftlichen Rom fallen läſſt, über die Ausfchweifungen, welche unter dem Ded:-

Karlingiſche Zeit. 103

mantel der „geiftlichen Verwandtſchaft“ oder „Gejchwifter- ſchaft“ zwiſchen Matronen und Jünglingen, Klerikern und Jungfrauen, Mönchen und Nonnen im Schwange gingen. Hieronymus gibt aber inbetreff der ſittlichen Verſumpfung des chriſtlichen Roms nicht etwa nur Winke, ſondern er ſpricht draſtiſch deutlich genug und zeigt uns, wie durchaus unvermögend das Chriſtenthum war, dieſes Rom aus ſeinem tiefen Sittenverfall aufzurichten. Alle Stände waren gleichmäßig davon verpeſtet. Wie bei ſolchen Zuſtänden immer, war das Inſtitut der Ehe zu einem Spott geworden. Unſer Kirchenvater erzählt, er habe ein Braut⸗ paar aus dem Volfe geſehen, welches ſich zuſammenthat, nachdem der Bräutigam bereits zwanzig Frauen, die Braut aber zweiundzwanzig Männer begraben hatte. Das Publikum war daher außerordentlich geſpannt, mit weſſen Sieg dieſe Ehe enden würde, und als der Mann geſiegt, d. h. als er mit einem Palmzweig in der Hand vor dem Sarge ſeiner vielmännigen Gattin einherſchritt, wurde er von der Menge wie ein Triumphator bejubelt!). Zur nämlichen Zeit, wo folches gefchah, wurde in ven Theatern Roms die „Majuma” aufgeführt, eine theatralifche Zote, deren Ölanzpunft war, daß eine Schar von nadten Luſtdirnen vor den Augen ver Zuſchauer badete und da⸗ bei in. lafeioften Gebärden und Gruppirungen fi übte. _ Und doch wurde die weftrömifche Zuchtlofigfeit des 4. und 5. Jahrhunderts von der oftrömifchen des 6. noch überboten, in einer Weife, welche ver fchamlofeiten Ver⸗

1) Epistolae S. Hieronymi, 22, 123, 125, 147.

104 Bud LU. Kap. 1.

worfenheit für alle Zeiten den Namen ver byzantiniſchen gefichert hat. Da, in Byzanz erlebte e8 vie Welt, daß der „Sehr chriftliche” Kaifer Iuftinian eine Buhlerin der berüchtigtften Sorte aus dem tiefiten Schmutz des Komö⸗ diantenthums und der Proftitution zu fich auf ven Thron erhob, jene Theopora, weldhe, nur mit einem jchmalen Gürtel befleivet, auf ver Bühne abjcheuliche Pantomimen agirt und in unerjättlicher Wolluſtgier die Natur der Kargheit beſchuldigt hatte 2). Angeſichts ſolcher Ausſchreitungen des, Fleiſches muß uns, auf dem Standpunkte von damals, die Realtion, welche der chriſtliche, Geiſt“ in feiner Erſcheinungsform als Möncherei dagegen verſuchte, vollkommen berechtigt erſcheinen. Es begreift ſich, daß Menſchen edleren Ge⸗ haltes, Männer wie Frauen, aus der wüſten Orgie einer bis ins Mark angefaulten Geſellſchaft in die Wildniß ſich ſehnten und flüchteten, um da ihrem Gott in einſamer Beſchaulichkeit zu leben. Der ruhige Beurtheiler wird ſich durch die allerdings ſchon ſehr frühzeitige Ausartung des Mönchthums nicht beſtimmen laſſen, zu leugnen, daß die urſprüngliche Idee deſſelben eine reine und heldiſche geweſen. Sie war auch eine zwingende. Denn voraus⸗ geſetzt, daß das apoſtoliſche Chriſtenthum überhaupt eine Möglichkeit, ſo konnte es in der römiſchen Geſellſchaft, wie ſie einmal war, nur als Möncherei exiſtiren. In dieſer Form entſagte das Chriſtenthum einer Welt, welche zu überwinden es nicht vermochte. Aber die Welt gibt

2) Procopii Hist. arcana, cap. 9—10,

Karlingiſche Zeit. 105

ihre Anſprüche an den Menjchen nicht jo leicht auf und fo ſehen wir denn das Möndhthum bald als ein ſehr wirk⸗ fames fociales Motiv in das Leben des Mittelalters ein- greifen. Nachdem im Orient vorzugsweife durch Bafılius, im Okcident durch Benedikt von Nurfia und feine Kluge und fromme Schwefter Scholaftila das urchriſtliche Ein- fieplerwefen die feften Formen und Regeln Flöfterlichen Zufammenlebens gewonnen hatte, wurbe die Möncherei aus einer blos paffiven zur aktiven, namentlich dieſſeits der Alpen, wo eine rauhere Natur Mönde und Nonnen zu ganz anderen Anftrengungen nötbigte, als es im Süden der Fall war. Bei uns in Deutſchland, wie überhaupt. im Norven find zur karlingiſchen Zeit und noch lange nachher die Mönche, was auch immer ihre Schwächen jein mochten, vie Bringer, Pfleger und Ver⸗ ‚breiter materieller und geiftiger Kultur gewefen. Die Klöfter waren recht eigentlich Burgen ver Eivilifation ; ‚denn wie ihre Infaffen Wälder Härten, Flüffe dämmten Getreivefelver zurüfteten, Obftbäume pflanzten, die Rebe an fonnigen Halvden emporklimmen Tießen, Gartenge- wächſe einführten und daneben allerlei Handwerksge⸗ ſchicklichkeit übten und lehrten, jo bewahrten und pflegten ‚fie, wenn auch. in mönchifch-befchränftem Geifte, die lite tarifhen Denkmäler ver viefhunvertjährigen Kulturarbeit des Altertbums. Der deutſche Bauer thut fürwahr ganz ‚recht, wenn er noch heute die Emmeran, Gallus, Frivolin, Pirmin, Kolumban und andere als Halbgötter verehrt ; aber auch der deutfche Gelehrte, welchem Möncherei und Chriftentfum nur noch Tulturgefchichtlihe Bedeutung .

106 Bud IL. Kap. 1.

haben, follte fi dankbar erinnern, daß die Götterbilver Homerd und Vergils, ſowie die Gedankenwelt des Ariitoteles und die Redekunſt Cicero’ aus der einge- ftürzten antifen Welt in die ſich aufbauende- moderne in Kuttenärmeln herübergetragen wurben.

Mit der Möncherei kam natürlich auch die Nonnerei nad Deutjchland. Der große Bekehrer Bonifaz, eine Art von antecipirtem Iefuiten, indem er mit unbeug- ſamem Fanatismus die ganze Schlauheit eines abgefeimten Diplomaten verband und feinem Zwecke, Deutfchland dem römifhen Stuhl zu unterwerfen, alles nugbar zu machen wußte, Bonifaz veritand es wortrefflich, ver Frauen fich zu bevienen, und da er in Deutſchland noch nicht das paſſende weiblihe Material vorfand, Tieß er eine Anzahl geiftlicher Freundinnen aus England herüber- fommen, wo freilich, falls dem angelfächfifchen Kirchen⸗ biftorifer Beda zu trauen ift, die Nonnerei fehon im. 7. Jahrhundert auf bevenflihe Abwege gerathen jein mußte. Denn Bea erzählt, daß die Nonnen feines Landes ihre Meifterfchaft in der Webekunſt hauptſächlich dazu benüßt hätten, ihre Liebhaber mit prächtigen Kleidern zu befchenfen. Die angelfächfifchen Mitarbeiterinnen Winfrids in feinem Miffionsgejhäft waren jedoch anderen Sclages und haben ein rühmliches Andenken hinter- laſſen. So die gelehrte Lioba, Aebtijin des Nonnenklofters Biſchofsheim an ver Tauber ; ferner Thekla, Aebtifin des Nonnenklofters Kitingen, und Walpurgis, Vorfteherin des Klofters Heidenheim. Biſchofsheim insbeſondere wurde und blieb Lange eine Pflanzſchule weiblicher Bildung.

Karlingifche Zeit. 107

Bom 8. Jahrhundert an wurde die Zahl der deutichen Jungfrauen und Frauen, welche fi als Förberinnen der Kirche, als Gründerinnen von Klöftern, als Nonnen und Rekluſen hervorthaten, in deutfchen Landen immer größer und größer und willen uns die Legenden eine Menge von weiblihen Ganz over Halbheiligen vorzuführen. Die Nonnenkutte war auch außerhalb der Klöſter ein begehrtes und geehrte® Gewand. Es gab eine nicht geringe Anzahl von Frauen, welche daſſelbe trugen und als „Gottes mägde“, „Verfchleterte”, „Sottgeweihte* ehelos in ihren Familien lebten, zeitweilig oder für immer. Kloſter⸗ und Weltleben [pielte überhaupt in dieſer Zeit und noch lange nachher mannigfaltig in einander, und. obgleich eine Nonne, welche ihr Gelübde Brad, um in den Eheſtand zu treten, erfommunicirt wurbe, fam doch dieſer Yall, be- fonders in den höheren Geſellſchaftsſphären, häufig genug vor und ſcheint man fich wor der Zeit der Gregore und Innocenze aus dem Kirchenbann überhaupt nicht eben viel gemacht zu haben. Als Regel, vie freilich viele Ausnahmen zählte, galt, daß fein Mädchen vor erreichtem 25. Lebens- jahre, alfo nicht wor Eintritt des Altjungferntfums, das bindende Kloftergelübde ablegen follte. Die Kapitularien Karls des Großen bezeugen übrigens, daß die Nonnen dem großen Organifator und Gefeßgeber nicht wenig zu fchaffen machten. Es ift darin von Nonnen die Rebe, welche ein vagirendes Leben führten, ftatt ihrem himmliſchen Bräu- tigam treu zu bleiben fehr weltliche Liebfchaften pflegten, ſogar um Geld, und die Folgen verjelben mittels DVer- brechen bejeitigten, gegen welche mit ftrengen Strafen

108 Bud II. Kap. 1.

vorgefahren werden mußte. Es wird darin auch ver- boten, Nonnenklöfter in gar zu bequemer Nachbarichaft von Möncheflöjtern anzulegen, und e8 wird ver Verkehr von Mönchen und Nonnen unter einander, jowie von Laien und Religiofen beiderlei Gefchlechts jo ſehr bis ins Einzelne hinein geregelt, daß augenfcheinlich triftigfte Gründe für eine derartige Maßregelung ver häufig ſtrauchelnden oder wohl ganz fallenden Frömmigkeit vor- handen fein mußten. Die armen Nonnen! Biele mochten ihr Gelübde unvorbedacht, in einem Anfall von Schwär- merei abgelegt haben, viele auch gezwungen, manche noch als Kinder, und nun waren fie in die düſtere Zelle ge- bannt, während draußen Leben und Liebe riefen und Iodten. Aber von Liebe, abgefehen von der himmlifchen, jollten fie nicht einmal fingen. Mit der ernfthafteften Miene von der Welt verbot Kaifer Karl mittels Kapi⸗ tulare vom Jahre 789 den Nonnen, Liebesliever abzu- ſchreiben und einander mitzutheilen („winileodos scri- bere vel mittere“), Dover dürfen wir vielleicht an- nehmen, daß der Kaiſer, bekanntlich jelber jehr verliebter Natur, jtillvergnügt wor fich hingelächelt habe, als ihm dieſes Edikt zur Unterzeichnung vorgelegt wurde? Was wir beftimmt wiffen, ift, vaß das in Rebe ſtehende Verbot das Schickſal jo vieler anderer Verbote hatte. Die Wini- lieder verftummten in den Nonnenklöftern ebenfo wenig als in ven Männerflöftern. Wir fommen weiterhin dar⸗ auf zurüd. Ä

Die hohe Werthung des jungfräulichen Standes in ber hriftlichen Kirche und damit auch die Verbreitung der

Karlingifche Zeit. 109

Nonnerei hing auf’8 genauefte mit dem Marienkult zu- fammen, welcher felt vem 5. Jahrhundert ein immer be- deutfameres Moment im Chriftenthum geworben war. Das „Ewig-Weibliche” Hatte nicht geraftet, bis es auch in dem neuen Glauben feine mythologiſche Anerkennung gefunden. Dean könnte die Vergottung ver Mutter Jeſu als eine Einräumung begrüßen, zu welcher ver ſchneidende Spiritualismus des Juden⸗Chriſtenthums der Natur gegenüber fich herbeilteß, wäre nur viefe Einräumung nicht wieder dadurch ilfufortfch gemacht wenigſtens im Sinne der Dogmatiter daß die Figur der Maria fofort wieder in die Region der Unnatur binübergerüdt wurde, indem man fie, deren Anspruch auf Göttlichkeit doch gerade auf ihrer Mutterfchaft berubte, mit aller Gewalt wieder zur Sungfrau, zur ewigen Jungfrau machte. Dieſer After- wis, wie noch fo mancher andere, ging aus dem Freie jener griechifch-alerandrinifchen Tiftler hervor, welchen es ja gelungen ift, die an fich fo einfachen und menfchlich- ſchönen Vorgänge ver evangelifhen Sagengeihichte zu einer Philofophie der Unvernunft zu verflüchtigen. Einer dieſer Tiftler zwar, der Kirchenvater Epiphanius, fcheint im 4. Jahrhundert der chriftlichen Zeitrechnung noch eine lebhafte Erinnerung an den menfchlich-fhönen Olymp der Hellenen bewahrt zu haben, wenigitens in lichten Augenbliden. Denn da ſah und beichrieb er in feinem „gegen die Ketzer“ gerichteten „Panarion“ in der Maria die chriftliche Venus, das Ideal weiblicher Schönheit) °.

3) Es dürfte für die Leferin und wohl auch für den Leer nicht unangenehm fein, das weibliche Schönheitsideal, wie es ſich der

110 Buch II. Kap. 1.

Die Voritellung von ver Mutter Iefu mußte jedoch noch die wiverwärtige Procedur des fogenannten neftorianijchen Streite8 durchmachen, bevor fie zu dogmatiſcher Feftig- feit gelangte. Es handelte fich dabei um ven Streit- punft, ob, wie Neftorius wollte, Maria als „Chrijtus- gebärerin“, oder, wie feine Gegner verlangten, als „Gottes- gebärerin fchlechthin zu verehren wäre. Die neftorianifche

Phantafie eines Kirchenvaters darftellte, näher anzufehen. „Die Ihönfte der Frauen, fagt Epiphanius, war Maria durdaus wohl- geftaltet und weder zu kurz noch zu lang. Ihr Leib war weiß, Ihöngefärbt und fehllos, ihr Haar lang, weich und goldfarben. Unter einer wohlgebildeten Stirne und fehmalen, braunen Brauen leuchteten ihre mäßig großen Augen hervor, mit einem Lichte wie das des Sapphirs. Das Weiße darin aber war milchfarben und glänzend wie Glas. Die gerade und regelrecht geftaltete Nafe, jowie der Mund mit den ſchöngeſchnittenen und rofenfarbenen Lippen waren lieblich anzufehen. Ihre reinen und jchöngereihten Zähne verglichen fih an Weiße dem Schnee. Jedes ihrer Wänglein war wie eine Lilie, auf welcher ein Roſenblatt liegt. Ihr fchöngerundetes Kinn trug ein Grübchen, die Kehle war weiß und blanf, der Hals ſchlank und von rechter Länge. Ihre weißen Hände zeigten lange und ſchmale Finger mit reinen und wohlgeformten Nägeln. Schön war ihr ang, anmuthig ihr Minnefpiel, züchtig al’ ihr Gebaren. Summa: Gottes Sohn ausgenommen, befaß niemand einen fo ihönen und reinen Leib wie die Jungfrau Maria”..... Merl- wirdig tft an biefem, meines Wiſſens in folder Ausführlichfeit älteften Marienbilde der Umftand, daß es, obgleih von einem Paläftinenfer entworfen, durchaus den Typus germanifdher Frauen fhönheit trägt: golbblondes Haar, blaue Augen, Lilienweiß und Rofenroth der Wangen. Die künftlerifche Tradition der Mabdonnen- bildnerei in Worten und Farben hat befanntlich diefen Schönheits- typus im ganzen bis auf unjere Tage herab feftgehalten.

Karlingifche Zeit. 111

Anficht unterlag der gegnerifhen auf dem Koncilium zu Ephefus (t. 3. 431) und unlange darauf mweihte der römische Biſchof Sirtus III. ver „Iungfrau“ Maria, ver Sottesgebärerin”, deren Kultus bis dahin im Abendland nur ein unbeftinmter und [ehüchterner gewefen war, zu Rom die neuerbaute Bafilifa des Liberius auf dem efquilinifchen Hügel, wohl ver erfte Tempel, welcher ausprüdlich ver Gottesmutter gewidmet wurbed). Hiermit war die neue Göttin feierlich als Chorführerin der gefammten Schar der Heiligen inthronifirt. Ihr Dienft verbreitete fich von Rom aus über den Welten und Norden Europas und das „Are Maria!” wurde in der ganzen Chriftenheit ein häufigftes und heiligſtes Schiboleth, eine wahre Zauber- formel, von veren alles bewältigenver Kraft zahlloſe Legenden zu fingen und zu fagen wiffen. Denn Maria ift der Lieblingsgegenftand ber chriftlichen Poefie und Kunſt geworben : alles menſchlich Schöne und menſchlich Nührende in dem neuen Glauben fnüpfte ſich an dieſe Frauengeftalt. Mit welcher Innigkeit aber die Mutter Jeſu bei uns in Deutfchland fchon im 9. Jahrhundert verehrt wurde, zeigt uns eines ber beveutenpften Werke, welche die hriftliche Dichtung hervorgebracht hat. Sch meine jene in alt- ſächſiſcher Sprache gedichtete Evangelienharmonie, welche zur angegebenen Zeit gefchaffen wurde, ver Sage nad) auf Anregung Ludwigs des Frommen burch einen ſächſiſchen Bauer, welcher aber ein Bauer gewefen fein müßte, wie

4) Gregorovius, Geh. d. Stadt Rom im Mittelalter. I, 108, 180.

112 Buch I. Kap. 1.

es nachmals feinen mehr gegeben. Diefes Gedicht, welchem der Herausgeber Schmeller ven Titel Heliand * (Heiland) gab, tft ohne Frage das großartigfte poetifche Denkmal unferer älteften Literatur. Es erzählt vie Gejchichte Jeſu nach den Angaben der Evangelien, aber e8 erzählt fie fo, daß die Erzählung durchweg ven Stempel eines deutſchen Driginalwerfes erhält. Ganz im Gegenfate zu der Un- freiheit, womit fonft die ältefte geiftliche Dichtung in Deutſchland römiſche Vorbilder nachahmte, hielt der un⸗ genannte ſächſiſche Sänger an den Ueberlieferungen und der Tonart des alteinheimiſchen Heldengeſanges feſt und durchtränkte ſeinen bibliſchen Stoff jo glücklich mit natio⸗ nalen Anſchauungen, daß er mit echtepiſcher Naivität durchweg ven Eindruck hervorbringt, als hätte die Ge- ſchichte Jeſu auf deutſchem Boden gefpielt. Maria nennt er wiederholt „der Weiber ſchönſtes“ und überall, wo er auf fie zu fprechen kommt, klingt ver volle Ton alt= germanifcher Frauenverehrung and). AS ein jehr

5) Sp z. 3. in der Stelle, wo der Maria ihre hohe Beftimmung verfünbigt wird und welche nach Kannegießerd Neuhochdeutſchung des Heliand (©. 8. fg.) lautet:

„Da ſandte Gott feinen Boten

Nah Salildaland, Gabriel hieß

Des Allwaltenden Engel, wo ein Weib er wußte, Eine minnige Magd, Maria mit Namen,

Eine mannbare Dirne. Ein Degen auch hatte Sie erforen, Joſeph, guten Gefchlechts ;

Die Tochter Davids, die theure, fie war

Schon anverlobt ihn, als der Engel Gottes

In Nazarethburg beim Namen fie nannte,

Karlingiſche Zeit. 113

harakteriftifcher Zug des deutfchen Mariendienſtes tft das „Minnetrinfen“ zu Ehren der jungfräulichen Gottes»

Entgegen ihr trat und von Bott fie grüßte.

Heil dir, Maria, ſprach er,

Du bift deinem Herrn lieb,

Dem Waltenden theuer; du Weife, Berftändige,

Du Weib voll Gnaden, du, aller Weiber

Auserwählte, Geweibte, fei nicht weibifch verzagt,

Sei gefafft und furchtlos! Nichts Yährliches bring’ ich, Heuchelei nicht noch Heimtück'“. Du ſollſt unfers Herrn fein, Mutter unter Mannen, ein Mannkind fol dir werben Bom Herrn des Himmels. Heiland foll er heißen

Mit Namen bei den Menſchen. Nie endet und nimmer Das weite Reich, das er wird verwalten,

Der mächtige Meifter. Doc die Magd drauf fagte

Zu dem Engel Gottes, hie allerebelfte,

Holdjelige, beit're: Was foll ih? jo ſprach fie,

ie werd’ ich doch Mutter? Nie Mannes fundig

Mein Lebtag war ih! Da ließ fich verlauten

Allvaters Bote, dem Weib antworten:

Zu dir foll der heilige Geift von der Himmelsau kommen, Durd Gottes Kraft ein Kind du gebären

Zur Belt allhier. Des Waltenden Kraft

Soll di vom höchften Himmelskönige

Beichatten mit Stralen. Schöneres erſchien nie

Im Menfchengefchlecht als durch die Macht Gottes

In der weiten Welt bier. Da warb des Weibes Sinn Zugewandt dem Wunſch und Willen Gottes

Nah Gabriels Begehr. Ganz ergeb’ ich mich, ſprach fie, Bereit, mich zu richten nach dem Rathſchluß Gottes, Denn bes Höchſten bin ich und hoffe zu vollenden

Das Werk auf dein Wort, da es der Wil’ und Wunſch ift

Meines Herren und mein Herz nicht zweifelt Scherr, Frauenmelt. 4. Aufl. I. 8

114 Buch II. Kap: 1.

mutter hervorzuheben. Es war uralter germanijcher Brauch gewejen, beim feftlihen Mahle ven Göttern oder vielmehr diefem oder jenem beftimmten Gotte, dieſer oder jener beftimmten Göttin ein Trankopfer zu ſpenden, in- dem man zum Gedächtniß derſelben einen Becher Ieerte. Man hieß dieſe Ceremonie Minnetrinfen, weil ja das Wort Minne urfprünglih Andenken bedeutete‘). Wie unzählige andere religidfe Bräuche nahmen unfere Alt vorderen auch diefen mit ins Chriftentbum berüber, und - wie ihre Ahnen Wuotand oder Frouwa's Minne ge- trunfen, jo tranfen fie nun Ehrifti oder Mariens Minne. Maria nahm in der Anjchauung ver befehrten Deutſchen überhaupt die Stelle ein, welche die Frouwa oder Holda innegehabt hatte, und man kann fühnlich behaupten, daß die der mütterlichen Jungfrau zugethbeilte Rolle einer Ver⸗ mittlerin zwifchen ver Gottheit und ver Menfchheit unter allen Völkern von dem deutfchen im tiefiten und innigften

Mit Wort und Weile. So erwies, wie ich hörte, Willfährig das Weib fich dem Willen Gottes

Mit gutem Glauben und glimpflihen Sinn.

Und mit lauterer Treue trug den heiligen Geift fie,

Das Kind im Schoß, und verfchwieg es in der Bruft nicht Und jagt’ e8 jelber aufrichtigen Sinnes,

Daß der Stral fie beſchattet der ſchöpf'riſchen Kraft

Des Heiligen vom Himmel.”

6) Minne leitet fi her von der gothiſchen Wurzel man, ich denfe, woraus gaman, ich gebenfe, und weiter das althochdeutſche minnön, gebenten, nämlich des Geliebten, alfo lieben und minna, liebevolles Gedenken, zärtliches Meinen, Liebe. Die Belegftellen für das Minnetrinken bei Grimm, Mythologie, 53 fg.

Karlingiſche Zeit. 115

Sinne gefafft worden fei. „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“ dieſes Wort, womit das größte Dichters werk ver germantichen Welt fchließt, war im Mittelalter eine religiöfe Wirklichkeit.

Die Kirche mußte, indem fie ſich der Gewiffen be- mächtigen wollte, wor allem darauf ausgehen, auf bie Tamilienverhältniffe Einfluß zu gewinnen. Sie unter» nahm daher eine Umbilvdung der germanischen Ehe im hriftlichen Sinne, indem fie Polygamie und Kebjenwefen befümpfte und die Unauflöfbarkeit des ehelichen Bandes ale Regel feftftellte.e AL Ausnahmen von ber Regel ließ fie gelten den Ehebruch, lebensgefährliche Nach- ftellung, welche ver Mann der Frau oder die Frau dem Manne- bereitete, Verbannung des einen Ehegenoſſen, Unvermögen des Mannes, Unfruchtbarkeit oder Kränk⸗ lichfeit der Frau, endlich gegenfeitige8 Einverſtändniß zu heiligen Zweden, d. i. Trennung der Gutten behufs des Eintritts eines derſelben oder beider ins Klofter”). In⸗ deſſen kann nicht verfchwiegen werden, daß weder bie firchlichen Ehegefege, noch die theoretiihe Hochſchätzung mönchiſcher und nonnenhafter Keufchheit, noch auch der auffommenvde Mariendienſt mächtig genug waren, das farlingifche Zeitalter vor grober Sittenlofigkeit zu be= wahren. Die gefchlechtliche Verwilderung der mero- wingifhen Zeit griff augenfcheinlich genug in bie far» lingifche herüber und Raifer Karl felber gab hierin feinem Haufe und feinem Reiche ein nichts weniger als erbau=

7) Corp. jur. German. antiq. ed. Walter Il, 33 seq. 8*

116 Buch U. Kap. 1.

liches Beifpiel. In wie hohem Grave der große Herricher dem Liebesgenuß ergeben gewejen, hat die Sage in ihrer Weife für die Nachwelt veranjhaulicht, indem fie den Kaiſer als unter vem Bann eines hölliſchen Minnezaubers ſtehend darſtellte). Daß überhaupt an Karls Hof ein fehr freier Ton, eine ſehr laxe Auffaffung des Verhält- niffes der beiden Geſchlechter herrſchte, ift unzweifelhaft. Zwar vrüden fich die Zeitgenofjen Karls und feines Nach folgers, welche vie Biographen dieſer Monarchen waren, ein Einhard, ein Thegan und andere, fehr vorfichtig aus, wie e8 von Höflingen nicht anders zu erwarten ift; aber was fie jagen over andeuten, ift hinreichend, das geäußerte Urtheil zu begründen. Einhard, der Schüler Alkuins, neben feinem Mitfchüler Angilbert eine ver Hauptjtügen der von Karl begründeten firchlich-Tateinifchen, am Hof und in den Klofterfchulen gepflegten Bildung, meldet über die ehelichen und väterlichen Beziehungen des Kaiſers Folgendes. Seine erjte Gemahlin (Berterad? Defi- derata? Sibylla?), die Tochter des Langobarvenfönigs Defiverius, verftieß er ſchon nach einem Jahre und ver- mählte fih mit der Hildegard, einer Schwäbin aus er- lauchtem Gefchlechte, welche ihm drei (eigentlich vier) Söhne und drei Töchter, Hrustrud, Bertha und Gifle, gebar. Bon feiner pritten Gemahlin Faftrada hatte er zwei weitere Töchter, Theoderada und Hildtrub, und eine Kebſe gebar ihm die Ruodhaid. Seine vierte Gemahlin,

8) ©. das Gedicht „Minnezauber”, aus Enenkels Weltbuch mitgeth. in Bon der Hagens „Sefammtabentener“, II, 619 fg.

Karlingiſche Zeit. 117

Liutgard, war finderlos. Nach ihrem Tode hatte er noch rei Kebsweiber, die Gerſwinda, welche ihm eine Tochter, Adaltrud, gebar, die Regina und die Adalinde. Die Er- ziehung feiner Kinder richtete er fo ein, daß Söhne wie Töchter zuerft in den Wiffenfchaften unterwiefen wurden. Dann mußten bie Söhne, fobald e8 nur ihr Alter er- laubte, nad der Sitte der Franken reiten, jich in den Waffen und auf der Jagd üben, die Töchter aber fich mit Wollenarbeiten abgeben und mit Spinnroden und Spinvel befchäftigen, damit fie fich nicht an ven Müffiggang ge- wöhnten, und ließ er fie anleiten zu guter Zucht. Leider hat diefe Anleitung nicht die gehofften Früchte getragen, denn Karls Töchter fchlugen Teineswegs ihrer Grof- mutter von väterlicher Seite nach, jener Bertha, deren hausmütterliche Tugenden die Sage feierte, indem fie ihr den Ehrennamen ver Spinnerin gab. Da Karls Töchter, fährt Einhard fort, ungemein ſchön waren und von ihm auf's zärtlichite geliebt wurden, fo tft e8 fehr zu ver- wundern, daß er feine von ihnen einem feiner Mannen oder einem Fremden zum Weibe geben wollte; aber ex jagte, er könnte ohne ihre Gefellfehaft nicht leben, und bebielt fie alle bi® zu feinem Tode bei ſich zu Haufe. Darob mußte er, ſonſt fo glüdlich, die Tücke des Schid- ſals erfahren; er ging jedoch fo Über die Sache hinweg, als wäre nie ver geringfte Verdacht ob eines Fehltritts gegen fie entſtanden oder ein Gerücht darüber laut ge⸗ worden). Daß Einhard hiermit auf verliebte Abenteuer

9) Eginhardi vita C. M. cap. 18, 19,

118 Bud I. Kap. 1,

der Prinzeffinnen hindeutet, wird fofort ar, wenn wir die wohlbezeugte Thatfache beachten, daß Karls Töchter uneheliche Kinver hatten. So die Hruotrud von dem Grafen Rorich einen Sohn, fo die Bertha von dem ge- Iehrten Angilbert zwei Söhne 1%). Es ift möglich, daß diefe Liebfehaften nachträglich die Weihe eines vecht- mäßigen Verhältniffes erhielten, wie ja auch in ver all» befannten Sage von der Liebſchaft Einhards und Karls Tochter Imma dieſe mifflihe Sache fo zurechtgelegt er- ſcheint. Schade nur, daß jene romantifche Gefchichte von den nächtlichen Zufammenfünften der beiden Lieben- den, von dem bebrohlichen Schneefall, von der finnreichen Befeitigung dieſer Gefahr und von der ſchließlichen Ver⸗ zeihbung des Taiferlichen Vaters vor der Kritik nicht be⸗ ſtehen Tann. Einhards Frau hieß nämlich allerdings Imma, aber fie konnte feine Tochter des Kaiſers fein, aus dem einfachen Grunde, weil Karl gar feine Tochter diefes Namens hatte!y. Im übrigen fetten die Prin- zejfinnen ihren leichtfertigen Xebenswandel nach dem Tode des nachfichtigen Vaters fort, zum nicht geringen Aerger ihres Bruders Ludwig. ‘Der ungenannte Zeitgenoffe, welcher neben -Thegan das Leben des frommen Kaiſers gefchrteben Hat, erzählt, daß den von Natur fo milden Sinn Ludwigs das Ärgerlihe Treiben feiner Schweitern

10) Der Jüngere derſelben, der Chronift Nithart, bezeugt im 4.3.5.8. feiner Chronik felber feine Abkunft. Geſchichtſchr. d. d. 3. IX. Jahrh. 6. Bd. ©. 64.

11) ©. d. Unterf. über Einhard und Imma von Abel, Ge- ſchichtſchr. d. d. V. IX. Jahrh. 1. Bd. ©. 56 fg.

Karlingiſche Zeit. 119

fchwer betrübte und erzürnte und daß er, um wenigftens den Anftand zu wahren, einige Männer, die fich durch „gräuliche Unzucht“ beſonders hervorthaten, aus ber Umgebung ver Brinzeffinnen gewaltfam entfernen ließ 12).

Wenn ed am Hofe fo berging und höchſtgeſtellte rauen ein folches Beiſpiel gaben, fo konnte nicht aus« bleiben, daß es auch in niedrigeren Kreiſen mit weiblicher Zudt und Sitte im allgemeinen übel beftellt war. Das „Weiberhaus“ (Geneztunf, genecium, verborben aus dem griechifchen yurasxsdov) ift wohl ſchon zur karlingiſchen Zeit berüchtigt gewejen als ein Sig ver Ausichweifung und - von ihm übertrug fich ver Name auf die Stätten ver Pro- ftitution im Mittelalter, welche ja auch, Frauenhäuſer“ hießen. An und für fich war zur karlingiſchen Zeit das Weiberhaus, auch Schrein (screona) genannt, der von den übrigen Gebäulichleiten eines Gutes abgefonderte Raum, allwo die hörigen Mägde unter der Aufficht einer Schaffnerin ihren Arbeiten oblagen. ‘Die Sorge für vie Bekleidung, auch der Männer, war nämlich damals und nod weit ins Mittelalter hinein ausſchließlich Sache ver Frauen. In den Weiberhäufern wurden demnach bie bierfür erforderlichen Linnen- und Wollenarbeiten vor- genommen, bier waren die Frauen mit Klopfen, Hecheln, Spinnen und Weben von Hanf, Flachs und Wolle, mit dem Zufchneiden und Nähen ver Kleider für pie Be- friedigung eines höchſt wichtigen Zweiges menjchlicher Bedürfniſſe thätig, wobei ſchon nicht allein das Noth-

12) Geſchichtſchr. d. d. V. IX. Jahrh. 5. Bd. ©. 25 fg.

120 Bud II. Kay. 1.

wenbige ins Auge gefaflt wurde, ſondern auch das Zier- liche. Denn wir erfahren aus Kaifer Karls Verord⸗ nungen über die Genecien, daß in venfelben auch vie Kunft des Stidens im Schwange ging und daß die Frauen verftanden, in bie Kleiderzeuge und Teppiche mit Nadel und Weberfchiff „Figuren“ Hineinzuzeichnen. Aber da⸗ neben mögen manchen Gutsheren die Geneztunfe zu- gleich als Hareme gedient und auch andere Mönner zur Verübung von Ungebür angelodt haben. Auf letteres beuten wenigftens die in ven älteren und jüngeren mittel- . alterlichen Rechtsbüchern dagegen getroffenen Vorkeh⸗ rungen. Das alemannifche Recht büßte die Schwächung einer Magd, welche Kleider zu verfertigen im ſtande war, mit 6 Schillingen und ver Sachjenfpiegel beftimmte naiv: Wer eine gewöhnliche Magp „ohne ihren Dank (d. i. wider ihren Willen) beliegt”, ſoll 3 Schillinge, wer eine Schaffnerin, ſoll 6 Schillinge Strafgeld bezahlen. Da wir gerade von hHörigen Frauen fprechen und einen heifelften Punkt in ihrem Dafein berührt haben, jo dürfte Hier ein paſſender Ort fein, auch bes viel- berufenen fogenannten „Rechtes der erften Nacht (jus primae noctis)“ zu gevenfen. Wie fchon im erften Bud) erwähnt worben, hing die Verheiratung der Hörigen und Zeibeigenen beiverlei Gejchlechts von der Einwilligung bes Gutsheren, beziehungsweife feines Verwalters ab. Für dieſe Einwilligung, wodurch die zu jchließende Ehe unter den Schuß der Herrichaft Fam, wurde von dem Bräu- tigam eine Abgabe entrichtet, das Heiratsgeld oder ber Ehezins (maritagium), in ven verjchienenen beutfchen

Karlingifche Zeit. 121

Zanden unter verfchievdenen Namen bekannt (Bettmunp, Bedemund, Hemdſchilling, Frauengeld, Sungfernzins, Stechgroſchen, Vogthemd, Nadelgeld, Bumede, Schürzen⸗ zins, Bunzengroſchen). Daß dieſes Herrenrecht der Un⸗ ſchuld leibeigener oder höriger Mädchen vielfach gefährlich werden mußte, lag in der Natur des ganzen Verhält⸗ niſſes zwiſchen Herren und rechtloſen Mägden. Aber es iſt uns außerdem, wenigſtens aus drei Ländern Europas, glaubwürdig bezeugt, aus Frankreich, Ruſſland und Schott⸗ land, daß der Miſſbrauch förmlich zu einem Recht ver⸗ ſteinert war: der Herr hatte das Recht der erſten Nacht bei der leibeigenen Braut2). Was Deutſchland angeht, fo finden fih auf deutſchem Boden nur wenige Spuren eines folchen tiefunfittlichen Rechtes oder befjer Unrechtes, aber doch immerhin deutliche Spuren, fürmliche Rechts: urfunden, vie, wenn auch in ihrer jeßigen Form erſt in ber erjten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgezeichnet, ent- ſchieden auf ein höheres Alter zurüdweifen und deren bezügliche Beitimmungen man nicht willkürlich bejeitigen

13) Du Cange, Glossar. cum. supplem. Carpenterii, Ade- lungii et alior. ed. G. A. L. Henschel (Par. 1845), tom. IV., pag. 281 seq. („Marcheta“), pag. 296 seq. („Maritagium“). Ewers, d. älteſte Recht der Ruſſen, S. 70 fg. Schottland be- treffend, überfete ih aus Spelmann's Glossar. archaiolog. (1687) die Stelle: „Unter den alten Schotten herrſchte der garftige Brauch (consuetudo), daß ber Herr die Braut des Bafallen in der erften Nacht umarmte und die Blume ihrer Keufchheit pflüdte.” In Frankreich hie das Recht droit du cullage oder droit de pré- libation.

122 Bud II. Kap. 1.

oder gar für „Icherzhafte Ausprüde” ausgeben kann. Merkwürdiger Weife ſtammen die fraglichen Urkunden beide aus der Landſchaft Zürich und ift die eine unter dem Namen der „DOffnung von Maur am Greifenſee“ v. 9. 1543 fchon feit längerer, die andere, die „Öffnung der Hausgenoffen zu Hirslanden und Stavelhofen” v. J. 1538, erſt feit fürzerer Zeit befannt!9. Es iſt auf-

14) Aber sprechend die hoflüt, weller hie zu der helgen ee kumbt, der sol einen meyger (Öut8verwalter) laden und ouch sin frowen, da sol der meyger lien dem brütgam ein haffen, da er wol mag ein schaff in geseyden, ouch sol der meyger bringen ein fuder holtz an dashochtzit, ouch soleinmeyger und sin frow bringen ein viertenteyleines schwynsbachen, und so die hochzit oergat, so sol der brütgam den meyger by sim wib lassen ligen die ersten nacht, oder er sol sy lösen mit 5 Schilling, 4 Pfen- ning. Grimm, Weisthlimer, I, 43. Ouch hand die Burger die Rechtung, wer der ist, der uf den Güttern, die in den Kelnhof gehörend, die ersten nacht bi sinem Wibeligen wil, die er nüw- lich zu der Ee genommen hat, der solder obengenannten Burger Vogt dieselben ersten Nacht bi demselben sinem Wibe lasen ligen, wil er aber das nüt thun, so sol er dem Vogt geben vier Schilling und dryg Züricher Pfenning, weders er wil, die Wal hat der Brugom (Bräutigam). Zeitſchr. f. ſchweiz. Recht, IV. I, 76. Ueber ben im Zert beregten Gegenftand vgl. Grimm Rechtsalterth. S. 384: Walter, Deutſche Rechtsgefch. II, 15; Ofen- brüggen, Deutſche Hechtsalterth. aus d. Schweiz (Monatsichr. d. wiſſenſchaftl. Vereins in Züri III, XI, 360 fg.); Bluntſchli, Staatd- und Rechtsgeſch. der Stadt und Landſch. Zürih, 2. 4. I, 192 fg. Bluntichli hält die das jus primae noctis feftftellende Heußerung in dem Weisthbum von Maur das von Hirslanden kannte er noch nit für einen „ſcherzhaften Ausdruck“, obgleich er nicht leugnen will, „daß nicht manche Herren aus dem Scherze

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Karlingiſche Zeit. 123

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fallend, daß die Dertlichleit, wo biefe Dokumente in Geltung waren, noch nie mit dem Umſtand in Beziehung gejegt wurbe, daß in den beiden Ländern, in Frankreich und Schottland, wo das Recht ver eriten Nacht glaub» haft nachweifbar, ver Grundftamm ver Bevölkerung feltifch war. Hatten doch auch im Zürichgau vor der ger- manifhen Invafion Kelten geſeſſen und fo ift vielleicht im Hinblid darauf, daß gerade nur hier und ſonſt nirgends in Deutfchland das in Rede ftehende Recht urkundlich feſt⸗ geftellt ji vorfindet, vie Vermuthung ftattbaft, daß daffelbe urfjprünglih ein keltiſches geweſen. Freilich ſteht wieder die leivige Thatfache, daß auch anderwärts in Deutichland der Ehezind der Hörigen eriftirte, dem Berfuch entgegen, das Germanenthbum von biefem Un- recht reinzubrennen, und fo bleibt nur die Annahme übrig, das vorfchreitende Gefühl ver Menfchlichkeit habe es den Hörigen ſchon frühzeitig ermöglichen wollen, ver fraglidhen Schmach zu entgehen, und zwar durch Leiftung einer nicht zu hoch gegriffenen Steuer. Daß aber dieſe Steuer ven Sinn eines Loskaufs der lejbeigenen Bräute von. dem Herrenrecht der eriten Nacht hatte, darüber ge- ftatten die angezogenen Rechtsurfunden gar feinen Zweifel.

Ernft zu maden wußten.“ Aber e8 ift Doch wahrhaftig eine ganz neue Entvedung, daß die alten Rechtsſatzungen nur jo zum Spaß niedergejchrieben worden wären, gleihfam zu dem Zwede, einem fpäteren Juriſten Gelegenheit zu geben, zu jagen: „Das ift ber Humor davon.” Die Behandlung des Gegenftandes in Maurers „Geſchichte der Fronhöfe und Bauernhöfe in Deutſchland“, III, 168 fg., ift ganz unzulänglich.

124 Buch II. Kap. 1.

Es fteht uns Nachgeborenen übrigens faum zu, über dieſe mittelalterlide Barbarei uns zu ereifern. Denn der Schürzenzins ift zwar aus unferen Gefeßbüchern ver- ſchwunden, aber der Uſus oder Abufus ift geblieben: nur beißen die Nußnießer und Opfer vejjelben jegt nicht mehr Herren und Hörige, fondern Reihe und Arme...

Wenden wir und von diefer Epifode zur Taiferlichen Pfalz des großen Karls zurüd, fo bejchäftigt uns zunächſt die Aufgabe,. von der äußeren Erfcheinung der Menfchen, welche dort aus⸗ und eingingen, namentlich aber der Damen, ein möglichft anfchauliches Bild zu entwerfen. Karl, wenn auch wie alle wahrhaft großen Männer für feine Perſon in Zracht und Lebensweiſe der Einfachheit zugethan, wußte dennoch bei jeder feierlichen Gelegenheit einen Pomp zu entfalten, wie er dem Herrn des Abenp- landes zufam. Freilich wies biefer Hofprunf, wie das auch die Faiferlihen Pfalzen zu Ingelheim, Nimwegen und Aachen thaten, welche aus in Italien zuſammen⸗ gerafften Beuteſtücken antiker Kunſt mehr nur aufgeblodt als aufgebaut waren, noch immer ein barbarifches Ge- miſch von NReichthum und gefpreizter Ungefügheit auf, gerade wie die lateinifchen Herameter des Poeten, welcher in ven karlingiſchen Baläften vie Töne Vergils nachzu⸗ jtammeln unternahm und bier unfer Gewährsmann: ift. Der ſchon genannte Angilbert nämlich, welchen man einen farlingifchen Hofrath oder Hofprofeffor beißen könnte, hat feinen Taiferliden Gönner und Schwiegervater mite tel8 eines biographiſchen Lobgedichtes verherrlicht, das jedoch nur bruchftücdsweife auf ung gekommen ift. Eines

Karlingiſche Zeit. 125

diefer Bruchſtücke malt ven Auszug des Kaiſers und feiner Familie zu einer feftlichen Jagd mit Farben, welche deut: lich erfennen laffen, was für Anforderungen man damals an Damen ftellte, die für fchön, elegant und modiſch gelten wollten. Es ift in feiner Art ein vollitänpiges Bild des vornehmen Lebens jener Zeit.

Inmitten zahlreichen Gefolges tritt die Königin Lint- gard, des erhabenen Karls anmuthvolle Gemahlin, aus dem hoben Gemache hervor, blendenden Nadens, der mit der Farbe der Roſen wetteifert. Purpurne Binden um- winden ihr die fehneeigen Schläfen, von Steinſchmuck ſchimmert der Hals, in doppelten Purpur ift das Linnen⸗ leid getaucht, golvdene Schnüre halten ven Mantel feft und auf dem Haupte funfelt die Krone von Gold und Evelgeftein. Sie befteigt das prächtig gefchirrte Pferd und eine Schar edler Jünglinge und Sungfrauen bereitet fih, ihr zu folgen. Hinter ihr reitet Prinz Karl mit feinem Bruder Bipin und durch die geöffneten Thore ſtrömt der glänzende Jagdzug hinaus. Hörmerfchall und Hundes gebell erfüllen vie Lüfte. In ftolzer Ruhe reitet Hruotrud an der Spige der Damen. Auf ihrem blonden Haar liegt die purpurne Binde, ſchimmernd von Edelſteinen, und darüber der goldene Kronenreif. Eine ftralende Spange hält ven Mantel vor der Bruft zufammen. Wei- terbhin glänzt Bertha aus der Reihe der Frauen und Mädchen hervor. Männlichen Geiftes, gleicht fie an Antlig, Blid, Stimme und Haltung dem erlauchten Vater. Ein goloner Reif umzirkt ihre Stimme, durch die blonden glänzenden Haare find goldene Schnüre gefchlungen, des

126 Butch II. Kap. 1.

Halſes Schnee birgt ſich unter köſtlichem Marderpelz, das Kleid funkelt von Topaſen und andern Evelfteinen in goldener Faſſung. Dann fommt Gifln, die blendend weiße Schöne. Purpurfäden durchziehen das zarte Ges webe ihres Schleiers, der auf den rofig angehauchten Hals und Naden nieverfällt. Wie Silber ſchimmert ihre Hand, wie Gold ihre Stirne, ihre Augen befiegen an Feuer vie Sonne und fiher lenkt fie das flüchtige Roß. Hurtig reitet Ruodhaid einher, auf blühendem Haupt vie gem- mengefhmüdte Krone. Fuß, Naden und Haar erftralen von vielfarbigen Steinen, um die Schultern fliegt ver jeivene, fchmelzverzierte Mantel, vor dem YBufen mit goldener Nadel geheftet. Dann Theoderade, die zierlichen Füße in von Steinfhmud fchimmernde Schuhe geftedt. (Der gute Angilbert vergleicht dieſe Schuhe dem fopho- Heifhen Kothurn, und wenn das nicht eine übelgewählte Revefigur iſt, müffen fie recht vide Sohlen gehabt baben,) Ihre Stirn leuchtet, ihr Haar befhämt an Glanz das Gold, wie Sterne bliten ihre Augen, eine Kette von echten Smaragven trägt fie um ven blendenden Hals, mit punfelm Rauchwerk ift ihr ſchimmernder Mantel verbrämt und auf fchneeweißem Roß fprengt fie feurig dahin, um⸗ rauſcht von glänzendem Frauengefolge 1%).... Man fieht, an Schmud fehlte es ven Farlingifchen Danien nicht. Sie brachten e8 auch, übrigens im Wetteifer mit ven Männern, glücklich dahin, daß ſchon im I. 808 der über:

15) Monumenta Germaniae historica, ed. Pertz; Scriptor. II, 398.

Karlingifche Zeit. 127

mäßige Kleiverlurus von ftaatswegen bejchränft werben mußte. Allervings ging die bezügliche Verordnung nur auf Einfchränfung des übermäßigen Aufwands, welder mit dem Pelzwerk (Ausfütterung und Berbrämung von Röden und Mänteln bei beiden Gefchlechtern) getrieben wurde ; nichtSpeftoweniger jedoch Haben wir in ihr den Sein von allen den „Kleiderordnungen“ zu erfennen, womit ſich zum großen Miſſbehagen mobifcher Herren und Damen die mittelalterlichen Obrigfeiten fo viel zu fchaffen machten und zwar, wie befannt, ftet8 mit ſehr problematifchen oder wenigftens nur augenblidlihem Erfolge. Denn wenn jogar auf vem Felde der Politik, wie jevermann weiß, die „Diplomaten im Unterrod” vie gefährlichiten und unwiberitehlichiten find, wie wäre ihnen vollends auf dem Gebiete der Mode nachhaltig zu widerftehen ? Selbftverftännlich hatte fih auf dieſem Felde auch vor Alters, wie noch heute, das Unfchöne, oft geradezu Tolle und unbegreiflich Abgefchmadte des größten und dauernd⸗ ſten Beifall zu erfreuen. Denn die Gemeinde der Uns pernunft war, ift und wird immer fein die zahlreichite auf Erden. Die Gefchichte ver deutſchen Frauentracht wirb- uns zu biefer traurigen Wahrheit noch) manche Illu⸗— itration liefern.

Als Angilbert in den Stralen höfiſcher Gunft und der Liebe einer Prinzeſſin fich fonnend, feiner Bes geifterung über vie karlingiſche Herrlichkeit in aufges- baufchten Verſen Luft machte, al8 er die feurigen Augen diefer Kronenträgerinnen, worunter fein eigenes Liebchen, das Goldblond ihrer Haare, ihren rofigen Teint, ihre

128 Bub I. Kap. 1.

zterlichen Hände und Füße, ihr fiheres und anmuthiges Gebaren befchrieb, da hat er gewiß nicht daran gedacht, daß der karlingiſchen Dynaſtie ein fo balviges und trüb- füliges Ende befchievden fein könnte. Hundert und elf Jahre nach jenem, wo der große Karl im Sankt Beter das Danaergefchent ver römifchen Katferfrone empfangen hatte, erloſch die deutſche Linie feines Stammes mitt Ludwig dem Rind und es war diefer Ausgang ver Kar⸗ linger nicht etwa ein rafcher, glänzender, tragifcher, ſondern vielmehr nur ein ruhmlojes Hinfterben nad langem Siehthum, welches bekanntlich fehon mit Karls Nach— folger, dem frömmelnden und unfähigen Ludwig, be- gonnen hatte. Es ift nicht unjere Sache, die Phaſen dieſer Krankheitsgejchichte zu verfolgen; aber als Gegen- bild der vorhin gegebenen Scene aus dem Hofleben unter Karl dem Großen wollen wir eine weitere aus dem Leben feines Urenkels, Karls des Diden, hervorheben, welche alferdings der urfundlichen Beglaubigung entbehrt, jedoch in alten Meberlieferungen ver Hauptſache nach überein- ftimmend erzählt wird. Es ift das Gottesurtheil gemeint, welchem Richardis, die zweite Gemahlin Karls des Dicken, fih unterwerfen mußte. Es war eben fein Wunder, daß ihr Tropf von Gemahl dieſer Dame nicht gefiel; allein fie hatte überhaupt fein Gefallen an ven Männern und ſcheint eine jener aſketiſchen Frauen gemwefen zu fein, wie wir ſolche im Mittelalter nicht felten aus zuchtlofeften Umgebungen auftauchen jehen. Karl ver ‘Dide, deſſen Befähigung und Thatkraft zu feinem Wollen, das Reich Karls des Großen wieder herzuftellen, im lächerlichiten

Karlingiſche Zeit. , 129

Mifjverhältniffe ftand, wurde von feinem Kanzler Liut- ward, Biſchof von PVercelli, beberriht. Kine Partei bei Hofe zettelte gegen ven ehrgeizigen Prieſter eine Ränkelei an, indem fie Karla Gemahlin eines ehebrecherifchen Um⸗ gangs mit dem Biſchof beſchuldigte. Karl war ſchwach genug, dieſer ärgerlichen Anklage den Lauf zu lafjen; alfein die Ankläger Hatten fi in dem Charakter ver Richardis verrechnet. ‘Denn fie bot der Befchuldigung Trog, mit ver Behauptung, daß fie nte von einem Manne, nicht einmal, ungeachtet zwölfjähriger Ehe, von ihrem foiferlichen Gemahl berührt worden und noch Jungfrau wäre. Ein Gottesurtheil follte darüber enticheiven. Eine ältefte Tradition fett diefen außerorventlichen Vorgang in das FJahr 887 und läſſt die angefchulpigte Kaiferin ihre Unfchuld durch die Wafferprobe ermweifen. ‘Der be- fannte Chronift Twinger von Königshofen dagegen, welcher zu Ende des 14. Jahrhunderts ſchrieb, fagt: „Das (ihre Unſchuld) bewerte domitte, daß ein ge- wihſet Hemede ane det und domit in ein Für gieng und bliep unverjert von dem Füre*. Zwinger mochte fich dabei auf vie Kaiferchronif ftügen, ein aus dem 12. Jahr⸗ hundert ftammenbes und im 13. liberarbeitetes Reimwerk, welchem zufolge Richardis das Gottesurtheil der Feuer- ‚probe fiegreich beftand und zwar mit einem wachöge- tränften Hemd angethan!%). Sehr begreiflich wollte die

16) Die betreffende Stelle der Kaiferchronif lautet neuhoch⸗ deutſch: „Sie ſchlüpfte in ein Hemde, Das dazu gemachet war. Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. J. 9

130 oo Buch H. Kap. 1.

jo ftreng Geprüfte von ihrem Gemahle nichts mehr wiffen, fondern begab fich in das von ihr geftiftete Klofter Andlau im ftraßburger Sprengel, wo fie 896 im Geruche der Heiligkeit jtarb.

Die Berufung auf ein Gottesurtheil blieb das ganze Mittelalter hindurch ein letztes Mittel angeflagter Frauen, fih zu reinigen. Die Orbalien umfaflten, neben dem ſchon früheren Ortes berührten gerichtlichen Zweikampf, verjchiedene Proben, bei welchen wir einen Augenblick verweilen wollen, da wir fpäter bei Vorführung des Heren- proceſſes darauf zurüdzudeuten haben. Vorwiegende Proben waren die durch Feuer oder durch Waſſer. Bei Anwendung des Teuerurtheild mußte der over die Be— weifende die bloße Hand ins Feuer halten und, wenn er oder fie ſchuldlos fein follte, dieſelbe unverfehrt wieder hervorziehen oder er oder fie mußte im bloßen Hembe durch einen entflammten Holzitoß gehen oder mit bloßen

An allen vier Enden,

Zu Füßen und zu Händen

Das Hemde fie entzunden ;

In einer Heinen Stunden

Das Hemde ganz von ihr brann, Das Wachs auf das Pflafter rann; Die Frau des Schadens fo genas Sie ſprachen Deo gratias.“

Das ift nun freilich ftarfe Poefie. Eine Stunde, und wenn auch nur eine „Leine” Stunde lang zu brennen ohne zu verbrennen, fo etwas Tonnte man doch nur einer Zeit vorgaufeln, beren Mirafel- ſucht den dickſten Blödfinn mit Heißhunger verſchlang.

Karlingifche Zeit. 131

Füßen über fieben oder neun glühend gemachte Pflug- fcharen wegjchreiten over ein geglühtes Eifen mit bloßen Händen eine beftimmte Strede weit tragen. Bel An- wendung des Wafferurtbeils mußte aus einem zum Sie- ten gebrachten Kefjel ein Ring oder Stein mit bloßer Hand herausgeholt werben („Kefjelfang*) oder ber oder die Angefchulvigte wurde nadt ins kalte Waffer ge- worfen. Blieb er oder fie oben ſchwimmen, fo war ber Deweid der Schuld geleijtet, während das Unterfinfen die Unſchuld bezeugte, was ohne Zweifel auf dem heid⸗ nifhen und mit ins Chriftenthbum herübergefommenen Glauben beruhte, das reine heilige Wafjerelement nähme feinen Verbrecher in fih auf. Dieſer Art des Gottes- urtheilg wurden im 16. und 17. Jahrhundert zumeiſt die fogenannten Heren unterworfen und erhielt veffhalb vie- felbe ven Namen „Herenbad* over „Herenprobe“ 17). Wie es ſcheint, haben ſich aber die deutſchen Frauen im Mittelalter in Fällen, wo eine peinliche Anklage auf ihnen laftete, doch nicht immer auf die Gnade Gottes, fondern lieber auf die eigene Kraft und Gewanbtheit verlaffen. Denn es ift uns eine wunderliche Art von gerichtlichen Zweifampf bezeugt, welche angejchuldigte Frauen mit Ihren Anklägern zur Erhärtung ihrer Unſchuld ausfochten, namentlich in Franken. Hier purfte die beſchuldigte Frau den Beſchuldiger zum Zweikampf mit ihr nöthigen. Die Waffen waren Stöde, und um das Berhältniß der Kräfte der beiden Gefchlechter einigermaßen auszugleichen, wurbe

17) Eine Abbildung ſ. in meiner „Germania“, S. 227. 9 ®

132 Bud IL. Kap. 1.

der Mann in eine Grube geftellt, von welcher aus er fich gegen die Angriffe der Frau vertheidigen mußte, ohne feinen Blog verlaffen zu dürfen. Wer von den Kämpfen- den zuerft jeine Waffe verlor, galt für befiegt. Ander⸗ wärts mußte der Mann, wollte er Sieger fein, die Frau föpflings zu fich in pie Grube hineinftürzen. Gelang e8 hingegen der Frau, den Mann aus der Grube heraus- zuziehen, jo war ihr Unſchuldstriumph entſchieden '9). Wir dürfen ung jedoch nicht einbilden, daß im Mittel- alter binfichtlich der Gottesurtheile alle Leute Töhler- gläubig gewefen feien. Die Vernünftigeren wußten ſchon damals fo gut wie heute, vaß man die bloße Hand nicht ungeftraft an ein glühendes Eifen halten over in einen fievenden Kefjel tauchen könne, und man müßte blind fein, wollte man nicht ſehen, daß demzufolge mit den Orba- lien mander Spott und Ulk getrieben wurde. Auf- geflärte deutſche Dichter des 13. und 14. Jahrhunderts denn ſchon damals gab e8 welche fpotteten ganz offen über die Menfchen, welche wähnten, natürliche Ur- ſachen müßten nicht natürliche Wirkfungen haben. Ein Gedicht aus jener Zeit macht ung Flar genug, wie es mit den Ordalien nicht felten gehalten werden mochte 19). Eine eiferfüchtige Frau betheuert ihrem Manne ihre Liebe und fordert als untrügliche Gegenverficherung vie Feuer⸗ probe von ihm. Da er fih dazu bereit erklärt, das heiße

- 18) Bulpins, Kuriofitäten, I, 395 fg. mit den dazu gehören- den Bildern.

19) „Das heiße Eifen” Sagen, Gefammtabenteuer, II, 373 fg.

Karlingifche Zeit. 133

Eifen zu tragen, wird e8 geglüht und auf zwei Steine gelegt. Der Dann bat aber zuvor einen Span in feinen Aermel verborgen, welchen er unvermerkt in feine Hand gleiten läßt, al8 er Hinzutritt, das glühende Eifen auf- hebt und unter Betheuerung feiner Treue ſechs Schritte weit trägt. Dann fehiebt er den Span wieder heimlich in ven Aermel zurüd und zeigt feine unverfehrte Hand. Die Frau iſt zufriedengeftellt, aber der Mann forvert jofort von ihr diefelbe Beweisleiftung. Sie meint nun zwar er jei ja wohl ohnehin überzeugt, daß er ihr lieber als Leib und Leben. Er jedoch beiteht auf der Probe und macht das Eifen wieder glühend. Nun bittet fie, er möchte Nachfiht mit der weiblichen Schwäche haben und ihr den einen Mann, mit welchem fie außer ihm zu thun gehabt, verzeihen. Das fagt er zu, befteht aber doch auf der Feuerprobe. Darauf bittet fie noch um zwei Männer, und als auch diefe zugeftanden werben, verfpricht fie dem Gatten drei Pfund heimlich von ihr verwahrten Geldes, fall8 er noch weitere drei Männer zulaſſe. Er ge- währt auch dieſes, bevroht fie aber mit dem Tode, fo fie noch weitere Ausflühte ſuche. Sie muß alfo zu der Probe fchreiten und nimmt das heiße Eifen zur Hand, verbrennt fich aber fo jämmerlich, daß fie es fchreiend falfen läßt. Klüger ftellte fich an und glüdlicher beftand die Feuerprobe Iſolde, die blonde Heldin Gottfrieds von Straßburg, welcher um 1210 fein herrliches Gedicht vom Triſtan fchrieb. Gottfried, der, wie ich anderwärts ge= fagt, unter ven mittelalterlichen Dichtern wie eine Vorer⸗ ſcheinung Göthe's dafteht, hat aufmanche Eigenthümlichfeit

134 Buch II. Kap. 1.

ſeiner Zeit mit heiterer Ironie herabgeſehen und er hat deſſhalb auch, ſcheint mir, recht eigentlich es darauf an- gelegt, die Ordalien lächerlich zu machen. Iſolde war mit Triften, dem liebenswürbigiten Helden mittelalter- liher Dichtung, welcher aber unglüdlicher Weife ver Neffe ihres Gemahls Marke, ins Gerede gefommen und zwar befanntlich nicht ohne Grund. Sie wird angeflagt, dem alten Marfe vie Treue gebrochen zu haben, und auf den Rath feiner Prälaten und Barone veranftaltet der König, daß fie ſich dem Gottesgericht der Feuerprobe unterziehen fol 2%). Sie thut e8, Gott und Menjchen gleichermaßen täufchend. Mittels einer von ihr veran- ftalteten, höchſt ergößlichen Poſſe kann fie mit gutem Gewiſſen eivlich geloben, daß außer Marfe nur noch und natürlich in allen Ehren ein armer Pilgersmann, in defjen Habit aber Zriftan ftedt, in ihren Armen und an ihrer Seite gelegen habe. Auf dieſen Eid hin „griff fie in Gottes Namen das glühenve Eifen an und trug es, daß ſie's nicht verbrann.“ Gottfried ift aber damit noch nicht zufrieden. Denn indem er erzählt, vie fchöne und Huge Ifolde habe unmittelbar vor der Feuerprobe reiche Vergabungen an Gold und Silber, Schmud und Ge- wänbern „um Gottes Huld“ gemacht, d. h. der Geift- lichkeit zufließen laffen, deutet ex verftändlich genug

20) Tristan und Isolt, Ausg. v. Mafmann, ©. 383 fg. Der ganze Verlauf der Ceremonie des Gottesurtheils ift da fehr an⸗ ſchaulich geſchildert. Die geneigte Leſerin verweiſe ich auf die vor- treffliche Neuhochdeutſchung des Gedichtes durch H. Kurt, S. 384 fg.

Karlingifche Zeit. 135

an, wie die Kirche, unter deren Leitung ja die Ordalien ftanden, unter Umftänden, d. 5. gehörig darum ange- gangen, es fo over fo zu veranftalten wußte, daß Eifen oder Waſſer nicht heißer gemacht wurden, als fich mit ver menfchlichen Haut verträgt.

Zweites Kapitel,

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Unter den fächfifchen und fränkifchen Kaifern.

Das deutſche Königthum und das römiſche Kaiſerthum. Kultur- charalter des Zeitalters der Ottonen. Hadumod. Hrotſuith, die erſte Schriftſtellerin deutſchen Stammes. Die gelehrte Herzogin Hadawig. Die ſchöne Hadburg. Mathildis. Lintgard. Adalheid. Theophano. Dietmar von Merſeburg über die Frauen ſeiner Zeit. Kunigunde. Giſela. Agnes. Bertha. Agnes von Hohenſtaufen. Hiltrud. Das Verbot ber Prieſterehe. Widerſtand der deutſchen Geiſtlichkeit. Folgen bes Colibatgeſetzes. |

Die Völkerwanderung hatte die Nationalitäten Eu- ropa's fo durcheinander geworfen und gewürfelt, daß eine Wiederfonderung und Klärung verjelben nur langjam fich vollziehen fonnte. Die Staatsivee Karls des Großen, Einheit der abendländiſchen Chriftenheit unter römiſch⸗ germaniſchem Kaiferfcepter, hatte freilich über wiber- haarige Völferelemente nur fo lange einen zwingenden Bann geübt, als fie von einer übermächtigen Perjönlich- feit getragen wurde. In dem nämlihen Augenblid, wo der gewaltige Fürft die Augen ſchloß, begann fein ftolzer,

Unter ben ſaͤchfiſchen und fränkiſchen Kaifern. 137

aber wivernatürlicher Reichsbau zu zerfallen; denn unter dem fchlaffen Regiment feines Nachfolgers Hatten bie Nationalitäten Zeit und Gelegenheit, fich auf fich felbft zu befinnen und auf fich felbft zu ftellen. Der Vertrag von Verdun (843) fchien die naturgemäße Scheidung der Bölfer von Mittel, Weft- und Süpeuropa in germantfche und romanifche Nationen zu vollziehen. Allein ſchon war, zum unberechenbaren Unglüd unferes Vaterlandes, pie Idee eines Heiligen Römifchen Reiches Deuticher Na⸗ tion” zu einer firen geworden. Wie hätte fonft felbft ein Karl der Dice ihrer Verwirklichung fi) unterfangen dürfen? Es wäre jedoch ein einfeitiges Verfahren, wollte man bie Verfolgung des abendländiſchen Kaiſergedankens nur dem Ehrgeiz veutfcher Herricher auf Rechnung ſchreiben. Denn ein minveftens ebenfo wirfjames, wenn nicht noch wirkſameres Motiv war die Politik ver römischen Biſchöfe, welche im Intereffe der Aufrechthaltung und Ausbreitung der Kirche der Illuſion der Fortvauer des römischen Cäfaris- mus pflegten und förverten. Noch ftand das Heidenthum drobend und häufig angriffsluftig im Often und Norben des Erdtheils und der römifche Stuhl erkannte unfchwer, dag nur bie deutfche Nation, welche allein wie ungemifcht fo auch ungeſchwächt fich erhalten hatte, da® Banner der Chriftenheit zu führen vermöchte. Daß die Kurie ſchon frühzeitig auf das Ziel hinarbeitete, mittels des deutſchen Kaiſerthums die Welt zu beberrichen, ift fiber. Aber porerft mußte fie e8 gerathen finden, ven römijch-beutfchen Kaiſer als ihren Beichüger anzuerkennen und den Papa⸗ lismus dem Cäfarenthum unterzuordnen. Erft nach aus⸗

138 Buh I. Kap. 2.

veichender Erſtarkung ver Hierarchie, erft zur Zeit Gre⸗ gors des Siebenten begann der römiſche Stuhl das Ver- hältniß umzukehren und wollte dann in dem Kaifer nur nod den erjten Bafallen ver päpftlichen Tiara jehen. Die Reihsverfaffung Karla des Großen hatte feine Fürften im Sinne felbftftänpiger Territorialherren ge- kannt, fondern nur Neich8-, Hof- und Gaubeamte. Aber als unter feinen Nachfolgern die Reichseinheit in Trümmer gegangen, hatte ſich die altgermanifche Adelsrepublif, wenn auch nicht mehr in ven früheren Formen, in Deutfchland wieder hergeftellt. Aus dieſer Adelsrepublif oder beffer Adelsanarchie, veren Spigen die Herzoge waren, ging nad) dem Ausfterben ver deutſchen Karlinger das deutſche Wahl- fönigthum hervor. Was diefes unter günftigen Umftän- ven für unfer Land zu leiften vermochte, zeigte fich jofort, als es durch die Erwählung Herzog Heinrichs des Erjten, berühmt unter dem Namen des Voglers oder Finklers, im Sahre 919 an das kraftvolle und mächtige fächfifche Für- ftenhaus gelommen war. Damit fchten nad) innen und außen eine gedeihliche Entwidelung Deutſchlands auf monarchifcher Grundlage gefichert; denn es ließ fich alles dazu an, das deutſche Wahlreich in ein Erbreich umzu- wandeln. Leider hat unfer Unftern e8 gewollt, daß ge⸗ rade die trefflichiten unferer königlichen Dynaſtieen nicht von Dauer waren und daß demzufolge die Adelsanarchie immer wieder Gelegenheit fand, in das naturgemäße Wahsthum - des deutſchen Königthums ftörend einzu= greifen. Hierzu fam das breimal unfelige Bhantom ver Kaiferkrone, welches gerade unfere begabteften, that⸗

Unter ben ſaächſiſchen und fräntifchen Kaifern. 139

fräftigften und ruhmreichſten deutſchen Könige ihre Haupt: aufgabe nicht innerhalb, fondern außerhalb Deutſchlands fuchen machte und fie ihre und ver Nation beſte Kräfte, ftatt diefelben dem Ausbau eines feitgefugten nationalen Königthums zuzumenden, an einen für die Dauer doch ſtets himärifchen Weltreichsbau verſchwenden ließ. Seltfam! Die Deutſchen veracdhteten die Römer un⸗ fäglid und dennoch gierten die deutſchen Könige, die, wenn fie nur ſolche hätten fein wollen, im ſtande ge: wefen wären, Europa Gefege worzufchreiben, nach dem Luftgebilde ver römifchen Krone, an welche bloß ein Schein von Macht, aber der wirkliche Haß der fremden Völker geheftet war, ein Haß, ver bis auf unfere Tage herab fort- gewirkt hat. ALS der Geſandte Kaiſer Otto's des Exrften, Biſchof Liutprand, vor dem griechifehen Kaifer Nifephoros ftand und ihm dieſer verwies, daß er die Unterthanen feines Herrn Römer genannt babe, welden erlauchten Namen fie nicht anfprechen könnten, brach ver Bifchof los: „Wir Deutfche verachten die Römer fo fehr, daß wir unfere Gegner Römer fchelten, maßen wir mit dieſem einen Worte alle Schmach, Niederträchtigfeit, Feigheit, Unzucht, Lüge, Habfucht, kurz alle Laſter bezeichneten 21). Und dennoch widerftand ein Mann wie Dtto der Erfte ver Lodung nicht, fih im Jahre 962 in Rom vom Papſte zum römischen Kaiſer frönen zu laffen und damit feinen Nachfolgern das Beifpiel jener Römerzüge“ zu geben,

21) Liutprandi opera (Monum. Germ. hist. Script. II, 263 seq-). Relatio de legat. Constant. cap. 12.

140 Bud II. Kap. 2.

‚welche ven Boden Italiens mit Strömen veutfchen Blutes gedüngt haben. Zunächſt allerdings fchien ſich unter ver Weihe dieſer Kröne die Obmacht der Deutfchen über Europa feitzuftellen. Das Zeitalter ter Ottonen, eine Glanzperiode, vielleicht die hellſte Glanzperiode unferer politifhen Geſchichte, fehlen den Traum eines ger= manifhen Cäſarismus auf die Dauer verwirklicht zu haben und die Täuſchung währte um fo länger, als im 11. Sabrhuntert, nachdem vie fächfifche Dynaſtie mit dem Frömmler Heinrich den Zweiten erlofchen und mit Konrad ven Zweiten das herzogliche Haus der Salfranfen zum beutjchen Königthum gelangt war, in der herrlichen Helvdengeftalt Heinrichs des Dritten der Ehriftenheit ein Kaiſer erftand, welcher feine Miffion im höchiten Sinne faßte und mit gentaler Energie durchführte. Allein er warb in der Blüthe feiner Mannheit dahingerafft und hinterließ einen unmündigen Knaben, Heinrich ven Vierten, unter deſſen Regierung nachmals alle Früchte der An⸗ ftrengungen, welde vie jächfifchen und fränkiſchen Herr⸗ cher gemacht, verloren gingen. Die deutſche Adels⸗ anarchie erhob unter biefem Kaifer, welcher nicht nach den einjeitigen Berichten feiner zeitgendffifchen pfäfftfchen Gegner beurtheilt werben darf, wieder Fed ihr Haupt und, wie immer, folgte diefer Erhebung das Verberben. Damals ein um fo 'tieferes, weitgreifenveres, gräuel- volleres, als die Rebellion ver deutſchen Ariftofratie gegen pie königliche Gewalt an dem päpftlichen Stuhl einen Rückhalt gefunvden hatte, welcher e8 ihr ermöglichte, ihre gemeinen Inſtinkte gewiſſenloſer Selbſtſucht ganz nadt

Unter den fähfiihen und fräntifchen Kaiſern. 141

und ſchamlos walten zu laffen, fo zwar, daß vielleicht zu feiner andern Zeit deutſche Ehre und Treue jo jehr zum Spott der Welt geworven find. ‘Die Pläne ver Rurie waren inzwilchen gereift. Rom nahm jest feine Rache dafür, daß Gothen, Langobarden, Franken und Sachfen nah einander mit Siegerfchritten über den Tapitolinifchen Hügel gegangen, indem Gregor der Siebente, der Prieſter mit dem büftern, aber weltumfaffenden Geift und dem eifernen Willen, die Idee der weltbeherrfchenden Roma, womit das ſchutzbedürftige Papſtthum den ‘Deutfchen ge- fchmeichelt hatte, von dem Kaiſerdiadem hinweg auf die Ziara des fogenannten Statthaltere Chriftt übertrug. Wie die Könige der Chriftenheit, fo follte auch ver Kaiſer nur ein vollziehendes Organ des großen römifchen Theo- fraten fein, ver ſich mit einer Ironie, vie an Kühnheit ohne Gleichen in der Weltgefchichte daſteht, den „Knecht der Knechte Gottes“ betitelt. Der Traum eines welt- gebietenden germaniſchen Kaiſerthums war zerfloffen ober wenigftend Hatten alle die ungeheuren Anjtrengungen, denſelben fortzuträumen, welche fpäter von den Hohen ftaufen gemacht wurben, nur fehr vorübergehender Erfolge ſich zu erfreuen.

Und doch ift, wenn man recht erwägt, der große Zwieſpalt zwifchen Kaiſerthum und Papſtthum, wie er im 11. Yahrhundert ‚ausgebrochen, für uns mehr ein nationales Glück als ein Unglüd gewefen. Der dadurch zu einem weltgefchichtlichen Motiv gewordene Gegenſatz zwifchen Germanismus und NRomanismus hat unfere Nationalität gerettet, hat unfere Sprache zu einer Kultur-

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ſprache erhoben, hat dem deutſchen Geifte eine felbft- ftändige Entfaltung gefihert. Denn daß dieſe gerate in dem Zeitalter der Dttonen höchlich bedroht war, foll ver vaterländifch gefinnte Hiftortfer nicht überjehen und ver- Tchweigen, wenn er mit Stolz auf die politifhe Macht- ftellung Deutſchlands in jener Periode zurüdhlidt. Im Wahrheit, das deutſche Wefen war gerade damals in augenfcheinlicher Gefahr, vom romanifchen völlig über- wuchert zu werden. Der König der Deutichen trug die römiſche Kaiferfrone und war bemzufolge auch höchfter Beihüger römiſcher Bildung, welche fich alle fchmeicheln- den Erinnerungen des klaſſiſchen Alterthums dienftbar zu machen wußte, um, wie mit Taufwaſſer und Chriſam die Xeiber der germanifchen „Barbaren“, jo mit den Lockungen geiftiger Genüffe ihre Seelen zu fangen, zu verweichlichen und zu beherrſchen. Die Blicke ver Priefter waren nad Rom gerichtet und fie empfingen von dorther die Ermunterung, alle VBerführungen des antifen Heiden⸗ thums aufzubieten, um die Nachllänge des germanijchen aus ven Gemüthern zu tilgen. ‘Die kofmopolitifhe Theo⸗ fratie Noms mußte ja überall darauf ausgehen, bie Wurzeln der Nationalitäten zu durchſchneiden, und jo befämpfte fie auch in Deutjchland die nationalen Ueber⸗ lieferungen, vie alten Helvdenfagen und Göttermythen, die Mutterſprache und ven einheimifchen Volksgeſang. Rom fühlte wohl, daß die deutſche Eiche aus dem Boden gehoben und ganz römifch zugehauen werben müßte, wenn fie für die Zukunft einen verläfflihen Pfeiler der Kirche abgeben ſollte. Die Ottonen, beraufdt

Unter den fächfifchen und fränkiſchen Kaifern. 143

vom Taumelkelche des Cäfarismus, gingen .varauf ein. Sie thaten manches, vieles fogar für die Kultur Deutfch- lands; aber was fie thaten geſchah ganz im Sinne ver römifch-Firchlichen Bildung. Im 9. Jahrhundert Hatte e8 bereits Anfänge und ziwar nicht gemeine Anfänge einer deutſchen Nationalliteratur gegeben. Der Sänger des „Heliand“ und der Evangelienharmonijt Otfried durften fih neben jedem Dichter ſehen laſſen, welchen das erite Jahrtauſend chriftlicher Weltanſchauung hervorgebracht bat, oder vielmehr die beiden Deutjchen waren die erften riftlichen Dichter, welche diefen Namen überhaupt ver⸗ dienten. Aber die ottonifche Beriode hat dieſe national» fiterarifchen Anfänge nicht weitergeführt. Die deutſche Literaturgefchichte des 10. Jahrhunderts ift ein leeres Blatt.

Alles, was während der Regierung der drei Dttonen Bildung hieß, beruhte auf blinder Nachahmung römifchen Weſens. Man hat von einer in dieſer Epoche vor fich gegangenen Verſchmelzung des heipnifch-germanifchen, des antif-Haffifchen und des chriftlichen Rulturelementes ge⸗ fprochen : ich Tann aber eine ſolche Verfchmelzung überalt nicht fehen. Im Gegentheil, das nationale Element trat fo fehr in den Hintergrund, daß e8 ganz verichwunden zu fein fchien, und die einfeitigfte Latinität beherrſchte alles. Betrachten wir, was damals in teutfchen Landen in ber Baukunſt, Bilonerei und Malerei gefchaffen wurde, be⸗ laufchen wir den gelehrten Mönch oder vie gebildete Nonne, wie fie in der Stille ihrer Zellen die Gefchichte ver Zeit aufzeichnen oder ven ftumpfen Kiel zur Nachbildung antifer Versmaße zwingen, überall ſehen wir, daß nad.

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römiſchen Muftern gebaut, gemeißelt und gemalt, ges fchrieben und geverjelt wurde. Nirgends ein felbftitän- diges Streben, nirgends ein nationaler Ton’ und Klang. Latein war die Sprache der Kirche, des Hofes, ver Ge- bildeten überhaupt und innerhalb dieſer Kreife ver Latei- nifhen Kultur gingen das griechifch-römiiche Heiden⸗ thum und das jübifche Chriftenthuum wunderlichite Ver⸗ bindungen ein. Von einer harmonifchen Geftaltung des Lebens war nirgends die Rebe : die rohefte Barbarei jtand unvermittelt neben mönghifchgelehrter Ziftelei. Die fitt- liche Umbildung der Germanen durch das Chriftenthum hatte nur erft begonnen und noch immer wirkte die Ver⸗ wilderung der Gemüther von der Völkerwanderungszeit ber in allen Stänten nad. Man lefe nur die Schil- derungen, welche ein deutſcher Mönd des 10. Yahr- hundert, Rather, nahmals Biſchof von Verona, von dem Gebaren ver Geiftlichkeit in Italien entwirft, und man wird fich Leicht vorjtellen fönnen, wie es auch dieſſeits der Alpen in dieſen Rreifen, welche immerhin noch die gebilvetiten waren, damals hergegangen. Von Biſchöfen und Prälaten fprechend jagt er: „Sie befchäftigen fich beftändig mit weltlichen Spielen, mit Sagen und Vogel- ftellen. Sie pflegen nach deutſcher Sitte Wurffpieße zu ſchwingen und entwöhnen ſich ver heiligen Schriften. Sie haben fich Gottes entfleivet, haben die Welt ange- zogen und fcheuen fich nicht, Zaienkleiver zu tragen. Sie

jpielen Kreifel und meiden auch das Würfelipiel nicht; -

fie gehen fleißig mit dem Spielbrette anftatt mit ver Schrift, mit der Wurficheibe anftatt mit dem Buche um.

Unter den ſächſiſchen und fränkiſchen Kaifern. 145

Sie haben Schauspieler lieber als Priefter, Luftigmacher lieber als Geiftliche, Läufer lieber al® Bhilofophen. Sie gieren nach griechiſchem Schmude, babylonifcher Pracht, ausländiſchem Putze. Ste lafjen fih goldene Becher, fifberne Schalen, Kannen von großer Koſtbarkeit, Krüge, ja Trinfhörner von beveutendem Gewichte und von einer jedem Zeitalter verhafften Größe machen. Sie bemalen den am Boden ruhenden Weinfrug, während die nahe Baſilika vom Ruf erfüllt ift. Nach dem Mahle befteigen fie Wagen, ſetzen fih auf fhäumende Roſſe, aufgeputzt mit goldenen Zügeln, filbernen Kettengehängen, veutfchen Zäumen, ſächſiſchen Sätteln, und eilen zu allerhand Zeit» vertreib, ven ihnen der Raufch eingegeben hat“ 22).

Es ift wohlthuend, die Augen von ſolchem Männer- treiben hinweg und auf jene veutfchen Frauen hin zu wenden, welche wie Xichtbilder von dem dunkeln Hinter- grunde des 10. und 11. Jahrhunderts fich abheben. Sie erfcheinen als Trägerinnen der bejjeren Sitte, ver feineren Bildung und einer aufrichtigen, wenn auch mitunter in Mitteln und Zweden gänzlich fehlgreifenden Frömmig- feit. Gleich beim Aufgange des Glanzes der fächfiichen Dynaftie tritt uns als eine anziehende Geſtalt die Schwefter des Herzogs Otto des Erlauchten entgegen, Hadumod, die Gründerin und erfte Aebtiffin des berühmten Stiftes Gandersheim, welches unter ihr und ihren Nachfolgerinnen Gerberga und Ehriftiana ein Mittelpunkt gelehrter Stu- dien und Verfuche war. Hier, in Gunversheim, lebte in

22) Bogel, Ratherius von Beroma, 1. Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 10

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der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts auch jene Nonne Hrotſuith (Roſwitha), welche die Reihe der deutſchen Schriftſtellerinnen eröffnet, obgleich ſie nicht in die deutſche Nationalliteratur gehört, da ihre Werke in lateiniſcher Sprache geſchrieben find 3. Eine eigenthümliche Er⸗ ſcheinung, dieſe Kloſterſchweſter, etwas von einem Poeten, etwas von einem Blauſtrumpf. Sie iſt ſehr fleißig ge- wefen. In vielen hunderten von Verfen hat fie Heiligen- legenven erzählt, die Thaten Otto's des Erſten befungen, die Gründung ihres Kloſters geſchildert. Aber ein blet- benveres Andenken bat fie fich mittel ihrer ſechs Komö⸗ dien gejtiftet, welche, in einem zwijchen Profa und Rhythums ſchwankenden Stil verfafit, die Anfänge der dramatifchen Dichtung in Deutichland ausmachen. Ihre Abſicht dabei war nicht fo faft eine Fünftlerifche als viel- mehr eine moralifhe. Sie hat das in der Vorrede zu ihren Dramen fo ausgefprochden: „Selbft unter ven

23) Zuerft wurden die Werke der Hrotfuith ober Hrotſvitha veröffentlicht dur Konrad Eeltes (1501). Die neuefte Ausgabe beforgte K. A. Barad (1858). Bon den Komödien hat. Bendiren eine Verdeutſchung in gereimten Berjen geliefert (1850—53). Nicht ganz mit Stillſchweigen ift zu übergehen, daß die neuere Hiftorifche Kritik in diefem Falle von 3. Aſchbach gehandhabt das Dafein der gandersheimer Nonne oder wenigftens ihre Autorichaft anzweifeln zu müſſen geglaubt bat. Diefer auf verfchiebene nicht Teicht wie- gende Gründe geftügten Anzweifelung zufolge wären die Werke der Rofwitha nur Unterfhiebungen, verfafft von dem Unterjchieber Konrad Eeltes. Ein Vollbeweis hierfür ift aber keineswegs erbracht worden und demnach darf die berühmte Nonne ihres Plates in der deutſchen Kulturgefchichte nicht beraubt werben.

Unter den ſächfiſchen und fränkiſchen Kaifern. 147

Katholiken laſſen gar manche ſich blicken (kann auch mich ſelber nicht befrei'n von jenem Vorwurf als gänzlich rein), die der gebildeten Sprache wegen der heidniſchen Schriften Eitelkeit vor der heiligen Schriften Nützlichkeit den Vor⸗ zug zu geben pflegen. Daneben man wieder andere trifft, die halten feſt an der heiligen Schrift, verſchmähen das übrige Heidenweſen, während ſie doch des Terentius Komödien immer und immer wieder leſen und durch des Inhalts Gemeinheit die Seele entweihen, indem ſie an der Sprache Reinheit und Feinheit ſich erfreuen. Daher für mich der Drang und Grund, als Gandersheims heller Klang und Mund 9), nicht dem Begehren zu wehren, dem nachzuahmen in Red' und Wort, ven andere durch Leſen ehren, auf daß in ähnlicher Redeweiſe, in welcher ge- ſchildert ift wollüftiger Weiber Liebe, auch Heiliger Jung⸗ frauen keuſche Triebe geſchildert würden zu ihrem Preife.“ Alfo ven bevenklichen Wirkungen der allerdings eine laſ⸗ cive Gefellichaft unverblümt genug darſtellenden Komödien eines Terenz wollte Hrotfuith durch Dramen entgegen- arbeiten, welche vom chriftlichen Standpunkt ausgingen. Die Imhaltsangabe der am meiſten charakteriftifchen Stüde ver guten Nonne mag zeigen, wie fie ihre Aufgabe

24) Clamor validus Gandershemensis. Grimm (Lateinifche Gedichte des 10. und 11. Jahrhunderts, reg. v. Grimm und Scmeller, IX) ift der Anſicht, dies fei nur die Lateinifirung des Namens Hrotſuith. Wir müßten alfo annehmen, Hrotfuith fei ein Bei⸗ und Ehrenname gewefen, welden man unjerer dichtenden Nonne gegeben und welcher die „Wohlklingende“, „Helllautende“, „Volltönende“ bedeutete.

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nahm und burchführte Im „Dulcitius“ dringt der fo geheißene Statthalter in die Wohnung von drei heiligen Yungfrauen, Agape, Chionia und $rene, um an ihnen fein Gelüfte zu befriepigen; aber, plöglih von Geiftes- veriwirtung befallen, umarmt er ftatt ver Mäpchen Töpfe und Pfannen, wodurch er ich garftig befuvelt. Im Aerger über dieſe feinem Statthalter wieverfahrene Schmach läſſt ver Kaifer Diofletian die Sungfrauen dem Strafen Sifinnius zur Beftrafung übergeben und fie er- leiden den Märtyrertod. Cine andere Baffionsgefchichte fptelt fich in ver „Sapientia” ab, wo die drei Schweitern Fides, Spes und Charitas auf Befehl des Kaiſers Hadrian ausführlih gemartert werben, während ihre Mutter Sapientia dabei fteht und fie zur Ausdauer ermahnt. Im „Abraham“ ift ver Fall und die Belehrung der Maria dargejtellt, einer Nichte des genannten Einfievlers, welche, nachdem fie zwanzig Jahre lang in der Einfamteit gelebt hat, verführt wird, in die Welt zurüdfehrt und vie Laufbahn einer öffentlichen Buhlerin betritt. Abraham fucht fie unter der Maſke eines Liebhabers auf und weiß fie dahin zu bringen, daß die Gerührte ihrem ſchmachvollen Wandel entfagt und ihre noch übrige Lebenszeit ver Buße und Raftetung widmet. Ganz ähnlichen Inhalts ift ver „Paphnutius“, worin die Belehrung ver Buhlerin Thais vorgeführt wird. Man fieht, Hrotfuiths Dramen find feine „Komödien“, ſondern pramatifirte Heiligenlegenven, worin von Anfang an auf einen erbaulihen Schluß hin- gearbeitet wird. Der Inhalt fpiegelt ven ausfchweifen- ven Wunverglauben einer Zeit wieder, wo man das

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Weſen des Chrijtentbums in eine Phantafterei fekte, welche an das Abſurde glaubte, nicht obgleich, fonvern weil es abjurd war. Die Form diefer dramatifchen Verſuche angehend, fo iſt fie holzſchnittartig troden und marionettenhaft unbelebt; aber wir finden hier im ganzen ſchon dieſelbe Technik, wie in den Weihnachts⸗ und Oſterſpielen („Myſterien“) des ſpäteren Mittelalters. Ob auf dieſe die dramatiſchen Holzſchnitte ver „Hell- lautenden“ von Gandersheim eingewirkt haben, ſteht dahin. Beſitzen wir doch keinen Anhaltspunkt, zu beſtimmen, ob Hrotſuiths Komödien zur ſceniſchen Darſtellung gelangt ſeien oder nicht. So ganz unwahrſcheinlich iſt es jedoch nicht, daß ſich die Inſaſſinnen eines Stiftes, wo die lateiniſche Sprache allen geläufig fein mochte, die Lange⸗ weile bleierner Winterabende dadurch gefürzt und er- leichtert haben, daß fie die noch dazu ad majorem dei gloriam gejchriebenen Dramen ihrer frommen und ge— lehrten Mitfchweiter in Ehrifto zur Aufführung bradten. Die armen Nonnen find, wie befannt, damals und Später mitunter auf Zeitvertreibe verfallen, welche viel weniger erbaulich waren als vie Darftellung fo einer hrotjuith’fchen Komödie. Allerdings könnte man etwas ftutig werben über den Umjtand, daß unfere gandersheimer Nonne die jungfräulichen Gefühle ihrer Mitfchweftern nicht eben jehr jhonte. ‘Denn fie bewegt fich, wie wir gejehen, mit einer gewiffen Vorliebe in verfänglichen Situationen. Ob daran ihr Vorbild Terenz allein Schuld war? Oder hatte fie in jungen Jahren ver Liebe Luſt und Leid felbit er- fahren und blidte nun mit einem aus heimlichem Mohl-

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gefallen und altjungferliher Seelenfäure gemifchten Ge- fühl auf jene Erfahrungen zurüd? Es könnte manchmal faft fo ſcheinen. Gerade va aber, wo die menfchliche und weibliche Regung durch die erbauliche Schablone hindurch⸗ Ichlägt, ift die gandersheimer Wohlklingende“ am liebens- würbigften. Da ftreift fie wenigſtens mitunter an Poeſie. Wo fie aber ven Elöfterlichen Blauftrumpf in gefpreizten Stellungen fehen läſſt, d. h. wo fie, wie in der Sapientia und im Paphnutius gefchieht, in ven fubtilen und fub- fimen Grübeleien und Tifteleien fich ergeht, welche man im 10. Jahrhundert und noch Tange nachher für Philo- jophie anfah, da ift die „Volltönende“ nur noch eine ſchrille Schelle, deren gelehrtes Gebimmel fich ſehr un- angenehm macht .....

Zur nämlichen Zeit, als droben am Harz in einer Zelle des gandersheimer Stiftes Hrotjuith ihre frommten Komödien ſchrieb oder diefelben den ftaunenden Schwe- ftern im Kapitelfal vorlas oder gar, vielleicht in An- wefenheit Kaiſer Dtto’8 des Zweiten und feiner griechi- {hen Gemahlin Teophano, die Darjtellung eines viefer Stüde durch die Klofterfchwefterfchaft mit fundiger Hand leitete, zur nämlichen Zeit ſaß drunten in Schwaben auf dem Klingſteinfels Hohentwiel eine zweite große Ge⸗ Lehrte von damals, Hadawig (Hedwig), des Schwaben- berzogs Purchard Wittwe, und ließ fich von dem Mönd) Ekkehard dem Zweiten, den fie fich prüben in St. Gallen von feinem Abte zum Lehrer ausgebeten, den Ovidius und Bergilius erflären. Oper fie lafen auch und ſtudirten mit- ſammen die alten Boeten ; aber immer in Gegenwart einer

Unter den jächftfchen und fränkischen Kaiſern. 151

Dienerin und bei offenen Thüren, um jeden niedrigen Verdacht fernzuhalten. Denn Frau Hadawig war ebenfo ſtolz als ſchön man muß fie fich mit dem Anflug eines ftarfen Schattens von Bärtchen auf ver gebieterifch auf- geworfenen Oberlippe denken und, da ihr die won ihr als Fünf» oder Sechszehnjährige mit dem beträchtlich älteren Purchard eingegangene Ehe feine Kinder gegeben, mit einem ſcharfen Zug der Verbitterung über verfehlte Beftimmung um die Mundwinkel fie war eine ernfte Dame, Land und Leuten eine geftrenge und, wie unfere Quelle jagt, fogar fehredlihe Herrin?). ALS Kind dem griechtfchen Kaifer - Konftantin dem Sechften zur Frau beftimmt, hatte fie von einem zu biefem Zwede aus Byzanz geſandten Eunuchen griechiſch gelernt, aber die Grazien waren ihr fernge- blieben. Wenn fie im Zorne ſchwur: „Bei Hadamwigs Leben!” hatte man fich vor ihr zu hüten. Auch ihr armer Präceptor Ekkehard, zubenannt „Palatinus“, weil er auf Verwenden der Herzogin nahmals Kaplan am veutjchen Königshofe wurde, Hatte unter den Launen ver gelehrten Virago zu leiden und es mochte ihn unter feiner Kutte fröfteln, als die Herzogin eines Tages befahl, einem hörigen Diener, welcher fih ein unfreiwilliges, ja be fohlenes Verſehen gegen ven Mönch hatte zu fehulden

25) Hadawiga .... femina admodum quidem pulchra, nimiae severitatis cum esset suis, longe lateque terris eratterri- bilis Ekkehardus IV. (nicht der „palatinus“), Casus 8. Galli. Pertz, Monum II, 122. Das 10. Kapitel dieſer für bie deutſche Sittengefhichte des 10. Jahrhunderts unſchätzbaren St. Galliſchen Kloſterchronik beſchäftigt fich mit der Herzogin Hedwig.

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fommen laſſen, „Haut und Haar abzufchlagen”, d. h. ihm eine erlledfihe Anzahl von Authenftreichen zu geben un bie Haupthaare mit einer hölzernen Kluppe auszuraufen. Noch Schlimmer, die Schülerin ließ fogar eines Tages den Xehrer jelber vurchpeitfchen. Mean fieht, vie Sentimen- talität machte dieſen Ariftofratinnen des 10. Sahrhun= derts wenig zu fehaffen und an Nervenfchwäche fcheinen fie auch nicht gelitten zu haben. Die „jchredliche Herrin” Hadawig iſt hochbetagt i. J. 994 geftorben und im Kloſter Reichenau begraben worden.

Das Familienleben ver vornehmen Kreife diefer Zeit

bietet manche ſchöne, aber auch manche ärgerliche Seite.

Auf Firchlihe Gebote und Verbote haben damals vie Lei- denichaften veuticher Erelinge wenig geachtet und mancher hat feinem Liebchen den Nonnenfchleier abgeftreift, um

den Brautkranz an deſſen Stelle zu fegen. So aub

Heinrich ver Finkler, der gewaltige Bezwinger der Ungarn, welcher zwar nicht, wie es in ven Schulbüchern heißt, die deutichen Städte gegründet, wohl aber das Empor: fommen verfelben wefentlich geförbert hat. In jugend» licher Liebe zu der verwitweten Tochter des Grafen Erwin von Merfeburg, ver jchönen Hadburg, entbrannt, welche als Nonne in einem Klofter lebte, troßte er, fie zu be- figen, vem Kirchenbann und vermählte ſich mit ihr. Aber ein Jahr fpäter, als ihm feine Frau einen Sohn geboren, fiel ihm ein, daß dieſe Ehe denn doch eine unerlaubte wäre, und fo fandte er die arme Hadburg ins Klofter zurüd. Die Urfache dieſes Gewiſſensſkrupels war eine ſehr ſchöne, nämlich die jungfräulihe Mathilvis, dem Stamme des

Unter ven ſaͤchſiſchen und fräntiichen Kaifern. 153

alten Sachſenherzogs Witufind entjproffen, Tochter des reihen Grafen Dietrich von Ringelbeim, welche von ihrer Großmutter im Klofter Herford erzogen wurde. Auf diefes Mädchen, das noch dazu eine reiche Erbin, war Heinrichs Auge gefallen und er begab fich als Freiwerber nach Herford. Der alte Xebensbefchreiber der Königin Mathilvis hat dem Vergil die Farben entlehnt, womit er Heinrichs Werbung und Verlöbnig malt. Zuerſt, erzählt er, betrat Heinrih nur mit wenigen Begleitern und unter dem Scheine geringer Leute das Bethaug und fo betrachteten fie im Tempel ſelbſt das fittfam und ftattlich geartete Mädchen. Darauf verließen fie die Stadt, ſchmückten fich mit Töniglihen Gewänvern, fehrten von einer großen Menge begleitet zurüd, fuchten die großmütterliche Aeb- tiffin auf und drangen in fie, daß bie Jungfrau, um deren willen ſie gekommen, ihnen vorgeftellt würde. Da trat Mathildis hervor, auf den fehneeigen Wangen mit der Flamme Röthe übergoffen, und als wären glänzenve Lilien gemifcht mit rothen Roſen, folche Farben bot ihr Antlitz. Als Heinrich fie erblidte und ihre Erſcheinung frifh empfand, heftete er fein Auge auf die Jungfrau, fo fehr von Liebe zu ihr entzündet, daß das Verlöbniß feinen Auffehub erlitt. Mit alleiniger Billigung ver Grof- mutter, ohne Wiffen der Eltern, ward fie mit Anbruch des nächften Tages von dort mit allen Ehren nach der Sachſen Heimat geleitet, bis das Hochzeitömahl, ganz wie e8 angefehenen und dereinſt Föniglichen Perſonen ziemte, in Wahlhaufen gefeiert wurde. (Von einer Firchlichen Trauung ift alfo auch hier noch gar feine Rebe.) Hier

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endlich pflegten fie gejtatteter Xiebe und als Morgengabe verlieh er ihr die nämliche Stadt mit allem Zubehör 26). Mathilvis, Mutter Otto's des Großen, Stifterin ver be- rühmten Frauenabtei Quedlinburg und nach ihrem Tode heilig gefprochen, hat in fraulich-mildem Sinne auf ihren mitunter herben und harten Gemahl eingewirkt und er- icheint durchaus im Licht einer züchtigen, fanften und Mugen Hausfrau und Fürftin. Die berühmte Chronik des Biſchofs Thietmar von Merfeburg (geb. 976, get. 1019) enthält aug dem Leben dieſer Königin einen Zug, der mir charakteriftifch fcheint, well er einen Winf gibt, wie die Geiftlichkeit e8 anftellte, um vie Leidenſchaften ber Großen von damals unter die Firchlihen Satungen zu beugen. An hohen Feittagen, zur Faftenzeit und bejon- ders in der Charwoche war der eheliche Umgang Firchlich unterfagt. Als nun einmal am grünen’ Donnerftag König Heinrih ſich ftarf berauſcht und feine „heftig wiber- ftrebente“ Gemahlin zur Leiftung ver ehelichen Pflicht gezwungen hatte, wurde die fromme Frau nicht wenig durch die Vorftellung geängftigt, fie hätte einen Sohn empfangen, der ohne Zweifel vem Satan gehörte. Zum Glück ward ihr darauf ver Troft gegeben, das Taufwaſſer würde das Rind reinwajchen ?”).

Otto der Erfte hatte zur erſten Gemahlin eine engel⸗ ländiſche Prinzeſſin, Editha, auf deren Antrieb er den Bau der Stadt Magadaburg (Magdeburg) unternahm.

26) Das Leben d. Königin Mathilde, deutih v. Jaffé. Ge-

ſchichtſchr. d. d. Vorzeit, X. Jahrh. 4. Bd. ©. 7. 27) Thietmar (Monum.G. h. III, 723 seq.) lib. I, cap. 14.

Unter den ſächſiſchen und fränkiſchen Kaifern. 155

Sie gebar ihm eine Tochter, Liutgard, welche vem Herzog Konrad von Oftfranfen vermählt wurde. Ein gewiffer Kono befchuldigte vie keuſche Frau ver Unzucht, aus Rache, weil fie feine Anträge nicht erhört hatte. Ste verlangte, mittel8 eines Gottesgerichtsfampfes fich won der ſchnöden Verleumdung zu reinigen. Ein Graf Purchard ftellte fih als ihr Kämpfer und überwand ven Lügner. Na ihrem Tode wurbe zum Gedächtniß ihrer hausmütter- lichen Tugenven eine filberne Spinvel über ihrem Grab in der Albanifirhe zu Mainz aufgehangen 2). Nach Editha's Tod heiratete ver Kaifer die Witwe des Königs Lothar von Italien, Adalheid, Tochter des Grafen Rudolf von Burgund, an Geift, Willenskraft und Herrichertalent, wie an edler Weiblichkeit wohl die erfte Frau ihrer Zeit, vielgeprüft vor und nach ihrer Vermählung mit Otto, aber dieſe Prüfungen jo beftehend, daß die Heiligiprechung felten einer Würdigeren als ihr wiverfahren ift, in das Reichsregiment bei Gelegenheit, namentlih nah dem Tode des großen Kaifers, mit weifem Sinn und fefter Hand eingreifend. Ihr Zeitgenoffe und Biograph, ver Abt Odilo von Cluny, hat nur die Wahrheit geredet, wenn er ber erlaudten Fürftin würbevollen Ernft und gelajiene Freundlichkeit im Benehmen nahrühmte, wenn er ihre überſtrömende Freigebigfeit, ihre unermüdliche Barmherzigkeit gegen Arme und Leidende, ihre Demuth im Glüd, ihre Geduld im Unglüd, ihre Selbitbeherr- {hung und Einfachheit pries und fein Lob in dem jchd-

28) Thietmar, II, 24.

156 Bud II. Kap. 2.

nen Ausſpruch zuſammenfaſſte, vie Raiferin fei allzeit und überall von ver Mutter aller Tugenden begleitet ge- wejen, von der Mäßigung?s). Adalheids Sohn, Dtto der Zweite, führte i. J. 972 die .griechifche Prin⸗ zeffin Theophano heim und die Fuge Byzantinerin wußte ſich leidlich in die deutſchen Berhältniffe zu fehiden, ob- gleich ihr viefelben frembartig genug vorlommen mußten und fie ihres Spottes über die germanifche Ungefchlacht- heit fein Hehl hatte. Sie begünftigte vie Haffifchen Stu- dien höchlich, erwies ſich auch als eine feine Politikerin, hat aber den Vorwurf auf ſich gezogen, die Mobethor- heiten von Byzanz in Deutfchland zur Geltung gebracht und durch ihr Beifpiel die deutſchen Frauen zu allerlei üppigen Ausschreitungen im Anzug und zu bevenflichen Putzkünſten verleitet zu haben. Zur Zeit Kaifer Heinrichs des Zweiten mußte e8 damit fehon weit gefommen fein, denn Thietmar von Merfeburg, welcher damals fchrieb, fand an feinen Zeitgenoffinnen zu tadeln, daß fie, ein- zelne Theile ihres Körpers auf unanftänvige Weife ent- blößend, allen Liebhabern ganz offen zeigten, was an ihnen fell wäre, und ohne alle Scham allem Volke zur Schau einherwanvelten 3%). Es jcheint, daß gerade unter ber Regierung des genannten frömmelnvden Kaifers in ver vornehmen deutichen Frauenwelt, zur Seite einer über- jtiegenen, ja efelhaften Affefe Thietmar führt als Mufterbild ſolcher Frömmigkeit eine Einfiedlerin Namens

29) D. Leben d. Kaijerin Adalheid, deutſch v. Hüffer, Ge⸗

ſchichtſchr. d. d. V. X. Jahrh. 8. Bd. ©. 19. 30) Thietmar, IV, 41.

Unter den ſächſiſchen und fräntifchen Kaifern. 157

Sifu auf, welche „das Uingeziefer, von dem fie fortwährend geplagt wurde, nicht wegwarf, fondern das zufällig ab- gefallene fich wieder anfegte* eine ſehr gefteigerte Sittenlofigfeitt im Schwange gewejen. „In unferen Tagen, jagt der gute Biſchof von Merfeburg, treiben außer ver Menge der verführten Mädchen noch gar manche verheiratete Frauen, denen geile Luft den verberblichen Kitzel anreizt, Unzucht und zwar noch zu Lebzeiten ihrer Männer. Und damit nit einmal zufrieden, überliefert manche noch, indem fie ihren Buhlen heimlich dazu antreibt, ihren Ehemann der Hand des Mörbers, ven fie darauf öffentlich zu fich nimmt und mit ihm nad) vollem Belieben buhlt“ 3). Heinrich8 des Zweiten Gemahlin Kunigunde erfcheint bei Thietmar als eine ehrbare und verftändige Fürftin, Die auch in Staatsjachen mit ficherem Takte das Rechte zu treffen wußte. In der Legende dagegen ift fie zur Hei- ligen hinaufphantafirt, die ihre jungfräuliche Keufchheit auch in der Ehe bewahrte und ven Teufel zu Kirchen- bauten kommandirte, aber dennoch der Verleumdung nicht entging. ‘Des unzüctigen Umgangs mit einem Hof- herrn befchulvigt, unterzog fie fih einem Gottesurtheil, wie vormals Karls des Dielen Gemahlin NRicharvis, und trat bloßen Fußes unverlegt fieben glühende Pflug- ſcharen.

Der ſehr beträchtliche Einfluß, welcher unter dem Reichsregiment der ſächſiſchen Dynaſtie den königlichen Frauen zugeſtanden wurde und der dem Reiche keineswegs

31) Thietmar, VIII, 2 6.

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zum Schaden gereichte, ging auch auf die Frauen des falifch-fränfifchen Haufes über. Sp war Gijela, Konrads des Zweiten Gemahlin, eine wohlthätige Ordnerin, bes ſonders firchlicher Angelegenheiten, und was die Frau . ihres großen Sohnes, Heinrichs des Dritten, Agnes an- gebt, jo war e8 ein jchweres Unglück für Deutjchland, daß die verrätherifche Selbſtſucht der Fürften den un- mündigen Knaben, welcher nachmals Heinrich ver Vierte wurde, der Vormundſchaft einer ſolchen Mutter viel zu frühe entriß?). Der Sechszehnjährige vermählte fich i. 3. 1066 mit Bertha von Savoien, deren Gefchichte eine Xeidensgejchichte war. Denn Heinrich faſſte un- mittelbar nach der Hochzeit einen heftigen Widerwillen gegen feine junge Frau und ging mehrere Jahre lang mit dem Vorſatz um, fie zu verftoßen, wie denn bie deutſchen Großen von damals die Heiligkeit der Ehe gar häufig in zügellofe Leichtfertigfeit verfehrten. Wird doch von dem Gegenkönig Rudolf von Schwaben gemeldet, daß er zur gleichen Zeit nicht weniger als drei „rechtmäßige” Che- frauen gehabt. Bertha’8 Geduld und Treue überwand zwar nach und nad) den Widerwillen ihres Gemahls, aber ihr 2008 war fein rofiges. Sie hat alle die Pitterfeit, wovon Heinrichs des Vierten Leben voll war, redlich mit⸗ burchgefoftet, ftetS in Angft um ben verrathenen und be- drängten Gatten, oft auf der Flucht, oft in abgelegenen Verfteden, in Sorgen um eine ſichere Stätte, wo fie ihre

32) Eine „Frau von männlichem Geiſte“ nennt fie ber un⸗

genannte Biograph und Abologet Heinrich bes Vierten. Seſqhichtſchr d. d. V. XII. Jahrh. 2. Bd. S. 8.

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Unter ben ſächſiſchen und fränkiſchen Kaifern. 159

Kinder gebären könnte. Auch auf jener kläglichen Buß- fahrt durch die winterlihe Wilpniß der Alpen nach Kanoſſa hat die treue Frau ihren Gemahl begleitet. Ihre einzige Tochter Agnes, ſchon als Kind dem Ritter Friedrich von Hohenftaufen verlobt, war beftimmt, die Ahnmutter einer neuen Reihe von Kaiſern zu werden. Ihre Zeits genofjen haben fie als eine „außerorventliche” und „uns vergleichlihe“ Frau gerühmt .....

Alles zufammengehalten, erfennen wir, daß die ſäch⸗ ſiſche und falfräntifche Kaiferzeit nicht arm an Frauen ge⸗ weſen, welche ihr Gefchlecht wirklich zierten. Ebenfo anderer- feits, daß die rohe Sinnlichkeit und Habfucht, welche vie Männer nur allzubäufig ſchrankenlos walten ließen, ihre

. unausbleiblichen Wirkungen auf die Frauenwelt übten.

Die Angaben und Klagen zeitgendffilcher Berichterftatter über die unter Mädchen und Frauen gangbare Putzſucht und Unkeuſchheit find zu beftimmt, um überjehen zu werben, und das von oben herab gegebene Beifpiel Teicht- finniger Xoderung der Familienbande verdarb auch bie unteren Stände. Dod find und dagegen auch wieber Ihöne Züge von treuem Familienſinn und ehrbarem Familienleben überliefert, viefen beiden Grund⸗ und Eckpfeilern, auf und an welche unfer Voll aus zeit» weiliger VBerfunfenheit immer wieder fich aufgerichtet hat. Wie jede Zeit hatte auch das elfte Jahrhundert nicht nur

fein Ideal von frauficher Art und Tugend, ſondern fonnte

auch Verwirklichungen veifelben aufzeigen. Darüber hat Sohnesliebe ein ſchönes Zeugniß abgelegt in ver Grab- chrift, welche ver gelehrte reichenauer Mönch Herimann

160 Buch II. Kap. 2.

der Berwachjene, ein Sohn des Grafen Wolfrad zu Alts- haufen in Oberſchwaben, im Jahre 1052 feiner Mutter Hiltrud widmete 3°).

Es ift leicht erflärlich, aber fehr bezeichnend, daß vie päpftliche Rurie den Frauen der falfränkifchen Dynaſtie gegenüber mit Austheilung von Heiligenfcheinen feines- wegs mehr jo freigebig war, wie fie denen der ſächſiſchen gegenüber gewejen. Das Papſtthum vermochte jett auf eigenen Füßen zu jtehen, beburfte ver Stüße des Kaijer- thums nicht mehr und verfchritt zur Verwirklichung feiner theofratiihen Weltherrſchaftsidee. Ein Hauptmittel hierzu war natürlich die Organifation eines Heeres, welches, wenn auch ſchwertlos, dennoch fehr jtreitbar fein follte und wirflih war. Dieſes Heer, die Geiftlichkeit, follte völlig vom Staate losgelöft und dadurch dem päpftlichen

33) „Hiltrud, Dürftiger Mutter, der Ihren Hoffnung und Hilfe, Gibt was der Erde gebührt, hier in dem Hügel zurück; Welche die hochgebietenden Eltern ebelen Stammes Adelnd, fie durch ven Glanz leuchtenden Streben® erhob. Keuſch ſchloß nur einmal fie ein. heiliges Bündniß der Ehe, Lebte dem göttlichen Dienft widmend den Sinn und das Herz. Und fie ftrebte nach dem befcheidenen Theile der Martha, Blieb der Lehre, die fie gab, in dem Leben getreu. Reich und fromm erfreuete fie die Armen mit Kleidung, Speije, Fürwort und Gang, wo nur e8 heifchte die Noth. Doch vor allem erquidte mit Glauben ſie gläubige Freunde, Allen zeigte fie fich immer willfährig und mild. Auch ſanftmüthig und duldſam und nimmer zum Streite genreiget, Aller Welt fie gefiel und, wie wir hoffen, dem Herrn.“ Herimanns Chronik, deutſch v. Nobbe. Geſchichtſchr. d. d. 3. XI. Jahrh. 5. 3b. ©. 51.

2——

Unter den ſächſiſchen und fränkiſchen Kaiſern. 161

Stuhl unbedingt zugewandt und gehorſam gemacht wer⸗ ven. Zu dieſem Zwecke wurde das Verbot ver Prieſter⸗ ehe durchgeſetzt. Der taufend Bande ledig, womit das Familienleben den Menſchen mit den ftaatlichen In» tereffen verknüpft, follte die Geiftlichfeit nur noch ein willenfofes Organ der päpftlichen Politik fein. Indeſſen war e8 rathſam, das politifche Motiv der „ungeheuer- lichen Verordnung“ wider die Priefterehe decretum enorme nennt e8 ein Annalift vom Sabre 1075 hinter ein religiöfes zu verfteden. Man ging auf das Vorbilo Ehrifti zurüd, welcher ehelos gelebt hätte, betonte unauf- hörlich die wegwerfende, abjcheulich zotige Manier, womit manche Kirchenväter von den Frauen als untergeorbneten, unreinen Gefchöpfen gefprochen, und folgerte daraus, daß es dem Priefter, deffen geweihte Hände die Saframente verwalten, unztemlich wäre, durch die eheliche Gemeinschaft mit dem Weibe, viefem „Gefälle ver Sünde“, fich zu verunreinigen. Wie mächtig die Durchführung dieſes naturwidrigen Grundſatzes in das fociale Leben ver Chriftenheit eingreifen mußte, liegt am Tage. Wir wollen nicht einmal von ver gräuelhaften, dadurch noth- wendig bervorgerufenen Sittenlofigfeit der Geiftlichen reden ; wir fagen nur, daß ein Stand, welcher fi von einem beiligften Grundgeſetze der Geſellſchaft losſagte, nothwendig der Feind verjelben werben mußte. Man macht nicht ungeftraft ven Verſuch, fich über die Natur zu erheben.

Ungeachtet der Apoftel Petrus ſelbſt eine Frau ge- habt hatte, war im Sprengel des römischen Biſchofe die

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I.

162 Buch II. Rap. 2.

Ehelofigfeit der Prieſter ſchon frühe geltend gemacht worden. Wenigſtens vom Subdiakon aufwärts follten fie unverheiratet fein. Seit ver Mitte des 11. Jahrhunderts wurde von Rom aus fhitematifch daran gearbeitet, ven Cölibat zu einem allgemein giltigen Rirchengejege zu er= beben. Dean fcheute nicht wor - der ungeheuren Lächer⸗ lichfeit zurüd, al8 Grund dafür anzugeben, daß ver Priefter, welcher „täglich Gott fchaffe” (bei ver Weihung der Hoftie und des MWeins in der Meffe) ganz lauter und

rein fein müfje?d. In Wahrheit war e8 die Politik

Hildebrands (Gregors des Siebenten), welche die Durch⸗

: 34) Wie dann in der Wirklichkeit dieſe chlibatärifche Rein⸗ beit und Lauterfeit beichaffen war, Tann, abgejehen von zahlloſen anderen Zeugniffen, eine von Floto (Kaifer Heinrich der Vierte, I,

164) angezogene Stelle aus einem Chroniften des 13. Jahrhunderts

zeigen. Papft Innocenz ber Bierte hielt von 1245—51 zu yon Hof. Als er die Stadt verließ, fagte der Kardinal Hugo de St. Daro zu den Bürgern: „Freunde, ihr jeid uns großen Dank ſchul— dig. Wir find euch nützlich gewejen. Denn als wir hierher famen, fanden wir nur drei oder wier Bordelle vor. Jetzt aber, bei unjerem Weggehen, laffen wir nur ein einziges zurüd, welches von dem dft- lichen Thore der Stadt bis zum weftlichen reicht”. In der Mitte des 16. Jahrhunderts erklärten bie Geſandten Baierns auf dem Koncil von Trient, bei ihnen daheim würden unter hundert Brieftern faum drei oder vier gefunden, welche nicht in wilder Ehe lebten. Freilich hatte es das Cölibatsgeſetz nicht jo faft auf die wilde als vielmehr auf die rechtmäßige Ehe abgefeben; denn nur biefe fihert einen feſten Familienband und Inüpft alfo auch den Priefter an fein Vaterland, welchen der Cölibat ihn entfremdet. Ein echter Priefter darf und kann fein Patriot fein.

Unter den fächfifhen und fräntifchen Kaifern. 163

jegung des Cölibats gebieterifch forderte; denn nur eine eheloſe Prieſterſchaft war ein willenlofes Werkzeug bet Ausführung feines theofratifchen Rieſenplans. Daß gerade der Stand, welcher vermöge feiner Bildung und feines unermefllihen Einflufjes ven übrigen an Sittlich- keit vorleuchten follte, durch Zerftörung feines Familien lebens mit aller Gewalt in die Unfittlichleit bineinge- trieben wurde, fümmerte ven finitern Mönch auf dem päpftliden Stuhle jehr wenig. Es gereichte aber dem jittliden Gefühle ver veutfchen Getftlichfeit zu nicht geringer Ehre, daß weitaus ihre Mehrzahl energifchen Widerſtand gegen das römiſche Eheverbot erhob. Dem Biſchof Otto von Konftanz geben feine Feinde fogar das ehrenvolle Zeugniß, daß er öffentlich gegen dieſe Natur: widrigfeit gepredigt habe. Ein Prieſter der Didcefe Paffau ließ um 1077 eine Streitfchrift gegen das Cöli— batögejet ausgehen, worin mit ver ganzen Empörung ger- maniſchen Sitten» und Rechtsfinns gegen die Arglift, Heu⸗ helei und Sittenlofigfeit der neuen päpftlichen Satzung geeifert wurde. Der wadere Dann rief dem Papft ins Gedächtniß, daß der Apoftel Paulus in der befannten Epiftel an Zimotheus den Bifchöfen und Diakonen vie Ehe nicht nur nicht verboten, ſondern vielmehr geradezu geboten habe und daß die alten Koncilien gegenüber ven cölibatärifchen Ereiferungen möndifcher Halb» over Ganz- narren den Prieftern freigeftellt hatten, zu heiraten oder ehelos zu leben. Er bezeichnete das Eheverbot als einen Wahnfinn und prophezeite: „Die Priejter werden, gleich

den Urhebern dieſer Keberei, in Folge des Eölibats Hurer, | 11*

164 Bud II. Kap. 2.

Ehebreher und Sklaven ver fehmugigften Laſter fein.“ Aber das Unheil war einmal im Zug, und als der Papft wahrnahm, daß die meiſten veutfchen Bijchöfe nur mit MWiderftreben an die Durchführung des Eheverbotes in ihren Sprengeln gingen, anempfahl er die Angelegenheit den mit ihm gegen vie faiferliche Macht verbündeten deutſchen Fürften. Sie mußten ihm wohl zu Willen fein, weil fonjt ihre Rebellion des päpftlihen Rückhalts entbehrt hätte. Auch hette pie Kurie mittel® der Mönche den adeligen und bäuerlichen Pöbel zu Gewaltthätigfeiten gegen die verheirateten Pfarrer auf. Demzufolge zwang vieler Orten das Volk die Geiftlihen tumultuariich zur Entlafjung ihrer rechtmäßigen Ehefrauen. Doc waren in norddeutſchen Sprengeln im 12. Jahrhundert noch die meiften Pfarrer verheiratet und noch im 13. Jahrhundert gab es in einigen Gegenden Deutfchlands, wie z. B. in Schlefien, verheiratete Biſchöfe, Domherren und Pfarrer. Erft von da ab verſchwand bei uns die Priefterehe wöllig, am einem Treiben Pla zu machen, deſſen Zuchtloſigkeit zahlloſe Pfaffenſchwänke des Mittelalters grell genug widerfpiegen. Das Volk merkte zu fpät, welcher Peſt e8 feine Häufer geöffnet, indem es ven Cölibat burchjegen geholfen, und im 14. und 15. Iahrhundert war unter unjeren Bauern die Forderung gäng und gäbe, daß ein neuaufziehender Pfarrherr auch gleich feine Kebje oder, wie fie fich bäuerifch ausprüdten, daß ein neuer „Seelen- hirt“ feine „Seelenfuh“ mitbringen müßte. Sie wußten wohl, warum.

Drittes Kapitel.

Dom zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert.

Die Hobenftaufen. Gliederung der mittelafterlihen Geſellſchaft. Materieller und geiftiger Aufihwung Deutfchlands im 12. Jahr⸗ hundert. Einfluß der Römerzüge und ber Kreuzzlige. Das Rittertbum. Die „Courtoifte” oder „Höftichteit“. Blick auf die franzöfiſche Eourtoifie. Deutfcher Marienkult und Frauen- dienft. Kaiferinnen. Die heilige Hildegard. Herrad von Landsberg und ihr „Luftgarten”. Hausrath und mufilalifche In- firumente. Das Bett und der Schlafanzug.

Kachdem die Geſchichte der deutſchen Frauenwelt bis zu der Zeit heraufgeführt worden, wo mit der Reichs— herrichaft der Hohenftaufen die mittelalterliche Romantik in ihre Glanzperiode eintrat, ift uns jet die Aufgabe geftellt, von dem Frauenleben, wie e8 in der Blüthezeit und im Niedergang des Mittelalters unter den verſchiedenen Ständen deutſcher Nation, auf Burgen, In Städten und auf dem Lande, in der Weltlichfeit und in der Klöfterlichkeit, nach der lichten und dunkeln Seite hin fich abwidelte, ein genauer gezeichnete8 und beutlicher ausgemaltes Bild zu

166 Bud II. Kap. 3.

geben, als die Beichaffenheit ver Quellen von den früheren Perioden zu geben geftattete. Denn unſere überaus reiche mittelhochdeutfche Literatur, deren glänzendſte Schöpfungen in die erfte Hälfte des 13. Jahrhunderts fallen, vie aber mit ihren Anfängen ins 12. Jahrhundert hinauf- und mit ihren Nachllängen ins 14. herabgreift, bietet une hinlängliches Material zu anfchaulicher Darftellung mittel- alterlicher Fraulichkeit.

Bevor wir jedoch in die Einzelnheiten von ver veutfchen Frauen Gehaben und Gebaren, Thun und Tracten zur angegebenen Zeit eintreten, iſt es räthlich, auf folche fociale Einrichtungen, welche vie mittelalterliche Lebens: führung bepingten und bejtimmten, einen raſchen Blick zu werfen. Dies gethban, werden wir zumächit eine wor- tragende Frauengeftalt des 12. Jahrhunderts vorführen, um durch fie, welche eine Schriftitellerin und Malerin war, Einficht in manche häufliche Verhältniffe ihrer Zeit zu gewinnen. Sodann werben wir von ber Edelfrau, ver Bürgerin und der Bäuerin handeln, werben Feſten an- wohnen, die Bäder, die Nonnenklöfter, vie Frauenhäufer befuchen und endlich zum Abſchluß der Kapitelreihe des 2. Buches betrachten, wie die mittelalterlich-veutfche Poefie zu den Frauen fich geftelit, was fie im Guten und im Schlim- men von ihnen zu fingen und zu fagen gewußt hat. ALS Geſammtreſultat unbefangener Darftellung dürfte dann fih ergeben, daß das Mittelalter zwar eine höchit eigen- thümliche, farbenreiche, won dichterifchen Tönen Durchzogene Periode unferer Geſchichte war, daß aber vie Phantaſie eines in Zucht und Sitte hochjtehenden, ja muftergiltigen

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 167

Mittelalters eben nur eine Phantafie der Wilffür tft, welche auf geſchichtliſchen Werth gar feinen Anfpruch hat. Auch im Mittelalter mifchten ſich, wie zu allen Zeiten, die ſocialen Lichter und Schatten, und wenn beide damals grelfer und nadter heruortraten als heute, fo rührte das nur von der rohen Frifche in Faſſung und Führung des Lebens her, von welcher die moderne Verfeinerung und Verflachung nichts mehr weiß. Die Tugenden und Lafter, Leidenſchaften und Thorheiten der Menfchen bleiben vem Wefen' nach ſtets die gleichen. Die vorfehreitende Bil dung ändert nur die Erfcheinungsformen verfelben und wir find daher ebenfo wenig berechtigt, pas Mittelalter als eine „barbarifche Zeit” zu verklagen, als wir be= rechtigt find, daſſelbe als die „gute, alte, Fromme Zeit“ zu lobpreifen.

Die Raifer des ſchwäbiſchen Haufes verfolgten die Yah- nen eines Dtto des Erften und eines Heinrichs des Dritten. Auch fie waren in dem thörichten Traum, cäſariſcher Welt- herrſchaft befangen, obgleich vie Wirklichkeit ganz darnach angethan war, fie nachprudfam daraus zu erweden. Schon der furchtbare Widerſtand, welchen ihnen vie Päpſte von Italien aus entgegenfegten, hätte fie darauf. hinweifen fönnen, daß ihre Aufgabe vieffeitS ver Alpen lag, und die in Friedrich dem Rothbart großartig, in Heinrich dem Sechſten fein angelegte Defpotennatur wäre ganz geeignet gewefen, einen einheitlichen veutfchen Reichsbau zum Ab- ſchluß zu bringen. Aber Italien! Italien! war auch die Loſung ver Hohenftaufen, und während fie dort ſich herum⸗ fchlugen und erichöpften, entwidelte ſich daheim bie

168 Bud II. Kap. 8.

ftantliche Zerfplitterung, an welder unfer Land noch heute krankt. An die Stelle der Tarlingifchen Reichs⸗ verfaffung, deren Ruinen noch ins 11. Sahrhundert hinein- ragten, war das Lehenwefen getreten, dieſe organifirte Adelsanarchie, welche mehr und mehr die altgemeinfreie Bauerfame wenn auch nicht in allen Gegenden zur Hörigfeit und Leibeigenfchaft herabdrückte und nur in dem jeit vem 10. und mehr noch feit sem 11. Jahrhundert allmälig immer mächtiger aufblühenden ftäntifchen Bürger- thum ein Gegengewicht fand. Wenn man erwägt, wie der gejellichaftliche Bau des Mittelalters in Deutſchland vom leibeigenen Knecht an durch den hörigen Bauer zum freien, vom nichtadeligen Stabtburger zum adeligen Alt- :burger, vom armen Lanvedelmann, der mit ein paar Knechten in feinem dürftigen „Burgſtall“ haufte, bis zum geiftlichen oder weltlichen Fürften, welcher Taufende von Bafallen in feinem Bann und Lehen hatte und in feiner Hofburg verfchwenderifchen Prunf entfaltete, vom de— müthigen Mönch oder Dorfpfarrer bis zum kurfürftlichen Erzbiſchof hinaufſtieg, um auf feinem Gipfel vie Kaifer- frone zu tragen, welche freilich gar oft nur ein Schein« ding war: fo bat man den Anblid einer Geſellſchafts⸗ glieverung, welche man zwar auf gut fifchartifch mehr eine Gefellichaftklitterung zu nennen verjucht ift, von ver man aber doch jagen muß, daß fie zu ver mannigfaltigiten, bunteften Entwidelung und Entfaltung des Lebens An- ftoß und Raum gab.

Mancherlei Urfachen führten im 12. Sahrhundert jenen materiellen und geiftigen Aufjchwung ver veutfchen

Vom 12. bis 15. Jahrhundert. 169

Nation herbei, deſſen Sinken fo ziemlich mit dem Unter- gang des hohenſtaufiſchen Haufes zufammenfältt. Das Anwachſen ber Benöllerung trieb zu emfigerer Landes⸗ fultur, um deren Förderung die Klöfter fich noch immer Ver- pienfte erivarben, beſonders nach per Richtung bin, wo e8 fih um Beſchaffung ver gutſchmeckenden Dinge dieſes Lebens handelte. In den Städten entwidelten die Gewerbe eine emfige Thätigfeit und erhob fich bie Handwerksgeſchicklich⸗ feit zur Kunſt. Der Handel, welcher von ven Siten des Bürgertfums aus feine begehrlihen Arme ſchon nach allen Himmeldgegenden ausſtreckte, brachte nicht nur Wohlſtand, fondern auch das Bedürfniß, deſſelben mit Behagen zu genießen. Stäptifcher Neichthum und Ge- meinfinn boten die Mittel, die zeitbewegenden Gedanken, alfo vor allen den religiöfen, monumental zu geftalten, und mit der frommen Begeifterung verband fi, aus ber romantischen Verpuppung hervorbrechend, der germanifche Genius zur Schaffung jener riefenhaften Gedichte aus Stein, jener Münfter und Dome, die man gothiſche zu nennen pflegt und die, entfprechend ver Idee, welche bieje Architektur befeelte, vie Erde und den Menfchen gleichfam gen Himmel emportragen, verfteinerte Himmelsfehn- ſucht, wie es ja eben Grundmwefen der Romantif, d. i. des mittelalterlichen Geiftes war, das Irdifche zu verhimmeln und das Himmliſche zu verweltlichen. Das Chriftenthum hatte im Katholicismus mythologiſche Geftaltung, der Gottespienft fFünftlerifche KEntfaltung gewonnen. Ein allgemeines Regen und Bewegen, ein Dürften nad) Schön- heit und Lebensgenuß war in die Deutfchen gekommen,

170 Bub II. Kap. 3.

welche zur Zeit, wo ein Barbaroffa des Reiches waltete, guten Grund hatten, die raſch wieder verſchwindende Illuſion, fie wären die Herren der Welt, für bauernde Wirklichkeit zu halten.

Die Römerzüge nach Italien hatten unfere Altvor- deren mit einem Lande befannt gemacht, auf deſſen Ruinen noch immer ein Nachſchimmer ver Schönheit des Haffiichen Alterthums Tag und deſſen auch politijch mächtige Handels⸗ ſtädte deutſche Kriegs- und Handelsleute bürgerliches Lebensbehagen und bürgerliche Freiheit kennen und ſchätzen lehrten. Aber wenn der Anblid italifchen Lebens be- deutend dazu beitrug, ven geiftigen Geſichtskreis ber Deutſchen zu erweitern und aufzubellen, ihren Schön- heitsfinn zu weden und zu ftürfen und fie für eine behag- lichere und reichere Einrichtung des Dafeins in Thätigfeit zu fegen, jo waren die Kreuzzüge ihrerfeitS auf dieſes alles von noch größerem Einfluß. Die umgekehrte Völfer- wanderung der Kreuzzüge hat ja überhaupt die chrift- katholiſch⸗romantiſche Weltanfhauung auf ihren Höbe- punft geftellt, indem fie dem abendländiſchen Waffenthum eine Seele, d. i. eine religiöfe Idee einhauchte, der euro- päifchen Kraft und Thatenluft ein ideales Ziel gab, die ganze Chriftenheit zu einem großartigen Unternehmen vereinigte und nach allen Seiten hin dem materiellen und geiftigen Vorjchritt neue Bahnen aufichloß und ebnete. Der Orient erwies damals noch einmal feine alte DBe- fruchtungskraft; denn unermefjlih waren die Nachwir- fungen deſſen, was die Rreuzfahrer in den Ländern des Morgens gefehen und gehört. Die ganze Fülle orien-

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 171

taliſcher Bhantaftit, Myſtik und Symbolik ergoß ſich über das Abendland und infpirirte die Poeſie zur Schöpfung einer Wunderwelt, die fich farbenprangend über ber raus ben Wirklichkeit wölbte und in deren Atmofphäre felbft eine in feinem ganzen Wefen fo eifern materielle Er⸗ ſcheinung, wie das germanifche Kriegerthum war, eine dichterifche Geftalt gewann, indem es fich zum Nitterthum verfeinerte, eine Verfeinerung freilich, Die nach unfern heutigen Begriffen noch immer viel grober und rober war als billig.

Das Ritterthum, dieſe fociale Schöpfung des mittel- alterlicheromantifchen Geiftes, ift nicht veutichen, ſondern romanifchen Urſprungs. Denn wenn fchon im 11. Jahr⸗ hundert in Deutfchland von Rittern die Rebe ift, fo find damit nur Kriegsleute gemeint, welche, auf eigene Koften mit Banzer und Halsbergen, Helm und Schild, Schwert und Lanze ausgerüftet, zu Roffe dem Aufruf zum Fönig- fihen Heerbanne folgten. „Ritter“ bedeutete vor den Kreuzzügen in Deutfchland nur foviel wie Neifiger und von einem Ritterftand im fonventionellen Sinne war noch feine Rede. Die Entjtehung und Ausbildung des Ritter- thums als eines gejellichaftlichen Inftituts haben wir in Spanien und Südfrankreich zu ſuchen, wo die häufige Berührung mit dem gejellig verfeinerten, dichteriſch ge- jtimmten und bochgebilveten Maurentbum zur Aue- Ihmüdung des Lebens mit ven Reizen höherer Gejellig- feit DVeranlaffung gab. Der blühende Zuftand jener Gegenden, vie heiter-finnliche Beweglichkeit ihrer Be- wohner, das enthufiaftifche Intereffe an abenteuerlicher

172 Buch II. Kap. 8.

Fabelei und fröhlicher Liederfunft, der anmuthige Einfluß ſüdlicher Frauenſchönheit, das alles wirkte dort zu- fammen, um gewiffe Formen und Normen abeligen Ver⸗ kehrs ins Leben zu rufen, aus welchen fich allmälig das Geſetzbuch ritterlicher Gepflogenheit zufammenfegte. Der Kampf um das heilige Land verlieh dieſer Konvenienz eine religiöſe Weihe, welche in den geiftlichen Nitterorven der Johanniter, Templer und Deutfchherren das chriftliche Kriegerthum und das chriſtliche Mönchthum in eins ver- ſchmolz. Die fehr bedeutende Stellung, welche dieſe geift- lichen Ritterorden in Bälde fich errangen, verhalf ter in den Kreuzzügen aufgefommenen Borftellung von dem hriftlichen Ritterthum als von einer idealen Genofjenfchaft zu immer größerer Verbreitung und Geltung, welche ſich auch in Deutfchland ftarf bemerkbar machte, namentlich im füdlichen und fünmeftlichen Deutfchland, ſobald die im eriten und zweiten Kreuzzug ftattgehabten Berührungen des deutſchen Adels mit vem franzöfifchen ihre Wirkungen äußerten. Die Kirche ihrerfeits zögerte nicht, das religidfe Element, welches bie Kreuzzüge in das Ritterthum ge⸗ bracht hatten, auch formell gewichtig zu machen, indem ſie die Aufnahme in die Ritterſchaft mit kirchlichen Bräuchen umgab. Zum Dank lautete dann auch das erſte der Rittergelübde, die Kirche zu ehren und zu ſchützen, welches Gelübde übrigens, gerade wie die andern dem Lehns⸗ herrn treu und hold zu ſein, Witwen und Waiſen zu ſchirmen, keine ungerechte Fehde zu erheben, die Ehre der Damen zu achten jedenfalls ebenſo oft gebrochen als gehalten wurde. Erſt im 12. Jahrhundert kam die An⸗

Vom 12. bis 15. Jahrhundert. 173

ficht zur Geltung, daß adelige Geburt, unmittelbare Ab- ftammung von einem Ritter („Ritterbürtigleit“) Grund» bedingung der Aufnahme ins Ritterthum fei; doch fanden damals und fpäter Ausnahmen von biefer Regel ftatt. Politiſche Nechte, wie fie dem Erb» und Beneficienavel zuftanden, brachte der Ritteradel anfänglich nicht mit fich und erjt jpäter wurden ihm neben ven Ehrenrechten auch ftaatsbürgerliche zutheil. Weil aber das Nitterthum ver Ausbildung des Begriffs perjönlicher Ehre, des Ehren- punkts, der Standesehre außerorventlich günftig war, fo drängte fih bald der Adel eifrigft zur Ritterwürde, um der idealen Stanvesehre theilhaft zu werden. Mit ver Geltung dieſes Ehrenbegriffes hing pie Entwidelung der ritterlichen Anftandslehre genau zufammen. Man nannte dieſen Koder der Geſetze und Regeln ritterlichen Gebarens mit einem franzöfifhen Wort „Courtoifie” over mit einem mittelhochdeutfchen Höfiichleit”, weil ja die Höfe größerer over Heinerer Dynaſten hauptfächlich die Stätten waren, wo bie ritterliche Lebensart gepflegt und gelehrt wurbe 39).

Einen wejentlichen oder vielmehr den wefentlichften Theil der ritterlich romantifchen Courtoifie machte das Minneleben aus, der Frauendienſt, wie derſelbe zuerft von den fpanifchen Trobadores, den provengalifchen Trou⸗

35) ©. meine Deutſche Kultur: und Sittengefchichte”, 7. Aufl., wo S. 99—152 die Erfcheinungsformen des ritterlichen Geiftee während feiner Slanzzeit im Leben, in ber Literatur und Kunft des Näheren geſchildert find.

174 Buch 1II. Kaps.

badours und den nordfranzöſiſchen Zrouveres in ein förmliches Syſtem gebracht wurde. Man muß fich aber wohl hüten, durch den ivealifhen Schein des Frauen- bienftes fich täufchen zu laflen. In Wahrheit, er war mehr over weniger überall, vorab in Frankreich, die Unter⸗ grabung des Grundpfeilers der Gefellfchaft, ver Ehe. Der Unterſchied, welchen die Eourtoifie zwifchen Herrin, d. i. Geliebte, und Ehefrau ftatuirte, war ein tiefunfitt- licher. Die Geliebte war das Ideal des Mannes, die Frau dagegen, gleichviel ob Gattin, Echwefter oder Tochter durch⸗ weg nur das gehorfame, dienende, oft genug vernachläfligte und mifihanvelte Weib. Im galanten Frankreich gab e8 eine gefegliche Beftimmung , welcher zufolge ein Mann feine Frau ungeftraft fchlagen und verwunden durfte, falls er ihr nur fein Glied zerbrach und feine lebens- gefährliche Wunde beibrachte ?). Die Wirklichfeit des Lebens entſprach dann auch diefer gejeßgeberifchen Weis- heit und es find uns Züge überliefert, welche die fran- zöfiihe Galanterie, wenigſtens im 11. Jahrhundert, in einem ſehr eigenthümlichen Lichte erjcheinen Laffen 37).

36) Ordonnances desrois de France, tom. XII, p. 492, 541.

87) Einen ſolchen Zug erzählt das Chronicon Turonense von Wilhelm dem Eroberer. Er warb um Mathilde, die Tochter des Grafen Balduin des Fünften von Flandern. Das junge Mädchen aber erflärte ftol;, fie wirbe feinen Baftarb heiraten. Da ritt Wilhelm nach Brügge, lauerte Mathilden auf, fiel fie, als fie aus der Kirhe kam, an, zerrte fie an ihren langen Haaren, gab ihr Fauftihläge und Fußtritte und entfloh nad) Begehung diefer Hel- denthat. Wunderlicher Weife imponirte der Schönen dieſe ab-

Bom 12. bie 15. Jahrhundert. 175

Die Theorie des franzöfifchen Minnedienſtes war nur eine Theorie ver Sittenlofigfeit. Allgemein anerkannte Grund⸗ fäße berfelben find gewejen, daß bie Liebe der Liebe nichts verfagen bürfe, daß die Ehe keine legitime Entſchuldigung für die Liebe fei, daß eine Frau recht wohl zu gleicher Zeit von zwei Männern oder ein Mann von zwei Frauen geliebt werben könne. In den Situngen ver vielge- rühmten Minnegerichte over Minnehöfe (Cours d’amour) wurden Fragen bebattirt wie diefe: „Eine Dame, welche mit drei Bewerbern und ihre Gunft zufammenfißt, blict den einen liebevoll an, vem zweiten drückt fie bie Hand, dem dritten drückt fie den Fuß mit dem ihrigen, welchem bat fie nun die größte Zuneigung bezeugt?” Im Sabre 1174, alfo in der Blüthezeit des Nitterthums, bielt die Gräfin von Champagne, allgemein ‚ald das

fonberlide Art von Fiebeswerbung fo, daß fie unter Thränen er: Härte, fie wollte feinem andern Dann angehören als eben dem Normanendberzog, ben fie auch wirklich heiratete... . Ein deutjches Seitenftüd hierzu bietet unfer Nibelungenlied (Str. 870 und 901). Nah dem Zank zwiſchen Brunhild und Kriembild fagt Siafrid zu Gunther:

„Man fol Frauen fo ziehen. ..........

Daß fie üppige Reden laffen unterwegen.

Berbiet’ e8 deinem Weibe, ich will e8 meinem thun "— und wie nahdrüdlich der Held diefen Vorſatz ausführte, bezeugt Kriembild, indem fie bald darauf gegen Hagen Außert:

„Das bat mich Schon gereuet ...... 2.2...

Auch bat er fo zerbläuet zur Strafe meinen Leib;

Daß ich e8 je gerebet, befchmerte feinen Muth;

Er bat es wohl gerochen, diefer Degen kühn und gut.“

176 Bud II. Kap. 3.

Mufter einer Edeldame von damals gerühmt, einen feier- lichen Minnehof, welcher die aufgeworfene Frage, „Si Yamour &tait possible dans le mariage?* in Form eines förmlichen Urtheilsipruches (arr&t d’amour) mit Non! beantwortete. Kein Wunder, daß eine jo leichtfertige Sophiftif in ver Praxis nach der einen Seite hin zur Ber- rücktheit, nach der andern bin zu grober Zuchtloſigkeit ausfchlug. Beider Sorten von Romantik find die Contes und Fabliaur der mittelalterlihen Dichter Frankreichs vol. Ebenfo vie Lebensbefchreibungen der Troubadours. So ſteckte ſich einer ver befannteften derſelben, Peire Vidal (1175—1215), feiner Geliebten zu gefallen, welche Loba (Wölfin) hieß, in ein Wolfsfell und kroch heulend auf allen VBieren in ven Bergen umber, bis ihn die Schäfer: hunde übel zurichteten. Die franzöſiſchen Nitterfefte Tiefen häufig in Orgien aus, wo ſich unter vem Schuße der modifchen Gefichtsmaffen Mädchen und Frauen ſcham—⸗ (08 preisgaben 3%). Die Nomanliteratur ift zu allen

38) In der Histoire de Saint-Denys, pag. 170 seq. gibt der Mönch von Saint-Denys, welchen jelbjt ein für die Kitterzeit fo eingenommener Autor, wie De la Curne de Sainte-Pelaye ift, als einen durchaus glaubwürdigen Zeugen gelten läſſt (vgl. „Das Ritterweſen des Mittelalters“. von De la Curne de 8. P., deutſch mit Anmerkungen und Zuſätzen von Klüber, II, 268), die Be- ſchreibung eines 1389 in der genannten Abtei durch den König von Frankreich veranftalteten Turniers und Banketts. Am Schluffe fagt er: „Im der Nacht verlarvte fich alles und machte alle Arten von Gaukeleien, die fich beffer für Boffenreißer als für jo angefehene Perfonen ſchicken. Diefer ſchädliche Brauch, aus Nacht Tag zu

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 177

Zeiten ein Spiegel ber herrichenden Stimmungen und Sitten gewefen. Nun wohl, man nehme einmal ven Stammvater aller Ritterromane zur Hand, den berühmten Amadis de Gaula, welcher wenigftens die erften vier Büher mit ziemlicher Sicherheit dem Portugiefen Bafco Lobeyra (um 1325) als Verfaſſer zugefchrieben wird. Diefes Buch, nachmals von dem Spanier Mon- talvo umgearbeitet und erweitert und fo in alle Sprachen des civilifirten Europas überfegt, war einige Jahr⸗ hunderte lang das Entzücen der ritterlichen Geſellſchaft und hat fogar noch einem fo ernften Manne wie Cer- vantes ein beredſames Lob entlodt. Und doch wirthichaftet darin eine ganz bodenloſe Lüderlichkeit. Hoffräulein und Prinzeffinnen reizen fich gegenfeitig zur Unzucht auf und Grafentöchter fchleichen oder dringen vielmehr in bie Schlafkammern von ihnen völlig fremden Männern und nöthigen biefelben förmlih, ihren Gelüften genugzu⸗

maden und umgelehrt, nebft der Freiheit, unmäßig zu, effen und zu trinfen, bewirkte, daß viele Leute ſich Dinge erlaubten, die ſowohl wegen der Gegenwart bes Königs ale wegen des heiligen Ortes, wo er fein Hoflager hatte, höchſt unfchidlich waren. Jeder juchte feine Leidenſchaften zu befriedigen und man jagt alles, wenn man verfichert, daß es hier Ehemänner gab, deren Rechte durch die üble Aufführung ihrer Frauen gekränkt wurden, und daß es auch un⸗ verheiratete Damen genug gab, welche die Sorge für ihre Ehre fahren ließen“ .... Nach einer folden Probe begreift man, daß fogar der ftanphafte Romantiker Sainte-Pelaye ſich einmal zu dem Ausruf veranlafit findet (a. a. DO. I, 153): „Nie ſah man ver- derbtere Sitten al8 in den Zeiten unferer Ritter und nie waren die Ausfchweifungen in der Liebe allgemeiner.“ Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 12

178 Bub U. Kap. 3.

thun 9). Und ſchon 120 Jahre vor der Entjtehung des Amapis hatte die wüfte Wirklichkeit ritterlicher Eourtoifie fo garjtige Bilder von fraulihem Sinnen und Trachten in den Spiegel ver Dichtung geiborfen, daß ein altfrans zöſiſcher Poet, welcher vorher feurigite Minneliever ge- dichtet, Guiot de Provins, fich veranlaßt fah, in feiner um das Jahr 1206 gefchriebenen „Bible“ in weg- werfendfter Weife von den Frauen zu reden 4%,

39) Ich habe, indem ich dieſes fchreibe, die Ältefte deutſche Ueberjegung des feiner Zeit weltberühmten Buches vor mir liegen: „Des Streitbaren Helden Amadis aus Frankreich fehr ſchöne Hiftorien” u. f. w. Frankfurt a. M. 1583. Es reicht, von allem übrigen abgeſehen, zur Beftätigung des im Text Gelagten ſchon bin, das Abenteuer der Prinzeffin Elifena und der Darioletta mit dem König Perion (Fol. 2) und das Abenteuer der Tochter bes Grafen von Seeland (Fol. 51) mit demſelben Herrn anzuſehen.

40) Des Guiot v. Brovins auf ung geflommene Werke, herausgeg. 9. Wolfart und San: Marte (1860) ©. 4.

„Nuns ne pot onques acomplir Voloir de famme, c’est folie

De cherchier lor estre et lor vie, Quant li saige n’i voient goute. Famme ne crient, famme ne doute, Famme ne fu onques vaincue,

Ne apartement connéne;

Quant li oeil plorent, li cuers rit, Pou pensse & ce qu’ele me dit. Ains nulle ne sot duel avoir,

Molt lor pert bien de lor savoir; Quant quelle ait en sept ans ame, Ait-elle en un jor oblie.

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 179

In der Wirklichkeit wie in der Dichtung hatte demnach das romantische Liebesideal bei den romanifchen Völkern ſchon frühzeitig die bedenklichſten Trübungen erfahren. Bereits im 11. Yahrhundert fogar überwog das Moment der Sinnlichkeit die fpiritualiftifche Illuſion ganz entfchieven. Man betrachte ven berühmten Riebesbund Abälards und Heloife’8 und man wird finden, wie tief die platoniſch⸗ myſtiſche Schwärmerei in bie heißen Wogen finnlichen Genuffes fich getaucht hat. Heloiſe's Briefe an ven Ge- liebten nehmen ta den höchſten Schwung, wo fie ihn an die

Famme est lou jor de faut talens, Plus est legiere que n’est vens. Molt mue sovent son coraige, Tost a dec&u le plus saige.“

(Dabin gelangt nie irgendwer, Ein Weib zu wertben. Thöricht Streben, Ergründen wollen ihr Wefen und Leben! Wiſſende nehmen das nicht Schwer. Eine Frau fi fürchtet nimmermehr, Sie wird aud niemals ganz befiegt Und niemals ihr Inneres ganz offen liegt. Es lacht ihr Herz, während ihr Auge weint, Und anderes fagt fie als fie meint. An Sram weiß feine lang zu kranken Und Außerft kurz find fie von Gedanken. Was fie geliebt in fieben Jahren, An einem Tage laffen fie’s fahren. Frauen find faljch zumeift gefinnt Und beweglicher als der Wind. Ihr Herz ift gar zu wanbelbar, Den Klügften täufchen fie jogar.)

12*

180 Buch II. Kap. 3.

Stunden erinnert, in welchen fie ficb ganz ihm zu eigen gegeben, fie, welche e8 ein höherer Ruhm däuchte, Die Geliebte, ja die YBuhlerin und Konkubine eines folchen Mannes zu heißen als feine Ehefrau. Die Briefe Heloife’s, vielleicht das Schönfte, Kühnfte, Feurigfte, was je einer weiblichen Feder entquollen, find wie unter Wolluſtſchauern geſchrieben. Es find Stellen darin, wo auf Koften ver Ehe die freie Liebe mit bakchantifcher Verzückung erhoben und gefeiert wird.

Zu folder Gentalität hat es das Minneleben in Deutſchland nicht gebracht. Wir werden zwar Gelegen⸗ heit “haben, zu fehen, daß auch auf deutfchem Boden der romantifche Liebesverkehr fich Teineswegs immer auf ver Linie der Keufchheit gehalten hat und daß auch hier ver ritterliche Srauendienft zu Ausfchreitungen führte, welche ins Tollhaus gehörten. Aber im ganzen und großen ſtellt ſih das deutſche Minneleben reiner und zarter dar als das romanifche und wenigſtens in der Theorie hat man die romantifche Forderung, ven finnlichen Geſchlechts⸗ trieb zur idealiſchen Liebe zu verklären oder, mit Leſſing zu reden, „ein körperliches Bedürfniß in eine geiftige Voll- fommenheit zu verwandeln", in Deutſchland ernfter ge- nommen als anderswo. Die rectlihe Stellung ver deutſchen Frauenwelt blieb zwar auch in ver ritterlich- romantifchen Gefellichaft jene untergeorbnete, welche im 1. Buch gejchildert wurde, und alle „Höfifchfeit* reichte nicht aus, die Frau dem Manne von rechtswegen gleich- zuſtellen. Aber die altgermanifche Frauenverehrung, welche ſchon zur ottonifchen Zeit wieder beveutfam an-

Bom 12. bie 15. Jahrhundert. 181

geflungen, geftaltete fich im 12. und 13. Jahrhundert zu einem höchſt wirkffamen fortafen Motiv, welches in der Anbetung der Gottesmutter eine religiöfe Unterlage hatte. Es ift auf die Innigkeit des Marienptenftes in Deutfch« fand fon früher aufmerkſam gemacht worven und hier darüber nur noch zu fagen, daß in der Anjchauung des Mittelalters Maria förmlich als weltbeherrſchende Göttin ericheint, als Die chriſtliche Khbele, als die Sonne, deren Licht das Weltall erhellt und belebt). Die Poefie ver

41) Ihren vollendetften Ausdruck dürfte jedoch dieſe Ber- gottung der Maria erft im 15. Jahrhundert gefunden haben und zwar in dem fogenannten „goldenen Gebet” an bie h. Jungfrau, welches Georg Pirkhamer, Prior des Karthäuferkiofters zu Nürn- berg, in lateiniſchen Verſen verfafit hat (deutfh von Daumer, Deutſches Muſeum f. 1854, &. 213). Hier wird Maria fo an« gefungen:

„Dich als feine Herrfcherin verehrt, Was da wohnet in bem Aetherlande; Dich als feine Meifterin erfennt, Was da haufet in der Finfternif.

Es bewegt durch dich in ihrem Gleiſe Sich die ungeheure Welteniphäre ; Der Beleuhtungsftral, der fonnige, Welcher fie erfüllt, er kommt von dir. Wie bu e8, der Dinge diefes Seins Allgemeine Lenkerin, verorbneft, Alfo wandelt ber Geftirne Heer, Alſo Ändert die Geftalt das Jahr. Dienftbar unterwirft

Deinem Winke ſich das Element,

182 Buch II. Kap. 3.

Minnefänger nun legte einen Widerſchein von der Glo- riofe der jungfräulichen Gottesmutter um jedes ſchöne Trauenhaupt. Das Weib wurbe recht eigentlich zur Krone ver Schöpfung hinaufibealifirt, und wie Maria bie Herrin des Himmels, fo war die Frau die Herrin ber Erde, die Blüthe ver Schöpfung, der Mittelpunft ver Geſellſchaft. Wie manchen verben Nadenfchlag dieſe Spealifirung der Weiblichkeit vonſeiten der Wirklichkeit des mittelalterlichen Lebens empfing, wie oft die ritterliche Minne aus ven ätherifchen Regionen in das Gebiet jehr materieller Bedürfniffe herabplumpte, immerhin war ver Einfluß der Frauen zur Hohenftaufenzeit ein fittigenper, bildender und von ihnen gebt hauptfächlich der vichterifche

Unter beine Füße machtberaubt Schmieget die zertret'ne Hölle fidh. Wenn die goldnen Lichter im Azure Freundlich auf die Erbe niedergrüßen, Wenn belebend frifche Winde wehen, Ströme wachſend durch die Lande wogen, Sn der Erde Schoß der Same keimt, Sid der Keim zu offner Pracht entfaltet Deiner Macht und Güte Wirkung iſt's!

Es erfüllet deiner Majeftät Jede Bruft durchbebendes Gefühl Das Gevögel in dem Luftbezirk, Das Gethier in Waldung und Gebirg, Das Gewürme, das im Staube freut, Das Gewimmel in dem Flutbereiche. Denn e8 ift dir alles untertban, Dir, Gebieterin im Weltenall !“

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 183

Nimbus aus, welcher, in unzähligen Liedern und Legen» den -firirt, jene Periode der deutſchen Gefchichte um⸗ fhimmert. Freilich, von Dauer konnte dieſe romantifche Herrlichkeit nicht fein. Abgefehen von den politiichen Wandelungen, ſchon deſſhalb nicht, weil die ganze höftfch- ritterliche Bildung viel mehr nur eine aus der Fremde eingeführte Mode als eine natürliche Stufe nationaler Entwidelung war. So grünte denn das unferem Volks⸗ thum Fünftlich aufgepfropfte fremde Reis eine Weile Tuftig und trieb auch Blüthendolden, deren erotifchsprächtigem Farbenſpiel der Duft deutſcher Gemüthsinnigfeit fich ver- band die Dichtungen eines Walther, eines Wolfram, eines Gottfried bezeugen herrlih die Wahrheit dieſes Bildes aber die Zeit des Welkens kam vajch heran und an die Stelle ver Höftfchleit trat eine furchtbare Entartung. Welche VBerwilderung, Zerſetzung, Auflö- fung der deutſchen Geſellſchaft vom Untergang der Hoben- ftaufen an und bis in 15. Jahrhundert hinein! ‘Das Nitterthfum zum Räuberthum geworden, das Bürgerthbum mälig zur Spießbürgerei verknöchernd, vie Geiftlichkeit tief und tiefer in ven Schlamm ver Unwiſſenheit, Be- trügeret und Zuchtlofigfeit verfinfenn, das Minneleben zu gemeiner Genußfucht entwürbigt, die Männer dem roheſten Raufbolowefen und Jagdjunkerthum, vem Spiel und Zrunf verfallen, die Frauen verbuhlt oder ver- frömmelt, häufig beides mitfammen.. Das fpätere Mittelalter ift ein Abgrund von Vervorbenheit. Alles _ neigte fih da dem Rohen und Gemeinen zu, alles artete aus, alles Löblihe und Schöne verkehrte fih in fein

184 Buch DO. Kap. 3.

Gegentheil2). Die mittelalterlichen Xebensmächte waren gealtert, das Intereffe für vie Motive und Ziele. der Romantik war erlofchen und die Gefellfehaft wäre dem widerlichften Marafmus verfallen, falls ihr der in ven Haffifchen Studien‘ wiedergeborene Humanismus nicht zur rechten Zeit ein geiftiges Verjüngungsbad barges boten hätte.

Nachdem wir fo den Verlauf der höfiichritterlich- romantifchen Kulturperiode flüchtig angedeutet haben, wenden wir uns, rüdjchreitend, wieder dem 12. Yahr- hundert zu..... Von den „eriten Frauen ver Chriften- heit“, ven Saiferinnen des heiligen römischen Reiches deutſcher Nation, ift zu dieſer Zeit nicht vieles zu fagen. Die Gemahlinnen der fchwäbifchen Kaifer, zumeift Aus-

42) Der große Chronift des 14. Jahrhunderts, Jean Froiffard, fann, obzwar ein Romantifer im Superlativ, doch nicht umbin, die Entartung und Berwilderung des romantijchen Geiftes zu bes _ zeugen, welche jchon zu feiner Zeit eingeriffen. Beſonders übel ift er auf die deutjche Ritterfchaft zu fprechen, deren Gebaren er als ein ungeſchlachtes, rohes und habfllchtiges mehrfach kennzeichnet 3. B. Chroniques, 1. I, p. II, ch. 50: „La coutume des. Allemands ni leur courtoisie est mie belle; car ils n’ont pitie nimercy de nuls gentilshommes, s’ils &ch&ent entre leursmains prisonniers, mais les ranconnent de toute leur finance et outre, et mettent en fers, en ceps et en plus &troites prisons qu’ils peu- vent, pour estordre plus grand’ ranson“. Wenn man Übrigens beachtet, welche abſcheuliche Rohheiten und Grauſamkeiten berjelbe Chronift von dem „Spiegel der Ritterſchaft“, won dem „ſchwarzen“ Prinzen erzählt, fo erhält man von der mittelalterlichen Ritterlichkeit überhaupt ein keineswegs anmuthendes Bild.

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 185

länderinnen, haben in der Reichsgeſchichte Feine jo vor- tretende Stelle mehr eingenommen wie vordem bie ber ſächſiſchen. Der zweiten Frau des Nothbartes, Beatrix von Burgund, wird echtgermanifche Schönheit, Sittfam- feit und Würbe nachgerühmt. Die Gemahlin Heinrichs des Sechften, Konftanza von Sizilien, ſcheint viel vom alten Normannencharafter bejeffen zu haben, pafjte auch, wenn⸗ gleich zehn Jahre älter als ihr Mann, vortrefflich zu dem Strengen, Rüdfichtslofen und gab, fie, die gewefene Nonne, dem faiferlichen Freidenker des Mittelalters, Friedrich dem Zweiten, das Leben. Eine Kaiſerin des 14. Jahr⸗ hunverts hat fich eine Stelle in der Kuriofitätenliteratur, eine des 15. Jahrhunderts eine Stelle in der Skandal⸗ chronik geſichert. Jene it Eliſabeth von Pommern, Gemahlin Karls des Vierten, welche eine ziemlich un- nahbare Schönheit gewefen fein muß, denn ihre Muffel- fraft war fo groß, daß fie Eifenftangen und Hufeifen mit Leichtigkeit in Stüde brach und Ningpanzer wie Linnenftüde auseinanderriß ; dieſe ift Barbara von Cilly, Gemahlin des Lüftlings Sigismund, welche dafür forgte, daß auch das deutiche Cäſarenthum gleich dem römijchen eine Meſſalina aufzumweifen hätte.

Doc wir retten uns aus der ſchwülen und unreinen Atmofphäre der ſigismund'ſchen Kaiferpfalz in die Klojter- zelle des Rupertusberges bei Bingen zurüd, wo die heilige Hildegard, welche daſelbſt im 3. 1179 als Aebtiffin jtarb, ihre Viſionen hatte und ihre Orakel ertheilte?%). Kine

43) Acta Sanctor. V, 629 seq. Bgl. Dahl, die heil. Hilde: gard, 1832.

186 Bub II. Kap. 3.

höchit merkwürdige Ericheinung, diefe nervenfranfe Nonne, in deren leidendem Körper ein ungewöhnlicher Getft fchmerzlich nach Erkenntniß gerungen hat. Ich möchte Hildegard die Veleda ihrer Zeit nennen. Dem Näthjel des Dafeins nachfinnend, erhob fie fich in ihren Gefichten zu einem PBantheismus, welcher in vem Weltall die ficht- bar geworvene göttliche Wefenheit erblicdte. Weber ganz Deutſchland, ja über Europa Hin reichte ihr Briefwechfel mit Päpiten, Prälaten und Fürften. In feiner Pfalz zu Ingelheim empfing Friedrich ver Nothbart ehr- furchtsvoll die Seherin, welche ihm die Zukunft weiffagte und ihn aufforverte, Gerechtigkeit zu hanphaben. Eine jüngere Zeitgenoffin Hildegard war Herrad von Lands⸗ berg, geitorben 1195 als Aebtiffin des von der heiligen Dpilie gejtifteten .Klofterd Hohenburg im Elfaß *%. Herrad, Schülerin und Nachfolgerin der gelehrten Ne- lindis, war Dichterin, Malerin und wohl die vielfeitigft gebildete Frau ihrer Zeit. Ihre Kloftergemeinve mit Umficht vegierend, fchrieb fie in Mußeſtunden ihren „Luft: garten“ (Hortus deliciarum), eine Art NonnenEnch- klopädie, in welcher, natürlich vom klöſterlichen Stand- punkte jener Tage aus, das Wiffenswertbe aus Theologie, Philofophie, Aftronomie, Geographie, Religiong- und MWeltgefchichte, fowie aus den Künſten in lateinifcher Sprade zufammengeftellt if. Beſonderen Werth er- hielt diefe Kompilation für die Nachwelt durch die bei—

44) Herrad von Landsberg und ihr Werl Hortus deliciarum. Bon Chr. M. Engelhardt. Mit 12 Kupfertafeln, 1818.

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 187

gegebenen Malereien, welche uns ein gute® Stüd ver Weltanfchauung, der Bildung und des Lebens von damals vorführen, jo unvolffommen, verzeichnet und verdreht diefe Blätter dem Fünftlerifchen Auge ericheinen müffen. Diefe weibliche Tracht jener Zeit ift in den Bildern der Herrad deutlich wiedergegeben. Sie beſtand zunächit aus einem Unterfleid mit engen, bis zu den Handfnöcheln reichenden Aermeln. Ob dieſes Unterkleid, welches die einzige Bekleidung der Frauen niederen Standes aus⸗ gemacht zu haben jcheint, zugleih das Hemd vorftellen follte, ift nicht ganz far, da es öfter weiß, mitunter aber auch anders gefärbt erjcheint. Auch das Oberfleid, ver Mantel liegt am Oberkörper fo feit an, daß es Büſte und Hüften genau abzeichnet zu welchem Zwecke e8 bei einigen Figuren fogar an den Seiten geſchnürt iſt fällt dann faltenreih bis auf die. Fußfpigen herab und läuft hinten in eine mehr over weniger lange Schleppe aus. Am Hals hat e8-zumweilen einen Bortenbefag. Am Ellbogen erweitert fich der enge Oberärmel zu einem un- geheuren Vorberärmel, welcher ven Boden berührt, wenn ver Arm frei herabhängt. Der Mantel zeigt grelle Farben und ift bei vornehmen Frauen mit Rauchwerk gefüttert. Andere Frauen haben einen weiten Negenmantel mit einer Kapuze. Strümpfe feheinen die Damen von damals nicht getragen zu haben ;. wenigftens find feine fichtbar. Die Schuhe gehen, mit Seiteneinfchnitten verjehen, bis zu ven Knöcheln hinauf. Dieſe Schnürftiefeln zeigen auf dem allegorifchen Bilde der Hoffahrt (Superbia) eine Verlängerung der Spigen, welde auf vie feit dem

188 Buch IL Rap. 8.

11. Sahrhundert in Franfreih aufgefommene und nach⸗ mals in England und Deutſchland bis zur Ungehener- lichfeit ausgebilvete Mode ver Schnabelfchuhe hinzudeuten icheint. Die Mädchen tragen die Haare unverhülft und laffen fie, nicht gezöpfelt, ſondern in freier Locken⸗ ſchwingung auf Schultern und Rüden herabhängen. ‘Die Frauen dagegen verhüllen das Haar mit einem großen weißen Schleier, welcher turbanartig um den Scheitel gewunden ijt und deſſen Enden auf die Schultern herab- fallen. Als Schmud fommen Ohrenringe und Finger ringe vor. Ein Bild der nad) Aegypten flüchtenden Maria zeigt, wie vie Frauen zu Pferde oder zu Efel jagen, jeitlängs auf einem Kiffen, vie Füße auf einen an dem Reitthier herabhängenden Schemel ftellennd. Auch Wagen hat Herrad abgebildet, Karren von jehr primitiver Form, auf welchen es jich jedenfalls ſehr unfanft ſaß. Alle rüftigen Leute, auch die Frauen, reiſ'ten im Mittelalter befanntlih zu Pferde, wie das fchon die Beichaffenheit der Wege, welche oft geradezu eine Wegelofigfeit war, nöthig machte.

Gleich der Frauentracht hat auch der Hausrath noch durchweg etwas Plumpes, Eckiges, Unfertigee. Die ovalen oder länglichvieredigen Tiſche find mit bortenver- zierten weißen Deden belegt. Der Vorfigente bat einen Bolfterftuhl, die Gäfte fiten auf langen Bänfen. Die Speifen, hauptfählih Fiſche, Wildbrät und Backwerk, find in flahen Metalifchüffeln aufgetragen. Die Efjen- den haben wever Teller noch Beftede, venn das eine auf dem Tiſch befindliche Meffer und vie eine Gabel find offen-

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 189

bar nur zum erlegen da. Man langte' eben mwalbur- prüngfich-Tändlichefittlich mit ven Fingern zu. Brote, in allerhand Formen gebaden, liegen zwijchen ven Schüf- fein. Der Wein ift in metallenen Gefäffen aufgeftellt, zum trinken dienen hölzerne Becher in Form Meiner Zuber. Die ganze Tifchbeichidung ſieht fo aus, als habe man ſich damals aus flüffigen Spetfen wenig gemacht und ſich ausfchlieglih an die fompakten gehalten. Man gewahrt weder Suppen noch Brühen und demzufolge auch feine Vorlegelöffel over Efjlöffel. Bänke und Stühle er- mangeln gewöhnlich der Lehnen und find ſehr maffiv aus Holz gezimmert. Fußſchemel fieht man häufig. Vor⸗ kommende Bücher haben gelbe Deckel, vielleicht um das Meifingbefchläge anzudeuten. Bon mufifalifchen Inftru- menten machen die Querflöte, Die neun- oder auch zwan⸗ zigfaitige Harfe (Kithara, Psalterion), die breifaitige eier (Organistrum), bie einfache Theorbe (Lyra) und das Tambourin (Tympanum) fich bemerkbar.

Das Bettgeftelle ruht in ven Bildern der Herrad auf - vier maſſiv hölzernen Stollen oder Füßen und ift fo ein- fach, daß es gewöhnlich nur ein Kopfbrett, fein Fußbrett hat. Die Hauptftüde des Bettes find eine Matrake, um welche ein weißes oder auch farbiges Laden ganz herum⸗ geſchlagen iſt, und ein kleines viereckiges Kopffifien. Der Sclafenve bat feine Zunifa an und feine andere Dede als feinen Mantel. In dem Maße aber, in welchem das Bett im Vorfchritt ver Zeit reicher und üppiger wurde, vereinfachte fih der Schlafanzug, bis er endlich im 14. Jahrhundert bei paradiefifcher Einfachheit angelangt

190 Bud II. Kap. 3.

war. In Wolfrtams Parzival find die Hauptſtücke eines vornehmen Gaftbettes im 13. Jahrhundert angegeben: das Pflumit oder die Hauptmatrage, mit Sammet über- zogen und mit zwei fchneeweißen Xeilachen überbedt; ferner ver an die Kopfwand des Bettgeftells gelehnte Rul- ter, eine fleinere, mit Linnen oder goldgeſticktem Seiven- zeug überzogene Matrage, die aber auch als ein auf der Hauptmatrage ruhendes Unterbett erfcheint; dann das Kopfkiſſen (Wankiſſen, Wangenkiſſen, Ohrkiſſen) und end⸗ lich als Dede ein hermelinverbrämter Mantel 25). Zu dieſer Zeit ſcheinen wenigſtens die Damen noch das Hemd im Bette anbehalten zu haben. Im Nibelungenlied be- fteigt Brunhild „in sabenwizem ‚hemede“ das Braut- bett, in welchem fie freilich ven Bräutigam nicht duldet, und wenn geltend gemacht wurbe ?6), fie wäre gerade durch dieſes Motiv bewogen worden, gegen die ſchon damals herrſchende Sitte bekleidet fchlafen zu gehen, fo ift dieſem die Brautnacht der weißhändigen Iſold entgegenzuhalten, wie fie Heinrich von Freiberg in feiner Fortſetzung des Triftan mit reizender Naivität gefchilvert hat. Da windet und birgt die fehöne Braut „ir wizen linden bein® in ihr Pfeitel, worunter man nur ein Hemd verftehen Tann, und liegt alfo ebenjo wenig wie Brunhild nadt im Bette, obgleich fie ganz anders als diefe gegen ihren Bräutigam

45) Parzival, 552, 7 fg.

46) Bon 8. Seifart, in feiner übrigens fehr belehrenden Ab- handlung: „Das Bett im Mittelalter“, Zeitichr. f. deutſche Kultur- geihichte 1857, ©. 89.

Bom 12. bis 15. Jahrhundert. 191

gefinnt ift und „daz blunde blümelein, ir blundez magetum nur eine wile vor Tristand’ wern und ernern* will). Daß die Herren ſchon zu Wolframs von Eſchenbach Zeiten nadt zu Bette gegangen, ift durch die Stelle angedeutet, wo von dem jungen auf Gurne- mans Burg bewirtheten Parzival bei feinem Schlafen- gehen gejagt wird: „Ein deklachen von harmin wart geleit über sin blözen lip.“ Daß in erotifchen Situa- tionen auch die Frauen ſchon im 13. Jahrhundert das Lager „kleiderblöz“ beſchritten 9), würde och nicht den Schluß erlauben, die Damen hätten ſchon damals die Sitte des Nadtichlafens adoptirt; allein wir haben Zeugniffe pafür, daß die Schönen auch unter anderen Um⸗ ftänden nadt im Bette lagen %). Im 14. und 15, Jahr⸗ hundert war dieſer Brauch ganz allgemein und Tonnte faum anftößig fein zu einer Zeit, wo auch in Deutfchland mit Nudidäten über die Maßen freigebig verfahren wurde, obzwar meines Wiffens auf deutſchem Boden vie mittel-

47) Bon der Hagen’s Ausg. des Triftan, II, 14.

48) Do was ez ein wenik späte, ouch was diu kemenate Bestat mit ganzer zierheit, ein wertlich bette was bereit. Der gräve sie al umbe vienk, gegen dem bette erdögienk, Sie sluog näch ir zuo die tür, den rigel schozsie vaste vür; sie rehte wol bestöz, der kleider wurden sie beide blöz, Reht alsö daz kein vadem an iremlibeerschein. Gejammt-

abenteuer , I, 435

49) Vor leide diu vrouwe daz här uz rouft; Ein sidin hemde si an slouft, Mit im von dem bette si gienk. Geſammiabenteuer I, 270.

192 Bud II. Kap. 3.

alterliche „Naivität“ nie jo naiv fich gebärbete, daß, wie folches in Franfreih geſchah, einziehende Monarchen (Ludwig der Elfte in Paris 1461, Karl der Kühne in Lille 1468) In den Straßen ver Städte bei hellem Tage von fplitternadten Mädchen empfangen wurben, welche Göttinnen oder Sirenen vorftellten und, während taufend Männeraugen frech fie betafteten, „ganz unbe- fangen“ Verſe herfagten °%.

50) Flögel, Geſch. des Groteſtkomiſchen, S. 202. Kuriofitäten, I, 206 fg. Eine ähnliche Scene, von Manlius in den Collectan. locor. commun. pag. 345 bezeugt, kam noch im 16. Jahrhundert in $landern vor. Als Karl der Fünfte feinen Einzug in Antwerpen hielt, wurde auf Anordnung des Magiftrats auf der Straße von der Zunft der Meifterfänger („Kammer der Rederijker“) eine der dramatifchen Allegorien jener Zeit aufgeführt und in dieſem Schau- jpiel hatten die ſchönſten Mädchen ver Stadt Rollen inne, nur einen Flor der dünnften Sorte um ihre nadten Reize gefchlagen. Der Kaifer ſchritt ernft vorliber, ohne einen Blid auf die Schönen zu werfen. Nicht jo der mit dabei gewejene Albrecht Dürer, welcher, wie er feinem Freunde Melanchthon erzählte, dieſe Mädchen ſehr aufmerffam und etwas unverſchämt in ber Nähe betrachtete, „weil er ein Maler”.

Diertes Kapitel.

Die Edelfrau‘).

Weib, Frau und Magd. Ehrentitel der Mädchen und Frauen. Bon Frauermamen. Die Erziehung vornehmer Mädchen und die Bildung böflfher Damen. Die „Moralitas“. Das ritter- lich⸗romantiſche Schönheitsideal. Putzkunſt und Tracht. Eine böftihe Dame in Sala. Gefelliges. Der Tanz. Die frau- lien Pflichten der Gaftlichkeit. An einem Hofe. Berlobung und Hochzeit. Naives. Frauendienft und Liebesverlehr. Ein Märtyrer der Minne. Der Wurm in der Roſe ber Romantik. Eine Heilige und eine Kekerin.

Die mittelhochveutfhe oder ſchwäbiſche Mundart, zur Zeit der höfifcheritterlichen Kultur in Deutfchland die Sprade ver Literatur und des gebildeten Verkehrs, unter-

51) Ich halte es für nicht ganz Überflüffig, gleih am Eingang des Kapitels anzumerlen, daß ımter „Edelfrauen” bier Die Damen, ber höheren Ariftofratie verftanden find. Der niebere Adel in Deutihland hat ja von ber „Höfiſchkeit“ ſicherlich mehr nur von Hören⸗

jagen als aus eigner Erfahrung gewußt. Ausnahmen gab e8 frei- Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 13

194 Buch II. Kay. 4.

icheivet zwifchen „Weib“ (wip) und „rau * (frou, frouwe, vrou, vrouwe). Das Wort Weib gibt den allgemeinen Begriff des Gefchlechtes, e8 beveutet foviel wie Eheweib, drückt aber außerdem noch das Stanvesverhältniß aus. In erfterer Beziehung wird dem Weibe vie Magd (maget, junkfrou) entgegengefegt bie Magd, d. i. das Mäd⸗ hen, die Iungfrau, wird zum Weibe, fagen vie mittel- hochdeutfchen Dichter, wo fie vom Vollzuge der Ehe fprechen in letterer ift durch die Öegenüberftellung von Weib und Frau der Gegenfaß der Unterorbnung und der Ueber⸗ oronung ausgeprägt. Denn Frau war in der DBlüthe- zeit des Mittelalters gleichbedeutend mit „Herrin“ und fam nur Weibern höheren Standes zu, gleichviel ob fie verheiratet oder ledig waren 3). Daher nannte man eine ledige Dame, um fie als folche zu bezeichnen, auch häufig Frau⸗Magd. Uebrigens ftritten die Minnefänger unter einander, ob Weib oder Frau der fchönere Titel fei, und ver erftere hat fogar die Autorität Walther von ver

lich, allein in der Regel lebte jo ein Landjunfer auf feiner engge- bauten und färglich eingerichteten Burg halb im Stil eines Bauers, halb in dem eines Räubers. Wie hätten da Bildung und Gebaren feiner Frau und feiner Töchter „höfiſch“ fein können? Die Stätten, wo die ritterlich⸗romantiſche Geſellſchaft ihren Glanz entfaltete, waren bie Pfalzen und Burgen fürftliher, gräflicher und veiche- freiberrlicder Häufer, Biſchofsſitze und Abteien, jpäter auch die Edelhöfe des reichen ftädtifchen Patriziats.

52) „Meine Frau Kriembild”, redet Sigfrid im Nibelungen« lied (Str. 303, Lachm. Ausg.) die burgundifche Prinzeffin an, lange bevor fie feine Ehefrau ift.

Die Ebelfran. 195

Vogelweide für fih 3%). Heinrich von Meißen dagegen ſprach fih für ven Titel Frau aus, weſſhalb er wahr- fcheinlih „Srauenlob” zubenannt wurde, und die Folge- zeit bat ihm rechtgegeben. Frau enthält nach unferer jegigen Anſchauung einen edleren Sinn als Weib, ganz entfprechend der urfprünglichen Bedeutung des erfteren Wortes. Denn Frau heißt die Frohe und Erfreuende. „Weil fie erfreuen, darum heißen fie Frauen”, bat einer unferer alten Dichter und fo hat auch noch ein neuerer ſchön gefungen®®). Jungfrau und Frau waren lange Zeit im Mittelalter die einfachen Ehrentitel, womit fönigliche und fürftliche Prinzeſſinnen, gräfliche und frei- herrliche Töchter, Gemahlinnen von Katfern und Königen angeredet wurden. Etwas fpäter erhielt bei ven Damen des hohen Adels viefer Titel ven Beifag: Edle over ehr- und tugendreihe Jungfrau oder Frau. Man warf

58) „Weib müffen Weiber ftets als höchſten Namen nehmen, Mehr ehrt's als Frau (d. i. Herrin) . . . . Weib zu beißen alle krönet“.

54) „Daz vröüwen en in ist bekant, Des sint si vrouwen genant.“ Der Strider.

„Frauen find genannt vom freuen, Weil fi freuen kann fein Dann Ohn' ein Weib, die ftetS vom neuen Seel und Leib erfreuen kann.

Wohlgefraut ift wohlgefreuet,

Ungefreut ift ungefraut;

Wer ber Frauen Auge jcheuet,

Hat die Freude nie geihaut”. Rüdert. 1: *

196 Bub II. Kap. 4.

damals noch nicht fo mit Durchlauchten, mit Hoheiten oder gar mit Majeftäten um ſich wie heutzutage und bis zum 16., ja fogar bis zum 17. Sahrhundert fühlten Gräftnnen, Sreifrauen und felbft Fürftinnen ſich Hinlänglich geehrt, wenn fie in mündlicher und fchriftlicher Nede, wie au in Urkunden, von ihren Männern „Wirthinnen” und „Hausfrauen“ oder „Liebe, vienjtwillige Ehewirthinnen und Hausfrauen“ betitelt wurden. |

Die älteften Eigennamen der deutfchen Frauen geben Zeugniß von dem dichteriſchen Sinnegermanifcher Vorzeit). Denn die Frauennamen „wiberfpiegelten den Gefammt- porrath der Begriffe, welche die Germanen von dem Weibe in ſich trugen“ 3%. Fraulicher Schönheit brachten ältefte Frauennamen eine zarte Huldigung dar. So Heidr (die Heitere, Stralende), Bertha (vie Glänzende),

55) In ältefter Zeit und noch zu Anfang des Mittelalters waren einfach nur die Namen bräuchlich, welche die Kinder bei der Geburt erhielten. Dann kamen zunädft Beinamen auf und zwar abgeleitet von phyſiſchen und moralifchen Eigenfchaften, wie bei den Bornehmen, oder von bäuerlichen und gewerblichen Beichäftigungen, wie bei dem gemeinen Mann. Hierauf begann ber hohe Abel, feinen Odal- oder Feodalgütern Beinamen zu entlehnen, welche jedoch vielfach ſich änderten, bis fie flehend wurden. Unter dem niederen Adel wurde der Brauch, dem Taufnamen den Namen bes Gutes als Gefchlehtsnamen beizufügen, weit ſpäter allgemein. Unter dem Bürger- und Bauernftand wurden ſtehende Gejchlechts- namen erft vom 14. Jahrhundert an bräuchlidh.

56) Weinhold, die deutſchen Frauen im Mittelalter, 7—24, wo eine ausführliche Erörterung ber deutichen Frauennamen gegeben ift.

.

Die Edelfrau. 197

Swinda (die Starfe, Rache), Liba (vie Lebendige), Stonea (die Schöne). Die Zufammenjegungen mit brun (heil), wiz (weiß), Iouf (lohend), heib (jtralend) gaben dann eine lange Reihe von charakteriitiichen Namen wie z. B. Kolbrun, Schwanweiß, Liobweiß, Adalouk, Hilti- fouf, Adalbeid, Hruodheid. Bon ven auf Kräuter und Dlumen zurüdzuführennen Frauennamen haben fich wenigftens einige auch zu unferer Zeit noch erhalten. Da- gegen find pie weiblichen Namen, welche auf das in alter Zeit viel vertraulichere Verhältniß des Menfchen zur Thier- welt gegründet waren, bis auf wenige Nachflänge abge- fommen. Neben dem Schwan gab beſonders die Schlange (lind), welche, freilich unferem jegigen Gefühle fehr zu- wider, im germanifchen Altertum ihres anfchmiegenven Weſens wegen für ein Symbol des Weibes galt, Veran⸗ laſſung zur Schaffung von Frauennamen: Schwangatt, Schwanhild, Schwanburg, Linda, Alflind, Gerlind, Frivelind, Sigelind, Gotelind. Auf mythifche Bezüge beuten Truda, Trudila, Adaltrud, Hiltwud, Irmintrud; ebenſo Sunnhild, Ingbertha, Ingoberga, Ingundis, Theudelinda. Von Waffen und Kampf geben Brunhild, Kriemhild, Gerhild, Germuth, Gertrud, Walburg Zeug: niß. Phyſiſche und ſittliche Eigenſchaften und Begriffe verſinnlichen die Namen Adala (die Edle), Balda (die Kühne), Geila (die Frohe), Hulda (die Huldvolle), Lioba (die Liebe), Willen (die Willige). Die vielfachen Zu- fammenfegungen mit „Rath”, wie Rathfriev, Rathgund, Rathlind, Rathburg, Rathhild, Rathtrud, find ebenfo viele Beweiſe deutſcher Frauenverehrung. Ueberhaupt

198 Buch II. Kap. a.

lag immer ein beftimmter Sinn oder Wunſch der Namen- gebung zu Grunde, während fie heutzutage meift nur eine Sache des Zufall® oder auch ver abgejchmadteften Be- griffstofigfeit ift. Mit vem Chriſtenthum brachen natür- lich auch die Namen ver chriftlichen Heiligen und demnach die Frauennamen der abendländiſchen und morgenländi- chen Kirche nach Deutfchland herein. So gab e8 ſchon im 8. Sahrhundert bei den Deutfchen fremve Frauennamen, wie Beata, Eugenia, Juliana, Sibylla und andere. Noch im 12. Sahrhundert waren jedoch die heimifchen vor⸗ herrſchend. Unſere gute Bekannte vom vorigen Kapitel her, Herrad von Landsberg, gibt ein Namenverzeichnif ihrer Nonnengemeinde und da finden wir die vielen natio- nalen Namen Guta, Adelheid, Evellind, Richinza, Mathild, Hedwig, Heilwig, Kunigund, Gertrud, Rilind, Mechthild, Diemuth, Bertha, Hemma, Hildegund, Hazicha und andere neben den wenigen fremden Agnes, Euphemia, Chriftina, Magaretha, Sibilia. Da fich ſämmtliche Nonnen dieſes Kataloge, einige wenige ausgenommen, durch den ihrem Taufnamen beigefegten Geſchlechtsnamen, d. i. Guts- namen, als adelige erweifen, jo erjehen wir daraus zu- gleich, welche Vornamen unter den Evelfrauen von vamals gäng und gäbe waren. Höftiche Dichter des 13. Jahr⸗ hundert, die fich, wie wir fpäter berühren werben, mehr mit Bauerndirnen als mit Eveldamen zu fehaffen machten, haben eine Menge Namen ländlicher Schönen ihrer Zeit verzeichnet, unter welchen ſich ſehr fchöne finden, wie Roſe, Gute, Freude, Minne, Liebe, Wonne, Engel, over auch jehr charafteriftifche, wie Geiß, Trude, Elle, Hete,

Die Edelfrau. 199

Mate, Metze, Fuße, Igel3”). Noch im 16. Jahrhundert überiwogen in Deutſchland vie einheimifchen Frauennamen vie fremden. Don da ab begannen dieſe jene gänzlich zu überwucdern, bis die Wiederaufgrabung unferes Alter- thums zu Anfang des 19. Jahrhunderts auch die ger- maniſchen Namen in unferer Frauenwelt wieder etwas mehr zu Ehren brachte.

Die rechtliche Stellung ver veutfchen Frau im Mittels alter als Zochter, Schwefter, Gattin, Mutter und Witwe ift ſchon früher betrachtet worden und fo haben wir bier vorzugsweife zu fehildern, wie die Frauen der höheren Stände zum Leben und Wirken im Haus und in der Ge- ſellſchaft fich befähigten und wie weibliche Art und Sitte im Verkehr mit der Männerwelt ſich darſtellte ..... Sobald das Mädchen vem Spiel mit der Tode (Puppe), dem Vorbild der fünftigen Meutterforge, zu entwachſen begann, bob vie ernftere Erziehung an. “Diefelbe wurde im väterlichen Haufe oder in Nonnenklöftern over auch an fürftlihen Höfen beforgt, wo die zum Zwecke ihrer Aus- bildung untergebrachten Töchter edler Familien unter ver Obhut einer eigenen „Meifterin* ftanden. Wie oben an Frauen des 10. und 12. Jahrhunderts nachgewiefen worden, waren zwar einzelne veutfche Mädchen ſchon frühzeitig einer höheren geiftigen, ſogar wiſſenſchaftlichen und künſtleriſchen Erziehung theilhaft; allein im ganzen befchränfte fich das frühere Mittelalter doch darauf, dem weiblichen Geſchlechte körperliche Fertigkeiten und häus-

57) Hagen, Minnefinger, I, 25; III, 189— 307.

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liche Gefchieflichkeiten beizubringen, fowie daſſelbe mit der Anftandslehre befannt zu machen. Die Höfifchfeit ver deutſchen Gefellihaft, wie fie 3. B. das Nibelungenlied ung vorführt, befteht ganz in Weußerlichkeiten; nur bie Erwähnung ver Fidler oder Spielleute deutet auf geiftige Bezüge bin. Dagegen führt ung das Nibelungenliev die Frauen, felbft die vornehmiten, noch in hHausmütterlichen Beichäftigungen vor, wie die fpätere Höftfchfeit fie den⸗ felben nur noch felten zutheilte. Die Hausfrau, deren Symbole die Spindel und der Schlüffelbund, führte die Aufficht über das Gefinde, hatte, unterftügt won ihren Töchtern, für Vorrathskammer, Küche und Keller zu jorgen und außerdem für die Bekleidung ber ganzen Familie. Da regierten denn Königinnen Spindel und Weberſchiff und handhabten Prinzejfinnen die ſchneidernde Scheere. Als Sigfriv von Santen nah Worms ziehen will, bittet er feine Mutter Sigelind, ihm die Reiſekleider zu bereiten, und die Königin geht fofort mit ihren Frauen an die Arbeit. Als König Gunther auf die Brautfahrt gen Iſenland gehen will, bittet er feine Schweiter, ihm und jedem feiner drei Neifegefährten dreierlei Anzüge zu fertigen, und alsbald beruft Kriemhild aus ihrer Remenate preißig in foldhen Arbeiten beſonders gewandte Jung- frauen, ſchneidet mit eigener Hand vie reichen Stoffe zu und läſſt unter ihrer Aufjicht die Gewänder nähen und itiden. Später freilich, als die höfifch-romantifchen Moden raſch wechjelten, als von allen Weltgegenden her neue und ſchwierig zu behandelnde Kleiderſtoffe aller Art nah Deutſchland famen, reichten hHausmütterliche Scheere

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umd Nadel zur Bewältigung ver immer verwidelter wer- denden Aufgaben nicht mehr aus, ſondern fiel die Löſung verfelben einer eigenen Zunft von Kleiverfünftlern und Movefchneiverinnen anheim und fo gewannen die Täch- ter vornehmer Familien Zeit, ihren Getft mehr als bis- her zu bilden.

In der „feinen“ Gefellfchaft, welche fich vom 12. Jahr⸗ hundert an in Deutſchland entwidelte, finden wir denn auch die „geiftlichen Künfte*, d. i. leſen und fchreiben, unter den Frauen heimifcher als unter den Männern, wenigftens unter den nichtgeiftlichen. Konnte doch ſelbſt ein jo großer Dichter wie Wolfram von Efchenbach weder lefen noch fohreiben und von dem armen deutſchen Don Duijote, von Ulrich von Fichtenftein wiſſen wir, daß er, der mundfertige Versfünftler, ein „Büchlein“ d. i. eine poetifche Epiftel, die er von feiner Herrin empfangen hatte, zu feinem nicht geringen Sammer zehn Zage lang ungelefen mit fich herumtragen mußte, maßen ihm fein Schreiber und Borlefer gerade nicht bei ver Hand. Es kann feinem Zweifel unterliegen, daß bie höfifche Literatur von feiten der höfiichen Damen mannigfacdhe Förderung erfuhr. Zwar mögen auf vem Putztiſche mancher Beberricherin ver Mode im 13. Jahrhundert die ftattlichen Pergamentbänve, welche die Werke ver ritterlihen Epiler jener Zeit enthielten, und die zierlicheren Liederbüchlein ver Minnefänger ebenfo nur zum bloßen Staat und Schein gelegen haben, wie die Goldſchnittsbändchen des 19. Jahrhunderts auf manchem Boudoirtifche von heute; allein trotzdem fteht feft, vaß der Minnegefang und die ritterliche Epit ohne

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eine jehr ausgedehnte und lebhafte Theilnahme von frau- liher Seite gar nicht die reiche und prächtige Entwidelung hätten gewinnen können, welche fie wirklich gewannen. Die Minne war recht eigentlich die Seele dieſer Literatur, welche fich worzugsweife an die Frauen wandte. Dieſe munterten ven Dichter auf und von ihnen erwartete und empfing er füßejten Lohn. Das fingen und jagen, d. h. der mufifalifche Vortrag der Inrifchen und das Vor- leſen ver erzählenven Dichtungen, gehörte zu den belieb- teften und beften Unterhaltungen ver feineren Gefell- ſchaftskreiſe, und da fich hierbei die Poefie aufs engſte mit der Muſik verband, fo mußte eine gebilvete Dame neben ver Kunſt, zu lefen und zu fchreiben, auch mufifalische Tertigfeiten befigen. Die Mädchen wurven daher nicht nur im Gefang unterrichtet, fondern auch im Spiel der welfchen Fidel, der Rotte (Leer? Zither?) und ver Harfe. Daneben hörte vie Unterweifung in feineren Handarbeiten nicht auf?®) und wurde die Anftanvslehre zu einem fürm- lichen Gefegbuch ausgebildet, welches die Haltung und das Betragen ver Damen im ftehen und gehen, paheim und auf der Gaffe, bei Tiſche, bei Spiel und Tanz, Hohen und Niedrigen, Männern und Frauen gegenüber bis ins ein- zelne hinein regelte.e Mitunter waren biefe Regeln frei- lich nur ganz auf das äußerliche geftellt und bauten ein Ceremoniell auf, hinter deſſen ehrbarem Schein fich oft genug die dreiſte Unfitte breit machte; allein daneben

58) ©. unten im 6. Kapitel, wo von der föfterliden Erziehung bie Rebe.

Die Edelfran. 903

fehlte es ver höfifchen Sittenlehre doch auch nicht an tieferem Gehalt. Im der „Winfbedin“, einem lehr⸗ haften Gedichte des 13. Jahrhunderts, fagt die unter: weifende Mutter zur Tochter: Traut Kind, du follft fein hochgefinnt und follft in Züchten leben, damit dein Ruf gut fei und dein Rofenfranz dir ſchön ſtehe. Wem Ehre gebührt, dem follft vu ehrbaren und fanften Gruß bieten und folljt deine Augen nicht wilde und unehrbare Blicke ſchießen laſſen. Schamhaftigkeit und Maß find die zwei Zugenden, weldhe uns Frauen hoben Preis zumenven. Berleiht Gott dieſe deiner Jugend, fo wird deines Glückes Reis grünen und wirft vu in Ehren alt werben.“ Gottfried von Straßburg hat im „Triſtan“ ein aller- liebftes Gemälve entworfen, wie der Held, während ihn die Königin von Ireland von feiner Wunde heilte, zum Danf dafür ihre Tochter, die blonde Iſold, in höfiſchem Wiffen, in böfifhen Künften und Sitten unterwied und wie feine ſchöne Schülerin mit Eifer „beides, Bücher und Saitenfpiel”, lernte. Sie fang, fie fpielte, fie las und fhrieb. Ste verftand ihre vubliner Spracde fein und daneben Franzöjiich und Latein, fonnte die wäljche Fidel Ipielen, mit Händen weiß wie Hermelin Xeier und Harfe zu vielgeftaltigen Tönen rühren und dazu Melopieen aller Art fingen. Auch befaß und übte fie die Gabe, Briefe und Lieder zu dichten, und wußte Sagen und Mären zu erzählen. Außerdem unterrichtete Triſtan die Schöne in der „Moralitas” d. h. in ver Kunft guter und ſchöner Sitten, in der ſüßen Kunft, welche rein und glüdfelig macht, welche allen edlen Herzen ald eine Amme für das

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Leben mitgegeben ift, welche lehrt, wie wir uns zu Gott und zur Welt zu verhalten haben und wie wir beiven ge- falfen können >). Man fieht, der Dichter wollte hier das Ideal einer im beften Sinne höftfch gebildeten Dame aufftellen. Die Frage aber, ob es folde Mufterbilver wirklich gegeben habe, darf unbevenflich bejaht werben. Iſt e8 doch noch niemand eingefallen, zu leugnen, daß die homerifchen Gefänge vie wirklichen Sitten ver Zeit ihrer Entjtehung darftellen, und gerade fo haben auch unfere mittelalterlichen Dichter ihre fittengejchichtlichen Zeich⸗ nungen und Farben ver Wirklichfeit von damals ent- nommen.

Die Törperlide Schönheit der Frauen zu fehildern, haben fich vie höfiſchen Dichter viel und mit Luft befliifen. Das Nibelungenlien, welches ja in feiner jeßigen Geftalt nicht ſowohl die Nitterzeit felbit als vielmehr die Ueber⸗ gangsftufe zu derfelben darſtellt, begnügt fich noch mit Allgemeinheiten. So vergleicht e8 die Kriemhild mit dem aus trüben Wolfen brechenden Morgenroth oder mit vem Mond, der in Lichter Klarheit einhergeht vor ven Sternen. In den Liedern und Helvengevichten des 13. Jahrhun⸗ derts dagegen iſt das höfiſche Schönheitsideal Schon in alfen Einzelnheiten entwidelt und die Dichter ergehen fi in behaglicher Detailmalerei weiblicher Reize). Schlantf,

59) Triften, Ausg. v. Maßmann, S. 198 fg.

60) So Dietrih von Glaz in feinem Gedicht Der Borte (Gürtel), Gefammtabenteuer, I, 455 fg., wo e8 heißt: Fa Der si bekande rehte, Der gesach nie schoener wip: w£&, wie stolz was ir lip!

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ſchwank und rund, von Hautfarbe weiß und rofig, auf zierlichen Füßchen mit feinen Knöcheln, unten fo geböhlt, bag „ein Vogel durchſchlüpfen konnte“, und in den „zart gedrollenen“ Hüften leicht und elaftifch ſich bewegend, mit - gerumbeten Armen vom rechten Maß, langen ſchlanken Fingern, rojigen Nägeln, gewölbter Büfte und feften, runden, blanfen, mäßiggroßen Brüften „alsam zwei paradis epfelin* mit reichen langen, ſeidenweichen Haaren, blühenden Wangen, einem Heinen, roth und kuſſlich ſchwellenden Mund, einem feinen Grübchenfinn, Heinen, weißen, ovalen Ohren, Zähnen von fchneeweißem Schmelz und dichter Fügung ausgeftattet, züchtig zugleich und feurig, ſüß und frifch, eine thaufchimmernde Rofe, fo mußte die Schöne fein, welche einen Helven ent-

Ir houbet, darüf gelwez här, stolz ir wengel rösen var

Und liljenwiz darunder; mich nimet michel wunder,

Daz ir ougen sint klär, si reht sam ein adel ar;

Ir wolgeschaffen nasebein was ze gröz noch ze klein,

Ir munt darunder rösen röt; wie saelik, dem si ir küssen böt; Ir kinne wiz, sinewel, ir kel was ein lüter vel.

Dädurch sach man des wines swank, swenne diu vrouwetrank; Ir zene sam ein helfenbein, ir zunge sam ein guldin zein,

Ir ahsel vil siuberlich, ir hende, ir arme ritterlich

Stuonden ir ze wunsche wol; ir herze daz was tugende vol. Swer ir an ir ougen sach, dem tet ir minne ungemach.

Ir lip der was ungewollen ze wunsche wol en vollen;

Ir bein, ir vueze hovelich, ir schuohe stuonden ritterlich.

Ir guete was sueze, und waeren ir die vueze

Komen in des meres vluot, daz mer daz waere worten guot Von iren vuezen reinen und von ir wizen beinen.

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zitefen und einen Dichter begeiftern follte. Das goldfaden⸗ blonde Haar und die blauen Augen ftanden noch immer hoch im Breife; doch theilte man neben ſchönen Blon⸗ dinen auch ſchönen Brünetten bereitwilliges Lob zu und das verfeinerte oder auch wohl überfeinerte Schönheits- gefühl pries die Verbindung rofiger Hautfarbe und blauer Augen mit braunen Haaren und Brauen oder fand um- gefehrt die Zufammenftellung von blonden Haaren und Brauen mit Augen „braun nach Falfenart“ allerliebſt. Bei jo ftrengen, jo ins einzelne gehenden und fchon ans Ueberfeinerte ftreifenden Anforderungen an weibliche Schön- heit fonnte e8 nicht ausbleiben, daß die Damen ihrerfeits mittel einer mehr und mehr fich verfeinernden Puk- funft der Natur zur Hilfe zu kommen trachteten. In Wahrheit, fie wußten mit dem Sehenlaffen oder Ber- iteden, mit dem Färben und Schminken gehörig umzu- gehen oder vielmehr, wie e8 jcheint, ungehörig. “Denn ſchon im Nibelungenlieve wird ein tabelnver Seitenblid auf die Schminffunft geworfen, indem lobend gefagt ift, daß an dem Hofe des Markgrafen Rüdeger zu Bechelaren feine gejchminkten und bemalten Frauen gefehen worden jeten ©"), und Bruder Berchtold, der große Sittenprediger tes 13. Jahrhunderts, machte ven „Färberinnen“ und „Gilberinnen” (d. t. denen, welche ihr Haar blond färbten) tüchtig den Krieg und fagte ihnen von ver Kanzel herab; „Die Gemalten und Gefärbten ſchämen fich ihres Antlißes,

61) Gevelschet vrouwen varwe vil lüzel man vant.

(Str. 1594, Lachm. X.)

Die Edelfrau. 207

das Gott nach fich gebildet hat, und darum wird auch er fih ihrer ſchämen und fie werfen in den Abgrund ber Hölle. *

Die Frauentradht hatte fich feit ven Tagen ver Herrad von Landsberg in raſchem BVorfchritte dem Neicheren, Mannichfaltigeren und Anmuthigeren zugebilvet, ohne ſchon jegt ins Ueppige und Anftößige auszuarten. ALS pie drei Hauptftüde des weiblichen Anzugs erfcheinen im 13. Jahrhundert Rod (b. i. Unterrod oder Hemd), Sufenie (d. i. Oberfleiv) und Mantel. Diefe drei Stüde kommen auch unter ven Namen Linwat, Kürjen und Mantel vor und an einer für dieſes Kleiderthema wichtigen Duellen- ftelle tritt noch ein viertes Stüd hinzu, jo daß fich ver Frauenanzug zufammenfeßt aus Pfeit (d. i. Hemd), Rock (d. i. Unterrod), Kürfen (auch Kurſit oder Kurſat ge- heißen und gleichbeveutend mit Sufenie oder Sürkot) und Mantel 6%). Der Gürtel mußte hauptfächlich dazu dienen, die Schlantheit des Wuchfes hervorzuheben, wie venn ber ganze Anzug darauf berechnet war, ven fehönen Formen des weiblichen Körpers ihr volles Recht widerfahren zu laſſen 63). Ihre über ver Stirne gejcheitelten Haare ließen die Schönen frei auf Naden und Schultern nieverfließen ; wenigitens Die unverheirateten, welche als liebften Kopf- ſchmuck Blumenfränze trugen. So haben die Jungfrauen, welche in Wolframs Parzival die Gralträgerin Repanfe

62) Geſammtabenteuer I, 273; III, 300, 317. 63) Ein theurer Gürtel ſchmal und lang In der Mitte fie zufammenzwang. Parzival, 234, 7.

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de Schoie geleiten, auf dem in blonden Locken wallenden bloßen Haare Blumenkränzlein liegen. Auch ein einfacher Reif von edlem Metalle diente Jungfrauen und Frauen zum Kopfihmud. Er hieß Schapel und hatte die DBe- ſtimmung, das frei fliegende Haar in Ordnung zu halten 64). Aus dem einfachen Neif wurde dann mit der Zeit ein mehr oder weniger reich verzierte Diadem, wie ein folches alle ritterbürtigen Damen aufzufegen berechtigt waren. Berheiratete pflegten unter dem Schapel einen Schleier zu tragen oder hatten als Kopfputz das haubenartige „Gebende“, wozu noch im Laufe des 13. Jahrhunderts die „Riſe“ kam, ein Kinn und Mund verhüllennes Tuch. Auf die Fußbelleivung verwandten die Frauen große Sorgfalt und die Fußbekleidungskünſtler mußten acht⸗ haben, vie aus Korduanleder oder Seidenzeug von allen Farben gefertigten Schuhe ven Damenfühchen recht eng- anfchmiegend zu machen. Zum häuflichen Damenanzug gehörte die Taſche von Leder oder gejtidtem Zeug, welche an einer Borte vom Gürtel berabhing. Auswärts trugen modiſche Frauen Handfhuhe und am Gürtel ftatt ver hausmütterlichen Taſche an einer langen Seivenfchnur einen Kleinen Handſpiegel.

*Anmuthenver jedoch als dieſe trodene Aufzählung von Kleidungsſtücken dürfte für Lefer und Leferinnen vie Be- trachtung des Bildes einer höfiſchen Dame in Gala fein,

64) Si truogen üf ir houbten von golde liehtiu bant (Daz waren schapelriche), daz in ir schoene här Zerfuorten niht die winde. Nibel. 1594.

Die Edelfrau. 209

wie ed und Meifter Gottfried im Triftan gemalt hat. Bei einer feierlichen Gelegenheit ericheint die Königin Iſot im Sale der Königeburg, das „Wunder von Ireland”, vie „leuchtende Magd Iſold“ an ver Hand führend und in dem gemeinfamen Auftreten von Mutter und Tochter marfirt ſich zugleich der Unterſchied im Gebaren ver Höfifchen Frau und ver höfiſchen Jungfrau. Leiſe und ftätig ichwebt die blonde Iſold neben der Mutter einher, ſüß gejtaltet um und um, lang, jchlanf und ſchwank, ale „hätte die Minne fie gepreht für fich felber zu einem Federſpiel, vem Wunfche zu einem Endeziel.“ Ihr Rod und Mantel war von braunem Sammet nad franzöfifchem Schnitt und war der Rod da, wo die beiden Seiten zu den Hüften niederfinten, gefranzet und geenget und mittels des Gürtels, der da lag, „wo er liegen foll“, an ven Leib gezwungen. Feſt lag ver Rod ver Geftalt an („der rock der was ir heinlich“), ftand nirgends ab und fehmiegte fih von oben bis unten glatt an die Glieder. Aber um die Beine her erweiterte er ſich zu reichem Faltenwurf. Der Mantel war innen und außen mit Streifen von Hermelin verziert („bi zilen gefloitiret“), weder zu furz noch zu lang und mit einem Zobelpelz verbrämt, deſſen Grauſchwarz mit dem Hermelin ich wohl vertrug. Vor der Bruft war mittels einer Schlinge von weißen Perlen der Mantel an die Zaffel (Heftel, Agraffe) befeftigt und hier hatte die Schöne ven Daumen der linfen Hand ein- geihlagen. Mit zwei Fingern ver Rechten dagegen hielt fie „nach hHöfifcher Art” weiter unten den Mantel zu« fammen, ſo daß er faltenreich die Füße ummwallte und Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 14

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feine reiche Pelzverbrämung wie auch fein feivenes Futter ſehen ließ. Auf dem Haupte trug die Tünigliche Jung⸗ frau einen fchmalen, mit Smaragven und Saphiren be- legten Goloreif, deſſen Vorhandenfein nur das bunte Flimmern ver Edelſteine verrietb, denn fonft hätte man das Metall von dem Goldblond der Locken nicht unter- ſcheiden können. Indem fie froh und forglo® neben ver Mutter einherging, war ihr Gang und Schwang gemeffen, ihre Tritte waren weder zu furz noch zu lang. Aufrecht und freifam fam fie gefchritten, vem Sperber gleich, glatt- geftrichen wie ein Papagei („ei was an ir geläze üfrecht und offenbaere, gelich dem spärwaere, gestreichet als ein papegän“). Gleich dem Falken auf feinem Aft ließ fie ruhig und fpät die Augen umhergehen und da war feiner, dem bie zwei Spiegel nicht als ſüße Wunder erfchienen wären. Als eine Wonne ſpendende Sonne verbreitete fich ihrer Schönheit Schein dur den Sal. Bon zweierlei Art aber war das Grüßen von Mutter und Tochter, während fie mitfammen die Halle entlang fchweb- ten: die Königin grüßte die Verfammelten mit Wor- ten, die Prinzeffin verneigte fih ftumm; die Mutter redete, vie Tochter jchwieg 3).

Wir pürfen mit Sicherheit annehmen, daß neben den wandernden Dichtern und Sängern vornehmlich mwohler- zogene Frauen e8 waren, welche in ven gejelligen Kreiſen der höfifcheritterlichen Gefellfehaft die Koften ver geiftigen

65) Triftian, Ausg. v. Hagen, ®. 10889 fg. Ausg. v. Maßm. ©. 247 fg.

Die Edelfrau. 211

Unterhaltung trugen. DBefeelten fie doch überhaupt bie Aeuferlichkeiten des Nittertbums und waren bie fehön- ften Zierden der großen Yeftverfammmlungen des Mittel- alters. Bei Reichstagen, fürftlichen Vermählungsfeften, Turnieren, firehlichen Feitfeiern an berühmten Wallfahrts⸗ ftätten war dem „Frauendienſt“ Gelegenheit geboten, fich in feiner ganzen „Höfiſchkeit“ und „Zierheit” ſehen zu laffen, und bier fonnten ihrerjeit8 die Damen ihre körper- lichen und geiftigen Vorzüge ins Hellfte Licht fegen. Sie fonnten als Spenverinnen der Turneidänke angefichts von taufenden zeigen, wie weibliche Schönheit und Grazie mit höchiter Würde fich verbinden ließen ; fie Tonnten, mit dem Fallen auf der Fauft die Herren zur Reiherbeize begleitenn, als kühne Neiterinnen fich erweifen ; Tonnten, beim Würfelfpiel und Schachſpiel („Wurfzabelfpiel” und „Schachzabelfptel”) durch die Kunft gehaltwollen Ge⸗ ſpräches fefleln ; fonnten die Eintönigfeit ver Gelage durch Harfenfpiel und Liedervortrag beleben; Tonnten beim Ballipiel und beim Tanz die ganze Anmuth jener harm- ofen oder doch harmlos fcheinenden Kofetterie entfalten, welche den Frauen fo hübſch fteht, fo lange fie jung find.

Was insbeſondere die höfifch-ritterlichen Tanzfreuden betrifft, jo kannte man zwei Hauptarten von Tänzen, Schreit- oder Schleiftänze und Springtänze. Bet jenen falfte ver Tänzer eine over zwei Tänzerinnen bei der Hand und hielt mit fchleifenden Schritten einen Umgang im Sale, unter dem Getöne von Saiteninftrumenten und Tanzlievern, welche letztere von dem voranfchreitenden

Vortänzer oder der Vortänzerin angeftimmt wurden. ‘Die 14*

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Haltung der Tanzenden war eine ſehr ruhige und ge- mefjfene, die Bewegung der Füße nur ein Treten und Schleifen 66). Feierlichite Geftalt nahm viefe Tanzweife in den „Fackeltänzen“ an, welche bei vornehmen Hod- zeiten üblich waren. Die Springtänze oder „Reihen“ wurden mehr im Freien als im Haufe getanzt und zwar nicht ſchreitend, ſondern fpringend, wobei ſich Tänzer und Tänzerinnen durch möglichjt Hohe und weite Sprünge hervorzuthun ſuchten. Wenn uns berichtet wird, daß Mädchen im Reihen Elafterweite Sprünge gethan 67) und daß die Tanzenden wie Kraniche, Bären und Böcke durch⸗ einander gefprungen ®®), jo können wir ung leicht vor-

66) Uf den zehen slichent’s hin, Nach dem niuwen hovesin. Swer niht trittel treten kan Als zuo einer henne ein han, Der bedarf sich vragen in daz göu Oder er wirt gekapfet an, Als er si ein wilder man. Zippelzehen, schokken dar, Strichen mit den versen, Swer daz kan, des nimnt man war, Dem kann nieman gehersen. Minnefinger, III, 196, 283.

67) Sie sprank

Mer danne eines klafters lang

Unt noch hoher. Minnef. II, 122. 68) Wi si tanzen und ouch schwanzen

Mit ir glanzen swibelswanz;

Die Edelfrau. 213

jtellen, daß dieſe Reihentänze weder ſchön noch auch ver weiblichen Zucht fehr angemefjen fein Tonnten. Aus ven Neihen des früheren Mittelalters entwidelten fich die höchft anftößigen Tanzweiſen ves jpäteren. Wir werben dies felben fodann im 16. Jahrhundert im höchſten Schwange finden und dort mehr darüber fagen. Daß ver höfiſche Scleiftanz im 13. Jahrhundert auch unter der Dorfs linde, dem Tanzplatze ver Bauern, daheim war, bezeugen ung die zahlreichen Tanzliever des Minnefängers Nithart. Freilih fcheinen die luſtigen „Törper“ (Dorfbewohner) die gemeffenen Bewegungen des Schleifers gerne mit ven lebhafteren und ausgelafjeneren des Hopfers vertaufcht zu haben, wie ſchon die Namen ver bäuerijhen Tänze Hoppalvei, Heierlei, Firleifei 6%) andeuten.

Die Tugend der Gaftlichfeit war tief in ven Verhält- nijfen einer Seit -begründet, wo öffentliche Herbergen, welche leidliches Unterkommen und erträgliche Bewirthung erwarten ließen, zumal auf dem Lande noch ſehr felten waren und, abgefehen von ver Fluß- und Seeſchifffahrt, von den vermöglicheren Stänten nur zu Pferve gereift wurde. Da ed. noch feine Poften gab, waren die Retfen-

Da die klingent, so sie springent

Und ouch singet vor ze tanz:

Sam die kranche swebent sie enbor

Und ahtent niemans umb ein hor;

Z’war si gebent niht enpfor

Und limment sam die beren. Minneſ. III, 196.

69) Minnef. III, 215, 252, 283.

214 Buch II. Kap. 4.

den auf ihre eigenen Pferde angewiejen, fonnten demnach nur Heine Zagemärfche machen und fahen ſich um fo öfter im Falle, die Gaftfreiheit ver Burgen und Klöfter an ihrem Wege anzufpredhen. In ven armen „Burgitällen mag die Erquickung und Verpflegung einfprechenver Gäſte freilich fürglich genug ausgefallen fein. Dagegen waren in den fürftlichen Pfalzen und den Burgen der gefammten höheren Ariftofratie alle Vorkehrungen getroffen, ven Be- bürfnifjen der Gäfte, befonders der vornehmen, Genüge zu thun. Gaftempfang und Gaftbewirtbung gehörten wefentlih zu ven Pflichten der Damen, in deren Er- füllung fie ihre Höfifchleit oder, mit Meifter Gottfried zu reden, ihre „Moralita8” leuchten laſſen fonnten.

Das Nibelungenlied bietet ein forgfam ausgemaltes Bild von der Art und Weife höfifchsritterlichen Gaſtver⸗ fehrs. Als der edle Markgraf Rüdeger von Bechelaren vernommen, daß bie drei Burgunderkönige mit ihren Mannen ſich feiner Pfalz näherten, melvete er e8 voll Freude feiner Frau und feiner Tochter, ſprechend: „Viel⸗ liebe Traute, Ihr follt die drei hehren Könige freundlich empfangen und follt fie und ihre drei Mannen Hagen, Dantwart und Volker füffen, Ihr und unfere Tochter, und jollt die Helden in Züchten verpflegen.“ Die beiden Markgräfinnen gingen von fechsundpreißig Frauen und Jungfrauen gefolgt, in Staatskleidern den Gäften vor das Burgthor entgegen und boten ihnen Gruß und Kuß 79).

70) Den Saft mit einem Kuß zu bewilllommmen, war eine all⸗ gemeine fraulidde Sitte. Als Gawan auf der Burg Schomfanzon

Die Edelfrau. 215

Dann nahm die Mutter ven Gunther, die Tochter den Gifelher bei ver Hand und fo fchritten fie den übrigen voran in die Pfalz, wo In einem weiten Sale Ritter und Frauen plagnahmen, während man ben Gäften Wein frevenzte. Als aber in vem Sale die Tafel gedeckt wurbe, ſchieden fich die beiden Gefchlechter „näch gewohnheite® ; denn e8 war ein höfiſcher Braud, daß Herren und Damen abgefonvert fpeiften. Nur die Markgräfin jelbit blieb bei ven Gäften, um bei Tifche nach dem Rechten zu fehen, während das Fräulein vom Haufe mit den Frauen in einem anderen Gemache ven Imbiß einnahm. Nach aufs gehobener Zafel ehren die Schönen in ven Herrenfal zurüd, wo fich Volker, der fühne Held und Fipelfpieler, in allerhand Scherzrevden („gämelichen sprüchen“) ers geht. Die Unterhaltung nimmt jedoch bald eine ernite Wendung, indem an das Xob, welches der ritterliche Spiel- mann der fchönen Tochter Rüdegers zollt, Hagen feiner- feit8 mit diplomatiſcher Klugheit ven Vorſchlag Inüpft, Herr Gifelher follte vie junge Markgräfin freien. Sofort wird die Werbung förmlich angebradht und von bem Markgrafen und feiner Gemahlin wohl aufgenommen. Mitgift und Morgengabe wird zwijchen ven beiven

einſprach, erhielt er von der Prinzeffin Antilonie den Willlomms⸗ kuß. Barzival, 405, 15. In dem Gedicht „der blöze ritter“ (Sefammtabenteuer, III, 129) heißt es:

„Ouch was der wirt des gastes vrö,

Daz liez er in wol schouwen:

Sin tohter und sin vrouwen

Hiez er in küssen ze hant.“

216 Buch II. Kap. 4.

Parteien feftgejegt. Dann heißt man die minnigliche Jungfrau berbeifommen, die ganze Verfammlung bilvet einen Kreis und mitten in demſelben ftehen die zu Ver- lobenden einanber gegenüber. Nun fragt man bie wonnig- liche Magd, ob fie ven Helden nehmen wolle, und da fie verſchämt jchweigt, raunt ihr der Vater zu, fie folle ge- troft und freudig Ja fagen, worauf Gifelher die Braut zärtlih in feine Arme ſchließt. Am vierten Morgen darauf, als die Gäfte ihre Weiterfahrt gen Ungarn an— treten, erfahren fie noch fo recht ihres Wirthes Freigebig- feit („milte*). Rüdeger ſpendet nämlich, wie vie böfifche Gaftlichfeit e8 wollte, an die Abziehenden reiche Gefchenfe. Sp gibt er dem Gunther einen Waffenrod, dem Gernot ein bewährtes Schwert. Die Markgräfin befchenft ven Hagen mit einem Schild, ihre Tochter ven Dankwart mit einem Staatskleid. Der wohlgezogene Volker fommt nun mit feiner Fidel herbei, ftellt fich vor die Marfgräfin, jingt ihr ein Lied zum Abſchied und begleitet die Melodie mit füßen Geigentönen. Die Dame aber heißt eine Lade bringen, nimmt daraus ſechs Goldringe und ftedt die— jelben zum Dank vem Sänger an die Hand”).

Weil im Vorſtehenden einer höfiichen Verlobung Er- wähnung geſchah, mag hier bemerkt werben, daß während des Mittelalters die Anficht der germanifchen Vorzeit, die Mädchen jollten mit Eingehung des Ehebundes nicht „übereilt” werten, nicht mehr maßgebend gemwefen zu fein

71) Nibelungen, Ausg. v. Lahm. Str. 1590 fg., 4. v. Holtz⸗ mann, Str. 1690 fg., X. v. Zarncke, S. 252 fg.

Die Edelfrau. 217

ſcheint. Wenigftens ftoßen wir bei verſchiedenen deutſchen Völkerſchaften z. B. bei den Langobarden, Sachſen und Frieſen auf geſetzliche Beſtimmungen, welche als die Periode jungfräulicher Reife und Ehefähigkeit das 15., 14., ja ſogar das 12. Jahr feſtſetzten, und es mangelt auch nicht an geſchichtlichen Beiſpielen fo frühzeitiger Ver- mählungen: als Beatrir von Schwaben mit Raifer Dtto dem Vierten und Hedwig von Meran mit Herzog Heinrich dem Bärtigen von Schlefien Hochzeit machten, war jeve der beiden Bräute erft zwölfjüährig... An dieſe Bemerkung mag fich gerade noch die Schilderung einer höfifchen Vermählung anfchliegen, wie Heinrichs von Freiberg Fortfegung des Triſtan fie gibt. Es iſt die Ver- mählung Triſtans mit der weißhändigen Iſold, ber Tochter des Herzogs Jovelin von Arundel. Ste fand vier Wochen nach gefchehenem Verlöbniß ftatt und begann die eigentliche Feier zur Vefperzeit bei finfender Sonne. Da wurden in dem Palas, d. h. in dem großen Sale ver Herzogsburg, die Tafeln zum Feſtmahl gerichtet und geſchmückt, und nachdem zuerjt der Braut, dann ven Gäſten nach ihrem Range das Hanpwafjer gereicht wor- ben, hob das Bankett an, wobei auserlefener Wein aus golvenen Schalen getrunfen wurde. Nach gejättigter Eß⸗ und Trinfluft wurden die Zifche fortgerücdt und die Spiel- leute begannen zum Tanz aufzugeigen. Triſtan nahm Iſold bei ver Hand, um fie zum Tanze zu führen, und Herren und Damen thaten es dem Brautpaarenadh. Man hat fich die Bewegungen der Tanzenden als fachte und etwas jteife vorzuftellen, weil die langnachwallenden Ober-

218 Buch II. Kap. 4.

Heiver („swanz“, „swänzelin®) der Damen ein rafcheres Schreiten und Drehen verboten??). Während fie nun, fährt unfer Dichter fort, fröhlich tanzten und „in Freuden herumſchwanzten“, trat ein Bifchof in ven Sal, mit feinem priefterlihen Ornat angethan. Der Tanz rubte, die Gäſte ftellten fich in einen Kreis und die Braut wurde durch ihren Vater und ihren Bruder mitten in ven Ring geführt. Der Bräutigam trat ihr zur Seite und der Bifchof gab das Paar zufammen 2), wobei Triftan und Hold das Gelübve der Treue taufchten und die Ringe wechfelten. Darauf wurden die Kerzen angezündet und ging der Weinbecher in vie Runde. Aber bald zeigte man dem Bräutigam an, daß es Zeit wäre, nach ver Braut- kammer zu gehen, und als er fich pafelbft zu Bette gelegt, wurde die Braut von ihrer Mutter und einer ganzen Schar von Frauen zu ihm geleitet. Die Herzogin legte ihre Tochter dem Bräutigam in die Arme, ſprach Segens- worte, in welche die Frauen einftimmten, und dann ließ man das Baar allein 7%).

Werfen wir noch einen Rücdblid auf die fraulichen Pflichten gegen Gäfte, jo ftoßen wir auf Einzelnheiten,

12) ....... Manik richlich swanz Von schoenen frouweu wart gesehen An dem tanze.

73) Der bischof im ze rehter 6 Gap Isoten die maget Und gap in ir.

74) Hagens Ausg. d. Triftan, II, 13 f.

Die Edelfrau. 219

welche nach heutigen Begriffen wunderlic oder gar be= venflich genug waren. Der Gaft wurde von der Frau oder Tochter des Haufes in eine Kemenate geführt, wo fie ihm das Neifegewand, vd. 5. vie Rüftung abnahın und ihm ein friiches Kleid reichte, worin er e8 fich bequem machen fonnte. Bei Zifche fette fih die Dame, welder vie Repräfentation des Haufes oblag, neben ihn, legte ihm die Speifen nor und fredenzte ihm den Becher ®). Aber damit noch nicht genug. Die Damen begleiteten ven Gaft auch in die Badeſtube und Schlaflammer, welche etwas jeltfame Art von „Moralitas" Wolfram im Parzival hübſch ausgemalt hat. ALS der junge Held in Gurne- mans’ Burg übernachtet hat, wird ihm am Morgen ein Bad bereitet, und während er in der Kufe figt, kommen die Burgfräulein berein und ftreiheln mit „blanfen lin⸗ den Händen“ den Leib des Sünglings, welcher in jeiner Unerfahrenheit dieſe gaſtfreundlichen Weanipulationen ziemlich verdutzt hinnimmt. Die Mäpchen reichen ihm dann ein Laken zum Abtrocknen, aber er ift zu ſchamhaft, das vor ihren Augen zu thun, und fo müffen fich vie Jungfrauen, wenn auch ungern und zögernd, zum Weg- gehen entſchließen. Gawan kehrt auf einem feiner Züge bei dem ritterlichen Fährmann Plippalinot ein und wird von biefem und feiner Tochter Bene auf's befte bewirthet. Zulett geleitet der Wirth den Gaft in das Schlafgemach und läfft ihn dort mit ver Magd, d. i. mit feiner jung-

75) Parzival, 33, 10 fg. 549, 7 fg. Hartmanne Iwein, Ausg. von Benede, 313 fg.

220 Buch I. Kap. 4.

fräufihen Tochter allein. Mit ven Worten: „Hätt’ er mehr von ihr begehrt, fie hätt’ es ihm vielleicht gewährt” deutet der Dichter ſchalkhaft an, daß eine fo weit gehende Gaftlichkett nicht immer gefahrlos war. Am Morgen darauf fchleicht ſich die Jungfrau in aller Frühe wieder zu dem fehlafenden Gaſt, um ihm beim Erwachen ihre Dienfte anzubieten 7%). Haben wir in folcher Nai- vität vielleicht den Nachhalf einer noch größeren älteren zu erfennen? Von einer Naivität, die, jo wir einem Autor, welcher in den drei erften Decennien des 16. Jahr⸗ hunderts ſchrieb, glauben dürfen, noch zu feiner Zeit in einem deutſchen Reichslande paheim war”). Aus Franf- veich ift und bezeugt, daß dort die weibliche Bedienung der Gäſte in ihren Schlafzimmern einen fehr weitgehenden Sinn hatte, und, alles in allem betrachtet, dürfte an- zunehmen fein, daß mit anderem Zubehör ver ritter- fihen Courtoifie auch dieſes da und dort in Deutjchland Eingang gefunden 73).

76) Parzival, 166, 20 fg. 552, 25 fg. 553, 26 fg.

77) „Es ift in dem Niderlandt auch der bruch, jo der wyrt ein lieben gaft hat, baz er jm fyn frow zulegt uff guten glouben.“ Murner in der „Geuchmatt“. |

73) Ein franzöfifches Nittergedicht erzählt, ein Ritter fei in einem Grafenſchloß eingelehrt, und fährt dann fort: „Der höfiſchen Gräfin war es angenehm, einen foldhen Gaft bei fich zu jehen. Sie ließ ihm daher eine große Gans zubereiten und ein Toftbares Bett in ein Zimmer jeßen, worin man gut rubte. Als die Gräfin fchlafen ging, rief fie das ſchönſte und artigfte von ihren Mädchen zu fich und fagte ihm heimlich: Liebes Kind, gebe jett hin, lege Dich zu

Die Edelfrau. 291

Dei einem Verkehr zwifchen ven beiven Gefchlechtern, wie er im Vorſtehenden treulich gefchildert worven, Läfft fich leicht errathen, daß die höfiſche Minne eine feineswegs jo durchweg idealiſche fein konnte, wie Unfenntniß oder partei⸗ fühtige Romantik fie darftellen möchten. Der Frauen- dienft Hatte allerdings eine ivealifhe Seite in ber Theorie, in der Praxis dagegen war er auf fo reale Ziele gerichtet, daß e8 mehr nur eine Ausnahme als die Regel war, wenn er jungfräuliche Zucht over eheliche Treue ger wiffenhaft berüdfichtigte.e Die ganze ritterliche Liebes— funft, wie fie von den Provengalen ausgebildet worben und auch in Deutfchland gebt wurde, lief am Ende doch auf den gefchlechtlichen Genuß hinaus und der ritterliche Liebhaber betete in der Geliebten eine Göttin nur deß—⸗ halb an, um in ihr das Weib zu genießen. Mochten die Formen des höfifchen Liebesverkehrs in noch jo fpirituell- romantischen Farben jchillern, ver Zweck war und blieb ein fehr materieller. Mochte ſich ver höfiſch gebarenve Nitter noch fo jehr den Launen und Grillen feiner Herrin“ fügen, immer hatte er doch vie Auszahlung des „Minne- ſoldes“ im Auge und ftand nicht an, bei Gelegenheit fehr nachdrücklich auf Entrihtung deſſelben, auf den „süssen umbevank* zu dringen. Das Schlimmfte dabei war, daß die frangöfifch-frivole Meinung, die Ehe dürfte in

diefem Ritter ins Bett und bebiene ihn, wie fih’8 gebührt. Ich thäte e8 gerne jelber, wenn ich es nicht aus Schambaftigfeit unter- ließe, und zwar um bes Grafen, meines Herrn, willen, welcher noch nicht eingefchlafen if.” St. Pelaye a. a. ©. II, 270,

222 Buch II. Kap. 4.

feinem alle ein Hinderniß der freien Liebe fein, auch in ver böfifchen Welt Deutſchlands beveutenver Geltung fich erfreute. Und die Frauen? Xheilten auch fie die mehr oder weniger leichtfertigen Anfichten, welche die Männer aus dem Regelnbuch der höfiſchen Liebeskunſt fchöpften ? Leider muß diefe Frage bejaht werben, wenigſtens in- betreff einer großen Zahl, wenn nicht der Mehrzahl. Hatte doch ſchon ein Dichter des 12. Jahrhunderts Ver- anlafjung, zu Hagen, daß vie Keufchheit von den Frauen gewichen wäre und daß dieſe wenig Urfache hätten, bie Nitter um ihrer Zuchtlofigkeit willen zu tadeln 79).

Wie noch heute, fpielten auch vor Alters in Liebes- fachen vie Liebesbriefe eine große Rolle und e8 find zahl- reihe Proben won ſolchen „Büchlein” auf ung gelommen, in welchen das alte und ewigjunge Thema von ver Minne⸗ Zuft und Leid in allen Tonarten variirt 1ft®%). Andere Zeugnifje reden von einer finnigen Farbenſymbolik, welche der deutſche Minnebienft ausbildete. in recht höfifcher

79) Heinrich in der „Rede von des Todes Gehügede“ (Erin- nerung), mitgeth. in Gödeke's Mittelalter”, S. 87: „Die phaffen die sint geitic, Die gebour die sint neitic, Die choufliut habent triwen nicht, Der weibechiuscheistentwicht, Frowen untriter Dine durfen nimmer gefristen Weder ir leben bezzer si“.

80) Eine artige Sammlung höfiſcher Liebesbriefe ſ. bei Laß⸗ berg, „Liederjaal”, I, 3— 109.

Die Edelfrau. 223

Mann wollte ſchon dur die vorherrſchende Färbung feines Anzugs aller Welt kundgeben, wie e8 mit feinen Herzensangelegenheiten beftellt ſei. Trug er fich grün, fo beveutete das, daß fein Herz frei vom Zwange ber Minne. Hatte er ein blaues Kleid an, fo follte das die Stätigkeit feiner Neigung anzeigen. Roth bedeutete, daß ex in voller Liebesglut brenne; Weiß, daß ihm die Ge- liebte Hoffnung auf Erhörung gemacht; Gelb, daß die Hoffnung erfüllt und das „minnigliche Gold des Minne- ſoldes“ vollwichtig ihm ausbezahlt worven fei 81). Gewöhn⸗ licher aber war, daß der Liebhaber die Farbe feiner Er- wählten trug, denn er war ja ihr Minnedienſtmann und ftand zu feiner Herrin in demſelben Verhältnig wie ver Bafall zu feinem Lehnsheren. Die Geminnte gab ihrem Minner ein Liebespfand, einen Gürtel oder Schleier, ein Gebände oder auch einen Aermel von ihrem Kleide; dieſes Pfand befeftigte er an feinem Helm over Schild und groß war der Stolz der Dame, wenn er e8 ihr recht zerhauen oder zerftochen aus dem Kampfe zurückbrachte. So hatte

81) S. d. Gedicht „Bon den Farben”, Liederſaal, I, 153 fg. Die Dame, welche fich hier die Farbenſymbolik auslegen läfft, meint mit Recht, e8 jet [händlich, wenn ein Ritter fich gelb Heide:

„Sy sprach: dem sitten trag’ ich hasz; er solt ez wol ver-

swigen baz,

Wan ain minnikliches wib ir zarten minniklichen lib

Ir diener git für aigen; daz solt er nieman zaigen,

Er sollt ez jn sins hertzen grunt tragen, daz ez nymor

würd kunt

Weder manen noch wiben.“

224 Buch II. Kap. 4.

Gawan einen Aermel ver ſchönen Obilot auf feinem Schilde befeftigt, und als er ihr venfelben durchſtochen und durchſchlagen wieder brachte, „va warb des Mägd⸗ leins Freude groß ; ihr blanker Arm war noch bloß, darüber ſchob fie ihn zuband“®2). Liebende taufchten auch gegen- feitig ihre Hemben, namentlich fiebende Eheleute. So Gahmuret und Herzeleiv. Wann ver König zum Turnier oder zur Schlacht zog, trug er über feiner Halsberge immer ein Hemd, welches feine Frau zuvor angehabt. Kehrte er zurüd, fo trug Herzeleid die durchſtochenen Hemden wieder „auf bloßer Haut“. Als Gahmuret erfchlagen worden, legte die Königin das zerfegte blutige Hemd des Todten an, zu liebevollem Gedenken 83).

Es ift lehrreich, mitanzujehen, wie fehr in der beften Zeit des Mittelalterd das gefchlechtliche Verbältnig zwiſchen Naivität und Ueberfeinerung ſchwankte. Den Maßſtab bausbadener Moral darf man freilich da nirgends an- legen. Wenn im Titurel des Albrechts von Scharfenberg (?) die junge Sigune dem geliebten Schionatulander ven Anblick ihrer büllelofen Schönheit gönnt, um ihn dadurch gleichjam gegen ven Yiebreiz anderer Frauen zu feien, fo fünnen wir das naiv, dichterifch, ſogar erhaben finden. Ganz eigen muthet e8 uns jedoch an, wenn wir im Par- zival die jungfräuliche Königin Kondwiramur auf ihrem nächtlichen Schleihgange nad der Schlaffemenate ihres Gates begleiten. Von Minne ift da zwar zunächſt Feine

82) Parzival, 390, 20 fg. 83) Barzival, 101, 9 fg. 111, 14 fg.

Die Edelfrau. 225

Rebe: die Fünigliche Sumgfrau venft nicht an „folcher Luft Gewinn, die aus Mäpchen Frauen macht unverfehns in einer Nacht”, fondern fie will den fehlafenden Barzival anfleben, ihr ein Helfer gegen die fie bedrängenden Feinde zu werden. So jchleicht fie denn, angethan mit „einem Hemd von weißer Seide“, in die Kammer des Jünglings, niet an feinem Bette nieder und erwedt ihn durch ihr Schluchzen. Als er ſie knieen ſieht, bittet er fie, doch lieber neben ihm platzzunehmen. Worauf ſie: „Wollt Ihr Euch ſelber ehren und mir ſolche Zucht bewähren, daß Ihr nicht rührt an meine Glieder, ſo leg' ich hier bei Euch mich nieder.“ Er gelobt ihr den verlangten „Frie⸗ den” und „da barg fie in das Bette fich*, wo fie bis zum Morgenroth verweilte 4. Wir wollen indeſſen aud biefes Abenteuer für das nehmen, für was e8 der Erzähler gibt, für eine pure Naivität; aber in die Kategorie ero- tifcher Ueberfeinerung gehören ficher jene „PBrobenächte”, welche ver höfifche und, wie wir fpäter fehen werden, auch ber dörflihe Minnedienft fannte. Die Geliebte gewährte dem Liebhaber eine Nacht in ihren Armen, unter ver Be- dingung, daß e8 zwiſchen ihnen nicht weiter kommen jollte als bis zum Kuß. Gegenüber dem Zweifel, ob das eine Möglichkeit fei, behauptet Hartmann von Aue, ein biderber Dann könne fich alles deſſen enthalten, weſſen er fich ent- halten wolle; aber er fühlt fich doch geprungen, beizufügen, folher Männer gebe e8 nicht eben viele 85). 84) Parzival, 192, 3 fg. SD) ren Ein biderbe man

Sich allez dez enthalten kan, Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 15

226 | Bud II. Kap. 4.

Daß es Damen gegeben, welche bie Leiftung und Haltung des erwähnten Gelübdes forderten, wird glaub⸗ ih, wenn man bie freilich ans Unglaubliche ftreifenpen Launen anfieht, welche manche Höfifche Schöne ihren An- beter zinſbar machte, in einem Grade, daß derſelbe, wie fich der Minnefänger Steinmar ausprüdt, aus einem Minner zu einem Märtyrer wurde. Ein folder war jener Ulrich von Lichtenftein, geboren um 1200 in ver Steiermarf, den ich anderwärts als ven deutſchen Don Quijote ge- fennzeichnet habe 8%). Ja, Spanien hat einen Don Quijote gebichtet, aber Deutjchland hat wirklich einen gehabt und noch dazu einen, welcher uns feine blanfe Narrheit felber mit einer Treuherzigkeit befchrieb, welche rühren wäre, wenn wir nur darob das Lachen verhalten fünnten 97). Vom Knabenalter an war Herrn Ulrichs Sinn auf Frauen- dienſt geftellt und als Süngling wählt er eine hochgeborene und, woblverftanden, verheiratete Dame zu feiner „Herrin“, in deren Dienft er feinen ritterlichen Wahn- jinn jo recht mit Methode treibt. Der Umftand, vaß er fih zwiſchenhinein felber verheiratet, ift feiner Narre- thei gar nicht hinderlich. Er trinkt mit Wolluft das Wafjer, womit die Herrin fich gewafchen: er läſſt fich feine

Dez er sich enthalten wil Weiz got, dern ist aber niht vil. wein 6575 fg. 86) Deutiche Kultur- und Sittengeſchichte, 7. Aufl. S. 115 fg. 87) Der vrowen dienest Ulrich's von Lichtenftein, mit An⸗ merlungen Th. v. Karajan hrsgegeb. von Lachmann 1841. Minne⸗ finger, II, 32 fg. IV, 821 fg.

Die Edelfrau. 227

doppelwulſtige Unterlippe operiren, weil die Herrin meint, dieſelbe ſei wenig zum küſſen einladend; er Läfft fich einen beim Lanzenrennen fteifgewordenen Finger abfchlagen und fendet venfelben ver Herrin, zum Beweis, was alles er um fie zu dulden vermöge. Er führt, als Frau Venus maflirt, durch bie Lande und turnirt in biefem Aufzuge zu Ehren ver Herrin; er mifcht fich auf ihr Gebot unter die Ausfägigen und ifft mit ihnen aus einer Schüffel. Aber feine Kar ausgefprochene Abſicht bei allen dieſen Ueberfchwänglichleiten ift doch, der Herrin „beizultegen“. Sie läſſt fih nach mancherlet peinlichen Weiterungen end» (ich herbei, viefe feine Abficht in Erfüllung zu bringen und ihm den Minnefold zu bewilligen. Er gelangt glüd- (ih in ihre Kemmenate und das Lager ift gerüftet. Aber - bie Dame hat e8, wie überhaupt, auch jebt wieder nur auf eine fehr derbe Fopperei abgefehen, bei welcher pas arme „Minnerlein“ ums Haar ven Hals bridt. Doc jelbft dieſes ſchmähliche Abenteuer heilt ven Ritter nicht von feiner Minnetollheit. Das Merkwürdigſte bei alledem it, daß Ulrichs rechtmäßige Frau, derweil ihr Eheherr um feiner Geliebten willen vitterlih im Lande umher⸗ ipeftafelt, nebenpraußen auf feiner Burg fit und daß von ihr nur dann die Rede, wann er ganz abgehett und zerichlagen heimfehrt, um fich von ihr pflegen zu laffen. Diele Gefchichte zeigt, feheint mir, hinlänglich, daß ver ritterliche Frauendienft als ein wahrer Krebsſchaden das Familienleben und die häufliche Zucht und Sitte zerfraß. Es ift wahr, Ulrih8 Herrin, d. i. Geliebte, bewahrte ihrem Gemahl materiell die Treue, aber ihre Weiblichkeit 15*

228 Bud I. Kap. 4.

erſcheint veffenungeachtet in einem wenig löblichen Lichte. Denn Leivenfchaft wäre noch eher zu entſchuldigen als dieſes Tofette und mitunter geradezu graufame Spiel mit dem Gatten einer anderen Frau.

Im übrigen waren die höfifchen Damen durchſchnitt⸗ lich feineswegs jo ſpröde wie Ulrich8 Herrin. Der Zeug- niffe vom fchranfenlofen Walten buhlerifcher Neigungen gibt es in Fülle. Man laufche nur auf die zahlreichen jogenannten „Tagelieder“ ver Minnefänger. Die ftet8 wiederkehrende Situation dieſer Lieder, welche zu ben ihönften Früchten unferer mittelhochdeutfchen Lyrik ge— hören, ift, daß nach durchſchwelgten LXiebesnächten die Geliebte den Liebhaber beim Morgengrauen wedt, damit er fich heimlich davonmache 88). Man betrachte auch die mittelhochveutfche Epif und Novelliftif. Die Prinzeſſin Blanfcheflur jchleicht zu Riwalin in die Kam⸗ mer und gibt dem Geliebten ihr Magdthum preis ®?). Gawan hat faum die Burg Schamfanzon betreten, als er der jungfräulichen Antifonie ſchon mit hanpgreiflichen Liebeserflärungen zufegt, und nur eine Störung von außen verhindert, daß fich das Fräulein ihm fofort hin- gibt 2%). In dem Gevichte „Das Häfelein“ betrügt ein Ritter eine der Minne ganz unfundige junge Schöne um ihre Unfehuld und macht dann mit einer anderen Hochzeit.

88) Minnef. I, 101, 129, 157, 228, 286, 291, 317; II, 66, 128, 319. |

89) Triftan, Ausg. v. Mafmann ©. 33. fg.

90) Parzival, 405. 22.

Die Edelfrau. 229

Beim fröhlihen Mahl erzählt er fein Abenteuer mit ver Betrogenen, woran die Braut nur auszufegen weiß, daß das bumme Kind feiner Mutter den Schaden gebeichtet babe. „Das war eine große Dummheit! ia, hat mir doch unſer Kaplan wohl hundertmal fo gethan, ohne daß ich mir einfallen ließ, es metner Mutter worzu- plaudern” 9%. In dem Gedichte „Der Gürtel” ift bie Sache noch jchlimmer, denn hier bricht eine YBurgfrau die ebeliche Treue nicht aus Liebe, fondern um ſchnöden Ge⸗ winnjtes willen. Ein vorüberziehender Ritter wirbt bei ihr um Minnefpiel, während er in Abweſenheit ihres Gatten mit ihr im Garten fist. Sie weif’t ibn ab. Er bietet ihr feine Windhunde, fein Roß und endlich feinen foftbaren, mit Evelfteinen befegten Gürtel. Dieſem Ge- ichenfe kann fie nicht wiverftehen: „Diu vrouwe nider seik und der ritter nach neik, vil rosen uz dem grase gienk, do liep mit armen liep enpfienk, und do daz spil ergangen was, do lachten bluomen unde gras“ 9), In demfelben Gedicht wird auch ſehr veuts lich auf im Schwange gehende wivernatürliche Laſter bin- gewiejen.

Die Beifpiele von fraulicher Leichtfertigkeit und Zucht- loſigkeit im höfiſchen Liebesverkehr ließen fich fehr leicht häufen und. von dem ungeziwungenen, um nicht zu fagen frehen Ton, welcher in der ritterlichen Geſellſchaft heimiſch gewejen fein muß, zeugt die Unbefangenheit, womit unfere

91) Gejammtabentener, II, 5 fg. 92) Gefammtabenteuer, I, 455 fg.

230 Buch II. Kap. 4.

mittelhochdeutfchen Dichter ven Frauen lüfterne Wünfche in ven Mund legen. Allerdings fehlt e8 auch nicht an Zeugniffen für das Vorhandenfein edler Weiblichkeit, reiner Sitte und ftanphafter Treue; aber fie bilden vie Minverheit. Das rührenpfte von allen dürfte das Ge- bicht „Frauenliebe“ bieten. Ein waderer Nitter hatte eine ſehr fchöne Frau, welche ihn herzlich liebte, obgleich er unfchön von Geftalt war. Bei einem Turnei wird ihm ein Auge ausgeftoßen und er fürchtet, dieſe Ent- ftelung möchte ihn um vie Xiebe feiner Gattin bringen, wefiwegen er fich nicht vor ihr fehen lafjen und nad) dem heiligen Lande fahren will. Sie aber, um ihn zurüd- zubalten und ihm feinen Zweifel zu benehmen, entjchließt ſich kurzweg ſich ihm gleichzuftellen, indem fie fich mittels einer Scheere ebenfall® ein Auge ausftiht”). Man thäte übrigens den Frauen ein Unrecht an, wollte man ihnen ven größeren Theil der fittlichen Verſchuldungen des höfifchen Lebens aufbürden. Sie folgten eben aud dem Zuge ber Zeit, deren Roſen von Anfang an ben Wurm in fih trugen. Und: dann gaben ja die Männer den Frauen ein Beispiel von Unfitte, Rohheit und Lüder⸗ lichkeit, welches nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Schon im 13. Sahrhundert, fagt ein alter Chronift von dem Adel im Elſaß, galten die Ausfchweifungen in der Buh- lerei für feine Sünde mehr 9). Zur felben Zeit rühmte

93) Xiederfaal, I, 161 fg. Gefammtabentener, I, 249 fg. 94) Mitgeth. von Stöber i. d. Zeitſchr. f. deutſche Kulturgeſch. 1868, ©. 762.

Die Evelfrau. 231

ih ein Minnefänger, alle Schürzen wären gleich vor ſei⸗ nen Augen und er liefe allen Weibern nach, großen und Heinen, jungen und alten, Fugen und einfältigen, blon- den, braunen und ſchwarzen 85). Kein Wunder, daß in einer jo verwilderten Männerwelt ein Humpen Wein höher gewerthet wurde als ein Weib 9%).

Jede Zeit hat ihre grellen Gegenſätze, aber faum dürften fich diefelben jemals offener vargeftellt haben ale im Mittelalter, wo, wie die verſchiedenen Stände, jo auch die gegenfäßlichen Lebensrichtungen viel unvermittelter neben einander ftanden als heute. Da tobte und raf'te eine fraftftrogende Weltluft in zuchtlofen Orgien, vort fehrte eine bis zur Krankhaftigkeit gefteigerte Himmels- ſehnſucht das jchwärmerifche Auge von allem Irdiſchen ab. Während im 13. und 14. Jahrhundert mancher deutſche Dynaſt feine Burg zu einem türfiihen Harem machte 7), Tiefen fich von höfiſchen Damen verjelben Zett

95) Ich acht itt uff ain klainen schaden, Hett ich in ainem tunklen gaden Ain brun, ain blaich, ain swartz bi mir, u. f. w. Liederſaal, II, 165 fg.

96) Nu vült uns wol den maser! Ein affe, ein narre was er, Der ie gesente sinen lip Vür guoten win umb ein wip. SHelmbredt, Geſammt⸗ abent. III, 309.

97) So 3. B. ein Herr von Berned, welcher fih ein Dutzend hübſcher Hausmädchen hielt, zur Erleichterung feiner Witwerſchaft, wie er fagte. Vgl. Raumer, Geſch. d. Hobenftaufen, VI, 480.

232 Buch II. Kap. A.

Züge erzählen, welche darthun, daß fie vie Liebesfunit nicht weniger finnreih und ffrupelfrei betrieben als jene berüchtigte Königin des 15. Jahrhunderts, Johanna die Zweite von Neapel ꝰ8). Aber neben ſolchen Künftlerinnen

98) Bon ihr erzählt Brantome, wie finnreich fie es anzuftellen wußte, einem ihrer zahllojen Kiebhaber ihre Gefühle ohne Worte zu erffären. „Elle ayma sur tous ses amoureux Caraciol. Aussi le fit-elle grand et son grand Seneschal. Au commencement de sa jeunesse, encore qu’il fust bien Gentil-Homme, parce qu’ilestoit pauvre, il se mesla de la plume et estoit fils d’un appelle Cara- ciolo. Le feu Prince de Melfe estoit venu de cet estoc, comme lon m’a dit & Naples... La premiere occasion qu’eut jamais la Reyne de luy faire entendre qu’elle laimoit, fut qu’il craignoit fort les souris. Un jour qu’il joüoit aux eschetsen la garderobe de la Reyne, elle-mesme luy fit mettre unesourisdevantluy;; et luy, de peur, courant degä delä et heurtant et puis l’un et puis Tautre, s’enfuit & la porte de la chambre de la Reyne et vint. choir sur elle; et ainsi, par ce moyen, la Reyne luy decouvrit son amur et eurent tost fait leurs affaires ensemble.“ Oeuvres ‘du Seigneur deBr. Londres 1779, I, 366. Die ritterliche Galan- terie hatte Überhaupt auf Italien jo fittenverberblich eingewirft als nur auf irgend ein anderes Land. Der derbe Dante nennt in feiner Kraftſprache Italien das Bordell der Völker:

„Ahi serva Italia, di dolore ostello, Nave senza nocchiero in gran tempesta, Non donna di provincie, ma bordello!* Purgat. VI, 76

An einer andern Stelle (Purgat XXIII, 94—100) fagt er, felbft die Frauen der verrufenen Landſchaft Barbagia auf Sardinien, wo Männer und Weiber faft nadt gingen und zügellofen Sitten bul- digten, jeten züchtiger als die üppigen Florentinerinnen, gegen deren ſchamloſe Tracht gefetlich eingefchritten werben follte:

Die Edelfrau. 233

in Sachen des Genuffes ftehen wieder Frauen, deren ent⸗ - fagungsvolle Tugend ans Uebermenfchliche ftreift. Auf

„Tempo futuro m'é giä nel cospetto,

Cui non sarä quest’ora molto antica,

Nel qua sar& in pergamo interdetto

Alle sfacciate donne Fiorentine

L’andar mostrando con le poppe il petto.“

Da gerade von Italien die Rede ift, fo mögen zur Bergleihung mit dem bdeutjchmittelalterlichen weiblichen Schönheitsideal, wie wir e8 durch unſere höfiſchen Dichter aufftellen fahen, die Strophen bier ftehen, in welden zu Anfang des 16. Jahrhunderts Ariofto eine ber Helbinnen feines großen Gedichtes ſchilderte, die Alcina (Orlando furioso, VII, 11 fg. Ueberſ. v. Stredfuß):

„Bon höherm Reiz ift die Geftalt umfangen, Als je erfann des Malers Kunft und Fleiß. Die langen blonden Lockenhaare prangen

Und rauben felbft dem Gold des Glanzes Preis. Berbreitet ift auf ihren zarten Wangen

Der Rofe Glut, vermifcht mit Lilienweiß.

Die frohe Stirn, von Elfenbein gebrebet,

Iſt nicht zu wenig, nicht zu viel erhöhet.

Man fiehet unter ſchwarzen feinen Bögen

Zwei ſchwarze Augen, ja zwei Sonnen fteh'n,

Huldvoll im Bliden, jparfam im Bewegen,

Um fie ber kann man Amor flattern ſeh'n.

Hier prüft er fcherzend jedes Pfeile Vermögen, Und fiehft du ihn, doch kannſt tu nicht entgeh’n.

Die Nafe mitten durch das Antlitz fteiget

So ſchön hernieder, daß der Neid auch ſchweiget.

Und drunter, zwifchen zweien Grübchen ftehet Der Mund, dem Purpur ewig frifch entjprießt,

234 Buch II. Kap. A.

derjelben Wartburg, wo zu Anfang des 13. Jahrhunderts höfifche Sitte und Liederkunſt glänzende Feſte gefeiert -

Wo ihr zwei Reihen gleicher Perlen fehet, Die ſüß die Kippe öffnet und verfchließt, Woraus hervor die holde Rede gehet,

Bei der vor Luſt das roh’fte Herz zerfließt. Dort bildet fih das Lächeln, das der Erbe Nach Willkiir heißt, daß fie zum Eben werde.

Schnee ift der Hals, die Kehle Mil, geründet Der ſchöne Hals, der Bufen voll und breit.

Und wie das Meer nun anwogt und verjchwinbet, Wenn linder Haud der Wellen Spiel erneut,

So wogt das Aepfelpaar das andr’ ergründet, Was noch verhüllet wird von dichtem Kleid,

Nicht Argus Blick; doch jeglicher erachtet,

Es ſei fo Schön, als was man fchon betrachtet.

Den jhönen Arm, von rechtem Maße, endet Die weiße Hand, von Eifenbein gedreht, Länglich und ſchmal, an der, wie fie fich wenbet, Hervor kein Knöchel, feine Aber fteht.

Der kurze, runde, nette Fuß vollendet

Die herrliche Geftalt voll Majeftät;

Es ftralet durch der Schleier dichte Hülle. Hervor der reichen Engelreize Fülle.“

Es ift jehr beachtenswertb, daß wie in dieſem von Arioft ent- worfenen Frauenbildniß jo bei den mittelalterlihen Dichtern über⸗ haupt, au bei unfern deutfhen, der Hauptafcent vor⸗ wiegend auf die leiblichen Reize der Frauen gelegt wird. Faſt alle derartigen Schilderungen find rein materiell. Bon der jeeliichen Schönheit, die fih in den Zügen ausprägt, ift faum die Rebe. Diefe alten Romantiler waren viel finnlicher, als die neueren uns glauben machen möchten.

Die Epelfrau. 235

hatten, lebte kurz darauf jene Landgräfin Elifabeth, welche nach ihrem Tode von der Kirche heilig gefprochen wurde. Sie war eine jener fraulihen Blumenfeelen, die fo voll find vom Thau des Himmels, daß für irbifche Leiden- haften und Wünjche fein Plag darin tft. Eine Tochter des Königs Andreas des Zweiten von Ungarn, wurde fie im 3. 1218 mit dem Landgrafen Ludwig von Thüringen vermählt, nach deſſen Hingang fie von feiten ihrer Schwäger die rohefte Behandlung zu befahren hatte, Ueberhaupt ſchuf ihr vie Gemeinheit und Undankbarkeit der Menfchen viele Leiden und übervies quälte ihr VBeicht- vater, der marburger Mönch Konrad, ein Fanatiker, welcher nur dadurch, daß ihn ein paar Stegreifritter im Jahre 1233 todtichlugen, verhindert wurde, die Inquiſi⸗ tion förmlich in Deutfchland einzuführen, die fromme Frau mit feiner finftern und unduldſamen Aftetil. Die Armen und Elenvden zu fügen, zu fpeifen und zu pflegen hat fie als ihre Lebensaufgabe betrachtet. Sie nahm und erfüllte vie Pflichten chriftlicher Milve im ftrengften Sinne und begnügte fich daher nicht, Hofpitäler zu ftiften, jon- dern pflegte mit eigenen Händen die Mifelfüchtigen (Aus- füßigen), welche vamals fernab von bewohnten Stätten in die Einöden verwiejen wurden. Erſt vierundziwanzig- jährig, ftarb fie 1231 und nachdem fie den Heiratsantrag, welchen Kaifer Friederich ver Zweite an die Verwitwete gerichtet, abgelehnt und in ven legten Lebensjahren ihren Unterhalt durch Wollefpinnen erworben hatte. Die danf- bare Volksſage hat Elifabeths Geftalt mit dem rofigen Schimmer des Mythen⸗ und Märdenhaften ummoben ;

236 Buch I. Kap. 4.

aber auch die Gejchichte ift berechtigt, zu jagen, daß bie fromme Yandgräfin wie ein hilfereicher Engel durch ihre Zeit gegangen fei.

"Wenn in diefer fürftlihen Frau die Gläubigfeit und Frommheit ihres Jahrhunderts in edler und Tiebens- würdiger Weile zur Erjcheinung fam, jo würden uns auch nicht fraulihe Beiſpiele mangeln, welche das nahezu Thieriſch⸗Stupide mittelalterliher „Religioſität“ wider. lich aufzeigen. Aber lieber jei noch auf eine dritte Seite des Verhaltens deutſcher Frauen von damals zum kirch⸗ lichen KRöhler- und Afterglauben hingewtefen, indem wir rühmend betonen, daß an dem fehon frühzeitig hervor⸗ getretenen Ringen kühner Geifter, das bleierne Joch ver „Rechtgläubigfeit” abzuwerfen, auch Frauen und Mäd— chen theilgenommen und folche glorreiche Kegerei mit einent heldiſchen Martyrium befiegelt haben. Ein merkwürdiges Beifpiel findet fih auf einem von Alter her ganz und gar durchpfafften Boden, in dem „Heiligen“ Köln, dem deutfchen Rom, von jeher ein Lieblingsſitz der ‘Dunfel- männer. Hier fo erzählt und der vielfundige, zwifchen 1230—40 verftorbene Eiftercienfermönd Cäfarius, Prior des Kloſters Heifterbach im rheinifchen Siebengebirge hier wurden zur Zeit des Erzbiſchofs Rainald (um die Mitte des 12. Jahrhunderts) mehrere Keter ergriffen, überführt und verurtheilt. Als man fie nad) gefällter Sentenz zum Scheiterhaufen brachte, erbat fich einer, Namens Arnold, welhen vie übrigen ihren Meifter nannten, Brot und Waffer. Es warb ihm aber nach dem Rath verſtändiger Männer verweigert, weil ver Meifter

Die Edelfrau. 237

damit wahrfcheinlih eine gottesläfterlihe Kommunion bereiten wollte und ver Teufel leicht etwas ärgerliches zuwegebringen fonnte. Alſo wurden die Ketzer aus der Stadt geführt und beim Judenkirchhof dem Feuer über: liefert. ALS fie jchon von den Flammen ergriffen waren, fahb man ven Meifter Arnold feine Hände auf die halb- verbrannten Häupter feiner Schüler legen und hörte ihn fagen: „Bleibet ftandhaft in eurem Glauben!" Es war aber unter ven Ketern auch eine fehöne Jungfrau, und maßen dieſe das Mitleid von vielen erregte, nahm man fie vom Scheiterhbaufen herab und verſprach ihr, man wollte, fo fie fich befehrte, fie verbeiraten oder in ein Klofter bringen. Sie jedoch: „Wo liegt ver Meifter?* und als man ihr venfelben gezeigt, entwand fie ſich ven Armen der fie Haltenden, ftürzte, ihr Antlig mit dem Gewande verhüllenn, in das Teuer, warf fich über ven Leichnam Arnolds und fuhr mit ihm zur Hölle. Man dürfte fedlich die Namen der ſämmtlichen Heiligen von Köln um den vom heifterbacher Mönch leider verfchwie- genen biefer einen Ketzerin hingeben.

99) Caesarii Heisterbacensis dialogus miraculor., recogn. J. Strange (1851), V, 19.

Sünftes Kapitel.

Bürgerin und Bäuerin. Das Stäbtewefen. Patricifche und plebeifche Kreife. Die Höfe ober „Geſäße“ der Geſchlechter. Städtiſche Zeitvertreibe oder „Fröhlichkeiten“. Ein phantaftifches Turnier. Eine Serenade. Kaiſer Sigismund und die Straßburgeritmen. Eine würz- burger Novelle. Wiener Sittenzuftände im 15. Jahrhundert. Die Frauen und die mittelalterlihe Strafrechtspflege. Augs-

burger und frankfurter Hochzeiten. Das bäuerlihe Frauenleben. Bedenkliche Idyllien. Eine ſüddeutſche Bauernhochzeit.

Hieſe Entwickelung des deutſchen Städteweſens nahm dieſen Gang: zuerſt bildeten nur die Abkömmlinge der erſten ſtädtiſchen Anſiedler, der königlichen Miniſterialen oder biſchöflichen Vaſallen, die ritterbürtigen Altburger oder Burgenſen die ſtädtiſche Gemeinde oder Burger⸗ ſchaft 100), Sie hießen Stadtjunker over von ihrer ritter-

100) Das Wort Burger ober Bürger wurde belanntlich zuerft im 4. Jahrhundert durch den gothifchen Biſchof Ulfila (Wölfle), befien Bibelüberjegung das Ältefte germaniſche Schriftdenkmal ift, in unfere Sprache eingeführt, indem er das griechtiche moAızys mit

Bürgerin und Bäuerin. 239

lihen Waffe, ver Gleve (Lanze), Glevener oder jchlecht- weg „Geichlechter*, d. i. adeligen Gefchlechtern Ent- fprofjene ; erjt viel fpäter wurde der altrömifche Nante Batricier auf fie übergetragen. Die übrigen Stabt« bewohner, gleichviel ob fie von gemeinfreien Bauern over hörigen Adernechten und Handwerkern ftammten, waren anfangs den Altburgern zinspflichtig, hatten Feine politischen Rechte und hießen Schußburger oder auch Pfahlburger, weil fie außerhalb der Umpfählung ver eigentlichen Stadt wohnten, oder im Gegenfag zu den Glevenern Spieß- burger, weil fie als Waffe den Spieß führten. Die Stäptebewohnerfchaft theilte ſich demnach in Adel und Boll. Im Vorſchritt der Zeit gewann es aber das Volt über den Abel, und zwar weil die Wehrfähigfeit ver Städte, was Wucht und Maſſenhaftigkeit betraf, auf den Korporationen oder Zünften oder Gilden ver Handwerker beruhte. Die Zünfte erfämpften nah und nad nicht allein die Zulaffung zum Burgerrecht, zur Mitnut- nießung des Gemeindevermögens und zur theilweifen Amtsfähigkeit, jondern in ven meilten, weitaus in ben meiften Städten wurde an die Stelle des Gefchlechter- regiments das Zumftregiment gejegt oder, mit anderen Worten, die ariftofratifche Verfaffung, welche fich nur in jehr wenigen Städten, wie 3. B. in Nürnberg, bis zum Untergange des deutſchen Reiches erhielt, in eine demo⸗

Baurgja (d. i. der fich Bergende, Geborgene) überſetzte. Das Wort „Stadt“ wurde erſt durch den St. Galler Mönch Notler Labeo (ſt. 1022) aufgebracht.

240 Buch II. Kap. 5.

Eratifche verwandelt. Erſt damit gelangten die veutfchen Städte zu jener gewerblichen, faufmännifchen und poli= tifchen Vollkraft, die fich in den großen Städtebündniſſen manifeftirte und welche zu kennzeichnen man nur das Wort Hanfa zu nennen braudt.

Allein die politifche Gleichſtellung der Stadtbürger war weit entfernt, zugleich auch eine fociale oder, ge= nauer gejprochen, eine gefellige herbeiführen, und das ganze Mittelalter hindurch "hielten ſich die patricifchen Kreife von den plebeifchen ftreng geichieven. Beide Ge- fellichaftsfreife hatten ihre eigenen Zrink- und Zanzftuben und die adelige Ausfchließlichleit erjtredte ſich fogar bi8 auf die Räume der Kirchen, in deren Mittelfchiffen hölzerne Zellen aufgefchlagen waren, in welche fich vie Gejchlechterfrauen beim Gottesdienft einfchloffen, währen ihre nichtaveligen Mitbürgerinnen auf offenen Bänken ſaßen 19), Allerdings hatten auch die Frauen und Töchter

101) Bafel im 14. Jahrhundert, S. 11. In dieſer vortreff- lichen Feftfehrift hat Fechter S. 3—146 unter dem beſcheidenen Titel einer Topographie ein jehr anziehendes Bild vom politifchen,

häuflihen und gefelligen Leben einer deutſchen Stadt im Mittel- alter gezeichnet. Eine fleifige Zufammenftellung aus Chroniken, - Urkunden u. f. w. über das mittelalterliche Stadtleben bat auch Reinöhl geliefert („Die gute alte Zeit” in Scheible's „Klofter“, Bd. VI, S. 641 fg. und ©. 1001 fg.). Vgl. Über das mittel- alterlide Stadtleben neben den zufammenfaffenden Werfen von Hülmann und Bartbold insbejondere P. v. Stettens Geſchichte der Stadt Augsburg, Hormayrs Geſchichte der Stadt Wien, Kirchners Geſchichte der Stadt Frankfurt und Beders Geſchichte ber Stadt Lübed.

Bürgerin und Bäuerin. 241

der Handwerker ihren Antheil an ven mittelalterlichen Seftfreuden, welche die deutſchen Städte fo häufig mit buntem Gewühl und luftigem Gelärm erfüllten. Auch fie hatten ihre „Familienanläſſe“, ihre Hochzeiten, ihre Walls fahrten, ihre Tänze und Faftnachtsluftbarfeiten; aber für - gewöhnlich waren fie doch, mit häuflichen Arbeiten und Sorgen belaven, in ven krummen finftern Städtegaffen in die engen, dunkeln Häufer eingefchloffen, welche nur vie In- Tenntniß für bequem hat ausgeben fünnen, wenn man er- wägt, daß noch im 13. Sahrhunvert das Baumaterial für gewöhnliche Bürgerhäufer aus Holz, Lehm und Stroh beitand, daß erſt jehr allmälig Bruch und Baditeine an veffen Stelle traten, daß die Häufer nur wenige Fenſter hatten, vie ftatt mit Glas mit Papier oder Tuch bezogen waren noch im 15. Jahrhundert hatten jelbft vie Rathhäufer in vielen Städten nur Tuchfenſter und daß Rauchfänge und Heizapparate nur ſehr langfam aus ihren primitiven Formen zu folchen fich entwidelten, wie fie ja heutzutage feiner Zagelöhnerwohnung fehlen. Der Reichthum der Gefchlechter und ihre höhere Bildung er- möglichte und verlangte es freilih, daß die patriciichen . Wohnungen („Höfe“, Gefäße") nach Möglichkeit be- quem und ſchön eingerichtet wurden; aber doch gelangten auch die adeligen Stapthäufer erft im jpäteren Mittel- alter zu jenem jtattlichen äußeren Anfehen und jener zier- lichen und prächtigen inneren Einrichtung, auf welche der Landadel mit neidiſchen Augen blickte. Sahrhunderte haben daran gearbeitet, Nürnberg zu jenem Schatfäftlein

mittelalterliher Architektur zu machen, als welches wir Scherr, Frauenmwelt. 4. Aufl. I. 16

242 Bud II. Kap. 5.

dieſe Stadt noch heute bewundern, und erft im 14. und mehr noch im 15. und 16. Jahrhundert entftanven in Augsburg, Ulm, Frankfurt, Mainz, Köln und anderen deutfchen Stäpten jene ftolzen Batricierhöfe, welche ver Hanvelsreihthum ihrer Bewohner mit foftbarem Ge- täfel und zierlicher Zapezerei, mit reichen Mobiliar, farbenbunten Teppichen und foftfpieligen Kunftgegen- jtänden, mit bemalten Glasfenftern und mit „Trefuren“ ausſchmückte, welche von einer Fülle filberner und gol- dener Geſchirre funfelten. In diefen Stapthäufern be= gann nach den furchtbaren phyſiſchen und moralifchen Heim⸗ juchungen, von welchen Deutſchland im 13. und im 14. Jahr: hundert betroffen wurde, dem Interregnum, ver Beft, („ver große Sterbent” oder „ver Schwarze Tod”), ven Geißler- fahrten und Judenſchlächtereien, ein verſchwenderiſch⸗üppiges Leben fich zu entfalten, welches mit dem an den Fürften- höfen wetteiferte over vaffelbe wohl gar überbot. „Dar— nach, fagt die Limburger Chronif, da das Sterben, die Geißelfahrt und Judenſchlacht ein Ende hatten, va hub die Welt wieder an zu leben und fröhlich zu fein.”

Dieſes fröhliche Stadtleben war ſchon zur angegebenen Zeit und noch früher nicht ohme eine ftarfe Beimifchung von Meberfpannung und Ueberfeinerung. Die ritterlichen Bräuche fpielten da häufig in eine Bhantafterei hinüber, welche der eines Ulrich von Lichtenftein wenig nachgab. Sp ftoßen wir in der Gefchichte von Magdeburg auf ein wunderliches Turnier, welches die Gejchlechter dieſer Stadt i. J. 1229 veranftalteten und wobei alle theatralifchen Mittel aufgeboten wurden, über welche die Zeit zu ver-

Bürgerin und Bäuerin. 243

fügen hatte. Die jeltjamfte dieſer Veranftaltungen war daß zum Qurnierpreis ein fchönes Mädchen beftimmt wurde, wahrjcheinlich ein „Lichtes Fröwlein“, d. i. eine fahrende Dirne. Um dieſen Preis mühten fich die magdes burger, goflarer, hildesheimer, braunfchweiger und queblinburger Batricier im Speergefteche und ein alter Kaufherr aus Goflar gewann die Schöne 102). An Zeit vertreib fehlte e8 den Stäbterinnen überhaupt vielweniger als den adeligen Damen auf vem Lande. Täglich gab es etwas zu fchauen, zu hören, zu laden, denn das ganze Volk ver „Fahrenden“, d. h. alle vie Spielleute, Gaufler, Marktichreier fuchten und fanden in ven Städten ihre reichite Weide. Auch waren die Stabtjunfer keineswegs weniger galant als die Landjunfer, im Gegentheil! Sie gaben fich alle erventlihe Mühe, Mädchen und Frauen gegenüber ihre Höfifchkeit im vollften Glanze zu zeigen. Hatten fie ihren Schönen bei Hochzeiten und Gejchlechter- tänzen, bei Schlittenfahrten und Faftnahtsmummereien gedient, fo zogen ſie Nachts wohl noch „mit einer Yautten por die Kammerfenfter ver Angebeteten, um ihnen galante Serenaden zu bringen 10%). Dann die zahllojen firchlichen Feſte, wie viel Nahrung mußten fie ver weiblihen Schau⸗

102) Rathmann, Gefhichte der Stadt Magdeburg II, 143 fg. Hüllmann, Stäbtewefen, II, 184 fg.

103) Aus emer von Bernhard Rohrbach, einem Mitglied der berühmten adeligen Stubengenofjenichaft zum Limburg in Franf- furt a. M., verfafiten Handſchrift des 15. Jahrhunderts hat Römer- Büchner fo ein Ständchen mitgetheilt (Zeitichr. für die Kulturgeſch. 1856, ©. 62). Wir erfahren daraus, welche gemüthlichen und

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244 Buch II. Kap. 5.

luft bieten, wie viel Gelegenheit gaben fie modiſchen Stadtdamen, ſich im beiten Staate fehen und bewundern zu laſſen! Hatte doch die Kirche dafür geforgt, ven ganzen Kultus finnlicheanziehend, ja künſtleriſch zu geitalten, und wußte fie doch fogar das Vergnügen ver Menſchen an theatraliichen Darjtellungen in ven kirchlichen Schau- Ipielen, in ven aus der altchriftlichen Liturgie heraus- gebildeten „Myſterien“, zu einem Kultakt zu machen 10%).

leiblichen Vorzüge ein Frankfurter von damals an jeinem Liebchen preiswürdig fand; denn das Ständihen fagt von der angefungenen Sungfrau: „Sie ift gar ohne Argelift, An Zucht und Ehren ihr nit gebrift; Sie ift auch aller Tugend voll, Was fte thut, das ziembt ihr wohl. Sie ift fo tugendhaft und fein Und leucht recht als der Sonnenfchein ; Sie gleicht auch wohl dem hellen Tag, Kein Menſch ihr Lob Schön preifen mag. Sie hat ein rofenfarben Mund, Zwei Wängelein fein zu aller Stund ; Sie hat ein ſchönes goldfarb Haar, Zwei Yeugelein lauter und Har. Ihr Zahn find weiß als Helfenbein, Ihre Brüftlein die find rund und Hein, Ihre Seiten die find dünn und lang, Ihre Händlein ſchmal und dazu blank, Ihre Füßlein ſchlecht und nit zu breit, Der Ehren Kron fie billich treit.“

104) Manchmal geftalteten ſich dieſe kirchlichen Schaufpiele, welche insbejondere zur Weihnahts- und Ofterzeit aufgeführt wur-

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Bürgerin und Bänerin. 245

Wenn vollends ein jo munterer Herr und entjchievener Frauenverehrer, wie Kaifer Sigismund einer war, in

den und jett noch in dem „Paſſionsſpiel“ von Oberammergau in Baiern fortleben, durch ihre fehr lange Dauer auch zu einer Art Bußakt, mit welchem dann ein förmlicher Ablaß verfnüpft war. So wurde in England während der Regierung Heinrichs bes Vierten ein Myfterium von der Weltſchöpfung und dem Weltende zu Chefter agirt, welches volle acht Tage jpielte und wobei den Zujchauern, welde dem frommen Spiele vom Anfang bis zum Ende anwohnen würden, ein taufendjähriger Ablaß zugefihert wurbe (Collier, history of English dramat. poetry, II, 173). Noch mehr vertrug in Frankreich ein frommes Publikum im 15. und 16. Jahrhundert; denn wir erfahren von Möofterienaktionen zu Balenciennes und Bourges, welche 25, ja jogar 40 Tage währten (Didron, Annales archeologiques, XIII, 16). Bemerfenswerth ift, daß, wie in Spanien, fo au in Deutichland die Myſterien eine Haltung be- wahrten, welche den religiüfen Gegenftänden, bie fie behandelten, angemeſſen war, während bie italiſchen und franzöfiihen Myſterien häufig in einem obfcöuen und mitunter geradezu gottesläfterlichen Ton verfielen. In Italien mußte Bapft Innocenz der Dritte ſchon im J. 1210 die Betheiligung der Geiftlihen an den ausgearteten Mofterienfpielen, fowie die Aufführung derfelben in den Kirchen unterfagen. Auch in unjern deutihen Myſterien geht e8 nicht ganz ohne mittelalterliche Naivitäten und Plumpheiten ab; aber meines Wiſſens ift noch feines aufgefunden worden, welches auch nur ent» fernt fo frede Situationen und Auslaffungen enthielte, wie mande ber franzöfifhen fie enthalten. In einem ber letteren hilft die Jungfrau Maria einer von ihrem Beichtvater Schwangeren Xebtiffin aus der Patſche, beraubt dann ein vorwitiges Weibsbild ihrer Hände, welche ſich überzeugen wollten, ob die Mutter Gottes wirt- (ih eine Jungfrau jei, und reicht ferner einem Biſchof Milh aus ihren eigenen Brüften. In einem andern franzöfifhen Myfterium

246 Bud II. Kap. 5.

einer Stadt des Reiches einſprach, va ging e8 außerorbent- ih hoch und hellauf her und trieben die ſchönen Städte- rinnen mit der faiferlihen Majeftät jo ausgelaffene Scherze, daß ſelbſt die muthmilligften Damen unferer heutigen fteifleinenen Geſellſchaftskreiſe ſchon vor dem bloßen Ge⸗ danfen daran zurüdjchredien würden. In Wahrheit, vie Unbefangenheit unferer Ahnmütter war groß. Als Sigismund im I. 1414 zu Straßburg Hoflager hielt, brach eines Morgend „zur Primenzeit* eine Bande mun- terer Damen in das kaiſerliche Duartier, um ven nod ſchlafenden Kaifer herauszuholen. Sie ließen ihm nur Zeit, einen Mantel umzuwerfen, und zogen den Bar- füßigen mit ſich fort. So tanzte er mit ihnen durch die

wird die heilige Barbara an ben Beinen aufgehangen und bleibt in diejer anftößigen Stellung zum Ergötzen des Publikums eine gute Weile hängen. In einem dritten ſchläft Gott der Vater proben im Himmel auf feinem Thron, während drunten auf der Erde Ehriftus am Kreuze ftirbt. Ein Engel wedt den Schlafenden mit den Worten: „Pere eternel, vous avez tort et devriez avoir vergogne. Votre fils bien aimé est mort et vous dormez comme un ivrogne. ©ottvater: Il est mort? Engel: D’homme de bien. Gottvater: Diable m’emporte, qui en savais rien!“ (Gebrüder Barfaiet, His- toire du theatre Frangois [1745 fg.], I, 227. Beauchamps, Re- cherches sur les th&atres deFrance [1735], I, 235). Man müßte die Borführung folder Scenen für durchaus unglaublich halten, wüßte man nit, daß in demſelben Frankreich, wo derartiges agirt wurde, die Kirche e8 duldete, daß bei den Narren- und Ejelsfeften (f. darüber meine Geſchichte der Religion III, 274 fg.) ihre Altäre und Kulthandlungen aufs jchnödefte verunehrt und traveftirt wurden.

Bürgerin und Bäuerin. 247

Gaffen, und als der fingende, tanzende, lärmende Zug in die Kobergaſſe gefommen, Tauften die Frauen dem (uftigen Reich&oberhaupt ein Baar Schuhe „umb 7 Kreu- zer“ und zogen ihm biefelben an. Und „maßen der König ein weifer ſchimpflicher (gutgelaunter, humoriftifcher) Herr, hat er zugelafien, wie die Weiber mit ihm ge- handelt, fam zum Hohenftege, tanzte und fügte fich wieder in feine Herberg und rugte. Hernach am Freytag und Samſtag da was groß Kurzweil von Hoffieren und Zangen in Straßburg“ 109),

Weniger harmlos ift folgende würzburger Novelle, welche ung Meifter Konrad von Wirzburg, ver viel: feitigjte, fruchtbarfte und zierlichite Boet der zweiten Hälfte des 13. Sahrhunderts, erzählt bat. In der guten Stat Würzburg lebte eine Fügerin (vuegerinne, Kupplerin), welche manche ſtille, aber wenig ehrenhafte Hochzeit ſchuf und fügte. Eines Tages, da e8 ihr an Brot und De- ſchäftigung mangelte, ging fie zur Meſſe, um fich nad Kundſchaft umzufehen. (Wir erfahren bei dieſer Ge- legenheit, daß im frommen Mittelalter auch in Deutjch- land die Kirchen häufig dazu dienen mußten, wozu fie in Stalien, Spanien und Frankreich noch jetzt dienen, zur Einfäpelung von Liebeshändeln nämlidh.) Einer ver Chorberren am Münfter, der Domprobft Heinrich von Rothenſtein, ging durch ven Dom und die Fügerin machte fih alsbald an ihn, ihm ins Ohr wiſpernd: „Es entbietet Euch Freundſchaft, Huld und Gruß eine fohöne Frau, bie

105) Lehmanns Speierifde Chronik, S. 797.

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248 Bub II. Rap. 5.

ihre Sinne und ihr Herz Euch zugewandt hat“. Dem geiftlichen Herm däuchte das mächtig gut. Er griff in feinen Gelvjädel, gab ver „lieben Mutter”, wie er bie Rupplerin nannte, eine Handvoll Münze und bat fie, das weitere zu beforgen. Als er weggegangen, ſah vie Fügerin ein „ſchön minniglih Weib“ in die Kirche treten und alsbald trat fie vafjelbe an, der Schönen vertrauend, ver „tugendlichſte“ Mann wäre von ihrer Minne todwund und nur fie könnte ihn heilen. Die Frau wurde roth, fagte aber doch mit Lachen, vie Fügerin follte ihr nad beenvigter Meſſe mehr fagen. Sofort ging vie Rupplerin und faufte einen feivenen Gürtel, welchen fie der aus der Meſſe fommenven Frau als ein angebliches Gefchent des Minners anbot. Die Schöne nahm das Gefchenf und erflärte ihre Bereitwilligfeit, Nachmittags in dem Häus- hen der Fügerin zum Stellvichein mit ihrem Liebhaber zu erſcheinen. Sie fam auch wirflih, angethan mit einem „behaglichen Kleid”. Die Fügerin eilte, ven Dom- probft herbeizuholen, allein unglüdlicher Weife war dieſer durch ein dringliches Geſchäft zu ericheinen verhindert. In diefer Verlegenheit begegnete die Kupplerin einem ftattlichen Mann von etiwa dreißig Jahren, ver ihr als- bald zum Stellvertreter des Domprobjtes ganz pafjend ihien. „Was gebt Ihr mir, wenn ich Euch) zum Genuß eines fchönen Weibes helfe?“ redete fie ihn an und der Angefprochene verſprach ihr guten Lohn, folgte ihr auch jogleich, das Liebesabenteuer zu beftehben. Die im Häus- chen der Fügerin harrende Schöne erkannte jedoch in dem Daherfommenden mit Schreden ihren eigenen Mann,

Bürgerin und Bäuerin. 249

fafite jich aber jchnell und überfiel ven Eintretenden mit Sceltreven über jeine Xreulofigfeit und mit Backen—⸗ jtreichen, nach welcher Krijis das leichtfertige Ehepaar ſich verjöhnte 10%, Wie hier ein Domprobft, fo fpielen in ven Sittenfchilderungen unjerer mittelalterlichen ‘Dichter die Geijtlichen und Mönche überhaupt eine vortretende Rolle und es konnte auch gar nicht ausbleiben, daß zu einer Zeit, wo vie Städte von geiftlihen Eölibatären ordentlich wimmelten 197), ein großer Theil der herrichen- den Zuchtlojigfeit auf ihre Rechnung fam. Mitunter wurden bie minnejüchtigen Kuttenträger freilich garftig abgeführt. So 3. B. in der Erzählung von den drei Mönden zu Kolmar, wo zuerft ein Predigermönd, dann ein Barfüßermönch, enplich ein Auguftinermönd eine beichtende Frau im Beichtftuhle zum Ehebruch verführen will, aber alle vrei an der Tugend der Schönen ſchmä⸗ lich fcheitern 109%) Kin ſehr fehönes Zeugniß von bürger- licher Frauentreue bringt auch vie Erzählung „Von den ledigen wiben“, wo eine züchtige Raufmannsfrau

106) Gefammtabenteuer, I, 193 fg. Das Gewerbe ber Kuppelei Tcheint fehr in Flor geftanten zu haben (vgl. d. Geb. „Der Epalt in ter Wand“, Liederſaal III, 539 fg.); obgleich man überwiejene Kupplerinnen („drivende meghede, de andere vrowen verschündet“) da und bort, 3. B. in Braunfchweig lebendig be- grub. Rechtsalterth. 694.

107) Diefer Ausdruck erjcheint gewiß nicht übertrieben, wenn man erwägt, baß die Peſt des fchwarzen Todes im Minoriten- Orden allein 124,434 Mönche wegraffte.

108) Liederſaal, I, 309 fg.

250 Buch II. Kap. 5.

durch ihre befcheidene Tugend den leichtfinnigen Eheheren aus den Schlingen habfüchtiger YBuhlerinnen losmacht und zu feiner Pflicht zurückführt 109).

Wenn ein Kenner des deutfchen Stadtlebens im Mittet- alter, welcher von romantifchen Neigungen keineswegs ganz frei ift, fich geprungen fühlt, zu jagen, daß man fich gegen die völlig haltlofe Annahme eines züchtigen oder gar jentimentalen Mittelalters fortwährend verwahren müſſe 11%), jo bieten unfere mittelalterlichen Städtege— ſchichten zahlloſe Motive zu einer Verwahrung diefer Art. Um vie Mitte des 15. Jahrhunderts entwarf Aeneas Silvius Piccolomint, nachmals Papft Pius der Zweite eine Beichreibung von Wien, in welcher die glänzenven Farben jo wenig gefpart find, daß man ſtark verfucht ift, manches von dem, was ver Italiener über die Bracht ver genannten Stadt beihringt, für Uebertreibung einer füd- lihen Einbilvungskraft zu halten. Wie die aufgejekten Lichter mögen dann auch die Schlagfchatten in dieſem Ge- mälde zu grell fein. Aber im ganzen trägt Piccolomini’s Schilderung der wiener Sitten von damals doch ven Charakter ver Wahrheit, und zwar mehr noch als in dem lateinijchen Original in der treuberzigen Ausprucsweife der deutſchen Ueberſetzung, welche Albrecht von Bonftetten um 1490 gefertigt hat. Wir treten va mitten in eine in voller Zerſetzung begriffene Geſellſchaft. Schier alle

109) Gefammtabenteuer, II, 219 fg. 110) Roth von Schredenftein, d. Patriciat in d. d. Stäbten, S. 86.

Bürgerin und Bäuerin. 251

Bürger, heißt es, halten Weinhäufer und Tavernen, laden gute Trinker und „lichte Fröwlein“ (Freupden- mädchen) herein und geben ihnen umfonft zu effen, damit fie deſto mehr trinfen mögen. Das Volk ift ganz dem Bauch ergeben und vertbut am Sonntag, was e8 bie Woche iiber erworben hat. Deffentlicher Dirnen gibt e8 eine große Zahl, aber auch die wenigjten Ehefrauen find mit einem Manne zufrieven. Die Evelleute machen daher häufige Beſuche in Bürgerhäufern, wo dann der Hausherr Wein aufträgt und beifeite geht, um den Gaft mit der Hausfrau allein zu lafjen. Viele Mädchen nehmen Männer ohne Vorwiſſen ihrer Väter und die Witwen warten den Verlauf des Trauerjahres nicht ab, um fich wieder zu verheiraten. Reiche Kaufleute, wenn fie alt geworden, nehmen blutjunge Mädchen zur Ehe, welche dann, bald zu Witwen geworden, ihre Hausfnechte hei- raten, junge Kerle, mit denen fie zuvor „ven Brauch des Ehbruchs oft gehept hand“. Mean jagt auch, daß viele Frauen ihre Männer, deren ſie überbrüffig, mittels Giftes aus dem Wege räumen. Ganz offenkundig aber ift, daß Bürger, welche fich herausnehmen, in den ver- trauten Umgang ihrer Frauen und Töchter mit den Edel—⸗ leuten jtörend einzugreifen, von den legteren ohne wei- teres umgebracht werben 11). Das ift gewiß Fein ſchmei⸗ helhaftes Sittenbild. Allein anderwärts ging e8 gerabe fo oder wenigftens nicht viel beifer zu, wie denn im

111) Aen. Sylvii opera, p. 718 seq. Das Klofter, VI, 658 fg.

252 Buch II. Kap. 5.

Mittelalter rückfichtlich fleifchlicher Ausfchreitungen eine unverhältnigmäßig larere Anficht gäng und gäbe war als heutzutage, wenigitens in den bürgerlichen Kreifen. Es fonnte auch der deutſche Norden dem deutſchen Süden durchaus nichts vorwerfen: Völlerei und zügellofe Ge— ichlechtöluft grafiirten in ven norobeutfchen Städten gerade wie in den ſüddeutſchen. So hulvigten um 1476 zu Lübeck die patricifchen Damen der Mode, fehr vichtgemobene Ge- jichtsfchleier zu tragen, und fie wußten wohl, warum. Denn unter dem Schutze folder Schleier vermochten fie uner⸗ fannt Abends in die Weinkeller zu gehen, um an viefen Stätten der Proftitution Matrofenorgien mitzufetern 112).

Dem Lafter tritt das Verbrechen nach, wie der Urfache die Wirkung. Welche verbrecheriihen Folgen die ge— Ichlechtlichen Ausschweifungen im Mittelalter hatten, läſſt ihon die angelegentliche Fürſorge errathen, womit vie Strafjuftiz Vorkehrungen dagegen zu treffen fuchte. Wenn die Graufamfeit der Strafrechtspflege jemals eine Für- dererin der Sittlichfeit fein Fünnte, ſo hätte fie das zu jener Zeit fein müffen. Sie war e8 aber feinediwegs, wie die fortwährende Erneuerung und Verſchärfung der Straf- anfäte für an und von Frauen begangene Verbrechen klärlich darthut. An Yungfrauen over Frauen verübte Nothzucht („Noth“, „Nothnumft”,) wurde mit vem Tode beftraft; in einigen Städten, wie z. B. in Augsburg, jelbft dann, wann öffentliche‘ Dirnen die Opfer folcher Brutalität waren. Die gewöhnliche Hinrichtungsweife

112) Beder, Geſch. d. Stadt Lübeck, I, 281.

Bürgerin und Bäuerin. 253

des Nothzüchtigerd war die Enthauptung 113). Allein an manden Orten, 3. 3. in Heſſen und Schwaben, wurve der Verbrecher, falls die Geſchändete eine Jungfrau ge- wejen, lebendig begraben, und zwar fo, daß dem in bie Grube Geftoßenen ein fpiter Pfahl auf die Bruft gejegt und durch das Herz getrieben warb, nachdem die Genoth⸗ züchtigte den erften Schlag darauf gethan hatte. Um jevoh den Berbrecher der Strafe zu überliefern, durfte das Opfer nicht ſchamhaft mit ver Anzeige zögern. Das altbaierifche Recht bejtimmte: „Es foll ein ehlih Frau, die genothzogt wird, wenn fie aus feinen (des Thäters) Händen und aus feiner Gewalt kommt, mit zerbrochenem Leib, flatterndem Haar und zerriffenem Gebänd zuhand hingehend laufen, das Gericht fuchen und ihr Lafter (vd. h. ihr Unglüd, ihre Schmach) weinend und fchreiend Hagen.” Das melrichjtadter Weisthum fchrieb vor: „Wo Eine genotbzucht wird, jo foll fie laufen mit ge- fträubtem Haar, ihren Schleier an der Hand tragend, alfermänniglih wer ihr begegnet um Hilfe anfchreien über den Thäter; jchweigt fie aber diesmal ſtill, ſoll fie hinfür auch ſtillſchweigen.“ Aehnlich andere Statute, oft mit für moderne Ohren zu derben Einzelnheiten. Die im Ehebruch Ergriffenen wurden enthauptet, manchen Ortsrechten zufolge aber auch lebendig mitfammen be- graben. Auf Blutſchande ftand Einziehung des Ver— mögens, auf Bigamie die Todesſtrafe. Kindermör—⸗

113) Wer ain Iunffrawen oder ander Frawen nothzogt, dem fol man den Hals abſchlahn. Salzburger Stabtr. v. 1420.

254 Buch II. Kap. .

berinnen wurben enthauptet oder „gejädt“, d. h. in einen Sad vernäht und fo ind Waller geworfen, wie denn das Ertränten überhaupt eine gangbare Hinrichtungsart für Frauen war. Mitunter wurde biefelbe noch dadurch ver- Ihärft, daß man Nattern und andere Thiere zu der Ver- urtbeilten in den Sad that, eine Barbarei, welche da und dort bis ins 18. Jahrhundert hinein aufrecht erhalten wurde: noch im J. 1734 ward in Sachſen eine Kinds⸗ mörberin ertränkt, zu welcher man einen Hund, eine Kate und eine Schlange in ven Sad gethan. Das häufig vor- fommenve Ausfegen von Kindern machte ven mittelalter- lihen Magijtraten vor Einrichtung der Findelhäuſer (Nürnberg hatte fchon zu Anfang des 16. Sahrhunderts ein folches, in Mailand war aber bereits i. 3. 787 eins geftiftet worden) viel zu fchaffen. In Bafel muß dieſes Verbrechen während des 14. Sahrhunverts häufig vorgekommen fein, denn ver Rath verjchritt zu der Straf- androhung, dag vie Ausfegerinnen von Rindern in ven Rhein geworfen werden follten 114). Neben ihrer Härte zeigte die Strafjuftiz des Mittelalters zuweilen auch einen rohen Humor auf. So, wenn böje Weiber, welche ihre Männer gejchlagen hatten, rüdlings auf einen Eſel ge- jet und in einer Proceffion, bei welcher e8 ficherlich an Scerzen, die nicht zu den feinften gehörten, nicht fehlte,

114) Sachfenfpiegel, II, 13; III, 47. Schwabenfpiegel, 174, 201, 254, 311. Grimm, Rechtsalterth. 633, 691, 694, 697. Reyſcher u. Wilda, Zeitichr. f. d.R. V, 1fg. IX, 330 fg. Bajel im 14. Jahrh. ©. 33.

Bürgerin und Bäuerin. 255

durch den ganzen Ort geführt wurden. In St. Goar am Rheine beftand diejer alte Brauch bis zum Anfang des 17. Sahrhunderte 115),

Bon diefer Ausbeugung in das Gebiet ver Strafe rechtspflege kehren wir auf das anfprechendere ftäntifcher „Bröhlichleiten“ zurüd, wo wir gegen das Ende des Mittelalters bin einen Reichthum und Aufwand entfaltet jeben, der nicht felten in Pralerei und Prafferei aus- Ihlug und auf die Sitten einen ſchlimmen Einfluß übte. Wohl kann und muß angenommen werben, daß ſelbſt jet noch eine große Anzahl auch der reicheren Stadtfrauen ihre Befriedigung darin fand, rechte Hausfrauen vorzus jtellen, und daß fie ihre Zeit darauf verwandten, bie Kinver zu pflegen und zu erziehen, für Küche und Keller zu forgen und mit den Mägden zu fpinnen und zu weben; allein viele Batricierinnen hatten doch fehon die Stellung einer emfigen Hauswirthin mit der einer vergnügungsfüchtigen Modevame vertaufht. Es mußte fo fommen, wenn fo- gar Handwerker, welche das Glück begünftigt hatte, in ven Städten auf fürftlihem Fuße lebten und ihren Töchtern Hochzeiten ausrichteten wie im I. 1493 jener augsburger Bäckermeiſter Veit Gundlinger. Die Braut hatte ein blaues Seivenfleiv an, deſſen einzelne Stüde mittels Ichmaler Treffen zufammengenäht waren, und burüber ein Oberfleid, deſſen Saum eine breite Goldſpange bildete. Eine zweite ſchwere Goldſpange diente ihr als Gürtel und ihre Armbänder waren mit Evelfteinen beſetzt. Ste trug

115) Zeitich. f. d. Kulturgeſch. 1857, ©. 96.

256 Buch II. Kap. 5.

Schuhe, welche reich mit Silber „beblecht“ waren, und der Chronift vergifft auch nicht, der aus Goldfäden ge- wirkten Strumpfbänver zu erwähnen. Kurz, die fehöne DBäderstochter war an ihrem Ehrentage fo prächtig heraus: gepußt, daß „die Leut' uff ver Gaffen am Anblid des föftlichen Brütleins fich nit erfättigen fonnten.” Nach geſchehener Trauung ſpeiſ'ten die Hochzeitgäfte an jechzig Tafeln und zwar fo, daß je an einem Tiſche zwölf Jung: gefellen und Ehemänner, Mädchen und Frauen zufammen: faßen, woraus erhellt, daß ver früher berührte „höfiſche“ Braud, Herren und Damen abgejonvert fpeifen zu laffen, wenigjtens in den Städten zu diefer Zeit ſchon völlig be- feitigt war. Die Hochzeit währte acht Tage lang, und wenn man bevenft, daß zur Speifung feiner Gäſte Meifter Gundlinger 20 Ochfen, 30 Hirfche, 40 Zicklein, 46 Käl⸗ ber, 95 Schweine, 25 Pfauen, 1006 Gänſe, 515 Wilo- vögel, 15,000 Fiſche und Krebfe angeſchafft und ver- braucht hat, fo wird man e8 erflärlich finden, daß ſchon am fiebenten Tage des Feſtes von ven 270 Gäſten viele „wie tobt hinfielen“, weil fie einer ſolchen Gaftfreihett allzu viel Ehre erwiefen hatten 116%). Feiner und zier- licher ging e8 zu jener Zeit bei den patricifchen Hochzeiten in Sranffurt a. M. ber. Wenn die Verlobung eines Paares im Kreife ver Familie ftattgehabt, fchenfte ver Bräutigam feiner Braut einen Ring und ein Paar goldener Armjpangen, wogegen jie ihn mit einen „ftattlich vers neheten Fatznetlein“ begabte. Am Hochzeittag gingen

116) Kuriofitäten, I, 214 fg.

Bürgerin und Bäuerin. 257

die Brautleute, von ihren Verwandten und Freunden beiderlei Geſchlechts in feierlichem Zuge begleitet, zum Münfter, Spielleute mit Geigen und Lauten, Pfeifen, Trompeten und Pauken vorauf. Waren Yräutigam und Braut Iunggefell und Jungfrau, fchritten fie beim Kirch⸗ gang zwifchen lebigen Chrengefpielen und Chrenge- jpielinnen einher. Witwer und Witwe hatten ver- heiratete Berfonen zu Ehrengeleitern und zogen „ganz jtil und ohne einige Mufifa* nach ver Kirche. Nach beenpigtem Feſtmahl, welches „nit länger als drei Stun- den verzoge”, fügte fich jedermann zum Tanz und „dorff- ten über fünf Baar nit dantzen, wegen ver langen Schleif oder Schweif, fo die Fraumwen an den Röcken trugen, etlih Ehlen lang“ eine Move, welche, beiläufig be- merkt, ſchon im 13. Jahrhundert einen Prediger zu ver Aeußerung veranlaßt hatte, dieſer „Pfauenfchweif jei ver Tanzplatz ver Teufelchen und Gott würde, falls die Frauen folder Schwänze bedurft hätten, fie wohl mit etwas ber Art verjehen haben“ 117), Wann es dunkel geworben, wurbe ver Fackeltanz gehalten und zwar jo, daß ein Sung- gefell mit einer brennenden Fadel dem Vortänzer vor- anjchritt und ein zweiter Fadelträgerven Reiben beſchloß.

117) Cäfarius von Heifterbach (Dialogus, V, 7) ſpricht jeiner- jeit8 von einer Mainzerin, welche pomphaft und pfauenbunt („pom- patice et ad similitudinem pavonis variis ornamentis picta“) zur Kirche ging. Auf ihrer übermäßig langen Schleppe („cauda vestimentorum, quam habebat post se longissimam“) fah man, wie der gute Mönch ernfthaft hinzufügt, „eine Menge von Teufelchen tanzen”.

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 17

258 Buch II. Kap. 5.

Um Mitternadt wurde die Braut nad Haufe geleitet, wo dann für das Geleite noch ein Collatz von allerhand Schleckwerk“ aufgeftellt warb, und zwar zeigte dabei das Gebäck und Zuderwerf allerlei „Heirat-Figuren”, aljo nicht eben vie züchtigften. Envli wurde die Braut zu dem harrenden Bräutigam in die Brautfammer geführt. Frauen entfleideten fie, Sunggefellen zogen ihr die Schuhe aus, und nachdem eine Dede das Baar befchlagen hatte, entfernten fich die Gäſte 118).

Treten wir aus den ftäptifchen Kreifen in die ländlichen hinüber, um auch aus dem mittelalterlichen Frauenleben ver leßteren einige &harakteriftifche Züge beizubringen, jo muß zuvörderſt der Unterfchied zwifchen den freien und unfreien Bauerichaften hervorgehoben werben. Die Erniedrigung in welcher die hörigen Bauern und demnach auch ihre Frauen und Töchter ihr Dafein verbrachten, wurde im Verlauf unjerer Betrachtung ſchon mehrfach berührt. Hier ist alfo nur noch zu betonen, daß e8 nicht an urfundlichen Nachrichten fehlt, wie leibeigne Weiber im Mittelalter förmlich als Sklavinnen vertaufcht oder verkauft worden find 119, Unter ven Bauerfchaften, welche ſich die Frei-

118) Nach den bereits angezogenen Aufzeichnungen von Bern- hard Rohrbach, Zeitfchr. f. d. Kulturgeſch. 1856, ©. 64 fg.

119) Als Beifpiel ftehe bier eine Urkunde v. 3. 1333. „Ich Konrad der Truchſeß von Urach, Kitter, thue fundt und verjebe (erfläre) offentliden an diefem Briefe allen den, die diefen Brief lejen, fehen oder hören lefen, daß ich den Erfamen geiftlihen Herren den Abt und dem Konvent des Klofters zu Lorch hab geben die 2 Frawen Agnes und ihr Schwefter Mahilt, Degan Reinbolts

Bürgerin und Bäuerin. 259

heit ver Perſon und des Eigenthumsd bewahrt hatten, finden wir, befonvers im ſüdlichen Deutfchland, vor und nad den großen Trübſalen des 13. Jahrhunderts ein be⸗ hagliches, ja üppiges Leben im Schwange gehen. Die Romantik war auch in die bäuerlichen Kreife eingegangen, vornehmlich in den öftreichifehen und baterifchen Gegenden. Wie abfonverlich dieſe Verquickung bäuerifcher Sitten mit höfifch-ritterlichen fih ausnahm, davon gibt die Erzählung von dem übermüthigen Bauersjohn Helmbrecht, welcher jtatt dem Pfluge nachzugehen ein ritterlicher Räuber ward, ein höchft belebtes Bild 12%). Nicht minder anſchaulich malen uns die Lieder des bereits erwähnten Minnefängers Nithart von Reuenthal dieſes ſüddeutſche Bauernleben, die Tänze und Gelage der „Törper“, bei welchen dann ſchließlich die Nachäffung ritterlichen Gebarens in die faftigften Prügeleien umzufpringen pflegt, die Putzſucht der jungen „Törperinnen“, welche höfiſch gekleidet mit Kränzen um das zierlich aufgebundene Haar, den modischen Hanpfpiegel am Gürtel, Sonntags unter der Dorflinde erjcheinen, um ſich von Bauernburſchen, weldye Schwerter an der Seite, Sporen an den Stiefeln und Federn auf den Hüten tragen, ven Hof machen zu laffen.

feligen Töchter und ihre Kindt, die davon kommen mögen, um 3 Pfund Heller, der ich gewährt von ihn bin, und das geb ich in diefen Brief, befiegelt mit myn Imfigel, das daran hanget. Dieſer Brief ward geben, da man zalt von Chrifti Geburt 1333 Jahr.” So fonnte man denn i. Jahre 1333 zwei Weiber fammt ihrer et- waigen Nachkommenſchaft, um 1 Thaler Pr. Ext. kaufen. 120) ®ejammtabenteuer, III, 281 fg. 17*

260 Buch LI. Kap. 5.

Aber noch lieber von munteren Edelleuten mit weiten Gewiffen und mit Augen, welche die Reize bäuerifcher Schönheiten ſehr zu würdigen mußten. Denn alle dieſe zeitgendffifchen Schilverungen find Teineswegs idylliſche Gemälde & la Geßner. Bon ländlicher Unſchuld und Sitteneinfalt ift da wenig zu ſehen und es fteht jehr ſtark zu vermuthen, daß ver dörfliche Minnedienſt die in mans hen Gegenven unferes Vaterlandes altherfümmlichen und noch jeßt beftehenden „Probenächte“, welche vie Bauern⸗ ‚mädchen ihren Liebhabern geftatteten, durchaus nicht mehr in dem entbaltungsvollen Sinne nahm, in welchen, fagt man, diefer Brauch in ältefter Zeit genommen wurde 12). Und, wie gefagt, die Dörferinnen griffen mit ihren Xiebes- wünfchen gar gerne über vie bäuerifche Sphäre hinaus. Sie wollten Ritter haben, wenn nicht zu Männern, fo doch zu Galanen. Man fehe nur die praftifchen Zeich- nungen, welche Nithart von feinen Abenteuern mit dörf⸗ lihen Schönen entworfen hat!?). „Was jagt Ihr mir von Bauern? Lieber ließ’ ich mich vermauern, als daß ich mich mit ihnen begnügte“ entgegnet da ein Mädchen, welches die Mutter vor ver Buhlerei mit Evelleuten warnt. Andern Ortes ftreiten fich eine Mutter und eine Tochter über dafjelbe Thema. SIene meint, diefe ſei noch zu jung

——

121) Inbetreff dieſes heikeln Gegenſtandes verweiſe ich auf Fr. Chr. Fiſcher, Die Probenächte der deutſchen Bauernmädchen, wortgetreu nach d. Ausg. v. 1780 Stuttg. 1853.

122) Der Wemplink. Die dürre Plahe. Die Graſerin. Minne⸗ finger, III, 180, 247, 308.

Bürgerin und Bäuerin. 261

zum minnen, da fie ja faum fechszehn Sabre zähle. Dar . auf die Tochter: „Ein, Ihr habt ja Eure Jungferfchaft

ihon ale Zwölfjährige verloren.“ „Nun, jo minne meinetwegen.” „Sa, das thät’ ich gern, aber Ihr fifcht mir ja die Männer vor der Nafe weg. Pfui, daß Euch der Teufel hole! Ihr habt ja einen Dann, was bepürft Ihr anderer“? „Zöchterlein, jchweig’ ftil! Minne wenig oder viel, ich will nicht8 dazu fagen, und follteft vu auh ein Kindlein wiegen müffen; aber fei vu eben- falls verjchwiegen, wenn du mich der Minne nachgehen fiehft 123). Ein fehr bezeichnenves Uebereinfommen, für: wahr! Die Frivolität in Liebesſachen war augenfcheinlich im Mittelalter fein Vorrecht ver höheren Stände, fondern e8 hatten auch die bäuerlichen Kreife ihren vollgemeſſenen Antheil daran. Die mittelbochveutfche Novelliftif ift voll von Beifpielen. Eines der ausdrucksvollſten ift die Ge- ichichte vom „Minnedurjt“. Die Tochter eines Meiers hat eine Liebjchaft mit einem hübſchen Bauerburſch, aber weil dieſer arm ift, zwingt ihr Vater fie, einen andern zu heiraten. ‘Der Liebhaber befinvet fich jedoch unter ven Hochzeitsgäften und die Braut verfpricht ihm, fie wolle ihm und nicht dem aufgedrungenen Bräutigam den Ge- nuß ihres Magdthums gewähren. Während dann ver jpeifen- und weinvolle Bräutigam „als reht ein sluch* neben der Braut im Bette liegt, fagt fie ihm, fie hätte eine verfalzene Bratwurft gegefjen und vürftete davon jo übermäßig, daß fie zum Brunnen binabgehen müßte. Sie

123) Minnef. III, 215 fg.

262 Buch II. Kap. 5.

thut fo, gewährt dem drunten ihrer harrenden Geliebten feine Wünfche und verhöhnt noch dazu währen des Minne- Ipiel8 ihren betrogenen Ehemann auf allerdings höchft fomische Weiſe. Eine Anfchauung von der tiefen Zer- rüttung bäuerifcher Ehen bietet die Gefchichte von der „Beichte*. Ein Bauer wohnt mit feiner Frau fernab vom Dorfe, und da fie am Palmſonntag der verjähneiten Wege willen nicht zur öfterlichen Beichte in die Kirche gehen fönnen, kommen fie überein, einander gegenfeitig ihre Sünden zu befennen. So beichtet denn die Frau, als im vorigen Jahre ihr junger Grundherr auf fie beide erzürnt gewefen, habe fie fich zu ihm gelegt, um ihn zu befänftigen; dann habe Heinrich, der Amtmann, zur Zeit als man das Korn fchnitt, fie beredet, ihm zu Willen zu fein; ferner babe fie, als fie einmal Waffer holen ging, ihr Nachbar Kunz bei der Hand genommen und „meret mir min vröude ie, biz daz sin wil an mir ergie“; endlich, va fie eines Tages zur Mühle gegangen, ſei ihr ein mwohlge- thaner Pfaffe in ven Weg getreten und habe fie fo beweg- lich gebeten, daß fie ihm in Gottesnamen auch zu Willen gewejen fei. Der Bauer z0g die Sünderin auf feinen Schoß, gab ihr drei fanfte Püffe und verzieh ihr. Nun fam vie Reihe an ihn und er beichtete der Frau, daß er ihr nie untreu gewefen, ausgenommen ein einzigesmal. Da fei ihre Magd Adelheid im Hemde auf ver Herdbank gelegen und fei ihm der ftolze Leib ver Dirne fo minniglich vorge- fommen, daß er feine Luft an ihr gebüßt habe. Wüthend fährt die Frau auf, jhilt ven Mann, fährt ihm ins Haar und prügelt ihn mit vem Befenftiel tüchtig ab. Wie die

Bürgerin und Bäuerin. 263

Bauern auch ihrerjeits die Sünden ihrer Weiber ftraften und an den Buhlern verfelben, befonderd an den geift- lichen, Rache nahmen, zeigt ergöglich pie befannte Gefchichte „Der geäffte Pfaffe”, welcher feine Minneviebftähle theuer zu fühnen hatte 129).

Es ift uns von einer ſüddeutſchen Bauernhochzeit eine Schilderung überliefert, welche aus dem 13. oder 14. Jahr⸗ hundert ftammt und fich in jedem Zug al® ein nad) der Natur gezeichnetes Lebensbild ausweift 135). Den barin vorkommenden Namen nad zu fchließen, muß viefelbe in den Gegenden um ven Bodenſee herum ftattgefunden haben, in Oberfchwaben, im Allgau over im Thurgau 12). Wir

124) Gejammtabenteuer, LU, 97 fg. II, 353 fg. II, 149 fg.

125) Liederfaal, IH, 399 fg. „Von Metsen hochzit.* Der Stoff wurde nachmals im 15. Jahrhundert durch Heinrich Witten- weiler zu einem weitläufigen Gedichte („Der Ring”) ausgelponnen, das voll derbſter Komik ift.

126) Zellweger (Gefchichte d. appenzell. Volles, II, 408) wer- mutbet, daß im Appenzellferland oder im Rheinthal die Oertlich⸗ feit dieſer Hochzeit zu fuchen fei. Aus Appenzell bringt, gelegent- ich gejagt, Zellweger einige eigenthümliche Sittenzlige aus dem Mittelalter bei. Die Mädchen pflegten bei feierlichen Anläffen mit ſtark entblößten Brüften zu erjcheinen, wofür der Ausdrud „bie Zafeln aufthun“ gebräuchlich war, hergenommen von dem Tirhlichen Braude, bei großen Feften die jonft mit „Tafeln“ verſchloſſenen Kirchenbilder geöffnet zur Schau zu ftellen. Unter der Dorflinde von Appenzell wurde Sonntags häufig ein feltjames Spiel gejpielt, das „Stirnftoßen“, welches darin beftand, dag Männer und Weiber wie Böcke mit den Stirnen gegen einander rannten (a. a. O. J, 6549; IV, 353).

264 Buch II. Kap. 5.

wollen, zum Abjchluß des Kapitels, das jprechende Bild nachzeichnen.. Der junge Bärſchi (Bartholomäus) hat bie junge Metzi (Mechtilv) lieb und fie ihn; aber fie will von ihm geehlicht fein, bewor fie jich minnen läſſt. Bärſchi entjchließt fich alfo zur Heirat und die Verlobung geht in Gegenwart ver beiverjeitigen Verwandten feierlich vor ſich oder vielmehr ganz geſchäftsmäßig. Die Braut erhält als Mitgift drei Bienenftöde, ein Pferd, eine Kuh, ein Kalb und einen Bod. Dagegen fchenkt ihr der Bräu⸗ tigam eine Juchart Flachsland, zwei Schafe, einen Hahn mit vierzehn Hennen und ein Pfund Pfennige. Es wird bann bejchloffen, daß die Hochzeit noch an demſelben Abend ftattfinden foll und zwar ohne „schuoler und pfaffen“, d. b. ohne alle Mitwirfung ver Kirche. Sofort werben alle Nachbarn mit ihren Frauen und Töchtern in das ge- räumige Haus Bärſchi's geladen und laſſen fich das her⸗ umgereichte Weißbrot wohl ſchmecken. Für je vier Gäfte wird dann ein Kübel voll Hirjebrei aufgetragen und zu« gleich beginnt ein unmäßiges Trinfen („sy suffent und trunkent, daz in die zung hunkent“). Aud der an« wejende Spielmann muß über Durft trinten und pfeift dann zwifchenbinein einen Schall. Sekt werden Rüben mit Sped aufgeftellt und die Gäfte langen fo eifrig zu, daß ihnen Hände und Bärte vom Fette glänzen. Hierauf fommen DBratwürfte und das „Brautmuß” auf die Tifche und erfahren wir bei diefer Gelegenheit, daß es damals auch auf bäuerifchen Zifchen bereits Löffel gab. Denn nachdem die Säfte die YBratwürfte verfchlungen haben, broden jie die „allergrößten Moden“ in das Brautmuß

Bürgerin unb Bäuerin. 265

. und ejfen e8 mit Löffeln aus. Als die Schmauferei zu Ende, zeigen fich die Wirkungen des in Fülle genoſſenen Weines ländlich⸗ſchändlich. Die Gäfte fennen einander nicht mehr, wiffen nicht, ob es Tag oder Nacht, ftoßen einander hin und ber oder fallen befinnungslos hin. Die Braut wird nun bem Bräutigam zugeführt, wobei fie, wie es bäuerifcher Brauch verlangte, ungebärbig thut, weint und laut: O weh, o weh! ſchreit. An ter Schwelle ver Brautkammer müffen wir freili hinter unferem mit mittelalterlicher Unbefangenbeit eintretenden Führer zurüdbleiben. Nur joviel, es geht da drinnen in demſelben Stile zu wie vor- bin bei dem Hochzeitfhmaus („das spil was hert und ruch® u. f. f.). Am andern Morgen bringt man dem jungen Ehepaar das Frühftüd an das Bett und beglüd- wünjcht es. Als Morgengabe ſchenkt der Bärfcht feiner Metzi ein jchönes großes Mutterſchwein. Dann wird das Paar unter Trommelſchlag und Pfeifenfhall, im Geleite der „Törpel“ (Dörfler), zur Kirche geführt und wird fo der „Brutloff“ (Brautlauf) in aller Form ge- halten. In der Kirche findet die Trauung ftatt, aljo nach Bollziehung der Ehe, und hierauf geht der Zug zum Haufe des SHochzeiterd zurüd, wo abermals ges ſchmauſ't und gezecht wird, bis vie „beiten zwei Man- nen* unter den Anmwejenden jich zu beiden Seiten ver Braut fegen, um in ihrem Namen die Hochzeitsgejchente zu empfangen: einen Krug, einen Melffübel, einen Sträl (Kamm), einen Gürtel, einen Spiegel, Lein- wand, auch breißig Pfennige an barem Gelde. Der Bater ver Braut bedankt fih im Namen feiner Tochter

266 Buch II. Kap. 5.

für die empfangenen Gaben und dann wird unter bie - Dorflinde zum Tanze gezogen, welcher zulegt, damit ja der Bauernhochzeit Feines ihrer „organtichen“ Elemente abgehe, mit einer allgemeinen Prügelei endigt.

Sechftes Kapitel.

Bäder. Fraueuhäuſer. Nonnenklöfter. Entartung der Tracht.

Die Bahftuben und das Treiben darin. Seilquellen. Baden im Aargau. Poggio's Beichreibung bes Badlebens daſelbſt. Die Frauenhäufer und die Frauenhäuferinnen. „Reuerinnen.“ Epifode von der Agnes Bernauer. Die Frauenflöfter. Bildung und Beihäftigungen der Nonnen. Die „Jeſerl.“ Klöfterliche Aergerniffe. Die Ausschreitungen der Frauenmoden : die „ſchandbare“ Tracht, die Schellengürtel und Schnabeljchube.

Mer Gebrauch von Bädern war im Mittelalter unter allen Volksklaſſen ein viel häufigerer als heutzutage. Mochte viefes viele Baden zum Theil darin feinen Grund haben, vaß damals ver Gebrauch von Leibwäſche und deren regelmäßiger Wechfel weit weniger allgemein waren als jet, immerhin. galt e8 für eine heilfame viätetifche Nebung und zugleich für eine Ergöglichleit, welche ein Poet jener Zeit ven fieben größten Freuden zuzählte 127). Auf dem

127) Im Liederbuch der Klara Hätlerin (hrsg. von Haltaus, ©. 273) heißt es:

„Hatt ain man vf der just Gedienet schönen frawen,

268 Buch II. Rap. 6.

Lande hatte jedes einigermaßen orventlich eingerichtete Haus feine eigene Badſtube, während in ven Städten bie öffentlichen Badſtuben fehr zahlreich waren 128) Es ift auch nicht das Bad allein gewefen, welches vie Leute dahin⸗ 309.‘ Die Männer ließen fih da Haar und Bart ftugen, die Frauen frifiren. Die Bader, d. h. die Babftuben- halter, ließen von Stunde zu Stunde in den Straßen aus⸗ rufen, daß im Badhaus alles gerüftet fei. Dann eilten die Leute barfuß und gürtellos herbei, entfleiveten fich in einem Vorgemach und betraten, nur mit einem Scurz um bie Lenden oder auch wohl ganz nadt, ven heißen Badraum, jtredten jich dort auf die an ven Wänden hin⸗ laufenden Bänke und ließen fih von Badknechten oder Badmädchen den ganzen Körper mit lauem Waſſer be-

Ist er im Turney wol erplawen,

Hatt er gewallet oder geraisst,

So gert er doch allermaist

Vor allen fräden baden.

Kain fräd mag ir geleichen.

Wann der ofen recht erhitzt,

Vnd wol waidenlich erschwitzt,

Vnd gäb der Küng im zehen Mark

Sein Krey wär dannocht nit so starck,

So er sich uff die panck streckt

Vnd sich streichet vnd leckt.

Baden ist ain sauber spil,

Das ich ymer preisen wil.“

128) Ein Beifpiel, das mir gerade zur Hand, bietet Bafel,

welches im 13. Jahrhundert nicht weniger ala 15 Badſtuben zählte. Bal. Fechter, a. a. O. 82.

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöfter. 269

gießen, dann abreiben und fneten („zwagen”). Hierauf bot der „Scheerer * feine Dienfte als Barbier und Haar Fräufler an 129). Die Bapftuben waren auch Plauderſtuben und häufig noch fchlimmeres, nämlich Stätten, wo gejptelt und gefhmauf’t warb und Liebesränfe eingefädelt wurden. Daher vie Roftfpieligfeit eines zweimaligen Badens in ver Woche, worüber ein Minnefänger zu Magen fich veran- laſſt ſah 12%. An ven meiften Orten baveten Männer und Frauen in einem gemeinfamen Raume und es bat diefe naive Sitte an manden Heilbrunnenorten bis in unfere Tage herein fortgewährt 139).

Eben an den Stätten der Gefundbrunnen entwidelte fih das Badleben unferer Altvorveren zur vollften Aus⸗ gelaſſenheit. Das Wildbad im Schwarzwald, Pfäfers im St. Galler Oberland und die beiden Baden, das im Breisgau und das im Nargau, gehörten zu den berühm- teften Heilquellen. Andere, nachmals berühmt gewordene, find erft fpäter in Aufnahme gekommen. So z. B. Pyr- mont fett vem Ende des 15. Jahrhunderts. Baden im Aargau hatte ſchon zur Römerzeit einen großen Ruf:

129) Haupts Zeitjchr. f. d. d. Alterth. IV, 85 fg.

130) Der Tanhuſer (Minnef. IL, 96): „Diu schoenen wip, der guote win, diu mursel an dem morgen Unt zwirent in der wochen baden, daz scheidet mich von guote.“

131) Sie befteht fogar noch jekt, z. B. im Gyrenbab bei Winterthur und zu Leuk im Wallis in der Schweiz. An beiden Orten ſah ich die Badenden beiderlei Gefchlechtes in den großen Waſſerbaſſins zufammen fiten und auf ſchwimmenden Tiſchchen Karten, Schad oder Domino fpielen.

270 Bud II. Kap. 6.

Tacitus fpricht davon als von einem feines heilfräftigen Waſſers wegen vielbefuchten Beluſtigungsort („locus amoeno salubrium aquarum usu frequens®). Im Mittelalter ftrömten in den zahlreichen Herbergen dieſes in einem tiefen, von der Limmat durchrauſchten Thalfeffel gelegenen Badortes aus der Nähe und Ferne Laien und Priefter, Ritter und Damen, Kaufleute und Dombherren, Prälaten und Aebtiffinnen zufammen, um ihrer Gefunp- heit, aber mehr noch) des Vergnügens zu pflegen. Baden, heutzutage meift nur noch von Schweizern befucht, war damals ein Luxusbad von europäifcher Beveutung, und da feinen Schwefeltbermen eine ganz bejonvere Wirkung

gegen Unvermögen und Unfruchtbarkeit zugefchrieben

wurde, jo ift es jehr ergöglich, zu fehen, mit welchem Eifer fih Mönche und Nonnen in dieſes Bad drängten. So veräußerte i. 3. 1415 die Aebtiffin zum Fraumünfter in Zürich einen Meierhof, um mit vem erlöf’ten Geld eine Badenfahrt machen zu fünnen. Der eine oder andere von den Chorherren zum Großmünfter derfelben Stadt wird dann in Baden wohl mit der geiftlichen Würdenträgerin zufammengetroffen fein, venn dieſe Herren trieben jich häufig dort herum. Die Klofterfrauen von Töß erfauften mit ſchwerem Gelde eine päpftliche Inpulgens, nad) Baden fahren und daſelbſt unter vem Sfapulter weltliche Kleider tragen zu dürfen. Der Abt von Kappel Ulrich Trinkler nomen et omen! büßte feine koſtſpieligen Schwel- gereien in Baden mit Vertreibung aus feinem Klofter 132).

132) D. Heß in der „Badenfahrt.“

Bäder. Frauenhäufer. Nonnenklöſter. 971

Die Schilderung, welche der Florentiner Poggio als Augenzeuge von dem mittelalterlichen Badleben zu Baden entworfen bat, ift zwar befannt, allein fittengefchichtlich zu wichtig, um bier übergangen zu werben. Poggio hatte den Papit Iohann den Dreiundzwanzigiten zur Kirchen⸗ verjammlung nad Konftanz begleitet und war dann nad) Baden gegangen, um Xinverung feines Chiragra zu juhen. Bon bier aus fchrieb er im Sommer 1417 an jeinen Landsmann Niccolt einen Brief, welchem das Nach- jtehende auszüglich entnommen ift. Die zahlreichen Bad⸗ gäfte wohnten in den trefflich eingerichteten Bad⸗ und Gafthäufern, deren dreißig vorhanten waren. Für das gemeine Volk gab es unter freiem Himmel zwei große Baſſins (das Verenabad und das Freibad) wo Männer und Frauen, Yünglinge und Mädchen gemein- ſam badeten. Zwar trennte eine Scheidewand bie beiven Geſchlechter, doch ftiegen die Frauen angefichtS ver Männer nadt ins Bar. Die Bapräume in den Gaft- häuſern waren zierlicher, jedoch ebenfall® beiden Gejchlech- tern gemeinfam. Bretterwände gingen zwar zwifchen durch, allein diefelben hatten fo viele Deffnungen, daß man von beiden Seiten fi fehen und auch, was häufig vorkam, berühren fonnte. Die Männer trugen im Waſſer Schürgen, die Frauen Badhemden 139). Mean jaß ftundenlang im

133) Poggio widerſpricht ſich hier, indem er im einer früheren Stelle feines Briefes ausdrücklich angibt, daß auch in den für die feinere Geſellſchaft beſtimmten Bädern beide Gefchledhter nadt mit- fammen gebadet hätten. W. Etrider (Zeitſchr. f. d. Kulturgeſch.

272 Bud II. Kap. 6.

Bade und fpeif’te darin auf ſchwimmenden Tiſchen. QTäg- lich befuchte man drei bis vier Bäder und verbrachte den übrigen Theil des Tages mit Singen, Trinfen und Tanzen. Selbit im Wajjer ſpielten einige dieſes oder jenes In⸗ ftrument und fangen dazu. Ueber den Bädern waren Galerieen angebracht, auf welchen ſich die Herren ein- fanden, um mit ven badenden Damen zu plaudern. Diefe hatten ven Brauch, die ihnen von oben herab zuſehenden Männer fcherzweife um Gefchenfe anzugehen. Man warf ihnen daher Blumenfträuße und Fleine Münzen hinab und die Schönen fpreiteten, vie Gaben aufzufangen, wett- eifernd ihre Hemden aus. Hart am Fluß ift eine große von vielen Bäumen bejchattete Wiefe gelegen (bie jogenannte „Matte”). Da kommen die Bapgäfte, wenn fie vom Mittageffen aufgeftanvden, zu allerlei Kurzweil zujammen. Die meijten beluftigten jich mit vem Ballfpiel, einige fingen, andere laffen fich durch Pfeifen und Pauken zum Tanze laden. Die Menge der Vornehmeren und Geringeren, die nah Baden fahren, ift faft unzäblbar. Man fieht da auch eine nicht geringe Anzahl jehr hübſcher Frauenzimmer, ohne daß dieſelben von Ehemännern ober

1857, ©. 329) bezeichnet das wohl mit Recht als eine Ueber⸗ treibung und e8 ift anzunehmen, daß wenigftens die Frauen der befieren Gejellfhaft in einem weniger evaitifhen Badanzug er: ichienen feien, al8 womit in den Freibädern bie Bäuerinnen ſich zeigten. Indeſſen müſſen wir uns doch erinnern, daß, wie wir jahen, fogar in des züchtigen Wolfram großem Gedicht ver badende Parzival von feinen Damen bedient wird, d. h. daf die Anfichten des Mittelalters über Schiefichkeit jehr freie waren.

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöfter. 273

Brüdern begleitet wären. Alle, fovtel ihre Mittel e8 ge- ftatten, tragen mit Silber, Gold und Evelfteinen beſetzte - Kleider, als wären fie nicht zur Sur, fondern zu einem Feſte gefommen. Auch Nonnen, Aebte, Priefter und Mönche leben hier freifam und fröhlich. Die Geiftlichen baden ſich wohl gar zugleih mit den Weibern, ſetzen Blumenkränze auf und vergeffen des Zwanges ihrer Ge- lũbde 19).

Unter den Frauenzimmern, welchen Boggio in Baden begegnete, find ohne Zweifel viele folche gewejen, welche das Mittelalter unter den Benennungen ver „leichten“ oder „geluftigen Fräulein“, „offenen“ oder „gemeinen“ oder „fahrenden Frauen“, d. i. der Freudenmädchen zu- fammenfaffte. Wenn wir die Offenheit und Unbefangen- beit im Auge halten, womit in der „guten, alten, from⸗ men Zeit” in Sachen der Proftitution gehandelt wurde, fo gelangen wir folgerichtig zu dem Schlufje, daß der phy— ſiſche Liebesgenuß den Menſchen von damals überhaupt weniger anftößig erfchienen ſein müſſe al8 ung Modernen. Zugleich ift aber diefe Offenheit und Unbefangenheit in unferen Augen gleichbedeutend mit Rohheit ver ſchlagendſte Beweis, daß der dichterifche Idealismus und die ritterlichen Weberjchwänglichkeiten des romantischen

134) Poggius, opera (Bajeler Ausg.), pag. 207. Sicherlich war ber Florentiner berechtigt, feiner Schilderung des babener Badlebens das abfichtliche oder unabfichtliche Witwort beizumifchen, daß kein Bad auf der Welt der fraulichen Fruchtbarkeit jo zuträglich wäre wie biefes („nulla in orbe terrarum balnea ad foecunditatem mulierum magis sunt accommodata‘“).

Scherr, Frauenmwelt. 4. Aufl. I. 18

274 Bud II. Rap. 6.

Frauendienſtes zur Veredelung des Verhaltens ver beiden Gefchlechter unter einander thatfächlich doch blutwenig beigetragen habe und daß wir daher früheren Ortes mit gutem Grund den Unterſchied betonten, welcher zwifchen der romantifchen Minnetheorie und Minnepraris jtatt- hatte, in Deutfchland wie allenthalben.

Die Ausüberinnen ver gewerbsmäßigen Unzucht zer- fielen im Mittelalter in zwei, freilich nicht ftreng gejchie- dene Rlajfen, in fahrende und in jeßhafte Dirnen. Die eriteren zogen ven Jahrmärkten, Raiferfrönungen, Reichs⸗ tagen, Turnieren, Kirchenfeften, Koncilien und anderen Berfammlungen der mittelalterlichen Gefellfchaft nach und zwar oft fo majlenhaft, daß 3. B. die Angaben über vie Zahl der Luſtdirnen, welche fih während des Koncils von Konftanz daſelbſt aufhielten, zwifhen 700 und 1500 Ihmwanfen. Eine viefer Dirnen foll während ver Kirchen verfammlung 800 Goldgulden an Sündenſold einge- nommen haben, eine für jene Zeit außerorventlich be- deutende Summe. Den Kriegöheeren folgte ebenfalls eine große Anzahl fahrender Frauen, und weil fie ſammt dem übrigen Lagertroß unter dem Befehl des General- profoß’8 ſtanden, jo führte dieſer noch in den Zeiten des breißigjährigen Krieges ven amtlichen Titel „Hurenweibel“. Die feßhaften Dirnen, die „Frauenhäuferinnen”, hauften in den „Frauenhäuſern“, deren größere Städte mehrere hatten, während ſelbſt Fleinere und kleinſte gewöhnlich wenigitens eine foldhe Anftalt aufweifen fonnten. Die Frauenhäufer over „Zöchterhäufer“ over „offene Häufer oder lucus a non lucendo „Jungfernhöfe“ lei⸗

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnentlöfter. 275

teten ihre Benennung von den abgefonderten Räumen ber, worin im früheren Mittelalter vie Frauen den häus- lichen Arbeiten obgelegen hatten. So drüdte alſo das Wort Frauenhaus urfprünglid einen ganz ehrbaren Be- griff aus, gerade wie das entiprechende Wort „Bordell“, welches vom angeljächfifchen Borda (ein Fleines Haus) gebilvet ift. Eine Borbmaget hieß im altfriefifchen Ge- jege nicht etwa eine öffentliche Dirne, ſondern eine fimple Hausmagd. Die Frauenhäufer, zu „beilerer Bewahrung ber jungfräuliden und fraulichen Ehre“, nämlich ver Bürgerinnen, gebuldet und unterhalten, waren Eigen- thum ver Städte und wurden an „Frauenwirthe“ (Ruf: fiane, Riffiane) gegen einen bejtimmten Wochenzins ver- pachtet. Nicht felten war auch der Ertrag diefer In— ftitute ein lanvesherrliches Regal over ein Lehen geift- licher und weltlicher Dynaſten. Das Frauenhauswefen war fo zu fagen mit deutſcher Gründlichkeit georonet. Allgemeine Geltung fcheinen die zwei Grundſätze gehabt zu haben, daß eine ftäntifche Frauenhausbande nicht aus der Stadt felbft, ſondern aus der Fremde fich refrutiren müßte und daß nur Ievige, feine verheirateten Weibs— perjonen in die Frauenhäufer aufgenommten werben foll- ten. Ehemännern, Geiftlihen und Juden follte ver Zu⸗ tritt von dem Wirth verweigert werben, allein nur in Be- treff ver Juden wurde dieſe VBorjchrift mit einiger Strenge durchgeführt. Wiffen wir doch, daß vornehmen Gäften erwiejene ftädtifche Gaftfreiheit auch das Freihalten der⸗ felben in den Frauenhäufern in ſich begriff. Sp wurde

Raifer Sigismund mit feinem Gefolge i. 3. 1413 im 18*

276 Bud II. Kap. 6.

Frauenhaus zu Bern und i. I. 1434 im Frauenhaus zu Ulm freigehalten. Das Verhältniß des Frauenwirthes zur Stadt und das der feilen Frauen zum Wirth war des genaueften geregelt und die Beitimmungen über Koft- gebung, Vertheilung des Gewinnftes u. f. f. gingen bie in einzelnfte. An den Vorabenden und VBormittagen von Sonn⸗ und Felttagen waren bie Sungfernhöfe ge- ſchloſſen. Die Behandlung der Frauenhäuferinnen von Seiten der Magiftrate war in ben verſchiedenen Stäpten verſchieden. In einigen waren fie hart gehalten, dem Henker zur Aufficht übergeben und wurden auf dem Schind- anger begraben; in anderen genoffen fie gewiljer Vor— rechte, durften bei ſtädtiſchen Fröhlichkeiten mit Blumen— fträußen geſchmückt erfcheinen und in Leipzig fogar all- jährlich beim Beginne der Fastenzeit eine folenne Proceffion durch und um die Stadt halten. Sie erfreuten ſich auch ver Vortheile des Zunftzwangs, und wie die Handwerker jeden unzünftigen Konkurrenten als „Bönhaſen“ ver- folgten, fo befriegten die Infaffinnen der privilegirten Frauenhäuſer die Priejterinnen der Winfelproftitution als nichtzünftige und alfo unberechtigte Bönhäfinnen. Im Jahre 1462 reichten die Bewohnerinnen des nürn- berger Frauenhaufes bei dem Rath eine Vorftellung ein, „daß auch andere Wirthe Frauen halten, die Nachts auf die Gaffen gehen und Ehemänner und andere Männer beherbergen und folches (vd. i. ihr Gewerbe) inmaßen und viel gröber venn fie e8 halten in dem gemeinen (d. i. privilegirten) Tochterhaus, daß folches zum Erbarmen ſei, daß folches in dieſer Löblichen Stadt alfo gehalten

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöſter. 277

werde“. Der Beſcheid des Rathes iſt nicht bekannt, läſſt ſich aber errathen, wenn man erfährt, daß bei einer ſpäteren ähnlichen Veranlaſſung, i. J. 1508, der Magiſtrat den Frauenhäuſerinnen erlaubte, ein unprivilegirtes Projtitutionshaus förmlich zu ftürmen. Da und bort ging die Toleranz gegen die gelüjtigen Fräulein jo weit, daß man ihnen „um ihrer Aufopferung für das gemeine Beite willen” das Stabtbürgerreht ſchenkte. Ander⸗ wärts beftanten Stiftungen, aus welchen an leichte Fräu⸗ fein, denen e8 gelungen war, zu einer ehrlichen Heirat zu fommen, eine Mitgift verabreicht wurde.

Daß feile Frauen ſich durch möglichit glänzenden Pub auszeichnen, liegt noch heute in der Natur ihrer Stellung. Das Mittelalter hielt aber darauf, daß bie Aushängeſchilde weiblicher Feilheit vecht Tenntlich wären, und fchrieb daher den Luſtdirnen befonvere Abzeichen wor, ein auffallendes Kleivungsftüd oder auch eine uniforme Farbe der Röcke oder Mäntel. Grün fcheint die am häufigiten vorgeichriebene Farbe gewejen zu jein. In Augsburg mußten die gelüftigen Fräulein einen zwei Singer breiten grünen Streifen am Schleier tragen, in Leipzig kurze gelbe Mäntel, die mit blauen Schnüren benäht waren, in Bern und Zürich rothe Mügen. Zus weilen brauchte eine Stabtobrigfeit auch ven Kunftgriff, ausfehweifende over lururidfe Kleidermoden, welche fie ehr- baren Frauen unterjagte, ven Buhldirnen zu erlauben und folhe Moden dadurch anſtößig und verächtlich zu machen, was freilich Feineswegs immer gelang. Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts hin hatte die Proftitution

278° Bud) II. Kap. 6.

in deutſchen Yanden eine erfchredende Ausdehnung ange- nommen und das Hinzutreten der Luſtſeuche fteigerte das Unwefen zu einier öffentlichen Ralamität, welche entjegliche Berheerungen anrichtete. Es mußte auf Abhilfe Bedacht genommten werben, und da fich mit dem zur Reformation zeit eingetretenen Kulturaufſchwung auch das fittliche Ge- fühl wiederum für eine Weile mehr belebte, jo wurden vom 16. Sahrhundert an in den meisten Städten die Frauen- häufer gefchloffen, um fpäter unter anderem Anftrich abermals geöffnet zu werben. Webrigens hatte fehon der Katholicismus ernftgemeinte Verfuhe gemacht, vie Pro- jtitution zu befchränfen und ven leichten Fräulein einen Ausweg aus dem Lajterleben zu eröffnen. Zu dieſem Zwecke waren in Nürnberg, Regensburg und an vielen andern Orten Flöfterliche Zufluchtsftätten für ſolche Frauens⸗ perjonen geftiftet worden, welche aus Xuftpirnen zu „Reuerinnen“ werden wollten. So hieß man bieje Büßerinnen, melde oft, aber grundloſer Weife mit ven Beguinen (Begeinen, Beginen) verwechjelt worden find. Was die frommen Stiftungen zu Gunften ver Renerinnen bezwedten, fagt klar der Steuerbefreiungsbrief, welchen Herzog Albrecht dem 1384 in ver Singerftraße zu Wien durch mehrere fromme Rathsglieder gegründeten Klofter verlieh. Es heißt darin, daß dieſes Haus und Stift be- jtimmt fei für „die armen freien Frauen, die ſich aus den offenen Frauenhäufern oder ſonſt vom fündigen Unleben zur Buße und zu Gott wenven“135), Es hat fich vem-

135) Etumpf, des gr. gem. Konciliums zu Konftanz Be- ſchreibung (1541), wieber abgebr. in Scheible’s Klofter VI, 333 fg.

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöſter. 279

nach jede werkthätige Milde und Barmherzigkeit, welche neben den vielen Schattenſeiten des Mittelalters eine ſeiner hellſten Lichtſeiten bildet, auch den Opfern der Proſtitution gegenüber rettend erwieſen. Freilich wurde das Er⸗ barmen, welches reuige Sünderinnen fanden, nicht ſelten der weiblichen Tugend verſagt. Ich erinnere nur an den grauſamen Mord, welchen i. J. 1436 der Herzog Ernſt von Baiern⸗München an der vielbeſungenen Agnes Ber⸗ nauer verüben ließ. Dieſes engelhaft ſchöne Mädchen war die Tochter eines Baders zu Augsburg, wo Ernſts Sohn Albrecht ſie kennen und lieben gelernt hatte. Der Prinz ehrte die Geliebte und noch mehr ſich ſelbſt, indem er die züchtige Jungfrau nicht zu ſeiner Kebſe erniedrigte, ſondern in aller Form zu ſeiner Ehefrau erhob. Aber der Kaſtenſtolz des herzoglichen Vaters anerkannte die Ehe nicht. Agnes wurde in Abweſenheit ihres Gatten auf des Herzogs Befehl in ver Burg zu Straubing ge- waltfam. ergriffen, auf vie Donaubrüde gefchleppt und in

Münfter, Kojmographey, S. 800. Lehmann, Speierſche Chronik, ©. 724. Fronſperger, Kriegsbuch, I, 87; III, 65 fg. Siebentees, Materialien zur Geſchichte Nürnbergs, IV, 578 fg. 581, 586, 591, 599. Bulpius, die Vorzeit I, 151, 258. Kuriofitäten, II, 575; IX, 397 fg. 407. Fiſcher, Gefchichte d. d. Handels, I,6 fg. Paul dv. Stetten, Kunſtgeſch. d. St. Augsburg, II, 85. Meifter, Geld. d. St. Zürich, S. 102, 107, 151. Tillier, Geſch. d. Freift. Bern, II, 565. Jäger, Schwäb. Städteweſen im Mittelalter, I, 544 fg. Kirchner, Geſch. d. St. Frankfurt, I, 232 fg. Hormayr, Geſch. Wiens, IX, 33. Malblanc, Geſch. der peinl. Halsgerichts- ordn. Karls V. S. 50. Zeitichr. f. d. Kulturgeſch. 1868, ©. 737.

280 Bud II. Kap. 6.

den Strom hinabgeftürzt. Die Flut wollte die ſchöne Unglüdliche rettend ans Ufer tragen, da faflte fie einer der Schergen mit einer Hafenftange bei ihrem langen goldfarbenen Haar und ftieß fie in die Ziefe....

Wir haben foeben die Frauenklöfter als der Zufluchts⸗ jtätten für bereuende Magdalenen erwähnt: fie waren aber überhaupt Aſyle für Mädchen, tenen die Erreichung bausmütterlicher Beſtimmung durch die Umſtände ver- fagt wurde. Wie im früheren Mittelalter, bewog auch jegt noch religiöfe Inbrunft manche Tochter vornehmer und geringer Familien, frühzeitig ven Schleier zunehmen; aber viele Mädchen traten auch erſt dann ins Klofter, wann ihnen ihr Spiegel die bedenklichen Altjungfernzüge um Mundwinfel und Augen verratben hatte. Die mei- jten vielleicht wurden Nonnen in Folge elterlicher Be⸗ rechnung, denn: die Klöfter waren rechte Verforgungsan- italten für die mitgiftslofen Töchter des ärmeren Adels. Sie waren zugleich, wie früher bemerkt worden, weibliche Erziehungsanftalten, wenigftens viele. Die Novizen und die Klofterfchülerinnen ftanden unter einer „Schul- meiſterin“, von welcher fie im Singen, Lefen und Schreiben und in ten gottesbienftlichen Uebungen unterrichtet wurden. Das Bücherabfchreiben machte eine Haupt- beichäftigung wie ver männlichen fo auch der weiblichen Kloftergemeinven aus. Daneben lagen die Nonnen Hand- arbeiten ob, vem Nähen, Weben, Bortenwirken 136),

136) „Da waren vrouwen inne, die dienten Got mit sinne: Die alten und die jungen lasen und sungen

Bäder. Frauenbäufer. Nonnenklöfer. 281

Unter ſolchen Beichäftigungen, anbächtigen Uebungen und harmlofen Zerfireuungen mag vielen fanftgearteten und anfprudhslofen Nonnen in Flöfterlicder Stille und bei der nicht zu verachtenten Klofterfoft das Leben forglos und behaglich bingegangen jein. Aber e8 gab in ven Frauenklöſtern hinwieder andere Naturen, bie, auch abgefehen von den giftigen Zwiften, welche vie frommen Schweſtern fo Häufig unter einander ausfochten, das Klofter nicht für eine Heimat, fondern für eine Hölle an- fahen, weil fie entweber überhaupt nur gezwungener Weife ven Schleier genommen oder weil fie erſt nach ter Ein» kleidung bie leidige Erfahrung gemacht, daß ihnen unter dem Stapulier ein Herz fhlug, deffen Glut an dem Spiel mit: der Nonnen- over Jeſus-Puppe („Seferl“) fein Genüge fand 139), Solche arme Nönnlein mochten in der Ein-

Ze ieslicher ir tage zit, si dienten Gote ze wider strit,

So si aller beste kunden, und muosen under stunden,

So si niht solden singen, naen oder borten dringen

Oder würken an der ram; ieglichiu wold’ des haben scham,

Diu da muezik waere beliben; si entwurfen oder schriben.

Ez lert’ diu schuole meisterin

Die jungen singen und lesen, wie si mit zühten solden wesen,

Beide, sprechen unde gên, ze kore nigen unde sten“. Geſammtabenteuer, II, 23 fg.

137) Diefe Puppen follten den Seelenbräutigam ber Nonnen vorſtellen. Sie fpielten damit wie die Heinen Mädchen mit ihren Toten, putten fie phantaftifch heraus, hielten Zwieſprache mitihnen und nahmen fie mit zu Bette. Vgl. Beichten, wie fie gebeichtet worben und vielleicht noch oft gebeichtet werben (1789) , S- 40. Eine Ältere und beffere Autorität ift Luther, welcher, einen Freund

282

Bub II. Kap. 6.

famfeit ihrer Zellen manchesmal jenen Nonnenfeufzer vor fih Hinfummen, welcher im 14. Jahrh. in Form eines Liepchens ficherlich zuerjt aus einer Nonnenbruft aufge- ftiegen ift 13%), Wäre e8 eriviefen, daß, wie jenoch ohne Grund

vor einer unpaffenden Heirat warnend, demſelben jchrieb: „Es wird dir gehen wie den Nonnen, zu den man gefchnitte Jeſus legte. Sie ſahen fih aber nad andern umb, die da lebeten und jnen beffer gefielen“. Tiſchreden Dr. M. L. Frankf. 1576, Fol. 307.

138)

„Got geb im ein verdorben jar, Der mid macht zu einer nunnen Und mir den ſchwarzen mantel gab, Den weißen rod barunten !

Soll id ein nunn gewerden

Dann wider meinen willen,

So will ih auch einem fnaben jung Seinen fummer ftillen.“

Die Limburger Chronif (Wetzlar. Ausg. 1720, S. 37) bemerkt dazu: „Sn derfelben Zeit (d. i. 1359) fung und pfiffe man diß Lied“. In einem andern, faum weniger alten Volkslied (Ubland, Alte Hochs und niederd. Volksl. I, 855) fingt ein Nönnlein:

„Und wenn es fomt um mitternacdht Das glödlein das fchlecht (ſchlaͤgt) an, So hab’ ich armes mägdlein

Noch keinen fchlaf gethan.

Gott geb dem Häffer unglüd vil,

Der mich armes mägdlein

Ins Klofter haben wil!

Und wenn ih vor die alten fom, So jehn fie mich ſauer an, So dent ich armes mägblein:

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöfter. 283

vermuthet wurde, jene Klara Häblerin, welche um 1470 zu Augsburg eine Abfchrift von mehr als zweihundert geift- lichen und weltlichen Gedichten gefertigt hat, wirklich eine Nonne gewejen, fo müßten wir annehmen, daß die Phan⸗ tafie der Klofterfchweitern vamaliger Zeit häufig mit Yil- dern fich befchäftigt hätte, welche fehr wenig zu dem Gelübde der Keufchheit ftimmten. Denn die Feder der Hätzlerin bat feinen Anftand genommen, auch höchſt anjtößig- erotifche Sachen, ja geradezu Unflätiges in ihre Samm⸗ lung mitaufzunehmen. Im übrigen haben wir vollwichtige biftorifche Zeugnijfe, befonder® aus dem 15. Jahrhundert, daß viele Nonnen bei unerlaubten Phantafiebildern nicht jtehen geblieben find. In Wahrbeit, es ging in manchen Nonnentlöjtern fehr unheilig, ja ärgerniffvoll her, wie das nicht anders zu erwarten ift von einer Zeit, wo die Raths⸗ protofolle ver veutfchen Städte von Klagen über und Maß- regeln gegen die freche Sitten- und Schamlofigfeit der Geiftlichleit und der Kloftergeiftlichfeit insbefonvere voll waren. Es iſt hier nicht der Ort, dieſes unerquidliche Thema weiter auszuführen, und begnügen wir uns baher zur Erhärtung des Gefagten mit Anziehung etlicher Bei- fpiele.

Schon aus der eriten Hälfte des 13. Jahrhunderts fünnen aus der Geſchichte der deutſchen Nonnerei Aben-

%

Hett ich einen jungen man

Und der mein fteter bule fei, So wär ich armes mägblein Des faften uud betens frei.“

984 Bud II. Kap. 6.

teuer angezogen werben, welche in Boccaccio’8 Dekameron oder in Louvets Chevalier Faublas fehr an ihrem Plate wären. So das des Gauklers Heinrih Fiker, welcher - Sich als Mäpchen verkleidet in ein Frauenklofter aufnehmen ließ und unter ver heiligen Schweſterſchaft viel Unheil und Schaden anrichtete 139). Später gefchah noch Nergeres und Xergerlicheree. Das Klofter Gnabenzell an ven Duellen ver Lauter auf der ſchwäbiſchen Alp wäre beffer nach dem nahegelegenen Offenhaufen benannt worden, denn es war in der That ein „offenes Haus“ im mittelalterlichen Sinne. Die benachbarten Evelleute feierten hier Gelage, Tänze und Orgien, deren Folgen die armen Kloſter⸗ fhweftern zu tragen hatten. Einer der Wohlthäter und zugleih Mitverderber dieſer Schweiternihaft, der Graf Hanns von Lupfen, jah fich veranlafit, i. 3. 1428 einen Brief an die Priorin zu richten, worin er diefe Würben- trägerin ausſchalt, vaß fie „ettlich arme Junkfrawen“ nicht bei Zeiten aus dem Klojter entfernt und durch diefe Unter-

laffung ven Nachbarn Grund gegeben habe, zu jagen, „vie -

Klofterwände würden von Kindern befchrieen“. Graf Eberhard im Bart, nachmals der erſte Herzog von Wirtem- berg, fette 1480 nach mehreren fehlgefchlagenen Berfuchen eine ftrenge Reform des gänzlich verwilderten Klofters durch. Im nämlichen schlechten Aufe wie Önadenzell ftand das Frauenkloſter zu Kirchheim unter Ted. Hier ging der Wüftling Eberhard der Jüngere von Wirtemberg aus und ein, und wie er e8 da trieb, erführen wir aus dem

139) Caesarius Heisterbac., Dial. IV, 91.

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöſter. 285

kummervollen Mahnbrief, worin ſein Vater Ulrich an ihn ſchrieb: „Vor kurzem biſt du gen Kirchheim kommen und haſt einen Tanz angefangen in dem Kloſter zwo Stunden nach Mitternacht. Läßſt auch deine Buben und andere in das Kloſter ſteigen bei Nacht, mit deinem Wiſſen und Willen. Und hat dein ſündlichs, ſchändlichs Weſen, das du und die Deinen getrieben, dir nicht genügt, du haſt auch deinen Bruder mit dir hinein genommen und habt ein ſolch Tanzen darinnen gehabt und ein Schreien, das, wenns in offnem Frauenhaus geſchehen wär', ſo wär's doch zu viel“ 14%), Um das Kleeblatt voll zu machen, ſei noch das Frauenklofter Söflingen bei Ulm genannt. Als das Gefchrei über das Lotterleben daſelbſt gar zu arg wurde und man demnach 1.93. 1484 zu einer Unterfuchung und Reformation verjchritt, fand man, wie der Bifchof Gaimbus von Kaftell unterm 20. Juni des genannten Jahres an ven Bapft berichtete, in ven Zellen Xiebesbriefe höchft umzüchtigen Inhalts, Nachichlüfjel, üppige welt- lihe Kleiver und die meiften Nonnen in gefegneten Leibesumſtänden 141).

Die Lebensformen großer Epochen der Geſchichte jchlep- pen fich auch dann noch lange fort, wann ver Geift, welcher fie ſchuf und befeelte, ſchon abgeftorben over wenigstens im Abfterben begriffen iſt. Sie unterliegen aber pabei ſtets der Verzerrung, indem fie ihre innere Hohlheit durch

140) Hormayr, Taſchenb. f. waterl. Geſch. 1842, S. 86 fg. Pfaff, Gef. von Wirtemberg, I, 147. 141) Zäger, Schwäb. Städteweſen, I, 501.

286 Buch II. Kap. 6.

Mebertreibungen nach außen vor der Welt und fich felbft zu verbergen fuchen. Die Typen der Zeit werden dann zu Karikaturen und fo wurde vom 14. Jahrhundert an pie mittelalterliche Romantik zu ihrem eigenen Zerrbilpe, welches gegen das Ende des 15. Jahrhunderts hin zu fo ſchamloſer Aufgepunfenheit gelangt war, daß alle Ver: ftändigen und Wohlmeinenven vor dem Popanz fich ent- jegten und alle Wortführer der öffentlihen Meinung: Previger, Boeten und Chronikfchreiber, in Entrüftung gegen die allgemeine Entartung ausbrahen. Man muß die ind Gewand moralifirenvder Lehrdichtung gehülften Sittenfchildereien fennen, womit ein Sebaftian Brant fein berühmtes, im 3. 1494 zu Bafel vom Stapel gelaufenes „Narrenſchiff“ befrachtete, man muß die fatirifchen Streif- lichter und Schlagfchatten betrachten, welche ein Thomas Murner in feiner achtzehn Jahre fpäter erfchienenen „Narrenbefhwörung * über feine Zeit hingeworfen hat, um fo recht zu erfahren, was aus den mittelalterlichen Idealen in der Wirklichkeit allmälig geworden war. Wir haben jedoch im Vorſtehenden ausreichende Gelegenheit gehabt, zu fehen, wie fehr die Empörung der genannten Männer und vieler ihrer Mitftrebenden über das Thun und Laſſen ihrer Zeitgenoffen gerechtfertigt war, und es erübrigt nur noch, einen Streifzug auf das Gebiet der Frauenmoden zu madyen, um aud) hier die Entartung des Mittelalters nachzumeijen.

Der Kleiverlurus ging unter Männern und Frauen im 15. Sahrhundert ins Maßloſe, im aveligen wie im bürgerlichen Stand. Ein einfacher ſchwäbiſcher Ritter,

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöfter. 287

der am Hofe von Deftreich gedient hatte, brachte von dort in feine Heimat eine Garderobe zurüd, deren überflüffige Stüde er nah Frankfurt fandte und dort zu theuren Preifen verkaufen ließ 42). Kine Nürnbergerin, Frau Winter, hinterließ i. 3. 1485 vier Mäntel aus Tuch von Arras und Mecheln, mit Seide gefüttert, ferner an Ober kleidern ſechs Röcke, eine Schaube (Suppe) und drei fo- genannte Trapperte ; drei Unterffeider, ſechs weiße Schürzs hemden und ein fchwarzes, zwei weiße Bapröde, fünf Unterhemven, zwei Halshemden, fieben Baar Aermel und neunzehn Schleier 9). Wie weit ver Luxus mit weiblichen Schmudjahen getrieben wurde, erhellt daraus, daß im 3. 1470 eine Breflauerin, Jungfer Margarethe Brige, von ihrer Mutter 36 goldene Ringe erbte nebſt einer ent- prechenvden Anzahl von Ketten, Hefteln (Brochen) und Gürteln. Sebaftian Brant rügte e8, daß auch die Frauen der unteren Stände in finnlofer Kleiverpracht denen der oberen naceiferten. „Was eine Gans an der andern

142) Er (Wolf von Ehingen) bracht och ain kostlichen hab von Oesterrych heruff, von kleinaten, gefillen und fuotern ; und nab dem aber der zyt im land Schwaben nit sitte oder gewon war, sich sollicher kostlichkait zuo gebrauchen schickt er sol- liche hab ains dails gen Frankfurt liesz es da verkauffen und löset bis in die 1500 gulden (eine Summe, welche den heutigen Geldwerth natürlich fehr weit überftieg). Bibliothek der literar. Bereins in Stuttgart, 2. Publikat. ©. 3.

143) Nach einem im germanifchen Mufeum zu Nürnberg be findfichen Aktenſtück, mitgeth. v. Falle, Died. Trachten: und Mo: denmwelt, I. 291.

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Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöfter. 289

Weichbild umherginge 145). „Schande über die deutſche Nation! rief Brant aus. Was die Natur verdeckt und verſteckt haben will, das blößt und läſſt man ſehen.“ Johann Geiler von Kaiſersberg, ſeit 1478 Prediger am Münſter zu Straßburg, ſagte in einer ſeiner Predigten über Brants Narrenſchiff: „Ganz eine Schande iſts, daß die Weiber jetzt Barette tragen mit Ohren, geſtickt mit Seide und Gold. Hinten aber an den Köpfen ein Dia— dem, ſehen aus wie die Heiligen; vorn um den Mund herum geht ein Tüchlein, kaum zwei Finger breit. Da ſchauen ſie umher, als ob ihnen ihr Geſicht in einem Hafenring hinge. Dazu tragen ſie gelbe Schleier, die ſie jede Woche wieder färben müſſen; darum iſt der Saffran ſo theuer! Man macht aber keinen gelben Pfeffer an friſches Fleiſch, ſondern an übriggebliebene Stückchen. So ſehen denn die Weiber, die nicht ſchön ſind, aus wie ein Stück geräuchertes TFleifeh in,einer gelben Brühe Nun fhaue man ihre Leibzier, die ift voll Narrheit oberhalb und unterhalb des Gürteld. Boll von Falten find die Hemden und bie Oberfleiver jo weit auegefchnitten, daß man die Ballen fieht 19%. Sie ziehen weite Aermel an

145) Ratheprotofoll der Stadt St. Gallen vom Zinstag vor Corpus Christi 1503.

146) Dieje fhamlofe Mode wird durch Bilder, Lieder und „Kleiberorbnungen“ aus dem 15. und ſchon aus dem Ende tes 14. Jahrhunderts beftätigt. In dem Gedichte „Der Kittel” heißt e8 derb, die Hauptlöcher der Frauenröcke feien jo weit, daß die naften Schultern weit bervorftünden und man die Armböhlen fähe; bie Brüfte würden fo hinauf- und berausgeprefit, daß man „einen

Scherr, Srauenwelt. 4. Aufl. I. 19

288 Bud II. Kap. 6.

fieht drückte er fich ungalant aus Das muß aud) fie haben; es thut ſonſt weh.“ Er ſchilt ferner: Sie ſchmieren ſich mit Affenſchmalz, ſie büffen das Haar mit Schwefel und Harz und ſteifen es in feſte Formen durch einge- ſchlagenes Eiweiß; fie ſtecken den Kopf zum Fenſter hin- aus, um das Haar an der Sonne zu bleichen.“ Noch ſchlimmer war, daß um dieſe Zeit auch die Sitte einriß, ſich mit fremden Haaren zu fehmüden 149), was um jo überflüffiger erfcheint, als nicht nur pie verheirateten fondern auch die ledigen Damen tem Braude, das Haar in freien Locken und Flechten zu tragen, entjagt hatten, um ihre fchönfte Zierde unter Hauben zu bergen, veren Unform oft ganz ins Abenteuerliche ging.

Aber nicht allein Unſchönes und Burodes, ſondern auch Zuchtlofes verlangte die Mode. Es tft faft un- glaublih, bis zu welchem Grave Männer und Frauen in ihrem Auftreten aller Scham und Sitte Hohn jprachen. Mußte doch noch im Sahre 1503 ver Rath von St. allen verbieten, daß man völlig nadt in der Stadt und ihrem

144) Die Frauen nehmen tobtes Haar und binden e8 ein und tragen e8 mit ihnen zu Bett. Das guldin Spil (1472), Fol. 39. Der Gebrauh falihen Haares war Übrigens auch außerhalb Deutihlands Mode. Ein deutfcher Reiſender, welcher i. J. 1491 Benedig befuchte, ſchrieb: „Der Kopfput der Frauenzimmer beftebt bloß in der Schönheit fremder Haare, die fie ihren natürlichen vor⸗ ziehen. Sie ſchmücken und zieren folche gemeiniglich gelb und kraus und binden fie auf dem Kopf zufammen, wie man in beutjchen Ländern einem Pferde den Schwanz aufbindet.” Zeitſchr. f. d. Kulturgeſch. 1858, ©. 61.

Bäder. Frauenhäuſer. Nonnenklöſter. 289

Weichbild umberginge 7%). „Schande über die deutſche Nation! rief Brant aus. Was die Natur vwerbedt und verftedt haben will, pas blößt und läſſt man fehen. * Johann Geiler von Kaiſersberg, fett 1478 Prediger am Münſter zu Straßburg, fagte in einer feiner Predigten über Brants Narrenſchiff: „Ganz eine Schande ifts, daß vie Weiber jeßt Barette tragen mit Obren, geſtickt mit Seide und Gold. Hinten aber an ven Köpfen ein Dia- dem, jehen aus wie die Heiligen; vorm um ven Mund herum gebt ein Züchlein, faum zwei Finger breit. Da ihauen fie umher, als ob ihnen ihr Geficht in einem Hafenring hinge. Dazu tragen fie gelbe Schleier, die fie jede Woche wieder färben müjjen; darum ift der Saffren jo theuer! Man macht aber feinen gelben Pfeffer an frifches Fleiſch, ſondern an übriggebliebene Stückchen. So fehen denn die Weiber, die nicht ſchön find, aus wie ein Stück geräuchertes Fleifh in,einer gelben Brühe. Nun ſchaue man ihre Leibzier, die ift voll Narrheit oberhalb und unterhalb des Gürtels. Voll von Falten find vie Hemden und die Oberfleiver fo weit ausgeſchnitten, daß man die Ballen fieht 4%). Sie ziehen weite Nermel an

145)' Rathsprotokoll der Stadt St. Gallen vom Zinstag vor Corpus Christi 1503.

146) Dieje ſchamloſe Mode wird durd Bilder, Kieder und „Kleiderordnungen“ aus dem 15. und ſchon aus dem Ende tes 14. Jahrhunderts beftätigt. Im dem Gedichte „Der Kittel” heißt e8 derb, die Hauptlöcher der Frauenröde feien jo weit, daß die nadten Schultern meit hervorftünden und man die Armböhlen fähe; die Brüfte würden fo hinauf» und herausgepreſſt, daß man „einen

Scherr, Frauenmwelt. 4. Aufl. I. 19

290 | Bud) IT. Kap. 6.

wie die ver Mönchskutten und jo kurze Röde, daß fie weder vorn noch hinten etwas beveden. An den Gürteln aber, bie der Goldſchmied fein und herrlich machen muß, tragen die Frauen Flingende Schellen. Dann tragen fie auch lange Schwänze, die auf dem Boren nachjchleifen, und jpigige Schuhe” 147). | Ohne Zweifel hat Geiler unter ten fpigigen Schuhen die gefchnäbelten verſtanden und fo jehen wir denn auch die Frauen an den närrifchen Männermoden ver Schellen- tracht und der Schnabelfchuhe mitbetheiligt. Im früheren Mittelalter waren Schellen ein ritterlicher Pferdeſchmuck gewejen. An der Stelle des Nibelungsliedes, wo Gunther mit feinen Gefährten in land zur Burg Brunhilos reitet, werden goldene Schellen erwähnt, welche an ven

chtftod” darauf fegen könnte. Im einer ftraßburger Kleider- ordnung, welche ſich mit der „ſchandbaren“ Tracht diefer Zeit be- Ihäftigt, wird den Frauen verboten, fih übermäßig zufammenzu- preffen, weder mit Hemden, Röcken oder Schnürleiben noch „mit einem andern Gefängniß“. Sie jollten fi auch weder färben noch ſchminken noch „Loden von todten Haaren anhängen“. Sie Sollten feinen Rod tragen, ter über 30 Gulden zu ftehen fame. „Item daz keine frowe, were die ist, hinnanfür me sich nit me schürtzen sol mit iren brüsten, weder mit hemeden noch gebrisen röcken noch mit keinre ander gevengnüsse, und daz ouch kein frowe sich nit me verwe oder locke von totten har anhencken sülle. Und sunderliche, daz houptloch sol sin daz man ir die brüste nit gesehen müge, wenne die houptlöcher süllent sin untz an die ahsseln.“ Zeitſchr. f. d. Kulturgeſch. 1856, ©. 367. 147) Geiler von Kaifersberg, Predigten, 1574, Fol. 25.

Bäder. Frauenhäuferr. Nonnenttöfter. 291

Bruftriemen der Roſſe hängen. Später ging diefer klin—⸗ gelnde Schmud vom Sattelgeug auf die Kleidung ber Ritter ſelbſt über und es fcheint faſt, dieſe Narrethei fei eine einbeimifche Mode gewefen, welche im 14. und mehr noch im 15. Jahrhundert beveutenven Lärm machte 148), Zuerft jheint die Verzierung des Anzugs mit Glöcklein und Schellen ein Vorrecht der höfifchen Kreife gewefen zu fein, fpäter ging die Freude an dieſer kindiſchen Klingelei auch auf die bürgerlichen über. Die göttinger Chronik „Dat olvde Boot“ erzählt, daß 1370 und 1376 in Göt⸗ tingen große Feitlichkeiten ftattfanden, wobei Ritter und Frauen in langen Röden und mit goldenen und filbernen Schellengürteln erſchienen, die „gingen alle ſchurr ſchurr, fing Ming”. Beim Cinzuge des Herzogs Friedrich von Sachſen in Ronftanz i. 3. 1417 Hatten feine Ritter und Rnappen glodenbejegte Gürtel an. Auf folches Geſchelle der Bornehmen iſt das Sprichwort zurüdzuführen: „Wo die Herren find, da klingeln die Schellen.” Daß auch die Srauen gern fo einherfchellten, beweifen die ftädtifchen Kleiverorbnungen des 14. und 15 Jahrhunderts. Die

148) Falfe (a. a. O. I, 237) zieht aus einer alten ſchwediſchen

Reimchronik vom Jahr 1360 die Berfe an:

„Käm' einer auch noch fo arm aus deutichem Land,

So bat er doch ein Schwert in feiner Hand;

Er kann tanzen, hüpfen, ſpringen

Und müffen feine vergolteten Glöcklein klingen“ welche andeuten, daß man im Auslande die Sch:llentracht für eine teutiche Mode gehalten habe.

19*

292 Bud II. Kap. 6.

nürnberger vom Jahr 1343 beſtimmte: „Kein Mann noch Frau ſoll keinerlei Glocken over Schellen, noch kei— nerlei von Silber gemacht hangend Ding an einer Kette noch an Gürteln tragen” und die ulmer v. J. 1411: „Damit die Frauen und Iungfrauen durch ein ziemlich ehrbares Gewand gewinnen mögen, fo follen fie einen filbernen oder vergolveten Gürtel tragen, doch ohne Gloden und Schellen —“ alſo feinen „Dufing”, wie man die Schellengürtel nannte. ine ulmer Kleider: oronung vom Ende des 14. Jahrhunderts eiferte auch ſchon heftig gegen die tolle Mode ver Schnabeljchuhe, welche ebenfofehr die Füße verunftaltete als fie dem Gehen binvderlid war. Frankreich hatte diefe Narrethet zuerit im großen Stile getrieben; dort trugen ſchon um 1280 . Ritter und Damen Schnäbel an ven Schuhen von zwei Fuß Länge. Waren diejfe Schnäbel ftraff, fo trugen fie auf ihren Spigen Feine Gloden; waren jie fehlaff, fo wurden bie Spigen unterhalb des Knies an das Bein ge- häfelt. Die Luxusgeſetze ver deutſchen Obrigfeiten fuchten dieſen, wie noch fo manchen andern modischen Unfinn ab- zuftellen; aber ihre häufige Erneuerung zeigt deutlich genug, wie wenig fie ausrichteten. Die Narrheiten wollen fih ausleben und es ift ihnen zu allen Zeiten mit Ver— boten mehr nur ſcheinbar als wirklich beizufommen. Als i. 3. 1461 der ftrenge Sittenprediger Bruder Johann de Gapiftrano in Ulm gegen die unfinnigen und unzüch- tigen Frauenmoben von damals predigte, hatte er zwar pie Öffentlihe Meinung fo für fih, daß, wie eine alte Chronik wiljen will, drei Frauen, welche feiner Previgt

Dürer. Frauenhäufer. Nonnentlöfter. 293

ipotteten, vom Volk auf der Straße zerriffen wurden; allein der Rath fand doch für gut, ven ftrengen Eiferer aus der Stadt zu jagen 19. “Die Mode war eben fchon damals, wie jie es ja noch heuteijt, mächtiger als Vernunft, Sitte und Geſetz.

149) Bgl. Jäger a. a. O. 1, 509.

Siebentes Kapitel.

.

Die Frauen im Dichtermund 150).

Dichter und Frauen. Der Minnegejang. Walthers von der

Bogelmweide Lob der deutichen Frauen. Der Winjbede. Das

Frauenideal Wolframs und Gottfrieds. Was Minne fei. Er—

wacende, ſehnende und beglüdte Liebe. Heinrich Frauenlob.

Die mittelalterlihen Humoriften und die Frauen. Reinmar von

Zweter. Der Marner. Eine Klage und Anklage von Sebaftian Brant. Albrecht von Eyb iiber die Ehe.

Mie Poefie verflärt und beftraft. Sie verffärt, in- dem fie die Geftalt und die Züge ihrer Zeit, im Feuer des Ideals geläutert, der Nachwelt überliefert, fie be- ftraft, indem fie ver Wirklichfeit das Ideal als einen

150) Die Stellen, welde in dieſem Kapitel aus unferen mittel- alterlihen Lyrifern und Epilern angezogen werden, find nachftehen- den Neuhochdeutſchungen entnommen. Die Gedichte Walthers von der Vogelweide, Über. von 8. Simrod (1833). Die Gedichte W. v. d. V. vollftdg. über. von F. Koch (1848). Parzival und ZTiturel von Wolfram v. Eſchenbach, überſ. v. K. Simrod (1842). Triſtan und Iſolde von Gottfried von Straßburg, übertr. von

Die Frauen im Dichtermund. 295

Meduſenſchild entgegenhält. Die nüchterne Prüfung wird der Dichtung unſchwer nach beiden Seiten hin Ueber— treibungen nachweifen fünnen, aber im ganzen und großen wird fie doch ihre Wahrhaftigkeit anerkennen müſſen. Diefe Wahrhaftigfeit der Poefie von ter bloß mechanischen Dichterei fprechen wir natürlich nicht liegt in ihrem Wefen. Sie muß wahrhaftig fein, jie fann garnicht andere ; denn fie geht von dem ewigen Sitten- gejet, von ven unwandelbaren Urbilvdern des Wahren und Schönen aus, von denen gefchrieben ift: „Nur die Götter bleiben ftät“.

In Anwendung von diefem Sat auf unfern Gegen- ftand ergibt jich, daß wir Die Licht- und Schattenbifper, welche unfere mittelalterlichen Dichter von dem deutſchen Frauen⸗ leben ihrer Zeit entworfen haben, für treue halten müffen. Dichter und Frauen haben von jeher gut zufammenge- stimmt. Nur dichterifche Hellficht vermag die zarte Be- faitung einer Frauenfeele ganz zu erfennen, nur ein Dichterohr vermag die Harmonie over Disbarmonie diejes wunderbaren Injtrumentes recht zu hören und recht zu verſtehen. Das willen ja auch die Frauen, fie, die ftatt objektiv zu denken, zumeiſt nur fubjeftiv fühlen, und aus angeborener Sympathie bringen fie vem Dichter das feinfte Verſtändniß entgegen. Göthe's Grethen und Schillers

9. Kurtz (2. X. 1847). Lieder und Sprüde der Minnejänger von Fr. Rüdert (Gefammelte Gedichte, 1837, Bd. 4, ©. 345 fg.), Einiges habe ich felhft aus dem Mittelhochdeutichen ins Neuboc- deutiche umgeſetzt.

296 Buch II. Kar. 7.

Thekla find hunbertfah erklärt worden, aber die Frauen bedürfen diefer Kommentare gar nicht: jede könnte und würde unter Umſtänden jelbit jo ein Gretchen, ſelbſt jo eine Thefla fein. Die Frauen leben vie Boefie; wir Männer begnügen uns, fie zu bewundern. Wir laſſen ung von dem Dichter läutern, erheben, begeiftern ; aber die Frauen Lieben ihn: denn die ganze Mufif ver Poefie nur in Frauenfeelen Elingt fie wider.

Unfere mittelalterlichen Dichter haben das wohl gefühlt und haben fich vejjhalb auch vorzugsweife an die Frauen gewandt. Frauenleben iſt Xiebeleben und daher tft die Minne der ſtets wiederfehrende Grundton der ritterlich- romantiſchen Dichtung, welde ihr Yiebesideal nach Mög- lichkeit jelbjt in die uralt-nationale Helvenfage hinein- trug, wie vie Nibelungen und die Gudrun in ihrer auf uns gefommenen Geftalt beweifen. Von ven beiden größten Schöpfungen ver höfiſchen Kunftepif gefellt vie eine, Wolframs Parzival, dem Thema der Frauenminne das der Gottesminne, d. h. den Verſuch, die Frage nad des Menfchenlebens Sinn und Ziel zu löjen, während vie andere, Gottfrieds Triftan, ein Hoheslied der Liebe und Leidenschaft ift. Der Gegenftand ber eigentlichen Minne- ſänger, der mittelhochreutfchen Lyriker, war bie Minne und wieder die Minne. Ihr Singen war recht eigent- (ih ein frauliches. Solche männlichftoßgen Töne, wie die provensaliichen Troubadours fie Tiebten, fuht man bei ihnen vergebens. Der Kreis ihrer Anfchauungen ift ein engbegränzter, auf Naturfreude und Frauenliebe be= Ihränfter, und darum fonnte eine gewiſſe Eintönigfeit in

Die Frauen im Dichtermunb. | 297

ihren Liedern nicht ausbleiben. In dieſer Hinficht ift Schillers Urtheil, obzwar zu allgemein gehalten und zu berb ausgedrückt, nicht unbegründet 159). Ein Minne- fänger und zwar der beveutenpfte, Walther von der Vogel- weide, macht jedoch eine Ausnahme, indem fich in feinen Gedichten zu der Minnelyrif die Aeußerungen eines haraktervollen und patriotifchen Denkers gefellen. Aber feine innigften Herzenslaute hat doch auch Walther pa ge> funvden, wo er von Frauen und Liebe revet. Wie hoch und Schön hat er fie gepriefen:

„Durchſüßet und geblümet find die reinen Frauen ! Sp wonnigliches gab es niemals anzufchauen

In Rüften, noch auf Erden noch in allen grünen Auen. Lilien oder Rofen, wenn fie bliden

Im Maien durch bethautes Gras, und Heiner Vögel Sang "Sind gegen ſolche Wonnen farblos, ohne Klang.

151) „Wenn die Sperlinge auf dem Dade je auf den Einfall fommen follten, zu fchreiben oder einen Almanach für Liebe und Freundichaft herauszugeben, jo läſſt fih zehn gegen eins wetten, er würde ungefähr ebenjo beichaffen fein (nämlich wie die von Tieck veröffentlichten mittelalterlicden Minneliever). Welch eine Armuth von Ideen, die biefen Minneliedern zu Grunde liegt! Ein Garten, ein Baum, eine Hede, ein Wald und ein Tiebchen, das find unge- fähr die Gegenftände alle, die in dem Kopfe eines Sperlings Plat haben. Und die Blumen, die duften, und bie Früchte, die veifen, und ein Zweig, worauf ein Vogel im Sonnenſchein fitt und fingt, und ber Frühling, der fommt, und der Winter, der gebt, und nichts was dableibt als die Langeweile”. Falls Elyfium und Tar— tarus (1806), S. 3. Falf behauptete, dieangeführte Aeußerung wört- ih aus Schillers Munde zu haben. Weimarifches Jahrb. II, 225.

*

298 Buch II. Kap. 7.

Wenn man ein jchönes Weib erihaut, das kann ven Sinn erquiden ! Und wer an Kummer litt, wird augenblicks geſund, Wenn lieblic lacht in Lieb’ ihr ſüßer rother Mund, Ihr glänzend Auge Pfeile jchießt tief in des Mannes Herzensgrund 152)“,

Gott, fährt er fort, hat die Frauen fo gehöhet und ge- hehret, daß aller Ervenfreuden Hort in ihnen liegt; denn, ſagt er in einem britten Liede:

„Was hat die Welt zu geben

Wohl beif’res als ein Weib,

Das eines Herzens Sehnfucht eher könnte Ä jtillen ?

Was bringt mehr Luſt im Leben

ALS ihr vielfüßer Leib ?“

Aber Treue forvert er von den Frauen, die ſei ihre fchönfte Krone, und mit der Treue verbinde fich züchtiger Froh—

152) Der in den fetten Zeilen ausgefprochene Gedanke kehrt in einem Liede des „tugendhaften Schreibers“ wieder:

„D, ihr wohlgemutben Frauen, Laſſet uns ein Grüßen ſchauen, Lachet guten Freunden fo,

Daß fie mit euch lachen müſſen. Euer ladendliches Grüßen Machet Franke Herzen froh.

Wie die Aue ladet,

Wann der Mai ermachet, Alfo mag ein jel'ger Mann Lachen, den ihr ladhet an“.

Die Frauen im Dichtermund. 299

ſinn: dann ſtehe bei der Lilie die Roſe. Ganz richtig bes merft er auch, daß die Frauen e8 feien, welche in ver Ge- Telffehaft ven Ton angeben, und daß daher an ven Un- fitten der Männer die Frauen ganz oder größtentheils ſchuld. Er läſſt da umd dort durchblicken, daß das Ge- baren ver Frauen feiner Zeit keineswegs durchweg fo ge- wejen, wie es hätte fein follen; aber dagegen bricht er wieder mit ftarfer Bruititimme in das berühmte Lob ver deutſchen Weiblichkeit aus:

„Lande hab’ ich viel gejehn, Nach ven Beſten blickt’ ich allerwärts ; Uebel möge mir gejhehn, Wemn ſich je bereven ließ mein Herz, Das ihm wohlgefalle Fremder Lande Brauch. Wenn ich lügen wollte, lohnte mir es auch? Deutſche Zucht geht über alle!

Von der Elbe bis zum Rhein Und zurück bis an der Ungarn Land Da mögen wohl die Beſten ſein, Die ich irgend auf der Erde fand. Weiß ich recht zu ſchauen Schönheit, Huld und Zier, Hilf mir Gott, ſo ſchwör' ich, ſie ſind beſſer hier Als der andern Länder Frauen.

Züchtig iſt der deutſche Mann, Deutſche Frau'n ſind engelſchön und rein;

300 Buch II. Kap. 7.

Thöricht, wer fie ſchelten kann, Anders wahrlih mag e8 nimmer fein: Zucht und reine Minne, Wer die fucht und liebt, Komm’ in unfer Yand, wo e8 noch beide gibt Lebt’ ich lange nur darinne!“

Diefe patriotifhe Huldigung ſteht auch nicht allein. Die „Höfiſchkeit“ hatte die deutſche Frauentugend, wie wir gejehen, vielfach bemafelt und in Folge deſſen auch die Reinheit der Anficht vom Weibe bevenflich getrübt. Aber wo immer gute Sitte fich behauptete, war auch vie altgermanifche Frauenverehrung noch daheim, mie wir fie in des Tacitus Germania vorgefunden. So läſſt ver unter dem Namen des Winfbeden befannte mittelhoch- deutſche Yehrpdichter ven Vater zum Sohne jagen:

„Sohn, wilft du zieren deinen Yeib,

So daß er fei dem Unfug gram,

Sp lieb’ und ehre gute Weib’ !

Alle Sorgen ſcheuchen fie tugendſam. Sie find der wonniglihe Stamm,

Bon dem wir alle find geboren.

Der hat niht Zucht noch rechte Scham, Der ſolches nicht an ihnen preift;

Er ift zu rechnen zu den Thoren,

Und hätt’ er Salomonis Geift”.

Schamhaftigfeit, Treue und Maß forderten unfere alten Dichter von ihrem Frauenideal. Dieſe Dreiheit jollte ein Weib befiten, wollte jie ein gutes heißen.

Die Frauen im Dichtermund. 301

Wolfram hat das im Parzival mit befonderem Nachdruck ausgeſprochen:

„Ich ſtecke diefes Ziel ven Frauen: Die meinem Rathe will vertrauen, Die wiffe wohl, wohin fie fehre Ihren Preis und ihre Ehre

Und welchem Manne ſie bereit

Mit ihrer Lieb' und Würdigkeit,

Auf daß ſie nimmermehr gereue

Ihrer Keuſchheit, ihrer Treue.

Von Gott erfleh' ich gutem Weibe, Daß ſie dem Maß getreu verbleibe. Scham iſt ein Schloß vor aller Sitte: Dies Heil iſt's, das ich ihr erbitte. Die Falſche lohnt nur falſcher Preis. Wie lange währt ein dünnes Eis, Wenn des Auguſtmonds Sonne ſchien? So fährt auch bald ihr Lob dahin.“

An einer andern Stelle ſagt er: „Weibheit, dein Brauch iſt Treue!“ ſieht ſich aber veranlaſſt, dabei zu bemer- ken, es betrübe ihm die Seele, daß ſo manche Weib heiße, bie es nicht verdiene; denn viele ſeien zur Falſchheit ge- neigt und bereit. Auch als keuſch kannte Wolfram nicht alle Frauen und ihre Begehrlichkeit und Heuchelei ent— lockte ihm das ſtrafende Wort:

„Daß ſie doch an Lüſternheit Zucht und Sitte ſo verlieren Und ſich gleichwohl gerne zieren!

302 Buch II. Kap. 7.

Sie zeigen Gäſten Feufche Sitte, Doch wohnt in ihres Herzens Mitte Das Widerſpiel der Gebärve.

Dem Freunde heimliche Bejchwerbe Schaffet ihre Zärtlichkeit.“

Es ift fehr beachtenswerth, daß auch Wolframs großer Widerpart Gottfried, der welt und lebensfreurige Mei- jter, da, wo er fein Frauenideal aufitellt, vor allem das Maß („die maze*) betont. Im Luft und Neid, wie immer das 2008 der Frauen falle, mit aller Anftrengung follen fie nach diefer Tugend ftreben und follen

„Ans goldne Maß ihr Leben Befehlen und ergeben,

Die Sinne damit regieren

Und Leib und Sitte zieren;

Denn Maß, das goldne, hehre, Das hehret Leib und Ehre.

Bon allen Dingen auf diefer Welt Die je ver Sonne Ticht erhellt,

Iſt keins jo jelig wie das Weib, Das ftets ihr Leben und ihren Leib Und ihre Sitten dem Maß ergibt.”

Maß ift aber im Sinne diefer Dichter nicht nur die Mäpigung, das Maßhalten: es ift die harmoniſche Ent- faltung edler Weiblichkeit, das Ebenmaß der Phyſis und ber Pſyche, die Harmonie in ſich jelbit, wie die Harmonie mit ver Welt. Cine Frau diefer Art foll die Welt preifen und ehren, denn wohin fie tritt, verbreitet fie Frieden

Die Frauen im Dichtermund.

303

und freude, und felig ver Mann, dent ihre Liebe zutheil

wird:

„Zu wen fie fi) mag neigen, Wem fie gar wird zu eigen Mit Leib und Herz und Sinne, Mit Liebe und mit Minne, Der ward zum Heil geboren, Ja, der ift auserforen

Zu lebendem Heil je mehr und mehr! Das Iebende Paradies hat der In feinem Herzen begraben ; Der darf feine Sorge haben, Daß ihn der Hagbuſch fange, So er nad) Blumen lange, Daß ihn ver Dorn je jteche, So er die Rojen hreche.

. Da ift fein Hagbufch und fein Dorn,

Da ift dem Kind der Dijtel, Zorn, Kein Leben zubeſchieden;

Da hat der rofige Frieden

Alles, was Herbe und Zorn bedeutet, Dorn, Diftel, Hagbuſch ansgereutet. In diefem Paradieſe

Iſt nichts, was giftig ſprieße;

Da grünt noch wächlt fein ander Kraut

Als was das Auge gerne Tchaut. Es fteht gar in der Blüthe Weiblicher Huld und Güte,

304 Bud II. Kap. 7.

Da tft fein Obft darinne Als Treue nur und Minne.“

Man muß geftehen, rein, ſchön und hoch haben un- fere alten Dichter die, weibliche Vollkommenheit hingeftellt. Und die Sonne der romantischen Weltanfchauung, die Liebe, wie lauter leuchtet fie im Minnegefang, wo diefer jeinen höchften Flug nimmt! Walther hat gefungen:

„Die Minn’ ift weder Mann noch Weib, Sie hat nit Seele, hat nicht Leib, Irdiſch Bildniß warb ihr nicht bejchieven ; Ihr Nam’ ift fund, fie jelber fremd hienieden, Und es kann doch niemand ohne fie Des Himmels Gnad' und Gunft gewinnen Bertraue denen, die da minnen! In falihe Herzen kam fie nie.“ Hier erſcheint die,Liebe ald das gättliche Feuer, welches das Irdiſche verflärt und verzehrt, ganz ähnlich wie bei unferm herrlichen Friedrich Rückert, welcher gejagt hat: „Da, wo die Lieb’ erwachet, ftirbt das Ich, ver finftere Defpot." Die Allgewalt echter Liebe, die von Zweifel und Unftäte nichts weiß, Fennzeichnete Wolfram in einer Strophe, die wie triumphirendes Glocdengeläute tönt: „Der Minne Macht bewältigt die Nähe wie die Weite; Minne hat auf Erben Haus, in den Himmel gibt fie gut Geleite. Minn’ iſt allwärts, außer in der Hölle. Der ftarfen Minne lahmt die Kraft, wird Wanfelmuth | und Zweifel ihr Gefelle. * In der „Eneit“ des Heinrich von Veldeck fragt Lavinia

Die Frauen im Dichtermund. 805

ihre Mutter: „Um Gott, was ift Minne?“ und vie Ge- fragte antwortet: „Sie hatte vom Anbeginn Gewalt über das Weltall und wird, obſchon man fie weder hört noch fieht, bis zum jüngften Tag fo gewaltig fein, daß niemand ihr zu widerftehen vermag.“ Wunderbar zart und wahr hat Wolfrem in den Fragmenten feines Titurel das erfte Erwachen ber Liebe in jungen Herzen gejchilvert. „Herrin, ich ſuche Gnade bei dir“, fagt ver junge Schio- natulander zu feiner Gefpielin Sigune. „Ich weiß wohl, daß Land und Leute dir gehorchen, ihrer Gebieterin. Doch das alles begehr’ ich nicht ; aber laſſ' dein Herz durch deine Augen auf mich fehauen, damit deiner Minne Flut mir die Seele nicht ertränke.“ „Süßer Freund, was ift Minne? It fie ein Er? Iſt fie eine Sie? Fliegt fie uns auf die Hand? Iſt fie zahm oder wild?" „Herrin, von Frauen und Männern hört! ih, Minne wilfe auf Yung und Alt den Bogen fo meijterlich zu fpannen, daß fie mit Gedanken tödtlich treffe. Ich Tannte bisher Minne nur aus Mären, nun aber erfahr’ ich fie an mir felber. * „Scionatulander, auch mich zwingen Gedanken. Kommſt du mir aus den Augen, fo bin ich traurig, bis ih dich wieder erblide.” „Dann braudit du, ſüße Magd, mich nicht nah Minne zu fragen, denn an dir felber erfährit vu ihre Wonne und ihr Web.“ So lange die Erde fih um die Sonne ſchwingt, ward Herzigeres nicht gevichtet als die Stelle, wo Sigune, nachdem Schio- natulander in den Krieg gezogen, ihre Sehnſucht nach dem fernen Geliebten gegen ihre mütterliche Pflegerin, die Königin Herzeleive, ergießt: Scherr, rauenwelt. 4. Aufl. I. 20

306 Buch II. Kap. T.

„Nach dem lieben Freunde ift all mein Schauen Aus den Tenftern auf die Straße, über Haid’ und nad den lichten Auen Vergebens, ich erſpäh' ihn allzu felten. Drum müfjen meine Augen des Freundes Minne weinend theu'r entgelten.

Sp geh’ ih von dem Fenfter hinauf an die Zinnen Und ſchaue oftwärts, weitwärts, ob ich fein nicht Runde mag gewinnen, Der mein Herz ſchon lange hat bezwungen; Man mag mich zu den alten Liebenden zählen, nicht zu den jungen.

Wenn ih dann auf wilder Flut im Nachen gleite, So fpähen meine Blide wohl über dreißig Meilen in’ die Weite, Ob ich ſolche Kunde möge finden, Die des Leids um meinen jungen Haren Freund mid könnt' entbinven.

Wo blieb meine Freude? Warum ift geſchieden Aus meinem Herzen hoher Muth? Ach und Weh vertrieb unfern Frieden. Ich wollt’ e8 gern allein für ihn leiden, Dody weiß ih, daß auch ihn zu mir Verlangen zieht, muß er gleich mich meiden.

Weh' mir! wie fönnt’ er fommen? Zu fern ift mein Getreuer !

Die Frauen im Dichtermund. 307

Um ten id bald erfalte, balt lod're wie im kniſternden Teuer. So ergläht mich Schionatulander, Ceine Minne gibt mir Hie wie Agremontin dem Wurm Salamanber. *

Mit derſelben Innigfeit, womit die mittelhochveutfchen Dichter das Weh der Sehnſucht ſchildern, malen fie aud) die Wonne der Erfüllung. Wie fchwelgt Walther in einem feiner fchönften Lieber in der Erinnerung an bie Scüferftunde, die er „unter der linden, an der heide“ mit der Geliebten gefeiert! Aber zugleich ift doch ein Schleier keuſcher Grazie über die Situation gebreitet. Auch Wolfram hat da, wo er von echter Liebe redet, das ge= ichlechtlihe Verhältniß mit züchtigem Zartjinn, wenn auch nicht prüde behandelt. So fagt er von der Hochzeit Parzivals mit Konpwiramur:

„Sie waren bei einander jo

In unſchuldiger Liebe froh,

Zwei Tage bis zur britten Nacht. An's Umfangen hatt’ er oft gedacht, Zumal e8 feine Mutter rieth; Gurnemans ihn auch beſchied,

Daß Mann und Frau untrennbar ſein: Sie verflochten Arm und Bein. Wenn ich euch berichten ſoll,

Ihm gefiel die Nähe wohl:

Den alten, immer neuen Brauch Uebten da die beiden auch.“

Ein Idyll von unvergleichlicher Anmuth hat Gottfried 20*

308 Buch II. Kap. 7.

von Straßburg gedichtet, wo er, nachdem er die DVer- weifung Triſtans und Iſolde's von Marke's Hof erzählt hat, das ftillbegnügte Mitfammenfein der Liebenden in der Wildniß ſchildert. Wie gerne verzeihbt man dem fchuldigen Paare, wenn man dieſes vom friſcheſten Zauber ter Unſchuld angehauchte Gemälde betrachtet. Es ift wie ein Traum aus Eden:

„Das Baar, das treue, hole,

Triſtan und feine Iſolde,

Sie hatten in der Wilde

Zu Wald und zu Gefilve |

Ihre Muße und Unmüßigkeit

Gar füß beftellet und bereit:

Sie waren zu allen Zeiten

Einander an der Seiten.

Des Morgens in dem Thaue

Sp ſchwebten fie zur Aue, _

Da Blumen und Gras zuhanden

Vom Thau erfühlet ftanden.

Die fühle Prairie im Morgenſchein

Die mußte dann ihr Vergnügen fein.

Da wanbelten fie her und bin,

Sprachen zujammen mit holdem Sinn

Und laufchten untern Gange

Dem füßen Vogelfange.

Und alsdann nahmen fie einen Schwang

Hin, da der fühle Brunne Hang,

Und laufchten feinem lange,

Seinem Gleiten und feinem Gange

Die Frauen im Dichtermund. 309

Zur Ebene mit ftillen Fluten ;

Da faßen fie und rubten

Und laufcheten dem Gießen

Und ſchauten auf das Fließen

Und war das ihre Wonne ....“ Mit welchen einfachen Mitteln ift hier die Weltvergeflen- heit beglüdter Liebe zur Anſchauung gebradt! Aber Gottfrieds Werth beruht nicht allein auf folhen Scils bereien von vollendeter Kieblichkeit, fondern auch und in noh höherem Grade auf feiner Kenntniß des menſch⸗ lichen Herzens und des weiblichen insbeſondere. An Um⸗ fang und Schärfe der Frauenpfuchologie hat ihn nur noch ein deutſcher Dichter erreicht, Göthe, aber kaum über: troffen. Man verfolge nur die Zeichnung ver beiden Trauengeftalten,, in deren einer, Iſolde's, Gottfried die Naturgewalt weiblicher Leidenſchaft, in deren anderer, Brangäne’s, er den Heroismus weiblicher Refignation zum vollſten Ausdruck gebracht hat, und man wird den divina⸗ toriſchen Blick diefes Seelenfündigers bewundern lernen. - Wie fchade, daß wir von den Xebensumftänden des Meisters noch weniger wiffen als von denen feiner großen Zeitgenoffen Walther und Wolfram, von deren Verhält- nifjen doch auch nur ein paar bürftige Notizen auf uns gekommen find. ALS feftftchend (?) mag nur gelten, daß Gottfried bürgerlichen Standes geweſen und eine für feine Zeit ungewöhnlich vielfeitige Bildung beſaß. Aus let- terem Umftand, zufammengehalten mit der wiederholten Anvdeutung vonjeiten des Dichters, daß er Minneluft nie genofjen, hat man gefolgert, daß er ein Geiftlicher ge=

"8310 Buch U. Kap. 7.

weſen. War er ein folder, fo war er jedenfalls fein Affet, welcher Welt und Weiber floh; denn e8 ift fchlech- terdings unmöglih, daß man vom bloßen Hörenjagen fo welt- und frauenfundig wird, wie Gottfried durchweg ſich erweift. Iſt doch überhaupt fein großer Dichter aufge: itanden, an deſſen Entwidelung die Frauen nicht fehr. vieles, oft das meifte und befte gethan hätten, und wir müſſen fchlechterdingd annehmen, daß aud ein Walther, ein Wolfram und ein Gottfrien im Umgang mit eblen rauen gelernt haben, „was fich ziemt“. Daß zur Blüthezeit des Mittelalters die Frauen ihrerfeits für vie Poefie eine große Empfänglichfeit bethätigten, dafür gibt die ganze Art und Weiſe des Minnegefangd und ver Nitterepit unmwiderlegbares Zeugniß. Es ift auch eine ſchöne Weberlieferung von frauliher Dankbarkeit gegen Dichter auf uns berabgelommen. Als ver Minnejänger Heinrih von Meißen, genannt Srauenlob, ver jo viele Lieder zum Preife ver Frauen gedichtet, i. J. 1317 zu - Mainz geftorben, ward er in vem Kreuzgange der Haupt- firhe ehrenvoll beitattet. Die mainzer Frauen trugen die Bahre, worauf der hingegangene Sänger lag, unter großem Weinen und Klagen zur Gruft und goffen auf . viefelbe eine jolche Fülle des Weines, daß er in dem ganzen Umgange ver Kirche umherfloß 153).

Bei alledem darf nicht verfchwiegen werden, daß unfere alten Dichter, wie zu fehen wir häufig genug Ge-

153) So erzählt der glaubwürdige Chronift Albert von Straß- burg, welder die Periode von 1270—1378 theilweife als Zeitge-

Die Frauen im Dichtermund. 3ll

fegenheit hatten, bei ven Frauen nicht nur was fich ziemt, fondern auch was fich nicht ziemt, leınen fonnten. ‘Daher fangen und fagten denn auch nicht alle in vem Ton eines Frauenlob. Die Lehrpichter des 13. Jahrhunderts werfen mitunter jehr mijffällige Blide auf die Frauenwelt und ſchon beim Freidank, unter welchem Namen einige ven Wal- ther8 verborgen glauben, findet ſich die bevenfliche Stelle: „Die Grauen haben langes Haar Und furze Sinne, das ift wahr. * Noch weit bevenklicheres wiffen uns die veutfchen Novel- liiten in Verſen, welche vom 12. bis zum 15. Jahrhundert jchrieben, von den Frauen zu erzählen und das augen- ſcheinliche Behagen, womit fie es thun, verräth fattfam, wie beliebt in vielen Kreifen ihre vorwiegend jehr ge- ringe Meinung von dem fehönen Gefchlechte gewefen fein muß. Es ift wahr, der Humor fpielt in dieſer Novellitif und Schwanfvichtung eine beveutende Rolle; aber ver Pinfel, womit er feine luftigen oder grotejfen Bilder gemalt hat, war ohne Zweifel mehr als wünjchbar in den Farben- topf der Wirklichkeit getaucht. In Gefhichten wie „Der Sperber” „Das Gänfelein " „Das warme Almojen“ „Weiberlift* „Der Ritter und die Nüffe“ „Die Meierin mit der Geiß“ „Der Ritter unterm Zuber“ . Schlägt der Humor ſchon in eine herbe Kritik ver Frauen- jitten um. In anderen, wie „Irregang und Girregar“ oder „Das Rädlein“ fteigert er ſich zur tollften Ausge-

. noffe beſchrieb. Die lat. Originalftelle |. bei v. d. Hagen, Minn finger, IV, 738, Anm. 4.

312 Buch U. Kap. 7.

laſſenheit 1%. In folchen endlich, wie Die halbe Birne”, „Die Teufelaacht“ und „Der weiße Roſendorn“, ſinkt ering

154) Welcher e8 aber dba und dort nicht an Silberbliden der Boefie fehlt. Einen ſolchen wirb ber unbefangene Geſchmack z. B. in der folgenden Stelle aus dem „Rädlein“ erkennen:

„Dö spilt' er der junkvrouwen mit lieplich nach der werlde sit',

Ane haz und ane nit, als man in der werlde pflit

Ze spilen mit der minne. si des wart inne,

Daz ez was so sueze, diu junkvrou sprach: „Ich mueze

Mit liebe nimmer tak geleben, ich wollteallez daz darumbe geben,

Daz ich üff erden geleisten mak, daz daz spil het’ gewert bizan den tak.

Solde ich leben als Elyas in dem Roemischen palas,

Immer inne gewaltik sin, daz liez ich üff durch daz spil min.*

Er sprach: „Liebe, wie ist dir gewesen?“ „Daz kan nie man vol lesen,

Noch vol schriben dieser minne triben,

Und waere daz mer tinte und der himel perminte

Und alle sterne daran, beide, sunne und män’,

Graz, griez unde loup, darzuo der kleine sunnen stoup,

Daz daz waeren phaffen und schribaere, den waer’ ez allen ze schwaere,

Daz sie vol schriben und vol lesen künden, wie sanft mir ist gewesen.

Diu zit endühte mich niht lank ; vor minen ören wasein gesank,

Als kleiniu voglin sungen und tüsent rotten klungen ;

Min ougen vuoren mir schozzen, als sie sachen entsprozzen

Röte rösen in dem touwe in einer gruenen ouwe.

Unser vröude nie man vol sagen mak; mich dunkent tüsend jär ein tak.

Zuo derselben stunde was mir in minem munde

Honik unde zukkermel, daz vloz mir ze tal in die kel.“

sprach aber die guote: „Mirewas in minem muote,

Die Franen im Dichtermund. 3l3

Derbzotige herab. In allen viefen Erzählungen 155) fommen die rauen ſchlecht weg: fie erfcheinen da ent- weber als einfältig over als zuchtlos und ehrvergeffen . . Es iſt aber tröftlich, zu ſehen, daß dieſer an die Stelle ver Frauenverehrung Teichtfertige Duldſamkeit und muth- willigen Spott fegenden Humoriftil doch immer eine edlere und würbigere Auffafjung von dem Wefen und der Be- ſtimmung der Frauen zur Seite ging. Zwar hat fogar ber ernfte Walther das zur Idealität erhobene Verhältniß von Mann und Weib feineswegs immer feitgehalten, auch jeine Lieder werben nicht felten um vollen Liebesgenuß und mit Wohlgefallen blidt er auf die Stunde zurüd, wo er feine Herrin im Babe belaufchte („dÖö ich si nak- ket sach®); aber doch haben er ſowohl als andere ven Minnegefang vor dem Abfinfen ins Gemeine energijch zu bewahren gefudht. Wenn vie mittelalterlichen Humo⸗ riften mit frivolem Lachen erzählen, wie Sungfrauen ihre Ehre preiögeben und ven Männern wohl gar noch ent» gegenlommen, fo bat dagegen Reinmar von Zweter ven Mäpchen mahnend zugerufen: „Ein ledig Weib foll um ven Mann Nicht werben, es fteht ihr nicht an,

Die wile ich in den vröuden lebte, wie ich in den lüften swebte. Ich hät niergen ein gilt so kleine... 2... 2220. Geloube mir der maere, da ensaeze üff ein videlaere

Unt videlten alle den albleich, daz mir diu sinne gar entweich, Daz ich enhörte noch ensach, so wunderliche mir geschach.*

155) Gefammtabenteuer, I, 211 fg. II, 23 fg. 41 fg. 127 fg. 245 fg. 265 fg. 278 fg. 287 fg. 297 fg. III, 21 fg. 43°fg. 111 fg.

314 . Bub HD. Kap. 7.

Die Liebe will's nicht leiden. Doch daß fie ſich beſcheiden In Tugend kleid', in Zucht und Sitt', In Huld und Anmuth und damit Des Mannes Herz gewinne, Das ſteht wohl an der Minne.“ Wenn der Tanhuſer, Ulrich von Winterſtetten und mehr noch Nithart fauniſch ſchmunzelnd damit pralen, wie ſie da und dort leichtſinnige Dirnen bethörten, jo hat hin- wieder berjelbe Reinmar gegenüber ſolcher Gaffenliebe nachdrücklich ausgeiprochen, daß das Naturmpfterium ver Geſchlechtsliebe, wenn e8 mebr fein follte als Befriedigung eines thieriſchen Gelüftes, durch geiftige Harmonie geavelt jein, daß über Mann und Weib in Umarmung ein Ab- glanz von Göttlichem fchweben müffe: „Ein Herz, Ein Leib, Ein Mund, Ein Muth Und Eine Treu’ und Eine Liebe wohlbehut, Wo Furcht entfchleiht und Scham entweicht und Zwei find Eins geworben ganz, Wo Lieb’ mit Lieb ift im Verein: Da denk' ich nicht, daß Silber, Gold und Evelftein Die Freuden übergolve, die da bietet Lichter Augen Glanz. Da, wo zwei Herzen, die die Minne bindet, Man unter Einer Dede findet Und wo ſich Eins ans And're ſchließet, Da mag wohl fein des Glüdes Dach. Wohl ihm, dem je ward ſolch Gemach! Ich weiß gewiß, daß Gott das nicht verbrießet. * So lange ‘vie Höfifch -ritterlihe Bildung nicht allzu ſehr

Die Frauen im Dichtermund. 315

entartete, wurden inmitten ver ausgelaffenen Zotenreißeret und des tobenden Gelächters auf Koften der Frauen immer wieder Stimmen laut wie jene des unter dem Namen „ver Marner“ bekannten Poeten, der feinen Zeitgenoffen zurief ;

„Wer will nach meiner Lehre

Erſtreben Liebesziel,

Der ſoll der Frauen Ehre

Nicht haben für ein Spiel.

Von Frauen ſoll man ſagen

Nur gutes immerdar,

Weil nur bei ihnen gar

Iſt Freude zu erjagen“.

Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts hin da hatten freilich die lachenden Spötter wie bie ſauerblickenden Moraliften freie Hand und wenig Widerſpruch zu be= forgen. Es ift nichts davon befannt, daß Sebaftian Brants Klage und Anklage: Ä

„D, fraulihe Scham, was foll ich fagen,

Daß dur jegt treibft in unjern Tagen!

Auch magdliche Zucht ift ganz dahin —“ eine Widerlegung oder auch nur eine Beftreitung gefunden hätte. Die mittelalterliche Gefellfehaft war jeßt in einer Phaſe der Auflöfung angelangt, wo fie weder die Mittel noch auch nur den Willen mehr befaß, den von ihr aus- gehenden Fäulnißgeruch zu verbergen. Es ift, glaube ich, im Verlauf unferer Ausführungen überzeugend nachgewiefen worden, daß, wenn man den Sachen auf den Grund fieht, das hHöfifch-romantifche Liebesideal und die dadurch be— bingte ivealifirte Stellung des Weibes durchſchnittlich in

316 Bud I. Rap. 7.

der Wirklichkeit keineswegs vorhielt und Daß der ritterliche Minnedienft, auf feiten der Werbenden jowohl als der Ummworbenen, in der Regel nur ein verfeinerter Egois- mus gewejen. Aber bei alledem ift anzuerfennen, daß die Höfifchfeit in ihrer guten Zeit einen gewiſſen poetifchen Schimmer, Ton’und Duft über das Dafein hergebreitet hatte. Diefer Nimbus zerriß beim Ausflingen des Mittel- alters und in der Haffenden Spalte erjchten mit frecher Gebärde die nadte Gemeinheit, ihre plumpe Tlegelei und ven zotigen Kynismus, welche mitfammen in den aus Mummenſchanz und Maſkenſprüchen hervorgegangenen, zuerft durch Hanns Rofenplüt (um 1450) literarifch ge- ftalteten „Faftnachtsfpielen“ ver Zeit rumorten, in ven gefelligen Verkehr einführend over vielmehr mit haus- badenem Realismus aus vemfelben herausgreifent.

In ſolchen Zeiten fittliher Zerrüttung fehauen edlere Gemüther und venfende Köpfe nach Mitteln aus, dem franfen Gefellfchaftsförper neue LXebensfäfte zuzuführen, und in diefer Richtung fehen wir in der zweiten Hälfte des 15. Sahrhunderts in Deutfchland einen Kreis von Männern literarifch thätig, in welchen wir die Vorläufer der Humantjten des 16. Jahrhunderts zu erkennen haben. Zu diefem Kreife gehörte ein Niklas von Wyle, ein Stein- hövel, ein Albrecht von Eyb und andere. Sie fühlten, daß e8 mit den romantifchen Idealen worbei, daß damit nichts mehr auszurichten wäre, und wandten ſich in vie Gedankenwelt des Haffifchen Alterthums zurüd, um von dorther die Mittel zu holen, veinigend, klärend und bejjernd auf ihre Zeitgenoffen zu wirken. In Verbindung

Die Frauen im Dihtermund. 317

mit volfsthümlichen Kanzelreonern, welche ihr Amt im Sinne eines Geiler von Kaifersberg fafften und führten, richteten dieſe Literaten ihr Augenmerk beſonders auch darauf, vie ehelichen Verhältniffe aus ihrem tiefen Verfalle wieder aufzurichten und der Ehe, dem Grund» und Ed: ftein der focialen Ordnung, ihr geheiligtes Anfehen zurüd- zugeben, welches vie Romantik jo fehr untergraben hatte. Diefe edle Abficht diktirte dem Albrecht von Eyb fein Eheſtandsbuch („Ob einem manne sey ze nemen ein eelich weib oder nit“), welches er 1472 dem Rathe von Nürnberg ald Neujahrsgefchenf überreichte. Der wadere, febenserfahrene und gelehrte Mann hat darin der Ehe ein ebenfo wohlbegründetes als begeiftertes Lob geſpendet, welches , ind Neubochdeutiche umgejett, alſo lautet: „Der allmächtige Gott hat das Amt eines rechten Vaters geübt, indem er wollte, daß das menjchliche Gefchlecht ewig wäre, und er hat zuerſt ven Mann erfchaffen nach feiner göttlihen Bildung, hemak die Frau nach Geftalt des Mannes, damit zwei Gefchlechter feien, Männer und Frauen, um finder zu zeugen und das Erpreich mit Menfchen zu erfüllen. Das follte gejchehen in Form der heiligen Ehe und hat Gott der Vater die Ehe felbft ein- gejegt und georpnet im wonnereichen Paradies und zur Zeit der Unſchuld. Hernach hat Gott der Herr, als er in menfchlicher Geftalt gewohnt, vie Hochzeit perfünlich geehrt, gejegnet und gewürdigt mit feinen göttlichen Zeichen, da er dabei das Wafler in Wein gewandelt. Die Ehe wird auch gelobt und gepriefen von der Natur, die den Menfchen ven Trieb eingegeben, Kinder zu haben, vie

318 Bud II. Rap. 7.

ihnen gleich feien. Es haben auch die Rechtsſatzungen beitimmt, daß die Ehe mit beider, des Mannes und der Frau, freiem Willen ſoll geichlojfen werden, zum Zeichen, daß zwifchen ihnen ein ewiger einiger Friede walten foll und getreue Xiebe und Freundfchaft. So ift die Ehe ein ehrbar Ding, ift die Mutter und Meifterin ver Keufchheit, denn mittel® ihrer werden vermieden unlautere Begierden und andere jchwere Ausfchreitungen der Unfeufchheit. Die Ehe ift ein nüglich, heilfam Ding: durch fie werben Häufer, Städte und Länder gebauet, gemehret und im Frieden erhalten, durch fie wird mancher Streit und Krieg geftillet, Sippfchaft und gute Freundſchaft unter Fremden hergeftellt und das ganze Menfchengefchlecht ge- ewigt. Die Ehe tft auch ein fröhlich, Iuftbar und ſüß Ding. Was mag fröhlicher und füßer fein als der Name des Vaters, der Mutter und ver Kinder, fo da bangen an der Eltern Hals? Wenn Eheleute die rechte Liebe und ven rechten Willen für einander haben, dann ift ihnen Freud’ und Leid gemein und genießen fie des guten deſto fröhlicher und tragen fie das widerwärtige vefto leichter.” .... Man hört aus diefen Worten fchon ven reinmenfchlichen, vollen, gegen die romantische Minnetiftelei fo ſchön ab- jtechenden Herzendton der Natur, des gefunden Menfchen- verjtandes und der guten Sitte heraus, welche im 16. Sahr- hundert bie Leiter ver reformatorifchen Bewegung inbetreff der Ehe anftimmten, und fo fei denn damit das Buch vom Mittelalter beichloffen.

Anhalt des erflen Bandes.

Erftes Bud). Altertum.

Erſtes Kapitel: In den germanifhen Wäldern.

Dämmerungen ber deutihen Geſchichte. Unferes Volkes Urbeimat. Die indogermanifhe Völkerfamilie. Ein— wanderung nad Europa. Mythiſches. Eintritt der Ger- manen in bie Weltgefhichte. Die Frauen ber Teutonen und Kimbrer. Julius Cäfar über Deutichland. Das germanifche Blondhaar in Rom. Ein prophetifches Dichter- wort. Die Germania bes Tacitus. Tracht und Stellung der Frauen. Die deutihe Ehe. Das „Heilige und Vor⸗ abnende” im Weibe. Frauengeftalten der deutichen Vor⸗ zeit: Aurinia, Beleda, Ganna, Thufnelda, Bilfula .

Zweites Kapitel: Bur Völkerwanderungszeit.

Die Götterdämmerung der alten Welt. Niederlaflung germaniſcher Völferfchaften in den römischen Provinzen. Die Stellung der Frauen nad germanifchem Recht. Ber- hältniß der Frauen zum Chriſtenthum. Gothiſche, lango- bardifche und fränkiſche Frauen. Die merowingiſche Tragd- die. hrungevroceß der » Beil vanſüiche ainrichtmmg und Tracht. ..

Seite

3r

320 Inhalt des erften Bandes.

Drittes Kapitel: Göttinnen und Heldinnen. Seite

Menſchen und Götter. Charakter der germanifchen ©Stterwelt. Das „Emwig:Weibliche” in den Religionen. Deutſche Ödttinnen: Nerthus, die Mutter Erde, Frikka, Frouwa, Holda, Perahta, Hluodana, Nebalennia, Folla, Oftara, Hellia. Walküren. Frau Sälde. Die germanifche Eva.

Die eddiſche Lehre vom Sündenfall. Bedenkliches von Der Frigg umd der Freia. Die Franen im Havamal. Sigyn. Brunhild, Kriembild und Gudrun. Die Lehre Der germanischen Bibel vom Urfprung der Stände . . . . 72

Zweites Bud). Mittelalter.

Erites Kapitel: Rarlingifhe Beit.

Karl der Große. Blid auf die römiſch-chriſtliche Frauen⸗ welt der erften Sahrhunderte. Möncherei und Nonnerei in. Deutihland. Der Marienfult. Maria im „Heliand.“ Maria’s Minne. Einfluß des Chriftenthums auf die germanifhe Ehe. Die Frauen und Töchter Karls. Die Weiberhäufer. Epifode vom fogenannten „Recht der erften Naht”. Tracht umd Pracht der Tarlingifhen Damen. Richardis. Die Frauen und die Gottesurtbeille. . . . 9

Zweites Kapitel: Inter den fühfifhen und fränkifhen Raifern.

Das deutihe Königthum und das römiſche Kaiferthum. Kulturcharakter des Zeitalters der Ottonen. Hadumod. Hrotjuith, die erfte Schriftftellerin deutihen Stammes. Die gelehrte Herzogin Hadawig. Die ſchöne Habburg. Mathilvis. Futgard. Adalheid. Theophano.

Inhalt des erften Bandes.

Dietmar von Merfeburg über die Frauen feiner Zeit. Kunigunde. Gifela. Agnes. Bertha. Agnes von

321

Seite

Hohenftaufen. Hiltrud. Das Berbot der Briefterehe.

Widerftand ver deutſchen Dental Zolgen bes Edlibat- gejetes . . .

. 136

Tritte Kapitel: Dom zwölften bis fünfzehnten Bahrhundert.

"Die Hohenftaufen. Gliederung der mittelalterlihen Ge- ſellſchaft. Meaterieller und geiftiger Aufſchwung Deutich- lands im 12. Jahrhundert. Einfluß der Römerzüge und der Kreuzzüge. Das Nittertbum. Die „Courtoifte” oder „Höfiſchkeit“. Blid auf die franzöſiſche Eourtoifie. Deutiher Marienfult und Frauendienft. Kaiferinnen. Die heilige Hildegard. Herrad von Landsberg und ihr „zuftgarten”. Hausrath und mufilalifhe Inftrumente. Das Bett und der Schlafanzug .

Viertes Kapitel: Pie Edelfrau. Weib, Frau und Magd. Ehrentitel der Mädchen und

. 165

Frauen. Bon Frauennamen. Die Erziehung vornehmer

Mädchen und die Bildung höfifher Damen. Die „Mora- litas“. Das ritterlich-romantiiche Schönheitsideal. Puß- kunſt und Tracht. Eine höfiihe Dame in Sala. Ge- felliges. Der Tanz. Die fraulihen Pflichten der Gaft- lichfeit. An einem Hofe. Berlobung und Hochzeit. Naives. Frauendienft und Liebesverlehr. Ein Märtyrer der Minne. Der Wurm in der Roje der Romantil. Eine Heilige und eine Kekerin . .

Fünftes Kapitel: Bürgerin und Bäuerin.

Das Städteweſen. Patriciſche und plebeiſche Kreife. Die Höfe oder „Gefäße“ der Gefchledhter. Städtiſche Zeit- vertreibe oder „Fröhlichkeiten“. Ein phantaftifches Turnier.

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. I. 21

. 193

322 Inhalt des erften Bandes.

Seite

Eine Serenade. Kaiſer Sigismund und die Straßburge- rinnen. Eine würzburger Novelle. Wiener Sittenzu- flände im 15. Sahrhundert. Die Frauen und die mittel- alterlihe Strafrechtspflege. Augsburger und. frankfurter

Hochzeiten. Das bäuerliche Frauenleben. Bedenkliche . . 238

Idyllien. Eine ſüddeutſche Bauernhochzeit .

Sechſtes Kapitel: Bäder. Frauenhäufer. Honnenklöfter.

Gntartung der Brad.

Die Badftuben und das Treiben darin. Heilquellen. Baden im Aargau. Poggio's Beichreibung des Bad⸗ lebens daſelbſt. Die Frauenhäufer und die Frauenhäuferin- nen. „Reuerinnen”. Epijode von ber Agnes Bernauer. Die Frauenklöfter. Bildung und Beihäftigungen ber Nonnen. Die „Jeſerl“. Klöfterlihe Aergerniſſe. Die Ausfchreitungen der Frauenmoden: die „Ihandbare” Tracht, die Schellengürtel und Schnabelſchuhe.

Siebentes Rapitel: Pie Frauen im Pihtermund.

Dichter und Frauen. Der Minnegefang. Walthers von ber Vogelweide Lob der deutichen Frauen. Der Wins- bede. Das Frauenideal Wolframs und Gottfrieds. Was Minne fei. Erwachende, jehnende und beglüdte Liebe. Heinrih Frauenlob. Die mittelalterlihen Humoriften und die Frauen. Reinmar von Zweter. Der Marner. Eine Klage und Anklage von Sevaftian Brant. Albreqht von Eyb über die Ehe

Leipzig, Walter Wigand's Buchdruckerei.

. 267

. 294

Geſchichte

der

Deutſchen Frauenwelt.

I.

Alle Rechte vorbehalten.

Geſchichte Deutſchen Frauenwelt.

In drei Büchern nach den Quellen.

Von Johannes Scherr.

Wahrheit iſt Feuer und Wahrheit reden heißt leuchten und brennen. L. Schefer.

Dierte, neudurchgeſehene und vermehrte Auflage.

Bweiter Band. Bud II: Neuzeit.

Leipzig Verlag von Otto Wigand. 1879.

Drittes Bud, Keuzeit.

Dom jechszehnten Eis ins neunzehnte Jahrhundert.

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. II. 1

............ Die Frau Iſt wie der Mann, nur ſtets ein wenig beſſer; Sie iſt wie ihr Geliebter, gut und ſchlecht, Sie iſt ſo wie das menſchliche Geſchlecht, Das ſie voll Troſt auf ſeiner Bahn begleitet. Schefer.

Erftes Kapitel.

“eG———

Im ſechszehnten Jahrhundert.

Das Zeitalter der Reformation. Marimilian J. und Karl V. Luther. Sitten und Unſitten der Zeit. Bildung der Frauen. Ihre Betheiligung am Reformwerk. Die Frauen und der Cölibat. Luthers Frauenideal. Heilſamer Einfluß der Reformation. Schattenſeiten. Die Wiedertäuferei. Eine frieſiſche Judith. Das geſellige Leben des 16. Jahr⸗ hunderts. Realiſtiſche Weltanſchauung und deren Anwendung auf die Frauen. Umgangston und Bräuche. Das Badleben und das „Beiliegen“. Die Tanzfreuden. Frauentracht. Bäueriſches. Die bürgerlichen Kreiſe. Hausrath, Küche und Keller. Eine vornehme Trunkenboldin. Die fürſtlichen Kreiſe. Licht und Schatten. Eine vornehme Hochzeit. Uebergang vom 16. ins 17. Jahrhundert. Die Verwelſchung unſeres Landes. Der Jeſuitismus und der Calvinismus.

Die große That des deutſchen Geiſtes, die religiöſe Reform des 16. Jahrhunderts, hatte den alten und bis auf den heutigen Tag ungeſühnten Fluch mitzutragen, daß allzeit unſere Geſchichte gerade in ihren beſten und gewaltigſten Strebungen ganz oder wenigſtens theilweiſe

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4 Bud III. Kap. 1.

fcheiterte. Oper ift dieſes Unglüd, deſſen Wurzel ich im deutſchen Inpividualismus finde, vielleicht ebenfo- ſehr ein Segen als ein Fluch? Wir werben leiver in ver Politif wohl faum über die Form des Föderativſtaats und demnach auch nie über eine gewiſſe Beſchränktheit und Unbehilflichfeit in äußerer Machtentfaltung hinauskommen; aber wir werden auch nie ein Schablonenvolf werben, eine nivellirte, aller Selbftbeftimmung unfähige, unter- ſchiedsloſe Maſſe, welcher eine vefpotifch herrichenve Hauptitadt, ein alle Xebensfräfte ver Nation auffaugendes Paris heute die Heldenuniform, morgen den Sflaventittel, übermorgen bie Narrenjade anzieht. Wir werben uns nie darein finden, als bloße Nullen hinter einem hauptſtädtiſchen Zähler einherzugehen, gleichviel ob dieſer die Kaiferfrone oder die phrygiſche Mütze trage. Das „Ich“ ver fichte’fchen Philofophie ift von jeher der Kern des deutfchen Wefens gewefen. | |

Dieje Selbitherrlichfeit ver Berfünlichfeit hat in der Reformation des 16. Jahrhunderts, wenn auch ohne ihrer Endziele alljeitig Klar zu fein, eine Rieſenarbeit begonnen, welche den Gegenfak von Autorität und Autonomie, von Geiftesfreiheit und Satzung, von be- wußter Perfönlichfeit und Uniformzwang zum Angel- punkte der weltgefchichtlichen Entwidelung machte. Seit- her bat fich alles um vie Aktion des germanifchen und die Reaktion des romantischen Geiftes gedreht und fo wird es noch Jahrhunderte oder Jahrtauſende lang fort- gehen. Wenn die Reformation in ihren politifchen und joctalen Abfichten fcheiterte, wenn in Folge des Zu-

Im ſechszehnten Jahrhundert. 5

ſammenwirkens unglücklicher Umſtände dieſe Abſichten auf den Schlachtfeldern des Bauernkriegs und des dreißig—⸗ jährigen Krieges verbluteten; wenn die große Bewegung zunächſt nur die Spaltung des Vaterlandes in zwei große Glaubensgenoſſenſchaften und die allmälige Umwandelung des mittelalterlichen Feudalſtaats in den fürſtlichen Polizeiſtaat zu geſchichtlichen Reſultaten hatte; wenn andere Länder, vorab England, von der deutſchen Aus— ſaat die politiſchen Früchte geerntet: ſo iſt uns doch der keineswegs gering anzuſchlagende Troſt geblieben, daß der deutſche Gedanke, die auf eine harmoniſch⸗freie Entwickelung der Menſchheit abzielende deutſche Bildung ſeit der Reformation eine Großmacht geworden, welche ſtets weitere Kreiſe zieht und deren Einfluß die andern Völker zu ihrem Segen ſelbſt dann empfinden, wann ſie ihn bekämpfen oder zu bekämpfen wähnen. Auf Dank rechnet das wahrhaft Edle und Große ohnehin nicht, im gewöhnlichen Leben fo wenig wie im gefchicht- lihen. Der deutſche Gedanke ſetzt feine Weltbildungs⸗ arbeit fort, unbefümmert um Berfennung, Befeindung und Schmähung; er fest fie fort, weil ev muß, weil er nicht anders Tann.

Diefes Schickſalsmächtige feiner Thätigkeit ift be— gründet in der fittlichen Kraft feiner Natur und jo war es auch zur Reformationgzeit. Die Oppofition gegen die firchliche oder, genauer gejprochen, hierarchifche Ge- italtung des Chriftenthums ift befanntlich fo alt wie vie Kirche ſelbſt; aber nur der fittlichen Energie der veut- ihen Oppofition war e8 gegeben, einen wirklichen Bruch

6 Bud I. Kap. 1.

mit den Traditionen des Papſtthums herbeizuführen und feftzuftellen.. Nicht der Wit der romanifchen Boccaze, welche das entweihte Heiligthum ver Kirche ſchon Tange vom Spottgelächter hatten wirerhallen laffen, bat das zu⸗ ſtandegebracht, fondern die glaubensinnige Gemüths- fraft eines Luther, welcher, wie theologifch befangen und beſchränkt auch feine Weltanfhauung war und was für Mängel und Mifjgriffe ihm fchulngegeben werben fünnen und müffen, aus feinem unüberwinvlichen veut- ſchen Rechtsgefühle heraus das entjcheidende Wort ſprach und behauptete: Ein anderes ift das Chriftenthum ver Evangelien und ein’ anderes das der päpftlichen Bullen ! Es iſt wahr, auch Luther war ein Dogmatifer, welcher der menschlichen Vernunft er fehimpfte fie „des Teufels Hure” nur fo weit zu gehen erlaubte, als der Bibel⸗ buchſtabe reichte. Allein innerhalb dieſer Schranfe ftellte er mittel8 feiner Lehre von ver Rechtfertigung durch den Glauben ven Menſchen doch gewifjermaßen auf fich felbft, indem er wollte, daß ver Glaube nicht das Broduft eines mechanifchen Hinnehmens von äußerlich Gegebenem, ſondern einer innerlihen Arbeit, eines geiftigen Procefjes fei. Damit war, und zwar in einem ‘viel weiter gehenden Sinne als Luther fah und wollte, ver freien Forſchung und Selbitbejtimmung vie Bahn aufgetban. Aus dem freien Chriften, wie ihn Luther dachte, mußte ſich mit der Zeit der freie Menſch ent- puppen oder, mit andern Worten, der ethifche Gehalt des ChriftentHums mußte die dogmatiſche Hülfe mehr und mehr fprengen......

Am jehszehnten Jahrhundert. 7

Mitten in ver Zerfegung der mittelalterlihen Ro— mantif, welche währenn des 15. Jahrhunderts vor fich gegangen, hatten ſich ſchon die bauenden Elemente einer. neuen weltgefchichtlihen Epoche thätig erwiefen. Jene Zeit und die drei erften Sahrzehnte des 16. Jahrhunderts ftroßten fo vecht von Gährungsftoffen. Es war eine jener Periopen, wo e8 der Menfchheit, fo zu jagen, in ihrer Haut zu enge wird und fie allwärts nach Licht, Luft und Bewegung ringe. Die in Folge der Erfin- dung und Anwendung des Schießpulvers zu Friegerifchen Zwecken veränderte Kriegsweife ließ das Nitterthum nur noch als eine Spielerei bejtehen; eine Reihe anderer phnfifalifher und mathematifcher Finbungen zeigte Die Unzulänglichkeit des hierarchiſchen Syſtems auf; geo- graphifche Entvedungen wie die des Seeweges nad Oſt— indien und die von Amerifa lüfteten ven Schleier mittel- alterlicher Befangenheit vor ven Augen der europäifchen Völker; von Italien her ftrömte die wiebererivedte Literatur des klaſſiſchen Alterthums das Xicht des ge- funden Menfchenverftandes und der Schönheit über die Länder des Nordens aus, um, insbefonvdere von den deutichen „Humaniften“ als eine Herzensfache gepflegt, eine Amme des reformatorifchen Geiftes zu werden; und endlich hatte Guttenberg feinem Vaterlande und ver Welt die Buchpruderpreife gegeben und jene glorreiche „Ihwarze Bande” von Lettern ausgejandt, welche feither das Banner der Kultur über die ganze Erde und in alle Volksſchichten hineingetragen Hat und unermüdlich mweiterträgt. Die humaniftifchen Stubien, bei ung durch

8 Bud III. Kap. 1.

ben Feuergeiſt eines Hutten zu einem Hebel nationaler Wiedergeburt gemacht, die mathematifchen, phyſikaliſchen und geographifhen Entdedungen, wozu bald noch aſtro⸗ nomifhe Tamen, welche dem erftaunten Meenfchenauge die Unermefflichfeit des Univerjums erſchloſſen, dies ſem ganzen reformiftifchen Drängen und Treiben gegen- über, melde ver politiihen Berechnung wie ver in- puftriellen Thätigkeit, dem berechnenden Handelsgeiſte wie der abenteuerlichen Thatenluſt, der geiftigen wie der mechanischen Emfigfeit überall neue Wege wies und neue Ziele ſteckte, wurbe das mittelalterliche Wejen mehr und mehr machtlos. Friſche Lebensfäfte jchwellten vie Adern der europäifchen Gefellfchaft und trieben fie zu einer befreienden Arbeit an, welche dann, nach dem im 17. Jahrhundert erfolgten großen Rüdichlag, im 18. mit neuem Eifer wieder aufgenommen wurde. Geit- ber hat fie, aller momentanen Hindernifje und Schwan⸗ tungen ungeachtet, nie wieder geftodt, und wer erwägt, daß die Weltgefchichte nicht nah Tagen und Jahren, fondern nah Sahrhunderten und Jahrtauſenden rechnet, wird nicht leugnen wollen, daß die Menfchheit feit ver Reformationsperiode in jeder Richtung Vorjchritte ge- macht, womit der Kenner ver Gefchichte und der ruhige Urtheiler, der den Wiperftand, welden vie Kraft ver Stumpfheit und Zrägheit in ven Maſſen und die un- geheure Selbitfuht oder die Macht ver Gewohnheit in den bevorrechteten Klaſſen den Forverungen ver Ber: nunft und Humanität entgegenfegen, zu werthen weiß, ſchon zufrieden fein fann.

Im ſechszehnten Jahrhundert. 9

Bei alledem wird ein unbefangener Deutſcher, wel⸗ cher ſein Land mehr liebt als die augsburgiſche Kon⸗ feſſion oder die Beſchlüſſe des tridentiner Koncils, die Reformation dennoch nur mit ſehr gemiſchten Em⸗ pfindungen betrachten. Das Hauptunglück iſt geweſen, daß die Reichsgewalt damals bei einem Hauſe war, welches weder begreifen konnte noch wollte, daß und wie die reformiſtiſche Bewegung zur politiſchen Verjüngung Deutſchlands benützt werden könnte. Der Grund iſt be⸗ kannt: die Habsburger hatten ihr Reich@regiment ſtets nur al8 ein Mittel zur Erweiterung ihrer Hausmadht angejehen. Die Hegung und Pflegung diefes dynaſtiſchen Sonverinterefies fonnte Logifcher Weife nur den fürft- lihen Partikularismus überhaupt fördern, weil jeder Fürſt jich aufgefordert fühlen mußte, von der in Trüm⸗ mer gehenden Reichsherrlichfeit auch fein Beuteftüd zu erwerben. Welche Flägliche Figur Hat viefer Kaifer Marimilian I. gefpielt, obgleich er etwas vorzuftellen ver- ftand und ein ftattliher Mann war. Die Natur hatte ihn zu einem vwortrefflihen Gemsjäger, guten Turnier⸗ fehter und mittelmäßigen Poeten beftimmt und als folcher erfcheint er au im „Weißkunig“ und „Theuer⸗ dank“, jenen allegorifch - romantiichen Befchreibungen fei- ner Taten und Thaten in Profa und Neimen, welche man Selbjtbiographieen nennen fann, weil fie nad ven Angaben des Kaiſers verfajjt wurden. Es ift in dieſen Büchern eine Romantik, die vor Altersfhwäche und Langeweile gähnt, aber dennoch fich jpreizt, als wären noch die Zeiten ‚der Ritter von König Arthurs Tafel-

10 Bub III. Kap. 1.

runde. Man bat ven Kaifer den „legten Ritter“ ge- nannt und als folchen gefeiert. Ich möchte ihn den Ritter der Anläufe nennen, denn aus foldhen beitand fein ganzes Walten im Frieden und Krieg. Und wie lächerlich klein endeten die meiften dieſer großen faifer- lichen Anläufe! Es konnte auch gar nicht anders fein. Denn mitten durch Marimilians Wejen ging. ver Riß der Zeit und „zwei Seelen wohnten, ach, in feiner Bruft“. Sein Verftand erkannte recht wohl die tiefen Schäpen, nach deren Heilung die Zeit fehrie; er erfannte auch ganz wohl die Berechtigung der reformijtifchen Bewegung. Aber fein Herz ſchwärmte in den Regionen eines Ritter- thums umher, welches doch nur noch eine gefpenitige Eriftenz hatte, und fonnte fi auch der Leberlieferungen habsburgifcher Hauspolitif nicht entjehlagen. So ließ er denn alles in ver Schwebe, bis fein Enfel und Nachfolger, Karl V., das Gewicht feines Talents und feiner That- fraft in die Wagfchale des NRomanismus warf. Der deutſchen Art völlig entfremvet, halb Burgunder, halb Spanier, hatte der.neue Kaiſer nicht die geringste Sym—⸗ pathie mit den Wünfchen und Beitrebungen, welche da= mals alle eveln Gemüther unferes Landes erfüllten. Deutfchland erlebte die Schmach, daß fein Kaifer vie deutſche Sprache für eine Pferdeſprache erklärte. Damit iſt eigentlich alles gefagt. Die Reformation wurde der römiſch-ſpaniſchen Hauspolitif geopfert und die „welfche Praktik“ beftimmte die veutfchen Geſchicke. Auch auf proteftantifher Seite. Denn mie fi vie kaiſerliche Politik auf das römifhe Dogma und die fpanifche Macht

Im ſechszehnten Jahrhundert. 11

ſtützte, ſo ſuchten die proteſtantiſchen Fürſten ihrerſeits eine Stütze an Frankreich und es wurde alſo von beiden Seiten mit aller Anſtrengung dahin gearbeitet, unſer Land den Einflüſſen einer Ausländerei zu unterwerfen, welche denn auch bald genug das deutſche Weſen ganz und gar überwucherte.

An Luther ſelbſt fällt die Beſchränktheit feiner po— litiſchen Einſicht höchſt unangenehm auf. Ich habe ihn anderen Ortes den eigentlichen Erfinder der Lehre vom beſchränkten Unterthanenverſtand genannt und die be— ſtimmteſten Zeugniſſe aus dem Munde des Reformators beſtätigten die Richtigkeit dieſer Behauptung. Jedermann weiß ja oder könnte wiſſen, daß Luther die Berechtigung der Leibeigenſchaft anerkannte; daß er glaubte, der ge— meine Mann müßte mit Bürden überladen ſein, weil er ſonſt zu „muthwillig“ würde; daß er das Weſen des Chriſten in einer Paſſivität erblickte, welche ſelbſt die härteſte Tyrannei ohne Widerrede ſich gefallen läſſt; daß er ſogar der Obrigkeit die Befugniß zuſprach, die Grundſätze des Einmaleins nach Willkür zu ändern („daß 2 und 5 gleich 7 find, das kannſt vu faſſen mit der Vernunft; wenn aber die Obrigkeit jagt: 2 und 5 find 8, jo mußt du's glauben wider dein Willen und Fühlen“). Allerdings hat er gelegentlich auch gegen vie Fürften gedonnert und das Volk gegen feine Unter- prüder und Ausfauger in Schu genommen. Aber diefer Seite feiner Thätigfeit haben vie lutheriſchen Theologen bald jo fehr vergeflen, daß das Lutherthum eine wahre Pflanzfchule des Servilismus geworben und

12 Bud II. Kap. 1.

geblieben iſt. So hatte e8 der Reformator freilich kaum gemeint. Aber eine wefentlih Tonfervative Natur, wie er war, hatte er fich gegen alles Weitgreifende, Um- ftürgende, Revolutionäre ftemmen zu müjjen geglaubt. Daher fein ablehnendes Verhalten gegen die genialen Feuerköpfe feiner Zeit, gegen die Hutten und Münger, daher fein bis zur Barbarei, bis zur ſchäumenden Wuth gehendes Gefchrei gegen die rebelliſchen Bauern, welche die „evangelifche Freiheit” etwas anders verftanven ale er. Und Luther ift ein „praftifcher” Dann gewefen, der ſich nach Art praftifcher Leute dahin neigte, wo die Maht war. Die Macht war aber bei ven Fürften und mit diefen verband er ſich daher zur Befeftigung feines Reformationswerfes.

Heben wir fernerweit noch zwei Thatjachen von un- ermefflicher Tragweite hervor, welche an Luthers Perfon fih knüpfen. Die eine ift feine Bibelüberjegung, vie andere feine theoretiiche und faktiſche Bekämpfung des Cölibats. Es ift befannt, daß. die luther'ſche Bibel⸗ überſetzung, welche die neuhochdeutfhe Mundart an vie Stelle ver verfommenen mittelhochdeutfchen feßte, unferer Literatur mit einem neuen Organ zugleich auch einen neuen Inhalt gab. Der biblifch - proteftantifche Ton ver- brängte ven katholiſch-romantiſchen. Zu dem biblifchen Gedankengehalt ver Titerarifhen Bewegung des 16. Jahrhunderts gefellte fich aber immer mächtiger der des Haffifchen Alterthums, der freilich zunächit in ver deut- ſchen Literatur nur den Widerhall einer lebloſen Nach- ahmung fand, welde dann im 17. Jahrhundert die

Im ſechszehnten Jahrhundert. 13

bunte Livrei der Ausländerei anthat. Man könnte zwar die Frage aufwerfen, ob der Bruch mit den nationalen Ueberlieferungen unſerer alten. Literatur, welcher durch die Richtung auf das Biblifche und das Antif- Klafftiche vollzogen wurde, unjerem Yande zum Heil oder zum Un- heil geworben fei. Allein jo, wie fih die Sachen nun einmal geftaltet haben, fteht feft, vaß aus der Verfchmel- zung jener beiden Gedankenkreiſe im veutichen Idealis— mus unfere ganze moderne Geiftesfultur, wie fie durch die Heroen unferer Literatur vom 18. Jahrhundert an gefhaffen wurde, erwachlen if. Was die Aufhebung bes Cölibats für vie proteftantiihe Welt durch Luther angeht, jo hatte dieſe That nicht etwa nur die Bedeu— tung einer Rache ver beleivigten Natur an ven Mönchs⸗ gelübden : fie war vielmehr ver feierliche Widerruf jener Entwürbigung des weiblichen Geſchlechts, welche Firchen- päterlicher Afterwig und päpftlihe Herrſchſucht herbeige- führt hatten; fie. war eine neue Weihe ver Ehe, eine neue Heiligung des Familienlebens, eine Wievereinfüh- rung des Priefters in Die Geſellſchaft, eine Wiederherſtellung des Weibes im ewangelifch - chriftlichen Sinne, gegenüber der Beitreitung ver Natur durch eine tollgewordene Affetik und ein widernatürliches Pfaffentbum. Bewußt over un- bewußt, Yuther hat im Geifte ver uraltgermanifchen Frauen verehrung gehandelt, al® er die aus Unnatur, Elend, Zuchtlofigfeit und Verbrechen zufammengeringte Kette des Cölibats fprengte. Es war feine beite That.

Man muß in ven Abgrund des Sittenververbnijjes und Aergerniſſes bineinfehen, welche die erzwungene Ehe-

14 Bud) II. Ray...

lofigfeit der Geiftlihen zur unausweichlichen Folge hatte, wenn man ven fittlichen Werth von Luthers Bekämpfung ber Möncherei, Nonnerei und des Cölibats überhaupt würdigen wil. Da aber bereits im vorigen Abfchnitte das auf unfer Thema Bezügliche aus diefem Gebiete be- rührt worden, jo Tann ich mich hier furz faffen. Schon ein Gedicht des 12. Jahrhunderts, vom „Pfaffenleben“ H, geißelt das ärgerliche Leben ver Geiftlichen mit ihren „Pfaffenmetzen“ und beichreibt einen Priefter, wie er jeine „liebe Traute* mit modiſchem Flitter aufputzt. Zur Neformationgzeit war der Spott über die Zuchtlofigfeit des Klerus in jedem Mund. Als Bebel i. 3. 1506 feine „Facetien“ veröffentlichte, aus vem Volksmund ge- ſammelte Anefooten, fpielten die unfittlichen Ränfe und Schwänfe der Geiftlichen darin eine Hauptrolle, mit- unter in fo verber Art, daß man fie heutzutage nicht nachſchreiben kann. Ebenſo in jener epochemachenven, unvergleichlichen, unüberjegbaren Satire, „Epistolae virorum obscurorum* (1516—17), in welden bie „Dunfelmänner” ihre Anfichten über das Verhalten: ver Geiftlihen zu dem weiblichen Gefchlecht in einer Weife kundgeben, hinter deren Ergötzlichkeit durchweg Die bittere Wahrheit hervorblidt. Die ehelichen Liebesfreuden find ihnen verjagt, die außerehelichen find ſündhaft; aber vie Herren wiſſen ſich troßdem zu helfen. So ein Dunfel- mann beruft fihb auf Simſon und Salomen, die ja auch der Liebe gehulpigt haben und dennoch der Anficht

1) Abgedr. bei Gödeke, d. Mittelalter, S. 97 fg.

Im ſechszehnten Jahrhundert. 15

gelehrtefter Männer zufolge felig geworden feien. „Ich bin nicht ftärfer al8 Simfon fährt er fort und bin nicht weiſer als Salomo: folglih muß man zumei- len ein Vergnügen haben, was, wie die Aerzte fagen, gut ift gegen die Melancholie. Iſt es gefchehen, fo beichten wir und dürfen auf Gnade hoffen, denn Gott ift barmberzig. Iſt man doch Fein Engel, jondern ein Menſch und jeder Menſch irrt. Ueberdies, wenn Gott bie Yiebe ift, jo kann die Liebe nichts Böſes fein: wider- legt mir diefen Beweis“2)! In den polemifchen Faft- nachtsipielen, wie ite damals auffamen, war die Rolle der „Pfaffenmete*, wie man ſich ungalant ausdrückte, eine ſtehende. So in dem berühmten Faftnachtsipiel des Malers, Dichters, Kriegs- und Staatsmanns Niklaus Manuel aus Bern, welches 1. J. 1522 in die⸗ jer Stadt durch Bürgersföhne öffentlich aufgeführt wurde. In diefem Stüde, „varinn die wahrheit in ſchimpffs wyß vom Bapſt vnd ſiner priefterjchaft gemelot würt“, führt die Pfaffenmagd Lucia Schnebeli gar bewegliche Klagen, welche auf die in Rede jtehende Partie des beutichen Frauenlebens damaliger Zeit ein grelles Licht werfen). Auh eine Beguine, Elfli Treibzu, tritt auf und aus 2) Epistolae vir. obscur. I. 4, 13, 21. 3) „Der papft wer mir wol ein recht guter mat,

Aber der bifchoff wil ein hut uff han;

Dem muß min herr ieß alle iar

Legen vier gut rinifch guldin dar,

Darumb das wir by einandern find.

Wenn ich denn ouch mad) ein find,

16 Buch III. Rap. 1.

ihren Reden erhellt veutlih, wie ſchamlos Buhlerei, Kuppelei und Nonnerei in einander fpielten ®.

So bat er aber finen nut darvon. Ich bin dem bifchoff num offt wol fon (wohlbekommen) Und hab ym genütst wol zehen iar Mee dan fünffzig riniſch guldin bar. Bor bin ih lang im frowenhuß gefin Zu Straßburg da niden an dem Ryn, Doch gwan min hurenwirt nit fo vil An uns allen, das ich glauben wil, Als ich dem bifchoff hab müßen geben. Ad) Sott, möcht ich den tag erleben, Das der bifchoff nit wer min wirt. Es ift das grüßt, des mich iek irrt, Mir were junft in almeg wol Denn das ih im ouch zinfen jol. Ich wond ich wöt den hurenwirt ſchüchen Und zu einem erbern priefter flüchen, So ift e8 zwo hoßen von eim tuch, Darumb ih im die gar übel fluch.“ Grüneifen, Niklaus Manuels Leben und Werte, ©. 348.

4) „Ich fröw mich, das ich kuplen fan, Sunft würts mir lüden ybel gan, Das ban ich meifterlih und wohl gelert Und mi num lange zyt mit ernert. Syd das min tutten anfiengen bangen Wie ein lerer ſack an einer ftangen, Da fieng fih an min hutt zu rümpfen Und wot man nit me mit mir fhimpffen (icherzen, jpielen), Do gieng ih in das beginen huß, Min alter gewerb trug nüt me uf. Do legt ih an kutten und fchappren,” u. |. f. A. a.0.356.

Im ſechszehnten Jahrhundert. 17

Es iſt jedoch zu betonen, daß es auch Nonnen ganz anderen Schlages gab und daß manche Frauenklöſter nicht nur Sitze der guten Sitte und einer aufrichtigen Frömmig— keit, ſondern auch Pflegeſtätten der Bildung geblieben waren. So z. B. das Klarenklofter in Nürnberg, welchem die beiden Schweftern des als Humanift und Gönner ver Humaniften hochangeſehenen Wilibald Pirfheimer, Cha- ritas und Klara, nach einander als Aebtiffinnen vor- ftanden. Sehr gebildet, briefwechfelten viefe beiden Nonnen mit namhaften Gelehrten jener Tage über wiſſen— Ihaftlihde Materien und hat die ältere, Charitag, auch Denkwürdigkeiten über ihre Zeit binterlaffen®). ‘Die Betheiligung ver deutſchen Märchen und Frauen an tem wiedererwachten Studium des Alterthums, feiner Spraden, Schriftvenfmäler und Geſchichten war über- haupt eine ſehr Iebhafte, wenn auch ſelbſtverſtändlich feine allgemeine. BPrinzeffinnen und Bürgertöchter Tieb- ten es gleichermaßen, ſich die Sprache Eicero’8 und Ver: gils anzueignen, welche Sprache ju ver Humanismus zum Drgan aller höheren Bildung gemacht hatte. Es lief va freilich auch manche leere Spieleret mit unter, aber in vielen Kreifen dienten die Haffiichen Studien für das weib- lihe Geſchlecht wirklich zu einem evelften Bildungsmittel. So in dem Haufe des augsburger Patricters Konrad Peutinger, deffen Gaft Ulrich von Hutten war, als er im Hochfommer 1517 durch Katfer Mar mit dem dich terifchen Lorbeer befrönt wurde. Konftanze,. die fchöne,

5) Nah den Originalhandſchriften hrögegeb. durch D. €.

Höfler. 1852. Scherr, rauenwelt. 4. Aufl. IL. 2

18 Bud) III. Kap. 1.

geiſtvolle und fittfame Tochter Peutingerd, Hatte ven Kranz geflochten, welchen in jener freubehelliten Stunde feines Lebens voll Wirrjal, Kampf und Noth dem be- rühmten Poeten und Ritter eine Faiferlihe Hand um die Schläfen legte).

Jedermann weiß, daß die Frauen, wie vormals auf tie Einführung des Chriſtenthums in Deutjchland, To auch auf die Förderung ver Reformation einen höchit beträchtlichen Einfluß geübt haben. Luthers jehr aus⸗— gebreiteter Briefmechfel mit fürjtlichen Frauen macht das im einzelnen Far. Gehörte doch fogar die Schweiter des großen Widerſachers feiner Yehre, Karls V., die Kö— nigin Maria von Ungarn zu feinen Korrefpondentinnen. Frauen wie die Herzoginnen Katharina von Sachſen und Elifabeth von Braunfchweig, die Kurfürjtinnen Sibylie von Sachſen und Elifabethb von Brandenburg, die Prin- zeffin Margaretbe von Anhalt und andere find mittels des Wortes und theilweife auch mittel8 der Schrift für das Reformwerk thätig gewejen. Die Frauen und Töchter der gräflicden Häufer Mansfeld und Stolberg haben ſich ebenfall8 in dieſer Richtung ausgezeichnet und eine Anna von Stolberg ift die erjte proteftantifche Aebtiffin des altberühmten Stiftes Dueblinburg gewefen. Auch Frauen bürgerlihen Standes, wie Magdalene Haymer aus Regensburg und Katharine Iunfer aus Eger, wirk- ten als Dichterinnen geiftlicher Lieder und fogar als öffentlihe Dilputantinnen für die Reformation. Der Sturm, welcher in die Zeit gefahren, riß eben auch vie

6) Huttens Werfe, hrsg. v. Münd, II, 470 fg.

Im ſechszehnten Jahrhundert. 19

Frauen über die gewöhnlichen Schranken ihres Daſeins und ihrer Thätigkeit hinaus. Am deutlichſten ſehen wir das an jener begabten, gelehrten und begeiſterten Frei— frau Argula von Grumbach aus Franken,' welche lehrend und ſchreibend zu Gunſten der Reform auftrat, mit Luther in briefliche und perſönliche Berührung trat und ihrer Geſinnung und Wirkſamkeit wegen manche An— feindung zu beſtehen hatte. Sie war es auch, welche dem Reformator entſchieden rieth, ſich zu verheiraten ”). Denn hier lag am Ende für die Frauen doch der Kern der Reformfrage. Sie vor allen mußten ja fühlen, von welcher unberechenbaren ſittlichen und ſocialen Trag- weite die Aufhebung des Cölibats war. Es konnte gar nicht anders fein, die Art, wie Luther die Beitimmung des Weibes und die Ehe fajjte, mußte ihre Herzen ge- winnen. Der Reformator hat, wie befannt, die Be— rechtigung, die Nothwendigkeit, die Heiligkeit ver Ehe gleichermaßen aus ven biblijchen Urkunden wie aus der Natur erwiefen. Der gefunde Menjchenveritand viftirte ihm ven Ausſpruch: „Ein Weib, wo nicht die hohe felt- jame Gnade da ift, kann eines Mannes ebenfowenig entrathen als eſſen, jchlafen, trinfen und andere natür- lihe Nothdurft. Wiederum alfo auch ein Mann kann eines Weibes nicht entratben. Urſach ift die: es tit ebenjo tief eingepflanzt der Natur, Kinder zeugen als eifen und trinken. Darum hat Gott vem Leib die Glieder,

7) Schreber, Memoria Argulae Grumbachiae (1730). Rieger,

Leben der Argula v. ©. (1737). Klemm, Die rauen, IV. 221 fg. 92%

2) Bud II. Kap. 1.

Adern, Flüffe und alles, was dazu dienet, geben und eingeſetzt. Wer nun dieſem wehren will und nicht laffen gehen, wie Natur will und muß, was thut er anders denn er will wehren, daß Natur nicht Natur jet, _ daß Feuer nicht brenne, Waffer nicht nete, ver Menſch nicht eſſe noch trinke noch fchlafe?" Daß aber Luther das Weib feineswegs als ein bloßes Kinverzeugungs- inftrument geſchätzt, daß er neben dem natürlichen auch den fittlihen Werth des Frauengefchlechtes kannte und anerkannte, bezeugt uns fchön fein „Lob eines frommten MWeibes” , worin er mit Anwendung von Bibelworten das Vorbild einer rechten deutſchen Hausfrau und Haus: mutter jo aufgeftellt hat: „Ein fromm gottesfürchtig Weib ift ein feltfam Gut, viel edler und föftlicher denn eine Perle. Der Mann verläjit fih auf fie und ver- trauet ihr alles. Sie erfreuet ven Mann und machet ihn fröhlich, betrübet ihn nicht, thut ihm Liebes und fein Leid fein Lebenlang. Geht mit Flach und Wolle um, Ihafft gern mit ihren Händen, zeuget ind Haus und ift wie eines Kaufmanns Schiff, das aus fernen Ländern viel Waare und Gut bringt. Frühe fteht fie auf, fpeifet ihr Gefinde und gibt ven Mägven, was ihnen gebühret. Wartet und verjorget mit Freuden, was ihr zufteht. Was fie nicht angeht, Läflet fie unterwegen. Sie gürtet ihre Lenden feſt und ftredt ihre Arme, ift rüftig im Haufe. Sie merkt, was frommt, und verhütet Schaden. Ihre Leuchte verlifcht nicht des Nachts. Sie ftredt ihre Hand nah dem Rocken und ihre Finger faffen die Spinvel, fie arbeitet gerne und fleißig. Sie breitet ihre Hände aus

Im ſechszehnteuͤ Jahrhundert. 21

über die Armen und Dürftigen, gilt und hilft gerne. Sie hält ihr Hauswejen in gutem Stand, geht nicht Ichlampig und beſchmutzt einher. Ihr Schmuck ift Rein- Tichfeit und Fleiß. Sie thut ihren Mund auf mit Weis- heit, auf ihrer Zungen ift holdſelige Xehre, fie zieht ihre Rinder fein zu Gottes Wort. Ihr Mann lobet fie, ihre Söhne fommen auf und preifen fie felig.* Die Kehrfeite bes Bildes zeigt das Wort des Reformators: „Es ift Fein größer Plag’ noch Kreuz auf Erden denn ein bös, wun- derlich, zänfifch, unfeufch Weib.” Die Ehe fafite Luther ganz richtig zugleih als vie fittlihe Befchränfung und die religiöfe Heiligung des Naturtriebe. Als Belege Iteßen fich eine Menge feiner Ausfprüce anführen, Worte voll Wahrheit und Innigkeit; aber fehon viefer genügt: „68 ijt fein lieblicher, freundlicher, holdſeliger Ver⸗ wandtniß, Gemeinfchaft und Gefellihaft tenn eine gute Ehe, wenn Eheleute in Frieren und Einigfeit mit ein— ander leben ®).” Der Reformator hatte das Glück, ven Segen eines ſolchen Ehebundes perjönlich zu erfahren. Seine Ehewirthichaft mit der gemefenen Nonne Katharina von Bora, mit welder er fih, nachdem fie nebſt acht anderen Nonnen unter feiner Mitwirfung aus dem Klofter zu Nimtich entwichen war, am 13. Juni 1525

vermählte, ijt eine mufterhafte gemefen. Seine „herzliebe Käthe“, wie er fie nannte, war nicht nur eine fehr ge- bildete Frau, fondern auch eine vortrefflihe Hausmutter, bie ihrem Gatten fein Haus zu einer Heimat machte,

8) Traktat von dem falfchgenannten Stand der Seiftlichen (1522). Tiſchreden, 313, 323 b, 324 b.

22 Bud IH. Kap. 1.

nah welcher er bei jeder Abwefenheit mit Sehnjucht zurüdblidte. Seine Briefe an fie bezeugen, welche Fülle von Behagen, Zufriedenheit und Heiterfeit fie ihm zu bereiten wußte. Sie hat aud) einen höchft wohlthätigen, fänftigenden Einfluß auf den fchroffen Mann geübt und ift e8 daher mur billig, daß proteftantifche Pietät neben das Bildniß Luthers in deutfchen Bürger- und Bauern- ftuben das feiner Frau zu hängen liebt.

Ganz unzweifelhaft hat ver fittliche Geift ver Nefor- mation das zu Ende des Mittelalters tiefgefunfene Anjehen des Eheſtandes wieder gefräftigt und erhöht, wenngleich viefe Beſſerung weder eine allgemeine noch eine plößlihe war noch fein fonnte. Kine Sittenver- wilderung, wie das 15. Jahrhundert dem 16. fie ver- machte, kann ja nicht mit einmal gehoben werden. Aber e8 ging, neben tem Nachklang ritterlichen Frauendienſtes, wie er fih 3. B. aus der zart romantifchen Werbung des Pfalzgrafen Frievrih um Karls V. Schwefter Eleo- nore heraushört, noch ein Zug von ebenso tiefiehnjüch- tigem als vealiftiichem Verlangen durch die Zeit, mittels der Ehe und des Familienlebens vie eigene Berfönlich- feit fefter zu begründen. Sehen wir doch von dieſem Verlangen jelbjt den irrenden Ritter des Humanismus erfüllt, ven raftlofen Ulrich von Hutten. „Mich beherricht ſchrieb der Vielumgetriebene.am 21. Mat 1519 an feinen Freund, den Domherrn Friedrih Fiſcher in Würz- burg mich beberricht jet eine Sehnfucht nach Ruhe. Dazu braude ich eine Frau, die mich pflege. Du kennſt meine Art. Ich kann nicht wohl allein fein, nicht einmal

Im fechszehnten Jahrhundert. 23

bei Nacht. Vergebens preif’t man mir das Glück der Ehelofigfeit, die Vortheile der Einſamkeit an, ich glaube mich nicht dafür gefchaffen. Ich muß ein Wejen haben, bei dem ih mich von ven Sorgen, ja au von ven ernften Studien erholen, mit dem ich fpielen, Scherze treiben, angenehme und leichtere Unterhaltung pflegen fann; ein Wefen, bei vem ich die Schärfe des Grams abjtumpfen, die Hite des Kummers mildern fann. Gib mir eine Frau, mein Friedrich, und damit du wiſſeſt, was für eine, fo laſſ' fte ſchön fein, jung, wohlerzogen, heiter, züchtig, geduldig. Beſitz gib ihr genug, nicht viel. Denn Reichthum fuche ich nicht, und was Stand und Gefchlecht betrifft, jo glaube ich, wird viejenige adelig genug fein, welcher Hutten feine Hand reicht 9). Nicht nur der arme Nitter erwies jich jo erhaben über Raftenvorurtbeile, ſondern auch Fürften hielten e8 feines- wegs für Schande, mit bürgerlihen Mädchen Ehebünp- niffe einzugeben. So. thaten ver Herzog Wilhelm von Baiern und der Erzherzog Ferdinand von Defterreich, des nachmaligen Kaiſers Ferdinand I. Sohn, indem jener die Maria Bettenbed, dieſer die Bhilippine Welfer heiratete. Die Gefchichte der ſchönen und geiftwollen Philippine ift ein wahrer Roman der Wirklichkeit, ein Triumph des NReinmenfchlichen über die Konvenienz und zugleich ein Beweis, daß die Wiederfittlihung des Ver— hältnifjes der beiden Gefchlechter, welche ver reformato- riſche Geijt an die Stelle der romantischen Laxheit und

9) Huttens Werke, III, 158. Strauß, U. v. Hutten, I, 397.

24 Bud II. Kap. 1.

Leichtfertigkeit ſetzte, auch auf fatholifche Kreife zurück— wirkte. Es war doch ein Gewinn, den Grundfag zur Anerkennung gebracht zu fehen, daß auch fürftliche Nei⸗ gungen nur in der Ehe ihre Befriedigung foliten finden dürfen. Unter tiefem Gefichtspunfte könnte dann auch die vwielangefochtene und allerdings ſehr anfechtbare Billigung, welche Luther und Melanchthon ver Doppelehe des Yandgrafen Philipp von Heffen angeveihen ließen, eine etwas bilfigere Beurtheilung finten. Philipp war in jüngeren Jahren ein ſehr munterer Herr und e8 läſſt fi begreifen, daß ihm das ſchöne Hoffräulein feiner Gemahlin, Margarethe von der Saal, beffer gefiel als tie Land⸗ gräfin Ehriftine, welche mit wiverlichen förperlichen Eigen=- Ichaften behaftet gewefen fein fol. Aber das Fräulein leiftete feinen galanten Zumuthungen einen jo entfchie- denen Widerftand, daß feine Leidenſchaft auf das feltfame Ausfunftsmittel einer förmlichen Doppelehe verfiel. Viel—⸗ leicht hat die in jenen Tagen übermäßig große Geltung des alten Zeftuments, welches die Monogamie befannt- lih nicht forderte, fehr zur Wedung eines folchen Ge- dankens beigetragen. Der Landgraf ließ fich feine An jtrengung verdrießen, feine Geliebte ftatt zu einer Kebfe zu feiner rechtmäßigen Ehefrau zu machen, und nachvent er die Einwilligung ver Landgräfin und die in Form eines jchriftlichen „Beichtraths“ achlelzudend gegebene Billigung der beiden großen wittenberger Theologen er- halten hatte, machte er mit dem fchönen Gretchen im März 1540 zu Rothenburg an ver Fulda Hochzeit.

Die Sache erregte allgemeines Auffehen und Aerger-

Im ſechszehnten Jahrhundert. 5

niß, um fo mehr, da das furz zuvor in Kraft. getretene Strafgeferbuh Kaifer Karls V. (die Hals- oder Pein- liche Gerichtsordnung, gewöhnlich die, Karolina“ genannt) die Bigamie unter die fchweriten Verbrechen eingereiht hatte 1), Weil wir gerate von viefem Geſetzbuche veven, jo jet bemerkt, daß dafjelbe mit furchtbarer Strenge gegen vie gefchlechtlihen Vergehungen verfuhr, und gerade vie iharfen Strafen, womit Entführung, Notbzucht, Che: bruch, Blutſchande, mwidernatürlihe Wolluft, Kuppelei, Fruchtabtreibung und Kindermord bedroht wurden, be— zeugen des Imſchwangegehen dieſer Frevel. Die Annalen der Strafrechtspflege des 16. Jahrhunderts liefern hierfür die faktiſchen Belege. In ten Aufzeichnungen des nürn- bergers Scharfrichters Meifter Franz kommen Ehemweiber vor, die mit zwanzig und mehr. Sunggefellen und Ehe- männern Unzucht getrieben; ferner Fälle von Bigamie und fogar von Trigamie, von Sodomiterei aller Arten, von an Rindern von 6 bi8 11 Jahren vwerübter Noth- zucht, von Blutichande mit Vater und Bruder. Nein, e8 wäre nur eine grelfe Barteianficht, die der Sittengejchichte

10) Item fo eyn ehemann eyn ander weib oder eyn eheweib eyn andern mann in geftalt der heyligen ehe bei leben des erften ehegeſellen nimbt, welche übelthat dann auch eyn ehebruch und größer dann das felbig Tafter ift, und wiewol die Keyferlichen recht auff ſolche übelthat kayn ftraf am leben ſetzen, fo wollen wir doch, welcher ſolchs laſters Letrüglicher weiß, mit wiffen und willen urſach gibt und volbringt, daß die nit weniger dann die ehebrüchigen peinlich geftraft werben follen (d. i. mit dem Tode). Karolina Ausg. v. Koch (1800), ©. 63.

26 Bud III. Kap. 1.

ing Geficht ſchlüge, wollte man behaupten, ver Proteftan- tismus habe wie mittel8 eines Zauberfchlages nie Menſchen ihrev Thorheiten, Xafter und Verbrechen entwöhnt 11). Es bedurfte langer Zeit, bis der fittliche Geift der Re— formation oben wie unten mehr und mehr zum Durch bruche fam. Das 16., das 17. und noch die größere Hälfte des 18. Jahrhunderts waren nicht danach ange- than, die von ver reformatorifchen Bewegung ausgeftreu- ten fittlihen Keime zu entwideln, und zur Reformatione- zeit jelbjt war nicht allein die urtheilslofe Menge, jon- dern auch die höhere Gefellichaft vielfach bereit, die Lofung Freiheit mit Srechheit zu überjegen. So gab insbefonvere die oft jehr tumultuarifche Aufhebung der Klöfter zu Ausschreitungen Veranlaffung, welche zu den

11) Am uumittelbarften und gewaltjamften bat die Reforma- tion befanntlih in Genf in das Sittenregiment eingegriffen. Aber die Folgen waren ganz andere als uns die Fartcatchers des wider⸗ wärtigen Pfaffen Calvin glauben machen wollen. Denn in Wahrheit hat in Genf niemals ein Ärgeres Sittenverderbniß geherrſcht ale zur Zeit, wo die ſchnöde Tyrannei des Kalvinismus mit der gan- zen Wucht ihrer Machthöhe auf der Stadt lag. Vgl. hierüber die beiden, zum höchften und leicht begreiflichen Aerger der Theologen auf die Perſon des Fanatifers Calvin und auf das Wejen des Calvinismus ganz neue Kichter werfenden, unwiderleglich beurfun- deten Abhandlungen won J. B. ©. Galiffe: „Quelques pages d’histoire exacte* (Genève 1862) und „Nouvelles pages d’hi- stoire exacte* (Genève 1863). Am folgerichtigften ausgebildet und am Yängften aufrecht erhalten wurde der religidfe Defpotis- mus der Calvinifterei in Schottland. S. darüber das höchſt beleh- rende, in jeiner Art einzige 5. Kapitel des 2. Bandes von Budle’s _ „History of civilisation in England.“

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Schattenfeiten der Reformation gezählt werden müffen. Es ift keineswegs immer ein Antrieb religidfer Ueber—⸗ zeugung gewefen, was viele Nonnen die Klaufur brechen machte. Früher hatten fih die Infaffinnen ver Frauen» häufer in die Klöfter geflüchtet; jet trat Häufig ver umgefehrte Fall ein, indem die Nonnen aus ven Klö⸗ ftern in die Bordelle liefen. So 5. B. bei ver i. S. 1526 vorgenommenen Aufhebung des Klarenklofterd zu Nürnberg 7). 8 eriftiren Aufzeichnungen eines Xaien- bruder im Auguftinerflofter Bödeken bei Paderborn, "welche die wahrheitsgetreuen Berichte eines Augenzeugen über die Art und Weife enthalten, wie die Reformation von vielen veritannen wurde!53). Da wird uns bald ein Priefter vorgeführt, ver eine Nonne aus dem Klofter holt, um in unehrbarfter Weife mit ihr Land auf Land ab zu fahren; bald eine alte hochmüthige und mann®- füchtige Nonne, die ſich richtig noch an ven Mann zu bringen weiß; bald endlich eine hochadelige Gefellfchaft, welhe, Herren und Damen bunt durdeinander, zum Entjegen des guten Bruders Göbel in fein Klojter ein- bricht und da mit Schmaufen, Tanzen und Springen ein Höllenſpektakel verführt.

Das alles ericheint jedoch als harmlos gegenüber jener furchtbaren Verirrung der reformiftifchen Bewegung,

12) „Eins teil Numlein Iuffen von ein Klofter in das andere, das was in das Lieb Frauenhans.“ Aus bes Goldſchlägers An- toni Kreutzer handiriftl. Chronika der St. Nürnberg, abgebr. im Klofter, VI, 459.

13) Zeitſchr. f. d. Kulturgeich. 1859, ©. 196 fg.

28 Fud IH. Kap. 1.

welche in der Wierertäuferei zu Tage trat. Beim erften Auftauchen der wiebertäuferifchen Selten zwar treffen wir in mancher derfelben die ganze Hoheit einer religiöfen Begeifterung, weldhe makelloſe Märtyrerfränze um vie Stirnen todesfreudiger Belenner legte. Als im Salz- burgifhen von jeher eine Xieblingsftätte pfäffiicher Wuth die durchaus harmloje wierertäuferiiche Sefte der Gärtnerbrübder mit Schwert und Feuer ausgetilgt wurde, befand ſich unter ten Opfern auch ein fchönes junges „Fräulein von ſechszehn Jahren. Da fie ſtand— haft ten Widerruf verweigerte, jollte fie lebendig ver- brannt werden. Das wenigitend erjparte ihr ver Henker, denn, menfchlicher als die Richter, nahm er Die arme Rleine auf ven Arm und trug fie zur Roßtränfe, wo er fie unter das Waſſer hielt, bis fie todt war, um dann erft den Leich- nam aufden Scheiterhaufen zu werfen 1%). Wo freilich, wie in der Wiedertäufertragövie zu Münfter geſchah, Leute wie die Rottmann, Matthys, Knipperdolling und Bodel- fon zeitbewegende Ideen zu ungehenerlichen Karikaturen verzerrten, da konnte die Beftie im Menfchen brülfend auffpringen, ta hatte der religiöfe Fanatismus ein Neſt gefunden, wo er recht gemächlich feine legitimen Zwillings— töchter, Wolluft und Graufamfeit, zeugen und mit Schmad), Thränen und Blut großfüttern konnte. Wir werben zwar dem Wirfen viefer Zwillingsichweftern ſelbſt im 19.

14) Newe Zeyttung von den widderteufern und yhrer Sect (1828), bei Ranfe, Deutſche Geſch. im Zeitalter d. Reformation, III, 508 fg.

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Jahrhundert noch auf deutſchem Boden begegnen; aber mit fo foloffaler Schamlofigfeit, wie fie in den Jahren 1534 unv 1535 unter den Wievertäufern in Münfter aufgetreten, haben fie fich. feither in Deutſchland doch nie mehr gebärdet. Die münfter’jche Wiedertäuferei ift zu- gleich jeit der merowingijchen Zeit der einzige Verſuch gewefen, die WVielweiberei in einem chriftlichen Lande förmlih einzuführen. Ian Bodelfon, „der gerechte Ko- nink in dem neuen Tempel von Zion“, hatte fih ein Harem von vierzehn Frauen eingerichtet. Seine „Großen“ ahmten ihm nach und e8 ging überhaupt ganz orientalifch- beitialiih in Münfter zu. Die Weltgejchichte hat wenige Schreckbilder aufgeftellt, die jenem gleichfommen, welches den San Bodeljon, den Spröſſling eines helländifchen Schulzen und einer hörigen Magd aus Weftfalen, zeigt, wie er, angethan mit dem königlichen Drnat, -eine feiner vierzehn Frauen, Namens Eliſabeth, welche ihm erklärt hatte, daß fie feiner Liebfojungen überbrüffig wäre, in Proceffion auf ven Marftplag führt, der Unglücklichen daſelbſt mit eigener Hand das Haupt vom Rumpfe jchlägt und dann mit feinen übrigen breizehn Weibern einen Rundtanz um den blutenden Leichnam macht, wobei alle das Lied anftimmen: „Allein Gott in ver Höh' ſei Ehr'!“ In Wahrheit, e8 ift noch wie ein Lichtpunkt in viefem düfteren Gewebe von Raferei, wenn der Fanatismus in Münjter eine Nachahmerin der hebräifchen Judith auf- .. ftehen machte. Wie die Hebräerin ins Lager des Holos fernes, ging die Frieſländerin Hille Feike ins Zelt des mit einem Heere die Stadt umlagernden Bifchofs von

30 Buch III. Kap. 1.

Münfter hinaus, um ihn zu ermorden ; aber fie büßte ihr mifiglüdtes Vorhaben mit dem Zope 1°).

Auch abgefehen von dem münfter’fhen Gräuel, drängt fih tem ruhigen Betrachter hiftorifcher Thatſachen die Meberzeugung auf, daß, wenn unzuredhnungsfähige Igno- ranten oder feile Parteiffribenten von einer fogenannten „guten alten frommen Zeit” zu reden lieben, dieſe Be— zeichnung tem Reformationgzeitalter im ganzen und ° großen ebenfowenig zufteht wie vem Mittelalter. Es ift überhaupt ein ganz leeres Gerede ohne alle gefchichtliche Deveutung. Die gute alte fromme Zeit, wie fich vie bezeichneten Leute viefelbe einbilden oder anderen ein- bilden wollen, bat gar nie exiftirt. Der Gefchichtjchrei- ber hat weder die Aufgabe noch das Recht, die Vergan— genheit zu fchelten, weil viefelbe nach ihren eigenen und nicht nach -unjeren Begriffen gemotelt war, weil fie das Leben faſſte und führte, fo gut wie fie e8 eben verſtand; aber er ift berechtigt, fagen, daß, im Lichte ver Bil- dung und Gefittung von heute angefehen, die Refor- mationgzeit, wie das Mittelalter, barbarifch erfcheinen muß, barkariih im Fühlen und Denfen, barbarifch in Entbehrung und Genuß, barbariſch in Verbrechen une Strafen, barbariich in Triumphen und Niederlagen. . . -

Das gefellige Leben ging während des 16. Jahr⸗ hunderts in Deutfchland noch fo ziemlich im Geleife ver

142) Ich verweife auf mein Buch „Größenwahn, vier Kapitel aus ber Gefchichte menjchlicher Narrheit”, (1876), allwo ih (S. 75 124) diefe Orgie des Wahnwitzes, das Wiedertäuferfpiel von Münſter, einer quellenmäßigen Darftellung unterzogen habe.

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ritterlichvomantifchen Ueberlieferungen fort. Es wurde bis gegen 1560 Hin noch viel turnirt und fonft im Stil der berfömmlichen Höfiſchkeit gehandelt und gewandelt. Aber entweder erfcheint dieſes ritterliche Treiben als ein gefpenftiger Spuk, zum Zerrbilo verfchnörfelt, oder ganz ins Gemeine verfladt. Das Nitterthum, welches felbit in der Perfon eines Franz von Sidingen nur für furze Weile wieder eine fünftlihe Bedeutung hatte gewinnen fönnen, war tobt won der Zeit an, wo die Kriege mittels „frummer Landsknechte“, d. i. mittel® fehr unfrommter Sölonerheere geführt wurden. Die Ritter wurden felber zu Landsknechten und Yanvsfnechtshauptleuten oder zu Hofvienern oder zu einem unerquidlichen Mifchmafch von Rrautjunfern und Wegelagerern. Man leſe nur vie Selbftbiographieen des Götz von Berlichingen, des Hanns von Schweinichen und des Bartholomäus von Zaftrow und man wird erfahren, wie profaifch, gemein und lum- pig e8 im 16. Jahrhundert in ven „ritterlichen“ Kreiſen bergegangen, im Südweſten wie im Djten und Norden unferes Vaterlandes 15). Es gehörte das Genie Göthe's dazu, aus dieſem Götz einen Helven zu machen; denn in ter Wirkflichfeit war er, obzwar von der Natur zu einem

15) Das Leben Götzens v. Berlichingen, Nürnberg 1731. Graf Götz v. Berlidingen, Geſchichte des Ritters Götz v. Ber- lichingen, Leipzig 1861. Begebenheiten des ſchlefiſchen Ritters Hanns v. Schweinichen, herausgegeben v. Büſching, Brejlan 1820—23. Denkwürdigkeiten von Hanns v. Schweinichen, herausgegeb. von Defterley, Breſſau 1878. B. Eaftrowen Herkunft, Geburt und Lauf feines Lebens, herausg. von Mohnike, Greifswald 1823— 24.

32 Bud II. Kap. 1.

hochherzigen Charakter angelegt, ein ziemlich gewöhnlicher Stegreifritter, deſſen Nitterlichfeit nicht fo weit ging, vor ven fehmähfichiten Unternehmungen zurüdzufchreden 19). Und diefer Hanns von Schweintchen, ver ſich, wie er jelber fagt, durch „faufen eine große Kundſchaft im Reihe gemacht“ und mit feinem lumpigen Herm, dem Herzog von Liegnig, Schmaroger- und Borgerfahrten durch Deutfchland anitelite! Die romantifhen Formen und Formeln waren im 16. Jahrhundert nur noch Ver- ipottungen ver im Grunde ganz nüchtern und realiftiich geftimmten Wirklichkeit.

Diefer Realismus bildete ein fehr heilfames Gegen- gewicht zu dem Theologismus, welcher durch vie Nefor- mation das vorwiegendfte Rulturelement wurde. Es war jehr nöthig, daß der theologifhen Verweiſung auf das Jenſeits eine Richtung zur Seite ging, welche praftijch- verftändige Zwede im Dieffeits anftrebte- In der Berfon Luthers vereinigten fich beide Richtungen in denkwürdiger Weife: er glaubte an Himmel und Hölfe, aber er wußte auch frifchweg zu genießen, was vie Erte bot. Der realiftiiche, durch das wiedererwachende fittlihe Bewußt⸗ jein verevelte Hang der Zeit mußte felbjtverjtändlich auch die Stellung ver Frauen in der Gefellfchaft beein- fluffen. Der romantijche Nimbus, in welchen ver Minne-

16) M. ſ. in der angezogenen Selkftbiograpbie des Ritters ©. 1724 fg. die Erzählung feines für ihn ſchmachvollen Abenteuers mit dem Grafen Philipp von Walded i 3.1516. Und er erzählt die Geſchichte jo trenherzig, daß man ſieht, das ritterliche Gewiſſen batte zu diefer Zeit eine ſiebenfache Hornhaut angejeßt.

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geſang die Frauen gehüllt, war ſchon im 14. und mehr noch im 15. Jahrhundert völlig zerfloſſen und von der niedrig⸗ſinnlichen Anſchauung, die man zu Anfang des 16. Jahrhunderts von dem ſchönen Geſchlechte hatte, zeugt laut die erzproſaiſche, faſt peinliche Specificirung der weiblichen Schönheiten, wie man fie bei Autoren von damals trifft 17).

-

17) Bebel keantwertet in feinen Yacetien (III, Fol. 89) die Frage: „Quibus mulier perfecte formosa naturae dotibus prae- dita sit?* dahin, daß ein volllommen ſchönes Weib dreimal fieben körperliche Reize beſitzen müſſe. Etwas fpäter wurden dann die einundzwanzig Schönheiten auf dreißig gefteigert und wurde biefe Steigerung durh Johannes Nevizanus in feiner „Silva nuptia- lis“ (Paris 1521) aljo in Berje gebracht:

-„Triginta haec habeat quae vult formosa vocari

Foemina, sic Helenam fama fuisse refert. Alba tria et totidem nigra et tria rubra puella, Tres habeat longas res totidemque breves, Tres crassas, totidem graciles, tria stricta; tot ampla Sint ibidem huic, sint quoque parva tria. Alba cutis, nivei dentes, albique capilli, Nigri oculi, cunnus, nigra supercilia. Labra, genae atque ungues rubri, sit corpore longa Et longi crines, sit quoque longa manus. Sintque breves dentes, auris, pes, pectora lata Et clunes distent ipsa superecilia. Cunnus et os strietum stringunt ubi cingula stricta, Sint coxae et culus vulvaque turgidula. Subtiles digiti, crines et labra puellis, Parvus sit nasus, parva mamilla, caput“. Der Umftand, daß in dieſem Recept ſchwarze Augen und Brauen. gefordert. werben, beweift, daß e8 nicht germaniſchen, ſondern ro-

manifchen Urfprungs war. In der That findet e8 fich auch in ſpaniſcher Scherr, Frauenwelt. 4 Aufl. II. 3

34 Bud III. Kap. 1.

Die reformiftifche Erörterung und Löſung der Cöli— batsfrage mußte nun, wie ſchon oben bemerft worven, auch die Anfiht vom Weibe läutern und in den groben Materialismus, welder im Berfehr ver beiden Ge- ichlechter herrſchend geworben, ein feelifches Clement zurüdführen. Allerdings wurde jener Materialismus im allgemeinen jo wenig gänzlich verbrängt, daß wir ihn vielmehr im 17. Iahrhunvdert wieder in üppigfter Wucerung finden werden; allein alle Denfenden und Redlichen kamen doch darin überein, daß eine gute Frau des Mannes größter Kebensfegen fei. Unter einer „guten“ Frau verjtand man aber nicht mehr im Sinne höfifch-romantifchen Ueberſchwangs eine Göttin, die ge- legentlih auch als buhleriſche Nymphe erfcheinen fonnte, jondern die treue, tüchtige, freundliche Lebensgefährtin, Sänftigerin und Ergänzerin des Mannes, die verſtändige und emſige Hauswirthin, die ſorgſame Pflegerin und Erzieherin ihrer Kinder. Diefes Frauenideal, welches wir auch durch Luther aufftellen jahen, legt im cha— rafteriftiichen Gegenfag zu der NRitterromanitif, welche die weibliche Körperjchönheit betonte, vie Betonung auf die Seelenſchönheit, auf die fittlichen Eigenschaften ver rauen. So fehrt es bei allen wahrhaft bedeutenden.

und franzöfilher Sprache und zwar bei Brantöme (Oeuvres, III, 291). Fünfzig Jahre vor der Zeit, mo Newizanus feine Diftichen werfaflte, einverleibte die Klara Hätlerin zu Augsburg ihrem Liederbuch einen Reimfpruch über bie Einzelnheiten weiblicher Schönheit, welder jo verbrealiftiich lautet, daß ich Bedenken tragen muß, denfelben nacdhzufchreiben. (Ausg. v. Haltaus, 1840, LXVIU.)

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ſpäteren deutſchen Autoren des 16. Jahrhunderts wieder und der genialſte und vielſeitigſte derſelben, Johann Fiſchart, hat ihm einen ganz beſonders vortrefflichen Ausdruck gegeben 18).

Der Ton dieſes ganzen Zeitalters war übrigens ein keineswegs zarter. Im Gegentheil ein kraftſtrotzender, rückſichtsloſer, derber, ſo ſtark in den Grobianismus fallender, daß ſich im 16. Jahrhundert, wie jedermann weiß, förmlich eine „grobianiſche“ Literatur in Deutfch-

18) In ſeinem Ehezuchtbüchlein (1578): „Wann Er ſchreiet, Sie nur ſchweiget; Schweiget er dann, redt fie jn an. Iſt er grimmfinnig, ift fie fülfinnig, Iſt er vilgrimmig, ift fie ftillftimmig, Iſt er ftillgrimmig, ift fie troftftiimmig, Iſt er ungftümmig, ift fie Heinftimmig, Tobt er aus Grimm, jo weicht fie jm, Iſt er wütig, jo ift fie gütig, Mault er aus Grimm, redt fie ein jm. Er ift die Sonn, fie ift der Mon, Sie ift die Nacht, er hat Tagsmacht. Was nun von der Sonnen am Tag ift verpromnen, Das kült die Nacht durch des Mons Macht. Alſo wird gftillt auch was ift wild: Sonft gern gihicht, glei wie man ſpricht, Zwen harte Etein malen nimmer Hein. Ein gſcheid Frau lafit den Dann wohl wüten ; Aber dafür joll fie ſich hüten, Daß fie jn nicht lang maulen laffe, Sondern durch linde Weis und Maße Und durch holdſelig freundlich Geſpräch Bei Zeiten jm den Mund aufprech“. ge

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Im ſechszehnten Jahrhundert. 37

von- damals ihre Gloffen gemacht haben, alfo fort; Phaẽton. Dort jieh ich etliche vermiſcht und nadet unter ein⸗ ander baden, Frauen und Männer, und glaub das ohn Schaden ihrer Zucht und Ehr nit zugehn. Sol. Ohn Schaden. Ph. Ich fieh fie fich doch küſſen. ©. Freilich. PH. Und freundlich umfahen. S. Ja, ſie pflegen etwan auch bei einander zu fehlafen. Ph. Vielleicht haben fie die Gefeß Platonis angenommen, daß fie die Weiber gemein(jam) halten. ©. Nit gemein; ſonder in dieſem beweifen fie ihren Glauben (vd. H. ihr Vertrauen zu ven Frauen). Denn an feinem Ort, da man der Frauen hüt', magſt du weibliche Scham unverfehrter finden denn bei dieſen, die deren fein Wartung noch Uffehung haben. Es ift auch nirgend weniger Ehebruch und wird die Ehe an dem Ort am ftrenglichften gehalten, Ph. Sprächeſt du, fie, neben Küffen, Umfahen, auch bei einander ichlafen, nichts weiter beginnen? Und dazu bei ber Naht? ©. Ich ſprech: ja. Ph. Und gejchieht das auch ohn allen Verdacht? Und die ihre jungen Weiber und Maidlin von andern alſo behandelt werven fehen, förchten fie nit (für) derfelbigen Ehren? ©. Au fein Gedanfen haben fie deß. Denn fie getrauen einander wohl und leben in guter Treu und Glauben, frei und redlih, ohn allen Trug und Untreu?) .... Schade nur, daß dieſe optimiftifche Auffaffung aus dem Mittel- alter überfommener Naivitäten vonſeiten der Wirk— fichfeit ſicherlich manches Dementi erfuhr. Huttens

20) Huttens Werke, V, 243.

36 Bud II. Kap. 1.

fand entwidelt bat. Schon aus den furdhtbaren Derb- beiten, wovon die Streitihriften ver NReformatoren vor allen die Luthers und ihrer Gegner wimmeln, fann man abnehmen, was alles auch Frauenohren da—⸗ mals anzuhören befamen. Nicht immer, ohne durch dieſen alle Dinge frifchweg bei ihren Namen nennenden Um- gangston, welcher gar gem ein „Zötlein“ oder auch wohl eine Zote, wie fie heutzutage nur noch betrunfene Bauernferle,. Fuhr- und Schiffsleute vorzubringen wagen, mitunterlaufen ließ, vwerlett zu werden. Der feinfinnige Eraſmus läſſt in einem feiner „Colloquien“, welche für die Sittengefchichte jener Zeit jo wichtig find, ein jchuld- loſes und liebenswürbiges Mädchen auftreten, welches fih über die häufigen Gaftereien im väterlichen Haufe beflagt. Die Geſpräche ver Verheirateten feien bei folchen Anläffen nicht immer züchtig und zumeilen müſſe es ſich fogar küſſen laſſen 19). Aus Huttens urſprünglich lateiniſch geſchriebenem, nochmals von dem Verfaſſer ver⸗ deutſchtem Geſprächsbuͤchlein die „Anſchauenden“ (adspi- cientes) wiſſen wir, daß mittelalterliche Sitten, die uns heute bedenklich genug vorkommen, die aber, Huttens Verſicherung zufolge, ganz unbedenklich waren, noch zur Reformationszeit in Deutſchland im Schwange gingen. Die Anſchauenden, nämlich Sol und fein Sohn Phaeton, betrachten fich unfer Land aus ver Vogelperfpeftive und fahren, nachdem fie über die Trunkſucht der Deutjchen 19) „Offendunt me in aedibus paternis crebra convivia;

nec semper virginea sunt quae illic dicuntur inter conjugatos. Et aliquoties fit, ut osculum negare non possim“,

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von-damals ihre Gloſſen gemacht haben, alſo fort; Phaeton. Dort ſieh ich etliche vermiſcht und nacket unter ein- ander baden, Frauen und Männer, und glaub das ohn Schaden ihrer Zucht und Ehr nit zugehn. Sol. Ohn Schaden. Ph. Ich fieh fie fich doch füffen. ©. Freilich. Ph. Und freundlich umfahen. ©. Ja, fie pflegen etwan auch bei einander zu ſchlafen. Ph. Vielleicht haben fie die Geſetz Platonid angenommen, daß fie die Weiber gemein(jam) halten. S. Nit gemein; fonder in dieſem beweifen fie ihren Glauben (vd. h. ihr Vertrauen zu den Frauen). Denn an feinem Ort, da man der Frauen hüt', magft vu weiblihe Scham unverfehrter finden denn bei viefen, die deren fein Wartung noch Ufjehung haben. Es ift auch nirgend weniger Ehebruch und wird die Ehe an dem Ort am ftrenglichiten gehalten. Ph. Sprächeſt du, fie, neben Küffen, Umfahen, auch bei einander ichlafen, nichts weiter beginnen? Und dazu bei der Naht? ©. Ih ſprech: ja. Ph. Und gefchieht das auch ohn allen Verdacht? Und die ihre jungen Weiber und Maidlin von andern alfo- behanvelt werben jehen, förchten fie nit (für) derjelbigen Ehren? ©. Aud fein Gedanfen haben fie dep. Denn fie getrauen einander wohl und leben in guter Treu und Glauben, frei und redlich, ohn allen Trug und Untreu?) .... Schade nur, daß diefe optimiftifche Auffaffung aus dem Mittel- alter überfommener Naivitäten vonjeiten der Wirk— lichkeit ſicherlich manches Dementi erfuhr. Huttens

20) Huttens Werke, V, 243.

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38 Buch III. Kap.1.

Zeitgenofſe falls man nämlich zwei in demſelben Jahrhundert lebende Männer Zeitgenoſſen nennen kann Hanns von Schweinichen, deſſen ſchon erwähnte Selbit- biographie von 1552 bis 1602 reicht, läſſt uns den ge- jelligen Verkehr viefer Zeit in einem viel weniger ivea- liſtiſchen Lichte fehen. „Im Jahre 1570 erzählt er begonnte ich mich auch allbereit etlichermaßen um vie Sungfrauen zu thieren und daucht mich in meinem Sinn Meifter Fix zu fein. Bin auch auf Hochzeiten geritten und jonften, wohin ich gebeten worden, mich gebrauchen lafjen und fraß und foff mit zu halben und ganzen Nächten und machte e8 mit, wie fie e8 haben wollten“. Zwar bemerft er weiterhin: „Im Jahre 1573 Habe ich be— funden, was Liebe ift, venn ich habe eine Magd fo lieb gewonnen, daß ich davor nicht habe jchlafen mögen. Bin ich doch fo keck nicht gewefen, daß ich ihr was an⸗ gemuthet hätte. Deromwegen halte ich davor, Daß bie erjte Xiebe die heißeſte tft“. Allein dieſer Platonismus des guten Ritter hielt nicht lange vor, und was unter dem „Mitmachen“, wovon er zuvor gefprochen, zu ver- jtehen fei, erfahren wir aus feiner Bejchreibung ver Fahrt, welche er mit vem Herzog Heinrich XI. von Lieg- nig nah Mecklenburg that. Er erzählt von einem Hoffeit, dem er dort anwohnte, und fährt dann fort: „Die einheimischen Junkern verloren fi, ebenfo vie Jungfrauen, daß alfo auf die let nicht mehr als zwo Sungfern und ein Yunfer bei mir blieben, welcher einen Zanz anfing. Dem folget ih nad. Es währte nicht lange, mein guter Freund wifcht mit der Jungfer in

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die Kammer, ſo an der Stuben war; ich hinter ihm hernach. Wie wir in die Kammer kommen, liegen zween Junkern mit Jungfrauen im Bette; dieſer, der mir vor- getanzet, fiel mit feiner Jungfer auch in ein Bette. Ich fragte die Jungfrau, mit der ich tanzet,. was wir machen wollten? Auf mecklenburgiſch fo fagt fie: ich foll mich zu ihr in ihr Bette auch Tegen; dazu ich mich nicht lange bitten ließ, legt mich mit Mantel und Kleivern, ingleichen die Jungfrau auch und reden alfo vollends zu Tage, jedoch in allen Ehren. Das beißen fie auf Treu und Slauben beifchlafen, aber ich achte mich ſolches Beiliegens nicht mehr, denn Treu und Glauben möchten zu einem Schelmen werben 21)“.

Der Zanz ſtand unter ven VBergnügungen jenes Zeit- alters obenan. Er durfte, fo wenig als ein wohlbefegter Ticſch mit vollgefüllten Bechern, bei feiner häuflichen over öffentlichen Xuftbarfeit fehlen. „Der Tanz meint ein Theolog von damals fei anfänglich in ehrbarer Meinung erdacht und zugelaffen worden, damit die Jugend in vieler Leute Gegenwart Zucht hielte und zwifchen Jung⸗ frauen und Yünglingen ebrliche Liebe geftiftet würde. Denn beim Zangen könne man die Sitten der jungen Leute fpüren und merken. Es ſollte aber dabei alles züchtig zugeben 29)”. Gerade das war aber nicht ver Fall, und wenn auch billig angenommen werden darf, daß nicht wenige der Sittenprediger, welche gegen bie unfitt- lihen Tanzweiſen eiferten, der befannten theologifchen

21) 9. v. Schweinichen a. a. O. 22) Theatrum diabolorum (1575), fol. 219.

40 Bud III. Kar. 1.

Schwarzmalerei fich befliffen haben mögen, fo lauten die Zeugniffe, welche uns aus verfchiedenen Perioden bes 16. Zabrhimberts über vie herrſchenden unflätigen Tanz- bräuche vorliegen, doch zu beftimmt und übereinftimmend, als daß wir -fie überfehen vürften. Der große Gelehrte Agrippa von Netteöheim, keineswegs ein fanertöpfiicher Pedant, jagt in jeinem 1526 gefchriebenen Bu „De vanitate scientiarum“, man tanze mit unehrbaren Gebärden und ungeheurem Fußgeftampfe nach Iafeiven Weifen und zotigen Liedern. In buhlerifchen Umarmungen lege man dabei unzüchtige Hände an Mäpchen und Matronen, fie küſſend, und Lafterhaftigfeit für Scherz ausgebend verfchreite man dazu, ſchamlos das zu ent⸗ blößen, was die Natur verberge und die Sittfamfeit verhülle23). Im Sabre 1567 verdffentlichte Florian von Türftenberg, Pfarrherr zu Schnellewalde, feinen „Zants. teuffel, das ift wider den leichtfertigen unverſchämten Welttang und ſonderlich wider die Gottes Zucht und ehrvergefjene Nachttänge”, wobei, wie ver eifernde Mann fagt, die Tanzenden „oft durcheinander unorventlich gehen und lauffen wie die bifenvden Küh, fich werffen und ver- drehen, welches man jekt verfünern heiffet. So gefchlehet nun ſolch jchendtlih, unverfhämt ſchwingen, werffen,

23) „Saltatur inconditis gestibus et monstroso pedum strepitu ad molles pulsationes, ad lascivas cantilenas, ad ob- scoena carmina. Contrectantur puellae et matronae impu- dieis manibus et suaviis meretriciisgque amplexibus et quae_ abscondit natura, velavit modestia, ipsa lascivia tunc saepe nudantur et ludi tegmine obducitur scelus“. L.c.cap. 18.

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verdrehen und verködern von den Tantzteuffeln, fo ge⸗ ſchwinde, auch in aller Höhe, wie der Bawer den flegel ſchwinget, daß bißweilen den Jungfrauwen, Dirnen und Mägven die kleider biß über ven Gärtel, ja bis über ven Kopff fliegen. Ober werffens fonft zu boden, fallen auch wol beive und andere viele mehr, welche geſchwinde und unvorfichtig hernach Tauffen und rennen, daß fie über einem bauffen liegen. Die gerne unzüchtig Ding fehen, denen gefellt folch ſchwingen, fallen und Fleiverfliegen fehr wol, lachen und feind fröhlich dabey, denn man machet jnen gar ein fein welſch Bellvivere. Welche Sungfram, Magd und Dirne am meiften am Zange herumgefüret, geſchwungen, gedrehet und gefchawet wirbt, bie ift bie fürnemdfte und beſte und rühmen und fagen die Mütter- fein felber: Es ift gar bedrang umb meine Tochter am Zange, jederman wil mit jr tangen, fie hat heut am Tantz guten Markt gehabt. Auch fticht der Narr unfre jungen und alten Witwen, die treibens ja fo körbiſch, wilde und unfletig al8 die jungen Mägdlein, fein bey ven Rachttängen fowol die erften und vie legten 2%". In dem „Eheſpiegel“ des Cyriakus Spangenberg, in welchem fünfzig Brautpredigten des Verfaſſers zufammengeftellt find, werden auch im lebten Viertel des 16. Jahrhunderts bie fchon früher laut gewordenen Klagen über das wüſte Zangen erneuert. Spangenberg ftellt vem ebrbaren Lanz, welchen er ven „burgerlichen”“ nennt, ven Bubentanz 24) Tanstenffel (Frankf. 1567), Fol. 38 fg. Die Streit-

ſchrift ift auch vwollftändig abgebrudt im Theatrum diabolorum, fol. 216 fg.

42 Buch IH. Kap. 1.

gegenüber, ven man, jagt er, auch ven Hurentanz” zu nennen berechtigt wäre. Denn „an den Abenbtänzen, da man nichts thut als unzüchtig tanzen, Ipringen, drehen, greifen, verleuret manch Weib ihre Ehr und gut Gerücht. Maniche IJungfram Iernet alda, das ihr befjer wäre, fie hatte e8 nie erfaren. Wer folhe Tänze billigt, iſt ein Bube, und wer fie vertbeidigt, ilt ein Schall. Denn was iſt da anders dann ein wildes, ungehewr vwiechijches Rennen, Lauffen und durch einander Zwirbeln? Da fiehet man ein fol unzüchtig Auffwerfen und Umb- werfen und Entblöffen ver Mägplein, daß einer ſchwört, es hätten die Unfläter, jo ſolchen Reyen führen, aller Zucht und Ehre vergeſſen, wären taub und unfinnig und tanzten St. Beistanz 2)”. Amtliche Beftätigungen finden dieſe Anklagen durch die Tanzordnungen, wie ſolche das ganze Jahrhundert hindurch von Fürften und Städten erlaffen und häufig erneuert wurden ein Beweis, daß fie gar wenig fruchteten. In ſämmtlichen wird pen Tanzen» den beiverlei Gefchlechtes eingefchärft, fich „gebührlich zu befleiven und zu beveden“, und ven Tänzern insbeſon⸗ dere. „Sungfrawen und Frawen nit jo herumbzuſchwin⸗ gen, nit auf und umbzuwerfen und unzüchtig zu blöſſen 2)*. Bon Mädchen und Frauen, die fo mit ſich tanzen ließen, war zu erwarten, daß auch im übrigen ihr Gebaren mehr ein rohes als feines geweſen ſei. Wir wollen zwar in Liebe annehmen, daß dieje Frauen-

25) Spangenbergs Ehejpiegel (1578), ©. 285 fg.

26) S. die ſächſiſch-meißniſche Verordnung v. 3. 1555 und die etwas ſpätere nürnberg'ſche bei Neinöhl, das Klofter VI, 421 fg.

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zimmer nicht die Mehrheit, fondern nur die Minverheit ausgemacht hätten; aber auch fo gab es deren noch ge- nug und übergenug, an welche der zuerjt lateinijch er- fchienene, dann verdeutjchte und fpäter (1567) in Reime gebrachte „Srobianus“ feine plumphöhniſchen Rathfchläge abreffiren konnte, wie fie fich benehmen follten, um recht grobianiſch zu ericheinen. Keck wie Falken follten fie auf ver Gaffe ihre Augen umhergehen laſſen, ihr Kränz- fein ftatt auf die Stine auf die Nafe fegen, furz, mög⸗ lichſt unweiblich und frech auftreten 27).

Was die Frauentradht des 16. Jahrhunderts angeht, fo reicht das Wort nicht aus, die wechfelnden Geftaltungen derfelben anfchaulih zu machen, um fo weniger, da zu dieſer Zeit in Deutfchland die mannigfaltigften „Volks⸗ trachten“ ſich zu entwideln anfingen22). Man muß - burhaus die alten „Trachtenbücher“ zur Hand nehmen und die Gemälde und Zeichnungen eines Dürer, Kranach, Holbein und anderer Meifter jener Zeit betrachten, wenn . man fi von den wechjelnden weiblichen Moden eine deutliche Vorftellung bilden will. Im allgemeinen ftellt jich eine entfchievene Wendung vom Unehrbaren zum Ehr-

27) „Wenn du gehft aber aus dem Hauß Und kombſt jet auff die Gaſſen nauß, So laß deine Augen umbher geb'n, Gleich wie man thut vom Falden fehn’,” u. |. w. Grobianus, Fol. 200 fg.

28) Weber die Entftehung und Geftaltung der deutſchen Volks⸗ trachten ſ. Falle, Zeitfehr. f. d. Kulturgeſch. 1859, ©. 217 fg. ©. 298 fg. Ueber die deutſchen Frauentrachten bes 16. Jahr: bunderts vgl. Falke, d. d. Trachten- und Modenmwelt, U, 1—167.

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baren heraus. Die fchamlojen Entblößungen, wie fie das 15. Jahrhundert vem 16. überliefert hatte, verſchwinden nach und nad, fchlagen aber mit der Zeit wuch in einen geſchmackloſen Gegenfag um, wie insbejondere die Move ver Halsfröfen zeigt, welche bis zur Ungeheuerlichfeit ver „Mühlſteinkragen“ fortging. Da jtedte venn ver Frauen- hals in einem fteif und weit abftehenden, pflugratgroßen Kragen, auf welchem ver Kopf wie auf einem Teller lag, aller anmuthigen Bewegung bar. Spanien hatte dieſe Mode angegeben, wie ja überhaupt die „Ipanifche Tracht“ damals in Deutfchland eingeführt wurde, und aus Franf- reich kam der Neifrod, über welchen fih der Hoffarte- teuffel” von Joachim Weftphal und Cyriakus Spangen- berg nicht weniger ereifert als über ven Gebrauch falfcher Haarflehten und über das „Schminken und Rleijtern - der Angefichter” 29). Zur Vervollftändigung des Gemäldes veutfcher Sitten im 16. Jahrhundert, foweit ein folches Gemälde inner- halb des Rahmens dieſes Buches überhaupt möglich ift, wollen wir nun, von den bäuerlichen Kreifen zu den fürftlichen aufſteigend, auf charakteriftiihe Erfcheinungen im fittlichen, häuflichen und gefelligen Leben hinweifen Fur den mehr als freien Verkehr zwifchen ven beiden Gefchlechtern im Bauernftande ift e8 bezeichnent, daß in den PBauernhäufern mancher Gegenven bie Schlafftätten ver Knechte und Mägde nicht von einander abgefonvert waren. So z.B. in Baiern. Die Folgen

29) Theatrum.diabolorum, fol. 364 b, bei. fol. 388 fg. und 395 fg.

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blieben denn auch nicht aus. Unzucht und Ehebruch graſſirten fo ſehr, daß der Kurfürſt Maximilian bald nach ſeinem Regierungsantritt (1598) ſich veranlaſſt ſah, ein ſtrenges „Sittenmandat“ ausgehen zu laſſen. Daſſelbe beſtimmte, daß ledige Weibsperſonen uneheliche Schwangerſchaften mit Geldſtrafen und Anhängung der „Geige“ büßen ſollten. Bei der vierten unehelichen Schwangerſchaft wurden ſie des Landes verwieſen. Das Edikt beſſerte übrigens ſelbſtverſtändlich die Sitten nicht, ſondern fügte der Ausſchweifung nur noch die Verbrechen der Fruchtabtreibung und des Kindermordes hinzu 80). Sp over Ähnlich war e8 anderwärts auch ; nicht etwa bloß in fatholifhen Gegenden, ſondern in proteftantifchen ebenfalls. Dagegen hat vie fittliche Tendenz der Refor- mation in bürgerlichen Kreiſen, vie patricifchen eingerechnet, jih mehr geltend zu machen gewußt und zwar unter ven Angehörigen beider Konfeffionen. Es muß in die Augen Ipringen, daß vom zweiten Viertel des Jahrhunderts an in ven veutfchen Städten die Phantaftereien der Ritterzeit mehr und mehr einer praftifch tüchtigen Auffaffung und Führung des Lebens, einer auf das Ehrbare und Haus- hälterifche abzielenden Nüchternheit Plag machten. Aus biefem Geift erwuchs im Gegenfaß zur Hoffitte vie ehrfame Bürgerfitte, welche die Frauen anwies, ohne Gefühle- überihwang hausmütterlih im wohlgeordneten Haufe zu walten, aus deſſen Räumen frohfinnige Gefelligfeit feineswegs verbannt war, aber wo fie doch ben An

30) Das fehr ausführliche Mandat ift abgebruct bei Wolf, Geſch. Marimilian’s I. und feiner Zeit (1807), I, 397 fg.

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forderungen einer geregelten Lebensweiſe fich fügen mußte. Wie begreiflich, mußte diefer folive bürgerliche Ton auch in das Verhältniß der beiden Gefchlechter eingehen und die romantischen Traditionen aus dem bürgerlichen Minne- und Eheleben mehr und mehr verdrängen. An die Stelle der Romantif, die ſich durch ihre Entartung binlänglich verrufen gemacht hatte, trat die verftändige Berechnung, ohne daß diefe der gemüthlichen Wärme ermangelt hätte. Nehmen wir zur Erläuterung einen einzelnen Fall, welcher auf Mittheilungen aus dem Privatarchiv der patricifchen Familie Glauburg zu Frankfurt am Main beruht. Ein Cohn diefer Familie, Johann von Slauburg, ftubirte 1526 in Wittenberg. Seine Mutter, eine Fuge Frau, drückte brieflich ven Wunſch aus, daß er heimfehrte und fich ver- heiratete. Zugleich ſchlug fie ihm eine pafjende Partie vor, die Tochter aus einem befreundeten Haufe, welche eine „feine Haushälterin” jet, wenn fie auch feine über- mäfig große Mitgift zu erwarten hätte. Der Sohn fügte jich ohne weiteres der Diplomatie feiner Mutter, heiratete die ihm Empfohlene und lebte vierzig Jahre glüdlih mit ihr. Sein Enkel, Iohann Adolf Glauburg, lernte 1598 auf einer Reife nach Nürnberg die fchöne Urſula Freber fennen und erhielt ihr Jawort. Die Briefe, welche die Schöne al8 Braut an. ihren Bräutigam fchrieb, zeigen feine Spur von Sentimentalität, ges Ihweige von Schwärmeret. Die Schreiberin erweift fid) durchweg als ein klarverſtändiges Märchen, welches ven Verlobten anmuthig plaudernd über Vorkommniſſe des täglichen Lebens unterhält und dabei ſchon die behäbige

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Sorglichkeit der künftigen Hauswirthin und Mutter durch⸗ blicken läſſt. Reſpektvoll redet ſie ihren Bräutigam mit: „Edler, ehrenfeſter, freundlicher und herzlieber Junker!“ an und ein Zug von unſchuldiger Schelmerei liegt etwa nur darin, daß ſie ſich unterſchreibt: „Eure getreue und liebe ſchwarze Urjula * 31),

In einem Gedichte des waderen Hanns Sachs findet ih das vollſtändige Inventar eines bürgerlichen Haus- raths, wie derſelbe um die Mitte des 16. Jahrhunderts der ftäptifchen Gewöhnung entſprach. Wir treffen da in der Wohnftube neben Tiſchen, Stühlen und Bänken mit Sigfiffen auch ein „Faulbett“ oder „Xotterbett”, welches die Stelle des modernen Sopha's vertrat; fer- ner den „Grißfalter”, einen niedrigen Schranf, worauf man mit Waffer handiren, fih wachen over Gläfer ausſchwenken konnte; dann das Kanvelbrett”, auf wel- chem Kannen, Becher, Flaſchen und Kühlfeffel ftanden. Außerdem Leuchter, Xichtjcheeren, einen Spiegel, eine Uhr 32), ein Schach» und Brettſpiel, Karten und Würfel, Schreibzeug mit Papier und Siegel; endlich „vie Bibel und andere Bücher mehr zur Kurzweil und fittlicher Lehr'.“ Im die Schlaflammer gehörte ein „Spannbett“

31) Frankfurter Ardhio f. ä. d. Lit. u. Geſch. von Fichard, I und III.

32) Wie befannt, wurde i. 3. 1500 durch Peter Hele in Nürnderg der Gedante gefafit und verwirklicht, die Thurmuhren zu Zimmerubren und Taſchenuhren („Nürnberger Eier,” von ihrer ovalen Geftalt) zu verkleinern. Vgl. Rehlen, Geſch. d. Gewerbe, ©. 425 fg.

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mit Strohſack, Pfulmen, Matrage, Kiffen, Betttuch und

. Dede, fowie alle die Heinen Utenfilien nächtlicher Be— quemlichkeit. In der Schlaffammer ftanden auch die „Truhen“, worin das Geld und die Koftbarfeiten des Haufes aufbewahrt wurden, fowie die Öewandfalter”, d. i. Kleiderſchränke 3%). Es mangelt in viefem Haus- rathskatalog des trefflihen bürgerlichen Meeifters noch manches Stüd, welches in unferen Tagen felbjt bejchei- bene bürgerlihe Haushaltungen nicht mehr entbehren wollen oder können; allein trotzdem verftanden unfere Altvorderen zu leben. Beſonders was efjen und trinfen betraf. In Wahrheit, darin ließen fie fich nichts abgeben. Dean fehe nur das Kochbuch des Mare Rumpolt vom Sahre 1587 an. Diefer Gaftrojoph, welcher zugleich ein tulinarifcher Praftifer war, lehrt, wie aus Ochfenfleifch 83 verjchievene Gerichte bereitet werden fünnen, aus Kalb⸗ fleifch 59, aus Hammelfleifh 45, aus Schweinefleifch 43, aus Hirichfleiih 37. Er kennt unzählige Fiichgerichte, 225 Arten Zugemüfe, 63 Arten Suppen, 46 Arten Zorten, an 70 Arten Fleifche und Fifchpafteten, fünfziger: lei Salate. Freilich ift es fehr fraglich, ob es Meifter Rumbpolt unferem heutigen Gefchmade recht zu Dank machen fönnte. Namentlich vürfte ihm dabei die ungeheure Maffe von Gewürzen hinverlich fein, welche die Küche jener Zeit verbrauchte 34).

33) Gedichte v. Hanns Sachs (Nürnb. 1570), S. 440 fg.

34) Einläffficheres Über die Kochkunſt des 16. Jahrhunderts gibt Müllers fleißiger Auffak: „Von alter Kochweiſe“ in Wefter- manns Monatsheften f. 1858. Nr. 25, ©. 16 fg.

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Manches in vem Gebaren unferer Aeltermütter, was uns jett unweiblich genug etjcheint , dürfte fich leichter erflären laffen, wenn man erwägt, daß noch im 16. Jahr⸗ hundert, wie früher im Mittelalter, auch die Frauen dem Genuffe ftarfgewürzter Weine feineswegs abholo waren. Heutzutage find die Engländerinnen und Schweizerinnen dafür befannt, den Wein am beften vertragen zu fönnen ; aber gewiß würde fich jene Englänverin oder Schweizerin vor dem mit Rothwein gefüllten Paſſglas entfegen, welches vie gefeierte PBhilippine Welfer zu leeren gewohnt war, zum Entzüden. ihrer Anbeter; denn der Hals ver Dame war fo fein, zart und weiß, daß man ihr das rothe Getränf innen die Kehle hinabgleiten ſah. Es fam jedoch auch vor, daß vornehme Damen von damals allzu häufig ſolche Baffgläfer leerten, und von einer willen wir gar, daß fie zulegt in Säuferwahnfinn verfiel: die Prinzeſſin Anna von Sahfen, Tochter des Kurfürjten Moriz, Enfelin des Landgrafen Philipp von Heflen. Das war eine unglüd- liche Geſchiche. ‘Der große Dranier, Wilhelm ver Schweigfame, warb als Witwer von fünfundzwanzig Jahren um die Prinzeffin und im Auguft von 1561 fand zu Leipzig die Hochzeit ftatt unter fo glänzenden Feftlich- feiten, daß die Mitgift ver Braut (70,000 Reichs⸗ thaler, eine für jene Zeit fehr beträchtliche Mitgift!) faum ausreichte, die Koften zu bezahlen. Die Tante der Prinzeffin, die Frau des Kurfürften Auguft, bat ven Prinzen von Oranien unmittelbar nach dem Beilager gar beweglich, er, welcher dazumal noch Katholif war, möchte doch ihre Nichte nicht „vom Wege der wahren Religion*,

Scherr, rauenwelt. 4. Aufl. II. 4

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d. h. vom Lutherthum, verführen, worauf ber Prinz leicht— bin: „Bah, fie fell mit folhem melandholifchen Zeug fich gar nicht zu fehaffen machen. Statt der Bibel ſoll fie den Amadis von Gullien lefen und ähnliche Turzweilige Bücher, weldhe de amore handeln, und ftatt zu nähen und zu ftriden fol fie eine Galliarde tanzen lernen und anvere vergleihen Courtoifien, wie ſie ſchicklich und lanvesbräuchlich 35). Allein die junge Ehefrau lernte bald nicht eben jehr ſchickliche „Courtoiſien“, unter anderen vie Zrunfenbolverei. („E8 lies ihr auch die Frau Prin- zeſſin offtmals eyer gahr hardt im fall fieven, darauf tringft fie dan edtwan zuvil und werde ungeduldig, fluche alle böße flueche und werfe vie fpeiße und fchuffel mit allem von tiſch. Und die Frau Prinzeſſin, wie fie e8 genannt, den tollen man, nemlich ein guedte flafche weind morgens und abermals ein guedte flafche zu abendtszeit mehr dan ein maß haltend befumen, wel: ches ir ſambt einem Pfundt Zugfers bei fi zu nemen nicht zu vil ſey“) 386). Der Prinz fchien fich von ver Säuferin, deren Wuthausbrüche zulett unerträglich wur- den, und das unglüdliche Weib ift dann, völligem Wahn- finn verfallen, im Gewahrſam ihres Oheims zu Dreſden i. J. 1577 geftorben. Im übrigen vererbte fich vie

35) Brief des Landgrafen Wilhelm v. Heffen. Handſchrift d. Archivs zu Dreſden, mityeth. v. Motley, Rise of the Dutch republic, vol. II, ch. 2.

36) Acta d. Frau Prinzeffin zu Oranien vergef. Verhdlg. Drejdener Archiv.

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Eigenſchaft der deutſchen Damen, durſtig zu ſein und einen „guten Zug“ zu haben (natürlich nur in Folge des Genießens der ſtark gefalzgenen und gepfefferten Speifen, welche damals bräudlich) aus dem fech8- zehnten Jahrhundert auf das fiebzehnte. ‘Darauf deutet z. B. die „Hoftrinkordnung“, welche Herzog Ernſt der Fromme von Sadfen- Gotha i. 3. 1648 gab und veren 9. Paragraph alfo lautete: „Zum Untertrunf vor unfer Gemahlin foll an Bier und Wein, fo viel diefelbe be- gehren wird, gefolgt werden; vors gräffliche und adelige Franenzimmer aber 4 Maß Bier und des Abens zum Abfchenfen 3 Maß Bier; vor die Frau Hofmeifterin und zwo Jungfern und vor die Mägdgen wird gegeben von Oftern bis Michaelis Vormittagg um 9 Uhr auf jede Berfon 1 Maß Bier und Nachmittags um 4 Uhr wieder eben jo viel" 27) .....

Der ehrbar gemüthliche Zug, welcher das bürgerliche Tamilienleben der Zeit, von welder wir handeln, viel- fach fennzeichnet und in manden Gerichten des Hanns Sachs einen fo herzlichen Ausdruck gefunden hat 88),

37) Deutſcher Trunk, ©. 57.

38) M. |. den „Ehrenfpiegel der zwölff Durchleuchtigen Frauen bes alten Zeftaments” und „das Frawen Lob eines Biderweibes“ (I, 1, 35; I, 4, 335). Freilich bat der wackere Meifter daneben den Frauen auch Häufig humoriſtiſch den Krieg gemacht, dieweil ja, wie er ſagte

„Dieweil den Eheweibern allen Der Honig vermischt ift mit Gallen” (I, 4, 323). 4*r

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machte fih auch in einigen fürftlihen Haushaltungen bemerfbar. Eine rechte Mufterehe führten z.B. Herzog Albrecht von Preußen und feine erſte Gemahlin Doro- thea, die ihrem Eheheren eine wahre „Gottesgabe war, wie ihr Name befagte. Er rühmte von ihr, daß, „fo fie eine arme Dienftmagb gemwefen, fie fich nicht de— müthiger und getreuer und in unmwandelbarerer Liebe gegen ihn hätte verhalten können.” Schon die Anrede, deren fie fih in ihren Briefen an den Gemahl zu be- dienen pflegte, bezeugt mit ihrer naiven Herzlichkeit ein liebe® und gutes Verhältnig: („Durchlauchtiger und hochgeborener Fürft, mein Freundlicher und Herzaller- liebjter, auch nach Gott Feiner auf Erden Lieberer, vie- weil ich lebe, mein einziger irdiſcher Troſt, alle meine Freude, Hoffnung und Zuverfiht, auch mein einziger Schaß und aber- und abermald mein bherzallerliebiter Herr und Gemahl!”) Dabei war vie Herzogin, obzwar eine fromme evangelifhe Chriftin, keineswegs eine Kopfhängerin. Sie hatte im Gegentheil eine humoriftifche Ader an ſich, welche ſich mitunter fchelmifch - naiv regte. Sp, wenn fie i. 3. 1532, nach dem Tode eines ihrer Kinder, an eine befreunvete Fürftin fehrieb: „ALS auch Euere Xiebden mit und des tödtlichen Abganges halber unferer jüngften Tochter ein herzliches Mitleiven tragen, thun wir und gegen €. 2. freundlich bevanfen, und find zu Gott getrofter Hoffnung, er werde uns nach foldher Betrübniß mit einem jungen Erben wiederum gnäpdiglich erfreuen und begnadigen, denn wir unferem lieben Herrn und Gemahl, der fein Werkzeug weiblich braucht

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und nicht feiert, gar feine Schuld zu geben wiljen 89).“ Auch das Eheleben des Kurfürften Moriz von Sachfen mit Agnes von Hejjen war im ganzen ein ehrſames und glüdlichee. Wenn ver Rurfürftin mitunter ein Zweifel an der Beftändigfeit ihres lebemännifchen Ge- mahls aufitieg und fie venjelben dem Abwejenden mit- theilte, jchrieb er ihr wohl zurüd: „SHerzliches Weib, das du begereit, da ich gleich nit bey dir wer, das ich beiner im hertzen nit vergehen wolt, bin ich gant ge- neiget.* Ganz hauswäterlich - gemüthlich lautet e8, wenn er ihr unterm 1. Oftober 1550 ſchrieb: „Sch wil diefen Winter bey dir bleiben und wollen mit einander birn braten; wan fie czuffen, jo wollen wir fie aus nemen und wollen mit Gottes Hülffe ein guts mutlein haben 29). * Bon einer andern ſächſiſchen Fürftin, von Anna, ver Ge- mahlin des Kurfürften Auguft, wiffen wir, daß fie bie gelehrten Liebhabereien ihres Eheherrn theilte und mit ihm in feinem chemifchen Laboratorium arbeitete. Sie hat auch glückliche Verfuche gemacht und i. J. 1581 das feiner Zeit berühmte „weiße Magenwafjer” erfunden. Andere fürftlihe Ehen boten freilich ein jehr unlieb- james Bild von Untreue, Unfrievden und Zerwürfniffen aller Art. Wir erinnern an die widerlichen Hänvel, welche

39) Beiträge zur Kunde Preußens, III, 126. Voigt, über beutfches Fürftenleben im 16. Jahrh. in Raumers hiſt. Tafchen- buch f. 1835. Voigt, Hofleben der Fürftinnen im 16. Jahrhundert, in Schmidts Zeitjchr. f. Geſchichtewiſſenſchaft, II, 231.

40) Aus einer Reihe von Originalbriefen des Kurfürften an ſ. Gemahlin, zuerft gedr. in den Kuriofitäten, TI, 296 fg.

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der Herzog Ulrih von Wirtemberg mit feiner Gemahlin Sabine hatte und welche feineswegs, wie gefabelt worden, in einem verbrecherifchen Verhältniß der Herzogin mit Hanns von Hutten, dem Stallmeifter des Herzogs, fondern umgefehrt in der Leidenfchaft Ulrichs für die „ſchöne Thumbin“, die Frau des unglüdlichen Hutten, ihren Grund hatten. Ferner an den Rurfürften Joachim II. von Brandenburg, welcher mit feiner erften Gemahlin Elifabeth um ihrer Iutherifchen Gefinnung willen und mit jeiner zweiten Gemahlin Hedwig der Leidenſchaft wegen zerfiel, welche er für Anna Sydow hegte, die Witwe eines Stüdgießers, weflwegen fie im Wolfe nur die „ſchöne Siegerin” hieß. Diefes Verhältniß ift fittengefchichtlich doppelt wichtig, infofern die fehöne Gießerin fich auch in die Staatsgefchäfte mifchte und demnach ſchon um bie Mitte ves 16. Jahrhunderts auf deutſchem Boden in ihrer Perfon jenes Maitreſſenweſen darſtellte, wie e8, in Frank⸗ reich foftematifch ausgebildet, nachmals im 17. und mehr noch im 18. Jahrhundert für das europäiſche Staats- leben von fo unheilvoller Bedeutung geworden iſt. Sehr unglüdlich fiel das unter ziemlich romantifchen Umftän- den i. J. 1545 gefchloffene Ehebündniß des Herzogs Erich II. von Braunfchweig- Kalenberg mit der Prin- zeffin Sidonie von Sachſen aus, nicht durch Verſchul⸗ tung der leßteren. Ihr roher und leichtfertiger Ge- mahl vernachläfligte fie in fträflicher Weife und ließ fie jogar Mangel leiven, während er mit gemeinen Dirnen im Lande und in ber Fremde umberlotterte..e Da war es denn fein Wunder, daß die arme Sivonie bei Gelegen-

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heit einer ihrer Nebenbuhlerinnen drohte, ſie „wolle der Hure ein Auge ausſtechen und die Naſe abſchneiden Y.“ In einem weitern höchſt ärgerlichen Ehehandel war das Unrecht nicht allein auf Seite des Mannes. Der Her: zog Johann Kaſimir von Sachfen-Roburg vermählte fich i. 3. 1586 mit der ſchönen Prinzeffin Anna, der jüng- jten Tochter des Kurfürften Auguft von Sachſen. Die warmblütige neunzehnjährige Frau war anfangs ihrem Gemahl innig zugethan; er aber fcheint fich wenig aus ihr gemacht zu haben, fondern führte ein unftätes Füger- und Zecherleben. Seine häufigen Abwefenheiten ver- droffen die junge Frau nicht wenig. Sie jchrieb dem Gemahl ;Epifteln voll naiver Zärtlichkeit und forberte ihn einmal in Form eines fcherzhaften Fehdebriefes geradenwegs zur Erfüllung feiner eheherrlichen Pflicht auf. Ein andermal ſchrieb fie beweglich: „Ich bitt, Ihr wollt wiederum zu mir ziehen over mich holen lafjen, dann mir die Weil fo gar lang ift, daß ich nit weiß, was vor langer Weil foll anfangen.” Zu feinem Schaden

41) Weber, Aus vier Jahrhunderten, II, 38 fg. Der Ber- faffer bemerkt zu der angeführten Drohung (a. a. DO. 46): „Es fheint faft, als ob man das Nafenabjchneiden in Faͤllen wie der vorliegende damals als eine erlaubte Selbfthilfe der in ihren Rechten gekränkten Gattin betrachtet habe. So liegt uns ein etwas früberes Reffript an den Amtmann zu Delitſch vor, des Inhalts: „„daß er gegen Peter Garkochs zu Leipzig Tochter, welche einer Frau, jo mit ihrem Manne gebuhlet, die Nafen eines Theiles ab- geihmitten, fih mit der Strafe bis auf weiteren Befehl enthalten und ihr auf ihr Anfuchen Recht wider diefelbe Frau geftatten ſollte.““

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berückſichtigte der Herzog folche Klagen und Bitten nicht. Es ift, wie jeder Welterfabrene weiß, eine für bie Srauen jehr gefährliche Sache, fich zu langweilen. Auch bie arme Herzogin Anna, deren neunzehnjährig Blut ihre Strohwitwenſchaft und Kinverlofigfeit um fo fehwerer ertrug, als fie das Leben an dem belebten und fejt- reihen Hof ihres Vaters mit dem im jpießbürgerlichen Koburg vertaufcht hatte, erfuhr das. Ste langweilte

fih und Aberglaube und Sinnlichfeit-thaten das übrige, fie zu verberben. Einer jener Gaufler und Wunder: männer, wie fie als Vorläufer der großen italifchen Schwindler, weldhe im 18. Jahrhundert die „nordiſche Dummheit“ ausbeuteten, fehon im 16. Sahrhundert Iporadifch auftraten, war über die Alpen herübergefommten, um die deutſche Wunderfucht zu Hingenver Münze aus⸗ zuptägen. Er hieß Jeronimo Scotto und nannte fi, wie alle italifchen, franzöfifchen und polnischen Inpuftrie- ritter noch heute thun, einen Grafen. Seine Kuppler- fünfte hatten jenen Gebhard Truchſeß von Waloburg, Kurfürften von Köln, in vie Liebesbande der ſchönen Agnes von Mansfeld. geführt, welche den Furzen Liebes⸗ glüdstraum mit fo viel Unglück und Schmach büßen mußte. Im Iahre 1592 befand ſich Scotto in Koburg, als Adept des Herzogs Johann Rafimir, welcher wie noch mande Fürften jeiner Zeit viel Geld an vie Erlemung der „verborgenen Wiſſenſchaften“ wandte, dv. h. an uns verfchämte Gauner wegwarf. Der weljche Gaufler wußte ſich auch das Vertrauen ver fich langweilenden Herzogin zu erfchleihen, indem er ihr verſprach, fie fruchtbar zu

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machen, verführte fie, verkuppelte hierauf die Gefallene mit einem jungen Hoflavalier und ging enplich mit dem Schmud ver Fürftin durch. Das Verhältniß zwifchen ver Herzogin und vem Hoflavalier wurde ruchbar, ver Herzog ließ die beiten in Verhaft nehmen, eine Unterſuchung an- orpnen und da bekannte venn Anna im Verhöre: „Sie habe mit Scotto mancherlei Unterhaltungen gepflogen und e8 habe ihr verfelbe unter anderem auch verſprochen, daß er fie lehren wolle, fruchtbar zu werben. Alfo fei fie zu ihm auf feine Stube gegangen, wo er ihre Hand er- griffen und diefelbe auf ein Kreuz gelegt habe, welches aus Pappe gefchnitten, mit Charakteren bezeichnet und mit einem ‘Draht belegt gewejen. ‘Dann habe er jeltfame Worte geiprochen, aus venen fie nur den Namen ber heiligen Dreifaltigleit herausgehört. Der Draht habe fih um ihre Finger gefchlojfen, fie fei ihrer nicht mehr mächtig gewefen, habe gegen ihre Pflicht in feinen Armen gehandelt und fich von ihm bereven lafjen, fich in Liebe zu ihm zu halten. Scotto hatte ihr auch gejagt, fie werde vor ihrem Gemahl fterben und e8 werde ihr übel gehen. Wolle fie jedoch, daß ihr Gemahl vor ihr fterbe, fo folle e8 ihr wohl gehen. Darein aber habe fie nicht gewilligt. Nachher habe fie fih zu Ulrich won Lichtenftein gefellet, habe mit ihm ungebührliche Spiele getrieben, ſich envlich ganz in feine Gewalt gegeben und feiner Umarmungen genofien, wo es fih nur habe thun laſſen.“ Weinend fügte fie diefem Geftänpniß Hinzu, „ihr Gemahl möge alles ihrem Unverftanvde zurechnen und ihr verzeihen, da fie noch ein junges Menfh wäre. Der Schelm Scotto

58 Bud III. Rap. 1.

habe fie betrogen. Sie bät’ um Gnade.” Das war vergeblih. Der Schöpfenftuhl in Jena zuerfannte ihr und ihrem Buhlen Ulrich die Todesſtrafe mitteld des Schwertes. Der Herzog verwandelte jedoch die Todes— jtrafe in lebenslängliches Gefängnig. Die Fürftin wurde demnach zuerft nach Eifenach, dann ins Klofter Sonnen- feld und endlich auf die Vefte Koburg gebracht, wo fie i. J. 1613 geftorben ift?9). ine noch grellere, aus Gaunerei, Wahn und Wolluft gewobene Geſchichte hatte in den 60ger und 7Oger Jahren des 16. Jahrhunderts zu Wolfenbüttel am Hofe des Herzogd Julius von Braun- ſchweig-Lüneburg gefpielt. Der Fürft, welcher font zu ben beften feiner Zeit gehörte und von feiner liebene- würdigen Frau Hedwig, einer brandenburgiichen Prin- zeffin, zehn Kinder hatte, war plößlich der plumpften Beſchwindelung durch einen gewiffen Philipp Therocyklus (Gräciſirung des Namens Sommerring) verfallen, welcher vorgab, den „Stein ver Weifen“ bereiten zu können und mittels deſſelben den ſchwächlichen und Fränflichen Herzog wieder zum Jüngling zu verjüngen. Als feines Haupt- werkzeugs beviente fich der „verlaufene Pfaff”, wie ein zeitgenöſſiſcher Berichterftatter ven Betrüger nennt, ver Anna Ziegler, einer ganz gemeinen Weibsperſon, welcher unfere Quelle den wenig fehmeichelhaften Titel einer „Angithure” gibt. Sie war es, welche ven Herzog ganz

42) Köhler, Mitnzbeluftigungen, XVI, 26 fg. Kuriofitäten, . I, 101 fg. Die Altenftücde der Procedur bei Hellfeld, Beitr. 3. Geſch. von Sachſen, I, 17 fg.

Im ſechszehnten Jahrhundert. 59

fabelhaft bethörte, ihn von ſeiner Gemahlin abzog und ihn die wahnwitzigſten Dinge glauben machte?) Als aber das Treiben ves Therochklus, der Ziegler und ihrer Mithelfer immer toller und frecher wurde, als fie, wie es fcheint, ver Herzogin fogar nach dem Leben ftanven, platte enplih die Schwinvelblafe und des garftigen Liedes Ende war, daß am 7. Februar 1575 Therochklus mit glühenden Zangen zu Tode gezwidt, die Ziegler verbrannt, ihre Spießgefellen gerädert und geköpft wur— den .. Es find häffliche Farben, von welchen wir hier Gebrauh machen müffen, um der fittengefchichtlichen Wahrheit gerecht zu werben, und fo dürfen wir auch nicht verjchweigen, daß im Reformationszeitalter die Be— handlung fürftlicher Frauen vonfeiten ihrer Männer mitunter zu einer Rohheit fortging, vor welcher ein Türke zurücdichreden würde. Gab e8 doch, wie ung Hanns von Schweinichen als Augenzeuge erzählt, da- mals einen Herzog von Liegnig, welcher jchamlos-brutal

43) In dem zeitgendfftihen „Bericht von Anna Zieglerin“ heißt e8 am Eingang: „Die Angfthure Anna Zieglerin giebt vor: Sie jey nur 18 Wochen im Mutterleibe geweſen und bernad in einer bejonderen dazu bereiteten Haut mit der Medieina, davon man das Gold maden und Metalle in Gold verändern Tönnte, erzogen. Sie und ihr Fleifh und Blut dominirte, daß fie aller Unreinigfeit und fonderlic des Menstrui rein und frei ſey. Daß fie ſey feiner Frauen, jondern allein den Engeln und Marien, Gottes Mutter, zu vergleiden. Welcher Mann auch mag ihrer Liebe genießen, der Iebet ohne Krandheit friih und gefund hundert Jahr länger als andere Männer” u. |. w. Mitgeth. v. Beckmann in d. Zeitſchr. f. d. Kulturgeſch. 1857, ©. 557.

60 Buch III. Ray. 1.

genug war, in Gegenwart der Pagen feine Gemahlin zur Leiftung der ehelichen Pflicht zu zwingen.

Fürftlihe Hochzeiten waren bie glänzenpften Feſte diefer Zeit. Es wurde dabei viel Luxus und große Pracht entfaltet, verbunden mit einem Geſchmack, wel- her uns nach mehr als einer Seite hin geſchmacklos und barbarifch genug erfcheint. Teftgeber und Gäfte, deren Zahl fich gewöhnlich in die hunderte belief, wett- eiferten dabei im Aufwand und bie ganze Feitgejellihaft fhimmerte und fchillerte von Sammet und Atlas, Damaft und Seide oder gar von Silber: und Golt- stoffen. Aus weiter Ferne her ließ man mit großen Koften nicht nur die Materialien, fonvdern auch die Mo- delle des Anzugs kommen und verjehrieb fremde Kleider- fünftler und Pußfünftlerinnen *). Auf eine glänzende Ausstattung ver fürftlichen Bräute ward in der Regel fehr gehalten und namentlich für reichlichen Schmuck verjelben geſorgt. So brachte z. B. die Prinzeffin Anna ihrem Bräutigam, dem Kurfürften Johann Sigismund von Brandenburg, i. 3. 1594 Kleinodien im Werthe von 14,138 Mark zu.

44) Trotzdem feinen die deutſchen Damen in den Künften ber Zotlette gegen die franzöfifhen und englijchen ſehr zurüdgeftanden zu fein. Als Anna von Kleve im Januar 1540 nad) England fam, um fih mit dem Weibermörber Heinrich VIII. zu vermählen, be— richtete der franzöfiſche Geſandte Marillac nad Paris, die Prinzeffin habe 12 bis 15 Fräulein mitgebracht, jo plump und unpaſſend ge- Heidet, daß man fie häſſlich finden würde, felbft wenn fie ſchön wären. Der König ſprach won feiner Braut, mit welcher er gar nicht zufammen- leben wollte, nur als won ber „großen flandriſchen Stute“.

Im fechszehnten Jahrhundert. 61

Sehen wir uns ſo eine vornehme Hochzeitsfeier jener Tage mit an. Johann Wilhelm III., Herzog zu Jülich Kleve-Berg, hatte um die Prinzeffin Jakobäa geworben, Tochter des Markgrafen Philibert von Baden, und im Junimond des Jahres 1585 fand die Vermählung des Paares zu Düfjelvorf ftatt. In der herzoglichen Reſidenz - war man bemüht gewefen, alles auf's beſte herzurichten, um die vielen gelavenen Gäfte nah Stand und Würbe zu empfangen und zu bewirtben. Für die vornehmeren wurden im Schlofje ſelbſt Zimmer bereit gehalten, aus⸗ gerüjtet mit „Föftlichen Täppichten und anderen herrlichen zierrat.“ Auch für Küche und Keller war wohl geforgt, „nicht allein zur notturfft fondern zum vberfluß vnd wolluft.” Die Braut fuhr mit ihrem Gefolge zu Schiffe den Rhein hinab und hielt am 15. Juni in einer jech8- ſpännigen Kutſche („Gutwagen”) ihren Einzug in Düfjel- dorf, wobei fürchterlich Tanonirt wurde. Vor dem Thore bewillfommte fie ver Bräutigam und führte fie in feter- licher Prozeſſion durch die geſchmückten Straßen nach dem Schloſſe, allwo ihr Schwiegervater und ihre Schwägerin Sibylie fie begrüßten. Sie wurde hierauf in ihre Ge- mächer geleitet, welche mit Zeppichen behangen waren, deren Gewebe Bilder darftellten, fo „zur ehelichen Lieb’ am meiften und vornehmlich gehörig“, d. h. mythologiſche Scenen von nicht fehr Shamhafter Art. Am folgenden Tage zur Vefperzeit bewegte fich vie ganze Verfammtlung zur Schloßfapelle, wo die Trauung ftattfand. Vorauf Schritten eine Muſikbande und ein Dutzend Edelleute, welche Wachsfadeln trugen. Die Braut hatte einen weit-

62 Buch III. Kap. 1.

ausgefchnittenen Rod von „Silberftud” an, mit Gold durchftidt, und einen herrlichen „Karafanten” (Hals- band) aus Diamanten und Rubinen. Auf ihrem „niever- geichlagenen* Haar trug fie ein goldenes Krönlein. Der Hofprediger hielt vor dem Trauakt eine lange Predigt. Dann empfing er von dem Bräutigam einen Ring, welchen er der Braut an den Finger ftedte, und von der Braut einen Kranz, welchen er dem Bräutigam aufiegte. Nach geichehener Einfegnung wurde unter Zrompeten- und Paufenfchall ein Tedeum gefungen. Hierauf ging e8 zum Bankett, wobei Evelleute in fpanifhen Mänteln unter Bortritt des Hofmarfhalls mit feinem Amteftab vie Speifen auftrugen. Nach beendigtem Mahl begannen in einem Sale, deſſen Zapeten gefhmadiofer Weiſe aller- hand biblifche Mordſcenen darſtellten, die feierlichen Tänze und that den erften der Bräutigam mit der Braut, „denen man mit Flambos vor und nachtangete”. Nach dem Tanze verfügte man fich in ein anderes Gemach, wo eine Kollation von Zuderwerk aufgeftellt war in Geftalt eines Gartens mit Bäumen, Felſen, Waſſerfällen, Flüffen, Burgen und allerlei Thiergattungen. Nachdem man von dieſem Schauefjen Stücke abgebrochen und verſpeiſ't hatte, wurden Bräutigam und Braut zum Beilager in die Hoch- zeitfamnter geleitet. Der Morgen des folgenven Tages war ver Empfangnahme der Morgengabe und ter Hoch- zeitögefchenfe gewidmet und noch mehrere Tage lang er= gößten fih die Säfte mit Banketten, Ringelvennen Zänzen, Mafferavden und TFeuerwerfen #5. Diefe fo

45) Diefe Angaben find einer weitfchweifigen, i. 3. 1587

Im ſechszehnten Jahrhundert. 63

feſtlich begonnene Ehe ſchlug aber ſehr übel aus, in⸗ dem ſie ſich zu einem abſchreckenden Bilde grauenvollen

gedruckten, durch Freiherrn Roth v. Schreckenſtein in d. Zeitſchr. f. d. Kulturgeſch. 1859, ©. 314 fg. auszüglich mitgetheilten Be- ſchreibung des Feftes entnommen. Aus einer Drudigrift v. 3.1599 („Drey ſchöne vnd luſtige Bücher von der Hohen Zollerifchen Hoch- zeyt“ von 3. Frifchlin), welde A. Birlinger 1860 wieder abdruden ließ, erfahren wir, daß e8 zu Ende des 16. Jahrhunderts mit dem „Beilager“ folgendermaßen gehalten wurde:

„Rheingraff Ottho führt fie (die Braut) hinauff mit fleyß

In jr gezimmer hüpſch und weyß.

Da wartet fie, biß zu je kam

Der junge Herr und Bräutigam

Mit allen Fürften, Graffen, Herren,

Eo folgen theten willig geren.

Bor jnen her Trommeter bliejen,,

Die ftark in jre Pfeiffen ftieffen.

Als nun der Hochborn Bräutigam

Hinauff in fein Schlaffzimmer kam,

Sein Manttel und Kranz legt von fi,

Sein Wöhr und Ketten und gabs gleich

Seim Hofmaifter, jolch8 zu bewaren;

Derfelbig thet den fleyß nicht jparen. .

Als nun die Fürften, Herren, Frawen

Stunden in diefem Gemad zu ſchawen,

Die zween Brautfürer tratten ber, _

Die Geſponß fie brachten höflich hehr

Und legten fie hinein inne Beth,

Ir weyſſe Kleyder noch an bett.

Dann legten fie den Bräutigam

Zu feiner Gſponß aljo zuſam,

Die Döcken uberjchlagen theten,

Biß fie ein Weyl gelegen hetten.

64 Bud III. Kam 1.

Samilienzerwürfnifjes geftaltete. Der Herzogin Jakobäa wurte in Folge eigenen Leichtſinns und auf Betreiben ihrer feineswegs zur Anklägerin berufenen Schwägerin Sibylle ein zuchtloſer Wandel fchulngegeben und fie ftarb 1597 eines gewaltfamen (?) Todes, während ihr befchränfter Gemahl in Blödſinn verfiel 29). |

Bei dieſer flüchtig erwähnten kleve'ſchen Haus- tragödie waren ſchon Sitten oder vielmehr Unfitten im Spiele, welche auf das Ueberhandnehmen des melfchen (italiſch⸗ſpaniſchen und franzöfifchen) Einfluffes auf die deutſchen Hof- und Adelskreiſe hindeuten. Es ift charaf- teriftiih, daß die leichtfertige Herzogin Jakobäa an den Pofjen ttalifcher Komödianten ein bejonvderes Wohlge- fallen hatte und daß ihre tüdiiche Schwägerin Sibylle mündlich und fchriftlich im Gebrauche franzöfifcher Phra- jen fich gefiel. In Wahrheit, ein Gefchichtfchreiber ver deutſchen Frauenwelt, welcher lieber wahrhaftig als _

Gar bald fie wider auffgeftanden,

Die Fürften, Herren jeind vorhanden, Wünſcht jeder da für feinen they!

Dem Bräutigam und Braut vil heyl, Bil glücks und gutten jegen veich ; Darnach lugt jeder, das er weich’

Und felber in jein Kammer fumb,

An ſeinem ſchlaff auch nichts verfumb.”

46) Vgl. Bülau, Geheime Geſchichten und räthjelhafte Men⸗ Ihen, Bd. 4, ©. 294 fg. „Ter Ausgang des Haufes Kleve”, und die Original-Denfwürdigfeiten eines Zeitgenofjen (Beers von sah) am Hofe Johann Wilhelms III. (Düffelporf 1834).

Im ſechszehnten Jahrhundert. 65

galant ſein will, hat die leidige Pflicht, zu ſagen, daß an der unglückſeligen Verwelſchung unſeres Landes, wie ſie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anhob und im 17. vollendet wurde, die Frauen in hohem Grade mitſchuldig waren. Wie leider noch heute, konnte ſchon damals jede von der leichtfertigen Koketterie, der blanken Narrheit oder der gierigen Berechnung in Frankreich aus⸗ geheckte Mode darauf zählen, dieſſeits des Rheins eifrigſt nachgeahmt zu werden. Dieſe thörichte Unterwerfung des heimiſchen Geſchmackes unter die Launen und Be— rechnungen eines von einem Extrem ins andere ſpringen— den, zu jeder Art von Komödienſpiel prädeſtinirten Volkes war aber noch nicht das Schlimmſte; denn am Ende darf man unbedenklich zugeben, daß die Franzoſen von jeher mehr Schneidergenie beſaßen als wir und eben auch mit dieſer Gabe zu wuchern berechtigt waren und ſind. Aber die Nachäffung der franzöſiſchen Moden durch die deutſchen Damen und Herren denn die letzteren waren hierin keineswegs verſtändiger als die erſteren beſchränkte ſich nicht auf die lächerlich-wichtigen Myſterien der Schneiderwerkſtatt und des Putztiſches. Sie ſchmeichelte den deutſchen Geiſt vielmehr in eine Erſchlaffung hinein, welche ihn gewöhnte, alles Ausländiſche, auch das Ver— werflichſte, als etwas Muſtergiltiges anzuſehen und dem⸗ ſelben Vaterländiſches, auch Löblichſtes, nachzuſetzen. So kam es, daß die Mode zur Vermittlerin und Schmugg⸗ lerin des raffinirten Sittenverfalles wurde, welcher im 16. Jahrhundert die romaniſchen Länder angefreſſen

‚hatte; jo kam es, daß Deutſchland in jene beklagens— Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. II. 5

66 Bud II. Kap. 1.

werthe geijtige Abhängigkeit vom Ausland, insbejondere von Frankreich gerieth, welcher erft im 18. Jahrhundert die glorreichen Thaten der Meifter unferer Literatur wie- der ein Ende machten.

Selbſtverſtändlich war es jedoch nicht die Herrſchaft welfher Moden allein, welche unferem Lande die Stellung der leitenden geiſtigen Großmacht Europa’s, zu der bie Reformation e8 für eine Weile erhoben hatte, bald wie⸗ der entzog. Es haben vabei zwei Motive von welt- gefchichtlicher Bedeutung mitgewirkt: der Jeſuitismus und der Calvinismus jener die jpanifch-öftreichifche Politik beftimmend, dieſer von der franzöfiichen als ein vergifteter Keil in das deutiche Reich hineingetrieben, beide jo unbeilvoll für unfer Land, daß es ſchwer zu fagen fein vürfte, weldhem von ihnen das größere Maß von Verderben innegewohnt habe ..... Der Yefuitis- mus war die Antwort der romanischen Welt auf die ger- manifche Reformfrage. Vermöge feiner wunderbar Hug ausgedachten Organiſation, vermöge jeiner beifpiellofen, ins Helvifch - Erhabene gehenden Difciplin hätte ver Jeſuitenorden auf ver Weltgefchichtebühne eine Rolle fpielen fünnen, wie jo ruhmreich und gefegnet feine andere Korporation jemals fie gefpielt hat. Aber die Gejellfchaft Jeſu war ein romanifches Injtitut, alfo von vorneherein dem Verſtändniß der Gejege organiſcher Entwickelung ver⸗ ſchloſſen und das Heil nur in der blinden, unverrück⸗ baren Autorität erblickend. So trat ſie dem Princip der freien Selbſtbeſtimmung des Menſchen, welches im Pro- teftantismus zum eritenmal als jittliche und politifche

Im ſechszehnten Jahrhundert. 67

Macht ſich angekündigt hatte, als eine Geiſterpolizei gegen⸗ über, der ſich das romaniſirte habsburgiſche Haus als eines Werkzeuges zu bedienen glaubte, während es doch in Wahrheit ſelbſt nur eine, wenn auch ſehr be- deutende Ziffer in dem weltumfalienden Kalful des Jejuitismus war. Auseinanderzufegen, wie im Gefolge ber jefuitifchen Reaktion, welche ven Faiferlichen Hof, wie bie übrigen fatholifchen deutſchen Höfe lenkte, das fpa- niſch⸗italiſche Fremdweſen im Verlaufe des 16. Jahr hunderts mehr und mehr in ven fatholifchen Gejelf- ſchaftskreiſen Deutſchlands Eingang fand, ift bier nicht der Ort. Es genügt, auf dieje feititehenne Thatſache im allgemeinen hingewiejen zu haben, mit der Bemer- fung, daß die Dogmatif der Jeſuiten ebenfo energifch den fpanijchen ‘Dunfelgeift in unfer Land zu verpflanzen juchte als ihre läffliche und bequeme Moral der Einfüh- rung italifcher Laſter mit einer Duldſamkeit zufah, welche wohl wußte, daß man die Geifter entnerven muß, um fie recht widerjtandslos beherrichen zu können.

Während fo der Iefuitismus vom Süden her an ver Entnationalifirung Deutſchlands arbeitete, geſchah daſſelbe vom Weſten her mittels der Verbindung des franzöſiſchen Hofes mit den deutſchen Proteſtanten. Mit jener Per- fivie, welche die franzöſiſche Politik zu allen Zeiten harafterifirt hat und fie für alle Zeiten charakterifiren zu follen jcheint, haben von Franz I. an die Könige Franf- reichs es fich angelegen fein lafjen, bie beutfchen Pro- teftanten gegen das katholiſche Reichsoberhaupt zu unter- ftügen, während fie, mit Ausnahme Heinrichs IV., vie

5*

68 Bud III. Kap. 1.

Neformirten im eigenen Lande mit graufamer Härte ver- folgten. Es mag ja für die veutfchen Proteftanten eine Nothwendigkeit gewefen fein, dieſe franzöjiiche Perfidie fih zunuge zu machen; aber daß die unnatürliche Ver⸗ bindung für Deutfchland in politifcher, intelleftueller und fittlicher Beziehung von ven verderblichſten Folgen gewefen, ift deffenungeachtet fonnenkflar. Der Hof ver „Lilien“ nie ift ein reineres Sinnbild zu Gunften einer be- fleckteren Sache entweiht worden wurde leider das an- geftaunte und eifrig nachgeahmte Vorbild einer Menge von deutſchen Fürften und Edelleuten. Mit ver fran- zöſiſchen Redeweiſe und Bildung, ven franzöfifchen Moden und Bräuden kam auch die franzöfifche Lüderlichkeit nach Deutſchland herüber, jene gränzenlofe, raffinirte Lüder— lichkeit, welche durch ein gemäßigtere® Wort nicht hin— länglich gezeichnet wird und welche zu charakterifiren man nur die Namen von Franz I., Heinrich III. und Heinrich IV. zu nennen braucht. Die Politif allein wäre indeffen nicht im ftande gewefen, der franzöfifchen Sünd- flut in Deutfchland Raum zu fchaffen, wenn viefe in ver Konfeffion Calvins nicht eine Gelegenheitsmacdherin ge- funden hätte. Zwar führte ſchon in ver erften Hälfte des 16. Jahrhunderts das Beitreben, das „elegante“ Wiljen, wie e8 auf ven franzöfifchen Univerfitäten daheim war, ſich anzueignen, viele junge und der franzöfifche Kriegs— dienst viele junge und alte Herren aus Deutſchland nad) Frankreich; aber doch war damals wie das franzöfifche Wefen überhaupt jo auch die franzöfiiche Sprade in unferem Lande noch fo wenig befannt, daß vie Ichmal-

- —— —— ———————

Im ſechszehnten Jahrhundert. 69

falpifchen Bundesgenofjen nur deutſch oder lateinifch mit dem franzöfiichen Kabinette briefwechfelten. Erſt dann, als jo einflußreiche deutſche Höfe, wie ver furpfälziiche und heſſiſche waren, dem Calvinismus fich zugewandt hatten, war für das Franzoſenthum bei uns eine fefte Stätte gefunden, von welder aus es erfolgreiche Er- oberungszüge machen fonnte und wirklich machte 17), Unfere nationale Entwidelung hat darunter unfäglich gelitten. - Die vornehmen Stände wetteiferten förmlich in ehrvergeffener Nachäffung von Fremdem und fo öffnete fi zwifchen ihnen und vem Volk eine Kluft, welche noch heute lange nicht ausgefüllt ift. Alles Vaterlänpifche galt dieſer äffiſchen Gefinnung für roh und gemein, alles Ausländische für fein und nobel. Unſere edle Sprache, durch Yuther auf eine neue Grundlage von Granit geftellt, mußte bei Leuten „von Welt” franzöfifchem Genäjel over italifhem Gelifpel oder einem abjcheulihen Miſchmaſch aus deutichen, lateiniſchen, franzöfiihen, italifchen und ſpaniſchen Sprachfegen weihen?9). Während fich auf:

47) M. ſ. die Nachweiſe, womit Barthold in feiner Geſch. der Fructbringenden Gefellihaft, S. 12 fg., feinen Sag ſtützt: „Der Calvinismus des 16. Jahrhunderts ift der Weg, auf wel- hem das Fremde (d. i. das Franzöftfche) in Sprade, Sitte und Denkweiſe in Deutſchland eindrang und zu Anfang des 17. Jahr- hunderts eines großen Theile fürftlicher und adeliger Kreife fi bemächtigte.“

48) Bortrefflih wurde diefe „alamodiſche“ Spracdhmengerei gegeißelt in der aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges ftam- menden „Deutſchen Satyra wider alle Berderber der deutſchen Sprache”, wieder abgedr. im Weimar. Jahrbuch, I, 296 fg.

70 Buch III. Kap. 1.

jeiten der FaiferlichsFatholiichen Partei das Yeben in ven fteifen und geijtlofen römiſch-ſpaniſchen Formen fort- ichleppte, herrſchten aufjeiten ver widerkaiſerlich pro= teftantifchen die franzöfiihe Sprache, Bildung und Ga- lanterie. Alſo hüben und drüben wurde gleich viel gefündigt und beide Parteien haben es gleichermaßen verfchuldet, daß fih das 17. Sahrhundert für unfer Vaterland zu einer Periode des Jammers und der Schmach geftaltete, worüber ein veutjches Herz noch jeßt ih entjegen muß. Wir werben betrachten, wie in dieſer Unglüdszeit die deutfchen Frauen geftellt waren. Weil aber in ver bezeichneten Periode das veutfche Leben über- haupt vom ausländifchen abhängig und auch das frauliche wejentlich ein Ergebniß ver Nahahmung fremder Bor- bilder gewefen iſt, fo ſcheint esräthlich, zuvor die Stellung des ſchönen Gefchlechtes, wie fie im 16. und 17. Jahr⸗ hundert in Frankreich, Italien und Spanien war, ins Auge zu fafjen, was im nächiten Kapitel gefchehen fol. Es dürften fich Daraus manntgfach beveutfame fittengefchichtliche Parallelen ergeben.

|

Zweites Kapitel,

e.

Zur Vergleichung.

Die Renaiſſance in Frankreich. Begründung des modernen Hof-

ſtils und des Maitreffenwefens. Die franzöftiche Galanterie unter

Franz I., Heinrich II. und Heinrih IV. Die Regentſchaft der

Anna d'Autriche. Ludwig XIV. Die franzöſiſche Gefellfehaft

in ben Briefen der Herzogin Elifabeth Charlotte von Orleans.

Bon den Italienerinnen. Die Spanien Frauen im 16. umd 17. Jahrhundert.

Der moderne franzöfifche Hofftil, in allen feinen Umbildungen bis zur großen Revolution herab für vie meiften europätfchen Höfe das Vorbild, ift, wie jeber- mann weiß, im Zeitalter der Renaifjance aufgefommen. Franz der Erite, ver glänzende Wüftling, der elegante Bauherr, ver „Pere de la venerie“, ver geſchmackvolle Kenner der Künfte und der Frauen, war der Begründer und Pfleger dieſer Kunft Höfifcher Lebensführung, vie aus dem Mittelalter die ritterlihen Formen herüber- nahm und damit alle die feineren Reizungen und Genüffe verband, welche die an ven klaſſiſchen Studien neuent- zündete literarifhe und fünftlerifche Thätigfeit an vie

12 Bud III. Kap. 2.

Hand gab. Der Humanismus, ſchon in feinem Namen einen bebeutfamen Gegenfag zum Theologismus aus— prägend, war in Frankreich nicht wie in Deutfchland die Herzensſache einer auf ernite religiöſe und politifche Ziele gerichteten Vorſchrittspartei, ſondern weit mehr nur ein Spielzeug pornehmer Eleganz. Auch in Frankreich ſtellte er der ewigen Litanei vom Jenſeits die realiftifche Bot- ihaft vom DiefjeitS gegenüber; aber während mittels vderjelben bei uns die eveliten Geifter eine große fociale Reform anftrebten, begnügte man fich in Frankreich, wie in Italien, die aus der wiedererwecdten Kenntniß bes klaſſiſchen Alterthums fließenden Anregungen zur Ver—⸗ feinerung des Lebensgenuſſes auszunügen.

Bei viefem Mangel an ivealem Gehalte mußte bie Renaiffance in Frankreich nothwendig andere Rejultate haben als in Deutfchland. Dieſſeits des Rheins ift der humaniftifche Geift im Proteftantismus womit nicht etwa Die proteitantiiche Kirche gemeint ift eine Lebens⸗ macht geworden, welche alles das fchuf, was unfer Ruhm und Stolz: die deutſche Wiſſenſchaft, Literatur und Kunſt. Jenſeits des Rheins gab die Renaiffance Stimmung, Mittel und Wege an die Hand, die modern-romaniſche abfolute Königsmacht fo zu jagen fünftlerifch auszubilpen. Der Charakter dieſes Königthums war von vornherein ein tiefunfittficher. Das veutfche Wort Falſchheit reicht faum aus, die Perfivie einer Politif zu bezeichnen, welche ben Proteftantismus im eigenen Lande mit brutaler Grau⸗ jamfeit unterdrückte zur gleichen Zeit, wo ſie denjelben - auswärts unterftügte; und man muß Brantöme lefen, um

En

Zur. Bergleihung. 73

bie ganze Frechheit ver Lafterwirthichaft fennen zu lernen, welche dem modernen franzöfifhen Hofleben von Anfang an eigen war. Man hat den genannten Autor freilich als den „Skandalchroniſten“ feiner Zeit (1527 1614) bezeichnet, aber was konnte er dafür, daß feine Zeit eine Standalzeit geweſen ift? Angenommen fogar, er habe in einzelnem übertrieben, zeugt doch jein naiv⸗unge⸗ zwungener Ton für feine Wahrhaftigkeit im ganzen. Und was für fittlihe, d. h. unfittliche Anſchauungen mußten in einer Zeit herrſchen, wo Gefchichten, wie Brantöme fie erzählt, augenfcheinlich eine Lieblinge- unterhaltung der vornehmen und gebildeten Kreife aus- machten! Wie charakteriftifch ift e8, daß ver Mann gerade bei feinen ärgerlichften Bouboir- und Schlaf- zimmeranefooten fajt nie unterläfit, die Heldinnen der⸗ ſelben ſehr ehrbare („tres honnestes“) Damen zu nennen! Schon in ver Pflege ihrer förperlichen Reize entwidelten dieſe „fehr ehrbaren* franzöfifhen Damen eine jo fabelhafte Schamlofigfeit, daß unfere Sprache diefelbe auch nur anzudeuten jich weigert 29), obzwar vie Mufe der Sittengefchichte feine Prüde ift und Feine fein darf.

Franz der Erfte nimmt unter den Königen und Staatsmännern, welche die franzöfiihe Monarchie aus einem Feudalſtaat zu einer unbeſchränkten Defpotie um- bildeten, unftreitig eine vorragenve Stelle ein. Er ſchon hätte jenes Wort raſender Selbftfucht fprechen können,

49) Brantöme, Oeuvres (Londres 1779), III, 303 et suiv.

74 Bud IH. Kap. 2.

welches nachmals Ludwig der Bierzehnte ſprach: „L’etat c’est moi“. Denn ſchon dem Valois war vie Königsmaht nur ein Mittel zur Befriedigung perfün- licher Gelüfte. Der Subjektivismus der Renaiffancezeit bat in dieſem Würften feinen frivolften Repräfentanten gefunden. Der Staat war, glaubte er, nur um feiner willen da. Ausjchweifend, wie er gewejen, beförberte er durch fein Beifpiel die Ausfchweifung; aber er that es mit einer Art Fünftlerifher Anmutb, wie das von einem König, der fih im Umgange mit Männern wie Marot, Da Vinci und Cellini gefiel, nicht anders fih erwarten lieg. Ein galanter Herr, machte er die Galanterie zu einem Elemente der Regierungskunſt. Er war der Be- gründer jenes Maitreffentbums, welches bald einen jo wichtigen Theil des franzöfifchen Staatsweſens aus- machen follte, auf die Stellung der Frauen in ganz Europa eine fo bedeutende Einwirfung gewann, unter dem vierzehnten Ludwig ein pomphaft anerfanntes Attribut des abfoluten Königthums wurde und unter Ludwig dem Fünfzehnten vie Töniglihe Majeftät, an vie Unterröde von Dirnen wie die Bompabour und die Dubarry ge- beftet, durch ven Koth fchleifte.

Ludwig der Elfte hatte den franzöfifchen Adel ge- vemüthigt, Franz der Erſte verfnechtete venfelben, indem er ihn zwang, am Hofe zu leben. Der König machte vie Barone zu betitelten Xafaien, ihre Frauen und Töchter zu feinen Odaliffen. Letzteren Zwed zu erreichen, wurden im Nothfall unerlaubtefte Künjte, nieverträchtigfte Liften in Anwendung gebradt. So, als es galt, die Gräfin

Zur Bergleihung. 75

von Chateaubriant an ven Hof zu loden, jene ſchöne Un» glückliche, welche ihr Gemahl ven kurzen Liebesraufch, dem fie in den Armen des Königs fich bingegeben, nach⸗ mals mit dem Tode büßen ließ). Sein Fünftlerifcher Sinn hielt auch Franz den Erften feineswegs ab, feine Adfichten bei Gelegenheit mit der ganzen Brutalität eines vollendeten Defpoten durchzuſetzen. So jagte er eines Nachts einen feiner Hofherren, welcher feine Frau zu ers morden drohte, falls fie ven König ihr Bett theilen Liege, mit gezogenem Degen aus dem Schlafzimmer und nahm ven Plab des Entehrten ein. Brantöme, welcher dieſe Geſchichte erzählt, fegt Hinzu, diefe Dame fei fehr glüd- lich gewejen, einen fo tapferen Beſchützer zu finden, denn feitvem habe e8 ihr Gatte nie mehr gewagt, ihr ein Wort darüber zu fagen, und babe fie alles nach ihrem Gefallen thun laffen St). Wie der Herr, fo die Diener. Bonnivet, der Günftling des Königs, beftürmte bie Schwefter vefjelben, vie fehöne und geiftuolle, auch ale Schriftitellerin aufgetretene Marguarite von Navarra, mit Liebesanträgen. Abgewiefen, war er frech genug, mittels Lift und Gewalt zum Ziele fommen zu wollen. Er lud den ganzen Hof auf fein Jagdſchloß ein und ließ der Prinzeffin ein Schlafgemach anmeifen, in welches er fih, als er fie eingefchlafen glaubte, mittel® einer Ge⸗ beimtreppe einfhlich, um die Schweiter feines Königs im Sturme zu erobern. Die Prinzeffin erwachte, entwand

50) Galanteries des Rois de France, II, 4 et suiv. 51) Brantöme, III, 18.

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fich entrüftet den Armen des Verwegenen, und da er ihres heftigen Widerſtandes ungeachtet nicht ablaffen wollte, richtete jie ihn mit ihren Nägeln jo arg zu und rief fo laut um Hilfe, daß der Unverfchämte enplich entfliehen mußte. Der König lachte nur zu diefem Abenteuer, welches die Prinzeſſin in der vierten ihrer Novellen ſelbſt erzählt hat). Es Fennzeichnet die Sitten jener Tage, daß einer königlichen Dame folches ungeftraft wider: fahren fonnte. Freilich) forgten die Frauen des fran- zöfifchen Hofes dafür, daß die Herren ven Glauben an weibliche Jugend für eine Thorheit anfeben konnten. Alle Berichte müßten lügen, wenn wir bezweifeln jollten, daß die Weiber mit ven Männern in Zügellofigfeit wett- eiferten. Sogar in unnatürlichen Laftern, wie Bran- töme mit der größten Seelenruhe berichtet. Aber es tft unmöglich, feine baarfträubenden Gefchichten von ven Tribaden („Fricatrices*) feiner Zeit nachzuerzählen 3°). Ihm zufolge verzweifelten die Ehemänner zulegt daran, ſelbſt mittels fogenannter „Keufchheitsgürtel” vie un- rechtmäßigen Begierven ihrer Frauen im Zaum halten zu fönnen, und fo begreift man, daß zur Zeit Franz des Erften in Frankreich das Sprüchwort umgehen konnte: „Qui voudroit garder qu’une femme n’aille du tout à Yabandon, il la faudroit fermer dans une pippe et en jouir par le bondon“. Ebenſo, daß ein itali- fher Fürft, welcher eine franzöfifche Prinzeffin heim-

52) Nouvelles de la Reine M. 33 et suiv. 53) Brantöme, III, 209 et suiv.

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geführt, am Morgen nad der Hochzeitnacht voll DVer- wunderung ausrief: „Voila un grand miracle, que cette fille soit ainsi sortie pucelle de cette cour de France“54), |

Wenn unter Franz dem Erften die franzöſiſche Ga- lanterie fich im allgemeinen wenigftens noch den Schein ritterlicher Courtoifie zu geben fuchte, fo verſank fie unter Heinrich dem Dritten vollends in einen Schmuß, wie er vor Zeiten an ven Höfen eines Caligula, Nero und Elagabal fih angehäuft hatte. Der König ließ fih in feinen wivernatürlichen Lüſten fo ſchamlos gehen, daß er fich fogar nad Nero’ Vorbild mit einem feiner „Mignons“ fürmlih vermählt haben fell). Der

54) Derjelbe, III, 148. 206.

55) Galant. des R de. Fr. II, 182. Unglaublich ift die Sache feineswegs. Naumer hat in feinen zur Erläuterung der Gefchichte des 16. und 17. Jahrhunderts gefchriebenen „Briefen aus Paris” (1831), I, 329, aus einer franzöfiihen Handſchrift folgende furcht- baren Züge aus dem Lafterleben diefes Königs lateinisch wieder- gegeben. „Aliquando invitavit omnia scorta Parisina maxime famosa, ut venirent in oppidum St. Cloud, easque carpentis eo deduci jussit; ubi quum advenissent, in nemore eas de- nudari jussit; similiter milites Helvetios prorsus denudari jussit (et) in venationem immisit, spectans voluptatem. Frequentabat ille (rex) matronas (Nonnen?) de Bel ncourt et corolla sua precatoria vulvas earum demetiebatur; alteram altera majorem habere dicens. Vim inferri jussit mulieri- bus honestis, quas in cubiculum suum adduei praetextibus quibusdam curaverat. Ipse et omnes ipsius sodales insi- mulabant sodomiae. Margaretha Valesia narrabat episcopo de Grasses, fratrem suum Henricum III. nunquam cum ipsa

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Lebenswandel feines Nachfolgers, Heinrich8 des Vierten, war befanntlich wenig geeignet, ſittenbeſſernd zu wirken, und e8 kann doch wohl faum als ein Verbienft gelten, wenn ihm nachgerühmt wird, daß er in feinen Aus- ſchweifungen wenigitens die Wege ver Natur eingehalten - habe. Die Hofhaltung des Königs bot die feltfamften Rontrafte: hier die energifche Beſchäftigung mit foloffalen, bie Karte von Europa mit vollftändiger Umänberung be- probenden Plänen die Franzoſen gebärbeten fich ja befanntlich ſchon damals als die „Eivilifatoren* von aller Welt, ohne jemals ernftlich bei fich jelber anzufangen dort eine halbtolle Frivolität, welche mitunter fogar einen fo erniten Rechner und Staatsmann wie Sully an ihrem Thorheitsbande gängelte. Sollte man e8 glauben, daß e8 des berühmten Minifters Lieblingsvergnügen war, Abends in feinem Kabinette fich auf ver Laute Tanzweifen porjpielen zu laffen und, wunderlich ausitaffirt, viefe Tänze ganz allein zu tanzen, währenn etliche übelberufene Hofherren und noch übler berufene Frauenzimmer die Zu⸗ ihauer machten und mit dem Zanzenven allerlei grobe Späſſe trieben®%)? Unter dem melandholifchen vrei-

concubuisse, nisi per vim®.... Alle dieſe Bezichtigungen haben‘ freilich einen ftark liguiftiichen Beigefhmad, was Raumer anzumerfen vergaß ; allein die widernatürlichen Sünden des Könige waren allbelannt und die allgemeine Verachtung, in melde er fiel, bezeugt, daß er der Verborbenfte unter ben Verdorbenen eines zuchtlojen Hofes geweſen.

56) „Bouffonnoient avec lui“, lautet der Ausbrud bei Talle- mant de Reaur, welder in feinen Historiettes (I, 147) von Sully’s Tanzſucht rebet.

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zehnten Ludwig nahm der Hof eine etwas trübjäligere Miene an, voch hielt fich im ganzen der unter Heinrich dem Vierten herrſchend geweſene Ton. Daher fonnte denn auch der gewaltige Beherricher feines Königs und Landes, der Kardinal Richelieu, auf ven baroden Ein- fall fommen, mittels Ballettänzerfprüngen um die Liebe der Königin, Anna dD’Autriche, zu werben”). Mehr Erfolg hatte nach diefer Richtung hin fein Nachfolger, ber glatte Mazarin, mit welchem auch das „italifche Lafter“ in Frankreich wieder Mode wurde. Wie un- befangen ſelbſt Damen erſten Ranges diefe Abjcheulich- feit nahmen, bezeugt uns ver Umftand, daß die Witwe Ludwigs des Dreizehnten, der man befanntlich vie zärt- lichſten Beziehungen zu Mazarin ſchuldgab, eines Tages zur Frau von Hautefort fagte, e8 wäre nichts daran, weil, wie fie lachend beifügte, der Karbinal die Frauen nicht liebe; er fei ja ein Italiener®%). Man kann gerade nicht jagen, daß die Regentſchaft Anna's von Deftreih die franzöfiihen Hoffitten wejentlih zum Beſſern gelenft habe. Kaum daß der äußerliche Anſtand etwas mehr ge- wahrt wurde. Zwar kam es jetzt nicht mehr vor, daß, wie unter Heinrich dem Vierten gefchehen, ein junger Parla- mentsrath eine nicht näher zu bezeichnende rohfaunifche Manier, ven Schönen feine Liebe zu erklären, erfand und übte 39%), aber wie mußte es troßdem mit den Sitten einer

57) Memoires de Lom&nie de Brienne, I, 274. . 58) Mem. de la Porte (Petitot’ihe Samml. LIX. 400). 59) Journal de Henri IV., III, 283.

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Zeit beftellt fein, wo eine öffentlihe Dirne, vie viel- berufene Ninon de Lenclos, fo ſehr als Mufter ver fein- ften Lebensart galt, daß vornehme Mütter ihre jungen Töchter bei derſelben einführten, um guten Ton zu lernen! Die Königin duldete e8 auch, daß ihre Ehren- fräulein ven ausgelafjenften Liebeshänveln ſich über- ließen. Eine diefer „Filles d'honneur“, Mapemoifelfe de Guerchi, wurde fogar zu wiederholten malen Mutter, ohne deſſhalb ihre Stelle zu verlieren 6). Die franzöfifche Hofgefchtehte von damals war in Wahrheit eine „Chro- nique des ruelles“ 61), Affe vie großen Damen, welche, dem erotifchen Nänfefpiel das politifche gefellend, zur Zeit der Fronde eine mehr oder weniger vortretende Rolle pielten, die Duchefje de Yonguevilfe, die Ducheffe de Chatillon, Madame la Balatine, Madame ve Guimenee, Madame und Mademoifelle de Chevreufe und andere, huldigten in ver Liebe mehr over weniger freien, mehr oder weniger ärgerlichen Grundfägen. Am gemeinjten trieb e8 die Ducheffe de Montbazon 82).

Ludwig der Vierzehnte, dem in Jünglingsjahren eine ver Nichten Mazarins, Maria Mancini, eine romantifche

60) Galant. des R. de Fr. III, 168, 186.

61) In den Bettgaffen (ruelles) empfingen nämlich die Damen jener Zeit, im Bette liegend, ihre Befuche, welche in dem Zwiſchen—⸗ raum von Wand und Bett Pla nahmen.

62) ©. über diefe Meffaline das Urtheil des Karbinals de Net, Mémoires, II, 30 et suiv. Frau von Motteville jagt in ihren Memoiren (I, 262) von ihr: „Je n’ai jamais une personne, qui ait conserv& dans le vice si peu de respect pour la vertu.“

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Neigung eingeflößt hatte, umgab feine Liebfchaften mit dem ganzen Pomp einer Etifette, welche auch in feinen Ausfhweifungen ven Ervengott erfennen laſſen follte. Unter jeinen Maitreffen hat wenigftens eine, die unglüd- liche La Valliere, welche ven König wirklich liebte, An- ſpruch auf unfer Mitgefühl 88). Ich fehreibe aber Feine Hofgeſchichte Frankreichs, und ganz abgefehen davon, daß die Schilderungen des franzöfifhen Hof» und Geſell⸗ ſchaftslebens unter Ludwig dem Vierzehnten in fo alibe- fannten zeitgenöfjiihen Büchern, wie vie berühmten Memoiren des Duc de Saint- Simon und die Briefe der Madame de Sevigne find, jedem Gebildeten in ver Erinnerung ftehen, Tam und fommt e8 mir im Borftehen- den und Nachfolgenden nur darauf an, in flüchtigen Umriſſen die fremden Sitten zu zeichnen, welche leider vom 16. Jahrhundert an in Deutjchland ver Nachahmung werth gehalten und wirklich nachgeahmt wurden. Es dürfte jedoch, um das Unglüd dieſer Nahahmung in feinem ganzen Umfang erkennen zu laſſen, gerechtfertigt fein, wenn ich eine veutfche Berichterftatterin über vie franzöfifhen Sitten zur Zeit Ludwigs des „Großen“ und des Regenten redend hier einführe.

Sedermann erräth, daß ich die Herzogin von Orleans, die i. 3. 1652 zu Heivelberg geborene pfälzifche Prin- zeifin Elifabeth Charlotte meine, eine der geiſtvollſten und

63) „Madame de la Valliere Etoit nee tendre et vertueuse. Elle aima le roi et non la royaute.“ Souvenirs de Mad. de Caylus, 1I. edit. pag. 24. Scherr, Srauenwelt. 4. Aufl. II. 6

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charafterftärkiten Frauen ihrer Zeit, welche, an Monfieur, d. h. ten Bruder des vierzgehnten Ludwigs, 1671 wider⸗ willig verheiratet und durch diefen Mutter des Negenten (Duc d'Orleans), inmitten des finneverwirrenden Babel von Paris ihr deutſches Gemüth und ihren deutſchen Geiſt fich bewahrte. („Ich habe noch allezeit ein teutfches Herg und gemüthe“, fchrieb fie am 17. November 1708 aus PVerfailles.) Was fie am franzdjiihen Hofe jah, hörte und erlebte, hat fie in veutjchgefchriebenen Briefen an mehrere Verwandte und Bekannte, insbejondere an ihre Halbfchweiter, die Raugräfin Luife, mit Föftlicher Naivität erzählt. Die Franzofen find freilich von diefer Natvität wenig erbaut und bejchuldigen die Prinzeffin der Neigung zur Medifance. Aber wenn e8 auch wahr ift, daß fie ihrer Zunge over Feder Teinerlet Zwang anthat und, ganz der franzöjiichen Manier entgegen, häffliche und häfffichjte Dinge ohne weiteres bei ihren Namen nannte, wenn es ferner wahr ift, daß fie, ihrem eigenen Aus- prude zufolge, zuweilen „gritlich (Frittlich) war wie eine wantlauß“ und demnach nicht immer geneigt, vie Sachen im rojenfarbenen Lichte zu fehen, fo fann dennoch weder die Schärfe ihrer Beobachtungsgabe, noch ihre Wahr- heitsliebe einem ernftlichen Zweifel unterliegen, obzwar einzelne Irrthümer und Webertreibungen in ihren Be- richten mitunterlaufen. Hören wir taher die unſchätz⸗ bare Zeugin über die Sittenzuftände eines Hofes ab, nad welchem vie veutfchen Höfe fo lange als nad) ihrem Vor⸗ bilde hingeblidt haben. Wir verzichten jedoch darauf, in bie bunte Mofaif ver anzuführenden Briefjtellen Orpnung

Zur Bergleihung. 83

und Syſtem zu bringen. Es würde das ja eine eigene und weitausfehende Arbeit erfordern und vielleicht ift dieſe Mofait in ihrem planlofen Durcdeinander nur um fo anziehender. Die Briefe, welche wir ausziehen, find an die Raugräfin Luiſe und an die Prinzeffin Karoline von Wales, geborene Brinzeffin von Anfpach, gerichtet und ihr Inhalt und Ausdruck zeigen recht charakteriftiich und ergöglich ‚genug, worüber und wie zu Ende bed 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts Prinzeffinnen mit einander briefwechfelten . . . . - „Das dangen tft Nun gang auß ter moden, hir In frankreich fo baldt as- sambleen fein, thut man nichts alß landtsknecht fpiellen, diß fpiel tft abm meiften In vogue, aber die jungen leutte wollen nicht mehr danken 6). Diß landt tft greulich verführifch vor Junge leutte und fie Erwerben mehr Ehre Im Krieg alß hir nichts Zu thun alß herumb Zu ſchlendern und Zu desbauchiren, wozu unter unß gerett mein john Nur gar zu viel inclination hatt und meint, weillen Er Nur die weiber lieb hatt und nicht won der anderen desbauchen ift, fo jett hir gemeiner ift al8 In ittallien,

64) Im 17. Jahrhundert graffirte die Spielwuth förmlich unter den franzöfiihen Damen. Vgl. Renee, Les nitces de Ma- zarin, notes, B. Auch das „Mogeln“ verftanden die Spielerinnen nicht minder als die Spieler. Frau von Staal (nicht zu verwechſeln mit ber Frau von Stael) erzählt in ihren Memoiren von einer Spielerin jener Zeit: „Die Herzogin de la Ferté ließ ihre Lieferanten, Schlächter, Bäder u. |. m. zufammenlommen und fpielte mit ihnen Landsknecht. Sie fagte mir ins Ohr: Ich betrüge fie, weil fie mich befteblen”.

6*

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fo meint Er, man folle Ihn noch dazu loben. Waß noch mehr ift, vie weibsleutte fein in einander Verliebt, welches mich noch mehr Edelt alß alles. Das Sauffen iſt gar gemein bey bie weiber hir in frankreich und Mad. de Mazarin hatt eine dochter hinterlaffen, jo es auch Meifter- lich fan, die marquise de Richelieu. Die Marquiſe ift auff alferhandt weiß abſcheulich desbauchirt, legte fih Eing mahls hir in Monsieur le dauphins bett, ohne daß Er fie darumb gebeten, umb bey Ihm zu ſchlaffen. Hir findet man gar wenig mweibsleutte fo nicht von natur coquet fein undt ift e8 recht rar, wenn man Eine findt fo e8 nicht iſtss). Im opera von Alceste fingt man: L’hymen destruit la tendresse, il rend l’a- mour sang attraix undt ein cavalier fo vor Ein jahr geftorben fagte alß: quel amour qu’en puisse dais qu’en entre au lit d’hymen lamour sort du coeur. Seidt Ihr fo Einfältig zu glauben daß Junge Mansleutte bey itigen Zeitten ohne metressen leben? Das verunehrt

65) Bei dieſem Vorwurf angeborener Kofetterie, welchen bie ehrliche Elifabeth Charlotte den Franzöfinnen madt, kommt mir eine charakteriftiihe Parallelftelle aus den Erinnerungen einer neueren Beobachterin zu Sinne. SHelmina von Checy („Unver- gefjenes“, I, 216) erzählt nämlih: „Ich fah einmal (zur Zeit des Konjulats) zwei niedliche Mädchen durch den Tuileriengarten gehen. Die eine faltete den Rod ihres Kleives mit großer Sorgfalt zu- fammen und fragte dann das Schwefterhen: Anna, ift auch mein Bein zu ſehen? Dies war fehr zierlich geformt, Anna bejahte und die Kleine war zufrieden. Eine andere Kleine, von deren ſchönen Augen man fchon gefprochen hatte, fagte: Die Sonne thut meinen Ihönen Augen weh”.

Zur Vergleichung. 85

Einen herrn gar nicht. Es iſt eine abfcheuliche fach mitt dem Tabaque. Es ärgert mich recht, wen Ich hir alle weibsleut mitt ven ſchmutzigen Naßen, als wen fie fie in Dred mitt Verlaub gerieben hetten, daher fommen undt die finger in alle ver Männer Tabactiere jteden ſehe. Die Aebtiffin von Mautbuisson, Louiſe Hollanvine, fille de Frederic V. Electeur Palatin (alfo eine geborene Deutiche, aber vollſtändig franzöjirt und durch⸗ aus würdig, eine Franzöfin von damals zu fein) 8%) hat fo viel Baftarts gehabt, daß fie jchiwur: par ce ventre, qui aportel4enfants. Dieimpuissants madıten fie ohn⸗ mächtig und fie fonnte jie von feme riechen. Man er- zählet von viefer Dame, daß um fich ein oeil tendre zu maden und um wohl auszufehen, hatte fie einen Kammerdiener, der mußte wenn fie auf einen Ball ging in ihrem vollen Puge und aufrecht mit ihr zuhalten. Die Marechalle de la Ferte wollte einem von ihren Amants erweijen, wie lieb jie ihn hätte. Ich weiß nicht, welcher e8 war, denn fie hat ihrer fo viele gehabt als Tage im Jahre find; wo mir aber Recht ift, jo war e8 der Heine Comte de Marsan. Der hatte ihr einmal vor- geworfen, daß fie ihn nicht vecht lieb hätte. Sie fagte: je vous donnerai des preuves convaincantes. Quand je vous sais seulement en même lieu je suis, je me sens dans une agitation comme si j’avois la fievre. Wie er aber dies nicht glauben wollte, gab fie

66) Von den ſkandalöſen Abenteuern diefer Dame erzählen die Memoiren von Madame de Montpenfier (I, 220) näheres.

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ihm eine Nacht ein rendezvous; wie er bei ihr im Bette war, ziehet fie ihm die Dede übern Kopf, und fagt: Ne parles pas, ou vous ötes perdü! ruft ihre Leute und. läfit ihren Doctor holen. Wie er ihr den Puls fühlt, fragt jie: He bien, que trouves vous? Der Doctor antwortet: Madame, vous avés une grande agitation et une fievre trös violente. Vous devries vous faire saigner. Sie fügte: Une autre fois, je n’en ai pas tems presentement. Wie Doctor und Kammermagd wieder weg waren, fagte vie Marechalle: He bien, etes-vous content? Je vous ai tenu parole. Er fagte: Oui, mais vous m’avez fait grande peur. Madame Ehriftine 7) war eine galante Dame, wiewohl ſehr aus- gewachſen. Die große Mavdemoifelle bat mir erzählet, daß weil fie (Map. Chriftine) gar weiß war, fie ſich jplitternadent auf ein ſchwarzſammet Bette gelegt und fih fo an ihre Amants präfentiret. Man fiehet zu Fon- tainebleau auf dem großen Sale noch das Blut von einem Kerl, ven fie hat mafjafriren laſſen. Sie wolite nicht, daß alles, was der Menſch von ihr wußte, heraus»

67) Die gemwejene Königin von Schweben, Tochter Guſtav Adolfs. Der „Kerl“ (d. t. der Liebhaber, denn in einigen Gegenden Süddeutſchlands, namentlich in Mittelfchwaben, beißt inder Bauern- ſprache ein Liebhaber noch heutzutage ein Kerl), von deſſen auf Chriſtine's Befehl im Schloffe von Fontainebleau gefchehener Er- mordung die Herzogin von Orleans fpridt, war ber Italiener Monaldeschi. Sittengeihichtlich ſehr inftruftiv ift die i. I. 1697 zu Amfterdanı gebrudte „Histoire des intrigues galantes de la reine Christine de Suede et de sa cour pendant son s&jour à Rome“.

Zur Bergleihung. 87

fommen follte, und meinte, wenn fie ihm nicht das Leben nähme, würde er es ausfchwagen. Sie war jehr vindi⸗ tative, in allen Stüden debauchirt, auch mit Weibern. Das Hat fie den Franzojen zu danken, infonverheit dem alten Bourbelot, der hat fie in allen Laſtern geſtärkt. Ste fonnte von Sachen reden, die die größten Debauchés nur erdenfen können. Sie hat vie Madame de Bregie zur Unzucht mit ihr forciret, daß fie ſich fchier nicht ihrer hat erwehren künnen. Als eins von ver Königin Kindern jtarb, fragte der König (Ludwig der Vierzehnte) feinen damaligen Doctor: d’ou vient, Mr. Guineau, que mes bätars sont sains et ne meurent pas, pendant que les enfants de la reine sont tous delicats et meurent? Sire, fagte Guineau, c’est qu’on n’a port& chez la reine que les restes du verre. Die Königin war froh, wenn der König bet ihr fchlief, venn auf gut ſpaniſch haſſte fie dieſes Handwerk nicht ; fie war jo luftig, wenn es ge- ſchehen war, daß man e8 ihr grade anjahe ; hatte auch gerne, daß man fie damit verirte; lachte, blinzelte und rieb ihre fleinen Händchen zufammen. Madame de Montespan und ihre ältefte Tochter haben brav jchöppeln können ohne einen Augenblid voll zu werden. Ich habe fie, ohne was fie ſonſt getrunfen, 6 Rafaden vom ftärfiten turiner Rofoli trinken fehen; ich meinte, fie würde unter die Tafel fallen, aber e8 war ihr wie ein Trunk Waffer. Mein Sohn (ver Regent) ift incapable, recht verliebt zu fein. Er ißt und trinkt gern mit feinen Maitreffen, fingt und macht fich Iuftig mit ihnen und fchläft gern bei ihnen; aber eine lieber zu haben als die andere das ift

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feine Suche ganz und gar nit. Mein Sohn ift nicht delicat; wenn die Damen nur von guten humor feyn, brav freffen, faufen und frech jeyn, weiter bevürfen fie feiner Schönheit”)... ... In feinen alten Tagen wandte fi) Ludwig ver Vierzehnte unter dem Einfluß feiner legten Maitreffe, ver Maintenon, der Bigoterie zu, welche ja zu allen Zeiten die richtige Folge ver Aus- ſchweifung geweſen if. Die frömmelnvde, ven alten König mit etferner Defpotie 69) beherrfchenne Witwe Scarrond war unferer braven Herzogin von Drleans wie Gift und Galle zuwider. Sie nannte die ſchlaue Konkubine, welche ich zulett zur fürmlichen Gemahlin des Königs hinaufpiplomatifirte, nur die „alte Zott“ und beim Top der Berhafiten Ichrieb jie in ihrer verben Art triumphirenp : „Die alte Schump iſt verredt ven 15. April (1719) zu St. Cyr“. Nach dem Tode des Königs hob vie wilde Orgie der Regentſchaft an und auf dieſe folgte die gemeine Lüderlichkeit, wie fie während ber langen Regierung Ludwigs des Funfzehnten am franzöfiihen Hofe gäng

68) Briefe der Prinzeffin Elifabeth Charlotte won Orleans an die Raugräfin Luiſe. Hrsgeg. v. W. Menzel (Bibl. d. literar. Vereins in Stuttgart, VI.), ©. 5, 8, 24, 39, 44, 63, 81, 89, 136, 139. Anekdoten vom franzöſ. Hofe, ausd. Briefen der Mad. d'Orleans (Straßb. 1789), ©. 7, 26, 51, 64, 67, 101, 117, 134, 144, 196, 197.

69) Um von der bis zur Lächerlichkeit gehenden Unterwäürfig- feit, welche Ludwig der Maintenon bezeigte, ein Beifpiel nambaft zu machen, erinnere ih an die Stelle in den Memoiren St. Simons, wo biefer die Gefhhichte des Lagers von Compiegne i. I. 1698 erzählt.

Zur Bergleichung. 89

und gäbe war und von da aus allmälig alle Schichten der franzöſiſchen Geſellſchaft verpeſtete .....

Die Frauen Italiens waren im 16. und 17. Jahr⸗ hundert weit entfernt, einer ſocialen Freiheit zu genießen, wie die franzöſiſchen fie genoſſen und fo vielfach miß- brauchten. Leider find aber die Nachrichten über Stellung und Berhalten der Italienerinnen zur angegebenen Zeit jo bürftig, daß wir nur weniges darüber beizubringen wiffen, um fo wenigere®, da bier nicht der Ort ift, die Stellung vorragender Frauen in ber politifhen und literarifchen Gefchichte Italiens, insbelondere der Frauen der Häufer Medici und Ejte, zu würdigen. Ein berühm- ter franzöfifcher Autor, Montaigne, welcher Italien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereif’te, fand die ftrenge Verwahrung auffallend, in welcher dort bie Frauen und Töchter der Vornehmen gehalten wurden. Dan habe e8 als etwas ungewöhnliches angejehen, wenn die jungen Damen fih einmal öffentlich zeigen durften. Die Italiener hatten freilich Grund genug, der Tugend des Schönen Gefchlechtes nicht allzufehr zu trauen. Die italiſche Novelliftif von den Tagen Boccacciv’8 herab ent⸗ wirft, wenn auch mit lachenven Farben, ein nicht jehr ichmeichelhaftes Gemälde der weiblichen Sitten des Lan⸗ des, zu deren Verderbniß ja auch die zahllofen Geiftlichen das Yhrige eifrigit beigetragen haben. Und dann bie frivole, in Laſcivität ſchwelgende Behandlung der Liebe und der Frauen in den Komödien Macchiavelli's und in den Helvdengebichten ver Pulci, Bojardo und Arioſto, von den eigentlich priapifchen Poeten, wie Pietro der Aretiner

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einer war, gar nicht zu reden! Wo eine feldhe Poefie entjtehen und der Stolz der Nation werden Tonnte, mußten die Frauen gerade fo verborben fein wie bie Männer oder im beiten Fall durchichnittlich viel zu un- gebildet und involent, um edlere Sitten zu pflanzen und den Glauben an weibliche Tugend zu verbreiten. Es fehlte freilich nicht an erhabenen Ausnahmen von dieſer Regel. Eine Leonora d'Eſte, eine Pittoria Colonna glänzen für alfe Zeiten in ver Ruhmeshalle unfterblicher Frauen und um das fchöne Haupt einer Beatrice Cenci, welches einem unerhört tragischen Gefchid zum Opfer ge- fallen, leuchtet vie Gloriole eines beifpiellofen Marty- riums7%). Aber auf der andern Seite beweifen eine Zucretia Borgia und eine Katharina von Medici fattfam,

70) Ein engliiher und ein italifcher Dichter, Shelley und ©uerrazzi, haben den Manen des unglüdlihen Mädchens bichterifche Todtenopfer dargebracht. Leonora d’Efte wurbe, wie jedermann weiß, von Taſſo und Göthe gefeiert. PVittoria Colonna, Gemahlin bes Triegsberühmten Marcheſe von Peſcara und als Dichterin eine ſehr ehrenvolle Stellung in der Literatur ihres Landes einnehmend, wurde von ihrem Zeitgenoifen Ariofto (Orlando fur. XXXVI, 16 fg.) ſchön gepriefen, befonders in der Stanze:

„Nur Eine wähl’ ich, Doch ich wähle dieſe,

Die ſelbſt verfiummen beißt des Neides Toben, Und feine zürnt mir, wenn ich fie erkieſe, Um, von den andern jchweigend, fie zu loben, Sie hat nicht nur durch ihrer Töne Süße

Sich jelber zur Unfterblichleit erhoben,

Sie ruft auch jeden lebend aus dem Grabe, Bon dem fie fpricht, durch ihre holde Gabe.“

Zur Vergleichung. 91

welche dämoniſche Verworfenbeit in der Bruft italifcher Frauen von damals plakfand. .... Montaigne erzählt uns, daß zu feiner Zeit in Italien bei feftlichen Mahl- zeiten die Frauen von ihren hinter ven Stühlen ftehen- den Männern bedient wurden, woraus zu Schließen wäre, daß damals die Einrichtung des Cicisbeats noch nicht be⸗ ftanden babe. Im folgenden Jahrhundert aber ging dieſe für echte Weiblichkeit und das Familienleben fo ververbliche Sitte bereits fehr im Schwange. Eines merkwürdigen, auch in Spanien vorkommenden Brauches gedenkt Bran- töme. Zu feiner Zeit war es nämlich da und dort in Italien, namentlich zu Viterbo, Sitte, nach der Hoch⸗ zeitSnacht die Beweife der Jungferſchaft ver Braut öffent- lich zur Schau zu ftellen”!)., Mean könnte das für ein naives Zeugniß der Achtung vor jungfräulicher Tugend halten, läge nur nicht eine fo empörende Schamlofigfeit in dieſer Oftentation und fügte Brantöme nicht hinzu, daß dabei gar manche Fälfehung vorgefommen ſei. Mon- taigne verhehlte nicht feine Verwunderung, in ganz Italien jo wenige wirklich fchöne Frauen und Mädchen angetroffen zu haben, wogegen er ven Stalienerinnen Geſchmack im Anzuge nachrühmte; nur jchmeichelten, meinte er, die italiichen Damen zu jehr dem Vorurtbeil ihrer Anbeter, daß eine übermäßig große Bufenfülle ſchön jet und demnach möglichft fichtbar gemacht werden müffe. Die ſchönſten Weiber fand der feine franzöfifche Beobachter unter den Rurtifanen und er notirte e8 als eine „chose

71) Brantöme, 1. c. II, 102 et suiv.

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admirable® , daß e8 in Venedig allein anverthalbhuntert folher Buhlerinnen erften Ranges gab, welche, von dem Adel der Republik ganz öffentlich befucht und unterhalten, in Kleiderpracht, häuflicher Einrichtung und foftfpieliger Lebensweiſe mit Brinzeffinnen wetteiferten”%. Italien war überhaupt die Heimat der raffinirten Buhlerkünſte und wiederum war in Italien Venedig die Hochſchule ver Buhlerei. Die Königin der Adria behauptete ihren Rang als „Lieblingsftant der Wollüſte“ bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, wo fie ihr Skepter an Paris abtreten mußte. Zur Renaiffancezeit, wo ja überhaupt die Xebens- führung ver gebildeten Kreife in Italien als ein mattes Abbild, häufig wohl auch als ein groteffes Zerrbild des antifen Dafeins fich darftellte, hatte das italifche Hetären- thum mitunter einen attifchen Anjtrich getragen. Durch Schönheit, Tünftlerifche Fertigkeiten, Geiftreichigfeit und Witz ausgezeichnete YBuhlerinnen, wie die Römerin Imperia oder die Caterina di San Eelfo in Mailand oder die aus Spanien herübergefommene Ifabella de Luna, jpielten dazumal in ver italifchen Geſellſchaft Rollen, weldhe an die der Afpafia oder wenigftend der Yais und Thais in der griechifchen erinnerten 7°).

Die Spanierinnen des 16. und 17. Jahrhunderts hatten andere Begriffe von Schönheit als ihre italifchen

72) Montaigne, Voyage. 92, 109, 111, 125, 141, 142, 160.

73) Bol. Burkhardt, Die Kultur der Renaiffance in Ita- lien, 396.

Zur Vergleichung. 93

Schweiten?”Y. Während viefe nah „blühendem Fete“ jtrebten, thaten jene alles mögliche, um fi) mager zu erhalten. Insbeſondere wurde die Entwidelung des Buſens mit aller Gewalt hintertrieben, indem man bie fchwellende Brujt reifender Mädchen vermittel® Tafeln von Dlei platt prüdte, und zwar mit foldem Erfolg, daß bei vielen fpanifchen Damen ftatt ver Yufenhügel Ver- tiefungen und Höhlen fihtbar waren 3). Denn fie forg- ten recht gefliffentlich dafür, daß diefe Reize, nämlich eine hagere Inochige Bruft und ein ebenſo hagerer und

74) Sauptquellen für das Folgende find die Relation du voyage d’Espagne de la comtesse d’Aulnoy (La Haye 1705) und die von Raumer a. a. O. gefammelten Gejandtenberichte aus dem 16. und 17. Jahrhundert.

75) Merkwürdiger Weile kommt diefer naturwidrig = bufen- feindliche Brauch, weldher im 17. Jahrhundert in Spanien herrichte, noch heutzutage unter einem deutſchen Volksſtamm vor, nämlich im bregrenzer Wald, von deſſen Bewohnerinnen B. Oppermann („Aus dem bregrenzer Wald”, 1859, ©. 9) jagt: „Den rundlichen, bie Fülle der Gejundheit verfündenten Kopf bebedt die kegelförmige Mütze; ans den großen Augen fpricht viel Lebensluft und Schalf- beit; alle Formen find rund, die Geftalten Träftig gebrungen, die Hüften breit, die Beine ebenmäßig gebaut. Nur eins mangelt ihnen völlig: die Bruft. Allerdings gewahrt man denfelben Mangel auch ſonſt bei Bergbewohnerinnen, aber es ift dennoch auffallend, daß derfelbe bier ſogar bei ſolchen angetroffen wird, die fonft üppig gebaut find. Dies mag daher kommen, daß Mütter ſolchen Töchtern, die etwa vor anderen Mädchen fich durch das, was dieſen fehlt, auszeichnen könnten, tellerartige Hölzer anichnallen und jo mit Gewalt eine der ſchönſten Zierben des Weibes in ihrer Ent- widelung hemmen. * |

94 Buch III. Kap. 2.

fnochiger Rüden weit hinab tem Anblide bloßgeftelft würden. Sonſt rühmt unfere Berichterftatterin, die Gräfin d'Aulnoy, das reihe, glänzend ſchwarze Haar ver Spunierinnen, ihre regelmäßigen, wohlgebilveten Züge, ihre großen, Teuer werfenden Augen, ihre zier- fihen Hände und außerorventlich Fleinen Füße. Die leßteren ängjtli) vor den Blicken ver Männer zu ver- bergen, war eine Hauptoorfchrift fpanifcher Sittfamfeit und e8 galt für die zweitgrößte Gunft, welche eine Dame überhaupt ihrem Liebhaber erweifen konnte, wenn fie ihn ihre Beine und Füße ſehen ließ. Bekannt ift vie jpaß- hafte Anekdote, daß, als die öſtreichiſche Prinzeffin Maria Anna ale Braut Philipps IV. nad) Spanien fam und man ihr beim Durchzug durch eine Stadt, welche eine berühmte Strumpfweberei bejaß, eine Partie ver Tchönften feivenen Damenftrümpfe als Ehrengefchent über- reichte, der Majordomo vaffelbe entrüftet zurüdgab mit den Worten: „Die Königinnen von Spanien haben feine Beine!” Der gute Mann wollte damit fagen, es jei ein Trevel, an die Beine und Füße von Königinnen auch nur zu denken. Die Prinzeffin aber fing bitterlich zu weinen an, wähnenp, man wollte ihr die Beine abjchneiven. In Wahrheit, nicht nur die Beine, ſondern die ganzen Leiber und Seelen der ſpaniſchen Königinnen waren in bie „ſpaniſchen Stiefeln“ einer aberwitigen und unerbitt- lichen Etifette eingefchnürt und gebrüdter als die könig— lihen Bewohnerinnen des Ejfurial haben vielletcht nie= male Frauen geathbmet. Ihr Leben verfloß in einer prunfoolfen, das Gemüth bis zum Blödſinn abjtumpfens

Zur Bergleihung. 95

den Yangeweile. Sie waren nur gefrönte Sklavinnen. Als ein Beifpiel diefer gänzlichen Unfreiheit fei angeführt, daß Philipps II. Gemahlin Elifabeth,, als fie i. 3. 1565 zu einer Zuſammenkunft mit ihrer Mutter nah Bayonne reiste, drei Zage lang vor ven Thoren non Burgos liegen bleiben mußte, bis man tie Willensmeinung des Königs eingeholt hatte, ob vie Königin durch die Stadt oder aber um biejelbe herum ziehen follte. Aber die Königinnen von Spanien waren mitunter noch viel graufanteren Prüfungen ausgefegt. So die erfte Gemahlin Karls II., eine franzöjifche Prinzeſſin. Der impotente König hielt fih für behert und wurde in diefen Glauben durch feinen Beichtvater beftärkt, einen Dominikaner, welcher eine Bifion Hatte, das Töniglihe Ehepaar wäre in Folge einer Behexung verhindert, Kinder zu befommen. Es wurde beichloffen, mittel® einer märchenhaft fchamlojen Be⸗ Ihwörungscermonie den Zauber zu bannen. Der König und die Königin follten fih nadt ausziehen und der Mönch in pontificalibus vie Beiprehung vornehmen, worauf in Gegenwart des Beſchwörers der Verſuch gemacht wer- den follte, ob der Bann wirklich gebrochen wäre. Der König fegte der Königin heftig zu, in die Sache zu willigen; fie jedoch ließ fich nicht überreden, zu biefer Schändlichkeit fich herzugeben 7°).

Die Feſſeln einer geifttöptenden Etifette umfchnürten,

76) Depeiche des franzöfifhen Gefandten zu Madrid, Grafen Rebenac an Ludwig XIV., bat. v. 23. December 1688, vollft. getr. bei Renee, Les nieces de Mazarin, not. L.

96 Bud III. Kap. 2.

wie die fpanifchen Königinnen und Prinzeffinnen, alfe Frauen der höheren Stände des Landes. Ueberall Un- freibeit und Zwang. Daher aud) die unglaublich geringe Geiftesbildung ver ſpaniſchen Damen, welche nicht, wie viele ihrer franzöſiſchen Zeitgenoffinnen, an ver Rultur- bewegung des 17. Jahrhunderts theilnehmen durften over fonnten. Es gab in Madrid nicht wie in Paris ein Hötel Rambouillet, wo die vorragendften Männer der erniten und der ſchönen Wiſſenſchaften in lebendigem Ipeenaustaufch mit den Xonangeberinnen ver Gejellihaft verkehrten. Auch Spanien zwar befaß damals eine Literatur, deren Glanz zu bezeichnen man nur die Namen Cervantes, Lope und Calderon zu nennen braudt. Allein die ganze fpanifche Literatur war nicht auf das Princip der Be- wegung und Entwidelung, ſondern auf das des Still: ſtandes bafirt und darum hat au fie an jener Ber- Inöcherung mitgearbeitet, welcher fich die panifche Nation erit zu Anfang des 19. Jahrhunderts wierer zu ent- Ihlagen begann. Aus den Tagen feiner weltgebietenven Stellung hatte Spanien unter vem Einfluß eines ver- dummenden Defpotismus nur jenen lächerlihen Hivalgo- Dünkel berübergebradht, welcher auf Intelligenz und Detriebjamfeit mit einem jo blödſinnigen Hochmuth herabfah, daß noch i. 3. 1781 die madrider Akademie mitteld einer Preisaufgabe zu beweifen verfuchen mußte, „die Betreibung nüglicher Gewerbe enthielte nichts ehren- rühriges". Es ift demnach nicht verwunderlich, daß zur Zeit, von welcher wir handeln, die fpanifchen Frauen, mit wenigen Ausnahmen, in tiefer Unwiſſenheit ihr Da⸗

Zur Bergleihung. 97

fein hinſchleppten. Maßgebend für vaffelbe waren ja bie orientalifch-vefpotifchen Regeln, welche die Spanier ven Moriffen abgelernt hatten. Damen von Stand lebten in einer Abgefchloffenheit, welche einer Höfterlichen Klauſur nahefam oder dieſe fogar noch Hinter fich Tief. Denn die Nonnen durften wenigftend am Sprachgitter männ- liche Befuhhe empfangen, während Ehefrauen jtrengitens unterfagt war, den Beſuch eine® Mannes anzunehmen, wenn nicht mit ausbrüdlicher Bewilligung des Gatten. Es war ihnen auch nur während des erften Jahres ihrer Ehe verftattet, in Gefellfchaft ihrer Männer in offenen Wagen öffentliche Spaziergänge zu beſuchen; fpäter durften fie nur noch in feftverfchloffenen Kutichen aus- fahren. Bon traulichem Familienleben keine Spur. Zur Zeit, als die Gräfin D’Aulnoy in Spanien fi auf- hielt, gehörte e8 dafelbft zum guten Ton, daß jeder rechte Raballero neben feiner Gemahlin eine Konfubine und außerdem nocd eine Geliebte hatte, welcher letzteren er nach den Regeln ver feinen Lebensart ven Hof machte. Selbſt bei Tiſche vereinigten fich die Eheleute nicht: Der Hausherr fpeifte allein, während Frau und Finder mit nach morgenländifcher Art gefreuzten Beinen reſpektvoll auf Zeppichen am Boden faßen.

Die armen Frauen, von jeder edleren Gefelligfeit ausgefchloffen, waren auf Handarbeiten, auf das Geplau- der mit ihren Duennen, auf mechanijches Beten, auf das Spiel mit ihren Roſenkränzen und auf Intrifenfpiel angewiefen. Denn je größer der Zwang, unter welchem die Frauen leben, deſto mehr fchärft fich ihre it deſto

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. II.

98 Bud III. Rap. 2.

. glühender wird in ihnen der Drang, fih an ihren Zwing- bern zu rächen. Die Spanier mußten das auch er⸗ fahren. Die unerbittlichjte Rachſucht und alle bis zu tiftelnder Narrheit zugefpiste Pflege der „Spanifchen Ehre” konnten die fpanifhen Damen nicht verhindern, zu lieben und fich lieben zu laffen. Ganz harafteriftiih - für das fpanifche Weſen wurde ven Spanierinnen häufig die Religion zur Gelegenheitgmacherin, indem vie zahl- ofen firchlichen Uebungen zur Anfpinnung und Durch führung von Liebesränfen vortreffliche Gelegenheit gaben. Die fpanifhen Kavaliere hatten auch eine ganz eigen- thümliche Manier, chriftliche Aſketik und romantifche Galanterie mit einander zu verbinden, indem fie jich zu Ehren ihrer Geliebten geißelten. Bei öffentlichen Yuß- und Bittgängen blieben vie Liebhaber unter ven Fenfter- balfonen ihrer Angebeteten ftehen und geißelten fich die bloßen Rüden blutig. Es galt für das höchite Merkmal echter Galanterie, wenn das bei foldhen Anläffen fließenve Blut auf die Kleider der Schönen fprigte, welcher viefe verrüdte Hulvdigung gewidmet war. Die Belohnung bafür blieb auch nit aus. Denn aller Wachſamkeit von Vätern, Brüdern, Eheherren und Duennen zum Troß wußten bie fpanifchen Damen ihre Anbeter glücdlich zu machen. Zwei Umſtände famen ihnen dabei zur Hilfe: die Uebung in einer aufßerorventlih entwidelten Ge- bärden- und Zeichenſprache und vie beftändige DVer- ſchwörung, in welcher fo zu jagen die ganze Frauenwelt gegenüber der Männerwelt fic) befand. Weil aber die galanten Damen Spaniens die Gelegenheit im Fluge er=

7

Zur Bergleihung. 99

hafchen mußten, ftanden ſie nicht an, ihren Anbetern den Weg zur höchften Gunftbezeigung möglichſt abzu- fürzen, und nahmen venfelben eine ſtürmiſche Zärtlich- feit keineswegs übel”). Betrachtet man die in den ſpaniſchen Komödien und Novellen vorgeführten zahl- (ofen Beifpiele von der Kühnheit und Schlauheit, mwo- mit die Frauen des Landes zu Werfe gingen, um ihrem heißen Zemperament genugzuthun, fo erfcheint die ſpaniſche Frauentugend in einem nicht fehr gün- jtigen Lichte. Indeſſen muß gejagt werden, daß auch die Beifpiele von edler und edelſter Weiblichfeit in ver

ſpaniſchen Literatur des 17. Jahrhunderts fehr zahl-

veich find. Ich erinnere nur an das berühmte Schau- iptel „Garcia del Castanar“ von Franciico de Rojas, wo die Konflifte der beleivigten Gattenehre und des ſpaniſchen Royalismus fo herrlich zur Anſchauung ge- bracht find und in der Berfon der Donna Blanka ein hoch⸗

J

77) Brantöme (III, 4) erzählt folgende hierher gehörende Ge- ihichte. „Une dame Espagnolle, conduite une fois par ungalant cavalier, Jans le logis du roy, venant à passer par un certain recoin cach6 et sombre, le cavalier, se mettant sur son respect et discr6ötion Espagnolle, luy dit: Seüora, buen luguar, si no fuera vuessa merced (Madame, voicy un beau lieu, si c’estoit une autre que vous). La dame luy repondit: Si, buen luguar, si no fuera merced (Ouy vrayment, si c’estoitaussi unautre que vous). Par-lä T’arguant et incoulpant de couardise, pour n’avoir pris d’elle en si bon lieu ce qu’il vouloiteetelledesiroit; ce qu’eust fait un autre plus hardy: et pour ce oncques plus ne l’ayma et le quitta.*

7*

100 Bud IH. Kap. 2.

ſittlicher Frauencharakter vorgeführt wird, fowie an das beſte Luftfpiel der fpantfchen und vielleicht der eurg- päifchen Literatur, an Moreto’8 „El desden con el desden®, wo mit feinfter pfochologifcher Meiſterſchaft in der Figur der Donna Diana ein Typus grazidfer Sungfräulichkeit gezeichnet ift.

Drittes Kapitel.

Monſieur und Madame „Alamode“ in Dentfchland.

Charakter des 17. Jahrhunderts. Die Ausländerei und die patriotifche Oppofition. Der dreifigjährige Krieg. Sieg des alamovifhen Weſens. Ungeſchmack und Sittenlofigleit der „galanten” Literatur. Frauentradt nnd Damenputz. Die vornehme Geſelligkeit. Ringelrennen, Wirthſchaften und Schä- fereien. „Alla francese“. Zwei Hoffittengeijhichten. Die bürgerlichen und die akademiſchen Kreiſe. Die Schönen bes Lagers. Fromme, gelehrte und dichtende Frauen. Ehebünd- niffe zwiſchen Fürften und Bürgerstöchtern.

Mas fiebzehnte Jahrhundert ift für Europa eine Un- glückszeit geweſen. Der Romanismus machte da feinen großen Feldzug ‘gegen den germanifchen Geift und, wenn auch noch jo oft gefchlagen, wurde er dennoch nicht befiegt. Nur in England erlitt er eine entſchiedene und dauernde Niederlage: hier triumphirte ja zuleßt das proteftantifche Princip religiöfer und politifcher Freiheit freilich bloß im ariftofratiihen Sinne über die romanifsch-ftuart’fche Rückwärtſerei. In Deutſchland dagegen war die Hoffnung,

102 Bud II. Kap. 3.

daß die Reformation eine ftantlihe Wiedergeburt ver Nation bewirken würde, von Der Stunde an dahin, wo die proteftantifhe Bewegung aus einer Volksſache zu einem Motiv dynaſtiſcher Politik herabgejunfen. Das Kompromiß Luthers mit den Fürften trug bittere Früchte und. die nach der blutigen Ueberwältigung des bäuerlichen Revolutionsverfuches eingetretene Erichlaffung ver Nation ſetzte dem Strom ver Auslänverei, welcher durch ven fatferlihen Hof und die übrigen Fatholifch gebliebenen Höfe von Italien und Spanien ber, durch die proteftantifch- falvinifchen Höfe von Frankreich her in unfer Vaterland geleitet wurve, Teinen ausreichenden Widerſtand entgegen. An fich felbft verzweifelnd ſchwankte die veutfche Gefellichaft zwifchen Hifpanifirung und Franzöfirung, bis mit dem Niedergange ver fpanifhen Macht und mit dem durch Heinrichs des Vierten und Richelieu's ſtaatsmänniſche Thätigkeit begründeten Uebergewicht Frankreichs das franzöſiſche Weſen ven Sieg davontrug und allmälig die proteſtantiſchen und katholiſchen Höfe Deutſchlands gleichermaßen dem Banne ſeiner Moden unterwarf.

In den erſten Decennien des Jahrhunderts regte ſich allerdings noch eine patriotiſche Oppoſition gegen das Fremdweſen und iſt dieſelbe auch ſpäter noch von ein⸗ zelnen hellſichtigen Vaterlandsfreunden fortgeführt worden. Im Jahre 1617 wurde zu Weimar, alſo an der Stätte, von welcher im folgenden Jahrhundert die glänzendſten Siege des wiedererwachten deutſchen Geiſtes aus— gehen ſollten, durch Kaſpar von Teutleben nomen et omen! und den Fürſten Ludwig von Anhalt—⸗

Alamode in Deutfchland. 103

Köthen die, Fruchtbringende Gefellichaft“ oder der Palm⸗ orden“ geftiftet, zwar in Nachahmung ver italifchen Akademieen, aber zu dem Löblichen Zwecke, vie „hoch— deutſche Sprache in ihrem rechten Wefen und Stande zu erhalten‘. Nah dem Meufter viefer deutſchgeſinnten Sprachgeſellſchaft entitanden fpäter mehrere ähnliche und ihre Beftrebungen, vaterländifche Art und Kunſt gegen- über dem Fremdweſen aufrecht zu erhalten und zu pflegen, ſchienen um fo größeren Erfolg zu verfprechen, als ein Gelehrter wie Martin Opitz und ein Poet wie Paul Flemming gleichzeitig zu fehreiben und zu dichten be= gannen. Allein alle dieſe wohlgemeinten Abfichten fcheiterten entweder völlig oder brachten wenigftens nur Unzulängliches zuwege. Die Urfachen find befannt: ver Faden nationaler Meberlieferung war zerriffen, die Bildung vom Volfsgeifte losgelöſt; auf der einen Seite hemmte ver Jeſuitismus, auf der andern die verknöcherte lutheriſche Drthoborie jeden eigenartigen Aufſchwung. Man hatte ih in die Nahahmung, in das Anftaunen von Fremden ihon fo verrannt, daß man fich gar nicht zu der Kühnheit des Gedankens erhob, Eigenes fchaffen zu wollen und Befferes, als aus dem Ausland fam. Nur die Vorbilver wechſelten zeitweilig, doch fchlug das Franzofenthum immer wieder vor. Frankreich gab wie in Sachen det . „guten“ Lebensart fo. auch in Sachen des „guten“ Ge- ſchmacks den Ton an und Opit glaubte nach feiner eigenen und feiner Zeitgenoffen Meinung etwas Rechtes gethan zu haben, als er durch fein 1624 gebrudtes „Buch von der deutſchen Poeterey* die Gefekgebung ber dürren

104 Bud III. Kay. 8,

Verſtandesdichtung, wie fie die Ronſard'ſche Schule in Frankreich begründet hatte, in Deutfchland einführte. Aber diefe Unteroronung unter ausländifchen Geift ge- nügte nicht einmal foldhen Kreifen, welche ſchon ganz im Fremdweſen ertrunfen waren. Diefe Kreife wollten unfer Land ſchlechtweg franzöfifch machen, in Sprade und Bildung, Sitte und Lebensweife. In ſolchem undeutſchen Gebaren haben fich auch Frauen herporgethan, wie z. B. eine Schwägerin des genannten Fürften Ludwig von An- halt, Anna, Gemahlin Chriftians I. von Anhalt-Bern- burg, welche fih, im Gegenfat zu ihrem vaterlänpifch denfenden Schwager, beeilte, der Fruchtbringenden Ge- fellfchaft eine auf franzöfifhem Fuß eingerichtete „Aca- demie des Loyales“ entgegenzuftellen 79.

Die ungeheure. Trübſal des vreißigjährigen Krieges fonnte die Herrichaft ver Ausländerei in Deutſchland nur erweitern und befeftigen. Dreißig Iahre lang war unfer unglüdliches Land ver Tummelplat fremder Heere, welche. ganze Gegenden zu Einöden machten, mit Mord, Brand und Schändung wütheten, die Benölferung um zwei Dritttheile verminderten, alles Recht, alle Sitte zu Boden traten, unserem Volk alle Thorheiten und Laſter ver Welt einimpften, ja das verhungernvde zum Kanibalismus zwangen 7%). Als dann die wüfte Kriegsflut fich enplich ver-

78) Näheres hierüber, j. bei Barthold, Seid. d. Fruchtbr. Geſellſch. S. 114 fg.

79) Das ift wörtlich zu nehmen. Der Zeitgenofje Khevenbiller erzählt in feinen befannten „Ferdinandeiſchen Annalen“, während ber Jahre 1636 und 1637 fei die Hungersnoth in vielen Provinzen

Alamode in Deutichland. 105

lief, ließ fie ein furchtbares Sittenverderben hinter fich zurüd. Wo eine fo lange Zeit hindurch die rohefte Säbel- berrichaft gewaltet hatte, jedes Gebot ver Menschlichkeit verhöhnt und die zügellofefte Genußgier mit ver raffinir- teften Grauſamkeit gepaart worden war, wo die Felder brach gelegen, die Dörfer nur noch von Wölfen bewohnt gewefen, die Werfftätten leer geſtanden, da mußte es fait mit einem Wunder zugeben, wenn fich nicht alle focialen Bande löſ'ten und die gejellfchaftliche Ordnung in einer rafenden Anarchie unterging. ‘Die Zähigkeit und Be— barrlichleit der deutſchen Art verhütete zwar dieſes Schlimmſte; aber aus der materiellen Armuth, ver geiftigen Verfümmerung und ver moralifchen Verwilderung, welche ver breißigjährige, im Namen der chriftlichen Re-

Deutſchlands, befonders in Sachſen, Heffen und im Elfaß, jo ent- ſetzlich geweſen, daß bie Leute, .um ihren Hunger zu ftillen, Leichen von ben Galgen herabholten und die Gräber nad Menſchenfleiſch durhmwühlten. Brüder verzehrten ihre todten Schweftern, Töchter ihre verftorbenen Mütter, ja Eltern morbeten ihre Kinder, um fie zu effen. Es bildeten fi förmliche Banden, welche auf Menfchen wie auf wilde Thiere Jagd machten, und ale man einmal in der Gegend von Worms eine ſolche Jagdgeſellſchaft, die um fiedende Kefiel herumſaß, auseinanderiprengte, fand man in den zurüd- gelaffenen Kochgeſchirren menjchliche Arme, Hände und Beine . Namenlos waren in biefem barbarifchen Kriege die Leiden bes weib⸗ lichen Geſchlechts. Es war unter der Soldatefla von damals gäng und gäbe, nad Erſtürmung von Städten und Ortfchaften unreife Mädchen zu Tode zu ſchänden, Jungfrauen und Frauen auf dem Rüden ihrer gebundenen und verftimmelten Bäter und Gatten zu nothzüchtigen, Schwangeren die Brüfte abzureißen, Gebärenden den Leib aufzufchligen.

106 Bud II. Kap. 3.

Tigion geführte Krieg zur Folge hatte, Tonnte fich unſer Volk nur ſehr langfam wieder emporarbeiten, fo langſam, daß die materiellen Einbußen, die Verlufte an Kapital, welche Deutfchland pazumal erlitten, noch heute nicht wieder herein- gebracht find.

Für ein volles Jahrhundert war der deutſche National⸗ geiſt gebrochen. Mit breiter Unverſchämheit nahmen Monſieur und Madame Alamode in ver deutſchen Geſell⸗ ſchaft platz, um ſie unbeſchränkt zu beherrſchen. Denn „& la mode“! war fo recht die Loſung einer Zeit, welche in Denfweife, Sprade, Tracht, Sitte, Wilfenfchaft und Kunſt alles Heimifchen möglichſt fich zu entäußern ftrebte. Und was war älamode? Natürlich alles, mas aus Paris kam, dem modernen Babylon, wohin vie vornehme veutiche Jugend ftrömte, um die Frivolität franzöfiicher- Bildung und die Peft franzöfiicher Laſter mitheimzu- führen 80). Vergebens eiferte eine Phanlanx wohldenfenver Autoren, unter welchen Männer wie Hanns Michel Moſcheroſch (Philander von Sittenwalt) und Hanns Jakob Chriftoffel von Grimmelshaufen,, Verfajfer des vortrefflichen Sittenromans „Simpliciſſimus“, voran- ſtanden, mit aller Kraft eines fchlagfertigen Spottes und des patriotifchen Zornes gegen ven Aberwiß der Ausländerei, vorab gegen den „lüderlichen Franzofengeift“. Ihre Stimmen verhallten in dem alamodiſchen Zumult, zu

80) Der „Abentenerlihe Simplicius Simpliciffimus“ (1669) gibt im 4. und 5. Kapitel des A. Buches (Ausg. v. 1848, IV. 21 fg.) ein höchſt vraftiiches Gemälde der Verführungen, welchen die beutfche Jugend damals in Paris ausgeſetzt war und erlag.

Alamode in Dentichland. 107

deſſen Erregung auch die Frauen eifrigft mitgewirkt haben. Denn nur da, wo die Frauen dem von natur= und rechts⸗ wegen ihnen zuftehenven Amte, die Hüterinnen guter Sitten zu fein, läffig nachkommen over die Pflichten vefjelben ganz bintanfegen, kann ein fo zuchtlojer Ton auflommen, wie er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts insbeſondere die Dichterei der fogenannten zweiten fchlefiichen ‘Dichter- Ihule, der Hofmannswaldau, Xohenftein und. ihrer Parti⸗ jane, fennzeichnet. Das iſt eine Literatur der Sittenlofig- feit, wie fie hoffentlich in unferem Lande niemals wieder- kehrt. Die Nahahmung ver füßlich-lafeiven italifchen Seicentiften, ver Marini und Konſorten, wie fie durch die genannten fchlefifchen Poeten betrieben wurde, lieh nur vie bei alfer äußerlichen Weppigfeit im Innerften hohle und leere Form ; den Inhalt jedoch gab die fittliche Verwilderung, wie fie, wenn nicht verzeihlich, jo Doch begreiflich ift zu einer Zeit, wo man bei der Unficherheit aller Verhältniffe von der Hand in den Mund lebte, wo überall die Beſtie im Menſchen 108 und ledig wurde, wo Deutjchland einer Bande von Ölüdsrittern größeren oder Heineren Stils für immer zur Beute hingeworfen zu fein fehien, wo Solvatenleben und Räuberleben bis zur Unerfennbarfeit ſich vermifchte und wo Bramarbafje, Gaukler und fahrende Dirnen das große Wort führten. Was Wunder, wenn in biefem tobenvden Wirrwar e8 auch die Frauen ven Männern im Hafchen nach flüchtigem Genuß gleichthaten? Was Wunder, wenn auch in der Frauenwelt die Leichtfertigfeit, welche der lange Krieg großgezogen, mit dem Friedensſchluß nicht ſogleich wieder verſchwinden wollte ?

.108 Bud II. Kap. 3.

Es ift faft unglaublih, was alled den Frauen zu diefer Zeit geboten werben durfte. Eine gemeinfinnliche, bombaſtiſch aufgebaufchte Phrafenmacherei beherrichte bie Literatur 81), welche ja Doch nur, wie fie e8 immer ift, eine Widerſpiegelung der im Schwange gehenden Anfchauungen und Sitten fein konnte. Wie fehr mußte alles fittliche und äjthetifche Gefühl verwildert fein, wenn man roheſte Zoten feinften Damen als „amoureuſe“ Huldigungen und „galante” Wünſche vorzutragen fich nicht zu jcheuen braudte! Hofmannswaldau und andere bemühten fich, alle Lafcivitäten Ovids und Marini's ins Deutiche zu übertragen und biefe Ueppigfeiten ins plump Geſchmack— Iofe zu fteigern 82). Lohenſtein widmete fein Trauer⸗

81) Als Fürzefte Probe greife ih aus dem bamals hochbe- rühmten Roman „Afiatiſche Baniſe“ (1688) von H. 4. v. Ziegler den Sat heraus: „Indem ein verliebter Wind die Segel meiner Sinnen auf das unbejchiffte Meer ihrer (der Geliebten) Marmel- bruft hintreibt, fo erblidde ich Die Benus in zweien Muſcheln ſchwimmen, wo lauter Anmuthsmilch um die Rubinen gerinnet”.

82) M. |. „Deren v. Hofmannswaldau und anderer Deutjchen auserlefene Gedichte”, Leipzig 1693—1727, 7 The. N. 4. Frankf. und Leipzig 1734. In diefer Blumenlefe, deren erfte Theile B. Neukirch herausgab, erreicht der zotige Schwulft, den man damals Poefie nannte, noch nicht einmal feinen Höhepunkt, wogegen Hofmannswaldau in feinen „Poetifchen Grabſchriften“. (Leipzig und Breflau 1682) den Gipfel der Wüftheit erftieg. Es ift merkwürdig, daß, abgefehen von der Unzüchtigleit der ihnen dar⸗ gebraten Huldigungen, die Frauen, welche doch fonft einen feinen Inſtinkt für das Schöne befigen, ſich nicht fchon von dem plumpen Ungefhmad derſelben angewidert fühlen mußten. Ein „verliebtes“ Sonett der Neukirch'ſchen Sammlung füngt z. B. fo an:

Alamode in Deutichland. 109

fpiel Agrippina, wo in einer Scene eine Mutter mittels fabelhaft fohamlojer Gebärden und Worte ihren Sohn zur Begehung der Blutſchande mit ihr aufreizt, einer fürftlichen Dame, ver Herzogin von Liegnig. Als Herr von Beffer fein unzüchtiges Gedicht Die Schoß der Ge- liebten” gefchrieben hatte, gefiel daſſelbe ſogar dem großen Leibnig fo ehr, daß der Philofoph fich beeilte, die ſechs Seiten lange Zote ver Kurfürftin Sophie von Hannover zugehen zu laſſen, welche fich höchlich daran ergögte, für die MWeiterverbreitung in ver vornehmen Damenwelt forgte und dem Verfaſſer lebhaft dankte 8)). So voll ftändig abgeftumpft war alles Schamgefühl, daß man dem berüchtigten Gedichte nachrühmte, e8 habe „eine Sache, die an fich ungebührlich zu fein feheinet, mehr als zwanzig mal genennet und beichrieben, ohne zu beforgen, dem allerzüchtigften Lejer eine Schamröthe darüber ein- zujagen”. Das ift freilich möglich, denn die Geſellſchaft jener Zeit fcheint überhaupt vie Fähigkeit, ſchamroth zu werden, eingebüßt gehabt zu haben. Sonft müßten fich die Frauen mit dem Erröthen ver Scham und Entrüftung von den faunifchen Detailfchilvderungen ihrer körperlichen

„Amande, liebftes Kind, du Bruftlag kalter Herzen,

Der Liebe Feuerzeug, Goldſchachtel edler Zier,

Der Seufzer Blafebalg, des Trauerns Löſchpapier,

Sandbüchſe meiner Bein und Baumöl meiner Schmerzen.“

83) „Je vous prie fchrieb die Kurfürftin an Leibnig de remercier l’auteur, d’avoir bien voulu me communiquer son invention et ses belles pensées.“ Vorrede zu Königs Ausgabe von Beffers Schriften (1732).

110 Buch III. Kap. 3.

Reize abgewandt haben, welche ihnen fortwährend vorge- feiert wurden #4). Es war eine Zeit voll trübbunftiger Sinnlichkeit, wirflicher und gemachter, eine im großen und ganzen moralifch-verpeftete Zeit. Wie gemein mußten diefe Poeten von den Frauen denken, wenn fie an den⸗

84) Für eine typiſche Probe diefer grobmateriellen, mit Bilder- bombaft beflitterten Schildereien kann die folgende aus Lohenſteins „Sultan Ibrahim” gelten, wo bie Selierpera die fultanifche Be- gierde auf die junge Tochter des Mufti, Ambre, lenkt, indem fie die Schönheit verfelben alfo beſchreibt:

„Ein Kind, das zärter ift als die aus Ledens Schalen Einft folln gekrochen ſeyn; das mit den Anmuths Strahlen Der Sterne Glantz beihämt, die Sonne machet blind,

Den Rofen ihr Rubin durch Anmuth abgewinnt,

Den Lilgen ihre Berln. Der Morgenröthe Prangen Und Scharlach wird entfärbt vor ihren Purpurwangen, Für ihrem Mund erbleiht Sranit- und SchnedensBlutt, Kein Bilam-Apfel reucht bei ihrem Athen gutt.

Die Flammen kwälln auß Schnee, auf Marmel blühn Korallen, - Zienober krönet Milch auf ihren Liebes-Ballen.

Kurt: diefe Göttin ift der Schönheit Himmelreich,

Der Anmuth Paradiß; ein Engel, der zugleich Berlangen im Gemüth, Entſetzung in ven Augen,

Im Herzen Luft gebiehrt. Aus ihren Lippen faugen Die Seelen Honigfeim und Zuder füffer Huld....

Der Zunber heißer Brunft ift felhft in mir entglommen, Seit dem ich zmeymal fie im Bade wahrgenommen.

Ihr Mund bepurpurte die Kryftallinen-Fluth,

Die Brüſte ſchneiten Perln, die Augen blitzten Gluth. Wenn ſie ihr Haupt erhob aus ihrer Marmelwanne, Schien ſie das Ebenbild der Sonn' im Waſſermanne, Die Kwellen kriegten mehr von ihren Strahlen Brand, Vom Leibe Silber-Welln, nom Haare güldnen Sand.”

V

Aamsde in Deutichland. 111

felben nichts zu preifen wußten, als Buſen, Hüften und Schoß, und wie niedrig mußte eine folche alles idealen Schwunges bare Galanterie die Frauen von fich felbft venfen lehren! Nicht daß es in dem Jahrhundert ver Alamoderei an edleren Tönen ganz und gar gemangelt hätte. Waren doch der tief und zart fühlende Paul Flemming, ver ernfte Andreas Gryph, welcher vielleicht unter günftigeren Zeitverhältniffen das Zeug gehabt hätte, ein deutſcher Shakſpeare zu werben, ferner Paul Gerhardt, ver feelen- volle Sänger geiftlicher Xieder, Simon Dad, der feinem „Aennchen von Tharaw“ ein unvergänglich herziges Kiebes- lied gefungen, ver gevantenreiche, ebelfühlende, water- ländiſch gefinnte Epigrammatifer Logau, endlich die beiden gegen bie Thorheiten und Xafter ihrer Zeitgenofjen fo wader ftreitenden Satirifer Rachel und Xauremberg bichterifch thätig. Allein der große Haufe, auch ver Frauen, laufchte Tieber Pfeifern und Trompetern wie Hofmanns- waldau und Xohenftein, welche zu dem üppigen Reigen von Monfieur und Madame Alamove auffpielten.

Freilich ging das alamodiſche Unmefen fo weit, daß es mitunter felbft einem Hofmannswaldau zu arg wurde und er feine Feder, ftatt, wie gewöhnlich, in huldigenden Syrup, vielmehr in tadelnde Galle tauchte. So eiferte er gegen die Hautbemalungs- und Schminffünfte ver Frauen, welche freilich fchon im Mittelalter in Uebung gewejen waren, jet aber bis zur Narrethei getrieben wur- den 8). Kin meiterer Gegenftand feiner und anderer

85) Hofmannswaldau deckte die Schlafzimmergeheimniffe einer

Modedame in den folgenden Verſen auf: ® .

112 Buch IL. Kap. 3.

Satire war die wunderliche, zu diefer Zeit aus Frank⸗ veich eingeführte Mode ver Schön- oder Schattir-Pläjter- chen (mouches) aus ſchwarzem Taffet, welche mobifche Damen in allerhand Geftalten aufihre Stirnen, Schläfen, Wangen, Naden und Bufen Hebten®%). Weberhaupt beftimmte Frankreich, namentlich von der Mitte des 17. Jahrhunderts an, Form und Wechjel des Puges und der

„Kommt endlich nun die Zeit, daß in der Nacht-Kornette

Sie fih zum Schlafe ſchickt, fo eile nicht zum Bette;

Wart' erft, mein lieber Mann, bis deine ſchöne Frau

Die Farben ihrer Haut dem Nachttifch anvertrau’,

Bis fie die Lilien und Roſen ihrer Wangen

Der Wäſcherin gefchidt, in Tüchern aufgefangen,

Die zwar den ganzen Tag ihr Angeficht geputzt,

Nun aber auf einmal vier Tücher eingeſchmutzt.“

86) „Andere verpflafterten das Geficht bie und da mit ſchwartz Daffeten fchandfleden. Und ich ſah deren einen Hauffen, die im Geſichte waren als ob fie geſchröpft hätten oder fih piden und baden Lafien: dann an allen Orten, bie fie gern wollten befchauet haben, waren fie mit ſchwartzen Heinen Pfläfterlein behänget und mit runden, langen, breiten, ſchmalen, fpigen Müdlein, Flöhen und anderen fitirlichen, zum Anblid dringenden, zum Zugriff zwingenden Mannsfallen-Geftalten bekleidet.” So Moſcheroſch. Noch derber Hofmannswalban :

„Was pflegft du doch mit ſchwartzen Fleden,

Mit Mouchen dein Geſicht, ſchwartze Ehloris, zu bededen ? Du haft die Tugenden verpachtet

Und bift ein öffentliches Haus,

Wo alles kann logiren ;

Und um dir Säfte zuzuführen

Stedft du gewiß allhier vie Zeichen auf.“

Aamode in Deutfchland. 113

Tracht, der männlichen wie der weiblichen. Die fati- riſchen Flugblätter jener Zeit find voll fcharfer Rügen diefer fHlavifchen Unterwerfung unter fremden Geihmad oder Ungefhmad und Logau ſpendet Frankreich das ironifche Lob, es habe alle Völker zu feinen Affen ge- macht ). Bis um 1650 trug auch die Frauentracht den loſen, loderen, freien Charakter, welchen der männ- lihe Anzug in ver abenteuerlich zerfahrenen Kriegszeit angenommen. Die fpanifchsfteifen Frifuren und Hale- fraufen hatten wieder langen wallenden Locken und einer ftarfen Entblößung von Naden, Schultern und Bruft plaggemacht #9). Hätten fich die deutſchen Damen eines über-

87) „Frankreich bat es weit gebracht, Frankreich kann es ſchaffen, Daß ſo manches Land und Volk wird zu ſeinem Affen.“ 88) Lauremberg eiferte in feiner plattdeutſchen Satire „Bon Allemodiſcher Kledertracht“ heftig dagegen, daß auch die Bilrgers- töchter in fo weitausgefchnittenen Kleidern einbergingen wie bie abeligen Damen: „Sobald de Börgers-Döchter wüſten, Dat de Abelilen gingen mit blöten Brüften, Mit blotem Halfe und Rüggen balff nalen, Do fach eine jede van en wo je ybt maket, De müfte fit of ſehen laten in fulfer Geftalt, Jens Schuieber kreeg genog arbeit aljobald. Se fprefen: bebbe wy nicht even füllen Plunber Baven den Gördel und of darunder? Barum fholben wy denn unfe ſchmucke Titten Berbergen und laten in düftern fitten? Wy hebben fie eben jo wenig geftablen;

Ick fan dem Schnieder bat Makelohn bethalen, Scherr, Srauenwelt. 4. Aufl. I. 8

114 Buch III. Rap. 3.

mäßigen Aufpuges ihres Anzugs mit Spiten, Bändern und Federn enthalten wollen, jo müßte ihre pamalige Tracht als eine Heidfame, wenn auch nicht gerade fitt- fame anerkannt werden. Von dem bezeichneten Zeitpunft an begann aber die Unnatur und Bizarrerie der fran- zöfifehen Hoftracht, wie fie fih unter dem vierzehnten Ludwig feitjtellte, auch in Deutfchland zu graffiren. Für die männliche Tracht wurde in dieſer Perückenperiode vie Stantsperüde das charakteriftiihe Merkmal, während der Reifrod, die in eine Schleppe auslaufende Robe und das die Defolletirung mehr oder weniger begünftigende Korjett den weiblichen Anzug haralteriſirten und be⸗ ſtimmten 89),

Dat be my dat Wams fo deep ſcheret uth, Dat men my fehn fan de Titten und blote Huet. Tucht und Schamhafftichkeit is mit wegefchneben, Mit halff bioten Lyve famen fe ber getreden.” Derſelbe Zabel kehrt, auf die Frauenzimmer aller Stände ausge- dehnt, in den fatirifhen Sittenmalereien jener Zeit häufig wieder. Sp z. B. in den beiden Epigrammen von Logau: „Sungfern, die die Benushügel blößen unverhohlen, Blafen zu dem Liebesfeuer jedem auf die Kohlen.” „Frauenvolk ift offenberkig: jo, wie fie fich Heiden it, Geben fie vom Berg ein Zeichen, daß es in dem Thale hitzt.“ 89) Doch gelangte dieſe Kleidermode erft mit dem Beginne des 18. Sahrhunderts in Deutichland zu ihrem vwollfländigen Sieg. Das Bild einer mobilden Schönen, wie e8 fich gegen Ende des 17. Jahrhunderts barftellte, zeichnet die „Sungfernanatomie”, ein Gedicht, welches unter die Satiren Rachels aufgenommen ift, aber nicht von diefem, fondern wahrſcheinlich von einem gewiflen Seyfart herrührt (vgl. Koberftein, Grundr. d. d. N. L. 4. A. 1.

Alamode in Deutſchland. 115

„Alamode-Kleiver reimte ver redlihe Logau Alamode-Sinnen; wie ſichs wandelt außen, wanbelt fih8 auch inmen.“ Wir fehen daher die beutfche Ge- ſellſchaft des 17. Jahrhunderts mehr und mehr von den

Abthlg. S. 821) und die einzelnen Theile des Anzugs deutlich bervorhebt:

„Der Leib ift Schön geziret, das Brüftch en ift gefchnitten Nach ihres Leibes Laͤng'. Ganz vorne in der Mitten Da müfjen liegen bloß der ſchönen Aepfel Baar, Sie gleichen oftermals dem ſchwarz und gelben Haar. Klar muß es fein geftärkt, damit man ſiehet bliden, Wie doch zwei Dinge fich jo artlich können fchiden ; Die Aermel müſſen weit als aufgeblafen ftehn Und vorne Kraufen dran, fonft önnen fie nicht gehn. Jetzt trägt das Frauenvolk auch große Stußerkraufen, Die müffen vor der Hand wie dide Wollen braunen. Das Jäckchen muß fo napp am Jungfernkörper liegen, Daß fle fih mögen faum zur Erbe nieder biegen ; Es wird dazu geſchnürt nach befter Tabletur Das Mieder und der Lat mit einer Silberfchnur. Recht wo der Mittelpunkt der zweien Citeronen, Da muß ein Röschen zart von Gold und Silber wohnen. Der Wunderftein Magnet der pflegt fich zu bemühen, Die ſchwerſten Dinge auch mit Fleiß an fich zu ziehen: Gleich alfo macht es auch die Rofe, fo da ftet Zieht Finger zu fich zu gleich eben dem Magnet. Dort, wo der fpiße Lat, ba grünt ein Sommergarten, Da bat man immerfort Riechbufche zu gewarten: Das Frauenziefer al ſteckt Sträußchen vorne für, Als wenn an jelbem Ort fie ſchenkten ftetig Bier. Der Pelz muß nad der Läng’ feyn zierlich zugefchnitten, Unzählig Falten drauf, auch vornen in der Mitten

8*

116 Buch III. Kap. 3.

gefelfigen Bräuchen und PVergnügungen abgehen, welche von der Nitterzeit her noch im Reformationszeitalter üblich geweſen. Alles nahm ein tändelnderes und fri- voleres Gepräge an. An die Stelle der Turniere traten

Da muß er ſeyn beſpitzt, geſchlitzet und gerikt,

Die Yalten müfjen ſeyn verfaffen und verfigt.

Es kömmt jett alles hoch, jetzt ift e8 an den Tagen,

Daß unjer Jungfern- Bolt will nit mehr Schürgen tragen. Biel ftuben fie daher, ja dürffen lieber jehn,

Daß fie gleich Even dort mit Blättern möchten gehn.

Das junge Männervolt trägt Degen an der Seiten,

Alfo das Jungfernvolk denkt immer auch zu ſtreiten; Statt Degens hängen fie von Silber zubereit't

Das Scheidchen, Meſſer und bie Gabel am bie Seit Sa mande hat fürwahr das Bund der Schlüſſel bangen Nicht anders, als wenn kömpt Thor- Merten hergegangen. Die Strümpfhen müſſen roth von Liebesfarbe ſeyn, Blau, grün, gelb ober fonft was giebet hellen Schein.

Die Schuh die mäfjen feyn mit großen Hörnerjpigen, Drauff müſſen ſchön gefügt die bunten Rojen fiten.

Bom Hembde ſchweig ich fill, wie das muß feyn gemeht, Zerftohen und zerthan, zerwirfet und zerdreht.“

Des Reifrocks ift bier nicht gedacht. Dagegen bat fich über denſelben ſchon Moſcheroſch (A la mode Kehrauß, 1646, ©. 99) alfo ausgelafien: „Eine Iofe Schanbhur, die mit einem unehrlichen Kinde ſchwanger gangen umd ſolchen ihren un⸗ ehrlihen Bauch vor der Welt verbeden wollen, hat bie große Gepulfter und Reifſchürtze anfangs erdacht und aufgebracht. Dannenbero die Franzoſen felbft folche gepulfterte Weiberkleidung Cache-Bastards, BlindesBaftarbt ober Hurenkleider zu nennen pflegen.” Da könnte man auch fagen: Mutato nomine de te

(d. h. von der Krinoline des 19. Jahrhunderts) narratur fabula sive historia.

Alamode in Deutichland. 117

die Ringelrennen mit ihren mannigfaltigen, den ſpani⸗ then Romanen entlehnten „Inventionen”, ſowie aller- hand allegoriſch⸗mythologiſche Spielereien und Ballet⸗ fpeftafeleien, wobet nicht mehr die Ritter, ſondern bie Pferde, die Mafchiniften und Feuerwerker das Beſte thaten. Ein Prunkſtück dieſer Art war das „famöſe Roßballet“, welches zur Feier der Vermählung Kaifer Leopold I. mit der ſpaniſchen Infantin Margarita Terefa i. 3. 1666 zu Wien von Mitglievern ver Arifto- kratie aufgeführt wurbe, eine Maflerade mit ungeheurem Apparat. Aus Italien, wo 1596 zu Florenz vie erfte vollftäindige Oper zur Darftellung gelangt war, kam biefe Runftgattung bald auch nach Deutſchland, wo fie, nad)- dem die von Opitz aus dem Italifchen übertragene, von Schütz fomponirte, am Hoflager des Kurfürſten Johann Georg I. zu Torgau i. 3. 1627 zuerst gegebene Oper Daphne die Bahn gebrochen, raſch ein Lieblingsver- gnügen der vornehmen und ber bürgerlichen Kreife wurbe. Weitere Unterhaltungen ver fürſtlich-adeligen Welt waren die „Wirthichaften*, bei welcher Art von Mummereien Hausherr und Hausfrau die Rollen von Gaſtwirth und Saftwirthin agirten, jowie die „Schäfereien”, Inſcene⸗ fegungen eines erfabelten Arkadien, welche vornehmlich durch die auf den ſpaniſchen Schäferroman gepfropfte Aftree (1609) des Franzojen Honore d'Urfé in Die Mode gebracht waren.

Die Leivenichaft, mittels Maſtkenſpiels aller Art einer jammervollen Wirklichleit wenigftens zeitweilig zu. entfliehen, Fennzeichnet überhaupt das 17. Jahrhundert.

118 Buch III. Kap. 8.

Es war auch Grund genug zu foldhen Selbittäufhungs- verſuchen vorhanden, aber fie hatten ven großen Nadı- theil, daß durch fie die gefammte Bildung mehr und mehr eine bloße Spielerei wurde, nicht nur aller fittlichen Wirkung bar, fondern im Gegentheil geradezu fittenver- verblih. Alle vie dem italifhen Schäferprama oder ver ſpaniſchen oder franzöfifhen Schäfernovelliftit entnom- mene oder nachgeahmte Sentimentalität und Zierlichkeit war nur ein bünner Firmiß, hinter welchem die Barbarei mit Macht hervorbrach, und alle die füßlichen Phraſen und bombaftifchen Tiraden reichten weder aus, das bru⸗ tale Saufbolowejen der Männer zu zähmen, noch bie Genußſucht der Frauen zu zügen. Man kann ohne Furcht, widerlegt zu werben, fagen, daß die ganze, dem Auslande nachgeäffte deutiche Bildung viejer Zeit eine Lüge geweſen ſei. Glüdlicher Weiſe wurde das eigent- lihe Bolt von dieſer Lüge nicht bis zur Unbeilbarfeit angeftedt, wie das bei ven höheren Ständen der Fall war. Ausnahmen gab es felbftverftänplic und werben wir auch in der Frauenwelt auf folche ftoßen. Aber Ausnahmen bilden nicht die Regel und viefe war, daß unter der glatten Oberfläche heuchlerifcher Geziertheit ein Abgrund von Rohheit und Wüftheit Tag, der oft genug vie lügnerifche Dede tobend bei Seite ſchob. Bon an derem zu ſchweigen will ich bier nur an bie unflätige Naferei der Zanzfreuden erinnern, wie fie im „Simpli- ciſſimus“ gefchildert ift 99).

90) Im 34. Kap. des 1. Buches. (Ausgabe von 1848, ©. 127 fg.)

Alamode in Deutichland. 119

Wie ſich die ‚mittelalterlichen Burgen der deutſchen Ariftofratie im Laufe des Jahrhunderts nach den Vor⸗ fohriften des welſchen Bauftil® zu modernen Paläſten umbilveten, gerade fo wirkten die Einflüffe ver italifchen und franzöfiichen Renaiffance auf das deutſche Hofleben in feinem ganzen Umfange. Die Tatholifchen Höfe, na⸗ mentlich vie geiftlichen, lebten jo ziemlich das ganze Sahr- hundert hindurch auf dem Fuße fchwerfälligen. Bompes fort, auf welchem fie fih nach dem Mufter päpftlicher Hofhaltung eingerichtet Hatten. Sie waren demnach, obgleich aus politifchen Motiven dem franzdfiihen Wefen abhold, ebenfalls ver Ausländerei verfallen : nur fehauten fie, wie fchon früher bemerkt wurde, ftatt nach Paris nah Rom, Florenz und Madrid. Bon legterem Orte ber hatte ver Faiferliche Hof die Regeln jener fteifleinenen Etikette und jenes umſtändlichen Schaugepränges em- pfangen, worin er fich bis zum legten Habsburger hinab bewegte oder vielmehr nicht bewegte. Mit einer unnah- baren, Heinliche Menfchlichleiten ver allerhöchiten Per: onen zu feierlihen Staatsaftionen aufblafenden Gra- vität und Grandezza verband fich bier eine ‘Devotion, welche den Kaifer und die Kaiſerin alljährlich einmal vie Purpurmäntel mit Wafchfehürzen vertaufchen ließ, um eine Komödie chriftlicher Demuth aufzuführen). Man muß

91) Ein Reifender, welcher im Frühjahr 1665 Wien befuchte, erzählt: „Den 23. März baben der Kailer und die Katferin zwölf alten Männern die Füße gewaſchen und das bat ber Kaifer getban, nachdem er Mantel und Degen abgelegt und ein Schurz-

120 Buch III. Rap. 3.

aber doch fagen, daß das italifch-fpanifche Wefen, welches an den Fatholifchen Höfen im Schwange ging, wenn auch nicht gerade die Sittlichleit, jo doch ven Anſtand beffer wahrte, als der „stolze, falfche und lüderliche Franzoſen⸗ geift” 92), welcher nach und nad an den proteftantifchen Höfen Mode geworven. Nicht, ohne da und dort waderen Widerſtand zu finden, wie 3. B. vonfeiten ber treff- fihen Kurfürftin Anna von Brandenbing, Gemahlin Johann Sigiemunds, welche inmitten der hereinbrechen- ven Flitterhaftigfeit und Loderheit „alla francese“ in der ſchlichten Würde deutſcher Hausmütterlichleit fich daritellte.

Boran gingen in der Verwelſchung ver kurpfälziſche Hof zu Heidelberg und der landgräflichheffifche zu Kaſſel. Dort wurde alles auf franzöfiichen Fuß eingerichtet, als der nachmalige jämmerliche „Winterfönig”, Kurfürſt Friedrich V., die englifhe Prinzeffin Eliſabeth heim- geführt Hatte, eines efelhaften Wüſtlings Leichtfertige Tochter. In Kaffel franzöfirte Landgraf Moriz,

tu vorgebunden hatte. Und nad) dem Waſchen trodnete er jedem die Füße und küſſte dieſelben. Die Kaiferin ſchürzte fich auch und wuſch zwölf alten Weibern die Füße.“ Nelat. von d. Begeben- heiten des Kaiferl. Hofes zu Wien vom 28. Mart. bis 25. Maji 1665 (gebr. 1666).

92) So heißt er in ber 1689 gebrudten Schrift „Der deutſch⸗ franzöftiche Miobegeift“.

93) Sie wurde bekanntlich die Serzeneflamme des tollen Ehriftian von Halberfiadt, eines Hanptbannerträgers des fran- zöftſchen Schwindels. Eliſabeth hatte freilid am Hofe ihves

Alamode in Deutſchland. 121

Philipps des Großmüthigen Enkel, eifrigſt Hof, Adel und wer ſich ſonſt feinen pädagogiſchen Experimenten unterziehen wollte. Denn biefer Fürft verrieth merk⸗ würdiger Weiſe bereits jenen pädagogiſchen Tik, welcher

Vaters, Jakob J., Eindrücke empfangen, welche keineswegs geeignet waren, einen vortheilhaften Einfluß auf die heranwachſende Prin- zeifin zu üben. Jakob I. war bis in feine alten Tage hinein der Bölferei und widernatürlichen Wolluft ergeben und ein roher, aller Scham barer Ton herrſchte an dem Hofe biefes feigen , treulofen, geifernden Tropfes von König. Im einer Depeſche vom 23. Auguft 1621 ſchildert der franzöſiſche Gefandte am englifchen Hof, Tillieres (bet Raumer a. a. O. II, 316 fg.), eins der Gelage, wie fie der König zu halten liebte. Er erzählt, mie derfelbe fih mit Vorſatz einen Rauſch angetrunten, und fährt dann alſo fort: „Tout haut en presence de tant de Seigneurs que Dames le roi but au grand chose de Madame la comtesse de Buckingham et puis au petit chose de la marquise de Buckingham; et pour conclure ce beau procede, il prit une petite fille, ni&ce du marquis de Buckingham agee de neuf & dix ans, lui mania tout ce qu’elle portait, puis en toucha le nez de Mr. de Buckingham et au meme endroit le baisa par plusieurs fois.“ Salobs Nachfolger Karl I. war von vorwurfefreten Sitten. Dagegen hielt, wie jedermann weiß, mit dem reftaurirten Karl II. die ganze Lüder⸗ lichkeit der franzöſiſchen Galanterie und des franzöfiihen Maitreſſen⸗ wejens ihren Einzug in London. Hamiltons mit allem Efprit der parifer Frivolität gefchriebenen „Me&moires de Grammont“ f&il- dern das englifhe Hofleben unter dieſem König von ber heiteren Seite. Die ernfte Geſchichte muß es freilich ganz anders beur- theilen. Es war bamals die Zeit, mo Meffalinen mie die Her- zogen von Cleveland in der engliihen Gefellichaft ven Ton angaben. Wie fabelhaft roh und ſchamlos es die genannte Dame, eine der Haupt⸗ und Staatsmaitreffen Karls II., trieb, kann ſchon ber

122 Bud IH. Kap. 3.

nachmals in ver zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an vielen der deutichen Fürften bemerkbar wird. Moriz, etwas von einem Schulmeifter und etwas von einem Künftler, hatte den beiten Willen, feine Umgebung zu bilden, aber offenbar Feine Ahnung davon, wie fehr er fih in ven Mitteln vergriff, obgleich ihn eine grauenvolle

Rataftrophe, weldhe i. 3. 1615 zu Kaſſel vorfiel, wohl.

hätte aufmerkſam machen fönnen, daß er ftatt Bildung nur Unfittlichkeit pflanzte. Der Hofjunfer von Marſchall unterbielt, wie es feheint, ein vertrautes Verhältniß mit Suliane, der Frau des Landgrafen. Denn eines Tages nahm er fie in die Arme und küſſte fie. Das fah ber Hofmarſchall von Hertingshaufen und hinterbrachte e8 dem Fürften. Darauf erfchoß der Hofjunfer ven Hofmarſchall meuchlerifch auf offener Straße. Gefangen genommen und procejfirt, wurde er zu einem Martertode verur- theilt. Es wurde ihm zuerſt die rechte Hand abgehauen, dann dem noch Lebenden ver Leib aufgefchnitten und das Herz berausgerifjen, welches der Scharfrichter dem zu- ſchauenden Landgrafen zeigte. Die Mutter des Hingerich- teten und ein demſelben verlobt gewefenes Hoffräulein verloren vor Entjegen ihren Verſtand. Die Witwe des ermordeten Hofmarſchalls Tieß fih von einem Offizier ſchwängern, und als fie geboren, ließ ihr ver Landgraf

Umftand zeigen, daß fie, um die zahllofe Schar ihrer Buhler noch um einen, den Luftipieldichter Wycherley, zu vermehren, biefem im gedrängt vollen Theater die feltfame Liebeserklärung zufcrie: „Sie, Ihr jeid ein Lump, Ihr ſeid ein Schuft, Ihr ſeid ein Huren⸗ john!“ Vgl. Macaulay, Essays, IV, 164.

Alamode in Deutichland. 123

vie Wahl, fih mit ihrem Rinde lebendig einmauern zu laffen oder das Land zu meiden. Sie wählte natürlich das letztere und heiratete ihren Buhlen. Aber dieſer ver- giftete fih aus Furcht vor ver Race des Landgrafen, welcher der thörichten Meinung gewejen zu fein fcheint, - mittels graufamer Strafen das wüſte Treiben an feinem Hofe beffern zu können, ein Treiben, welches er auf der andern Seite durch feine Hingabe an die Alamoperei fo recht hegte und pflegte). Kin Seitenftüd zu viefer alamodiſchen heſſiſchen Hofgefchichte aus dem zweiten “Des cennium bes 17. Jahrhunderts bildet eine bannoverjche aus dem legten (1694), die vielbefchriebene Gejchichte des Grafen Philipp Ehriftoph von Königsmark und ver Kurprinzeffin Sophie Dorothea von Hannover, Gemahlin bes Kurprinzen Georg, welder nah dem Tode ber Königin Anna den Thron von Großbritannien beftieg. Königsmark hatte mit ver Prinzeffin, ver Tochter des Herzogs Georg Wilhelm von Celle, von Jugend auf in einem zärtlichen Verhältnig gejtanden und bafjelbe auch - nach der VBermählung der Geliebten mit dem Kurprinzen von Hannover fortgefegt. Die Schuld der Prinzeffin ift, feit der Veröffentlichung der Originalkorreſpondenz der beiden Liebenden, zweifellos 9%). Aber der Kurprinz

94) Rommel, Neuere Geſchichte von Heſſen, II, 637. Kurio- fitäten, IX, 348 fg.

95) Früher waren die Meinungen darüber fehr getheilt. Doc fchrieb die Herzogin Eliſabeth Charlotte von Orleans ſchon am 29. April 1702 an ihre Schwefter Luife: „Es feindt Teutte bir fo nicht fagen daß fie (die Kurprinzeffin) nicht criminelle geweſen

124 Bud II. Rap. 3.

Georg war durchaus nicht berechtigt, den ſtrengen Richter zu machen. Denn er vernadhläffigte feine Gemahlin, indem er öffentlich mit feiner Meaitreffe, ver Frau von dem Busch Iebte, einer jüngeren Schweiter der Maitreffe feines Vaters, der Gräfin von Platen. Dieſes leiden⸗ ſchaftliche und rachfüchtige Weib gab dem zwiſchen Königs⸗ mark und der Kurfürftin fpielenden Roman bie Wen- dung zum Tragiſchen. Sie felbjt verliebte ſich nämlich in ven fchönen, durch fein ritterliches Weſen und feine

und ein Jung menſch wie fie war fo ſich küſſen und begreiffen left thut wohl alles Übrige auch.“ Die gute Herzogin lebte demnach des Glaubens, unfer ungeſchlachtes Sprichwort: „So fih bie Zungfer aufs Kiffen legt, legt fie fih auch aufs Kiffen” hätte recht ... Die Originalbriefe des Grafen von Königsmark und der Kurprinzeſſin hat Balmblad unter den handſchriftlichen Schätzen ber Univerfitätsbihliothef zu Lund aufgefunden und dieſelben 1847 veröffentlicht. Die Prinzeffin fehrieb einmal an Königsmark: „Si vous croyez que la crainte de m’exposer et de perdre ma r&putation m’emp6che de vous voir, vous me faites uneinjustice bien cruelle. Il y a longtemps que je vous l’ai sacrifi6e et mon emour me donne tant de courage, que j'ai toutes les peimes du monde & l’envie je suis de vous embrasser.“ Und ein ander- mal: „Je peux sans chimere me flatter encore de passer un jour mavieavec vous. Grand Dieu, sije perdrai avec cette espe- rance le moyen de resister à tant de malheurs. Iln’y a que cela, qui me soutient.*“ Am bebenfficften und wohl gerabezu überführend Yautet e8, wenn der Graf eines Tages an die Prin- zefftn ſchrieb: „J’ai dormi comme un roi et je souhaite fort que vous en ayez fait autant. Quelle joie, quel plaisir, quel enchantement n’ai-je point senti entre vos bras. Dieu, quelle nuit ai-je passée.“

Alamode in Deutſchland. 125

galanten Abenteuer weitum berühmten Grafen und be- fchloß, als er ihren fehr deutlich vargelegten Wünſchen nicht willfuhr, fein Ververben. Auf ihre Veranlaffung in einer heißen Sommernacht zu einem Stellvichein mit der Prinzeflin gelodt, wurde er im Balaft überfallen, nach verzweifelter Gegenwehr gefangen und in einem ab- gelegenen Gelafje ermordet 9.

96) Die Ermordung des Unglüdlichen ift Thatfache, nur über die Mordweiſe ift man noch im Ungewiſſen. Neueftens hat Weber („Aus vier Jahrhunderten”, II, 87 fg.) aus dem ſächſiſchen Staats- archio ein Dokument beigebracht, welches den bisher befannten Hergang ber gräfflicden Geſchichte in allen Hauptpunkten beftätigt, binfihtlih der Todesart Königsmarks aber die Verfion gibt, der Graf jei erft mehrere Monate nad feiner Ueberrumpelung im Ge: füngniffe mittels Giftes gemorbet worden. Das in Rede ſtehende Dokument ift eine Denkſchrift, eigenhändig aufgefett von dem unter dem Namen bes Marihalls von Sachſen befannten Sohn Augufts des Starten und der Gräfin Aurora von Königsmark, welder allerdings gut unterrichtet fein konnte, denn feine Mutter war eine Schwefter des Ermordeten. Dieſem Berichterftatter zufolge ließ am Zage nad dem in ihren Gemächern ftattgehabten Ueber⸗ fall ihres Geliebten die Kurprinzeffin den Kurprinzen, ihren Ge⸗ mahl, und deſſen Bater, den Kurfürften , zu fich bitten und gab bie Erflärung ab: „Ich habe Ihnen nur zwei Worte zu jagen. Ich werde mich nicht damit erniedrigen, Sie zu überreden, daß ich un- ſchuldig ſei. Ih bin ſchuldig, aber nur darin, daß id in feigem Gehorjam (gegen meinen Bater) dem Grafen Königsmark die Treue gebrochen. Ich liebte Königsmark, ehe mir die Berpflid- tung auferlegt ward, Ihnen, mein Prinz, zu gehorchen. Ich er- Tenne mit Schreden den Fehler, daß ich ihm den Zutritt zu mir geftattet habe, und der Reft meines Lebens joll der Neue und der Erinnerung gewidmet fein. Ich bin die Urfache feines Todes, mir

126 Bud III. Kap. 3.

Das ganze Jahrhundert, won welchem wir hier han⸗ deln, ftrogt von abfchredenden Beweiſen, daß vie heil- fame Wiederbelebung des deutſchen Familiengeiftes, wie fie die reformatorifche Bewegung mit fich gebracht hatte, den unfittlichen Tendenzen des alamopifchen Weſens nicht ftandzuhalten vermochte. Die proteftantifchen Kreiſe hatten in Betreff fittlicher Lebensführung vor ven fatho- lifchen bald nichte mehr voraus, im Gegentheil!

fiegt es ob, ihn zu rächen.“ Falls die Prinzeffin dieſe Abficht wirk⸗ ih hatte, jo war es ſehr unflug, fie auszufprechen. Jedenfalls fam ber Borjat nicht zur Ausführung. Die Ehe der Prinzeffin mit dem Kurprinzen ward getrennt und fie wurde für den Reſt ihres Lebens auf dem Schloffe Ahlden in Haft gehalten, weſſwegen fie in der Skandalchronik des deutichen Hoflebens unter dem Namen der Herzogin von Ahlden figurirt . . . Die erwähnte Schwefter des ermordeten Brafen, Aurora von Königsmart durch ihren 1696 geborenen Bankert Moriz, „Marſchall von Sachſen“, Urahne der großen franzöfifchen Dichterin Aurore Dudevant, geb. Dupin (Georges Sand) war eines der ſchönſten und gebildetften Buhl⸗ weiber des 17. Jahrhunderts. Will man aber erfahren, wie unbe- fangen die feinften Damen von damals die gröbften Schmugereien niederfchrieben, fo muß man den Auffat leſen, welchen bie Gräfin furze Zeit nach der Ermordung ihres Bruders Über die Verhältnifie deffelben am hannoverſchen Hofe , insbeſondere über fein Verhältniß zur Gräfin von Platen verfaffte (nad) der Handſchrift Auroras ab- gebr. bei Cramer, Dentwürdigkeiten d. Gr. X. v. Königsmark, I, 66 bis 69) ... Die geringe Glaubwürdigkeit des von Weber mit- getheilten „Memoire“ binfichtli der Todesart Königsmarks ift dargethan in Bülau's Sammelwert „Geheime Gejchichten und rätbielhafte Menſchen“, wo fi (XII, 197—313) die fleißigfte Zufammenftellung und unbefangenfte Verarbeitung bes Materials diefer ſchmachvollen Hofgefchichte findet.

Alamode in Deutfchland. 127

Eine große Mitfehuld an den Ausfchreitungen fürftlicher Herren und Damen trugen vie proteftantifchen Hoftheo- logen, deren fervile Nachjicht mitunter bis zum Unglaub- lichen ging?”). Uebrigens beſchränkte fich der fittliche Verfall, die Larheit der Grundfäge und die Frechheit der Genußſucht, ver finnlofe Lurus und die gemeine Prafferet,. Teineswegs etwa auf bie ariftofratifchen Stände; auch der Bürgerftand war vielfach davon verpeſtet. Haupt- urfachen waren das politifche Verkommen des Bürger-- thums, bie dogmatifche Verknöcherung des Lutherthums, von welcher feine fittliche Wirkung mehr ausgehen fonnte, ferner die demoralifivenden Einflüffe der Kriegsprangfale: und endlich das von der Ariftofratte gegebene fchlimme- Beijpiel der Miffachtung Häuflicher Zucht und ehelicher-

97) Hatte doch ſchon i. 3. 1534 der wadere Sebaftian Frank Beranlaffjung gehabt, in der Borrede zu feinem „Weltbuch“ zu. Hagen: „Sunft im Papſtthum ift man viel freier geweſen, die Lafter auch der Fürſten und Herren zu ftrafen; jett muß alles ge- bofiret fein ober es ift aufrühriih. Gott erbarms!” Zu dem Sate, daß das Lutherthum jo recht eine Schule des theologiſchen Knechtfinns geweien, hat Biedermann („Deutſchland im 18. Jahr⸗ hundert”, U, 1. Abtblg. S. 9) recht erbauliche Belege gefammelt. Das folgende, auf Büſchings durchaus glaubwürdigem Zeugniß beruhende, fteht bei Bülau, Geh. Geſch. und rätbfelh. Menſchen, VI, 481. Ein Graf von Schaumburg-tippe hatte auf der Jagd aus Berfehen einen Menſchen getödtet, welchen er für ein Stück Wild angeſehen. Sein Hofprediger, welden er zu feiner Gewiſſensbe⸗ ruhigung kommen ließ, redete ihm ein, er brauchte fich keine Skrupel zu maden, ba er ohne Abficht gehantelt; „außerdem aber fei er ja auch Herr über das Leben feiner Untertbanen !”

128 Buch II. Kap. 3.

Treue. Am eifrigften wurde vaffelbe nicht felten in Kreifen befolgt, wo man es am wenigiten erwarten follte, in den afapemifchen nämlih. ‘Das wüfte Leben zwar, welches die Studenten zu einer Zeit führten, wo Stu- dententhum und Landsknechtsthum Häufig in einander floffen, Tann kaum wundernehmen. Aber auffallend ift, daß 3. B. in Tübingen, deſſen Hochſchule fih auf ihre „reinlutherifche Lehre" fo viel zu gute that, auch in den Familien der akademiſchen Lehrer ein jo grelles Sitten- ververben daheim war, daß an ven Töchtern und Frauen der Brofefioren uneheliche Schwangerfhaften, Yruct- abtreibungen, Ehebrüche und ein trunffüchtiges, brutales Gebaren häufig gerügt und beftraft werden mußten 9). Faft noch wiverwärtiger als ein berartiges Tollen war pie fchleichenve Heuchelei der Frauen, welche fich nicht entblödeten,, verliebte und obſcöne Schriften nach Art . von Gebetbüchern einbinden zu laffen und fo in die Kirchen mitzunehmen 9. Kin Sittenprediger aus dem vorletten Decennium des 17. Jahrhunderts ereiferte ſich insbeſondere darüber, daß die jungen Mädchen, „ſolche Schnepperlinge“, wie er fie nennt fo unfittfam fich kleideten und fo fofett ſich benahmen. Er fehlt fie „männerjüchtige Weibsftüdle, pie, ehe fie noch von einem Freier oder Bräutigam wiſſen, ranzen und laufen, fich gleichſam ſelbſt zum Kauf anbieten und durch folche Liebes»

98) S. die aus den Akten gezogenen Belege bei Tholuck, Das akademiſche Leben bes 17. Jahrhunderts, I, 145— 277. 99) Philander von Sittenwalt, „VBenusnarren” (1646). 84.

Alamode in Deutfchland. 129

Mercanzen ſich ſelbſt nicht wenig beſchandflecken. Ach Gott, fonft war eine Jungfrau eine Alma; jest macht fie fich felbft zur Almoda 100),* Aller Scham und Scheu vollends entſchlugen ſich die Solpatenweiber im Berfehr mit der Männerwelt und im „Simpliciffimus“ ift zu lefen, zu welcden jeltjamen Berrichtungen bie Schönen des Lagers, auch die Dffizierefrauen, ihre männ- lichen Dienftboten mitunter anzubalten die Laune hatten 199). Unweiblichfeiten viefer Art laſſen fih denn doch nur begreifen von einer Zeit, welcher das fittliche Gefühl jo ſehr abhanden gefommen war, daß fie fogar in ihre „Anitandslehre” vie gröbften Unflätereien zu verflechten nicht anſtand 199),

Indeſſen gab e8 in der deutſchen Frauenwelt viejer Periode denn Doch auch Kreife, zu welchen ver alamopifche Ungeift feinen Zutritt erhielt, und in allen Regionen ver Gejellichaft treffen wir Frauen, welche vie guten Gepflogen- heiten des deutſchen Familienfinns pflegten und die Pflichten der Gattinnen und Mütter replich erfüllten, over folche,

100) Dengering, Sünde- Rüge und Gewiſſens⸗-Forſchung (1687), ©. 792.

101) Simpficius erzählt (Bd. II, Kap. 25, ©. 116 d. cit. Ausg.): „Ih mußte oft der Nittmeifterin, meiner Herrin, bei hellem Tage Flöhe fangen, natürlich nur darum, damit ich ihren alabafterweißen und zarten Leib genugiam ſehen und betaften follte. Dies wollte mir, weil ich aud Fleifh und Blut hatte, in die Länge zu ertragen etwas ſchwer fallen.“

102) Bgl. den Aufjag Hoffmanns v. Fallersleben über ein „Komplimentir-Büchlein v. 3. 1654”, Weimar. Sahrb. I, 322 fg.

Scherr, Frauenmwelt. 4. Aufl. II. 9

130 Bud II. Kap. 3.

welche fich fcheu aus dem Getümmel einer wilden und wüften Zeit zurüczogen und in der Stille der Tatholifchen Klöjter oder der feit dev Reformation aufgelommenen pro= teftantiihen Fräuleinftifte unter welchen die Abtet Duedlinburg den erjten Rang einnahm affetifchen Mebungen und befhhaulicher Betrachtung Hingaben, over endlich folhe, welche, in was für einer Lebensſtellung fie fein mochten, mit untadeliger Führung ein lebhaftes und nicht felten auch ſchaffend ſich äußerndes Intereffe an ven religiöfen, gelehrten und dichterifchen Beſtrebungen ihrer Zeitgenoffen verbanden 19). Manche Elöfterliche Genofjenfchaft ragte aus der üb und ungeftüm wogenden Flut des Jahrhunderts wie eine Infel der Unſchuld, des Erbarmensd und einer auf verftändige Ziele verjtändig abzielenden Frömmigkeit hervor 1%). Auf Tatholifcher und protejtantifcher Seite zeichneten ſich Frauen ariſto—

103) Die Blauftrümpfelei fcheint ſich freilih da und dort auch fehr unangenehm gemacht zu haben. Im der 8. Satire Rachels findet fi ein derber Ausfall auf die biehtenden Frauen, der frei- ih inshefondere auf frivol und laſeiv dichtende gemünzt geweſen zu fein ſcheint: .

„Sa, endlich haben wir erlebt die güldnen Jahren,

Daß auch das Weibervolf Yäfft Spuhl und Hafpel fahren

Und macht ein Kunftgediht .. 2 2: 2200er.

Die Schriften find fürwahr Gezeugen unfrer Herzen;

Die keuſch ift von Natur, die wird nicht unfeufch ſcherzen,

Das bild ih mir gewiß und ohne Zweifel ein:

Die fo wie Thais fpricht, die wird auch Thais fen.“

104) ©. die Tages- und Hausordnung des Frauenklofters Nievder-Schönenfeld. Zeitſchr. f. d. Kulturgefh. 1859, ©. 404 fg.

Alamode in Deutſchland. 131

kratiſcher und bürgerlicher Geburt als Muſter frommen Wandels aus wie jene drei dem Kaiſerhaus ent- ftammten Nonnen, Margaretha, Tochter Kaiſer Maris milians des Zweiten, Maria Chrijtina und Eleonore, Töchter des Erzherzogs Karl oder als theologifche Streiterinnen wie jene Anna Owena Hoyer aus Hol: jtein, die tapfere, obzwar etwas phantaftifche Befehderin der lutherifchen Orthodoxie, und die noch berühnttere Anna Marin von Schurmann aus Köln, welche, nach Holland übergefiedelt, die Hand des Dichters Cats ausjchlug, um ganz den Wilfenfchaften zu leben, fich vierzehn Spra- hen ameignete, ein wahres Kompendium von Gelehr- ſamkeit wurde, den Proteftantismus in Difputationen mit den Jeſuiten verfocht, auch im Lautenfpiel und in der Stiderei die Meifterfchaft errang, ſich als Malerin und Rupferjtecherin mit Glück verfuchte und ihren wohl- erworbenen Ehrentitel der „holländiſchen Minerva” auch durch fittfamen Wandel rechtfertigte oder enplich ale Sängerinnen religiöjer Lieder, wie die Kurfürftin Luife Henriette von Brandenburg, Gemahlin des großen Kur⸗ fürften, welcher das berühmte Lied: „Jeſus meine Zuver⸗ fiht” zugefchrieben wurde; ferner die Landgräfin Anna Sophia von Heffen- Darmftadt, die beiden Gräfinnen Ludmilla Elifabeth und Aemilia Juliane von Schwarz- burg-Rudolitadt und die Freifrau Katharina Regina von GSreifenberg. In der weltlichen „Poeterey” galt Si- bylla Schwark aus Greifswald ihrer Zeit für ein „Wun« der” und die wenigen auf uns gekommenen Proben ihres Zalentes find für ein fiebzehnjähriges Mädchen, als 9%

132 Buch II. Kap. 3.

welches fie geftorben, allerdings eigenthümlich genug. Es muß ein glutvolles Herz unter viefem kaum aufgeblühten Mäpchenbufen gefchlagen haben. Ein Herz voll Mile, Heiterkeit und hilfreicher Frömmigkeit dagegen ſchlug in der Bruft der Prinzeffin Elifabeth von Bapen - Durlach, Tochter des Markgrafen Georg Friedrich, welche erft gegen das Ende des Jahrhunderts hin unvermählt geftorben ift. Sie gehörte ebenfall® zu den Dichterinnen ihrer Zeit und hat eine Sammlung von Sinnfprüden, in deren Auswahl ein edles, in Leiden geprüftes und be— währtes Gemüth fich befundet, in deutſche Verje gebracht, welche in ihrer Klarheit und gebrängten Kraft vor der nebelbaften und gedunjenen Phrafenmadherei ver meiften Poeten von damald gar vortheilhaft ſich aus- zeichnen 105),

105) Vgl. Zell, die Fürftentöchter des Haufes Baden, ©. 47 fg. Weimar. Jahrb. Il, 216. Bon den an legterem Orte aus dem Originaldrud („Zaufendt Merkwürdige Gedenck⸗Sprüch auf vnterſchiedlichen Authoren zufammengezogen und in teutfche Verſe

überſetzt“, Durlad 1685) mitgetheilten Sprücden wollen wir etliche herſetzen:

„Die Tugend hat die Art des Palmbaums angenommen ;

Se mehr fie wird gebrudt, je höher wird fie fommen.

Die Seele läffet fih zu feinem Glauben zwingen ;

Der Grund der Wahrheit muß nur dies zuwegen bringen.

Bei manchem bat gar oft der Adel des Geblüts

Berändert und verderbt den Adel des Gemüths.

Die wahre Tapferkeit Läfft ſich darinnen ſehen,

Daß fie den Laftern wird allzeit entgegen ftehen.

Alamode in Deutfchland. 133

Es iſt tröftlich, in einer Zeit, wie das 17. Jahr⸗ hundert geweſen ift, in einer Zeit, deren ganze Bildung im Grunde nur eine ladirte Barbarei war 19%), in einer Zeit, wo kirchliche Difeiplin und Strafjuftiz mittels ſcharfer Unzuchtſtrafen die zügellofe Gejchlechtsluft ver- geblich zu bändigen fuchten 197) es ift tröftlich, in einer jolden Zeit doch auch wieder auf lautere, ſchöne, rein- menjchliche Züge in dem Verhalten ver beiden Gefchlechter zu einander zu ftoßen. Wenn berichtet werden mußte,

Wie nad) dem Regen oft die Sonne pflegt zu ſcheinen,

So fammelt man mit Freud’, was man gejät mit Weinen.

O wie viel Eitelfeit find’t fi in denen Sachen,

Darum die Menfchen fich viel Müh' und Arbeit machen.”

106) Als einen harakteriftifhen Zug berfelben führe ih an, dag in wohleingerichteten abeligen Häufern der „Magiſter“, d. h. der Lehrer der Kinder, fchlechter befoldet war als der Kutfcher und der Lakai. Nach einem Haushaltungsbuche des turfächfiichen Ritters Georg v. W., Erb⸗, Lehn- und Gerichtsheren auf B. und L., welches von 1661 bis 1670 reicht, hatte der Magifter 9 Rthlr. 12 ©r., der Kutſcher dagegen 11R. 16 ©. und der Lakai 108. Jahreslohn. Die Köchin erhielt 11 R. 8 G., die Hausmagd 6 R. 3 G., die kleine Magd 6 R. 3 Gr., die Aufwartemagd 6 R. jähr- Yich, die Kühehüterin 20 ©. vierteljährlih. Mitgeth. von Berafeld, Zeitſchr. f. d. Kulturgeſch. 1858, ©. 1385.

107) Wie dabei an vielen Orten verfahren wurbe, mag ber folgende, Karche's Jahrbüchern von Koburg entnommene Fall v. 3. 1658 veranſchaulichen. „Den 2. Aprilis wurde Hanns Wirth, ein Fuhrknecht aus Thüringen, weil er eine Dirne geſchwächt und ihr bie Ehe verfprochen hatte, überdies noch eine andere geſchwächt und ihr ebenfalls die Ehe verſprochen hatte, als man die Kirche ansläutete, auf den Stein am Kirchthurm an das Halseifen ge—

134 Buch III. Kap. 3.

daß die Anreizung zur Sittenlofigfeit von den höheren Ständen ausgegangen, fo ijt ed nur billig zu erwähnen, daß gerade in dieſer Gefellichaftsiphäre auch Beiſpiele fih finden, welche beweifen, daß gute Sittenzucht und die Achtung vor fraulicder Ehre und Würte in der deut- ſchen Ariftofratie denn doch nicht ganz erjtorben waren. Mehrere Fürftenhäufer hielten der alamodiſchen Zer- ſetzung des heimischen Familienlebens gegenüber an ver Reinheit und ZTraulichfeit vefjelben feit und außerdem gab es fogar wie im 16. Jahrhundert fo au im 17. deutſche Fürften, welche fich bei ihren Herzensneigungen weder das Vorurtheil ver Kajtenverhältniffe noch vie ein- geriſſene duldſame Anfiht über das Maitreſſenweſen zu Nuten machen wollten, fondern ihre Erwählten, Mäd⸗ hen bürgerlichen Stanves, in aller Form Nechtens hei- rateten. So der Herzog Rudolf Auguft von Braun- ſchweig⸗Lüneburg, welcher nach tem Tode feiner erſten Gemahlin die Elifabeth Roſine Menthe, Zochter eines Barbiers zu Minden, liebgewann und dem ebenfo fchönen als ſittſamen Mädchen feine Hand anbot. „Ihr follt nicht meine linfe, ſondern meine rechte Gemahlin fein und bleiben,” fagte ver Fürft zu ihr, als er fih im Juli 1681 auf dem Landhauſe Hedwigsburg mit ihr trauen

ſchloſſen, allwo er und die beiben Dirnen mit Strohkränzen bie Predigt über ftehen mußten”. Später wurden gefallene Mädchen „ausgepauft” und des Landes verwiefen. Der Amtsdiener führte nämlich diefelben mit einer Trommel, welde er von Zeit zu Zeit rührte, dreimal um den Marktplatz und hierauf, nachdem fie Ruthenſtreiche erhalten hatten, zum Thore hinaus. ,

Alamode in Deutfchland. 135

ließ. Der nach zwanzigjähriger glüclicher Ehe kinderlos Geftorbenen wurde die Grabſchrift gefekt: „Vixit in praeclarum modestiae et pietatis exemplum 108)“, Auch der in der deutſchen Solvatengejchichte unter dem Namen des alten Defjauers berühmte Fürft Leopold der Erſte von Deſſau erfor fich ein bürgerliches Mädchen zur Frau, die Anne Luife Föhfe, Tochter eines Apothefers zu Deffau, welche ver Kaifer in ven Reichsfürſtenſtand erhob damit ihre Söhne für fucceffionsfähig erklärt werben fönnten. Sie muß eine ganze vortreffliche Frau gewefen fein, denn fonft hätte der harſche und barfche Kriegs- mann, ihr Gemahl, deſſen Rauheit nicht felten ftark ins Brutale fpielte, wohl nicht mit fo unverbrüchlicher Achtung und Treue an ihr gehangen.

108) Köhler, Münzbeluftigungen, XXI, 289. Nethmeier, Braunſchweig. Chronik, III, 1526. Kuriofitäten, X, 351.

Diertes Kapitel.

Die Heren'").

Bom Teufel. Die Weltanihauung des Mittelalters. Das Reich Gottes und das Reich Satans. Wundern und Zaubern. Bon zauberifhen Praktiken. Die Kirhe und das Zauber- wefen. Die Heren. Bund und Buhlfchaft mit dem Teufel. Der Herenfabbath. Der Herenproceh. Die Bulle Irmocenz des Achten und der Hexenhammer. Das Beweisverfahren und die Beftrafung. Die Reformation und der Herenproceh. Die maffenhaften „Einäſcherungen“. Oppofition: Molitor, Weier, Loos, Lercheimer, Spee, Beder, Thomafius. Die letzten Heren- proceduren. Die letzte Here.

Das Buch der Gefchichte trieft von Thränen und fchmerzlichitee muß es merfwürdiger Weife immer da erzählen, wo e8 von den Entwidelungen der religiöfen

109) Sch habe zu diefem Kapitel hauptfächlich folgende Quellen benüßt: Malleus Maleficarum (der Herenhammer), Franff. Ausg. v. 1588. Molitor, Eyn ſchön Geſprech von den Onholden, 1489. Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 15833. Milihius, Der Zauber-Teuffel (Theatr. diabol. 1575, fol, 175 seq.). Luthers Tiſchreden, 1576, fol. 197 seq. Bodinus, De magorum daemonomania (deutſch von Fifhart u. d. X. Vom

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Die Heren. 137

Idee handelt. Kein andere Motiv hat jeder Zeit die Menihen zu wahnfinnigerer Wuth entflammt als ber Zwift und Streit um ihre Götter. Hier haben fich mit der höchſten Begeifterung, welche das Menfchenherz ſchwellen fann, die gemeinften Triebe, die fchredlichiten Leidenſchaften gemiſcht und in einem Ocean von Blut tft der Purpurmantel der Religion gefärbt worden.

Was aber immer menfchlicher Wahn und menschlicher Fanatismus unbewußt oder bewußt gejündigt, das gräuelhaftefte haben fie doch im Herenglauben und im Herenproceß zumegegebradt. Blöpfinn und Wahnmig,

außgelaffnen wütigen ZTeuffelsheer, 1591). Cäſarius SHeifters bachenſis, Dialogus miraculorum, ed. Strange 1851. Weier, De praestigiis daemonum, 1577. Lercheimer, Chriftlich Bedencken von Zauberey,, 1593. Del Rio, Disquisit. magicar. libr. VI, 1679. Anborn, Magiologia, 1674, Spee, Cautio criminalis seu de processu contra sagas liber. Edit. III, 1631. Beder, Die bezauberte Welt, 1691. ZThomafius, De crimine magiae dissertatio, 1701. Ferner die befannten Sammelwerfe von Sauber (Bibliotheka magica, 1741) und Horft (Dämonomagie, 1818). Bon den zahlreichen Monographieen, Aktenveröffentlihungen u. |. w. abgefehen, ift der Gegenftand im ganzen neuerer Zeit in Deutjch- land behandelt worden von Grimm (Deutiche Mythologie, 3. 4. ©. 983 fg.), Soldan (Geſchichte der Herenprozeffe, 1848), Enne⸗ mofer (Gef. d. Magie, 1844, ©. 756 fg.), Schindler (Der Aberglaube d. Mittelalters, bei. ©. 208 fg.), Köppen (Heren und Herenprozefle, Wigand's Bierteljahrsfchr. 1844, II, 1 fg.), Roſkoff (Geſchichte des Teufels, 1869, II, 206 fg.), Scherr (Deutſche Kultur- u. Sittengeſchichte, 7. Aufl. 1879, S. 358— 387). Darftellungen wie die von Görres in feiner Chriftlihen Myſtik zu Verdunkelungs⸗ zweden gegebene haben felbftverftändlich feinen hiftoriſchen Werth.

138 Bud III. Kap. 4.

Afterglaube und Angjt, feige Tücke und rafende Mordluſt verbanden fich da zu einem Thun, deſſen Refultate das püfterfte Kapitel ver Weltgefchichte füllen. Betrachtet man dieſes höllifhe Bild und ftellt vie abergläubifchen Tendenzen und Praftifen unferer eigenen Zeit daneben, die fomnambuliftifchen und magnetifchen Gaufeleien, bie Geifterfehereien und Gefunpbetereien, die Muttergottee- erfheinungen und Wunderquellenfprudelungen, vie Umkehr der „Wiffenihaft” zum mittelalterlihen Köhlerglauben, die ganze von fo vielen Kanzeln und Kathedern gepredigte Dämonologie der Unvernunft, fo ift man ftarf verfucht, in das trojtlospeffimiftifche Kredo einzujtimmen, daß bie Geſchichte nur eines lehre, nämlich daß fie nichts Lehre. Und doch find wir feit hundert Jahren unleugbar vor- gejhritten: man’ verbrennt wenigitens feine Hexen mehr. Auch wird ficherli eine Zeit fommen, wo die Umkehr⸗ profefforen, Umkehrkonſiſtorialräthe, Umkehrzeitungs⸗ ſchreiber unſerer Tage als geweſen und fürder unmöglich der Kulturgeſchichte ebenſo verfallen ſein werden, wie die Hexenrichter von vormals heutzutage es ſind. Nur wird man dann die modernen Inquiſitoren nicht mit dem Gefühle des Grauens, welches die alten einflößen, betrachten, ſondern mit dem der Ergötzung. Denn mögen ſich die Apoſtel und Familiaren des Köhlerevangeliums noch ſo ernſthaft und grimmig gebärden, ſie ſind und bleiben lächerliche Geſellen und die Maſke à la Torquemada oder Calvin ſteht ihnen ſo komiſch zu Geſichte, daß wir bereits das unauslöfchliche Gelächter zu vernehmen glauben, welches in fünftigen Tagen varüber erjchallen wird. Freilich,

Die Heren. 139

der ſchwarze Faden des Wahns wird nie aus dem Gewebe menfchheitliher Entwidelung verſchwinden und demnach gibt e8, wie heutzutage, wohl auch Fünftig immer eine Speried von Keberrichtern und Herenbrennern, über welche man nicht lachen wird. Denn zu allen Zeiten liebten und lieben es die Menjchen, die Thorheit ver Vor- fahren lächerlich, ihre eigene aber ehrwürdig zu finden.

Doch unfere Aufgabe iſt nicht, über die Gegenwart zu moralifiren oder Zufunftsträume zu fpinnen, fonvern nur, von der Vergangenheit zu erzählen, und fo wollen wir denn vom Herenwejen reden, dem brennenpften Un⸗ recht, der tiefjten Schmach, dem furchtbarften Leid, welche dem weiblichen Gefchlechte jemals angethan worben find. Es iſt traurig zu fagen, aber e8 muß um der Wahrheit willen gefagt werben, daß fich unfer Vaterland vor allen übrigen Ländern darin ausgezeichnet hat, den grauſamen Wahnfinn des Herenproceffes recht methodifch, recht um: faffend, recht beharrlich zu treiben. So fehr war durch ven Einfluß des Teufelsglaubens die altgermanifche Srauenverehrung, welde im Weibe „etwas beiliges“ gejehen Hatte, getrübt worden, daß unfere Altvorteren etlihe Jahrhunderte hindurch e8 für möglich, ja für wirk⸗ lich bielten, veutfche Mädchen und Frauen gäben Sitte und Scham, alles Hohe und Heilige, was der Menich befigen fann, für vie widerliche Umarmung eines fcheuß- lihen Bodes hin. Es dürfte doch fchwer fein, auf dem ganzen Gebiete menfchlicher Narrbeit etwas aufzufinven, was an blödſinniger Gemeinheit viefer chriftlich-theo- logischen Phantafie nur halbwegs gleichfäme.

140 Bub III. Kap. 4.

Der Glaube an Zauber und Hexerei war ein noth- wendige® Zubehör mittelalterlihen Chriſtenthums. Es war ja viefer Glaube eine Iogifche Folge des Glaubens an einen Gegengott, an venZeufel. Gut und böſe, Schöpfung und Zerftörung, Zugend und Sünde, Wahrheit und Züge, Geift und Materie, Licht und Finfternif, Ormuzd und Ahriman, Gott und Satan, das find befanntlich vie beiden Pole, um welche fich die religiöfe Idee dreht und welde auf die Entwidelung ver meiften Religiong- ſyſteme beftimmend eingewirkt haben. Um fich fein eigenes zweifpältiges Weſen gegenſtändlich zu machen, mußte fich der Menſch überall, wie einen Gott, fo auch einen Teufel Ihaffen, obzwar dieſer Gegenfaß 3. B. in ver Religion ver Helfenen, welche den Zwiefpalt von Natur und Geift nicht anerkannte, nicht jo ſchroff ſich herausgebilvet hat. Auch der Mojaismus wußte urfprünglich nichts von einem Satan, nahm dann aber dieſe Verperjönlichung des nega- tiven, des böſen Princips aus der zoroaftrifcheperfifchen Dogmatif herüber und überlieferte ihn fpäter dem Chriſtenthum. Bei den Evangeliften Matthäus und Lukas tritt in der Verfuchungsgefchichte Sefu ver Teufel bereits fertig auf, als Widerfacher Gottes, After- gott, Gegengstt. Im Verlaufe ver Siege des Chriften- thums über das Heidentbum wurden ihm hierauf noch weitere Züge angebildet, indem vie chriftliche Priefter- ſchaft bemüht war, die alten Götter, deren Andenken fie nicht aus dem Volksgemüth zu verbannen vermochte, zu böjen Geiftern, zu Teufeln herabzuläftern. Zu dem Bilde des Gefammtrepräfentanten der teuflifchen Eigenfchaften,

Die Heren. 141

zu dem Bilde des Oberteufeld® haben die orientalischen Religionen, wie auch die hellenifcherömijche, die germanische und feltifche Religion, Einzelftriche geliefert; doch handelten die chriftlichen Theologen in ihrem Sinne folgerichtig wenn fie, welche ja die Natur als ſündhaft verwarfen und das Diefjeit8 dem Jenſeits gegenüber als nichtig und unberechtigt erflärten, die Vorftellung, welche fich das Haffifche Altertum von dem großen Naturgott gebildet hatte, auf Satan übertrugen und alfo allervings mit häfflicher Webertreibung und Verzerrung aus dem großen Ban den großen Bod machten.

Wie jedermann weiß, war die ganze mittelalterliche Weltanichauung durch ven Gegenfaß von Gott und Teufel bedingt und beftimmt. Im Mittelpunft des Weltalis ſchwebt, nad der Anfiht von damals, die Erde, um welche ſich in fieben übereinander gebauten Himmeln vie Sonne, ver Mond und die fünf Planeten mit verfchievener Geſchwindigkeit im Kreife bewegen. Ueber ven fieben Himmeln wölbt jih eine achte Sphäre, in welcher die übrigen Gejftirne, förperlos und ohne Schwere, frei hängen ober an welche fie angeheftet find, und über ver achten fteigt eine neunte Sphäre auf, der kriftallinifche Himmel, und über diefer eine zehnte, die Feuerſphäre (dad Empyreum), allwo Gott und fein Sohn mit den Seligften der Seligen thronen, während die übrigen nach den verichievenen Graden ihrer Vollfommenbeit in ven neun andern Himmeln vertheilt find. ntgegengejekt diefer Wohnung der Götter, ver Engel und der Seligen ift die Hölle, welche, im Centrum ver Erde befindlich,

142 Buch II. Kar. 4.

dem Satan und den übrigen gefallenen Engeln, fowie ven verbammten Seelen zum Aufenthaltsorte dient. Gott hat das Univerfum, Erde, Himmel und Hölle, aus nichts ge- fhaffen und regiert fie willfürlich von feinem himmlifchen Sige aus. Er ift ein außerweltlicher Gott, er fteht als Geift der Natur gegenüber, die nicht etwa in ihr felbft liegenden unabänderlichen Gejegen gehorcht, ſondern in jevem Augenblid dem Einwirken Gottes und feiner Geifter unterworfen if. Das eben ift die göttliche Allmacht. Nun fteht aber dem Reiche Gottes und feiner Engel und Seligen das Reich des Teufeld und feiner Dämonen und Verdammten feindlich entgegen. Wie verträgt fih das mit der göttlichen Allmacht? Ganz gut, denn das Reich des Teufels erxiftirt nur durch „Zulaffung Gottes“. Warum aber ließ Gott das Böſe zu? Warum gab er dem Zeufel Spielraum? Weil e8 nun einmal fo fein ewiger Rathſchluß ift. Diefer Grund muß dem Glauben ge— nügen und genügt ihm auch wirklich.

Infolge ver Borftellung, daß dem Himmel die Höflfe, tem Gott der Teufel entgegenftebe, nahm ver Glaube an die Berteufelung der Welt immer größere Dimenfionen an. Fand doch alles Böſe, was auf Erden gefchah, jedes phyſiſche und moralifche Uebel feine Erklärung in ver Anficht, daß der Teufel, welcher zugleich Gottes Wider ſacher und Affe ift, ftet8 eifrig darauf aus fei, durch Mehrung des eigenen Neiches das Reich Gottes zu mindern. Ein Refultat dieſer Mehrung des ZTeufels- ſtaates war zunädft das Beſeſſenſein von Menfchen durch den Teufel, beziehungsweife durch hölliſche Dä—

Die Heren. 143:

monen, wovon bie Evangelijten jo vieles zu erzählen wiffen 1%, d. h. viele Krankheiten ver Seele und des Leibes, welche vie Unwiffenheit der Menſchen und eine jtümperhafte Arzneifunjt weder zu erklären noch zu heilen verstanden, wurden für eine Wirkung teufelifcher Bosheit gehalten und in Nachahmung der Austreibung von Dämonen aus Bejefjenen durch Jeſus bildete die Kirche fraft des auf ihre Diener ausgegoffenen heiligen Geiftes- eine fürmliche Kunft des Erorcismus aus, welche dem: Teufel entgegenarbeiten follte. Gott infpirirt feine An— hänger, der Teufel befigt fie . . . Aus dem Gegenfak von Gottesreich und Teufelsreich ergibt fich ferner der Unterfhied von Wunderwirkung und Zauberei. Gott und ver Teufel greifen gleichermaßen nah Willfür in bie Geſetze ver Natur ein und ändern diefelben nach Belieben. Aber jener ift der legitime, diefer bloß ein „zugelafjener” iegitimer Herr der Natur und daher bie teufelifche Zauberei nur eine Traveſtie der göttlichen Wunderwirkung. Diefer Unterfhied findet auch ftatt, wenn Gott und der Teufel ihre Gewalt über die Naturgefege ihren Anhängern unter den Menſchen übertragen: vie Gotteslieblinge, die Heiligen, wundern 119), pie Zeufelslieblinge, die Hexen- meister und Heren, zaubern. Das Wundern ift legitim

110) Matthäus, VIII, 28—32; Markus, V, 1—20; Lukas, VIII, 26—39.

111) Ich gebrauche diefes Wort im thätigen Sinne nad dem Vorgang von Grimm, D. Mythol. S. 983: „Wundern heißt über- natürliche Kräfte heilſam, zaubern fie ſchädlich oder unbefugt wirken laffen; das Wunder ift göttlich, der Zauber teuflifch”.

144 Bud II, Kap. 4.

und verbienftlih, das Zaubern ſündhaft und ftrafbar, denn: „Die Zauberinnen follft du nicht leben laſſen!“ hatte ſchon das moſaiſche Gefeg geboten (Mofe,II, 22, 18). Der Teufel, in feinem beftändigen Kriege gegen das Neich Gottes der Parteigänger bepürftig, verleiht feine Zauber- macht an Menſchen, natürlich gegen entſprechendes Aequi- valent, d. h. die Zauberer und Zauberinnen müfjen Gott abfagen und dem Fürften ver Hölle ihre Seele verpfänven. Auf diefem Verhältniß beruhte Die ganze „ſchwarze Magie”, jener mittelalterliche Glaube an den Bund des Menfchen mit dem Teufel, welcher in unſerer Fauſtſage eine fo hochpoetifche, durch ven Genius Göthe's zur modernen Univerfalvichtung umgefchaffene Geftaltung gewonnen hat. Zum Hausrath der fhwarzen Magie aber gehörten alle vie bunten und tollen, wunderlichen und efelhaften Meinungen und Praftifen vom VBerzaubern und Ber- wandeln, vom Geiſterbeſchwören und Geiftererlöfen, vom Wind- und Wettermachen, vom Krank⸗ und Lahmſprechen, vom Schatzheben, Neftelfnüpfen, Schloßſchließen, Ver— nageln, Treffſchießen, Feſtmachen und Diebſtahlweiſen, von der Milchentziehung, von Alraunen, vom Glücks⸗ oder Galgenmännlein („spiritus familiaris“) 112), von Liebeszauberbildern und Xiebestränfen 13) alle vie

112) Eine jehr geift- und phantaſievolle dichteriſche Behand⸗ fung dieſes Bollsglaubens gibt: „Der spiritus familiaris des Rof- taäuſchers“ von Annette von Drofte-Hillshof, Gedichte, S. 365 fg.

113) Der Glaube an die Wirkung der Liebestränfe („Lieb- gifte”, die philtra der Griechen und Römer) war noch im 3. Decen- nium des 18. Jahrhunderts jehr verbreitet. So jagt Kräutermann

Die Heren. 145

Ausgeburten der Phantafie, die noch heute unter dem Bolfe umgehen und noch immer mehr oder weniger Glauben finden. Denn der Menfch lebt nicht allein vom Brote, fondern auch von Illufionen, und’ überdies hat die Ein- bildungsfraft des Volkes zu allen Zeiten mehr der dunkeln als ver hellen Seite der Natur fich zugewendet.

Die Kirche entwidelte ſchon fehr frühzeitig eine ver- folgende und ftrafenvde Thätigfeit gegen das Zauberweſen. Sie ging dabei von der auf ihrem Stanppunfte ganz richtigen Anficht aus; Zauberer und Zauberinnen fchließen einen Bund mit dem Teufel, folglich brechen fie ihr Tauf—

in feinem 1726 erfchienenen „Kuridfen und vernünftigen Zauberarzt“ ganz ernftbaft: „Zu den magifchen oder teufeliichen Liebesmitteln gebrauchen Zauberer und Zauberinnen theil® allerhand Worte, Zeichen, Murmelungen, Wachsbilder, theils die abgefchnittenen Nägel, ein Stüdchen von ber Kleidung oder fonft etwas von ber Perſon. Huren und vergleichen Gefinde bedienen ſich ihres Men- strui, de® seminis virilis, Nachgeburten, Milh, Schweiß, Urin, Speidhel, Haar u. dgl. m." Die nadiftehende Geſchichte von ver Wirkung eines Liebeszaubers könnte man für ein Produkt des Volks— wites halten, falls fie unjer Gewährsmann (Harsbörfer in feinem „Schauplatz Yuft- und lehrreicher Geſchichten“, 1653) nicht mit der ernfthafteften Miene der Glaͤubigkeit erzählte: „In der obern Pfalz bat fi wie landkundig zugetragen, daß ein Pfaff fih in eine ehrliche Bürgersfrau verliebt, und da fie in dem Kindbett gelegen, von ihrer Magd, der er etliche Dukaten geſchenkt, etlich Tropfen von der Frauenmilh begehrt. Die gab ihm aber Geißenmild. Was er damit getban, ift unbewußt, das aber hat er erfahren, daß ihm die Geiß in die Kirch vor den Altar und bis auf den Predigt- ſtuhl nachgelaufen, was die Frau zweifelsohne hätte thun müſſen, jo er ihre Milch zumwegen gebradt. Er konnte des Thiers nicht ledig werben, bis er e8 kauft und ſchlachten ließ“. Scherr, Frauenmwelt. 4. Aufl. II. 10

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gelübbe, alfo find jie Ketzer, folglich des Todes ſchuldig und auszutilgen, d. h. zu verbrennen, weil „pie Kirche nicht nach Blut dürſtet (ecclesia non sitit sanguinem)”. Wie fehr in hierarchiſchen Augen Kekerei und Zauberei zu- fammenfielen, zeigt deutlich der Umftand, daß man ven Waldenfern und Stebingern ſchuldgab, bei ihren reli- giöfen Zufammenkünften ven in Geftalt einer Kate, einer Kröte oder eines Bodes erſcheinenden Teufel anzu- beten und fich fleifchlich mit ihm zu vermifchen. Dieſes päpſtliche Phantafieftüd aus dem Anfang des 13. Jahr⸗ hunderts gab das Vorbild des im 15., 16. und 17. Jahr⸗ hundert immer üppiger ausgemalten Herenfabbaths. oder ber Synagoga diabolica ab, des Glanzpunfts des Teufels-

bienfted. Warum zu Trägern dieſes Kultus vornehmlich

die Frauen erlefen wurden, erklärt ſich keineswegs daraus,

daß die Hexenrichter mit dem ſchwächeren Gefchlechte leichter fertig zu werden glaubten als mit vem ftärferen. Das Motiv war ein ganz anderes und tiefere. War doch ſchon im Altertbum, lange bevor e8 Hexrenrichter und einen Herenproceß gegeben, ver Glaube an das Da⸗ fein von Zauberinnen und an ihre magischen Künſte gäng und gäbe gewefen und braucht man nur an bie betreffenden Auslafjungen des griechifchen Humorijten Lukian und ber römiſchen Satirifer Horaz und Juvenal zu erinnern, um die Ungeheuerlichfeiten zu zeichnen, welche ven antifen Hexen („striges“, „sagae", „veneficae“, „lamiae®) zur Laft gelegt wurden. Freilich verrathen bie gemeinten Auslafjungen deutlich genug, daß im an⸗ tifen Hexenweſen vie Bereitung von und der Handel mit

Die Heren. 147

Stimulantien und Giften eine große Rolle gefpielt haben, was mitunter auch im modernen der Fall gewejen fein mag. Bon ältefter Zeit her hielt man die Frauen zu derartigen Praktiken für tauglicher al$ die Männer und ebenfo zu der Zauberei, weil in biejer etwas heimliches, ſtilles, verftedtes, die vorwiegende Bhantafie und größere Nervenreizbarfeit des weiblichen Gefchlechtes an- lockendes und ftachelndes läge. Sodann kam in Be- trat, daß der jünifch = hriftlichen Theologie zufolge das

Weib, durch welches ja die „Sünde“ überhaupt in die

Welt gefommen, als von Natur ein „Gefäß der Unreinig- keit“ nach firchenväterlicher Anficht teufelifchen Ein- flüffen leichter zugänglich wäre al ver Mann. Bei den germanifchen Nationen endlich dürfte die Erinnerung an die Walküren oder Wunſchmädchen ver germanifch = heid- niſchen Religion, deren Vorftellung fpäter in dem Glau- ben an die „wisiu wip“, vie Völen over Walen ver- menfchlicht erfcheint, ebenfall® auf vie Geftaltung des Herenwejens mit eingewirkt haben 11%). Denn von den heidnifhen Walen her mögen Formeln und Bräuche ver Wahrſage⸗ und Heilkunſt auf die chriftliche Zeit fich ver— erbt haben, und da dieſelben an die alten Götter erinner- ten, welche ja jett zu Zeufeln herabgewürbigt waren, fo fonnte es nicht ausbleiben, daß die „weiſen Weiber”, welche von ſolchen Formeln und Bräuchen wußten, in ven

114) Simrod (Handb. d. d. Mythol. ©. 492): „Noch heißen die Heren in niederdeutſchen Gegenden Walriderffe, was fie deut- lich als Walküren bezeichnet.”

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148 Bud III. Kap. 4.

Verdacht holliſcher Verbindung kamen und für Hexen galten.

Die althochdeutſche Form des Wortes Here war Ha- zufa oder Hazafa11d). Die mittelbochdeutiche Form Herſe oder Hegrie over Hekſe ijt jelten, denn bis zum 16. und 17. Jahrhundert war für Here der ftehenve Ausdruck „Unholde“ (Unholvin), in welden Wort jich vielleicht eine getrübte Erinnerung an bie altveutfche Göttin Holda barg. Fiſchart gebraudt das Wort Here auch in männlicher Form, indem er in feiner Ueberfegung des Bodinus vom Her und von der Herin |pricht. Der genannte Bopin, welcher mit ftupenver und mehr noch ftupiver Gelahrtheit das Zauber- und Hexenweſen be- handelt bat, beginnt feine Unterfuhung mit folgender Begriffsbeftimmung: „Ein Zauberer, Her (oder Herin) iſt, wer fürſätzlich und wiſſentlich durch teufelifche Mittel fih bemühet und unterfiehet, fein Fürnehmen hinaus zu bringen oder zu etwas dadurch zu kommen oder zu ge- langen 116),“ Zur Erlangung ver teufelifhen Mittel, d. h. der Zauberfraft führt das Bündniß mit dem Teufel, welches in verſchiedener Form mündlich oder fchriftlich abgeſchloſſen wird. Gewöhnlich machen ſchon Einge- weihte bie Vermittler. Die Eeremonie an fi ift ein- fah: Die Kandidatin, je nachdem fie eine Katholikin oder eine Proteftantin ift, verleugnet „Marien und Gott“ oder „unfern Herrgott und feine zehn Gebot“. Aber

115) ©. d. Ableit. d. Wortes bei Grimm, D. Mythol. S. 992. 116) Bodinus, a. a. O. 1.

Die Hexen. 149

zum Abſchluſſe des Bündniſſes mit dem Böſen fommt noch ein beveutfamer Umftand : die teufelifche Buhlſchaft, worüber Theologen und Juriſten jo viel gelehrten Blöd⸗ finn haben ausgehen lajfen. Der Teufel fucht die Be- kanntſchaft der Mäpchen und Frauen, welche er zu Opfern feines Buhltriebes und demnach zu Hexen machen will, zuerft immer in Geftalt eines anſtändigen Mannes, in der Maffe eines unters, Jägers, Weiters und unter den Namen Boland, Hämmerlein, Federhanns, Beterletn, Federlein, Papperlen, Klaus, Gräjfle, Grünhütl oder ähnlichen 17), Nachdem er die Auserwählten verführt und fie feiner Umarmung welche in ven „Geſtänd⸗ niſſen“ der Hexen durchweg als „unlieblich“, „kalt“ und „widerlich“ bezeichnet wird genojjen haben, prüdt er ihnen an trgend einem Leibestheil das Hexenmal“ (stigma diabolicum) auf, wodurd fie zum Eigenthum der Hölle geftämpelt werden. ‘Der Teufel zeugt zuweilen mit ven Heren Rinder, die fogenannten Wechjelbälge over Kil- fröpfe. Dies war bis zum Ende des 16. Jahrhunderts allgemeiner Glaube, dem auch Luther ausprüdlich feine Beftätigung gab 119), Später ging die Meinung im

117) Es kann einem bei Lefung der protofollarifchen „Geſtänd⸗ niffe” der Heren unmöglich entgehen, daß in fehr vielen Fällen bie „teufelifche Beſtrickung“, welcher Mädchen, namentlich fehr junge, unterlegen zu fein glaubten, in Wahrheit nur Beranftaltungen einer ruchlofen Kuppelei geweſen.

118) „Wechielbelge und Kilelröpfe legt der Satan an ber rechten Kinder ftatt, damit die Leute geplagt werden. Etliche Megde (Mädchen) reifjet er oftmals ins Waſſer, ſchwengert fie und

142 Bud IH. Kap. 4.

dem Satan und den übrigen gefallenen Engeln, fowie den verdammten Seelen zum Aufenthaltsorte dient. Gott hat das Univerfum, Erde, Himmel und Hölle, aus nichts ge= ſchaffen und regiert fie willfürlich von feinem himmliſchen Site aus. Er ift ein außerweltlicher Gott, er fteht als Geift der Natur gegenüber, die nicht etwa in ihr ſelbſt liegenden unabänderlichen Geſetzen gehorcht, ſondern tn jedem Augenblick vem Einwirfen Gottes und feiner Geifter unterworfen if. Das eben ift die göttliche Allmacht. Nun Steht aber dem Reiche Gottes und feiner Engel und Seligen das Reich des Teufels und feiner Dämonen und Berdammten feindlich entgegen. Wie verträgt fich das mit der göttlichen Allmacht? Ganz gut, denn das Reich des Teufels exiftirt nur durch „Zulaffung Gottes“. Warum aber ließ Gott das Böſe zu? Warum gab er dem Teufel Spielraum? Weil e8 nun einmal fo fein ewiger Rathſchluß iſt. Diefer Grund muß dem Glauben ge- nügen und genügt ihm auch wirklich.

Infolge der Vorstellung, daß dem Himmel die Hölle, dem Gott der Teufel entgegenftehe, nahm ver Glaube an die Verteufelung ber Welt immer größere Dimenfionen an. Fand doch alles Böſe, was auf Erden geichah, jedes phnfiiche und moralifche Uebel feine Erklärung in ver Anficht, daß der Teufel, welcher zugleich Gottes Wider- ſacher und Affe ift, ſtets eifrig darauf aus fei, durch Mehrung des eigenen Neiches das Reich Gottes zu mindern. Ein Refultat dieſer Mehrung des ZTeufels- ftaate® war zunächſt das Befeflenfein von Menſchen durch den Teufel, beziehungsweife durch hölliſche Dä—

Die Seren. 143:

nonen, wovon bie Evangeliften jo vieles zu erzählen wiffen 11), d. h. viele Krankheiten der Seele und des Leibes, welche Die Unwiffenheit ver Menfchen und eine ftümperhafte Arzneikunſt weder zu erklären noch zu heilen verftanden, wurben für eine Wirkung teufelifcher Bosheit gehalten und in Nachahmung ver Austreibung von Dämonen aus Befeffenen durch Jeſus bildete die Kirche- fraft des auf ihre Diener ausgegoffenen heiligen Geiftes- eine förmliche Kunft des Exorcismus aus, welche dem Zeufel entgegenarbeiten ſollte. Gott infpirirt feine An-- hänger, ver Teufel befigt fie... - Aus dem Gegenfaß von Gottesreih und Teufelsreich ergibt fich ferner ver Unterfchied von Wunderwirfung und Zauberei. Gott und der Teufel greifen gleichermaßen nah Willkür in die Geſetze ver Natur ein und ändern diefelben nach Belieben. Aber jener ift der legitime, diefer bloß ein „zugelaſſener“ illegitimer Herr der Natur und daher die teufelifche Zauberei nur eine Traveſtie der göttlichen Wunderwirkung. Diefer Unterfchied findet auch ftatt, wenn Gott und der Zeufel ihre Gewalt über die Naturgefete ihren Anhängern unter den Menfchen übertragen: die Gotteslieblinge, die Heiligen, wundern HM), die Teufelslieblinge, die Heren- meifter und Heren, zaubern. Das Wundern iſt legitim

110) Matthäus, VIII, 283—32; Markus, V, 1—20; Lufas, VIII, 26—39.

111) Ich gebrauche diefes Wort im thätigen Sinne nach dem. Borgang von Grimm, D. Mythol. ©. 983: „Wundern heißt über⸗ natürliche Kräfte heilfam, zaubern fie ſchädlich oder unbefugt wirken lafien; das Wunder ift göttlich, der Zauber teuflifch”.

152 Bud IH. Kap. 4.

Hierauf folgt, da der Hexrenfabbath durchaus eine Tra= veftie der chriſtkatholiſchen Kultakte, eine Art Beichte, indem bie Zauberer und Heren dem Zeufel ihre Sünden befennen, d. b. daß fie zu wenig Böſes gethan oder daß fie Gotteshäufer befucht und ven Gottespienft mitgemacht hätten. Satan abjolvirt fie und legt ihnen je nach den Umftänden Bußübungen auf. Sodann feiert er in eigener Perſon die Teufelsmeſſe, worein er eine Art von Predigt verflicht, welche feinen Anbetern ein Paradies in Aussicht ftellt, wie fie e8 ich nur immer wünjchen mögen. Zum Beſchluß der Mefje theilt er an die Verfammelten das Abenpmahl in beiverlei Geftalt aus, allein die Hölfifche Hoftie ift ſchwarz und zähe wie eine Schuhfohle und ſchmeckt fade wie faules Holz und ver hölliſche Kelch bietet nur einen bittern und widerlihen Tranf. Nun geht e8 zum Bankett, aber alle Speifen und Getränfe find von ſchlechtem oder geradezu ekelhaftem Ausfehen und Ge- ihmad 12%), Dann fchiet ſich alles zum Ningeltange, wobei Tänzer und Tänzerinnen fich die Hände reihen und die Gefichter nach der Außenfeite des Kreifes kehren. Während gefhmauft und getanzt wird, buhlt der Teufel mit allen Anwefenden, indem er ven Männern als Suceu⸗ bus und ten Weibern als Incubus beiwohnt 121), Nach-

120) Bekanntlich belohnt der Teufel ſeine Anhänger überhaupt ſehr ſchlecht. Als „Vater der Lüge“ belügt und betrügt er auch ſie. Das Geld, welches er ihnen verſchafft, verwandelt ſich über Nacht in Spähne, Kohlen oder Koth.

121) Milich im „ZaubersTeuffel” (Theatr. diabol. fol. 191 b): „Der Teuffel wird ein Incubus oder Succubus, d. i. er

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Die Heren. 153

dem er jchließlich Die Verfammelten ermahnt Hat, nach . Möglichkeit Böſes zu thun, brennt der große Bock ſich

felber zu Afche, von welcher die Hexen mitnehmen, um damit zu zaubern 122), |

Es bedarf als feititehende Thatſache feines befon- dern Nachweifes, daß ber Glaube an Heren und Hexerei nur eine logiſche Folge des Glaubens an den Teufel ges wefen ift. Der Herenproceß gehört daher, wenigftens in jeinen Anfängen, nothwendig mit zur Signatur einer Zeit, welche fich verpflichtet glaubte, mit Mord und Brand für das Reich Gottes gegen das Reich Satans zu ftreiten. Was unfer Dichterfaifer Göthe vom Aberglauben über- haupt jagt, gilt ganz beſonders vom Hexenglauben 123).

nimmet Mannes: oder Weibs-geftalt an fih. Iſt es num fach, daß er fich zu einem Weibe verftellet und Mannen beywohnet, ſo bläfet er fih auf als ſey er ein Schwanger Frauw und zur zeit der Geburt legt er ein geftolen Kind neben fi) al8 jey e8 von jm geboren. Iſt er aber ein Incubus, fo wohnet er Weibern bey und verblenbet fie dermafien,, daß fie jelbft meynen, fie geben ſchwanger, unb went die Geburtſtund da ift, legt er ein geftohlen Kind dahin.“

122) Die Hergänge beim Herenfabbath find nach den Angaben bei Bodin, Del Rio, im Theatrum diabolorum und in einer Menge einzelner Herenverhöre mitgetheilt.

123) „Der Aberglaube Läfft fi Zauberftriden vergleichen, bie fi immer ftärker zufammenziehen, je mehr man fih gegen fie firäubt. Die beilfte Zeit ift nicht vor ihm ficher: trifft er aber ein dunkel Jahrhundert, fo ftrebt des armen Menfchen ummöllter Sinn alsbald nad dem Unmöglichen, nach Einwirkung ins Geifterreich, in bie Ferne, in die Zukunft; es bildet fich eine wunderfame reiche Welt, von einem trüben Dunftkreife umgeben. Auf ganzen Jahr⸗

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Dieſe und andere „heilige Dummbeit“, Traft welcher das Chriſtenthum, vie bekannte „Religion der Liebe“, es glücklich dahin brachte, feine edleſte Helvin, die fehöne, feufche, fromme und begeifterte Jeanne d'Ark, als Zau- berin und Teufelsbuhlin zu verbrennen, fie hat übri- gens noch heutzutage eine unendlich wiel größere Gemeinde als die Vernunft und ganz gewiß haben die Hexrenbrenner nur im Sinn und Geift ihrer Zeit gehandelt, als fie zur größeren Ehre Gottes ihr frommes Geſchäft began- nen. Im Verlaufe der Jahre freilich hat dann die ur- fprüngliche Lauterfeit dieſes Yanatismus zweifelsohne etwelche Zrübungen erfahren. Denn zu dem mörberifchen Slaubenseifer gefellte fich eine nicht minder mörderiſche Habjudt. Der Umftand, daß das Vermögen ver „Ein- geäfcherten“ eingezogen wurde und zu zwei Dritteln ven Grundherrn, zu einem Drittel den Richtern, Geiftlichen, Angebern und Henkern zufiel, hat ohne Frage unzählige Hexenbrände angefadht. Wenn ein fo fehredlicher Gegen- ſtand einen leichtfertigen Ton vertrüge, würden wir jagen, daß die Menſchen auch im Hexenproceß das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden fuchten. Dem frommen Wahn gejellte fich die Faltblütige Berechnung: Was trägt die Sache ein? Die religiöfe Phantafte des Volkes hatte ven Webftuhl gezimmert, auf welchem das ungeheuerliche

hunderten laften ſolche Nebel und werben immer dichter und dichter; die Einbildungskraft brütet über einer wüſten Sinnlichkeit, die Ber- nunft foheint zu ihrem göttlichen Urfprunge gleih Aſträa zurück⸗ gelehrt zu fein und der Berftand verzweifelt, da ihm nicht gelingt, feine Rechte durchzuſetzen.“

Die Heren. 155

Gewebe des Herenprocefjes gewirkt werben jollte; vie hriftlihe Theologie gab ven Zettel her, vie chriftliche Jurifterei den Einſchlag. Nachdem vie zahlreichen „Dta- lefizgerichte” einmal beftellt waren und pas vielfältige Perjonal, welches dazu gehörte, das Fett ver Sporteln einmal gejchmedt hatte, Tag es gleichermaßen in ven Zeit- verhältnijfen wie in der menjchlichen Natur, die Heren- proceduren möglichjt in Schwung zu bringen, und mit welchem Erfolg dies gelang, veranfchaulicht die Thatfache, daß zur Zeit des breißigjährigen Krieges, während alles in Deutfchland bitterlich verarmte, der Hexenproceß ein ſehr einträgliches Gefchäft war.

Das ganze Mittelalter hindurch waren mit anderen Ketzern auch einzelne Zauberer und Hexen von ven Ketzer⸗ gerichten auf die Scheiterhaufen beförbert worden. In⸗ deſſen hatte, wie wir feines Ortes gelegentlich erwähnten, das fromme Inſtitut der Imquifition in Deutjchland feinen rechten Boden finden können. Für dieſe Einbuße nun follte ver Herenproceß, welcher am Ausgang des 15. Jahrhunderts in Folge methopifcher Entwidelung zu einem theologifch-juriftifchen Unternehmen erften Ranges erhoben wurde, unſer Land in übervollem Maß entjchä- bigen. Zu Ende des Jahres 1484 erwirkten vie beiden vom Papite zu Ketzerrichtern in Oberveutichland beftellten Profeſſoren ver Theologie, Jakob Sprenger und Heinrich Inſtitor, eine päpftliche Bulle, welche in dem Bullen- vegifter unter dem Titel „Summis desiderantes® (die päpftlihen Bullen werden befanntlih nah ihren Anfangsworten betitelt) berüctigt und ihres Ur-

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bebers, des wollüftigen und graufamen Innocenz VOII. durchaus würdig iſt. In diefem merkwürdigen Aftenftüd wirb ein erfchredliches Gemälde von ven teufelifchen, Menfchen, Vieh und Feldfrüchten in mannigfachiter Weite. ſchädlichen VBerrichtungen der Zauberer und Hexen in deutſchen Landen entworfen und werden jchließlich bie genannten Inquifitoren bevollmächtigt, mit allen Waffen der Kirche gegen den Herengräuel einzufchreiten, ſowie nöthigenfalls den „weltlichen Arm“ gegen bie Schulbigen anzurufen. In Deutſchland bedarf aber jelbit ver Blöpfinn, will er gelten und wirken, ter „wiſſenſchaftlichen“ Syſte⸗ matifirung und fo ſchrieb Sprenger mit Beihilfe Gleichge- finnter ven „Herenhammer” (Malleus maleficarum), ein Buch in welchem der fromme Wahnfinn und die fanatifche Grauſamkeit gipfeln 129). Es wurde im Jahre 1488 mit Approbation ver theologifchen Fakultät von Köln zum eritenmal gedrudt und bald das allfeitig anerkannte theo- logifche und juriftifche Handbuch der Hexenrichter, welchen

124) Wie ein Theologe ber erften Hälfte des 18. Jahrhun⸗ berts über den Herenhammer dachte, bezeugt Hauber, indem er a. a. O. I, 26 fagt: „Alles, was man von einem Inquisitore ber Keterey und von den damaligen Zeiten, ba das Reich der Finfter- niß und Bosheit auf das Höchſte geftiegen war, fi nur vorftellen kann, das findet fich in diefem Buche mit einander verbunden: Bos⸗ beit, Tumheit, Unbarmberzigfeit, Heucheley, Argliftigfeit, Unreinig- teit, Fabelhaftigleit, leeres Geſchwätze.“ Hinſichtlich der märchen- baften Unfläterei, womit der Herenhammer die Einzelheiten der teuflifhen Buhlſchaft erörtert, fügt Sauber hinzu: „Der Autor ſchreibt wie ein Kerl, der etliche bordels ausgehuret hat.“

Die Heren. 157

zufolge die Hexerei das „jchwerite, ungeheuerfte und ab- ſcheulichſte“ Verbrechen ift und zugleich ein „außerorpent- licheg“ (erimen exceptum), bei deſſen Verfolgung und Beftrafung man ſich demnach auch außerorbentlicher Mittel bedienen dürfe und müffe Auch follte die Angeberet in jeder Weiſe ermuntert werden. Weil aber die Kirche nicht nach Blut dürftet, d. h. weil fie ihre wirklichen over angeb- lichen Gegner nicht eigenhändig hinrichtet, wurde die Hererei als ein vor den geiftlichen und weltlichen Richter zugleich gehörennes Verbrechen (crimen fori mixti) bejtimmt, weil jener über Verlegung des Glaubens, diefer über an Menſchen und Dingen verübte Frevel zu richten habe. Mit andern Worten: Theologie und Yurifterei verbanden fich zum hexenbrennerifchen Gefchäftebetrieb.

Die Theorie, jo vorforglih und umfajjend fie war, wurde durch die Praxis bald noch fehr bedeutend erweitert. Das Regifter der Anzeichen (indicia) ver Hererei ſchwoll zu einem unendlichen an, denn wie leicht mußte e8 ver herenrichterlichen Weisheit werden, in der ver⸗ und durch⸗ teufelten Welt überall den Teufel und demnach aud) Hexen zu ſehen, zu hören, zu riechen, zu fchmeden! In Wahrheit, Erniteftes und Lächerlichites, Erhabenes und Komifches, Größtes und Kleinftes, Vorzüge und Ge- brechen, Zugend und Laſter, Schönheit und Häfflichkeit, Reichthum und Armut, Frömmigkeit und Gleichgiltig- feit, Geſundheit und Krankheit, Klugheit und Einfalt, guter und fchlechter Ruf, Wort und Gebärde alles und jedes war unter Umſtänden ausreichend, ven Ver- dacht der Hererei zu erregen. Es klingt abenteuerlich

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158 Buch III. Kap. 4.

und iſt doch nur zu wahr, mehr als anderthalb Jahr⸗ hunderte fang von 1500 bis 1675 war Hein Mädchen und feine Frau, aber auch gar Feines und gar feine in Deutfchland auch nur eine Stunde ficher in ver nächiten nicht als Hexe angegeben; angeklagt und pro- cejfirt zu werben. Eine Anklage war aber in neunund- neunzig Fällen von hundert zugleich eine Verurtheilung. Diefem Ziele ftrebte das ganze Verfahren mit kyniſcher \ Offenheit zu. Die als Here Verhaftete wurbe zuerft in | faft ſcherzhafter Weife „ausgeförfchelt”, damit fie fich fangen, d. b. zu irgend einem Geftänoniß verleiten ließe, welches das Fundament einer weiteren Procedur abgeben könnte. Die gemöhnlichite Vorfrage dabei war, ob fie an Heren glaubte. Vernmeinte die Beſchuldigte dieſe Frage, ſo war ſie eine Ketzerin und alſo des Todes ſchuldig; bejahte ſie dieſelbe, ſo war damit ein, Indicium“ gegeben, daß ſie mehr von der Sache wüßte. Zunächſt ſollte die Angeklagte mürbe gemacht werden durch das Gefängniß. Was für Arten von Gefängniſſen aber die „Hexenthürme“ waren, iſt bekannt: Orte voll Pein und Grauen, wo die „Hexen“ jeder Brutalität ver Verbör- richter und Büttel preisgegeben waren, Orte, wo man an armen Angeflagten, felbjt an unmannbaren Mäpchen gewaltjam verübte Schändungen dem Teufel bequem auf Rechnung ſetzen Tonnte und wirklich gefeßt hat. Un— zählige Opfer des Herenglaubens mögen alles befannt haben, was immer man befannt haben wollte, um nur aus der Kerferpein loszufommen, welche jehlimmer war als der Tod. Blieb aber die Hexe feit, fo wurde fie ver

Die Heren. 159

zu den Orbalien gehörenden Herenprobe unterworfen 125). Viel diefe zu ihren Gunften aus, jo wurde fie freigelaffen, falls nämlich feine beſchwerende Zeugenausfage gegen fie vorlag. War aber dies ver Fall, jo wurbe die Here ins Gefängniß zurüdgebracht und hatte das Verfahren feinen Fortgang, zunächſt auf „gütlihem” Wege, vd. h. man quälte die Gefangene durch Hunger, Durft und Schlaf- entziehung, um fie „in Güte” geftehen zu machen. That fie e8 dennod nicht, was jehr Häufig vorkam, denn der Duldmuth der Frauen ift jtärfer al$ der ver Männer, fo verſchritt man zur „Nabelprobe”, vd. h. man entfleidete die Angeklagte, fchor ihr vie Haare am ganzen Leibe und ſuchte an vemfelben das „Herenmal”. Fand fich ein Leberfled, ein Muttermal, eine Warze, ſo ſtieß man eine Nadel darein. Blutete das Dial nicht, fo war der Be- weiß der Hexerei fertig; blutete e8, fo machte e8 wohl nur der Teufel bluten, um feine Buhlin zu retten. Fand fih durchaus nichts zu einem Herenmal Dualificirbares por, fo hatte es ver Teufel ausgelöicht. Jetzt exit, falls nämlich die Angeklagte unter allen dieſen phhyfiichen und moralifchen Qualen die Stanphaftigfeit ver Unſchuld be- wahrt hatte, unterwarf man fie ver „peinlichen Frage”, der eigentlichen Folter, welche mit der amtlichen Formel begann: „Du jollft- jo dünn gefoltert werben, daß die Sonne dur Dich ſcheint!“ Das war feine leere Dro- hung; aber die Ferer fträubt fih, das Entjegliche nach— zufchreiben, welches mittel8 brennenden Spiritus und

125) ©. oben Buch II, Rap. 1.

160 Bud III. Kap. 4.

Schwefels, vermittel8 der Daumenfchraube*, der „ſpa⸗ niſchen Stiefeln”, der „Leiter“, des „geipidten Hafen“ und anderer Marterinftrumente an unzähligen ver Hegerei Beſchuldigten, ja fogar an fehwangeren frauen verübt wurde 126). Geſetzlich follte die Folter nur eine Piertel- ftunde dauern, gefetlich follte fie an ſolchen, welche vie- felbe etwa fiegreih beftanden hatten, nicht wiederholt werben dürfen; allein vie Richter wußten ſich nach An- weifung des Hexenhammers über vergleichen kleinliche Bedenken leicht hinwegzufegen. Man fuhr demnach mit ber Folter fo lange fort, bis das gewünfchte Geftänpniß erfolgte, biß die Hexe im Wahnfinn ver Bein oder in halber Bewußtlofigleit die ganze Xitanei des Blödfinns herftammelte, welche in viefen Geftänpniffen mit un⸗ wesentlichen Abweichungen fih immerfort wiederholt 127).

126) Siebe die aktenmäßige Schilderung der Folterung einer als Here angeflagten Schwangeren i. 3. 1631 bei Reiche, Unter- ſchiedl. Schriften vom Unfug des Herenproceffes (1703). I, 576.

127) Die teufliiche Buhlſchaft ſpielte pabei die Hauptrolle, weil auf diefe gar zu leicht inquirirt werden Tonnte. Zu Ende des 16. Sahrhunderts wüthete ber Herenproceß im kurmainziſchen Oden- wald und löſ'te auch bier, wie anderwärts, bie beiligften Bande der Natır. Wolf Roßmann, ein Bauer zu Amorbach, gab feine eigene Mutter als Here an. Die Unglückliche wurde eingezogen und der peinlihen Frage unterworfen. Das Folterprotofoll (nad d. Originalakten des Hofgerichtes zu Mannheim mitgetheilt von Huffſchmid, Zeitihr. f. d. Kulturgeſch. 1859, S. 427) hat ſich er- halten und lautet fo: Frage: Wie lang fie e8 getrieben habe? Antwort: Mit 13 Jahren habe ih zu Schreiberg bei einer Frau gedient. Diejelbe bat gefagt, ich fol auf den Hausboden gehn und

Die Heren. 161

Belannten doch Heren auf der Folter, Berjonen, welche unter den Augen der Richter lebendig umhergingen, mit- tel® zauberifcher Mittel getöntet zu haben! Geftanven doch zwölf- und zehnjährige, ja acht und fiebenjährige Mädchen, ald Hexen verhaftet und gefoltert, fie hätten mit dem Teufel gebublt, mehrmals von ihm empfangen und ihm Kinder geboren! Ob aber das Geſtändniß mög-

Eier zufammenzufehren. Da erichten mir ein junger Geſell auf dem Boden im grünen Kleid und ſprach, wenn ich ihn wolle, wolle er mir Eier genug geben; ich Sprach ja. Fr. Was ihr teuflifcher Buhle ihr an Geld geben? A. Er hat mir ein Stüd Geld geben, fo fich aber nach drei Tagen in einen Hafenjcherben verwandelt. Fr. Wo ihr teufliſcher Buhle Hochzeit mit ihr gemaht? A. Zu Amors- brunn bat er mich mit Waffer begoffen und getauft und der Buhlen⸗ geift hat Grünhütl gebeiffen. Fr. In was Geftalt er ihr erjchienen ? A. Als ein Jäger mit grünem Kleid und fpigig Bart. Fr. Wie er teufliſche Buhlſchaft mit ihr verbracht? A. Er bat die teuflifche Buhlſchaft mit mir getrieben wie ein Mann, aber er ift an Geftalt und Natur nit geweft wie ein anderer Mann, ganz kalt und haarig. (Die zwei zunähft folgenden Fragen und Antworten find nicht mittheilbar.) Fr. Was fie bei des Teufels Tanzplat tentirt hat? U. Ich habe den Zanzplat kehren müſſen und mit vielen andern dort getanzt; die Margaretha Ofwald bat der Teufel auf Hand’ und Füß' geftellt” u. ſ. w. Schnegraf bat zu Kelheim in Baiern ein vollftändiges Formular zur Inftruirung der Herenverhöre auf- gefunden und daffelbe in der Zeitjchr. f. d. Kulturgeſch. 1858, ©. 521 fg. abdruden laſſen. Es füllt ſechs enggebrudte Oftavfeiten und gehört der Schreibweife nad) ohne Zweifel der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an. Der Titel lautet: „Absoluta Gene- ralia circa confessionem veneficarum. Fragſtuckh auf alle Arti- kul, in welchen die heren und vnholden auf das allerbequemeft mögen Examinirt werden.” Scherr, Frauenmwelt. 4. Aufl. II. 11

162 Bud IH. Kay. 4.

liches oder unmögliches enthielt, gleichviel, e8 hatte Das Urtbeil auf „Einäſcherung“ zur Folge, wie in der barba- rifhen Amtsſprache des Herenproceffes die Hinrichtungs- weife ver Opfer bie. Man hatte ja den bereits er- wähnten Ausſpruch des mofaichen Gefeges für fich, ferner mußten die Hexen ſchon als in Ketzerei Gefallene von fanonifhen Rechtes wegen den Tod erleiden und end- (ich feßte auch die „Peinliche Gerichtsordnung“ auf die Zau- berei die Todesſtrafe, unter Beftimmungen, welche jeder Herenrichter, der fein Handwerk fannte, unendlich dehn- bar zu machen verjtand 129). Bußfertige Hexen wurden, bevor man fie auf ven Scheiterhaufen brachte, enthauptet oder erbroifelt, unbußfertige dagegen lebendig verbrannt, ein Umftand, der fchreiend genug erklärt, warum nicht viele Heren das ihnen durch die Folter ausgeprefite Ge⸗ jtändniß vor ihrem Tode widerriefen; fie wollten nad) all dem entjetlichen, was jie erlitten, wenigftens ver minder qualvollen Todesart genießen. Die wenigen Angejchul- pigten, welche, ſei e8 durch außerorventliche Körper- und Seelenjtärke, jei es durch eine Verfettung glüclicher Um⸗ ftände, den Klauen der Malefizgerichte entgingen, famen doch nur als Krüppel an Leib und Seele aus den Kerfer- grüften hervor. Viele der Eingezogenen und Gefolterten haben ſich aus Berzweiflung felbft entleibt, andere da= gegen haben einen glorreichen Heldenmuth bewährt, eine faft übermenfchlihe Krafl. Sp, um nur ein Beijpiel

128) Karolina, $ 89, vgl. 8 44. Ausg. v. Koch (1800), S. 30, 58. |

Die Heren, 163

anzuführen, ein junges Mädchen aus Nördlingen, welches i. 3. 1598 als Hexe verhaftet, zweiundzwanzig fich ftei- gernde Grade der Folter aushielt, ohne vie Behauptung ihrer Schulplofigfeit aufzugeben. Die viehifchen Richter brachen aber mittels des breiundzwanzigften Marter- grades wie die Glieder fo auch die Seelenftärfe des armen Kindes. | |

Der achte Imnocenz hatte in feiner Unfehlbarfeit mittel8 der erwähnten Bulle feſtgeſtellt und folglich zu glauben befohlen, daß die deutſchen Hexen, „ihres Seelen- heils uneingedenk und vom fatholifhen Glauben ab- fallend, mit Dämonen, bie fi als Incubi mit ihnen vermifchen, Unzucht treiben, mittels Anrufungen, Liedern und Beſchwörungen, allerhand abſcheulichen Zauberfor- meln, Vebertretungen, Verbrechen und Laftern die Leibes- frücdhte der Weiber und der Thiere, ferner die Felvfrüchte und das Obft, die Weinberge, Wiefen, Gärten und Ge- treidefelder verderben, erftiden und vernichten und im weiteren jogar die Menjchen felbft, Männer und Frauen, ebenfo Vieh aller Arten mit grimmigen, innerlichen To» wohl als äußerlichen Schmerzen behaften und peinigen und die Männer verhindern, zu zeugen, und die Weiber, zu empfangen, und die Männer, vaß fie ihren Gattinnen, und die Frauen, daß fie ihren Gatten die ehelichen Werke leiften; daß fie, die Heren, außerdem ven mittels ver _ Taufe empfangenen Glauben mit gottesläfterlichem Munde verleugnen und auf Anftiftung des Teufels zahlloſe Laſter, Gräuel und Frevel begehen zur Gefahr

ihrer Seelen, zur Beleidigung göttliher Majeftät und 11*

164 Bud II. Kap. 4.

zum Aergerniß und ververblichen Beifpiel für viele 129). Unter fo bewandten Umſtänden durften Sprenger und Konforten nicht zögern, mit allem Eifer an die Aus- rottung dieſer deutſchen Landeskalamität zu gehen und fo wurden denn fchon in ven Sahren 1484—1489 nicht weniger als neunundachtzig Herenbrände veranftaltet. Trotzdem ſchien e8 mit der Sache nicht recht vorangehen zu wollen und fchien der Herenproceß in Deutſchland ebenfo unpopulär zu fein, wie e8 die Inquifition geweien war. Verſtändige Geiftliche previgten fogar geradezu gegen das Herenbrennen. Allein diesmal fiegte, wie ja zumeift gefchieht, ver Unfinn, befonders nachdem es ge- lungen, die geiftlichen Fürſten vom bierarhifchen, und eine Menge größerer und kleinerer Dynaften vom öfono- miſchen Gefichtspunft aus für den Herenproceß zu ge- winnen. Namentlich während des breißigiährigen Krieges wurden die Herenprocevuren für manchen berunter- gefommenen Landedelmann, wie nicht weniger für finanziell bevrängte Bifchöfe, Aebte und ſtädtiſche Rathskollegien eine eifrigjt ausgebeutete Einnahmequelle.. Konnte doch ſchon füher, noch im 16. Jahrhundert, einer ver Gegner des Hexenprocefies, Kornelius Loos, mit vollem Necht fagen, das ganze Verfahren fei nur „eine neuerfunvdene Alchymifterte, um aus Menfchenblut Gold zu machen 130).

129) Das Original der Bulle findet fi vollftändig im Heren- bammer und bei Hauber, der Hauptſache nad aud bei Solban, ©. 213.

130) Sauber I, 74 fg.

Die Hexen. 165

Die Reformation minderte den Glauben an Hexerei und Heren nicht, Löfchte auch Feinesweg® die Herenbrände, im Gegentbeil! Waren doch die Reformatoren jelbit fehr ftanphafte Teufelsgläubige, ift doch Luther insbeſon⸗ dere ein wahrer Fanatifer des Glaubens an den Satan gewefen. Für ihn war die Welt im wörtlichiten Sinne „voll Teufel“, die er allerdings nicht fürchtete, welche ihm aber doch genug zu ſchaffen machten. Am meijten dann, wann ihm Hämorrhoidalleiden und Hypochondrie perſön⸗ liche Begegnungen mit dem Satan bereiteten 131). Bei der Anficht der Reformatoren vom Teufel und feinem Wirken

131) Befonders während Luthers Aufenthalt auf der Wart- burg hatte e8, wie jedermann weiß, der Teufel auf ihn abgejehen. Luther wird mitunter, freilich ohne Wiffen und Willen, geradezu komiſch, wenn er gravitätiich von den Nedereien erzählt, welche ber Böſe ihm anthat. So 3.3. in den Tiſchreden (Fol. 205b): „Als ih Anno 1521 von Wormbs abreijete und bei Eiſenach ge- fangen ward und auff dem Schloß Wartburg jaß, da war ich ferne von Leuten in einer Stuben und fondte niemands zu mir fommen denn zween Ebele Knaben, fo mir des Tags zweimal effen und trinfen bradten. Nun hatten fie mir einen Sad mit Hafelnüffen gekauft, Die ich zu zeiten aß, und hatte denfelbigen in einen Kaften verſchloſſen. Als ich des Nachts zu Bette gieng, zog ih mid in der Stuben auf, thet das Licht auch auf und gieng in die Kammer, ° legte mich ins Bette, da kompt mirs über die Haffelnüffe, hebt an und quitt eine nach der andern an die Balden mechtig hart, rum= pelt mir am Bette, aber ich fragte nichts darnach; wie ich num ein wenig entihlieff, va hebts an der Treppen ein ſolch gepolter an, als würffe man ein jchod Feſſer die Treppen hinab.” Der Refor- mator erzählt dann weiter, wie er aufgeftanden und denrumorenden Satan im Namen Ehrifti beſchworen und vertrieben habe.

166 Bud III. Kap. 4.

auf Erden, war e8 ganz in der Ordnung, daß in Ländern, welche dem Proteftantismus fich zugewandt, die Hexen⸗ verfolgungen nicht minder eifrig betrieben wurden als in ven Tatholifch gebliebenen. Zwar jchien um die Zeit des augsburger Religionsfriedens hüben und drüben ver Eifer etwas erfalten zu wollen, allein er wurde namentlich durch die Jeſuiten wieder angefacht, welche, wo immer fie in Deutſchland Eingang gefunden hatten, die Anhänger ver Reformation unter dem Titel von Herenmeiftern und Heren auf den Scheiterhaufen zu befördern wußten. Die Proteftanten ihrerjeits wollten in der Arbeit für das Reich Gottes hinter den Katholiken nicht zurückbleiben und fo begann jegt über ganz Deutſchland hin vie Heren- brennerei im größten Stil. Katholiken und Proteftanten, Fürſten, Prälaten, reichsfreie Bürgermeifter und reichs— freie Krautjunker wütheten um die Wette, „die Unholden mit Stumpf und Stil auszurotten”, wie ber wohl- weife Bürgermeijter Pheringer von Nörblingen ſich aus- prüdte, in welchem winzigen Neichsftäntchen nur in dem Zeitraum von 1590 —94 zweiunddreißig Heren- brände ftattfanden. Solche „Einäfcherungen“ in Maſſe hoben in Deutſchland, wo in Folge ver politifchen Zer- ‚fplitterung und des fonfeffionellen Wetteiferd „ad ma- jorem dei gloriam* ver Herenproceß gründlicher und methodifcher betrieben wurde als in irgend einem andern Zande, etwa mit dem Jahre 1580 an und währten fo ztemlich gerade ein Jahrhundert lang; venn i. 9. 1678 veranftaltete der Erzbifhof von Salzburg ven legten, nicht weniger als 97 Berfonen verzehrenven Hexenbrand

Die Heren. 167

großen Stile. Sehr oft ſchwoll, gerade wie in dieſem alle, eine unbedeutende Herenprocedur zu einem Rieſen⸗ proceß an, welcher hunderte von Perſonen jedes Alters, Geſchlechtes und Standes, Geiftlihe und Laien, Evel- damen und börige Mägde, Domberren und leibeigene Knechte, Künftler und Handwerker, Gelehrte und Bauern, Greifinnen, Matronen, Iungfrauen und Kinder zugleich ins Ververben riß. So z. B. ließ der Biſchof von Würz- burg, Philipp Adolf von Ehrenberg, in dem kurzen Zeitraum von 1627—29 in feinem Stifte neunhundert „Herenleute“ Hinrichten, wovon 219 Opfer auf die Stadt Würzburg famen. Erwägt man, daß in der Grafſchaft Neiffe allein v. 3. 1640—1651 an taufend Hexen ver- brannt worden find; ferner, wie in der Stadt Braun: ichweig von 1590—1600 der Hexenproceß fo graffirte, daß die Branppfähle vor ven Thoren „dicht wie ein Wald“ ftanden; bedenkt man enplih, daß jede Stadt, jeder Flecken, jeve Prälatur, jeder Edelſitz ein Herr von Rantzow ließ auf einem feiner Güter in Holftein an einem Tage 18 Hexen verbrennen Hexenbrände haben wollten, jo ift e8 Feine übertriebene, ſondern eine ſehr mäßige Angabe, ver Hexenprozeß habe in deutſchen Lan- den unmittelbar 100,000 Opfer gemorbet.

Wie immer in Zeiten allgemeiner Verdunfelung ver Geifter und Gemüther flüchtete fich Die geächtete Ver- nunft aud) zur Zeit der Naferei des Herenglaubens in vie Herzen von einigen wenigen edlen Menfchen, um von dort aus gegen ven triumphirenden Unfinn zu proteftiren. Schon der Herenhammer mußte, wenn auch mit Unmillen,

168 Bud III. Kap. 4.

zugeben, daß „einige zu behaupten wagten, bie Hexerei exiftirte nur in dem Wahne von Menfchen, welche natür- lihe Wirkungen, deren Urfachen fie nicht fennen, auf Zauberei zurüdführen 139)”. Molitor machte in feinem Geſpräch von den Unholden bereitS 1489 einen, wenn auch nur fehüchternen Verfuch, das ganze Hexenweſen als Phantafterei und Einbilvung zu Tennzeichnen. In der zweiten Hälfte des 16. Sahrhunderts ſodann traten ver Arzt Weiter und der BPriefter Loos publiciftifch gegen Herenglauben und Herenproceduren auf, Tonnten aber nicht durchdringen und hatten fehwere Verfolgungen zu beftehen. Auch Lercheimers „Chriftlih Bedenken von Zauberei” (1593), worin bejonders die Annahme ver teufelifchen Buhlichaft befämpft wurde, ging unbeachtet vorüber. in ruhmreicher Gegner aber erftand dem Hexenproceß in dem Grafen Frieprih von Spee, Mit- glied des Jeſuitenordens „auch aus Nazareth kann gutes kommen“. Diejer wahrhaft große und gute Menſch geboren zu Raiferswertb 1591 und geftorben zu Trier 1635, als Opfer einer Seuche, deren Gift er als unermüblicher Kranfenpfleger eingeathmet hatte dieſer große und gute Menſch, welcher auch als Poet in ver deutſchen Xiteraturgejchichte eine bleibende Stellung ge- wonnen („Trutz Nachtigal“ 1649), ließ i. 3. 1631 feine berühmte Streitfchrift „Cautio criminalis“ gegen ben Herenproceß ausgehen, eine That wahrhaft heroifcher Humanität und zugleich eine der beiten Thaten verftän-

132) Malleus malefic. (A. v. 1588), p. 3.

- Die Heren. 169

diger Kritif von allen, welche jemals gethan wurden. Spee hatte als Beichtiger eine Menge von Heren zum Tode vorbereiten und zum Scheiterhaufen begleiten müffen. Was er da geſehen und gehört, hatte ihm in noch jungen Jahren das Haar ergrauen gemacht 138). Es Tieß ihm feine Ruhe, er mußte ein Zeugniß ablegen für die Opfer und gegen die Henker. So jchrieb er fein Buch, in welchem er mit richtigem Takte die Betonung auf die Dar- ſtellung des Verfahrens gegen die Heren legte, indem er darauf ausging, zu zeigen, daß dieſes Verfahren jchlechter- dings alle Angellagten, auch die fchulplofeften, auf den Scheiterhaufen bringen müßte. Der Beweis hierfür wurde von Spee in feiner meijterhaft pſychologiſchen Darlegung der „Summa bes Proceijes im Zaubereiskafter* geliefert. Zunächſt freilich vergebens, um fo mehr, als die juriftifche Autorität jener Tage, Benedikt Karpzow, in feiner 1635 erſchienenen „Kriminalpraftif* das ganze Gewicht feiner blöpfinnigen Gelehrſamkeit zu Gunften des Herenprocefjes in die Wagjchale legte. Erſt mit dem Einfluß, welchen des Niederländers Balthaſar Beder berühmtes Buch „De batooverde weereld* (1691) gewann, brach fich die Vernunft allmälig in weiteren Kreifen Bahn und legte fih, wenn auch nicht der Herenwahn, fo doch vie Hexenbrandwuth nad und nad. ALS dann unfer großer Aufklärer Chrifttan Thomafius auf der Gränzfcheive des 17. und 18. Jahrhunderts feine ruhmvolle Laufbahn begonnen hatte, war es nicht das Fleinfte feiner großen

133) Nach den Zeugniß von Leibnig, abgegeben in ber Theo⸗ dicee, I, 97.

170 Buch III. Kap. 4.

Verdienſte, daß er dem Herenglauben fo energifch zu Leibe ging. Wie mögen taufente und wieder taufende von Frauen aufgeathmet haben, als es in Folge von Thoma⸗ find’ Bemühungen doch nicht mehr fo ganz für felbftver- ftändlih galt, vaß wer nit an Heren und an die Ver- dienftlichleit der Herenbrände glaube, felber eine Hexe fei. Trotz alledem jchleppte fich die Thätigfeit ver Male- fisgerichte noch foweit ins 18. Jahrhundert hinein fort, daß ver letzte Herenbrand, welcher im veutichen Reiche ftattgefunden bat, nämlih i. J. 1749 zu Würzburg, feineswegs fo anachroniftiih ift, wie man zu meinen pflegt. Das Opfer dieſes Juſtizmordes war eine fiebzig- jährige Nonne, Maria Renata Sänger von Mohan, in München geboren und als Neunzehnjährige wider ihren Willen ins Klofter Unterzell bei Würzburg „verjorgt“. Sie war in Frömmigkeit und Ehren alt geworben und zur Stelle ver Subpriorin ihres Klofters emporgeftiegen, als der tolle Proceß gegen fie eingeleitet wurde. Als Baſis des Beweisverfahrens mußte die Angabe einer Nonne dienen, welche auf dem Sterbebette ausgefagt hatte oder ausgefagt haben follte, Maria Renata wäre eine Here 13). Der ganzen traurigen Geſchichte mag eine jener in Nonnentlöftern jo häufigen Klatſchbaſereien over Altejungferngifteleien zu Grunde gelegen haben. Genug, die arme Greifin warb inquirirt und das Gericht brachte glücklich heraus, daß fie bereits in ihrem fiebenten Jahre 134) In der 7. Auflage meiner „Deutſchen Kultur und Sitten-

geihichte” habe ih S. 384 fg. eine Darftellung diefes zeitwibrigen Herenproceffes nad) den Alten gegeben.

Die Heren. 171

fih dem Teufel ergeben und either alle die gäng und gäben Braftifen einer Here ausgeübt, insbeſondere auch ihren Klöfterlichen Mitſchweſtern die armen Nonnen ſcheinen an hyſteriſchen Krämpfen gelitten zu haben Dämonen in die Leiber gezaubert habe. Leider gelang e8 der aus zwei geiftlichen Räthen des Biſchofs und zwei Jeſuiten beftebenven Unterſuchungskommiſſion nicht, als wichtiges Beweisftüd da8 „Teufelspaktum“ zu Tage zu fördern, doch reichten die „Indicien“ aus, die Ange— flagte durch das weltliche Gericht zum Feuertode verur⸗ theifen zu laſſen. Der Biſchof „milderte" das Urtheil und jo wurde die Unglückliche „nur * enthauptet, ihr Leichnam aber verbrannt. An dem Scheiterhaufen bielt ver Jeſuitenpater Gaar eine Predigt, in welcher er alle, welche nicht an Hexen glaubten, als Atheiften bezeichnete. Er Hatte im Sinne der mittelalterlihen Weltanfchauung ganz recht. Uebrigens war die arnie greife Nonne von Unterzell, obzwar die lette „eingeäfcherte”, doch nicht vie legte im veutfchen Reiche gerichtlich gemorbete „Hexe“. Denn noch i. 3. 1856 wurde zu Landshut in Baiern ein unglüdliches Mädchen von 14, fage vierzehn Iahren zum Tode verurtheilt und enthauptet, „vieweil e8 mit dem Teufel gewettet hätte“.

Die Abſtelluug des Hexenprocefjes in den fatholijchen Ländern Deutfchlands verdankte man hauptjächlich dem Borgange ver Kaiſerin Maria Therefia, welche vie Thätig- feit der Malefizgerichte energiſch beſchränkte. Da und dort beeilte man fich nicht fehr, Der verftändigen Monarchin nachzuahmen. Wurde doc in Kurbaiern noch i. 3. 1769

172 Bud II. Kap. 4.

jedem Landgerichte eine amtliche, fo ziemlich im Geifte des Herenhammers gehaltene Anleitung für angehende Unterfuhungsrichter in Hexenproceffen zugeftellt 135). In⸗ deſſen kommt einer mit Proteftanten beſetzten Richterbanf bie traurige Ehre zu, auf deutſchem Boden das letzte Todes⸗ urtheil über eine Here gefprochen zu haben, über die Anna Göldi, welche i. 3. 1782 zu Glarus proceffirt, gefoltert, den freundnachbarlichen Abmahnungen der Regierung von Zürih zum Zrog mit dem Schwerte hingerichtet und unter den Galgen begraben wurbe, weil fie dem Kinde ihres Dienfthern Nägel, Stecknadeln und Steine in den Magen gehert hätte 136%). Seither ift pie Thätigfeit der Malefizgerichte verſchollen. Nicht fo der Herenwahn, welcher auch in Deutfchland noch manchen Ortes ſpukt, ſogar noch unter Leuten, die e8 übelnähmen, wollte man fie nicht den „Gebildeten* beizählen. Denn der Hexen- glauben fteht und fällt mit vem Teufelsglauben: vie lette Here wird alfo erft mit vem Teufel fterben, d. b. nie, maßen die Dummheit währet ewiglich.

135) Das fehr merkwürdige Aktenſtück ift mitgeth. von Schne⸗ graf, Zeitfehr. f. d. Kulturgeſch. 1858, S. 764 fe.

136) Lehmann, Bertraul. Briefe den fog. Herenhandel zu Glarus betreffend (1783). Einen aftenmäßigen Bericht über diefe letste, in deutjchen Landen in aller Form mittelalterlicher Bar- barei durchgeführte, Tultur- und ſittengeſchichtlich ſehr merk⸗ würbige Herenprocebur gab 3. Heer im „Jahrbuch des hiſtor. Bereins d. Kant. Glarus“ (1865), I, 9—53, und auf Grund dieſes Altenmaterials unternahm ih dann eine Darftellung des Häglichen Ereigniffes , welche unter dem Titel „Die Here von Glarus” in meinem Bude „Menichliche Tragikomödie“, II, 197—217, fteht.

Sünftes Kapitel.

Rokoko. Eine Kette von Gegenfägen. Umrif der Bewegung des 18. Jahr⸗ bunberts. Die Frauentradt: eine Schöne im Rolokboſtil;

Revolution und Reaktion der Mode. Umgangston. Bildung der Frauen und ihre Stellung in den abeligen und bürgerlichen Kreifen. Städtifches Leben. Urfachen der unfittlihen Aeuße- rungen beffelben. Das Theater und die Frauen. Die Neuber und ihre Nachfolgerinnen. Die Frauen von Wien. Ein merf- würdiger Umftand in Caſanova's Memoiren. Die Frauen von Berlin. Die Höfe. Flüchtige Durchblätterung der höfiſchen Standaldronit. VBollftändige Verwirrung der fittlihen Begriffe. Eine fürftlide Maitreffe als „Mufterbild der Tugend”. Die Sronie der Weltgefhichte. Der Pietismus und die Frauen. Die „Mutter Eva“ zu Schwarzenau. Ein weibliches Ungeheuer. Die Heilige von Wildisbuch. Muderifches.

Das Jahrhundert des Rokoko, ja, aber auch das der Emancipation! Das Iahrhundert des Puders und ver verichnörfelten Unnatur, aber auch das einer bis zum Sansculottismus und bis zur griechifchen Nadtheit al’As- pasia vorjchreitenden Sehnfucht nah Natur. Das Zeit-

174 Bud) II. Kap. 5.

alter eines bis zu den äußerjten Folgerungen aus- gebilveten, zwifchen Wahnwig und Blöpfinn ſchwankenden Sultanismus, aber auch das des aufgeflärten Deſpo— tismus eines Friedrich und Joſeph; eine Periode ver Weltgeichichte, vie mit dem Frevelwort des vierzehnten Ludwig: „L’etat c’est moi!“ beginnt, aber mit ver Begründung einer neuen Welt jenſeits des Dceans durch die Demokratie und mit der franzöfifchen Revolution ichließt. Das Jahrhundert einer Pompadour und Du⸗ barry, aber auch das einer Maria Therefia und Katharina. Die Epoche einer Politik bronzeftirniger und mühljtein- herziger Selbftfucht, einer Bolitif der Geheimtreppen, Hinterthüren, der Dublietten und der Bravidolche; aber auch vie Epoche des Aufgangs der großen Freiheits⸗ und Humanitätsidee: ein Zeitraum, an deſſen Anfang ein Car Peter, in deſſen Mitte ein Wafhington, an bejjen Ende ein Napoleon fteht. Das Jahrhundert des Jeſuitis⸗ mus, des Pietismus und der Geheimbündempfterien, aber auh das der englifchen Freivenfer, ver franzöftichen Encyklopädiſten und ver deutfchen Aufklärer und Illu—⸗ minaten. Das Zeitalter des in Voltaire verlörperten verneinenden und zeritörenvden Spottes und zugleich das ver bejahenven und bauenden Begeifterung eines Roufjeau und eines Schiller. Die Epoche ver tiefiten Erniedrigung des deutſchen Geiftes und zugleich feiner berrlichiten Siegesflüge: dort Paftor Göge, hier Leifing und Kant, dort Gottſched, hier Göthe. Das Jahrhundert der großen Abenteurer, Intrifanten, Projektmacher, Gaufler, Gauner und Schwindler, der Lam, Münnih, Görk,

Rokoko. 175

Alberoni, Clement, Patkull, der St. Germain, Caglioſtro, Caſanova; aber auch das der großen Bürger wie Franklin und Peſtalozzi und der heldiſchen Naturen wie Karl der Zwölfte, Friedrich der Einzige, Koſcziuſſo, Mirabeau und Danton. Eine Epoche unterthänigſten Unterthanen⸗ gefühls, aber auch des fturm- und drangvollſten Frei⸗ heitsdurſtes; der ſchonungsloſeſten Skepſis und des rück⸗ ſichtsloſeſten Kynismus, aber auch der empfindſamſten Schwärmerei und des ſchwungvollſten Glaubens an das Ideal. Ein Zeitalter ſchmachvollſter Entwürdigung deutſcher Weiblichkeit in einer Koſel oder Grävenitz und wieder ein Zeitalter ver Verklärung deutſchen Frauen- thums in Erfoheinungen wie Luife von Preußen und Luiſe von Sachſen⸗Weimar.

Die Ringe dieſer Kette von Gegenſätzen ließen ſich noch um viele vermehren, wenn die gegebenen nicht hin⸗ reichten, in Erinnerung zu bringen, daß das 18. Jahr⸗ hundert unter der bizarren und frivolen Hülle des Rokoko eine Bewegung der Geiſter und Gemüther entwickelte, wie nur wenige Epochen der Weltgeſchichte ſie aufzu— weiſen vermögen. Was man dieſer großen Zeit mit Recht oder Unrecht vorwerfen mag, alle ihre Unzulänglich- feiten, Irrthümer und Webertreibungen, immer wird man ihre außerordentliche Fruchtbarkeit an großen Ge—

danken und großen Menfchen anerkennen müfjen. Bon

der Ipeenfülle, welche damals in Umlauf gejett wurde, werben noch manche Jahrhunderte zu zehren haben. Und welches dichte Gedränge von originellen, fchöpferifchen, thatfräftigen Männern, von Weifen und Gelehrten,

176 Bud II. Kap. 5.

Dichtern und Künftlern, Feldherrn und Staatsmännern, Geſetzgebern und Erziehern führt jene Zeit an und vorüber ! Für Deutſchland war das 18. Jahrhundert, welches all- gemach alle Stände und Klaffen in feine nach vorwärts treibende Bewegung bineingezogen und ſelbſt vie Gegner feines Geiftes diefem mehr oder weniger bienftbar zu machen gewußt hat, gerabezu eine Periode fittlicher und geiftiger Wiedergeburt. Auf allen Gebieten des Lebens trat der reformiftifche Gedanke die Erbichaft an, welche ihm das 16. Jahrhundert vermacht und das 17. unterfchlagen hatte. Immer entfchievener Löfte fich der deutiche Genius aus den Feſſeln ver Ausländerei, um feine eigenen Bahnen zu wandeln und Hand an fein großes Werk zu legen, an vie Umbildung des eigenen und ver fremden Völker im Sinne des Humanismus, an die Berwirflihung jener Erklärung der Menfchenrecte, wie fie in den unfterblichen Werten ver Schöpfer unferer Haffifchen Literaturperiope dargelegt if. Welch' ein unermefjlicher Vorſchritt von Leibnig und Wolf bis zu Kant und Fichte, von Gottſched und Gellert bis zu Leſſing, Göthe und Schiller! Welche Kontrafte zwifchen ven An- Ihauungen und Wirkungsmitteln eines Klopftod und eines Wieland und doch wiederum welches unwillfürliche Zufammenwirfen ſolcher Gegenfäte zur Klärung und Erhellung einer gährenden und ringenvden Zeit! Wie fegensreich waren nicht auf dem Felde ver bilvenven Künfte vom Auftreten Winfelmanns an die Vorarbeiten zur Heraufführung einer neuen Epoche nationaler Kunſt! Und wenn bier vie Erfüllung dem 19. Jahrhundert vor-

Rokoko. 177

behalten blieb, wie ſchön doch erfüllte ſchon das vorige die ftolgeften Hoffnungen auf dem Gebiete der Schaufpiel- funft und mehr noch auf vem ver Muſik, wo nach einander Händel, Bad, Hayon, Gluck, Mozart und Beethoven auftraten, jeder in feiner Art das Kind einer Zeit, deren Stimmung als ein alle Diffonanzen gewaltig beherrſchender Grundton die glühende Sehnfucht nach Gerechtigkeit, Wahrheit und Schönheit durchzog, eine Hingebung an pie Götter, an die Ideale der Menfchheit, um welche ver eiferne Realismus unferer eigenen Zeit das „Sahrhundert des Rokoko, des Zopfes und Puders“ wahrlich fehr be- neiden dürfte.

Freilich kamen die Reſultate der ungeheuren Geiftes- arbeit von damals den Maſſen nur ſehr allmälig zu gut und die ganze erſte Hälfte des 18. Jahrhunderts hindurch zeigte das deutſche Leben noch eine große Verknöcherung und Verkümmerung auf. Jener gedankenloſe und jelbft- füchtige Defpotismus, welcher fich nach vem Vorbilde Lud— wigs des Vierzehnten in Deutfchland feftgeftellt hatte, mußte fich erft zum aufgeflärten wandeln, bevor in die ftarrende Unbeweglichfeit der religidfen, politifchen und focialen Begriffe und Gewohnheiten neues Leben fam und auch an maßgebender Stelle das Bemußtfein platzgriff, daß, wie nachmals ſogar ein im Hochmuth des Abſolutismus verſteinerter Kaiſer Franz J. von Oeſtreich in einer ſchweren Stunde der Prüfung erkannte, „die Völker auch etwas ſeien“. Der ſiebenjährige Krieg war der legte Rabinetts- krieg großen Stils und zugleich ein Ereigniß von un—

berechenbarer fittlicher Tragweite, indem er das deutſche Scherr, Frauenmelt. 4. Aufl. IT. 12

178 Buch IT. Kap. 5.

Volk in feinen Tiefen aufrüttelte und dem veutfchen Gedanken und der deutfchen Arbeit überall neue Bahnen öffnete und neue Ziele ſtecke. Denn von dieſem Kriege datirt, weil verjelbe die nothwendige Vorausjekung won Friedrichs, des gefrönten Aufflärers, veformatorifcher, die mittelalterlichen Traditionen brechenver Thätigfeit war, das allmälige Emporfommen eines neuen focialen Faktors, eines gebildeten deutſchen Mittelftandes nämlich, auf welchen fich der „erleuchtete” Defpotismus, wie ihn Friedrich der. Große und feine fürftlichen Nachahmer in Deutichland fchufen, mit oder wider Willen ftügen mußte. Es ift eine beim erſten Anblick höchſt feltfame, bei näherem Zufehen aber leicht erflärliche Thatfache, daß Friedrich, obwohl von der firen Idee beherrfcht, daß nur auf pen Wege ver franzöfiihen Bildung für Deutſchland Heil zu finden fei, durch fein aufflärerifches Regiment ein deutſcher Kultur- heros geworden. Er, gerade er, der franzdfirte Verje- macher, gab vermöge feines Ruhms und vermöge feines Waltens als Feldherr und Staatsmann ver Nation jenes Selbftgefühl zurüd, welches fie ihren eigenen Genius wieder finden lief.

Eine wunderbare Fruchtbarkeit Fennzeichnet das veutfche Kulturleben des 18. Jahrhunderts durch alle Phaſen ſeines Vorſchreitens hindurch. Klopſtock brach zuerſt den Bann der Nachahmung, welcher ſo ſchwer auf dem deutſchen Geiſt gelegen, und er brach zugleich den Zauber, welchen Voltaire wie auf ganz Europa ſo auch auf unſer Land übte. Denn der Sänger des Meſſias ſetzte der voltaire'ſchen Skepſis und dem voltaixe'ſchen

Rokoko. 179

Witz eine Begeiſterung entgegen, welche ihre Motive aus den Ideen des Vaterlandes und der Religion ſchöpfte, und zwar aus einer Auffaſſung der Religion, welche ſich gleichermaßen gegen die Leichtfertigkeit des Unglaubens kehrte wie gegen die Herzloſigkeit der Orthodoxie und die Verdumpfung des Pietismus. Wieland ſeinerſeits führte mittels feiner weltmänniſchen, die zeitbewegenden Ge- danken in anmuthige Formen kleidenden Autorſchaft die Theilnahme der höheren Stände der vaterländiſchen Literatur zu und hat, ebenſo wie Klopſtock, nicht wenig dazu beigetragen, der literariſchen Bewegung jene ſociale Selbſtſtändigkeit zu ſichern, welche es dann einem Leſſing und Kant ermöglichte, die Geſetze der Aufklärung mit ſouveräner Freiheit zu formuliren. Herder grub mit kun— diger und treuer Hand die lange verſchüttet geweſenen Quellen aller wahren Poeſie wieder auf, indem er der literariſchen Konvenienz gegenüber an die Unmittelbarkeit des Volksgefühls appellirte und ſo jener Schar von „Stürmern und Drängern“ Bahn ſchuf, welche das Naturevangelium Rouſſeau's in Deutſchland verkündigten. Es kam der Kultus überſchwänglicher Freundſchaftlerei, welchem lange Jahre hindurch der „Vater“ Gleim als eine Art Hochmeiſter vorſtand; es kam der göttinger Hainbund mit ſeinem Tyrannenhaß; es kam die Zeit der Kraftgenialität, der lavaterſchen Chriſtlichkeit, der wer⸗ therſchen Liebesſchwärmerei, der ſiegwartſchen Senti⸗ mentalität, des fauſtſchen Titanismus, lauter Erſchei⸗ nungen, welche bezeugten, daß es dem deutſchen Geiſt

in einer Welt der Reifröcke und Schnürleiber zu enge 12*

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geworden und baß überall eine auf die Treiheit des Denkens und Fühlens gerichtete revolutionäre Stimmung nach Licht, Luft und Geltung rang. Endlich aber ge- langte die tumultuarifhe Bewegung zu einem Abſchluß, indem Göthe und Schiller, aus den Gährungen ver Sturm- und Drangperiode zu freier Künftlerfchaft fich emporarbeitend, in Form vollendeter Runftwerfe vor die Augen der Nation die Ideale hinftellten, nah deren Berwirklidung fie in ihrer weiteren Entwidelung zu ringen bat.

Dieſen, bier freilich nur in flüchtigften Umriffen ge- zeichneten Gang nahm die große Umwälzung, welche im Laufe des 18. Sahrhunderts fich vollzog. Es wird Die Aufgabe des gegenwärtigen und ver folgenden Kapitel meines Buches fein, das deutſche Frauenleben darzuftellen, wie es fich unter den angeveuteten Rulturbedingungen vom Beginne des vorigen Jahrhunderts an bis in das gegenwärtige herein nad feinen verſchiedenen Richtungen hin entfaltete.

Beginnen wir unfere Betrachtung mit einem Blick auf die Außerliche Erſcheinung unferer Aeltermütter, fo jehen wir um die Mitte des 18. Jahrhunderts und noch weit darüber hinaus im weiblichen Anzug das Rokoko in feinem vollen Triumph. Es waren doch ſehr abfonverliche Gehäufe, worin die Schönen von damals ftedten. Bei feftlihen Veranlaffungen war ihr Anzug geradezu ein Kunftwerf, deſſen Aufbau nicht wenig Zeit, Mühe und Koften verurfacht hat. Denn die Figur, welche vie Da- men im Feſt⸗, Ball» over Brautkleid machten, war dieſe.

Rokoko. 181

Ihre Füße ftedten in Schuhen von Atlas oder Sammtet, welche mit gologeftidten Schleifen verziert und in ver Mitte der Sohle mit einem zollhohen Stelzchen verfehen waren, wodurd die Trägerin gezwungen wurde, auf den Fußſpitzen zu jchweben. Dies erklärt dann auch vie jteifabgemefjfenen Bewegungen ver Tänze jener Zeit: in folhen Schuhen konnte man unmöglich) walzen oder galoppiren oder polfen, jondern nur ein vorfichtiges, elegantvornehmes Menuett ſchreiten. Noch mehr aber als der Damenfuß war der Damenkopf miffbanvelt. Denn auf dieſem mauerte fich ein koloſſaler, mit Drahtgeftell und Roßhaarwulſt unterbauter, aus verſchiedenen Stod- werfen beſtehender, gepuderter, gefleiiterter, mit einer Maffe von Bändern, Blumen und Federn verzierter Haarthurm in die Höhe, welcher die Länge feiner Trägerin nahezu um eine Elfe oder ſogar drüber erhöhte. Der aus Fifchbeinftäbchen aneinandergefügte Korſett-Harniſch zwängte Schultern und Arme zurüd, prefite ven Bufen heraus und jchnürte die Taille weipenhaft zufammen. Ueber dem umfangreichen Dratbgeftell des Reifrocks Ipannte fi) das mit allerhand Falbeln und Kinkerlitzchen

garnirte Seidenkleid und über dieſes floß das mit einer

Schleppe verjehene, vorn auseinander fallende, auf bei- den Seiten reich beſetzte Obergewand von gleichem Stoffe hinab. Die mit Blonden belavdenen Aermel reichten bis zum Ellenbogen und ven Vorderarm deckte ver lange, par⸗ fümirte Handſchuh. Hals, Naden und Bufen wurben jehr frei getragen. Die Geiftlichfeit beider Konfeffionen ſtandaliſirte ſich höchlich über dieſe Offenherzigfeit, aber

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meift mit fehr geringem Erfolg '37). Gab e8 doch eitle Mütter genug, welche ihre ſchamhaft widerſtrebenden Töchter aufforverten, den Xiebreiz des Buſens ja vecht ſehen zu lafjen!39). Zum Staatsanzug der Damen ge-

137) Um 1740 „liefen in Wien erzählt Keyßler („Fort- ſetzung neuefter Reifen durch Teutſchland“ u. ſ. w. S. 929), manche Damen gleih vom Bette aus, ohngejchnüret und öfters nicht wenig bloß, wenn fie nur eine Bolante über fi) geworfen hatten, zur Kirche und Kommunion. Die Geiftlichen Tiefen bei joldher Gelegen- beit ihren Eifer mit gar befonderen Ausdrüdungen von der Kanzel hören. Einer von ihnen ftellte mit vieler Heftigfeit vor, das Frauen- zimmer fomme in Säden zur Kirche, nicht um Buße zu thun, fon- dern ihre Waaren und Fleifchhänfe deſto beſſer auszulegen und könne kein Geiftlicher bei der Kommunion feine Augen mit gutem Gewiſſen aufthun. Ein anderer Prediger drohete, wenn er noch Eine mit entblöffetem Halfe zu Gefichte befommen würde, wollte er ihr in den Bufen fpeien.” Im proteftantiihen Norddeutſchland wußten die Herren Geiftliden ebenfo wenig, wohin fie mit ihren Angen follten. Gar beweglich jagt Hermes in feinem für die da- maligen Sittenzuftände ſehr wichtigen Roman „Sophiens Reife von Memel nah Sachſen“, welcher 1770 zu erjcheinen begann: „Euch, ihr ebleren des weiblichen Gefchlechtes bitte ih, zu erwägen, in welche Berlegenheit die gegenwärtige Kleidungsart des Frauen» zimmers den Prediger fett und jeden, der nicht bei euch auf bie Nafenfpite und nicht tüdifh wie ein Schurf neben euch in den Winkel hin fehen will.“

138) Podels (Verſuch einer Charalterift. d. weibl. Geſchlechts, I, 494): „Kennt man nicht Mütter, die den unzüchtigen Anzug ihrer Töchter nicht nur erlauben, fondern aud; anordnen helfen? Da bat das alberne Mädchen fagte neulich eine vornehme Mutter zu ihrer Tochter und zwar in Gefellfchaft von Männern und Weibern da bat das alberne Mädchen ihren Buſen beinahe ganz eitt-

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hörte ver Fächer und das fpigenbejegte Taſchentuch; auch führte die elegante Schöne ftet8 ein Perlmutterdöschen in ber Taſche, welches einen Vorrath von Schönpfläfterchen entbielt. Denn die richtige Wahl und Anklebung der ſchwarzen, aus engliſchem Pflafter in allerlei Formen ge- ſchnittenen „Mouchen“ machte eines der wichtigiten Ge- heimnijfe der Putzkunſt und Kofetterie aus 13%. Noch

gehüllt; ich kann diefe dumme Schambaftigkeit nicht leiden, da fich das Mädchen ſehen laſſen kann und ihre Sorge weit und breit berum bie jhönfte ift! Das Mädchen erröthete und ging zur Thüre hinaus.”

139) Klemm bat in feinem Buch („Die Frauen“, II, 322) aus der 1756 erfchienenen L’art de decoppiler la rate folgenben „catalogue des mouches“ beigebracht. „La passione au coin de l’oeil, la majestueuse au milieu du front, l’enjoude sur le pli que fait la joue en riant, la galante au milieu de la joue, la baiseuse au coin de la bouche, l’effrontee sur lenez, lacoquette sur les l&vres, la reveleuse sur un bouton.* Aud auf den Buſen wurden Mouchen geliebt. Im 3. Gefang von Thümmels „Wil- beimine“ , welche 1764 erfchien, ift folgende Scene gemalt, die, und zwar nicht allein inbetreff ver Schönpfläfterchen, ein recht charat- teriftifches Genrebild aus dem Zeitalter bes Rokoko abgibt: „Bald (nad dem Weggang des Paſtors Sebaldus, mit welchem fein vornehmer Gönner das „zerpflüdte” Kammermädchen Wil- beimine verheiratete, wie das damals fehr häufig vorlam) trat Wilhelmine herein und brachte ihrem gnädigen Herrn Chofolade mit perlendem Schaume. Da gab ihr der Hofmarſchall das Doku⸗ ment ihrer Tugend, den ebrlichften Abſchied, ſauber auf Pergament geichrieben, und ftehe da, welche großmüthige Gnade, er umarmte fie mit gefälligen Händen und küffte fie zärtlih. Eine ganz fapphifche Empfindung fteömte durch ihr dankbares Herz und trieb ihren wallenden Bufer empor, daß der blaßrothe Atlas zu Iniftern begann,

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zu Anfang der neunziger Jahre eriftirten ver Reifrock, der Stelzſchuh und die gepuderte Chignonfrifur. Dazu war noch das baufchige Halstuch gefommen, welches von tem Umftand, daß e8 in Verbindung mit Drahtgeftellen benügt wurde, eine nicht vorhandene Bufenfülle zu er- fünften, den Namen „Menteur“ erhielt. Die fran- zöfiiche Revolution rewolutionirte auch ven Damenanzug, wie jie vom Männerfopfe Zopf und Haarbeutel wegfchnitt. Die von England herübergefommene griechifche Frauen- tracht, welche eigentlich nur aus einem Hemde beftand („la chemise grecque“), wurde von ben Bariferinnen ber Direftorialzeit in jo kokett ſchamloſer Weife getragen, daß fie, die [höne Madame Zallien voran, halbnadt er- fchienen, in fleifcehfarbenen feidenen Trikotpantalons mit lilafarbenen Zwideln und Kniebänvern, an ven bloßen Füßen leichte Sandalen, Ringe an den Zehen, darüber die Chemife, d. h. ein wirkliches Hemde, welches, hart unter der Bruft lofe gegürtet, bloß dur ein paar Schmale Bänder auf den nadten Schultern befeftigt war und die

der ihn weit unter der Hälfte umfpannte. Ach, welch ein reizender Buſen, o ſcherzhafte Muſe, beſchreib' ihn! Auf feiner Iinfen Er- böhung lag ein mondförmiges Schönfleckchen, angebeftet durch Gummi, von dem ein Heiner Liebesgott immer mit drolligen Reve⸗ renzen die Blide der Grafen und Läufer, Lalaien und Freiherrn auf fih zog. Aber jetzt erhob fih dreimal die warme bebende Bruſt und trennte die gebörrte Mouche vom Gummi. Der Kleine Liebesgott, mitfammt feinem Geräfte, fiel zwifchen der Schnürbruft unaufhaltfam hinunter, daß die Schöne ſchrie und der Hofmarſchall zu lachen anfing.“

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TE N. een ——

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ganze Oberhälfte des Körpers vollkommen entblößt ließ, während auf dem am Hinterkopfe zu einem griechiſchen Knoten aufgebundenen Haar ein weißer Fichuturban ſaß. Kein Wunder fürwahr, daß der Spott ſolche Griechinnen an Eva's Feigenblatt erinnerte 4%). Auch in Deutichland

140) Eine Dame, die fih auf Promenaden und Bällen durch die Durchſichtigkeit ihrer Tracht auszeichnete, erhielt ein niebliches Kaͤſtchen aus Alajouholz zugefandt, als fie eben einen glänzenden Cirkel um fi verfammelt hatte. Die Auffchrift lautete: „Kleidung für Madame”. Neugierig warb das Käftchen eröffnet und als einziger Inhalt zeigte fi ein Rebenblatt. Journal d. Lurus und der Mode f. 1800, ©. 369. Diefer fatirifhe Wit war wohl- begründet und wohlangebradt. Die „Chemiſe“ ift nämlid in Wahrheit und Wirklichkeit für eine Weile das einzige Kleivungs- ſtück der Modedamen der über alle Begriffe lüderlichen Direltorial- zeit gewelen, weilmegen damals in Paris das Couplet gefungen wurde:

„Gräce & la mode

Un’ chemise suffit,

Un’ chemise suffit.

Ah! qu’ c'est commode!

Un’ chemise suffit,

C’est tout profit!“ Aber damit noch nicht genug. Die Mode warf auch noch das Hemde beifeite, wahrfcheinlich mit dem Kirchenvater Klemens von Alerandrien philofopbirend, die Schambaftigfeit läge nicht im Hemde. „Un decadi soir du messidor de l’an V. (Juni 1797) deux femmes se prom&nent aux Champs-Elysdes, nues, dans un fourreau de gaze; une autre s’y montre les seins entierement decouverts“. Das war aber ben Leuten doch zu anti. „A cet exc&s d’impudicit6 plastique, les huées Eclatent; on recon- duit, dans les brocards et les apostrophes merites, jusqu’& leurs

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griechelten und römelten die Damen den franzöfifchen nach, namentlich in Berlin. Allein Ehrbarfeit, rauhes Klima und mit Recht polternde Aerzte machten dem grie- chiſchen Koftüm eine erfolgreiche Oppofitton. Entſchieden wurde der Sieg berfelben erjt durch die Rückkehr zur Schnürbruft, womit fihb nah und nah bis zum Yahre 1808 blieb es jedoch Mode, ven Bufen ganz offen zu tragen auch wieder eine anftändige Verhüllung einftellte. Wie in wichtigeren Dingen, hatte vie Revo⸗ Iution auch in Sachen des Frauenanzuges weit über das vernünftige Maß und Ziel hinausgefchoffen und fo er- folgte venn hierin ebenfalls vie reaktionäre Gegenftrömung, welche dann unter dem zweiten franzöjiichen Kaijerreich glücklich wieder beim Reifrock ver Rokokozeit angelangt ift.

Das wunberliche Gemifch von pevantiihem Zwang und lockerer Kofetterie, welches vie Frauentracht Der Rokokozeit fennzeichnete, war dem Frauenleben von damals überhaupt eigen. In Städten, welche feine Reſidenzen waren, d. b. feine Sammelpunfte einheimifcher und fremder Lafter, bewegte fich namentlich da® Dafein des höheren Bürgerftandes äußerlich in fteif und ftreng ge- regelter Konvenienz. Diefe dulvete es nicht, daß Mäd—⸗ hen oder Frauen mit ber Freiheit und Ungenirtheit von heute öffentlich erfchienen. Es galt für unſchicklich, ohne „Kammermenſch“ über die Straße, in die Kirche over in

voitures ces Grecques en costume de statues“. Petite Poste de Paris, messidor an V., amgef. bei Goncourt, Hist. d. 1 societe frangaise pend. 1. directoire, p. 422.

Rokoko. 187

einen Kaufladen zu gehen; das Erfcheinen von Frauen ohne männliche Begleitung auf Spaztergängen, im Theater und Koncertfal ging gar nicht an. In folchen foliv-vornehmen bürgerlichen Kreifen wurde allen fran- zöſiſchen Moden zum Trotz das häufliche Walten ver Frauen und Töchter noch immer als ihre ſchönſte Be- jtimmung angeſehen. Auch ficherten Recht und Sitte Vätern, Gatten und Brüdern eine unbedingte Autorität über ihre weiblichen Angehörigen 13). Mit der fraulichen Bildung freilich war e8 bis in die höchften Kreife hinauf nicht weit ber, bevor die große Bewegung unferer Literatur auch die Frauen mit in ihre Aufihwünge hineinzog. Bis dahin galt in den ariftofratifhen Sphären durch⸗ ſchnittlich Die Fertigkeit im Franzöfifchplappern, eine oberflächliche Kenntniß der franzöfifchen Literatur, etwas Spinetttaftenjchlägerei, etwas italifches Ariengedudel für ven Gipfel weiblicher Bildung. In ehrbar bürgerlichen Kreifen wurde das Leſen von Romanen ven Frauen als eine Sünde angerechnet 142). In proteftantifchen Bürgerhäufern waren die Töchter ftreng angehalten, mit vem Katechismus

141) ©. insbef. die Schilderung ftädtifchen Lebens in Nord⸗ deutſchland in den hinterlaffenen Denkwürdigkeiten („Sugendleben und Wanderungen”) von Johanna Schopenhauer, deren Jugend in die Rokokoperiode zurüdreichte.

142) Charafteriftiih rühmt in der von Stranitzky 1722 her⸗ ausgegebenen „Ola potrida bes durchgetriebenen Fuchsmundi“ ein Ioderes Mädchen als einen Beweis ihrer Bildung, daß fie „mehr als zwölf Liebesgefchichten von Talander (A. Bohſe) durchgeleſen babe”.

188 Bud III. Kap.5.

und ber Bibel fich vertraut zu machen, und ging biefer Nigoriemus mitunter ins Abjurde. So wiljen wir non der Sugendgeliebten Wielands, Sophie von La Roche, wie ihr Vater, der augeburger Arzt Gutermann, feine Freude daran hatte, daß feine Tochter, nachdem fie ſchon als Dreijährige lefen gelernt, als Fünfjährige bereits vie Bibel vollftändig durchgeleſen hatte. Ebenſo, daß das junge Mädchen tagtäglich bei ihrer Handarbeit eine Betrachtung in Arndts „Wahrem Chriftentbum“ leſen mußte 142). Doch unterrichtete fie der Vater zugleich auch in der Ge- ihichte und von Göthe's Vater ift befannt, daß er an dem Unterrichte, welchen er feinem Sohne in verfchienenen Fächern ertheilte, auch feine Tochter Kornelia tbeil- nehmen ließ. Dies fällt freilich fchon in eine Epoche, wo der in die Zeit gefahrene Sturm und Drang auch ven Bildungstrieb ver Frauen lebhaft angeregt hatte. Die Folge davon war, daß viele Mädchen und Frauen eine wahrhaft harmonifhe, dem Schönen mit edlem Em- thufiasmus zuftrebende Bildung ſich aneigneten, andere viele jedoch e8 nur dahin bradten, daß ihre Köpfe ichlechtgewählte und ſchlechtgeordnete Bibliotheken ent- hielten. Dis zur Zeit, wo die große mit Klopftods Auftreten beginnende Wendung unferer Literatur eine ibealifchere Färbung in den deutichen Umgangston einzuführen an- bob, herrſchte in dieſem, auch den Frauen gegenüber und unter diefen jelbft, eine Ausprudsweife, welche der

143) Affing, Sophie von La Rode, ©. 14, 17.

Rokoko. 189

lafein-galanten Sprache des 17. Jahrhunderts nur allzu häufige Nachklänge vom Grobianismus des 16. beimifchte. Wie wenig man fich zu ſcheuen hatte, ſelbſt vornehmiten Damen gegenüber alles bei feinem Namen zu nennen, be- weift ſchon die Thatjache, daß ven derben Natürlichkeiten der Hannswurfttaden, wie fie Stranigfy im Anfang des 18. Jahrhunderts zu einem unentbehrlicen Zubehör der theatralifchen Freuden Wiens gemacht hatte, pie Injaffinnen der Logen erften Ranges lachenven Beifall zuflatichten 149). Neben dieſem Gefallen an Derbheiten lief eine Pedanterei ber, welche, wenn fie von Xiebesfachen redete, die ab- ſonderlichſten Schnörkel zuwegebrachte. So ein Profefjor der Liebeskunſt theilte die Liebe ein: 1) in die chriftliche Liebe, 2) in die eheliche Liebe, 3) in die Freundichafts- liebe, 4) in die Socialitäts- oder Vertraulichfeitsliebe, 5) in vie Galanterieliebe und 6) in die Hurenliebe. Er pocirte: „In einem Liebeg-Commercio ift e8 nöthig und man muß bei der Geliebten darauf dringen, daß fie eine . Xiebesprobe ablege” und vefinirte das Küffen als „ein Negotium bei einem Liebes-Commerce, welches fie ab- legen zur temoignirung ihrer innigften Xiebe, wobei jedoch zur contenance zu rathen ift 149)“. Die arifto- 144) Man kann fih von dem Ton der in Rede fiehenden ſtranitzky ſchen Hannswurſtkomödien eine ungefähre Borftellung bil- den, wenn man erfährt, daß in der „Ola potrida Fuchsmundi“, der Held einer Jungfer Anna Barbara feine Liebe anträgt und da- bei in der Beſchreibung feiner Perfon fagt, diefelbe habe nur einen einzigen Mangel, nämlich einen zu „biden Hintern“.

145) Germani Constantis Moralifcher Traktat von ber Liebe gegen die Berfonen des andern Gejchlechte, 1717.

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fratiihe Welt fragte freilich derartigen veutfchprofeffor- lichen Vorſchriften in Sachen ver „ars amandi* wenig nad, fendern richtete fich Lieber nach ven Regeln ver franzöfifchen Galanterie. Ein Mufter verjelben war ver liebenswürbdige Staatsmann Graf Stavion, der Gönner und Lehrer Wielands, für welchen, während er feiner vornehmen Geliebten bis tief in die Nacht hinein galant aufwartete, fein Sekretär Ya Roche, der feines Herrn Handſchrift nahahmen mußte, inzwifchen daheim bie zierlichſten Billetvour fchrieb, damit dieſe Beweife einer raftlojen Zärtlichkeit frühmorgens auf den Putztiſch der Dame beförvert werden könnten 149).

Die frivol-franzdfifche Anfchauung von den Frauen, welche in den adeligen Kreifen gänge und gäbe, und vie deutſch⸗eckig⸗-pedantiſche, welche in den bürgerlichen um- ging, hatte, wie noch gar manches Schiefe, Unerquidliche und Unvermittelte im deutſchen Xeben, eine ihrer Wurzeln in ber bis zur faftenmäßigen Unduldſamkeit gehenden Sonderung der Stände. Es wird einem, wenn ber Ausdruck geitattet ift, ganz indiſch-pagodiſch oder ägyptiſch⸗ mumienhaft zu Muthe, wenn wir im gefelligen Verkehr der Rokokozeit auf adeliger Seite die hochmüthigfte Aus- Ichließlichfeit, auf bürgerlicher vie kriechendſte Unter— thänigfeit bemerken 149). In Wahrheit, Edelleute und

146) Raumers Hiftor. Taſchenbuch, X, 397.

147) In „Sophiens Reife von M. n. S.” fchreibt der Paftor Groos an ein Füngferhen von Adel, welches fih nachmals zu feiner Frau und zur Qual feines Lebens zu machen weiß, in nach—

Rokoko. 191

Bürger hatten jo zu fagen nichts mit einander gemein al8 die Luft und dieſe Schroffheit in Aufrechthaltung der Standesunterſchiede, welcher Schiller in Kabale und Liebe ein ewiges Brandmal aufgeprüdt hat, währte bie zum Schlufje des 18. Jahrhunderts. Es war fo leicht, fo angenehm, jo modiſch, Human zu fchwärmen; aber man fand es vielfach „infonvenant”, human zu handeln. Aus- nahmen, ſchöne Ausnahmen gab es freilich, aber fie be- zeugten doch nur die Regel. Konnte doch felbit aus der damaligen Metropolis des deutſchen Geiftes, aus Weimar, wo der revolutionäre Moſt der Kraftgenialität fi zum edlen Wein des Freifinnd und der Humanität abgeflärt hatte, noch zu Anfang des Jahres 1800 Hervers Frau ‚bie Nenigfeit, daß die Adeligen und Bürgerlichen zum eritenmal einen gemeinfamen Ball abgehalten, als ein Ereigniß an Knebel melden. Heiraten zwifchen ven beiden Ständen fanden zwar fchon früher ftatt, aber ge— wöhnlich hatten Bürgerlihe das Wappenſchild, welches ihnen adelige Bräute häufig als einzige Ausiteuer mit ind Haus gebracht, theuer zu bezahlen. . Ein fehr an- ſchauliches Bild dieſer Miffverhältnifje bietet das i. J. 1780

ſtehenden Ausdrücken: „Wenn Perſonen, von denen mein niedriger Stand mich mit Recht ſo entfernt, daß ich ihnen nicht ganz bekannt werden kann, Perſonen, deren Geſinnung gegen mich nichts ſein darf als Gnade, Perſonen, denen ich nicht anders als mit einer wirklich belachenswerthen Frechheit, das, was man Ehr⸗ furdt und Reſpekt nennt, verweigern könnte wenn ſolche Per- fonen mir Eigenfchaften zutrauen, die ich nicht fo glücklich bin zu befigen, dann werde ich in der That geängftigt”.

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erſchienene pramatifche Familiengemälde „Nicht mehr als ſechs Schüffeln“ von Großmann. Der Hofrath Rein- hard, welcher darin eine Frau von Adel geheiratet, muß piefelbe „Ihr Gnaden“ tituliren, wenigftens in Gefell- ſchaft, und fih von feiner Frau und ihrer Tante wegen feiner „bürgerlichen Grofjieret&” bei jeder Gelegenheit zurechtfegen laſſen. Er rächt fi dafür, indem er von „adeligem Lumpengefindel” fpriht. Frau von Schmer- ling, die Tante, ftellt in ihrer ganzen Ericheinung und Ausprudsweife ein Produkt jener Bildung vd. h. Miß⸗ bildung dar, wie fie die gewöhnliche franzöſiſche Bonnen⸗ erztehung in adeligen Häufern an ven Töchtern zumwege- brachte. Dieſe Dame fpricht am liebſten in franzöfifchen Floſkeln, miſcht aber beharrlich darunter jo gemeine und derbe deutſche Ausdrücke, wie fie heutzutage fogar im Munde einer Stullmagb auffällig wären. In Nilolat’8 „Sebal- dus Nothanker“ (1773) erhalten wir veutliche Winfe, worin eine „ſtandesmäßige“ Erziehung damals nur allzu häufig beſtand. Die ehrliche Gouvernante Marianne verliert da die Gunft ihrer Gebieterin, ver Frau von Hohenauf, weil fie e8 nicht verfteht, ihren Zöglingen „ſtandesmäßige Manieren“ beizubringen und dieſelben aus vem „Mercure de France” zu belehren, „wie eine affaire de coeur geführt werden müſſe“. Sehr be- zeichnend für die damalige Durchfchnittsfultur dieſer Ge- feltfehaftsfchichte ift e8 endlich, daß man in den meiften adeligen Häufern und in Nachahmung verfelben au in reichen bürgerlichen feine Diener und Dienerinnen kannte und nannte, ſondern nur „Kerle“ und Menicher “.

Rokoko. 193

Will man in unſeren Tagen den außerordentlichen Beifall verſtehen, welchen in den ſiebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die dramatiſchen Fami— liengemälde des trefflichen Iffland und anderer fanden, ſo muß man ſich erinnern, daß in dieſen Schauſpielen dem deutſchen Publikum ſeine lange und lebhaft gehegte Sehnſucht nach einer edleren Um⸗ und Neugeſtaltung des Familienlebens gegenſtändlich gemacht wurde. Gerade dieſe Sehnſucht ſpricht aber unzweifelhaft von einer tiefen Zerrüttung ver häuflichen und öffentlichen Sitten, welche ih vom 17. Jahrhundert bis weit, fehr weit ins folgende bereingefchleppt hatte. Die Unfitten des Univerfitäts- lebens, deſſen das ganze Sahrhundert hindurch andauernde Wüftheit aus ver erften Hälfte vejjelben Zachariä („Der Renommiſt“), aus der zweiten Laukhard (,„Selbitbio- graphie* und Annalen der Univerfität Schilda“) ung grell bezeugen, verpflanzten ſich gar gern auch in die gebildeten bürgerlichen Kreife, unter Beamte, Aerzte, Iuriften und Paftoren, und außerdem eiferte das Bürgerthum dem Adel in Völlerei, gefpreiztem Scheinwefen und leerem Prunf vielerorten leichtfinnig na. Da wares denn lange nicht fo felten, als es hätte fein jollen, vaß ganze Bürger: Ihaften .in Folge gedanfenlofen und rohen Wohllebens ihres Wohlftandes verluftig gingen und daß die Trunkſucht, fogar die Trunkſucht von Frauen, häufige Straßenärger- niffe veranlajite. Reiſende, welche um 1730 Nürnberg, Augsburg, Ulm und andere ſüddeutſche Städte befuchten, geben Zeugniß, daß die Bewohner verfelben mit Bällen,

Kränzchen, Schlittenfahrten und anderen rojtipieligen Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. II.

194 Bud) II. Kap. 5.

Bergnügungen lujtig in den Tag hineinlebten, je mehr es mit ven Verhältnifien der Einzelnen wie der Stabt- gemeinven rüdwärts ging. Dafjelbe jagen andere Augen» zeugen von Frankfurt und Hamburg aus und ein Zeit- genoſſe Flagte mit Recht, daß die leidige modiſche Sucht, mehr zu fcheinen, als man fei, die Hauptſchuld dieſer ökonomiſchen und ſittlichen Verkommenheit getragen habe 148), Andere ſittenverwildernde Einflüſſe lagen in dem Anblid einer brutalen Strafjuftiz, deren Alte nicht jelten vecht eigentlich berechnet jchienen, alles menfchliche Gefühl aus ven Gemüthern wegzutilgen ; ſowie auch in den Berührungen mit der Soldatenwelt, deren unglücliche Angehörige, wenigftend vie Gemeinen, ſyſtematiſch in der Verthierung erhalten wurden, welche damals aller- wärts das Soldatenhandwerk fennzeichnete, und zwar häufig bis zu den höchſten Sproffen ver Gradeleiter hinauf, von wo herab die „Kerle“, d. i. die gemeinen Solvaten, wie Viehſtücke behandelt wurben 149.

148) Bollnig, Memoiren, I, 227. Keyßler, Reifen, I, 70. Maria Belli, Leben in Frankfurt a. M. I, 22. Benefe, Hamburg. Geſchichten und Sagen. ©. 354. Vgl. auch bei Biedermann a. a.D. II, 525 die aus einer Zeitichrift von damals gezogene Jahresrech- nung eines hamburger Kaufmanns, welder jährlich 25,759 Mark auf jeinen Haushalt und feine Vergnügungen verwandte und ſich dadurch ruimirte. Der Poſten „galante Depenſen“ des Hausherren betrug 1120 M., das „Spiel-Geld“ der Hausfrau 350 M.

149) Auch in dienftlihen Erlaffen. So verbot das bekannte „Reglement für die preußifche Infanterie” v. 3. 1750 das „über- mäßige Bollfaufen, abjonderlih in Branntwein, damit nicht ein Kerl vor der Zeit ungelund werde oder gar Trepire.”

Rokoko. 195

Wenn ſich demnach nicht verſchweigen läſſt, das Zu- ſammenwirken der angedeuteten Motive habe zur Rokoko⸗ ‚zeit auch die Denkweiſe und das Gebaren ver veutfchen Frauen beeinflufft, habe fie zur Pub-, Spiel- und Trunf- jucht verleitet, habe ſie erſt vem Leichtfinn und dann der Ausichweifung zugeführt, fo entiteht billig die Frage, ob denn die Religion damals jo gar wenig fittigende Macht über die Herzen, namentlich die Frauenherzen be- jejjen habe? Aber was war venn damals die Religion oder, genauer gejprochen, die Kirche? Drüben auf Fatho- liſcher Seite ein bis zum Fetiſchismus gehender Heiligen- und Ceremoniendienft, hüben auf Iutherifcher ein fojfiles Dogmenungethüm, welches fo wiverwärtig breit, un- beweglich und anmaßlich mitten in der Zeitftrömung lag, daß ihm jeder Denkende beim Vorübergehen gern einen voltaire'ſchen Fußtritt verſetzte. Neben jo beichaffenen Kirchen hatte der Pietismus fein „beicheiven Kirchlein“ aufgezimmert und bald mußte vaffelbe beträchtlich er- weitert werden, um die Zuftrömenven zu fallen. Es ijt leicht erflärlich, daß die pietiftiiche Miſſion, namentlich in der Frauenwelt fo fehr gedieh; allein leider wurbe ihr anfänglich unbeftreitbares Verdienſt von ihren nad» theiligen Wirkungen bald weit überwogen. Denn fie ſchuf zwar „Erwedte”, aber auch, wie wir jehen werben, Verzückte und Verrüdte und vaffinirte vielfach die Aus- jchweifung, indem jie um dieſe ven Deckmantel ver Heu— helei jchlug. Und dann war der Pietismus von vorne— herein unfähtg, die weltmännifche Menge zu gewinnen,

weil ſich diefe, Frauen wie Männer, von ver trüben 13*

196 | Buch II. Kap. 6.

Aſketik angewidert fühlten, welche die ſogenannten,Mit-⸗ teldinge“, d. h. die geſelligen Vergnügungsmittel, Spiel, Muſik, Tanz, Theater als ſchlechthin ſündhaft verwarf. Es iſt freilich wahr, gerade das Theater gab zu ſolchem puritaniſchen Eifer Veranlaſſung genug, nament- lich ſeit der Einführung der Frauen auf die Bühne, welche durch das Uebermächtigwerden der Oper bedingt wurde. Das ganze Mittelalter hindurch waren, wie jedermann weiß, auch die Frauenrollen, wie ſie in den „Myſterien“ und „Moralitäten“ vorkamen, von Männern geſpielt worden, und wenn zu jener Zeit bei theatraliſchen Auf- zügen da und dort auch Frauen mitgewirkt hatten nicht immer, wie feines Ortes erwähnt worben, in züch- tiger Weife fo bildete fich doch erft im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts ein bejtimmter Stand von Sänge⸗ rinnen und Schaufpielerinnen. In Deutichland war dieſe Neuerung, welche die ganze bisherige Theaterprarie über den Haufen warf, durch ven befannten Magifter Belthen um 1680 zuerſt fonfequent eingeführt worven 139). Zwar bei der prachtwollen, ungeheure Summen verjchlin- genden Oper, welche ver legte Habsburger, Karl der Sechite, unterhielt, durften noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts bie Srauenrollen nur von Kaftraten gefungen werben. Allein anderwärtd war e8 anders und e8 ift ein nicht ge- ringes Merkmal der Moral von damals, daß vie zuct- loſen Arien, von welchen die komiſchen Opern wimmelten, von Mäpchen und Frauen in ſchamloſem Koftüm und

150) Bgl. Devrient, Geſch. d. d. Schaufpielfunft, I, 258 fg.

Rokoko. 197

mit ſchamloſem Gebärdenſpiel vorgetragen wurden. Gegen dieſe Unfläterei, wie gegen die grobburleſke, zotige Hanns— wurſterei, bildete die, wenn auch noch ſo perückenhafte Oppoſition Gottſcheds immerhin eine heilſame Gegen— ſtrebung. Gottſched wurde in ſeinen Bemühungen, das deutſche Theater nach dem Stil der franzöſiſchen Klaſſik zu reformiren, durch die talentvolle, für ihren Beruf begeiſterte Schauſpielerin Friederike Karoline Neuber (geb. 1692, geſt. 1760) weſentlich unterſtützt. Die großen Gaben dieſer Frau konnten ſich freilich in der von Gottſched angegebenen dramatiſchen Richtung nicht voll- ſtändig entfalten ſchon die Vorſtellung von einer Schau⸗ ſpielerin, welche in Schnürleib, Reifrock und Stelzchen⸗ ſchuhen griechiſche und römiſche Heldinnen agirt, hat etwas unwiderſtehlich Komiſches allein trotzdem hat die techniſche Veredelung wie die ſittliche Hebung der Schauſpielkunſt eine große Summe des Dankes an die Neuber abzutragen. Sie zuerſt iſt es geweſen, welche die Schauſpieler aus Vagabunden zu Künſtlern machte und ihrem Vorgang und Beiſpiel verdankt es die deutſche Schauſpielkunſt, daß ſich von jener genialen, ſchönen und unglücklichen Charlotte Ackermann an und bis zu Johanna Hendel⸗Schütz, Julie Rettig und Charlotte von Hagn herab im vorigen und in unſerem Jahrhundert eine ganze Reihe von hochbegabten Frauen dem Theater widmen konnte, ohne ſich der Gefahr auszuſetzen, ihrer weiblichen Würde verluſtig zu gehen 109.

151) Charlotte Ackermann ſtarb 1775 in der Blüthe ihrer Ingend und ihres Talents zu Hamburg. Mythenbildnerei und

198 Bud III. Kap. 5.

Bon dem im Vorſtehenden betretenen Seitenweg wieder zu einem oben verlafjenen Punkt rückwärts biegen, wollen wir zunädft die Sittenzuftände von Wien und Berlin ins Auge faffen, wie fie jich vom Anfang bis zum Ende des Jahrhunderts ven Augen glaubwürbiger Bericht. erftatter varftellten. “Die wiener Gefellfchaft hat fret- ih unter den Regierungen Karls des Sechſten, Maria Therefia’8 und Joſephs des Zweiten mande tiefeingrei- fende Veränderung erfahren, allein ihr finnliher Grund— charakter blieb verfelbe und fo ift denn auch von ven Frauen des Rühmlichen wenig oder nichts zu berichten. “Die be- rühmte englifche Reifende, Lady Montague, welde Wien i. J. 1716 beſuchte, fand es fehr auffallend, daß vie dortigen Damen durch ihre Galanterien an Achtung nicht verloren, ſondern geivannen ; denn fie wurden viel mehr nach dem Range ihrer Liebhaber als nach dem ihrer Männer vefpeftirt. Der alte Küchelbeder feinerfeits be- merfte, daß die Ausschweifung in Wien ungemein groß, pas Frauenvolf fehr Fofett war und daß niemand „vie Ge- meinfchaft beiverlei Geſchlechts mifjbilligte, bis die Früchte einer allzugroßen Vertraulichkeit an ven Tag kamen.“

Dichtung haben fih der Figur der geiftwollen und bochgefinnten Künftlerin bemächtigt, welcher Otto Müller zu unferer Zeit ein novelliftiiches Denkmal errichtete (1856). Ihr Tod erregte allge- meine Theilnahme. Ihr befränzter Sarg trug die Inſchrift:

„Iſt das Leben nicht ein Traum

Flüchtiger Gefühle?

Ausgelaufen war ich faum

Und bin ſchon am Ziele.”

Rokoko. 199

Ohne Zweifel, meinte er, ſei dieſe allzufreie Lebensart auf die allgemein eingeriſſene Schwelgerei zurückzuführen. Andere Beobachter beſtätigten dieſes, indem ſie angaben daß hauſhälteriſcher Sinn in den wiener Familien ein „ſeltenes Phänomen“ geweſen. Die tiefe Zerrüttung des Familiengeiſtes und Familienlebens trat ſchon in der leichtfertigen Manier, womit im Kaffeehausgeſpräche wie auf dem Theater der Eheſtand verhöhnt wurde, ſchreiend zu Tage 152). Die ſittliche Anſchauung und Stimmung mußte wahrlich tief gefunfen fein in einer Gefellichaft, welcher das berühmte, von Keyßler angezogene „Duod- libet von Wien“ viel mehr Stoff zum Lachen als zu ernitem Nachvenfen gab 139). Auch zeigt uns ein [päterer

152) Im „Fuchsmundi“ wird ver Wit gemacht: „Bas ift der Ehftand felbft? Er ift ein Vogel-Haus, Die draußen wollen nein, die drinnen wollen raus.“ Zur Zeit Joſephs des Zweiten galten folgende „Wiener Maximen“: „Dan muß feinen Nächften lieben wie fich felbft, d. b. man muß das Weib eines andern fo liebhaben wie fein eigenes. Ein Mädchen ohne Geld, das man heiraten will, ift wie eine Lampe ohne Del. Die Flamme ver Liebe hat feine Nahrung und erlifcht bald. So lange man jung, gejund und friih ift, muß man jeine Freiheit genießen. Kommt der Herbft des Lebens heran, wird ber Körper baufällig, daß man bald eine Wärterin nöthig bat, jo ift e8 Zeit, zu heiraten. Wenn bie Frau rechts geht, darf der Mann links marfchiren. Nimmt fie fih einen Aufmwärter, jo fucht er fih eine Freundin.” Schwachheiten Wiens, II, 52. 153) „Ein Klumpen Häufer und Paläfte, Bol Ungeziefer, voller Gäfte ; Ein Miſchmaſch aller Nationen,

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Neifender, indem er die bedenklichen Urfachen entwidelt, vermöge welcher in Wien die Zahl der umehelichen

Die in Oft, Weft, Süd und Norden wohnen ; Geſtank und Roth in allen Gaſſen;

Biel Weiber, die den Ehftand haffen; Biel Männer, die mit andern theilen; Sehr wenig Jungfern, lauter Fräulen ; Betrug und Fift in allen Buden, Beihnittne und getaufte Juden;

Biel Kirchen allzeit voller Sünber, Biel Schenken und darin viel Schinber; Biel Klöfter, drinn viel Pharifäer ; Biel Händel und viel Rechtsverdreher, Biel Richter, die das Recht verfaufen; Biel Fefte, celebrirt mit Saufen;

Biel große Häufer voller Schulden; Biel Praler, die den Stod gedulden; Biel Windverfäufer ohne Mittel,

Biel Ichlechte Tröpfe voller Titel; Geftrenge Bauern, gnäd'ge Bürger, Biel Zöllner, viel latein’fche Würger ; Biel Hoffart, wenig Komplimenten, Biel Ignoranz und viel Studenten; Biel Kuppler, viele Kupplerinnen,

Biel, die mit Huren Geld gewinnen; Biel Spanier, Welſche und Franzofen, Der letztern viel in deutfchen Hofen ; Biel Stuger und geborgte Kleider,

Biel Säufer, Spieler, Beutelfchneiber ; Lalaien, Pferde, Bagen, Wagen,

Biel Reiten, Fahren, Geben, Tragen, Biel Drängen, Stoßen, Zerren, Zieh'n: Dies ift das Quodlibet von Wien.“

Rokoko. 201

Geburten eine verhältnifmäßig viel geringere war als 3. B. in Münden und Leipzig, daß Leichtfinn und Genuß: ſucht gar leicht mit Verbrechen fich verbanden 3%). Zu folcher Verbindung trugen die wohlgemeinten und eifrigen Anftrengungen ver fittenftrengen Maria Thereſia, ver Laxheit und Lüderlichkeit in gefchlechtlichen Dingen ver: mittel8 einer bis ins einzelnfte gehenden polizeilichen Ueberwachung einen Damm zu fegen, weſentlich bei. Ihre „Keufchheits - Kommifjarien” machten das Uebel nur ärger, indem dieſe gefürchtete heilige Hermandad des Tugendeifers einer mufterhaften Faijerlihen Gattin und Mutter mittelbar vie nieverträchtigite Späherei, vie ab- gefeimtefte Winfelproftitution, die Fruchtabtreibungstunft und den Kindermord begünftigte. Diefe Keufchheits- Kommiſſarien waren es, welche den Hohn und Zorn des vielberufenen venetianifchen Abenteurers Caſanova er- tegten, dem feine Induſtrieritterſchaft die Mittel ges währte, in allen Hauptitäbten Europas auf dem Fuß eines Grandſeigneur zu leben, und der allerdings ein großer Wüjtling, aber zugleich auch der genialſte Sitten- maler des 18. Jahrhunderts gewefen iſt. Es darf als nicht ganz unwichtig bezeichnet werben, daß in ber un- endlichen Bildergalerie von Caſanova's Niebeshändeln jtreng genommen nur eine einzige Deutfche figurirt, jene

154) Lady Montague, Letters, I. 10. Küchelbeder, Beichr. v. Wien, S. 397. Schlözers Briefwechlel, LII, 261. Keyßler, Reifen, II, 1214. Nikolai, Reife durch Deutichland und die Schweiz, III, 199 fg. V, 194 fg.

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üppige Bürgermeifterin von Köln, die fih mit dem kecken Benetianer fo raſch und leicht verftändigte wie die aus- gelerntejte Kurtifane von Venedig oder Paris. Sonſt gibt Caſanova beutlich zu verjtehen, daß die veutichen Frauen feinen Gefhmad nicht ſehr anfprachen, weil fie im Kultus ver Wolluft weit nicht jo fünftlerifch ausgebilvet waren wie die Stalienerinnen und TFranzöfinnen. Es pürfte das den Frauen Deutjchlands immerhin zum Lobe gereichen, lägen nur nicht fo viele gleichzeitige Zeugniffe vor, daß gar viele deutſche Damen von damals italifchen und franzöfifchen Vorbildern in ver Buhlerei nad) Kräften nacheiferten. . Mehr galanten Verkehr als in veutfchen Reſidenzen hatte Caſanova mit veutfchen Schweizerinnen, von den welfchen gar nicht zu reden. Seine Abenteuer mit den beiden Damen von Solothurn, deren eine ihn die nächtliche Verwechſelung mit ihrer Nebenbuhlerin fo bitter bereuen machte, fowie mit ver erft preizehnjährigen Bernerin Sarah öffnen einen erſchreckenden Blid in vie damaligen Frauenfitten ter patriciihen Kreiſe der Schweiz 15%). Etwas früher, in ven Jahren von 1753—58, Hatte ein junger deutſcher Poet, Wieland, die Schönen von Zürich auch nicht allzu graufam gefunden. In einem Driefe vom 11. Ianuar 1757 an feinen Vertrauten, Zimmermann, Tpricht er feherzend von feinem „Serail“ und gebärbet fich vecht als „Großtürk“, indem er inbe= treff feiner Ddaliffen Hinzufügt: „Ich gebe ihnen wenig gute Worte und zwinge fie durch die natürliche Supe-

155) Casanova, Me&moires, chap. 33, 66, 69, 72, 92.

Rokoko. 203

riorität meines Genies über die ihrigen, mid bon gré mal gr& zu lieben.” Indeſſen bezeichnet er doch in ver- felben Epiftel jeine fümmtlichen züricher Freundinnen als „ihrer unverftellten Tugend wegen hochachtungs⸗ würdig".

Die junge Königsftadt an der Spree war nicht im entfernteften berechtigt, Hinfichtlich fittlicher Führung ver alten Kaiferftant an der Donau Vorwürfe zu machen. Das franzöfiiche Weſen war unter dem erften preußifchen Könige mit Macht in Berlin eingedrungen und durch den zweiten, ven ftocjteptergewaltigen Schlagadodro, nicht wie- der gänzlich verprängt worden. Alle Bemühungen Fried- rich Wilhelms des Erjten, mittels unduldſamen Luther- thums und plumpen Teutonismus die „Blit- und Schelm- franzoferei” von feiner Hauptſtadt und feinem Lande fernzuhalten, fchlugen fehl und mußten bei ver Beichaffen- heit der angewandten Mittel fehlichlagen. Die fran- zöſiſche Kultur, wie hohl und unfittlich fie fein mochte, hatte denn doch über einjchmeichelnvdere Lockungen zu verfügen als jene Sorte von Deutſchthum, welche in Friedrich Wilhelms Zabafsfollegium wirthichaftete und mit ten armen gelehrten Zeufeln Faſſmann, Gunpling und Morgenftern brutale Späſſe trieb. Friedrich der Große feinerfeits gab, wie jedermann weiß, ver Frans zöfelei nicht nur freien Raum, fondern förderte fie in jeder Weiſe. Wie feltfam mifchten fich auch in dieſem großen Manne die Widerfprüche des Jahrhunderts! Er, ver gekrönte Philoſoph, wollte fein Volk zur Freiheit erziehen und fonnte aus feinem Lande doch nur einen Militärjtaat

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machen, eine „ununterbrodhene Wadhtjtube” 15%). Er wollte Bürger und fehuf mittels feines Syitems einer unnahbar eiferfüchtigen Autofratie nur Sklaven, über welche zu herrichen er in alten Tagen müde zu fein be- fannte. Er wollte Hof und Stadt hHumanifiren und gab fie der Frivolität franzöfifcher Anichauungen und ven vergiftenden Einflüffen franzöfifchen VBeifpiels preis. Es fam freilich ein Tag, wo der königliche „Fremdling im Heimiſchen“, wie ihn Klopfted mit vollberechtigtem Tadel geſcholten hat, äußerte: „Ich will Feine Franzoſen mehr, fie feindt gar zu liverlih”. Aber e8 war zu fpät. Die Saat der „eivilisation francaise* war üppig aufge- gangen. Im Iahre 1772 nannte der englifche Gefandte am preußifhen Hofe, Lord Malmesbury, Berlin „eine Stadt, wo, wenn man fortis mit ehrlich überfegen will, e8 weder vir fortis noch femina casta gibt” und durfte, ohne Lügen geftraft zu werden, hinzufügen: „Eine totale Sittenverderbniß beherrſcht beide Gefchlechter aller Klaſſen, wozu noch die Dürftigfeit fommt, die nothwen- iger Weiſe theils durch die von dem jegigen König aus gehende drückende Befteuerung, theils durch vie Xiebe zum Qurus, die fie feinem Großvater abgelernt haben,

156) „Beim Eintritt in die Staaten des großen Friedrichs, bie mir eine ununterbrocdhene Wadtftube zu fein fchienen, fühlte ich meinen Haß gegen das abjcheuliche Soldatenhandwerk, die einzige Bafis der willlürlihen Gewalt, welde immer bie nothwenbige Folge jo vieler Zaufende von bezahlten Satelliten ift, fi) ver- boppeln und verdreifachen.“ Alfieri, Denkwürdigkeiten, deutſche Ausg. I, 169.

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herbeigeführt worden if. Die Männer find fortwährend beichäftigt, mit bejchränften Mitteln ein ausfchweifennes Leben zu führen. Die Frauen aber find Harpyen, die mehr aus Mangel an Scham al8 aus Mangel an etwas anderem fo weit gejunfen find. Sie geben fih dem preis, der am beiten bezahlt, und Zartgefühl und wahre Liebe - find ihnen unbefannte Gegenftänve.* Nicht minder düſter als dem Engländer erfchienen etliche Jahre jpäter vie berliner Sittenzuftände einem Deutſchen. Georg For- jter, welcher 1779 vie preußifche Hauptſtadt bejuchte, fchrieb von da feinem Freunde Jakobi: „Ich habe mich in meinen mitgebrachten Begriffen von dieſer großen Stadt jehr geirrtt. Ich fand das Aeußere viel fchöner, das Innere viel ſchwärzer als ich's mir gedacht hatte. Berlin ift gewiß eine der fchönften Städte Europa’s. Aber die Einwohner! Gaftfreiheit und geſchmackvoller Genuß des Lebens ausgeartet in Ueppigfeit, Prafferei und Gefräßigfeit, freie aufgeflärte Denkungsart in freche Zügellofigkeit. Die Frauen allgemein verderbt.“ Und doch ſollte e8 noch ſchlimmer fommen, als unter ver Re⸗ gierung des fchlaffen Wüftlings, welcher feinem großen Oheim auf dem Throne folgte, das ganze preußifche Staatswefen aus Rand und Band zu gehen drohte. Ein Staat ohne ſittliche Bafis ift nur ein Ding, deſſen Eriftenz von taufend Zufälligfeiten abhängt, und einen folchen Staat hinterließ Frievrih Wilhelm ver Zweite feinem Sohne. Die Zuchtlofigfeit ver berliner Gejelljchaft beim Uebergange vom 18. ins 19. Jahrhundert ift eine jo allgemein befannte Thatjache, daß wir darüber nicht

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viele Zeugen abzuhören brauchen. Es genügt an einem, dem man freilich ven Vorwurf gemacht hat, ind Schwarze gemalt zu haben, veffen Zeugniß aber nicht allein durch die Ausfagen einer Menge von Mitzeugen, ſondern auch und noch viel mehr durch ein unwiderſprechliches Beweis—⸗ ſtück beftätigt wird, welches vom Jahr 1806 vatirt und Jena heißt 137). Die Kataftrophe von Jena war ja nur

——

157) Der Zeuge welchen ich meine, ift der Verfaſſer der „Ver⸗ trauten Briefe Über bie inneren Verbältniffe am preuß. Hofe, ſ. d- Tod Friedrichs II. 1807". Seine Betrachtungen über politifche und firategifche Dinge find allerdings mit Vorfiht aufzunehmen, feine ſittengeſchichtlichen Berichte aber jagen nur unverhüllt aus, was all- gemein befannt war. Nachdem er in einem Brief aus Berlin v. I. 1799 (8b. I, S. 109) das genußſüchtige Leben und Treiben der damaligen berliner „Leute von Welt” geſchildert, führt er fort: „Die Weiber find fo verborben, daß felbft vornehme Damen von Adel fi zu Kupplerinnen herabwürdigen , junge Frauen und Mäd- hen von Stand an fich ziehen, um fie zu verführen, wobei fie die Kunft verſtehen, leichte Anftedungen zu kuriren, für Schwanger- ichaften aber künftliche Präfervative zu verfaufen. Manche Cirkel von ausfchweifenden Weibern vereinigen fih auch wohl und miethen ein möblirtes Quartier in Kompagnie, wohin fie ihre Liebhaber beftellen und ohne Zwang Bakchanale und Orgien feiern. Du findeſt oft in den B........ noch wahre Veſtalinnen gegen manche vornehme berliner Dame, die im Publiko als Tonangeberin figurirt. Es gibt vornehme Weiber in Berlin, die ſich nicht ſchä⸗— men, im Schauſpielhauſe auf der H.... bank zu ſitzen, ſich hier Galane zu verichaffen und mit ihnen nah Haufe zu geben. Da Berlin der Centralpunkt der preußiichen Monardie ift, von wo alles Böſe und Gute Über die Provinzen fi ausgießt, fo bat ſich die dortige Verdorbenheit nad und nach über diefe ausgebreitet. Der Offizierftand, dem Müffiggange hingegeben und den Wifjenichaften

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die logiſche Folge jener furchtbaren politiſchen und ſocialen Verderbniß, welche ſchon in den letzten Regierungsjahren Friedrichs des Zweiten den ſcharfbeobachtenden Mirabeau den preußiſchen Zuſtänden „Fäulniß vor der Reife” zu— ſchreiben ließ, einer Verderbniß, welche dann unter dem Regiment einer Gräfin Lichtenau, eines Wöllner und Biſchofswerder eine ſo allſeitige Vollendung gefunden hatte, daß ein Beiſpiel häuſlicher Tugend und Sitte, wie es Friedrich Wilhelm der Dritte und Luiſe gaben, nicht dagegen aufzukommen vermochte.

Es hätte aber auch gradezu wunderbar zugehen müſſen, wenn die demoraliſirenden Wirkungen, welche die nach franzöſiſchem Muſter in den höfiſchen und ariſto— frattfchen Kreifen Deutfchlands jo ziemlich das ganze Jahrhundert hindurch heimische Faffung und Führung

entfrembet, bat es am weiteften unter allen in der Genußfertigkeit gebracht. Sie treten alles mit Füßen, dieſe privilegirten Stören- friede, was fonft heilig genannt wurde, Religion, ebeliche Treue, ale Tugenden der Häuflichleit. Ihre Weiber jelbft find unter ihnen Gemeingut geworben, die fie verkaufen und vertaufchen und ſich wechfelsweife verführen. Kein ehrlicher Bürgersmann, fein folider Eivifift Tann ein Weib mehr bekommen, was jene Schmeiß- fliegen nicht fehon verumreinigt hätten oder, wenn fie unſchuldig in den Eheftand trat, nicht zu befleden fuchten.“ Dieje herbe Aus» lafjung urtbeilt, wie man fiebt, in Bauſch und Bogen ab, ohne auf Ausnahmen von der Regel Rüdficht zu nehmen. Uber wie moralifch verfumpft die berliner Gejellicaft zur Zeit, wo „Ruhe die erfte Bilrgerpflicht” war, gewejen fein muß, verräth ſchon der Umftand, daß auf diefem Boden eine Erſcheinung wie die ©ift- mifcherin Urfinus gedeihen Tonnte.

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des Lebens hervorgerufen, weniger weitgreifend und zer- jtörerifch gewejen wären. Das gefrönte Later umgab fich mit dem ganzen Nimbus des „droit divin“ und pro= Hamirte geräufchvoll die fultanifhe Marime, daß den Erdengöttern alles erlaubt fei, weil fie über ver Sphäre wie des „gemeinen“ Rechts fo auch ver „gemeinen“ Sitt- lichkeit ftänden. Dieſem Uebermuthe ver Ariftofratie fam die bodenloſe Nievderträchtigfeit der Völker zur Hilfe. Was alles die deutſchen Volksſtämme im Zeitalter des Rokoko von ihren Sultanen jich gefallen ließen, über- jteigt alle Borjtellungen. War doch überdies jeder deutſche Fürft, welcher in feinen Ausfchweifungen ven pompofen Maitreſſenwirthſchaftsſtil Ludwig des PVierzehnten fo- pirte oder die Orgien des Duc d'Orleans nachäffte oder einen Hirichparf haben wollte wie Ludwig der Fünfzehnte, war er do ficher, von niederträchtigen Verjejchmie- den trotzdem als ein Auguftus, Zrajan oder Marf Aurel angefchmeichelt und won jervilen Hofpfaffen abjolvirt zu werden 1359. Was Wunver, wenn in Folge vefjen vie heilloſeſte moralifche Begriffewerwirrung über alle Stänve

158) Diejer theologiſche Servilismus war jedoch nicht ohne ſehr ebrenwerthe Ausnahmen, obgleich diefe nicht eben zahlreich ge- weſen find. Ih will eine anführen. Als die „Landesverderbe- rin” Wirtembergs, die abjcheuliche Grävenitz, Maitreffe und Ty— rannin des Herzogs Eberhard Ludwig, i. 3. 1708 bei dem Diakon von Urach, ©. D. Zorn, zur Beichte gehen wollte, verweigerte biefer mannhafte Geiftliche ihr die Abjolution und die Zulaffung zum Abendmahl. Zorn wurde fofort verbaftet und auf Hobenneufen. eingekerkert. |

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hereinbrach und ſich eine Schmußfrufte von Gemeinheit und Zuchtlofigfeit über unfer Land ausbreitete, welche zu brechen und nad) und nach wieder verfchwinden zu machen e8 der ruhmreichen Keinigungsarbeit unferer klaſſiſchen Literatur fowie der Windsbraut der napoleonifchen Kriege bedurfte.

Wir verzichten darauf, die unendliche Skandalchronik der deutſchen Höfe zur Rokokozeit genauer einzufehen. Schon beim flüchtigen Umwenden ver Blätter dieſer Chronik fteigt daraus ein vie ganze Atmojphäre ver- peſtender, aus Lüderlichkeit und Brutalität, Prunf und Bettelhaftigfeit, Ueberfeinerung und Beſtialität wider- wärtigft gemijchter Miffpuft auf. Nur foweit e8 unfere Aufgabe ſchlechterdings verlangt, wollen wir einige Stellen aufichlagen, um Scenen an uns vorübergehen zu laſſen, welche veranfchaufichen können, bis zu welchem Grade die höfiiche Galanterie des Rokoko der Zucht und Scham ledig war und wie in dieſe Galanterie fehr häufig vie roheſte Gemeinheit hineinfpielte; ferner, wie die brutale Sinnlichkeit der Mönner fogar ſolche Frauen, welche auf Bewahrung ihrer Ehre hielten, ven gemeinften Zu— muthungen bloßftellte, oder aber, wie die Verborbenheit der Männerwelt auch die Frauen nicht nur über bie Schranken der Weiblichkeit, fonvern der Menjchlichkeit überhaupt hinauslockte.

Uebereinftimmend nennen zwei Augenzeugen, der wohlerfahrene Klätſcher Pöllnig und der fade Sitten- maler von Loen, den fächfifhen Hof unter Friedrich

Auguft dem Starken weitaus „den präctigften und Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. II. 14

210 Bud IH. Kap. 5.

galanteften” jener Zeit. Nun wohl, an dieſem Mufterbof, ber in einem beftändigen Zaumel von Xuftbarfeiten den Schweiß des Landes verprafite, wurden dem Geburtstag des Kurfürften und Königs zu Ehren am 12. und 13. Mai 1718 Feſte gefeiert, nicht unwürbig des Monar⸗ chen, welcher i. 3. 1723 beim Eintreffen ver Nachricht, daß der Regent Frankreichs (Duc d'Orleans) in ven Armen einer Buhlvirne vom Schlag gerührt worden fei, ausrief: „Laſſ' mich fterben den Tod dieſes Gerechten 159 ! * An beiden Tagen beichloß eine allgemeine Betrunfenheit die Reihe ver VBergnügungen. Der Feſtgeber des zweiten Tages, Feldmarſchall von Flemming, fiel in feinem Rauſche dem König, als dieſer fich wegbegeben wollte, um ven Hals und ſchrie: „Bruder Auguftin, ich fage bir alle Freundſchaft auf, wenn du fehon weggehft“. , Die Gräfin von Dönhoff, damals Haupt- und Staatsmai- treffe des Königs, juchte ihn von dem betrunfenen Flem- ming loszumachen, aber dieſer jchloß die Dame liebreich in feine Arme und freifchte ihr zu: „Du Kleines Hürchen, ſchweige vu nur ftil! Du bift ja doch ein gutes Luder⸗ hen”. Dergleihen Komplimente war die Gräfin von dem Feldmarfchall, wenn er getrunfen hatte, jchon ge wohnt und beantiwortete dieſelben nur mit Lachen 160),

159) Cramer, Denkwürdigkeiten der Gräfin Aurora von Kö- nigsmarf, I, 396.

160) Herr von ven, Kleine Schriften, IL. Ein Jahr vor Bezeigung folder Galanterie vonfeiten eines deutſchen Hofmanns hatte auf deutſchem Boden eine Ecene gefpielt, welche, vom Car Peter I. aufgeführt, ohne Frage die brutalfte jener Zeit war. Der

Rokoko. 911

An dieſem „prächtigften und galanteften Hofe von ver Welt“ gefhah e8 auch, daß i. 3. 1728, als der König Friedrich Wilhelm der Erfte von Preußen daſelbſt zum Be- ſuch war, Auguft ver Starfe feinen Gäften eines Abends die jchöne Formera, eine italifche Tänzerin, bei helliter Kerzenbeleuchtung jplitternadt zur Augenweide vorführte. Der Preußenkönig Tiebte aber vergleichen „Attrapen” nicht, hielt dem jungen Kronprinzen, feinem Sohne, ven Hut vor die Augen und fagte nur troden: „Sie tft recht Ihön*. Die Tochter Friedrich Wilhelms, die Marf-

Herzog Karl Leopold von Medienburg hatte, ohne von feiner ſchnöde miffbandelten Gemahlin, der Prinzeifin Sophie Hedwig von Naſſau⸗ Diet, vechtsfräftig gefchieden zu fein, die ruffiiche Prinzeffin Katha⸗ rina, eine Nichte Cars Peter I., geheiratet. Als i. 3. 1717 der Car auf der Rüdreife von Paris nad Magdeburg kam, geſchah daſelbſt Folgendes: „La duchesse de Mecklenbourg sa nitce étant venue expr&s de Schwerin avec le duc son &poux pour le voir et l’accompagner ensuite & Berlin, le czar courut au devant de la princesse, Pembrassa tendrement et la conduisit dans une chambre, l’ayant couch& sur un canape, et sans fermer la porte et sans consideration pour ceux qui etoientdemeures dans l’antichambre, ni möme pour le duc de Mecklenbourg, il agit de maniere & faire juger que rien n’imposoit & ses passions. Je tiens l'un et l’autre fait de deux t6moins oculaires et du feu roi möme, & qui ceux qu'il avoit envoyes & la rencontre de leurs majestes czariennes les avoint rapport6es. Une incontinance si brutale n’&toit pas le seul defaut de Pierre le grand“. Pöll- nitz, M&emoires, Il, 66. Man müßte glauben, Poͤllnitz habe hier gelogen ober wenigftens ftarf geflunfert, wie es ihm nicht gerade jelten begegnete, wenn nicht befanntlich in folhen Dingen bei Car Peter I. nichts, aber auch gar nichts unmöglich geweſen wäre. 14*

212 Buch III. Kap. 5.

gräfin Wilhelmine von Baireutb, welche das erzählt, weiß aber fie hatte freilich eine gar böfe Zunge und führte eine ſehr rückſichtsloſe, viel lieber übertreibende ale milvernde Feder von ihrem geftrengen Vater doch auch ein galantes Abenteuer zu berichten. Der König fei nämlih auch einmal auf ven Einfall gelommen, „ven Jungfernknecht zu fpielen”, und zwar gegenüber dem Fräulein von Pannewitz, ver Tochter einer Hofdame feiner Gemahlin. „Demzufolge fragte er vie Pannewig fehr treuberzig, ob fie feine Maitreſſe fein wollte. Die Schöne wies ihn auf das ſchnödeſte ab. Ihre Kühnheit gefiel dem Könige, und fo fchlecht fie feine Mühe Iohnte, machte er ihr doch ein ganzes Fahr lang ven Hof. In Braunſchweig endlich entliebte er fich (il se desamouracha). Die Pannewig war der Königin dahin gefolgt; eines Tages wollte jie fich zu ihr begeben, als fie vem König auf einer fehr engen, geheimen Treppe begegnete. Er wollte fie umarımen und ihr die Hand in den Bufen fteden ; fie ver- ftand aber feinen Spaß und fchlug ihm mit ver Fauft fo gefchieft in das Geficht, daß ihm das Blut fogleich aus Mund und Nafe fprigte. Der König nahm e8 gar nicht übel, fonvern fagte: „Sie find ein braves Mäpchen, aber 588 wie der Zeufel160)*. Eine andere Schöne am

1608) Die Heldin dieſes von der Hatjcheifrigen Markgräfin erzählten Abenteuer war Sophie Marie von Pannewitz, welche nachmals als Gräfin Boß viele Jahre hindurch einen großen Stand am berliner Hofe gehabt und Anfzeihnungen Über ihre Erlebnifle binterlaffen hat. Dieſe Denkwürdigkeiten find veröffentlicht worben unter dem Titel „Neunundſechzig Sabre am preußiichen Hofe“,

Rokoko. 213

damaligen preußifchen Hof, ein Fräulein von Wagnitz, war zwar ebenfalls „bös wie ver Zeufel”, aber keineswegs jo tugenbhaft wie die Pannewig. Im Gegentheil, fie lie, unterftügt von einer gleichvenfenten und in der Auß- ihweifung geſchulten Mutter, alle Minen jpringen, um

bie Maitreffe des Königs zu werben. Allein Friedrich Wilhelm wollte nichts won ihr wiffen und ihre Ränke hatten nur ihre Verweifung vom Hofe zur Folge. ALS ihr die Königin, welche guter Hoffnung war, ven Abſchied gab, mit dem gutmütbigen Beifügen, fie werde, falls ihr der Himmel einen Sohn jchenfte, ven König bitten, das Fräulein zu begnadigen, geriet „die Wagnitz in eine folche abjcheuliche Wuth, daß fie ganz ſchwarz wurde“. Sie vergaß fich jo weit, daß fie zur Königin fagte: „Ich wünfche, daß ber Teufel Ihr Kind hole und daß ihr beide verplagt!" Auch ein charakteriftiiches Müſterchen des Rokokohofſtils! Das grauenhaftefte jedoch ift die ebenfalls von der Schweiter Friedrichs des Großen erzählte Gefchichte der Tochter des Markgrafen Georg Wilhelm von Baireuth, welche von ihrer eigenen Mutter in fo beifpiellofer Wetfe zu Grunde gerichtet wurde, daß man zur Ehre ber Menjchheit und insbefondere des weiblichen Geſchlechtes anzunehmen geneigt ift, vie Erzählerin habe übertrieben. Georg Wilhelms Gemahlin Sophie, nachmals in zweiter Ehe an ven berüchtigten Sonderling Graf Hoditz vermählt, war auf die Schönheit und den guten Auf ihrer eigenen 3. Aufl. 1876. Zur Zeit, wo diefe Dame, welche zu den beften Frauen

ihrer Zeit gehörte, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ben jungfräuliden Standpunkt klarmachte, war fie erft 12 Jahre alt.

214 Bud III. Kap. 5.

Tochter eiferfüchtig, welche an ven Prinzen von Kulmbach vermählt werben follte. Die Rabenmutter verſprach einem Kammerheren des Markgrafen, Namens Wobefer, 4000 Dufaten, wenn e8 ihm gelänge, ihre Tochter zu verführen und zu ſchwängern. Als die Verführungs- künſte diefes Menſchen nicht zum Ziele führten, Tieß bie Markgräfin „ven Wobefer einit des Nachts in das Schlafzimmer ihrer Tochter fich verfteden; man fchloß fie zufammen ein und ungeachtet des Geſchrei's und ver Thränen ver Prinzeſſin gelangte er zu ihrem Beſitz“. Die Folge diefer Schänplichfeit war, daß die arme Prin⸗ zeifin nach einiger Zeit mit Zwillingsfnaben niederkam. „Ungeachtet aller Bitten und PVorftellungen aller An- wejenden nahm die Markgräfin vie Neugeborenen, lief damit überall herum, zeigte fie aller Welt und fohrie, daß ihre Tochter eine Schamlofe, daß fie ins Kinpbett gefommen ſei“. Nachmals „fpielte fie fo viel mit ven beiden Kindern, daß dieſe ftarben“. Wobeſer hatte vie Unverfhämtheit, von dem Marfgrafen die Auszahlung der verfprochenen 4000 Dufaten zu forvern, ſah fich aber darum betrogen 181). Zur Kennzeichnung ver hobenzolle- rifchen Xandesväterlichfeit von Anjpach und Baireuth wo befanntlich ver Menfchenfleifchhanvel mit am ſchwung⸗

161) Dentwürdigfeiten der Preuß. Prinzeffin Friederife Sophie Wilhelmine, Markgräfin von Baireutb, I, 14, 18, 66 fg., 218 fg. 1I, 66 fg. Abgefehen von dem Inhalt diefer urſprünglich fran- zöſiſch gejchriebenen Memoiren, ift auch die Ausdrucksweiſe fehr merkwürdig. Die Schwefter Friedrichs des Großen ſpricht von ge⸗ ſchlechtlichen Dingen mit der Ungenirtheit eines Fuhrknechts.

Rokoko. 215

hafteften betrieben wurde gehört auch noch dieſer Zug. Die Maitreffe des vorlegten Markgrafen Karl Friedrich Wilhelm äußerte gegen diefen eines Tages den Wunſch, einen Schornfteinfeger, welchen fie auf einem ihrem Fenfter gegenüberliegenden Dache erblickte, herun- terpurzeln zu ſehen. Flugs ergriff ver angeftammte Yan- desvater feine Büchfe, zielte und ſchoß den armen Teufel richtig herunter. Der Witwe des jo ruchlos Gemorveten geruhte ver vurchlauchtige Mörder allergnädigft 5, Tage fünf ganze Gulden zur Entſchädigung ausbezahlen zu laffen. In dieſer Hofwelt voll Rohheit und Schamlofigfeit waren Ehr- und Zartgefühl fo unbekannte Dinge, daß Prinzen aus den beiten Häufern feinen Anjtand nahmen, abgebrauchte Maitrejfen zu heiraten 169. . Sogar der ge- jellige Takt ging verloren und edle Fürftinnen mußten um nichtswürdigſter Buhlweiber willen öffentliche Be— leidigungen fohweigend hinnehmen. So die Gemahlin Augufts des Starken, die würdige Chriftine Eberharbine von Brandenburg. Kulmbach, zur Zeit, als die bevüch- tigte Kofel, von Geburt eine Brodvorf aus Holftein,

162) So heiratete ein Prinz Friedrid Ludwig von Wirtem: berg 1722 die Urfula Katharina von Boufom, eine Polin, welche Auguft der Starke zu feiner Maitreffe und zur Fürftin von Zeichen gemacht, dann aber um der Kofel willen abgedanft hatte; und fo heiratete ein Prinz Karl von Holftein:Bed 1730 die Anna Karolina Orzelſka, welche eine Tochter Auguſts des Starken und, falls die Markgräfin von Baireuth Glauben verdient (Denkwürdigk. I, 84), die Maitreffe ihres Vaters. und zugleich die ihres Halbbruders, des Grafen Rutowſky war, auch Friedrih dem Großen, als er noch Kronprinz, folgenreiche Schäferftunden bewilligt hatte.

216 Buch III. Kap. 5.

Favgritfultanin des Königs war. Bei Gelegenheit eines Beſuches, welchen der König von Dänemark am fächfifch- polnifchen Hofe zu Drefven abftattete, war die Königin, welche fonft zurüdgezogen in Pretfch lebte, nach ver Re⸗ jivenz gefommen, unter der Bedingung, daß die Kojel nicht in ihrer Gegenwart erfchiene. Die übermüthige Buhlerin erfchien aber dennoch, als die Herrſchaften öffentlich fpeif’ten, alle anwefenden Damen durch ihren Schmud überjtralend. ‘Der König von Dänemark führte fie auf einen Pla an feiner Seite und Gaft und Wirth wetteiferten in Galanterie gegen die Maitreffe, in An- wefenheit der rechtmäßigen Gebieterin des Haufes, welcher nichts übrigblieb, als fich zurüdzuzieben. Aehnliche Beifpiele ließen fih zu Dutzenden anführen. Die Ge- jellichaft des 18. Jahrhunderts athmete in einer fo ganz von Lafterhaftigfeit erfüllten Atmofphäre, daß es nicht felten war, vornehme Frauen zu fehen, welche im Strudel der Ausfchweifung mit der Scham auch die Scheu vor dem Verbrechen eingebüßt hatten 163). Den fehlagenpften

163) Die wirtembergifche Prinzeffin Augufte Elifabeth Marie Luiſe, Schwefter des Herzogs Karl Eugen, geb. 1734, vermählt 1753 mit dem Fürften Anfelm von Thurn und Taris, kann als Beifpiel dienen. Leichtfinn und Verſchwendungsſucht hatten dieſe Dame moralifch fo ruinirt, daß fie, mit ihrem Gemahl und ihrem Bruder zerfallen, fein Bedenken trug, auf jenen bei Gelegenheit einer Jagd einen meuchlerifhen Schuß loszubrennen, ver aber fehlging, und gegen diefen einen Bergiftungsplan anzufpinnen. Sie ftarb als Gefangene 1783 im Schloffe zu Göppingen. Vgl. Weber, Aus vier Sahrhunderten, I, 323 fg. Gelegentlich fei noch daran erinnert, daß der deutjche Adel es als eines feiner Vorrechte anfah und an⸗

Rokoko. 217

Beweis für die tiefe Unſittlichkeit jener Zeit dürfte aber doch der Umſtand abgeben, daß eine fürſtliche Maitreſſe, die Gräfin Franzifla von Hohenheim, in Wirtemberg als die „Franzel“ oder „'s Franzele“ des Herzogs Karl Eugen befannt, öffentlich und während fowohl ihr recht- mäßiger Ehemann als auch die rechtmäßige Ehefrau ihres herzoglichen Liebhaber noch lebten, als der Inbegriff aller weiblichen Vollkommenheiten gefeiert wurde. Keine Trage, diefe Frau erwarb fich, indem fie den Herzog von einem bis zur Raſerei gedankenloſen Defpotismus mit fanfter und gefchichter Hand zu einem „aufgellärten“ hin- überleitete, manches Verdienſt um Altwirtemberg. Allein bei alledem hat e8 doch faum je eine bitterere Satire gegeben als jene lobpfalmirenden Reime, welche ver arme achtzehnjährige Schiller, als Zögling der von Schubart „Sflavenplantage” gejcholtenen Militär - Alademie in Stuttgart, i. 3. 1778 auf Franziſka's Geburtstag dich⸗ tete oder dichten mußte und worin die Maitreffe en titre

ſprach, daß die Schar der fürſtlichen Beiſchläferinnen aus der Zahl feiner Töchter rekrutirt wüürde. Als das arme Fräulein von Schlotheim ihres heftigen Sträubens ungeachtet von ihren Eitern gezwungen wurde, den Lüften des beftialifhen Kropf- und Zopf- manns zu dienen, des Erbprinzen von Heſſen⸗Kaſſel des berüch⸗ tigtften aller Händler mit Menſchenfleiſch, nachmals Kurfürft Wil- beim ber Erſte erzählte eine zeitgenöſſiſche Edelfrau aus Heffen diefe Jammergeſchichte einer fremden Dame. Dieſe konnte ſich nicht enthalten , ihrem Abſcheu wor folder Bodenloſigkeit Iumpofratifch- adeliger Niedertracht Ausdrud zu geben. Worauf die adelige Heſſin naiv verwundert: „Was wollen Sie? Der heſſiſche Adel durfte ſich doch diefen Vortheil nicht entgehen laſſen!“ Pert, Leben Steins, II, 597.

218 Bud IU. Kap. 5,

als verförperte „belohnte Tugend“ und als „das Mufter- bild der Tugend“ gepriejen wurde 16%. Friedrich Schiller, welcher fich bereits anfchidte, „die Räuber” zu ſchaffen, als Verklärer einer fürftlihen Beifchläferin «8 gibt doch feine größere Meifterin ver Ironie als vie Welts geſchichte! Sie ftellt, ohne ven Mund zu verziehen, hart neben einander zwei Welten, vie fich gleichen wie Tag und Nacht, wie Himmel und Hölle: zur nämlichen Zeit, wo ein Leſſing feinen Nathan ausgeben Tieß, dieſes Hohe- lied der Deutjchen, viefe frohe Botfchaft der Vernunft und Humanität, zur nämlichen Zeit verfauften ver Land⸗ graf von Heffen und andere deutſche „Landesväter“ ihre Landeskinder an die Engländer, das Stüd für fo und fo viel Pfund Sterling.

So jtand denn auch in der deutſchen Gefellichaft des 18. Jahrhunderts neben der frivolen, auf bourbonifchen

Fuß organifirten Welt die fromme des Pietismus, deren

Bewohner freilich nicht felten in ihren fittlichen oder viel- mehr unfittlichen Schlußzielen mit den Bekennern ver franzöfiijhen Mopephilofophie zufammentrafen, wenn auch auf fehr verfchievenen Wegen. Die pietiftifche Be— wegung, aus ver zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

164) Bgl. Hofmeifters Nachlefe zu Schillers Werken I, 17. Eine diefer Reimereien war gar noch den Zöglingen der Ecole des Demoiselles in den Mund gelegt und niemand fühlte die unge- heure Unfchidlichleit, einen Kreis von jungen Mädchen zu einer Frau, welche doch im Grunde nur die ihrem Manne pavongelaufene Konkubine eines notoriſchen Wüftlings war, ſprechen zu laffen:

„Stets feuervoller wird der Vorſatz uns beleben, Dir, Mufterbilp der Tugend, nachzuftreben”.

Pa ya

Rokoko. 219

ſtammend, war, wie jedermann weiß, urjprünglich eine Oppofition gegen das in dem geift- und gemüthlofen Formelkram eines unduldfamen Dogmatismus eritarrte Lutherthum gewejen. Der Pietiemus enthielt demnach Keime des Vorſchritts, aber auch Keime grober Ver- irrungen, weil er, dem Phantom einer apoftoliichen ChHriftlichfeit nachjagenn, die Wirklichkeit als etwas ſchlechthin Bedeutungsloſes, ja Verwerfliches faſſte, vie Himmelſehnſucht zum Grundmotiv alles menſchlichen Fühlens und Thuns machte und dadurch die Gemüther in eine Nebelei und Tiftelei verſtrickte, welche mit der Welt, wie ſie nun einmal iſt, in die härteſten Kolliſionen gerathen mußte. Aus dieſen Kolliſionen entſprang der pietiſtiſche Dünkel, welcher keiner Kirche an Ausſchließ⸗ lichkeit und Hochmuth der Alleinſeligmacherei nachſteht, und ferner jene bodenloſe ſubjektive Willkür, die, wenn fie fih einmal in ven „Stand ver Gnade“ hineingeſchwin⸗ delt bat, über alle pofitiven Geſetze, insbeſondere auch über die der Sittlichkeit, weit fich hinwegſetzen zu pürfen glaubt. Die ganze Gefchichte des Pietismus bezeugt vie Nichtigkeit diefer Charakteriftil. Auf der andern Seite ift es Leicht erklärlich, vaß in der deutſchen Frauenwelt und zwar anfänglich namentlich in ven vornehmen Kreiſen berjelben, bie pietiftiihe Bewegung zahlreiche An- hängerinnen gewann. Schon die Dürre und Yarblofig- feit des proteftantifchen Kultus, welcher eigentlich gar fein Kultus ift, mußte die Frauen aus der Kirche in bie pietiftifchen Kirchlein“ treiben, wo fich ihr Phantafie- und Gemüthsleben mehr Anregung und Befriedigung verſprach.

220 Bud III. Kap. 5.

Hierzu Tam die verbumpfenve Langeweile des adeligen Schloſſlebens in Gegenden, die von der Ölanzentfaltung ber alamovifchen Zeit und des Rokoko abjeits lagen. Ferner der Anblid von jo vielen unglüdlichen Ehen in ven ariftofratifchen Kreifen, woraus die Frauen die Ueber- zeugung fchöpften, eine lebendigere Religioſität könnte auch hierfür Abhilfe bringen. Endlich machte e8 vie Aufrecht- haltung der ftrengen Stanvesbegriffe einer Unzahl adeliger Mädchen unmöglich, unter die Haube zu fommen, woraus folgte, daß die Altejungfernwelt ein ergiebigftes Feld ver Nefrutirung für den Pietismus wurde. Denn lieben muß das Weib. Hat e8 feinen Geliebten, feinen Gatten, feine Kinder zu lieben, jo wirft e8 fich vem Heiland in die Arme oder nicht felten auch ganz unwürbigen Schwindlern, welche jich das Anfehen von Apojteln zu geben verftehen. Alfe die angebeuteten Motive wirkten zufammen, um vom Aufgange des Pietismus an eine Menge von deutſchen Bornehmen den reifen der „Erwedten” zuzuführen. Erwedte Frauen beeinflufiten in dieſem Sinne beitim- mend ihre Männer und Söhne und fo bildete fich eine Kette von pietiftiichen Avelsfamilien, welche fih vom Südweſten Deutfchlands bis in den Often und Norden erſtreckte. Die fürftlihen und gräflichen Häufer ver Solms, Stolberg, Iſenburg, Wittgenftein, Leiningen, Neuß, Promnig, Dohna waren vortretende Ringe dieſer Kette. Im 3. Iahrzehnt des 18. Jahrhunderts bat der Pietismus, wie befannt, im Herenhuterthum, als deſſen Apoftel Graf Ludwig von Zinzendorf eine außerorbent- Iihe Zhätigfeit entfaltete, auch den Verſuch gemacht,

Rokoko. 221

jociale Geftaltung zu gewinnen, und zwar nicht ohne äußerlichen Erfolg. Wie fich die völlige Ertödtung aller Freiheit und Schönheit des Lebens, worauf die herrn- hut'ſche Gemeindeverfaſſung beruht, mit einer wahr- haft humanen Bildung vertrage, ift freilich eine andere Frage. Als Philipp Jakob Spener im August 1670 in ver alten Reichsſtadt Frankfurt zuerft feine „Collegia pietatis“ eröffnete, hatte er, welcher bapurdh feiner Zeit eine Wohl- that erweifen wollte und in gewiſſem Sinne auch wirklich erwies, ficherlich Feine Ahnung, daß ſich aus dem Pietis- mus gar bald Richtungen abzweigen würben, welche in die tiefften Abgründe menfchlicher Narrheit und menfch- licher Verworfenheit hinabführten. Die Revolution, welche die pietiftiiche Ipee in ven Gemüthern erzeugte, mwühlte in ihrem Yortgange ven tiefiten Bodenſatz der Unver- nunft und Unfittlichleit auf. Cine wilde Phantaſtik, eine wüſte Myſtik brach in die pietiftifchen Kreife herein, namentlih in vie volksmäßigen, wo die Gewöhnungen einer Tonventionellen Bildung feinen Dämpfer auf die Flackerglut religidjer Ueberſpannung fegten. ‘Doch fehlte es auch in der vornehmen pietiftifchen Welt weder an Abfonverlichkeiten noch an Gräueln. Es famen die Zeiten der Horh, Dippel und anderer Schwärmer, ver aber- wigigen Träume des Chiliasmus, der verrüdten „Bezeu- gungen” und „Befiegelungen” aller Art, des fataliftifchen Glaubens an die orafelhafte Geltung von Bibelftellen, welche „eine chriftliche Perfon nach ihrem Gebote beim Aufſchlagen der Bibel unter ihre beiden Däume be-

222 Buch IH. Kap. 5.

kam“ 165), Kin ganzer Schwarm von Sibylien, Sehe- rinnen, Berzüdten und Blutfchwigerinnen ftand auf und diefe Pietiftinnen fröhnten unter dem religidjen Ded- mantel nur allzu häufig ven gemeinften Laſtern. Schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts hatten die Gegner ver Pietiften wohlbezeugte Gründe, dieſen unter anderem „vie Verführung der Weiblein in geheimen Zufammen- fünften“ vorzumwerfen. In einer Pietiftenfolonie, welche fih im Jahr 1702 zu Schwarzenau in der Grafſchaft Wittgenftein angefievelt hatte, verbanden fich religiöfer Wahnwis und gefchlechtliche Ausjchweifung zur Auf- führung eines Nachtſtückes, deſſen Frevelhaftigfeit darin gipfelte, vaß die „heilige“ Vorfteherin ver Kolonie, die „Mutter Eva“, d. h. ein lüderliches Weibsbild aus einer heſſiſchen Adelsfamilie, Eva Magpalena von Buttlar, ihre Anhängerinnen mitteld einer abfcheulichen Manipulation der Fähigfeit, zu empfangen und zu gebären, beraubte 166).

Gewiß, zu jeder Zeit, feit der Pietismus exiftirt, hat fihb ihm mandes vom Unglüd zermürbte edle Frauen- herz, manches vereinfamte, unverftandene und miſſhan⸗ delte, manches auch noch ungebeugte, aber von jenem relt« giöfen Sehnen getriebene, welchem Uhland in feinem Ge-

165) Canftein, in ber Lebensbefchreibung Speners (1740), ©. 101.

166) Weil, wie bie Frevlerin befannte, „dies zur Seligleit des Weibes gereiche”. ine altenmäßige, heutzutage unmöglich nachzufchreibende Darlegung des ſchwarzenau'ſchen Handels gab Thomafius: „Vernünftige und chriftliche Gedanken“ (1725), III,

208-624. Bol. meinen Efjay „Mutter Eva” in meinem Buche „Größenwahn,“ S. 15—47.

Rokoko. 223

dicht von der verlorenen Kirche jo wunderbar fehönen Ausdrud gegeben, mit der rveblichen Hoffnung ange- fchloffen, bier Troft und Frieden zu finden. Allein ebenfo gewiß ift, daß wahrhaft gebildete, feinfühlenve und groß- benfende Frauen es in ben pietiftiichen Dämmerungen in die Länge nicht aushalten können. Schon darum nicht, weil fich der Pietismus von den intellektuellen und jittlihen Berirrungen, welchen er im vorigen Jahrhundert verfiel, im gegenwärtigen Teineswegs gereinigt hat. In Wahrheit, vie Annalen ver pietiftifchen Seftirerei bieten bis auf unfere Tage herab furchtbare Illuſtrationen zu dem alten Sate, daß Wolluft und Grauſamkeit Zwillings- Ichweftern ſeien. Zwar hieße e8 dem Pietismus unrecht thun, wollte man ihm eine Erjcheinung auf Rechnung jegen, wie jenes Ungeheuer, die Gefina Margaretha Gotts fried aus Bremen, welche am 20. April 1831 hingerichtet wurde, überwiefen und geftändig, fünfzehn Giftmorve, unter deren Opfern ihre Eltern, ihre zwei Gatten und ihre Kinder waren, und fünfzehn Giftmordsverſuche be- gangen zu haben und außerdem ſchuldig des Meineids, Einbruchs, Diebſtahls, Ehebruchs, der Unterſchlagung und der Fruchtabtreibung. Aber doch muß es als ſehr bedenklich erwähnt werden, daß dieſes Weib von Jugend auf in pietiſtiſchen Kreiſen ſich bewegt hatte, daß ſich ihre Redeweiſe gern im ſüßen Traktätchenſtile hielt und daß fie e8 Tiebte, ihre Wolluft fowohl als ihre Mordluſt mit ſalbungsvollen Sprüchlein zu würzen. Es hat viel- leicht nie eine vollenvetere Heuchlerin gegeben als viefe Siftmifcherin. Sie war ihr Leben lang eine wandelnde

224 Bud III. Kap. 5.

Lüge, innen und außen 167). Beftimmter traten die ver- derblichen Folgen pietiftifcher Dunfelungen in dem ent⸗ jeglichen „Paffionsfpiel” hervor, welches am 15. März 1823 in einem Bauernhaufe zu Wildisbuch im Kanton Zürich tragirt wurde. Hier ließ Margaretha Peter, von den umwohnenden „Stillen im Lande“ als vie „Heilige von Wildisbuch“ verehrt, in Wirklichkeit ein verfchro- benes, arbeitsjcheues, eitles und wollüftiges Wejen, am genannten Tage „zur Ueberwindung des Satans“ zuerft ihre Schweiter Elifabeth ermorden und dann durch ihre in den Strudel religiöfen Wahnfinns mithineingeriffenen Anhänger und Anhängerinnen fi felber ans Kreuz Tchlagen. Es ift wohlthuend, in diefer gräuelvollen Tra⸗ gödie des Pietismus, in welcher Wahn, geiftlicher Hoch- muth, Wolluft und Blutdurſt untrennbar verbunden find, wenigſtens einen reinmenjchlich-[hönen Zug aufzeigen zu fönnen. Ein verheirateter Schufter, ver „Seelen- bräutigam” der Heiligen von Wildisbuch, hatte mit diefer

im Ehebruch ein Kind erzeugt. Die brave Ehefrau des Schufters, Regula Morf, welche nachmals in der gericht- lichen Verhandlung fich die Klage entjchlüpfen ließ: „Ach, bie Margaretha hat mich wieverholt gefreuzigt 1" gab, um die Ehre ihres Mannes zu retten, deſſen Baftarbfind für

167) Als die Oottfried nach ihrer Verhaftnahme dem Reglement zufolge entfleivet wurde, zogen ihr die Wärterfrauen nicht weniger als 13, fage dreizehn Korjette aus, die fie alle einsüber dem andern getragen hatte. Ihre rothen Wangen waren Schminfe, und nachdem alle Zoilettenkünfte entfernt, ftand an ber Stelle ver blühenden, mwohlbe- leibten Dame vor den erſchreckten Weibern ein blaffes, angftwoll ver⸗ zerrtes Gerippe. Hitig und Häring, der neue Pitaval, II, 265.

Robolo. 225

ihr eigenes aus und erzog es liebevoll. Wie in dem wildis⸗ bucher Gräuel, ſpielten und ſpielen Weiber nur allzu⸗ häufig in dem Konventikelweſen bie Hauptrollen. Mit- unter wurden Dagegen bie ſchlaueſten Anfchläge pietiftifcher Schwärmer oder Heuchler an dem Bartfinn und Scham- gefühl einer Frau zu fehanden. So foll z.B. das Trei- ben ver königsberger Muder i. 3. 1835 durch vie fitt- lihe Empörung einer Gräfin Finfenftein zu Tage ge fommen fein. Wie befannt, hatten die beiden pietiftifchen Prediger Ebel und Dieftel zu Königsberg eine Sefte ge- ftiftet, deren Mitglieder das Volk „Muder“ nannte; denn das ganze Unternehmen lief, wie es hieß, auf einen Kultus der Unzucht hinaus, den man noch nicht völlig Eingeweibten hinter myſtiſchen Wortgaufeleien von einer „Heiligung des Fleifches Durch ven Geiſt“, von einer „Er⸗ hebung des Gefchlechtsgenuffes zu einem Gottespienft“ zu verfteden verſucht habe. Zu ven noch nicht völlig einge- weihten Mitgliedern des Vereins gehörte auch die Gräfin von Fintenftein, welcher aber vie Augen aufgegangen fein ſollen, als ver eine ver beiden Hierophanten oder Müfta- gogen, Ebel, fie „zur Erzeugung des Meſſias“ miß- brauchen zu wollen fich erfreht habe. Die Sache fam dann auch zur Unterfuhung und wurden Ebel und Dieftel ihrer Aemter entfegt, weil fie „die Religion zum Deck— mantel der Hurerei gebraucht 169)", Fürwahr, wenn

168) In meinem Buch. „Die Gelreuzigte ober das Pafftons- ſpiel von Wildisbuch“ (1860, 2. verbefferte Auflage 1874) babe ich die Geſchichte der Margaretha Beter, eins der merkwürdigſten Kapitel der Religionsgefhichte, an ver Hand der im züricher Staatsarchiv

Scherr, Frauenwelt. 4.Aufl. II. 15

226 Bud III. Kap. 5.

man, auch abgejehen von dieſer und ähnlichen Erfchei- nungen, vie oben berührte fchwarzenauer Unfläterei und die wildisbucher Kreuzigung in Betrachtnahme zieht, fo begreift man, daß ein tiefreligiöjer Menſch, Novalig, eines Tages das fohredliche Wort fprechen konnte: „Es ift wunderbar genug, daß nicht längſt vie Afjociation von Religion, Wolluft und Grauſamkeit die Menſchen auf ihre innige Verwandtſchaft und gemeinfchaftliche Tendenz aufmerfjam gemacht hat“.

aufbewahrten Proceßakten und auf der Bafis genauer Lokalſtudien dargeſtellt, durchweg aus piychologifchen und fulturbiftorifchen Ge— fihtspunlien. Eine „altenmäßige* Darlegung der königsberger Mudergeichichte brachte die „Neuefte Weltfunde* von Malten (1837), womit zufammenzubalten die „Allgemeine Kirchenzeitung“ , 1835, Nr. 177, und 1836, Ar. 16, 50. Nun bataber, wieich anzumerken weder unterlaffen darf noch will, die Schrift des Grafen Ernſt von Kanig: „Aufllärung nad Altenquellen über ven 1835 bis 1842 zu Königsberg geführten Religionsproceß”, 1862 (e8 ift von der⸗ jelben auch ein „Hiftorifcher Auszug”, 1864, erſchienen) die gang und gäbe Anficht Über die in Rebe ſtehende Angelegenheit fo bedeutend erſchüttert, daß ich mich bewogen fühlte, bie beſtimmte Redeform, womit in der erften Auflage biejes meines Buches (S. 416) davon gehandelt worden, in bie unbeftimmte umzujeßen.. Denn keineswegs hat Herr von Kanit mich von der völligen Schuld- Iofigfeit des Konventifelchefs Ebel überzeugt, wohl aber bavon, daß die Muderei in der Boltsphantafie weit größere Dimenftonen angenommen hatte, als fie wirklich befaß, und daß Familienränke und bureaukratiſcher Parteigeift die Sache möglichft vergiftet haben. Die Weife der Proceffirung Ebels war jebenfalls ein Skandal, welder in feiner Art nicht geringer als alle im „Seraphinenhain“ der fogenannten Muder möglicher Weife vorgelommenen Skandalien. Bol. auch „Die VBorboten unferes heutigen Muderthums,” 1872.

Sechftes Kapitel.

Fäürſtinnen. 169),

Das Maitreſſenweſen und die deutſchen Fürſtinnen. Die „philo⸗ ſophiſche“ Königin Sophie Charlotte. Die große Landgräfin. Die Prinzeſſin Amalie von Preußen. Maria Therefia. Marie Antoinette. Katharina die Zweite. Die Herzoginnen Amalia und Luife von Sadjen- Weimar. Die Frauen zur Zeit der Be- freiungstriege. Die Königin Luiſe von Preußen.

Am Ende vom Jahrhundert des Rokoko, der Auf- Härung und ver Revolution ſprach der Abbe Gregotre im franzdjiichen Konvent das berühmte Wahrheitswort : „Die Geſchichte der Könige ift vie Leivensgefchichte ver Völker“. Man hätte vom Anfang bis zum Schluffe diefes vielgeital-

169) In diefem und dem folgenden Kapitel auf einem Ge- biete mich bewegend, wo nur von vielfach erörterten, allgemein als feftftebend anerfannten Thatfachen bie Rebe ift, halte ich es für über- flüffig, die Quellen jo im einzelnen nachzuweijen, wie bisher ge- ſchehen if. Jedoch werde ich überall, wo bie zunächft und weiter: bin zu behandelnden Themen neue Geftchtspunktte darbieten, für dieſe die nöthigen Belege beibringen.

15*

228 Buch III. Kap. 6.

tigen und vielbewegten Zeitraums fagen können: “Die Gefchichte der Fürften ift die Leidensgefchichte der Für- ftinnen. Auch für Deutſchland war das eine traurige Wahrheit und wer Fönnte die Thränen zählen, welche ven Augen fürftlicher Frauen entfloffen, ſeitdem auch bei ung das Amt einer Maitreffe in dem Schematismus des nach dem Mufter der Monarchie Ludwigs des Vierzehnten vollendeten fürftlichen Abfolutismus ein förmlich ſank⸗ ttonirtes Hof- und Staatsamt geworden war? Wie demoralifirend auf die ganze Gefellichaft das fchamlofe, ja geradezu brutale Maitreſſenſyſtem wirkte und wirken mußte, iſt mehrfach berührt worden. Es bevarf auch feiner weiteren Auseinanverjegung, um klar zu machen, welche herabdrückenden und herabwürdigenden Einflüffe die Metenwirtbfchaft auf die fürftlihe Frauenwelt üben mußte. Es war nicht allein eine Beichimpfung, nicht nur ein Schmerz, nicht nur eine Verhöhnung, fondern auch ein Sporn zum Böſen, wenn edle und liebenswürs dige deutſche Fürftinnen einheimifche oder fremde, vor- nehme oder geringe Buhldirnen, oft won der gemeinften Sorte, fich vorgezogen fehen mußten. Manche von ihnen, wenn auch nicht gerade edle und liebenswürbige, find der Macht des verberblichen Beiſpiels erlegen; anvere aber find über den Schmuß des Jahrhunderts hinweggefchrit- ten ohne ſich auch nur die Fußfohlen zu befleden.

Denn wie unfer eigenes, jo ift auch das vorige Jahr⸗ hundert und zwar in noch höherem Maße an fürftlichen Frauen jehr reich gewefen, welche durch perfönliche Vor- züge, durch Geift, Charakter oder Schickſale eine vor-

Fürftinnen. 229

ragende Stellung einnahmen. Viele davon haben durch ihre häuflichen Tugenden wefentlich dazu beigetragen, ven im Zeitalter des Rokoko fo tief zerrütteten veutjchen Familiengeiſt auf’8 neue zu beleben und zu fräftigen, an die Stelle einer hohlen und frivolen Galanterie wieder wahre Achtung vor weiblicher Würde zu fegen und auch in die vornehmen Kreife Schamgefühl und Anjtand zurüdzu- führen, jene, wenn auch häufig nur den äußeren Schein wahrende Ehrfurcht vor dem fittlihen Grundgeſetz, ohne welche weder die einzelnen Menfchen noch die Staaten beftehen und dauern können. Andere haben weltgefchicht- lihe Rollen durchgeführt, fei es mit Glanz und Erfolg, jei e8 als Opfer von Miſſgeſchicken voll tragifcher Weihe. Bon wieder anderen find, ohne daß fie aus der weiblichen Sphäre herausgetreten, vie beveutenditen und heilfam- ſten Anregungen für die politifche Entwidelung wie für die Kulturbewegung unferes Landes ausgegangen. Ver⸗ gegenwärtigen wir uns daher im Folgenden einige der fürftlihen Frauengeftalten, welche in einer der angege- benen Richtungen fich hervorgethan haben. Auf eine vollſtändige Galerie ift e8 dabei natürlich nicht abge- jehen: e8 handelt ſich nur darum, auch dieſe Seite ver Gefchichte der veutfchen Frauenwelt in Kürze zu be= leuchten. |

Wie um das „philofophifche” Sahrhunvert in Deutfch- land einzuführen, erfcheint auf ver Schwelle vefjelben bie zweite Gemahlin bes erften Königs von Preußen, Sophie Charlotte, eine PBrinzeffin von Braunfchweig-Tüneburg, im Herbft 1684 zu Herrenhaufen an den etwas verwach⸗

230 Buch II. Kap. 6.

jenen Kurfürften von Brandenburg verheiratet, welcher 1701 feinen Kurhut mit der Königsfrone vertaufchte. Sophie Charlotte würde an der Seite dieſes Gemahls, welcher das Weſen königliher Majeftät in einem umftänd- lichen, fteifen und foftfpieligen Prunf und Pomp fuchte zu deſſen Inventarftüden ſelbſtverſtändlich auch eine Staatsmaitreffe gehörte ein ziemlich unerquicliches Dafein geführt haben, falls ihr lebhafter und reichgebil- deter Geiſt ihr nicht die Mittel geboten hätte, die Yange- weile eines Hoflebens zu bannen, in welchem vie plum- pen, ja rohen Ueberlicferungen mittelalterlicder Cour⸗ toifie und die franzdfifch-leichtfertige Mode der Zeit zu einem mitunter ganz abfonverlichen Mifchmafch fich ver- banden. Berherrlichte doch Hoffeſte, wobei nod) ganz im Stile der Nitterzeit gehaltene, ſtundenlange Fadeltänze ftattfanden, der Herr von Beſſer mit feinen „amoureufen“ Reimen, die ven Schönen und Unfchönen des Hofes feine Zweiveutigfeiten, aber jehr eindeutige Zoten ins Ge- fiht fagten, über welche auch die Kurfürftin und nach— malige Königin Sophie Charlotte ich nicht entfette, fondern nur lächelte. Sie war ale Braut eine Schön- heit und der „Mercure galant“ von 1784 rühmte ihren ſchlanken Wuchs, ihren reinen Zeint, ihren ſchönen Bufen, ihre großen fanften blauen Augen, das Inkarnat ihrer Lippen und bie Fülle ihrer fehwarzen Haare. Nachdem ihr eheliches Verhältniß erfaltet war, jchlug fie ihren Hof in Lützelburg bei Berlin auf, wo fie, fern von dem läſti⸗ gen Prunk, in welchem ihr Gemahl fich gefiel, zwanglofe Feſte feierte. Ein häufiger Theilnehmer an venfelben

Fürftinnen. 231

war der große Leibnig, welcher bei Sophie Charlotte hoch in Gnaden ftand. Auf feinen Antrieb fegte fie die Grün- bung der berliner Akademie der Wiffenfchaften bei ihrem Gemahle durch. Die Bildung der Königin ragte über die Fläche ver Prinzeffinnenbilvung von damals weit hinweg. Ste redete vollfommen geläufig die franzöftfche, englifhe und ttalifche Sprache und war auch ver latei- nifchen nicht unfundig. Daneben fannte, liebte und übte fie die Mufil. Ihr Wiffensprang war fo raftlos, daß Leibnitz ſich einſt veranlafit fab, ihr zu fagen: „Es ift gar nicht möglich, Sie zufrieden zu ftellen. Sie wollen das Warum ded Warum willen“. Sophie Charlotte verbiente den Ehrentitel ver „philofophtichen Königin“, welcher freilich ihrem orthodox⸗gläubigen Sohne Friedrich Wilhelm I. fo wenig gefiel, daß er äußerte: „Meine Frau Mutter war eine Fuge Frau, aber eine böfe Chriftin“. Ste ftarb 1705 mit wahrhaft philofophifcher Ruhe und Faſſung. Ihr Enkel, Friedrich ver Große, erzählt, vie Sterbende habe zu einer ihrer Damen gejagt: „Bellagen Sie mich nicht; denn ich gehe jett, meine Neugier zu be- friedigen über die Urgründe der Dinge, die mir Leibnit nte hat erklären fünnen, über ven Raum, das Unend⸗ liche, das Sein und das Nichts, und dem Könige meinem Gemahl bereite ih das Schaufpiel: eines Leichenbegäng- niffes, welches ihm eine neue Gelegenheit gibt, feine Pracht parzuthun 1770)",

170) Leibnig bat zur Berberrlihdung des Andenkens feiner öniglihen Freundin ein langes Gedicht in Alerandrinern ge-

232 Buch III. Kap. 6.

Der fönigliche Autor, ven ich fo eben angezogen, war, wie jedermann weiß, zwar in feiner Jugend ein großer Liebhaber der Frauen, in fpäteren Jahren aber nicht eben ein großer Verehrer derſelben. ‘Der berühmte Monarch hatte freilich gar zu mächtige Feindinnen, vie ihm von zwei Kaiferthronen herab, jowie aus dem Boudoir her- vor, wo die Pompadour ven fünfzehnten Ludwig gängelte, ſehr viel zu fchaffen machten. In Wahrheit, er hatte vollauf Gelegenheit, bitter zu erfahren, was der „Unter- ro” in der Weltgefhichte zu bedeuten hätte, und er hatte auch fattfamen Stoff, über „Cotillon J.“, „Eotilfon U.“ und „Eotilfon II.” gepfefferte Sarkafmen ausgehen zu lafien. Im Grunde jedoch mußte er feinen Feindinnen dankbar fein, denn dieſe verfehafften ihm ja Gelegenheit, die Welt mit vem Ruhme feines Namens zu erfüllen. Er war auch Teineswegs immer ver Kyniker, welcher in feinen berühmten Marginalrefolutionen jeden Anlaß, über die Weiber geringſchätzig ſich auszulaffen, gern ergriff. Wie er ftrenge darauf hielt, daß feiner ungeliebten, getrennt von ihm lebenden Gemahlin jede ihrem Rang und ihren ſehr jtillen Tugenden gebührenvde Rüdjicht widerfahre, jo hat er auch die Bedeutung vorragender Frauencharaftere ‚wohl zu würdigen und anzuerkennen verftanden. Im einem an D’Alembert gerichteten Briefe that er bie

ſchrieben. Bollft. gebr. bei Gödecke, Elf Bücher deutſcher Dichtung, I, 484 fg. Ein Meifter der biographiſchen Kunft, Barnhagen von Enfe, ichrieb das „Leben der Königin von Preußen Sophie Char- Istte”, 1837.

Fürftinnen. 233

Aeußerung, er verehre vie Kaiferinnen Maria Therefia und Katharina II., die Kurfürftin Antonia von Sachfen und bie Landgräfin Karoline von Heſſen⸗Darmſtadt als die vorzäglichiten fürftlichen Frauen feiner Zeit”, was freilih mit der erwähnten Cotillon-Sarkaftit nicht ſehr jtimmt. Die leßte der vier erwähnten Frauen, die „große Lanpgräfin*, wie Göthe fie genannt und von der. Wieland gefagt hat, fie müßte, wenn er einen Augenblid König der Schickſale wäre, die Königin von Europa fein, wurde i. 3. 1741 an den nachmaligen Landgrafen Ludwig IX. vermählt und ftarb 1774. Ihr Gemahl war jener wun- derliche Soldatendriller, welcher feine gewöhnliche Reſidenz Pirmafens zu einem ungeheuren Solvatenfäfig machte und die fürftliche Sofvatenfpielerei zu einer feither nicht wieder erreichten Karikatur fteigerte.e Da that e8 benn Doppelt noth, daß die Landgräfin verſtändigen Sinnes in das Regiment von Land und Leuten eingriff. Daneben erfüllte fie ihre Pflichten als Gattin, Hausfrau und Mutter eine ihrer Töchter war Luiſe, die Frau Karl Augufts von Sahjen-Weimar in mufterhafter Weife und widmete ber geiftigen Bewegung ihrer Zeit eine rege, fördernde, unter anderem durch Veranftaltung ver erften Auegabe von Klopftods Oden bewährte Theilnahme.

Das berliner Hofleben zur Zeit des großen Königs, welcher ja in Potsdam und Sanssouci feinen Sunggejellen- haushalt führte, hatte wenig over nichts: anmuthendes. Die Frauen galten da nichts. Gegen ihre Reize erhielt ſich Friedrich gleichgiltig, gegen ihre Schwächen verfuhr er mit Härte. Berüchtigt ift die Talte, aber ausbauernd

234 Bud II. Kap. 6.

erbarmungslofe Grauſamkeit, womit er ven Garbeoffizier Trend verfolgte, weil vemfelben des Könige Schweiter, die Prinzeffin Amalie, ihre Liebe geſchenkt hatte und ſtand⸗ haft bewahrte. Die arme Brinzeffin ift durch das, was der Bruder an ihr und ihrem Geltebten verbrochen, fo verbittert und verfauert worven, daß fie in ihren Alte- iungfertagen am Hofe nur unter dem Namen ver „fee malfaisante* befannt war. Ihr Bruder Heinrich hatte fie fo getauft. Den helfen Gegenſatz zur boshaften Fee bildete die Gemahlin dieſes Prinzen, Wilhelmine von Hefjen-Raffel, ver Liebling des Hofes, als „la belle fee“, als „die Unvergleichliche‘, als „la divina“ gefeiert. Großes Aufjehen erregte die leivenfchaftliche Liebe, welche Friedrichs Ältefter Bruder, der Prinz Auguft Wilhelm, für die ſchöne und tugenphafte Sophie Marie von Pannewik hegte, vie ja, wie wir weiter oben jahen, als Zwölfjährige ſchon dem Vater des Prinzen, dem geftrengen Soldaten- könig Friedrich Wilhelm I. fehr gefallen und fchlagend ihre Sittfamfeit bewiejen hatte. Sie ermwiderte die Neigung des Prinzen, aber fie rettete fich wor ihm und vor ihr felbft, indem fie einem ungeliebten Manne ihre Hand gab und die Schranken einer ftrengen Pflichterfüllung als Gattin und Mutter zwifchen fich und den Bruder Friedrichs jtellte. Dieſes edle Vorbild ahmte jpäter die Tochter ihres Schwagers, Fräulein Julie von Voß, nit nad. Eine Schönheit, wie Tizian fie zu malen liebte, ſchlank und voll zugleich, von feinen Zügen und fehönen Formen, die Marmorbläffe des Gefichtes eingerahmt und gehoben durch eine Fülle von rothgoldenem Blondhaar, flößte fie dem

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Sohne des Prinzen Auguft Wilhelm, dem Könige Friedrich Wilhelm II. vie heftigfte Begierde ein. Um dieſe zu befriedigen, entjchloß fi der König zur Bigamie, gegen . welche das Inechtfchaffene Konfiftorium natürlich nichts ein- zuwenden hatte oder wagte. Der Hofbonze Zöllner gab zu Charlottenburg den König mit Julie von Voß zufammen, welche übrigens ihr kurzes ſchmachvolles Glück falls e8 überhaupt eins war mit dem Tode im erften Wochen bette büßte. Darauf hat fich Frieprih Wilhelm II. alles bei Lebzeiten feiner rechtmäßigen Gemahlin durch venfelben Hofbonzen Zöllner die junge Gräfin Sophie von Dönhoff antrauen laffen 17). Man jieht, e8 gab Mormonen lange vor Ioe Smith und Brigham Young.

Wie Friedrich dem Einzigen feine Freundin, die „große Landgräfin“, Achtung einflößte, jo auch feine Feindin, welche ihn nie anders als den „böfen Mann“ nannte, die „große Kaiferin“ Maria Therefia. Diefe Frau war wie eigens dazu geboren, ven Abjolutismus in höchfter Potenz zu repräjentiren, aber gemilvert durch weibliche Schönheit, Sutmüthigfeit und Huld. Nur fehr wenige von allen Männern und Frauen, welche jemals Kronen trugen, haben vermöge ihrer Perſönlichkeit einen fo mächtigen Zauber beſeſſen und geübt wie die Tochter und Nach⸗ folgerin des lebten Habsburgere. In der Blüthe ihres Lebens von vollendeter Wohlgeftalt, ſchön von Antlig,

171) Neunundſechzig Jahre am preußifchen Hofe, aus ben Erinnerungen der Oberhofmeifterin Sophie Marie Gräftn von Voß (geb. von Pannewitz), 3. Aufl. S. 24, 52, 54, 112, 124, 131, 135.

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feurigen Auges, vereinigte ihre Erfcheinung die Majeſtät der Herrſcherin mit jedem Xiebreiz des Weibes, am be- deutungsvollſten in einer ſchickſalsſchweren Stunde ihres Lebens, an jenem Herbittage des Jahres 1741 zu Pref- burg, wo der Anblid ihrer zugleich gebietenden und flehenden Geftalt ven fFriegerifhen Adel Ungarns zur höchiten Begeifterung entflammte.. Es war an Maria Therefia alles gefund, Leib und Seele, und das macht fie in einem Jahrhundert allgemeiner Zerjegung zu einer doppelt wohlthuenven Erfcheinung. Nichts kränkliches, halbes, flitterhaftes, unfertiges an ihr, alles aus einem Guß. Eine ſchöne Sinnlichkeit, aber fouverän beberrjcht durch feſte Grundſätze und gelenkt von ver fitt- lihen Grazie. Ein Eifer für fittfame Lebensführung, der zwar, wie wir weiter oben fahen, nicht felten fehl- griff, aber feine Forderung ftellte, welche vie Kaiſerin für ihre Perſon nicht felber zu erfüllen bereit war. Voll unendlicher Zärtlichkeit für ihren Gemahl, ven nicht eben feljentreuen Lothringer Franz, Tannte ihre Liebe den Neid der Eiferjucht nicht oder wußte venfelben wenig- ſtens zu befiegen: als fie, vom Sterbebette des gelieb- ten Kaiſers kommend, ihre Nebenbuhlerin, die Fürftin Marie Wilhelmine von Auerfperg, von den Höflingen verlaffen und gemieden in einer Zimmerede weinen ſah, prüdte fie ihr bie Hand und fagte ihr das großmüthige Wort: „Meine liebe Fürftin, wir haben wahrlich viel verloren!” Als Regentin war fie Defpotin, jedoch dem aufgellärten und aufflärenden Defpotismus mit Ent- ſchiedenheit zugethan. Obgleich für ihre Perfon fromm

Fürftinnen. 237

bi8 zur Bigoterie, jah fie doch ven Fanatikern ſcharf auf die Finger und duldete Feine inquifitorifchen Webergriffe. Sie zuerft Hat Deftreich mit Energie aus der hifpantfchen Verſumpfung berauszureißen verjucht, in welche e8 nach ihrem und ihres Nachfolgers Joſeph Tod wieder zurüd- gefallen ift. Der Abfolutismus, wie fie ihn übte, hatte etwas Idylliſch-⸗Patriarchaliſches. Die Kaiferin fah ihre Wiener, ihre Völfer überhaupt als ihre Familie an und fette ſich zu venfelben auf ganz mütterlich-herzlichen Fuß. Wenn auch feine Autorität noch fo eiferfüchtig wahrend, hatte dieſer Patriarhalismus doch viel naturwüchlig gemüthliches, fo viel, daß e8 uns faft märchenhaft vor- fommt, wenn wir 3. B. hören, wie die Kaiferin, ale 1768 am Abend vom Jahrestag ihrer Hochzeitsfeier aus Florenz die Nachricht eintraf, daß ihrem Sohne, dem‘ Großherzog Leopold, der erjte Prinz geboren worden, in ihrer großmütterlichen Freude im Nachtkleive durch die Korrivore des Palaftes ins Burgtheater eilte und dafelbit, weit über die Brüftung ver Xoge vorgebeugt, dem Publikum im Parterre die frohe Familtenbotfhaft auf gut wie- nerifch verfündigte: „Der Polol hat an Buaba, und grad zum Bindband auf mein Hochzeitstag der ift galant!” Am edelften erfcheint die Durchbringung ber Herrſchermacht mit fchöner Menfchlichkeit, welche vie Katjerin charakterifirte, in dem freundfchaftlichen Ver⸗ hältnig, welches Maria Therefia zu dem Fürften Emanuel Silva Tarouca unterhielt, einem eingeöftreicherten Portugiefen, den fie al® einen „ministre particulier“, als ein „zweites ungetrübtes Gewiffen“ neben fich

238 Bud II. Kap. 6.

ftellte und der diefer Rolle mit Freimuth und Takt nach- fam 172), |

Die große KRaiferin war fo glücklich, pas Unglüd ihrer Tochter Marie Antoinette nicht mehr zu erleben. Es hat wenige Frauenleben gegeben, die ſolche Gegen- füte von Glanz und Elend aufzeigen wie das der Frau Ludwigs des Sechözehnten, auf deren jchönes, wenn auch Teineswegs fchulplofes Haupt ſich die ganze Schale des Zorns und der Rache ausgoß, welche die Frevel des Deipotismus bis zum Weberfließen gefüllt hatten. Was für ein Abftand zwifchen dem Tage, wo der alte Mar- Ihall von Briffac zu der Neuvermählten, welche vom Balkon der Zuilerien auf die ihr zujauchzende Menge niederblichte, fagte: „Sehen Sie, Madame, das find hunderttaufend Verliebte! * und jenem 14. Oftober 1793, wo gegen die vor dem Nevolutionstribunal ftehenve, ſchon durch das Martyrium ver Gefangenfchaft im Temple gegangene Königin die wahnfinnige, in ver Schmutzſeele eines Hebert gereifte Anklage eines unzüchtigen Verkehrs mit ihrem unmündigen Sohn erhoben ward. Nie war Marie Antoinette unglüdlicher, aber auch nie größer als

172) Ueber das Berhältniß der Kaiferin zu Tarouca |. d. Bericht, welchen Karajan in der wiener Alatemie d. W. am 30. Mai 1859 erftattet hat, Allg. Zeitung v. 14. Juni 1859, Beilage. Das Familien- und Hofleben Maria Therefia’s ſchildert ausführlih das Buch: „Aus dem H. 2. M. Th. Nach ven Memoiren des Fürften Joſeph Khevenhüller“ von A. Wolf. 2. verm. Aufl. 1859. Die Geſchichtſchreibung ift der Kaijerin gerecht geworden mittel® des großen Wertes Alfreds von Arneth.

Fürftinnen. 239

in dem Augenblid, wo fie nad) einer Pauſe des Ent- ſetzens auf dieſe Abjcheulichkeit die Erwiderung gab: „Wenn ich nicht darauf geantwortet habe, jo geſchah es, weil die Natur fich fträubt, auf eine folche einer Mutter gemachte Anfchuldigung etwas zu jagen. Ich appellire darüber an alle anmwefenden Mütter 179“. Die Grund-

173) In dem Protokoll über das Berhör, welchem Louis Charles Capet, der unglückliche Dauphin, am 6. Oftober 1793 im Temple duch Pache, Chaumette, Hebert, Séguy, Heuffee unterworfen wurde, heißt es: „Il declare en outre qu’ ayant été surpris plusieurs fois dans son lit par Simon et sa femme, charges de veiller sur lui par la Commune, & commettre sur lui des indecenses nuisibles à sa sante, il leur avoua qu’il avait été instruit dans ces habitudes pernicieuses par sa möre etsatante, et que differentes fois elles s’ötaient amusdes & lui voir röpeter ces pratiques devant elles, et que bien souvent cela avait lieu lorsqu’elles le faisaient coucher entre elles. Que de la mani- ere que l’enfant s’en explique, il nous a fait entendre qu’une fois sa mere le fit approcher d’elle, qu’il en resultat une copu- lation et qu’il en r&sulta un gonflement & un de ses testicules“. Als der „Witwe Eapet” in ihrem Berhör vor dem Revolutions- tribunal am 14. Oftober diefe beifpiellos infame Infinuation meines Erachtens ber häfflichfte Makel der ganzen franzöſiſchen Revolu⸗ tion vorgehalten wurde, beantiwortete fie diefelbe in richtigen Gefühle nur mit dem Schweigen ber Verachtung. Aber einer der Geſchworenen beging die Nieberträchtigfeit, auf die gräuliche Depo- fition Heberts zurüdzufommen und den Präfidenten anzugeben, von der Angellagten Auskunft zu verlangen, warum fie nicht darauf geantwortet habe. Worauf Marie Antoinette: „Si je n’ai r&pondu, c’est que la nature se refuse & r&pondre & une pareille inculpation faite & une mere. J’en appelle & toutes celles qui peuvent se trouver ici“. (Die angezogenen Akten⸗ ftellen find entnommen aus der Sammlung von „Pieces originales“,,

240 Bud III. Kap. 6.

lage von Marie Antoinette'3 Miſſgeſchick war die Gleich giltigfeit, welche fie in den erften Jahren ihrer Ehe von- feiten ihres Gemahls zu befahren hatte. Man hat guten Grund, zu glauben, daß dieſe Gleichgiltigfeit von einem fpäter gehobenen organifhen Fehler Ludwigs XVI. herrührte. Als fih Dann ein zärtliches Verhältniß zwiichen den Ehegatten herftellte, hatte ver Ruf ver Königin ſchon unwieberbringlichen Schaden gelitten. Yung, fchön, nach Zerftreuung und Vergnügen dürſtend, hatte fih Marie Antoinette Unbefonnenheiten zu fehulden kommen laſſen, welche ihr Sugenpfeuer allerdings begreiflich und verzeihlich machte, die aber einem giftigen Hofklatſch nur allzu reichlihe Nahrung boten. Wenn fie als Schäferin maffirt zur Zeit ver Dämmerung durch die Boffette von Trianon ſchwärmte, fo bedachte fie nicht, wie geneigt man fein fönnte, einer fo fhönen Schäferin auch ven Hang zu Schäferftunven zuzufchreiben.. Wenn fie in ver Aufregung des Tanzes zu ihrem hübſchen Zänzer Dillon fagte: „Fühlen Site einmal, wie mein Herz pocht!” fo war ihr daneben ſtehender Gemahl doch wohl zu der herben Zurechtweifung berechtigt: „Madame, Herr Dillon glaubt Ihnen auf Ihr Wort". Die Beziehungen der Königin zu dem Herzog von Coigny und zu ihrem Schwager, vem galanten Grafen von Artois, gaben ven boshafteften Vermuthungen Raum und ihre Neigung für den ſchwediſchen Grafen Ferſen legte fich viel zu unbefangen dar, um höfifchen

welche der Ardivar E. Camparbon veröffentlichte unter dem Titel „Marie-Antoinette & la Conciergerie“ (1864), p. 68etsuiv., 287.)

Fürftinmen. 241

Späheraugen entgehen zu fünnen 17%). Aber welche Fehler die Königin in ihrer Jugend als Frau und fpäter ale

174) „Geheimer Bericht des Grafen Ereuß, ſchwediſchen Ge- fandten am franzöfifchen Hof, in den von Geijer herausgegeb. Hinterlaff. Papieren des Königs Guſtav des Dritten”, II, 107... Ein fehr miffliher Umftand ift die Thatjache, daß der befagte Graf Ferien, wie auch der Oberft Dillon und wie der Herzog von Eoigny, auf Betreiben der Königin mit Geldgefchenfen und Gnadengehalten wahrhaft verſchwenderiſch überfchüttet wurde. Der jchredliche „Livre rouge* fchrediich, weil dieſes Geheimregifter der Hofausgaben darthat, daß unter Ludwig XV. und unter Ludwig XVI. hun- derte von Millionen an mehr oder weniger jämmerlidhe Kreaturen weggeworfen wurden, während das franzöftihe Volk in grünzen- loſem Elend darbte ja, das „rothe Buch“, jo genannt, weil e8 in rothen Maroflin gebunden war, berechtigte, als c8 im März 1790 vonfeiten des Finanzminifters Neder nah heftigem Widerftreben einer von der Nationalverfammlung beftellten Kom⸗ miffion zur Prüfung übergeben werden mußte, den genialen Camille Desmoulins vollfommen, in der 21. Nummer feines Sournals „Revolutions de France et de Brabant“ auszurufen: „Enfin, nous tenons le Livrerouge! Le comite des pensions a rompu les sept sceaux dont iletaitferme. La voiläaccomplie, cette menace terrible du prophe&te! La voil& accomplie avant le jugement dernier: Revelabo pudendatua; je devoilerai tes turpitudes; tu ne trouveras pas même une feuille de figuier pour couvrir ta nudite & la face de l’univers; on verra touteta lepre, et, sur tes &paules, ces lettres Galerien, que tu as si bien meritees!* Bon biefer furdtbaren, an das Ancien Regime gerichteten Apoftrophe konnte Marie Antoinette vecht wohl einen Theil auf fih beziehen; denn es Tann gar feinem Zweifel unterftellt werden, daß fie zu Gunften ihrer Vergnügungsſucht, wie zu Gunften der Unerlättlichleit ihrer Günftlinge und Günftlinginnen, ihre Hände bis zu den Ellbogen in die Staatsfafje geftecdt hat. War es doc, um nur einen Poſten anzuführen, ibr Werk, daß die unfelige

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. IL. 16

242 Bud II. Kap. 6.

Bolitiferin begangen habe, fie ftanden in feinem gerechten Berhältniß zu der Strafe, welche jie erwartete, und jeder Fühlende und Denkende wird zugeben, daß der Tag ihrer Hinrichtung, ver 16. Dftober 1793, einer von jenen Tagen gewejen jei, welche das Buch der Weltgefchichte befleden.

Drei Jahre nach dem tragifchen Ausgang der Tochter der Cäfaren endigte (am 9. November 1796) ein Schlag- fluß das Leben einer anderen deutſchen PBrinzefjin, welche aus dem Dunfel eines Heinen deutſchen Hofes zu dem blendenden Glanze des ruſſiſchen Carenthrons empor- geftiegen war, des Leichnams ihres Gemahls als Stufe ſich bedienend 179), Kine ver außerorbentlichiten Er-

Familie PBolignac allein, wie das rothe Buch bewies, lebens: längliche Gnadengehalte im Betrag von mehr als 700,000 Livres jährlich bezog. Marie Antoinette als eine Heilige, als einen reinen Engel darzuftellen, ift eine Abjurbität, welche zu begehen nur jene Bande von Falſchmünzer-Hiſtorikern fich beikommen laffen kann, welche aus eigener, angeftammter Niedertracht oder auf „höheren“ Befehl das Gejhäft, die franzöfifche Revolution zu verleumben, betrieben und betreiben.

175) Ob und inwieweit Katharina von bem Mordplan gegen den armen verdrehten Peter III. unterrichtet gewejen, wirb wohl nie ganz feftzuftellen fein. Aber lächerlich ift es, zu glauben, die Ber- ihworenen wären überhaupt nur jo von ungefähr dazu gelommen, den Caren zu ermorden. Peter III. mußte nicht nur abgejett

werben, jondern fterben, wenn feine Frau herrſchen jollte. Kathas

rina war zu geſcheid, um das nicht zu wiljen, obzwar die Orlows und deren Spießgefellen ihr nit mit dürren Worten gejagt haben werden, fie würden jeßt hingehen, den Kaifer zu ftranguliren. Eine Mitverſchworene, die Fürftin Daſchkow, hat in ihren von Herzen herausgegebenen Memoiren (I, 128) behauptet, Alerei Orlow

Fürftinnen. 243

ſcheinungen ver Geſchichte, dieſe Sophie Augufte Frie- verife von Anhalt⸗Zerbſt, welche als Katharina IL. fo lange die Geſchicke Europa's beftimmen und Ienfen half, im guten wie im jchlimmen weit über das weibliche Maß Hinausragte, mit Voltaire und Diderot brief- wechſelte, als leidenſchaftliche Venuspriejterin bis zu ihrem Tode eines amtlich beſtallten Günftlings” nicht entbehren fonnte, aus der Eremitage hervor, wo fie meſſa— liniſche Orgien feierte, Befehle ergehen ließ, welche zwei Erotheile in Staunen, Beforgniß und Schreden verfeg- ten, Komödien für die ruffifhe Bühne vichtete, während fie durch ihre Potemfin, Suwarow und Repnin Völker zers treten ließ und, das Werk Peter's I. fortſetzend, für vie Machtſtellung Ruſſlands Unberechenbares gethan hat. Die Natur Scheint die ſeltſamſte Mifchung von vielfeitigfter Ge- nialität, verzehrender Sinnlichkeit, wohlwollenden Inftinf- ten, eifiger Herzenshärte und beifpiellojer Verftellungs- funft beabfichtigt zu haben, als fie die „Semiramis des Nordens“ ſchuf. Nicht weniger wunderbar als ihre Per- ſönlichkeit erjcheint ihr Glück, wenn man bedenkt, daß fie in ſo zu fagen ganz bettelhaften Aufzuge nach Petersburg gefommen war. („Als ih nah Rußland kam, erzählt fie,

babe unmittelbar nach der Ermordung des Kaifer für dieſe Miſſe— that die Kaiferin in den demüthigſten Ausprüden um Berzeihung gebeten. Das ift möglich, beweiſ't aber in letter Linie gar nichts. Außerdem wird die Glaubwürdigkeit der Daſchkow durch mehrere Umftände fehr ftark beeinträchtigt. So 3. B. durch ihre Verfiherung (I, 112), fie hätte lange nichts davon gewußt, daß Gregor Orlow ein begünftigter Liebhaber Katharina's war.

. 16*

244 Buch III. Kap. 6.

beftand meine ganze Wäfche aus einem Dutzend Hemden“.) Seit dem Erfcheinen von Ratharina’8 Memoiren, deren Echtheit feinem Zweifel unterzogen wurde, vie aber leider den fehler haben, beim Jahre 1759, alfo vor dem Auf- gange des Sterns ihrer Verfafjerin, plöglich abzubrechen, feit dem Erſcheinen dieſer Memoiren ift der Reiz des Romantifhen, welcher die Figur der Carin umgab, bedeutend gefehwunden. Denn die Bekenntniſſe Katharina’s zeigen, baß da, wo wir wunderbare Schickungen anzunehmen geneigt waren, nur bie Ichlauefte, konſequenteſte Berech- nung thätig gewejen. Eine Frau, welche ſchon als junges Mädchen zu fich gefagt hatte: „Glück und Unglüc liegen in der Seele und dem Herzen eine® jeden; wenn du Unglück empfinveft, ſetze dich darüber hinweg und richte dich jo ein, daß dein Glück von feiner Begebenheit abhängt“ fie mußte e8 weit bringen in der Welt, befonders wenn diefe Frau das Genie, die Heuchelei und den Muth Katharina's der Zweiten befaß. Die fünfzehnjährige Heuchlerin war faum nah Rußland gefommen, al8 fie fih ihre Situation zurechtzumachen trachtete. Es galt zunächſt, die Verhältniffe Fennen zu lernen, zu welchem Zwecke fie jich in der Kunft des Horchens und Aushorchens übte: „Ih hatte mich während meiner Krankheit gewöhnt, die Augen geſchloſſen zu halten; man dachte, ich ichliefe, und dann ſprachen die Gräfin Romanzow und die anderen Damen unter fi, was fie auf dem Herzen hatten, wodurd ich viele Dinge erfuhr“. Der ihr zum Gemahl beftimmte Großfürſt Peter war ihr gleichgiltig und das ließ fich bei jeiner Sinnesart und feinem Gebaren er

Fürftinnen. 245

ipielte al8 Bräutigam lieber mit Puppen als mit feiner Braut leicht begreifen ; aber: „die Krone von Ruſſland war mir nicht gleichgiltig”. Dieſe Krone wurde ver Pol, um welchen all ihr Dichten und Trachten fich drehte, einzig und allein fich drehte, denn das unerfättliche TZempera- ment, welches fpäter die Frau jo vielfach zeritreute, war in dem faum mannbar gewordenen Mäpchen noch nicht erwacht. In ver eben fo heifeln als drückenden und widerwärtigen Stellung zwifchen ver in faſt ununter- brochenem Wolluft- oder Branntweinraufh dem Grabe zutaumelnden Carin Elifabeth, dem kindiſchen Trunkenbold von Bräutigam und den verſchiedenen Parteien des Hofes wurde Katharina, wie jie befannt hat, nur Durch den Ehrgeiz aufrecht erhalten. „Ich fühlte im Grunde meines Herzens ein geheimes etwas, welches mich nie einen Augenblid zweifeln ließ, daß ich früher oder fpäter ſouveräne Kaiſerin von Ruſſland werden würde, KRatferin aus eigener Machtvollfommenheit (de mon propre chef)‘. Sie träumte aber nicht etwa nur von diefer Zukunftsrolle, fie bereitete ſich vielmehr alles Ernftes darauf vor. „Ich bemühte mich, die Zuneigung aller zu gewinnen; Große und Kleine, niemand wurde von mir vernachläffigt; ich machte mir eine Kegel daraus, zu venfen, daß ich aller bebürfte, und demnach alles zu thun, um mir Wohlwollen zu erwerben, was mir auch gelang”. Um fich populär zu machen, hielt fie ftreng die ruſſiſchen Faften, unterzog jih pünftlih ven läſtigen Ceremonien des griechifchen Ritus und las daneben zu ihrer Brivaterbauung Bran- töme’8 zotentriefendes Buch von ven „Dames galantes“.

246 Buch III. Kap. 6.

Der arme Beter, dieſer Duerfopf von einem Fleinen deutichen Bringen, welcher fich in dem ungeheuer weiten Ruſſland durchaus nicht zurechtfinden fonnte, war nicht dazu gemacht, der Mann einer Frau zu fein, welche fich in der angedeuteten Weife theoretifch und praftifch auf bie Rolle einer nordiſchen Semiramis vorbereitete. Nach⸗ dem deſſenungeachtet vie Vermählung ftattgefunden, mußte Katharina bei Tage mit ihrem Gemahl „Solvätles“ jpielen und bei Naht nun, lajjen wir das die Karin jelbjt erzählen. „Mavdame Krufe verjchaffte dem Groß- fürften Spielzeug, Puppen und andere Slindereien, vie er bi8 zur Narrbeit liebte. Währenn des Tages verbarg man dieſelben in und unter meinem Bett; ver Großfürjt legte fich zuerft nach dem Abendeſſen nieder, und wenn wir beide zu Bette waren, ſchloß Madame Krufe die Thüre und ver Großfürft ſpielte bis 1 oder 2 Uhr Mor- gend. Wohl oder übel mußte ich an biefen herrlichen Bergnügungen theilnehmen. Oft lachte ich darüber, aber häufig war es mir unangenehm und zumiber”. Sehr begreifliher Weife.. Die junge fchöne Frau fagte in Bezug auf diefe abfonderlichen ehelichen Freuden fpäter jehr naiv oder aber fehr witzig: „Il me semble, que jetais bonne pour autre chose“. Nuachmals behelligte der von der Maitreffenfucht des Jahrhunderts ebenfalls ergriffene Großfürft Beter feine Frau in anderer Manier. Wenn er nämlich Nachts betrunfen das eheliche Yager beitieg, weckte er feine fchlafende Gemahlin mit Yauft- Ihlägen, um ihr die Reize feiner Maitreſſe im Detail zu bildern. Wenigſtens erzählt dies Katharina. In⸗

Fürftinnen. 247

zwiſchen war ver Carin Elifabeth in einem ihrer wenigen nüchternen Momente eingefallen, daß für-die Sicherſtellung der Thronfolge zu forgen wäre, und da der Großfürft un- fähig fchien, dies zu bewerfftelligen, jo wurde auf der Carin Befehl durch die Obergounernante der Groß— fürftin, Frau Tſchoglokoff, ein anderer dazu angeleitet, das nöthige vorzufehren. Die Memoiren Katharina’s laſſen es unflar, wer dieſer andere gemejen fei, ob Sergius Soltiloff, Zachar Tſchernitſcheff oder Leo Nariſchkin. In Gegenwart des letzteren äußerte ber Großfürft gegen feine Freunde: „Der Himmel weiß, woher meine Frau ſchwanger geworden ift; ich bin durdh- aus nicht gewiß, ob dies Kind mir gehört”. Nariſchkin machte der Großfürftin eilenvs Meldung und Katharina wußte e8 mittels einer fühnen Lift dahin zu bringen, daß ihr Gemahl e8 nicht mehr wagte, jo bevenfliche Zweifel zu äußern 176), Aber als er den Carenthron beftiegen hatte, befand er ſich in offenem Krieg mit feiner Frau. Auf weilen Seite der Sieg fein würde, konnte nicht

176) Me&moires de l’imperatrice Catherine II., Ecrits par elle-möme, et prec&des d’une preface par A. Herzen. Londres 1858. Memoiren der Kaiferin Katharina II. Autorif. deutſche Ausg. Hannover 1859. ©. 13, 15, 21, 36, 40, 41, 43, 49, 74, 119, 164, 170, 273. Weber die Echtheit des Buches vgl. Sybels Hiftor. Zeitfehr. Heft I und Allg. Zeitung 1859, Beil. zu Nr. 25 fg. und Nr. 97. Sugenheim bat in feiner Schrift „Ruſſlands Ein- fluß auf und Beziehungen zu Deutſchland“ (I, 322 fg.) mit viel kombinatoriſchem Scharffinn die Vermutbung anfgeftellt und ver- fochten, Katbarina II. fei eine nattitüge Tochter Friedrichs des Großen geweſen.

248 Buch III. Kap. 6.

zweifelhaft ericheinen. Es war einer der verhängnißvoliften Zage des Jahrhunderts, jener Yulitag von 1762, als Katharina von Petersburg gen Peterhof rüdte, um ihren vathlofen und verrathenen Gemahl zu entthronen, an der Spige der zu ihr übergetretenen Garden in Uniform auf einem weißgrauen Zigerhengit reitend, das Band des Andreasordens umgehängt, auf den fliegenden Haaren einen Soldatenhut mit einem Cichenzweig. Weiter brauden wir ihre Yaufbahn nicht zu verfolgen. Sie ge- hört der Weltgefchichte an. Das rihtigfte, wenn auch ungalant genug lautenve Urtheil über fie dürfte das von Lord Byron gefprochene fein und bleiben 177).

Zur jelben Zeit, wo an der Newa eine beutiche Prinzeffin durch alle. Schlangengänge der BVerftellungs- kunſt hindurch dem Throne Peters des Großen zuftrebte, hat an der Ilm eine andere veutfche Fürftentochter, Amalia von Braunfchweig, ſchon als Achtzehnjährige die Witwe des Herzogs Ernft August von Sachſen-Weimar geworben, durch Berufung Wielands zum Erzieher ihres älteren Sohnes Karl Auguft ven Grund zum „Weimarer Mufenhof" gelegt und hierdurch, wie überhaupt durch ihr Walten voll Freifinn und Humanität, fi ein Andenfen geitiftet, das für und für zu den gefegnetiten in unjerm Lande gehören wird. Wie viel fie für die deutſche Kultur

177) .. In Catherines reign, whom glory still adores, As greatest ofallsovereignsand whores“. DonJuan, VI, 92. ®gl. meine „Drei Hofgeſchichten“, 3. Aufl., wo ih S.1 129 eine einläfflihde Charakteriſtik Katharina’ als Weib und Herrſcherin gegeben habe.

Fürftinnen. 249

gethan, indem fie ihrem trefflihen Sohn und Nach- folger die Wege wies und ebnete, auf welchen vorſchreitend er das Kleine Weimar zur geiftigen Hauptftadt Deutich- lands machte, wie fie die Beſten ihrer Zeit zu fich heran 308, ihr Geift, ihre Lebensfunft, endlich ihr herrliches Selbftbefenntniß („Meine Gedanken“)178) das alles jteht feit in der Erinnerung jedes Gebilveten. ALS fie am 10. April 1807 geftorben, fchrieb ihr Freund Wie- fand in feinem tiefen Seelenjhmerz an Böttiger: „Sie war in ihrer Art fo gut die Einzige als Friedrich ver Zweite in der feinigen“ und ſchloß Göthe feine Ge- denkrede auf die Vollendete mit den jchönen Worten: „Das ift der Borzug edler Naturen, daß ihr Hinfcheiden in höhere Regionen fegnend wirft wie ihr Verweilen auf der Erde, daß fie und von dorther gleich Sternen ent» gegenleuchten, als Richtpunkte, wohin wir unſern Lauf bei einer nur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu richten haben; daß diejenigen, zu denen wir ung als Wohlwollenden und Hilfereichen im Leben hinwenveten, nun die ſehnſuchtsvollen Blide nach ſich ziehen als Vollendete, Selige“.

Auf Karl Auguſts edle Gattin Luiſe, die Tochter der großen Landgräfin, paſſt genau, was Schiller ſeinen Poſa von der Königin Eliſabeth ſagen läſſt: „Gleich

178) Abgedruckt in Rugo's „Erinnerungen Weimars“ und in

Schloönbachs „Zwölf Frauenbilber aus der Gothe⸗Schiller-Epoche“.

Die Originalhandſchrift befindet fih auf der mweimarer Staats- bibliothef.

250 Buch III. Kap. 6.

ferne von Verwegenheit und Furcht, mit feſtem Helden- fchritte wandelt fie die ſchmale Mittelbahn res Schid- lihen“. Nachdem fie ſich erft an dem Hofe von Wei- mar, wo bei ihrer Ankunft die Kraftgenialität fauf’te und braufte, zurechtgefunden, nahm fie pie würdigſte Stellung ein, ihr mitunter ftarf vortretendes Standes— gefühl durch eine unermüdlich werfthätige Herzensmilve zügelnd, geräujchlos alles gute und jchöne fördernd, ſchlichtend, verſöhnend und begütigend überall eingreifend, wo es noththat. Im Verhältnifie zu ihrem Gemahl bat fie namentlich fpäter, inbetreff feiner Beziehungen zu der ſchönen Schaufpielerin Karoline Jagemann, eine Refignation, ja eine neidlos-hilfreiche Liebe bewährt, zu welcher nur edelſte Weiblichkeit fich zu erheben vermag. Es war ihr Leben lang etwas jungfräuliches in ihr. Jene maßvolle Würdigkeit bezeichnete ihr Wefen, welche Göthe in Taſſo der Prinzeffin anſchuf, vie er ja nad dem Bilde ver Herzogin geformt Hat. Und wie treu hing fie an allen, vie fie achtete und liebte! So hat fie, ob- gleih der franzöfifchen Revolution gram, Knebels oft ſehr rückſichtslos ſich außernde Schwärmerei dafür freund- lich geduldet; ſo miſchte ſie bei Schillers Hingang ihre Thränen nit denen feiner Witwe. Frau von Stael urtheilte nach ihrem Befuche in Weimar über die Herzogin: „Sie ift das wahre Mufter einer von der Natur zum höchiten Range bejtimmten Frau. Ohne Anmaßung wie ohne Schwachheit, erwedt fie in gleihem Grave Ver- trauen und Ehrfurdt. ‘Der Helvenfinn der ritterlichen Zeiten wohnt in ihrer Seele, ohne fie ver Sanftmuth

Fürftinnen. ' 251

ihres Gefchlechtes zu berauben 179)". In Wahrheit, e8 war mehr, viel mehr als eine böfliche Phrafe, wenn vie begeifterte Tochter Neders ver Frau Karl Augufts Heroismus zufchrieb. Die Herzogin bewährte ſolchen in der jammervollen Zeit nach ver Schlacht bei Jena. ‘Da ift fie, während alle Schreden franzöſiſcher Plünderung auf ver Stadt Weimar lagen, dem zürnenvden Sieger mit ruhiger Würde entgegengetreten und hat dem ‚brutalen Achtung abgezwungen. ine fchwere, vielleicht die fchwerfte Stunde im Leben ver trefflihen Frau, als jie, während ihr Gemahl noch bei ver geichlagenen preußifchen Armee ftand und alle übrigen Gliever der herzoglichen Familie aus Weimar geflohen waren, am 15. Dftober 1806 ven vom Schlachtfeld von Jena Tommenven Napo⸗ leon oben an ver Schloftreppe empfing. „Qui &tes- vous, Madame? fuhr er fie an. Je vous plains, jeecraserai votre mari“. Welche Selbftüberwindung mußte e8 der Herzogin foften, nach dieſer verlekenden und entmuthigenden erften Begegnung ven Verſuch zu machen, den Gewaltigen milver zu ftimmen gegen das weimarer Land und deſſen Fürften. Sie that e8 in einer Audienz am folgenden Tage und that e8 mit Erfolg. Bei

179) Ich erinnere gelegentlich daran, dag Frau von Stael in ihrem berühmten Buch De l’Allemagne über die Frauen unjeres Landes den Ausſpruch that: „Die deutſchen Frauen haben einen Reiz, der ihnen eigenthitmlich ift, einen fügen Ton in ihrer Stimme, blonde Haare, einen blendenden Teint. Sie find bejcheiden, ihre Gefühle find wahr, ihr Benehmen ift einfah. Ihre forgfältige Erziehung und die ihnen natürliche Reinheit der Seele bewirken den Zauber, den fie ausüben“.

2352 ' Bud) III. Kap. 6.

diefer Gelegenheit fagte Napoleon in feiner theatralifchen Manier zu ihr: „Glauben Sie mir, Madame, es gibt eine Vorfehung, welche alles leitet; ich bin nur das Werkzeug derſelben“ und nad) der Zuſammenkunft mit der Herzogin äußerte der Eroberer gegen fein Gefolge: „Das ift eine Frau, welcher unfere zweihundert Kanonen feine Furcht einzuflößen vermochten”. Acht Tage fpäter fagte er zu Potsdam dem weimarifchen Unterhändler Müller: „Ihre Herzogin hat ſich ehr ſtandhaft bewiefen ; fie hat meine ganze Achtung gewonnen 180)“. Aber weder Karl Auguft noch Yuife glaubten an das „Werkzeug ver Vorſehung“. Es gereicht dem Herzog von Weimar und feiner Gemahlin zu hoher Ehre, daß fie fich nie und nimmer zu jener Unterwürfigfeit gegen Napoleon herbei- ließen, durch welche fo viele deutſche Fürſten und Fürftin- nen fo fehr jich erniedrigt haben. Und fie befchränften ih nicht darauf, für ihre Perfonen einen edlen Stolz zu wahren, jondern fie bemühten ſich auch, in einer Zeit, wo der Untergang Deutſchlands befiegelt fehien, jenen vaterländifchen Geift mit zu pflegen und zu ftärfen, wel- her den großen Aufihwung von 1813 herbeiführte 181),

180) Fr. v. Müller, Erinnerungen aus den Kriegszeiten von 1806—13, ©. 2, 4, 28.

181) Ein damaliger Bertrauter des herzoglichen Paares, der nahmalige preußifche General Fr. 8. Ferd. v. Müffling, erzählt („Aus meinem Leben”, S. 21): „Der geheime Plan des Herzogs K. A. v. Weimar ging dahin, fo, wie feine Reſidenz bisher der Centralpuntt Deutſchlands für Kunft und Wiſſenſchaft war, fie nun auch zum Centralpunft der deutſchen Freiheit zu machen, foweit die Verhältniſſe e8 geftatteten. Ich war in diefer Beziehung neben

Fürſtinnen. 253

Die Zeit der Befreiungskriege hat überhaupt manches unverwelkliche Blatt in den Ehrenkranz des deutſchen Frauenthums gewunden. Ohne die lebhafteſte Bethei— ligung der Frauen und Jungfrauen an der großen Sache wäre eine Begeiſterung, wie ſie damals die Herzen der Männer und Jünglinge ſchwellte, kaum denkbar geweſen. Die Berlinerinnen gingen mit dem Beiſpiel einer auf opfernden Mühmwaltung für die zum Kampfe Ziehenven und die Opfer daffelben voran 189). Nach ihrem Vorgang entwidelten die deutſchen Frauen überall einen tiefein- greifenden und höchſt mohlthätigen Eifer. Mütter fchickten ihre Söhne, Schweftern ihre Brüder, Bräute ihre Bräuti- game in den heiligen Krieg. Reiche Damen opferten dem vaterländifchen Bedürfniſſe ihr Silberzeug und ihren Schmud, arme Mädchen ihre Sparpfennige. Viele, fehr viele holten ſich als Tiebreiche Pflegerinnen ver Ver: wundeten in der Razarethluft ven Tod. Sittſame Mäp-

feiner würdigen, fo hoch verftändigen Gemahlin der einzige Bertraute des Herzogs und diefer Zuftand ift geblieben, bis i. J. 1813 der Krieg wieder ausbrad. Bon Weimar aus wurden die Schwachen ermuthigt, wurde der Haß gegen den Tyrannen ge- nährt und mandes ohne Auffehen vorbereitet, was 1813 fich ale echtdeutiches Element zeigte”.

182) Niebuhr ſchrieb unter'm 21. Dezember 1813 aus Berlin: „Das Betragen der Frauen iſt ehrwürdig. Hunderte entſagen nit nur jedem Vergnügen, ſondern jelbft der genaueren Sorge für ihren Haus- ftand, um in den Lazaretben zu verwalten, zu kochen, zu pflegen, Wäſche zu fliden, Geld und Bedürfniffe herbeizufehaffen, die Mieth- linge zu fonteoliven und zur Pflicht anzufpornen. Manche find ſchon der Raub des Nervenfiebers geworden“. Lebensnachrichten, I, 575.

254 Bud II. Kap. 6.

hen wurden von dem erhebenven Zeitjturm über bie Bedenklichkeiten ihres Gefchlechts fo weit hinausgeriffen, daß fie mitten im Schlachtgraufen ven Kämpfern Schieß⸗ bevarf oder Erfriihungen zutrugen und auch jelber zur Büchfe und zum Säbel griffen, um gegen ven Feind des Baterlandes zu fechten. So Johanna Stegen, Johanna Lüring, Lotte Krüger, Dorothea Sawoſch, Karoline Peterſen und jene, wie ihre Mitftreiterinnen, von Rüdert ihön gefeierte Prohaſka, welche in der lügow’fchen Frei- ihar fo wader mitfämpfte und deren Gefchlecht erſt kund⸗ wurde, nachdem fie in dem fiegreichen Gefechte bei ver Görde (16. September 1813) tödtlich verwundet worden 193).

183) Ein Mitfämpfer bei der Görde, F. Heydrich, erzählt (Pröhle, Sahne Leben, S. 108): „Unter den Schwerverwunbeten waren Lützow und das Heldenmäbchen Prohaffa. ALS die letztere, noch unentdect wegen ihres Geſchlechts, nach beendigtem Gefecht auf dem Schlachtfeld verbunden werben jollte, indem eine Kugel ihr den Oberſchenkel zerfchmettert hatte, wollte fie dieſes nicht zu— geben, ſondern verlangte erft den Feldwebel ihrer Abtheilung zu ſprechen, und als dieſer herbeikam, ergab e8 fi, daß allen ver- borgen, unter dem Waffenſchmuck ein Frauenzimmer mit Namen Probaffa den Sieg mit hatte erringen helfen, was allgemeines Erftaunen und Bewunderung wegen ihres Heldenmuthes und ihrer Ausdauer in Ertragung der Beſchwerden des Krieges erregte“. Die Berwundete ftarb drei Tage fpäter zu Danneberg. Sie ward in Begleitung der Jungfrauen und der ganzen Bürgerichaft bes Städtchens beerdigt und wurde ihr in der Kirche ein Denkmal ge- ſetzt. Da hier gerade von Heldinnen die Rede ift, fo ſei aud noch der „fiebzehnjährigen, fchönen, guten”, won Göthe befungenen Johanna Sebus gedacht, welche zwar nicht in einer Schlacht ge⸗ fallen, aber doch einen heldiſchen Tod geftorhen, indem fie beim

Fürftinnen. 355

Ja, die große Zeit fand auch die deutſchen Frauen groß 184),

Eisgang des Rheins am 13. Januar 1809 erft ihre Mutter aus den Fluten rettete und dann bei dem hochherzigen Berjuche, auch eine Nachbarin und deren Kinder zu retten, in ben Wogen unterging.

* 184) Zwar ungern, aber zur Steuer der geſchichtlichen Wahr- heit und zur Warnung muß ich doch anmerken, daß freilich auch ſehr unrühmlihe Ausnahmen vorfamen. Der nadhmalige preußifche General Ludwig von Reihe war, wie er in feinen Memoiren (II, 4) erzählt, im November 1813 mit dem Generalflab des bülow'ſchen Korps in Nörten einguartirt, einem Gut ber gräffic barbenbergihen Familie unweit Göttingen. Der Hausherr war Hof» und Jägermeifter am Jéröôme'ſchen Hof in Kafjel gewejen, an jenem Hof, an deſſen Ausfchweifungen leider nur allzu mande deutihe Dame ſich betheiligt hatte. „Die jüngeren Züchter des Haufes Außerten fi bei der Abenbtafel mit der eingetretenen Ver— änderung der Dinge wenig zufrieden, indem fie meinten, baß Kaſſel fortan ein jehr Tangweiliger Ort fein würde; man hätte fich dort gar zu ſehr amüſirt“. Ein ſehr bevenflihes Zeugniß legte auch Gneiſenau ab, indem er am 2. Mai 1809 von Glatz aus an feine Frau fchrieb: „Arme deutſche Nation, die nur durch ihre Fürften untergeht ! Ihr Ichlefiichen Frauen befommt dann eure alten, Freunde (die Franzojen) wieder zu jehen; denn ableugnen könnt ihr. e8 nicht, daß ihr, mit nur ſehr wenigen Ausnahmen, eine große Borliebe für diefe Fremdlinge habt und darum eure weibliche Würbe aufopfertet”. Perg, Leben Gneiſenau's, 1,495. Unmittelbar nach den Befreiungstriegen entblödete fich eine deutſche Fürftin (Pauline von Lippe-Detmold) nicht, gegen Helmina von Checy („LUnvergeffenes“, II, 153) zu äußern: „Die Zufunft wird beweifen, daß der große Mann (Napoleon) vechthatte und daß ihm die Menjchen unrecht getban. Die Deutjchheit ift ein Unding. Der legte Krieg war eine Gemwaltthätigfeit, die durch nichts zu rechtfertigen ift”. Vgl. über das Verhalten der deutſchen Frauen zur Befreiungsfkriegszeit mein Bud: „Blücher; feine Zeit und fein Leben“, 2. Aufl. III, 61fg.

256 | Bud) III. Rap. 6.

Aber wie dürfte von ver Zeit ver Unterjodhung Deutichlands durch Napoleon und von ver Abſchüttelung des franzöfifchen Joches die Rede fein, ohne daß jener hochherzigen Königlichen Frau gedacht würde, auf welche während der Schmachperiode taufende als nach einem tröftlichen Sterne blickten und welche, viel zu frühe ſchon am 19. Juli 1810 hingegangen, in der Bruft von tau⸗ fenden, die 1813 in ven Kampf zogen, als eine verklärte Heilige begeifternd lebte? Luiſe von Medlenburg, im December 1793 an den Kronprinzen von Preußen, nad- maligen König Friedrich Wilhelm III. vermählt, nimmt in der deutſchen Sittengefchichte fehon darum eine unver- gängliche Ehrenftelle ein, weil das mujterhafte Beiſpiel, welches fie als Gattin, Hausfrau und Mutter gab, außer: ordentlich reinigend und erfrifchend auf die verborbene, ja verpeftete und verpeftenve fittliche Atmofphäre gewirkt hat, welche zu Ausgang des vorigen Jahrhunderts am preußifchen Hof und in der preußifchen Hauptftadt herrichte und von da weithin wirkte. Es ift wahrlich nichte Kleines geweſen, nach und bei ver furdhtbaren Zerrüttung des Familienlebens in den vornehmen Kreifen wieder ein- mal ein Königspaar im reinen und jchönen Stil ver deutſchen Familienhaftigfeit mitfammen leben zu feben, und man darf fühn behaupten, daß ohne die moralifche Reinigung, welcher vie berliner Gefellfhaft nah dem Vorbild diefes Föniglichen Haushaltes fich unterzog, die Erhebung Preußens im Jahre 1813 unmöglich gewejen wäre. Vieles, wohl jehr vieles würde auch fpäter anders und befjer gefommen fein, als es fam, wenn Friedrich

Fürſtinnen. 257

Wilhelm III. ſeinen guten Genius Luiſe nicht allzu frühe verloren hätte. Denn der ſanfte Einfluß dieſer hoch— begabten und liebenswürdigen Frau war unwiderſtehlich und fie wollte nur das Gute und Rechte. Ihre Schön- heit, ihre Anmuth, ihre zartfinnige Güte gewannen ihr alle Herzen. Männer, die font nur zum tadeln, felten und wiverwillig zum anerkennen bereit waren, haben ihr mit Begeifterung gehuldigt 189). Selbft ver übermüthigſte der Sterblidhen, der Sieger Napoleon, mußte ihr, die er als feine Feindin fannte und haſſte, Achtung und Be-

185) Der Berfafier der „Bertrauten Briefe über die inneren Ver- hältniffe am Preuß. Hofe“ jagt (I, 101): „Die Gemahlin Friedrich Wilhelm III. hatte von der Natur alles erhalten, was an ihrem Geſchlechte liebenswürdig genannt werden kann. Die Ichönfte Königin und eine noch ſchönere Seele. Sie war ganz Weib im eigentlichften Berftande. Es war nicht der geringfte Anſpruch auf Theilnahme an der Herrichaft ihres Mannes in ihrem Charakter zu finden, nur Hingebung in den Willen defjelben, eine Anhänglic- feit an feine Berfon, durch Liebe genährt und erhalten, das reine Bild der Unſchuld und hoher weiblicher Sittlichleit: das waren die Hauptzüge in dem Charakter Luiſe's, die beftimmt zu jein jchien, den König glüdlih zu machen und der Nation das Mufter einer Ehefrau zu geben, wie fie fein follte“. Der Ritter von Lang, wie der eben angezogene Autor ein jchärffter Urtbeiler über Menfchen und Dinge, äußert in feinen Memoiren (Il, 44) iiber die Königin: „Das war num freilich eine Frau, die wie ein ganz überirdiſches Weſen vor einem ſchwebte, in einer engliihen Geftalt und von bonigjüßer Beredſamkeit, mit der fie allen die Stralen ihrer Holdſeligkeit zuwarf, fo daß jeder, wie in einen zauberijchen Traum verjett, von diefem lebendigen, vegjamen Feenbilde ent: züdt war“.

Scherr, Frauenmwelt. 4. Aufl. IE. 17

258 Bud IN. Kap. 6.

wunderung zollen, ſobald er fie gejehen und geſprochen 136). BVielfeitig gebildet und voll Theilnahme für das Schöne und Ewige, hat die Königin Schiller und Jean Paul geliebt, Göthe geehrt. Noch bevor die große Kataftrophe von 1806 vie Verrottung und Unbaltbarfeit der bis- herigen Staats⸗ und Gefellihaftsmarimen nachgewiefen, legte Luife bei jeder Gelegenheit eine aufgehellte, ge= rechte und humane Sinnesweife an ven Tag, mitunter zu nicht geringer Beſchämung junferlicher Ausschließlichkeit und Bornirtheit 197). Mit einer Würde, wie fie nur aus

186) Nach ber erften Zuſammenkunft mit der Königin zu Tilfit fagte Napoleon zu Talleyrand: „Ich wußte, daß ich eine ſchöne Königin jehen würde; aber ich babe die fchönfte Königin und zus gleich die intereifantefte Frau gefunden“.

187) Es find bierüber mehrere wohlbezeugte Anekdoten im Umlauf. Eine jehr bezeichnende erzählt der Biſchof Eylert („Cha⸗ rafterzüge und biftor. Fragmente aus dem Leben Friedrich Wil- helms III.“, Bd. 2, ©. 63) aus dem Mund eines Obrenzeugen jo: Bei einer großen Cour in Magdeburg wurde der Königin die ihr noch ganz unbefannte, bürgerlich geborene Gemahlin des damaligen Majors v. N. vorgeftellt. Die Königin fragte unbe- fangen die früher noch nie gejehene junge Frau: „Was find Sie für eine Geborene?“ Aengftlih und verlegen in diefer ihr bis dahin ganz unbelannten Sphäre, zum erflenmal vor einer Königin ftehbend , antwortete faum hörbar die beflommene junge Frau mit zitternder Stimme: „Ach, Ihro Majeftät, ich bin gar feine Geborene“. Ein jpöttifches, höhnendes Lächeln zuckte auf den Ge fihtern der meiften andern Damen. Dies würde die Königin, ala nit bemerkt, mit Stillſchweigen haben hingehen laſſen; da fie aber hören mußte, daß eine nicht fern ftehende Dame vornehmer Abfunft leife zu ihrer Nachbarin fagte: „Alfo eine Miſſgeburt!“ ta fühlte die Königin ihr reinmenjchliches, fittliches Gefühl ver-

Fürftinnen. 259

einem reinen und hochgefinnten Gemüthe zu fchöpfen ift, ging fie durch die Schule des Unglüde. Auf der jammer- vollen Flucht vom Schlachtfelde von Iena durch Berlin nach Königsberg hörte ihre Umgebung fie jenes tieffinnige und troftvolle göthe'ſche Wort fprechen, daß nur der Unglüdliche die himmlifchen Möchte Tenne. Im jener ihweren Zeit ſchrieb fie eine Reihe von gedankenvollen, herrlichen Briefen, worunter der allbefannte an ihren Bater, in welchem fie e8 ausfprach, daß Preußen auf den Lorbeern Friedrichs des Großen eingefchlafen ge-

legt und konnte und durfte nicht Schweigen. Angeregt, bob fle, wie fie zu thun pflegte, ihre ſchönes, Lodiges, mit einem Diadem ge— ſchmücktes Haupt und in hoher, heroorragender Geftalt heiter umher—⸗ ſchauend vaftehend fprac fie, allen im großen Aubdienzfale hörbar: „Ei, Frau Majorin, Sie haben mir naiv-fatirijch geantwortet. Ich geftehe, mit dem herkömmlichen Ausdruck „von Geburt fein“, wenn damit ein angeborener Vorzug bezeichnet werben foll, babe ich nie einen vernünftigen, ſittlichen Begriff verbinden fünnen, denn in der Geburt find fih alle Menſchen ohne Ausnahme glei. Aller- dings ift e8 von hohem Werthe, ermunternd und erhebend, von guter Familie zu fein und von Vorfahren und Eltern abzuftammen, die fih durch Tugend und Berbienfte auszeichneten, und wer wollte das nicht ehren und bewahren? Aber dies findet man, Gott Lob! in allen Ständen und aus ben unterften felbft find oft die größten Wohlthäter des menichlichen Gefchlechtes hervorgegangen. Aeußere glüdliche Lagen und Vorzüge kann man erben, aber innere perjün- liche Würdigleit, worauf.am Ende doch alles ankommt, muß jeder für ſich durch Selbftbeherrihung erwerben. Ich danke Ihnen, Frau Majorin, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, dieſe, wie ich glaube, fürs Leben nicht unwichtigen Gedanken unbefangen auszu- Ipreden, und wünfche Ihnen in Ihrer Ehe viel Glück, deffen Quelle doch immer nur allein im Herzen liegt“. 17*

260 Bud III. Kap. 6.

wejen, nicht mit ver neuen Zeit fortgefchritten und deß— halb von ihr überflügelt worben fei;.aber auch, daß fie, obzwar für ihr Leben nichts mehr Hoffend, an der Zu- funft des DVaterlandes nicht verzweifle, weil fie feſt an eine „ſittliche Weltordnung“ glaube. Sie follte die ruhm- reihe Bewährung ihres Glaubens nicht mehr erleben, aber ihr Andenken wird nie erlöichen und ihre Ruhe⸗ ftätte im Schloßgarten zu Charlottenburg iſt eim ge- weihter Ort.

Siebentes Kapitel,

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Staunen und Dichter.

Berühmte Frauen. Künftlerinnen, Gelehrtinnen und Dichter- innen. Die Fürftin von Sallizin. Elife von der Rede. Frau von Krüdener. Klopftod der Rehabilitator des Spealis- mus der Liebe. Die Kehrjeite. Wieland und die Frauen. Leffing. Der Hainbund. Voß und Erneftine. Bürger und Molly. Die Epoche der Empfindſamkeit. Karoline Flachs⸗ land. Lavater und die Frauen. Die Kraftgenialität. Göthe und Schiller. Jean Paul und Charlotte von Kalb. Hölderlin und Diotima. Die Romantifer. Novalis. Kleift und Henriette. Körner und Toni. Rahel und Bettina. Immermann und Elifa. Charlotte Stieglig. Lenau und Sophie. Grabbe. Schefer und Frieberif. Johanna Kintel. Schluß.

„Mach Sitte zu ſtreben“ „Das Sfepter ver Sitte zu führen”, darein haben die beiven erlauchteften Geiſter deuticher Nation übereinftimmend vie Beftimmung des Weibes geſetzt. Alles Beſte, Schönfte, Heilfamjte, was eine Frau finnen und thun mag, vollzieht fich ja in dem Bereiche der Sittlichfeit. Auch in Frauen wohnt ver Ge- nius und vermöge veffelben tft e8 einzelnen gegeben, ver

262 Buch IT. Kap. 7.

empfangenven, bewahrenden, pflegenten und erhaltenpen Eigenfchaft des Weibes auch die fehaffende des Mannes zu gefellen, obzwar immer in geringerem Maße und ohne wirkliche Originalität, weil e8 dem Weibe jchlecht- - hin unmöglich ift, ſich völlig objektiv ver Welt gegenüber zu Stellen. Aber wehe ver Frau, welche bei dem Verfuche, dem Manne zufallende Aufgaben zu löſen, der fittlichen Grazie vergiſſt. Sie bringt es dann, und möge fie fich fogar einen weltgefchichtlichen Namen erwerben, doch nur dazu, in ihrer Perjon ein unerquickliches Zwitterding dar⸗ - zuftellen, wie die Semiramiffe und Zenobien alter und neuer Zeit beweifen. Es liegt ein tiefer Sinn, das rich- tigfte Gefühl für das Schickliche in dem achfelzudenven Volksſprichwort von den Frauen, welde „bie Hofen an- haben“. Das Weib foll fein Mann fein wollen over e8 wird zur Karifatur. Der Mann gilt durch edles und großes Thun, die Frau durch fehönes Sein. Und zu Ihönem Sein vermag jede Frau in ihrer Sphäre fich hinaufzuläutern : fie braucht nur den fittlicben Inſtinkt, welchen die Natur in fie gelegt, walten zu lafjen. Sie bedarf nicht der Reflexion, um das Rechte zu treffen, bie Naturnothwendigkeit leitet jie dazu. Zu jeder Zeit haben die Frauen mitgewirkt an dem Gewebe ver Weltgefchichte, am fürverlichiten jedoch dadurch, daß fie, indem fie rechte Frauen waren, die Männer befähigten, rechte Männer zu fein.

Ein Gefchichtfchreiber der deutfchen Frauenwelt hat die Genugthuung, fagen zu können, daß weitaus die Mehr- zahl der berühmten Frauen, an welchen unfer Land im

Frauen und Dichter. 263

vorigen und gegenwärtigen Jahrhundert jo reich gewefen, war und ift, ver ewigen. Gejeße epler. Weiblichkeit nicht vergeffen hat. Hielten wir ein trodenes Regiſtriren für erfprießlich, fo fönnten wir hier viele Seiten mit Nanien von Künftlerinnen und Schriftftellerinnen anfüllen; allein e8 reicht für unferen Zweck aus, auf einzelne charaf- teriftiiche Erſcheinungen flüchtig hinzuweiſen. So auf die berühmte, aus dem bregenzer Wald ftammenpe, i. J. 1741 zu Chur geborene, 1807 zu Rom geftorbene Ma- lerin Angelika Kaufmann, welche befonders im Borträt- fach die große Wendung von Zopfitil zur modern-flaffi- jhen Richtung mit herbeiführen half; fo auf die Sänge- rinnen Korona Schröter, eine Flamme Göthe’s, Charlotte Höfer, Bauline Milder, Henriette Sonntag, Wilhelmine Schröver-Devrient. Auf ven Ruhm, gelehrte Frauen im beiten Sinne des Wortes zu fein, hatten im vorigen Yahrbundert gerechten Anſpruch Luiſe Adelgunde Viktoria Rulmus, des wohlmeinenven, fteifleinenen Pedanten Gott: Ihed geiftwolle und liebenswürdige Gattin, welche zuerft in Deutfchland einen literarifchen Salon hielt, und Doro- thea Schlözer, des berühmten Publiciften ftreng unter- richtete Tochter, welche die philofophifche Fakultät zu Göttingen i. 3. 1787 zum Doktor kreirte. Die gedie- genfte wiffenfchaftliche Schriftftellerin unferer Zeit war ohne Frage die unter dem Autornamen Zalvj befannte Thereſe Adolfine Luiſe Jakob, geboren 1797 zu Halle. Ihre Verdeutſchung der ferbifchen Volkslieder, ihre Unter- juhungen ver flavifhen Sprachen, ver germanijchen Volkspoeſie, ver Echtheit oder vielmehr Unechtheit Offians,

264 Bud III. Rap. 7.

endlich ihre Gefchichte ver Kolonifation von Neu-Eng- land find bleibende Leiftungen.. ‘Die unabfehbare Reihe - beutfcher Dichterinnen neuerer Zeit eröffnete in ber Ro- fofoperiode Luiſe Karſch, deren zu feinem Lobe auf- gewandte Muſenkunſt Frieprich ver Große befanntlich ſehr unföniglih mit zwei Thalern belohnte. Cine Enkelin von ihr war Helmina von Chech, deren vielumgetriebenes Leben einen intereffanteren Roman ausmacht, als irgend einer der von ihr gefchriebenen tft. Die Ahnmutter aller deutſchen Romandichterinnen aber ift Marie Sophie La⸗ voche, welcher wir noch weiterhin begegnen werden. Sie war 1731 zu Kaufbeuren in Schwaben geboren und ftarb 1807 zu Offenbach. Ihre jebt gründlich verfchollene „Seichichte des Fräuleins von Sternheim“ (1771) war einft ein Buch von europätfcher Berühmtheit. An fehrift- ftelferifcher Fruchtbarkeit haben fpäter nur noch ganz wenige rauen mit ihr zu wetteifern vermodht. Am nächften ift ihr Karoline Pichler gekommen, auch im Erfolg, ver jetzt allerdings auch ſchon wieder ein verfchollener ift.

Andere literarifch gebildete over Literarifch jelbftthä- tige Frauen haben vermöge einer bevorzugten gejellichaft- fihen Stellung am Ende des vorigen und zu Anfang unferes Jahrhunderts auf die Kulturbewegung einen jehr bedeutenden Einfluß ausgeübt. So jene Fürftin Amalia von Gallizin, welche zu Münfter eine Art myftifch-philo- fophifchen Hofes hielt, an welchem bie Hemfterhuis, Für- ftenberg, Hamann, Safobi und Stolberg verkehrten und auf welchen freilich ein Mann wie Voß mit Abneigung und Argwohn blidte, al8 auf einen Sammelpunft ver

Frauen und Dichter. 265

„Dunkler“. Sp ferner Elife von der Rede, eine der eriten deutſchen Frauen, welche das Reifen und Reifen- beichreiben zu einer Kunft ausbilveten, viefelbe Elise, welche exit eine Verehrerin und dann vie Entlarverin des großen Schwindlers Caglioftro war und zuleßt die Muſe und Pflegerin des Urania-Sänger Tiedge gewefen ift. Endlich dürfte auch noch die berühmte oder, wenn man will, berüchtigte Juliane von Krüdener hierher gehören, die, von Geburt eine Vietinghoff aus Kurland, zweideutig genug zwijchen einer Ruffin und einer Pariferin, zwifchen "einer Buhlerin und einer Büßerin, zwijchen einer politi- ſchen Ränfefpinnerin und einer religiöfen Schwärmerin Ichilferte, von unftillbarer Unruhe und einem vaftlos taftenden Ehrgeiz verzehrt den franzöfifch gefchriebenen Roman „Valerie“ (1804) veröffentlichte, welcher die in ven vornehmen Kreifen am Wenbepunfte von zwei Jahrhun⸗ derten herrichende Stimmung fehr ausdrucksvoll darlegte, dann eine Zeitlang als Myſtagogin des Caren Alexander J. einen großen Stand hatte, hierauf won der Polizei jehr ungalant geftörte Miffionsfahrten durch Europa unternahm und Schließlich 1824 in der Krim ftarb, mo fie eine Kolonie im krüdener ſchen Sinne hatte gründen wollen 188).

188) Die Krüdenerei war nur eine der zahlreichen Erſchei⸗ nungsformen der Nüdwärtferei des romantischen Ungeifts der Ber- dunfelung und Verknechtung gegenüber dem emancipativen Geift des 18. Jahrhunderts. Die Maria - Magdalena -Zuliane, welche fich dem ruſſiſchen Caren i. 3. 1815 auf feinem Wege nad) Paris in Heibelberg anzugaufeln gewußt hatte und dann in der franzöfifchen

266 Buch III. Kap. 7.

Bon dieſer Erfeheinung, in welcher fich mit ven Tra- pitionen des Pietismus der Zopfzeit, vem Gefühlsüber- ihwang der Sturm- und ‘Drangperiode und der Locker⸗ heit der Direftorialepoche ver ſchon ganz moderne An- lang eines myſtiſch⸗prophetiſchen Socialismus wunderlich verbindet, wenden wir uns rückwärts zu dem eigentlichen Thema dieſes Kapitel, zur Betrachtung der auserwählten

Hauptftadt ihre Gaftrollen als Konventikelpriefterin gab, konnte für die Sibylle der traurigen Epoche gelten, welche mit ber Reftau- ration des Bourbonismus anhob. Im übrigen fehlten biejem Spettafel der Frömmelei auch die komiſchen Intermezzi nicht. Ein foldhes ift das folgende, in den „Souvenirs, tirds des papiers de Madame Recamier“, 1856, I, 286, erzählte. „Madame de Krü- dener prit en grande compassion Benjamin Constant qu’elle avait connu en Suisse et qu’elle retrouvait & Paris accabl& sous le poids d’une r&eprobation universelle (welche Verdam⸗ mung befanntlih nur allzu gerecht war, denn der liberale Mata- dor hatte ſich während der „Hundert Tage” ganz als der Lump be- nommen, welder er geweſen if). Un soir & l’une des reunions les plus nombreuses de ce bizarre sanctuaire (dans un hötel du - Faubourg Saint-Honor6) la prière etait d6jä commenc&e (c'était M. Krüdener qui habituellement l’improvisait et elle ne faisait pas sans Eloquence), tous les assistans &taient à genoux. Ben- jamin Constant comme les autres. Le bruit d’une personne qui survenait lui fait lever la tête, etil reconnait Madame la du- chesse deBourbon. Les regards de la princesse tombent sur le publiciste, et le voil& qui, par embarras de l’attitude et du lieu il est surpris, inquiet de l’impression que la duchesse ne pou- vait manquer d’en recevoir, se prosterna bien davantage, de sorte que son front tonchait quasi la terre; en même temps il se disait: A coup sur, la princesse doit penser et se dire: „Que fait cet hypocrite ?*

Frauen und Dichter. . 267

Frauen, welche als Geliebte, Lebensgefährtinnen und Freundinnen unferer großen Dichter fo viel dazu bei- trugen, die Miffion dieſer edlen Geifter gelingen zu machen, und deſſhalb ven innigen Danf unjeres Landes, ja ver ganzen gebildeten Welt fich verdient haben. Auf Voll- Itändigfeit in Namen und Zahlen over auf Detailichilves rungen geht die nachitehende Vergegenwärtigung der in Trage ftehenden Verhältniffe nicht aus. Doch wird fich manches für die deutſche Frauengefchichte Charafteriftifche barein verweben und wird fich paneben ver Beweis führen laffen, daß es bis zur Gegenwart herab Frauencharaftere gegeben bat, bie nicht unwürbig find, jenen zur Seite ge- ftellt zu werben, welche die Glanzperiode unferer Literatur geſchmückt haben und venen viejelbe vielfach ihre beiten Eingebungen verbanfte.

Die rohmaterielle, gemeinfinnlihe Auffaffung ver Liebe, welcher wir im 17. Jahrhundert begegnet find und welche wir dort in der Literatur einen entiprechenven Ausprud voll gedunfener Lüſternheit und fehmwülftiger Schlüpfrigfeit finden fahen, hat fih zwar noch ins 18, Sahrhundert hereingezogen, doch nicht, ohne jchon an der Schwelle vefjelben auf eine Oppofition zu ftoßen, vie fich mehr und mehr fteigerte und läuterte. Der brutalen An- fiht von den Frauen als bloßen Luſtwerkzeugen gegen- über nahm eine edlere das Wort, welche nicht allein vie Männer zur Achtung vor der Würde des weiblichen Ge- ſchlechtes mahnte, ſondern auch dem leteren wieder Selbjt- achtung einflößte. Zur nämlichen Zeit, wo die galanten Herren und Damen der deutſchen Höfe an einem früheren

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Ortes berührten frechen Reimwerk des Herm von Beffer („Die Schoß der Geliebten”) bewundernd ſich ergößten, fohrieb ein anderer Hofpichter, Herr von Kanitz, feine Trauerode auf den Tod feiner Gattin Dorothea von Ar- nim und legte darin den Ton auf die Tugenden ber Heimgegangenen als Gattin, Hausfrau und Mutter. Weit inniger fchon trat diefe Anerkennung edler Weib- (ichfeit in dem Klageliede hervor, welches vierzig Sabre jpäter (1736) Albrecht von Haller auf das Grab feiner „geliebten Frau Marianne“ nieverlegte. Aber die große Wendung von der materialiftiichen Anfchauung und Be- handlungsweiſe des Verhältniffes von Mann und Weib zur ibealifchen trat erjt mit und durch Klopftod ein. Diefer Dichter, welcher wie ein priefterlider Seher in feiner Zeit daftand und als folcher von ihr verehrt wurde, ‚war wie ver Wiederherſteller ver fittlihen Würde ver Poefie fo auch der Nehabilitator des Idealismus der Liebe. Er führte in die Beziehungen ver beiden Ge- ichlechter ven Seelenſchwung, ven Zartfinn, vie veligiöfe Degeifterung zurüd. Er feierte zuerft wieder in vollen Brufttönen das Göttlihe im Weibe, legte den deutſchen Mädchen „Vaterlandslieder“ auf vie Lippen und ſah in der Geliebten ein höheres Wefen, welchem Gemeines nicht nahen dürfe 18%). Seine glühende Jugendliebe für

189) Sie ift jugendlich ſchön, nicht wie das leichte Volt Rofenwangiger Mädchen ift, Die gedankenlos blüh'n, nur im Vorübergeh'n Bon der Natur und im Scherz gemadit ;

Frauen und Dichter. 269

Fanny Schmidt fand Feine Erwiederung; aber vollen, wenn auch allzu kurzen Erfaß für dieſes verfagte Glück gab ihm feine Ehe mit Margaretha Moller, vie er unter dem Namen Cidli jo hoch gefeiert Hat.

Indeſſen lag in dem durch Klopftod gepflegten und zur Geltung gebrachten Idealismus der Xiebe die Gefahr einer Gefühlsüberfpannung, welche in vie Liebes- und Freundſchaftsverhältniſſe bald eine Empfindſamkeit, Em- pfindſeligkeit, Empfindelei brachte, die allen wirklichen Lebensgehalt zu verflüchtigen drohte, eine thränenſelige Schwärmerei, die in dem vielberufenen miller'ſchen „Sieg⸗ wart“ gipfelte, einem Buch, welchem die zweideutige Ehre zukommt, die Thränendrüſe zu einem poetiſchen Haupt: motin gemacht zu haben. Seltfam genug jollte gerade ein Poet, welcher fpäter durch feine heiterfinnliche, mit- unter ſtark ins Lockere fallenne Behandlungsweiſe der Liebe den Ausschreitungen ver Sentimentalität eine Schranke fegte, in feiner Jugend die ganze Ueberjtiegen- heit der empfinpnfamen Zeitftimmung durchmachen. Wie- lands Verhältniß zu Sophie Gutermann war ein gelebter Roman der Empfindfamfeit, wie e8 nur immer einen ge>

Leer an Empfindung und Geift, leer des allmächtig Zriumphirenden Götterblid®e.

Sie ift jugendlich fhön, ihre Bewegungen Spreden alle die Göttlichkeit

Ihres Herzens; und werth, werth der Unfterblichkeit Zritt fie hoch im Triumph daher,

Schön wie ein feftlicher Tag, frei wie bie heitre Luft, Boller Einfalt wie du, Natur!

270 Buch III. Kap. 7.

fchriebenen geben konnte. Nun, er war fiebzehn, die ſchöne Sophie neunzehn Jahre alt, als fie im Sommer 1750 im idyllischen Pfarrhaufe zu Biberach ihren „ewigen“ Xiebes- bund fchloffen, und in beiven lebte ver volle Ueberſchwang ber Zeit. Da war e8 denn fein Wunder, daß fich die Lie- benven „oft mitfammen auf die Kniee warfen, ber Tugend ewige Treue ſchwuren und dann in jchwärmerifcher Freu⸗ digkeit fich füfften“ Aber Wieland ging dann nad Zü- vi, wo fich jein lebhaftes Naturell in allerlei, flüchtigen Liebſchaften“ behagte; dann nad) Bern, wo die geniale, ob- gleich nicht ſchöne Julie Bondeli, vie begeifterte Miffio- närin der Lehren Roufjeau’s, den Zunder feines Herzens hellauf lohen machte. -Wieland begehrte Julie's Hand, aber fie traute feiner Beftändigfeit nicht. „Sagen Sie mir fragte fie ihn eines Tages mit forfchendem Blicke werden Sie niemals eine andere als mich lieben können?“ „Niemals! das ift unmöglich! ..... In⸗ deſſen, ja auf Augenblicke könnte es doch geſchehen, wenn ich etwa eine ſchönere Frau fände als Sie, die höchſt un- glücklich und zugleich Höchit tugenphaft wäre”. Der arme Wieland, welcher fpäter die Anatomie des weiblichen Herzens jo gut. verftand, fcheint damals noch nicht ge= wußt zu haben, daß Feine Frau ihrem Liebhaber ven Gedanfen verzeihen kann, er fünnte eine andere fchöner finden als fie. Julie wußte, was fie zu thun hatte, und tief- verwundeten Herzen® ließ fie ven Poeten zieben. Daheim in Schwaben fand er dann auf dem Schloffe Warthaufen, welches dem Grafen Stadion gehörte, feine Jugend- geliebte Sophie als Frau Yon Laroche wieder. An vie

grauen und Dichter. . 271

Stelle der fentimentalen Liebe trat nun eine fentimentale Freundſchaft und zugleich entpuppte fich unter der nach: helfenden Hand des feinen, fofratifch-heiteren Weltmanns Stadion Wieland zum Dichter des Idris, der Mufarion, der Abveriten und des Oberon. Nachdem er noch einen furzen Roman mit der Schweiter Sophie’8 durchgefpielt, verheiratete er fich 1765 in ganz bürgerlich nüchterner ‚und ehrbarer Weife mit Dorothea Hillenbrandt, die er in Briefen an feinen Freund Geffner in Zürich ein „un- ſchuldiges, von der Welt unangeftedtes, fanftes, fröh- liches, gefälliges Geſchöpf“ nennt, „nicht ſehr Schön, aber doch hübſch genug für einen ehrlihen Mann, ver gern eine Frau für fich felbit hat, ein gutes, angenehmes Haus- weibchen und damit Punktum“. Die Fühlfeligfeit feiner Sünglingsjahre erwachte aber doch von neuem in ihm, fo oft er feine Freundin Sophie wiederſah. So im Juni 1771, wo er fie in Thalehrenbreitftein befuchte und wo bei feiner Ankunft jene von einem Augenzeugen und Mit- handelnden, Friedrich Jakobi, befchriebene Scene ftatt- fand, welche ein wahres Kabinettſtück aus der Periode der Empfindſamkeit ausmacht 1). Mit feinem „Hausweib-

190) Zafobi’8 Briefwechjel, Nr. 10-11: „Wir hörten einen’ Wagen rollen und ſahen zum Fenſter hinaus er (Wieland) war es ſelbſt. Der Herr von Laroche Tief die Treppe hinunter ihm ent- gegen, ih ungeduldig ihm nach und wir empfingen unfern Freund unter der Hausthüre.. Wieland war bewegt und etwas betäubt. Während dem, daß wir ihn bewilllommten, fommt die Frau von Laroche die Treppe herunter. Wieland hatte eben mit einer Art von Unruhe fi) nach ihr erkundigt und ſchien äußerſt ungeduldig,

272 Bud III. Kap. 7.

hen“ hat ver Verfaffer des Agathon bekanntlich ſehr glücklich gelebt und wußte ihm Dorothea im Verein mit ihren Zöchtern befonvers während des Aufenthalts ver Familie auf dem Landgut Oſſmannſtedt eine ganz pa- triarchaftfch behagliche Eriftenz zu bereiten.

Zange nicht fo gut follte e8 vem großen Leſſing wer- den, deſſen einfames und ftarfes Herz nur vierzehn Mo⸗ nate lang in dem häuffichen Glücke ſich fonnen konnte, welches ihm feine Frau Eva, die Witwe eines hamburger Kaufmanns Namens König, gewährte. Kurz nad) feiner Derbindung mit ihr fehrieb er an feine Schwefter : „Meine

fie zu ſehen; auf einmal erblidte er fie ich ſah ihn ganz deutlich zurüdichaudern. Darauf fehrte er fi zur Seite, warf mit einer zitternden und zugleich heftigen Bewegung feinen Hut hinter ſich auf die Erde und ſchwankte zu Sophie bin. Alles biefes warb von einem fo außerorbentlihen Ausdrude in Wielands ganzer Perjon begleitet, daß ich mich in allen Nerven davon erichüttert fühlte. Sophie ging ihrem Freunde mit ausgebreiteten Armen entgegen; er aber, anftatt die Umarmung anzunehmen, ergriff ihre Hände und büdte fih, um fein Geſicht darein zu verbergen. Sophie neigte mit einer himmliſchen Miene ſich Über ihn und fagte mit einem Zone, den feine Clairon und feine Dubois nachzuahmen fähig ift: „Wieland Wieland o ja, Sie find es, Sie find noch immer mein lieber Wieland!” Wieland, von biejer rührenden Stimme gewedt, richtete ſich etwas in die Höhe, blickte in bie weinenden Augen feiner Freundin und ließ dann fein Geficht auf ihren Arm zurüdfinfen. Keiner von den Umftehenden konnte fich der Thränen enthalten: mir firömten fie bie Wangen herunter, ich Ihluchzte; ih war außer mir und ich wüßte bis auf den heutigen Tag noch nicht zu jagen, wie fich diefe Scene geendigt und wie wir zufanmen wieder in den Sal hinaufgelommen find“.

Frauen und Dichter. | 273

Frau iſt in allen Stüden fo, wie ich mir fie längjt ge- wünjcht habe: eben jo herzlich gut und vechtichaffen als wir nur immer unfere Mutter gegen unferen Bater ge- fannt haben“. Da ift feine Spur von Schwärmerei, wie fih denn Lefjings klarer und tafferer Verſtand befannt- ih dem fentimentalen Ueberfchwang fcharf entgegenge- feßt und inbetreff von Göthe's Werther gegen Ejchen- burg geäußert hat, jolche „Heingroße, verächtlich ſchätzbare Driginale bervorzubringen fei der chriftlichen Erziehung vorbehalten gewejen, vie ein förperliches Bedürfniß fo ſchön in eine geiftige Vollfommenbeit zu verwandeln wiffe”. Damit war nun freilich nicht allein die Empfind⸗ famfeit, fondern auch das Liebesideal der modernen Welt (modern als Gegenfag zu antik genommen) über- haupt verneint. Allein Leffing follte bald an fich felbit erfahren, daß denn doch nicht bloß „ein förperliches Be⸗ dürfniß“ ven Mann an das Weib binde. Als er feine Frau in Folge einer fchweren Entbindung fammt ihrem Kinde im Januar 1778 verloren hatte, fehrieb er an Eſchenburg und an feinen Bruder Karl: „Ich wollte e8 auch einmal jo gut haben wie andere Menfchen ; aber e8 ift mir fchlecht befommen ..... Meine Frau ift tobt, und diefe Erfahrung habe ich nun auch gemacht. Ich freue mich, daß mir viele vergleichen Erfahrungen nicht mehr übrig fein Fünnen, und ich bin ganz leiht..... Wenn du diefe Frau gekannt Hätteft! Aber man fagt, es fei nichts als Eigenlob, feine Frau zu rühmen. Nun gut, ich fage nichts weiter von ihr. Aber wenn du jie

gefannt hätteſt! Du wirft mich nie wieder Io jehen, wie Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. II.

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Mofes (Mentelsjohn) mich gejehen, fo ruhig und zu- frieden in meinen vier Wänden. Wenn ich mit der einen Hälfte meiner Tage das Glück erfaufen könnte, die andere mit ihr zu verleben; wie gerne wollte ich es thun! Aber das geht nicht und ich muß nun wieder anfangen, meinen Weg allein zu duſeln; ich habe dieſes Glück unftreitig nicht verdient“. Es liegt eine Kraft und eine Bitterfeit in dieſem ftoifch verbaltenen Schmerz, welche Bände voll weichlicher Klageliever aufwiegen. Der große Kämpfer Leſſing hatte auch gar Feine Zeit, Klageliever zu fchreiben : gerade in dieſer trühften Zeit feines Lebens fchlug er feine glorreichiten Schlachten gegen ven . Hauptpaftor Götze, d. h. gegen das Pfaffenthum.

Unter den jungen Poeten des göttinger Hainbundes war in der Blüthezeit deſſelben das ätherifche Sehnen und Schmachten in Klopftods Manier gäng und gäbe. Es wurden im Kreife diefer Jünglinge, welche fich mit dem wohlgemeinten, aber an der Wirklichkeit bald jchei- ternden Plane trugen, der deutſchen Dichtung eine fociale Geftaltung zu geben, fehr viele Oden und Elegien „an bie unbefannte Geliebte” gevichtet, d. h. die Hainbündler behandelten wie bie Freiheit fo auch vie Liebe in ganz abſtrakter Weife, bis fich die Abftraftionen gegen vie fon- freten Forderungen des Lebens nicht mehr halten ließen. Glücklich, wer dann in die Profa der Wirklichkeit fo viel Idealismus mit hinüberretten Tonnte, um ein bürgerlich- beſcheidenes Dafein zum gemüthlichen Familien-Idyll zu geftalten. Dies gelang wenigftens dem waderen Voß, welcher bie Seele des Hainbundes gewefen und nachmals

Frauen und Dichter. 275

mit der trefflichen Erneftine Boie ein Eheleben führte, wie er e8 in feiner „Luiſe“ und in feinem „Siebzigften Geburtstag” gevichtet hat. Die Schilderung, welche Erneitine von ihrer Brautſchaft und von ihren erften Ehejahren zu Wandsbeck und Otterndorf gegeben hat 191), ift eine der herzigften Epifoden ver deutſchen Sittenge- ſchichte. Unter den bejchränfteften Umſtänden waltete bie junge Frau des Heinen Haushalts, während ihr Gatte an feinem deutſchen Homer arbeitete. Sie bewiefen den regiten Sinn für die höchſten Aufgaben der Zeit, diefe prächtigen Menſchen, und freuten ſich doch wie Rinder, wenn fie von ihrer färglichen Einnahme fo viel erübrigen fonnten, um etwa einen neuen Schrant anjchaffen. zu fönnen. „In diefer Armuth welche Füllel*... Einen tragifhen Gegenfaß zu dem Idyll der voß'ſchen Che bildet das Wirrfal von Leidenſchaft und Unglüd, welches die Beziehungen Bürgers zu den Frauen Tennzeichnet. Hier begegnet uns eine durch die Macht ver Poefie, wie fie namentlich das „Hohe Lied von der Einzigen“ offen- bart, in die Sphäre der Geiftigfeit erhobene Glut der Sinnlichkeit, die faum ihres Gleichen hat, wenigftens auf deutihem Boden. Hier loderte eine Flamme, welche an. jene erinnert, von welcher vor Zeiten Abälard und He— loiſe bejeligt und verzehrt wurden. Bürger jagte von. feiner Molly: „An diefer herrlichen, himmelsfeelenvollen. Geftalt duftete die Blume der Sinnlichkeit allzulteblich, als daß e8 nicht zu den feinften Organen ver geiftigfterr

191) Briefe von 3. H. Voß, II, 3 fg. 18*

276 Buch II. Kap. 7.

Liebe hätte hinaufdringen ſollen“. Berauſcht von dieſem Duft, zerpflückte der leidenſchaftliche Mann den Kranz der Jungfräulichkeit ſeiner Geliebten, aber er hat dafür feines „Liedes Ehrenfahne um ihr Haupt geſchwungen“ und mit Stolz ausgerufen, daß eines Dichters Liebe auch die Schulp zu adeln vermöge 199. Keine Frage, vor dem Zribunal der Sittlichfeit vermag die Doppelehe mit zwei Schweitern, Dorette und Molly, von denen die eine fich entihloß, jein Weib „öffentlich zu heißen”, und vie an- dere, „im geheimen es wirklich zu fein“, nicht zu be- ftehen. Aber billig denkende Menjchenfenner dürften nicht abgeneigt fein, dem unglüdlichen Dichter zu ver- zeihen, wenn fie feine Darftellung des verworrenen Ver- hältniffes lefen 199. Um fo mehr, da ver Arme durch eine nah dem Hingange Molly's unbefonnen eingegangene pritte Ehe befanntlich graufam genug beftraft worben ift.

Die Blüthe der Empfindſamkeit, welche man mit Recht als eine „nothwendige Epoche unferer Kulturge-

192) „Erdentöchter, unbejungen, ober Faunen Spiel und Scherz, Seht, mit ſolchen Huldigungen Lohnt die theuren Opferungen Des gerechten Sängers Herz ! Offenbar und groß auf Erben, Hoch und hehr zu jeder Frift, Wie die Sonn’ am Himmel ift, Heißt er's vor den Edlen werben, Was ihm feine Holdin ift“.

193) Bilrgers Werke (1844), IV, 198 fg.

Frauen und Dichter. 277

ſchichte“ bezeichnet hat, weil jie, jo überfpannt, ja kindiſch ung Nachgeborenen viele ihrer Aeußerungen vorkommen mögen und müffen, ein Gährungsproceß war, aus wel- hem die deutſche Gemüthsbefreiung hervorgegangen, bie Blüthe der Empfindſamkeit fiel in die fiebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Wie jedermann weiß over wilfen könnte, hat Göthe’8 Werther dieſe Stimmung Tei- neswegs hervorgerufen: das berühmte Buch war nur ver dichteriſchſte, künſtleriſch vollendetſte Ausdruck derfelben. Was die Zeitgenoſſen, namentlich die jüngere Genera— tion erfüllte, bewegte, quälte, ein genialer Menſch ſtellte es zum Kunſtwerk geformt vor ſie hin. Es wimmelte damals von Lotten und Werthern, obzwar dieſe mit dem ſelbſtmörderiſchen Piſtol nicht ſo raſch bei der Hand waren wie ver göthe'ſche Held. Was für eine Gefühls— auffpannung, was für eine fahrige Schwärmerei iſt in den bräutlihen Briefen, welche Karoline Flachsland, die doch eine ftarfe Doſis berechnenten Berftandes beſaß, an Herver fandte! So fchrieb fie z. B. am 25. Oftober 1771: „O, was machen Sie, holver, füßer Yüngling ? Denfen Sie noch an mich? Lieben Sie mich noch? O, verzeihen Sie, daß ich das frage! In Ihrem lebten gött- lichen Brief bin ih ja „dein Mädchen”, und doch muß ich fragen. Ich Habe einige Zeit fo viel im Traum mit Ihnen zu thun und das ift fchuld daran; aber es ift nur Traum und bu bift mein, mein, ach !- in meinem Herzen ewig mein! Hören Sie nichts um Sie herummwandern, du füßer Mann, und jest beim Mondenſchein, wo id) jtundenlang allein und bei Ihnen bin hören Sie

278 Bud IH. Kap. 7.

nichts, nichts von meinen Gedanken? NRaufcht unjer Engel nicht um Sie, der Ihnen fagt, ich fei bei Ihnen? D, Sympathie, Sympathie 19)!“

Sa, e8 war eine Zeit, wo vielen, jehr vielen bie ganze Welt wie eine thränenthaufchimmernde Mondſchein⸗ landſchaft vorkam; eine Zeit, wo der empfinpfelige Schwarbelfopf Leuchfenring in Deutſchland umherfuhr, um überall feine Mappen voll eraltirter Freundfchaftelei- Epijteln auszuframen; eine Zeit, wo vie Fühlfamfeit fogar der Hofleute jo jehr fich bemächtigte, daß ein Fräu- lein von Ziegler, Hofpame der Landgräfin von Heffen- Homburg, zu Bergzabern als verkörperte Sentimentalität

194) Wie befannt bat diefe „Sympathie“ während Herder und Karoline's Eheleben mitunter ſehr berbe Stöße bekommen. Schiller jchrieb am 29. Auguft 1787 aus Weimar an Körner: „Herder und feine Frau leben in einer egoiftiichen Einſamkeit und bilden zuſammen eine Art beiliger Zweieinigfeit, von ber fie jeden Erdenjohn ausichließen. Aber weil beide ftolz, beide heftig find, fo ſtößt dieſe Gottheit zumeilen unter fich felhft an einander. Wenn fie alfo in Unfrieden geratben find, jo wohnen beide abgejonbert in ihren Etagen und Briefe laufen Treppe auf Treppe nieder, bis ſich endlich die Frau entſchließt, in eigener Perjon in ihres Ehegemahls Zimmer zu treten, wo fie eine Stelle aus feinen Schriften recitirt, mit den Worten: „„Wer das gemacht hat, muß ein Gott fein und auf den kann niemand zürnen. Dann fällt ihr der befiegte Her- der um den Hals und die Fehde hat ein Ende““.... Karoline war leider wenig geeignet, der grämlichen Berbitterung, welche Herdere . Leben und Schreiben in feiner fpäteren Zeit jo unerfprießlich und unerquidlih machte, entgegenzuwirken. Auch trifft fie der Vor⸗ wurf, die Verhetzung ihres Gatten gegen Göthe und Schiller eher gefördert als gehindert zu haben.

Frauen und Dichter. 279 |

einherging, im weißen Unfchulodsfleide, ein Lämmchen am rofenrothen Seidebande führend. Und damit noch nicht genug. Es mußte auch noch Lavater feine Miflions- fahrten thun, um der Empfindſamkeit gleichfam vie reli- gidfe Weihe zu geben. Lavater war fo recht ein Dann für die Frauen, denn all fein Weſen war fraulih. Selbft in feinen evelften Auffchwüngen, in feinen beiten Thaten und fein Leben zählte eine ſchöne Neihe won foldhen war viel mehr weiblihe Hingabe und Aufopferungsfähig- feit al8 männliche Charakterftärfe und Energie. Er wußte die Frauen um jo mehr zu beftimmen, je beftimm- barer er felber geweſen iſt. Schon das Nette, Reinliche, jo zu fagen Wohlduftende feiner Perjönlichleit nahm vie Frauen für ihn ein. Der Wohlrevenheit vollends, wo—⸗ mit er fein poetiſch zurechtgemachtes Chriſtenthum vor- trug, vermochten fie gar nicht zu widerſtehen und er hin- wiederum hatte nichts dagegen, wenn fie ihn als ihren „Sankt Lavatus” verehrten und verhätfchelten. Sein Ver- dient ift, in ven abgeftandenen Pietismus neue Gefühls- frifche gebracht zu haben. Aber durch feine Anficht von der unmittelbaren Wirkung des Gebets, durch feine phy- ſiognomiſchen Phantajtereien und feine fo oft genasführte Wunverglaubensfucht hat er auch nicht wenig gefchadet. Zräumerinnen und Schwärmerinnen, Somnambulen und Geifterfeherinnen ſchoſſen wie Pilze hinter feinen Tritten auf, ven Verftändigen zum Aergerniß, den Spöttern zur Ergötung.

Der jentimentalen Stimmung gefellte vie Kraft- genialität, wie fie in den poetifchen Jugendthaten Göthe's

280 Bud III. Kap. 7.

und Schillers ausgeprägt ift, jenen leidenfchaftlichen „Sturm und Drang“, welcher der focialen Konvenienz gegenüber die unbedingte Freiheit des Herzens proflamirte. Die Stimmführer der Zeit haben auch vielfach ven Ver- ſuch gemacht, dieſen Fraftgenialen Idealismus auf reale Berhältniffe überzutragen, und e8 hat dies zu ber Be- griffeverwirrung, welche wir in den Beziehungen ver beiden Gefchlechter in der Geniesperiode“ häufig genug antreffen, gewiß nicht wenig mitgewirft. Göthe hatte vie fatalen Nachwirfungen dieſer „Freigeiſterei der Leiden⸗ ſchaft“ fein Leben lang zu empfinden, während ihnen Schiller dadurch entging, daß er die pafjendite Frau ge- wann, welche er überhaupt finden Tonnte 19%). Aber beide große Männer und Freunde hatten den Frauen unendlich viel zu danken. Um ihr Leben und ihre Werfe

195) Ueber Schiller& drei bedeutendſte Verhältniffe zu Frauen, das zu Charlotte von Kalb und das zu den Echweftern Karoline und Charlotte von Lengefeld , jowie über fein Eheleben, vermeife ih auf mein Buch „Schiller und feine Zeit”, Prachtausg. ©. 242 fg., 282 fg., 290 fg., 335 fg., 363 fg., 383 fg. III. Auflage (1876), ©. 189 fg., 195, 224 fg., 274 fg., 279 fg., 290 fg. Volksausg. IL, 47 fg., 87 fg., 96 fg., 136 fg., 169 fg. II, 1 fg. Wer Göthe's und Schillers Beziehungen zur Frauenwelt im einzelnen fennen lernen will, muß fi in erfter Linie an die verjchiebenen Sammlungen ihres Briefwechſels mit Frauen und Freunden halten, dann an Göthe's Selbftbiographie, an die Aufzeichnungen von Charlotte von Kalb, Karoline und Charlotte von Lengefeld und anderer Zeitgenoffen und Zeitgenoffinnen; in zweiter an Bücher wie Dünters „Frauenbilder aus Göthe's Jugendzeit“, Kneſchke's „Söthe und Schiller in ihren B. 3. Frauenw.“, an Auffäte wie Sauppe's „Charlotte v. Kalb“ (Weimar. Jahrb. I, 372 fg.) u. |. w.

Frauen und Dicter. 281

recht zu verſtehen, muß man ihr Verhältniß zu den Frauen ftubiren, zu welchem Zwecke ver gebotenen Hilfe- mittel jo viele und naheliegenve find, daß wir uns bier füglih auf die unerläfflichften Andeutungen befchränfen fünnen.

Göthe und Schiller fie find durch die Ebenbürtigfeit ihres Genius, wie durch ihr Streben, ihren Ruhm und ihre Freundſchaft in der Vorftellung jedes Deutjchen fo unzertrennlich verbunden, daß fie auch hier beifammen itehen mögen jeder von den beiden genoß zuvörderſt des Glückes, eine vortrefflihe Mutter zu befiken. Von der ihr Leben Yang äußerlich in reichsftäntifcher Fülle und reichsſtädtiſchem Behagen jich wohlbefindenvden Katharina Elifabeth Göthe, von der genialifchen, ficher auftretenden, mit Fürften und Fürftinnen wie mit ihres Gleichen ver- fehrenden „Frau Rath” over „Frau Aja“, welde von fih jagen durfte, daß „Teine Menfchenfeele mifjvergnügt von ihr gegangen fei“, und welche noch auf dem Sterbe- bette jo humoriftifch geftimmt gewejen fein Toll, daß fie eine an fie gerichtete Einladung mit ven Worten abgelehnt habe, „die Frau Rath könne nicht fommen, weil fie alle weile fterben müſſe“, von dieſer Glücklichen bis zu der armen fchwäbiichen Bäderstochter Elifabetb Dorothea Schiller, der janften, beſcheidenen Frau, welche ihr Dafein in fnappen, ja brüdenvden Verhältniſſen verbrachte, ift freilich ein himmelweiter Abftand. Aber etwas ift ven beiden Müttern gemeinſam: fie erkannten frühzeitig den Gott in ihren Söhnen und wahrten nad) Kräften ven er- wachenden Genius gegen die ftörenven Einflüffe vonfeiten

282 Bud III. Kap. 7.

einer hüben und brüben gleich pedantifchen Vatergewalt. Göthe, feinem großen Freunde gegenüber vom Glüd ganz unverhältnigmäßig begünftigt, erwarb fich ſchon in jungen Jahren durch feine Beziehungen zu anmuthigen Mädchen und bedeutenden Frauen jene umfaſſende Kennt- niß der Frauenwelt, welche ihn befähigte, Frauenge- ftalten zu fchaffen, von deren lebenswahrem Realismus er mit Recht fagen durfte: „Ich weiß es, fie find ewig, denn fie find". Schillers weibliche Figuren dagegen gleichen alle mehr over weniger ver Phantafiegeftalt jener Laura, an welche ver Süngling die Entzüdungen feines erwachenben Herzens verſchwendete. Schiller hat nicht wie Göthe ein Gretchen, eine Friederike, ein Käthchen gehabt, auch nicht ein Fräulein von Klettenberg. ‘Die mütterliche Freundſchaft der trefflichen Frau von Wolzogen bot lange nicht vollwiegenvden Erſatz für jene tiefeingreifenpe Förde— rung, welde Göthe durch fein Verhältnig zu Charlotte von Stein erfuhr. Der Roman Göthe’s mit Lotte Yuff, der Braut eines andern, und der Roman Schillers mit Xotte von Kalb, der Frau eines andern, bieten einige äußerliche Aehnlichfeit: aber wenn jener höchſt wohlthätig den Genius Göthe's zum Durchbruch brachte, fo hat -diefer auf Schiller, feinem eigenen Geftänpniß zufolge, „nicht wohlthätig“ gewirkt. Gleich verwirrend dagegen wirkte auf Göthe feine Leidenfchaft für Anna Elifabeth Schönemann (Lili) und auf Schiller feine Leivenfhaft für Marie Henriette Elifabetb von Arnim. Ein fo reizendes Liebesidyll, wie e8 Göthe mit Frieverife Brion zu Sejjenheim gelebt, fuchen wir vergebens in Schilfers

Frauen und Dichter. 283

Leben. Ebenſo vergebens eine „luſtige Zeit von Weimar“, jene Ölanzperiove der Genialität, in welcher ſich das deutfche Leben einmal ganz dichteriſch geitaltete und wo Göthe, ver „Frauengünftling”, eine unerfchöpfliche Fülle von Anregungen empfing. Es iſt wahr, die Jahre 1788— 89, wo Schiller mit ven Schweftern Karoline und Lotte von Lengefeld als Freund, als Geliebter, als Bräutigam verkehrte, führten für den Dichter jenen neuen Lebens— frühling herauf, welcher in vem von feiner Tochter Emilie unter dem Titel „Schiller und Lotte” in feiner Echtheit herausgegebenen Briefwechjel ver Drei eine fo herrliche Verewigung gefunden bat. Aber dieſer Frühling war nicht ohne Dornen. Der Dichter war fehon durch eine zu harte Schule des Mifigefchid® gegangen, um noch mit ganzer Freiheit ver Seele des Glückes genießen zu können, tas in dem Umgang mit zwei weiblichen Weſen lag, welche, von einem trefflichen Vater mit liebevolifter Sorg- falt erzogen, vie Bildung der Zeit in harmonifch fehöner und edler Weiblichkeit varftellten. Außerdem lag in vem Verhältniß auch der Keim einer wunderlichiten Verirrung. Denn Schiller wurde bekanntlich won ven beiden Schweitern geliebt und er liebte beide, obgleich die Ältere bereits ver⸗ heiratet war. Da faſſte er denn ven Gedanken einer ivealifhen Doppelehe, welchen der Realismus des Lebens ficherlich bald ein trauriges Dementi gegeben hätte. Man weiß, wie Karoline, nahmals als Verfaſſerin ver „Agnes von Lilien“ höchſt ehrenvoll in die Literatur eingetreten, fie, welche ven Dichter heißer liebte als ihre Schweiter und auch heißer von ihm geliebt wurde, mit hochherziger

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Aufopferung dieſes Wirrniß der Phantaſie und bes Herzens löſ'te, indem fie die Verlobung Schillers mit Lotte vermittelte und die Hinverniffe, welche fich der Ver- bindung in den Weg ftellten, bejeitigte. Xotte’8 Be⸗ nehmen als Schillers Gattin ift über alles Lob erhaben. Ohne ihre liebewolle Hingabe wäre und das theure Xeben des Fränfelnden Dichters nicht bis zum Jahre 1805 er- halten worden. Er hat auch dankbar bezeugt, was Lotte ihm war. „Bon biefer Seite ſchrieb er hat mir der Himmel nichts als Freude gegeben*. Hierin war Echiller entſchieden glücklicher al8 Göthe, welchem zwar die gute Chriſtiane Vulpius häufliches Behagen fchuf, aber doch immer weit mehr nur Beifchläferin und Haushälterin al8 Gattin in des Wortes höchfter und befter Bedeutung war. Wir wilfen auch, daß dem Dichter, welder in „Hermann und Dorothea“ die veutfche Familienhaftigfeit jo wunderbar verherrlicht hat, feine, wie der große Freund jie bezeichnete, „elenven häuflichen Verhältniſſe“ oft genug fchwer zu fchaffen machten 19%. Schillers und

196) Einer freilich kaum glaubhaften Ueberlieferung (bei Maria Beli, 8%. in F. UI, 107) zufolge fol Chriftiane Bulpius nicht haben lefen können. Komiſch ift eine Tradition aus dem Badort Laudftädt, wo Sommers die mweimarer Schaufpielertruppe zu fpielen pflegte. Während da Göthe und Schiller nad) Beendigung ber Theatervorftellungen in ernfter Unterhaltung mitfammen im Garten wanbelten, tanzte Chriftiane drinnen mit den jenenfer Studenten. Einmal habe fie das Gefpräd der großen Freunde mit der Klage unterbrochen: „Ad, Herr Seheimer Rath, ich habe mein Umſchlagtuch verloren”. Worauf Göthe mit unerfchütterlicher Ge- meffenheit: „Nun, dann wird man ein anderes befchaffen müffen“.

Frauen und Dichter. 285

Lotte's Ehe dagegen war eine vechte deutſche Ehe, wie der Dichter im Glockenlied das Wefen verfelben charak- terifirt hat: die Leidenſchaft floh, aber vie Liebe blieb. Die die beiden Dichterfönige, jeder in feiner Weife, das, was fie von den Frauen empfangen, venjelben in Geftalt unfsterblicher Werke mit taufendfältigen Zinfen zurüd- gegeben, weiß die Welt.

„Sp viel ift gewiß fchrieb Sean Paul i. 3. 1799 aus Weimar eine geiftige und größere Revolution als die politifcehe und nur eben jo mörberifch wie dieſe fchlägt im Herzen der Welt“. Der große Humorift deutete da- mit auf die Zerfahrenheit der focialen Zuſtände einer Zeit hin, deren genialjte und unglüdlichjte Frau, Lotte von Kalb, drei Iahre zuvor gegen ihn geäußert hatte, daß „alle unfere Gefege Folgen der elenveften Armfältgfeit, felten der Klugheit feien und daß Liebe gar feiner Geſetze bedürfe“. Die arme Lotte, weldhe die bitteren Ent- täufchungen eine® von Miffgefchiden aller Art vollen Lebens bis in ein Alter von zweiundachtzig Jahren mit hinaufnehmen mußte, ftand wie eine Pythia ver ivealiftijch- freien Liebe in ver Glanzperiode der weimarer Gefell- fhaft. Aber vie beiden großen Xiebewerjuche ihres Lebens, der mit Schiller und der mit Sean Paul, fchei- terten kläglich. Schiller erkannte zeitig, daß eine andere Lotte fein Lebensglüd machen würde, und Sean Paul, der zwar mit der „Titanide“ Charlotte von Kalb, wie er ſich barod ausdrückte, „eine Pfeife im PBulvermagazin geraucht hatte“, befam nachgerade vor dem „auflöjenven Leben mit genialifchen Weibern* einen fo nachhaltigen

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Reſpekt, daß er weder die Titanide noch eine andere Genialiſche Heiraten wollte. . Ungeachtet er aber mit feiner Frau, Karoline Meier, ein ganz bürgerlich-hausbadenes Dafein führte, hat er nach wie vor feine Frauengeſtalten aus Liltenduft und Monpfchein gewoben; inbejonvere die der höheren Kreiſe. Henriette Herz, welche zur Zeit, als Sean Paul in Berlin feine größten Triumphe feierte (1800), und noch lange nachher durch Schönheit, Geift und Charakter eine fehr vorragende Stellung in ver bortigen Gefellfehaft einnahm, hat das vortrefflich erklärt. Es ei, erzählt fie in ihren Erinnerungen, faum zu be= Ichreiben, wie viel Aufmerkfamfeit dem ‘Dichter des Hefperus und des Titan von den Frauen, felbjt von denen ver höchften Stände, erwiefen wurde. Ste wären ihm dankbar dafür geweſen, daß er fich in feinen Werfen fo angelegentlih mit ihnen bejchäftigte; hauptſächlich aber hätten fich ihm die vornehmen verbunden gefühlt, weil „er fie fo viel bedeutender und idealer darſtellte, als fie in der That waren”. Der Grund hiervon fei gewefen, daß, als er „zuerft Frauen ver höheren Stände fchilderte, er in Wirklichkeit noch gar feine ſolche kannte und einer reichen und wohlwollenden Phantafie hinſichtlich ihrer freien Spielraum ließ, diejenigen aus dieſen Klaſſen jedoch, welche er ſpäter fennen lernte, alles anwendeten, um die ihnen jchmeichelhafte Täuſchung in ihm zu er- halten und ihm möglichft iveal zu erfcheinen 197)“. Noch ein dritter Dichter war in den Zauberfreis Lotte's von

197) Fürft, Henriette Herz, 2. A. 178.

Frauen und Dichter. _ 287

Kalb getreten, Hölverlin, welcher, von feinem Landsmann Schiller der Titanide empfohlen, eine Weile Informator ihrer Kinder gewejen if. Nicht zu Waltershaufen in Thüringen, jondern in Franffurt a. M. follte jedoch der Schöpfer des „Hyperion“ feinem Verhängniſſe verfallen. Das Nähere des Wie ift noch nicht ganz aufgeklärt. Wir wijjen nur, daß der arme Hölverlin als Hofmeifter in einem franffurter Haufe für die Mutter feiner Zöglinge (Frau Gontard) in Leidenſchaft entbrannte und daß dieſe Glut ihn nach Franfreih und dort beim Empfang ver Nachricht von dem frühzeitigen Tode der Angebeteten dem Wahnfinn in die Arme jagte. Unter dem hellenifchen Namen Diotima hat er die Geliebte in Tönen gefetert, welche zu den innigften und ergreifendften ver deutſchen Lyrik gehören.

Auch in der romantischen Periode unferer Literatur find von geiftuollen Frauen vielfach bedingende und für- dernde Einflüffe ausgegangen und wir haben e8 zu be- flogen, daß namentlich Tiecks Verhältniſſe in dieſer Richtung noch Feine ausreichende Aufhellung gefunden. Freilich, die Beziehungen ver Romantifer zu den Frauen bebürfen weit mehr ver Verhüllung als der Aufpedung. Man denke nur der ärgerlihen Art und Welfe, wie Friedrich Schlegel zu feiner Frau Dorothea Veit⸗Mendels⸗ fohn und Klemens Brentano von feiner Frau Augufte Buſmann gekommen 19°). Oder an ven Lebenslauf der viel-

1972) Angufte war eine Nichte des Bankherrn Bethmann in Frankfurt a. M. und Brentano Hatte fie aus dem Haufe ihres

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verheirateten und noch mehr geliebten Karoline Michaelis- Böhmer » Schlegel» Schelling, welde vom Blauftrumpfs- hochmuth bis zum Größenwahn hinaufgebläht war, oder enplich an ven ſchändlichen Heiratsverfuh Auguft Wilhelm Schlegels mit der ſchmählich getäufchten Karoline Baulus. Den feinften Duft der „blauen Blume“ der Romantif ath- mete die Liebe von Novalis (Hardenberg) zu feiner Verlobten, Sophie von K., welche aber fehon zwei Tage nach ihrem fünfzehnten Geburtstag ftarb. Ihre ätherifche Geitalt, mit dem brennenden Roth der Heftif auf ven Wangen, war die Mufe, welche ihren Geliebten zu feinem Ofter- dingen und feinen Hymnen an die Nacht begeifterte. Im einen Abgrund der Zerriffenheit aber läſſt das Verhält- niß der genialften der NRomantifer, Heinrich von Kleiſt, zu Henriette Vogel bliden. Sie war die Frau eines andern, hätte aber, ſelbſt im Innerjten zerfallen, auch außerdem den Dämon in der Seele des Dichters, welcher unter dem Drude ver napoleon’schen Zwingherrihaft an

Oheims entführt. „Wunderliche Dinge werben uns von dem Leben des Paares erzählt” meldet der Biograph des Dichters (Klemens Brentano’s gefammelte Schriften, VIII, 44 fg.). So ſchleuderte wenige Tage nach der Trauung die Neuvermäblte den Ehering zum Tenfter hinaus. Nicht geringen Verdruß erregte e8 auch dem Gatten, wenn jeine Gattin im wunderlichften Aufzug, mit Schwung- federn auf dem Kopf und rother, weithin fliegender Pferdedecke durch bie Straßen (von Kaſſel) fprengte. Die Fertigkeit, mit der Frau Augufte mit den Füßen an der Bettftatt die Trommel zu ſchlagen verftand, wo dann bem Wirbel regelmäßig ein mit ven Nägeln der Zehen ausgeführtes Pizzifato folgte, wurde dem Dichter zulegt fo unerträglich, daß feine Standhaftigfeit erlag und er davonlief“.

Frauen und Dichter. 289

ſich ſelbſt wie am Vaterland verzweifelte, nicht zu be- Ihwichtigen vermodht. Der Ausgang war eine Kata- jtrophe, deren Wirklichkeit die im Werther gedichtete an Furchtbarfeit übertraf. In einer unglüdlichen Stunve hatte Kleiſt der Freundin verfprochen, fie zu tödten, wenn fie das Leben nicht mehr zu ertragen vermöchte, und er hielt Wort. Am 21. November 1811 erſchoß der Dichter am Wanjee bei Potsvam erft Henriette und dann fi ſelbſt 197°). Edel und innig dagegen war die Stellung von Theodor Körner zu feiner Braut, der veizenven

197b) ©. „ven Bericht des Wirthes zum Stimming (am Wanfee) über Heinrih8 von Kleift und Henriettens Tod” bei E. v. Bülow, Heinrich von Kleift’3 Leben und Briefe, 280 fg. A. Wilbrandt betont in feinem Bude „Heinrich von Kleiſt“, S. 404, mit Recht, daR von einer Leidenſchaft des Dichters für Henriette keine Rebe, ſondern daß fie ihm nur Freundin gewefen. Dann berichtet er: „Sie muficirten und fangen zufammen, alte Pſalmen vorzüglih. Eines Tages, als fie ganz befonders ſchön gejungen hatte, fagte er mit einem wohl aus feiner Jugend ihm fiberbliebenen Ausdruck uniformirter Begeifterung zu ihr: Das ift zum erichießen ſchön! Sie jah ihm bedeutend an, ohne ein Wort zu erwidern; aber in einer einfamen Stunde kam fie auf diefe Aeußerung zurüd. Sie fragte ihn, ob er ſich noch des ernften Wortes erinnerte, das fie ihm früher einmal abgenommen habe: ihr, falls fie ihn darum bäte, jeden, ſelbſt den größten Freund⸗ Ihaftsdienft zu leiften? Seine ritterlihe Antwort war, er wäre dazu jeder Zeit bereit. „Wohlan, fagte fie, fo töbten Sie mich! Meine Leiden haben mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag. Freilich ift es nicht wahrſcheinlich, daß Sie es thun, da e8 auf Erben feine Männer mehr gibt“. Ic werde es thun, fiel ihr Kleift ins Wort. Ich bin ein Mann, der fein Wort Hält! .... Daß er an diefem raſchen Ausruf fefthielt, wird niemand verwundern. Er hatte ja endlich den Menſchen

Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. IL. 19

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Schauspielerin Toni Adamberger. Als er fich i. I. 1812 mit ihr verlobt hatte, fchrieb er feinem Vater aus Wien: „Ich darf es ohne Erröthen geftehen, ohne fie wäre ich wohl untergegangen in dem Strudel neben mir. Du fennst mich, mein warmes Blut, meine ungefchwächte Kraft, meine wilde Phantafie; male dir dies ungeftüme Gemüth in dieſem Garten von blühenter Luft und beraufchenver Freude und du wirft begreifen, daß mich nur die Xiebe zu diefem Engel fo weit brachte, daß ich keck aus ver Schar heraustreten darf und fagen fann: Hier ift einer, ver fich ein reined Herz bewahrt hat“. Toni blieb auch nad Körners glorreichem Tode des Sängers und Helven würdig, welcher unter der Eiche von Wöhbelin ruht: die MWüftlinge des wiener Kongrefjes fchalten die Sittfame „un dragon de la vertu®.

Zwei Frauen find in der Epoche der Romantik in bedeutendſter Weife zu öffentlihen Charakteren geworben, Rahel Levin-Robert, Ipäter die Gattin VBarnhagens von Enfe (geb. 1771, geft. 1833), und Bettina Brentano, die Frau Achims von Arnim (geb. 1785, geft. 1859). Rahel ift nicht als Schriftftellerin aufgetreten, aber fie hat durch perfönlichen und brieflihen Verkehr auf viele der nambafteften Männer ihrer Zeit anregen und jogar beftimmend gewirtt. Ihr Salon in Berlin ift eine geiftige Werkftatt gewejen, wie fie nicht ſobald wieder aufgethban werten, fie felbft war eine, wenn ich mich richtig ausprüde, Gefellfchaftsfünftlerin, wie fie nicht gefunden, in deſſen Geſellſchaft er fich ben Tod geben konnte; und fo feste er mit Falter Entfchloffenheit die That ins Wert”.

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fobald wieder kommen wird 1%. Wilhelm von Hum- boldt bat von ihr gejagt, Wahrheit jet der auszeichnenve Bug ihres intelleftuellen und fittlichen Weſens gewefen. Der ven Frauen angeborene Inftinkt für das Rechte und Schöne war Rahel in höchfter Potenz eigen. Mit wunver- barer Schärfe wußte fie, die durch das Fegfeuer heißer Seelenjchmerzen gegangen war, den wuhren Kern ver Dinge herauszufinden und ven Fund anderen zum Nuten und Frommen zu wenden. So war fie geradezu die Erfte,

198) Ein Ungenannter, welder ihren Salon im März; 1830 kefuchte, hat Rahels Geſellſchaftskunſt fo geſchildert (Grenzboten 1844, ©. 213): „Ih fah Frau von Varnhagen öfters, auch in andern Häufern, und immer und überall war fie dieſelbe heitere, erfreuende Erſcheinung, belebt und belebend, aufrichtig, Mar, freund- fi, immer und überall übte fie ihr angeborenes Talent des ebelften Menfhenumgangs, nicht vorbringend, aber auch nie zurückgezogen, Sondern recht eigentlih gegenwärtig, mitgutem Willen und reger Seele. Doc hatte fie bei fih zu Haufe noch den Vorzug, daß die unbeftrittene Verpflichtung der Fürſorge für alle Anwejenden ihren wohlthuenden Eifer nur erhöhte und ihn auch in unſcheinbaren Dingen wirfam eintreten ließ; dagegen fie auf fremdem Boden fid) mehr enthielt, fo lange nicht ein auffallender Anlaß ihr reizbares Gefühl zum Beften des Ganzen oder Einzelner in Iebhaftere Thätigfeit ſetzte. Dann konnte auch fie mit aller Geiſtesmacht bervortreten und mit ſchöner Leidenſchaft und rüdfichtslofem Muthe das Unrechte befämpfen, die Verkehrtheit berichtigen und anmaßlichen Unfinn durch das volle Licht der Wahrheit in feine Nichtigkeit auflöfen. So war fie denn mehr als eine vortrefflihe Dienerin der Gefelligkeit, wozu meiftens eine gebildete, feine, wohlmeinende Negation aus- reicht: fie war zugleih eine Meifterinder Geſellſchaft, melde derfelben das Gute mit muthiger Entfchloffenheit aufzuerlegen, ihr das Schledhte ſchonungslos abzuftreifen nie müde wurde“.

19*

292 Buch III. Kap. 7.

welche Göthe's Stellung und Bedeutung in der deutſchen RKulturgefohichte ganz zu erfennen und zu würbigen ver- ftand, und nur felten und nicht für lange ließ fie ſich die Klarheit ihres Blickes durch die Dünfteleien ihrer Freunde, der Romantifer, trüben 19%. Ihr Briefwechſel, wie ihn ihr Gatte veröffentlichte, ftellt ven treueften Spiegel der Stim- mungen auf, welche am Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts vie gebilveten Kreiſe

199) Sole Trübungen waren e8, wenn fie für eine Schöpfung wie Schillers Wallenftein anfänglich feine Empfänglichkeit zeigte und fih dagegen für einen Dichterling wie Fonqu, ja fogar für Auguft Lafontaine begeifterte.. S. Rahel, ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, I, 356, 369. Auch darf nicht verjchwiegen wer- ben, daß die arme Rabel mitunter von der firen Idee der Roman- tifer, die Fritifche Impotenz fei eigentlich ſchöpferiſche Ommipotenz, bedenklich angeftedt war. In Wahrheit, das geniale Selbſtgefühl diefer Frau nahm zuweilen einen Flug, welcher geradeaus ins Tollhaus zielte. So fchrieb fie am 16. Februar 1805 an ihren Freund Veit (Briefwechſ. m. V. II, 260): „Sch habe die ge- waltige Kraft, mid zu verdoppeln, ohne mich zu verwirren. Sc bin fo einzig als die größte Erſcheinung diefer Erde. Der größte Künftler, Philofoph oder Dichter ift nicgt Über mir. Wir find vom jelben Element, im felben Range und gehören zufammen. Und wer . den andern ausſchließen wollte, jchließt nur fih aus. Mir aber war das Leben angemwiejen und ich blieb im Keim bis zu meinem Jahrhundert und ih bin von außen ganz verichättet, drum fag ich's ſelbſt. Damit ein Abbild die Eriftenz befchließt. Auch ift der Schmerz, wie ih ihn kenne, aud ein Leben; unb ih denke, id bin eins won den Gebilden, die die Menſchheit werfen fol und dann nicht mehr braucht und nicht mehr Tann“. ... Ich meinestheile denke, das ift pure, blanke Narrbeit, und gewiß denken alle Dien- ſchen von gefundem Menfchenverftand ebenso.

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Deutfchlands beherrichten. Mit Fug und Recht hat man dieſe Frau „pen perfönlichen Chor in vem großen Drama ihrer Zeit” genannt. Rahel hat überall darnach geftrebt, die Idee mit der Wirklichkeit zu vermitteln ; in ven Büchern dagegen, womit Bettina hervorgetreten, hüllt fich dieſer Zrieb in die Frausgeftalteten und buntſchillernden Zug- wolten der romantischen Laune und Phantafterei. Es brechen viele geniale Blite, e8 bricht viel Tachender Donner aus diefer Wolfenregion, daneben aber noch mehr Irr—⸗ lichtelei und unerquidlicher Wind. Man muß das eben nehmen, wie e8 fommt, denn Bettina, die „Sibylle der Romantik”, war die fouveräne Willfür in Perfon ; fie war ein ewiges Rind, das „Kind“, welches uns feine wunder- baren Einfälle vorplauverte, wann, wo und wie fie ihm gerade durch den Kopf fuhren. Alle ihre „Briefwechſel“ mit Göthe, mit der Frau Rath, mit ver Günderode 29), mit ihrem Bruder Klemens und anderen, welche durch ihre Naturfchwelgerei und die unnahahmlich naive Offen- barung der Myſterien einer raftlo8 wogenden Frauenfeele jo hinreißend wirfen, find im Grunde bettina’ihe Dich—⸗ tungen, wo Tropfen von Thatjächlichfeit in einem Meere von Phantafmen verſchwimmen 29). Bettina war eine

200) Die Stiftspame Karoline von Günderode, welche unter dem Namen Zian dichtete und fi, ein weiblicher Werther, im Sommer von 1806 in Folge einer unglüdlichen Liebe bei Langen- winkel im Rheingau erdolchte.

201) Bettina war naiv genug, fich felbft das Zeugniß der Unglaubwürbigfeit auszuftellen, indem fie einen wirklichen ober

angeblichen Brief ber Mutter Göthe's druden ließ (vom 7. Ok⸗ tober 1808), worin bie Frau Rath ihr fagte: „Die Be—

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Elfenjeele, Halb Ariel, Halb Bud. Sie wäre bei ibrer univerfellen Empfänglichkeit, bei ihrem wunderbaren Rapport mit der Natur, bei dem unerjchöpfliden Schat ihrer Liebe und ihrer religiösglühenden Theilnahme für alles, was ter Mienfchheit frommt und Die Menſchheit adelt, tie größte Dichterin aller Zeiten geworben, wenn fie eins verftanven hätte, freilich ein Unumgängliches : das Geheim- niß der Form.

Helden, Dichter und Frauen gehören untrermfich zu⸗ ſammen. Heldenthum und Dichterthum, durch das Frauenthum erhalten beide erſt die rechte Weihe. Er hat das ſelbſt erfahren, welcher dieſem Gedanken einen ſchönen Ausdruck gab, Karl Immermann 202), Die Werke, wo-

ſchreibung von deinen Prachtſtücken und Koſtbarkeiten (welche Bettina auf einer Rheinreiſe geſehen oder geſehen haben wollte) bat mir recht viel Plaiſir gemacht. Wenn's nur auch wahr if, daß dur fie gefehen haft, denn in folchen Stüden kann man dir nicht wenig genug trauen. Du haft mir ja fhon mandmal Unmöglichleiten vor- erzählt ; denn wenn du, mit Ehren zu melden, ins Erfinden gerätbft, dann Hält dich fein Gebiß und fein Zaum. Ci, mid) wunbert’s, daß du no ein End’ finden kannſt und nicht in einem Stüd fort- Ihwätft, bloß um felbft zu erfahren, was alles noch in deinen Kopfe ftedt.“ 202) „So lang noch edler Frauen Bruft

Bei hoher Kunde rafcher fchlägt,

So lang des Liedes reine Fuft

Ein zartes Frauenherz bewegt:

So lange wirb der Held voll Mut Hienieden feinen Kampf beftehn, So lange wird des Dichters Glut Auf diefer Erde nicht verwehn.

Frauen und Dichter. 295

rauf fein Anſpruch aufNachruhm beruht, er hat fie in ver Zeit gejchaffen, wo er mit Elifa won Ahlefeldt-Laurwig, der geweſenen Gattin des helpifchen Lützow, einer im beften Sinne germanifirten Dänin, in dem ftillen Landhauſe zu Derendorf zufammenlebte, welches die Hand der Freundin zum heimeligften Dichterafyl umgewantelt hatte. Und hat nicht auch die Frau, an welde ein Uhland einige feiner innigften Herzendlaute richtete, oder Die, über welche ein Rückert das Blüthenfüllhorn feines Liebesfrühlings” aus⸗ jehüttete, ven Hort der ivealen Güter der Nation vermehren geholfen ? Ach, die Liebe und Treue, die unermüdliche Duld⸗ ſamkeit und liebevolle Fürjorge ihrer Frauen iſt ja auf deutſcher Erde meift ver einzige Xohn und Troſt der „Ritter des Geiſtes“, welche, während fie fich im ſchweren Dienft ver Freiheit, ver Schönheit und Humtanität abmühen, ge- wöhnlich nur einen unbeftrittenen Befig erlangen: ein Grab. Diefe Liebe und Treue weiß, ſelbſt irregeleitet, auch über die Schreden des Todes zu triumphiren. So bei jener Charlotte, der Frau won Heinrich Stieglig, welche fich in der Nacht vom 29. auf ven 30. December 1834 zu Berlin mit einer Ruhe und Gefafftheit, mit einer-feufchen Würde ohne Gleichen in ver Fülle ihrer Jugend und Schön- beit den Tod gab, um durch das Entſetzen über eine un⸗ geheure Opferthat ven von ihr geglaubten Dicter-

Sie habens beide nur gewagt, Ihr kühnes, heiliges Gefecht, Daß eine ſchöne Seele jagt:

So war e8 gut, jo war e8 recht!”

296 Bud IH. Kap. 7.

genius ihres Gatten zu entbinden. Während hier ein heldiſcher Muth in Tranfhafter Ueberreizung das Unmög- liche wollte und fo mit der eigenen Eriftenz auch die des ge- liebten Mannes zeritörte, legte fich prunten in Wien eine linde Frauenhand zärtlich bejchwichtigend auf die fiebernp- heiße Stine Lenau's. Da that e8 nicht noth, ven Genius zu weden: er war nur zu verzehrend wach. VBergebens warnte Sophie den unglüdlihen Dichter der Albigenfer, dem Ideal Feine pämonifche Gewalt über das Leben ein- zuräumen 20%). Mit fehon halb umdunfelter Seele riß er fich von der Wprnerin [08 und fprang mit dem Ruf: „In die Freiheit!” in die Nacht des Wahnfinns.

203) In einem Briefe, welcher vol Boefte ift und, von Schurz in feiner Biographie Lenau’s mitgetheilt (II, 277), fo lautet: „Freilich ift Auerjperg auch ein Dichter, aber nicht wie Sie; troß feines ſchönen Talents nit fo dur und durd. An ihn würde mid nicht gemahnt haben, was ich neulich auf der Donau ſah und was mich jo heftig und fhmerzlih an Sie mahnte. Ein armer Kroate oder Slowake, ein Rallfahrer, trieb in einem Heinen Kahn auf der Donau. Im Armliden Zwilliclittel fland er in feinem Fahrzeug und ruderte läffig dahin und borthin, planlos, und ſchaute mit feinen dunklen, ſchwermüthigen Bliden ben be- wegten Wellen nad, unbefümmert um die Leute am Ufer, bie feinem wunberliden Treiben zujaben. Seinen Hut mußte er mweggeworfen haben, den bloßen Kopf fette er der Sonne aus, fein Kleidungsſtück, fein Brot, feine Flaſche hatte er in feinem Kahn, nur einen großen vollen grünen Kranz, ben er an jeinem Pilgerftabe am Vordertheile des Schiffchens wie eine Flagge be- feftigt hatte. War das nicht das Bild eines echten Dichters? Ihr Bild, lieber Niembfh? Haben Sie nicht auch jo im Leben herumgetrieben, im leichten Kahn, auf dem wilden dunklen Strom, nad) feinem Ufer ausblidend , mit weggeworfenem Hut, und nur

Frauen und Dichter. 297

Nicht der Mann allein macht die Gefchichte und die Boefie; wie zur Fortpflanzung ver Menjchheit, gehört auch zum Kulturprocek das „Ewige Weibliche‘. Göthe wußte wohl, was er that, als er die Verklärung Faufts durch das verflärte Gretchen vollziehen ließ. Was wäre, muß man fragen, aus Grabbe geworben, wenn in fein Leben Frauen getreten, wie fie den ganzen Lebensweg Göthe's begleiteten ? Ein Gretchen over Aennchen hat auch Grabbe zur Noth gehabt, feine erfte Verlobte, aber feine Frieberife, feine Lotte und feine Charlotte, nicht ein- mal eine Chriftiane Vulpius. Seine titanifche Poefte ift jo grazienverlafien, weil niemald eine edle Frau den Magnetismus der Verftänpnißinnigfeit, der Anmuth und Zärtlichkeit an ihm geübt hat 209). Wie wohlthuend ift e8, von dem Nachtbild des grabbe'ſchen Haushalts in Det- mold ſich zu dem Lichtbilo hinüber zu wenden, welches der

den Kranz bewahrend ftatt alles irdiſchen Gutes? Und wenn bie anderen bejonnen Hugen Leute jorgfältig die Schlafmügen und Hüte und alle Arten von Kopfbedelungen auf ihre Schädel ftülpten, haben Sie nicht Ihr edles ſchönes Haupt der Sonne und den Bliken, dem Schnee und den Stürmen preisgegeben, von dem jchönen, grünen, ewiggränen Kranz umfchlungen, aber nicht geſchützt? Ob, die ſchlanken glatten Lorbeerblätter ſchmücken die Stine nur, fie behüten fie nicht, fie halten die Unbill diefer rauhen Zeit nicht ab und, darum, darum find Sie krank!“

204) Nicht einmal im Sterben. Die Einzelnheiten, welche 8. Ziegler in feiner Schrift „Grabbe's Leben und Charakter” (1855)

aus eigener Anſchauung über die letzten Tage und Stunden des

Dichters beibringt, find geradezu entjetlih. Alle Mängel, alle Fehler, alle Sonderbarkeiten und Wunderlichleiten Grabbe’s konnten feine Gattin nicht zu einem ſolchen Gebaren berechtigen. Wir jehen

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Haushalt des Dichters darftellte, der im ftilfen grünen Park von Muſtkau fein „Laienbrevier* betete! Hier war Friede, Harmonie und ein Glück des Stilllebens, welchem Schefer ein fo jchönes Denkmal gefegt bat, va er Die Sammlung feiner Schriften feiner geliebten Frieberife als ein Ehrengefchent widmete, das fich leider noch vor vollbrachter Darbringung in ein Todtenopfer wandeln mußte 295). Zuletzt, doch nicht als ver letzten, fei Jo—

am Lager des in einer feuchten, büftern Kammer mit dem Tode Ringenden die Frau mit furienbafter Wuth der Mutter des Sterben- den, nach welcher er verlangte, den Zutritt wehren, hören fie das Haus mit Gelärm und Getobe erfüllen, feben fie proben mit Rechnen und Geldzählen beihäftigt, während brunten der Dichter feinen letzten Athem aushaucht, und dann, als ihr die Nachricht gebracht wird, daß alles worüber, ruft fie einem anweſenden Nachbar zu: „Zopp! das ift gut, daß ber Unhold tobt if. Nun lommen Sie, nun wollen wir einen guten Kaffee machen. Alfo endlich!”

205) „Liebes Weib heißt es in biefer vom Mai 1845 datirten Widmung, welche zugleich ein Ehrenmal deutjcher Frau⸗ lichkeit Überhaupt ift errötbe nicht, überraſcht in deiner be- fcheibenen Seele, daß ich dir alles -wibme, was ich im Herzen und ©eifte getragen. Kann ich weniger bein nennen, jo wenig e8 jei, da du mir alles geweiht und geichentt: beine Liebe, bein Leben, Jugend und Schönheit, alle die Tage, die Frühlinge, jeden Gedanken, jedes Gefühl dich jelbft! und auf welche Dauer! Denn ſelbſt nach dem vollftändigften Weltuntergange joll ja nie- manb mehr freien noch ſich freien laffen und fo bift du und bleibſt du denn meine einzige Frau feit aller Zeit und auf alle Ewigfeit. Allen ift alles einzig, jede Freude, jeder Schmerz. Und, liebe Seele, das wußten wir beide, jo haben wir gelebt, jo uns geliebt, fo ruhig, ja faft verborgen und ungelannt geftrebt, das einfach⸗ Ihönfte Glück aller Menſchen aller Zeiten in unferem Haufe an uns .

Frauen und Dichter. 299

hanna's gedacht, ver Gattin Kinfels, zu London, wo fie mit ihrem Gatten redlich die Sorgen und das Elend des Exils theilte, in Folge eines Herzkrampfes im November 1858 eines jähen Todes gejtorben. Johanna Kinkel hat durch ihr Leben bewieſen, daß man eine genial be— gabte Frau, daß man muſikaliſche Künſtlerin und Dich— terin ſein könne, ohne die Emancipirte” zu ſpielen und ohne aufzuhören, eine ſorgſame Mutter und eine verftändige und emfige Hauswirthin zu fein. Sie ſteht mit Ehren neben jeder Fran, die je ein ſchweres Gefchid mit edler Würte nicht nur duldend getragen, ſondern hanvelnd beftritten, und wohl bat fie e8 vervient, daß an

und dur uns wahr zu maden. Und faft ein Bierteljahrhundert ift das uns gelungen in Genüge und Frieden. Dir gegenüber, mitten unter den Kindern ift alles gefchrieben. Und wenn du mic einft begraben baft, dann bewahre das arme Heine Lämpchen, das mir leuchtete, während ihr jchliefet. Ob, unſeres ſchönen, troß jo mander Berfagung Föftlichen Lebens! Machte ich dir die Welt Harer, fo lehrteſt du mich das gute fleißige Weib, die treue, immer forgfame Mutter. Und wenn ich denn Frauen in ihrer Ehren- baftigfeit, Herzinnigleit, in ihrem unſchätzbaren Werthe vargeftellt, von wen konnte ich das lernen? Woher quoll der Frieden und die Zufriedenheit in unferem Laienbrevier als aus dem Genuß meines Menſchenglückes zumeift nur durch dich ..... Diefes zu Ehren einer deutſchen Dichterebe ausgeftellte Zeugniß füllt, fo ich recht er- mwäge, eine der ſchönſten Seiten unferer Literaturgefchichte, welche folder Seiten nicht gerade allzu viele aufzumweijen hat. Gar mande find fogar mit Gemeinheit geftämpelt. Man vente beitpielsweife nur daran, daß in unjeren Tagen Friebrich Hebbel es mit feinem größewahnwigigen Dichterbewußtfein ganz gut vereinbar fand, fein Leben ale Schürzenftipendiat zu verbringen.

300 Bud III. Kap. 7.

ihrem Grab unter den Surrey-Hügeln Freiligrath ein Lied voll heldiſchen Klanges anjtimmte 9. Auch fie war ja eine wadere Mitlämpferin für die gute alte ewig- junge Sade, vie ſchon fo viele Diyriaden von Märtyrern zählt und ver e8 dennoch nie an neuen fehlen wird.

206) ... „Bir fenlen in die Gruft Dich ein wie einen Kampf⸗ genoſſen; Du liegſt auf einem fremden Rain wie jäh vor'm Feind erſchoſſen. Ein Schlachtfeld auch iſt das Exil, auf dem biſt du gefallen, Im fetten Aug’ tas eine Ziel, das eine mit uns allen !

Drum bier ift deine Ehrenftatt, in Englands wilden Blüthen; Kein Grund, der beffer Anrecht hat, im Earge dich zu hüten. Ruh aus, wo dich der Tod gefällt! Ruh’ aus, wo du geftritteit! Für dich fein ftolzer Leichenfeld als bier im Land der Britten !

Die Luft, fo dieſes Kraut durchwühlt und diefe Graſeswellen,

Sie hat mit Miltons Haar geipielt, des Dichters und Rebellen ;

Sie hat gemeht mit friſchem Haud in Cromwells Schlachtſtandarten, Und dieſes ift ein Boden auch, drauf feine Roſſe ſcharrten.

Und auf von bier zum felben Bronn des goldnen Lichtes proben Hat Sidney, jener Algernon, fein brechend Aug’ erhoben;

Und oft wohl an den Hügeln dort ihr Aug’ ließ Rahel bangen, Sie, Ruffels Weib, wie du ber Hort des Gatten, ber gefangen.

Die find’8 vor allen, diefe Vier! Dies Land es ift das ihre!

Und fie beim ſcheiden ftellen wir als Wacht an beine Thüre.

Die beinem Leben ftet8 den Halt gegeben und die Richtung,

Hier ftehtt fie, wo dein Hügel mwallt: Freiheit und Lieb’ und | Dichtung!“

Frauen und Dichter. 301

An diefer Stelle angelangt, ift es geratben, die Feder aus der Hand zu legen... . Nicht ald ob es an Stoff mangelte, aus neuefter Zeit und bis zur Stunte, wo ich mein Buch abgefchloffen, aus dem deutjchen Frauenleben Denkwürdiges zu berichten. Es Tiefe fich noch vieles jagen über die Stimmungen, Anſchauungen und Moden, durch welche die Frauen während ber legten Jahrzehnte hindurchgegangen. Man könnte erzählen, wie nach ven Befreiungskriegen aus der vaterländifhen Richtung ver Romantik eine überreizte Deutſchthümelei, eine chriftlich- germanifche* Dümmelei, Frümmelei und Lümmelei, eine über alle Maßen lächerlihe Mittelalterfucht entiprang, welchen Tendenzen auch die Frauen ihren Zribut zoliten, indem fie fich dort in die Rolle von Thufnelvden, hier in die von Burgfräulein hineinfhwärmten. Man fünnte berichten, welche Wirrfale und Verheerungen ſodann vie literariihe Epoche des Byronismus in den Frauen gemüthern anrichtete und wie weiterhin das mit ver Be⸗ wegung des franzöfifhen Socialismus zufammenhängende und bei uns durch einen überftiegenen NRahel- und Bettina= Rult großgepäppelte Problem der „Frauenemancipation“ zunächit abſchreckende Beijpiele von emancipirten Damen zumegebrachte, welche im Bloomerskoſtüm an Wirths⸗ tiichen Tümmelten, die Eigarre im Munde, vie frohe Bot- ſchaft ver Gleichberechtigung in Weinrotbfchrift auf ver Nafenipite. Andererſeits wäre von bedeutenden fraus lichen Erfolgen auf dem Gebiete der Kunft zu melden, wie eine Klara Schumann als mufifalifche Virtuofin fich hervorgethan, wie Elifabeth Kulmann, Betty Baoli und

302 Bud III. Kap. 7.

Annette von Drofte ohne Frage die eigenartigfte und geftaltungsmächtigfte deutſche Dichterin in der Iyrifchen und epifchen, Elife Schmidt in der dramatiſchen, Augufte von Paalzow, Fanny Lewald, Ira von Düringsfeld, Klara Bauer (Detlef), Wilhelmine von Hillern und andere in der novelliftifchen Dichtung Preife gewannen und wie vie Gräfin Ida von Hahn-Hahn, nachdem fie ven „Rechten“, welchem fie in gelebten und gejchriebenen Romanen jo lange nachgejagt hatte, endlich in dem Hetland gefunden, ven wichterifchen Lorbeer mit dem Dornenfranz der Be- fehrung und Buße vertaufchte, in ein Klofter ging und Bücher ſchrieb, welche in Jeſuitenſchulen al8 Prämien vertheilt wurden. Endlich wären Frauen nambaft zu machen, welche in den höchſten Gefelfichaftsfreifen vie Bildung der Zeit mit Würde und Anmutb repräfentirten oder, wie insbeſondere die Brinzejfin Helene von Mecklen⸗ burg als Herzogin von Orleans gethan hat, bei fremden Völkern die Achtung vor deuticher Gemüthsart und Geiftes- fultur erhöhten oder auch, wie der Großfürſtin Helene, einer wirtembergijchen Prinzeffin, in ihr Grab hinein nad) gerühmt werven muß, in drangvoller Zeit (1870—71) die Sache ihres Vaterlandes mit Geift, Muth und Erfolg in der Fremde vertreten haben. Aber das alles und vieles andere iſt zur biftorifchen Betrachtung noch wenig oder gar nicht geeignet; denn wenn fchon bie Resultate der politifchen Gefchichte der Abklärung durch vie Zeit bedürfen, um in organifcher Gliederung vorgeführt werden zu können, fo gilt das von den Ergebniffen ver Kultur: und Sittenhiftorie in noch weit höherem Grave.

Frauen und Dichter. 303.

Eins fteht feit: Die deutſchen Frauen haben an ver vielhundertjährigen Bildungsarbeit der Nation redlich und wirkjam theilgenommen, und da der Vorfchritt unferes Volkes auf vem Gebiete ver Intelligenz ſowohl als dem der Sittlichfeit ein unleugbar mächtiger ift, jo gebührt vem Berbienfte ver Frauen die herzlichfte Anerkennung. Es iſt freilih wahr, auch in neuefter Zeit noch haben fich in der deutſchen Frauenwelt, in ven untern Ständen zumeijt in Folge ver Beftilenz des Muderthums oder der noch verheerenveren des fommuniftiihen Wahnglaubeng, in den höheren namentlich in Folge ver phyſiſchen und moraliihen Gebrechen ver Penfionatserziehung, traurige Verirrungen gezeigt #7). Aber das find doch vereinzelte Fälle geblieben und darf unfer Land mit Grund fihrühmen, daß feine Frauen von der bodenloſen Sittennerberbniß, der ihr Gejchlecht 3. B. in Paris und New-York verfallen iit, feine Ahnung haben 208),

207) Eine traurigfte fam in Berlin vor, wenn mir mein Ge- dächtniß treu ift, im Sabre 1856 oder 1857. Die adhtzehnjährige bis dahin völlig unbefcholtene Tochter einer ehrbaren Yamilie ſchnitt nach einer heimlichen Niederfunft ihrem Kinde fofort den Hals ab und legte den Leichnam, forgfältig verpadt, unter ihr Kopftifien, auf welchem fie mehrere Nächte jchlief.

208) Ein Korrefpondent der Allg. Zeitung (1858, Nr. 364) fohrieb unterm 27. December 1858 aus Paris: „Heute ift in ber Gerichtszeitung ein Eivilproceß zu lefen, aus welchem man erfährt, daß als Manufkript ein Seitenftüd zu den Memoiren der (be- rüchtigten) Mogabor kefteht. Ein jehr achtbarer Mann heiratete ein junges Mädchen aus einem eben fo ahtbaren als wohlhabenden Haufe. Die Heirat wurde durch den Bruder des Mädchens, einen

304 Buch II. Kap. 7.

Ich habe ein anderes Buch, worin ich die Geſchichte deutfcher Kultur und Sitte zu erzählen unternahm, mit den Worten befchloffen, das deutſche Geſammtvaterland fei fein leeres Wort mehr, indem Deutfchland aus einem bloß „geographiſchen“ Begriff in ver Anſchauung aller fühlenden und denkenden Deutjchen zu einem ſittlichen geworden. Wohlan, auh an den Frauen ift e8, ja an

Geiftlichen, vermittelt. Bald nach der Hochzeit gewahrte der Ge- mahl in dem Benehmen der jungen Frau gräulicde, unnennbare Details. Als er fie hierüber um Aufflärung anging, Überreichte fie ihm ihre Memoiren, welde fie bereits vor der Hochzeit beenbigt und unterzeichnet hatte. Auf den adtzig Seiten des Manujfripts erzählt fie'die „A&sordres monstrueux“, welche fie vor ihrer Heirat beging. Sehr „veipeltable” Perjonen werben dadurch kompro— mittirt. Die Berfaflerin wollte ſolche Denkwürdigkeiten auch in der Ehe fortſetzen; aber ihr Mann und die Gerichte jhritten gegen die Meflaline ein“. Die Beilage zur Allg. Zeitung zu Nr. 11 2.3. 1859 brachte einen entjeglihen Bericht ihres Korrejpondenten aus New-York Über die dort grafftrende Mode der Yruchtabtreibung. In einem amtlichen Aktenſtück äußerte ein dortiger renommirter Arzt, daß „es feines Wiſſens in New-York keinen einzigen Arzt gäbe, dem nicht mehrfach in feiner Praris das Anfinnen, eine Abor- tion zu bewirken, mit der größten Unbefangenheit geftellt worden ſei. Aber auf ein Anfinnen, das einem folchen geftellt wird, Tann man gewiß 10 oder 20 mit Hilfe von Duadjalbern oder angeblichen Hebammen wirklich vollbrachte Abortionen rechnen. Bor einigen Jahren ward die „Office“ einer gewifjen Raftell aufgebrochen, allwo die Abortionen handwerksmäßig und zu hunderten alljährlich verübt wurden”. Weiterhin wird eine Stelle aus dem „Medical Journal“ angezogen, wo gejagt ift, daß „leider nur zu viele Frauen bier (in New-York) die freiwillige Abortion ungefähr jo anjehen wie das Zahnausziehen“.

Frauen und Dichter. ' 305

ihnen ganz vorzüglih, dieſe fittliche Ioee vom Vater⸗ lande zu einer Herzensſache zu maden, fie ihren Söhnen einzugebären, fie ihren Töchtern mit ver Mutter- ‚milch einzuflößen und beide zu Bürgern und Bürgerinnen zu erziehen, welche fowohl befähigt als willig find, mit- zuſchaffen an der Zukunft unferes Volkes. Ia, man fann, ohne in Phantajterei zu verfallen, Tedlich Tagen, daß die rauen, weil ivealifcher geftimmt, inniger fühlend, hingebungsvoller und opferungsfähiger als die Männer, ganz vornehmlich zur Mitihaffung an diefem Zufunftsbau berufen find. Frau Germania ift ein viel edleres Weſen als Michel Nebelheimer, deſſen Bleiſeele jedem von oben geübten Drud unterthänigft nachgibt, deſſen ewige Vor⸗, Rüde, Um⸗ und Nebenficht gar häufig die bevenflichite Aehnlichkeit mit der Bedientenhaftigkeit hat und ver vie zahlreichen von ihm erfonnenen Philoſophieen glücklich noch um eine vermehrte, um vie Bhilofophie ver Feigheit, genannt Kompromiſſkunſt oder Realpolitik. Es gibt in der ganzen neuen deutſchen Gefchichte fein Männerwort und zwar ein Wort, das zugleich eine That welches dem Frauenwort gleichläme, das im Jahre 1849 jene Paftorswittwe im Lande Dithmarjen gefproden hat. Ihre zwei Söhne ſtanden bei der fchlefwig-bolfteinifchen Armee, welche vor Frievrichsftant lag, und etlihe Tage vor dem unfeligen Angriffe Bonins auf die Stellung der Dänen fchrieben die Jünglinge an die Mutter, bet ver Wahricheinlichkeit, in der bevorſtehenden Schlacht das Leben zu verlieren, fchmerzte fie nur eins: daß fie alle

die Liebe, welche fie ihnen erwiefen, nicht mehr zu ver- Scherr, Frauenwelt. 4. Aufl. II. 20

306 Bud II. Kap. 7.

gelten vermöchten. Worauf die heldiſche Mutter: „Meine Liebe werde ich dadurch vwergolten jehen, daß ihr beim Sturme die erften und beim Rüdzug vie legten fein!" 209 Nur Mütter vermögen zu ermefjen, was es ein Mutter- herz gefoftet hat, dieſe Worte niederzufchreiben.

Es iſt thöricht, es ift unhiſtoriſch, auf Kojten ver Gegenwart die Vergangenheit zu preifen. Aber wer nicht ein gedankenloſer Optimift oder ein berechnender Schön- fürber, wird unferer Zeit den großen Schattenfled nicht abiprechen wollen, daß fie ven Schein dem Sein vorzieht, vergoldeten Koth höher fchätt als unpolirtes Erz und ihre Grundfatlofigkeit hinter einer weitbaufchigen Draperie von NRevensarten verftedt. Wenn die Yankees vom „all- mächtigen Dollar” reden, jo können wir mit noch) mehr Berechtigung von der „allmächtigen Phraſe“ ſprechen. Sie beherriäht, wie jo ziemlich alles übrige, auch vie weib- liche Erziehung, und falls man vie Refultate verfelben ins Auge fait, muß es jehr begreiflich und verzeihlich er- foheinen, daß unfere jungen Männer mehr und mehr ſcharenweiſe ins cölibatärifche Lager übergehen. Es würde lächerlich fein, wenn e8 nicht traurig wäre, zu fehen, wie auch ver Mittelftand allüberall immer mehr von der all- mächtigen Phraſe fich verleiten läſſt, feine Töchter zu müfjiggängerifchen Damen „ausbilden“ zu laffen. Was follen, was können daraus für Hausfrauen und Mütter werden? Im Namen des gefunden Menfchenverftandes, der guten Sitte und der elterlichen Pflicht: Jagt die

209) Buſch, Schlefwig-Holfteinifche Briefe, II, 228.

Frauen und Dichter. 3507

welſchen Parlirmeifter weg 21%); zerichlagt die ewigen Klimperfaften, welche nachgerabe jenes Haus zu einer Klavierhölle machen; lehrt die jungen Mädchen zeitig den fittlihen Werth der Arbeit fennen und woher dad Brot fomme; laſſt fie Hände und Finger ftatt auf den unver- antwortlich viele Zeit raubenden und noch dazu die Denf- fähigfeit abftumpfenden Taſten Lieber in Küche, Vorraths- fammer und Garten rühren; bringt ihnen bei, daß die wahre Heimat der Frauen nicht der Ball, Koncert- und Opernfal ei, jondern das Haus und die Häuflichkeit; lehrt eure Töchter denken, Kar und folgerichtig denken, und wär’ e8 täglich nur eine Viertelſtunde, nur fünf

210) Die Narretbei, daß es zur „Bildung“ gehöre, junge Mädchen franzöftfch plappern zu ehren, hat um Jahre 1870 jenes affiſche Kofettiven mit franzöfifhen Gefangenen zur Folge gehabt, womit auf -deutichen Bahnhöfen. gar häufig Gänschen von Töchtern mit ihren Müttergänfen wetteiferten, bis der allgemeine Unwille dem Gefchnatter ein Ende machte. Derartiger Dummheit in aller Milde angenommen, daß e8 nur Dummheit geweſen ge- bührt die ftrengfte Rüge. Man bat nicht vernommen bie ©e- rechtigkeit heiſcht dieſes Bekenntniß daß Franzöfinnen während des großen Krieges den Feinden ihres Landes gegenüber ſolche Bloͤßen fih gegeben haben. Sie wußten, was fie ben Gefühlen ihrer Nation fchuldig waren. Zu den ärgften Modethorheiten ge- hört das Verſchicken junger Mädchen aus Deutichland in die Pen- fionate der franzöflihen Schweiz (in der deutſchen Schweiz ift diefer Unfinn ebenfalls Mode und zwar unter der Benennung „Ins Welſchland auf die Löffelſchleife ſchicken“). Sie können bort nur verlernen, was fie allenfalls zuvor in den heimifchen Schulen gelernt hatten, und vermögen jchlechterbings nichts zu lernen von alledem, was einer gebilveten beutfchen Frau und rechten Haus- mutter anfteht und ziemt.

20 *

308 Bud III. Kap. 7.

Minuten lang; entwidelt in ihnen ftatt ver Phraſe, jtatt der Sucht, zu feinen und zu „brilliven“, ven Eifer, etwas befjeres zu fein als die Pußpuppen an ven Schaufenftern der Modenmagazine; gebt ihnen ftatt elen- den Verbildungskram lieber Berftänpigfeit, Arbeitsluft ind Genügſamkeit zur Ausftener und ihr werdet bei allen Göttern! endlich wieder eine Generation von Müttern erhalten, welche nicht blos ausnahmsweife, fondern ins⸗ gefammt fähig find, tüchtige Jungen zu gebären und fie zu Männern zu erziehen, zu Männern, welche das Zeug haben, uns von ver Tyrannei der Phrase zu befreien !

Was den aus Amerika und Ruſſland importirten Schwindel der Stubentinnenfhaft angeht, jo wollen wir denjelben rubig ſich ausſchwindeln laſſen. Das ift ja nur eine moralifche over auch unmoralifche Chignon- Mode. Das Weib bat ausnahmemweife, wohlver- ftanden! zur Dichterin und Künftlerin das Zeug, aber in der Wiffenichaft wird fie es über den Dilettan- tismus nie binausbringen, weil ihr das Abſtraktions⸗ vermögen abgeht. Die Frau ift ganz wefentlic vie Pflegerin der Familienhaftigkeit und vie Bewahrerin der Sitte. Darum wird fie auch fofort zur widerlichen Rarikatur, wenn fie in die Politik hineinpfulcht. Gibt e8 etwas efelhafteres als fo ein Ding von Klubbfliege, fo eine Emancipirte“ nach ver Schablone, welche, wie ich anderwärts gejagt, politiihe Kneipereien mitraucht? Das vielmiffbrauchte Wort Emancipation beveutet in dieſem Falle thatfächlich nichts anderes als Proftitution. Aber jollen die deutſchen Frauen zu den öffentlichen

_

Frauen und Dichter. 309

Angelegenheiten, zu den Geſchicken unferes Landes gleichgiltig ich verhalten? Keineswegs! Auch fie follen und müffen dem Staate geben, was ihm gebührt, und zwar dadurch, daß fie alles Beſte, Schönite, Liebſte, was in unferer Nation Lebt, in ſich aufnehmen, ſich aneignen, in fich zu Fleiſch und Blut wandeln, um es auf ihre Rinder zu vererben. Eine rechte Mutter vermag unend- lich viel zu thun, in aller Stille und Unſcheinbarkeit unendlich viel zu thun, um ihre Söhne zu guten Bürgern und ihre Töchter zu rath⸗ und Bilfereichen Gattinnen guter Bürger zu machen... Das Höchfte unjere® Stammes, das Pflichtgefühl, als die heilige Herdflamme des deutjchen Haufes zu hegen und durch Wink und Wort und That im Gatten zu ftärfen, in ven Söhnen und Töchtern anzufachen, das ijt, will mir feheinen, die wahre, gejunde und erjprießliche Frauenpolitif. Mittels Hebung viefer Bolitif vermögen die deutſchen Frauen zum weiteren ge- veihlichen Ausbau des endlich neugegründeten Reiches unberechenbar viel beizutragen. Mögen fie mit diefem innigen Wunſche jei mein Buch beichloffen immer eingedenk ſein, daß auch ihre beſten und theuerſten Güter nur in und mit ihrem Volke gedeihen, und möge darum in ihren Herzen allezeit lauten Widerhall finden unſeres Dichters edelprächtig Wort:

........ „Oh, kein Donner an

Dem Himmel und kein Laut auf Erden, quöll

Er auch von ſchönſter, ſüßeſter Lippe, gleicht

An Macht dem Worte Vaterland!“

Anhalt des zweiten Bandes.

Drittes Bud. Aenzeit.

Erſtes Kapitel: Bm ſethzehnten Bahrhundert.

Das Zeitalter der Reformation. Marimilian I. und Karl V. Luther. Sitten und Unfitten ber Zeit. Bildung der Frauen. Ihre Betheiligung am Reformwerk. Die Frauen und ber Edlibat. Luthers Frauenideal. Heilfamer Einfluß der Reformation. Schattenfeiten. Die Wiebertäuferei. Eine friefiihe Judith. Das ge- fellige Leben des 16. Jahrhunderts. Realiſtiſche Welt- anſchauung und deren Anwendung auf die Frauen. Um⸗ gangston und Bräude. Das Bableben und das „Bei- liegen". Die Tanzfrenden. Frauentradht. Bänerifche. Die bürgerlichen Kreife. Hausrath, Küche und Keller. Eine vornehme Trunftenboldin. Die fürftlichen Kreife. Licht und Schatten. Eine vornehme Hochzeit. Uebergang vom 16. ins 17. Jahrhundert. Die Ber- welihung unferes Landes. Der Jeſuitismus und der Cal⸗ vinismus nn .

Zweites Kapitel: Zur Yergleihung.

Die Renaiffance in Frankreich. Begründung des mo⸗ bernen Hofftile und Maitreffenweiene. Die franzöftiche

Inhalt des zweiten Bandes. 311

- Galanterie unter Franz I., Heinrich III. und Heinrich IV. Die Regentihaft der Anna d'Autriche. Ludwig XIV. Die franzöfifhe Geſellſchaft in den Briefen der Herzogin Eliſabeth Charlotte von Orleans. Bon den Stalienerinnen. Die fpanifchen Frauen im 16. und 17. Jahrhundert

Drittes Kapitel: WMonfienr und Madame „Alamode“ in Beutfdland.

Charakter des 17. Jahrhunderts. Die Ausländerei und die patriotiſche Oppoſition. Der breißigjährige Krieg. Sieg des alamodiſchen Weſens. Ungefhmad und Sittenlofigleit der „galanten” Literatur. Frauentracht und Damenputz. Die vornehme Gefelligfeit. Ringelrennen, Wirthſchaften und Schäfereien. „Alla francese“. Zwei Hoffittengefhichten. Die bürgerlichen und die akademiſchen Kreife. Die Schönen bes Lagers. Fromme, gelehrte und bichtende Frauen. Ehebündnifſe zwilchen Fürften und Bürgerstödtern en

Viertes Kapitel: Die Hexen.

Bom Teufel. Die Weltanſchauung des Mittelalters. Das Rei Gottes und das Reich Satans. Wundern und zaubern. Bon zanberifchen Praktiken. Die Kirche und das Zauberweien. Die Heren. Bund und Buhlichaft mit dem Teufel. Der Herenfabbath. Der Herenproceß. Die Bulle Innocenz des Achten und der Herenhammer. Das Beweisverfahren und die Beftrafung. Die Reformation und ber Herenproceß. Die maffenhaften „Einäfcherungen”. Oppofition: Molitor, Weier, Loos, Lercheimer, Spee, Beder, Thomafius. Die letzten Herenproceburen. Die ledte See rn

Seite

71

. 101

. 136

312 Inhalt des zweiten Bandes.

Fünftes Kapitel: Rokoko.

Eine Fette von Gegenfägen. Umriß ber Bewegung des

18. Jahrhunderts. Die Frauentradgt: eine Schöne im Rokokoſtil; Revolution und Reaktion der Mode. Umgangs- ton. Bildung der Frauen und ihre Stellung in den abeligen und bürgerlichen Kreifen. Stäbtifches Leben. Urſachen

der umfittliden Aeußerungen deſſelben. Das Theater und.

die Frauen. Die Neuber und ihre Nachfolgerinmen. Die Frauen von Wien. Ein merfwürbdiger Imftand in Caſanova's Memoiren. Die Frauen von Berlin. Die Höfe Flüchtige Durchblätterung ber höfiſchen Skandalchronik. Bollftändige Verwirrung der fittlihen Begriffe. Eine fürft-

lihe Maitreffe als „Mufterbild der Tugend”. Die Ironie

ver Weltgefchichte. Der Pietismus und die Frauen. Die „Mutter Eva” zu Schwarzenau. Ein weibliches Ungeheuer. Die Heilige von Wildisbuch. Muderifches

Sechſtes Kapitel: Die Fürfinnen.

Das Maitreffenwejen und die deutſchen Fürſtinnen. Die „philofophifche" Königin Sophie Charlotte. Die große Landgräfin. Die Prinzeifin Amalie von Preußen. Maria Therefin. Marie, Antoinette. Katharina die Zweite. Die Herzoginnen Amalia und Luife von Sahfen- Weimar. Die Frauen zur Zeit ber Befreinngeteiese. Die ie Koönigin Luiſe von Preußen

Siebentes Kapitel: Frauen und Vichter.

Berühmte Frauen. Künſtlerinnen, Gelehrtinnen und Dichterinnen. Die Fürſtin von Gallizin. Eliſe von der Rede. Frau von Krüdener. Klopſtock der Wiederherſteller des Idealismus ber Liebe. Die Kehrfeite. Wieland und

. 173

. 227

die Frauen. Leſſing. Der Sainbund. Voß und | Erneftine. Bürger und Molly. Die Epoche der Em⸗

Inhalt des zweiten Bandes.

pfinpfamteit. Karoline Flachsland. Lavater und bie Frauen. Die Kraftgenialität. Göthe und Schiller. Sean Paul und Charlotte von Kalb. Hölderlin und Dio— tima. Die Romantiler. Novalis. Kleift und Henriette. Körner und Toni. Rahel und Bettina. Immermann und Elife: Charlotte Stieglig. Lenau und Sophie. Grabbe. Sqhefer u und Friederite. Johanna Kinkel. Schluß . ,

313

Seite

. 261

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