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GIFT or

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GESCHICHTE DER ENGLISCHEN ROMANTIK

VON

HELENE /RICHTER

n. BAND 1. TEIL

HALLE A.S.

VEBLAO VON MAX NIEMETER

1916

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Zweiter Band

Die Blüte der Romantik

Erster Teil

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Dritter Band: Die Klassiker der englischen Romantik.

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Vorbemerkung.

Der dritte Band der Geschulte der englischen Romantik wurde Ende des Jahres 1913 im Mannscript abgeschlossen nnd sollte im Herbst 1914 erscheinen. Bei Ansbmch des Krieges war der weitaus größere Teil gedruckt. Nur die bewegte Zeit hat die Vollendung und die Ausgabe des Buches bis jetzt, verzögert Die Literatur der letzten drei Jahre kam somit nicht mehr in Betracht für die Arbeit, die in Folge dessen nicht bis zur Gegenwart fortgeführt erscheint Hdbent swi fata libeUi. Möge das Yölker- schicksal, das auf den vorliegenden Band einwirkte, den Ausbau des begonnenen Werkes gestatten.

Wien, im Januar 1916.

H. R

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InhaltsTeneiohniB.

Seite Kap. L Ber litenurisclie Essay.

Die GoekneyBchnle 1

James Heniy Leigh Hunt

Poütik 15

Poesie 34

Prosa 47.

Glkarles Lamb.

Lebensabiiß 86

Lambs Dichtungen 118

Charles* und Marys gemeinsame Werke 129

Literatur nnd Kritik 137

The Essays of Elia 148

William Hazlitt

Malerei 184

Die Essays 202

Liber Ämaris 288

The Life of Napoleon 250

Thomas GriECiths Wainewright 264

Chiistopher North (John Wilson).

Lebensabriß 296

Der Dichter 802

Der Essayist 807

Der Kritiker 339

Kap. n. Bie satiriseh-hnmoristiselie OesellsehafUdlehtiing,

James nnd Horace Smith . . . . : 346

Thomas Loye Peacock.

Dichtungen 372

Bomane 394

Zeitschriftenaulsfttze 415

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vni

Seite

Thomas Hood.

LebenslanI 425

Der Bomantiker 486

Witz nnd Humor 452

Soziale Tendenzdichtung 460

Winthrop Mackworth Praed 472

Kap. m. Ba8 besekreibende €fedlobt und die Tenenlhlniig Ton Pope bis Southej*

Los von Pope 491

George Crabbe.

Lebensabrifi 504

Die poetische Erzählang 518

Der Dichter der Armen 527

William Cowper.

Fttnfzig Lebensjahre 547

Das Dezenninm der literarischen Produktion 570

Der Niedergang 596

William Lisle Bewies 611

Samuel Bogers 632

Thomas Campbell.

Leben 654

Dichtung 665

Prosa 677

Bryan Waller Procter (Barry Comwall) 684

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Erstes EapiteL

Der literarische Essay.

Die Coolmeysdhule.

„Das Wort Cockney^j sagt Bulwer-Lytton, „bedeutet den ürtypos des Londoners östlich von Temple Bar nnd ist mit den Bow-Glocken auf so wunderliche Weise unter einen Begriff gebracht wie Quasimodo mit den Glocken von Notre-Dame".i)

Die Cockneyschule, ein Gruppenname für etliche in London lebende Dichter und Schriftsteller, kam zuerst 1817 auf als eine wegwerfende Bezeichnung, welche die darunter Begriffenen lächerlich machen sollte. Von einem rein äußerlichen Umstände dem zufälligen Aufenthaltsorte abgeleitet und skrupellos Menschen untereinander werfend, die zum großen Teil weder als Autoren noch als Persönlich- keiten viel mit einander gemein hatten, war sie lite- rarisch wertlos. Wider alles Becht hat sie sich infolge der Bedeutung, die sie in der Tagespresse gewann, auch in die Literatur eingeschlichen und in ihr behauptet

Die Gehässigkeit, der der Name Gockneyschule ent- sprang, wurzelte in politischen Meinungsverschiedenheiten, denen das ästhetische Moment, wenn nicht ein Verwand,

') CharkB Lamb and same of Compamans, Quarierly Jtmew, Jan. 1867 (B. MiUer 121).

Gesehiehte der eq^ÜMhen Bomantik II, 1. 1

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••'•2''-"-' :'-••'••' Der üterariBche Essay.

SO doch ein willkommener Anlaß znr Fehde war. Der Gegensatz zwischen Whiggismns nnd Toryismos nnd vor allem die Bivalität der beiden Hauptstädte London und Edin- burgh war für die Partei, die das Wort Cockney als Schimpf- wort gebrauchte, ungleich maßgebender als literarische Prinzipien. Hie Tory und Edinburgh: Blackwood und QuarterlyX Hie Whig und London: Examiner und London Magwsine\ Das waren die beiden feindliche Lager.

Das Blackwood Magaeine tat sich etwas darauf zugute, den Spottnamen Ciockneysehule erfunden zu haben. The Cockney School of Poets (1818) war der Artikel, der die Beihe der häufig mehr groben als witzigen Angriffe er- öffnete. Allgemeine Kennzeichen der Cockneyschule, die zum „kleinlichen Losungswort für derbe, unverblümte Beschimpfung**^) erkoren war, sollten Unwissenheit, Ge- meinheit, Irreligiosität, Immoralität und eine Verbindung Ton Jakobinismus und Feigheit sein. Jedes Mitglied der Schule galt von vornherein als ein wertloser, gemeinschäd- licher Mensch, ein lächerlicher Geck und ein Spießbürger ohne allen Natursinn. Viele dieser Angriffe waren in ihrer giftigen Bosheit ehrenrührig. Hazlitt gab ihnen die geziemende Erwiderung, indem er Blackwood einen Prozeß androhte.

Leigh Hunt hatte den ersten Ansturm auszuhalten. Er wurde als König der Cocknejrs, als Herausgeber der Cockney-Hofzeitm^ lächerlich gemacht und sein Lebens- wandel wie seine Werke in boshafter Weise geschmäht und verdächtigt. Etwas später kam Charles Lamb an die Beihe, der den Spitznamen des Cockney-Skribenten erhielt^

0 A New Spirü of ihe Age, edüed by R E. Home 1Q4A unter der Mitarheiierschaft Elieabeth Barrett Brownings l, 815.

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Der litanaiflche Essay. 8

w&hrend William Hazlitt der Aristoteles der Oockneys liieS.i) Hernach worden Barry Ck>mwaü, Charles Lloyd, Horace und James Smith angegriffen, wnrde Shelley in den Staub gezogen, Eeats zu Tode gekr&nkt nnd die Zu- gehörigkeit zur Cockneyschule bis auf den jungen Tennyson ausgedehnt. Mit diesem kritiklosen und wiUkfirlichen, nicht einmal durch äußerliche Berfihrungspunkte zu ent- schuldigenden Zusununenfassen grundverschiedener Indivi- dualitäten zu einer künstlich gebildeten Gruppe kann die Literaturgeschichte nichts zu schaffen haben.

Hingegen finden sich anfangs des 19. Jahrhunderts anter den Essayisten drei Leigh Hunt, Charles Lamb und William Hazlitt zwanglos zu einer Art Cockney- schule zusammen, während der vierte Christopher North als ihr Gtegenpart erscheint

Das Cockneytum charakterisiert das innerste Wesen ihrer Persönlichkeit

Hazlitt sagte in seiner witzigen Art, es sei bezeichnrad für die Cockneyschule, daß niemand zu ihr gezählt sein wolle, ^) ja, daß die Londoner Schriftsteller sich färchtet^ in die Bficher der mit diesem Namen Gebrandmarkten zu blicken aus Angst^ des Cockneytums beschuldigt zu werden.') Anknüpfend an Blackwoods Definition des Cockney „ein Mensch, der kein Tory ist und niemals von London entfernt war'' persifliert ihn Hazlitt selbst nun folgendermaßen: „Der echte Cockney hat weder leiblich noch geistig jemals die Bannmeile Londons fiberschritten. Er leitet alle seine YorBtellungen von London ab. Er sieht eine große Anzahl von Dingen und kennt kein Ding. Er ist naseweis, roh,

0 B. Müler 128, 185, 138, 157.

*) On Londoners and Country People,

') On Livmg io On^s sdf (Table Taik II).

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4 Der liteniuche E«ay.

unwissend, eingebildet, lächerlich, schal, yerächtlich. Er ist ein groBer Mann dorch Stellvertaretang ... Er ist eitel . . . Der richtige Cockney ist der richtige Gleichmacher. Er ist das armseligste Geschöpf der Welt, ein Gewohnheitsmensch, ein Sklave des Bachstabens. Und dennoch lebt er in einer Welt der Romantik, in seinem eigenen M&rchenlande. Er ist ein Bttrger von London. London ist die erste Stadt der bewohnten Erde. Alle Herrlichkeit Londons gehOrt ihm. Er lebt inmitten einer großen Wagenladung lokaler Vorurteile und positiver T&uschungen. CJocknejrtum ist ein Grundelement von angeborener Niedrigkeit^ vermischt mit Keckheit und Eigen- dünkels 0

Mit dieser übertriebenen Sch&rfe der Selbstkritik wollte Hazlitt sich gewissermaßen den Anschein des von Selbsterkenntnis getragenen, über seinen Gegenstand ge- hobenen Philosophen geben. Ernst war es ihm damit selbst nicht

Leigh Hunt warf sich offenkundig mit seinem Gockney- tum in die Brust „Die Ck>ckney-Dichterschule'', schreibt er, „ist die ruhmreichste in England. Denn ganz ab- gesehen von Pope und Gray, die beide echte Cockneys waren, geboren im Elangbereiche der Bow-Glocken, war auch Milton, waren Chaucer und Spencer aus der City gebürtig. Von den vier größten englischen Dichtem war Shakespeare allein kein Londoner. ">)

Niemand bietet einen schlagenderen Beweis als Leigh Hunt, daß echtes Cockneytum eine unendlich elementarere Bodenständigkeit bedeutet als sie der bloße Zufall der

*) On Londoners and Couiniiry Peopis, *) Monkhonse, Life of Hunt 179.

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Der iiterariaehe Essay. 5

Gebort oder der Abstammung zn geben vermag. Leigh Hunt, der Vollblntcockney, war nicht nur kein gebflrtiger Londoner, sondern sogar kein Vollblutengländer und die WecbselfäUe des Lebens haben ihn weit über London hinaus geführt Aber seine schriftstellerische Eigenart wurzelt tatsächlich in London. Sie verblaßt in Italien. Obgleich er in London nicht selten auch italienische Themen behandelt, läuft in Italien seine Feder Gefahr, stumpf zu werden. Er bedarf, um in Majano schreiben zu können, des „Wunschhfltleins^ seiner Phantasie, das ihn nach Covent Garden versetzt In Genua trachtet er, sich einen englischen Abend am Kamin zu verschaffen, in Italien umgibt er sich mit seinen englischen Bflchem wie mit einem WalL Er läßt seinen Blick auf den Bäumen ruhen, am vertrauten, behaglichen Altgewohnten, und kehrt dem gewaltigen Meer- und Gebirgs-Panorama den B&cken. Es sagt ihm nichts. Seinem Gockneyauge fehlt dafür der Sinn.^

Der echte Ck>ckney hegt für seine Vaterstadt eine schwärmerische Verliebtheit. Man mag sie mitunter be- lächeln, aber sie wirkt rührend, nicht abstoßend. Dem Cockneyherzen ist London die Lebensluft, jede andere versdilägt ihm den Atem. Seine Anhänglichkeit ist die selbstverständliche Erkenntlichkeit der sich am Leben freuenden Kreatur für ihre Sphäre. Sie hat nichts mit verletzendem oder hochfahrendem Lokalpatriotismus gemein. CSiarles Lamb, der echteste Cockney und ein Londoner Kind aus dem Herzen der Cüty obzwar der Abstammung nach in Norfolk heimisch schrdbt in einem für den Befleetor bestimmten Briefe:

1) Jlfy Books.

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6 Der litemuehe Essay.

yylch habe einen natürlichen Hang znr Melancholie, aber in London verschwindet sie wie alle andern ÜbeL Oft wenn mich daheim Müdigkeit nnd MiBmut überkamen, lief ich in das Gedränge des Strand. Dort fand meine Ge- mfitsstimmung Nahrung, bis mir die Wangen feucht wurden von Tränen der Sympathie mit all den wandelnden Bildern, die der Strand, gleich Szenen einer vorüberziehenden Panto- mime, jederzeit bietet Selbst die Auswüchse Londons, die anderen Mißfallen erregen, mißfallen mir nicht durch die Kraft der Gewöhnung. Selbst den Bauch von London liebe ich, weil er meinem Auge das vertrauteste Medium ist. In dem schmutzigen Bing, der zwei Faustkämpfer umschließt^ sehe ich hohe Grundsätze der Ehre am Werk und bei der Ver- haftung eines Taschendiebes Grundsätze der ewigen Ge- rechtigkeit Die Kunst, aus den gewöhnlichen Vorfällen des Stadtlebens eine Moral abzuleiten, beruht auf derselben gutartigen Alchimie, kraft deren der Waldbewohner von Arden „Zungen fand im Baum und Bücher im rinnenden Bach, Predigten im Stein und Gutes in allen Dingen**. Wo anders schöpft der Spleen seine Nahrung als in London? Humor, Interesse, Neugier saugen an den unerschöpflichen Brüsten dieser Stadt Gehegt in ihrem Lärm, ihrem Gewühle, ihrem geliebten Bauch was habe ich getan all mein lebelang, lieh ich nicht solchen Szenen mit Wucher mein Herz!**^)

Hazb'tt ergänzt diese Charakteristik mit dem Be- kenntnis, die Straßen von London wären sein Feenland, sie wimmelten für seinen rückschauenden Blick wie für das gierige Auge der Kindheit von Wundem, von Leben und Interesse. Es ist ihm gelungen, aus ihrer Überlieferung einen lichten, endlosen Boman zu web^i."^)

») Worlcs, edit Ainger IV, 261. >) Spint of ihe Age 265.

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Dtr IHenuriidie Eessy. 7

Dieses Wort gilt recht eigentlich fftr die ganze Drei- einheit der Cockneysehnle. und noch eine andere, yon Bnlwer berBhrte Eigenheit der Liebe zur Vaterstadt ist ihnen gemeinsam: Bei aller individnellen Verschiedenheit einer- seits nnd all üuem eingefleischten St&dtertnm andererseits widersü^ben Leigh Hnnt, Lamb nnd Hazlitt doch in gleichem Grade den großstädtischen Tendenzen der Metropole. Sie bewegen sich in einem so kleinen and engen Kreise, ab lebten sie in einem Landst&dtehen, sie haben, so sehr sie sich als Londoner fahlen, nichts Weltmännisches an siclLi)#

Das Cockneytnm ist flbrigens nicht der einzige gemeinsame Zng der bei aHer Charakterverschiedenheit gleichwohl innig befreundeten Drei. Sie waren aneh simtlich soziale Schriftsteller. Hnnt, der Liberale von unbestimmter politischer Firbnng, die mit den Jahren so yerblaAt, dafl der leidenschaftliche Schmfther des Prinz- regenten ein Pensionär der Ednigin wird; Hazlitt, in dem ein fanatischer Demokratismos sich friedlich mit einem aosgesprochen metaphysischen Hange verträgt; Lamb, der politisch Gleichgiltige mit seinem kindlichen Hnmor - sie stimmen darin flberein, daß alle drei ihre Feder dem gesellschaftliche Interesse widmen, sei es nun ein dauerndes, sei es das Literesse des Augenblicks. Li yieten Fällen macht der Glanz ihres Schrifttums das flflchtige zum dauernden. Andererseits hat ihnen die Bedeutung, die sie als Tagesschriftsteller fftr ihre Zeit ge- wannsn^ einen literarischen Ehrenplatz verschafft, den der poaitiye Wert ihrer Werke nicht immer rechtfertigt und den diese nur als Eulturausdruck ihrer Epoche behaupten können.

>) YgL QtMrterly Beview 1867 voL 22.

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8 Der Mteniuohe lOnnj.

Sie widmen sich der Befriedig^g des literarischen Tagesbedfirfnisses und bringen diesem Dienst alle erforder- liche Begabung entgegen: die Sch&rfe der Beobachtung, das liebevolle Eingehen auf Kleines, den idealen Flug nach dem Hohen, kurz, jenes Verständnis, das mit sicherem Takt dem Augenblick nichts anderes zumutet, als was ihm eben am gelegensten kommt mit einem Wort, jene nicht genau zu bestimmende Eigenschaft, die das journalistische Talent ausmacht Die Gocknejrschule ist eine Joumalistenschule. Sie bedeutet die Blflte des englischen Journalismus zur 2^t der Bomantik.

Die englische Presse hat eine phänomenal rasche und viel umfassende Entwicklung durchgemacht. Es waren noch keine zweihundert Jahre vergangen, seitdem (am 23. Mai 1622) in England die erste gedruckte Zeitung erschien, d. h. ein in bestimmten Zwischenräumen erscheinendes Blatt mit Neuigkeiten: The Weddy Newes from Italy, Oermanie etc., deren Drucker vom September desselben Jahres an der als der erste Zeitungsverleger bekannte Nathaniel Butler war.O 1641 geschah ein wichtiger Schritt vorwärts durch die mit der Abschafihing der Stemkammer gewonnene Prefifreiheit, die aber erst nach der Revolution auch auf die Veröffentlichung politischer Neuigkeiten ausgedehnt wurde und, wie Macaulay sagt, den Staat gewissermaßen unter die Zensur der Presse stellte. >) Gleichzeitig erschien auch bereits die erste nach dem Muster des Journal des 3a/vants eingerichtete literarische Zeitschrift, Mercurius Librarius, or A Faiihfid Account of Books and Pamphlets (Mercurius librarius oder Genauer Bericht über alle

0 Andrews 1, 2a

*) Hiitory of England. I, Se5.

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Der literarische Bssay. 9

Bllcher und Broschüren), 1600—1688.0 Ein föhlbarer AidEBcliwang kam unter der R^gierong der Königin Anna. Drei Tage nach ihrer Thronbesteigung erschien das erste Tageblatt Daüy Courant (Tagesneuigkeiten). 0 Ihre eigentliche Bedeutung für das Pressewesen aber gewinnt jene Epoche durch eine Beihe von Bl&ttem, die den Charakter der Zeitung und der Zeitschrift in eigenartiger Weise verbanden. Sie erschienen periodisch, ließen den Nachrichtendienst nicht außer Acht, hoben aber die Neuigkeiten auf die HOhe der politischen Abhandlung oder Ciontroyerse. De Foe's Tätigkeit bedeutete einen gewaltigen Fortschritt im englischen Zeitungswesen, obzwar seine zweimal wöchentlich erscheinende Weekly Review of the Affairs of France, purged fram ihe Errors and Partialitiea of Newswriters and Petty Stateamen of all Sides (Wochen- schau der Angelegenheiten Frankreichs, geläutert von den Irrtfimem und Parteilichkeiten der Neuigkeitenschreiber und kleinlichen Staatsmänner aller Sichtungen) eine aus- gesprochen politische Färbung trug. Der Ton, bald kritisch, bald satirisch, bald belehrend, hob sich im Ganzen.') Brennende akute Fragen wurden mit Ernst oder Humor behandelt und der Einzelfall in den Ge- sichtswinkel der allgemeinen Bedeutung gerftckt In der Folge gingen Staatsmänner wie Burke, Pitt und Canning unter die Journalisten.

Ihr Hauptgewicht aber legten die Zeitschriften im großen und ganzen auf das literarische Moment. Die kritische Diskussion oder das schöngeistige Geplauder,

«) H. R Tedder, Cydopaedia Britamica. ^ Kjüght Hmit 1, 175. ■) Fox Boome 02.

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10 Dw litenrifldie Esny.

deren Statte bisher das St Jame's Coffee Honse tmd andere Lokale waren, gewannen in diesen Bl&ttem einen frucht- baren Boden, anf dem sie zu literarhistorischer Bedeatnng gediehen. Im Tafler (gegründet 1709) trat die Politik in den Hintergmnd. Abhandinngen Ober soziale, literarische and vermischte Gegenstände wurden allmählich der aas- schließliche Inhalt ein Inhalt, der die Unterhaltnng wie die Belehrung des Publikums gleich sehr im Auge behielt, und den gesunden Verstand wie den liebenswürdigen Humor auf sein Panier schrieb. Der Spedator (1711 1718), Ton vornherein unpolitisch gedacht, war an sich eine Sammlung kurzer Abhandlungen zum Eostenpreis eines Zeitungsblattes. Der Guardian (1718), dessen Mitarbeiter Pope war, erschien zwar täglich, hatte aber gleichfalls keine politischen Tendenzen, sondern bezweckte vielmehr eine sittliche Beeinflussung der öffentlichen Meinung, nicht durch eine Kritik der Parteiffthrer und Tages- ereignisse, sondern durch leichte Satire und verdeckten Humor und einen allgemein moralisierenden Ton.<) In diesen Blättern haben Addison, Steele, Swift sich dauernden literarischen Ruhm erworben.

Die Bedeutung der Zeitschriften ist eine doppelte. Sie befriedigten das Interesse und den Geschmack der Gegenwart, indem sie beide klärten, so vollkommen, daS ihr wachsender Einfluß auf die Buchliteratur einschränkend wirkte. Swift schrieb 1745, man lese nichts anderes mehr als die Tagesblätter. Gowper (in The Task) und Crabbe (in The Nevospaper) haben die Wichtigkeit der Zeitung poetisch bezeugt Und während sie sich durch ihren positiven Wert zu dauernder literarischer Bedeutung erhob,

») Vgl Fox Bonme 70, 87, 88.

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Der literarische Essay. 11

gewann sie zugleich als anschauliches Spiegelbild der Epoche bleibende knlturhistorische Wichtigkeit

Die unmittelbare Folge der außerordentlichen Wirkung dieser Zeitschriften war eine ungeheure Vermehrung der periodischen Blätter, die naturgemäß ihren Verfall nach sich zog. Als Gegengewicht der allzuleichten Tagesware gründete Daniel Stuart 1795 die Moming Post, wie es in der Ankündigung hieß, nicht nur zu dem Zweck, die letzten Nachrichten und zuverlässigsten Berichte über aus- wärtige und heimische Angelegenheiten zu yermitteln, sondern, damit Literaturfreunde sie gründlich lesen und aufbewahren mögen für künftige Belehrung und oftmals wiederholte Lektüre, i) ein Wort, das die Zeit als ein nicht in Anmaßung gesprochenes erwiesen hat, denn die Mit- arbeiter dieser Zeitung wurden Coleridge, Lamb, Southey und Wordsworth. Gleichzeitig schwang sich der Moming Chronide unter der Redaktion Perrys und der Mitarbeiter- schaft Yon Mackintosh, Lamb, Coleridge und Campbell zu einem führenden Organ empor. Dazu kamen Leigh Hunts zalhreiche Zeitungen und Zeitschriften und von 1820 1829 das London Magazine, das unter John Scott seine Blüte- zeit erlebte. Hazlitt verfaßte Theater- und Kunstkritiken und Eeats, Montgomery, Hood, Francis Cary und Carlyle lieferten Beiträge.

Die schottisch toiystischen Gegenblätter, mit denen sieh ein Kampf aufs Messer entspann, waren die schon 1809 gegründete Quarterly Beview, die durch Giffords scharfe literarische Kritik hervorragte, und BlackwoocPs Magazine, in dem die literarische, politische, soziale Plauderei in Christopher North einen Hauptvertreter fand.

>) Fox Boume 271.

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12 Der literarische Essay.

Die Gockneyschole fahrt in direkter Fortentwicklung den englischen Journalismus von den großen Zeitschriften- mitarbeitem aus der Zeit der Königin Anna, zu einer zweiten Blüte. Die Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt zu suchen, trieb Hunt, Lamb und Hazlitt in die Redaktionen. Lamb schildert die Qual, dem ernsten Gemflt jenen lebhaften^ leichten Bagatellenton abzuringen, der der einzige Köder sei, auf den das Publikum anbeiße. Seine erste Anstellung bei einer Zeitung war die Verpflichtung, der Maming Post taglich sechs Witze zu liefern. Damals hatte jedes Blatt noch einen eigenen Mitarbeiter, dem diese Aufgabe oblag. Die Witze, denen das Tagesgespräch, der Skandal wie die Mode den Stoff lieferten, mußten epigrammatisch gehalten, kurz und treffend sein. Sechs Pence pro Scherz galt für ein ziemlich hohes Honorar, i)

Aber nicht lange, so hatten diese Männer den journa- listischen Beruf ihrer eigenen Leistungsfähigkeit angepaßt. Sie ließen sich nicht von ihm hinabziehen^ sie hoben ihn zu sich empor. Sie hatten einen hohen Begriff vom Wesen und von der Pflicht des Jonmalismus. Was der leichtgemute Leigh Hunt darunter versteht, deckt sich beinahe mit den strengen Forderungen des puritanischen Idealjoumalisten unserer Tage, George Bemard Shaw. Der Journalist soll der Leiter, der Bildner, der Erzieher seines Publikums sein. Hunts Signatur war eine Hand mit hinweisend ausgestrecktem Zeigefinger. In der ersten Nummer des Indicator (18. Ok- tober 1819) bezeichnet er als Zweck der Zeitschrift: jed- weden wie immer gearteten Gegenstand, im Bereiche seines Wissens oder seiner Lektfire, im wesentlichen kurz anzuzeigen, Abhandlungen fiber Menschen und Dinge, Belle-

1) Lamb, Newtpapers Üwrty fioe Yeara ago.

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Der litenriBche Essay. 13

tristäsches und Politisches, Geschichten ans der Geschichte in gater Auswahl zu bringen und alles das auf einem Baume von acht Oktavseiten, f&r einen Leser, bei dem er keine tiefe Bildung, aber gesunden Verstand und an- st&ndige (Besinnung voraussetzt Dieses Programm bleibt bei all seinen Zeitschriften annähernd das gleiche. Er fdgt höchstens hinzu, daß er nicht fOr den Pöbel welcher sozialen Sph&re dieser auch angehöre schreibe, ein Punkt, der so recht den Idealismus jener romantischen Journalisten- schule kennzeichnet. Sie hat eine journalistische Utopie im Auge, an die sie ihre Lebenskraft setzt. Die belletristische Geringfügigkeit^ die an sich kaum gut genug ist für dieSpalten eines Tagesblattes, wird, kraft des Humors, des Geistes, des Formtalents dieser Schriftsteller zum literarischen Kabinett- stflck ausgestaltet, das ausreicht für die Unsterblichkeit. Der Zeitungsplunder erhebt sich in die Sph&re des Kunst- werkes; die Artikel werden kritische, ästhetische, politische, beschreibende Essays. So ist die Cockney-Jourualisten- schule eine Schule von Essajdsten geworden. Ihre Mitglieder sind dabei im Leben nicht sonderlich in die Höhe gekommen und sämtlich als arme Teufel gestorben. Aber in der Geschichte der englischen Literatur treten sie das Erbe Addisons, Steeles, Swifts an und überliefern es, nachdem sie es als Eigentum erworben und individuell verwandelt haben, den Enkelgeschlechtem.

Werke zur Cockneyschale.

1850 F. Knight Hnnt, The Faurih Estate. OontribuHons iofcards a Histary ofNewapapers and of the Liberty of ihe Press.

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14 Der iitenriBdie Essay.

1859 Alexander Andrews, TJie Histary of British JaumaUBm from the Foundation of the New^aper Press in Eng- land to the Bepeal of the Stamp Act in 1855.

1871 James Grant, The Newspaper Press. Its Origin, Progress and Present Position.

1882 Joseph Hatten, JoumaUstic London.

Charles Pebody, EngUsh JoumäUsm and fheMen who

made iL 1887 H. R. Fox Bourne, English Newspapers. Chapters in

the History of Joumalism. (CasselVs Populär Shilling

Library.) 1912 Oliver Elton, A Survey of English Literature 1780

—1830.

Barnette Miller, Leigh Hunt.

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James Henry Leigh Hunt.

1784—1859.

Politik.

Leigh Hunt entstammte einer seit dem 17. Jahrhondert in Barbados (Westindien) ansässigen englischen Familie von Geistlichen. W&hrend eine Tradition ihre Abkunft auf einige Toiykavaliere znrflckf&hrt, die vor Cromwell nach Amerika fluchteten^ weist eine andere auf einen Geistlichen ans Exeter, der zur Zeit Jakob L nach Bar- bados auswanderte. Heiraten brachten militärische, quäker- hafte und adelige Einschläge, deren einer sich bis in die nebelhafte Feme eines irischen Königsgeschlechtes verliert

Leighs Vater, Isaac Hunt, ein fröhlicher Student der Bechte in Philadelphia, flfichtete, da er als loyaler Be- kenner königstreuer Prinzipien während der amerikanischen Freiheitserhebung seines Lebens nicht sicher war, in das englische Stammland und wurde Geistlicher. Seiner Yer* anlagnng nach hätte er eher zum Schauspieler getaugt £b war ein falscher Stolz, der ihn statt auf die Bretter auf die Kanzel fährte, und die Laufbahn mißlang. Trotz seines giftnzenden Bednertalentes, das seinen Predigten stets eine zahlreiche und bewundernde Schar andächtig Lauschrader sicherte, trotz der Gönnerschaft des Herzogs von Chandos, der ihm die Erziehung seines Neffen, Mr. James Henry Leigh, anvertraute, trotz der eifrigen

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V

16 Der literariache Essay.

Bemühungfen des Malers West, brachte Isaac Hunt es zu keiner Stellung. Sein für höheren Lebensgenuß geschaffenes, sanguinisches, unpraktisches, vergnttgungsliebendes Naturell, seine Geselligkeitsliebe, der ein hübsches, zartblondes Äußere und eine wohlklingende Stimme Vorschub leistete, und seine etwas theatralisch gefärbten Manieren erregten das Mißtrauen der vorgesetzten Behörden. Sie verhielten sich ablehnend gegen ihn. Idealistisch impulsiv und ohne Berechnung trat er offen für einen amerikanischen Lands- mann ein. Das machte ihn bei Hofe mißliebig. Hunt, der die Heimat verlassen hatte, um der Bücksicht willen, die er seinem König schuldig zu sein glaubte, schien ver- dächtig. Mißliche 6eldverhältnisse verschlechterten seine Lage. Das Schuldgefängnis war eine der frühesten Er- innerungen seines Sohnes. Vor jeder angestrengten Tätigkeit, jeder Energieanspannung schreckte das arbeits- scheue südliche Blut in seinen Adern zurück. Sein Ehrgeiz war stets auf ideale Bestrebungen gesetzt, seine Brust stets von weitausholenden romantischen Zukunftsplänen geschwellt Darüber verlor er den Augenblick und seinen guten Namen. Aber das unverwüstlich heitere Tempera- ment täuschte ihn über die eigene Lebensuntüchtigkeit hinweg und übergoldete ihm die Ungunst der äußeren Zu- fälle. Die köstliche Fähigkeit, sich unter allen umständen behaglich zu fühlen und seinen seelischen Schwerpunkt auf einen angenehmen Gedanken verlegen zu können, ließ ihn den Kopf immer hoch halten. Diese launige, liebens- würdige Gemütsart war weitaus das beste Erbteil, das von Isaac Hunt auf seinen nach seinem Zögling James Henry Leigh benannten am 19. Oktober 1784 in Southgate (Middlesex) geborenen Sohn überging. In der Tat wird die liebevolle und eingehende Charakteristik, die

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Der literarische Essay. 17

Ldgh Hunt in semer Autobiographie dem Vater widmet, in Tiden Punkten zu einem unbeabsichtigten Selbst- bildnis.

Das Widerspiel der Frohnatnr Isaacs war seine ernste, Ton Quäkern abstammende Gattin Mary Shevell, eine anmutige Brünette, die als Mädchen Franklin und Paine gekannt hatte und in Georgs m. Wahnsinn das Strafgericht des Himmels für das durch sein Verschulden im ameri- kanischen Kriege vergossene Blut erblickte. Ihr Lieblings- buch waren Toung's NighWwughts. Milde und zartf&hlend, mutig und standhaft^ überzeugungsfest, gesinnungstreu und gewissenhaft, war sie eine Gattin voll verständnisvoller Hingebung, eine Mutter voll liebender Ffirsorge. Mit dem südländischen Äufleren scheint Leigh von ihr seine auf die Neigung zur Gelbsucht zurflckgefBhrten Anfälle von Schwer- mut überkommen zu haben, denen er mit willkürlichen und übertriebenen Naturkuren zu steuern suchte. So nennt er sich mit Becht einen Sohn der Heiterkeit und der Melancholie, bekennt jedoch, daß die Natur des Vaters in ihm überwiege.

Das kränkliche, verzärtelte, jüngste von fünf Kindern, wuchs Leigh in der anmutigen, abgelegenen Landschaft von Middlesez auf, ein verträumter Knabe, dessen LiebUngsspiel darin bestand, einer nur in seiner Phantasie vorhandenen Versammlung zu predigen. Das erste Buch, an dessen Lektüre er sich erinnerte, war Das Verlorene ParadiesA)

Achtjährig, weltfremd, scheu und verschüchtert, kam er 1792 nach London in die Christ Hospital-Schule. Die Balgereien der Jungen erschreckten ihn; über die geringste

0 Corre9pondence 1, 1. OtMhieltto der ensrli^dieii Bomiitik II, 1.

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18 Der litenuuche Essay.

körperliche Zflchtigong vergoß er Tränen. Bald jedoch befand er sich in offener Aoflehnnng gegen das Fag-System im allgemeinen nnd einen rohen Lehrer insbesondere. Dennoch hat er seiner Knabenzeit keine nnfrenndliche Erinnerung bewahrt Die Lektfire von Schauerromanen^ schwärmerische Freundschaften und eine erste anbetende Liebe, deren Gegenstand Angelica Kaufmann war, breiteten ihren mystischen Glanz Aber sia

1799 verließ Leigh Hunt die Schule, traf aber keine Beru&wahl. Ein Sprachfehler, der sich in späteren Jahren gebessert zu haben scheint, verwehrte ihm die geistliche Laufbahn. Seine bis zur Unfähigkeit gehende Ungeschick- lichkeit im Rechnen machte ihn zum Kaufmann untauglich. Sein eigener Ehrgeiz war lediglich darauf gerichtet, „der Liste der Schriftsteller beigezählt zu werden und als Kosmopolit Gutes zu wirken.'' Dem ersten Wunsche kam Isaac Hunts väterliche Eitelkeit auf den frühreifen Sohn entgegen, der mit 12 Jahren eine Spencemachahmung, The Fairy King (Der Feenkönig), und eine Nachahmung Thomsons, Winter, auf- weisen konnte und dessen preisgeki*dnte Horaz&bersetzung bereits einem Bande von SchOlerarbeiten einverleibt worden war {The Juvenile Library^ including a Complete Course of Instruction on Every Suibject (Jugendbibliothek, umfassend einen vollkommenen Lehrkursus über alle Gegenstände), 1800-0 Isaac Hunt veröffentlichte 1801 Leighs poetische Erstlinge als Juvenilia, or A CoUection of Poems, written hetween the Ages of 12 and 16 by J, H. L. Hunt, Lote of ihe Grammar School of Christ Church (Juvenilia oder eine Sammlung von Gedichten, geschrieben im Alter von 12 bis 16 Jahren von J. H. L. Hunt, gewesenem Schfller

>) Brimley Johnson, 8.

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Der litenriflche Essay. 19

des Christ Chnrch-OymnasiiUDs). Leigh Hunt hat in q^&teren Jahren erbarmungslos über sie als „einen Hänfen dnrchans wertloser Nachahmnngen^ abgeurteilt, deren Yer- öffenüichnng keinen anderen Erfolg gehabt habe als den, ihn ütel zu machen, i) IndeS beweist die Tatsache, daS die Juvenüia 1804 die yierte Auflage erlebten, immerhin einen stattlichen Leserkreis. Die Gedichte geben sich fBr nichts anderes als künstlerische Nachempfindnngen: Pastor- als, ImitaHans of Virgü and Pope (L&ndliche Gedichte, Nachahmungen Yirgils und Popes); To Friendship (Manner of CoUins) (An die Freundschaft In der Art des CoUins) ; Ode to ihe Evening Star (from OsBtanJ (Ode an den Abend- stem. Nach Ossian). Den Hauptteil des B&ndchens fBllt eine Spencemachahmung in zwei Gesftngen, The Palace of Heasure (Der Palast der Freude). Leichtfüßige Stanzen schildern das Erwachen eines nachdenklichen Ritters auf dem Märcheneilande der Versuchung, dessen Herrin, die Freude, ihm gebietet, in ihrem Dienste allerhand allegorische Ungeheuer zu bekämpfen, bis schließlich die irdische Aphrodite entschwindet und die himmlische, die Religion, ihn krönt Der Gesichts- und Ideenkreis dieser Gedichte geht in nichts über das jugendliche Alter des Verfassers hinaus. Seine zwölfjährige Seele schiebt Macbeth ihre eigene naive Vorstellung von Gewissensangst und Gottes- furcht unter (Mad>eih, or The Itt Effects of Ambition (Macbeth oder die üblen Folgen des Ehrgeizes). Sie stellt im Poetenwinkel der Westminsterabtei ihre Be- trachtungen an {Elegy written in (he PoeSs Corner, West- minster Albey. Elegie, im Poetenwinkel der Westminsterabtei geschrieben). Sie begeistert sich für die Schweizer Hdden

1) Autobiography Y. Kap. S. 107.

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20 Der literariBche Essay.

des Jahres 1799 (Ode writtm at {he Time of (he War in SmUerland. Ode, zur Zeit des Schweizerkrieges geschrieben) und yerdammt Bobespierre {Epitaph on Bobes- pierre). Hunts Verständnis für die Kunst der Prosa er- wachte später und gewissermaßen im Gefolge seiner Be- geisterung für Voltaire, die ihn durchs Leben begleitete. Er erklärt Voltaire für den größten Schriftsteller Frank- reichs und unzweifelhaft den größten Mann des 18. Jahr- hunderts, ^ ein Loh, dessen Überschwänglichkeit er 1851 im Table Talk einschränkt durch die Bemerkung, Voltaire sei der einzige, der je durch eine Häufung Ton Eigen- schaften zweiten Banges einen Platz auf der Liste der größten Namen erlangt habe.

Das Jahr 1801, das Hunts erste Publikation sah, sollte noch in anderer Hinsicht einen Merkstein in seinem Leben bilden. Der Siebzehnjährige verlobte sich mit einem dreizehnjährigen nicht hflbschen und nicht hervorragenden aber durchaus weiblich empfindenden Mädchen, Marian Eent. Hunt erzählt, sie habe sein Herz gewonnen, weil sie Verse schOner als irgend jemand las. Sie besaß auch ein h&bsches Modelliertalent, das sie zum Ausschneiden porträtähnlicher oder humoristischer Silhouetten benfltzte. Aber da beide mittellos waren, konnten sie an eine Ver- bindung vorläufig nicht denken. Leigh Hunt arbeitete in der Advokatnrskanzlei seines Bruders Stephen und erhielt dann eine kleine Anstellung im War Office.

Auf den Weg seiner eigentlichen Bestimmung lockte ihn zuerst jenes Ideal der Schriftstellerei im Dienste der Aufklärung und Humanität, das ihm in Voltaire verkörpert erschienen war. Seine ersten Aubätze veröffentlichte er

>) Autohiography Kap. n 142, 4.

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Der literaiische Essay. 21

1804 im Traveller, einem Abendblatte, das dem Globe einverleibt wurde, nnter der Signatur 1fr. Town Jun., Critic and Censar General; der Utere Mr. Town war der Kritiker des Connaissewr,

1805 gründete Leighs älterer Bruder John Hunt ein eigenes Blatt The News (Neuigkeiten), für das Leigh von 1805 1807 den Theaterbericht schrieb. Er proklamierte die Unabhängigkeit der Kritik als eineNeuheit William Archer bezeichnete ihn als den ersten Zeitungskritiker, dem es gelungen sei, aus dem Nebel der Anonymität aufzutauchen.^) Seine Theaterartikel erschienen 1807 gesammelt als Critical Essays on the Performers of the London Theatres, including General Observations on (he Practise and Genius of the Stage (Kritische Autsätze über die Darsteller der Londoner Theater, nebst allgemeinen Bemerkungen über Bühnen-Talent und -Praxis). Leigh Hunt bringt dem Theater als einem Bildungs- trftger und Kulturfaktor Interesse und Wertschätzung ent- gegen und bekämpft von diesem Standpunkte aus das landläufige Vorurteil gegen Schauspielkunst und Schau- spieler. Ist Selbsterkenntnis der Gipfel aller Weisheit, wie könnte die Kunst verächtlich sein, die uns diese Weisheit auf die gefälligste Art übermittelt? Der Schau- spieler sei zwar dem Dichter untergeordnet; aber verdiene der Soldat, der die Instruktionen seines Generals pünktlich und mutig ausführt, nicht gleichfalls Anerkennung? Hunts Theaterliebe und Boutine und ein durchaus persönlicher, etwas oberflächlicher Stil machen diese Berichte lesbar und anziehend. Sein Urteil ist stets von Sachkenntnis getragen imd verfügt stets über den treffenden Ausdruck. Sein

>) Dramal^ Essays, seleeted and edited tnih Notes and an In- troänteUan hy W. Archer and Robert TT. Lowe. Introd.

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22 Der literarische Essay.

kritisches Feingefühl tritt am meisten zutage, wo er zwei künstlerische Individnalit&ten mit einander kontrastiert (z. B. Fawcett und Matthews). Aber jene schwierige Ennst der Charakteristik, die das Bühnenwerk mit all seinen Einzelzügen festhUt und dem Enkel überliefert die Kunst unseres Lichtenberg geht ihm ab. Hunts Artikel über Mrs. Siddons wird zum Panegyrikos auf die Natüriichkeit, auf die Phantasie, auf das Liebespathos auf der Bühne. Aber wir erhalten kein konkretes Bild ihrer Schöpfungen« Wir erfahren nichts Tatsächliches, keine Einzelheiten, aus denen man allenfalls das Ganze rekonstruieren könnte, nichts Positives über Auffassung oder Technik. Dieses Mangels ist Hunt selbst sich dunkel bewußt, wenn er, über die Vergänglichkeit der Schauspielkunst sprechend, bekennt, er dürfe nicht hoffen, mit seinen Berichten der Nachwelt etwas zu sagen.

Noch vor dem Erscheinen der Kritiken in einem Sammelbande war Hunt mit einer fünfbändigen Serie klassischer Erzählungen hervorgetreten, denen er in ge- drängtester Kürze biographische Skizzen ihrer Autoren und eine kritische Würdigung ihrer Werke voraus- schickte: Classic TaleSf Serious and Lively. Wiffi Griticdl Essays an the Merits and Beputaüon of the Auihors (Klassische Erzählungen ernsten und heiteren Inhalts mit kritischen Abhandlungen über die Verdienste und das Ansehen der Verfasser), 1806. Die Geschichte, sagt er im Vorwort, lehre uns weniger reale Weisheit als die Biographie, denn sie berühre uns selten oder nie persönlich. Wir sollten uns erst als Menschen, dann als politische Charaktere studieren. Noch lehrreicher als die Biographie aber seien in dieser Hinsicht Boman und Novelle. Auch hier wird Voltaire gefeiert, der originellste Stilist und

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Per Uterariflche Easay. 23

Meister jenes trockenen Humors, dessen Wesen die an- scheinend anbewußte Lächerlichkeit ist. Die Schlüpfrigkeit des Candide sei bedauerlich, ihrer ungeachtet enthalte das Werk aber sowohl edelste Moral als kräftigste Satire und neben manchen Fehlem tausend Schönheiten. Sollte man das Gold wegwerfen, weil es mit Schlacken vermengt ist? 1808 yereinigten sich John und Leigh Hunt zur Gründung einer nach Swifts Blatt benannten Zeitschrift: The Exammerf a Sunday Paper upan PoliUcSy Domestic Economyy and TheaMcals (Der Beobachter. Ein Sonn- tagsblatt für Politik, Nationalökonomie und Theater). Das Motto des JExaminer war dem Spectator Nr. 370 ent- entnommen: „Es ist für mich ein Gegenstand tie&ter Er- wägung, welche Rollen gut oder schlecht gespielt, welche Leidenschaften oder Geffihle geduldet oder gepflegt, und was fftr Sitten und Gebräuche infolgedessen von der Bühne in die Welt versetzt werden, die sich gegenseitig nachahmen.'^ Das Programm des Examiner war, die Unparteilichkeit, die Leigh Hunt in der Theaterkritik mit Erfolg durchgeführt, auch auf die Politik zu übertragen. Der Examiner sollte sich als stiller Beobachter der kämpfenden Parteien am Weg- rande halten und entschieden, doch zugleich ohne einer politischen Fraktion anzugehören, Stellung nehmen gegen allen fachen Schein, alle Heuchelei, alle Vorurteile. Leigh Hunt war nicht blind für die gute Seite des Toiyismus, die Ordnungsliebe und den Hang zur Ehrerbietung, und nicht verblendet gegen das schlechte Prinzip des Radikalismus, die Höherstehenden herabzuziehen, statt die unteren zu er- heben. 9 Gleichzeitig aber stand sein Entschluß fest, den radikalen Standpunkt bedingungslos zu wahren. Er gab

') Autobioffraphy Kap. XU, 210.

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24 Der literaxische Essay.

seine Anstellung im Kriegsministeriom auf, um völlig freie Hand zu haben. Er lehnte Murrays Aufforderung ab, in die Quarterly Beview zu schreiben, wie eine Einladung des Lord Holland, ihn zu besuchen. ^

Der um 10 Jahre Utere John Hunt (geb. 1775), ein Mann yon felsenfestem Charakter und unvergleichlicher Gesinnungs- tüchtigkeit^ war ein Typus jener makellosen Eedlichkeit, die selbst die Schmähsucht erbitterter Gegner nicht anzutasten wagt; hart in bezug auf die eigene Pflicht, wohlwollend gegen andere und ohne alle Eitelkeit der Welt Niemals kam es für ihn in Frage, welche Partei er ergreifen solle; stets war es die Sache der Gerechtigkeit, fflr die er nach bester Einsicht auf jede Gefahr hin eintrat. Er focht die Schlacht in den vordersten Eeihen aus, wenn der Kampf am heißesten war, doch noch in der Stunde des Sieges zog er sich zurttck, als hätte er am Triumphe keinen Anteil und kein Verdienst So äußert sich Leigh Hunts Nachfolger in der Eedaktion des Examiner^ Albany Fonblanque. 3) P. G. Patmore nennt ihn den unbeugsamen Demokraten, den einzigen, der als Märtyrer seiner Ansichten stürbe, wenn er damit zu ihrer Verbreitung beitrüge. Cyrus Eedding bezeichnet ihn als einen philosophischen, geduldigen, gerechten, tiefen Denker, einen Charakter ersten Banges, seiner Zeit voraus. ') William Hazlitt widmete ihm 1819 seine Poliücal Essays als einem jener wenigen Menschen, die das sind, wofür sie gehalten sein wollen: ehrlich ohne zu verletzen, fest, doch maßvoll, eigenen Wert mit allgemeinen Prinzipien verbindend; ein Freund in

^) Monkhonse 76.

^ Johnson 17.

») Fifiy Years BecöOections I, 275.

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Der iitenriflche Euay. 25

der Not, ein Patriot ohne Privatracksichten, der niemals einen Einzelnen oder eine Sache verriet unter dem Yor- wande^ ihnen zu dienen, knrznm, jenes seltene Wesen: ein Mann von gesundem Verstände und allgemeiner Ehrlich- keit^ Hazlitt hegte zeitlebens die Überzeugung, daS die politische und soziale Regeneration Englands der mann- liehen, makellosen Redlichkeit und gesunden Einsicht Johns, sowie der vielseitigen, von echtester Humanit&t geleiteten Begabung Leighs au& tiefste verpflichtet seL^) Mit diesen beiden Männern an der Spitze schien der Examiner in der Tat zu werden, was die Brüder beab- ächtigten: das erfolgreichste Blatt aller Freigesinnten, der Bek&mpfer aller Arten von Vorurteil und Tyrannei, die Leuchte und das Exempel geistiger Unabhängigkeit und furchtloser Meinungsäußerung. Aber es währte nicht lange, so gab ein bestimmter politischer Zweck, die Parlamentsreform, ihm eine politische Parteifärbung. Schon im ersten Jahre seines Bestehens (1808) deckte der Examiner anläßlich der Eatholikenemanizipation die all- gemeine Korruption und Heuchelei in einer weder den Hof noch das Kabinett schonenden Weise auf^) und machte sich flberdies die Minister zu Feinden, indem er ihrer kriegerischen Politik nicht das Wort redete. Dreimal, 1808 (durch einen Artikel aber MiUtary Depravity [Mili- tärische Verdorbenheit]), 1809 (über Change of Ministry [Ministerwechsel]) und 1811 entging er mit knapper Not dem Staatsanwalt. Nur dank seiner kirchenfreund- lichen Haltung gelang es ihm, den Vorwurf des Bepublika- nismus zurückzuweisen. Leigh Hunt wetterte in einer

>) Patmore, My Friem/äs and ÄcquanUance DI, 90, 101. s) YgL Honkhoiue 72.

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26 Der literarische Essay.

Beihe von Aufsätzen, deren bloße Titel schon die Vehe- menz des Angriffs verraten, gegen den Methodismus: On ihe Ignorance and Vulgarity of ihe Methodista (Über die Unwissenheit nnd Gemeinheit der Methodisten); On ihe Hatred of Ihe Mefhodists against Moral and PreacMng (Über den Haß der Methodisten gegen die Moral nnd die Predigt); On the Melancholy and Bigotry of ihe Meihodists (Über die Trübseligkeit und Bigottheit der Methodisten); On ihe Indecencies and Profane Baptures of Meihodism (Über die Unanständigkeiten nnd unheiligen Ver- zückungen der Methodisten); On thePrevention of Meihodism (Über die Verhütung des Methodismus). Diese Aufsätze, erschienen 1809 gesammelt: An Ättempt to show the FoUy and Danger of Meihodism. In a Series of Essays first pübüshed in ihe Weekly Paper caUed The JExaminer. Now enlarged mih a Preface and Ädditional Notes hy ihe Editor of the Examiner (Versuch, die Torheit und Gefahr des Methodismus aufzudecken. In einer Seihe von Auf- sätzen, die zuerst in der Wochenschrift namens „Der Beobachter^ erschienen. Vermehrt und mit Anmerkungen versehen durch den Herausgeber des „Beobachter''). Sie entsprangen der Überzeugung, daß eine Beligion wie der Methodismus für ein freies Volk nicht tauge. Die Gottheit des Methodismus sei so falsch und faul wie irgend ein Mars oder Moloch. 0 Der fanatische Eifer, mit dem Hunt aus Liebe zur Duldung gegen die methodistischen Eiferer auftrat, gegen ihren geistlichen Dünkel, ihre Lehre von der Gnadenwahl, von der Bechtfertigung durch den Glauben, von Vorherbestimmnng und ewiger Verdammnis, ihren Anspruch auf göttliche Erleuchtung und ihren Mangel

>) Freface VI.

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Der Iheraxifleke Snay. 27

an Nächstenliebe wetterte, ist gewissermafien typisch fftr alle Beligionsfehden. Allein, trotz solcher Yerkennnng, empfahl Hnnt als Bekenner romantisch -humanistischer Ideale der Menschheitsverbesserang znr Yerhatong des methodistischen Fanatismus yon jeder Verfolgung abzusehen und ihn lediglich mit den Waffen der Lächerlichkeit^ dieser mächtigen Feindin des Methodismus, zu bekämpfen.

um Politik kümmerte Leigh Hunt sich als Mitarbeiter des Ezaminer wenig. Sein Fach war die Theaterkritik und was wir heute das Feuilleton nennen würden. Exkurse, Aats&tze und Plaudereien über Wichtigstes und Gleich- gütigstes. Nah- und Femliegendes, mit graziler Anmut^ Witz, Feuer und Schwung vorgetragen, je nachdem der Gegenstand es erforderte, und fessdnd durch die immer gleich routinierte Mannigfaltigkeit der Behandlung.

Da kam, am 22. Mftrz 1812, die Schicksalsstunde des Ezaminer. Bei einem irischen Festessen am St Patricks- tage hatte der Vorsitzende in seiner Bede den Prinz- r^enten übergangen und den loyalen Sheridan angerempelt Aus diesem Anlaß yeröffenüichte die Maming Post, das Hof-Organ, ein Gedicht, das in widerlicher Speichelleckerei den Prinzen als Beschützer der Künste und M&cen seines Zeitalters, als den Buhm der Nation und als einen Adonis an lieblidikeit feierte, in dessen Gefolge Glück, Ehre,Tugend und Wahrheit einander den Bang streitig machten. Diese freche Herausforderung zum Widerspruch griff der Examiner in einem weitl&ufigen Artikel auf, in dem er die ausschweifenden Lobeserhebungen in unyerblümter Grellheit auf ihr rechtes Maß zurückführte. Der liebliche Adonis sei ein korpulenter Mann von fünMg Jahren, der bezaubernde, weise, segen- spendende, tugendhafte, unsterbliche Prinz ein Wort- brüchiger, ein schmählicher Wüstling, ein Spießgeselle von

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28 Der literaiische Essay.

Spielern und Dirnen, ein Mann, der ein halbes Jahrhundert gelebt habe, ohne sich auch nur ein einziges Mal Anspruch auf die Dankbarkeit oder Achtung der Nachwelt zu er- werben*

Mit Recht nennt Monkhouse den Artikel „sehr über- zeugend, sehr wahr und sehr töricht^. Denn er kam der unvermeidlichen Herausforderung einer Anklage gleich. Ein so heftiger, so persönlicher Angriff auf den Privat- charakter des Staatsoberhauptes war politisch nicht zu rechtfertigen und als moralischer Protest von zweifelhafter Wirksamkeit Er w&re von keiner Eegierung geduldet worden, und der mögliche Vorteil fflr das allgemeine Wohl wog die unabsehbar schweren Folgen für die Heraus- geber nicht auf. Der Prinzregent wurde durch den Artikel nicht gebessert, der Triumph der Torfes nicht verhindert*) Leigh Hunt hat den Aufsatz später selbst der Folgen, die er nach sich zog, unwert erklärt, insofern er für kein politisches Prinzip eintrat und sich auf persönliche Schmähungen be- schränkte. Andererseits war der Ausfall um so bitterer, je wahrer er war. Auch ließ Leigh Hunt es nicht bei ihm bewenden, sondern veröffenüichte, während der Prozeß bereits im Gange war, im November noch einen Artikel an den Prinzregenten und im Dezember einen nicht minder drastischen an den Richter, Lord Ellenborough. Der Ver- teidiger der Brüder, Lord Brougham, appellierte in starken Worten an das moralische Empfinden der Nation zugunsten seiner in ihrem Privatleben unbescholtenen Klienten. Seit wann, fragte er, gelte in England an den Unterweisem des Volkes der ehrliche, waghalsige, ja unvorsichtige Tadel notorischer Laster öffentlicher Persönlichkeiten und der

1) Vgl. Monkhouse 8a

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Der fitenzisehe SsBay. 29

offenknndigen Unmoral höchsten Ortes als Verbrechen und nicht als Pflicht? „Bleibt ihr bei solchen Grondsfttzen, seid ihr entschlossen, in einem Augenblick jene ganze Eontrolle zu vemichten, welche den Großen Schranken setzt; wfinscht ihr die Schleusen zu öffnen, die vordem die Flut höfischer Laster staute, die einzigen Wille niederzureißen, die das Land schfttzen, und den Anstand wie alle Tugend von der Flut überschwemmt zu sehen; wollt ihr nach Menschenaltem eine Rasse frei loslassen, im Yo^leich zu der der erste Karl weise war, der zweite ehrenwert und die Wunder alter Tjrrannei mitleidsyoll und keusch dann sprecht euer ürteU: Schuldig!''!)

Sie sprachen es. Die BrBder nahmen es gelassen hin und leimten einen Versuch der Regierung, Stillschweigen zu erkaufen, ab. Es lautete: zweijährige Einzelhaft und eine Geldbuße von 500 tiC für jeden; femer hinreichende Bürgschaftsleistung für gutes Benehmen während fünf Jahren, widrigenfalls die schwere Eerkerstrafe erneuert Wtfden sollte. >)

John wurde dem Goldbathfield-Geflingnis zugewiesen, Leigh dem New Jail, Horsemonger Laue. Er hatte Marian Eent 1809 heimgeffihrt; er stand eben von einem Kranken- lager auf und lieS eine unversorgte junge Frau und Kinder daheim zurftck. Aber es war eine Art M&rtyrerwonne fiber ihn gekommen und das sonnige Temperament, das sein FamilienerbteQ bildete, entfaltete sich zu ungeahnten Möglichkeiten. Nicht lange und er hatte sich mit dem Kerkermeister auf guten Fuß gesetzt Bentham traf sie einst beim Federballspiel an.') Das Gefftngnisleben wurde

1) Johnson 2L

^ The Prmee of Waies aganui the Examiner.

*J Bin«U 11&

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so Der literarische Essay.

zum Idyll, von dem Hont in dem Tagebuch, das er fOr seine Kinder schrieb, in behaglichem Geplauder berichtet. Es wurde ihm gestattet, seine Familie zu sich zn nehmen und Besuche zu empfangen. Die hervorragendsten Gteister der Epoche haben damals die Schwelle dieses Gefangen- hauses überschritten, um Leigh Hunt ihre Hochschfttzung und ihre Teilnahme zu bezeugen: Shelley, Byron, Moore, Lamb und viele andere. Es knüpften oder festigten sich Freundschaftsbande, die dauernden Einfluß auf sein Leben ausüben sollten. Er hatte Bücher und Schreibutensilien zur Verfügung und sein Tag war mit Studien und lite- rarischer Arbeit ausgefüllt Seine bekanntesten Diditungen The Story of Rimini und The Descent of Liberty sind im Kerker entstanden. Mit einer Bosentapete, einem Flügel, Bücherschränken und Büsten verwandelte er das Gefängnis in eine Wohnstube, von der Charles Lamb behauptete, sie fände ihresgleichen nur im Märchen. Aus einem kleinen Hof wurde ein Garten geschaffen, in dem ein Apfelbaum „wirkliche und wahrhaftige Früchte" trug; und Leigh Hunt besaß den Humor, sich, wenn er in den Hof ging, wie zu einem langen Spaziergange auszurüsten und seiner Frau aufzutragen, nicht mit dem Mittagsbrot auf ihn zu warten, falls er sich verspäten sollte. „Die Phantasie ist der Schatz der Schätze", sagt er selbst in dem Gedichte Our Gottage, So täuschte er sich über die mancherlei nicht zu überkommenden Leiden der Haft hinweg, denn seine Gesundheit litt unter dem Mangel an Bewegung, seine Nerven unter den Bildern und Geräuschen des Gefangen- hauses. Selten hat sich die Sieghaftigkeit einer freund- lichen Gemütsart glänzender bewährt als hier, wo sie dem widrigsten Geschick den Stachel nahm und Schicksalsdunkel milde durchleuchtete. In Hunts Gedichtfragment Ä Heaven

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Der litenzische Essay. 31

f/g^on Barth (Himmel auf Erden) stimmen zwei Ehegatten tlberein, der Himmel auf Erden sei das Heim, das zwei Menschen, die einander wahrhaft angehören, sich gegen- seitig bereiten. In dem Eerkeridyll wnrde Leigh Hnnt eine Tochter geboren.

Den Exammer fflhrten die Brilder während der Haft fort Leigh teilte dem Pnbliknm in Zeitschriftartikeln nicht nur die Veranlassung seiner Gefangennahme mit, sondern machte es in seiner naiven, nicht immer takt- vollen Mitteilsamkeit auch zom Vertrauten seiner persön- lichen Erlebnisse intimer Art, wie seiner Bruderliebe, der Hingebung seiner Gattin, die den Kerker zum Paradies gestalte, seines schlechten Gesundheitszustandes, seiner mißlichen Gteldverhältnisse und dei^leichen mehr.

Am 8. Februar 1815 erfolgte die Enthaftung der Br&der. Als Patriot, Märtyrer und Dichter gefeiert, ver- ließ Leigh Hunt das Gefängnis. Es war ein Triumphzug und der Höhepunkt seines Lebens. Mit der politischen Periode, obzwar sie den weitaus kleineren Teil seines Lebens umfaßt, war die interessanteste und bedeutungs- vollste Zeit seines Daseins abgeschlossen. Die langen Jahre, die noch folgten, waren ein langsamer aber stetiger Niedergang. Das politische Interesse schwand allmählich aus seinem Horizonte. Er hatte niemals selbständige politische Grundsätze gehabt Seine allgemein kosmopolitische Be- geisterung war es, die ihn ins liberale Lager ffihrte. Einmal dort, hatte er es fflr Pflicht und Ehrensache gehalten, standhaft bei der Fahne zu bleiben. Ein prinzi- pieller Gegner der Regierung war Hunt so wenig, daß er nach Southeys Tode den Poet Laureate-Posten anstrebte und kein Bedenken trug, Gnadengeschenke von Wilhelm IV. und der Königin Victoria anzunehmen oder Gedichte

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32 Der liteTarisdie Essay.

auf die Geburt ihrer Kinder zu schreiben. In der Vorrede zu seiner Tragödie The Legend of Flarence bekennt er Öffentlich in warmen Worten seine Dank- barkeit für die ihm zuteil gewordene königliche Huld und bittet allen Hofpoeten der Vergangenheit and Zukunft frfihere Angriffe ab. Je alter er wird^ desto klarer sieht er ein, daß agressive Feindseligkeit gegen einzelne das Gesamtwohl nicht fördere. Seine Friedfertigkeit nimmt stetig zu. Nur noch ein einziges Mal flackert der pole- mische G^ist in ihm auf, als er in dem Tageblatt The Tattler (Der Plauderer), das er von 1880—1832 herausgab, gegen Regierung und Aristokratie, Könige und Prinzen loszieht. Doch nimmt er von dieser Gesamtheit Wilhelm IV^ „den Reformator^, und Louis Philippe, „den Philosophen^, aus. Hunt war in seinem Innersten keine Kampfnatur und so wenig nachträgerisch, daß er in seiner Selbst- biographie die Möglichkeit ins Auge fassen konnte, dem Prinzregenten, falls er ihm im Jenseits begegnen sollte, die Hand zu drücken und Worte des Bedauerns über das gegenseitige Mißverständnis zu tauschen.

Er war und blieb ein Gegner des Tor3rregimes, kein Gegner der Autorität an und für sich. Unter Tory-Grund- Sätzen aber verstand er die Überbleibsel eines veralteten königlichen und militärischen Despotismus, der sich zu Beginn seiner Laufbahn der naturgemäßen Entwicklung der Kultur im allgemeinen und der britischen Kon- stitution im besonderen entgegenstemmen wollte. Doch auch von den Whiggisten fühlte Hunt sich abgestoßen durch ihr Streben, das individuelle Urteil in konventionelle, für Parteiführer und ParteiangehOrige ausgeheckte Lehr- sätze zu zwingen Er war der Überzeugung, daß man in öffentlichen wie in Privatangelegenheiten, dem Gefühl

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Der fiteraiifidie Essay. 33

nnendlicli mehr Ehr€rbietang erweisen sollte, als dies gewölmlich geschehe. Die Demagogen verachtete er. Umstnrzideen hatte er niemals gehegt.

In seiner Vorrede zn Shelleys Mask ofAna/rchy betont er die Übereinstimmung seiner politischen Grundsätze mit denen Shelleys hinsichtlich der Überzeugung, daß nur der ruhige, gesetzmäßig vorbereitete unbeugsame Widerstand in Form einer protestierenden Majorität der Vielen gegen die Wenigen, der Arbeitenden und Leidenden gegen die verwöhnten Kinder der Vorrechte, der Menschheit gegen die Toryheit zum endlichen Siege ffthre. Doch selbst seine allgemeinen Freiheitsmaximen verloren sich mit den Jahren in konventionelle G-emeinplätze. Wenn ihm dennoch der in der Jugend erworbene Buf des Hyper- liberalismus zeitiebens anhaftete, so war dies gleichfalls nur eine Art angenommener Überlieferung, 0 die sich aus dem Umstände erklärt, daß seine ihn nunmehr ganz erffdlenden sozialen und humanitären Interessen tatsächlich mit radikaler Unbedingtheit dem Fortschritte huldigten. Er konnte sich nicht mit Goethes Behauptung einverstanden erklären, der wesentliche Punkt, auf den das Streben der Gesellschaft abzuzielen habe, sei nicht der Fortschritt im landläufigen Sinne des Wortes, sondern das sich Be- scheiden mit dem bestehenden Zustande, die zufriedene Arbeit eines jeden in seinem Berufe. Das bloße Vorhanden- sein der Hoffnung und des Strebens als zweier Tatsachen in der menschlichen Natur widerlege diese Ansicht Ein Mann in Goethes Lage, scherzte er, könnte den Leuten leicht empfehlen, mit der ihren zufrieden zu sein. Aber

*) A Few Bemarks on ihe Bare Vice eäHed Lymg (Men, Women, and Boois),

Qeschiehte der ensrlisclien Bomantik 11,1. 3

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84 Der literariBche Easaj.

in gewissen Fftllen bedeute Unzufriedenheit Überlegenheit 0 So trat er trotz seiner Ansicht, daß die Wahl durch ge- heime Abstimmung das mögliche Laster des Lfigens heraus- fordere, doch mit Wärme für sie ein, weil sie das erweiterte Wahlrecht und dieses das allgemeine zur Folge haben wfirde und das allgemeine eine allgemeine bessere Behandlung des Menschen durch seine Mitmenschen Nahrung für alle, Erziehung f&r alle und fflr keinen Monopole und somit keine Nötigung mehr zum Lügen. 2)

Leigh Hunts eigentliche Welt war nicht die Politik, sondern die Literatur, der er sich fortan ausschließlich widmete.

Poesie.

Leigh Hunts Sohn Thomton spricht seinem Vater jede Bef&higung für die exakte Wissenschaft ab.') Er habe die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie in ^inem Spiegel gesehen, zumal wie sie sich in Büchern spiegeln oder wie ein literarischer Kommentar sie malt Wie er nun im praktischen Leben des Sinnes für die Wirklichkeit ent- behrt, so fehlt auch seiner Dichtung gewissermaßen die Realit&t Jenes Hinwegsehen und sich Hinwegsetzen über Tatsächliches, das zum Teil die Liebenswürdigkeit seines Wesens ausmachte, bildet auch seine Schranke, im Leben wie in der Dichtung. Seine poetischen Gestalten sind nicht greifbar geschaut, sie packen nicht mit der Unmittelbarkeit des Konkreten. Seine poetischen Situationen und Gescheh- nisse machen mehr den Eindruck des Konstruierten als des unabweisbaren Erlebnisses. Wir vermissen in ihnen den

*) Vgl. Correspondence H, 3—6.

>) Tc^le Talk 169.

•) Auiobiography, Introduction IX, Kap. XV, 251.

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Dei literarische Essay. 35

kräftigen Pols des warmen Blntes. Sie scheinen nicht mit dem Herzblut ihres Dichters geschrieben.

Andererseits gehört Leigh Hnnt nicht in den Kreis jener Phantasiegewaltigen, jener Auserw&hlten des Geistes, die tber alles Positive hinwegsehen dfirfen. Er ist keiner jener Visionäre, deren gotterffillte Seele im Jenseits heimisch nnd anf Erden nur ein flüchtiger Gast ist. Was bei diesen ein Verschmähen bedeutet, wird bei ihm zur Oberflächlich- keit Denn sein heiteres, liebenswürdiges Gemüt wurzelt in dieser blumen- und domenerfflllten Welt, ihren Leiden nnd ihren Freuden.

Auch was die Erfindung anbelangt, verfügt seine Phantasie nicht über den großen, freien Wurf. Er lehnt sich gern an vorhandene GroiBe an. The Feast of (he Foets (Das Fest der Dichter) bezeichnet er selbst als Jeu cTesprif' nach Sir John Sucklings T%e Session of ihe Foets, während er sich in The Story of Bimini der Danteschen Vorlage gegenüber nicht abhängiger fühlt als Dryden in The Flower and tiie Leaf von Chaucer.i) Mehr oder minder mmatigejeux ffesprit konnten vielleicht alle seine Dichtungen genannnt werden, insofern eine gewisse Nüchternheit des Verstandes in ihnen vorherrscht und ein lehrhafter, erbau- licher oder satirischer Zweck häufig in sie verfiochten ist. Sie verraten den Journalisten, dessen Blick sich auf das Bedürfnis des Augenblickes richtet und die Poesie in den Dienst einer Tendenz stellt The Feast of ihe Foets (1814) Apoll versammelt nach langer Pause die englischen Dichter wieder einmal zu einem Fest ist eine kritische Sevue der zeitgenössischen Poeten, von einer zum Teil an Schmähsncht streifenden Strenge (gegen Scott, Byron, Words-

<) Autohiograpkyj IrUroduction IX, Kap. XY, 251.

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36 Der literaruche Essay.

worth, Coleridge), die Hont spftter selbst empfand und 1859 dorcli ein Nachwort zu mildem sachte^ in dem er dem englischen Parnaß der Gegenwart durch eine enthusiastische Wfirdigong seines Freondeskreises (Eeats, Shelley, Landor, Hazlitt) Gerechtigkeit widerfahren Ueß. ,,Der Geißler der Dichterlinge war selbst ein Dichterling^, bekennt er reu- mütig in der Selbstbiographie (Kap. Xn, 213).

Hunt verdarb es dadurch auf den ersten Wurf mit allen Parteien, indem er Dichter wie Kritiker, Anhftnger des alten französischen wie des neuen deutschen Geschmacks gleich scharf au& Korn nahm. Und da sowohl der Humor wie die Ironie des Fecist of the Foets sich nicht über die Mittelmäßigkeit erhob, war sein eigenes Werk durchaus nicht hieb- und stichfest.

Noch schwächer ist das Gegenstück des Feast of ihe Foets, The Blue Stocking Revel, or The Feast of ihe Violetts (Das Blaustrumpfgelage oder das Yeilchenfest), 1837. Bei dem Festmahl schongeistiger Frauen huschen aus jedem Gedeck ein paar Amoretten, die allen Damen veilchen- blaue Strümpfe überreichen und anlegen. Apoll belehrt die Schönen, daß Natürlichkeit, Liebe und Milde ihr Wahl- spruch sein solle. Ein erzwungener Humor, der durch wegwerfende Geringschätzung oder ironisches Lob wirken will, unterscheidet nicht zwischen Würde und Gecken- haftigkeit weiblicher Geistesbildung und schlägt der im allgemeinen von Hunt proklamierten Hochschätzung der Frauen nicht selten ins Gesicht

Leigh Hunts Absicht ist immer lauter, seine Meinung immer tadellos. Wenn er trotzdem häufig abgeschmackt wird, ist teils seine naive Weltfremdheit, teils ein Mangel an künstlerischem Takt daran schuld, die sich beide in

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Der literarische Essay. 37

den Wirknngen gewisser Motive oft yerrechnen. So will er in dem Maskenspiel The Descent of Liberty (Die Herab- knnft der Freiheit), 1815, die Oef&hle der Wonne und Hoffnung ansdrflcken, „welche jeden enthusiastischen Frei- heitsliebhaber beim Falle des großen Apostaten der Freiheit (Napoleon) bewegen müssen.'' Da jedoch der Leser des Politischen bald ftberdrflssig wfirde, sollten Phantasie und Einbildung in dem Werk überwiegen, um ihm durch seinen poetischen Wert dauernde Beliebtheit zu sichern.

Aber die vermeintlichen Phantasiegebilde sind in Wahrheit nur ein schellenlautes Opembrimborium und Hunts Freiheitsbegeisterung verhfillt sich so dicht in den Schein höfischer Schmeichelei, daß man hinter dem Werke eher einen Hof poeten LudwigsXIV. als den wegen Schmähung des Prinzregenten im Gefängnis sitzenden Hunt vermuten wurde. Die Freiheit, eine holdselige GHittin in Dianen- gestalt b^rttßt in einem Hirtental die Erde, nachdem sie den furchtbaren Zauberer Napoleon besiegt, der lange in einer Aber der Stadt gelagerten Wolke sein finsteres Handwerk gefibt Die Helfershelfer der Freiheit sind vier Nationalgenien, Prussia, Austria, Kussia, England, denen die Freiheit gute Lehren und herrliche Versprechungen gibt Auf solche Art glaubte Hunt die alte Gattung der Masken- spiele wieder zu erneuern, die er in einer langen Abhandlung Some Account of ihe Origin and Natura of Maske (Ein Bericht ftber den Ursprung und die Natur der Masken- spiele) gegen die Geringschätzung verteidigt, der sie mit Unrecht anheimgefallen. Tatsächlich holt er verstaubtesten Plunder der allegorischen Bumpelkammer hervor, dem vereinzelte Wertstücke von lyrischer Anmut und echtem Schwünge eingefugt sind, unvermOgend, den Wert des Ganzen in eine höhere Bangordnung zu heben.

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38 Der literarische Essay.

Ansprechender in kflnstlerischer Hinsicht nnd als Aosdrack eines politischen Bekenntnisses ist die Dichtung Captain Sword and Captain Fen. On (he Duty of Constder- ing the Horrors and (he Alleged Necessity of War (Haupt- mann Schwert und Hauptmann Feder. Über die Pflicht, die Gräuel und die vorgebliche Notwendigkeit des Krieges zu erwägen), 1835. Die Besorgnis, der zur Macht gelangte Torysmus könnte, wenn die Eampfbegeisterung sich gelegt, eine kriegerische Politik treiben wollen, hat das Gedicht eingegeben. Es will die Schrecken des Krieges und die Untauglichkeit des Machtbegriffes der Regierenden aufzeigen. Die Urbilder Swords sind Napoleon und Wellington, die Keprftsentanten des militärischen Torysmus. Die Weltreform, die Pen, der Weise und wahre Patriot, erstrebt, gemahnt an die in Laon and C!y(hna verkündete. Ihr gehört der endgültige Sieg. Captain Sword reitet als übermütiger Triumphator über das Schlachtfeld, über verblutende Krieger, die Mütter und Bräute daheim vergeblich erwarten. Aber schließlich unterliegt er dem Captain Pen. Worte von markiger Kraft und Bilder von konkreter Anschaulichkeit geben dieser Dichtung ein höheres Maß poetischer Aus- drucksfähigkeit, als es in der Regel bei Hunt der FaU ist

The Story of RinUni. The Fruits of a Parenfs False- hood (Die Geschichte von RiminL Die Früchte der Falschheit eines Vaters; 1812 begonnen, 1816 ver- öffentlicht, später noch gründlich umgearbeitet; deutsch von K. von Meerheimb, 1878), ist weniger ein- heitlich in der Qualität. Das eifrige Streben nach Lokal- kolorit und die Sorgsamkeit der Arbeit ersetzt den Mangel des WesentUchen nicht: Hunt hat zu Dante kein Verhältnis. Das wahre Verständnis für die GröAe

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Der literuuche Essay. 39

des Florentiners geht ihm abJ) In den Sir Percy Shelley ge^dmeten Stories from (he Italian Poets (Geschichten ans italienischen Dichtem), 1846, kommt er ttber den ,41^- grimmigen Egoismus der Leidenschaften Dantes nnd die eigentümliche Identifikation seines Wissens mit allem WissensmOglichen''^) nicht hinweg nnd verkennt fiber Dantes Mangel an Doldnng und Nachsicht seine in ihrer dttsteren Energie nicht minder tiefe Menschenliebe. In dem Aufsatz Social Morality (Men, Women, and Books^ wird Dante „großartig nnansstehlich^ genannt nnd seine Persönlichkeit durch die Voraussetzung erklärt^ daß seine Natur der Verbindung schlecht gepaarter Ahnen entsprungen seL Seine Großeltern mttßten ein Elf und eine Schlumpe oder Furie gewesen sein.

Mit dem echten Verständnis mangelt Hunt naturgem&ß auch die Ehrfurcht vor dem göttlichen Dichter. Die Stories, ein Buch, das den Engländern die Kenntnis italienischer Poesie vermitteln will, gibt ein ziemlich entstelltes Bild ihres größten Genius und die Prosa-Inhaltsauszftge der HöUe, des Fegefeuers und des Paradieses können kaum als Wiedergabe der Göttlichen Komödie gelten.

In The Story oflümini kennzeichnet schon der Unter- titel den moralisierenden Standpunkt, den Hunt zu seinem Thema einnimmt. Die Verantwortung fflr alles Unheil und Verbrechen trägt Francescas Vater, der verräterische Graf Giovanni von Ravenna, der seine Tochter in dem Wahne läßt» Paolo, der Brautwerber für den eigenen Bruder, den Fürsten

>) Monkhonse (112) gibt eine Übenetasnngsprobe als Maßstab der Xhift, die Hunt von Dante trenne. In seiner „Übertragung der Paolo- Francesca-i^iBode in der Fonn des Oiiginals*' steht fOr tuUo tremendo äü m a tremNe.

*) PrefaeeXL

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40 Der literarigche Essay.

von Riinini, sei der ihr zngedachte Gatte. Mit dem pmnk- voUen Einzng des jungen Helden Paolo an einem prächtigen Aprilmorgen hebt die Dichtung an^ mit dem Leichenkondokt der in einem Sarge vereinten Liebenden schließt sie. Schilderungen wie die Lichtgestalt Paolos oder der Ritt des Liebespaares durch die vom Glanz der untergehenden Sonne durchflutete Pineta liegen Hunt am besten. Dürrer wird die Zeichnung^ wo komplizierte Zttge wiederzugeben wären, wie in der Gestalt des finsteren, kalten Giovanni von RiminL Doch ist auch er nicht vOllig ohne Tugend. Wer wäre es? fragt Leigh Hunt in einem charakteristischen Beiseite (Eap. m). Hunt besitzt eine verhängnisvolle Gabe, poetische Vorgänge in die Sphäre des Alltags herabzudrücken. Kaum eine Seite, die nicht durch eine Plattheit, durch etwas, was kein Dichter drucken läfit^ entstellt wäre. Paolo klopft an Francescas Tür mit der Frage: „Darf ich hinein kommen?" Und die Antwort lautet: „0 ja, gewiß!" i)

The Story of lümini erregte bei ihrem Erscheinen großes Aufsehen. Byron, dem sie gewidmet war, erklärte sie für verteufelt gut, ja er lobte sogar ihre Originalität und ihren Italianismus, ^ fand aber dennoch schon damals „etliche Vulgaritäten" darin, die späterhin, als seine Stimmung gegen Hunt weniger freundlich wurde, mehr und mehr in den Vordergrund traten. 3)

Hazlitt rühmte die Eleganz und Natürlichkeit im dritten Gesänge. Aber neben den enthusiastischen Urteilen kamen ausfällige, den Vorwurf der Unsittlichkeit auf den Schild hebende Kritiken. Die Quarterly Beview und

1) Vgl. Oliver Elton, Sttrvey of English Liieratwe n, 225. s) Briefe an Hant vom 30. Oktober 1815 nnd 29. Februar 1816. ") Vgl. Byrons zweiten Brief an Bowles, 21. M&rz 1821.

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Der Mterariflche Eesay. 41

Blackwood Magousine gingen darin voran. In Wahrheit war die Untrfistang so unverdient wie das gewaltige Aufsehen. Allmählich mufite Hunt einsehen^ daß man nicht gut daran tut, an einen Gegenstand zu rfthren, der von Meisterhand sein endgUtiges Gepr&ge erhalten, und von Weihe und Ehrfurcht umflossen ist Das furchtbare Schicksal von Dantes Liebenden war unter seiner Hand zu dem klein- lichen f^ormat einer Alltagsliebschaft eingeschrumpft Er hatte durch die Beibringung von Entschuldigungen und Milderungsumstftnden die erschflttemde Tragik unabänder- licher Impulse, die ein Fatum bedeuten, ihrer Majest&t entkleidet

Unter den mehrfachen Bearbeitungen, die Hunt vor- nahm, ist das Fragment Corso and Emilia (1814) der endgültigen Fassung durch feinere Analyse der Gemüts- stinmiungen aberlegen. Emilia verrät, wie Byrons ein Jahr später entstandene Parüina (1815), ihre Liebe im Schlafe. Der Gatte Lorenzo tStet seinen Bruder Corso im ritterlichen Zweikampfe. Emilia stirbt an der Todes- nachricht

Eine fast ebensolche Herabdr&ckung des Themas wie The Story of Bimini bedeutet Hunts Bearbeitung der Hero und Leandersage, die auf den Ton eines gelungenen und eines mißgl&ckten Stelldicheins gestimmt wird {Hero and Leander and Bacchus and Ariadne 1819, ohne Anlehnung an die Schillersche Version). Aus dem Durchschnittsniveau der Banalitäten und Gemeinplätze ragen nur vereinzelte Stellen hervor, in denen der Pulsschlag echter Poesie sich fühlbar machte z. B. die mit Leanders Todesschwimmen verbundene Naturschilderung.

Hunt hat eine Vorliebe fttr alte Sagen oder Dichtungen, aber den leidigen Trieb, sie zu „verbessern", indem er sie

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42 Der iiterariflche Essay.

in schulmeisterlicher Haltang nach dem modernen Empfinden korrigiert Darüber geht in der Regel ihre urwüchsige Schönheit) ihr naiver Zauber verloren. In The GenÜe Armour (Die zarte Rüstung) 1831, legt er das FabUau von dem Ritter zugrunde, der, auf Geheiß seiner Dame statt mit der Rüstung mit ihrem Hemde bekleidet kämpft, und siegt Im Fabliau erfüllt die Dame darauf die Gegenbedingung, im „Siegergewande des Ritters'' an der Tafel ihres Gatten zu erscheinen. Vor dieser „Roheit'' scheut sich Leigh Hunt und l&ßt die Dame statt dessen den Verwundeten pflegen und sich vor ihm, dessen angetraute Ehegattin sie wird, demütigen. Eitelkeit und Prüderie erhalten eine scharfe Büge.

1823 unternahm er Modernisierungen der Canterbury Tales j um das Publikum zur Lektüre des Originals an- zuregen. Aber der guten Absicht entsprach auch hier keineswegs die Ausführung.

The Ghve and the Lion (Der Handschuh und der Löwe), den Historical Essays upon PariSy translated fram (he French of M. de Saint-Foix, entnommen Schillers HandschtA wird zu einer schwerfälligen Erzählung, die in eine dürre Moral ausläuft: Nicht die Liebe, sondern die Eitelkeit stellt der Liebe eine solche Aufgabe. Dasselbe Schicksal hat das als Verherrlichung des Naturtriebes gedachte, dem Leben des heiligen Apollonius von Tyana entnommene Gedicht The Fanther (Der Panther) 1818:

Was hat den Panther in Haft gebracht? Der Luxus, Spezereien und Pracht Und was hat den Panther frei gemacht? Die Liebe, die Liebe war's! Sonst keine Macht.

Auch seiner Godiva ergeht es nicht besser. Die nackend auszieht , die Nackenden zu kleiden, ist die moderne Eva.

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Der literarische Eaaay. 48

Der moraliBierende Ton lag keineswegs in Hunts Absicht In einer Vorrede znr Story of Bimini sagt er: „Ich gestehe, daß ich nicht aQSSchliefiUchy ja nicht haapt- sftchlich znm Zweck der Moral schreiba Ich schreibe zn meinem Yergnfigen. Aber ich habe allm&hlich gelernt, auch for andere zn schreiben, und meine poetischen Ziele fallen glficklicherweise mit meinen moralischen Theorien zu- sammen.''^ Er ahnte nicht, wie sehr sein Werk hinter der Absicht znrfickblieb. Er sagte von seinen Bflchem, sie wollten niemals etwas anderes sein als Singvögel unter Bäumen.*) Und gerade das sind sie am wenigsten, am seltensten.

Unter den erzählenden Gedichten kommt The Palfreyy Ä Love Story of Old Times (Der Zelter. Eine Liebes- geschichte aus alter Zeit), 1842, dem schlichten, knappen Volkston am nächsten, den der Gegenstand erheischt Es ist ein Fabliau des Huon le Boi aus Le Grands Übersetzung der PoHes Frangais du 11% 1», 13*, U* et 15* siede, 1808.

Infolge der geglückten Nachbildung des altenglischen Balladen- und Bomanzentones wird hier auch die Ver- legung des Schauplatzes von der Champagne an den Hof Eduard L in Eensington nicht als Mißgriff empfunden.

In der Gedichtsanmilung Foliage (Laub), 1818, ragen die Sonette hervor; unter ihnen das To (he Nile (An den Nil), womit Hunt in einem Wettkampfe mit Shelley und Eeats Sieger blieb ; To ihe Grasshopper and the Crieket (An die Heuschrecke und die GriUe), in denen ein feines Naturverständnis zum Ausdruck kommt und etliche, in denen er sein geliebtes Hampstead in jeder Jahres-

») Poet. Works, 1819 m, 18. «) SymoM XIV.

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44 Der literarische Essay.

zeit und Stunmong yerherrUcht Seine Gfedichte an Gattin nnd Kinder heben herzliche Familiengeffihle in keine höhere Sphäre, aber seine Episteln an die Frennde Byron, Moore, Hazlitt, Lamb geben in behaglichem Planderton scharf beobachtete Charakteristiken der Empfänger. In Hnnts Lyrik gibt es nnr eine Perle, ein Gedicht, das ans einem Gnfl, yorzfigUch vom Anfang bis znm Ende, anch die verdiente Yolkstflmlichkeit gefanden, das schlicht innige Abu Ben Adhem. Hier gelingt ihm jenes vollkommene Aufgehen des Gedankens oder der Empfindung in der Anschauung und beider in der Form, die das vollendete Kunstwerk ausmachen.

Als YerskfinsÜer ragt Hunt nicht hervor. Er ver- wendet in der Regel heroische oder kfirzere jambische und trochüsche Seimpaare und vermeidet kompliziertere Vers- maße — auch hierin den Beweis erbringend, daß die Poesie nicht seine natürliche Sprache ist

Dennoch hat er, unendlich fleißig und unendlich optimistisch, kaum eine Gattung der Poesie unversucht gelassen. Seine Tragödie in Blankversen A Legend of Florence (Eine Florentiner Legende), 1840, wurde in Covent- garden und vor der Königin in Windsor au^ef&hrt Hunt, bis in seine alten Tage ein Gemüt von kindlicher Empfäng- lichkeit, konnte sich an Dankesäußerungen gegen Publikum und Künstler nicht genug tun. Das unter dem Pontiflkat Leo X. spielende Drama ist einer Erzählung des Osservatore Fiorentino entnommen, die mit einer an die Via della Morte geknüpften alten Sage übereinstimmt. Eine im Starrkrampf Begrabene und Wiedererstandene sollte die Straße in ihren Totengewändem durchschritten haben. Leigh Hunt verlegt diesen grellen Vorfall in den Zwischenakt und bringt die Wiederkehr aus dem Jenseits weder als

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Der liter&riiche Esny. 45

groseligen Effekt noch als tieferes Symbol zur Geltung. Seine Legend of Florence hält sich durchweg auf dem Niyean eines bürgerlichen Liebesdramas. Die engelhafte Gineyra steht zwischen dem bmtalen Gatten Agolanti und dem ihr in hingebungsvoller, entsagnngsstarker liebe zugetanen edlen BondinellL Der aus dem Grabe ZurAckkehrenden verschliefit Agolanti in abergläubischer Furcht die Tflr. Bondinelli ermöglicht ihr in einem Idyll Yoll paradiesisch reiner und fBrsorgender liebe ein neues Leben. Madonna Ginevra fAhlt ihre Ehe durch den Schiedsspruch des Himmels gelOst und ist willens, sich dem Jug^endgeliebten zu verbindea Da wird, um alle Skrupel zu vernichten, Agolanti von Colonna erschlagen und der Schluß eröffnet stillschweigend die Perspektive einer glfickUchen Vei*einigung der am Morde nicht beteiligten Liebenden. Die schattenhaft, ohne körperliche Rundung gezeichneten Gestalten entbehren der Individualität Ihre Tagend wie ihre Leidenschaft ist Schablone. Man spricht viel zum Teil in einem vorzfiglichen und brillanten Dialog und handelt wenig. Die fünf Akte rollen sich in konventioneller Grandezza ab, ohne dramatisches Leben.

Das Lustspiel in Blankversen Lovers' Amaeement (Liebes- wirren), 0 am 28. Januar 1858 im Lyceum aufgeführt, be- handelt die verwickelten Liebesschicksale zweier Paare. Die kluge Luise La Motte gewinnt den Liebsten zurück, der sich ihr während seiner Soldatenlaufbahn entfremdet hat und macht aus einer Rivalin eine Freundin, indem sie auch deren Geschick glücklich entwirrt Die heiteren

') Enthalteil in der amerUcanischen Ausgabe yon Hnnts Werken, herausgegeben yon S. Andrews Lee, Boston 1866.

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46 Der litenuiflche Essay.

Vorgänge spielen sich ohne sch&rfere Charakteristik des Ortes oder der Personen ab. Was ans Urnen erhellt, ist die Lehre, daß Ehrlichkeit über Koketterie nnd echte Neigung über Galanterie den Sieg davontragt. 0

Als Bomanschriftsteller hat sich Hunt nur ein einziges Mal versncht

Sir Balph Esher, or Ädventures of a OenÜeman of ihe Court of Charles IL (Abenteuer eines Edelmanns vom Hofe Karls n.), 1832 (dritte Auflage 1836), ist eine Selbst- biographie, in die lebendige Zeitbilder und Milieu- schilderungen von gutem Kolorit verwebt sind: das Hof- treiben, dessen Faden Neil 6wyn in der Hand hat, Sch&ferspiele und Bacchanalien, Kriege zu Land und zur See, Katholikenmartyrien. Auch an tttchtigen Portrait- studien der gewaltige Protektor und seine ehrwürdig schlichte Mutter fehlt es nicht

Schließlich hat sich Hunt als Übersetzer betätigt in zwei Übertragungen aus dem Italienischen: Amyntas, a Tale of the Woods from ihe Italian of Torqimto Tasso (Amyntas, eine Walderzählung, aus dem Italienischen)

0 Handschriften dreier Dramen, die Hnnt in seiner Selbst- biographie erwähnt, aber nicht ram Druck brachte, wurden 1911 von dem Buchhändler und Schriftsteller Bertram Dobell in London feUgeboten. Der Zweiakter The Double (Der Doppelgänger), die Dramatisierung der italienischen Novelle vom Fischer, der kraft seiner Ähnlichkeit mit einem im Bade ertrunkenen Edelmann dessen Stelle usurpiert In der Selbstbio^aphie erzählt Hunt, daß er, um den Vorgang glaubwürdiger SU machen, den Fischer in einen Schauspieler verwanddt habe. The Secret Marriage (Die heimliche Ehe) behandelte die heimliche Ver- mählung eines EOnigs Ton Novarra mit einer nicht Ebenbürtigen (Ines de Castro). Es war ursprünglich als Trauerspiel geschiieben, wurde jedoch von Hunt auf den Bat der Schauspieler nachträglich mit einem guten Ausgang bedacht Aber audi dies verhalf dem Drama am keiner Aufführung. Boderigo de Bivar, eine fttnfaktige CidtragOdie, fand Hunt selbst für die Bühne ungeeignet und zog sie vor der Aufführung snirüclL

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Der litenrische Essaj. 47

1820, Eeats gewidmet, in dessen ScUcksal Hnnt eine Parallele mit dem Tassos sah, „dem es gleichfalls beschieden war, Yon den Kritikern gemartert nnd yon den Poetischen bewundert zn werden";*) nnd Bacchus in Tuscany. A Dithfframbic Poem fram the Italian of Francesco Bedi (1825), die Übertragung eines vom echtesten Florentiner Gfeist durchtränkten Bacchanals in unregelmäBigen Versen, die bald von vorzfiglicher Leichtigkeit^ bald schleppend in Rhythmus und Inhalt, angesichts der ungeheuren Schwierig- keit, die es zu bewUtigen galt, im ganzen einen rfthmlichen Platz in der Übersetzungsliteratur behaupten, wenn sie auch den Vergleich mit der spr&henden Laune nicht aus- halten, Yon der Byrons Boiardo-Stanzen erfallt sind. Das Schweben zwischen Ernst und Scherz, die Vermengung von Trayestie und Panegyrikus entzfickte Hunt an ßedi. Er mochte ffihlen, was der Italiener yor ihm selbst voraus hatte: Er konnte die graziöse Heiterkeit seiner Seele objektivieren und in Verse bannen, lebendig, wie sie ihn durchströmte.

Prosa.

Im großen und ganzen ist Leigh Hunts Prosa unendlich poetischer als seine Gedichte. In ihr finden sich zahlreiche Beispiele tadelloser, durchaus gelungener, geschlossener kleiner Kunstwerke von liebenswürdiger Anspruchslosigkeit. Sie schätzten sich als Beiträge fOr Hunts zahlreiche Zeit- schriften nicht höher denn Tagesware ein und besitzen dennoch ihren dauernderen Wert.

Der Examiner existierte als liberales Blatt bis 1822. John wurde noch einmal verhaftet, Leigh trat aus, ein

') Leigh Hunts Übersetznog wurde dramatisiert und von Heniy Qndsby in Musik gesetzt.

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48 Der litenuisdie Essay.

Neffe, Henry Hunt, der die Redaktion übernahm, war ihr nicht gewachsen.

Die literarisch-politische Vierteljahrsschrift, The Be- flector (Der Spiegel), die die Brttder 1810 nnter der Mit- arbeiterschaft Lambs gegründet hatten, war nach vier Nummern wieder eingegangen. 1819 gründete Leigh Hnnt eine belletristische Wochenschrift The Indicatar (Der Honigknckok; Bd.I 1820, Bd. n 1822). Der gesuchte Titel war einem Vogel entlehnt^ der die Menschen auf die Spur des wilden Honigs weisen soll. Die Zeitschrift fristete ihr Leben durch 76 Wochen und Leigh Hunt veröffentlichte in ihr mehrere seiner besten und charakteristischsten Essays. Bereits 1817 waren die im JExaminer erschienenen Au&ätze von Hunt und Hazlitt in zwei Binden gesammelt erschienen, unter dem Namen The Round Table (Die Tafelrunde). Die des Indicatar erschienen 1834 als The Indicatar and the Campanion.

Diese Aufsätze sind ebenso verschieden an Wert wie an Inhalt. Manche leer und nichtssagend wie Schulaufs&tze halbwüchsiger Jungen, manche geschmacklos und schleuder- haft; die besten derart, daß Hunt sich mit ihnen unter die eigenartigsten Prosaisten seiner Zeit reiht. Bulwer sagt 1867, er kenne kein angenehmeres Buch.^) Nathaniel Hawthome findet in Hunts „entzückendem Prosastil die ungemessene Poesie, den undefinierbaren glücklichen Griff, der kraft eines Lebensprozesses wie das Wachstum des Grases und der Blumen milde Wunder wirkte." 2)

Hunts Stil besitzt den Zauber und mitunter auch die Nachlässigkeit des gesprochenen Wortes. Er zielt nicht

0 Qwxrterly Beview, vol. 22. •) Our Old Home H, 475.

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Der literarisehe Essaj. 49

auf klassische Beinheit und klassische Form ab. Es finden sich Sätze bis zu zwanzig DruckzeUen, idiomatische nnd rein persönliche, selbst geprägte Ausdrücke nnd Wendungen. Aber eben diese bis zur Willkür gesteigerte Eigenart bedeutet einen fesselnden Beiz, ja eine Bereicherung der englischen Prosa. Elizabeth Barrett, eine warme Bewnnderin Hunts, sagt: Komposition ist kein Wort für ihn. Wir könnten es ebensogut yon einem Vogel brauchea Er ist nicht ohne künstlerisches Gewissen, nur liegt ihm der Plan weniger am Herzen als Freude und Schönheit Sagt er Neues, so bringt er es in treffender Form; sagt er Altes, so sagt er es auf neue Art^

Als Prosaist besteht Hunt die Goldprobe des Talentes: er ist originell. Er spricht seine eigene Sprache. Der Inhalt kommt dabei kaum in Betracht. Oder viehnehr, es gibt schlechterdings nichts im weiten Umkreise des Alls, was ihm für literarische Behandlung unpassend schiene. 1821 widmet er der Beschreibung der Monate, ihren Namen, ihren Freuden und ihrem Nutzen ein ganzes Buch {The Monika. Description of ihe Successive Beauties of the Year. Die Monate. Schilderung der Aufeinanderfolge der Schönheiten des Jahres). Es geht inhaltlich nicht über derartige Ealenderaufsätze hinaus, denen es an zierlicher Darstellung dennoch weit überlegen ist.

In dem Essay Ä Staue (Ein Stein, Leigh Hunfs London Journal) geht er von der Beschreibung eines Kieselsteines aus und schlägt schliefilich aus ihm Funken echter Beflexion und wahren Interesses. Ja, fast in der Mehrzahl der Aufsätze ist das Thema yon einer Nichtigkeit^ für die der heutige Zeitungsleser naive Harmlosigkeit und behagliche Muße

>) A New Spirü of {he Äge, edit. by R. H. Hörne 1844, 1, 818. Oesefaichte der eitflischen Bomantik H, l. 4

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50 Der literarische Essay.

kanm mehr aofbräclite. Aber die OescMcklichkeit, einen solchen gleichgUtigen Gegenstand (z. B. Getting up an Cold Moffiings. Das AüMehenan kalten Morgen) nach allen Seiten hin so scharf abzuschleifen und vielfach zu f aszetieren, daß das Gleichgiltige uns in geistreichem und interessantem Gefnnkel fesselt, steigert sich zur Meisterschaft Mit der anmuts- und hnmoryollen Behendigkeit des Taschenspielers fflhrt er uns das Thema yon allen Seiten vor und gaukelt über seinen wirklichen Wert oder Unwert hinweg. Sehr bezeichnend sagt Leigh Hunt: „Den trockenen Dingen wohnt eine Seele von Humor inne.^^)

Bald pinselt er ein Portr&t mit der miniaturartigen Gewissenhaftigkeit eines Denner heraus (The Old CrenÜe- man. Der alte Herr; Seamen on Shore. Matrosen auf Land; The Maid Servant Die Dienstmagd; The Old Lady. Die alte Dame). Nichtsinteressantes, nichtsMerkwflrdiges, altmodische Manier, aber yon flberzeugender Charakteristik und photo- graphischer Naturechtheit Bald zeichnet er mit liebevollstem Eingehen in jedes Detail ein Genrebild Coaches (Kutschen). Die Kutsche schießt mit unsäglicher Geringschätzung an dem armen alten Rumpelkasten des Mietwagens vorbei Sie rollt leicht, rasch und doch behäbig; innen ganz voller Kissen und voll Behagen, außen von eleganter Farbe. Der Anstrich glänzt in der Sonne. Die Pferde in ihrem funkelnden Geschirr scheinen stolz, sie zu ziehen. Gefleckte Hunde umspringen sie bellend. Die Fransen der Kutsch- bockdecke bewegen sich. Auf dem Bocke sitzt der Kutscher mit der stattlichen Perficke reglos. Kaum daß sein Arm sich ein wenig bewegt. In stolzer Gelassenheit hält der Diener hinten die Strippen und pendelt auf den Sprung-

*) A Word upon Indexes (Indicatar and Companion n, 116).

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Der literarasche Eisay. 51

fedeni nach rechts und links, indem sein Blick zwischen Dreimaster nnd Halstuch nach der Seite schielt Die Insassen schaukehi yor- nnd rftckwärts, voll Verachtung fttr alles nicht so Bequeme. Plötzlich stößt die Kutsche an den Bftrgeisteig und hUt mit herrischer Entschiedenheit. Schon ist der Bediente unten. Der Tflrklopfer erdröhnt im ent* legensten Winkel des Gebäudes. Haustür und Wagenschlag werden aufgerissen. Man steigt aus, indem man einen Blick voll Selbstyerständlichkeit über die angesammelten Zu- schauer gleiten läßt. Als der Fuß das Pflaster berührt, schnellt die Kutsche, erleichtert yon dem Gewicht der be- deutenden Persönlichkeit, die sie getragen, aus ihrer seit* liehen Neigung empor, indem sie gleichsam nach Atem schnaubt und sich schüttelt^ wie die Pferde ihre stolzen Köpfe schütteln.

Ein andermal zergliedert Hunt mit gleicher Genauig- keit einen momentanen Zustand wie das Einschlafen Few Thaughts on Sleep, Einige Gedanken über den Schlaf). Behagliche Wärme. Die Glieder lösen sicL Eine milde Abstumpfung beschleicht den Müden. Die Lider senken sich. Der geheimnisTolle Geist beginnt seine Bunde durch die Luft

Ja, Hunts Feder wagt das Equilibristenkunststück, den Augenblick festzuhalten, und es gelingt Now. Bescription ofaHotDay. Ein Jetzt. Schilderung eines heißen Tages) drei und eine halbe Seite über die Hitze eines schwülen Sommertages. Jeder Satz hebt mit „jetzt^ an und jeder ist ein prägnantes kleines Momentbildchen für sich, das Ganze kein Kunstwerk aber ein Yirtuosenstück yon blendender Boutine.

Bald greift Hunt konkreteste Dinge des täglichen Lebens heraus^ wie On Sticka (Über Stöcke); A Chapter on Hots (Ein

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52 Der liierarisdie Ssmj.

Kapitel fiber Hflte); Beds and Bedrooms (Betten und Schlaf- zünmer); bald handelt es sich um Dinge der Phantasie, wie die Spukgeschichte Ä Tale for a Chimney Camer (Eine Geschichte fttr die Eaminecke) oder On (he BealiUes of Imagination (Über die Bealit&t von Einbildungen), Thoughts and Quesses on Human Naiure (Gedanken und Vermutungen fiber die menschliche Natur). Bald gestattet er sich journalistische Scherze wie Social Oenealogy; bald bietet er kleine Er- zählungen, mitunter yerschollene Schätze der alten Literatur in zarter Wiedergabe, z. B. The Fair Revenge (Artige Badie); bald gefällt er sich in derbem Humor, der, echt englisch, darum heute noch ffir klassisch gilt, z.B. On iheOraces andAnxieties of Big Driving (Über die Yorzfige und Ängstlichkeiten des Schweinetreibens); bald wird er schwermfitig, z.B. Beafhs of Utile ChOdren (Der Tod kleiner Kinder). Er schreibt diesen Aufsatz angesichts des Grabes seiner Mutter, „eines unaussprechlich teuren Wesens''. Durchs Fenster sieht er die Bäume auf dem Grabe, die grfinen Felder, die es umgeben, die Wolken, die darfiber hinziehen. Frfihlings- winde sti-eichen yorfiber und mahnen an den fernen Ozean, dessen das Herz, das hier unten ruht, so oft gedacht. Aber das Grab ist fflr Hunt kein Anlaß zur Trauer. Im Gegenteil. Es knfipft die Freuden seiner Kindheit an die seines Mannesalters, es ffillt die Lfifte mit linder Zärt- lichkeit. Es eint Himmel und Erde, Sterblichkeit und Unsterblichkeit

Hunt besitzt die beiden grundlegenden Eigenschaften des Humoristen: einen feinen Natursinn und warme Menschenliebe. Ausschnitte aus dem Tier- und Pflanzen- leben geraten ihm in zierlicher Anmut (On Seeing a Pigeon make Love. Bei dem Liebesgetändel einer Taube). Das London Journal brachte allwöchentlich Artikel Aber

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Der Hteruische Essay. 53

die Blumen und Ybgel der jeweiligen Jahreszeit Hunts eingehende Beobachtung kleinster Lebewesen ist ein Er- gebnis jenes „liebenden Genius^, mit dem ihn, n»ch einem schönen Worte Elizabeth Brownings, die Natur bedachte.

In einem Briefe an Charles Ollier (7. Mai 1844) findet sich folgende Parenthese: „Eben trinkt ein Spinnchen ans einem Wassertropfen, der von einer Blume, die ich aus dem Glase nahm, auf meinen Bogen gefallen. Er war größer als sie. Sie hat ihn yerschlungen und begibt sich nun, sichtbar erfrischt, auf mein Löschpapier. Es ist etwas so Seltenes, eine Spinne an einem lieblichen Werke zu sehen, daß ich es angemessen fand, Ihnen dayon zu erzählen. Ich habe jedoch einmal eine Mutterspinne ge- sehen, die augenscheinlich mit ihrem Jungen spielte. Es lief Yon ihr weg und zu ihr hin, wie die Efttzchen es mit der Katze zu tun pflegen.'' und etwas weiter folgt die beruhigende Mitteilung: „Die Spinne hat sich unter die auf- gerollte Ecke des Löschblattes begeben und scheint dort nach ihrem Biatentrank eingeschlafen zu sein.^

Eine unyerwtkstliche Freudigkeit und Zuversicht ist das Grundelement yon Hunts Wesen. Sie duldet keine dauernden Schatten. Leben und Heiterkeit überwiegen in der Welt Der Tod ist kurz, das Leid flüchtig, Schönheit und Ordnung dagegen allgemein, uneingeschränkt, ewig (The Sun. Die Sonne [Table Talk]).

Freudigkeit yerbreiten ist die Aufgabe, die ihm yor allem am Herzen liegt „Freude ist die Sache dieser Zeitung^, heifit es in der Anzeige yon Leigh Hunfs London Journal. „Wir beginnen gern mit diesem Worte. Es ist, als beg&nne man den Tag mit Sonnenschein im Zimmer.'' und in der 23. Nummer kommt er nochmals auf diese Absicht zurück, die er mit Genugtuung erreicht zu

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54 Der Uterarische Essay.

haben glaubt, „die AbsicM mehr Sonnenschein in die Ge- fühle unserer Landslente zn bringen, mehr guten Willen und gute Laune, mehr Freude aneinander und an den Dingen zu haben.'' Das Motto dieser Wochenschrift lautete: „Den Fragenden beistehen, die Klagenden ermutigen, mit Allen fühlend

In dem Aufeatz The Wishing Cap (Das Wunschhütlein) in den Wishing Cap Papers, 1847), einem seiner anmutigsten und liebenswürdigsten, stehen die charakteristischen Worte: „Ich für mein Teil muß, bis ich sterbe, trachten, die Welt ein wenig weiter in den Sonnenschein zu rücken. Meine St&rke liegt in meiner Lichtkraft.'' Zum Motto des Indicator w&hlt er das Wort Spencers: „Eine Unze Süßes wiegt ein Pfund Saures aul" Als er 1847 zum größten Teil in der Jugend geschriebene Aufsätze zu der Sammlung Jfen, TFbmen, and Books (Männer, Frauen und Bücher) vereint, sagt er im Vor- wort, er habe jene heiteren, hoffnungsvollen Ansichten, deren Verbreitung ihn nun fast dreißig Jahre beschäftige, um kein Iota gedämpft) denn wenn etwas ihn für die Unzulänglich- keiten des Lebens wie der Schriftstellerei getröstet, sei es nicht das Bewußtsein der Beständigkeit in seinen Ansichten das könnte Bigotterie sein; nicht der Triumph seiner politischen Meinung das könnte Zufall sein; selbst nicht der Gedanke, Feindseligkeit und Mißdeutung überdauert zu haben obgleich ihm das Wohlwollen großmütiger, bekehrter Feinde unsäglich teuer sei sondern das Bewußtsein, daß er sein Bestes getan, jenen Glauben an das Gute an- zuempfehlen, jene Freudigkeit des Strebens, jene Empfäng- lichkeit für die Schönheit des Alls, jene brüderliche Nachsicht für Irrtümer und Umstände, jenes Vertrauen in die glückliche Bestimmung des ganzen Menschengeschlechts, kurz das, was ihm nicht nur das gesündeste und lebendigste

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Der literarische Essay. 55

Prinzip des Handelns dünke, sondern die einzig wahrhaft fromme Huldigung für Ihn, der uns alle geschaffen.

In der Vorrede der Essaysammlung The Beer (Der Seher), 1840, sagt er: „Je länger wir in dieser schönen Welt des Überflusses etwas mit dem Wunsche betrachten, daB es uns gefallen mSchte, desto mehr wird es uns durch den liebenden Gteist des Weltalls mit Entdeckungen gelohnt werden, welche nur dieses Wunsches harren."

Freude und Erhebung erklärt Hunt fttr den Zweck der Poesie, die Poesie selbst für den kräftigsten Beweis der Liebe und Schönheit, die in allen Dingen zu finden seien, i) Die kleinsten Zfige der Natur beobachten, heißt den Schatz unserer Freuden bereichern. Die einfache Tatsache des Umsichblickens trägt bereits ihren Lohn in sich (Watch- men. Wachmänner [Indieator and Companion]). Wie es im weiten All nichts gibt, das ihn der Betrachtung unwert dfinkt, so ist ihm auch kein Sprung zu jäh. „Ich kann von der Lektüre eines Humeschen Essays zu der Ton Tausend und einer Nadit übergehen und ich glaube, je länger ich lebe, desto inniger wird die Vereinigung beider Leidenschaften (für das Reale und Ideale) in mir", sagt er in Fietion and Matter ofFact (Phantasie und Wirklichkeit [Jlfe»i, Warnen, and BooksJ).

Eine besondere Gruppe bilden unter Hunts Aufsätzen diejenigen, die der Geschichte und Topographie Londons gewidmet sind. Sie entstanden aus einem Monatssupplement des London Journal: TJ^ Streets of London (Londons Straßen) und wurden Sfpäter zu einem Buche, The Toum. Its Memorahle C^aracters and Events (Die Stadt Ihre denkwürdigen Persönlichkeiten und Ereignisse), 1848, yereinigt. Eine

1) Imoffinaiion and Fancy, Preface 5.

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56 Der üterarische Sssay.

andere Reihe solcher Artikel, die einen Spaziergang dnrch Eensington schildern and 1853 1854 in Dickens' House- hold Words erschienen, gaben, gesammelt (1855) den pr&chtigen Band The Old Court Suburb (Das alte Hof- viertel), ein Bach wie es jede Stadt mit einer reichen Vergangenheit besitzen sollte. Noch ein drittes, etwas matteres Werk gleichen Inhalts erschien 1861: Ä Saunier ihrough the West End (Spaziergang dnrch das Westende).

Sie geben miteinander einen Ideal-Baedecker yon London. Kein Gäßchen, kein Winkel, kein Stein der z&rtlich geliebten Vaterstadt ist Hant fremd, keine historische, Uterarische oder sagenhafte Erinnerang entgeht ihm. Aber noch wichtiger als die örtliche Schilderang ist ihm das an die Lokalität geknüpfte Andenken der Persönlichkeiten and G^chehnisse. Berühmte and berüchtigte Gestalten tanchen anf , zahlreiche eigene Erinnerongen werden eingeschaltet, and das Ganze darchleachtet mit herzerqaickender W&rme das prächtige, ananfdringlich enthnsiastische Gockneytam des Verfassers.

Ein Leser fällte das schöne und treffende Urteil: „Hant hat den Londoner Baach and Nebel mit nenem Glorienschein amgeben and Straßen and Gebände mit dem Leben vergangener Generationen bevölkert.^ Alles, was die liebe Vaterstadt betrifft, geht Hant persönlich an« Sie ist ein Teil seines Besitzes, ein Teil seines Selbsts. Die Größe der Gegenwart bernht aaf der Erfahrang, die sie aus der Vergangenheit schöpft, and aaf dem Interesse, das sie der Zokanft entgegenbringt Vergangenheit, Gegenwart and Zakanft veranschanlicht ihm das Londoner Leben und Treiben. Und alles das wird im ansprnchslosen Piaaderstil hingeworfen. Das Bach will nicht mit Geschichtskenntnis prunken und überzeugt doch in seiner

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Der literarische Essay. 57

künstlerischen Skizzenhaftigkeit yon der unbedingten Biiditigkeit des Schauens und Empfindens und der reichen Fnlle des Wissens seines Verfassers.

Einen eigenen Baum nnter Hnnts Essays nehmen die Anfsätze über Bücher ein. Sie sind seine eigentliche Welt In einem anmutigen Essay My Books (Meine Bücher [Indicator and Campanion II]) schüdert er das Gefühl der Sicherheit und des Behagens, das ihn zwischen Stoßen aufgeschichteter B&nde seiner Lieblingsautoren überkommt. Er verschanzt sich hinter ihnen gegen den Kummer wie gegen das böse Wetter. Das Haupt auf Bücher gestützt, möchte er sterben. Es ist ihm ein freundlicher Gedanke, daß große Schrift- steller, die Bücherfreunde waren, in ihren Werken nun selbst zu Büchern geworden sind. Dies dünkt ihm eine gar schöne Art des Fortlebens und schüchtern fragt er: Darf ich hoffen, in die geringste dieser Existenzen überzugehen? In einem anderen Aufsatz, The World of Books (Die Welt der Bücher [Mm, Women, and Books]) tritt er für die Bealität der erdichteten Welt ein. Und wie bezeichnend ist nicht in dem Titel der Sammlung die Zusammen- stellung der drei Faktoren M&nner, Frauen und Bücher als der drei Hauptwesenheiten im Leben; wie bezeichnend nicht sein paradoxer Ausspruch: Die Menschen sind ebenso sehr die Geschöpfe der Bücher, die sie lesen, als anderer ümsUndcO

Literarische Kritik in Form der Bücherschau seiner Zeitschriften hat Hunt natürlich lebenslang geübt Aber zum Sjritiker von Bang fehlte ihm Schärfe, Knappheit, Divinationsgabe. Sein Urteil, seine Gharakterisierungsgabe, seine analytische Kraft sind häufig nicht auf der Höhe des

i) A Book of a Corner, Breface 7.

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58 Der literarische Essay.

Fachmanns. Planderhafte Inhaltsangaben machen sich an der Stelle zusammenfassender Urteile breit, eine äußer- liche Schilderung des Werkes tritt an die Stelle kritischer Untersuchung. Seine Anzeige yon Byrons Dan Juan, die sich 1822 durch viele Nummern des Examiner ziehte weicht der Kritik geradezu aus und, wo er etwa eine Wert- schätzung wagt, bekundet sie wenig Hellsicht In dem Blatt vom 11. Oktober heißt es: „Man hat die Frage angeworfen, ob Byron fortleben werde? Vielleicht nicht. Er besitzt zwar Intensität der Kraft aber keinen bestimmten Charakter.''

Auch hier war es in erster Linie die Lauterkeit seines Wesens, die seinem Worte Nachdruck gab. Moore erklärte, daß er sich durch ein Lob von Hunt besonders geehrt fflhle, weil er einer der anständigsten und ehrlichsten Menschen sei, die er kenne. 0

Gut erzählte, knappe Lebensabrisse und literarische Würdigungen, in denen er kraft der nötigen Beherrschung des Gegenstandes auch Naturen gerecht wird, die von der seinen weitab liegen, hat er den Ausgaben der Werke yon Sheridan, Wycherley, Gongreve, Yanbrugh und Farquhar, 1840, vorangestellt. Eine tüchtige literarische Abhandlung ist der Essay Cowley and Thomson (Mm, Women, and Books) und eine feine, höchst lesenswerte Monographie der Artikel Lady Mary WorÜey Montague (London and Westminster Beviewy vol. V., April 1837), eine lebhafte Würdigung dieses „weiblichen Schöngeistes in den Tagen Popes^, der zur Dichterin nur ein bischen Herz fehlte.«

Warmes Verständnis bringt Hunt seinem Freunde

1) Memoirs, Joumaia etc. U, 69.

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Der literarische Essay. 59

Elia entgegen {The Wiahing Cap)^ dessen Wonschhäilein er gleichen Schnittes mit dem von Lears, Naoms und Yoricks findet An jenem sozialen GeMhl, das dnrch Weisheit liebenswfirdig and nützlich wird, hält er ihn (üoleridge nnd Wordsworth überlegen. Ein einziger seiner unscheinbar in Anmerkungen und Zeitschriften verstreuten Oedanken ab^ die Menschheit wiege alles Wirtshausgeschw&tz der Kritiker über die Staatskirche auf.O

Als Eunsttheoretiker ist Hunt kein Bahnbrecher des Gteschmackes, sondern faßt yielmehr die Theorien und Er- &hningen der erlesensten Geister der Zeit zusammen, belegt sie, popularisiert sie, konstruiert sie. So prägte er beispielsweise aus Hazlitts Definition der Poesie als Sprache der Phantasie und der Leidenschaften {Lectures on (he English Poets) den Satz: Poesie ist phantasieyolle Leiden- Schaft^

Das Wesen der „neuen^, will sagen romantischen Bichtung der Poesie erblickt Hunt in der Erkenntnis, daß die urwüchsige Begeisterung der Griechen das Klassische bedeute, während Pope und die Franzosen alles Lateinische für klassisch hielten; femer in einem nicht länger von der Mode kontrollierten Begriffe des Poetischen und in dem Verschwinden der Meinung, daß Witz und Vers die beiden wesentlichen Merkmale der Poesie wären. Sinn für die Schönheiten der äußeren, sichtbaren Welt, für die nnyerfSlschten Impulse unserer Natur und vor allem Phantasie oder die Kraft, mit Wahrscheinlichkeit zu sehen, was andere nicht sehen dies seien die wahren Eigen- schaften der Poesie.

0 FoUage, Preface 10.

«) YgL Edmund Gosses Ausgabe von Imagination and Fancy,

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60 Der literarische Eesay.

Ein feines Stilgeffihl hindert Hont nichts seine Ästhetik auf einem Untergründe von Ethik nnd Philosophie aof- zubanen. Was der Dichter vor allem pflegen soll, ist Liebe nnd Wahrheit. Was er wie Gift meiden soll, ist das Flächtige und Falsche, i) Freimutigste Selbständigkeit des Urteils bekundete Hunt in seinem enthusiastischen Lobe Shelleys, Eeats und Goleridges. Er stellt ohne Bedenken und ohne Entschuldigung Coleridge unmittelbar neben Milton. Könnte man, sagt er, das rein Poetische seiner Dichtung wie destillierte Rosen in einer Phiole betrachten, man fände es fleckenlos. Sein Au&atz Ober Shelley (InMffination and Fancy) wird ein Hymnus. Die Vorrede zu seiner Ausgabe der Mctsque of Anarchy ist eine fein- sinnige Würdigung „des Oeistes, der im Flammengewande des Verses einherschritt."

Die literarische Satire und Polemik liegt Hunt seinem ganzen Charakter nach fem. Ein einziges Mal hat ihn äußerste Gehäßigkeit der gegnerischen Partei und das Pflichtgefühl, den Freunden zugedachte Hiebe zu parieren, verleitet, eine Ausfahrt auf das literarische Eampffeld zu unternehmen. Ultra Crepidarius^ a Satire on W. Oiffordy erschien 1823, war aber bereits 1818 geschrieben. Damals führten die Toiyzeitschriften, QtMrterly Beview (gegründet 1809) und Blackwood Magazine (gegründet 1817) einen erbitterten Kampf gegen den Examiner. Hunt, Shelley, Eeats, Hazlitt, die „Gockneyschule'', waren die Zielscheibe ihrer derb groben Ausfälle. Unwissenheit, Gemeinheit, völliger Mangel an Religion und Moral wurde ihnen zur Last gelegt. In Hunts Story of Bimini las man eine un- sittliche Absicht hinein (Blackwood, November 1817) und

0 Vgl. Edmund Gosses Ausgabe von Itnagiiuxtion and Fancy 68.

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Der literaiuche Sssaj. 61

knüpfte darftn eine böswilligeyerlenmdnng aber Leigh Hunts Beziehongen zu seiner Schwägerin (Juli 1818). 0 Es war ein lange au^espeicherter, berechtigter Zorn, den Oiffords schmShliche Kritik über Eeats' Endtfinion im Ultra Crepi- darius zum Überfließen brachte. Hunt liefi es nun seiner- seits nicht an derber Grobheit fehlen. In Reimpaaren yon vier Daktylen erzählt er, wie Venus einen Schuh, den Merkur yerlor, nach Ashburton schickt^ um einen gleichen nachmachen zu lassen, wie sie den irdischen Ersatzschuh dann aber als unbrauchbar zurückweist und yerwttnscht. Er solle Menschengestalt annehmen, dabei jedoch bleiben, was er als Schuh ist^ ein hohles, ffir schmutzige Wege bestimmtes Ding. Hunts Absicht war nicht, Giffords niedrige Abkunft mid das Schusterhandwerk seiner Jugend zu schmähen, sondern sein hämisches und kriechendes Wesen. Die Ent- rostung über die Unbill, die er und die Seinen yon Gifford erlitten, machen ihn ausfällig und selbst durch die humoristischen Lichter, die den Dialog der Götter beleben, wird das Ganze kaum erfreulicher.

Alles in allem genommen, besitzt Hunt die wesentliche Eigenschaft des Journalisten, jene ungeheure Vielseitigkeit und die geschickte Hand, der nichts zu schwer und nichts zu seicht ist, nichts zu erhaben und nichts zu geringfügig. Was immer er aber auch schildern mag, sein Essay bleibt immer ein anscheinend zufälliges, anspruchsloses Geplauder, mühelos hingeworfen, der Eingebung des Augenblicks folgend und dem Augenblick gewidmet; freilich auch öfter als billig geschrieben, um das Pensum erledigt zu haben, das tägliches Brot schaffen solL Denn Hunt, der Vater einer

1) Vgl. Barnette Hiller, Kap. V.

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62 Der literarische Eisaj.

zahlreichen Familie, befand sich fast immer in mehr oder weniger dringender Geldverlegenheit.

Von den materiellen Verhältnissen abgesehen , war seine Stellung, znmal nach der Haft in den Jahren 1816 bis 1818, eine glänzende. Inmitten eines Kreises der erlesensten Geister der Epoche verkehrte er als eben- bfirtiges Mitglied. Als der Herausgeber angesehener Bl&tter war er eine wichtige Persönlichkeit. Die pikante nnd liebenswürdige Eigenart seines lauteren Naturells fesselte dauernd, wer sich ihm genaht Sein Äußeres, die dunkle Hautfarbe, das weiche schwarze Haar, die pfeil- gerade, schlanke Gestalt verrieten die exotische Abkunft, das leuchtende Auge, die ernste Stirn, die humoristisch herabgezogenen Mundwinkel den Dichter. . Hazlitt rfihmt seinen berauschenden Geist, seine entzflckende Lebhaftigkeit und die Herzensgüte, die immer wieder mit seinen Fehlem versöhnte. Lamb schrieb von ihm an Southey : „Er ist der ehrlichst gesinnte Mensch, den ich je gekannt habe, und hat als Familiengenosse nicht seinesgleichen." Hunt selbst sagt: „Jenes Ding, die Lüge, ist meiner Seele niemals nahe gekommen. Was Furcht zu denken bedeutet oder Furcht, was man denkt, zu sagen, weiß ich nicht"

Hunt war eine durch und durch gesellige Natur. Dies gehörte mit zu der feinen Genußfähigkeit, die ein Wesenselement seiner Persönlichkeit bildete. Seine emp- fängliche Seele ging an nichts vorbei, was das Leben verschönen oder veredeln kann. Sonnenschein und Blumen- duft, Musik und Wein, Philosophie und Poesie, geistige Anregung, Freundschaft, Liebe waren ihm Bedfirfnis, und sein Gemflt verstand es, diese WOrze des Daseins mit Subtilität und Anmut aufzuspüren und zu genießen. Er war im liebenswürdigsten Sinne ein Anhänger der Erde

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Der literarische Essay. 63

and ihrer Freuden, doch dabei, wie Edmnnd Gosse ihn bezeichnet, „der Ernsteste aJler Hedonisten^J) Mit fröhlicher Gelassenheit setzte er sich fiber all die äußeren Glücksg&ter hinweg, die ihm versagt blieben. „Ich glaube nicht, daß man in einem dttrftigeren Häuschen wohnen kann, als ich gewohnt habe^, schrieb er (29. Juni 1836) an einen Freund. „Doch es hat Shelley und Eeats beherbei^ und ein halbes Dutzend anderer Freunde, alle gleichzeitig; und sie haben in den Räumen eigene Welten geschaffen.^ 1834 schildert ein Brief Carlyles Hunts armseliges, un- ordentliches Heim, wo er in einer Art poetischer Boheme haust^ ihn im gedruckten Kattunschlafrock mit dem Anstand eines Königs empfängt und ihn sogleich in ein fesselndes Gespräch ttber die glücklichen Auspizien der Menschheit yerwickelt. Er selbst prägt die charakteristische Maxime, Lebenskunst bestehe in der Fähigkeit, ein wenig zu ge- nießen und viel zu ertragen.^) Ein starker Grad von naiver und darum nicht verletzender Selbstzufriedenheit, der keine Dosis Schmeichelei äbertrieben dflnkte, war un- entbehrlich zu dieser Seelenbehaglichkeit Doch hat er neidlos und fiberschwänglich mit der ganzen Intensität seines Empfindens die Überlegenheit der Größeren anerkannt, eifersfichtig nicht sowohl auf sie als für sie.') Mit

») LnaginaHon and Fancy (Ausg. 1907), Introd. Vm.

^ Cammonplaces of ihe Literary Examiner 1823.

*) Das Zerrbild Htinta, das Dickens in der Gestalt des Arztes Harold Skimpole (Bleak House) gezeichnet, gerade ähnlich genug, daß Macanley and andere das Urbild erkennen nnd Thomton Hont Dickfflis einem Widermf zwingen konnte (Saintsbnry, Essays in EngUsh Liierature 213), tat ihm entschiedenes Unrecht. Für Skimpole existieren die BogriJEFe Zeit and Geld, Mafi und Gewicht nicht, er kokettieort mit seiner arithmetischen Unfähigkeit und tut sich auf seine kindische Weltfremdheit mit abstoßender Selbstgefälligkeit etwas zugute. Er ist ein brillanter Gesellschafter, aber zugleich ein unangenehmer

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64 Der literarische Essay.

Recht spricht Barnette Miller von „seiner wunderbaren Fähigkeit der Freundschaft^, 9 ^^ H:unt die geistigste aller Neigungen nennt Er war der Entdecker und Förderer Eeats', nahm ihn in sein Haus und war brfiderlich um ihn und seinen Dichterruhm besorgt, bis ein taktloses Versehen die dauernde Entfremdung des Überempfindlichen zur Folge hatte. In seinem Alter hat er ebenso liebevoll Browning in die Literatur eingeführt

Seine Freundschaft für Shelley beruhte auf der Über- einstimmung maßgebender Lebensanschauungen. Shelley, „der Freund der Freunde", wie er ihn nennt, hatte ihm seinerseits während seiner Haft „ein fürstliches Anerbieten^ gemacht, das er damals ablehnte, in der HofEnung, mit eigenen Mitteln auszukommen. Späterhin, als immer neue Verlegenheiten sich einstellten, trug er kein Bedenken, von Shelley im Laufe eines Jahres die zu dessen Ein- kommen in keinem Verhältnis stehende Summe von 1400 if. anzunehmen ein Opfer, das bei Hunts gänzlicher Un- fähigkeit hauszuhalten selbstredend völlig vergeblich war. Hunt seinerseits aber hat zu Shelley gehalten in dessen schwerster Zeit; in einer Zeit innerer und äußerer Krisen, in der Mut dazu gehörte, sich öffentlich zu dem Verfehmten zu bekennen. Die Liebe zu Shelley war für Hunt das

Schmarotzer und ein Kalfakter. Sein bezauberndes Freisein von aUer Pedanterie ist, genau besehen, Prinzipienlosigkeit , krasser Egoismus, läppische Phantastik. Skimpole ist eine Steigerung von Leigh Hunts gefährlichen Veranlagungen in ihr Extrem, unter Ausschaltung seiner guten und herrlichen Eigenschaften. Der Gesamteindruck beider Ge- stalten ist ein durchaus entgegengesetzter. Hunt nimmt als eine Per- sönlichkeit von lauterster Liebenswürdigkeit bei all seinen Mängeln fiLr sich ein; Skimpole stößt bei all seiner Begabung als ein windiges, Ja ehrloses Individuum ab. Er ist eine Menschenfrat^e, die im besten FaUe fUr Hunts Earrikatur gelten kann.

0 S.4.

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Der literarische Essay. 65

Haß nnd der Gipfel aller Neigung, deren er sich fähig fohlte. Er sagt in bezng anf Eeats: „Ich konnte ihn nicht so innig lieben wie Shelley. Das war unmöglich. Aber meine Neigung für ihn stand nur der nach, die ich für »das Herz der Herzen« hegte.^0 Shelley blieb für Hunt das Ideal, der Lichtpunkt im Leben. Sein seraphisches Äußere erinnerte ihn an Johannes den Täufer. In seinem Wesen fand er eine Ähnlichkeit mit Schiller. Lange nach Shelleys Tode besteht seine Hauptfreude an der Tragödie A Legend of Florence darin, daß Shelley dasselbe Thema in einem Gedichtfragment behandelt und er gewissermaßen durch diesen Berfthrungspunkt noch einmal mit ihm vereint sei. 1844 schreibt er: „Ich kann seinen Namen nicht aus- sprechen, ohne daß liebe und Dankbarkeit mich hin- rissen. Ich freue mich, an seinen Sorgen teilgehabt und damals durch ihn des Leides wie des Glückes teilhaftig geworden zu sein. Und denke ich an einen künftigen Znstand und an den großen Geist, von dem ein solcher erfBllt sein muß, so ist eines der ersten Gesichter, das zu erblicken ich in Demut hoffe, das jenes gütigen, leidenschafts- YoUen Mannes, durch dessen Umgang mir der Titel eines Freundes Shelleys ward."») In späteren Jahren schrieb er einmal unter der Last drückender Sorgen, die ihm zwei miß- ratene £inder bereiteten, an einen Freund: „Fragen Sie, wie ich das alles ertragen kann, so antworte ich Ihnen, daß ich die Natur und die Bücher liebe und an die Fähigkeiten des Menschengeschlechts glaube. Ich habe Shelley gekannt und habe meine Mutter gekannt"

1821, da Leigh Hunt krank, überarbeitet, ohne Brot- erwerb, wieder einmal ganz auf dem Trockenen und seine

>) Äutohiography Kap. XYI, 268. *} Imagvnoition and Fancy 280. Ottehiehte der ea^fliaehen Bomantik 1. 5

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66 Der iiterariscfae Essay.

Frau seit Jahren schwindsüchtig war, regte Shelley den Plan an, Hnnt solle nach Italien übersiedeln und als dritter im Bunde mit ihm und Byron die zu gründende Zeitschrift The Liberal redigieren. Mit Enthusiasmus ergriff Hunt den Vorschlag. Shelley sandte das Reisegeld, dessen größerer Teil höchst wahrscheinlich von Byron entlehnt war. Aber, wie alle unpraktischen Menschen, hatte Hunt Pech. Die Reise, die er mit der brustkranken Marian und seinen sieben Kindern im November antrat, mufite nach unsäg- lichen Strapazen bereits in Dartmouth abgebrochen werden, wo er vier Monate liegen blieb. Die Seefahrt um Spanien herum war eine Odyssee. Aber Hogg scherzte, daß Hunt auf dem Landwege ebenso lange gebraucht hätte, denn er würde sich vermutlich aufgehalten haben, alle Gänseblümchen am Wegsaum zwischen Paris und Pisa zu pflücken.

Am 1. Juli 1822 landete er in Livomo. Am 3. fand Shelley sein Grab in den Wellen. Hunts Schmerz um „den Freund mit dem göttlichen Geist, den Freund des Weltalls^, >) war tief und dauernd und in jedem Sinne gerechtfertigt. Mit Shelley schwand die treibende Kraft, der gute Genius seines italienischen Unternehmens und jenes Glied des Dreibundes dahin, das allein zwischen den beiden andern hätte vermitteln können. Byron gegenüber fehlte Hunt, bei der diametralen Verschiedenheit ihrer Naturen und dem Abstände ihrer sozialen Stellung, die Möglichkeit des Verständnisses. Im Anfange ihrer Bekanntschaft hatte Byrons ungezwungene Haltung, sein auf gleich und gleich gestimmter Ton, Hunt geschmeichelt. Er ließ sich in

») Vgl. B. Mmer 73.

>) An Horace Smith, 25. Juli 1822.

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Der literarische Essay. 67

naiver AaSerachÜassmig der gesellschaftlichen Form ver- leiten, ihn zu erwidern nnd empfand es nun als Hochmut, daß Byron gegen seine Vertraulichkeit den Lord hervor- kehrte. In den sechs Jahren der Trennung hatte sich die Eigenart beider verschärft, und Takt war Hunts starke Seite nicht. Schon an der Widmung der Story of Rimini in einem Tone der Kameradschaftlichkeit, den Hunt selbst später töricht genannt^ 0 hatte der Dichterlord entschiedenen Anstoß genommen. „Es gab keinen einzigen Punkt, Aber den Byron und Hunt gleicher Meinung waren^, sagt Trelawney. Die fortwährenden Reibungen wurden durch die Frauen verschärft Marian Hunt, von dem Stolze des englischen Bflrgertums getragen, verhielt sich ablehnend gegen die Gräfin Guiccioli. Auch Byron stand nicht in ihrer Gunst. Er seinerseits empfand sehr bald einen be- greiflichen Überdruß an der Belastung seines Haushaltes die Hunts waren im Untergeschoß des Palastes Lan- franchi untergebracht mit einer zahlreichen, keines- wegs rücksichtsvollen Familie. Er schildert die Kinder schmutziger und bösartiger als Taos. Hunt bekam bald Byrons unverhohlene Abneigung, bald seine herablassende Gönnerschaft zu schlucken. Er erklärt, mit dem Wunsche gekommen zu sein, Byron zu lieben, aber sein Enthusiasmus sei zurückgewiesen worden. Man hätte ihn gleichzeitig verpflichtet und beleidigt Dazu kam die Enttäuschung, die der Liberal bereitete. Er hatte mit der ersten Nummer glänzend eingesetzt Sie brachte Byrons Vision ofjudgement für das John Hunt neuerdings eine Ai^klage und eine Geldbuße erlitt und Shelleys Fragment der Fanstobersetzung; der Best war Füllsel, das Hunt bei-

*) Lord Byron and Same of hts Contemporaries 82.

6*

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68 Der literarische Bssaj.

steuerte. In der zweiten Nummer erschien Byrons Heaven and Earih in der dritten The Blues^ in der vierten und letzten seine Übersetzung des Margante. In dieser Nummer beging Hunt die Taktlosigkeit, zwei lange satirische Gedichte im Stil und Metrum des Don Juan abzudrucken, The Bogs (Die Hunde) und The Book of Begmnings (Das Buch der Anf&nge), eine Nachahmung, die einer Biyalit&t gleichsah und als solche eine Selbstfiberschätzung bedeutete. 1) Byron, dessen Interesse von weittragenderen Dingen in Anspruch genommen war, zog sich vom Liberal zurück, der seinen Erwartungen nicht entsprach. Leigh Hunt war krank, verstimmt und außerstande, etwas zu leisten. Im Juli 1828 segelte Byron nach Griechenland und die Hunts zogen von Genua nach Florenz, vermutlich weil er die Reisespesen nach Elngland nicht aufbringen konnte. Von seinem Gesichtspunkte aus hatte ihn Byron im Stiche gelassen. Sein Freundschafts- begriff machte das Annehmen weitgehendster Hilfeleistungen jeder Art zu einer Äußerung des Vertrauens und somit zu einer Sache der Selbstverständlichkeit, die ffir den Emp- fangenden keinerlei Verpflichtung bedeutete. Hunt war nicht habgierig. Er weigerte sich, ünterstfitzungen an- zunehmen, die dem Spender ein Opfer auferlegten. Es ist bezeichnend, daß z. B. gerade Mary Shelley von seinem „wirklichen Zartgefühl in Geldangelegenheiten^ spricht^) Aber diese Freundschaftstheorie verleitete ihn dennoch, auch materiell desto höhere Forderungen an einen Freund zu stellen, je höher er ihn schätzte. Byron hatte, seiner Meinung nach, nicht genug ffir ihn getan.

1) MonkhouBe 164.

■) Correspondence n, 11.

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Der literariflche Essay. 69

Daß Hants Lage in Italien mitunter eine verzweifelte sein mochte, liegt auf der Hand. Er war viel zn sehr eingefleischter Londoner, um sich nicht an jedem andern Puikt der Erde, und w&re es der paradiesischste, im Exil zu fflhlen. Für Italien gebrach es ihm an wahrem Ver- ständnis. Nur ansnahmsweise begeistert ihn ein Eindrack, z. B. der Campo Santo in Pisa. Im allgemeinen sind seine Letters fram Abroad (Briefe ans der Feme), die in dem 1823 gegründeten Literary Examiner erschienen, oberflächliche, von Heimwehklängen erfüllte Beiseschilde- nmgen, in denen die beständigen Parallelen zwischen Italien nnd England unendlich zugunsten des letzteren ausfallen, und der italienische Ort gewöhnlich nur der Ausgangspunkt f&r einen behaglichen Exkurs über Londoner Erinnerungsstätten und ihren Zauber bildet (Ott fhe Suburbs of Gema and fhe Country about London. Über die Vorstädte Genuas und die Umgegend von London). In der seligen Stille Majanos bedarf er, um die rechte Arbeitsstimmung zn finden, des Wunschhfltleins, das ihn mitten in das auf dem klasdschen Boden von Covent Garden wogende Menschengewühl versetzen muß. So entstehen die Aufsätze, die später (1874) als The Wishing (Jap Papers (Wunsch- hntleinaubätze) gesammelt erschienen: The Town. Its Memorials, Characters and Events (Die Stadt Ihre Denk- würdigkeiten, Charaktere und Ereignisse), 1848; und Men, Warnen, and Books, A SelecHon of Sketches, Essays, and Orüical Memoirs from his Uncoüected Prose Writings (1847).

1825 kehrte Hunt endlich diesmal zu Lande mit seiner Familie, die sich in Italien um ein Söhnchen vermehrt hatte, nach England zurück. Er selbst nennt den Augen-

') Byron and Ma Contemporaries 518.

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70 Der literarische Essay.

blick der Heimreise einen gesegneten. Allein er war es nnr in bedingtem Sinne, denn die Sückkehr zeitigte eine bittere Fmcht des italienischen Aufenthaltes. Der Verleger Colbum hatte ihm die Eeisemittel als Vorschuß auf ein für ihn zu schreibendes Buch mit biographischer Einleitung vorgestreckt. Dieses erschien 1828 unter dem Titel: Lord Byron and Same of his Contemporaries. Wifk Becollections of the Aufhor's Live and of his Visit to Itdly. (Lord Byron und einige seiner Zeitgenossen. Nebst Er- innerungen aus dem Leben des Verfassers und an seinen Besuch in Italien). Das Werk gab Hunt einem nicht un- berechtigten Sturm von Vorwürfen und Angriffen preis. Er mufite in Italien Unsägliches gelitten haben, daß die Erinnerung an das Durchlebte seine sonst elastische und nichts weniger als nachträgerische Natur noch Jahre nachher so tief und so bitter erregte. Byron und Italien haben demoralisierend auf ihn gewirkt, i) In diesem einen Falle sinkt er auf das Niveau Skimpoles herab. Unter dem Verwände der Wahrheit, die dem Freien zieme, läßt er der jahrelang angehäuften Verstimmung und Entrüstung die Zügel schießen. Er empfindet sich als einen Mißhandelten, und der Umstand, daß er in Byron den Urheber dieser Mißhandlung erblickt und erblicken will, macht ihn blind für seine Verpflichtung gegen den Mann, in dessen Hause er ein Jahr als Gast geweilt, blind für die Größe des Abgeschiedenen, den er als eine selbstische, knickrige, treulose Seele und nichts weiter, hinstellt. Das Buch ist auf einen Ton gehässiger und überlegener Ironie gestimmt. Die unverkennbare Absicht, Byrons Handlungsweise ins Lächerliche zu ziehen

») Monkhouse 181.

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Der iiterazische Ebsaj. 71

nnd seine Impulse übel ansztilegen, machen es zu einer yerstimmenden Lektflre.

Selbst wo Hunts naive Wahrheitsliebe auf der nächsten Zeile die eigene Behauptung durch Tatsachen widerlegen muB, schiebt er seinem Opfer gemeine oder unfreundliche Motive unter. So schilt er Byron geizig allerdings unter der den Leser verwarnenden Vorausschickung, dafi er, Hunt, nicht „jenen Abscheu vor Verpflichtungen hege, der in Geldsachen für besonders fein gelte^. Sodann erzählt er, Byron hätte die Heise und die „einfache Möblierung'' sowie die Übersiedelung von Pisa nach G^enua bestritten, Hunt, habe seine Börse benutzt und überdies noch 100 €f. erhalten.^) „Weiter nichts!"

Er wirft Byron vor, sich vom Liberal zurückgezogen, ja ihn geschädigt zu haben, nachdem seine Erwartung großen Gewinnes und Erfolges getäuscht ward. Gleich darauf berichtet er, Byron hätte sich geweigert, ein Honorar vom Liberal anzunehmen, ehe die Einnahmen des Blattes eine bestimmte Höhe erreicht haben würden. Er wirft ihm Mangel an Großmut vor, ja, er schilt ihn einen Sklaven niedriger Leidenschaft, voll Neid auf jeden Vorzug and«*er. Sein Aristokratentum sei äußerlich ge- wesen, seine Gesinnung weit weniger vornehm und weniger empfindlich gegen Gemeinheit als die Shelleys. Leere Buhmsucbt nennt Hunt die Triebfeder von Byrons Taten, andere kränken seine Hauptfreude, materiellen Egoismus die Grundstimmung seines Geistes. Allein sein Ehrgeiz sei noch größer gewesen als sein Geiz, was das Höchste besagt. Hierdurch hätten umstände ihn in eine andere Richtung gezwungen, in der er jedoch niemals heimisch ward.

9 Galt schätste Byions Gaben auf 500 U.

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72 Der liteiariache Essay.

Sein vorgebliches Freisein von Standesvororteilen, seine geistige Überlegenheit wird als eitles Geflanker hingestellt nnd selbst die griechische Untemehmong resüos anf dieses Niyean herabgedr&ckt.

Ohne sich bewnfiter tatsächlicher Lügen schuldig zu machen, gibt Hunt sich doch bis zur Kritiklosigkeit dem Übelwollen hin, das die Schwächen eines Gegners ins grellste licht stellt und über alles Gute stiUschweigend hinwegsieht Hazlitt nannte Byron einen erhabenen Gecken. Hunt ließ das „erhaben^ weg und redete sich in Feuer bei d^n Bestreben, Byron nicht nur als Gecken, sondern als einen abergläubischen, beschränkten Narren hinzustellen. Selbst Originalität wird ihm abgesprochen, selbst seine Schönheit und seine geselligen Gaben. Das Verletzendste an dem Buche ist, wie schon Monkhouse hervorhebt, 0 die Klein- lichkeit seines Standpunktes.

Es ist eine Art fast heimtückischer Anschwärzung, die in Hunts Leben völlig vereinzelt dasteht, ja die zu seiner ganzen, von Menschenfreundlichkeit, Versöhnlichkeit und feiner optimistischer Heiterkeit beseelten Natur in schärfstem Widerspruch steht. So zahlreich Byrons Gegner in Eng- land waren, Leigh Hunts Buch erregte dennoch lauten Unwillen. Er bedauerte wieder zu sich gekommen es geschrieben zu haben, und tat sein Bestes, die Feindselig- keiten auszulöschen. In A Saunier through (he West End (Wanderung durch das Westende), 1847, nimmt er die Gelegenheit wahr, an Byrons letztes Londoner Wohn- haus eine Betrachtung zu knüpfen über den genialen Dichter, den jedermann kenne, und den freundlichen, edlen, durch ungünstigsteJugendverhältnisse verdorbeuenMenschen,

0 S. 181.

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Der literarische Essay. 73

der nicht von jedermann gekannt sei. Ein öffenüiches Bekenntnis seines unrechtes legte er in der Äutoliography (1850) ab.

Diese Arbeit, in der Hunt sich wieder ganz von seiner menschlich liebenswftrdigen Seite, verklärt und gel&ntert dnrch die Beife des Alters zeigt, gehört zu den beliebtesten ihrer Art. Carlyle nennt sie ein frommes, hochsinniges, durch und durch humanes Buch, das uns das Bild einer begabten, sanften, standhaften und tapferen Seele gebe. Sie erk&mpfe sich ihre Bahn durch die Wogen der Zeit und gehe nicht unter, wenn sie gleich in Gefahr sei; könne nicht untergehen, sondern siege und lasse eine leuchtende Spur zurück. 0 Thomton Hunt erblickt die Eigenart der Selbstbiographie darin, daß sie weniger eine Erzählung der Geschehnisse sei als der Eindrücke, welche diese hinterließen. Zu einem erschöpfenden Lebens- bilde fehlen ihr bei aller behaglichen Breite zwei wichtige Kapitel, die Hunt ausschaltet: die Politik und die Liebe. In der Schilderung der Reiseerlebnisse vermißt man das individuelle Moment; in der Charakteristik seiner Bekannten die persönliche Belebung, im Bericht der Schulzeit das lächelnde Niederblicken auf die Stürme im Glase Wasser von der Höhe des Humors.

Hunts Lieblingsbuch unter den eigenen war The Beligion of ihe Heart. Ä Manual of Faith and Duty (Die Beligion des Herzens. Ein Leitfaden des Glaubens und der Pflichten), 1853. Es erwuchs aus einer Arbeit früherer Jahre, Christianism, or Belief and Unbelief Beconciled; being Exerdses and Meditations (Christentum oder Glaube und Unglaube ver- söhnt. Übungen und Betrachtungen), das, in Italien in

0 An Hunt, 17. Jnxu 1860.

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74 Der literarische Essay.

einer Zeit der Bedrängnis geschrieben, 1832 in nur 57 Exemplaren für Frennde gedruckt ward. Es ist eine Sammlung von Andachtsubungen und Erbauungsreden für mannigfaltigste Gelegenheiten, den äußeren Anlässen wie Seelenstimmungen angepaßt; für das Eürwachen und Schlafen- gehen, für Gewissenszwiespalte und Sorgen, für Todesfälle und Krankheiten. Hunt will den sogenannten „Religions- losen'', die dennoch ein tiefes Gefühl der Frömmigkeit im Herzen tragen und voll natürlicher Pietät gegen alle Dinge sind, die ersehnte Möglichkeit einer eigenen Religionsform bieten, die sich mit den besten Vorstellungen moralischer Gutheit verträgt

In der Religion des Uereens sind die Andachten des Christianism zu einer Art Liturgie ausgearbeitet, religiös empfundene Rhapsodien für die traurigen und heiteren Wechselfälle des Lebens. Hunt ist eine fromme Seele. Sein Bekenntnis lautet: Das Herz ist nicht schlecht und Gott hat seine Religion ins Herz geschrieben. Religion ist Gewissen, verbunden mit dem Glauben an dessen göttlichen Ursprung. Unter den großen „Erweckem des Gewissens" werden Sokrates, Homer, Franziskus von Sales, Thomson, Wordsworth, Coleridge, Eeats, Shelley und Tennyson genannt In The Religion of the Heart, deren Abfassung Hunt 1852 Trost gewährte in dem nie zu verwindenden Gram über den Verlust eines trefflichen Sohnes, der ihm ein Freund und Gefährte wai*, offenbart er sich als ein vom Glauben durchdrungener Bekenner der christlichen Ethik, bei spröder Zurückhaltung gegen das christliche Dogma. Nicht der Glaube, sondern die Barmherzigkeit ist ihm das Prinzip der Religion. Mit dem ihm eigenen Optimismus hält er die religiösen Wirren der Gegenwart für die letzte Phase des Überganges zu einer neuen Glaubensform, die

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Der literarische Essay. 75

mit sich, der Welt und der Gottheit in Frieden ist und die Natur und den Frohsinn nicht untergräbt. Seine ehrliche Duldung ließ ihn mit derselben liebe und Bewunderung alle aufrichtigen, ernsten, wohlwollenden Menschen, gleich- viel welchen Bekenntnisses, umfassen. Nur für die mystische Größe mancher Genien, z. B. Dantes, war ihm bei seinem entschiedenen Aufklärungsstreben das Ver- ständnis versagt. 1)

Hunts ethische Lebensregeln beruhen auf dem ihm mit Blake und Shelley gemeinsamen Grundsatze, daß die gesunde und darum beglückende Betätigung unserer Fähig- keiten, insofern sie der Moral nicht widersprechen, der Selbstzweck des Seins und der Kern aller sozialen Be- strebungen sei Er schrieb (Juli 1819) an Shelley: „Ich wüßte nicht, daß eine Seele mit dem Menschen geboren wird, aber es dünkt mich, als erlangten wir eine Seele, manche später, manche früher. Und haben wir sie erlangt, dann gewinnt unser Auge seinen Blick, unsere Heiterkeit gewinnt Sympathie und unser Sinnen die Sehnsucht und ernste Schönheit, die zu sagen scheint: Mag unsere sterb- liche Hülle fallen, wenn sie will; mögen unser Stamm, unsere Blätter dahingehen unsere Blüte schoß empor, in eine unsterbliche Luft Sie werden sagen, das sei Poesie und kein Aif^ment Aber nun überkommt mich eine andere Phantasie, die auch hier überzeugen möchte, die Idee, daß Poesie das Ai^ument einer höheren Sphäre sei.''

Hunts letzter Lebensabschnitt spann sich äußerlich ereignislos ab. Nahrungssorgen und eine zur Überproduktion neigende Fruchtbarkeit bieten in leichtem Auf und Ab ein fast immer gleiches Bild. Er selber findet zwar einmal, zu

0 Vgl Atfiobiography XXYI, 434.

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76 Der literaruche Essay.

viel zn schreiben ans Eigenliebe oder ans Notwendigkeit sei der Fehler jedes Zeitalters, ^) doch ist er ihm jeden- falls in stärkerem Grade verfallen als viele andere.

„Niemals h&tte es einen glfickUcheren nnd makelloseren Menschen gegeben, würden seine Einnahmen immer hin- gereicht haben, seine Rechnungen zu bezahlen I^ 2) In den dreißiger Jahren ging es ihm besonders schlecht „Ich höre nicht an meine Tür klopfen", schreibt er 1832, eine oder zwei Arten zn klopfen, die ich kenne, ausgenommen, ohne daß ich glaube, es komme jemand, mich von meiner Familie wegzuholen." Einmal wird er vom Mittagessen abberufen durch einen Mann, der einen Pfändungsauftrag wegen 40 ShiUingen in der Tasche hat.

Seine Zeitschriften hatten fast alle kein langes Leben. The Chat of the Week (Wochengeplauder), 1830, fristete nur ein zweimonatliches Dasein. Hunt konnte die damals eingeführten Zeitungsstempel nicht bezahlen. Das Tage- blatt The Tattier (Der Plauderer) 1830—1832, schrieb er fast ganz allein, so daß er der Arbeit schier erlag. 1834 gab er unter Landers Mitarbeiterschaft The MonMy Repository (Monatsmagazin) heraus, von 1834 bis 1836 Leigh Hunfs London Journal , das seit 1835 mit The FrinUng Mashine (Die Druckerpresse) vereint war. Dieses Blatt brachte viele seiner Essays, die sich später als die volkstümlichsten erwiesen. Aber er hatte kein Geld für Reklamezwecke und so ging es wieder ein. Noch 1850 machte er einen neuen Versuch mit Leigh Hunfs London Journal, A Misceüany for the Cultivation of the Memorable, the Progressive, and the Beautiful (Sammlung vermischter

^) ImaginaHon <xnd Fancy 206. >) Monkhouse 117.

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Der literarische Essay. 77

AnMtze zur Pflegte des Denkwürdigen, des Fortschritts und der Schönheit). Aber anch dieses Blatt ging 1851 wieder ein.

1844, als Shelleys Sohn Percy das Majorat antrat, setzte er, in Erfüllung des letztwilligen Wunsches seines Vaters, Hunt eine Jahresrente von 120 A aus, und 1847 erwirkte Macaulay ihm eine jährliche Unterstützung von 200 fiC aus der ZiyiUiste. Damit war Hunt der Not entrückt, wenn er es auch nie zu bürgerlichem Behagen brachte. Emsiger Schriftstellerei blieb er bis ans Ende ergeben. Die Sucht oder die Notwendigkeit, jedes Abschnitzel der Arbeit, ja der Lekttlre für die Bücherproduktion auszuschroten, beleuchtet am grellsten sein Beadings for Baütcays, or Aneedotes and oiker Startes, BeflectionSy Maxims, Cha- raderistics, Passages of Wit, Humaury and Poetry, etc. TogeAer wiih Points of Information on Matters of General Interesty collected in (ke Cowrse of his own Reading (Eisen- bahnlektüre oder Anekdoten und andere Erzählungen, Re- flexionen, Maximen, Charakteristiken, Witziges, Humo- ristisches und Poetisches, usw. Nebst Belehrungen über Dinge von allgemeinem Interesse, während der Lektüre gesammelt), 1849. Der vorgebliche Zweck des Buches ist, eine für den speziellen Fall der Eisenbahnfahrt bestimmte ond geeignete Lektüre zu bieten, deren Augenmerk Abwechslung, Kürze und fesselnde Unterhaltung sein soll Der wahre Zweck ist: ein Buch mehr.

Hunt gab eine Beihe von Sammelwerken heraus. Drei Bände Tales of Early Ages (Qeschichten aus alter Zeit), 1832, fünf Erzählungen aus den ersten fünf Jahrhunderten des Christentums, eine römische, eine giiechische, eine nordische, eine orientalische, eine keltische. Die zweite, Theodore and Tüphosa, or The Olympic Games (Theodor

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78 Der literarische Essay.

und Tilphosa oder Die olympischen Spiele), mit außer- ordentlicher Anmut erzählt, ist weitaus die reizvollste. 1840 erschien eine Sammlung Essays unter dem Titel: The Seety or Commonplaces refreshed (Der Seher oder Abgedroschene Geschichten wieder aufgefrischt) mit dem fOr Hunt charakteristischen Motto: Liebe verleiht dem Auge einen köstlichen Blick. Das Jahr 1843 brachte One Hundred Bomances of Real Life, sdected and annotated, comprising Historical and Dotnestic Facts Illustrative of Human Naiure (Hundert Bomane aus dem wirklichen Leben, ausgewählt und mit Anmerkungen versehen, nebst historischen und Familien- ereignissen, die ein Licht auf die menschliche Natur werfen), eine Auslese von Erzählungen wirklicher Begebenheiten aus fremden Autoren. Die besten sind selbstredend mit unverhülltem Abzielen auf eine Moral der von Charlotte Smith besorgten Auswahl aus dem Pitaval entnommen.

1844 veröffentlichte Hunt eine Sammlung eigener literarischer Essays, Imagination and Fancy (Einbildungs- kraft und Phantasie), die ihn als Kritiker auf der Höhe seiner Kraft und Reife zeigt; 1846 and Hunumr (Witz und Humor), eine durch Beispiele belebte Geschichte des Witzes, der ein nicht sehr glücklicher Illustrative Essay on Wit and Humour (Erläuternde Abhandlung über den Witz und Humor) vorausgeschickt ist. Hunt stellt in geschwätziger Ausführlichkeit zahlreiche Definitionen des Witzes und Humors nebeneinander, ohne eine eigene befriedigende Erklärung zu geben. Daran schließt sich eine Chrestomathie des Humors und Witzes von Chaucer bis Pope mit einleitenden Charakteristiken der Dichter aller beigebrachten Proben. Ä Jar of Honey from Mount Hyhla (Ein Honigtopf vom Berge Hybla), 1848, knüpft an

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Der literarische Essay. 79

einen kleinen blauen Tiegel mit der Aufschrift „Sizilianischer Honig^ im Schaufenster eines Ladens in Picadilly einen Grandriß der Topographie und Mythologie, Geschichte und Literaturgeschichte Siziliens. Von der sizilischen Ekloge schweift Hunt zum englischen und schottischen Pastoral- gedicht ab und kehrt nach diesem Exkurse im zehnten EiQiitel zum Aetna und seinen Bienen zurück. A Jar of Haney ist insofern ein fCbr Hunt typisches Buch, als es seine Fähigkeit yeranschaulicht, von geringfügigsten Dingen Weltgedanken und Menschheitsgefühle abzuleiten. Wenn man den kleinen blauen Topf in die Sonne hält, erscheint em blendender Lichtfleck inmitten seiner Wange, so recht wie ein leuchtendes Lachen. Da steigt Theokrit mit all seiner Poesie vor Hunts Blick empor, Sizilien, der Hybla ond aUe anderen Herrlichkeiten und großen Männer Italiens.

Table Talk. To which is added Imaginary Conversation of Pope and Swift (Tischgespräche. Nebst imaginären Gesprächen von Pope und Swift), 1851. Die Tischgespräche erschienen, ursprünglich unter der Chiffre Adam Fitz Adam in dem von Leigh Hunts ältestem Sohne Thomton heraus- gegebenen AÜas, Es sind größtenteils minderwertige lite- rarische Abschnitzel und Spaltenfüllsel, oft nur einige Zeilen, oft schale Anekdoten oder was noch schlimmer nichtssagend oberflächliche Abfertigungen bedeutender Persönlichkeiten, wie CatharinaH., Beaumarchais', Mozarts, durch die Beibringung von „Charakterzügen", oder Banalisierungen philosophischer Probleme in truistische Zeitungslebensregeln. Ein«n Neudruck hätten sicherlich nur die wenigsten verdient. Die Imaginären Gespräche wollen, in Stil und Denkart die beiden Dichter, die sie vorführen in der Art der Totengespräche wieder aufleben lassen und

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80 Der literarische Essay.

bekunden darin das literarische Geschick, das man bei Hunt voraussetzen durfte.

A Book of a Corner, or Sdecüons in Prose and Verse from Äuihors the best suited to that Mode of Enjoyment Wiih Comments on Euch and a General Introduction (Eän Buch fOi* einen stillen Winkel oder Eine Sammlung von Poesie und Prosa der am besten zu solchem Genuß geeigneten Autoren), 1851, ist eine Anthologie, in der die Jugend wie der Gereifte und das Greisenalter, Hoch und Niedrig, Stadt- und Landbevölkerung finden soll, was jedem am besten taugt. Und dieses Tauglichste ist nicht das Berfthmteste, sondern das uns zumeist ans Herz Gre- wachsene aus der Literatur, nicht die größten Dichter, denn sie erregen die Leidenschaften zu mächtig, sondern diejenigen, die auf das Gemät und den Geschmack gedeihlich und wohltuend einwirken.

Das Altersbild des Menschen Leigh Hunt hat uns Hawthome in entzückter Bewunderung gezeichnet. Die Fähigkeit, in dem jungen G^schlechte diesen Grad der Begeisterung erwecken zu können, gibt einen Gradmesser fflr den unvergleichlichen Zauber seiner Persönlichkeit, der mit den Jahren zunahm. Wie Hunts ausdrucksvolles Antlitz mit seinem Gemisch von feierlichem Ernst und Kindlichkeit in den feinen Zügen im Alter schöner ward, so trat in dem durch manche schwere Lebenserfahrung geprüften Greise das jung gebliebene Herz, der in ungebeugter Frische grünende Geist immer sieghafter hervor. 1857 verlor er die ihm in fast fünfzigjähriger Gemeinschaft verbundene Lebensgefährtin Marian. Er rühmte ihr nach, daß sie alle Zufälligkeiten und Gefährdungen, denen er wie er es für seine Pflicht hielt dem sozialen Fortschritt zu- liebe, ihre geringen Habseligkeiten ausgesetzt, niemals

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Der literarische Essay. 81

eine Einwendniig entgegengestellt and in den Stfirmen des Ungemachs so wenig geklagt wie während des Seesturmes anf der italienischen Reise, i)

Die Klarheit seiner Altersstimmung wurde auch durch diesen Verlust nicht getrübt Das nimmer wankende Gleichgewicht seiner Seele, die völlige Ausgeglichenheit seines Innern treten uns mehr und mehr als die Eigen- schaften in den Vordergrund, die seiner Persönlichkeit ihr Gepräge aufdrucken. Und im großen und ganzen dai*f dies anch für seinen literarischen Charakter gelten. Er bescheidet sich in jeder Beziehung mit den ihm gewordenen Möglich- keiten. „Ich suche nicht nach gewaltigen Erregungen, wenn ich sinne^, heifit es in dem Essay On the Borders ofPoeUy (An den Grenzen der Poesie). „Mein Leben hatte ihrer genug. Ich snche Freude und Buhe, und dank der unbesiegbaren Jugendlichkeit meines Herzens finde ich ihrer leicht so viele in meiner grünen Welt, als mich Biesenleid in der Welt des Kampfes gefunden.'^ Nicht zu suchen, was ihm versagt ist darin besteht seine Lebenskunst. So behauptet er in der Literatur seinen Platz, nicht als Genius ersten Banges, aber als individuelles Talent von durchaus eigener Note, das seiner Epoche und seinem Kreise seine Spur aufdrückt. Des- gleichen stellt er als Mensch seinen Mann in allen Wechsel- fallen eines langen Daseins und kann seine Selbstbiographie mit dem herrlichen Bekenntnis schließen: „Nicht viele können bessere Freunde gehabt haben, als ich sie besitze. Ich bin mir nicht bewußt^ gegenwärtig einen einzigen Feind zu haben, und nehme die Schicksale, die mir widerfahren, böse wie gute, hin mit demselben Willen, sie für die besten zu halten, die mir zukommen könnten, sowohl

0 Attiohuy^ajfiiy XXVI, 448. OeBchichte der eni^liBehen Bomantik n, 1. 6

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82 Der literarische Essay.

hinsichtlich der Besserang dessen, was schlecht in mir war, als hinsichtlich der Veredlung dessen, was gnt gewesen ist.''

In dieser tiefen Seelenruhe wurde ihm der Ausblick aus dem Leben leicht und heiter wie das Leben selbst. An Charles Ollier schrieb er im Dezember 1853: „Die schönen Möglichkeiten sind, gottlob, endlos.'' An De Wilde im Oktober desselben Jahres: „Gott macht mir das Eflnftige noch schöner, noch wünschenswerter, obzwar ich, weiß der Himmel, diese inmier schöne, wenn auch verwirrende Erde nicht verschmähe."

Das Ende seines tätigen Lebens war ein sanftes Aus- klingen. Er starb am 28. August 1859 in einem Yorstadt- häuschen in Putney. Sein schlichtes Grabdenkmal auf dem Friedhofe von Eensal Green schmficken als vollwertiges, den Inbegriff seiner Persönlichkeit zusammenfassendes Epitaphium die Worte seines Abu Ben Adhem:

„Schreib mich auf als einen, welcher seine BrQder liebt"

Werke von Leigh Hunt.

1801 Jfivenilia^ or Ä CoUecUon of Poems written hetween tJie

Age of twelve and sixtem. 1806—07 Classic TaUs, Serious and Lhely. With Criticdl

Essays on the Merits and BeputaUon of ihe Äuthors. 1807 OriUcal Essays on the Performers of the London Theaters^

tncludmg General Ohservations on the PracUce and

Genius of the Stage.

1809 An Ättempt to show theFolly and Danger of MeOiodism.

1810 Ä Beformist's B^Jy to the Ec^hurgh Beview.

1812 The Prince of Wales versus the Examiner. Ä Füll Beport of Hie Trial of John and Leigh Hunt On an Inform-

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Der literarische Essay. 83

aUan fiJed ex Officio ly the Attomey Generah Decided hy Lord Ellmborough and a Special Jury m the King*8 Bench, Weshninster, an Wednesday Ä Dec, 1812, To wMch are added OhservaUons on the Trial by the Editor of ihe Excmwner.

1814 The Feast of the PoetB.

1815 The Descent of Liberty.

1816 The Story of Bmmi.

1817 The Bound Table, Ä Oollection of Essays by William

Haelitt and Leigh Hunt (Neuansgabe von W. C. Haz- litt 1871.)

1818 Foliage. Poems Original and Translated.

1819 Hero and Leander and Bacchus and Äriadne,

1819 21 Ä Tale for a CJnmney Corner, and other Essays from the Indicator. (Neuausgabe von E. Ollier 1869).

1820 The Indicator (vol Z, vol II 1822).

AmyntaSy a Tale of ihe Woods (Translation from Tasso).

1821 The Months. Descnption of the Successive BeauUes ofthe

Tear, (Neuausgabe 1897.)

1823 Ultra Orepidarius, a Satire on W. Gifford,

1825 Bacchus in Tuscany (Translation from Francesco Beddi),

1828 Lord Byron and Some of his Contem/poraries,

1832 Christiamsm, or Belief and Unbelief recondled.

Tales of the Early Äges.

Sir Bdlph Esher, or Ädventures of a Gentleman of the

Court of Charles II.

The Masque of Änarchy, a Poem by P. B. Shelley.

Now first pubUshed wiih a Preface.

1834 The Indicator and Companion, a Miseellany for the Fields

and ihe Firesides.

1835 Cqptttin Sword and Captain Pen. 1837 The Blue Stockmg Bevel

1840 A Legend of Florence.

The Seer, or Commonplaces refreshed.

The Dramatic Works of Richard Brinsley Sheridan, With

a Biography and CriUc STcetch.

6*

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84 Der literarische Essay.

1840 The DramaUc Wwks of Wycherleif, Ckmgreve, Va$ibrough,

and Farquhar. With BiogrofMcal and OriUeal Notes.

The Tawn. Its Memorials, Characters and Events (Nea-

ansgabe in Ihe World'a CUusics 1901),

jReadmgs far Bailways.

1841 The Poems of Chaucer, modemised hy B, H. Home, Leigh

Hunt, and Ofhers.

1842 The Falfrey.

1843 One Hundred Somances of Beal Life, selected and

annotated. (Nenausgabe 1888.)

1844 Imagination and Fancy. (Nenansgabe von Edmund Gosse

in The Bed Letter Library 1907.)

1846 Wit and Humour, selected from ihe EngUsh Poets,

Stories from the Itälian Poets. With Lives of the Writers

(Neuausgabe Universal Library 1905).

1847 Men, Women, and BooTcs; a SelecOon of Sketches, Essays,

and Oriücal Memoirs from the Author's Uncollected Prose Writings, (Neuausgabe 1876.)

1848 A Jofr of Honey from Mount Hybla. (Nenansgabe 1906.)

1849 Ä Book for a Corner, or Selections in Prose and Verse.

1850 The Autobiograiphy. (Neuausgabe von Roger Ingpen 1903.)

1851 T<Me Talk. To which are added Imaginary Conversations

of Pope and Swift

Lovers* Amaeements. {London Journal, Febrnar nnd März.) 1853 The Bdigion of the Heart. A Manual of FaiGi and

Duiy. 1865 The Old Court Suhurh, or Memorials of Kensington, Begal, Oritieal and AnecdoUcäl. (Nenansgabe yon ADobson 1902.)

Stories in Verse.

Beaiumont and Fletcher, wi&i Notes and Preface. 1819, 1832, 1844, 1867 Poetical Works.

1860 Poetical Works, edited hy Thomton Hunt (Von J.H.Paning

neu herausgegeben 1889.)

1861 A Saunter (hrough the West End.

1862 The Correspondence of Leigh Hunt, edited by his EJdest Son.

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Der literarische Essay. 85

1870 Ä Bay hy the Fire, and Other Papers JUtherto uncollected

(edited hy /. E. B.).

1871 Memoir of Shelley (The FoeUcal Works of P. B. Shelley). 1879 The Wishing Cap Peters. Now first collected.

1887 Essays hy Leigh Hunt InUroducUon hy Arthur Symons.

(Nenansgabe 190B.) 1891 Essays hy Leigh Hunt, edited hy B.B, Johnson (TempU

Library).

Werke fiber Leigh Hunt.

1825 William Hazlitt, Tlie Spirit of the Age.

1868 Alexander Ireland, lAst of the Writings of HazUtt

and Leigh Hunt.

1869 Nathaniel Hawthorne, Our Old Home.

1877 Barry Cornwall, An Autöbiographical Fragment

1878 Launcelot Gross, Characteristics of Leigh Hunt as

exMhited in Leigh HunVs London Journal. With Illustrative Notes.]

1890 George Saint sbnry, Essays in EngUsh Literature

1780—1860.

1891 0. Kent, Leigh Hunt as Poet and Essayist

1893 GosmoMonkhonse, Life of Leigh Hunt (Oreat Writers). 1896 Reginald Brimley Johnson, Leigh Hunt Edward Stör er, Einleitung zn Leigh Hnnts Werken in The Begenfs lAbrary. 1910 Barnette Miller, Leigh Hunt's Belations with Byron,

Shells, and Keats. 1912 W. F. Schirmer, Die Beziehungen zwischen Byron und Leigh Hunt.

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Charles Lamb. 1775-1834.

Lebensabrifi.

Lamb selbst hat einmal treffend gesagt, seine Lebens- beschreibung gehe in ein EpigrarnntO Von einer Bio- graphie kann bei ihm nicht recht die Bede sein. Alle äußeren Begebenheiten fehlen. Das einzige furchtbare Erlebnis, das ihn, wie ein Verhängnis, schuldlos trifft^ steht am Anfang seiner Bahn, oder vielmehr es greift als ein grausiges yorbestimmendes Fatum in die Zeit vor seiner Existenz zurück. Eine Anlage zum Wahnsinn spukte in der Familie seines Vaters. Als Zwanzigjähriger erlitt Lamb selbst einen vorttbergehenden und vereinzelten Anfall. Am 27. Mai 1796 schreibt er in düsterem Qalgenhumor seinem Schulfreunde und Vertrauten: „Coleridge, ich weiß nicht, was für Leidensszenen du in Bristol durchgemacht hast. In mein Leben ist in letzter Zeit etwas Abwechslung gekommen. Die sechs Wochen, die das vorige Jahr ab- schlössen und das neue begannen, hat dein ergebener Diener in einem Tollhause in Hoxton zugebracht. Ich bin jetzt einigermaßen vernünftig geworden und beiße nie- manden, aber toll war ich, und manchen tollen Streich hat meine Einbildungskraft mir gespielt. Sie reichten hin, einen

0 CornwaU 598.

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Der UterariBche Sssay. 87

Band zu fällen, wenn man sie mir alle erzählte.^ Coleridge sagte Gottle, Lamb hätte sich im Irrsinn für den jnngen Norval, eine Fignr in John Homes Tragödie Douglas (1754), gehalten. 0

Er blickte anf die sechs Wochen seiner geistigen Um- nachtung „mit einer Art dastem Neides zurück^, denn während ihrer Daner hatte er viele Stunden reinsten Glflckes gehabt „Tränme nicht davon, Coleridge, die Herrlichkeit der Phantasie und Phantastik genossen zu haben, bevor du wahnsinnig warst^, schreibt er am 10. Juni 1796. In einem solchen Augenblicke erhöhter Stimmung hatte er im Irrenhause an seine Schwester und Freundin das Fahrende Sonnet Mary geschrieben. Mary (geboren am 3. Dezember 1764) war um zehn Jahre älter als Charles (geboren den 10. Februar 1775), das jüngste von sieben Kindern, von denen außer diesen beiden nur der älteste, John (1763—1821) am Leben geblieben. Im Eltemhause herrschten gedrückte und abhängige Verhältnisse. John Lamb, der Vater (f 1799), stammte aus Lincolnshire und war so arm, daß er noch als Kind nach London geschickt wurde, um sein Brot zu suchen. Er fand es bei einem Advokaten Salt, halb als Beamter, halb als Be- dienter, oder richtiger als ein Faktotum, das beide Stellen in einer Hand vereinigte. Eine gewisse heitere Veran- lagung vermochten auch die Sorgen des Lebens nicht ganz in ihm zu verwischen. Er war nicht ohne literarischen Ehrgeiz. In seiner kleinen Bücherei gab es einen Hudibras; eigene poetische Versuche Fabeln in der Art Gays, kleine Charakterskizzen und dergleichen hat er als Poetical Pieces on several Occasions (Poetische Ver-

1) Talfonrd, Sketch,

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88 Der literarische Essay.

suche zu verschiedenen Gelegenheiten) gesammelt. Aber verhältnismäBig früh begannen seine geistigen Fähigkeiten nachzulassen. Er verfiel allmählich in Schwachsinn ^ und mußte 1795 seinen Posten aufgeben. Seine wesentlich jüngere schöne Gattin Elizabeth, geborene Field, deren Äußeres so sehr dem der Mrs. Siddons glich, daß man sie für Schwestern hielt, entbehrte bei mancher trefflichen Veranlagung der mütterlichen Einsicht in den Charakter ihrer Kinder. Der hübsche, muntere, selbstbewußte John war ihr Liebling; die unscheinbare, stille Mary verbrachte eine einsame Kindheit, bis sie in dem jüngsten Brüderchen einen dankbaren Gegenstand für ihre Zärtlichkeit und Sorgfalt fand. Damals wohnten die Lambs im Advokaten- bezirk, dem inneren Temple. Das weitläufige und melan- cholische, ehrwürdige graue, epheuumsponnene Gemäuer, hinter dem, wie durch einen Zauber, das lärmende Getriebe des Londoner Citylebens weltabgeschiedener, traumumwobener Stille weicht, war die Geburtsstätte und das Heim des schüchternen, versonnenen Knaben. Den immei^^rünen Hof, seinen Spielplatz, überschattete der in die Zeiten der Templer zurückreichende runde Turm. Unter dem Maul- beerbaum in seiner Mitte hatte der Überlieferung nach Heinrich VIII. Anna Boleyn umworben.^) Es war noch der- selbe Templegarten, in dem Shakespeare seine Eosenszene {Heinrich VI., T. 1, 11, 4) vorgehen ließ. Was Charles die Tagesschule eines Herrn William Bird in Holbom und eine fünfjährige Studienzeit in Christ Hospital an Wissen geben

0 Aus dem Umstände, daß die Bestätdgnng von Charles' Austritt ans Clirist Hospitali 1789, und seiner Übergfabe an die Familie von der Mutter unterzeichnet ist, zieht Derocquigny die Vermutung, dafi der Vater damals schon schwachsinnig war (S. 89).

•) Vgl. Kent, Menioir 5.

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Der literarische Essay. 89

konnte, war alles, was die Lambs für seine Bildung aufzubringen vermochten. Als er 1789, vierzehnjährig, vor einer Bem&wahl stand, waren die Möglichkeiten, die sich ihm boten, äußerst geringfügiger Natur. Das Gebrechen des Stottems, das ihm anhaftete, verwehrte ihm die geist- liche Laufbahn, die Armut der Eltern ein gelehrtes Studium. So wurde er 1792, vermutlich auf Samuel Salts Verwendung, zweiter Buchhalter im South Sea House, wo schon der ältere Bruder John angestellt war.

Die Mutter wurde paralytisch. Mary rieb sich mit der Krankenpflege und angestrengter Handarbeit zum Brot- erwerbe aut*) Im September 1796 zeigte sie Spuren geistiger Zerrüttung. Charles ging ihretwegen zum Arzte, traf ihn aber nicht an.^) Zwei Tage darauf, am 23. Sep- tember 1796, geschah das Entsetzliche.

In einem plötzlich ausbrechenden Tobsuchtsanfall ver- letzte Mary mit einem Messer den Vater, verwundete eine im Hause lebende Tante lebensgefährlich und erstach die Mutter.

Unter diesen Auspizien begann der junge Lamb sein Leben. Das war sein erstes und einziges großes Erlebnis.

Die ganze Last der häuslichen Verhältnisse fiel auf ihn. Bruder John, ein großer, plumper, jovialer Mann von durchaus praktischer Veranlagung, war nicht gesonnen, sich durch das häusliche Unglück aufzehren zu lassen. Charles berührt in einem Sonnet das heitere Leben des in blühender Männlichkeit stehenden Bruders. Später wurde er ein gesetzter Mann in behaglichen Verhältnissen, ein

0 YgL ihren Artikel On Needle Work: „Elf Jahre habe ich mich in meiner frühen Jagend mit Handarbeit zum Lebensunterhalt betätigt*' >) GUchriBt 23»

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90 Der literarische Essay.

Bilderliebhaber nnd Tierfreund, der zur Verhtttung der Tierquälerei sogar einmal zur Feder grifft ^^^ ^^ ^^^ Geschwistern auf gutem Fuße blieb, ja Charles zu seinem Erben einsetzte. Aber fOr den Augenblick fand Charles an ihm keine Stütze. Um so wunderbarer erwies sich die Kraft seiner jungen Schultern, die er gegen die Wucht des Schicksals zu stemmen hatte. Wie es bei übersensitiyen Naturen der Fall zu sein pflegt, fand die Entscheidungs- stunde ihn gerüstet Seine Fassung, seine Energie waren fast übermenschlich.

Er selber kann es nur seinen religiösen Grundsätzen zuschreiben, daß es ihm gelang, ruhig zu bleiben. „Ich fühlte", schreibt er am 3. Oktober an Coleridge, „daß ich etwas anderes zu tun hatte als zu klagen. Die Tante bewußtlos, wie tot Der Vater mit verbundener Stirn, verwundet durch eine geliebte, ihn liebende Tochter. Meine Mutter ein lebloser, gemordeter Leichnam. Dennoch wurde ich wunderbar aufrecht gehalten. Ich schloß diese Nacht mein Auge nicht im Schlafe, aber ich lag da ohne Ent- setzen, ohne Verzweiflung.'' Schon am 27. September, als er Coleridge den Vorfall meldet, bittet er ihn um einen frommen Brief, so fromm wie nur irgend mSglich, aber ohne Erwähnung dessen, was vorbei und abgetan. „Für mich ist das Vergangene vergangen und ich habe anderes zu tun als zu fühlen.''

Die Pflicht, für die materielle Existenz der Familie aufzukommen, erfüllt seine Seele mit einer Art fanatischer Ausschließlichkeit Daneben scheint in seinem Unter- bewußtsein die phantasievolle Vorstellung einer Art liebes- sühne für die unfreiwillige Schuld der Schwester mitgewirkt

>) A Letter to the Beu. WüUam Windham, 1810*

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Der literarische Ej'say. 91

ZU haben, die ihm durch ihr Unglfick gewissermaßen geweiht erscheint In einem Gedichte vom Oktober 1797 heißt es: „Wunden, denen Christi gleich, sind meine einzige Bettung und die Verheißungen des Eyangeliums mein Bechtsanspmch.''

Mit einer Jugendliebe, die eine Zeitlang sein Innerstes aufgewühlt zu haben scheint, wird endgiltig abgeschlossen. Die blonde Ann Simmons mit den Mondscheinaugen, in denen eine schflchteme Anmut zitterte, i) hatte Lamb bei seiner Großmutter in Blakesware (Hertfordshire) kennen gelernt, dem Landaufenthalte, an den sich seine schönsten Eindheits- erinnerungen knfipften. Einer Andeutung gegen Coleridge^) zufolge, hatte sie seinen Wahnsinn verschuldet, den freilich der weltkluge John dem Einflüsse der „verfluchten närrischen Empfindsamkeit und Melancholie'' eben dieses Freundes zuschrieb (Brief vom 10. Dezember). In dem Sonett To my Sister (An meine Schwester) gedenkt Charles der Güte Marys, daß sie oftmals dem Liede eines verzweifelten Liebes- kranken ihr Ohr geliehen. In den Sonetten des Jahres 1795 spielt er auf seine Liebe bereits als etwas Vergangenes an. Doch dürfte dies wohl nur zugunsten der poetischen Stimmung geschehen. Innerlich hatte Lamb das Erlebnis noch nicht überwunden, wenn er vielleicht auch gezwungen war, seine Aussichtslosigkeit anzuerkennen. Ann hat spftter an einem Londoner Silberschmied und Pfandleiher Bertram eine gute Partie gemacht') Lamb schrieb (14. November 1796) an Coleridge: „Ich bin mit dem Schicksal meiner Schwester und meines armen Vaters ver- heiratet" Und am 8. November bei Übersendung der

0 Sonett IV. *) 27. Mai 1796. «) AiagerSO.

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92 Der litenuische Essay.

Sonette: „Nenne sie Skizzen, Fragmente oder wie dn willst, aber bezeichne nichts von meinen Sachen als liebes- sonett. Ich würde darin nnr klein erscheinen, denn Liebe ist eine Leidenschaft, von der mir nichts verblieben ist. Es war eine Schwäche, von der ich mit den Worten Petrarcas, dessen Leben nun offen vor mir liegt, sagen kann : sie habe, wenn sie mich ans manchem Laster empor- gezogen, doch aach das Wachstum mancher Tugend ver- hindert, indem sie sich mehr mit der Liebe des Oeschöpfes als des Schöpfers erffillte, was der Tod der Seele ist''

In den Versen Written a Year after ihe Events (Ge- schrieben ein Jahr nach den Ereignissen), September 1797, in denen er seines stflrmenden Schmerzes an der Bahre der Mutter bereits als ein Verwandelter gedenkt, wünscht er die Tage der Eitelkeit, der Liebe zu einer schönhaarigen Maid nicht mehr zurück. Er hat sich in den göttlichen Ratschluß ergeben und blickt in die Zukunft ohne Hoffnung, ohne Angst Besitz sei eine Last, die er nicht tragen könnte, Frohsinn ein Verbrechen, daran er sich nicht wagen dürfe, und der Wein kein Labsal, nein, ein bitterer Kelch.

Mit einer Art von stoischer Absage an die Freude geht Lamb an seine Lebensaufgabe. In jungen Jahren bringt er bereits die Resignation des Alters aul Qott- ergebung auf Gnade und Ungnade ist die Grundstimmung seines Gemütes. Kaum, daß sich ihm einmal die Frage an das Schicksal entringt: Warum ist dies so?

Niemals war sein Herz tiefer durchdrungen von der Heiligkeit der Familienbande als in jenen Tagen, in denen er, wenn er Abends müde und ausgehungert aus seinem Amte nach Hause kam, endlosem Kartenspiel mit dem kindischen Vater seine Abende widmen mußte. Aus dem

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Der literarische Essay. 93

Jahre 1797 stammen die für sein Familiengefflhl charakte- ristischen, in ihrer sehnsuchtsvollen Klangfarbe merkwürdig an unsere Iphigenie erinnernden Verse:

Em schweres Los ward ihm, dem Unglfteklichen, Der lebt, der letzte seines ganzen Stamms. Er blicket um sich nnd sein Ang' erkennt Das AntUtz Fremder und ihm sinkt das Herz.

Mary erwachte bald aus ihrer Geistesstörung. Sie wußte von ihrer Tat, war aber von der tröstlichen Ge- wißheit durchdrungen, daß die Mutter, daß Gott ihre Unschuld sähen und ihr, was sie ohne Wissen und Willen ver&bt, vergeben hätten.

„Sie ist ohne Angst^, schreibt Lamb an Coleridge (17. Oktober 1796). „Nachts scheint der Geist der Mutter herabzusteigen und ihr zuzulächeln. Er heißt sie das Leben und die Vernunft, die Gott ihr gab, genießen.^ Mary tröstet sich damit, daß sie die Mutter im Himmel wiedersehen und dann besser von ihr verstanden werden wird. „Arme Mary!'' ruft Lamb aus. „Meine Mutter verstand sie in der Tat niemals recht!''

Trotz Marys Überzeugung von der ihr gewordenen völligen Absolution, die es ihr möglich machte, ungeschreckt von der Mutter zu sprechen, blieb es für andere doch immer ein heikles Thema, das nicht berührt werden durfte. Die Pflegetochter der Lambs, Anna Isola, erzählt, wie sie, nach- dem sie jahrelang im Hause geweilt^ einmal gefragt habe, warum Mary nicht von ihrer Mutter rede, worauf diese mit einem schrillen Schrei aus dem Zimmer gestürzt sei. Lambs Gedichte, die sich auf den Tod der Mutter beziehen, z. B. dais innige Written on the Day of my Äunts Funeral (Ge- schrieben am Begräbnistage meiner Tante), in dem er der Matter als der „lieben toten Heiligen" gedenkt, durften

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d4 Der literarische EsBay.

ZU Marys Lebzeiten nicht veröffentlicht werden, und nnter all dem mchen biographischen Detail der Essays of Elia wird Elizabeth Lamb nicht erwähnt Sie gleitet als das stumme Schreckgespenst durch das Leben der Gleschwister.

Charles gab Mary gegen Johns Willen in Privatpflege. Er sorgte für Lektüre, man schrieb und sah sich täglich. Sein ganzes Streben ging dahin, ihr durch den Ausdruck seiner Liebe wohlzutun. Er widmete ihr (14. November 1796) seine Gedichte mit diesen Worten auf dem Titelblatte: „Die wenigen folgenden Gedichte, Geschöpfe der Phantasie und des Gefühls in den freien Stunden des Lebens, zum größten Teil hervorgebracht von der Muse der Liebe, sind mit der ganzen Zärtlichkeit eines Bruders gewidmet Mary Lamb, des Verfassers bester Freundin und Schwester."

Er lehnt ihretwegen eine Einladung Coleridges ab, die ihn beglücken würde. Nach dem Tode des Vaters (1799) nimmt er sie auf eigene Verantwortung zu sich. Willig unterzieht er sich der unausgesetzen Rücksichtnahme, die ihr Zustand fordert. Denn der schwarze Dämon schwebt beständig mit ausgebreiteten Schwingen über ihr und droht, sich herabzusenken.

„Gott schütze und bewahre uns alle vor Wahnsinn, der traurigsten aller Krankheiten", schreibt Lamb am 15. April 1797 in einem Brief an C!oleridge; und am 28. Januar 1798: „Ich betrachte sie fortwährend als am Bande des Wahnsinns." Jederman wußte, wie es um sie stand. „Wir sind gewissermaßen gezeichnet", heißt es am 12. Mai 1800, und die häufigen Wohnungswechsel der Lambs mögen mit manch bitterer Erfahrung verbunden gewesen sein. Selbst die guten Stunden vergiftete die Angst. Gemütsbewegungen und physische Anstrengungen mußten Mary ferngehalten, ihre Stimmungsäußerungen unausgesetzt

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Der literarische Essay. 95

beobachtet werden. Trotz aller Vorsicht kehrten die Anfälle wieder, mit dem zunehmenden Alter wurden die Leidensperioden immer häufiger und immer länger. Stellten die untrüglichen Vorzeichen sich ein, Mattigkeit, Auf- regung, Schlaflosigkeit so waren die Geschwister gewarnt. Charles schildert Dorothy Wordsworth, wie in solchen qualyollen Zeiten seine eigene Angst und Reiz- barkeit das Übel beschleunigte (14. Juni 1805). Dann pflegte er einen Urlaub „für einen Tagesausflug^ zu nehmen, um Mary nach Hoxton zu bringen. Sie selbst packte für den Notfall die Zwangsjacke mit ein. Charles Lloyd erzählt, dafi er den beiden Heimgesuchten auf einem solchen Gange durch die Felder begegnet sei, Hand in Hand, in Tränen gebadet 1) Kopf und Herz zerrüttet, wie ein Schiffbrüchiger kehrte Lamb in sein ödes Haus zurück. In solcher Zeit entringt sich ihm einmal (12. Mai 1800) der Ausruf: „Ich woUte, Mary wäre totl^

Sein Leben entbehrt während dieser Unterbrechungen der „schönen Zweieinsamkeit'', wie Wordsworth das Ver- hältnis der Geschwister bezeichnet, jedes Lichtpunktes. Im Sommer 1829 schreibt er an Allsop: „Mein Haus ist gegenwärtig seines gröfiten Stolzes beraubt. Sie ist seit yielen Monaten für mich tot'' Er meidet fast allen Ver- kehr, einem Vergnügen, das er sich allein gönnen würde, haftet in seiner Empfindung etwas Unanständiges an." 2) Seinen Beruf erfüllt er freudlos in stoischer Pflichttreue. Seit 1792 war er bei der East India Company angestellt. DoTch 33 Jahre legte er Tag für Tag um dieselbe Stunde den Weg nach Leadenhall zurück, saß er Tag für Tag die

«) Ainger 40. *) An Goleridge.

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96 Der literarische Essaj.

vorgeschriebene Zeit hinter seinem Polte, erledigte er Tag für Tag die trockenen Geschäfte, die ihn nicht inter- essierten. Tag für Tag bis der Jüngling ein alter Mann geworden war.

Anfangs hatte er einen j&hrlichen Urlaub von einer Woche. Allmählich wuchs sein Ansehen, denn er war ein braver, fleißiger Beamter, und seine Stellung verbesserte sicL Mehr als ein bescheidenes bürgerliches Auskonunen hat sie ihm trotzdem nie eingetragen, und beide Geschwister griffen notgedrungen zur Feder, um den spärlichen Ein- nahmen etwas aufzuhelfen.

Abgesehen von der platonischen Schwärmerei für eine schöne Nachbarin in Pentonville, die Quäkerin Hesther Savory (f 1797), scheint die Liebe Lambs Herz nur noch einmal mit einem milden Herbststrahl gestreift zu haben. Die durch heitere Natürlichkeit ausgezeichnete Schauspielerin Fanny Kelly, die mit Mary verkehrte, tat es ihm an „mit ihrem göttlich einfachen Gesicht.'' Ihr Wesen dünkte ihm zu gut für die Bühne. Am 20. Juli 1819 machte er ihr einen förmlichen Heiratsantrag, in dem es heißt: „Ich wollte, Sie wären von diesem Leben erlöst und könnten sich entschließen, Ihr Los mit dem unseren zu vereinen. In manchem angenommenen Charakter habe ich Sie lieben gelernt, aber als Fanny Kelly liebe ich Sie mehr als in ihnen allen. Können Sie diese Schatten- existenzen verlassen und zu uns kommen und uns eine Wirklichkeit bedeuten?" Ihr Herz war bereits gebunden, aber sie bot ihm die Hand zur Freundschaft Lamb schlug ein mit einer „wehmutsvollen Ich weiß nicht wie-Stimmung." „Sie wollen gut Freund mit uns sein, nicht wahr?", heißt es in dem zweiten Brief vom 20. Juli 1819 denn die ganze Korrespondenz spielte sich an einem

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Der literarische Bssay. 97

Tage ab. Sodann yersteckt er seine Erregung hinter einem Wortwitze. „Wir wollen uns darflber nicht die »Beinec brechen. Sie werden sie nns doch nicht verweigern, wenn wir danun schicken?^ (nftmlich um die Theaterfreikarten ans Bein). Wie bezeichnend ist aber in dieser Liebes« korrespondenz nicht der Plural wir, uns den Lamb unausgesetzt anwendet Maiy wirbt gewissermafien mit um Fanny. Ohne ihr Einverständnis, ihren Wunsch, d&chte Charles an keine Heirat Er und Mary sind ja untrennbar eins, haben nur ein gemeinsames Leben.

Sie ist seine Haushälterin, seine Gtof&hrtin und Helferin, seine Beni&genossin. Wie Dorothy Wordsworth, die gute Schwester, sich in die Naturschw&rmerei ihres Bruders einlebte, so wurde Mary Lamb eine Stadtpflanze und ein Bficherwurm nach der Art ihres Charlea^

War Mary geistig normal, so kam ihr an Liebens- wfirdigkeit und Trefflichkeit des Charakters wie an Klugheit und Begabung sobald kein anderes Wesen gleich, und ihre selbstlose Hingebung fUr den Bruder wurde nur durch die seine f&r sie aufgewogen. Die einzige Schatten- seite dieses völligen Ineinanderaufgehens waren die mit dem unvermeidlichen Übermaß gegenseitiger FBrsorge ver- bundenen Nörgeleien. So klagt Maiy im Mai 1806 ihrer Ifreundin Sarah Stoddart, dafi sie keinen Einfluß auf Charles habe. „Unsere gegenseitige Liebe ist bisher die Qual unseres Lebens gewesen."

Marys zahlreiche, lebenslange Freundschaften zeugen f&r die Wahrheit ihres eigenen Wortes, daß sie bei aller schflchtemen Zurfickhaltung ihres leisen, anspruchslosen Wesens Menschenkenntnis und die Gabe besaß, den

') YgL Gfldkrist 46. Oeidiiehte der a^liMhen Bomantik n, l.

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98 Der litenrisolie Bsny.

Charakter der Menschen zn dorchschauen und sie demgem&S zu behandeln. Sie bezeugen aber auch Barry Comwalls Aussage, daß Mary wohl onter allen Menschen auf der Welt am völligsten der Selbstsucht bar gewesen. De Qoincy nannte sie die madonnenhafte Frau. Ihr stilles, sanftes Wesen war in der Tat der Inbegriff des Weiblichen. Sie sprach leise, Iflchelte hioflg, doch lachte sie niemals laut Dem Bruder gegenüber benahm sie sich wie eine be- wundernde Schfilerin,0 w&hrend er seinerseits in ihr die notwendige und weitaus bessere Ergänzung seines Lebens erblickte. Er schrribt am 14. Juni 1805 an Dorothy Wordsworth: ,,Ich bin ein Narr, sobald ich ihrer Mit- arbeiterschaft beraubt werde. Ich bin gewohnt bei der kleinsten wie bei der grOfiten Schwierigkdt zu ihr auf- zusehen. Aussprechen, was ich an ihr habe, wftre wohl mehr als irgend jemand verstehen könnte. Sie ist Uter, weiser, besser als ich, und ich verhalle mir meine elenden Unzu- länglichkeiten, indem ich zu ihr aufblicke.'' Sie wurde allm&hlich für ihn zum Maßstabe f&r die Wertschätzung des ganzen weiblichen Geschlechts, dem gegenftber er von konventioneller Galanterie nichts wissen wollte. Die Frau, so meinte er, mflsse durch ihr Wesen dem Manne Ehrfurcht vor der Weiblichkeit abnötigen. In dem Gedichte Writtm on Christmas Day^ 1797, apostrophiert er sie: Vertraute Freundin, Gefährtin, Schwester, Gehilfin und Beraterin! Der Verkehr der Geschwister blieb dennoch aller Ge- spreiztheit, alles zur Schau Tragens feierlicher Gefühle bar. Lamb machte einmal den charakteristischen Sch^^: „Ich nenne meine Schwester Moll vor den Dienstleuten, Mary in Gegenwart der Freunde und Maria, wenn ich mit

>) Mn. Balmanno, Lamh and Eood {Fm and FencU^ 1858).

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Der fiterariflcfae Essay. 99

flir allein bin.^ Sie hatten der Liebe und des Ver- ständnisses genug für jede Stinmrang nnd Lage.

In Zeiten der Krankheit schweifte Marys Geist in die Vergangenheit und beknndete oft in SchilderuDgen von grofier Schönheit einen phantasievollen Schwung. Sie bildete sich ein, im Zeitalter der EOnigin Anna oder Georg L zu leben nnd beschrieb die prächtig gekleideten Hofdamen nnd ihre Manieren, als wäre sie unter ihnen ani^wachsen. In gesunden Tagen fiberwog in ihrem Wesen schlichte Buhe uud wohltuende Klarheit Ihre Briefe sind von erlesener Anmut des Geistes und Herzens wie des Stils, um ihn zu verbessern, lernte sie ohne Hilfe Lateinisch, und brachte es so weit, ihrerseits Fanny Kelly unterrichten zu können. Gleichwohl besitzen wir aus ihrer Feder, von den gemeinsamen Arbeiten mit dem Bruder abgesehen, nur einw einzigen, unter der Chiffre Sempronia im British Lady's Magaufiney April 1805, er- schienenen Artikel On Needle Work (Über Handarbeiten). 0 Der Au&atz ist ein Protest gegen die falsche Scham vor dem Geldverdienen und gegen die Geringschätzung der Arbeitenden. Mary möchte das Ansehen der weiblichen Handarbeit heben und sie fortan nur als Gelderwerb aus- geübt sehen. Wenn die Frau, wie der Mann, nur fär Geld arbeite, so werde sie ihm auch in bezug auf den Lebensgenuß gleicher gestellt sein. Des Mannes Zeit sei in wirkliche Arbeit, wirkliche Bast geschieden „zwei Qaellen des Glftcks, an denen wir unbedingt in weit geringerem MaSe Anteil haben." Die Frau rackere sich den ganzen Tag ab, ohne, genau genommen, etwas zu tun. Unser höchstes Lob sei schon, die Gehilfin des Mannes

>) Abgedruckt Gilchrist, 186 fif.

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100 Der Utenurische Essay.

genannt zu werden. Indes ist Haiy nnr ein sehr bedingter Anwalt der Erschliefinng mftnnlicher Arbeitsbemfe für die Frao. Sie hält es zwar durchaus nicht für unmöglich, MSdchen, beispielsweise, zu Schreibern heranzubilden, in- dem man sie von Anfang an fttr die Arbeit erzöge. Viele Möglichkeiten stünden alleinstehenden Frauen dann offen, um einen unabhängigen Lebensunterhalt zu gewinnen, wären alle Eltern darauf bedacht, einen der jetzt von Männern besetzten Berufe fflr ihre Töditer zu beschlag* nahmen, die dann genau so ffir ihn ausgerBstet w&rden, wie jetzt die Söhne. Dennoch sähe sie lieber, daß die Frauen sich in ihren bisherigen Berufen vervollkommneten als in neuen; nur sollten sie, statt allein durclL.Geldsparen das Ihre zum Haushalt beizutragen, dies in positiver Weise durch Geldverdienen tun.

Daß indes eine urwftchsige schriftstellerische Begabung Mary nicht innewohnte, beweist ihre Äußerung zu Crabb Robinson, das Schreiben wäre eine viel zu mühsame Beschäftigung^ als daß sie ohne Nötigung zu ihr greifen würde. 1)

Marys Zustand wie die bescheidenen Einkünfte der Lambs bedingten ein Leben in stiller Zurückgezogenheit Es war dies nicht daa geringste Opfer, das Lamb, von Haus aus eine gesellige Natur, der Schwester brachte. In der Jugend bot ihnen das Theater einen Quell reicher Anregung und Unterhaltung. Als Charles dann in der Schriftstellerwelt festen Fuß faßte, wurden die Mittwoch- abende, an denen sich ein erlesener Freundeskreis zu ein- fachster Bewirtung bei den Geschwistern einfand, der Mittelpunkt ihrer geselligen Freuden. So manches Feuer-

^:r

') Qüchrist 194.

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werk von Geist und Witz ward hier losgelassen. Barry Gomwall sagt^ Hazlitt sei der beste Bedner gewesen, Hnnt der orwtLchsigstey Lamb habe die markigsten, witzigsten Anssprfiche getan.

Hazlitt findet ihn im ernsten Oespr&ch wie in den ernsten Anfsätzen am besten. ,,Niemand hat je so feine, pikante, tiefe, beredte Dinge in einem halben Dutzend halber S&tze heransgestammelt wie er. Seine Witze brennen wie Tränen.^ i)

John Forster spricht von Lambs Gewohnheit, der Schwermut durch eine Art Heiterkeit Luft zu machen. Er befreie seine Brust von ihrer Last durch nichts Ernsteres als einen SpaS Aber eben das, was ihn bedracke. Li einem Scherz, in etlichen leicht hingeworfenen Phrasen pflege er die Tiefen seines Herzens zu enthflllen.^) Manche humoristische Absonderlichkeit seines Benehmens, die den Freunden Anlaß gab, ihn mit Tristram Shandy zu ver- gleichen, mag auf diese Veranlagung zurückgehen. So entsetzt er, z. B. bei einem Begräbnis die Leidtragenden durch einen Witz und fflhlt sich dann infolgedessen elend.*)

De Quincy bezeichnet als die wahre Basis von Lambs Charakter seinen Abscheu vor der Affektation. Ertappte er sich dabei, ein „schönes^ Wort gebraucht zu haben gleichviel ob es auch an diesem Platze das kr&ftigste war pflegte er sich sogleich aber seinen Sdiwulst lustig zu machen. Lifolge dieser intensiven

0 The PJam Speaker.

*) ISaleitaiig su Lambs On ihe DetUh of Cöleridge (New MofMy Magagme 1885).

*) Brief an Patmore (Fitigenld, Lamb, hieFriende eto. 199).

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162'--" ••••'•'•l)erlitertri»che Essay.

Ehrlichkeit nnd Wahrhaftigkeit gestattete Lamb sich Dinge zu sagen, durch welche er die Empflndnngen der Anwesenden bald elekterisierte^ bald erschreckte, mitunter aber auch wie durch ein plötzliches Entblöfien der nackten, zitternden menschlichen Natur abstieß. Seine Eonversationsgabe machte sich selbst das Gebrechen des Stottems, welches ihm an- haftete, dienstbar; er erzielte eine schauspielerische Wirkung durch die j&he, einem Pistolenschuß gleichende Entladung der Stimme auf dem wichtigen Worte.

In zwangloser, geisterfullter Fröhlichkeit ffihlte Lamb sich am wohlsten. Er konnte derb offen sein, ohne zu verletzen; man hOrte nur die freundschaftliche Vertraulich- keit heraus und fohlte sich geschmeichelt i) Formsichere Eleganz beengte ihn. Sein Verhalten geistigen Getränken gegenüber hat die Gemüter vielfach beschäftigt Tatsache ist, daß er einem Glase gern zusprach und daß er den Alkohol nicht vertrug. Hunt sagt: Er hatte einen sehr schwachen Magen und drei Glas Wein machten ihn so lebhaft^ wie es andere Leute nur durch ebenso viele Flaschen werden. 2) In seinen Briefen erscheinen mehrfache Er- wähnungen dieser Schwäche. Am 24. September 1802 schreibt er an Manning: „Ich glaube meine Gewohnheiten verändern sich und zwar vom Trunkenen zum Nflchtemen. Ob ich glücklicher sein werde oder nicht, muß sich erst erweisen. Des Morgens werde ich sicher glücklicher sein. Aber ob ich nicht das Fett und Mark und die Nieren opfere, nämlich die Nacht, die glorreiche, soif;enertränkende Nacht, die alle unsere Leiden heilt, in unsere Kränkungen Wein gießt und den Schauplatz von Gleichgiltigkeit und

0 Cowden Glarke 64.

<) Nachruf, London Journal^ 7. Januar 1886 (bei Cowden Clarke)«

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Der literarisehe Essay. 108

Flachheit in Licht und Glanz wandelt?'' 1805 klagt er Aber sein „yerflnchtes Trinken^ , das seit fünf Jahren das Leben seiner Schwester verbittert habe,0 ^uid meldet Manning (27. Jnli), er sei unglaublich nflchtem und korrekt geworden« 1818 kehrt dieselbe Versicherung wieder, da- zwischen vermerkt Mary 1810: „Charles war gestern und vorgestern betrunken.'' Der nfichteme Crabb Bobinson fBgt (29. April 1843) zum Lobe der Ckmfessions of a DrunJsard (Bekenntnisse eines Trunkenbolds) hinzu, man werde kaum vermuten, welch ähnliche und treue Dar- stellung einer Tatsache sie seien«" 2)

Weim jedoch Lamb unter dem Druck traurigster Ver- hältnisse und erblicher Belastung nicht die Energie auf- gebracht hat^ die jeder Anfechtung aus dem Wege geht, so ist er der Versuchung doch auch niemals bis zum Gewohnheits- mftfiigen erlegen. Die ErfUlung seiner Amtspflichten war ebenso tadellos wie das niemals aussetzende unbedingte Bewußtsein seiner häuslichen Verantwortung und die un- vergleichliche Liebenswürdigkeit seines Wesens, die seine Freunde im Banne hielt Über wenige Menschen der Literaturgeschichte sind so enthusiastische Äußerungen vorhanden wie Aber Lamb. Einige Tage nach seinem Tode schloß John Forster eine W&rdigung Lambs als Essayisten, Dichter und Kritiker mit den Worten. „Doch nicht als solcher hat er uns die stärksten GefBhle der Hingebung eingeflößt: wir liebten den Menschen. Er war das vollkommen liebenswflrdigste Wesen, das wir gekannt haben." Edward Moztons Nekrolog (27. Januar 1835)0

1) EitEgenld, Life, Letters, and WriUngs 1, 264.

^ Lucas S81.

*) Abgedrackt in The LeUera of Charle$ Lamb, Boston 1905, S. 59.

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104 Der literariflche Bssay.

gipfelt in dem SchlnBsatze: „Von allen Menschen, die wir je kennen gelernt, war Lamb in jeder Hinsiclit d^ originellste nnd hatte das beste Herz.^

Die Gemütstiefe seines Wesens hat nnter den Freunden wohl Barry Comwall am verständnisvollsten gewürdigt Er rühmt an ihm die Vereinigung selten Hand in Hand gehender Eigenschaften, Elogheit und Edelmut, ein weiches Herz und einen starken Willen, und vor allem den pikanten, eigenartigen Humor, sein immer wahrhaft grofimütiges, unabhängiges urteil über Menschen und Dinge. „Charles war häufig heiter, aber die Heiterkeit ruhte auf einem ernsten Hintergrunde, ^auf dem die farbigen und zarten Lichter saßen. Denn seine Scherze entsprangen einem Empfindungsvermögen, das der Freude so zugänglich war wie dem Leide. Diese Feinffihligkeit befähigte ihn, wenn sie auch seiner Kraft einigen Abbruch tat, zu Phantasien von eigentümlicher Zartheit und gab ihm die Neigung für Dinge von erlesenstem Geschmack, die ein blofier Spaßmacher nicht kennt Starkes Gefühl für den Humor, ein bitteres Bewußtsein der menschlichen Schwachheit, Hand in Hand mit tiefer Empfindung für menschliche Vorzüge und die Neigung, seinen Leser za mystifizieren, gerade wenn er ihn scheinbar am meisten ins Vertrauen zog^O ^^^e Mischung entgegengesetzter Elemente gab seinem Gemüt die charakteristische Färbung.

Lambs Güte und Bescheidenheit waren herzgewinnender Art Er verstand es, eine Gabe so anzubieten, daß er den Empfänger unter dem Eindruck ließ, dieser habe ihm eine Gefälligkeit erwiesen.')

») Cowden Clarke 37.

*) Bitny Cornwall, Memair 544,

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Der Uterariflche Ettmy. 105

P. G. Patmore, nennt ihn einen sanften, weich- harzigen Misanthropen, 1) der der Sklave seines Hnndes Daah nnd seiner Magd Becky war. Hnnt gibt in seiner reizenden Epistel To Charles Lcmb ein anmutendes Genre- bild, wie die Lambs sich natfirlich bei schlechtestem Wetterl einfinden, wie man in der Eaminecke Thee trinkt, sich wärmt nnd Aber alte Dichter spricht „0 dul^ mft er ans, „den der alte Homer Heimliebhaber, Gedanken- nfthrer nnd Spaßmacher nennen würde! Dessen Mitleid ans tiefer Erkenntnis fliefit nnd sich nicht in blofie Selbst- bespiegelnng nnd geringschätzige Znrdckhaltung verliert I^

Lambs Äußeres entsprach an charakteristischem Inter- esse seiner Persönlichkeit Hazlitt hat beide Geschwister 1805 gemalt Marys Bildnis^) mit den halbgeöffneten vollen Lippen nnd dem starren Blick der mandelförmigen Angen hat einen verstörten Ansdmck. Ffir Charles sdiarf- geschnittene, Geist nnd Energie atmende Zflge von sfldlich dankler Färbung scheint das Kostüm eines venezianischen Senators glücklich gewählt Hunt fand in der Hakennase, dem vollen, empoigebogenen Einn, dem glänzend schwarzen Auge und Haar einen jüdischen Typus und Benjamin Ellis nennt ihn, Lambs eigene Charakteristik des Sängers Braham zitierend, „ein seltenes Gemisch von Jude, Gentle- man und Engel^,') ohne daß der vermutete Tropfen jüdischen Blutes in seinen Adern irgendwie erwiesen wäre. 4) Lamb selbst hat in dem schönen Sonett auf seinen Familien- namen nur zwei Möglichkeiten der Abstammung ins Auge gefaßt: die von einem Hirten aus Lincolnshire oder von

0 My Frienäs amd AeqjUcmUMce, 27.

*) fieprodiudert im fünften Bande Ton Hacdonalds Lamb- Ausgabe.

^ Inihe Foctprinia of Charles Lamb 1891, 8. 5.

*) Ygl NoieB amd Queries 10, 8. VH (M&n 1907).

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106 Der Httnrisdie Essay.

einem rohmvolleii Erenzfahrer, der in Demnt den Namen angenommen, znr Ehre dessen, fBr den er ausgezogen. Im Oespr&ch mit Freunden soll er behauptet haben, sein Name laute eigentlich Lombe.^ Traurigkeit und Müde lag in seinem Antlitz, Ernst und Gelehrsamkeit ohne jede An- maßung, Genie ohne alle Pose, Wehmut ohne Strenge, hoher Gedankenflug ohne Geringschfttzxmg. Das schmerzliche L&cheln der von Ausdruck bebenden feinen Lippen gab den Ausschlag. Der Kopf war im VerhUtnis zu der schmächtigen, mittelhohen Gestalt zu grofi.^) De Quincy schildert in rhapsodischer Weise seine SchSnheit im Schlafe halben Weges zwischen Leben und Tod. Sein Antlitz mit der durchgeistigten Anmut des Umrisses, mit seiner kind- liehen Einfalt und seinem Wohlwollen nehme dann einen beinahe seraphischen Ausdruck an.*)

Fflr Lamb stand unter den Freunden Coleridge obenan. Er war in Christ Hospital in der oberen Klasse, als Lamb in die untere kam, und „dieselbe Unterordnung und Demut habe ich während eines lebenslangen Verkehrs gegen ihn bewahrt**, schreibt er am 21. November 1834. Ihre Freund- schaft hat in der Tat alle Phasen durchgemacht und bestanden. Zuerst die Überschwänglichkeit des stflrmenden Jugend-Enthusiasmus. „Coleridge! du kennst meine hohe Glfickseligkeit nicht, daß ich auf Erden ob uns auch Grafschaften trennen Einen habe, den ich Freund nennen kann!*' So heißt es in einem Briefe vom 14. Juni 1796. Dann folgt eine vorflbergehende Trflbung. Lamb macht sich 1798 Aber einen d&nkel- und gönnerhaften Ton lustig.

0 Fitigerald, Lamb, his t^iends, HtnmU etc. S. 17t

«) Vol. Vm, 152.

•) Htm^s London Journal, 7. Janntr 1835.

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Der Utenrifldie Emy. 107

den Goleridge anschlage 0 and bringt fttr die Dentschen- begeisternng weder Sympathie noch Verständnis anl^) Aber nach Coleridges Bückkehr ans Deutschland ist alles üdeder gnt „Je mehr ich ihn im Neglig6 des Alltags sehe, nm so mehr habe ich Gmndy ihn zn lieben nnd ihn fftr einen sehr guten Menschen zu halten, und alle törichten gegenteiligen Eindrücke entfliehen wie Morgen- sdilummer^, schreibt er an Manning (17. Mftrz 1800). Und bei Coleridges Tode drückt Lamb die Leere, die sein Abscheiden für ihn bedeutet, in folgenden Worten aus: „Ich kann keinen Gedanken denken, kein Urteil über Menschen und Bücher fällen, ohne mich yergeblich! an ihn zu wenden, auf ihn zu beziehen. Er war der Prüfstein all meines Sinnierens. Er war durch fünfzig Jahre mein Freund, ohne einen Zwist'' Ein Zustand der Verstßrtheit überkommt ihn. Er ist für alles andere unzu- gftnglich und reagiert auf jedes Gespräch ausschließlich mit der Bemerkung: „So ist Goleridge dahin.'' >)

Charakteristische Vertreter des Lambschen Freundes- kreises sind etliche stille Männer, deren Leben in ünschein- barkeit dahinging, die einzig durch den rein menschlichen Wert ihrer Persönlichkeit hervorragten und die gewißer- mafien das Unterholz bilden in diesem Haine erlesener Geistigkeit

Peter George Patmore (1768 1856), der Enkel eines deutschen Malers Bäckermann, ein tätiger Journalist, der als Verfasser größerer Werke seinen Freunden für emp-

O Brief an Sonthey yom 28. JnlL

>) Vgl seiB Gedidht Free ThKmiJkU an Eminent Composers.

^ VgL FitEgeraldB Amnerknng, dafi Lamb ktin vor seinem Tode mit Maiy wegen GeisteestOning in IMeld bei einer alten Fran in Pflege geweten ad (Lamb, his Fnends, Haunts etc.).

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108 Der ütenrisehe Essay.

f angene Anregung ebenso verpflichtet ist> wie diese ihm f&r Onttaten aller Art im wirklichen Leben. Seine InUtaUons of Celebrated Äuihors, or Imaginary B^ected Artides (Nach- ahmungen berfihmter Autoren oder erfundene zurück- gewiesene Artikel), 1826, verdanken die Idee Horace und James Smith, und leben von der Parodie Hunts, Lambs Ck)betts u. a. Sein Boman Chatswarth, or The Eomanee of a Week (Ghatsworth oder Der Boman einer Woche), 1844, ist die satirisch-humoristische Schilderung einer Schloß- gesellschaft, wie sie den Gegenstand von Peacocks Bomanen bilden; The Mirror of ihe Months (Monatsspiegel), 1826, gibt eine Charakteristik jedes Tages im Kalender, wie Leigh Hunt es gleichzeitig tat Ein Lustspiel, Marriage in May Fair (Hochzeit im schönen Lenz), 1853, ist eine kon- ventionelle Eifersuchtsposse. Ein dauernd wertvolles Buch aber hat Patmore doch geschrieben, das Buch seiner Frexmäschaiieu My Friends and Äcquaintancej 1854, persön- liche Erinnerungen, Lebensabrisse, Gharakterskizzen, Briefe, ein Buch, aus dem sein liebenswfirdiges Gem&t und sein kluger Geist gleich beredt spricht und das daher fast ebensosehr sein eigenes Denkmal ist wie das der Ab- geschiedenen, denen er es widmet.

Der Quäker Bernard Barton (1784—1849), ein sub- alterner Bankbeamter, dessen Leben sich ereignislos in Woodbridge abspielte, mit einem hübschen lyrischen Talent begabt, das ihm den Titel des Quäkerdichters erwarb, doch über den Umkreis von Woodbridge kaum hinausdrang. Seine Poems hy an Amateur (Dichtungen eines Amateurs), 1818, ohne originelle Färbung und grofle Gegenstände, beweisen einen ausgebildeten Formsinn und charakterisieren mit ihren zarten GefOhlstönen (Liebeslieder an die frtth ver- storbene Gattin und innige Gtedichte an die Tochter), mit dem

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Der Hteniiscfae Essay. 109

moralisiereiiden Ton ihrer Naturbetrachtung {To a Daisy. An ein GSnseblflmchen, To a Shylark. An eine Lerche) den gebildeten, trefflichen Menschen voll feinem literarischen Verständnis nnd tiefem Ernst in Ennstdingen, ohne daß sie sich aber das Niveau des gnten Dilettantismus erheben.

Dasselbe gilt von James White, dem Verfasser der 1796 anonym erschienenen Original Letters of Sir John FäUtaff and Hie Friends, now first made FUblic hy a OenÜeman and Deecendant of Dame Quickly, from Genuine MSS. wJhcJi have been in ihe Posseeeion of the Quickly Family near 400 Years (Originalbriefe Sir John Falstaffs und seiner Freunde, durch einen Nachkommen der Frau Hurtig zum erstenmal verOffenÜicht aus den ursprfing- lichen Handschriften, die seit fast 400 Jahren im Besitze dw Familie Hurtig sind). Die ftufierst geschickte Ver- wendung der in den Dramen gegebenen Charaktere und die prAchtig geglückte altertfimliche Ausdrucksweise rechtfertigen das warme Lob, das Lamb diesem heiteren Spiel des Humors seines einstmaligen Mitschülers in Christ Hospital zollte {Ttaise of Chinmey Sweepers. Lob der Schornsteinfeger). Doch war Whites literarische Ader mit diesem einen Werke ersch&pft

Zu keinem einzigen literarischen Werke rafEte sich ein anderes beliebtes Mitglied des Lambschen Kreises auf, der Begründer der englischen Volkszählung John Kickman (1771—1840), Herausgeber des Conrnerdal, Ägriculturaly and Manufacturers' Magazine und ein ausgesprochenes stili- stisches Talent^ doch ohne schriftstellerische Begabung, ja ohne Sinn für Poesie. „Der Gegenstand, den er am besten yersteht^ ist Nationalökonomia Befänden sich im Unterhause nur ein halbes Dutzend solcher Leute, so gäbe es dort Mut, Tagend nnd Weisheit genug, dieses Land vor der Bevolution

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110 Der ]it«rariflche Essay.

zu bewaliren, auf die es sicher znstenert.*' So schreibt Sonthey über RickmanO and fährt fort: „Seine Manieren sind stoisch) sie sind wie die Schale einer Eokosnnß nnd sein Inneres ist wie die Milch in ihrem Kern. In London bin ich immer sein Gast Wenn er mich an der Tfir bewillkommnet, gibt er mir nnr die kalte Hand, aber ich besitze sein ganzes Herz; nnd das Ding existiert nicht in der Welt, das er nicht für mich tftte, voransgesetzt» daß es mir znm Nutzen oder znr Freude gereicht.^ lUdonan war ein durchaus unromantuicher Charakter, dessen politisches Ideal ein wohlwollender Despotismus bildete, und dessen Interessen so ausschließlich im Realen wurzelten, daß es ihm selbst an der Wertschätzung der Efinste und einem Maßstabe fflr ihre Bedeutung gebrach. Aber ein gesunder Humor gab, zwischen ihm und Lamb eine gemeinsame Grundstimmung, und auf dieser Basis gedieh ein so prächtiges Verständnis, daß Lamb seinen Freund Bickman gelegentlich als einen vollkommenen Menschen, als eine Gattung fflr sich preist')

Diese Zugänglichkeit fflr mannigfaltigste menschliche Individualitäten bewirkte, daß Lamb, der sein Leben in dflsterster Vereinsamung begonnen hatte, seiner Freund- schaft allmählich einen außergewöhnlich weiten Umkreis gab. Ja, noch mehr. 1823 adoptierten die Geschwister eine kleine Waise aus Cambridge, Emma Isola, die sie erzogen und unterrichteten. Das heranwachsende Mädchen brachte in ihre Hagestolzenexistenz einen Schimmer von Eltemglflck und erleichterte Lamb die Zeiten der Prflfnng, wenn Mary abwesend war.

>) An Landor, 9. Febmar 1809.

*) Brief an Manning, 8. Noyember 1800.

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Der litennsche Basaj. 111

In dem Gedichte Harmany in Unlikeness (Eintracht in der Ungleichheit) stellt er die sanfte, leise Art der als blonde Yestalin dargestellten, damals sechzigjährigen Mary der aberspradelnden Lebhaftigkeit der brdnetten Isola gegen- aber. Ja, selbst die Hochzeit durften Mary und Charles der Pflegetochter noch ansrfksten, die 1833 den Verleger Moxon heiratete.

Aus dem erschfittemden Elend seines Lebensanfanges hat er allmUilich den Weg zur Gelassenheit der Entsagung gefunden, durch emsiges Einspinnen in seine enge Welt Seine Wonne waren endlose Spaziergänge, an deren Ziel in welcher Richtung der Stadt es immer liegen mochte ihm die liebliche Vision eines schäumenden Kruges Bier winkte.^)

Den Strom der großen Weltvorgänge hörten die Lambs kaum von ferne rauschen. Sein Urteil über Bonaparte holte er sich bei seinem Barbier. Der Barbier sagte, Bona- parte sei ein tapferer Mann, und so meinte Lamb, es wfirde ihm nickt widerstreben, dem Helden in seiner Vernichtung bei Tiselie aufzuwarten, barhaupt, stehend. Er fand, man hätte ihm Hampton Court oder Eensingtön mit einem Stück Grundbesitz bei London geben sollen. Wer weiß, ob das Volk nicht zu seinem Gunsten die Braunschweiger gestürzt hätte (1815 an Southey).^)

Das lebenslange Einerlei stumpfte allmählich Lambs AufDahmsfähigkeit ab. 1822 unternahm er eine Beise nach Paris. Aber er weiß von dort nichts zu berichten, als daß er einmal mit Talma soupiert und Frösche gegessen habe. Er gibt zu, daß Paris eine herrliche und malerische alte

0 Patmore 52. «)D^ret54.

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112 Der litenrische Easaj.

Stadt sei, mit der Terglichen London nen nnd schäbigr aussehe. Aber es h&tte eben doch keine Panlskirche nnd keine WestminsterabteL Mary erlitt unterwegs einen ihrer Anf ftUe. Lamb mußte sie in Paris in Pflege geben nnd sie kam erst zwei Monate sp&ter znr&ck. Der Wegweiser, den er ihr fflr die Besichtigung von Paris an die Hand gibt, empfiehlt ausschließlich einen Spaziei^ang am linken Seineufer, wo anderthalb Meilen lang B&cherbude an Bacherbude oder -laden gereiht stehe, nnd einen Besuch des P^re La Chaise. „Das, glaube ich, ist alles Sehens- werte — bis auf die Straßen und Qesch&fte von Paris, die an sich den besten Anblick bieten.'' 9

Als sich die Prüfungen immer rascher wiederholten und die bOsen Zeiten immer länger dauerten, wählte er, um die häufigen Übersiedelungen zu ersparen, den Ausweg, sowohl Mary als sich selbst in einer Priyatheilanstalt in Edmonton einzumieten. So ist Charles Lamb, der Schwester zuliebe, am 27. Dezember 1884 tatsächlich in einem Irren- asyl gestorben. Plötzlich, als ein Ungebrochener und Ganzer wurde er vom Tode gefällt, infolge einer leichten Verletzung, die er sich durch einen Fall auf seinem Spazier- gange zuzog und die den Botlauf nach sich zog. Sein ver- trauter Freund Bickmann deutete Southey (24. Januar 1835) an, daß Lamb sich die verhängnisvolle Wunde durch sein unvorsichtiges Trinken geholt „Ich dachte immer, daß dies sein Ende sein müßte und wundere mich nur, daß es so lange hinausgeschoben ward.*'

Als Lamb starb, war Mary in einem geistigen Dämmer- zustande, in dem ihr die Gr6ße ihres Verlustes nicht klar wurde. Auf dem Totenbette bewunderte sie die Schönheit

>) H. Crabb Bobinson, Diariea ü, 285.

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Der literarische Essay. 113

seines Schlafes, ohne Schlimmeres zu ahnen, i) So hat sie ihn zwölf Jahre aberlebt Am 28. Mai 1847 wurden die anf Erden unzertrennlichen auf dem Friedhofe von Edmonton znr ewigen Bnhe vereint In seiner vollen Tragweite hat Mary das Opfer des Braders, anf das begreiflicherweise vor ihr niemand anspielte, nicht gekannt

Barry Comwall sagt mit Becht^ er wisse kein zweites Beispiel, daß ein großes Ziel so unentwegt durch ein ganzes Leben im Auge behalten worden wäre als in Lambs Falle. Die Schwester war der Inhalt, der Zweck und der Boman seiner Existenz. Er taucht die steppenartige Öde ihrer äußeren Dfirftigkeit in den Goldglanz reichster Gemüts- afEekte und erbringt den tröstlichen Beweis, daß der Blick, der sich unbeirrt auf ein hochgestecktes Ideal heftet, selbst ein Dasein, das unfehlbar der Versumpfung in Siechtum und Philisterei verfallen scheint, auf die Höhen der Menschheit emporzuffihren vermag.

Lambs Dichtungen.

Auf die ernste Bichtung von Lambs jugendlicher Muse deutet sein Erstlingsgedicht Müle Viae Mortis (1789).

Als 1796 der zermalmende Schicksalsschlag auf ihn niederfiel, glaubte er in der ersten Betäubung, in der er gewissermaßen allen Lebensaussichten entsagte, auch mit seiner poetischen Tätigkeit abschließen zu müssen. Er verbrannte seine Manuskripte. Aber sein Talent erwies sich lebenskräftiger als sein Vorsatz und zumal, da auch Mary in ihren lichten Zeiten den lebhaftesten Anteil an

^ Rifikman an Sonthey, 24. Januar 1835. *) Lucas, 54. OMchiehte der enffÜBehen Bomantik n, i.

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114 Der literarische Essay.

seinen poetischen nnd literarischen Bestrebungen nahm, ward sein Entschluß, die Poesie in sich abzutöten, zunichte. Doch beweisen die vor dem Tode der Mutter geschriebenen Erstlingssonette, was für große poetische Möglichkeiten der frühe Mehltau seines erbarmungslosen Geschickes in ihm zerstört hat. Die Sonette erscheinen als die Anfänge eines echten, durch Formbegabung wie Schwung und Tiefe der Empfindung hervorragenden Lyrikers. Elisabethanischer Einfluß macht sich bereits fühlbar. (We were tvoo Pretty Bäbes. Wir waren zwei liebliche Kinder). Daneben mögen Bewies und Cowper als Vorbilder in Betracht kommen. Seiner Verehrung für Cowper, dessen Wahnsinnsanf aU (1796) begreiflicherweise sein tiefstes Mitgefühl erweckte, gibt Lamb in einem Gedichte zu seiner Genesung Ausdruck, in welchem er ihn den vorbestimmten Mann nennt, die Leier, deren Saiten so lange geschlununert, wieder zu beleben, die Leier Miltons und Spensers.

Es ist bezeichnend für den zwanzigjährigen Dichter, daß er bereits in Erinnerungen lebt. „Er fürchtete das Morgen, er liebte das Gestern," sagt treffend Th. Pumell. ^ Die Stimmung, mit der er ins Leben tritt^ ist die Zukunfts- losigkeit. Sie entwickelt sich allmählich zur literarischen Manier. Stätten, Vorkommnisse, Menschen, alles existiert erst recht für ihn, wenn es der Vergangenheit angehört. Er schraubt Gegenwärtiges zurück, um es interessanter zu machen. In den Sonetten ist es der Schauplatz vergangener Freuden, deren Anblick in seiner Brust die Flamme alter Wünsche aufis neue entfacht Eine schwärmerische Neigung erhält, wie es scheint, durch eine vorangegangene kurze Phase leidenschaftlichen Begehrens die Reife echter und

«) Works I, S. XXI.

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Der literarische Essay. 115

tiefer Empfindung;, während jene Klarheit des über dem Ter- wmidenen Erlebnisstehenden alles in ätherischeFeme erhebt. Jeder Gegenstand spricht ihm von vergangenen Tagen, die nimmer wiederkehren. Die Tranmstimmnng eines rährenden Idylls voll kindlicher Lauterkeit d&mmert auf. Altvertraute St&tten zaubern das Bild unschuldsvoUen Jugendglückes vor seine Seele, die am freisten angesichts der großen Natur* gewalten aufatmet, z.B. Wriäen at Midnight hy the Sea Side (Greschrieben um Mittemajoht am Meere), 1795, ganz und gar ein Schwelgen in den Elementen, ein Lachen im Sturm, in dem selbst das Scheitern verlockend wäre.

Vier von Lambs Sonetten, darunter eines an Mrs. Siddons (1794) von nicht unbestrittener Autorschaft, 0 wurden unter Coleridges Gedichte aufgenommen, die 1796 bei Cottle in Bristol erschienen. Die zweite Auflage dieser Gedichte (1797) war um etwa fünfzehn von Lamb bereichert, deren zarte Anmut Coleridge als ihr Hauptverdienst bezeichnet. Auch sie sind zum großen Teil elegische Kindheitserinnerungen. Die 1792 verstorbene, wackere, geschäftige Großmutter Field ersteht in ihnen, eine prächtige Alte, niedrig geboren, doch von au&trebenden Geist, ihrem irdischen Brotgeber in Redlichkeit^ ihrem himmlischen Herrn in unwandelbarer Demut ergeben (ChiWiood. Kindheit; The Orandame. Die Großmutter; Sabbat Beils, Sonntagsglocken). Die fttr ein modernes Ohr stellenweise hart und ungelenk klingenden Blankverse der beiden letztgenannten Gedichte passen sich in ihrer primitiven Schlichtheit dem einfachen, frommen Inhalt stimmungsvoll an. Sie berühren wie Dorersche Holzschnitte. Spenserschen Einfluß im alter- tfimelnden Tone wie in der Ortsschilderung, die sogleich in

0 VgL Aiiiger 1, 283.

8*

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116 Der literarische Essay.

die Beschreibnng ihres Eindrackes auf das Gemflt übergeht, verrät A Vision ofR^entance (Vision der Reue), 1794. Lamb legte Gewicht auf die Form und ließ sich die Mühe nicht verdrießen, ihr nach Kräften gerecht zu werden. An einem humoristischen Sonett The Oipsy*s Malison (Zigeunerfluch), 1829, arbeitete er vier Tage.«) Einzelne seiner Verse sind metrische Kunstwerke.))

Aber das Übermaß selbständigen Interesses, das Lamb der Form zuwendet, gereicht seinen Gedichten nicht immer zum Vorteil So widerspricht z. B. in Hypo- chondriacus die leicht bewegte daktylische Form dem schwer- mütigen Inhalt. Das Gedicht, dessen ursprünglicher Titel Conceit of Diabolic Fossessions (Vorstellung teuflischer Be- sessenheit) lautete, ist eine Nachahmung Robert Burtons und dem Verfasser der Änatomy of Melancholy in den Mund gelegt, für den Lamb eine besondere Vorliebe hatte. Innigstes Verständnis bringt er auch George Wither entgegen, in dessen siebensilbigem trochäischem Rhythmus, der den Ton schlichter Herzlichkeit trefElich zum Ausdruck bringt^ er die Verse To Thomton Hunt (1815) und On an Infant äying as soon as bom (An ein Eind, das gleich nach der Geburt starb), 1828, schrieb, letzteres für Thomas Hood anläßlich des Todes seines ersten Kindes. Hood ver- öffentlichte es in seiner Zeitschrift The Qun 1829. Fare- well to Tobacco (Abschied vom Tabak), 1805, in vier- silbigen Trochäen, bezeichnet Lamb gleichfalls als „in Withers Art". Der Preis des Tabaks, überschwänglich wie der einer Geliebten, wird in England dauernd den

0 An Bany Ck>mwaU, 29. Januar 1829. >) Zum BdBpiel:

Jlong whose margin growa the wondroM Iree.

[Fancy employed on Divme Subjeds,)

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Der litorarisdie Essay. 117

anbestrittenen Mastern des Humors beigezählt, ja Pnmell findet sogar tiefstes Pathos darin, i) während dem Nicht- engländer die übertreibende Laune mehr konstruiert als urwüchsig erschdnt

Den Bänkelsängerton alter Dichtung versucht Lamb in A BäUad noting {he Bifference of Eich and Foor^ in (he Ways of a Rieh Noble's Palace and a Poor Worhhouse (Ballade über den Unterschied zwischen Beich und Arm in der Form eines Palastes des reichen Vornehmen und eines Armenhauses), in dem die Jugend mit dem Beichtum, das Alter mit der Armut identifiziert wird.

So tritt mit den Jahren in Lambs lyrischer Produktion die eigene Urwflchsigkeit hinter dem äußeren Vorbild zurück. Die Versprechungen seiner Erstlinge bleiben unerfüllt. Der starke Quell der Lyrik scheint nach dem ersten Jugendergnß verschüttet Er selbst klagt einmal, dafi er so traurig unfruchtbar an Ideen seL^) Die düstere Umgebung seiner Jugend, die wahnsinnige Schwester, der schwachsinnige Vater, die alte Tante, der schwermütige Freund Charles Lloyd, der bleierne Druck der engen Ver- hältnisse, die ganze Stimmung der Hoffnungslosigkeit gibt seinem Talente keine Nahrung. In dem grauen Einerlei findet das Auge keine neuen Bilder, das Gemüt keine neuen Eindrucke.

„Ich habe die AUtagszenen des Lebens satt^, schreibt er im Juni 1796 an C!oleridge. Im Dezember heißt es: „Meine Schwester ist alles, was ich an einer Gefährtin wünschen kann. Aber wir sind beide niedergedrückt^ unsere Lektüre ist dieselbe, unsere Bildung fließt aus denselben Quellen,

Oi,s.vn.

^ Ebenda.

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118 Der literarische Essay.

unser Verkehr mit den Stätten der Welt ist gleichmäflig beschränkt. Was fOr Erkenntnis können wir einander Kuf&hren?'' Und in demselben Jahre: „Von schwerer Bede nnd znr&ckhaltenden Manieren, wie ich bin, werde ich von niemandem zur Gesellschaft gesucht und bin mir selbst überlassen.^

Der Hang zur Beflexion macht sich mehr und mehr geltend. Trotz einer plastischen Gabe der Landschafts- schilderung — man vergleiche den mondbeglftnzten stillen Grund an den melancholischen Wassern der Beue in A Vision of Bq^entance behandelt Lamb die Natur in der Begel nur als Folie oder Hintergrund eines Vorganges von ethischem oder novellistischem Interesse {The River in which a Child was drowned. Der Fluß in dem ein Kind ertrank), oder knüpft an eine anschaulich geschilderte Naturszene eine moralisierende Betrachtung (On ihe Swans in Kensington Oardens, An die Schwäne im Eensington- garten). Seine Naturbetrachtung ist tief religiöser Art Tauchte doch in Lamb 1796 nach der Lektüre des Tage- buches eines amerikanischen Quäkers John Woolman der Gedanke auf, Quäker zu werden. i) Diese schöne Welt ist ihm das Geheimnis Gottes. Er sieht einen gewaltigen Arm, der unmittelbar, unwiderstehlich die unaufhörlichen Wunder lenkt^ während der Mensch, der eigener Kraft vertraut, sich auf einen schattenhaften Stab, einen Stab von Tränen, stützt. (Living without Ood in the World. Ohne Gott in der Welt).

Gelegentlich macht sich bei Lamb das Streben fühlbar, die idyllischen Beize des Alltags, die Wordsworths und Coleridges Lyrical BaUads (Lyrische Balladen), 1798, in

0 Lucas 118.

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Der iiterariBche Essay. 119

die Literatur einfahren, seinerseits zum Gegenstand von Gredichten zu machen. The Three Friends (Die drei Freunde) heben zi^lich an, yerlieren sieh aber im weiteren Verlauf in Schwerfälligkeit Was Lamb in Prosa wie keinem anderen gelingen sollte, das Kabinettbild, das die idealen Möglichkeiten kleiner, ärmlicher Verhältnisse mit anmutiger Vollkommenheit zur Geltung bringt, bleibt ihm in poetischer Form versagt

Eine eigene Note voll natürlicher Grazie, warmer Lebendigkeit und musikalischem Schmelz schlägt Lamb an in dem Gedicht auf den frühen Tod der jungen Quäkerin Hesther Savory (1803), deren Antlitz von zigeunerhafter, ausdrucksvoller Schönheit es ihm angetan und für die er eine schwärmerische Neigung gefaßt hatte, ohne je mit ihr gesprochen zu haben. Sie starb einige Monate nach ihrer Vermählung mit einem Mr. Dudley, vielleicht ohne um das Interesse zu wissen, das sie Lamb eingeflößt^)

Aus keinem seiner Gedichte aber spricht die volle Persönlichkeit deutlicher und lebendiger, keines hat darum auch eine solche Verbreitung gefunden wie das gewisser- maßen für Lamb repräsentative The Old Familiär Faces (Die alten vertrauten Gesichter, Januar 1798; deutsch von Freiligrath), das in ergreifender Schlichtheit die tiefe Herzenseinsamkeit und Lebensmüdigkeit des Vierund- zwanzigjährigen schildert, der zukunftslos auf die Eltern, die Geliebte, die Freunde zurückblickt, die ihn alle verlassen haben.

Als Dramatiker hatte Lamb kein Glück oder richtiger, seinem Wesen fehlten die grundlegenden Be- dingungen des Dramatikers: starke Leidenschaftlichkeit

0 Brief an Hanning, Wkrz 1803.

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120 Der üteraiische Essay.

des Temperamentes und drastische Eraft, Empfundenes zu objektivieren. Sein Gefühlsapparat vibrierte zu fein und arbeitete zu innerlich. Dennoch regte sich frühzeitig dramatischer Ehi^geiz in ihm, vielleicht weil er die drama- tische Poesie jeder anderen vorzog. 0 Schon 1799 unter- breitete er Coleridge und Southey dn fflnfaktiges Drama in Blankversen JMdf^s Cure (Der geheilte Stolz). Es wurde in die Tragödie John Woodvü verarbeitet, noch in demselben Jahre Eemble, dem Direktor des Drury Laue Theaters, angeboten, ging angeblich verloren und wurde schließlich, nachdem Lamb ein anderes Manuskript eingesandt hatte, abgelehnt >) Die Tragödie spielt zur Zeit der Restau- ration. Der hochfahrende, prunkliebende John Woodvil hält zum König, dessen Geburtstag er mit einem wfisten Zechgelage begeht Das Gesinde ist frech, die Herrschaft übermütig. Ihr zügelloses Treiben zwingt John Woodvils Verlobte, die edle, stolze Mai^aret, in Knabenkleidem nach Sherwood Forest zu fliehen, dem seit. Bobin Hood geweihten Asyl der Freiheit, wo ihr Vormund, Johns Vater, der alte Patriot und Bepublikaner Walter Woodvil Zuflucht gefunden. In der Trunkenheit wird John zum Verräter an seinem Vater. Margaret aber fühlt Mitleid mit ihm. Sie gesellt sich zu dem von aller Welt Ausgestoßenen und nun von seinem Hochmut Geheilten. So löst Lamb das Problem, das er sich in The Prides Cure gestellt Die Handlung, ein Ausfluß hochfahrenden Übermutes, zieht zugleich die Züchtigung und Heilung dieses Hoch- mutes nach sich.')

1) Hamens Table Books. Brief an den Heraiugeber anl&fllich der Extracts of ihe Garrick Plays. *) Ainger XU, 286. ') Brief an Manning, DeEember 1799.

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Der literarische Essay. 121

Sonthey schrieb 1801 an Charles Danyers, das Stück werde ihm durch seine erlesene Poesie gefallen and ihn durch die erlesene Dummheit seiner Fabel ärgern. Unter dieser poetischen Schönheit versteht Southey offenbar die von den Zeitgenossen so bewunderte Elisabethanische Stimmung, die Lamb, zur Zeit der Abfassung in das Stadium der alten Dramatiker vertieft und ganz erfüllt von ihrem Zauber, unabsichtlich in sein Werk verwebt hatte. Hazlitt zog seine Bühnenfähigkeit in Frage, zweifelte aber nicht an seiner Wirkung in der Stille und Einsamkeit Es sollte im Sherwood Walde gelesen werden, meinte er, wo es auf die grünen, besonnten Waldwiesen ein neues Licht würfe „und die zarteste Blume den Geist des Dichters einzuschlürfen schiene^. In den Mängeln findet er die Mängel der alten Dichter wieder, in den Schönheiten aber Lambs eigenstes Eigentum, seine Gedanken, seine Leiden- schaften, so rein als zart und tief. Und er steht nicht an in Margaret, etwa von Shakespeares Gestalten abgesehen, wohl den schönsten weiblichen Charakter zu erblicken. ^

Das Urteil der Nachgeborenen lautet strenger. Es wird sich eher jener vernichtenden Kritik Jeffreys ') anschließen, die allerdings weniger in ästhetischen Über- zeugungen wurzelte als in der Parteigehäßigkeit, da Lamb bereits als Southeys und Coleridges Freund bekannt war. Jeffreys beißender Scherz stellt Woodvil auf die Stufe des vor-äschyleischen Dramas. Die lapidare Kürze des Stils sei noch altertümlicher als Handlung und Charakter- Zeichnung, die Yersifikation aber von gleich barbarischer Boheit

1

<) Age of EUgabefh, Lectiure Vm. ^ Minbourgh Betnew, April 1808.

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122 Der literarisehe Essay.

Das stärker entwickelte moderne Stilgeffthl empfindet den Widersprach zwischen der Zeit der Handlung (Bestan- ration) und der Elisabethanischen Sprache and ftLhlt inner- halb der Diktion eine starke Likonseqaenz heraas. 0

In der Führang der Handlang and der Zeichnang der Charaktere erhebt John Woodvil sich kaum &ber eine gate Gymnasisjstenarbeit In dem gänzlichen Mangel an technischem Geschick bleibt sie womöglich hinter einer solchen znrück. John, als ein Temperamentsmensch großen Stils gedacht^ imposant in der Aasschreitang, ersch&ttemd in der Zerknirschang, hinreißend im Gefühl, ist in Wirklich- keit nur eine verschrobene, rohe and larmoyante Figur ohne Rückgrat. Der Dialog, den Lamb, „was Geist and Leichtigkeit betrifft^, nach Shakespeares Master bildete, >) artete stellenweise in prosaisches Geschwätz ans. Das Zeitkolorit ist von kindlicher Befangenheit des Standponktea Die Royalisten erscheinen ohne jede Individnalisierang als Banf- oder Trunkenbolde, Weiberjäger und FlachkOpfe ohne politischen Sinn und ohne Patriotismus leblose Marionetten. Sonderbar nimmt sich an ihnen auch die Lamb selbst in so hohem Grade eigene Gewohnheit aus, in der Vergangenheit zu leben. Alle schwelgen in Er- innerungen und übersehen, daß sie berufen wären, die Gegen- wart zu gestalten. Lamb hatte gehofft, seiner Tragödie eine Art Universalität zu verleihen, sie zu einer Mischung von Gelächter und Tränen, von Vers und Prosa, von Witz und Humor, Pathos und, wenn möglich, Erhabenheit zu machen.') Aber was zustande kam, war lahm, dürr und papieren. Er besaß die kräftige Hand nicht, die

') Ainger 68.

«) An Sonthey, 20. Mai 1799.

*) An Southey, 2a November 1798.

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Der literariflche Essay. 123

Innerlichkeit, Erlebtes und objektiv Oeschautes zu einem Welt- and Menschenbilde zusammenschweißt

The Witch (Die Hexe), eine znr selbständigen drama- tischen Skizze verarbeitete Episode des Woodvüy ist voll- kommen episch gehalten. Ihr ganzer Inhalt ist die Erz&hlnng von einem geheimnisvollen Fluche, den die Hexe aaf einen Vater und einen Sohn schleudert

Die Posse, The Pawnbroker's Daughter (Die Tochter des Pfandleihers), aus einem Jugendaufsatze entstanden, 0 erblickte zwar gleichfalls nicht das Rampenlicht, wurde aber 1830 in Blackwood^s Magaeine veröffentlicht Flint, der hartherzige Wucherer und zärtliche Vater, ist ein verblaßter Abdruck des Shylock. Die Tochter, Harlan, weicht insofern von Jessica ab, als sie bei ihrer Flucht mit dem geliebten Davenport die Juwelen des Vaters nur infolge eines bedauerlichen Zufalls mitnimmt Die Bühr- seligkeit des versöhnlichen Schlusses ist ebenso verfehlt wie der matte Humor des Ganzen. Charakteristisch für den Geist, der es durchweht, ist die Nebenfigur eines sentimentalen Fleischhauers, der Joseph Bitsons Argument agamst fhe Use of Animdl Food (Beweisgrtlnde gegen den Gebrauch tierischer Nahrung) zitiert und fiber vegetarischen Gr&beleien sein Geschäft vers&umt

Eine zweite Posse, Mr. H.j ist Lambs einzige dra- matische Dichtung, die eine Bühnenauffahrung erlebte. 2) Beide Geschwister knüpften an dieses große Ereignis die st&rksten Hoffnungen. Am 5. Dezember 1806 schreibt Lamb dem eben in China weilenden Jugendfreunde Manning den Grundgedanken des Stückes, mit dem Vermerk, die Laune,

0 Aioger Y, Introduetion YUL

^ Sie wnrde 1827 und 1885 wieder aufgeführt (Dnrocqnigny 144).

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124 Der literarische Essay.

die sich auf dem Papier nnr schal ausnehme, wirke in der Posse trefflich. „Denke nnr'', fugt er scherzend hinzu, „wie hart es für mich ist, daß das Schiff morgen abgeht und mein Triumph erst n&chsten Mittwoch konstatiert werden kann! "

Mit solcher Zuversicht erwartet^ kam der bedeutsame Abend. Charles und Mary saßen im ersten Bange des Drury Lane Theaters. Er lachte kindlich laut über seine eigenen Witze. 0 Aber das Lachen verging ihm. Sein Stück erlebte einen furchtbaren Durchfall Den peinvollen Eindruck hat Lamb in dem Essay On ihe Custom ofJSissing at Theatres. With some Account of a Club ofBamned Äuthors (Über die Gewohnheit des Zischens im Theater. Mit einem Bericht über einen Elub ausgezischter Autoren) im Beflector 1811, festgehalten. „Niemals'', sagt er, „werde ich die Ger&usche in dieser meiner Nacht vergessen."

Befremdlich wird dem unparteiischen Beobachter Mr, IT.'s trauriges Bühnenschicksal allerdings nicht sein. Es war, gelinde gesagt, eine merkwürdige Verrechnung, hinreichendes Interesse und die für ein ganzes Stück erforder- liche heitere Spannung von dem Motive zu erwarten, daß ein von Hoch und Niedrig geehrter, umworbener Unbekannter in der allgemeinen Wertschätzung einen jähen und völligen Umschwung erleidet, als er in einem unbewachten Augen- blick seinen bis dahin sorgsam verheimlichten Namen Hogsflesh (Schweinefleisch) verrät Die versöhnliche Schluß- wendung wird durch Mr. H.'s plötzlichen Antritt des Familienerbes herbeigeführt, wodurch sein Name in einen von gutem Klange Bacon (Speck) verwandelt wird.

0 HazHtt, Table Talk 828.

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Der litenuische Essay. 125

Weder der Hamor noch die Satire, die Lamb beab- sichtigte, kommen znm Ansdrack. In der Eigenart seines Wesens waren beide viel zu zart besaitet and viel zn einsiedlerisch gewOhnt, um als Posse auf die Menge wirken zu können. Nichtsdestoweniger bezeichnet der australische Schriftsteller Barron Field, der Verfasser der von Lamb 1819 im Examiner angekündigten GedLchte The First Fruiis of Australian Poeiry (Erstlingsfr&chte australischer Dichtkunst), Mr. H. als das beste dramatische jeu tTesprit der Sprache, obzwar er seinen Mangel an Verwicklung, Handlung und Realit&t und seine Unspielbarkeit zugesteht^ Lamb scheint zwanzig Jahre gebraucht zu haben, um Mr. jBT.'s Niederlage zu yerwinden. Erst im Sommer 1827 ist er wieder mit einem dramatischen Gedicht beschäftigt, das wiederum Eemble übersandt, aber nicht aufgeführt und 1828 in Blaekwoo^s Magazine veröffentlicht wird, The Wife's Trial, ar The Iniruding Widow (Die geprüfte Gattin oder Die aufdringliche Witwe). Es ist die Dramati- sierung der Grabbeschen Erzählung The Confident (Die Vertraute), in die Lamb jedoch eine höchst charakteristische Veränderung bringt Während bei Crabbe die Gattin tat- sächlich in früher Jugend einen Fehltritt begangen hat, den der Gatte in gerechter Erwägung unschuldiger Schuld vergibt, ist Lambs Heldin Catherine in Wirklichkeit makellos. Die kluge Abenteuererin, die sich in ihre Ehe drängen will, benutzt für ihren Zweck ein nie vollzogenes heimliches EheversprecheUy das Catherine einem bald nachher ver- schollenen Seemanne gegeben. Sie erweckt in dem kind- lichen Gemüt das furchtbare Schuldgefühl der Bigamie,

>) Barron Fidd, Charlea Lamb (The Annual Biograjphy and (mmay, 1886, voL 20.)

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126 Der literaiiflche Ebmj.

nnter dessen Druck Catherine sich jede Knechtung gefallen l&ßt, bis die hellsichtige Schwester ihres Gatten die Sachlage dorchschaat und eine offene Aussprache der Eheleute die eingetretene Spannung löst Lambs Veränderungen bedeuten eine Verwftssemng, keine Ver- tiefung des Vorganges, dem sie die Spitze abbrechen. Die Behandlung krankt auch in diesem Drama an einem durchaus epischen Zug. Die Lösung wird durch die Er- zählung einer Parabel herbeigeführt Catherine mit dem Griseldischarakter, die intrigante Kokette Mrs. Frampton, der gutmütige Gatte Seeley sind verschwommene TyfevL ohne Persönlichkeit

Nach Lambs Tode hat sich unter seinen Papieren noch der dreiaktige unbetitelte Text einer komischen Oper gefunden, den Patmore zuerst 1854 in My Friends and Äcguaintance (Appendix I) veröffentlichte. Er scheint identisch mit einer auf Verlangen Thomas Sheridans (Robert Brinsleys Sohn) geschriebenen Sprechpantomime. Mary erwähnt den Auftrag im Dezember 1808 und f&gt hinzu, das Drama spiele in Gibraltar^) Dies trifft für die komische Oper zu. Die stolze Violetta folgt, als Fähnrich verkleidet, ihrem abgewiesenen Liebhaber, dem Offizier Lovelace, nach Gibraltar, um den LebensfiberdrQssig-Tollk&hnen dort vom Tode zu retten und in reumütiger Erkenntnis frftherer Grausamkeit mit ihrer Hand zu beglücken. Originell sind weder die Gestalten noch die Situation, der es an jeder Komplikation fehlt. Ein viel zu absichtlicher Humor bemüht sich vergebens mit höchst abgebrauchten Mitteln wie Koketterie einer die Männerwelt in Aufruhr ver- setzenden Frau oder nach Fluellens Beispiel verwendeter

1) CornwaU 526.

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Der literaxisciie Essay. 127

Dialekt und Lokalpatriotismos zweier Hauptleute heitere Wirkungen za erzielen. Das beste sind die, eingestreuten Tolkstümlichen Melodien leicht und sangbar angepaßten Couplets. Aulfallend ist das in der Manier modernster Autoren gehaltene Personenverzeichnis, das den Handelnden eine Art yon Steckbrief und in wenig Worte zusammen- gefafiter Vorgeschichte mitgibt

Die plastische Bunduug der Gestalten und die An- schaulichkeit des Milieus, die Lambs Dramen abgeht, besitzt die Novelle, die ihm den ersten vollen Ruhm errang un^ in England den Musterwerken ihrer Gattung ein- gereiht worden ist, Ä Tale of Bosamond Gray, 1798. Fflr den einfachsten, echt menschlichen Inhalt ein Schurke vergewaltigt eine lautere, kaum erschlossene Mädchen- bifite, die an dem Erlebnis zugrunde geht findet Lamb die knappe, durch Einfachheit und Reinheit der Diktion völlig entsprechende Form und schafft so ein einheit- liches, künstlerisch ausgeglichenes Ganze. Trotz zahlreicher bewußter und unbewußter Anlehnungen an alte yorbilder,0 trotz deutlicher Anklänge an die mondscheinf arbene, schemen-

>) Ainger (DI, 296) macht auf eine ganze Beihe aufmerksam. Gegen seine Annahme, cLaB Lambs Bosamond Gray auf Southeys E]doge The Buined CoUage (Die zerfallene Hütte), 1799, zurückgehe, ist zn bemerken, daß, selbst eine gleichzeitige Entstehung angenommen, Sontheys das Thema nur in hOchst summarischer Tatsächlichkeit wieder- gebendes Gedicht nicht sowohl als Vorlage erscheint, sondern vielmehr als einer und derselben Quelle entlehnt. Diese dürfte die aus Samuel Danieb Eymen's Triumph geschöpfte Ballade An Old Woman doihed in Gray (Ein altes Weib in Grau gehüllt) sein, aus der Lamb im Tierten Kapitel einige Verse eingefügt hat Den Namen der Heldin entnahm er einem 1795 in den Poems of Various Subjeets erschienenen, aus Gemeinplätzen zusammengesetzten Liede Bosamond Gray von Charles Lloyd, den Namen des Schurken dem Königsmörder Matreyis in Marlowes Edicard IL Die sentimentale Überschwänglichkeit der eingestreuten Briefe gemahnt an Mackenzie und Bichardaon,

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128 Der literarische Essay.

hafte Ideale yerhimmelnde Exaltation der modernen Roman- tiker, behaupten Lambs Gestalten doch ein menschlich indivi- duelles Interesse. Man fühlt ihre Wirklichkeit^ man merkt es ihnen an, daß der Dichter sie mit seinen Augen geschaut und mit seinem Herzen geliebt hat. Die gottesfflrchtige blinde Großmutter, deren schlichte Einfalt Weisheit ist und die in ihrer klugen und gütigen Lebenserfahrung Rosamond erzieht, ist Lambs eigene Großmutter. Ihr trau- liches Häuschen ist sein Eindheitsparadies in Blakesware. In der schönen Rosamond mit dem melancholischen Lächeln und dem schfichtem-nachdenklichen, bescheidenen und fiber jeden Ausdruck lieblichen Wesen zittert die Erinnerung an Ann Simmons nach. Der Nachbarsohn Allan Cläre ist 14 Jahre alt, als er Rosamond kennen lernt und in ihr die Zukunftsyerheißung seines Lebens anzubeten beginnt Duroquigny weist darauf hin, daß dies ungefähr Lambs Alter sein mochte, als er Ann Simmons begegnete. 0 Allans ältere Schwester und Vertraute, Elinor, im Gegen- satz zu Rosamond, der naiven Unschuld, die bewußte Tugend, ein Urbild zartester Fürsorge und edelster Selbst- losigkeit, ist Mary; Allans älterer Schulfreund ist Coleridge. Der schwarz in schwarz gezeichnete Schurke Matravis ist die einzige nicht aus dem Leben gegriffene Gestalt, in ihrer unbedingten Verworfenheit eine richtige Romanfigur. In höchst bezeichnender Weise sitzt jedoch Lamb sdbst über den Frevler nicht zu Gericht, sondern läßt sogar ihm gegen- über einen Ton des Mitleids mit dem von allem Guten Ausgeschlossenen einfließen. „Nichts Großes, nichts Liebens- würdiges existierte für den unglücklichen Menschen''. Von diesem Standpunkte gegen das Verbrechen ausgehend,

>) S.48.

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Per litenxiselie Essay. 129

schwingt sich der zn höchster Dnldong and Vergebung

abgekl&rte Held schließlich dem Vemichter seines Lebens-

gluckes gegenüber zu einer Tat des Erbarmens auf and das

ethisdie Ergebnis der Novelle klingt aas in den Worten:

„Mitgeffibl ist es vor allem, dessen der Mensch in diesem

furchtbaren Faustkampf irdischer Leiden bedarf^ (Kap. 12).

Diese Grandstimmung hat yermutlich stark auf Shelleys Urteil gewirkt, das er 1819 in einem Briefe an Hunt aus Livomo folgendermaßen zusammenfaßt: ,,Was ffir ein lieb- liches Ding ist Rosamond Qrayl Wieviel Kenntnis des Lieblichsten und Tiefeten in der Natur steckt darin! Wenn ich an einen Geist wie Lamb denke und sehe, wie un- beachtet Dinge von so erlesener und unbedingter Vollendung sind, was bliebe mir selbst zu hoffen, hätte ich nicht höhere Ziele im Auge als den Ruhml*^

Der größte Zauber der Novelle liegt in dem un- geschminkten Hervortreten der Subjektivität des Dichters. Seine Apostrophen an den Mond, an Bosamond sind voll poetischen Schwungs der Empfindung und ein von tiefer Religiosität getragener Hauch der Schwermut verleiht dem Ganzen das Stimmungsgepräge. „Das milde Herbstlicht auf Garten und Hütte hat kein Dichter oder Maler je vollkommener empfunden, als es in den Eingangsseiten dieser Erzählung der Fall isf'O

Qiarles' und Marys gemeinsame Werke.

1807 erschien die Bahmenerzählung Mrs. Leicester's SAool, ar The History of Several Young Ladies related hy ikemselves (Mrs. Leicesters Schule oder Die Geschichte

>) AiDger m, 299. Getchieltte der engUBchen Bomantik n, 1.

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180 Der Btenurische SSssay.

mehrerer junger Damen, von ihnen selbst erzählt). Die Fiktion isty daß eine Lehrerin ihre neu eintretenden kleinen Schülerinnen je eine Geschichte ans ihrem Leben erzählen läßt nnd sie aufschreibt Aber selbst die eingestandene Überarbeitung der Anfeätze von einem moralisierenden Standpunkte aus durch die Lehrerin zugegeben, wird man im Guten wie im Schlechten vielfach echte Kindlichkeit in den Erzählungen rermissen. Am geglücktesten ist in dieser Hinsicht die kindliche Altklugheit und der diskrete Humor Ton The Fafher's Wedding Bay (Der Hochzeitstag des Täters). Als Novelle, durch stofQiches Interesse fesselnd, steht The Changding (Der Wechselbalg) obenan. Durch feine Beobachtung ausgezeichnet sind The Saäor's Unde (Des Seemannes Oheim) und die etwas didaktisch an- gehauchte The Young Mahometan (Die junge Muhame- danerin). Von Charles rühren drei Erzählungen her: The Effect of Witch Startes (Folgen von Qespenstererzählungen) mit dem trefOichen, ins Geisterhafte übersetzten Porträt der Tante Hetty; First Odng to Church Per erste Kirch- gang) und The Sea Voyage (Die Seereise). Die erste Geschichte verwendet eigene E[indheitseindrücke qualvoller (respensterfurcht zu einer gut vorgetragenen und psycho- logisch fein motivierten Erzählung, deren pädagogischer Zweck sich nicht aufdringlich vorschiebt Die Empfäng- lichkeit des Kindergemütes für gruselige Stimmungen und der Hang der kindlichen Phantasie, jede Anregung zum Gespensterglauben ins Furchtbare auszugestalten, wird beleuchtet Ein finsteres Zimmer, ein düsterer Weg genügt, den Kleinen Personen und Gegenstände der gewohnten Umgebung in Spukbilder zu verzerren. Vor- sichtge und rationelle Überwachung wird den Lehrern und Erziehern ans Herz gelegt,

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Der literarische Essay. 131

Die Bedentnng des ersten Kirchganges fni* das gläubige Kindergemut, das diesem frühen Lebensereignis entströmende Glncksgefflhl veranschaulicht Lamb mit der ihm eigenen Fähigkeit, sich in die primitive Empfindungswelt der Kleinen Korfickzuveraetzen. Auf den feinsten und zartesten Ton gestimmt ist Die Seereise die Fahrt einer kleinen, von einem Schifkmann betrauten Waise, die ihren Beschützer auf dem Wege von Westindien nach England durch den Tod verliert ernst ohne moralisierende Absicht, an- spruchslos ohne Banalität, dem Gesichtskreise des Kindes angepaßt, ohne der Tiefe des Gefühls Abbruch zu tun.

Die Erzählungen erlebten in fünf Jahren fünf Auflagen.

Noch ungleich erfolgreicher und von tiefgehenderer Wirkung war eine zweite gemeinsame Arbeit der Geschwister aus dem fleißigen Jahre 1807: Tales from Shakespeare, designed for fhe Use ofYoungPeople (Erzählungen aus Shake- speare, für die Jugend bestimmt). Sie wurden für die Serie von Kinderbüchern geschrieben, die Godwin herausgab. Die Lambs waren durch Hazlitt mit ihm bekannt geworden. Schon am 10. Mai 1806 schreibt Charles an Manning: „Mary schreibt für GodwinsVerlag zwanzig Shakespearesche Dramen in Kindergeschichten um**, und fügt hinzu: „Ich glaube, du wirst finden, daß Mary sie vorzüglich gemacht hat." Er selber will alle Tragödien machen, sie hat die Lustspiele und romantischen Schauspiele übernommen. Sie halten Othello für Charles' und Ferieles für Marys Bestes. Die Vorrede ist von beiden gemeinsam geschrieben, ^

Bertram Dobell verweist darauf,^) daß die Tales from Shakespeare einen Vorläufer hatten in Perrins Contes vnoraux,

I) An Wordsworth, 29. Jannar 1807. «) Side LighU 329.

9*

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182 Der fiterarisdie Bnaf.

amusants et instntcHfs ä Vusage de la jeunesse^ tiris des tragedies de Shakespearey 1783.

Die Aulgabe war, eine EuüfBhnmg in Shakespeare f&r Kinder speziell Mädchen zarten Alters zn schaffen, indem man die Probleme dem Horizont der Jngend anpaßte nnd dennoch möglichst viel yon Shakespeares Geist nnd seinem Wortlaut beibehielt Shakespeare sollte dem Kinde zugänglich gemacht^ ohne anf ein kindisches Niveau herab- gezogen zu werden. Zweierlei befähigte die Lambs zu diesem schwierigen Unternehmen : die Kindlichkeit der eigenen Seele und die ihnen zu Gebote stehende außerordentliche stilistische Kunst und Durchbildung; einesteils die vollkommene Be- herrschung der Sprache, die eigene Gabe des markigen, schlichten, treffenden Wortes; andemteils das an den Elisa- bethanem geschulte Ohr. So waren sie in der Lage, eine Erzählung zu schaffen, in die sie Shakespeares Worte ohne fühlbare Inkonsequenz einzuffigen vermochten. 0 Was Wunder, daß das schwierige Unternehmen in seltener Voll- kommenheit gelang. Der Sachverständige wird die kritische Schärfe wie die kfinsüerische Technik, die feine Analyse der Handlungen wie der Charaktere bewundem, die sich hinter der schlichten Darstellung verbergen. Das Kind wird, durch Unterhaltung und Belehrung gefesselt^ beizeiten des Segens seines Shakespeare teilhaftig werden. Die Dar- legung von Hamlets Charakter oder die der Beweggründe Othellos zur Tat, die Verbindung des sagengläubigen Tones mit lebendigster Bildhaftigkeit im Lear, das Heraus- arbeiten der Stimmungsmomente bei scheinbarer Be- schränkung auf das rein Stoffliche in Macbeth ist durchaus bewundernswert. Die Perle der Erzählungskunst aber

») Vgl. Ainger, 86.

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Der literaiiflohe ÜBsay. 133

bildet BomeOj wo die Eingangsszene zur Einleitung um- gemodelt und das Ganze wiederum und in erhöhter Schönheit in die ursprfingliche epische Form aui^elöst wird.

Wenn Mary sich auch nicht durchweg auf der Höhe des Bruders h&lt, ist doch ihr Märchenstil {Temj^est; Mid- summemighfs Dream) von feiner Anmut und mancher glfickliche Griff zeugt von ihrem echten Erz&hlertalent, z. B. die Kontinuität der Fabel in der Wiedergabe des Wintermärchens^ das Einfügen der Originalreden in Vid Lärm um Nichts j die ausgezeichnete Charakteristil^ der Hauptpersonen im Kaufmann von Venedig^ das zarte Zu* richten heikler Motive fttr die Eindesseele in Ende gut alles gutj das nicht minder taktvolle Ausschalten des trocken Lehrhaften, wie Kätes Exkurs über Weiblichkeit, in der Bezähmten Widerspenstigen. Die hohen Yorzflge, neben denen Schwächen und Mißgriffe, wie das unerklärliche Beiseitelassen des gesamten Elfenzaubers im SonmemachtS" traumy der Figur des Narren in Wie es euch gefallt und des Eästchenmotivs im Kaufmann von Venedig, nicht allza schwer in die Wagschale fallen, begründen die in ihrer Art fast alleinstehende Tatsache, daß diese Nach- erzählungen klassischer Werke ihrerseits unter die klassischen Kunstwerke gereiht worden und in den Hausschatz der englischen Literatur übergegangen sind.

Der Erfolg der Erzählungen oms Shakespeare veran- laßte Godwin zu der Aufforderung, auch den Homer einer ähnlichen Bearbeitung zu unterziehen. So entstanden 1808 Lambs The Adveniures of Ulysses (Die Abenteuer des Ulyss), denen er in seiner Vorliebe für die älteren englischen Dichter die Übertragung Chapmans zugrunde legte, die er nicht sowohl für eine Übersetzung, sondern eine wieder geschriebene Geschichte des Achill und des Odysseus er-

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134 Per literarische Sssajr.

klitrt.0 Bei Lambs Mangel an klassischer Gelehrsamkeit aberragen in seinen Angen Chapmans Tagenden die im Vergleich zu Pope angleich naivere Anpassung an das hellenische Wesen weitaus seine Fehler. „Chapman ist göttlich!^ schreibt er 1827 an Barton. Seine eigene Arbeit faßt er bescheiden als Einleitang zur Lektfire der Abenteuer Telemachs aof.^) Die Gestalt des Telemach verkörpert ihm den moralischen Gehalt der Odyssee: Einen Mann, der gegen das Mißgeschick ankämpft und es durch kloges Ausnatzen der Ereignisse bemeistert Biesen, Zauberer und Sirenen repräsentieren ihm äußere Gewalten und innere Versuchungen. Dieser Gesichtspunkt bedeutet an sich schon ein Aufsetzen andersstiliger Giebel auf den klassischen Bau. Doch trägt Lamb auch bewußt eine modernisierende Absicht in das Werk, indem er durch einen Tempowechsel der „Weitschweifigkeit" der Beden und Schilderungen Homers zu steuern und die Erzählung dem jungen Leser fesselnder, „romanartiger" zu machen sucht, obzwar er sich nicht darüber täuscht^ daß er an mancher Stelle der Leiden- schaft den Stil, dem Interesse die Charakteristik geopfert So sind die Abenteuer des Ulysses ungleich weniger aus Homers Geiste geschöpft als die Erzählungen aus dem Shakespeares.

1809 erschien ein gemeinsam von Charles und Mary Lamb verfaßter Band Gedichte Poetry for Chüdren, entirely Original By the Aulkor of Mrs. Leicester's Sckool (Original- E[indergedichte von dem Verfasser von Mrs. Leicester's Schule). Er werde sich wundem, schrieb Lamb an Coleridge, daß ein alter Junggeselle und eine alte

*) Characters of Dramatic WriterSf Chapman. *) Ab Hanziing, Februar 1806.

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Der Utenurische Essay. 135

Jungfer eiae solche Menge von Gregeiistäiideii herausgegriffen hätten, die alle von Kindern handelten. Doch wer die Lambs kannte, dem schien es nur natfirlich. Trotz aller harten Lebenserfahrongen war anf dem Grande ihrer Seele ein Hauch von Kindlichkeit zurückgeblieben, der ihrem weltfremden Wesen sein Gepräge gab. Es kennzeichnet die hmerste Natur dieses Junggesellenpaares, daß Ede ihre Kunst und Arbeit in den Dienst der Jugend stellten. Und dennoch kennzeichnet es bis zu einem gewissen Grade auch wieder die hier und da viel zu altklugen und didaktischen Kindergedichte, daß ihre Verfasser ein Junggeselle und eine alte Jungfer sind. Der für die Bomantik charakteristische Kultus des Kindes findet bei den Kinderlosen einen mehr theoretischen Ausdruck. Im Kinde ruhen die guten Keime; das Kind darf der Mann, der gegen eigene Fehler hart sein muß, bemitleiden, loben, verzärteln (New Year's Eves. ^Ivesterabende, 1821). Die Lebensechtheit der Kinder- gestalten ist freilich nicht immer gegluckt Manche in Kindermund gelegte Ausspräche sind merkw&rdig tempera- mentlos (Sister^s Expoßtulation on fhe Brother^s Learning. Der Schwester Verweis über des Bruders Lernen; Brother's B^ly. Des Bruders Antwort). Etliche laufen auf eine höchst {o-OBaische Lehre hinaus, z. B. Cleanliness auf die goldene Regel: Wasch dir die Hände! Die Autorschaft ist nur bei der Minderzahl mit Sicherheit anzugeben; doch scheinen Marys Gedichte denen des Bruders wesentlich nachzustehen. Ihnen fehlt die über dem Stoff schwebende befreiende Gestaltungs- kraft des Humors. Charles überschätzte sie in rührender Verblendung und fand Verse von stammelndem Ungeschick wie Helen, original und fein.O Zu den gelungensten der

0 Güduist 57.

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136 Der literarische Essay.

Kindergedichte gehören The Boy and the SnaJce (Der Knabe nnd die Schlange); Going into Breeches (Die ersten Hosen).

Von Charles allein rühren drei M&rchenbearbeitangen her: das lastig illostrierte Kinderbflchlein The King and Queen ofHearts (Herzkönig nndHerzkönigin^O eine anmutige Paraphrase der alten zwei Strophen The Queen of Hearts She made some tarts, für Gk>dwins Jngendbibliothek, 1809.

Die Geschichte vom Herzbuben, dem hündischen Torten- diebe Pambo, den der Königin kleiner schwarzer Spion verklatscht, wofür er eine Tracht Prügel erhält, wird in heiteren Knittelversen mit jenem drastischen Nachdruck erzählt, der seine Wirkung auf das Kindergemüt nicht verfehlt

Eine von Charles verfaßte Version des Märchens vom langnasigen Prinzen Doms erschien gleichfalls in Godwins Jugendbibliothek, 1811 : Frince Darus, or Flatteryput out of CountenancCj A Poetical Version of an Ancient Taie (Prinz Doms oder Schmeichelei aus der Fassung gebracht. Eine poetische Version des alten Märchens). >) Die poetische Form der zehnsUbigen Reimpaare ist für den Märchenton ein wenig pretiös. Die Erzählung von dem langnasigen Prinzen, der geheilt und von allen Leiden befreit wird, sobald er sein Gebrechen erkannt hat, ist in gehaltenerem und breiterem Humor wiedergegeben als Herekönig,

Bei einer dritten Märchenbearbeitung The Beauty and

^) Von Lamb als sein Werk erwähnt in dem Briefe an Wordsworth, 1. Februar 1806 (Macdonald VI, p. Vm).

^) Als Lambs Werk erwiesen darch H. Crabb Bobinsons Eintrag in sein Tagebnch am 15. Mai 1811: „Angenehmer Besnch bei Charles und Mary Lamb. Lasen seine Fassung vom Frineen Darus, dem lang- nasigen König'' (Macdonald V, S. Ym).

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Der Utenunsche Essay. 137

ihe Beast (Die Schöne und das ungeheuer), 1811, ist Lambs Autorschaft nicht völlig zweifellos, aber sehr wahr- scheinlich. 0

literatnr und Kritik.

In Lambs Kultus der Elisabethaner reichen sich Sym- pathie und gründliche Belesenheit die Hand zu einem glück- lichen Ergebnis. Die 1808 veröffentlichten Specmens of ihe EngUsh Dramatic Poets uiho lived about ihe Time of Shakespeare (Proben aus den englischen Dramatikern, die um Shakespeares Zeit lebten) sind Auszüge aus seltenen oder schwer zugänglichen Werken. Lamb gab ihnen 1827 eine Fortsetzung in den Extracts fram the Garrick Plays, der dem Britischen Museum vermachten Sammlung alter Dramen aus Garricks Besitz. Jedem Bruchstück wird eine die Situation erklärende Inhaltsangabe vorangestellt, die häufig wertvolle kritische Anmerkungen enthält. Sein Standpunkt ist kein streng gelehrter. Wie er im Vorwort mitteilt^ leitet ihn bei der Auswahl weniger der Hinblick auf den Witz und Humor als auf die interessante Situation, die Leidenschaftlichkeit des Auftritts, den Ernst der Schilderung. Er gesteht, daß er sich mit dem Text kleine Freiheiten gestattet und hier und da eine dunkle Stelle, eine schwerverständliche Anspielung gestrichen habe. Er sagt: Meine leitende Absicht war, das, was man den moralischen Sinn unserer Vorfahren nennen könnte, ins licht zu setzen, ihre Art zu denken, zu empfinden, zu urteilen. Er will das Verhältnis Shakespeares zu den Zeitgenossen aufdecken und verweist bei Marlowes Jew of Malta auf den Shylock, bei Dekkers Orleans (Old

>) Vgl. Macdonald, Works V, S. Vm und Lucas 29a

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138 Der litemiüdie Essay.

Fartunatus) auf Romeo, bei Mddletons Hexenszenen {The Witch) auf die im Macbeth. Er findet, daß Henry Porters heiterer Witz dem der Shakespeareschen Jngendkomddien nicht nachstehe, daß Chapman Shakespeare in den be- schreibenden didaktischen Stellen am nächsten und Heywood ihm an edler Milde gleichkomme, an christlichem und treuherzig englischem Empfinden aber sogar fiberlegen seL Er hebt die wunderbare Leidenschaftlichkeit Middletons hervor, mit der verglichen die konventionelle Moral der modernen Buhne schwächlich und geschmacklos erscheine. Er kontrastiert die kraftvolle Realistik Rowieys mit der Schönfärberei der Gegenwart. Er preist mit Wärme die Lebensechtheit Cyril Toumeurs, des Verfassers von The Bevenger's Tragedy, die tragische Größe Websters, die feier- liche Erhabenheit John Fords. Ben Jonson wird gegen den Vorwurf pedantischer Gelehrsamkeit in Schutz ge- nommen und die Eleganz seines Geistes wie seine poetische Phantasie gerühmt. Lamb verteidigt mit dichterischem Verständnis Sidneys Sonette gegen einen geringschätzigen Angriff Hazlitts in The Äge of Elizabeth ^) und stellt eine geschmackvolle Blumenlese treffender Aussprüche und Charakteristiken des Eirchenhistorikers Füller zu- sammen. 2)

Neben der positiven Bereicherung, die die l^akespeare- forschung durch Lamb erfährt, wiegt ein gelegentliches Mißverstehen nicht allzu schwer. So bezeichnet er einmal das Phantom, „das als Julius Cäsar über die Bretter schreitet, als einen der wenigen unbedeutenden Charaktere, die sich bei Shakespeare finden.'' 3) Dafür entdeckt er

0 Some Sonetts of Sir Fhüipp Sidney.

2) Specimena from ihe Wrüimgs of Fuiüer, The Church Historüm,

•) Table Talk, AingerlV, 195.

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Der üterariBdie Sssay. 189

in einem W^ke von 1670, AccurcUe Description of Äfrica by John Ogiiby das Urbild der Sycoraz {Tempest) in einer Hexe, welche 1542 Algier bei der Belagerung durch Karl V. rettete. Mit dieser Tatsache erklärt Lamb die Stelle:

For one Mng ihat she did They woidd not take 7ia- Ufe,^)

Beaumont und Fletchers Tragödie Cupid^s Revenge (Capidos Bache) hat Lamb in einer Prosaerzählung mit angehängter Nutzanwendung ffir Harper^s Magazine wieder- gegeben.

Seine persönlichen Lieblinge sind George Wither und Sir Thomas Browne. In dem Essay on the Poetical Works of George Wither gibt Lamb eine feine und anziehende Analyse dieses komplizierten Charakters, den der merk- würdige Gegensatz zwischen frischer Natürlichkeit und scharfem Sarkasmus, zwischen dem liebenswürdigen Dichter und dem Märtyrer puritanischer Überzeugung kennzeichnet. Er glüht von Liebe zum Guten und von Haß auf alles Niedrige und Gemeine; der Freiheitsinn eines Bums erfüllt ihn und sein Gemüt ist noch im Kerker von Sonnenschein durchwärmt.

Mit Browne verbindet Lamb der gemeinsame Zug vorherrschender Subjektivität. Browne ist königstreu, friedlich und religiös, wie Lamb. Bei einem an Er- eignissen armen Leben liebt er es, wie Lamb, tief in sich hineinzuleuchten und sein Inneres zu enthüllen; er wird, wie Lamb, ein Teil seines Werkes. ^) Hazlitt erzählt, daß Lamb eines Mittwochs, als das Gespräch sich darum

^) On a PctSMffe in The Tem^sl (London Magazine, l^oyember 18^).

>) Vgl. W. Pater, Äppnciatiom 129.

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140 Der litenrudie Essay.

drehte, welche Persönlichkeit wohl jeder der Anwesenden gern gekannt hätte, Sir Thomas Browne nannte, dessen Um Burial ihm wie ein Abgrund erscheine, in dem Perlen nnd reiche Schätze verborgen seien oder wie ein Labyrinth von Zweifeln nnd heißen Spekulationen, durch das er gar gern von dem Geiste des Verfassers hindurch geleitet würde. *) Zwar sagt er in Imperfect Sympathies, Browne gehe auf den Stelzen der Abstraktion einher und blicke auf die schamlosen Indiyidualitäten armer Eonkreta wie Menschen von oben herab. Dennoch findet Ainger in den Essays of Elia keinen Autor so oft zitiert wie den mit Lamb wahlverwandten Mystiker, Scholar und paradoxen Humoristen Browne.*)

Mit gleichem Verständnis erfreut Lamb aber auch das Wesen eines Humoristen durchaus andern Schlages, das des Malers Hogarth. Sein Essay on ihe Genius and Character of Hogarth (Eeflector 1811) will Hogarth als einen Lehrer der Moral betrachtet sehen. Seine Gemälde seien Bücher. Wir lesen sie. Ihr Hauptaugenmerk sei nicht die Verspottung des Lächerlichen, sondern die kräftige, mannhafte Satire, wie die eines Juvenal, eines Timon von Athen. Er stellt sie neben die Romane von SmoUett und Fielding und bekennt sich als echter Humorist zu dem Grundsatze, daß kein Herz schlechter werde durch ein herzliches G^ächter über menschliche Schwächen und Torheiten. Hogarth Eeynolds gegenüber zurücksetzen, hieße den Maler von Gegenständen aus dem gemeinen Leben mit einem gemeinen Künstler verwechseln. Von einem solchen aber könne bei dem Takt- und Schönheits-

^) On Persans one would like to haue aeen, *) Biographie 138. Works I,DL

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Der literariBche Essay. 141

sinne Hogarths nicht die Bede sein. Lambs Eunstnrteil steht hier in voller Beife. Der gleichfalls dem Jahre 1811 angehörende Essay an ike Tragedies of Shakespeare with Reference to ikeir Fitness for Stage Representation. (Über die Tragödien Shakespeares in bezug auf ihre Eignnng ffir die Bfihnendarstellnng) ist im großen und ganzen die Beweisf&hrong der paradoxen Behauptung, daß Shakes- peares Größe tlber die Möglichkeiten der Darstellungskunst hinausgehe. Ganz abgesehen davon, daß die Buhne nur Körperliches veranschaulichen könne Der Sturme in dem es sich um Geister handelt, z. B. gar nicht dargestellt, sondern nur geglaubt werden könne wirken auch seine gewaltigen Vorgänge auf dem Theater zu stark. In Macbeih vernichte das Gräßliche den poetischen Genuß; Lear mache einen peinlichen und widerlichen Eindruck, man könnte ebensogut Miltons Satan spielen wollen als die BoUe des Königs; Hamlet auf den Brettern sei eine Profanation. Die Bfihne mfisse das Auge durch Gestalten und Gesten fesseln. Bei Shakespeare sei der Einblick in den Charakter durch das Ausdrucksmittel des Wortes die Hauptsache. In diese, an einem begeisterten Theatergeher besonders wundemehmende Beweisführung, sind einzelne kritische Bemerkungen von außerordentlichem Scharfsinn und Feingeffihl verflochten, z.B. eine kurze Learcharakte- ristik, die Talf ourd ffir den einzigen Shakespeare-Kommentar erklärt, der ihm des Originals ganz würdig scheine,^ nnd von der Macdonald meint, daß viele sie für die bedeutendste Einzelstudie englischer Prosa halten werden. >)

>) Thoughts upan ihe Laie WüHam Hazlitt (lAierary Bemains of Wmkm HasUU I, CXVUl).

*) Memoir (Works ü, S. XTiTT).

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142 Der Gterarische Essay.

Der Aufsatz On the Artificidl Comedy of (he Last Century (Über die Sittenkomödie des vorigen Jahrhunderts), 1820, be- weist am besten den weitenHorizont von Lambs Humor. Selbst der seinem eigenen Naturell so diametral entgegengesetzten Weltauffassung eines Wycherley, Congreve und Farquhar gegenüber bringt er die Freiheit auf, die das objektive Kunst- urteil bedingt. Ja, er bekennt^ daß es ihm behage, sich in der Sittenkomödie, f&r die uns der moralische Standpunkt des modernen Dramas den G^chmack verdorben habe, gewisser- maßen „dem Bereich der Gerichshöfe^ entrfickt zu sehen. Es werde ihm bei ihnen leichter, heiterer ums Herz. Ihre Gestalten brechen kein G^etz, sie kennen es nicht Man tue Unrecht, den Maßstab der Wirklichkeit an sie zu legen, mit dem gemessen sie Wüstlinge und Dirnen wären. Sie gehörten dem Gebiete der reinen Komödie an, wo keine Moral herrsche ein nicht ungefährlicher Standpunkt, den Macaulay als höchst sophistisch, nicht nur im Namen der Moral sondern auch der Kunst, entschieden zurückweist. 0

Als Kritiker seiner Zeitgenossen wirdLamb gerade durch jene Eigenschaft beschränkt, die seinen Essays einen eigen- artigen Zauber verleiht, durch seine stets im Vordergründe stehende starke Subjektivität Er selbst nennt sich ein Bündel von Vorurteilen, zusammengesetzt aus Vorliebe und Abneigung, den wahrsten Sklaven von Sympathien und Anti- pathien.'^) So bezeichnet er zur Zeit seiner Intimität mit Southey dessen Joan of Are als eines Milton würdig (1796 an Coleridge). Er gesteht, daß er Shelley nicht verstehe (an Barton, August 1829). Byron läßt er nur als Satiriker gelten; er könne nicht darauf kommen, wodurch er eine

*) The Comic Drama of ihe Eesiauration. ») Imperfect Sympaihies, 1821.

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Der literuuehe Bssay. 143

80 große Macht anf seine Bewunderer aosAbe; auf ihn wirke Byron yerletzend (an Barton, 15. Mai 1824). Zn GotÜe ün&ert er eine grandliche Abneigung gegen Byrons Cha- rakter und eine sehr bedingte Bewunderung für Byrons Qenins (5. Noyember 1819). Fflr den alten Schullehrer und Poeten Vincent Boume hingegen , „in dessen Ge- dichten nur die Diktion lateinisch, die Gedanken aber englisch'' seien, ^) hat er eine solche Vorliebe, daß er seine lateinischen Poesien ins Englische übersetzt

The Essays of Mia.

Lamb war Mitarbeiter mehrerer Zeitungen. Er lieferte hintereinander dem Moming Chronide^ dem Älbion, der Post Beiträga Seit 1811 schrieb er nach dem Muster des TatÜer regelmäßig Artikel für den Reflector, seit 1820 ffir das unter John Scotts Leitung in Blüte stehende London Magazine. Die letzteren gehören zu Lambs besten. Sie enthalten den yollkommensten Ausdruck seiner persönlichen Eigenart, seiner Lebens- und Weltanschauung, zugleich die st&rkste Äußerung seiner Persönlichkeit wie seiner Kunst. Lamb war damals 45 Jahre alt Diese späte Blüte gehört so recht zu seinen charakteristischen Merkmalen als literarisches Phänomen. Die Elia ge- zeichneten Au&ätze fanden spontanen Beifall und Wider- hall im Publikum. Sie erschienen 1823 gesammelt als Elia. Essays {hat have appeared under (hat Signatare in the London Magazine (Elia. Aufeätze, die mit dieser Unterschrift im London Magazine erschienen sind). Mit diesen Essays hat Lamb seinen eigenen Platz in der englischen Literatur

9 An Wordaworth, 1815.

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144 Der literarüehe Essay.

eingenommen. Elia „nenne ihn EUia^, schreibt er am 30. Jnli 1821 an J.Taylor yermnüich eine fingierte Person, wird als subalterner Beamter des South Sea Honses eingeführt, der in seinen Mußestunden schriftstellert Doch ist ein Be- amter dieses Namens tatsächlich nirgends erwähnt 0 Lamb selbst hielt zähe an seiner Fiktion fest Er leugnete aufs entschiedendste die mit schmeichelhafter Anerkennung yer- bundene Aussage des Indicator (31. Januar 1821), daß Lamb selbst Elia sei (Elia to his Correspondents. Elia an seine Korrespondenten) und verwickelte sich so sehr in Wider- sprüche, daß er sich nur durch allerhand Spitzfindigkeiten halbwegs wieder aus dem Wirrsal herauswand. Nach der ersten Folge der Essays läßt Lamb seinen Elia sterben, um ihm will sagen sich selbst einen Nachruf von meister- hafter Charakteristik zu halten und die zweite Folge als Elias Nachlaß herauszugeben.

Mrs. Gowden Clarke vermerkte in ihrem Exemplar von Comwalls Memoir, Lamb hätte einst im Gespräch hin- geworfen, Elia bilde ein Anagramm von a lie (eine Lüge).^) Allein wie immer es sich auch mit seiner wirklichen Existenz verhalten mag, in der englischen Literatur gehört Elia zu jenen Gestalten, die selbständiges, reales Leben gewinnen und volkstümliche Persönlichkeiten von legendarischer Bedeutung werden.^)

Gleichviel, ob je ein Mann dieses Namens hinter einem Pulte des Handlungshauses gestanden oder nicht, Elia ist Lamb selbst. Die Aufsätze sind „dem Wesen nach wahr", wie er einmal höchst bezeichnend äußert „Was

') Ainger 1, 295. s) Lucas 442.

>) VgL £. Bhys, IniroducHon io the Essays of Elia {Camdot Series, 1890).

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Der literarische Sssajr. I4S

kümmern Elia oder Peter') Daten?" Wenn er anch davor warnt, Elias Anfzdchnnngen im biographischen Sinne wörtlich zu nehmen, nnd sie nicht ffir mehr gelten lassen will als Schatten von Tatsachen, als Wahrscheinlich- keiten, nicht Wahrheiten,^) so enthalten sie tatsächlich doch Lambs ganzes Leben« Mag er anch Namen &ndem und Beziehungen verschieben, Ereignisse an die Stelle von MSglichkeiten setzen und umgekehrt, die ideale Wahr^ haftigkeit, die Treue der Charakter- und Milieuschilderung wiegt schwerer als die buchstäbliche. So läBt sich Lambs Leben tatsächlich aus den Essays of Elia absondern wie ein kristallinischer Niederschlag. Es gibt wenige Dichter, die ihre Gtesamtexistenz literarisch so vollständig auf- gebraucht haben wie er. Vor allem hat keiner je die Stätten seiner Kindheit anschaulicher und greifbarer geschildert als Lamb es in The OM Benckers of the Inner Tmple (Die alten Advokaten des Innern Temple) tut Mit dem künstlerischen Blick ffir dieses stilvolle Stfick Alt- Londons am Ufer der Themse, mit dem historischen Sinn des Altertumskenners ffir den einstigen Wohnsitz der Tempelritter verbindet sich die schwärmerische Anhänglich- keit des eingeborenen Cockney ffir dieses engste Stfick Heimat, auf dem seine ersten sieben Lebensjahre sich abspielten.

Das uralte Templergebäude, das das Gedächtnis der guten alten Zeiten lebendig erhält, mag zuerst um Lambs Herz jenes geheimnisvolle Heimatsband geschlungen haben, das es an die Vergangenheit knfipfte. Zeitlebens treibt er

0 Brief an Moxon, Angost 1881, in bezng auf Anekdoten über Geoige Dawe, die als Becöüectiona of a Laie BoycU Aeademician hy ^Her Net (EngUtihfMn's Magagine, September 1881) erschienen.

*) Otd Bemhers. Oewhiehte der englischen Bomantik n, 1. 10

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146 Per literanBche Essty.

einen Eoltiis mit dem Alten und Veralteten. ZerleseneBftcher sind ihm sympathischer als nene; zerrissene Möbel, deren Löcher Bücherbehälter abgeben, findet er tranlich, alte Banlichkeiten behaglicher als nene, beqnemera Das Alter- tamliche mntet ihn als solches freundlich an. ^Altertum! da wanderbarer Zauber,^ apostrophiert er das Vergangene. „Was bist dn, da da nichts and alles bist? Als du warst, warst da nicht das Altertum damals warst du nichts, sondern hattest ein noch weiter zurückliegendes Altertum, wie du es nanntest, auf das du in blinder Verehrung blicktest, während du dir selbst flach, nüchtern, modern erschienest Welches Geheimnis lauert in diesem sich Zurückwenden? Oder was für Halb-Januse sind wir, die wir nicht mit gleicher Anbetung vorwärts blicken können wie rückwärts? Die gewaltige Zukunft ist uns wie nichts, da sie doch alles ist Die Vergangenheit ist alles und ist nichts." 0

Die alte Sonnenuhr im Hofe des Temple wird zum Symbol dieser verklärten Vergangenheit Lamb nimmt sie, wie Hazlitt, gegen die modernen Instrumente des Zeit- maßes in Schutz.^) Sie sprach von mäßiger Arbeit, von mäßigen Freuden, die beide nicht über den Sonnenunter- gang ausgedehnt wurden. Adam konnte sie kaum im Paradiese missen. Sie war das richtige Maß für das Sprießen holder Pflanzen und Blumen, für das silberne Gezwitscher der Vögel, für das Weiden und zur Hürde- treiben der Herden. Der Hirt ritzte sie im Sonnen- licht (auf Stein oder Holz) und versah sie, durch die Arbeit zum Philosophen geworden, mit rührenden Sinn- sprüchen. Marvell überliefert aus der Zeit des über-

>) Oxfwrd m ihe VaeoHfm. >) The Old Benchers.

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Der literarische Eaaay. 147

künstelten Geschmackes den artigen Einfall eines Gärtners, der aas Grfisem nnd Blmnen eine Sonnenuhr verfertigte. Hier geht Lamb unyermerkt zu einer kritischen Betrachtung Maryells fiber. Dann stehen im Nebel der Erinnenmg die alten Gestalten der Kindheit anl Das Dämmer- licht, das ihren geheimnisvollen Zauber erhöht, ist ein Beiz mehr f Qr Lamb. „Ihr unerklärlichen, halbverstandenen Erscheinungen^, redet er sie an, „warum tritt die Ver- nunft zwischen mich und euch, um den flbemat&rlichen, bald leuchtenden, bald dfistem Nebel zu zerteilen, der euch umhfiUt? Warum spielt ihr eine so traurige Figur in meiner Erinnerung, ihr, die ihr fflr mein Eiuderauge die Mythologie des Temples bedeutet?"

Die alten Mitglieder der Advokatenkammer die berechtigten Baubvögel des alten Templegemäuers, wie Comwall sie nennt, erstehen vor seinem Blick: der grimmige unnahbare Coventry, der nachdenkliche, schfichteme Salt und dessen Eonzipient Level, der gescheite, flinke kleine Kerl, der an alles denkt» was der zerstreute Prinzipal ver- gißt^ der Freund und Mahner, Schreiber und Garderobier, Batgeber, Bechnungsrevisor und Schatzmeister seines Herrn. Fast hätte sich Salt zu unbedingt in Lovels Hand gegeben, wäre diese nicht von so unbedingter Lauterkeit gewesen. Salt hätte sein Hermrecht auf Bespekt gar leicht außer acht gelassen, wflrde Level auch nur einen Augenblick vergessen haben, dafi er der Untergebene seL

Der mit wunderbarer Lebensechtheit gezeichnete Level ist kein anderer als John Lamb, Charles' Vater, „ein Mann von unverbesserlicher, stets den Kfirzem ziehender Ehrlich- keit, der, wenn es galt, die Sache des Bedrängten zu fähren, niemals die Partei oder die Zahl der Gegner in Betracht zog.^ Die Ähnlichkeit seiner Gesichtszüge mit denen Garricks,

10»

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148 Der literarische fissay.

sein hübsches Modelliertalent, seine Begabung für hmno- ristische Gedichte, sein yon Hans ans so heiteres Naturell, das ihm die Instigsten Schehnenstreiche eingab, bis all- mählich das Leben ihm seine DSmpfer an&etzte all das wird mit liebevollem Eingehen geschildert Ja wir erhalten noch ein letztes Bild des nicht mehr im Temple weilenden Loyel, der, yon den traurigen Folgen des Alters beschlichen und geistig zerüttet, dem letzten Stadium menschlicher Schwäche, einer zweiten Kindheit yerfallen ist

Die Erinnerung an seine früheste Schulzeit h&lt Lamb in Captain Starkey fest (Homes Everyday Book^ Juli 1821). Hier taucht das altmodische Gesicht seines ersten Lehrers Wüliam Bird wieder au^ eines der vom Glück Übersehenen, der sich yon den Schülerinnen quälen lassen muß, obzwar er ein trefflicher Schriftsteller und Lehrer ist

BecoUecHons of Christ Hospital (Christ Hospital -Er- innerungen), 1818, und Christ Hospitdly Tkirty Five Years Ago (Christ Hospital yor fünfnnddreißig Jahren), 1820, sind der Erziehungsanstalt gewidmet, deren Zögling Lamb yon 1782 bis 1789 war.

Der erste Aufsatz spendet ihr das ungeteilte Lob des- jenigen, der alle Ursache hat, sich gern an sie zu erinnern. Er hat den blauen Kittel mit Freude getragen, den Kittel, der kein Abzeichen des Armenschülers sei, sondern seinem Träger einen eigenen Charakter yerleihe, ein Gemisch yon bescheidener Zurückhaltung und höflichem Anstände, yon Religiosität und Gerechtigkeitsgefühl. Man liest zwischen den Zeilen, daß es Lamb in Christ Hospital wohl ergangen ist Der zweite Aufsatz soll eine etwaige Übertreibung der ausschließlich in den lichtesten Farben gehaltenen Schilderung des ersten korrigieren« Elia steht hier für Coleridge, als Vertreter des armen, freundlosen Schulknaben,

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Der literarische Essay. 149

dessen zur Schwermut neigendes, reizbares 6em&t sich in Hdmweih verzehrt. Anmutige Genrebilder werden ein- goi&ochten: Charles' alte Tante Hetty, der Welt gegenüber eine verbitterte, wortkarge aber klnge, schlagfertige alte Jungfer, fOr Charles, den einzigen Gegenstand ihrer Liebe, das Prototyp der gnten, verhätschelnden alten Base. Er denkt der Leckerbissen, die sie ihm in die Schale brachte, und des Widerstreites seiner Gefühle bei solchen Anlässen: Liebe for die Überbringerin und Scham fiber das Gebrachte wie die Art des Bringens, Mitleid mit den leer Ausgehenden, deren doch zu viele waren, um mit ihnen zu teilen, und scUieSlich Hunger, der älteste und stärkste aller Triebe, der den endgültigen Ausschlag gab.

Um das üniversitätsstudium ist Lamb gekommen. Es ist gewissermaßen symbolisch, daß er Oxford nur während der Ferien schildem kann {Oxford in (he Vacation, 1820). Aber mit dem Ausblick auf die Bodleiana schreibend, holt er das Versagte, Gelahrtheit, Titel, Würden in der Phantasie nach. Blakestnoar in H-shirej 1821, ist Lambs Eindheitseldorado Blakesware in Hertfordshire, wo die Großmutter Field auf dem alten Schlosse lebte. Auch in Dream Chüdren (Traum- kinder), 1829, und einem Aufsatze über Wilkies Gemälde Satwrday Night (Germ^ 1830) erzählt er seinen erträumten Kindern von der würdigen Matrone, deren ländlich ur* wüdudge Liebe mitunter grausam werden konnte. An das Schloß von Blakesware knüpfen sich Lambs früheste Vor- stellungen von behaglicher Muße und Vornehmheit. In Dream Chüdren schildert er die Wonnen des prächtigen Schloßparkes mit seinen melancholischen alten Bäumen, den duftenden Wiesen, der Orangerie und dem Fischteich. Auf dem breiten Fenstersitz der kühlen Vorratskammer hat der Knabe an heißen Tagen gesessen und bei dem

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150 Der literarische Essay.

Summen und Schwirren einer einsamen Wespe seinen Gowiejr gelesen. In der Halle hat er so lange yor dem Familien- wappen mit der Inschrift „Besurgam" gestanden, bis er allmählich alles Bäuerische aus sich schwinden und sich selbst von Adel fühlte. Der Adel, den man sich aneignet, sei der ein2ig wahre. Er ist durch die Ahnengalerie ge- wandelt^ deren Bildnisse ihn lächelnd oder ernst anblickten, als wollten sie nach seiner Verwandtschaft mit ihnen fragen. Und eine Schöne im blauen Hirtengewande mit einem Lamme und den lichten Hertfordshire-Locken habe seiner Alice geähnelt (Bläkesmoor), Alice ist der poetische Name für Ann Simmons. Ihre anmutige Verklärung bildet den Inhalt von Dream Chüdren. Hier erfindet seine Phantasie zwei Kinder Alice Wintertons (Ann's poetischer Name). Ihnen erzählt er von seinem biblischen siebenjährigen Werben um die nun bereits Verstorbena „Da^ als ich mich plötzlich zu kleinen Alice wandte, blickte mir aus ihren Augen die Seele der ersten Alice mit einer solchen Bealität des Wiedervorstellens entgegen, daß es mir zweifelhaft ward, welche von beiden ich yor mir hätte und wem dies lichte Haar angehörte. Und während ich hinsah, wurden beide Kinder allmählich blässer und yerschwammen meinem Blick, bis schließlich nichts mehr sichtbar war als in äußerster Entfernung zwei traurige Antlitze, die in wunderbarer Weise, ohne zu sprechen, den Eindruck dieser Bede in mir heryorbrachten: *Wir sind nicht yon Alice, nicht yon dir, noch sind wir überhaupt Kinder. AUcens Kinder nennen Bertram Vater. Wir sind nichts, weniger als nichts und als Träume. Wir sind nur, was hätte sein können, und müssen nun an den langweiligen, öden Ufern des Lethe Millionen Zeitalter harren, bis wir das Sein und einen Namen erlangen"'.

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Der liteiariflche Euay. 151

Den geringsten Baum in Elias Leben nimmt der Natur- gennß ein. Er hat wenig Sinn für die Natnr; man könnte ihn in gewissem Sinne natnrabgewandt nennen. Obzwar Lamb die Ennst versteht, einen vertrauten Landschaftswinkel mit scharfer nnd liebevoller Beobachtung knapp, sachlich und anschaulich zu schüdem, macht er doch Verhältnis- mäßig sdten von ihr Gebrauch. Als eingefleischter Städter hat er wenig von der Natur kennen gelernt und das Wenige hat nicht sowohl seine Sehnsucht in die Feme geweckt als seine fanatische Liebe ffir London verstärkt Der erste Anblick des Meeres bedeutet für ihn eine Ent- täuschung. Die Wirklichkeit vermag das Phantasiebild der Unendlichkeit nicht zu erreichen. Die Eüstenorte ent- sprechen seiner romantischen Vorstellung von Schmuggler- nestem nicht (The OU Margate Hoy, 1823).

1802 besucht Lamb Ck)leridge in Eeswick. Ein Brief an Manning vom 24. Dezember h&lt den unmittelbaren Natur- eindmck fest Die Berge rings um das Haus sehen wie im Schlafe liegende Bären und Ungeheuer aus ein ziemlich nnglflcklich gewähltes Bild. Beim Sonnenunter- gang glaubt er sich ins Märchenland versetzt Der Aus- blick aus Goleridges Studierstube überwältigt ihn. Er besteigt den Skiddaw und watet in das Bett des Lodere, kurz er fiberzeugt sich, daß es das, was die Touristen romantisch nennen und was er stets angezweifelt hat, wirklich geba Dort leben aber könnte er nicht Zwei, drei Jahre ginge es allenfalls, doch mfißte er die Aussicht haben, nach Ablauf dieser Frist Fleet Street zu sehen, sonst wurde er unfehlbar hinsiechen und schwermütig werden.

Am 28. November 1800 schreibt er gleichfalls an Manning: Jch f&r mein Teil mu£ gestehen, daß ich die Wut der Bomantik ffir die Natur nicht habe. Straßen! Straßen!

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152 Der litenrische Eraay.

Strafien! M&rkte! Theater! Kirchen! Covent Garten! Ver- kaofsl&den, die strahlen von hftbschen Gesichtern fleißiger Putzmacherinnen, sauberer Näherinnen, feilschender Damen! Männer hinter Ladentischen^ bebrillte Schriftsteller auf der Straße! Bei Nacht brennende Laternen! Zuckerbäcker- und Juwelierläden! Schöne Quakerinnen von Pentonville! Wagengerassel! Mechanische schläfrige Bufe der Schutz- männer! Feuerlärm und: 'Haltet den Dieb!' Gerichtshofe mit ihrer gelehrten Atmosphäre, ihren Hallen und Kantinen, die denen der Cambridger Colleges gleichen! Stände mit alten Bttchem, Jeremy Taylor, Burtons Melancholy und Bdigio Medici auf jedem Stande! Das sind deine Freuden, 0 London, mit deinen vielen Sfinden. 0 Stadt» die von Dirnen wimmelt, ftkr dich mag Keswick und seine Biesen- brut zum Teufel gehen!'' So hängt Lamb an London mit allen Fasern seines Herzens. Sein Cockneytum ist eine Art von mildem Fanatismus. Was ihn an Vincent Boume fesselt, ist der Umstand, daß dessen reiches Gemüt sich ganz in städtischen Szenen auslebe, die ein richtiges Gegen- gewicht für die ländlichen Extravaganzen mancher Leute bildeten (an Wordsworth 1815).

Alles zu London Gehörige ist für Lamb ein Heiligtum. Das Verschwinden der alten Glocken von St Dunstan treibt ihm Tränen in die Augen. Die Großstadt ist sein Lebenselement Er braucht ihre Kunstgenüsse, ihre Ge- selligkeit, ihre Straßen und ihr Menschengewühl Selbst ihre Auswüchse werden poetisch umschrieben und ver- klärt Er bedauert das Verschwinden der mittelalterlichen Bomantik des einträglichen Bettelgewerbes. Der Bettler der Legende sei der Antipode des KOnigs, Lumpen seien die Insignien seines Gewerbes. Die Bettler von London gehörten mit zu den Sehenswürdigkeiten des großen Ganzen.

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Der literarische Essay. 153

Lamb könnte sie so wenig missen wie ihre Strafienrufe. Der blinde Bettler mit seinem Hunde sei eine wandelnde Moral, ein Memento, ein Sinnspruch, ein Kinderbuch, das Almosen eine heilsame Schranke f&r die einbrechende Hochflut des allzu flppigen Bürgertums Complaint of the Decay of Beggars in (he Metropolis. Klage über den Verfall der Bettler in der Hauptstadt).

An Wordsworth schreibt Lamb am 30. Januar 1801 : „Ich habe all mein Lebtag in London gelebt^ bis ich mich an den Ort so innig angeschlossen, wie nur einer der Qebirgsbewohner an die Natur. Die erleuchteten Verkauf s- Iftden des Strand und der Fleet Street^ die zahllosen Gewerbe, die Verkäufer und die Kaufenden, Wagen und Fuhrwerke aller Art, das ganze Getriebe und die Leichtfertigkeit lings um Ciovent Garten, die Schutzmänner, die Trunkenheits- szenen, das Gerassel, das Leben, das, wenn man erwacht, zu jeder Nachtstunde, immer rege ist, die Unmöglichkeit^ in Fleet Street verdrießlich zu bleiben, das Gedränge, der Schmutz, der Sonnenschein auf den Häusern und dem Pflaster, die Buchdruckereien und alten Bücherstände, die Kaffee- häuser, der Suppendampi^ der aus den Garküchen strömt^ die Puppentheater das ganze London eine Pantomime und Maskerade alle diese Dinge arbeiten und vermengen sich in meinem Geiste. Sie nähren mich und sind doch nicht imstande, mich zu sättigen. Das Wunder dieser Sehens- würdigkeiten zwingt mich zu nächtlichen Gängen durch die dichtgedrängten Straßen, und auf dem bunt bewegten Strand vergieße ich oft Tränen, vor lauter Freude über so viel Leben.^

Zu Lambs städtischen Wonnen gehOrt das Schauspiel. Wenn er den jugendlichen Theaterenthusiasten schildert (091 same of the Old Äctors. Über einige alte Schauspieler,

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154 Der liteiuische EsMy.

1822), den schon die Lektäre des Theaterzettels in Stimmung bringt, so dürfen wir dabei Selbstempfundenes voraussetzen. Die Erinnerung an die erste Theatervorstellung, der er, sechsjährig, beiwohnte die des Ärtaxerxes liefert ihm noch 1821 den St^ff zu einem Essay voll lebendiger Genre- schilderung (My First Play. Mein erstes Theaterstuck). Seine eigene Fähigkeit, sich in verschiedenartigste Charaktere einzuffthlen, läflt ihn der Natur des Schau- spielers unschwer Gerechtigkeit widerfahren. Die sonst als Eomödiantentum verpönte Neigung, eine Bolle auch im Leben fortzupielen, erscheint ihm als Äußerung eines im höchsten Grade kOnstlerischen Naturells und er rühmt z. B. an EUiston, daß er durch und durch Schau- spieler gewesen sei und nie etwas anderes (EUistaniana). Eine gute Schauspielercharakteristik ist der Au&atz On the AcUng of Munden (1822). Doch will Lamb von einem übertriebenen Kultus der Bretter und der Person des Schauspielers nichts wissen und rügt die Verhimmlung Garricks {Essays on the Tragedies of Shakespeare).

Lambs großstädtische Unterhaltungen sind aber wohl immer nur bescheidenster Natur gewesen, mit dem engen Spielraum, der ihnen im Leben eines subalternen Beamten mit Familienpflichten gegönnt zu sein pflegt Der eigent- liche Schauplatz seiner Tage war das South Sea House. Elia schildert das stattliche Gebäude mit dem Arkaden- hofe, dem Sitze der Gesellschaft, die, einst eine blühende Handelsvereinigung, zu Lambs Zeit mehr Bankgeschäft war. Der junge Beamte hat kein Geschick zum Rechnen, aber die alten in Pergament gebundenen Hauptbücher fesseln ihn, die so groß und schwer sind, daß von dem heutigen verkümmerten Geschlecht ihrer drei sie kaum zu heben vermögen. Abends, wenn es im Hause still geworden,

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Der literarische Sssay. 155

durchschreitet er mit Ehrfurcht die hohen Räome, die ihm Yon der Vergangenheit reden. Und ab und zu huscht der Schatten eines abgeschiedenen Buchhalters an ihm vorbei, die schemenhafte Feder hinterm Ohr (The South Sea Hause). Die Koliken, alle spärlich besoldet, die meisten altmodische Jungesellen, etliche von ihnen Künstler auf der Flöte, sind sämtlich Humoristen, sonderbare Käuze, gemütliche Gesellen. Man plaudert, man wird bekannt. Lamb ent- wirft eine Beihe von Bildnisskizzen, scharf charakterisierte Individualitäten. Seine kindliche Vorliebe für unschuldige Mystifikationen setzt die Namen der Urbilder darunter, gibt sie aber für erfundene aus. Da ist der junge Beamte mit seinen pedantischen Vorzügen, ein Frühaufsteher, im Essen und Trinken mäßig, in seinem Gehaben sauber und nett^ trocken und schüchtern, ehrlich aus Eücksicht auf das HanptbacL Er kennt keinen anderen Ehrgeiz als den, ein guter Beamter zu sein. Er heiratet oder heiratet nicht, je nach der Ansicht seines Prinzipals. Scherzen oder Fluchen vermeidet er als Zeitvergeudung {The Good Clerk. Der gute Beamte, Beflector 1811).

Allein es gab wohl Tage, an denen Lamb der Humor ausging und der tragikomische Widerspruch zwischen seiner trockenen Amtsrechnerei und den Bestrebungen seiner Dichterseele ihm kläglich zum Bewußtsein kam. „Ein dem Pult Qeweihter, ein verrunzelter, kurzgeschorener Schreiber, einer, der, wie es gewisse Kranke tun sollen, seinen Lebensunterhalt aus einem Kiele saugt,^ so schildert er den Bureaumenschen (Oxford in ihe Vacation). In bitterem Galgenhumor spricht er von „seiner Grille^, morgens, wenn der Geist des Literaten Stärkung brauche, eine Stunde mit der Betrachtung von Indigo, Baumwolle, Bohseide und geblümter oder anderer Stückware hinzubringen. Er

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156 Der literarische Essay.

zweifelt nicht, dafi der „sabbaüose Satan" der Erfinder dieser Arbeit sei und den freien, feiertagsfrohen Geist niederzwang in die rastlose Pein des Geschäftes, in den trockenen Frondienst am toten Holze (Gedicht Work, 1819). Der Widerwille gegen den kaufmännischen Beruf zeitigt in ihm den Begriff des improbas labor, des bösen Feindes der Beschäftigung, und er preist die fälschlich verleumdete Muße {Leisure. Muße, 1821).

Nur ganz allmählich gewöhnte Lamb sich an die acht*, neun-, mitunter zehustfindige Eanzleiarbeit „Die Zeit ver- söhnt uns zum Teil wenigstens mit allem. Ich wurde nach und nach zufrieden, verdrossen zufrieden, wie wilde Tiere in ihren Käfigen,'' sagt er in The Superannuated Man Per Ausgediente), 1825. „Von den Sonntagen ab- gesehen, gab es einen Ferialtag zu Ostern, einen zu Weih- nachten und im Sommer 'große Ferien' von mer Woche, die, in der Angst, sie nur ja voll auszugenießen, in rast- loser Hetze durchjagt 'wurde und alles eher brachte als die erhoffte Kühe. Ehe man sich ihrer noch recht bewußt geworden, war sie um und man hatte 51 andere zu zählen bis zu den nächsten Ferien." Lamb fühlte sich mitunter „an das Pult anwachsen, das Holz in seine Seele dringen.*' Seine Schfichtemheit, sein Mangel an Selbstvertrauen, eine bis zu selbstquälerischer Pein getriebene Gewissenhaftig- keit erschwerten ihm die Beamtenlaufbahn. Da, nach 40 Jahren, im März 1825, kam die Erlösung, kam das Glfick in der Form einer ehrenvollen Pensionierung mit zwei Drittel seines Gehaltes, ü^450. Er schreibt: ,Jch befand mich in dem Zustande eines Gefangenen der alten Bastille, der plötzlich nach vierzigjähriger Haft freigelassen wird." Er, der bisher so arm an frei verfügbarer Zeit gewesen, ist plötzlich zu dem Reichtum völliger Muße emporgehoben«

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Der literarische Eteay. 157

Er braucht eine Weile, sich an das Glück zn gewöhnen« Anfangs yermißt er die lang gewohnte Kette. Der Abschied von den alten Kollegen gibt eine wehmfitige Stinunnng. Bald aber weiß er nicht mehr, daß er je etwas anderes war als sein eigener Herr. Das Tagewerk ist vollbracht Der Best seiner Lebenszeit gehOrt ihm {The Superannuated Man),

Zwei seinem Herzen teure und köstliche Dinge sind es, vor allem, denen er sie widmet: seine Schriftstellerei und seine Häuslichkeit Das Schreiben ist seine Unterhaltung. „Nennt dies,'' sagt er, auf das Titelblatt seiner Schriften deutend, „nicht meine Werke, sondern meine Erholung. Meine Werke liegen in den Hauptbüchern von Leadenhall Street"

Yon der Traulichkeit seines Junggesellenheims ge- winnen wir eine deutliche Vorstellung in Elias Essays Old China, (Altes Porzellan) und Mackery End in Hert- fordshire. Da tritt uns Mary unter dem Namen Bridget Elia in leibhaftiger Lebendigkeit entgegen. „Bridget'', heißt es, „ist so manches lange Jahr meine Haushälterin gewesen. Ich habe gegen sie Verpflichtungen, die über meine Erinnerung hinausreichen. Wir hausen selbander. Junggesell und alte Jungfer, in einer Art Zweieinsam- keit, alles in allem so behaglich, daß ich ffir meinen Teil keine Neigung verspüre, mit dem Sprößling des voreiligen Königs mein Zölibat zu beklagen, i) Wir stimmen in unseren Neigungen und Qewohnheiten so ziemlich fiberein, jedoch 'mit einem unterschiede'. Wir leben im großen und ganzen in Eintracht, unbeschadet gelegentlicher Scharmützel, wie es unter nahen An-

1) TroüiM and Cressida lY 2, 62.

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158 Der literarisdie Essay.

verwandten sein soIL unsere Neignng wird mehr still- schweigend vorausgesetzt als ausgesprochen. Wir neigen beide etwas znr Rechthaberei^ Die Erfahrung lehrt^ daß in Tatsachen und Daten unwandelbar er Recht behUt, wo es sich aber um eine Differenz in moralischer Hinsicht handelt oder darum, ob man etwas tun solle oder nicht, Bridgets Ansicht sich als die maßgebende erweist

Beide sind eifrige Leser. Doch während Elia über einer dunklen Stelle seines Burton brütet, muß Base Bridget eine Geschichte haben. Alles Verschrobene, Bizarre, Ent- legene, alles der allgemeinen Regel und allgemeinen Sym- pathie Widersprechende mißfällt ihr. Sie liebt das Natür- liche. Sie hat viel Umgang mit Philosophen und Freidenkern gehabt, aber was ihr in den Eindertagen gut und ehrwürdig schien, hat die Herrschaft über ihren Gteist behalten. Ihre Geistesgegenwart ist den Prüfungen des Lebens gewachsen, verläßt sie aber mitunter bei geringfügigen Anlässen. In Zeiten der Trübsal ist sie die beste Trösterin, aber in nörgelnden Zufällen und geringfügigen Unannehmlichkeiten, die den Willen nicht herausfordern, verschlimmert sie die Dinge oft durch ein Übermaß an Teilnahme. Doch ver- scheucht sie auch nicht stets die Sorgen, verdreifacht sie bei angenehmen Anlässen doch sicherlich die Freude. Auf ihre Erziehung wurde in der Jugend wenig Achtsamkeit gewandt. Sie entbehrt zum Glück des ganzen weiblichen Aufputzes, der unter dem Namen „Fertigkeiten^ geht Hätte er zwanzig Mädchen, er würde sie nicht anders erziehen. In Wirklichkeit hat Bridget ihn erzogen. Sie ist um zehn Jahre älter. Er wünschte, er könnte den Rest ihrer beider- seitigen Existenzen zusammenwerfen, um sie zu gleichen Teilen zu Ende zu leben.

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Per literarische Essay. 159

Lambs Uterer Brader John tritt als James Elia in dem Essay My BdaUons (Meine Angehörigen) anf. Er vereint Impuls und kühle Erwägung. Sein Inneres ist ein Zankapfel des Temperamentes und des doktrinären Phlegmas. Ein prinzipieller Gtegner jeder Neuerung, hat er doch stets ein neues Projekt im Kopfe. Ein abgesagter Gegner der Bomantik und Empfindsamkeit bei andern, ist er doch selbst voll Phantasie. Er kehrt geflissentlich den Praktikus und Philister heraus, hat aber dennoch immer ein wenig Exzentrizität und Enthusiasmus zu verbergen kurzum ein Mensch, der ein anderer sein will, als er wirklich ist, und der zu seinem Nachteil sein Wesen in ein anderes ummodeln möchte, als es die Natur geschaffen ein Mensch, der das Beste des Nächsten will, mit dessen Gefühlen und Handlungen aber wenig Sympathie aufbringt. In Dream Chüdren, das kurz nach Johns Tode entstand, wird erzählt^ wie der schöne, lebhafte Knabe, der im Vergleich mit den anderen Kindern gleich einem König hervorragte, schon von der Mutter und Großmutter bevorzugt ward, und wie Charles nun, nachdem er ihn verloren, den Bruder ver- misse, so daß er jetzt erst merke, wie sehr er ihn geliebt.

Nie ist in der Literatur die Enge, wo nicht die Dürftig- keit der Verhältnisse, die von der Kindheit bis zum Alter Lambs Lebenssphäre bedeutete, mit einem größeren Reichtum geistiger Überlegenheit geschildert worden. Von jeder sozialen Gehässigkeit und Verbitterung ebensoweit entfernt wie von spießbürgerlicher Verknöcherung, hebt Lamb das in den blassen Sonnenschein der Armut getauchte faden- scheinige Milieu mit liebender und milder Hand in die poetische Höhe des Idylls empor. Der Mangel wird nicht verschwiegen, aber das Dichterauge vermag gewisse Vor- teile an ihm ausfindig zu machen und auf sie fällt der

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160 Der literarisehe Essay.

unbedingte Nachdrack. Ffir Elias Heim gilt, was Lamb von dem eines Freundes rühmt: „Der Inhalt von Altheas Ffillhom in einer dfirftigen Schüssel die Gabe, sich selbst hin- znreiBen, durch welche er bei seinem pr&chtigen Wunsche zu unterhalten, seine Mittel bis zum Übei-fluß steigerte.^ und weiterhin: „Wein gab es nicht und, äußerst seltene Gelegenheiten ausgenommen, auch keinen Branntwein. Aber der Eindruck des Weines war da." Ebendort spricht er von „den heiligen Geheimnissen der Armut", die durch ihn niemals verletzt werden sollen (Captain Jackson^ 1829).

Die äußere Armut verschwindet vor dem inneren Reichtum. Lamb gibt in diesen Aufsätzen alles, was er zu geben hat, sein ganzes Ich, sein Leben, seinen Humor, seine Poesie, seine Philosophie und sein Wissen, die Ergebnisse seines Sinnens und Denkens, seine heiligsten Erinnerungen, seine Liebe und seinen Glauben. Nichts ist ihm dafür zu köstlich, nichts zu geringfügig, kein Fleiß reut ihn für diese der flüchtigen Stunde gewidmete Zeitungs- arbeit. Er verschmäht es nichts seine ganze Persönlichkeit in einem Joumalartikel auszuleben. So wird der Artikel zum Essay, der ein literarisches Ereignis von eigenartigem Wert bedeutet, dessen Gepräge das von Lambs Persönlich- keit selbst ist Lambs Essays haben nichts Blendendes. Sie berauschen und entzücken, ja sie fesseln nicht unwider- stehlich bei erster flüchtiger Bekanntschaft Aber sie lohnen die Mühe der Vertiefung. Wer Zeit und Stimmung aufbringt, in ihre Einzelheiten einzugehen, dem offenbaren sie eine sich stetig steigernde Fülle von Weisheit^ Liebens- würdigkeit^ Humor und echtester Gesinnung. Er gewinnt an ihnen gewissermaßen einen Freundschaftsschatz fürs Leben.

Lamb ist durch und durch ein religiöses, wenn auch keineswegs dogmatisch gefärbtes Gemüt In dieser Sichtung

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Der litenurifdie Eesay. 161

beeinflußten ihn bereits die ersten Eindrücke im Vater- hanse. Tante Hetty las vom Morgen bis znm Abend im Thomas a Kempis nnd in einem katholischen Gebetbncb, was sie nicht hinderte, allsonntäglich als gnte Protestantin znr Kirche zn gehen {My BelaUons). Barry Comwall sagt: „Er war nach Erziehung und Gewohnheit Uni- tarier, ans Überzeugung Nonconf ormisf 0 ^^^ Jugend- gedichte sind von dem Bingen der gottsuchenden Seele erfBllt, die unter der Wucht des Schicksals zerbrechend, die Hand nach dem festeu, stfitzenden Punkte ausstreckt Das fatalistisch angehauchte Gledicht Living without God in ihe World (Ohne Qott in der Welt) ist ein krampfhaftes Sich-an-die-Beligion-Elammem.

Selbst in der Zeit der stfirmenden Jugendgährung bleiben skeptische Anwandlungen ihm fem. Coleridges Vergleiche zwischen der göttlichen und menschlichen Natur findet er von einer Eflhnheit^ die ihn erschreckt (Brief vom 24. Oktober 1796). Er fürchtet die Ansteckung mystischer Ideen und metaphysischen Hochmuts, die gar leicht dem urwüchsigen, einfältigen Sinne der Heiligen Schrift eine Bedeutung unterlegen, von der die Fischer von Galiläa nichts ahnten. Er fände es in diesem philosophischen Zeit- alter geboten, Bücher wie Evidenees of Beligion hundert- fach zu yeryielfältigen, um Bekehrungen zum Atheismus vorzubeugen (27. Mai 1796).

Nach der Lektüre der Bocbrine ofPhüoscphical Necessity von Priestley, den er „bis zur Sündhaftigkeit vergöttert^, schreibt er an Coleridge (10. Januar 1797): „Goleridge, ich habe unter meinen Bekannten nicht einen wirklich hohen Charakter, nicht einen Christen, keinen, der das Christen-

0 Memair 466. OMdüehte der eofflischen Bomantik Ü, i. 11

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162 Der literaiiMhe BBsay.

tum nicht anterschätzte. Bist du noch Berkeleyaner? Mache mich zu einem. Ich bin froh, theoretisch ein Determinist zu sein« Wollte Gott, dafi ich es auch in der Praxis wäre.^ Allmählich findet er den inneren Frieden in einem individuell für sich zugeschnittenen Christentum. Eine vollgedrftngte Kirche ist ihm auch voll menschlicher Schwächen und Eitelkeiten. Wer da erfahren will, wie schon die Heiligkeit ist, der betrete das Grotteshaus allein an einem Wochentage. Ohne ablenkende Erregungen, ohne die harten Widerspräche der Kompromisse atme er die Ruhe des Ortes, bis er selbst so still und reglos wird wie die Marmorbilder rings um ihn (Blakesmoar in E-shire).

In der Stadt vermißt Lamb des Sonntags das heiter lärmende Gewimmel. Das Glockengeläute macht ihn schwer- matig, die Feiertagsstille bedrückt ihn (The Superannuated Man). Kein Gottesdienst der Westminsterabtei, um dessent- willen ihm die stille Andacht zwischen den altai Denk- mälern des feierlichen Domes verwehrt wird, kann ihn so erheben, daß er die Verstimmung ob des Verbotes überkäme {The Tanibs in the Ahhey. Die Gräber der Abtei).

Lamb ist nicht gefeit gegen den Aberglauben. Als Kind haben Hexen- und Gespenstergeschichten den nachhaltigsten Eindruck auf seine reizbaren Nerven geübt. Seinen Auf- satz Witches and other Night Fears (Hexen und andere Nachtgespenster) nahm Southey zum Anlaß eines eifernden Exkurses gegen das Freidenkertum,i) ein Angriff, den Leigh Hunt, der mit getroffen war, im London Magazine 1823 parierte.

Lambs Glaube Jl)efaßt sich mehr mit dieser Welt als mit dem Jenseits. Er liebt die grüne Erd^ die Sonne, den

0 Quarierly Beview, Juiuar 1823.

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Der literariBche Essay. 163

Himmel, die L&fte und das Grttn der Felder, einsame Wandelpfade und Sommerfeiertage , den köstlichen Saft YOD Fleisch nnd Fisch, die Geselligkeit nnd den frohen Becher, Kerzenlicht am Kamin, (besprach nnd Scherz und alle die unschuldigen Eitelkeiten des Daseins. Er ist nicht ohne Todesfurcht Vergehen alle diese Dinge mit dem Leben? Kann ein Geist lachen? Wird es dort Freund- schaft geben? Das Sterben ist etwas Problematisches. Die Lebenden gehen vor den Toten. Er tut den charakte- ristischen Ausspruch, die Keligion hätte auf ihn stets mehr als Gefühl denn als Argument gewirkt (New Years Eve. Neujahrsabend). Thomas Pnmell darf mit Becht behaupten, was immer auch der Glaube oder Unglaube »ein mochte, zu dem er sich bekannte, seine praktische Beligion sei von der rechten Art gewesen.

Die kerngesunde, kräftig bejahende Grundstimmung seiner Seele, die keine Winkelzfige und Sophismen kennt, gibt auch f br seinen Humor die Grundfarbe her. Er hat die F&higkeit^ immer und fiberall, an Menschen und Ver- hältnissen, das Gute herauszufinden. Eine Krankheit, die er 1824—1825 durchmacht^ gestaltet sich in der Betrachtung zun wunderbaren Traum, das Krankenlager zur königlichen Einsamkeil Ln Vergleich mit jener höchsten Selbstsucht^ die dem Kranken zur Pflicht gemacht wird, bedeutet schliefilich die Wiedergenesung nur ein Zurücksinken in die AlltSglichkeit (The Canvalescent. Der Genesende, 1825).

Lamb steht dem Dasein mit dem Interesse des Forschers gegenBber. .Das Erlebnis interessiert ihn an und ffir sich so unbedingt^ dafi es ihm als solches auch die schmerzliche Erfahrung aufwiegt, die etwa damit verbunden ist. Die Lambs werden 1827 so will es zum mindesten die

11*

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164 Der liteiaiisohe Essay.

Familientradition i) von einem Verwandten mn ihr Erb- teil geprellt Charles l&6t durchblicken, daß es seine Armut war, die sein Unglflck in der Liebe zum größten Teil verschuldete. Dennoch hat er sofort einen Trost zur Hand. „Ich glaube, es ist besser, daß ich sieben meiner goldensten Jahre vertrauerte, während ich der Sklave von Alice W— n's lichtem Haar und lichteren Augen war, als daß ich um ein so leidenschaftliches Liebesabenteuer ge- kommen wäre.'' Und femer: „Es ist besser, daß unsere Familie die Erbschaft verlor, um die uns der alte Dorrell betrog, als daß ich zur Stunde £ 2000 in der Bank hätte, aber keine Vorstellung von einem solchen gleißnerischen Schurken {New Yeaf^s Eve. Neujahrsabend).

Dennoch ist Lambs Humor weder lehrhaft noch moralisierend, sondern durchaus naiv. Die urwflchaige unverdorbene Kindlichkeit bildet einen Hauptreiz seiner Eigenart. Das Sprichwort: Dem Beinen ist alles rein, findet bei ihm seine Anwendung. Im Londoner Großstadt* getriebe wie in der derben Komik eines Wycherley oder Congreve kann er alle Vorzfige genießen, ohne an der in sie verwebten Unsittlichkeit Ärgernis zu nehmen.

Eine Kritik des Examiner rtlhmte treffend an Lamb, daß er bei der Behandlung trivialster G^enstände aber Zartheit und feines Geffthl für alles Menschliche verfüge. Eben darum aber liegt seinem Wesen der drastische Humor fem. Wo er ihn äußert, ist eine klassische Vorlage zu vermuten, z. B. Shakespeares Clowns fOr ReflecHons an fhe Fälory (Reflexionen am Galgen) und fOr A Vision of Harns (Hömerphantasie) im London Mctgagine, 1825. Fehlt eine solche Vorlage, wird seine Komik gezwungen.

1) Ainger in,2d3.

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Der literarische Essay. 165

Ebenso fern oder noch ferner aber liegen Lamb anderer- seits die großen Gteistesprobleme nnd weltbewegenden Ge- schicke. Die Politik ist fast ganz ans seinem Leben ansgeschaltet In der Jugend wurde er zu den liberalen Freunden geschlagen, ohne Anlaß dazu gegeben zu haben. Canning griff im Änti-Jacobin die Pantisokratie an und Grillray zeichnete dazu Coleridge und Southey mit Eselsohren, Lamb und Lloyd als ErSte und Frosch. 0

Am 15. Mftrz 1812, eine Woche vor Leigh Hunts Brandartikel, veröffentlichte Lamb im Exatniner eine politische Satire oder vielmehr einen Ausfall auf den Prinz- regenten The Triumph of ihe Whale (Der Triumph des Wals). Unter allen Seeungeheuem, hieß es darin, sei der Prinz der Wale (Prince of Wales) Begent des Meeres. Das Gedicht war unbedeutend und wurde nicht bemerkt Lamb blieb ein grimmiger Feind des Regenten und griff ihn noch 1820 im Champion in Epigrammen an, deren Wortwitz sich zu giftigen politischen Pointen zuspitzte. Er gehörte zu den wenigen, die für die Königin Partei nahmen (The Godlikey 1820). >)

Das Jahr 1814 ließ ihn kfihL Obzwar auf Seiten der Whigs, neigte er im Gef&hl zu den Tories und hatte Freunde in beiden Heerlagern.') In dem Essay Quy Fax (London Magaeine, 1823) erklftrt er es für die Pflicht jedes rechtschaffenen Engländers, Parlamente zu verbessern, ohne sie au£sulOsen, mit feiner Unterscheidung die Lanzette nur an die verfaulten Teile des Systems zu legen, sich nicht in den Mantel der Verschwörung zu vermummen, sondern in den Talar der Integrität zu hüllen.

>) Craddock, 39.

*) LucM, 321, 426.

^ PnnieU, Works I, S. XXL

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166 Der literariwslie EsMy.

Wie für das Politische, so fehlt Lamb, wie schon Hunt in seinem Nachruf bemerkt, auch für alles Theoretische, Übei'sinnliche Interesse und Begabung. Er selbst gestand den Mangel an transzendentaler Vorstellungskraft zu. Dem. über künftige Zustände phantasierenden Coleridge sagte er einmal die bezeichnenden Worte: „Gib mir den Menschen, wie er ist, nicht wie er sein solL^O ^^'^ eigentliche Sphäre seines Geistes ist die Dni'chscfanittsexisten/.. Kein Übermaß im Guten oder Schlechten fesselt ihn, keine psycho- logische Absonderlichkeit reizt ihn. Jede Exzentrizität der Handlung, jedes Extrem der Erschütterung oder Spannung vermeidet er. Seine einzige Kühnheit besteht darin, daß er für das Kleine und Geringfügige in der Literatur schlechterdings keine Schranke anerkennt

Sein Werk verfiele unrettbar der Banalität, besäße sein Humor nicht die Kraft, auch im Leser das StofEliche gegen das Gefühl und die Stimmung als das ausschließlich Maßgebende in dem Grade zurückzudrängen, als es in seinem eigenen Interesse der Fall war. Typisch für Lambs Kunst ist bei der Schilderung der alten Tante die mit ihrem Bilde untrennbar verwebte Vorstellung des Bohnenbrechens. „Der Duft dieses zarten Gemüses kommt mir noch heute in den Sinn und atmet milde Erinnerungen aus^ (My Bdations). Lamb versteht es fast immer, uns den poeüsdien Duft der Dinge zu Gefühl zu bringen. Und wo er uns zu fehlen scheint, wird man gut tun, der spezifischen Eigenart des britischen Humors Rechnung zu tragen, wie in Dissertation upon Boast Pig (Abhandlung über Schweinebraten), 1822, dieser in das Gewand einer chinesischen Geschichte gehüllten

») Barron Field, T?ie Annudl Biography and Obituary 1836 (Tol. 90),

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Der litetmriflche Essay. 167

Abhandlung fiber alle Einzelheiten, Ennstgrüfe nnd Genttsse des Sehweinebratens, die nach nnserem Geffthl über das Mafi der innerhalb von Zeitnngsspalten gestatteten Gemein- plätze hinausgeht^ in England aber nnter die Meisterwerke Lambs und des Humors ftberhaupt zählt

Jedes geringfügigste Erlebnis in Lambs engbegrenzter Existenz mnS als Thema für einen Aufsatz herhalten. „Sein spielerischer Geist ist stets bereit, jedem Wink nach- zulaufen wie ein E&tzchen jedem Ding, das sich bewegt." 0 Ein kurzsichtiger Freund, George Dyer, ger&t nach einem B^nche bei den Lambs auf dem Heimwege im Dunkeln Yon der Straße ins Flufibett Glücklicherweise haben sie ihm aus dem Fenster nachgesehen nnd retten ihn« Dies das ganze stoffliche Moment. Aber warme Herzlichkeit und bildhafte Darstellung tun das Übrige und so entsteht ein Essaj: Amicus BedmvM.

Stimmung ist das große Um und Auf von Lambs Kunst Dadurch erscheint seine ausführlichste Detail- nnd Elein- malerei unbeschwert durch den Ballast platter AUtftglich- keit. Die immerdar unverhüllt im Vordergrunde stehende Subjektivität einer anziehenden und überragenden Persön- lichkeit das Gefühl langweiligen Kleinkrams hintanhält Ja, der Reichtum dieser Persönlichkeit und die Ärm- lichkeit ihrer Lebensbedingungen wird zu einem nicht un* pikanten Kontrast. Es hat bei Lamb nichts Verletzendes, wenn er uns unter dem schüchtemen Zugeständnis, daß er gegen ein gutes Gericht nicht gleichgiltig sei, mit Behagen die Genüsse eines Mahles schildert. Denn gleichzeitig denkt er all der anderen Gaben, für die er Qtott ein Dank- gebet schulde, der schönen Spaziergänge, der guten Bücher.

>) Graddock, 120.

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168 D«r liteimrifche bsaj.

Und er fragt: Wamm haben wir kein Dankgebet für Shakespeare, für Milton, für Spenser, diese geistigen Fest- gerichte? (Grace befare Dinner. Tischgebet^ 1821).

Das StofOiche an und für sich ist Lamb gldchgfiltig, ja zuwider. Die Erzfthlnng qnUt mich, sagt er (Madcery End). Der Fortschritt der Geschehnisse kfinunert mich wenig. Die Schwankungen des Glflckes haben in der Dichtnngi nnd fast anch im wirklichen Leben, ani^ehSrt mich zu interessieren oder wirken nur stumpf auf mich.''

Die Wahrheit war wohl, dafi das einzige Vorkommnis, das für sein Leben yon tief eingreifender Bedeutung war Maiys Gesund- oder Eranks^ für seine Schriftstellerei nicht in Betracht kam.

Andererseits besitzt Lamb eine starke Phantasie, die in freiem Fluge die Wirklichkeit hinter sich l&flt. Seine spezifische Eigenart ist das Ineinanderweben yon Er- träumtem und Erlebtem. Die moderne Kunst stößt ihn durch die Phantasielosigkeit ab, die sie unter der Flagge des Bealismus hochhält Er selbst versteht unter phantasievoller Behandlung jene Individualisierung eines Gegenstandes, die ihn von jedem anderen ihm noch so ähnlichen au& schärfste sondert (Barrenness of ihe Imaginaüve Facidty in ffte Productions of Modem Art. Unfruchtbarkeit der Phantasiekraft in den Gebilden der modernen Kunst, 1883). Ein klassisches Beispiel fOr Lambs Kunst des Yerwebens von Bealem und Idealem ist Dream Chüdren. Die der Erzählung lauschenden Kinder, ihr Auf- horchen, ihr Reagieren auf das Gehörte ist ganz der Wirklichkeit abgelauscht, und gleich darauf verflftchtigen sich die lebensechten kleinen Gestalten in Traumgebilde.

Lamb liebkost sozusagen die Kleinheit, jene Kleinheit, „in der viel von dem traurigen Herzen der Dinge ist^ Stets

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Der liteiftrische Esmj. 169

sieht er das Einzelne im Lichte einer höheren Vemonft^ stets in Verbindung mit dem Mechanismns der ganzen Menschheit ond den geistigen Bedingungen, die es bestimmen. Stets hat er die in den kleinsten Zwischenfällen ffihlbare organische Ganzheit des Lebens im Auge. Dennoch urteilt er nie systematisch, sondern bleibt stets beim einzelnen Falle.*) Walter Pater findet in der Unterströmung von großem ünglftck und Mitleid die Grundnote ffir Lambs Phantasie- iofiernng. Durch sie gewinnt er ffir die leichten Dinge an der Oberflache des Lebens und der Literatur, unter denen er sich gewöhnlich bewegt, eine wunderbare Kraft des Ausdrucks. Es ist, als dringen die unbedeutenden Worte und Oesichte tief in die Seele der Dinge. Dieses Durch- leuchten und Über-sich-Emporheben des greifbar Wirklichen in die Sph&re des Beseelten, Vergeistigten ist wohl im letzten Grunde der Schlttssel zur Originalit&t seiner Kunst Sie wurzelt im Bealen und yerliert sich darum ebensowenig in der SchimSre wie im Trivialen. Man yei^leiche seine Schilderung der kleinen Schornsteinfeger, „dieser armen Kleckse, dieser unschuldigen Schwärze, dieser jungen Afrikaner von einheimischem Gewächs, dieser fast priesterlichen Zwei^e^, die von ihren Kanzeln, den Spitzen der Schornsteine, in der feuchten Luft eines Dezember- morgens der Menschheit die Lehre der Geduld predigen. Welche Fälle von poetischen Bildern steigt zwanglos mit der rührenden Gestalt des kleinen Schornsteinfegers Tor unserem Blick empor! Wie werden aus dem alltäglichen Vorgang des Bauchfangkehrens alle Möglichkeiten des Eindrucks hervorgeholt! Dem kindlichen Gemat bedeutet das Verschwinden des kleinen Schwarzen im dunklen Schlot

0 AfpreciaHans 108, 121.

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170 Der Uteniiiche EsMy.

einen Augenblick geheimnisvoller Spannnng. Sagenhafte Romantik bemächtigt sich des ännlichen Oewerbes. Aber hinter ihr bleibt das ethische Moment nicht znrftck. Der Dichter wendet sich an das Mitleid. „Begegnet dir im schlechten Wetter der Knabe mit Frostbeulen an den Fußen, so gib ihm einen Pfennig und besser zwei!^ Doch verliert Lamb sich nicht etwa in Biihrseligkeit Sein Mitleid geht niemals in schwächliche Sentimentalität über. Er sieht die Menschen, wie sie sind, auch wenn er sie bedauert. Seine unbedingte Wahrheitsliebe schätzt ihn vor verlogener SchönfärbdreL Die Jugend ist heiter. Fröhlichkeit ist ihre Lebenskraft; selbst das Elend kriegt sie nicht unter. Die kleinen Kaminfeger sind ausgelassene Gassenjungen. Der Dichter stolpert und fällt ein Anlaß zu tollem Gelächter. Und mit dem großen Fest der Schornsteinfeger in Montague House klingt alles heiter harmonisch aus {The Fraise of Chimney Stoeq^ers. Lob der Schornsteinfeger).

Lambs ganze künstlerische Eigenart steht bei der krankhaften Familien Veranlagung sicher der höchste Ruhmes- titel seines Genius durchaus im Zeichen kerniger Gesund- heit Er schätzt und preist sie mit Bewußtsein. Seiner Überzeugung nach waren die größten Geister zugleich die ges&ndesten Schriftsteller, Shakespeare obenan, „der Maler dieser höchsten Lenkerin, der er am treuesten ist, wenn er sie zu verraten scheint^ {Sanity of OeniuSj 1826).

Mystische Anläufe gehören dementsprechend bei ihm zu seltenen, auf die Einflüsse seiner Lieblingsautoren zurück- zuführenden Ausnahmen. Sie pflegen in äußerliche Allegorie zu verlaufen (The ChOd Angel Der Kindesengel, 1828), während hinwiederum die Allegorie nicht selten durch zier- lich lebendige Wiedergabe des Details zur Poesie erwärmt

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Der litemisdie SsMy. 171

wird (B^aicmffB upon the New Year^s Comig of Äge. Lust- barkeit anläßlich der M&ndigkeitserklftnmg des neuen Jahres, 1823).

Lambs echte nnd orwfichsige Schlichtheit ist ein herrortretender Zog seines Wesen. Ohne weltlichen Ehi^eiz, ohne den Wnnsch nach Rnhm oder Yolkstfim- lichkeit, weifi er nichts von Pose. Wie naiv ist nicht seine ErkUrnng, bei einer heimlichen Gattat plötzlich entdeckt zn werden, sei das größte Yergnfigen. Er ist durch und durch of&llt von jener schlichten Bescheidenheit der Natur, der jedes snobbistische Emporschrauben zu unechter Höhe schon den Widerwillen der Lttge erregt Selbst ein an sich so harmloser Vorgang wie die in Bade« orten ftbUche Verwandlung des „braven Esels in einen geckenhaft Visierten Zelter*^ genügt, ihn zu entrüsten. Pfui ttber derlei Sophistereien! {The Ass, Oktober 1821).

Mit der unbedingten und lauteren Wahrhaftigkeit, die einen Grundzug seines Wesens bildet, scheint Lambs sonderbarer Hang zu mutwilligen Irreführungen und Mysti- fikationen im Widerspruch. Leigh Hunt will in dieser Gegensätzlichkeit die eigentliche Quelle von Lambs Humor erkennen« Er sei imstande, gleichzeitig aber einen Aber- glauben zu spotten und vor einem Gespenst zu erschaudern. Er sei ein melancholischer Geist, der gern heiter sein möchte. 0 Dieser letzte Punkt trifft wohl den Kern des sonderbaren Phänomena Oder woraus sonst entsprang Lambs Freude am Lügen? War es das üngenügen an der Wirklichkeit, das ihn zeitweilig in die Welt phantastischer Vorspiogelungen trieb? War es die Gabe, Wirklichkeit und Phantasie zu durchdringen, die ihn gelegentlich Tat-

1) Aiaobiogra^, 379.

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172 Der Utonaiache fissay.

Sächliches und Fingiertes nntereiiiaiider werfen ließ? Oder war es ganz einfach der ins Schriftstellerische übertragene babenhafte Zag, der ihm zeitlebens eigen blieb nnd sich in Dnmmenjnngen-Späßen gefiel? Wenn er sich als Elia selber totsagt (Preface hy a Friend of ühe Laie EUa)j so erklärt sich allenfalls das Vergnfigen an der Mystifikation durch den Anlaß zn einer vorzüglichen Selbstcharakteristik, den sie bietet^ eine Selbstcharakteristik, in der die treffenden Worte stehen: „Elia blieb anch als Mann zn sehr Junge. Seine Schultern trugen die Toga virilis nie mit Anmut''

Was aber soll man zu folgender Briefstelle (an Vincent Noyello, 25. April 1825) sagen: „Ich siegle mit schwarzem Lack, damit Sie anfangs glauben sollen, die Erkältung hätte Mary getötet, was dann eine angenehme Überraschung zur Folge haben wird, wenn Sie das Billet lesen.'' Was anders, als daß selbst der Geist des Mannes noch nach Enabenart unter dem Druck des Schicksals empor- schnellt, indem er in kindischer Weise andere „auf- sitzen" läßt. Ein solcher „Aufsitzer" für den weiteren Kreis des Publikums ist beispielsweise die vorgebliche Selbstbiographie des Schauspielers Munden oder die höchst witzig erfundene Biographie des Schauspielers Listen, über die er (25. Januar 1825) an Miß Hutchinson schreibt: „Von allen Lügen, die ich je losgelassen, schätze ich diese am höchsten ein. Sie ist, jeder Paragraph, von Anfang bis Ende, reine Erfindung und man hat sie als Evan- gelium aufgenommen, in den Zeitungen und abends auf den Theaterzetteln als authentischen Bericht wieder veröffent- licht. Ich werde gewiß noch eines Tages zum Bösen fahren wegen meines Geflunkers." Ein ernsterer Fall, der in das Gebiet der literarischen Fälschungen übergreift, war der Plan einer Anfertigung vorgeblicher Manuskripte Bobert Burtons,

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Der literarische Essay. 173

Ouriaus Frctgments, extracted from a Conmonplace Book which belonged to Bobert Burton, the Famous Author of ^Anatomy of Mdancholy' (Merkwfirdige Bruchstficke eines Taschenbuches ans demBesitzeRobertBnrtons, des berfihmten Verfassers der 'Anatomie der Schwemmt'). Es sind Tage- bncheinträge Bnrtons von 1620, ans der Zeit der Vollendung seines Hauptwerkes. Lamb begnügt sich jedoch nicht mit einer blo£en Stilnachahmung, sondern unternimmt es, den Philosophen in drei verschiedenen Stimmungen zu zeigen: in der phantastischen Behandlung seiner unglftcklichen Liebe, in einem bitteren Ausfall gegen alle Pseudophilosophen und in seiner Verachtung der jetzigen Form der Gesellschaft, des Banges und Beichtums.9

Gefährlicher werden Lambs mutwillige Irreffihmngen, wo es sich um vorgeblich Selbsterlebtes handelt. Welches Kreuz fflr den Biographen bildet nicht sein Essay Con- fessions of a Drunkard (Bekenntnisse eines Trunkenboldes), 1822. Sein Appell an das Mitleid des Lesers bekundet ein starkes Maß eigenen Verständnisses fOr das in dem Auf- satze behandelte Laster. „Halt ein, halsstarriger Moralist, du Mensch von kräftigen Nerven und starkem Kopf, dessen Leber glficklicherweise gesund ist, und ehe dir von dem Worte, das ich geschrieben, übel wird, lerne, was das Ding ist, wieviel Erbarmen, wieviel menschliche Nachsicht du, wenn du tugendhaft bist, deiner Mifibilligung beimengen mußt''

Lamb spricht offenbar in eigener Person. Er schlägt durchaus den Ton persönlicher Erfahrung an. Neben der Qual der Abstinenz schildert er die Bolle des Spaßmachers, die ihm au^zwungen wird, ihm, dem ein Sprachfehler

1) Veröffentlicht 1801 mit Woodvtl; Tgl. B. Lake, 65 ff.

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174 Der litorarisefae l^Mty.

anhaftet Er beschreibt ein Bild des Correggfio, das einen Mann darstellt^ nm den drei weibliche Gestalten beschäftigt sind: die Sinnlichkeit schmeichelt ihm, die äble Gewohnheit nagelt ihn an einen Ast, der Widerwille setzt ihm eine Schlange an die Flanke. „Als ich dies sah,'' fährt er fort, „bewunderte ich die herrliche Eanst des Malers. Aber ich ging weg. Ich weinte, denn ich dachte meines eigenen Zustandes.''

Inwieweit liegt dem Aufsätze Selbsterlebtes zugronde? Inwieweit zeugt er nur von der Fähigkeit des Dichters, sich in die Lage anderer zu versetzen? Man ziehe zum Vergleiche The Last Peach (Der letzte Pfirsich, London Magazine, 1825) heran: „Hast du niemals, sozusagen, ein Jucken in den Fingern eine Daktylomanie versp&rt oder bin ich darin allein? Du hast mein ehrliches Bekenntnis.'' Aus diesen Worten ließe sich mit demselben Rechte eineVerdächtigung diebischer Anwandlungen ableiten. Welches Wirrsal! Welche Gefahren! Wie mag Lamb, wenn ihm der Gedanke an den künftigen Biographen durch den Kopf flog, sich als echter Humorist spitzbübisch ins Fäustchen gelacht haben! Im ganzen und großen wird wohl von diesen Aufsätzen dasselbe gelten wie von den meisten anderen: ein Krümchen Wirklichkeit, zu einer lebensgroßen Phantasiegestalt verarbeitet.

Lamb gefällt sich in literarischer Hinsicht in einer behaglichen ünverantwortlichkeit Die Schriftstellerei, die in der trockenen Eintönigkeit seines Beamtenlebens die Erholung von der Arbeit und das Vergnügen repräsentiert, bleibt ihm zeitlebens mehr oder weniger ein künstlerisches Dilettantentum, zu dem sein ganzer Bildungsgang ihn einzig befähigt Mag er auch gelegentlich die Planlosigkeit seiner Lektüre und die Lückenhaftigkeit seiner Bildung

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Der litanriflehe Smwj. 175

beklagen {The Old and ihe New Sdioolmaster. Der alte und der nene Schnlmeister, 1821), energisches Hinstenem auf einen bestimmten Punkt bem&m&ßiger Vertiefung lag doch außerhalb seiner Natur. Nur in einem Punkte bringt Lamb neben der Begabung auch alle Sorgfalt und Kon- zentration auf, die zur Meisterschaft fähren, im StiL ,,In seiner Prosa realisiert er das Prinzip der Kunst um der Kunst willen so vollkommen wie Keats in seiner Poesie.^')

Schon 1821 faßte Henry Nelson Ccleridge im Eionian eine Kritik der Essays in die Worte zusammen: ,,Charles Lamb schreibt unter allen Lebenden das beste Englisch.'' Anscheinend herrscht auch in der Form das völlig Zwang- lose, Zufallige vor. Die Aufsätze geben sich selten für mehr als Plaudereien. Doch sieht man genauer zu, so wird im Unterschiede zu den Aufsätzen Leigh Hunts unter der behaglichen Außenseite das Knochengerttst einer geschlossenen Komposition sichtbar, mit feinen Übergängen und sorfältigen Steigerungen. Da ist nichts Rissiges, Sprunghaftes, nichts Fragmentarisches. Jeder Aufsatz bfldet ein Bundes, Durchgearbeitetes, ein Kunstwerk. Den- noch ist Lamb mitunter weitschweifig und der moderne Leser, der weniger Zeit und infolgedessen weniger Sinn ffir behaglichen Humor hat als die frfihere Generation, wird bei ihm sein ünterhaltungsbedOrfnis nicht immer befriedigt sehen, weil er das Tempo seiner Schilderungen zu häufig als schleppend empfindet

Von Lambs Stil^ der sich so leicht und glatt hinliest, gilt im WesenÜichen dasselbe wie von seiner Komposition. Thomas Pumell bemerkt treffend, daß er nicht von naiver

1) Tbifourd, Works I, p. XXX.

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176 Der liteniiiehe Enay.

Urw&chsigkeit sei. Lamb habe ihn bewnßt an Vorbildern erzogen, aber ihn allmählich zur Eigenart entwickelt 0

Eine gewisse altertfimelnde FErbnng im Beim, die manchen modernen Leser als gekünstelt anmuten mag, ist Lamb, der mit den Elisabethanem anf Du und Du lebte, wohl gar nicht bestimmt zum Bewußtsein gekommen. Hazlitt nennt ihn vom Geiste seiner Autoren so durchtränkt^ daß die Idee der Nachahmung fast verschwinde. Er kenne keinen entlehnten Stift, der mit mehr Glück und Kraft in der Aus- führung gehandhabt werde. ^) Barry Comwall rechnet es Lamb zum Hauptverdienst an, daß er, fast ein Fremder in seinem eignen Zeitalter, dem G^schmacke der Gegenwart die fremd gewordene Poesie alter Zeiten wieder nahe gebracht habe.

Wie alle Mitglieder des Londoner Schriftstellerkreises zitiert Lamb gern, und zwar sowohl seine Lieblings- autoren — in der Regel die etwas entlegeneren Spät- elisabethaner als auch andere, gelegentlich sogar sich selbst, und nicht immer mit unbedingter Exaktheit Noch lieber lehnt er sich an Ausdrücke und Wendungen alter Autoren an.') Daneben besitzt er aber auch die Fähigkeit, eigene prägnante Bezeichnungen zu bilden, die, unauffällig und ungesucht^ einen ganzen Satz auf- wiegen, z. B. within-door reasons für innerhalb der eigenen Persönlichkeit ruhende Gründe {Old Benchers).

In Lambs Prosa ist jeder Satz wie gemeißelt^ sitzt jedes Wort an der Stelle, wo es hingehört, wo es am

>) Essay an Ms Life and Genius. *) On Famüiar Style (Table Talk).

*) Ygl die Anmerkangen zn Lambs Werken von Ainger und bei Lake S. 40 f.

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Der literarische Essay. 177

besten wirkt, in einem Grade, wie dies gewBhnlich nur in gebundener Bede der Fall zu sein pflegt. Der Rhythmus gibt ihr gelegentlich alle Qualitäten der Poesie (z. B. To ihe Shade of JEUiston). Daher die durchsichtige Klarheit seines Stils, die ihm ihrerseits den Charakter unbedingter Einfachheit und Natfirlichkeit verleiht Sie erscheinen in der Tat als seine beiden maßgebenden Gesetze. Von den zwei Schriftstellern, die das landläufige Urteil als Meister des eleganten Stils anerkennt, Shaftesbury und Temple, läßt Lamb nur den letzteren gelten. Shaftesbury sei schwulstig und geziert, Temple dagegen schlicht und natfirlich (The Genteel Style in Writing. Der edle Stil in der Schriftstellerei, 1826). Das allein entspricht Lambs Begriff des Vornehmen und Edlen. So gibt ein feines Stilgefahl, auch da wo er sich gehen läßt, den Ausschlag. Wenn Leigh Hunt, Hazlitt und Lamb ein gleichgültiges oder minderwertiges Thema aufgreifen, so ist Hunt der Gematlichste, Hazlitt der Geistreichste; bei Lamb überwiegt die künstlerisch ansprechende Form (z. B. St Valentine's Day, 1819).

Die Mannigfaltigkeit dieser stets mit gleicher Meister- schaft gehandhabten Form ist es, die ihn vor der Gefahr der Eintönigkeit bewahrt Anmutiger Brie&til (Distant CJarrespandents, 1822), dramatische Lebendigkeit (Populär FaUaciesXniyÄll FooVs Day, 1821), rhapsodischer Schwung (Verherrlichung der Stille als Sprache der alten Nacht in A Quakers' Meeting^ 1821), schlichte Erzählung, kritischer Exkurs, die lyrischen Flüge einer erhöhten Stimmung, breite Behaglichkeit, die sich in Postskripten, Abschweifungen und Einschaltungen gefällt all diese mannigfaltigen Humore werden durch den treffendsten Ausdruck aufs glücklichste getragen und yermittelt.

Gaiehidite der enfflischen Bomantik II, 1. 12

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178 Der Uterarieche Essay.

So erklärt es sich, daß trotz der grttndliclien Wandlung des Geschmackes im Scherzhaften bei Lamb noch immer des Unlesbaren nnd Überlebten verhältnismäßig wenig ist, daß uns der beabsichtigte Spaß nur ausnahms- weise unerfindlich bleibt, wie z. B. in Hospita^ in Edax an Appetite (Edax über den Appetit), On the Inconveniences resulting from being hanged (Von den Unannehmlichkeiten des Geh&ngtwerdens). Die Gestalt des gehenkten und wieder abgeschnittenen Pendulus spielt abrigens schon in Lambs The Pawnbroker's Daughter eine Rolle.

Von der Hellsichtigkeit des Humors getragen, erscheint die Selbstkarikatur seines Stils in The Oharacter of (he Laie Elia; hy a Friend (Charakterbild des verewigten Elia. Von einem Freunde), die heitere Selbstironie eines Menschen, der im Grunde seiner Sache sicher ist, der in aller Bescheiden- heit weiß, daß er sein Spiel gewonnen hat Wird man doch im großen und ganzen die absolute Freiheit von jeder Ver- bitterung — sei es gegen Menschen und Welt, sei es gegen Zufälle und Schicksal, sei es gegen sich selbst das eigentlich Ausschlaggebende für Lambs Charakter als Mensch wie als Schriftsteller nennen mfissen. So rühmt Bulwer die Freundlichkeit und Lauterkeit seines Humors. In seinem Lächeln sei keine Bosheit Sein schärfster Sarkasmus sei nur ein schalkhafter Scherz. 0 Er hat früh gelernt, sich mit den gegebenen Möglichkeiten seines Lebens wie seines Talentes zu bescheiden. Eine lächelnde Wehmut über das, was ihm das Dasein schuldig geblieben oder was er selbst verfehlt, ist alles, was sich von Bodensatz in seinem Gemüt findet

>) Kritik Ton Talfonrds Finai Memorials nnd Barry Comwalls Memoir, Qtiarterly Beview, 1867 (vol. 22).

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Der literarische Essay. 179

Wie ihm vom zwanzigsten Jahre an die großen Hoffianngen erloschen waren, sind ihm auch die grofien Stfirme, die erschfittemden Krisen erspart geblieben.

Hazlitt schildert uns Elia mitten im Gewfihle der Straßenbnchhändler, oder wie er eine nachdenkliche Inschrift ober einem verfallenen Tore studiert Zum echten Er- forscher der Vergangenheit gehOrt sinnende Menschlichkeit Lamb besitzt sie. Aber die Vergangenheit mufi etwas Persönliches, Lokales haben, wenn sie ihn interessieren soll ,,Er schl&gt sein Zelt in den Vorstädten der herrschenden Sitten auf, verfolgt einen Charakter bis zu den zuckenden Überresten der letzten Generation zurück; er wagt sich nicht selten ftber das Gesetz der Sterblichkeit hinaus und besetzt jenen heiklen Punkt zwischen dem Egoismus und der uninteressierten Menschlichkeit Niemand schildert die Sitten der letzten Generation trefOicher, so fein und förmlich, mit so lebendigem Dunkel, so pfiffiger Pikanterie, so malerischer Zierlichkeit, so lächelndem Pathos. ^0

Coleridge faßte sein Urteil Aber Lamb dahin zusammen, daß er mehr Totalität und Individualität des Charakters besitze als sonst irgend jemand seiner Bekanntschaft In Wordsworth überwiege das Genie das Talent, in Southey umgekehrt das Talent das Genie. In Lamb aber sei alles miteinander eins, sein Genie sei Talent und sein Talent Genie, sein Herz so ganz und eins wie sein Eopf.^)

Hunt sagte in seinem Nachruf ffir Lamb: Er war Humanist im universalsten Sinn des Wortes. Seine Phantasie war nicht groß und es fehlte ihm auch an hinreichender Kraft des Impulses, um seine Poesie so gut zu machen

0 Hailitt, The Spnii of ihe Age. <> The Beposüory, 1838 (Dobell 825).

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180 Der literarische Essay.

wie seine Prosa. Aber als Prosaschriftsteller und innerhalb des weiten Umkreises der Menschheit nahm niemand einen höheren Rang in der Vollkommenheit ein als er. Er war tatsächlich gegen nichts nndnldsam.^

Die begeisterten Lobeserhebungen der Freunde zeigen zur Gentige, wo seine Hauptstärke liegt. Sie besteht in der Wirkung des GemAtes aub Gemttt Die Fähigkeit, die dem Menschen Lamb nachgerühmt wird, daß er Liebe zu erwerben und fest zu halten verstand, zeichnet in gleichem Grade auch den Schriftsteller aus. Und die Liebe, die er gewinnt, ist die echte, wahre, die nicht sagen kann, von wannen sie kommt und weshalb sie da ist, die Liebe, die alle Yerstandeskritik überfliegt Wer vom rein literarischen Standpunkte aus die noch immer im Wachstum begriffene Flut der Lambausgaben betrachtet von der volkstüm- lichen Auswahl bis zu den prunkvoll ausgestatteten er- schöpfenden Gesamtwerken dem wird vielleicht der Gedanke: Überschätzung! durch den Kopf fahren. Aber Lamb will auch mit dem Herzen beurteilt sein. Die Sympathie ist der Wertmesser, nach dem sein Verdienst gewogen werden muß. Die Sympathie, die sich bei den hundert geringfügigen Anlässen des Alltags deutlicher und ausschlaggebender offenbart als bei den weittragenden Begebenheiten, ist maßgebend für den klassischen Darsteller des Alltagslebens und der Alltagsmenschen.

Der amerikanische Schriftsteller Henry James läßt einmal die Heldin eines Bomanes^) ihr Ideal eines Buches entwickeln: Nur Einzelheiten, nichts Außei^ewöhnliches, nur kleine alltägliche Dinge, aber meisterhaft erzählt und

1) London Journal^ 7. Januar 1885.

•) The Fordrait of a Lady. Vgl. L. Kellner, Geschichte der nord- amerikamschen Literatur TL, 2i.

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Der Htmrisdie Emj. 181

alles auf natfirliche Weise yerd&mmemd ohne eigentliches Ergebnis, nur daß die volle Bedeutung jeder Einzelheit zur Geltung kftme. Nun, das Zukunftsbuch der Miß Isabel Archer war schon l&ngst geschrieben« Sie hätte es in den Essays of Elia finden können. Als der Verfasser und Held dieses Baches, das ein Buch ffir alle Tage, alle Stimmungen, alle Menschen ist, lebt Lamb im Volke fort. So erklärt sich seine Popularität Wie er selbst mit seinem weisen, milden Herzen alles Leben im Umfange des ihm Bekannten umfing, so ist er seinerseits ein LiebUng der Nation geworden.

Werke Ton Charles Lamb.

1796 Poems on Variaus Subjects (gemeinsam mit Coleridge).

1798 Blanh Verses hy Charles Lloyd and Charles Lamb.

Bosamond Gray.

1799 Lwmg without God in the World (Ännual Änthology,

voll).

1800 Thekla*s Song (in Coleridgea Übersetzong Ton Schillera

Die Piccolomini). 1802 John Woodvil

1806 ür. H.

The Emg and Queen of Hearis.

1807 Tales fnm Shake^eare.

1808 Mrs, Leicester's School

Ä ChUd's Version of (he Ädventures of Ulysses.

Spedmens of English DramaHc Poets contemporary with

Shakespeare. (Nenausgabe mit Vorrede von J. Oollancz, 1893.)

1809 Poeky of ChOdren.

1811 Prince Boras. A PoeUcal Version of the Ancient Tale. (FaksimUedmck mit Einleitung Ton Andrew W. Tuer, 1891.)

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182 Dv litennselie Enay.

1811 JEsMy OM Hogarik

The Bernau and Oe Bea$t (ZweifeUiafL)

E9$a^s OM (he Tragedies of Shakespeare. 1818 The CoUected Works.

1823 EUa, Essaus fhai have c^eared vmder that Signatare in

the London Magaeine. 1827 Exbracts from the Qarriek Plage.

1830 Älbim Verses with a Few Others.

1831 Satan in Seareh of a Wife. 1833 The Last Essags of Elia. 1835 Prose Works.

1838 The Works of Charles Lamb. With a Sketeh of his Life

bg T. N. Talfoyrd. 1855 The Works of Charles Lanib. With a Sketeh of his Life

and Final Memorials, hg T. N. Talfowrd. 1868 The Con^lete Oorrespondence and J^orks. With an Essag

on the Genius of Lamb, hg George Äugustus SaUt. 1870 The Con^lete Correspondenee and Works. With an Essag

on his Life and Genius, hg Thomas PumeU, aided bg

the BeeoüecUons of the Authcr^s Adopted Daughter. 1874 The Compleie Works in Prose and Verse; edited and

prtpored hg B.H. Shepherd. 1876 The Life, Letters and Writings; edited bg Percg Fite-

geräld. 1888 The Life and Works, edited bg Alfred Ainger. 1901 ^ Masque ofDags. From the Last Essags ofEUa, newlg

dressed and decorated bg Walter Orane. 1903—1905 The Works, edited bg William Macdonald. 1905 The Works of Charles and Marg Lamb, edited bg

E. V. Lucas. (5. Auflage 1910.) 1908 The Works in Prose and Verse of Charles and Marg

Lamb, edited hg Thomas Hutchinson (Oxford Edition). -1912 Charles and Marg Lamb, MisceXUmeous Prose, edited bg E, V. Lucas.

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Der HterariBche Essay. 183

Werke ftber Lamb.

1837 N. T. Talf ourd, Ä Sketch of Lamb's Life. 1848 Final Memorials of Charles Lamb. 1854 P. G. Patmore, Mtf Friends and Acqimntance. 1860 Thomas de Qnincey, Charles Lamb.

1866 Barry Cornwall, Memovr of Charles Lamb.

Porcy Fitzgerald, Charles Lamb, his Friends, his

Haunts, and his Books.

1867 Thomas Graddock, Charles Lamb.

1868 Alexander Ireland, ÄChronologicalList of theWritmgs

of Haglitt and Leigh Hunt, preceded by an Essay on Lamb and a List of his Worhs. 1875 Charles Eent, Memoir (Centenary Edition, Boutledge).

1877 FälstafTs Letters by James White, reprinted verbatim,

teith NoUces of the Äuthor collected from Ch. Lamb, L. Hunt and ofher Contemporaries.

Lonis D^pret, Charles Lamb. De Vhumeur littiraire en

Ängleterre.

1878 Charles imd Mary Cowden Glarke, Becollections of

Wfiters.

1882 Alfred Ainger, Charles Lamb (EngUsh Men of Letters).

1883 Mrs. Gilchrist, Mary iMmb (Eminent Women Series). 1893 £. V. Lucas, Bemard Barton and his Friends.

1897 W. C. Hazlitt, The Lambs. Thebr Lives, their Friends, (heir Correspondences.

1903 Bertram Dobell, SideUghts on Charles Lamb.

Bernard Lake, A General Introduction to Charles Lamb.

Togeiher mth a Special Study of his Belations to Bobert Burton.

1904 Jnles Derocqnigiiy, Charles Lamb. Sa vie et ses asmres. 1912 Orlo Williams, Lamb's Friend, the Census Tdker. Life

and Letters of John Bickman.

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William HaiUtt 1778—1830.

MalereL

Einer Familientradition zufolge sollen die Hazlitts mit Wilhelm nx ans den Niederlanden gekommen sein und sich im nördlichen Irland angesiedelt haben. William Haslett, Sohn eines Flachshändlers in Shronell, tmg 1756 seinen Namen in das Matrikelbnch der Universität Glasgow als Hazlett ein nnd änderte ihn später in Hazlitt^ Ein Geistlicher, William Hazlitt (f 1820), der von der Jagend bis ins Alter ansschliefilich seinem strengen Gottes- glauben lebte und alles Diesseitige für wertloses Zeug erklärte im Vergleich mit der Glorie, die uns im Jenseits erwarte,») wurde in der Pfarre zu Wisbeach bei Ely der Nachfolger von William Godwins Vater und vermählte sich 1766 mit Grace Loftus, einer schönen Eaufmannstochter, die Godwins Gespielin gewesen war. Von ihren sieben Kindern blieben drei am Leben, die sämtlich künstlerisch veranlagt waren. Der älteste, John (f 1837), wurde ein geschätzter Miniaturmaler, der jüngste, William (geboren 1778 in Maidstone, Kent), der geniale Essayist; eine

*) JPöMf GenerattonSf 6.

•) Clerical Charaeter (YeUow Dwarf, 10. Janaar 1818 und Memoir8lf2ß8).

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Der litezvische Essay. 185

Schwester Margaret (1770—1844) hatte Teil an der Be- gabung beider Br&der. Sie zeichnete mit Talent and f&hrte, wie ihre ansffihrliche Familienchronik beweist, eine ge- schickte Feder. Sie durfte es mit Becht beklagen^ daß ihr in den engen Yerh&ltnissen des Vaterhauses die Möglich- keit genommen war, ihre Gaben zu entwickeln und zu

betätigen. 0

Seit 1780 hatte William Hazlitt, der Vater, eine Pfarre in Cook (Irland) inna Die irischen Hazlitts sympathisierten mit den um ihre Freiheit kämpfenden amerikanischen Kolonien und der Pfarrer yon Cook, der in Maidstone Franklin kennen gelernt hatte und dessen Bruder John dr&ben unter Washington focht, trat mit Freimut fOr gefangene, harter Unbill ausgesetzte amerikanische Rebellen ant Seine eigene Stellung wurde dadurch nicht yerbessert um so leichter konnte es die politische Überzeugung Aber hamsY&terliche Bedenken davontragen. 1783 setzte Hazlitt in demselben Schiffe, das die Friedensnachricht fiber den Ozean brachte, mit Frau und Kindern nach Amerika über.

Die damals dreizehnjährige Peggy schildert in ihrem Tagebuch die hochgespannten Erwartungen der Auswanderer: nich hatte mir (nach einer entzückenden romantischen Be- schreibung im American Farmer) die Vorstellung eines irdischen Paradieses gebildet und erwartete mit jener Frei- heitsliebe, die ich eingesogen, ein vollkommenes Land, wo keine Tyrannen herrschen, keine religiösen Eiferer ihre Br&der hassen und verfolgen, keine Intriguen die Flamme der Zwietracht n&hren und das Land mit Weh erf&llen soUten.^

Diese utopistischen Voraussetzungen wurden natür- lich enttäuscht Wiederholte Anstrengungen, im Lande

0 Faur OeneroHons 6.

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186 Der litenrisöhe Essay.

der Freiheit ein festes Heim zu finden, scheiterten so- wohl in New York als in Philadelphia nnd in Boston, wo Haziitt die erste nnitarische Kirche grOndete. Er wirkte eine Zeitlang als Wanderprediger , auf seinen Pilgerfahrten gar häufig von seinem Söhnchen William begleitet y das während der Predigt anf der Kanzel zu seinen Fflßen zu sitzen pfiegte. 1786 kehrte der Pfarrer vorerst allein nach Europa zurück. Ein in höchst willkOrlicher Orthographie abgefaßter Brief des acht- jährigen Knaben an den Vater enthält den ffir die ver- fehlte Expedition charakteristischen Satz: „Ich, ffir mein Teil, finde, es wäre um sehr vieles besser gewesen, wenn die Weißen es (Amerika) nicht entdeckt hätten. Mögen die andern es ffir sich behalten, denn es ward ffir sie

Nach der Heimkehr wurde das bescheidene, friedliche Pfarrhaus zu Wem bei Shrewsbury Pfarrer Hazlitts dauerndes Heim, die Stätte einer Laufbahn, der bei aller Unscheinbarkeit der Segen stiller, makelloser, trost- reicher Tätigkeit innewohnte. Der begabte, heitere, außer- gewöhnlich liebenswürdige Knabe William erhielt seinen Unterricht vom Vater, an dem er in innigster liebe hing. In dieser Atmosphäre lauterster weltabgeschiedener Frönmüg- keit vergingen sdne Kinder- und Jfinglingsjahre. Nach dem ehrwfirdigen Bilde seines Vaters hat er später die dissentistischen Geistlichen der guten alten Zeit geschildert „Von der Welt vernachlässigt und mit Hochmut behandelt^ waren sie schon in den Knabenjahren den Eitelkeiten und Hoffnungen der Jugend abgestorben, und ihr Blick suchte im eigenen Gemfit nach etwas anderem, darauf sie ihre Hoffnung und ihr Vertrauen grfinden konnten. Sie waren wahre Priester. Sie richteten ein Bild auf in ihrem eigenen

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Der Uteiarische Essay. 187

Herzen das Bild der Wahrheit Dort beteten sie ein Idol an das Idol der Gerechtigkeit Sie sahen im Menschen ihren Bnider nnd beugten dem Höchsten ihr Knie. Von der Welt geschieden, wandelten sie einsam mit ihrem Oott und lebten in Gedanken mit jenen, die Zeugnis eines guten Gewissens abgelegt hatten, mit den Geistern der guten Menschen aller Zeitalter. Ihre Sympathie war nicht auf selten der Bedrücker, sondern der Bedruckten. Sie hegten in ihren Gedanken jene Bechte und Vorrechte, für die ihre Vorfahren auf dem Schafott geblutet hatten, in Kerkern oder unter fremden Himmelsstrichen hingesiecht waren, und wünschten, sie ihren Nachkommen zu überliefern. Auch ihr Glaubensbekenntnis war: Ehre sei Gott, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Diesen Glauben, der seither profaniert nnd erniedrigt worden ist, hielten sie fest^ bei gutem oder üblem Bul Diesen Glauben be- besaSen sie, der Kraft hat, den Blick auf etwas zu heften, das fest wie die Sterne, tief wie das Firmament ist, der das eigene Herz zu einem Altar der Wahrheit macht, zu einer St&tte der Anbetung dessen, was da recht ist; vor dem es als etwas Heiligem Ehrerbietung bezeugt mit Lob- preisen und Gebet abseits und zufrieden. Der Glaube, der sich dem höchsten Wesen des Weltalls stets nahe fühlt und empfindet, daß die Dinge zusammenwirken zum Besten seiner Geschöpfe unter seiner leitenden Hand. Diesen Bond hielten sie, wie die Sterne ihre Bahn einhalten. An diesen Grundsatz klammerten sie sich, weil sie keinen besseren kannten, sowie er ihnen bis zum Letzten stand- hielt Er wuchs mit ihrem Wachstum, er welkte nicht bei ihrem Verfall. Er lebt, wenn die Mandelbäume blühen und wird nicht gebeugt, wenn die Knie schlottern. Er schimmert im alten, schwachen Augenlicht, lächelt wie die

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188 Der literarische Essay.

Kindheit auf ihren welken Wangen nnd erhellt ihnen den Pfad zum Grabe." *)

Wie zur Frömmigkeit, so legte das Vaterhaas in William Hazlitt den Grund zum demokratischen ünabhftngig- keitsgefOhl. „Ich neige der Erziehung und Überzeugung nach zum Republikanismus und zum Puritanertum", sagt er. 2) Als der mit Hazlitts Vater in brieflichem Verkehr stehende Priestley 1791 in Birmingham schwere und ungerechte Anfeindungen erfuhr, schrieb der dreizehnjährige Knabe, dessen eindrucksroUe vergeistigte Zfige eine Miniature aus dieser Zeit von der Hand des Bruders John festgehalten,') einen HAIASOY gezeichneten Brief an den Herausgeber des Shrewshwry Chroniclej in dem er offen für den Angefehdeten Partei ergriff. 4) Der Brief hebt an: „Es ist in der Tat überraschend, dafi Menschen, die Christen sein wollen, solche Freude an dem Bestreben zu finden scheinen, auf einen der besten, weisesten und grOfiten aller Menschen Schmach zu häufen.^ Der jugendliche Kämpe erinnert daran, daß die Sache der Wahrheit nimmer durch Heftigkeit und Gewalt gefordert werde, sondern einzig durch Vernunft, Beweisführung und Liebe. „Religiöse Ver- folgung", sagt er, „ist das Verderben aller Religion. Ihre ärgsten Feinde sind die Freunde der Verfolgung und unter allen Verfolgungen ist die Verleumdung am wenigsten zu dulden."

Verblüffend ist an dem Dreizehnjährigen die Freiheit und Sicherheit des Ausdrucks, ungezwungene, temperament-

^) Clericdl Characier. *) Trifles, UgU ob Air,

«) Vgl. CoUected WorJcs, edü. hy WaOer and Olover. *) Wieder abgedruckt unter dem Titel: A Liter ary CuriosHy in Leigh Hunts London Joumai yom 17. Oktober 1885 (Bd. H, 846).

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Der literarische Essay. 189

volle Lebendigkeit und ein lyrisch-rhapsodischer Gef&hls- ansbrach („0 Christentum , wie bist dn herabgewürdigt!^ zeigen bereits die charakteristischen Merkmale yon Hazlitts gereiftem StiL

Ein Jahr darauf (1792) regt ihn ein Gespr&ch Aber religiöse Toleranz und die Korporation- und Test-Akte an, seine eigenen Ansichten über politische Rechte in ein System zu fassen. So entsteht sein Project for a New Theory of Civil and Criminal Legislation (Entwurf einer neuen Theorie des Zivil- und Strafrechts), das er spftter sorgsam ausarbeitete. ^ Der Begriff des Bechtes wird darin folgendermaßen definiert: Recht ist Pflicht, die jeder Mensch sich selbst schuldet; oder: Recht ist der Teil des Allgemeinwohls, über den der Mensch (als der hauptsächlich dabei Interessierte) der spezielle Richter und der in seine unmittelbare Hut gegeben ist Im Natur- zustande hat der Mensch ein Recht auf alles, was er in Beschlag nehmen kann. Die einzige Beschränkung dieses Rechtes ist nur, daß es sich nicht mit dem gleichen Rechte der anderen Individuen verträgt. Das Gfesetz dämmt das ursprüngliche Recht ein und hält den Willen der Individuen und der Gemeinde in Schranken. Gesetze sind auf eine vorausgesetzte Verletzung der individuellen Rechte ge- gründet — oder sollten es sein.

Somit drängt sich die Frage auf, ob keine Regierung möglich wäre, die sich auf die Bestrafung solcher Verletzungen beschränkte und alles übrige dem gegenseitigen Überein- kommen anheimstellte? Die Untersuchung ergibt, daß

>) Zuerst 1817 in Brieffonn für den Examiner abgefaßt, dann ansgearbeitet tin den Liberal^ 1828; 1850 in die E88ays ofWinierslow anfgenomman.

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190 Ber litanriMlift Enty.

Eigentum und persönliche Freiheit anf einer nnd derselben Gmndlage beruhen und dafi es, da dem Oesetz nur ein- schränkende negative Macht zukomme, kein Gesetz zur EIrzwingung der Moral geben kOnne. Jedermann ist Richter fiber sein eigenes Bestes. Nur wenn er die Rechte anderer gefährdet, kann er zur Verantwortung gezogen werden.

Der Entwurf ist im wesentlichen aus Godwins PoUtical Justice geschöpft, nichtsdestoweniger aber charakteristisch für die Geistesbildung des jungen Denkers.

Gleichzeitig mit diesen philosophischen Bemühungen warf, infolge der Ausbildung des Bruders John zum Maler, auch die Kunst ihr^ milden, heiteren Glanz in die sich erschließende Knabenseele.

Man hatte ihn zum Geistlichen bestimmt Allein sein Yon allerlei Weltproblemen stflrmisch bewegtes Gemüt ver- mochte sich im Unitarian GoUege zu Hackney, wo ihn der Vater untergebracht, nicht auf die Theologie zu kon- zentrieren. Aus dem Bestreben heraus, sich eine eigene politische Anschauung zu bilden, entstand 1792 die Ab- handlung On the PoUtical State ofMen (Über die politische Lage der Menschen). „Meinung gegen Meinung will ich jedem gegenabertreten'', sagt er darin.

In einem anderen Essay {Belief, wheffier voluntary. Ob der Glaube freiwillig sei), bestreitet er die absolute Willensfreiheit.

In dem energischen Ringen des jugendlich g&hrenden Geistes nach der sehnsuchtsvoll erstrebten Klarheit brachte das geistliche Studium nicht die gewünschte Ruhe und Befreiung. Im Gegenteil machte eine Abneigung gegen den geistlichen Beruf sich immer entschiedener geltend, und Hazlitt kehrte 1794 oder 1795 von Hackney nach Hause zurück bei aller vielseitigen Begabung und intellektuellen

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Der Uterariflche Essay. 191

Schftrfe planlos fiber seine Zukunft, im Dunkeln über seine Lebensaufgabe, ein zerfahrener Qeist Erst 1798 ging ihm durch die Bekanntschaft mit Goleridge, der in dem nahen ShrewBbury predigte, ein erlösendes Licht fiber sich selbst auf. Den bezaubernden Eindruck dieser ersten fflr sein ganzes Leben bestimmenden Dichterbegegnung hatHazIitt in nnübertrefflicher Weise in dem Essay My First Äcquaintanee tciih Poets (Meine erste Dichterbekanntschaft) geschildert

Ck)Ieridge hat Haziitts schlummernde Fähigkeiten zum Bewußtsein erweckt. „Ich hatte damals keine Ahnung^, heißt es in dem Essay, „dafi ich je imstande sein wfirde, anderen gegenfiber meiner Bewunderung in bunten, poetischen Bildern oder phantastischen Anspielungen Aus- druck zu geben, bis das Licht seines Genius in meine Seele fiel, gleich dem Sonnenstrahl, der in den Lachen der Straße glitzert Ich war damals stumm, der Sprache nicht f&hig, hilflos wie ein Wurm am Wegrande, zertreten, blutend, leblos. Nun aber schweben meine Ideen, die tödlichen Bande sprengend, 'die mit dem Styxe neunfach äe umwinden', auf geflfigelten Worten dahin, und wie sie ihre Schwingen entfalten, streifen sie das Licht anderer Jahre. Wohl yerblieb meine Seele in ihrer ursprünglichen Knechtschaft, finster, dunkel, mit unendlichen unbefriedigten Sehnsfichten, wohl fand mein Herz, in dem Kerker dieses rohen Lebens eingeschlossen, niemals ein Herz, zu dem es sprechen könnte und wird es niemals finden; aber, daß nicht auch mein Verstand stumpf und tierisch geblieben ist und endlich eine Sprache gefunden hat, sich aus- zndrftcken, das verdanke ich Goleridge.^

In den Leetures on English Poets sagt Hazlitt von dem Yielbewunderten und Yielgeschmähten: „Sein Genius hatte damals Engelsfifigel und nährte sich von Manna. Er

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192 Der Uterarische Eisay.

sprach onanfhOrlich und man wAnschte, daß er unaufhörlich spreche. Seine Gedanken schienen nicht mühsam und mit Anstrengung zu kommen; es war, als würden sie auf dem Sturm des Gfenies dahingetragen, als höben die Schwingen der Phantasie seine Füße. Seine Stimme schlug wie eine schmetternde Orgel ans Ohr und ihr Klang war Musik des Denkens. Sein Geist hatte Flügel und, von ihnen getragen, hob er die Philosophie zum Himmel empor. In seinen Schilderungen erblickte man damals die Entwicklung menschlicher Glückseligkeit und Freiheit in leuchtendem, endlosem Fortschritt wie eine Jakobsleiter mit ätherischen auf und nieder steigenden Gestalten und mit der Stimme Gottes oben auf der Spitze»^ 0

Hazlitts bewundernde Liebe für Coleridge hielt nicht lebenslang yor, wie die Lambs. Er hat später an seinem Prophetenmantel rücksichtslos und unermüdlich gezaust und gezerrt und Coleridge und Wordsworth wurden in Hazlitts über den Horizont des subjektiven Parteiemp- findens nicht hinausblickenden Augen recht eigentlich zu Typen des AbfaUs von den Jugendidealen und als solche zur ständigen Zielscheibe immer erneuter unbarmherziger Angriffe. Damals aber erklang Hazlitt inmitten der aus theologischer Gelahrtheit, Entsagong, frommem Glaubens- und Pflichteifer zusammengesetzten Atmosphäre seines Vaterhauses zum erstenmale die Stimme der Phantasie. Zum erstenmale sah er der Poesie ins Antlitz. Ein Besuch bei Coleridge in Nether Stowey und die sich daran knüpfende Bekanntschaft mit Wordsworth, sowie eine Wanderung durch die romantische Gegend des nördlichen Devon ver- stärkten den nachhaltigen Eindruck des großen Ereignisses.

>) Leehtre 8.

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Der literarische Essay. 193

In die Zeit yon Coleridges Anwesenheit in Shrews- bmy, 1798, fölt der erste Entwurfs) seines 1804 vollendeten Essay in Defence of Üie Principles of Human Actum, heing an Argument in Favour of (he Natural IHsinterestedness of ihe Human Mind (Zar Verteidigung der Prinzipien des menschlichen Handelns. Eine Beweisf fihmng zngansten der angeborenen Uneigennfitzigkeit des menschlichen Geistes). 2)

Hazlitt ist bestrebt, den Beweis zu erbringen, daß das menschliche Gremüt von Natur aus uneigennützig oder viel- mehr von Natur aus an der Wohlfahrt anderer in gleicher Weise und aus denselben unmittelbaren Ursachen be- teiligt sei, durch welche wir getrieben werden, unser eigenes Interesse zu verfolgen. In jedem Gemüt ist ein dreifaches Selbst vereinigt: ein vergangenes (im Gedächtnis), ein gegenwärtiges (in der Empfindung) und ein zukünftiges (in der Phantasie). Wäre selbst das Interesse an der eigenen Zukunft stärker als das an der Zukunft anderer, so würde dies doch noch keineswegs zur Annahme eines metaphysischen Antecedens berechtigen, das die Möglichkeit jedes Interesses für andere aufhübe.

Der erste Plan ging dahin, mit Zugrundelegung dieser Lehre von der angeborenen Selbstsucht als Triebfeder des menschlichen Handelns, die natürlichen politischen Ver- hältnisse zu betrachten und aus ihnen natürliche politische Pflichten und natürliche politische Rechte abzuleiten, sowie ans künstlichen politischen Verhältnissen künstlich ge- schaffene Pflichten und Rechte. Später fügte Hazlitt dieser Arbeit, auf die er besonderen Wert legte, noch Some

0 Läerary Bemains.

*) Lcetwres an English Phüosophers amd Metaphysicians. Er- nchieDen in einer Sammlnng yon Jngendeflsays, 1806.

Geschichte der enfirlischen Bomimtik II, 1. 13

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194 Der literarisebe Esaaj.

Remarks on the Systeme of Hartleif and Hdvetms (Einige Bemerkungen über die Systeme Hartleys nnd Helyetins') hinzn. Er bestritt, daß Helyetins der Begründer der Selbststtchttheorie sei, die bereits von Hobbes und Mande- ville in unzweideutiger Weise dargelegt werde, und yer- urteilte ihn als den Urheber einer Reihe yon falschen Lehren. Auch in dem Essay On Seif Love (Über Selbst- liebe), das sich in erster Linie gegen die Behauptung richtet, das Wohlwollen sei ein Reflex der Selbstsucht,^) nimmt Hazlitt den gleichen Standpunkt ein.

Trotz des mächtigen Anstoßes, den sein Geist durch Coleridge erhalten hatte, vergingen Jahre, bis das emp- fangene Samenkorn in ihm Halme trieb. Wenige Talente haben sich langsamer entwickelt. Seine schriftstellerische Produktivität war nicht sowohl eine angeborene als eine kunstvoll entwickelte, die nur äußerst allmählich zu jener beschwingten Leichtigkeit und Mannigfaltigkeit klarer und wohldurchdachter Behandlung verschiedenartigster Themen erzogen ward. In dem Briefe an Gifford weist er den Vorwurf der Vielschreiberei mit den Worten zurück: „Ich brauchte acht Jahre um acht Seiten zu schreiben, in einer Verfassung von unbegreiflicher und lächerlicher Mutlosigkeit" Und in dem Essay On Living to One's Seif (Sich selbst leben. Table Talk) sagt er: „Viele Jahre meines Lebens hindurch habe ich nichts getan als gedacht Ich pflegte im Jahre etwa eine bis zwei Seiten zu schreiben. War ich kein Autor, so konnte ich doch mit immer frischem Entzücken lesen. Konnte ich nicht malen wie Claude, so vermochte ich doch den Zauber des sanften blauen Himmels zu bewundem. Ich lebte in einer Welt der Betrachtung,

*) Liierary Eemains,

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Der HtenzJBdie Bssay. 195

Dieht der Tat Diese Art von Tranmexistenz ist die beste."

Ohne sich zu einer Bem&wahl entschließen zu können, verbrachte Hazlitt in einer Art geistigen Yorratsammelns Monate nnd Jahre seiner r&stigen Jugendkraft in Wem, ganz in philosophische und literarische Priyatstudien ver- tieft Doch war diese Lekt&re als Lebenszweck weder eine systematische, noch umfaßte sie einen außergewöhnlich weiten Horizont Sie war nur von außergewöhnlicher In* tensit&t „Die Bficher, die ich las, als ich jung war, kann ich niemals va-gessen'', sagt er. Aus dem Umstände, daß das Oelesene ihm zeHlehens im Geiste haften blieb, erklärt sich vermutlich seine häufig aufdringliche, mit der Qualität seines Stils kaum vereinbare Unart des fibermäßigen Zitierens.

Auch machen ihn die genußreichen Eindrficke der Jugend- lekt&re stumpf oder ungerecht gegen Neuerscheinungen. „Ich hasse es, neue Bücher zu lesen^, sagt er in dem Essay On Heading Old Boohs (Über die Lektüre alter Bücher). „Es gibt zwanzig bis dreißig Bände, die ich wieder und wieder gelesen habe, und sie sind die einzigen, die ich Lust habe, wieder zu lesen. Ich denke darum nicht schlechter von einem Budie, weil es seinm Verfasser um eine oder zwei Generationen überlebt hat^ Ebenso beißt es in On Beading New Boohs (Über die Lektüre neuer Bflcher^O ein altes Buch, das man noch nicht gelesen habe, sei auch ein neues Buch. Wenn wir alles Vorausgegangene geringschätzen, geben wir unseren Nach- fahre das Bdspiel w die Hand, uns ihrerseits zu miß- achten.

Zu den Büchern, die Hazlitt mit Begeisterung liest,

>) Sketches, Florenz 1835.

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196 Der literarische Essay.

gehören Schillers Dramen. „Die Bäüber waren das erste Stück, das ich las, and die Wirkung, die es anf mich hervorbrachte, war die größte. Es betftubte mich wie ein Schlag und ich habe mich nicht genug davon erholt, um zu beschreiben, wie es war." Auch Don Carlos macht ihm einen unauslöschlichen Eindruck und erfUlt ihn mit Sehn- sucht nach dem Guten. Hingegen sagt ihm Schillers späterer Stil weniger zu. Hazlitts Urteile fiber Goethe verraten in ihrer Oberflächlichkeit unzureichende Kenntnis des Dichters. Eines seiner Lieblingsbücher ist die Nouvdle Eeloise. Er liest die einzelnen Kapitel wieder und wieder mit unaussprechlichem Entzücken und immer neuer Be- wunderung. Er schluchzt über Juliens Abschiedsbrief und träumt noch zwanzig Jahre später von ihm.^)

Mit der eigenen Produktivität nimmt naturgemäß die Anziehungskraft der Lektüre ab und er zehrt in reifen Jahren lediglich von der Belesenheit seiner Jugend.

Dieser ganz autodidaktische Bildungsgang, der der zielbewußten Arbeit wie der strengen Disziplin entbehrte, wurde gleichwohl von Hazlitt in späteren Jahren nicht bereut „Unsere Universitäten", sagt er, „sind in hohem Maße Zisternen, in denen das Wissen stagniert, nicht Leitungsröhren, die es verteilen. Eine königliche Akademie bedeutet eine Art Spittel für die Yerderbtheit des Gteschmackes und der Urwüchsigkeit einen Behälter, in dem Enthusiasmus und Originalität aufhören und ihren Einfluß nicht weiter ausüben {On Corporate Bodies. Über Körperschaften, Table TaUc). Wenn Hazlitt in dem Essay On the Feeling ofinmortality in Youtk (Über das Unsterb- liehkeitsgefühl der Jugend, TabU Talk), das Ewigkeitsgefühl

1) Qn Beaäing Old Books.

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Der literariBche Easay. 197

der Jugend etwas nennt^ das für alles entschädige, so dentet dies auf ein in frohen Jahren selbsterlebtes beseligendes Bewoßtwerden innerer Schätze. „Wir stürzen den Lebens- becher hinunter mit gierigem Durst, ohne ihn zu leeren^, sagt er, „und Freude und Hoffnung scheinen stets bis an den Rand zu schäumen.^

Schließlich entschied Hazlitt sich für eine Laufbahn, die der erhöhten Stimmung seiner Jugend die schönsten Aussichten zu bieten schien. Er wollte sich unter der Ägide seines Bruders John, der als Schüler Beynolds' in der Malerei seinen bescheidenen Weg machte und seit 1788 in der Boyal Academy aussteUte, ebenfalls der Kunst widmen. 1788 verbrachte William Hazlitt vier glückliche Monate in Paris, um im Louvre zu kopieren. In dem Essay On a Portrait of an English Lady hy Van Dyke (Über das Porträt einer englischen Dame von Van Dyck, Table Talk) preist er die Kunst des Kopierens, die mehr Talent erfordere als Originalarbeit. In bezug auf die eigene Tätigkeit lautet sein Urteil freilich anders. Alles, was innigste Kunst- b^eistemng und feinstes Kunstgefühl, was Fleiß und Aus- dauer ihm erreichbar machten, entschädigte ihn nicht in seinen Augen für den Mangel an schöpferischer Begabun'g. Nach einer dreijährigen Tätigkeit als wandernder Porträtist im Norden von England gab er die Kflnstlerlaufbahn wieder aal Er hatte in dieser Zeit ein treffliches Bild seines Vaters - das ihn in Shaftesburys Characteristics lesend darstellt - und das in der National Gallery befindliche, ausdrucks- volle Porträt Lambs in der Tracht eines venezianischen Senators gemalt

Trotz dieses äußeren Scheiterns war dennoch der innnere Ertrag der Malstudien für Hazlitt nicht gering. Er gewann einen Einblick in das Wesen und den Betrieb

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198 Der litenuiiefae Essay.

der Konst, den nur die praktische Bescfa&ftigang mit ihr gibt, und dieses auf eigener Erfahrung beruhende Verständnis sollte der Sicherheit wie dem Geschmack seines kritischen Urteils trefflich zustatten kommen. Zwar ist bei seiner stets im Vordergrund bleibenden Subjektivität sein Schiedsspruch zu häufig von persönlicher Sympathie oder vom Zeitgeschmack abhängig, um im heutigen Sinne maß- gebend zu sein. Er steht z. B. nicht an, Luias Der Tod Clorindens in einem Athem mit Tizian zu nennen. Aber die auf vollem Verständnis der Technik und des Details beruhende Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit seiner Schilde- rung ist nur durch die in ihm vollzogene, seltene Ver- einigung von Schriftsteller und Maler möglich. So bildet seine Beschreibung von Tizians Petms Martyr in St. Gfiovanni e Paolo in Venedig Hazlitt nennt es das schönste Gemälde der Welt seit der Zerstörung des Originals tatsächlich einen wertvollen Besitz. Was Hazlitt anstrebt, sagt Edmund Gosse, 9 ist nicht mehr und nicht weniger als die geistige Wiedergabe eines körperlichen Eindrucks. Er beschreibt in der Absicht, auf der Retina des Geistes ein Bild hervorzubringen, das im Geiste denselben Enthu- siasmus erzeugen soll wie das Bild im betrachtenden Auge. Ffir den notwendigen Mangel der Farbe und Form sucht er durch eine feine Verstärkung des Eindrucks zu entschädigen. Daher seine Üppigen, mitunter übersaftigen Schildereien. Er schreibt nicht für die, welche die Bilder sehen, sondern für jene, die keine Gelegenheit dazu haben und denen er denselben Genuß verschaffen will.

Wie er selbst ein Gemälde mit der Feder anschaulich zu zeichnen vermag, so schätzt er an Poussin, „dem

') Norihcote's Convermtions, Intr. XXIV.

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Der litenuriflohe Essay. t99

poetischsten aller Maler^, die Kunst, „mit dem Pinsel zu erzählen" (On a Landscape hy Nicolas PoHssin. Über eine Landschaft von Ponssin, Table Talk).

Er liebt es, mit feinsinniger Unterscheidnngsgabe, Künstler gegeneinander abzuwiegen. So formuliert er in dem dialogisierten Essay The Vatioan {TMe Talk) den unterschied zwischen Michel Angelo und Baphael folgende- maßen: „Michel Angelo prägte seinen Werken den eigenen Charakter auf oder nahm von der Natur einen eigenen Abguß, indem er vieles Vorzügliche wegließ. Raphael empfing sdne Inspiration von außen und sein Genius erhascht die züngelnde Flamme der Anmut, der Wahrheit und Größe, die sich in seinen Werken in klarem, durch- sichtigem, nnaualSschlichem Lichte spiegelt"

Hazlitt hat durchgebildete Eunstprinzipien, die er in einer stattlichen Anzahl von Essays über Gegenstände der MiJerei entwickelt and verwertet. Im Gegensatze zu Beynolds erblickt er die Vollkommenheit eines Gemäldes in d^ Vereinigung der allgemeinen äußeren Erscheinung mit individuellen Details, der allgemeinen Wahrheit mit der individuellen Deutlichkeit und Exaktheit {Heasure of Pamting. Malerfreuden). Er ist der unbedingte Anwalt mes künstlerischen Realismus. Alle Vollkommenheit der großen Meister entspringe dem Studium der Natur, keiner Verbessening der Natur, die man Ideal zn nennen pflege. Der gesunde Bealismus, der weder das Lokale noch das Nationale unterdrückt, sei den griechischen Statuen, wie den niederländischen Malern und Hogarth gemein. Ideal im recht verstandenen Sinne bedeute nicht die Bevorzugung dessen, was nur im Geiste des KünsÜers bestehe, vor dem in der Natur Bestehenden, sondern die Bevorzugung dessen was in der Natur schön ist, vor dem, was es weniger ist.

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200 Der literaiische Essay.

So erscheint ihm Eubens' Kolorit mid Zeichnung als ideale Übertreibung {The Fine Ärts. Bildende Kunst). 0

Der Fleiß gehört zu Hazlitts Kunstprinzipien. Mit Eifer legt er die Notwendigkeit des Muhewaltens, die Abtr&glichkeit des Überhastens wie eines oberflächlich skizzenhaften Wesens dar und wir gewinnen einen Ein- blick in seinen eigenen Arbeitsemst, sein Verbeißen in den Vorsatz, seine Verzweiflung &ber ein Mißlingen {On Means and Ends. Über Mittel und Wege, lAterary Bemains).

Er findet den Mut, unpopuläres Verdienst oder noch unbekanntes Talent mit aller W&rme zu befürworten. Er nimmt sich des yemachlässigten Malers Wilson an und preist den jungen Turner, seine Gabe der unvergleichlichen Lichteffekte und sein gewaltiges Heryortretenlassen der Gegenstände.^) Ja, er ist so kfüin, den Nutzen von Akademien zu verneinen, eine Meinungsäußerung, die ihm selbstredend zahlreiche Feinde erwarb {Inguiry tchetiier ihe Fine Arts are promoted hy Äcademies. Untersuchung ob die bildende Kunst durch Akademien gefördert werde [Champion 1816] und Caktlogue Baisonne of ihe British Institutionj Examiner 1816).

Abgesehen von dem dauernden Nutzen, den Hazlitt aus seiner vorftbergehenden Kunstbetätigung zog, scheint er durch sie auch das volle Glück der künstlerischen Arbeit kennen gelernt zu haben. Er schildert uns mit aller Poesie der Begeisterung die Wonne des Schaffens, die stets aub neue emporschnellende Hoffnung des glück-

^) Artikel der Cydopaedia Britanmca, 1824. Abgedruckt Literary Bemains I.

') Vgl. Narthcote^s Conversations, InfroducUon hy Edmumd Gosse YYTT^ XXIU.

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Der literariBche Essay. 201

liehen Gdingens, das ehrgeizige, verliebte Bingen nach hohem Ziel. Im Malen liege ein Gennß, den nur der Maler kennt. Beim Schreiben hat man gegen die Welt zn kämpfen, beim Malen führt man nur einen freandlichen Kampf gegen die Nator. Das Herz ist voll und gleichzeitig rahig. Eifer und Mühe bleiben hinter dem Ziele zurück; aber aus dem endlosen Bestreben erwächst die Geduld und wird zum Genuß. Die Stunden verfliegen, ungezählt, ohne Leid, ohne Ermüdung. Man wünschte nicht, sie anders hin- zubringen. Er schildert die Freude an der Natur, am Sebenlemen. Verfeinerung der Sinne schafft überall Schönheit Es ist nur die Boheit des Beschauers, die in den Gegenständen nichts als Boheit erblickt. Der Künstler, der am Werk und im Begriff ist) seine höchste Vorstellung der Schönheit oder Erhabenheit zu verwirklichen, ist im vollen Besitz dessen, was ihm die Quelle des höchsten Glückes und der höchsten geistigen Erregung bedeutet, die er zu genießen vermag. Ja, schon das bloße Kunst- verständnis ist eine Quelle des Genusses, den der Laie nicht kennt (On the Pleasures of Painting).

Hazlittts Schilderung der Sitzungen zum Forträt wird ihrerseits zum behaglichen Genrebild. „Nie mehr, so lange deine Eichentäfelung dauert" redet er die alte Wohn- stabe im Vaterhause an „wirst du wieder so schöne Begnügen der Einbildungskraft beherbergen wie die, welche durch mein Hirn gingen, wenn mir die frischen Farben von der Leinwand entgegenleuchteten und mein Herz leise die Namen Bembrandt und C!orreggio hauchte!" (On Sitting for one^s Picture. Wenn man zu seinem Porträt sitzt). In dem Essay Whether Genius is conscmts ofits Power (Ob das Genie sich seiner Kraft bewußt ist. Table Tolle) ruft er ans: „O, nur eine Stunde dieses ruhelosen Entzückens,

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202 Der literariBche Essay.

wenn der Geist zuerst denkt, er hätte etwas entworfen, was ewig dauern könnte, wenn vor dem betroffenen Blick der Keim des Vortrefflichen aus dem Nichts springt!'^

Hazlitt, der sich vor Betrübnis nicht zu fassen wußte, als sein einziger Sohn Neigung und Beruf für die Sänger- laufbahn zeigte, wünschte, daß er Haler werde {On the Conduct of Life. Über Lebensführung). Dies ist wohl der beste Beweis, wie sehr ihm, trotz mancher Drangsalierang der Armut und Mutlosigkeit man vergleiche den Aufisatz On the Want of Money (Über Geldmai^el) die von ihm verfehlte Laufbahn zeitlebens in idealer Verklärung erschien. Intime Beschäftigung mit der Kunst bedeutete für ihn jenes „erste Aufglühen der Leidenschaft, das seinen Glanz auf den sich erschließenden Lebenspfad wirft.^ „Es ist wunderbar", sagt Hazlitt, „wie viel von dem Buche unserer künftigen Existenz das bloße Titelbild enthüllt!" (On Novelty and Famüiarity. Über Neues und Vertrautes [Tabu Talk]).

Die Essays.

Mit Hazlitts Niederlassung in London, 1805, beginnt seine literarische Laufbahn. Sie bewegte sich zunächst auf metaphysischem , politischem und nationalökonomischem Gebiete. Der 1805 veröffentlichte' Essay on fhe Principles of Human Äctions (Über die Ursachen menschlicher Handlungen) hatte wenig Erfolg; desgleichen die 1806 folgenden Free Thoughts on Public Affairs, or Ädvice to a Patriot (Freie Gedanken über öffentliche Angelegenheiten oder Batschläge für einen Patrioten), obzwar sie voll

>) Literary Bemains I, p. LVIII.

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Der Utenriflolie Esny. 208

warmen Freiheitssinnes nnd kräftig im Ausdruck sind. Ein Auszug aus Tuckers siebenb&ndigem Werke lAght of Natm-e persued (Dem Lichte der Natnr nachgehend), 1807, machte ebensowenig Glück wie die aus demselben Jahre stammende Beply to the Essay on Population^ by tke Bec. T. K Malihus in a Series of Letters (Er- widerung auf T. B. Malthos' Abhandlung über die Be- völkerung. In einer Beihe von Briefen). Hazlitt nimmt auf Godwins Seite Stellung gegen Malthus, dessen Theorie er auch im Spirit of ihe Age „weder folgerichtig noch ftberzeugend ^ nennt Er fand, dafi Wallace bereits alks Wesentliche gesagt habe, das Malthus vorbringe, und der trockene Ton seines Werkes, die Geringschätzung der niederen Klassen, die er aus ihm heraus zu lesen meinte, empörte ihn. 1808 verfaßte er eine englische Schalgrammatik: A New and Improved Grammar of the EngUsh Tongue. For ihe Use of Schools. In which ihe Geni$$s of our Speech is espeddUy attended to, and ihe Dis- eoveries of Mr. Home Took and other Modern Writers on Ihe Formation of Language are for ihe First Time in- corporated (Nene nnd verbesserte Grammatik der englischen Sprache ffir den Schulgebranch. Mit besonderer Berftck- sichtigung des Genius unserer Sprache, wobei zum ersten- mal die Entdeckungen Home Tookes und anderer modemer Schriftsteller über die Bildung der Sprache verwertet werden). Hazlitt erkennt anch sonst den BiversUms of Fmiey etymologische, grammatikalische und philo- sophische y^^enste zu^ nnd schließt sich vielen seiner bizarren Gmndsätze an. Godwin gab diese Grammatik später in gekflrzter Fassung heraus.

1) On Harne Tooh^z Divereiona of Puriey, lat. BemcUns 1, 835.

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204 Der literarische Essay.

Das richtige Arbeitsfeld hatte Hazlitt, dreißigjährig, noch nicht gefunden. Bei übergroßer Sensibilität und einem leidenschaftlich empfindenden Temperament bildete sich in- folge mancher Enttäuschung auch in der Liebe eine leicht gereizte, leicht verdüsterte, rasch wechselnden Stimmungen unterworfene und rechthaberische Gemfttsart in ihm aus, zum Paradoxen, zu trotzigem in sich selbst Zurückziehen geneigt, dabei aber durch und durch recht- schaffen und im Innersten wohlwollend.

Wie sehr Hazlitt bei seiner Umgebung den Eindruck mangelnden inneren Gleichgewichtes machte, kennzeichnet ein 1807 verbreitetes Gerücht, er hätte sich das Leben genommen. 1)

Er war einer von den Schwer- Umgänglichen, vom Schicksal gewissermaßen zur Einsamkeit Yorbestimmten. Selbst bei seinen Freunden blieb er einem häufigen Ver- kennen ausgesetzt, wie er seinerseits geneigt war, hinter jedem zufälligen Mißverständnis böse Absicht zu wittern. So dauerten seine Freundschaften in der Begel nicht lange. Sein Inneres wies zu viele Komplikationen auf, um der großen Mehrzahl der Menschen zugänglich zu sein. In einem autobiographischen Fragment (1827) verzeichnet er: „Leigh Hunt findet es schwer, die Schüchternheit meiner Behauptungen mit der Hartnäckigkeit meiner Grundsätze zu versöhnen. Ich dächte, sie wären so ziemlich ein und dasselbe. Aus Veranlagung wie aus Gewohnheit kann ich mir weder in Worten noch im Handeln etwas anmaßen.'' ^^

P. G. Patmore, einer der wenigen, die ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, sagt: Hazlitt hatte starke und glühende

1) W. C. Hazlitt, Lamb and HagliU, 61. *) Memoirs U, 226.

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Der Hterarische Essay. 205

Neig^angen^ die niemals den richtigen Gegenstand finden konnten. Hierin mag wohl der Schlüssel zu seiner Schroff- heit zu suchen sein. Fatmore hielt sie fflr „eingefleischte Selbstsucht", gab aber zu, daß sie Hazlitt niemals zu einer niedrigen Handlung verleitet und ihn nicht von so mancher hochherzigen Tat abgehalten haba

Der Glaube, daß er, wohin er sich um Sympathie wende, yerschm&ht werde, machte ihn elend. ^ Seine Umgangsformen Goleridge schildert sie als absonderlich und abstoßend-) waren die eines Menschen, der auf gesellige Konvention und Höflichkeit keinen Wert legt. Die nachteiligen Folgen dieser Gleichgiltigkeit scheint er später selbst empfunden zu haben, da er in den Lebens- regeln (On the Canduct of Life, or Advice to a Schoolboy. Über gutes Betragen oder Batschläge für einen Schulknaben, Table Talk) nachdrücklichst ermahnt, auf „die Scheide- mflnze des geselligen Verkehrs^ zu achten, auf Kleidung, Geschicklichkeit und dergleichen.

Patmore schildert Hazlitt als ein Skelett von einem Menschen, Barry Gomwall als einen ernsten Mann von ungeschickten Manieren, mit lebhaften Augen, fein- geschwungenen Brauen, einem sensitiven, schmallippigen Monde, langer Nase und hoher Stirn. An Ausdrucks- f&higkeit kam seinem Antlitz kaum ein anderes gleich. Hayley erblickt auf seiner Stirn eine Wolke, wie auf der des Giaur, aber einen lachenden Teufel in seinem ironischen Lächeln. Er liebte die Frauen, fügt er hinzu, war aber im Verkehr mit ihnen ungeschickt und schtlchtem. Tatsächlich trug seine mittelgroße, vernachlässigte Er- scheinung in den &berwachten, blaßen Zttgen des von

0 My Frienäs and Aequaintance I, 272. *) An Wedgewood, 16. September 1803.

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206 Der Htennache Essay.

schwarzem Haar umrahmten, von nervöser Sensitiyitat durcharbeiteten Antlitzes den Stempel der Genialit&t Es war das Qesicht eines Menschen, der ^nz ans Nerven besteht und alle Vorzüge nnd Nachteile einer fiberreichen Begabung mit diesen Ffihlfiden besitzt. Der geduldige Lamb, der sich von allen am l&ngsten der Freundschaft Haziitts rfthmen konnte, nannte ihn einen der weisesten und feinsten unter den lebenden Geistern. Aber Hazlitt war nicht immer Herr seiner Nerven. Dann machte im persönlichen Verkehr seine Unliebenswflrdigkeit all seine trefflichen Eigenschaften zunichte und in seinen Schriften trieb er, dem Talfourd mit Recht ernstestes Streben nach Wahrheit und Schönheit und unbedingteste Ehrlichkeit nachrfihmt^O seine Ideen auf die äußerste Spitze. Sein intensives Bewußtsein der eigenen Individualität, das so eigentfimlich vornehm an ihm anmutet^ artete dann in ein Überwiegen des rein Persönlichen aus.

Hazlitt sprach leise, mit geneigtem Kopf und einem gereizten, verdrießlichen Tonfall. Jeder Satz kam wie nach vorhergegangener Überlegung heraus.

In seinen Lebensgewohnheiten war er äußerst mäßig. „Wäre er in seinen politischen Ansichten so nfichtem gewesen wie in bezug auf den Becher", sagt Com wall, „so wäre er den Schmähungen entgangen, die ihn lebens- lang verfolgten."») Dennoch widerstrebte ihm die Regel- mäßigkeit des täglichen Lebens au& höchste. Feste Mahl- zeiten kannte er kaum. Ein ins Märchenhafte gesteigerter und als eine Art Kultus gepflegter Teegenuß hielt ihn bis in die späten Nachmittagsstunden am Frähstückstisch fest Gewöhnlich nahm er dann nur noch spät Abends einen flflchtigen Imbiß.

*) Correapondenee and Works of Lamb IV, 523.

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Der üterariflche Essay. 207

Obzwar bei solcher Yeranlagnng nicht sonderlich für die Ehe ansgerfistet, verheiratete Hazlitt sich doch 1808 mit Sarah Stoddart, der Schwester des späteren Herausgebers der Times^ John Stoddart, den er nicht leiden konnte nnd der ihn seinerseits f Dr überspannt hielt. Sarah, die Freundin Mary Lambs, war ein klnges und belesenes, aber für Poesie unempf&ngliches Wesen, ohne das h&ns- liehe Geschick, den Zartsinn und weiblichen Takt, deren Hazlitt mehr als jeder andere bedurft hätte, um ein Zn- sammenleben anders denn als Joch zu empfinden. Er seinerseits war nicht gewillt, durch die Familie in den Kreis seiner ausschließlich literarischen Interessen eine Bresche schlagen zu lassen und, als den schlechtgepaarten Eheleuten noch einige Kinder stai^ben, gestaltete sich ihre H&uslichkeit zu einer ausgesprochen unglücklichen. Ein von beiden Teilen gleich geliebtes Söhnchen, William, bildete allmählich das ausschließliche Band zwischen den sich immer fremder werdenden Gatten.

Mittlerweile war Hazlitt beim Maming Chronicle Be- richterstatter für das Parlament geworden, lieferte aber, da er nicht stenographieren konnte, nicht nur nicht wortgetreue, sondern ziemlich freie Nachschriften. Diese Beschäftigung mit der Politik trieb ihre Blüte in dem zweibändigen Werke Ehquenee of t^ British Senate^ being a Selection of fhe Best Speeches of ihe most Distinguished Parliamentary Speakers from the Beign of Charles L to fhe Present Time. Wiih Notes Biographicdl, Criticaly and Explanatory (Die Beredsamkeit des Britischen Senates. Eine Auswahl der besten Beden der hervorragendsten Parlamentsredner vom Beginn der Regierung Karl I. bis zur G^enwart Mit biographischen, kritischen und erläuternden An- merkungen).

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208 Der literarische Essay.

In der Vorrede sagt Hazlitt, die Politiker sden ein fast ebenso kurzlebiges Geschlecht wie die Schau- spieler, um ihr Gedächtnis festzuhalten, entwirft er kurze biographische Skizzen. An die Hauptlebensdaten fügt sich ein mehr oder weniger ausgeführtes Bild der Persönlichkeit, viele darunter Kabinettstücke knapper, prägnanter Cha- rakteristik. So tritt Cromwell, der Redner, lebendig vor uns hin und Burke, der in Hazlitts Augen ein Renegat ist. Besonders anschaulich wirken die Parallelen und Eon- trastiernngen, z.B. Robert Walpoles und Chathams oder Burkes und Pitts mit den Rednern des Altertums, mit Junius, mit Fox usw. Der bis zur panegyrischen Ver- herrlichung gehende Enthusiasmus, dessen Hazlitt in der Bewunderung fremder Größe fähig ist, verleiht etlichen dieser Skizzen einen geradezu poetischen Glanz, während der kritische Blick und die Wahrheitsliebe des Biographen unter seiner impulsiven Subjektivität leiden. Bulwer nennt ihn hier und da leidenschaftlich ungerecht, wohingegen Dobell mit richtigerem Verständnis die Unbestechlichkeit seiner durch persönliche Leidenschaften bedingten Partei- nahme hervorhebt. Gleichviel, ob richtig oder irrig, hat Hazlitt doch stets nach bestem Wissen und Gewissen geurteilt und sich niemals durch was immer für Gründe zu einem Ausspruch bestimmen lassen, der nicht seiner innersten Überzeugung entsprochen hättaO

Etliche seiner politischen Charakterköpfe wurden von Hazlitt 1819 mit politischen 1813--18U für den Maming Chronide geschriebenen Artikeln als PoUtical Essays tffith Sketches of Public Characters gesammelt und John Hunt zugeeignet, „dem erprobten und gewissenhaften

>) Vgl. SidelighU on Charles Lamb 209.

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Der liteiariflche Easaf. 209

Anwalt der Freiheit seines Landes nnd der Bechte der Menscheit^

Mit diesen Charakteristiken hatte Hazlitt zuerst das Gebiet berfihrt, anf dem er festen Faß fassen sollte und mit dem sein Name dauernd verkn&pft ist: die Porträt- skizze des literarischen Essays.

Nachdem er den Parlamentsbericht mit der Mitarbeiter« Schaft am Moming Chronicle vertauscht, wozu nach und nach auch die am London Magcusine^ Examinerj der Edinburgh Beview und dem Liberal, des Yellow Dwarf nnd Champion hinzukam, entfaltete er eine reiche und emsige literarische Tätigkeit, teils in der sympathischen Zurückgezogenheit von Winterslow, dem in der Nähe von Salisbuiy gelegenen kleinen Anwesen seiner Gattin, teils in seinem Londoner Heim in Benthams Hause (Nr. 19 York Street), wo Milton von 1652—1658 gewohnt und das Ver- lorene Paradies begonnen hatte. Daneben hielt er Vor- lesungszyklen, so 1818 einen zehnstündigen Kurs über Philosophie am Bussel -Institut unter dem Titel The Bise and Progress of Modem PhHosophy, containing an Historical and Critical Account of the Principal Writers who have treated on Moral and Metaphyeical Sutjets from ihe Time of Lord Baeon to the Present Day (Entstehung und Wachstum der modernen Philosophia Einschließlich eines historischen und kritischen Berichtes über die haupt- sächlichen Schriftsteller, die von der Zeit Bacons bis zur Gegenwart moralische und metaphysische Gegenstände be- handelt haben). 0 Hazlitt nimmt hier Stellung gegen die tische Interpretation des Wortes Erfahrung, das man auf die Kenntnis der äußeren Dinge beschränke, während

0 Liieratry Bemains. OeMhichte der eoarlischeD Romaatik n, 1. X4

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210 Der Bterarisehe Essay.

es tatsächlich die Kenntnis aller Dinge in nnd anßer dem Geiste nmschließe. Den Grand zur modernen oder materiar listischen Philosophie habe Bacon gelegt Hobbes' Frinciple of Maral and Phüosophical Necessity sei „das Werk der Philosophie". Hobbes' Lehrsatz , dafi die Notwendigkeit sich mit der menschlichen Freiheit vertrage, nimmt Hazlitt in einem eigenen Anfsatze {On Liberty and Necessity. Über Freiheit nnd Notwendigkeit) zum Anlaß einer Unter- suchung der Willensfreiheit. Hobbes' metaphysische Schriften seien durch seine politischen in Schatten gestellt worden. Dadurch habe Locke seine leitenden Grundsätze entlehnen und den populären Ansichten der Zeit anpassen kOnnen {On Hobbes). Wo er von Hobbes abweicht, sei es zum Schaden.

Drei Vorlesezyklen hat Hazlitt an der Surrey In- stitution ttber englische Literatur gehalten, und zwar 1818 On the English Poeta (Über englische Dichter), 1819 On the English Comic Writers (Über die englischen komischen Schriftsteller) und 1820 On the Dramatic Literature of the Äge of Elizabeth (Über die dramatische Literatur im Zeitalter der Elisabeth). Die seltene Vereinigung yon dialektischer Schärfe, ästhetischem Feingefühl und künstlerischer Dar- stellungskraft gibt ihnen einen eigenartigen und fesselnden Reiz. In dem Barry C!ornwall gewidmeten ersten Zyklus definiert Hazlitt in der ersten Vorlesung {On Poetry in Qeneral. Über die Dichtkunst im allgemdnen) Poesie als den hochgespannten Enthusiasmus der Phantasie und des Gefühls, als einm Ausfluß des moralischen wie des in- tellektuellen Teiles unserer Natur, als die höchste Bered- samkeit der Leidenschaft, die natürliche Bildhaftigkeit der Empfindung. In der vierten Vorlesung führt eine äußerst feine Charakteristik Popes den Nachweis, daß Pope kein

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Per ütenrische Essay. 211

großer Dichter gewesen sei, insofern wir unter einem groß^ Dichter denjenigen verstehen, der unserer Vor- Stellung der Natur die höchste Größe und unseren Heraens- leidenschaften die äußerste Kraft verleiht Er habe die Natur nur durch das Gewand der Kunst gesehen, die Schönheit nach der Mode beurteilt, die Wahrheit in den Meinungen der Welt gesucht, die Gefühle anderer nach den seinen abgeschätzt So erscheine Pope als Dichter der Persönlichkeit, als Meister des k&nstlichen Stils. Er besitze den Enthusiasmus der Poesie nicht Er sei in ihr nur, was in der Beligion der Skeptiker ist.

Dieselbe Ansicht wird ausführlicher behandelt in dem Au&atze On the Question whether Pope was a Poet (Über die Frage, ob Pope ein Dichter war. Edinburgh Magazine und lAterary Miscellany, Februar 1818). Hier gesteht Hazlitt zu, daß Pope, wenn auch kein großer Dichter, so doch ein großer Prosaist gewesen sei. Seine Stärke liege in der scharfen Beobachtung und der Satire. Als Dichter rage er nicht hervor durch erhabenen Enthusiasmus und starke Phantasie, nicht durch leidenschaftliches Gef&hl für' die Schönheiten der Natur und durch tiefen Einblick in das Getriebe des Herzens, aber als Geist, als Kritiker, als Mann von Verstand und scharfer Beobachtuog, als Mann von Welt sei er voll Sinn ffir Eleganz und verfeinerte Sympathien. Die Mode des Tages trage es in seinem Herzen über die Gesetze der Natur hinweg. Er ziehe in den äußeren Dingen das Künstliche dem Natürlichen vor und die künstliche Leiden- schaft der natürlichen, weil er der Kraft der letzteren nicht gewachsen sei, während er mit konventionellen, oberflächlichen Gefühlsmodiflkationen tändeln könne.

Hazlitt nennt Popes Geist die Antithese der Kraft und Größe. Seine Macht sei die Macht der Gleichgiltigkeit.

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212 Der literarische Essay.

Seine Hanptstärke liege in der Verkleinenmg, nicht in der Vergrößerong der Dinge. Doch habe er die Welt wie dnrch ein Mikroskop gesehen, durch das man feinste Abweichungen und Schattierungen wahrnimmt.

Hazlitts Urteile über Zeitgenossen sind zu sehr vom Standpunkte seiner eigenen politischen oder ethischen Über- zeugung aus gesehen, um objektive Mustergiltigkeit bean- spruchen zu können. Obzwar er selbst davon durchdrungen war, rein sachlich zu urteilen, sah er nur allzuleicht im Individuum den typischen Vertreter eines Prinzips. „Pitt war ihm ein Symbol für Tyrannei, Giflord f&r Parteigeist^ Southey für Apostasie.*'^ Tadelt er doch Lamb wegen seiner übertriebenen Sympathie mit den unteren Klassen und Byron, weil er die Quellen seiner Poesie in seiner leidenschaftlichen, reizbaren Natur fände, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, daß er in beiden Punkten selbst nicht vorwurfsfrei war.')

Jene Vereinigung von poetischem Genie und ana- lytischer Schärfe, die Bulwer an Hazlitt zuhöchst schätzt, sowie der immer sichere Geschmack seines enthusiastischen Geistes, befähigten ihn in außergewöhnlichem Maße zur literarischen Kritik. Seine bis zum Eigensinn gesteigerte Individualität aber setzte fast in demselben Maße seinem Urteil Schranken, indem sie es ihm unmöglich machte, jemals mehr als sein persönliches Urteil zu geben.*) Ganz und gar erfüllt von dem Pathos ethischer Zwecke und Vor- schriften, geht er auch in seinem Kriterium der Kunst von der Moral aus. Sittlich und natürlich sind ihm gleich-

>) Lesläe Stephen, 250. >) Vgl Memoire U, 248.

•) Vgl. Same ThoughU on ihe Genius ofWiUiam JSazlitU Literary Bemains LXXXIV.

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Der literarische Essay. 213

bedeutend. Er sagt, obzwar Shakespeare nicht beabsichtigte, moralisch zu sein, konnte er doch nicht anders sein, so lange er sich anf dem Pfade der Natnr hielte) Die Moral lehrt uns nnr unsere Pflicht, indem sie uns die natfirlichen Eonsequenzen unserer Handlungen zeigte und der Dichter tut dasselbe, indem er fortfährt, uns treue und ansprechende Bilder des menschlichen Lebens zu geben das Gute belohnend, das Schlechte strafend. So weit sind Wahrheit und Tugend eins. 2)

Was Hazlitt am unzugänglichsten bleibt^ ist der Stand- punkt der Kunst um der Kunst willen. „In meinem Sinne^, sag^ er selbst, „ist die höchste aller Dichtungen die ethische Poesie, wie der höchste aller irdischen Gegenstände die sittliche Wahrheit sein muß.') Er schildert nicht, er lobt oder tadelt, und lobt oder tadelt häufig nicht den Känstler, sondern den Menschen. Nichts ist charakte- ristischer fär ihn als ein Satz wie der folgende (aus der sechsten Vorlesung): „Ich kann Swift heutigen Tages ver- geben, daß er ein Tory war.^ Den Lebenden gegenüber bringt er selbst die Toleranz schon weniger auf. So wird sein urteil ftber Byron dem Dichter nicht gerecht, weil er dem Menschen seinen sozialen Bang nachträgt Er über- rage seine Genossen um die volle Höhe einer Pairschaft Verleihe der Dichter dem Edelmanne eine Anziehung mehr, so zahle der Edelmann dem Dichter mit Zinsen heim (On ihe Aristocracy of Letters. Über literarische Aristokratie,

0 Characters of Shakespeares Flays, 169.

^ Vgl. Gnndolf, Shakespeare, 193: Gerstenberg wolle Shakespeares Stftcke nicht als Trag(^eii, sondern als „Abbildnngen der sittlichen Natur** betrachtet sehen. Sittlich bedeute nach dem Sprachgebrauch der Zeit nicht moralisch oder ethisch, sondern geradezu menschlich, laiMttdig im Oegensata zur aufiermensdilichen Natnr.

*) ApP' VI: Pope, Lord Byron and Mr. Bowles.

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214 Der literarische Essay.

Table Talk). Man habe von Bjrron zweimal so viel gesprochen, als wenn er nicht Lord Byron gewesen wftre. Zu einer Wertschätzung dessen, was in Byron über dem Geschwätz des Tages ist, kommt es nicht. Individuelle Eigenheiten sind maßgebender für Hazlitt als das spezifisch künstlerische Moment In Byrons Briefen an Bewies, die er einer genauen Analyse unterzieht, stoßen Paradoxe und Inkonsequenzen ihn ab und er nimmt unbedingt für Bewies Partei Wo Hazlitt für Byron eintritt, scheint er sich darob vor seinem eigenen leidenschaftlichen Demokratismus entschuldigen zu müssen (Lord Byron, Spirit of the Äffe). Selbst wo er nicht tadelt, bringt er es nicht zu mehr als respektvoller Anerkennung (Lord Byron's Tragedies, Edin- burgh Beview, Februar 1822). Thomas Medwin erzählt von einem Gespräch über Byron, das er in seinem Häuschen am Fuße eines rebenbewachsenen Hügels bei Vevay mit Hazlitt 1824 während dessen Aufenthalt in der Schweiz hatte. ^) Hazlitts Äußeres war abgezehrt, „eine Behausung für Geister^. Byron schob er kleinliche Beweggründe des Handelns unter, z. B. daß er Wordsworth und Southey geschmäht hätte in dem Bewußtsein, er wäre ohne sie nicht der Dichter geworden, der er war. Das Gespräch wurde in seiner Herbheit für Medwin ebenso peinlich als betrübend.

Noch weniger vermag Hazlitt Walter Scott seinen aristokratischen Standpunkt zu verzeihen. Er weigerte sich 1822, seine persönliche Bekanntschaft zu machen, die Jeffrey vermitteln will, mit den Worten, er wäre bereit vor ihm zu knien, aber er könnte ihm nicht die Hand reichen.

0 Hazlitt in Switserkmd, Fräset' 8 Magazine far Totm amd CaurUry, vol. XIX.

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Der Utenrisehe EsMiy. 215

In den ConversatUms erwidert er aaf Northcotes spitze Bemerkung: „Herr Hazlitt, Sir Walter Scotts Erfolg ver- drießt Sie mehr als seine Servilität!^ mit dem Ansnife: „Wer bewandert den Verfasser von Waverley mehr als ich? Wer verachtet Sir Walter Scott mehr?^ Dennoch ist auch der Tadel, den er an dem Dichter übt^ wenngleich Bicht ans der Luft gegriffen, so doch herb and streng. Durch Scotts altertfimliche Poesie gehe ein modemer Zug; sie sei die Historie oder Tradition einer Maskerade, nicht der Wirklichkeit. In dem Essay Sir Walter ScoU, Badncy and Shakespeare (Table Talk) erkl&rt er den Unter- schied zwischen Shakespeare und Scott als den zwischen Originalität and dem Mangel an Originalität, zwischen einem Schöpfer und einem Nachahmer der Natur. Im Spirit of the Äge wirft er Scott vor, daft er nicht aber der Fabel stehe, daß er nicht» wie der Dichter solle, im eigenen Geiste die Energie and die schöpferischen Mittel finde, Individualität und Qrtlichkeit anschaulich und glaubhaft zu machen.

Von Shelley, den er in den Vorlesungen übergeht^ sdireibt Hazlitt im Mai 1821 an Hunt, er ärgere ihn, weil sein übertriebener Liberalismus der Freiheit schade. 0 Der in demselben Jahre im London Magcusine veröffentlichte Aufsatz On Paradox and Common Place (Paradoxon und Gemeinplatz, Table Talk)^ kostet ihm beinahe Hunts Freund- schaft Shelley wird darin als philosophischer Fanatiker charakterisiert, dessen hyperätherisches Äußere sein Inneres kennzeichne. „Blasen sind ihm das einzig Beale. Berührt man sie, so verschwinden sie. Neugier ist die eigentliche Sphäre seines Geistes. An WlEusen ein Mann, ist er doch im

0 PatBoie n, 22.

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216 Der literarische Essay.

Fahlen ein Eind.^ Mit seiner Gabe, auf gut Glück über alle Probleme zu spekulieren, richte er, ohne es zu wollen, viel Schaden an. Die Suchte alle Bekenntnisse und Systeme umzustürzen, liege ihm geradezu in der Konstitution. Ihn reize das Experiment, das Publikum zu verblüffen, und sein Leichtsinn sei so groß, daß er sich der Folgen nicht bewußt werde. Der Hazlitt unsympathische Politiker Shelley verdeckt seinem Auge den Dichter und Philosophen. Selbst in dem Essay über Shelleys Posthumous Poems (1829), in dem sein poetisches Verständnis es über alle äußeren Bücksichten davonträgt, heißt es: „Er war ganz ätherisch, durchwühlte sein Hirn nach Widersinnigkeiten und glaubte an alles Unglaubliche. Und doch war Shelley mit all seinen Fehlern ein Mann von Genie."

Umgekehrt wurde Keats, der bei den Vorlesungen über die englischen Dichter unter Hazlitts Zuhörern saß und ihm sein hartes Urteil über Chatterton nicht vergeben konnte, von ihm auf den Schild gehoben, weniger im Hin- blick auf seine dichterischen Qualitäten als in tiefem Mitleid mit seiner Wehrlosigkeit einem tragischen Schicksal gegenüber, das Veranlassung bot, das Cliquenunwesen zu brandmarken {On ihe Aristocracy of Letters). EJs bereitet Hazlitt eine Genugtuung, „die Unfähigkeit des zarten und sensitiven Eeats im Ertragen des gemeinen Geschreis und idiotischen Lachens der Menge'' ins licht zu stellen (On Living to One's Sdf).

Eine Wandlung des politischen Standpunktes aus was immer für einem Grunde zu verstehen und zu vergeben, ist Hazlitt, der sich auf das Festhalten seiner Meinung unter allen Umständen etwas zugute tut, außerstande. Southeys „beklagenswerter AbfaU von der Freiheit'' ist ihm als „ein Makel des Genius, als ein Schlag für die

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Der Hteraruche Essay. 217

Menschheit, tief bedauerlich'^ {Spirit of the Äge) und er verweist auf das Beispiel Miltons, der „nicht die aufgehende Sonne angebetet und der gefallenen Sache den Rucken gekehrt habe"" (On MüUm's Sonnets. Table Talk).

Bei den Vorlesungen über die englischen komischen Schriftsteller kommt gleich in der einleitenden ästhetischen Betrachtung über Witz und Humor der Metaphysiker, der in Hazlitt steckt^ zu seinem Bechte. Er packt seine Aufgabe gern von ihrer abstrakten Seite, sucht sich erst theoretisch über sie klar zu sein, bevor er sie praktisch in ihrer wirklichen Erscheinung verfolgt. Dieses gründliche Ein- gehen auf den Kern des Themas, sowie dessen vielseitig gerundete, erschöpfende Ausgestaltung auch formell wird jeder Vortrag zu einem geschlossenen Ganzen ausgearbeitet bringt jene gediegene Sachlichkeit hervor, die Hazlitts starker Subjektivität die Wagschale hält

Hazlitt hat zum Humor kein unmittelbares Verhältnis.

Wie er den Part paur Z'ar^Standpunkt nicht kennt, so schätzt er den Scherz nicht um des Scherzes willen. Das Lächerliche existiert für ihn in erster Linie als Prüf- stein der Wahrheit. In Shallows und Silences Gespräch über den alten Double {Heinrich IVh) findet er „die feinste Predigt, die je über Sterblichkeit gepredigt worden seL^ Und weil er hinter dem Humor gewöhnlich eine satirische Absicht wittert und wünscht, dünkt es ihm ein Fehler in Shakespeares komischer Muse, daß sie in der Regel zu gutmütig, zu edelsinnig sei (Zweite Vorlesung: Shakespeare and Ben Jonson).

Den größten komischen Genius aller Zeiten erblickt Hazlitt in Hogarth, dem er das Verständms und die be-

0 Memairs 1, 313.

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318 Der Hteramche Essaj.

geisterte Bewunderung des Malers und Scbiiftstellers ent- gegenbringt. Hogai*th, erklärt er, sei so wenig ein Karikaturist wie ein Maler von Stilleben, sondern viel- mehr ein Maler des wirklichen, nicht des gemeinen Lebens. Boccaccio, der feinste und empflndungsreichsteO aller Novellisten, sei als der Erfinder schlüpfriger Erzählungen gebrandmarkt worden, weil die Mehrzalil der Leser bloß das, was ihrem eigenen Geschmack am meisten entsprach, aus seinem Werke herausgriff und ihre eigene Roheit auf dieses zurückwarfen. So habe Hogarths meisten Kritikern der kräftige entschiedene Ausdruck, über den er verfügt, den Haupteindruck gemacht, während ihnen seine auSerordentliche Zartheit, seine feine Abstufung der Cha- raktere entging. Doch gibt Hazlitt zu, daß Hogarth bei allem Sinn für die natürliche Schönheit des Qefühls für das abstrakt Schöne, das nur dem Geist Wahrnehmbare ermangle, daß ihm der ideale poetische Stil fehle, der sich an das Allgemeine und Dauernde hält, nicht nur an das Persönliche und Lokale.

Hazlitts Vorlesungen über das Zeitalter der Elisabeth sind von der verständnisvollen und patriotischen Freude an dieser Glanzzeit des britischen Genius getragen. Nirgends kommt die Phantasie und Beredsamkeit seines Vortrages, seine Gabe, alles Interesse, das dem Gegenstande innewohnt, durch Parallelen, Ausblicke und Beispiele auszuschöpfen, mehr zur Geltung. Auch hier geht er

^) Hazlitt definiert Empfindung (sentiment) als jenes gewohnbeits- mäfiige Gefühl, bei dem das Herz ohne heftige Erregungen einander entgegengesetzter Pflichten oder widriger VerhUlaiisse in sich selber ruht. In dieser Art komme nichts Boccaccios Erzfihlung von Federigo Alberigi und seinem Falken gleich (Ende gut alles gtU, Characier% of Shakespeare).

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Der literarische Essay. 219

gewissermafien voh der Theorie aus. Er fragt nach den Ursachen dieser Blütezeit und findet sie neben den Ein- flössen der Beformation, der Renaissance, der Entdeckung Amerikas in dem starken Bewußtsein „des natürlichen nationalen Genius^, das dem Zeitalter eignet Das Engländer- tom und die aus ihm erwachsende „gotische und groteske Literatur^ wird in seiner Berechtigung und Notwendigkeit mit markigen Strichen gezeichnet. Mancher verrät den Auto- didakten. Barry Com wall erzählt in seiner Selbstbiographie, Hazlitts Kenntnis der EUsabethaner und seine Belesenheit über dieses Zeitalter sei gering gewesen, als er sich zu den Vorlesungen entschloft. C!omwall habe ihm ein Dutzend Bflcher geliehen, mit denen er sich nach Winterslow zurück- zog. Und als er nach sechs Wochen, ganz erfüllt von seinem Gegenstände, wiederkam, waren die Vorlesungen geschrieben und er schien die Merkmale und Verdienste dieser Schrift- steller eingehender würdigen zu können als jeder andere.

Was Hazlitt bespricht, kennt er aus erster Hand. Aber er kennt nicht alles. So fehlt z.B. unter Shake- speares Zeitgenossen Robert Greene. Dennoch leisten diese AuMtze in ihrer gehaltvollen Durchleuchtung des jeweiligen Gegenstandes und in ihrem hochgestimmten Tone nicht nur an Anregung, sondern auch an tatsächlicher Belehrung so viel, daß der Leser über der Fülle des Gebotenen das Fehlende verschmerzt.

Talfourd rühmt die Intensität der Bewunderungsgabe, die Hazlitt gerade in diesen Vorlesungen bekundet, seine Liebe für die alten Autoren. „Er zieht den Vorhang der Zeit beiseite, mit einer vor Entzücken und Ehrfurcht zitternden Hand. Seine tiefe Bewunderung geistiger Sch&nheit scheint seine kritischen Fähigkeiten zu ver- schärfen. Er legt die verborgenen Quellen der Schönheit

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220 Der literazüche Essay.

vor ans dar, nicht wie ein Anatom, sondern wie ein Lieb- haber. Er analysiert nnd schildert gleichzeitig, so daß nnser Genoß der Schönheit dnrch unsere Bekanntschaft mit ihren inneren Quellen nicht gedämpft, sondern gesteigert wird. Es befremdet auf den ersten Blick, daß Graben wie diese verfehlten, Hazlitt allgemeine Sympathie zu er- wecken. "0

Er flößte, sagt Ireland (XLl), der Kritik seiner Zeit einen neuen Geist ein, durch den Hinweis, daß der Weg zum Verständnis eines Werkes der sei, es zu genießen, und daß richtiges Verständnis der Sympathie nahe verbündet ist Hazlitt verleugnet auch als Kunstkritiker seine Indivi- dualität nicht Er gibt sich mehr als Illustrator des Kunst- werkes, denn als Kritiker, und mehr als enthusiastischer Ausleger, denn als Illustrator. Alle konventionelle Forma- lität über Bord werfend, gibt er der Welt unumwunden seine Gedanken für nicht mehr und nicht weniger als das, wofür sie sie einschätzen will

Mit Hazlitts Interesse für das Drama geht wie gewöhn- lich das für die Bühne Hand in Hand. Von 1813—1814 war er Theaterkritiker des Moming Chronide. Für die Oper hat er kein Herz und wenig Verständnis. Er tut Aussprüche wie: „Töne ohne Sinn gleichen einem Lichtglanz ohne Gegenstand.^ Oder „Eine Oper verhält sich zu einer Tragödie wie ein Transparent zu einem Ge- mälde'' {Walter Scott, Bacine, and Shakespeare. Table Talk). Hingegen ist er ein warmer Anwalt und begeisterter An- hänger der Schauspielkunst, an deren Würde und Bedeutung er glaubt Nur die Bühne sei imstande, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, sagt er. Sie erhalte gewisser-

0 Edinburgh Eeview, November 1880.

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Der ütenrische Essay. 221

maßen die Tradition. Eine gvAe Schanspielertrnppe, ein vernünftig geleitetes Hoftheater bedeuteten das wahre Heroldsamt und die einzige antiquarische Gesellschaft, die einen Pfifferling wert sei (On Äctors and Acüng. Über Schauspieler und Schauspielkunst). Die Bfihne, von der Abstraktion der Wissenschaft und dem kleinlichen Egoismus des Alltagslebens gleich weit entfernt, entspreche, zumal in den St&dten, einem Bedflrfnis, insofern sie unseren Oedanken Körperlichkeit verleihe und unsere EmpflndungseindrQcke verfeinere und veredle (On Hay-Going and on sotne of our Old Actars. Über den Theaterbesuch und einige unserer alten Schauspieler). Hazlitt zieht die oft gestellte Frage in Erwägung, ob das Gefühl oder das Studium den großen Schauspieler zu seiner Bolle befähige, und beantwortet sie mit der Entscheidung: Keines von beiden, sondern die Gewöhnung. Doch mUsse der Schauspieler die Rolle mit dem Enthusiasmus des Genies oder der Natur er- fassen, um sich in ihr hervorzutun {On Novelty and Famüiarity. Über Neues und Vertrautes). Selbst die Vergänglichkeit des Bühnenwerkes wird ihm zum Vorzuge. Die Schauspielkunst trage den Samen beständiger Er- neuerung und beständigen Verfalls in sich und folge darin mehr der Naturordnuug als der Analogie menschlicher Geistesprodukte (On Actars and Acting).

Hazlitts Theaterkritiken für den Morning Chranicle, Champian, Examner, die Times sind 1818 unter dem Titel OrUieisfns and Dramatic Essays of the English Stage (Kritiken und dramatische Aufsätze der englischen Bühne) gesammelt erschienen. Er bringt für die Wiedergabe des schauspielerischen Kunstwerkes nicht die plastische Ver- anschaulichungskraft Leigh Hunts auf, aber seine freudige Bereitschaft, Gutes und Schönes anzuerkennen, die Sicher-

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222 literarisdhe Issaj

heit seines Urteils Neuerscheinungen gegenftber, die absolute Unbestechlichkeit und Ehrlichheit seiner Kritik, die er als eine geheiligte Aufgabe ftbt, geben diesen Berichten einen über den Tag hinausgehenden Wert. Hazlitt ist sich des Ernstes und der Würde seines Amtes bewußt, für das er, wenn er lobt, keinen Dank verdiene, wenn er tadelt, nicht zur Rechenschaft gezogen werden dürfe.

Selbst als Kritiker gesteht er dem Impulse offen die erste Stimme zu und will den Verstand nur als Interpreten der Natur und des Genies, nicht aber als ihren Richter anerkannt sehen. Der müßte in der Tat ein armseliges Geschöpf sein, der nicht mehr fühlte und wüßte als das, wofür er einen Grund anzugeben vermag (On Genius and Common Sense. Über Genie und gesunden Verstand). So ernst es ihm mit der Kunst ist, ist er doch frei von jeder Pedanterie. Im Gegensatz zu Reynolds, der den Fleiß als Hauptfaktor der Kunst betrachtet sehen möchte, ist ihm das Genie, die natürliche Begabung das Maßgebende {On Sir Joshua Reynolds* Discourses. Über Reynolds' Abhandlungen, Ttible Talk). Er ist schließlich auch, frei von jeder anmaßenden Selbstbespiegelung des Kritikers. Er will sich nicht selbst ins Licht stellen, glaubt nicht an sein Monopol, das Publikum zu belehren oder zu verblüffen, sondern hält sich für nicht mehr und nicht weniger als einen Diener der Kunst (On Critidsm, Table Talk).

Speziell der Bühne gegenüber verfügt Hazlitt über jene schwärmerische Vorliebe, die zum Kultus der Schauspieler führt. „Wir haben für John Kemble im einfachen Rock mehr Wertschätzung als für den Lordkanzler auf dem Woolsack^, sagt er in Actors and Äcting. Über den Ab- schied der Mrs. Siddons läßt er sich zu den Worten hin- reißen : „So lange es eine Bühne gibt, wird es keine zweite

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Der MtezAiische Essaj. 223

Siddons geben. Die Tragödie schien mit ihr unterzugehen; was bleibt, sind nor flackernde Kometen oder feurige Aus- dOnstnngen. Es ist für uns des Stolzes und GlUckes genug, mit ihr gelebt zu haben {On Play -Going). Sein Urteil aber gewisse liebUngskfinstler wird gelegentlich zum Dithyrambus. Eean hat er durch alle seine Hauptrollen begleitet, yom ersten Auftreten an. Die Besprechung seines Debüts beginnt mit den Worten: „Ich gehöre nicht zu jenen, die, wenn sie die Sonne das Gewölk durchbrechen sehen, stille stehen und andere fi-agen, ob es Morgen sei."

Die bildhaften Charakteristiken von Keans Rollen, zumal seinen Shakespearegestalten, mit dem Blick des Malers und des Psychologen aufgefaßt und mit phantasievoUer Nach- empflndung wiedergegeben, gehören zu Hazlitts besten. Sie verfließen ihm untrennbar mit den Gestalten des Dichters selbst. In den Lamb zugeeigneten Characters of Shake- speare's Plays (Shakespearegestalten, 1817, ins Deutsche übersetzt ron A. Jäger unter dem Titel HauptcharaJctere der ShaJcespeareschen Dramen^ 1838) kommt Hazlitt oft unver- merkt auf die Verkörperungen Keans und der Siddons zurück, doch immer so, daß Lob oder Tadel des Darstellers zugleich ein Licht über das Verständnis der Gestalt ver- breitet, Z.R die bewundernde Anerkennung von Mrs. Siddons' „übernatürlich großartiger'' Lady Macbeth oder Keans technisch vollendetem Richard III.

Hazlitt liefert in einigen dieser Shakespearegastalten Charakteristiken von einer Feinheit, die ihn über den als Ästhestiker von ihm vielbewunderten Schlegel stellend) Ohne Inhaltsangabe des Stückes erhellt auch für

*) Hazlitts Urteil Aber die Deutschen ist im allgemeinen ziemlich absprechend. Der Wunsch, sich heryorzntnn, nicht Phantasie oder

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224 Der literarische Essay.

den Nicht-Shakespearekandigen die Handlang ans ihrem Träger. Besonders wirksam ist die Gegenüberstellung von Charakteren, z. B. Richard HI. als reinen Willensmenschen ohne Phantasie und Pathos mit Macbeth, der wie im wachen Traume auf der Grenze zwischen Wirklichkeit und Phan- tasiewelt lebe. Eine der feinsten Charakteristiken ist die Jagos, als der vollkommenen Abstraktion des intellektuellen Seins vom moralischem, während Hazlitts Hamletcharakte- ristik banal ist Mitunter vertritt persönliches Gefallen oder Mißfallen seinem objektiven Urteil den Weg, so in bezug auf Portia undNerissa; immer aber macht sich derh&here Gesichtspunkt geltend, von dem aus Hazlitt die Dichtung überblickt. So findet er die Höhe des moralischen Argumentes in Maß für Maß von keinem anderen Stücke übertroffen und betont die Natürlichkeit von Shakespeares übernatür- lichen Wesen. * Gäbe es derlei überhaupt, so könnten sie nicht anders handeln, reden oder fühlen als bei ihm.

Heine äußert sich in der Einleitung zu Shakespeares Mädchen und Frauen^ 18380 folgendermaßen: „Nur mit Ausnahme von William Hazlitt hat England keinen einzigen bedeutenden Kommentator Shakespeares hervor- gebracht; überall Kleinigkeitskrämerei, selbstbespiegelnde Seichtigkeit, enthusiastisch tuender Dünkel, gelehrte Auf- geblasenheit . . . Der einzige Kommentator Shakespeares, den ich als Ausnahme bezeichnet, und der auch in jeder

Begabung, geben bei ihren Unternehmungen den Ausschlag. Sie fassen euie paradoxe, sonderbare Meinung und b^aupten sie mit aller Anstrengung. Nicht ein Urteil sondern ein systematischer Schluß sei das, was sie anstreben. Jedes deutsche Werk müsse darum mit Vor- behalt aufgenommen werden {Lediures on Dramaiic Literature by A. W, Schlegel, Edinburgh Beview, Februar 1816).

») Werke 1876, IH, 17a

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Der literaxiBciie Essay. 225

Hinsicht einzig zu nennen ist, war der selige Hazlitt, ein Geist ebenso glänzend wie tief, eine Mischung von Diderot und Börne, flammende Begeisterung für die Revo- hition neben dem glühendsten Kunstsinn, immer sprudelnd von Verve und Esprit."

Die erste Auflage der Characters war in sechs Wochen vergriffen. Der Verkauf der zweiten wurde durch die Quarterly Beview unterbunden, die Hazlitt, den Mitarbeiter der Edinburgh Review^) von 1814 bis an seinen Tod, mit EIrbitterung verfolgte. Gifford fiel als Wortführer der Quarterly über Hazlitts Shakespearecharäktere und seine politischen Porträts in The Eloquence of the Senate her und verleumdete ihren Urheber als unmoralisch, unwissend und anbedeutend. Der letzte Grund der grimmigen Ausfälle lag in der politischen Gegnerschaft. Hazlitt war der Qwirterly und ihrem Stabe als Radikaler und als Bonapartist ein Stein des Anstoßes. Ek*, seinerseits, durch die Hetze bis zum Wahnsinn gereizt, trug, was er an Zorn, Haß und Rach- sacht aufbringen konnte, zusammen in seiner Erwiderung A Letter to WiUiam Oifford, Esq., 1819. Er bezeichnet den Charakter Giffords auch anderweitig als den Inbegriff des äußersten Mangels an Unabhängigkeitssinn und Großmut {lAving to One's Seif).

Im großen und ganzen kann man wohl sagen, daß das Charakterporträt Hazlitts eigenartigste und genialste Leistung ist. Weder quantitativ nach den Political Characters und Characters of Shakespeare erschien 1825 erst die Sammlung, die sein Reifstes und Vollendetstes enthielt, The Spirit of the Age, or Contemporary Portraits (Der Zeitgeist oder Zeitgenössische Bildnisse) und 1826 noch

') Irdand, XXIII. Geschichte der englischen Bomantik n, 1. 15

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226 Der ütenuisdie Essaj.

eine andere The Piain Speaker, Opinions on Books and Things (Der Aufrichtige. Ansichten aber Bacher und Dinge) noch qualitativ kommt ihm auf diesem seinem spezifischen Gebiete so leicht ein anderer nahe. Ireland rflhmt an Hazlitt^ „daß er den geheimen Zauber des Charakters enthülle, indem ^ dessen Elemente zei^liedere und seine innerste Tiefe sondiere.'^O Die nicht zu übersehende Kunst seiner Cha- rakteristik liegt jedoch weniger im Zerfasern des Indivi- duums in einzelne Eigenschaften als vielmehr darin, daß man hinter jeder Persönlichkeit den Tjrpus spürt, die Gattung, die sie vertritt So wird z. B. in Hazlitts Dar- stellung Bacine zum Typus des didaktischen Genies. „Er gibt sozusagen die Gemeinplätze des menschlichen Herzens besser als irgend ein anderer, aber wenig mehr. Er ver- breitet sich mit EUeganz über eine Reihe einleuchtender Gefühle und wohlbekannter Themen, aber ohne einen Hauch von Originalität, Genie oder Phantasie. Er faßt eine Anzahl moralischer Reflexionen zusammen und legt sie, statt sie selbst vorzutragen, seinen Dramatis Personae in den Mund. Statt das Herz einer Person vor uns zu ent- blöß», gibt er ihr ein Notizbuch in die Hand und liest uns eine Lektion daraus vor.^ {Sir Walter Scott, Bacine^ and Shakespeare).

Es mochte in Hazlitts konstitutioneller Veranlagung liegen, daß er als einer jener echt modernen Efinstler, deren ganze Persönlichkeit aus einem Bttndel bei leisester Anregong mitschwingender Nerven besteht, besonders zu jener psychologischen Vertiefung der darzustellenden Cha- raktere befähigt war, zu jenem Hinabsteigen in andere Gemüter, jenem Darlegen ihrer Affektquellen, das einzig

») Hftriitt, LXn.

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Der literarische Essay. 227

lind allein möglich wird dnrch ein vom Mitempfinden erzeug^ Verständnis.

So hat Leigh Hont wohl den Kern der Sache getroffen mit seinem feinsinnigen Worte, Hazlitts intellektueller Takt sei derart, daß er die Wahrheit als bloße Sache des Gefühls zu empfinden scheine. 0

Was Hazlitt in der Charakteristik einer Persönlichkeit im knappen Bahmen des Essays leistet, vermag er auf dem breiteren Gebiete der Biographie kaum zu er- reichen, geschweige denn zu übertreffen. The Memoirs of the Laie Thomas Holcroft, written hy himself and continued to the Time of his Beath, from Diary, Notes and other Papers (Lebenserinnerungen des verstorbenen Thomas Hol- croft Verfaßt von ihm selbst und bis an seinen Tod nach Tagebüchern, Notizen und anderen Papieren fortgeführt) sind, da sie nur zum Teil von Hazlitt herrühren, kein einheitlich komponiertes Werk. Die ersten 17 Kapitel lagen bei Holcrofts Tode, 1808, fertig vor. An der mühe- vollen und undankbaren Weiterführung arbeitete Hazlitt von 1810 1816, so daß die Biographie im Freundeskreise den Scherznamen „das ewige Leben** erhielt.

unter Hazlitts Charakteristiken gehören schließlich auch die Conversations with Northcote^ 1830, von denen er, unter der Signatur Boswell Eedivivus, 1826 einen Teil im New Monthly Magazine veröffentlicht hatte. James North- cote (1746—1831), ein Schüler von Reynolds, den Hazlitt in dem Essay On the Old Age of Artists (Über das Greisenalter der Künstler) unter allen Akademikern und Malern als denjenigen bezeichnet, der am meisten nach seinem Ge-

0 EpisOe to WiUdam EadiiU

15*

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228 Der literarische Eisaj.

schmack sei, wird von W. C. HazlittO als ein boshafter Mensch von niedriger Gesinnung geschildert, den niemand geachtet habe. Hazlitt hatte Northcotes Leben Tieians bearbeitet und ihm dadnrch einen wesentlichen Dienst erwiesen. Nach der Publikation der Gespräche im New Monthly schrie der Alte zwar ttber Indiskretion, zog sich aber dennoch nicht von Hazlitt zurück, der seinerseits an seiner Gesellschaft und an seinem Schatze lebendiger Erinnerungen Gefallen fand. Die zwei sonderbaren Käuze fesselten sich gegenseitig. Northcote, der gern Aufsehen erregte, war vermutlich im Innersten erfreut über den Vertrauensbruch und stellte sich nur böse. Hazlitt seiner- seits fand an den Gesprächen einen ergiebigen und an- regenden Stoff. So mögen denn trotz der sehr abweichenden Berichte vermutlich beide Freunde für die Conversaüons verantwortlich, sein. Nach Gosse hätte Hazlitt bekannt, daß er Northcote nur als Strohmann benutzte, indem er ihm Gefühle unterschob, die er ausgedrückt haben könnte, wäre der betreffende Gegenstand zwischen ihnen verhandelt worden, oder daß er um echte Northcotesche Anekdoten fiktive Northcotesche Reflexionen wob. Patmore hingegen, der häufig Zeuge der Gespräche war, beteuerte Hazlitts skrupulöse Wahrhaftigkeit. 2)

Wie dem auch sei, scheinen die Conversaüons in der Form, in der sie vorliegen, von Hazlittschem Geiste erfüllt, reich an Sentenzen, Kritiken, Kunsttheorien und vor allem voll wohlgetroffener Porträts toter und lebender Kunst- größen.

Von seinen Gharakterbildnissen abgesehen, hat Hazlitt

>) Memoirs n, 198.

«) Conversations, Ausgabe 1894, Preface XXXJI, XXXIU.

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Der literarische Essay. 229

eine sehr zahlreiche Menge von Essays mannigfaltigsten Inhalts aber allerhand Ereignisse, Stätten, Empfindungen, E^ahrongen und Beziehungen geschrieben, die in mehreren Sammlungen vereinigt vorliegen: The Bound Table, a CollecHon of Essays on Literatur e, Men, and Manners (Die Tafelrunde. Eine Sammlung von Aufsätzen über Literatur, Menschen und Sitten, 1817, erschien im Examiner 1815 1817, darunter zwölf von Leigh Hunt) und Table Talk, or Original Essays (Tischgespi*äche oder Original- abhandlnngen).

Montaigne ist, wie Hazlitt in der fttnften Vorlesung seines Zyklus über die komischen Schriftsteller {Periodical Essayists) verrät, das Ideal und Vorbild, das ihm beim Essay vorschwebt. Alles was er ihm nachrühmt die Originalität des Geistes, den Mut, persönliche Ansichten zu vertreten, die Emanzipation vom Gängelbande des Vorurteils und der Affektation, den völligen Mangel aller Pedanterie, aller religiösen, politischen, wissenschaftlichen oder didaktischer Voreingenommenheit, die unbedingte Offenheit und das Streben, seinem Leser ein Freund zu sein dies alles sind Vorzüge, denen Hazlitt selbst nachtrachtet Er schließt ihre Aufzählung mit dem Ge- ständnis, ein Schriftsteller solchen Schlages scheine ihm so hoch, über dem gewöhnlichen Bücherwurm zu stehen wie eine Bibliothek wirklicher Bücher über bemalten Bacbeifutteralen, auf denen die Titel berühmter Werke stehen.

In der Tat ist Hazlitt vor allem ein anregender und interessanter Essayist. Stellt man ihn neben Leigh Hunt und Lamb, so wird man als den Hauptunterschied emp- finden, daß diese beiden jeder auf seine Art in erster Linie Causeurs sind, Hazlitt aber, wie schon Ciomwall

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230 Der ütetmsehe Km^.

hervorhob, ein SaiBonnear. Bei allem Sinn for die große Mannigfaltigkeit der Dinge, fehlt ihm doch jenes Haupt- interesse am g&nzlich Uninteressanten, das die beiden andern kennzeichnet Er hat weniger liebevolle Sorgfalt für die Enge nnd das Wohl nnd Wehe der kleinen Lente. Er besitzt unendlich mehr Vorliebe nnd Verständnis for einen weiteren Horizont nnd eine gewisse Eatholizität des Geistes (People with one Idea. Lente mit einer Idee). Die Kunst, das Wunderbare zum Ausdruck zu bringen, das jedes All- tägliche birgt, offenbart sich in Hazlitt, in dem ein, Maler und ein Metaphysiker steckt, auf ganz andere Weise als in Lamb. Seine Schilderungen sind bei allem gesättigten Kolorit, aller bildhaften Anschaulichkeit und k&nstlerischen Gruppierung nicht lediglich Selbstzweck. In den meisten Fällen illustrieren sie, wie schon Richard Gamett hervor- hob, einen abstrakten Gedanken, i) Wählt Hazlitt einen geringfügigen G^enstand zum Träger eines Essays, so macht er ihn zum Ausgangspunkt vollgewichtiger Re- flexionen, die jedoch, ehe sie Zeit gehabt haben, sich ins Theoretische oder Abstrakte zu verlieren, wieder in das Thema zurückmünden (On a Sun Dial. Auf eine Sonnen- uhr). Droht das Metaphysische das Übergewicht zu erlangen, so gestattet flugs eine eingeflochtene Anekdote dem Leser ein behagliches Ausruhen (On Living to Onds Seif) o^er der allgemeine Exkurs verläuft in die realistische Schilderung einer Persönlichkeit, z. B. der Übergang von der Analyse der Welterfahrung zur Charakteristik Cobbetts in On Knowledge of ihe World (Über Welterfahrung).

Immerhin überwiegt bei Hazlitt das spezifisch Geist- reiche. Ein aufieigew5hnlicher Sentenzenreichtum zeichnet

^) Hftzlitt- Artikel, Cydopaedia Brüamca,

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Der literarische Essay. 231

seine Essays ans. Er prägt AussiHrüche, die in ihrer markigen Prägnanz den Nagel anf den Kopf treffen nnd im Gedächtnis haften bleiben. Andererseits rerdirbt nicht selten eine moralisierende SchlnBsentenz als Ansklang einer romantisch -ungezwungenen Plauderei den Totaleindmck eines Essays (On Thought and Actum, Denken und Handeln).

Seine zahlreichen Definitionen sind ebenso originell als treffend {Cant and Hypocnyy. Scheinheiligkeit nnd Heuchelei; On Fr^udice. Über das Vorurteil; On Taste. Über Ge- schmack; On Ficturesque and Ideal. Malerisch und ideal). Folgendermaßen definiert Hazlitt das Ideal: Es ist die Ab- straktion eines jeden Dinges, losgelöst von allen Umständen, die seine Wirkung schwächen oder unsere Bewunderung daffir verringern. Oder: Es füllt den Umriß der Wahrheit und Schönheit aus, der im Geiste existiert, so daß kein Mangel bleibt nnd nichts mehr zu wünschen erübrigt. Ein anderer Name für das Ideal ist das Göttliche, denn was wir uns yon den Göttern vorstellen, ist Freude ohne Schmerz, Macht ohne Anstrengung. Es ist die höchste Vorstellung, die wir uns von der Menschheit bilden können. Snhe ist eine hervor- stechende Bedingung des Ideals. Es ist sich selbst Gesetz, durch sich selbst bewegt, sich selbst erhaltend. In diesem Sinne ist Miltons Satan ideaL Das Ideal ist folglieh der höchste Punkt der Seinheit und Vollkommenheit, bis zu dem wir die Idee eines Gegenstandes oder einer Eigenschaft fahren können. Das Ideal verwandelt nicht einen Gegen- stand in etwas anderes, es neutralisiert sein Wesen nicht, scmdem es macht ans ihm durch Entfernung des Unwesent- lichen nnd Ergänzung des Mangelnden mehr als er selbst zuvor war.

Trotz seiner Neigung zum Abstrakten ist Hazlitt doch frei von schulmeisterlichem Bildungskram oder hohlem

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232 Der literarische Essay.

Gelehrtendünkel. Im Gegenteil sieht er als ein genialer Unzünftiger von der Höhe der angeborenen Fähigkeit anf die Schnlbildnng ein wenig herab. Er schätzt den gesunden Menschenverstand, den er als die Totalsumme und das Ergebnis unbewußter Eindrücke und alltäglicher Vorfälle des Lebens definiert, die, im Gedächtnis auf- gespeichert, durch die Gelegenheit geweckt werden {On Genius and Common Sense). Was diese geringen Anlässe an latenter Bedeutung enthalten, herauszufühlen und zu nützen, ist Sache der urwüchsigen Begabung. Sie, die Hazlitt in vollstem Maße besitzt, schlägt er zuhöchst an. Die Augen offen halten ist besser als Büchergelehrtheit. „Bücher^, sagt er, „werden weit seltener als Brillen benutzt, um die Natur zu sehen, denn als Fensterrouleaux, die schwache Augen vor dem raschen Wechsel der Landschaft und dem starken Lichte schützen sollen^ (On the Ignorance of the Leamed. Über die Unwissenheit der Gelehrten).

Die Intensität seines Gedankenlebens beleuchtet ein Ausspruch wie der folgende: „Hatte ich auch wenig Freuden und wirkliche Vorteile, so haben doch meine Ideen, kraft ihres festen Gefüges, mir die Stelle von Wirklichkeiten vertreten {A Farewell to Essay Writing).

Hazlitts Essay liegt die Plauderei nicht als Haupt- zweck zugrunde. Er will auch inhaltlich etwas bieteiL In dem Briefe an Gifford spricht er seinen Wunsch aus, in der Sammlung Die Tafelrunde „eine Art Liber Veritatis zu geben, eine Beihe von Studien nach dem menschlichen Leben^. Er schreibt 1821 an Hunt: „Sie sagen, es fehle mir an Einbildungskraft. Wenn Sie damit Erfindung oder Phantasie meinen, so bin ich derselben Ansicht. Aber wenn Sie die Veranlagung zum Verständnis für die Aussprüche und Verdienste anderer meinen, so

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Der literarische Essay. 233

leugne ich es." Aach in den Essays On ihe Post and Future (Über Vergangenheit und Zukunft) und On Beading Old Books (Lektüre alter Bücher) spricht Hazlitt sich Phan- tasie im allgemeinen Sinne ab. Dies mag allenfalls gelten, wo es die Erfindungsgabe betrifft Versteht man aber unter Phantasie jenen Instinkt, den Hazlitt als ein bestimmendes Merkmal des Genius bezeichnet, „jene intensive Wahr- nehmung verborgener Analogien der Dinge, die unbewufit wie die Natur schafft und ihre Eindrücke durch eine Art Inspiration empfängt", i) so wird man sie ihm wohl un- bedingt zuerkennen. Oder ist es nicht Phantasie, was ihn für die jugendliche Lebensfreude, für den Genuß des ersten Erlebens die folgenden Gleichnisse finden läßt: „Wie der Landmann auf dem Jahrmarkt, so sind wir voll Staunen, voll Entzücken und denken nicht ans Heimgehen und nicht daran, daß es bald Abend werden wird.^ Oder: „Wie Kinder hält uns Stiefmutter Natur empor, um die Wander des Weltalls zu sehen und läßt uns dann, als wären wir ihr zur Last, wieder niedergleiten. Aber was haben wir alles gesehen! Die goldene Sonne, den Ozean und die grüne Erde, den Wechsel der Jahreszeiten, den Vatikan und Shakespeare. Und welchen Ausblick in die Zukunft!^ {On the Feelings of Immortality in Youth. Über das ünsterblichkeitsgefühl der Jugend). Nur jemand der selbst mit poetischer Phantasie begabt ist, bringt jene Ehrfurcht vor der Poesie auf, für die Hazlitt die Worte eines Dichters findet Ein Dichterleben, sagt er, ist, nach dem Glänze zu urteilen, den es dem unseren verleiht, ein goldener Traum oder sollte es sein , voll Licht

*) Lectures on the English Comic Writers. Lect. VI,: On the En^ish Novdisis.

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234 Der literarisdie Essay.

und Anmut, in Elysium eingeschlossen; und es verursacht widerstrebenden Schmerz, das Lichtbild, das den Dichter auf seinem Ruhmespfade umgibt, wie Nebel verfliegen und sein geheiligtes Haupt in Asche gebeugt zu sehen, ehe noch die Sanduhr gewöhnlicher Sterblicher abgelaufen ist. Nur jemand, der selbst Phantasie hat, wird einen Aus- spruch, wie diesen, tun: „Er besaß keine Phantasie, sonst hätte er sie nicht verachtet" (Spirit of the Age).

Einmal erweckt die Lektüre von Bousseaus über- schwänglich bewunderten Confessions in Hazlitts Phantasie die Vorstellung, das Vergangene sei lebendige Gegenwart. Wie Rousseau „vergangene Augenblicke seines Daseins gleich Tropfen von Honigtau zu sammeln scheint, um aus ihnen ein köstliches Naß zu destillieren", so durchlebt Hazlitt seinerseits in der Erinnerung die eigene Jugend, nicht ohne jene gesteigerte Empfindsamkeit, die die bewußte Nachahmung des sentimentalen Vorbildes bedingt, und er gelangt zu der Überzeugung, das Vergangene sei nicht nur ein wesentlicher Bestandteil unseres Seins, sondern übertreife an Bedeutung die Zukunft (Post and Future).

Hazlitts Bilder sind mitunter von so glücklicher, witziger Ausdrucksfähigkeit, daß sie eine ganze Charakte- ristik ersetzen. Er sagt z.B.: „Coleridge hat mit den Musen geflirtet wie mit einer Reihe von Geliebten. Godwin war zweimal verheiratet, mit der Vernunft und mit der Phantasie, und kann sich einer nicht kurzlebigen Nach- kommenschaft von beiden rühmen" (Spirit of the Age),

Auch Hazlitts Naturliebe hat einen phantasievollen, romantischen Zug. Er gibt sich ihr gern in der Einsam- keit hin. Die Natur leistet ihm die beste Gesellschaft. „Gebt mir den klaren, blauen Himmel über meinem Haupt", ruft er aus, „und den grünen Rasen unter meinen Fußen, vor mir

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Der literariBdie Euay. 235

den gesehlängelten Pfad und einen dreistündigen Marsch vor dem Essen und dann frisch ans Denken! Es ist hart für mich, kann ich anf diesen einsamen Haiden kein Spiel beginnen. Ich lache, ich renne, ich springe, ich singe vor Freude. Von der Spitze jener treibenden Wolke tauche ich in mein vergangenes Sein und ergötze mich dort, wie der sonnverbrannte Indianer kopfüber in die Wellen taucht, die ihn zu einem heimatlichen Ufer tragen." Die Erinnerung, in die er untertaucht, gilt einer Wanderung. Jung an Jahren war er und das Jahr war frisch und jung, als er im April das schöne Tal von Llangollen in Wales durchschlenderte und dabei einen Vers von Ck)leridge vor sich hinsummte. Ihm zu Füßen ein Ausblick weit ins Land, während sich dem inneren Auge noch ein anderer auf tat, über dem in Buchstaben, groß wie die Hoffnung, die Worte Freiheit, Genius, Liebe, Tugend standen. Abends im Gasthause las er dann, den herrlichen Tag zu krönen es war sein Geburtstag einen Brief des St. Preux aus der Neuen Hdoise.

Am spärlichsten ist es bei Hazlitt um den Humor bestellt Wie er ihn im Leben nicht aufbrachte und darum an den Kümmernissen des Alltags zerschellte, so fehlt er fast ganz in seinem Schrifttum. Und da er über diese Panazee, die das Allzukleine literaturfähig macht, nicht verfugt, ist ihm auch das tändelnde Geplauder eines Lamb oder Hunt über ein Nichts versagt Eine der wenigen Ausnahmen bildet Hazlitt war ein eifriger Freund von allerlei Sport der humoristische Essay The Fight (Der Kampf), Literary Bemains, die behagliche Erzählung eines Ausfluges nach Hungerford zu einem Ringkampfe. Die heiter genremäflige Darstellung gänzlich unbedeutender Zwischenfälle läßt keine Langewelle aufkommen.

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236 Der literarische Essay.

Fehlt Hazlitts Essay der Samtglanz des Humors, so kenDzeichnen ihn hingegen die allenthalben aus seiner glatten Oberfläche hervorstechenden Nadelspitzen. Zwar spricht Hazlitt selbst sich wie die Phantasie so auch den Witz ab (Definition of Wit% tatsächlich aber mangelt ihm vielmehr, wie den meisten witzigen Menschen, die Selbstbeherrschung, seinen mitunter herben Witz zu unter- drücken.

Eine gewisse paradoxe Übertreibung, die als Abart des Witzes berührt, in Wirklichkeit aber nichts mit ihm gemein hat, entspringt Hazlitts ehrlicher Überrednngslust und bedeutet ein Überszielschießen und Übersprudeln des Ge- dankens, der, um den Leser zu überzeugen und aus Furcht, nicht verstanden zu werden, mit Bewußtsein in allzu starken Farben aufgetragen wird. So verrennt Hazlitt sich bei der Beweisführung, daß Menschenkenntnis und Welterfahrung nichts mit Gelehrsamkeit zu tun hätten, in die extreme Behauptung, Gelehrsamkeit bedeute nur zu oft das Gegenteil von Menschenkenntnis und menschlicher Teil- nahme und ihr Hochmut wüchse mit eben dieser Un- kenntnis. Sich immer mehr ereifernd, spricht er schließlich, als gäbe es keine echte Gelehrsamkeit, nur mehr von jener vorgeschützten, die lediglich Affektation und Betrug ist Auf der Postkutsche von London nach Oxford könne man Besseres hören als in einem Oxforder College, denn die Menge besitze den gesunden Menschenverstand, der dem Gelehrten fehle. Shakespeare sei offenbar ein ungebildeter Mensch gewesen. Wollen wir die Macht des menschlichen Genius erkennen, müssen wir Shakespeare lesen; wollen wir erkennen, wie nichtssagend die menschliche Gelehr- samkeit ist, müssen wir seine Kommentatoren studieren (On the Ignorance of the Leamed).

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Der literarische Essay. 287

Faßt man Haziitts schriftstellerische Mängel ins Auge, so läßt sich eine gewisse Unansgeglichenheit seiner Gaben, eine gewisse Zerfahrenheit nicht übersehen. In seiner Persönlichkeit vermißt man mitunter das geistige Zentrum, wie bei seinen Essays mitunter die Proportion der An- ordnung.

Was den Stil betrifiH;, so will Hazlitt es nicht Wort haben, daß er ihm selbstftndigen Wert beimesse. Er habe nie auf ihn geachtet, schreibt er an Gifford, sondern nur das Wort gesucht, das seinen Gedanken am treffendsten wiedergebe. „Die Wahrheit suchend", fügt er hinzu, „fand ich mitunter die Schönheit". Im Table Talk erklärt die Vorrede sein Trachten, die Vorteile der Gesprächsform und des literarischen Stils zu vereinen. Er eröffne eine Art Diskussion über einen leitenden Gedanken und erziele dadurch mehr Abwechslung und größere Ehrlichkeit als bei „gelehrter Behandlung."

So entsteht eine Art Idealtypus literarischer Plauderei. Ein Bild regt, wie zufällig, das andere an. Ideen und Empfindungen flackern auf und verschweben, scheinbar planlos, völlig ungezwungen. Der Kenner, der die Eeife der Durchbildung zu schätzen weiß, muß bewundernd zu- geben, daß jeder Hauch des Pretiosen, Gekünstelten, Plan- vollen vermieden ist Der unbefangene Leser aber steht unter dem Eindruck des völlig Spontanen und empfängt die Vorstellung eines ungeheuren geistigen Eeichtums, der dem Verfasser gestattet, stets aus dem Vollen zu schöpfen.

Eine durchaus individuelle Note ist bei einer so starken Subjektivität wie der Haziitts selbstverständlich. Er flicht nicht nur persönliche Ansichten und persönliche Erlebnisse ein, seine Aufsätze sind durchtränkt mit Persönlichkeit. Doch wie oft er auch vom Thema abschweift, er findet

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288 Der literarische Essay.

schließlich, wenngleich anf einem Umwege, immer znr Sache zurück. Er wird niemals geschmacklos, nnd wenn er im Essay On Familiär Style den vertraulichen Stil definiert als „die gebildete Konversationssprache, natürlich, aber nicht vulg&r^S so paßt dies in vielen Fällen durchaus auf seinen eigenen Stil. In vielen, aber nicht in allen. Hazlitt vermag viel tiefer zu bohren und viel höher zu fliegen. Für seine scharfe Beobachtung steht ihm eine Prägnanz und Kraft des Ausdruckes zu Gebote, für seine logische Folgerung eine knappe Geschlossenheit des Satz- gefüges, für seine Phantasieergüsse eine Freiheit und schwungvolle Leichtigkeit der geist- und poesiedurch- glühten Kede, sodaß man füglich sagen darf, er verstehe die Sprache auf allen Registern zu spielen, von epigram- matisch trockener Gedrängtheit bis zu einer fast lyrisch rhapsodisch blühenden Getragenheit des Stils. Und immer bildet das Stilkunstwerk einen lebendigen Organismus. Ein Glied wächst aus dem andern. Da stört weder eine Lücke, noch Willkür oder Überladung. So reiht Hazlitt sich unter die glänzendsten englischen Prosaisten aller Zeiten. Selbst Bulwer, kein verblendeter Richter, gibt zu, daß er an Kraft der Sprachbeherrschung von den Schrift- stellern des Jahrhunderts kaum übertroffen werde.

Idber Amaris.

Die Anerkennung, die Hazlitt als Essayist fand, war dennoch eine vielfach bestrittene. Wirklich durchzudringen, gelang ihm nur in einem kleinen Kreise. C!omwall sagt, Ge- rechtigkeit sei ihm nie widerfahren. Er hatte die herrschende Partei gegen sich. Seine Selbsteinschätzung war gering. „Was für Mißgeburten sind diese Aufsätze!'^ ruft er aus.

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Der Ktenuische Essay. 239

„Was für Irrtamer, was fftr schlecht geschweißte Über- gänge, was für yerschrobene Begründangen, was für lahme Schlüsse! Wie wenig kommt dabei heraus, und das Wenige wie schlecht!"

Er hätte des anfmnntemden Beifalls, der allgemeinen Anerkennung bedurft, um das innere Gleichgewicht zu behaupten. Denn ohne eitel zu sein, legte er Gewicht auf die Meinung anderer. Neben seinem Ausspruch: „Kein wirklich großer Mann hat sich je selbst für einen solchen gehalten'^, steht der nicht minder charakteristische: „Kein Mensch ist wahrhaft er selbst, außer in der Vorstellung, die andere von ihm haben" (fVhether Genius is consdous of its Powers. Ob der Genius sich seiner Fähigkeiten bewußt sei).

Er empfand es tief, daß ihm nicht wurde, was ihm gebührte. Und ohne sich die letzten Ursachen seines Nichtdurchgreifens klar zu machen, ohne mildernde Gründe in Erwägung zu ziehen, verrannte er sich, mit der in seiner Natur liegenden leidenschaftlichen Verbohrtheit und Über- treibung in die Verbitterung. Er faßte eine Gering- schätzung für das Publikum, das in seiner Leichtgläubig- keit, Urteilslosigkeit und seinem Wankelmut der Narr der öffentlichen Meinung, nicht ihr Urheber sei. Er schalt es feige und ängstlich aus Schwäche, einen Dummkopf, der sich für klug und wichtig halte, obzwar er keine Ansicht habe als die, die ihm eingeblasen werde {On Lwing to On^s

Seif).

In den Canversaüons tviih Northcote heißt es:^) „Die Welt muß etwas zum Bewundem haben und je wert- loser und dünner ihr Idol ist, desto besser vorausgesetzt,

9 8. 11.

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240 Der literarische Essay.

daß es schön ist Denn dies schmeichelt ihrer Sacht nach dem Wunderbaren, ohne ihre Eigenliebe zu verletzen."

Seinen Rezensenten der Quarterly Review vergilt Hazlitt ihre Kritik, die ihm zu nahe trat, mit dauerndem Haß. „Kleinlichkeit ist ihr Element^, sagt er {On CriUdsm, Table Talk) „und allem, was sie berühren, drficken sie den Charakter der Niedrigkeit auf. ... Es ist leichter, dieses lästige Ungeziefer zu zerdr&cken als es zu fangen; und hat man sie in der Gewalt, so verschont man sie ans Selbstachtung". An anderer Stelle {On the Aristocracy of Letters) nennt er sie die Schakale des Nordens.

Sein Lebensideal war, sich selbst zu leben in der Welt, aber unabhängig von ihr, ein stiller Zuschauer, kein Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit und Neugier. Der allein ist frei, der allen Anteil an den öffentlichen Vorgängen nimmt, ohne sich in sie zu mengen. Weh ihm, fängt er erst an zu bedenken, was andere über ihn sagen (On Living to One's Seif).

Aber freilich scheint De Quincey das Sichtige zu treffen, wenn er in bezug auf Hazlitts tiefe Verstimmung sagt: „Meine Meinung wenn ich in bezug auf jemanden, den ich so oberflächlich kannte, ein Eecht auf Meinungen habe war, daß kein Wechsel seiner Lage oder seines Schicksals Hazlitt mit der Art und Weise dieser Welt oder dieses Englands oder 'dieses Jetzt' ausgesöhnt hätte. ... Er besaß die rastlose Gereiztheit Eousseaus, aber in edlerer Gestalt. Denn während Rousseau überall eine persönliche Beleidigung witterte, meinte Hazlitt, jede persönliche Beschimpfung ziele auf ein Allgemeineres ab, auf die sozialen Interessen, die er vertrete. Es war nicht Hazlitt, auf den die Elenden losschlugen, nein, nein, es war die Demokratie oder die Freiheit, oder es war Napoleon, dessen Schatten sie in

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Der literaiiBche Essay. 241

Hazlitts Nachhut erblickten. Der Napoleonhaß aber galt nicht dem, was etwa wirklich schlecht in dem Helden war, sondern ihre Rache wandte sich gegen jenes Feuer, das die Throne der Christenheit verzehrte, um dessent- willen wir wie Hazlitt sagte seinen Namen in Aufrichtigkeit verherrlichen sollten/' 0

Hielt Hazlitt sich als Schriftsteller für die Zielscheibe aller Übelwollenden, für den Sflndenbock der öffentlichen Unzufriedenheit^ so entschädigte ihn auch sein Privatleben keineswegs für das, was ihm die Welt schuldig blieb. Er besaß, nach einem trefflichen Ausdruck Richard Le Gallienne, eine unselige Gabe, seine Freunde mißzu- verstehen.)) „Ich möchte wissen^, schreibt Hazlitt 1821 in seiner Fehde über Shelley an Leigh Hunt „warum mich alle so nicht leiden können?^ Dieser Satz umschließt die Tragödie seines Lebens. Er spürte unfreundliche Ge- sinnung, wo sie nicht war; er fühlte sich überall als Stein des Anstoßes und stieß dadurch unwissentlich seinerseits manche ab, die ihm gerne nahe gewesen wären. Leigh Hunt äußerte bei dem obigen Anlaß (April 1821): „Ich habe oft gesagt, daß ich für Hazlitt eine unbezwingliche Liebe hege wegen seines Mitgefühls mit der Menschheit, seiner niemals feilen üneigennützigkeit und seiner Leiden. Und ich hätte eine noch größere, persönliche Neigung für ihn, wenn er es nur zuließe. Aber ich erkläre bei Gott, daß ich niemals weiß, ob ihm etwas angenehm oder unangenehm, ob er freundlich oder unfreundlich sei sein Benehmen ist in der Tat niemals freundlich und er hat, gleich wenn er einem vorgestellt wird oder nachher eine

0 Notes on QüfUans Literary Portraits, Works XI. ») Liber Amoris, Introd. JH. OMchichte der engfÜBclien Bomantik n, 1. 16

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242 Der Utenrische Essay.

Art, als sagte er: 'Ich habe in nichts Vertrauen, am wenig^sten in Ihre Anerbietungen. Schmeicheln Sie sich nicht, daß Sie einen Weg zn meiner Leichtgläubigkeit finden wfirden. Wir haben nichts miteinander gemein.' Er zieht sich sodann in einen Winkel zorttck und seine Konversation wird nun ebenso sarkastisch, so ohne Glauben an alle Welt, wie sein Benehmen. 0 wer wftre Geck genug, anzunehmen, es könnte seinen Bemühungen gelingen, ihn behaglicher zu stimmen?^ Und weiter: „Wie können Sie, nachdem Sie uns so zurückgestoßen, erwarten, nichts daß wir keine weiteren Anstrengungen Ihnen gegenüber machten, denn diese sind wir Ihnen aus anderen Gründen schuldig, aber daß es uns möglicherweise in den Sinn kommen könnte, Sie n&hmen sich unsere Versäumnis zu Herzen?"

In dem Essay On Disagreeable Peqple (Über unangenehme Leute) spricht Hazlitt von Menschen, die unangenehm sind, weil sie sich unbehaglich fühlen. Zu ihnen gehörte er selbst Mit kranken Nerven eine Zeitlang war er Schlafwandler; in seinem Berufe fühlt er sich unbefriedigt, ohne häusliches Behagen (seit 1819 lebte er von seiner Frau getrennt) so bot er das Bild eines freudlosen Menschen, geplagt von jener inneren Rastlosigkeit, die das Ausbleiben des Glückes gerade in den Gemütern erzeugt, die, von Natur aus nicht pessimistisch veranlagt, das Gute und Schöne als notwendige Daseinsbedingungen voraussetzen. Tiefe Enttäuschung ward bei ihm zur Grundstimmung. „So habe ich mein Leben vertrödelt", sagt er (First Äcquaintance with Poets) „mit Bücherlesen, Bilderbetrachten, im Theater, mit Zuhören, Denken und Schreiben über das, was mir am besten gefiel. Nur ein Ding hat mir gefehlt, mich glück- lich zu machen aber dies Eine entbehrend, habe ich

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Der litenuribBche EsBaj. 243

alles entbehrt" Er nennt das Eine nicht; aber wir können es unschwer ergänzen. Was ihm f ehlte^ war die F&higkeit zmn Gluck.

In solcher Verfassung geschah es, daß Haziitt sich 1820 mit einer ans Pathologische streifenden Spätlings- glut seines zeitlebens unbefriedigten leidenschaftlichen Herzens in Sarah Walker, die Tochter seines Wohnungs- gebers, eines Kaufmanns in den Southampton Buildings (Southampton Row) verliebte. Haziitt hatte niemals zu einer Frau in Beziehung gestanden, die ihm einen Maßstab für weibliche Würde an die Hand gab. In seiner Jugend hatte er nach dem Muster der damaligen Moderomane in sentimentaler Empfindungsüberschwänglich- keit geschwelgt „Ich bewunderte die Glementinen und darissens aus der Entfernung. Die Pamelas und Fannys yon Eichardson und Fielding erregtep mir das Blut Ich habe in meiner Jugend an solche Geschöpfe Liebesbriefe geschrieben Sun pathStique ä faire fendre les rochers und ungefähr mit dem gleichen Erfolge, als wären sie an einen Stein gerichtet Die einfältigen Dinger lachten nur und sagten, dies sei nicht die Art, wie man Neigung gewinne" {On Greai and Little Things. Über große und kleine Dinge, New Monthly Magazine 1822). Frauen mit Bildungs- dfinkel waren ihm zuwider. „Ich habe die äußerste Ab- neigung gegen Blaustrflmpfe", heißt es in demselben Auf- satze. „Ich schere mich nicht um eine Frau, die auch nur weiß, was 'ein Autor' bedeutet Höre ich, daß sie etwas yon mir gelesen hat, so schneide ich sie.''

Hazlitts Ehe war die denkbar unromantischste gewesen. So rannte er nun mit der Verblendung eines Sechzehn- jährigen und mit jener „Unbeugsamkeit des Charakters,

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244 Der literarisehe Essay.

die manche Eigensinn nennen mögen**, 0 in sein Äbentener, dem die Freunde als etwas unbegreiflichem spradüos gegenüber standen. Niemand konnte verstehen, was er an dem Mädchen fand, das Gomwall als abstoßend schildert^ mit verglasten Angen und Schlangenbewegnngen. Aber gerade diese waren es, die den Blick des Malers in Hazlitt fesselten. Mit dem ganzen Übermaß seines Empfindens erfaßte er die vermeintliche Poesie der Verbindung mit einem Kind ans dem Volka Seine Phantasie bemächtigte sich des höchst gewöhnlichen Mädchens und stellte es in das Licht idealster Verklärung.

Wo immer sie wandelt, sprießen unter ihrem Fuße blasse Primeln, die ihrem Antlitz, Frühlingshyazinthen, die ihrer Stirn gleichen und Musik schwebt in allen Zweigen. Ohne sie ist alles kalt, dürr und öde. In einem rhapsodischen „Intermezzo an Infelice**, beteuert er seiner Angebeteten, daß sie „wenn sie jemals mit ihrer lieben Gegenwart sein Heim begnadige, wie sie nun mit ihrem Lächeln seine Hoffnung belebe, durch ihre Anmut die Herzen erobern und der Welt zeigen werde, was Shake- speares Frauen waren. Ihr sozialer Rang, ihre Bildungs- stufe wäre belanglos {On Oreat and Little Things).

Nach gegenseitigem Übereinkommen ließen Hazlitt und seine Gattin sich in Edinburgh scheiden, da das schottische Gesetz die Schwierigkeiten der Trennungsformalitäten um ein Beträchtliches erleichterte. Jetzt erst erwies Sarah Hazlitt sich als guter Kamerad. Sie erteilte dem gewesenen Gatten freundschaftliche Ratschläge, so wie er seinerseits sich ihrer bei einem späteren Zusammentreffen in Paris ritterlich annahm. Aber nun, als alles zu seiner

V A Faretoeü to Essay Wrtting.

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Der literarische Essay. 245

Yermählnng mit der anderen Sarah bereit war nnd er in einen Liebeshimmel einzugehen glaubte, zeigte sich ihm die Fee der Southampton Buildings plötzlich in ihrer wahren Gestalt. Was den Freunden längst klar gewesen, enthüllte sich nun auch Hazlitts bisher mit Blindheit geschlagenem Auge. Er erkannte, daß Sarah Walker, an Geist und Gemüt wie an Lebensgewohnheiten in einer höchst unter- geordneten Sphäre heimisch, ihn Ifingst getäuscht, oder richtiger, daß er sich in ihr getäuscht hatte. Nun erblickte er sie plötzlich als das in jeder Hinsicht tief unter ihm stehende Geschöpf, das sie in Wirklichkeit war. Eine Gemeinschaft mit ihr war nicht länger möglich. Allein die Ankertaue seines Herzens rissen sozusagen, als er sich von ihr losmachte. Wie seine Verliebtheit sich zum Paroxismus gesteigert hatte, der bis zum Erlahmen jeder Selbstkontrolle g^ng, so brach er bei der Entdeckung von Sarahs Untreue haltlos zusammen. „Sein Verstand^, sagt Comwall, „war von der wahnwitzigenLeidenschaft vollkommen überwältigt Eine Zeitlang war er unfähig, etwas anderes zu denken oder zu sprechen. Er entsagte den Büchern und der Kritik als müßigem Zeug und ermüdete jeden, dem er begegnete, mit Klagen über die Grausamkeit seiner Geliebten, ihre Be- trügereien und seine leidenschaftliche Enttäuschung. 0

War seine Feder schon von seiner glücklichen Liebe übergeflossen und hatte in einer alle Wohlmeinenden ver- blüffenden und verletzenden Weise persönliche Herzens- erlebnisse in die Öffentlichkeit der Zeitungsspalten gezogen, so verlor er nunmehr, bis in die letzten Fasern seines Wesens erschüttert, alles Maß des Schicklichen, geschweige denn die Einsicht, daß das Erlebnis, von dem sein Herz

0 Autohiography, 180.

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246 Der literariBche Essay.

blutete, den Unbeteiligten mehr im Lichte der Lächerlich- keit als der Tragik erscheinen mußte. The New Pygmalion, or Liber Ämoris ist die dichterische Erzählung seines Abenteuers in der spärlichen Verhüllung einer durch- sichtigen Fiktion. Er läßt die Blätter von einem in den Niederlanden verstorbenen Briten verfaßt sein und nach dessen Tode von einem Freunde veröffentlicht werden-

Die Publikation wurde als eine Taktlosigkeit empfunden, die Hazlitts zahlreichen Feinden eine willkommene Hand- habe für boshafte Angriffe gab und seine Freunde in Ver- legenheit setzte. Sie meinten zu seiner Entschuldigung alle mildernden Gründe bis zu dem der Unzurechnungs- fähigkeit ins Feld führen zu müssen.

Die Nachgeborenen, für die das Kunstwerk in erster Linie in Betracht kommt und nicht die zufälligen Umstände seiner Entstehung, werden füglich anders darüber urteilen. Erregte bei seinem Erscheinen nicht auch der WerÜier im Kreise der zunächst Beteiligten einen Sturm der Entrüstung? Und wer trägt es seinem Dichter heute nach, daß er sich ermächtigt fühlte, zu seiner endgiltigen Befreiung nicht nur eigene persönliche Erlebnisse intimster Art, sondern auch die anderer als Dichtung der Welt vorzulegen? Eine Dichtung aber muß auch das Liber Ämoris genannt werden, eine Dichtung, getragen von jenem überschwäng- lichen Enthusiasmus der Stimmung, in der Hazlitts Bousseau- schwärmerei produktiv wird und fortlebt. Träumt er doch auch von einer Reise nach Vevay und Maillerie, um seiner Herzallerliebsten an den geheiligten Stätten die Geschichte Julies und St Preux' zu erzählen.

Sieben kurze dialogisierte Kapitel enthalten in skizzen- hafter doch höchst lebendiger Form den Roman. Sarah Walker wird zur ätherischen, sphinxartig lockenden

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Der literarische Essay. 247

Rfttselflgnr. Hazlitts vergötternde Liebe wirbt um sie in schfichtemer Demnt Sie ist ihm mehr als ihr ganzes Geschlecht Der Leser erkennt bereits in den geschilderten ersten Zusammenkünften auf dem Grunde dieser mädchen- haften Sprödigkeit die nixenhafte Koketterie, in ihrem abweisenden Verhalten, das Hazlitt für Eenschheit h&lt, die kalte VerstftDdnislosigkeit, in ihrer Sibylleneinsilbigkeit die ünbeholfenheit der banalen Seele, in ihrem Dulden gewisser Vertraulichkeiten, das den Anbeter weibliche Ergebnng und die spontane Äußerung tie&ter Emp- findung dünkt, die Lebensgewohnheiten der Dirne. Hazlitt h&lt sie für einen Engel, sie aber ist durchtrieben. Er hat volles Vertrauen, sie aber hält ihn nnr hin. Seine Ehr- lichkeit geht ihrer Schlanheit in die Falle. So spannt sich im Leser ein psychologisches Interesse, begleitet von Mit- leid mit dem kurzen Wahn des Getäuschten, der endlich das lebenslang vergeblich gesuchte Glück gefunden zu haben glaubt, und von Sympathie für die Liebesextase einer feinfühligen, kindlich unerfahrenen Eünstlerseele. Es sind Momentbilder von wenigen Seiten, kurze Gespräche, oft über gleichgiltige Dinge, die nur für die Liebenden Wert und Bedeutung haben. Und dennoch enthüllen sie vor dem Leser ein Schicksal. Hazlitt sträubt sich gegen den in seinem Innern aufisteigenden Verdacht. Sarah spielt die gekränkte Unschuld und weiß dann wieder so artig scheinbar für nichts um Vergebung zu bitten. Sie packt den Arglosen mit Weiberlist bei seiner Napoleon- schwärmerei und der Leser genießt den Humor der Situation. Als dem Getäuschten kein Zweifel mehr bleibt, daß seine anbetende Liebe ein Hirngespinst war, als ihm die Augen über das Schemen aufgehen, das seine Einbildungskraft vergötterte, strOmt er sein namenloses Weh in zwei rhap-

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248 Der litenriflche Essay.

sodischen Briefen ans. Er erhält keine Antwort nnd trägt anf einem leeren Blatte in Eeats' Endymion das Geständnis seiner Vereinsamung nnd seiner unauslöschlichen Liebe ein. Hier endet die Dichtung. Aber zu ihrem großen Schaden nicht das lAber Ämoris. Vielmehr bringen ein zweiter und ein dritter Teil, die an Umfang den ersten fast um das Doppelte ftberbieten, an Freunde gerichtete Briefe, in denen Hazlitt seine Liebesangelegenheit mit zahlreichen Wiederholungen, Widersprächen nnd Bohheiten, breit und der Sph&re der Poesie entrückt, stets au& Neue abrollt, oder vielmehr platt tritt, und den poetischen Ein- druck des ersten Teils durch den hOchst krassen eines schmutzigen, tragikomischen Handels vernichtet Nicht mit Unrecht erblickt Leslie Stephen darin eine wetteifernde Nachahmung von Bousseaus Confessions und weist De Quinceys Auslegung, das Liber Amoris bedeute einen Wahnsinnsausbruch, in dem Hazlitts fiberburdete Seele sich entlastet habe, mit der Bemerkung ab, daß er hinreichend bei Sinnen gewesen sei, um sich von dem Verleger 100 M dafür bezahlen zu lassen, i) Patmore meinte, nichts in der Nauvelle Hdoise komme an Gefühl und Leidenschaft manchem Briefe des lAber Ämoris gleich und Mary WoU- stonecrafts Letters to Indey stünden ihnen an Tiefe und Intensität der Empfindung zunächst >) An poetischen und charakteristischen Einzelheiten ist freilich auch hier kein Mangel. Im siebenten Briefe heißt es: „Sie kam, ich weiß nicht, woher, und saß an meiner Seite und war in meine Arme geschlossen, eine Vision der Liebe und des Glückes, als wäre sie vom Himmel gefallen, mich durch den

*) Dictionary of National Biography. *) My Frtends and Äcquainkmoe, 187.

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Der literarische Essay. 249

besonderen Ablaß einer gnädigen Vorsehung zu segnen und ffir alles zn entschädigen.^

Im neunten: „AUe Liebe und Zärtlichkeit meines Lebens, war zusammengetragen in ihr, von der ich glaubte, daß sie allein von allen Frauen meinen wahren Charakter ausgefunden habe und meine Zärtlichkeit zu schätzen wisse. Ach! ach! Daß diese einzige Hoffnung, Freude, Tröstung, die mir jemals ward, immer mehr zum Spott geworden, wie ein häßliches Übel auf dem Rest meiner Tage liegen soU!^^

Im zehnten uberwerthert Hazlitts Naturbetrachtung die Empfindsamkeit des jungen Goethe und die Rousseaus: „Der Fluß wand sich durch die schlammigen Grunde wie eine Schlange, und die im Nebel verschwimmenden Spitzen des Ben Leddy und die (phantastisch aus Luft gewobenen) lieblichen Hochlande spotteten meiner Umarmungen und lockten mein sehnendes Auge gleich ihr, der einzigen Königin und Herrin meiner Gedanken! Niemals fand ich meine Betrachtungen über diesen Gegenstand so spitz- findig fein und gleichzeitig so verzweiflungsvoll als bei diesem Anlaß. Ich weinte mich fast blind und betrachtete durch meine strömenden Tränen den golden strahlenden Sonnenuntergang.'*

Aber einzelne poetisch gesteigerte lyrische Ausbrüche und phantasievolle Schilderungen entschädigen nicht für den Gesamteindruck dieses Seiten und Seiten füllenden end- losen erotischen Gewinseis und Wutgestöhnes, das auf die Empfänger (Patmore und Sheridan Enowles) schon darum als krankhaft wirken mußte, da Hazlitt in seinen Reife- jahren sich zn einem abgesagten Feinde des Briefschreibens aoi^ebildet hatte, der selbst mit seinen Eltern kaum mehr

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250 Der literarische Essay.

in schriftlichem Verkehr stand. Die Briefe, die nicht künstlerisch verarbeitet sind, ans denen nns das Antlitz des Schreibers ungeschminkt in allen Verzerrungen der leidenschafterfüllten Stunde anstarrt und uns die Geheim- nisse seines Privatlebens ins Gesicht speit, bedeuten eine Geschmacklosigkeit, die das Liber Amoris aus der Sphäre des Kunstwerkes reißt

The Life of Ifapoleon.

Hazlitt war durch das Zerschellen seiner Liebe völlig aus dem Gleichgewichte gebracht. Zu dem inneren Erlebnis kamen die Angriffe, die ihm das Liber Amoris zuzog.

Lamb in seiner weisen Menschenkenntnis sagte: „Hazlitt kann etwas Schlechtes tun, aber er ist darum doch weit davon entfernt, ein schlechter Mensch zu sein."^) Der großen Menge aber hatte er, der Seelenreine, dennoch ein scheinbares Becht gegeben, ihn der Gemeinheit zn zeihen. Stolz und reizbar, wie er war, steigerte sich seine Emp- findlichkeit, seine angeborene Neigung zum Mißtrauen und zur Selbstsucht, nachdem sein Vertrauen so übel gelohnt worden war. Das Erlebnis hatte ihn im Innersten zer- brochen.

„Wohin gehen, um fem von ihr zu leben und zu sterben?" fragte er schon im 2. Teil des Liber Amoris (Sechster Brief). Sein Kind allein hält ihn noch am Leben fest (Siebenter Brief). Er muß es sich vorsagen, daß er nicht toll sei. Nur sein Herz sei es und rase in ihm wie ein Panther in seiner Höhle.

Er haßt nunmehr das ganze weibliche Geschlecht Er warnt vor ihm als herzlos, selbstsuchtig, gefährlich. Er

») DobeU, 209.

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Der literariaohe Essay. 251

warnt vor dem üblichen Fehler junger Männer, in jeder Frau eine Bomanheldin und in sich selbst einen Roman- helden zu sehen. „Yeimeide diesen Irrtum, wie du vor einem Abgrunde zur&ckprallen würdest.^ Die eigene üble Erfahrung wird pessimistisch zur Regel verallgemeinert: „Wir behandeln die mit Verachtung, die uns anhänglich sind, spielen und spaßen mit ihnen und folgen denen, die vor uns fliehen" (Ow ihe Conduct of Life).

Er verachtet die ganze Menschheit. Unser Verkehr mit den Toten sei besser als mit den Lebenden. Alle unsere reinen, dauernden Freuden kämen von leblosen Dingen, von Büchern, Bildern und der Natur. Was ist die Welt anders als ein Haufen zugrunde gegangener Freundschaft, als das Grab der Liebe? Alle anderen Freuden sind falsch und hohl, entschwinden vor unserer Umarmung wie Rauch oder wie ein Fiebertraum (Sketches of ihe Principle Picture Galleries in England with a Criticism on Art Skizzen aus den Haupt-Bildergallerien Englands mit einer Abhandlung über Kunst, 1824).

Und trotz alledem kann Hazlitt der Menschen, kann er der Frauen nicht entraten. 1824 geht er zum Erstaunen seiner Freunde eine zweite Ehe ein. Die in der Postkutsche angeknüpfte Bekanntschaft mit seiner Erwählten war nur eine flüchtige, als er sich zu dem entscheidenden Schritte entschloß. Die zweite Gattin spielt in seinem Leben eine so kurze Episodenrolle, daß nicht einmal ihr Name über- liefert ist Ihre günstigen Vermögensverhältnisse ermög- lichten Hazlitt eine lange gewünschte Reise nach Frank- reich und Italien, doch kehrte er von dem Hochzeitsausfluge bereits ohne Frau zurück. Vermutlich hatte sein junger Sohn die unwillkommene Stiefmutter darüber aufgeklärt.) daß schottischeEhescheidungen keine allgemeine Giltigkeit haben.

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252 Der literarische Essay.

Hazlitt hat seine ßeise in Notes of a Joumey through France and Italy (1826)0 beschrieben. Die AnmerhAngen sollen persönliche Eindrücke festhalten, ohne sich ausführ- lich über Statistisches, Archäologisches, Kulturhistorisches zu verbreiten. Hazlitt will auf der Reise sehen und lernen. Er ist bereit, das Fremde anzuerkennen. Der Ernst der Franzosen imponiert ihm. Der wundervolle Vers Racines:

Je crams Dieu, eher Ahner, et n'ai potnt d'auire crainte,

(AihaUe I.)

ringt ihm die Bewunderung ab, die auch Bismarck emp- funden zu haben scheint, in dessen Mund dieser Satz, wenig verändert, historisch geworden ist. Im Louvre findet Hazlitt die Jugendbegeisterung nicht wieder und in Italien möchte er über die meisten Städte schreiben: Es war. Nur Venedig überwältigt ihn und in Turin erlebt er den ersten und einzigen berauschenden Augenblick. In Vevey betritt er den geweihten Schauplatz der Neuen Hdoise. Der Rhein ist wie ein strahlender Traum. London mißfällt ihm bei der Rückkehr, aber Heimat ist Heimat

Sich selbst wiederzufinden, gelang ihm auch durch die Reise nicht. Im Gegenteil. Seine Vereinsamung wurde noch tiefer.

Drossel und Rotkehlchen sind ihm nun lieber als Freund und Geliebte. Ein Spaziergang, ganz allein, selbst ohne Buch, bringt Rückblicke in die Vergangenheit und die Überzeugung, daß seine früheste Hoffnung die auf eine wertvolle schriftstellerische Leistung auch sein letzter Gram sein werde {A Farewell to Essay Writing). Ohne Vermögen, ohne häuslichen Frieden, mit wenig Sympathie verwandter Geister und geringer Unterstützung

0 WorhSt ^^ ^ WdOer and Glover.

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Der literariflche Essay. 253

seiner politischen Partei ^ ohne moralische Führung^ ohne festen Glauben, so faßt GilflUan die Summe der Existenz dieses mit großen inneren Gaben und Leidenschaften Aus- gestatteten zusammen, der bestimmt war, eine der trüb- seligsten Komödien zu verwirklichen, die jemals die Sonne beschien. 0

Nur ein voller schriftstellerischer Erfolg hätte Hazlitt noch aufhelfen können. Statt dessen erlebte er 1830 neuerlich eine Ablehnung, die sich, da sie ein Lebenswerk betraf, mit dem er sein Bestes zu leisten meinte und auf das er die größten Hoffnungen gesetzt hatte, zu einer furchtbaren Niederlage gestaltete. Das Werk war The lAfe of Napoleon. (Das Leben Napoleons), eine vierbändige Monumentalbiographie. Hazlitt, der sonst nur schrieb, weil er mußte, eine halbe Stunde vorher nicht ahnte, worfiber er schreiben werde, und immer erst begann, wenn es keine Möglichkeit des Entrinnens mehr gab, 2) hatte diese Arbeit aus freier Wahl unternommen, als ein Werk der Liebe, um den Charakter Napoleons, den, seiner Meinung nach, die Welt verkannte, vor ihr zu rehabilitieren. Jahre- lang hatte er in äußerster Eraftanspannung mit dem ge- waltigen Thema gerungen, dem er als Mensch, nicht als Politiker beikommen wollte.

„Ich bin kein Politiker und noch weniger kann ich ein Parteimann genannt werden." Mit diesem Bekenntnis begann Hazlitt 1819 das Vorwort zu seinen PoUticcd Essays. Allein wenn es auch wahr ist, daß er „die Whigs ver- achtete, die Tones leidenschaftlich schmähte und die Badikalen aus der Schule Benthams angriff",') beruhte

0 LHerary Portraits.

1) Patmore m, 2.

') Leslie Stephen, Didionary of National Biography.

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254 Der literarische Essay.

doch nichtsdestoweniger sein ganzes Geistesleben anf einer ebenso intensiven wie jäh und stramm behaupteten poli- tischen Gesinnung von entschieden liberalen demokratischen Grundsätzen. „Politik", sagt Patmore, ,,war der Punkt, der auf sein Temperament wirkte wie eine Monomanie und ihn aus einem vernünftigen Wesen in ein wildes Tier ver- wandeln konnte."!) Alle Leidenschaftlichkeit dieser Partei- nahme gehörte dem Idealbegriff „das Volk". In einem glänzenden Aufsatz What is the People? (Was ist das Volk? PoUticäl Essays) sagt er: „Das Volk ist die Hand, das Herz, der Eopf des Gemeinwesens." Ohne jemals als literarischer Volksführer aufzutreten, fühlte Hazlitt doch intensiv mit der Menge.') „Ich hasse die Tyrannei", heißt es in dem oben genannten Vorwort der Political Essays, „und verachte ihre Werkzeuge. Diesem Gefühle habe ich, so oft und so kräftig ich konnte, Aus- druck gegeben. In meinen Augen ist die Frage die, ob ich und die ganze Menschheit frei geboren sind oder Sklaven. Man sichere diesen Punkt und alles ist sicher. Man verliere ihn und alles ist verloren."

Er empfand sich zeitlebens als Kind der Revolution. „Ich begann mein Leben mit der französischen Revolution", sagt er (Feeling of Immortality in Youth), „und habe leider ihr Ende erlebt. Allein ich sah dieses Erlebnis nicht voraus. Meine Sonne ging auf mit dem ersten Dämmern der Freiheit und ich dachte nicht daran, wie bald beide untergehen müßten. Der Anlauf zu neuem Eifer, der sich des Menschengeistes bemächtigt hatte, verlieh dem meinen kongeniale Wärme und Glut Wir

*) Vgl. Bulwer, Liierary Beminiaoences. •) n, 320.

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Der literarische Essay. 255

hatten Kraft, einen Wettlanf zu tnn, und ich ließ mir nicht träumen, daß die Sonne der Freiheit, lange bevor die meine zur Büste ging, sich in Blut färben oder in der Nacht des Despotismus untergehen würde. Seither, ich gesteh es, habe ich mich nicht mehr jung gefühlt, denn damit fielen meine Hoffnungen."

Allein die Oreuel der Revolution dürfen, Hazlitts Meinung nach, nicht der Revolution und nicht dem Volke zur Last gelegt werden. Rechtzeitige Reformen wären die besten Vorkehrungen gegen die Revolution. Ist eine Regierung entschlossen, daß das Volk keine Befreiung, keine Abhilfe von anerkannten Übelständen haben solle als durch gewaltsame und verzweifelte Mittel, so mag sie sich für die vorauszusehenden Folgen bei sich selbst bedanken {What is the People?).

Die Ursachen der Revolution sucht Hazlitt in längst vergangenen Jahrhunderten und glaubt sie schließlich als ein unabwendbares Ergebnis der Erfindung der Buchdrucker- kunst bezeichnen zu können. Die glorreichste Verkörperung der Revolution, ihr unwiderstehlicher Genius aber ist ihm Napoleon, „der Gott seiner Anbetung". Aus dem Volke hervorgegangen, der Vertreter des Volkes gegen die legitime Eönigsmacht, bleibt er auch als Kaiser in Hazlitts Augen nur das gekrönte Haupt des Volkes.

Hazlitt ist ein abgesagter Gegner der Legitimität Nichts ist ihm so verhaßt wie das Gottesgnadentum. Das Erbkönigtum ist eine Schmach, eine Burleske auf jedes Prinzip des gesunden Verstandes und der Freiheit. Der Elende, den die Legitimität in Haft hält, ist unendlich elender als der arme Teufel im Kerker der Inquisition. Dieser darf nach der i<reiheit seufzen, jener darf nicht einmal an sie denken« Die ach vor Thronen beugen und

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256 Der literarische Essay.

die Menschheit hassen, mögen hier ihr Auge weiden an der Vemichtnngy der Pestilenz, dem Mehltau und gleißenden Gifte der SklavereL Das ist der einzige moralische Atheismus, die gleiche Blasphemie gegen Gott und Menschen, die Stlnde gegen den heiligen G^ist, jene tiefste Tiefe der Erniedrigung und Verzweiflung, nach der es keine tiefere mehr gibt. Der Erretter von dieser Plage der Legiümit&t aber war Napoleon. War er ehrgeizig, so gründete sich doch seine Größe nicht auf die Preisgebung der Rechte der menschlichen Natur. Nein, mit ihm hob sich die Lage der Menschheit. Sie wurde gleichfalls vornehmer. Napoleon, der die Eönigsrechte von Gottes Gnaden vernichtet, ist fflr Hazlitt eine Art unbezwing- licher Drachentöter Siegfried.

In keiner Etappe seines Lebens erblickt Hazlitt Napoleon in anderem Lichte als in der Verklärung seines Jugendglanzes. Niemals sieht er in dem vergötterten Helden etwas anderes als den sieg- und ruhmreichen Konsul, der der Republik zu ihren höchsten Triumphen verhalf.

In einem Essay On the Royal Character räumt Hazlitt mit dem monarchistischen Geiste als einem unbegrfindeten Vorurteil schlechtweg auf. Er sei keine politische Staats- notwendigkeit, entspreche nicht dem Verlangen der Menge nach einem einheitlichen Oberhaupte, sondern einer krank- haften und falschen Gier des Volksempflndens. Wir machen Götter aus Stöcken und Steinen und aus dem Menschen, der ein poetisches Tier ist, einen König. Wir brauchen einen Haken, unsere müßigen Phantasien daran zu hängen. Ein Idol ist um nichts schlechter, wenn es aus grobem Material gebildet ist. Ein König sollte ein gewöhnlicher Mensch sein, sonst ist er kraft seiner eigenen Natur der Freigiebigkeit und Laune des Volkes Überlegen und von ihr unabhängig.

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Der literarische Essay. 257

Der Konsul aber, den eine Millionenmajorit&t von Stimmen znm Kaiser erhob, diente anch als Tyrann nur dem Willen, der Absicht, dem Heile des Volkes, das einen Gewalthaber wfinschte und brauchte. Sein glanzvoller Hof war Politik, wie seine Scheidung von Josefine. Sein Herz wußte von beiden nichts. Er hat nicht das Volk entthront, als er sich den Cäsarenmantel der unumschränkten Gewalt unUiing, sondern nur dem P5bel das Knie in den Nacken gedrftckt Die letztere Tatsache aber vermag Hazlitt nimmer- mehr zu kränken, von dem Talfourd sagt, „man müßte wenig von seinen Werken kennen, wfißte man nicht, daß er, ob er sich gleich über legitime Kfinige äußert wie ein französischer Sansculotte, doch von dem gemeinen Volke mit der Geringschätzung eines venezianischen Oligarchen spricht.'' So ist und bleibt Napoleon für ihn die Verkörperung des demokratischen Prinzipes und gleichzeitig der große Rächer und Vergelter, der, ein Werkzeug der ewigen Gerechtigkeit, an der entarteten Revolution ein furchtbares Gericht vollzieht Durchweg aber ist Hazlitts Standpunkt gegen Napoleon gekennzeichnet durch eine persönliche Hin- gebung, die jeden mildernden Umstand in Betracht zieht, wo es eine Tat zu entschuldigen gilt (z. B. die Hinrichtung Enghiens) und die Schlußkatastrophe als eine persönliche Niederlage empfindet.

Napoleons Sturz erfüllt Hazlitt mit Verzweiflung. Während Leigh Hunt seine Descent of Liberty zur Ver- herrlichung der Verbündeten schrieb, saß Hazlitt „an den Wassern Babylons und hing seine Harfe an die Weiden.'' Er wußte, es gebe nur eine Alternative, die Sache der Könige oder die der Menschheit, und die der Mensch- heit schien ihm mit Napoleon gefallen. „Darum wollte ich nichts von Trost hören, als der Mächtige fiel, denn wir,

Oefehiohte der eoffUflchen Bomantik II, 1. 17

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258 Der Uteramche Essay.

die Gdsamtheit der. Menschen, fielen mit ihm, wie der Blitz vom Himmel geschleudert, um zu Kreuze zu kriechen am Grabe der Freiheit, das der Legitimität als Zauntritt dienen soll" (Whether Genius is conscious of its Power).

In On ihe Fear of DeaÜi (Todesfurcht) spricht Hazlitt den Wunsch aus, den Zusammenbruch der Legitimität noch zu erleben. Von Jakobinismus aber ist er so frei wie fast alle englischen Romantiker. Ja, gelegentlich macht er sogar dem König von England als konstitutioneUem Herrscher seine Eeverenz. (On ihe Boyal Character). Für soziale und politische Utopien hat er nichts übrig. Hol- crofts geplanten Freiheitsstaat nennt er ein Hirngespinst und von der menschlichen Natur Höheres erwarten, als was sie gegenwärtig zu leisten vermag, hält er für phantastisch.

Hazlitts Freiheitsglaube hatte nichts Umstürzlerisch- Gewaltsames und nichts Außerweltlich-Ideales, aber er war ihm Herzenssache. Er behauptet einmal, man könne die große Bewegung in Frankreich zu Ende des 18. Jahrhunderts, alles, was sie an Jugend, an Edlem und Erhabenem enthalte, nur mit dem Herzen begreifen. So ist seine eigene Biographie Napoleons mit dem Herzblut geschrieben.

Gleich in der Vorrede verwahrt er sich zwar ent- schieden dagegen, der Beschönigung seines Helden Grund- sätze geopfert zu haben. Allein, wie fem Hazlitts unbe- dingter Wahrheitsliebe auch jede bewußte Entstellung liegt, es läßt sich doch nicht leugnen, daß sein Urteil gelegentlich bestochen ist durch das Auge der Liebe. So z.B. wenn er an Napoleon ein Streben wahrnimmt, der Sitten- verderbnis entgegenzutreten, und wenn er sein persönliches Verhalten gegen Frauen sogar streng und abweisend findet Bei allem Streben nach Unparteilichkeit der Darstellung

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Der literarische Bssay. 250

beispielsweise in der entschiedenen Verwerfung von Napoleons Verhalten gegen Spanien , bei dem besten Willen, jeder Verhimmelnng auszuweichen und ein Rein- waschen, als des Großen unwilrdig, zu yermeiden, spürt man doch überall den warmen persönlichen Athem.

In Napoleons Testament stehen die Worte: „Ich sterbe vorzeitig, von der englischen Oligarchie und ihrem *** (König?) gemordet Das englische Volk wird nicht s&umen, mich zu rächen.'' Es ist als hfttte Hazlitt gewissermaßen dieses Amt auf sich genommen. So, von der Bedeutung seines Werkes erfüllt, sah er gespannt der Veröffentlichung entgegen. Da, als sie unmittelbar bevorstand, erschien Scotts Leben Napoleons, Dem allgemeinen Interesse war nun von vorn- herein die Spitze abgebrochen und der Verleger erklärte, kein Honorar bezahlen zu können. Hazlitt, der trotz seines Fleißes und seiner sparsamen Lebensgewohnheiten nie reich gewesen, hatte an dem Verlust des Erträgnisses einer vielj&hrigen Arbeit schwer zu tragen« Dann kam die Bitternis der öffentlichen Kritik, die den politischen Stand- punkt seines ^Napoleon mit aller Entschiedenheit ablehnte und den über allem Zweifel stehenden Vorzügen der künstlerischen Darstellung die verdiente unbedingte An- erkennung versagte.« Die herrlichen Qualitäten von Haz- litts Stil, die EQarheit und Lebhaftigkeit der Schilderung machen das Leben Napoleons zu einer Lektüre von fast romanhaftem Interesse. Die Wärme des Tones, die überall die Persönlichkeit des Verfassers durchspüren läßt, ohne der historischen Würde Abbruch zu tun, erinnert in gewissem Sinne an Mommsen.

Dennoch haben die Engländer Hazlitt seinen Napoleon- kultus heutigen Tages noch nicht verziehen. Er gehört zu den drei Exzentrizitäten, den drei Unbegreiflichkeiten,

17*

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260 Der UterailKlie Essay.

fiber die sie bei ihm nicht hinwegkommen. Die beiden anderen sind: ein offizielles gegen jede Konvention des guten Geschmackes verstoßendes Liebesverh&ltnis nnd seine Ansicht, daß Pope nicht unter die Dichter ersten Ranges gehöre. In Deutschland dfirfte man vermutlich alle drei nicht als unüberwindliche Hindemisse schrift- stellerischer Popularität einschätzen.

So endet mit dem Life of Napoleon Hazlitts Leben in einem Mißton« Krankheit und Geldnot vergäUten seine letzten Tage.

In einer autobiographischen Skizze aus dem Jahre 1827 sagt er, es läge ihm nichts daran, zu sterben, hätte er gelebt Was ihn verdrieße, sei der gebrochene Glücks- kontrakt, die unvoUzogene Ehe mit der Freude, das für ungiltig erklärte Versprechen auf Lebensgenuß. Hinterließe er ein gehaltvolles Werk, eine liebe Hand, die ihn der Gruft übergäbe, dann wäre er bereit zu scheiden und auf seinen Grabstein zu schreiben: „Dankbar und befriedigt''. Aber er habe zu viel gedacht und zu viel gelitten, um willens zu sein, vergeblich gedacht und gelitten zu haben. 0

Als die Uhr fast abgelaufen war, brachte die Juli- revolution 1830 noch einen Lichtstrahl in die Schatten seines Todes. Er selbst nennt die drei Tage eine Auf- erstehung von den Toten, die davon zeuge, daß die Frei- heit dem Geiste des Lebens innewohne, daß der Haß der Bedrückung die unauslöschliche Flamme sei, der Wurm, der nicht stirbt

Er verschied am 18. September 1830. „Ehre und Friede seinem Angedenken", schrieb Leigh Hunt.*) „War

0 Memoin 11,219.

*) Imagination and Faney 265.

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Der Utenurkche Esmy. 261

er ein gereizter und mitunter eifersüchtiger Mensch, so war er doch ein hervorragender Politiker, ein bewundems- wfirdiger Kritiker. „Glficklich jene'', f&hrt er mit bezug auf Coleridge fort, „deren Naturell ihnen das Becht und die Kraft verlieh, ihm zu vergeben.''

Barry Comwall faßt sein endgiltiges Urteil über Hazlitt in die Worte: „Ich verzweifle an dem Zeitalter, das vergißt, Hazlitt zu lesen. "^

Werke vob William Hazlitt

1805 An Essay on the Prmciples of Human AcUons. Bemg

an Argument in Favaur of the National Dismterested- ness of the Human Mind. To whieh are added: Some BemarJes on the Systems of Hartley and HeJvetius.

1806 Free Thoughts on PubKcÄffairs, or Ädviee to a Patriot.

Edited 1835 hy Ms Bon. 1808 A Bqply to ihe Essay on Population, hy the Bev. T. R Malthus.

An AMdgement of the Light of Nature Fursued, hy

Abraham Tucier, Esq.

The Eloguence of the British Senate, or Sehet Spedmens

from the Sipeeches of the Most Distinguished FarUament- ary Speahers.

1810 A New and Improved Grammar of the EngUsh Tongue. For ihe Use of Schools. In which the Genius of our Speech is especially attended to, and ihe Discoveries of Mr. Home Tooke and oiher Modem Writers on the Formation ofLanguage are for the first Time ineorporated.

1816 Memoirs of Ihe Late Thomas Holcroft Writtm hy him- seif Conünued to the Ti»ne of Ms Death, from his Diary, Notes, and Papers.

>) Autohiographicäl Slcetehes^ 114.

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Der litorazisohe Essay.

1817 The Batmd Table. Ä CollecUon of Essays <m Literature,

Mm, and Manners,

Characters of Shake^eare's Plays.

1818 Lectures on the EngUsh Poets.

1819 Ä Letter to WilUam Gifford, Esq.

Lectures on the EngUsh Comic Writers.

Political Essens, with Sketches of Public Characters.

1820 Lectures on the Dramatic Literature of the Age of

Elieabeth.

1821 Ä View of the EngUsh Stage, or a Series of Dramatic

CriUdsms. 1821—1822 Table Talk, or Original Essays (Nenansgabe People's Library, 1909).

1823 CharacterisUcs. In the Manner of La Bochefoucault's

Maxims,

Liber Ämoris, or The New Pygmalion (Neuausgabe von

Richard Le Oallieiine 1894).

1824 Sketches of the Principal Picture Oälleries in England,

wilh a Criticism on a Marriage ä laMode. 1826 The Spirit of the Age, or Contemporary Portraits.

Elegant Extracts in Prose and Verse from the EngUsh

Poets, Uving and dead. 1826 Notes of a Joumey through France and Itäly.

The Plam Speaker. Opinions on Books, Men, and Things. 1830 The Life of Napoleon Bonc^arte.

The Life of TiUan, by James Northcote.

The Conversations of James Northcote. Neaausgabe mit

einem Essay on HagUtt toh Edmimd Gosse, 1894. 1836 Literary Bemains of the Laie WilUam HaeUtt With a

Notice of his Life by hds Son, and Thoughts on his

Genius and WriUngs by E. Lytton Bukoer and Mr.

Sergeant Talfourd. 1839 Sketches and Essens by WilUam HafsUtt Now first

collected by his Son. 1843 Criticisms on Art, and SketcJies of the Picture Oälleries

of England. By William HazUtt. Now first coUected.

Edited by his Son.

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Der literarische Essay. 263

1850 Wintenlaw. Essays and Oharaeters toritten ihere, Edited

hy his 8on. 1864 The Miscellaneous Works of William Haeliit 1873 Essays <m ^ Ftne Arts. A Catalogue BaisonfU of the

British Instiiution, etc. Edited by W. C. Eaelitt, 1902 CoUected Works. Edited hy A.B. Waller S Arnold Glover.

Wiih an Iniroäuction by W. E. Henley.

Werke über Haziitt.

185d George Oilfillan, Qällery of Literary Portraits. Thomas De Qnincey, Notes on GilfiUans Literary Fortraits (Works, Bd. XI). 1867 William Garew Hazlitt, Memoks of WüUam HaisUti Wiih Portions of his Correspondence,

1889 Alexander Ireland, William HatiUtt, Essayist and

CriUc.

1890 George Saintsbury, Essays in English Literature. 1897 William Carew Hazlitt, Four GeneraUons of a Literay

Family. 1900 William Carew Hazlitt, Lamb and HagUtt. Further

Letters and Becords, 1902 Angnstine Birell, William HaeUtt (English Men of

Letters Series). 1906 Jules Douady, Liste Chronohgique des (Ewvres de

William HaeUtt.

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Thomas Oriffiths Wainewright. 1794—1852.

„Von seinen Taten im Bereiche des Giftes abgesehen'', sagt Oscar Wilde von Wainewright, „rechtfertigt das, was er hinterlassen, kanm seinen Bnf^)^. Und das, was er hinterlassen, erfährt noch eine wesentliche Einschränkung durch den Umstand, daß vermutlich nur ein Bruchteil davon gesammelt und als Wainewrights Eigentum bestimmt ist Allein dieses Wenige ist von so ausgeprägter Eigenart und enthält so vielfach die Keime der charakteristischen Eigen- schaften grOßererNachgeborener, daßWainewright schlechter- dings in einer Darstellung des Londoner Kreises im er9ten Drittel des 19. Jahrhunderts, in den ihn alles von seiner lite- rarischen Tätigkeit Erhaltene einreiht, nicht fehlen darl

Seine Abstammung bringt ihn in eine gewisse Be- ziehung zu Goldsmith. Dr. Balph Grifflths, der 1749 die Monfhly Review gründete und als der nicht allzu weich- herzige Verleger des jungen Gk)ldsmith in dessen Leben eine EoUe spielt, war Wainewrights Großvater. Von ihm empfing Thomas Griffiths Wainewright (geboren im Oktober 1794) den Namen. In seinem schönen, stattlichen Landhause Linden House in Tumham Green wuchs er auf. Die Mutter war, einundzwanzigjährig, bei seiner Geburt gestorben. 1803 verlor der Knabe auch den Vater, Thomas Waine-

*) Pen, Pencü, and Poison, 67.

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Der literarische Essay. 265

wright^ der einer Familie von Geistlichen and Juristen angehört hatte. Aber dessen eigenen Beruf aber nichts ver- lautet^ 0 luid in demselben Jahre den Großvater Griffiths. Der Besitz von Linden House ging an einen Oheim des neunjährigen Thomas über.

Der Ejiabe besuchte in Hammersmith die Schule des durch Balph Griffiths' zweite Frau mit der Familie ver- wandten Charles Bumey. Sein hervorragendes Zeichen- talent schien, von den schöngeistigen Anregungen, unter denen er heranwuchs, gefördert, seine Lebensbahn vor- zuschreiben. Da packte den kaum zum Jüngling Er- blühten plötzlich eine Grille: er ging zum Militär. Darf man seiner Joumalistenfeder Glauben schenken, so enthält der Au&atz Jixmea Weafherbound, or The Weaihercock steadfast for Lack of Oüj a Grave JEpisÜe (Jakob Wetter- gefesselt oder Der aus Ölmangel unbewegliche Wetter- hahn), London Magazine, Januar 1823, biographische Erinnerungen. Wainewright erzählt, sein6 Oberflächlich- keit hätte ihn verhindert, aus dem literarischen Verkehr, den er in den Enabenjahren genoß, entsprechenden Vor- teil zu ziehen, unüberlegt habe er trotz seiner Emp- Ang^ichkeit für die Malerei den Griffel mit dem Schwerte vertauscht. „Die lärmende Verwegenheit der Soldaten- reden, verbunden mit dem duftenden Dunste des Whisky- punsches — allabendlich zehn Becher verdunkelten meine Erinnerungen an Michel Angelo. Nach einer Weile bestimmten mich einige äußerlich geringfügige Vorkomm- nisse, dieser Art, Zeit und Menschlichkeit zu töten, wieder zu entsagen. Die Kunst übte ihren läuternden Einfluß. Wordsworth's Schriften trugen bei, die durch solche innere

») VgL W. C. HaaUtt, XIV.

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266 Der literarische Essay.

Wandlung hervorgebrachten Wirbel der Verworrenheit zu beschwichtigen. Ich weinte Tränen der Freude und Dankbarkeit. Zwar wurde hierdurch meine ange- borene Ungeduld, mein Ingrimm, wie ich es nennen kann, nicht völlig gebändigt, sondern eher verstärkt, aber auf wichtigere Zwecke gelenkt: gegen die Niedrigkeit, schmutzige Weltlichkeit, Härte und Gemeinheit, in was immer für einem Bange sie erwuchsen.'' Seine hoch- gestimmte Jugendbegeisterung fOr ein edles Lebensziel faßt Wainewright selbst in ein Zitat aus John Woodvü zusammen: „wahre Dinge sehen, hören, schreiben''.

„Allein, dieser gehobene Gemütszustand ging wie ein Tongefäß in Trümmer durch plötzliche Krankheit. Ihr folgte eine Muskel- und Nervenerschlaffung, die mich völlig nieder- drückte: Hypochondriel Ewig schaudernd am furchtbaren Abgrunde des Wahnsinns! Aber zwei vorzügliche Heilmittel halfen: ein geschickter Arzt und eine unermüdliche junge Pflegerin von Hebevoller Zartheit". Sie zogen ihn, „fast er- schöpft vom Kampfe, aus den schwarzen Wassern". Ein fester Beruf war ihm nun verschlossen, Zerstreuung hingegen notwendig. Aus Mitleid mit seinem Zustande forderte ihn John Scott, der Herausgeber des neugegründeten London Magazine^ auf, die Gefühle, die er über Michel Angelo, Rafael, Bembrandt geäußert, zu Papier zu bringen. Der Vorschlag dünkte Wainewright erst lächerlich, allein er machte den Versuch. Die Beschäftigung behagte ihm und der Aufsatz fand Beifall. Scott verlangte mehr und „Elia, der launige, scharfsinnige, der reichlich Spaßspendende, Elia und Mr. Drama (Hazlitt) sprachen schmeichelhaft von Janus". Janus Weathercock, C!omelius van Vinkboom, Egomet Bonmot das waren (die bisher ausgefundenen) mit witziger Selbsterkenntnis gewählten Decknamen, unter

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Der literarische Eflsay. 267

draen Wainewright in den Jahren 1820—1823 für das London Magaaine schrieb. Vielleicht waren ihrer auch mehr. Vielleicht schrieb er anch ^ andere Blätter. Er selbst spricht von Beiträgen fOr Olliers Literary Pocheibook 1819) in Blackwoods Magazine (gegründet 1818), in der Forügn Quarterly Review (gegründet 1828), die jedoch bishei* nicht nachgewiesen worden sind. Da indes eine 80 geringe Fmchtbarkeit, wie sie Wainewrights beglaubigte Schriften ergäben, in keinem Verhältnis zu seiner zweifellos starken Begabung stünde, spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß uns nur Bruchstücke seiner Tätigkeit überliefert sind.^)

Die Mitarbeit€rschaft am London Mdgcusine brachte ihn mit den Londoner Essayisten in persönlichen Verkehr, mit Hazlitt, De Quincey, Barry Comwall, Blake und Lamb. Zumal der Letztere fand an ihm Gefallen. Er spricht von dem heiteren, leichtgemuten Wainewright und seiner vorzüglichen Prosa. Janus mochte damals tatsächlich das liebenswürdige, freundliche Geschöpf sein, für das Lamb ihn nahm. Die dunkeln Möglichkeiten, die schwierige Lebenslagen später in ihm zu grausigen Tatsachen ent- wickelt haben, schlummerten noch verhüllt in seinem Gemfite.^) Er zeigte die lebhafteste Empfänglichkeit für den Wert seiner berühmten Kameraden, rühmt Hazlitts Gabe, den Leser „geschickt durch ein Nadelöhr hindurch- zuzwängen ^, und gibt Barry Comwall, „dem milden, geschmackvollen, dem Bruder Dilettanten, dem Dichter der

1) Vgl. Hazlitti XXTL Dun zugeschriebene Artikel des London Magagme sind: The Memoir of a Sypoehondriac (September nnd Oktober 1820); Letters from a EouS (April bis Joni 1821); On Biding on Horaebackf gezeichnet Mazeppa (Januar bis März 1821).

^ VgL DobeU, 28.

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268 Der literarische EBsajr.

Frauen und honigsfißen Sänger der Schönheit und ihrer Mutter Nacht,'' sein vollgerüttelt Maß Bewunderung. Allen voran in Wainewright||9 Wertschätzung aber schreitet Elia. ,9 Was könnte ich mehr von dir sagen,** ruft er aus, „als was alle wissen? Daß du die Lustigkeit eines Knaben und das Wissen eines Mannes besaßest; ein so sanftes Herz als jemals Tränen ins Auge strömen ließ. Manchmal glitt dir wohl die schwarze Galle über die Zungenspitze dann spucktest du sie aus und sahst, nachdem du dich ihrer entledigt, nur desto sanfter drein.'' Er preist Lambs witzige Art, „eine Meinung mißzuverstehen und das Miß* Verständnis in einen aufs passendste unpassenden Ausdruck zu fassen." Er rahmt seine Sprache, die ohne Affektation gedrungen war wie die seiner geliebten Elisabethaner. Er vergleicht seine Sätze Goldkömem, die sich in Blätter breit- schlagen lassen. Dennoch ist er nicht blind gegen Fehler. Lambs Abneigung gegen die deutsche Literatur, „von deren Sprache er vermutlich vollkommen unber&hrt geblieben", bezeichnet er unumwunden als Perversität. Lambs plötz- lichen Tod will er vorausgesehen haben. Nach einer Abend- gesellschaft begleitete er ihn in den ersten Morgenstunden heim. Lamb rauchte noch eine Pfeife und äußerte wieder- holt Todesahnungen „nicht düster, sondern als handelte es sich um ein Zurückziehen vom Geschäft, um eine an- genehme Reise nach einem sonnigeren Himmelsstriche. Die heitere Feierlichkeit seiner Stimme überwältigte mich. Die Tränen entströmten ihrem Urquell. Ich wollte über mich und über ihn scherzen, aber der Hals war mir zugeschnürt, Eührung schnitt mir das Wort ab. Seine Pfeife war aus- gegangen. Er hielt sie an die Eerzenflamme, aber ver- geblich. Sie war leer! Er war zerstreut Er lächelte sanft und klopfte die Asche aus. ,So still', sagte er,

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Der Utemrische Essay. 269

,mOge der Funke meines Geistes sich ans seinem GefäB Ton Asche nnd Ton stehlenl'

Ich ffihlte mich bedrBckt, mancherlei hatte in letzter Zeit beigetragen, meinen einst elastischen Geist zu brechen und zn entmutigen. Ich erhob mich, um zu gehen. Er schflttelte mii* die Hand und keiner yon uns sprach ein Wort. Damit ging ich meines Weges und sah ihn nicht wieder!

Wieviel ging dieser elenden Welt verloren, die ihn nicht erkannte, da sie ihn besaß. Ich kannte ihn, ich, der ich zurückblieb, ihn zu beweinen. Eheu! Eliam! Yalel^^

In seinem äußeren Gehaben gefiel Wainewright sich im Zurschautragen einer absoluten Geckenhaftigkeit. „Wie Disraeli", sagt Wilde und könnte hinzufügen: wie ich selbst „beschloß Wainewright, die Stadt als Dandy zu verblüffen. Seine Binge, seine Eamee-Schlipsnadel, seine zitronengelben Handschuhe erschienen Hazlitt das Wahr- zeichen einer neuen Richtung der Literatur. Sein gelocktes Haar, seine schönen Augen, seine herrliche weiße Hand gaben ihm einen gefährlichen und entzuckendenVorzug vor andem."^) Auf seinem pr&chtigen Pferde Contributor glänzte er als eleganter Heiter. Doch ließ er es bei diesen äußerlichen Vorzügen nicht bewenden. Seine Liebenswürdigkeit gewann ihm die Herzen und seine vielseitige Genialität interessierte die Geister.

Wainewrights schriftstellerische Betätigung verdrängte die künstlerische nicht Er malte und stellte aus. Wir wissen daß William Blake ein Bild Wainewrights in der Boyal Academy bewunderte.

0 Jörnen WeaÜnerh&md, or The Weaihercock Steadfaat far Lack

ofoa.

*) Fe% Peneü, and Patsonj 67.

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270 Der HterariBche Essay.

Seine ganze Persönlichkeit stand im Zeichen eines ausgesprochenen Ästhetentnms. Sein zwanglos elegantes Wesen, seine angenehme, mitunter glänzende Konversation machte ihn zum gesuchten Gesellschafter. Er war eine sinnliche Natur und dem Opiumgenuß ergeben beides nicht in verletzend ausschweifendem Übermaß, 0 ^^ gerade genug, um seinen steten Hang zu reicher Genußsucht in ihm lebendig zu erhalten. Er wollte jederzeit von Schönheit umgeben sein. Die Notdurft des Lebens sollte verschwinden hinter dem Glänze der Kunst und des Luxus. Diese Leiden- schaft, zu deren Befriedigung ihm die Mittel fehlten, mag es gewesen sein, die Wainewright zum Verbrechen f fthrte. Erst griff er zur Fälschung, dann zum Giftmord. 1824 behob er kraft eines selbst verfertigten Dokumentes aus der Bank von England ein Kapital von etwa £ 5000, von dem ihm laut der letztwilligen Verfügung seines Großvaters Griffiths nur der Zinsengenuß zukam. Zwölf Jahre lang blieb der Betrug, auf dem damals die Todesstrafe stand, unentdeckt Waine- wright schmückte sein Haus mit schönen Bildern und Majo- liken und gab köstliche kleine Symposien.') Aber der Vorrat ging zur Neige. Wainewright hatte sich mit einem Mädchen von einnehmendem Äußern doch ohne Vermögen, Frances Ward, verheiratet Er brauchte Geld. 1828 nahm sein Oheim George Edward Griffiths, der Besitzer von Linden House, das junge Paar bei sich auf. 1829 setzte sein auffallend plötzlicher Tod Wainewright in den Besitz seiner beträcht- lichen Hinterlassenschaft Die Trauer um den teuren An- verwandten wurde durch die Geburt eines Söhnchens ab- gelenkt Auch erfuhr der Hausstand einen Zuwachs durch

») Hazlitt, LXXrV. «) Hazütt, LXn.

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Der Hteraxische Essay. 271

Mrs. Wainewrights Matter, Mrs. Abercromby, und deren beide junge Töchter. Aber wenige Monate nachher starb auch Mrs. Abercromby (1830) unter Vergiftungssymptomen, die man damals freilich nicht als solche erkannte. Der Haushalt in Linden House gestaltete sich nun so prächtig, daß bereits Ende desselben Jahres der drohende Bankerott die Über- siedlung in die Stadt notwendig machte. Es mußte Geld geschafft werden Da erkrankte die ältere der beiden Schwägerinnen, die 21jährige Helen Abercromby, ein blähendes, kräftiges Mädchen, unter den gleichen Anzeichen wie ihre Matter. Der Hausarzt hielt sie nicht für be- denklich, aber als Wainewright mit seiner Gattin von einem kleinen Spaziergange heimkam, zu dem er sie angeregt hatte, war Helen tot Acht Tage vorher hatte das junge Mädchen ihren letzten Willen aufgesetzt^ der ihren Schwager zum Testamentvollstrecker und ihre Schwester zur Erbin einer Lebensversicherung von £ 18000 einsetzte. Der vorsorgliche Wainewright hatte sie im Herbst bei ver- schiedenen Gesellschaften für diese Summe eingekauft.

Die Gesellschaften verweigerten indes die Auszahlung ohne vorhergehende Untersuchung des Falles. Das verdacht- erregende Moment war nicht der Tod des Mädchens, sondern das inkorrekte Vorgehen bei der Erlangung der Policen. Wainewright hatte den Mut, einen Prozeß gegen die Versicherungsgesellschaften anzustrengen. Während die Vorbereitungen im Gange waren, begleitete er einen Bekannten, in dessen Tochter er verliebt war, nach Boulogne. Seine Gattin trennte sich in jener Zeit auf immer von ihm.

Auch diesen Freund veranlaßte Wainewright, sein Leben beim „Pelikan^ für Si 8000 zu versichern. Und auch dieser wfirdige und gesunde Mann erkrankte jählings und erlag

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272 Der literarische Essay

einem Erampfanfall. Wainewright trat eine Beise in die Bretagne an nnd blieb in St Omer, w&hrend sein Londoner Prozeß resnltatlos und l&ssig verschleppt ward.

Bei einem Aufenthalte in Paris wurde es ruchbar, daß der elegante fremde Herr in einem seiner prächtigen Ringe stets eine Quantität Strychnin mit sich fahrte. EinStäubchen davon war in den Tee des guten Onkels in Linden House, der Schwiegermutter, der Schwägerin, des Freundes in Boulogne gefallen. Dieser letzte Mord, der Wainewright keinen Vorteil brachte, war ein Bacheakt an der Ver- sicherungsgesellschaft, die, wie die andern, Stellung gegen ihn genommen hatte. Wainewright, der unter fremdem Namen reiste, mußte seine Papiere ausliefern, darunter das Tagebuch, in das er eingehend und gewissenhaft seine Gift- manipulationen eingetragen hatte. <) Nach einer sechs- monatlichen Untersuchungshaft glttckte es ihm, wieder frei zu werden. Allein noch einmal ward ihm der Lebensgenuß, das Aufgehen im Augenblick, unbekfimmert um Vergangen- heit und Zukunft, zum Verhängnis. Einer Frau nachreisend, wagte er sich 1837 nach London, wurde erkannt und durch eine sonderbare Ironie des Schicksals nicht seiner Giftmorde, sondern seiner Fälschung wegen, festgenommen. In New- gate sah ihn 1839, auf einer mit Macready unternommenen Wanderung durch die Londoner Gefängnisse, Dickens* Biograph John Forster. Erschreckt durch Macreadys tragischen Ausruf: „Mein Gott, das ist ja WainewrightP blieb er stehen. Sein Gefährte hatte „in einem Geschöpf von schäbiger Eleganz, mit staubfarbenem, ungeordnetem Haar und schmutzigem Schnurbart, das sich bei unserem Eintritt mit einem herausfordernden Blick rasch umwandte

0 HazUtt, LXX.

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Der Utenriflohe Haany. 2lZ

nnd, gemein nnd grhnmig zugleich, der feigen Mordtaten, die es verabt, dnrchans ffthig schien, zu seinem Entsetzen einen Mann erkannt, mit dem er in früheren Jahren intim verkehrt^ an dessen Tisch er gegessen.^ 0

Wainewright blieb bei der Behanptnng, sein Ver- brechen sei nichts anderes als eine mißglttckte Spekulation. Er pochte mit Genugtuung darauf daS es ihm gelungen sei, den festen Entschluß, zeitlebens die Stellung eines Gentle- man zn behaupten, bis zuletzt durchzufahren. Er mflsse nunmehr so erz&hlte er einst einem Besucher die Zelle mit wkem StraSenkehrer und einem Ziegeidecker teilen. Alle drei hätten sie der Reihe nach zu fegen. Aber keiner seiner Mithftftlinge habe es noch gewagt, ihm den Besen in die Hand zu drflcken.

Wainewright wurde zur Deportation nach Van Diemensland verurteilt Für emen Mann seiner Kultur und seines ftberfeinerten sozialen Geschmackes kam die Ver- bannung in „die moralische Gruft'', wie er es nennt, dem Todesurteil gleich. Was er zu tiefist empfand, war dennoch nicht die moralische sondern die soziale Degradation. Auf der Seereise klagte er darüber, daß er, der Genosse von Dichtem und EftnsÜem, nun zum Umgange mit Bauem- tSlpeln gezwungen seL>)

1844 suchte er um seine Enthaftung an mit der Be- gründung, daß ihn Ideen quUten, die nach künstlerischer Gestaltung und Verwirklichung drängten; daß ihm jeder Fort- schritt im Wissen unmöglich gemacht sei und daß er selbst jedes anständigen Gespräches entbehren müssa Das Gesuch wurde abgeschlagen. Wainewright war in Van Diemensland

>) Life of Dickens 1, 229. «) IWonrd U, 28. Gcselüchte der enarliiehen Bomantik ü, 1. 18

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274 Der literazifldhe Bsaay.

derselbe geblieben, der er in Eoropa gewesen, dem Gifte, der Kunst und dem Opium treu. Zwei miBglflckte Mord- versuche sind aus der Zeit seines Exils bekannt geworden. 0 Er richtete sich in Hobart Town ein Atelier ein und malte Porträts. Sein Benehmen, zumal gegen weibliche Modelle, war roh und zynisch. So starb er, verachtet und gemieden, in völliger Vereinsamung 1852. Sein einziger Gefährte war sein Lieblingstier, eine Katze.

Wem erschiene dieser Lebenslauf nicht als vorbedeutend für den Oscar Wildes? Wer sähe nicht die Übereinstimmungen in Wainewrights Wesen mit dem Baudelaires und Gautiers? Er repräsentiert eine geschlossene Persönlichkeit die, ob- zwar ihr die Züge des unverbesserlichen Verbrechers auf« gedrftckt sind, doch in dem unzertrennlichen Ineinander- fließen von Kunst und Leben, Phantasie und Wirklichkeit, in dem Drange nach schrankenlosem Ausleben tjrpisch vor- bildlich ist fftr eine Hauptrichtung modemer Kunst- und Weltanschauung. „Seine Essays bilden vor, was seitdem verwirklicht worden ist^, sagt der dazu Berufenste, Wilde. F&r die Literatur ist Wainewright interessant als einer der frühsten jener Kunstmenschen, die ihr Gedicht nicht schreiben, sondern leben wollen; die den Stil und die Linie im Leben für ebenso wesentlich und unentbehrlich halten yne im Kunstwerk, weil sie das Leben selbst fflr das erste und wichtigste aller Kunstwerke halten, ftlr das sie demgemäß auch den ganzen rücksichtslosen Egoismus des Künstlers aufbringen. Dadurch entsteht bei ihnen dem Dasein gegen- über eine Art VArt'pour-Vart-Stsxiipxmkt: Leben um des Lebens willen. Sie berauschen sich an einer gefährlichen Jenseits von Gut und Böse- Stimmung, in der nur die

>) HasUtt LXXIV.

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Der literarische Bssay. 275

laaterste Natnr vor dem Sechtsprach der Sittlichkeit bestünde. Sie bekennen sich zn einem Fanatismas des ästhetischen Geschmackes, dessen instinktive Empfindung, znm obersten Eriterinm erhoben, bei ihnen die Stelle der Moral vertritt, w&hrend beide gleichwohl nnr in erlesenen Aasnahmenaturen zusammenfallen. Es scheint bedeutungs- voll, daß die von Wainewright gemalten Portrftts sftmmtlich einen verbrecherischen Zug aufweisen sollen. 0

Das Überwuchern eines spielerischen Triebes, der in besonders gl&cklichen Fällen zu höchster künstlerischer Freiheit f&hren kann, wirkt bei Wainewright nur abträglich. Es berfihrt als eine Art von Schicksalsvergeltung, daß der Mangel an sittlichem und folglich an kflnstlerischem Ernst in den Schriften Wainewrights, des Überfeinerten, des Stil* fanatikers, einen empfindlichen Stilmangel erzeugt, der sein Werk vielfach bis zur Vulgarität erniedrigt. Stets hält dieser Mangel die Entwicklung seiner Fähigkeiten bis zu ihren letzten Möglichkeiten hintan. Sein Werk artet fast immer ins Form- und Geschmacklose aus. Er ist bei all seiner litera- rischen Hyperkultur nicht imstande, ein Ganzes zu schaffen.

Das Streben nach eleganter Nachlässigkeit, die Absicht, absichtslos zu scheinen, kurz das gefiissentliche Zurschau-

>) Vgl. Forster IV, 102: Dickens sah im Februar 1847 ein kleines Udehenportrftt in öl, ein Werk des Mörders Wainewright, der znr Deportation yemrteilt war. Lady Blessington hatte es tags zuvor von ihrem Bruder, Major Power, der eine militärische Stellang in Hobart Town bekleidete, erhalten. Wainewright hatte es fertig gebracht, dem Poztiftt des hübschen, guten Mädchens den Ausdruck seiner eigenen Schlechtigkeit zu geben. Der Major, der damals von der Vorgeschichte des Mannes nichts wufite, hatte ihm aus einer Art Barmherzigkeit mit dem BUde Beschäftigung gegeben. Was Beynolds vom Porträtmalen sagte, um den häufigen Mangel an Feinheit zu erklären: daß ein Mensch nur in das Bild legen könne, was er in sich selbst habe, das erhellt ans diesem Ereignis.

18*

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276 Der UtenriBche Essay.

tragen eines gewollten Dilettantisrnns, bei dem alles der eigenen Laune oder dem Zufall ttberlassen bleibt, der seine Genialit&t vielfach tiberschätzt und als Ziel den Triumph der Exzentrizit&t^ der Paradoxie, der geistreichen Absurdit&t verfolgt all das gestaltet die Lektttre Walnewrights fflr den modernen Leser des 5ftem peinlich.

Als Kunstkritiker des London Magasnne verkfindet er vor allem, er habe mit dem Herausgeber einen Vertrag geschlossen, so tief oder so oberflftchlich, so ernst oder so komisch, so persönlich oder so unpersönlich, so allgemein oder so detailliert sein zu dfirfen, als ihm beliebe. Solange er kein Unheil anstifte, müsse man ihn in seiner launen- haften, doch, wie er sich schmeichle, schneidigen, kavalier- mftßigen Art fortgaloppieren lassen (Nr. n, Mftrz 1820).

Den weitaus größten Baum sdner Eunstbesprechungen füllen die Einleitung und allerlei Abschweifungen vom Thema. Um nur nicht in den Verdacht pedantischer Fachsimpelei zu kommen, wird er oberflächlich und banal, obzwar so manches seiner urteile beweist, daß es ihm keineswegs an Kunst- verständnis fehlte. Gilt es die Besprechung eines eineinen Werkes, so geht &ber dem Verlangen, vdtzig und amüsant zu sein, die Kritik verloren. Ab und zu läuft der ganze Artikel wohl gar auf eine buchhändlerische Beklame hinaus, wie der &ber die Faustbilder von Betzsch {Sentmentalities on (he Fine Arts by James Weathercock I, Februar 1820). Nicht etwa, als ob Walnewright die Wfirde des Kritiker- berufes nicht zum Bewußtsein käme. Er definiert Kritik als die urwüchsige Darlegung des Eindruckes, den ein ge- gebener Gegenstand auf ein geschmackvolles, von Ver- irrungen und Vorurteilen gewissenhaft gereinigtes Gemflt hervorbringe Dieses Ideal völlig zu erreichen, mache jedoch der fortwährende und unvermeidlicheKontakt mit den Sinnen

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Der Uteraiisdie Essay. 277

unmöglich, welche die primären Ursachen alles Vorurteils nnd Irrtums sind. Geschmack haben und sich ein urteil bilden, dünkt ihm in Dingen der Poesie und Malerei gleich* bedeutend. Denn, entspringt der Geschmack der Erfahrung und dem ernsten Nachdenken was Wainewright ftlr un- vdderlegbar hält worin unterscheidet er sich vom Urteil?

Echte Kritik verwirft jede mechanische Hilfe. Der Kritiker mufi einen klaren Blick offenbaren, eine Fähigkeit, die hohen Mysterien zu durchdringen, spricht er tlber Form und Gestalt der Dinge, die sonst keiner und mit keiner Patentlampe zu sehen vermag. Man fordert von ihm den Beweis vorhergegangener Erwägungen über die Natur seiner Kunst'

So ist Wainewright sich &ber die Tragweite dessen be- wußt^ was der Kritiker vermag. Er kann den verschmähten Genius vor dem Schicksal eines Kirke White und dem „jenes leuchtenden Meteors John Keats^ bewahren. Tadel ist ihm eine abscheuliche Angabe, ein doppelter Fluch ffir den Ausgefundenen und den Finder. Wo er ihn flben muß, mSchte er nicht entmutigen, sondern den Künstler auf sicherer Fährte zum Tempel des Buhmes geleiten. „Ob- zwar ich als Bichter häufig verurteilen muß^, sagt er, „blutet mir doch oft das Herz, während ich das Urteil ausspreche. Der Httgel des Buhmes ist steil und sein Pfad holperig. Wehe dem Elenden, der überflfissigerweise das Kind des Genius belastete bei seinem mühsamen Aufstieg!'' Wainewrights kritischer Scharfblick wird zum Spürsinn, wo es die Witterung von Talenten gilt^ die, von der Gegen- wart nicht gekannt oder verkannt, der Zukunft angehören. Und auch der Mut des selbständigen Urteils gebricht ihm nicht, wenn er sich mit seinem Ausspruch gegen die herrschende Strömung stellt. Obgleich er selbst von dieser

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278 Der litenmehe Esny.

SO weit getragen wird, daB er Fuseli „den Gott seiner An- betung" nennt, hat er ein Auge für Blakes Genie und bemüht sich in einem Aufsatze fiber Illustrationswerke auf seine Art, f &r Jerusalem Interesse zu erregen. Ebenda be- zeichnet er Turner als den einzigen lebenden Landschafter von echtem Gtenie. (Mr. Weathercoel^s Private Corre^ondence. Intended for the Public Eyej September 1820). Im ersten Kapitel der Delicate Intricacies (Juli 1822) zitiert Waine- wright zweimal The Sensitive Plant (Shelley war in diesem Monat gestorben). In einer Anmerkung nennt er The Sensitive Plant „ein Gedicht, Tom Wesen der Liebe eingegeben, vom Hauch der Liebe gebildet, nicht von dem Cnpido der ausschweifenden KOmer, sondern dem himm- lischen Eros des Plato. Glaubt nicht, daS ich, weil ich den hohen Verdiensten von Shelleys Poesie gerecht zu werden trachte, seine visionäre und chaotische Philosophie (wie sie fälschlich benannt wird) billige, obzwar ich auch in diesem Punkte überzeugt bin, daß er gröblich verleumdet worden ist"

Auf völlig präraffaelischem Standpunkt erscheint Waine- wright, wenn er die altfranzösischen Dichter und Petrarca zum Studium anempfiehlt, wobei er noch besonders die Deutschen heranzieht (Letter from Janus Wealhercockj Mai 1822) und das Bedürfnis der Zeit dahin deutet, durch die Hand des Genius vom Geschmack an den sogenannten niederen Gattungen abgelenkt zu werden. „Wir brauchen mehr Macca- roni und Champagner, weniger Boxerei und Bindfleisch.'' In einem Leitfaden für den Eunstsammler dringt er mit Be- geisterung auf das Studium der Antike. „Ergib dich ihrem Einfluß wie ein Kind seinen Eltern^, sagt er. „Laß sie dir wieder Gottheit sein; streife jeden erbärmlichen Zweifel an ihrer überirdischen Vollkommenheit ab; zittere davor, ihren

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Der Utenriache Essay. 279

himmlischen Glanz zu schmähen, auf daß da nicht in die Hölle Egbert Hemskerks geworfen werdest, allwo nichts ist denn das Oesichterschneiden plappernder Affen.^ {The Academy of Taste for Groton GenÜemen, or The Infant Connoüsewr^s Go-Cart Akademie des Geschmackes für er- wachsene Herren oder des jungen Amateurs Gehschale, London Magoisinej November 1822.)

Klare Einsicht bewahrt Wainewright vor SelbstUber- hebnng. In Beasona agamst Writing an Account of (he JExhibition (Gr&nde gegen die Abfassung eines Berichtes ftber die Ausstellung) erkl&rt er, wer Ansprach auf strenge Unparteilichkeit erhebe, sei ein Betrflger oder ein Be- trogener.

Trotzdem ihm solcherart keineswegs der kritische Ernst fehlt, ist er doch nichts weniger als gewillt, ihm die fahrende Stimme zu aberlassen. Besessen von der Sucht, amfisant und zu diesem Zwecke frivol zu erscheinen, will er um jeden Preis dem Verdacht aus dem Wege gehen, daß er etwas ernst nehmen könnte. So schlägt er bei allem richtigen Gefühl für das Wesen der Kritik gerade diesem doch häufig ins Gesicht. Sein Hauptstreben richtet sich dahin, der pedantischen und platten Konvention der Zeitungs- artikel durch leichte, elegante Anmut und ein apartes, genialisches Gehaben die Spitze zu bieten. Er wagt es nicht, dem Publikum seine Urteile unmittelbar als solche za bieten. Sie werden als Beiwerk eines Geplauders fiber dies und jenes eingeflochten oder unter mehr oder minder novellistischen Einkleidungen verhüllt In diesen erhebt Wainewright sich mitunter zu Milieuschilderungen, die Stimmungskunstwerke sind und das TretQichste bilden, was er überhaupt geleistet hat. Er nimmt hierin die Kunst der besten Modernen vorweg. Man vergleiche

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280 Der Utenrische Essay.

z. B. die Einleitung zu Nr. 2 der Sentmentalities. Waine- wright speifit bei George. Er hUt ein Gläschen Danziger vor die Flamme der Wachskerze and beobachtet mit Kennerblick die Zahl der GoldteUchen^ die, wie mit Leben begabt, in der öligen, süßen Flflssigkeit schwimmen oder bebend darin untersinken und yne Goldfische im Whangho oder Gelben Flusse glftnzen. Da erinnert er sich seines noch ungeschriebenen Beitrages für die nächste Nummer des London Magaeine und begibt sich nach Hanse. Mit umständlichem Behagen wird nun geschildert, vm er den schneidig knapp in die Taille schließenden Bock gegen einen baumwollenen Schlafrock mit rosenfarbenen Bändern vertauscht, wie er die elegant vei^ldete französische Lampe mit dem blumenbemalten Glassturz anzündet, die Nummer neun des Portfolio hervorzieht und sich bequem auf dem griechischen Buhebett niederläßt. Er streichelt die schild- krötenf arbene Lieblingskatze in ein melodisches Schnurren und, nachdem seine Muse oder seine Magd ein gut- mütiges Mädchen von venezianischen Formen, eine Original- flasche so köstlichea Montepuldanos auf den Tisch gestellt, wie sie nur je aus dem schönen Italien herübergereist, und leise aber fest die mit vergoldetem Lederbesatz luftdicht gesicherte Tür geschlossen, gönnt er sich zunächst im großen Eaminspiegel an der gegenüberliegenden Wand die Betrachtung seiner eleganten Erscheinung reglos. Nur daß seine Linke instinktiv ein geschliffenes Glas mit dem vor ihm st^ehenden Weine füllt, während die Rechte auf dem Kopf der Katze ruht „Es war ein Anblick, der all unsere Galle in Blut verwandelte! Stelle dir, behaglicher Leser, vor: Imprimis, ein gut geformtes Zimmer. Item einen lustigen mit Blumenguirlanden bedeckten Brüsseler Teppich. Item einen schönen Originalabguß der Venus

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Der literarische Essay. 281

von Medid. Item einige erlesene Bncher in noch er- lesenerem französischen Maroqoineinband mit moiräe- seidenem Futter. Item noch einige Bände, mit Ein- binden versehen durch die Kunst Boger Paynes und „unseres Charles Lems!*^ Item ein Klavier von Tomkisson. Item ein Damaszeners&beL Item eine Katze. Item ein großer Neufundlftnder, gut Freund mit der Katze. Item einige Treibhauspflanzen auf einer weißen Marmor- platte. Item ein köstliches, schmelzendes Liebesbild von Fnseli und schließlich zuletzt, doch nicht der letzte in unserer zärtlichen Liebe: wir, ich selbst, Janus! Alles und jedes in dem Correggio-Lichte gesehen, welches das gemalte Glas der Lampe gewissermaßen ausatmetül Beruhigt durch die freundliche Art der Selbst- befriedigung, die so notwendig ist zur Verkörperung jener entzftckend flppigen, von schmachtender Sehnsucht parfü- mierten Ideen, welche gelegentlich wie duftige Wolken Aber dem Hirn des Kaltblfitigsten wogen, strecken wir die Hand aus nach der am Stuhle neben dem Sofa lehnenden Mappe und greifen auf gut Glück Lancrets reizende ItdUemsche Nacht heraus."

Hier geht Wainewright nun zu einer in den nämlichen Farben gehaltenen Schilderung dieses Gemäldes oder richtiger zu einer Wiedei*gabe seines Stimmungsgehaltes über. Die ganze Einleitung hat nichts anderes bezweckt, als die Empfänglichkeit^ des Lesers durch eine Vorbereitung seiner Stimmung zu wecken. Nach der in gleich farbensatter, breiter Ausführlichkeit gehaltenen Inhaltsangabe des Bildes ist das Öl der Lampe beinahe und der Wein in der Flasche völlig versiegt Für eine kritische Analyse der künst- lerischen Qualitäten des Werkes bleibt kein Baum mehr. Mancher Leser mag es dem Verfasser Dank wissen, daß er an

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282 Der literarisdie Esny.

ihrerStatt mit feinsinnigemVerst&ndnis dasMilien geschildert, in dem sich das Kunstwerk wie eine Bl&te aaf dem für sie geeignetsten Boden zum g&nstigsten Eindruck entfaltet

Im dritten StUck der Sentimentalities (April 1820) handelt es sich um eine Ventts in lieblicher Landschaft des Bolognesen BonasonL Die Einleitung will die richtige Naturstimmung im Leser wecken durch die anmutige Schilderung des Frählings. Wainwright dies ist einer seiner beliebtesten Auf &nge ist wie gewöhnlich in Ver- legenheit um ein Thema. Da lockt ihn der Buf eines Botkehlchens aus der Bibliothek in den Garten. Die Sonne scheint Die knisternden Stechpalmen glitzern warm und glänzen in der lachenden Strahlenflut wie eine Beihe von Kürassieren im polierten Brusthamisch. Der Krokus hat soeben . das pommeranzengelbe Haupt aus seiner engen, grünen Schale ins Licht hervorgestreckt Das Schnee- glöckchen neigt züchtig sein elegantes Frauenköpfchen; die Tazette glüht wie ein vereinzeltes Bild Giorgiones auf dem dunklen EichengetSiel einer alten, düsteren gotischen Galerie, w&hrend die zarten Fliederbüsche sanft ihre bieg- samen Schößlinge ausbreiten. Bei einem l&ndlichen Fiüh- stück, das den behaglichen Eindruck des Idylls vollendet^ äußert ein Freund zufällig den Namen Bonasoni und Wainewright hat sein gesuchtes Thema.

Will er dann von Bonasonis „keuscher Göttin der Schamhaftigkeit^ zu Bembrandts Kreuaigung übergehen, so muß ein plötzlich aufsteigendes Gewitter die lächelnde Landschaft zu Mittag in düstere Nacht tauchen und durch den Szeneriewechsel den Freund an Bembrandts Bild er- innern, worauf nun auch dieses nicht nur genau beschrieben, sondern der biblische Vorgang, den es darstellt, gleichfalls erzählt wird.

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Der Uteraiuche Essay. 283

In Nr. 1 von C. van Vinkbooms hia Dogmas far Düeitanti (September 1821) fallen in einer allerliebsten Schilderung des über dem Dorfe anf einem Hfigel gelegenen Eirchbofs auch Seitenblicke auf den Ort, den Gasthof, das Beiseleben. Die Unterredung mit dem Lobnbedienten und mit dem Hunde Blücher belebt in anmutig ungezwungener Weise die Landschaft. Auf dem Kirchhof hingestreckt, schreibt der Verfasser endlich seinen Artikel, der im Vergleich zur einleitenden Milieuschilderung nebensächlich erscheint

Erz&hlertalent, auf das diese Gabe der Situations- malerei allenfalls deuten würde, scheint gleichwohl bei Wainewright nicht vorhanden oder nicht entwickelt. Eine Plauderei am Gasthaustisch (Janus' Junible. Mischmasch von Janus, Juni 1820) ist, wie schon der Titel bekundet, von geschmackloser Nichtigkeit und Langeweile.

The Delicate Intricacies (Heikle Verwicklungen), Juli 1822, anscheinend drei Kapitel eines Bomans, laufen schließ- lich auf eine gegen Scott gerichtete Satire hinaus, stellen aber zugleich Wainewrights Milieu- und Stimmungskunst im glänzendsten Lichte dar. Der Inhalt der drei Kapitel besteht darin, daß eine junge Dame sich nachts ruhelos von ihrem Lager erhebt, auf den Balkon ihres pr&chtigen Schlafgemaches tritt und sich wieder in dieses zurückbegibt. Eine schwüle Liebesstimmung wird in raffinierter Vortreff- lichkeit zum Ausdruck gebracht „Sie blickte auf Giocondas ai^listige Augen, ohne zu wissen weshalb. Das Lampen- licht mischte sich wunderbar mit dem Lichte der Dämmeiomg. Die Augen sahen sie ganz schmerzlich an und die Mund- winkel kr&uselten sich leicht aufw&rts. Es schien Nina, als hauchte die gewölbte Decke das Gewicht eines Nacht- albs, und dieser Atem schien in mitfühlendem Herzklopfen herabzuwogen! Alle Erinnerungen an ihr früheres kOrper-

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284 Der Uterariiche Esny.

lichesSein waren ansgelSscht und die gegenw&rtige mystische Lage verschlang all ihre Fähigkeiten. Die Farben des Bildnisses erblfihten in frischer Lebendigkeit nnd ein prächtiger Regenbogen verhfillte für einen Angenblick die Züge. W&re es möglich, daß die gemalten Lippen mit der Kraft begabt sind, Ähnliche Phantome zn erwecken? Denn sieh! sie bewegen sicL Die Augen schließen sich mehr nnd mehr und schielen verliebt nach einem M&nner- kopfe über ihren Schultern! Wann und wie er dahin gekommen, war Nina nicht bewußt, obwohl sie die Augen auf das Bild geheftet hielt Die Erscheinung war die eines Mannes von etwa dreißig Jahren. Sein Haar, schwarz und über der Stirn gescheitelt, war lang, dicht und gelockt Eine große weiße Hand, mit könig- lichen Bingen geschmückt, umfing G^iocondas Hüfte, die andere wies auf das schöne menschliche Wesen vor ihr. Das Antlitz war das Ideal alles Geistigen, das in Ninas tiefeter Sehnsucht geruht, ein Antlitz, nicht aus Zügen, sondern ganz aus Seele, nnd doch waren es edle, liebeeinflOßende Züge. Harfentöne erklangen tief wie aus fernen Grotten die W&nde bewegten sich rings um sie in langen, gleitenden Bogenlinien. Ihre Glieder schienen in einer glasglatten Wiege von grünen wogenden Wellen zu schwimmen ihre müden Augenlider schloß ein heiliger Friede und sie sah

„Was um des Himmels willen?'' „Das, Fr&ulein, werden Sie nie erfahren.'' So reißt das zarte Gewebe der Traumstimmung j&h ab. Die ausführliche Charakteristik ist nichts als eine Parodie auf Scotts Mr. Francis Tunstall {The Fortunes of Nigeü), der vom Dichter mit aller ümstftndlichkeit eingeführt und in den schmeichelhaftesten Farben gemalt^

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Der literazisehe Basay. 285

plötzlich ohne ersichtlichen Grand in den Schatten gedrängt wird. Der Bedaktenr wirft Weathercock hinaus und streicht seinen Namen von der Liste der Mitarbeiter. Das ist das Ende.

Vergeblich trachtet Wainewright mit derlei dfirftigen Spftfien den Mangel echten Eompositionstalentes zu be- mänteln. Seine Erfindungsgabe ist in der Tat gleich Null. Es ist^ als hätte er all seine Phantasie in dem Romane seines äufleren, yielbewegten Lebens erschöpft Spielereien^ wie Mystifikationen des Lesers über des Verfassers eigene Person, mfissen als Stoff für Aufsätze herhalten. Weathercock macht sich Aber den anmaßenden Vinkbooms lustig der Kerl mit dem tabakduftenden batayischen Namen Wanhin, Wffnken, SUnhing BroamSj wie Elia ihn genannt haben soll. Wer ist er? Der als literarischer Dilettant sich hervortuende Portier Lord Straffords, wie man fifistert? (Letter fram James Weathercock, Esq). Ein andermal wfinscht er, Mynher van Stinking Brooms möge seine heringbeschmierten Pfoten von Mulreadjrs Canvalescent (einem ihm teuren Bilde) fernhalten. „Ich hasse diesen Kerl ganz besonders. Räuchern Sie ihn aus der ganzen Sache hinaus (Beasans against WriUng an Account of the ExkUntion). Dann wieder läßt er van Vinkbooms im Horsemongergefängnis liegen, zum Tode verurteilt wegen, eines aus Eunstliebe begangenen Bilderdiebstahls. Oder er sagt ihn tot wie Lamb seinen Elia um dann mit der freudigen Nachricht flberraschen zu können, daß er noch lebe (Letter, Mal 1822).

Von äußerst ungleicher Qualität erscheint Wainewrights StiL Mitunter voll dramatischer Lebendigkeit (The British InsHtuiion)j nicht ohne Schwung und Pathos, verirrt er sieh doch allzu häufig ins entschieden Geschmacklose.

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286 Der UtenriBcbe EBny.

Lange Perioden and Satzgefüge mit verwickelten Zwischen- gliedem, gegen welche die Jean Panischen Ton klassischer Einfachheit sind; Metaphern, die einander jagen nnd dem echtesten Enphnismns nichts nachgeben knrz, eine offenkundige Frende am Abstmsen, Schwülstigen, Dunklen all das bedeutet ein Überwuchern des Minderwertigen ttber Wainewrights originelle Yorzftge. Der endgiltige Eindruck des Lesers ist die Vermutung, daß Wainewrights Talent nicht stark genug sei, die Perversitftt seiner Natur zu überwinden und sich dienstbar zu machen.

In seiner unmäßigen Selbstbespiegelung analysiert er sich und seine mit treffendem Witz gewählten Decknamen Egomet Bonmot folgendermaßen: „Er ist der sonderbarste Mischmasch, der tollste Eerl. Bei ihm kommt alles an- fallsweise. Nichts dauert lange. Er wechselt, nicht mit den Phasen des Mondes, sondern mit den Minuten auf dem Zifferblatte der Uhr. Im Laufe einer Stunde war er Kritiker, Fiedler, Dichter, Possenreißer. Es kann nicht lange mit ihm dauern. Die jähen Wandlungen müssen ihn aufreiben. . . . Und doch bekundet er etwas Unwandel- bares in der immer vollkommen identischen Enthüllung einer idiosynkratischen Selbstsucht, die sich durch all seine Mannigfaltigkeit zieht und sie mächtig beeinflußt. Caenat, prqpinat, poscit, negat, annuit^ unus est Bonmot si non Sit Bonmot, mutus erit^ {Mtu^ Ado about Nothing. Viel Lärm um nichts. London Mdgoume, Juni 1820).

Die Witzelei, das honmot^ ist tatsächlich Wunewrights Hauptziel, das er nie aus dem Auge yerliert Wenn er es vermochte, so spräche er am liebsten k^ anderes Wort als ein Witzwort. Der moderne Geschmack fühlt sich von dieser Eigenheit, mit der Wainewright um die Gunst seiner Leser buhlt, abgestoßen. In einem Aufsatze Über

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Der Utewiidie Essaj. 287

die Kunst des Witeemachens bezeichnet er als Hauptzweck die Darlegung der bew&hrtesten Methode der edlen Wissen- schaft der Beklame. Keklame, ein Inszenesetzen der eigenen Person auf jede mögliche Art, ist gewissermaßen sein Lebenszweck.

1823 hört Wainewrights Spur in den Londoner Zeit- schriften anf. Das Leben scheint ihn von da ab völlig in Anspruch genommen zu haben. Drei größere Werke, die er erwähnt, sind nicht auf uns gekommen. Vielleicht haben sie überhaupt nie anders existiert als jene Fortsetzung eines Artikels, von der er sagt: „Obzwar auf dem Papier nicht einmal angedeutet, ist sie doch geschrieben im Buch und Bande meines Hirns und war daselbst mit Zweck und Absicht von aller Ewigkeit her^ {Beasons against writing an Account of the Exhibition).

Die Titel der drei nicht existierenden Werke sind nicht uncharakteristisch: Ä phüosophical Theory of Design, OS concemed unth LofUer Emotions, showing its Deep ÄcHon on Soctetyy drawn from the Phidian, Oreek, and Early Fhrentine Schools (ihe Besult of seventeen Years' Study). lUustrated wüh Numerous Flates, exeeuted tcith Conscientious Aecuracy. In one Volume. AÜas Folio (Philosophische Theorie des Zeichnens, in bezug auf die höheren Emp- findungen. Eine Darlegung des tiefen Einflusses dieser Kunst auf die Gesellschaft Der phidiasischen, griechischen und altflorentinischen Schule entnommen [das Ergebnis siebzehnjähriger Studien]. Mit zahlreichen gewissenhaft ausgefOhrten Blustrationen. In einem Bande. Atlasformat).

Der Titel des zweiten Werkes lautet: An Aesihetic and Psychological Treatise on ihe Beautiful, or the Ana- logies of Imagination and Fancy, as exerted in Poesy, wheiher Verse, Painting, Sculpture, Music, or Architecture\

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288 Der Uterarisöhe Essay.

to form Four Volumes Folio wüh a Profusion of En- gravings hy the Best Ärfists of PariSy Municky Berliny Dresden, Wien (Ästhetische und psychologische Abhandlung fiber das Schöne oder Die Übereinstimmung zwischen Phantasie und Erfindung, wie sie sich in der Poesie äußert, gleichviel ob in Versen, Malerei, Skulptur, Musik oder Architektur. In vier Foliobftnden mit einer Ffille von Bildern der besten Eflnstler in Paris, Mfinchen, Berlin^ Dresden, Wien).

Das dritte Werk ist An Art Novel in fhree Vohmes Eine Eunstnovelle in drei Bftnden).0 Waren etwa mit der letzteren die drei Kapitel der Delicate InMcacies gemeint? In einem Au&atze erwähnt Wainewright ein Manuskript Bonmots Ä Century ofGood Things, or Thoughts of Egomet Bonmot, Esq. (Ein Jahrhundert guter Dinge oder Gedanken von Egomet Bonmot). Es besteht aus einer Liste von Titelblättern.

Die beste und kfinstlerisch zuhöchststehende unter Wainewrights Schriften ist Some Passages in ihe Life of Egomet Bonmot^ edited hy Mr. Mwaughmaim, and now first published hy M. E. (Etliche Ereignisse aus dem Leben Egomet Bonmots, herausgegeben und zuerst veröffentlicht von M. L R, 1825).

Die Pseudonyme Egomet und M. E., sowie der von Dobell f&r eine phonetische Umschreibung von Moi-mime erklärte Name des Herausgebers^) kennzeichnen im Verein mit dem Vergilschen Motto Me, me, adsum qui feci in me convertite Wainewrights bewußten absoluten Ich- standpunkt Er hfillt sich in den Deckmantel des Heraus-

0 Hariitt, XXXIV. «) Siddights, 228.

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Per Utararisehe BMajr. 289

geberSy fiberträgt sein Werk wie seine Persönlichkeit auf einen angeblich Mh verstorbenen Jfingling, nm sich unter dieser Maske unbehindert loben und sein Verdienst ins rechte licht stellen zu können. Er kann sich nun ohne weiteres liebenswürdig nennen, voll Hnmor, Empfindung und Klugheit, von origineller Denkart, und Begabung für die Dichtkunst^ und darf dennoch hinzufOgen, dafi er nicht eitler als andere sei Hat das Leben Abel auf Egomet Bonmots Charakter abgef&rbt, so ist es nicht seine Schuld. Ei* hat zu Anfang seiner Bahn in London literarische Ent- t&uschungen erlebt Erst als er es machte wie jene, die von Selbstlob strotzen, als er prahlerisch, geräuschvoll wurde wie sie und sich selbst Kritiken schrieb, hatte er gleich ihn^i Erfolg. Nach Jahren des Kampfes kam endlich der Ruhm. Aber er fiel auf zerbrochene und abgestumpfte Gefühle. „Wenn ein Mann die Dreißig erreicht hat, liegt eine Menge Bitternis hinter ihm und rings um ihn und die Gefilde seliger Hoffnung sind zu einer kleinen Spanne vor ihm eingeschrumpft Sein Erfolg ist gewissermaßen ein bitter-süßer.««

Egomets Leben neigt sich nunmehr dem Ende. Wie er durchweg ein ununterbrochenes Beispiel des xaX6v geboten, so ist „in Schönheit sterben«« seine letzte und ausschließliche Sorge. Er verfaßt seine Grabschrift und atmet erleichtert auf: „Nun bin ich unsterblichl«« Den versammelten Freunden tdlt der Sterbende dann seine in Strophen von je vier Reimpaaren abgefaßten Confeamns mit

Die Welt hat ihn zum Egoisten gemacht^ indem sie ihn durch Vernachlässigung zwang, seinen Mittel- und Stutzpunkt in sich selbst zu suchen. Seine Schiffbräche in der Liebe, in der Dichtung und auf der Bühne werden mit Byronschem Galgenhumor erzählt in einer Art Gesellschafts-

0Mehiehte der enfirUsoheii Bomantik ü, 1. 19

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290 Dar UtmriMlie SiMy.

yers, der, Ton aufdringlicher Qeistreichigkeit so frei wie Yon jeder Sentimentalitftt, Überquillt von der spontanen nnd sprunghaften Lebhaftigkeit des Nenrenmenschen. Ori- ginelly doch einfach nnd yon farbenfrischer Schilderong, darf auch er den Vergleich mit Byron herausfordern. Egomets Neignng, sein Innerstes bloßzulegen, charakterisiert ein Freund mit den Worten , solche Schriftsteller glichen Menschen, die enthflllen wollten, was die Natur weise dem Blicke verbirgt. Egomet stirbt in der Überzeugung, „ein Ruhm wie der seine mfisse ewig wfthren!^ Mit seinem un- umschränkten Ichkultus, seinem gesteigerten Empfindungs- leben, seinem SchSnheitsstreben und seinem SelbstgefOhl erscheint der heut Verschollene als Urbild des modernen Sensualisten.

Eine geistreiche Ironie, die an G. B. Shaws Fähigkeit erinnert, eine scharfe Kritik in ein Witzwort zusammen- zufassen, bekundet Wainewright in seiner trefflichen Parodie auf die Schablone der Opemlibretti The Essence öf Opera (London Magazine, Februar 1826). Sie ist hier wiederum ein Berflhrungspunkt mit Wilde in gutem Französisch geschrieben.

Die Teilung seiner Produktionsf fthigkeit ^wischen Poesie und Malerei, die Wainewright mit Blake gemein hat, wurde Ton ihm kaum als solche empfunden. Er glaubte an die Totalit&t der Künste. Unsere Kritiker, sagte er, schienen sich kaum bewußt, dafi die Urkeime der Poesie und der Malerei innigst miteinander verwandt oder, richtiger, identisch seien. Ebensowenig schienen sie zu wissen, daß Jeder wahre Fort- schritt im ernsten Studium einer Kunst eine entsprechende Vervollkommnung in der and^n erzeuge. „Spricht ein Mensch, der Michel Angelo nicht begreift, von seiner Neigung fftr Milton, so verlaß dich darauf daß er eine oder zwei Personen

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Der ütarBriMshe Eaay. 291

betrt^ dich oder sich selbst Und desgleichen nmgekehrt. Betrat man Elias Stnbe, so konnte man nach seiner Wahl eingerahmter Dracke Leonardos und Jogend-Baf aele » im Angenhlick anf seine Auswahl Ton Autoren schwören, und es ist nnmöglich, Barry Comwall zu lesen, ohne die Über^ Zeugung zu gewinnen, daß seine Herzenslieblinge Correggio, Parmegianino, Giulio aus Bologna seien (was sie auch sind und einige auserlesene Leckerbissen hat er nebstbei \ während Michel Angelo, Leonardo, Bembrandt nur als Folie in Betracht kommen und Bubens ganz verworfen wird.^ Unter diesem Gesichtspunkt ist Wildes Bemerkung interessant, daß eine Bötelzeichung Wainewrights Ton Hden Abercrombie ihn stark von Sir Thomas Lawrence beeinflußt zeige.^) Das tragische Verhängnis des Efinstlers Wainewright kam ihm wie gewöhnlich von der Seite, wo er sich für gefeit und unantastbar hielt In Janut^ Jutnble (ÜI) sagte er: „Dies ist das Zeitalter der Vulgarität Das Ding, das man einen eleganten Gentleman nannte, besitzen wir heutzutage nicht Wir bringen ihn nicht einmal auf der Bühne zustande. Eemble war der letzte. Elliston hat in seiner Leichtigkeit ein geckenhaftes Selbstbewußtsein, das ihn steif macht Von sämmtlichen Schauspielern, die wir jetzt haben, kommt Charles Eemble dem beau ideal eines Gentleman am nächsten.'' In Wahrheit hatte Wainewright es sich selbst zur Lebensau^abe und zum Lebensinhalte gemacht, dieses beau ideal zu yerwirklichen. Er glaubte, es sei ihm mit dem weichlichen Luxus und der Tapeziererpracht seines Gemaches gelungen, bei denen er immer wieder mit Genugtuung yer^ w^te, in dem er sich, „groß wie Sardanapal, wie eine Vereinigung aller Sultane der Welt'' vorkam (JExkibition of Oie Bayal Academy^ Juli 1821). Tatsächlich aber war das,

') S. 89.

19*

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292 Der liteniisehe Essay.

was ihn als höchste Verf einerang: anmutete, nnr ein Pranken mit äußeren Mitteln, deren verfeinernder Einfluß nicht tief genug ging, um die ethische Minderwertigkeit, die den Bodensatz seines Wesens bildete, zu beeinflussen. So blieb der innerste Grund seiner Persönlichkeit, das was schließlich immer den Ausschlag gibt, von der großen Verfeinerung unberflhrt. Während Wilde eine echte Efinstlematur ist, stellt Wainewright nur die Ansätze zu einer solchen dar. Der ästhetische Geschmack, der bei Wilde den Kern der Individualität ausmacht, bleibt bei Wainewright an der Oberfläche seines Wesens. Wilde ist das geworden, was Wainewright sein wollte.

Wie wichtig er trotz alledem als individueller Typus für die Literatur ist^ geht schon aus der Bedeutung hervor, die ihm einzelne ihrer wichtigsten Vertreter beigemessen.

Dickens und Bulwer haben ihn zu Somanhelden ge- macht, ohne daß ihre Phantasie im entferntesten dem Soman nahegekommen wäre, den Wainewright gelebt hat Neben diesen beiden anerkannten Poeten erscheint er als der un- endlich begabtere Wirklichkeitsdichter. Slinkton, Dickens^ „Wainewright^, der Held der kurzen (ffir ein Honorar von £ 1000 dem New YorTc Herald 1860 geschriebenen) Er- zählung Hunied Bown^ ist ein Heuchler und Giftmischer viel gewöhnlicherer Art als das Original, mit dem nur eine annähernde äußerliche Ähnlichkeit festgehalten ist Desgleichen ist das Zutodehetzen Slinktons durch einen ohne alle reale Wahrscheinlichkeit durchgefDhrten Bache- akt des Liebhabers der gemordeten Nichte nur ein ab- gebrauchtes Bomanmotiv, das an Originalität^ Laune und spannendem Interesse Wainewrights wirklichen Erlebnissen durchaus nachsteht In noch viel höherem Maße gilt dies von Bulwers Boman LucretiUy or The Chüdren of

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Der litentriBche Sssaj;

ihe Night. Hier wird aus Wainewright der junge Maler Honor6 Gabriel Vamey, ein mit allen Eoboldgaben aus- gestatteter Giftnüscher, der in Gemeinschaft mit einer dämonenhaft reizvollen, ebenso kalt-energischen als glut- voll-haßerfüllten, ohne menschliche Begung des Gewissens ihre egoistischen Pläne verfo^enden Stiefmutter, Lucretia^ handelt Beide sind, wie die ttbngen Figuren der breit- ausgesponnenen, mit den ablieben Eolportageromaneffekten gewürzten Liebesgeschichte typische Bomanschablonen ohne Bealität und ohne psychologisches Interesse.

Wichtiger ist die Spur, die Wainewright nicht als Held Ton Dichtungen, sondern von Dichtem zieht Swinbume widmet ihm in seinem Essay ttber William Blake (1868) eine Erinnerung, die, auf wenige Seiten zusammengedrängt^ gleichwohl den Eindruck wiedergibt, der einer Bedeutung ffirs Leben gleichkommt Er erblickt in Wainewright den letzten englischen Eunstkritiker bis auf die neueste Zeit, denn unter guter Eritik versteht er eben jene impressio- nistische, auf den Gesamteindruck losgehende Betrachtungs- weise des alten geistreichen Janus. Er findet ihn in gleichem Grade bewundernswert als Maler und Schrif tsteUer wie als Mörder. Seine Freude am Vorzflglichen, sein außerordent- liches Streben nach guter Arbeit könne nicht genug an- erkannt werden. Seine Hand sei, gleichviel ob mit der Feder, mit der Palette oder mit dem Gifte, niemals die eines bloßen Handwerkers gewesen. Zwar habe er ein falsches Ziel verfolgt als Schriftsteller den Effekt, als Mörder nicht den Genuß, sondern das Geld aber seine Leistungen seien vorzuglich. In dieser volltönenden Anerkennung macht sich die Befriedigung Luft, die eigene prinzipielle Überzeugung, die immer noch vereinzelt ist^ in weit zurackliegender Zeit mit einer talentvollen Persönlichkeit belegen zu können.

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294 Der litenmcbe Bssay.

Diese Überzeugung ist der Ir'orf-jpcmr-rar^ Standpunkt, der sich, wie alles Neue, wie alles, was sich noch durchzusetzen hat, nur in Übertreibungen genug tut und die lange Bot- mäßigkeit der Kunst unter einer nfichtem didaktischen Moral dieser nun durch offenkundige Geringschätzung yer- gelten zu müssen glaubt So spricht Swinbume hier ron „der sonderbaren Kollision", in die Wainewright mit den sozialen Geseteen geraten sei und die sein Leben zerbrochen habe. Er hofft, der Tag sei nicht ferne, an dem eine philosophische Nachwelt in der Erkenntnis, dafi die Kunst- ernte wenige ihres Lohnes würdige Schnitter aufweise, und daß das Erhabene außergewöhnlich sein müsse, auf die Liste derer, die sich um die Menschheit verdient gemacht, mit geziemenden Ehren auch den Namen Wainewrights schreiben werde.

Oscar Wildes Interesse für Wainewright scheint sich, wie schon der Titel seines Essays über ihn, Pen, Pendle and Poison (Pinsel, Griffel und Gift), besagt, an Swinbumes Enthusiasmus entzündet zu haben. Die prinzipielle Über- einstimmung wird bei ihm zur Wesensverwandtschaft Be- dauerte Swinbume noch an Wainewright einen gewissen, der Entfaltung seiner Talente abträglichen Mangel an solider Tüchtigkeit in seinen Bestrebungen, so deckt sich bei Wilde auch das Zuh&chststellen des kavaliemtäßig nachlässigen Dilettantismus in der Kunst mit Wainewrights Eigenart Denn Kunst als Beruf ausgeübt, ist im strengsten Sinne schon nicht mehr Kunst um der Kunst willen. Das Leben selbst zur Kunst erheben und für beide den Grund- satz aufstellen, daß jede Einzelerscheinung nur unter ein aus ihr selbst abgeleitetes Gesetz falle und kaner andern Instanz unterstehe dieses Ideal findet Wilde in Waine- wright vorgebildet Und so macht sich die tiei^[rdfende

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Der litenriflche Euay. 295

Übereinstimmang auch in dem tragischen Ende beider geltend. Wilde mag in Reading Jail Wainewrights gedacht haben. Aber Wainewright hat kein De Profundis geschrieben. Darin li^ ein bedentongsvoUer Unterschied zwischen beiden.

Werke w^n Wainewright.

1825 Same Passages in the Life of Egamct Bonmot, edited hy Mr. Mwaughmahn, and naw first pubUshed, hy ILE,

1880 Essays and OriHcisms. New fint coUeeted. WUh Some Aeeomi of the Äuihor, ly Wittum Oareio HaeUtL

Werke über Wainewriglit.

1848 Thomas Noon Talford, Fmäl Memorials of Charles Lamb,

vol. II, part 2. 1860 Thomas De Qnincey, Charles Lamih. 1866 Notes and Queries. 1868 Ch. A. Swinburne. WilUam Blake. 1891 Oscar Wilde, Pen, Pencil, and Poison.

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Christopher North.

1785—1854.

Lebensabriß.

John Wilson so hieß er im bürgerlichen Leben wurde am 18. Mai 1785 in dem Fabrikstädtchen Paisley bei Glasgow geboren. Er schildert in Our Parish Becreations das Heim seiner IQiabenjahre in Schönheit gebettet^ mitten zwischen Mooren und Bergen , die die StadÜente düster nennen, „von denen wir jedoch wissen, daß es der heiterste, freundlichste Sprengel Schottlands ist, da es ja in seinem Herzen liegt." Sein Vater war ein wohlhabender Qaze- fabrikant, seine Mutter, die ihre Abstammung auf den Marquis of Montrose zurftckfiihrte, eine stattliche Dame, „gebieterisch und willenskräftig." i) Unter zehn Geschwistern verlebte der schöne, blondgelockte, kräftige und frfihreife Enabe eine glückliche Kindheit Seinem offenen Sinn für alles Große und Schöne wurde reichliche Nahrung geboten. Wenige Lebensgeschichten bieten ein so strahlendes, hoffnungsvolles Kindheitsbild wie die Wilsons. Nach der Grammar School von Paisley bezog er 1797 die Universität Glasgow, für die er später die Anhänglichkeit eines Sohnes zu haben beteuerte. 1803 kam er, ein flotter Student, nach Oxford, wo er, eine kraftvolle, sechs Fuß hohe Er- scheinung, das Ideal eines urwüchsigen Germanen, sich als

>) Bichard Gamett, Dietionary of NaUondl Biograpky,

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Der literarische Essay. 297

Schfiler wie als Athlet in gleichem Mafie hervortat 1806 gewann er mit dem Gedichte The Study of Greek und Boman Architecture (Das Studium der griechischen und römischen Architektnr) den Newdigate Preis. 1807 ließ er sich, dnrch und durch erfüllt Ton schwärmerischer Begeisterung für die Lieblichkeit des Seenbezirkes in Cumberland und seine erlesenen Bewohner, im Gtebiete des Windermere nieder, der dem Briten als Inbegriff aller landschaftlichen Beize Ton der freundlichen Anmut bis zur strengen Erhabenheit gilt und als die Heimst&tte Coleridges, Wordsworths und Southeys zugleich ein Zentrum der Poesie, eine Art englischen Weimars, bildet.

Wilson besaß eine enthusiastische Fähigkeit des Bewundems. Jeder angenehme Eindruck steigerte sich ihm unter der Feder ins Überschwängliche. Wohl durfte er von sich sagen, die Natur hätte ihm nicht die erheiternde und belebende Gabe vorenthalten, sich für die Schöpfungen des Genius begeistern zu können, und hätte seiner Jugend in der Pracht und Hen*lichkeit einer Million von Träumen ein Obdach bereitet wie unter einem prächtigen Baldachin (Old North and Young North. Der alte und der junge NortL)

So feiert er die Landschaft und ihre Dichter. Ein Maimorgen an den Ufern des Ulswater bedeutet ihm die Vereinigung von Himmel und Erde. Nichts ist unbelebt Selbst die Wolken und ihre Schatten scheinen lebendig. Die Bäume - niemals tot sind von ihrem Schlafe er- wacht Blumenfamilien füllen alle tauigen Plätze. Alte Mauern glänzen von leuchtenden Moosen und birkengekrönte Felsen eben an den Bergspalten senden dem See ihren feinen Duft durch jeden stärkeren Lufthauch, der das Blau seiner Buchten mit kleinen weißen Wellen kräuselt Auch

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bldbt die Stimme des Mmschen nicht stumm. Der Sehiler ruft auf dem Hfigel seine Herde, der Ackersmann sein Oespann zwischen den Forchen eines kleinen v^*spfttet reifend^ dem Walde abgewonnenen Feldes. Da vernimmst widerhaUendes Gelichter von Kindern, die voll Emsigkeit, halb im Spiel halb an der Arbeit sind. Denn was w&re die Beschäftigung des jungen ländlichen Lebens im Fr&hlingssonaenschdn anderes? Es ist kein Arkadien, kein goldenes Alter. Dodi einen lieblicheren Anblick bei aller 6r5fie gibt es im fröhlichen und majestätischen England nicht Und niemals umgrenzten Hagel dieser Erde einer edlen Bauern- schaft ein friedlicheres Heim als diese cumbrischen Felsen- reihen und Weiden, wo der Eabe in seinem Bereiche krächzt und die wolligen Herden in dem ihren seiner nicht acht haben.'' {Ihe Fidd of Flowers. Blumengefilde).

In Windermere glaubt Wilson sich im Märchenlande. „Ein Begenbogenschimmer von Poesie ruht auf den Inseln des Sees''. Der Windermere liegt im Moi^enlichte klar wie ein Sabbath, heiter wie ein Feiertag. Man fühlt, daß es auf Erden eine Lieblichkeit gebe, erlesener und vollkommener als sie uns jemals im Traume hdmgesucht Bay at Windermere. Ein Tag in Windermere).

Die Bomantik der Gegend wird erhöht durch die Dichter, die an den Seen ihre Zelte au^esdüagen. Manches UrteU Wilsons ttber diese Bomanüker gehört zu seinen reifsten und besten und zum treffendsten, das über sie gesagt worden ist Wärme und Herzlichkeit üer Be- geisterung stumpft seinen Scharfblick nicht ab und die seiner Ausdrucksweise eigene glückliche Gabe der Bild- haftigkeit gibt dem Ausspruch klare Prägung und lebendige Deutlichkeit. So, wenn er Coleridge „die reich beladene Ai^osie nennty die im Sonnenscheine fiber das Meer der

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Der üteiaiiBclie Esmj. 299

Phantasie schwanke^ (Cruikshankj On Time. Croiksliaiik, über die Zeit). Oder wenn er von Wordsworth sagt: „Die Poesie ist sein Beruf. Er ist ein Dichter, wie sein Bmder ein Geistlicher ist*' (An Hour's Talk about Poetry. Eine Planderstnnde aber Poesie). Eine im Baum eines Briefes erschöpfende Kritik des Dichters der Lyrical BaUads hatte bereits der zwölfjährige Wilson als Glasgower Student geliefert^ ein erstaunliches Zeugnis seltener Frühreife Er bezeichnet hier Wordsworths Poesie, dem Ausdruck wie dem Gedanken nach, als die Sprache der Natur. Words- worth verfüge aber die Gefühle, die zumeist das Herz fesseln, gleichzeitig aber auch in das Bereich der gewöhn- lichen Beobachtung fallen. Seine Gedichte seien darum geeignet, alle, nicht nur die Gebildeten, zu fesseln. Er habe mit elektrisierender Wirkung jenen Hang des Gemütes verwertet, die Erscheinungen der äußeren Natur seiner eigene Stimmung zu assimilieren. Doch daran nicht genug, habe er auch den Einfluß von Eigenschaften der änßer^a Natur auf die Bildung des menschlichen Geistes gezeigt, dessen Neigungen gar häufig auf die Landschaft zurückgehen, in der er heimisch ist, auf ihre Boden- beschaffenheit und ihr Klima. Natui^^ühl und Philosophie erschöpfe indes bei weitem nicht den Gesamtinhalt seiner Dichtung. Sie gebe uns ein Moralsystem der reinsten Art. Der jugendliche Kritiker schätzt sie in dieser Hinsicht zunächst der Bibel ein. Doch hält er auch mit dem Tadel nicht zurück. Er gesteht so frdmfltig als bescheiden, daß Wordsworths Absicht, nur natüiüche und allgemeine Em- l^dungen zu geben, in der Ausführung mitunter zum Trivialen führe. Nur was Mitgefühl und Interesse errege^ tauge für die Poesia Diese Regel habe Wordsworth häufig außer acht gelassen.

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300 Der üterarische Buay.

Southey schfttzt Wilson sehr hoch ein. Er ist der einzige nnter den modernen Dichtem, dem er zugesteht, ein großes Gedicht gemacht zu haben« Er sieht ihn abseits Ton allen, einsam in seinem Glänze. Southey allein habe es gewagt, Charaktere und Sitten der Völker zu zeichnen. Er habe Nationaldichtungen geschaffen, originell in der Anlage und Ausfuhrung {An Haur's Talk about Poetry),

Wilson verkehrt mit den hervorragendsten Geistern der Seelandschaft Er besitzt in ihr das schönste Anwesen. Von seinem an einem Hflgelabhange gelegenen, von statt- lichem Wiesen- und Waldbesitz umgebenen Landhause Elleray gesehen, dünkt ihm der Windermere mit seinen Inseln und dem ihn umgebenden mehrfachen S[ranz von höheren und niedrigeren Bergen der schönste Punkt der Erde. 1811 gewinnt er die tonangebende Schöne des Distriktes, Jane Penny zur Frau und sein Heim an den Märchengefilden des Sees scheint ihm nun tatsächlich alle Jugendträume zu erfüllen. Ewig, heifit es in dem Gedichte My Cottage (Meine Hütte), werde in seiner Er- innerung der Tag gesegnet sein, der ihn hierher geführt. Noch in seiner Sterbestunde werde er die glorreiche Sonne sehen, die so oft den Winander in eine einzige mächtige Goldwelle verwandele.

Allein das überschwängliche Glück mochte den Neid der Götter erregen. 1815 verlor Wilson durch den Leichtsinn eines Oheims sein Vermögen. Seine Mutter, eine tüchtige, gewandte Frau, nahm ihn und seine Familie auf und er- möglichte es ihm, Elleray zu behalten. Aber das ununter- brochene Phäakenleben Wilson war mit dem Bau eines scUofiartigen neuen Hauses beschäftigt und unterhielt als leidenschaftlicher Buderer eine Flottille auf dem See hatte ein Ende. Er ertrug den Umschlag des Geschickes

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Der Htemiflche Essay. 301

mit Seelengröße und seine Gattin erwies sich im Unglück als treaeste Gefährtin. Nach einer yorübergehenden juristischen Tätigkeit am Edinburgher Gerichtshof , zn der er wenig Neigung nnd Bemf hatte, erhielt er 1820 die Professur für Moralphilosophie an der Edinburgher Uni- yersitäty die er bis 1851 bekleidete. Sein hinreißender, durch die Sprache seiner ausdrucksvollen, blauen Augen unterstützter Vortrag wird von seinen Schülern als un- vergeßlich geschildert, seine für ein großes Publikum be- rechnete, scheinbar spontane Beredsamkeit von unwider- stehlicher Kraft Die ganze Seele des Mannes war bei dem Gegenstande, sein glühendes Mitgefühl teilte sich den Herzen mit und erhob sia Niemand hatte tiefere und herzlichere Sympathie mit den Empfindungen der Jugend; niemand war bereiter und ehrlicher gewillt, sie zu beraten. Eignete ja ihm selbst jener beste aller Schätze: ein Herz, das nicht altert 0 n^^^ Mensch in Wilson war größer als seine Werke'', sagt Sir George Douglas, „er bildet unseren dauernden Besitz, weit mehr als sie.''-)

Die zweite Hälfte seines Lebens verfloß ereignislos in stillen bürgerlichen Bahnen, beglückt in seiner Häuslichkeit, in weiten Kreisen hochgeachtet und yerehrt 'Der Pro- fessor' war eine stadtbekannte, und beliebte Persönlichkeit Sein warmes Herz umfaßte Menschen und Tiere in gleichem Wohlwollen und lebte auf im stillen Naturgenuß. Er starb am 1. April 1854, von seinen Kindern umgeben, in seinem Hause in Edinburgh«

») Vgl. Mm. Gordon n, 2.

*) The Blachßood Qroup, 9, 27.

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302 Der fiterarudie Essaj.

Der Dichter.

Als Wilson Glasgow yeiiieß, existierte bereits in seiner schönen, sanberen Handsclirift ein B&ndchen von 88 Ge- dichten, Foems an Variüus Svlgeds (Dichtungen Ober ver- schiedene Gegenstände). Sie waren derjenigen zugeeignet, deren Zartgefühl sie jedwede ihnen innewohnende Schönheit zu verdanken beteuerten einer „Margaret", dem Gegen- stande einer innigen und begeisterten Jugendliebe. 1812 trat Wilson zum erstenmal mit einer Dichtung in die Öffentlichkeit The Isle of Palms (Die Palmeninsel), 1810 entstanden und seinen Glasgower Lehrern zugeeignet Vier Gesänge in unregelmäßigen jambisch-anapästischen Strophen malen das verklärte und beseligende Familienidyll eines schiffbrflchigen Liebespaares auf einer unbewohnten Insel und seine Rfickkehr nach England mit jener in Ergriffen- heit schwelgenden Ausffihrlichkeit, die trotz aller Wärme der Empfindung und fibergewissenhafter Wiedergabe kleinster Einzelheiten doch kein Bild im Leser erweckt^ sondern nur das Geffihl der Breite und Langeweile «^zeugt Jene Vorliebe ffir die Erzählungen der Wunder und Abenteuer fremder Weltteile, die Wilson schon als Kind in atemloser Wonne oder seufzend und weinend dem Geschicke kfihner Weltensegler lauschen ließ, klingt in der FoHmen' insel nach. Die Natur ist durch einen Schleier irrealer Phantastik geschaut und ihre Stimmungen werden in konventionell weichlicher Geffihlsseligkeit wiedergegeben.

Wilsons zweite poetische Publikation The Oiiy of ike Plague and ofher Poems (Die Stadt der Pest und andere Gedichte), 1816, bedeutet gegen die erste kaum einen Fort- schritt Das dreiaktige Blankversdrama The City of fhe Plague ist vollkommen lyrisch empfunden und entbehrt

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Der litmrisd&e Ssmj. 303

jeder dramatischeii Handlting. Zwei langabwesende See- fahrer finden bei der Heimkehr ihre Stadt von der Pest verheert Wilson mischt mit schanriger Wollast aUe Farben des Grenlichen nnd Widrigen anf seiner Palette, ohne daß ihm das beabsichtigte d&ster groBartige Bild gelänge. Der heimkehrende Sohn kommt eben znrecht zum Leichen- b^ftngnis der Matter. Er selbst wird von der Senche be- fallen and die ersehnte Geliebte, die, heilig and schön wie ein wohltaender Engel unter den Kranken nnd Sterbenden gewaltet, leistet ihm den letzten Beistand. Allerlei groseliges Beiwerk wird eingeflochten. Ein Schwindler nfitzt ab Wahrsager die Todesangst der dekadenten Bfirger ans. Ein Wahnsinniger spielt den Propheten. Zwei Tod* feinde kämpfen anf dem Kirchhof den letzten erbitterten StrauB. Die Totenglocken, von Gespenstern gezogen, er- tönen mit Geisterklang. Von einem idiotischen Neger gelenkt, naht der Leichenwagen. Sein Inhalt wird in ein Massengrab entleert Ein Fremder springt hinein nnd will lebendig mit begraben werden. Gewaltsam holt man ihn heraas. Er hUt ein totes Kind im Arme. Verzweifelnde, Rasende, Verlassene, Sterbende sind das düstere Personal dieser Tragödie, deren grandlegende Voraossetzang, eine starke, fessdlose Phantasie, Wilson abgeht

Sonthey schreibt am 7. Dezember an Wynn: „Ist die Wahl eines solchen Gegenstandes nicht etwas üngeheaer- liches? In der Tat, das heißt die Germanen ftbergermanen. Es ist, als brächte man Folter, Bftder and Zangen anf die BAhne, am Pathos zn erregen. Zweifellos Iftßt sich ja auch tber den Ampatationssaal, ftber eine Steinoperation oder den Kaiserschnitt eine sehr pathetische TragOdie sehreiben. Aber das wirkliche, greifbare Gräßliche gehört iii<At in die Poene.''

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804 Der HterAriBche Enaj.

Aach ist die Wahl eines solchen Themas bei Wilson gaxa vereinzelt Seine Gedichte behandeln in der B^el keine Leidenschaften. Er sieht überall Frieden nnd Unschuld und ist von den Ausbrüchen wilder Verzweiflung oder rasender Freude so frei wie von dem grimmigen Eigensinn oder der die Z&hne zusammenbeißenden Verschlossenheit dichterischer Eraftnaturen. Er findet für Durchschnitts- empfindungen viele Worte, häufig sogar das rechte Wort, nnd sein Ausdruck, der, in sonderbarem Gegensatz zu seiner lebenskräftigen Persönlichkeit, das Sentimentale und Melan- cholische bevorzugt, h&lt sich auf dem Niveau einer an- genehmen Mittelmäßigkeit Dieser Vorzug hat den Gedichten, in denen er sich am meisten geltend macht, eine gewisse Volkstümlichkeit erworben {Lord JRonal^s Chüd. Lord Bonaids Kind; To a Chüd asleep. An ein schlafendes Eind) ; The Scholar's Funeral Des Gelehrten Begräbnis). Seinen Leser zu packen, versteht Wilson nicht

In dem Essay Christopher on the LaJces (Christoph an den Seen) legt er das beschämende Geständnis ab: „Die Leute sagen, unsere Verse seien Prosa, unsere Prosa Verse.^ Tatsächlich sind seine Verse korrekt, ohne daß ihnen rhyth- misches Leben oder lyrischer Schwung innewohnte. Das per- sönliche Erlebnis fehlt seiner Lyrik, sowohl die Erotik als die Leidenschaft tiefer Gemüts- oder Gedankenkrisen, und wird durch eine zu konventioneller Moral neigende Kontem- plation nur übel ersetzt Zudem nimmt Wilsons leidige Gewohnheit) jedes Thema gewaltsam in die Breite zu zerren und zu dehnen, seinen Gedichten jede suggestive Kraft Da er selbst schon alles oder mehr als alles sagt^ hat der Leser sich nichts mehr hinzuzudenk^ und der Eindruck stumpft sich ab. Wilsons bestes Gedicht ist Address to a Wüd Beer (An einen Hirsch), in dem ein offener Natursinn in würdigen

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Der litenriBcbe Essay. 305

Tönen ansstrSmt zum Preise des stolzen EOnigs der Wälder, der sich, dahinrasend, über Abg^rflnde schwingt wie die traombefangene Seele.

Aach als Prosadichter erscheint Wilson in keinem Yorteilhaften Lichte in den kurzen Erz&hlnngen, die zum Teil im Blackwood Magcusine unter der Signatur Eremus^ und 1822 gesammelt unter dem Titel lAghts and Shadows of ScoUish Life, a SelecUon from (he Papers of ihe Laie Arthur Austin (Lichter und Schatten des schottischen Lebens. Eine Auswahl aus den Papieren des verstorbenen Arthur Austin) erschienen. Ihr Mangel an stofflichem Gehalt und psychologischer Komplikation yerr&t ein Versagen jeglicher erfinderischen Phantasie. Die Darstellung der fast aus- schließlich dem ereignislosen Alltagsleben kleiner Leute entnommenen Erlebnisse ist matt und konventionell. Über- all spOrt man die Moral, ohne daß jede Erzählung eine bestimmte Lehre veranschaulichte wie bei Crabbe.

Primitive Lebenszustände ohne Konflikte werden uns skizzenhaft im Lichte eines wohlwollenden Optimismus vorgeführt Die Menschen haben so zu sagen nur eine Dimension. Sie sind Schattenrisse ohne die Bundung leiden- schaftlich bewegter Naturen. Ihre guten Seiten überwiegen bei weitem die schlechten. Alle sind fromm, alle tugend- haft In diesen Erzählungen verfällt Wilson selbst jener Schönfärberei und Verherrlichung der Niedriggeborenen, ungebildeten, Armen, gegen die er sich in seinem Auf- satze Streams (Ströme) auflehnt Der Mensch ist gut und Gott verläßt den Guten nicht das ist seine trost- reiche Lebensphilosopie. Einem alten, braven Ehepaar fällt im Augenblicke höchster Not, als ihnen der Schuld- turm und der Tod eines Kindes droht, eine kleine Erb- schaft zu {M088 Side). Ein verlorener Sohn findet am

G««chiehte der en^lisehen BomanÜk n, 1. 20

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306 Der Utenniche BuMiy.

Totenbette des frommen Vaters den Rftckweg znr Familie nnd zum besseren Selbst (The Elder^s Deaihbed. An Vaters Totenbett). Hannah, die Stütze ihrer alten Eltern, wird im Schneesturm von einem Hirten, der sie liebt, gerettet {The Snowstorm. Der Schneesturm) usw.

Stimmungs- und temperamentvoller sind die Erz&hlungen, die einen historischen Hintergrund haben {LUa's Grief. Lilas Gram; The Covenanter's Marriage Bay. Die Hoch- zeit des Coyenanters; The BapUsm. Die Taufe; The Bain- boic. Der Hegenbogen).

Die Novelle The IVials of Margaret Lindsay (Margarete lindsays Prtifungen), 1823, setzt mit einem frischen, kernigen Tone ein, den sie im weiteren Verlaufe nicht fest- hält. Margarete, ein prächtiger, ehrlicher, liebevoller Cha- rakter, wächst in einer schweren Lebensschule zu ab- geklärter Seelenschönheit empor und bezwingt das widrige Geschick durch unentwegte Standhaftigkeit Ihre treue Frauenliebe, die bei einem schuldigen Gatten ausdauert, errettet auch diesen und sichert beiden einen glücklichen Lebensabend. „Alle menschlichen Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit.''

The Foresters (1825) ist ein Boman in Form einer Familienchronik. Das makellose Ehepaar Forester hat eine makellose Tochter und alles gedeiht ihnen zum Segen. Foresters verwahrloster Bruder Abel dient nur als Folie, ohne selbständiges Interesse zu beanspruchen. Der Eingang bringt eines von Wilsons gelungensten Miniaturbildem alles übergoldender kleinbürgerlicher Homantik. Der greise Gärtner Adam Forest hat alle Kümmernis erfahren, die einem langen Leben nicht erspart zu bleiben pflegt, nur daß er die Panazee jener sonnigen Gemütsveranlagung besitzt^ die jedem, auch dem widrigsten Geschick eine gute

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Der Hterariflche Esmj. 807

Seite abgewinnt. So bringt ihm gewissermaßen die Trflbsal aoi ihren Schwingen bereits die Heilung mit. Hinter jedem Übel steht ein trOstendes „aber^. Seine rttstige Ehefran ward alt, aber nicht altersschwach. Dann nahm sie der Tod hinweg, aber er kam weder j&h, noch säumte er za lange. Ihr leiser Schritt^ ihr mildes Lächeln verschwand, aber einige Nachbarsfamilien bewahrten ihr Bild wie ein Porträt an der Wand und die Armen segneten ihr Andenken, denn sie hatte nicht nur ihren Hunger gelindert, sondern auch ihren Seelen Barmherzigkeit widerfahren lassen. Man glaubte, der alte vereinsamte Mann würde sich von diesem Schlage nicht erholen, aber nach einigen Wochen nahm er seinen Platz in der Kirche wieder ein. Die Lerche rief ihn in den Garten. Er war fleißig wie zuvor. In seinen feierlichen Stunden tröstet ihn die Gewißheit, daß jedes Jahr ihn tiefer und tiefer in das mitternächtige Schweigen hineintrage. Inmitten seines Werktagslebens in der freien Natur findet er den besten irdischen Trost in seinem guten Ruf, seiner guten Gesundheit, seinem guten Gewissen.

Die späteren Kapitel der Foresters bieten das un- erfreulichste Beispiel von Verfälschung des Bealen in der Art schwächlicher Eomantik. Die Heldin ist ein Wesen von überirdischer Vollkommenheit. Alles und jedes fttgt sich zum Guten. Alles endet in Frieden und Wonne.

Der Essayist.

Der Dichter Wilson wfirde die eingehende Betrachtung nicht lohnen, stünde nicht hinter ihm der Essayist Christopher North.

Die ersten Anfänge dieser seiner eigentlichen Laufbahn reichen bis nach Oxford zurück. Als er sich 1808 als Schüler des Magdalen Ck)llege einrichtete, legte er auch

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308 Ber literariflche Essay.

ein Tagebnch an, mit dem Vorsätze, darin aUe Be- merkungen über Literatur, Wissenschaft^ Religion, Politik und alle grundlegenden Lebensprinzipien einzutragen, die sich ihm im Laufe seiner Studien aufdrängen w&rden« Diese Bemerkungen wollte er durch tieferes Eindringen in die betreffenden Fragen zu kleinen Abhandlungen erweitern. So wuchs das Tagebuch zu mehreren stattlichen Binden an. Das mehr oder weniger jedem ernsten jungen Gemüt innewohnende Streben, sich über den eigenen Zu- stand und Bildungsgang Rechenschaft zu geben, verhilft bei Wilson seinem eigensten Talent zum Ausdiiick und zeitigt bereits Früchte. Es entstehen Elssays (On the Poetry of Brumnond. Über Drummonds Dichtungen; Why have the AegypUans never been remarkable for Poetry? Warum haben die Ägypter sich niemals in der Poesie hervor- getan?; The Fear of Deaih, Todesfurcht; Female Beauty. Weibliche Schönheit; Bdigious Worship, Religiöse Kulte; The Edinburgh Review; Duelling. Das Duell; The Influence of Climate. Klimatische Einflüsse. So tritt Wilsons Fähig- keit, verschiedenartigste Themen zu behandeln, bereits voll hervor. 9 Die glänzende Entwicklung dieser Gabe und der Übergang zu dem ihm vorbestimjnten Berufe aber kam als Folge der 1817 an ihn ergangenen Aufforderung, für das Edinburgh Monffdy Magaeine Artikel beizusteuern. Diese Monatsschrift sollte der zu ungeheurem Einfluß gelangten Edinburgh Review ein Gegengewicht geben. Wilson lieferte für sie im Juli einen Aufsatz über Lalla Roohh. Doch mit der Augustnummer ging das Blatt bereits wieder ein.

Noch waren die Parteigegensätze so wenig zugespitzt^ daß Wilson einer freundlichen Einladung Jeffreys folgend.

0 Hrs. Gordon 1, 61 ff.

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Ber literarisclie Bssay. 309

aach in der Edinburgh Eeview den Bericht fiber dramatische Literatur übernehmen konnte. Er sandte einen Artikel Aber Chüde Harald, C. IV, der jedoch erst im August 1818 erschien, als die Zeitungsfehde bereits in vollem Gange war.

Das Bedürfnis der liberalen, der Edinburgh Eeview, die das toiyistische Dogma in Politik und Literatur mit dem Nachdruck eines Orakels verkündete, ein Organ ihres eigenen Bekenntnisses gegenüberzustellen, erwies sich indes so mächtig, daß das eingegangene EdinJmrgh MonMy Magazine bereits im Oktober 1817 seine Auferstehung feierte als BlackwoocFs Edinburgh Magazine. William Blackwood (f 1854), ein unternehmungskräftiger Edinburgher Verleger, ein gründlicher Kenner Schottlands und seiner Geschichte, besaß jenes scharfsinnige Gefühl für das herrschende Be- dürfnis nach Neuem und Modernem, das gewöhnlich aus- schlaggebend ist für das Gelingen eines Unternehmens. Die Hauptstützen seines Bedaktionsstabes waren John Gibson Lockhart, James Hogg und John Wilson. Gleich die erste Nummer bekannte Farbe in drei Artikeln von deutlich ausgeprägter Physiognomie: einem Angriff auf Coleridges Biographia Literaria, die als ein „scheußliches Machwerk" bezeichnet wurde, einem Ausfall auf Leigh Hunt, der „ein schamloses Geschöpf ohne Ehrfurcht vor Gtott und Menschen'^ genannt ward, und einem von Lockhart, Hogg und Wilson gemeinsam verfaßten Werke, Translation from an Ändent Chaldee MS. (Übersetzung einer alten chaldäischen Hand- schrift). Der vorgebliche Fund eines uralten chaldäischen Dokumentes diente als Einkleidung für eine scharfe und über- mütige Satire sowohl auf die Redakteure des eingegangenen EdifU>urgh Monihly Magaeine als auf die gesamte Edin- burgher Gesellschaft, die der zu beispielloser Macht an-

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310 Der literarische Bnay.

gewachsenen Edinburgh Beview Gefolgschaft leistete. In diese Macht sollte ohne Bitterkeit mit den Pfeilen eines heiteren aber nm so persönlicher gefärbten Witzes, Bresche geschossen werden. Hogg, dem der Hanptanteil der Arbeit zugefallen war, erklärte nachmals, sich nichts Böses dabei gedacht zu haben. Seine Absicht sei nur gewesen, ver- blümt die Umtriebe innerhalb der Redaktion und der Partei aufzudecken. In der alttestamentarischen Sprache des Artikels war Wilson als „der schöne Leopard aus dem Tale der Palmen" bezeichnet und Lockhart als „der Skorpion, der da liebt zu stechen das Antlitz der Menschen." Der Eindruck des Chaldee MS. übertraf bei weitem jede Er- wartung und ist heutigen Lesern kaum mehr verständlich, weil wir uns von der leidenschaftlichen Heftigkeit des der- maligen Parteigefühls nur schwer eine Vorstellung machen können. Man war entweder Tory, folglich ein guter Mensch, oder Whig, folglich ein Schurke, und umgekehrt Strebte ein Tory einen Posten an, so war es Pflicht aller redlichen Tories, zu ihm zu stehen, und ein Whig hatte wenig Aussicht. Dies bot innerhalb seiner Partei einen will- kommenen Anlaß, ihn als Märtyrer zu proklamieren und die Gegner für feil und schamlos zu erklären. 0 Alle, die sich durch die neue Zeitschrift getroffen fühlten, er- hoben ein Zetergeschrei gegen das Blackwood Magaeine^ und dazu kam noch der Lärm derjenigen, die über die Profanation der Bibel Klage führten. Erschreckt zog Blackwood den Artikel zurück und entschuldigte sich, wurde aber nichtsdestoweniger zu einer Strafe von 1000 £ verurteilt.^)

0 Vgl Mrs. Gordon 1, 243.

«) NocUb, edited hy SheUon Mackensie, Fteface IX, X.

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Der literaiuche Essay. 311

Trotzdem war die übermfitige Eampflost bald wieder rege. 1819 erschienen in Blackwood^s Magcunne mit aller- lei satirischen Spitzen ausgerftstete Kritiken fiber niemals erschienene Bücher, deren eines Peter's Leiters to his Eins- folk, hy Dr. Feter Morris (Peters Briefe an seine Anver- wandten) aktuelle Zostände, die Edinborgher Whigs, die üniversit&t) die Zeitschriften, die Gesellschaft und religiöse Fragen mit äußerster Freiheit behandeln sollte. Die von Lockhart verfaßte Kritik war Mordecai Mullion unterzeichnet und erregte solches Interesse, daß Lockhart in aller Eile nachträglich das kritisierte Buch verfaßte, das allenthalben verlangt wurde. Feter^s Leiters^ 1817 geschrieben und ge- druckt, 0 füllen drei Bände mit Besprechungen der sozialen, politischen und landschaftlichen Verhältnisse Edinburghs und Glasgows. Lage und Gebäude, Gesellschafts- und Stadtbild, Gericht, Parlament, Klerisei, Kunst, Literatur und Wissenschaft läßt der für alles empfängliche Peter in seinen Briefen Revue passieren. Das Ganze, mit seinen ironischen Lobeserhebungen, seinen überzahlreichen, höchst persönlichen Einschaltungen muß eben jener Aktualität wegen, die es für die Nachwelt ziemlich ungenießbar macht, das Edinburgher Publikum aufs lebhafteste interessiert haben. Manches witzige oder treffende Urteil bewährt sich auch über den Tag hinaus. So gilt die folgende Charakte- ristik Jeffreys auch heut noch für mehr als einen seinen Beruf mißbrauchenden Rezensenten: „Der Zweck dieses Kritikers ist keineswegs der, den Lesern seiner kritischen Ergüsse das Eindringen in die Gedanken, Empfindungen oder Wahr- heiten, die der Autor beleuchten oder uns beibringen will, zu erleichtem oder sie dafür vorzubereiten« Sein Zweck

1) Vgl. Notües, edüed hy Mackeime, vol. XU: Memoir ofLockharL

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312 Der literarische Essay.

ist nur, den Autor lächerlich zu machen. Er gibt seine eigene schöne Begabung preis, um der Durchschnittsherde seiner Leser die Einbildung zu ermöglichen, sie sähen von dem Standpunkt eines höheren Oeistes auf den armen, irrenden, verblendeten Poeten oder Philosophen herab, der der Gegenstand der Kritik ist^

Das Urteil von BlctckwoocFs Magazine über Hunt, Hazlitt und „jene ganze pestilenzialische Botte^, wird dabei durchaus gewahrt und das Verdienst hervorgehoben, sie auf immer mit dem richtigsten und ausdruckvollsten aller Spitznamen Die Cockneyschule belegt zu haben.

Noch im Jahre der Briefe Peters begannen die Freunde in BlackwoocFs Magazine jene Aufsätze, die, bis 1835 unter dem Titel Noctes Ämbrosianae fortlaufend, dauernde Be- rühmtheit erlangt haben. Sie gehören in die beliebte Gattung der dialogisierten Abhandlung in der Form eines freundschaftlichen Gelages, das hier in das schlichte Milieu gemütlicher Kneipabende verlegt ist Die Fiktion un- gezwungener geselliger Zusammenkünfte leistet der Mannig- faltigkeit der zur Sprache kommenden Themen Vorschub und gestattet einerseits jede Sprunghaftigkeit, andererseits jede beliebige Ausdehnung. Der gewöhnliche Versammlungs- ort der kleinen Tafelrunde, die Taverne eines gewissen Ambrose, gibt diesen Nachten den Namen. Doch ist der Schauplatz nicht immer derselbe. So spielt sich eine Nacht teils in zwei Badekarren am Strande ab, teils im Wasser, teils in einem Omnibus. Hieraus erhellt bereits, daß, ebenso- wenig wie die Einheit des Ortes, die der Zeit festgehalten ist und die Noctes nicht lediglich des Nachts spielen. Die Freunde, die sich am Stammtische zusammenfinden, sind: Timothy Tickler, Wilsons trefflicher fiedelkundiger Oheim, der Bechtsanwalt Bobert Sym, ein würdiger, gesetzter Herr

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Der literarische Essay. 313

Ton Bildnng und Geschmack und unverrückbar toryistischen Ansichten. Seine Geistesrichtung ist vorwiegend auf das Exakte, ja Pedantische gerichtet und in seinem Interesse überwiegt das auf naturwissenschaftlicher Basis Beruhende. Ihm steht der genialere Christopher North (Wilson) gegen- über, der kritische, häufig der verneinende Geist, der An- greifer und Tadler. Die eigentliche Hauptfigur ist der Ettrick Shepherd (James Hogg). Wilson schätzt den Dichter von The Queen's Wake nicht geringer ein als Burns, ja, er hält ihn an visionärer Phantasie für überlegen. Wo Bums am schwächsten sei, sagt Christopher North, sei der Schäfer am stärksten. „Die luftigen Gebilde steigen vor seiner träumenden Einbildungskraft empor. Die stille, grüne Schönheit idyllischer Täler und Hügel, in denen er all seine Tage verbracht, gab ihm jene unausgesetzt vorüber- schwebenden Visionen des Feenlandes ein, bis ihm, da er sinnend auf den Matten lag, die Welt der Schatten in der klaren Tiefe als eine milderes Spiegelbild des wirklichen Lebens erschien, wie das von Berg und Himmel im Wasser seiner heimischen Seen. Spricht er vom Feenlande, so wird seine Sprache ätherisch. Heiterste Bilder steigen empor mit der Musik des Verses, und wir glauben schier an die Existenz dieser schemenhaften Reiche des Friedens, von denen er als eingeborener Sänger singt."

Christopher North weissagt Hogg dauernden Nachruhm. Denn „London vergißt seine Löwen. Doch das Herz des Waldes vergißt nicht Allda bedeutet der Tod eines Dichters nur den Beginn seines Buhmeslebens. Seine Lieder vergehen so wenig wie die Blumen. Sie sind alle ausdauernd. Seen mögen vertrocknen, Eom mag wachsen, wo einst der Tarrow floss, aber des Schäfers klagende oder schalkhafte, schwermütige oder heitere

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314 Der liteniische Essay.

Weisen werden nimmer veralten^ (An Hour's TaXk abatU Poetry, Eine Planderstunde über Poesie).

In den Noctes steht die ländlich schlichte, einnehmende Gestalt des Schäfers, mit einer Fülle individueller Züge ausgestattet, im Vordergrunde. Er gibt seine Lieder zum besten; er ist stets guter Dinge, stets gemütlich, ohne banal zu werden, und liebt eine kräftige Ausdrucks- weise, ohne ins Brutale zu verfallen. Ein echter Humorist, mit sich und dem Leben zufrieden kraft eines heiteren Darüberstehens, treuherzig und temperamentvoll, voll Mutter- witz und urwüchsigen Selbstgefühls, ist der Schäfer eine naive Vollnatur von kindlicher, durch Bildung unverdorbener Genialität. In theoretischen und literarischen Dingen ist ihm Christopher North überlegen, dessen zum Paradoxen neigende Aussprüche er hinwiederum auf ihr rechtes Maß zurückzuführen pflegt. Das treffende Urteil ist in der Eegel Hogg in den Mund gelegt. Ferrier, der Herausgeber von Wilsons Werken, nennt den Ettrick Shepherd der Noctes eine der besten und vollendetsten Schöpfungen des drama- tischen Genius. Aus geringem Material, sagt er, sei ein Ideal geschaffen worden, unendlich größer, realer, origineller als das Urbild, nach dem es gezeichnet ist, gleichzeitig höchst individuell und national. 0

Des Schäfers gutmütige Spötterei über die kleinen Schwächen des von ihm geschätzten und geliebten Chris- topher North, sowie das freundschaftlich begeisterte Lob seiner Vorzüge bieten Wilson Gelegenheit zu einer Selbst- charakteristik, die von Selbstüberhebung wie von Selbst- unterschätzung frei erscheint.

1) Noetea, Introäuction XVIL

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Der literarische Essay. 315

Die übrigen Personen der Noetes treten znrack. Doch sind ihrer genng, um die Lebhaftigkeit der Unterhaltung zu wahren. Selbst die häuslichen Gefährten der Tierwelt mengen sich ein, der prächtige Neufundländer Bronte und sein Sohn O'Bronte, ein Papagei und ein Rabe, der vielleicht der Ahnherr von Bamaby Rudges klugem Freunde ist. Ja, anläßlich einer Verbrennung verbotener Artikel tritt der Teufel in Person in die Stube. Das Gespräch bewegt sich im ganzen Umkreise menschlicher Interessen. Die Politik bleibt im Hintergrunde, soziale, philosophische, literarische Tagesfragen stehen im Mittelpunkte. Neuerscheinungen werden besprochen, alte vertraute Größen betrachtet und ge- legentlich auch aUgemein abstrakte Themen aufgeworfen, z. B., ob es war sei, daß hochfliegende Phantasie sich mit starkem Intellekt nicht vertrage? Daß die Poesie verfalle, wenn die Wissenschaft blühe? Und Ähnliches.

Aber auch der harmlose Scherz kommt zu seinem Rechte und persönliche Leiden und Freuden des Tages, wie Christophers böse Gicht und seine Vorliebe für den Angelsport.

Einzelne Abschnitte gestalten sich zu kleinen Aus- schnitten der Zeitgeschichte, wie die Schilderung der alten Postkutsche oder der italienischen Tänzerin im VIIL Stück. Die Charakterverschiedenheit der am Gespräch Beteiligten ermöglicht eine Beleuchtung der besprochenen Gegen- stände von verchiedenen Gesichtspunkten aus und bewahrt das Urteil vor Einseitigkeit.

Gleichzeitig kommt die unverbindliche, zwanglose Ge- sprächsform der Noetes Wilsons schriftstellerischer Eigenart am glücklichsten entgegen. Sie setzt die dramatische Lebendigkeit seines Stils ins glänzendste licht und ver- hüllt das Planlose und Fragmentarische seiner Schreibweise

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316 Der literarisdie Essay.

durch die Zufälligkeit spnmghaften Geplauders. Von Byron zur Hinrichtung eines Mörders, von Milton zu Homer oder einem Rezept füi* Toddy solche jÄhe Sätze vollziehen sich ohne verletzenden Ruck. Was in den Essays als Mangel an Komposition berührt, steigert in den Nodes den Ein- druck des Natfirlichen, Echten. Der Mangel wird zum Vorzuge.

In der Tat ist bei keinem der andern Essayisten das spezifische Talent des Flanderns in solcher Stärke ersicht- lich und zu solcher Feinheit entwickelt wie bei Christopher North. Über nichts und alles reden, mit so fesselnder Leichtigkeit reden, daß der Leser willig durch die ziellosen L*rwege der planlosen Unterhaltung vom Hundertsten ins Tausendste folgt, ohne zu fragen: wie lange noch? das ist Christophers eigentliche Kunst Der Essay um des Essays willen über einen Gegenstand, der gar keiner ist, zu keinem ersichtlichen Zweck, das ist die eigentliche Charakteristik seiner Aufsätze. Sie sind der großen Mehr- zahl nach Feuilletons ungeheuerlichen ümfanges. Durch einen Zeitraum von über 25 Jahre (von 1826—1852) er- schienen sie in BlackwoocPs Magojnne, die letzte Serie 1849—1852 unter dem Titel Dies Boreales, ar Christopher under Canvas (Wintertage oder Christopher unter Segel). Eine Auswahl sammelte Wilson 1842 in Buchform als Becreations (Erholung). Die Ziellosigkeit ist in allen diesen Aufsätzen das einzige Ziel, dem er nur scheinbar un- bewußt — zusteuert. Wie immer wir auch, nach der gewöhn- lichen Vorstellung etwa dem Schlafwandler gleich, herum- geschweift, sagt er, glaube nicht, daß in unserem Wahnsinn nicht Methode sei, noch lucidus ordo in unserem Trauma All diese Seiten sind von einem Geiste belebt. Unsere Gedanken und Gefühle folgen einander nach dem bew&hrtesten Prinzip

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Der literariflche Essay. 817

der Assoziation und durchweg ist das rechte Ebenmaß gewahrt Der Artikel ließe sich mit einem edlen Baume vergleichen. W&chst auch hier und dort, oben oder unten, ein Zweig llber seine Bruderzweige hinaus, streckt sich auch etwa auf einer Seite ein Arm weiter ins Dunkel hinaus als auf der andern, so daß es einen ungleichmäßigen Schatten gibt, der Baum wird durch solche im großen Stil arbeitende Spiele und Grillen der Natur dennoch nicht entstellt Er steht da, ein herrlich Ding, einem alten Schlosse auf dem Kliff Aber dem Wasserfalle gleich. Wehe und Schmach der verbrecherischen Hand, die einen knospenden Zweig abhiebel Unbehelligt laßt zahme und wilde Gtechöpfe des Reviers in Sturm und Sonnenschein Schutz und Schatten finden im stillen Umkreise seines grfinenden Alters^. (Christopher in his Sporting Jackef).

Häufig läßt sich der Inhalt dieser Essays schwer an- geben. Oft ist er in der Tat gar nichts Bestimmtes. Der mttßige Geist schlendert planlos dahin, allerlei Gedanken spinnend. Einer erzeugt den andern. Das Merkwürdigste ist nur, daß diese Aufsätze ohne Inhalt fast durchweg gehaltvoll sind selten mehr als Geplauder, fast niemals Geschwätz. Von unbeabsichtigter Symbolik ist die häufig wiederkehrende Schlußformel, der Verfasser müsse abbrechen, weil die Lampe ausgehe. Ohne ein solches zu- fälliges, rein äußerliches Moment spänne sich der Faden in gleicher Weise ins Unendliche fort. Und trotz der fabelhaften Länge von Christophers Au&ätzen berührt ihr Ende häufig als ein Akt der Willkür.

Sein Stol^ebiet begreift einen viel engeren Horizont als das Hazlitts. Seine Menschen- und Weltkenntnis geht nicht über die Heimat hinaus und selbst innerhalb dieses Umkreises greift er gern nach dem Nächstliegenden. Novel-

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S18 Der literarische Esmy.

listische Themen sind bei weitem in der Minderzahl, ihre Dorchführang gewöhnlich untergeordneter Art HigMand Snoicstorm. Ein Schneesturm im Hochlande; Ä Tale of Eocpiation, Die Geschichte einer Sfihne; BecreaUons, Er- holungsstücke). Kleine Erlebnisse des Alltags liefern ihm die Gegenstände für lange Artikel Die Freuden der Jagd und des Angelns bieten Stoff für drei Aufsätze {Christopher in his Sporting Jacket)^ das heimiscne Moorgebiet ffir vier von zusammen 127 Seiten {The Moors)] eine omithologische Bundschau füllt vier Essays {Christopher in his Aviary, Christopher an seinem Vogelbauer). Eine Detailmalerei von genrebildartiger Pinselfeinheit ist sich oft Selbstzweck, z. B. beim Schildern der Übersiedlung nicht einer be- stimmten, sondern gewissermaßen des Urbildes der Über- siedlung mit allen typischen Eigenschaften dieses gräulichen Vorkommnisses. {Streams). Christophers Themen wohnt, etwa mit Ausnahme der literarisch -kritischen, kaum ein selb- ständiges Interesse inne. Allein es gibt selbst das Koch- buch der Mrs. Margaret Dodds nicht ausgenommen {Essays Critical and Imaginative, Au&ätze aus dem Bereiche der Kritik und Phantasie) kaum eins, das er nicht interessant zu machen, dem er nicht einen bedeutsamen Zug abzugewinnen wüßte. Selbst das Alltäglichste und Abgedroschendste hebt er in eine geistige Spähre, die ganz dicht an das Reich der Poesie grenzt „Kleine abgezehrte, glimmende Kerzel^ apostrophiert er ein verlöschendes Licht. „Noch ein kurzes Flackern und in wenigen Augenblicken wird dein Licht- und Lebensdocht verbraucht sein. Welch einen Gegensatz bildest du zu deinem eigenen Selbst^ wie es vor acht Stunden warl Damals warst du fürwahr ein strahlendes Licht und deine glänzende Krone glühte hoch oben in der Stuben- dämmerung wie ein Stern, in mittemächtiger Stille ein

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Der literaruche Essay. 319

Memento mori, das nnsern Geist nicht schreckte. Nun bist dn sterbend sterbend tot! Unsere Zelle liegt im Dunkeln. Doch mich dflnkt, wir sehen ein anderes, ein reineres, ein klareres Licht, eines unmittelbar vom Himmel. Wir berOhren nur eine Feder im hölzernen Fenster- laden — und siehe I der volle Schein des Tages! 0, weshalb sollten wir sterbliche Wesen jenes n&chtliche GMftngnis fürchten, das Grab?^ (Christopher in his Aviary, Becreaiions IL)

Christophers Schilderungen sind von jener breiten Ausführlichkeit, die nur durch gl&ubiges Interesse an ihrem Gegenstande möglich wird. Er beschreibt anschaulich und eingehend, realistisch. Aber es ist ein romantischer Verismus, kein naturalistischer, dem er huldigt In Our Parish (Unser Eirchsprengel, Becreations T) wirft er plötzlich die Frage auf, ob das paradiesische Bild, das er eben vom Moorlande ent- worfen, denn auch wahr sei? Und er erwidert: „So wahr wie die Heilige Schrift, so falsch wie eine Er- findung aus Tausend und eine Nacht Wie geht dies zu? Wahrnehmung, Gedächtnis, Phantasie sind allesamt Gemütszustände. Aber das Gemüt ist eine Substanz, die Materie eine andre, und das Gemüt beschäftigt sich nie mit der Materie, ohne sie zu metamorphosieren wie ein Mythologe. So werden Wahres und Falsches, Wirklichkeit nnd Erfindung ein und dasselbe, denn sie sind so durchaus yerwoben, daß niemand beweisen kann, was biblisch, was apokryph und was rein romanhaft sei . . . Der Geist des Ortes aber bleibt derselbe trotz aller willkürlichen Ab- änderungen der Phantasie, denn die Phantasie hat die ganze Zeit aus diesem Geiste heraus gearbeitet^

Die Durchdringung des Wirklichen mit Stimmungsgehalt ist füi* Christopher Norths Naturbehandlung charakteristisch.

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320 Der Uterarische Easay.

Direkte Personifikation ist bei ihm nicht eben hänflg. ESn Beispiel bietet die nicht gerade geschmackvolle des Winters als eines alten Herrn mit seinem Sohne Lenz, der gelegent- lich, wie sein Vater, kalt gegen Fremde nnd bissig in seinen Bemerkungen ist oder ganz in sich selbst versinkt Aber seine eisige Kälte taut bald. Sein Antlitz belebt sich, seine Sprache wird sogar blumenreich und er liebt nichts so sehr als einen Spaziergang. {Streams^ Essays Critical and Imaginative).

Als Erzähler trachtet Christopher North in der Regel den Naturhintergmnd mit dem Vorgänge übereinzustimmen (The Bainbow. Der Regenbogen; TheShieling, Das scheuende Pferd; Lights and Shadows of ScoUish Life. Lichter und Schatten des schottischen Lebens; luch Cruin.) Die Natur spricht eine verwandte Sprache, sagt er in dem Ge- dichte My Cottage. Mit so milden Tönen, wie sie nur je ein Kindlein an der Mutterbrust beschwich- tigten, überredet sie uns, ihre Weisheit zu lernen. Wer in ihrem Herzen gelesen und das eigene Herz in gleicher Heiligkeit bewahrt, den geleitet sie sacht zu Qrabe. Christopher liebt die Natur und fühlt sich in ihrer Liebe geborgen. Sie bedarf des Dichters wie er ihrer bedarf. In seinen Gesängen lebt ihre Herrlichkeit auf ewig. Die gnadenvolle Macht des Frühlings in lieblicher Einsamkeit erweckt in ihm die Erinnerung an die un- schuldig glückliche Jugend und er singt dem Lenz einen nachdenklichen Hymnus (Hymn to Spring). Im Fluß, im Donner erklingt ihm eine Stimme, mit welcher er Zwie- sprach pflegt. Christopher North besitzt für die Natur jenen Goldblick der Phantasie, der überall Reize und Freuden aufzudecken vermag. Nirgends ist sie so dürr, so düster, daß sie den jugendlichen Geist nicht für eine

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Der fiterarische Essay. 321

Beihe jener Oenfisse weckte, mit denen sie das Leben bis znm Überfließen füllt {Our Parish), Das Moorland, wo seine Wiege stand, nnd die Seen, an denen er die glflck- lichen Jngendtage verlebte, sind wieder nnd wieder der Gegenstand seines Preises. Er verherrlicht es mit hymnen- artigem Schwnnge. „Schön bist dn, wie in alter Zeit^ o wildes Moor- nnd Wald- nnd Hirtenland-Eirchspiell Paradies, wo nnser Gteist in der glorreichen Lebensdämmemng weiltel Ist es möglich, geliebte Welt der Enabenjahre, daß dn wirklich noch so schön bist wie in alter Zeit? Ob die Tanbe gleich mit ihrem Flügelschlage in einer halben Stunde deine Grenzen umkreist und umkreist, obgleich die Schwalbe, die die epheuumkleidete, von Mauerblumen umstandene Schloßruine im Mittelpunkt ihres eigenen Reiches um- schwirrt, auf einem Femfluge mit den halbmondförmigen Schwingen bereits ein Tal streift, das sich eines eigenen Kirchturms erfreut wie reich bist du dennoch an Strömen, Flüssen, B&chen, ein jeglicher mit seinem be- sonderen Murmeln wie reich in deiner Lage, so kühn auf dem kahlen Abhang, der sich in immer strahlender Wellen- bewegung aufwärtszieht zu den Portalen des Ostens! Un- aufhörlich ist auf deinen Hügeln und Hängen der Wechsel von Wäldern und Wiesen, von Schluchten und TSlem und ginsterbestandenen Winkeln ohne Zahlt Und in den Be- hausungen der Menschen wie steigt immer und ewig der Bauch zum Himmel emporl Wie liegen sie nachbarlich beieinander, so daß man den Hahnenschrei hört von Heim- statt zu Heimstatt. Und dennoch taucht, während du weiter wanderst, jedes Dach so unerwartet und einsam auf, als wäre es weit von den anderen entfernt Du schönster unter Schottlands tausend Eirchsprengeln weder Hochland, noch Flachland, sondern brauchen wir den beschreibenden Aus-

Oasehichte der «Djrlischen Romantik U, 1. 21

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322 Der literarische 'Bbsmj,

drack noch einmal wellenförmig wie die See im Sonnen- untergang eines stürmischen Tages oh, des Himmels Segen fiber dichl Du bist wahrlich schön wie in alter Zeit (May Doy, BecreoHons).

Christopher North findet es entsetzlich, daß ein großer Teil der im Schutze der Gesetze lebenden Gesellschaft mit diesen in keine andere Berührung komme als die der rächenden Strafe; daß gem&ß einer notwendigen Gesellschafts- ordnung ein Teil der Gesellschaft als natürlicher Feind des andern behandelt und nur durch einen beständigen Krieg im Zaume gehalten werde. (On ihe Punishment of Beath. Über die Todesstrafe.) Wie jede starke Empfindung bei Christopher North Gefahr läuft, ins Sentimentale auszuarten, so gehen seine Betrachtungen über eine Reorganisation des Strafgesetzes unvermerkt in einen Appell an das Mitleid über. Für jene, denen das Los der Armut zugefallen, bedeuten Laster und Sünde oft mehr ein Verhängnis als eine Schuld. Die sittliche Korruption der Gesellschaft zeitige die Verbrecher. Man könne die Übeltäter nicht durch Furcht bewältigen, denn sie hätten nichts zu ver- lieren und ihrer seien zu viele.

Christopher ist ein ausgeprägter und überzeugter Tory, dessen Aristokratismus gleichwohl durch die Moralphilosophie und das Literatentum seine individuelle Note empfängt Da, wie er meint, der englische Adel durch den starken Ein- schlag Nicht-Blaublütiger aus dem Handelsstande eine Ein- buße an exklusiver Vornehmheit erlitten habe, so müsse künftig die Aristokratie des Ranges an einer Aristokratie des Talentes und der Tugend eine Stütze finden. Den ver- haßten Radikalen, den Absichten niedrig gesinnter, niedrig denkender, gemeiner und roher Jakobiner solle die Literatur, die Presse entgegenwirken. (On the Funishment ofDeaih)

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Der literarische Essay. 323

„Ja, wir sind ToriesI^ ruft er aus, „unser Glaube gilt dem göttlichen Bechte der Könige. Aber sachte, Jungens, sachte! AUe freien Menschen sind Könige und sie haben ihre Herrschaft von Oott. Das ist unser politisches, philo« sophisches, moralisches, religiöses Glaubensbekenntnis. In seinem Geiste haben wir gelebt in seinem Geiste hoffen wir zu sterben.'' Day ai Windermere, Recreadons.)

In Homer and his Translators (Homer und seine Über- setzer) bezeichnet Christopher sich als Patrioten und Kosmo- politen. Hier vertritt seine romantische Vorliebe für das Primitive, in den Schatten Geteilte und Übersehene seinem Toryismus den Weg und er findet, daß die sogenannte er- lesene Gesellschaft weder das Talent noch das Material ffir poetische Darstellung aufbringe. Was wftre Scott, hätte er das Volk nicht gekannt, geliebt? Was Shakespeare, h&tte er sich nicht häufig von den Königen und Lords zu ihren Untertanen gewandt? Was Wordsworth, hätte seine erhabene Phantasie, sein hoher Geist es verschmäht, unter dem Turbalken des armen Mannes das Haupt zu beugen? (The Genius of Bums). Von eigenen Volks- dichtem oder gar Dichtem des dritten und vierten Standes will er hingegen nichts wissen. Alle Dichter sind Dichter der Armen. Oder ist etwa nicht das gesamte Menschen- geschlecht ein armseliges, der Sfinde und dem Grauen des Todes unterworfenes Geschlecht? Die Welt ist ein Armenhaus und die sie regieren sind nur Aufseher. Wer anders als ein Narr dürfte seine Stimme erheben und sagen: Ich bin reich! da ihm doch selbigen Augenblickes, gelähmt, der Mund schief stehen oder ein SchlagfluB ihn in einen Klumpen atmenden Lehms verwandeln kann? Schönheit, Geist, Genie, was bedeuten selbst sie in diesem unserem geheimnisvollen Leben? (Poetry ofEbeneeer Elliot)

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324 Der literarische Essay.

Von dem Eosmopolitismos, den Christopher sich nach- rOhmt, vermag der Nichtbritte schlechterdings nichts zu gewahren. Vielmehr artet sein Patriotismus in Anglomanie aus. Bleibe es immerhin als eine jener Geschmacksachen dahingestellt, «fiber die sich nicht streiten läßt, dafi er den Qeist der Freiheit eine Dryade mit der Verheißung trösten läßt, ihr vom Blitz gefällter Baum sei zum Mäste ersehen für das Schiff, das den siegreichen Nelson durch die Eriegs- sttrme tragen werde. (The Faüen Oak. Die gefällte Eiche) Aber es gibt Fälle, in denen Christopher North unbestreitbar geschmacklos wird, z. B. wenn er triumphiert, daß England mit einziger Ausnahme Schottlands das schönste Land der Welt sei und daß, gottlob, beide ein Eönigreich bilden, durch keine wirkliche oder eingebildete Grenze geschieden, sondern vereinigt durch den Tweed. (An Haur^s Talk about Poetry),

Der unerreichte Gipfel der Schöpfung ist selbstredend Schottland. Nirgends weist die Natur mannigfaltigere Formen der Schönheit und Erhabenheit auf (BemcMrks on ihe Scenery of ihe Highiands. Bemerkungen über die Hochlandgegenden.) Das schottische Elima ist das beste im Umkreise aller Himmelsstriche (Noctes VI). Die Lage der schottischen Bauernschaft ist die glücklichste, die die Vorsehung den Eindem der Arbeit jemals und irgend- wo beschieden. Bums ist der größte, volkstümlichste Dichter, kein Land der Welt, außer Schottland, hätte einen solchen Mann hervorbringen können. Er vertritt den Genius des Landes. {The CharcuAer and Genius of Bi4ms.)

Innerhalb Schottlands steht Edinburgh auf der Leiter der Vollkommenheit zuhöchst Wie eine stattliche Gestalt mit breiten Schultern ein nach allen Regeln der Phreno-

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Der literarüche Essay. 325

lo^e schön gebildetes Haupt, so trägt Schottland seine Hauptstadt. „Und nimmer, nimmer das ist unser Morgen- und Abendgebet nimmer möge sie dies Haupt in Schmach beugen lassen, sondern es hoch erhoben tragen, gekrönt mit Buhm, bis es keinen blauen Himmel mehr gibt, bis das Ebben und Fluten dieser sonnenhellen See aufhört^ (Old and Young North, Der alte und der junge North.) Was Christopher von Bums rühmt, das darf man zum großen Teil auch von ihm selbst sagen: sein Patriotismus war von der echten poetischen Art intensiv, exklusiv. Schott- land und das schottische Klima sind in seinen Augen die von Natur bevorzugten. Schottland und das schottische Volk sind die Mutter und die Kinder der Freiheit. {The Character and Genius ofBums.) Gelegentlich wird Christophers Lob der Heimat zum feierlichen Panegyrikus auf Schottlands himmelragende Berge und purpurne Heidemeere, auf seine Hütten und alten Steindenkmale, seine donnernden Katarakte, auf den Schrei seiner Adler, das fröhliche Girren seiner Holztauben, den Flügelschlag seiner Rotkehlchen im sommer- lichen Gehölz. „Beseele dich, o holde Scotia, stets der heimische und nie ein fremder Geist", so fleht er. „Schwebe dir allzeit auf den Lippen die Musik deiner dorischen Sprache!" {Old and Young North.)

Selbst wo Christophers Patriotismus noch so dick auf- getragen erscheint, ist er ernst gemeint. Der Heimat gegen- über kennt er keinen Scherz, geschweige denn eine Satire.

Um Christopher Norths Humor ist es überhaupt nicht sonderlich bestellt. Er bedeutet den Punkt, in dem uns seine Schriften heute am meisten veraltet scheinen. Hier empfindet der moderne Leser am stärksten, daß North einem Geschlecht angehörte, das über mehr Harmlosigkeit und unendlich mehr Zeit verfügte. Die Schelmenstücke des

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826 Der literarische Essay.

temperamentvollen, tr&omerischen Pferdes Ciolonsay und die Verlegenheiten, die sie dem Sonntagsreiter Christopher bereiten, danken dem heutigen Leser ein allzu dürftiger Stoff für zwei umfangreiche Essays {Christopher on Cölon8ay\ wenn er auch die mit psychologischem Feingefühl heraus- gearbeitete Seelenübereinstimmung von BoB und Reiter als eines exzentrischen Paares nicht verkennen wird.

Ungleich mehr wie auf den Humor ist Christophers ganzes Sein auf das Pathetische eingestellt Er ist im Innersten erfüllt von dem Streben nach jener idealen Schönheit, welche er definiert als „das Eidolon oder im Tode lebendige Bild eines Wesens, dessen Stimme einst erklang und dessen Füße unter den Blumen der Erde gewandelt^ {A Day at Windermere.) Die Schönheit, die einst Wirk- lichkeit war, wiederzugewinnen, h&lt er für die Aufgabe der Poesie. Ihr Zweck ist Freude, Entzücken, Belehrung, Erweiterung (eoppansion), Erhebung, Ehre, Ruhm, Glück hienieden und dermaleinst (Sacred Poetry.) Der G-eist der Freude ist die ausschließliche Quelle aller Macht, die der Dichter über die Natur hat Und dieser Geist ist hin- wiederum identisch mit dem Schönheitssinne, mit welchem der Poet vom ersten Dämmern des sittlichen und vernünftigen Denkens an jede Erscheinung der Natur betrachtet hat Von Anbeginn hat er für sie gefühlt wie ein Liebhaber oder wie ein Eind. Sie war allzeit seine Mutter, seine Schwester, seine Braut, seine Gattin, und alles das in einem wunder- baren lebendigen Zauber, der über die Gebilde seiner Phantasie und die Sehnsüchte seines Blutes gebreitet lag. Was Wunder, daß alle Erscheinungen der Natur auf ewig und ewig in den Quellen seiner Augen wohnen und alle ihre Töne in den Quellen seines Ohrs. Denn was sind diese Quellen als die Tiefen und Abgründe seines eigenen

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Der literarische Essay. 327

giacklichen, doch ttbererregten Herzens? Der Dichter allein erkennt die Welt {Days D^arted, or Banwell Hül. Aus vergangenen Tagen). Wir leben, wir atmen in der Poesie. In ihr ist unser wahres Sein sie ist unseres Lebens Leben, das Herz des Mysteriums. Würde es aus- gerissen und hörte auf zu schlagen, so wäre das Weltall, das nun über und über mit symbolischen Lichtzeichen beschrieben ist, plötzlich eine leere dunkle Fläche, mit toten Buchstaben bekritzelt, oder vielmehr der Band würde zugeklappt und erschiene als ein großer Foliant mit Metall- schlössern, in Kalbsleder gebunden und mit Spinngeweben behangen. (Tennyson's Poems). Sonderbar sticht aus dieser schwärmerischen Auffassung des Alls ein pedantischer Einschlag exakten Wissens heraus. Christopher North definiert Phantasie als Intellekt, der nach bestimmten Gesetzen des Gefühls und der Leidenschaft arbeite; Wissen- schaft als die richtige Erkenntnis des Geistes und der Materie, so weit uns eine solche gegeben sei. Phantasie ist die höchste Gattung des Intellektes und Poesie die höchste Gattung der Wissenschaft. Darum kann es eine Poesie, die dieses Namens würdig ist, nur in einem wissen- schaftlichen Zeitalter geben. An der Poesie der Gegenwart hat Christopher North auszusetzen, daß sie sich nicht genug mit dem Leben und der Wirklichkeit befasse. Dies liege jedoch nicht an einem Stoffmangel, sondern am Talent der Dichter. Von jenen, die die Wirklichkeit resolut an- zupacken versuchten, gebrach es Cowper an Kraft, Words- worth wandte sich seiner Hauptleidenschaft, der Natur, zu; Bums allein hat das Leben, für das er geboren ward, fest im Auge behalten und in Poesie umgesetzt Dies ist der wahre Prüfstein des Talentes. Denn es ist nicht geschaffen, in früheren Welten zu leben, sondern in seiner eigenen,

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328 Der literarische Essay.

nm in ihr durch eigene Kraft Poesie zu entdecken. Als Beispiel führt Christopher Schiller an. Er versetzt zwar seine Dramen in entlegene Zeiten und L&nder, aber wir finden in ihnen uns selbst wieder. Dem realen Leben der Gegenwart entnimmt er den furchtbaren Zauber der Leidenschaft, mit dem er das Fühlen und Denken in seinen Grundfesten erschüttert Few Words on Shakespeare. Einige Worte über Shakespeare).

In Streams geht Ghristopher North so weit, die poetische Erfindung mit der Lüge zu identifizieren, das reale Erlebnis mit der Wahrheit

Die Wahrheit sollte sein wie zu gleichen Teilen ge- wässerter Branntwein. Zu starke Yerwässemng durch das MaB der Einbildung macht sie schwach und geschmacklos und geeignet, Übelkeiten hervorzubringen. Der reine Spiritus schlagt einen nieder wie ein Hammer. Aber „halb und halb entfacht eine gegenseitige Neigung zwischen dir und der Welt". So erkennt North in der Theorie klar, was er in der Praxis häufig verfehlt In dem Essay Cottages verspottet er mit heiterer Laune die Verlogenheit der idyllischen Dorfromantik. Die wunderliebliche poetische Hütte ist in Wirklichkeit voll übler, widerlicher Gerüche. Die reizende Schlingpflanze, die sie von außen umrankt, ist ein Träger von Ungeziefer, das malerische Strohdach ist immer schadhaft; die lieblichen weißen Lämmchen ver- derben Rasen und Bäume. Als Erzähler jedoch verirrt North sich selbst in die Begion des Konstruierten und Irrealen, des alten Mustern konventionell Nachgebildeten. Da gibt es Schäferromantik, die mit dem Rokoko wetteifert {The Lily of Litüsdale^ Lights and Shadotcs of Scottish Life); Eirchho&romantik, die die düstere Eüstenlandschaft und das Geschrei der Seevögel zum Bilde eines Friedhofes der

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Der literaxische Essay. 329

Schiffbrachigen benutzt, wo Gespenster ihre schaurigen Lieder singen, denen der Tod den Takt angibt (Lines wriUm in a Burialground on Ihe Northern Coast of the Highlands. Verse, auf einer Begräbnisstätte an der Nordküste des Hochlands geschrieben); oder das sentimentale Ä Churchyard Scene. (Friedho£szene). Bührselige Tugendromantik, Romantik der schönen Seele und des edlen Leides, das sich in Seligkeit verklärt, ist bei Ohristopher North besonders häufig (Gedichte The Widow. Die Witwe; The Desolate Village. Das verödete Dorf).

Auch an zarter Liebesromantik, ohne sinnliche Hinter- gründe und leidenschaftliche Abgründe, ist kein Mangel. Der zitternde Arm des Liebenden umfängt die Geliebte wie Licht, Musik, Duft. Sie sehen in den Glanz der auf- gehenden oder der sinkenden Sonne und fühlen, daß ihre Liebe unsterblich sei, daß jede Umarmung sie in die Eegionen eines künftigen Lebens hinüberleite (Streams). Mitunter verläßt Christopher den Boden des Bealen völlig und begibt sich ins Feenreich. Elfenzauber erscheint, eng verschwistert mit christlicher Gläubigkeit; in Ä Lay ofFairy Land (Legende aus dem Feenlande) schon im Titel scheint die Ver- quickung des Heidnischen und Christlichen bedeutungsvoll wird eine Hirtin während des Bibellesens in die Feen- region entrückt. Am anmutigsten ist Norths Elfenromantik, wo sie zur Belebung der Landschaft und zum Stimmungs- ausdruck dient; so, wenn er das Treiben der beseelen- den Geister des Seendistriktes schildert {The Fairies. Die Elfen). Das Beste, was ihm in dieser Richtung gelungen ist, und zugleich durch die Parallele mit Blakes gleichartiger Vision interessant, ist eine Schilderung eines Elfenbe- gräbnisses an den haidebestandenen Ufern des Orchy in einer der langen, taureichen Sommernächte. „Man ver-

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Der literarische Essay.

nahm kleine Pfeifen wie hohles Bohr, das im Nachtwinde flostert. Die kaum hörbare Totenklage war klftglicher als jede irdische. . . . Dann kam das Trippeln kleiner Füße und dann eine Hymne. Die Harmonie war wie das Schmelzen musikalischer Tautropfen und sang, ohne Worte, von Gram und Tod. Hunderte von Geschöpfen, nicht größer als der Eamm eines Kiebitzes, ließen ihre verschleierten Köpfe hängen. Sie standen im Kreise auf einer grftnen Fl&che zwischen den Felsen, und in der Mitte stand eine Bahre, aus Blumen gellochten, die im Hochlande unbekannt sind und auf der Bahre lag eine Elfe mit unverhülltem Gesicht, lilienbleich und reglos wie Schnee. Das Totenlied ward leiser und leiser. Es verklang. Zwei Wesen traten aus dem Kreise und stellten sich zu Häupten und F&ßen der Bahre. Sie sangen wechselnde Weisen, nicht lauter als das Ge- zwitscher der erwachenden Waldlerche, ehe sie sich in die tauige Luft schwingt, aber schmerzlich, voll Todes- verzweiflung. Die Blumenbahre regte sich, denn der Platz auf dem sie stand, sank langsam hinab, und in wenig Augenblicken war die Rasenscholle so glatt und weich wie immer ja Tautropfen glänzten über der begrabenen Elfe. Eine Wolke ging über den Mond und die Trauer- schar entfernte sich mit einer choralartigen Klage, die man noch von fernher vernahm, so still war die mittemächtige Einsamkeit des Tales.« {The Moor).

Vergleicht man einen derartigen Passus mit Wilsons Gedichten, so begreift man seine eigene Wertabschätzung zwischen Poesie und Prosa: „Wir glauben, die Prosa sei bestimmt, was man Poesie nennt, aus der Welt zu schaffen." Milton, fährt er fort, habe furchtbar unrecht, von „Prosa und rhythmischem Vera" zu reden. Die Prosa sei millionen- male rhythmischer als der Vers. Auch werde die Prosa

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Der literarische Essay. 331

besser, je poetischer sie sei; der Vers aber gehe in dem Aagenblick, in dem er prosaisch werde, zum Teufel {Stroll io Orasmere. Spaziergang nach Grasmere).

Die T&ler nnd Seen von Cnmberland sind, was man anch aber die Alpen nnd Pyrenäen sagen mag die Ghristopher, wohlgemerkt, beide nie gesehen der schönste Punkt der Welt Von der herrlichen Aussicht vom Gipfel des Old Man bis zum Prasseln der Forellen in der Pfanne der vortrefflichen Wirtin wird kein Beiz des Seenaufenthaltes übergangen. Die drei Aufsätze Christopher ai ihe Lahes (1832) bilden in breitester Ausführlichkeit eine Art Fremdenführer für Windermere. In ihren besten Stellen bieten sie allerdings unendlich mehr. Da arbeitet Christopher North in durchaus individueller Art sozusagen den Stimmungsgehalt der Landschaft heraus. Er schildert weder das Gesehene noch den Eindruck des Gesehenen, sondern beides nur mittelbar durch die Stimmung, in die es das impulsive, empfängliche Gemüt versetzt und für die er in leicht flüssiger, lebendiger Rede stets den treffenden Ausdruck zur Hand hat Nichts Gemachtes, nichts Ge- schraubtes ist in diesen Naturstimmungen. Selbst von Natur- enthusiasmus will Ghristopher nichts wissen. Die anspruchs- lose Fröhlichkeit, die unbewußt und von selbst in Entzücken übergeht, ist ihm die rechte Stimmung zum Naturgenuß. Allgemeine Freude ist das Gesetz der Natur {Lines an Becovering from a Dangerous Mlness. Zeilen über die Ge- nesung von einer gefährlichen Krankheit; Ä Day at Winder- mere, Ein Tag in Windermere; BecreaUor^, Erholung). Die eigene Seele klingt mit der Naturseele zusammen und un- ausgesprochene Imponderabilien schwirren zwischen den Zeilen und bringen eine Wirkung hervor, die sich in ihrer Subtilitat kaum zergliedern läßt. Schildert Christopher

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832 Der literarische Essay.

den Sonntagsmorgen, so wird in das Landschaftsbild, welches das Fenster umrahmt, nicht etwa ausschließlich oder auch nur hauptsächlich der Kirchgang einbezogen, sondern auch das Feiern von der Arbeit, das behagliche Frühst&ck, ja selbst das Rasieren, und das Ergebnis ist eine gesättigte Stimmung der Sabbathfeierlichkeit in der Natur wie im fiause (Chris- topher at ihe Lakes HQ. Ein Blick in die Landschaft und einer ins Gemüt, das ist Christophers Art der Naturbetrach- tung. Selbst wo er ein Naturphänomen exakt beschreibt, gewinnt er die rechte Anschaulichkeit durch Vergleiche aus dem Menschenleben. Das heitere Gemurmel der kleinen Wasserfälle auf der Wiese sekundiert dem klaren, kräftigen Tenor des Tweed wie Kinderstimmen dem Gtesange eines Chorfflhrers (ßtreams. Ströme).

Psychische Einflüsse schweben in der Landschaft Die stille Aprilnacht legt sich weich auf Christophers Seele. Die müde Arbeit ist dankbar zur Ruhe gegangen. Nichts wacht als Liebe, Freude, Jugend. Im dunklen Tal betaut Christopher mit Tränen die Primeln auf dem Grabe seiner Jugendgeliebten und denkt verflogener Lebensstürme (Streams). Die Neigung zur Sentimentalität tritt unzwei- deutig hervor und erhält ein heilsames G^engewicht in dem Verschmelzen der Naturempflndung mit dem religiösen Ge- fühle. North ist tiefgläubig im Sinne eines positiven Christentums, speziell der englischen Kirche, zugleich aber auch durchdrungen von phantasievoller Religions- schwärmereL

„Wie geheimnisvoll bist du in deinen Wegen und Werken, o gnadenvolle Natur!" ruft er aus, „Du, die du mir ein Name bist, welchen wir dem Wesen geben, in dem alle Dinge sind und Leben haben I" (The Holy Chüd, Das heilige Kind, Recreations). Oder: „0 Naturl Natur!

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Der literarische Essay. 333

bist du alles in allem? Und gibt es keinen Gott? Der erstaunte Geist sinkt aus dem Aberglauben in den Un- glauben und alle Bekenntnisse werden durch das fiber- wältigende Brausen (des Wasserfalls) in die Vergessenheit geschleudert. Aber eine leise, schwache Stimme ist in meinem Innern yemehmbar die Stimme des Gewissens. Seine Stimme wird gehört werden, wenn alle Wasser der Erde in nichts erstarrt sind und die Erde selbst zu- sammengeschrumpft ist wie ein Pergament I^ (Strecms).

Den Gehorsam gegen das Gewissen, „Gottes Statthalter", „Gottes Zeugen", bezeichnet Christopher North als Natur- religion. Geoffenbarte Religion ist derselbe Gehorsam, in Gottes Worte selbst geoffenbart (Christopher at the Ldkes). Die Natur fuhrt uns zu Gott empor. Die Bibel ist nicht die einzige Offenbarung. Gottes Werke sind wie Gottes Wort „Auf- oder niedergehend, schreibt die Sonne mit goldenem Finger den Namen Gottes auf die Wolken, und den fälschlich so benannten Atheisten packt ein staunendes Entzücken, dem seine Seele, weil sie unsterblich ist, nicht widerstehen kann, wenn diese Bibel plötzlich vor seinen Augen am Himmel aufgeschlagen wird. {Sacred Poetry. Eeligiöse Dichtung, Becreations).

In den Noctes (I, 294) wirft North dem Shepherd vor, dafi er als Naturforscher mitunter ein wenig ins Wunder- bare gerate. Der Shepherd erwidert: „Das Wesen der niedrigeren Geschöpfe, wie wir Vögel und Tiere zu nennen belieben, ist durch und durch wunderbar und wäre es nicht minder, verstünden wir ihre verschiedenen Instinkte auch viel besser als wir es tun. Naturgeschichte ist eben nur ein anderer Name für Naturtheologie. Der Gesang der Lerche und das Gefieder des Goldfinken, erinnern sie nicht beide an Gott?" Christopher gibt zu, dafi er noch

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334 Der literarische Essay.

keinen Naturforscher gekannt habe, der nicht ein guter Mensch gewesen wäre, und benutzt die Gelegenheit, um neben Buffon und Cuvier seinem jüngsten Bruder James, einem hervorragenden Naturgelehrten, ein Denkmal zu setzen. Gottes Wille regiert die Elemente. Wir schöpfen Trost aus der Schönheit der Natur, überzeugt, daß Gottes huldvolles Auge unsere Not sehe und die lieb- lichen Bilder zu unserer Erquickung schaffe (The Isle of Palms I). Aber auch die Willenskraft so mächtig als geheimnisvoll hat der Himmel in den Menschen gelegt. „Nenne sie nicht Freiheit, daß du nicht stolz werdest; nenne sie nicht Notwendigkeit, daß du nicht verzweifelst Aber wende dich von den dunklen Menschenorakeln zu denen Gottes. . . . Verbrenne alle deine Bücher, wenn du fühlst, daß sich die Nacht des Skeptizismus um dich legt . . . Öfhe deine Bibel, und die ganze Geisteswelt wird dir klar sein wie der Tag."

Festes G^ttvertrauen hilft über alles hinweg. So lange der Mensch in Eintracht mit seinem Gewissen lebt und sich in Demut auf seinen Gott verläßt, kriegt kein Geschick ihn unter. Christopher wird von der Überzeugung getragen, daß, wenn der Traum zu Ende, die Visionen erst recht be- ginnen, das Leben dann erst Leben sein werde {ÄnglO" mania II). Warum sollten Sterbliche, denen ihr Gewissen sagt, daß sie unsterblich seien, ängstlich und beängstigend über dem Staube brüten? Tu deine Pflicht gegen Gott und den Menschen und fürchte nicht, der Geist könnte, stirbt dieser Staub, durch den er atmete, nicht ewig leben. Empfindet der Geist nicht seine Unsterblichkeit in jedem heiligen Gedanken? (Solüoquy on (he Seasons. Selbst- gespräch über die Jahreszeiten, Becreations).

Christophers Religiosität mit ihrem blinden, heiteren

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Der literariBcIie Essay. 8S5

Oottvertrauen hat eine unbedingte Ergebung in die Welt- ordnung und eine unbedingte Lebensbejahung zur Folge. Er macht überall und an allem etwas Gutes ausfindig. Die Jugend vergißt rasch der Abwesenden und Toten. Tadle sie nicht, sagt Christopher, nenne es nicht Ver- gessen. Nenne es lieber Versöhnlichkeit dem Schicksal und der Vorbestimmung gegenüber. Die Jugend gehorcht dem wohltuenden Naturgesetze, daß gar bald Sonnenschein fUlt auf die Schatten der Gräber. Anders ließe sich ja der Weltenlauf nicht fortsetzen. Unsere Hauptbeschäftigung, unsere Hauptsorgen sollen, müssen bei den Lebenden sein^ (Christopher in his Sporting Jacket. Christopher im Sport- anzug).

Nach dem Tode eines engelgleichen Kindes fragt er: Sterben seine Eltern an gebrochenem Herzen? und die Antwort lautet: Glaubet nicht, daß sie, die in Wahrheit Christen sind, sich solcher Undankbarkeit schuldig machen könnten (The Holy Child. Das heilige Eind).

ChriBtophers Lebensweisheit findet ihren treffendsten Ausdruck in einer Wetterregel: Wie immer das Wetter sei, liebe es, bewundere es, freue dich seiner und schwöre, du würdest es nicht gegen eine Idealatmosphäre ein- tauschen (Stroü to Grasmere. Ausflug nach Grasmere, Becreatians), Christopher singt dem Alter einen Hymnus, seiner reifen, milden Gelassenheit, der Matronenschönheit, der Heiligkeit des weißen Haars. Die glücklichen Jugend- erinnerungen versüßen ihm das Herannahen der letzten Jahreszeit im wechselvollen Menschenleben. Hat er nicht alles Köstliche in seinem Gedächtnis herübergerettet über die Kluft der Zeit? Er denkt der Jugendtage in Oxford, in London, an den Seen. „Und so beraubten wir ganz England seiner Schönheit und Erhabenheit, seiner Größe

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B36 Der literarisdie Essay.

und Herrlichkeit and trugen alles auf und davon in unseres Herzens Herzen. Darum, Heil den Barden, die das Alter mit einem Diadem von Blüten und Licht geschmückt! Schmach den Satirikern, die ihm jeden Impuls der Seele und der Sinne absprechen!'' (Christopher in London; a Midstmmer^s Day's Dream. Ein Sommertagstraum).

Impulse, die sich über ethische Motive keine Rechen- schaft geben und von keiner Moralphilosophie unterkriegen lassen, kennt Christopher North nicht. Es gibt für ihn keinen Konflikt, der sich nicht beilegen ließe, keine Disso- nanz, die nicht mindestens der Tod löste, keine Schuld, die unsühnbar wäre, kein Herz, das der Beue widerstünde. Und dennoch entgeht er der für eine solche Lebensanschauung nahe liegenden Gefahr, sich über tatsächliches Übel in optimistischer Weise selbst zu belügen. Hingegen verleugnet er zu keiner Zeit den Professor der Moralphilosophie. Sein Standpunkt ist niemals unbefangen, sondern immer der von Gut oder Böse. Er spricht immer nur von Eigen- schaften, die wir zu unserem Leidwesen Sünde nennen müssen und von solchen, die wir glücklich sind als Tugenden zu bezeichnen {The Genius and Character of Bums). Als er bei der Bumsfeier 1844 die Söhne des Dichters zu bewillkommnen hat, empfindet er es als heilige Pflicht, zuerst der menschlichen Fehler des Gefeierten zu gedenken und ihn moralisch rein zu waschen. In den Noctes klagt er: „Wir vergöttern den Genius und vernach- lässigen dadurch die Verehrung der Tugend. Gtenius bedeutet uns alles, Tugend nichts. . . . Warum hält man es für Blasphemie, ein Werk Shakespeares als armselig, schlecht oder frech einzuschätzen? Ist Genius per se und von der Tugend gesondert, etwas so heiliges? Narretei! Eine wahrhaft gute Tat wiegt alles auf, was Shakespeare

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Der literarische Erny. 337

je geschrieben.^ Er erklärt Tugend als den Gehorsam gegen das Moralgesetz, welches uns das Gewissen offenbart (Ckristopher at (he Lakes).

Die Moral ist die logische Folgerang, die Christopher ans dem Weltall zieht (EducaHon of the People. Volks- erziehnng). Die Natur Iftchelt jedem Guten, doch alle Schönheit stirbt mit der Unschuld (Gedicht Hermitage). Der Schöpfer gab der Seele die freie Wahl des Guten und Bösen, und hat sie das Gute gewählt, so ist sie eine Königin. Alle ihre Fähigkeiten erhalten dann die ihrer Natur an- gemessene Nahrung (The Moor. Das Moor).

Jede Ungebundenheit des Geistes widerstrebt Christopher North. Die Religion leitet zum politischen Gehorsam. Bei der Erziehung des Volkes hat man alles zu yermeiden, was zu jener Verstärkung des Selbstgefühls führen könnte, die eine Auflehnung gegen das Oberhaupt zur Folge hat. Obgleich ein unbedingter Anwalt der Bildung sie be- bedeutet eine Macht, die man nicht fürchten soll hält sie Christopher doch für wenig wertvoll, wenn sie ausschließlich den Geist betrifft und nicht auch den Willen. Das Wisse naber, das den Willen dauernd und wirksam beeinflußt, liegt in der Moral und Religion beschlossen. Der Wille heiligt das Wissen oder macht es schlecht. Weder der Intellekt noch seine Belehrung sind an sich notwendigerweise moralisch. Dies lassen die eifrigsten Verfechter der Bildung außer acht, wenn sie annehmen, Intellekt sei Tugend oder Glück. Der wichtigste Teil des Unterrichts ist demnach die Religion. „Geben wir uns nicht der Täuschung hin, das Volk irgend eines großen Handelsstaates werde jemals fähig sein, sich durch geistige Bildung selbst zu lenken. Das Christentum

allein ist die Seele des Staates Sobald es dahin kommt^

daß der Arme in der Religion ein Ding von sekundärer

Geschichte der englischen Bomantik n, 1. 22

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338 Der Utenunaehe Essay.

Wichtigkeit erblickt und es ist nicht leicht abzusehen, wie dies nicht der Fall sein sollte, wenn sein Qeist sich in allen Mußestunden ununterbrochen Wissenschaften und Gefühlen zuwendet, die mit der Beligion nichts zu tun haben dann wird die Bildung zum Fluch werden statt zum Segen und, was die Menschen licht nennen, wird Finsternis sein. . . . Schon werden die Symptome des Heran- nahens eines solchen Übels sichtbar. Der einfache Bauer, der aus seinem heimischen Tal nicht herausgekommen und außer der Bibel kein Buch gelesen hat, weiß in seinem schlichten Herzen mehr yon yollkommener Moral als der größte Geist, der sich allezeit yöllig auf die Erleuchtung seiner eigenen Vernunft yerlassen hat^ (Educatian of ike People).

Es liegt auf der Hand, daß Christopher North yon diesem Gesichtspunkte aus in der französischen Beyolution nur die Äußerung eines Geistes der Anarchie und des Atheismus erblicken kann. Thomas Paine ist in seinen Augen ein zu ewiger Verdammnis Verurteilter, weil er es unternahm, „die Beligion im Herzen und im Heim der Armen auszurotten^. Christopher gibt seiner eigenen Emp- findung Ausdruck, wenn seine sechzehnjfihrige Romanheldin Margaret Lindsay an Paines Buch, nachdem sie einmal mit Abscheu und Entsetzen darin gebl&ttert, wie an eine ekle Kröte, eine stechende Schlange zurückdenkt und es im Eaminfeuer yerbrennt in dem Bewußtsein, etwas Scheuß- liches, Hassenswertes aus der Welt geschafft zu haben (The Tridls of Margaret Lindsay m). Auf die Frage: wer sind die gefährlichsten Schriftsteller des Tages? ant* wortet Christopher in den Noctes: „Demagogen und ün- gl&ubige, Deisten und Atheisten.''

Ghristopher North ist ein Anwalt des Gesetzes^ selbst

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Der literarische Essay. 389

die Todesstrafe in ünfiersten allerdings sehr schwer zu bestimmenden Fällen nicht ausgenommen. Indes möchte er sie nur am Mörder vollzogen sehen, schon dämm, weil sie in allen anderen Fällen unwirksam sei. Denn der Nachdruck des Gesetzes beruhe nicht auf der Strafe, sondern auf der Schande. Ein zu strenges Qesetz mache den Menschen schlechter, indem es ihn verhärte und gegen die Gesellschaft aufbringe. Volle Gewalt käme der Strafe erst dann zu, wenn menschliches und göttliches Gesetz und Moralgesetz zusammenfielen. Die höchste Eontrolle liege nicht im G^etz, sondern in dem System moralischer Kräfte und Schranken, das die Gesellschaft zusammenhält. Nicht darum handle es sich in erster Linie, wie man das Eigentum schütze, sondern wie man mit der sittlichen Korruption des Volkes verfahre.

Der Kritiker.

Das im Guten wie im Bösen zur Überschwänglichkeit neigende Temperament des Stimmungsmenschen steht wie bei Hazlitt so auch bei Wilson dem Kritiker im Wege. Dafür kommen ihm seine hohen menschlichen Qualitäten, seine Begeisterungsfähigkeit, seine Großherzigkeit, sein Edelsinn zu statten. Er besitzt als Mensch die Eigen- schaften, die er als Schriftsteller proklamiert Beide decken sich in ihm, und diese Ganzheit seines Wesens macht auch den E^ritiker Wilson zu einem Manne von echtem Schrot und Korn, einem Manne von unbedingter Gesinnungs- tfichtigkeit. Er hat das Bewußtsein der Würde seines Amtes. Er ist sich der hohen Fähigkeiten bewußt, die der Beruf voraussetzt Er fühlt, daß, wer an andern Kritik übe, selbst makellos sein sollte. Dies gilt auch für den Satiriker. Und so proklamiert Christopher den Satz: die

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340 Der literarische Essay.

höchst gestimmte Satire gehöre der höchsten Gattimg der Poesie an. Jesaias and Jeremias w&ren Satiriker gewesen. Zur Satire befähigt sei nur, wer als Dichter wie als Mensch auf der höchsten Stufe stehe. Seine eigene satirische Begabung ffihrt Christopher auf seinen Groß- vater Gamaliel Wilson zurück, der die Knute mit einer Meisterschaft gebrauchte, daß die Haut des Gez&chtigten in Streifen abflog. Ghristopher nennt sich selbst mit grausamem Behagen eine Art Vivisektor. Doch überfalle er seine Opfer nicht im Schlafe. Im Tollen Tageslicht werfe er den Gegner nieder Stirn gegen Stirn {The Man of Ton. Der Mann Ton Geschmack).

Ein freundlicheres Bild entwirft er yon sich im SUroU to Grasmere. Den Neid, sagt er, kenne er nur aus der Beobachtung. Er selbst habe ihn nie empfunden es wäre denn der Neid auf die Weisen und Guten, der mehr ein sehnsüchtiges Verlangen war, ihnen zu gleichen. Diese Eifersucht auf den Genius sei jedoch yon so edler Art, daß sie kein höheres Glück kenne als dasjenige, den Lorbeer auf der Stirn der Musensöhne Tor jedem Mehltau zu bewahren. »Was für eine liebe gute Seele von einem Kritiker ist der alte Christopher North!" fährt er fort „Die Blumen der Poesie bewässern, Unkraut entfernen, das sie ersticken könnte, das Sonnenlicht zu ihnen einlassen, sie vor dem Luftzuge schützen, yerkünden, wo der Garten prange und Mädchen und Knaben durch seine freundlichen Gänge geleiten, das Auge lehren, daß es die Schönheit sehe, das Herz, daß es sie liebe, und die Pflanzen des Paradieses klassifizieren nach den Eigenschaften, die es der Natur in sie zu legen gefiel, dies ist unsere Be- schäftigung. Und sie alle im Lichte der Bewunderung wachsen sehen, ist unser Lohn."

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Der literarische Essay. 841

Christopher beklagt den Hader, den Mangel freund- licher Gesinnung unter den zünftigen Kritikern. Er, für sein Teil, will über die großen Lebenden in demselben Geiste der Liebe und Ehrerbietung schreiben, der uns den Toten und Verklärten gegenüber geläufig ist (TTorcfe- worth). Doch gelingt es ihm hier im Guten wie im Bösen nicht völlig, die Persönlichkeit vom Werke zu sondern. Er ergreift wie in der Politik, so auch in der Literatur heftig Partei für oder wider. Entscheidet er sich für einen Genius, so ist es „ein Bündnis mit Herz und Hand'',0 wirft er einem andern den Fehdehandschuh hin, so gilt es einen Kampf bis aufs Messer. Er rechnet es Ck)leridge hoch an, daß er in allen Augenblicken seines Lebens ein Dichter und einer der liebenswürdigsten Menschen war (Coleridge's Poeticcd Works). Andererseits kommt er bei dem jungen Tenhyson nicht darüber hinweg, daß er bei dem (üockneykreise in Gunst stand, daß er durch sie „auf den Thron von Klein-Britannien erhoben worden''. So entgeht ihm das aufkeimende Talent unter der Hülle seiner jugendlichen Verpuppung. Er reiht den jungen Poeten unter die Versemacher, die, von allen Lebewesen allein, keine Dichter, d. h. Schöpfer sind, denn sie machen von ihrem Geiste keinen Gebrauch. Die Tiere modifizieren die Dinge in ihrer Phantasie. Austern sind Dichter Versemacher sind die einzigen Geschöpfe, die nicht zugleich Schöpfer sind. Tennyson vergalt ihm mit einem witzigen Gedicht, dessen B^ime cn^sty, rusttfy musty, fusty (mürrischer, verrosteter, verschimmelter, modriger) Christopher lauteten {Tennyson's Poems),

Wilsons Endurteil über einen Dichter wird weniger

0 Vgl Tackerman, 187.

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342 Der literarische fissay.

durch das künstlerische Moment bestimmt als durch den Umfang des sittlichen Gehaltes seiner Werke und durch die Mannigfaltigkeit der menschlichen Interessen, die es in Schwingung versetzt. Von diesem Standpunkte aus kann er im ganzen Umkreise der englischen Literatur von den Elisa- bethanem bis zu den Lakisten nur ein einziges Gedicht als wirklich groß anerkennen: Das Verlorene Paradies. Unter den Modernen kommt Scott am besten weg, denn „er hat das menschliche Leben in einer größeren Mannigfaltigkeit klar und bestimmt geschauter Formen und Beleuchtungen dar- gestellt als irgend ein anderer.^ Ja, er steht nicht an, Scott ffir den größten Genius des Jahrhunderts zu erklären, „Goethe, den Teufel und Dr. Faust nicht vergessen unvergleich- lich größer als Byron" (An Hour's Talk dbout Poetry).

Allein gibt Christopher North auch der Versuchung zu Paradoxen allzuleicht ifach, so ist er doch selbst in jenen Fällen, in denen ihn seine temperamentvolle An- schauungsweise zu persönlichen Urteilen fortreißt^ frei von jeder subjektiven Gehässigkeit. Er wird scharf, aber niemals boshaft; er kann hassen, aber er ist nicht unversöhnlich. Selbst einem prinzipiellen Widersacher wie Leigh Hunt gegenüber fand er, als sich, nach Lockharts Übernahme der Londoner Quarterly JReview (1826) der C!ockney- Sturm gelegt hatte, 1834 das schöne Wort: „Feindseligkeit stirbt, Menschlichkeit lebt ewig." *)

Ehrlichkeit und Selbständigkeit des Urteils, sowie das Streben, sich durch keine Konvention beeinflussen zu lassen, sind Zielpunkte, die der Kritiker Christopher North nie aus dem Auge verliert. Er scheut sich nicht, zu be- bekennen, daß ihm die Hexen in Macbeth nur „So so-

^) Bichard Garnett, BicUonary of NaUonal Bioffraphy.

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Der literaruohe Essay. 343

Schöpfongen'^ sind. Sie seien nicht bodenständig auf den weiten, schwarzen Mooren des schottischen Hochlandes. Ihr Geschwätz sei nicht das alte Ersische Idiom. Es lasse sie nicht als Phantome erscheinen, die verdienten, von den Kindern des Nebels angestarrt zu werden, bis die Yeniunft taumle. Gray Malkin und Faddock seien kläg- liche Namen für Hexen einer Gebirgsgegend. . . . Hier, wie in Dingen der Feen, schreibe Shakespeare, als ob er betranken wäre. „Er kann sich yon seinem flachen Herd- Besenstil- und englischen Stratford-on-Avon-Aberglauben nicht losmachen. Und heraus mit der Wahrheit, so schrecklich sie ist: Shakespeare in Schottland war ein Cockneyl"

Erstaunlich dflnkt es Christopher, daß Banquo und Macbeth, wie es scheint, nie zuvor eine Hexe gesehen haben. „Sind die Schicksalschwestem Personifikationen im nationalen Aberglauben begründeter Ideen, so prüfe man sie unter diesem Gesichtspunkte. Sind sie anomale Gebilde der Phantasie Shakespeares, so prüfe man sie darauf hin. In beiden Fällen werden sie nicht bestehen. Im ersten erniedrigt sie die Beimengung eines anderen gemeineren Glaubens; im zweiten erscheint ihr Wesen widerspruchsvoll und inkonsistent. Ihr Charakter schwankt zwischen dem von Katzen geleiteten alten Weibern mit Barten, die etwa englische Tölpel und Bauemlümmel er- schrecken k&nnten, und demjenigen wahrhaft furchtbarer geistiger Potenzen, die ihre Macht von dem Fürsten der Luft herleiten."

Wie sehr an solchen ins Extreme getriebenen An- sichten die Stimmung des Augenblicks beteiligt ist^ beweist eine Anmerkung im Manuskript dieses Ansatzes: „Christopher nimmt sich vor, auf alles, was er hier über Geisterwesen

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344 Der literariBche Essay.

Torgebracht^ eine ebenso beredte Widerlegung zu schreiben" eine Absicht, die übrigens unausgeführt blieb {Cruik- shank on Time. Cruikshank über die Zeit).

Das klassische Altertum findet an Christopher North einen philologisch geschulten Kenner. Er glaubt an einen Homer. Die Natur sei nicht so verschwenderisch wie ihre großen Dichter.

„0 nenne'', ruft er aus, „das Griechische keine tote Sprache, so du eine Seele hast, die erlöst werden will". Die Sprache ist keine Scheidewand. „Während die Völker der Erde in verschiedenen Zungen reden, fühlen sie alle mit einem Herzen und denken mit einem Hirn" {Homer and his Translators).

Eines der treffendsten Urteile fällt Ghristopher über Macphersons Ossian. Alle Widersprüche, alle Unmöglich- keiten und Plagiate zugegeben, sagt er, aber die Voll- kommenheit, mit der das Schottenland geschmückt ist, verleiht ihm den Stempel der Echtheit {The Moors).

Ein bei aller spezifischen Eigenart im großen und ganzen sicher gehender ästhetischer Geschmack gibt vielen dieser literarischen Artikel eine dauernd maßgebende Bedeutung. Wilson definiert Geschmack als „die feine, zarte und richtige Wahrnehmung aller Gedankenbe- ziehungen, in denen das Gefühl entweder überwiegt oder zu deren Existenz es doch notwendig ist. Der Geschmack paßt sich der Phanthasie und Einbildung wie dem Urteil an, insofern dieses im Reiche des Geschmackes, in dem die Empfindungen wohnen, überhaupt Anwendung findet Gre- schmack ist ein armer, niedriger, sinnfälliger Name für eine reiche, hohe geistige Macht Er sollte von den un- sterblichen Musen mit Posaunen verkündet werden" {Chris- topher at fhe Lakes).

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Der literarische Essay. 345

So hat Christopher North, der Kritiker, den schwierigen Ausweg gefanden, dem Geschmack seiner Zeit Rechnung zu tragen, ohne sein Sklave zu werden. Er hat die ge- klärte und beredte Größe einer gefesteten Überzeugung, in eine von poetischem Glanz durchleuchteten Prosa ge- faßt, der Nachwelt übergeben als Dokumente im besten Sinne menschlicher Urteilsfähigkeit

Werke Ton Christopher North.

1812 The Isle of Palms,

1816 The Oiiy of ihe Plague and other Poems.

1822 Lights and Shadows of Scotiish Life,

1823 The Trials of Margaret Lindsay. 1825 The Foresters.

1842 Becreations.

1855—58 Works, edited hy Professor Ferrier. 1866 Noctes Ärnfn-osianae, revised Edition with Memoirs hy E. Shelton Mackerusie.

Werke fiber Christopher North.

1831 Henry T. Tnckerman, Characteristics of Literature,

illustrated hy the Qenius of DisUnguished Writers.

The Magazine Writer Wilson. 1854 Samuel Warren, Ä Feto Personal BeoollecUons of

Christopher North (Blackwood's Edinburgh Beview,

Tol. LXX, Dezember 1854). George Cnpples, Professor Wilson. A Memorial and

Estimate, hy one of his Students. 1862 Mrs. Gordon, Christopher North. A Memoir of John

Wilson. 1866 R. Shelton Mackenzie, Life of John Wilson. 1897 Sir George Douglas, The Blackwood Group (Famous,

Scots Series).

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Zweites EapiteL

Die satirisoh- humoristische Oesellsohaftsdiohtung.

James und Horaoe Smith.

1775—1839. 1779-1849. Die Familie, der die Brüder entstammten, war ein Master besten, hochstehenden englischen Bürgertnms. Bobert Smith, ihr Vater (1747—1832), Anwalt des Artillerie- nnd Waffenamtes (Solicitor of the Board of Ordnance)^ zugleich Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften, genoß als ein klager, freundlicher, fortschrittlich gesinnter und literarisch begabter Mann allgemeine Achtung. Sein Tagebuch, dessen Eintragangen auch die schriftstellerische Entwicklung der Söhne begleiten, bekundet E^larheit des Geistes und kritisches Verständnis. Seine in Paris geborene Gattin Mary (f 1803), eine anmutige, sanfte und fromme Frau, wirkte auf die Erziehung ihrer Söhne mehr durch das Beispiel des eigenen Charakters als durch pädagogische Bemühungen. Die yon Natur aus hochbegabten und liebenswürdig veranlagten Knaben erhielten die gleiche vortreffliche Erziehung, lernten das Leben von seiner vor- nehmsten Seite kennen und wurden kampflos, ohne aus ihrer Sphäre hervorzutreten, auf den Weg geleitet, der sie zur Selbständigkeit und einer ihnen angemessenen Tätigkeit führte. James ward, achtjährig, Johnson vorgestellt^ drei-

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Der HterariBche Essay. 347

zehnjährig vom Vater nach Paris mitgenommen, damit er Mhzeitig mit eigenen Angen sehen lerne, nnd war mit fünfundzwanzig Jahren bereits der geschäftliche Ver- treter des Vaters. 1818 übernahm er dessen Amt, das in der Anfertigung aller Eontrakte und Urkunden für den Master General bestand.

Horace kam in ein Handelshaus und wurde ein um- sichtiger, tüchtiger Kaufmann.

Beide Brüder, in London geboren und erzogen, von echtestem C!ockneytum durchtränkt James erklärte London für den besten Ort im Sommer und den einzigen im Winter 1) standen als wohlhabende, gebildete, außer- gewöhnlich schöne, witzige und geistvolle Jünglinge, denen alle mannigfaltigen Anregungen der Stadt zugänglich waren, bald im Mittelpunkt des Londoner Treibens. Sie schienen den Beweis erbringen zu wollen, daß Qeschäftsemst und literarisches Interesse Hand in Hand gehen könnten. Beide Bruder schriftstellerten. Horaces Erstlingswerk war eine poetische Klage über den Verfall des Geschmackes an theatralischen Aufführungen. Man begünstige die Pantomime und vernachlässige gediegene Werke wie £ichard Cumbeirlands The West Indian und The Jew. Das Gedicht war dem Verfasser dieser Dramen gewidmet und wurde ihm zugesandt Eines Tages erschien ein Herr in gepudertem Haar und altmodisch eleganter Kleidung im Geschäftskontor, in dem Horace arbeitete, und verlangte, Mr. Smith, den Dichter, zu sprechen. Ein Beamter antwortete: „Wir haben hier keine Dichter^. Da sprang Horace, ein Jüngling mit langen, blonden Locken, von seinem Schreibebock auf und gab sich zu erkennen. 2) Die Brüder hatten sich seit-

^) Memoira, LeUers etc., edited hy H. SnUth, 42. *) Bejecled Addreaes, edüed hy Sargent, IX.

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348 Der litenuriflche Essay.

dem der besonderen Protektion des warmherzigen Comber- land zn erfreuen und gewannen durch ihn Fühlung mit dem Theater. Sie verfaßten einige der unter Cumberlands Namen erschienenen kritischen Einleitungen in Cookes Ausgabe von Beils British Theatre, die Cumberland ein ansehnliches Honorar eintrugen. Seine Einschätzung Horaces als Dichter war überschwänglich. Auf die Frage: „Wann werden die Tage Congreves wiederkehren?" antwortete er einmal: „Wenn dieser Junge eine Komödie schreibt ^

Auf einen ersten Novallenversuch, Ä Family Story (Eine Familiengeschichte), 1799, ließ Horace Smith bereits 1800 einen vierbändigen modernen Familienroman folgen, The Bunaway, or ihe Seat of Benevolence (Der Flüchtling oder Der Sitz der Gnade), dessen Inhalt auf 780 Seiten die Schilderung der segensvoUen, alle Wirrnis losenden, alle üblen Einflüsse brechenden Kraft edler Menschlichkeit ist. Allein bei dem völligen Umgehen psychologischer Probleme erhebt der junge Dichter sich in der Charakteristik nicht über konventionelle Typen, in der Erzählung nicht über das Romanhafte und Wirklichkeitsfremde.

Künstlerisch auf keiner höheren Stufe steht Travanian, or Matrimonial Errors (Travanion oder Ehefehler), 1801, das, ausschließlich eine Darstellung von Herzensangelegen- heiten, von in sich selbst seliger Sentimentalität trieft und durch theatralisch -romantische Mätzchen abstößt Travanion, der Übermenschlich-Menschliche, besiegt durch Edelmut, Langmut, Großmut seine Gegner wie die Tücke des gegnerischen Schicksals. Seine Gattin, der er, obzwar er sich von ihr verraten glaubt, dennoch jahrelang ein unbekannter Wohltäter geblieben, erweist sich als schuld-

^) Patmore, My Friends and Äequainia/nce, 210.

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Der literarische Essay. 349

los. Im Angfenblicke der Enthflllong wirft Travanion Perücke und Eock ab und steht in der Werthertracht, in der er vor einem Menschenalter von ihr schied, Tor der lebenslang Geliebten, die von einer Ohnmacht überwältigt wird. Diese Szene ist charakteristisch für das Ganze.

1802 waren James und Horace Smith Mitarbeiter des Picnie Newspaper und des Cabinet WeeUy^ einer von William C!ombe herausgegebenen Zeitschrift, die bald ein- ging. Von 1807 1809 lieferten sie Beiträge für den MonMy Mirror, dessen Herausgeber Thomas Hill in seinem Landhause in Sydenham eine lustige Eünstler- gesellschaft versammelte. Dort erfreuten Horace und James durch Heiterkeit und Begabung.

James besaß ein ausgesprochenes Talent für das spaßhafte Epigramm und eine Neigung für lustige Mysti- fikationen. Schon als Knabe hatte er die Leser des GenüemarCs Magaeine durch erdichtete Mitteilungen wunder- barer naturhistorischer und archäologischer Entdeckungen zum besten gehabt. Es war damals ein Hochgenuß für die Brüder, den Vater bei der Lektüre dieser merkwürdigen anonymen Zuschriften, deren Herkunft er natürlich nicht ahnte, zu beobachten.

Im Jahre 1812 fand sich nun die Gelegenheit, ein solches Talent in größerem Maßstabe zu betätigen. London wurde in dem Halbjahre 1808 1809 von drei großen Feuers- brünsten heimgesucht. Im September 1808 ging das Covent Gardentheater in Flammen auf, im Januar ein Teil des St. James' Palace, im Februar 1809 das Drury Lane Theater, jener große Neubau, den Sheridan 1794 an die Stelle von Garricks kleinem Hause einem Werke Wrens gesetzt hatte. Im August 1812 veröffentlichten die Tagesblätter eine Preisausschi-eibung für den zur Ein-

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350 Der literarische Essay.

weihnng des Nenbans bestimmten Prolog. Es liefen über hundert unbrauchbare Machwerke ein. Schließlich sprach EUiston bei der Eröffnungsfeier die etwas schwerfälligen und konventionellen Gelegenheitsverse Byrons, Address spoken at (he Opening of Drury Lane Theatre, Saturday, October 10, 1812 (Ansprache, gehalten bei der Eröffnung des Drury Lane Theaters). An demselben Tage wurde ein anonymes Büchlein ausgegeben: Be^ected Äddresses, ar The New Theatrum Poetarum (Zurückgewiesene Ansprachen oder das neue Theatrum Poetarum), angeblich eine Samm- lung der von den Preisrichtern des Theaters abgelehnten Prologe.

Horace und James Smith hatten sie auf die Anregung des Theatersekretärs Ward, Sheridans Schwager, innerhalb der sechs Wochen, die zwischen der Preisausschreibung und der Wiedereröffnung lagen, verfaßt Da fanden sich nun die bestbekannten und anerkannten Dichter des Tages unter den Zurückgewiesenen zusammen. Mitten unter den Lebenden erschien auch Johnsons Geist und ein völlig Unbekannter, Momus Meddler, brachte Parodien auf Macbeih, Kotzebues Fremde und LiUos George Bamwell Die beiden Brüder hatten sich ihre Aufgabe nicht leicht gemacht und sich die trefflichsten, populärsten Vorbilder ausgesucht. Jeder- man konnte die Nachahmung auf ihre Ähnlichkeit hin prüfen. Und sie war in der Tat in vielen Fällen eine täuschende. Das Gelingen des Scherzes hing davon ab, ob die Kopie hinsichtlich der geistigen wie der formellen Eigenart dem Originale nahe kam. Und er gelang im höchsten Grade. Die Qualität der Arbeit wie der liebens- würdige Takt dieser literarischen Satire erheben sie hoch über die ihr ursprünglich zugedachte Bedeutung. Ein späterer Herausgeber nennt sie „in jeder Einsicht

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Der liteiaiiiche ÜBsay. 851

einzig und in ihrer Art vollkommen". Die literarische Welt hatte nie znvor ein so wundervolles Spottvogelwerk gesehen.^) Richard Gamett ist der Meinung, es sei in dieser Art in englischer Sprache nichts Besseres geschrieben worden"«)

Die wenigsten der Re^ected Addresses lassen sich auf das Niveau der Karikatur herab. Die meisten sind Nach- dichtungen, in denen ein feines Stilgefühl gerade nur mit jenem leisen Nachdruck der Übertreibung arbeitet, der dem guten Geschmack zu parodistischer Wirkung genügt. Das Charakteristische der betreffenden schriftstellerischen Individualität wird nur ein wenig auf die Spitze getrieben. Man hebt eine Schwäche heraus, ohne aus ihr einen Angriff auf die ganze Persönlichkeit zu machen. Man macht sich lustig mit allem schuldigen Respekt Die Persiflierten erkannten sich selbst und empfanden keinen Groll. Denn jede böswillige Absicht fehlte, selbst jede Plumpheit des Scherzes war vermieden. Das geniale Spiel bezweckte nichts wie ein harmloses, heiteres Lachen. Walter Scott sagte über die ihm in die Feder geschobene und seinen poetischen Erzählungen nachgebildete lebendige Schilderung der Theater-Brandkatastrophe Tale of Drury): „Ich muß es sicherlich selbst geschrieben haben, wenn ich auch ver- gessen habe, bei welcher Gelegenheit"^)

Byron, der in den Rejected Addresses mit Stanzen vertreten war, die die Technik, Melodie und allgemeine Stimmung des Childe Harold glücklich trafen, schrieb am 19. Oktober 1812 an Murray, er halte die Rejected Addresses

1) Bejeded Addresses, edited hy E. Sargent IV. *) IHcUonary of National Biography, ^ Beayen, 111.

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352 Der Htemrische Essay.

für das Beste in ihrer Art seit der Boüiade und lasse dem Verfasser sagen, er vergebe ihm, „und wäre er zwanzigmal unser Satyriker". Campbell, Horaces lebenslanger Freund, zeigte sich verletzt, in den Zurückgetoiesenen Prologen fiber- gangen worden zu sein.

Den Löwenanteil an der Arbeit hatte James Smith. Von ihm rfihrten die besten Stücke her^): Wordsworth (The Baby' 8 Debüt. Des Kindes erster Schritt), eine köst- liche Nachahmung, welche die häufig ins Alberne und Klein- liche gehende Einfachheit von Wordsworths Themen ins Lächerliche zog, ohne sich an der edlen Wahrheit, Weisheit und Harmonie des Dichters zu vergreifen; Crabbe (The Theatre, Das Schauspiel), mit echtester Bildhaftigkeit eines an sich völlig unwesentlichen Vorganges. Jeffrey stellte dieses Stfick wegen seiner exquisiten Nachahmung von Oe- schmack, Temperament und Stil des Urbildes zuhöchst in der Sammlung. Femer William Cobbett, den James sich mit einem von patriotisch demokratischen Ausdrücken durch- setzten Prosastück einstellen ließ, weü der Reim eine Er- findung der Mönche sei; Thomas Moore (The Living Lustres. Lebende Größen) mit einem Gedicht von wohltönendem Reim- geklingel ohne Gedankengehalt, u. a. Die Mannigfaltigkeit der Stilarten auch der Journalismus war durch den Her- ausgeber der Moming Post vertreten und die volkstümliche Ballade fehlte nicht wirkte ebenso anregend und unter- haltend wie die Leichtigkeit und Grazie erfreute und an- zog. Auch hatten die Verfasser sich selbst von ihrem scherzhaften Spott nicht ausgeschlossen. Horace befand sich tatsächlich unter den zurückgewiesenen Prolog- bewerbem. Er setzte seine Dichtung (An Address toith-

*) Gamett, Dictionary of NaUondl Biography,

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Der literarische Essay. 853

out a Phenix. Eine Ansprache ohne Phönix) nun einfach unter die gefälschten. Sie ist unter den Pseudowerken das einzige echte, anter den Scherzgedichten das einzige in ernster Absicht geschriebene, allein durchaus keins der besten. Der Titel knüpft an die infolge des Brandes so nahe liegende und bei den Prologdichtem immer wieder- kehrende Verwendung des Vogels Phönix an, doch erhebt sich die Dichtung selbst auf kein wesentlich höheres Ge- schmacksniyeau als die verspotteten.

Der Erfolg der Addresses war ein ungeheurer. Die Bruder, die bisher nur als flotte Lebemänner und litera- rische Dilettanten in einem bestimmten Kreise eine Bolle gespielt hatten, wurden fiber Nacht stadtbekannte Persön- lichkeiten und die Löwen der Gesellschaft. Murray, der sich geweigert hatte, 20 £ ffir das Verlagsrecht zu geben, erwarb es fflr die 16. Auflage, 1819, um 131 £.

Noch in demselben Jahre (1812) wurde ein Operetten- tezt von Horace, der sich unter dem Decknamen Momus Medlar verbarg, The Highgate Tunnel^ or the Beeret Ärch (Der Highgate-Tunnel oder der geheime Bogen) mit Erfolg im Lyceum aufgeführt 1813 folgte First Impres- siansj or Trade in the West (Der erste Eindruck oder Der Handel im Westen), eine in possenhaft drastischen üm^ rissen gehaltene Komödie, deren handelnde Personen weniger individuelle Charaktere als groteske Typen sind: die Mode- dame, der zimperliche Blaustrumpf, die schmachtende Jung- frau, die an Listen reiche, töchterversorgende Mutter , kurz die üblichen Gestalten, die ein Menschenkessel wie London tagtäglich auskocht „0 London, London!^ ruft der Held des Stückes, Fortescue, aus, „du Myriadenmenge unsterblicher Tändler. Du mächtiger Wirbel abstoßender Laster und phantastischer Narreteien!^ Horace Smith tritt

Oeschichte der eDsrlischen Bomantik ü, 1. 23

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854 Der literuucihe ÜBsay.

in diesem Drama öffentlich als Gegner des Duells anl Fortesene wird folgende Tirade in den Mund gelegt: ^Toren, stets bereit, für das Phantom der Ehre Mörder zu werden, wflrden ihre Pistole auf die Brost eines solchen Verräters richten. Auch ich will sein Herz suchen. Aber die Waffe, mit der ich es angreife, werden Wohltaten sein, seine einzigen Wunden Eeue!^ Smith erklärt auch an andrer Stelle den Duellanten fOr einen moralischen Feigling, der die Kleinlichkeit seines Geistes zu verbergen suche, indem er physischen Mut vortäusche. 0

Dasselbe Jahr 1813 brachte wieder eine gemeinsame Publikation der Brüder, Horace in London. Consisting of ImitaHona of (he First Two Books of (ke Ödes of Horace. (Horaz in London. Nachbildungen der beiden ersten Bucher der Oden des Horaz). Die einzelnen Nummern der Samm- lung waren bereits im MonÜüy Mirror erschienen.

In einem einleitenden Dialoge zwischen Horaz und Smith, in dem Horaz gern in eignen Zitaten spricht, weigert sich Smith auf Grund ihres beiderseitigen Unwertes eine neue Übersetzung der Oden anzufertigen, aber er ist bereit zu einer Anpassung des Horaz an moderne Londoner Verhält- nisse. So entsteht eine ümdichtung, die noch weniger als die B^ected Addresses in das Gebiet der Parodie übergreift, sondern nur vom Standpunkte des Jetztlebenden, den die tote Antike nichts mehr angeht, die eigenen Verhält- nisse und Interessen an die Stelle der römischen setzt Aus dem Amphiteater wird Drury Laue, aus dem Palatin Tower Hill. Ganz von selbst enthüllt sich dabei eine merkwürdige Continuität der Menschheitsgeschichte in der eigentlich nur die Szenerie wechselt, der innere Vorgang sich aber stets wiederholt Horaz, Ode 1 18 {NuUam^ Vare,

>) Beayen, 153.

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Der literarische Essay. 855

Sacra vite prius severis arborem) findet ihre Anwendung auf Wellington; I 9 (Vides ut älta stet nive candidum Soraete) auf das in einen Mantel von Schnee gehüllte Bichmond; I 14 (0 navis, referent in mare te novi) wird als 0 Kembley again you are lost on the sea (0 Kemble, znrfickgeschleudert auf hohe See), zu einer Ermahnung des Mimen, die Eelhe der Priyatsitze aufzulassen; 1 15 (Pastor cum traheret per freta navifms) lautet Äs Elgin o'er the violated sea (Wie Elgin über vergewaltigte Wogen) und enthält einen Fluch der Pallas auf den Eäuber ihres Eigen- tums; 1 16 (0 matre pulchra filia pulchrior) heißt, auf die Edinburgh Reviewers bezogen: 0 rigorous sons of a clime more severe (0 rauhe Söhne des rauheren Landes).

James besaß von den Brüdern zweifellos das inten- sivere, aber, wie es scheint, kurzlebigere Talent. Vielleicht auch verhinderte dessen weitere Entfaltung ein bewußter Dilettantismus. Einige ergötzliche Kleinigkeiten {The Country Cousins. Die Vettern vom Lande; T?ie Trip to France. Der Ausflug nach Frankreich; The Trip to America. Der Ausflug nach Amerika), 1820 1822, komische Gedichte für Zeitschriften und Gelegenheitsepigramme sind alles, was er noch hervorbrachte. London und die Gegenwart waren die Orts- un4 Zeitbegriffe, über die er nicht hinausging. Inner- halb dieser Schranken aber hat er manches poetische Da- guerrotyp geschaffen, das als solches seinen Wert behauptet. Seine Stärke ist das gutmütige Hervorkehren der kleinen Schwächen des ihm trotzdem vor allen teueren Cockney. Des kleinen Mannes Sucht, die Mode der Weihnachtsausflüge nach Brighton. mitzumachen {Christmas out of Town), das Gift des Branntweins {The Upas in Marylebone Lane)^ das Geklatsch der Nachbarinnen {Door Neighbours), eine Begegnung in St James' Park solche typische kleine

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856 Der UtemisGlie Eaaay.

Stadtsilhoaetten werden uns in den London Lyrics in zier- licher, sauberer Arbeit vorgefahrt In Grimm's Ghost (&rimms Geist) I&ßt er den berühmten Anfkl&rer fiber Londoner Yorkonunnisse Briefe an Hermes schreiben, die in kleine sittenschildemde Novelletten übergehen.

Bei größeren Stücken 0 wird die erstrebte Leichtigkeit mitunter zur Klippe für den besseren Geschmack. Der Mangel an dichterischer Persönlichkeit macht sich fühlbar. Es fehlt diesen Gedichten an Hintergründen und Offen- barungen und schlichte, gesunde Natürlichkeit vermag da- für ebensowenig zu entschädigen, wie ihre sorgfältige und melodiöse, von einer ausgesprochenen rhythmischen Begabung zeugende Form, die Horace, der Herausgeber von James' poetischem Nachlaß, ihnen mit Becht nachrühmt

Von James Smiths Epigrammen^) ist manches mit scharfer Spitze versehene, z. B. das auf Edmund Burke. Doch kümmerte er sich im allgemeinen wenig um Politik, sondern richtet die Pfeile seines Spottes auf die moderne Kritik, das Gerichtsverfahren, öffentliche Gebäude Londons, den vorgeblichen guten Ton der Gesellschaft und allerhand soziale Auswüchse.

Im großen und ganzen bevorzugt er das Heitere. Der Schauspieler Mathews nannte ihn den einzigen Menschen, der gescheiten Unsinn schreiben könne. Sein Bestes und Ge- lungenstes aber soll er gesprächsweise als Eingebung des Augenblicks gegeben habea James Smith, der elegante Hagestolz, „der Schöngeist in dem altmodischen Sinne des Zeitalters der Königin Anna'', wie Patmore ihn nennt, blieb als amüsanter, liebenswürdiger Tischgesellschafter bis in sein Alter eine gesuchte Londoner Persönlichkeit, die an

^) MisceManeous Pteceg, *) MartioH in London,

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Der litenriflche Essay. 357

köstlichen Einf UleB, sprühendem Witz und glänzender Ge- sprächskunst kaum ihres gleichen hatte.

Horace Smiths literarischer Ehrgeiz nahm einen höheren Flug als der seines Bruders. Er wollte die Poesie nicht nur als Liebhaberei betreiben, sondern ihr als Zugehöriger zum Bau, als Mitglied der Zunft dienen. Sein Wunsch ging immer mehr dahin, aus der Beschäftigung mit der Poesie einen Beruf zu machen und sich von der Börse zurück- zuziehen, sobald er ein hinreichendes Vermögen erworben haben würde. Die Bekanntschaft mit Shelley, die er 1817 in Marlow machte, mochte wohl auch in dieser Richtung für ihn von weitragender Bedeutung sein. Horace Smith, wie Shelley Optimist und Philanthrop, fand in seinem innersten Wesen mancherlei Berührungspunkte mit dem Dichter, dessen Werke ihn mit Bewunderung erfüllten und zu dem er sich schon Yon vornherein durch die unverhältnismäßige Härte seines Schicksals hingezogen fühlte. „Ich war überzeugt, daß seine Ziele rein und edel seien^, schreibt er, „daß ihn lediglich eine leidenschaftliche Menschenliebe beseele, in deren Dienste er bereitwillig sein Leben opfern würde." Lange, zu beiderseitigem Gtenuß geführte Gespräche ent- hüllten ihm Shelley als ein psychologisches Kuriosumi), während sie in Shelley Freundschaft und Hochachtung für den „City -Mann'' hervorriefen, dem er als einem Mitgliede der Gesellschaft, der Kaufmannschaft und der Börse mit Mißtrauen begegnet war. Leigh Hunt überliefert Shelleys Ausspruch: „Ist es nicht sonderbar, daß der einzige wirklich großmütige Mensch, den ich je gekannt habe und der Geld hatte, um großmütig zu sein, ein Makler ist?'' 2) Er schrieb später von ihm:

0 Beayen, 136.

•) AutoUo^ajfiiy, 186.

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358 Der literarisdie Essay.

Menschlich Wissen, Tngend, Witz, Verstand und alles, was die düstere Welt Zu einem schönen Ding erhebt, erhellt, Es ist vereint in Horace Smith, i)

Horace hatte seinerseits den Mut, sich öffentlich zu Shelley zu bekennen. Es sei fürwahr kein Wunder, daß unter einem Volke von Mammonsanhängem, wie die Eng- länder, ein so vollkommen selbstloser und weltfremder Mann für eine Art lusus naturae angesehen werde; kein Wunder, daß reiche Geizhälse ihn anfeindeten, denn in seinem Leben gab es eine tägliche Schönheit, die das ihre häßlich machte. Horace Smith erzählt, wie er, der in der schmutzigen Schule des kaufmännischen Lebens Erzogene, kaum seinen Sinnen getraut beim Anblick dieses außer- gewöhnlichen Wesens, das wie ein Anachoret lebte, sich jeden seinem Stande angemessenen Luxus versagte, um seine Ersparnisse Nebenmenschen zuzuwenden, und still- schweigend, denn er hing seine Wohltätigkeit nicht an die große Glocke, zeigte, daß er den Beichtum, den er an sich verachtete, nur schätzte, insofern er durch ihn befähigt ward, andern beizustehen. „Er verhielt sich gegen seinen Leib mißtrauisch", fährt Smith fort, „stets bedacht, die Oberhoheit des Geistes zu wahren, stets bestrebt, das Heiligtum in reinem und geweihtem Zustande zu erhalten, von keinem Flecken der Gemeinheit beschmutzt, der die Seele in diesem Schreine erniedrigen könnte. Inbrünstig und treu war die Verehrung, die er der Majestät des Geistes widmete." Ein nichts weniger als weibischer Mann, sei Shelley doch von einem speziflzisch weiblichen Zartgefühl erfüllt gewesen. Smith preist die angeborene Reinheit seines Wesens, die

*) Letter to Maria Gtabome,

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Der literarische Essay. 359

durch nichts verdorben werden konnte, und hat selbst Verständnis for Shelleys Schrullen, wie seinen strengen Vegetarianismus, der ihn im Jäger „einen Amateur-Mörder^ erblicken ließ.^

In dem Gedichte To P. B. Shelley nimmt Smith den Dichter, „der seine Jugend glorreichen Hoffnungen und einer unbeugsamen Wahrheit widmete^, für die Heerschar der wahrhaft Gläubigen in Anspruch. Smiths 1821 gebome Tochter wurde Shelleys Ekloge zu Ehren Eosalinde genannt.

Unter dem Einflüsse seiner Freundschaft mit Shelley schrieb Horace Smith 1821 die Dichtung Amarynthus, fhe Nymphol^t Fastoral Drama in Three Acts. With other Poems. Die Vorrede belehrt, daß Plutarchs Nympholepten {w(ig>6Xf]jtT0Cj bei den Bömern Lymphatici) von Nymphen besessene oder durch Nymphen zum Wahnsinn getriebene Männer sind, sei es, daß ihr Anblick, sei es, daß der toll machende Einfluß ihrer Orakelgrotten sie betört habe.

In den rein pastoralen Teilen seines Dramas bekennt Smith sich zu Entlehnungen aus Theokrit. In echt Shelley- schem Sinne wird die Macht Oenonens, der delphischen Prophetin, die den Amarynthus bezaubert^ nicht auf Hexen- kunst, sondern auf ein tieferes EJindringen in die geheimen Kräfte der Natur zuruckgeffthrt und seine Entzauberung durch die Liebe bewirkt Er wird

Vom Traumgesicht befreit

Durch seiner Träume Wirklichkeit.

Doch macht sich trotz des Bestrebens, das Übematfirliche in die Sphäre des Menschlichen zu rficken, der Mangel jenes lyrischen Schwunges fühlbar, mit dem Shelley derlei Vor- gänge zu Naturhymnen und Geisterrhapsodien zu erheben

^) Ä GreybearcPa Gossip dbout Literary Äcquaintances. (Plau- dereien eines Graubarts llber literazische BekaontschAften.)

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360 Der HteruiBche Essay.

pflegt Poetisch und phantasievoU ist in guten Blankversen die Wirknng des vom Panszauber erföllten Waldes auf Amarynthns' Gemüt (Akt II) geschildert Nor die Geister- lante und das Elfentreiben fehlen.

Einen Gegensatz zu Amarynthus bildet die auf einem wirklichen Vorgange beruhende, in Reimpaaren geschriebene Erzählung Lucy Milford, die die Zerrüttung eines treu- liebenden M&dchenherzens durch die unbarmherzige Ge- hässigkeit eines starrsinnigen Vaters zeigt und durch das abschreckende Beispiel Brüderlichkeit und Nächstenliebe als die wahre Gläubigkeit einschärfen will. Doch ist grade diese Wirklichkeitsdichtung durch ihre Verbrämung mit überspannter Sentimentalität zu einem unangenehmen Gemisch von Alltäglichkeit und Irrealität geworden.

Unter den Gedichten ist nennenswert On a Siupendous Leg of Granite, Biscovered standing hy Jtself in ihe Deserts of Äegypt, with the Inscription inserted helow (Auf ein ungeheures Granitbein, das man mit der unten ver- zeichneten Inschrift alleinstehend in den Wüsten Egyptens fand). Damit beteiligte sich Horace Smith an der Sonetten- konkurrenz zwischen Eeats, Leigh Hunt und Shelley, indem er auf charakteristische Weise das gegebene Thema zu einem Memento mori für London gestaltete.

In einem Gedicht an den Mammon erklärt Smith, diesem Götzen gehöre wohl sein Leib, nicht aber seine Seele. Pflichtschuldig bete er an inmitten des Mammons Schaar; daheim aber halte er heiligen Gottheiten eine Abendandacht Durch die Mehrzahl seiner Gedichte ^ geht ein ausgesprochen transzendentaler Zug. Er ver- geistigt die Natur, indem er sich an ihr freut Blumen sind

>) Poetical Works, 1846.

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Der litexarische Essay. 361

Tagessterne, die Freude an ihnen ist ein Naturgottesdienst unter dem Himmelsdom (Hymn to Flowers). Die Mohn- blume, der Krösus, der König des Feldes, bedeutet eine geheimnisvolle Macht: sie ist ein Heilmittel, ist der Tod (The Poppy). Die untergehende Sonne ist Gottes Auge (To ihe SetÜng Sun). Die Sonnenfinsternis wird zum symbolischen Gesicht einer Seelenfinstemis und anarchistischen Welt (The Sun's Eclipse, 8. Juli 1842). Gegen die Cholera empfiehlt er eine moralische Medizin. Wie der Begüterte nun mit dem Armen die Gefahr teilen mfisse, so teile er zur besseren Stunde brüderlich mit ihm den Segen des Daseins (The Cholera morbus). Angesichts einer Mumie möchte er lieber die Seele einbalsamieren und in lebendiger Tugend rein erhalten (Address to a Mummy). Ein rechtschaffener, frommer Sinn findet seine Betätigung in der Nächsten- liebe (Moral Ruins). Er kennt eine moralische Alchimie: Schmerz in Wohltat, Verlust in Gewinn verwandeln. Der vollkommenste Gottesdienst ist ihm die Heiterkeit. G^tt liebt es, wenn der Mensch die Fähigkeit des Lachens übt, die dem Tiere verweigert ward (Prefatory Stanzas). Smith sieht kein Dunkel auf Erden (Moral Älchimy). Er kann nicht umhin, niederzuknien, die schöne Erde anzubeten und in ihr ihren Schöpfer (Mornmg), Leben, was bist du für eine große Gabe! ruft er aus; Leben, wie zahllos sind deine Freuden? (The Charms of Life). So fehlt es Smith nicht an fröhlichem Humor, der sich in spaßhaften Pointen und komischen Charakteristiken gefällt (The Englishman in France. Der Engländer in Frankreich; The Collegian and ihe Porter. Der Student und der Pförtner; The Parson at fault. Des Pfarrers Versehen).

Die 1824 veröffentlichte dreibändige Sammlung von Vers- und Prosastücken Oaieties and Gravities. A Series

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362 Der litenuiache Sssay.

of Essays^ Comic Tales, and Fugüive Vagaries (Heiteres und Ernstes. Eine Sammlung von Aofisätzen, komischen Erzählungen und flüchtigen Einfällen), der Mehrzahl nach noch im MonÜdy Magaeine erschienen und nicht über dem feuilletonistischen Durchschnitt, behandelt in kunterbunter Mischung Tagesereignisse, Traumerlebnisse {Pitcaim Island)^ ßeisebilder (Pere-La Chaise), soziale Fragen (Satirist of Women. Satiriker der Frauen), Novellistisches {The Tanner^s Widow. Des Gerbers Witwe), Literarisches (An Ättempt to explain the Causes of the Decline of British Comedy. Versuch, die Ursachen des Niederganges der britischen Komödie zu erklären). Ethisches {Moral and Material Beauty. Sittliche und irdische Schönheit) und gänzlich Nichtiges {The Old White Hat Der alte weiße Hut) und bekundet in ihrer Vielseitigkeit die dem Oockney innewohnende journalistische Begabung.

Ein eigenartiges Buch ist The Tin Truwpet, or Heads and Tales for ihe Wise and Waggish, edited by Jefferson Saunders Esq. (Die Blechtrompete oder Überschriften und Erzählungen für Kluge und Schelme), 1836, ein alphabetisch geordneter Zettelkasten von Witzen, Anekdoten, Paradoxen, Maximen, Aussprüchen über Politik, Leben, Kunst, Kirche, von geistreichen Erklärungen, Weisheits- und Schelmen- sprüchen, kurz ein Lebensertrag des Nachdenkens und Empfindens, von Gedankenblitzen, Gefühlssplittem, Narre- teien, bunte Abschnitzel mannigfaltigsten Wertes und Inhaltes, in knappster, anspruchslosester Form, allesamt Produkte eines originellen Kopfes. Es ist vielsagend, daß das Buch bei seinem Erscheinen Thackeray zugeschrieben und 1890 bei Soutledge wieder aui^elegt wurde.

Allein Horace Smith gab sich mit solcher Kleinarbeit nicht zufrieden. Seit 1826 wandte er sich fast ausschliefi-

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Der literarische Essay. 363

lieh und mit außergewöhnlicher Fruchtbarkeit dem Bomane zu. Als Ziel schwebt ihm auf diesem Gebiete das Kultur- und Sittenbild großen Stils vor. Er will der Menschheit den Spiegel vorhalten in der Schilderung ganzer Klassen, ganzer Epochen. Sein tiefes soziales Interesse drängt das psychologische in den Hintergrund. Der Schwerpunkt fällt nicht auf die Erzählung, sondern auf das Milieu. Von einer eigentlichen Bomankunst^ einer durchdachten Eompo- sition und Charakteristik ist bei Horace Smith wenig die Bede. Er haspelt den Hergang einfach ab. Die meisten seiner Gestalten sind repräsentative Figuren, mehr Typen als Individualitäten, und das Zeit- und Gesellschaftsbild, das sie beleben, verdankt sein Entstehen nicht der Freude an seiner Farbigkeit, nicht der Lust am Fabulieren ob- zwar Smith es selten unter drei Bänden im Umfange von 800 1200 Seiten tut sondern dem Wunsche, einen Beleg für irgend eine hohe sittliche Idee zu erbringen oder ein Exempel zu statuieren, aus dem sich eine Moral ab- leiten läßt. Immer schwebt ihm ein sozialer, erziehlicher oder erbaulicher Zweck vor, den er in den verschiedensten Arten von Bomanen verfolgt.

Er beginnt 1826 mit dem historischen und tut sogleich einen guten Wurf mit dem Cromwellromane BrafMetye HotLse, or Cavaliers and Boundheads (Brambletye-Haus oder Kavaliere und Bundköpfe.) Der Lord Protektor und König Karl, Milton, abenteuerliche Bitter, wackre Soldaten, ein lustiger Hausierer und ein vlämisches Bürgermeister- töchterlein von zarter Hand und treuem Herzen diese und noch viele andere Gestalten gruppieren sich zu einem lebendigen Zeitbilde. Das Streben des Verfassers geht dahin, die eigene Subjektivität zu unterdrücken und die seiner Gestalten desto schärfer zu charakterisieren. Die

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364 Der liteniische Essay.

Handlung will den Leser nicht durch aufreizende Spannung, sondern durch ein ruhiges, stetes Interesse fesseln. Im Verein mit Scott, dessen Peverüy 1822, vorausging und dessen Woodstock unmittelbar nachfolgte, trug Branibletye House Tomehmlich dazu bei, den Geschmack am historischen Roman zu entwickeln. „In meinem ersten Romanversuche'', schrieb Smith später an Scott, „folgte ich nach, wo Sie vorangegangen waren.^ i) Nach Lockhart hätte Smith ganze Seiten aus De Foes Fire and Flagw of London ver- wendet. 0

Ein zweites historisches Eulturbild The Tor Hüly gleichfalls 1826, ist dem englischen Beformationszeitalter entnommen. Es wurde von Defaucoupret ins Französische übersetzt (Tor HiU, Histoire du Temps de Henri VIII). Heinrich Vm. tritt darin als verkörperter Frauenjäger auf. Die steten Plänkeleien zwischen Franzosen und Engländern nehmen einen breiten Baum ein.

Den Mittelpunkt aber bildet Tor-Haus, der alte be- festigte Baronetsitz bei Glastonbury, wo die verschieden- artigen, teilweise sehr scharf geprägten Typen sich zu- sammenfinden. Es ist durchaus charakteristisch ffir diese Bomane, daß sowohl Branibletye House als Tor Hill ihre Titel vom Namen ihrer Schauplätze führen.

Die Zeit der englischen Bestauration scheint für Smith eine besondere Anziehungskraft besessen zu haben. Gleich sein nächstes Werk, der Börsen- und Cityroman Beuben Äpsley, 1827, wird wieder in sie verlegt Das Hauptmoment bildet hier die Gegenüberstellung von Adels- und Bürgerpartei, welch letztere in dem Helden, dem treff- lichen, menschenbeglückenden, glaubenseifrigen, edel milden

0 Widmung yon Beuben ÄpsHey, 1827.

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Der literariflche Emnj. 865

Benben einen idealen Vertreter findet. Er greift in Er* ffillnng seiner Bürgerpflicht fttr den Prinzen von Oranien zn den Waffen nnd genießt nach ermngenem Frieden in stiller Zufriedenheit die Früchte seines Mnsterlebens. In die Gteschichte seines Oheims, des Kaufmanns Goldingham, spielen die Handelsverh&ltnisse der Zeit herein.

Noch eingreifendere soziale Kontraste dieser an Gegen- sätzen reichen Zeit hebt Smith in Walter Colyton, A Tale of 1688 (1830) heraus. Unverkennbar tritt sein Wunsch hervor, allen Gestalten in völliger Unparteilichkeit gerecht zu werden. Der Held, Sohn eines herabgekommenen Kavaliers und einer puritanischen Mutter, tapfer und rechtschaffen, ein Kemmensch, Patriot und Protestant von echtem Schrot und Korn; der katholische König, schlicht und umgänglich; Aufklärung und Gespenster- glaube, Hofunterhaltungen und Wirtshaustreiben, mond- scheinmilde Weiblichkeit und Straßenräuberei all das vereinigt sich zu einem lebhaften Zeitbilde. Dasselbe gilt von Ärihur Ärundd, Ä Tale of the English Bevoluüon (1844). Der Glaubenskampf spaltet Familien, entzweit Schulkameraden. Arthur, ein selbständiger Denker und tapferer Krieger, betätigt sich, wie alle Helden von Smith, für Wilhelm von Oranien und empfängt dafür seinen Lohn. Die Bezeichnung der Revolution von 1688 als der glor- reichen hält Smith für keinen glücklichen Einfall, denn die großen Tage der Nation seien mit dem umfassenden Geiste des Usurpators dahin gewesen. Allein die Revolution habe den Grund zum politischen und moralischen Fort- schritt gelegt und dadurch England zum mächtigsten Reiche gemacht „Lange möge es dauern.^

0 Beaven, 258.

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366 Der literarische Essay.

Nach demselben Prinzipe verfaßt Smith einen MasanieUo (1842). Hier leitet ihn der Wunsch, das Beispiel jener Re- Yolntion, die der schlichte Fischer von Amalfi ins Leben rief, möchte den Herrschern eine nützliche Lehre geben. Selbst wo er auf eine so weit entfernte Periode zurück- greift wie in dem 37 v. Chr. spielenden Romane Zäla, Ä Tale of the Holy Oity (Zilla. Eine Erzählung aus der heiligen Stadt; 1829 von Defaucoupret ins Französische übersetzt als Zilla, Uistaire Juive, tiree des Annales de Jerusalem) verfährt er nicht anders. Alles Altertümelnde im Ausdruck wird absichtlich vermieden, Sitten und Gewohnheiten aber eingehend betrachtet, und das Kultur- bild erhält durch stimmungsvolle Naturschilderungen den richtigen Hintergrund. Mit Zilla, der edlen und hoch- gebildeten Tochter Jerusalems, die so schön als glaubens- begeistert, so nachdenklich als entschlossen ist, wird die Dekadenz der römischen Jugend kontrastiert. Das Ganze klingt in ein Evangelium der Duldung aus: lafit uns nicht in dem Wahne leben, daß wir Gott unsere Liebe bezeugen, indem wir die Menschen hassen, die verschieden von uns sind. Die Quarterly Review griff Züla als eine Nach- ahmung von Crolys gleichzeitig entstandenem, aber vorher erschienenen Saiafhiel an.

Das rein Menschliche und menschlich Interessante ist es, was Smith als Bomanschreiber in erster Linie beschäftigt. In seinen historischen Romanen tritt dies ihm eben zufällig in einem verflossenen Zeitalter entgegen. Liegt der Vor- gang in der Gegenwart und macht Kostüm und Schau- stellung überflüssig, so kann er sich seinem Lieblingsthema desto ungeteilter überlassen.

The New Forest (1829), wieder ein Ortsroman, schildert in einem weltentrückten Dorfe einen Mikrokosmos. Der Held,

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Der literaruehe Essay. 367

Henry Melcomb, ein strammer, vortrefflicher Charakter, der sich selbst gebildet, Bekenner einer kriegerischen Politik nnd malthusianischer Prinzipien, zimmert sich nnd seiner Liebsten dnrch eigene Tüchtigkeit ein segenerfülltes Heim. Die Nebenpersonen, mehr breit als tief gezeichnet, sind nnr vorhanden, damit Melcomb seine Seelengröße an ihnen erweisen könne. Die Absicht des Dichters ist, zn zeigen, daS wahre Tagend allen Anfeindungen der Welt überlegen sei, daß sie sich selbst beglücke nnd schließlich über jedes widrige Geschick triumphiere. Nicht die Vornehmheit der Geburt, sondern die des Herzens gebe den Ausschlag.

Ein Roman aus der Londoner eleganten Welt ist Crdle Middleton, A Story of ike Present Day (Gale Middleton. Eine Geschichte aus der Gegenwart), 1833. Aus der protzigen Sphäre, der er entsproßen, hebt Gale Middleton sich als schlichter, strebsamer, innerlich vornehmer Cha- rakter empor, ein Feind alles Faulenzens, ein Mensch voll Berufseifer, ein Gemüt voll Naturgefühl und schwärmerischer Nächstenliebe, ein Patriot voll glühender Begeisterung für Reformen, die die Vaterlandsliebe leiten soll, eine Ver- körperung des liberalen Idealismus. Gale, der in seinem Kreise der tolle Middleton genannt wird, vermutlich wie der Oxforder Student Shelley von seinen Kollegen rettet nach dem Bankerott des Hauses seine Angehörigen und findet, äußerlich verarmt, innerlich noch reicher geworden, ein seiner würdiges Glück an der Seite einer gleichgesinnten Frau. Die Verwandtschaft Middletons mit dem „Shelleytypus^ in Peacocks Romanen ist unverkennbar.

Auf das Gebiet des Volks- und Familienromans begibt Smith sich mit Jane Lamat, or Ä Mother's Crime (Jane Lomat oder Das Verbrechen einer Mutter), 1838. Die in einem Bristoler Hintergäßchen spielende Erzählung will

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Der literarische Essay.

nnromantisclie Darchschnittsware »der menschlichen Gesell- schaft aus den unteren sozialen Schichten zu literarischen Ehren bringen und beweisen, daß jene Typen, deren Äußeres den eleganten Leuten gewöhnlich gemein oder lächer- lich erscheint, bei wahrhafter Darstellung einen ebenso erschütternden und interessanten Eindruck machen als hoch- geborene Helden. Dieser einsichtSTollen Theorie bringt jedoch Smith, wie es scheint, selbst nicht das n5tige un- bedingte Vertrauen entgegen. Denn sein Yolksroman ist, genau betrachtet, nichts anderes als ein in ein Hinter- treppenmilieu versetzter Macbeth, Die früh verdorbene, schöne, leidenschaftliche, ihren Mann beherrschende Jane Lomat wird aus Mutterliebe zur Erbschleicherin. Sie veranlaßt den redlichen aber schwachen Gatten, das in Frage kommende Testament zu verbrennen und durch ein gefälschtes zu ersetzen. Kaum ist die Tat geschehen, so meldet sich das Gewissen. Jane kann, wie ihr Urbild, nicht beten. Ja, das Weib aus dem Volke zieht selbst eine Parallele zwischen ihrer Lage und der Macbeths. Die Peripetie des Eomans ist allerdings eine andere als die der Tragödie. Nach Jahren unfmchtbai'er Seelenmarter empfindet Jane, daß sie ihr Unrecht sühnen mfisse, indem sie es bekennt Aber nun scheut ihr Gatte Armut und Schande. Der Sohn, um dessentwillen sie gesündigt, ist gestorben. Jane ertränkt sich. Aber ihre Tochter Mary übt in höchster Selbstentäußerung eine stellvertretende Sühne. In einer Fi*eundin Marys macht Smith den Ver- such, die moderne Gestalt der selbständig arbeitenden unverheirateten Frau zu zeichnen und bricht für sie eine Lanze gegen das verjährte Schreckgespenst der alten Jungfer. Besonders reich an sozialen Typen ist ein zweiter Familienroman Adam Brown, The Merchant (Adam Braun,

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Der literariBche Essay. 369

der Kaufmann) 1843. Er hat Aber dem Dienste des Mammon das reine Familienglück versäumt, dessen Ideal eine Nach- barfamilie ihm nun neiderweckend vor Augen stellt. Manche köstliche Gestalt z. B. der irische Snob Hauptmann MoUo oder die gebildet tuende, auf Männer jagd ausgehende Witwe Mrs. Gossip beleben humorvoll die Erzählung.

Schließlich fehlt unter den von Smith gepflegten Bomangattungen auch der autobiographische Boman nicht The Moneyed Man, or The Lesson oflAfe (Der vermögende Mann oder die Lebenserfahrung), 1841, rollt den Ent- wicklungsgang eines schlichten Gemütes von der Kindheit bis zum Alter auf. Von schwachen und prunkliebenden Eltern dazu erzogen, den Reichtum als Lebens- und Selbst- zweck zu erstreben, in der Jugend durch die französische Bevolution von engherzigem Vorui'teil und blindem Haß beeinflußt, befreit Hawkwood allmählich sein eigenstes Selbst aus der Knechtschaft fremder Einflüsse und reift zu edler, freier Menschlichkeit heran. Die politischen, sozialen, philosophischen Betrachtungen, mit denen seine Selbst- biographie durchsetzt ist, verleihen diesem Romane ein besonderes Interesse.

Mit dem den Untergang der venezianischen Republik behandelnden, trotz des großen Aufgebotes von Lokalkolorit wenig Überzeugenden und fesselnden Romane Love and Mesmerism (Liebe und Mesmerismus) verabschiedete Smith sich 1845 vom Publikum. Sein Talent war nicht stark genug, um das Ideal, das ihm klar vor der Seele stand, in entsprechender Weise zu verkörpern. Doch, wenn sein Werk dem Leser auch nicht alles das Übermittelt, was er selbst kräftig im Gemüt erfaßte, so spiegelt es doch seine eigene vielseitige und ttlchtige Persönlichkeit.

„In der Religion wie in der Politik ist er ein Gegner von

Geschichte der eo^rlitehen Bomantik II, 1. 24

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370 Der Uterarische DsBay.

allem Fanatismns, ein Mann ohne Vorarteile, der den Eriegs- mhm ffir Nationalwahnsinn erklärt und das englische Gesetz Hokus Fokus schilt, ein Optimist voll Glanben an die Menschheit und voll Sympathie für den Nächsten, all sein Lebelang ein guter Mensch, der Praktisches und Ideales trefflich zu einen versteht. Gleich geschickt, weltlich zu erwerben und weltfremd zu verbrauchen, ge- deiht er im Gewühle, macht sich die Wirklichkeit beinahe dienstbar und f&hrt in ihr ein Leben voU Phantasie und guter Taten.^ So schildert ihn Leigh Hunt.O So erkennen wir ihn wieder in seinen Werken, einen Pionier des modernen sozialen Romans.

Werke von Horace Smith.

1799 A Family Story.

1800 The Bunatoay, or The Seat of Benevolence.

1801 Travanion, or Matrimonial Errors.

1807 Horatio, or Memoirs of the Davenport Family. 1812 The Highgate Tunnel, or The Beeret Axch.

First ImpressionSf or Trade m the West

1821 Amarynthus the Nympholept. With other Poems.

1825 QaieUes and Oravities. A Series of Essays and Comic

Tales.

1826 The Tor Hill.

Bramhletye House, or Ca/valiers and Roundheads.

1827 BeUben Apsley.

1828 Zaia. A Tale of the Holy aty.

1829 The New Forest.

1830 Walter Colyton.

1831 Festivals, Games, and Amiisements Andent, and Modem. 1838 Qale Middleton. A Story of the Present Day.

1) Our Cottage.

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Der literarische Essay. 371

1836 The Tm Trun^et, or Heads and Tales for Wise and

Waggish, edited hy Jeffenon Saunders. 1838 Jane Lomax, or A Mother's Orime.

1841 The Moneyed Man, or The Lesson of a Life.

1842 Masaniello, an Historigue Romance.

1843 Adam Brown, The Merchant

1844 Arthur, Arundal. A Tale of the EngUeh EevoluUon.

1845 Love and Mesmerism,

1846 PoeUcal Works.

Werke Ton James Smith.

1841 Memoirs, Letters and Comic Miscellanies in Prose and

Verse, edited 2);^ Horace Smith, 1871 FoeUcal Works, edited ly E. Sargent

Gemeinsame Werke.

1812 B^ected Addresses, or The New Theatrum Poetarum

(Neaansgaben: Morleg's Universal Library [Burlesques, Plays, and Poems\ 1885; Aldine Edition, 1890).

1813 Horace in London. ConsisUng of Imitations of the First

Two ßooks of The Ödes of Horace. By the Authars of Re^ected Addresses.

Werke fiber Horace und James Smith.

1899 Arthur Beaven, James änd Horace Smith, A Family NarraU/oe. Richard Oarnett, Artikel Horace and James Smith, DicUonary of National Biogrqphy.

24*

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Thomas Love Peaoook.

1785—1866.

Dlchtmigeii.

In Weymonth (Dorset), einer kleinen Hafenstadt an der lieblichen SüdkOste von England, wurde Thomas Love Peacock am 18. Oktober 1785 geboren. Er war ein auffallend schöner Knabe. Königin Charlotte ließ einmal ihren Wagen halten, um ihn zu küssen. Da der Vater Samuel Peacock, ein Glashändler in St Pauls Churchyard, starb, als Thomas drei Jahre zählte, fiel die Erziehung des Knaben der Mutter Sarah, geborenen Love (f 1883), anheim, einer an Geist und Gemüt hervorragenden Frau voll Naturgefühl und literarischem Verständnis. Sie zeigte sich der Aufgabe so völlig ge- wachsen, daß sie die beste Freundin ihres Sohnes blieb, auch als dieser längst zum Manne gereift war. Er ver- öffentlichte kein Werk, ohne es ihrem Urteil unterbreitet zu haben, und nach dem Verluste seiner Gattin wurde sie die Erzieherin seiner Kinder.

Sie förderte mit feinem Verständnis die poetische Be- gabung des Knaben, dem der mütterliche Großvater Thomas Love, ein pensionierter Kapitän, von weiten Keisen und Schlachten auf hoher See erzählte. Mit zehn Jahren (1795) schrieb Thomas seine ersten Verse, 9 eine Epistel an die Mutter. Mit elf Jahren verfaßte er eine Grabschrift für

^) Cole, Biographie Notes.

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Der Uterarische Essay. 878

einen Schulkameraden und eine poetische Epistel an einen Vetter in Spanien. Der Inhalt ist altklng und nachempfunden, der Ausdruck konventionell, metrisches Gefühl aber unver- kennbar. Ein in Prosa abgefaßter Brief an den spanischen Vetter aus dem Jahre 1796 enthält einen heftigen Tadel Pitts und einen feurigen Appell an die Vaterlandsliebe: „Möge jeder, in dessen Adern englisches Blut fließt, dieses Motto zur Richtschnur wählen: Lieber Tod als Schmach!^ Bei aller Unselbständigkeit des politischen Urteils ist doch der Schwung und die Reife des Vortrags im Hinblick auf den elfjährigen Verfasser bemerkenswert

Seine Eindeijahre verlebte Peacock in Chertsey am Eingange des Windsorwaldes. Hier erwuchs aus seinen frühesten Eindrücken und Gewohnheiten jene vertraute Fühlung mit der Natur, jene innige liebe für Wald und Feld und jene patriotische Begeisterung für die Themse- landschaft, die niemals in ihm den Wunsch aufkommen ließ, andre schöne Gegenden zu sehen. Damals schon wurde der Grund jener poetischen Bodenständigkeit gelegt, die Peacock zum spezifischen Cockneydichter macht Er ist mit der Schönheit seines Gaus verwachsen, von ihr durch- drungen; er kennt keine andre außer ihr. In seinem langen Leben hat er die Grenzen seiner Heimat nicht überschritten. Noch 1862 nennt er in einem Erinnerungs- blatt The Last Day of Windsor Forest (Der letzte Tag des Windsorwaldes) eine Hirschjagd, die er an einem sonnigen Tage als Kind mit ansah, den schönsten Anblick, den er je genossen, und glaubt, daß nun mit der Aus- treibung der Hirsche der letzte Tag des Windsorwaldes gekommen sein müßte.

Sarah Peacocks beengte Verhältnisse zwangen sie, die Schulbildung ihres Knaben mit vierzehn Jahren abzu-

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374 Der Uteniuolie Sssay.

schließen und ihn in einem Londoner Greschäftshaose anter- zubringen. Aber Peacock behielt einen Überschuß an freier Zeit, die er im Britischen Museum verbrachte, und seine Bemühungen förderten ihn bald mehr, als es der Gymnasial- unterricht vermocht hätte. Die klassische Welt nahm ihn gänzlich gefangen. Er verband in sinnreicher Weise mit den philologischen gleichzeitig kunstgeschichtliche Studien, mit der Lektüre den Anschauungsunterricht, und lernte so mit der Literatur der Alten in gleichem Umfang ihre plastischen und architektonischen Meisterwerke kennen, die das Britische Museum verwahrt. Wenn seiner Gelehr- samkeit auch zeitlebens ein gewisser Mangel an Exaktheit anhaftete, der den Autodidakten kennzeichnet, ging ihm doch der Geist der Antike in Fleisch und Blut über.^) Es dauerte nicht lange, so gehörte er zu ihren gründlichsten Kennern.

Im Jahre 1800 trat Peacock zum erstenmal in die Öffentlichkeit. Mit einer Dichtung im heroischen Vers über das lehrhafte Thema: Is Histary or Biography fke more improving Study? (Ist Geschichte oder Lebensbeschreibung das veredelndere Studium?) gewann er den Preis, den der Herausgeber der Jugendzeitschrift The Monihly Prec^tor (Der Monatlehrer) für gute Beiträge ausgesetzt hatte. Nach einem gewissenhaften Abwägen der beiderseitigen Vorteile erkennt der junge Autor der Geschichte den Preis zu.

Mit der zunehmenden Innigkeit seiner Einfühlung in die Antike hält Peacocks wachsende Abneigung gegen die Schauerromantik Schritt In einem mit duftendem Jasmin bewachsenen Häuschen bei Chertsey, The Abbey House, das seinen Namen von den nahen Kuinen einer Abtei aus Heinrichs VIII. Zeit führte, pflegte der Knabe mit

^) VgL T. Boren, 16 und Works, ediied by Cole, Introdnotioii X.

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Der literaräohe Essay. 375

einem gleichaltrigen Kameraden The Mysteries of Udolpho and andere Scbanergeschichten zu lesen. Man vertiefte sich in die gruselige Stimmung, bis Peacock eines Abends ein Gespenst aus dem Gebüsch vor dem Hause treten und wieder verschwinden sah. Die Jungen schlugen Lärm. Der Hausherr rflckte an der Spitze des ganzen Gesindes gegen den unheimlichen Gast. Da entpuppte sich zu all- gemeiner Enttäuschung das Gespenst als ein Büschel Lilien an einem langen im Winde schwankenden Stamme. Dieser Vorfall, den Peacock später in einer anmutigen Plauderei geschildert hat,i) gab die Veranlassung zu der ziemlich saft- und kraftlosen poetischen Satire The Manks of 8t Mark (Die Mönche des heiligen Markus), 1804. Die in stürmischer Mitteruacht unter Donner und Blitz pokulie- renden Mönche, die schließlich unter den Tisch und über die Treppe fallen, bieten ein Bild krasser und banaler Wirklichkeitsmalerei, an dem die jambischen Achttakter (a a b b c c) weitaus das beste sind.

1806 veröffentlichte Peacock sein erstes Bändchen Gte- dichte Palmtfra and oiher Poems. Der Erfolg war zweifel- haft und das Werk verdiente es nicht anders. Die Anregung stammte ans Robert Woods Buins of Pdlmt/ra, otherwise Tadmor in the Desert, 1753/^) Was die Form betrifft» hielt Peacock sich in Palmyra an die bei den Bomantikem so beliebte des lyrischen Epyllion mit erklärenden und belehrenden Anmerkungen. Der reflektierende Inhalt ist auf Grays sentimentalen Ton frommer Resignation und schwermütiger Ruinenbetrachtung gestimmt und wird durch Stilanklänge an Ossian und Wordsworth nicht origineller.

») T. Doren, 28.

*) Tales from Benüey, vol. I. BeeoUeeÜons of CJOdhood.

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376 Der literansohe Essay.

Fdlmyra war tatsächlich bei seinem Erscheinen bereits veraltet. Nicht ein Kömchen stofflichen Gehaltes ist in die eintönige Klage Aber die Vergänglichkeit des Irdischen eingesprengt Durch das dem Untergange bestimmte Pal- myra erschallt eine prophetische Stimme: „Des Menschen Lebensfrist ist kurz. Liebe, Eifersucht, Verzweiflung, Hoffnung, alles ist flüchtig. Keine Machtentfaltung hält das Schicksal aul Ein Tor, wer auf Beständigkeit rechnet^. Dieser düsteren Stimme aber antwortet eine helle aus den Behausungen der Toten. Sie hält dem Menschen vor, wie gedankenlos seine Trauer sei über die Wolken, die seinen kurzen Tag beschatten, über die Hand des Todes, die ob seinen Hoffnungen hinfegt. Gott schwingt seine Geißel in milder Strenge. Er gleicht die Sorgen der irdischen Lauf- bahn mit himmlischem Segen aus. Denn er ist gerecht, er ist groß, er überdauert Himmel und Erde. Den ungleich geteilten Strophen, die in trochäischen Achttaktem rhyth- misch dahinfließen, wird man einen gewissen lyrischen Schwung und manchen Bildern plastische Größe nicht ab- sprechen. Im übrigen aber fehlt in Palmyra jede Äußerung eigenartiger poetischer Kraft^ die der Welt etwas neues zu sagen hat. Wenn Shelley den an eine Nachmittagspredigt erinnernden Schluß das schönste Stück Poesie nannte, das er je gelesen, so beweist dies nur seine bis zur Kritik- losigkeit gehende Überschwänglichkeit gegen Freunde und seine von jeder Gehässigkeit freie, unbedingte Duldsamkeit gegen alle den seinen noch so widersprechenden religiösen Ansichten.

Die mit Palmyra veröffentlichten Gedichte bewegen sich ungefähr in demselben Gefühls- und Gedankenkreise. Sie leiden unter demselben Mangel an Urwüchsigkeit. Einige lehnen sich unmittelbar an Ossian an {Fiolfar, King of

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Der HteraiJBohe Essay. 377

Norway, Fiolfar, König von Norwegen; Foldath in the Cavern ofMora, Foldath in den Höhlen von Mora); einige variieren das dftstere Thema der Vergänglichkeit des irdischen {Mvra) und der Grabessehnsucht {The Old Man's Complaint, Des Greises Klage). Die eingestreuten Liebesgedichte scheinen ihr Entstehen nicht sowohl einem inneren Elrlebnis zu ver- danken als der Erwägang, daß eine Abteilung Erotik in jede lyrische Sammlung gehöre. Nach Peacocks Auffassung ist das Weib für den Mann geschaffen. Für das verlorene Eden gab die mitleidige Natur dem Menschen ein Paradies der Liebe (The Vision of Love. Gesicht der Liebe). Der junge Dichter träumt, um das Glfick und den Ehrgeiz dieser Welt unbekümmert, von einem ländlich stillen Heim, wo er in ungestörtem Beisammensein mit der Geliebten die wechselnden Freuden der Jahreszeiten genießen möchte, bis an das Ende seiner Tage, dem ein seliges Wiederfinden im Himmel folgt

Ungeachtet des fühlbaren Mangels an impulsivem und individuellem Empfinden scheint die hier besungene Fanny tatsächlich der Wirklichkeit angehört zu haben. Ein junges Mädchen aus Chertsey warf 1807 auf Peacocks Sommertage den Goldglanz einer ersten innigen Neigung. Es gab herrliche Stelldicheins in den grün überwucherten Trümmern der Newark Abbey, Es kam zum Vei-löbnis. Aber die un- berufene Einmengung einer dritten Person trennte die Liebenden. Fanny Falkner 0 vermählte sich ein Jahr später und starb jung. Peacock, mehr für warme Neigung als für starke Leidenschaft veranlagt, bewahrte ihr lebens- lang ein wehmütig treues Andenken, das in dem innigen Remember me (Gedenke mein) (1808 1809) und in den

0 VgL v. Doren 84.

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378 Der litenriBche Essay.

Versen Äl mio primo amar (Meinem ersten Lieb), 1813, Ans- dmck fand. Fannys anmutige Erscheinung wird Peacock allmählich zum verklärten Symbol seiner Jugend. Noch 1842 gedenkt er in dem Gedichte Newark Äbbey on the Wey. Written with a Reminiscence of Äugtist 1807 (Die Newark Abtei am Wey. Geschrieben in Erinnerung des August 1807) „des lauteren Wunders ihrer Lieblichkeit^, der holden Stimme, des leuchtenden Auges, die seiner Seele Musik und Licht bedeuteten, als das Leben noch neu war und die Hoffnung tr&gerisch, doch die Liebe wahr.

Der Held dieses kurzen Liebesidylls erscheint auf einem Bilde aus seinem 18. Lebensjahre ^ als ein schmal- schultriger, blauäugiger Jüngling mit einer Mähne blonden Haars und offenen, klugen Gesichtszügen, deren Gesamt- eindruck Lebensfrische und Heiterkeit ist 1808 erhielt Peacock durch Großvater Loves Vermittlung eine Sekretär- stelle bei Sir Horace Riggs Popham auf dem Schiffe Vener- able, das vor Ylissingen kreuzte. Die amtlichen Verpflich- tungen waren gering, aber das eingefleischte Landkind und der leidenschaftliche Fußgeher konnte das Unbehagen auf dem Wasser nicht verwinden. Dichten war in „der schwimmenden Hölle" eine Unmöglichkeit.») 1809 finden wir Peacock wieder in seinem Element, nämlich zu Hause und mit der Abfassung einer schon 1807 geplanten Dichtung beschäftigt, die, der noch nicht völlig veralteten Mode der topographischen Gedichte folgend, den Lauf der Themse, einen Weg von 180 englischen Meilen „einen ganz netten Spaziergang" poetisch verfolgen sollte und 1812 unter dem Titel The Genius of the Thames (Der Genius der Themse) erschien.

>) Bro9e Works.

') An den Verleger Hookham, 28. November 1808.

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Der literanadie Essay. 379

Peacock machte fflr sie Quellenstndien im buchstäb- lichen Sinne des Wortes. Er forschte im Juni 1809 dem Ursprünge der Themse nach und bestimmte unter mehreren Einnsalen ihren wahren Ursprung: ein Flufichen, das auf einer Wiese in der Nähe der Dörfer Kemble und Tarlton in Gloucestershire entspringt. Mit Leib und Seele war er bei dieser Untersuchung. Seine Natur, die die Gewalt des Ozeans so wenig wesensverwandt berührte wie eine erschütternde Leidenschaft, fühlte sich in der stillen Anmut der englischen Flußlandschaft in mehr als dem wörtlichen Sinne daheim. Seine poetische Anschauung der Natur, die von der Majestät des Meeres erdrückt wurde, kam der anspruchslosen Lieblichkeit der Themseufer in liebevoller Hingabe entgegen. Vor dem Ozean schrumpft seine Per- sönlichkeit in nichts zusammen, sie möchte sich verkriechen, seine Hoffnung steht auf der Heimkehr. {Stamas written at Sea. Verse, auf dem Meere geschrieben) Dem Flusse gegenüber gibt es keine Möglichkeit der Betrachtung, die er dem bescheideneren Thema nicht abgewänne. Kein Gold- kom bleibt ungehoben. Der geringfügigere Gegenstand er- weckt im Dichter ungleich höhere Gesichtspunkte. In sicherer Bemeisterung des Stoffes geht er kraftbewußt über ihn hinaus.

In der Schilderung des Themselaufes wird keine An- regung zur Reflexion übergangen. Bei Oxford apostrophiert der Dichter die Wissenschaft Der Hafen von London wird zum Inbegriff der britischen Macht Historische Erinnerungen werden lebendig. Er gedenkt WilUam Masons, des Verfassers der Elfridüf Thomsons, Popes, dessen Einfluß deutlich in der Anlage und vielen Einzelheiten des Genius of the Thcmes zu spüren ist Der Lauf des Flusses wird dem Strome der Zeit verglichen. Der patriotischen Begeisterung des nie gereisten Peacock zuliebe muß die Muse nach einem Über-

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380 Der literarische Essay.

blick s&mtlicher mit Namen angefahrter Hanptströme der Welt der Themse den unbedingten Vorrang einräumen. Kann Mut und Tfichtigkeit den Lauf der Zerstörong hemmen, so geht Britannien erst mit der Welt zugrunde. Als ein frühes und charakteristisches Beispiel von Peacocks Eigen- art, Dinge und Menschen yon zwei Seiten aus zu betrachten, steht neben The Genius of ihe Thames ein gleichzeitig (6. Juni 1809) an den ihm befreundeten Verleger Edward Hookham geschriebener Brief. „Die Themse", heißt es hier, „ist beinahe ein ebenso geeigneter Gegenstand für eine Satire als für einen Panegyrikos." Der Satiriker könnte ausrufen: „Die kommerzielle Baubgier, nicht zufrieden mit dem ungeheuren Vorteil, den sie aus dem Flusse in einem Laufe von fast 300 Meilen zieht, errichtet an der St&tte seiner Geburt eine ungeheure Maschine, um sein noch un- geborenes Wasser aus dem Schöße der Erde zu saugen und in in einen schiffbaren Kanal zu pumpen !" Und wie wünschens- wert w&re es, bedeutete das Väk*brechen des Wasseraus- saugens das Schlimmste, was sich der Handelsschiffahrt zur Last legen ließe. Aber wir brauchten nur auf das Be- nehmen der spanischen Christen in Südamerika, der eng- lischen Christen in Ostindien und der Christen aller Nationen an der Küste Afrikas zu verweisen, um die tieferen Farbenschichten ihrer blutsaugerischen Scheußlichkeiten bloßzulegen.

Der frohe Naturgenuß, der die empfängliche Brust des Jünglings Peacock schwellte, findet in seiner Dichtung keinen Ausdruck. Im Gegenteil. Seine poetischen Erzeug- nisse aus dieser Zeit sind nach einer düstem Schablone zu- geschnitten (Necessity, Notwendigkeit; Youih in Äge. Jugend im Alter, 1811). Eine vierteilige lehrhafte Dichtung, The Philosophy of MeUncholy (1812), bedeutet einen vergeblichen

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Der Hteraiische Esmy. 381

Versuch, Toongsche Trübseligkeit zu neuem weltschmerz- lerischen Dasein zu erwecken. Der Geist der philosophischen Schwermut» der die Wandelbarkeit des Alls betrachtet, wird als Hauptquelle der Tugend, des Mutes, des Genius ge- feiert Ihm entstammen die reinsten und dauerndsten Freuden. Seine Gegenwart ist in der Erhabenheit der Natur fühlbar. Ihm entnimmt die Kunst ihren größten Zauber. Mitleid, Liebe und teuere Erinnerungen wurzeln in ihm. Das an die Betrachtung der Wechselfälle gewöhnte Gemüt erhebt sich über Leid und Mißgeschick. Durch die allm&hliche Erkenntnis der vollkommenen Weisheit des höchsten Lenkers wird die Resignation schließlich zur positiven Überwinderin des Schmerzes.

Eine zweite, auf zwölf Gesänge in Spenserschen Stanzen berechnete reflektierende Dichtung Ährmcmes, von Shelley im Juni 1813 zitiert, blieb im Anfang stecken. Dem einsam am Meeresstrand wandelnden Jünglinge Davassah erscheint ein Genius, der ihm einen Überblick über den traurigen Wandel der Zustände vom friedlichen Naturleben des primi- tiven Menschen bis zum Bau der modernen Gesellschaft gibt Mit dem Beginne der eigentlichen Erzählung dem Schicksale des Liebespaares Davassah und Eelasois auf einer das Leben symbolisierenden Bootfahrt bricht die Dichtung ab. Dieses Symbol dürfte nicht ohne Wirkung auf Shelleys Älastor (1816) geblieben sein, während sich andrerseits in den von Peacock im Ährimanes zugrunde gelegten vorgeblich persischen Mythologiebegriffen der Ein- fluß von Shelleys exzentrischem Freunde, J. F. Newton ausdrückt, dessen The Betum to Nature (Die Rückkehr zur Natur), 1810, auch in Laon and Oyfhna in zahlreichen Einzelheiten nachklingt.^

») A. B. Young, Modem Lcmguage Beview, Vol. IV Nr. 2 (Jan. 1909).

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382 Der literarische Essay.

Auch als Dramatiker yersuchte sich Peacock, nach dem Ungeschick dreier handschriftlich Unterlassener Komödien za schließen, schon in sehr früher Zeit. Das Blankyersdrama The Circle of Loda (Der Kreis yon Loda), dessen Haupt- inhalt die Konflikte eines zwischen zwei Frauen stehenden Helden bilden, steht in einer inneren Verwandtschaft zu den mit Pahnyra veröffentlichten skandinavischen Ge- dichten. ^ Der Held der armseligen zweiaktigen Posse The Dilettanii (zwischen 1806—1814 entstanden), Chromatic, wird von Peacock in seinem ersten Bomane HeacUong Hall wieder verwendet. Die zweiaktige musikalische Posse The Three Doctors (Die drei Ärzte) verspottet in der Bivalität dreier Söhne des Äskulap den ärztlichen Stand.^) Das beste in diesen Komödien ist die eingestreute Lyrik, die eine nicht sonderlich tiefgehende Empfindung in leichtflfissig rhythmischer Form zum Ausdruck bringt und Gedanken- splitter witzig oder humoristisch zuspitzt.^)

Der Sommer 1812, den Peacock in Wales verlebte, brachte ihm die ffir beide Dichter bedeutsame Bekannt- schaft mit Shelley. Der gemeinsame Verleger Hookham, ein Mann, der sich nicht nur für das literarische Geschäft, sondern für die Poesie interessierte, vermittelte die persön- liche Annäherung.^)

Shelley war damals zwanzig Jahre alt. Sein Genius gährte und wühlte unheimlich, im ganzen noch mehr eine große Zukunftsversprechung als wirkliche Erscheinung.

0 Vgl. V. Doren, 32.

«) The Flays of Th. L. Peacock, edited hy A, B, Toung, 1910.

^ Die Lieder allein worden von Tonnjf in Notes and Queries 10» S. X (5. Dezember 1908) nnd 10 S. XI (16. Januar 1900) Teraffentlicht

*) Peacock verlegt sie in seinem SheUey Memoir irrtümlicherweise erst in den November 1812.

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Der literarische Easay. 883

Am 18. August 1818 faßt er in einem Briefe an Hookham sein Urteil über The Genius of (he Thames folgender- maßen zusammen: „Die Gedichte zeigen einen Überfluß an Genie, ein Wissen, dessen Stärke und Ausdehnung ich in dem Maße bewundere, als ich den Gegenstand, fttr den es angewandt wird, beklage. Peacock ist der Meinung, daß der Handel Eigentum des englischen Volkes, der Buhm der englischen Flagge sein Gluck sei; daß Q«org HL weit entfernt ein Krieger und ein Tyrann zu sein, ein Patriot gewesen. Mir scheint es anders und ich habe mich mit Strenge daran gewöhnt, mich durch die lieblichste Beredtsamkeit und die süßesten Melodien nicht verleiten zu lassen, dasjenige mit intellektualer Duldung anzusehen, das von jenen, welche die Freiheit, die Wahr- heit und die Tugend lieben, nicht geduldet werden soll.^i) Trotz dieser tief greifenden Gegensätzlichkeit ergab die persönliche Bekanntschaft doch allerlei Berührungs- punkte: die Liebe und Kenntnis der Antike, die zu eifrigen gemeinsamen Studien führte, das tiefe, echte Naturgefühl, in dem man sich auf einer gemeinsamen prächtigen Themse- fahrt zusammenfand, und manche exzentrische Liebhaberei, wie das Spiel mit Papierbooten.^) Peacock ermangelte damals nicht einer fast geflissentlich zur Schau getragenen Ro- mantik des Gehabens. Seine bürgerliche Stellung war um nichts gefestigter als die Shelleys. Seine Existenz hatte etwas Zigeunerhaftes. Auch er verbrachte seine Tage in kavaliermäßiger Unbekümmertheit um das Morgen, im vor- nehmen Geistes- und Naturgenuß, der von einem andern Standpunkt aus auch anders benannt werden konnte. ^

>) Shdley Memorials, edited by Lady Shelley, *) Peacocks Shdley Memoir, 421.

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S84 Der literarische Esmy.

Shelleys Schwager Charles Clairmont sagte von ihm: „Er scheint eine Neigung zum Müßiggange zu haben , ja, im Sommer ist er ein offenkundiger Müßiggeher. Er kann sich dem Studium nicht hingeben und glaubt, es sei ihm als einem menschlichen Wesen besser, sich völlig den Schön- heiten der Jahreszeit zu fiberlassen, so lange sie dauern. Er war nur glücklich, wenn er von morgens bis abends außer Hause sein konnte. ^^

Shelley griff Peacock zu wiederholten Malen mit Geld- spenden unter die Arme, ja eine Zeitlang setzte er ihm eine regelmäßige Jahresrente von 50 £ aus. Und auch in dem heikein Punkte des Geldnehmens unterschieden sich Peacocks Empfindungen nicht wesentlich Ton den unter Shelleys Freunden üblichen. Er nahm das Geld, das Shelley ihm anbot, ohne viel Federlesens aus Geringschätzung des Mammons.

So bewegten sie sich im großen und ganzen auf gleicher Bahn. Daß Shelleys Genius tausend Schritt voraus hatte, machte sich auf seiner damaligen Stufe noch nicht so un- bedingt fühlbar. Shelley schrieb an Hogg: „Peacock ist ein sehr sanfter, angenehmer Mensch und ein tüchtiger Gelehrter. Sein Enthusiasmus ist nicht sehr glühend und seine Ansichten sind nicht sehr vielumfassend, aber er ist weder abergläubisch, übellaunig, pedantisch, noch hochmütig.'' Vermißte Shelley mitunter Enthusiasmus an Peacock und warf ihm Kälte vor, so konnte er doch nicht umhin, Peacocks durch und durch gesunde und geistig gut equilibrierte Natur als ein wohltuendes Gegengewicht gegen die eigene übermäßige Feinfühligkeit zu empfinden.

Peacock begegnete Shelleys Baubmordvisionen mit ent-

1) Bichard Gamet, Dictionary of National Biography.

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Der literarische Essay. 385

schiedenem Zweifel. Er hielt sowohl das Attentat in Tany- rallt als die Besuche des Dr. Williams aus Tremadoc, der 1813 angeblich Shelley vor Sir Timothy warnte, für Hal- luzinationen. Die Überspanntheit des Boinvilleschen Kreises erblickte er im Lichte eines heilsamen Humors. Nichtsdesto- weniger vertrugen sich die beiden Freunde so gut, daß Peacock im Herbste 1813 die Shelleys auf einer Reise nach Cumberland und Edinburgh begleitete. Um diese Zeit brach in dem an inneren Kämpfen so reichen kurzen Dichterleben die phantastischste und stürmischste Periode an. In Shelleys Zerwürfnis mit Harriet stand Peacock unbedingt auf ihrer Seite. Die Sympathie, mit der ihn ihr blühendes Wesen, ihr heiterer Sinn erfüllte, beruhte auf einer Ähnlichkeit der Naturveranlagung. In seinem Shelley Memoir hat er für ihre Unschuld und ihre Anmut ein wertvolles und warmes Zeugnis abgelegt.

In praktischen Dingen zog Shelley Peacock gern zu . Bäte. 1814 bittet er ihn, sich seiner Geldangelegenheiten anzunehmen, wobei freilich (August 1814) die verstimmten Worte an Harriet mit unterlaufen: „Er ist verschwenderisch, unüberlegt und kalt, aber gewiJS nicht ganz falsch und unfreundlich und unserer Freundlichkeit für ihn eingedenk. Überdies sichert der Eigennutz seine Aufmerksamkeit auf diese Dinge.^ 1817 ernennt er ihn zu seinem Testaments- vollstrecker.

Was die gegenseitige dichterische Beeinflussung betrifft, so ist es sonderbar, daß sie bei Shelley in höherem Grade zutage tritt als bei Peacock. Vielleicht, weil Verstandes- oder Stimmungseinflüsse sich mitteilen lassen, Genie aber nicht

Peacocks Lines to a Favourite Laurel (Verse an einen Lieblingslorbeerbaum), 1814, die die schlafbringende Kraft

Geschichte der enfirliBchen Bomaatik II, 1. 25

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386 Der literarische Essay.

des Slrschlorbeers aber jeden anderen Zauber erheben, mögen ihre Entstehung einer jener furchtbaren Leidenschafts- szenen yerdanken, nach denen Shelley im Laudannm Er- leichterung Ton seelischen und körperlichen Qualen zu suchen pflegte und die Peacock in seinem Memwr so an- schaulich geschildert hat

Die gemeinsame Reise an die Cumberland-Seen, auf der Shelley und Peacock Coleridge, Wordsworth und Southey in ihren Heimst&tten au&uchten, hatte eine tiefe Ent- tftusehung zur Folge. Vielleicht war es Peacocks scharfer Sinn fflr menschliche Lftcherlichkeiten und Übertreibungen, der auch Shelley die Augen öffnete über die vor kurzem noch so unbedingt Verehrten. Die literarische Frucht^ die die Reise für Peacock zeitigte, war das unter dem Deck- namen O'Donovan 1814 veröffentlichte satirische Epos Sir Proteus. Es erzählt, wie Johnny Raw auf Old Poulter^s Mare (des alten Federviehhändlers Mähre) nach Hindostan reitet Old Potdter's Mare ist eine gelehrte boshafte An- spielung auf poulter^s measure, eine im 16. Jahrhundert so benannte schwerfällige Verquickung von Alexandriner und Septenar.i) Johnny Raw ist Southey, als reisender Held aber zugleich auch Childe Harold. Die Sprache des Sir Proteus bildet in ihrer Mischung von hochtrabendem Pathos und banaler Natfirlichkeit keine üble Karikatur von Byrons StiL Der sehr durchsichtigen poetischen Verkleidung kommt Peacock noch durch Anmerkungen zu Hilfe. Johnny Raw be- schwört den Proteus, daß er seinen Dichtergaul inspiriere. Proteus erscheint in der Gestalt eines dicken Folianten

)) Guest, A Eislory of English Bythma (U, 233), leitet den Namen poulter's meamtre von dem Umstände ab, beca/uae the pouUerer, as Gaacoigne teüa ua, giveth twelve for one dozen and fourteen for anoiher. (Sehipper, Metrik 1, 257.)

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Der litenrische Essay. 387

(des Vokabulars, das in Grasmere und Derwentwater, an den üf^m des Tweed and Teviot in beredte Verse gebracht wird), yerwandelt sich dann in die drei Weisen (Words- worth, Coleridge, Sonthey), in ein fröhliches irisches Jig (Thomas Moore) und in einen grauen Minstrel mit einer Geisterharfe (Scott). Als solcher behauptet er das Feld, während Johnny von Old Poülter's Mare, die durchgeht, ins Wasser geschleudert wird.

Sir Proteus war Byron zugeeignet mit Worten, welche als Geifielhiebe auf die English Bards and Seotch Reoiewers gemfinzt, den Geschmfthten, dem sie durch Samuel Bogers flbermittelt wurden, nur zu dem ironischen Zitat aus Johnson yeranlaßten: „Leben wir noch nach aU diesem Tadel ?^i)

Ansprechender als Peacocks Satire ist sein um dieselbe Zeit entstandenes,^) harmlose und schlichte Heiterkeit atmendes Kinderepos Sir HornbooTc, or Childe Launcelofs Expedition. Ä Grammatico-Ällegorical Bailad (Herr Mbel oder Ritter Lanzelots Ausfahrt Eine grammatisch -alle- gorische Ballade), „eine grammatikalische Pille in der Zuckerhülle von Kinderstubeöreimen".=*) Hier greift Peacock bereits zu den sogenannten sprechenden Namen, die er später fast ausschließlich verwendet hat. Childe Launcelot, der, in die Farben der Emulation (des Wetteifers) ge- kleidet, an Sir Hombooks Schloß pocht, ist der kleine ABC-Schütz. Sir Hombooks merry men erscheinen, die 26 Buchstaben, mit denen er eine Wanderung nach allen TeUen der Grammatik antritt Zuletzt gelangen sie zu Sir Syntax, der mit seinem Liebchen, der schonen Prosody,

») Byron m, 90. •) Ycrang, 14. •) Tui Doren, 5a

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Der literarische Essay.

trotz einer zwischen ihnen bestehenden kleinen MUS- helligkeit „Herr Syntax war allein für Sinn und Prosodie fftr Klangt den ganzen Parnaß in Ansprach nimmt. Sir Syntax erinnert an William Combe's volks- tfimliche Tour of the Rev. Dr. Syntax in Search of the Piduresque (1812)/) mit der Peacocks Dichtung auch im Versmafi (jambische Viertakter) abereinstimmt Am Tor der Musen zieht sich Sir Hombook Ton Childe Launcelot zurück, der nun zu selbständiger Wanderung reif ist

Im März 1818 trennten Shelley und Peacock sich für immer. Es war ein schwermütiger Abschied. In dichterischer Hinsicht aber trat die tiefe Bedeutung dieser Freundschaft nun erst recht zutage, nachdem das Zusammenleben seinen Abschluß gefunden hatte. Die schönste Blüte, die sie für Peacock zeitigte, ist Bhododaphne, or The Thessalian Spdl (Bhododaphne oder der Thessalische Zauber), ein Epyllion in unregelmäßigen Strophen von jambischen Achttaktem, die Peacock mit der ihm von früh auf eigenen Leichtig- keit in der Handhabung des Metrums bemeistert^)

Der Inhalt der Dichtung -ist folgender: Der Venus- tempel zu Thespia am Fuße des Helikon enthält drei Statuen, die die Göttin in ihrer dreifachen Bedeutung darstellen: 1. die schöpferische Liebe, ein uraltes, rohes Steinbildnis; 2. die himmlische Aphrodite, ein Erzguß des Lysippos, „Ausfluß heiliger Gedanken^'; S. die irdische Aphro- dite, ein Marmorwerk des Praxiteles, zu dem seine Geliebte Modell gestanden. Ein arkadischer Jüngling, Anthemion, bringt der Göttin an ihrem Feste Wiesenblumen dar, um ihre Hilfe für seine kranke Geliebte Callirhoe zu erflehen.

0 Vgl GescMefUe der Engl Bomantik 1, 2, S. 22. ') In Edgar Allan Poe's Marginaiia (ed. Ingram UI, 448) findet sich folgende Notis: Bhododaphne (wer schrieb es?) ist ttbenroU yon Musik.

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Der literariBche Sssay. 389

Da runzelt das Bildwerk des Lysipp die Stirn, während das nach Rhododaphne gebildete des Praxiteles lächelt Anthemions Blumen fallen welk zu Boden. Obzwar er eine Oleanderbliite, die ihm eine Jungfrau mit den Worten reicht: Bis sie verwelkt, gedenke mein! als Symbol pro- faner Liebe in den Fluß wirft, gesellt sich Rhododaphne im nächtlichen Musenhain zu ihm, dem Widerstrebenden. Sie knfipft an ihren Kuß den Fluch, daß er Gift bedeute für alle, die nach ihr Anthemions Lippen berühren, i) Er bleibt ihrer Zaubergewalt verfallen, bis endlich der Pfeil des Eros Uranas {Uranian Love) Rhododaphne trifft. Nun ist der Bann gebrochen. Callirhoe, die Anthemions Kuß ge- tötet hatte, ersteht wieder in blühender Lebensfrische und die Vereinten weihen in echt romantischem Empfinden der überwundenen Glückstörerin Rododaphne einen zarten Totenkultus. Callirhoe beweint die Nebenbuhlerin, deren Vergehen ja ihrer Liebe zu Anthemion entsprang.^)

Shelley schrieb eine begeisterte, für den Hx^aminer be- stimmte, aber zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlichte Kritik über Bhododaphne. Er nennt es ein Werk aller- hervorragendster Bedeutung, antik der Empfindung wie dem Schauplatze nach, während die Fabel aus einer Kom- bination moderner Leidenschaften bestehe. Mit dieser spezifisch romantischen Verquickung des Antiken und Mo- dernen hat er wohl den springenden Punkt der Dichtung berührt. Der Mensch, heimgesucht von irdischer und himm- lischer Liebe, ist ein Spielball des Ideals und der Sinnlichkeit. Sein Schwanken und die schlieflliche Rettung des immer

>) Man vergleiche den Gedanken des yerderbenbringenden EnBses bei Goetiie, Wahrheit und Dichtung 1, 9, Schloß.

*) Man Tergleiche dasselbe Empfindmigsmoment in Don Carlos IV, 19. Königin: „Sie liebten ihn ich habe schon vergeben^.

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390 Der litenuriacfae Essay.

strebend sich Bemfihenden, des in der innersten Sede s^em Gotte Treugebliebenen, ist der Gegenstand der Bhododaphney wie es im großen nnd ganzen der Inlialt der gesammten romantischen Dichtung ist Ebenso spezifisch romantisch ist die Klage über Entgöttenmg der Natur, für die der Dichter in einer indiyidaellen Naturbeseelong Ersatz anstrebt, so- wie die Verehrung einer mit dem Ewig-Weiblichen ver- schmelzenden geheimnisvollen Urgewalt unverkennbar hat Shelleys Geist bei Bododaphne Pate gestanden. Sein in Maiiow 1817 geschriebener Prince Äihanasey der im ersten Entwurf Pandemos and Urania hieß, behandelt das gleiche Thema, aber mit tragischem Ausgang. Bei Shelley bringt nur der Tod die ersehnte Vereinigung mit dem Ideal. Das Leben im Diesseits ist ein Wandern und Irren nach Zielen, die sich in der Nähe als Blend- werk erweisen. Peacock dagegen hUt auch hienieden ein befriedigendes edles Gluck nicht für ausgeschlossen. Seine Bododaphne ist mehr die natärliche Sinnenfreude, der frische Genuß des Augenblicks als ein böser Dimon. Anthemions Schilderung der beiden Jungfrauen Bhodo- daphne und Callirhoe bezeichnet diese als „das Licht seiner jungen Seele, den Morgenstern des Lebens und der Liebe''. Jene ist leuchtend wie der Mittagshimmel, wenn fem im Scheitelpunkt der Sonne grimme Strahlen brennen". Von Shelleyscher Überzeugung getragen, erscheint die kühn ausgesprochene Behauptung, daß alle echte Liebe frei nnd ungebunden sei und sich nicht engherzig auf einen Gegen- stand beschr&nken könne. 0

^) Man yergleiche die fast wOrtUdie Übereinstimmuiig zwischen Bhododapkne IV:

Far this is Love^s temstnäl treantre That m participaUan lives,

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Der literarisefae Essay. 391

Bei mancher Stelle yon lyrischem Schwünge und feiner Empfindung, bei manch kräftig geschantem Natorbilde ist es als entzündete sich Peacocks Phantasie, die immer yon äußeren Einflüsse abhängig ist, an Shelley. Dies erklärt den auffallenden Abstand zwischen Bhododaphne und seiner nächsten lyrischen Produktion.

Peacock hatte ein Amt in der East India Company an- genommen, „dne interessante und anregende Beschäftigung, die die Möglichkeit bietet, nicht nur der Gesellschaft, sondern Millionen Menschen zu nützen". Die Schilderung, die er Shelley von seiner Tätigkeit entwarf, war so ideal, daß dieser in ihr den für ihn selbst geeignetsten Beruf zu erkennen glaubte. Allmählich aber gewannen in Peacock die Bankinteressen die Oberhand über die phil- anthropischen und der Beamte wurde in ihm stärker als der Dichter. So wird es möglich, daß er 1887 seinen Unmut über das Papiergeld in lyrischen Gedichten ausströmt. Die Paper- money Lyrics (Papiergeldlieder) sind, obzwar Peacocks Gabe der anmutigen Form sich auch in ihnen nicht ver- leugnet, schon durch die Wahl des Themas gerichtet Die Verqnickung mit seiner alten Abneigung gegen die Lakisten macht es nicht edler. Ein schwindelhaftes Bank- unternehmen wird zu einer TAa^oto-Verspottung ausgenützt (Proemion of an JEpic Fly-by-Nighi by R S. Einleitung zu einem Epos Flieh-bei- Nacht Ton B. S.). Ä tnood of my own mind occuring during a gale of wind at midnightj

And ewrmore, ihe mare it gwes, liadf äbawnds in fuüer measure, (IV.)

Und Eppptychidüm, t. 160:

True Love m ikis differs from gold tMd day,

Thai to divide is not to take away etc. mid T. 180: If you divide pleaswre and love and fhoughtf

Each pari exceedt ihe ivhole etc.

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392 Der literaiuohe Easaj.

while I was writing apaper on tke currency by ihe light oftwo mould candlea by W. TT., Distributor of Stomps (Eine Grille meines Geistes während eines Stunnes nm Mitternacht, während ich beim Licht zweier Talgkerzen einen Aufsatz über die Währung schrieb, von W. W., Papiergeldausgeber), ver- spottet Wordsworths EleinlichkeitskrämereL The Wise Men of Gotham by S. T. C, English Professor ofMystidsm (Die diei Weisen von Gotham von S. T. C, englischem Pro- fessor der Mystik), die Erzählung von drei Fischern (Papieigeldmenschen), welche vergeblich den auf den Wellen schwimmenden Mond (das in die Gotham-Bank gesteckte Kapital) zu fangen suchen, verspottet Goleridga Love and (ke Flimsies by T. M,, Esq. (Amor und die Banknoten von Herrn T. M.) ist auf Moore gemünzt Cupido ra£t in der Papiermühle einen Haufen Banknoten zusammen, die Venus ihn wegwerfen heißt

Durchaus Originelles und unbedingt Wertvolles hat Peacock, auch als Lyriker, nur in seinen Bomanen ge- leistet Unter den in ihnen verstreuten geselligen Liedern ist mehr als eine Perle von bleibendem und unbestrittenem Wert Zu den gelungensten gehOrt in Nightmare Äbbey: Why are thy LooJcs so Blank, Orey Friar? (Warum so hohl dein Blick, Graubruder?) Die Lyrik in Maid Marion zeichnet sich durch einen heiteren Ton aus; sie ist besonders melodiös (A Bavnsel came in Midnight Bain (Ein Mägdlein im Regen um Mittemacht kam; It was a Friar of Orders Free. Vom freien Orden ein Bruder war). Die Lieder in Elphins' Misfortunes sind der Mehrzahl nach alte Texte in ungemein glücklicher modemer Wiedergabe. Düster schwärmerische Naturpoesie füllt den Wechselgesang Taliesins und Manghels, drastischer Humor das Eriegslied des Dinas Vawr. Crotchet Castle, in dem die lyrischen

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Der literarische Esmj. 393

Einlagen bereits minder zahlreich werden, besitzt ein Meisterwerk seiner Art in der humoristischen Ballade The Pool of (he Diving Friar (Der Teich des tauchenden Eloster- bmders). Und selbst das Alterswerk Oryll Orange enthält noch ein zartes Lied, das dem Andenken l&ngst ent- schwundener, doch unvergessener Liebe gewidmete Love and Äge (Liebe und Alter), in dem der zarte Ausdruck stiller Wehmut aufs Trefflichste gelungen ist Auch sonst glückt Peacock ein oder das andere kurze Gedicht roll schlichten Stimmungsausdruckes z. B. Castles of ihe Air, Luftschlösser. Peacocks außerordentliches Formtalent befähigte ihn zum Übersetzer, und das jederzeit rege philologische Inter- esse am klassischen Altertum wirkte in dieser Hinsicht befruchtend. Er übertrug Stücke aus der Hecuba des Euripides, den er dem Sophokles vorzog. Nach dem Maß- stabe modemer Ansprüche gemessen, steht seine Über- setzung als verwässerte Modernisierung neben dem Original und Peacocks Ruhm unter den Zeitgenossen, er sei von dem Wesen der Antike bis in die Fingerspitzen erfüllt ge- wesen, würde ihm heute vermutlich bestritten.O Buchanan hebt seine außergewöhnliche Cicero-Kenntnis hervor; Peacock habe ihn tatsächlich auswendig gewußt.^) Ebenso fest war er im Homer. Mit Aristophanes hatte er eine gewisse Geistesverwandtschaft und für Petronius eine besondere Vorliebe. Auch in einer Lösung des Rätsels Äelia, Laelia, Orispis versuchte er sich und wollte sie in der scharfen Unterscheidung zwischen dem allgemeinen und dem speziellen

1) Man Yergldche die su Belenohtuig der Parallele zwischen einer Bede Ton Ph&dras Amme und dem Monologe Hamlets (III, 1) dem Herausgeber des Moming Chronide am 18. April 1814 mitgeteilte Paraphrase der betreffenden SteUe des Euripides.

*) Skekhbook, 105.

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394 Der üteraruche Essay.

Zustande des menschlichen Leibes and in den Zof äUigkdten finden, welchen er im Tode and Begräbnis unterworfen ist Abgesehen von jeder darch das Leben bedingten In- dividualität, bleibt nur das allen menschlichen Leibern Gemeinsame übrig, jene Abstraktion: der Mensch, der vom Weibe geboren, jene Formel, die der Priester mit gleichem Recht über dem neugeborenen Kinde, wie über Erwachsenen männlichen oder weiblichen Geschlechts und über dem ältesten Greise spricht.

1862 trat Peacock noch mit einer neuen Publikation hervor: GringannaU (The Deceived). Ä Comedjf performed at Siena, 1531 (Die Betrogenen. Eine Komödie, die 1531 in Siena aulgeführt wurde). Peacock erkennt in dieser Komödie des Curzio Gonzago die Quelle für Shakespeares Twelfth Nighty eine Mutmaßung, die von der neuesten Shakespeareforschung geteilt wird.^

Romane.

Das wahre Gebiet von Peacocks ureigenster Begabung aber lag auf dem Felde des Romanos. Er hatte sich ihm schon ziemlich früh genähert. Eine Erzählung Satyrane, or The Stranger in England (Satyrane oder Der Fremde in England), von der nur ein kurzes Fragment erhalten ist, reicht vermutlich in das Jahr 1811 1812 zurück. Sie wurde später in die ebenfalls unvollendete Erzählung Ccdidore verarbeitet.^) Das eigentümlich romantische Zwielicht zwischen klassischer und modemer Geistesrichtung, das für

0 Vgl. Arden Shakespeare, Twdfth Night, IniroducUan by Morton Luee, S. X. Ck>llier hatte in seinen AnnaU of the Stage (1831) die ähn- liche Umstände behandelnde, aber erst 1547 in Mailand anfgeffthrte Eo- modle Inganni für Shakespeares Qnelle erklärt

') Nach Garnett etwa 1816.

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Der literftrisoiie Essay. S95

Peacocks Eomane so merkwürdig charakteristisch werden sollte, erscheint hier schon ziemlich dentlich ausgeprägt. Auf einem weltentlegenen Eilande wandeln unter urwüchsigem Heidenvolk die alten Griechengötter in Fleisch und Blut friedlich Hand in Hand mit König Arthur und Merlin. Gamett erinnert an Heines Grötter im Exil und an Heyses Centauer. Peacock aber bietet antike Götter wie mittel- alterliche Helden nur als Widerspiel des modernen Lebens auf, welches der in seinem zusammenklappbaren Boote auf die Insel gelangte Calidore repräsentiert. Unverhttllt tritt die Ironie gegen „das so viel glücklichere Zeitalter der Maschinen'' hervor. Eine anmutige Liebesepisode zwischen Calidore und einem holden Naturkinde, dem Yikarstöchterlein Ellen, ist eine Bemiuiszenz an Peacocks „Camaryonshire- Nymphe^ Jane Gryffydh, die ihn im Sommer 1811 entzückte und die er, nachdem er sie jahre- lang scheinbar aus dem Auge verloren, 1819, unmittelbar nach seiner Anstellung bei der East India Company, zur Frau nahm.

Peacocks erster wirklicher Roman ist Headlong HaU (etwa: Schloß Ungestüm oder Überstürzungshof), 1816. Er erlebte drei Auflagen. Der allegorische Titel war eine An- lehnung an Combes Dr. Syntax, der auf seiner Reise nach Welcome Hall und Worthy Hall gelangt und mit Squire Hearty, Lawyer Thrust und Bookseller Vellum verkehrt Peacocks gutmütiger, beschränkter Squire Headlong ist, ohne auf irgend einem Gebiete der Kunst oder Wissen- schaft gediegene Kenntnisse zu besitzen, auf das Stecken- pferd des Mäzenatentums verfallen. Headlong Hall, das er in seiner Sucht, den Gönner und Patron zu spielen, zum Mittelpunkt der intellektualen Welt zu erheben glaubt, gleicht mitunter einem Narrenturm. Unter den Gästen be-

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396 Der litenuösche Eany.

finden sich vier aufgeweckte Köpfe, die jedoch in der aos- schließlichen Hingabe an eine Lieblingsidee zu aberspannten Sonderlingen geworden sind.

Mr. Foster, Ute perfectibüian, d. h. Anh&nger der Ver- besserungstheorie, ist Optimist Sein Name (ans <pdog und TT/giaf gebildet, ^cSarriQ) bedeutet Lichthfiter. Er glaubt an den ewigen und unbedingten Fortschritt der Menschheit, glaubt, daß die Tugend jedes Einzelnen im Verhältnis zu seiner Erleuchtung stehe und besitzt eine Phantasie, die ihn in der dürftigen Kolonie Tremadoc in Gamaryonshire eine Zukunftsstadt erblicken läfit. Kurz, Shelleys Vorbild ist bei Foster unverkennbar. Sein Qegenpart ist Mr. Escot fjqiMsi kg öxoxov** = in tenehras), Üie deterionaUnist, d. h. der Pessimist, nach dessen Behauptung die Welt sich stets verschlechtert. Er ist als Gegner des Fortschritts ein An- h&nger der primitiven Lebensweise und des Vegetarianismus. Man spürt den ironischen Niederschlag mancher Auseinander- setzungen mit Shelley. Allein den meisten Argumenten, die E^cot gegen Fosters Verbesserungstheorie ins Feld führt, liegen ernste soziale Beobachtungen zugrunde, wie die, daß stets nur wenige Auserwählte der Vorteile des Fortschrittes teilhaftig würden; daß der Vision eines industriellen Para- dieses in Tremadoc eine Schilderung des sozialen Elends entgegenzuhalten sei: die in der Wiege zum Tode ver- urteilten Kinder der Armen und ihrer durch die sitzende Lebensweise kranken Eltern. Steht Foster für Shelley, so Escot für Peacock.

Der dritte Gast, Mr. Jenkinson {aliv ig locov = setnper ex aeqtMlibus), ihe Statu-qm-ite, ist der Mann der goldenen Mitte, der den beiden Vertretern äußerster Standpunkte als Puffer dient, und der vierte, Pfarrer Gaster (raörriQ = venter, et praeierea nihil) ist der philosophisch in völliger

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Der literarische Essay. 397

Unbefangenheit dem irdischen Genuß lebende Materialist. Jeder von ihnen zwängt gewissermaßen das All in seine ganz persSnliche Anschauungsweise. Ihre Unterhaltungen und Erörterungen fiber mannigfaltige Probleme und Dinge bei yerschiedenartigsten Anlässen bilden, oft in dramatischer Form wiedergegeben, den Inhalt des Buches, das ein eigen- tümliches Mittelglied zwischen Komödie und Novelle bildet Ein Ballfest bringt Tor&bergehend eine noch größere Anzahl von Sonderlingen, will sagen Karikaturen nach Headlong Hall, Mr. Cranium, den leidenschaftlichen Phrenologen, dessen reizende Tochter Cephalis Escots Herz gewinnt^ zwei Kritiker Gall (Galle) und Treacle (Syrup), den Violinspieler Chromatic, u. a. Kurz, Peacocks Roman hat weder eine Handlung noch Charaktere. Wenn ihn manche seiner unbedingten Anhänger auf dem Gebiete des satirischen Humors Samuel Butler vergleichen und seine Gestalten „Humoristen^ im alten Sinne des Wortes nennen,^) so hat dies nur eine bedingte Bedeutung. Peacocks Gestalten sind Verstandestypen. Jede von ihnen gehört in eine be- stimmte Rubrik, welche durch ein Schriftband angegeben wird, das ihr, wie den Figuren primitiver Gemälde, aus dem Munde hängt Sie sind insgesammt Personifikationen ge- wisser Ideen, richtiger gewisser durch Übertreibung zur fixen Idee gewordener Vorstellungen. Peacock charakteri- siert sie in treffender Weise: „Die Charaktere sind Ab- straktionen oder verkörperte Klassifikationen und die in ihnen begriffenen oder verkörperten Ansichten die Haupt- sache an dem Werk.''

Peacock war bei Aristoteles, Rabelais, Swift und Vol- taire in die Schule gegangen, ohne dadurch an Originalität

>) Oliver Elton, 380.

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398 Der liteniriiiclie Ussmy.

einzobüBen. Sein Roman, der eigentlich gar kein Roman war, gab in witzig hnmorvoUer und satirischer Belenchtong ein so yieleckig zugeschnittenes Segment des Lebens, dafi sich von noch so yerschieden gearteten Lesern ein jeder etwas darin holen konnte, ganz abgesehen davon, daß Headlong Hall ein Schlüsselroman und jede der darin per- siflirten Personen deutlich za erkennen war. Er fand denn auch allgemeinen Beifall Die Oritical Beview beehrte Peacoek mit dem Titel des lachenden Philosophen, der ihm nnter den Freunden zeitlebens verblieb.

Er schmiedete das Eäsen, solange es h^ war und trat bereits 1817 mit einem dreibändigen Romane auf, MeUncourt, or Sir Oran Hautton. Die Anlage war die- selbe wie in Headlong Hall, nur daß in dem romantisch Weltabgelegenen Melincourt eine in Bergesfreiheit selb- ständig gewordene reiche und viel umworbene Schloß- herrin Anthelia dem stattlichen Hause vorsteht, dessen Gäste naturgemäß zu Freiem werden. Etliche von ihnen sind blassere Kopien der im ersten Romane auftretenden Gestalten. Selbst in dem Helden, dem mit Drum- mondscher Metaphysik durchtränkten, ffir Bräderlichkeit und Gleichheit begeisterten Mr. Forester, erkennt man unschwer den Mr. Fester von Headlong Hall. Scott, Southey, Wordsworth, Coleridge treten in durchsichtigen Karikaturen auf. Mr. Sarcastic wird in unverhttll- terer Form als Escot der Träger Peacocks eigener Ansicht. Eine Gestalt aber ist Melincourts spezifisches Eigentum und sichert diesem Romane trotz aller Weit- schweifigkeit und allem überwuchernden Tagesinteresse eine gewisse Anziehungskraft. Es ist die ebenso köstliche als originelle Figur des Oran Hautton oder Orang ütang, des Menschenaffen. Forester verpflanzt ihn als den natflr-

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Der literarische Essay. 399

liehen Menschen ans dem Urwalde in die abendländische Kultur und läßt ihn ihrer Segnungen in einem Grade teil- haftig werden, daß er in der besten Gesellschaft Auf- nahme und Anwerth findet Seine eigenartige Häßlichkeit wird dank seines weltmännischen Äußern und seines treff- lichen Anstandes völlig übersehen, seine Schweigsamkeit als Yomehme Zurftckhaltung gedeutet. Forester erwirbt ihm den Baronettitel und will ihm nun auch das letzte erwerben, den Sitz im Parlament Damit jedoch über- schreitet er die Grenzen der Natur. Sir Oran blamiert ihn bei der mit prächtigem Humor geschilderten Wahlszene und, da überdies die Natur des Waldmenschen durch eine melancholische Schwärmerei für die Schloßherrin aus dem Gleichgewicht gebracht ist, wird die Gesellschaft in pein- licher Weise aus ihrem Irrtum über den Baronet gerissen. Diese heitere Episode, eine witzige Verspottung der anthro- pologischen Theorie Monboddos, überragt bei weitem die anderen Teile des streitbaren Bomans, in dem lange Exkurse gegen Malthus, gegen die Käuflichkeit der Wahlstimmen, gegen das Papiergeld, die deutsche transzendentale Philo- sophie und zahlreiche Tagesfragen den heutigen Leser ermüden.

Genau nach dem bisherigen Schema komponierte Peacock 1818 einen dritten Boman, Night Marc Äbbey. Auf der Nachtmahr- Abtei in Lincolnshire führt Christof er Glowry (Düsterer), einer jener armen Beichen, die liebeleer und genußlos durchs Leben gehen, wie er selbst sagt, ein Hundedasein. Er besitzt einen Sohn, Scythrop (nach Gamett aus öxvO-Qcojtog = düstem Antlitzes) und sein Freund Toobad (Zweschlecht) eine Tochter Celinda. Die Väter verabreden eine Heirat, die Kinder widersetzen sich. Celinda flieht zu Scythrop, ahnungslos, daß er der ihr vorbestimmte Gatte

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400 Der literarische Essay.

sei, entsagt dem Geliebten aber zu Gnnsten einer andern schwärmerischen Dame, Marionetta. Die Fabel, anf die Peacock hier offenbar mehr Gewicht legt als in den Mheren Bomanen, artet ins Bnrleske ans. Scythrop fällt zwischen zwei Bränten durch und trOstet sich mit dem Madeira des Täterlichen Kellers.

Sind auf Fester (Headlong Hall) nnd Forester (MeUn- court) wesentliche Zttge von Shelleys Charakter über- gegangen, so ist in Nightmare Äbbey ein Heranziehen biographischer Momente fühlbar, die jedoch nicht über die Einzelheiten einer allgemeinen Milienstimmung hinaus- gehen. Peacock lebte, während er seine Romane schrieb, mit seiner Mutter in dem lieblichen Themsestädtchen Great Marlow, während Shelley in Bishopsgate hauste. Ein tüchtiger Marsch, wie beide ihn liebten, brachte sie häufig zueinander. Das festeste Band zwischen ihnen aber war die gemeinsame Leidenschaft für den Segel- und Rudersport, dem der Aufenthalt an der Themse so reiche Nahrung bot Eine Fahrt stromauf bis an die Quellen der Themse verwirk- lichte — nur in entgegengesetzter Richtung den Vorwurf des Genius ofihe Thames und fand einen poetischen Nachhall im Älastor, dessen Titel von dem Griechenkundigen Peacock stammt. 0 Allein trotz dieser nahen Beziehungen ist Scythrop, mit seiner an deutschen Werken gestillten Lese- wut, seiner Leidenschaft, die Welt zu reformieren, seinem Schwanken zwischen zwei Frauen, im besten Falle eine Shelleykarrikatur, der die scherzhafte Absicht so deutlich an der Stirn steht, daß eben infolge der Übertreibung

1) In Bhododaphne, wo sonst mit erklftrenden Anmerkungen nicht gespart ist, erscheint der xaxodaLiiwv Alastor, offenbar als ein gel&nfiger Name, ohne jede Erlänternng. Auch Demogorgon wird, gleichfalls ohne erklSrende Anmerknngi erwShnt.

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Der literarische Essay. 401

jeder verletzende Eindruck auf das Urbild ausgeschlossen war. Ja, einige auf komische Wirkung berechnete Züge stehen sogar in direktem Widerspruch zu Shelleys Charakter, so Scythrops bis zum Egoismus und bis zur Feigheit ge- steigerter SelbsterhiQtungstrieb, seine Wertschätzung des persönlichen Behagens u. a. m. Wie wenig der Dichter sich selbst getroffen ffthlte, erhellt aus der rflckhaltlosen An- erkennung, die er im Juni 1819 dem Werke zollte, an dem sich auch Shelleys Freunde, die Gisbomes, erireuten. Dies hätte offenbar nicht der Fall sein können, wflrde Peacock, der Freund Harriet Shelleys, die undenkbare Roheit begangen haben, so kurz nach ihrem tragischen Ende Shelleys Doppel- Verhältnis zu ihr und Mary in der burlesken Lage Scythrops zu verspotten.

Die mit besonderer Wärme gezeichnete Marionetta ent- spricht Harriet Shelley. Die Szenen zwischen ihr und Scythrop gehen zweifellos auf Vorgänge im Shelleyschen Hause zurflck, deren Augenzeuge Peacock war, und ihr biographischer Wert wird durch Peacocks ausgesprochene Sympathie fflr Harriet noch erhöht Scythrops Seelen- freundin Celinda, die er Stella nennt, ist Miss Hitchener. unter den Schöngeistern, die sich in Nightmare Abbey zu- sammenfinden, tritt Sqrthrops Schulfreund, der Dichter Oypress, hervor, eine Verhöhnung Byrons, wie sie freilich nur derjenige schreiben konnte, dem jede persönliche Be- rührung mit dem ürbilde fehlte. Cypressens Beden sind in bombastische Prosa aufgelöste Zitate aus Childe Harald. Peacock hatte damals eine lebhafte Abneigung gegen Byron. Eine Figur des Romanes, Mr. Hüary, faßt Peacocks eigene Ansicht Aber ihn in die Worte, er sehe nicht ein, wozu „diese Mystifikation und Verkatzenjammerung der Welt" dienen kOnne. Später berichtigte er Hilarys urteil, in-

OMohiohte der engliseheii Bomantfk n, 1. 26

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402 Der HteTariflclie Essay.

dem er „Cain schön, SardanapoL schöner, Bon Juan am schönsten^ fand, ein Lob, das noch charakteristischer für Peacock als ffir Bsrron ist Seine eigene Stärke wie seine Schw&che berOhrte sich mit denen des Bon Juan. Andi er war zn Hanse in jener humoristisch geistreichen Satire, in deren ftberwnchemdem Spiel die stoffliche Konzentration verloren geht. Damm verstand und schätzte er diese Dichtung Byrons mehr als jede andre.

Von den äbrigen Personen Nightmare Albeys ist noch der visionäre, tränenselige und geheimnisvolle Mr. Floshy {ijpiXooxoxoq = Freund der Schatten) zu nenn^ die Kari- katur des Kantianers, ein politischer Überläufer, wiederum auf Goleridge gemünzt Flosky's Erklärung für Gespenst „ein Begriff {idea) mit der Kraft einer Empfindung {sm- saUonY ist eine der wenigen Stellen in Peacocks Werken, die es zur Volkstümlichkeit eines Zitates gebracht haben.

Auch die Grestalten Southeys (Mr. Sackbut) und des wohlleberischen Pfarrers (Larynx) kehren in Nightmare Äbbey wieder, und dazu kommt noch die des bekannten Modegecken Sir Lurndy George Sheffington (Mr. Lisäess)^ den Shelley als eine Autorität in Sachen des guten Tones über die Schicklichkeit seiner unmittelbar nach Harriets Tod vollzogenen Trauung mit Mary Gk>dwin zu Rate zog.

Ein extravaganter Humor erscheint in diesem Werke bereits zu Peacocks eigentlicher Spezialität ausgebildet Durch ihn schimmert die Persönlichkeit des Autors in gebrochenem Licht Der Leser ist sich über den eigenen Standpunkt, die eigenen Ansichten des Autors nicht klar und wird dadurch andauernd in prickelnder Spannung gehalten. In die deutsche Literatur ist die Melineourt zu Grunde liegende satirische Idee durch W. Hauffs Der junge Engländer übergegangen.

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Der literarische Essay. 403

Im August 1818 finden wir Peacock bereits mit dem Entwurf eines neuen ^erzählenden Werkes beschäftigt, Maid Marian (1822). Am 29. November bezeichnet er es Shelley als einen komischen Eoman aus dem 12. Jahr- hundert, den er „zum Träger manchei* heimlichen Satire unter der Sonne^ machen wolle. Dennoch behauptet Maid Marian als Kunstwerk einen höheren Bang als Peacocks frohere Erzählungswerke, indem es kein zufälliges Konglo- merat satirischer Erörterungen und humoristischer Einfälle, sondern die künstlerische Ausgestaltung eines der englischen Sagengeschichte entnommenen stofflichen Kerns ist: der Bobin Hoodsage. Von den philologischen und poetischen Vorarbeiten auf diesem Gebiete benutzt Peacock nur den äußeren Umriß des in Bitsons Werke Bobin Hood, a CollecUon of All the Andent Poems, Songs, and Ballads now extentj relating to {hat celd^ated English OuÜaw, 1795, im Auszug mitgeteilten, von Anthony Munday und Henry Chettle (1601) verfaßten Trauerspiels The Bea£h of Böbert Earle of Huntingdon, oiherwise called Botin Hood of merry Shertcodde; with fhe lamentable Tragedie of chaste MatUda, his faire maid Marian etc., 1601. (Der Tod Boberts Grafen von Huntingdon, auch Bobin Hood aus dem fröhlichen Sh^wodde -Walde genannt, nebst der kläglichen Tragödie der keuschen Matilda, seiner schönen Jungfer Marianne, usw.). Im Übrigen steht Peacock der Sage vollkommen selbständig gegenüber. Er durch- leuchtet sie mit der grundmodemen, warmen Mittelalter- romantik, die jene Epoche zum poetischen Inbegriff von Zorn, Ingrimm, Liebestreue, Mannesmut und lustiger Schlau- heit, Biederkeit und naiver Frechheit macht, kurz zu einem bunt bewegten, durchaus poetischen, in der Verklärung des Längstvergangenen geschauten Lebensgesamtbilde. Bobin

26*

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404 Der literarische Esny.

Hood, der als ein EOnig des Waldes mit seinen wackeren Enmpanen im Sherwood Walde ein freies Jäger* nnd B&nber- leben ftthrt, zu dessen Fiedel alles tanzt, wenn er als Spielmann verkleidet erscheint^ ist niemand anders als der Graf von Lozley nnd Huntington, den, weil er EGnig Johanns Hirsche gepfirscht, die Hftscher ergriffen, da er eben seine Yerm&hlung mit der schGnen Matilda feierte, nnd der seitdem in Acht und Bann ist. Die schwarzlockige Matilda, eine unerschrockene Amazone und lustige Maid, die Eopf und Herz auf dem rechten Flecke hat, gesellt sich ihm unter dem Namen Marian. Die Rftckkehr des Helden* königs Richard LGwenherz aus dem Heiligen Lande macht endlich dem Ausnahmezustand ein glückliches Ende.

Der Hauptreiz von Maid Marian liegt in der aufs anmutigste zum Ausdruck gebrachten Waldromantik. Nie hat Peacock ein Milieu mit so feinem Verstftndnis ge- schildert In ihrer ganzen Mannigfaltigkeit ziehen die Stimmungen des Waldes an uns voraber: tauige Frische und würziger Duft, das stille Weben und laute Rauschen der grfinen Wipfel. Alle Äußerungen der Waldpoesie sind Peacock vertraut, denn der Wald ist ja seine Heimat. Ifit Glück und Geschick trifft er den heiter- humorvollen Ton für die romantische Erz&hlung. Alles Schwerf&llige ist vermieden, über alle Elippen des unwahrscheinlichen oder der Schicksalsfügung gleitet sie in l&chelnder Anmut hin- weg. Maid Marian ist unter Peacocks Romanen der einzige als Roman anziehende. Unter den Nebengestalten vertritt Friar Tuck den bei Peacock nie fehlenden, dem Irdischen nicht abholden Mann Gottes. Der gewalt- tätige und eigenmächtige Sir Ralph ist der typische Mann des Faustrechtes. Alle atmen köstliche Frische und sind durch ihren urwüchsigen Humor über sich selbst empor-

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Der literarische Bssaj. 405

gehoben. Die erquickende F&Ue von gesunder Lebenskraft und strammem Lebensmut, die in Maid Marian herrscht, bezwingt den Leser wie das Schicksal.

Kunst um der Kunst willen, ein restloses Aufgehen im Spiele der Phantasie ist Peacock jedoch nicht gegeben. Völlig ausgeschaltet erscheint auch in dieser mittelalter- lichen Dichtung der Spott auf die Gegenwart nicht. Auch in ihr fehlt die unvermeidliche Satire auf Southey nicht (in dem Laureatus Harpiton, dessen Name {'Eqjübtov) ein kriechendes Ding bedeutet. Den Gesetzen der „Wald -Ge- sellschaft" wird, obgleich sie aus Mundays Robin Hood- Dichtung The BoumfaU of Bobert Earle of Huntingdon, 1601, entlehnt sind, eine satirische Beziehung auf die in der Literatur des 18. Jahrhunderts zu Tage tretende Ver- herrlichung des natürlichen Rechtes im Gegensatze zu dem durch Gesetzeskraft Rechtsgiltigen untergelegt Robin Hood ist wohl die älteste literarische Verkörperung des edlen Rftubers. Er hat dem Staate gegenäber, der ihn aus- schloß, nicht nur seiner eigenen Empfindung nach, das Recht auf seiner Seite. Ritterlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Selbstzucht sind ihm tatsächlich in viel höherem Grade eigen als der Gesellschaft, die ihn yerfehmt und über der er in scheinbarem Gesetzesbruch eine höhere Gerechtigkeit handhabt, eine ideale Mission durchfährt Peacock hat dieser, von der Überlieferung bereits so reich ausgestatteten Figur nur wenig mehr aus Eigenen^ hinzuzufügen vermocht

Ehe noch Maid Marian veröffentlicht war, im Dezember 1819, erschien Ivanhoe. Der Inhalt beider Romane deckt sich zum Teil. Auch bei Scott ist Robin Hood Lockesley. Aber die Übereinstimmung besteht tatsächlich nur für den oberflächlichen Blick. Während bei Peacock Richard Löwenherz und sein Bruder Nebenfiguren sind und Robin

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406 Der literariBche Essaj.

Hood im Yordergrnnde steht^ kehrt sich das VarhUtius bei Scott nm. Andrerseite fehlen dessen Heldinnen Bowena nnd Bebecca in Maid Marian, die sich neben dem stoff- lichen Beichtnm des Ivanhoe überhaupt nur wie ein Aus- schnitt aus dem farbenprächtigen historischen Gemälde ausnimmt. Scott nannte in der Einleitung seine Quelle, die mit der Peacocks nichte zu tun hat Dennoch zog Peacock, wohl kaum mit Unrecht^ vor, die bereite vollendete Maid Marian zurflckzubehalten, bis sich der Beifalls- sturm, den Ivanhoe entfesselte, einigermaBen gelegt hätte. Sie erschien erst 1822, machte dann aber trotz des ge- fährlichen Nebenbuhlers ihren Weg.

Planche knetete 1822 beide Bomane zu einem Opem- libretto zusammen. Eine deutsche Übersetzung von Maid Marian (Der Forstgraf oder Bobin Hood und Marianne) erschien 1823, eine französische von Mme. Daring {Bobin Hood OH la forSt de Sherwoode) 1826, eine von Louis Barr6 1855, welche Anastasius Grttn für seinen Bobin Hood (1864)

benutzte 0-

Sieben Jahre vergingen, ehe Peacock mit einem neuen Werke hervortrat. Die gewissenhafte Erfüllung seiner Amtepflichten nahm ihn in Anspruch. Leigh Hunt zog ihn damit auf, daß er sich plötzlich in bürgerlichem Bang und Beichtum wiege, mußte aber zugeben, daß ihm das Glück gut stehe, daß er umgänglich und freundlich geworden sei. 2) Indeß war Peacocks Sprung ins Spieß- bürgertum kein jäher und unmittelbarer. Er hatte immer nur mit einem Fuße in der Bomantik gestanden, während er mit dem andren einen sichern Stützpunkt auf dem Boden

») T. Doren, 169.

*) Brief an Mary Shelley (Young, 16).

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Der literarische Essay. 407

nfichtemer Verstandesgem&ßheit sachte. Er war nie der blinde Enthusiast gewesen, der mitten im Wirbel der Strömung von ihr getragen und hingerissen wird, sondern hatte stets Distanz zu seinen Idealen behalten. Das grade machte seine Eigenart aus, daß er im Stande war, Dinge, für die er schwärmerische Begeisterung aufbrachte, gleichzeitig mit dem ironischen L&cheln des Zweiflers anzusehen. Die praktische Tätigkeit kam einer natürlichen Veranlagung entgegen und gab ihm Befriedigung und Behagen.

Als Peacock sein langes literarisches Schweigen 1829 mit dem Bomane The Misfortunes of Elphin (Elphins Mifigeschicke) brach, zeigte es sich, daß das Dezennium der Ruhe keine Erschlaffung, sondern eine Sammlung seines künstlerischen Schaffens bedeutete. Schon der dem Mabinogion entnommene Stoff war ein glücklicher Griff. Peacock verquickte die Taliesinerzählungen mit den Arthus- legenden, wahrte so den Schein dichterischer Freiheit und natürlicher Ungezwungenheit und übergoß den wali- sischen Schauplatz der Mythen mit dem Goldglanz pers5n* lieber Jugenderinnerungen.

Mit einem bisher von ihm unerreichten künstlerischen Takt verwebt Peacock eigenen Humor und eigene Satire dem sagenhaften Stoffe, ohne dessen urwüchsigen romantischen Charakter zu zerstören. Er ist durchweg bestrebt, die Legende in den Bereich des Natürlichen zu ziehen. Die im Mabinogion erzählten Wunder von Taliesins Geburt nnd Kindheit werden verschmäht. Er wächst in natur- gemäßer Weise bei seinem Ziehvater, dem armen Fischer Elphin, heran, dem versonnenen Eönigssohne, den eine Geister- stimme und ein Traumgesicht seiner Gattin eines Nachts an den Strand trieb, wo er das Boot aus Weidengeflecht mit dem ausgesetzten Knaben von den Wellen in Empfang

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408 Der literarische Essay.

naluxL Als Elphin EOnig geworden, erscheint an seinem Hofe ein ungeschlachter Jäger, Maelgon, und schmäht die Königin dnrch die Behauptung, daß seine eigene Gattin jede andre Frau an Schönheit und Keuschheit übertreffe. Man einigt sich dahin, die Tugend der Königin auf die Probe zu stellen. Allein durch Taliesins List findet Maelgons Sohn statt der Königin nur ihre Zofe. Die Locke, die er als Zeichen seines Sieges vorweist, wird fOr falsch erkl&rt, Taliesin aber in der mit dem flbermütigen Maelgon sich entspinnenden Fehde gefangen genommen. Endlich befreit ihn Artus, der König der Könige von Britannien. Taliesin erhält Elphins Tochter, die frflh geliebte Gespielin seiner Kindheit, zur Frau und sein Sohn besteigt nach Artus' Tode den Thron.

Das Qymbeline-Motiy hat Peacock dem Hanes Tälyesin entlehnt, die Liebe Taliesins zu Hanaghel aber, die in modemer Weise geschlechtliche Liebe an Stelle der alten Mannentreue zu der alle Hindemisse bewältigenden Trieb- feder seines Handelns macht, ist Peacocks eigene Zutat Um so rühmenswerter scheint es, daß er alle Sentimentalitftt^ die bei der Schilderung alter Helden f&r die Bomantik so häufig zur Klippe wird, glflcküch vermieden hat

Der mit romantischer Überschwänglichkeit verherr- lichte Taliesin, der, vollkommen an Geist wie an Körperbau, als Sänger, als Krieger, als listenreicher Kopf nicht seines- gleichen findet, dem der Seherblick in die Zukunft eignet und das Gedächtnis der Dankbarkeit für Vergangenes, be- herrscht den Mittelpunkt der Erzählung und läßt weder Elphin noch selbst Artus Baum zur Entfaltung.

In Elphins Vater, dem fi^ohgemuten, friedliebenden, um die Hochflut und ihre Verheerangen unbekflmmerten König Gwythnr, schildert Peacock auf seine Art Georg HL Er

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Der literarische Essay. 409

ist nicht ohne Gefühl ffir das Volk, dem die Ehre zufällt^ sein ^Hans zu verpi'oyiantieren, w&hrend er seinen Minister- präsidenten nnr an jenen Ort wfinscht, den kein wohl- erzogener Geistlicher vor einer gebildeten Gemeinde nennt^. Dieser trunksüchtige, leichtfertige Minister ist Canning, seine Bede gegen die Notwendigkeit eines Wellenbrechers, eine geistreiche Paraphrase von Cannings Bede gegen die Beformbill, 1825. Der Hanptstrahl von Peacocks satirischer Blendlaterne füllt jedoch nicht auf die politischen, sondern die sozialen Znst&nde, die Ökonomischen VerhUtnisse, das Bank- und Maschinenwesen, ohne daß auch hier die Satire zum Selbstzweck würde und für ein anbefangenes Auge aus dem Bahmen der Erzählung fiele. Auf der Schilderung von Land und Leuten liegt der romantische Zauber der Naturschwärmerei und einer glücklichen Liebe, in dem Peacock die Walisische Flur dauernd erblickt

Mit seinem nächsten Werke Crotchet Castle (Sparren- schloß), 1831, kehrt er wieder zu der Form seiner Jugend- romane zurück, in denen das Tischgespräch mit seiner nnvermeidlichen Zensur bestehender Verhältnisse der äußern Anlage wie dem Inhalte nach die Hauptsache ist. Der Name könnte, wie v. Deren richtig bemerkt, für Peacocks sämtliche Werke gelten, und desgleichen auch das Motto:

Le monde est plein de faus, et qui n'en veut pas voir Dait se tenir tout seul, et casser san miroir.

Der Eigentümer des schönen Themse -Landsitzes, Ebenezer Crotchet, ist ein Kaufmann, dessen Sohn sich in au&teigender Linie, nämlich zum Schwindler, fortentwickelt, während seine Tochter Lemma (Gewinn, Einkommen, Nutzen) mit ihrem aufdringlichen Bildungsflmis und ihrer

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410 Der literariBche Essay.

semitischen Schönheit gleichfalls eine wenig anziehende Er- scheinung bildet. Als echter Emporktaimling tat Crotchet sich viel auf die erlesene Gesellschaft zu gute, die er in seinem Schlosse versammelt. Unter den Gästen ist der Pfarrer Folliot (foUis optimus, ein Mann mit vorzüglichen Lungen- blaseb&lgen, d. h. ein unermüdlicher Redner), der abgesagte Feind jedes geistigen Fortschrittes, dessen Änßenmgen fflr ihn fiberall mit den anangenehmsten Erfahrangen ver- banden sind. Seine Köchin studierte; darüber ging das Haas fast in Flammen anf. Handertfün&ig Mann stark pochte der Fortschritt an die Tür und zwang den Pfarrer, anf die Hälfte seiner Sportein za verzichten. Bei Nacht drang der Fortschritt durch die Fensterladen der Wohn- stube und entfernte sich wieder auf demselben Wege mit Mr. Folliots silbemen Löffeln. Gleiche Bildung für alle taugt eben nicht, denn der Geist aller ist nicht der gleiche; die Wissenschaft verallgemeinem, popularisieren zu wollen, ist darum eine Torheit. Der Wohlleber Folliot ist auch auf geistigem Gebiete ein Feinschmecker. Er schwärmt für das klassische Altertum, möchte die attische Komödie wieder beleben und athmet in der Atmosphäre des feinen Griechengeistes als in seinem eigentlichen Elemente.

Die Hauptspitze von Qrotcket Castle richtet sich gegen die Nationalökonomie. Folliot wettert gegen sie als eine PseudoWissenschaft. Sie ist dagegen Crotchets Stecken- pferd und hat einen speziellem Vertreter unter den Tisch- genossen, den Schotten Mac Quedy {Mac Q. E, D. = Sohn einer Beweisführung), den verknöcherten Gelehrtendünkel in Person. Dieser hölzerne, schwunglose Patron spielt sich der Dichter könnte nicht ironischer vorgehen als Anwalt der modernen Lebensführung, des Fortschrittes und der Erziehung aul Sein Widerpart ist der von

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D«r literarische Essaj. 411

romantisch feudalen Ideen erfOUte Chain Maü (Kettenpanzer), ein unbedingter Verfechter des Mittelalters gegen die Neuzeit und die Moderne. Die Philippiken, die er gegen Industrie und Handel schleudert, gegen den herrschenden, auf Gewinn, Betrug und Erpressung gerichteten kom- merziellen Geist bilden einen Höhepunkt jener feindseligen oder doch zum mindesten einseitigen Haltung gegen die moderne Kultur, in der Peacock sich häufig gefällt

Seine repräsentativen Gestalten sind nicht Anwälte der Weltanschauung oder Disziplin, die sie vertreten; sie haben den Autor nicht auf ihrer Seite. Sie scheinen viel« mehr als Negationen des zu Becht Bestehenden und ihr eigentlicher Zweck ist, den Leser über ihre Nichtigkeit aufzuklären. Das Eigenartige von Peacocks verneinendem Geiste li^ darin, daß er sich dennoch von Pessimismus und von Verbitterung frei erhält. Aus seiner Miene schwindet niemals das leise Lächeln der überlegenen Buhe, seine Haltung verliert niemals ihre elegante Gelassenheit Die Welt ist ein Narrenspiel. Wer nähme es ernst? Die Menschen meinen es im Grunde alle nicht schlecht, nur daß ein jeder das All unter dem engen Gesichtswinkel seiner eigenen fixen Idee sieht, die er für die allein selig- machende hält

Peacock strebt nach tunlichster Unterdrückung der eigenen Subjektivität, nach einem Standpunkte über den Parteien, der allen Möglichkeiten des Denkens und Lebens ihr unumschränktes Becht gestattet, sich zu dokumentieren. So gelangt er, wie kaum ein andrer Bomanschriftsteller, zu einem ünkenntlichmachen der eignen Persönlichkeit in seinem Werke. Er verleugnet als Schriftsteller sozusagen sein Zeitalter, in dessen regem Treiben er als Mensch mitten inne steht Er greift die Nationalökonomie an und

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412 Der literarische Ebmj.

ist doch ein persönlicher Freund John Staart Mills. Er identifiziert Handel and Gewerbe mit Betrog, w&hrend er selbst seit 1837 als Nachfolger James Mills in der maßgebenden Stellang als Chief Examiner of Correspondence einem großen indostriellen Unternehmen angehört Er be- kämpft mit der Feder die großen technischen Erfindungen der Neuzeit und setzt sich im Leben mit aller Kraft ffir die Förderung der Damp&chiJSfahrt ein. Seine Bemühungen haben einen wesentlichen Anteil am Ausbau des Suezkanals. Er beschäftigte sich eingehend mit der technischen Vervoll- kommnung des Schiffsbaus. Eh* war es, der der Regierung die Eisenkonstruktion für Indienfahrer empfahl. Diese Zwiespältigkeit der Lebensanschauung in Theorie und Praxis käme einem psychologischen Bätsei gleich, ließe sich nicht annehmen, daß Peacocks scheinbare Angriffe auf den Fortschritt den Sarkasmus verbergen über jene Neuerer, die sich stolz in die Brust werfen, während sie in Wirklichkeit nur Unzulängliches fördern, das hinter den Wünschen des wahrhaft vorwärts Strebenden kläglich zu- rückbleibt In der Regel gehören die schwer Befriedigten, welche sagen: „Wir haben es noch zu gar nichts gebracht; wir sind nicht weiter als unsere Großeltern, ausgenommen etwa in unseren Fehlem und den Schattenseiten unserer Existenz!^ nicht zu jenen, die die Urväterzeiten zurück- wünschen.

So ist Peacock ein Komplex klaffendster Widersprüche. Selbst ein Mann von vielseitiger Gelehrsamkeit, ist er ein heftiger Gegner aller zünftigen Gelehrsamkeit und der Stätten, wo sie ausgebrütet wird, der Universitäten, denn jede zum Schema erhobene Meinung ist ihm zuwider. Niemals hat jemand das Wort „Grau, lieber Freund, ist alle Theorie" mit vollerer Überzeugung verkündet als Peacock.

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Der literarisehe Essay. 413

Der bei ihm stehende Spaß der Lakisten -Verspottung fehlt auch in Orotchet Casüe nicht. Der transzendentale Dichter Skionar {JSxiäg ovag, nmbrae somniam), dessen Reden ein Gemisch von mystischem Schwulst und idea- listischer Plattheit sind, ist eine (üoleridgekarikator. Seine Freunde Wilful Wontsee und Bumblesack Shantsee sind William Wordsworth und Robert Southey. Überhaupt steht wohl hinter jeder Gestalt des flgurenreichen Bomanes eine wirkliche Persönlichkeit. Die romantische Miss Touchandgo, die als liebenswttrdige Idealistin der geistreichen Materia- listin Lady Glarinda gegenfibergestellt ist, hat ihr Urbild in Jane Gryffydh. Die stilistische Yorzflglichkeit, die bei Peacocks Eonversationsromanen eine so wesentliche Rolle spielte, war in Crotchet CasÜe womöglich noch gesteigert Gamett bezeichnet sie als vollkommen.

In Peacocks letztem Romane, GryU Orange, 1859, hat trotz der unverwfistlichen Jugendfrische des greisen Autors dennoch das Alter insofern seine mildernde Hand im Spiele, als die Satire stumpfer wird und die milde Liebenswürdig- keit zunimmt. Der Schluß von Peacocks Romanproduktion knüpft sich an den Anfang. Er kehrt zu den geliebten Jugend- stätten zurfick. Squire Grylls lieblicher stiller Landsitz liegt in Hampshire am Eingange des New Forest. Gregory GryU leitet seinen Namen von Gryllos ab, einem Schicksalsgenossen des Odysseus auf der Insel der Eirke, der auf die Frage des Laertiaden, ob die Gefährten wieder zu Menschen ent- zaubert sein möchten, geringschätzig erwidert, sie zögen ihren jetzigen Zustand bei weitem vor, denn Tiere seien dem Menschen fiberlegen, i) Gleich diesen Vorfahren hält auch Gregory einen urwfichsigen Naturzustand dem der

1) Plutarch, Moralia,

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414 Der liteiarisdie Essay.

Enltnr mit al) seinen Emingenscbaften und Verfeinerangen für weit fiberlegen nnd erblickt in diesen niclits als Schwindel, der sich unter mancherlei schönen Namen breit mache. Das Gegenstack des Pessimisten Oryll, den nur das Einspinnen in seine häusliche Behaglichkeit vor Mysanthropie be- wahrt) ist der joviale, gebildete Weltgeistliche, Dr. Opimian, der Mann des heiteren aber keineswegs unedlen Lebens- genusses, denn Lebensgenuß bedeutet ffir ihn eine gute Bibliothek, ein gutes Mittagbrot, ein schöner Garten und ein schöner Spaziergang. Hat er diese vier, so lebt er mit sich und der Welt in Frieden. Auch er ist ein Kenner und Liebhaber der Antike und ein ausgesprochener Gegner der modernen Wissenschaft, die zu nichts gutem ffihre. Im Gegensatze zu ihm schwärmt der junge Privatgelehrte Algernon Falconer, ein in sanfteren Farben gehaltener Vertreter des Shelley-Tjrpus Foster, Forester und Scythrop, fflr unbedingte Gleichberechtigung. Die sieben jungen Dienstmädchen, die seinen einsamen Turm bewirtschaften, werden von ihm wie Schülerinnen und Schwestern gehalten. Gleichwohl empfindet auch er das moderne Leben als einen störenden Eingriff in seine romantische Welt der geistigen Schönheit, deren verklärtes Ideal er in der heiligen Eatherina anbetet. Wie Gryll Orange die Lieblichkeit der englischen Durchschnittslandschaft verherrlicht^ so auch die stille Be- haglichkeit ländlicher Durchschnittsexistenzen, deren an- spruchslose Alltäglichkeit weder ein außergewöhnliches Streben noch ein außergewöhnliches Ereignis unterbricht. Wir haben Menschen ohne innere Entwicklung vor uns. Sie treten fix und fertig vor uns hin nnd spinnen ihren Lebensfaden gleichförmig zu Ende. Ein charakteristisches Moment tritt zwar an ihnen hervor, steigert sich aber nicht zum Zerrbilde.

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Der litentriflche Essay. 415

Den Mittelpunkt des Bomanes bildet ein Weihnachts- . spiel, das den Platarchschen Dialog zwischen Circe, Gryllos und Odysseus in moderne Yerhültnisse überträgt. Drei Londoner Spiritisten wecken den Gryllus aus seinem drei- tausendjährigen Schlaf. Er sieht die veränderte Welt und findet, daß die alte besser war. Auch die alte Gepflogen- heit des Erzählens von Gespenstergeschichten um die Weihnachtszeit wird von Peacock wieder belebt Opimian gibt als einziges ihm bekanntes Beispiel einer griechischen Gespenstergeschichte jenes Fragment von Phlegon's IleQl d-a/ivaaUov zum besten, das die gemeinsame Quelle von Goethes Braut von Korinih und M. G. Lewis' TAe Cray Gold King (Tales of Wonder) ist.

Zeitschriften, Aufsätze.

Wie alle Cockneydichter war Peacock auch jour- nalistisch tätig. 1827 wurde er Mitarbeiter der 1824 ge- gründeten Wesiminster Beview^ 1835 der London Eeview, dann Musikkritiker des Globe und des Exatniner.^) Seine rege Anteilnahme an literarhistorischen, kritischen und ästhetischen Fragen macht ihn zum fruchtbaren und inter- essanten Essayisten. 1820, als die Freunde besorgten, der East Lidia C!ompanybeamte würde in ihm den Schriftsteller erdrücken, erschien in Olliers Miscellanies eine Abhand- lung The Four Äges of Poetry pie vier Zeitalter der Poesie). Peacocks poetische Zeitalter stehen im Gegensatze zu den Weltaltem. Das eiserne ist das erste. Die primi- tiven Menschen waren Erieger, darum verherrlichten die Barden den Eriegsruhm. Das zweite oder goldene Zeit-

>) Cole, Biographical Notes 26.

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416 Der literarisdie Essay.

alter bedeutet die Reife der Poesie. Seine Vertreter sind Homer bei den Alten, Ariost und Shakespeare bei den Modernen. Milton, in Peacocks Augen der größte englische Dichter, steht zwischen dem zweiten und dritten.

Das silberne Zeitalter, die Periode der Autorit&t, um- faßt die Poesie des Kulturlebens, welche von der Vernunft und Gelehrsamkeit in elegante, glatte, etwas einförmige Form gekleidet wird. Dun gehören Vergil, Horaz, Aristo- phanes, Dryden und Pope an.

Das vierte, eherne Zeitalter verwirft die Gl&tte und Gelehrtheit und strebt durch Erneuerung der barbarischen Traditionen des eisernen Zeitalters eine Rflckkehr zur Natur und die Wiederbelebung des goldenen Zeitalters an. Diese zweite Kindheit der Poesie f&Ut in den Niedeigang des römischen Reiches.

Die ähnliche Bewegung in der Poesie seiner eigenen Zeit will Peacock nicht als solche gelten lassen. Ja, er spricht dem modernen Leben fiberhaupt die Fähigkeit zur Poesie ab. Vergeblich kreuze Byron an der griechischen Küste nach Piraten, grabe Scott die Wilddiebe der alten Grenzlande aus, arbeitet sich Southey durch vergilbte Chroniken und Beisebficher, gable Wordsworth bei alten Weibern und Dorftotengräbem Legenden auf, füge Coleridge solchem Wissen noch die Träume übergeschnappter Theologen und den Mystizismus deutscher Metaphysiker hinzu es sei alles umsonst. Das Poetische läßt sich aus der primi- tiven Zeit nicht in die moderne verpflanzen. Die Poesie sei das Kinderspielzeug der Menschheit

Und die Folgerung, die Peacock aus dieser Auffassung zieht, ist die, daß bei einem ernsten, das Leben praktisch anpackenden Geschlechte die Poesie keine Stätte und keinen Beruf mehr habe. Der Ton, den er gegen die

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Der literuüehe Essay. 417

Dichtung und die Dichter anschlftgt, ist von heraus- fordernder Anmaßung« Es scheint lediglich der East India Beamte fiber sie abzuurteilen, der sich einst selbst ffir einen Dichter hielt, nun aber die Einderschuhe aus* getreten hat

Vermutlich war es in Wirklichkeit anders gemeint, als es klang. Bevnifit Paradoxa vorbringen, etwas mit dem Ver- stände zerpflficken, woran er mit allen Fasern seines Herzens hftngt, ist f&r Peacock nichts Ungewöhnliches. Der Dichter in ihm hatte weit geringere Anerkennung gefunden als der Beamte. Vielleicht entsprang seine Herabsetzung der Poesie dem Trostbedflrfnis, sich und andern einzureden, die praktische Tätigkeit sei die wichtigere und höhere.

Shelleys Erwiderung auf The Four Ages ofPoetrtf war die Defence of Foetry, 1821, jener von platonischem Geist beseelte Dithyrambus auf die Poesie und ihre Jünger, der, die Phantasie zur intellektualen und sittlichen Wahrheit erweiternd, die Poesie zum Inbegriff der geistigen Existenz erhebt Gegen diesen in schwungvollstem Pathos aus- strömenden Hymnus konnte und wollte Peacock offenbar nicht in die Schranken treten. Der briefliche Verkehr der Freunde erlitt durch die literarische Fehde keine Trftbung.

Ein Jahr darauf war Shelley tot Sechsunddreißig Jahre später veröffentlichte Peacock, vielfachem Drängen nachgebend, in Fräsers Magasnne {vol. LVII Nr. 342) Erinnerungen an seinen Freund. Er tat es nicht gem. Das Leben war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er lebte seit einem Menschenalter unter gänzlich ver- änderten Bedingungen. Trockene Berufsarbeit füllte sein Dasein aus, das in die Bahnen ereignisloser Philister- haftigkeit eingelenkt war. Er mochte fühlen, daß er seiner Jugend und ihren Idealen fremd geworden und be-

G«iebiohte der entrlisclien Bomantik n, 1. 27

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418 Der literarische Essay.

sorgen, ungerecht gegen sie za sein. Auf seinem jetzigen Standpunkte schrieb ihm die Pietät gegen den berühmten Freund gewisse Bücksichten vor, die er am besten durch den Vorbehalt charakterisiert, unter dem er an seine Aufgabe herantritt: „Kein Mensch ist verpflichtet, die Lebensgeschichte eines anderen zu schreiben. Keiner, der es tut, ist verpflichtet, dem Publikum alles zu erzählen, was er weiß''. Er hatte sich längst daran gewöhnt^ auf die Stimme der bürgerlichen Konvention zu hören, und sie flüsterte ihm zu, daß es dem Andenken des früh Geschiedenen, der seine kurze Bahn im Begeisterungsrausch dahingestürmt war, nicht zuträglich sei, diesen Lebenslauf der großen Menge ohne Vorbehalt preiszugeben. So ist das Shelley Memair in gewissem Sinne auch für Peacock ein autobiographisches Denkmal, zumal der Schluß, der als eine Art Ehrenrettung von Shelleys transzendentalem Idealismus der Überzeugung Ausdruck gibt, er hätte bei längerer Lebensfrist die Reife erlangt, seine überschwänglichen Jünglingsträume mit weh- mütigem Lächeln als das einzuschätzen, was sie in den Augen erfahrener Männer waren. Peacock ahnte offenbar nicht, daß ihm selbst im Laufe der Jahre der Gradmesser für Shelleys Begeisterung abhanden gekommen war.

Als literarischer Kritiker erfaßt er seine Aufgabe in der Regel von dem allgemeinen Standpunkte des ge- bildeten Theoretikers. So wi^ er in On the Poetry ofNonnus (Über die Poesie des Nonnus), London Magtmne vol. VI)0 die Verfeinerung der Dekadenz gegen ihre leicht- sinnige Entfernung von der Natur ab und weist das Haupt- verdienst des Nonnus nach, die klassische Mythologie mit gotischer Phantastik ausgeschmückt zu haben.

*) Nach y. Doren, 155; ist dieser Aufsatz nicht von Peacock.

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Der literarische Essay. 419

In dem An&atze Musical Beminiscences. Contcdning an Account of the Italian Opera in England from 1773. Con- tinued to the Present Time & induding fhe Festival in West- minster Abbey (Musikalische Erinneningen. Mit einem Be- richt Aber die italienische Oper in England seit 1773. Fortgesetzt bis anf die Gegenwart einschließlich des Festes in Westminster), 1834, London Beview, träumt Peaoock von einem vollkommenen Musikdrama, einer Art Kunst- werk der Zukunft im Wagnerschen Sinne: Text, Musik, Darsteller, Kostüme, Dekorationen, Chor, Orchester und Kapellmeister, alle auf gleicher Stufe der Vorzüglichkeit, und dazu, noch über Wagner hinaus, ein Publikum, das seinerseits durch Verständnis und Haltung nicht das letzte zur Rundung des Kunstwerkes beiträgt. Dieses Vorgreifen in die Zukunft erscheint umso bedeutungsvoller, wenn man erwägt, daß Peacock bei der englischen Erstaufführung des Barbiers von Sevüia das Gefühl gehabt hatte, diese Oper bedeute eine Revolution in der dramatischen Musik. Rossini habe alle überflogen bis auf Mozart, dessen Kunst sich, gleich der Shakespeare's, auf die einfachsten, un- veränderlichen Prinzipien gründe und darum der Be- wunderung aller Zeiten ebenso sicher sei, wie die Ge- wandung der griechischen Statuen ungeachtet aller Wechsel- fälle der Mode 8ch6n bleibe.

In einem anderen Aufsatze, in dem Peacock Bellinis klassische Einfachheit des Rythmus anerkennt, nimmt er zugleich Stellung gegen jeden Regelzwang in der Kunst und neigt sich einer durchaus modernen Auffassung der Harmoniegesetze zu. Wie es keine Folge von Lauten gebe, die der menschlichen Leidenschaft verschlossen bleibe, so gebe es keine Konsonanz oder Dissonanz, die in der dramatischen Musik nicht ihren Platz fände {London Beview, vol. H).

27*

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420 Der Uterariflche Esmj.

Derselbe Band enthält einen Aufsatz über Frevuih Comic Bamances (Französische komische Romane), die Peacock in zwei Klassen teilt: solche, deren Charaktere Individuen sind und deren Handlung dem wirklichen Lebai entnommen ist und solche, deren Charaktere Abstraktionen oder verkörperte Klassifikationen sind. Dieser Gruppe reiht er seine Vorbilder Aristophanes, Rabelais, Swift, Voltaire ein. Auch für seine eigene Art könnte keine bessere Definition gefunden werden.

In einem The Epider betitelten Au&atz {London Review vol. n) führt er den Gedanken aus, dafi der Krämer (epider) das moderne Leben beherrsche und sein Geist sich wie auf allen Gebieten, so auch in der Literatur spiegle.

1849 finden wir Peacock in der Westmnster and Foreign Quarterly Beview mit einem weitläufigen Bericht über zwei Werke vertreten, die von indischer Poesie handeln : BaXaßaQazrj 7/ övvrofifjrfjg MaxaßaQOxag (lexarfXmxrto Q-evra ücagä ArjfifjTQlov FaXdvov, Ad-fjvatov. Athens 1847 ^ und JRamagana, testo sanscritto secondo i codici manos- criUi della Scuola Gandana, per Gaspare Gorresio. Parigi 1843—1845.

In Fraser's Magazine (vol. XLV, Nr. 267) begann Peacock 1852 mit den Horae DramaHcae eine Art kritisch- philologischer Altertumsstudien über weniger bekannte Dramen und Dramenfragmente, die er zu einer Serie zu erweitern dachte, aber bald abbrach. Seine Belesenheit auf diesem Gebiete und sein Prinzip unbedingter Exaktheit und Treue in der Wiedergabe von Originalen bekundet auch seine Anzeige von Müllers und Donaldsons Uistory

>) Romaische Übersetzung des Mahabharata von Demetrins Galanns.

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Der literarische Essay. 421

of Greek Literature (Geschichte der griechischen Literatur), (Fraser^s Magazine, März 1859). Moore's Epicurian gegen- über stellt er sich völlig auf den Standpunkt des Archäo- logen und verurteilt das Werk, das wenig vom Geiste des Altertums weiß, wie den Verfasser, der ihm unsympathisch ist (Westminster Beview voL VIII).

Er selbst legte Gewicht auf seine Beschlagenheit in ausländischen Literaturen, unter denen freilich ffir ihn neben der griechischen und lateinischen nur die französische and italienische in Betracht kam. Spanisch studierte er noch in hohem Alter, gegen das Deutsche hat er sich wie die Mehrzahl seiner Landsleute zeitlebens ablehnend verhalten. Er erlernte es niemals, was nicht hindert, dafi seine Werke von Ausfällen auf deutsche Philosophie und Dichtung wimmeln.

So manchen Artikel widmet Peacock Dingen und Er- eignissen des praktischen Lebens. Während er in dem Aufsatze London Bridge (Westminster Beview, Oktober 1830) dag^en eifert, die aus dem 18. Jahrhundert stammende Brücke durch eine den Forderungen der modernen Technik entsprechende zu ersetzen, veröffentlicht er 1888 in der Edinburgh Beview (vol. IX, Nr. CXXU) einen Beport from the SeUct Committee of ihe House of Commons on Steam Navigation to India; toith ihe Minutes of Evidence, Ap- pendix iSk Indexy 1884. (Bericht des vom Unterhause ge- wählten Komitees für Dampfschiffahrt nach Indien mit ZengenprotokoUen, Anhang und Register). Dieser Aufsatz, ans dem Peacocks eifriges Interesse, sein Mühewalten und fachmännisches Verständnis für eine gründliche Erneuerung der modernen Verkehrsmittel erhellt, beweist am besten, wie wenig ernst ihm seine feindselige Haltung gegen Heformen ist „Nicht der Fortschritt verdroß ihn", sagt

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422 Der literarische Essay.

Bachanan, „sondern die von jadischen Zeitangsschreibem nnd politischen Hanswursten heiser gekrächzte Heuchelei des Fortschritts ödete ihn an. Seine unbesonnene Feind- seligkeit war lediglich Ironie^. ^

Zu dieser vielseitigen journalistischen Betätigung Peacocks kommt schließlich noch ein autobiographischer Versuch in den anmutig erzählten BecoüecHons of Chüd- hood (Erinnerungen aus der Kindheit) im zweiten Bande von BenÜey's Miscdlames.

Unvermerkt hatte Peacock seine Frist fiber das Alter des Propheten hinaus gesponnen. Sein Leben war ohne große Ereignisse, ohne fühlbare Abschnitte dahingeflossen. 1856 zog er sich von der East-India Company zurQck und lebte seitdem auf seinem Landsitze bei Shepperton, von Enkeln umgeben, ein aufrechter, schöner alter Mann, dessen Zfige ein warmes Wohlwollen erhellte. Es war bei aller stacheligen Ironie und Grillenfängerei und trotz seines lebenslangen Heidentums doch der Kern seines Wesens ge- blieben. In der Regel brauchte man nur sein Vorurteil einmal ad absurdum zu führen und man hatte ihn für immer gewonnen. So war er z. B. lange nicht zu bewegen, etwas von Dickens zu lesen. Doch zur Lektüre der Pickwick Papers überredet, gab er sich rückhaltslos dem Entzücken hin. Die Londoner Weltausstellung 1851 war ihm ein Greul. Doch von dem Tage, als er sich, wochenlang nach ihrer Erötbiung, endlich zu einer Besichtigung zwingen ließ, gehörte er zu ihren täglichen Besuchern. >) Sein Egoismus wurzelte in der Nächstenliebe. Er ertrug den Anblick des Unglücks schwer und wich ihm darum tunlichst aus.

0 Sketchbook, 102.

>) Cole, Fifty Yeara of Public Life, 1 196.

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Der literarische Essay. 423

Er war entschiedener Anhänger eines feinen Epiknreismns, liebte eine gate Tafel und ein Glas Wein and haßte Banch und Tabak. Charakteristisch in dieser Hinsicht ist der mit seiner Tochter Mary Meredith gemeinsam gearbeitete Aufsatz Gastronomy and Civüization (Fein- schmeckerei und Kultur), Fraser's Magazine XLIX, der die Eüchenkunst als Spiegelbild der Kultur und des Bildungsgrades eines Volkes behandelt^) Um Politik hatte er sich nie gekümmert Sein Leben war verschollen, als eines Tages (23. Januar 1866) 2) der Zeiger an der Uhr stille stand.

Peacocks von der Alltäglichkeit weitabliegende Eigenart brachte es mit sich, daß er nicht yolkstOmlich werden konnte. Seine Werke stellen außergewöhnliche Ansprüche an den Leser. Er muß, um die Ironie des Verfassers zu durch- schauen, verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen, er muß sein eigenes sicheres Urteil über Menschen und Dinge, Politik, Künste und Wissenschaften mitbringen. Nirgends ist ihm eine Empfindung mundgerecht gemacht, eine feste Meinung au^etischt. Alles wird in Frage gezogen, nichts zur Norm erhoben. Der Leser selbst hat aus diesen Elementen das positive Resultat herauszuziehen. Wehe dem Unsicheren, der sich irremachen läßt Dem Plus an eigener Arbeit, die Peacock seinem Leser zumutet, gesellt sich ein Minus an dem, was dieser vom Eoman- schriftsteller zu erwarten gewohnt ist: an stofflichem Reiz, an künstlerischer Anordnung und Durchbildung. Daraus erkl&rt es sich, daß eine dichterische Individualität von unleugbar scharfer und fesselnder Prägung wie die seine

>) y. Doren, 231.

*) NoUs and Queries, 10 S. Xn (17. Ang. 1903).

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424 Der literarische Essay.

für ganze Generationen verloren gehen konnte. Shellej nannte Peacocks Schriftwerk „eine Gattong, zu gelehrt for das seichte Zeitalter, zu weise ffir selbstsfichtige Eiferer", nnd vertröstete ihn anf „die heitere Sphäre künftiger Jahre". ^) Erst mit dem Wiederanfleben der Bomantik Ende des 19. Jahrhunderts hat auch Peacock eine Auferstehung gefeiert Seine poetische Eigenart scheint insbesondere auf zwei hervorragende Talente befruchtend gewirkt zu haben. Wir erkennen seinen Überfluß an paradox und ironisch geistreichen Erörterungen wieder in Oliver WendeU Holms' Breakfast Table-FlBuiereien und seine fein polierte, künstlerisch durchgebildete Erzählungstechnik in den Ro- manen seines Schwiegersohnes George Meredith.

Werke von Peacock.

1800 Is History or Biograph^ <Ae more In^ßrovmg Skufy?

1804 The Monks of 8t Mark.

1806 Palmyrii, and oiher Poems.

1812 The Qemue of (he Thames.

The PhOoscphy of Melancholif. 1814 Sir Proteus, a Satmeal BaUad.

Sir Horhbook, or CJUlde LaunceloVs Expedition.

1816 Headkmg HaU.

1817 MeUncourt, or Sir Oran EauUTon.

1818 Rhododaphne, or the Thessalian Speü.

Nighimare Äbbey.

1820 The Four Ages of Poetry.

1822 Maid Marion (Nenansgabe 1895 von George Samtshury

bei MacmUlm; 1912 von F. A. Cavanagh, Enghsh

Literature for Seeondary Sdiools.)

') Letter io Maria Oisbome.

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Der litenuiacbe Bsmy. 425

1829 The Misfortunes of Elphin. (Nenansgabe 1897 nebst BhododqpJme, mit Einleitung yon O. Samtsburif).

1831 Orotchet Castle.

1837 Paper Maney Lyrics.

1858—60 Menwirs of Shelley. (Neuausgabe 1909 von H, F. ß. BreU-Smiih.)

1861 Gfyü Orange.

1862 Gli IngannaU. And Äelia Laelia Orispis.

1875 Warks of Thomas Love Peacock. Wiih a Preface hy Lord

Houghton, Biographical Note hy his GranddcMghter,

Edith Nicolls, edited hy Henry Cole. 1899 The Collected Prose Works of Thomas Love Peacock.

Edited hy Richard Gamett. With EecollecUons hy Sir

Edivard Strachey. 1902 Songs from the Novels of Thomas Love Peacock. Edited

hy R. Bnmley Johnson."

1909 Ährimanes. Edited hy Dr. Arthur B. Totmg. Modem

Language Beview, Januar. CorrecHons hy Brett- Smith ebenda, JulL

1910 The Plays of Thomas Love Peacock. Published for the

First Time. Edited hy A. B. Toung. Thomas Love Peacocks Essay on Fashionahle Literature . (Notes and Queries S. XII 5—^ und 62—63).

Werke aber Peacock.

Sir Henry Cole, Thomas Love Peacock 1785—1862, Bio- graphical Notes (Privatdruck in nur zehn Exemplaren).

1839 Kritik über Headlong Hall, MeUncourt und Misfortunes of Elphin, Edmhurgh Beview, Januar 1839.

1866 James Hannay, Becent Humowists, North British Beview. Richard Garnett, Artikel Peacock des BictUmary of National Biography.

1890 George Saintsbury, Peacock (Essays in EngUsh Lite- rature 1780—1860).

1894 Arthur B. Young, The Life and Novels of Thomas Love Peacock. Inauguraldissertation presented to the Philo-

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426 Der litenuruche Bsmy.

sqphical Fticuliy of ihe Universiijf of Freiburg im

Breisgau far the Äcquieition of the Begree of Boctor

of Phüosophif. 1906 Brimley Johnson, The Poems of Thomas Love Peacoh

IntrodMcUon. 1911 Carl van Doren, The Life of Thomas Love Peacock,

W. H. Helm, IntroducUon to Thomas Love Peacock (The

Regent Library).

Robert Bnchanan, Sketchhook.

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Thomas Hood.

1799—1845.

Lebenslauf.

Hoods Leben ist die Tragödie des Bajazzo, der nm des t&glichen Brotes willen das Pablikam durch Schellen- geklingel, Gesichterschneiden nnd tolle Sprünge zum Lachen bringt, während in seinem Linem ein ernstes Herz allem Großen nnd Erhabenen entgegenschl&gt. Er spielt bemfis- mäßig den Narren, den Aasgelassenen, weil seine Brot- herrn es so wollen. Erst bei seinem Abgang erspähen die Znschaner von ungefähr sein wirkliches Gesicht Und nun finden sie Gefallen daran. Aber es ist zu spät. Er ist bereits auf dem Heimwege, von dem es keine Rückkehr gibt auf die Bretter, welche die Welt bedeuten.

Hood war ein Cockney aus dem Herzen der City, der Poultry, jener uralten Straße, die Cheapside bis zum Man- sion House fortsetzt. „Ich bin einer von jenen, in deren Einderjahre die Bowglocken geklungen haben^. Mit diesen Worten sträubt er sich in der prächtigen Nachtalb-Dichtung The Besert Born Per Wüstensohn) „mit schüchternem Er- röten'' gegen den ihm zugemuteten Ritt auf dem Araber- Yollblut. Die Prinzessin versetzt mit Hurilächeln, wenn auch zufällig Bow die Ehre seiner Geburt widerfahren, so sage doch ein Etwas in seinem Auge und seinen Mienen, seine wahre Heimat sei der Osten.

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428 Der literariBche Essay.

In Wirklichkeit war es nicht der Osten, sondern der Norden. Hood hatte vom Vater her schottisches Blnt in den Adern. Thomas Hood der Ältere (f 1811), ein intelligenter, begabter Mann mit literarischen Neigangen, stammte ans einer Familie von Ackerbanem und Handwerkern in der Gegend von Dundee.*) Er gründete sich nach harten Kämpfen in London als Teilhaber der Bnchhändlerfirma Vemor, Hood, & Sharpe^) ein gesichertes Dasein und heiratete die Tochter eines Kupferstechers Sand. In ihrer Familie war die Neigung zur Schwindsucht erblich und von Hoods sechs Kindern fielen drei dem Übel zum Opfer.

Auf Thomas den jungem ging die doppelte Veranlagung für die Feder und den Zeichenstift über, aber auch die schwächliche Körperbeschaffenheit. Schwere Krankheits- anfälle, die ihn als Kind heimsuchten, ließen ihre verhängnis- volle Spur zurück. In der Londoner Vorstadtschule, in der er seine Bildung empfing, scheint es dem stillen, schüchternen Knaben, nach seiner Ode to Clapham Äcademiy (1824) zu schließen, übel ergangen zu sein. „Hier ward ich ge- prügdty hier ward ich erzogen'', heißt es in dem Gedichte. Während die andern Kinder spielten, verschlang er einsam im Schatten einer Linde Buch auf Buch.

Dennoch gedenkt er seiner Kindheit gem. „In der Jugend'', sagt er ebenda, „hast du das Beste deines Loses empfangen, Himmelblau war in deinem Kelch!'' und in Miss Kümannsegg apostrophiert er die Jugend als Lenz der Lenze, da der Beiche reicher ist als sein Besitz und der Arme reich an Gresundheit und Munterkeit und jeglicher zufrieden mit seinem Lose.

0 Memorials, 1 4; ElHot, 23. ') Bossetti, Miss Kümannsegg,

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Der literarisclie Essay. 429

Hoods eigene Kindheit dauerte freilich nicht lange. Mit zwölf Jahren verlor er den Vater. Sein Pflichtgefühl trieb ihn, der unversorgten Mutter und den Geschwistern beizustehen. Aber er war den vorzeitigen Ansti^engungen nach einer Überlieferung in einem Eaufhause, nach einer andern als Lehrling bei einem Kupferstecher nicht ge- wachsen. Die frische und reine Luft des schottischen Hügel- landes mußte seinem zarten Oi^anismus aufhelfen. Von 1815—1818 lebte er bei den Verwandten seines Vaters in Dundee, das er in dem Fragment eines geplanten Dundee Ouide (Führer durch Dundee) als ein schmutziges, schlecht- gebautes Landstädtchen schildert mit wenig Wasser und desto mehr üblen Gerüchen, wo man um elf schlafen gehe und um sieben au&tehe, weder Karten noch Klavier spiele, und wo alles, selbst die Frauen, dem Trunk ergeben seien. 1) Ohne berufliche Beschäftigung lebte Hood hier nur seiner Stärkung, dem Angel- und Segelsport und seinen schriftsteUerischen Versuchen. Im Dundee Magazine er- schien im Juni 1815 sein erstes Gedicht, SabhaÜh Moming (Sonntagsmorgen), das eine kritische Übersicht der Kirch- geher mit der Mahnung schließt: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. An einer epischen Dichtung The Bandit (Der Räuber),*) in ausgesprochen Byronscher Manier, fällt trotz aller Unselbständigkeit die Kraft des Empfindungsausdruckes sowie die ungewöhnliche Gewandt- heit in der Handhabung des Verses auf.

Hood scheint bereits frühzeitig die Poesie als seine Heimatsphäre erkannt zu haben und völlig in ihr aufgegangen zu sein. In seinem Briefe über Copyright and Copywrong

0 EUiot, 67 ff. *) EUiot, 78 ff.

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430 Der UtenuriBche Essay.

(Schrifteigentumsrecht und -unrecht) bezeichnet er seine Verpflichtung gegen die Literatur als eine so kolossale Schuld, daß sie selbst der Tod nicht lösche, wie die gegen die Natur. ,,Ich danke ihr noch etwas mehr als meine irdische Wohlfahrt^, sagt er. „In früher Jugend auf den großen Wassern treibend lenkerlos wie Words- worths blinder Knabe in der Schildkrötenmuschel scheiterte ich nicht. Statt durch väterliche oder bruder- liche Leitung wurde ich gleich dem alten Seemann ge- rettet durch Schutzgeister, ,jeglicher ein holdes Licht', die meinem Laufe als Leuchtfeuer dienten. Meine schwan- kende Gesundheit und die angeborene Leselust warfen mich glücklicherweise statt in schlechte Gesellschaft unter Dichter, Philosophen und Weise mir gute Engel und Diener der Gnade. Von diesen stillen Lehrern, die oft mehr als Väter und immer mehr als Gevattern für unser zeitliches und ewiges Wohl tun, von diesen milden Ermahnem keine heftigen Erzieher, nörgelnden Mentoren, moralischen Fronvogte, zudringlichen Batgeber, harten Zensoren und langweiligen Hilfsprediger, sondern bezaubernde Gesellen lernte ich etwas über die göttliche und mehr über die menschliche Beligion. Sie waren meine Erklärer im Schönheitshause Gottes und meine Führer inmitten der lieblichen Berge der Natur. Sie besserten meine Vorurteile, züchtigten meine Leiden- schaften, mäßigten mein Herz, läuterten meinen Ge- schmack, erhoben meinen Geist und lenkten meine Be- strebungen. Ich hatte mich, inmitten eines Chaos un- verdauter Probleme, falscher Theorien, roher Phantasien, dunkler Impulse und beängstigender Zweifel verloren, als diese lichten Geister meine innere Welt aus dem Dunkel weckten wie eine neue Schöpfung und ihr zwei

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Der literarische Essay. 431

große Leuchten gaben, die Hoffnung und die Erinnerung das Vergangene als Mond und das Zukünftige als Sonne".

Die Eupferstecherei, der Hood, scheinbar gesund nach London zurückgekehrt, sich 1818 widmete, war nur ein DuchgangsstadiunL 1821 wirkte er bereits als Unter- redakteur am London Magaeine.

Seine Verpüichtung bestand in Manuskriptlesen und Druckkorrektur. Allein aus eigenem Antrieb versah er den humoristischen Briefkasten der Redaktion {The Lion's Head. Der Löwenkopf) mit Beiträgen. Er war von Natur aus fröhlich. Keine Unbill des Lebens vermochte die Neigung zum Scherz und Schabernack auszutreiben, die ihm im Blute lag. Witz und Wortspiel sprudelten in ihm in urwüchsiger Fülle. Seine Briefe sind selbst in ernstester Zeit von ihnen durchsetzt. So be- deutete die Witzfabrikation nach dem Dutzend bei ihm nur die Ablagerung eines vorhandenen Überflusses und er behielt die Rubrik des spaßhaften Briefkastens auch späterhin bei (The Whispering Gallery. Flüstergalerie im New Monikly und das Echo in Hood's Owon).

Die journalistische Tätigkeit brachte Hood mit liter- arischen Persönlichkeiten in Verbindung. Er trat Eeats näher und schloß eine besonders herzliche Freundschaft mit Keats Freund, dem Dichter John Hamilton Reynolds, dessen Schwester Jane 1824 Hoods Gattin wurde, die liebe- volle und geliebte Gefährtin seiner guten und bösen Tage, seine kritische Beraterin und treffliche B[rankenpflegerin, die Mutter seiner beiden vielgeliebten Kinder und das nie versagende Objekt seiner unverwüstlichen Neckereien. 1837 nennt er sie in einem Briefe den Stolz seiner Jugend, das Glück seiner Mannesjahre, die Hoffnung seiner späteren

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432 I>«r literarisdie Sasay.

Tage.0 Und er richtet an sie die Frage, was eigentlidi das verlorene Paradies des Menschen gewesen sei, da doch mit dem Gefallenen die Liebe ist? {Sonnet to my Wife\

Bald betätigte Hood sich in Vers und Prosa als Mit- arbeiter des London Magaeme. Schon 1823 entwirft Thomas Griffyths Wainewright {The London^ vol. TU) folgende Charakteristik von ihm : „Junger Theodor! Jung an Jahren, nicht an Kraft! Unser neuer Ovid nur phantasie- voUer! Maler für das äußere und das innere Auge! Vermischung dessen, was der Oberflächliche fflr nicht zu einander passende Elemente hält! Lehrreicher, lebender Beweis, wie nahe sich die Quellen des Gelächters und der Tränen liegen! Du gährendes Hirn noch bedrfickt vom eigenen Eeichtum! Die Melancholie scheint dir ihre leidvolle (heilsame) Hand aufs Herz gelegt zu haben, dennoch ist deine Phantasie beweglich, nicht bedrAckt, und funkelt und knistert mehr bei der Berührung als die nördlichen Lichter, wenn sie sich dem Eispole nähern. Wie! Nicht in Stimmung? Noch harret Lycus des Ge- fährten! Wer kann ihn ihm geben als du selbst? Laß dich nicht durch schale Gesellen bestimmen, diese deine Anmut zu verbergen! Was deine Wortsprünge betrifft, deinen Humor, deine Grillen, deine wunderlichen Vor- stellungen von Gleichartigem und Ungleichartigem, von Zusammenhängendem und Unzusammenhängendem sie sind gar prächtig angenehm, harmlos erheiternd. Allein keinen Schritt weiter, wenn dir dein eigener Friede lieb ist! Lies den Schluß des elften Kapitels und das ganze zwölfte des Tristram Shandy und glaube ihnen, lieber Theodor!" 2)

>) Memorials I, 66. «) Memorials 1, 19, 20.

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Der literarische Bssay. 433

Durchschlagende Anerkennung blieb seinen ernsten Dichtungen gleichwohl versagt. Um fBr sich und die Seinen den Lebensunterhalt zu gewinnen, mußte er sich mehr und mehr darauf verlegen, den literarischen Clown zu spielen. Er gr&ndete eigene dem Spaß und der Satire gewidmete Zeitschriften The Gern (Der Edelstein), 1829, The Comic ÄnniMil (Komisches Jahrbuch), 1830.

1834 untergrub der Bankrott seines Verlegers die Wurzeln seiner Existenz. In der Meinung, auf dem Kon- tinent günstigere Lebensbedingungen zu finden, siedelte er 1835 mit seiner Familie nach Koblenz fiber. Zwei Jahre spftter vertauschte er diesen Aufenthalt mit Ostende, von wo aus er eine 1838 gegründete Zeitschrift Hood's Own (Hood's Zeitschrift) redigierte. Aber schon machte ein Herz- und Lungenleiden verhängnisvolle Fortschritte, die das rauhe Nordseeklima beschleunigte. Mit fast ttbermenschlicher Arbeitsenergie kämpfte er gegen Krankheit und Not an.

„Meine Lage^, schreibt er, während eines kurzen Be- suches in der Heimat, 1839, „ist eine sehr grausame, nach all meinem Ringen so fast ganz ohne Oeld zu sein und mit so traben Aussichten, welches zu bekommen, außer durch die Betätigung meiner Feder. Was mittlerweile ge- schehen soU, ist eine Frage, auf die ich keine Antwort finde als das Brflgger Schuld -Gefängnis. In demselben Augenblick, in dem mich das Kriminalgericht losläßt, bin ich anderweitig an Händen und Fttßen gebunden und durch die harte Not gezwungen, mich als Tagelöhner einem Buch- händler auszuliefern".

Freunde ermöglichten ihm im April 1840 die Bflckkehr nach England. 1841 erhielt er die Bedakteurstelle des New MantMy mit einer Jahi*esbesoldung von 300 i?., schrift- stellerische Beiträge nicht mit einbegriffen. Aber die

Gesehiehle der enffliaoheii Bomantik H, 1. 28

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434 Der Uteranflolie Basar.

Herrlichkeit dauerte nnr zwei Jahre. Hood flberwarf sich mit dem Eigentümer des Blattes und gab seinen Posten auf. Von einem Ausflüge nach Schottland (1843) erhoffte er, wie in den Jugendtagen, eine Wiedergeburt an Lebens- kraft und Frische vergeblich. 0 Zwar gelang ihm das Gedicht, mit dem er seinen großen Wurf tat» The Song of tke Shirt (Das Lied vom Hemde), das anonym in der Weihnachts- nummer des Punch 1843 erschien und wie ein Lauffeuer durch die Lande ging. Hood war und blieb fortan der S&nger des Liedes vom Hemde. Er entwarf im Scherze seiii Wappen: Ein Herz von einer Nadel durchbohrt, als Faden eine silberne Tr&nenschnur, als Helmzier einen Falken. Mit Bezug auf Shakespeare's: „Wie der Ochs seinen Bug hat, das Pferd seinen Zaun, der Falke seine Schellen'',^) fragt Hood: „Warum sollte die Helmkappe (Hood) nicht ihren Falken haben?''

Aber nun, da sein Genius in seltener Spannkraft sich auf sein eigenstes Gebiet zu schwingen und sein Bestes zn geben schien, versagte der Leib den Dienst Der Ein- ladung zu einem Meeting von 3000 Personen unter dem Vorsitz Benjamin Disraelis in Manchester, 1844, wo Hoods Schriften sich besonderer Volkstümlichkeit erfreuten, konnte er nicht mehr folgen.

Im Februar 1845 brachte Hood's Mcyasine, eine im Vorjahr gegründete Zeitschrift^ seinen Abschied vom Leben mit der charakteristischen Zweiteilung:

Leben, fahr wohl! Der Sinn verfSllt, Trüb verschwimmt das Bild der Welt> Schatten legen sich ums Licht

1) EUiot, 156.

>) As you like it, lU, 8.

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Der ütenri0die Kssar. 435

Und die Nacht kommty donkel, dicht. Kalt and kUter, schauerlich Hebt ein frostiger Nebel sich. Stärker wird der Erdendoft; Ob der Böse Moderlnft

Willkommen Leben! Der Geist strebt auf! Die Kraft kehrt wieder, die HofEnnng lebt anf ! Verlorne Gestalten, Ängste, Sorgen Entfliehen wie Schatten vor dem Morgen. Die Erde prangt in Blfltenpracht Goldsonniges Licht statt düsterer Nacht; Statt kalten Nebels linde Lnft^ Und Aber dem Moder Bosenduft!

In einem Abschiedsbriefe an die Verwandten in Dundee vom 12. März 1845 sagt Hood: ,,Ich habe sehr viel von Schwäche gelitten . . . aber nur körperlich; denn meine Seele war mhig und gefaßt Sei es euch ein Trost zu wissen, daß ich geliebt nnd geachtet sterbe nnd daß mir unerwartete Gftte nnd Auszeichnung von sehr vielen Fremden wie von Freunden geworden ist^ 0

In den ersten Maitagen des Jahres 1845 wurde er auf dem Friedhofe von Eensal Green begraben. Das durch Öffent- liche Subskription errichtete Denkmal trägt die Inschrift: „Er sang das Lied vom Hemde''. Bobert Peel hatte ein halbes Jahr yor Hoods Tode seiner Gattin eine Jahres- rente von 100 £ aus der ZiyiUiste bewilligt. Allein Jane Hood bedurfte ihrer nicht lange. Von der Härte ihres Daseins aufgerieben, starb sie nach achtzehn Monaten dem teuren Gatten nach.

t) sUiot» 102.

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436 Der UteruiMhe Bisiiy.

Der Bomaatiken

W. M. Rossetti nennt Hood den zartesten englischen Dichter zwischen Shelley nnd Tennyson.^ Anch Oswald gelangt zn der Erkenntnis, daß der jnnge Hood vollständig in der Romantik wnrzla Sie ist in der Tat der Schlfissel zu Hoods Wesen. Er geriet als Jüngling in den Kreis der Romantiker nnd empfing von ihnen maßgebende Einflösse. Dnrch John Hamilton Reynolds, selbst ein viel versprechendes poetisches Talent, wirkte der eben (1821) verstorbene Eeats gewaltig anf Hood ein nnd bestimmt dessen Verhältnis znr Natnr. Hazlitt und Lamb teilten ihm Verständnis und Begeistemng fflr die Elisabethaner mit, üoleridge den Sinn für das Übernatürliche oder die Vergeistignng des Natürlichen.^) Wo alle drei Einflüsse sich zn einem neu- nnd eigenartigen Ganzen vereinen, haben wir den echten Hood. Ein Sonnen- hymnns {Hymn to ihe Sun, 1822) apostrophiert das Tages- gestim als „Spender des leuchtenden Lichtes, König der klangreichen Leier, Herr des schrecklichen Bogens, Vater des rosigen Tages, Gott des delphischen Tempels^ nnd ver- kündet die trostreiche Erkenntnis, daß noch Könige und Weise leben und sich freuen in seinem freundlichen Strahl Hoods Fähigkeit, ohne eigentliche Schilderung eine Natur- stimmung in bildhafter Deutlichkeit zum Ausdruck und zur Empfindung zu bringen, verrät den geborenen Lyriker, so z. B. die beruhigende ausgleichende Harmonie, die der Mond, die Mutter des Lichtes, im Gemüte auslöst (Ode to the Moon. An den Mond, 1827); so, wenn er die unergründ- liche Nacht besingt, die ob der überfluteten Erde hin- streicht und die mächtige Stadt in ihre vollen Wogen

<) Bossetti, XXXI. •) Vgl. Oswald, 8, 9.

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Der literariflche Sssay. 437

hüllt {Midnight Mittemacht, 1822); oder wenn er den alten Herbst im Nebelmorgen stehen sieht, schattenlos, wie die Stille, die der Stille laoscht, nnd ihn seine glänzen- den Schmachtlocken schütteln l&ßt, in die der Altweiber- sommer geflochten ist, der zugleich als Perlenschmuck auf seiner Erone von goldenem Korn liegt {Autumn. Herbst, 1823).

Von dieser Art der Naturbeseelung ist zur Per- sonifikation nur ein Schritt. Die Natur belebt sich fflr Hood mit Geistern, Elfen, allegorischen Gestalten. In einem seiner frühesten Gedichte erscheint die Hoffnung als ein junger Seraph, dessen Harfe dem Dichter über die Mühsal des Lebens forthilft {To Hope. An die Hoff- nung, 1821).

Einen hohen Grad naiver Objektiyit&t in der Natur- personiflkation erreicht Hood in der Beimerzählung Lycus the Centaur, From an Unrolled Manuscript of Äpollonius Curius. (Lycus der Centaur, aus einer aufgerollten Hand- schrift des ApoUonius Curius), 1822. Er l&ßt Lycus selbst sein furchtbares Geschick erzählen. Circe, von einer Wassernymphe um ein Zaubermittel gebeten, das Lycus unsterblich machen soll, gibt ihr eine Formel, die ihn zum Pferde umwandelt Entsetzt über die Wirkung, l&ßt die Nymphe im Werke inne halten. So entsteht der Roßmensch, der unter den Menschen keine St&tte mehr hat und in Thessalien Zuflucht unter seinesgleichen sucht Hartley Cioleridge schrieb von diesem Gedicht, er halte es für einzig in seiner Art; Niemand als Hood h&tte es schreiben können. Tats&chlich ist Lycus, der seine Erz&hlung stark mit klagenden Reflexionen durchsetzt und einmal sogar von dem großen Brahma spricht, der die Geister der Sünde in Leiber einkerkert, eine jener antiken Gestalten der

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438 Der UtenriMke Esny.

Bomantik, die dnrchtrftnkt sind vom Geiste ihres SchSpfers und seiner ZeitO

Noch mehr gilt dies fftr die Coleridge zugeeignete Dichtung Hero und Leander^ 1827, verrnntlich nicht m- beeinfluBt von Christopher Marlowe, in dessen Behandlung der Sage das Moment hineingetragen ist, daß Neptun in einer Liebeswallnng zu Leander, den er für Ganymed hUt^ ihn ZQ sich auf den Meeresgrand zieht Die todbringende Welle wird als eine in Leander verliebte Najade von gött- licher Schönheit zur dramatischen Person, gegen welche die Titelhelden fast zurücktreten. Sie lockt den Jflngling in die Tiefe, weil sie ihn besitzen will, und bringt den Entseelten wieder an die Oberflftche in der Hoffnung, er werde im Lichte wieder zu atmen beginnen. Verzweiflungs- voU ruft sie ihn bei dem Namen, den sterbend seine Lippen hauchten: Hero, Hero! Ln Wettersturm vernimmt Hero den Buf. Sie hfilt ihn für die Stimme des Greliebten und springt^ um sich ihm zu vereinen, in die Tiefe.

So legt Hood in poetischer Weise selbst der zerstörenden Macht des Todes die Liebe als Beweggrund unter. In diesem Gedicht der Liebe gibt es tatsächlich kein feindseliges Element, sondern nur den Naturtrieb, der, gedankenlos» seinem blinden Walten überlassen, Heil wie Unheil schafft.

Der breite Fluß der Erz&hlung weist manche Sehil- derung von edler Kraft aul Daneben auch manches ge- zwungene Bild, das auf Nachahmung Elisabethanischer Vorbilder, hier wohl speziell Christopher Marlowes, zurück- geht

Unmittelbar in Shakespeares Welt tritt Hood in dem- selben Jahre mit dem Charles Lamb gewidmeten Tke Hea

0 Vgl Oiwald, 64.

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Der literarisdie Essay. 439

of the Farnes pie Verteidigung der Elfen), 1827, einer „All^orie znr Feier jener Unsterblichkeit, die Shakespeares Si)mnernacht$traum den Elfen verliehen hat*', wie Hood in seinem Widmnngsschreiben sagt

Die Elfen gehören znr Blftte der Phantasie wie die Milben znr Pfianme. Sie sind im allgemeinen zu zart und zu schön, um der derben Faust der Zeit zu widerstehen. Der Dichter aber hat diesen vergänglichsten Teil in der Schöpfung des Geistes dem dauerndsten gleich gemacht. Er hat die Elfen so mit menschlichen Sympathien durch- woben und durch viele köstliche Assoziationen so mit den Produkten der Natur verknüpft, daB sie dem Blicke des Geistes so wirklich wesenhaft sind wie ihre gränen magischen Kreise dem äußeren Sinne. Es wäre schade, erlösche eine solche Gattung, gliche sie auch nur den Schmetterlingen, welche die Blätter und Blüten der sicht- baren Welt umschwärmen".

Hoods Elfen geht nun freilich gerade der Vorzug ab, den er bei Shakespeare zuhöchst einschätzt, die menschliche Sympathie. „Unsere Natur'', läßt er eine Elfe sagen, „ist durchsetzt mit holden Menschlichkeiten und dem mensch- lichen Geschlechte eng verknüpft in freundlichem Mitgefühl''. Allein eben diese Vermenschlichung der Naturwesen gelingt Hood nicht im vollen Ausmaß und eben darum läßt seine Dichtung bei mancher Einzelschönheit kalt. ^) Die zu ihrer Zeit so volkstümliche und bewunderte Dichterin Letitia Elizabeth Landon (L. E. L. 1802—1888) rügt, bei großer Bewunderung der poetischen Qualität des Gedichtes, „den Mangel an menschlichem Interesse, an jenen starken und leidenschaftlichen Empfindungen, die sich mehr ans Herz

>) Worki I, 417. 421.

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440 Der litenurische Essay.

als an die Phantasie wenden^. Anch die unangenebme Breite und Überladung mit phantastischem Detail fiUt ihr auf und die Sucht nach feiner, zierlicher Naivität, die er mit Lloyd und Lamb teile. Dennoch schrieb sie an Hood: „Die Elfen müßten in der Tat ihren Zauberstab zerbrochen haben, wenn Sie nicht eines Morgens erwachen und sich in einem Sternenpalast befinden, den die Musik erbaut und den Luftgeister erffillen, Ihres Befehles harrend. Oder zum mindesten sollten sie eine Sonnenblume in einen goldenen Wagen verwandeln und Sie im Triumphe dahin- ffihren".

Hoods Dichtung zeigt uns in monderhellter träume- rischer Waldesnacht Titania mit ihrer Schar. Das Fort- leben der Elfen, dem „des holden Barden glftckliche Feder" bis hierher verholfen, scheint in Frage gerückt, da es von dem unbeständigen Glauben der Menschen abhängt. Ihrem Sehkreise entschwunden und vergessen, sterben die Elfen. Schon gleitet schweigsam, dfister, einen Kränz ver- dorrter Ähren im Haar, der EOnig der Jahre in die Ver- sammlung. Die Königin fleht um Erbarmen. Melodisch schwirrende Elfen schildern ihr wohltätiges mildes Walten in Garten und Haus, in Wald und Feld, im Quell und in den LOften. Puck versucht einen Ringkampf mit Saturn. Alles vergeblich. Der Unerbittliche holt mit seiner Sichel zum Schnitt aus. Da erscheint, Einhalt gebietend, die Lichtgestalt des Dichters. Dem unsterblichen Schatten vermag Saturn nichts anzuhaben und entflieht Die Elfen huldigen dem Poeten und das Traumbild löst sich in Nebel auf.

Völlig im Banne der romantischen Behandlung pseudo- klassischer Motive zeigt sich Hood in der dramatisierten Dichtung Lamia, die er selbst als Bomanze bezeidinet und

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Der literarische Essay. 441

die erst 1852 als Anhang von William Jerdans' Selbst- biographie veröffentlicht ward. Die Anregung für sie empfing Hood natürlich von Eeats' Gedicht (1820), dessen Stoff ans Bnrton's Änatomy of Melancholy (Teil ni Seite 2) geschöpft ist, die ihrerseits auf das vierte Buch der Vita Äpollonii des Philostratus zurückgeht ApoUonins erzilhlt, daß er auf der Hochzeit des jungen Eorinthers Menippus Lycius die Entdeckung machte, die schOne Braut sei eine Lamia und die ganze prunkvolle Einrichtung ihres Hauses nur Blendwerk. Als er ihr seinen Verdacht mitteilt und sich weigert^ Verschwiegenheit zu geloben, entschwindet das Gespenst nebst dem Hause und allem, was darin ist.

Eeats, der die Sage in das Gold seiner edelsten Poesie getaucht, veränderte den Schluß dahin, daß Lamia, als sie sich entdeckt f ühlt^ vor Schreck erbleicht und erstarrt und Lycius gewissermaßen an ihrem Tode stirbt Hood ist seiner Gewohnheit gem&ß wesentlich ausführlicher und sucht durch realistische Pinselstriche der Fabel das Interesse eines Wirklichkeitsvorganges zu geben. In der Demut ihrer Verliebtheit gesteht Lamia dem Lycius, sie habe den Staub geleckt, den er trat, eine Wahrheit, die er bildlich versteht Ebenso hält sie sein Bruder Julius, den sie gleichfalls berückt, nur figürlich für eine Schlange, während Apollonius sie tatsächlich als solche erkennt Ein drittes Mal kehrt bei Hood der Doppelsinn wieder in Lamias Ausrufe: „0 Lycius, um deinetwillen war ich so Weib als Schlange!'' Allein dieses Streben nach Vermenschlichung des außer- menschlichen Themas rechtfertigt wohl kaum den kühnen Versuch, sich seiner nach Eeats zu bemächtigen. An charakteristischer Eraft wie an lyrischer Schönheit zieht Hood begreiflicherweise den kürzeren.

Das traumhaft visionäre Element» das einen Grundzug

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442 Der litenritehe Ebmj.

der Romantik bildet^ macht sich bei Hood Mhzeitig geltend. Das Prosafragment Presentmmt (VorgefOhl), 1822, hat eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Lambs Dream Chädreny hält sich aber mehr im Beiche der Vision, ist ftrmer an lebendigem Wirklichkeitsdetail und reicher an empfindsamer Phantastik, der eine feine psychologische Analyse des Vaterschmerzes um ein verlorenes Kind zu Omnde liegt

Der Dichter, von der Bitternis des Tages erfällt nnd vom fieberhaften Kampf des Lebens dem Wahnsinne nahe gebracht, beobachtet zwei Kinder am Grabe ihres Vaters. Sie spredien vom Tode, ohne mit dem Worte einen Begriff zu verbinden. Da wird in dem Lauschenden der Gedanke an den im Grabe ruhenden Vater der Kleinen wach, die Vorstellung der Sehnsucht einer entkörperten Liebe, die keine Stimme hat, so daß es ihm ist, als ginge der Geist des Vaters in ihn über. Er beschlieflt, den Kindern ein Vater zu sein. Gott möge es ihm an seinen eigenen Kindern vergelten. Doch wie er jene nun fest ins Auge faßt, gewahrt er an ihnen eine Veränderung. Er kennt sie von lange und sie kennen ihn, aber aus ihren Augen blickt ein älterer Gram, als noch je in ihnen lag. „Weshalb waren sie an diesem Orte, in schwarz, so traurig, so stumm, und mit so welken Blumen? Doch sie schüttelten nur den Kopf und weinten. Da zitterte ich gewaltig und streckte die Arme aus, sie zu empfangen. Allein zwischen uns und den Grabsteinen, wo sie zu stehen schienen, war nichts. Und zwischen den Steinen blickten sie noch nach mir, femer, immer femer, wie ich ihnen mit dem Auge folgte, bis sie am Saume des Kirchhofes standen. Da sah ich im Sonnenschein, daß sie schattenlos waren. Und wie sie die Hände im Lichte hoben, sah ich, daß kein Blut in ihnen war, und als ich noch schärfer hinsah, daß sie langsam in die Bäume und Hügel

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Der literariBche Essay. 443

und den blassen blauen Hiinmel der Ferne zerflossen. Noch starrte ich hin, wo sie gewesen, und die Lüfte schienen voll von ihnen, aber es gab nur Wolken nnd Schatten und das Rascheln war das Bascheln der Schafe. Ich sah sie nicht mehr. Sie waren von mir gegangen wie anf immer. Doch ich wuBte, daß dies meine Todesbotschaft war und weinte, denn sie kam mir zu durch meine eigenen Kinder in all ihrer Bitternis^.

Von einer Phantasiekraft^ die mit Coleridge und Eeats wetteifert, ist The Two Swans, A Fairy Tale (Die beiden Schwäne, ein M&rchen), 1829. Der Dichter ruft für diesen „M&rchentraum zu Ehren wahrer liebe^ Imogen als Muse an, die Königin der Reinsten ihres Geschlechtes. In der Gestalt eines Schwanes befreit die Jungfrau durch ein Lied den Liebsten aus der Gewalt eines Eiesendrachen und gemeinsam verlassen beide den Ort des Schreckens. Die Schilderung des Ungeheuers, der schaurigen Einsamkeit, der stillen Mondnacht, in der der schneeweiße Schwan, einen strahlenden Lichtkreis um sich verbreitend, über den See kommt^ dessen Wellen in seinem keuschen Spiegelbilde zu erstarren scheinen, das mittemftchtige Sangeswunder und die gefahrvolle Flucht all das wird gekrönt durch das Schlußbild der beiden Schw&ne, die fem und femer segelnd, schließlich wie zwei schneeige Blüten entschwinden und, am jenseitigen Ufer angelangt, im Lichte eines neuen strahlenden Tages sich als Jüngling und Mägdlein in unaussprechlicher Wonne in die Arme sinken.

In Balladenform gegossen erscheint dieses Traum- element der Romantik bei Hood in der OU Ballade 1824, die von Bradermord und Vergebung und einem glücklichen Fortleben auf dem Grunde des Flusses an der Seite einer Wassernymphe singt Die seelenerschüttemde Gewalt des

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444 Der literarische Essay.

Traumes und sein beängstigendes Verschweben und Eingreifen in die Wirklichkeit^ wie es hier, von Coleridge übernommen, zum Ausdruck kommt, gibt, mit dem Düster- Schauerlichen des Verbrechens verquickt, die Grundstimmung fOr eines der berühmtesten und vollendetsten Gedichte Hoods, The Dream of Eugene Äram (Eugen Arams Traum), 1829 in der Zeitschrift The Qem (Der Edelstein) erschienen, ins Deutsche fibersetzt von Rühe und Leutnant v. Franck, 1841.

Mit sicherem Blick greift Hood aus dem ein wirkliches Geschehnis um die Mitte des 18. Jahrhunderts darstellenden Stoff 0 den grellen Kontrast zwischen kindlicher Unschuld und dem zermalmenden Schuldbewußtsein des Mörders als das für die Ballade geeignetste Moment heraus. Aram, der von Gewissenspein abgezehrte Schullehrer, schildert einem Knaben, an dessen Lektüre von Ahds Tod anknüpfend, die Folterqualen seiner Reue in der Form eines furcht- baren Mord -Traumes, dessen entsetzlichen Eindruck seine Seele auch wachend nicht abzuschütteln vermöge. Der Alpdruck des bösen Gewissens ist in der Poesie selten er- schütternder zum Ausdruck gebracht worden als in dem Traume des Mörders Aram, der, den entseelten Leib seines

*) Der ünterlehrer Eugene Aram in Enaresborongh (Yorkshire), ein tttchtiger Sprachforscher, wurde 1795 einer geringfügigen Snmme wegen zum Mörder an dem Schuhmacher Daniel Clarke. Vierzehn Jahre später ward seine Tat ruchbar und er selbst zum Tode verurteilt In der Zwischenzeit soll er seinen Schttlem beständig vom Tode gesprochen haben. Arams von ihm selbst verfaßte Verteidigungsrede wurde der Sonderausgabe von Hoods Ballade vorgesetzt ßulwer machte aus Eugene Aram (1831) einen Helden, der seine Schuld erst hinweg zu räsonnieren trachtet und ihr, als dies fehlschlägt, ktthn ins Antlitz blickt. Gegen diese Auffassung verteidigte Hoods Übersetzer Bühe ihn im Vorwort und erklärt die Beue für das einzige Moment, durch welches ein Verbrecher GrOfie erlangen könne. (yiTorks n, 801.) .

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Der literarische Essay*. 445

Vaters aof dem Rftcken, vor der Angabe steht, ihn zu be* gtaben. Sie bedeutet ihm feierliche Verantwortung und unsfihnbare Schuld, unaussprechliches Entsagen und un- erträgliche Qual und er vermag sie nicht zu bewältigen, wie oft er auch daran geht Immer au&i neue und mit immer überwältigenderem Gewicht wird ihm die Last auf die Schultern gewälzt Als knappes Nachwort folgt auf die ergreifende Schilderung dieses Gemütszustandes die Mit- teilung des Dichters, daß Aram in selbiger Nacht von den Gterichtsbütteln geholt ward. Dieser kurz zusammen- fassende Schluß verstärkt nicht nur die Wirkung, indem das tatsächliche Geschehnis als die unvermeidliche und nicht wegzuleugnende Folge dem gewaltigen phantastischen Stimmungsbilde den Nachdruck des Tatsächlichen gibt Es verleiht der Ballade zugleich den Schein jener volks- tümlichen Echtheit, die für sie die poetische Wahrheit be* deutet

Ist in Eugene Ärams' Dream das Schauerlich-Mystische auschließlich in den Seelenvorgang verlegt, so erscheint es in zwei späteren Gedichten als das mit höchster Kunst herausgearbeitete Ergebnis einer Milieuschilderung, in The Ulm Tree und TJie Hawnted House.

The Elm Tree. Ä Dream in the Woods (Der Ulm- baum. Ein Waldestraum), 1842, bringt dem Leser durch ein mit Meisterhand gezeichnetes Bild aus dem Naturleben eine allgemeine Wahrheit zum Bewußtsein, ohne sie aus- zusprechen. In dem Rauschen der prächtigen, im Sommer- schmuck prangenden Ulme klingt dem feinen Dichter- ohre melancholisch ein feierlich geheimnisvoller Ton ent- gegen. Der Herbst kommt. Die knorrigen Fichten krümmen sich, ineinander verzweigt, wie Waldlaokoone. Die entlaubte Ulme steht da wie ein sündiger Mensch, der wild die Arme

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446 UtnwMie BMay.

in die Luft wirft^ da er den Warm in seinem Innern fBUt Der Förster naht mit seiner Axt und fUlt die Ulme. Die Tiere des Waldes werdra aofg^escheacht Ein allgem^er Schrecken bezeugt die gefOrchtete Nähe des Todes. Nnn ist der erschienen, der allen ein gemeinsames Los bereitet Der Mensch, der Zerstörer von Ulmen und Eichen, der sich ein EOnig des Alls dOnkt, wird seine unfreiwillige Bohe- statt in der Ulme finden, in der engen eidienen Zelle. Das Phantom entschwindet und die Tiere kommen wieder her- bei Das Leben geht fiber Schicksale weg nnd lenkt rasch in seinen gewohnten Lauf. Der Dichter aber weiß nun, was der feierlich tranrige Klang des mystischen Baumes bedeutete. Er hat das yorbestimmte Holz geschaut, aus dem ihm einst das letzte stille Haus gezimmert wird.

The Haunted Home (Das verwunschene Haus), 1845, das einen jener Trftume behandelt, die mehr sind als bloße Einbildung, knftpft an die Schauerromantik an. Die Schilderung des alten verlassenen Hauses ist von aufler- ordentlicher poetischer Kraft. Das ofEene, aus den Angeln ge- hobene Gittertor, die zerbrochenen Fensterladen, die auf dem begrasten Hofe herumliegen, die von Unkraut überwucherte Sonnenuhr, der verwilderte Garten und seine von ihren Sockeln gestürzten Statuen, das alles liegt wie unter einem Bannfluche. Etwas Geheimnisvolles raunt dem Gefühle zu, dafi es in dem Hause spuke. Es ist das düstre Haus des Leides, das Haus des Todes, von Moderduft erfülltes, von allerlei Getier heimgesuchtes, grabesstilles, feucht ab- bröckelndes Gem&uer, in dem das Licht bläulich brennt^ eine endlose Flucht von Treppen, Gingen und Gem&chent Auf den Wandteppichen, verbuchen, von Motten zerfresse blieb nur ein einziges Bild kenntlich: Kain, der den Abel erschlägt Die blutige Hand leuchtet wunderbar im vollen

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Der Uterariflolie EsMy. 447

Farbenfener. Rätselhaft bewegt sich der Teppich vor der Wand, an der die Motte des Totenkopfes h&ngt, in der die Totenuhr hämmert. Ein vereinzelter Lichtstrahl fällt anf das modernde Bett. Dort weist der Fußboden in dunkeln Flecken die Schuldspur. Die Seele ahnt, es ist das Geister- zimmer. Sie schaut erschfittemd im Geiste die blutige Tat und einen verzweifelten Todeskampf.

Auch hier ist wie in Eugene Aram das StofQiche in eine Schlußbemerkung kurz zusammengedrängt, während der Leser durch die breite wie fast stets bei Hood nur allzu breite Stimmungsmalerei in den Wahn versetzt wird, die Schilderung eines erschütternden Ereignisses in allen ihren Phasen mit durchlebt zu haben. The Haunted Hause wurde sogar ins Lateinische übersetzt ^

Als Komantiker von echtem Schrot und Eom erweist Hood sich schon äuiBerlich durch sein ungeheures Form- talent Was Tonmalerei, Klangwirkungen, Leichtigkeit der Diktion und Pracht des Verses, was jede Art der Reim- technik vermag, bewältigt er spielend. Er gehört unter die metrischen Grenies englischer Zunge. Es gibt schlechterdings keine Versgattung, in der er sich nicht als Meister erwiese.

Stanzen {The Stag-Eyed Lady. Die Dame mit den Gazellenaugen; The two Peacocks of Bedfont Die zwei Pfaue von Bedfont) und Spensersche Stanzen (The Plea of ihe Midsummer Farnes; The Two Swans\ wie die Balladen- strophe des in zwei Zeilen gebrochenen Septenars mit Binnenreim in der ersten (The Epping Hunt Die Jagd von Epping) werden ihm zum natürlichen Ausdruck der Erzählung. Komplizierte Strophen mannigfaltigster An- ordnung erfindet er in unerschöpflicher Abwechslung und

») Works VI, 820.

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448 Der Utaririiche Esmy.

paßt sie in geschmackyoll charakteristischer Weise don Inhalt des (Gedichtes an, z. B. die sechszeilige Strophe des Eugene Aram mit ihren abwechselnden vier- and drd- jambigen Versen, deren Reimstellnng a b c b d b einen an- gewohnlich energischen BaUadenton hervorbrii^^ and nicht nmsonst von Oscar Wilde in der Bailad of Beading Jaü nachgeahmt worden ist. Manches dieser Versmaße ist äußerst kompliziert, ohne daß die Schwierigkeit dem Leser im geringsten znm Bewußtsein käme, z. B. die vierzehn- zeilige Strophe des Gedichtes Midnight (Mittemacht) mit der Beimstellnng abbaabbacdcede. Formschöne Sonette {To mg Wife. An meine Frau; Deaffi. Tod; SOence. Stille), sangbare Lieder (To an Äbsentee. Einer Abwesenden; To mg Wife, 1825; The Forsaken. Die Verlassene), das naive Eindergedicht {Queen Mab), die schlichte Volksweise (Fair Ines. Schon Ines; The EoMe. Der Verbannte) kurz, alle Spielarten der Lyrik sind bei ihm vertreten. Immer findet er für eine gradlinige einfache Empfindung den entsprechenden und überzeugenden Ausdruck (To a False Friend. An einen falschen Freund; To.a Chüd embracing J^s MoAer. An ein Eind, das seine Mutter liebkoste). Manche Lieder (The Stars are with ihe Voyager, Sterne geleiten den Wanderer oder 0 Lady, leave thy silken Thread. Herrin, laß den seidnen Faden) reihen sich, was Melodie des Verses und Tiefe der Empfindung betrifft, dem Besten der Sprache an. Nicht minder glücklich treffen eine Anzahl von Oden den feierlich getragenen oder schwungvollen Ton ernster Ge- fühle und Gedanken. Außer den Oden im ftblichen engeren Sinne (Äutumn. Herbst; Ode to ihe Moon. Ode an den Mond) bezeichnet Hood mit diesem Namen auch reflektierende dachte getragenen Stils (Ode to Melancholg), die an die Wehseligkeit früherer Bearbeiter dieses Themas erinnern.

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Die satirisch-hiimoristische GesellBchaftsdichtniig. 449

Die Sonne scheint nur, nm Schatten zu werfen, Knospen er- schließen sich nur, nm zn sterben, nnd im Glfick der Liebe weckt der Gedanke an den Tod Tränen; es gibt keine Saite des Frohsinns, die nicht ihre Akkorde der Melancholie h&tte. In dem Fragment The Sea of Deaih (Das Meer des Todes), 1822, sieht er den Ozean der Vergangenheit mit wachsenden WeUen die FnBspnr des Lebens verschlingen; die Stille nnd der schlSfrige Tod hocken wie satte SeevOgel mit gefalteten Schwingen auf gehäuften Gerippen. Aber auch Cherubim mit Frflhlingsantlitzen nnd lichtem Haar schlafen lächelnd gleich Wasserlilien auf der reglosen Tiefe nnd ihre Lippen lallen in Träumen der Unschuld. Es sind die noch nicht geborenen Seelen. So hält ein ewiges Werden dem ewigen Vergehen das Gleichgewicht Hoods größter Fehler ist seine Ausführlichkeit Sie schädigt fast alle seine G^edichte. Wo er sie vermeidet, gelingt ihm in der Begel TrefOiches, z. B. das Gedicht Buth 1827, ein ganzer Roman in sechs Strophen, aus dem die Gestalt der Heldin in strammer Jugendkraft mit plastischer Bildhaftig- keit hervortritt

Nicht so glücklich wie als Lyriker ist Hood als Epiker. Zwei Bände National Tales (Volksgeschichten), 1828, er- reichen zwar in einer an den Elisabethanem geschulten und zu vollem Geschick herangereiften Erzählungstechnik die angestrebe Objektivierung des Tons so völlig, daß man immer wieder versucht ist, nach den Originalen bei Spaniern und Italienern der Früh -Renaissance zu suchen, begeben sich damit aber auch jedes aktuelleren Interesses für den modernen Leser, der ihnen fremd und ohne Mitgefühl g^enübersteht und diese allgemein gehaltenen, nur den äußeren Kontur des Vorganges ohne psychologische Analyse wiedergebenden kurzen Erzählungen aus längst vergangenen

GMohichte der enffUsclieii Bomaatik ü, l. 29

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450 Die aafeiriiefa-hanioristiMhe GeseUflchAftodiehtiuig.

Tagten und fernen Landen schon oft und oft gelesen zn haben glaubt Gleich die erste, The Spanish Tragedy, ein Schauerroman, auf wenige Seiten zusammengedrängt^ arbeitet mit den abgegriffenen Requisiten dieser Gattung: Bruderfreundschaft zweier edler Jfinglinge, Ränberspelunke mit Mord und Totschlag, Humor des Sancho-Pan^aartigen Dieners, ein aus verirrter Liebe wahnsinniges Mftdchen aus dem Volke und die nach dem Tode des Geliebten der Welt entsagende vornehme Dame. Alle diese Puppen holt Hood aus der romantischen Rumpelkammer, ohne sie neu zu beleben, obgleich er auch hier in kräftiger, schlichter Prosa die Fähigkeit, anschaulich zu schildern und Stimmung zu erregen, bewahrt Die Lust am Fabulieren wird weder durch meditierende noch moralisierende Glossen entstellt, obzwar die meisten dieser Erzählungen dem Leser eine Moral vorhalten {The Tragedy of Sevilla. Die Tragödie von Sevilla; The Venitian Countess. Die Venezianische Gräfin; The Fall of the Leaf. Wenn die Blätter fallen). Der Humor der meisten dieser auf entlegenem Schauplatz spielenden Erzählungen (The Miracle of the Holy HermiL Das Wunder des frommen Einsiedlers; The Golden Cup and the Dish of Silver. Der goldene Kelch und die Silber- schfissel; The Carrier's Wife. Das Weib des Fuhrmanns; The ihree Brothers. Die drei Bräder) besteht in jener heiteren Genugtuung, die auf der unendlichen Freude an verschmitzter Klugheit beruht, wobei eine höhere ethische Anschauung die naive Befriedigung in ein ironisches Licht taucht, wie dies ja auch bei Hoods offenkundigem Vorbilde Boccaccio der Fall ist

Der dreibändige Roman Tylney Hau, 1839, der 1840 noch eine zweite Auflage erlebte, ist, obzwar er sich als Milieuroman in der Art der Smithschen und Peacockschen

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Die satirisch-hiimoristische Gesellflchaftsdiditiiiig. 451

gibt, dennoch nichts als ein verspäteter Schauerroman. In der Einleitung läßt Hood einen Kritiker die Ansicht aus- sprechen, daß man auf die Schrecken der Schauerromane nicht mehr hineinfalle. Sie zeigen uns einen Klumpen ge- stockten Blutes. Wir blinzeln uns zu und sagen: Johannis- beer- Gelee. Sein eigener Roman ist eher eine Be- stätigung als eine Widerlegung dieses Urteils. Das in die erste Linie gerückte stoffliche Interesse bildet mit dem Mangel an Glaubwürdigkeit der Vorgänge, an Lebens- wahrheit der Charaktere einen inneren Widerspruch. Der Held, der Kreolensprößling eines englischen Squire und einer Tropenprinzessin, ist ein verwässerter aber un- verhüllter Abklatsch des Edmund im Lear. Empörung über den Makel seiner Geburt und Eifersucht auf den edlen, von einer gemeinsam angebeteten Dame bevor- zugten Vetter hetzt ihn in blinden Haß. Heimtückisch macht er den arglosen Gegner zum Brudermörder, um ihn schließlich zur Verzweiflung und aus der Welt zu treiben und sein Erbe anzutreten. Im kritischen Augen- blick entlarvt ihn ein aufgefundener Brief. Er fällt im Duell und der Verfolgte erhält den ungeschmälerten Lohn seiner Tugend.

Unter den schablonenhaften G^talten tritt nur eine Nebenfigur durch individuellere Zeichnung hervor, die des armen Postillons Ive, der, am Freitag geboren, all sein Lebtag ein Pechvogel bleibt, kein Almosen kriegt, weil er aussieht wie einer, der arbeiten kann, und keine Arbeit hat, weil er dafür bekannt ist, kein Olück zu haben. So wird Ive zum Fatalisten. Er läßt alles über sich ergehen, denn er hält sich für einen Gezeich- neten. Die Heldin nennt ihn den Fußball des Geschickes. Als endlich das Glück auch zu ihm kommt, ist seine

29*

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452 Die aatiriseh-hiimoEifltiflehe GeseUBohtltadiclitiuig.

Zeit abgelaufen. Der Humor dieses Romans ist sp&r- lich, sein Ernst konventionell nnd sein Pathos geht anf Stelzen.

Will und Humor.

In dem altertfimlichen Qedichte To a Critic redet Hood den Kritiker also an: „Grausamer! Wie wenig bist du dir bewußt, wie viele Dichter du durch zugefflgtes Unglück erschlagen hast, als sie zu blühen begannen, jungen Knospen gleich in ihrem ersten Saft". Hood ffthlte wohl die Wahr- heit dieses Ausspruches fftr seine eigne Person. Er mochte die Kritiker nicht. In Whkns and Oddities (Grillen und SchruUen), 1826, einer humoristischen Sammlung, die drei Auflagen erlebte, stehen folgende Verse:

„Des Dichters Los im Lebenslauf? Auf Schiefer schreibt er Gedanken auf. Der Kritiker kommt, bespuckt sein Wort Und wischt darüber es ist fort**

In Hood ist ein vollwertiger romantischer Lyriker, wenn auch nicht erschlagen, so doch in seiner Entwicklung verkümmert worden durch das absprechende oder gleichgiltige Verhalten der maßgebenden Stimmen. W. M. Bossetti ver- gleicht ihn einem von Shakespeares Narren, ins 19. Jahr- hundert versetzt 0 ^^^ journalistische Laufbahn, die er als besoldeter Spaßmacher begann, spezialisierte ihn mehr und mehr für den Witz und Humor und, wofür man einmal beim Publikum geaicht ist, dabei pflegt es meistens sein Bewenden zu finden.

Hood besafi eine starke natürliche Begabung für den Humor, war nicht nur mit der Feder sondern auch im

>)S. XX.

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Die satirisch-hnmoristisohe GssellschaftsdichtnDg. 453

Leben ein Humorist nnd schlug in seinem Scherze eine individueUe Note an. Allein die zn seinen Lebzeiten ver- breitete Meinung, dafi die humoristische Begabung seine einzige sei, erweist der Überblick fiber seine Werke als irrt&mlich.

Ffir Hoods Eigenart gilt in der Begel der Wortwitz, der durch das Spiel mit der verschiedenen Bedeutung gleichlautender aber doppelsinniger Ausdrücke ergötzt. Er hatte darin bereits in Crabbe einen Vorläufer, der derlei Worte bis zur Manier hftuft Der Humorist Hood gehOrt zu den unSbersetzbaren Dichtem. Sein Geist erlangt im Wortwitz eine taschenspielerartige Gewandtheit und Leichtigkeit, die ihn mitunter zu verblüffenden, schon durch das vOllig Unvorbereitete komischen Wirkungen be- fähigt. Z. B.: Ein Pascha wünscht sich einen Sohn und wird durch die Geburt von ZwillingstOchtem enttäuscht Dies drückt Hood so aus: Ben Ali boyed up hia hopes; doch Miss-fortunea never come ahne (The Stag-eyed Lady). Bei dem Abgange des Schauspielers Munden sagt er: Sic transit gloria munden (Ode to Joseph Orimaldi). Bei dem Lobe des Herausgebers des Genüemen Magazine hebt er seine A. B. C, D-Merits hervor (To Sylvanus Urban). In dem programmatischen Vorwort zu Hood's Oum, 1838 heißt es, nichts solle an diesen Blättern niedrig sein, als ihr Preis. Er wolle die Benthamiten gewinnen, indem er ergebenst beitrage zur größten Unterhaltung der größten Menge. Zu diesem Zwecke müsse der Herausgeber das Prinzip der Verdichtung mittels Hochdruck anwenden und ihm dadurch sein Musterwerk ermöglichen in der volks- tümlichen DoppeUorm eines eCOnoMIC^.

Im Gegensatze zu solchen Sprühfeuerwerken von Witz besteht in anderen FSllen der Spaß in einem plötzlichen

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454 Die satuiseh-hnmoristiache GMeUsehaftsdichtniig.

Abreißen des Fadens, gerade wo die Spannung ihren Höhe- punkt erreicht hat {A Tale of Terror. Schreckensgeschichte). Mitunter wird, vermutlich nach Smollets Vorbild im Humphrey Clinker, der Dialekt zu komischer- Wirkung ausgebeutet, in der Regel durch den Kontrast zwischen Banausentum und Bildungssnobbismus (Brief der Mrs. Winifred Lloyd aus Monmouthshire &ber Londoner Ein- drQcke, 1822, oder die Briefe der Kammerzofe Martha in Up ihe Bhine^ 1840; oder die eines irischen M&dchens aus dem Volke, dessen Herzallerliebster ein Reyolutionftr ist, in An Irish Rd^ellion, 1844; oder die Beisebriefe eines Kauf- manns aus Manchester in News from China). Mitunter ist der Humor das Ergebnis eines unvermittelten Aufeinander- prallens der realen und idealen Welt, die beide ohne Über- treibung und ohne Voreingenommenheit geschildert werden, die Idealwelt mit dichterischem Schwung, das Leben mit scharfem Wirklichkeitssinn (Parental Ode to my San, aged three Years and five Months. Väterliche Ode an meinen drei Jahre und fänf Monate alten Sohn).

Mitunter werden Verskfinste zu komischer Wirkung benutzt (A Table of Errata. Lrtümer -Verzeichnis; A Flying Visit Ein fluchtiger Besuch). Hood läßt als der ge- borene Verskfinstler das Alltäglichste unter dem Prisma des Beimes poetisch erschillem wie Leigh Hunt unter dem seiner feingeschlifEenen Prosa. Man vergleiche das von beiden behandelte Thema in All Round my Hat (Rund um meinen Hut).

Mitunter auch liegt der Witz ganz oder größtenteils in den beigegebenen Illustrationen, die, teils von Hood selbst, teils von Cruikshank, teils von anderen Kfinstlem hergestellt, den komischen Zeitschriften einen besonderen Wert verliehen, z. B. der Todesengel in The Qrimsby

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Die satiiuoh-hiimorifltische GeseUscbaftsdichtmig. 455

Ohost (Das Gespenst von Grimsby) der, wenn man scharf hinsieht, ans einem Kanonenrohr als KOrper nnd zwei britischen Flaggen als Flfigeln besteht Etliche Stücke sind geradezu nur gereimte Erläntemngen von Illustrationen in der Art von Bosch {The Key. Ä Moarish Bomance, Der SchlflsseL Eine maurische Romanze).

Hoods fabelhafte Leichtigkeit im Witze, der ganze Bändel von Raketen auf einmal losläßt und immer mehr und noch mehr im Vorrat hat, bedingt wie jedes Licht seine Schattenseite. Nicht wenige seiner Stücke sind überladen mit Wortspielen und Wortverdrehungen, deren Schwall den Leser wie eine zugefügte Unbill berührt. Auch ist Hood in dieser Überproduktion wenig wählerisch. Gar viele seiner puns gehören in jene Kategorie von Witzen, zu denen der Berliner Aul sagt; z. B.: Bier wird heflg (moihery) und schöne Damen werden wie das Bier (moiherly. The Stag-Eyed Lady). Man steht bei dem beständigen Witzeln und Witze- reißen nicht selten unter dem. Eindruck einer Maschinen- arbeit des Witzes. Das Mühlrad klappert fort, gleichviel was für Material in den Speicher fällt. Das Gteschmackskriterion für das im Spaße Zulässige geht Hood des öfteren verloren. Er macht Witze über körperliche Verstümmlung {Ndly Gray), über Erblindung (Tim Turpin), über die Zerstückelung einer Leiche (Mary's Ghosi), ja über das Anschneiden einer im Speiseschrank versteckten Leiche {Legend of Navarre). Das Überwuchern des Witzes erweckt nicht selten die Vorstellung, als wäre die Dichtung nur den puns zu Liebe da, von denen sie durchsetzt ist, wie in der Austemzucht die Bank für die Muschel, nur daß die Witze für den literarischen Feinschmecker nicht immer den un- bedingten Wert eines Leckerbissens behaupten. Ja, selbst in ernste Stücke verirren sie sich. In einer Art von Selbst-

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456 Die satiliBcli-hiimonBtiflclie GeseUflchaftsdiclitiuig.

vernichtimg I&fit Hood seine mutwillige Sacht nach Sp&Sen auch die ernste Stinmmng zerreißen, z. B. in der Schil- derung der Schmiede durch die Hinweise auf Schiller, Goethe, Salvator Rosa {The Forge); ja der Wortwitz schleicht sich unvermerkt in seine literarische Kritik. In der Be- sprechung der Shakespeare -Ausgabe von Enight heiBt es, die vorliegende Ausgabe sei die beste Antwort auf die Frage, ob der große Dramatiker einen Vorteil davon gehabt hatte, in den Adelstand erhoben zu werden (being hnighted).

Dennoch verleugnet sich das poetische Ingenium nicht Auch besitzt Hood einen charakteristischen Zug, der ihn trotz mancher Geschmacksverirrung hoch aber die Witz- bolde und Possenreißer gewöhnlichen Schlages erhebt Es ist das völlige Ausschalten nicht nur des Lasziven, sondern des Sexuellen Oberhaupt Das Anstößige solcher Art ist für ihn so gut wie nicht vorhanden. Wo es sich nicht um satirische Spitzen gegen soziale oder persönliche Miß- oder Übergriffe handelt, ist sein Scherz von kindlicher Harmlosigkeit, z. B. die Erzfthlung, wie Hunks den Zahn- arzt betrog und der sich rächte. True Story. Eine wahre Geschichte). Dieses Absehen von jedem frivolen Kitzel ist ein spezifisch germanisches Merkmal des Humors und Hood erhebt sich darin zum Kepr&sentanten des National- charakters. Daher auch seine Volkstümlichkeit

Hoods erste humoristische Produktion waren die mit Hamilton Keynolds gemeinsam herausgegebenen Ödes and Äddresses to Great People (Oden und Anreden an Große), 1825, Das aus dem Citizen ofthe World geholte Motto des Werkchens: „Alle Absonderlichkeiten, Grillen, Torheiten und die Klein- lichkeit selbstbewußter Größe unterwegs auffangen" deutete unverhohlen auf eine satirische Absicht, die jedoch von der Flut der Witze weggeschwemmt wurde. Die Nachwelt weiß

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Die saturiBeh-hnmoristuche GeseUschaftscIichtaDg. 457

von den TagesgrOßen, an die die Oden gerichtet waren, zn wenig; nm Interesse fftr sie oder ein urteil aber sie zn haben. Die Spafihaftigkeit der Äddresses mag znm großen Teil in ihrem scheinbaren Ernst bestanden haben. Ohne stark auf- getragene Übertreibung und in wohlgepflegter poetischer Form wurden die kleinen Leute wie wirkliche bleibende Großen besungen. Die Komik mochte für den Eingeweihten in dem Mißverhältnis des Gegenstandes und der für ihn in Anspruch genommenen Bedeutung liegen. Heut noch fesselnd ist allein die Ode to the Oreat Unhnown (An den großen Unbekannten), die in schier unerschöpflicher Mannigfaltig- keit der Wendungen die Anonymität^ in die Walter Scott sich hfillte, mit jenem spöttischen Humor geißelt, der immer nur mit größter Hochschätzung Hand in Hand geht und an sich eine Huldigung bedeutet.

Die Ödes and Äddresses trugen Hood die Anerkennung Coleridges ein, der sie fär ein Werk Lambs hielt. In Whims and OddiHes (erste Serie 1826, zweite 1827) erhält die Heiterkeit mitunter jenen melancholischen Einschlag, der zum vollen Humor unerläßlich ist. „0 Liebe", phanta- siert Hood, „was bist du? Das Herzas, das den EOnigen und Königinnen Trumpf bietet, ein Puck der Leiden- schaft^ ein boshaftes Ding, das Backfischen die Schularbeit verderben und einen melancholischen Mann mit kreuz- weise gewundenen Eniebändem einher gehen läßt Ein armes Mädchen macht aus ihrem Strumpfbande ein trauriges Halsband, ein Dichter endet sein Sonett mit einem hänfenen Strick. 0 Liebe doch wohin nun? 0 vergieb Ich bin der erste nicht, den Liebe in die Irre trieb". {Love. Liebe.)

Das Eigenartigste dieser Sammlung sind die im Bänkel- s&ngerton gehaltenen Balladen {The Bailad of Tally Brown

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458 Die satirueh-hvmoristMche GeseUsolkaftBdiclitiuig.

and Ben ffie Carpenter. Die BaUade vom Geldkrämer Brown nnd Ben, dem Zimmermann; FcdMess Ndly Gray. Das treulose Lenchen Gray; 2%n Turpin; Mary*s Ghost Mariens Geist). Der Zusammenklang von Alltagsvnlgaritftt und echtem Pathos in der meisterhaft gehandhabten volks- tfimlichen Balladenstrophe ergibt eine Komik origineller Art, die drastische Wirkungen eher sucht als vermeidet.

In einer anderen Reihe von Balladen oder Romanzen bekunden Meeresschilderungen, Seestficke von prächtiger Durchführung die Efinstlerhand und ernsten Efinstlerfleiß. Plötzlich spielt auch hier eine unvermutete Schlufiwendnng das ernste Gedicht auf das Gebiet des Scherzes hinfiber. So in The Demon-Ship (Das Geisterschiff), 1827, das sich in der letzten Strophe als Kohlenschiff entpuppt, oder in The Mer- maid of Margate (Das Meerweib von Margate), die Nixen- kneipe, in der der Dichter unter den Tisch gefallen ist

Auch das Düster-Groteske, Totentanzartige fehlt nicht (The Last Man. Der letzte Mensch).

Zu einer Länge von 120 Strophen ausgesponnen und durch meisterhafte Illustrationen Cruikshanks von wesentlich gesteigertem Eindruck erscheint Hoods Humor in der Ballade The Epping Hunt (Die Jagd von Epping), 1831. Als Gegen- stück zu dem von Cowper geschilderten Sonntagsausflug John GilpinsO schildert Hood, wie sich der City-SpieBbürger Huggins an dem altüberlieferten Vergnügen der Osterjagd beteiligt, das bald der Vergangenheit angehören wird. Um sein Pferd geprellt^ das mit ihm durchgegangen, kommt der Held mit zerschlagenen Gliedern und trübseligem Geiste von der Unterhaltung heim, von der er sich in Wells er- holen muß.

>) Vgl. Oswald, 81.

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Die Batuifldi-hamoriBtiflche GesellBohaftsdichtnng. 459

Einen nicht nnbeträchtlichen Banm nimmt bei Hood die hmnoristische Reiseschilderang ein. Einer seiner ersten Beitrage für das London Magaaine (1821): A Sentimental Jowmey from IsUngton to Waterloo Bridge (Empfindsame Beise von Islington nach der Waterloobrücke) fällt in das Gebiet, anf dem Hood sich das Meisterwerk dieser Art, Smollets Humphrey Clinker (1771) zum Muster nahm, ohne es auch nur ann&hemd erreichen zu kOnnen. Eigene Reise- eindrScke in den Niederlanden und Deutschland verwendet er in The Schoolmistress abroad (Die SchuUehrerin auf Reisen, Sammlung WhimsicdUties. Wunderliches) und in der umfassenden Reisebeschreibung Up theHhine (Rheinauf wärts), 1835. Dort werden Land und Leute durch das Auge der verknöchert altjflngferlichen, preziOs prftden Schulmeisterin gesehen, der alles mlBglückt. Hinter den komischen Aben- teuern verbirgt sich in der Regel eine Moral. Die Lehrerin bringt die Erkenntnis heim, daß eine Art der Erziehung, die sie als Tochter so nutzlos und hilflos gemacht, nicht geeignet sein kann, junge Frauenzimmer heranzubilden.

InUpfhe Bhine schildert eine Reisegesellschaft Land und Leute. Jeder sieht sie unter seinem persönlichen Gesichts- winkel. Wille und Vermögen, deutsches Wesen zu verstehen, gehen Hood nicht in dem Grade ab wie Lamb oder Peacock. Lnmerhin bleiben seine Anschauungen unter der Herrschaft gewisser konventionell englischen Vorstellungen. Man ver- gleiche seine an den Kölner Karneval geknüpfte Betrachtung aber den deutschen Nationalcharakter. Der italienische Genius und der teutonische seien weit voneinander ver- schieden — so weit wie Maccaroni und Würste. „Polichinello" ist ein ganz anderes Wesen als Hanswurst er ist wie Blätterteig im Vergleich zu festem Pudding.

In seinen eigenen Reisebriefen aus Deutschland stellt

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460 Die satiriflch-hamoristiBefae GeoeUBcliaftfidichtang.

Hood sich anf den flberlegenen Standpunkt des Enltnr- menschen gegenfiber Halbbarbaren. Er schildert die IGnder- Wertigkeit ihrer LebensverhUtnisse, wie ihrer Intelligenz und Sittlichkeitsbegriffe im Lichte des Hnmors.

Eine eigentümliche Art hnmoristischer Yortragsstflcke^ ursprünglich für den Schauspieler Mathews bestimmt, lieferte Hood im Camie Annual, 1830, unter der Bezeichnug Monopolylogs {The Ship Launck. Der Stapellauf; Valentine's Day. Sankt Valentinstag; The Lord Mayor's Show, Der Festzug des Bürgermeisters). Es sind lebhafte Zwie- gespräche gut charakterisierter Personen ohne äuSerlich gekennzeichnete Teilung des Dialoges, geschickte Be- zitations- und Bravourstücke.

Der letzte Ausklang seines dichterischen Schaffens ist Hoods auf dem Sterbebett diktierter humoristischer Roman Our Familiy, Ä DramaUc Novel (unsere Familie), eine Chronik der Nichtigkeiten des Alltags, die ins Unendliche fortgesponnen werden konnte. Der menschen- und tier- freundliche Arzt, der bramarbasierende gutmütige Natur- bursche Rumbold und vor allem die prächtige, Fremd- wörter verwechselnde, aber urtüchtige und grundehrliche Magd Eeziah sind vollblütige, den alten Humoristen mit Glück nachgebildete Gestalten.

Soziale Tendenidlehtiing.

Im Vorwort der WhmsicaUties (1843) charakterisiert Hood sich selbst mit den Worten: „Mein bescheidener Zweck war hauptsächlich, zu unterhalten; doch nimmt vielleicht der liberale Utilitarier gleichzeitig einige Anläufe zum Bekehren wahr^. 1844 erklärt er dem Leser von vornherein, er werde, wie stets, in seinen Blättern nach verblüffenden theologischen Enthüllungen, tiefen politischen

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Die satuiBch-humoristiflGhe GeseUscfaaftsdichtiuig. 461

Ansichten, phflologischen ErOrteningen oder wissenschaft- lichen Enthttllungen vergeblich suchen. £benso vergeblich aber auch nach transzendentalen Spekulationen, archäo- logischem Geklatsch oder statistischem Tischgeschwätz^.

Eine leicht satirische nnd lehrhalEte Tendenz macht sich frfihzeitig bei Hood geltend. In A Sentimental Jaumey from Islington to Waterloo Bridge, 1821, erklärt er bereits die bfirgerlichen nnd religiösen Einrichtungen für die großen Ursachen, welche den nationalen Charakter hervorbringen. Was ihm davon auf seiner Beise au&tö£t, enthflllt sich in drei Bildern: einem betrunkenen Weibe, einem Bettler und einem streitenden Ehepaar. Die bloße Tatsache w&re Ironie genug, auch wenn Hood nicht in diesen Personen Steme- sche Gestalten persiflierte. The Two Peacocks of Bedfont (Die zwei Pfaue von Bedfont), 1822, die Verwandlung zweier hochmütiger, herzloser Jungfräulein in Pfaue während einer eindrucksvollen Bußpredigt, können den didaktischen Kern nicht verleugnen, obzwar die vorzügliche Erzählung dessen fühlbares Zutagetreten verhindert.

In Ä Friendly EpisÜe to Mrs. Fry, in Newgate (Ödes and Addressee to Oreat People)^ 1825, gibt Hood einer Mrs. Fry, die sich in sozialer Hilfe betätigt, indem sie innerhalb des Gefängnisses eine Schule hält, zu bedenken, daß es verdienstvoller wäre, Menschenkinder auf den rechten Weg zu weisen, bevor sie dem Zuchthause verfallen, sie, so lange sie noch unverdorben sind, ein moralisches ABC zu lehren. Das Treffliche an dem Gedichte ist, daß nicht der dürre soziale Gedanke, sondern vielmehr die Gestalt der An- geredeten bildhaft hervortritt, die werktätige gute Seele, die, von spießbürgerlicher, heuchlerischer Gottgefälligkeit angesteckt, des klaren Tugendbegrifles ermangelt in- folgedessen kein wahrhaft sittliches Resultat ihrer ge-

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462 Die sattriBch-hiimoiistiflcfae GeseUschaftsdiclitiiiig.

meinnützigen Arbeit erzielt und dadurch die Elaft zwischen den sozialen Klassen eher vergrößert als überbrfickt

In The Irish Schoolmaster (Der Irische SchollehrerX 1826, weist Hood zehn Jahre vor OKver Twist aof das Elend der Kleinen hin. Die Schule sei eine Kinder-Marteranstalt, der Baum der Erkenntnis eine Birke. Das Gedicht, dessen Ähnlichkeit mit Shenstone's Schoolmistress Oswald nach- weist, i) ist ein kunstvoll ausgeffihrtes Sittengenrebild. Das College von Kilreen prftsentiert sich als Lehmhütte auf nebligem Moor. Durch die blinden, zersprungenen Fenster streicht der Wind. Die Hflhner und das Schwein des rot- haarigen, ungekämmten Schulmeisters gehen aus und ein und ihr Gequieke vermengt sich den Jammerlauten der Kinder. Ein nicht minder unerfreuliches Schulbild entrollt das Dramolet York and Lancaster^ or Ä School wühout Scholars. (York und Lancaster oder Eine Schule ohne Schfller, in Whimsicalities.)

Auch gewisse Bestrebungen der Wissenschaften oder PseudoWissenschaften werden spaßhaft gegeißelt, Hydro- therapie, Antialkoholismus, Bluttransfusionsversuche (Ode to Dr. Hahnemann, fhe Hamoeopaihist; Drinhing Song hy a Member of a Temperance Society, sung hy Mr. Spring, at Waterman's Hall Trinklied eines Mitgliedes des Mäßig- keitsvereines, gesungen von Herrn Quell in Wassermanns- hall, 1837; The Friend in Need. Der Freund in der Not). Gewisse Schwächen und Auswüchse der Gesellschaft werden lächerlich gemacht, z. B. der Trauerpomp und der eitle Begräbnis-Luxus {The House of Mouming. Das Trauer- haus) oder konventionelle Rangvorurteile in dem Possen- fragment Lost and Found (Verloren und Gefunden), die

») S. 57.

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Die satiriaoh-hiimoristiBefae Gesellflchaftsdichtaiig. 463

Elatschsacht in A Tale of a Trumpet (Die Ohrtrompete), 1840. In diesem Gedichte drängt die konkrete Anschaulich- keit des Details Feilbieten des HOrrohrs, das dem Ohre allen Skandal, jede Gemeinheit übermittelt, durch den als Hausierer verkleideten Teufel die Allegorie in den Hintergrund.

Ein Wort pro domo sind die fünf Briefe aber Copyright and Copytvrong (Literarisches Eigentumsrecht und -un- recht) an den Herausgeber des Athenaeumy 1837. Der Literat, heißt es hier, sei Niemand. Er gehöre zu jenen, denen nichts gehOrt Er habe keinen Sangcharakter zu verlieren, kein Eigentum zu schützen. Er stehe außer dem Gesetz. Das literarische Eigentum konnte fast definiert werden als etwas, was allen nützlich sei, ausgenommen dem Eigentümer. Hood fordert die Gesetzgebung in aller Form auf, die Wichtigkeit und den Wert der Literatur anzuerkennen. Man schütze das Eigentum des Autors; Sache der Literaten werde es dann sein, die literarische Würde aufrecht zu halten. Dann erkennen sie vielleicht, daß ihre höchste Aufgabe darin bestehe, die Welt weiser und besser zu machen, ihre niedrigste darin, sie zu unterhalten, ohne daß sie sich dieser darum eben schlechter entledigen müßten. Man gebe ihnen ihr Teil an öffentlichen Ehren und Anstellungen; man gestehe ihnen, wie sie es verdienen, einen hervor- ragenden Bang in der Gesellschaft zu und sie werden die Flecken auslöschen, die jetzt ihren Schild entstellen. Der sicherste Weg, eine Klasse gleichgiltig gegen den Buf zu machen, ist, ihr einen schlechten Buf machen.

Als Sergeant Talfourd für ein neues literarisches Eigen- tumsrecht agitiert, verfaßt Hood ein Gesuch an das Parla- ment, 1840. Er begreife nicht, heißt es darin, wie Hood^s Own späterhin Everybody's Own (Jedermanns Eigentum)

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464 Dia wtixisoh^iuiioiistische QteeltocfaftftadichtttBg.

werden kSnne. Sowie ein LandeigentAmer das Anrecht auf sein Gut nicht verliere, wenn er seine G&rten dem Publikum Offne, 80 sollte dem Autor das Eigentumsrecht an seinem Werke nicht genommen werden, es wftre denn, dafi alle GSrten Gemeindegmnd würden. Billiges Brot ist so wünschenswert und so notwendig wie billige B&cher, dennoch hat man den Befehl nicht für zweckmäßig er- achtet, dafi nach einer gewissen Anzahl von Ernten alle Kornfelder öffentliches ESgentom werden sollten. Da nun in allen andern FUlen langer Besitz Eigentumsrecht gebe, sei es inkonsequent, den Autor gleichzeitig des Kapitals und der Interessen zu berauben. In der Zeitlichkeit be- stohlen werden, sei eine schlechte Ermutigung, tOr die Ewigkeit zu schreiben.

Frühzeitig treten bei Hood Gedanken von allgemein sozialem Interesse in den Vordergrund. B&reitB in TylneyHcM streift er das Problem des YerhSltnisses zwischen dem ein- zelnen und der Gesellschaft; „Hitleid mit dem einzelnen^, sagt der Bichter, „ist Grausamkeit gegen die Gesellschaft^. „Und HiÜeid mit der Gesellschaft^, versetzt der Gutsherr, „ist Grausamkeit gegen den einzelnen^.

Eine soziale Wahrheit bildet den Kern des komischen Epilions Miss Kümannsegg and her Precums Leg, A Golden Legend (Fr&ulein Kilmannstein mit dem kostbaren Bein. Eine Goldene Legende), 1840. Miss Kilmansegg ist „mit dem Silbernen Löffel im Munde" zur Welt gekommen. Wohin sie blickt, ist Gold. Gold ist der Kehrreim von allem, was sie vornimmt Eines Tages scheut ihr Pferd vor einem zerlumpten Bettler. Sie stürzt und ihr gebrochenes Bein mufi durch ein künstliches ersetzt werden, das aus Gold angefertigt wird. Miss Kilmansegg prunkt nun mit ihrem vergoldeten G^ brechen. Keiner nimmt daran Anstofi, dafi sie hochgeschürzt

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Die tfttiiisch'lraiiioristiache OeseUschaftsdiehtang. 465

wie eine Diana anf dem Balle erscheint^ da das znr Schau ge- stellte Bein ein nngeheores Vermögen bedeutet Das Gk)ld steigt ihr zu Eopt In ihren Trftumen sieht sie sich als O&tterbild auf eine Plinte gestellt und von aller Welt an- gebetet Allein gar bald kommt sie zu Fall. Sie wählt den Unwürdigsten ihrer Bewerber, einen ausl&ndischen Aben- teurer, zum Manne. Ihre Enttäuschung, ihre Vereinsamung werden geschildert Als sie ihn schließlich enterbt, er- schlägt er sie mit ihrem goldenen Beine. Sie hatte fSr Gtold, fOr hartes gelbes, kaltes Gk)ld gelebt und stirbt durch Gold. Das Urteil des Totengerichtes lautet: Selbst- mord, da ihr eigenes Bein sie getötet

Der lachende, heitere Vortrag bringt nur dem tiefer lauschenden Ohre die doppelte Wahrheit zu Gehör, daß einerseits dem Reichen alles gestattet, alles möglich und daß er andrerseits der Macht seines Goldes als einem verräterischen Dämon ausgeliefert sei

In der Regel wendet Hood seine Sympathie den vom Reichtum nicht Beschwerten zu. Schon 1887 definiert er den Ausdruck agricullural distress (landwirtschaftliches Unglück), der eine vereinzelte zufällige Heimsuchung zu bezeichnen pflege, schlechtweg als „Landbau der Armen". Er bedeute an sich Elend, Mangel, Kummer, Sorge, Hunger, Alter, Krankheit

In dem Gedicht Ä Song for tke Million (Ein Lied für die Menge), 1842, mit dem Kehrreim More hdla baloo (Mehr Lärm), bezeichnet Hood die Kunst, für alle Klassen zu singen, als eine der großen Erfindungen des Zeitalters. Er selbst strebt im guten Sinne diesem Ziele mehr und mehr nach. In verständnisvoller Duldung sucht er seinen Standpunkt über den Parteien zu nehmen, in religiösen wie in sozialen Dingen. In seinen politischen upd sozialen An-

Getchiohte der enffÜBchen Bomantik II, 1. 30

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466 Die satirisch-hiimoristiflche Qeaeilich>ftodiditnng.

schanongen, sagt Bossetti, war Hood mehr Philanthrop als Demagog. Sein Kegiemngsideal war, wie er an Peel schrieb, das Hand in Hand gehen eines Engels vom Himmel mit dem Despotismus. Er liebte weder Whigs noch Tones; Krieg nnd EomzOlle waren sein Abscheu. 9

Ein frommes Gemüt, wagt Hood gleichwohl, sich g^en äuBerliche Formeln nnd Gepflogenheiten der Beligions&bung aufzulehnen. Warum bleibt der Zoologische Garten am Sonntag geschlossen? Kann es S&nde sein, einen Löwen zu betrachten oder einem Kinde die Wonne dieses irdischen Paradieses zu gOnnen? Die Frage erh&lt einen gewissen ironischen Nachdruck durch den angehängten Kehrreim: Doch was ist ihre Meinung, Frau Welt? {Mrs, Grundy)? {An Open QuesHon. Offene Frage, in Bhymes for ihe Times and Beasons for ihe Seasans. Zeitgemäße Verse und Ein- sichten, erschienen im New Monthly, 1840). Einem Wider- sacher, Rae Wilson, gegenüber betont Hood, daS er sich an Parteistreitigkeiten nicht beteilige und nicht den Ehrgeiz habe, in seinen Werken der Menge das Evangelium als Pastete aufzutischen. Er mahnt ihn, den Hochmut, die Pharisäer und den Buchstabengelehrten zu meiden. Dreimal selig der Mann, den die gfltige Verschwendung der Natur an den Schöpfer erinnert, dem die ganze Erde ein Heiligtum, der ganze Himmel ein Dom ist. In friedlichen holden Naturen lebt wie in Honigzellen die Religion und fühlt sich eine und dieselbe vor Gottes Auge und für alle Menschen. Wer sich diesem lauteren geistigen Stand- punkt heldenmütig entgegenzustellen und ein ungleiches Gesetz für arm und reich zu bilden vermochte, der könnte für die HöUe Modell stehen und den Teufel darstellen.

>) Bonetti, XXIX.

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Die satiriBch-hnmorifltiache GeseUfchaftsdichtaiig. 467

Dieses Prinzip der Gleichheit verwandelt sich in Hood, der Poesie in eine gewisse Vorliebe fOr die yolkstOmlichen Gestalten, die er lebenswahrer, charakteristischer znr An- schaong bringt als die der großen Welt. Noch wagt seine Mose nicht, in die kahle, trostlose Nüchternheit der Arbeiter- wirklichkeit hinabzusteigen, sondern hebt vielmehr das Handwerk in die Sphäre der Romantik. In The Forge, A Bomance of (he Iran Age (Die Schmiede, eine Bomanze ans dem ehernen Zeitalter), 1843, an sich nur eine Parodie von Schillers Chmg nach dem Eisenhammer, wird durch die prächtig naturalistische Schilderung die Cyklopenesse zum Gemälde einer modernen Werkstatt, wie etwa Adolf von Menzels Schmiede. So sehr ist Hoods Herz bei den Ar- beitenden, daß er darob den ungeheuerlich burlesken Cha- rakter dieser Arbeiter vergißt Dem dfistem Milieu wird die umgebende Natur angepaßt Die Sonne versinkt in knpfrige Wolken wie ein toter Mann in sein Leichentuch. Der Wind pfeift durch die kahlen Äste eine phantastische Begräbnismelodie. Die Eisenhütte liegt im Harz. Der Teufel ist unterwegs nach dem Brocken. Dämonen über- wältigen die Biesen.

Allmählich tritt Hood unverhüllt mit sozialistischen Tendenzen hervor. Mrs. Oardinery a Horticultural Bomance (Eine Gartenbauromanze), 1843, die Hoods Sohn für die Perle seiner humoristischen Erzählungen erklärt, enthält einen Ausfall auf die Leute, welche, die Hände in der Tasche, anderer Menschen Pfirsiche e^en, gierig die Früchte des Fleißes anderer verschlingen, ohne die Arbeit der Produktion zu teilen. Das Gedicht A Drop of Oin (Ein Tropfen Brannt- wein), 1843, schildert in düster grellen Farben dieis ungeheure Elend des armen Teufels, für den in seinen Lumpen, seiner Verzweiflung, seiner Hoffnungslosigkeit der Tropfen Brannt-

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468 Die itttirisch-humoristiMhe GMellsohaftsdichtiuig.

wein zur unwiderstehlichen Versachong wird. Statt des all- gemeinen Aergernisses fordert der Dichter für ihn einen Tropfen Mitleid.

Recht eigentlich zum Volksdichter seiner Ztit, in der die Verlegung des gesellschaftlichen Schwerpunktes Tom Ackerbau auf die Industrie, vom Lande in die StSdte ein ungeheures soziales Mißverhlltnis grell vor Augen rSckte, wurde Hood durch The Song of fhe Shirt (Das Lied Tom Hemde. Deutsch von Freiligrath), 1843. Es ist nicht ganz leicht, sich von der Ursache jener zfindenden Wirkung Rechenschaft zu geben, die diese schlichten Strophen her- vorriefen. Sie schildern die arme Näherin in ihrer Eanuner an ihrer Arbeit ein Situationsbild, nichts weiter. Kein reflektierendes, geschweige denn ein aufreizendes Wort Aber das Los der Enterbten. Ein GenregemUde in dm glanz- losen, ausdruckskrftftigen Farben modemer Maltechnik ge- halten, die die Wirklichkeit yortftuscht Das Grau der Armut, die Trostlosigkeit des ewigen Einerleis. Das Bild sprach für sich selbst Es bedurfte keines Zusatzes. Der Vorhang der Conyenienz war zur Seite gerissen. Das warme unmittelbare Lebensinteresse, das zuckende, blutende Menschenherz lag entblößt vor dem Beschauer. Es war an und fOr sich eine laute, schreiende Anklage gegen die Gesellschaftsordnung, in der die große Mehrheit des Volkes ph3rsisch dahinsiecht und geistig verhungert, zugunsten einer kleinen Minorit&t

Demselben Vorstellungskreise entstammt The Ladifs Dream (Der Traum der Dame. Deutsch von Freiligrath), 1844. Der Reichen auf ihrem warmen, weichen Lager werden die gespenstigen Gestalten derer vorgeführt^ an denen sie die Pflicht des Glflcklichen gegen die Unglflcklichen versäumt hat Wiederum erscheint das junge M&dchen mit den

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Die satixiBch-hiUBoriBtiBche Goielkchaftsdichtiing. 469

bleichen, hohlen Wangen und den wnndgen&hten Fingern. Eine Stimme ruft: „um des Lnzns der Beichen willen sinken wir in ein frfthes 6rab!^ Die Dame schant im Tranme, wie yiele Herzen täglich brechen, wie viele Tränen stfindUch fallen, wie viele Wnnden sie hätte heilen können, während sie gedankenlos das Leben der Be- güterten lebte, und der Tranm wird ihr znm Fegefeuer bitterster Bene.

The Bridge of Sighs (Die Senfzerbrücke. Deutsch von Freiligrath), 1844, die Br&cke, von der das verzweifelte Mädchen ans dem Volke durch einen Sprung ins Wasser ihrer Not ein Ende macht, ist in den klangvoll gleitenden, den Schlußchoren des Faust nachgebildeten Versen nicht ohne weiche Geftlhlsschwelgerel

Den Eindruck des Liedes vom Hemde verstärkte in derselben Nummer des Punch The Pauper's Christmas Carol (Weihnachtsgesang des Armen). Die Weihnacht ist für den Proletarier das einmal im Jahre erscheinende Datum, an dem er, zum Mahl der Barmherzigkeit geladen, sich satt essen darf. Auch hier war, wie im Lied vom Hemde jede direkte Anklage der Besitzenden vermieden und die Frage: warum nur einmal im Jahre? nicht ausgesprochen, sondern dem Leser suggeriert

Unmittelbarer äußert sich die Tendenz in The Worh- hause Clock. ÄnÄUe^ory(Die Uhr des Arbeitshauses. Deutsch von Freiligrath), 1844. Der Aufseher stellt die Fabriks- uhr. Ein unabsehbarer Zug trefflich gezeichneter Arbeiter- typen wallt vorüber und blickt zu der Uhr empor. Der Dichter bricht in den Wunsch aus: 0 wendete sich doch die Behörde, die die Arbeitsstunden, das tägliche Maß menschlicher Mühe und Selbstverleugnung regelt, von der künstlichen Uhr, die zehn oder elf schlägt, der älteren zu,

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470 Die satiriBcli-hnmoriBtiflche CfMeUBchaftsdiditiiiig.

die im natfirlichen Sonnenlicht steht und ihre Stunde vom Himmel empfftngt!

Voll herber Bitterkeit ist das ProsastILck TKe Lag of ihe Labaurer (Arbeiterlied. Deutsch von Freiligrath), 1849. Eines Abends, an dem die Nator flflstert: Es gibt Sturm! hat der Dichter die Vision einer Arbeitenrer- sammlung im Ärmlichen Wirtshause Zum Pflug. Ihre Parole lautet: Etwas muß fOr uns getan werdenl Ihr Lied singt Ton Arbeit und Not Ärger als das Elend der mit Arbeit Überbürdeten ist das Elend der Arbeitslosen. Hood zählt sich selbst zur arbeitenden Klasse. Sein Gewinn ist bescheiden, aber Oottlob, an seinem geringen Besitze klebt kein Blut, keine Träne. Sein kurzer Schlaf ist friedlich, seine Träume sind ungestört Der Schmerzens* schrei der hungernden Arbeitslosen hat fttr ihn keine selbst verschuldeten Schrecken. Damm kann er so warm für sie eintreten. Doch gilt es diesmal nicht sowohl den Kampf für die Sache als die F&rsprache fttr einen einzelnen. Ein junger Mann Namens Gifford White hatte auf einen Gutshof einen Zettel geworfen, des Inhalts: „Wir sind ent- schlossen, den Hof in Brand zu stecken, wenn ihr mir keine Antwort gebt, und euch in euren Betten zu verbrennen, wenn keine Veränderung eintritt So kann es nicht weiter- gehen Ein Feind.^ Darauf wurde der Achtzehn- jährige zu lebenslänglicher Deportation verurteilt Hood malt nun die erschttttemde Lebenstragödie des jungen Mannes aus, sucht auf das Gemttt der mafigebenden Persönlich- keiten Eindruck zu machen und appelliert schließlich an Sir James Graham. Die allgemeine Betrachtung dient hier dem speziellen Falle. Die Poesie wird zum Handwerk- zeug einer sozialen Tendenz und neigt sich somit in jene Sphäre demagogischer und philanthropischer Agitation in

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Die satiTisch-hiimoristLBche Oesellschaftsdichtiuig. 471

Versen, die Ebenezer EUiot beherrscht, ,,der einzige, der große Dichter seiner Gattung "0 der Dichter der Stadt- armen, der alles menschliche Elend anf die Besteuemng der zum Leben notwendigsten Dinge zurückführt, für den das materielle Leben nnanflOslich mit der Politik and National- ökonomie Terknüpft, wo nicht erschöpft ist

Werke TOn Thomas Hood.

1825 Ödes and Addresses to Great Feople. 1826—27 Whims and Oddities.

National Tales. 1827 The Plea of the Midsummer Faines. 1829 TTie Dream of Eugene Äram.

1884 Timley Hall

1838 Literary Bemmiscencea (Hood's (hon).

1839 Up the Bhme.

1840 Miss Kihnansegg (New Monthly Magcusine).

1843 The Song of the Shirt (Punch).

1844 Whimsicalities. 1852 Lamia.

1863 The Works of Thomas Hood. Edited with Notes hy his Son (in 7 Bänden; 1869—73 in 10 Bänden, 1882—84 in 11 Bänden).

Werke über Thomas Hood.

1860 Thomas Hood and Frances Freeling Broderip, Memorials of ThomM Hood. Collected, arranged, and ecUted hy his Datighter. With a Preface and Notes by his Son. (NeuauBgabe 1893).

1885 Alexander Elliot, Hood in Scotland.

W. M. Rossetti, Memoir (The Poetical Works of Thomas

Hood. Populär Poets). 1904 Emil Oswald, Thomas Hood und die soziale Tendenz- dichtung seiner Zeit (Wiener Beiträge zur Englischen Philologie, XIX.).

0 Chiigtopher North, The Poetry of Ebenezer EUiot (Essays Oriticai and Ifnagmative, 11, 232.

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Winthrop Maokwortli Fraed 1802 1839.

Winthrop Hackworth Praed wurde 1802 in London als der dritte Sohn eines Rechtsgelehrten geboren. Praed war der H&dchenname seiner Großmutter, den der Groß- vater Humphrey Mackworth bei der Heirat dem seinen hinzufugte, Winthrop der Mädchenname seiner Matt^, die der Knabe im ersten Eindesalter verlor. Das zarte, fr&h- reife Eind wuchs unter der Obhut seiner Schwester heran und dichtete schon in der Schule von Langley bei London, die er von 1810—1814 besuchte. In Eton, wo seine eng- lischen Verse durch Preise ausgezeichnet wurden und seine Beteiligung an einem Debattierklub und an Theatervor- stellungen seinem Leben einen höheren Puls verlieh, trat seine eigenartige, auf die aktuellen Verh&ltnisse und die Interessen des Tages gerichtete Begabung bereits deutlich hervor. Auf seine handschriftlich zirkulirende, zur Hfilfte von ihm selbst verfaßte Zeitung Apis Matina (Die Matinische Biene) folgte bald der Etonianj eine der berühmtesten Schul- zeitungen, für die Praed in der Art des Spectator treffliche und originelle Aufe&tze über allerlei Temen schrieb. Der Etorian fand während seines freilich nur zehn Monate währenden Erscheinens sogar einen Verleger. Dieser be- zeichnet Praed als einen Knaben, der Herr seines Genius war, nicht von ihm beherrscht wurde ein Urteil, das für Praeds gesamtes Schaffen charakteristisch bleibt 9*

>) Workmg Life I, 284.

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Die MtiriBch-liiunoriBtiBolie OeseUBchaftodichtong. 473

Von 1821—1825 StndioBus der Rechte am Trinity College in Cambridge, trieb er mit seinem Mitschfller Macanley eifrig klassische Lektfire nnd gewann Preise f flr griechische Epigramme, fOr Deklamationen nnd fOr die Gedichte Äustrdlasia (1823) nnd Athens (1824). Eine gesellige Nator, geschmackvoll, elegant, liebenswfirdig, von vielseitigem Wissen, das mehr allgemeine Bildnng als Ge- lehrsamkeit war, wnrde Praed bald ein führendes Element der Kreise, in denen er lebte. Sein Cambridger Kamerad Bnlwer erz&hlt, wie man damals die höchsten Erwartungen von ihm hegte. Was Byron der Welt, das war er der Univer- sität Seine Persönlichkeit hatte etwas Faszinierendes. Sein zarter Leib beherbergte eine hinreißende falle von Tempe- rament nnd Energie. 9 Er bet&tigte sich in Zeitschriften {The Quarterly Magaeine, 1822; The Braeen Head, 1826). 1827 erhielt er eine KoUegiatenstelle am Trinity CoUege nnd 1829 wnrde er nnter die Rechtsanwälte des Middle Temple berufen. Aber sein Ehrgeiz war anf die parlamen- tarische Laufbahn gerichtet Einer Whiggistischen Familie entsprossen nnd in den Überlieferungen dieser Partei wie in der Verehrung ihrer Lieblingsdichter Ifilton und Cowper erzogen, zeigt er sich während seiner Studienzeit von bedingungslos liberalen Grundsätzen erftOlt In den Jahren der Beif e (etwa um 1830) vollzieht sich in ihm die von so vielen Bomantikem durchgemachte Wandlung vom Whig zum Tory, ohne daß die Schwenkung einen fUilbaren Bruch mit seiner Vergangen- heit bedeutet hätte. Er war zn keiner Zeit mit den Badi- kalen gegangen, obzwar er sich in der Jugend als zn ihnen gehörig betrachtete,^) und blieb zeitlebens ein Freund des

0 Life, Letters, and BemmiscenceBf 1, 224.

>) YergL PoUUcdl Poems, Introd^tetion, XEL, JHL

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474 Die sfttiziBcli-liiiaiorifltiaehe GeseUaehalfeididitiiiig.

Fortschrittes innerhalb gewisser Grenzen. Canning war der Staatsmann, den er zumeist bewunderte. „Sieger in der Kind- heit Spiele Auf der Jugend heitrer Bahn Sieger an dem Ruhmesziele Über Neid und Haß und Wahn'', so apostro- phiert er den Bewunderten, dessen Vorbild ihn zweifellos auch dichterisch beeinflußt hat, in dem Oedichte The Deaih of Canning (Cannings Tod), 1821, das den vorzeitigen Tod des großen Mannes beklagt

Nachdem Praed im Parlamente hintereinander mehrere Provinzstädte vertreten hatte, wurde er unter Peel, an dem er sich einen GOnner erwarb, Sekretär der ostindischen Eontrollbehörde. Wellington ließ sich von ihm in der konservativen Moming Post gegen die Angriffe der Times verteidigen. 1838 widmete er der öffentlichen Unterrichts- pflege, zumal fflr die Arbeiterklasse, seine Aufmerksamkeit. Die Schwindsucht machte 1839 seinem Leben ein Ende, ehe sich, wie Bulwer klagt, die vielen Versprechungen seiner Jugend erfflllt hatten. 0

Praed ist nicht eigentlich ein satirischer, nicht eigentlich ein politischer, nicht eigentlich ein humoristischer Dichter. Zum Satiriker fehlt ihm die Sch&rfe, zum politischen Pamphletisten die Derbheit, zum Humoristen die Urwfichsig- keit des Spaßes, jene Ausschließlichkeit oder Universalität der Heiterkeit, die die Komik als Grundstimmung erfordert Aber er ist ein Stflck von jedem, und dies macht ihn nach Hookham Frere und Byron und neben Hood zu einem der maßgebenden Vertreter des society verse, jener Gedicht- gattung, die sich, gleich weit entfernt von schwerfälligem Ernst oder brutaler Wucht wie von frivoler Ungebunden- heit oder sentimentaler Überfeinerung, allem zuwendet, was

0 Life, Letters, and Beminiscences, 1, 284

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Die satiriseh-hiimoristiflche Gesellschaftsdichtang. 475

in den Rahmen des gesellschaftlichen Lebens fällt Die großen Erscheinungen am politischen Himmel wie die All- tagsvorg&nge der Öffentlichkeit, höchste Interessen wie oberflächliche Beziehungen mengen sich in ihrem Bereiche zwanglos wie in der Wirklichkeit. Ja, der socieiy verse lebt zum Teil von dem, was f&r alle Poesie mörderisch ist, von der Banalität des eleganten Miliens. Er scheut den Salon und seine nichtigen Oespräche, den Klatsch und die Mode nicht. Soll er diese überdauern, ttber die Flüchtig- keit der Tageserscheinung hinaas nicht nur kultur- historischen sondern dichterischen Wert behalten, so muß der Verfasser einer zwiefachen Voraussetzung entsprechen: Er muß als Weltmann die Sphäre beherrschen, die er dar- stellt, ohne sich von der Parteileidenschaft des sozialen oder politischen Kämpfers fortreißen zu lassen, und er muß fiber jene Gabe der zwanglosen Darstellung ver- ffigen, die den Eindruck des Spontanen, Ungekünstelten, des geistreichen Spiels macht. Beide Gaben besitzt Praed in hoher Vollkommenheit Bei der regsten Teilnahme am öffentlichen Leben bewährt er, sozusagen, seine persönliche Freiheit Seinen heftigsten Angriffen nimmt der Humor ihren Stachel Selbst wo er verneint, tut er es nur als Schalk. Seine temperamentvolle Wärme schwillt nicht zu leidenschaftlicher Glut; seinen leicht beweglichen Geist ver- leitet keine noch so feste Überzeugung zur Schwerfälligkeit Ein heiteres und gütiges Naturell bewahrte ihn vor Ver- bitterung. Seine Liebenswürdigkeit gibt seiner Gesinnungs- tüchtigkeit nichts nach. Ja, es ist ihm nicht minder wichtig, daß er gefalle, als daß er überzeuge. Ist doch nicht selten die Überzeugung eine Folge des Gefallens.

„Der Vers de SocietS, den er schrieb und den niemand besser schrieb, sagt Henry Morley, bewahrt seinen Beiz,

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476 Die sttirifleh-kiimoriftiaGhe GMelkckaftidichtiiag.

weil seine Scherzhaftigkeit auf der Oberfliche einer minn- lich ernsten Natnr ruht, ans deren Tiefe ab nnd zn ein Ton aufsteigt, der gradeswegs zn nnserem Herzen geht^^)

Das wirklich Bedeutende ist in diesen Gedichten so selten wie in der Dnrchschnittsexistenz, die sie behandeln. Aber für jenes Ineinander von Ernst nnd Heiterkeit, Ironie nnd Rfihmng, welches das Pathos des Lebens ausmacht, findet Praed nicht nur den vollen Ausdruck, sondern er findet ihn sowohl im Vers wie in der Prosa, in der Form- vollendung, die für die GeseUschaftsdichtung fast noch schwerer ins Gewicht f Ult als fOr andere Gattungen der Poesie. Charles Enight vergleicht Praeds fiiefienden Vers seiner Handschrift, die der vollendetsten Kalligraphie gleichkam. Rhythmen und Reime strSmten ihm zu wie einem Im- provisator. <) Und seine Prosa steht an funkelnder Glätte, an Sorgfalt der Sprache hinter seinen Versen kaum zurück. So werden die kurzen Artikel, die der Minderjährige fOr den Etonian schrieb, zu Kabinettstücken ihrer Art Es bedeutet wohl kein zu unterschätzendes Werturteil, daß sie 1887 hervorgesucht und zu einem Bande der als Bildungs- lekt&re ffir weite Kreise bestimmten Universai LSfrary zusammengestellt wurden.

Ihr Inhalt ist von feuilletonistischer Mannigfaltigkeit Hier fesselt eine allgemeine Beobachtung wie die, daß eine und dieselbe Sache, je nach dem Gesichtspunkte, aus dem man sie betrachtet, ebenso gut zu befürworten als an- zufechten sei (Yes andNo. Ja und Nein); oder daß eine nichte- sagende Geselligkeit im Gemflt nur Leere und Vereinsamung ausloste {Solitude in a Orowd. Einsamkeit im Gewfihle). Dort

1) Essays, IfUroduction, 6. ^ Workmg Life, n, 291, 824.

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Die satiriflch-hnmoriatiBehe GeseUadiafUdiehtaiig. 477

macht sich der jtfkige Verfasser über konventionelle Lägen lustig {Lavers Vows. liebesschwüre; Not at Harne. Nicht zn Hanse), hier tischt er nns Frllchte seiner klassischen Belesenheit auf, die doch des tieferen Verständnisses der Antike entbehrt {On the DiviniHes of the Andents. Über die Gottheiten der Alten; Essay on (he Poems of Homer and the Age in which he lived. Abhandlung Ober Homers Gedichte und das Zeitalter, in dem er lebte). Dort trachtet er, in der dramatischen Form des Dialoges einen Ausschnitt des antiken Lebens zu geben (Damasippus), hier einer Laxheit des moralischen Urteils zu begegnen {Mad quite MadI Verrückt ganz verrftcktl) Am häufigsten ist sein Aui^tz ein geistreiches Spiel, z.B. die Personifikation zweier kontrastierender Begriffe, um ihre Gegensätzlichkeit in konkreter Schärfe ins Licht zu stellen (Ehyme and Beason. Vers und Verstand; Sense and Sensibüify. Emp- findung und Empfindlichkeit), oder das Herausschleifen aller Bedeutungen eines Ausdrucks {Thaughts on the Wards Tum out Gedanken Aber das Wort „hinausbefördern^), oder das Aufzeigen der in scheinbar gleichbedeutenden Worten versteckten Antithesen (PoUteness and PoUtesse), oder die Beziehung einer poetischen Bedefigur auf das reale Leben (On (he PracUcal Bathas; On {he PtacHcal Asyndeton). Bemäht Praed sich in einem Essay {My Fürst Folly. Meine erste Torheit), theoretisch den Wert des Nichtigen, des tnfle, zu zeigen, so stellt er in einer ganzen Reihe von Aufsätzen der Theorie den praktischen Beweis an die Seite. Oft genagt ein Nichts, wie alte Stiefel, zum Aus- gangspunkt fär weltbewegende Eindräcke und Betrach- tungen. {Old Boots). Auch an novellistischen Versuchen fehlt es nicht Da gewinnt ein schlauer Knappe, um seinen erschlagenen Herrn zu rächen, in dessen Gewände die stolze

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478 Die ifttiriich-liiimoriBtiflQhe CkmaHadiaftodichtong.

Sachsenbraut, die jenem verweigert ward {The Knight and (he Knave. Der Bitter and der Knappe). Da spielt ein heiteres Mägdlein ihrem mit Freigeisterei prahlenden Lieb- sten einen Schabernack {The Bogle of Annesley. Das Gespenst von Annesley).

Praeds treffliche Kunst der Charakteristik aber kommt nicht sowohl in diesen Erz&hlungen zur Geltung als in seinen mit sicherstem Umriß leicht hingeworfenen Skizzen sozialer Typen: der Landedelmann des 18. Jahrhunderts {Mr. Lozells Essay an Weaihercocks. Heim Lozells Ab- handlung über Wetterhähne); der gutmütig wohlleberische, behaglich beschränkte Landgeistliche {The Cauntry Ourate. Der Landpfarrer); allerhand Spielarten von Blaustrümpfen {GolighÜy's Essay on the Blues); allerlei Whigs und Torys {Beminiseences of my Youih. Jugenderinnerungen). Dazu kommen künstlerisch parodierte Stilporträts seiner Kameraden {The Union Gltd!), So zieht eine bunte Galerie an nnsenn Blick vorbei. Alle diese Aufsätze haben drei Eigenschaften mit einander gemein: den Geschmack, die scharfe Beobachtung, die gute Laune. Die Jugend des Autors spricht zumeist nur aus der Frische des Blickes, dem alles noch neu ist, dem alles noch etwas sagt, der sich noch an allem freut oder äi^^ert SeineTechnikistbereitssodurchgebildet,daß sie zwar mitunter den Routinier verrät, jedoch niemals den Meister verleugnet Sein Witz ist nur äußerst selten gezwungen. Seine Laune sprudelt in köstlicher Frische. Praeds Deckname als Heraus- geber des Etonian war Peregrine Courtenay.i) Als solcher verfaßte er humoristisch-satirische Briefe an den König, an den imaginären Redakteur des Blattes, Bookworm, und verab- schiedet sich in der letzten Nummer des Etonian vom Publikum.

*) Seine heiteren Beiträge im QuarteHy Magazine waren Vyvian Joyense gezeiclwet (Knight n, 298).

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Die satiiüch-hamoristisehe GeseUflchaftsdichtung. 479

Eingehender besch&ftigt sich Praed in Versen mit der Politik. Ein prächtiger Mangel an Galle^kennzeichnet die Abfertigung so mancher ärgerlichen Maßregel, z. B. der widersinnigen Zensor- und Druckgesetze, die, indem sie das Verlagsrecht unmoralischer Bücher nicht schützen, ihrer Ver- breitung durch Baubdrucke in die Hände arbeiten {Chancery MordU. Gerichtsmoral), 1823. Anfangs ist Praeds Haltung gegen die Hochgestellten der Gesellschaft unverkennbar feindlich. Er verhöhnt die kostspielige Dotierung eines unbeliebten und unbedeutenden Mitgliedes des Königshauses {Boyal EducaUon. Königliche Erziehung, 1825). Er stellt die egoistische und grausame Herzlosigkeit der Großen in grelles Licht {The Caronation of Ouirles X, 1825) und kleidet in die Form der Totenklage um einen König der Sandwich- inseln einen Angriff auf Georg IV., der zu den schärfsten der scharfen Schmähungen zählt, die über diesen Fürsten ausgegossen wurden {Epitaph on ihe Laie King of the Sandwich Islands by Oraeee BatÜe Esq^ Eis Majetsty's Poet Laureate. Grabschrift für den verstorbenen König der Sandwichinseln von Tollhans Klapper, Seiner Majestät Hofpoeten, 1825). Die Selbstschilderung des steifnackigen, unduldsamen Tory in The Retrospect per Bückblick), 1828, ist noch eine Verspottung vom Standpunkte des Whig aus. Allein die immer hochgehenderen Wogen der demokratischen Bewegung machen Praed um diese Zeit mißtrauischer und zurückhaltender. 1831 gesteht er den Whigs nur mehr gute Absichten bei offenkundigen Mißgriffen zu {IntenUons). 1832 erwirbt ihm die Schilderung des Tory- charakters den Beifall Peels {The Old Tory), und das Gegen- stück zu diesem Gedichte, The Young Whig, wird zum Bilde des Emporkömmlings, der eigensüchtigen Zwecken, gleich- viel auf welchem Wege, nachstrebt Seit 1830 sind durch

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480 Die ffttlriBeh*l»uiiorutuehe QMellflehaftsdiolitiiiig.

den Sturz Peels und die Premierschaft Greys die Whigs &m Staaterader. Sie liab«i die Rohe und Ordnung^ das ewige Einerlei satt nnd suchen „ein wenig angenehmen Streif* {The New Order of Things, Die neue Ordnung der Dinge). Und nnn entdeckt Praed sein Herz, das im innersten Kern stets ein Aristokratenherz war. Er sieht das Volk nor über die trennenden Grenzpfähle jener zwei scharf gesonderten Reiche der Hohen nnd Niedrigen hinweg. Das Zauberwort Popularität umscUiefit fBr ihn nebst Liedern und Dflften, Staatshaushalt und Wahlrecht, auch Gemeinheit und Verrat (Ode to Papularüyy 1831). Als er einst, in einer Parlamentssitzung einschlafend, von einem allgemeinen Wandel der Dinge trftumt, der auch ihn ergreift und ihn zum radikalen Whig machte wird der Traum zum Alpdruck, ein Traum der Schuld, ein Traum des Leides (The Dream of a Beporter, 1882).

Die beiden Angelpunkte der damaligen inneren Politik Englands, die Eatholikenemanzipation und die Reformbill, nehmen natuigem&ß auch in Praeds Gedichten einen breiten Raum ein. Der Emanzipation steht er anfangs nicht unsym- pathisch gegenfiber. Doch arbeitet er auch angesichts dieser Lebensfrage der Nation nicht mit schwerem Gtoschütz und stellt Lächerlichkeiten bloß, gleidiviel auf welcher Seite er sie findet Der Herzog von Tork, ein starrer Gegner der Katholiken, erntet Praeds Spott ffir zwei langweilige Philippiken gegen die Emanzipation (Wiedom of the Oreat Council Weisheit des Großen Rathes, 1825) und fAr eine Vertrauenskundgebung, die ihm die ehrenfesten Pro- testanten von ehester in Form eines 160 Pfund schweren Käses bereiten (The Lay of the Cheeee. Das Lied vom Käse).

Praeds historischer Sinn, sein philosophisches Dar&ber- stehen bewirken, daß er sich von den Wirren des Tages

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Die satilisch-homoristiBcIie GeseUscliaftscIichtaiig. 481

niemals unterkriegen l&ßt. Ein Blick auf das Gesamtbild menschlicher Existenz und den Zusammenhang der Dinge ist ein treffliches Trost- und Beruhigungsmittel f ftr etwaige traurige Eindrücke der kleinen Bildausschnitte, die das Leben des einzelnen oder einzelner Epochen bedeutet Kann Praed sich den Niedergang der Parteipolitik nicht verhehlen, so klammert er sich an den Oedanken, daß alles Gutes wie BOses vorübergehe. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Das Leben und alle seine Beziehungen sind nichtig; Torys und Whigs taugen alle beide nichts. Der Teufel ist nicht so schwarz, wie er gemalt wird, die Liebe ein Apriltag, Tr&nen und Lächeln gemischt. Gutes und Schlechtes, Elend und Glück wiegen sich auf. Der eine geht am Durst zugrunde, der andere am Trinken. Ein Narr ist, wer sich zu viele Gedanken darüber macht {The Chaunts of tiie Brassen Head. Gesänge des ehernen Hauptes, 1826). Praeds Optimismus hat einen so stai*ken Beigeschmack von Galgenhumor, daß er zeitweilig dem Nihilismus zum verwechseln ähnlich sieht Alles ist eitel, das Morgen wie das Heut, ein ewiges Einerlei (Twenty Eight and Twenty Nine. Achtundzwauzig und neunund- zwanzig, 1829).

Praed empfindet, wie allewelt, daß in der Verfassungsfrage etwas geschehen müsse, nur scheint ihm dieses Etwas das Entgegengesetzte von dem zu sein, was die Anhänger des neu eröffneten Whiggistischen Milleniums erstreben (The Convert Der Bekehrte, 1831). Infolgedessen erblickt er auch die ungestüme Sehnsucht der Menge nach der Beform des Wahl- rechtes als der Erfüllung aller Wünsche, der Panazee für jedes Lebensweh, im Lichte des Humors und behandelt sie im Volksballadentone mit dem Kehrreim Derry down! (Heissal Juchhe!) in The Bill, (he Whole Bill, and Nothing

Qetchiehte der enffUtchen Bomantik n, 1. 81

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482 Die satiriseh-hoinoristiflehe Gesellaohaftsdiehtaiig.

but the Bill (Das Gesetz, das ganze Gesetz und nichts als das Gesetz), 1831. Besingt er in jenen Tagen der stürmischen Kämpfe um das allgemeine Wahlrecht die Freiheit, so ge- schieht es, um ihr eine Klage in den Mund zu legen, daß sie, deren Dienerinnen zur Zeit eines Brutus und Cato die Weisheit, die Ordnung, die Mäßigung waren, nunmehr zur Gemeinschaft mit Verrat und Gezänk herabgezogen werde. Die Freiheit, die Praed im Auge hat, verachtet ihren gegen- wärtigen Buhm und ist Überzeugt, daß sie, noch während das Parlament tagt, sterben werde. (The Complaint of Liberty. Der Freiheit Klage, 1831). Als endlich die Beformbill durchgegangen ist, will Praed nichts mehr von der Politik hören. Er vermag es nicht, von dem alten Ruhme und der gegenwärtigen Schmach zu sprechen (Plus de PoUtique, 1832). Dennoch dr&ckt ihm die erste praktische Anwendung der Beform- Bill bei den aUgemeinen Wahlen im Herbst 1832 wieder die spöttische Feder in die Hand {Pledges. Ein Unterpfand; Staneas, hy a Ten Pounder oljected to. Stanzen eines beanstandeten Zehnpf&nders; An Episüe from an Old Electioneerer. Brief eines alten Wählers). Die Prinzipienlosigkeit der Whigs fordert aufs Neue seinen lachenden Hohn heraus {Thirty Ttco and Thirty Three. Zwei- unddreißig und Dreiunddreißig, 1833).

Auch in der Irenfrage behauptet Praed denselben konservativen Standpunkt, der ihn die Dinge zwar stets als Zugehörigen der Regierung, doch immer ohne Gehässig- keit gegen die Opposition ins Auge fassen läßt (The Beggars Petition. Des Bettlers Gesuch, 1831 und The Beggars Thanks. Des Bettlers Dank, 1833).

Die Sklavenfrage gibt ihm Gelegenheit zu einem seiner gelungensten Gedichte: The Waehing of the Blackamoor (Mohrenwäsche), 1833, veranlaßt durch Lord Stanleys Antrag,

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Die saüriflch-hamoristische Gesellsehaftadichtang. 483

die westindischen Sklavenhalter für die Emanzipation ihrer Leibeigenen durch ein Darlehen von 15 Millionen zu ent- schädigen, das aus Abzügen vom Lohne der befreiten Neger bestritten werden sollte. Es ist bemerkenswert, daß Praed in einer so weittragenden Angelegenheit nur einen mehr oder minder nebensächlichen Punkt der Tagesdebatte heraus- hebt^ ohne das PrinzipieUe des Gegenstandes voll ins Auge zu fassen. Ähnlich steht er auch der sozialistischen Bewegung gegenüber. In dem Gedichte King Alfred^s Book, 1831, läßt er jeden Parteiführer einen charakteristischen Spruch in E6nig Alfreds Buch, das Buch der Landessatzungen, eintragen. Das letzte Wort hat der Pöbel einer Baumwollspinnerei, dem es schließlich gleichgültig ist^ was immer in das Buch ge- schrieben wird. Der Fortschritt, der angeblich die Freiheit fördert, enthüllt sich, nach Praeds Meinung allzuhäufig als ein Gesinnungswandel aus oportunistischen Gründen. Er ver- mag nur ein ironisches Lob für ihn aufzubringen. (JVhy and Wherefore. Warum und weshalb, 1831). Auch für die große auswärtige Politik fehlt auf Praeds Psalter die heroische Fanfare des Nationalismus (JVaterloo, 1831). Er hat nur die Friedenssehnsucht des kampfesmüden Landes im Auge. Die Zeit des Euhmes war eine Zeit bitterer Tränen. Die kriegerischen Ehren haben einen hohen Preis gekostet {Mars disarmed by Love. Mars, von der Liebe ent- wafEnet, 1831).

Unter die charakteristischesten von Praeds politischen Gedichten gehören diejenigen, die sich im leichten und eleganten Plauderstil zumal der Briefform völlig auf das Niveau des Gesellschaftsgedichtes stellen. So der köst- liche Brief des Herzogs von Angouleme an seine Geliebte während der französischen Invasion in Spanien Free Translaiion ofa Letter from Prince Eilt. Freie Übertragung

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484 Die ntirisch-hiiiaorirtische Geeellichaltsdicfatiiiig.

eines Briefes des Prinzen Hilt^ 1823); ferner Episteln an den Kaiser von BnAland nnd an eine Geliebte Ludwigs XviiL {Leiters to lUustrious Characters. Briefe an berBhmte Persönlichkeiten).

Oleichfalls eine Übergangsform vom politischen znm Gesellschaftsgedicht bilden die gereimten Aufzahlungen mannigfaltigster Geschehnisse auf den verschiedensten Ge- bieten des sozialen Interesses, znm Zweck der Exempli- flzierung ii^end eines (Gedankens. Z. B.: wenn ein Papist unschuldig und ein Sklave frei ist, wenn einem französischen Galan das Herz bricht und ein spanischer Grande seine Fesseln sprengt, wenn ein Wahrsager an seine Kunst glaubt und ein Radikaler an Menschen, die ihm fiberlegen seien; wenn die Vernunft gewinnt und der Betrug scheitert; wenn der Ozean trocken und die Leidenschaft leidenschaftslos ist und die Wahrheit Lfige; wenn Mrs. Cunningham um Mrs. Lowes willen verlassen ist dann werde ich auf- hören zu lieben (Lov^s Etemity. Ewigkeit der Liebe, 1824). In gleicher Form sind Ä Song of ImpossibiUties (Ein Lied der Unwahrscheinlichkeiten), Utopia und The Outs pie draufienl), alle 1827, abgefaßt. Ihr Wert liegt in dem Zeitbilde, das sie geben. Vor seiner Farben- frische tritt der Yorwand, unter dem es beschworen wird, in den Hintergrund.

Praeds Neffe, Sir George Young, bezeichnet diese Ge- dichte als Klapper- oder Plauderverse {Pattersangs).^) Eigentlich gebührte der Name den meisten Erzeugnissen von Praeds Musa Alle, die Derwent Coleridge in der Bubrik Poems of Life and Manner (Lebens- und Sitten- Gedichte) zusammenfaßt^), sind nichts anderes. Schildert

0 PoliHecU Poems, IfUroduction X. *) Foema, 1874, voL IL

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Die satiriBch-hnmoristische Gesellschaftsdichtnng. 485

Praed einen Provinzball, dessen bloße Darstellung bereits eine Geißelnng der Gesellschaft bedeutet (The Country BdO), knfipft er an die DarsteUong der Every Day Characters (AUtagscharaktere) Betrachtungen fiber den Junggesellen- stand (The Bachelor) oder die Ehe (Marriage) und rührende Erinnerungen an den Tod einer Gespielin (Beminiscences of my YouOl Jugenderinnerung) und humoristische an die glückliche Etoner Schulzeit (Surly Halt), so ergeben sich bereits aus den Themen dieser Gedichte unvermeidliche Vorteile und Nachteile. Insofern sie vom Tagesinteresse leben, müssen sie für die Nachwelt durch die Häufung kaum mehr yerständlicher Anspielungen auf längstyer- schoUene Wichtigkeiten ungenießbar sein. Andererseits verleiht ihnen ihr geistiger und gemütlicher Gehalt wie die Meisterschaft der Form einen Persönlichkeitswert, den sie für den literarischen und kunsthistorischen Feinschmecker stets behalten werden. Praeds Charakterporträts der Landpfarrer (TJ^e V%car\ der Landedelmann (Quince), die schöne herzlose Kokette (Laura), der überspannte Backfisch Letter of Ädvice. Mahnbrief), die bunt durcheinander gewürfelten Typen, die der Krieg unter die gemein- same Flagge ruft (The Eve of (he Battle. Vorabend der Schlacht) halten den Vergleich mit Crabbe aus, vor dem sie die knappe, leichte DarsteUung im Sonnenschein des Humors voraus haben.

In formeller Hinsicht überrascht Praed durch Ab- wechslung wie durch Gewandtheit Humoristisch wirkt nicht selten die Anwendung bekannter lyrischer Vorbilder auf die Behandlung politischer oder sozialer Themen; so die Byronnachahmung in The Bussell Melodies, I; die Horazkopie in IV und VI; die des Bemi in Whistle (Ruf) und The Adieus of Westminster (Abschied von Westminster);

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486 Die Mtbiieh^iimoiigtaMlie Geselliohafttdiolitniiflr.

die Moores in £<mjr^jfo(Eiii8t). Oft wirkt Praed durch Wort- witze (ffrave amen und Grava$Hm in Wisdam of (he Greai Council I. Weisheit des Großen Bathes) oder dnrch Wortspiele (mcked = böse und tvieked = mit Docht versehen in Ode to ihe ChanceUar. Ode an den Kanzler), oft dnrch die knappe, zu- gespitzte Form, oft dnrch ein kunstvolles, kompliziertes Vers- maß (The London Univeraüy^ 1815). Der Planderton seiner gereimten Briefe ist von kaum ftbertroffenem Zauber, von zarter und schalkhafter Zierlichkeit (Letters from Teign- mouth. Briefe von Teignmouth] Our Bdllj unser Ball).

Nimmt man noch hinzu, daß Praed den Augenblick zu packen verstand, daß er auf eine anfechtbare Parlaments- rede von heut morgen die Persiflage folgen ließ (z. B. Ode to Faulet TJiomsonj 1832), so wird man sich höchstens darftber wundem, daß ihre Wirkung keine tiefer greifende war. Niemand aber wird es erstaunlich finden, daß die unbedingte Anerkennung, deren sich eine Anzahl dieser Gedichte er- freuen, die Veranlassung ihres Entstehens lange fiberlebt hat. So The Riddles of the Sphinx (Die Rätsel der Sphinx), 1827; Sianzas on seeing the Speaker asleep in his Chcdr during one of the Debates of the First Beformed ParUa$neni (Verse, als ich während einer Debatte des ersten reformierten Parlamentes den Vorsitzenden auf seinem Stuhle ein- geschlafen sah), 1833.

Echte Ljrrik, wie das tief empfundene Liebeslied Josephine, ist bei Praed trotz seines ausgeprägten Form- talentes verhältnismäßig selten. Hingegen hat er die Er- zählung vielfach mit Glfick gepflegt. Oog (1821), auf den heitern epischen Ton von Hookham Freres Monks and Oiants gestimmt, erzählt vielleicht auch inhaltlich nicht un- beeinflußt durch dieses Vorbild von einem ungeschlachten Riesen, der eine Sängerbraut entführt, dann aber im Wett-

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Die Mtiiifloh-hamoriatiiche OesellschaftBdichtimg. 487

trinken wackeren Mönchen nnd im Wettkampfe einem könig- lichen Bitter unterliegt Das Märchen lAUian (1822) wurde ttber ein gegebenes, anscheinend sinnloses Thema geschrieben: ,yEin Drachenschwanz, geschalt; daS er erwärme das Herz einer kopflosen Maid^. In Praeds geschickter Ansdentnng ist die Jungfrau Ton einer Fee verwünscht, ihren Verstand erst dann zu finden, wenn sie auf einer schuppigen Drachenhaut ritt und den Schwanz an ihr Herz gedrückt hat Als weiblicher „weiser Tor" bezaubert sie durch ihre Unschuld das Tier, wird erlöst und ihrem Ritter, Sir Eglamour, vereint Die Märchenstimmung des zierlich parodistischen Epenstils ist etlichemal in mutwilliger Weise zerrissen. Kindliche Naivetät geht Praeds Phantasie ab. Auch in den anfangs prächtigen Yolksliederton der fragmentarischen Yerserzählung The Troubadour (1823 ^24) drängt sich bald ein ironischer Einschlag, eine Übertreibung, die die Karikatur streift (Vidals Schmerz über den Tod der Eltern). Der schwermütige junge Troubadour vollbringt eine Geisterbeschwörung. Er erklimmt die Zelle einer als Nonne eingekleideten Jugendgespielin und entführt statt ihrer die Äbtissin des ürsnlinerklosters. So geht Sentimentales und Komisches, Düsteres und Anmutig-Zartes sprunghaft durch- einander, während das Ganze sich auf der Höhe guter, modemer Durchschnittsromantik hält

Wie Hood zieht Praed die Sagen des Bheins in den Bereich seiner Dichtung. The Bridal of Belmont (Das Hochzeitsfest von Belmont), 1881, behandelt eine Lurlei- sage, The Legend of fhe DrachenfelSj 1837, eine auch von August Kopisch bearbeitete MythaO

Das außerordentliche Geschick der Verstechnik trägt

>) Vgl. Kraupa, 97, 99.

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488 Die satiriflch^biiflioriitisehe OeseUBchiftsdiclitiuig.

es hier über die Innerlichkeit der Empflndmig davon. Äußerliche Eigenschaften überwiegen die poetische Kraft An Grillparzers Der Traum ein Leben erinnert die Idee der Legend of ihe Eaunted Tree (Die L^ende vom ver- zauberten Baume), 1830 37. Ein tatendurstiger Jüngling wird durch getr&umte Abenteuer zum schlichten Glftck häus- licher Beschränkung bekehrt Verse von zierlichster Anmut verhüllen die Oberflächlichkeit des sentimentalen Gemfttstones. Man kann von diesen Romanzen sagen, daß sie das Beste einer unbedeutenden Gattung modemer Poesie reprftsentieren. Ein Zug ins Gruselige kennzeichnet The Legend of Ute TeufehhauSj 1830, die Erzählung von einer Teufelin Berta, der ein wackerer Ritter zum Opfer fällt Weitaus am besten geglückt aber ist der Balladenton in The Bed Fishennan, or The DevtFs Decoy (Der rote Fischer oder der Teufelsteich), 1827. Der hagere rotbärtige Fischer der nächtlicher Weile am schaurigen Orte angelt, ist der Teufel Er nimmt eine Krone als Köder und fängt Richard ni., der in selbiger Nacht bei Bosworth fällt Mit Weibertand verlockt er Mrs. Shore, mit einer Rehkeule einen feisten geistlichen Schlemmer; mit einer Bischofsmütze will er den Abt des nahen Klosters, einen scharfen Gegner der Katholikenemanzipation, fangen. Der aber gewinnt Ein- blick in den Spuk, mäßigt sich von nun ab in seinem Gebaren und entkommt dem Satan. Es ist charakteristisch für Praed, daß gerade dieses Gedieht, das als Ballade durch düster groteske Phantasie und poetische Kraft des Ausdrucks selb- ständigen Wert beanspruchen dari^ als eine persönliche Satire auf das Benehmen einiger Geistlichen, zumal des Bischofs von Exeter, im Kampfe gegen die Katholiken entstand. 0

^) PoUticäl Foems, InirodwsHon X.

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Die ntiriflch-hiunoristische Gesellschaftsdichtimg. 489

Wo Praed in die historische oder sagenhafte Vorzeit zurückgreift, erh&lt seine Poesie in der Eegel ein alt- modisch konventionelles Gepräge, so das in heroischen Reimpaaren abgefaßte Preisgedicht Athens, 1824, der Dialog Alexander and Diogenes, 1826, oder Arminius, 1827, mit der ausgeklfigelt interessanten Situation des Helden, der seinem im römischen Heere dienenden Brader gegenübersteht Von der kühlen Beflexion dieser Gedichte sticht vorteilhaft der schlichte patriotische Ton ab, den Praed für seine Darstellungen aus der vaterländischen Geschichte des 17. Jahrhunderts und der Beligionskämpfe findet (Sir Nicholas at Marston Moor; The Covenanter's Lament for Bothtoell Brigg. Des Covenanters Klage um Bothwell Brigg).

In etlichen Gedichten verirrt Praed sich auf das Gebiet der Allegorie {Chüdhood and his Visitors. Die Kindheit und ihre Besucher; Beauty and her Visitors. Die Schönheit und ihre Besucher). Hingegen betätigt sich der spielerische Zug seiner Poesie aufs günstigste im Bereiche des Bätsels. Liebenswürdige Laune und anmutige Form bringen hier manches reizende und treffliche Produkt hervor.

Li den letzten Jahren seines Lebens scheint Praeds Stimmung schärfer geworden zu sein. Dieim Winter 1838— 39 verfaßten drei längeren politischen Gedichte (The Contested ElecUon. Die angefochtene Wahl; The Politicdl Drawing Boom. Der politische Salon; The Treasury Bench. Die Ministerbank) sind ausgesprochene Satiren, von denen jedoch die letzte in eine schwung- und weihevolle Paraphrase des God Save the Qtieen ausklingt. Die Politik war nicht seine Stärke. Aber der „gemischte Stil", der Verein von Pathos und Witz, Gefühl und Satire ist kaum jemals mit größerer Freiheit und Sicherheit bemeistert worden.

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490 Die ittlrifeh-hiimoiifltiielie Gasdlichaftsdiditaiig.

Werke toh Winthrop Kackwortli PrseiL

1821 The Etoman. 1823 IMan. Ä Fawy Tale. 1828 Athens. A Poem.

1844 Poems. Edited by W- Chiswold, New Tork. 1864 Poems. With Memoir by Derwent Coleridge. 1885 SeUcUons. By Sir George Totmg. (Moxon's Mimaturt Library,)

1887 Essays. Collected by Sir George Toung. Introduction hy

Henry Morley (Morley*s Universal Library).

1888 The PoUHcal and Oceasional Poems. Edited with Notes

by Sir George Toung.

Werke über Prsed.

1843 John Monltie, The Dream of Life.

1864 Charles Knight, Passages of a Working Life during

Half a Century. 1883 Edward Bnlwer (Lord Lytton), Life, Lett&rs, and Lite-

rary Bemains. Edited by his Son. 1890 George Saintsbury, Essays in EngUsh Literature. 1910 Mathilde Eranpa, Winthrop Machßorth Praed. Sein

Leben und seine Werke, (Wiener Beiträge zur Englischen

PhUologie XXXU.)

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Drittes Kapitel.

Das beschreibende Gedicht und die Verserzählung von Pope bis Southey.

Lob von Pope.

Auf dem ffir die Romantik so wichtigen nnd weit- verzweigten Gebiet des beschreibenden Natnrgedichtes nnd der reflektierenden Yerserz&hlang wird Pope als klassische Autorität der Ausgangspunkt fOr das junge Geschlecht 1713, das Jahr, in dem Windsor Forest erschien, ist sozu- sagen das Geburtsjahr dieser Gattung ein epochemachendes Datum in der Literatur. Das maßgebende Moment für die klassizistische Dichtung aber war nicht der Impuls, sondern die nach antikem Muster aui^estellte Theorie und ihr höchstes Ziel nicht die lebendige Wiedergabe des Eindruckes, sondern Korrektheit der Komposition. Unterdrückung des Persönlichen, Verallgemeinerung des Individuellen in der Natur wie in der Geisteswelt bildete ein wesentliches Augen- merk dieser Theorie. Der Gegenwartsmensch verschwand hinter römischen oder griechischen Pseudonymen, die Land- schaft ward zur Dekoration stilisiert, die Handlung, der spezielle Fall, der sich im Leben immer nur einmal er- eignet^ in das Tjrpische, Allgemeingiltige gehoben. Der junge Pope hatte sich mit seinen Pastorais, 1709, und mit The Bape of the Lodo, 1712, als Meister einer auf diese Grund-

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492 Dm beschreibende Gedieht und die Venenihlimg.

sfttze aufgebauten Technik erwiesen. Das vorherrschende Überwiegen des beschreibenden Situationsbildes war in beiden Werken ein charakteristisches MerkmaL In den Pastorah diente das Gespräch der Hirten nur zur Ausmalung der ländlichen Stimmung. In The Bape of ihe Lock verlor sich der dünne Faden der Erzählung in der breiten Schilderung von Zeit, Ort, äuflerer Lage und innerer Ver- fassung der Hauptpersonen. Er war nur ein Verwand, um die aufgespeicherten Perlen des Geistes, des Sentiments und Witzes an ihm aufeufädeln.

In Windsor Forest wirft der Dichter selbst diesen Vor- wand über Bord. Schon die Ehrlichkeit im Vermeiden auch nur einer Scheinhandlung, eines Scheinvorganges berfihrt neu- artig. Das Gedicht gibt sich fftr nichts anderes, als was es durch und durch ist: Schilderung zum Ideal ihrer selbst erhobene Schilderung. Schon der zusammenfassende Titel drückt aus, daß alles gegeben werden soll, was sich über Windsor Forest vorbringen läßt, gewissermaßen der Inbegriff des Dinges selbst; ein anschauliches Bild der Gegend, der Menschen, die sie bevölkern, ihres Charakters, ihres Tuns, Erinnerungen an vergangene Zeiten und Berühmtheiten, Ausblicke in die Zukunft Beschreibung und Reflexion beherrschen offen- kundig und ausschließlich das Werk, in das sie sich teilen. Die Poesie lebt nicht vom Impulse, sondern von der Über- legung, nicht von der Phantasie, sondern der Beobachtung, nicht von der Inspiration, sondern der Ehinnerung. Ihr Quell ist nicht der göttliche Wahnsinn, sondern die Vernunft Sie will der Menschheit kein holder Traum sein sondern eine kluge Lehre, kein seliges Selbstvergessen sondern ein wackeres Sichselbstbesinnen, keine die Brust schwellende Erhebung sondern eine Mahnung zur Sittlichkeit und Tugend. Was innerhalb einer solchen Poesie an Vorzüglichkeit und

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Das beschreibende Gedicht und die Venerzählong. 493

Oröße möglich ist, das hat Pope in Windsor Forest sicher- lich erreicht

Wie jeder starken Begabung wohnte ihm die zwingende Kraft inne, die die nachgeborenen Talente noch auf lange hin in seine Spur bannt Sein gewaltiges Vorbild wurde maßgebend für die Wahl der poetischen Gattung, des Themas und der Form. Crabbe, (üowper, Bowles, Bogers, Campbell, Comwall haben sftmtlich, wo nicht als bewußte Schüler, so doch als unbewußte Deszendenten Popes ihre Laufbahn begonnen und sind so allmählich in die Bomantik hinein- gewachsen. Selbst in Southey ist seine Spur noch fUübar. Unvermerkt schlagt dann, wie in der Begel bei großen Ent- wicklungen, die Gefolgschaft in Gegnerschaft uul Die jungen Dichter bilden sich unter der anerkannten Herrschaft des Klassischen. Sie wurzeln in sein^ Überlieferung mit Stolz und Überzeugung. Es ist für Crabbe ein erhebender Gedanke „super vias antiquas stare^A) Cowper wird als Homer- Übersetzer von Pope angeregt Späterhin, als er, wie in allem, so auch in der Auffassung der Antike sein Antagonist geworden, wirft er ihm Tor, die Poesie zu einer rein mechanischen Sache gemacht zu haben. ^)

Die ganze Gruppe der Erzählungsdichter debütiert in der Literatur mit dem spezifisch Popeschen Versmaß, dem heroischen Beimpaar. Crabbe verbleibt lebenslang dabei. In den anderen erwacht allmählich das Bedürfnis nach Ab- wechslung, das Streben nach freierem Ausdruck. Cowper, von dem Southey sagt, er habe die Tür zur Poesie wieder geöffnet, die, nach Bischof Hurds Ausspruch, Pope hinter sich zugeschlossen,') gibt seinen Versen von Anfang an durch

0 Kebbel, 106. <) Table Talk, •) Works, 1837, H., 192.

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494 Das beftchraibeiide Gedicht lad die Venttvihliiiig.

geringere PoUtor einen urwächsigea Charakter. Erwillspit^ von »Popes Melodie^ nichts wissen, vermutlich weil er selbst, ohne hervorragendes rhythmisches Talent, kein mnsikalisch@ Ohr hat Allein sobald er sich als Dichter selbst gefnnd^ wandelt er den Mangel zur Tagend. Er wird der Heister des Blankverses. Bewies bezeichnet den heroischen Vers als das ihm am wenigsten liegende Versmaß und empfindet die Eintönigkeit des Metrums bei Pope. Dennoch bldbt er selbst fast ausschließlich dabei. So m&chtig ist die Tradition. Bogers glaubt noch 1819 die Verwendung einer Strophe mit dreifachem Beim in seiner Dichtung Human Life mit ihrem häufigen Vorkommen bei Diyden entschuldigen zu müssen. Bjnron stellt ihm als hohes Leb das Zeugnis aus, daß keiner unter den Lebenden Heraie Couplets schreibe wie er. „Als Nachahmer Popes^, äußert er noch am 15. März 1820 an Isaac Disraeli, „sind wir alle auf dem Holzwege, bis auf Bogers, Crabbe und Campbell'^. Campbell, der sich zu einem VerskOnstler ersten Bang» entwickelt, verfaßt, mit Ausnahme der in Stanzen ge- schriebenen Gertrude of Wyoming^ alle seine beschreiben- den und erzählenden Gedichte in Heraies. Southey emanzipiert sich im Versmaße am frühesten und vollständigsten. Der heroische Vers kommt bei ihm nur in vereinzelten Jugend- gedichten vor (in drei heroischen Episteln aus seiner Schulzeit 1786-91 und in The Pauper's FunenO, 1795). Er hat keinen Bespekt vor der Klassizität „Das Epitheton mag klassisch sein, ist aber sicher lächerlich'^, schreibt er (16. März 1798) an seinen Freund Bedford. „Die Natur ist mir eine bessere Führerin als das Altertum." Weit entfernt, wie Pope die lateinischen Dichter als Bichtschnur anzuerkennen, empfindet er, Lucrez und Catull ausgenommen, ihre Verschiedenheit von den griechischen als einen Gegensatz wie den zwischen

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Dm beschreibende GFedicht und die Versensählnng. 495

Franzosen und Engländern. „Man kann'', heißt es in einem Briefe an Bedford (5. Mai 1807), „ebenso gut in einem Menschen Yoranssetzen, daß er Shakespeare und Bacine in gleichem Grade bewundere als Homer und Yergil, vorausgesetzt nämlich, daß er weiß, warum und weshalb er den einen bewundert.'' Seine Homerkenntnis enthtQlt ihm nicht nur die Mängel der Popeschen sondern auch die der Cowperschen Auffassung. „Homer ist der beste Dichter," sagt er, „denn er ist gleich- zeitig würdevoll und einfach." Pope aber hat ihn in Flitterputz gekleidet und Gowper ihn nackt ausgezogen.^) Von seinen Epen sind Joan of Are, 1795, MadoCy 1805, und Roderick, 18U, in Blankversen, Thalaba, 1801, und The Curse of Kehama, 1808 aber in jenem unregelmäßigen, dem Aus- druck mannigfaltigster Empfindung sich wunderbar an- schmiegenden reimlosen Metrum gehalten, das recht eigentlich das Versmaß der romantischen Erzählung wurde. Wie sehr Southey sich dessen bewußt war, etwas von dem herkömm- lichen Begriff des Epos durchaus Abweichendes geschrieben zu haben, geht schon daraus hervor, daß er in der Vorrede Thälaba als Bomance bezeichnet.

An Pope lernen sämtliche Dichter dieser Gruppe die Bealität und Einfachheit der Schilderung, die bei ihnen nur sehr allmählich von der stilisierten Steifheit des Klassizismus zur Natürlichkeit und freien Bewegung des ßomantischen fortschreitet. Sie übernehmen als Erbe den klaren, scharfen Blick fOr die Außenwelt und ffigen als Eigenes die Gabe hinzu, die Seele der Natur herauszufinden. Mit dem Fleiß und der Sorgsamkeit der Klassiker arbeiten Crabbe und Cowper Wirklichkeitsbilder aus, die in ihrer akuraton Sauber- keit der gerade Gegensatz alles Impressionistischen sind.

1) Joan of Are, Pieface, 1795.

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496 Das beschreibende GMicht und die Yenen&hlaug.

Als Ziel aber verfolgen sie eine ginzlidi aofierhalb des Klassizismus liegende Natortreue, die nach Hogarthschem Vorbilde eine Absclirift der Wirklichkeit^bezweckt So packen sie, ohne anf die wundervolle Haltung Popes zu verzichtea, die Gemfiter durch eine Lebensechtheit der Schilderung, die damals als Naturalistik und Verismus erschfttterte und schreckte. Die Grenzen der Poesie werden gewissermafien nach dem Alltag zu hinausgeschoben und ihr Idiom be- reichert Diese gesteigerte Geltung der Wirklichkeit tOr die Dichtung verbindet sich dem tiefeingewurzelten Heimats- geftthl im engeren und engsten Sinne, der Anhänglichkeit an die eigene Scholle. „Glücklich der Mensch, dessen Soigen und Wünsche etliche Hufe heimischen Grundes umschließen,'' hatte Pope gesungen {Ode to Solitude). Das Preisen der Beschränkung als des höchsten Glückes steigert sich durch das Poesiefähigwerden des Alltäglichen, Kleinen, ja Minder- wertigen ins Überschwängliche, bis schUeSlich alle Errungen- schaften der Kunst und Kultur geringer bewertet werden als das auf der Stufe des Naturgemäßen Verbliebene. Campbells Wort: „Ein Herz, das frei den Atem der Natur einschlürft, wiegt tausend Mammonsknechte auf' {Lines on Bevisiting a ^coM^AiZtrer) gewinnt repräsentative Bedeutung. Auch noch bei Southey bleibt^ trotzdem er die Verserzählung zur epischen Verarbeitung großer weltbewegender Themen erweitert, die Vorstellung des Ländlichen und Schlichten als des Beinmenschlichen und Beinpoetischen so maßgebend, daß die großen Helden- und Königstoffe ganz mit idyllischen Episoden durchsetzt werden, die schließlich beinahe ebenso ihren Charakter bestimmen wie das Blumenmuster einen Teppich.

Die Zunahme des Lokalkolorits verleiht den Gedichten jene Bodenständigkeit, jene höchste Ausbildung der An-

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Das beschreibende Gedicht und die yersenählnng. 497

schaolichkeit, die als romantischer Bealismus zum Q«gen- satze eben der in den allgemeinen Farben der Contemplation gehaltenen klassischen Beschreibung wird, von der sie ur- sprünglich ausging. Bowles empfindet in Windsar Forest und Popes Pastoralen einen Mangel an Natur und Natürlichkeit

Die Frage ttber das Verhältnis von Natur und Kunst fuhrt zwischen ihm, Campbell und Byron, zu großen theo- retischen Streitigkeiten, in die sich schließlich auch Freunde einmengen und deren Eifer in Erbitterung ausartet 0 Bowles fordert als Haupteigenschaft für den beschreibenden Dichter Naturkenntnis, wenn er auch zugibt, daß der Poet nicht eben ein Botaniker sein müsse. So fühlen auch noch die späteren Romantiker sich verpflichtet, für ihre Natur- schilderungen wissenschaftliche oder vermeintlich wissen- schaftliche Belege beizubringen. Southey geht so weit, im Thaktba Darwinsche Theorien zum Nachweise heranzuziehen über die Wirkungen, welche die Vemichlung des Domdaniel auf unserem Erdball hervorgebracht haben: Imprimis, der plötzliche Einsturz des Meeresgrundes erzeugt notwendiger- weise den Malstrom. Die E&lte des Nordens wird durch das Wasser erklärt, das in die Höhlen stürzte und einen großen Teil des Zentralfeuers verlöschte. Die plötzliche Erzeugung von Dampf zersprengte die südlichen und süd- östlichen Kontinente in Inselmeere. Auch der kochende Springquell des Geiser hat hier seine Ursache. „Wer weiß, was er nicht verursachte!" schließt Southey scherzhaft^) Wie ernst es ihm aber mit dem Prinzip der wissenschaftlichen Exaktheit poetischer Schilderungen ist, beweisen die An-

») The PampKUteer, voL XV.

•) Brief an Coleridge, 8. Jannar 1800.

Geschichte der englischen Bomsntik n, l.

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498 Dm beschreibende Oedicht nnd die YeisersShlang.

merknngen, die in seinen Erz&hlangen einen breiten Baum einnehmen. Die Anmerkungen von Thalaba weisen auf eine ganze Bibliothek gelehrter Werke, die in das Gedicht verarbeitet wnrden. In Boderick kommen auf 250 Seiten Text 156 Seiten Anmerkungen. Der Unter- schied zum didaktischen Gedicht liegt in diesem Falle nur darin, dafi die Belehrung in die Fußnote verwiesen ist

Den Dichter, der die Natur auf Grund einer solchen vertrauten und gediegenen Kenntnis schildert, erklärte Bowles an sich dem Darsteller des „ktlnstlichen Lebens^ fiberlegen. Pope habe das ihm Erreichbare Greschick, Eleganz, poetische Schönheit des Mechanismus errungen. Aber wenn Cowper einen Morgenspaziergang schildere, so bedeute dies an sich mehr als das Kartenspiel in The Bape of ihe LockA) Wie sehr indes Bowles trotz aller Gegner- schaft selbst in Windsor Forest fußt^ bezeugt schlagend seine Doppelforderung an „das lokale beschreibende Gedicht^: Es müsse erstens aus der anschaulichen Beschreibung der Land- schaft und zweitens aus den Reflexionen und Empfindungen bestehen, welche ihr Anblick voraussichtlich errege.^)

Die Reflexion, ein wesentlicher Bestandteil des be- schreibenden Gedichts, bleibt bei sämtlichen Romantikem dieses Kreises ein Moment von höchstem Nachdruck. Sie gibt der Naturschilderung, deren Hauptstreben Vermeidung alles Gekünstelten und Affektierten ist, einen nicht völlig in ihr aufgehenden Beisatz des Gedankenvollen, Lehrhaften und Preziösen. So schaltet Samuel Rogers noch in sein Reise- gedicht Italy Erörterungen von Problemen wie nationales Vorurteil, Mord usw. ein, die, „Hume an Gedanken, Addison

0 The InoariabU PnncipleB of Paetry, 1819. * Vorrede la BamoeU HOU.

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Das beschieibeiide Gedicht und die YenersäUnng. 499

an Stil gleichkommend^, einem Beurteiler wie Mackintosh den Hanptwert der Dichtung bedeuten. Eben dieser An- hänger findet für seine Bewunderung keinen höheren Aus- druck als den: der Schluß der Pleasures of Hcpe komme dem Schlüsse der Dunciade gleich. ^

Bei Southey verfeinert sich der lehrhafte Zweck zu der Absicht» mehr allgemein zu erheben als moralisch zu belehren. Den Sinn fflr das Gute und Schöne (ro xaXav xai äyad-ov) zu yerbreiten, liegt ihm mehr am Herzen als die Erläuterung einer Sittenvorschrift') Dennoch behandeln Thalaba und The Ourse ofKehama einen spezifisch religiösen Gedanken und Southeys Jugendplan, systematisch alle Bekenntnisse in je einem Epos zu behandeln, wurde nur durch den wenig an- eifernden Erfolg des Thalaba und die Arbeit um das täg- liche Brot unterbunden. Fär seine ausgeführten Erzählungen, ja selbst ffir die der klassischen Romantiker, ist die Yer- quickung der Naturschilderung und der philosophischen Betrachtungen geradezu charakteristisch.

In Campbells TJie Quem of ihe North finden sich in einer Schilderung der Artusgedenkstätten bei Roslin die charakteristischen Verse:

Teuer ist ein ISndlicher Anfenthalt dem, der umwirbt Freandliche StiUe, die Muse imd die romantisehe Natur.

Die Natur ist diesen Dichtem noch nicht der an sich köstliche Selbstzweck, sondern die Mittlerin, die dem Geiste durch wertvolle Anregungen zu seinen ewigen Zielen ver- hilft Auch das Hervorheben der romantischen Natur in den obigen Versen ist nicht ohne Belang. Den Männern, die noch mit einem Fuße im Klassizismus stehen oder eben

0 Edinburgh Seview, Juli 1856.

*) Brief an Key. J. M. Longmire, 4. November 1812.

82*

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500 Dm iMscfareibende Gedicht und die YenenUiliui^.

erst aus ihm heraosgetreten sind, ist die Bomantik keines- wegs so in Fleisch and Blut ftbergegangen, daß sie sie als eine selbstverständliche Voranssetznng mit Stillschweigeii übergingen. Sie ist vielmehr noch das Ziel, das, mehr oder minder bewnfit, erstrebt wird. Man blickt mit Befriedignng znrflck anf die Strecke, die man von der Ennst- zur Nator- poesie znrAckgelegt nnd mit Spannung vorans anf das Stück Weges, das noch von der großen Bomantik trennt Wie in jeder Übergangszeit bewegen Erinnemngen an eine antori- tative Vergangenheit nnd Ausblicke in eine ahnungsvolle Zukunft das Talent und spornen es zu höchster An- strengung.

Das klassische Vorbild wurzelt so tief, daß zu eioer Zeit, da man dem Ziele der Bomantik schon wesentlich n&her steht als dem klassischen Ausgangspunkte, Campbell sich gedrungen fühlt, den Fluch, den in seiner Meister- ballade (yConnor^sChäd die Heldin auf ihre Brüder schleudert, durch eine Berufung auf die Autoritftt Comeilles zu ent- schuldigen, dessen Camille beim Anblick des siegreichen Horace in eine Verwünschung des Vaterlandes ausbreche.

Übrigens ist gerade Campbells Entwicklung als Balladen- dichter ein ungemein charakteristischer Beleg des Werde- ganges vom Elassizisten zum Bomantiker. Seine früheste Ballade, die er selbst als Elegy bezeichnet {Love and Madness. Liebe und Wahnsinn, 1795), behandelt in dem völlig reflektierenden Stil seiner Jugend ein Ereignis des Tages, den Prozeß einer Miß Broderick, welche das Urbild der allnächtlich den Mord ihres Geliebten bereuenden Nachtwandlerin in Campbells Gedicht ist Von dieser alt- modischen Eunstform schreitet Campbell fort bis zur Be- wältigung des im besten Sinne echt Volkstümlichen und urwüchsig Stimmungsvollen.

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Das beschreibende Gedicht und die Yersenählnng. 501

Die Loslösimg von den klassischen Regeln geschieht mit großer Vorsicht. Campbell gesteht, daß er in betreff der freien poetischen Bewegnng bei Shakespeare nicht mit Schlegel gehe. Im Wintermärchen verletzt ihn die Außerachtlassung der dramatischen Einheiten. Er ruft aus: „Wenn alles das nach romantischen Prinzipien richtig sein soU, so bekenne ich, daß diese Prinzipien für meine Auffassung zu romantisch sind."i) Southey abershakespeart zwar den Shakespeare in seiner Tragödie Wat Tyler, aber er verschließt sie 23 Jahre lang sorglich in seinem Pulte und veröffentlicht sie erst, als er, allgemein als Konservativer anerkannt, sicher ist, daß man ihm sein völliges Daräberstehen glauben werde.

Nicht das letzte, was die Neuerer aus dem klassischen Bestände herttbemehmen, ist das ethische Pathos. Das sittliche Normalmaß, das sie an den Menschen legen, ist ein hohes bei Crabbe und Cowper von religiösem Ernst und kleinbärgerlicher Strenge gefärbt, bei Campbell und Comwall durch den kosmopolitischen Enthusiasmus des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die Originalität und frische Natürlichkeit des jungen Dichtergeschlechtes tut schließlich das ihre, um den Popeschen Moralbegriff jenes überlebten konventionellen Ideals der Korrektheit zu entäußern und an seine Stelle das eigene Evangelium des Natfirlich- Guten und der individuellen Freiheit zu setzen. So ent- steht auch hier aus dem ursprünglich Gleichartigen im Wandel der Zeit die Antithesa

Das charakteristische Merkmal dieses Wandels bleibt indes immer seine Allmählichkeit und das maßgebende

0 An Euay im English Foetry. Wiih Notices of ihe BriHsh Foets, I. 67.

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502 Das beachmbende Gedicht und dia VerMnlhliingr.

Moment für die sich langsam ergebende Gegensätzlichkeit die Eontinnitftt Niemals ist ein Maisch anyerdienter als Abtrflnniger nnd Reaktionär verlästert worden als Southey. Man kann an Grundsätzen nicht zum Verräter werden, zu denen man sich im Innersten aus dem Grunde niemals be- kannt hat, weil sie diesem Innersten widersprechen. Southey war so wenig ein Kind der ßevolution wie Burke. Beide wurzeln mit den Lebensf asem ihres Wesens im Konserva- tismus. Beide hat in ihren empfänglichen Jugendjahren die Revolution in ihren Bannkreis gezogen, wie es bei geistig regen und stark empfindenden Naturen damals kaum anders möglich war. Beide sind nach kurzem Schwanken den Pfad, den ihre Veranlagung ihnen vorzeichnete, nur desto sicherer und unentwegter fortgeschritten. Auf Southey hat die Revolution von allem Anfang an noch weniger ab- gefärbt als auf Burke.

Stärker ist der Abstand des jungen Geschlechtes vom alten in der poetischen Diktion. Popes eisnadelglänzende Kälte, Glätte und Politur ruft zunächst eine Reaktion hervor. Die rauhe Kraft, die Wärme und Lebhaftigkeit der ungeschminkten Natur fordert ihr Recht Der Aus- druck wird weniger geistreich zugespitzt, aber eine Energie der Seele, die in der klassischen Form nicht Raum fand, breitet sich in der romantischen Dichtung schwellend aus. Das Flüstern des Herzens wie sein Schmerzensschrei wagen sich in die Kunst Die Reflexion weicht der Stimmung und ein stofflicher Inhalt kommt in der Erzählung mehr und mehr zur Geltung. In Rogers' Jaqmline, Campbells Gertrude of Wyoming und Comwalls Marcian Colonna, The Oirl of Provence, The Flood ofThessaly tritt die lehrhafte Schilderung in den Hintergrund, das Liebesidyll in den Mittelpunkt Die Neigung, Stoffe aus dem romantischen Süden zu holen, durch-

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Das beschreibende Gedicht nnd die YenenKhlnng. 503

bricht die Schranken des nationalen Schauplatzes nnd des häuslichen Idylls, die Grabbe, Cowper nnd Bowles ihren erzählenden Gedichten geben. Southey hebt durch große Yölkerhistorische, religiöse und historische Themen seine Yerserzählung in das Gebiet des romantischen Epos, dem tragisches Pathos und ein mystischer Schwung nicht fremd bleiben. Individuelles Menschentum ist in der Romantik das zentrale Feuer, dessen Ausstrahlungen, Stil nnd Diktion, naturgemäß von seiner Art sein müssen. Kaum aber hat die Persönlichkeit ihr entscheidendes Hecht in der Poesie durchgesetzt, so enthüllen ihre Jünger sich als das, was sie im Innersten sind, als Abkömmlinge der Elassizisten. Bereits 1808 spricht Southey wieder für Objektivität der Darstellung, für das Wirkenlassen des Stoffes an sich. Er ist „gegen alle Unterbrechungen in der erzählenden Poesie.^ Er sagt: „Wenn der Dichter seine Geschichte schlafen läßt und in eigener Person spricht^ so macht mir das denselben unangenehmen Eindruck wie ein Aktabschluß. Man ist auf das folgende gespannt da bumsl fällt der Vorhang und die Fiedler beginnen mit ihren Scheußlichkeiten.^ ^

So bewegt sich die Welt der Poesie wie der Erdball im Kreislauf., In das vielbewunderte alte Gefäß kommt ein köstlicher Trank von neuartiger Mischung das ist alles. Die Dichter, die so geschickt verstehen, ihn ein- zufüllen, genügen den Anhängern des Alten wie den Neuerem und weiden dadurch rasch die Beherrscher der Literatur.

>) Brief an Scott, 22. April 180a

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George Orabbe.

1754—1832.

Lebennbriss.

Im Jahre 1780 kam der sechsondzwanzigjährige Wund- arzt George Crabbe mit einer geliehenen Barschaft von 3 £ und einem Bftndel Hannskript, das sein gesamtes Besitztum darstellte, nach London. Es war der letzte ver- zweifelte Versuch, seiner g&nzlich verschatteten Existenz aufzuhelfen. Er stammte aus dem Fischerstädtchen Aldeburgh an der Nordsee (Suffolk), einem dürftigen, den Yerheerangen der Springflut ausgesetzten Nest, offen gegen das Binnen- land, den unschönen, dfirftigen Sandboden, dessen armselige Bflsche und spärliche Bäume sich im Sturme bogen. Crabbes Vater, der Salzsteuereinnehmer, >) war, der rauhen Heimat rauher Sohn, ein Mann von allgemeiner Ver- wendbarkeit und infolgedessen das Faktotum des Ortes. Er hielt eine literarische Zeitung, pflegte Abends im Familien- kreise aus Milton und Young vorzulesen, aber seine Ge- mütsart war heftig und gewalttätig und wurde späterhin, da ihn sein eifriger Whiggismus in politische Parteikämpfe verwickelte, noch durch eine Neigung zum Trünke im Jäh- zorn verstärkt. Als er frühzeitig die feste Zuversicht ent- täuscht sah, aus George, dem ältesten seiner sechs Knaben, einen tüchtigen Seemann zu machen, verzweifete er schier

0 Nach L68lie Stephen Sattlermeister {DieHonaary of NixtUmal Biography).

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Das beschreibende Oedicbt und die Venerzüblung. 505

an den geistigen Fähigkeiten des Jnngen, der mit Segel und Bader nicht nmzngehen verstand, nnd überließ ihn unwillig seinem Leseeifer. Die Matter, eine sanfte, fromme, vortreffliche Frau, ertrag in Demut ihr hartes Dasein.

Die beiden Provinzschalen, die George besachte, waren nicht geeignet, Liebe and Achtang für die Wissenschaft in ihm zn wecken. Er wurde ein heftiger Gegner der humanistischen Bildung. „Das verfluchte Griechisch, das so viel Zeit für Worte fordert, die keiner spricht!" heißt es in Tales of (he Hall (XVI). „Was ließe sich Schäd- licheres für den Menschengeist ersinnen als diese Wieder- belebung einer schweren toten Sprache! Himmel! Ist eine Sprache erst wirklich einmal tot, so begrabt sie. Laßt sie nicht pflegen und lesen als Fluch für jeden wohlerzogenen Jungen! Ist in diesen Büchern Gutes, so übersetzt es gut und erhaltet es auf diese Weise!"

Mit vierzehn Jahren (1768) hatte George nicht nur seine Schulzeit, sondern bereits einen vorübergehenden Lehrdienst im väterlichen Warenmagazin an der Schiffslände hinter sich und trat als Gehilfe bei dem Wundarzt eines Dorfes bei Bury St Edmunds in die Lehre. Er mußte sein Lager mit dem Ackerknecht teilen und selbst Enechtesdienste verrichten. Als eine Erinnerung aus jener frühen Zeit seines ärztlichen Lebens mutet die Schilderung des harten, unwissenden, dünkelhaften Arztes in The Village (I) an, dessen größte Barmherzigkeit in der Vernachlässigung des Patienten besteht und dessen mörderische Hand nur dank der Schläfrigkeit des Gerichtsverfahrens geschont wird.

Nach drei Jahren wechselte Crabbe die Stellung und sein Leben ließ sich nun in dem Marktstädtchen Wood- bridge ein wenig freundlicher an. In dem nahen Parham, einem Dorfe voU lieblicher Anmut, lernte er 1771 Sarah

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506 Das iMscfareiWiiide Oedicht und die Venenihlnng.

Elmy (f 1813) kennen, die „Mira^ seiner Gedichte, m anregendes^ anmutiges Mftdclien, die bei Oheim und Tante in einfachen aber behaglichen Familienverhiltnissen lebte. Crabbe an Jahren nnd sozialem Bang überlegen, brachte sie ihm ein Herz voll unwandelbarer Anhänglichkeit und voU unverbrüchlichem Glauben an seinen Dichterbemf ^t- gegen. Ihre Liebe, die seinem Streben ein hoffnungsvolles Ziel gab, wurde für ihn zu einem Wendepunkte.

Seine Mutter und Sarah Elmy hatte Crabbe im Sinne, als er die Worte schrieb, weibliche Tugend mildere alle Übel und zeitige viele Lichtseiten des Lebens. Dem sanften weiblichen Geschlecht verdanke man, was hienieden trCste und beglücke. Es biete der Jugend Hoffnung, der Sorge Linderung, dem Alter Trost (Warnen. Frauen).

Unter den Auspizien dieses ersten Glückes errang er den ersten poetischen Lorbeer mit einem Preisgedicht auf die Hoffnung in Wheble's Ladtf's Magcufine. Seine eig^e Hoffnung freilich, als Wundarzt oder Apotheker eine Existenz in Aldeburgh zu finden, erwies sich als trügeriscL 1775 leistete er wieder in den Warenmagazinen Enechts- arbeit. Der ärztliche Beruf war ihm nun gleichfalls verhaßt Sein Talent rang nach Betätigung. Die Sehnsucht, seiner liebevollen aber nicht leichtsinnigen Verlobten endlich ein gemeinsames Heim zu bieten, quälte sein Herz. 1779 schreibt er in sein Tagebuch: „Tausend Jahre, o angebeteter Schöpfer, sind vor dir wie ein Tag. So verkürze mein Ungemach!". An einem der letzten Tage des Jahres starrt er von dem unwirtlich rauhen Kliff auf einen seichte Wassertümpel hinab, der dunkel und traurig wie sein Inneres vor ihm liegt Und plötzlich reift in ihm der Entschluß, diesem Schauplatz des Hungers und Elends zu entfliehen und nach London zu gehen.

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Dm beschreibeiide Gedicht and die VenenBählung. 507

Crabbe kannte die Hauptstadt bereits von einem mehr* monatlichen erfolglosen Aufenthalt, den ihm 1777 sein Vater ermöglicht hatta Dennoch wagte er den zweiten Versuch. Es war der letzte Notgriff des Ertrinkenden. Und der Genius der Weltstadt, der an so manchem Talente zum Moloch geworden, wurde Crabbe ein Betten

Freilich nicht im Handumdrehen. Auch hier bildeten anfangs Enttäuschungen und Demütigungen eine eherne Kette, die ihn in den Abgrund zu ziehen drohte. Schon hatte er seine Kleider verkauf t> seine Uhr versetzt noch vierzehn Tage und er stand vor dem Schuldgef&ngnis.i) Verzweiflungsvoll sah er nach einem Gönner aus sonst war er verloren. Da ließ ihn sein Glück auf Edmund Burke verfallen, der damals noch als Anwalt der persönlichen Freiheit und bürgerlichen Gerechtsame an der Spitze der Liberalen und als Redner und Schriftsteller auf der Höhe seines Ruhmes stand, „ein guter und großer Mann'', wie Crabbe ihn in seinem Bittgesuche nennt Einer der Aus- gestoßenen dieser Welt, freundlos, brotlos, heißt es in dieser Schrift, nehme er seine Zuflucht zu* Burke, ohne andern Anspruch auf seine Gunst als den, daß er ein Unglücklicher sei Es war eine schlichte, natürliche Darlegung der Tat- sachen. Eben darum wirkte sie pathetisch. Grabbes Selbst- einschätzung als Dichter hielt sich von Unbescheidenheit so fem wie von übertriebener Demut Als sprechende Be- lege waren dem Schreiben The Library und The ViUage beigegeben.

Der Erfolg mußte für Crabbe ein überwältigender sein. Wie Chatterton durch Walpoles Abweisung in den Tod ge- trieben ward, so half Burke mit dem richtigen Blick des

>) Life n, 65.

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508 Das beschreibende Gedicht und die Yenenlhliuig.

Genies, das immer edelmänniscli fBUt, mit einem kräftigen Back seiner hilfreichen Hand Crabbe ins Leben znrfidL Die Verzweiflung, der Eamp^ die Not lagen mit einem Schlage hinter ihm und vor ihm ein klar und bestimmt Yorgezeichneter ebener Lebenspfad.

Borke gewann Dodsley ffir die Heraasgabe von Crabbes Gedichten, ans denen ihm zwar h&nfig nnyollkonunrae Verse aber tüchtige Gedanken, ein unerfahrener Mann aber ein selbständiger Geist entgegentraten. <) Burke legte bei dem Bischof von Norwich Fflrsprache ein, daß Crabbe mit Nachsicht der Uniyersitätsdiplome die Priesterwürde erhielt, nachdem er sich auf dem Herrensitze seines Gönners, Bea- consfleld, für den geistlichen Beruf vorbereitet hatte. Burke yei*schaffte ihm (17S2) die Stelle eines Kaplans des Herzogs von Rutland auf dessen prächtiger Besitzung Belvoir Castle in Leicestershire. Achtzehn Monate nachdem Crabbe als literarischer Abenteurer von Aldeburgh ins Ungewisse hinaus- gezogen war, kehrte er als Pfarrer in die Heimat zurucL Wohl war die gute Mutter mittlerweile gestorben. Aber für Sarah Elmy kam nun (1783) nach einährigem entschlossenem Harren der Hochzeitstag. Sie wurde Crabbe eine tüchtige und liebevolle Hausfrau, voll gesundem, praktischem Verstand und schlichter Herzenseinfalt )) Der Pfarrhof bevölkerte sich allmählich mit fünf Kindern, und nur eine periodisch bei Sarah auftretende Gemütskrankheit warf späterhin ihre tiefen Schatten auf das häusliche Glück.

Obzwar Crabbe an dem Herzog von Rutland einen feinsinnigen und verständnisvollen Herrn gefunden, machten sich gegenüber dem jungen, leichtlebigen Aristokraten, der

0 Autobiographicdl Sketch. (Ufe, 95). *) Vgl. Saintsbory, 9.

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Das beschreibende Gedicht und die Venerstthlnng. 509

ein Parteigänger Pitts war, doch nnfiberwindliche G^egen- sätze des Temperamentes und der Ueberzengong geltend. Crabbe war Whig und Badikaler. Inmitten der blanblütigen Umgebung regte sich der Trotz des Niedriggeborenen. Die Warnung vor den Gefahren des Mäzenatentums, die er in der Erzählung TJie Patron den Vater des jungen Dichters erheben läßt: er solle die Eifersucht des Genius respektieren und ihn nicht dem Leben in der glanzvollen, bedrAckenden Sphäre der Hochgeborenen und Beichen aufopfern diese Mahnung seines besseren Ichs befolgte Crabbe selbst Er sah sich in einer schiefen Stellung. Hatte er seinen Sonntagsgottesdienst abgehalten, so lebte er die übrige Woche prächtig und im Überfluß. Das war ihm gegen die Natur. Er ließ sich vom Schlosse auf mehrere kleine Pfarreien des reichen Flachlandes von Belvoir versetzen. Die Jahre von 1783—87, die er in Stathem verlebte, waren seine glücklichsten. In Muston, wo er von 1787—89 und von 1805—14 wirkte, geriet er in Streit mit einer Wesleyschen Gemeinde und machte sich durch heftige Angriffe von der Kanzel so un- beliebty daß man bei seiner endgültigen Abreise vor Freude die Eirchenglocken läutete.')

Dennoch war Crabbe kein religiöser Eiferer und wollte von Zelotentum so wenig wissen wie von SektierereL^) - Religiöser Enthusiasmus lag so wenig in seiner Natur wie irgend eine andere Überschwenglichkeit Aber seine Frömmigkeit war echt und tief und von jener urwüchsigen, gesunden Art^ die da glaubt, ohne zu klügeln. Sein Tage- buch, in das er fremde und eigene Predigten aufzeichnet^ zeugt von dem gottergebenen Verkehr mit seinem Schöpfer

>) Kebbel, 81.

*) Vergl. die Einleitung über religiöse Sekten zn The Barough IK

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510 Dm beschieibende Gedicht und die Veraen&hlong.

als dem Vertrauten seines Herzens in jeder Not In dem wfirdigen Nachrufe, den er 1788 dem frfihyerstorbeneD Herzog von KnÜand hielte bezeichnet er Selbstvertrauen als menschlichen Irrtum, Gottvertrauen als die einzige mensch- liche Stütze und schließt mit der Überzeugung, was unser Leben nfltzlich mache, werde uns das Sterben erleichtem Discourse read in ihe Chapel at Belvair CasÜe öfter ihe Funeräl of Eis Orace the Duke of RuÜand. Predigt^ gehalten in der Schloßkapelle von Belyoir nach der Be- erdigung Seiner Gnaden des Herzogs von Rutland). Eine Predigt^ die er in Devizes vor dem Bischof von Salisbury hielt) ist von scholastischer Gelehrsamkeit erfüllt und trftgt das Gepräge des trockenen Rationalismus Sermon preacked before the Bight Severend the Lord Bishop of Sarum on his Visitation hdd at Deüiges, 15 August 181t). Im allgemeinen aber soll Crabbe ein volkstOmlicher Prediger und sein Vortrag natürlich fließend gewesen sein, ohne zur Schau getragene Amtswfirda Seinen Pfarrkindem stand er nicht nur als Seelsorger bei, sondern auch als Arzt und half gar oft aus eigenen Mitteln, wobei er seine milde Handlung nicht ungern mit strengen Worten gegen da3 Laster und den Leichtsinn begleitete.

Andauernde Tätigkeit war ihm Bedürfnis, seine spezielle Liebhaberei die Botanik. Auf StreiEzfigen durch das Land sammelte er Pflanzen und Insekten und schrieb für Nichols Leicestershire die Naturkunde des Tales von Belvoir.

Der Radikalismus seiner Jugend ging allm&hlig in Eonsenratismus über, als ihm Amt und Würden seit 1814 war er Rektor von Trowbridge und der Um- gang mit den Vertretern der höheren Stände zur Ge- wohnheit wurden. Crabbe war einer der vielen, die sich mutig zur französischen Revolution bekannt hatten, aber

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Das beschreibende Gedicht nhd die YenenUilaiig. 511

bei ihrer Weiterentwicklung von ihr abwandten. The Vülage (1783) atmet wohl den vorrevolutionären Groll zurfickgedämmter Entrüstung. In Wirklichkeit aber wider- sprach die Pariser Erhebung, in der er „die Befreiung der Menschheit von jedem politischen und religiösen Aber- glauben, die Verneinung jeder Autorität und „die Demolie- rung des Gemeinde -Armenhauses'', d. h. die Ausgleichung der Standesunterschiede begrOßt hatte (Revolution), seinen Innersten Lebensprinzipien. Der erste Krieg Englands gegen Frankreich war in seinen Augen noch ein Kampf gegen den Geist des Fortschrittes und der ßeformen, ein Kampf, mit dem ihn nichts versöhnen könne. In Muston brachte ihn seine Sympathie mit „den französischen Grundsätzen'' in den Ruf eines Jakobiners. Doch als er sah, wie die französische Freiheit in die Despotie des Anarchismus und des Kaiserreiches fiberging, änderten sich seine An- schauungen.1) Die Bilder Ludwigs XVL und der Marie Antoinette dienen ihm späterhin nur zum Anlaß, dem Eng- länder die Dankespflicht gegen Gott einzuschärfen f Or sein glfickliches Heim, in dem er unter Freien der Freiheit genieße (The Parish Register. Introduction). Crabbes per- sönliche Auffassung der Freiheit legt er dem Helden der Tales of the Hall (I) in den Mund. Er liebt die Frei- heit, findet aber den knabenhaften UngestOm durchaus tadelnswert, der den Kampfgedanken ffir unzertrenn- lich von ihr hält und durch sein wildes Gebaren Zwang und Einschränkung notwendig macht Die gute, große Sache könne nur durch schätzende Gesetze erhalten werden. Es mfissten Wachen da sein, daß alle der Freiheit teilhaftig wflrden. Doch sollten auch die Wachen nicht fiber-

>) Vgl Kebbel, 80.

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512 Das beschreibende Gedieht und die Venenlhlnng.

michtig sein, dafi man die Sicherheit nicht zn teuer er- kaufe. Die Konstitution ist Crabbe die heilige Arche, die er mit frommem Eifer schätzt Noch nötiger wie der Ge- samtheit ist das Oesetz dem Einzelnen. Es ist das Bollwerk, das den wilden Strom der Natur eind&mmt (The Library).

Crabbes politischer Glaube ist optimistisch. Tories und Whigs werden sich einander n&hem, wie es zwei leiden- schaftslose, vemOnftige Menschen, die vieles gesehen, ge- lesen, beobachtet haben, in ihren Gefühlen tun. Sind beide von dem Wunsche nach Wahrheit und Belehrung getrieben, so sinkt die durchgreifende Verschiedenheit auf ein geringes Maß herab. 0

Eebbel bezeichnet mit vieler Berechtigung Crabbe als den typischen Geistlichen des mittleren England um die Jahrhundertwende, wie er in George Eliots Werken unsterblich lebt, wohlwollend ohne übertriebene Strenge, gleichzeitig jovial und preziOs, treuherzigen Glaubens, doch kein Ver&chter weltlicher Genüsse, von hoher geistiger Kultur und dennoch eingesponnen ins Kleine und All- tägliche, durch und durch ein Ehrenmann. In seine sp&teren Lebensjahre brachte die sich von 1816 28 in einem erbaulichen Briefwechsel ausschwelgende Seelen- freundschaft mit der Qu&ker-Dichterin Mary Leadbeater, (f 1826), der Tochter von Burkes Lehrer Richard Shackelton in Ballitore, ein nicht unwesentliches Moment^) Mary hatte sich um die Verbesserung der Jugendlektüre verdient ge- macht (Ectracts dt Original Änecdotes far (he Improvement of Youihy 1794) und schilderte später, wie ihr Freund Crabbe, mit Glück das Leben der Bauern ihrer irischen Heimat (Cottage Dialogues of Irish Peasantry, 1811). Ihr

^) Brief, Werke VI, 26. *) Kebbel 54, 89.

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Das bdschreibendd G^edicht und die Venerafthliuig. 518

tief religiöses, schlichtes und fein empfindendes Wesen tat Crabbe wohL

Sein Besuch bei Walter Scott in Edinburgh, 1822, besiegelte ein jahrelanges auf gegenseitige Hochachtung gegründetes Freundschaftsverhältnis. Alljährliche Reisen nach London erhielten Crabbe in Fühlung mit dem jüngeren Kreise der Liberalen, die zu ihm als dem Dichterpatriarchen emporblickten. Seit er, 1783, zu einer Zeit, die Leslie Stephen als einen Nadir der englischen Poesie bezeichnet, i) mit The Vülage (Das Dorf) seinen ersten großen un- bestrittenen Erfolg errungen, durfte er von sich sagen, daß er den Besten seiner Zeit genug getan. Die kritischsten Köpfe erkannten ihn als Meister an. Die poetischen Bahn- brecher ließen ihn als ihresgleichen gelten. Jeffrey z&hlte Crabbes Gedichte unter die originellsten und gewaltigsten, die die Welt jemals gesehen; Wordsworth prophezeite ihnen Fortdauer, so lange irgend eins der Zeitprodukte dauere ;>) C!oleridge fand ihren Schöpfer 1816 an Kraft und Gfenie allen anderen überlegen. Byron, der Crabbe in English Bords and Scotch Bemewers den düstersten und dennoch besten Maler der Natur genannt, erklärte ihn 1820 für den ersten unter den lebenden Dichtem. War ihm die Jugend vieles schuldig geblieben, so gab ihm das Alter jenes heitere Behagen, das ohne Bitternis auf ein langes Leben zurückblickt, und ein rascher schmerzloser Tod schnitt endlich den Faden ab.

Die poetische Erzählnng.

Crabbes ErsÜingswerk, das lehrhafte Gtedicht Inebriety (Trunkenheit), 1775, war eine steife, ungelenke Nachahmung Popes in konventioneller Manier. In der Vorrede heißt es,

0 n, 192.

>) Kebbel lOi. Oeiehielite der enirlischeii Bomantik Ü, 1. 83

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514 Dm besehieibende Gedidit und di« VenersSUiiiig'.

jeder Mensch habe seine eigene Welt ,,0b stark, ob schwach bevölkert, sie gehOrt ihm und er liebt es, sich ihrer zn rfihmen.^ Und obgleich der Zwanzigjährige sich in dies^ lehrhaften Studie &ber ein abstoßendes Thema alt und gesetzt, trocken und nflchtem stellt, weil verknöchertes Pedantentum die Vorlage ist, der er nacheifert, so hat er doch in gewissem Sinne seine Welt bereits gefanden: das poetische Genrebild, das die Gabe anschaulicher Schilderung und scharfer Zergliederung voraussetzt und die Neigung des Autors verr&t, sich zum Zensor der Gesellschaft auf- zuwerfen. Crabbe scheut das Odium des Tugendphilisters nicht, indem er sich zu den Freuden einer stillen, traulichen Ge- selligkeit bekennt. Sittliche Entrflstung verleitet ihn zur Einseitigkeit Obzwar das Thema bis zum Übermaß er- schöpft scheint in einer Art Wandeldekoration von Tmnken- heitsbildem aus allen Schichten der Gesellschaft^ fehlt doch das Lichtbild, das alles Abstoßende aufwOge, die begeisterte Trunkenheit des Ober das Irdische gehobenen Geistes. Crabbe besitzt keinen Funken Hellenentum. Er ist nicht des Gottes voll, ist selbst kein Trunkener, sondern nur ein Moralist So erscheint diese Jugendarbeit fftr seine VorzSge wie seine Mängel in seltenem Maße repräsentativ.

Auch The Liberary (Die Bibliothek), 1781, steht noch ganz auf augusteischem Boden. Die Criücal Beview lobte den gesunden Verstand, die philosophische Betrachtung, den korrekten Vers so ziemlich alles, was daran gelobt werden konnte. Wer mit modernem Sinne an diese Dichtung herantritt, glaubt einen Exkurs des Famulus Wagner zuhören. DerBfichersaal, „die Behausung der Unsterblichen^ wird zum einzigen trostreichen Zufluchtsort der von Gram und Sorgen gehetzten Seele in einer Welt, in der alles schlecht, alles dUster und verkehrt ist Höchst charakteristisch tär den in

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Das beBcbreibende Gedicht und die Verserstthlang. 515

dieser Dichtung herrschenden Bachstabengeist ist die Ordnung der Bücher nach dem Format. Ihre konkrete Beschreibung unterbrechen kritische und moralisierende Seitenblicke auf menschliche Beziehungen. Die verbitterte Stimmung ist teilweise erkünstelt, und der schulmeisterliche Ton, der jede höhere Art der Betrachtung ausschließt, hat etwas Angelerntes. Jeder persönliche Laut wird unterdrückt. Crabbes poetische Ehrenrettung ist, daß das Gedicht ge- schrieben ward, ehe er selbst noch eine Bibliothek kennen mochte.

The Vaiage (Das Dorf), 1783, das von Johnson als „originell, kräftig und elegant^ begutachtet wurde, war das Gedicht, mit dem Crabbe recht eigentlich sich selbst fand. Es ist eine bewußte Absage an die Schäferpoesie, jene kon- ventionelle Schönfärberei der Natur, der Pope unbedingt gehuldigt hatte. Er tritt bewußt als Naturalist au£ Das ist sein erster bedeutsamer Schritt zur literarischen Selb- ständigkeit. Wer von dem glücklichen jungen Landvolk singe, das tanzt und flötet und weint, der kenne es nicht. Der junge Bauer gehe gebückt hinter seinem Pfluge einher und habe zum Spiel keine Zeit (I. Buch). Crabbe holt seine Bilder aus dem freudlosen, armseligen Landleben des heimat- lichen Küstenstriches, der den Fleiß nur spärlich lohnt. Die Hütte zeigt in Wirklichkeit nichts von dem Idyll, das Poeten in sie verlegen. Das Dorfleben ist ein Leben des Leides, zusammengesetzt aus £oheit und Schmutz, aus Sorge und Not, Trunkenheit, Klatsch und Zank. Die Zeit der Kraft vergeht im Frondienst; ihr Ertrag für das Alter ist Siechtum und Mangel. Das betrogene Mädchen zerhärmt sich. Der sie verließ und der Schande preisgab, heiratet eine andere. Das Armenhaus gleicht einem Ameisenhaufen traurig verkrüppelter Leiber, gebrochener

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516 Dm bascfarabende Gedicht und die VenenihliUB^.

Herzen^ yerkommener Oeister. Der quacksalbernde Dorf- bader versetzt in einer verfallenen H&tte dem elenden Kranken den Gnadenstoß. Der junge Dorfpfarrer ist ein Lebemann, der die Tröstung der Armen und Trauernden möglichst rasch und geschäftsmäßig erledigt Sein Dasein ist von Jagd, Kartenspiel und geselligen Freuden ans- geffillt Selbst die spärlichen Lichter, die Crabbe seinem dfistem Bilde aufsetzt, zerflackem in Dunst und Rauch. Die Sonntagsfreude endet vor dem Siebter. Feld und Herde haben ihren Zauber; aber wo bleibt das ge- priesene schlichte Glfick des Hirt^ die befriedigte ESnfalt des Landmannes? So löst Crabbe auch hier bei aller Ausfflhrlichkeit die vorgesetzte Aufgabe, das ländliche Leben in seiner Gesamtheit zu schildern, nicht allseitig. Zum Teil mochte wohl seine Vorlage, die Herbigkeit des eigenen ersten Heims, daran Schuld sein.

Er nennt die Bewohner der Ostkfiste ein verwildertes, verbittertes, freches und verschlagenes Volk. Baub und Furcht und Unrecht herrsche unter ihm und die „ländliche Genügsamkeit^ sei nur jene Schwäche und Müdigkeit, die sich bei der Schande bescheidet. Zum Teil mochte es das Streben sein, die vom Pfade der Naturwahrheit ab- geirrte Poesie wieder in die Bahn der nflchtemen Wirk- lichkeit zurückzuführen, das Crabbe ins entg^engesetzte Extrem trieb. Überdies verfolgte er ja auch eine lehrhafte Absicht, der die grellen Farben zu ihrem Zwecke nicht unwillkommen waren. Die Großen der Erde sollten eine Lektion erhalten. Die Hochmütigen sollten im Laster der Niedrigen ihr demütigendes Spiegelbild erkennen. Arme wie Reiche sollten als Opfer der Trübsal hingestellt werden, die einander nicht zu beneiden brauchten.

Was Crabbe anstrebte, war völlig objektive Schilderet

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Das beschreibende Gedicht nnd die VersenShliiDg. 517

Was sich an Subjektivem einschlich^ geschah wider seinen Willen. In dieser Hinsicht bedeutet The Newspaper (Die Zeitung), 1785, wieder einen Schritt n&her zum Ziele des Un- persönlichen. Unter Vermeidung jeder eigenen Stellungnahme werden hier die zur Zeit bestehenden neunundzwanzig bri- tischen Zeitungen beschrieben, die in einer politisch erregten Epoche voll weit auseinanderlaufender Partei-Interessen und -Gegensätzen für das t&gliche Leben von tief eingreifender Bedeutung sind. Selbstredend vermag Crabbe seine indivi- duelle Ansicht nicht so völlig auszuschalten, wie er möchta Seine Schilderung wird satirisch. Die zahlreichen Abend- blätter fliegen bei einbrechender Dunkelheit wie Fleder- mäuse aus ihren Schlupfwinkeln. Das sind unsere Ftthrerl ruft er aus. Die Tagespresse ist der Poesie abträglich. Der wundeste Punkt der Zeitung ist die Poetenecke. Er warnt vor dichterischer Überproduktion. Die Dichterlinge mögen hinter ihre Pulte und Ladentische zurfickkehren. Von allen erstrebenswerten Gütern hat die Muse die wenigsten zu verleihen und gibt sie den wenigsten.

Crabbe selbst schwieg nach dieser eindringlichen Er- mahnung über zwanzig Jahre. Erst 1807 erschien er wieder in der Öffentlichkeit mit der Eahmenerzählung The Parish Register (Das Kirchenregister). Ihre einfache Voraus- setzung ist, daß der Pfarrer am Jahresschlüsse in den „schlichten Annalen der Armengemeinde" blättert Die Einträge von Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen ergeben zwanglos die drei Rubriken, unter denen Crabbe eine be- liebige Anzahl von Lebensschicksalen der ihm nahestehenden und vertrauten Volksschichten aneinanderreihen kann. Die schöne Tochter des hochmütigen Müllers bringt, verflucht und verstoßen, ein Kind der Schande strenge Mütter sagen: der Sünde zur Taufe. Ihr Liebster kehrt

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518 Das b«0clireib«nd6 Gedidit und die VersefBahliu^.

nimmer heim yon seiner Seefahrt. Sie fristet als Bettlerin ein Scheinleben. Sodann naht dankbar ein sparsames und arbeitsames Iftndliches Mnsterehepaar mit iem erhofften mftnnlichen Sprossen. Die wackere Schallehrerin bringt d^ nachgeborenen Knaben der jungen Witwe, die bei der Gebart des I[indes dem Gatten in den Tod gefolgt Schließlich kommt noch der Findling dran, den ein Landstreicherpaar zorück- ließ and der anf Gtemeindekosten erzogen d. h. geprügelt and bis zam Stamp&inn verwahrlost wird, aber aas eigener Kraft seinen Weg in der Welt macht

In gleicher Weise treten yor den Traualtar übel and gut Gepaarte, Ernste and Leichtfertige, ünschaldsvoUe, die ins Leben hinaosblicken, and solche, denen die Heirat den sfihnenden Abschlafi voreiliger Freuden bedeutet und wie jede Trauungsgeschichte einen einfachen Lebensroman auf wenigen Seiten enthält, so auch jede Schilderung der dritten Abteilung, des Sterbens und Begrabenwerdens. Da ist der st&mmige, selbstbewußte Bauer, der von keiner Resignation im Tode, keiner Demütigung vor Gott hören will; der blinde Wirt, dessen Seele nur Gewinnsucht kennt und niedrigste Lebensfreuden; die kluge, tfichtige Hausfrau; die engherzige, verknöcherte alte Jungfer; der in der Heimat fremd ge- wordene Seefahrer. Da gibt es vornehme Begräbnisse mit viel äußerlichem Schaugepränge und wenig innerer Teilnahme, wie das der gütigen Schloßherrin, und ärm- lichste Bestattungen mit gebrochenen Herzen^ wie das der trefflichen Mutter, die eine verlassene Kinderschar, ein verödetes Heim hinterläßt

Auch im Parish Register ist, wie in The ViUage^ das getreue Wirklichkeitsbild Crabbes Hauptaugenmerk. Er fragt: Gibt es außer in der Dichtung ein Land der Liebe, der Freiheit und des Behagens, wo der nie versiegende

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Das besehreibende Gedicht nnd die VeneraiOiliuig. 519

Strom ländlichen Glückes nicht von der Arbeit matt nnd trüby von Sorgen erstickt würde, wo das stolze SchloB nicht der niederen Hütte den Sonnenschein abhielte? Und die Antwort lantet: Dn suchst es vergeblich. Seit dem Sfindenfall and der Sintflut findet sich kein Aubum und kein Eden mehr. Seitdem ist Gutes und Böses vermischt Allein der Mensch besitzt die Kraft, beides zu scheiden, wenn er nur den Willen dazu hat

So bezeugt schon dieser Nachsatz, daB der ge- reifte, in das ruhige Fahrwasser eines behaglichen Lebens getretene Crabbe hier mehr als in den Jugendwerken gewillt ist, das Dasein von seinen beiden Seiten zu sehen. Neben das abstoßende Bild der Dorfstraße mit den Kehrichthaufen vor den Häusern, um deren Abhub I[inder, Hunde, Schweine streiten, mit ihren verwahrlosten Gestalten betrunkener Männer, verprügelter Weiber, sich selbst überlassener Kinder, ihrem Balgen, Zanken, Fluchen, stellt Crabbe das behagliche, saubere Heim des fleißigen, braven Arbeiters dar, wo auf fichtenem Brett das Gesang- buch und Bunyans Pilgrim ruht> wo Sonntagabend die Familie sich fröhlich vereint und aus dem Fenster auf ein eigenes Stücklein gut gepflegten Gartengrundes blickt

Crabbe unterbricht die Reihe der unglücklichen Heiraten mit dem Einwurfe, ob denn Hymen immer finster blicke, ob jeder Eheschluß nur Reue im Gefolge habe? Und er antwortet mit dem Ausrufe: Yerhüt' es die liebe! Ja, selbst den Begräbnissen wird der Stachel genommen durch den trostreichen Nachsatz: Wir alle gehen, aber das Leben setzt seinen unerschöpflichen Kreislauf fort

Der Leser spürt die belehrende Absicht Die Er- zählung von Reu und Leid soll durch das abschreckende Bei- spiel Schuld und Laster verhüten. Flieht die Versuchung,

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520 Das besdireibende Gedidit nnd die VenenShlting.

0 Jünglinge! Laßt ab! ruft Crabbe. Allein er bohrt tief^. Er forscht dem Urspronge des Elends nach. Woher kommt all das Weh? Und er entdeckt die letzte Ursache in dem Mangel am Willen zur Tugend, in dem Mangel an Scham- haftigkeit, an Fleiß nnd Geschick. Wo er Spielkarten sieht statt des Spinnrades, die Branntweinflasche statt der Uhr, lockere aufreizende Flugblätter statt eines ernsten Buches, da ist ihm der Sitz des Übels klar. Abhilfe sucht er bei den Einflußreichen und HOhergestellten, die zur Macht audi die Einsicht haben sollten, die bOsen Zustände abzustellen.

The Village und The Parish Register umfassen den Um- kreis des Lebens, so weit Crabbes Auge zu reichen vermag. Seine späteren Arbeiten erschöpfen die Einzelheiten inner- halb dieses Gesichtsfeldes, ohne die Linien des Horizontes weiter hinaus zu schieben.

The Borough (Der Marktfleck), 1810, schildert in 24 Briefen an einen Freund ein vergrößertes Aldeburgk Die topographische Beschreibung ist steUenweise von plastischer Bildhaftigkeit Wir sehen den dflrftigen, mit kargem Gras bestandenen Boden, den hafenartig erweiterten Strom, die Austembänke, Fischer, die in Kälte und Nässe an ihrem Schleppnetz hantieren. Die Besprechung ein- zelner Ortsgebäude bietet den Übergang zu sozialen Ein- richtungen und Persönlichkeiten, die leidenschaftslos be- handelt werden in dem fdhlbaren Bestreben, sich der Idealisierung wie der Verzerrung gleich sehr zu enthalten. Der Gegenstand manches Kapitels (IV über Sektenwesen, VI, Vn, Vm über Gewerbe und Berufe) spottet schlechter- dings poetischer Behandlung. Crabbe selber sagt^ die Muse, sich überlassen, hütete sich wohl, diese Gegenstände zu wählen, aber da sie zum Orte gehören, müsse er sie in seine Schilderung aufnehmen. Innerhalb der gereimten Ab-

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Das beflcbrabende Gedicht nnd die Yersenfthlniig. 521

handlang wird manches Einzelbild mit sicherer Hand in kr&ftigen Strichen hingeworfen. Der dürftige, von allen geachtete alte Pfarrer, dessen Gelehrtenehrgeiz die Sorge fflr eine zahlreiche Familie vernichtet hat, dessen stille Oelehrtenstnbe aber dennoch andauernd die Zuflucht und das Glück seiner armseligen Existenz bildet; der Vicar, der prächtig gelungene Typus des Durchschnittsmenschen, der gut geblieben, weniger aus Tugend, als weil ihm zur Sünde der Mut, die Phantasie, die Leidenschaft ge- brach, und für dessen behaglich trägen Sinn die Gewohnheit den höchsten Wahrheitsbeweis erbringt

Stadthaus und Gasthöfe leiten über auf politische Zu- stände und Unterhaltungen. Crabbes Streben nach Billigkeit und Gerechtigkeit tritt auch hier zutage. Obzwar bei den Wahlen der wild entfesselte Parteigeist sich eben wieder in allen seinen häßlichen Leidenschaften ausgetobt, soll doch die rege politische Teilnahme nicht verurteilt werden. Sie ist der heilige Stamm, der Kraft und Freiheit hervor- bringt

Die Zerstreuungen des Ortes bestehen im Naturgenuß. Das Kapitel verläuft bezeichnender Weise in die Schilderung des Meeres und eines in Todesnot schwebenden Bootes. Indeß kommen auch alljährlich Komödianten, „das glücklich- traurige Geschlecht^, rasch auf der Höhe, rasch am Ab- grund, in Betrübnis eitel, durch Elend nicht belehrt, durch Gewinn nicht bereichert, Sklaven, deren Wandern Freiheit scheint, flüchtig ihr Gram, ihr Glück ein Traum.

Das Armenhaus bietet Anlaß zur Prüfung des Systems der Armenpflege, das Crabbes Beifall nicht flndet Macht es doch das Armenhaus zu einem Gefängnis mit milderem Namen. Der Besitzer eines baufälligen Warenspeichers, den er als Massenquartier an Unbemittelte vermietet, er-

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522 Das bescfareibeade OtcQcht ud die y«rMKBiUiuicr.

scheint als Vorlftofer von G. B. Shaws Sartorins (Widotcers Hauses). Einzelne Bewohner des Armenhanses werden als lehrreiche Exempel yorgefflhrt Zu gleich erbaulichen Betrachtungen geben die Gefängnisse Anlafi. Crabbes Phantasie, durch einen Besuch in Newgate (1780) angeregt» zeichnet den frechen wie den zerknirschten Verbrecher.

Kulturhistorisch interessante Silhouetten entrollen die Lehranstalten. Den stiUen Schuhneister Abel Eeene haben neumodische Freigeister zu Grunde gerichtet. Auch ron der modernen Einrichtung der G^richtsverwaltung will Crabbe nichts wissen. Unter Georg ü. gab es einen Juristen im Orte und selbst der war nur der Form wegen da, hatte einen Schreiber und war biUig und freundlich. Jetzt rennt alles zu Gericht Die Advokaten bereichem sich und die angebliche Rechtspfl^e dient nicht mehr dazu, die Menschen zu schützen, sondern sie zu quUen.

Die allgemeinen Betrachtungen nehmen im Borough einen oft unerträglich breiten Raum ein. Das Überwuchern der Reflexion und das Verblassen der Lokalfärbung gehen Hand inHand. Das so eingehend geschilderte Dorf hat keinen Namen. Wir erfahren nichts über den Verfasser, nichts über den Empfänger der 24 Briefe. Keine einzige Persön- lichkeit tritt in individueller Lebendigkeit hervor, kein einziger Vorgang ruft persönliches Interesse und Mitgefühl wach und unsere Phantasie wird nicht in Spannung versetzt

Eine 1812 erschienene Sammlung von Tales (Er- zählungen) wurde von der Edinburgh Review sehr richtig als ergänzendes Kapitel zum Borough oder Parish Begister erkannt Sie schärfen mehr durch Situations- als durch Charakterbilder praktische Vorschriften ein oder illu- strieren Erfahrungssätze, die mitunter gleich an den

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Dm beschreibende Gedicht nnd die Venerzahlimg. 523

AnfaDg gestellt sind. AUe Menschen wären feige, wenn sie es wagten, nämlich wenn sie den Mnt der Wahrheit hätten, sich zn geben wie sie sind {The Durnb Orator. Der stamme Redner). Die Liebe stirbt, der holde Tranm verfliegt nnd was an seine Stelle tritt Geringschätzung, Achtung oder Gleichgültigkeit deckt sich nicht mit ihm (FrocrastinaHon. Au&chub). Die Selbstfiberhebung der bewußten persön- lichen Yorzfiglichkeit kommt zu Fall und lernt Demut und Nachsicht {Arabella). Die Gier nach weltlichem Gut fahrt zur Verarmung an den wahren Schätzen des Lebens {Squire Thomas). Weibliche Härte und zu späte Reue werden in kleinbürgerlichen Milieus von grauer Nüchtern- heit mit unbarmherziger Treue wiedergegeben. {Besentment. Rache; The Frank Courtship. Aufrichtige Werbung; The Mother. Die Mutter). Nur ausnahmsweise kommt der Stimmung der Humor zu Hilfe, wie in The Leamed Boy (Der junge Gelehrte), den der Vater mit einer Tracht Prügel von seinem Londoner Studium kuriert. Gewöhnlich ist es allein die Anschaulichkeit der Schilderung, die Kunst der Glaubwürdigkeit, die bei aller stofflichen Armut den schlichten Vorgang eindrucksvoll machen {The Brothers. Die Brüder). So übertrifft The Confident (JDie Vertraute) in ihrer herben Realistik Lambs aus dieser Erzählung ent- lehntes Drama, und die das Enoch ^r^^en -Thema behandelnde Erzählung The Parting Hour pie Scheidestunde) hat in ihrer schlichten Knappheit und ihrem versöhnlichen Aus- klingen manches vor Tennysons Behandlung voraus.

1819 erschien Crabbes zweite Rahmenerzählung Tales of ffie HaU (Erzählungen aus dem Herrenhause). Die zu Grunde gelegte Fiktion, daß zwei Brüder sich nach langen Jahren der Trennung wiederfinden und einander ihre eigenen Erlebnisse und die von Freunden und Nachbarn erzählen,

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524 Du beschreibende Gedicht ud die Venendihliiiig.

ergibt durch die Verschiedenheit der beiden Erz&hler, ihrer Schicksale und Weltanschauungen die Möglichkeit einer Steigerung des persönlichen Interesses. George, der altere, Unverheiratete, Wohllebende, ist Toiy, eine geistig über- legene, seit seiner unglücklichen Jugendliebe eine in sich gekehrte, verschlossene Natur. Angeborene Schroffheit hat sich mit den Jahren zu sarkastischer Strenge ausgebildet Er sinnt den großen Problemen nach, hat feierliche An- sichten über Religion und ist in seinem Denken und Handeln durchaus wahrhaft und korrekt. Wer ihn kennt, d^ achtet ihn, aber es kennen ihn nicht viela

Eichard, der jüngere, hat eine Offizierslaufbahn hinter sich. Er ist der Offenherzigere, Fröhlichere, Ge- selligere, ein Anh&nger whiggistischer Beform- und Frei- heitsideen, von gefälligem Äußeren, sanft und schw&rmerisch, glücklicher Gatte und Vater. Nur im Elrwerben von Eeichtümem hat er weniger Erfolg gehabt als der Bruder. Als er nun nach mehrwöchentlichem Besuche in The Hau aus Sehnsucht nach den Seinen ans Scheiden denkt^ ent- hüllt ihm George, der ihn nicht mehr missen kann, eine sinnige Ueberraschung. Er hat für ihn das Nachbargut erstanden, auf dem ihn Frau und Kinder bereits erwarten.

Die beiderseitigen Erzählungen finden zwanglos nach dem Essen beim Glase Wein statt. Die Charakteristik der Brüder ist bis ins Einzelne fein durchgeffihrt George, ein wenig steif und förmlich, nicht ganz frei von der Pedanterie des Junggesellen, Bichard temperamentvoll und herzlich, so haben wir die Erzähler lebendig vor uns auf ihrem altehrwürdigen Herrensitze mit seiner prächtigen Allee gekappter ülmen, die zu dem Schlosse führt.

Wir erfahren ihien Werdegang, hören wie in George die stolze Anhänglichkeit an den ererbten Boden, die ihn

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Das beschreibende Gedieht and die Venerzfthlnng. 525

zam Landwirt yorbestimmt, den AasscUag gab und wie er nach einer romantischen Schwärmerei für eine Unbe- kannte, die er schlieBlich als gefallenen Engel wiederfindet, yereinsamte, während Richard, mit aller Gewalt vom Meere angezogen, den Eri^ gegen Spanien mitmachte nnd als Verwundeter die Liebe eines holden PfarrertOchterleins gewann. Der Schluß eröffnet in der Wiedervereinigung der Br&der die Aussicht auf dauerndes trauliches Familienglflck. Eingeflochten sind die Lebensgeschichten der Nachbarn und Nachbarinnen, im ganzen zweiundzwanzig. Obzwar keiner etwas Auß^gewöhnliches erlebte, hat doch jeder sein Schicksal gehabt. Crabbe greift hinein ins volle Menschen- leben, und das Dichterwort bewahrheitet sich ihm: wo er es packt^ da ist es interessant, der Betrachtung wert, Inhalts* und lehrreich, wenn auch nicht spannend im Sinne ge- wöhnlicher Somanlektfire. Die Fülle der Gestalten und Situationen in dem engen dörfischen Milieu nimmt Wunder. Das stille Idyll der beiden trefflichen Schwestern, die im Glfickshafen des Lebens eine Niete gezogen und in wunsch- loser Resignation ihre Tage zu Ende spinnen {The Sisters); die Dorftragödie der ungltlcklichen Buth, die trotz ihrer Leichtfertigkeit vor der Sünde zurftckschreckt, einen un- geliebten Mann zu heiraten; die grausame Bache eines ab- gewiesenen alten Freiers (Sir Owen DdU); die Musterehe des Wirtes und der Wirtin vom Goldenen Vliefi, die den Kampf des Lebens gemeinsam bestanden und in ihren alten Tagen durch das Schicksal einer Nichte in Mit- leidenschaft gezogen werden (William Baüey); die keusche SprOdigkeit eines echt weiblichen Gemütes (Ellen). Hier und da unterbricht etwas Aufiergewöhnliches das Einerlei der Durchschnitts-Dorfezistenzen, z. B. die Gespenstergeschichte The Caihedral W(M (Der Eirchweg) Crabbe, der in der

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526 Das beschreibende Gedicht und die VeisenShlnng.

Kindheit mit Leidenschaft Balladen nnd Schanerromane ver- schlangen, hatte zeitlebens etwas flbiig ffir das Spnkhafte Oder er schafft Abwechslang dnrch eine Abentearergeschichte wie Smugglers andPoackers (Schmaggler and Wilddiebe), mit dem trefflich charakterisierten Brfiderpaar James and Robert, jener im Pnnkte derBerafspflichtanbeogsamandohneHerzens- konflikte, eine Art Erbförster, dieser impalsiv, von Daseins- last erfOUt, beide anedel and egoistisch. Das Motiv der Lebensrettang eines Liebhabers dnrch freiwilliges sich Preisgeben der Geliebten scheint aas Mafi für Maß ent- lehnt. E&nstlerisch am höchsten stehen jene Erz&hlongen, die nar einen Aasschnitt des Alltags wiedergeben and deren ganzer Reiz in der geschickten Erzfthltechnik and der sanberen Charakterzeichnang besteht {Delay hos Danger. Verzögerang bringt Gefahr; TJie Natural Death of Love. Der Liebe natOrlicher Tod).

Die lehrhafte Tendenz ist in den Tales of the Hall weniger anfdringlich als in Crabbes frflheren Werken. Die Neignng, alles im schwärzesten Lichte zn sehen, hat dem milden Ernst einer gesetzten Lebensanffassang Platz gemacht Crabbe steht nnn nicht mehr an, jedem Schatten- bilde aach sein freandliches Gtegenstück za geben. Schildert er in Sir Owen Dale einen von wilder Eifersacht be- herrschten Charakter, so setzt er ihn im seinem P&chter EUis ein Wanderbild langmütiger Dnldang an die Seite nnd läßt das Gate sich stärker erweisen als das Schlechte. (ßir Owen Dale),

Wie die Tales eine Zngabe des Boraugh bildeten, so die zwei Jahre nach Crabbes Tode erschienenen Posthutnaus Tales, 1834, eine Ergänznng der Tahs of the Hall Bis zaletzt gelingt es Crabbe, dem Dorfleben neae Seiten ab- zagewinnen nnd Momente hervorzuziehen, die bisher nn-

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Dm besehreibende Gedicht und die VersenShlnng^. 527

bertthrt gebliebeiL In The Dealer and ffie Clerk (Kauf- mann nnd Eommis) tritt der Wucherer auf; in Süford Hall, or The Happy Day (Der glückliche Tag) steht das Dorfkind Peter Perkin im Mittelpunkt. Moderne Probleme werden in Erwägung gezogen. In der Nebeneinanderstellung von Wahlverwandtschaft und Familie fallt diese Entscheidung zugunsten der ersteren (The Famüy ofLove. Angehörige der Liebe). Das Hereinbrechen einer neuen Zeit über die feudalen Landsitze wird wehmütig berührt in The Ancient Manaion (Das alte Schlofi). Der Blaustrumpf erhalt sein Teil an Spott und Tadel (The Decan's Lady. Die Frau Dechant), während The Wife and Widoto (Gattin und Witwe) ein Beispiel weiblicher Selbständigkeit bringt und sich heftig gegen die Männer wendet, die in der Frau nur ihre Schwäche und Unselbständigkeit lieben und großziehen. Im Allgemeinen stellen sich die Nachgelassenen Erzäh- lungen komplizierte psychologische Aufgaben, deren Lösung allerdings nicht vollkommen befriedigt, z. B. die Analyse des Charakterlosen, der seine Schwäche einsieht, aber nicht über sie hinaus kann {The Dealer and the Clerk), oder die auf die Todfeindschaft der Eltern gepfropfte Liebe der Kinder, (The Boat ofBace. Das Rennboot), eine Art Bomeo umd Julia auf dem Lande, dessen Wirkung durch die fehlende Verknüpfung von innerer Ursache und äußerer Wirkung beeinträchtigt wird, indem der Untergang des Verlobten zu dem Hasse der Eltern keinen Bezug hat.

Der Diehter der Armen.

Der Überblick über Crabbes poetische Erzählungen zeigt das Wachstum und die Entwicklung eines echten und starken Talentes aus der Abhängigkeit von Vorbildern zur selbständigen Eigenart The Library und The New^aper sind

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528 Dm besoliraibeDde Qedioht und die Venenililiuig.

noch gänzlich akademische Versnche, die sich fast onp^- sönlich, formell im Versmaft, in dem festen regehn&fiigen Schema, in der Holdigong für einen hohen Gönner genBXk an das klassische Vorbild halten. Allmählich tritt immer stärker das Verlangen nach freier Bewegung hervor. Die Komposition sprengt die Fessel eines Planes, sie yer- zichtet von vornherein auf Einheit und Znsammenhang und gestattet sich in Häufungen, Wiederholungen und breiten Einzelheiten ein Überfluten aller formalen Dämme, das den modernen Leser als rettungslose Langeweile ab- schreckt Denn „Crabbes Talent ist kurzatmig,'' sagt Kebbel, „der kfihne Wurf des Epikers mangelt ihm.^ Wo er, durch den aufierordentlichen Erfolg seines Erzähler- talentes getrieben, über das Skizzenhafte hinausstrebt, er- reicht er nur ein äußerliches Anwachsen von Details, ein Zerfließen des geringfügigen Inhaltes in die Breite, nicht das Ausgestalten einer gewaltigen Lebensidee zn einem großen organischen EunstwerL So drückt sich bei ihm das Beiferwerden lediglich in der Veryollkommnnng der Einzelschilderung ans.

Grabbe hat keine Erfindungsgabe. Er verfügt nur über ein außergewfihnliches Maß von Nachbildungsfähigkeit Seine Kunst besteht in der Wiedergabe des wirklich Oe- schauten und Vernommenen, über das seine Dichterphantasie nicht hinausdringt. Jeffrey nannte ihn den poetischen Rembrandt^) Vielleicht wäre es richtiger, ihn einem Denner zu vergleichen. Seine Stärke liegt nicht in der Perspektive, nicht im Gesamtausdruck, sie ist nicht im- pressionistisch. Sie beruht auf starker Einzelbeobachtung und besteht in der peinlich exakten Wiedergabe des Gering-

») Warka Vü, 181.

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Das besdireibende Oedieht nnd die Venerzfthlnng. 529

fügigen. Hazlitt fBhlte sich abgestoBen durch die mikro- skopische Genauigkeit^ mit der er die trivialsten Dinge zer- gliedert. Selbst wo es Gewaltigstes darzustellen gibt, ist sein Bild wie unter der Lupe gemalt. Bei der Schilderung eines Seesturms geht er liebevoll auf die ihm vertraute Eigenart der EfistenvSgel ein. Der Sturmvogel Meigt und sinkt und spielt mit seiner Brut weit draußen auf den Wogen; die Wildenten ziehen hoch oben in Schw&rmen; die M5ven tauchen am Ufer oder streichen gegen den Wind und ihr klagender Schrei gellt durch die Luft (Boraugh I).

In einer Sommerlandschaft erfreuen „jungfräuliche Motten^ den Blick. Über der kaiserlichen Eiche thront ein Kaiser: das Nachtp&uenauge. Der gierige Totenkopf bedroht die Honigblflten, prflft im Bittersrpombeet jedes Blfltchen, wo Überfluß an Süßigkeit sei Zustimmend summt er und saugt, auf emsigen Schwingen ruhend, mit feinem Geffihl aus jeder Blume und kostet keine zum zweiten- mal (Baraugh VII). Wo andre Dichter schlechthin von d^ Vögeln des Meeres oder den Schmetterlingen der Au reden wflrden, benennt und schildert Crabbe jeden einzehien in seiner Eigenart

Dennoch hatte er nach dem Zeugnis seines Sohnes fftr das, was man gemeinhin NaturschSnheit nennt, kein Auge. Nur bedeutsam und anziehend in ihrer Axt dfinkt ihn jede Landschaft, wie er jedes Menschenschicksal interessant findet „Alles, was wachst^'' sagt er, „besitzt Anmut, ist zweck- mäßig.^ >) ^ ^ ®s c^^ gewisse respektvolle JBescheiden- heit vor der Natur, die ihn abhält, Aber sie hinausgehen zu wollen. Die Ehrlichkeit seiner Hingabe an die Natur

1) The Lover's Jowniey. OMehiehte der enffUieheii Bomantik 11,1. 84

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&30 Dai bMobnÜMnde G^okt vmi die V«fW»Uil«Bfir.

wird der charakteristisdie Vorzug seiner Schildenuig, Er leistet begreiflicherweifle sein Bestes, wo der Gewissen- haftigkeit seiner Beobaehtong lebenslange Vertrantlieit mit dem Gegenstande zu Hilfe kommt: in den Bildern seiner dürftigen Heimat Seine Anhkngliehkeit an das nnsdiSne Land ist rithrend. E&ies Sonntsges (1787) packt ihn die Sehnsucht so heftig, daS er 60 Meilen weit reitet, am in die Wellen zn tanehen, die Aldebnrgh bespfilcA, worauf et nnrerweilt den B&ckweg antritt Wenige Diditer haben die Heide der Kfiste gemalt wie Crabbe. lin Moorland dnftet der Ginster, glfihen die roten Blüten der Besenheide, dieSdiarlach- pflnktchen der gr&nbefranzten Becherflechte. In Feldern heiflen Sandes wichst purpurner Mohn. XTngewartet, ffir alle blflht am Rain der wilde Boscnstranch, heflkrSftiga' Wermat und spirlicher Elee. Wer sagt, dafi die Heide dürr und traurig sei? Gibtesdochanfihrselbstmageres Weideland Kleine schwarzbeinige Schafe verschlingen gierig das Gras. Der aufgeschüttete Torf nimmt sich feierlich düster ans. Das Marschland, hart am Meere, durchschneidet ein Damm. Rauhe Binsen neigen ihre braunen Kolben hinab in da trüben, trügen, schlammigen FlnÜ^ in dem ein gesunkenes Boot liegt Feme rauschen die Wogen. Kein Baum, keine HedLe stellt sich vor den glühenden Soimenball {The Lovet^s Journey).

Vor allem ist es der Ozean, „das glorrdchste Blatt im Buche der Natur ^,^) den Crabbe in Sturm und Ruhe, bei Mond- und Sonnenschein, in all seinm ewig wechselnden Wundem gemalt hat Von den Kindheitseindrücken an bis zur letzten Fahrt, als er 1880 an einem ranhra November* tage von Hastings auf das wilde Meer hinausfuhr, hat seine

>) The Barough IX.

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Dm beiehztibeiida Gedieht und fie VenersSUiiBg. 531

Sode im Anblick des Elmieates gejauchzt und geschauert, hat er es mit nie versagender Kraft der Stimmung ge- zeichnet — erhaben in jeder Erscheinungsform, ob von Zq^hiren eingelullt oder von St&rmen erregt, von wechsdnder Farbe, je nachdem die Wolkenschatten dar&ber hinstreichen, bald bräunlich-grau, bald durchsichtig blau, bald in gran ver- schwimmeud. Nun tftuscht der Nebel selbst dem erfahrenen Auge aUerlei (Gestalten vor. Nun hebt und senkt sich am Sommemachmittag der breite Busen der See wie schlafend, in regelmifiiger Bewegung. Träge, erschöpfte Wellen kräuseln sich anf dem gefurchten Sande oder pochen mit leisem Schlage an das geteerte Boot und rollen zögernd zQjtiAy langsam und saeht Die Schiffe liegen verankert Am steinigen Strande wird die Ebbe sichtbar.

Nun naht der WintersturuL Der plumpe Tftmmler hat sich gezeigt Deir Himmel ist nur eine schwarze Wolke. Die brediende Welle tberschflttet die steigende mit ihrem niederstürzenden Schannt Die unendliche Tiefe ist ein Bild des Wandels, des Kampfes. Sturmgeheul und Dunkel verschlingen das AlL IHe Wogen sptlen eine Leiche ans Ufer. Bäuber schUdchm an ihr Handwerk. Draußen ist ein Schiff in Not Der Mond erscheint auf einen Augen- blick und in seinem entsetzensvollen Glänze sehen die am Ufer Versammelten, daß Hilfe unmöglich ist

Doch läßt Grabbe es bei den großen Natncschauspielen nicht bewenden. Was immer den Strand belebt, von den ICusehdtieren angefangen, die die ebbende See an jedem Sommerabend im Sande zurftckläßt, bis zum Handels- und Bad^ettiebe, den Spaziergdiem nnd Seefahrern, die von lernen Llndfini und Abenteuern erzählen, findet alles Baum und alles hier Erwähnte in einem einzigen Gedichte, The Baraugk

84*

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582 DMbmbtibeAaeOedkliiuiafieVcntfiiUiikg.

Neben seiner SlMnmalerei ist die Ennst d^ StJnmwng nieht zn imtenclüUaEm. Er sdbst sagt: „Die Seele isfa, die sieht'' (Tke Laver^s Jaumeg). In Tales ofikeHaUiTV) yergleiclit er die reidien Sdiitze des Herbstes einer rcidie& Schonen, deren erste Jngendblfite vorttber ist nnd die nun noch prichtigernndttppiger erscheint Das schwere, feuchte Gras ist yom Schritt des Wanderers flach gelegt, der Mfihlbach geschwollen vom nichtlichen Begeo. In der Horgenbriese sammeln sich die Erihen znm Finge nadi der Kbte; lange gelbe Weidenblitter rings verstrent, er- sticken den schmalen Blnß nnd seinen schwachen Laut. Das weUce Laub fUlt von den hohen Bftnmen nnd der Onts- herr sagt nnwillkflrlich : ,, Jal zweiMlos! wir mfissen sterb^i!''

In Tiden Fillen gibt die Nator die Resonanz für die CSiaraktersfimmnng d«r auftretenden Personen. Tennyson bewunderte die Schildemng einer Ohtoberlandschaft) in der der entmutigte Liebhaber seine Niedergeschlagenheit ge- spiegelt sieht 0 WieprichtigTerschArftwirdnichtdie düstere Gestalt des geizigen Wucherers, der einen Mord auf dem Gewissen hat, durch die Schilderung seines Hundes Fang (Packan), der trotz reichlichen Futters kein Fett ansetzt, der sich das Fleisch Ton den Knochen bellt und knorrt und heult Er ist ein Gerippe mit einan zottigen roten FelL Er lahmt auf einem Bein. Aber er ist der Freund seines Herrn, der unter seinesgleichen keinen Freund hat, nnd der Herr liebt seine Stimme, welche sagt: Ich belle und beifle, weil ich hasse und mich fflrchte. In einer jraer dunklen NAchte, deren StOrme Packan sonst ftberbrttllte, yerstummt plötzlich diese Stimme. Auf dem stillen Hofe findet ihn der Meister mit einer tiefen Wunde in der kalten Brust Am

0 E-Fitsgenad, Seadmgs fir<m OrcMe.

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Das bMchmbande Gedicht und die VenerzShlniig. 533

Morgen darauf Hegt auch der Wucherer im Hofe leblos neben seinem toten Hnnde {The Dealer and the GUrk).

Weniger wirksam ist es, wenn Crabbe in einer Neben- einanderstellnmg der Natnr nnd des Menschen gewisser- mafien einen Veif^leich zwischen beiden zieht, wie zwischen dem rastlosen Ozean nnd seinem eigene Geiste. Dort Welle anf Welle, hier Gedanke auf Gtedanke; dort eitel Unkraut^ hier eitle Werke; hier und dort dunkle Aussichten, dort ein freundlicher Mondstrahl, hier der Muse linderndes Licht (Fragment fvritten at Midnight Fragment, um Mittemacht geschrieben, 1797).

Wo Crabbe Symbolik oder märchenartige Personifikation beabsichtigt, gelingt seiner kfihnen Verstandesnatur in der Begel nur die Allegorie. (So der Genius loci in The Library-^ die Muse in The JVisw&paper, die Schmeichelei, die ursprttng« lieh gut beanlagte Tochter des Mangels und der List, die ein Opfer des Neides wird, in The Birth ofFlattery. Die Geburt der Schmeichelei). Er wählt das klttgere Teil und sagt der Phantasie, die er nicht besitzt, in aller Form ab. Sie vennöge nur dem sorglosen Eindergemfite ein Paradies vorzuspiegeln, das reife Alter fordere statt ihres Zaubers Weisheit (The Library). Crabbe verhält sich prinzipiell ab- lehnend gegen „die Bomantik^, mit welchem Namen er bei- sjäelsweise die Verschrobenheit des jungen Mädchens belegt, das über seinem eingebildeten Heldenideal den Wert ihres wackem Freiers aus dem Landmannsstande verkennt (The Widaw'a Tale. Die Geschichte der Witwe), oder die Aus- schweifungen eines Jfinglings, der, genial und enthusiastisch veranlagt, liederlicher Gesellschaft anheimfällt (Edward Share).

In Wahrheit ist der Einfluß der Romantik gerade in Crabbes Eleinmalerei fühlbar, die durch die Ausschaltung

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534 Dm bewhreibttda Gedickt und die VemniUug.

der ninsion, durch LebliAfÜgkelt und Sicherlieit der Wieder- gabe dem Dürftigen nnd AUtiglichen poetuchen Beiz ab- zugewinnen sucht, indem sie seine innerste Natur auf- deckt, die stets ihren spesdflschen Wert hat Ißt Becht verweist Arthur Symons daraof , daß Grabbes Standpunkt vielfach der Zolas ist: Nichts wirklich Existierendes sei fBr die Poesie zu niedrig oder zu gering. 0 I>ie Lebenseditheit wird bei Grabbe zu einem Agens, das ihm die Phantasie ersetzen solL Aber auch zur Schilderung des Tatsftchlichen gehört Phantasie. Der Dichter darf kein Invwtar dessen aufnehmen, was sein leibliches Auge sieht, er mufi es mit dem Auge des Oeistes in seiner Binbildung schauen, um es lebenswahr nachbilden zu kOnnen.') Dieser künst- lerische Prozeß der inneren Umwertung fehlt bd Grabbe. Jeder gute Erzähler arbeitet im Grunde wie der Zeichner und ein heutiger bedeutender Maler (Liebermann) sagt mit Becht: „Zeichnen ist weglassen.^') Grabbe läßt nichts weg. Er registriert peinlich jede Einzelheit ohne den künstlerischen Instinkt für das Gharakteristische, das ffir die Gesamtwirkung des Ganzen wichtiger ist als eine An- häufung von emander nebengeordneten Einzelheiten. So wird sein Überfluß zum Mangel Wo ihm die Selbstbeschränkung, das Einpassen des kräftig geschauten Lebensausschnittes in den kflnstlerischen Bahmen gelingt, da liefert er Genre- Inlder von unbestreitbarem Werte: das Armenbegräbnis {The VtOage)] die irrsinnige Verlassene, die in der kalten Mondnacht ihr Bad ohne Spindel dreht und, melancholische Lieder singend, den heimgekehrten Geliebten nicht eikennt

>) Bomoßia^ Matemen^ 60.

*) Karl Strecker, Qerkaitäi HanpimaivM HaM^fikrtim^ ah Epiker (Literarischea EiAo, 1. Jan. 1918). ■) Sbe&da.

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Das b€idimbende Gedicht und die Venenlthliuig. 535

(BaAel); die traneinde Witwe am Fenster ihres mit Danerrosen nmrankten H&nschens (To^ of the HaU XU), und Tide andere.

In der Oiarakteristik waltet gleicUalls das Skizzen- hafte bei anssehliefilich realistischer Bestrebnng Tor. Crabhe ist auch als CSiarakteristiker weniger Seelenanalytiker als Detaümaler der Persönlichkeit In Taks of the Hall (T) apostrophiert er die Wahrheit: „Laft mich die Oemüter, die ich zeichne klar schauen, wie sie in dir geschaut werden! Teile mir ihre Vorzfige und ihre Fehler mit! Oew&hre mir, daß ich sagen darf: Schwaches Geschfipt, so bist du! Laß mich das nackte Henschenherz in der N&he sehen!'*

Je mehr Crabbe in seiner Entwicklung fortschreitet^ desto mehr macht sich bei ihm das Streben geltend, seine Gestalten aus bloßen Charaktertypen zu Individualitäten herauszuarbeiten. Sie sind fast alle nach dem Leben ge- zeichnet, durch Personen seiner Bekanntschaft angeregt und nur im Laufe der Arbeit einer Veränderung der ftußeren Verhältnisse oder des Geschlechts unterzogen worden.^) Es sind die Menschen, unter denen er auf- gewachsen ist, die er zeitlebens bei ihrer Arbeit, bei ihrem Tun und Treiben beobachtet hat, mit deren Tugenden und Ge- brechen, mit deren Freud und Leid er aufs Innigste vertraut war. Es gibt kaum einen zweiten Dichter, der die Sphäre seiner eigenen Existenz so gründlich fQr die Literatur ausschöpft und so wenig fiber sie hinausgeht Aldeburgh ist ihm die Welt, das Schicksal seiner Dorfkinder das Geschick der Menschheit Sein Interesse reicht nicht weiter als die Einfachheit nnd Eintönigkeit ihres Daseins.

0 Works n, 12.

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536 Das beflchnibeiide Gedicht und die YerMniiilniig.

Grabbe, sagt JeflCrey, nnterseheidet sich yon allen Dichtern durch die Wahl seiner Gegenstände nnd diirdi seine Art, sie zu behandeln. Alle seine Personen sind den unteren Stftnden entnommen nnd alle seine Szenerien den gewfihnlichsten nnd vertrantesten Gegenständen der Nator oder Ennst Seine Charaktere nnd VorfiUle sind so gewöhn- lich wie die Elemente bescheiden sind, ans denen sie sidi zusammensetzen. In seine Darstellnngen spielt nicht nur nichts Wunderbares oder Erstaunliches hinein, er hat an seinem yulgftren Material nicht einmal gewöhn- liche poetische Schönfärberei versucht Er hat keine moralisierenden Jflnglinge, keine sentimentalen Eaufleute; er will uns kaum jemals durch die kunstlosen Manieren und bescheidenen Eigenschaften seiner Gestalten bezaubern. Im Gegenteile. Er stellt seine Dorfleute und Kleinbürger so ausschweifend, ja unredlicher und unzufriedener dar als die Wüstlinge der höheren Kreise, und anstatt uns durch Blumengi-flnde und Wiesen zu geleiten, fährt er uns durch schmutzige Gassen, durch das Gedränge der SchilEswerfte zu Kranken- und Armenhäusern und Brant- weinbuden. In einigen dieser Schilderungen enthüllt er sich als Satiriker des Volkslebens, eine peinliche, mühsame und originelle Betätigung. Kraft seiner Kunst und der Neuartigkeit seines Stils zwingt er unsere Auf- merksamkeit, auf Gegenstände einzugehen, die gewöhnlich vernachlässigt werden, und auf Gefühle, denen wir im All- gemeinen nur zu gern entfliehen. Was die Wirkung der Dai^steUung anbelangt^ verläßt er sich auf die Natur. ^)

Ähnlich sagt ein späterer Kritiker, Henry Giles, Crabbe überlasse die Wirkung einzig der nackten Tatsädüichkeit

») Worka H, 12.

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Das besdureibancle Gedicht und die VenenflUang. 537

seines Stoffes und dieser Stoff sei die Tragödie des ge- wöhnlichen Lebens. Crabbe sei ;;der metrische Historiograph der Armen.^0 ^^^ ^^^ ^ irrtfimlich, sich von „Crabbe, dem Dichter der Armen^, die einseitige Yorstellang eines Anwaltes nnd Vorkämpfers der Armnt zu machen« Er ist einfach ihr Darsteller. Er betet die verlogene Bedensart Tom Zufriedenen Landmanne nicht nach. Sein Los in Wirklichkeit ein elendes wird als solches geschildert Ebensowenig aber hält Crabbe die andere konventionelle Lfige aufrecht, daß der Bauer, weil er im Elend sei, not- wendig tugendhaft, weil er nicht in der Stadt lebe, auch mit dem Laster unbekannt sein mfisse.

Er unterschlägt wissentlich weder Böses noch Gutes. „Es ist ein Irrtum anzunehmen, dafi Crabbe nur die dunkeln Leidenschaften behandelt hat^, sagt Cbristopher North. „Er war mit Leidenschaften jeder Färbung vertraut Er liebte zarte und freundliche Erregungen und unter den Tugenden war er keiner so innig zugetan wie der Treue und Wahrheit Mit Erfahrung, doch nicht mit Unmenschlichkeit hat er alle Arten des Elends in geheimnisvoll kräftigen Linien von Blut und Feuer gezeichnet'' 0 ^ diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Jeffrey, der unbedingte Bewunderer Crabbes, von seinem „plebejischen Pathos'' spricht Er meint damit die Kraft des Ausdrucks für die Leiden und Freuden der Volksseele.

Eine gewisse dtkstere Einförmigkeit war bei dem Kleben an der ärmlichen Vorlage nicht zu vermeiden. Die Bodenständigkeit, der aberzeugende Humusgeruch der Echtheit bildet die nicht wegzuleugnende Stärke dieser

0 Lectures and Euays, 60.

*) J^Moy« OriHoiü and Imaginative n, 229.

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538 Das beMhnibende Qedioki nad die V«rMaiiiIug.

Gedichte. Aber ihre Wahrhaftigkeit gilt, zum Olftck fir die MeMchhdty weniger für diese ala für Aldebargh.

„Wir hSren^, sagt der feine Kenner Christopher Noräi im einer anderen Stelle, „Grabbe sei nidit sehr yolks- tfimlicL Ist es 80, dann ist das menschliche Leben nicht volkstfimlidL Denn von all unseren Dichtem hat er am ge- schicktesten das Qewebe all seiner Werke mit dem Material des menschlichen Lebens durchwirkt häusliches Gespinst^ in der Tat, zwar häufig grob, doch immer kräftig; zwar Ton einfachem Muster, doch nicht selten von un- gemein feiner alter Webekunst Halte das Produkt seines Webestuhls zwischen dein Auge und das Lidit und es glitzert und glänzt wie der Backen eines Pfaus oder die Wölbung eines Begenbog^is. Manchmal scheint es nur grobes Tuch aus ungefärbter Wolle. Doch nun fällt ein Sonnenstrahl oder ein Schatten darauf und siehe, es glänzt wie königlicher Purpur. Allein hat der Wahlstimmen- makler je ein großes Gedicht herrorgebracht? Man könnte ebenso gut fragen, ob er die Paulskathedrale gebaut habe?«0

Größe im Sinne einer Erhebung des Gteistes Aber die traurige Realität der wirklichen Existenz wird man bei Crabbe vergeblich suchen. Zwar erblickt er selbst in ihr den eigentlichen Zweck der Poesie. Allein er glaubt ihm durch die treue Schilderung einer wenn auch peinvoUen Wirklich- keit beikommen zu können. Ja, er meint, das konkrete Bild habe vor dem erfundenen, erlogenen etwas voraus. Es greife nicht nur denen ans Herz, die sich darin ge- schildert finden, es erwecke möglicherweise auch das Ge- wissen der Machthaber. Er möchte ein heilsames Gemisch

0 BecreaU<m8 1, 178.

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Das bMehrataide Qtdicht nnd die YenonlhliiBg. 539

Ton Mitleid und Absehen erregen. Das ist die soziale Unter- strOmnng im Gedankenfahrwasser seiner Dichtung.

„Die erste Absicht des Dichters**, sagt er in der Vor- rede der Taies of ihe HaU, „mnfi die sein zu gefallen, denn wenn er belehren will, mufl er die Belehmng, die er zu yermitteln hofft, genießbar nnd angenehm machen. Ich will mir nidit den Ton eines Moralisten anmaSen, noch versprechen, daß meine Erzählungen wohltfttig für die Menschheit sein werden. Doch habe ich mich wie ich hoffe nicht ohne Erfolg bestrebt, in alles, was ich erzShlt nnd geschildert, nichts einzufBhren, was ge- eignet wftre, die Laster der Menschen zu entschuldigen, indem es sie in Verbindung bringt mit Gfeffihlen, die unsere Achtung fordern, und mit Talenten, die uns zur Be- wunderung zwingen. Es findet sich in diesen Seiten nichts, was die verderbliche Wirkung hätte, Wahrheit und Irrtum zu verschmelzen oder unsere Begriffe von Recht und Un- recht zu verwirren.^ Diese Gradlinigkeit, die nach den heutigen Begriffen Crabbe durch das Ausschließen alles Problematischen uninteressant macht, trug ihm den Ehren- titel des moralischsten modernen Dichters ein.^)

Seine Absichtlichkeit steigert sich nicht bis zur Tendenz. Die Kritik der Tales in der Edinburgh Beview^ 1812, rfihmte an der eingehenden Schilderung des ganz Alltäglichen die gerechte Verteilung von freundlichem MitgefOhl, gütiger Nachsicht und gesunder, sittlicher Strenge. <) Eben diese gesunde Sittlichkeit läßt ihn ohne Zimpferlichkeit die HOlle von manchen Schwären der Gesellschaft ziehen. Im Parish Begister erwidert die Dirne dem Pfarrer, der sie hart an-

0 Works IV, U. 0 Worii IV| 5L

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540 Dm beiehreibMcle Q«dicht und die Yenev^Odiuig.

l&fit: „Leichtlertigkeit mag einst mein Beweggrund gewesen sein. Nnn ist es die Not Frauen wie ich schwimmen, wie Enten im Teiche, stromabw&rts. Euer Gesdüecht stellt ans nach, unser eigenes verachtet ans; Umkehr ist furchtbar, ein Entkommen unmSglicL ließen die M&nner von uns ab, trachteten die Frauen, den Gefallenen zu helf ^ dann gibe es fflr die Tugend eine Möglichkeit^ sich wieder zu erheben'' (BapUsrns), In The HaU of Justice wird das Verbrechen der Yagabundin verhandelt, die für ihr krankes Kind, das Brot, das man ihr verweigert, gestohlen hat Dem all- gewaltigen Naturgebot gegenftber erscheint die menschliche Satzung bedeutungslos und anmaßend. Von Geschlecht zu Geschlecht vererbte Greuel der Schuld und Schande h&ufen sich in dieser Erz&hlung zum Schauerroman, wie ihn so manche Gefingniszelle aufweisen mag. Der milde Siebter verkftndet zum Schluß die große Vergebung, von der kein Beuiger ausgeschlossen wird.

„Seine Bibliothek'', sagt Christopher North, „war dieBibel und das Buch der Natur." Die tiefe, ungebrochene FrOmmig- keit vertritt bei Crabbe die Stelle der Philosophie. Er ist im großen und ganzen ein Gegner der Aufklärung. „Laßt die Ein- fältigen glücklich sein und beweist ihnen nicht mit Gründen, die sie elend machen, daß sie in Irrtum befangen sind." So lehrt er im Borough (XXI). In der Erzählung The GenÜeman Farmer (Der Gutsbesitzer) schildert er die Bekehrung eines von revolutionärer Freigeisterei angesteckten Gutsherrn zur konventionellen Bechtgläubigkeit durch seine über* legene, kokette, scharf beobachtende, leidenschaftlich emp- findende Haushälterin und Geliebte, eine lebensvolle Gestalt, mit der Crabbe, bis auf den Vornamen, Ibsens Bebekka West gleichsam vorweg nimmt Crabbe ist auch als Dichter der Seelsorger seiner Gemeinde,, über die ißr in der

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Dm beschreibeiide Gedicht und die Venen&hlnng. 541

Poesie wie im Leben nicht hinansstrebt Aber seine erzieh- lichen Absichten ftnBern sichwederin der Satire noch imHumor, sondern in jener lehrhaften Form, die sich dabei bescheidet^ das Laster nm der Moral willen au&ndecken. „Ich liebe die satirische Muse nicht^, sagt er einmal, „ich mSchte keinen Menschen anf Erden verletzen. Es verh&rtet den Menschen, wenn sein Name öffentlich dem Schimpf und Spott ausgesetzt wird, es erweckt die niedrigen Leidenschaften seiner Brust Ehrliche Satire kann bei aller Feindseligkeit nicht weiter gehen, als die schlechte Tat zu verdammen, ohne sich an den schlechten Menschen zu hängen.'^O ^ Boraugh (XXTTT, XXIV) sagt er, er bekämpfe der Menschen Laster und Ver- brechen, wie er könne; den Menschen jedoch fiberlasse er Gh)tt und seinem Gtowissen. Er greife das Verbrechen an, doch er schone des Verbrechers.

Crabbes ausschlag^bende Empfindung seinen Mit^ menschen gegenfiber ist warme N&chstenliebe. Er fühlt sich als Mitschuldiger, nicht als Feind des Tadelnswerten. Er hat den Donnerkeil selbst zu ffirchten, nicht ihn zu schwingen (Boraugh XXIV). Ernstes, inniges Wohlwollen gibt den Omndton fflr seine Sittenschilderung. Es verleugnet sich auch im Tadel nicht; dessen Intensit&t sich bis zum Pathos steigert

Der so h&ufig gegen Crabbe erhobene Vorwurf des schwarzen Pessimismus scheint mithin nur in sehr be- dingtem Sinne berechtigt Die meisten seiner Erz&hlungen klingen, wenn auch h&uflg in Resignation, so doch ohne Dissonanz aus, milde und versöhnlich. Den Beispielen der Verderbtheit stehen in der Regel auch die von Edel- menschen gegenfiber. Selbst im Schlechten ist gewöhnlich ein

1) Oeea^ional Pieees, 1834.

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542 Du bMduraibeiide Gedieht ud die VensBik^

edtor Kern, der dem gattti Vorbflde zogtnglich bleibt Crabbe ftbertreibt das Übel so wenig wie irgend etwas andres. Das rechte Mafi in allem, dies ist ffir ihn be- zeichnend. Nichts Ifanschliches ist ihm ganz fremd, aber er rerliert sich anch an nichts Menschliches. Nichts steigert sich znm Extrem, zun Übermaß. So wird sein Leser freilich auch nicht selten daran erinnert, daB die Kehrseite des U afies die MittelmUigkeit ist nnd daft nnr das Über^ mafi zn jener Vollkommenheit führt, die ftberzengt md hinreifit

Haziitt klagt fiber die graue Wolke, die blasdiwer anf Crabbes Dichtung liege. Es ist der Dnnst der AUtKglich- keii Phantasielosigkeit ist trftbe. Nor was den Erden- stanb abgeschüttelt hat, schwingt sich in heitere HShcn.

Was Crabbe zmn VoUblntdichter am meisten fdilty ist

die lyrische Begabung. Seine Poesie hat etwas Offizielles,

Bem&mftfiiges. Dir mangdt der nnmittelbare Ausdruck der

Empfindung, das Intime, Subjektire. Sie ist kein Herz^is-

ergufi, kein Ausströmen des eigensten Geistes. Jedes GfdUil

scheint zehnfadi durch das Sieb der Beflezion gegangen,

jeder Impuls längst Terschlumt und abgestanden. Die

religiSsen Gedichte seiner Jugendjahre machten ihn seifest

an seiner Begabung irre. 1778 legt er Goldsmith Worte

in den Mund, die auf ihn sdbst Bezug haben:

Da biit in ^e Mute Terliebt? Bn gelte! Doeh sprioli, UeiB Lieber, irenn war denn 4ie Mue Teriüebt in dieh?

Der Kritiker des QmÜeman Magcume iufierte ftber Crabbes poetische Epistel an die YerCssser der MaiMLy Beview, The Candidate (Der EandidatX 1780: „S^mmt das Urteil der angerufoien Autoren mit dem meinoi fibenin, so werden sie diesen Kandidaten nicht sonderlich «mutigen, sein Examen auf dem Pamafi zu bestehen.^ Dem Mangel

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Dm besohratbende Gedieht und die VenenihlaBg. 548

jedes poetischen Spieltriebes und aller schwärmerischen Extase entspricht die Oebnndenheit des Ausdrucks. Das Versmaß Popes, das auch für ihn das maßgebende bleibt, handhabt er mit scheinbarer Virtuositlt Leicht und natfirlich in merkwürdiger Gldchm&fiigkeit reiht sich Zehn- silber an Zehnsilber. Aber die Eleganz, der feine Ge- schmack seines Vorbildes bleiben ihm unerreichbar. Horace ghnitli nannte Crabbe in der Parodie der B^ected ÄidresseSy die sich fast bis zur Identit&t mit dem Original erhebt, den „Pope in wollenen Strümpfen^. Leslie Stq^hen fOgt hinzu, die wollenen Strttmpfe seien ungewöhnlich grob gewesen. <) Die musikalische Note mangelt Crabbes Poesie beinahe völlig, die Versmelodie, die rhythmische Kadenz, die den Sinn der Worte unterstützt und steigert, sind ihm nicht gegeben. E3ar bis zur Nfichtemheit und im Ausdruck ron peinlidi sauberer Gewissenhaftigkeit, sagt er sdber alles und schaltet jene suggestive Kraft aus, die den Leser gewissermaßen zur Mitarbdt anregt Crabbes Dichtung deutet dem Gemüt keine dunkeln Hintergründe an, erschließt ihm keine ahnungsvollen Unendlichkeiten. Der zündende Funke der Poesie springt aus diesen Versen selten in uns über. „Zum Dichter geworden, aber nicht geboren^, bezeichnet ihn treffend R Huchon.^ So hat denn Crabbe auch h&ufig die Goldprobe des echten Talents nicht bestanden: die instinktive Sicherheit, mit der der gute Geschmack Krasses und Banales ausscheidet oder in Poesie verwandelt. Seine Bilder oder Gleichnisse, die der Beobachtung entsprangen und als nachträgliche Verzierungen in die fertige Erzählung eingefügt wurden,*) sind oft von trübseliger Prosa (z.B. in

0 Hawrs in a IMtrary II, 20f.

«) 8. 614.

Wiyrk9 VI, 86.

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544 Dm bMoknibeade Gedicht ind die Venodhluig.

Tales of ihe Soll J, der Vergleich der allgemeiiien Frrihä mit dem öffentlichen WaaserbehBlter, in iem man den Vorrat sammelt, nm ihn dem Einzelnen nach Bedarf zn- zornessen). Seine Motive, im Fener der Phantasie nidit anageglfiht, berBhren mitunter peinlich (z. B. i&t Bei- geschmack des Inzestes in Lady Barbara^ er The Okogi). In der Segel machen negative Eigenschaften den Tob seines Vortrages yorzfiglick Der schmucklose Stil mit der bis zur Eftlte gesteigerten Glanzlosigkeit des Kolorits md Znrfickhaltnng des Empfindens passen wnnderbar zn dem alltiglichen Inhalt, und diese vollkommene Einheitlichkeit ist es, die Grabbes Erz&hlungen ein in ihrer Art klassische Gepräge verleiht

Indes gibt es unter ihnen zwei, in denen Qrabbe durch phantasievolle Konzeption gewissennafien fiber die Grenzen seines Talentes hinausgegangen ist: The BaU of Justice Qm Gerichtssaal) und Eustace Qrey^ 1804 5. Beide Dichtungen heben sidi schon Äußerlich ans der Menge, indem sie der pedantischen Einförmigkeit des jambische Beimpaares entsagen durch eine Art dramatisierter Fona (Euatace Grey überdies in Oktaven). In The Hau of Justice erz&hlt eine Zigeunerin, des Holzdiebstahls be- schuldigt, dem Bichter ihre Lebensgeschichte und schildert die Gräuel des Inzestes, der Eifersucht, des Vatermordes mit einer Wordsworths wOrdiger markiger Kraft der Schlichtheit

Sir Eustace Qrey ist eine mit wunderbarer. Eneifgie und Phantasie dnrchgeffihrte Wahnsinnsstudie. Niigoids sonst bei Crabbe betätigt sich das dichterische Ingenium so lebhaft als in der Selbstschilderung dieser gespenstigen Irrfahrt eines kranken Geistes, der, in lichten Augenblicken gewissermaßen über seinem Wahnsinn stehend, dennoch

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Dm betchieibende Gedicht und die Vetsenfthlang. 545

durch die Spmngliaitigkeit seiner fixen Vorstellangen von Schuld und Bene seinen qualvollen Znstand verrät und den Leser in seinen Bann zieht Wie die Anordnung des Gedichtes an Shelleys Julian and Maddah (1818) erinnert (Grabbes Arzt an Maddalo, Grabbes mitleidsvoller, weich- herziger Besucher an Julian, Grabbes seine Lebensgeschichte erzählender Patient an den Lren) ^ so scheinen einzelne poetisch geschauteNaturbilder auf ^enEntfesselten Prometheus gewirkt zu haben, z. B. das Nordlicht, dessen Strahlen in Eustaces Leib „eisige Wunden bohren^. Schließlich bricht in die H&llenqual des Kranken die Sonne der Gnade. Der Glaube verhilft ihm zur Ergebung und Ruhe. Solcher Art findet Grabbe für die im bittersten Dunkel tappende arme Seele des Sfinders den Ausweg ins Licht, der einer kflnst- lerischen Fassung der LebenstragOdie entspricht

Werke von George Cmbbe«

1775 InArieiy.

1780 The Candidaie.

1781 The lAbrary. 1783 The YiOage. 1786 The Newspt^er.

1795 Natural Hietory of fhe VaU of Bel/vek (Nichoü HüUny of fhe Chmiy of Leicester),

Poems.

1810 The Borough.

1811 Tales.

1819 Tales of fhe HäU (Neuaiusgabe 1882: Readmgs in OrcMe;

Rrefaee ty Edward Fiiegerald). 1834 PosOiumous Tales.

Poeticei Works. Wifh Ms Letters and Journals. 1850 PosCkumous Sermons.

18U PoeUcal Works, edited hy H. Milford.

Oeediiehte der aogliflelieii Bomantik H, 1. 85

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546 Dm benhTCibende GMicht and die VeiMitfUiuig.

Werke Aber Cnbbe.

1826 William Haslitt, Campbetl and Orabhe (Spkit of tke A^e). 1834 George Crabbe, Works. With Letters, Journals and his

Life biß his Son. 1860 Henry Giles, Ledmts md Essoj^s.

1867 OkrUtopher North,. Beereaiions I (An Hcur's Tmtk

ab(mt Foskfß).

1868 The Leadbeaitr Po^^ers. A SeleeUon from fhe M, 8. 8. and

Corespondance of Mary Leadbeater. 1876 Friedrich Stehlich, Oeorg^ Oäbbe, ein englischer

Dit^ier. 1890 Qtorgt S9^iji%shnry,0rabbe(EssaysinEngUskLaeraimre). 1899 Hermann Peita, Oearge CMbe, eine WMigmg semer

Werke (Wiener Beitrige sor englisohen Philologie X)l T. E. Eebbel, Life and Writings of George Orahbe.

1906 IL Hnehon, Un Fohte rialiste anglaü. George Orabbe.

1907 Leilie Stephen, Hours Ai a LQnwrg.

1908 A. J. n. R. M. Carlyle, The Poetioal Works of Gearge

Orabbe (Oxford EdiUon). Einldtang. 1913 James W. Holme, The Treakneni of Wature m Orabbe (JMmitiae, Essens in EngUsh LUeratvre bg Students of the Universiig of Liverpool).

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William Oowper.

1781—1800. .

Die Familie Ciowper ist bereits unter Edward IV. in Strode (Snssez) nachgewiesen. Ein William Cowper (f 1664), der nach der Restanration seinen yielbewegten Lebenslanf geschildert nnd sich anch dichterisch betfttigt hat, wnrde znm Baronet erhoben, als Boyalist jedodi während der Bürgemnmhen seiner Gfiter yerlostig erklärt nnd yorftber- gehend sogar eingekerkert 0

Ein ür-ürenkel dieses William, John Ciowper (f 1756 als Rektor in dem etwa 28 Meilen von London in lieb- licher Landschaft gelegenen Oreat Berkhamstead, Hert- fortshire), wnrde der Vater des Dichters. Die Herkunft der Mutter, Anne Donne, f&hrt dn allerdings nicht ver- bürgter Stammbanm anf eine Schwester der Anne Boleyn zurück.') Unter ihren Ahnen befand sich der Dichter John Donne (1573—1681), der geist- unä phantasievoUe Erotiker, Metaphysiker und Satiriker, der seine Laufbahn als Katholik und galanter Lebemann begann und als anglikanischer Prediger von glutvollem Schwünge schloS.

Genau hundert Jahre nach John Donnes Tode (am 26.November 1731) wurde William Cowper in der malerischen, gemütlichen Rektorei von Oreat Berkhampstead geboren.

0 Bruee Xu.

«)IbeiidaXy.

86*

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548 Dm basolireibeiide Gedklit und die VenenlUimg.

Der anmutige Ort einst die Residenz des ersten Plan- tagenet *— die sch&ne Kirche, ror allem aber das tranliche Vaterhaus sind dem Dichter in nnanslOschlicher Erinnerung geblieben. ,,Es gab in der ganzen Gegend keinen Banm, keinen Zann und keinen Zanntritt, zn d^n ich nicht eine Beziehung gehabt hfttte^, schreibt er (Oktober 1787) an seinen Freund Rose. „Und das Hans selbst zog ich jedem Palaste ror.^

William war von sechs Kindern das einzigOi das am Leben blieb. Die Mutter, eine schSne, sanfte und liebens- würdige Frau, häufte ihren ganzen Schatz yon Liebe und Sorgfolt auf diesen ihren einzigen, zarten und sensitren Knaben. Als William sechs Jahre zählte, kostete die (Geburt eines Brfiderchens das teure Leben der Mutter. Das war der erste yerhängnisrolle Schicksalsschlag in dieser den dunkeln Mächten geweihten Dichterlaufbahn.

Während Cowper zu seinem Vater, der eine zweite Frau nahm, kein inniges Verhältnis gehabt zu hab^ scheint, hing er zeitlebens mit allen Fasern seines Herzens an dem verklärten Bilde der fr&h verlorenen Mutter. 1790, als ihm ihr Porträt in die Hände fällt, gerät er vor Freude in Extase. Er kOßt es, er hängt es auf, „wo Abends sein letzter und Morgens sein erster Blick darauf fäUt^; es regt ihn zu seinem schönsten, tieibtempfundenen Gedicht an. Nach mehr als fünfzig Jahren erinnert er sich ihres Äufieren und jedes geringffigigen Anlasses der mfttterlichen Zärtlichkeit, die ihm ihr Andenken fiber jeden Ausdruck teuer macht Er glaubt nicht ohne Befriedigung, mehr von dem Blute der Donnes als der Cowpers in sich zu haben. Man sagte in seiner Kindheit, daß er seiner Mutter gleiche. Seinem Freunde Hill schreibt er 1784 anläßlich des Todes von dessen Mutter: „Du kannst, so lange du lebst, freudig des Segens ged^en,

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Das beschreibende Gedicht und die Versenühliuig. 549

der dir so lange gegönnt war, und ich muß, so lange ich lebe, ein Glfiek beklagen, dessen ich so frfkh beraubt wurde. Ich kann wahrhaftig sagen, dafi keine Woche vergeht vielleicht könnte ich ebenso wahrheitsgetreu sagen, kein Tag ohne daß ich ihrer gedächte. Einen solchen Ein- druck hat ihre Zärtlichkeit auf mich gemacht, obwohl sie nur so kurze Zeit Gelegenheit hatte, sie mir zu beweisen. Aber Gottes Wege sind gerecht, und bedenke icb die Qualen, die sie gelitten hätte, wäre sie Zeuge all der meinen ge- wesen, so sehe ich mehr Grund zur Freude als zur Trauer, daß sie das Grab so frUh geborgen^.

William, im schwersten Sinne des Wortes ein verwaistes Eind, weil er wie kein anderes der schützenden milden Leitung der Mutterhand bedurft hätte, kam noch im Todeegahr der Mutter in ein nahes Pensionat Hier hatte er unter der Boheit eines älteren Mitschülers viel zu leiden und seine krankhafte Neigung zur Schüchternheit und Schwermut wurde dadurch gefördert Die Angst vor seinem Quälgeist der schließlich aus der Schule aufgestoßen wurde war so groß, daß er den Blick nicht höher als bis zu den Enieen des Peinigers zu erheben wagte. Einmal, inmitten seiner Vereinsamung und Betr&bnis, fielen ihm plötzlich die Worte des Psalms ein: „Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht; was können mir die Menschen tun?^ Da ward sein Geist munter und Heiterkeit bemächtigte sich seiner. Es war sein frflhecites religiöses Erlebnis.

Wegen eines Aqgenabels, von dem Cowper schließlich ein Anfall der Schafblattern befreite, verbrachte er zwei Jahre (1739—41) im Hanse eines der Okulistik beflissenen Eäepaares Disney« 1741 bezog er die Westminsterschule.

Er selbst bezeichnete seine Schulzeit als eine Periode, in der er kein wirkliches Glftck, aber auch kein Unglttck

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560 Das betdurdboide Gedicht und die VenenrtUu«.

kennen gelernt habe. Vincent Bonrne, emTorzi^cIier Latdn- lehrer und geachteter lateiniaeher Poet^ ab Mensch gatmStig, ^ohlwollrad und Aber die IfaCen nnordeaftlidii legU hier den Gnmd zn (Jewpers gediegenen klaasiBcheii Eenntniaen. Einen anderen treffUdien Lehrer fand er in Pierson Lloyd, dem Vater des Dichters Bobert Lloyd, mit dem ihn bald innige Freundschaft rerbaiid« Anch sonst fehlte es ihm nicht an Kameraden« CSinrchill, Ciolmaii der Utarey Biehard GamberUnd, Warren Hastings waren seine Mitschfiler. Den jongr verstorbenen Sitr WiUiain Bbssdt hat Oowper in Versen nicht ohne pathetische Kraft des Ansdrnda beklagt

Ißt 14 Jahren lernte er Milton nnd Hom^ kennen und yerfaSte die Übersetanng einer Elegie des TibaU, die IBT als den Anfang seiner litenurisdien Laufbahn bezeichnet hat Das früheste seiner erhaltene eigenen Gedichte ist eine Nachahmung von John' PhiUps' Splendid Skittimg:^) Verses wriUen at Baih, ön Findü^ fke Hed of a Skoe (Verse, als ich in Bath den Absatz dnes Schuhs fand) 1798. Sie fdlen durch den Yorzflglichen Blankvers, d^ breiten, pastosen Ton des Vortrages und die Beife der etwas gespreizten an den nichtigen AnlaS geknflpften Be- trachtung aul

Bereits in der Westminsterschule soll Oowper einen Anfall von Schwermut gehabt und sich eingebildet haben, er sei schwindsüchtig, einem frOhen Tode verfallen. Die Neigung zur Schwermut lag, wie er selbst sagt, in der FamiUe.2)

1749 trat er seine dreijährige Lehrzeit bei dem Advokaten Chapman an. „Man h&tte keinmi Beruf wählen können, d^

>) Wright, 42, 60. >) Wright, 50.

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Dm beeohreibende GMicht und die Ydneratthliing. 551

seiner Eigenart weniger entsprach^, sagt Hayley. „Vielleicht hat es niemals einen Sterblichen gegeben, der bei einnehmen- dem Anßeren, sowie von Natnr aus günstigen und zu höchst ausgebildeten geistigen Ffthigkeiten so völlig ungeeignet war, dem Kampf und der Unruhe des öffentliehen Lebens entgegen- zutreUsa'^A) Cowper selbst^ der den Wert des Mensehen damals nach seinen Kenntnissen in der klassischen Philologie ab- scUtKte,^) äutert, dafi er die juristische Laufbahn seinem Vater zu Liebe ergriff. Seinem Neffen John Johnson schrieb er im Jani 1700: „Ich habe . niemals regehnU^ studiert^ •sondern die kostbarsten Jahre meines Leb^m in einer Advokatnrskanzlei nnd ijn. Temple yerloren.^ . Und an . Unwin .(Mai 1781): yflia Farbe unseres ganzen Lebens wird .{pewiohnlicb dnrchidas bestimmt, was wir in den ersten drei oder Tier Jahren, in .denen wir unsere eigenen Herren sind, daraus machoi . . . HUte ich meine Zeit so klug angewandt wie du, so w&re idh vielleicht niemals ein Dichter geworden, jaber ich besibBe, jetzt eine angenehmere Stellung in der ,6eselbchaft^ I ; Indeß vergingen die. Jugendjahre, die Cowper in der verdttsterten und» .pietistisdien Stimmung seiner späteren JErhgnntnis vergeudet schienen, zum mindesten nicht un- g]9nos8en. „Ich schlief drei Jahre in Mr. Chapmans Hause^, sagt Cowper, „lebte und verbrachte meine Tage aber in Sonth- amptcm Bow.^ In Southampton Bow wohnte sein Oheim Ashley Cowper, von desaen; anmutigen Töchtern, Harriet, Theodora und SSizabeth,. die mittlere einen tiefen Eindruck auf ^Cowp^]:a Herz machte und; unter, dem Namen Delia (1752—56) Vi^ ziemlich konventionellen, aber metrisch ab- yei^hselungsvollen Vysen von ihm i besungen waxd. In

0 Life 1, 11.

•) An Newton, 17, 81.

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562 Du iMieMreibe&de Gedieht imd die VeneniUuiff.

SoQthanipton Bow wurde der Jagend ihr Becht Man lachte und machte die andern lachen. Gowpers Genoase in der Adrokator wie im IQtton-Enthnsiasmns und bei semea Unterhaltungen war der nachmalige Kanzler Thnrlow.

1752 UeS Gowper sich ab Jurist im Temple nieder; 2 Jahre q^tmr wnrde er Barrister. Aber bald nach seiBer Amtsbekleidnng eilitt er einen Anfall jener krankbaften Schwermut, die ihn von nnn ab in ziemlich regelmäßigen Zwischenriomen alle zehn Jahre heimsnchta^) »1^^ ^^^ Nacht lag ich anf der Fidter^, heifit es im Lebensabrifi. „Mit Schändern legte ich mich nieder, in Verzweiflung stand ich ant.^ Die Klassiker, deren Zauber bish» nie versagt hatte, verlorai allen Beiz für ihn. Der trostiose Zustand dauerte fast ein Jahr. Endlich brachte ihm die Lektflre von George Herberts Gedichten Undening. Sie weckten sein religiöses Gefühl „Mein hartes Herz'^, sagt Cowper in der frömmelnden Ausdrucksweise seiner späteren Jahre, „ward erweicht, mein eigensinniges Knie lernte sidi beugen. Ich verfaßte eine Beihe von Gebeten, deren ich mich häufig bediente.^ Plötzlich, wie das Übel der Schwermut gekommen war, wich es. Als er eines schOnen Moigens in Southampton von einer AnhOhe das Meer überblickte, ftthlte er mit einem Male die ganze Wucht seines Elends von sich ge- nommen. Er genoft den Best des Southamptoner Aufenthaltes in Gesellschaft der älteren Base Haniet und ihres Verlobten und kehrte genesen nach London zurück.

Ciowper lebtenun eine Weile fröhlich und guter Dinge, be- handelte die Jurisprudenz durchaus kavaliennäfiig, machte der Base Theodora den Hof und wandte sein Hauptinteresse dem Nonsense Olüb zu, einer heiteren geselligen Vereinigung

>) Soathey, 25.

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Das beschreibende Gedicht nnd die VenenShliiiig. 553

sieben ehemaliger Westminsterschüler, simtlich literarisch begabte Kdpfe, wie George Cohnan (f 1794), der Verfasser der EomSdie Tke Jedl&ua Wife (Die eifersüchtige Frau), 1761, der ehrgeizige, zerfahrene Bobert Lloyd; der Heraas- geber des 8t James's Ckronidey Bonnell Thomton; der Advokat und literarische Dilettant Joseph Hill, ein gnter Gesellschafter nnd trefflicher Mann, an dem Ciowper einen lebraslangen trenen nnd praktischen Frennd gewann. Ffir den Nonsense Guby in dem ein tüchtiges Qnantnm Witz nnd Hnmor yerpnfft wurde, steuerte er manches heitere Stfick bei, so Letter fram an Otcl to a Bird of PairtuUse (Brief einer Eule an einen Paradiesvogel), eine in gewandter Prosa abgefaßte harmlos-heitere Verspottung menschlichen Tuns und Treibens. 0

Durch Thomtons Vermittlung lieferte Ciowpar dem Connoisseur und dem 8t Jametfs Chronide einige Beitrige. Hayley meint, sein Talent ffir ZeitschriftenauMtze wftre hinreichend gewesen, ihn zu einem wfirdigen Gteffthrten Addisons zu machen. >) Gowper selbst legte auf seine poetische Produktion keinerlei Gewicht und stellte seine Übersetznngskunst in uneigenntttzigster Weise anderen zur Verfflgung. In Duncombes englischer Horazansgabe (1759) rtthren zwei Satiren von ihm her und desgleichen zwei Gesinge in der ITenrieMfe-Übersetzung, die sebi Bruder John 1759 in einer Zeitschrift veröffentlichte.') Seine Bescheiden- heit ging bis zur SelbstquälereL Gott und er wfißten, daß er weder Genie noch Geist besitze, heifit es in der Epistel an Bobert Loyd, 1754. Er sollte die Poesie lieber in Frieden lassen. Cowper möchte Humor und Leichtigkeit zur Schau

0 Private Correspondanee I, XXXI.

^IdfeL

^ Hayley, 1, 29.

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554 Dm beiekrabende Gedicht nA die

tragen, aber eem Ton wird gezwuigeii imd iMoaL Sease waltfe Stiirtnmiig venrit das traurige GestiadBis, daft er achreibe, ttm einen grimmigen Ranbgesellea abankskea, der mit sdnem schwaraen' bSlUschen Gefolge einen fBrdito- liehen Übergriff in sein Hiin gemaeht nnd tiglidi dr^ seine kleinb Veinnnftgaimiscm daratis an vertreiben. Diese ftrditerliehe Biübeibande seien die düsteren Gediaatew

„Idä bin niemand and werde immer niemand Ueften', sagte er einst beim Thee an Thoribw, der bereits gute Lebenisanshichten hatte. „Dn iritst Kanzler wei^deL Da müßt für mich soigen» wenn da es biirt!* Thoriov erwiderte Iftchelnd: nGeWift werde ich tel'O Gowpos Pix>pheaeiang erfUlte sich. Ab<fr ThnriAw hat sein Wort nicht gehalten.

Zar Tfttigkeit vermochte Oowper sich nicht anfanraffen, obzwar seine Lage 1756 dar^ den Tod seitite Vaters ernster ward. Die ünsidherheit JisA Bammelei seiner Existenz hab^n wohl aaf sein reiabares Nervensystem ' die sdiU- lichsteWirkangf gehabt«) Dabei War seimi vorgebliche Heito- keit erkünstelt „Mein Ehtschloß irt, niteiuJs melaacholisdi za sein, so lange ich noch 100 Pfand habe, am mich bd gatetr Lanne an erhalten^, schreibt er im September 1762 an seinen Frennd und Kollegen Boiriey. „Gott weil, wie lange' dito noch der Fall ist^ kber mittletweiie, lo «r»tt*fii»»«/«

' Ohdm Ashley verweigerte in der VoraUuicht, dat Gowper eis vermotllch an keiner gesicherten bOrgeriicha Stellang bringte wOrde, seine Einwilligong zaf VeflobmiK mit seiner Tochteir. Theodora ftgte Aik and sah den Vrtter niemals wieder, dem sie gleichwohl zeitlebens eine mehr

0 wright, sa t) OsisuaB, zm.

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Dm besehreibende Gedicht und die VenerEihlimg. 555

als yerwandtochaftliche Neigong bewahrt za haben schemt Sie starb unyermfthlt 1824. Ciowper hingegen verliebte sich hsM darauf wieder. Diesmal war es ein stilles, bescheidenes Greenwicher Kind von kaum 16 Jahren. „Weh mir,^ schreibt er 1758 in einer lateinischen Epistel an Bowley, „daß ein so lichter Stern einer anderen Begion angehört, da er in Westindien ani^^ing, wohin ei^ non znrftdLkeliren und mir nnr Benfzer nnd Trftnen lassen wird.^

Das Jahr 1768 schien eine gfinstige Wendung seiner änBeren Yerhiltnisse zu bringen. Eine ProtokollfBhrer- stelle (Clerk of ihe Journal) im Oberhanse, die Gowper lange angestrebt hatte, wnrde frei und ein einflufireidiisr Verwandter schanzte sie ihm zu. Aber s6hon nach dem ersten freudigen Zugreifen machte sich eine düstere ünter- strOmung in seinen Gernftte fiUilbar, die mehr und mehr die Oberhand gewann. ;,Gleichzeitig schien ich einen Dolchstoft ins Herz zu bekommen^, schreibt er in seinem autobio- graphischen Aufeatz. „Die Wunde war «npfangen und jede Minute steigerte ihre Schmerzhaftigheit^ 0 Cowper yerflel in ein NervmiBeber. Seine Empfindungen war6n „die eines VerurteQten, der auf der Bichtstfttte anlangt'' Die Tage verbrachte er aber dem Protokolle, Nachts trtümte er dayon. Sein Kopf versagte den Dienst Die tödliche Scheu „vor der öffentlichen Schaustellung'' marterte ihn. Er hat sp&terhin in dem jähra Umschlag des Heißersehnten in bitterste Pein die Strafe Gottes dafOr erblickt; daß er be- gehrt, was er nicht sollte, was noch eines anderii war.') Ein Autenthalt in Ifargate brachte yortbergehende Lindening. AbJBT kaum nach dei*^ Stadt zurückgekehrt, befiel ihn äufs neue die furchtbare Angst yör dem immer nfther rückenden

0 Wright, 92. >) Sratfaij, UO.

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556 Dm bwchmbeiide 0«didit und die VenenllilHBg.

Amtsantritt Er yenmchte, die Verpflichtiug zu lösen, y «rgeblidL Ein WalmsinnsanfaU dtnkte ihm non die einzig mSgliehe Bettang. „Ich hatte ein starkes OefBhl, ee wfirde so kommen; ich wünschte es ernstlich und sah dem Ver- hängnis in nngednldiger Erwartung entgegen." 0

Aber der gefllrchtete Tag kam heran and Cowper war noch bei Verstand. Da begann er den Selbstmord in Erwifiriuig zuziehen. Eines Noyemberabends kaufte er eine halbe Unze Laudanum, um fBr alle FftUe gerfistet zu sein. Jedoch seine Nerven yersagten den Dienst Er Termochte das Ifittel nicht zu nehmen. Er yersuchte, sidi in die Themse zu stinen, sich ein Fedeimesser in die Brust zu stoBen alles nuß- glflckto. Er hatte nicht die Kraft, zu sterben. Endlich griff er zum Letzten zum Strick. Schon hatte er das Be- wußtsein verloren, da riA das Strumpfband, das er sidi um den Hals geschlungen. Er war seiner Seelenpein au& neue ausgeliefert Batlos, fassungslos eröffnete er sich einem Freunde, und dieser enthob ihn seiner Amtsverbindlichkeit Allein nun kamen die Gewissensbisse ttber sein gottloses Vorhaben. Verzweiflung ftbermannte ihn und eine Todesangst, die seine frühere Todessehnsucht fiberwog. „Das Leben erschien mir jetzt wfinschenswerter als der Tod", erzihlt er, „weil es eine Schranke zwischen mir und dem ewigen Feuer bedeutete.**

Verrannt in die Vorstellung, dn Verbrechen wider den heiligen Geist begangen zu haben, blieb er jedem Zuq^ruch unzug^biglich. Selbst sein trefflicher Bruder John, ein liebenswürdiger Charakter und tfichtiger Gelehrter, der als Geistlicher und Fellow des Bennet OoUege in Cambridge wirkte, vermochte nichts über ihn. Seine Sfindhaftigkeit kam

>) An Lady Hesketh, Angiut 1768.

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Das beedireibende CMicht und die Venentthlmis:. 557

ihmmt zermalmender Wucht zum BewiifitseiiL Er hatte ,,ohne Gott in der Welt gelebt** und sich, der ewigen Verdammnis wert gemacht Vor diesen Schrecknissen des Geistes waren mit Eins alle weltlichen Sorgen weggewischt Jedes Kapitel der Heiligen Schrift schien ihn yon der Gnade anszoschlieSen, die Parabel vom nnfmchtbaren Feigenbaum direkt auf ihn gemünzt 0 Eine um diese Zeit entstandene Ode gibt einen ersehttttemden Einblick in sein Inneres. Er ist tiefer yer^ dämmt als Judas. Der Mensch verleugnet ihn, Gott yerstSftt ihn, die Hölle sperrt ihren Bachen nach ihm auf. Er ist gerichtet noch auf Erden, noch im Flasche ist er be- graben.)) Er legt die Bibel beiseite, als ein Buch, an dem Teil zu haben, er nicht würdig ist Nachts peinigen ihn furchtbare Trftnme. Er hört ^tsetzUche Stimmen. Eines Tages legt sich plötzlich ein furchtbares Dunkel vor sein Auge. Er fühlt einen Schlag im Gehirn, daß er yor Schmerz nach der Stirn greift und laut aufschreit: der Wahnsinn, den er gerufen, ist da.*)

Er wurde in die Irrenanstalt yon St Albans gebracht AllmMig erwachte sein armes Gemüt aus dem religiösen WahncL Im Gesprftch mit dem liebevollen Bruder dlmmerte ihm die Hoffnung auf: „Und dennoch ist die Gnad&^ Die Bibd gew&hrte ihm Trost, Erbauung, Genesung. Das Gefühl des Wiedergesundens war Genufi. „Was habe ich nicht für Freuden gehabt, seit es Gott gefallen, mir die Vernunft wiederzugeben!^ schreibt er (Juli 1705) an die

«) Memak, Soathey 182.

*) Sonihey, 141.

0 In den OreviOe Memain woll ridi (OL, 1S4— 85) die Andentang eines physiBchen Qebfecfaeni finden, das Jemand an Cowper entdeckte nnd mit dessen EnthflUnng man ihm Tennntlich gedroht hatte. Daher seine Flacht ans dem Parlamente nnd sein krankhaft gereiater Geistes- anstand. (Wright, 107).

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558 DwbMohnilmde Gedickt imd die TimnlUiu«.

txwe Base Harriat Cowper, dto mittkrweilA Imäy Hesketh geworden war. Er rerfaftt (1764) Ä Sang of Memß and of JiH^emai<(EinLiedd«rO]uide!i]id des GerichteaV) Er ftUt aieh nim im Olaaben geborgw und wttnsdit nnri da< aDe seiM Fremde Ghristen wirei. „Als ich 8t Albaas TerlieS^ schreibt er am 2L AprU 1786 an Lady HeskeOi, „yerUeA icb es dnrehdrangen Ton der RriHtffli Gottes nnd der Waltr- heit der Sehrift^ wie idiM nie znTor gewesen. leb empfand eine nnansqKrechliebe Wonne in dieser Entdeckung nnd war nngednldig, andan ein Gliek miftrateilen, das allem, was diesen Namen trigt^ flberlegenist^ Ciowper leigte aldi nnn von einem fSrmlichen Bekehmngseifer erfillt^ dem sein guter Bruder mit der Geduld nnd dem Takt der liebe Stand bielt Entscblossen, ein neues Leben in jedem Sinne SU beginnen, wolUe er nicht mehr nach London zur«A- kehrM, son4em in Johns Nähe bleiben. Seine Wahl traf das Stkdtdien Huntingd<m, die Heimat des alten Historikers Henry. Obzwar Gowpers Einkommen sich so yenuiget hatte, daS er für seinen Lebensunterhalt zum Teil auf die Spenden seiner Verwandten angewiesen war, nahm er dmnoch ans der Anstalt nicht nur seinen treuen Pfleger Sam Roberts mit, „den die Vorsehung eigens auf seinen Weg gestdlt zu haben schien^, sondern er unterzog sich auch der Sorge für einen Knaben, Bidiard Golemen, den Sohn eines trunk- süchtigen Schusters in St Albans, zu dessen Bettung er sieh Yom Himmel berufen glaubte. Dies ist ihm freilieh nicht gelungen und die Opfer, die er lebenslang sowohl fflr diesen unwürdigen Schätzung als sp&ter zu gleichem Zweck für, ein M&dchen gebrachti erwiesen sich als yer^ geblidt

0 IhpMMhed Poem, 1900.

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Dti beMhrabttnde GMieht und die VeneniUiUHr. 559

Eine Wdle fOhlto Cowper sieh nun an Leib nnd Seele ToUkommen gr^nnd nnd befriedigt Allee eischien ihm im rosigsten lichte. . Sein Diener war das Urbild d^ Treue nnd Ergebenheit, Hnntingdon, die angenehmste der StädtaO Eines Tages gesellte sich ihm auf einem Spaziergange, tob seinem ansprechenden Änfiem gefesselt, ein Cambridger Student William Hawthome ünwin. Eine , wunderbare Sjrmpathie zog den einen zum andern« Gleich beim ersten Zusammenseüi schatteten sie einander das Herz ans. Heim- gekehrt, betete Oowper zu Gott, er mi^ der Hüter dieser Frenndschaft sein, wie er ihr Urheber gewesen, er mOge ihr Innigkeit und Dauer bis in den Tod geben, pies Gebet hat der Himmel gehört 2)

Bald war Gowper in der Familie des jungen. Hannes heimisch. Der Vater, Morley Unwin, ein schon b^ahrter Geistlicher und SchnUehrer im Ruhestande, madit ihm den Eindruck eines Pfarrer Adams. Aber sowohl er als die achtzehnjährige Tochter Snsanna, die 177i einen Pfarrer in Powley (Yorkshire) heiratete, werden in Schatten gestellt durch Mary, die Frau des Hauses. Sie ist um einige Jahre älter ala Cowper. Zwischen ihren religiSsen Ansichten herrscht y&Uige Übereinstimmung. Ihre Gespräche tun sdner Seele wohL „Diese Frau ist ein Segen ffir midil'' sckffeibt er. Kurze Zeit darauf, im November 1765, als er dank seiner praktischen WirtschaftsfUirung in Tier Monaten sein Jahreseinkommen yerbraucht hat, f&hlt Mary Unwin sich gedrungen, ihn der Beschwerde eigener Haushaltung zu überheben, und, nachdem ein Wink des Himmels ihm &ber eine kurze Unschltssigkeit hinweggeholfen, siedelt er zu den Unwins ftber. „Hier habe ich die Bast gefanden, die Gott

<) Brief an Hill, 24, Juni 1765. •) Wright, 187-

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MO Du b€Mhnib6ftde Qtdidrt und die TemniUug.

mir bereitet^ Mit diesen Worten sddiefit Gowper aeinea fttr die Frenndin rerf afiten Lebensabrifi, der hanpteieUidi eine Qesehickte seiner Endehong zum Gl&nben ist nnd daher trots des enistesten Dranges nach Wahilidt den Ter- Ultnissen nnd Personen seiner Wildheit ond Jugend in- folge der frömmelnden Stimmung, in der er jetit anf sie sorfickbliekty kaum ganz gerecht wird.

Die Atmo^hire des ünwinschen Hauses war von metfaodistischem Pietismus durchtrinkt FolgoidemalieD schUdert Gowper Lady Hesketh (20. Oktober 1766) seine Tageseinteflung: Zwischen acht und nenn gemeinsames FrOhstfick; darauf Bibel- oder sonstige religiöse Lektüre bis 11; dann Gottesdienst. Von 12—3 beschkftigt sich jeder fOr sich. Nach Tisch religiöse Qespriche» gewöhnlich bis zum Tee im Garton. Bei schlechtem Wetter geistliche Musik. Mrs. Unwin spielt Hsrfe. Man singt Hymnen. Dann ein tüchtiger Spaziergang. Abends geistliche Lektüre und Gespriche bis zum Abendbrot Zum Tagesschlufi ein Hymnus oder eine Predigt und das Abendgebet Oowpers Bri^ sind Ton religiöser Überspanntheit oder theologischer Grübelei er- füllt Alleirdischen InteressenschmmpfeninniehtszusammeD, seitdem sein Augenmerk auf das Jenseito gelenkt worden. Ja» dieser jedes andere Interesse aufsaugende Gedanke frftfie selbst sdner Freundschaft wie ein Wurm das Herz aus, wäre sie nicht auf christliche Grundsitze gegründet Solche Freundschaft aber ist die Liebe, die der heilige Johannes einschärft; ja sie ist die einzige Liebe, die diesen Namen

yerdientO

Der Plan, Geistlicher zu werden, stand plötzlich wie eine Pflicht ror ihm; aber die Vorstellung, Olfentlidi zu

0 Brief an Lady Hesketh, 18. Oktober 1765.

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Das besehieibeiide Gedicht und die Venenahlang. 561.

sprechen^ erfüllte Um neuerdings mit krankhaftem Ent- setzen und zwang ihn zur Entsagung. Vermutlich ist es keine Übertreibung, wenn sein letzter Biograph, Thomas Wright^ behauptet, daß eine berufliche Beschäftigung Cowper dreiviertel seiner Leiden erspart hatte.^ DieuneingeschrSnkte MuSe, verbunden mit der pietistischen Atmosphäre des Unwin- schen Hauses steigerte Cowpers Sngstlich grübelnde Selbst- beobachtung ins Krankhafte. Er kann sich nun in Demut und Zerknirschung nicht genug tun; immer stöbert er in einem yerborgenen Winkel seines Gem&tes noch einen Best Ton strafbarem Hochmut oder von Eitelkeit auf.

Für den Augenblick freilich fehlt ihm nichts zu seinem Glflck. Seine einzige Soi^e ist, ob er nur das Hafi Dankbar- keit aufbringe zudem er rerpflichtet sei') Er schafft sich fOr die Besuche bei seinem Bruder in Cambridge ein Pferd an und spinnt sich bis zur geistigen Unbeweglichkeit in das kleinbürgerliche Philistertum seiner Zur&ckgezogenheit ein. Die Stelle eines Treasurers at Lyon'a Jnn^ die ihm 1765 an- geboten wird| lehnt er ab. Spftter (1790) schlägt er einmal die Einladung einer Cousine nach Norfolk mit den Worten ab, sie kSnnte ebenso gut das Haus einladen, in dem er wohnte.

Allein schon 1767 nahm das Idyll im Unwinschen Hause ein jähes Ende durch den plötzlichen Tod des alten Pfarr- herm, der an den Folgen eines Sturzes vom Pferde starb. Ein Ortswechsel schien der FamiUe, in deren Mtte Cowper auch weiterhin zu verbleiben beschloß^ erwttnscht Bei der Wahl einer neuen Wohnstätte kam hauptsächlich der Seel- sorger in Betracht^ und so gab die fesselnde Persönlichkeit des Pfarrers yon Olney, John Newton, dessen Besuch Mrs.

») s. U7.

^ An Major Cowper, la Oktober 1765. GMehiehte der eoffliiehen Bonuaitik 11,1. 88

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ünwin einige Tage nach der Katastrophe empfing, den Anaaehlag.

John Newton (f 1807) hfttte seine Lanfbahn als See- mann im Dienste des SUarenhandels begonnen. I^ter bekehrte er sich za WUberforce nnd legte in einer Sdirift Thoughts ifpon ihe Afirican Slave Trade (Qedanken über den afrikanischen Sklaroihandel) cdne renige Beichte setner TOTmaligen Termchten T&tigkeit ab, aber deren Schftndlidi- keit ihm nnn die Algen anl^fegangen. Die Naekfolffe CkrigHy die ihm znf SUig in die Hand fiel, hatte sein Heiz gewedd Er sehnte sich nach rein menschlichem Wirken nach dem YorbUde Wesleys nnd tlbemahm 1764 die Pfarrei von Olney (Bedfordshire). Mit Mnt nnd Ansdaner, nimmennftde, nie anf Dank bedacht, lag er seinen Amtspflichten ob. War sein BUck anch mitunter beschrinkt, so besaß er doch ein groSes Herz. Seine Oard^phama enthUt Stdlon von hoher Schönhrit, roll echtestem Streben nach dem Guten nnd Wahren. 1) Kein unbedeutender Theologe, iroll religiSser Begeisterung und dabei liberal, an^^ekl&rt, poetisch begabt und Ton romantischem Literesse verkUrt durch die yet- Sffentlichte JBrs&hlung sdner Jugenderiebnisse „einem für das Zeitalter SmoUetts und Wesleys nicht nunder charakteristischen Denkmal wie Cellinis Selbstbiographie ffir die Renaissance^ >) so war der damals 42]ihiige Newton sicherlidi keine alltiigliche Erscheinung. <)

Im Herbst 1767 nahmen Gowper und die ünwins ihren Wohnsitz in Olney, einem unscheinbaren Dorf e in flacher Moor- landschafi „Beinahe zwölf Jahre lang^, sagt der Dichter, „waren wir selten Unger als sechs Stunden getrennt ...

1) William Benhun XXXTff. *) Goldwin Smith, 87. ^ Bmoe LXIIL

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Du bMehrabende Gedicht und die Tenenfthlung. 563

Die ersten sechs Jahre vergingen mir in t&glicher Be- wunderung Newtons und dem Streben, ihn nachzuahmen; die anderen sechs wanderte ich sinnend mit ihm im Tale der Todesschatten.^

Cowper half dem Pfarrer in den Werken der Barm- herzigkeit^ besuchte die Armen, trOstete die Kranken, betete mit denBetrabten.0 Auch als Schiedsrichter diente er äet BeyöIkerQng, obzwar er behauptete, weniger als irgend ein Landriehteryon der Jurisprudenz zu verstehen.') Es kannfür den Unparteiischen heute kaum zweifelhaft sein, dafi diese BeschUtigung Cowper in demselben Maße schadete, als sie von Newton in bester Absicht angeregt ward. Schon Southey erkannte den Sbeln Einflufi von Newtons System der Aufregung und seiner übereifrigen Dienstb^issen- heit^.*) Ja, Newton selbst scheint mitunter der Verdacht aufgedimmert zu siBin, daß er in seinem Streben wohl- zutun und Schaden zu veriiüten^ den rechten Weg ver- fehle. Er schreibt an Thomton: „Ich glaube, ich bin in der Umgegend dafür verrufen, dafi ich die Leute toU predige und es sind ihrer ein Dutzend, deren Kopf nicht recht beisammen ist ^4) Sdion Leigh Hunt tat (1809) den Aus- spruch, d^ religiöse Eifer habe unter dem Vorwande, die Wunden von Cowpera sanftem Herzen auszuglühen, ein feuriges Band darum gesdmürt^

Im Mftrz 1770 verlor Cowper seinen Bruder John. Ob- zwar selbst dn lauterer, schwürmerischer Qiarakter und zeitlebens unter dem Druck einer als Schuljunge empfangenen

0 Hayley 1, 226.

s)Biiflf «liHm, CMailTBO.

•) Hajl^ n, 267.

«) Sonthey 1, 27a

0 Evn% AnAUemptioam>theFoa^andD<mgerofM€Uiodim,l^

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564 Du beMiMibende QMxkt und die VenerdAliuig.

Zigemerwahrsagang, hatte John der pietisÜBcheii Beligioiis- anschaaimg Williams doch stets passive Besistenz geldstrt. Erst auf dem Totenbette liefi er sich yon ihm bekehren und Cowper schrieb die Gfeschichte dieser Seelenrettnng scUidit, herzlich ond eindradonroU nieder nnter dem Titel: Aädj^kL A Sisekh of fke Ckaraeter^ and am Accaumt of ihe Ittmess cf ihe Lote Beif. John Cowper A M^ Fellow of Bennet College, Cambridge, who finisked Mb Courae wüh Joy, Martha, 1770. (AdelphL CSiarakterskiflEe nnd Krankenbericht des tbt- storbenen hochwfirdigen Herni Jdin Gowper, Magister Artinm, Lehrer am Bennet College, der s^e Bahn in Freuden am 20. Mirz 1770 beschloß). Die Erzlhlnng, die sich SU einer psychologischen Studie über das rdigifise Qemftt yertieft, hat Newton nach C!owper8 Tode (1802) herausgegeben.

Um seine Gedanken von dem herben Verluste ab- zulenken, der sein Gemfit verdüsterte, und seine Gedanken auf einen anderen Gegenstand zu konzentrieren, regte ihn Newton (1771-*72) zur Abfassung religiöser Hymnen an,i) die gemeinsam mit des Pf äirers eigenen SeelenergOasen als The Olney Hymne 1779 erschienen und auSerordenÜich volks- tümlich wurden. Die 68 von Cowper herrührenden sind der Mehrzahl nach an ]Kbelstellen geknftpfte erbauliche Be- trachtungen. In einigen tritt das persönliche Geffild mit einer Kraft des Impulses und des Ausdruckes hervor, die Cowper zum Y oUblutlyriker stempelt, so das inbrUistige Gebet Looldng Uptcard in a Storm (Im Sturme blick ich empor); das von tief empfundener Überzeugung getragene Peaee öfter Storm (Friede nach dem Sturm); das von melodiöser, inniger Zartheit durchklungene Loveet (hon me? (Liebst du mich?).

1) Sonth^ 1, 250.

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Das besehzeUie&de Gedieht und die Venentthlmig. 565

In The Contrife Seart (Das zerknirschte Herz) ringt er mit seinem stahlharten Herzen, das gegen alles gefflhllos ist, aoBer gegen das Leid. ,,Herr!^ stöhnt er, «^Herr, zerbrich dieses Herz oder heUe esP In Wisdom (Weisheit) strOmt die Fülle glftabiger Begeistening, die hier znr be- seligenden Erkenntnis wird, in den Orgelklilngen eines Tollen reichen Verses ans, von dem jede zweite Zeile wdblich reimt ein Hymnns, der verdiente, nnter die Kirchenlieder der protestantischen Gfemeinden anigenommen zu werden«

Der befreiende nnd gesondende Einflnft, den Newton von der Poesie ftbr Cowpers GemOt erhofft hatte, blieb gleichwohl ans. Zn Beginn des Jahres 1778 nahm seine Schwermut die Form eines verzweifinngsvoUen religiösen Wahnes an. Die unmittelbare Veranlassung soll ein er- schütternder Traum gewesen sein, der ihn Ende Februar 1778 mit der furchtbaren Gewißheit erfflllte, dafi seine Seele verdammt seL^ Die Vorstellung, dafi er von Gott gerichtet sei, war ja schon bei seiner ersten Erkrankung die traurige Form seines Leidens gewesen. Cowper hörte auf zu beten, weil seine Seele sich nicht vor Gottes Antlitz wagte, von dem sie sich verstoßen glaubte. Wenn vor dem Mahle die Hausgenossen betend um den Tisch standen, setzte er sich und nahm Messer und Gabel in die Hand, um anzudeuten, daß er in dem niederschmetternden Bewußt- sein seiner Unwfirdigkeit an der frommen Übung nicht teilhabe.))

Am 27. Oktober 1788 sehreibt er an den Pfarrer William BuU: „Beweisen Sie mir, daß ich ein Recht habe zu beten und ich will beten ohne aufzuhören ja, beten selbst

0 Wright, 206. ^ Bbcnda, 882.

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566 DMlMt^ieib«ndeG^ckiudateV«neniUiii«r.

im ySchoBe dieser WBSie\ vdt der yerglidien die des Jonas eii Palasty ein Tempel des labendigeii Gottes wir. Aber lasses Sie mich hinsiifBgeii: es gibt in der hdligen Sduift kdne so yiebimfassende Errnntigüng, dafi sie meinen Fall mit emschlSsse, noch einen so wirksamen Trost, dafi er mich erreichte. Ich enfthle es Ihnen nicht, weil Sie es nicht glanben können; könnten Sie es, so würden Sie mir be- stimmen. Und dennoch wttrden Sie die Sftnde, nm derent- willen ich Ton den Vorrechten ansgeschlossen bin, die ich sonst genofi, nicht fflr Sflnde halten. Sie würden mir sagen, dafi es eine Pflicht war. Dies ist sonderbar. Sie werden mich ftbr rerrBckt halten, aber ich bin nicht verrttckl) edler FestosI Ich bin nnr in Yerzweiflnng.^

Als Erankheitszentnmi in Oowpers Leidensdasein wird dieser Traum yermntlich überschätzt, da die krankhafte Veranlagong schon wesentlich früher nm Ausbrach ge- kommen war. Allein, wie dem auch sei, für ihn kam es kaum in Betracht, denn Newton und Mr& Unwin be- handelten seinen Oeisteszustand als diabolische Heimsachnng und zogen den Arzt erst nach geraumer Zeit zu Bäte. Von diesem yerhftngnisyollen Irrtum abgesehen, ist ihr persönliches Verhaltoi ein Denkmal des unbedingtesten Opfermutes selbstloser Nächstenliebe. Mag Cowpers Er- krankung die Absicht eines Ehebündnisses zwisdien ihm und Mary Unwin yereitelt haben oder nicht Sonthey stellt diese Vermutung entschieden in Abrede, Tatsache ist^ dafi ihr Herzensbund von puritanischer Hingebung und höchstem Adel einer lebenslangen idealen Liebe unter die schönsten Seelenerscheinungen der Literaturgeschichte zihlt Mary Unwin war bei dem Tode ihres Gatten 43 Jahre alt (7 Jahre älter als Cowper), von offenen, schlichten Gesichts- zügen, die sowohl die herbe Strenge ihrer sitüicheii Über-

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Dm bMcliniiieiidd CMidit und die VenenlUimgi 567

zeagnng wie ihr stilles, müdes Franentnm spiegelten. Lady Hesketh schildert rie (Juni 1786) ihrer Schwester als frfihlich^ stets bereit zu lachen und nicht im entferntesten preziOs. „Sie scheint ein groSes Kapital ron Heiterkdt zn besitzen. Oroli mnfi es wahrlich gewesen s^, nm bei der Abgeschlossen* heit ihres Lebens und den Sorgen nm ein Wesen, das sie sicheiüeh so liebt^ ala ein Mensch den andern lieben kann, liicht aufgezehrt zn werden. Ich will nicht sagen, daß sie Um yergSttert, denn das hielte sie ftbr unrecht, aber sie scheint gewiß die wahrhafteste Bttdosicht nnd Neigung für dieses ausgezeichnete Geschöpf zu besitzen und kennt, wie ich schon sagte, im buchstäblichsten Sinne des Wortes keinen Willen, keinen Schatten einer Neigung, als die seinen«^ Und ferner: „Wie sie die beständige Pflege Tag nnd Nacht durch die letzten 18 Jahre ausgehalten hat, ist mir, ich gestehe es, unverständlich. Und, um ihr gerecht zu werden, muß ich sagen, daß sie alles mit einer Leichtig* keit Yollbringt, die jede Idee eines Opfers ausschließt Sie spricht in den höchsten Ausdr&cken ron ihm nnd, dank ihrem wunderbaren Vorgehen, wird er in Olney niemals anders als mit der äußersten Achtung und Verehrung genannt.'^ Mary ünwin und C!owper führten gemeinsame Kasse, ob« zwar seine Einkünfte kaum die Hälfte der ihren betrugen. Sie war seine einzige und ausschließliche Pflegerin, denn wenn er auch in seinem Wahne meinte, wie alle flbrigen hasse selbst sie ihn, duldete er doch niemand andern um sich. Es gab Zeiten, in denen er nur sprach, wenn er gefragt war, glaubte, daß sein Essen vergiftet sei und versuchte, sich das Leben zu nehmen, „es Gott zu opfern.^ 0 ^^ l^^^^T ^^ ^^^^ mflhsam fiberredete, den damals ans seiner Nähe verbannten Newton wieder

') Biiü au.Lady Hfid[elh, 16. Jamuur 1786.

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508 Du beicfareibeiide Gedichi lad dk Vcnwrfhlimg.

aufzusuchen, war er nielit mehr zur Heimkehr aa bewogen und blieb eineinhalb Jahre im Nachbarhansa Wem auch Freondschaftsopf er in erster Linie den direii, der sie erwdst» so gebw sie doch andrerseits dnen Matstab fitr die Wertschätzung dessen, dem man sie bringt Man innfi Cowper im Hanse Newton sehr geliebt haben, nm den trttb- seligen Gast aditzehn Monate lang ertragen zu kennen.

Im Mai 1779 besserte sich seinZostand. Er zddmete, begann, sich mit alleriei Haadwerkerarbeit nnd mit der Gartenpflege zu beschBftigen. IMe Erfolge seines Qe- wSchshanses nnd die ZShmnng dreier Hasen, die ^ in einem Aufsätze fflr das Omäeman's Magarine, Jnni 1784, beschrieben hat^ erfflUtra ihn mit Interesse nnd Genngtnnng. In der Segel pflegte er jede neue Beschäftigung mit Feuer- ^er aufzugreifen, der aber bald verpuffte. ^

Newton hatte seine Pfarre in Olney mit ein^ Londoner vertauscht. Wie grofi auch der Verlust war, den das Auf- hSren dieses täglichen Verkehrs fOr Cowper bedentete^ der Gesundheit seiner Nerven mag die Trennung zuträglidi gewesen sein. Die Stelle des geistlichen Freundes und Beraters fibemahm der Pfarrer des benachbarten Newport Pagnell, William Bull, dessen phantasievolles Naturell dem Kranken Sympathie und Vertrauen einflöfite.

Auf Bulls Drftngen griff er 1780 seine Korrespondenz wiederaui GowpergehSrtunterdieklassischenBriebchreiber der englischen Literatur Leigh Hunt bezeichnet ihn kurzweg als den besten^) , obzwar oder vielleicht eben weil ihm jede schOnrednerische Abeidit, jedes Streben nach Geistreichigkeit oder nach bedeutenden Themen fem li^ Seinen Briefen haftet durchaus der CSiarakter des Zu-

') An Newton, 178a

•) Leigh HmtB London Jotirtial (Nr. 66), 27* Juni 188&

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Dm beschrabende Gedicht und die VenenShlimg. 569

f ftUigen, Snbjdctiyeii an. Sie enthalten so gut wie nichts &ber Politik ondy Homer- nndMUtonbetrachtnngen ausgeschlossen, wenig Spekolatives. Sie bescheiden sich mit den Alltagsvor- fUlen eines kleinen Kreises, ohne inBanalit&tzn verfallen, und erzählen schlicht nnd scheinbar kunstlos in einem zur Vollkommenheit ausgebildeten Natürlichkeitstil, dessen Dar- stdlungen yon suggestiyer Kraft sind, so daft der Leser, der ge¥riissermafien den Umriß des Bildes erhftlt, ihn aus Eigenem mit farbenfrischen und lebendigen Tönen fallt Obwohl Cowpers bescheidene Zurückhaltung das Analy- sieren von eigenen Gemütszuständen eher vermeidet als suchte sind seine Briefe doch mit Persönlichkeit durchtr&nkty and diese Persönlichkeit ist eine lautere, liebenswürdige, immer darauf bedacht, den Freunden wohlzutun. Daher kommt es, daß in den Briefen verhältnismäßig liäuflg ein humoristischer, heiterer Ton angeschlagen wird, daß sie mit Scherzen durchsetzt sind. Gowper verbirgt rücksichts- voll seine Verstimmung vor den Treuen, die sie schmerzen könnte.

Auf BuUs Anregung geht auch Cowpers Übersetzung der von dem Freunde lebhaft bewunderten Gedichte der Madame Otiyon zurück (1782), einer pietistischen Dichterin, deren Bild im Nonnengewande Cowpers Interesse erregte. Eine Art gottschwtrmerischer Meditation mußte ihn bei Madame Guyon als ein verwandtes Element berühren. Freilich war auch die Beschäftigung mit diesen von religiöser Oberspannung erfüllten Poesien für Cowpers Gemüt wenig zuträglich. Indes gelang die Übersetzung und lieferte manches schöne schwungvolle englische Lied {TAe NaHvüjf. Weihnacht; The St^aUow. Die Schwalbe).

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570 I)ub6iehnib«nd6 06dkktVBd4kV6neRiUiiiiff.

Dm Desenniiiai der litenurlMkeii PMMkttOB.

Hehr und mAr hatte rieh in der ZAt der PrtfoB; poetiflcheTfttigkeitalsprobaieBOegengifterwieseiL „Geistäge Depresrioii'', schreibt Oowper am 12. Oktober 1785 an Lady Hesketh, „die^ wie ich mir denken kann, manchen abgehalten haty Schriftsteller pol wwden, hat mich dazu gemacht Mir ist fortwihrende Beschäftigung notwendig. Handarbdt be- schftftigt den Geist nicht genfigend, aber Dichten, be- sonders in Versen, nimmt ihn ganz in Ansprach. Danm schreibe idi gewöhnlich morgens drei Standen, abends schreibe ich ab.^ Er sdbst war stets geneigt, seine poetische Produktion im denkbar beschddensten Lichte xb sehen. j^Von meinem 20. bis znm 83. Jahre**! schreibt er 1972 an einen Frennd, „war ich mit juridischen Stadien bescfaifiagt, oder hiltte es doch sein sollen. Vom 33. bis znm 60. Jahre habe ich mefaie Zeit auf dem Lande zugebracht, wo die Lektfire nur eine Beschönigung meines Mftfiigganges war, und wo ich, wenn ich gerade kerne Zeitschrift hatte, zu- weilen tischlerte oder Vogelkftflge machte oder Land« Schäften zeichnete oder Gartenarbeit versah. Mit 50 Jahren begann ich meine Laufbahn als Schriftsteller. Es ist die Grille, die am Iftngsten und besten angehalten hat und die wahrscheinlich meine letzte sein wird.^

Hit niederschlagendem SelbstmiBtrauen paarte sich in seiner komplizierten Natur „ein ungeheurer Eäirgeiz''« So kam es, dafi er, stets von d«n Wunsche erfüllt sich hervorzutun, sich fast fünfzig Jahre durdis Leben ge- stohlen, ohne etwas zu unternehmen. S[aum aber hatte er endlich die Dichterlaufbahn betreten, als auch der Bnt* scUuS feststand, seinen Weg zum Ruhme emporzukftmpfeiLO

>) An Lady Haskefh, 15. Mai 1780.

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Dm besdimbeiide Gedicht und die Versenihliing. 571

1781 rerOffentlichte er das aaonjone Pamphlet Änü Thdyiph^ara, eine Entgegnang auf Martin Handans zwei- blndiges Werk TM^htkara, ar A TreaUse an Femaie BMn (Abhandlung über das Verderben des Weibes), worin der Beweis erbradit werden sollte, daß lant der Bibel die Polygamie von Gott nicht nur gestattet, sondern seines be* sonderen Segens teilhaftig seL Der Geistliche Mandan war Cowpers Vetter. Seine Erbannngsschriften hatten ihm in den Zeiten des Trübsinnes Trost geboten. Dennoch hielt er sich jetzt berufen, gegen seine Verirmng fifCentlieh Partei za ergreifen. Er tat es in einer Art romantischer Allegorie. Der Held, Airy del Gastor, umschwärmt die im Lande der Trftume geborene und yon der Phantasie erzogene zauber* kundige und yerbuhlte Dame Hypothese; doch beide er- liegen dem Bitter yom Silbermonde, Marmedan. Die Frauen nnd Jungfrauen triumphieren. Faune und Satyre wehklagen und entfliehen. Hymen entfacht aufs neue seine Fackel, segnet den Tag und entsühnt die Statte. Cowpers Tadd ist nicht bissig, nicht schadenfroh. Seine Muse schwingt keine Geißel, sondern höchstens ein Birkenreis.

1782 yerStfentlichte er seinen Erstlingsband Sdected Poems (Ausgewählte Dichtungen, Deutsch yon W. Borel, 1870).

In seiner bescheidenen Selbsterkenntnis tauschte er sich nicht über das, was ihm zum schöpferischen Dichter fehlt Er schreibt an Unwin: „Ich habe kein größeres Recht auf den Namen Dichter als ein Verfertiger yon Hausefallen auf den eines Ingenieurs; aber meine kleinen Versuche dieser Art haben mich zu Zeiten so unterhalten, daß ich oft wünsche, ich w&re ein guter Dichter.^ i) War auch der unmittelbare Zweck seines Dichtens die eigene Zer-

0 South^ yi, 17.

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572 Dm beü^zelbeBdo G^didit ud die VineniUiiiig.

strewuig, die Ablenkiuig von seiiMn mdancsholisclt^ Ge- danken, 80 meinte er doch inuneiiiin dnige positiye Be- rechtigiing zn SffentUchem Hervortreten zu haben. „Ich glanbte anf einige Gegenstinde gestoßen zu sein, die yorber noch nicht poetisch behandelt worden sind'', sdureibt er am 19. Oktober 1781 an Mrs. Oowper, „nnd anf einige^ denen ich dnrch die Art der Behandlnng nnsehwer den Anschein der Nenhelt geben könnte. Mein dnngo- Zweck ist, nfitzlich zn sein. Doch weift ich, daß ich yer- geblich anf diesen Pnnkt abzielen wflrde, warn es mir nicht gelänge^ anch unterhaltend zn sein.^

Die letztere Eigenschaft wird die Nachwelt ihm vielldcht am entschiedensten bestreiten. Gowpers Weike haben etwas yomSchnlezerzitinmansidL uns Dentsdie erinnern sie an den braven Vo& Die Tatsadie, daß er ttnfzigjUiiig als poeüseher Nenling vor das Publikum tritt, bezeugt bereits, daß der Gtenins in ihm kein unbezwingbarer Impula ist Die Zeit der Jugendfrische^ da er dem freien Walten des Temperamwtes das Wort geredet, 0 war bereits vorfiber; nach seiner nun- mehrigen Ansicht hatte der Geist dem Willen, die Natur der Sitte und Zucht einer höheren Einsicht unbedingt zu gehorchen. Sehr bezeichnend sagt er im Table Talk:

Proplietlieh Feuer htt mich nie duchgllUit, Jm SUbenfpiel ergdti' ich mich, im Lied.

Die Sorgfalt, die er der äußeren Form zuwendet, kenn- zeichnet ihn als einen Abkömmling der Augustfter. Der heroische Vers ist sein ausschließliches Metrum, das in seiner Hand abwechslungsreich, flflssig, lebendig wird. Seine poetische Arbeit ist von so peinlicher Sorgfalt, daß v(m dichterischem Erguß, von dem Zauber eines poetischen Sich-

0 An Bowlqr, September 1768.

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Das bMehrdbende Gedieht und die TenersSlilimg. 573

gdhenlasseiis selten darin etwas zn spüren ist. ,,Feilen und wieder feilen^ hält er ffkr das Geheimnis fast jeder guten Schrift; 0 er selbst wird dessen niemals mfide, und weist die Arbeit endlich etwas Glanz auf, so fahlt er sich köstlich belohnt')

Die kritische Kontrolle über seine Gedichte ftbte Newton, der ihnen die Vorrede schrieb. Die Anregung, ja, geradezu die Themra f&f sie aber gaben ihm oftmals die Frauen, die ihm nahe standen. Nichts kennzeichnet ihn mehr als Dichter, denn der tiefe Eindruck, den seine scheue, schlichte, leidToUe Persönlichkeit auf das weibliche GemAt ausübte.

Von seinen inneren Gaben ist die Tüchtigkeit der Ge- sinnung wohl die mafigebendste. „Das Leben'', schreibt er im Juni 1790 an John Cowper, „ist zn kurz, um Zeit selbst für ernste Spielereien zu bieten.'' Ein didaktische* Zweck steht ihm immer in erster Linie. Pragress of Error (Die Entwicklung des Irrtums) hebt mit der Aufforderung an die Mnse an: „Singe, durch welche verborgenen Künste die Schlange des Irrtums sich windet ums menschliche HerzI ... Ihr Sorglosen, Trügen l Lasset euch warnen!" Das Leben ist eine Prüfung, aber der Wille ist frei zu wühlen^ Die unbedingte Verwerfung aller Fatalistik kenn- zeichnet den Stuidpnnkt^ von dem aus Ciowper die mannig- falt^en Spielarten des Irrtums betrachtet, um schließlich bei dem großen Tröste zn landen, der selbst dem Irrtum zum Opfer Gefallene vor dem unwiderruflichen Verderben schützt, bei der Macht des Kreuzes, zu retten und zn sühnen. Spiel und Trunk, jede Art der Geckerei, das Übermaß sinnlicher Genüsse und weltlicher Vergnügungen sowie einzelne Persön- lichkeiten nmf aßt der Bahmen dieser Betrachtung. Einer der

>) Brief vom Juli 1780.

*) Brief Tom 9. NoTember 1780.

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574 Dm batehniboidtt Gedieht ud die VenenÜdug.

•tirinten AnaflOIe trifft „den Gott unserer Idolatrie^ die Prene. Sie itt der ewig spiudelnde Quell endloser Lttgea Als OegenbUd des Lrtiuns werden die wahren Frcudes gepriiesen: hänsliches Behagen, Frenndschaft^ guter Bnf und Mildtätigkeit

Das religitee Lehrgedicht Tru^ (Wahrheit), 600 Verse über die religitae Wahrheit, die flr Cowper die Wahiheit sehlechtweg ist, bfldet eine Dariegnng der Lehre von der göttlichen Gnade. Das Erangelinm ist ein Gnadengeschenk, das jeden Ansprach auf Verdienst im Empfibigar ans- schlieüt Der Einsiedler, der Kraft seiner FrOmmigkdt den Himmel za erwerben hofft, ist so hodmttig wie der Fharisfter. Die Gnade erbarmt sich der Seele. Ergebnng ist das Heil der GUnbigen. Geist nnd Gelehrsamkdt bedeuten nur Schlingen anf dem Wege des Gerechten. Bn fein an9gefilhrtes Genrebild stellt Voltaire einer amen Spitzenklfipplerin gegentber, einer Vertreterin jenes dlrftigea Gewerbes, das Ciowper, der sich (8. Jnli 1780) bei seinem einstigen Schnlkollegen, dem nunmehrigen Kanzler Thnrlow, für die armen SpitsenklOppler von Olney verwendete, aus per- sönlicher Anschauung kannte. Die alte bibdf este Frau ist demglinzendenSchSngeistflberlegen. Sie besitzt einen Sehatz, wihrend er nur Flitter sein eigen nennt Auch der ^eptiktf kann sich der Wahrheit auf die Dauer nicht entziehen.

Cowper war sdbst dn Bibdglftubiger und Bibelgelehiier. Aus seinem unabltssigen Bibelstudium leitet Hayl^ die Fflile des Gefühls und der Ausdruckskraft her, die ihn schliefllich zu dem machte, was er am sehnlichsten zu sein wünschte, „einem Dichter der CSiristenheit, einem Ermahner der Welt". 0 „Er kommt gradeswegs rom Studium dar alten

') Hajley n, 28a

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Das besehreibende Gedicht ond die Versentidimg. 575

Propheten", sagt Christopher North, ,,imd in einigen seiner prtchtigen M&rchen glaubt man die Bibel in eine andere Gktttang von Poesie umgewandelt zn hören.'' 0 Nur die Frömmigkeit Ahrt seiner innersten Überzeogong nach zum Olftck; Wd^eit und öfite sind Zwillinge (licpostHlatian). In jedem Naturvorgange erblickt er das Walten einer göttlichen Vorsehung. Dem treuen Hill verweist er einmal die Sorgen, die er sich um seinetwillen gemacht, mit den schönen Worten: „Ich zweifle nicht, wenn meine Tage ab- geschlossen sind, wird es ersichtlich werden, daS idi einem Herrn diente, der es mir an nichts mangeln liefi, was zu meinem Guten war.**))

Die Echtheit und Inmgkeit seines religiösen Empfindens schließt alles Zelotentum gegen Andersdenkende aus. Seine yermeintlichen Satiren sind im Tone eines wohlwollenden Weisen geschrieben. Schon Christopher North wfinschte einen andern Namen fflr diese Oedichte, die erfüllt seien ▼on fast allen Arten edelster Poesie, in denen die Prinzipien des Olaubens, der Freiheit, des Patriotismus großartiger denn je zuvor dargelegt würden, in denen der Dichter einher- schrdte wie im heiligen Zorn, wie ein Qottgesandter.*) In BeHrement (Zurtckgezogenheit) spricht Gowper das goldene, eine ganze CSmrakteristik aufwiegende Wort: „Wenn ich tadle, bemitieide ich.«" In Charity (Barmherzigkeit) sagt er: „Entfacht nicht liebe zur Tugend die Flamme, so ist die Satire tadelnswerter als jene, die sie brandmarken soll.**

Ein wesentlich dfirreres Lehrgedicht als Truth ist Comfersatian (Gespräch), eine ebenso ausftthrliche wie trodcene Anleitung zu dieser Eunst^ die, obzwar hi erster Linie auf

>) Esuiifi CriUeäl ond ImagnuOive 1, 287.

*) Hayl^ n, 288.

>) E$$ayM Oritkai ond Imßgmatioe 1, 287.

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576 Dai bMcfanibend« Gedieht ond Me VenflidUiiBff.

nat&rlicher Begabung benihBiid, nach Cowpen Daftrhalteti durch Pflege doch wesentlich reryollkommt werden kann. Er klagt, daß Abschweifangen sehr in Mode, Gedanken selten seien. Es ist fast wie Selbstkritik seiner Verse.

Dasjenige nnter den Gedichten, von dem Cowper sich den größten Erfolg yersprach, ist TcMe Talk (Tischgesprüch), ,,ein Mischmasch von yielerlei Dingen'', wie er es in einem Briefe nennt Die Taf elnnterhaltnng zweier Freunde erhd>t sich gelegentlich zn einem fast Schillerschen Pathos in der Betrachtung von Wfirde, Tugend, Ehrgeiz, Auch auf politisches Gebiet wagt sich Cowper. Er bezeichnet die Freiheit als Grundlage jedes bflrgerlichen Glfickes und ginge sie selbst zu weit und verlöre sich in Anardiie man erschUgt sein gutes Boß nicht, weil es im Laufe q^ringt und sich bftumt, sondern man zflgdt es. Disziplin erweise ihre Kunst an der Freiheit Auch auf aktudle Zust&nde geht C!owper ein. Hatte er in The Progress of Error die Begleichung der Nationalschuld erwogen, so be- trachtet er hier die No Poperff Bhts (1780) und lobt Chatham. Doch leitet ihn der Standpunkt, daß es die Vor- sehung sei, die den Patrioten inspiriere. In Chariijf tritt C!owper mit WArme für die Freiheit ein. Sei frei! ist das Motto, das die Natur jedwedem Wesen aui^prSgt Die Tiere sind freiheitsliebend. Der Mensch aber macht den Mensche zu seiner Beute. Der Brite sollte wissen, daß vor Gott alle Menschen gleich seien.

In schonen Versen auf Whitefleld (Leitecmomus) und andere Philanthropen wendet Cowper sich g^gen die wider- natflrliche Grausamkeit der Sklaverei So l&ßt er auch in The Moming Dream (Morgentraum) ein herrliches, am Schiffsteuer stehendes Weib, Britannia, ausrufen: Ich gehe, Sklaven frei zu machen! Diese Gesinnung bekräftigte

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Das beschreibende Gedicht nnd die Verserzählang. 577

Cowper einige Jahre später noch durch ein Sonett an Wilberforce. Doch bedeutet ihm die Negerfrage „ein abscheuliches und wiederliches Thema'', auf das er nur fremder Anregung folgend eingeht in The Negro's Complaint (Des Negers Klage), dessen halb revolutionäre, halb senti- mentale Schwärmerei typisch ist für die Empflndungsweise, welche der Europäer des 18. Jahrhunderte fälschlicherweise dem afrikanischen Schwarzen unterlegt. Ea^ostulation (Ernste Vorstellung), ursprünglich als eine Geschichte der Juden geplant, i) spielt auf damalige britische Zu- stände an, auf die gedrückte Stimmung nach dem amerikanischen Kriege und die Unzufriedenheit über die Tateakte und andere Maßregeln* der inneren Verwaltung. Die Muse weint über England wie der Prophet über Israel. Sie hängt die Harfe an die alte Buche, in der noch feierlich die Wahrheit rauscht, und wenn der kalte Wind über die Saiten streicht, seufztderDichter über ein Volk, das, gegeißelt, dennoch mit der Eeue zögert

Übrigens ist Cowper nach seinem eigenen Ausspruch nichts weniger als ein Politiker. Hat er die Zeitung aus der Hand gelegt, 80 interessiert ihn das Gedeihen seiner Frühbeet- gurken mehr als jede große, wichtige Sache. „Lassen meine Blumen ein wenig die KOpfe hängen, so vergesse ich, daß wir seit vielen Jahren Krieg haben, daß wir einen demütigenden Frieden geschlossen, daß wir tief in Schulden stecken und zahlungsunfähig sind. Alle diese Erwägungen werden im Nu durch eine Pflanze verdrängt, deren Frucht ich, wenn ich sie zur Beife gebracht, nicht essen kann. Was für ein weises, konsequentes, ehrenvolles Geschöpf ist doch der Mensch! **0

0 Wright, 296.

s) Brief an Newton, 8. Fehruar 1783. Ckichiehte der enifUfohen Bomaatik n, 1. 87

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578 Das bescbreibeiide Gedicht und die Venen&hlimg.

Innerhalb dieser engen Schranken seines politischen Interesses ist Cowper Whig, wfinscht jedoch als wahrer Freund der Eonstitation, die Macht gleicherweise zwischoi König, Lords nnd Oemeinen verteilt zu sehen. 0 Er ist unbedingt loyal Eines seiner frühesten Gedidite, das lateinische On Loyalty (1754) mahnt, die Könige nidit anzufeinden, über deren Haupt die Krone gar mannigfaltige Leiden bringe. >) Er schreibt 1789 Gedichte auf die Genesung Seiner Majestät und auf den günstigen Erfolg seiner Seebäder, treibt aber seine Ergebenheit nicht bis zur Fursten- dienereL Wir lieben den König, heifit es in The Task (V), aber dessen eingedenk, daß er nur ein Mensch ist, trauen wir ihm nicht ztt weit ... Er ist unser, um d^ Staat zu verwalten, ihn zu schätzen, um zu sparen, doch nicht) um ihn zu vermehren, zu yerändem. Wir sind sein, um ihm zu dienen in gerechter Sache, doch nichts um seine Sklaven zu sein.

Und femer: Die Könige sind für die Menschen da, nichts wie sie häufig glauben, die Menschen für sie. Sie teilen das allgemeine Menschenlos: sie stehen und fallen durch ihr Benehmen. Welche Gelegenheit wird ihnen, Gutes zu tun und zu fördern! Aber wie selten begreifen und nützen sie sie! Von Kind auf beweihräuchert und dennoch mit Miß- trauen beobachtet) scheinen sie ihm bedauernswert Er möchte nicht König sein. Das Gedicht Heroism (Heldentum), 1782, zeigt den Machthabem im Feuer des Ätna ein Symbol des Unheils, das ehrgeiziger Stolz zeitigt „Ihr heroischen und lorbeergekrönten Helden seid nichts als die Ätna der leidenden Menschheit^, ruft er aus.

0 An Lady Hesketh, Mai 1793. *) ünpvblished Poem, 1900.

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Das beschreibende Gedieht und die Verserzählnng. 579

Die Revolution liegt so außerhalb von Cowpers Gedanken- und Gefühlssphäre, daß sich in seinen Briefen nnd Gedichten kaum eine Bemerkung aber sie findet Im März 1793 schreibt ' er an Bagot, die TollkSpfe in Frankreich seien eine entsetzliche Basse; er habe einen Abscheu vor ihnen wie vor ihren Prinzipien.

Far die amerikanische Unabhängigkeitsbestrebung fehlt ihm das Verständnis. Er schreibt am 24. Februar 1783: „Sie haben Leidenschaft und Eigensinn genug ge- habt, um uns viel Übles zuzufügen, aber ob das Ereignis für sie selbst zum HeUe sein wird, müssen wir erst ab- warten."

Der Besitznahme Indiens sieht er als entschiedener Gegner zu. „Wäre ich Schiedsrichter in dem Streite", äußert er am 20. Januar 1784 zu Newton, „ich bände diesem Patronat ein Talent Blei um den Hals und ver- senkte es in die Tiefen der See. Weniger bUdlich zu sprechen: Ich wfirde von der Grundeigentumssteuer absehen in einem Lande, an das wir kein ßecht haben, das wir nur ohne jede Gewähr für das Glück seiner Bewohner regieren können und mit der Gefahr, uns selbst entweder fortwährenden Händeln oder daheim der unerträglichsten Tyrannei auszusetzen". Er mißtraut dem Hofe, die Patrioten scheinen ihm verdächtig, die Company hat jedes Vertrauen verwirkt Es gibt nur ein Heilmittel: völlige Vernichtung der englischen Autorität in Ostindien.

Eine Reihe von Gedichten widmet Cowper allgemeiner Betrachtung: Hope (Hoffnung), deren Lächeln alle Schätze der Welt nicht aufwiegen; Betvrement (Zurück- gezogenheit). Die Weisheit, Abklärung und Objektivität dieser Gedichte flößt an vielen Stellen Bewunderung ein. Das Thema wird von den verschiedensten Seiten beleuchtet

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580 Das beschreibende Gedicbt und die Verserzählnng.

und als Endergebnis ein allgemeines, möglichst wenig sub- jektiv gef&rbtes Vernanftorteil angestrebt. Der Pessimist, der auf die Frage: Was ist das Menschenleben? antwortet: Eine rastlose Flut, ein eitles Verfolgen flüchtiger, falscher GHitter, eingebildetes Gl&ck, tief empfundene Sorge, die m Dunkel und Verzweiflung endet; der Optimist, der in der Natur nur Herrlichkeit und Glanz erblickt und in der Sprache aller Dinge nur das eine „Freue dich!" yer- nimmt sie beide werden gehOrt (Hope). Diejenigen, die einem hoffnungslosen Schmerz nachhängen, die ein ge- träumtes Glück suchen, die einer Grille, oder dem Hang nach Einsamkeit, oder der Mode folgen, die der Überdruß oder die Armut treibt sie alle kommen zu Wort (Betiremeni).

Im großen und ganzen ist es die Beligion, die bei Cowper immer und überall, in allem und jedem das letzte wie das erste Wort behUt Im Table Talk bezeichnet er sie als das einzige noch unersch&pfte Thema der Poesie. Von der menschlichen Barmherzigkeit geht er zur göttlichen über, von der irdischen Hoffnung zur himmlischen; die politischen Angelegenheiten dieser Welt verschwinden neben den Ewig- keitsfragen. Vor allem aber steht seine Naturbetrachtung ,,8ub specie DivinitaHs^'. Wenn seine Phantasie in groß- artig schrecklichen Naturschauspielen nicht ohne Wohl- gefallen bei Grausigem verweilen kann, so geschieht es, weil es von Gott, nicht von Menschen, hervorgebradit istO Überall erblickt er das zweck- und absichtsvolle Eingreifen eines persönlichen Gottes. Der Ozean enthüllt Gottes Macht und Majestät. Er erregt den Sturm, er beruhigt ihn. Die Werke der Natur werden übertroffen von dem, der sie

») Brief an Bagot, Juni 1788.

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Das beschreibende Gedicht und die Verserzählnng. 581

schuf (Betirement). In demselben Gedicht läßt Cowper die Himmelstochter Natnr von der Eeligion auf die Erde gesandt werden, nm allda zn tanzen nnd jedes Auge zn entzücken. Er wählt sie znr Mnse als Stellvertreterin und Mittlerin der Gottheit ,,Breite deine Zanber ans, wenn ich die Leier berühre!" fleht er; „leite die kunst- lose Hand, auf daß ich erhasche die selten empfundene Glut". Wehe dem Menschen, dessen Geist auf seinen Endzweck verzichtet, der nur glänzt, um zu verführen, der die Natur mit leichtfertigem Auge studiert, das Werk bewundert, doch an seiner Lehre vorübergeht.

Dennoch hatte die Muse Cowper die Glut der Natur- empfindung, das Ansehen der Seele im wesensverwandten All verwehrt. Für die gewaltigen Naturvorgänge gebricht ihm der entsprechende Ausdruck. Er hat z. B. kein Ver- hältnis zum Meere. Auf dem Schiffe überkommt ihn ein bedrückendes Gefühl der Haft Er ist der Dichter des englischen Binnenlandes, für das er jene von Über- schwänglichkeit nicht freie Vaterlandsliebe des Ungereisten hegt, dem der Vergleich mit andern Ländern und Kulturen fehlt Doch ist eigentliche LandschaftsschUderung bei Cowper nicht häufig. Desto besser gelingt ihm mitunter eine suggestiv bildhafte Wirkung (Die milde Oktober- stimmung in ÄnU Thelyphüiora). Die Lehre, welche dem Menschen die Natur erteilt, tritt ihm in den alltäglichsten Vorgängen und kleinsten Geschöpfen am deutlichsten ent- gegen. Die Biene, die sich abmüht, durch das Draht- gitter zur Treibhausfrucht zu gelangen, mahnt an die menschliche Torheit und Sünde, verbotenen Freuden nach- zustreben, deren einzige Frucht die Enttäuschung ist {The Pineapple and ihe Bee. Ananas und Biene). Die Treue zweier Finken gibt Anlaß zu einer Moral für Weltkinder:

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582 Das beschreibende Gedicht und die VerseTzShlniig.

Errötet, wenn ich each sage, dafi ein Vogel den Kerker mit dem Freunde der Freiheit ohne Freund vorzog {Tie FaiihfulBird. Der treue Vogel). Das unfreiwillige Abenteu^ einer philosophisch angehauchten Katze endet mit der Lehre: H&te dich vor Selbstüberhebung, sonst mußt du in der Schule der Drangsal die Torheit überspannter Erwartungen erkennen (The Betired Cat Die einsame Katze). „Alle Laute, die die Natur äußert, sind reizend, wenigstens in diesem Lande", schreibt er am 18. September 1789 an Newton. Es ist ihm ein Beweis für die Güte der Vorsehung, daß das Ohr der Menschen mit den T5nen, die ihn um- geben, in Harmonie ist Wald und Feld und Garten haben jedes sein Konzert Eine ausgeprägte Tierliebe l&ßt Cowper mit Verständnis auf die Eigena^ untergeordneter Lebewesen eingehen und verleiht seinen Versen milde Glanzlichter des Humors, die sie sonst entbehren, z,B. On a Spanid caUed Bean^ kiUing a Bird. (Auf einen Windhund namens Bohne, als er einen Vogel tötete), obzwar auch hier ein sentimentaler Exkurs des Hundes über seine Tugend die Stimmung unterbricht Naive Naturfreude ohne doktrinäre Reflexion ist Cowper unbekannt Entgleitet seiner Hand eine Rose, aus der er den Regentau schütteln wollte, knüpft er daran die Betrachtung: So erbarmungslos werden mitunter zarte Seelen und brechen ein Herz, das sich schon im Grame bescheiden lernte {The Böse). Ja, die Nachtigall muß in der Erwägung ethischer Motive den Glühwurm verschonen, den dieselbe göttliche Macht im Leuchten unterwies, die ihr das Singen eingab. Daraus mögen streitende Sektierer lernen, daß der Bruder nicht den Bruder befehden und auffressen, sondern einer im andern die Gaben der Natur und der Gnade achten solle (The Nightingale and the Olowworm. Nachtigall und Glühwurm).

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Das beschreibende Gedicht und die Veraerzfthlnng. 583

Der Mensch tritt in diesen abstrakten Gedichten grade nur als Staffage auf. Doch ist Gowper nicht unerfahren in der Kunst, mit wenigen Strichen Charakter- und Genrefiguren von typischem Ausdruck hinzustellen; z. B. die neidische, geizige, scheinheilige alte Jungfer Bridget (Truth\ der auf dem Kirchgänge ein in die Livree seines erwachsenen Vorgängers gekleideter tölpelhafter Bauemjunge das Gebet- buch nachträgt, auf vertretenen Schuhen dahinschlfirfend, den Tautropfen an der Nase. In den Schattenrissen des englischenKeisenden und des fremden Abbte in The Progress of Error erblickte Hayley den sittlichen Humor Hogarths nebst jener Feinfühligkeit und Ergebenheit, die den Künstlern höchsten Kanges eigen sind.

Die kleinen Erlebnisse des stillen Alltags setzen sich bei Cowper in Verse um. The Colubriad (1782) erzählt, wie er mit dem Schürhacken eine Schlange erschlägt, die die Katze neugierig, mit der Pfote streichelnd betastet. The CocJcfighter's Garland (1789) behandelt eine Zeitungsente über den jähen Tod eines rohen Hahnenkämpfers. Der Tod von Mrs. Throck- mortons Dompfaffen, ein eingetrocknetes Tintenfaß, die Heilbutte, die er am 26. April 1789 zu Mittag afi, werden Themen für Gedichte. Einige Pappeln, die man auf einem seiner Lieblingsplätze an der Ouse fällt, ergeben etliche der schönsten und melodischesten Verse Cowpers; The Poplar Field (Das Pappelfeld), 1785, wird, ohne Schwächlichkeit im träumerischen Ausdruck einer allgemein gültigen Wahrheit der Vergänglichkeit alles Irdischen ein geschlossenes Kunstwerk. Und die Zeitungsnachricht einer furchtbaren Schiffskatastrophe verewigt das prächtige Gedicht The Boyal George mit seinem Kehrreim von volks- liedartiger markiger Schlichtheit.

Alles in allem scheint Leigh Hunts Wort berechtigt:

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584 Das besehreibendo Gedicht ond die VenenShlniig.

„Wir kennen kanm einen echter englischen Autor als Cowper oder einen, der im wesentlichen geeigneter w&r^ den hochherzigen nationalen Gfeist aufrecht zu halten" ^) diesen Geist, fügen wir hinzu, der ein so merkwürdiges Gemisch von offenem Sinn und Beschränktheit, von Groß- zügigkeit und Verbohrtheit, der gleichzeitig weltumfassend und vor der Welt abgeschlossen, spekulativ nnd materiell ist

Für die Liebe findet sich auf Cowpers Psalter kein Ton. Er warnt vor ihrem verweichlichenden Einfluß. „Nicht dich in Ketten schlagen zu lassen, hat Gott dich geschaffffl"", ruft er in BeiireMent dem Liebenden zu, „sondern auf daß du unterwerfest!''

Dennoch ist Cowper selbst in reifen Jahren von der Liebe zwischen Mann und Weib nicht unberührt ge- blieben. Im Sommer 1781 machte eine zufällige Be- kanntschaft in seinem Leben Epoche. Vom Fenster ans sah der menschenscheue Dichter eine Dame über den Markt- platz gehen, deren sympathische Erscheinung ihn so fesselte, daß er sie durch ihre Schwester, eine Bekannt« Mary Unwins, zu sich einladen ließ. Es war Lady Austen, eine geborene Eichardson. Sie hatte im jugendlichen Alter Sir Robert Austen geheiratet und mit ihm in Frankreich gelebt, wo er starb. Allem Anschein nach war sie eine Dame von seltener Lebhaftigkeit des Geistes, nach einem Ge- mälde von Bomney zu schließen, das sie als Lavinia dar- stellt, von weichen, zarten Gesichtszügen mit einem schmachtenden Ausdruck. Ihr Gespräch wirkte auf Cowper so anregend, erheiternd und fesselnd, daß der Verkehr rascb ein vertrauter wurde. Man machte gemeinsame Spazier- gänge und Ausflüge mit Picknicks. Er nennt sie Schwester

1) Leigh Hun^s London Journal, 7. Noveniber 188&.

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Das beschreibende Gedicht und die Verserz&hlang 585

Anne; man bildet bald eine Familie, nnd er hat nun zwei weibliche Wesen nm sich, die in liebevoller Sorgfalt am ihn wetteifern, denen er vorliest and am Eamin die langen Winterabende in traoliche Stunden verwandelt. ^) und, wahr- lich dieser frische Einschlag in seine Existenz tat not

Obzwar seine Gedichte, wenn auch nicht laute An- erkennung, so doch ehrende Würdigung fanden Franklin druckte ihm am 8. Mai 1781 von Passy ans seinei Be- wunderung aus; die geschätzte MonÜdy Review erklärte ihn für einen „Dichter sui generis^^ ,^) lauerte im Hinter- gründe seines Oemfites doch beständig der schwarze Dämon. Am 21. August 1781 schreibt er an Newton: „Meine Ge- danken kleiden sich in eine dfistere Livree, fast durch- weg so ernst wie die Bedienten eines Bischofs. Sie drehen sich ja auch um geistliche Dinge. Der längste und vor- lauteste der Bursche aber ist derjenige, der mir beständig aus vollem Halse zuschreit: Actum est de tel Perüsü!^

Eines Oktoberabends 1782, als die Wolken der Schwer- mut den kranken Dichter wieder bedriickten und sein Geist in unheimliches Brüten zu versinken drohte, versetzte ihn Lady Austen durch die ihr aus den Eindertagen vertraute Geschichte von John Gilpin in krampfhaftes Lachen und regte seinen Schaffensdrang so an, daß die Erzählung bereits am andern Morgen in eine Ballade umgewandelt war, welche einen Monat später im PtAlic Ädvertiser erschien. In frischem Bänkelsängerton erzählt Cüowper die Abenteuer John Gilpins, eines Leinenhändlers aus Paternoster Bow, der mit Frau und Kindern einen Ausflug nach Edmonton unter- nimmt, als Sonntagsreiter aber ein klägliches Schicksal erleidet Der Gaul, dem er willenlos ausgeliefert ist, schießt

0 Brief an HOl, Oktober 1788. «) Wright, 800.

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586 Das beschreibende Gedicht nnd die VerserzShlaiig.

mit ihm zehn Meilen weit über das festgesetzte Ziel hinaus und im Galopp wieder znrflck nach Hanse. Boß nnd Reiter langen zn Tode erschöpft an. Cowper hielt sich im änßeren Umriß an die volkst&mliche Überlieferung, die sich an einen Leinenweber Beyer in Paternoster Kow knfipfte,*) doch mochte anch manche persönliche Erinnening mit- spielen. Schrieb er doch im Mai 1781: „Wozu mich die Natur eigentlich bestimmt, habe ich nie erraten können. Aber eins ist gewiß: zum Reiter hat sie mich nicht ausersehen.^

Der Erfolg des John Güpin war ein ungeheurer. Cowper selbst, der bei der Abfassung kein anderes Augen- merk gehabt als zu lachen und nicht einmal an den Druck gedacht hatte, war überrascht und erfreut. «) Dieser Eb-folg dauert bis zum heutigen Tage fort Der moderne konti- nentale Leser wird ihn vielleicht übertrieben finden und nicht wissen, worauf sich die unverwüstliche komische Wirkung gründet. Vermutlich ist es die in England stets ihrem vollen Wert nach gewürdigte gesunde Harmlosigkeit und unverfälschte Volkstümlichkeit, die der Ballade von John GUpin ihren Platz unter den klassischen Werken des britischen Humors verschafft hat. Vielleicht spielte dabei auch ihre vereinzelte Stellung unter den Gedichten des schwermütigen Cowper mit^ unter denen sich kaum ein oder zwei heitere Gegenstücke finden. Die einzigen, die etwa in Betracht kämen, sind The Distressed Traveüers, or Ldbour in Vain (Die bedrängten Reisenden oder Vergebliche Mühe) mit der drolligen Schilderung von Cowpers und Maiys müh- seliger Wanderung nach Clifton; The Yearly Distresses^ or Tithing Time at Stockton (Die alljährliche Drangsal, oder

>) Wright, 312.

<) Brief an ünwin, 18. November 1782.

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Das beschreibende Oedicht und die Yerserzählung. 587

Stenerzeit in Stockton) mit einem gutmütig ironischen Ein- schlag, nnd das anmutige Rätsel ,,Der Euß^.

Indes ist die Literatur Lady Austen für eine noch wichtigere Anregung verpflichtet als die zu John Qilpin. Eine Verehrerin Miltons, forderte sie Cowper häufig auf, Blankverse zu schreiben; und als er ein Thema von ihr verlangte, meinte sie, über einen Gegenstand wäre man doch niemals in Verlegenheit „Sie können über alles schreiben schreiben Sie über dieses Sofa!'' Der Einfall war nicht so originell, wie er auf den ersten Blick scheint. Es existierte bereits die Rhapsodie eines Rev. E. Cooper, The Elhow Chair (Der Armstuhl), 1765. Diese „rhap- sodischeste Rhapsodie'', wie der Kritiker der Monthhj jReview (Oktober 1765) sie nennt, ist in Blankversen ver- faßt In einem Armstuhl, seine Pfeife rauchend, sinnt der Verfasser über Liebe, Freiheit, Patriotismus, Ehe, Jagd- und Angelsport, Friedhöfe und anderes. Die Übereinstimmung im Namen der Dichter, in der Aufgabe und der Art der Be- handlung ist ein auffallendes Zusammentreffen, i)

Cowper gehorchte und schrieb über das Sofa. So ent- stand, vermutlich im Sommer 1783 begonnen und im Herbst 1784 vollendet, «) die Dichtung, die seinen Namen am be- rühmtesten gemacht hat, The TasJc (Die Aufgabe).

Sein Studierzimmer war ein Gartenhäuschen. In diesem Lieblingsaufenthalt, kaum größer als eine Sänfte, mit der offenen Tür in den mit Blumen gefüllten Garten, blieb er von Besuchen verschont.') Am 8. August 1783 schreibt er an Bull: „Worum sollten wir jemanden beneiden? Ist unser Gewächshaus nicht eine Kammer voll Wohlgerüchen?

>) Sonthey U, 43.

^ AJdine Edition U, 7.

•) Brief an HiU, 25. Juni 1785.

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588 Das beschreibende Gedicht nnd die Verserzählmig.

In diesem Augenblick stehen Nelken und Balsaminen davor, Gänseblümchen nnd Bösen; Jasmin nnd Jelänger nnd nur Ihre Pfeife fehlt, um es wahrhaft Arabisch zu machen eine Wildnis von Lieblichkeit! Das Sofa ist beendet, aber nicht fertig."

Hayley in seiner Cowperbegeisterung wollte in The Task „einen Überblick Ober das menschliche Leben ans der Vogelperspektive" sehen und fand, daß kein alter oder modemer Autor Cowper in der Erfindung zartester Über- gänge von einem Gegenstande zum anderen gleichkomme.^ Cowper selbst bezeichnet als die Absicht seiner Dichtung, die moderne Schwärmerei für das Londoner Leben zu er- schüttern und die stille Muße und Behaglichkeit des Landes als die der Tugend und Frömmigkeit fördersame Sphäre anzuempfehlen.*)

Er bekennt, nach keinem regelrechten Plane vor- gegangen zu sein. Der Zusammenhang ist in der Tat der denkbar lockerste. Das eigentliche Thema, die Entwicklung des Sofas aus der primitiven Sitzgelegenheit zu dem weichen Pfühl, auf dem es sich so trefflich schläft, der aber auch die Vorstellung der Gicht weckt, ist bald erschöpft Die Erwägung, daß die Jugend des Sofas nicht bedürfe, bringt den Dichter auf seine eigenen Jugenderinnerungen, seine fröhlichen Wanderungen und somit ist er im rechten Fahr- wasser, der Gegenüberstellung von Stadt und Land, deren Standpunkt durch den Satz gekennzeichnet ist: Gott schuf das Land, der Mensch die Stadt

London, obzwar an Reichtum und Geschmack die Hauptstadt der Welt, geht auch an Ausschweifung allen anderen voran, ist ärger als Sodom, ist die große Kloake

») n, 252.

«) Wright, 340.

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Das beschreibende Gedicht und die Verserzählang. 589

für allen Wegwurf, alle Fäulnis der Welt. Mag es auch eine Pflegestätte der Kunst sein die Kunst kommt doch an Lieblichkeit der Natur nicht gleich. Sie ahmt nur nach. Sie hat keine eigene Seele.

Zum Glflck für Cowpers Dichtung verfolgt er sein Ziel, yom Stadtleben abzuraten, weniger durch die übertriebene Schilderung der Scheußlichkeit der großen Menschenzentren als durch die verlockende Darstellung des Landlebens, das er durchweg „nach der Natur, nicht aus zweiter Hand^ zeichnet. In dieser Echtheit liegt der unvergängliche Wert des Gedichtes. Sein Genius begnügt sich mit der schlichten Hausmannskost, die ihm die Umgegend von Olney bietet. Er gibt sie in unbedingter Ehrlichkeit nicht für exotische Leckerbissen aus, aber er möchte sie auch nie und nimmer gegen solche vertauschen. In Veduten von plastischer Anschaulichkeit wird ihre schlichte Schön- heit mit gesundem Naturverständnis zur Geltung gebracht und eine Apostrophe an die treue Gefährtin seiner Natur- freuden, Mary Unwin, das würdige Denkmal liebender Freundschaft, stellt gewissermaßen die urwüchsige, tüchtige Frau als Muse' in die bescheidene Landschaft. Vom Hügel, den die Spaziergeher, gegen eine frische Brise ankämpfend, erklimmen, überblicken sie das Ackerfeld. Langsam zieht der Pflug seine Furche. Neben dem arbeitenden Gespann, das nicht aus der Spur weicht, schreitet der kräftige Jüngling, aus der Feme fast einem Knaben gleich. Das Flüßchen Ouse, das sich durch breit gedehnte, mit Rinder- herden besprenkelte Wiesen schlängelt, ist wie ein ge- schmolzener Glasfluß in das Tal eingelassen. Des Dichters Lieblingsblumen schmücken die Ufer und halten Wacht vor des Hirten einsamer Hütte. Am Horizont verschwimmt das Gelände mit den Wolken. Von fernen Türmen hallt heiterer

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590 Das bcsdueibende Qedieht und die Venen&hlong.

OlockentoiL „Fürwahr'', ruft der entzückte Dichter, „die Schönheit der Landschaft^ die täglich geschant, täglich er- freut, kann wohl keine eingebildete seini Wahre Heiterkeit kennt nur, wer, dem eingeborenen Triebe folgend, ganz mit der Natur lebt''. Unter Natur aber versteht Cowper, genau genommen, nur das englische Binnenland. Seine Kultur ist ihm die Kultur. Nur in seinem Boden gedeiht die Tugend, die stille Zufriedenheit einfältiger Herzen.

Das ländliche Idyll wird in einzelnen poetisch verklärte Bildern vorgeführt Z. B. der Winterabend am Kamin. Die Fenstervorhänge sind zugezogen; der Tee duftet im Kessel Der Postbote ist der einzige Herold aus einer unruh- vollen Welt Die Holde stickt Man liest vor. Man macht Musik; man vertieft sich in die Zeitung und blickt aus dem Guckloch der Zurückgezogenheit in das Getriebe der Außenwelt Was bedeuten gegen solche Sammlung der Seele städtische Unterhaltungen der Theater und Klubs! „In The Tash^f sagt Christopher North, „ist der Herd das Herz des Gedichtes, gerade wie er es in einem glücklichen Hause ist Kein andres Gedicht ist so erfüllt von häuslichem Glück.^ 0

Der Winter ist die Jahreszeit, die Ciowpers Phantasie am meisten anregt. Er schildert ihn als Herrscher in einer Anrede voll bildnerischer Phantasiekraft Sein Thron ist ein Schlitten, den Stürme auf glatter Bahn dahintreiben. Er hält die Sonne im Osten gefangen. Er ist ein König traulicher Freuden. Doch verhindern derlei ideale An- schauungen den Dichter nicht, im Anblick des phantastischai Christallbaus der Eiszapfen an sonnigen Wintertagen zu- gleich der Trockenfütterung des Viehs in ausführlicher Be- trachtung zu gedenken.

^) lUcreatums, 1, 220.

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Das beschreibeiide GFedicht und die Verserzählung. 591

Cowpers Tierliebe kommt in einigen Sätzen von epi- grammatischer Prägung znm Ausdruck. Das Herz, das sich lebensfrohen Tieren verschließe, sei auch für die Nächsten- liebe tot. Des Menschen feindselige und hochmutige Haltung gegen Tiere stamme vom Sundenfall.

Bei all seinem echt romantischen Streben, die Poesie der Dürftigkeit, der Einschränkung, der Außerweltlichkeit zu enthüllen, bei aller Voreingenommenheit für das Land- leben, schützt ihn doch seine Wahrheitsliebe vor Schön- färberei. Die Pest der yielen Wirtshäuser, die wüsten Gesellen auf den Landstraßen werden nicht verschwiegen. Freilich ist es die Stadt^ die in diesem Falle auf das Land abgefärbt, deren Laster das unschuldsvolle Naturleben an- gesteckt hat

In der Betrachtung des Landlebens fehlt natürlich der Pfarrer nicht C!owper ist der Ansicht, daß, solange die Welt steht, die Eanzd als wichtigstes und kräftigstes Boll- werk, als Stütze und Zierde der Tugend anerkannt werden müsse. Psychologische Spitzfindigkeiten und problematische Fragen sind seine Sache nicht Seine Neigung gehört der guten alten Zeit, in der Tugend und Laster noch durch un- verwischbare Grenzen voneinander gesondert waren. Schlicht und eindeutig seinem innersten Wesen nach, ist ihm am Manne wie am Weibe alle Geziertheit in der Seele verhaßt. Er verachtet sie. Ja, seine unbedingte Gegnerschaft gegen die Überschätzung der Kulturverfeinerung macht ihn bitter und ungerecht gegen die Kunst und ihre Vertreter. Den übertriebenen Shakespeare- und Garrickkultus mißbilligt er. Daß der Messias bald nur noch um Händeis wiUen ge- feiert werde, dünkt ihn eine Überschätzung des Menschen durch den Menschen.

Cowper selbst steht auf dem entgegengesetzten Stand-

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592 Das beschreibende Gedicht and die Tenerzihlnng.

punkte. Er will die Natur um dessentwUlen bewundert sehen, der sie gemacht Lerne Gott erkennen, willst du sein Werk verstehen, sagt er. Seine Naturbetrachtung geht unvermerkt in ein feierliches Olaubensbekenntnis über. Bums bezeich- nete Mrs. Dunlop die in The Task zum Ausdruck kommende Religiosität als die Beligion Gottes und der Natur, die den Menschen erhebe und veredle

Fin freier Mann ist in Ciowpers Augen derjenige, den die Wahrheit frei macht Die Freiheit des Herzens ist eine Flucht in die Arme des Erlösers. Märtyrer kämpfen um einen höheren Preis als Patrioten. Aber auch die bOrger- liche Freiheit hat ihren Wert. Sie verleiht der Blume des flüchtigen Lebens Glanz und Duft. Wir sind Unkraut ohne sie, weil jeder Zwang derjenige ausgenommen, den die Weisheit den Schlechten auferlegt vom Übel ist, indem er die Fähigkeiten unterbindet und den Fortsdiritt hemmt Um des Besitzes der Freiheit willen preist Cowper den heimischen Erdenwinkel.

Der aUer romantischen Lebensphilosophie zu Grunde liegende Optimismus kennzeichnet auch Cowpers Welt- betrachtung. Alles in der Natur strebt himmelwärts, denn alles war einst vollkommen und wird es wieder werden. Ein Millenium der Freiheit, der Eintracht^ des Wohlgefallens steht bevor, Gottes Ankunft auf Erden. Um sie, die ver- heißen ward, betet der Dichter. „Durchweht vom Geiste des Christentums" nennt Christopher North The Task.

Das Motto der Dichtung Fit surculus arbar (Der Schöß- ling wird zum Baume) kennzeichnet ihre Entstehung. Sie erwuchs scheinbar planlos aus geringstem Vorwurf. Cowper selbst wollte, da er sich bei der Anordnung des Stoffes redlichen Mühewaltens bewußt war, darin keinen Fehler erblicken. Der lockere Zusammenhang, meint er, entspreche

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Das beschreibende Gedicht und die yerserzählong. 593

vielmehr einer Fordenrng der Poesie, in der die didaktische etwa ausgenommen logische Exaktheit steif, pedantisch nnd Iftcherlich sel^) Er hatte niemandem nach* geahmt, war aber anch niemandem absichtlich ans dem Wege gegangen.^) So erschien gleich der Anfang Milton nachgebildet Im übrigen forderte am meisten Thomson znm Vergleiche heraus. C!owper bewunderte seine Schilderungen, fand aber seinen Stil nicht frei von Geziertheit und seine Yerse nicht immer vOllig harmonisch.') Thomson ist der rhapsodischere, lyrischere von beiden, der überlegene Schildere* Das Naturphänomen bleibt ausschließlich sein Thema, seine Betrachtung ist internationaler, klassischer. Christopher North rühmt den großen, kühnen Zug, mit dem er, „wie alle gewaltigen Meister des Begenbogens^, das Bild auf die Leinwand werf & Dafür entzücke er nicht so häufig wie Cowper durch erlesene Einzelschilderung. Cowper male Bäume, Thomson Wälder ; C!owper in vielen, nicht eben wunder- baren Versen das Gemurmel eines Wasserfalles, Thomson in wenigen wunderbaren Vers^ einen Flußlauf von der Quelle bis ans Meer. Thomson stelle die Natur vor Augen, Comper vor die Einbildungskraft^) Immerhin bleibt Cowper Thomsons unmittelbarer Nachfolger und Fortsetzer. Eine eigenartige Meisterschaft bekundet er darin, einen äußerlich geringfügigen Anlaß zum inneren Erlebnis zu gestalten und in klassischer Einfachheit ergreifend zum Ausdruck zu bringen (z. B. den Eindruck des Glockengeläutes {Tash VI). Seine Behandlung des Blankverses, den Cowper größerer Abwechslung fähig hielt als den gereimten Vers, ist in ihrer

0 An Lady Heaketh, 2a JuU 1788* «) Hayley n, 252. *) An Moses Eing, 19. Juni 1788. «) BeereatUms 1, 220. Oesehielite der enffliBohen Bomantik ü, 1.

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5d4 Du beMfarabende Q«diidit und die VenenihluB^.

Mannigfaltigkeit and anfiergewOhnlichen Elangf&lle prächtig. Viele Verse bilden geschlossene Sentenzen und liehen sich von selbst zn sprichwörtlichen Wendungen. Der moderne Geschmack wird bei aller Anerkennung innewohnender Schönheiten nichtsdestoweniger Anstofi nehmen an i&r die Komposition sprengenden Breite der Meditation^ die sich nicht selten in platte, kalte UnpersOnlichkeit verliert und als allzu wesentlicher Einschlag des poetischen Qespinnstes fühlbar macht Es kommt auch fflr die Beurteilui^: von The Taah gar wohl in Betracht, daß Ciowper gleichzeitig (1785) ein Lehrgedicht in aller Form veröffentlichte, das 1782 84 entstandene Tirociniumy or Ä Beview of Sdu>als (Tirocinium oder Übersicht der Schulen). Die gerränte pSdagogiBche Abhandlung soll der Welt die Augm Offnen Ober die Öffentlichen Schulen, die zu einer Schmach, zu einer Pest geworden, zu Menagerien, deren ZOglinge in der Begel zugrunde gehen.

Aber obwohl dieser allgemeine moralisierende und dogmatische Ton sich auch in The Taah breit macht, obwohl das Werk nicht frei ist von veralteten klassizistischen Pedanterien (wie die Bezeichnung der Freunde mit lateinischen Namen, z. B. Throckmortons mit Benevolns), spricht dennoch eine dichterische Individualität darin das maßgebende Wort Diesem Umstände ist wohl auch der große Erfolg der Aufgabe zuzuschreiben.

Cowper behauptete, gegen das Off etliche Urteil gleidi- giiltig zu sein. „Die Welt und ihre Meinung &ber das, was ich schreibe, ist mir so unwichtig geworden wie das Pfeifoi eines Vogels im Busch**, schreibt er dem Schulmeister von Olney, Teedon. Dennoch bewundert er in naiver Weise den Scharfsinn und Oeschmack dieses Mannes, der ihm die Schön- halten der Aufgabe einzeln vordemonstriert Teedon, ein

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t>9B besckreiWcle Oedicht Und die VersenShlnnit. ^^5

anner Teufel, dem Cowper mit kleinen Unterstützungen unter die Arme griff und dessen Gesichtszüge dem Dichter, einem fiberzeugten Anhänger Lavaters, sympathisch waren, ^) gewann durch seine religiöse Schwärmerei ungeheuren Einfluß auf ihn.

Auch Teedon hatte Träume, die zu nächtlichen Gesichten und einem persönlichen Verkehr mit der Gottheit wurden. Aber während Cowper sich aus dem Angesicht Gk)ttes ver- stofien glaubte, ffihlte er sich als einer der Bevorzugten des Herrn. So wird der von Gott Geliebte ffir den un« glficklichen Dichter eine Art Mittler und höherer Berater. Ihm gewährt er die tie&ten Einblicke in sein von Gewissens- quälen und Ängsten zerrissenes Innere. 1785, in den Tagen des großen Erfolges, ist es ihm einen Augenblick, als wäre die zwölfjährige Zeit der Prfifung abgeschlossen. Aber nur zu bald erkennt er die Täuschung. >) 1786 erschfittert ihn neuerdings eine entsetzliche Vision. Er vernimmt eine Stimme, welche spricht: „Ich will dir aUes versprechen " und ist sich des unausgesprochenen Nachsatzes bewußt: „aber dir nichts halten^. Er allein unter allen Menschen ist der aus Gottes Barmherzigkeit AusgestoBene.') Er selbst hat über seinen Zustand die vollkommenste Klarheit. In den Pausen zwischen seinen Depressionsanfällen hielte ihn niemand ffir krank, schreibt er (15. Mai 1786) an Lady Hesketh, denn seiner Niedergeschlagenheit entspreche keine Reaktion fibertriebener Heiterkeit oder Erregung. Wfirde der Grund behoben, der sie verursacht, so könnte er dauernd fröhlich sein.

Nur als ein flfichtiger Strahl fiel in diese dunkle

*) Wright, 587.

<) Brief an Teedon, 20. Mai 1786.

>) Brief an Teedon, 16. Mai 1798.

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596 Das besdueibeiide Gedicht und die VenensShliuig.

Existenz die Poesie; die andern freuten sich seines Werkes mehr als er selbst

Der Niedergang.

Als The Ta$k erschien, weilte diejenige, die das Werk angeregt, nicht mehr in Cowpers Nähe. Lady Anstens Über- schwänglichkeit hatte schon 1782 eine vortibergehende Yer- stimmnng in dem Frenndschaftsdreieck hervoigemfen. Bei allem Platonismns erwies sich sein Doppelverhältnis zn den zwei ihn betreuenden Frauen als unhaltbar. Mary Unwin fühlte sich durch Anne Austens geistige Überlegenheit in Schatten gestellt und begann eif ersfichüg zu werden. Gowper sah sich vor die Notwendigkeit einer Wahl gestellt und die Dankbarkeit lenkte seine Entscheidung. Er schrieb an Lady Austen einen sehr herzlichen Brief, aber ein^ Abschiedsbrief. Sie verbrannte ihn, obzwar sie in sp&teren Jahren, als sie sich mit einem französischen Dichter, If . de Tardif, vermählt hatte,^ zugab, es könnte kein bewundems- wertherer geschrieben werden. Lady Austen starb auf einer Beise in Paris 1802.

Cowper selbst gewann bald für sie Ersatz. Sein dichterischer Erfolg hob ihn in den Augen seiner Ver- wandten. Die ihm bisher als einem Geisteskranken Almosen gewährt hatten, erfuhren nun, daß er ein Gfenie seL^) Auch die seit 1778 verwitwete Lady Hesketh, Cowpers Jugend- gespielin, die der pietistische Ton seiner Briefe aus Hunting- don abgestoßen hatte, nahm jetzt die eingeschlafene Korre- spondenz wieder auf. Vermutlich war es ihre Schwester, die frühgeliebte, treue Theodora, die sich hinter dem anonymen Wohltäter verbarg, von dem Cowper seit 1785 ein Jahr-

1) Hayley U, 289. «) Wright, 400.

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Das beschreibende Gedicht nnd die Venenfthlmig. 597

gehalt nnd allerlei sinnige Geschenke erhielt Im Jnli 1786 schreibt er an Unwin, er beziehe von Lady Hesketh, dem Earl Ciowper nnd seinem ungenannten Wohltäter zusammen 100 Pfund jfthrUch.O

Die erneute Herzlichkeit des Verkehrs mit Lady Hesketh, die Wiederbelebung der glücklichen Erinnerungen an die Zeit, da man gemeinsam Tausend und eine NacfU gelesen hatte, durch Wälder und Felder gestreift und über Hecken ge- klettert war,^) bedeutete für Cowper eine Herzensfreude. Harriet Hesketh bietet ihm neben der wohltuenden Wärme ihres fein empfindenden Frauengemütes volles poetisches Verständnis. „Bin ich, indem ich dich zur Cousine habe, nicht glücklicher als je ein Dichter war!" ruft er aus.') Er macht ihrem Urteile allerlei künstleriche Zugeständnisse, mit denen er sonst zurückhält, denn ihre Meinung hat für ihn „mehr Gewicht als die aller Kritiker der Welt". Er nennt sie seinen Stolz, seine Freude.^) Bei ihrem Besuche in Olney verkünden die Eirchenglocken ihren Einzug. Er aber verstummt vor überschwänglicher Wonne des Wieder- sehns. Glücklicherweise bringt die humorvolle Dame, deren geistige Kräfte im gesundesten Gleichgewicht sind, eine heilsame Gegenströmung in die stagnierende Einförmigkeit der bleiernen Atmosphäre des Pietismus, die C!owper umgibt. Durch ihren Einfluß beteiligt er sich wieder am Tischgebet^ ja, er unternimmt mit ihr Ausfahrten. Nach Wartons Tode (1790) möchte sie für ihn die Würde ies Poet Laureate an- streben, aber er erklärt, der Kranz würde wie ein bleiernes Zündhütchen alles Feuer seines Genius verlöschen. Die Klein-

0 Wright, LXXI.

^ Brief an Lady Hesketh, 12. Oktober 1785.

•) An Lady Hesketh, 28. JnH 1788.

*) An Lady Hesketh, 16. Januar 1786.

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S98 Du besehrabendfi Oedicht und die VeneniUiui^.

Städter von Olney haben einen wülkommen» Anlafl zm Klatsch, gelbst Newton schreibt einen yerletzmden Malm- brief an Cowper, ans dem hervorgeht, daS er ihn auf ver- botenen Wegen glaubt Doch gleichviel die Schatten haben sich für den Augenblick erhellt Die im Erkalten begriffene Freundschalt mit Newton ersetzt bald eine neue mit der katholischen und in Folge dessen ziemlich vereinsamten Familie Throckmorton im benachbarten Örtchen Westen. Die Veranlassung zu dieser Bekanntschalt gab das 1783 von Throckmorton unternommene Experiment, einen Ballon steigen zu lassen. Der Versuch mißlang, aber die Fr^nd- schaft gedieh. Auf Lady Heskeths Anregung siedeltea Ck)wper und Mrs. Unwin im Herbst 1786 sogar nach Weston über. Im Vergleiche zu dem alten Hause auf dem Markt- platze von Olney, das sie 19 Jahre bewohnt hatten, war das neue Haus bequem, ja beinahe elegant Oowper erfreute sich an der häbscheren Umgebung mit dem pr&chtigen Park und an der gröfieren Oesellij^eit des neuen Aulenthaltes, sowie an der Aussicht^ Lady Hesketh, seinen Sekretftr, seinen guten Engel, alljährlich als Gast bei sich zu bewiUkommneiL Das Behagen gesfinderer und annehmbarerer Lebensvwhllt- nisse kam aber ihn.

Laut dem Eintrage in seine Glarkesche Hom^ausgabe hat er 1784 mit seiner Homerflbersetzung begonnen. Er selbst hielt sie Iftr sein Lebenswerk. Am 9. November 1785 teilt er Harriet Hesketh bereits als großes Geheimnis die Beendigung des 21. Buches der lUas mit Allein wie immer stellten sich düstere Perioden ein, die seine Sdiaff^is- kralt unterbanden. Der plötzliche Tod William Unwins im November 1786, eines wackeren, liebenswürdigen Mannes in den besten Jahren, erschütterte ihn heftig und die namenlose Angst, die er seit seiner ersten schweren

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Das beschreibende Gedicht und die Versenlhlimg. 599

Srkrankimg alljährlich yor dem Februar hatte, zeigte sich diesmal nur allzu gerechtfertigt Das alte Leiden befiel ihn mit ungestfim^r Macht und wütete ein halbes Jahr. £r8t im September 1788 begann er die Odyssee und schloß sie im September 1790 ab. Ohne festen Plan hatte er die Arbeit unternommen und sich lediglich zur Ablenkung von seiner Schwermut^) ein tägliches Pensum von vierzig Versen gestellt. Aber die Aufgabe er selbst nennt sie eine Herkulische ließ ihn nicht mehr los. Er erklärt die Ilias und Odyssee fOr die beiden schönsten Dichtungen, die je ein Mensch geschaffen, verfaßt in der schönsten Sprache, die je ein Mensch gesprochen, und setzt sich gegen BenÜey mit Entschiedenheit fOr die Echtheit der Odyssee ein.^)

Seiner Homerbegeisterung tut keine der vorhandenen Übersetzungen genug. Hobbes dfinkt ihn lächerlich; bei Chapman wundert ihn nur das eine, daß jemand, der so wenig Verständnis fOr Homer aufbringe, sich der Mfthe dieser beschwerlichen Aufgabe unterzogen habe.') Aber auch Pope befriedigt ihn nicht. Er findet, zwei Dinge könnten einander kaum unähnlicher sein, als Homers lUas und die Iliade Popes, dessen ganzes Bestreben dahin gehe, das Kolorit der Bilder zu verstärken, die Sätze zuzuspitzen, auf den einfachen Griechen Ovidsche Grazie zu häufen, kurz Townleys schOner Bflste des ehrwürdigen Sängers eine Haarbeutelperilcke aufeusetzen.^)

In seinem AUthes gezeichneten Brief an das OenÜemen^s Magaeme (August 1785) begründet er seine Verurteilung

0 Wright, 874.

>) An S. BoBe, Februar 1790.

•) An Park, 17d3.

«) Haykgr n, 279.

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600 Dm bMcfareibeiide Gedicht und die Venenihlmig.

Popes aasf&hrlieher. Er habe nur, heißt es hier, emen Homer in der Zwangsjacke gegeben. Diese Zwang^acke sei der Reim. Der Beim bedinge den Ansdrack nnd dadurch oft eine Umbildung nnd Entstellung des Sinnes. Häufig seien ganze Absätze bei Pope nur eine Interpretation, die dem echten Sinne nicht entspreche. Die angeblichen Ver- schönerungen, die Popes zierlich gedrechselter Stil hinzu- gebracht, konnten den Homerkundigen nur abstoßen, denn Homer sei aus vielen Gründen der beste Dichter, der je gelebt, aber ans keinem Orunde mehr als durch jene maje- stätische Einfachheit^ die ihn von allen andern unterscheida Von der Überzeugung erffillt, der Hauptmangel d^ Popeseben Übersetzung beruhe in ihrer Eigenmächtigkeit, lag C!owper Echtheit und Treue vor allem am Herzen und er scheute in dieser Hinsicht keine Anstrengung. In der Vorrede zur Utas (zweite Auflage) sagt er, die Arbeit sd ihm wie ein fast perpendikulärer Aufstieg erschienen, den er um keinen geringeren Preis als die äußerste Anspannung aller Kräfte bewältigt habe. Die Odyssee dagegen gliche eher einer offenen, ebenen Gegend, durch die man mit Be- hagen reise. Immer wieder änderte und besserte Cowper. Die zweite Auflage weicht wesentiich von der ersten ab. Southey bevorzugte diese und wählte sie für seine Aus- gabe von Cowpers Werken. In einem Briefe vom Januar 1790 dankt C!owper einem treuen jungen Freunde, der ihm seit den letzten Jahren in großer Ergebenheit anhiog, Samuel Kose, fflr seinen „deutschen Clavis'',i) der ihm zum richtigen Verständnis der Zubereitung des Mahles verhelfen, das Achilles den Abgesandten Agamemnons vorsetzt^ dner Stelle, die außer ihm selbst und Scbaufelberger niemand

0 Johann Schaufdberger, Nova Clavia Homerica, Turid 1761S8,

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Das beschreibende Gedicht nnd die Verserzählong. 601

bemeistert habe, seitdem das Griechische keine lebendige Sprache mehr sei

Auch dem Maler Fflßli, einem vorzfiglichen Homer- kenner, dem CSowper das Mannskript znr Durchsicht gab, bekennt er sich fOr manchen Wink verpflichtet Als den Hanptvorzng seiner Arbeit betont er immer wieder ihre unbedingte Texttrene. „Ich habe nichts ausgelassen, nichts erfunden^, sagt er in der Vorrede. Die Erreichung dieses vor- gesetzten Zieles glaubt er der Wahl des Blankverses zu danken, den er unter allen englischen Metren allein w&rdig hält, der heroische Vers genannt zu werden, i) Er beschäftigt sich mit der Struktur des Verses, hält an der Elision fest und vertritt die Ansicht, dafi im Englischen jede Silbe lang oder kurz seL^) Die Ursache des ganzen Streites Ober die Elision liege in der Unbekanntschaft modemer Ohren mit der göttlichen Harmonie von Miltons Versen und mit dem Prinzip, nach dem sie gebaut sind. Cowper ist der Ansicht, daß sie ihre Majestät zum großen Teil der Elision danken. ^ Eine gewissenhafte Übersetzung antiker Dichter in Reimen hält er für ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Über- tragung in Hexametern kommt bezeichnenderweise gar nicht in Betracht. So wird der anspruchsvolle deutsche Leser bei Cowper trotz aller verständnisvollen Worttreue doch jene letzte Echtheit im Ausdruck vermissen, die nur durch formelle Übereinstimmung neben der inhaltlichen erzielt werden kann. Das feierliche Dahinschreiten des Hexameters ist dem beflügelten Gange des Blankverses zu unähnlich, um dieselbe Wirkung zu ergeben. Das Pathos, die poetische Weihe des antiken Epos wird durch die

^) Brief an Bagot, Fehniar 1791. *) An Bagot, Jannar 1791. >) An Bagot, Angnst 1786.

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602 Dm betehreibeiide GMicfat und dk YerBenililiuig.

ernste Gediegenheit von Oowpers Wiedergabe nicht Töllig ersetzt. Da£ er im letzten Oninde fOr die GrOße Homers nicht den vollwertigen Mafistab besaß, geht schon ans seinem Entzflcken Aber Flaxmans ülnstrationen hervor. „Die Ge- stalten^, schreibt er 1793 an Park, „sind höchst klassisch, antik nnd elegant, besonders die der Penelope, die, gleichviel ob sie wacht oder schl&ft, alle Beschauer bezanbem mofi.'' So ist vielleicht Southeys negatives Lob der Cowperschen Übersetzung das gerechteste: sie sei von allen englisdien Übertragungen diejenige, die das Original am wenigsten entstelle. 1)

Da die Übersetzertätigkeit eine ungemein gttnstige Wirkung auf Ciowpers Nervensystem &ufierte, drftngte ihn seine Umgebung, darin fortzufahren. Gleich nach dem Abschluß der Odyssee machte er sich an die BtxtrOiAomyamackie und 1791 begann er die Übertragung von Miltons lateinischen Dichtungen, nachdem Teedon durch langes Beten vom Himmel die Gtovrißheit erlangt hatte, daß Cowper recht tue, d^ Antrag des Verlegers Johnson anzunehmen. Cowper erlebte denn auch bei seiner Arbeit die Genug- tuung, daß ihm Milton im Traume seine Zufriedenheit ausdrückte,^) w&hrend Miß Seward sie in einem Briefe an Southey pedantisdi, unmelodisch und geistlos schalt') Fflßli lieferte für sie dreißig Kupferstiche.

Eine günstig und nachhaltig in sein Leben eingreifende Folge der Beschäftigung mit Milton war die Bekanntschaft William Hayleys (1795—1820), des Dichters der Triumphs of Temper (1781), der eben an einer Abhandlung über Milton arbdtete. Hayley, ursprünglich zum Advokaten

<) An Caroline Bowles, 26. Mlis 1881,

>) An Hayley, S4. Februar 1793.

*) Southey, Life and Correipondenoe m, 202.

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Das besehreibeiide Gedicht und die Venensftliliing. 603

ausgebildet, ohne je ernste Absichten in diesem Bernfe zn haben, genoß damals einen auf den verschiedensten literarischen Gtebieten unbestritten anerkannten Ruf, dem die gesellschaftliche Stellung des wohlhabenden Mannes noch einen gewissen Nachdruck gab. Echter als seine EunsÜeistongen, die sich kaum Aber das Niveau des ehr- geizigen und fleißigen Dilettanten erhoben, war Hayleys liebenswürdige F&higkeit warmer und bewundernder Freund- schaft Wie er sie später William Blake angedeihen ließ, so wandte er sie nun Gowper zu, der ihrer gerade in diesem Augenblicke dringend bedurfte und sie in &berschw&nglicher Dankbarkeit mit enthusiastischen Gefflhlen erwiderte.

Die Zeit der Heimsuchung durch köiperliche Leiden war nun auch für Mary ünwin gekommen. Als sie im Mai 1792 ein Schlaganfall traf, bew&hrte Hayley sich als hilfbereiter Freund und machte sich so unentbehrlich, daß Cowper äußerte, er wisse nicht wie er künftig ohne ihn leben solle. 0 Er nennt ihn Bruder. >) Ja, im August ereignet sich das seit 25 Jahren für unmöglich Erachtete: Cowper und die halbwegs wieder hergestellte Mrs. Unwin machen sich zu einem Besuch auf Hayleys Landsitz Eartham bei Felpham (Sossex) aut Die für drei Tage berechnete Reise erfüllt ihn mit Todesangst. Nur im Gebet findet er endlich die nötige Zuversicht') In Eartham, Hayleys stattlichem Herrensitz, mit dem Blick auf das Meer und die Insel Wight, der zehn Jahre später den eben mit einem großen Werke zu Gowpers Gedächtnis beschäftigten Blake entzückte, fühlen die beiden Kranken sich „so glücklich als sie durch irdisches Gut werden können^. Gowper hatte immer gewünscht, einen

0 An Lady Hesketh, 26. SCai 1792. *) An Hayley, 8. Jnni 1792. >) An Hayley, 29. Jnli 1792.

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604 Du besdueibende Qedicht und die Yenenihlmig.

Berg zu sehen. Sagt doch Johnson, ein Mensch, der nie einen Berg gesehen, kSnne kein Dichter seuL^ Hier wurde diese Sehnsucht erfüllt Er und Maiy glaubten sidi schier im Paradiese.^) Bomney zeichnete Cowper und hielt dieses Bildnis für das lebenstreueste, daa ihm je gelungen. Hayley schildert Gowpers Persönlichkeit Noch war er yon den Gebrechen des Alters verschont Angeborene Vornehm* heit, die Anmut des wohlwollenden Geistes nahmen für ihn ein. Sein Gespr&ch war ein Gedicht In seinem Wesen mischte sich Ungeschick und Wfirda Sein Temperament war Ton Haus aus lebhaft, sein feines Empfinden machte ihn Menschen jeden Banges teuer. Ging es ihm gut, so liebte er Geselligkeit; Frauen gegenüber war sein Be- nehmen und seine Konversation im höchsten Grade zart und fesselnd. Die g^enseitige Aufmerksamkeit und Dankbar- keit, die seinen Verkehr mit Mary Unwin kennzeichnete, nennt er über jeden Ausdruck rührend.^)

Der Aufenthalt an der schönen Sfldküste sollte der letzte Lichtblick in diesem vom Mißgeschick verfolgten Dichter- leben sein. Er dauerte nur zwei Monate. Die großartige Landschaft von Süsses begann auf Cowpers Gemüt zu drücken. Heimweh nach seinem schlichten Flachland er- wachte und trieb ihn zurück. Nun aber sollte er den Leidenskelch bis auf die Neige leeren. Mary Unwin wurde kindisch. Die immer Langmütige, Heitere ward nun reiz- bar, eigensinnig, boshaft C!owper fügte sich ergeben ihren noch so unvernünftigen Grillen. Zur Arbeit blieben ihm nur die Morgenstunden.^) Der Anblick ihres geistigen und

>) An l^ewton, November 1791.

*) An Bey. Greatheed, 6. Angnst 17d2.

•) Hayley H, 92.

*) An Samuel Böse, 21. AugOBt 1798.

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Das beschreibende Gedicht und die VersenBhlang. 605

körperlichen Verfalls ftbte den ongttnstigsten Einfloß anf seine eigenen kranken Nerven.

Der seit langem gehegte Plan za einem größeren Gedichte The Four Ages of Man (Die yier Menschenalter) gedieh nicht über ein kleines (vom Mai 1791 datiertes) Fragment hinaus. Er hatte das tragische Bewußtsein, dem i^chwarzen Abgrunde näher und näher getrieben zu werden. „Seit vielen Jahren^, schreibt er 1793 an Teedon, droht mir eine schlimmere Zeit als alle früheren, eine Zeit^ die Verhängnis- voll und abschließend sein wird. ... Im Winter erwartete ich, vor dem Frfthjahr vernichtet zu werden, und nun er- warte ich es vor dem Winter. Es wäre besser, nie geboren zn sein, als ein solches Leben fürchterlicher Erwartung zu führen. **

Im Januar 1794 kam der letzte Zusammenbruch. Cowper ward von der fixen Idee befallen, er müsse sich Bußen auferlegen für seine Sündhaftigkeit. Einmal saß er sechs Tage lang stumm und reglos auf einem Stuhl und nahm keine Nahrung bis auf etwas in gewässerten Wein getauchtes Brot Ein andermal ging er unaufhörlich auf und ab, so daß er den Tag über kaum eine halbe Stunde saß. Mit seinem Briefe an Hayley vom 5. Januar 1794 hört seine Korrespondenz auf. Als der Freund ihn im April aufsuchte, fand er ihn vöUig stumpfsinnig. Man konnte nichts mehr für ihn tun, als* ihn vor physischem Mangel schützen.

(üowpers Jugendahnung hatte sich erfüllt, sein alter Genosse Thurlow war 1778 Kanzler geworden und Freund Hill sein Sekretär. Cowper feierte das Ereignis in einem (Gedichte {On (he Ptomoüon of Edward Thurlow Esq, to ihe Lord High Chance! ership of England. Auf die Beförderung des Herrn Eduard Thurlow zum Lordkanzler von England), täuschte sich aber in der Hoffnung, daß der so hoch

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606 Das beMhxttbende GMieht und die VenenlUaiis.

Oestiegene von selbst etwas für den einstigen Kameraden ton werde. Nnnmehr (Mai 1794) wurde dem Dichter anf Be- treiben der Freunde ein königlicher Gnadengehalt bewilligt

Ein jnnger Vetter ans Norfolk, John Johnson, bewies Cowper und Maiy Unwin, den beiden hilflosen Siech^ die man sich selbst nicht mehr überlassen konnte, anfopfemde Treue. Er brachte sie im Sommer 1795 nach Norfolk an die See und dann zu dauerndem Aufenthalt nach Derehant Aber auch dieser Trost ward Ciowper yergUlt Von jednn Schiff, das sich der Efiste nahte, erwartete er, daß es einen Verhaftsbefehl für ihn bringe. Von dem guten Johnson hegte er die Oberzeugung, dafi er ab und zu einem basen Geist seine (Gestalt leihen müsse. Jeden Morgen betrachtete er ihn mit forschendem Mißtrauen, um sicher zu sein, ob er Johnson sei oder der Teufel

Im Dezember 1796 starb Mary ünwin« In der Abend- d&mmerung erwiesen Cowper und Johnson ihrer Hülle die letzten traurigen Dienste. Plötzlich stürzte Cowper mit einem gellenden Schrei aus dem Zimmer. Aus Schonung für ihn begrub man sie nachts bei Fackellicht Er erwfthnte ihrer mit keinem Worte mehr. Die eigene Krankheit ersparte ihm das Bewußtsein des herbsten Verlustes. Eine lang- atmige Grabschrift in der Kirche von East Dereham preist sie als die schwergeprüfte hochherzige Frau, die den Weg eines Dichters durch das Tal der Leiden behütet, als Freundin Cowpers

Bm Titel, der an sich toU Bnlmi und Shien. Wer seinem liede lausdity wird lie Teiehrea.

Am 25. Mai 1800 erlöste ihn selbst der Tod. Harriet Hesketh errichtete ihm in der Kirche von Dereham ein Denkmal, dessen hochtrabende Inschrift Hayley verfaßte. „Die Tugend war der Zauber seines Liedes^, heißt es darin

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Dm beschreibende Gedicht nnd die Verserzfthlang:. 607

mit einer WenduBg, die für den Verfasser charakteristischer ist als für denjenigen, dem sie gilt.

In Wirklichkeit ist es nicht das allgemeine lehrhafte, sondern das subjektive nnd spontane Moment, durch das Ciowpers Poesie sich als ein fortsetzendes und verbindendes Glied zwischen einer schon überwundenen und einer erst kommenden Epoche in den dauernden Bestand der Dichtung einfügt Wertvoller als seine großen Arbeiten mit ihrem offiziellen akademischen Ton sind drei kleine seinen letzten Jahren angehörende Gedichte, die den ganzen Ausdruck seiner Künstler -Individualität geben: On the Beceipt ofmyMother^sPMure (Beim Empfange des Bildnisses meiner Mutter), 1790, das ein unauslöschliches Herzens- erlebnis der Kindheit mit zarter Innigkeit festhält; To Mary, 1793, der milde Erguß seiner Gefühle für die unver- gleichliche Freundin, deren Silberhaar ihm lieblicher leuchtet als der goldene Strahl der südlichen Sonne; und schließlich sein letztes, durch eine Anekdote in Ansoms Reiseerzählung angeregtes Gedicht, The Castaway per Schiffbrüchige), 1799, die von starrer Verzweiflung durchrieselte, wie ein letztes Selbstbekenntnis ausklingende Schilderung des vom Schicksal Gezeichneten, der nachts über Bord gleitet, mit dem Tode ringt, bald zum Sterben bereit, bald um Hilfe rufend, bis er endlich sinkt Keine göttliche Stimme ge- bietet dem Sturme Einhalt, kein gnädiges Licht flammt aul und mit einer erschütternden Wirkung zieht der Dichter unvermittelt sein eignes Los in das des Er- trinkenden mit ein: Aller werktätigen Hilfe entrückt kommen wir beide um, ein jeder allein

Doch ich in diiam wilderen Meer Und tiefer hinabgeschlendert als er.

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608 Das bescliieibeiide Qedicht und die TeneisUilaiig.

Werke Ton WilliAm Cowper.

1779 Obiey Hymns.

1781 AnH Theluphfhora.

1789 Poem. John Gilpin (PUbUc ÄdverUser).

1785 The Task, a Foem m 9ix Books. To whuik aare added, ty (he same Äuthar, An Epistle to Joa^h Hill, l^r&- cmmm, or A Review of SchooU, and The History of John Qilpin.

1791 Homer.

1792 The Power of Oraee iOusirated. In Six Leiters fnm a

Minister of the Beformed Chitrch (van Lier) to John Newton, translated iy W. Cowper. 1798 Poems.

1801 Poems translated from the French of Madame de la Motte

Ouifon. To which are added Some Original Poems hy Mr. Cowper.

1802 Ade^hi.

1808 Latin and Itälian Poems of Müton.

1816 Memoir of the EarJ^ Life of WiUiam Cowper. Written by Himself. With an Appendix, containing some of Cowpers Beligeoas Letters and other InteresUng Docuh- ments, illustrative of the Memoir {The Life of WiUiam Cowper with Selections from his Correspondence, 1855).

1825 Poems, the Early Productions of WiOiam Cowper. Now first published from the Originals in the Possession of Jaimes OrofU

1900 The Uf^published and Uncoüected Poems of WOUam Cowper. Edited hy Thomas Wright, (Cameo Series).

Werke fiber William Cowper.

1803—6 William Hayley, The Life and Posthumous Writings of WilUam Cowper, Esq. With an Introductorg Letter to the Bight Honourahle Earl Cowper.

1823 John Johnson, Private Correspondence of WiUiam Cowper.

1836 Bobert Sonthey, Life and Works of WüUam Cowper.

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Das beschreibende Gfedicbt und die VerserzfiMung« 609

1836 T. S. Grimshawe, Life and Works of William Cowper.

With an Essay on the Geniits and Foeixy of Cotvper

hy the Bev. J. W. OunningJiam. 1854 George Oilfillan, William Cowper*s Poetical Works,

With Life, Oritical Dissertation, and Explanatory Notes.

G. A. Sainte Benve, Catiseries duLundi. William Cowper

ou de la Poesie domesUque, 1856 Christopher North, The Man of Ton (Essays Oritical

and Imaginative I). 1863 John Bruce, Memoir of Cowper (Aläme Edition). 1870 W. Benham, Memoir of Cowper (Qlobe Edition). 1874 Henry Thomas Griffith, Life of William Cowper.

Clarendon Press Series. (Neue Auflage 1896.) 1887 Neve, Concordance to the Poetical Works of WilUam

Cowper,

1892 Thomas Wright, Life of WüUam Cowper.

1893 Thomas Wright, The Town of Cowper, or The Literary

and Historical Ässociations of Olney and it's Neigh- hourhood.

William Michael Rosetti, Prefatory Notice (William

Cowper, Poetical Works, Moxon's).

1907 Leslie Stephen, Hours m a Library (vol IZ7. Cowper

and Bousseau),

1908 Willy Hoffmann, WilUam Cowpers Belesenheit und

Uterarische Sitik.

1909 Goldwin Smith, Cowper (English Men of Letter Series)^ 1912. J. G. Frazer, Letters of WilUam Cowper. Chosen and

edited with a Memoir and a feto Notes.

GMchiehte der engliBohen Bomantik n, 1.

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William Lisle Bowles. 1762—1850.

Er wurde in Eing's Sntton (Northampton Shire) bei Oxford als der Sohn des dortigen Vikars geboren, von dem er in der Dichtung Banwdl Hüls sagt, er sei aller Menschen Freund gewesen. Ebenda widmet er auch seiner Mutter ein liebevolles Gedächtnis als einer milden, frommen, schlichten Frau, deren Lieblings- und Erbauungsbndi Youngs Night Thovghts waren. Bei einer Schilderung der Päonie, der Blume des unfruchtbaren Efistenstrichs, sagt er: „So bl&ht die Tugend auf dem Fels der Sorge . . . und wenn mein Lied zu lange bei der Blüte verweilt, die sich im Verborgnen entfaltet, wird mir ein menschlich Herz vergeben, denn ihr glich meine Mutter." {Part /.) Er behauptete vom Vater den Sinn ffir landwirtschaftliche Schönheit, von der Mutter das musikalische Gefühl zu haben.*) Es sind die beiden Haupteigenschaften seiner Dichtung.

1776 kam er auf die Schule von Winchester in die Obhut Joseph Wartons, der seine poetische Begabung heraus- fand und leitete. Bowles spricht von Versen (Sir TobitJ aus dem Jahre 1779, die den Stolz des Lehrers gebildet und den Ehrgeiz des Vaters geweckt hätten. Der Vikar stellte seinem Sohne nun poetische Angaben. <) In seiner Monodie auf den Tod Wartons dankt Bowles dem Lehrer, „der zuerst

^) Symons, 66.

*) BanuM Hills II Anmerkung.

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Das beschreibende Oedicht und die Versers&hlung. 611

seine schüchterne Muse begeisterte^. Der wohlwollende Gelehrte, der ihm die Klassiker, Shakespeare, Ossian, Milton erschloß, scheint auf das Gemfit des Jfinglings einen be- freienden Einfloß aasgeübt zn haben. „In meines Geistes kalte Nacht^, sagt er, „fiel der Strahl der Phantasie nnd gab mir Wonne nnd Hoffnung über jeden Ausdruck". Noch 18 Jahre später erkl&rt Bowles dem Lehrer zu danken, was sein Lebenssommer an Blüten und Früchten gezeitigt

Mit Versen, die den Stempel der Altklugheit und er- künstelten Eeif e tragen, nimmt Bowles von der Winchester Schule Abschied. Er bezieht das Trinity Ciollege in Oxford, d. h. er geht von der Aufsicht Joseph Wartons in die seines Bruders Thomas, des dortigen Professors der Poesie, über. Als einen Schüler der Wartons weist Christopher North ihm seinen Platz auf dem englischen Parnaß an als einem Akademiker, dessen Werk das exquisit zarte Kolorit der klassischen Kunst zeige, jedoch bereichert durch die echt englische Natur des Dichters.^)

1783 trägt Bowles' lateinische Dichtung Calpe Ohsessa, or The Siege of Gibraltar (Die Belagerung von Gibraltar) einen Preis davon, aber erst 1792 besteht er sein Magisterexamen. Die unglückliche Liebe zu einer Nichte Sir Samuel Romillys (1787) und eine zweite Neigung, die der Tod kreuzte, bilden einflußreiche Episoden in seinem Leben. Er bereist Nord- england, Schottland, den Rhein und wendet sich ganz der Poesie zu. 1782 veröffentlicht er Fourteen SonnetSf written chiefly on Picturesque Spots during a J<mmey (Vierzehn Sonette, hauptsächlich auf malerische Punkte während einer Beise geschrieben). Sie fanden jenen Erfolg, den Neuheiten zu haben pflegen, die nicht so gewaltig sind,

^) Days BepaiieA*

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612 Du beschrttbende Gedieht und die VenetzShlaDg.

daß sie über den Horizont des Dorchschnittspublikums hinausgingen. In der Vorrede zu einer späteren Anflage (1797) steht der fOr Bowles als Neuerer charakteristisdie Gemeinplatz: „Es ist ein großer unterschied zwischen natfirlichen und gemachten Empfindungen.^ Dem damaligen Publikum sagte er damit etwas Originelles, das gleichwohl die Grenzen des Annehmbaren nicht durchbrach. Bowles' Sonette gehören in die Kategorie dieser naturlichen Empfindungen. Selbst C!oleridge ließ sie als solche gelten und sprach seine Freude Aber das Wiedererstehen einer ungektinstdten poetischen Schule aus. In seinem Sonnet to Bowles dankt er ihm für die weichen TOne, „deren Traurigkeit sein Herz be- sänftigt wie das Summen wilder Bienen in sonnigen Fr uhlings- schauem^ Er lobt ihre „milde, männliche Melancholie". Ja, er behauptet, die Sonette hätten seinem Gemüt wohler getan als irgend ein Buch, aufler der Bibel. Und in der BiogrqpMa Literaria hat er ihn später neben Cowper als denjenigen bezeichnet, der „zuerst natfirliche Gedanken in natfirlicher Diktion geäußert, das Herz mit dem Kopfe versöhnt habe''. Die Geltung, die Bowles als Sonettendichter erwarb, geht am besten aus der scharfen Kritik hervor, die ihm Byron noch 1808 in den English Bards and Scotch Beviewers zuteil werden ließ. Er apostrophiert ihn als „den weiner- lichen Forsten trauernder Sonettendichter, über den die Jung- fräuleins in der Kinderstube Tränen vergössen'^, als „das erste große Orakel zarter Seelen'^, und gibt ihm den Bat, bei Sonetten zu bleiben, denn sie wtLrden wenigstens ge- kauft. Was beim Erscheinen der Sonette als erlesener Geschmack berührt hatte, erschien der j&ngeren Generation bereits abgeschmackt Was damals für das feinf&hlige Sinnieren einer zarten Phantasie gegolten, dfinkte nun bereits rührselig und süßlich empfindsam. Indes besitzt Bowles

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Das beschieibeiide Qedicht tind die Venerzähloiig. 613

unleugbar die Fähigkeit, innerhalb der knappen Form, die er mit Gewandtheit und Anmut handhabt^ das Bild einer Landschaft oder eines Naturphänomens eindrucksvoll wieder- zugeben, z. B. die Buhe nach dem Sturm in Written at Tyne- mauüh after a Tempestuous Voyage (Geschrieben in Tynemouth nach einer stürmischen Beise). Er versteht es, eine ins Auge gefaßte Stimmung in der Begel eine tränenreiche, wehmutsvolle für den Leser festzuhalten, z. B. das Klagelied, das der Fluß, zwischen moosbekleideten Felsen sich hindurchschlängelnd, den dunklen Wäldern singt, in The Biver Wensbeck. Mitunter verhilft eine plastische Per- sonifikation einem Gedanken zu bildhafter Darstellung {Ät Bamboraugh Castle); oder die Naturstimmung weckt im Geeiste des Dichters ein menschliches Analogen, ohne damit in unmittelbaren Vergleich gebracht zu werden, z. B, das Sonett an den Abend ^ wo die prächtig -wehmütige Dämmerstimmung das Bild des freundlosen Wanderers und jener Zaubertäler hervorruft, in denen der Müde jenseits alles weltlichen Getriebes ausruht.

Von jugendfrohem Wandermut, von neugierigem Inter- esse an fremden Menschen und Ländern wissen diese Beise- sonette nichts. Ein müder, langsamer, nachdenklicher Mann läßt seinen Blick schwermutsvoll in die Feme schweifen und sinnt auf Schritt und Tritt seiner Lebenswanderfahrt nach. Malt uns doch die Phantasie einen lichten Punkt vor, bis die Nacht den Pfad verschlingt {On the River Bhine). Gibt es doch auch auf ihr fruchtlosen immer wiederkehrenden Abschiedsschmerz von teuren Stätten« Der Eluge macht die Welt zu seinem Yaterlande, Gott zu seinem Lenker {Ät Dover Cliff). Der wehselige Eindruck des Glockengeläutes auf Bewies' Gemüt erregte Byrons Spott {Ät Ostend, July 22, 1787; Ät Ostend Landing).

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614 Das beschreibende Gedicht und die YenenShliing.

In einer zweiten Sonettenfolge (1792 1793), die ron dem Andenken an die verstorbene Geliebte erfüllt ist, tritt die Natnr hinter dem Gedanken- nnd Geffihlselement mehr and mehr znrftck. Ein Seelenkampf zwischen Hoffnung nnd Granen (Aprils 1793); getäuschte Hoffnung (Jlfai, 1793); die Vergänglichkeit des Irdischen {Ädley Ahbey) bilden die Themen, die toU wahrer Empfindung, doch mitunter ge- spreizt und gesucht in der Form behandelt werden. In einer an echter Lyrik armen Zeit, machten diese Sonette Eindruck. Bewies, der mittlerweile Rektor von Bremhill (Wilts) geworden, galt für einen Dichter. Sobald er sich an l&ngere Dichtungen wagte, {Elegiac Stanzas tvriUen during Sidmess at Bath, December 1795. El^ie, ge- schrieben während einer Krankheit in Bath; Hope, an Ällegorical SkeUhj on Eecovering slowly from Stchness. Hoffnung, eine allegorische Skizze anläßlich der langsamen Genesung von einer Krankheit), trat freilich der Mangel an Tiefe, Kraft und Originalität des Geistes fflhlbar hervor.

1797 vermählte sich Bewies mit Magdalene Wake und sein Leben nahm fortan in dem stillen Fahrwasser seiner ihn befriedigenden, erfolgreichen Tätigkeit und seiner behaglichen Häuslichkeit einen ruhigen Verlauf. 1818 wurde er Kaplan des Prinzregenten, 1828 residieren- der Canouikus in Salisbury. Liebenswfirdig, heiter, anregend und gutmütig, gleichzeitig geistvoll und lächerlich, genial und närrisch, liberal und reaktionär, den Freuden des Da- seins zugekehrt und ein wackerer, bei seinen Pfarrkindem beliebter Seelsorger, war Bewies einer jener tjrpischen Landgeistlichen des 18. Jahrhunderts, schöngeistiger Lebens- kflnstler und bieder treuer Hirt in einer Person, wie sie noch George Eliot gekannt und geschildert hat.

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Das beschreibende Gedicht und die Verserz&hlang. 615

„Einen solchen Parson Adams hat es seit dem wirk- lichen nicht gegeben!^ mft Thomas Moore ans, als er Bowles einst im „Weifien Hirschen^ eben dabei trifft^ einem Kellner, der ihm Amannensisdienste leistet, seine Ideen über das wahrhaft Erhabene in der Poesie ans- einanderznsetzen.1) „Wie knapp entgeht er dem Schicksal ein Narr zn sein, dadurch, daß er ein Genie ist!^ heißt es ein andermal!^) Mit seinem Talent, seinen Schnitzern nnd Vergeßlichkeiten, seiner Furchtsamkeit, dankt er Coleridge der reizendste aller lebenden Pfarrherrn und Dichter.^) Er steckt voll Grillen und Absonderlichkeiten. So durfte ihm z. B. kein Schneider je Maß nehmen, sondern mußte nach einer Besichtigung von Bewies' Gestüt seine Sache machen, so gut oder so schlecht er konnte. Dennoch ist sein Besuch niemals ungelegen. Sein Gemisch von Einfalt und Genie entzückt Das lieblich gelegene Pfarrhaus in BremhUl ist mit seinen Grotten, Einsiedeleien und Inschriften aus Shenstones Werken eine Sehenswürdigkeit. Kommt Besuch, so werden eilig die Springbrunnen aufgedreht und der Ein- siedelei im Garten durch Kruzifix und Meßbuch die rechte Stimmung gegeben. Die Glocken seiner Schafe sind in Terzen und Quinten gestimmt „Aber er ist nichts desto- weniger ein famoser Kerl", faßt Moore seinen Bericht zu- sammen, „und sind die Quellen seiner Begeisterung nicht vom Helikon, so sind sie doch wenigstens sehr süße Wasser und meinem Geschmack angenehmer als manche mineralischere". ^)

0 Memoirs, Journal, Correspondence. Edited hy Lord John BmseH n, 280.

•) Vn, 163.

*) n, 271. *) n, 153.

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616 Du beachreibaide Gedicht nnd die VeneniUimg.

Als Theologe faßt Bewies in der orthodoxen Kirche, ist aber tolerant genug, einmal dorch das Geschenk eines alten schwarzen Anznges einen armen Psalmen&bschreiber zum dissentistischen Prediger auszustatten.

Er predigte immer aus dem Stegreif & Mitunter w&hlte er ein weltliches Gedicht, das ihn eben entzfickte, zum Text. Dennoch waren seine Predigten, die 1839 im Druck erschienen {Sermons preached at Boscow. Predigten, ge- halten zu Boscow) durch ihre erbauliche Kraft und Wfirde allgemein beliebt

Seine milde Weisheit gewann jeder Lebenslage eine lichte Seite ab. Zahlreiche kleine Gedichte drflcken seine Freude am heimischen Grunde au& Eine durchaus religiöse Note beherrscht seine gesamte Dichtung. The Sylph of Summer (Der Sommersylphe), das langatmige Fragment einer geplanten Dichtung fiber die Elemente, moralisierend doch nicht ohne ethisches Pathos, dient der Bekräftigung seiner Überzeugung: Es gibt einen Gott Desgleichen laufen die meisten Stücke von The ViUager^s Verse Book (Des Dörflers Gedichtbuch), an vertrauteste Gegenstände des All- tags geknfipft und für die Schulkinder bestimmt, denen Mr. Bewies im Garten Sonntagsunterricht erteilte, auf fromme Sinnsprüche hinaus (Sun Eise. Sonnenaufgang; Hen and Chickens. Henne und Küchlein; The Sh^herd and his Bog. Der Schäfer und sein Hund; Paih of Life. Lebenspfad).

Auch die Freiheit ist für Bewies die Sache Gottes. Nimmer mafie sich die Anarchie ihren ehrwürdigen Namen an. (Verses to the Right Eon. Edmund Burke). Die bequeme Zuversicht und Ergebung in die göttliche Vorbestimmung verflacht seine politische Gesinnung. Von modemer Nationalökonomie will Bewies nichts wissen (Vision, 1825).

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Du beschreibende Gedicht und die Venenfthlang. 617

Hingegen ist seine humanit&re nnd kosmopolitische Schwär- merei auf der Höhe des 18. Jahrhunderts. Sein Herz schlägt in warmer mitleidvoller Liebe ffir das unglfickliche ver- lassene Kind. (Verses inscribed to Eis Orace ihe Duke of Leeds and oiher Promoters of the Philanfhropic Society. Verse an Seine Gnaden den Herzog von Leeds nnd andere Förderer der Philantropischen (Gesellschaft, gegründet 1788); The lAttU Sfveep. Der kleine Schornsteinfeger, dessen Scheitel dunkel ist wie sein Geschick, ein Appell an die Engländer, die ihr Blut f Or die schwarzen Sklaven vergossen, sich der heimischen anzunehmen). Dem Neger legt Bewies in C!owpers Art abendländisch sentimentale Gefühlsüberschwänglichkeit bei (The Äfrican. Der Afrikaner, der sich am Sterbebette eines leibeigenen Kameraden freut, daß dieser nun in die Heimat, in die Freiheit zurftckkehre). Die Joseph Warton gewidmeten phantasie- und schwungvollen Heroics, Verses on Beading Mr. Howard! s Description ofPrisons (Verse bei der Lektüre von Howards Schilderung der Gefängnisse) zeichnet sich durch die packende Kraft der Gefängnis- beschreibung wie durch die Eindringlichkeit der Apostrophe an die Barmherzigkeit und ihre Diener aus. Wer nur einen Augenblick das bittere Leid des armen Bruders linderte, hat nicht umsonst gelebt.

Poesie als Phantasiespiel und Selbstzweck ist Bewies so fremd wie Grabbe und C!owper. In The Spirü of Disco- very at 8ea (Der Entdeckungsgeist auf dem Meere) sagt er, es sei ihm ein beruhigender Gedanke, dafi er die Muse nie anders, denn als Sorgentrösterin, umwarb, als Malerin interessanter Gegenden und als Dienerin des ge- sunden Verstandes, des unverfälschten Gefühls und der reli- giösen Hoffnung. Die seltenen Fälle, in denen ihm ein sang- bares Lied gelingt, erscheinen als zufällige Abschweifungen

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618 Das beschreibeiide Gedieht und diie Venenstiiliuig.

vom gewollten Pfade. So die rein lyrische Strophen November^ 1791; May^ 1792; die gut« Romanze The Harp of Hod (Die Harfe von Hod).

Auf dramatischem Gebiete hat sich Bewies nur dnrdi einige Szenen betätigt in The Sandurary (Das Heiligtiun), einer DarsteUnng der Flucht Elisabeths, Witwe Edwards IV., nach Westminster und ihrer Trennung von dem Knaben Richard nach Shakespeare ein durchaus ftberflassiges Unterfangen.

Vom richtigen Spftrsinn fftr die Neigung der Zeit war Bewies geleitet» als er sich dem beschreibenden Naturgedidit und der Verserzählung zuwandte. Coomb EUen, in Blank- versen, und 8t. Michaels Maunt in heroischen Reimpaaren, beide 1798, scheinen in grader Linie von FopesWindsor Forest abzustammen. Der Dichter ruft die Betrachtung an, seine Schritte zu lenken. Sein Pinsel schildert breit und deutlich, doch seine Phantasie ist der Walisischen Gebirgslandschaft nicht gewachsen und er muß zu ihrer Charakteristik seine Zuflucht zu Shakespeare nehmen. Bald dftnkt sie ihn der Schauplatz von Macbeths Schicksalsschwestem, bald der eines Ariel und Prospero. YortrefDiches leistet Bewies in der Naturschilderung nur da, wo er sich nicht zu viel zutraut. Prächtige Bilder aus dem englischen Mittellande sind recht eigentlich sein Bestes sei es, dafi er die Gegend im weichen Sommerlicht malt, wenn alles Leben, Schönheit, Hoffnung atmet (Sketch from Bowden Hiü öfter Sichneas. Skizze von Bowden Hill nach einer Krankheit), sei es, daß er die müden Schleier des Herbstes aber sie breitet

Unter Romantik versteht Bewies noch den mittel- alterlichen finstem Geist gothischer Barbarei und freut sich, daß er mit der Verfeinerung modemer Kultur aus

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Das beschreibende Oedicbt und die Verserzählnng. 619

diesen Tälern gewichen sei. Die gleiche Auffassung kehrt in Hymn to Wodan (Hymne an Wotan) wieder.

Einen kfthnen Aufschwung nimmt Bewies mit dem be- schreibenden Gedicht in heroischen Versen The Sorrows of Switgerland (Die Leiden der Schweiz), 1801. In kluger Abschätzung seiner Fähigkeiten macht er den historischen Vorwurf, die französische Invasion, mehr zur Voraussetzung als zum eigentlichen Thema. Auf diese Weise gelingt es ihm, den Gegenstand wenigstens annähernd zu bewältigen. Eine Wanderung durch die Schweiz, Bilder der Verwüstung, des Janmiers und der Vergewaltigung geben Anlaß, „den Mann der Verzweiflung und des Blutes" zur Bede zu steUen. Aus tiefetem Mitgefühl quillt die erhabene Einsicht: Wie dicht sich auch das Dunkel um uns balle, Gott wisse, was das Beste seL

1802 feierte Bewies in der Ode The BatÜe of the Nile (Die Schlacht am Nil) den Sieg der Engländer, mit dem „der kaiserliche Cäsar, dessen Herrschaft die langumstrittene Welt endlich anerkannt^ übertroften worden**.

Indes fühlte Bewies' in der ländlichen Studierstube heimische kontemplative Muse sich selbst bei dieser Ein- schränkung unbehaglich im Qualm blutiger Leidenschaften, auf dem heißen Boden welthistorischer Ereignisse. Im Sturmjahr 1804 greift sie als offenbar sympathischere Anregung in Glarkes umfangreicher Geschichte der Schiffahrt, die hier auf die Arche Noah zurückgeführt wird, die Idee zu einer beschreibenden, historischen Dichtung in fünf Büchern auf, die dem Prinzen von Wales zugeeignet wird: The Spirit of Discovery hy Sea, Dem auf dem Ararat geretteten Noah ver- kündet, der Engel der Zerstörung das Mittel seiner Rettung. Die Arche, werde durch die infolge der Entdeckung Amerikas aufkommenden Übel Sklavenhandel, Untergang vieler

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620 Dm beschreibende Gedieht und die Venenfthlimg.

Seefahrer a. a. die Ursache kfinftiger Vemichtnng werden. Allein ein guter Qenins offenbart Noah im Lanfe der kommenden Weltgeschicke, die er ihm zeigt, den schließ- lichen Triumph der Gnade. Muß auch das Übel sein, wird doch das Gute ftberwiegen. Die Schiffahrt wird ein IGttel zur Verbreitung der Erkenntnis Gottes über den Erdball Ein historischer Überblick ttber das Seewesen f&hrt im y. Buche in Äußerst gezwungener Weise wieder zur Arche zurftck, um mit einem Zukunftsbilde von trans- zendentalem Optimismus zu schließen. Ein YL Buch, das Yasco da Gama und C!olumbus zugedacht war, gab Bowles im Hinblick auf Bogers' und Southeys Dichtungen aul Bescheidenheit war eine seiner liebenswürdigsten Eigenschaften. Bei allen Mängeln erscheint The Spirit of Discovery typisch ffir seine Zeit, sowohl in der Weltfl&chtig- keit des theoretischen Vorwurfs als in der trefflichen Durchführung der Blankverse, in der amerikafreundlichen Gesinnung, dem Anlauf zum Großartigen in den schönen Eingangsversen an den Geist des Ozeans und in dem An- sätze zu einem Milleniumstraum, den der fromme Dichter in das Gebet formuliert: Dein Reich komme! Selbst der Umstand, daß der sorgfUtige, einheitliche Plan, auf den Bowles pocht, nicht einmal aus der voraus- geschickten Prosaanalyse erhellt, wird charakteristisch für den sich im Weiten verlierenden romantischen Geist, nicht minder das ins IV. Buch eingesprengte Idyll und die patriotischen Abschweifungen, welche Glanzstellen der Dichtung bilden.

1815 kehrt Bowles noch einmal zu den so beliebten transatlantischen Schilderungen zurück in der im heroischen Versmaß abgefaßten Erz&hlung in acht Büchern The Missionary of ihe Ändes (Der Missionar der Anden). Die

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Das beschreibende Gedicht nnd die Versenählang. 621

Idee empfing er von Bogers. 0 Und so bildet denn in dieser Dichtung, wenn anch von Betrachtung überwuchert, ein stofflicher Gehalt das Hauptinteresse. Der Sevillaner Anselmo, den die Intrigue eines Priesters in den Kerker der Inquisition, um die Braut und sein Lebensglflck gebracht» wird, von der Kulturwelt angewidert, Missionär in Süd- amerika, um in der Wildnis in Unschuld zu leben, das Licht der Wahrheit zu verbreiten und die Indianer aus der Sklaverei zu befreien. Er tauft und erzieht einen ver- lassenen Indianerknaben, Lantaro, der Page des spanischen Befehlshabers Valdivia wird. Aber das alte Indianerblut fließt in unveränderter Heimats- und Stammesliebe in den Adern des anscheinend dem Abendlande Oewonnenen. Als die Halle des Feldherm von Siegesjubel dröhnt, trauert er am Meere. Er findet seine von einem Spanier betörte Schwester, eine rührende Opheliengestalt, wieder. In der Schlacht steht er seinem alten Vater gegenüber. Da verrät er die Spanier und führt die Seinen zum Siege, dessen Opfer Valdivia wird.

Der Mangel jeglichen inneren Konflikts in dem zwischen zwei Pflichten gestellten Lantaro macht das Gedicht bis zur Unerträglichkeit langweilig, oberflächlich und un- geniefibar. Doch erscheinen auch diese G-ebrechen charakte- ristisch für die romantische Durchschnittsware der Zeit. Selbst das Miteinbeziehen der Indianerpoesie und der Geister- welt) das Bewies in der Vorrede als altmodisch entschuldigen zu müssen glaubt, gehört zu ihr. Freilich ist die Geister- stimmung mehr gewollt und ausgeklügelt als in packender Unabsichtlichkeit erzielt, und für den Tropensommer flndet Bowles' Phantasie keine Farben auf ihrer Paletta Dennoch

<) Bogers, Table TM, 268.

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622 Dm beidireibende Gedicht und die Yenenihlimg.

rang Der Missionär der Anden selbst dem feindlich ge- sinnten Byron ein homoristisches liOb ab.

Ich las den MiBtionär; Hftbsch sehr!

heißt es in den Versicles von 1817.

In späteren Jahren w&hlte Bowles das bessere Teil:

er wandte sich der Heimatsschildening zn. Die Blankvers-

erzShlnng The Grave of ihe Last Saxon, or The Legend of

ihe Curfew (Das Grab des letzten Sachsen oder Die Legende

von der Abendglocke), 1822, hebt folgendermaßen an:

Kennt ihr du Land, wo die Orange glttht?

Vielmehr: Kennt ihr das Land nicht, das die Freiheit liebt?

Wo eure tapfem Vftter einst geblutet?

Das Land der weißen Klippen, wo die Hütte

Ihr Ranch steigt in den klaren Morgenhimmel

Am grflnen Waldesrand so sicher steht

Wie des Nonnannen stols bewimpelt Schloß?

Soll der Poet ein Land yon Sklaven schildern ~

Erglüht' yon Heisterhand die Leinwand auch

In reichster Farbenpracht nnd darob dein

Vergessen, seines Landes, seiner Heimat?

Mit dem Preise der Heimat beginnt die Dichtung, mit dem Segenswünsche, daß sie lebe und herrsche, bis Welt nnd Wogen nicht mehr sind, schliefit sie. Der Patriotismus ist freilich das Beste an dieser Bearbeitung yon Harolds Tod. Weder das Aufgebot aller Sturm- und Schlachtgötter, noch das Wunder eines sich bewegenden Kruzifixes hilft über die dürre Öde endloser GesSnge hinweg.

Sein Bestes leistet Bowles in der Blankverserzählung Days Dejparted, or A Lay of (he Sevem Sea (Vergangene Tage oder Ein Lied von der Sevem See), 1828. An den ihm auf Schritt und Tritt vertrauten St&tten der Kindheit geht er Jugendeindrücken nach. Er stellt die Sittlichkeit jener vergangenen Tage, in denen sein Vater Rektor des

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Das beschreibende Gedicht und die Verserzfthlang. 623

Eirchensprengels war, dem jetzigen Stande der Moral gegenüber nnd gibt eine ethnographische Studie aber die pr&historischen Funde einer Höhle am seeartig erweiterten Sevem. Hierbei verfällt Bowles einesteils dem alle Elassi- zisten treffenden Fluche eines theoretisch - didaktischen Themas, andemteils entrichtet er in dem Herausstreichen der Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart auch der konventionellen Romantik seinen Tribut Nichtsdestoweniger ist das ländliche Idyll gar anmutig und freundlich ge- schildert, zumal der prächtige Pfarrherr, der der Erzieher seiner Kinder und der Berater und Helfer seiner Gemeinde ist, die liebevolle Mutter, die zufriedenen wackeren Dorf- bewohner, verklärt von einer Art Sonntagsglanz des Friedens und der Wahrheit Als Ursache* für den Wandel zum Schlechtem mfissen die Fabriken und Maschinen herhalten und die falschen Beligionsbegriffe, welche die „Pfarrgecken, halb Jockeys, halb Ladenschwängel", verbreiten. „Voll Poesie und voll Beligion" nennt Christopher North dies Buch. „Bei Männern von Genie gehen die beiden gut zusammen." An anderer Stelle ruft er aus: „Es lebt kein Mensch mit einem poetischeren Temperament! Bowles' alte Augen besitzen die Gabe, die Schöpfung zu verschönern, indem sie den Zauber der Melancholie über sie ausgießen. Er stimmt keine eitle Klage um die Vergangenheit an. Die Bilder, die er vorführt, sind nur durch die Zeit ge- heiligt Seine menschlichen Sinne sind so fein, daß sie an sich poetisch wirken, und seine poetischen Aspirationen so zart, daß sie immer als menschlich empfunden werden". <) Gleichwohl gibt auch North zu, daß Bowles kein großes Gedicht geschrieben habe.

>) An Hqwi's Talk ahoui Poetry.

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624 Das besdireibeiide Gtdieht und die Venenühlniig.

Eine willkfirlich in Days Departed eingefügte Schaner- ballade The Tale of ihe Maid of ComwaU, or Spectre and Prayerhooh (Die Geschichte der Jnngfraa von Comwall oder Gespenst nnd Gebetbuch) ernüchtert dnrch die moralische Erläutenmg, Schuldbewußtsein sei der anklagende Schatten. Darum ^Verlaß kein treues Mägdelein!^

Mit St. John in Faihmos (1883) wagte Bewies sich an einen Gegenstand, dem er nicht gewachsen war. Die schöpferische, yision&re Phantasie, deren es zur BewUtignng einer solchen Au^be bedurfte, besaß er nicht Er verliert sich in äußerst matten Erörterungen über die Schrift und manche hübsche Naturschilderung entschädigt nicht für das verfehlte Ganze. Southeys Gattin, die Dichterin Caroline Bewies, keine Verwandte William Lisles, nennt St John of PathmoSf dessen Vorrede bittere Ausf&Ue gegen ihren Mann enthUt^ „einen zusammenfassenden Auszug von Bewies' Geisteszustand, voll von Blitzen poetischer Schönheit^ voll Herzensheiligkeit und tiefem Gefühl, aber im Ganzen verfehlt^ ohne Haltung und Sinn für das Bildhafte.'' 0

Während dieser poetischen Laufbahn hatte Bewies durch 15 Jahre den Streit auszufechten, den seine Aus- gabe der Werke Popes (1806) heraufbeschwor. Seine Anmerkungen, schwächlich und von sentimentalem Wort- schwall,*) nahmen sich neben Wartons gediegener Gelehr- samkeit übel genug aus. Lauten Anstoß aber erregte die Einleitung On fhe PoeUcal Charaeter of Pope (Über Popes Eigenart als Dichter). Obzwar Bewies als sein Prinzip bekennt: Ne quid falsi dieere audeaml Ne quid veri non audeaml ist doch eine wenig wohlwollende Stimmung gegen

0 Brief an Sonthey, 9. Juni 1832. •) Memoirs 11, 271.

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Das beschreibeiide Gedicht und die VenerzBlilims:. 625

seinen Helden von vornherein ffihlbar. Werden auch die Schatten y die er in dessem Bilde anftrfi^, hinreichend motiviert, so fehlt doch die erforderliche Entsprechung an licht Beim besten Vorsatz, gerecht zu sein, wird er ein- seitig. Er glaubt, nur von Wahrheitsliebe geleitet zu werden, aber heimliche Abneigung hat die Hand im Spiele. So mochte er in aller Bescheidenheit die fibertriebene Wertschätzung Popes auf ihr rechtes Maß zurftckfOhren. Gegen seine Absicht wirkt seine Kritik als absichtsvolle Entthronung einer anerkannten GrOßa

Biyon und Campbell traten als Eftmpen für den Alt- meister ein. Bewies beantwortete ihre heftigen Angriffe in der Abhandlung The Invariable Prinäples of Poetry in a Leiter addressed to Thomas Campbell Esq^ occasioned hy same GriUcal Observations in hie „Spedmene of fhe British Poetry'', particulary rdaUng to fhe Poetical Character ofPope (Die unwandelbaren Prinzipien der Poesie. In einem Briefe an Herrn Thomas Campbell, hervorgerufen durch einige kritische Bemerkungen in seinen „Mustern britischer Dichtung", hauptsächlich in Bezug auf Pope), 1819. Der Streit über den Einzelfall wurde darin auf die Höhe einer Erörterung allgemeiner Kunstfragen gehoben. Bewies, der schon vorher mehrmals die Kunst als Vermittlerin zwischen der Natur und dem Menschen hingestellt (Rubens* Landscape. Die Landschaft bei Rubens, 1803) und die Wahrheit höher einschätzt als die Phantasie (The Visionary, or The Young Poefs Paradise. Der Seher oder Das Paradies des jungen Dichters), trat nunmehr mit der Theorie hervor: schöne und erhabene Werke der Natur überträfen die schönen und erhabenen Werke der Kunst; die Natur sei folglich poetischer als die Kunst, will sagen: Leidenschaften seien poetischer als kfinstUche Manieren. Der Haupteindruck

Owchiehte der eoKlMcheit Bomantik ü, 1. 40

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626 Oif batdmibeiide Oedkht und die YenersShliag.

eines Emuitiirerkes beruhe auf den ihm innewohnenden höchsten Gefühlen der Natur. Ohne yoUkommene Natur- kenntnis werde man kein henrorrag^ender beschreibender Dichter. Cowper schildere jeden Traum, jede Farbe und Gestalt mit einer Genauigkeit, die den Leser zum Zu- schauer mache. Darum sei er in der Darstellung Pope ftberlegen.

Schon der Titel der Abhandlung dfinkte Byron eine unstatthafte Anmaßung. Er erhob entschiedene Einspradie gegen die Au&tellung yon unveränderlichen Prinzipien der Poesie. Sie seien vielmehr niemals festgesetzt worden und könnten es niemals werden. Denn sie bedeuteten nichts andres als die jeweilige Vorliebe des Zeitalters, und diese Vorliebe richte sich weniger nach dem Verdienste des Dichters als nach dem Wechsel des allgemeinen Geschmackes. Überhaupt sei der Dichter nicht nach seiner Kunstgattung, sondern nach seiner Leistung einzuschätzen. Mit jener echt menschlichen Neigung, gering zu bewerten, was man selbst im Überflusse besitzt, eifert Byron hier gegen die herrschende Richtung, auf Phantasie und Er- findung, „die zwei gewöhnlichsten Eigenschaften^, be- sonderes Gewicht zu legen. Das, worauf es ankomme, sd der ethische Gtehalt. „Was machte Sokrates zum größten Menschen? Seine sittliche Wahrheit, seine Ethik. Was erwies Jesus kaum minder denn seine Wunder als Gottes Sohn? Seine moralischen Lehren. Wenn nun die Ethik einen Philosophen zum besten der Menschen gemacht und von der Gottheit selbst als Attribut ihres Evangeliums nicht verachtet worden ist, will man uns sagen, daß die ethische oder didaktische Poesie (oder wie man sie nenneo mag), deren Zweck es ist^ den Menschen weiser und besser zu machen, nicht die allererste Gattung der Poesie sei?

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Das beschreibende Gedieht und die Yenerzfthliiiig. 627

Und will gar einer aus der Priesterschaft uns dies sagen?

Möglich, daS Pope sich selbst geschadet durch das Wort:

Der Phantasie yerschlongnen Pfad ging ich nicht lang. Zur Wahrheit stieg ich ab, moralisch ward mein Sang.

(EpisÜe io Arbuihnot)

Er hätte sagen mflssen: Znr Wahrheit stieg ich auf! Pope ist der moralischeste Dichter der zivilisierten Welt."») Bewies erwiderte in Ti€o Letters to the Right Hon. Lord Byron in Änswer to His Lordship's Letter to *** on the Rev. W. L. Bewies^ Strictures on the Life and Writing of Pope; more particulary on the Question, tohether Poetry he more immediately indebted to what is Sublime or Beautiful in (he Works of Natur e, or the Works of Art (Zwei Briefe an den hochedlen Lord Byron in Beantwortang des Briefes Seiner Lordschaft an *** über Seiner Hochwärden W. L. Bewies* Kritische Bemerkungen Ober die Schriften Popes. Insbesondere über die Frage, ob die Poesie mehr dem Erhabenen nnd Schönen in den Werken der Natur oder in den Werken der Kunst schulde), 1821. Bewies' überaus höflicher Ton machte es Byron unmöglich, den Streit fort- zuführen. >) Er liefi ihm durch Murray für seine Ehrlich- keit und Güte danken (14. Mai 1821) und gab Befehl von der Veröffentlichung seines zweiten Briefes abzusehen Dieser ist tatsächlich erst 1835 erschienen Ihe Irish Avatar be- nutzte Byron zu einer Mystifikation Moores, indem er das Gedicht für ein Werk Bewies' ausgab (17. September 1821). Aber der langlebige Bewies behielt dennoch das letzte Wort 1824 widmete er der Bestattung des bei Missolunghi

>) Letter to *** Eb^. on the Bev. W. L. Bowlet^ Strictures on the Life cmd Writmgs ofPope. (Erschienen im Man 1827. Die drei Sterne bedeuteten John Mnrray).

*) An Donglas Kinnaird, 21. November 1821.

40*

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628 Das beschreibende GMicht und die VeneniUmig.

Dahingegangenen die Stanzen Oiüde HaroUPs Last Pügrir fnage, tadeUos in der Fono, wfirdig im Inhalt, ohne nach- trägerischen Groll oder kleinlichen HaS, freilich auch ohne den Maßstab für die Bedentang nnd GrGße des YerlnsteSy stets nnr den menschlich -sittlichen Standpunkt im Auge, yod dem ans er, der Versöhnliche, sich dem Toten aberlegen fühlte. Der ganze Bewies liegt in diesem Gedicht un- endlich wackerer als genial

Die Pope -Fehde hatte jedoch mit Byrons Hinscheiden ihr Ende noch nicht erreicht Bewies mnfite noch zwei anonyme Angriffe eines literarisch angehauchten Krämers aus Stamford, Octavius Graham Gilchrist parieren. Er tat es in J. Beply to fhe Charges braught by {he Reviewer of Spencers „Änecdotes^ in fhe Quarterly Review for October 1820 against the Last Editor of Popels Woris (Erwiderung auf die von dem Kritiker der Spenceschen „Anekdoten'' in der Quarterly Review vom Oktober 1820 gegen den letzten Herausgeber von Popes Werken vorgebrachten Beschul- digungen) im Pamphleteerj 25. Oktober 1820 und in Ä Vindication of the Late Editor ofPope's Works from some Charges brought against him by a Writer in the QtMrterly Review for October 1820. With furiher Observations on the Invariable Principles of Poetry and a FuU Exposure of the Mode of Oriticism adopted by Octavius GUchrisi (Rechtfertigung des letzten Herausgebers von Popes Werken &ber die durch einen Schriftsteller der Quarterly Review yom Oktober 1820 gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen. Mit weiteren Bemerkungen über die unwandelbaren GFesetze der Poesie und einer vollständigen Darlegung von Octavius Gilchrists kritischem Verfahren) im Pamphleteer vom 17. Februr 1821. Es ist nicht uncharakteristisch für den temperamentvollen Bewies, daß er gegen den edlen Lord

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Das beschreibeBde Gedicht und die Venerstthlung. 629

die ganze Liebenswürdigkeit und gegen den vorlanten Erftmer ans Stamford die ganze Derbheit seines Naturells hervorkehrte.

Die letzten Jahre seines langen Lebens waren wissen- schaftlichen und Verwaltnngsarbeiten gewidmet Bowles war ein tüchtiger Altertumskenner und trat auch auf diesem Gebiete schriftstellerisch hervor {Hermes Britannicus, 1828, Anitals and Äntiquities ofLacock Äbbey, 1835, The Cartoons of BaphaeljA) Er beschäftigte sich mit der Armenpflege und mit Oemeindeangelegenheiten (ParochialHistory ofBrem- hiU. Geschichte des Sprengeis Bremhill, 1718 ; Ä few Words to Lord Chancellor Broughm on the MisrepresentaHon con- ceming (he Property and Character of the Cathedral Clergy of England. Einige Worte an den Lordkanzler Broughm über die irrtümliche Darstellung des Eigentums und des Charakters des englischen Domkapitels, 1831). Schließlich ist noch ein Lihen Kens (1880) zu nennen, jenes unerschütterlichen GteisÜichen der für die Ezkommunizierung Jakobs stimmte und später dennoch lieber seinen Bischo&sitz opferte, als daß er König Wilhelm Treue geschworen hätte.

Bowles starb in Salisbury 1850. In der Ankündigung von St John in Pathmos hatte er das schöne Bekenntnis abgelegt, er hätte von der Jugend bis zum Alter keine Zeit durchlebt, die er ausstreichen möchte, noch sei er einen Augenblick von der strengen Geschmacksrichtung abge- wichen, die sein Geist von den einfachsten und reinsten Vorbildern klassischer Dichtung in sich aui^enommen. Er war sich bewußt, als literarische Persönlichkeit keinen großen dauernden Ruhm für sich in Anspruch nehmen zu können. Sein Wunsch an die Muse ist demüthig: „Laß

0 VergL Byron'8 Frote Works, ediied by Prothero V, 277.

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630 Das beschrabeade Oedieht und die Varseniklmig.

mich nicht yergehen wie das GfewOlk von gestern!'* {Sk^A fram Boteden HiU.) Innerhalb seiner bescheidenen Grenzea aber behauptet er seine nicht zn umgehende Bedentung. Als dienendes Glied im gewaltigen Ganzen der Dichtung wird man ihn nicht wohl ausschalten könnet

Werke Ton Bewies.

1789 Faurtem Sotmeta, tmUm cMefy an Piduresque Spots äumng a Jounmey.

Verses fo John Howard.

1798 Coonibe Ellen.

St Michaers Mount

1799 The BaUle of the Nile. 1801 The Sorrows of Switeerland.

1803 The Pieüire.

1804 The SIpirit of Discovery at Sea. 1806 Bowden Hill

The Works of Alexander Pope, Conicmmg ihe Princ^al

Notes of Warburton, and Warton^s Uhtstrations, and Oritical Explanatory Bemarks bjf Johnson, Wake/ield, Chaknersrond Others. To whidi are added, now first pubUshed, some Original Letters, wilh Ädditional Ob- servations and Memoirs of the Life of ^ Aufhor.

1816 The Missionary of the Andes.

] 819 The Invariable Principles of Poetry. In a Letter addressed to Thomas Campbell Esq., occasümed by some OriUcal Observations in his Speamen of the British Poetry^ particularly relating to ihe PoeUcal Character of Pope.

1822 The Grave of the Last Saxon.

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Dm beschreibeiide Gedicht nnd die Verserzählimg. 681

1822 Leiters io Lord Byron on a Qtiestion ofPoeUcäl OriHdsm.

To whick are now fi»'3t added the Letter to Mr. Can^hell and the Änswer to the Writer in the Quar- terUf Bemew. Together with an Änswer to some Oljection$ and further Illustration by the Eev. W. L. Bowles.

1823 EUm Gray.

1828 Boys Departed, or Banwell HOL 1833 8L John m Pathmos. 1837 Scenes and Shadotos of Boys Be^arted. The VUlage Verse Book.

Werke Aber Bewies.

1853 ThomAB Moore, Memoirs, Journals and Correspondence.

1855 George Gilf ilUn, W. L. Bowles, Poeticäl Works, edited

with Memoir^ OriUcal BissertaUon, and Expkmatory Notes.

1856 Ghristopher North, Bays B^arted, or Banwell Hill

und An Hour's Talk about Poetry. (Essays Oritieal and Imaginative L) Watland Marston, Artikel des Bietionary of National

Biography. 1909 Arthnr Symons, The Bomantic Movement in English Poetry.

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Samuel Rogen.

1763—1855.

Samuel Bogen bietet in seinem wenig ereignisvollen Lebensgange und seinem ausgeglichenen Charakter das seltene Bild einer weder dnrch äußere Widerst&nde noch durch innere Hemmungen, wie etwa Leidenschaft, irregeleL- teter Ehrgeiz oder physische Krankheit, gestörten Normal- entwickelung. Dank diesen außei^wChnlich glScklidien Umständen gelangte in ihm eine von Haus aus nur mittel- mäßige Begabung zur höchsten ihr erreichbaren Entfaltung und Fruchtbarkeit, zu einem erfolgreichen Dasein und einer dauernden Stellung in der Literatur.

Er stammte aus einer ursprünglich in Worcestershire ansässigen Familie von gefestigtem bfirgerlichen Ansehen und Wohlstand. Die Verschmelzung von Torysmus nnd Anglikanismus väterlicherseits mit dem Whiggismus und Dissentertum mütterlicherseits ergab eine mittlere Bichtnng von heilsamer Mäßigung. Im Eltemhause in Stoke Newington im südöstlichen London verkehrte Dr. Richard Price (f 1791), der Moralphilosoph und Politiker, der warme Anwalt der aufständischen amerikanischen Provinzen, dessen Einfluß auf den jungen Samuel ausschlaggebend wurde. ^)

Der Aesthetiker Payne Enight war ein Verwandter der Mutter, der Dichter Shenstone ein Freund des Vaters

0 Vei^l. Clayden, EarlylAfe, 35.

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Das beschreibende (Gedicht und die Verserzählnng. 63S

gewesen. So fehlte es im Eltemhaose nicht an einer künst- lerischen nnd philosophischen Überlieferang. Die politische Gtesinnnng war liberal. Unvergeßlich blieb dem damals einährigen Knaben der Augenblick, als nach dem Ansbruch der Beyolntion in Amerika, 1774, der Vater nach der Bibel- lektfire das Bach zuklappte und seinen Kindern die Ursache des Aofstandes erklärte und hinzufügte, daß die Engländer Unrecht h&tten und daß es schlecht wäre, die Besiegang der Amerikaner zu wänschenJ) Aach ein Besuch von Wilkes war unter Bogers' Kindheit3eindrücken. Der ge- feierte Volksmann hatte ihm die Hand gereicht und er blieb acht Tage stolz darauf. Mit 13 Jahren verlor er die Matter, von der er zeitlebens das Bild einer schOnen, liebens- würdigen Frau bewahrt hat. Ihr verdankt er jenen hohen ethischen Ton, auf den sein ganzes Leben gestimmt war. „Meine Mutter lehrte mich von frühester Kindheit an, gegen das geringste Lebewesen liebevoll zu sein, sagt er im Table Talk. Wie auch die Leute lachen m6gen, ich setze mit- unter fein sorgsam eine verirrte Wespe oder ein Insekt vors Fenster. .... Ich kann kaum umhin, zu glauben, daß es in einem künftigen Sein für die Leiden der Thiere in diesem Leben eine Entschädigung geben müsse.^

Bogers Empfindungsvermögen scheint außergewöhnlich frühzeitig entwickelt gewesen zu sein. „In meiner Kind- heit pflegte ich mich, wenn ich Unrecht verübt hatte, in dem Bewußtsein meiner Missetat stets elend zu fühlen,'' erzählt er {Table Talk). „Die Eltern merkten es und tadelten mich darum selten ob meiner Yergehungen. Sie überliessen den Tadel mir selber.''

In der Privatschule zu Hackney schloß der Zehn- jährige eine lebenslange Freundschaft mit William Maltby

1) Samuel Sharpe, XXL

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634 Dm beidirBibende CMicbt und die VeneniUniicr.

(t 1854)^ der, spftter Advokat und Oberbibliothekar d^ London Institution, achtzig Jahre hindurch Bogers' Ge- sinnungsgenosse in allen Sachen des feinen G^schmaeks blieb. Samuel selbst wünschte vermutlich durch die Bewunderung für Prioe angeregt Geistlicher zu werden, ließ sich aber unschwer von seinem Vater bestunmen, in das Bankhaus der Bogers in Comhill einzutreten. Das Gesch&ft ließ ihm hinlSngliche Muße, seiner geringen klassischen Bildung durch Lektfire nachzuhelfen, der auch lange, durch seine schwankende Gesundheit veranlaBte Aufenthalte an der See förderlich waren. 1795 überließ er das Bankhaus völlig seinem Bruder Henry.

Johnson, Goldsmith und Gray waren seine Lieb- lingsdichter und die leuchtenden Vorbilder seiner er- wachenden Schriftstellemeigung. In einem Anfall von Be- geisterung machte er sich einst mit Maltby auf, um dem greisen Dr. Johnson (f 1785) eine Huldigungsaufwartung zu machen. Aber vor dem Hause angelangt, entsank den Knaben der Mut und sie wagten nicht, den TQrklopfer zu heben.

Rogers' erster schriftstellerischer Versuch, eine Beihe von Aufe&tzen, die im GenÜemm^s Magasfine unter der Rubrik The ScribhUr^ gezeichnet S. R., erschienen, wurde durch JohnsonsiZom&Ies angeregt 0 >3ie behandelten mannig- faltige Gegenst&nde, liefen indessen alle auf die Erörterung des Tugendbegriffes, wie Dr. Price ihn faßte, hinaus. „Ein Mensch,'^ sagt Rogers, „kann sein ganzes Leben der Er- langung von Kenntnissen widmen, er kann alle Btlcher lesen, die je geschrieben wurden, alle Systeme studieren, die man je gebildet, und doch wird seine ganze Lektfire

0 Bell, XX. Samuel Sharpe, XVm.

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Dm besdireibeiide Gedicht und die Venenfthlniig. 635

nnd sein ganzes Stndinm nichts andei*es ergeben als dies: dafi die Tagend allein wahres Glück hervorzubringen ver- mag. Das Glttck eines Menschen hängt nicht von seiner Stellung ab, sondern von ihm selbst. Wer seine Leiden- schaften dem Gehorsam unterworfen, hat keinen Umschlag des Geschickes zu fürchten. Erfolg kann Um nicht be- rauschen, Mißerfolg ihn nicht niederdrücken. Er gleicht der Eiche, die fest und aufrecht bleibt, gleichviel ob sie die Sonne bescheint oder der Sturm umrauscht.''

Ihrer künstlerischen Qualität wie ihrer Moral nach entsprechen diese Au&ätze guten Zeitschriftenartikeln der Epoche. Vernünftige Ansichten und ein warmer patriotischer Ton berühren angenehm. In Nr. 4 (0 Tem- pora j 0 mores) widersetzt Bogers sich den üblichen Klagen über die Entartung des Zeitalters, behauptet, daß England, Holland und die Schweiz Anspruch auf größere Bewunderung hätten als die gefeierten Bepubliken des Altertums und gipfelt in der Aufforderung: Laßt uns ge- recht sein gegen unsere Zeitgenossen. 0

Ein Opemlibretto The Vintage of Burgundy (Die Bur- gunder Weinlese) sah 1782 das Lampenlicht 1786 wagte Bogers anonym die erste selbständige Veröffentlichung: Ode to SupersUtiony and other Poems (Ode an den Aberglauben und andere Gedichte). Er kommt jener Korrektheit des Stils, die ihm frühzeitig als Ideal vor Augen schwebte, hier bereits nahe. Seine Jugend, der die Gährungen und Trübungen des Genies so wenig bekannt sind wie der funkenschlagende Leichtsinn, gewinnt es über sich, zwei Jahre lang an der Ode zu feilen.^) Ein dem antiken Strophenbau nachge- bildetes aber gereimtes Metrum und die nach vornehmer

0 TaUe Taik, 12. ^ SecöOecHons, 17.

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636 Dm beschnibeiide Gedieht und die Yenexsihliuig.

Oelassenheit strebende Diktion verraten das Vorbfld Grays, dessen Gedichte Bogers sogar anf dem Wege znm Bankhaus zn lesen pflegte. „ÄnB»*st daraof bedacht^ etwas zu sagen, ohne daß er etwas zu sagen hätte'', so lautet das Urteil eines Bezensenten in der Edinlmrgk Beview {Table Talk, 187). Bogers folgt offenbar schon hier der Uberzengong, dafi for die Popularität eines Gedichtes zweierlei nötig sei: erstens eine stark religiöse Tendenz und zweitens ein Thema, das im Leser keinerlei Kenntnisse voraussetze. ^ Die Ode ist ein historischer Überblick aber den Aberglauben in allen seinen Erscheinungsformen. Griechische, ägyptische, in- dische, nordische Mythologie, Kriegswut und Bflßer- grausamkeit der Kreuzzttge nichts wird uns geschenkt Endlich bricht die Himmelserscheinung des Glaubens den Triumph des Aberglaubens. Seine Formen innerhalb der Beligion werden umgangen. Philosophische Kfihle und poetische Glätte erscheinen durch einen akademischen Ton grauer Theorie unter Verlust jedes persönlichen Moments erkauft. Es wäre denn, dafi man als solches die tadellose, von didaktischer Absicht nicht freie Gesinnungstflchtigkeit gelten ließe, die aus i.em Ganzen spricht

Die andern mit der Ode veröffentlichten Gedichte sind durchaus unbedeutend. Das Bändchen fand dennoch dne ungewöhnlich günstige Aufnahme. Die MonMy Uewew begrOfite es als ein Werk, das die Hand des kundigen Meisters verriete und erkannte ihm „edle und klassische Eleganz^ zu.

Es war dasselbe Jahr, in dem die Kilmamok EdUion der Gedichte von Bums erschien. Aber der nach litera- rischem Umgange dürstende Bogers erkannte die Bedeutung

0 Abraham Haywaril, BecoUecUons of the Table Talk of Samud Bogers, Juli 1856.

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Das beschreibende Gedicht nnd die Venen&hlang. 637

des im Norden aufgegangenen Sterns so wenig, daß er auf einer Reise nach Schottland, auf der er eine Korrespondenz mit Henry Mackenzie anknüpfte nnd sich rflhmte, an einem Sonntag vormittags der Predigt Bobertsons nnd nachmittags der Blairs beigewohnt, mit den Piozzis Kaffee getrunken und nüt Adam Smith zu Abend gegessen zu haben, den Bauem- sohn von Mossgiel nicht aufsuchte, obzwar er später The CoUer's Saturday Night für eine der schönsten ländlichen Dichtungen erklärte. 0

1791 reiste Bogers nach Frankreich, wie sein Neffe Samuel Sharpe sagt, um die ersten freien Begnügen eines großen Volkes mit Augen zu schauen, mit dessen Bevolution er als Whig und Dissenter sympathisierte.') Er schrieb nach Hause, es sei eine Freude, so viele Tausende, wie beseelt vom Lebensodem der Freiheit ihres Landes sich auf jedem öffentlichen Platze scharen zu sehen, um offen fiber jene edlen Empfindungen zu sprechen, die sie frflher kaum zu denken gewagt Seine Tischgespräche jedoch bewahren zwar von diesem ersten Besuche in Paris unmittelbar vor dem Ausbruche der Bevolution eine Tisch- einladung bei Lafayette und allerlei Lappalien, enthalten aber kein Wort Aber die sozialen und politischen Zustände.')

1792 trat Bogers mit seinem Vater den Friends of ihe People bei, einer zur Erlangung von Parlamentsreformen ins Leben gerufenen Gesellschaft, tiberzeugt, daß die Kon- stitution nur zu retten sei, indem man ihre Mißstände abstelle, und daß der Eigensinn der Tones dazu tauge, eine gewaltsame Bevolution nach der Art der französischen herbei- zufahren, nicht aber sie zu verhindern. Dennoch und trotz

0 Table TM, 45.

•)XXIV.

•) Tc^le Talk, 47.

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638 Dm bMckreibaide Gedicht mid die Yenenililiiiig.

seiner Freundschaft mit Fox, an dem ihn der whiggistische Staatsmann wie der literatoryerstftndige und anziehende Mensch gleich sehr fesselt, scheint Rogers' Interesse för Politik nur gering gewesen zu sein. Sie spielt in seinen Dichtungen keine Holle. E^ Glfickwunsch an Lord Grey anl&ßlich der Durchf fthmng der Reformbill {Written in Jviy, 183i) und ein patriotisches Gedicht Aber die Sklaven- emanzipation (WriUen in 1834) ist in dieser Richtung alles Erwähnenswerte. Vielmehr geht der £3irgeiz seiner Poesie auf ein allgemeines, philosophisch humanes Ziel Er mOchte Sch&tze erhabener Gedanken ausstreuen, um die Herzen zur Tugend erwecken. 0 So erh&lt seine Dichtung, obgleich er selbst mitten im Leben und in der Gesellschaft steht, dennoch etwas außer und fiber d^ Wirklichkeit Schwebendes, etwas zugleich Lehrhaftes und Theoretischea Es scheint gewissermafien vorbedeutend, daß ihn eine Kindheitserinnerung durch ein persönliches Band an Pope knfipft Ein sehr alter Themsebootsmann, der als Knabe seinem Vater geholfen hatte, den Dichter strom- auf und -ab zu rudern und sich seiner noch gar wohl erinnerte, hatte Samuel Rogers oft und gern von „Hr. Alexander Pope" erzählt.^) Obwohl er späterhin Cowpers Homer dem Popeschen vorzog, blieb doch Rogers' Anerkennung für den Großen von Twickenham lebenslang ungemindert Im Table Talk spricht er von dem lieben Menschen Pope und seiner bewundernswerten Klarheit, die man jetzt häufig für Oberflächlichkeit ansehe, infolge der Vorliebe fflr das Dunkle in der Poesie. So knüpft er denn auch an Pope an mit dem Werke, das ihn 1792 zum Dichter des Tages machte, The Pleasures of Memory (Die Freuden der Er-

0 Poems, 1793. ») Table Taik, 24.

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Du beBdireibende Gedicht und die Venenlbliing. 689

innenmg). Gamett nennt sie ein Eind von Akensides Fleaswres of Imagination (1765) nnd die Mutter von Camp- bells Pleasures ofHope (1799) ; >) doch weist ein noch früherer Vorläufer, Thomas Wartons Pleasures ofMelancholy (1797), unmittelbar auf den Popeschen Kreis.

Die Heasures of Memory, eine Frucht sieben- oder gar neunjährigen Bemühens, sind von einer Sorgsamkeit der Arbeit, die sie des klassischen Lehrmeisters würdig machte) Die regelmäßige Struktur des heroischen Reimpaares wie die glatte, gedrungene Prosa der Anmerkungen sind gleich Yollkommen. „Ihre Eleganz ist wirklich wunderbar,** schreibt Byron am 5. September 1813 an Moore. „Es ist auch nicht eine vulgäre Zeile in dem Buche^. Zu Lady Blessington rühmte er die Feinheit und reine Ausführung der Pleasures of Memory^ in denen auch nicht ein einziger unedler Zierrat sei Bogers habe sich nicht auf den höheren Oefilden des Parnaß niedergelassen, aber an dessen Fuß einen allerliebsten Blumengarten angelegt. Späterhin dient ihm die Dichtung dann allerdings einmal bei der Darlegung des Unterschiedes zwischen Yersemachen und Inspiration als Beispiel für die erstere.

In der Anlage ist das Vorbild Akensides unverkennbar. Hier wie dort sucht eine erste Abteilung den abstrakten Begriff theoretisch zu erschöpfen. Wie Akenside die ur- sprünglichen Freuden von der Wahrnehmung des Großen, Wunderbaren und SchOnen ableitet, die Freuden der Phan- tasie scharf von denen der Philosophie unterscheidet und die Sinneufreuden von denen aus der Erkenntnis oder der Leidenschaft stammenden sondert, so erOrtert Bogers im ersten Teile das Wesen der Erinnerung und die zwiefache

») Dictionary of National Biography, «) üecoUections, XVIT, Table Talk, 18.

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640 D«0 beidmibeiide Gedieht und die VeneniUniig

Art ihrer Erreger, äußere Gegenstände und abstrakte Meditation, durch welch letztere sie zur Hftterin aller Schätze des Gfeisteslebens wird. Bei fiogers wie bei Akm- side giebt die Ableitung der intellektuellen Tätigkeit von äußeren Eindrücken Anlaß zu konkreten Bildern. Bei Bogers ist es das Idyll der Jugend, das dem in sein Heünatsdorf Wiederkehrenden mächtig ans Herz greift Das alte Haus weckt die Erinnerungen der Kindheit, jeder Hausrat mahnt an einen Freund, der Haselhain erneuert das Bild der Zigeuner, die Eirchenglocken das des Toten- gräber& Auch geschichtliche Erinnerungen spielen herein und stellen den Beiz historischer Stätten ins rechte licht Gk)ldsmithsche, Youngsche, Graysche Einflüsse machen sich bei diesen Schilderungen geltend.

Der zweite Teil würdigt die Bedeutung der Erinnerung für das Innenleben. Stille Einsamkeit ist ihr am zutrig- lichsten. Sie färbt die Lebensansichten der Menschen, sie trägt das Material zusaamien, aus dem die Phantasie ihre kühnsten Luftschlösser baut Gestaltet doch der Geist sich aus der Vergangenheit, also kraft der Erinnerung, selbst ein Bild der Zukunft Die Freuden der Erinnerung sind die einzigen, die wir völlig besitzen.

Wie Akenside ohne alle Phantasie ein Gedicht ftber die Phantasie schrieb, so ist es das Charakteristische von Bogers' Dichtung Über die Erinnerung, daß sie jede persön- liche Erinnerung ausschaltet, daß sie ein abstraktes Thema mit einer Fälle von Gedanken aber ohne jeden eigenartigen Gedanken vorträgt In kühler Allgemeing&ltigkeit geht die warme individuelle Note verloren. Durch den AusschlnB alles konkreten Erinnems wird das Gedicht zur Theorie, zum Schema. Eine wohlthuende Ausnahme bildet die Apostrophe an Rogers' 1788 verstorbenen Bruder Thomas,

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Das beschreibende 0edicht und die Versenfthliing. 641

tief empfundene Verse, die weitaus zu den schönsten der Dichtung gehören. Novellistische Ansätze auch sie sind auf eine erzählende Episode im 3. Buch der Pleasures of Imagination zurfick zu fahren schlagen leicht ins süßlich Empfindsame und Banale um, wie die Geschichte von Morio (Teil n), dem der Besitz seiner holden Julia verwehrt ist, der aber dank dem schönen Grottengenius ihrem An- denken leben darf. Die Popularität der viel zitierten Grotten- inschrift geht wohl hauptsächlich auf den umstand zurück, daß der Gedankeninhalt der melodiösen Verse so wenig aus dem Wege lag. Verglichen mit Akensides Pleasures, die nur ein Handbuch über ein abstraktes Phänomen sind, waren Bogers' Pleasures of Memory eine Dichtung. Sie gaben der 2^it was ihr gefiel und ernteten darum ihren BeifalL Die JtfonAJy Beview lobte die Eorrekheit des Ge- dankens, die Zartheit der Empfindung, Manigfaltigkeit der Bilder und Harmonie des Versmaßes. 0 Die Verquickung eines ethischen Gehaltes von tadelloser Lauterkeit mit dem über die mittlere Sphäre nicht hinausstrebenden Gedankenfluge des Dichters ergab eine sympathische Mischung und Rogers' gesellschaftliche Stellung, die seit dem Tode seines Vaters (1793) die anerkannte eines reichen Mannes war, verlieh seiner literarischen Bedeutung vollends Nachdruck. Allmälig kam hierzu noch sein Ruf als maßgebender Kunstkenner. Durch seinen Schwager Sutton Sharpe zur Beschäftigung mit den bildenden Künsten angeregt, die er in den Pleasures of Memory noch vermied, hatte ein dreimonatliches Studium des Louvre (1802) genügt, Rogers zum erfahrenen Mäzen aus- zubilden, dessen Haus in St James's Place allmälig zum Museum ward. Aus seinem Besitze stammt eine Madonna von Raphael, der hL Georg von Giorgione und die Magdalena^

1) Sunnel Sharpe, XXV. Gefebiehte der eiiffliioheii Bomaatik n, 1. 41

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642 Dm bMdrabeiide Gedidit ud dlft VeneniUniig.

der der Heiland erscheinti in der Londoner Naüonalgallerie. ^ Die beriUunten FriUirtftcke in Bogers* Hanse y^-sammelten ohne Unterschied der politischen Parteifarbe alles, was London an hervorragende nnd interessanten PeraSnlich- keiten aufwies. In den Beeoüecüons bekennt Bogers sich za Lord Ciarendons Meinung, niraumd in der Welt erringe Ansehen, der nicht den Umgang ihm überlegener Lente suche. An seinem Tische saßen nun neben Yolks- f&hrem Aristokraten, vor denen ihn einst der Vater gewarnt hatte: „Geh ihnen nicht in die N&he, Sam!^>) saßen Künstler und Gelehrte. Charakteristische Ausspräche dieser illustren Tischgesellschaft manches prächtige Wort von Fox, Wellington, Home Tooke hat Bogers auf- geschrieben und sein Neffe William Sharpe yerSffenÜicht Doch halten diese Aufzeichnungen sich gewöhnlich an der Oberfliche und Peripherie der Persönlichkeit seiner Freunde und man gewinnt ab und zu den Eindruck, als hätte der Gastgeber mehr das leichthin Geistreiche als das innerste Ingenium seiner großen Genossen erfaßt Bogers' eigene Gespräche nennt Sharpe nicht glänzend aber vemfinftig und durch ethischen Gehalt ausge- zeichnet Seine spitze Zunge bildete einen pikanten Widerspruch zu seiner Herzensgftte. Er sprach fiber die Leute schlecht und erwies ihnen Gutes. Den sterbenden Sheridan z. B. unterstfitzte er mit Geld und persönlichen Dienstleistungen, obzwar er sich immer boshaft fiber ihn geäußert hatte.') Campbell erwiderte jemandem, der ub^ Bogers' böse Zunge klagte : „Entlehnen Sie yon ihm 500 Pf d,

1) Lady EastUke, Earhf Life of 8am Bogen hy CU^fdon, Quar- ierly Beview. Oktober 1888 (voL 167). *) Shaipe, XXXm. >) Byron, Detached ThoughU, 1821.

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Das besdireibeiide Gedicht und die Venenählxm^. 643

er wird nie mehr ein Wort gegen Sie sprechen, bis Sie ihm ihre Schuld bezahlen wollen. ^^0 Diese Summe hatte Bogers ihm selbst vorgestreckt und dabei die Sicherstellung, die Campbell ihm angeboten, abgelehnt. „Er tut mehr solche Dinge als die Welt ahnt'', ffigt Moore dieser Erzählung hinzu.^) So wurde Bogers gleichzeitig geliebt und gefürchtet.

Als Dichter war er vorsichtig und besaß jenen sichern Geschmack, den er selbst in der nach Horazschem Muster an den reichen Kaufmann Bichard Sharpe gerichteten JEpisÜe io a Friend, 1798, als maßgebendste Eigenschaft hin- stdlt. Der gute Geschmack, heißt es hier, sei ein vorzüg- licher Ökonom, denn er beschr&nke seine Wahl auf wenige G^enst&nde und bringe mit geringen Mitteln große Wir- kungen hervor. Bogers soll angeblich sechs Jahre an dieser Epistel gearbeitet haben, deren heroische Beimpaare von eben jener tadellosen Eleganz, jenem gef&Uigen Behagen sind, die sie als die Blume des Daseins preisen.

Für größere Aufgaben erwies sich seine poetische Be- gabung als unzureichend. Ein Epos in 12 Ges&ngen The Voyage of Cohmbus (Die Beise des Columbus), 1812, blieb unvollendet Das Motto, das er 1793 bescheiden seinen Ge- dichten beigab, seine Poesie bedeute nur die beste Zuflucht seiner Muße, wurde hier, wo er in Form und Inhalt Kühneres anstrebte, zur traurigen Wahrheit Das Gedicht hat zur Voraussetzung die Fiktion einer in einem Kloster zu Pathmos gefundenen kastilischen Handschrift, deren Verfasser, ein vorgeblicher Beisegef&hrte des Columbus, diesen als einen Mann von außergewöhnlicher Tugend und Frömmigkeit schildert. Wir sehen seine edle Gestalt, wie er während einer Mondnacht, in seinen blauen Mantel

>) GametI, DteUo/nary of NaUondl Biography. *) Memwrs, Journal, and Correipondence, VI, 282.

41*

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644 Dm bMchreibeiide Oedicht und die YeneniUiuiff .

gehfiUt, einem Schatten gleich aof Deck Zwie^rache hUt mit dem EompaS, dem gehdmnisrollen Lenker seines Schiffes. Dnrdi gSttliche Eingebung bewSltigt er dne Menterei seiner Mannschaft Er erblickt Land nnd kommt mit den Eingeborenen in Berfihmng. Hilfreiche Engel vaA feindselige Dftmonen streiten nm den kfihnen Entdeck«*, der sich schließlich anf gSttliches GeheiB nnter der Zn- sichemng ewigen Nachrohms znr Heimkehr wendet So treibt Rogers, den Byron als „den letzten Aigonaaten der klassischen englischen Poesie'' gegen das j&ngere Diditer- geschlecht ausspielte, *) mit vollen Segeln dem Pnrpnr- meere der Bomantik zo. Aber die schöpferische Phantasie versagt ihm den Dienst Der schöne Gedanke findet keine anschauliche Veikörpenmg. Den abwechselnngs- vollen Rhythmen fehlt der poetische Impnls, das indianische Lokalkolorit ist papieren. Der Sflfiwasserkahn seiner Mose leidet Schiffbmch in den Wogen einer mystisch- roman- tischen Stimmung nnd der Dichter rettet von der ihm wertvollen Arbeit, die ihn vierzehn Jahre lang besdi&f- tigte,^) nnr einzelne Trfimmer.

Die Zeitgenossen wurden sich dieses Sdieitems fibrigens kaum in vollem Maße bewuBt Mackintosh, der die Wahl des Themas tadelte, versagte doch weder der Schlnßvision nodi der Glätte des Stils seine vollste Anerkennung.') In ihrer Urteilslosigkeit stellten sie den vornehmen Dilettanten, der die Herausgabe seiner Werke fast durchweg aus eigenen Mitteln bestritt, neben seinen Freund Byron, und als die beiden sich 1819 zu einer gemeinsamen anonym^i Publikation von Byrons Lara und Rogers' Verserzählnng

0 An Moiray, 7. Februar 1821.

^ BeeoBeeUons, XVH

•) Sagend Poems, 1812. Edinburgh Beview, Oktober 1813.

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Das beschreibende Gedicht und die Venenihliing. 645

Jacgiueline YerbtJkäffOj fiel der Bangmiterschied ihres Genius nicht auf. JaegueUne wurde Sonthey zugeschrieben. Der Ekfolg war so groß, daß Murray, der eine halbe Guinee ffir die Zeile zahlte, ein gutes Gesch&ft damit machte. Byron fand JacgueUne hinreißend in ihrer Einfachheit, so voll Anmut und Poesie, daß man den stofflichen Mangel nicht empfinde. 0 Er äußerte (8. Juli 1814) gegen Moore, die schöne Jacquline sei mit seinem Lara in schlechter Gesellschaft, aber in diesem Falle würde die Dame nicht darunter zu leiden haben. Und auf die Kritik der Quar- terly Seview (VoL VI, No. 428), die Jacqtieline eine zwar höchst elegante, aber etwas abgeschmackte Iftndliche Er- zählung nannte, versetzt er: „Der Mann ist ein Narr. Jaetudine steht so hoch Aber Lara wie Bogers fiber mir.^^) Die Nachwelt pflichtete dem Urteile des Kritikers (Gteorge Ellis) bei, nicht dem des edlen Lord.

Inhalt wie Form von Jacquelinej das romantische Liebes- idyll, die mit äußerster Sorgsamkeit behandelten paarweise gereimten jambischen Achtsilber zeigen deutlich, wie Bogers Ton der herrschenden ModestrOmung der poetischen Er- zählung mitgerissen ward. Schon der Eingang bietet das ganze Bflstzeug der Bomantik auf: Die Provence in den satten Farben des Herbstes, Mondnacht, Klosterglocken, ein schönes Mädchen, das aus dem stillen Vaterhause zu ihrem Liebsten flieht Aber alles bleibt bei äußerlicher Schilde- rung. Der pedantisch moralische Unterton, die konven- tionelle Weltanschauung arbeiten dem Zauber poetischer Verklärung entgegen. Ein ehrenfester Vater erscheint ge- brochen durch das eigenwillige Handeln einer liebevollen Tochter, das er selbst durch tyrannisches Verffigen fiber

0 Shaipe, XTiTTT. >) TiOk Tdüt, 162.

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646 Dm beMlmiWiide Gedickt uad die YmeuObamg.

ihre Hand herrorgenifen hat Ein wackerer Soldat rettet mit Lebensgefahr den Alten, der ihm die Hand Jaeqaelines verweigert nnd bringt doch aeineneits im starren Trotz kein versöhnendes Wort Aber die stommen Uppen. SchlieBlich brechen die Trinen nnd Bitten seines Sandes scheinbar unbezwingbare Widerstände nnd ein allgemeiiies Tanzfest bildet das glflckliche Ende. Alles das hcnte längst verstaubtes nnd in die literarisdie Bnmpelkaminer zurückgelegtes Eeqnisit entzückte als klassisch und volks- tflmlich zugleich. Moore widmete seine LaUa Booth Bogers, der sie angeregt hatte, und Byron eignete ihm den Qiaur zn ,,in Bewunderung fOr seinen Genius, Hochachtung für seinen Charakter und Dankbarkeit fttr seine Fr^mdsdiaft,*' die sich ftbrigens als verhängnisvoll erwies, da es Bogers war, der ihm in einer Gesellschaft des Earl Grey Miss Mübanke zufahrte.0 Im Tagebuch vom November 1813 erklärt Byron Scott für den Herrscher des englischen Par- nasse& Ihm zunächst komme unter den Lebenden Bogets, der letzte Barde der besten Schule. Die dritte Stelle ge- bühre Moore und Campbell, die vierte Wordsworth, Southey und Coleridge. Dann kämen die Vielen, ol xollol. Diese Stufenfolge veranschaulicht er in dem triangulären Grades ad Pamassum.^)

Walter Scott

>) Brief an Augosta, la Jimi 1814. •) Letiers and JawmaU U, 889.

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Das besehreibende Gedicht und die Verserzählung 647

Bogers* individuellstes Werk ist Human Life (Das menschliclie Leben), 1819, ein Gedicht von 700 Versen, an denen er 6—9 Jahre feilte *) nnd das der Form wie dem reflektierenden Inhalt nach an die Pleasures of Memory anknüpft Doch sind die heroischen Reimpaare freier, die Gedanken reifer. In Szenen ans dem Lebenslaufe eines Engländers von edler Geburt und feiner Erziehung schildert er, was er als Ideal des Daseins selbst anstrebte. Im Schlosse Uewellyn wird Eindtaufe gefeiert Die Eirchenglocken regen die Betrachtung fiber da^ menschliche Leben an. Das Kind wird bald ein Mann sein; bald werden seine Hochzeitsglocken den frohen Tag einläuten, der ihn zum Altare führt; bald wird das Totengeläute ertönen, das ihn zu seinen Vätern versammelt Das ist das Menschenleben. Es erglänzt nnd verschwindet wie ein Meteor. Auf eine an- mutige Schilderung der Kindheit mit ihren großen Epochen

dem ersten Gebet, der Fibel, dem Schmetterlingsnetz

folgt die der Jugend mit ihrem hohen Streben und ihrer ehrfürchtigen Bewunderung. Zwei Gesellen in Narren- tracht geleiten sie, HofEnung und Furcht Wie ein Pilgrim dem Heiligenschrein naht der Jüngling der Liebe. Das Mannesalter bringt häusliches Glück, Sorge, Verlust, Kampf und Vereinsamung. Aber das Leben behält seinen Wert^ so lange man für andere lebt, nnd wie es auch gehe, der edle Mensch hat stets Gefährten. Schließlich kommt das Alter. Von Kindeskindem umspielt, sitzt der Greis unter uralten von den Vorvätern ererbten Bäumen. Der Lebens- satte erfreut sich neidlos an dem Glück der kraftvollen Jugend. Sein Tod gleicht der untergehenden Sonne, gleicht verklingender Musik.

1) BecoOeeUons, XVIL T<Me Ta», la

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648 Das beschreibende Gedieht und die Venenihlnng.

Das hänsliclie Glfick, das Bogers in Human lAfe yerklftrt^ kannte der Hagestolz nicht ans persSnlicher Erbhmng. Dennoch weht es nns wie Selbsterlebtes nnd Empfundenes wann ans dieser Dichtnng an« Es ist der Duft des spezifisch englischen Hauses, der wie ein zarter Hauch darab^ ge- breitet ist Human Life besitzt die echte Poesie d^ Heimatkunst

Bogers' letztes, l&ngstes nnd bekanntestes W^k Itais (1822), die Frucht zweier italienischer Beisen (1814 15, 1821—22) und f&nfzehn- bis sechzehnjShrig^ Arbdt^O wird von vornherein durch die nicht zu umgehende Parallele mit Childe Harald in Schatten gestellt Bogers sdbst glaubte anfangs, sie nicht scheuen zu mfissen. Beim Durch- lesen der Byronschen Korrekturbogen hatte er den An- druck empfangen, das Publikum werde an dem klags&chtigen Tone und dem ausschweifenden Charakter des Helden Anstoß nehmen. Er fand indeß bald, daß er sich get&uscht hatte. Hingegen blieb der Erfolg bei dem ersten, anonym erschienenen Teil seiner eigenen Dichtung aus. Er zog ihn zurück und brachte 1828 zwei Teile mit aitz&ckenden Blnstrationen von Stothard und Turner heraus, zwa E&nstlem, die in ihrer extremen Auffassung der Natur gleichsam die Zwiespältigkeit der zwischen Altes und Neues gestellten Bogersschen Muse symbolisch darstellten. Bogers ließ sich die Ausstattung seines Werkes 7000 Pfund kosten und der nunmehrige Erfolg gab ihm Becht

Italy ist in Blankversen abgefaßt, die der alternde Bogers über den Beim stellte, einige Kapitel sogar in Prosa, die er höher als den Blankvers einschätzte. In der Tat gehören diese, die Erzählungen Marcolini und The Bog of

0 BecoOeciumi, XVU. TabU TiOk, la

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Das beschreibende Gedicht und die Venerzllhliuig. 649

Gold (Der goldene Sack), das Lebensbild Marco Qriffoni und die An&fttze Caius Cestius nnd Foreign Travels (Reisen ins Ausland), sowie die durch bewondemswerte Exaktheit nnd Gedrungenheit ausgezeichneten Anmerkungen zum Besten, weil die knappe, kernige an sich vorzflgliche Prosa fBr derartige Beiseskizzen die angemessenste Form ist. Denn nur als solche scheinen die Kapitel, die ein Beise- tagebuch in zwangloser Folge darstellen, wertyolL Als Dichtung betrachtet, wird man stets den Schwung der Empfindung, den Glanz des Kolorits, die Klangfülle der Verse ChUde Harolds darin yermissen. Es ist, als empf&nde der Dichter selbst, daß ihm die Kraft gebreche, zu sagen, was er fühle. In Venedig wünschte er Grabbes Griffel: „Dann malte ich Italien. So vermag ich's nicht!^ Seine Empfindungen sind die gewöhnlichen des Durch- schnitts-Italienreisenden. Er glaubt sich's nicht, daß er da ist; er muß es sich wiedet und wieder sagen. Gern verweilt er bei historischen und literarischen Erinnerungen, ohne Eztase, ohne suggestive Wirkungen auf den Leser. Auf dem Markusplatz wiederholt er trocken, was sich alles auf diesem Boden ereignet Selbst des Geistersehers^ der damals in England eine gewisse Volkstümlichkeit besaß, gedenkt er. 9 Ganze Geschichtskapitel werden eingeflochten, so die Geschichte Foscaris,^) oder Lokalsagen wie Colalto, eine Art Weiße-Damensage. Aber Bogers ist aui^eklärt und nüchtern. W&hrend Byron an das Gespenstische glaubt,') fehlt ihm für das Phantastische der Sinn. Er beobachtet

0 YergL Byron an Hnrray, 2. April 1817. 1

*) Byions Foscan erschien in demselben Jahre wie der erste Band Itaiff, im Desember 1821. Am 11. Noyember sehreibt Bogers an seine Schwester: „Sein Foicari ist schon gedrackt nnd wird uns, fftrehte ich, BOTorkonunen.^

•) An Mnrray, 9. Sepi 1810.

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650 Das besdrabende Gedicht ud die YaaeaMhtamg.

scharf; keine EigentHmlichkeit fremder Sitte (The Bfides of Vmiee, Yenezianische Brftnte), bis zom Moraq>iel berab (Lmgi), entgeht ihm; sein Ange ist geschalt ffir die grofien Werke der Knnst nnd der Natnr. Oft gelingt es ihm nichts das Gesehene für den Leser in ein poetisches Bild nmzi- wandeln, es bleibt bei Schilderongen; sei es nun, daS es sich um die Petrarka-Erinnenmg in Arqna, um Knnst- werke in Florenz oder nm den Sonnenuntergang in Fiesole handele. Bogers' Beiseweg war der ftbliche: von Genf über den Bernhard nach Como, dann s&dwftrts bis Neapel Anf der zweiten Fahrt traf er (November 1821) in Bologna mitByron zusammen und setzte mit ihm ftber den Apennin. Byron hatte, ausbracht durch einige ihm hinterbraidite Äußerungen Rogers' aber seine PrivatverhUtnisse, 1818 ein derbes Spottgedicht auf ihn geschrieben {Question and Än8wer)y^) und obgleich er die ausfälligen Verse nicht drucken ließ, war doch eine Verstimmung zurfickgeblieben. Byron glaubte Bogers nun ^^aUmälig erkannt zu haben''. Um so charakteristischer ist es ffir diesen, daß im Table Talk das Zusammentreffen mit dem Eintrag abgetan wird: „Man zankte sich jeden Abend und war morgens wieder gut Freund.*' Einen Abschiedsgruß und ein Wort der Gerechtigkeit widmet Bogers in dem Abschnitt Bologna dem damals bereits yerstorbenen Byron, „dem S&nger, der wie ein Stern fiber das Firmament schoß und ver- schwand^. Wer von uns allen, fragt Bogers, h&tte wie du von Kind auf mit Versuchungen umgeben nicht geirrt, und mehr geirrt als du?

Mit Italy war Bogers' poetische Tätigkeit, ein oder das andere kleine Gedicht etwa ausgenommen, erschöpft

>) Snchienen in Frater^s Magatim^ 1806.

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Das beschreibende Gedicht und die Verserzählimg. 651

Doch bekundet er gerade als Lyriker ein entschiedenes Hineinwachsen in die Romantik. Sein Vortrag ist natürlich und herzlich Wish. Ein Wunsch). Er verfügt über ein feines Naturgefühl (To an Old Oah An eine alte Eiche), weiß mit sinnigem Humor auf den Gefuhlszustand des Tieres einzugehen {The Onat Die Mücke; An Epitaph on a JRöbin Bedbreast Grabschrift für ein Botkehlchen) und findet für den Preis des ländlichen Stillebens einen schlichten Gemüts- ton {An Italian Song. Italienisches Lied, das charakte- ristischer Weise mit derselben oder größerer Berechtigung An English Sang überschrieben sein könnte). Nicht zu Gebote steht ihm dagegen die bildhafte Wiedergabe der großzügigen Landschaft (Written in ihe Highlands of ScoÜandy a. September 1812) und der Balladenton {The Boy of Egremont. Der Knabe von Egremont).

Wie Peacock hat Kogers die Anfänge und die Ausklänge der Romantik erlebt und ist, wie Ellis Roberts sagt, Zeuge ihres Triumphzuges vom Klassizismus zum Modemismus gewesen. 1) 1844 erlebte er die Genugtuung, von Jeffrey in einer Kritik, die Keats' und Shelleys Melodienreichtum, Wordsworths Emphase, Crabbes plebejisches Pathos, Scotts, Byrons und Moores Poesie für überwunden erklärte, neben Campbell als derjenige bezeichnet zu werden, dessen Lorbeer, dank seinem ausgezeichneten Geschmack und seiner vollen- deten Eleganz am längsten dem Verwelken standgehalten. >) Er gehörte gewissermaßen unter die Dichter- Patriarchen. 1847 besuchte ihn der Großherzog von Weimar und schenkte ihm ein Autogramm von Goethe. Ja, nach Wordsworths Tode^ 1850, wurde ihm sogar die Poet jLaureafe -Würde angeboten. Allein er fühlte, daß sein Tag um war und

*) Bogers and ?m Cerde, 1.

>) Hooie, MemoirSj Journal and Correspondence, Vn, 866.

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652 Dm betdirabende Oedidit und die YenenftUiuig.

rftnmte dernjongen Alfred Tennyson das Feld. Die idcbt MB dem Gleichgewicht za bringende Überlegenheit des Urteils, die den Gipfdpnnkt des geUnterten intellektaala Geschmackes bedeutet, bekundete Bogers in dem Ungemache, das ihn als Achtzigjährigen heimsachte. In seinem Bank- hanse ereignete sich ein Banb und ein Beinbruch fesselte ihn fftr den Best seines Lebens an den LehnstuhL fSnlCaim ohne Leidenschaften, ohne große Liebe^ ohne Hafi, aber yim vortreflOicherDurchschnittstemperatar und in seinem Innen- leben wie in seiner infieren Eliistenz der andachtsyolleii Pflege der Harmonie als einem Kultus ergeben, konnte er auch der Kunst nicht mehr dnrftumen, als er zu yergeben hatte. Sie wird bei ihm die Ausübung und YervoUkommnuBg eines angenehmen Talentes. Vom gOttlidien Wahnsinn hat sie keinen Hauch yerspttrt Mit seiner Gestalt reicht das 18. Jahrhundert tief ins neunzehnte hinein.

Werke von Bogers.

1781 The Scnbbler ((^mOemm's Magamne). 1786 Ode to St^entUüm, and otker Poems. 1792 The Pleasures of Memory. 1798 EpisÜe to a Friend.

1812 The Voyage of Columtm.

1813 JtupAeJme. 1819 Humum Life. 1822—28 Italy.

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Das beschreibeiide Gedidit und die Yersersfthliue:. 653

Werke fiber Rogers.

1856 Alexander Dioe, BecollecUons of (he Table Talk of Samuel Bogers. To fohkh is added Paraaniana. Preface.

1859 William Sharpe, BecollecUons hy Samuel Bogers. NoUce

biß fhe Editor.

1860 Samuel Sharpe, Some Particulars of fhe Life of Samuel

Bogers. By his Ne^hew (Poems hy Samuel Bogers, 1860). 1875 Edward Bell, The Poetical Works of Samuel Bogers.

j£emofr. 1887 P. V. Glaydon, The EarJy Life of Samuel Bogers. 1889 Bogers and his Contemporaries.

1910 R. EUis Roberts, Samuel Bogers and his Cercle. Richard Oarnett, Artikel Samuel Bogers im DicUonary

of NaUonal Biography.

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Thomas Campbell.

1777—1844.

Leben.

In einer Anmerkung zu dem Gedichte Lines on Becd- ving a Seal wiih Campbell Crest (Verse^ als ich ein Petschaft mit der Helmzier des Campbell -Wappens erhielt) 0 sagt Campbell: „Ein normannischer H&aptling im Dienste des Königs von Schottland heiratete im 12. Jahrhundert die EIrbin von Lochawe und von ihm stammen die Campbells^. Sie waren in der schönen Gebirgslandschaft Argyllshire im westlichen Schottland ansässig.

Ein Alexander Campbell (1710—1801) wanderte jung nach Yirginien aus, yerband sich dort mit einem nicht ver- wandten Namensvetter zu einer angesehenen Geschäftsflrma und kehrte als wohlhabender Mann in die Heimat zurück 1756 heiratete er in Glasgow die Tochter seines Gesch&fte- teilhabers, Margaret (f 1812). Von seinen elf Kindern war Thomas, der Dichter, geboren 1777 in Glasgow, das jfingste. Zwei Jahre vorher hatte Alexander Campbell, dessen Ehr- geiz sich mehr darauf richtete, ein Ehrenmann und Patriot als ein reicher Kaufherr^) zu sein, unter den unglücklichen Verhältnissen während des amerikanisch-englischen Krieges Bankrott gemacht

^) Theodoric, Ä Domestic Tale, cmd Other Poems, 1821. >) Beattie 1, 15.

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Das beschreibende Gedicht und die yersersfthlang^ 655

Thomas wuchs in der Zorackgezogenheit gedrückter YerhUtnisse auf, aber unter dem wachsamen Auge einer elterlichen Liebe, die jeden Wechsel des Geschickes parierte. Der Vater, ein unbescholtener Charakter, von liberaler aber tief religiöser Gesinnung, liebenswürdigen Umgangsformen und literarischem Enthusiasmus, war ein Freund Thomas Keids und Adam Smiths, die Mutter, die Seele des Heims, klug, sparsam, musikalisch, eine Frau von Geschmack und edler Gesinnung. Von der Wiege an sang sie dem spätgeborenen Jüngsten, ihrem Liebling, der wie ein Sonnenstrahl in dem verarmten Hause erschien, die Balladen der Heimat yor. Thomas, ein schönes, gemüt* Yolles Kind, war mit der alten volkstümlichen Dichtung vertraut, lange bevor er ihre Bedeutung ermessen konnte. Sechsjährig erlebte er bereits einen Eindruck von er- schütternder Tragik. Sein älterer Bruder James ertrank beim Baden im Clyde und Thomas sah auf einem Spaziergange plötzlich den Leichnam zu seinen Füßen liegen.

Ein Landaufenthalt, der seine infolge geistiger Früh- reife schwächliche Gesundheit stärken sollte, weckte mit dem Natursinn des Kindes zugleich dessen poetischen (Genius. Mit zehn Jahren dichtete Thomas; mit zwölf Jahren begann er, von enthusiastischer Bewunderung für die Griechen erfüllt, den Anakreon zu übersetzen. Sein Ehrgeiz ging damals nicht nur dahin, selbst Dichter, sondern daneben auch ein gediegener klassischer Gelehrter zu werden. Die Übersetzungen für die Schule machte er gewöhnlich in Hexametern. Als Vorzugs- und Lieblingsschüler ging er durch die Studienjahre, immer aub neue durch Preise aas- gezeichnet und durch sein liebenswürdiges Wesen dennoch vor dem Neide der Kameraden bewahrt.

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656 Dm beioliieibende GMickt und die Venenililiiiig.

Nach Erledigung der Grammar School in Glai^w besEOg er daselbst (1791) mit vierzehn Jahren, der Theologie be- flissen, dieUniyersitftt Damals schrieb er die tief empfundene Hymne To ihe Advent of Christ (Anf Christi Anknnft), die in fast keiner Sammlung geistlicher Lieder fehlt Seine erste, der Ossianbegeisterong entsprossene Ballade Morven and FOlan ist bereits eine Version seines Meistergedichtes Lord UUins Daughter. Als Preisgedicht yerf aBte er ^ D0- 9eription of the Distribution of Priees in the Common HaU of ihe UniversH^ of Glasgow, on the 1^* of Ma/g 1793 (Eine Schilderung der Preisverteilung in der Aula der Uniyersitftt Glasgow am 1. Mai 1793),0 gute heroische Beimpaare, in- haltlich konventionell und akademisch, im Ausdruck be- fangen in griechisch-mythologische Terminologie.^

Ein Preisessay On ihe Origin of Evtl (Ober den Ur- sprung des Übels), 1794, trug ihm den Titel „der Pope von Glasgow^ ein.

Mittlerweile hatte er die theologische mit der juri- dischen Fakultät vertauscht, aber auch in ihr sollte er nicht zu Ende studieren. Sein Vater verlor einen ProzeS. Thomas war vor die Notwendigkeit des Lebensa^erbs gestellt Ein Hauslehrerposten bei Mrs. Campbell, einer Verwandten auf den Hebriden, half über die Sommer- monate weg. Prftchtige Natureindrilcke und eine erste Liebe zu der schönen siebzehnjfthrigen Earoline machten das Exil zu einer Zeit, an die er gern zur&ckdachte. Ein zweiter Posten bei einem General Napier fährte ihn in sein Stammland Argyllshire. „Ich war wohl sehr arm**, schreibt er, „aber fröhlich wie eine Lerche und hart wie Hochlands- haidekraut^.') Er rettet ein Kind aus dem Wasser und

0 Gedrackt bei Beatüe 1, 69. >) Beatüe 1, 128.

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Das beeohreibeiide Gedicht und die Venenfililiiiig. 65?

läßt die Kleider anf dem Leibe trocknen, ohne flble Folgen zu verspären. Man haust in dürftigsten Hütten und nährt sich von Heringen, Kartoffeln und Whisky, aber die rau- schenden Ströme, die Primelfelder und mit Haidekraut be- wachsenen Berge, der mfende Kukuk, die meckernden Ziegen entzücken immer au& neue. Anf der weiten Welt gfibt es keine zwei lustigeren Burschen als ihn und seinen Beisekameraden. „Wir sangen und deklamierten Gedichte die wilden Hochlandstäler entlang. Ich glaubte noch halb und halb an Ossian und interessierte mich für das gälische Volk."

1797 ließ Campbell sich in Edinburgh nieder. Er gab griechischen und lateinischen Unterricht und leistete Buchhändlern literarische Handlangerarbeit. Aber für angestrengte und andauernde Tätigkeit hatte er kein Talent Periodische Anfälle von Schwermut und Schlaf- losigkeit, die ihn von da ab lebenslang heimsuchten, ent- sprangen weniger einer physischen Krankheit als dem sorgenvollen Qemüt

1799 gelang ihm die erste Publikation und mit ihr sogleich der erste große Wurf, The Pleasures ofHope (Die Freuden der Hoffnung). Seine Stellung in der Literatur war gesichert Von 1800—1801 weilte Campbell in Deutsch- land, hauptsächlich in Hamburg und Altena. Er studierte Kant) Schiller, Wieland und lernte Klopstock kennen, „einen sanften, höflichen alten Mann^, mit dem er ausschließlich lateinisch verkehrte. In Begensburg empfing er die An- regung zu seinem Gedichte Hohenünden. Allein er bekam Wind, daß dunkle Gerüchte ihn als Spion verdächtigt hätten, und trat aus Angst, als Gefangener zurückgehalten zu werden, schleunigst die Heimreise an. Nach seiner Rück- kehr hatte er sich vor dem Sheriff zu rechtfertigen über

GMchiolite der eBgUschen Bomantüc n, i. 42

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658 Dwb«iehniWii4eCMiehtiuiddi«V«rMiiiUug.

die Anklage, in Hambnrg mit den Iren nnd in Östoraeh mit Morean konspiriert zn haben, nm die Landnng dncs französischen Heeres in Irland zn vermittdn.

Nach Österreich kam Campbell erst anf einer zweitai Reise 1820, die er Aber Bonn antrat, wohin ihn sein Inter- esse fOr A. W. Schlegel zog. Er hatte ihn durch Yer- mittlnng der Madame de Stafil 1814 wUirend eines zwd- monatlichen Aufenthaltes in Paris kennen gelernt nnd in ihm einen jener Menschen gefanden, die bei entschiedenstem Gegensatz von Naturell und Grundsätzen anziehen. Man streitet mit Gewinn, mit Genufi. Er schilt Schlegel einen Yiäonär, einen Platoniker, einen Mystiker. „Niemals rang ich so hart mit einem Menschen^, schreibt er, „niemals schied ich von einem in besserer Laune^.^) Bei Iftngerer Bekanntschaft verliert Schlegel. „Seine Neigung, im Ge- spr&ch zu dozieren'', hat seit seiner Professur zugenommen. Er plappert, auch w^m er nichts zu sagen hat „kurz, ich hatte keine Ahnung, dafi ein großer Mann so langweilig werden könnte''. Er ist l&cherlich eitel auf sein Englisch ;;da8 in bezug auf Aussprache und Idiom auf einer Stufe steht, deren sich ein anst&ndiger englischer Papagei schtanen würde". In der Vorlesung findet Campbell ihn beredt^ seine Studenten sind begeistert. Campbell meint» er sollte immer auf dem Katheder sein.') „Der wfirdige Professor Arndt" gibt f&r den englischen Gast eine Abendgesellsdiaft „Arndt ist ganz Herz, ganz Wahrhaftigkeit, beredt und energisch wie ein Mann und schlicht wie ein Kind".') Die behagliche Lebensweise der Professoren und ihre Ein- tracht machen ihm den besten Eindruck,^) und die

0 Beattie n, 262. >) Ebenda 962—63.

>) Ebenda 369. «) Ebenda 881.

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Das beBQhxvibende Gedicht und die Venenihlaiig. 669

Stadenten in ihi^r altdeutschen Kleidung sind, wenn auch nicht so elegant wie die Oxforder, so doch ein malerischer Anblick.

Auf einem Ausfluge mit Schlegel schreibt Campbell am 7. Juli seine Ballade Boland, die in Freiligraths Meister- übertragung urdeutsch anmutet. Campbells Urteil über die Deutschen folgt trotz des eigenen Augenscheins der in England durch eine lange Überlieferung zur Gewohnheit gewordenen, halb ironischen, halb mitleidigen Gering- schätzung. Der Deutsche hat keine Begeistemng, ist phlegmatisch, ein Bücherwurm, ein Kannegießer ohne Tatkraft

Von Begensburg fährt GampbeU auf der Donau, deren romantisches Gelände ihn entzückt, bis Wien, wo er den August und September verbringt In der Stephans- kirche yergißt er die Sommerhitze. Er befreundet sich mit Hammer-Purgstall, der die Lines on a Scene in ArgyVr shire (Verse auf eine Landschaft in Argyllshire) ins Deutsche überträgt, während Campbell „den barbarischen lateinischen Text des Laudon-Marsches^, den die Ostereichischen Militär- kapellen spielen, englisch umdichtet {Laudans Ätta(^)J) Wie sehr ihm Stadt und GeseUschaft gefallen, mit den Staatseinrichtungen kann er sich nicht befreunden. Von der Einladung zum Premierminister macht er keinen Ge- brauch, weil er sein System verachtet und verabscheut Die Polizei in Österreich findet er gut, aber die Regierung sei eben nichts als Polizei Die herrschenden Prinzipien kämen denen der spanischen Inquisition gleich.^)

Seit 1801 war Sydenham (London) Campbells Heim, seine „stille Zufluchtstätte in aller Lebensqual^, wo er

0 Beattie 1, 887. ^ Sbesda 882.

42*

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660 Dm iMMhnibeDde Gedicht und die Venenihliuig.

einen literarischen Kreis nm sich sammelte seit 1803 Hand in Hand mit einer liebevollen nnd geliebten Gattin, seiner Cousine Mathilda Sinclair, der er eine Seele yoU Fener nnd Kraft nachrühmt (f 1828). Anfangs war das jnnge Paar sehr dOrftig daran. Jonmalistische Tagelöhnerei, manches Geschreibsel, für das ihm sein Name zn gut war, hielt ihn mit Weib, Kind nnd Mutter oft knapp genug über Wasser. Infolge der Nahrungssorgen stellte sich seine alte böse Feindin, die Schlaflosigkeit, ein. Dennoch ▼ersichert er im Juli 1804 einem Freunde, es gäbe keinen Menschen, der so in das Dasein verliebt sei wie er. Seit 1805 bezog Campbell von der Krone ein Jahrgehalt von 200 Pfund, wozu 1815 noch 4000 Pfund kamen, das letzt- willige Vermächtnis eines entfernten Verwandten. Seitdem konnte Campbell ungeteilt seinen idealen Stielen leben.

Eine QueUe der Befriedigung und des Erfolges wurden 1812 und 1813 seine Vorlesungen an der Royal Institution. Sie sollten, von einem ästhetischen Grundriß über die Natur des poetischen Genies, des Geschmacks und über die Ziele der Poesie ausgehend, ein Bild der Weltliteratur geben, gediehen jedoch nicht über die Anfänge hinaus. Ein wertvoller Abschnitt dai*aus, On Hebrew and Greek Verse (Über Hebräische und griechische Dichtung), er- schien im Monthljf Magasfine^ dessen Redaktion Campbell von 1831—32 leitete. In das Jahr 1825 fällt die große Leistung seines Lebens, die zugleich einen Maßstab für dss Ansehen gibt, dessen er genofi, die Gründung der Londoner Universität

Dreimal hintereinander (1826 29) hat Campbell die Würde des Lord Rektors an seiner heimischen Universität Glasgow bekleidet Seine dritte Wahl bedeutete einen Sieg über Walter Scott Er wurde jetzt zu Hof geladen. Der Weg

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Dm beschreibende Gedicbt und die Venenfthlmig. 661

in die Höhe war erkämpft. Daheim jedoch verarmte sein Leben. 1828 verlor er die treue Gefährtin. Von seinen beiden Söhnen starb der hoffnungsvolle jüngere als Kind, der ältere wnrde geisteskrank. Ihn selbst quälte in seinen letzten Jahren eine krankhafte Angst vor dem Verlust seines Lebensunterhalts. Als man ihm einst von einem blinden irischen Sänger erzählte, der sein Elend in die Triade zusammengefaßt habe: „Mein Weib ist tot, mein Sohn ist toU, die Saiten meiner Harfe sind gerissen!'' brach er in Tränen aus. Er erkannte sein eigenes Schicksal.

Menschliche Anteilnahme an der Besetzung Algiers durch die Franzosen, von der GampbeU sich eine hohe För- derung der Zivilisation versprach, veranlaßte ihn 1834 zu einer Beise nach Nordafrika. Er hat sie in den Letters fr cm ihe South (Briefe aus dem Sfiden) für das New MoniMy Magojrine beschrieben. Das Mitgeffihl f&r die Tages- geschehnisse überwog in ihm das historische Literesse. „Seine Studien lediglich auf das Längstvergangene be- schränken, gleicht dem Lesen bei Kerzenlicht^ nachdem die Sonne aufgegangen'', schreibt er. Er macht Ausflüge unter die arabischen Stämme und empfängt unvergleichliche Ein- drücke. Hunderte von Meilen breitet sich vor dem Auge das blaue Mittelmeer im Frühmorgenlicht aus. Ein Zug von Flamingos schießt über die Wogen. Die weiße Stadt glänzt in der aufgehenden Sonne. Die Araber führen von den Höhen ihre mit Früchten beladenen Kamele herab. Aus der Landschaft heben sich wie weiße Würfel inmitten von Gärten die Landhäuser ab und die romantischen Qräber der Marabous, an denen die hochragenden Federbüschel der Palmen wie Minai*ets aufragen. Überall genießt er eine neue, in Schönheit erstrahlende Welt.

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662 Dm fcttdbiMJMJB QMAi d die VcacniMMg.

So Ibcnmidet sem reger Anteil am AUgranemra p^- aSftlklie YerlostaL lyMdii Ren^^ sagte er 1840 zu einem Benchery ^ist jnag wie nnr je, obgleich köiperlidie 6e- btecken midi daran mahnen, daS anch Dichtia' wie andere MemKhen altera mtfamen.^

Am 15. September 1844 verschied er in Boologne, wo er mit einer Nichte zmn Sommeranfanthalt weilte, mit der Abfaflsog von Leckures an ClaMsieal Geogrofihg (Vorlesongen •ber klaasiaehe Geographie) besehiftigt Er wmde nnter grölen Ehren im Poetenwinkel der Westminsterabtd be- stattet

' Die allgemeine Wertachitznng, deren Campbell sich sein Leba lang erfrente^ galt in noch htitermn Orade dem Mdmiswftrdigeny gnten, trenen Menschen als dem Dichter. Leigh Hnnt schildert ihn in seiner Selbstbiographie als einen heiteren Geflihrten, tberq^rndelnd yon Hnmor nnd guten Anekdoten, nichts weniger als zimperiich. „Niemand war seinen Mitmenschen freondlicher gesinnt and tat sidi weniger darauf an gote.'* Er spielte gern den Hoffnnngs- losen. Sarkastischen nnd bemthte sich doch andanemd nm menschenfreondliche Zwecke^ Die AnU-SUrnry Con- ffmtHm grindete er als „eine Vereinigung Tcm Philan- thrc^en der ganzen Welt, zur BeCreinng des Menschen aas der Knechtschaft, dem edelsten Ziele, anf das der Menschengeist je verfallen''. Die Poesie der Welt, sagt er in einer Ansprache an diese Versammling, am immmr anf Sdten der Freiheit gewesen nnd werde es immer bwU)

In seiner politischen Qesinnnng legte Campbell den umgekehrten Weg der meisten englische Bomantiker znrftck. Sie begannen als Anhtnger der Reyotntion nnd

0 Befttüe UI, 422. ^

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Das besehreibeiide Gedieht nnd die Venenlhlmig. 663

endeten als Konseryative. Campbell beklagt als Jfingling in höchst akademischen Versen, die in der Dichterecke eines Glasgower Blattes erschienen, den Tod Marie Antoinettens, vergiefit Tränen Aber das Schicksal Ludwig XYIL und haSt die Jakobiner. Das Jahr 1794 bringt einen Um- schwung. Er wird Demokrat Anf einem Ansflnge nach Edinburgh wohnt er dem Verhöre des Patrioten Joseph Oerald bei Der kühne, beredte, todesentschlossene Mann tritt, unter ungeheurer Erregung der Anwesenden zur De- portation verurteilt, freiheitbegeistert ab wie ein Sieger. Campbell empfangt einen Eindruck, der zum Wendepunkt seiner politischen Gesinnung wird. Doch hindert ihn sein unersch&tterlicher Whiggismus nicht, mit einzelnen Tories treffliche Freundschaft zu halten. Weitgehendste Duldung blieb das Wahneichen seines Liberalismus. Einen Republi- kaner dem Herzen nach, doch mit mancherlei persönlichen Gewohnheiten und Eigenheiten des Aristokraten nennt ihn Patmora >)

Er begeistert sich 1808 ffir „das holde romantische Spanien^. Siegten die spanischen Waffen, schreibt er am 14. Juli, so vei^ehe er vor Freude, siegten sie nicht, aus Gram. „Was ist der siegreiche Bonaparte im Vergleiche mit den entseelten Leibern solcher Mftnner, getötet in solcher Sache! Hier ist meine Hoffnung. Was der französischen Bevolution mißlang, das wird die spanische vollbringen. In der Sprache des Cervantes werden wir in im klüf- tigen Schriften Spaniens alle Gmndsfttze der britischen Freiheit finden.''

Noch glühender empfindet CampbeU für Polen. Schon in den Pleamres of Hope (1799) l&ßt er Hoffnung und Wahr-

*) My Friends a'nd jicgwatfitancf, 105.

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664 Das bescfaraboide GMidit und die Venenihliuig.

heit ihr Lächeln veriemen, da Polen anterjocht ward. Die Holfnimg sag^ der Welt Ade bei Eosdoskos Fall. Wo bleibt das allmächtige Betterschwert? Wo die Bache? Wo Gfottes Oeifiel ? So fragt er and ruft die (Geister der Toten von Marathon, den Geist Teils und Bnices von Bannok- bnm om Hilfe an. 1804 bewirbt er sich ans Sympathie mit ihrer Sache nm eine Professor in Wilna, nnd nur die Erwägung, dafi er der Bedefreiheit dort gar bald beranbt würde, läCt ihn znrttcktreten. In Wien eihUt sein En- thnsiasmns durch den Verkehr mit polnischen Herren und Damen neue Nahmng. 1882 grOndete er die Fhüo-FoUsi^ Association znr FOrdemng polnischer Interessen. Campbell plant die VerGffentlichang der Greuel russischer an Polen verfibter Gewalttaten, um das allgemeine Mitgeffthl zu erregen. Von der Annahme der Beformbill hofft er auch fttr die polnische Sache Gewinn. Er will Zweigvereine in der Provinz ins Leben rufen. Dem Hospital in Warschau spendet er 100 Pfund mit einem Bdgeit- schreiben, das, vervielfältigt^ in ganz Polen zirkuliert Er führt eine umfangreiche Korrespondenz fOr die polnisdie Vereinigung und mflht sich ab für eine Zeitschrift Polonia. Mit Becht feierte ihn während eines Besuches in Paris 1884 die ÄssoeiaUan als Dichter der Freiheit Sein Freund und Arzt, Dr. Madden, bezeichnet Campbeils Interesse für Polen als eine Lddenschaft, der aUe In- brunst des Patriotismus, die Lauterkeit der Philanthropie, und die Treue urwftchsiger Freiheitsliebe innewohne. „Ich war bei ihm^, schreibt er, „als er die Nachricht von dem Falle Warschans erhielt Nie im Leben habe ich einen Mann von so tiefem Kummer betroffen ge- sehen! Ich fürchtete, daß bei längerer Fortdauer

dieser Erschlaffung aller Körper- und Geisteskräfte, sein

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Das beeehieibende Gedicht nnd die Venerzählniig. 665

Leben oder sein Verstand unter dem Schlage leiden mtt«te.«0

In Campbells politischem Znkanftsbilde war 1831 ganz Europa mit russischer Knechtschaft bedroht Österreich und Frankreich wttrden einander bis zur Erschöpfung nörgeln, Eufiland sodann mit Millionen und Millionen über den Süden herfallen und Deutschland wie Frankreich mit der Knute Gesetze vorschreiben.

Dichtung.

Über Campbell als Dichter besitzen wir Gk)ethes Urteil. Am 29. Juli 1829 findet sich in seinem Tagebuche der Vermerk: ,, Abends ein Engländer J. Guillemard. Ein feiner, unscheinbarer reinlicher Mann in den Sechzigern." Dieser Herr Guillemard hat nach einem dreistündigen Be- suche bei Goethe dessen Meinung über Campbell nach Hause geschrieben. >) Auch einen ÜbersetzungSTersuch machte Goethe mit dem Homerkapitel der Lectu/rea an Poetry.^)

In jungen Jahren ist Campbells Klassizismus ein be- wußter, ausgeprägter. 1797 bezeichnet er Horaz als seinen Lieblingsdichter unter den antiken wie den modernen.

0 Beatüe m, 119.

^ Weim. Ausg. lU., Abt. 12, 104. Das, wie mir Herr Professor Julius Wähle in Weimar gütigst mitteilt, im Deutschen noch nnveröffent- liehte Urteil Qoethes lautet in GniUemards Wiedergabe: ^ eontider Campbeü as more classic al ihan my favotmte Byron, and far above ony modern EngUsk poet tohose works have fallen in my way, I do not pretend to he acquatkUed toith many; hwt Chray andMason are not unknown io me. I admire their vivida vis H^r ^ihoughts ihat breathe a^id words ihat burW; htU in CampbeWs poems there is strength, combined with greai naiwrcd simplieüy of style, and a power ofexciting high emoUons, independenüy of briMmt epithets or meretricious oma» ments,*" (Abgedmekt bei Beattie III, 441).

•) Weim. Ausg. I, Abt 42, 452.

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666 Dm bMcbrabende Gedieht lud die VeiMisaiwig.

Erasmns Darwin dfinkt ihm als Philosoph wie als Dichter ein Materialist) der Systeme des allgemeinen Empfindungs- vermOgens anf Mos mechanische Prinzipien anfzubanen snche nnd die Dinge fär das geistige Auge so male, als gftbe es für die Seele anfier der lebhaften Vorstellnng von Form, Farbe nnd Bewegung kein Vergnfigen.0

Campbells erste dichterische Leistong, der Poetieal Essaijf on tke Origin of Evtl (Poetischer Essay ftber den Ursprung des Übels), 1794, war was der Titel besagt, eine dreiteilige Abhandlung in Reimpaaren, ein regebrechtes, nach einem festen Schema gearbeitetes Lehrgedicht Der erste Teil beleuchtet die Übel als Folge der Unzulänglich- keit alles Geschaffenen, der zweite behandelt die moralischen, der dritte die natürlichen ÜbeL Der Untersuchung liegt eine optimistische Weltauffassung zu Grunde. Anf die Frage nach dem Ursprung des Übels, antwortet CampbeU: „Der schwache Mensch erschaffe es selbst und schiebe es dem Himmel unter, dessen höchste Gaben er nicht verwende, um Vollkommenheit anzustreben, sondern Macht Der mit freiem Willen Begabte w&hlt das Laster, ist also daffir verantwortlich.'' Die Frage, weshalb Gott dem Menschen, den er ffir das Gute schuf, die Möglichkeit des Lasters gebe, kann der junge Philosoph nur durch einen Hinweis auf das Geheimnis beantworten, mit dem sich der ewige Geist umhfllle. Gegenüber dem nicht wegzuleugnenden Vor- handensein von Leiden, Krankheit, Tod bescheidet er sich mit der Notwendigkeit, daS Gutes nnd Übles venn^igt sein müsse. Er mahnt zur Zufriedenheit und Gewissen- haftigkeit Das gereimte philosophische Schulexerzitiom kommt far die Nachwelt nur darum in Betracht, weil es den

0 Specimena, 430.

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Das beschrelbeBde Gedicht und die VeneriiUilang. 667

Boden kennzeichnet, in dem Campbell wnrzelt. Die Zensur lautete: „Zeigt Begabung für die Poesie.^ 0

Seine PUamres ofHape (1799) fußen in einer didaktisch abstrakten Sichtung. Der erste Entwurf reicht in Camp- beils Hebridenzeit (1794—95) zurück. Dort empfing er von einem Freunde, Hamilton Paul, einen heitern Brief mit einer poetischen Einlage, The Pleasures of Soliiude (Die Freuden der Einsamkeit), und der auf Akenside und Bogers anspielenden Mahnung, die Pleasures of Hope zu hegen. Dieser Keim schlug in seinem Geiste Wurzel.

Das Muster der beiden hochangesehenen Vorgänger ist in der Anlage seines Gedichtes deutlich zu spüren. Campbell äußerte sich noch 1888 mit höchster Bewunderung Aber die Pleasures of Memory und erklärte sie in seiner liebenswflrdigen Bescheidenheit für ein weit schöneres Gedicht als seine Pleasures ofHopeX) In Wirklichkeit ist der Fortschritt von der verstandesgemäßen Ausarbeitung eines Gedankenschemas bei Bogers zum phantasievollen poetischen Aufechwung Campbeils fast ebenso groß wie der von Akenside zu Bogers. Tatsächlich sind die Pleasures of Hope eine Shapsodie über HofEnung, liebe, Freiheit, Wahrheit, in der die Beibehaltung der äußerlichen Zwei- teilung des Vorbildes als Willkür anmutet Die von den Vorläufern so ängstlich beobachtete systematische Gliede- rung des Inhalts fehlt. Abschweifungen und Episoden sprengen die Form. Aber der freie poetische Erguß, die bildhafte Phantasie, der Schwung der Gedanken und Gefühle, der rhythmische Zauber der klangvollen Heroics, das lyrische Pathos machen den Mangel an Komposition reich- lich wett

>) Beattie I, 95. «) Beatüe HI, 268.

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668 Dm beschreibende Gedieht lud die Venenihliuig.

CampbeU besingt die ewige Hoffnung, deren selige Jugend in die Zeit fiel, da der Donner der Sph&ren den Beginn dieses Weltalls ankfindigte, die Hoffnung, die das Weltall ftberdauem und dereinst, wenn die Sterne v^- loschen, ihre Fackel am Scheiterhaufen der Natur neu ent- fachen wird. In ihren G&rten spriefien Kr&nze ffir jeglidie Mflhe, sie hilt fttr jegliches Leid einen Zauber bereit Ohne sie wfire das Leben nur Angst und die Welt des Sonnenschdnes bar. Von der HofEnung des Einzelnen, die zugleidi die Trösterin wie die Treiberin des Geistes zu höchster Eraft- entfaltung ist, geht Campbell auf die allgemeine Hoflbung der Menschheit über. Brennende Tagesinteressen werden berfihrt, die soziale ümwftlzung, die Polen-, die Negerfrage, die kosmopolitischen Trftume des 18. Jahrhunderts kommoi zum Ausdruck. Campbells Hoffnung ist blutsverwandt mit Schillers Freiheits-, Fortschritts-, Weltbfirgertums- begeisterung und Sehnsucht. Aus der d&stem Gegenwart findet er Ausblicke in eine Zukunft, in der wilde Volker zivilisiert und geknechtete Länder von der Wahrheit und Freiheit erleuchtet sein werden.

Der zweite Teil fUirt als die mftchtigen Verb&ndeten der Tugend Liebe, Phantasie und (xlauben ein. Von einem anmutigen Liebesidyll nimmt die Einbildungskraft ihren Flug aber die Schranken der Wirklichkeit hinaus zu dem ewigen Sein, das unsre letzte erhabenste Hoffnung bildet

Die Pleasures ofHope gingen im Jahre ihres Ersdieinens durch vier Auflagen. Madame de Staä schrieb 1813, * das Gedicht, das sie beständig bei sich habe und immer wieder lese, um in der Erhebung eine Linderung des Grames zu finden, seien die Die Freuden der Hoffnung A) Christopher

») Hill, XXXV.

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Das beschreibende Gedicht und die Versersttünng. 669

North vergleicht sie einer aeolischen Harfe, durch deren Saiten Himmelslfifte streichen. In ihrer Poesie vernehme man das Bauschen des Meeres von Argyllshire, das Campbeils musikalisches Ohr gebildet und sich ihm tief ins Herz ge- senkt Niemals, bis nicht die Welt kindisch würde, könnten die PUasures of Hope vergessen werden.^) Wordsworth hingegen blieb dabei, daß hinter vielen dieser schönen Worte und klingenden Verse kein Sinn stecke.^) Eine deutsche Übersetzung von Karl Lackmann erschien 1838.

Von dem großen Erfolge getragen, faßte Campbell den Plan zu einer lyrisch -epischen Nationaldichtung, The Quem of ihe North (Die Königin des Nordens), einer an die Be- trachtung Edinburghs und der die Stadt umgebenden Land- schaft geknüpften Verherrlichung von Schottlands in den Kämpfen für die Unabhängigkeit gefallenen großen Toten.^) Allein es blieb bei wenigen Fragmenten, die Campbell während einer deutschen Heise 1801 zu Papier brachte.

Erst 1809 kehrte er zur lyrisch -epischen Dichtung zurück mit Gertrude of Wyoming, Mit den Pleasures of Hope verglichen, bedeutet das Werk den Fortschritt von der Betrachtung zur romantischen Erzählung, vom heroischen Beimpaare zur Stanze. Gerirude of Wyoming trug Camp- beils durch das Erstlingswerk begründeten Buhm auf seinen Gipfel.

Die Anregung dazu empfing er 1806 aus einem Bomane August Lafontaines Karl Bameck und Alexander Sal- dorf (1804), einer jener typischen Freundschaftsgeschichten des 18. Jahrhunderts, die in taumelnder Extase von un- verbrüchlicher, ob auch durch höchste Opfer erkaufter

0 An Hour'8 Taik ahout Poetry, *) Bogen, TMe Talk 251. •)HiU, XXXVI.

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6?0 Dti beMimIbaidA CMieht und die VawnltdiiBg*

Jftnglingstreae, von fibermenschlidier Selbstzucht und Eni- sagong und gleich &ber8chwftnglichem Lohne der Tagend enihlen. Der Anfang von Lafontaines fioman schildert die deutsche Niederlassung am Hudson und einen ÜberEall durch die Wilden, bei dem die Eltern des Erz&hlers Ludwig Bameck umkommen. Des zehnjihrigen verwaisten Knaben nimmt sich ein Offizier, Karl Bameck, an, der sich schließ- lich als Verwandter entpuppt An die Stelle des verwaisten sohnchens tritt bei Campbell eine Tochter Qertrude. Von einer inneren Übereinstimmung der Grestalten kann nicht die Rede sein. CampbeU selbst bezeichnet als seine Quelle den Bericht über die Verheerung Wyomings in Pennsylvanien durch eine Indianerinvasion (1778). Die meisten Geschichts- werke des amerikanischen Krieges erw&hnen sie und schildern die junge Kolonie als ein Eden, so schSn als fruchtbar, so sittenrein als glücklich. Diesem Berichte entnahm Campbell dabei den Schauplatz für das zarte Idyll einer zwischen Jugendgespielen keimenden, reifenden und glücklich befrie- digten liebe der die hereinbrechenden Oreuel des Freiheits- kampfes ein tragisches Ende bereiten. Als ethnographische Quelle gibt Campbell die Anmerkungen der IVavds ^augh America hy Capts Lewis and Clarhe (1804—1806) an. Indes woUen Kundige in den Landschaftsschilderungen Campbeils Argyllshireheimath wiedererkennen. Die ge- lungenste Gestalt ist die des Indianerhäuptlings Ontalissi, des wilden aber zuverlässigen, starken und ehrlichen, der dem weißen Kinde Henry Waldegrave, das er bei einem Zusammenstoß von Engländern und ItaUenem erbeutet^ ein Retter wird. Er ist „der unbeugsame Stoiker des Waldes'', ein Mann, der keine Tränen hat, dennoch aber seinen Schützling mit einem weich und musikalisch empfundenen Schlummerliede in Schlaf wiegt, eine mit allem Requisit der

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Dm bMohittibeiide Gedieht und die Venentiüaii«r. 671

Indianerromantik ausgestattete Figar, die Washington Irving gleichwohl als klassische Schflderong eines einge- borenen Wilden bezeichnet.

Die Urwfichsigkeit der Landschaft wie der Mensdien dieses Idylls ist von jener Natürlichkeit) die poetisch über- zeagt, ohne auf realistische Wahrscheinlichkeit Anspruch zu machen. Ein zur Süfilichkeit neigendes mildes Pathos schützt, ohne die Eleganz des Stils zu gefährden, vor BanalitiLt wie trockner Pedanterie. Hazlitt findet in Oertrude of Wyoming ^ zumal in der Schilderung ihrer Kindheit, Stellen von einer Beife und Schönheit, die jedes Lob überstiegen. Die eztatische Vereinigung von Natur- Schönheit und poetischer Phantasie gleiche in ihrer spiele- rischen Erhabenheit dem heiteren, Iftchelnden, himmlischen Spiegelbilde der azurnen Wölbung in den klaren Wassern. Campbell verbinde Bogers' klassische Eleganz mit dem leuchtenden Glanz und romantischen Interesse Byrons. Doch indem Hazlitt seiner Poesie die vollkommenste Feinheit der Ausführung zugesteht, nennt er zugleich seinen Pegasus ein Manegepferd voll Leben und Feuer und dennoch ganz in seines Herrn Hand. >)

Charakteristisch für Gertrude of Wyoming ist der Stempel einer utopistischen, kulturflüchtigen Bomantik, die in jenen Tagen die Menschen der alten Welt durch Auswanderung in die neue regenerieren zu können meinte.

Campbells nächste Yerserzählung, Theodoric, a DomesUc Tale (Theodorich. Eine häusliche Geschichte), 1824, im heroischen Vers, bedeutet formell und inhaltlich ein Bfick- wenden zu dem klassischen Ausgangspunkte der Pleasures of Hope. Ein Mädchengrab am gotischen Kirchlein eines

>) Caimpbiü und Crabbe, The Spirit of the Äge.

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672 Dm beidiitibttide Gedieht nnd die VeiBeniUiiiicf.

schweizer Oottesackers gibt den ftoBeren Ankn&pfangspnnkt^ am dem Beisenden die unselige Liebesgeschichte einer Julia mitzuteilen, die in ihrer übersinnlichen Verschrobenheit das grade Gegenteil der Namensschwester ans Verona ist Sie siecht dahin an der Leidenschaft fftr den Feldherm Theo- doriCy den sie nnr vom Hörensagm nnd ans seinem Bilde kennt Jnlia, „die freie Schweizerin*', vertritt jenen nn- natfirlichen T^ns des Natnrkindes, das tapfer nnd voll urwüchsiger Kraft, zugleich phantasieyoll nnd von hoher Geistesknltur, feinsinnig bis zur Hypersentimentalit&t ist Wie diese Heldin hängt auch das kriegerische Ideal Theo- doric, nach dessen Urbild man sich vergeblidi nmsidit, in der Luft Die Charaktere sind überspannt, blutlos und unpersönlich, die Landschaftsschilderungen in gleichem Grade blaß und unbelebt Die naheliegenden Bilder aus der Schweiz erscheinen in nebelhafterer Feme als die des romantischen Utopien der Gertrude of Wyoming.

Campbell, der dieser Arbeit weniger lauten Beifall, aber dauernde Volkstümlichkeit prophezeihte,^) tauschte sich darin. Einen noch entschiedeneren Mißerfolg hatte die gleichfalls in Heroics abgefaßte Dichtung The PUgrim of Glencoe, 1842, deren Grundidee Campell einer 1703 er- schienenen Broschüre entnahm, The Massacre of Glencoe; being a True Natrative of ihe Barbarous MurAer of the Glencoe-Men, in ihe HigKlands of ScoÜand, by Way of Müitary Execution, 13. February 1692 (Das Gemetzel von Glencoa Eine wahrhafte Erzählung des barbarischen Mordes der M&nner von Glencoe im schottischen Hochlande durch mililt&risches Strafverfahren).^) Im Gedicht wirft die Urväterfeindschaft zwischen dem in Glencoe ermordeten

0 HiU, 65. «) HiU, 340.

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Das beschreibende Gedicht nnd die Veriers&hlmig. 673

Alexander Macdonald und dem am Morde beteili|^n Sir Colin Campbell ihre Schatten anf das Leben der Nachkommen. Parteinahme fOr die Hftuser Stnart nnd Hannover trägt das Ihre bei znr Entzweiung. Echte Menschlichkeit und Kriegstflchügkeit aber bezwingen schließlich die dunkeln Gewalten und alles endet, nicht ohne Trivialität, in Frieden und Freundschaft

Von erstaunlicher Mattigkeit ist die Schilderung der Hochlandmenschen und -gegenden. Campbeils conventioneile Wiedergabe verrät wenig von seinem innigen Verwebtsein mit der Natur der Heimat Und doch hatte er sich in den Tagen seiner Kraft grade auf diesem Gebiete der keltischen Romantik seinen besten und dauerhaftesten Lor- beer geholt Seine Naturschilderungen aus der Heimat, seine Balladen über Sagen der Heimat, sind noch heute frisch und lebendig, während seine Verserzählungen kaum mehr als einen literarischen Besitz bedeuten.

Von dem elegisch -reflektierenden Modeton der Natur- betrachtung, den Campbell in seiner Elegy writtm in Mull^ 1795, anschlug, hat er sich bereits 1797 in den Linea written an VisHing a Scene in Argyüshire (Verse, geschrieben beim Besuche einer Gegend in Argyllshire) freigemacht Der unpersönliche Ton ist einer individuellen Stimmung, der heroische Vers der Stanze gewichen, in der der innere Reichtum kraft- und lebensvoll ausströmt Aber noch ist ihm der Natureindruck als solcher nicht Selbstzweck. Er vermittelt ein ethisches Moment, hier die Maxime: Das Schicksal ertragen, heißt es besiegen. In The Bainboto (Der Regenbogen), 1819, einem der verbreitetsten Gedichte CampbeUs, ist der farbige Bogen vor allem der Friedens- bogen, an welchen der Höchste seine Verheißung geknüpft Überhaupt nimmt die Urwüchsigkeit der Naturstimmung

Geschichte der eni^Hschen Bomantik n, 9. 43

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674 Dm iMfldireibeBde Gedieht und die Venenfiiliiiig.

yerhiltnism&ßig früh ab. Ansitze zu Naturpersoniflkatioii^ {The Beachtree's PeHiion. Der Bache Bittgesadi, das sich an Borns' Bruar Waters lehnt, oder Ode to Winter, 1801) bringen es nicht zu naiver Natorbeseelnng; und in die prachtvollen Blankverse, die den beseligenden Eindmck des Ozeans wiedergeben, klingt ein k&hler Ton von Be- flexion ond Sentiment {Lines on ihe View fram SL Leon- har€Fs. Verse auf den Ausblick von St Leonhard, 1831).

Den höchsten dichterischen Takt bekundet Campbell in der Behandlung heimischer Sagen. Der knappe, krSftige Ton der kurzen Reimpaare in Olenara (1797) erhöht die dfister barbarische Wildheit^ die Schauer des Unbegreif- lichen und Geheinmisvollen und nähert sich dem Volks- liede. So auch in der Romanze Adelgiiha und der Song fiberschriebenen liebestragSdie in vier Strophen {Earl March looked an Ms dying Chüd). Die rasch flieAende Er- zählung der kreuzweis gereimten Jamben in Lord UUin's Daughter (Lord üUins Tochter), 1795, veranschaulichen die Todesnot der Liebenden auf der Flucht vor dem nach- setzenden Vater. Der pastose, wuchtige Vortrag von LochiePs Waming (Lochiels Mahnung), 1802, steigert die schmerzliche Stimmung des Patrioten am Vorabend von Cnlloden zu großartiger Wirkung. Der weiche, melodisdie Jambenfluß von O'Connor's Chüd, or The Flower of Low lies bleeding (O'Connors Kind oder Die Blume Ameranth), 1809, leiht sich prftchtig der Wahnsinnsliebesstimmung des klagenden Mädchens. So beherrscht Campbell alle R^ister der Ballade, gleichviel ob es stramme, unverzärtelte Ob- jektivität in der Wiedergabe von Tatsachen gilt {The Ritter Bann, 182S), oder schlichte, von allem Phrasen- und Stelzenhaften ferne Gefählswärme {Qüderog). Ein Beispid glänzender Bemeisterung der Balladentechnik sind die

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Das beschrelbeiide Oedicht und die Venersählniig. 675

Sdüaßyerse von The Spectre Boat (Das GeisterschiS), 1809, die über das Gebiet der Eunstdichtang hinaus zu gehen scheinen. 1) Das Lokalkolorit dieser Balladen ist oft mit wenigen Strichen hGchst eindrucksvoll charakterisiert und gibt ihnen den vollen Zauber bodenständiger Poesie.

Eine geschickte Handhabung der Gespensterromantik bekundet The Death Boat of Helgoland^ das Totenschiff, auf dem die Geister ungerechter Machthaber, schlechter Beamter auf stflrmischer See umhergetrieben werden. Die Durchdringung eines allegorischen Begriffes mit belebender Phantasie zeigt A Dream (Ein Traum), 1824, worin der abgedroschene Vergleich des Lebens mit einer auf wildem Meer dem Ufer des Todes zutreibenden Barke den Zauber einer Vision gewinnt.

Schließlich fehlt unter Campbeils Balladen auch die ausschließliche Selbstschöpfung nicht, die das eben Erlebte, das große Ereignis des Tages in die bei dem Volk beglaubigte Form gießt The BaUle of the Baltic (Die Schlacht im Bal- tischen Meere), 1805, besingt Nelsons Sieg fiber die dänische Flotte bei Kopenhagen, 1801. Sie reihte sich dem nationalen Bestände der englischen Poesie ein. The Wounded Hussar (Der verwundete Husar), eine andere Schlachtfeldballade, wurde so volkstümlich, daß man sie auf den Straßen sang. Der Kunstdichtung gehört dagegen Campbeils berühmte Schlachtenschilderung Hohmlinden (1802) an. Von einem Schottenkloster in Begensburg aus hatte er selbst auf das Kriegsgetämmel hinabgeblickt und die verheerende Wirkung der Geschütze bei einem Angriff der Kavallerie auf die französischen Grenadiere beobachtet Es war der stärkste Eindruck, den er je empfing, aber so fürchterlich, daß er

1) And r<nmd they toent and down ^key ioent, As {he cock crew from ihe land.

43*

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676 Dm befohreibende Gedidit und die VerBenihliuig.

Um aus der Ermnenmg za verbaimen strebte. In Krank- heits- und Fieberzeiten pfleg^te er vom Albdrack dieser grftfilichen Bilder zn erwachen, i)

Manches politische Gedicht tr&gt das Geprftge von Campbeils kosmopolitischer Begeisterong. In den Versen To Sir Francis Burdett (1882) sagt er: Wir halten die Menschenrechte zn hoch, nm im Besitze einer einsamen Freiheit glücklich zn sein; Britannien nnd die Welt mfissen gemeinsam frei werden. Im Song ofihe Oreeks, 182^ eifert er die Griechen znm Kampfe an. In Ode to the Oermans fleht Britannia ihre Schwester Alemannia an, sich zn er- heben nnd frei zn werden. Campbeils Polenbegeistemng tönt ans schwungvollen Versen {The Power ofSussia; Lines to Polandj 1882) nnd sein Tyrannenhaß reißt ihn gegen Napoleon, als dessen Anbeter er sich in der Petrarca- biographie (1841) bekennt)') zn einem Ausdruck hin wie ,,der kaiserliche Dieb" (Li$%es to Poland). In Stansas on the Threatening Invasion (Strophen auf den drohenden Überfall) 1818, fordert er Napoleons Blut als Sflhne für den Himmel

Die Lyrik tritt bei Campbell weniger der Zahl als der Qualität nach hervor. Ye Mariners of England (Ihr See- leute von England), 1800, ist mit seinem patriotischen Schwünge und seinen kurzzeiligen Eunststrophen mit dem wirksamen Binnen- und Kehrreime zum Nationalliede ge- worden. Washington Irving bezeichnet Ye Mariners of England und The BatÜe of (he BcHUc als „zwei der er- lesensten Kleinodien nationaler Poesie, erfUlt von erhabenen Bildern und hohen Gefflhlen und vorgetragen in einem edlen schwellenden Tone, der die Seele ins Heroische erhebt^

') Beattie I, 848. *)n, 822.

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Daa beadireibende Gedicht und die VenenShlfuig. 677

Ethisches Pathos bildet einen starken Einschlag von Campbeils Lyrik. Nicht der Friedhof, nicht die Kirche bedeuten ihm heiligen Boden, sondern Friede und liebe weihen den Tempel, das Herz heiligt erst die Stfttten der Seligion {Haüowed Graund. Heiliger örnnd). Sein Un- sterblichkeitsglaube wächst zu majestätischer Zuversicht in The Last Man (Der letzte Mensch, 1828, deutsch von Freiligrath). Campbell hatte sich schon in den Fleasures of Hape als Gegner „jener skeptischen Philosophen be- kannt, die, dAstere Anbeter des Zufalls, den Menschen als Pilger eines Tages grüfien, ffir den diese dunkle Welt Glflck genug bedeute. Einige Zttge der Gertrud of Wyo- mingy deren Plan er Byron mitgeteilt, wollte er in dessen Darhness (1816) wieder erkennen. Tatsächlich aber ist der leitende Gedanke und ganze Tenor der zwei Gedichte ein yOllig yerschiedener.

Am spärlichsten ist bei Campbell das Liebesgedicht vertreten, doch glUckte ihm auch auf diesem Gebiete ein und das andere herzliche und melodiöse Lied. So Äbsence (Trennung); Withdratv not yet ihose Lips and Fingers (Entzieh mir nicht den Mund, die Finger).

Prosa.

Aus der Fälle der Prosa, die Campbell einen beträcht- lichen Teil seines Lebens im Frohndienst um das tägliche Brot wahllos für Zeitungen, Zeitschriften undVerlagshändler geschrieben, hebt nur Weniges sich durch eine eigenartige Physiognomie heraus. Selbst umfangreiche Werke wie die anonym erschienenen dreibändigen Annais of Great Britain (1802), 0 Lif^ »^^ ^^^^ of Frederic the Great (Das Leben

0 Beattie I, 906.

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678 Das bwehraibe&de Gtdicht nnd die Venenihlimg.

and Zeitalter Friedrichs des Großen, 1841—43)0 nnd me History of Our Own Times (Geschichte unserer Zeit), 1843» >) sind literarisch wertlos. Die Shakespearebiographie, die er für eine Ausgabe der Werke Shakespeares 1838 schrieb, wirft dem Dichter vor, daß er der Nachwelt, deren liebe nnd Bewunderung er als Menschenkenner voraus sehen mußte, nichts Ausffihrlicheres Aber seine Persönlichkeit hinterlassen habe. Campbell hUt sich an Malone und Bowe, steht aber auch als Kritiker Shakespeares Dichtung in merkwürdig schaler und begeisterungsbarer Urteilslosig- keit gegenüber.

Hit der ihm eigenen Gewissenstreue arbeitete er von 1805 bis 1819 an einer siebenbftndigen Auswahl englischer Originalpoesie,^) für die er biographische Einleitungen und einen Essay on English Poetry verfaßte, eine Art Grundriß von den Anfftngen bis zu Pope, ohne Anspruch auf gelehrte Forschung, ohne hinreißende Subjektiyitftt der Darstellung, aber freimfltig, elegant und lieb^iswftidig ge- schrieben. Für den Einfluß der normannischen Eroberung auf die Sprache findet Campbell den poetischen Vergleich mit einer gewaltigen Überschwemmung, die die Oberflftche der Erde begräbt, aber sich verziehend, die Elemente neuer Schönheit und Fruchtbarkeit zurftckl&ßt Bei den Dichtem, die sein Gteist überblickt, wie Milton oder Pope, erreicht er, was er sich als Ziel unbedingter Gerechtigkeit vorgesetzt, gegen andere wird er aus Unkenntnis oberfl&chlich (Chaucer) oder ungerecht (Greene, Donne). Peter Cunningham ver- anstaltete 1841 ein einbändiges Compendium des weit- läufigen Werkes.

1) Nach Bossetti von Campbell nur heranagogeben. *) Gamett, Dictionary of NaUonal Bio^apky. *) Brief Tom 21. Januar 1800. Beattie n, 161.

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Das beschreibende Gedicht und die Venerzählung. 679

CampbeU hat aoBerdem die Biographien Sarah Siddons' und Petrarcas geschrieben. Sein lAfe ofMrs. Siddons (1834) ist ein Denkmal der Freundschaft für diese schöne, vor- treffliche Frau, die gewaltige Ettnstlerin, für deren .Beruf er die grCSte Wertschätzung hatte. Als ihr Gatte, Henry Siddons, ihn einmal darauf aufmerksam machte, daA die Namen Campbell und Kemble ursprünglich dieselben seien, erwiderte er, er wfinschte dies bewiesen zu sehen, denn ob sieh seine Familie auch rühme, mit dem Eroberer herüber gekommen zu sein, wäre er doch stolzer auf die Verwandt- schaft mit den Eembles als auf die mit den Normannen.^) So wird denn hier der Biograph gelegentlich zum begeisterten Bewunderer, die Lebeasgeschichte zum Panegyrikus. Als Sarah Siddons' Begleiter macht Campbell seinen ersten Besuch im Louyre (1832). Er ist sich der Ehre bewußt, vor den (damals dort befindlichen) Apoll vom Belvedere mit einer so hohen Anbeterin am Arme treten zu dürfen und bemerkt mit Genugtuung, daß alle Augen sich auf die Unbekannte richten. Das Antlitz der Neunundfünfzigj&hrigen ist noch so edel, daß sie ihn, selbst in Gegenwart griechischer Skulpturen, stolz auf englische Schönheit macht Er tritt dem allgemeinen Urteil entgegen, das Sarah zwar höchste Achtung zollte, sie aber für hart und hochmütig erklärte. Sie sei mehr ab eine Frau von Genie gewesen; ihre Herzensgüte habe sie zur Zierde ihres Geschlechtes, ja der menschlichen Natur gemacht Die Künstlerin in Sarah Siddons wird verhältnismäßig oberflächlich mit Phrasen allgemeiner Bewunderung abgefertigt Die wichtigen per- sönlichen Eindrücke und authentischen Nachrichten über technische Einzelheiten ihres Berufe, die er der Nachwelt

0 Beatüe H, 8,

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680 Dm besehreibeftde Gedkht ud die YeneniUiiBg.

hfttte fiberliefern können, fehlen, nnd nnr die Einfogiing der eigenen An^idmnngen der Siddons fiber ihre Auf- fassung der Lady Macbeth geben der Biographie dnea knnathirtorischen Wert

The Life of Petraeh (1841) ging ans CampbeUs Be- schifügang mit der ihm zur Heransgabe anvertraut«! Petrarca-Biographie des Archidiakonns Goxe henror, die er nnznreidiend fand. Er folgt dem Texte De Sades nnd sucht, wie in der Siddons-Biographie, in erster Linie der menschlichen Grftße seines Helden gerecht zu werden. Petrarcas Patriotismus, der nati<male, nicht provinzielle Ziele im Auge hat; seine der Zeit weit voraneilende Libe- ralitftt, seine Durchdringung mit dem Geiste klassischer Philosophie, die ihn als Vorlftufer Bacons erscheinen lißt, machen ihn, auch abgesehen von seiner Poesie, fOr Campbell zu einem grofien Manne. In Laura will er weder eine Ge- liebte noch eine Allegorie erblick^ sondern eine Freundin, die Petrarcas Leidenschaft zur&ckwies, sobald sie die Schranke der Tugend zu ftberschreiten drohte. Dies gehe aus Petrarcas Gedichten klar hervor. W&re seine Liebe erfolgreich gewesen, so h&tte er weniger von ihr gesprochen. Der wanne persönliche Ton und die künst- lerisch gefeilte Darstellung geben dem Werke eine von seinem biographischen Wert unabh&ngige Bedeutung.

In fibel verstandenem Eempentum fftr Frauenehre, Re- ligion und Tugend beging Campbell den Mißgriff, sich in den Familienskandal der Byrons zu mengen. Im April 1830 ver- öffentlichte er einen Aufeatz Lady Byron and Thomas Moore.^)

0 Abgedruckt in The True Story of Lord and Lady Byron, as iold by Lord Macauley, Thomas Moore, Leigh Hunt, Thomas Camp- beUs Ute CountcHs of Blessington, Lord Lindsay, iJte Countess GtUccioU, Lady Byron, and by ihe Poet lUmself, in Answer to Mrs, Beedier Stowe.

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Das beschreibende Gedicht and die Verserzählung 681

Er sollte nichts anderes sein als ein Öffentliches, nach Campbeils Art flberschwängliches Bekenntnis der Hoch- achtung für eine Dame, die ihm kraft ihrer Grundsätze interessanter erschien als ihr Gemahl. Campbell weist jeden Verdacht zurück, als Ankläger Byrons aufzutreten, aber sein pedantisch-hochmutiges Präzeptorentum, das dem Genius vorhält, was und wie er sein sollte und Moores Philosophie und Moral anzweifelt und ablehnt, bekundet gleichwohl das, was er vermeiden möchte: persönliche Voreingenommenheit und Anmaßung. Wie entschieden er es auch in Abrede stellt, als Lady Byrons Anwalt aufzu- treten, ist er doch nichts andres, wenn er sagt, weder Moores noch Byrons Poesie, noch unsere gesamte Dichtung habe jemals ein fesselnderes Wesen gezeichnet als diese mit solcher Kälte behandelte Frau. „Campbell, einer der besten Dichter und Menschen, tut nicht wohl daran, so böse auf seinen Bruder in Apoll zu sein", sagte Christopher North (Noctes Ämbrosianaey 11 424).

Was Campbell hier irreführte, war der Nachdruck, den er auf daa ethische Moment der Dichtung zu legen pflegte. Er hat niemals aufgehört, in ihr eine Lehrmeisterin der Menschheit zu verehren. „Die Kunst des Dichters ist nicht eitel", sagt er in seiner Ode to (he Memory ofBumsi „der Dichter verfeinert den Urquell des Lebens, die edleren Leidenschaften der Seele. Die Muse weiht das Banner des Tapferen." Diese hehre Mission des Poeten hat er selbst stets im Auge behalten. Die makellose Gesinnung bildet seinen Hauptvorzug wie seine Grenze als Dichter. Das Bewußtsein der Verantwortung macht ihn ängstlich. Er hat seinem zweifellos starken Talent nicht die Zttgel schießen lassen, sich niemals frei dem Einflüsse des Augen-

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682 Das besdtreibeade Gtdickt und die VenenSliliiiig.

blickes hingegeben. Seine anerkennendsten Kritiker waren derMeinnng, er habe weniger geleistet als man von seinen Fähigkeiten erwarten durfte. ^

Werke von Thomas Campbell.

1794 Foetical Essojf on ike Origm of Evtl

1799 The Fleamres of Hcpe.

1802 AwnaU of Great Briiam.

1805 FotmB.

1809 Oerirude of Wyoming.

1819 An Essay on EngUsh Poetrg, With NoUces of the British

Poets. Reedited 1841 hy Peter (hmningham. 18S9 Theodoric Ä DomesHe Poem^ and other Poems. 1834 Life of Urs. Siddons.

1837 LeUers from tke SotUh.

1838 Bemarks on the Life and Writings of WiUi€m Shdke^eart.

(The DramaUc Works of WüUam Shakespeare).

1841 Life of Peirarch.

1842 The Pilgrim of Olencoe, and Other Poems.

1843 History of Our (hon Times.

Werke Ober Thomas Campbell.

1826 William HaElitt, Campbell and Crabbe (Spirit of (he Age). 1842 Ghristopher North, An Hour's Talk about Poeüry

(BecreaUons I). 1846 W. J. Fox, The Genius and Poetry of CampheU (Leciures

addressed to the Working Classes, Vol IIJ).

0 Vergl. Edinburgh Eef^iew 1809 (yoL XIV); Allinsrham , V; Patmore, 188; Beattie IV, 98.

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Daa beschreibende Qedicht nnd die Versersählong. 683

1891 Washington Irving, The Poetry and History of Wyo- ming, cantammg CampbelU Gertrude, with a Biographic Sketch of the Author and the History of Wyoming from it8 Discovery to the Beginning of the Fresent Century, by William Stone. 1860 William Beattie, Life and Leiters of Thomas Campbell 1854 P. 0. Patmore, My Friends and Äcguaintance.

1860 Gyrns Redding, Literary BenUniscences and Memoirs of

Thomas Campbell

1861 W. A. Hill, The Poetical Works of Thomas Campbell

Wifh Notes and Memoirs. 1876 William Allingham, Sketch of Ms Life (The Poetical Works of Thomas Qm^beU, edited by Bev. Alfred Hill). W. M. Rosetti, Oritical Memoirs. (Thomas Campbeüs Poetical Works. Moxon's Populär Poets).

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Bryaa Waller Frooter.

(Barry Cornwall). 1787—1874.

Bryan Waller Procter wurde in Leeds geboren. Die Procters waren in Nordengland heimische Landlente. Der Vater (f 1816), ein Mann von unbedingter Redlichkeit, brachte es als Kaufmann in London zu einer behaglichen, unabh&ngigen Stellung. Die Mutter (f 1857) nennt Biyan Waller die gütigste und zärtlichste der Welt

Mit vier Jahren fibten Bftcher bereits ihre Anziehung auf den Knaben, im sechsten und siebenten Jahr erlebte er seine erste liebe. Das junge, schöne M&dchen, dem sie galt, nahm sich seiner an. „Meine liebe hatte die Glut der Leidenschaft ohne die irdischen Schlacken, die sie herab- ziehen. Sie hatte an der Unschuld meines Alters Teil, während sie mich zugleich yergeistigte. Ob es die Göttin der Schönheit war, die mich verwundete oder vielmehr über das Dunkel und die Unreife der Kindheit erhob ich weiß es nicht, aber meine Gefühle waren alles eher denn kindisch.*'^)

Trotz dieser Frühreife zeichnete Procter sich in Harrow mehr durch liebenswürdige Bescheidenheit als durch Begabung aus. Seine Studiengenossen waren Sir Robert Peel und Byron, damals noch ein lärmender, plumper Junge mit einer Vorliebe für Bheinwein, Balkpiel

>) The Death of Friends.

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Das beschreibende Gedieht and die Venenfihlang. 685

und gelegentliche Faustkämpfe, ohne ii^end welche An- zeichen künftiger Größe. 0

Nach vollbrachter juridischer Lehrzeit bei einem klugen, trefflichen Advokaten in Galne (Wiltshire), kehrte Procter 1807 nach London zurfick, mehr mit literarischen Versuchen als mit Berufsarbeit beschäftigt 1815 erschienen in der lAterary Gaeette seine ersten Gedichte. 1816 eröfibete er mit einem Geschäftsteilhaber seine Advokaturskanzlei. 1823 vermählte er sich mit Anne Benson Skepper, der geistreichen Stieftochter des bekannten Juristen und Phi- lantropen Basil Montague, die ihren Namen (Skepper) in gerader Linie von dem Drucker Peter SchOffer, Fausts Genossen, herleitete. >) Durch diese Heirat hob Procter seine soziale Stellung. Sein Wohlstand nahm 1857 durch das letztwillige Vermächtnis von 65000 Pfd. eines indischen Mäzens, John Eenyon, einen Aufschwung. Das Ideal der Behaglichkeit, das sein Gedicht Wisches (Wfinsche) malt ein Häuschen in der Nähe der Großstadt, Bftcher, Bild- nisse und eine liebevoll waltende Hausfrau durfte er selbst erreichen. Und in diesem traulichen Heim erwuchs der englischen Poesie ein anderes seelenvolles Talent in Procters Tochter Adelaide Anne (1825—1869).

Ein Mann von seltener Güte und Anmut des Herzens, von unantastbarer Lauterkeit des Charakters, gehörte Procter zu den beliebtesten und geachtetsten Gestalten des Londoner Literatenkreises. Er befand sich unter den neunzehn englischen Freunden Goethes, die im Juli 1880 dem Dichterfürsten als Zeichen der Verehrung ein kunst- voll gearbeitetes Petschaft übersandten.^)

1) Autobiographikai Fragment, *) Becker, 18.

*) Karl Sache, Goethes Bekanntechalt mit der englischen Sprache und Literatur (Neuphilologisches Zentralblatt, 1905).

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686 Dm beiohrelbeBde Gedicht nnd die Venenfthlun^.

In einem seiner Briefe findet sich die bezeichnende Stelle : „Ich glaube, der beste Weg zum Kopfe geht dnrch's Herz.^ 0 Landor sagt in Bezog anf dieses Herz, es habe niemals ein gesflnderes anf poetischerem Gmnde geroht^) Procter hat zahllose heimlidie Guttaten yerübt, sich junger Dichter (Brownings nnd Swinbumes) angemmunra und das Gl&ck seines Lebens darin gefunden, keinen Anlaß zur Betfttigung seiner Nächstenliebe ungenAtzt zu lass^.

Sein Dichterpseudonym Bany Coniwall ist ein Ana- gramm seines Namens. Carlyles Ausspruch, er sei an Leib und Seele ein hflbscher kleiner Kerl, wird seiner Begabnng wohl kaum gerecht Sein Erstlingswerk, die nicht für die Bfihne berechneten DramaUc Scmes (Dramatische Szenen), 1819, dialogisierte Epillen, möchten in 1 bis 8 Scenen den Inhalt einer Tragödie erschöpfen. Etliche sind dem Boccaccio entnommen, wie TheFalcon (Der Falke), die ans Giomata 7, NoveOa IX, geschöpfte Geschichte Federigo degli Alberighis und seines Falken, die Hazlitt zu den feinsten Dingen der Welt z&hlte;>) The Two Dreams pie beiden Trftume), die böse Träume und deren traurige Erf fillung behandelnde Erz&hlung yon Gubriotto und Andreu- vola, Gionata IV, NoveUa VI; Love cured hy kindness (Liebe, geheilt durch Gftte), die M&r, wie König Pietro die in ihn verliebte Lisa durch Güte von ihrer verirrten Leidenschaft heilt und sie einem wackem Jüngling ver- mählt, Giomata X, NoveUa VII; The Broken Heari (Das gebrochene Herz), die Geschichte von Girolamo, den Für- sorge fär die Mutter in den Tod treibt, Giomata TV, Novella VIIL

1) AuiohiograpkicdL Fragment, 9S.

<) To Barry Comwaü.

') On ßnglish Comic Writers, Lecture VUI.

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Dm beschreibende Gedicht und die VersenShliuig. 687

Andere dramatische Scenen sind frei erfanden. Tfie Way to conquer (Wie man erobert) verherrlicht als wirk- samstes Mittely An&tände niederzuschlagen, die Milde, Ein- sicht nnd Gelassenheit des Begenten. Ämelia Wentworth behandelt die reine Neigung einer edlen Frau und ihres jungen Freundes. Der rohe, ungeliebte Gatte bereitet der Liebe ein tragisches Ende; Lysander and Jone ver- herrlicht die schliefilich erhörte liebe eines Sterblichen zu einer Nereide. Die Gmndstimmung ist immer eine ideale und pathetische, mit vorherrschender Neigung zur Senti- mentalität und TrftumereL Der Vortrag ist zart, liebens- wfirdig, von anmutigem Fluß und wo diese Form dem Inhalt des Dramolets entspricht, entsteht ein Ganzes von erfreulicher Anmut Die Absicht, Bildhaftigkeit mit natür- lichem Empfinden zu vereinen, scheint hier vollkommen erreicht nnd Lambs Ausspruch, er würde den Drcmatic Scenes ihren Platz in einer Auswahl Elisabethanischer Dichter nicht streitig machen, mag gelten, i) „Barry Com- walls Dichtung ist voll Phantasie und Schönheit^, sagt Byron; „von einer Feinheit und Zartheit, die ihr allen Zauber des weiblichen Geistes verleiht, ohne der Kraft des männlichen Abbruch zu tun.''

Eine Tragödie m nuce ist Lttdovico Sforsa, eigentlich die erste und letzte Scene eines Trauerspiels, das der Dichter in den Zwischenakt verlegt Für den Ausdruck j&her Leiden- schaft gebricht es Barry ComwaU an Kraft Wo er das Pathos des Tragischen oder Mystischen anstrebt, wo er in die dämmernden Tiefen der Seele tauchen will, machen sich die Schranken seiner Begabung fühlbar. Statt der erstrebten

^) R. Garnett, Artikel Frocter im DicHonary of National Bio- graphy.

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688 Dts bMchnibeBde G«dielit ud die VmeniUoiig.

Unergrftndlichkeit empftngt der Leser nur den Eindrack des OberfltchlicheiL So in Werner^ wo er das znr Qnal des Daseins yemrteQte Übermenschentnm in einer Art St Leon vorfflhrt; in The Betum ofMare Äntan (Marc Antons Rflck- kehrX dem mißglftcktenVersnch, die weißglfihende Sehnsucht^ Eifersucht « nnd Liebessacht der Cleopatra zn schildern; in Julian AeApastaUj das denTranm nnd die letzte Selbst- einkehr des in äen Tod gehenden lebensheiAen Jfinglings ohne Extase nnd Weihe erzfthlt; in Tartan$Sf einer deklama- torischen ünterweltsvision, ohne Schändern nnd Entsetzen, ohne Dftmonen.

Noch weniger reicht Procters Kraft, wo er sich anf das Gebiet der wirklichen Tragödie wagt Mirandola (1821) ging zwar erfolgreich &ber die Bretter von Coventgarden, doch verhehlte Barry Comwall sich selbst nicht, daß er dies mehr den Leistungen Macreadys, Eembles nnd Mi£ Footes, als der eigenen flberstfirzten nnd nnvoUkommenen Arbeit dankte. Der Konflikt VermUünng eines Vaters mit der Braut des Sohnes ist der Don Carlos-StoS. Daß die Helden der Herzog von Ifirandola und dessen Sohn sind, ist eine zu augenflllige Übereinstimmung mit der Erzählung des Marquis Posa (I, 4), um als Zufall auf- gefaßt zu werden. 9 Indeß hat ComwaU, selbst wenn er Schiller die Anregung zu seinem Drama dankt, in dessen weiteren Verlauf doch unbedingte Selbstftndigkeit gewahrt. Der Herzog von Mirandola ist ein liebevoller Vater nnd giebt an Lauterkeit des Charakters seinem feurigen Sohne Guido nichts nach. Er hat die sanfte, liebliche Mdora geheiratet, ohne zu wissen, daß er damit die Lebens- hoffnungen des Jfinglings vernichtete. Die Verständigung

1) SchiUers Don Carlos wnrde schon 1796 ins Englische fiherseUt (yergl. Becker, 66).

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Das beschreibende Gedicht und die Veraerzähliiiig. 689

zwischen Vater und Sohn wäre unvermeidlich, regierten am Hofe nicht zwei Erzintriganten, die böse Teufelin Isabella und ihr Beichtiger Gheraldi, ein ungeheuer- liches Mitglied der Inquisition, auf den Schillers Domingo vielleicht Einfluß geftbt hat. Übrigens hat auch Guido, wie Don Garlos, einen treuen Freund und Vertrauten, Casti, und die Katastrophe hftngt mit gewissen verlorenen und aufge- fundenen Briefen zusammen. Die Handlung ist auf Unwahr- scheinlichkeiten und Zuf Ule aufgebaut. Die Gestalten sind marklose Theaterpuppen, die schemenhaft durch die f&nf Akte wanken und die Ödigkeit endloser Tiraden nur hin und wieder durch eine feine Sentenz oder eine lyrische Gefähls- stelle unterbrechen.

Auch auf dem Gebiete der Verserz&hlung gewinnt Barry Comwall seinem Talente keiner Steigerung ab. Die dem Boccaccio (Giamata IV, Novdla V) entnommene SiciUan Story (Sizilianische Geschichte), 1820, eine Version der Erzählung vom Basilikum, in heroischen Reimpaaren, behauptet selbst nach Eeats' Behandlung desselben Gegen- standes (Isabel, or The Pot of Basü, 1819) ihren Wert durch eine Lieblichkeit und Leichtigkeit der Darstellung, wie sie im Deutschen Paul Heyses poetischen Erzählungen eignet Der gleichfalls 1820 entstandene Marcian Colonna, in zehnzeiligen Jamben mit verschlungener Beimstellung, setzt sich in dem schwierigen psychologischen Problem, daß ein eigenartiges, in den Ruf des Wahnsinns geratenes Gemüt schließlich in der Tat vom Wahnsinn gestreift wird, eine Auf- gabe, die ttber Comwalls Kraft geht. Die intensiven Farben eines solchen Seelengemäldes fehlen auf seiner Palette. Wir fühlen die elementaren Erschütterungen seines Helden nicht. Er möchte uns durch das Gewoge der sturmerschütterten Brust Marcians tief bis auf den Grund blicken lassen.

Geschiehte der enfirUschen Bomantik n, 8. 44

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690 Das beschrdbende Gedickt lud die VenmnMhbBmg.

Statt dessen stellt er gleichsaiii bei glatter See nnd mit knnstreicheii Instrumenten eine Art Tiefeeeforschnng an.

Ein ähnliches pathologisches Thema wie dem Marekm liegt der im gleichen Versmaß abgefaßten Erzählung The Oirl of Provence (Das Mädchen ans der Provence) zngrunde Hier ist es der sanfte Geist eines lieblichen Mädchens, der, dnrch Unterdrückung aus der Bahn gelenkt, sich in den Wahn eines liebesverhältnisses mit Apoll yeiliert Proet^ bekleidete seit 1832 die Stelle eines Kommissärs der Lon- doner Irrenhäuser.

Die Erzählung in Blankversen The Flood of Thessais (Die thessalisdie Sintflut), 1823, als deren Quelle Hermann Jantzen Ovids Metamorphosen (I, 163 S.) angibt,^) vareint licht wie Schatten der Ciomwallschen Muse. Fttr die Schilderung von Deucalions und Pyrrhas Idyll im grBnen Tale Tempe findet er zarte Liebestöne, frische Naturfarben. Fttr die Ausmalung der Sintflut ist seine Phantasie durchaus unzureichend. Sie erregt weder Furcht noch Schrecken und fl&chtet kläglich zur Darlegung verschiedener Evolutions- theorien.

Nicht glftcklich ist Comwall, wenn et sich im humo- ristisch-satyrischen Stanzengeplauder in einen Wettstreit mit Byron einläßt, wie in Biego de MontiUa, A Spornt TaUj der Geschichte des verhängnisvollen Mißverständnisses zweier Liebenden, oder in Gyges, einer parodistischen Wieder- gabe der Herodotschen Erzählung nach der englischen Version in William Painters Palace, of Reasure (1566).

Comwalls Humor hat etwas Absichtsvolles, wo nicht Gezwungenes (z. B. The Oeneodogist Der Gesdüediter- kundige). Die beständigen Abschweifungen vom Thema machen bei dem völligen Mangel sprühenden Temperar

0 Quellenuntersuchongeiii 814.

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Das besdireibeiide Gedicht nnd die Venerzählang. 691

mentes so wenig den Eindruck einer Überfülle an fröh- licher Laune, an Geistesblitzen oder tiefen Gedanken als das flberm&ßige Enjambement der Yerse den Schein genialer ünbekümmertheit erweckte. Comwall steht in diesen Yersuchen Hookham Freres Manks and Giants weit näher als Byrons Don Juan oder ihrem gemeinsamen Vorbilde, dem Morgante. Comwall ist unter den Yerserzählem bereits der Eklektiker. Ein Kritiker der Edinburgh Heview findet in ihm Anklänge an die Elisabethaner, an Hunt, Col^dge, Wordsworth, Byron; Patmore fühlt Lamb und Shelley heraus. ^ Nichtsdestoweniger lassen ihn beide als Dichter gelten, gestehen ihm also zugleich seine indi- viduelle Note zu.

Am deutlichsten tritt sein Charakter als Übei^ngs- dichter in der Lyrik heryor. Eine Vorliebe für mytho- logische Gestalten, die er noch nicht, wie Eeats oder Shelley, zu göttlichen Natur- oder Seelenkräften, zu elementaren Persönlichkeiten steigert, sondern im conventionellen Styl der Überlieferung behandelt^ weisen ihn der alten Zeit zu (The Death ofÄcis. Der Tod des Ads ; >) The Warship ofDian. Die Anbetung Dianens; The Marriage of Peleus and Thetis, Die Vermählung des Peleus und der Thetis). Sein unge- künstelter Natursinn, sein edles, herzliches Verhältnis zur großen Allmutter, sein guter Wille, sich ihr rückhaltlos hin- zugeben, kennzeichnen ihn als modernen Dichter. Patmore ▼ergleicht ihn, was „Eünstlichkeit, Unmittelbarkeit^ Eon- kretheit und naive Beschränkung des Ausdrucks^ betrifft mit demMalerStothard.3) Comwall sagte von der Natur, sie habe

0 Äuiohioffrofhicdl Fragment^ 4&— 50.

*) Nach Jantsen eine BearbeitoBg yon Oricte Metamorphosen (Xm, 760 ff.)

*) My Fnends and Äcquamtance, 90.

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Du beschreibende Gedicht und die Venenihlnng.

ihm ihre Seele enthfillt^ denn er warb um sie in seiner Jugend und suchte die Wunder ihrer einsamen Pfade auf (StanBos). Wo er den unmittelbaren Yei^grleich mit Shelley heraus- fordert (z. B. in 2b mit Ädonais durch die Trauer

der Elemente um eine tote Schöne oder in dem Sonett to a Shflark An eine Lerche) erscheint auch seine Natnrbehand- lung mehr Beobachtung als Beseelung. Seine Lerche jubelt und tiriliert nicht im Morgenlicht als Geist der Lebensfreude in der Natur, sondern „sie ist dem holden Morgen angetraut durch einen sfiSeren Hymnus als er je in ElosterdSmme- rungen erscholl''. Eine Yerquickung yon Natur- und mytho- logischem Kult im romantischen Sinne ist die Lamb ge- widmete Vision The Fali of Saturn (Der Sturz des Saturn), die die Phantome der Luft und Erde im Traume yoruber- ziehen l&ßt und in das pantheistische Natureyangelium aus- klingt: Alles vergeht, alles kehrt wieder.

Legt man an Comwalls Gedichte nicht den Mafistab gewaltiger Inspiration, so erfreuen sie durch echte Empfin- dung, Klarheit, Kraft und Melodie. Von seinen EngUsh Sangs and Lgrics (Englische Lieder und lyrische Verse), 1832, sind viele volkst&mlich geworden. (Touch us genüy, fime. Leise, o Zeit, faß uns an; Send down (hy mnged Ängd, Ood. Gott, schicke uns deinen beflügelten Engel; King DeaOi. König Tod; Beühagjgar is King. KOnig ist Belsazar; The Sea. Das Meer). Elizabeth Browning erkannte ihnen „Sflßigkeit, Pathos und alle erlesenen lyrischen Eigen- schaften*^ zu. Sie seien eine verkörperte Musik, i) Tat- sächlich ist Comwall ein oft komponierter Dichter. <)

1) Elisabeth Browning, LeUera io Home 1, 232.

*) Etliche seiner schönsten Gedichte setzte der Sakburger Kom- ponist Sigismnnd Yon Neokomm, ein Haydnschüler, der 1858 in Paris starb, in Musik (Becker, 81).

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Das beschreibende Gedicht und die Venerxählang. 693

Auch die soziale StrGmung der Zeit ist nicht spurlos an ihm Torübergegangen. Sein mitleidiges Herz schlng f är die Stiefkinder Fortanas, ohne ihre Glückskinder anzu- klagen. Erbarmen ist alles, was er fordert.

„0 Reichtnm, komm und Offne die Hand! Müdtfttigkeit, komm und knttpfe das Band!''

Dieser menschenfreundliche Wunsch bestimmt seine Haltung den großen Gesellschaftsfragen gegenüber (The Weaver's Song. Des Webers Lied; The Last Day ofTippo Saib (Tippo Saibs letzte Tage; The Poorhouse. Das Armen- haus; Whitin and without Drinnen und draußen, die beiden letzten nebst einem anschaulich schilderndem Jugend- gedicht Comwalls von Freiligrat ins Deutsche übertragen). Viele seiner Gedichte waren die Produkte momentaner Eingebung. Miß Martineau erzählt, daß er oft in den Straßen Londons dichtete und in ein Geschäft stürzte, um seine Yerse auf ein beliebiges Stück Papier zu werfen, das nicht selten schon zur Verpackung von Käse oder Zucker gedient hatte. 0 Er selbst ist, wie Patmore be- merkt, die lebendige Widerlegung seiner Behauptung, es existiere kein namhafter englischer Dichter, dessen Lieder den ausschlaggebenden Teil seiner Produktion bildeten.^)

Als Prosaerzähler und Essayist zeigt Comwall eine feine Hand und einen klaren, sinnigen Geist. Seine Novellen, von künstlerischer Ausführung und einer psychologischen Charakteristik, die mehr Ziselierarbeit als Tiefbohrung ist^ bevorzugen den Beiz des Geheimnisvollen, ohne ihn je bis zum Peinlichen zu steigern. So The Spanish Student (Der spanische Student), 1823, dessen sphinzartige Heldin, Cornelia Minotti, im Bufe steht^ ihre Liebhaber zu tödten;

^) ÄiUobiographicdl Fragment^ 49. *) Patmore, 66.

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694 Di8 bescfaieibende Q«dicht und die VenezBililniig.

A Short Mystery (Ein Inirzes GtheimiiiBX 1823, eine Spuk- geschichte ans dem Harz. The Stauntat^f 1827, wo ihm die Schanerstimmnng noch besser gltckt, ist die Selbst- enthttllnng eines großherzigen Abenteurers. Comwall be- sitzt in hohem Grade die Fähigkeit, das Antlitz einer Seele in klaren, sprechenden Zfigen zu schildern, ohne ihre Schönheitsfehler und Auswüchse in naturalistischer Weise abzukonterfeien. Seine reife Erz&hlerkunst bleibt auch bei der Wiedergabe des Ernsten und Schrecklichen liebens- würdig, z. B. die Jakobitengeschichte The Portrait of mg Uncle's Snuffbox (Das Bildnis auf der Tabaksdose meines Oheims), 1828, die Geschichte einer Verlorenen; The Man Hunter (Der Menschenjftger), 1833. Eine treffliche Cha- rakterstudie ist die des armen Unterlehrers, der mit dreiundzwanzig Jahren seinen zu Tode gequ&Iten Geist aushaucht (The Teacher. Der Lehrer). Von einer direkten Moral sieht Comwall in der Novelle ab. Ein sittlicher Gedanke ist nichtsdestoweniger fast immer der leitende Faktor. „Haltet das Herz nur offen und tausend Tugenden werden hineinströmen^, sagt er in The Story of a Backroom Window (Die Geschichte eines Hinterstuben- fensters). Fttr das Drama stellt er in einem seiner theoretischen Essays On English Tragedy (Über das englische Trauerspiel), 1823, den Satz auf: ein Drama sei eine große moralische Lektion, die gleichzeitig zwei Sinnen, dem Auge und dem Ohre, yorgetragen werde. In seiner Befence of Foetry (Verteidigung der Poesie), 1828, eifert er gegen die Utilitarier, die die Poesie in Mißkredit bringen, indem sie übersehen, was die Dichtung durch das Beispiel nütze. Er nimmt hier, vielfach an Schlegels Geschichte des Dramas anknüpfend,, entschiedene Stellung g^en den krassen Naturalismus. Umst&ndliches Eingehen auf realisti-

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Das besehreibende Gedicht und die yeraens&hliuig. 695

sehe Einzelheiten fördere den Zweck der Tragödie nicht. Die Mnse wolle nicht entsetzen nnd abstoßen dnrch das, was man anf der Eichtstätte und im Krankenhanse besser sehe als anf der Bühne, sondern nns erfreuen nnd bewegen, erheben nnd belehren. In der Abhandlung On English Poetry tritt er fOr die Poesie als schöpferische Ennst ein. Ihr Zweck sei nicht die Kopie der Natur oder wirklicher Vorg&nge, doch andererseits auch nicht die Darstellung des Unmöglichen, sondern vielmehr des gegenwärtig Unbe- kannten. Nicht zu verringern und zu erniedrigen, sondern zu erheben und zu vergrößern sei ihr Ziel, ihr Normalmaß über, nicht unter der Sterblichkeit

Die geringe Schöpferkraft seines Genius brachte es mit sich, daß C!omwall frühzeitig verstummte. In seinen späteren Jahren ist er nur mit Sammlungen und Ausgaben anderer Dichter hervorgetreten. 1824 erschienen die Effigiae Foeticae, or The Partraüs of Ühe British Foets, iUustrated hy Notes Biographical, OriUcdly and Poetical (Bildnisse der britischen Dichter, erläutert durch biographische, kritische und poetische Anmerkungen), knappe Charakteristiken, oft nur vom Umfang einer halben Seite oder weniger, die er selbst einen Catalogue raisonne der englischen Dichter- portndts nennt 0 Von Chaucer bis zu Charlotte Smith werden die Persönlichkeiten des britischen Parnasses „treu nnd in geziemender Weise^ wiedergegeben, ohne daß Com- walls Charakteristik Wesentliches an individueller Vertiefung oder kritischer Bewertung der in Frage stehenden Persön- lichkeit hinzubrächte.

1838 veranstaltete Comwall eine Ausgabe der Werke Ben Jensons mit einem Lebensabriß und 1843 eine drei-

1) W. C. HftBlitt, F<mr GenercUiam of a LUerary Famüy I,

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696 Das beschreibende Gedicht und die VenenShliuiir.

b&ndige Luxusausgabe der Werke Shakesfpeares mit Lebens- abriß und einem Essay on ihe Oenius of Shakespeare^ worin er jedoch mit der Beweisffihrang, Shakespeares Geist und Persönlichkeit besitze alle f&r einen großen Dramatiker erforderlichen Eigenschaften, nnr offene Tfiren einreimt

Glficklicher ist Comwall als Biograph Eeans (1835) nnd Charles Lambs (1866). Er findet die Quintessenz von Keans schauspielerischer Bedeutung und den Schlüssel zn seiner Originalit&t darin, daß er, wie yor ihm Oarrick, wenig mehr getan, als die Natur auf der Bfihne wieder herzustellen und seiner Kunst neues Leben einzuhauchen. Er rezitierte seine Bolle nicht nur, er spielte sie, was etwas wesentlich anderes ist Allem, was er ergriff, drückte er einen Charakter auf. Im Vorwort wählt Oomwall für das Theater den treffenden Vergleich mit einer Schule, deren Wert hauptsächlich yon denen abh&nge, die sie be- suchen. Theater und Publikum wirken gegenseitig auf- einander. Um ein intelligentes Publikum zu b^riedigen, muß die Bühne sich auf ein höheres Niveau der Intelligenz heben, und das Publikum schöpft seinerseits immer neues Licht, neue Gedanken, neue Freuden aus der zunehmenden Intelligenz der Bühne. The Life of Kean erschien 1836 deutsch unter dem Titel „Leben des berühmten britischen Mimen Edmund Kean.

Das mit Wärme und Wahrhaftigkeit schlicht und an- regend geschriebene Memoir of Charles Lamb arbeitet in unaufdringlicher Weise die Schlußbelehrung heraus, was ein armes Talent unter dem Druck des Unglücks ver- möge, wenn es nur mutig und treu verharre bis ans Ende. Findet Gomwalls liebenswürdige, milde Geistes- richtung bereits in Lamb den günstigsten Gegenstand, so tritt sie in ein noch helleres Licht in dem ÄtUobio-

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Das beschreibende Gedicht and die Versen&hlung. 697

graphiedl Fragment, seiner Selbstbiographie, die Patmore 1877 herausgab. In ihr steht der Leser ganz unter dem Zauber seiner tüchtigen und lauteren Persönlichkeit. Die Tadellosigkeit des Menschen Procter tritt für die Schwächen des Dichters Comwall ein und erst wenn jener sich ihm ganz enthüllt, yersteht der moderne Beurteiler die Wirkung, die dieser auf die Zeitgenossen übte. Hazlitt sprach im Sinne der Mitwelt, als er seine English Poets Barry Ciomwall zueignete, dem „als Mensch Geachteten, als Dichter Bewunderten".

Werke Ton Barry ComwalL

1819 DramaUc Scenes,

1820 Marcian Colonna, an lialian Tale. With three DramaUc

Scenes, and other Foems, Ä Sicilian Story. With Diego de Montilla, and other Poems.

1821 Mirandola.

1822 PoeUcal Works.

1823 The Flood of ThessaUf, The GHrl of Provence, and other

Poems.

1824 Effigiae Poetkae, or the Portraits of the British Poets. 1832 English Songs and Lyrics.

1835 Life of Edmund Kean.

1838 Edition of Ben Jonson. With Memoirs of his Life and

Writings. 1843 The Complete Works of Shakespeare. With Memoir and

Essay on his Genius. (Nenansgabe 1875). 1868 Essays and Tales in Prose.

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Dw besehreibeiide Gedicht und die Venoilhlimg.

1868 SdeciUms from »e PoeUcal Worka of Boberi Bmtnmg.

1866 Memair of Charles Lamb.

1877 An AuMnographical Dragmmt ÄuMHOgrc^hical Notes^ with Personal Sketches of Conten^oraries, Uf^^Ushed Lifrics and Letters of Literary Friends. Edited bjf Coventry Patmore.

Werke fiber Barry ComwalL

1876 James T. Field, Barry Comwaü and some ofhis Friends

(Old Äcquaintance). Richard Garnett, Artikel des DicHonary of National Biograiphy.

1911 Frans Becker, Bryan WaUer Procter (Barry Comwall).

Wiener Beiträge mr Englischen Philologie, Bd. 37.

1912 Hermann Jantzen, Qt^ellenimtersacbungen eu den Dich-

tungen Barry CormoaUs (Archiv für das Studium der neueren ^rächen und Literaturen Bd. CVm, Heft Sfi).

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NamenverzeiolmiB.

Abercromby, Helen 271.

, Mn. 271.

Addison, Joseph 10, 18, 496.

Ainger, Alfred 6, 9, 95, 115, 120, 122, 128, 127, 129, 182, 188, 144, 164, 176, 182, 188.

Akenside, Mark 689, 640, 667.

Allingham, William 682, 688.

Allsop, Thomas 95.

Andrews, Alezander 8, 14.

Archer, William 21.

Aiistophanes 883, 420.

Aronstein, Philipp 696.

Aosten, Lady (Anne Bichardson) 584, 585, 587, 596.

, Sir Bobert 584.

Bacon, Francis 209.

Bftckermann 107.

Bagot, Walter 579, 580, 601.

Balmanno, Mrs. 98.

Barton, Bemafd 106, 109, 184, 142.

Baudelaire, Charles 274.

Beattie, James 668, 650, 662, 665,

667, 676, 677, 779, 682, 683. Beaomont, Sir John 89, 189. Beaven, Arthur 351, 854, 857, 365,

871. Becker, Franc 685, 688, 692, 698. Bedford 495.

Beeoher Stowe, Harriet 680. Bell, Edward 684. Bellini, Jacopo 419. Benham, Wilüam 562, 609. Bentham, Jeremy 29, 209, 258.

Bentley, Bichard 599. Bemi, Francesco 485. Bettelheim, Anton 111. Bird, Wiüiam 88, 138. Birrell, Angastine 29, 268. Blackwood, William 2, 8, 41, 60,

125, 805, 809, 311, 812, 816. Blair, WilUam 637. Blake, William 75, 267, 269, 278,

329, 603. Blessington, Lady 638, 680. Boccaccio, Qioyanni 218, 686, 689. BoinTille, Harriet de 385. Boleyn, Anne 547. Bonaparte, Napoleon 111, 240, 241,

247, 250, 253, 255-260, 262, 568. Bonasone, Ginlio 282. Borel, William 571. Bonme, Vincent 148, 550. Bowles, Magdalene 614. -, Wiüiam Liste 40, 114, 213, 214,

494, 497, 498, 506, 610-631. Braham, John 105. Brett Smith, H. F. B., 425. Broderip, Frances Freeling 471. Bronghm, Lordkanzler 629. Browne, Sir Thomas 139, 140. Browning, Elisabeth Barett 2, 49,

53, 692. , Bobert 686, 697. Bruce, John 547, 562, 609. Buchanan, Bobert 893, 422, 426. Bull, William 565, 567, 569, 587. Bulwer, Edward Lord Lytton 1, 48,

212,288,254, 262,444,478^74,48a

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700

NameiiTeneicluiis.

BanjAii, Jolm 519.

Bnonarotti, Michel Angelo 199.

Bnrdett, Fnaeis 676.

Borke, Edmund 9, 206, 502, 507, 506,512.

Burney, Charles 265.

Bums, Robert 818, 823—325, 336, 592, 686, 681.

Bnrton, Robert 117, 152, 172, 173, 183, 441.

Bauer, Nathudel a

Byron, George Gordon Noel Lord 80,85,40,41,44,47,58, 6^-72, 83, 85, 142, 143, 212-214, 816, 342, 850, 351, 386, 387, 401, 402, 473, 474, 485, 494, 497, 513, 612, 613, 622, 625-630, 639, 665, 671, 677, 680, 681, 684, 687, 690, 69L

, Lady 680.

Campbell, HatiiUde 660, 66L

, Thomas 11, 352, 494, 496, 497,

499, 500-502, 625, 630, 639,

654-683. Canning, George 9, 165, 409, 474. Carlyle, A. J. 546. -, R. M. 546.

, Thomas 11, 63, 73, 686. Caiy, Francis 11. Catnll 494. Cavanagh, F. A. 424. Cellini, Benyennto 562. Cervantes, Mignel de 663. Chandos, Earl of 15. Chapman (Advokat) 550, 551. , George 134, 138, 599. Chatterton, Thomas 216, 507. Chancer, GeofErey 4, 35, 78, 678,

695. Chettle, Henry 408. Churchill, Charles 550. Qairmont, Charles 884. aarke, Samuel 598, 619. , Capt 670. —I Daniel 444.

Clayden, P. V. 632.

Cobbett, WOHam 106, 352.

Colbnm 70.

Cola, Sir Henry 372, 422, 425.

Coleridge, Derwent 489, 490.

~, Henry Nelson 175.

, Samuel Taylor 11, 96, 59, 60, 74, 86, 87, 90, 91, 93-95, 106, 107, 115^ 117, 118, 120, 121, 128, 134, 148, 151, 161, 165, 179, 181, 191-194, 205, 234, 235, 309, 341, 386, 387, 392, 436, 438, 443, 456, 497, 513, 612, 615, 691.

Colman, George 550, 55a

Combe, William 388, 395.

Congreve, William 58, 84, 142, 164.

Cooper, Rev. R 587.

Corneille, Pierre 500.

Comwall, Barry (siehe Bryan Waller Procter).

Correggio, Antonio Allegri 201.

Cotte, William 680.

Cotüe, Joseph 87, 115, 148.

Cowden Clarke, Cäiarles und Mary, 102, 104. 144, 183.

Cowley, Abraham 5a

Cowper, Anne 547, 548.

-, Ashley 551, 554.

, Elizabeth 551.

, John 547.

-, John 553, 556-558, 561, 563, 564.

, William 547.

-, William 114, 327, 458, 473, 493, 494, 498, 501—503, 547, 612, 617, 626.

-, Theodora 551, 552, 554, 596.

Crabbe, George 125, 352, 458, 493-495, 501, 508, 504—546, 617.

(2raddock, Thomas 165, 167, 18a

Crane, Walter 182.

Croft, James 608.

Cromwell, Oliver 20a

Gross» LMmoelot 85.

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Namenyeneichiiis

701

OroikBliank, George 844, 458. Gumberland, Bichard 347, 348, 550. Caimingliam, J. W. 609. -, Peter 678, 683. Cnpples, George 845.

Daniel, Samuel 127.

Dante AUeghieri 85, 89, 75.

Danven, Charles 121.

Darwin, Charles 497.

, Erasmns 666.

Dawe, George 145.

Defanooupret 366.

Defoe, Daniel 9, 364.

Dekker, Thomas 137.

D6piet, Louis 111, 183.

De Qnincey, Thomas 98, 101, 106,

183, 240, 263, 267. Derocqoigny, Jnles 123, 128, 183. Dickens, Charles 56, 63, 27^ 422. Disraeli, Benjamin 269, 434. , Isaao 494. Dobell, Bertram 46, 131, 179, 183,

208, 267, 288. Dobson, Anstin 84. Dodds, Margaret 318. Dodsley, Bobert 508. Donne, John 547, 678. Doren, Carl yan 374, 375, 377, 382,

387, 406, 409, 418, 423, 426. Donady, Jnles 263. Donglas, Sir George 345. Dmmmond, WUliam 308. Diyden, John 494. Dndley, Mr. 119. Dnncombe, John 553. Dunlop, I^oes Anne 592. Dyck, Anton yan 197. Dyer, George 167.

Elgin, Thomas Bmce Lord 855. Eliot, George 512, 614. SllenboroQgh, Lord 28, 83. EUiot, Alexander 429, 434, 435, 471. , Ebenezer 323, 471.

EUiston, Bobert William 154, 177,

350. Elmy, Sarah 506, 508. Elton, OUyer 397. Eoripides 393.

Falkner, Fanny 377.

Fawcett, Miss 22.

Field, Banon 125, 166.

, James T. 698.

, Mrs. 115, 128, 149.

Fielding, Henry 140, 243.

Fitzgerald, Edward 532, 545.

, Percy 101, 103, 107, 108, 182.

Flaxman, John 602.

Fletcher, John 139.

Foote, Maria 688.

Ford, John 138.

Forster, John 101, 108, 275.

Fox, Charles James 688.

, W. J. 682.

, Bonme, H. B. 9, 10, 11, 14.

Franck, yon 444.

Franklin, Benjamin 585.

Frazer, F. G. 609.

Freiligrath, Ferdinand 119, 468—

470, 659, 677. Frere, John Hookham 474, 486, 690. Füssli, Heinrich 601. Füller, Thomas 188.

Galanns, Demetrins 420.

Galt, John 71.

Gamett, Bichard 230, 342, 351,

352, 371, 384, 394, 395, 425, 639,

678, 687, 698. Garrick, Dayid 120, 137, 147, 154,

182. Gantier, Th^phile 274, 349. Gerald, Joseph 668. Gerstenberg, Heinrich Wilhelm 213. Gifford, William 11, 60, 61, 83,

194, 212, 225, 232, 237, 262. Güchrist, Ann 89, 99, 100, 135, 188. , Octayian Graham 628.

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702

NaaaiTeneichBit.

Gües, Hmirj 588, 546. QimilAii, George 554» 609, 681. Oilraj, Jamee 165. Oiflbone, HarU 856, 401, 424. Qloyer, Arnold 188, 258, 288. Oodwin, William 181, 183, 186,

184, 190, 208, 234. Goethe, Johann WoUgang ton 88,

196, 246, 249, 842,466,665,686. Goldamith, OUyer 264, 542, 634,

640. GoUancs, Israel 181. Gonsago, Canio 894. Gordon, Mrs. 806, 810, 345. Gosse, Edmund 59, 60, 198, 200,

QoTresio, Gaspare 420. Graham, Sir James 470. Grant, James 14. Gray, Thomas 4, 684, 640, 665. Greatheed, Bey. 604. Greene, Robert 219, 67a Grey, Lord 480, 68a Griffith, Henry Thomas 609. Griffiths, George Edward 270. -, Dr. Balph 264, 265, 27a Grillpaner, Frans 48a Giimshawe, T. S. 609. Griswold, W., 490. Gadsby, Henry 47. Gaest, Edwin 886. Goicdoli, Grifin Teiesa 67, 68a Goillenard, J. 665. Gondolf, Friedrich 213. Gnyoxi, Madame de la Hotte 569, 60a

Hammer-Pnrgstall, Josef y. 650. Hannay, James 425. Harüey, Dayid 194, 261. Haslett, William 184. Hasdngs, Warren 550. HattOB, Joseph 14. Hauff, Wilhelm 402. Hauptmann, Qerhart 584.

Hawthone, Nathauei 48, 80, 85.

Hayl^, William 205, SSI, 553, 563, 574, 575, 588, 593, 596, 602-606, 60a

Haywazd, Abraham 686.

HasUtt, Graee 184.

, John 184, 188, 190, 107.

, Margaret 185.

-, Sarah 207, 245.

-, Wilüam 184-190.

, Wilüam 2-4, 6, 7, 11, 12r 34> 25, 86, 44, 48, 59, 60, 82, 72, 83, 85, 101, 105, 121, 124, 188, 188^ 141, 146, 176, 177, 179, 183, 184—268, 266, 260, 812, 817, 839, 486, 529, 546, 671, 688.

-, William Gbiew 83| 204^ 228, 268, 265, 267, 270, 274, 388, 695.

Heine, Heinrich 224» 30&

Helm, W. H., iSß.

Helyeüns, dande Adrien 184» 261.

Henley, W. E. 263.

Herbert, George 552.

Hesketh, Lady (Harnet Cowper) 551, 552, 556, 558,560,567,570^ 578, 593, 595-596, 608, 60a

Heyse, Paol 895, 689.

Hey wood, Thomas 13a

Hill, Joseph 548, 558, 559, 5(^ 585, 587, 605, 60a

-, W. A^ 668, 669, 672, 683.

mtchener, Elisabeth 401.

Hobbes, Thomas 104, 2ia

Hoff mann, Willy 609.

Hogarth, William 140, 141, 18S, 199, 217, 218, 496.

Hogg, James 66, 809, 3ta

, Thomas Jeffeison 384.

Holcroft, Thomas 227, 258, 261.

Holm, Oliyer WendeU 429.

Holme, James W. 54a

Home, John 87.

Homer 74, 183, 184, 823, 495, 56% 569, 59^ 509, 600^ 608, 606; 665.

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Namenyeneiohms.

703

Hood, Jane 431, 485.

, Thomas 428.

, Thomas 11, 116, 427-471, 474,

487. Hookham, Edward 378, 880, 382,

Horaz 854, 355, 485, 583, 692.

Horae, B. H. 2, 49, 84, 120.

Honghton, Lord 425.

Hachon, R. 548, 546.

Hume, Dayid 498.

Hant, F., Knight 9, la

, Heniy 48.

, James Heniy Leigh 2—5, 7, 11, 12, 15-85, 105, 106, 108, 129, 162, 166, 171, 175, 177, 183, 188, 215, 221, 227, 229, 282, 235, 241, 257, 260, 809, 312, 342, 357, 360, 370, 454, 563, 567, 584, 662. 680, 691.

, John 20-23, 28, 29, 67.

-, Isaac l&-ia

, Marian 19, 20, 29, 66, 67, 80.

, Stephen, 20.

, Thomton 34, 63, 73, 79, 84, 116.

Hnntingdon, Henry of 558.

Hnrd, fiiohaid 493.

Hutchinson, Thomas 182.

Ibsen, Hemrik 54a

Ingpen, Boger 84.

Ingram, John H. 388.

Ireland, Alezander 85, 220, 225,

226,263. Irving, Washington 671, 676, 682. Isola, Emma 93, 110.

Jftger, A. 223. James, Henry 180. Jantsen, Hermann 690, 691, 698. Jeffrey, Francis 121, 311, 586, 537. Johnson, John 551, 606, 60a , Beginald Brimley 18, 24, 29, 85, 425,«».

Johnson, Samuel 350, 634. Jenson, Ben 138, 217, 695, 697.

Kant, Immanuel 657. Kaufmann, Angelica 18. Eean, Edmund 223, 695—697. Eeats, John 3, 11, 36, 48, 47, 60,

61, 63, 65, 74, 216, 248, 277, 431,

436, 441, 443, 689, 691. Kehbel, T. E. 493, 509, 511-513,

528, 546. Kellner, Leon 180. Kelly, Fanny 96, 97, 99. Kemble, John 120, 355, 688. Kent, Charles 85, 88, 183. Kenyon, John 685. King, Moses 598.

Klopstock, Friedrich Gottlieb 657. Knight, Charles 456, 476, 490. , Payne 632. Knowles, Sheridan 249. Kopisch, August 487. Koseiuszko, Taddäus 664. Kotsebue, August von 350. Kraupa, MathUde 487, 490.

Lackmann, Karl 669.

Lafontaine, August 669, 670.

Lake, Bemard 173, 176, 183.

Lamb, Charles 1—3, 7, 11, 12, 30, 44, 48, 59, 62, 86-183, 197, 204, 206, 208, 212, 229, 280, 263, 267, 268, 436, 438, 440, 457, 459, 691, 695-697.

, Elizabeth 88, 89, 93, 94.

, John 87, 92, 94.

, John 89, 94, 147, 159.

, Maiy 87-89, 91, 93—100, 108, 105, HO, 111—113, 124, 128, 129, 131, 138—136, 172, 182, 188,207.

Landen, Letitia Elisabeth 439.

Landen Walter Savage 86, 110;

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704

NamenveneioliniB.

La Bochefoncanlt, Fnngois Gomte

de 262. Lavater, Johann Kaspar 595. Leadbeater, Maiy 512, 546. Lee, S. Andrews 45. Leigh, James Heniy 15, 16. Le Gallienne, Bichard 241, 262. Le Qrand 43. Le Boi, Hnon 43. Lewis, Capt 670. ~, Charles 281.

Lichtenberg, Johann Christian 22. Liebennann, Max 589. Lier, ran 606w Lillo, George 350. Lindsay, Lord 680. Listen 172. Lloyd, Charles 3, 95, 117, 127, 165,

181,44a , Pierson 550. , Robert, 550, 558. Locke, John 210. Lockhart, John Qibson 309, 311,

342,364. Longndre, J. M. 499. Loya, Thomas 372, 37a Lowe, W. 21. Lucas, E. V. 106, 118, 137, 144,

165, 182, 183. Lnce, Horton 394. Lncrei 494.

Macanlay, Thomas Babington 8,

63, 77, 142, 473, 680. Hacdonald, William 105» 186, 137,

141, 182. Mackenaie, Henry 127, 637. ~, Bobert Shelton 310, 311, 345. Mackintosh, James 11, 499. Hackworth, Homphrey 472. Hacpherson, James 844. Maeready, William Charles 272,

688. Malone, Edmund 678. Maltby, William 633, 634.

Malthns, Thomas Bob^ 203, 261.

Mandan, Martin 571.

Manning, Thomas 102, 103, 107.

110, 119, 120, 123, 134, 151. Marlowe, Chiistopher 127, 438. Maiston, Watland 631. Martinean, Harnet 693. Marrel, Andrew 146, 147. Mason, William 879, 665. Mathews, Charles 22, 356, 460. Medwin, Thomas 214. Meerheimb, E. von 38. Meredith, George 424. Middleton, Thomas 138. Milford, H. 545. Mill, John Stuart 411. Miller, Bamette 1, 8, 14, 61, 64,

66,85. MUton, Jahn 60, 114, 141, 142, 168,

209, 217, 316, 473, 550, 552, 569,

593, 601, 602, 608, 611. Monkhouse, Cosmo 4, 24, 25, 28,

39, 68, 72, 76, 85. Montagae, Basil 685. , Lady Mary 58. Montgomery, James 11. Moore, Thomas 30, 44, 352, 387,

392, ^1, 486, 615, 627, 631, 639,

680,681. Moreau, Jean Victor 658. Morley, Henry 475, 49a Moultie, John 490. Moxon, Edward 108, 111, 145,

490. Mozart, Wolgang Amadeus 419, Munday, Anthony 403, 405. Munden, Joseph 154, 172, 453. Murray, John 24, 351, 353, 627.

Neukomm, Sigismund 692.

Neve 609.

Newton, John 551, 561—567, 573,

577, 579, 598, 604, 60a , J. F. 381. Nichols, John 510, 545.

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Namenverzdchiiis.

705

Nioolls, Edith 425.

NonnoB 418.

North, Christopher (John Wilson) 8, 11, 296-345, 471, 587, 538, 540, 546, 575, 590, 593, 609, 611, 623, 631, 669, 681, 682.

Northcothe, James 198, 200, 215, 227, 228, 239, 262.

Novello, Vincent 172.

Ollier, Charles 53, 82.

Orlo, William 183.

Ossian 611.

Oswald, Emü 436, 438, 458, 458,

462, 471. OTid691.

Paine, Boger 281.

, Thomas 838.

Painter, William 690.

Paning, F. H. 84.

Park, Thomas 599, 602.

Pater, Walter 139, 169.

Patmore, Peter George 24, 25, 105, 107, 108, 111, 126, 183, 204, 205, 215, 228, 248, 249, 253, 254, 348, 663, 682, 683, 691, 693, 697.

Panl, Hamilton 667,

Peacock, Jane 395.

-, Mary 423.

, Samuel 372.

-, Sarah 372, 373.

, Thomas Loye 3, 372—425, 450, 459.

Pebody, Charles 14.

Peel, Robert 435, 474, 479, 480, 684.

Perxin, Pierre 131.

Pesta, Hermann 546.

Petrarca 278, 679, 680.

Petronins 393.

Philips, John 550.

Pioggi, Hesler 637.

Pitaval, Frau^ois Oayot de 78.

Pitt, William Earl of Chatham 9, 208, 378, 509, 576.

Poe, Edgar Allan 388.

Pope, Alezander 4, 10, 58, 59, 78, 79, 134, 210, 211, 213, 260, 879, 491, 493-498, 501, 502, 599, 600, 624-628, 630, 638, 67&

Popham, Sir Horace Biggs 378.

Ponssin, Nicolas 198.

Praed, Winthrop Hackworth 472 -490.

Price, Bichard 632, 634.

Priestley, Joseph 161, 188.

Procter, Adelaide Anne 685.

, Anne Benton 685.

, Bryan Waller (Bany Comwall) 3, 85, 86, 101, 104, 113, 116, 126, 144, 161, 176, 183, 205, 206, 210, 218, 229, 238, 241, 245, 261, 267, 501, 502, 684-697.

Prothero, Bowland Edmund 629.

Pumell, Thomas 117, 168, 165, 175, 182.

Babelais, Francis 397, 420. Badne, Jean de 220, 226, 252. Bedding, Qyrus 683. Bembrandt, yan Bhyn 201, 282. Betzsch, Moritz 276. Beynolds, John Hamilton 431, 436,

456. , Sir Joshna 140, 199, 228, 275. Bhys, E. 144. Bichardson, Samuel 243. Bickmann, John 109, 110, 112, 113,

183, Bitson, Joseph 123, 403. Bobinson, Henry Crabb 100, 108,

112, 186. Bogers, Samuel 387, 494, 498, 502,

621, 632-667, 669, 671. , Thomas 640. Bomney, George 584, 604. Bosa, Salyator 456. Böse, Samuel 599, 600, 604.

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706

Na

ttTeraridmi».

Boaietti, Wüluun Miehael 428,

496, 452, 466, 609, 678. Bosrini, Giaeomo 419. Bonaiean, Jean JacquM 234, 216,

248, 249. Bowe, Nicolas 678. Bowley, aotworthy 554, 555, 572. --, William 13a Rabena, Peter Paul 200, 625. Rohe, A. 444. RoBsel, Lord John 615. , Sir William 550. Ratland, Henog von 606, 510.

Sachs, Karl 685.

Sainte-Beaye, C. A. 609.

Saint-Foiz, GasUm de 42.

Saintsbnry, George 63, 85, 263, 424, 425, 490, 508, 546.

Salft, George Angnstos 182.

Sales, Francis de 74.

Salt, Emannel 87, 89, 147.

Saniio, Rafael 199.

Sargent, E. 847, 851, 371.

Sayoiy, Bester 96, 119.

Sehanfelberger, Johann 600.

Schiller, Friedrich T<m 41, 42, 181, 196, 328, 456, 657, 688.

Schipper, Jacob 386.

Schirmer, W. F. 85.

Schlegel, Anga8tWilhelm224,601, 658,659.

Scott, John 11, 143, 266.

-, Sir Walter 36, 214, 215, 220, 226, 259, 284, 351, 364, 406, 457, 508, 518.

Shaftesbuiy, A. A. Earl of 177, 197.

Shakelton, Richard 512.

Shakespeare, William 121, 122, 131, 132, 187, 138, 141, 157, 164, 168, 181, 182, 213, 215, 217, 218, 220, 223-226, 236, 262, 328, 343, 394, 419, 434, 438, 439, 452, 501, 611, 618, 678, 682, 695.

ffliaipe, Samuel 633, 634.

Shaw, George Bemard 12, 522.

fiMley, Haniet 385, 401.

, Mary WoUstoneeraft 68, 401, 402,406.

~, Lady 888.

Shelley, Perey Byahe 3, 30, 83, 86, 43, 60, 63-66, 71, 74, 75, 83, 85, 129, 142, 215, 216, 241, 278, 357, 359, 360, 381—386, 388-391, 396, 400, 401, 418, 425, 436, 545, 691.

, Sir Percy 39, 77.

, Sir Timothy 385.

Shenstone, William 462, 632.

Shepherd, R. H. 182.

Sheridan, Robert Brimdey 27, 58, 83, 126.

, Thomas 126, 349, 860.

Sheyell, Mary 17.

Siddons, Henry 679.

, Sarah 22, 88, 115, 223, 679, 682.

Sidney, Sir Philip 13a

Simmons, Ann 91, 128, 15a

Skeffington, Sir Lnmely Georg 402.

Smith, Adam 637.

, Charlotte 78, 695.

-, Goldwin 592, 609.

-, Horaoe 3, 66, 106, 846-371, 450,543.

, James 3, 108, 346-^1.

, Mary 346.

, Bobert 346.

SmoUett, Tobias George 140, 454, 562.

Sophokles 393.

Sonthey, Caroline (Bewies) 602, 624.

-, Bobert 11, 62, 107, 110—118, 120—122, 127, 1^ 162, 165, 179, 212, 214, 386, 887, 408, 493, 494, 496, 497, 499, 501, 502, 503, 552, 555, 557, 568, 564, 571, 567, 602, 608, 684.

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NamenTeneichniB.

707

Spence, Joseph 028.

Spenser, Edmimd 4, bi, 114, 115,

168. Stft», Madame de 668. Stanley, Lord 482. Steele, Sir Biehard 10, 18. Stehlieh, Friedrich 546. Stephen, Sir Leslie 212, 248, 253,

504, 548, 546, 609. Stoddart, John 207. Stothard, Thomas 691. Storer, Edward 85. Strachey, Sir Edward 425. Strecker, Karl 539. Stuart, Daniel 11. Swift, Jonathan 10, 13, 28, 79,

218, 897, 420. Swinhume, Algemon Cearles 686. Sym, Rohert 812. Symons, Arthnr 43, 85, 534, 610,

631.

Talfoord, Thomas Noon 87, 175,

178, 182, 183, 262, 273. Tardif, Madame de 596. Tasso Tarquato 46, 47. Taylor, Jeremy 152. -, John 144. Tedder, H. K. 9. Teedon, Samuel 594, 595, 602. Temple, Sir William 177. Tennyson, Alfred 3, 74, 327, 341,

436, 532, 533. Thackeray, William Makepeace 362. Thomson, James 58, 74, 379, 593. Thomton, Bonnell 553, 563. Throckmorton, George 594, 598. Thurlow, Lord 552, 554, 574, 605. TibuU550.

Tickler, Timothy 312. Ti2iano, Vecellio 198, 228. Tooke, Home 203, 261. Toumeur, Cyril 138. Tucker, Abraham 261. Tuckerman, Henty T. 341, 845.

Tuer, Andrew W. 181. Turner, J. M. William 200.

Unwin, Mary 559, 560, 562, 566, 567, 580, 586, 589, 596, 596, 606, 604, 606, 607.

, Susanna 559.

ünwin, William Hawthome 551, 559, 571, 576, 597, 598.

-, WiUiaffl Morley 559, 561.

Yanbrugh, Sir John 58, 84. Vergü 495.

Voltaire, Fran^ois Arouet 2 397, 420.

Wagner, Biehard 419. Wainewright, Frances 270. , Thomas 264. , Thomas Qriffiths 264-295, 297,

432. Walker, Sarah 243-247. WaUer, A. B. 252, 263. , Edmund 188. Walpole, Horace 507. , Sir Bobert 208. Warren, Samuel 345. Warton, Joseph 597, 609—611. , Thomas 639. Webster, John 138. Wedgewood 205. Wellington, Duke of 355. Wesley, John 562. West, Benjamin 16. White, Gifford 470. , James 109, 183. —, Klrke 277. Whitefield, George 576. Wilberforce, William 577. Wüde, Oscar 264, 269, 274. Wilkes, John 633. Williams, Dr. 385.

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708

Namenveneichiiis.

T'^^lson, John (d«he Ghiiatoplier

North). , Biehard 200. Windham, WilUam 90. Wither, George 116, 189. WoUstonecnft, Mury 24a Wood, Bobert 376. Woolman, John 118. Wordsworth, Dorithy 95, 97, 96,

158, 265, 827, 841. -*, William 11, 85, 59, 74, 118,

181, 186, 148, 214, 886, 887,

892, 480, 518, 544, 691.

Wren, Cauistopher 849.

Wright, Thomas 550, 554, 555,

557, 559, 561, 565, 577, 585,

586, 588, 595—597, 589, 608,

609 Wjcherky, William 58, 89, 142,

164. Yonng, Arthur B. 881, 882, 887,

406, 425. , Edward 64a , Sir George 484, 490.

Zola, Emile 584.

Druck Ton Blirhardt Karras Q. m.b.H. in Halle (Saale).

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Seite 6,

ZeUel5

von

oben lies

auf dem statt

am,

10,

1

n

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St. Jame^

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St, Jam^^s,

18,

13

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unten

Spenser

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Spencer,

19.

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14

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13

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Practice

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Pradise,

86,

16

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unten

violet

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violett,

46,

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n

Navarra

n

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64,

Zeile 18 ^

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oben

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n

Spencer,

69,

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2

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Narm

n

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69,

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2

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Yorrick

n

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2

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Ficcadiäy

n

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n

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unten

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n

aüe,

„121,

Anmerkang

n

Edinburgh

n

„167,

Zeile 9 von

unten

haU... hintan

n

hintan hält,

„212,

Anmerkung

n

Ledie

n

Leüei,

„241,

Zeüe 12

von

Oben

Les Gaüiennes

n

Le Gaüienne,

„261,

n

16

n

unten

n

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„282,

n

8

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n n

Banasone

n

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„295,

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6

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Talfourd

n

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„889,

n

11

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oben

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„892,

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unten

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„418,

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2

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12

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Oben

Grey

n

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„419,

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16

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Sevilla

n

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„481,

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12

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n

Owon,

„446,

15

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Aramff,

„478,

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n

Oben

Macaulay

n

MacoAÜey,

,670,

n

12

n

n n

1792

n

1972,

„698,

n

8

n

unten

Cowper

n

Comper,

„606,

n

3

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ChanceUar

n

Chancder,

„618,

n

5

n

Oben

Sanctuary

7J

Saneturary,

„626,

n

11

n

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Byron

»

Bryon,

664,

ff

15

»

unten

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n

Gionata,

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n 689,

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Oben

n

Eeme

n

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n 602,

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n

Somiet

n

Sonett,

n 704,

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John

n

Jahn,

» 705,

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unten

n

Phui, Bester

»

Fioggi, Haier,

» 706,

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91

n

Jo^ima

7t

Jo^ma,

» 707,

n

18

Oben

n

Charles

n

Cearles,

» 707,

»

36

»

n

Torquato

»

Tarqwxta,

. 708,

n

6 ,

unten

n

Doroihy

n

DarsQiy.

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""■^»**''^ Or CAUVÖBNIA LIBBA

TEm BOOK 18 DUB OH THE ULST DATB 8TA1IFBD BBLOW

AN INITIAL FINE OF 26 CENTS

WILL BK ASSnSKO FOR PAILURK TO RCTURN THIS BOOK ON THK DATK DUK. THE FBNALTY WILL INCRKABK TO BO CBNTB ON THK FOURTH DAY AND TO B1.00 ON THK BKVKNTH DAY OVKRDUK.

sfp 19 mi

MB 26 1946

aiOd'58WJ

KLC'U LD

JAN 2 9 1959

mar'bOLCi

IN STACKS

FEB 191960

REC'D LD

^ MAY a9 i960

LD ai-100M-7.'40 (6086t)

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YC 103 190

UNIVERSITY OF CAUFOftNlA UBRARY

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