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Geſchichte

»LRKReligi⸗u.

Von

Dr. Johannes Scherr.

Sechs Buͤcher in einem Band.

Leipzig Berlag von Otto Wigand. 187.

Kdıget

2 3du ‚1930 LIBRAUN

Luc 4. V

Dorwort.

Die erfte Abtheilung dieſes Werfed (Buch 1— 2) ift im Jahre 1855, die zweite (Buch 3— A) vor Jahresfriſt erfchienen. Indem ich jet die dritte und legte (Buch 5 6) der Deffentlichfeit übergebe und fomit die ganze Arbeit zum Abſchluß bringe, betone ich noch einmal fehon vor zwei Jahren Geſagtes, nämlich, daß ich meine Aufgabe nicht als Theolog, fondern als Eulturhiftorifer ind Auge faßte und zu loͤſen verfuchte. Es ift Damit angedeutet, daß ich ohne irgend eine vorgefaßte Meinung, ohne irgend einen Vorbehalt an meinen Gegenſtand herans | getreten bin und ihn mit dem ganzen Gleichmuth einer parteilofen Unter⸗ fuhung behandelt habe. Der Eulturhiftorifer hat nicht für diefe oder jene Religion als die „alleinſeligmachende“ zu plaidiren, fondern feis nes Amtes iſt es, die verfchiedenen ‚Entfaltungdformen der religiöfen

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Idee in ihrem Werden, Wahlen, Vergehen aufzuzeigen, die religiondge- chichtlichen Acten zu fammeln und zu ordnen, darauf fein Referat zu bafiren und ald Refultat defjelben die Wirfungen des religiöfen Gedan- kens auf Bildungsgang und Sitte der Völfer nachzumeifen.

Ohne unbefcheiden zu fein, glaube ich jagen zu dürfen, daß das vorliegende Buch der erfte Verſuch ift, von dieſem zugleich freien und gewiſſenhaften culturgefchichtlichen Standpunfte aus eine Univerfalhiftos tie der Religion zu fehreiben. Daß mein Unternehmen nicht ein durdh- weg gelungenes fei, habe ich am Schluß meiner Arbeit unbebenflic, zu- geftanden (III, A38), daß es feiner Natur nad) nicht ein durchweg gelungenes fein könne, "mögen Solche bejireiten, die mit dem Hochmuth eincs Spezialitätswiſſens die ganze Unbilligfeit des gelehrten Zunftzwangs verbinden. Mit Gegnern diefer Art ſich verftändigen zu wollen, wäre eitle Mühe; ebenfo, mit folcyen, denen der furor theologicus auch bei Beurtheilung hiftorifcher Schriften der einzige paffende Maßſtab fcheint. Sc habe bei Durchführung meines Werks von vorneherein darauf ver⸗ zichtet, den Beifall diefer oder jener dogmatiſchen, confellionellen oder ſchulphiloſophiſchen Partei zu gewinnen.

Daher war ich auf das Gezeter der Fanatiker des Glaubens, wie auf das Kopfſchütteln der Fanatiker des Unglaubens gefaßt und fuͤhrte meine Arbeit zu Ende, ohne nach rechts oder links zu blicken und mich Einfluͤſſen von dieſer oder jener Seite her zu unterwerfen. Jedoch leugne ich nicht, daß ich mir nicht im Geringſten angelegen ſein ließ, bei Gelegenheit den Widerwillen und die Verachtung, zu verichleiern, welche mir bornirte ‘oder geheuchelte Ziondwächterei fowie aufgeblafene Krafts ftoffelei gleichermaßen einflößen. Was Iegtere indbefondere angeht, fo

111 7

kann id) auch hier mein anbermärtd geaͤußertes Befremden nicht bergen, daß die Apoſtel bes materigliſfiſchen Evangeliums in ihrer Einjeitigfelt nicht merfen, mie fie zu Gunſten ber nieberträchtigften Stodiohberei Hanblangerdienfte verrichten,

Gerade die Geſchichte der Religion ift, denke ich, wie für bie Zeloten des Glaubens fo auch für die des Unglaubens vol eindringlichfter Leh⸗ ren und Warnungen. Aber freilich, die Gefchichte ift Leider noch jetzt, was fie von jeher geweſen, eine Kaſſandra.

Da ich mid) über Plan und Methode meiner Arbeit in der „Ein⸗ leitung‘’ zum 1. Buch hinlänglic ausgefprochen habe, erübrigt mir an biefem Orte nur noch die kurze Bemerfung, daß ich in der Behandlung bes Chriſtenthums von ber gang und gäben Firchenhiftorifchen Weiſe abgegangen bin, indem ich die große Materie in ihre einzelnen Gebiete zerlegte und jedes berfelben biß zur Gegenwart herab durchmaß. Da muß ich nun allerdings dem Leſer zumuthen, mir mit Ausdauer zu folgen, glaube ihm aber in dieſem alle einen Flaren Einblid in den Entwidlungsgang der chriftlichen Religion verfprechen zu dürfen.

In Organen der Kritik, welche zu den einflußreichften in Deutfch- land gehören, haben die vier erften Bücher meines Werkes einfichtige und wohlmollende Beurtheilungen erfahren, und aud) fonft ift mir von verfchiedenen Seiten her Danf und Aufmunterung zu Theil geworben. Ich that alfo recht, wenn id) beim Beginn meiner Arbeit des Glaubend lebte, daß es noch Menfchen gebe, welche nicht in der Vergottung von Koth und Gold die höchfte Weisheit, die einzigwahre Religion erbliden, fondern der Ueberzeugung anhängen, daß der Geift, nicht die Mechanik, die Zufunft bauen müfje und werde. Solchen Mitgliedern der „unbe⸗

=—— WW

fannten Gemeinde“ mag aud) mein Bud) in feiner jegt abgefchloffenen Geſtalt nicht unwillkommen fein. Allen im Baterlande, welche ſtre⸗ ben, hoffen und ſich mitten in den Miasmen der Schwindelpeſt die Seele geſund erhalten haben, meinen Gruß!

Winterthur, am 18. April 1857.

Johannes Scherr.

Inhaltsverzeihniß.

Erster Theil,

Seite. 1. Buch: Die Religion als roher Naturalismus. Ueber: gangsftufe zur religiöfen Syflematif . . . 1

Erſtes Kapitel: Die Einleitung 3 Zweites Kapitel: Religiöfee Borftellen, Glauben und Thun der Naturs völfer . . . . . . . 16 Drittes Kapitel: Die Ateten i in Merito . . . . 0.8 Biertes Kapitel: Die Inkas in Peru . . . 74 1. Bud: Die Religion ale Syftlem. Die DR- Afiaten . . 9 Erftes Kapitel: Die Arier; 1) Inder . . . 98

Zweites Kapitel: Die Arier; 2) Perſer (Balırer, Iranier) . 186 Drittes Kapitel: Die Ehinefen und Japaner . . . . . 194 Viertes Kapitel: Der Buddhismus . . . . . . 222

Zweiter Theil,

IN. Sud: 1) Die Aegypter. 2) Die Wef:Afiaten (die Völfers

fämme von Babylon, Syrien und Kleinafien).

3) Die pelasgifhen Bölfer Griechen und Ramen). 1 Erſtes Kapitel: Die Aegypter. 3 Zweites Kapitel: Die Aegypter (Schluß) . . . . 33 Drittes Kapitel: Die Babylonier, Syrier und Klein-Afaten 2.686 Viertes Kapitel: Das Hebräerthum . . . . . ..% Künftes Kapitel: Die Hellenen oder Gelechen . 4146 . Scehftes Kapitel: Die Römer . . . . . . 201

IV. Bud: 1) Die Kelten. mas Slaven cn Binnen. 3) Die ®ermanen . .

Erftes Kapitel: Die Kelten

Zweites Kapitel: Die Slaven und Finnen.

Drittes Kapitel: Die Germanen

Fritter Theil.

V. Buch: Das Chriſtenthum

Erſtes Kapitel: Eine untergehende Welt

Zweites Kapitel: Eine untergehende Welt (Schluß)

Drittes Kapitel: Blid auf die Philofophie des alterthume

Viertes Kapitel: Das Leben Jeſun. .

Fünftes Kapitel: Die Lehre Jeſu Ehrifti . .

Sechſtes Kapitel: Entwidlung ber Seinlihen seine in den Con⸗ feſſionen und Sekten

Siebentes Kapitel. Der Cultus

Achtes Kapitel: Die Kirche; ihr Kampf, ihr Triumph, ine Verfaſſung, ihre Spaltung:

Neuntes Kapitel: Das fittiche und ſoziale geben ber Voller i im Ship thbum . . . . .

Zehntes Kapitel: Die Wiſſenſchaft

Elftes Kapitel: Die Kunfl .

‚LU Anhang zum fünften Buch: Das Juden chum ü in der Seite Be

VI. Bud: Der Jolam

Erſtes Kapitel: Arabien .

Zweites Kapitel: Mohammed und ber Koran . . . .

Drittes Kapitel: Das moslemifhe Dogma . . . . .

Viertes Kapitel: Der moslemifche Gottesdienft . .

Fünftes Kapitel: Die moslemifche Sitten - und Mechtslehre

Sechſtes Kapitel: Zur Geſchichte des Islam . .

‚Seite.

223 225 255 289

136

161

226 283

322.

353 359 361 370 386 398 44 418

Seite 102 Zeile 18 v.

Oruckfehlerverzeichniß.

u.

Theil J. ftatt „gleich““ lies „ungleich.“

Theil

Seite 36 Zeile 13 v. u, flatt dem Apophi“ lies „den Apophi.“

40

116

9v. u. 16 v, o.

16 v.

19. 9». 16 ». av. 1».

9». 9». 15». 10». 14 v. 2». 1». 7». 12 v. 12».

is = ® ©

55555

SEE HB ES BO COS OO

„macht““ lies „wacht.“ „B. Numeri“ l. B. Exodus.“

o. „Klernä“l. „Kleonä.“ 18 v. u.

„den Waldgeiſt, den Waſſermann“ l. „der W., der W.“

„Tornaldar““ J. „Fornaldar.“

„Gdallarhorn“ l. „GBiallarhorn.“

„alte“ T. „alle.“

„ESchlüſſel“ l. „Schuͤſſel.“

„Dolchdrungene“ I. „Rolchdurchdrungene.“

Theil IM.

. nach „Propheten““ tilge das Komma. . nach „Israeliten“ Tepe ein Komma.

„Secte“ L. „Seite.“

. nach „Familienleben““ tilge das Komma. nad „Mittelſtand“ feße ein Koınma.

. ftatt , Statt findet‘. „ſtattfindet.“

. „Peiris“ l. „Petri.“

. „feine l. „kleinhicher.“

.nach „Geſetz“ tilge das Komma.“

. ſtatt „Mogonamie““l. Monogamie.“ . „Beharden“ J. „Lollarden.“

Eeite 125 Zeile 11 v.

173 211 211 2185 239 243 262 298 309 311 316

332 343 351 384 429 430 431

17». 2». 5»,

17». 2». 3».

17». 4».

15 v. 8v. 5».

2.0. 3». Av. 15 v. 39. 135 v. 8v.

Vlll

.iſt das Komma ſtatt nach tem Worte „nicht“ vor daſſelbe

zu ſetzen.

. Ratt ,, Namen‘ l. „Perſonen.“ . „Innocenz IV. T. „Innocenz I.“

„Peter von Eaftelnau‘ ‘I. ‚Arnoldvon Citeaux.“

. nach „Kirchengemeinſchaft““ tilge das Fürwort „ſiſch.“ .ſtatt „Afſſiſſi““ 1. „Aſſiſi.“

. „heiligen Legende‘ I. „Heiligenlegende.“

. „1360 1. 1260.“

‚nach „Literatur““ tilge das Wort „ſonſt.“

.ſtatt „die l. „dieſe“ (Weltanſchauung).

. „natürlichſten“ l. natürlichen.“

.nach „dem chriſtlichen Gott“ ergaͤnze: „iſt nur der Unter:

ſchied zwiſchen dem heidniſchen und dem chriſtlichen Menſchen oder Volke.“

. nah „Michelangelo“ tilge das Komma.

. ftatt „die Schilderung““ l. die ſe Sch.”

. „lieu“ l. „lien.“

nach „der ihrigen“ ſetze ein Komma.

. flatt „gewiſſermaßen“ I. „gleichermaßen.“

„Avigenna“ I. „Avizenna.“

u. „Serne“ l. „Sterne.“

——

Schere’s

Geſchichte der Neligion.

Ardua res est, vetuslis novitatem dare, novis auctoritaiem, obsoletis nitorem, obscuris lucem, fastiditis gratiam, dubiis fidem, omnibus vero naluram et nalurae suae omnia. Itaque eliam non asseculis, voluisse abunde palchrum et magnificum est.

Plinius,

Fünftes Bud. Das Götiftentgum. |

Erſtes Kapitel.

Eine untergehende Welt.

1.

Wie einem Wanderer, der, von Hoͤhe zu Höhe klimmend, da in blühende Thäler oder fruchtreifende Ebenen, dort in weite Waldwildniſſe hin⸗ ein, hierhin auf prächtige Seeipiegel oder erhabene Gletfcherbildungen, dort- hin auf chaotifhe Felswüſten hinab geblickt Hat und endlich, auf einem hödjften Alpenfirn angelangt, rundum eine ganze Welt zu frinen Füßen aufs gerollt fieht, fo wird dem Eulturbiftorifer zu Muthe, wenn er, die Er⸗ ſcheinungsformen der religiöfen Idee in vorchriftlicher Zeit binter ſich, zur Betrachtung des Chriſtenthums vorfchreitet. Vorher hatte er ed mit Localem und Nationalem zu thun, jegt befcäftigt ihn Menſchheitliches. Vorher hatte er den einzelnen Quellen nachzugehen, welche die ungeheure Arbeit jo vieler Völker und zahllofer Generationen am religiöfen Gedanken aufge- graben; jetzt ſteht er an einem weltgeſchichtlichen Strome, der feine Fluthen durch Jahrhunderte dahergewälzt Hat und durch Jahrhunderte dahinwälzen wird. Denn wir haben e8 ſicher am Schluffe des vierten Buches gefagt des Chriftenthums welthiftorifche Bedeutung ift die, daß es alle früheren Offenbarungen der religiöfen Idee zur Einheit einer Weltreligion zufammen« faßte.

Die Betrachtung der vorchriſtlichen Religionsſyſteme, zumal des hebräi⸗ ſchen und des griechifch=römifchen, Hat in ihren Ausgangepunkten uns gezeigt, daß ein großer Umjchwung des geiftigen Lebens ter Völker ſich borbereitete 1). Wie diefer Umſchwung, von der Religion ausgehend und

1) Bol. Theil II, ©. 144, 200, 220, 346. 1 E}

A

allmälig alle Gebiete des Lebens ergreifend, wirklich eingetreten, wie das Chriſtenthum geworden und gewachſen, wie es fich ausgebreitet und wie es gewirkt bis auf Die Gegenwart herab, was fein Wefen fet und in welden Geftaltungen dafjelbe während des Verluftes von Jahrhunderten aufgetreten, dies Alles Darzuftellen, wird die Aufgabe des vorliegenden Buches un⸗ ſeres Werkes ſein.

WBecevor jedoch an die Löſung derſelben gegangen werden kann, verlangt die hiſtoriſche Treue und bie Durchſichtigkeit der Darſtellung einen prüfen⸗ den Blick auf den Boden, aus welchem das Chriſtenthum emporgekeimt und jo mächtig herangewachſen iſt. Demnach haben wir zusörderſt die jüdiſche und heidniſche Welt zur Zeit ihres Verfalls ins Auge zu faſſen.

Denn nicht allein aus dem ideellen Gehalt des Chriſtenthums laßt fich die von ihm errungene weltgeſchichtliche Bedeutung erklären, ſondern viele mehr iſt zum klaren Verſtaͤndniß derſelben auch die Einſicht in. die Zeitver⸗ haltniſſe erforderlich, welche fein Auftreten fo ſehr beguͤnſtigten. Auch das ganz verſchiedene Verhalten des Hebraismus zum Chriſtenthum einerfeitß, des Heidenthums andererſeits, beruht auf der Verſchiedenheit der damals gegebenen Zufſtaͤnde, zumal der religiöſen. Dieſes und weiterhin die merk⸗ würdige Thatſache, daß das Chriſtenthum die heidniſche Welt erneute, waͤh⸗ rend die jüdiſche Nation ihrem Untergange nur um ſo ſchneller entgegen⸗ ging, beſtimmt uns, die religiöſen, ſocialen, politiſchen und literariſchen Verhaͤltniſſe des römiſchen Reiches von denen der Hebräer geſondert zu bes: trachten.

Wir heben mit den legten an, weil das Chriſtenthum, unmittefßar: aus dem Mofatsmus hervorgegangen und in deſſen Entwicklungsgang vom. bereitet, als die menſchheitliche Frucht deſſelben anzufehen ift.

2.

Bur Zeit: Jeſu Chrifit mar die hebraͤiſche Surache, worin die Schriften des NM: T. verfaßt. find, der Maffe des jüdifchen Volfes fremd geworben; es herrſchte der aramätiche Dialekt, in welchen. auch Jeſus ferne Lehren: vor. trug. Das Althebraͤiſche mar nur. noch den Rabbinen und Höher Gebil⸗— deten in Palaͤſtina verſtändlich, weßhalb die Schriftgelehrten als eine eigene, von den Prieſtern verſchiedene Klaſſe überall' im neuer Teſtamente genannt

+

werden. Obwohl nun die Sprache der Propheten zu den todten Sprachen gehörte, waren ihre Weiflagungen auf eine neue Theokratie und deren Haupt, einen ruhmvollen König aus Davids Geſchlecht, den man nad Pſalm 2,2 und 45, 8 Meſſias, „den Geſalbten Gottes “nannte, in lebendigem Andenken geblieben 1).

Ja, eben diefer dad Verſtändniß der Propheten erfchwerende Uns fand Hatte zur Folge, daß die Juden, feufzend unter dem harten Jod) der Römer und durch die Leiden der Gegenwart noch mehr zur Sehnſucht nad dem verheißenen Retter entflammt, viele Stellen des A. X. ald meſſianiſche Weiffagungen auffaßten, ohne ſich über deren "eigentlichen, dieſem Gegen- ſtande ganz fremden, aus dem Zufammenhang völlig anders zu erklärenden Sinn irgend welche Rechenichaft zu geben. Aus den gleichen Grunde zogen fie die fpecieller Tautenden Ausſprüche der Propheten den allgemeiner ge⸗ haltenen vor, fo taß z.B. allgemein erwartet wurde, der Meſſias müfle nad Micha 5, 1. 3. in Bethlehen geboren werden, und ebenfo gerne vergaßen fie der Hindeutung auf eine geiftige Wiedergeburt des Volkes, welche nad Jeremia (31, 31 fg.) mit der Zeit des Heils eintreten follte,

Wie ſich ſchon der Väter Hoffnungen auf dad Kommen eined vollfom-

menen, der Sünde und des Elends baaren Gottedreiches an das David'ſche

Königsgeſchlecht geknüpft hatten 2) zunächſt als Sehnſucht nach der Wieder⸗ kehr einer ruhmvollen Vergangenheit: fo konnten auch die Zeitgenoſſen Jeſu ſich den verheißenen Retter nur in Geſtalt eines mächtigen Königs aus Davids Geſchlecht vorſtellen, eines Königs, welcher dad Joch der Römer zer⸗ brechen, Iörasl über alle Völker des Erdkreiſes erheben und.diefe zum Glau-

ben an den Einen lebendigen Gott befehren würde). Auch ale Sohn

Gottes, der vom Himmel herabfomme, außgeftattet mit übermenjchlichen Kräften, ward der Meſſias zum Voraus betrachtet 4). Man glaubte ferner, Elias oder ſonſt einer der alten Propheten, werde ald Vorläufer des Meſſias vom Himmel wiederkommen und allem Volk erſcheinen 8).

1) Dgl. dazu noch Daniel 9, 28. - 2) Sefaia 11, 4 u. 2; vgl. Matth. 20, 31. 21, 9. 22, 4148. 3) Jefaia 2, 24; vgl. Mat. 10, B5—45. 11, 10. Apoſtelgeſch. 1, 6. Job. 6, 18. 4) Dankl 7, 13 u, 44. Palm 8, 7; vgl. Matih. 16, 1, Ich. 8, 18. Matth. 14, 33. 5) Matth. 16, 44. 17, 40-43; vgl. Maleathi 3, 4. 2, 3 (odet &, 8).

f

Vorwiegend weltlich Hatte ſich alfo die Mefflashoffnung bet der großen Mehrzahl der Zeitgenoffen Jeſu geftaltet. Nur die Erleren im Volfe Hatten die geiflige Seite ber theofratifchen Wieterherftellung über der weltlichen nicht außer Acht gelaffen ; fo weit aber die Weltgefchichte zurücreicht, bildeten die Epleren immer und überall die Minderheit. Die vorwiegend weltliche Auffaffung der mefftanifchen Stellen läßt fih Übrigens aus dem flttlich« religiöien Zuflande der Juden und Samariter leicht erflären. Zwiſchen den Legteren, einem Miſchlingsvolke aus Heiden und von Salmanaffar einft zu= rücgelaffenen Israeliten 6) und den Juden war feit dem Teupelbau Seruba= bels der gegenfeitige fanatifche Haß immer höher geftiegen und ward fort« während genährt durch ben Streit darüber, in weldem Tempel man Gott allein anbeten könne, ob im jüdifchen auf Zion, oder im ſamaritaniſchen auf dem Berge Garizim. Auch nad der Zerftörung des famaritanifchen Tempels durch Johannes Hyrfanus blieb Garizim der Sig des famaritifchen Eultus und der Streit mit den Juden unausgefodhten”). Im Uebrigen waren auch die Samariter von Meſſtashoffnungen erfüllt ®), zeigten fich aber empfänglicher für deren geiftige Auffaffuug, ſchon weil ihr fana= tifcher Nationalftolz nicht alles Maaß überfchritt, wie derjenige der Juden. Als Richtſchnur ihres Glaubens und Lebens anerkannten die Samaritaner einzig und allein die 5 Bücher Mofld, und verwarfen neben den übrigen Büchern des erſt gegen Iefu Zeit hin abgefchloflenen altteftamentlichen Ka= none auch die mündliche Ueberlieferung (Tradition). Betreffend die Aus— brüche des Hafled in gegenfeitigen Beichimpfungen und thärlichen Beleidi- gungen, gaben Juden und Samaritaner einander Nichts nach 9).

Auf Religioſität und Sitte des jüdifchen Volkes Hatte zumal der Phariſäismus höchſt nachtheilig eingewirkt. Die Phariſäerſekte näm— lich, deren Urſprung hiſtoriſch nicht genau nachgewieſen werden kann, die aber zur Zeit Jeſu dogmatiſch in mehrern Schulen zerfiel 10), wußte ſich durch den Schein aͤngſtlich genauer Geſetzeserfüllung und durch allerlei dema—

⸗ñht—

6) 2 Könige 18, 9-42. |

7) Joh. 4, 5-26 Joſephus, Antiquitt. 18, 4. 1. Züd. Krieg 3, 7. 32.

8) Joh. 4, 28.

9) Joſephus Antiquitt. 12, 4. 4. 18, 2.2. Luk. 9, 83. Rath. 10,8. Joh. 8, 48.

10) Die Schulen des Hille! und Shammai waren am Bee.

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7

gogiihe Künfte bei dem. Volke fo einzufchmeicheln, daß fie einen entfcheiden- den fowohl moralifchen als politifchen Einfluß gewann und durch ganz Judaͤa und Galiläd ſich audzubreiten vermochte. Nicht in ihrer Glaubendlehre von guten und böfen Geiftern, noch von der Unflerblichfeit der menschlichen Seele11) und von der fittlihen Willendfreiheit unter Mitwirkung des Schickſals lag das Verderblihe ihrer Richtung, wohl aber in ihrem Fefthalten ‚an der Tradition und in der Lehre vom Verdienſt guter Werfe vor Gott. Dadurch gemöhnten fie dad Volk, mehr Werth zu legen auf Aeußerlichfeiten, als auf die innere Weihe religiöfen Sinnes, eine hohe Meinung zu faffen von feiner Gerechtigkeit fowoHl den Heiden, als auch den übrigen Klaffen des eignen Volkes, zumal Sadduzäern, Zöllnern und Verbrechern gegenüber, gegen die im Lande wohnenden Römer als Unreine eine wabrhaft verlegende BZurüdhaltung zu beobadıten, fo Laß der Umgang mit ihnen möglichft ver« mieden wurde. Sie fihürten den Nömerhaß, wo ſie fonnten, flößten der Menge den Kleinigkeitögeift ein, welcher Kümmel und Raute an den Tempel verzehntete, vor dem Genuß eines Stückleins Brod die Hände wufh, am Sabbath beim Spazierengehen feine Schritte zählte, um ja nicht mehr als 2000 Ellen Weges zu durchwandeln, und mit Alledem den Geiſt der Heuchelet, welcher an den’ Eden der Gaſſen betete und vor ſich ber pofaunen ließ, damit männiglid die frommen Herren Almofen austheilen fehe.. Was Wunder nun, daß ein Volk, vom Kleinigkeitägeifte beſeſſen, für das wahrhaft Große feinen Sinn mehr bat; durch Heucelfinn entwürbdigt, eine Beute demagogiſcher Heudjler wird, von blindem Gerechtigkeitsdünkel aufgeblafen, die Stimme der Wahrheit nicht mehr hört, von leidenfchaftlibem National ſtolz hingeriſſen, Eopfüber ind Verderben rennt? Ein Beweis, wie wenig ächte Neligiofttät mehr im Volke war, tft der Viehmarft fammt dem MWechölergeihäft im Vorhof des Tempeld und die willige Annahme der pharifäifchen Sagung, daß man hülflofe Eltern nicht mehr zu unterflüßen brauche, wenn das, was ihnen zu gute Fäme, dem Tempel vergabt würde 12),

41) Joſephus, Jüd. Krieg 2, 8. 14, u.3, 8. 8 fagt ausdruͤcklich: „nad ihrer Lehre verweilen die Seelen der abgefejiedenen Guten im Himmel, bis fie nach Ablauf der Zeiten von da in andere, nun heilige Leiber zurückkehren, "während die Seelen der Böfen zur Strafe in die Unterwelt verbannt werden." Nach Luk. 20, 27—40 fcheint aber doch bisweilen eine etwas Fraflere Auffaſſung der Auferfehung unter ihnen ges waltet zu haben.

12) Matth. 15, 5. Joh. 2, 14—16.

8

Natürlich wollten auch die Phartfäer, nach Art aller Heuchler, nicht umfonft heucheln, fondern benugten ihr Anfehen, um unter der Hand ihren perſoͤn⸗ lichen Vortheil zu verfolgen 13). Von den Zeiten der hadmonälfhen Dyna- ſtie her eine mächtige politifche Partei, behaupteten fi noch zu Jeſu Zeiten dis Mehrheit im Hohen Rathe der Juden, und zeigten fi) ald Rathsglieder aͤußerſt eifrig in Vollziehung des mofaifch.en Geſeßes gegen arme Sünder nad feiner ganzen Strenge 14). „Nicht zufrieden mit der dem Uebertreter auferlegten Strafe, gaben fle allem Volk das Beifpiel, dergleichen Unglüd- liche zeitlebens von jeglihem Umgang auszufchließen, wodurd der Geift ber Humanität unter der Menge ausgelöfcht wurde 15).

Weit weniger Einfluß auf Moral und Sitte der Maflen hatte die Sekte der Sadduzäer, welche Dagegen bei den Vornehmen, als Gegner der pfeudodemofratiihen Pharifäer, in defto höherem Anſehen fanden. Alle Tradition flreng verwerfend, einzig an das gefchriebene Befeg, die Thora, fich haltend, Ichrten fie da8 Erfterben der Seele fammt dem Leibe, glaubten auch weder Engel noch Dämonen 16), Ohne Ausfiht auf Lohn oder Strafg nach diefem Leben, wollten fie die Tugend um ihrer ſelbſt willen ge= übt wiſſen, hielten mehr auf bie innerliche Geſinnung, als auf das Aeußere, erfchienen in ihrem Wandel und Urtheil ftreng, oft bis zur Härte, ohne jes doch dad weitichweifige Geremoniell der Phariſäer im Mindeften zu beob⸗ achten 17). Ihrer politifchen Parteiftellung nady waren fie Anhänger der Römer. Wenn .man die Darftellung des alerandrinifchen Philo von ihren Uebertreibungen entfleidet, fo wird wahrfceinlih, daß die Sadduzäer, wenigftend zum Theil, als Freidenfer , als Spötter über phartfäiiche Lehren und Mebertreter fireng jüdiſcher Abgefchloffenheit gegen die Heiden, aud eine gewifle Ariftofratie des Geiſtes in Juda repräfentirt Haben, Der Urfprung dieſer Sekte ift ebenfalls dunkel. Zadok, ihr angeblicher Stifter, mag ver⸗ muthlich eine durch ethmologiſchen Schluß aus dem Namen „Sadduzäer * fingirte Perſon ſein. | Die dritte Sekte der Juden und bie den geringften Einfluß auf das

43) Motih. 283, 14.

44) Joh. 8,3 fe.

45) Zul. 7, 36—39. 18, 2.

46) Joſephus: Antiquitt. 13, 10. 6. Luk. 20, 27. 47) Joſephus, Jüd. Krieg 2, 8. 14.

9

Volk übte, waren die Eſſaer, welche unter dem Namen Aſidaͤer (hebr. Chasidim, die Frommen) zuerfi Maffab. L, 7, 13 oorfommen. Aehnlich ben ägyptiſchen Therapeuten aber nicht mit ihnen zu vermechfelu, bildeten fie eine religiöfe Ordensgeſellſchaft, deren Glieder der Mehrzahl nad) auf dem Lande lebten, Der Bund beftand aus lauter Männern, und beruhte auf Gütergemeinfchaft. Die Effäer waren der Ehe abgeneigt, wollten feine Waffen tragen, und opferten nie, obwohl fte in dem Tempel zu Ierufalem Weihgefchenfe und Abgaben ſchickten. Außer dem A. T., deſſen Schriften fie, wie die Pharifäer, jedoch mit mehr Redlichkeit, allegorifch außlegten, hatten fie noch andere heilige Bücher, welche fie fehr geheim hielten. Gie lehrten unabänderlihe Vorherbeſtimmung und zugleich Unſterblichkeit der Seele, übten Enthaltſamkeit, mieden und befeitigten mit ängflliher Ge⸗ nauigkeit jede Verunreinigung , hielten feine Sflaven und thaten nie einen Eid mehr, nachdem fie als neu Aufgenommene ihren Ordenseid abgelegt hatten. Die aufgehende Sonne begrüßten fie mit Hymnen und ließen, bevor Dies geſchehen war, fein weltliches Wort über die Lippen. Der Eheloſigkeit feiner Mitglieder wegen ergänzte ſich ter Orden durch neu Aufgenommene und war daher nicht ſehr verbreitet, obwohl zur Zeit des Flavius Joſephus, der jelbft einer feiner Novizen geweſen, in den Gegenden am todten Meere gegen A000 Efläer gelebt haben follen.1®)

So abgeihloffen nun der Hebraismus nad den biöherigen Betrach- jungen der heitniichen Welt gegenüber erſcheint, fo eifrig ſuchte er gerade in dem vorliegenden Zeitalter unter ben Heiden Eroberungen zu machen, und zwar am meiften phariſäiſcherſeits, weil die Pharifäer ed für ein verdienft-

liches Werk Hielten, einen Judengenoſſen (Proſelyten) zu gewinnen 19).

Man unterſchied Proſelyten des Thores, d. i. in Israel anſaͤſſige Hei⸗ den, welche ſich zur Beobachtung der ſieben noachiſchen Gebote 20) verpflichtet hatten, und Proſelyten der r Gerechtigkeit, welche den ganzen Moſaismus, die

——

18) Wir bemerken gelegenitic, daß in ven 40 er Jahren in Deutſchland ber Ben ſuch gemacht wurde, in Form einer augeblich alden Urkunde den Urfprung des Chriſten⸗ ihums fchlechtweg auf den Efiäismus zurüdgnführen. Die Idealiſtrung des Eſſaͤer⸗ ordens durch Philo mag zu diefer Myftification ermuthigt haben. Im Uebrigen ſoll nicht beſtritten werden, daß Eſſaͤiſches im Urchriſtenthum war.

19) Maith. 33, 15.

20) Enthaltung von Bottesläfterung, Goͤtzendienſt, Mor, Blutfchande, Raub, vom Genufle blutigen Fleiſches und von Witerfeglichfeit gegen die (jüdiſche) Obrigkeit.

10 "Männer durch Beichneidung und Opfer, die Weiber durch Taufe und Opfer, annahmen. Die meiften Heiden, welche aus wirklich religiöfem‘ Beduͤrfniß Proſelyten geworden, zeigten fich hernach fehr empfänglich für das Ehriften« thum, jodaß. die Profelytenmacherei der Pharifäer gewiſſermaßen als Vor⸗ arbeit für Die chriſtliche erſcheint 21).

3.

Die vorſtehend geſchilderten religiös—-ſittlichen Zuftände der Hebräer ent= ſprangen aber großentheils aus der politifchen und fozialen Stellung, welche fie damals einnahmen. Nachdem durch Judas Maffabi ein Schugbündniß mit den Römern gegen Syrien zu Stande gefommen, war der erfte Tritt in das Neg der großen Spinne geichehen, Rettung der Unabhängigkeit nicht mehr möglich, völlige Unterwerfung in Bälde zu erwarten. Unter Kürft Simon wurden die Juden „Freunde und Bundesgenoffen des römifchen Volkes“, ein Titel, der nicht, wie jo viele andere, weniger, fondern weit mehr zu bedeuten Hatte, als er fagt. Die Thronftreitigkeit zwifchen Hyr⸗ kanus II. und Ariftobulus II., welche beide die Vermittlung des Pompejus anriefen, verhalf zwar dem Hyrkanus zum Hohenpriefter- und Fürſtenthum über Juta, machte aber Tas jüdifche Volk den Römern tributpflihtig. So ſchüttelte das Heldengejchledht der Maffabäer oder Hasmonäer den Drud der ſyriſchen Tyrannei nur ab, um fein Volk den Römern als Teihte Beute preid;ugeben. Dabei handelte Judas Maffabi bloß unpolitiih, Hyrkan und Ariftobulus dagegen hantelten, ald wäre ihr Volk ein willenlofes Ding: fie madıten die Sache des Vaterlandes zu einer Privatftreitigkeit; auf ihnen Taftet die Schuld, obſchon aud ohne diefe dem Verhängnig nicht mehr audzuweichen war, Dem Hyrkanus ward der Edomiter Untipater als Pro«- furator von Cäfar zur Seite gejeht; nach der Bergiftung Antipaterd und mannigfadhen Kämpfen um den Thron erklärte dann auf Verwendung bed Triumvirs Antonius der Senat Antipaters jüngern Sohn Herodes zum Kö⸗ nig der Juden, im Jahre 40 v. Chr. Diefer, von Argwohn und Graus ſamkeit getrieben, vertilgte die legten Glieder ded hasmonäiſchen Stammes, Unter feiner Regierung ward Jeſus ChHriftus geboren; nicht lange hernach

21) Apoſtelgeſch. 2, 10. 16,14. 8, 26— 28.

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flarb Herodes. Man hat ihn den Großen genannt, wohl in Vergleihung mit feinen erbärmlichen Söhnen. Groß war er allerdings an Graufamfeit, jo daß Auguftus von ihm jagte, „es fei beſſer, des Herodes Ferkel, als fein Kind zu fein!). Bon den zahlreichen Hinrichtungen ihm abgeneigter Juden nicht zu reden, ließ er feine Gattin Marianne, feine Söhne Alerander und Ariftobulus aus Argwohn, den wirflih fchuldigen Sohne Antipater kurz vor feinem eignen Tode binrichten und „damit Ierufalem bet feinem Tode auch Thränen vergieße*, entbot er eine Menge vornehmer Juden nach Jericho, wo er krank lag, anordnend, daß fie bei feinen Tode hingerichtet werden follten. Groß war Herodes 1. auch in der Diplomatifchen Kunſt, den Man⸗ tel nach dem Winde zu hängen. Den Antonius verließ er klüglich nach der Schlacht bei Actium, weihte dem Octavian einen Tempel, befhwichtigte das murrende Volk jegt durch prachtuolle Verfchönerung des ferubabelichen Tem⸗ peld 2), dann wieder durch kluge Bürforge bei einer fchweren Hungersnoth. Doch beim Volke reichte er damit nicht aud. Durch feine Graufumfeiten, die Einführung fremder Kampfipiele und einer geheimen Polizei, dur mehrfache offene Verlegung des religiössnationalen Gefühls machte er feine Wohlthaten vergeffen, feine zahlreihen Siege, die Größe und den Glanz Judäas in Ausdehnung jeined Gebietes, in Verfhönerung Ierufalems durch pradhtvolle Bauten, in Gründung ganzer Städte. Kraft und Befonnenbeit in Gefahr hat er allezeit bewiefen ; feinem größten Feinde jedoch, fich felbft, hat er feinen Sieg jemald abgewonnen. Die Ohnmacht jeines Geiſtes ge« genüber feinen Leidenſchaften fühlte er oft; dann warfen ihn Reue und Ges wiſſensbifſe aufs Krankenlager. Uebrigens erfcheint er zum Theil auch ale ein Opfer veriworfener Günftlinge, die feine Schwächen kannten und ihm durch fchlaue Benugung bderjelben Herz und Lebensglück vollens ver« gifteten.

4.

Der Tod Herodes J. rief verwidelte Thronflreitigkeiten hervor , deren Ergebniß war, daß Herodes Archelaus ald Ethnarch das halbe Reich, Hero⸗

4) Macrobius, sat. 2, 2. 2) In feinem 18. Regierungsjahr.

12

des Antipad (dadurch der Landesherr Jeſu) Galilaͤa und Peraͤa, Philippus Batanen, Trachonitis und Auranitis, die Wittwe Salome eine Summe Beldes und etliche Städte erhielt. Sechs Jahre nadı Chrifti Geburt warb Archelaus infolge der vereinigten Klagen feiner Brüder, der Suden und der

Samariter, welche feine Bedrückungen nicht länger zu ertragen vermochten,

son Auguftus nach Bienna in Gallien verbannt. Bon da an wurden Judäa und Samaria, zur Provinz Syrien geſchlagen, durch römiſche Procuratoren (Landpfleger, Statthalter) verwaltet. Ste beforgten bie Faijerlihen Ein⸗ fünfte, übten richterliche Gewalt, zumal die peinliche Geridhtöbarfeit!), und hatten den Befehl über die in Judäa und Samaria liegenden Truppen. Ihr eigentliher Sig war Caͤſarea, von wo fle nur an hoben Feſten, um bie Ordnung unter den berbeigeftrömten Volksmafſſen aufrecht zu erhalten, und bei ſonſtigen befonderen Veranlaffungen nad Jerufalem hinauffamen. Laut Joſephus Angabe 2) befaß zwar der erſte Procurator, Goponius, die Blut⸗ gerichtäbarkfeit noch nit; Pilatus Hingegen, der zweite Bandpfleger unter

Kaiſer Tiberius, übte fie nicht wur Jeſu, fondern nad den Berichten ber

Evangelien aud vielen Andern gegenüber 3). Pontius Pilatus, jo ſchwach er ſich bei ber Verurtheilung Jefu zeigte und fo viel ihm damals daran ges legen ſchien, es mit den fanasifchen Juden ja nicht zu verderben, legte doch Feftigfeit genug an den Tag, wenn e8 galt, dem Kaifer zu dienen oder auch nur zu ſchmeicheln, eine Feſtigkeit, welde gegen den jüdiichen Fanatismus nicht die mindeſte Ruͤckſicht kannte. Als er die mit Bildern des Kaiſers ver⸗ zierten Feldzeichen nach Jeruſalem gebracht und daſelbſt offen zur Schau geſtellt hatte, eine Handlung, welche den Juden wie Kaiſervergötterung in ber heiligen Stadt vorkam, drohte er den darüber Aufgebrachten zuerſt, ſie niederhauen zu laſſen, wenn fle die Bilder des Kaijerd nicht duldeten, und gab erfi nach, ald der ganze von den Truppen umringte Volkshaufe fih auf die Erde niederwarf und Die Häupter den Todesftreichen beugte mit dem

Auf: „Lieber den Tod erleiken, ald das Gefeg übertreten!* Später einmal-

verwendete er den heiligen Schag (Korban) zum Bau einer Waflerleitung und ließ, flatt der hierüber tumultuarifch verfammelten Menge nachzugeben, den Schreiern Durch feine Soldaten mit Prügeln ven Mund flopfen. Es war

4) Joh. 18, 31. 2) Züd. Krieg 2, 8.1. 3) Luk. 13,1.

Ed

13

in ihm eine Aber brutalen Humors, bie ſich auch bei der Kreuzigung Jeſu nicht verleugnete: der Landpfleger Tieß über das Kreuz die höhnifche In⸗ ſchrift fegen: J (esus) N (azarenus) R (ex) J (udaeorum). Rach zehnjähe tiger Verwaltung endlih beim Präfes von Syrien, Vitellius, angeflagt, ward er von diefem zur Verantwortung vor Tiberlus nach Rom geſchickt. Dies gefhah ungefähr drei Jahre nach EChrifti Tod. Zwei Jahre früher war der Vierfürft Philippus geftorben. Ungefähr fünf Jahre nach Ehrifli Tod reif’te der Mörder Iohannid des Täufers, Herodes Antipas, ein ſchwelgeri⸗ ſcher, Hinterliftiger Fuͤrſt, auf Betrieb feiner Gemahlin Herodias zum Kai⸗ fer Galigula, ſich die Königswürde von ihm zu erbitten. Statt diefe zu er⸗ langen, ward er nad Lugdunum (Lyon) verbannt, fein und des Philippus Land dem Herodes Agrippa übergeben, demfelben, auf deflen Geheiß der Apoftel Jakobus hingerichtet ward 4). Agrippa J. mußte ſich die Gunft des Volkes fo fehr zu gewinnen, daß es ihn bet einem öffentlichen, zu Ehren des Kaiſers veranftalteten Kampflpiel ald einen Gott begrüßte?), Sein Sohn Agrippa II. wegen willfürlihen Ab-⸗ und Einfeßens der Hohenpriefter bei den Juden wenig beliebt, hielt nad) tem Ausbruch des furchtbaren Ver- tilgungskrieges fortwährend die Partei der Römer, mie überhaupt Die Hero» dianer thaten, im Gegenfaß zu den nationalgefinnten Pharifäern.

Mährend der Regierung Agrippa's 1. walteten keine Procuratoren im Lande. Nach feinem Tode eröffnete die Reihe derjelben Cuſpius Fadus, der die Häuberhorden zu bezähmen wußte. Unter feinen Nachfolgern fteigerte fofdatifcher Muthwille, Willlür, Bedrückung und Beftechlichfeit die Zer⸗ rüttung im Volke immer mehr. Die Räuberbanden (Sikarter) mehrten, bie Bande der Gefellfchaft löſten ſich, bis endlich unter Florus das radhedürftende- Volk in Maflen aufftand, um nad furdtbaren Kämpfen dad Opfer feines- meſſtaniſchen Wahnes, phärifätiher Hetzerei und römifchen Uebermuthes zu werden.

8.

Die Vergrößerung der Städte und die wachſende Verwicklung der po⸗ litiſchen Verhaͤltniſſe, ſowie die Zerſtreuung einer großen Zahl von Juden

4) Apoſtelgeſch. 12,1 ff.

5) Apoftelgefch. 12, 22. u. 23. Unglaublich bei der damaligen ſtreng theokra⸗ tiſchen Richtung der Juden, es fei denn, daß die feilen Herodianer zuerft riefen und fo bie übrige Menge-mit ſich fortriflen.

44

in alle Länder der Heidenwelt, hatten die von Moſes feflgefegte foziale Ord⸗ nung längft ihres fegensreichen Einflufied beraubt). Zwar wurten nach ber Nüdfehr aus Babylon Jubel- und Sabbathsjahr gewiſſenhaft gefeiert und Joſephus führt noch aus der Zeit des Johannes Hyrkanus eine Sabbaths⸗ jahrfeier an?). Mit diefen Einrichtungen erhielt ſich dann auch die Gliede⸗ sung der Hierardie bis in die legten Zeiten; aber die Anforderungen der römifchen Oberherrn nahmen wenig Rückſicht auf dieſe Einrichtungen und machten deren wohlthätige Zwede größtentheils illuforifh. War ein Sabs bathsjahr oder nicht, Die jährliche Steuer von 1 Denar auf den Kopf mußte bezahlt werden, ebenfo der an römiſche Nitter verpachtete Zoll, welche wieder, zumal in den Kafenftäbten, ihre Untereinnehmer, die „Zöllner“, hatten, Letztere, Die, nad Judenart, in Geldſachen audy nicht immer die Redlichſten bei ihrer Verwaltung fein modten, wurden als die Gehülfen der Unterdrüder von ihren fanatiichen Stammesgenoffen auf's Bitterfte gehaft, im Evanges lium mit den „Sündern*, im Talmud mit Räubern und Mördern zuſam⸗ mengeftellt 3). An ihnen lich der Fochende Grimm ber Pharifäer,, ber fid vor den Römern Duden mußte, feine ganze Stärke aus, ald an Sünden- böden des Nömerhafles.

In den Antiquitäten des Joſephus (12, 3, 3) Anden wir zum erften Mal ausdrücklich erwähnt das Synedrium, den hohen Math der Juden, beftehend aus. den Hohenprieftern, Aelteften und Schriftgelehrten pharifäifcher fowohl als ſadduzäiſcher Partei. Diefe Behörde vereinigte die oberfte geießges berifche und adminiftrative Gewalt in Firchlichen Dingen mit der richterlichen Gewalt in Rechtsſachen, die einen ganzen Stamm, oder einen willfürlichen Krieg, oder ein Staatöverbrecdhen, oder endlich kirchliche Dinge betrafen. Präfident war gewöhnlich, wenn auch nicht immer, der im Amt befindliche Hoheprieſter. Wie vielfach übrigens die Gewalt des Synedriums theils Durch die Herodier, theild durch die Landpfleger eingefchränft wurde, läßt ſich aus Obigem erfehen. Ungeachtet einiger Aehnlichkeit mit dem Rath der Siebzig, welhen Mofed, und dem Öbergeridht, welches König Joſaphat errichtet hatte, iſt das Synedrium ein nicht mofaifches, früheftend unter feleuzidifcher Oberherrſchaft aufgefommenes Inftitut2).

4) Bol. Thl. II., ©. 119 fg.

2) Jüd. Krieg 1, 2. 4.

3) Matth. 11, 19. Luk. 7, 34.

4) Mof. 4, 11, 16. Chron. 2, 19, 8.

15

Auch das Synagogenwefen entftand erſt feit dem Exil. In der Synagoge (Berfammlungshaus) Hielt man zur Zeit Chriſti und feiner Apoftel nur am Sabbath Gotteddienf. Der Synagogenabwart begann mit einem Gebet, verlas hierauf Die der Reihe nad folgende Stelle des Pentateuch (Paraſche) und der Propheten (Haphtare) im Original, nebft aramälicher Ueberſetzung, und dann konnte zur Auslegung im freien Vortrag oder Ges fpräd) Ieder auftreten. Der Segen und das Amen machten den Schluß. Die Vorfteherfchaft der Synagoge befand aus einem’ „Oberften der Berfamm- lung“ in jevem Ort, wo fid eine Synagoge befand, und einem ihm beige- geben Rath von „Aelteſten“. Der Oberfte wachte über die Ordnung in den Verſammlungen, leitete mit dem Rath der elteften dad ganze Synagogen weien und hatte außer tem Abwart noch einen Diener unter fi, welcher ungefähr die Stelle eines Küfters verfah. In den Synagogen wurden auch irrgläubige und abtrünnige Juden gegeißelt.

6.

Der Banatismus iſt Verweſungshauch einer im Herzen erflorbenen Religion. Das erhellt deutlich aus den jüdiſchen Geſchichten damaliger Zeit. - Den Biehmarft im Vorhof des Tempeld duldete man, über eine Heilung am Sabbath erhob fich entfetzliches Gefchrei. Daß Herodes einen goldenen Adler über einer Pforte des Tempels angebracht, entflammte die Geſetzes⸗ eiferer zur Wuth, einen Schwur beim Tempel oder Altar brachen diefelben ohne Bedenken. Iammergeichrei erhob fi beim Anblid der mit Tiberiud Bilde gezierten Beldzeichen, allein wenn Pharifäer der Wittwen und Waiſen Gut fich aneigneten, ertönte feine Klage. Die Religion der Juden war, fo zu fagen, Eind geworden mit ihrem National-Stolz und «Haß. Was von der Religion darüber hinaus geht, war unter ihnen kaum mehr zu finden. Die Form hatte den Geiſt, Ceremontendienft die Tugend verfchlungen. Wie es mit der fittlichen Gefinnung der Nation ftand, davon zeugt am beften das feit der römifchen Herrſchaft mächtig wuchernde Raͤuberweſen. Bald als Propheten, bald als Tyrannenſpieler fanımelten Abenteurer zahlreiche Ban den, auszuziehen auf Raub und Mord 1). Herodes und die Procuratoren

4) Joſephus, Juͤd. Krieg 2, 22. 2. Antiquitt. 20, d. 1.

16

ſchickten zu wiederholten Malen Truppen gegen fle aus; vergeblih. Bald mußten Procuratoren fih bequemen, die Mäuber gegen Entrichtung einer Steuer zu dulden2). Ste felber mehrten deren Zahl dur Entlaffung der Gefangenen gegen eine Loskaufſumme. Im füdifchen Krieg bis zu deſſen Ende war der Einfluß der Raͤuber vorwiegend, ein Beweis, wie tief die öffentlihe Moral gefunfen war. Für den Geiſt damaliger Zeit bezeichnend iſt auch der Umftand, daß die Mäuber im großen Kriege den Namen Zelo⸗— ten, d. 5. Eiferer für Gott und fein Gefetz, annahmen. Diefe Dinge be— treffend, bezeugt der Jude Joſephus ſelbſt: „Wenn das Feuer an einem Punkte gedämpft war, fo brach, wie an einem kranken Leibe, das Fie- ber wieder anderswo aus *?). Wir machen nur noch darauf aufmerkſam, wie fehr die weltlichen Mefftashoffnungen das Volk für tie Stimme jedes Verführers empfänglich machen mußten. Ohne ſie wären nicht Yaufende bald dem Theu⸗ das, bald dem ägpptiichen Gaufler, bald jenen Schwärnern nachgelaufen, die in der Wüſte göttliche Wunderzeichen der Befreiung verhießen 2).

7.

Ueber Bethätigung des hebrälichen Geiſtes in Kunft und Wiffenfchaft ift aus diefer Zeit wenig zu melden. Die Poeſie bat Feine und befannten Erzeugniffe mehr hervorgebracht. Woher religiöje Lieder, wenn die Reli« gton nicht mehr Sache des. Herzens it? Malerei und bildende Kunft waren den Juden, wie vordem, fremd geblieben. Nur bie Baufunft lebte unter den Herodiern auf, wie nie mehr feit Salomond Tagen. Ihre Krone war der Tempel, den Herodes I. in größerm Maaßſtab ald dem falomonijhen aus weißem Marmor mit Goldverzierungen erbaute. Seine erhabene Pracht be⸗ wundernd, fuchten Die Mömer ihn bet Jeruſalems Eroberung mit änßerſter Sorgfalt zu ſchonen; aber in glühenten Schutt ſank das herrliche Bauwerf- zufammen, nachdem es dem Feldherrn Titus faum.vergönnt gewefen, einen Blick in fein Innered zu werfen.

Was die Wiffenfchaften angeht, fo waren die Priefter, wie von Altera

2) Joſephus, Antiquitt, 20, 11.1. 3) Jüd. Krieg 2, 13. 6. 4) Shendaf. 2,13, &u.85.

17

ber, die Aerzte ihres Volkes geblieben, in weldger Stellung fe unter Anden.‘ rem auch dem Teufelaustreiben oblagen, weil nad damaliger Anſchauung fallende Sucht und Geiſteskrankheit aller Art dem Innewohnen eines oder mehrerer Teufel zugeſchrieben wurde).

Wie wir bereitd angebeutet, ward bie Sammlung der altteſtament⸗ fihen Urkunden Furz vor Ehrifti Geburt geichloflen; das Jahr des Ab- ſchluſſes ift unbeflimmbar. Philo fheint das A. T. als Ganzes anzuführen, nennt aber nicht alle einzelnen Schriften deſſelben. Joſephus erft führt in

feiner Schrift gegen Apion faft alle altteft. Bücher auf und zählt deren 22. Die griechifche Ueberſezung ber altteſt. Schriften iſt De Wette zufolge bis

130 v. Chr. ganz oder größten Theils vollendet worden.

Um Eprifti Zeit blühten in Serufalem und vielen andern Städten be Landes hauptfächlich der Geſetzeskunde gewidmete gelehrte Schulen. Weiter bliende Lehrer mögen die Jünglinge wohl auch mit griechiſcher Literatur be⸗ fannt gemacht haben, wie denn Paulus, des Bharifäerd Gamaliel Schüler,

. den Spruch 1. Kor. 15, 33: „Böje Geſchwätze verderben gute Sitten*, wvoͤrtlich von dem hellenifchen Dichter Menander entlehnt bat 2).

Die Juden waren durch ihr Exil mit perfiihen Neligiondlehren, bes fonders der Damonologie bekannt geworden. Daher ihr kraſſer Teufelglaus.

- ben zu Iefu Zeiten, gefördert durch die Vorftellung, daß. die Gögen ber Geiden eigentlich Teufel feien, welche die Menfchen zu ihrer Anbetung ver⸗

führt Haben, wodurch 3. B. der Götze Baal⸗Sebub untes dem Titel Beelze⸗

bub zum „Oberſten der Teufel“ erhoben. ward 2). Hinwieder hatte Uleranderd des Großen Zug die Juden mit griechiſcher

Bildung und Religion bekannt gemacht, eine Bekanntſchaft, die ſich mit der

Auswanderung einer immer größern Zahl nach Aegypten, beſonders nach Altxandrien, dem damaligen Hauptfig griechiſcher Cultur, fortwährend ſtei⸗ gerte. Unter den alexandriniſchen Juden fand zuerſt eine geiſtige Verſchmel⸗ zung des Hebraismus mit dem Hellenismus ſtatt, was auf die Geſtaltung der drei jüdiſchen Sekten auch im Mutterlande, befonderd auf Sadduzäis⸗ mus und Eſſäismus, jedenfalld nicht ohne Einfluß blieb. Die alerandris

niihe Richtung fuchte entweder die jüdifchen Meinungen durch griechiſche

*

.— un ———

1) Matth. 12, 27. 8,28. 17, 14 ff.

1) Es iſt ein vollſtaͤndiger Zrimeter: pselgovasv 797 zejas! ouAlaı zaxab- 3) Matth. 12, 24.

Scherr, Geſch. d. Religion. III. 2

18:

Begriffe zu erklaͤren / oder ſib fuchte die heil. Bäder auch als⸗ Quellée ber griechifchen Vhiloſophie darzuſtollen und ward fo wahrſcheinlichſdie Mutter bes, allegorifhen:Shriftauslegung. Ihr vornehmfler - Reprä fentant ift der Jude Philo, geb. etwa 30 Jahre vor Chriſtus in Alerandrien: Unter feinen: zahlreichen Schriften ‚heben wir befonders feine: Apologie“ (Bertheidigungsichrift für die Juden) hervor. Er deutete den Mato in den: Moſes hinein, jo dag esralkgemeim hieß: Entweder: platonifirt Philo oder Plato philoniſtrt.“ Obwohl er daran feſthielt, das Moſes unmittelbare göttliche Belehrung empfangen habe, wußte er doch’ Fülgendes aus ihm her⸗ außzudenteln: „Die Welt fei aus zwei Prinzipien entfländen, der befchaffen« - heitölojfen Materie und Gott, als der Duelle alles Wahren, Guten: und Schönen. Gott hat fih in die Materie verfenkt, um daraus tie Welt zu ſchaffen. Sein Verſtand enthält das Muſterbild der Welt, jein Wille bie - Naturkraft der wirklichen Welt. Ohne unmittelbare göttliche Einwirkung aufi die Seele weiß: der Menſch nur, daß ein Gott ift, nicht wie er iſt.“ Man. fteht, wenn died Die Lehre des Moſes fein fol, fo hat er feine unmit« telbare Erleuchtung nicht von Bott, jondern von Philo empfangen. Trotzdem iſt Philo unter den Philofophen jenes Zeitalterd, obwohl der einzigenamhafte jüdeſche, doch nicht der geringfte gewefen: Er gehörte zu den Eſſaͤern, zeigte aber deſſen ungeachtet eine umfaſſende Theilnahme für alle feine Stammes⸗ genoſſen. Noch als Greis reiſ'te er im Auftrag ſeines Volkes zum Kaiſer Caligula, um ſeine Volksgenoſſen gegen die Verläumdungen eines Apion und Anderer zu vertheidigen. Nicht als Philoſoph, aber wohl als Geſchichts⸗ ſchreiber Hat ſichunter den Juden hervorgethan Flavius Joſephus, geb. 37 nad Chr., wahrſcheinlich in Jeruſalem. Er ſchtieb in griechiſcher Sprache die. „güdifchen Alterthümer“ (Antiquitates), Die Apologie gegen Apion und: die Geſchichte des jüdiſchen Krieges, den--er perſönlich mitgemacht. Daß er auch letztgenanntes Werk von ſeinem Parteiſtandpunkt aus geſchrie⸗ ben, ſollte ihm nicht zu ſehr verargt werden. Außerordentliche Geiſtes⸗ und Willenskraft gehört Dazu, als unparteiifcher, unbefangener Geſchichtsſchrei⸗ ber Ereigniſſe darzuſtellen, in deren Verlauf man ſelbſt ſehr ſtark Partei ge= nommen. Die Schoͤnrednerei, welcher ſich Joſephus bei jeder Gelegenheit hingibt, war damals Mode. Bei allen Mängeln find feine Werke doch eine Sauptquelle für die Kenntniß damaliger Zeitumflände,

1%

Zweites Kapitel. @ine untergehende Welt. (Sätuß.)

1.

Don Ierufalem wenden wir und nad Rom, dem Schaufpiel des Unter«

gangs der alten Gejellichaft von einem anderen Standpunfte zuzufehen, d. 5.

und von den religiöfen, fittlichen, politifchen und literarifchen Zuſtänden der römifchen Welt zur Zeit ihres Berfalld ein Bild zu mahen. Wir wer⸗ den zu dieſem Ende bis in die Zeit der Antonine herabfteigen müffen, wo

die Auflöfung der antifen Ideen, Sitten und Einridtungen ſchon ganz un«

hemmbar geworden war. Die Betrachtung ber fpärlichen Lichtſeiten, der’ furchtbaren Schättenfeiten diefes Bildes wird erfennen Tafien, wad der Aus⸗ breitung des Chriſtenthums im römijchen Weltreich Hinderlich und was ihm’ förderlich gewefen. Der Gefammteindrud wird fein: dieſe verroftete Welt’

fonnte nicht mehr dauern; es mußte etwas Anderes fommen. Im Zeitalter des Auguftus war der alte Götterglaube bereitö allge= mein, bei den gebildeten Ständen wie unter der Mafle des Volkes, tief er⸗

ſchüttert. Schon Eicero hatte geäußert, ed glaube fein altes Weib mehr an’

r

Bühne herab ſprechen laſſen: Warum fol ih, ein armer Sterblicher, nicht

Elyſium und Tartarus. Ungeſcheut durfte Terentius, der 160 Jahre vor der Schlacht bei Actium geboren war, einen Wollüftling von öffentlicher

thun dürfen, was tie Götter thun?“ Ennius, des Scipio Afrifanus vertrauter Breund, verjpottete in ſei⸗

nen Gedichten die Wahrfager und Zeichendeuter. Auguftus felbft zeigte fich |

als einen Verächter der oberften olympifchen Götter. Unter Tiberius lie fid) feine Iungfrau mehr zur Priefterin der Veſta weihen, bid man den Veſta⸗ linnen neue wichtige Vorrechte ertheilte, und unter Claudius waren bie

Geremonien zur Einweihung eines Supiterpriefterd wie diefenigen zur prie⸗

fterlicden Einfegnung der Ehen in Vergeffenheit gerathen, ein Hauptbeweis für den Verfall des Väterglaubens auch unter der ungebildeten Volksmenge. 92 *

»

20

Wodurch die Gebildeten zur Verachtung der althergebrachten Religion ge⸗ führt worden, wird die Darſtellung der literariſchen Verhältniſſe zeigen. Schwieriger möchten die Urſachen, warum der große Haufe fich vom der Volksreligion innerlich abgewendet, Far zu machen fein. Glückſeligkeit für fih und die Seinen hatte auch der Heide bei der Gottheit gefudht. Die follte der Preis feiner Opfer und Gebete und feines Gehorſams gegen bie Gebote der Götter fein. Allfaͤlliges Mißgeſchick fchrieb er dem Zorn irgend einer Gottheit zu, den er durch eigne Schuld auf fich geladen. Oder, wenn er fih Eeiner Schuld bewußt war, dem Neide der Himmlijchen. Diefen Zorn und Neid fuchte er, fei ed durch Opfer, fei e8 durch fonftige Bußhandlungen, zu beſchwichtigen. Nachdem aber die römifche Herrſchaft über ben ganzen Erdkreis ausgebreitet war und in Folge deſſen die Unterjochten Die Ohnmacht

ihrer nationalen Schuggätter Fennen gelernt hatten, unter der Blutfaugerei

römifcher Beamten feufzten, gegen die ſchändlichften Gewaltthaten der über- müthigen Sieger nirgends mehr Schug noch Hülfe fanden, als auch die rö« mijche Pleb8 von den Optimatenfamilien eine ähnliche Behandlung erfuhr

und faft in allen Dingen die Schändlichfeit triumphiren, erhabene Tugend

in fruchtloſem Ringen verbluten ſah: da fing das getäufchte Volk an, die Macht, die Gereihtigfeit, felbft das Dafein der bislang verehrten Götter zu bezweifeln: dad allgemeine Unglüd war der erite Todeöftoß in das Herz der vordhriftlichen Religionen.

Andere Grundgedanfen bargen fi unter dem geheimnißrollen Schleier der ägyptiſchen, andere unter den Wollüften und Graujamfeiten der fyro= phönicifchen, andere unter den poetifchen Göttergeftalten der helleniſch-⸗römi⸗— fchen Religion. Ob nun auch diefe verfchiedenen Grundgedanfen dem Volfe nie Elar zum Bewußtfein gefommen fein mochten, fle waren doch wirkſam in . der Ahnung und dem Gefühl der Gläubigen. Al aber durch die Religiond« politif der Römer nad und nad) eine Vermifchung aller Eulte entftand,, fo daß die Oberherren die Götter der Beflegten auch unter Die ihrigen aufs nahmen und Hinwieder helleniihe und römifche Gottheiten nah Aſten und Afrifa wanderten, ta hatte die rein äußerliche Vermengung der prinzipiell

fo verfhiedenen Religionen ein völliges Erfterben ihres idealen Gehaltes zur.

Folge, womit ihnen auch im Gemüth der Menge der Lebensnerv entzwet

gefchnitten war. | Vollends in Verachtung gerietb dad alte Götterwefen, nachdem bie

römifhen Kaifer angefangen, ſich felbft und ihre Günftlinge noch bei Leb⸗

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zeiten vergöttern zu laſſen). Sejanus, des Tiberius Günflling, brachte feiner eigenen Gottheit Opfer. var, öffentlich, ungeftraft; ebenfo ber Kaifer Cajus Caligula, welcher ed mit Heeresgewalt hatte erzwingen wollen, daß feine Bildſäule, göttlicher Ehren zu genießen, im Tempel zu Jerufalem aufs geftellt werde, als ihn plöglich das Schwert der Rache traf. Seine göttliche Verehrung durch Opfer und Altäre, fowie fpäter die des Nero wagte der elende Senat nicht zu hindern, und nie mehr erholte ſich diefe vormals fo ehrwürdige Verſammlung von folder Schante. Sie fank vielmehr fo tief, daß Kaifer Domitian jedes feiner Edifte beginnen durfte mit den Worten: „Wir ald Herr und Gott verordnen.? Mochte die Apotheofe der Katfer, zuerft nur nach ihrem Tode geübt, fi) auf die alt hergebrachte Hervenver- ehrung (Romulus) gründen; nur um fo lächerlicher und erbärmlicher er⸗ ihien dem natürlich unbefangenen Gefühl die göttliche Verehrung von Men⸗ fhen, weldye, halb wahnfinnig von Wolluft und Blutgier, von Geiz und Habſucht, Sklaven entmenjchter Dirnen und Xotterbuben, den Thron der Gäfaren ſchändeten, um meift unter ten Dolchen derer, welche ihnen ge⸗ opfert, ihr Leben auszuhauchen.

Die Götter Homers und Heſiods, wie nicht minder die altrömiſchen Gottheiten, hatten ihrer nackten Natürlichkeit ungeachtet, einen gewiſſen fitt⸗ lichen Gehalt. Daß dieſer ſchon vor der Kaiſerzeit keinen Einfluß mehr übte, iſt ein fernerer Grund, warum die Glaubenslehren der Religion ſelbſt un« ter der Volksmenge ihren Boden verloren. Denn gleichwie mit der Reinheit religiöſer Ueberzeugung und durch dieſelbe die Sittlichkeit ſteigt, ſo fördert hinwieder die Sittlichfeit die religiöſe Ueberzeugung, fo erſchüttert auch Ent« ſittlichung den religiöſen Glauben ſelbſt.

Zu Alledem kam nun noch die Erweiterung des Gedankenkreiſes unter dem Volke durch den vielfältigen Verkehr, den geiſtigen Austauſch aller Na⸗ tionen, welchen die Ausbreitung. des römijchen Weltreiches hervorgerufen, und der Einfluß der gebildeten Stände auf die ungebildeten, zwei Mächte, die auch den Handiverfer, den Bauer und gemeinen Soldaten zum grübeln- den Nachdenken über die Glaubendlehren antrieben und die Findlich naive Auffaffung der nationalen Religionen gewaltig erfchütterten. Dem Einfluß

———

1) Betreffend die Bergötterung des Caligula läßt Seneca einen der Götter fagen: „Sonft war es ein großes Greigniß, ein Gott zu werben, jeßt ift dies Feine Ehre mehr in der öffentlichen Meinung.“

2

„ber gebildeten Spötter und Philoſophen widerfland keine geſchloſſene Prie⸗ ‚Herkafte, fo weit das Eaiferliche, Szepter reichte. (Der aͤgyptiſchen fehlte zum „guten Willen die Gewalt.) Den letzten Reſt religiöfen Gefühl überwanden bei Vielen die Reize der Dichtung, unter deren Hülle Lucretius und Hora⸗ ‚tus ihre epifuräifche Lebensanfhauung in die Gemüther einzufchmeicheln „mußten. "

2.

Zerftören ließ ſich die Volksreligion Teiht, nachdem die ihr zu Grunde liegenden Ideen aus Bewußtfein und Gefühl verfhwunden waren. Da aber die Philoſophie, ohnehin in viele Lchrmeinungen zerfplittert, von der Volks⸗ menge nicht verflanden ward und fomit auch nicht die Stelle der Volksreli⸗

‚gion vertreten Fonnte, fo that dies der Aberglaube, zu welchem ſchon von Alters her Stoff und Neigung genug vorhanden gewefen. Daß die Rö« mer in ihrer Tagwaͤhlerei, in Beobachtung der heiligen Hühner, des Vogel- fluge® und der aufgefchnittenen Opferthiere, um hieraus zu weiffagen, fort«

fuhren und bei ihnen auch dad Anſehen der ſibylliniſchen Bücher aufrecht blieb, daß die ärgften Spötter unter Hellenen und Römern in der Noth dem

Apollon einen Dreifuß, in Krankheit dem Asklepios einen Hahn gelobten, wäre für fih allein nody nicht als ein Zeichen überbandnehmenden Aber⸗ glaubens zu betrachten. Wie die Römer von den Seelen der Verflorbenen dadıten, wundern wir und auch nicht über den Eraffen Beipenfterglauben, der fih fchon in der Erzählung von dem zweimaligen Geſicht des Republt« kaners Brutus, Cäfars Mörder, noch mehr in fpätern Geifterbefchwörungen fund gibt. Dies vielmehr iſt das untrügliche Zeichen des wachjenden Aber⸗ glaubens, daß man ſein Heil in den zuchtloſeſten Orgien orientaliſcher Culte,

in der ausländifchen Magie aller Art zu ſuchen allgemein anfing. Vergeblidy hatte der Senat 53 vor Chr. den Tempel der Iſis und des Serapis zerftören

Iaffen, derjelbe ward bald wieder aufgebaut. Der Iflss, Kybele- und Ado⸗ nisdienft nahm, felbft unter den Vornehmſten, immer mehr überhand und

‚führte zu womöglich noch größern Scheußlichkeiten als die Bacchanalien 1). Was geraume Zeit vor ihnen im Geheimen war getrieben worden, ward Dur den ſyriſchen Sonnendienft ded Kaiſers Heliogabalus (219 nad Chr.)

1) Bol. Thl. 11, S. 211— 12.

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‚und, die zur. Erforſchung der Zukunft eifrig geübte Kiuderſchlaͤchterei des Wales rianus (253 260. nach. Ehr.) nur. eineri groͤßern Oeffentlichkeit überliefert.

Aus .Babylonien, Baläfina, Syrien und Aegypten ergoffen fiy Schaa⸗ von von Beirügern durch das ganze römifihe Mach, welche als Lraumbenier, Wahrfager, Wundesärzte,. Zauberer. bei Hehen und Niebern die bereitwilligfie Aufnahme fanden. Bei den Griechen hießen fie Goeten, bei den Mömern ‚entweder Magier oder Chaldäer. ‚Einen Chaldaͤer als förmlich Angeftellten zu haben, gehörte bald bei den vernehmen Käufern Roms zum guten Ton, auch Könige und Fürften bedienten fich Diefer Leute, wie denn z. B. Herodes Arhelaus, nachdem fein Acht herodiſches Gewiſſen einen fatalen Traum ges träumt , etliche Wahrfager und Chaldäer kommen ließ, um ihre Auslegun- gen zu hören. Die Zauberer jüdifcher Abkunft rühmten ſich der Künfle Salomons, die Aegypter traten insbeſondere als Schlangenbeſchwoͤrer auf, Aber audy Ephefus in Kleinaſien war berühmt als ein Sauptflg der Zau⸗ :herei, vermutblih von ber myſtiſchen Secte ihres Artemiscultus ber. Plutach im Sympoſton erwähnt der epbeflfhen Zanberformeln CEykoia ‚yodumora), weldre man in gewiſſen Faͤllen entweder herſagte oder, auf Bergamentftreifen gefchrieben,, als Amulete bei ſich trug. Nicht zufrieden, fh von Zauberern bedient zu fehen, ſtudirte man auch ſelber höchſt eifrig :die damals ſchon unterſchiedene weiße: und ſchwarze Magie. Als Frucht der⸗ artiger Studien trieben ärmere Weiber einen ſchwunghaften Handel mit Ziebeötränfen, mobei ed :begreiflich ohne: Gift nicht zu machen war. Vor⸗ nehme Römerinnen waren in Privatveriegenheiten -eifrige Dikettantinnen :Diefer ſchmutzigen und verbrechertichen: Wiſſenſchaft. Wie fehr ſchon zur Zeit »des Auguftus bie Liebeszauberei in Rom Mode-war, bezeugt-Virgil?). Bet

2) In der Aeneis (IV., 478 fg.) fagt Dido zu ihrer Schwefler Anna : Preiſe mich gluͤcklich, o Schwefter! ich fand ein ficheres Mittel, Das ihn (den Aeneas) mir wiedergibt, wo nicht, von der Liebe mich Löfet. An des Oceanus Bränz’ und nahe der finkenden Sonne . Liegt ber Aethiopier äußerfies Land, wo der mächtige Atlas Auf der Schulter den Pol den ſternumſchimmerten drehet. Dorther zeigt ſich die Prisfterin mir des maſſiliſchen Bollks'. ... . Diefe verfpricht: durch Baubergefang bie Herzen zu Iöfen, - Welche:fie will, und andre mit Liebesqual zu beladen, - Flüffe zu · hemmen im. Sauf und zuruͤck die Sterne zu wenden; Auch beſchwoͤrt fie die Manen ber. Nacht...

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- feinem Zeitgenoſſen Horaz erfcheinen diefe abergläubifchen Praktiken ſchon in . ihrer furchtbarſten Ausartung ?). Natürlich Fonnte ed damals, wie das in allen Perioden foztaler Auflöfung der Ball ift, nicht an Caglioſtros fehlen. In der Bahl derfelben erfreute fi befonderer Berühmtheit der mit Anfang, der priftlichen Zeitrechnung geborene Pythagoraͤer Apollonios von Tyana in Kappadokien. Er fland bei Kaifer Befpaftan im Anfehen eines Orakels und ed wurden ihm ganz ähnliche Wunderthaten zugefchrieben,, wie den Saint Germain und Balfamo im 18. Jahrhundert.

3.

Während die Zerſtörung der alten Volksreligionen ſich dermaßen . Schritt für Schritt vollzog, gelangten höher Gebildete zu den Ideen des Monotheisſsmus, einer geiftiger gefaßten Unfterblichfeit und einer mehr ver⸗ innerlichten Frömmigkeit, wie dies im dritten Buch unferer Religiondge- ſchichte SS. 200 und 220 Dargeftellt worden iſt. Solche glücklicher orga- niſirte Geifter ftanden aber fo vereinzelt, daß fie keinen durchgreifend pofl= ‚tiven Einfluß gewinnen fonnten. Um jo mächtiger wirkte auf alle tiefern Gemüther die Erwartung einer neuen beflern Zeit, wie fie ſich in einzelnen - Stellen der Dichter und in den durch das ganze Morgen» und Abendland verbreiteten meſſtaniſchen Prophezeiungen ausſprach. Zwar können wir, wenn Kirchenväter, wie Eufebius und Auguflinus, die berühmten Verſe der 4. Efloge des Virgil, in welden der Dichter den zu erwartenden Sohn des Aſinius Pollio ald den Vorläufer der Wiederkehr des goldenem (faturninie fhen) Zeitalters feiert 1), ald eine unmittelbare Vorherverfündigung des Meſſias deuteten, diefe Deutung nur als eine ganz willfürliche bezeichnen. Dennoch aber ift gewiß, daß fi in dem bezeichneten Gedicht das fehnfüchtige

3) Horat. epod. carm. V.

4). Schon ift das Ende der Zeit nach dem Liede von Cumaͤ gefommen Und großartig Beginnen den Lauf ganz neue Geſchlechter. Schon kehrt Aſtraͤa wieder, es Fehrt Saturnus’ Regierung, Neue Geburten’ entfleigen num bald’ dem erhabenen Himmel. . Sei nur dem werdenden Knaben , mit dem fih das eiferne Alter Schließt und die goldene Zeit auffleiget dem fämmtlichen Exbfreis, Sei nur, feufche Lucina, ihm hold... . .

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Gefühl der Nothwendigkeit einer durchgreifenden Veränderung ausfpriät. Und gewiß if ferner, daß im ganzen Orient, wohl durch die überall an⸗ fäfftgen Juden verbreitet, die Runde vom bevorftehenden Auftreten eines mächtigen Judenkönigs umging 2).

In das Abendland, nah Rom felbft, drang das Gerücht in dieſer Ge⸗ ftalt: die Weltherrfchaft folle an das Morgenland gelangen und die Natur den König des Weltreiches unmittelbar erzeugen, eine Faſſung, welche wahr⸗ fheinlich unter Mitwirkung perfiicher Magier, die fich ihres Softofh 3) er» innerten,, entftand. Aehnlich faßte noch Domitian, 81 nah Chr., die mef- flantichen Prophezeiungen auf. Er hatte vernommen, daß aus Davids Ge⸗ fchleht ein großer König hervorgehen werde, und auch, daß die Ehriften Jeſum ihren König nennen. Da ed nun hieß, von Jeſu Bruder, Judas, feien noch einige Enfel am Leben, Tieß er diefe vermeintlichen Kronprätene denten aufipüren und vor fi bringen. Zum Glück benahmen ihm die fhwieligen Hände und die Tändliche Einfalt derjelben feine Herzensangſt, fo daß er fie unverfehrt entlieh.

Mit nicht geringerem Erfolg, als diefe Hoffnungen, Prophezetungen und Gerüuͤchte, arbeiteten, wenn ſchon ganz wider Willen, jene Schriftfteller dem Chriftenthum vor, welche theils die Anthropomorphismen , theils die Widerſprüche der Volköreligionen in fehonungslofer populärer Sprache auf- deckten. Der bereitd erwähnte Ennius hatte die Schrift des Griechen Euhe⸗ meros überfegt, worin zu beweifen verfucht worden, daß die gefanmten Götter nur Menſchen feien, welde die Sage theild um ihrer Tugenden, theil8 um der Größe ihrer Gewaltthaten willen vergöttert habe. Beſonders zu beachten find aber die fatirifchen, vorwiegend in Gefprächöform gehaltenen Schriften des Lukianos von Samofata, welder im Beitalter der Antonine blühte. In feinen „Göttergefprächen * geißelte er die unftttliche Auffaffung der Gottheit, deren unendlich mannigfachen Geftaltungen der Hellenismus alle Schwächen, Keitenfchaften unt Lafter der verborbenften Menfchennatur zugeichrieben. Bei feinem regen Sinn für dad Schöne Eonnte nur ein ge= läutertes fittlihed Bewußtfein den Olymp mit folcher vernichtenden Satire angreifen. In den „Todtengelpräden * fpottet Lukianos der Unflerblichfeitd« Iehre, indem er barthut, wie die Seelen in der Unterwelt den Charafter

2) Sueton. Vespas. IV. Tacit. histor. V, 13. 3) Vgl. Thl. I, ©. 181.

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‚böweß irdiſchen Lebens fortwahrend: behaupten müßten. Das Stüd „Brus in dialektiſcher Noth“ deckt meifterhaft auf, wie: die Lehren von dem willfür« Fchen Walten der Götter „von ber, fittlichen Verantwortlichkeit der Menden und der Vergeltung in ber Unterwelt einerſeits, und die Lehre von der ewi⸗ ‚gen Rothwendigfeit, alles Geſchehens, wanach Mötter. und Menſchen den brei Echickſalsſchweſtern (Moiren) unterworfen fein ſollen, mit einander in Wis derſpruch ſtehen. Die Ohnmacht der Götter, ‚ihre. Abhängigkeit vom Glau⸗ ben: der Menſchen ſchildert trefflich, Zeus in tragiſcher Stimmung“, in wel⸗ „her Satire die Götter in. voller. Verſammlung zuhören müſſen, wie der Epi⸗ ‚Suräer Damis dem Stoifer Timokles aufs Glänzendſte beweift, es gebe feine Götter und von einer Weltregierung folcher ſei feine Rede. Die Götter ſelbſt ärgern fich über ‚die plumpe Ungeſchicklichkeit ihres Vertheidigers. Gerade aus der zerſetzenden Skepfis des Lukianos aber erfleht.man, welche. Sragen in fener Beit:religiöfer Auflöſung denfende Männer haupt⸗ ſachlich befchäftigten. Das war ein. Taſten und Suchen. nad) einer Weisheit, weldye dem Herzen den erfehnten Brieden geben. iollte, ein Forſchen über das .Meien der Gottheit, ein Fragen, ob die Menſchenſeele unfterblich fei oder ‚nicht. ‚Seien die „NRecognitionen ". auch fälſchlich dem Römer Clemens zuge⸗ ſchrieben, nur ein vom Heidenthum nenbefehrter Chrift konnte die Worte ‚schreiben, welche die bange Ungewißheit ‚der von: religidfen Zweifeln beſtürm⸗ ‚ten Gemüther in jener Uebergangszeit ſo meifterbaft veranfchaulichen : „u sch befuchte die. Schulen. der Philojophen ; dort fand ich Nachts, ald Auf- hauen ‚und Niederreißen der Syfleme und ‚vielfältigen Streit der Aufichten. „Bald flegte die Lehre, daß .die Seele unfterblich ſei, bald die entgegengeſetzte. Siegte jene, fo freute ich mich; -flegte.diefe, fo wurde ich traurig.“ Der Berfafler erzählt fobann, er habe nach Aegypten reifen und dafelbft durch ‚einen Zauberer ‚einen Geift heraufbeſchwören laſſen wollen, um von diefem Gewißheit über die Unfterblichfeit zu erlangen. Auf die Warnung eines ‚Breuntes jedoch, „die. Gottheit zume, wenn man die Seelen der Verſtorbe⸗ ‚nen beunruhige,“ ‚habe er biefen Vorſat aufgegeben.

4.

Die Herrſchaft über den Erdkreis erkaufte der Roͤmer mit dem Verluſt ſeiner Buͤrgertugend. Die unermeßliche Beute der Heere und ihrer Feldherren

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Ind. ein, zu zügslfofem Beruf, und, verleidete dan Enkeln bie harte Arbeit, bie infache Lebendweiſe der Altporberen. Der Reichthum mehrte ſich bis zu dem. Grade, daß Cicero mit einem Vermögen von mehr als einer Millign Ahalern-noch nicht zu den reichen Senatoren gehörte und ein Verſchwender ‚Rd aus Furcht vor Hunger und Kummer entleibte, nachdem fein Vermögen bis auf 250,000 Thaler abgenonmen. ‚Die Genußſucht Fannte feine Gren⸗ zen mehr. Während Dad Auge an die Pracht der flbergen und goldenen Geſchirre, der Edelſteine und Foftbaren Statuen. ſich gemöhnte, fammelten ſich die Erzeugniffe aller Länder und Meere bei einem einzigen Schmaus des ‚Reihen, und als hätte die Seele ihren Sig im Gaumen aufgeſchlagen, er⸗ ‚göpten ſich diefe an einem, Mahle von Nacdtigallenzungen, während ber Wahnfinn Anderer es Eöftlich fand, in Effig aufgelöfte Perlen zu verichlin- ‚gen. Wer nicht reih war, machte Den unterthänigen. Schmaroger,, ‚oder jhlug ſich zum Proletariat, -defien Gelüfle man mit Brot- und Geldaus⸗ tbeilungen kümmerlich zu befchwichtigen wußte. Mit der Schwelgerei ver band fich die Unzucht in gräulichfter Ausdehnung und Geftaltung. Die Ehe, welcher meift Scheidung oder Vergiftung des einen Ehegatten ein Ende machte, hielt nicht ab vom fleiflichen Umgang. mit jeden beliebigen Gegen⸗ ftand des flüchtigen Triebes, und fand ihre äußerſte Herabwürdigung, als Caͤſaren, wie Nero, fih mit Jünglingen zu verbeiraten anfingent). Von

1) Das Felt, welches der förmlichen Hochzeit Nero’s mit dem Freigelaflenen Py⸗ thagoras vorherging, befchreibt Tacitus (Annal. XV, 37) ſo: Auf dem’ See des »Agrippa wurde ein Floß erbaut, anf welchem das zubereitete Mahl, von Schiffen ges ‚zogen, ſich fortbewegie. Die Schiffe waren mit Gold und Glfenbein,aysgelegt, hie Ruder wurden von Buhlfnaben gehandhabt, die man nad) ihrem Alter und ihrer Ges übtheit in Wollüften einreihte. Aus entlegenen Grdgegenven hatte man Geflügel und Wildpret, aus fernen Meeren Fiſche herbeigeichafft. Auf den Dammufern des Teiches Randen Bordelle, angefült-mit vernehmen Brauen ; gegenüber erblickte man völlig „nadie Freudenmädchen, die ih in obfcönen Attitüden übten.. Hierauf unzüchtige Tänze, und als die Dunfelheit einhrach, erichalften weit umher der Hain und die. umliegenden Bebäude von Gefang und erglängten von Fackelſchein. Nero ſelbſt, in. natürlichen und widernatürlichen Lüften fehwelgend , fchien jede Art ſchaͤndlichſter Verworfenheit ers -[höpft zu haben, hätte er. nieht wenige Tage. nachher Kinen aus jener. lafterbefudelten Motte, - deſſen Name Pythagoras war, nad der Weile förmlichen Cheyerloͤbniſſes ges htiratet. Dem Imperatpr ward. ber feuerfarbene Brautſchleier übergehangen, man, ſqh ‚Pieter, Mitgift, Brgutbett, Hochzeitsfackeln, kurz, Alles. war zur Schau. geftellt, was ſelbſt bei der legitimen Verbindung mit, singen Weihe bie Schotten ber Nacht ver⸗

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“den Frauen ded Claudius, Meffalina und Agrippina, nicht zu reden, konnte felhft die Tugend und Milde eines Marcus Aurelius feine Kaiſerin Bauftina nit von hundertfachem Ehebruch abhalten; fie foll „oft in dem Unterften aller Sterblichen noch perfönliche Vorzüge entdeckt haben.” Die Früchte ber ichranfenlofen Unzucht brauchten Herzlofen Müttern nicht bange zu machen: das Gejeg erlaubte die Ausfegung der Kinder, und die Mehrzahl der. Mütter beeilte fih, nach der außerehelichen Niederkunft, zu zeigen, wie der Menih noch unter das Thier Herabfinken kann. Don elterlicher Erziehung, jelöft der ehelichen Kinder ‚, war nicht die Rede mehr. Schon Cornelia, der Gracchen edle Mutter, war ein Phönix unter den damaligen Müttern. Den Sklaven blieb die Erziehung der römifchen Knaben überlaffen. Verführung zu den unnatürlichften Zaftern war nicht felten die Beigabe dieſer ſaubern Erziehung; doch Fonnten die Sklaven ſich auf das Beifpiel der Eltern und übrigen Verwandten beziehen, welche, wie Quintilian Flagt, das Kind be= lächelten und küßten, wenn es ein recht unverfchämtes oder ſchmutziges Wort ausgeſprochen.

Eine nicht minder ergiebige Quelle der Zerrüttung des Familienlebens, als Schlemmerei und Wolluſt, war die Sklaverei. Durch die zahlreichen Kriege mit Sklaven, zu welchen die Gefangenen herabgewürdigt wurden, reichlich verſehen, ward der Nömer harter Arbeit entwöhnt, die Roͤmerin aus einer betriebjamen Hausmutter in eine träge, putz⸗ und gefallfüchtige Gebieterin verwandelt. Uneingedenk, daß auch mancher freigeborne Römer fraft harter Schuldgefeße von jeinem Gläubiger zum Sflaven gemacht wor« den, galt der Sklave als eine Sache, mit welcher man alles Belichige an⸗ fangen dürfe. Sklaven und Sklavinnen waren die nähften Werkzeuge der

——

huͤllen. Wie hier, zeichnet der größte Geſchichtsſchreiber Roms noch an zahlreichen Stellen feiner Hiftorien und Annalen die ungeheure Sittenverderbniß der römiichen Koiferzeit. Ferner thun dies bekanntlich Suetonius in feinen Biographien der Cäfaren (befond. Tiber. 43 44), Betronius in feinen Libri Satiricon , diefem Cpos der Bäs deraftie, endlich der Cpigrammatiker Martialis, die Satirifer Berflus und Juvenalis. Des Legteren 6. Satire, deren Heldin die Kaiſerin Meffalina, ift das furchtbarfte Sittenbild, welches je entworfen worden. Wenn man biefe Schildereien lieft, begreift man, wie fehr Gregorovius („Figuren*, S. 368) recht hatte, von einem Tiberiuß, Galigula, Claudius, Nero zu fagen: „Diefen Menfchen warf eines Tages der Zufall die Welt mit allen ihren Genuͤſſen vor bie Füße; fie wurden darüber finnlos, fle hätten in ihrem Wahnſinn die Erde auf einmal ausfchlürfen mögen, wie ein @i.“

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Unzudt und des Ehebruchs; der wohlhabende Mömer lebte unter feinen Sflavinnen, wie in einem Harem. Bei großartigen Gaftmählern waren es wiederum Sflaven und Sklapinnen, welde ſich den thierifchen Trieben der trunfenen Gaͤſte, oft vor aller Augen, preißgeben mußten. Beim geringften Verſehen Eonnte ein tyranniicher Gebieter fle martern oder töbten. Die Mu- ränen in den Bifchteihen großer Herren wurden fett von dem Fleiſche zer hadter Sklaven. Berfauft zu werben an einen flrengern Herrn, war noch Das Mildefe, was man über Fehlbare verhängte.

Wie erbarmenswürbig nahmen fie ſich aus mitten in foldem Familien⸗ eben, die griechiſchen Hausphilofophen der vornehmen Mömer, welche ben Herrn auf feinen öffentlichen Bängen begleiten mußten, damit er für einen Breund und Gönner der Wiffenfchaften gälte, oder ergebenft mit dem Vor⸗ Iefen einer moralijchen Abhandlung innehielten, wenn der Dame vom Haufe mittlerweile ein Billet zum ebebrecheriichen Stellvichein zugeſteckt wurde 2).

Würdig folher Bamiltenverhältnifie waren die öffentlichen Volksfreu⸗ den. Schon Cäſar kannte das römifche Proletariat, welches um „Brot und Spiele* jeder Unterdrüdung feinen Beifall gab, jedem Frevler an der Re⸗ publik zujaudzte. Hatten ſich Doch die auserleienften Schwindler, die ges meinflen Strolde und Gaudiebe nad) und nadh in der genuß⸗ und induftries . reichen Weltftadt von allen Enden ſcharenweis zufammengefunden. Das gab, verbunden mit dem ſüßen Pöbel aus. Marius, Sulla’8 und Catilina's Tas gen, fihon eine rührfame Grundfuppe. Bon einem ehrenwertben Mittels ſtand; wie er unter der Nepublif geblüht, waren faum noch Spuren vor« handen. Vereint mit den Pöbelfcharen in ben riefigen Amphitheatern, ſahen die DVornehmen den blutigen Thier⸗ und Sladiatorenfämpfen zu, jauchzten, Elatfchten Beifall, wenn Hunderte zumal verröcdelnd im rothen

2) Auch fie die vornehmen blauftrümpfigen Damen führen ihre Rhetoren, Grammatiker und Philofophen mit fih. Was aber das Luftigfte if, fie Hören die Vor⸗ träge ihrer Gelehrten nur am Putztiſche oder über der Tafel an. Da kann es denn oft der Ball fein, daB, während der Philoſoph in einer moralifhen Abhandlung begriffen ift, eine Zofe eintritt und der Gebieterin ein Briefchen ihres Geliebten einhändigt. Run muß der Sittenlehrer ſtehen und warten, bis fie ihrem Buhlen eine Antwort ges fchrieben,, und dann erſt hüpft fle wieder herbei, um die Tugenppredigt vollends anzu⸗ börn. Lukianos, „die gedungenen Belehrten” (36), in welcher Abhandlung die Stellung der griechifchen Bhilofophen in der Befellfchaft der römischen Kaiſerzeit Höchft ergoͤtzlich geſchildert wirt.

35”

Shnve ſich wälzten, frenten’ flih’nucdh” mehr der’ ſchamkoſen "Obfeönttäten;‘ welche auf den gewöhnlichen Theatern "dargeftellt wurden‘, machten‘ Chorus” mit den Zotenliedern des Poͤbels Get den prunkvollen Umzügen an den Gotterfeſten. Ja, Senatoren und adelige Matronen ließen fih herab, in der Arena als Gladiatoren zu kämpfen und Tiefen ihre Söhne und Töchter“ um Geld die zuchtlofe Bühne betreten: Im Raufh‘ und Tumult rafender ' Bacthanakten gaben ſich die vornehmften Römerinnen feldft Sklaven und Bladiatoren preis, ja fie thaten fogar, von unerfättliher Brunft und unerfättlicher Haßgier gleichermaßen’ geftachelt, in den Vordellen "Dienft. Die römifche Satire erftickt gleichfam in diefem Schmutz; fie kann den Folofz falen Stoff der Verworfenhett nicht mehr bewältigen. „Alles fo brand⸗ markt Seneea feitie Zeit 9 iſt voll von Verbrechen und Laftern. Es wird mehr gefrevelt, als durch Gewalt geheilt werden fünnte. Ein ungebeurer Streit der Verworferiheit wird geftritten. Mit jedem Tage waͤchſt Die Luft zur Sünde, mit jedent Tage finft die Scham. Verwerfend die Achtung vor allem Beſſeren, flürzt fich die Luft, wohin es ſei. So öffentlich iſt die Verderbniß geworden und in allen Gemüthern iſt fie fo maͤchtig, daß Un- ſchuld nicht mehr bloß ſelten, ſondern gar nicht mehr vorhanden iſt.“

5.

Sittenloſtgkeit und Verbrechen verbreiteten ſich von Rom aus über ganz Italien. In die Provinzen ſandte es durch ſeine Proconſuln, Proprä- toren und Procuratoren, durch feine Heere und Feldherren Erprefiung, Ar⸗ muth und Mißhandlung; denn aus der Beute allein Fonnte der römifche Luxus nicht bezahlt werden. Einen Mapftab defielben gibt ed, wenn Plinius berichtet, daß ſich die Enkeltochter des im Orient durd feine Er— preſſungen verrufenen Collius bei Fackelſchein mit einem Schmude von 46 Millionen Seftertien an Werth habe fehen lafien. So müheten ſich die Khifer Caltgula und Vitellius, je Die Steuer einer ganzen Provinz an einer . einzigen Mahlzeit zu verfchlingen. Heliogabalus wälzte fi nadt im Golbe ; das gehörte zu feinen größten Wollüften. Raub und Exrpreffung, fodann die gewaltigen Bauten, Straßen, Wafferleitungen, Brüden, Wälle, bet

3) De ira, II, 8.

3t‘

deren: Herſtellung immer die Provinzen‘ in Anfpruch genonnmen wurden;

hatten zur Folge, daß ganze Laänder in Hungersnoth geriethen, Stadte unter ber Laſt ihrer Schulden erdrückt wurden. Was andy in Ruinen noch die Bewunderung der jpäteren Geſchlechter blieb, war der Fluch der damals

lebenden.

Wenn unter Auguſtus noch nach Möglichkeit Recht und Gerechtigkeit gehandhabt wurden, ſo trat von Tkberius an und unter deſſen verworfenen Nächfolgern die Umkehr alles Rechtes ein. Der tollen Willfür -auf Seiten der Herrfcher entſprach die Niederträchtigkelt auf Seiten der Unterthanen, die allgemeine Heuchelet und: Beigheit, das Spionenwefen , die bronzeſtirnige Angeberet die Beilheit der Beamten , die Brutalität ter Offlziere und Sole daten: gegen Behörden und Bürger: Im dieſem rajenden Strudel der Cor⸗ ruption erfihten die Tugend entweder geradezu als Verbredien oder machte wenigftend verbächtig und konnte die ſchamloſeſte Schlechtigfett mit Erfolg Anſpruch auf Loyalität erheben,

Es Half‘ den Bewohnern des ungeheuren Meiches wenig, daß von Auguſtus an die römifche Rechtsgelehrſamkeit in Blüthe kam. - Ie genauer die Rechtsfäge formulirt wurden, defto weniger factiſche Geltung: hatten: fie - zu einer Zeit, wo die Gewalt Alles, die Menſchenwürde Nichts war. Alles, was die verftändigeren und wohlgefinnteren der Cäfaren zur Dämmung deg⸗? Verderbens verſuchten, erwies ſich als eitel, denn es half nur momentan, und nach ſolchen zeitweiligen Stillſtaͤnden nahm der Zerſetzungsprozeß in feinem Vorſchreiten nur noch koloſſalere Dimenſtonen an. Eitel waren die Senatöbefchlüffe gegen das Eindringen der unzüchtigen Eulte des Orients, wie gegen die freiwillige Proftitution der-patrizifchen Grauen. Jene drangen Immer wieder dur, diefe nahm ſich kaum die Mühe, einen bürchftchtipften Sihleier der Heimlichkeit umzuwerfen. Eitel erwies ſich das Ankaͤmpfen von Männern altrepublikaniſcher Gefinnung, wie der jüngere Cato einer’ war, gegen die Ueberfluthung des Sklavenflind und der Zuchtloſigkeit. Ver⸗ gebens auch Tießen ergrimmte PBatrioten die Skorpionengeißel der Satire mit’ furhtbarer Wucht auf die Ruͤcken ihrer Zeitgenoffen fallen. Mochte ein Caͤſar wie Trajan für eine Weile das Anfehen der Ehe wieder herftellen, mochte unter der Megierung der Antonine ein Schein von Glüd "über das’ weite Reich fich verbreiten, ein Commodus genügte, um alle Beurühung trefflicher Vorgänger rafch wieder zunichte zu machen. Mochte ter Sodoms- apfel jenes Beitalterd bisweilen noch fo Hell glänzen, innerlich blieb er doch

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faul. In einer folgen Welt mußten edlere Geifter zulegt auf die Anficht fommen, der Selbitmord ſei eine Tugend und die Sreiheit dazu ein Vorzug der Menichen vor den Göttern.

6.

Aller Eroberung und Unterbrüdung ift eine Gränze gefegt und den Weltreichen zum Glück der Menichheit Feine Dauer verliehen. Die Wölfin Ron hatte fich vollgefreffen von dem Raub der Welt, aber verbauen fonnte fie denjelben nicht. ALS die römische Republik nad Ueberwältigung der Nebenbuhlerin Kartbago, ihre Macht über ganz Italien und feine Infeln und dann immer weiter und weiter nach allen Himmelsſtrichen hin ausdehnte, begann auch fofort ihre lange und ſchreckliche Agonie. Der Kampf zwiſchen der ariftofratifhen Dligarhie und der Demokratie oder beſſer Demagogie war dad DVorfpiel zur Monarchie. Die geſchichtliche Nothwendigfeit der- jelben, in Julius Cäſar zu hellem Bewußtfein gefommen, ift heutzutage jedem Kenner der Geſchichte Kar. Der genialfte Römer mordete bie Res publik nicht, er beftattete nur ihre Leiche und trat die Hinterlaffenidaft an. Wie wenig Cäſars Mörder ihre Zeit Fannten, wurde ihnen bei Philippi bewiefen.

Eine Republik ohne Republikaner, d. h. ohne eine ſtarke Majorität von arbeitſamen, ehrbaren und patriotiſchen Bürgern, iſt nur ein Phantom und daher konnte, nachdem Auguſtus die äußerliche Convenienz der republika⸗ niſchen Verfaſſung noch hatte fortbeſtehen laſſen, ſchon Tiberius durch Ver⸗ legung der Comitien in den Senat und durch fein Majeffätsgeſetz dieſen Schein vollends befeitigen. Der römiſche Senat war jeßt nur noch ber elende Handlanger orientalifher Deöpotenlaune. Palaſtrevolutionen be= flimmten fortan das Schickſal der römischen Welt. Unter dem Joch cäfarifch« prätorianifcher Tyrannei, im Taumel namenlofer Lüfte, büßten die Römer geiftige. Energie und phyſtſchen Muth ein. Die Wehrfraft beftand bald nur noch aus geworbenen Provinzialen und Barbaren. Dad Reich fam an Fremde. Beim Uniergang ded auguftiichen Haufes mit Nero, beim Erz löſchen des flavifchen mit Domitian beftieg zuerft ein Kretenfer, Nerva, dann ein Spanter, Trafan, den Thron der Cäfaren. Unter Diofletian ging die Siebenhügelftadt aud noch des Vorrechts verluſtig, die Reſidenz der Kaiſer zu ſein.

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7.

Wenn nad Vorſtehendem die mit Strömen von Ihränen und Blut bezahlte Ehre, dem roömiſchen Weltreih anzugebören, für tie Völker in politifcher und moralifher Beziehung eine traurige war, fo darf doch nicht verfchwiegen werden, daß die Ausdehnung dieſes Reiches über fo viele Ge⸗ flade und Provinzen die Eulturarbeit der Weltgefchichte bedeutend gefoͤr⸗ dert bat. Unter den befieren Kaifern zog die antike Civilifation immer weitere Kreife. . Die vielfachen Bedürfniſſe eines feineren Lebensgenuffes, duch die Wechfelbeziehungen von fo vielerlei Nationalitäten, Sitten, Klimate vermittelt, trieben ‚zur Entwicklung der Landwirthfchaft und ver- edelten den Gartenbau. Der Lurus in Bauten, Geräthen, Trachten und Waffen befchäftigte Millionen fleißiger Hände und führte einen allgemeinen Aufſchwung der Gewerbe und Künfte herbei, welche Ietteren freilich ſtets den Stempel der Nahahmung trugen. Die römifche Kunſt zehrte von ten hellenifchen Vorbildern , erreichte fie nur fehr felten, übertraf fie nie. Mit großer Sorgfalt wurde der materielle Verkehr ermuthigt und unterftügt. Der im Inneren des Reiches herrſchende Friede, die alle Provinzen durchſchnei⸗ denden und als in einem Focus in der Hauptftadt zufammenlaufenden prädh- tigen Heerftraßen, das im ganzen Reiche geltende gleiche Recht, Maaß, Ges wicht und Geld, alles Liefes wirkte höchſt vortheilhaft auf Handel und Verkehr. Ebenſo ein weiterer Umftand welder aud die Ausbreitung des Chriſtenthums fehr begünftigte, naͤmlich, daß zwei Spraden die ganze sömifche Welt beherrichten, die lateinifche, in welcher alle adminiftrativen und gerichtlichen Verhandlungen flatt hatten, und die griechifche, ald univer« ſelles Organ aller höheren Bildung.

Diefe war, wie Jedermann weiß, in Nom ſtets nur ein Sepling des Hellenismus geweien. Die Römer Hatten die hellenifchen Götter bei ſich eingebürgert !) und trieben dann aud Wiffenfhaften und Künfte, Beredt⸗ famfeit und Poeſte nach griehifcher Manier, wenn au nicht im griechiichen Geiſte. Denn das hellenifche Schönheitsideal blieb im Grunde den Römern doch ſtets ein fremdes, fünftlich anempfundenes, um nicht zu fagen, mit plumper Fauſt gewaltfom angeeigneted. Die rohen Anfänge der römiſchen Poefte 2),

4) Bol. Thl. U, S. 207 fo. 2) Carmina Saliaria, carmina amoebaea; ferner die Fescenninen und Atellanen, dialogifirte Farcen. Scherr, Geſch. d. Religion. 1. 3

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aus welchen fih fpäter nur die eine eigenthümliche Dichtgattung ber Satire entwidelte, traten, als die Bekanntſchaft mit der helleniſchen Litera- fur gemacht war, ſpfort in den Hintergrund. Die Nävius und Ennius, Pacuvius und Attlus zwangen das nody ungelenke Yateinifche Idiom in grie⸗ chiſche Formen und Rhythmen. Plautus und Terenz verpflanzten die Charak⸗ tere, Motive und Situationen der „neueren * attiihen Komödie nach Rom. Lucretius, in feinem ſchon früheren Ortes berührten 3) Lehrgebicht De na- tura rerum ſchulte den praftiihen Realismus feiner Nationalität an ber philofophifhen Doctrin Epifurd und machte mit römiſcher Mannhaftigkett den Verſuch, die Grundfragen des Menſchendaſeins zu Löfen. An Energie ber Begeifterung und Leidenfhaft kommt feinem Gedicht fein anderes roͤmi⸗ ſches gleich.

Nah dem Untergange der Republik erlebte, im Zeitalter des Auguftus, die griechifche Dichtung eine Nachblüthe in Iateinifcher Sprache. Die Poefte galt am Hofe der Gäfaren für einen integrirenden Theil der feinen Lebensart. Die Nachahmung griechiſcher Mufter, ſchon in den Gedichten des Batullus fein und geſchmeidig aufgetreten, erreichte jeßt, Durch große Talente gepflegt, den Bipfel der Eleganz. Wenn auch wenig felbftftändige Infpiration, jo legten die Poeten der augufliihen Periode doch viel Formenſinn an den Tag. Zwar zeigte diefe hofräthliche Dichtung natürlih kaum da oder dort noch eine verlorene Spur des altrepublifanifchen Nömerfinnes, doch verlteh ihr die Idee der Weltherrfchaft, freilich in der Verfon des Kaiſers angeſchmei⸗ delt, noch immer einen großartigen Hintergrund. An vollendeter Technik war fein Mangel. Birgilius lieferte in feiner Aeneis eine zwar an fchönen Einzelzügen reihe, im Ganzen aber Doch verfehlte Copie homerifcher Epit, erreichte auch in Nachahmung der Idyllik des Theofrit fein Mufter nicht und ſchlug nur in feinem trefflichen Kehrgedicht vom Landbau einen wahrhaft römi⸗ fhen Ton an. Im der Lehrdichtung und ihrem Nebenzweig, der Satire, hat überhaupt die römijche Mufe ihre beften Eingebungen niedergelegt. Horaz, als Lyrifer aus den Belelfen der Nachahmung nur in glücklichften Momenten herausgekommen, hat in feinen Epifteln und Satiren daB Thema des Nil admirari, d. 1. eines Heiteren Gleichmuths, der lachend „fein? Sach' auf Nichts geftellt”, in Tiebenswürdig geiftreicher Weiſe variirt. Seine Poeſie zeigt, daß felbft die beſten Geifter dem beginnenden Berfall der an⸗

3) Thl. 11, ©. 220.

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fifen Welt nur noch epffurätfcheindifferente Itonie etttgegenzufegen hatten. Andere geniale Raturen ſchwammen behaglich mit dem Strome und verherr- lichten in melodiſchen Verien Die Ueppigfeiten der taͤſariſchen Roma. So die drei Meifter der Elegie, Tibull ), Properz und Ovid. In den Efegien des Erften Plingt ein füßer Ton idylliſcher Schwärmeret vor, in derien des weiten glüht heiße Leidenſchaft, in denen des Dritten ſplielt die Srivolität ber Zeit in taufend prismatifchen Farben. Später wich die horazifche Ironte and die ovidiſche Leichtfertigkeit der ſchrecklichen Sittenſchilderei einer Satire, deren Vertreter wir ſchon gelegentlich namhaft gemacht.

In dem legten Jahrhundert vor und dem erſten nach Chriſtus gelangte die römiſche Gefhichtfchreibung zur höchſten Blüthe, während die griechtiche in Plutarch ihren legten großen Vertreter vorſchickte. Die feierlihen Perioden ber vergleichenden Biographien Plutarchs tönen wie das Grabgeläute einer Welt, deren Geſchichte uns die Meifter der hellenifchen Hiftorif, Herodot, Thukydides, Kenophon und Polybios, erzählten. Die hiftorifche Kunft der Römer Gebt mit Cäfard Commentarien über feine Feldzüge in Gallien an, ſchreitet in den herrlichen Monographien Salluſts über Catilina und Jugur⸗ iha, fowie im dem großen vaterländifchen Geſchichtswerk des Livius zur Bollendung vor und erreicht fle in ben Werken des Taritus. Diefe ftehen wie ein von der Hand der Nemefis errichteted Denkmal von Erz auf den Ruinen der alten Welt. |

Die römifche Redekunſt Hatte in Cicero ſowohl theoretiſch als praftifch ihren bedeutendſten Pfleger gefunden. Bwar ein Demofthenes war Cicerd nit und fein Charakter ald Staatdmann wie ald Schriftfteller bietet der Blößen viele dar; aber wenn er, trog Alledem, von den Kathebern unferer Tage herab mißhandelt wird, fo gehört das zu den wunderlichen Ueber bebungen einer Zeit, deren Gelehrte durchſchnittlich wahrlich Feine Urſache haben, in Beziehung auf Mannhaftigkeit und politifhen Takt mitleidig auf den Ankläger des Verres und des Catilina herabzuſehen. Mit der Rhetorik, um deren Theorie Quintilian und der jüngere Plinius noch ſich verdient machten, bevor ſie in ſophiſtiſcher Künſtelei unterging, hatte andy die Juris⸗ prudenz als ſelbſtſtaͤndige Wiſſenſchaft ihren Aufſchwung genommen. Im den Kaͤmpfen zwiſchen dem republikaniſchen und dem monarchiſchen Prinzip

4) Defien Elegienkranz Sulpicia gerechten Anſpruch hat, für das anmuthigſte Product der roͤmiſchen Literatur zu gelien. ge

36.

wurde der Grundftein zu jenem römiſchen Mechtögebäude gelegt, weldies fpäter unter Juſtinian durch die große Gefegedfammlung (Pandekten) feinen Abſchluß fand, ob zum Heil oder Unheil der Menichheit, wollen wir bier dabingeftellt fein laſſen. |

Die großartigen Anregungen, welde durd die Kriegszüge Alexanders des Großen und fodann unter der Herrichaft der Ptolemäer in Aegypten bie Realwiſſenſchaften empfangen hatten, wurden erft recht fruchtbar unter dem römifhen Weltregiment, welches die Auffaffung der Natur als eines großen Ganzen ermöglichte. Strabon und Claudius Ptolemäus cultivirten die Geographie, und das aſtronomiſche Syftem des Legteren ift bis auf Koper⸗ nifus in Geltung geblieben. Auch Botanik, Zoologie und Phyſtologie er⸗ fuhren vielfache Förderung und der raftlofe Beobachtungseifer des älteren Plinius machte in feiner Historia naturalis zuerft den Verſuch, die ganze fihtbare Schöpfung als ein Ganzes zu behandeln. Diefe Männer der Wiſſenſchaft waren die Glüdlichflen unter den damals Lebenden. Die reinen Naturgenüffe neidete ihnen Niemand und ihr Geift fand Feine Zeit, in den rings um fie Elaffenden Höllenpfuhl politifcher und fittlicher Fäulniß zu bliden.

Aber leider Lienen alle Segnungen der Eultur unter einem verfunfenen Geſchlechte nur zur Verweichlichung und weiteren Förderung phyſiſcher und moralifcher Auflöfung und Zerfegung. Das römifche Weltreich war ent» ftanden, um die Weltreligion zu ermöglichen. Nachdem diefe geflegt, mußte es als ein fürderhin zweckloſes Ding zertrümmert werden. Denn überall . in der Geſchichte dient das Stoffliche nur tem Geiftigen. Der ideale Zweck baut Weltreiche und wirft fie nieder. Das rein Materielle war niemals Zweck des weltgefchichtlichen Prozeſſes und wird es niemals fein.

Drittes Kapitel. Blick auf die Bhilofophie bes Alterthums.

1.

Unfere Einleitung in die Darftellung des Chriſtenthums zu vervoll⸗ ſtaͤndigen, tft e8 unerlaͤßlich, einen rafchen Blick auf die Gefchichte der an⸗

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tifen Philofophie zu werfen. Jedoch genügt die Betradhtung der religidien und fittlihen Seite derfelben für unferen Zweck, welcher darauf gerichtet ift, in Erfüllung eines früheren Verſprechens ?) die Entwidelungen der religiöfen Idee in den antiten Philofophemen nachzuweiſen und aud dadurch zur rich⸗ tigen Würdigung bes Chriſtenthums eine Stufe mehr zu bauen.

Wenn wir bedenken, daß die griechiiche Philoſophie zuerft in Klein« aften (Milet) auffam, daß fle Anfangs, in der jonifhen Schule, fih auf dentende Naturbetrahtung (Phyfik im alten Sinne des Wortes) gründete, dag Thales von Milet, ihr anerfannter Stifter, geb. um 670 vor Chr., den Auf feines außerordentlichen Wiſſens befonders feiner Reife nad Aegyp⸗ ten verdankt haben fol, wie dann auch Pythagoras (blühte 540—500 vor Chr.) erft nad) Tangen Reifen durch den Drient und Aegypten mit feiner Philoſophie auftrat: fo können wir nicht annehmen, der griechiſche Genius habe feine Philofophie ganz originell aus ſich felbft heraus erzeugt, fondern müffen vielmehr der Anficht Beiftimmen, es habe derfelbe mit Zugrunde- legung orientalifcher und ägyptifcher Ideen über Die Natur philofophirt 2). Die wenigen damals unter den Griechen vorhandenen Kenntnifje in der Natur- wifjenfchaft hätten, ohne folche Anregung von außen, fehwerlich zum For⸗ fen nad dem Urgrund der Dinge angeregt und die Philofopheme der joniſchen Schule erinnern allzu deutlich an tie kosmiſchen Götterbegriffe der Aegypter, als daß dieſe Aehnlichkeit eine ganz zufällige fein fünnte. Des Thales Lehre, der Urftoff aller Dinge ſei das MWaffer, aus deffen Verdich- tung und Verdünnung fie hervorgegangen feien und immerdar hervorgehen, wie nahe ſteht fle der ägspptifchen Lehre von Neith, ber Urmaterie, welche als ſchlammiges Waffer ſelbſtthätig fchöpferifche Kraft in ſich Hatte, aus wel⸗ der die ganze Welt hervorging ?).

Allerdings ein geeigneterer Boden zur Entfaltung des philofopbifchen Gedanfens ald der Orient und Aegypten war der helleniſche. Gier barg keine Priefterfafte die höhere Weisheit in ängftlicher Verhüllung, bier galt

41) Thl. n, ©. 199.

2) Wir wiſſen recht wohl, wie fehr wir damit gegen die Meinung Solcher vers ſtoßen, welche, eine Art Zionswächter des Hellenismus, Hellas für Lirect vom Hims mel gefallen oder wenigftens für ein mit einer himmlifhen Mauer gegen die ganze übrige alte Welt abgefchlofienes Stüd Boden auszugeben lieben. Sie haben gerade fo recht, wie Andere, welche glauben, die Weltgefchichte habe eines fhönen Morgens das Chriſtenthum plößlich aus dem Aermel gefchüttelt.

3) Bol. Thl. II, ©. 16-18.

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die Freiheit der Individualitaͤt auch im Denken über die goͤttlichen Dinge und das Arbeiten mit Begriffen war dem griechiſchen Geiſte nicht weniger geläufig als die kuͤnſtleriſche Darſtellung ber Schönheitsideale. Daraus ex⸗ klaͤrt es ſich, daß in ber vorchriſtlichen Welt Hellas die claſſiſche Heimqt der Philoſophie wurde.

2.

Die Lehre des Thales, mit welchem die joniſche Schule hegiunt, haben wir beseitd angedeutet. Sein Nachfolger Anasimander von Milet (570 vor Chr.) fegte ald Urgrund der Welt die räumlich unbegränzte Materie, welcher die Gottheit ald belebende und bewegende Kraft innewohne. Anarte mened von Milet (548 vor Chr.) nimmt als ben Urgruud der Welt bie ätherartige unfichtbare Luft an und nennt dieſe das urfprünglid Göttliche, welches fich in mehrere Götter individualiſtrt habe. Nah Heraklit von Ephefug (um 500 vor Ehr.) if der ewig ſich bewegende feurige Aether Urs grund der Welt. „Alles im Fluß“, ewiges Werden und Vergeben, heißt die Bormel feiner Weltanfhauung. Die Hemmung biefer Kraftbewegung er⸗ zeugt den Stoff; wo die Hemmung aufhört, löſt ſich der Stoff in feine Kräfte auf und dieſe kehren in ven Zuſtand des reinen Aethers zuriuf, Der seine Aether, in die Verdichtungen hinein ergoflen und darin rein (unver bichtet) erhalten, iſt die Weltvernunft und heißt in den einzelnen Körpern Seele, feien e8 Seelen der Menſchen oder der Götter, Die ewige Bewe⸗ gung des reinen Aethers if abſolute Nothwendigkeit, in welche, wie fte fich auch in ten Schickſalen offenbare, man fc ergeben muß, um ben Namen eined Weifen zu verdienen. In beſtimmten Weltperioden erfolgt eine allger meine Auflöfung in den feurigen Aether, Weltuerbrennung,

Die eleatifche Schule Hat ihren Nomen von Elea, einer Heinen Stabt in Unteritalien. Als ihr Stifter ericheint Zenophaned von Kolophon in Jonien (um 555 vor.Chr.). Außer ihm find zu nennen Parmenides und Zenon, beide aus Elea. Vorzüglich in der Abficht, die unwürdigen Vor⸗ ftellungen von der Gottheit zu bekämpfen, ſprach Xenophanes den berühm⸗ ten Sag aus: „Die Bottheit ift dad Eind und Alles.“ Der Berückſichti⸗ gung werth ift fein Eühnes Auftreten gegen die Untbropomorphiömen der Volföreligion 1). Als abſolute Eigenfhaften der Gottheit nennt er: Ewig⸗

1) Bgl. Thl. II, ©. 200.

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Seit, Unpeichrönftheit, Unveraͤnderlichkeit, zeing Geiſtigkeit, Selbſtbewußt⸗ ſein, Selbſtgenügſamkeit. Parmenides (um 456 nor Ehr.) bat mehr bie ꝓhyſitkaliſche Seite des Syſtemẽ ausgebildet. Sein Grundgedanke lautet: „Das Sein (die Gottheit) allein iſt, allea Uebrige iſt Nichtſein, bloßer Schein, alſo alle Wewegung und Geſtalt der Dinge, alle Schickſale u. |. f. gehören ind Gebiet des Sinnestäuſchung.“ Ban Zenon erwähnen wir, daß er die Menfchenfeele für die Harmonie der vier Elemente und nur. infofern für göttlich gehalten, ald in ihr das euer, dag reinfte Element, vorherrſche.

Das pothagorätiche Syſtem, nad Pythagoras non Samos (580 —508 vor Chr.) genannt, von feinen Schülern, nicht von ihm ſelbſt her Nachwelt überliefert, wendet fih dem Religiös⸗Sittlichen noch weit ernftlicher zu alg felbft das eleatifche. Ihm zufolge gibt es drei Urgründe der Welt: die Gottheit, die beichaffenheitölofe Materie uud den leeren Noum. Bon ber rein geifligen Gottheit wird die Materie zu den verichiedenften Atomen ge⸗ bildet, nad) den harmonifchen BVerhältniffen ber Stereametrie. Das Dode⸗ taëder iſt die Form ber Aetheratome, melde ald Weltieele alle Körper durchdringen und auch als einzelne Seelen erſcheinen. Die Gottheit hin« wieder durchdringt die einzelnen Seelen wit ihrer unmittelbaren Kraft, dar her die Menichenfeele aus einem gernünftigen, der Gottheit angehörigen, und aus einem unvernünftigen, dem bloßen Aether. angehörenden Theile beſteht. Daß beide Theile in völliger Harmonie mit einander ſtehen, foll des Men⸗ ihen Streben fein, und bis biefes Biel erreicht iſt, muß die: Seele vers ſchiedene Körper durchwandern, um endlich zur Gotibeit, welche in ber Sonne ihren Sig hat, einzugehen. WS Ausflüſſe des Gottheit, ähnlich ber Menſchenſeele, aber höhern Stufen angehärtg, werben bie Götter, Där monen und Halbgötter betrachtet. Auch Empedoklet qus Agrigent (um 449 oor Ghz.) lehrte Die Serlenwonberung und zwar ip, daß die Seelen, urſprünglich Sind mit per Gottheit, Pflanzen⸗, Thier⸗ und Menfchenkörper zur Strafe durchwandern müffen, nach deren Abbüßung fie wieder mit ber Batibeit yereinigt werben. Das Eine Urweſen ber Belt if} der Sphaͤros, hie aus den vier Elementen beſtehende Kugel, weiche die Philia (Freund⸗ haft, Liebe) als Gottheit zufammenhält, während in den Elementen die Bwietradht waltet. Die auseinander gegangenen Elemente neu vereinigend, bildet die Philta die Tebendige Welt.

Zum förmlichen Atheismus gelangt die Philoſophie in der Atomiftif bed Demofrit von Abdera (geb. 470 vor Ehr.); denn feing Dogmen über

40

bie Götter in den Zwifchenräumen ber verſchiedenen Weltſyſteme Yaflen ſich in feiner Theorie nirgends unterbringen, was unter Andern der Atomiftiker Diagoras mit Hefonderer Offenheit ausgefproden. Die ®rundprinzipien der Welt find nad) Demofrit die Atome, untheilbare Stofftheildhen von vers fhiedener Geftalt und Größe, der leere Raum und die bewußtlofe Noth« wendigfeit, welche die Atome in Bewegung fett und aljo die Welt bildet. Diefem Materialismus gegenüber machte Anaragoras von Klazomenä (geb. 500 vor Chr.) den Nus (voüc), d. 1. die göttliche Vernunft, geltend, welche durch Entmifhung der das Chaos erfüllenden Atome die Welt ges bildet und fortwährend weiter bildet. Der Nus erfheint nicht nur als Bes weger, fondern auch nad Zwecken bandelnder Bildner der Stoffatome zur lebendigen Körperwelt.

Mit Anaragoras fehen wir die philoſophiſche Verarbeitung der aͤghp⸗ tifchen Ideen erſchöpft. In feinem Nus iſt ein ganz geiſtiges, einheitliches und doch der Welt frei gegenüberftehendes Wefen gewonnen, defien Begriff bereit den alten Ideenkreis überfchreitet. Es folgte nun die Skepſis, um durch Niederreißen einen neuen Aufbau vorzubereiten. Wie ſie ſich zur Religion verhielt, ergibt fih aus den Stichwörtern ihrer zwei Hauptreprä« fentanten, von denen der eine, Gorgiad, und zuruft: „Nichts iſt wahr! ® der Andere, Protagorad, noch viel impertinenter: Alles ift wahr! * 2).

3.

Dem metaphuftichen Materialismus trat der ethifche nach, dem theore- tifchen der praftifhe. Die Skeptiker, unter dem Namen der Sophiften heute noch übel berüchtigt, gingen foweit, die allgemein geltenden fittlichen Speen als ſchlaue Erfindung der Schwächern zum Schube gegen das natürs liche Recht des Stärfern darzuftellen und die jeweilige Laune des Einzelnen zum Gefeg alle Thuns und Laflend zu erheben. Kritias, der Schlimmfte unter den dreißig Tyrannen Athens, verfocht die Freiheit com Sitten⸗ geſetz fogar mit der Behauptung, ſchlaue Staatömänner hätten den Götter⸗ glauben erfunden, um durch den Glauben an ſolche unfihtbare Zeugen von Vebertretung der Gefege abzufchreden. Ueberhaupt betrachteten Kritias und

2) In feinem Buch über die Götter äußerte Protagoras unter Anderm: „Bon ben Böttern kann ich nicht wiflen, ob fie find, oder ob fie nicht find; denn Vieles hindert uns, das zu willen, fowohl die Unflarheit der Sache, ale die Kürze des

menfchlichen Lebens.”

4

Genoſſen die moralifchen Gefege nur als nach und nach aufgedrungene bürger- lihe Geſetze und erklärten demgemäß jede Einfchränfung bes natůrlichen Triebes für naturwidrig.

Dem Unweſen der Sophiſterei trat auf dem Gebiete der Philoſophie zuerſt Sokrates (geb. 469 vor Chr. zu Athen) mit Erfolg gegenüber. Er hat kein Buch geſchrieben, ſondern nur durch Darſtellung ſeiner ſittlichen Geſinnung in Lehre und Wandel gewirkt. Es iſt ſchwierig, feine eigen⸗ thümlichen Kehren Larzuftellen, ohne in Platonismen zu verfallen, weil Platon in feinen Dialogen den verehrten Lehrer redend einführt. Wo Xeno⸗ phon die Lehren des Sofrates entwidelt, ift zwar eine Vermengung mit platonifhen Sägen nicht zu beforgen, aber auch hier Feine Vollſtaͤndigkeit zu erwarten. Die Gottheit foll Sokrates aufgefaßt haben ald ewige, all⸗ gegenwärtige, allwifjende reine Vernunft, welche die Eörperliche Welt har⸗ moniſch und vernunftgemäß gebildet, damit die Menſchenſeelen felbftfländig und frei die Glüdjeligkeit erwerben Eönnen. Die wahre Glückſeligkeit aber befteht nach Sokrates in der durch Wiſſenſchaft und fittliche That erworbenen Seelenfreudigfeit. Das Dämonton, diefe innerlihe Stimme, welcher So⸗ krates fo gewiſſenhaft Taufchte, feheint er für eine Eingebung der Gottheit ſelbſt, die in einzelnen Lebensfällen ald Schutzgeiſt der Seele gegenwärtig fet, gehalten, fomit auch den andern Weiſen und nach Weisheit Streben- den zugeſchrieben zu haben.

Mehr und minder einfeitig verfolgten die fofratifche Richtung bie Schule der Kynifer, geftiftet von Antiſthenes aus Athen, die Eyrenaifche Säule, geftiftet von Ariſtipp in feiner Vaterftadt Kyrene, die megarifche, geftiftet von Euflided aus Megara, und die elifh » erethrifche, welche letztge⸗ nannte für unfern Standpunkt ohne Bedeutung ift. Antiſthenes hob bes fonder8 hervor die vernünftige Einrichtung der Welt, wodurd fie geeignet fei, die ſittlichen Zwecke des Tugendhaften zu verwirklihen. Im Hinblid auf diefe fittliche Weltorbnung der Gottheit ſprach er feinen Hauptſatz auß: „Xebe der Natur gemäß!” Da aber die Kyniker befonders das freiwillige Entbehren der äußern Güter für Tugend, nur das Gute für fhön, nur das Böfe für häßlich erklärten, fo machten fte fih in ihrem Außerlichen Auftres ten vielfacher Mebertreibung ſchuldig, am meiften Diogenes von Sinope, der befanntlih Tange Zeit in einer Tonne wohnte und mit gutem Grund den Spignamen „der rafende Sofrates“ erhielt. Im Gegenſatz zur kyniſchen Auffaffung des Lebens hielt die Eyrenaifche für gut, was bie unabläfflg bes

42 .

wegte Seole zur fanften Ernegung bes Luft bringe; für böſe, was fie ſchmerz⸗ lich aufrege. Denn eines bayerhaften Pergnügens Genuß ſei das höchſte But und die Tugend nichts Anderes als die Fäbigfeit, ſolchen Genuß Ih zu verichaffen. Die megariſche Schule hefinirte Die Gotthieit ald Dad unver⸗ fnderliche Bute.

Höhere Ehren noch ermuchien dem Solrated durch ben Ruhm ſeineß Schülers Ariſtokles, mit dem Beingnien Platan, geb. 429 nor Chr. Dier fer geniale Mann begriff die Gottheit als das vollkommen Byte, als der jelbftbewußten Urgrund aller Dinge, ohne und jedoch genägenden Aufſchluß zu geben, ob von dieſem Urgrund wie Die ewigen Ideen T) fo and die Mar terie audgegangen fei. Die aus Bermittlung Beider gefchaffene Welt ſtattete die Oottheit mit einey vernünftigen Seele (, Weltteele”) aus, damit fle hie höchſte Vollkommenheit erreiche. Leber dem ganzen Weltverlauf waltei Gott als Vorſehung, die auch das Kleinfe nicht unberückſichtigt läßt, Die Seele des Menſchen, weil mit Vernunft begabt, iſt göttlicher Ngtur. Wer nor ſie in den Leib eintritt, ſchaut ſie in der Sdeglwelt die ewigen Ideen au und erinnert Ach ihrer wieder währenh bes irdiſchen Daſeins. Durch Weisheit und Tugend erlangt fie nach dem Tode ein glückſeliges Long in dem ihr verwandten Geſtirn. Die Böfen müſſen His zu ihres Läuterung Thierleiber durchwandern2). Auch unglüdlige Schidfale müſſen nad Gottes Weltordnung dem Guten zum Beſten dienen, da fie feine Seek Jäntern ; nur der Böfe gebt ig Unglück unter. Die. Verbindung ber un« fiexblichen, Seele mit dem flerbligen Leibe zu erklären, nimmt Plato 959 Mittelweſen eine aus feinen Körpertbeilen gebildete ſterbliche Seele an, welche zwei Kräfte, Much und Begierde, befigt. Demgemäß entſpricht bex unſterblichen Seele die Tugend ber Weisheit, der ferblichen entſprechen bie Rugenden ber Tapferkeit und der Selbfibehesrihung. Die Haxmonie dieſer drei, welche den Menfchen zur Gottähnlichkeit erhebt, iſt die Gerechtigkeit, Dad Streben nach dem Guten und Schönen, welches den Menfchen mit der Gottheit verbindet, und das zeine Wehlgefallen an dem Guten und Schö⸗ nen, welches andere Menſchenſeelen ziert, nennt Plato die Liebe. Die Götter hält er für die vernünftigen Seelen der leben Planeten und Dog dirſterne.

9— ®. i. i ſelbſtſtändig gedachte Gattungsbegriffe, die Urbilder der Dinge. 2) Doch ſchließt ſich Platon anderwärts in dieſem Punkt den Vorſtellungen des San an (Eipfion und Tartaros , vgl. Thl. II, &, 187-188).

43 PPlato gründete tie Philoſophenſchule der Älteren Akademie, welche nadı feinem Hingang zunaͤchſt yan feinem Neffen Speufippoß geleitet wurde. Diefer Platoniker beſtimmte die Gottheit al& das Ureins, den Grund de? Seins und der Zahl. Die Seele betrachtete er gewiflermaßen als einen Spielball der Daͤmonen, von denen bie einen fie zum Guten, bie andern zum Böſen bewegen. Xenofrates von Chalkedon, geb. 397 vor Chr., ar⸗ beitete durch fein Philoſophiren begeitg ſtark dem fpätern Neuplatonismus por. Gott, Ichrte er, ſchuf zuerſt die Ideglwelt, Dann die Moterie, hierauf zum Serrfcher über die Ipealwelt' eine männliche, zur Herrſcherin über Die Materie eine weibliche Gottheit, die Weltfeele. Diefe Beiden erf voll» bringen die Weltbildung, fchaffen die Dämonen, die Menfchenfeelen u. |. w, In feinem Beſtreben, die platonische Lehre möglichſt in mathematijche Bor meln zu faflen, nannte er die Seele eine fich felbf} bewegende Zahl.

Dieſe Akademifer erfcheinen unbedeutend im Vergleich mit Dem größ⸗ ten Schüler Platons, Ariftoteles von Stagira in Thrakien, geb, 384 vor Bhr., der hinwieber Alerander den Großen feinen Schüler nannte. Die platouifche Ipeenlehre verwarf er zwar vollſtaͤndig; was er jedoch an beren Stelle jegte, hat neben ihr bis auf unfere Lage herab gleich maͤchtig auf die Entwidlung der Vhilofophie eingewirft. Die Gottheit des Ariſtoteles if} der abjolute Geiſt, dad Denken des Denkens, der erfie Beweger, emige Tätigkeit ihrem Weſen nach und doch felber ewig unbewegt, ſelbſtgenüg—⸗ fan, dad ewig felige Leben, dad Gute an ih. Ihr gegenüber ſteht die zaumlich ausgedehnte, zwar hefchaffenhettälofe, aber bildungsfühige Materie. . Die Gottheit wirft zunachfi auf biefelke pin als „reine Form“ (Morphe); i8 Die. Materie yon der Korın jo durchdxrungen, daß Iegtere in ihr zur trei⸗ henden Lebenskraft wird, wie z, B. beim Samenkorn, fo. wird die Form zur „Energie,“ nad vollendeter Geſtaltung der Materie enblih zur Enten lechie“, d. 5. Zweckhollendung, dem Organismus inwohnender, an ihn yollftändig ausgeführter Zweckbegriff. Ob auch die Matsrie qus Gott here vorgegangen, darüber finden wir bei Ariſtoteles eben ſo wenig einen gen nauen Ausſpruch wie bei Platon. In Beider Syflem fühlt mar immer noch den dualiftiſchen Haren. Die Serfe iR die Eytelechie des menſchlichen Körperd und leitet als folde die Ernaͤhuung, Empfindung und Bewegung, Zu Alledem empfing fle yon der Gottheit unmittelbar Die Bernunft, welche mit dem Körper und den nigdern Seelenthätigfeiten in keinem natürlichen Aufommenhang fight. Als göttliche Vernunft allein if} Die Seele unßerh⸗

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lich, fle hängt in diefer Beziehung nicht am Leibesleben und fo wird fle auch vom Tode des Leibes nicht berührt. Für das höchſte Gut erklärt Ariftoteles die Glückſeligkeit, worunter er die innerliche Befriedigung in angemeffener "Verwendung der dem Menſchen verlichenen Fähigkeiten und Kräfte verſteht. Tugend iſt ihm die Wertigkeit, bet jeder einzelnen Handlung bie vernunft⸗ gemäße Mitte zu finden, das Zuviel (z. B. Verſchwendung) und das Zuwenig (Geiz) zu vermeiden. Des Ariſtoteles nüchterne und gründliche Weltanſchauung, ſein auf Empirie gegründetes Denken ließen in ſeinem Syſtem keine Daͤmonologie aufkommen.

Bon Ariſtoteles ging die peripatetiſche Schule aud, ſo genannt von den Spaziergängen in den Säulenhallen, welche das Lyceum (Lykeion) des Ariſtoteles zierten. Die Peripatetiker philoſophirten noch weniger ſelbſt⸗ ſtaͤndig ihrem Meiſter nach, als die Akademiker. Wir haben und daher nicht weiter mit ihnen zu beſchaͤftigen.

Auch der Blüthezeit helleniſcher Philoſophie fehlte e8 nicht an Skep⸗ tifern. Unter ihnen heben wir hervor Pyrrhon aus Elis, einen Beitge- nofien Aleranderd des Großen. Er drang auf Zurüdhaltung jedes ent- fchtedenen Lirtheild über die Dinge und Ereigniffe der Außenwelt, weil bie finnlihe Auffaffung des Menfchen fehr unzulänglih, derſelben alſo nicht leichthin zu trauen ſei.

4,

Durch den ethiſchen Anftoß einerfeitö, welchen die Philofophen durch Sofrates erhalten, andererfeits durch Abnahme ber fuftembiltenden @eifles- kraft nach Ariftoteles Fam in die Philoſophie der Trieb nad möglichfter Popularifirung und bald wurde fie, als dad allgemeine Verderbniß und Elend mit dem römifhen Weltreih um ſich griff, Troft und Zufludt aller ebleren Naturen, den gemeineren freilih, mie einft den Sophiften, ei Werkzeug, die legten Reſte höhern Glaubens und frommer Scheu in ihrer und Anderer Bruft auszutilgen.

Theils aus der Weltanfhauung des Heraflit, theils aus derjenigen der Kyniker bildete ſich die ftotfche Schule, deren Grundfäge von ihren drei Stiftern, Zenon, Kleanthes und Chryſtppos, gemeinfhaftlih ausgebildet wurden. Die Bekenner der Stoa badıten ſich Bott und Materie ald Eine untrennbare Wefenheit, innerhalb welcher nur der Unterſchied Statt findet, Daß Gott, zugleich als Atherartiger Wärmeftoff und als vernünftige gütige

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Borfehung gefaßt, das Active, Weltbildende, die Materie, als befchaffen- heitslos gedacht, der paſſive Stoff der Welt if. Wie die Seele dem Kör- per, wohnt Gott der Welt inne. Die Stoifer fehauten daher die Welt an als „ein großes Lebendige." Wie derNaturlauf von Bott vernünftig und fittlich gut geleitet wird, fo foll auch der Menſch feine Glückſeligkeit in vers nünftigem und fittlic gutem Handeln finden; das heißt „übereinftimmend mit der Natur leben“, wie der Stoifer oberfte Regel lautet. Es gibt nur Eine wahre Tugend, die Weisheit, in welcher ſich die fittlihe Erfenntniß, die Mäßigkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit vereinigen. Neben guten und böſen nahmen die Stoiker auch „gleichgültige * Handlungen an. Bon den vernunftwidrigen Gemüthöbewegungen der Begierde, Furcht, Treude und Traurigkeit foll der Weife frei fein. Die irdiſchen Güter, Reichthum, Macht u. f. w., weil ſie fowohl zum Guten, als zum Böſen angewendet werden fönnen, find ihm etwas Gleichgültiges. Endlich nahmen die Stoifer periodifche Weltverbrennungen und neue Weltfhöpfungen an. Die Weifja- gung ehrten fie als Offenbarung ter Gottheit. Ihr Pantheismus, im Les ben alle rein perfönlichen Zwede verwerfend, Tieß Feine Unfterblichkett der Seele zu.

Den geraden Gegenſatz zum Stoicismus flellt der Epikuräismus dar. Epifur, geb. 342 vor Chr. in Attifa, bildete aus den Prinzipien der ato— miftifhen und der Eyrenaifchen Schule folgende Weltanfhauung: Es gibt zweierlei Grundurfachen der Welt, die Atome, unzählig, von fehr ver- fchiedener Geſtalt und Größe, mit urfprünglicher Bewegung (fenfrechter Fall), und den leeren Raum. Durch ihren ſenkrechten Ball geratben die Atome aneinander und bilden alfo die Körper. Die Götter, zwar menſchlich ge= ftaltet, doch ohne feften Körper und menfchliche Bebürfniffe, Ieben in den leeren Zwifchenräumen der Weltkörper ein ſeliges far niente, unbefümmert um Alles, was in der Welt vorgeht, begreiflih, die Atome fchaffen ja - für fie! Die Seele des Menſchen befteht au8 vier Arten von Atomen, deren feinfte, in der Bruft wohnend, da8 Empfinden und Denken. verrichtet, Mit dem Tode hört die Seele auf, zu eriftiren; man fühlt ihn nicht, darum fhaudert auch der Weije nicht vor ihm, Des Lebens höchfter Zweck ift Wohlbefinden, denn Died entipricht der menfchlihen Natur, während die Unluft derſelben widerftreitet. Körperliche Schmerzlofigfeit und unge» trübte Heiterfeit zu erſtreben, ift echte Lebensweisheit, Alles, was zu die⸗ fem Ziele führt, wahre Tugend, namentlich die Freundſchaft.

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Mährend die Beiden vorgenannten Schulen am meiften Anhänger ges Wannen, ſuchten die neueren Akademiker, wie Arkefllaos von Pitane (farb 341 vor Chr.) und Karneades aus Kyrene, der 155 vor Chr. als Ge⸗ fandter nach Rom reifte, die platonifch-fokratiiche Richtung mit geringen Erfolg weiter zu bilden. Beide neigten fih der Skepfis zu, indem ſte be⸗ Haupteten, nach Sokrates und Platond etgentlither Meinung müffe der ver⸗ nunftbegabte Menfch fein Höchftes Intereffe im Forſchen felber finden. Dem gemäß Ichrte Arkeftlaos, man könne die Urgrimde der Welt weder nad ihrem Dafein noch Weſen noch Verhältniß genau erkennen und dürfe alfo feine beſtimmten Behauptungen darüber aufſtellen. SKarneades, an einem fihern Maaßſtab der objectiven Wehrheit verzweifelnd, ſtellte eine Wahr⸗ ſcheinlichkeitslehre auf.

Die Peripatetiker dieſer Periode waren faſt nur gelehrte Erklärer der ariſtoteliſchen Lehren und Schriften. Des hiſtoriſchen Intereſſes wegen nennen wir von ihnen den Kritolaos aus Phaſelis, welcher mit Karneades nach Rom reiſte, und Andronikos von Rhodus, welcher die durch Sulla's Eroberung von Athen nach Rom gekommenen Schriften des Ariſtoteles ord⸗ nete und bekannt machte.

Den Skepticismus des Pyrrhon und der neueren Akademiker vollen⸗ dete Cicero's jüngerer Zeitgenoſſe, Aeneſidemos von Knoſſos auf Kreta. Wegen der ewigen Veränderlichkeit der göttlichen Subſtanz, behauptete et, dürfe keine Anſicht auf alleinige Geltung einer andern gegenüber Anſpruch machen, Gegen die Gültigkeit ded Begriff von Urſache und Wirfung machte er zehn Zweifelögründe geltend, hierin ahnlich dem engliichen Skep⸗ tifer David Hume, deſſen Kritik der Urſache jo anregend auf Kant ge— wirkt bat.

6.

Zu den Römern fam die Bhilofophie durch die Geſandtſchaft der Athenienſer, von welcher wir bereit8 zwei Mitglieder genannt Haben ; das Dritte war der Stoifer Diogenes von Seleufta. Zwar hatte fihon Enntus pythagoraͤiſche Säge in feine Gedichte eingemifcht ; aber e8 war bis zu jener Geſandtſchaft bei vereinzelten Anklängen geblieben. Anfangs war die Phi⸗ Iofopbie bei den Römern, wie die Griechen und griechiſches Weſen über- haupt, verachtet. Nach und nad) warb fie wenigftens als ein Mittel höherer

#1

Bildung, dann fogat vor Eingelnen als eine Duelle der Glüͤckſeligkeit ange fiber. Am meiſten Anhänger fand, wie begreiflih, der Epikataͤismus. Der Stoa huldigte Cato der Jüngere; ebenſo Cicero, was die praktiſche Seite feiner Anſichten bettifft, während er ſich in theotetiſchen Fragen der neueren Akademie zuneigte. Er war nicht. der Ginjige, ten man um fo gemiſchter philofophifcher Anfichten willen einen Eklektiker nannte. Jede Zeit des Verfalld in der PHilofophie bringt ſolcher oberflächliher Denker eine Menge hervor. Als vollftändiger Anhänger der afademifhen Schule wird der befannte Lucudus genannt, Den Steptifern ſchloß ſich Agrippa an, deſſen Zeitalter freilich ungewiß if. Man nimmt-an, er habe um Chrifti Zeit gelebt. Er beförberte den Verfall der Philofophie, indem er auf die Verjchiedenheit ihrer Syſteme aufmerkſam machte, die Subjectivität ber Vorftellungen, die Hypotheſenſucht, Die Girfel im Beweiſen an allen Spftemen tadelte, aber bei Alledem nichts Befferes aufzuftellen wußte,

In der nachchriſtlichen Zeit finden wir nichts als mannigfache Ent- artung der bergebrachten philofophiichen Syfteme. Der Epikuräismus warf auch feine ruhig feligen Götter Über Bord, verläugnete alle Sittengefege, ward aus einer Philoſophie Entfhuldigungsgrund aller Laſter und ging unter im Schlamm äußerfter Gemeinfeit. Der Stoicismus feinerfeitS hatte con» fequenter Weile zur Rechtfertigung des Selbftmordes geführt. Unverän⸗ dert pflanzte er fich nur in Wenigen fort, wie z. B. in Bafllides, dem Lehrer des Antonin. Umſchrieben und vielfach abgeändert ward er durch Seneca, Mufontus Rufus, Epiktet, Arrian und den Kaifer Marcus Aus relius. Auch eine neuere Eynifche Schule tauchte auf, welche in Demetriuß, Seneca’8 Breund, und Demonar aus Kypern (2. Jahrh. nach Ehr.) Freis heit von Furcht und Hoffnung als ihren oberften Grundſatz aufftellte, und in Peregrinus Proteus zu orientalifcher, vermuthlich erheuchelter, Schwaͤr⸗ merei ausartete. Wir finden ferner noch fogenannte Platoniker, In welchen der Einfluß orientalifcher Ideen bereits unverkennbar bervortritt. So Ichrte der früher genannte Plutarch von Chäronen die Weltfeele, daB Princip des Böfen, und die Materie ald gleich ewig neben Gott, dem Prin⸗ zip des Guten.

Indifher Weisheit rühmten fich bereits die Neupythagoräer, deren Zahlenlehre auf die Geltung einer magifchen Wiffenichaft Anſpruch machte. Zu ihnen zähle man den befannten Apollonius von Tyana, welden die

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heidniſchen Briechen Chriſto gern gegenüberflellten. Dielem mannigfacdhen dogmatifchen Unfinn begegnete der Arzt Sertus Empirifus aus Mytilene (Ende ded 2. Jahrh. nah Ehr.) mit feiner Fühlen Skepfis, die er als eine Art Heilkunde der von philofophifchen Irrthümern angegriffenen Geiſter bes trachtete. In jeinen Werken faßte er fo ziemlih vollftändig zulammen, was Treffendes gegen die dogmatifirende Philoſophie von jeher gejagt worden war.

Den letzten Anlauf, bereitö im Kampfe gegen das Ehriftenthum, nahm die antife Philofophie im Neuplatonismus, zu deffen Erzeugung fie bie altindifcheägyprifche Emanationslehre 1) zu Hülfe rief. Bei ihrem Abſchluß fehrte alfo die alte Philoſophie, gleihfam , um noch Kraft zu gewinnen für die Tegten Athemzüge, zu ihrem Mutterfchooße, wenn auch nicht zu den gleichen Ideen zurüd, mußte aber erfahren, daß auch dort feine wahre Lebenskraft mehr vorbanten war. Dap.nicht blog Indien, fondern wirklich aud Aegypten den Neuplatonifern wieder Ideenftoff lieferte, darauf weit bedeutſam fchon der Umfland, daß das aͤgyptiſche Alerandrien der Haupt⸗ fig des Neuplatonidmus wurde. Selbft die jüdischen Neuplatonifer find von Alerandrien ausgegangen. Don biefen iſt und ſchon im erflen Kapitel einer begegnet, Philo. Hier nun haben. wir des, um 220 nad Chriſtus ent- flandenen Geheimbuches der Effäer zu erwähnen, der Kabbala. Ihr zufolge fol von Gott, dem unerfchaffenen Urlicht, zuerfi Adam Kadmon, der erſt⸗ geborne Sohn Gottes, göttliche Vernunft und Meſſtas zugleih, ausge⸗ gangen fein, fodann zehn Lichtfiröme, Sephirot, aus denen ſich vier Welten bildeten: die Höchfte Geifterwelt, die der noch unförperlichen, aber ſchon niedrigeren Geifter, die der verförperten Engel und die finnlih wahrnehme bare Welt. Der Menſch ift beftimmt, durch immer höher fleigenden Ver⸗ fehr mit ben Geiftern in den Buflänten der Verzüdung (Efftafe) zur Anfchauung Gottes zu gelangen,

Zur eigentlih alerandrinifchen Schule gehörten Ammonios Sakkas, Plotinos, Porphyrios und Jamblichos. Durch Legteren kamen befonders bie fogenannten hermetifchen Schriften auf, d. i. eine Sammlung altägyp- tiſcher Offenbarungen, welche von dem ägpptifchen Gott Hermes Trisme⸗

1) Die Emanationslehre befteht, wie Jedermann weiß, darin, daß nach ihr eine Gottheit von der andern ausfließt, erzeugt, nihterfchaffen wird. Vgl. Thl. I, ©. 109, und Thl. 11, ©. 19.

giſtos 2) Herrühren follten. Jambliches farb um 333 nad Chr. Die Lehre ded 205 n. Chr. geborenen Plotin war in Iren Grundzügen fol⸗ gende: Gott if} die ewige und unveraͤnderliche Güte, Urquuell alles Seins. Ihm entfließt zuerfi der Mus, tie goͤttliche Bernunft, ald Geſammtheit der Ideen gedaht. Dem Nus emanirt die Weltfeele, deren höherer Thetl, der Logos, die Ideen des Nus auffaßt und von ſich ausgehen läßt den nie⸗ drigeren Theil, die ‘empfindende Seele, welder hinwieder die nach den Ideen die Welt bildende Naturkraft (Phyſis) entfließt. Die unterfie, aus der Phyſis gefommene Emanation, iſt die Materie, aus weldyer die Welt gebildet wird. Außer der Weltſeele find dem Nus noch die indiriduellen Seelen entflojfen, zu welden die Götter erfien Ranges in der Idealwelt, die zweiten Ranges vom Pirflernhimmel bid zum Monde, die Dämonen unter dem Monde und die Menichenfeelen gehören. Diefen bildet Die Phyſis ihre Körper aus der Materie. Wenn vie höhern Kräfte der Seele zu den niedrigen gänzlich herabgezogen werden, fo muß fe nach dem Tode Thier⸗ und jelbft Pflanzen körper durchwandern. Durch die Tugenden, deren höchſte die myſtiſche Vereinigung mit dem Ans if, wird die Seele zu ihm in ihre urfprünglide Heimat zurüdgerührt: Bropheritches Schauen (Mantit) und Zauberfraft (Magie) find ſchon hienieden mit jener Gottinnig⸗ Brit ungertrenalicy verbunden.

Noch weiter ward die Emanationdlehre von den atbentenfligen Neu⸗ ylatonifern getrieben. Diele traten aber erſt nadı dem Siege des Ghriften«- thums auf. Don ihnen feien genannt Plutarch von Athen (350—430 nah Ehr.), Broflus von Konftantinopel (412—485) und Simplicius, Der die Aufhebung der athenienfifchen Philoſophenſchule durch Juſtinian (529) erlebte. Obgleich die athenienſiſchen Neuplatoniker wieder etwas mehr Gewicht auf wiflenfchaftlihe Form des Beweiſes legten, jo hatten doch auch ihre Philoſopheme gar keinen wiſſenſchaftlichen Zuſammenhang. Der ganze Neuplatonisnud ohne Ausnahme war phantaftiihe Träumerei; von einer philoſophiſchen Bearbeitung der Erfahrungdgrgenflände, vom wiffenichaftlicher Ableitung der Begriffe, von zmwingender Logik ift Feine Spur darin. Das gemeinfame Merkmal diefer Epigonenphilofophie war dad Wunderbare oder vielmehr Wunderliche, theoſophiſche und theurgifche Düftelet. Die augenfcheinliche Tendenz ging auf Stiftung einer Religions⸗ 2) Wahrſcheinlich Tat, einer von den zwölf Göttern des zweiten Geſchlechts, Schirmgott der ägyptifchen Wiſſenſchaft. Vgl. Thl. I, &. 23.

Scherr, Geſch. d. Religion. II, 4

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pbilofophie, welche dem Chriſtenthum Oppofition maden follte. Aber e8 war das Alles nur noch das Stammeln und Lallen des vor Alter Eindifch gewordenen Genius von Hellas. Geftorben zwar ift damals die Philoſophie nicht, aber zu einem langen, langen Schlaf hat ſie fich nieder⸗ gelegt.

Diertes Kapitel. Das eben Sein.

1.

Wir eröffnen die religtonsgeichichtliche Darftellung des Chriſtenthums mit der Schifverung des Lebens und der Lehre Jeſu von Nazaret, nach den Schriften des neuen Teftamentes, indbefondere nad Anleitung der Evange⸗ lien. Was die katholiſche Kirche außer dem Inhalt des N. T. als hriftliche Lehre geltend macht, wird ſich in der Bolge ald Lehrentwicklung fpäterer Zeiten ausweifen, als urjprünglicye Lehre des Chriſtenthums läßt fih einzig und allein ter Inhalt des N. T. fefthalten. Auf der andern Seite können wir ebenfowenig berüdfichtigen die Behauptungen der neueften proteflantifchen Theologenfchule,, welche e8 mit ihren Forſchungen nach ter echten Lehre Jeſu jelbft, im Unterſchied von den Lehrauffaffungen ber Apoftel, bis jegt zu feinem wiſſenſchaftlich feſten Refultate von irgend höherer Be—⸗ deutung gebracht bat. Auch ift der Streit über Echtheit und Abfuffungs«- zeit der neuteflamentlichen Schriften noch fo fehr in der Schwebe, daß wir auch hier Feinen-Boden finden, auf welchem wir feften Buß fallen fönnten. So dürfen wir denn von unferem parteilofen Stantpunft aus bei Betrady= tung der Lehre Ieju weder von einer paulinifchen Tendenz des Lukas, noch von einer ebionitifchen tes Matthäus, noch von einem Lehrgegenſatz zwifchen Johannes und den drei erften Evangrliften (Synoptifern) Notiz nehmen ; fondern wir müffen vielmehr als Lehre Jeſu faffen, was uns in den Evans gelien als Ausſpruch Ieju dargeboten wird. Was Hingegen in der Ge= fhichte und Den Briefen der Apoftel gelehrt wird, muß bei aller Ueberein— flimmung mit tem Sinn und Geifte des Meifters von deſſen ſelbſteigener

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Lehre getrennt betrachtet und an die Spitze der Lehrentwicklung ge ſtellt werden.

Das Leben Jeſu angehend, hat bekanntlich die Kritik daran noch mehr herumgearbeitet und gibt ed in der Literatur beinahe fo manches „Leben Jeſu“, als es fchreibfertige Theologen gab feit dem Auftreten von David Briedrih Strauß. Die Bemühungen der Harmoniften aber, wie der nega⸗ tiven Kritifer, auf dem weiten Gebiete der Wahricheinlichfeit Eonnten uns nur zu der Anficht bringen, das Leben Jeju möchte in den Evangelien, troß der in denielben zu Tage tretenten Widerſprüche, doch mit nıchr Hiftorifcher Treue dargeftellt fein, als in fänmtlichen Büchern über das Leben Jeſu 1). Zudem ift unfere Aufgabe bier keineswegs, uniere ſubjective wiſſenſchafiliche Anſicht über den eigentlichen Verlauf des Lebens Jeſu geltend zu machen, fondern einfach objectio Darzuftellen, wie nach übereinftimmenden Nachrichten der driftlihen Neligionsurfunden das Leben Jeſu verlief. Wo die Evan gelien in weientlichen gefchichtlihen Angaben, wie 3. B. in Betreff ber Meijen Iefu nach Jeruſalem, einander widerſprechen, Da werden wir, ohne zu entſcheiden, die verſchiedenen Angaben aufführen.

2.

Die Geburt Jeſu, des Sohnes der Maria, für teilen Vater Joſeph, der Zimmermann von Nazaret, ein Mann aus dem Geſchlechte Davids, galt, wird jo ziemlich allgemein in das Jahr 754 nad) Erbauung der Stadt Nom geſetzt. Da jedoch der dionyſiſchen Zeitrechnung, nach welcher das genannte Jahr beſtimmt iſt, ein Fehler von 4 Jahren zu viel nachgewieſen werden kann, fo fällt die Geburt Jeſu eigentlich in das Jahr 750 nach Roms Erbauung.

- Hinfihtlich Der wunderbaren Erzeugung Jeſu aus dem heil. Geifte ohne Zuthun eines Mannes flimmen Matthäus und Lufas überein; Io» hannes faßt diefen Gegenftand ganz in philoſophiſcher Weiſe. Demgrmäß finden wir aud bei Matthäus und Lukas allein jene Erzählungen, welde

4) Wir brauchen faum zu bemerken, daß ber Ausdruck „hiftoriiche Treue” cum grano salis zu verfiehen ſei, d. h. wir nehmen an, daß die Verfafler unferer evanges lifhen Quellen in guten Treuen gefchricben haben. Ebenſo wenig brauchen wir zu wiederholen, was wir fchon an fo vielen Stellen unferer Arbeit über den Nimbus des Munterbaren, womit die mythenbildende Volksphantaſte Die Berföntichfeit aller Pro⸗ pheten, Religionsfifter und Heilande umgab, zu fagen Gelegenheit hatten.

4 %

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die Geburt des Welterlöferd mit dem Schimmer himmliſcher Ericheinungen verherrlichen ; bei Matthäus den Stern, der die Magier aus dem fernen Morgenlande herbeiführt, einen Ausdruck der damals allgemein verbreiteten Meiftashoffnungen, bei Lukas die Engelericheinung, melde den Hirten auf dem Felde die göttlihe Würde und Sendung des Neugebornen offenbart. Ausschließlich diefen beiden Evangeliſten eigen find auch die, übrigend von einander abweichenden, Gefſchlechtsregiſter, mittelft welcher die Abkunft Jeſu dur Iofeph von David abgeleitet wird. Markus beginnt fein Evangelium ohne alle dieſe Vorbereitungen fofort mit dem Auftreten JIo⸗ Hannes bed Taͤufers. Die Flucht der Aeltern Jeſu mit dem Knäblein nad Aegypten und ihre Rückkehr nach Serodes I. Tode erzählt Matthäus allein. Dagegen hat Lukas einen Bug ‚aus der Jugendgeſchichte Jeſu aufbewahrt, der die überraſchenden Bähigfeiten des Geiſtes und den tiefreligiöfen Zug des Gemürhes Jeſu ſchon in feinem zwölften Altersjahre erkennen läßt. Bon da haben wir feine Nachricht mehr über Jeſus, bie er, mit dem ges feglich beftimmten dreißigften Altersjahr zum Lchrer des Volkes (Rabbi) herangereift, fih von Iohanne® dem Täufer im Jordan die Weihe zu feinem welterneuernden Werke eriheilen läßt. Johannes nämlich, der Sohn des Priefterd Zacharias und der Eliſabeth, einer Verwandten der Maria (nad Lufad), war im 15. Negierungsjahr des Kaijerd Tiberius aufgetreten in ber umliegenden Landichaft des Jordan, im Hinblick auf die baldige Erfcheinung des verheißenen Meſſtas Buße predigend, aber auch durch jeine harte Lebens⸗ weife die Strenge feiner Predigt an ſich felbft darſtellend. Er kündigte ſich ausdrüdlich als den Vorläufer des Meſſias an, ertheilte Die Taufe im Jordan theild als Sinnbild der angelobten Buße, theild als vorbereitente Weihe zum Eintritt in das nahe Mefflasreih, und ward vom Volfe (mit Aus⸗ nahme der Schriftgelehrten und Prieſter) allgemein für einen Propheten ge⸗ halten. Ungeſcheut fprach er feinen Tadel über den blutſchänderiſchen Ehe bruch des Herodes Antipad aus, ward deßhalb ind Gefängniß geworfen und fpäterhin auf Anftiften der durch feinen Tadel mitbetroffenen Herodias enthauptet. Bei der Taufe Iefu im Iordan hatte Johannes ibn ald den verheißenen Meiftas erfannt ; da er jebodh neben feiner geiſtigen Auffaffung auch noch weltlihe Vorftellungen vom Meſſtas und deffen Neiche beibehal« ten, fo fandte er aus dem Gefängniffe zwei jeiner Jünger an Jeſus, der feine Miene machte, den Thron Davids wieder aufzurichten, mit der Frage: „Biſt du, der da kommen foll, oder müflen wir auf einen Andern warten? *

ui

| 53 worauf ihn Joſus auf .feine uͤbermenſchlichen Thaten verwies mit der An⸗ deutung, ein weltliches Auftreten, irdifche Größe liege nicht im Zwecke feiner Sendung. Jeſus ſelbſt, bevor er auftrat, zog ſich mach den Berichten der Spnoptifer in die Wüßte zuruͤck, we er vierzig Tage und vierzig Naͤchte faſtete. Dafelbft kam die Verfuhung über ihn in dreifacher Weile, ver⸗ bunden mit wunderbarer Entrüdung van Ort zu Ort; er überwand fie voll» fländig. Auf den Verſuchungsmythus ſpielt auch der GHebräerbrief (4, 15) an, indem e8 dafelbft heißt, Jeſus fei in allen Dingen verfucht worden, wie wir, dod ohne Sünde.

Bevor wir nun auf dad öffentliche Wirfen Iefu eingehen, haben wir über die wichtige Frage nad jeiner Vorbildung eine kurze Bemerkung zu machen. War er wirklich jemald in Aegypten, fo ift er in ſehr jugendlichem Alter, gleich nad) Herodes I. Tode, in ‚feine Heimat zurüdgefehrt. Als Knabe Eonnte er Feiner andern Bildung theilhaft werden als einer folchen, wie man fie in den Synagogen und bisweilen im Tempel zu Jeruſalem fi anzueignen Gelegenheit hatte. Als Jüngling hingegen mag er, weil feine genane Belanntihaft mit dem Alten Teflament Kenntnip ber he braͤiſchen Sprache vorausſetzt, die damals gewöhnliche Bildung eines Rabbinen em⸗ pfangen haben. Es möchte erlaubt ſein, dieſe Bildung mehr noch eine ungewöhnliche, ſehr umfaſſende zu nennen, im Hinblick auf die lauten per⸗ fiihen, brahmaniſchen, chaldaͤiſchen und ägyptiſchen Anklänge im Chriſten⸗ thum. Wie ſie hineingekommen, ſteht dahin. Der Einfluß jener Glau⸗ bensſyſteme auf den Bildungsgang Jeſu iſt hiſtoriſch nicht nachzuweiſen, um fo weniger, da ſich die Verfafſer der Evangelien aus naheliegenden Grüns den wohl gehütet haben, nach diefer Seite hin Etwas verlauten zu lafien, Ein unmittelbarer Zuſammenhang der Lehre Iefu mit irgend einer Religion oder Philofophie läßt fih nur in Beziehung auf das Alte Teftament erwei⸗ fen; aber es ift hiebei wenigflens an die Modificationen zu erinnern, welche der Moſaismus durch das babyloniſche Exil erlitten hattet).

3.

Jefus trat auf mit der froben Borfchaft: „Das Reich der Himmel iſt genahet! Thut Buße und glaubet dem Evangelium!" Er Iehrte in den Spnagogen am Sabbath, auf Bergeshöhen, an den Ufern des Sees Gene«

4) Bol. Thl. II, ©. 118 fg.

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faret, in der Eindte, wie im Tempel zu Jeruſalem; felbft beim fröhlichen Mahle entquollen Morte der Weisheit feinen Lippen. Welchen außerordents lihen Eindrud feine Reden auf die Zeitgenoffen machten, fehen wir in den Evangelien vielfah angedeutet. „Er redete als Einer, der Gewalt hat, und nicht wie die Pharifäer und Schriftgelehrten.“ Es bezeugten auch die Diener der Hohenpriefter, vergeblich abgefantt, ihn gefangen zu nehmen: „Noch nie hat ein Menfc fo geredet, wie dieſer!“ Nach den übereinftim- menden Berichten der Evangelien wurde aber die Wirkung feiner Lehre mächtig unterftügt durch zahlreihe Erweiſungen übermenjchlicher Kräfte. Er Heilte blind und lahm Geborne, Stummen verlich er Die Sprache wies der, befreite Blutflüſſige, Mondſüchtige, Wahnfinnige von ihren Leiden und machte Ausiägige rein, Alles augenblicklich, durch ein bloßes Wort, feloft einmal durdy bloße Berührung ohne fein Vorwiſſen 1). Er wird dar geftellt ald Herr über alle Mächte ter Natur durch göttliche Geiſteskraft. So in den Erzählungen vom verdorrenden Seigenbaum, vom Wandeln auf den Waſſer, von der Stillung des Seeflurmes, von der Verwandlung des Waſſers in Wein, von der Speifung der Fünf» und Viertaufende. Jeſus felbft berief ſich ſowohl dem Täufer, als feinen Gegnern gegenüber auf jeine Wunderwerfe ald Bürgſchaft feiner göttlichen Sendung). Sogar Todten⸗ erwefungen werden mehrmals von Iefu erzählt: die Erwecung feines Freundes Lazarus, des Jünglings zu Nain, der Tochter des Iairus. Mit Alledem verband Jeius cine vollendete Reinheit des Herzens und Wandels, die wirffamfte Befräftigung feiner Sittenlehre, jo daß er feinen Wider fadyern Die Stirne bieten durfte mit den zuverfichtlichen Wort: „Wer unter euch kann mich einer Sünde zeihen? * |

A.

Der Plan, an deſſen Erfüllung Jeſus mit hingebender Liebe und un« ermüdlichem Eifer arbeitete, war, ein Reich Gottes, auch Reich der Himmel genannt, auf Erden zu gründen, d. h. eine geiſtige Gemeinſchaft ins Leben zu rufen, deren Glieder alle, durch gegenſeitige brüderliche Liebe und kind⸗ liche Liebe zu Gott ald ihrem Himmlifchen Vater vereint, einander beiftehen in Bekämpfung alles Böſen, in Börderung ihres zeitlichen Wohlergehens

1) Maith. 9, 20—22. 2) Matth. 11, A und 8. Joh. 5, 36.

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in ter Vorbereitung auf das höhere Geifterleben jenſeits des Grabes. Die hiwmliſchen Güter, deren alle Glieder des Reiches theilhaft werden follten, find Berzeihung der Sünden, Friede des Herzens, der Beiftand des heiligen Geiſtes zu allem Guten und das ewige Leben in feliger Verklärung. Buße und Glauben bezeichnete er als die Erforberniffe zum Eintritt in das Reich Gotted. Er verbehlte übrigens nicht, daß dies Reich nur nah und nad unter Den Menſchen verbreitet werden könne, und daß auch Unwürdige äußer« lich in diefe Gemeinſchaft eintreten werden, Erſteres im Gleichniffe vom Senfforn, Lebtered im Gleichniſſe vom Unkraut des Adler,

Bon dem angedeuteten Plan erfüllt, durchwanderte er das Land nad allen Nichtungen, empfängliche ®emüther für fein Reich zu gewinnen. Jenes fhönfte Wort des Alten’ Teflamentd !) in Erfüllung dringend, neigte er fi den Armen und Unterdrüdten („Mübfeligen und Beladenen *), ten Berftoßenen und Berachteten im Volfe zu („Zöllnern und Sündern*), und wenn bier eine Aeußerung perfönlichen Gefühls Taut werden darf, fo fagen wir, daß es der fhönfte Moment im Leben Jeſu war, als er mit himm⸗

liſchem Erbarmen die Ehebrecherin gegen ihre heuchlerifchen Anfläger in

Schutz nahm. Bon den Prieftern und Schriftgelehrten, ſowohl phartfätfcher als fadtuzaiicher Partei, fühlte er ſich abgefloßen, zumal die meiften der⸗ felben theild aus gelehrtem Dünkel, tHeils aus Tugendſtolz von Buße und Glauben nichtd wifjen wollten. Dafür hatte er an Nikodemus und Joſeph von Arimathea, zwei angefehenen Männern, von denen der Erftere Mit- glied des Synedriums war, zwei Breunde, welde nad feiner Kreuzigung durch ihre muthige Treue die Apoftel beichämten.

5.

Der Apoſtel (Sendboten), welche Jeſus zu Gehülfen ſeines Werkes ausgewählt hatte, waren zwölf. Von dem weitern Jüngerkreiſe, aus wel⸗ chem er einmal ihrer flebenzig zur Predigt ded Evangeliums audfandte,

4) Und er fam gen Nazarct, da er erzogen war, und ging in die Eynagoge nadı feiner Gewohnheit am Sabbath und fand auf und wollte lefen. Da warb ihm dars gereicht das Buch tes Propheten Jeſaia, und da er es aufſchlug, fand er die Stelle, wo gefchrieben ſteht: Der Geiſt des Herrn iſt bei mir und er hat mich gefalht und geſandt, zu verfündigen bie frohe Botichaft den Armen, zu Heilen die wunden Herzen, zu pretigen den Gefangenen, daß fie [g8 fein follen,, und ven Blinden, daß fie ſehen, und ben Urterbrüdten, daß fie frei und ledig fein follen. Lukas 4, 16—18.

ſind fie zu unterfcheiven als die zwolf Vertrauteſten, denen nad feinem Dingang von ter Erde die Reituug ber gläubigen Gemeinde und der evan⸗ gelifgen Miffton anvertraut war. Mit feltener Menſchenkenntniß Hatte Jeſus die Zwoölfe ausgewählt, hie Einen unter ihnen (Petrus und Andzeas) vom Bifchergewerbe, einen Andern (Matthäus), der freilich erſt nach des Meifters Hingang eigentlicher Apoftel wurde, von ter Bollftätte wegberufen. Das ehrenvolle Vertrauen Jeſu bat. einzig Judas von Iskara getäufct. Mit dem prophetiſchen Blick auf jein Kreuz ging Jeſu erſt ein Licht auf über den wahren Charakter diejes Mannes. Indem aber der Meifter feine Lehre meift in fprüchwörtlicher oder parabolifher Form vortrug, wurde er jelbft von den Apoſteln nicht immer verſtanden. In folchen Fällen erklärt ihnen Jeſus Alles aufs Einläßlichſte. Es ſcheint, als habe er dieſe Korm der Rede gewählt, um das Volk zum Nachdenken anzuregen und die Em⸗ pfänglichen darunter zu veranlaflen, Daß fie Durch Fragen ihm perſönlich wäher träten?). Beſonders lange dauerte ed, umd zwar ganz begreiflicdher Weiſe, bis ſolche einfache Menfchen, wie die Apoflel waren, das Reich Gottes rein geiftig aufzufaſſen vermochten. Ihre weltlichen Borfellungen bierüber riefen bisweilen Rangftreitigfeiten unter ihnen hervor, „welcher son ihnen der Erſte fein werde im Reiche Gottes“, und naive Bitten Ein« gelner (der Zebebälden), „er möge fie in feinem Meiche au feiner Rechten und Linken figen laſſen“ . Dann ermahnte der Meifter zur Demuth, welche geiftig am meiſten erhöhe und in feinem Meidye zur oberften Hoheit verhelfe. Kurz vor feinen Heimgang fragten fie ihn noch: „Her, wirft du zu diefer Zeit dem Volke Israel das Reich wieder herftellen ?”

Bon den Sendboten feines Evangeliums verlangte Jeſus, fle müßten diefem Beruf Alles opfern, fich demfelben ohne Rückhalt hingeben in frei= williger Armuth und Entbehrung. Er verlangte Died auch von dem weitern Süngerfreife,, welcher unter Oberleitung ber Apoftel diejelbe Aufgabe hatte. Daran gewähnte er feine Nachfolger, indem er mit ihnen auf feinen Reifen gemeinfchaftliche Kafle führte, aus welcher auch Almofen gegeben wurden amd deren Derwalter Iudas Iskariot war. Die Menge, welde ſich zu feiner Nachfolge drängte, fuchte Jeſus nit nur nicht zu tänfchen, er ver⸗ nichtete vielmehr ihre weltlichen Hoffnungen betreffend feine Nachfolge bald

1) Bgl. Matt. 13, 11-16, 2) Matth. 18, 1—B. 20, 20—28,

67

Einzelnen, ‘bald einer ganzen Verfammlung gegenüber mit ſchneidenden Worten 3), überall auf die rein geiftige Beichaffenheit feines Reiches hindeutend.

Unter den zwölf Upofteln felbft waren die Drei vertrauteften Jeſu Petrus, Jakobus und Johannes. Dieje drei allein waren Zeugen feiner die Auferfiehung vorbildenben - Verflärung auf dem Berge. Den Simon, zubenannt Kephas oder Petrus (Fels), hatte Jejus offenbar zum Haupte Der Apoftel beftimmt. Nah Johannes (1, 43) hatte Jeſus tem Simon glei beim erften Zufammentreffen den bedeutungdvollen Beinamen gegeben ; nad) Matthäus (16, 16 fg.) verleiht er ihm dieſen Beinamen auf das Bekenntniß hin: „Du bift der Ehriftus, der Sohn des Iebendigen Gottes!“ und zwar mit den Worten: „Du biſt' Petrus, und auf diefen Fels will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werten ihn nicht überwältinen .“ Mir finden dann aud in der That den Petrus in der Apoftelgeihichte immer ald den Erften der Npoftel. Am Pfingftfefte tritt er allein und guet mit der Predigt des Evangeliums vor das Volf.

6.

Mit feinem Plan, das Reich Gottes auf Erben zu gründen, bing genau zufammen dad Auftreten Jeſu ald das Haupt dieſes Reiches, nämlich) ald ter Chriſtus oder Meſſias, der Befalbte Gottes, womit die Be⸗ zeichnungen „Sohn Gottes, Sohn Davids“ im N, T. ganz die gleide Bedeutung baben. Aus. der Brage des Kafaphas an Iefum: „Bit du der Chriſtus, der Sohn tes lebendigen Gottes?“ erhellt, daß die Juden jener Beit glaubten, der Chriſtus werde Gottes Sohn fein. Man gedachte biebei wohl der Stellen in Pſalm 2, 7: „Der Herr hat zu mir gejagt: Du bift mein Sohn; heute babe ich dich gezenget;* ferner bei Jeſaia 9, 5, wo der verheifene Netter genannt wird „ſtarker Bott“; endlich bei Daniel

I) Marf. 8, 34. Matih. 8, 19-22. Joh. 6, 68. 66. Ruf. 14, 2538.

4) Diele Hier nicht vollfländig angeführte Stelle ift es befanntlih, worauf die Gewalt des Papftes (als Nachfolger Betri) fih gründe. Die Auslegung der ganzen Stelle V. 17—19 lautet: „Du wirft die Hauptflüge der Chriftengemeinde fein und diefe wird von der Macht des Vöfen nie überwunten werden. os bu hies nieden an das Reich ter Himmel binden (in daflelbe aufnehmen) wirt, das wird auch im Himmel demielben angehören, und was du auf Erden davon trennen wir, wird auch jenjeits von demfelben getrennt bleiben. Darin beftcht vie „Schlüffelgewalt“ Petris.

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7, 13—14, wo der Menihenfohn, dem alle Gefchlechter und Völker und Zungen ewig dienen follen, in den Wolfen de8 Himmels herniederkommt.

Was den orientalifchen Brauch angeht, welcher Liefer Bezeichnung des Meiflas zu Grunde liegt, fo berief ſich Jeſus felbft Darauf (Joh. 10, 34), daß Pialm 82, 6 die Häuptlinge des Volkes Götter genannt werden. 8 fällt die mit der morgenländiihen Anſchauung zufamnen, wonad die Könige (und der Meſſtas follte ja ein König fein) Gottes Stellver⸗ treter auf Erden waren. Im Uebrigen war feine Idee vom Meſſias der hergebrachten diametral entgegengejegt. Sein Neid follte Fein welte liches fein und demnach auch nicht vermittelft ded Schwertes, fondern ver⸗ mittelft des Geiſtes begründet werden. |

Der ihm Far bewußte Unterichied zwifchen tiefer Auffaflung des Meſ— flasthumd und der populären fcheint ſtets eins der Hauptmotive ſeines Hanse delnd geweſen zu fein. Daher hat er es auch vorfichtiger Weiſe vermieden, fi) auetrüdlih al8 ten Ehriftus zu befennen, bevor er feinen befannten feierlichen Einzug in Jerufalen hielt. Er begnügte ſich, als Chriftus zu lehren und zu wirfen, um fo Jedermann fehen und hören zu laffen, was von dem verheißenen Gottesreiche zu erwarten und was von dDemielben nicht zu hoffen fei._ War dad Gottesreich einmal geiftig aufgefaßt, fo mußte die geiftige Auffaffung aud auf den Meſſias übergeben und er Tann ald Meſſias erkannt werden, ohne daß er fih ausdrücklich dieſe Würte brilegte. Wäre er aber fofort mit Behauptung feiner Chriftuswürte aufgetreten, jo hätte die Menge ibn wahricheinlich mit Gewalt zum Könige maden wollen, das dur aber feinen Hauptzweck vereitelt und ſich felbft vorzeitig ind Unglück geftürzt. Jeſus wollte den weltlichen Meſſiashoffnungen nicht von ferne Nahrung darbieten,, eben fo wenig e8 wagen, Tenjelben gleich Anfangs ent⸗ gegenzutreten,, fondern fein Volk allmälig zur wahren Auffaffung ter Meſ⸗ flaswürde erziehen. Daß er diefen Plan verfolgte, beweift feine Srage an die Apoflel: „Wer fagen die Leute, daß ich ſei?“ Die Antwort fiel be= kanntlich unrichtig aus, worauf er die Apoftel ſelbſt um ihre Meinung fragte und von Petrus die richtige Antwort erhielt. Nah Marf. 8, 30 und Luk. . 9, 21 verbot er dann den Jüngern ernfllih, Jemand zu jagen, daß er der Ehriftus fei, und wenn Befefjene ihn Sohn Botted nannten, legte er ihnen Stillfhweigen auf).

1) Mark. 3, 11. Luk. 4, 4.

59

Mit dem Einzug in Ierufalem begann Jeſus den Iegten. entfcheidenden Abſchnitt feines meſſianiſchen Werkes. Er ging mit prophetifcher Gewiß⸗ heit feinem Tode entgegen und brauchte von da an feine Würde nicht mehr zu verfchweigen. Auf dem @felsfüllen, begleitet von ben Iüngern, hielt er feinen feierlichen Einzug, dadurch ſich finnbildlih al8 den Meſſias Fund zu geben. Das Volk, durch die Art feines Einzuges an die meſſtaniſche Stelle beim Propheten Zacharias 2) erinnert, verfland die Kundgebung und begrüßte ihn als Meiftad mit dem Rufe: „Hoflanna dem Sohne Davids! Bepriefen fei, der da Fonımt im Namen des Herrn! Geprieſen ſei im Namen des Herrn dad fommentde Reich unferd Baterd David !* Sie ahnten nicht, daß;er komme, ſtatt des Thrones die Richtftätte zu befteigen und eine Dornenkrone auf fein Haupt zu feßen. Daher die Wuth der Enttäuichung, als"fte ihn gebunden vor Pilatus fahen: „Kreuzige, Ereuzige ihn!* Nah feinem Einzug in Jerufalem nannte er ſich im prophetifchen Gleichniß von den Weingärtnern Gottes Sohn, und zwar feinen Gegnern gegenüber, welche hierauf die Anflage der Gottesläfterung gründeten.

7.

Mir find in diefer Darftellung betreffend Behauptung der Chriſtus⸗ würde von Seiten Jeſu den Synoptifern gefolgt; unferm Verſprechen ges mäß haben wir jedodh auch die ganz abweichende Erzählung des Johannes zu geben. Dieſem zufolge hat Jeſus nicht bloß eine, Sondern drei Reifen nach Jeruſalem unternommen 1). Bei Gelegenheit ter erftien nahm er die energiihe Neinigung des Tempeld vor und zwar unternahm er dieſe Reife unmittelbarnad feinen erften, bei der Hochzeit zu Kanaan verrichteten, von den Synoptikern nicht erwähnten Wunder. Seinen feierlihen Ginzug in Ierus jalem ald Meſſias laßt ibn der vierte Evangeliſt nach der dritten Feſtreiſe halten. Bei Johannes wird Jeſus gleich von vornherein ald Meiflad aner- fannt, indem diefer Evangelift ſchon im Kap. 1, 42 den Andreas zum Simon fagen läßt: „Wir haben den Meiflad gefunden”. Der Samariterin

2) Rap. 9, 9. Frohlocke laut, o Tochter Zion! Jauchze, o Tochter Jerufalem ! Eiche, zu dir fommt dein König, der Gerechte, der Heiland. Demüthig iſt er; er reitet auf einem Efel und auf dem jungen Füllen der Efelin.

1) Die Synoptifer verlegen den Hauptfchauplag des Wirkens Jeſu nach Galiläa und laſſen ihn nur das eine Mal, wo er den Tempel reinigt und hierauf den Kreuzes⸗ tod erleidet, nach Serufalem kommen.

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am Brunnen gibt ſich Jeſus ſofort als den Meſſias zu erkennen, nimmt auch von den übrigen Samaritern die Anerkennung als Chriſtus entgegen, und bei ſeinem zweiten Aufenthalt in Jeruſalem urtheilt bereits ein Theil des Volkes: „Er iſt der Chriſtus“ 2). Ganz offen endlich nennt ſich Jeſus Gottes Sohn Joh. 10, 30 und 36, ebenfalls während! ſeines zweiten Aufenthaltes zu Jeruſalem. Deßwegen findet ſich im ganzen Johannis- evangelium Feine Spur von einem Verbot, ihn als den Chriſtus befannt zu maden, und das Bekenntniß Petri 3) iſt ganz anders erzählt, ale in r ben Eynoptikern 4,

B. .

Gewöhnlich nannte fih Jeſus den „Sohn des Menſchen“, dadurch andeutend, daß er der Menfchheit angehöre mit feinem Leben und Sterben und ald Menſch unter Menſchen wantle. Wir wollen daher, bevor wir dem Ausgang feiner Schickſale ſchildern, noch von feinen Verbältniffen zu den

verſchiedenen Klaflen feiner Zeitgenofjen und ber reinmenſchlichen Seite ſeines

Charakters reden.

Als Brüder Jeſu werden Jakobus, Joſes, Simon und Judas genannt; ſte waren natürlich alle jünger ald er. Auch Schweſtern hat er dem Mar⸗ tus (6, 3) zufolge gehabt. Anfangs glaubten feine Brüder nit an ihn).

Jeſus war von Haufe aud arm; feine Aeltern hatten bei der Darftellung

im Tempel nur Tauben für ihn opfern können. Das Geſchick, in Dürftige

feit großzuwachſen und arm zu leben und zu fterben bat er mit den meiften wahrhaft guten und großen Menſchen getheilt. Die rechten Helden ber Menfchheit finden nie ihren Kohn; wahrfheinlich, weil Fein Lohn ihrem Verdienſte gleihfomnt. Sefus nahm feine Bezahlung für feine Heilungen, dagegen ließ er fich gaftfreundliche Einladungen: und freiwillige Gaben von

2) Joh. 7, 4.

3) Joh. 6, 66— 71.

4) Ganz confequent finden wir die Notiz, das Volk habe Jeſum zum Könige machen wollen, audy nur bei Johannes (6, 18).

1) Joh. 7, 5. Man bat mit diefer Stelle die der Synoptiker, wo Maria und die Brüder mit ihm reden wollen, aber von ihm abgewieſen werden, in Verbindung gebracht, als Hätten ihn Mutter und Brüder von feinem fühnen Auftreten abzumahnen geſucht. Bol. Mark, 3, 31. Als die Kirche das Mariatogma fo zu fagen zur Bafis ber gamen Dogmatit machte, mußten. in Folge eines exregetiichen Machtipruches die Brüder Jeſu zu „„Betiern‘‘ und die Schweftern zu, Baſen““ werben.

61

Selten der Gläubigen bereitwilfig gefallen. Selbſt von Pharkfäern ließ er fih einladen, zeigte ihnen jedoch dentlich, daß er feinen Schmaus mit Schmeichelei bezahle. Don einem Sonderling hatte er durchaus Nichts an fih; er und tranf wie gndere Leute und mußte in Bolge deffen erfahren, wie die Scheinheiligen ihn einen Freſſer und Weinſäufer“ ſchalten 2). Bon feinen Jüngern verlangte er fein regelmäßige8 Faſten, noch die Beobachtung Fleiner Ceremonien, eben fo wenig eine durch pharijätiche® Üleglement be⸗ engte Sabbathäfeier. Freiſtanig fegte er fich über dergleichen Engherzige feiten hinweg und gab zu verfiehen, daß man, von einem neuen Geiſte er⸗ füllt, der alten Formen nicht mehr benöthigt fei?). Es iſt geradezu köſtlich zu hören, wie er bei jeder Gelegenheit die Formenreiter, Wortflauber und Geremontermeifter geißelte. Seiner Strenge nach diefer Seite hin entſprach, wie Schon berührt worden, fein mildes Erbarnen mit Schwäche und Fehl. Unerbittlih gegen die Tugendheuchler, war er gegen Irrende in Wort und That voll liebevoller Großmuth, und Humaneres als feine Parabeln vom verlorenen Schafe und vom verlorenen Sohn mag nicht gefunden werden.

9.

Neben diefem humanen Zug in feinem Charafter fällt der weltbürger- Tihe auf, welcher zur fjüdiihen Bornirtheit und Engherzigkeit einen fo ſchönen Gegenſatz bildete. Seinen periönlicdhen Wirkungskreis zwar be⸗ ſchräänkte Jeſus auf Paläftina, aber ſeinen Jüngern gab er Auftrag und Vollmacht, „bis an die Gränzen der Erde” die frohe Botſchaft zu tragen. Wo er bei Nichthebräern Vertrauen und Glauben fand, empfand er dop⸗ pelte Befriedigung und zu wiederholten Malen hat er geweiffagt, daß fein Reich unter den Heiden größere Ausbreitung gewinnen werde als unter den Juden !). '

Trotzdem kann es feinem Zweifel unterliegen, daß er auch patriotiſch fühlte, und deßhalb ein Regiment, wie das des „Fuchſes“ Heroded 2), von Herzen verachtete. Die welthiftorifche Miſſion Roms muß ihm Mar geweſen fein, denn er ließ feinen Haß gegen die Römer bliden. Im Gegentheil, in der befannten Gedichte von dem Zinsgroſchen anerkannte er ausdrücklich

2) Matth. 109, 19. |

3) Marf. 2, 22. Luk. 8, 37.

4) Matth. 8, 5—12. 185, 21-28. 21, 43. Joh. 10, 16.

2) Luk. 13, 31 und 32. \

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die Berechtigung der römiſchen Weltherrichaft, flellte aber zugleih dem Mömerreih ein Gottesreih entgegen, dem politiſchen Realismus den reli⸗ giöſen Idealismus.

Mit einem die Tiefen der Weltgeſchichte durchdringenden Blicke erkannte er ſeine Lehre als das hiſtoriſche, allein lebenskraͤftige Ergebniß des Hebrais⸗ mus, dieſen aber, getrennt von dem Chriſtenthum, als einen der hiſtoriſchen Entwicklung zum Opfer geweihten, abgeſtorbenen Organismus. Dieſer große Gedanke blickt aus den wenigen Worten, die Jeſus auf dem Beg zum Kreuze ſprach: „Wenn dad am grünen Holze geichieht, was wird am dürren geſchehen?“ | Ein folder Monn mußte Beinde haben: das ift der Lauf der Welt.

Wie jeder ungewöhnliche Charakter, wurde er viel geliebt, aber mehr noch gehaßt. Seine erklärten Feinde waren befanntlidy die meiften Priefter und die Schriftgelehrten phartfäiicher wie ſadduzäiſcher Partei. Zunächſt fühlten fih beide Sekten von ihm abgefloßen durch den Gegenfag feiner Lehre gegen beide. Die Pharifäer fonnten ihn nicht verzeihen, Daß er ihrem Gere- monienwefen entgegentrat, bejonderd daß er die Sabbathfeier jo menſchlich frei auffaßte ?); die Sadduzäer hingegen Argerten ſich, daß er mit fo großem Erfolge die Unfterblichfeit der Seele lehrte. Noch mehr erbitterte die Pharifaer fein Umgang mit Zöllnern und Sündern, feine Kühnheit, womit er vor allem Volk die phariſäiſche Heuchelei entlarnte, feine Ermahnungen zu Bejcheidenbeit, Demuth und Herzensreinheit. Nicht wenig plagte fie ferner der Neid wegen feiner zahlreichen Heilungen, weldje fte der Beihülfe Beelzebubs zuichrieben, und wegen der großen Volfömenge, die ſich zu feinen Lehrvorträgen drängte, ihm fogar in die Wüſte folgte. Am Herzen der Phariſäer und Sadduzäer nagte die öffentliche Beſchämung, welche fle da= vontrugen, fo oft fie Jeſus durch häflige Fragen ind Gedränge zu bringen ſuchten. Begreiflih, daß Neid und Rachſucht diefer Mächtigen balt die Entdeckung madıten, Religion und Staat feien in Gefahr. Die Pharifäer, denen es fonft auf einen Aufruhr mehr oder weniger nicht anfam, fürdhteten auf einmal das Einfchreiten der Römer, wenn man den Rabbi von Nazaret länger gewähren .laffe, und legten in der Unklage vor Pilatus eine diefem ſelbſt erftaunlihe Loyalität gegen den Kailer an den Tag. Die ganze Ma- nier, womit die jüdifche Priefterfchaft die Prozedur gegen den großen Re—

3) „Der Sabbath ward um des Menſchen willen, nicht wc Zuufh um des Sabbaths willen‘. Mark. 2, 27.

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former einleitete und turdführte, ift Hinlänglich charakterifirt, wenn man fie eine mufterhaft priefterlich-diplomatiiche nennt. Sid darüber zu ercifern, if fein Grund. Die jüdiſche Prieſterſchaft thar nur, was in ähnlichen Fällen jete Prieſterſchaft gethan hätte und thun würde 4).

10.

Sämmtliche Evangelicn erzählen, daß Jeſus die Art feines Leidens und Sterben lange vorausgeſehen, felbft zu wiederholten Malen vorausgefagt, und Daß er die Pläne ſeiner Beinde, wie dad Vorhaben ded Judas gekannt babe. Sie beridyren ohnedies noch viele andere Prophezeiungen Jeſu, unter welchen fi) beſonders diejenige auf die Zerftörung Jeruſalems auszeichnet, welcher eingetent fi die Chriflen, als das Kriegägewitter heranbraufte, aus Ierufalen entfernt und nad Pella geflüchret Haben. Meift bezogen ſich Jeſu Prophezeiungen auf das Shidjal feined Reiches auf Erden, wie z. B. in den Gleihniffen von Senfforn, vom Unfraut ded Aderd, vom Sauer teig, vom Nege, von den Weingärtnern. Einen prophetifchen Blick in die Tiefen des menjchlihen Herzens jchreiben Jeſu alle Evangeliſten zu; Sohannes läßt ihn außerden dem Nathanael und der Samariterin am Brunnen Thatfahen aus ihrer Vergangenheit enthüllen. Ein Verfud, den Meifter von feinem Entichluffe, freiwillig Dem Kreuze entgegenzugeben, abzubringen, ward von ihm mit Entſchiedenheit zurücyewiefen 1). Uber, ob er auch längft feinen Entſchluß gefaßt, hatte er in Gethſemane furz vor feiner Ge— fangenncehmung nod) einen harten Kampf zu beftchen, biß der Icgte Todes⸗ fhauer feiner menſchlichen Natur überwunden war. Daß Jeſus freiwillig ſeinem Tode entgegenging, finden wir überall betont als einen Umſtand, der für die Geſtaltung der Erlöſungslebre von höchſter Bedeutung ift?). Als Gedächtnißfeier feines erlöjenten Leidens ftiftete er in der Nacht, bevor er gefingen genommen ward, dad Abendmahl. Johannes erwähnt der Stif- tung deffelben nicht, ſondern gibt an deffen Stelle die Erzählung vom Fuß— waschen. Kurz vor der Stiftung des Abendmables entlarote Jeſus feinen Verräther mit jener ftillen Traurigfeit und Geiſteshoheit, weldye den Elen= ben ſchnell aus Tem Kreije der Getreuen wegicdeudhte.

4) „Der Jude (Keger) wird verbrannt!’ Darin ſtimmen Kajaphas, Torques mada und Calvin brüterlich mit Leſſing's Patriarchen überein.

4) Mark. 8, 27-33.

2) Matth. 20, 28. 26, 52—856. Joh. 15, 13. 10, 17—18.

64

Es war am Abend des Donnerſtags in der Woche, in welder die Juden daß Feſt der ungeiänerten Brode feierten, als Jeſus mit den Apoſteln das ledte Paffahlamm af. Nach der Stiftung des Abendmahls fagte er den Apofteln ihre Schwäche und Berftreuung, dem Petrus ſeine Verlaͤugnung voraus, aber Keiner wollte ihm glauben. Dann ſchloß er die Feierlichkeit

mit einem Lobgeſang und zog naͤchtlicher Weile mit den Apoſteln hinauf an

den Oelberg, in den Baumgarten Bethfeinane. Hier verharrte er tn Ge⸗ bet, bis die Sendlinge des hohen Rathes, geführt von Judas, ſich zeigten. &r floh nicht, fondern ging ihnen mit gefaßtem Muthe entgegen. Judas machte der nach ihm benannten Sippfchaft Ehre durch den Verrätherkuß, wemit er den Meifter Eennzeichnete als den, welden die Motte zu ergreifen habe. Ihm warf Jeſus mit fanften Worten den Verrath, den SKriegerm die Feigheit ihres nächtlichen Einherſchleichens vor, mahnte Die Apoftel von aller Gegenwehr ab und ließ fich geduldig vor dad Synedrium führen ?), Die, falfchen Zeugen, welche man gegen ihn vorbrachte, widerſprachen ſich; erſt als Jeſus freiwillig und muthig befannte, er fei ter Chriſtus, fanden fle einen Grund, nämlich Gottcsläfterung, das Todesurtheil über ihn zu fällen.

In Gegenwart des hohen Rathes, vielleicht von Rathsqliedern ſelbſt 4).

ward Jeſus nun aufs Empörendſte mißhandelt.

Da das Synedrium zu jener Zeit ein Todesurtheil zwar fällen, aber

ohne Beiſtimmung des römiſchen Landpflegers nicht vollziehen durfte, ward

Jeſus vor den Richterſtuhl des Pontius Pilatus geführt. Dieſer erkannte nach einigen kurzen Fragen ſeine Unſchuld und ſuchte ihn zu retten, obwohl Jeſus ihm mit dem sollen Bewußtſein meſſtaniſcher Würde antwortete und fi in feiner Weife zu irgend einem Widerruf oder zu einer Bitte herbeis lieg. Daß während der Verhandlung des Pilatus Gemahlin infolge eines warnenden Traumes Fürbitte für Jeſus einlegen ließ, erzählt Matthäus, daß Pilatus ihn zu Herodes geſendet habe, berichtet Lukas allein. Als die öffentliche Erklärung der Unſchuld Jeſu und ſodann die Zumuthung an das Volk, den Angeklagten ledig zu bitten, Nichts half, ſondern die von den Synedriſten aufgewiegelte Menge, nah Urt einer urtheilsloſen, niedere trächtigen Menge, ſtets lauter ihr: An’d Kreuz mit ihm! ſchrie, übergab

3) Nur Johannes erzählt, Jeſus fei zuerft zu Annas, dem Schwirgervater des Kajaphas, ins Verhör geführt worden. | 4) Matth. 26, 66-67. Mark. 14, 64—68.

Pilatus ben Berurtheilten feinen unerbittlihen Feinden zur Ginrichtung, damit nicht etwa ein Aufruhr entflande. Zugleich aber wuſch er, nach Art der Achfelträger, vor allem Volke feine Hände, diefer fombolifchen Hand⸗ lung die Worte beifügend: „Ich bin unfdhuldig an tem Blut diefes Ge⸗ rechten ; ſehet Ihr zu“ 5).

Gottesläfterung und Aufruhr gegen den Kaiſer in Anmaßung ter Königswürde über Judäa, das waren die zwei Klagepunfte, welche der bohe Rath vor Pilatus gegen Jeſus geltend gemacht. Um den erften dieſer Punkte hat fi der Zandpfleger, in fouverainer Verachtung defien, was die Römer jüdifchen Aberglauben zu nennen gewohnt waren, ficherlih wenig befüm- mert ; der zweite mußte ihm ald DBerleumdung ericheinen, da er aus Erfah- rung wußte, daß tie Ankläger Ieju jonft gar nicht jo eifrige Anhänger des Kaiſers waren, wie fie ſich fett anftellten. Obwohl ihn alio die bloße Furcht zur Verurtheilung Jeſu bewog, überließ er ihn doch ſchutzlos der Rohheit feiner Kriegsknechte, welche, der Chriftuswürde jpottend, ihn einen Purpurmantel umhingen, eine Dornenfrone auffegten, ein Rohr als Szepter in die Hand gaben, die Kniee vor ihm beugten und ihn dann wies derbolt anſpieen und ſchlugen. Unmittelbar vorher hatte Pilatus, nad) römiſcher Sitte, ihn noch geißeln laſſen. Johannes freilich läßt diefe Geißelung und Berfpottung der Verurtbeilung vorangehen und erzählt, Pilatus habe den Mighandelten in jeinem erbarmungswürdigen Zuftande dem Volke vor Augen geftellt, Mitleid für ihn zu erregen 6).

Nachdem Jeſus die ganze Nacht hindurch den Verhören und Mißhand— [ungen auögefegt geweien, ward er zur Kreuzigung hinaudgeführt. Simon von Kyrene, der eben vom Felde kam, mußte von Den Mauern der Stadt bis nad) Golgotha dem Ermatteten dad Kreuz tragen”). Die Klage Jeſu über die Mütter Ierufalemd während feiner Hinausführung iſt dem Evans gelium des Lukas eigenthümlich ®). Laut den ſynoptiſchen Evangelien ward Jeſus Morgend um 9 Uhr, nad Johannes Mittags um 12 Uhr inmitten zweier Mörder and Kreuz geichlagen. Den betäubenten Myrrhenwein wies er zurüd, ertrug die Qual des Kreuzes mit ftiller Geduld, betete für bie

5) Matth. 27, 24. 6) Joh. 19, 1— 8. 7) Johannes erwähnt diefes Umfangs nicht, :fondern läßt Jeſum das Kreuz felber trage > 8) Luf. 23, 28, Scherz, Geſch. d. Religion. III. 5

66 höhnenden Todfeinde um Vergebung, empfahl dem Johannes feine Mutter Maria, tröftete den reumüthigen und gläubigen Mitgefrenzigten?). Drei Stunden hatte Jeſus am Kreuze gelitten, da kam eine Finſterniß über das ganze Land, welche von 12 bis 3 Uhr währte. Man fihreibt dieielbe, da das Paſſah immer zur Zeit des Vollmonds gefeiert ward und eine Sonnen⸗ finfterniß um den Vollmond unmöglich ift, auch weil nach den Synoptikern der Borhang im Tempel von oben bis unten entzwei riß, nach Ratthaͤus aber ein Erdbeben flattfand, den auffleigenden Dünfen und Staubwolken bed erfchütterten Erdbodend zu. Gegen dad Gnde der Finſterniß begann Jeſus mit lauter Stimme den 22. Pſalm zu beten: „Wein Gott, mein Gott, warum haft du mich verlafſen!“ Der nahende Tod unterbrad ihn. Sein letztes Wort war: „Es ifl vollbracht! Vater, in deine Hände hefeble ich meinen Geil!” . |

Johannes thut weder der Binfterniß, noch des angeführten Gebetes Erwähnung. Seiner Darftellung zufolge rief Iefus: „Mich dürfte!“ worauf ihm ein Schwamm voll Effig gereicht wurde. Nach dieſer Labung endete er mit dem Furzen Ausruf: „Es iſt vollbracht!“ Johannes fügt diefer Erzählung hinzu, daß ein Kriegsknecht, um zu prüfen, ob Iefus wirklich ſchon todt wäre, ihn mit dem Speer in die Geite geflohen habe.

So ſehr alle dieſe Darftelungen von einander abweichen, Sefus von Nazaret leidet und flirbt vor unjern Augen mit ungetrübter Hoheit des Geiſtes. Seinen Leichnam erbat fih Iofeph aus Arimathea von Pilatus und beftattete ihn niit Beihülfe von zwei gläubigen Frauen in feinem eignen, . in Felſen ausgehauenen Grabe. Johannes nennt aud den Nifodemus als Theilnehmer an der Beftattung Iefu. Preitag Abends vor 6 Uhr war das Grab gefchloffen. Matthäus berichtet, Pilatus Habe auf Betrieb der Hohen⸗ priefter und Pharifäer eine Wache vor die Gruft gelegt. Wenn bdiefes in der Abſicht geihah, allfällige Demonftrationen der Anhänger des Gefreu= zigten an feinem Grabe zu verhindern, fo war es fehr überflüffig. Die Jünger waren entmuthigt, zerftreut, ſchon bei der Gefangennehmung Jeſu entflohen. Selbſt der Fels (Petrus) hatte in ber ſchweren Prüfung ge- wanft und feinen Meifter verleugnet, während der Verräther Judas fidy verzweifelnd den Tod gegeben. Das Werk Iefu fhien mit feinem Leben vernichtet. r

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9) Wir haben hier die verfchiedenen Darſtellungen zuſammengefaßt. Matthäus

11.

Daß bie zerſtreuten Apoſtel und Jünger ſich wieder janımelten, Helden: fraft und Todesmuth gewannen, Dad Evangelium durch den Erdkreis zu verbreiten, ſchreibt das Neue Teſtament der Auferfiehung Jeſu von den Tobten zu. Die Nacht vom Ffeitag auf den Samſtag, den großen Sah— barh und Die darauf folgende Nacht hindurch Tag er im Grabe. Am Sonn- tqg frühmorgens, ale etliche Jüngexinnen zum Grabe kamen, fanden fe Daffelbe offen und den Leichnam Jeſu nidt mehr darin). ngelerichei« nungen jedoch verfündigten ihnen. die Auferflehung des Gefreuzigten. Hierauf erfebien Der Auferflandene Einzelnen, Die das große Greigniß ten . Apoſteln verfündigten ; aber ihre Erzählung fand feinen Glauben, bis Jeſus ſelbſt den verſammelten Apoſteln erſchien. Soweit flimmen Die Berichte überein. Die einzelnen Erſcheinungen Jeſu aber werten ſehr verſchieden erzählt. Die meiften derielben hatten in: Jerufalem und deſſen Umgebung fatt; nur Matthäus und Johannes berichten auch von Erſcheinungen in Galiläa2). Irfus war aus dem Grabe auferftanden, aber jein Körper zeigt nicht mehr ale Kigenichaften eines menschlichen Leibeg. Bei ver ichloffenen Thüren tritt er plöglic mitten uuter Die Apoftel, von ten Zweien in Emmaus, die ihn lange nicht erfannt, „kommt er ungeſehen hinweg.“ Ungeachtet der Verwundungen am Kreuze erſcheint er bald in Jeruſalem, bald in dem entfernten Galilän. Vierzig Tage nah der Auferſtehung endlich fchwebt er zun Himmel empor, wie Paulus annimmt 3), mit vers Elärtem Leibe. Cr während Ter vierzig Tage nur noch, um zu zeigen, Daß er fein £örperloies Geſpenſt feit). ine klare Reihenfolge ter Er- fcheinungen Jeſu läßt fid) aus den Evangelien nicht herſtellen; Paulus hin⸗

und Markus ſagen ſreilich, beide Mitgekreuzigien hätten Jeſus verhöhnt. Johannes chweigt über das Benehmen derſelben.

1) Es iſt ein tiefſchöͤner Zug in den evangeliſchen Berichten, daß fie die Anz hänglichfeit der Frauen an den Gefreuzigten über Tod unt Grab hinaus fortdauern laflen.

2) Bei Markus verheißt zwar ber Engel auch) Erſcheinungen in Galiläa, aber es wird deren feine austrüdlich angeführt.

3) Philipp. 3, 21.

4) Luk. 24, 3643,

5%

68

gegen macht den Verfuch einer ſolchen Darflellung 5), welche jedoch mit ben Berichten der Evangelien auch nicht leicht zu vereinbaren iſt.

Die Himmelfahrt, welche vom Oelberg bei Ierufalem aus gefchehen fein foll, finden wir in den Evangelien und Briefen häufig angedeutet, fürm- ih erzäpft nur in den Evangelien des Markus und Lufad und in der Apo⸗ ftelgefchichte. Jedenfalls war die Auferſtehung und göttliche Erhöhung Sefu allezeit die Grundlage der apoftolifchen Predigt). Bei den Erfcheinungen vor den Seinigen wirfte Jeſus befonderd auf Befefligung des Glaubens und Ermuthigung Hin, ertheilte den Apoſteln Vollmacht zur Ausbreitung des Himmelreiches auf Erden, fegte die Taufe ald Zeichen der Aufnahme in die Gemeinfchaft der Gläubigen ein, verhieß die Ausgießung des heil, Geiftes, ber die Sendboten des Erangeliumd erleuchten, tröften und mit Wunder⸗ fräften ausrüften werde, und ordnete an, daß die Gläubigen vereint in Je⸗ rufalem diefe Feuertaufe erwarten follten”?). Lukas hebt in den even bes Auferftandenen befonters hervor die Belehrungen, wie fein Leiden, Sterben und Auferfiehen in den Schriften des A. T. geweiflagt fei. Als Pfingften, das Erndtefeft der Juden, erichienen war, Fam unter Sturmgebraufe in Ge- ftalt feuriger Zungen der heil. Geift auf die verfammelten Gläubigen her⸗ nieder, wandelte ihr Innerfled um und verlich ihnen bie verheißenen Wun⸗ dergaben, unter denen in der Apoſtelgeſchichte befonders die Sprachengabe hervorgehoben wird. Bon da an und zwar fofort begannen die Apoftel die Verfündigung des Evangeliums 8),

85) 1. Kor. 18, A—8,

6) 1. Kor. 15, 1 11. Apoſtelgeſch. 4, 9— 11. 5, 30— 31. 23, 6—9.

7) Nach Johannes verheißt Jefus den Heil. Geift vor feiner Kreuzigung und teilt denſelben nad der Auferfiehung durch Anhauchen mit. 20, 22. Die Stellen Matth. 10, 20 u. Luk. 11, 13 enthalten feine wirflihe Weiffagung des Pfingſt⸗ wunders.

8) Von ſeinem erſten Auftreten an bis zur Ausgießung des Geiſtes umfaßt das ganze Wirken Jeſu ungefähr drei Jahre. Sein Tod wird demzufolge in das Jahr 783 nah Roms Erbauung gefegt (nach Lionyfifcher Zeitrechnung in das Jahr 787).

Fünftes Kapitel. Die Lehre Jeſu Chriſti.

1.

Jeſus nannte feine Lehre mit Einem Wort das Evangelium). In welcher Form er feine Lehren vortrug, haben wir zum Theil bereitd erwähnt, machen aber hier noch aufmerkffam auf die Paradorie vieler feiner Ausſprüche, welche darin befteht, daß durch Uebertreibung in den Ausdrüden der dem Sprühmwort inwohnende Gedanfe um fo fchärfer hervorgehoben wird. Das (Scheinbar unfinnige) Paradoxon iſt vornämlich beftimmt, das Nachdenken anzuregen und irgend einen gewichtigen Gedanken in der Seele des Leſers oder Zuhörer tüchtig zu befeftigen. Wer nicht im Stande ift, Paradorien zu verftehn, wird an Ausfprüchen Jeſu, wie Matth. 5, 29 30; 39 - 42; 19, 24. Luk. 6, 30. Joh. 6, 53 56, ſchweren Anftoß nehmen.

Größere Lehrvorträge Jeſu finden ſich beſonders zahlreich im Johannes⸗ evangelium. Bon hoher Wichtigkeit ift die Bergpredigt Matth. cap. 5— 7, welche bei Lukas?) in bedeutend veränderter Geftalt erfcheint, dort aber freie lich als eine auf der Ebene gehaltene Rede bezeichnet wird. Man bat fie, nicht unpaflend, das Geſetzbuch des Neiches Gottes genannt.

Was den Inhalt der Lehre Iefu betrifft, fo müffen wir zuvörderſt von derfelben einen Vorſtellungskreis, welcher mit ihrem Ideengang in Feiner nähern Beziehung fteht, in ten Auafprüchen Jeſu nur nebenhin berührt wird ud ohnedies größtentheild der Weltanfchauung des Neumoſaismus ange- hört, zu befonderer Betrachtung ausfcheiden. Wir meinen die Borftellungen betreffend die böfen Geifter. Wir fehen den Teufel und die Damonen ganz in den Sprachgebrauch der damaligen Zeit eingegangen, jo daß man dad Wort Teufel oder Satan oft ausſprach, ohne an das benannte Wefen felbft zu den⸗ fen. „Er bat einen Teufel! * hieß fo viel ald: „Er ift verrüdt!" Sefus fel6ft bezeichnet ‚den Judas Iskariot als einen Teufel und dem Petrus ruft

4) Die frohe Boiſchaft (svayy&luov). 9) 6,17— 49.

70

er einmal zu: „Hebe dich weg von mir, Satan“ 3)! Die Wahnfinnigen und Mondfüchtigen zwar behandelte Jeſus ald von Teufeln Befeflene, indem er fle, al8 wohnten wirklich Teufel in ihnen, befhalt. Wir haben aber auch eine Stelle, wo er von dem Ein- und Ausziehen böfer Geifter ganz bildlich redet, um anſchaulich zu inalben, wie der Menſch, wenn er nach der Beſſe⸗ rung in die Sünde zurückfalle, weit ärger werde, als zuvor), Ob Jeſus feine Warnung: „Simon, Simon, fiehe der Satan hat euer begehrt, euch wie den Waizen zu ſieben!“ buchſtäblich oder biltlich gemeint habe, follte nicht allzufchwer zu enticheiten fein). Ohne allen Zweifel bildlich zu ver- ftehen ift der Ausſpruch: „Ich fah den Satan wie einen Blitz vom Simmel fallen *®). Die beiden legtgenannten Ausfprüce Jeſu, verglihen mit feinem Wort bei Johannes (12, 31): Jetzt ift das Gericht dieſer Welt, jest wird der Kürft dieier Welt hinaudgeworfen werden !* weifen nun allerdings tarauf bin, Jeſus habe eine feinem Reich feindliche, periönliche Macht des Böien angenommen, Den Fürften diefer Welt nennt er als feinen und fet« ned Reiches Gegner auch bei Johannes (14, 30 und 16, 11). Ganz ans ders erfcheint der Satan in dieſer Auffaſſung, als in jener, wo er unter dem Namen Beelzebub als Oberfter der Teufel” genannt wird 7). Xebtere tft aber die Auffaffung der Bhariläer, auf welche ſich Jeſus nur um der Widerlegung willen einläßt. Obigen Stellen bei Johannes und Matthäus (12, 31) zufolge betrachtete Iefus den Satan als das gerade Gegentheil des heil. Geiftes, welcher die Glieder des Gottedreiches befeelt, wie der Sa— tan die „Kinder biefer Welt.” Im Gleichniffe vom Saͤemann ftellt Jeſus den Teufel dar ald den, der das Wort Gottes aus den Herzen der. Leichtfer- tigen hinwegnimmt, im Gleichniſſe vom Unfraut des Ackers als den Feind, der Unkraut unter den guten Waizen des Gottesreiches fäct. Die Stelle, wo der Teufel wirklich als Fürft der böfen Engel bezeichnet wird, hat Matthäus

3) Joh. 6, 70. Marf. 8, 33:

4) Matth. 12, 43 48. Luk. 11, 21-26.

8) Luk. 22, 31..

6) Luk. 10, 18. Vielleicht eine Anfpielung auf Sefaia 14, 12: „Wie bift du vom Himmel gefallen, du Morgenftern, Sohn der Morgenirötfe!" Da Morgen: ftern Yateinifch Lucifer heißt, fpätere Ausleger aber dieſe Stelle des, Fefain nicht, wote fie follten, auf Babel, fondern, eben geftügt auf jenen ähnlichen Aueſpruch Jeſu, auf ben Satan bezogen, fo erhielt derſelbe auch ben Maen Bacifer.

7) Maith. 9, 34. 12, 24 37.

71

allein 8). Sie dürfte Daher wohl als eine Akkommodation an die herrſchen⸗ den Zeitvorftellungen, vielleicht auch als fubjective Auffaffung des Evange- liften betradjtet werden. Merkwürdig ift ſchließlich noch Die Stelle®), wo Jeſus die ungläubigen Juden Kinder. des Teufeld nennt, weil fie die Werfe bed Zeufeld hun, ber „ein Menfchenmörber war von Anfang und der Vater aller Zügen. * Auch Hier läßt fich die geiftigere Auffaſſung des Teufels nicht verfennen ; feine Weſenheit ericheint wie in allen übrigen Stellen ver Evans gelten, wo Jeſus über ihn redet, mit Ausnahme von Matth. 25, 41, ganz ethifch genommen. Cine förmliche Lehre über die böſen Geiſter hat Jeſus nirgends gegeben und in den hauptiächlichen Xehrvorträgen erwähnt er ihrer

gar nicht. Wie nahe Tag die Erwähnung des Teufeld, als Iefus ſprach:

„Aus dem Innern des Menfchen, aus dem Herzen kommen hervor die böfen Anfhläge und verunreinigen den Menſchen!“ Eben darum find die Aus⸗ ſprüche der Apoſtel betreffend den Teufel auch nicht jehr häufig. Im zweiten Brief Petri wird bei der Schilderung des jüngften Tages des Satans nicht gedacht und Jakobus fagt in feiner Epiftel (1, 14) unverhohlen: „Ein Jeder wird verfucht, wenn er von feiner eigenen Luft (alfo nicht von Teufel) gezogen und angelodt wird.

Aus Alledem dürfte vieleicht der Schluß gezogen werden, daß die Vor⸗ flelung vom Teufel und von den Dämonen urfprünglic nicht fo ganz we« fentlich zur Lehre Chriſti gehört habe, wie fanatifche Liebhaber des Teufels und der Verteufelung behaupteten und behaupten. Wäre es dem ruhigen Culturhiſtoriker erlaubt, gelegentlich von der Vergangenheit hinweg einen verachtungsvollen oder firafenden Blick auf die Gegenwart zu richten, fo müßten wir freilich fagen, daß dermalen ganz augenicheinlich jene Sorte von Teufeln, welche man dumme nennt, in ber Ehriftenheit außerordentlich ſich breitmachen.

2.

Grundlage der Lehre Jeſu Chriſti iſt die Annahme einer allgemeinen Erlöſungsbedürftigkeit der Menſchen. Dieſe Annahme baftrt auf der Vorausſetzung einer allgemeinen Sündhaftigfeit der Sterblichen. Ob fich diefe Borausfegung vor der Vernunft rechtfertige oder nicht, das zu unterfuchen ift nicht unjered Amtes: wir hatten nur die bezeichnete Grund⸗

8) Matth. 25, 4. 9) Joh. 8, 30 44.

72

lage anzugeben und haben im Weitern den Um⸗ und Aufriß des Lehrgebäu- bes zu entwerfen, welches auf diefer Bafis fich erhob.

Bon der Herridhaft der Sünde alfo, welche ſich kundgibt in der Schwäche des fittlihen Willens, in Unterdrüdung der fittlichen Breiheit und in Ver⸗ blendung betreffend das Heil der Seele, muß der Menſch erlöft werden und darum ift es notbwendig, daß er feine Schwäche und Verblendung erkenne, nach höherem Licht und höherer Kraft fih fehne. Die zu ſolcher Erkenntniß gelangt find, preift Jeſus felig in der Bergpredigt: „Selig find bie Ars men im Geifte; denn ihrer ift das Meich der Himmel!“ Er ermuntert fle auch zum Gebet um jene höhere Kraft: „Wie follte nit der Vater den heiligen Geiſt geben denen, die ihn (darum) bitten? *

3.

Jeſus erkannte aber gar wohl, daß Fein Menich völlig ſündlos, d. 5. fittlih vollfonmen werben könne. Er verwarf zudem die jüdijche Borftellung, durch gute Werke Iaffe fih vor Gott irgend ein Verdienſt erwerben, und rief daher feinen Jüngern zu: „Wenn ihr Alles werdet gethan haben, was euch befohlen war, follet ihr jagen: Wir find unnüge Knechte; denn wir tha= ten nur, was wir zu thun fhuldig waren.” Da ed nun dem Menichen uns möglih iſt, auch nad der Berzeihung feiner alten Sünden vor Gott ganz gerecht zu werden, fo verfündigte Iefus den Glauben als Erfaß der fitt- lihen Vollkommenheit, als diejenige geiftige Macht, welche dem Menfchen Brieden der Seele und ewig feliged Leben von Gottes Gnade erwerbe.

Der Glaube in dem umfaflenden Sinne, wie Jeſus Chriftus ihn Tehrte, ift ein ganz neuer religiöfer Begriff. Er wird im grichifchen Tert des N. T. immer ausgedrückt durd ein Wort, welche eigentlih Vertrauen bedeutet, und Vertrauen ift allerdings der von Jeſu geforderte Glaube feinem Wefen nah. Wenn Jeſus einem Geheilten zuruft: „Dein Glaube hat dir gehol- fen!“ fo erfcheint dieſer Glaube offenbar ald flarfed Vertrauen auf Jeſu göttliche Würde und Macht von Seiten der Kranken. Bum Glauben gehört ferner, was man im gewöhnlichen Sprachgebrauch darunter verfteht, die Worte eines Sprechenden, Worte Jemandes, im betreffenden Fall die Lehren Jeſu, für wahr zu halten. In diefem Sinne fpriht Chriſtus: „Thue ich nicht die Werfe meines Vaters, fo glaubet mir nicht 1)!* Der Glaube

1) 305. 10, 37. Vgl. Luk. 22, 67.

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nimmt demnach ebenſowohl die Meberzeugung, als das Gemüth in Anfprud; er durchdringt den ganzen Menichen, weil aus wahrer tiefinnerlicher Ueber⸗ zeugung auch ſtets ein lebendiges Vertrauen, weiches fich nad dem Inhalt der Ueberzeugung richtet, hervorgeht. “Der Glaube an Gott und der Glaube an Chriſtus iſt ein und derfelbe?). Sein Inhalt läßt fi fo ausdrüden: In der Vieberzeugung, daß der allmächtige Gott unfer himmliſcher Vater und Jeſus, fein eingeborner Sohn, unjer alleiniger Erlöfer und Seligmader if, vertrauen wir auf Gottes Madıt, Weisheit, Liebe und Gnade und bauen darauf, daß wir dur Chriſtus Frieden auf Erden und ewige Seligkeit im Himmel erlangen 3). 4.

Den Glauben an Gott, dad Vertrauen auf ihn fuchte Jeſus wejentlich dadurch zu wecken, daß er dad Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen ald dad des Vaters zu den Kindern beſtimmte. War in den Schriften des Alten Teftamentes nur fehr felten 1) Gott als Vater aufgefaßt, fo ericheint er da⸗ gegen im Munde Jeſu vorzugsweife als folder. „Unjer Vater!” ift der Titel, unter welchem das berühmte Gebet Chriſti Gott anrufen lehrte. Nicht häufig und nur Verſtockten gegenüber betonte Jeſus die ftrafende Geredhtig- feit Gottes, während er defto häufiger Gottes väterliche Liebe und Fürſorge, Gnade und Barmherzigkeit hervorhob.

Jeſus ift von Bott gefendet, dad Verlorene zu ſuchen und felig zu ma⸗ hen. Der Vater Tiebt die, welche feinen Sohn lieben und an deflen Sen⸗ dung glauben ). Auf Iefu Bitte gießt Bott den heiligen Geift auf die Gläubigen aus 3). Daß Gott inbrünftiged Gebet erhöre, lehrt das Gleich⸗ niß vom ungerechten Richter. Wer Buße thut und an Ehriftum glaubt, audy feinen Mitmenfchen jede Beleitigung verzeiht, dem ſchenkt er Verzeihung der Sünden und ewiged Leben. Den Unbußfertigen und Ungläubigen läßt er Beit zur Bekehrung. Sterben fie, wie fie gelebt, fo fallen fle in die ewige Strafe, welde über die Verſtockten zu verfügen vom Vater dem Sohne über-

2) Joh. 12, Ad; 14, 1.

3) ©. d. Belegfiellen bei Mark. 11, 22— 26; 16, 16. Maith. 7, 21; 17, 20; 21, 22. Luk. 17, 6. Joh. 5, 24; 7, 38— 39; 8, 38—40; 12, 36; 14, 12.

1) 3. B. bei Maleach. 2, 10.

2) Joh. 16, 27.

3) Joh. 14, 16— 17.

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geben 4). Die Juden, welche von jeher ihre Propheten verfolgt und ge⸗ tödtet haben, wird Bott nach der Kreuzigung des Sohnes mit vernichtendem Strafgeriht heimſuchen und fein Reich andern Völkern geben >). Jeſus wird von Gott getrieben, für die Erlöfung der Welt Marter und Tod zu erleiden; das iſt fein ewiger Rathſchluß). Die Liebe und Gnade Gottes in feinem Lehen und Leiten, nicht nur mit Worten, zu verfündigen, erfannte Jeſus als. feinen Beruf: „Wer mich geſehen bat, der hat ben Vater gefehen. * „®laubet mir, daß ih im Bater bin, und der Bater in mir iR”). * Weußer- licher Dienſt, religiöfe Uebungen, denen das Herz ferne bleibt, gelten vor Gott Nichts. „eher hin und lernet, was e8 heiße: Ich (Bett) will Barm⸗ herzigfeit und nicht Opfer.” Die aus Prahlerei Almofen geben und beten, „haben ihren Lohn dahin 8). Niemand darf Gott im Gebete nahen, er habe ſich denn zuvor mit feinem Bruder verföhnt 9). Das Gebet: des Selbfl- gerechten weift er von ſich ab; den Demürhigen nimmt er gnädig an. Das lehrt und dad Gleichniß vom Pharifäer und Zöllner. Ueberhaupt: „Gott ift ein Geift, und die ihn anbeten, follen ihn im Geifte und in der Wahr⸗ heit anbeten.” Auf die rein geiftige Natur von Gottes Wefen weifen alle Sittenlehren Chrifti unverfennbar hin. Die vollfommen reine Idee von Gottes Heiligkeit findet ihren Ausdrud in der Moral Jeſu, welche ja nichts Anderes, ald den Willen Gottes darftellen foll. | Da Iefus fo oft vom „DBater im Himmel * redet, möchte es fcheinen, er babe den Himmel ald die außsfchliegliche Wohnung Gottes betrachtet. Dod das innige Gottesbewußtſein Iefu („der Vater ift in mir”), fein Aus⸗ ſpruch: „Bitte den Vater, der im Verborgenen ift* und endlich das Apo⸗ ftelwort: „Gott iſt nicht ferne von unfer einem Jeden; denn in ihm leben, fireben und find wir” weifen beutlid genug auf Gottes Allgegenwart bin, fo dab die Bezeichnung „Vater im Himmel“ nur dazu beftimmt fein kann, einerfeitö die Erhabenheit Gottes, anderfeitd den Simmel als Offen⸗

4) Bergl. die Barabeln vom Unkraut des Aders und vom Netze, dazu bie Erzaͤh⸗ lungen vom „reihen Mann und armen Lazarus“ und von den Reihen, „deſſen Feld viel Frucht getragen", und Matih. 25, 46. Soh. 5, 24.

5) Maith. 21, 33 44.

6) Matth. 20, 28. 26, 39. 34.

7) 30h. 14, 9—10.

8) Matth. 6, 1— 8.

9) Matth. 5, 23—24. Mark. 11,28.

75

barungdort feiner höchſten Herrlichkeit anzudeutei. Aus feiner unnahbaren Erhabenheit laͤßt fich aber Bott zu den Menſchen liebend, verſöhnend, rets tend hernieder. Cr hat feinen eingebornen Sohn gefendet, Die abgefallene Menſthheit geiftig zu erneuten, ein ſeliges Gottesreich in ihrer Witte zu ſtif⸗ ten, fle wieder zu ihrer ewigen Beftimmung und zur Aehnlichkeit mit ihm, dem Allheiligen, zurüczuführen. Die nun den Sohn bereitwillig annehmen, durch Buße und Glaͤuben in fein Rei eintreten und Ihrem Schöpfer aͤhnlih werden, nimmt er wieder als ſeine Kinder an. Dieſe Vorſtellung tritt ung entgegen im Gleichniſſe vom „berloriien Sohn“ Und in den Ausſprüchen: Liebet euere Feinde u. ſ. f., auf daß ihr Kinder ſeid eueres Vaters im Htinmel ſ0)12 Selig find die Friedferligen; denn fle werben Gottes Kin⸗ der heißen: „Die, welche gewürdigt werden, jene Welt zu erlangen, find den Engeln gleich und find Kinder Gottes * 11), Die irdifhen Schickſale der Menſchen beſtimmt Bott nicht immer nad dem Maße ihrer Tugend. Wen ein Unfall trifft, {ft deswegen noch nicht fündhafter, als der Verſchonte 12), Manche zwar flraft Gott mit äußerlichem Elend, damit fie fich befiern 19),

ader manchen ſchweren Sünder läßt er im Weltgluͤck ungeftört ſchwelgen bid

dh feinen Tod; dann jedoch tritt Die Vergeltung ein 14). Hinwieder müffen oft gute und fromme Menſchen hienieden Armuth, Elend, Verfolgung lei⸗ den; wenn fie Dad aber mit Gottergebung und Geduld ertragen, werden fle im Simmel ewig belohnt 15),

5.

Die Kehren Jeſu über feine eigne Perſon und Würde Haben wir großen⸗

theild im vorhergehenden Kayitel behandeln müſſen. Es bleibt und hier demnach nur nachzutragen, wie er fein Verhältniß zu Gott nüher deſtimmt. Sein Wohnen in Gott vor der Menfchwerbung (PBräeriftenz) Hören wir ihn nach der fonoptifchen Darftellung nur infowett andeuten, daß er fügt, er fei „son Gott gefendet* ; bei Johannes hingegen wird die Präeriftenz von Thin ſelber gelehrt in bein deutliden Andfprädhen: „IA bin vom Vater ausge

10) Maich. 8, AS.

411) Luk. 20, 35 36.

12) uf. 13,18,

13). Joh. 8, 14.

44) Luk. 16, 19 31.

15) Bol. obige Stelle; dazu Matth. 6, 11 12.

%

——

76

gangen und in bie Welt gefommen; wiederum verlafle ich die Welt und gebe zum Vater.“ „Wahrlih, ich fage euch: Ehe denn Abraham war, bin id geweſen.“ Auch das Verhältnis des Weſens Iefu zum Weſen Gottes findet ſich, von ihm ſelbſt näher bezeichnet, nur bei Johannes: „Ic und ber Bater find Eins." „Wie der Vater in ſich ſelbſt Leben hat, fo hat er au dem Sohne verliehen, in fich felbft Leben zu haben.“ Er ift die vollkom⸗ mene Offenbarung Gottes in menſchlicher Geftalt: „Wer mich geſehen hat, der bat den Vater geſehen.“ Die Spnoptifer enthalten Ausſprüche, in denen Iefus auf feine göttliche Herrlichkeit nach der Erhöhung von. der Erbe

« hinweift1); auch bezeichnet er fich bei ihnen wie bei Johannes ald den Richter der Lebendigen und Todten )Y. Als Sohn Gottes fchreibt er fich Die Voll» macht zu, Verzeihung der Sünden und ewiges Leben zu fpenden 2), und will feine Lehre als das Wort Gottes angefehen wiflen 4).

Hier iſt nun der Ort, davon zu handeln, wie Jeſus fein Verhältnig zu den Propheten des alten Bundes auffaßte. Er bezeichnete fi als den, welchen die Propheten dem Volfe Israel verheißen hätten. Daß fie den Meſ—⸗ flad einen König genannt, deutete er ganz in geiftigem Sinne, wie er ja auch das Neich Gottes, die neue Theofratie, rein geiftig auffapte. „Mein Reich,“ antwortete er dem Bilatus, „ift nicht von die ſer Welt. Erſt durch die Auferſtehung bet er die eigentliche Herrſchaft über fein Reich an⸗ getreten ; denn erft nach diefem Ereigniß fprach er die Worte: „Mir ift alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.* Diele Reich umfapt alfo Himmel und Erde, nicht blos das Land Jsrael oder den Erbfreis, wie tie Propheten geweiflagt. Sein Reich auf Erben regiert Chriftus vom Simmel herab: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an dad Ende der Welt *5), Er regiert e8 durch den heil. Geift, der jein Stellvertreter auf Erden ift ©). Die Stellen der Propheten, welche er auf fein Leiden und Sterben bezogen baben muß, find, genau im Zufammenhang betrachtet, gar nicht, auch Feine einzige, über den Mefitas geredet. Das iſt ein unbeftreitbares Reſultat der altteftamentlihen Auslegung. Aber Jeſus hielt fi gar nidht an den Buche

4) Matth. 26, 64. Mark. 14, 62. Luf. 22, 69. Maith. 28, 18. 2) 30h. 5, 21 und 27. Matth. 24, 29— 51.

3) Matth. 9, 2—8. Luf. 5, 18 36. Joh. 10, 27 29.

4) 306.12, 40 80. 7,16. Matih. 21, 33 ff.

5) Matih. 28, 20.

6) 30h. 16,7. 13 18, uf. 24, 49.

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ftaben, fontern an den Geiſt, nit an die Perſon, fondern an die Idee. Die in den Propheten audgefprochenen Ideen von flellvertretendem Leiten und fleghafter Auferftehung waren ihm Weiffagung auf die fpätere Verwirklichung derfelben in höherm Sinne. Daß Jeſus died Verbältniß fo aufgefußt, daß er überhaupt den Propheten gegenüber einen fehr freien Standpunft einge⸗ nommen, dafür haben mwir zwei ſchlagende Beweife. Der erfte ift, daß Jeſus auf die Brage der Jünger, warum nad Ausjage der Schriftgelehrten Elias der Vorläufer des Mefftas fein müfle, die merkwürdige Antwort gab, Jo⸗ hannes der Täufer fei Eliad geweien”). Man fleht, die Idee des Borlän- fer war in Johannes verwirklicht; in diefem Sinne nannte Jeſus ihn den Elias. Der zweite Beweis ift jene Streitfrage Jeſu an die Pharifäer: „Wenn David jelbft den Mefflad feinen Herrn nennt, wie ift er denn jein Sohn")? Jeſus fheint aus diefem Wideripruh den Schluß gezogen zu haben, der Mefftas fei dem Fleiſche nad der Sohn Davids, dem Beifte nad) Gottes Sohn, eine Lehre, die bei den alten Propheten nirgends audge- ſprochen ift. |

Wie Iefus fagte: „Der Bater iſt in mir“ —, fo hat er ſich aud ein Innewohnen des heiligen Geiftes zugefchrieben 9). Im Weiteren bezeichnete er denfelben ald die Verheißung des Vaters für feine Gläubigen und fchrieb ihm die Kraft zu, Troft zu geben, in alle Wahrheit zu leiten und ein neues Leben in der Seele zu entzünden 1%). Zuſammen ‘genannt finden fidh der Bater, der Sohn und der Geift in dem einzigen Ausſpruch Jeſu: „Gebet bin und machet zu Jüngern alle Völker, und taufet fie auf ven Namen des Vaters, des Sohnes und des heil. Geiſtes!“ Matth. 28, 19. ine eigent- lihe Dreieinigkeitslehre bat Jeſus nicht aufgeftellt. Sic; felbft und den heil. Geiſt hat er allezeit dem Vater untergeordnet, niemals gleich ge⸗ ſtellt. Er betrachtete ſich und den heil. Geiſt ausfchließlich als Werkzeuge Gottes zur Erlöfung der Menſchheit. Kosmifche Bedeutung hat er weder ſich felbft noch dem heil. Geiſte beigemeffen.

6. Daß Iefus als Mittel zur Erlöjung der Menfchheit feine Lehre und fein . Borbild betrachtete, erhellt aus vielen feiner Ausfprüce, beſonders aus

7) Matth. 17, 9— 13; vergl. Matth. 11, 14 und Maleach. 4, 8.

8) Maith. 22, A 46,

9) Luk. 4, 18. Joh. 20, 22. 10) Job. 3, 3— 8. Apoſtelgeſch. 1, 8 und andere fchon angeführte Stellen.

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benen, die zur Befolgung ſeiner Lehre, zur Nachahmung ſtineg Finn und Wandels auffordern). Ya Vollendung feines Erlöfungswerfes jebod IR ihm offenbar fein Reiten und Sterben erfchienen. „Des Menſchen Sohn ift nicht gefommen, daß ihm gedient werbe, jontern dag er diene und fein Le⸗ ken zum Löfegeld gebe für Viele,“ d. h. er gibt fein Leben bin alß ſtellver⸗ tretendes Opfer für Viele, indem er den Tod erleidet, damit jeue Vielen den geifligen Tod, das ewige Verderben nicht erleiden müflen. Bei der Ein- jegung des Abendmahld ſprach Jeſus (nacı Lukas): „Mehmet, eſſet, dae iR mein Leib, ber für euch hingegeben wird,“ und (mad Matthäus): „Trinket aus diefem (Kelch) alle; denn das ift mein Blut, Das Blus des penen Bundes, weldes für Viele vergofien wird zur Verzeihung ber Sün⸗ den.“ Demgemäß erklärte Jejus fein Leiden und Sterben ald eig yon Gott durch ihn gegebened Pfand des neuen Bundes, kraft deſſen Gott dem Buß⸗ fertigen und Gläubigen Die Verzeihung der Sünden ſchenke, gleich wie beim Abschluß eines Bundes zwiichen Menſchen dad Blut des Dabei geſchlachteten Opferthieres als Pfand für die Erfüllung der gegebenen Verſprechungen galt. Die Rede Jeſu bei Iohgnues über das Eſſen ſeines Fleiſches und das Frinken feines Bluted bezieht ſich weientlid auf Pie gläubige Annahme dieſes goͤttlichen Gnadenpfandes. Daß Gott ſeinen Sohn hingibt in Schmach, Schmerz -und Tod, iſt her höchſte, aber nothwendige Beweis, daß er den Bußfertigen. und Gläubigen wirflih WBerzeihung „der Sünden und ewiges Leben ſchenke. Die Gewißheit Der göttlichen Gnade verichaffe id nur durch meinen freiwilligen Tod, dag war, ſcheint es, der Grundgedanke Jeſu, ald er ſprach: „Ich laſſe mein Leben für Die Schafe" und: „Größere Kiche

bat Niemand, als die, daß Einer fein Leben für feine Freunde läßt." Dar her ift fein Tod ein Opfer der Liebe zu den Menichen, cine That Des Ge- horſams gegen Bott. Das Abendmahl joll in allen Gläubigen dad Gedaͤcht⸗ nig dieſer liebevollen Hingabe auffriiben und zugleich Dant und Gegenliebe, auch brüderliche Liebe zu einander in ihnen erwecken: „Thut dieſes zu mei— nem Gedächtnifle! * „Das ift mein Gebot, daß ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe*2). Durch den Tod Jeſu wird Gott verherrlichet, weil darin feine Gnade ihre hoͤchſte Offenbarung findet: „Nun ift des Menſchen.

1) Matth. 7, 24—27. Joh. 8, 81. Matth. 16, 24 28. Joh. 13, 18. Zuf. 14, 25 27. 3) Ich 18,12. Dan beachte den Zyfammenpang mi V. 13.

. 79 Sohn verherrlichet , umd Gott iſt verherrlicht im ihm. IR nun Gott in ihm verherrlicht, jo wird Gott ihn auch in ihm felbft verherrlichen und wird ihn bald verherrlichen.“ Für Jeſus ift der Tod am Kreuze der Eingang zu ſei⸗ ner königlichen Herrlichkeit 3), der enticheidende Sieg über die Macht des BDöfen in der Welt). Durch feinen Tod geht er zum Vater und bercitet den Seinen himmlische Herrlichkeit®), für das irdiſche Leben ſchon tie Gabe des heil. Geiſtes 6). Mit dem Tob am Kreuze endet fich das Erlöſungswerk ded Menſchenſohnes: „Es if vollbradt I”

7.

Der Hingebung Jeſu ensipriht, den evangeliichen Berichten zufolge, feine Auferwedung vom Tode durch Gott. Es liegt Hierin die Beftätigung und Garantie, daß Jeſus wirflid ale Opfer des neuen Bundes geftorben, daß feine Hingabe in Reiten und Tod das von Gott gegebene Pfund der Sündenvergebung, ter Rettung vom Verderben, des ewigen Lebens fei: „Alfo mußte Chriftus leiten und von den Todten auferſtehen am dritten Tage, und in feinem Namen Buße und Verzeihung der Sünden gepredigt werden allen Völkern von Jeruſalem aus *1),

Mer nun nach diejer göttlichen Beflätigung des am Kreuz gefchloffenen neuen Bundes „nicht glaubt, der wird verdammt werden“ 2). Begründet erfcheint nun auch das Wort: „Wer fein Leben um meinetwillen verliert, der wird e8 gewinnen ® 8); ebenfo: „Ich bin die Auferftehung und dad Les ben ; wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich ſtürbe“; und: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben: Niemand fommt zum Vater, als nur durch mich. *

Der Tod und die Auferfichung Jeſu fcheinen nach feinen Ausiprüchen wefentlich dazu beftinnmt, die Menichen zum Glauben an Gottes verzeihente Gnade zu erwecken, dadurch aber zu einem geheiligten Wandel thrilß zu ver- pflichten,, theild zu ermurbigen. Gott verzeiht dem Bereuenden, und ver⸗

3) Matth. 26, 64.

4) Joh. 12, 23— 33.

5) Joh. 12, 32. 14,2 —A.

6) Joh. 16, 7.

1) Luk. 24, 46— 47, Bol. Ich. 13, 32. 2) Marf. 16, 16.

3) Maith. 16, 28.

80

leiht ihm ſelbſt Durch feinen Geiſt Beiftand zu einem neuen, befferen Wan⸗ del und führt ihn dadurch feliger Unfterblichkeit entgegen, dies Bewußt⸗ fein fol durch Sefu Tod und Auferfichung dem Menfchen eingehaucht werben. Bon jenem Iudengott aber, der nun einmal ein Opfer feines Grimmes ha- ben muß, denfelben an jeinem eignen Sohne fühlt und dann erft verzeihen fann, von diefem Wejen voll inneren Widerſpruches weiß Iefus, falls wir feine in den Evangelien enthaltenen Reden nicht etwa unrichtig auffaflen, Nichts In Iefu Ausſprüchen glauben wir überall den Sinn zu finden, daß Gott von vorneherein Fein ewig zürnender Moloch⸗Schaddai feit),, ſon⸗ dern ein verjöhnliches und gnädiges Weſen. Diefer Auffaffung zufolge, welche ſich freilich Seitend der molodhiftjichen Blut- und Opfertbeorie des modernen Pietisnus Feines Beifall8 zu erfreuen haben dürfte, follte durch den Kreuzedtod Jeſu nicht der Gott, jondern der Menfc umgeflimmt wer- den. In der Paſſionsgeſchichte Chriſti bezieht fi) unferes Erachtens Alles auf eine Umgeftaltung des religidjen Bewußtjeind. Durch den Glauben an die Bedeutung des Todes und der Auferfiehung Chrifti wird den Menichen die Erlöfung von Sünde und Tod zu Theil. In diejem fubjectiven Sinn alfo bat Jeſus durch feinen Tod Verzeihung der Sünden und ewiges Leben für die Menihen erworben. Daß die Verzeihbung der Sünden objectiv von Gott nit erſt durch Jeſu Leiden und Tod erfauft werden mußte, beweifen am beften die wiederholten Zuficherungen Jeſu an Zeitges noſſen: „Dir find beine Sünden vergeben ;“ und die Lehre: „Wenn ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, fo wird euer himmliſcher Vater euch auch vergeben, Ausfprüde, die er lange vor feinem Leiden und ohne alle Hinweifung auf feinen Tod gethan. |

8.

Wie Jeſus das Reich Gottes auffaßte, haben wir ſchon in feiner Le⸗ bensgeſchichte berührt, fofern nämlich dieſe Auffaflung feinen zum Heil der Menſchheit befolgten Plan bedingt. Was aber Jeſus über dad Weſen, Die Beichaffenheit und das Wachsthum des Reiches Gottes lehrte, zumal in fo vielen Gleichnißreden, muß hier, wo es ji rein um Gedanken, nicht um Thaten handelt, in Kürze zufammengefaßt werben.

Jeſus redet von dem Reiche Gottes oder Reich der Himmel in zwei⸗

4) Bol. Thl. II, S. 126 138.

81 fahen Sinn, bald in Hinfiht auf feine äußerliche Erſcheinung, bald in Hinficht auf fein wahres, tunerliches Weſen. Die das Evangelium äußerlich angenommen haben, bilden zufammen das Neid Gottes auf Erden feiner äußerlichen Erfcheinung nach. Eben wegen dieſer blos äußerlichen Annahme bleiben viele Glieder des Reichs innerlich doch „Kinder des Böſen“, nur die innerlih Umgemwandelten find die wahren „Kinder des Reiches.“ Uns würdige wird es im irdiſchen Meich Gottes geben bis and Ende der Welt; dann aber werden fle von den wahren Kindern des Reiches ausgeſchieden und ind ewige Verderben geftürzt. Dies finden wir gelehrt in den Gleichniſſen vom Unkraut des Ackers und vom Nege (Matth. Kay. 13). Auch das Gleiche niß vom Gaſtmahl 9) lehrt die Verwerfung ter Unwürdigen aus dem Gottes⸗ reich unter dem Bilde des Goftes, „der Fein Hochzeitliches Gewand an hat * und deswegen „binausgeworfen wird in die Finſterniß.“ Das Reich tes Himmels breitet fihb aus unter heftigem Widerſtand der Verſtockten: „Von den Tagen Johannes tes Täufers bis jegt (da Chriſtus redet) Teibet das Neid; der Himmel Gewalt, und die ihm Gewalt anthun, nehmen ed weg” (nämlich fie verhindern Viele, in daffelbe einzutreten). Zuerſt wird es den Juden angeboten; diefe aber weifen e8 von fh, und jo wird ed den Heiden übergeben. Das lehren die Gfeichniffe vom Gaflmahl und von ten Meingärtnern. „Es werden von Aufgang und Niedergang, von Mitters nacht und Mittag Diele fommen und im Reiche Gottes zu Tiſche fien *2).

Unfceinbar klein ift der Anfang des Reiches Gottes, unmerflich fein Wachſen, aber e8 wird ſich gewaltig auöbreiten über die Erde. Dies wird anschaulich gemacht in den Gleichniſſen vom Senfforn und von der Saat des Feldes 5). Wie der Sauerteig die Mafje des Mehls, fo wird das Neid Gottes die Maffe der Menfchheit durchdringen und veredeln ). Das Reich Gottes ift in dieſem Gleihnig ganz fo innerlich als die Gemeinichaft der Gläubigen und Erldften gefaßt, wie in dem Ausſpruch: „Das Reich Gottes fommt nicht fo, daß man es merken möge. Man kann nicht fagen: Siehe hier! oder: ftehe Dort! denn fiehe, das Reich Gottes ift innerhalb eurer." Zu der nämlichen Auffaffung des Reiches Gottes gehören die beiden Stellen Joh. 3, 3—5: „Wenn Jemand nit geboren wird von oben herab, fo

41) Maith. Kap. 22. 2) Luk. 13, 29. Vgl. Matıh. 8, 11 ff. 3) Matth. 13, 31 32. Mark. A, 26 29. 4) Matth. 13, 33. Scherer, Geſch. d. Religion. II, 6

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Tann er das Reich Gottes nicht fehen* und: „Wenn Iemand nicht geboren wird aus Waſſer und Geift, jo kann er in das Reich Gottes nicht eingehen “5), Als Gemeinſchaft der Gläubigen und Erlöften genommen, umfaßt dad Reich Gotted Himmel und Erde, worauf fhon der Name „Reich der Himmel“ hinweift: „Es werden Biele kommen und mit Abraham, Ifaak und Ja⸗ kob im Reich der Himmel zu Tifche figen* 6). Die Seligfeiten, welcher man im Reiche der Himmel genießt, werden nicht nur hier, fondern auch in ben Gleichniſſen vom Gaſtmahl und von den 10 Jungfrauen unter dem Bilde der Freuden einer Mahlzeit anfchaulih gemacht. Weil ſolche Seligfeiten im Reiche Gottes verheißen find, darum ſuchen auch fo viele Unwürdige in das⸗ felbe einzutreten. In der That, die Freuden des Himmelreiches follen an« Ioden ; aber wer ihrer theilhaft werden will, muß im Stande fein, um des Himmelreiches willen nöthigenfall8 Alles aufzuopfern, wie in den Gleich nifien vom Schatz im Ader und von der Perle gelehrt ift”). „Nöthigen- falls“, haben wir gefagt; denn Chriftus Hat in Bezug auf die zeitlichen Güter geäußert: „Trachtet zuerfi nach dem Reiche Gottes und feiner Ge⸗ rechtigfeit, jo werden euch diefe Dinge alle Hinzugethban werden. * Er heißt auch nicht allein bitten: „Es fomme dein Reich!“ fondern zudem: „Gib und unfer tägliches Brot! *

Buße und Glauben find, wie wir ſahen, nöthig, um in das Reich Gottes gelangen zu können. Demuth, Sanftınuth, Friedfertigfeit, Stand⸗ haftigfeit in ungerechter Verfolgung, Verföhnlichkeit und Herzensreinheit

zeichnen die Glieder des Himmelreiches auf Erden aus. Darauf weiſen die Seligpreifungen der VBergpredigt, fowie das Gleichniß vom gütigen Schuld⸗ herrn und bartherzigen Knechte hin, welchem gemäß aus dem Reiche Gottes Jeder, der nicht verzeihen will, verftoßen wird. Aus Alledem erhellt, daß Jeſus durd Stiftung des Gottesreiches nicht, wie Mojed, direkt eine neue foziale Ordnung aufzuftellen gedachte, fondern eine foldhe Umänderung viel⸗ mehr der geiftigen Macht feiner Lehre überließ.

Als Zeichen der Aufnahme in das Außerliche Gottesreich fette Jeſus die Waffertaufe ein®),. Daß diefe nicht die Aufnahme in das innerliche

8) Das Wafler ift hier Sinnbild der Taufe, welche dem Gläubigen ertheilt wird als Zeichen, daß ex durch den Glauben in das Reich Gottes eintrete.

6) Matth. 8, 11.

7) Matth. 13, 44 46.

8) Matth. 28, 19.

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Gottesreich bedeute, gab er zu verfiehen durch die Worte: „Wer glaubt und getauft wird, der wird felig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.” Hätte er gefagt: „Wer nicht getauft wird, der wird verdammt werden, dann wäre die Taufe allerdings die Aufnahme in das innerliche Gottesreich.

9.

Bon äußerſter Wichtigkeit und unberechenbarer weltbiftorifcher Wir⸗ fung war zweifeldohne der Grundſatz Jeſu, alle Menjchen ohne Unterſchied der Abflammung, des Ranges und Vermögens feien in fein Reich berufen, alle Völker zu Gliedern deſſelben beftimmt. Daß die Religion Jeſu alle Menſchen als Kinder eines Vaters, ald Theilhaber einer ewigen Beſtim⸗ mung einander gleidh wertbet, daß fie alle Menfchen einander als Brüder betrachten und lieben heißt!), darin liegt ihr großer welthürgerlicher und: demofratifcher Charakter. „ES foll eine Heerde werden und ein Hirte" 2), d. h. die Menfchheit joll ein Organismus, eine Familie fein. Selbft den Ungläubigen und Böfen gegenüber gebietet Die ganze Bergprebigt Liebe und Großmuth, fchonende Duldung befonderd die Stelle Luk. 9, | 49 56. Verſchiedenheit des Glaubens entbindet von den Pflichten der Näcftenliebe nicht; ſonſt hat dad Gleichniß vom barmherzigen Samariter feinen Sinn.

10. Br

Noch erübrigt aber, die ſchwierigſte Seite der Lehre Jeſu vom Reiche Gottes darzuftellen, nämlich das, was in den Evangelien von den legten Dingen gefagt iſt.

Unvermuthet wird Chriftus in himmliſcher Herrlichkeit herniederfommen auf Die Erde, zu richten über die Lebendigen und bie Todten. Da wird alled Böfe für immer audgerottet, indem die Unbußfertigen und Ungläu« bigen, von den Kindern des Neiches gefondert, in die ewige Strafe ein- gehen. Die Kinder des Meiches aber werden „Ieuchten wie die Sonne im Meiche ihres Vaters 1), ähnlich den Engeln an Geftalt, unfterblich fortan 2). Gewaltige Zeichen werden dem großen Tage vorangehen; der nie

41) Luk. 10, 35— 37. Matth. 22, 39; 7,12. 23) Joh. 10,16. Bol. 17,20 21. 4) Matth. 13, 43. 2) Matth. 22, 30. Luk. 20, 34. 36, 6*

berfommende Meſſtas wird alle Todten aufesweden, ſei's zum Gericht, ſeis zum feligen Xeben, und wer die ihm verliehenen Geiftesfräfte nicht zur Foͤr⸗ derung des Meiches angewandt hat), wer in thörichter Sicherheit dahin⸗ gelebt, flatt zu wachen und zu beten *), wer Chrifte blos dem Namen nad angehangen 5), wird ebenfowohl von der Herrlichkeit des Reiches ausge⸗ ſchloſſen, als der ganz Ungläubige. Belohnt und in einen höhern Wirs kungskreis verfegt werden hingegen Alle, die ihre Kräfte wohl gebraudt haben). Selig werben felbft die noch, welche erſt in fpätern Lebensjahren durch Bekehrung in das wahre Gottesreich eingetreten find”). Die ges naueften Lehren über das jüngfte Gericht finden ſich Matth. 25, 31—46 und Luf. 21, 25—- 33. Von den Apofteln heißt e8, fie werden, auf Thro⸗ nen figend, die zwölf Stämme Israels richten ®). In den poetifch erhabenen Schilderungen vom Herniederkommen des Menſchenſohnes iſt mehrfach auch der Engel als feiner Begleiter gedacht. Der Ort, wohin die Kinder des Böſen“ verwiefen werden, wird bezeichnet als die Hölle, Gehenna 9), „wo ihr Murm nit flirbt und ihr Beuer nicht erlöfcht *, eine Schilderung, deren bildliher Sinn fi nicht verfennen läßt. Der nämliche Ort wird bezeichnet als die „Außerfte Finfterniß, wofelbft jein wird Heulen und Zähneflappern *, was an die althebräifche VBorftellung von der Unterwelt, Scheol, erinnert 10). Man bat fih zwar verfucht gefühlt, dieſe beiden Orte als zwei verfchledene zu betrachten, in dem Sinne, daß die blos Leichtfertigen in den Scheol, die erklaͤrten Böſewichter allein in die Gehenna verwieſen werden; aber dieſer Unterſchied laͤßt ſich nicht durchführen. Vielmehr weiſt die verſchiedene Be— zeichnung des Strafortes auf bildliche Veranſchaulichung der ewigen Strafe hin.

3) Vgl. das Gleichniß von den Talenten. Matth. 25, 14 30..

4) ©. das Gleichniß von den 10 Jungfrauen, Matth. 28, 1 13.

5) Maith. 7, 22 23.

6) S. das Gleichniß von den Talenten.

7) ©. das Gleichniß von den Arbeitern im Weinberge. Matt, 20,1— 16.

8) Matth. 19, 28. Luk. 22, 28 30.

9) Die Schenna, eig. das Thal, wo früher dem Moloch Opfer verbrannt wor⸗ den, galt den fpätern Juden als Dit der ftrafenden Vergeltung nad) dem Tode, warb aber nicht mehr als "ein auf ber Oberfläche der Erbe befindlicher Ort betrachtet. Matth. 5, 29— 30; 25, 42. Dal. 13, 41—42. Luk. 16, 23 24.

10) Matth. 8, 12; 25, 30. Meber die althebr. Vorfiellung vom Scheol vgl. Thl. II, S. 116.

8

Die Zelt, wann er herniederkommen werde zum Weltgericht, bezeichnet Jefus zwar als unbeftiimmt, doch nahe bevorſtehend: „Dieſes Geſchlecht wird nicht abgehen, bi8 Alles geſchehen ſein wird. Den Tag aber und bie Stunde weiß Niemand, auch die Engel im Himmel nicht, fondern allein mein Vater.” Die dringenden Warnungen vor thörtchter Sicherheit, welche Jeſus in den ſynoptiſchen Evangelien fo häufig ertheilt, weiſen deutlich auf baldiges, wenn auch überrafdendeB Eintreten des Jüngften Gerichtes 11). Bekanntlich ift dad jüngfte Gericht bis heute nicht eingetreten; alfo bat ent» weder Iefus tn feiner Zeitbeſtimmung ſich geirrt oder die Apoftel haben ihm mißverſtanden. Letzteres wird im 2. Briefe Petri (3, 8— 9) unverkenn⸗ bar angedeutet. Durch diefe LUinficherheit der Auffaffung betreffend die Zeit‘ des jüngften Gerichtes iſt auch viel Undlares in die Unfterblichkeitsiehre über- haupt bineingefommen. Daher werden uns theils folche Ausfprüce Jeſu überliefert, welchen zufolge bie Todten fchlafen bis zur Auferſtehung am letz⸗ ten Tage 12), theils ſolche, die uns Tehren, die Seele komme gleich nach dem Tode an den ihr gebürhrenden Ort12). Bel der Annahme, Jeſus habe das Weltgeriht als nahe bevorflehend angekündigt, fühlte man ſich natürlich micht veranlaßt, über den Zufland ver Seele gleich nah dem Tode genauere Beflimmungen zu ſuchen, und fo find wahrfcheinlich etliche Ausſprüche Iefu, bie fich näher darauf bezogen, verloren gegangen. Die unauslöſchliche Sehn⸗ fucht der Jünger nad) dem Eintritt des vollendeten Meſſtasreiches erklärt hin⸗ laͤnglich, warum fie des Mekſters Ansiprüche betreffend die Beit des Welt⸗ gerichted mißverſtehen Fonnten.

11.

Es ift bereits nachgewielen worden, daß Jeſus auch ein änßerliches Gottesreich auf Erden habe fliften wollen, als defien Glieder alle diefenigen . betrachtet werden, welche die Taufe auf den Namen bed Vaters, des Soh⸗ ned und des heil. @eiftes empfangen haben, Er felbft hatte ja ſchon ges tauft 1) und aus Juͤngern und Jüngerinnen eine Gemeinde der Auserwähl« ten (2eximöte, ecclesia) gebildet. Nur einmal zwar, in jener oben anges füßrten Stelle, wo dem Petrus die, Schlüffelgewalt * übergeben wird, hören

11) Maith. 24, 48 81. Mark. 13, 33 37. Luk. 21, 34 36. 42%) 306. 6, 39-40; 8, 28-29, 413) Luk. 16, 22—23; 23,43.

1) 305. 3, 26.

wir Jeſus die Ekkleſta nennen; aber dies hindert kaum, anzunehmen, Sefus babe wirklih die chriſtliche Kirche als äͤußerliches Gottesreich, als neue Theokratie unter den Menfchen geftiftet. Gegenüber den Ausfprücden auf einen baldigen Eintritt des Weltgerichte weifen die Gleichniſſe vom Un⸗ Fraut des Ackers, vom Senfkorn, vom Sauerteig, vom Wachſen der Saat, fowie der Ausſpruch: „Siehe, ich bleibe bei euch alle Tage bis an das Ende ber Welt* auf ein längeres Fortbeſtehen der chriſtlichen Kirche auf Erden bin. Vermuthlich Hatte Jeſus unter dem baldigen Eintreten feines Reiches auf Erden die Ausgießung des heil. Geiſtes verflanden, wodurd er feiner Univerfaltheofratie auf Erben daB rechte Lebenselement zu ihrem Fortbeſtehen mitzutheilen gedachte, nach welder die Jünger erft als ges ſchloſſene Gemeinde auftreten und dieſelbe vermehren Eonnten. Mit der Geiftesmittheilung, dem eigentlihen Schöpfungsakt bes Gottesreiches auf Erden in ſelbſtſtaͤndig Außerlicher Ericheinung, mochte wohl der Eintritt des Reichs in feiner überirdiichen Herrlichfeit verwechfelt werden. Darum fin« den wir bei den Synoptikern jo feltene Berheißungen des heil. Beiftes und jo häufige Berfündigungen des nahenden Weltgerihts, während dem Johannes letztere durchweg fehlen, erftere hingegen der überwiegenden Mehr» zahl nach angehören 2).

12.

Für fein äußerliches Reich auf Erden nun ift die erhabene Sittenlehre Jeſu wefentlich beftimmt. Er entwirft in berfelben ein ideales Bild, wie jedes Mitglied feines Reiches zu werden ſich befireben folle. Jede feiner Sittenlehren ift Gottes Wille an die Kinder feines Reiches, Geſetz, in der univerfalen Theokratie1). Wir dürfen aber bie Sittenlehre Jeſu als allges mein befannt vorausfegen. Ihr Verftändnig erfordert weniger genaue Be⸗ kanntſchaft mit ter Schrift. Da außerdem eine einläßliche Darftellung der⸗ felben den Raum dieſes Buches überfehritte, fo müffen wir und begnügen, die merkwürdigften Seiten dieſes Moralcoder hervorzubeben.

In der Bergpredigt (Matth. 5, 17—48) hebt Jeſus gefliffentlich her⸗ vor, welche Sittengeſetze der alten, nationalen Theokratie noch gefehlt haben. Da wird das Unvollſtaͤndige ergaͤnzt und Manches, was im alten

2) Die Stelle bei Joh. 5, 28 ff. Hält die Zeit des Weltgerichtes ganz unbeſtimmt, faßt überhaupt den Gegenſtand ganz anders, als die Stellen der Synoptiker. 1) Matih. 5, 19.

87

Geſetze noch erlaubt war, verboten, So verbot Moſes nur die vollendete Sünde: Mord, Todtfchlag und Ehebruch. Jeſus dagegen verbietet jchon die fündhaften Tendenzen und Vorſpiele: Streit- und Schmähfucht, fowie die Beihäftigung der Einbildungskraft mit wollüftigen Bildern und mahnt zu Nachgiebigkeit, und zu entfchtedenem Kampf wider die Gelüfte des Herzens (3. 21—30)., War es im alten Bunde erlaubt, ſich unter beliebigen Vorwänden von feinem Weibe zu fheiden, wenn man ihr nur im Scheides brief“ die Gründe jhriftlich angab, fo bezeichnete Jeſus den Ehebrud als einzigen Scheidegrund und den als einen Ehebrecher, der eine um dieſes Grundes willen Gefchiedene zur Ehe nehme (DB. 31— 32), Bei einer ans dern Gelegenheit 2) verordnete er zudem deutlich genug die Ehe zwifchen einem Manne und einem Weibe (Mogonamie), während im alten Bunde die Vielweiberei erlaubt war. Schon diefe eine Verordnung ift für das foziale Leben der Chriftenheit von unermeßlicher Tragweite geweien. Das durch ward das Weib von der orientalifchen Sklaverei befreit und zur gleich« berechtigten Gefährtin des Mannes, zur Hausfrau im rechten Sinne er hoben ?),

Das alte Wiedervergeltungsrecht (jus talionis) hob er auf und gebot, lieber zur erſten eine zweite Kraͤnkung hinzunehmen, als Böſes mit Böſem zu vergelten (V. 38— 42). Die im A. T. wenn auch nicht ausdrücklich,

2) Matth. 19, 3—8. Marl. 10, 2—12.

3) Es ift jedoch unerläßlich , hier anzumerken, daß erft mit der Seit, wo die gers manifchen Völker die welthiftorifchen Träger des Chriſtenthums wurden, die foziale Stellung der Frau factifch eine würbigere ward, als fle im orientalifchen und griechiſch⸗ römifchen Alterthum gewefen. Die urgermanifche Heilighaltung des Weibes (vgl. Thl. II, S. 339), verbunden mit dem Auffommen des Mariaculis, war es, welde die Frau mit dem Manne auf die gleiche Stufe menſchlicher Geltung erhob. Die Anſchauung der Evangelien vom Weibe ift doch durchſchnittlich noch eine fehr oriens talifchsrohe. Die Apoftel, in ihrer Uebertreibung der durch das Chriſtenthum ges prebigten Entfinnlichung des Menichen, hielten ja die Che mehr nur für verzeihlich als für raͤthlich. So bekanntlich ſelbſt Paulus. Bit der asketiſchen Bewunderung des ledigen Standes flieg dann noch die Verachtung des Weibes ins Aberwißige. Die meiften Kirchenväter fahen die Ehe geradezu als etwas Unreines, alfo Verdammliches an. Gie,liebten es, in den ſchmutzigſten Ausdrüden von ber Verbindung zwifchen Mann und Weib zu fprechen. Das Beifpiel der Ehelofigkelt Jeſu verleitete file zu Schlußfolgerungen, wie fie der Bloͤdſinn nicht bloͤdſinniger aufftellen könnte. Wenn alfo irgendwo, fo ift die Eniwicklung des Chriſtenthums in Betreff des Verhaͤltniſſes von Mann und Weib eine fruchtbare geweſen.

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doch indirect gegebene Erlaubniß, den Feind zu haffen, verwarf er, und fegte an deren Stelle dad ganz neue Gebot großmüthiger Feindesliebe (B. 43—44). US die zwei höchſten Gebote bezeichnete er die Liebe zu Bott und zum Naͤchſten, weil in ihnen die Erfüllung aller übrigen Gebote Iteget). Die biöher verfannten paffiven Tugenden, zumal Selbftverfäugs nung und Demuth, hob er nahdrüdlich Hervor, jene als die rechte Nachfolge feiner, diefe ald die wahre Hoheit und Stärfe des Geiſtes5). Hinwieder ermahnte er auch zur Standhaftigfeit in ungerechter Verfolgung, zu muthi« gem Vertrauen auf Gott und warnte vor feiger Menſchenfurcht, wie vor allzugroßer Aengſtlichkeit betreffend den Lebensunterhalt). Klugheit ſogar empfiehlt er feinen Jüngern, wie er auch felbft Klugheit Gibte, wo fie dem Gewiflen nicht zuwider war”). Ein Hauptgrundfag der Lehre Chriſti ift ferner, die geiftigen Güter Höher zu achten als die leiblichen, die bimmlifchen Höher als die weltlichen ): „Niemandes Leben befteht darin, dag er viele Güter Hat." Gleichwohl fol man die zeitlihen Güter nicht - verachten, fondern fie zur Wohlthätigkeit anwenden und ald Beweiſe der göttlihen Vatergüte wertbhalten®), Endlich nennt Jeſus als Hülfs- mittel zu einem gottgefälligen Wandel das Gebet und die Wachſam⸗ feit über ſich felbft, auch das Faſten. Aber nicht als aͤußerliches Wert ohne innerlihen Exrnft fol Beten und Faſten geübt werden, und eben fd wenig die Wohlthaͤtigkeit aus bloßer Eitelkeit; ſonſt haben ſte keinen Werth vor Gott 10). Geſinnung, Glauben und Wandel müſſe einander entſpre⸗ chen: das Heißt Gott verehren im Geiſte und in der Wahrheit: „Der gute Menfch bringt aus dem guten Schage feines Herzend das Gute hervor und ber böje Menſch bringt aus feinem böfen Schage Boͤſes hervor ; Denn an der Frucht erfennt man den Baum. *

4) Matih. 22, 37—A0,

5) Matth. 16, 24; 7, 13—14. uf. 9, 46—48; 22, 26. 6) Matih. 5, 11—12; 6, 2534; 10, 38.

7) Maith. 10, 1617. Luk. 16, 8. Ioh. 2, 28.

8) Matth. 6, 1921. uf. 12, 18—21.

O) Luk. 16,9. Matth. 6, 26-30.

.. 410) Matth. 6, 148.

Sechſtes Kapitel.

Entwicklung der chriſtlichen Lehre in den Kirchen, Confeſſionen und Sekten.

1.

Der Umſtand, daß Jeſus kein Wort von ſeiner Lehre ſchriftlich der Nachwelt überliefert hatte, Die bildliche, paradoxe und unzufammenhängenbe Form feiner Lehre, endlich die Verſchiedenheit ihrer Auffafſung je nad) der Individunalität feiner Sünger, das Alles hatte zur nothwendigen Folge, daß die von ihm ausgeſprochenen religiöfen Ideen ſchon in den Tagen ber Nipoftel den Lauf einer weit ausfehenden Entwidlung begannen. Da. war Behufd der Verbindung zwiſchen den einzeln ausgeſtreuten Ideen des Mei⸗ ſters noch fo Mandyes zu ergänzen, zu erſchließen, und weil die Apoftel, auch der fpäter berufene Paulus, ſich erfüllt wußten vom heil, Geifte, be⸗ trachteten fie die aus der Lehre Iefu gezogenen Folgerungen, jowie ihre Aus⸗ legung feiner Sprüche und Gleihniffe, mit vollfier Ueberzeugung als das Evangelium des Meifters feibft 1), fogar bei Lehrgegenkänden, über weiche er fich nicht ausgeſprochen hatte. Die Ueberzeugung von der Cchtheit ihres Evangeliums gründeten die Apoſtel, da noch feine Meligionsurfunden über die felbfteigne Lehre Chriſti gefehrieben waren, auf ihre Erinnerung an feine: Ausfprüche, indem „der heil. Geiſt fle erinnere an Alles, was Jeſus ihnen gefagt habe" 2). Paulus berief ſich in dieſer Hinſicht theils auf den heil. Geiſt, der in ihm jet, theils darauf, daß auch er den Herrn geſehen habe 2).

Auf die Autorität der Apoftel fügte fih im Weiteren die Autorität der mündlichen Ueberlieferung von den Apoſteln, welche zunächſt Die unmittels baren Schüler derfetben in Unſpruch nahmen. So entfland die Iradi« tion ald Duelle der Ariftlichen Lehre. Später, als Niemand mehr ſich einen anmittelbaren Schüler der Apofel nennen Tonnte und ed unſicher ge=

1) 1. Kor. 7, 40. Apoſtelgeſch. 11, 12; 4b, 28. 2) Joh. 14, 26; 16, 19. 3) 1. Kor. 9, 1.

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worden ſchien, wer den heil. Geiſt habe oder nicht, nahm man an, der heil. Geiſt werde ſich wenigſtens durch eine Verſammlung der angeſehenſten Kirchenlehrer ausſprechen, und auf dieſer Baſis erhob ſich das Anſehen der das Lehrſyſtem weiter bildenden Kirchenverſammlungen, Concilien?). Zu⸗ letzt war es den römiſchen Biſchöfen vorbehalten, die Autorität der apoſto⸗ liſchen Tradition für ſich allein in Anſpruch zu nehmen und dieſelbe, im Fall eines Widerſpruches, höher zu ſtellen als die Beſchluͤſſe der Concilien. Damit war entweder die Offenbarung des heil. Geiſtes in der Kirche ge⸗ läugnet oder es entſtand ein Widerſpruch zwiſchen der apoſtoliſchen Tradi⸗ tion und dem Geiſte des Herrn, woraus dann leicht die mißliche Schluß⸗ folgerung ſich ergeben konnte, die Einwirkung des heil. Geiſtes ſowohl als der Tradition auf nachapoſtoliſche Lehrentwicklung ſei nur eine Illuſton, wenn nicht etwas Schlimmeres. Ein Hauptanlaß zu ſo weit gehender Selbſttäuſchung war jedenfalls, daß man die mündliche Tradition, nach⸗ dem ſie einerſeits durch die Einführung der Coneilien, andererſeits durch den Abſchluß eines kirchlich anerkannten Kanons des Neuen Teſtamentes hiſtoriſch überwunden war, noch immer zwiſchen beiden geltend zu machen beliebte. Beſonders bei den fpäter hinzugefommenen Dogmen wird deutlich genug hevvortreten , daß oft ein nicht fehr Heiliger Geiſt bei ihrer Sanction mitgewirkt hat.

Nach diefen Bemerkungen verfähreiten wir Dazu, die Geftaltung ber Lehre Chriſti in den chriftlichen Kirchen zu verfolgen. Natürlich ift nicht beabfichtigt, eine vollfländige Dogmengefchichte zu jchreiben. Wir geben nur die Hauptzüge. Doc wird fih bei aller Kürze und bei firenger Feſt⸗ haltung unferes culturbiftoriihen Standpunktes nicht ‚vermeiden lafſen, fammtliche Lehrgegenfäge zu berückfichtigen, aus deren Kampf das lirchliche Dogma hervorgegangen.

2.

Zur Weiterentwicklung der Lehre Chriſti hat der Apoſtel Paulus vornaͤmlich in zwei Richtungen beigetragen: für's Erſte durch feine Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben, welche Chriſtus ſelbſt nicht in diefer deutlichen Form ausgeſprochen zu haben fcheint, firs Zweite. durch die Lehre von der Onadenwahl, von welcher aud einzelne Anklänge in den

4) Als Muſter derfelben mochte bie Apoftelverfammlung in Ierufalem angeſehen werden. Apoͤſtelgeſch. 18, 1—29.

91

- Ausfprüden Chrifti felbft, wenngleich nicht in fo fchroffer Geftalt, zu finden find. Daß Paulus den zum Chriſtenthum übertretenden Heiden die Cere⸗ monien des mofatichen Geſetzes, zumal die Beſchneidung, erließ, und biefe äußerkihen „Werke * als unnöthig zum Heil bezeichnete, im Gegenfat zur fireng judaiſirenden Partei unter den Chriften, deren Glieder nachmals Ebioniten genannt wurden, das war nur bie nothwendige Folge⸗ rung aus ſeiner Lehre von der „alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben, nicht durch Werke, damit nicht Iemand fih rühme*1), Was für ein Glaube das jet, der vor Gott vechtfertige, darüber läßt Paulus Niemand im Unklaren, der die Stelle lieft: „In Chrifto vermag einzig der Glaube Etwa? , der durch die Kiebe wirkſam ift*2). Die Begründung diefer Lehre findet fih vornaͤmlich im Briefe an die Galater und in demjenigen an bie Römer 1, 17 6i8 7, 25. Der Gedankengang der Begründung ift unge⸗ fähr folgenter: der Menſch wäre ſchuldig, das ganze Geſetz Gottes ohne die geringfte Ausnahme zu halten. Eine einzige leifefte Uebertretung jchon raubt ihm die Gerechtigkeit vor Gott und kann durch Feine nachherigen guten Werke aufgehoben werden. Da nun alle Menſchen Sünder find, fo - find fle audy alle ungerecht vor Gott und können durch ihre beften Werke feine Rechtfertigung erlangen, müßten mithin den Fluch der Lebertretung tragen und in das Berderben fallen, wenn Bott fich ihrer nicht erbarmıt hätte. Der aber öffnete aus freier Gnade einen neuen Weg zur Rechtferti⸗ gung, den Glauben an Jeſus Ebriftus, feinen. Sohn. Wer an dieſen glaubt, der erfüllt Alles, was Bott im neuen Bunde von dem Menfchen verlangt und wird daher vor Gott fo gerecht, als wäre er ganz rein von Sünden. Durd den Tod Jeſu nämlich ift die Strafe der Sünde ftellver« tretend für und erlitten, fomit für uns aufgehoben und der Gerechtigkeit Gottes genug gefchehen. Aber eben der Glaube an diefe Kraft des Todes Chriſti macht uns theilpaft der Freiheit vom Fluch der Sünde, von der Strafe des Geſetzes. Hinwieder zieht durd den Glauben der heil. Geiſt, das neue Keben in Chriſto, Chriftus felbft in uns ein und durchbringt uns immer mehr, jo daß wir als nee Geſchöpfe nicht mehr uns felbft, jondern Gott und Chriſto Ieben. Der Heil, Geiſt erweckt ja die Liebe zu Gott und Chriſto, das neue Leben ift ein Leben in der Liebe, tiefe aber die Erfüllung

1) Gphel. 2, 8—9. 2) Salat. 8, 6; 6, 18; vgl. 1. Kor. 13, 2.

*

92

bed Geſetes. Darin vollendet ſich die Rechtfertigung vor Bott: wir find zur Kindichaft Gottes gelangt ®).

Die Unterfuhung nun, woher der Glaube eigensfi fomme, führt zu ber Xehre son der Gnadenwahl (Prädeftination). Die Beranlaffung, diefe Lehre zu entwideln, war die Trauer des Pauhrs über den Yinglauben der Juden umd die patriotifhe Hoffnung, fle würden fich einſt doch noch be⸗ fehren. Das ſchwebte ihm ſchon vor, als er die berühmte Stelle Röm. 8, 28-39 niederſchrieb, denn diefe leitete ihn fofort zur Betrachtung des Ver⸗ Hältniffes, in welchem damals die Juden zum Reiche Gottes flanden. Nicht in der beſten Uebereinſtimmung mit den Ausſprüchen Chrifti (Matth. 8, 12—21, A3— 44) lehrt Paulus, Gott habe die Mehrzahl der Juden nur darum gegen den Slauben verftodt, damit die Heiden eingeladen würden in dad Reich Gottes. Set aber erft Die Vollzahl der Heiden eingetreten, fo werden auch die Juden, von ihrer Berftodung befreit, Dur den Glauben in das Reich Gottes gelangen. Died wird begründet dur die Lehre von der Gnadenwahl. Gottes Gnade iſt frei, durch Feines Menſchen Thun oder Lafien beftimmt. Die feine freie Gnade auserwählt, erweckt er zum Glau⸗ ben, die fie nicht außerwählt, verftocdt er gegen den Glauben, d. h. macht ihnen denfelben unmöglih 4). Auf die Frage: „Warum zürnt und denn Gott, daß wir nicht glauben?” antwortet Paulus: „Menſch, wer bil du, der du mit Gott haderſt?“ d. 5. Lie freie Gnadenwahl Gottes ift vollig uns erflärbard) ; denn „unergründlich find feine Gerichte und unerforſchlich feine Wege.” In diefer Schärfe hat Ehriftus die Prädeftination nirgends gelehrt, wenn auch einige feiner Ausſprüche auf eine Gnadenwahl hindeuten, wie z. B.: „Viele find berufen, aber Wenige auderwählt" und „Niemand fann zu mir kommen, e8 ſei ihm denn gegeben von meinem Vater. *

Der Brief des Jakobus, rühre derjelbe her son wen er wolle, ſtellt der Nechtfertigung „dur den Glauben allein” gegenüber die „Rechtfertigung

3) Bol. 1. Kor. 9, 2152. Kor. 5, 19; 5, 18; 1. Kor. 3, 16 fg.

4) Röm. 9, 14—18.

5) Vol. Römer 8, 26 fg. Mit der Lieblofigkelt des Rauliniſchen Dogma's von der Gnadenwahl contraftiet übrigens ſehr fchön das befannie 13. Kapitel des 4. Korintherbriefes. Es wird da (B. 2) ein Glaube ohne Liebe geradezu verworfen. Bon derartigen Gegenfägen und Widerſprüchen flrogen überhaupt, wie Jedermann

weiß, die neuteftamentlichen Uxfunden. Die Theologie may diefe Begenfägt und Widerfprüce zu vermitteln ſuchen, die Tulturgeſchichte hat fie zu nottren.

%

aus den Werken"). Den Glauben ohne die Werke nennt er tobt und ver- gleiht ihn mit einem entfeelten Leibe. Hier iſt offenbar der Glaube als ein bloßes Fürwahrhalten genommen, nisht im Paulinifchen Sinne.

3.

Als eine wichtige Weiterentwidlung der Lehre Jeſu erfcheint ferner bie Logosidee des Johannes, welche ſich beſonders im erſten Kapitel feines Evangeliums darſtellt. Dad Weſen Jefu wird bier aufgefaßt als „das Wort (Aöyog), welches von Anfang an in Gott war, durch welches alle Dinge geworden, welches endlich in Iefus Chriſtus menjchliche Geſtalt anges nommen.” Daß dabei an ein Wort im gewöhnlichen Sinne nicht gedacht werben kann, verfteht fih wohl von ſelbſt. Dieſes Wort, der Logos, be⸗ zeichnet, denken wir, das Ideal, nad) welchem Gott die Welt, und zugleich das fittliche Ideal, nad) welchem er ken Menſchen ſchuf, ald wirkfamer Wille Gottes gedacht, daher ed auch ald dad „Licht und Leben" bezeichnet wird und Chriſtus ald das verwirklichte göttliche Ideal des Menjchen erſcheint. Diefe Lehre erinnert zwar nicht undeutlich an die Logoslehre des Alerandri- ners Philo, laßt fich aber gleichwohl vielleicht noch anders al8 aus dem Ein- fluß alerandrinifcher Meligionsphilofophte erklären, Chriſtus felbft hatte feine Lehre oft mit befonderm Nachdruck fchlechthin ale „dad Wort bezeich- net), auch ald dad „Wort Gottes" 2). Es kam hinzu, daß Gott nad) der moſaiſchen Urkunde und den Palmen durch fein Wort die Welt erfchaffen, Jeſus jelbft aber durch feine Zeichen ſchöpferiſche Kräfte an den Tag gelegt zu haben ſchien. Diefe drei Umftände zufammengefaßt mit dem weiteren, daß Jeſus fich felbft Gottes Sohn genannt, erklären die Entflehung der Logoslehre für ſich allein hinlänglih. Nähme man aber an, das Evangelium Iohannis fei wirf- ich unter alerandrinifhem Einfluß zu feiner Logoslehre gekommen, fo ließe fich nicht wohl begreifen, warum es gerade in der Zeit, wo der Kampf gegen den wirflich aus alerandrinifchem Einfluß Hervorgegangenen Gnoſticismus am beftigften entbrannt war, fo allgemeine Firchliche Geltung erringen Tonnte. Sp viel ift jedenfalls fiher, da die Logodidee die erfte religions⸗philo⸗ fophiiche Auffaffung des Weſens und der Perfon Chriſti if.

Außer ihr findet fich in den kanoniſchen Schriften des N. T. noch eine

6) Sat. 2, 14—26.

41) Matih. 13, 21—23. Marl, A, 14. Joh. 12, 48. 2) Luf. 11,8.

94 | ®

andere, nicht von Chriſtus felbft ausgeſprochene Lehre, welche ſich aber auf fein Erlöſungswerk bezieht. Wir meinen die Lehre con dem Herabſteigen des geftorbenen Chriftus in die Unterwelt (1. Betr. 3, 18—20 und 4, 6), den Scheol der Hebräer, um den in der Sündflut Umgekommenen das Evan- - gelium zu predigen und fie dadurch zu erlöſen 3), Daraus hat denn das apokryphe Evangelium Nikodemi ein Herabfahren Chriſti zur wirklichen Hölle, dem Orte der Verdammniß, gemacht und d hierüber die aberwißigften Dinge erzählt.

4.

Die judatfirende Partei unter den Ehriften, fhon von Paulus: in “feinen Epifteln eifrig befampft, führte den Kampf ein volles Jahrhundert hindurch, biß fie fich ihrer Mehrheit nach zu einer Ausgleichung herbeiließ. Ihre Mitglieder Tiebten e8, fich ald „die Armen diefer Welt” (Ebioniten) zu bezeichnen, welcher Name der halsſtarrigen Minderheit nad erfolgter Ausgleihung ald Seftenname blieb. Die Einen behaupteten die Verbind« lichkeit des altteftamentlichen Geſetzes ſammt der rabbinifchen Tradition für die Chriſten, die Milderen ließen einen Profelgtengrad der Heidenchriften zu. Das Chriftenthum galt ihnen demzufolge nur ald dad vervollkommnete, univerfell gewordene Iudenthum. Feſthaltend am Meiftasbegriff Täugneten fie die Ewigkeit des Weſens Chrifti und behaupteten theils, ex fei nur der Sohn des Joſeph und der Maria, theild, er fei in der Iungfrau Maria er zeugt durch den heil. Geift. Als Urkunde ihrer Anfichten find befonders die Glementinen erwähnenswerth, deren Lehren übrigens nicht weit von Gnoſticismus entfernt ſcheinen.

Der Paulinismus ſagte aber dem qrifllichen Bewußtſein weit mehr- zu, da er durch die Lehre von der alleinigen Rechtfertigung durch den Glau- ben an Jeſus Chriſtus und daherige Verwerfung des Gefeged und der Rab⸗ binen Ehrifto exft feine volle welthiftorifche Bedeutung gab und das Ehriften- thum, vom Judenthum befreit, zur Selbftftändigfeit erhob. Um jo höher wurde feitdem das Wefen Chrifti felbft geftellt und die Logoslehre, welche biefem Erforderniß entſprach, brachte bald die völfige Ueberwindung bes Ebionitismus zu Stande. Kaum jedoch begannen die Ehriften hierüber ſich

3) Die Stellen Eph. 4,9. Roͤm. 10, 7. Apoftelgefh. 2, 27 können unferes Erachtens nur vermöge eregetifcher Düftelei hiehergezogen werben.

4 95 zu einigen, fo regten auch ſchon die religionsphilofophifcgen Syſteme der Gnoftifer das Beſtreben an, die gegebenen Lehren des num emanziptrten Chriſtenthums in are Begriffe zu faffen, und fo mächtig wirkte durch ihn das hellenifche Element, der Drang nach begrifflicher Darftellung, daß fort» an eine Xehre nach der andern vorgenommen ward, um in allgemein aner- kannte begriffliche Form gebracht, d. h. zum Dogma geflaltet zu werden,

Zuerft entfland aus Veranlaffung der Logodlehre der Streit zwiichen den Subordinattanern und Monardianern. . Die Erften hielten Chriſtus für ein ſchon vor feiner Menſchwerdung perfönliches, Bott eben⸗ bildliches, aber demfelben untergeordneted Weſen. Die Legtern betrachtes ten CHriftus entweder als bloßen Menfchen, durch den göttlichen Geift in der Jungfrau Maria erzeugt, oder für eine Offenbarung und Erfcheinung Gottes felbft auf Erden. Diejer Streit, fehon feit Mitte des 2. Jahrhunderts begonnen, endigte mit dem Siege der Subordinatianer und kirchlicher Ver⸗ werfung der beiden gegnerifchen Anftchten.

Bevor aber das Verhältniß zwiſchen Gott, Ehriftus und dem heil. Geifte jeine Eirchlich ausgeprägte Form erhalten konnte, follte noch ein an« derer weit heftigerer Streit die Chriftenheit bewegen.

Meber die Behauptung der von dem Presbyter Arius geftifteten arianiſchen Partei, der Logos ſei einft durch den göttlichen Willen aus Nichts geihaffen worden, erſtes Geſchöpf und Weltfchöpfer, daher nur ähnlichen Weſens mit dem Vater, flegte auf der Synode zu Nicäa die Partei des Biſchofs Alerander und ded Diakons Athanafius. Aber nur durch Fatjerlihen Machtſpruch ſetzte diefelbe als vechtgläubig durch die Formel: „Chriſtus ift der eingeborne Sohn Gottes, erzeugt aus dem Wefen des Va⸗ ters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, erzeugt, nit erihaffen, gleichen Weſens mit dem Vater” 2). Dies gewaltthätige Verfahren war der Grund, warum der Streit nur um fo heftiger entbrannte und neue Parteien ſich bildeten, die ſemiarianiſche, welche behauptete, „der Logos fei zwar von Ewigkeit aus dem Wefen des Vaters gezeugt, aber ihm doch nur weſen s— ähnlich“, und die der Anomoier, welche alle göttlihe Wefenheit Chriſti Taugnete. Die Synode zu Konftantinopel entfchied zum zweiten Mat den Sieg der Athanaflaner 2); aber die Arianer fanden ihnen noch

1) 3. 3. 328. 2) 3.3. 381.

d

% | . | Jahrhunderte lang in gleicher, oft überlegener Stärke gegenüber, bis end⸗ lich die ganze Kirche Das athanaſiſche Befenntnig annahm. Die Synode

son Konflantinopel war e8 auch, welche die Weſenggleichheit des Heil.

Geiſtes mit Gott dem Vater nad) Tangjährigem Schwanfen der Meinungen hierüber fefließte. Damit war dad Dogma der Dreieinigfeit abgefchlofien ind zwar jo: „Ein Gott, in ihm drei Perjonen, der Vater, und bie von ihm auögehen, der Sohn und der heil. Geiſt. Ihr Gemeinfames tft Die göttliche Weſenheit; aber jede hat ihre Eigenthiunlichkeit, Durch welche fie . Perſon iſt.“ In dem nad Athanaflus genannten Symbol wird dieſe Drei⸗ einigkeitslehre ald Summe des chriſtlichen Glaubens feflgefegt und von ihrer Annahme die Seligkeit abhängig gemacht, natürlich geftügt auf die Lehre von der Nechtfertigung dureh den Glauben, den man jedody damals bereits nicht mehr im paulinifchen Sinne verftand. Damit Fam der Entwiclungd- kampf der Logosidee für eine Weile zur Ruhe. Uber der theologifche Zank ruhte deßhalb nicht: es erhob ſich fofort der pelagianifche Streit.

5.

Pelagius behauptete: Die fittliche Willendfreiheit ift dem Menfchen angeboren, das Böſe hingegen fo wenig, ald das Gute. Die Sündhaftige feit erjcheint daher, nur als gewordener Zuſtand, nicht ald urfprüngliche Berderbtheit der Menfchennatur. Alle Menjchen find durch Gotted Gnade zur Seligfeit beftimmt und berufen. Je nad feiner Vorherſehung, wie die Menfchen die natürlichen und geoffenbarten Mittel zum Heil benugen werden, bat Gott dieſe Mittel unter die Menſchen verjchieden auöges theilt. Es gibt verfchiedene Grade der Befreiung von der Sünde und ſo⸗ mit auch des Verdienſtes vor Gott. Diefen entfprechen verſchiedene Stufen der Seligfeit. Die höhere, das Himmelreich, fann nur durch Gefeg und Evangelium errungen werden, die niedrigere, als Vorbildung zu berfelben, auch von foldyen, die weder Gefeg nod Evangelium fennen, nämlih von ' Heiden und Kindern, auch ohne die Taufe. Letztere Stufe nennt Pe— lagius das ewige Leben. Gerechtfertigt wird ber Menſch nicht durch Bei— meflung fremder Gerechtigfeit, fondern dadurch, daß er ſich zu dem Grabe ber Tugend erhebt, welchen zu erreichen ihm nad den verliebenen Gaben und Heildmitteln möglich ift.

Dagegen lehrte Auguftinus: In Adam haben alle Menfchen ges

97 fündigt 1). In Folge des Sändenfalls- der Menfcheneltern. ift Die Menſchen⸗ natur völlig verderbt an Seele und Leib, hat alle fittliche Freiheit einge⸗ büßt, feine Kraft mehr zum Guten, einzig zum Böſen. In Allen Herricht die fleifchliche Begier (ganz allgemein gefaßt) und bringt Alle unter die Knechtſchaft der Sünde. So viel an un liegt, können wir nichts Anderes als die Verdammniß verdienen. Nicht nur den Gang zur Sünde und bie Sünde jelbft, auch die Sünden Schuld haben wir von Adam ererbt. Die Erb⸗ fünde ift Strafe und nothwendige Folge des adamitifchen Sündenfalle. Als Sünder und Berdammte werden wir geboren. Nun aber beihloß Gottes unerforjchlicher, freier Wille, durd Chriſtus einen Theil der Menſchheit zu erretten. Gott erwählte einen Theil ver Menfchen, nicht alle, daß ihnen durch Geſetz und Evangelium die Möglichkeit des Heild gegeben werde. Unter diefen erwählte er wieder nur einen Theil; denn die Taufe, welche alle Chriſten empfangen, verichafft ihnen bloß die Erlaffung ver Erbfünden- fchuld, befreit fie jedoch nicht von dem innerlichen Bortwirfen der Erbfünde. Einer vorher beftimmten Anzahl ter Getauften wirt dann noch die innerliche, verborgene Wirfung des Heil. Geiſtes verliehen ald die wirkſame Gnade Gottes, welche Erleuhtung und Heiligung, dadurch aber Rechtfertigung und feligmachende Gerechtigkeit ſchafft. Unwiderſtehlich ift diefe wirffame Gnade in Folge von Gottes Allmacht. Die fle jedoch nicht empfangen, fallen, wie auch die ungetauften Kinder und die Heiden, in die ewige Verdbammniß. Dem⸗ zufolge hat Gottes unbedingt freier Wille von Ewigkeit: her unabänderlich die Einen zur Seligfeit, die Andern zur Verdammniß beflimmt. Bon einem Verdienſt des Menfchen vor Gott fann mithin feine Rede fein, nicht einmal bon einem eigenen Mitwirfen zu feiner Seligfeit: Gott thut Alles.

Auf der allgemeinen Synode zu Ephefus wurden die Belagianer ver⸗

dammt 2), allein ungeashtet ſeines Sieges wollte der Auguſtinismus in feiner

Schroffpeit weder unter den Glietern ter orientalifchen noch ter occidenta⸗

liſchen Kirche recht Wurzel ichlagen. Ja, gerade aud dem Schooße der abend⸗

laͤndiſchen Kirche, welche den Auguſtinismus geboren, trat bald der Semipes lagianismus hervor und wurde allmälig zur berrichenden Macht, auf Grund der vermittelnden Anſicht: die firtliche Kraft des Menfchen jei durch Adams Fall zwar nicht völlig verdorben, hingegen geſchwaͤcht. Die Gnade könne

4) „In den Eenden Adams“, druͤckt ſich Auguftinus aus. 29) 3.3.43. Scherr, Gef. d. Religion. IH. 7

angensmmen oder auch zurädigewiefen werben ; jedoch vermöge ‚der Menfch ohne fie gar Nichts. Die ſtrenge Praͤdeſtination (Borherbeſtimmung zur Gelög- Seit oder Berdammnig) wart fallen gelaffen, ebenio auch jedes Verdienen ber Seligkeit. Dem Pelsgianismus gegenüber hob man befonber& hervor, dag die Wirkfamfeit der Gnade weſentlich am die Heilſmittel der Kirche Ghriſti, zumal an die Taufe gebunden ſei.

6.

Während fid) die Enticheidung des pelagianiichen Streiteö vorbereitete, erbob fi der nefterianifche, gleichfam als ein Kanıpf zwifchen den beiden großen Schulen des Orients, Antiochien und Alerandrien. Er betraf bie göttlihe und menjchlide Natur EHrifti in ihrem Verhaͤltniß zu einander. Neſtorius betrachtete die Nenſchwerdung Ehrifti ald ein Wohnungnehmen der göttlihen Netur in der menfchlidden. Beide wirken zufammen zu dem⸗ felben Zwede , find aber nur mit einander verbunden, nicht zur Einheit ver- fhmolzen, fo dag Ehriflus zwar eine einheitlihe Perſon ift, in derm Schickſak jedoch dad Eine nur feine menſchliche, das Andere nur feine gött- liche Natur in Aniprub nahm. Cyrillus von Alerandrien ftellte dem entgegen die förmlidie Menfhwerbung bed Logos in Chriſtus, Die gegen- feitige Durchdringung und Berfchmelzung feiner beiden Naturen. Chriſtus it der Gottmenſch, in welchem fi die göttlichen und menſchlichen @igenfchaften gar nicht mehr von einander unterfhheiden laſſen. Selbſt fein Leib ift den Logos eigenthümlidy geworden. Die oben erwähnte Synode zu Epheſus verdammte die Lehre des Neftorius. Die Gottmenfchlichkeit Chriſti nach Eyrillus blieb fortan allgemein anerkannte Kirchenlehre; aber bie Sekte der Neftorianer befteht noch Heutzutage im Orient.

An dieſem Streite über die Raturen Chriſti Hatte jedoch die griechiſche Spigfindigkeit no nicht genug. Eutyches, Archimandrit in Konſtan⸗ tinopel, wagte die Lehre von der Vereinigung beider Naturen fo weit zu treiben, daß er behauptete, bie menſchliche Natur Chriſti fei in der gött« lichen völlig aufgegangen und mit ihr zu einer Ratur geworden. Nach mannigfachen vorangegangenen Schwankungen ward durch die allgemeine Synode zu Chalcedon 1) feftgefegt: Zwei Naturen find unvermiſcht, aber - auch ungertrennli in der einen Perfon Chriſti vereint. Die alexandri⸗

4) 3.3. 481.

9

niſche Richtung, welche bie göttliche Natur Eyrifi einieitig hervorgehoben, ohne jedod ganz dem Euthches beizuſftimmen, nahm an diefem Beſchlufſe Auſtoß und erhob fi Dagegen als monophyſitiſche Vartei. Obwohl jelbft wieher in verfchiedene Richtungen zerfallend blieb fie Doc fo mächtig, daß man fie mit der Kirchenlehre zu verfühnen juchte durch den Sag: Chri- flus habe zwar zwei Naturen, aber beide äußern ſich nur in einem Willen. Das rief aber uur wieder den monotheletifden Streit hervor. Den Abſchluß dieſer Meinungskämpfe über das gottmenſchliche Weſen und Wollen Chrifti bildete endlich der Beſchluß ter 6. dkumeniſchen Synode zu Konſtan⸗ tinopelD), welcher ald Kirchenlehre geltend machte: Verſchiedenheit der bei⸗ den Naturen Eprifti ungeachtet ihrer Vereinigung, demnach in phyſiſchem Betracht eigentlich zwei Willen Chriſti, einen göttlichen und einen menſch⸗ lihen, nur in moralifher Hinfiht Einheit Diefer beiden Willen. Die Monophyfiten ihrerjeitd nahmen feinen Antheil mehr an diefer letztgenann⸗ ten Fixirung der Firdlichen Lehre. Seit 536 bildeten fie in Aegypten die koptiſche, feit Anfang des 6. Jahrh. in Aflen die armeniſche Kirche und feit Mitte deffelben Jahrhundert in Syrien und Mejopotamien die Me- ligiondgemeinichaft der Jakobiten.

Bon den Streitigkeiten, welche das Verhältniß der Perfonen der Drei⸗ einigfeit zu einander betreffen, fallen die beiden legten in das 8. Jahrhun⸗-⸗ dert. Die eine, gegen Die Adoptianer, warb nur innerhalb der abend- ländiſchen Kirche durchgefochten. Zwei fpanifche Biichöfe nämlich hatten die Lehre ausgebildet, feiner menfchlihen Natur nach fei Ehriflus nicht ur⸗ ſprünglich Gotted Sohn, fondern von Gott zu feinem Sohne angenommen, adoptirt. Diefe Lehre ward auf der Synode zu Aachen 3) verworfen und da⸗ gegen aufgeftellt, Chriſtus fet auch nach Annahme der menſchlichen Natur, hinſichtlich beider Naturen eben fo urfprünglich Gottes Sohn, wie vor der Menfchwerdung. Der Sohn Gotted und der Sohn ber Jungfrau iſt der⸗ ſelbe; denn auch die menfchlihe Natur Chriſti Hat Maria durch göttliche Beugung empfangen. Der zweite Streit, entflanden zwifchen ber morgen» und abendlaͤndiſchen Kirche, zu deren Trennung er Vieles beitrug, betrifft das Verhaͤltniß des Heil. Geifled zum Vater und Sohne. Shen im 8. Sahrhundert viel auf Synoden des Abendlandes verhandelt, warb bie

2) 3. 3. 68081, 3) 3.3. 799. 7%

100

r

Lehre der römifchen Kirche, der heil. Geift ſei nicht nur vom Vater, ſondern auch vom Sohne audgegangen, von Ver durch den Patriarchen Photius 1. 3. 867 nach Konftantinopel berufenen Synode der griechifchen Kirche ver⸗ worfen und Hierauf Bann und Entjegung über den Papft ausgeſprochen. Jede der beiden Kirchen blieb bei ihrer Lehre bis auf den heutigen Tag.

Die übrigen kirchlichen Streitigkeiten, welche auf Feſtſtellung des Dog« mas Einfluß Hatten, betreffen nur noch Gegenftände des Eultus, nämlich die Bilderverehrung und da8 Abendmahl. Vergeblid war eine Reihe griechifcher Kaiſer gegen die Bilderverehrung mit Gewalt eingefchritten und hatte Die Synode von Konftantinopel unter Konftantinus Kopronymus 4) diefelbe verworfen: die Anhänglichfeit der Menge an dieſe finnliche Manier der Religiondübung wurde dadurch nicht zerftört, um ſo weniger, da der Bilderdienſt an Rom einen Rückhalt hatte. Bei den Zuſtänden am byzan⸗ tinifchen Hofe muß es auch ganz in der Ordnung befunden werden, Daß dem Bilderdienft dort durch zwei rauen zu vollftändigem Triumph vers, bolfen wurde3). In der abendländiſchen Kirche Fonnte dieſe Verheidung des Chriſtenthums erft fpäter durchgefegt werden. Namentlich adoptirte bie germanifche Kirche, nachdem fte fih lange dagegen gefträubt 8), erft im 10. Jahrhundert die von Rom gewollte Bilderverehrung.

Der Abendmahlöftreit, durch die Verwandlungslehre des Paſchaſtus Nadbertu angeregt, bewegte die abentländifche Kirche allein. ‚Hatte ſchon Papft Gregor der Große in irgend einer Dogmatifchen Verzückung flatt des Abendmahlsbrotes plöglich einen blutigen Finger in feiner Hand gefehen, galt zudem als Firchliche Lehre, daß auch der Leib Chriſti unmittelbar von Gott gezeugt, aljo göttlicher Eigenfchafien ebenfalld theilhaft fei: fo lag es nicht mehr fern, die bisher buchftäbliche Auffaffung der Worte: „Das ifl mein Leib, dad ift mein Blut!” zu vertaufchen mit ber Lehre, daß bei ber Beier des Abendmahls das Brot und der Wein in wirkliches Fleiſch und .Blut Chrifti fh verwandle, indem Gott den Leib Chrijti flet3 von Neuem

4) 3.5. 754.

85) Durch die Kaiferin Irene, welcher zu Gefillen im Jahre 787 die Synode von Nicaͤa die Bilder als Gegenftände Firchlicher Verehrung anerkannte, und durch bie Kaiferin Theodora, welche im Jahre 842 ein förmliches Siegesfeft der Bilderverehrer fiftete,

6) Die von Karl dem Großen berufene Synode von Frankfurt (im Jahre 794) Hatte fich entfchieden gegen den Bilderdienft ausgefprochen.

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erzeuge, wie einft im Leibe der Marie. Daburd werte, lehrte Radbert, das Abendmahl theils zu einem ſteks ſich wiederholenden Verſöhnungsopfer, theils zu einer ſtets erneuten Menſchwerdung Chriſti, letztere freilich im Leibe des einzelnen Chriſten. Zuerſt traten Rabanus Maurus, Ratram⸗ nus und Scotus Erigena gegen dieſe Lehre auf, und der Streit blieb damals, im 9. Jahrhundert, ohne kirchliche Entſcheidung. Als aber zu Anfang des 11. Jahrhunderts Berengar von Tours neuerdings gegen die Verwandlungs⸗ lehre Oppoſition erhob, war die öffentliche Meinung ſchon ſo ſtark für die⸗ ſelbe eingenommen, daß Berengar durch ſeinen Freund Gregor VOL nur mit Noth vor dem Anathema errettet werden Eonnte. Die Lehre des Paſcha⸗ fiud erhielt volle Firdliche Sanction im Glaubensbekenntniß der großen Lateraniguode unter Papft Innocenz IM. im Jahre 1215.

T.

Während nun die Grundzüge des kirchlichen Glaubensſyſtems durch förmliche Veſchlüſſe der öfumenifchen und ſpäter ter fpeztell griechiſchen und abendländiichen Synoten ſich ausbildeten, entwidelten fich neben ihnen die übrigen Dogmen meift in ftillerer Weife durch tie Schriften der Kir- Yenväter, deren Anſehen die öffentliche Meinung für ihre Kehren gewin⸗ nen konnte. Aber auch die fpätern Theologen nahmen an Liefer Kortbils bung der Lchren noch Theil und ebenfo betingte theils der jeweilige Zuftand des fittlich-religiöfen Lebene unter den chriſtlichen Völfern, theils das In⸗ tereſſe der Hierarchie, endlich die Umbildung der ſocialen Verhältniſſe die Richtung , welche die Lehrentwicklung einſchlug. Wir ſehen uns daher ge⸗ nöthigt, jede einzelne Glaubenslehre in ihrer Entwicklung bis dahin zu ver⸗ folgen, wo wir oben abgebrochen haben, naͤmlich bis zum Beginn des Scholaſticismus in der abendländiſchen Kirche, welcher das Dogma als bes reits Abgeſchloſſenes mit Huͤlfe ariſtoteliſcher Denkformen zu durchdringen und zu begründen ſuchte. Zugleich weiſen wir darauf bin, daß in ber orientaliſch⸗ griechiſchen Kirche die Dogmengeftaltung mit dem Bilderftreit ihr Ente erreicht, um erft nah der Reformation wieder einen ſchwachen Anlauf zu nehmen, während in der abendländifch- römiſchen Kirche der Scholaftieisnrus nur eine neue großartige Bewegung in der Lehrentwicklung vorbereitete. | Die alten chriſtlichen Kirchenlehrer oder Kirchenvaͤter, wie man ſie zu nennen gewohnt iſt, find keineswegs anzuſehen als Solche, die ihre Lehren

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allein aus den chriſtlichen Bewußtſein herausgebildet Hätten. Cie waren beinah alle mit den Philofophemen der Alten bekannt, befafien claffiſche Bildung und legten nicht felten eine große Originalität philofopbticher oder auch, wie z. B. Tertullian,, phantaflereicher Anfchanung an den Tag. Erft bei den Kirchenlehrern nach Auguftin fangt man dieſe Eigenfchaften zu vers mifien an. Die Kirihenlehrer vor Angufin waren die Wortführer der katholiſchen oder kirchlichen Partei gegen die Gnoſtiker und andere Häre- tiker, fowie der Ehriſten überhaupt gegen Iuden und Heiden. Begreiflich daher, daß fie viele chriſtliche Lehren im Gegenſatz wider die Genannten als Ausdruck ves kirchlich⸗ chriſtlichen Bewußtfeind genauer formuliren mußten.

Nach diefen Bemerkungen beginnen wir die Darftellung der einzelnen Lehren in ihrer Entwidlung mit der Lehre von Gott, feinen Elgenſchaften und feinem Verhaͤltniſſe zur Welt.

8.

Inwieweit Chriſtus felbſt die altteſtamentliche Idee von Bott verbolle fommnete, haben wir geſehen. Er gab fie meiſt in Form populärer Bor« ftellung. Den Uebergang zu eigenfliher Begriffsbeſtimmung erkennen wir mit befonderer Deutlichleit in den Schriften des Apoſtels Paulus, wie im Ceangelium und den Briefen Johannis. Nicht zufällig, denn in den. Schriften dieſer beiden Richtungen treffen wir zugleich die theologiiche Spe⸗ enlation Aber das Weſen Chrifti und fein Erlöfungsweit. Hatte naͤmlich Gott durch die Erſcheinung Chriſfti im praftifch weligiöfen Bewuftfein eine ganz; andere Stellung genommen, als zuvor, Tv mußte mit dem Erwachen des Denkens über Chriſtus auch Das begrifflice Denken über Bott begin« nen, und je nad) dem Chriſtus gedacht ward, mußte auch der altteſtam ent⸗ liche Gotteßbegriff umgeflaltet werden. In den Anfichten der Gnofliker, der Montaniften und Ebioniten nuangirte ſich derſelbe mannigfaltig %). Im

. 4) Die Gueſtiker Ichrten, wie belannt, einen Weltſchoͤpfet, welcher nicht Goti ſelſt Sei, und ein Bonewiglaiifein ter Materie neben Bolt. Die Montaniſten und Cbioniten accentuirten die Perfönlichkeit Gottes fo flark, daß fie ihm auch einen Körper beilegten. Auch der Kicchenvater Tertullian (Presbyter zu Karthago, fl. 220) neigte ſich diefer Anfiht zu. Dagegen verfchafften die Rirchenväter Origenes (um 328 Presbyter zu Ehlarea) und Elemen®, Haͤupier der alexandriniſchen Schule, ihrer‘

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Algemeinen jedoch wurde Bott im panlinifhen Sinme*) als Inbegriff alles Seienden gefaßt und wurde dabei, ebenfalls nach Paulus’ Vergang 3), bie: Unerforſchtichten ſeines Weſens betont.

In Betreff der Eigenſchaften Gotted richtete man n fein Augenmerk bes fonderd anf die Allgegenwart, welche mät ber Perfönlichkeit Gottes, und auf die Allwiffenheit, welche mit der Freiheit des Menſchen nicht leicht ver⸗ einbarlich fchten. Gleichwohl warb an beiden feftgehalten. Die Erfhaf- fung der Welt and Nichts ließ Die Kirchenlehre durch den Logos vermittelt werben. Der beibnifchen Lehre von der blinden Nothwendigkeit im Kauf der Schickſale ward eine väterliche Vorſehnng, den gnoftifhen Syfemen, weiche die Entfledung der Welt alß einen Abfall von der Gottheit betrach⸗ teten, ein gütigeö und weifed Walten Gottes In der Welt gegenübergeftrllt. Auch unter den Streittgfeiten über das Weſen Chriſti und fein Verhältniß zu Bott behauptete fich jene pauliniſch⸗platoniſche Anficht von der Unbegreif⸗ lichkeit des göttlichen Weſens und feiner abſoluten Exhabenheit über alles Endliche, zumal durch Baftlius den Großen, ©regor bon RHffa und Gregor von Nazianz. |

9.

Die Lehre von der Erlöſung und von der Verſöhnung zeigte in den exſten Iahrhunderten ebenfalld noch viel Schwanfendes, Die Gnofiker, ihrem tualifiichen Standpunkt zufolge, faßten die Erlöfung als eine Bes freiung aus den Feſſeln der Materie, die Ebtoniten ald Wiederherfichlung der reinen Iheofratie, Origenes nach dem Vorgang ded Evangeliums Jo⸗ hannis als das Erjcheinen des göttlichen Ebenbildes, von weldem über bie Menschen eine neue, göttliche, fittlich wiebergebärende Kraft audgegangen: ſei. Mehr an Paulus flo fh, was die Verfühnungslehre betrifft, die Genugthuungs⸗ (Satiöfactiends) lehre in ihres gnoſtiſchen und kirchlichen Geſtaltung an. Nach der gnofiichen Anſicht, zumal des Marcion, befreite Jeſu Tod die Menfchen aus der verberblicden Gewalt des von Gott unter« ſchierenen Weltſchöpfers, indem er jenen, den Gott ter Gerechtigkeit, zwang, Die gegen den fündenreinen Jeſus durch Bewirkung feines Todes begangent

Vorſtellung von Bott als einem reinen koͤrperloſen Geiſt (abſolutes Denken) die Herr⸗ ſchaft im kirchlichen Bewußtſein. 2) „Bon ihm und durch ihn und in (zu) ihm find alle Dinge.“ Roͤm. 11, 36. 3) Rim. 11, 33. Bol. 1. Kor. 2,9. und 1. Uimeih. 6, 15-40,

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Ungerechtigkeit zu fühnen, welche Sühne in der Aufhebung des Verderbens für die Ehriften beſtehen follte. Die Kirchliche Lehre ſogar hielt den Tod Sefu nicht für eine Genugthuung gegen Gottes Gerechtigkeit, fondern für ein vom Teufel begangenes Unrecht, welches denfelben nötbigte, fein Hecht auf die fündigen Menfhen fahren zu lafien. Origenes vollends ſah Die Seele Jeſu für ein dem Teufel bezahltes Löfegeld an, wodurch aber der Teufel getäufcht worden, da er daflelbe annahm, ohne zu wiſſen, daß ihm über die Seele des Gottesſohns Feine Macht zuſtehe. Anderfeits freilich hielt fih Origenes an den Standpunft des Gebräerbriefed und betrachtete Jeſus als den ewigen Hohenpriefter, weldyer aus Liebe zu Gott ſich felbit zum Opfer dargebracht habe zur Tilgung ber Sündenſchuld aller vernünfe tigen Wejen und verſöhnend in diefem Sinne fortwirfe bis zum Ießten Tage. _

Das folgente Zeitalter Hielt in Auguftinus und Gregor von Nyffa an der Lehre von der Erlöfung durch rechtliches Verfahren, beziehungsweife durch Betrug gegen den Teufel, feſt, doch erhob ſich Gregor von Nazianz gegen ein dem Teufel bezahltes Löſegeld, während Andere flatt des Teufels den perfonificirten Tod als die betrogene Partei binftellten. Ferner ward in bibliſchem Sinne dad Leiden Chrifti als flellvertretend für die Strafe der Sünter gefaßt und ihm, als tem Leiden des Gottmenfchen, ein unend- licher Werth beigemeflen. Bei aller damaligen Hochftellung des Wefens Ehrifti Hat man durch die ſtrenge Prädeftinationslehre doch der umfaffenden- Bedeutung feines Erldfungswerfed großen Abbruch gethan. Vergleichen wir übrigens die damalige Erlöfungslehre mit derjenigen der Evangelien, ſo ftellt fih heraus, daß in Tegterer mehr althebräifche, in erfterer mehr römiſche Rechtsbegriffe hervortreten, wie fpäter in der Erlöfungslehre des Anfelm von Canterbury fich die germaniſchen Rechtsbegriffe geltend machen.

Die dritte Periode konnte in ihren Wortführern, Gregor 1.1), Iſidor von Sevilla und Johannes Damascenus, ebenfowenig von der juridifchen Erlöſungs⸗ und Sühnungstheorie loskommen und Scotus Erigena fand mit feiner abweichenden Lehre zu hoch über feiner Zeit, daber vereinzelt im Meer tes Zeitbewußtfeins.

Ueber tie Lehre von der Perfon Sri ift bei diefer Gelegenheit noch einiges Bemerkenswerthe nadyzutragen. Da die Gnoftifer fi die Suͤnd⸗

1) Roͤnuſcher Bifhof 800-604,

105

Iofigfeit Chriſti nur erflären Eonnten durch Die Annahme, er ſei von jeber Berührung mit der Materie, dem Prinzip des Böſen, frei geblieben, fo waren ſie zu der Behauptung genöthigt, die irdifche Dafeindform Ehrifti jet eine bloß Scheinbar menfchliche geweien (Dofetismus), fet ed, daß fein Leib aus überirdifhen Stoff gebildet war und nur menſchlich ſchien, wie die Ginen annahmen, jei e8, daß fein Leib wirklich irdiſch, aber. nur von der Taufe im Jordan bie zum Eintritt des Leidens ald Außere Hülle zum Bwede menichlicher Mittheilung angenommen war, wie die Mehrzahl der Gnoſtiker glaubte: M @

Dem gegenüber hielten bie Kirchenlehrer, damit ihnen nicht am Ende | die ganze evangeliſche Geſchichte verflüchtigt werde, fireng an der. Xehre, Jeſus Chriſtus fei als wahrer, wirklicher Menſch don der Jungfrau Maria geboren. Man ſchrieb ihm einen wirklichen Menſchenleib zu und bald, un⸗ geachtet der pauliniſchen Lehre, daß „in Chriſto die Fülle der Gottheit leib⸗ haftig wohne“ und ungeachtet der Logoslehre, auch eine wirkliche Menſchen⸗ ſeele. Nachdem die Streitigkeiten über die Trinität und das Weſen Chriſti mehrmals nahe an den Doketismus geführt, und ſogar die Formel „Gott hat gelitten“, ſowie die Bezeichnung der Maria als „Gottgebaͤrerin“ ortho⸗ dor geworden, nachdem das Zeitalter der ökumeniſchen Synoden ſelbſt den Leib CHrifti zum göttlichen Logosleibe erhoben, blieb dennoch die Wirklich“ feit der menſchlichen Natur Ehrifti im Allgemelnen unumſtößliches Dogma

der Kirche.

10.

Was die Lehre von der Menſchenſeele angeht, ſo finden wir in der aͤlteſten Zeit als herrſchende Anſtcht Ten Spiritualismus, d. h. die An⸗ ſicht, die Menſchenſeele ſei ganz geiſtigen Weſens. Als die Haupteigen⸗ ſchaften derſelben betrachtete man ſittliche Freiheit und Unſterblichkeit. Schon damals waren aber in Hinſicht auf die Entſtehung der Menſchenſeele drei Anſichten mit einander im Streite: 1) Die Seele habe ſchon vor ber Zeugung eriftirt (Präeriften;); 2) die Seele fei bei der Zeugung von Gott geſchaffen worden (Creatianismus); 3) die Seele fei durch tie Zeugung von den Eltern auf dad Kind übergegangen (Traducianismus). Noch lehrten die meiften Wortführer,, die Sünde fei den Menfchen nicht angeboren,, fon« hern entftche Durch den freien Willen des Einzelnen.

Die göttlicye Ebenbildlichkeit des Menfchen vor. dem Sündenfall ward

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in der zweiten Periode der Kirchenväter in fo weitem Sinne geſußt, daß man fle fogar als eine Herrſchaft über die Irbiiche Schöpfung betrachtete. Dur den Sündenfall ging fie für Adam und alle feine Nachlommen verloren. Wie fee die Freiheit des Menſchen burg den Sieg beb Aaguftinismus an kirchlicher Anerlennung verlor, haben wir oben geſchen. Dark) den Semipelagianismus der öffentlichen Meinung geſchützt, durfte ſpaͤterhin Johannes Damascenud gleichwohl behaupten, durch den Schadens fall Habe der Menſch zwar einzelme Zuͤge der göttlichen Ebenbildlichkeit, doch die Freiheit und Kraft zum Guten nicht eingebüßt. Folgorichtig je nach ber Anficht von ber Freiheit des Menfchen und ber Entfichung der Sünde faßten die Kirchenlehrer auch Die Aneignung des in Chriſtus gegebenen Heils durch den Menfchen auf. In der Alteflen Zeit galt der rechtfertigende Glaube für völlig abhängig von dem Entſchluß des freien Willens; ein reiner Wandel nach den Vorbild Chriſti ward ald nothwendige Frucht defe felben gefordert. Die Snoflifer, die Auhänglichfeit an ihre phantaſtiſchen Philoſopheme mit dem Glauben verwechfelud, waren die Einzigen, welche das Fürwahrhalten als allein felig machend binftellten und verächtlich auf die Werke herabfaßen. Aber auch Die katholiſche Richtung wich ihrerfeits: bereit nom Paulinismus Daburd ab, daß fie eine Verdienſtlichkeit ber Werke annahın und meinte, man fönne vor Bott durch gewiſſe Werte mehr thun, als man fhuldig fe. Auguſtinus vermodte durch feine Lehre, daß der Glaube einzig die Wirkung der unwiderftehlichen Gnade Gottes fei und durch die Liebe rechtfertige, dieſer judaifirenden Richtung nicht zu wehren; ebenjo wenig Jovinianus) und Andere, welche die befondere Verdienſtlich⸗ feit der Werke beſtritten. Faſten, jungfränlider Stand und dergleichen Aenperlichkeiten galten dem kirchlichen Bemußsfein num einmal für verdienſt⸗ lich und dieſer Geiſt der Werkheiligkeit nahm im ber Kirche immer mächtiger überhand, bis er in der Lehre vom Ablaß auf bie Eipige getrieben wurde.

11. Der Begriff von der Kirche ſcheint in. früheften Zeiten ſich der Lehre Ehrifti vom äußerlichen Gottegreich angefchloffen zu haben. Gegenüber ben

4) Ein römischer Asket, wegen feiner Oppofition gegen die Berdienftlichkeit der Werke 388 aus der Kirche geſtoßen. Auguflinus war, wie allbefannt, Biſchof zu Sippe, 395430. |

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Montaniſten 1), welche in der heche die Berwirflihung des geiftigen, inmmer« lichen Gottesreiches auf Erden zu ſehen verlangten, ſowir hernach im Gegen⸗ faß gegen die Rovatianer ), welche die Wiederaufnahme der Gefallenen verweigerten, hielt die katholiſche Richtung feſt an dem Beiſpiel bes Apoftels Paulus, ker den Korinthern einen reumüthigen Blutſchaͤnder zur Wiederaufnahme empfohlen 3) ımd überhaupt Milde gegen die Gefallenen geprebigt Batte4), und faßte jomit die Kinche als eine allgemeine Bil⸗ dungsanſtalt der Seelen für dad ewige Leben, nicht als bloße Ge⸗ meinfchaft der ſchon Geheiligten. „In der Kirkhe findet der ſündige Menfch fein Heil; wo die Kirche, da iſt auch der Geiſt Gottes; außerhalb ver. Kirche ein Heil”. In diefe Formeln faßten zumal Irenäus 5) und Cy⸗ prian 8) das katholiſch⸗kirchliche Bewußtſein. Da die Kirche nit nachgeben wollte, bildeten die Montaniſten und Rovatianer Sekten und betrahteten ſtch, wie gegenwärtig noch alle Seftiver, als die „Meinen, griechiſch Katharoi (zadapol), woraus für alle Sektirer der Name Katharer entftanden iſt ). Der Wiederaufnahme Gefallener in die Kirche ging eime ſtrenge öffentliche Buße vorher. Die Kirchenbuße in ihren fpätern Unnimderungen ward aber nach und nah zum aͤußerlichen Werk, welchem man neben dem Slauben reihtferfigende Kraft zuſchrieb. Im auguſtiniſchen Zeitalter warb der novatianiſche Streit nochmals erneut durch die Dona⸗ tiſten 8), welche die Untreuen (3. 8. die in irgend einer Met unter den Ver⸗ folgungen den Glauben verfäugnet Hatten) und die offenbaren Sünder von dee Kirche ausſchließen wollten. Sie wurden befonders von Anguftinns be⸗ kampft. Diefer aber, fowie Die ganze katholiſche Richtung, Art wicht min⸗

4) Der Phrygier Montamus, aller Sekten Bater, verkuͤndete um 170 ſich [HR als die lebendige Offenbarung des MWaraklet (des Droͤſters, einer vom heiligen Geiſt unterſchiedenen Himmelokraft), durch welche Die. Kirche zur mahren Gereinde Dex. Heiligen vollendet werden ſolle.

2) Novatian, Presbyter i in Rom um 251.

3) 2. Kor. 2, 1—11.

4) Bal. 6, 1—.

5 Biſchof zu Lyon 177-—208.

6) Bifchof zu Karihago 348.

7) In deuticher Eorrumpirung „Reger,* ale Bezeihnung aller nichtorthodor⸗ lirchlich Glaͤubigen, daher auch von den Katholiten auf alle Nichtkalholiken und ums gelehrt von viefen auf jene angewendet.

8) So genannt nach ihrem Stifter. Donatus, Biſchof in Numibien um 311.

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der als die Donatiften an dem Irrthum, wer zur fihtbaren Kirche gehöre, fei dadurch auch ein Glied der unfichtbaren Kirche, des innerlidden Gottes⸗ reiches. Man bebachte nicht, daß unter den jegigen Verhältniſſen die alt» hergebrachte Bezeichnung der Kirche ald der „Einen, heiligen, allgemeinen‘ nicht mehr am beften paſſe. Vergeblich hatte. Tertullian, ungeachtet feiner Eingenommenheit vom Montanismus bierin feiner Beit voraudeilend, auf den Unterſchied zwifchen der fichtbaren und der unflchtbaren Kirche hinge⸗ wiefen. Es galt für gleichbedeutend, von der Kirche audgeftoßen und für einen ber Verdammniß Geweihten erklärt zu werden. So blieb die Lehre von der Kirche und bildete Die Grundlage der Hierardhiichen Theorie des Mittelaltere. Die Lehre von der Kirche bedingte im Weitern weſentlich auch diejenige von den äußerlihen Gnadenmitteln, Sacramenten. Se fefter man die Kirche als die alleinige Heildanftalt glaubte, je Eräftiger man ihr „Geftiftet- und Durchdrungenſein“ vom heiligen Geift, geftützt auf das Pfingſtwunder, betonte, deſto höhere Kraft mußte man auch den äußerlichen Gnadenmitteln, welche die Kirche verwaltete, beimeflen.

Von Anfang an war man einftinnmig in Auffaflung der Tauf e nicht bloß als einer aͤußerlichen Caͤrimonie zur Aufnahme in die Kirche, ſondern als einer inwendigen, Wiedergeburt, Erleuchtung und Heiligung durch den heiligen Geiſt,“ womit von Seiten des Täuflings dad Glaubensbekenntniß, von Seite des Taufenden die Sandauflegung fich verband. Eben dieſer Bes griff von der Taufe erregte jedoch bi8 ind 2. Jahrhundert hinein Meinungs verfihiedenheiten betreffend die Kindertaufe, welche, nachdem fie bereitö kirch⸗ liche Sitte geworden, Tertullian noch befämpfte, und zwar ganz confequent, da er unter der Kirche die Gemeinschaft der wirklich vom Geift Geheiligten verftand, Die Kindheit noch für das Alter der Unfchuld anſah und dafür hielt, die Kinder könnten Chriſtus noch nicht erfennen. Es mag fein, daß bie Apoftel ſchon hie und da Kinder tauften, aber feſtſtehender Brauch war e8 zu ihrer Zeit no nihtY). Die Kindertaufe ward Firdjlicher Brauch, einerfeit8 aus Oppoſition gegen die Ebioniten, welche inımer noch die jüdiſche Beſchneidung beibehalten, anderſeits durch die ſchon mit Origenes auftauchende Lehre von der Erbfünte. Einmal kirchliche Sitte geworden, trug ſie dazu bei, die Taufe überhaupt zu einem wunderbaren Myſterium

0

9) Im 1. Korintherbrief (7, 14) werden die Kinder der Glaͤubigen „heilig“ ges nannt. Bei Entfiehung diefes Documents iſt alfo ber Teufel (der Erbfünte) noch nicht in den (ungetauften) Kindern gewefen.

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zu erheben ; tenn das war ja das Wunderbarfte, daß fie fhon auf die Kin⸗ ber die obengenannten Wirkungen ausüben follte. Am meiflen Bedeutung erhielt die Taufe dur den Auguflinismus, welcher ja, wie wir fahen, die

Nichtgetauften für verloren erflärte.

Nachdem aus den Liebesmahlen (Agapen) der erfien Chriſten die eigentliche Abenpmahlöfeier fih ausgefchieden, hieß dieſelbe Euchariftie, weil man dabei Bott danfte für die verlichene Nahrung, nach dem Vorbild Ehrifti bei der Einfegung des Abendmahls, fowie für Die Hingebung feines Sohnes in den Tod. Juſtinus und Irenäus bezeichnen es als ein Bott dargebrachted Dankopfer und fprechen bereits die Lehre aus, daß durch die Abentmahlsgebete mit Brot und-Wein das Fleifh und Blut Chriſti ver⸗ einigt werde. Zertullian dagegen nahm Brot und Wein ald Bild (Figura) bes Leibe und Blutes Chriſti, Drigened als dad ‚‚nährende und herzer- freuende Gotteswort, wie Chriſtus felbft das ewige Wort (Xogo8) ift.‘‘ Auch das Abendmahl ward jchon frühzeitig ala Myſterium geehrt, und zwar als ſolches, wodurd der Chrift theilhaft werde der Verzeihung der Sünden und des ewigen‘ Lebens. In der folgenden Periode Tagen die finnbildliche und die myſtiſche Auffaffung des Abendmahls ohne Eirchliche Enticheidung immer noch miteinander im Streite. Die Teßtere blieb noch jegt bei einer Art Mifhung der irdifchen Stoffe mit dem Fleiſch und Blute Ehrifti als des Logos ftehen. Die eigentliche Berwandlungslehre gehört erft dem Pas ſchaſtus Ratbertus an. Un die Vorftellungen vom Danfopfer ſchloß fich in der Abendmahlölehre der zweiten Periode bereitd diejenige von einem Sühn⸗ opfer, fo daß das Abendmahl als eine Wiederholung nicht nur der Menſch⸗ werbung , fondern auch bed verfühnenden Todes Chrifti erſchien. Die Ver⸗ wandlungslehre des Radbertus hatte ihre Erhebung zum Dogma bejonders dem Glanze zu verdanken, welchen fle der Machtvolllommenheit der Kirche zu verleihen ſchien. Neben Taufe und Abendmahl wurden ſchon vor Anfang des 7. Jahrhunderts die Salbung und Handauflegung, die Priefter- weihe und die Ehe ald Sacramente bezeichnet.

12.

Der Betrachtung der Lehre von den legten Dingen haben wir einen Blick auf die Vorftellungen von den Engeln und Teufeln vorauszu⸗ fchiden.

In Anfnüpfung an die Stelle im 2. Petrusbrief (2, A), wo die Teufel

110

als gefallene Enge bezeichnet werben, gakten bie Engel ſchon in der älteften Beit ald fitelich freie Weſen, wie die Menſchen, jebod mit höheren Kräften begabt. Der altıeflamentlihen Vorftellung von den Engeln al Boten und Dienern Gottes zufolge theilte man ihnen, je nad) den verſchiedenen Graden ihrer Würde, verſchiedene Aemter zu und dachte He bald ald Schußgeifter einzelner Menſchen, bald ganzer Gemeinden und ganzer Völfer. Chriſtus felbft Hatte ſchon von Schugengeln der Kinder geredet, und die Offenbarung Johannis fprady von Engeln einzelner Gemeinden, wie von folden, die über Naturkräfte gefeßt feien!). Die Teufel ihrerfeitö erfchienen im Kampfe des Ehgiitentfumd gegen das Heidenthum der chriftlihen Phantafle ald Vor⸗ fampfer Des letztern. Ihrem Einfluß wurde die Verehrung der alten Göt⸗ ter, wie die Sittenlofigfeit, der Aberglaube, das Zauber» und Wahrfager« wefen ber Heiden zugeichrieben. Die hriftlichen Märtyrer fegten den Sieg Ehrifti über die teufliſchen Gewalten fort und wurden daher bald den Engeln als Mitkämpfer zur Seite geftellt.

Auf jener Synode zu Nicka, welche den Engeln fammt den Heiligen Anrufung, der Trinität allein Anbetung zugefland, ward den Engeln, geflügt auf die Ausfprüche vieler Kirchenväter, ein feiner Körper aus Aether und Licht zugeichrieben ; die große Lateranſynode 1215 ſprach ihnen dagegen alle Körperlichkeit ab. Die hierarchiſche Stufenordnung der Engel ward sorzugsweife durch Gregor den Großen in der katholiſchen Kirche verbreitet. Sie unterſcheidet, theild nad altteſtamentlichen, theild nach paulinijchen Stellen 2), in 3 Ordnungen 9 Arten der Engel, unter weldyen befonderd die Eherubim und Seraphim, die Thronen und Erzengel hervorzuheben find.

Der Fall unter den Engeln ward theild von Hochmuth, theild von gegenfeitiger Verführung abgeleitet, bis zum 5. Jahrhundert auch aus der Liebe zu Töchtern der Menichen 2). Später ließ man den Iegteren Grund fallen und hielt im Uebrigen die neuteflamentliche Anfchauung von Satan und feinem Reiche feft, welches dem Reiche Gottes gegenüberftehe und deſſen Werke zu zerftören Chriftus gekommen ſei ).

1) Matth. 18, 10. Offenb. Joh. 2, 1—17; 16, 2—5, 10 - 12, 18., Gegen bie hierauf baſirte Verehrung der Engel fheint die Stelle Offenb. Joh. 19, 10 ges richtet zu fein.

2) Jeſ. 6,2. Kol. 1,16. Epheſ. 1, 21. 4. Theſſ. 4, 16.

3) Benef. 6, 2. Bgl. 1. Kor. 14, 10.

4) 1. pi. Joh. 3, 8.

111

13.

Nach den früher angeführten Ausſprüchen Chriſti, nach dem Wort des Paulus (Philipp. 1, 23), endlich nach 1. Petr. 3, 19 und 20 nahm man in der älteften Zeit an, die Seele des Guten gehe gleich nach dem Tode ins Paradies, die des Böfen in die Unterwelt, Hades, Scheol. Die Aufer ftehung erwartete man erft beim Wiederkommen Chriſti zum Weltgericht. Noch lebendig zeigte fich der Reſt jüdiſcher Mefftashoffnungen in der baldigen Erwartung des taufendjährigen Reiches, welches Chriſtus auf Erden fliften würde und in welchem die Frommen herrſchen follten (Chiliasſsmus).

Zwar hat ſchon Origenes, geſtützt auf das N. T., dem Chiliasmus im kirchlichen Bewußtſein jede Stütze genommen; aber dennoch hat faſt jedes Jahrhundert noch ſeinen Weltuntergangspropheten hervorgebracht und dazu Thoren, die ihm glaubten. Nach dem Vorgange des Paulus lehrte Ori⸗ genes eine Wiederbringung aller Dinge Y. Im 2. Brief Petri iſt eine Verbrennung der Welt, aus welcher ein neuer Himmel und eine neue Erde hervorgehen ſollen, verkündigt 2).

Im folgenden Zeitraum lehrte Auguſtinus, auf alt und neuteflamente liche Ausſprüche 3) geflügt, eine Abbüßung der hienieden noch nicht hin⸗ reihend gefühnten Sünden in Beuerqualen vor Eintritt des Weltgerichtes, Diefer Glaube an dad „Fegefeuer“ ward im 6. Jahrhundert durd Gregor ten Großen in der Kirche berrichend. Wie in der erften Zeit, ward die Auferftehung aud in der auguſtiniſchen Periode bald mehr bald weniger finnlih aufgefaßt, die Seligkeit nad Matth. 5, 8 ald „Anſchauen Gottes‘ befinirt, die Ewigfeit der Verdammniß nad, dem Weltgericht durch Augu⸗ flinus begründet, durch Diodor von Tharjus 4) und Theodor von Mopfue« ftia 5) beftritten. Das folgende Zeitalter hielt an der Ewigfeit der Höllen- ftrafen feft. Scotus Erigena erneute, auch bier ohne Einfluß auf das

1) 1. Kor. 18, A— 28.

2) Kap. 3,3. 10—13. Vgl. mit diefer Stelle die Dogmen der perfifchen und ber germanifchen Religion über die fchließliche Verbrennung und Wiedererneuung der Belt, Thl. I, S. 181; Thl. II, S. 330-333.

3) Makkab. II, 12, A3—46. 1. Kor. 3, 18.

4) Biſchof 378—98.

5) Biſchof 393—429.

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kirchliche Bewußtfein, die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge. Seit Origenes galt die Zeit der Wiederkunft Chriſti zum Weltgericht im kirch⸗ lichen Bewußtfein allgemein für völlig unbeſtimmt.

14.

Im Mittelalter begann die Entwidlung der Kirchenlehre zu floden. Die Scholaftiker hatten ala bloße Schultheologen , die das überlieferte Dogs menmaterial wifjenichaftlich zu ſyſtematiſtren fuchten, wenig Einfluß auf die Geftaltung des Dogma's, weil dieſes ſich meiſt nur- noch im Interefie der Hierarchie weiterbildete. Wir müffen daher die nähere Würdigung bed Scholaſticismus dem Kapitel über die hriftliche Wiffenfchaft vorbehalten.

Der Hauptpunft, wo wir eine Einwirkung des Scholaſticismus auf die Kirchenlehre wahrnehmen , ift die Verfühnungätheorie. Nach germanis hen Ehr- und Rechtöbegriffen ftellte Anfelmus von Canterbury 1) folgende Satisfactions⸗ (Genugthuungs-) Ichre vom Tode Ehrifti auf: Durch tie Sünde hat der Menfch Gottes Ehre verlegt; foll er nun ſelig werden, fo inuß er Gott Genugthuung dafür Teiften, vermag es aber nicht. Diefe Ges nugthuung ,. ald Herftellung der Ehre Gottes gefaßt, übernahm Chriſtus, der Gottmenſch. Er litt, weil er jündlofer Menfh war, unfhuldig, daher ftellvertretend für die fündigen Menfchen, die Strafe der Sünde, den Tod, Dadurch, und weil Chriſti Tod zugleich eine freiwillige That ald des Got— tesſohnes, fomit von unendlihem Werthe war, ift die Ehre Gottes wieter« bergeftellt, zugleich Gottes Gerechtigfeit erfüllt, und fo fann nun Gott den füns digen Menſchen die Strafe der Verdammniß erlaffen und die Seligfeit ſchenken. Diefe ganze Theorie ward zwar nicht zum Dogma erhoben, Dafür hatte ſte aber zur Folge, daß trog des Widerflandes von Seiten Bernhards von Glairvaur und Anderer die alte Lehre vom Recht des Teufels auf die ſün— digen Menfchen überwunden ward und durch Thomas von Aquino auch die Lehre von der Unendlichkeit ded Verdienſtes Chrifti die päpftliche Anerken— nung erwarb 2).

Die fchon vorhandene Werfheifigfeit de8 Zeitalters fand ihre Begrün= dung in den Syſtemen der Scholaftifer, zumal des Thomas von Aquino, Der Glaube erhält jeine rechtfertigende Kraft nur durch Die Liebe, hieß es;

1) Starb 1109 als Erzbifchof daſelbſt. 2) Durch eine Bulle Clemens’ VI., 1343.

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die Liebe aber zeigt fi in ben Werfen. Daher find bie, zumal von ber Kirche vorgeichriebenen Werfe, Zaften, Ulmofengeben, Wallfahrten, Ger ſchenke an die Kirche u. f. w., verdienſtlich, fle erwerben bie Gerechtigkeit vor Bott. Ur, fehr alt, wie wir gefehen haben, waren die Lehren, daß die fihtbare Kirche die Gemeinfhaft der Heiligen fet und daß man vor Gott mehr thun könne, als man zur Seligfeit nöthig Habe. Daraus geitaltete fih im Mittelalter die Anſchauung von einer Solidarität der Kirchenglieder in dem Sinne, daß Diejenigen, welde zu viel. thun für ihre Seligkeit, durch ihren Ueberfluß an guten Werfen den Mangel berer erfegen können, welche zu wenig thun. Da nun zu erfterer Klaſſe Hauptfächlich die März tyrer und übrigen Heiligen zu gehören ſchienen, fleigerte fich die Verehrung derſelben bis zur Verehrung ihrer körperlichen Ueberrefte (Reliquien), denen man wunderbare Kräfte beimaß?). Aus dem großen Schatz der überverdienftlichen Werfe fpendete Die Kirche dem Sünder um Geld (— das follte gefprünglich eine Buße fein —), fo viel er zur Tilgung feiner Sünden fhuld bedurfte, und verficherte ihn dann durch Abfolution der Verzeihung feiner Eünden. Das war der Ablaß. Begreiflih Hinderte die vom Bapft bevollmächtigten Ablaßfrämer Nichts, Verzeihung ſelbſt für noch zu begehende Sünden zu verfaufen, und das kirchliche Bewußtjein der rohen Maſſe fträubte fich dagegen keineswegs.

Das Mittelalter hat auch die Behauptung von ber Freiheit. der „längſt verehrten Gotteögebärerin” Marta von der Erbfünde aufgeftellt. Hierüber führten dann die Dominikaner als Thomiften (Anhänger des Thomas von Aquino) und die Franziskaner als Scotiften (Anhänger des Scotus) einen höchſt erbaulichen Streit, welcher ein merfwürdiges Licht auf die Erfüllung mönchiſcher Keujchheitögelübde geworfen bat. Da die Freiheit von. der Erbfünde mit dem Ausdruck „unbefledte Empfängniß“ bezeichnet

3) Der Reliquiendienft, im fpäteren Mittelalter bis zur Tollheit gediehen (f. u.), fand übrigens ſchon frühzeitig ſarkaſtiſchen Widerſtand. Ein byjantiniſcher Boet, Chriſtophoras, richtete 3. B. ſchon um 650 eine Anzahl fatirifcher Samben gegen die fhwunghafte Reliquienfrämerei, welche ter Mönd) Andreas damals trieb. Nachdem der Satirifer dem Moͤnch vorgeruͤckt, derfelbe habe bereits 10 Hänte des Märtyrers Profopios, 15 Kinnbacken des heiligen Theotoros, 8 Füße des heiligen Neftor, A Köpfe des heiligen Georg und 5 Brüfte der heiligen Barbara, die er demnach zur Hündin made, in den Han bel gebracht, verfpricht er, ihm noch viel werthvollere Reliquien, z. B. den Daumen des dreimal feligen Henoch und das Gefäß Elias des Thisbiten, umfonft zu liefern. |

Scherr, Geſch. d. Religion. III. . 8

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wurde, fo kann man ſich denfen, in weldhen Liebenswürdigkeiten die Mönde beider Barteien ſich erihöpften*). Der Streit ift bis in die zweite Hälfte tes 19. Jahrhunderts unerledigt geblichen. Da aber Haben wir es felber erlebt, daß Bapft Pius IX. Die unbefledte Empfängniß der Maria zum katholiſchen Dogma erhob.

Zur Zeit des Petrus Lombardus 5) erhielt die kirchliche Lehre von ten Sacramenten ihren Abihluß, indem deren ſteben fejlgeftellt wurden: Zaufe, Birmelung, Beichte, Abentmahl, Ehe, Priefterweihe, Icgte Oelung. Mit Beftiegung der Trandjubftantiationslehre ward das Abendmanl zum Opfer (Meßopfer), wobri ter Pricfter jedesmal Leib und Blut Chrifli aufs Neue zum Sühnopfer für Die Sünten der Welt dar⸗ bringt. Der Papſt, als Inhaber der Tratition von Petrus und Paulus ber, ward von der Kirche ald untrüglicher Stellvertreter Ehrifti auf Erden anerfannt und von Da an auch der Öruntfag firengfter Unduldſamkeit gegen die Ketzer aufgejtelle und beobadıtet. Denn je fefter die Einheit der Kirche äußerlich geworten, deſto gewaltthätiger mußte Dad Intereſſe der Aufrecht- haltung dieſer Einbeit ib geltend madhen. In Hinſicht der Lehre von den legten Dingen hielt Die Kirde am Fegefeuer und ter Ewigkeit der Höl⸗ Ienftrafen fi. Durch Scelenmeffen glaubte ſie die Abgefchiedenen fchneller aus Tem Fegefeuer befreien zu können. Tem Ablaß ward fogar bin und wieder tie Mache zugeichrichen, augenblidlih aus dem Fegefeuer zu erlöjen. Gerne epferte ja Die Liebe der Hinrerblichenen ibren Icgten Pfennig, um die verftorbenen Eltern, Geſchwiſter und Freunde der Feuerpein zu ledigen.

15.

Faſt bei jedem Schritt der Kirche in der Weiterentwidlung des Dog« ma's hatte jich eine arößere oter Fleinere Partei, Die nicht mit demijelben einverftanten war, von ihr loßgetrennt. Als aber Die Lehrentwidlung nach und nad) ind Stoden gerieth, wandte fih ter Blick Vieler auf tie Vergan⸗ genbeit und ihr religiöſes Vewußtſein trat in Widerſpruch nicht mehr bloß mit einzelnen Lehrbeſtimmungen, ſondern mic der Geftaltung und Tem Lehr— ſyſtem ter Kirde im Ganzen. Schon feit dem 9, Jahrhundert ſoll fih in

4) Tie heilige Brigitta hatte Bifionen für, Lie heilige Katharina gegen die unbe= fleckte Empfaͤngniß. 8) Biſchof von Paris, 11809.

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den Bergthälern Biemonts ein Bölflein von der weitern Entwicklung der Kirche in Lehre, Eultus und Hierarchie fern gehalten Haben. Dort fanden die Anhänger des Petrus Waltus!), Walbdenfer genannt, nachdem fie in Bann getban worten, die allgemeinfte und bereitwilligfte Aufnahme für ihre Lchren. Anfangs nicht daran denfend, fi von der Kirche lodzureißen, anerfannten fie dieſelbe erft dann nicht mehr als die ädıte Kirche Chriſti, nachdem ihnen verboten worden, einander ohne Zuziehung von Geißlichen im Evangelium, auf welches fie Glauben und Leben gründeten, zu unter« richten. So waren fle die erften Vorläufer der Reformation, die Erften, weldye die Schrift höher ftellten ald die Tradition der Kirche.

Auch die Myftifer des Mittelalters halfen, indem fle das religidje Be— dürfniß mit dem Geifte des Evangeliums flatt mit den Dogmen und Geris monien der Kirche zu befriedigen juchten, die. Reformation vorbereiten. Der Dominifaner Meifter Eckart ) und feine Ordendgenoffen, die berühmten Pretiger Johannes Tauler?) und Heinrich Seuffe (Sufo®), ferner der von Nikolaus von Bafel geftiftete, in Oberdeutfchland und weit den Rhein binab verbreitete Gcheimbund der „Gottesfreunde“ ®), dann die von Ger- hard Groot in den Niederlanden geftiftete Gefellfhaft der „Brüder des gemeinſamen Lebens,“ aus deren Reiben Thomas von Kempen (fl. 1471) hervorgegangen, des weltberühmten Buches „De imitatione Christi“ Autor, endlich der unbekannte Verfaffer ter aus dem Ende des 14. oder dem Anfang des 15. Jahrhunderts flammenden Deutjchen Theologie* alle tiefe gründeten die Neubelebung der Religiofttät auf Chriftum felbft und die geiftige Gemeinfhaft mit ihm, woturd das Anfehen der Heiligen und der kirchlichen Ceremonien als SHeildvermittler im Volksbewußtſein bedeu⸗ tend herabgefcgt wurde, ohne daß Die genannten Prediger ed felber beab- ſichtigten. Weit verbreitet, obwohl ihwerlid, wie Johannes von Müller meint, von geflüchteten Manichäern berrührend, waren unter @remiten,

1) Bürger von yon, aufgetreten um 1160.

2) Starb um 1328 in Eöln.

3) Starb 1361 in Etraßburg.

4) Eturb 1365 in Ilm. .

8) Ucber tie bis neuchtens noch fehr dunfel geweſene Geſchichte der „Gottes⸗ freunde“ vgl. K. Schmidt in der Feftichrift „„Bafel im 14. Jahrh.“ ©. 263 fg. und 3 Falke in der ‚‚Zeitfche. für teutfche Kulturgeichichte‘‘, 1856, Maiheft, ©. 495 fg. '

g*

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Beghinen, Begharden und Beharden des Mittelalters rationaliftifch = freie Meinungen fowohl über die Kirche, wie über die Würde Chriſti felbft ®), verbunden mit einer an Pantheismus flreifenden Naturreligion 7).

Theils ein freiered Denfen der Geifter im Allgemeinen, theild neue Dekanntfchaft mit den faft vergeflenen Schriften des alten und neuen Teſta⸗ mentes in ihren Urſprachen war durch die Neubelebung der clafftihen Studien von Italien aud angeregt worden. Hier hatte um die Mitte des 14. Jahr⸗ hunderts Petrarca die römifchen, Boccaceio die griechiſchen Claſſiker wieder aus ber Vergefienheit hervorgezogen. War auch die von Letzterem gemein fhaftlih mit Leontius Pilatus zu Florenz eröffnete griecifche Schule bald wieder in Verfall geratben, fo brachte der byzantinifche Gejandte Emanuel Chryſoloras, welder, an der Rettung Konſtantinopels verzweifelnd, in Italien eine neue Heimat gefucht und gefunden, das Studium der griehijchen Elafjiker noch während des nämlidhen Iahrhuntert3 neuerdings in Auf— nahme, Der Hof der Medici in Blorenz ward der Mittelpunft der an bie Claſſiker fih anfnüpfenten humaniſtiſchen Biltung, welde ſich von ta auch nad) dem übrigen Europa verbreitete, überall die möndiich verfinfterte Welt erhellte und befonderd in Deutfchland Lie bedeutentften Geifter für ſich gewann. Die Ueberſetzung des Platon durch Marſtlius Ficinus war der erfte Keim einer neuen Richtung in der Philofophie: ed erhoben fidh Die Platoniker als freie gegen die im Dienft der Kirche ftchenden Schulphilo- fophen, die Scholaftiter.

Bon der griechifhen und römiſchen Literatur vermittelte Johannes Reuchlin 8) den Uebergang zur hebräiſchen. Nachdem er ſich von Juden die Kenntniß ter hebräifchen Sprache erworben, erforjchte er die Schriften des alten Teſtamentes in der Urfprade und verbreitete mit Eifer Diefen neuen Zweig theologifcher Gelehrſamkeit unter feinen Beitgenoffen. Von nun an wurde die Erklärung ter alt und neuteftamentlichen Urkunden in ihren Urs ſprachen eine Hauptaufgabe der Theologen von humaniftifcher Richtung und führte die Begabtern zu immer bedenflichern Vergleichungen der Kirchen

6) Auch ein Anderer, als Chriftus, Fönne Gottes Sohn werden; denn der gute Menſch fei der eingeborne Sohn Gottes, Ichrte hie und da die ‚geheime Religion‘‘.

7) Aud in der Laus fei Gott, wie im Menfchen, fagten nad Johannes Vitos duranus die thurgauer Begharten. Die Bezeihnungen Begharden und Beghinen ſtammen bekanntlich von dem altteutfchen Verbum bedgan, beien.

8) Sebürtig aus Pforzheim, 1455 1822.

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Iehre und Kircheneinrichtung mit der Schrift. Die biöher gebrauchte, ob⸗ wohl von der unwiſſenden Geiftlichfeit ebenfalld wenig gefannte, Tateinifche Bibelüberfegung, Vulgata genannt, erlitt, da man jetzt die Originale verſtand, ihres verderbten Terted wegen Anfechtungen von allen Seiten, Bon 1460 an jehen wir in Deutjichland, Frankreich und Italien Bibelüber- jegungen erjcheinen und der Schrift wandte ſich fhon damals zu, wer immer mit den Firchlich-religiöfen Zuftänden unzufrieden war 9).

Der Geift des Humanismus, in den clafftihen Studien wieder aufgelebt, durch die um die Mitte des 15. Jahrhunderts von unferem Johannes Guttenberg erfundene Buchdruckerkunſt mit raftlofen und unhemmbaren Schwingen ver⸗ ſehen, dann durch Reuchlins philologiiches Genie zuerft auf die Schriftfor« [hung gewandt, diefer Geift regte ſich glorreich insbeſondere in feinen deut— chen. Trägern 19). Er zumeift Hat jene tiefeinfchneidende Kritik des mittel« aterllichekirchlichen Glauben? und Lebens angefacht, auf welcher die Refor⸗ mation fußte.

16.

Aber fchon vor der humaniftifchen Bewegung und außerhalb ihrer Kreife waren Vorläufer der Reformation aufgetreten, welche vom kirchlich-theologi— ſchen Standpunft aus gegen firdhliche Mißbräuche kühn eifernden Tadel erhoben, einen Tadel, der feldft einen vollftändigen Brudy mit tem Papſtthum Feined« wegs ängfllich mied. Freilich gelang e8 der Kirche vorerft noch, die Tauteften diefer reformatorifchen Stimmen im Rauche des Scheiterhaufend zu erſticken.

Arnold von Brescia ein Schüler Abälards, 1155 zu Nom ver- brannt war weniger wirkſam durd feinen an manichäifhe Anſchauungen erinnernden Myſticismus als vielmehr durch feine energijchen Beſtrebungen, die Verfaffung des Elerus nad dem Vorbilde der apoftoliihen Einfachheit zu reformiren. Er ſah den Glanz, den Reichthum und die Macht der Cleri— fei, diefe Quellen ihrer Ueppigfeit und zum Theil des kirchlichen Verfalls überhaupt, mit voller Ucberzeugung als ein Werk des Teufeld an, lehrte, daß ten Geiftlichen Feine weltlichen Güter gebühren und drang auf die Ruͤck— febr zur Simplizität der apoftoliichen Kirche. Die weltlihe Macht des Pap⸗ ſtes fchaffte er mit Hülfe der Römer ab und Tieß ihm nur das kirchliche Re—

——

9) Wir werden im Kapitel von der chriſtlichen Wiſſenſchaft die einzelnen Bibel⸗ uͤberſetzungen vor Luther anführen. 10) Bon diefen, wie von den Humaniften überhaupt, haben wir an fpäterer Stelle mehr zu reden, in den Kapiteln von chriftliher Wiflenfchaft und Kunfl.

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giment, den Zehnten und freiwillige Gaben der Gläubigen, bis ihn bie @iferfucht des neu errichteten Senated in einem fchnöten Bergleih ten "Bapfte preis gab. Johannes Wicliffe, feit 1372 Profeffor der Theo⸗ Iogie in Orford, Iehrte und fchrieb gegen das Papſtthum, den Miß⸗ brauch des Banned, dad Möndthum, die Ohrenbeichte, den Ablaß, den Heiligen - und Bilderdienſt und die Lehre vom Fegefeuer. Auch trat er gegen die Trandfubflantiation auf mit der Behauptung, Chriſtus fei nur geiftig im Brot und Wein ded Abendmahles gegenwärtig.

Durch Wieliffe's Schriften angeregt, beftritt Johannes Huf!) die Entziehung des Kelches beim Abendmahl, und flellte, im Uebrigen feſthal⸗ tend am fatholifhen Dogma, die Lehre auf, die wahre Kirche, deren Haupt Chriſtus allein, fei die Gemeinſchaft der von Ewigkeit zur Seligfeit vorher⸗ beftimmten Chriften und nur in diefer üben die Saframente thre erlöſende Kraft. Girolamo Savonarola, der „Prophet von Ylorenz 2), ver⸗ fündigte eine allgemeine, gründliche Neformation der Kirche, die von Flo⸗ renz ausgehen werde. Er bewirkte turd feine Predigten in genannter Stadt, wenigftend vorübergehend, eine firenge Sittenreform und Ichrte, geſtützt anf das Evangelium, das Heil nicht durch die Heiligen, nod durch eigne Werke, fondern durd die Gnade Gottes in Chriftus fuchen. Den über ihn geiprodes nen Bann erflärte er für kraftlos ald Verlegung des höchſten Gebotes, der Liebe, und appellirte fterbend von dem irdiichen Papft an den himmliſchen, Jeſus Chriſtus.

Mochte ſich die Kirche dieſer „Ketzer“ gewaltſam entledigen, immerhin konnte ſie ſich nicht verhehlen, daß ſelbſt von Seiten treuefter Anhänger ſchon lange lauteſte Klagen über die freſſende Verderbniß erhoben worden. Der Minorit Alvarus Pelagius forderte und hoffte um 1330 die Wieder- geburt der Kirche vermittelfi neuer Heiligung der päpftlichen Würde in ber Öffentlichen Meinung. Peter d'Ailly (ft. 1425), ald Wortführer der gallis Fanifchen Kirche, verlangte Behufs einer Reform der Kirde an Haupt und Gliedern eine allgemeine Kirchenverſammlung. Ebenſo Johanned Gerfon, feit 1395 Kanzler der Univerfität Paris, welder zugleid) das Studium der

4) 1415 auf dem Concilium zu Conftanz verbrannt. Aus Beranlaflung diefes „Keberbrandes“ entftanten der furchtbare Huffitenkrieg und die Sekte ver Utraquis fen, welche den Kelch auch den Laien darbot. Auf die Keldyentziehung werden wir im vächlten Kapitel zurückkommen.

2) Verbrannt 1408,

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Schrift und Berbefferung der Volkserziehung empfahl. Nikolaus von Cla⸗ menge (fl. 1425) ſchilderte mit glühenter Beredtſamkeit die Verſunkenheit ‚der Kirche, verfündigte das ihr nahende Gericht und fah ihre alleinige Ret⸗ tung in geiftiger Erneuerung und tiefer Demüthigung. Und wirklich, die allgemeinen Goncilien kamen endlich, bauptfähhlich veranlaßt durd Die gegen« feitige Verfluchung dreier Gegenpäpfte, durch das große Schis ma. Zu Gonftan; ward ein neuer Bapft, Martin V., gewählt, jedoch die Reformation fel6ft auf ein neues, binnen fünf Jahren abzuhaltendes Coneil verfpart. Aber erſt 1431 verfammelte fich daffelbe in Bafel. Als nun diefes mit der Meformation Ernft machen wollte, ward es durch die Schlauheit und Ge⸗ waltthätigfeit de8 Papſtes Eugenius V. allmälig in eine einfeitige Partei⸗ ftellung gedrängt und mußte ſich zulegt auflüfen, ohne Die angeftrebte große - Reform der Kirde durchgeführt zu haben. Den Grundſatz jedoch, daß ein allgemeines Concil über dem Papſt flehe, hatten diefe Kirchenverfammlungen fefigeftellt und dieſer Grundfag, verbunden mit der allgemeinen Mipftim«- mung gegen die römifche Gurie, wurde ein neued und mächtiged Motiv der Neformation, welche endlich in Deutfchland durch Die Ausfchreitungen des Ablaßhandels, in der Schweiz durch die freie Predigt de8 Evangeliums ge⸗ gen dad Verderben in Kirche und Staat zum Ausbruch gebracht wurde.

17.

In Hinftht der Lehre Eehrte die Reformation theild zum Auguftinis- muß, theils zu den Anſchauungen der erflen Jahrhunderte nad) Chriſtus zu⸗ rück. Dem Anſehen der mündlichen Tradition, welche die Kirche für fich in Anſpruch nahm, ftellte fie mit Erfolg die Autorität der Schrift, zumal des neuen Teftamentes, gegenüber und behauptere, ausſchließlich auf die Vibel Glauben und Leben gründen zu wollen. Anfangs war fie nicht gewillt, den Glaubendzwang der kirchlichen Tradition mit demjenigen des Buchſtabens zu vertauſchen, fondern nahm der Schrift gegenüber das Necht der Aus⸗ legung in Anſpruch, wobei ſie fich jedoch ausdrücklich gegen das Hineinirayen fubjeetiver Meinungen in die Schrift erklärte. Da jedoch hiemit die Ber- nunft, ohne daß man ed merkte oder merfen lafjen wollte, zum Maaßſtab der Schrift erhoben worden war, geberdete fich die Befreite in den Lehren der Wiedertäufer, ſowie etlicher frei geſinnter Theologen (z. B. des Johannes Denck, Michael Servet, Sebaſtian Franck) etwas überkühn, und ſo ordnete denn beſonders die lutheriſche Richtung die Vernunft dem Glauben unter,

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die obrigkeitlih anerkannten Parteien ftellten Glaubensbekenntniſſe (Sym- Sole) auf und die unbändigen Geifter wurden bald dem Symbolzwang unterworfen. Dieſer, obwohl nur in der Iutberifchen Kirche zur abfoluten Herrfchaft gelangt, ging nämlih auch auf die zwingliſch-calviniſche Kirche über, äußerte ſich vorzüglich hart in den Befchlüffen der Dordrechter Synode und gewann jelbft in der reformirten Schweiz bedeutenden Einfluß, freilich nicht in dem Maaße, wie bei den Rutheranern, Daß fih mit dem Spmbols zwang aud der Buchflabendienft vereinigte, erhellt am beutlichften aus der _ Formula Consensus eeclesiarum Helvelicarum reformatarum, 1675 von dem züricher Profeſſor Heidegger verfaßt, worin ald Glaubensartifel geltend gemacht wird, daß felbft die Vocalzeichen des hebräifchen Textes des A. T. vom heil. Geiſt eingegeben feien Y.

Die proteftantifche Kirche beider Nichtungen Eonnte deffenungeadhtet nit umhin, grundjäglic immer die Schrift über ihre Symbole zu ftellen. Der Streit beider Richtungen über einzelne Xehren wies unaufhörlich und gewaltig auf die Verſchiedenheit der Schriftauslegung hin. Daher blieb das Prinzip der prüfenten Vernunft, wenn aud öffentlich mipfannt, im Ver⸗ borgenen lebendig als das wahre Prinzip der Reformation überhgupt. Bon der Kirche verftoßen, ward es, theild als philofophirende, theils als objectiv audlegende Vernunft, in erſterm Betracht zur denfenden Vermittlung bed Blaubensinhaltes, in Tegterm zur Seftftellung des obfectiven Verftändniffes der Schrift, Prinzip der freien Wiffenfchaft. Dies ift der Grund, warum die Kirchenlehre der Zutheraner und Neformirten faft ohne Ausnahme bis jegt bei den einmal aufgeftellten Befenntniffen geblieben ift, während neben ihr, Eirchlich zwar geduldet und theilweile unterftügt, aber nicht anerkannt, die Lehrentwicklung in der Wiffenfchaft ausfchließlich weiter fchritt. Demzu« folge haben wir im vorliegenden Kapitel nur von den eigenthümlichen Lehren der Iutherifchen und reformirten Kirche, fowie der Sozinianer und Arminia ner, endlich von den legten Firchlichen Lehrbeflimmungen der römifchen und griechiſchen Kirche zu handeln und müffen vie wiſſenſchaftlich theologiſche Lehrentwicklung nad) der Reformation in dad Kapitel von der driftlichen Wiſſenſchaft verweifen.

4) Das Punctationsſyſtem, wodurch in der urfprünglich der Vocalbuchſtaben entbehrenden Hebräifhen Schrift die Vocale bezeichnet werden, fam erſt durch alls mäliges Einverftändniß der jüdifch maforetifchen Gelehrtenſchulen, jedenfalls nicht vor dem 6. Sahrh. nach Ehr., zu Stande.

121 18,

Die proteftantifche Kirche in ihrer Geſammtheit hielt feft an den drei dfumenifchen, oder, wie nıan fie nannte, ächtkatholifchen Symbolen, dem apoftolifhen, den nicäniſchen und dem athanaſianiſchen!) Symbol, in welchem fie den reinften Ausdruck der biblifchen Grundlehren zu finden glaubte. In folgenden Lehrfägen hingegen ftellte fie fich dem gegebe- nen Fatholifhen Dogma gegenüber: Die Cchriften des alten und neuen Teftamented find unter göttlicher Eingebung (Inipiration des heil. Geiftes) gefchrieben. Der Schrift kann die mündliche Tradition der Kirche an göttlicher Autorität nicht gleichgeftellt werden. Sie ift die alleinige Erfenntnißquelle des hriftlichen Glaubens. Jedes firhliche Dogma und jede Firchliche Einrichtung, welche fich nicht aus der Schrift herleiten Taffen, werden ald Menſchenſatzun⸗ gen verworfen. Die Fatholiichen Theologen, zuerft des guten Glauben, alle Lehren und Einrichtungen ihrer Kirche Tiefen fih aus der Schrift ab⸗ leiten, beftritten in der erften Beſtürzung bie oberfle Autorität der Schrift nicht. Als fie jedoch im Verlauf ded Kampfes mit den Reformatoren eines Andern belehrt worden, machten fie die Firchliche Tradition, weil diefelbe ‘von den Apofteln herrühre, zu einem Prinzip der Schriftauslegung und ftellten. fie al8 zweite Erfenntnißquelle der göttlihen Offenbarung neben die Schrift. In ihrer Oppofition gegen den Calvinismus des Cyrillus Lu— karis ſchloß ſich auch die griechiiche Kirche der Beſtimmung des tridentiner Conciliums an: „Die Autorität der Kirche jet fo groß, als die der Schrift. Beider Anſehen flüge jih gleichmäßig auf das Innewohnen des heil. Geiſtes. Dad Anſehen der mündlich von den Apofteln her überlieferten Dogmen gelte fo viel ald das der gefchriebenen.* Nur darin unterfcheidet fich Die griechifche Kirche von der römischen, daß fle als apoflolifche Tradition allein die Con⸗ eilienbefchlüffe vor der Kirchentrennung anerkennt, währent die römiſche Kirche eine in ihr immer fortdauernde apoftolifche Tradition behauptet.

Die von den Neformatoren mit dem größten Nachdruck wieder hervor- gehobene pauliniiche Lehre von der alleinigen Mechtfertigung durch den Blauben erforderte zu ihrer Begründung wieder ein Zurückgreifen auf den Auguftinismud in den Dognen von der Erbiünde und von der Onaden«

1) GEs trägt nur den Namen des Aihanaflus, ift aber nicht von ihm felbft verfaßt “und wird daher nach feinem Anfangswort beſſer Symbolum Quicunque genannt.

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wahl 2). Die Erbfünde, ward allgemein angenommen, pflanzt fih fort durch die natürliche Zeugung, indem, wie die Lutheraner annahmen, die Seelen felbft durch die Zeugung fortgepflanzt werden (Traducianismus), oder, wie bie Neformirten lehrten, die Seele bei der Zeugung von Gott neu gefchaffen, aber durch den fleifchlihen Samen verunreinigt wird (Creatianismus). Zwingli betrachtete die Erbfünde blos als natürliches Gebreften *, welches der Menfh ohne feine Schuld an fich habe; doch die Iutherifchen und reformirten Befenntnifle befteben darauf, fie als angeborene wirflide Sünde und Schuld anzufehen. Daß durch die Erbfünde, obgleich fie nicht zum Weſen des Menfchen gehöre, doc, die ganze Natur des Menſchen verderbt jet und er in Bolge derfelben von Natur nur Neigung und Kraft zum Böfen habe, darin flimmen alle Meformatoren und die Symbole beider proteftan- tifchen Kirchen überein.

Der conſequenten Aufftellung Zwingli’3 und Calvins, daß Gott die einen Menſchen von Ewigfeit her zur Seligfeit, die andern zur Verdammniß beftinnmt habe, und daß demmac auch das Böfe von ihm , vorhergeordnet“ worden fei, hat fich Feine der Befenntnißichriften der Reformirten ftreng ans geichloffen. Vielmehr lehren fie, Gott habe in Bezug auf den von ihm vor⸗ hergeſehenen und zugelaſſenen Sündenfall die Gnadenwahl vorgenommen, aber auch in dem Sinne, daß die nicht zur Seligkeit Erwählten, die gütte liche Gerechtigkeit zu offenbaren, ind Verderben fallen. Die Lutheraner da⸗ gegen Ichren, Gott wolle im Hinblid auf Ehrifti Verdienſt von Ewigfeit ber, daß alle Menfchen durch ihn felig werden. Wem das Heil in Chriſto nicht angeboten fei, (3. B. den Heiden) dem gefchehe Dad aus unbekannten

2) Wir bemerken bier gelegentlich, daß die paulinifchzauguftiniiche Doctrin von ber alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben zur Zeit der Reformas tion auch im Schooße der römifchen Kirche, ganz unabhängig von Luther, ihre Des fenner,und Märtyrer Halte. Zeugniß dep ift das berühmte Büchlein „Bon der Wohls that Chriſti“, zuerft in Venedig 1842 erfchienen. Nachdem bdaffelbe in zahllofen Gremplaren verbreitet und in bie meiften europäifchen Sprachen überfegt worden war, wurde es, von der römifchen Inquifttion fchon 1548 verdammt, yon der Eurie fo eif- rig verfolgt, daß man es vollftändig vernichtet und verloren glaubte, bis fo ziemlich gerade 300 Jahre nach feinem erften Erfcheinen ein italifches Gremplar in der Bücherei des St. John College in Cambridge wieder aufgefunden wurde. Daß Nonio Pa⸗ leario der Berfafler dieſes Firchengefchichtlich fehr wichtigen Documents war, ift jet wohl unzweifelhaft. Er wurte um feines Buches willen als fiebzigfähriger Greis zu Mom verbrannt.

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Gründen zur Strafe. Wem es angeboten fei, ohne daß es ihn zur Seligkeit führe, deſſen verfehrter Wille trage Die Schuld,

Die Wiedergeburt oder Bekehrung kann nur Durch Die wirfiame Gnade Gottes, die der heil. Geift ift, zuftuntefommen. - Hierin ſtimmen alle drift- lichen Kirchen überein. Daß der Menih vor der Wiedergeburt ichon man⸗ ches Bottgefällige thun könne und das Mitwirken feines freien Willens zur Wietergeburt etwas Verbienftliches fei, lehrt feit der Reformation die fa= tholiſche Kirche. Die griechiſche Kirche, von jeher am wenigften vom Au⸗ guftinismus berührt, betont die Minvirkung des freien Willens bei der Be⸗ fehrung am flärfftien: „Die göttliche Gnade erleuchte Alle, wie ein Licht in die Finſterniß fcheinend; dann werte denen, vie ihr gehorchen und mitwirfen wollen , die befontere Gnade ertheilt, 'welche fie, mithelfend und die rechten Kräfte darbietend und Beharrlichkeit wirkend, gerecht und zur Seligfeit be= ſtimmt madıe. Eine Mitwirkung des freten Willens behauptete auch Melanch⸗ thon, In Bolge des 1558 Tarüber entftantenen ſynergiſtiſchen Streites zwiichen Amsdorf und Bfeffinger beſtimmte dann die Formula concerliae, daß nicht nur der erfte Anftoß zur Befehrung von der Gnade ausgehe, fon- dern Daß auch die Bekehrung von der Gnade allein gewirkt werte, wobei ſich der freie Wille ganz paſſiv verhalte. Hinwieder beſtimmte daſſelbe Symbol, dem von Flacius vertretenen andern Extrem gegenüber, daß der menichliche Milte allerdings die Freiheit habe, die göttliche Gnade anzunehmen oder ihr zu witerftreben,, welche Freiheit die determiniftifchere reformirte Lehre läng— nete und die göttliche Gnade ald „unwiderſtehlich“ bezeichnete.

Durch Die Sünde hat der Menfch das Heil verloren. Wiedergewinnen kann er es nur durch Rechtfertigung vor Bott. Dieſe fchenft ihm Verzeihung der Sünden und das Erbe ded ewigen Lebend. Die Rechtfertigung jelber wird und zu Theil durch Gottes wirffame Gnade, den heil. Geifſt. Von diefer gemeinfamen Wurzel find wieder verfchtedene Lehrzweine ausgegangen, deren klare begriffliche Auseinanderjegung die Kämpfe des Reformationszeit⸗ alters veranlaßten. Die Lutheraner und Reformirten lehren mit ängftlich Durchgeführter Gonfequenz die Rechtfertigung durch den Glauben allein, nämlich jo: Zuerſt wirft der heil. Geift eine gründliche Zerknirſchung bes Herzens über den ganzen fündhaften Zuftand der Seele, hierauf den ®lauben, d. h. das fefle Vertrauen, daß Gott dir um des Verdienſtes Chriſti willen die Verzeihung der Sünden und das ewige Leben jchenke. Um dieſes Glaubens allein, nicht zugleich um der guten Werke willen, die

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als nothwendige Frucht aus demfelben hervorgehen, rechnet dir Gott die Gerechtigkeit ChHrifti zu. Nicht als wäre der Glaube felbft ein verdienſtlich Merk, Gott wirkt ihn ja; aber da der wahrbaftige Gott in den Glauben das fihere Bewußtfein der Begnadigung und Kindfchaft Gottes gibt, fo gibt er auch die Verzeihung der Sünden, die Kindfhaft und mit ihr das Erbe ded ewigen Lebens ſelbſt. Der Gläubige aber erfennt und fühlt leben- Dig die Liebe Gottes, welche in foldher Begnadigung liegt. Dies weckt in ihm die Eindliche Gegenliebe, deren Folge die Heiligung ift, und fo geht der rechtfertigende Glaube der Heiligung voran.

Dagegen ſetzt die Eatholifche Kirche die Rechtfertigung, welche fie nicht für ein bloßes @erechterklären, fondern für ein wirkliches Gerechtmachen hält, in die Wiedergeburt und Heiligung, flatt in den Glauben. Um des Verdienftes Chrifti willen wird dem Menfchen die wahre Liebe zu Gott ein- gepflanzt und mit diefer die Gerechtigkeit Chrifti felbftl. Buße und Glauben bereiten den Menſchen erſt auf diefe innerliche Umwandlung und fomit auf die Rechtfertigung vor. Die Rechtfertigung fommt alfo nach dem Glauben, nit durch den Glauben. Ueberhaupt kennt die Fatholifche Kirche eine abfolute Necdtfertigung vor Gott nur für die, welde das Geſetz Gottes nad ihrer Wiedergeburt ganz erfüllen, und fie behauptet, daß dies in der That möglich fei, weil fle die aus Unwiffenheit oder Uebereilung begangenen Behltritte nicht für Sünden anfleht. Ja, fle halt ſowohl die guten, aus der Liebe zu Gott entipringenden Werke, wie die Empfänglichfeit für Gottes wirfjame Gnade für verbienftlih und Iehrt, ed gebe gewiſſe evangelifche Näthe (die drei Mönchsgelübde: Unbedingter Gehorfan, Armuth und Ehe— lofigfeit), deren Befolgung zur Seligkfeit nicht norhwendig und daher ein überſchüſſiges Verdienſt fet.

Jede wirkliche Sünde muß der Katholik dem Prieſter, als ſeinem geiſt⸗ lichen Richter beichten. Dieſer legt ihm irgend ein Bußwerk auf, wodurch für die verübte Sünde Genugthuung geſchieht, wie z. B. Faſten, Beten, Wallfahrten, Almoſenſpenden. Nach vollbrachtem Bußwerk ertheilt der Prieſter Verzeihung der Sünde kraft feiner Schlüſſelgewalt (Abfolution). Wer eine Sünde nicht beichtet, kann fie auch nicht büßen, und daher auch feine Berzeihung derjelben erlangen. Die auf Erden verfäumte Buße muß im %egefeuer nachgeholt werten. Von der genugihuenden Buße Tann bie Kirche durch den Ablaß dispenfiren, indem fie, wie ſeines Ortes oben bes merkt worden, die Genugthuung durch Uebertragung überfchüffiger Ver-

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dienfte aus ihrem geiftlichen Schage bewirkt. Auch die Qualen des Weges feuers fünnen aus dem gleichen Grunde durch den Ablaß abgekürzt werben, Den Gelderwerb beim Ablaß hat das tridentinifche Konzil abgefhhafft. Die läßlichen Sünden, welde man nit zu beidhten bracht, können entweder durch freiwillig übernommene Büßungen oder fonft gute Werfe getilgt werden. "

Mit dieſen Lehren flimmt die griechifche Kicche im Allgemeinen über- ein; nur verwirft fie das Fegefeuer, den Ablaß und das Bezahlen der Todten⸗ meſſen, faßt auch die tägliche Buße betreffend die läßlichen Sünden in ftren- gerem Sinn. Den im Mittelzuftand eines gepeinigten Gewiffens befindlichen abgejchiedenen Seelen bringen die. Todtenmeffen Abkürzung"ihrer Bein nicht, weil, wie die römijche Kirche lehrt, Gott dadurch für deren ungebüßte Sünden Genugthuung geſchähe, fondern weilf dur flo, wie durch Gebete und gute Werfe der Hinterbliebenen, Gott fchneller zur Barmherzigkeit be= wogen wird..

19.

Die Lehrverfchiedenheit in der Rechtfertigungstheorie erſtreckt ſich auch auf die mit ihr genau zufammenhängende Lehre vom Werf und Verdienſte Chriſti. Die Lutheraner und Reformirten betrachten fein Leiden und Ster⸗ ben nad) der Theorie des Anfelmus für ein unendliched Verdienſt des fün- denreinen Gottmenfchen vor Gott, entfprechend [ver unendlichen Sünden« ſchuld der Menfchen, fomit ald Genugthuung ſowohl für die Erbfünde, als für die Thatfünden fammt und ſonders; nur beichränfen die flreng calvini=. ftiihen Befenntniffe die Genugthuung blo8 auf die Sünden derer, die von Ewigkeit her zur Seligfeit erwählt feien.

Die Katholifen reden von einem überſchuͤſſigen Verdienfte Chrifti, bes haupten aber defjenungeachtet, Chriftus habe blos die Schuld der Erbfünde und die ewige Strafe ber Thatfünden für uns abgebüßt, nicht jedoch Die zeitlichen und Begefeuerftrafen, welche die Menfchen felber abzubüßen hätten. Dies erklärt, warum die Fatholifche Kirche, ungeachtet ihrer Rechtfertigungs⸗ Iehre, tie Nothwendigkeit und das Berdienft der Büßungen, der guten Werke, der Seelenmeflen u. |. w. geltend madt. Es erklärt, warum fie außer Chriſtus auch die Heiligen zu Mittlern zwifchen Gott und Menſchen erhebt. Denn da Chriſtus nicht für die zeitlichen und Segefeuerftrafen genug getban, fo müfjen die Heiligen durch ihre überfchülfigen Verdienſte biefe

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Genugthunng zumwege bringen, wenn wir ſclbſt un& nicht geirauen ober zu bequem find, frlber Genugithunng bicfür zu leiſten. Die grichiide Kirche beihränft zwar tie Genugtthuung Etrifti für unıcre Eünten nicht joweit, Ichri aber, daß der Menich ohne eigne gute Werke ter von Chriſtus erwor⸗ benen Euntenvergekung nicht thrilhafı werte.

Beireffend tie Berjon Ebrifti haben tie Lutberaner, ihre Abentmahld« Ichre näber zu begründen, Die neue Lehre von den „beiden Ständen Ehrifli * aufgebradt und fic iſt ihr ausſchlienliches Gigenthum geblieten. Ter Begriff ter communiatıo ichomatuıın, d. h. „Miitbeilung der götilidhen Wujeitat, Krafı, Herrlichkeit unt Wirkung an tie menſchliche Natur in Chrius* ſollte namlid dazu dienen, das Genichen des wirfliden Fleiſches und Blutes Ebrifti beim Abendmahl von Eriten Der Gläubigen zu erflären, fonnte aber ſelbſt ter Bemerkung gegenüber, daß in Dem leidensrollen Lrben und Wirken Ghrifti auf Erden wenig von den göttliden Eigenſchaften Der Allmacht, Alle wiffenbeit und Allgegenwärtigfeit zu ſehen jei, nur feftachalten werten durch die Beflimmung, während Ted Standes der Ernictrigung, von ter Empfängniß im Mutterlribe bis zur Auferitebung, hate Chriftus dieſe gött⸗ liben Gigenſchaften verborgen und hinterbalten, nad abgelegter Knechtsge⸗ ftalı hingegen, im Zuflante der Erhöhung von ter Anferftchung an offen» bare er tieſelben vollig, und aud wir werden einſt Ticie feine Herrlichkeit fhauen von Angeſicht zu Angefidt. Eine „neue Xchre nannten wir Die von ten Ständen Ehrifti, weil Die Kirchenväter wehl von Ernietrigung unt Er=- böbung Ehrifti geredet haben, jedoch ohne dies auf die Mitibeilung ter gönlihen Eigenſchafien an jeine menſchliche Natur zu beziehen, noch Den Austind von „zwei Ständen Ehrifti* zu gebrauchen.

Nach dieien Erörterungen können wir geiroft auf Die Abweichungen Der Kirchen in Ter Ab: ndmohlälchre übergehen. Das tritentiner Goncil erneute Die drei hergebrachten Beninmungen uber Dad Abendmahl: daſſelbe dürfe von den Laien nur unter Einer Geſtalt genoflen werten, Durch Die Worte der Conjecration werde die Verwandlung in Fleiſch und Blut Chrifti bes wirft und es fei eine unblut'ge Wiederholung des Opfers Chriſti turd ten Priefter (Mebopfer). As eigentliche Communion,, d. h. wenn ed von Ten Laien geneſſen wird, bringt Tas Abendmahl nur Verzeihung der läßlichen Sunten und Kraft zur Herligung; al8 Meßopfer Hingegen, wobei der Abende mahlégennß nur von Seiten des Prieſters flatıfindet, dient es zur Buße und verſchafft Genugthuung für die ärgiien Totjünten, ſelbſt zu Ounften

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Abwefender und Verflorbener. Bis zur Zeit ihres Streites mit CHrillus Lukaris hatte die griechliche Kirche nach. Öregor von Nyſſa gelehrt, durch Einwirkung des angerufenen Chriſtus werden Brot: und Wein des: Abend- mahles in dem Sinne zu Leib und Blut CHrifti, wie einft durch die Menſch⸗ werbung feine menſchliche Natur vergättlicht worden fei, nämlich durch Alte nahme der heilfamen Eigenſchaften des Leibed und Blutes Chrifti, nicht im Sinne fubftantieller, wefentliher Verwandlung. Im Gegenjag gegen Cy⸗ rillus Lukaris aber nahm auch die griechifche Kirche die Transſubſtantiation an. Aud das Meßopfer gilt in der griechifchen Kirche, nur wird. ihm. Feine genugthuende Kraft zugefchrieben und tie. Communion auch von den Laien in beiderlei Geftalt gehalten.

Die Iutherifche Lehre weift Verwandlung und Opferbegriff von Abends mahl zurüd ynd druͤckt ſich ſo aus: Leib und Blut Chriſti ſind im Wein und Brotedes Abendmahles weſentlich, wirklich, aber unſichtbar vorhanden; ſie werden auch von den Unwürdigen mündlich genoſſen, kommen aber in dad. Brot und den Wein nicht durch Conſecration des Prieſters, ſondern durch das mächtige Einſetzungswort Chriſti ſelbſt, welches beim Abendmahl wiederholt wird. Die göttliche Eigenſchaft der Allgegenwart, welche dem Leibe Chriſti zukommt und feit feiner Erhöhung geoffenbart wird, erklärt diefe feine leiblidye Gegenwart beim Abentmahle. Chrifti Leib kommt freilich nicht in die irdifchen Stoffe durch Wiederholung der Einfegungsworte allein, fondern durd die Communionshandlung im Ganzen, wenn fte vorgenoms« men wird nad) feiner Einſetzungsvorſchrift. Daher ift Chriftus nicht im Brot

. und Wein, außer wenn fie zur Communion gebraudyt werden. Die Anbes tung der Hoſtie ift zu verwerfen, nicht minder dad MeBopfer und die Com⸗ munion in Einer Geſtalt. Denen, die das Abendmahl gläubig genichen, verichafft ed die Gewißheit der Verzeihung ihrer Sünden und des ewigen Lebens und ſtärkt ihren Glauben. Wer es unwürdig genießt, dem gereicht .ed zu Gericht und Verdammniß. Unwürdig genießen es freilich nicht die Schwachgläubigen, fondern, die ohne Neue, Bußfertigfeit, Vertrauen und gute Vorfäge daran theilnehmen.

Zwingli feinerfeitö faßte befanntlich die Einfegungdworte: „Das tft mein Leib, das ift mein Blut!" finnbildlih: „Das bedeutet meinen Leib, bedeutet mein Blut! und Eonnte alfo eine weſentliche Gegenwart des Leibe Chrifti beim Abendmahl nicht zugeben. Dafür Ichrte er einen geis ſtigen Genuß tes Leibes Chriſti durch Anjchauung des Glaubens, d. i. eine

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dankbare, Iebendig vergegenwärtigende, tröftende und erfreuende Erinnerung an fein erlöfendes Leiden und Sterben, zugleich eine erneute Einfehr Chriftt in das ‚Herz feiner Gläubigen, Beides vermittelt durch gläubigen Genuß bes Abendmahles. An Zwingli halten ſich hierin die älteren Symbole der Re— formirten, die jüngeren mehr an Calvin, welcher zwar die Allgegenwart des Leibes Chrifti und auch deffen Gegenwart im Abendmahl heftig beftritt, die Lehre aber fo formulirte: Vermittelſt des Glaubens, alfo für die Ungläus bigen nicht, finde ein geiftiged Genichen der lebendigmachenden Kraft, welche dem Leibe Chrifti eigenthümlich fei, und eine geiftige Einwirkung des gan zen Chriftud auf den Communizirenden beim Abendmahle ftatt; die Ungläu« bigen empfangen die leeren Zeichen. |

Wie in der Lehre vom Abendmahl, fo auch in der von der Taufe cha- rafterifiren ſich Katholizismus und Lutherthum in ihrer vorwiegesd myftifchen, die reformirten Befenntniffe in ihrer rationaliftifch«fpeculativen Richtung. Die Katholifen befchreiben die Wirkungen der Taufe als Befreiung von der Schuld der Erbfünde und der vor der Taufe begangenen Thatfünden, jo daß auch die von der Erbfünte zurüdbleibende Neigung zum Böſen nicht mehr als Sünde angerechnet wird. Soll die Taufe dieſes wirken, muß ber er- wachfene Täufling Glauben an das Evangelium haben ; bei Kindern gilt der Glaube ihrer Eltern, Pathen und der Kirche für ftellvertretend. Da die Taufe zur Seligfeit abfolut nothwendig ift, fo daß vor der Taufe geftorbene Kinder verdammt find, fo bat die katholiſche Kirche ſelbſt den Laien Die Bornahme ter Nothtaufe erlaubt 1). Obwohl nun Lie Lutheraner die Taufe ebenfalls für nothwendig zur Seligkeit erklären, verwerfen fie doch die Noth⸗ taufe und das erjcheint, wenn man blos auf die Symbole fieht, als eine Härte gegen Kinder, die vor der Taufe flerben zu wollen fcheinen. ber die alten Dogmatifer, unter ihnen befonderd Hollatius, fprechen es deutlich aus, die vor der Taufe Berftorbenen feien um defmillen nicht verloren, weil Die Taufe von Gott verordnet fei, welcher, wenn er fte felbft unmöglich mache, noch andere Mittel Habe, zu erlöfen und felig zu madıen. Im Uebrigen wirft nach Iurherifcher Anſicht die Taufe Verzeihung. der Erbfünde, ohne doch deren Nachwirkung in Form fündlichen Hanges zu tilgen. Sie wirft durch den heil. Geift die Anfänge tes Glaubens, ift der Eintritt der gött-

1) Die griechifche Kirche flimmt in Auffaſſung der Taufe mit der römischen überein.

129

lihen Gnadenwirkung auf die Seele des Chriften. So erfcheint ſie als das Sarrament der Wiedergeburt. Der Auffaflung Zwingli's zufolge „bringt die Taufe die wirkſame Gnade nicht mit ſich, fondern die Kirche bezeugt, daß dem, der fie eınpfängt, Gnade geworden ſei.“ Calvin nahm die Taufe als göttliches Zeichen und Pfand der Sündenvergebung und der Wirkung bed heil. Geiſtes zur Wiedergeburt, defien Erfüllung eintrete, fobald im Bes wußtjein ded Menſchen der Glaube erwacht ſei. Die Kindertaufe verthei⸗ digte er ald Aufnahme der Kinder in Gotted Volk und Familie, verwarf aber die Nothtaufe ebenfalld, da Gott die vor der Taufe geftorbenen Kinder durch den heil. Geift von der Erbjünde erlöfe und wiedergebäre.

Darin gingen Lutberaner und Meformirte einig, auf Grund der Schrift nur Taufe und Abendmahl als Sacramente, d. I. von Gott durch Ehriftus verordnete Gnadenmittel anzuerkennen. Die übrigen fünf Sacras mente der römifchen Kirche verwarfen fle als nicht von Chriflus eingefekt.

20.

Betrachten wir jest die Lehre von der Kirche, fo finden wir, daß, ungeachtet ihrer Trennung von der orientalifcdyegriechiichen und fpäter von den beiden proteftantifchen Kirchen, die römifche fih für die allein wahre erklärte. Sie nur fei die einige, apoflolifche, Heilige Kirche Chriſti, außer welcher fein Heil zu finden, das Reich Gottes auf Erden, deflen fiht- bares Haupt, als Stellvertreter Chrifti und Nachfolger Petri, der Papſt ſei. Dieſelbe ausschließliche Geltung nimmt die griechifche Kirche für fich in Anſpruch, nur daß fle Ehriftus als ihr alleiniges Oberhaupt, deſſen Vikare bie Bifchöfe feien, betrachtet und ſich die „orthodore * Kirche nennt, wähs rend tie römifche den Titel der „alleinfeligmachenden * liebt. Die Prote— ftanten beider Richtungen dagegen juchten fih zum Begriff einer durch die ganze Chriftenheit verbreiteten Kirche zu erheben, freilich nicht ohne ſchwan⸗ kende Beflimmungen, mit mehr oder weniger Glüd, So gerathen 3.8. die Lutheraner in Gefahr, ihre eigne Kirche als die allein wahre zu bezeich nen durch die Beſtimmung, die wahre Kirche fei da, wo das Wort Gottes und die Saeramente recht verwaltet werben. In ähnliche Gefahr begeben fich einzelne reformirte Bekenntnifle, indem fie ald Kennzeichen der Achten Kirche Chrifti bald die rechte Verfündigung des göttlidhen Wortes allein, bald jammt diejer die rechte Verwaltung der „von Chriſtus felbft eingeiegten äußern Zeichen, Bräuche und Ordnungen“ nennen. Den Uebergang zu

Scherr, Geſch. d. Religion. 1. 9

130

einer Elarern Begriffsbeflimmung bei den Lutheranern bildet der Ausſpruch der Apologie des Augsburgifchen Bekenntniſſes: Die Böſen feten nur äußer⸗ lich, nicht innerlid Glieder der Kirche. Daraus geftaltete fich Die Lehre, die Kirche jei die Gemeinfchaft aller auf Chriſtus Getauften, die durch das Wort und die Sacramente verbunden und gebeiligt find oder noch geheiligt - werben follen., alfo im weitern Sinne eine Gnadenanſtalt. In ihr fei aber enthalten die innerliche Kirche, d. t. die Gemeinfchaft der innerlich durch den Glauben mit Chriftus verbundenen Chriften, der wahre geiftige Leib Chriſti. Noch deutlicher bezeichneten Zwingli und Calvin die allgemeine fichtbare Kirche als die von Chrifto geftiftete Bemeinfchaft aller Getauften und unterſchieden diefelbe von der unjichtbaren Kirche als dem unflchtbaren Reiche Gottes, beitimmten auch, die unftchtbare Kirche zerfalle nicht, wie bie fihtbare , in verfchiedene Partikularkirchen ?).

Beide proteftantijche Kirchen betrachten Chriſtus, der Feines fichtbaren Stellvertreter8 bedürfe, als das unfichtbare Haupt der allgemeinen Kirche. Beide fammt der römischen Kirche untericheiden zwifchen einer ftreitenden und triumpbirenden Kirche 2), deren erflere auf Erden, deren letztere im Himmel gedacht wird ; nur darin von einander abweichend, daß die Prote- ftanten die Schledhten und Böſen nicht zur flreitenden Kirche rechnen, wie die römtfche Kirche. Immerhin wird die Kirche auf Erden, wie man ihren Bes griff faflen möge, als flreitend wider das Reich diefer Welt gedacht.

21.

Die Lehre von den guten und böſen Beiftern hat in der luthe— riichen Kirche weit höhere Berüdfichtigung gefunden, als in der reformirten. Defien ungeachtet Hat die, freilich in der deutfchen Schweiz nicht angenom« mene, gallifanifhe Gonfeffion dem Dogma von den Engeln und Teufeln einen befondern Artikel gewidmet: „Gott hat auch die unſichtbaren Geifter gefchaffen, von denen bie einen Eopfüher ind Verderben flürzten, Die andern im Gehorſam verbarrten. Jene, durd eigene Bosheit verborben, find Die immerwährenden Feinde alled Guten und daher der ganzen Kirche, diefe, durch Gottes reine Gnade bewahrt, dienen dem Ruhm der Kirche und dem

1) Dadurch wird alfo auch den Mitgliedern der gegnerifchen Partikularkirchen ein Antheil an dem unfichtbaren Gottesreiche eingeräumt, eine Regung von Toleranz, die insbefondere bei Calvin auffällt.

2) Ecclesia militans und ecclesia triumphans.

131

Heil der Erwählten.“ Das Wirken der Engel und Teufel auf den Men- hen wurde aber von den reformirten Befenntnifien und Theologen darum weniger hervorgehoben, weil die Lehre, daß Gott audy das Böſe, den Fall der Engel und Menfchen, freilich in anderer Weiſe ald das Gute, vorber- geordnet, nidht bloß zugelaſſen habe, zu den Hauptgrundfägen des reformirten Syſtems gehört, während die Lutheraner die Entflehung des Böfen nur theilmeile vom Satan und theilwelfe vom freien Willen des Menihen herleiten. Die Iutberifchen Symbolifer find neueftens deſſen - bewußt worden, daß fle mit ihrer Dämonenlehre nahe an Dualismus ftreis fen. Der’ Teufel ald dad Haupt ter gefallenen Engel fleht mit feinem Neiche dem Reiche Gottes Tämpfend gegenüber. Die ganze nichtchriftliche Welt ifl ihm unterthan, auch die Chriftenheit Tann fi vor ihm nur fchügen durch Gottes Wort und Iebendigen Glauben. Alles Uebel, alles Böfe auf Erden rührt von ihm her. Durch jeine Lift hat ex ſchon die erflen Men- fihen verführt, deren Nachkommen nun zur Strafe in feine Gewalt gegeben find, aus weldyer fie nur durch die Taufe erlöf worden find. Go wäre alfo der Uinterfchied zwifchen Ungetauften und Getauften diefer: gegen Iene übt er Gewalt, gegen Diefe mannigfaltige Lift. Dem Volksglauben, daß man mit dem Teufel um Reichthümer, Beihülfe zur Unzucht, und ähnliche Süßigfeiten einen Bund machen könne, feheint Luther im großen Katechis- mus nicht ganz abhold zu fein. Möglicherwetfe können ihn feine herenrich- terlihen Nachtreter auch mißverftanden haben !). Don den guten Engeln wird gelehrt, fie feien Schuggeifter und Fürbitter der Brommen, den Men⸗ ſchen an Weisheit und Heiligkeit überlegen, aber deßwegen noch keine Ver⸗ ehrung verdienend.

22.

In der Lehre von den legten Dingen unterſcheiden ſich die prote- ftantifchen Kirchen von der Eatholifchen und griechtichen hauptſächlich da⸗ durch, daß jene bie Zeit der Vorbereitung auf die Seligfeit auf das irdiſche Dafein beihränten, und demnach glauben, Jeder fomme unmittelbar nad) dem Tode in den Zuftand, der ihm gebühre, entweder in die ewige Selig- feit oder in die ewige Verdammniß, dieſe hingegen lehren Mittelzuflände

1) Bol. den Zufammenhang der Stelle in Müllers ſymboliſchen Büchern der evangelifch = lutherifchen Kirche, ©. 387. 9 *

132

nach dem Tode, durch welche die nicht ganz der Seligfeit noch ganz der Bers dammniß Würdigen ihre-Sünden vor Eintritt des Weltgerichtes abzubüßen haben. Die griechifche Kirche verwirft dabei das Fegefeuer und die Wir⸗ fung der Meſſe zur Genugthuung für die ungebüßten Sünden über das Grab hinaus. Denen, die für ihre bereuten Sünden noch eine Zeitlang im Jenſeits geftraft werden, kann man von Gott durch Gebete, Todten« meſſen und gute Werke fehnellere Verzeihung verfchaffen; aber felbft die Frommen gehen nicht ſogleich zur.vollen Seligfeit ein. Die römifche Kirche hat im tridentiner Concil ihr Anathema ausgeſprochen über Alle, die irgend - einem reuigen Sünder jo vollfommene Verzeihung beimeflen, daß er im Begefeuer nichts mehr abzubüßen hätte. Die unbußfertig in Todſuͤnden Ge⸗ fterbenen werden zwar aud von der römiichen Kirche ſofort ewiger Ver⸗ dammniß überwiefen, ebenfo die ganz Heiligen dem Himmel; aber hin— fichtlich der vor der Taufe verfiorbenen Kinder redet fie von einem beſondern Ort der Unfeligkett gerade über dem Fegefeuer, über welchen ſich hinwieder derjenige Himmel befindet, in welchem bie vorchriſtlichen durch Chrifti Höllenfahrt erlöften Srommen wohnen.

Darin flimmen alle Kirchen überein, daß Chriſtus am jünagflen Tage wieder erfcheinen wird, die Todten zu erweden, über fie und die noch Lebenden Gericht zu halten. Dann werden die Gerechtfertigten ihre ehemaligen Leider in verflärter Geſtalt wieder erhalten und fo der ewigen Seligkeit genießen, welche im „Schauen Gotted von Angefiht zu Angefiht” beſteht. Die Teufel und die Ungerechtfertigten hingegen werden ewiger Verdammniß über liefert 1). Die Proteftanten bezeichnen in Bezug auf die Todten das Welt- gericht als das öffentliche Gericht, welches das gleich nach dem Tod erfolgte verborgene Gericht beftätige. Unter den Reformirten wurden nach Calvin und Beza's Vorgang Gradunterſchiede in der Seligfeit und Verdammniß zugegeben, auch zeigte ſich fpäterhin eine Hinneigung zur Lehre von ber MWiederbringung aller Dinge, da Gott fein werde Alles in Allen, zumal nad) 1. Kor. 15, 26 ff. Mit dem jüngften Gericht tritt zugleich das Ende der Welt ein‘, welches die belgische Confeſſion nach 1. Betr. 3, 7 als eine Läuterung der Welt durch Feuer darftellt.

1) Im Kapitel von der chriftlihen Kunft werden wir fehen, wie die Volks: und Dichterphantafle das Dogma von der himmliſchen Seligfeit und der höllifchen Ber: dammniß geftaltete.

*

133

23.

Die geiftige Bewegung des Reformationdzeitalters rief, ſowohl wäh- rend ihres Derlaufes ala in ihren ſpaͤtern Nachwirkungen, eine Menge von Seften hervor, von denen wir nur bie Soztnianer, Armintianer und Ianfeniften bier näher ind Auge faflen, die beiden, erfteren Selten, weil ihre abweichenden Lehren in ſyſtematiſchem Zufammenhang ſtehen, die Tegtgenannte, weil fie die einzige Erfcheinung diefer Art inner⸗ halb der römiichen Kirche nach der Neformation iſt 1).

Mas Lälius Sozinus von Siena, feit 1551 in Züri, von eigen« thümlicher Auffafjung des Chriſtenthums in friebliebender Stille für fi ausgedacht, entwickelte jein Neffe Fauſtus Sozinus zum Syſtem und fand Anhänger für daffelbe unter den Unitariern Polens 2). Dafelbft fliftete er die Kirhengemeinfchaft der Sozinianer, deren Hauptfig Krakau war, Der Sozinianismus tft ein moralifivended, rationaliſtiſches Syflem. Die Erbfünde läugnend, ftellt. e8 als Folge des erſten Sündenfalld nur die allges meine Sterblichkeit der Menſchen und ihre angeborene Geneigtbeit zur Sünde auf. Dabei iſt aber doch dem Menſchen fo viel Willensfreiheit geblie- ben, daß er fih ver Sünden hüten fann, wenn er will; doch bedarf er zur Erfüllung der Gebote des göttlichen Beiftandes, welcher durch Gottes Wort und unmittelbare, göttlihe Erleuchtung des Herzens jedem Chriften zu Theil wird. Demzufolge gibt e8 feine andere Präbeflination, als die, daß Bott die Gläubigen und Gehorſamen zum ewigen Leben, die Ungläubigen und Ungehoriamen zur ewigen Verdammntß beftimmt hat, und zwar hängt biefelbe nicht von Gottes Vorſatz allein, fondern auch vom günftigen oter uns günftigen Erfolg feined Wortes bei den einzelnen Individuen, vom Wollen und Thun des Menichen ab. In Harmonie mit dieſen Sätzen fteht die merkwürdige Lehre der Sozinianer von der Berfon Chriſti. Chriſtus war bloßer Menfch ohne göttliche Natur noch Weſensgleichheit mit Gott (Ebio⸗ nitismus); ungeachtet er von Gott jelbft im Echvoße der Jungfrau Maria erzeugt worden und vollfommen ſündlos geweſen. Da er ald Menich das Göttliche nicht erfennen konnte, mupte er, feine göttliche Lehre zu empfans

1) Der übrigen Sekten, welche mehr nur in vereinzelten Punkien von der kirch⸗ lichen Doctrin abweichen, wird im Kapitel über tas Kirchenwefen gedacht werten.

2) Unitarier (von unitas) find Chriſten, weldye das Dogma von der Dreis einigfeit verwerfen.

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gen, nad 30h. 3, 13; 6, 36, 8, 28 vor dem Antritt feines Lehramtes in den Himmel entrücdt werden. Obwohl er nicht anders fonnte, ala Gott gehorchen, ward er zur Belohnung feiner Mühſale und Leiden zur echten Gottes erhoben, mit Macht über alles Erichaffene befleidet und fo zum wahren Gott, weldem nähft dem Vater Anbetung gebührt, umgewandelt. Das joll und, die wir ungeborjam fein können, mächtig zum Gehorſam ‚gegen Gott aufmuntern. Bon Sacramenten wollen die Sozinianer Nichts wiffen. Sie betrachten diejelben einfach al8 Geremonien, bie Chri⸗ ſtus angeordnet, laſſen aud die Taufe nur für befehrte Iuden und Heiden gelten, für Ehriftenkinder fei fte unnöthig. Die Einfegungsworte des Abendmahls nehmen fie bildlich und betrachten ed weſentlich als Gedächtniß⸗ mahl und Danffeier für die durch Chriftus erworbenen Gnadengaben. Nach dem Tode eriftiren die Seelen zwar fort, aber ohne Bewußtſein bis zur allgemeinen Auferftebung , wo dann die Seelen der Srommen-andere, neue, verflärte Zeiber empfangen und mit biefen zur ewigen Seligkeit eingeben, während die Böfen, weil ihnen ein neuer Leib verfagt wird, gänzlicher Ver⸗ nichtung anheimfallen. Merfwürdig ift hiebei die philoſophiſche Anſchau⸗ ung, daß Seelen ohne Leib kein Bewußtfein haben Fünnen.

Im Schooße der niederländiſch reformirten Kirche, deren Glaube wefentlich unter Calvins Einfluß ftand, erregte die Wiederbelebung der Zwinglifchen Anfichten über Erbfünde und Abendmahl durch Arminius, feit 1603 Brofeflor in Leyden, eine heftige Spaltung , welche, zulegt auf politifches Gebiet hinübergeipielt, mit der Ausftoßung der Arminianer oder NRemonftranten 8) aus der Kirche durch die Synode von Dordrecht (1619) endigte. Nach dem Tode ihred Hauptgegnerd, Morig von Oranien, wur⸗ den die Arminianer im Lande geduldet und errichteten ein eigened Kirchen weien. Eigenthümlich ift ihnen die Lehre, dag Ehrifti Genugthuung für die Sünden der Welt nur durd göttliche Gnade zureichend fei und dem Gläubigen nicht die Gerechtigkeit CHriftt, ſondern um Chriſti Verdienftes und Gehorfamd willen die Gerechtigkeit überhaupt zugerechnet werde. Ebenſo ſchreiben fle Dem Glauben weientlih tn Hinfiht der ihm entſprin⸗ genden guten Werke rechtfertigende Kraft zu.

Was ſchließlich den Janſenismus betrifft, ſo knüpft fi derſelbe als

—— ...—

3) Sie nannten das Betenntniß, welches fie fchon 1610 ben nicderlandiſchen Staͤnden vorlegten, die Remonſtranz, daher ihr Parteiname.

135

an feinen Anfangepunft, wie Jedermann weiß, an das Buch, in welchem Cornelius Janſe 4) den auguftinifchen und pelagianifchen Lehrbegriff mit zu« flimmender Betonung des erfleren erörtert und damit zugleich die Moral bes Jefuitismus angegriffen hatte. Dieſes Buch ward nach feines Verfaflers Tode von einem feiner Freunde herausgegeben und durch Papft Urban VIII. als Feßerifch verdammt (1642). Don daan begann, befonders durch fo begeifterte Männer wie Du Berger und Anton Arnault angefacht, der faft hundertjährige Kampf der Ianfeniften gegen die Jeſuiten als Vertreter der auf die Spige getriebenen Werkheiligfeit, bis 1719 der Janfenidmus in den Niederlanden ein eigned Kirchenwejen gründete. Der Ianfenismus, deſſen glänzendfte Polemik Blaife Pascal durch feine berühmten „‚Lettres Provinciales‘ 5) geführt Hat, Tieß die Einrichtungen der römischen Kirche unangefochten, nur beftritt er die Verbienftlichfeit der Werke und erhob die fittlihe Wiederge- burt durch den Glauben und die Heildanftalten der Kirche zur alleinigen Be« dingung der Nechtfertigung vor Gott. Die Machtvollkommenheit des Pap⸗ ſtes focht er nur inſofern an, als der Papſt fich ein untrügliches Urtheil über rein wiſſenſchaftlich-hiſtoriſche Fragen, wie z. B. Janſe dieſen oder jenen Satz wirklich gemeint habe, erlaubte. Die janſeniſtiſche Doctrin, von den Paͤp⸗ ſten beſonders wegen ihrer Verwandtſchaft mit den proteſtantiſchen Lehren ge⸗ fürchtet, unterlag in ihren Beſtrebungen, die römiſche Kirche ſittlich zu refor⸗ miren, weil fie verfannte, daß das römiſche Dogmengebäude, fo, wie es war, fiehen oder fallen mußte. Innerhalb dieſes Gebäudes eine, und wenn auch nur rein fittliche, Reform verſuchen, dad war ein Irrthum, welchen die Sanfeniften mit vielen Schmerzen und Thränen bezahlten. Die Jeſuiten, flüger, energifcher und confequenter als ihre Gegner, mußten über bie janfe niftifche Halbheit triumphiren und die Zerftörung der idyllifchen Ianfeniften- colonie Portroyal durch die Dragoner Ludwigs des DVierzehnten (1709) war nur eine Ginichärfung der alten Xehre, daß man den Despotismus nie ungeflraft reizt, wenn man weder den Willen no die Kraft Hat, ihn ganz zu Boden zu werfen, |

4) Get. als Biſchof von Ypern 1638. ,

8) Der vollftänrige Titel diefer Streitbriefe, welde, 18 an der Zahl, vom Januar 1656 bis zum März 1657 erfchienen, lautet: Les Provinciales, ou lettres &crites par Louis de Montalte à un Provincial de ses amis et aux R. R. P. P. Jesuites sur la morale et la politique de ces peres. Blaife Pascal ift geboren zu Efermont 41623 und flarb zu Paris 1662. Seine ‚‚Pensdes‘‘, worin er, was er in den Lettres polemiſch ausgeführt, philofophifch zu begründen fuchte, erfhienen 1687.

136

Siebentes Kapitel. Der Cultus.

1.

Bir find im rorigen Abichnitt der innerliben Pegriitdentwidlung tes Glaubens ter drifllihen Gemeinde Schritt für Erin nachgegangen. Jetzt liegt und ob, auch Lie äuperlihe Entwidlung dieſes Glaubens aufzu- zeigen. Temzufolge ſchließt ſich an tie hiſtoriſche Tarftellung der Kirchen- Ichre, mit terielben parallel gehend, tie Geſchichte Ted Eultus, welcher ja nur die öffentlihe Kundgebung des jeweilig in Der Gemeinde vorbantenen Glaubens durch Diele iſt. Erſt in fpäteren Zeiten begegnet uns eine Ab⸗ irrung des Cultus von dieſem feinen uriprünglichen Weſen, intem einzelne gottestienflliche Handlungen (wie 3. B. Taufe, Abendmahl, Iegte Oelung) außerhalb ver veriammelten Gemeinde verrichtet werten 1).

Wie aber in unjerer Betrachtung der Lehrentwidlung tie abweichenten Meinungen ver zahllojen Sekten nicht ſpeziell berüdfidhtigt werben fonnten, fo audy nit in ter Geſchichte des Eultus die jektirerijch = gotteötienftlichen Hoımen. Das Wichtigſte hierüber wird jedoch in der Beichichte des Kirchen— weiens jeine Stelle finden. Eben jo wenig läßt fi Hier ihon die dem Eul- tu8 tienende Kunft näher ind Auge füflen, denn audy Diejer Gegenftand er- fordert feine eigne, in fi abgerundete Darftellung. Läßt es ſich ferner nicht beflreiten, daß Die Entwidlung des Kirchenwefend nad feiner äußern und innern Seite weientlih auf die Zortbiltung des Cultus eingewirkt hat, fo kann doch um deßwillen in diejem Kapitel noch nicht genauer auf tie Entſtehung und Audbildung der Hierardie oder auf die Ausbreitung der Kirche unter der Heitenwelt eingetreten werden. Endlich haben wir, un- ferer Begriffsbeftimmmng getreu, auch gewiffe, cultifchen Gandlungen ähn- liche Aeußerungen des flttlichereligiöjen Volkslebens, wie 3. B. die Geifler- und Zänzerzüge des Mittelalters, vom Gebiete des Eultus außgefchieden.

Nachdem wir fo dad zu behandelnde Gebiet abgegränzt haben, bleibt

1) Die Taufe Neubekehrter durch die Apoſtel außerhalb ter Gemeindeverſamm⸗ lung kommt hier begreiflih nicht in Betracht.

137

und ald Meft ver Vorarbeit noch feine Eintheilung. Am bequemften wird ſich wohl die Entwicklung des Cultus darfiellen Iafien, wenn wir ihn bes trachten nach Zeit, Inhalt und äußerlicher Erſcheinung, fo daß wir zunädft eben von den heiligen Zeiten, fodann von der Liturgie, d. i. den einzelnen gotteödienftlihen Handlungen in ihrer georbneten Reihenfolge, und endlich von den Außerlichen Hülfamitteln, wodurch man mehr umd mehr die Wir fung des Eultus auf die Gemüther zu unterflühen ſuchte. Wie nämlich der Eultus zuvörderft Ausdruck des Glaubens der Gemeinde ift, fo bat er in zwei« ter Linie die eben fo wichtige Bedeutung eines weſentlichen Mittels zur Be⸗ lebung des Gemeindeglaubens, zur Förderung geiftiger Einheit der Ge⸗ meinte. Die Entwicklungsſtufe, welche der Eultus je in einem gegebenen Zeitalter erreicht, veranfchaulicht daher zugleich, wie der kirchliche Glaube beichaffen tft, und durch welche Mittel man benfelben beleben zu können meint, ein unmwillfürliches Zeugniß bes fittlich-religtölen Zuſtandes, in welchem fich das jeweilige Zeitalter befindet, von dieſem fich jelber vor den Augen der Nachwelt außgeftellt.

2.

Eigentliche Formen des Cultus Hatte Ehriftus nicht verordnet, wohl aber theils durch fein eigened Beifpiel theild durch Empfehlung gemeinfamen Bebetes und Einfegung des Gebächtnißmahles für fein Leiden und Sterben feine Gemeinde zu gemeinfamem Austrud bes ihr innewohnenden reltgiöfen Lebens angewielen ?). So finden wir denn die Gemeinde der erfien Chriſten nach der Erhöhung des Meifterd einmüthig verfammelt, verharrend in Ge⸗ bet und Flehen, fchon vor der Geiſtesausgießung. Nachdem diefe erfolgt und die Geneinte ſchon bebeutend angewachfen war, verfammelten ſich Bie Mitglieder täglih im Tempel zur Andacht, und hielten in Privathäuſern ihre gemeinichaftlichen Mahlzeiten, Später Agapen, Liebedmahle genannt 2). Nah dem Borbild Ehrifti Iobten fie bei jedem Mahle Gott in gemein« ſchaftlichem Gebet, jowohl für die zeitlichen Gaben, als für die durch Chri⸗ ſtum vollbrachte Erlöjung. Außerdem feierten die erften Chriften, io lange fie bloß zu SIerufalem eine Gemeinde bildeten und größtentheils aus ehe⸗ maligen Inden beftanden (Iudenchriften),, die fämmtlichen jüdischen Feſttage

1) Matth. 18, 1920. 2) Apoftelgefch. 1, 14; 2, 4647. Agape (aͤycinn) von dyanalı (ayanda und dyanlw, vom Stamm äydu), ich ſchaͤtze Hoch, verehre, liebe.

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fowie auch den Sabbath. Uber die Entflehung von Ghriftengemeinden in beidnifchen Städten hatte auch die Gmanzipation des Chriſtenthums vom Mofaigmus in Hinficht des Eultus zur nothwendigen Folge. Für Ges meinden , die ganz aus ehemaligen Heiden beftanden, hob Paulus die Beob⸗ achtung der Tage, Monate und Jahre, welche nach jüdiſchem Beleg für heilig galten, auf 5), Gemifchten Gemeinden rieth er, e8 folle in An⸗ fehung der Seterzeiten jede Partei die andere unangefochten bei ihrer Weiſe lafien, ob man bie jüdiſchen Feſte und heiligen Tage feire oder nicht, Beides folle um Ehrifti willen geſchehen ))Y. Wahrjcheinlich hatten auch die Ges meinden außerhalb Jeruſalems Anfangs täglich ihre -Zufammenkünfte. Ein» zelne Tage der Woche wurden erft als heilige hervorgehoben, als die Zahl der Chriften für tägliche Zufammenfünfte zu groß und ber Gegenfag gegen das judenchriftliche Element immer fchroffer ward.

In der unmittelbar. nachapoftolifchen Zeit treten als Faſttage unter den Heidenchriften hervor Mittwoch, Freitag und Samflag, Die beiden erfteren zwar nur bis Mittagd 3 Uhr gefeiert, ber Teßtere insbeſondere von der tömifchen Kirche im Gegenſatz gegen die Sabbathfeier der Judenchriſten als Safttag gehalten. Mittwoch und Freitag galten dem Andenken an daß Lei⸗ den und Sterben Chriſti. Der Sonntag, ald Auferftehungstag Chriſti, war fodann der vierte, der fröhliche Feiertag. An den genannten vier Tagen der Woche pflegten fih, zumal- während ber Verfolgungszeiten die chriſtlichen Gemeinden entweder bei Nacht oder um Die Morgendämmerung zum Gotteöbienfte zu verfammeln.

Durd die Verordnung des Kaiferd Konflantin, woburd am Sonntag alle weltlichen Geichäfte mit Ausnahme dringender Feldarbeiten und ber Breilaffung der Sklaven unterfagt waren, wurde der Sonntag zum Haupt« feiertag der Woche erhoben. Als das Abendmahl zum Meßopfer geworden, wurde an allen Werktagen um 12 Uhr Mefle gelefen. Die Mefle ver- drängte nad) und nad den andern Gottesdienft an ten Werktagen. Den Beſuch der Meſſe und Litanei am Mittwoch, Freitag und Samflag in der Brohnfaften gebot aber die Synode zu Mainz allem Bolfe, nachdem die Theilnahme an ten Wochenmeflen geringer worden. Die Reformation machte ihrerfeitö den Wochenmeflen, wie der Meffe überhaupt und den Faſt⸗ tagen, ein Ende. Dafür wurden in der lutherifchen und reformirteg Kirche,

3) Gal. A, 9—10. 4) Röm. 14, 4—6. Kol. 2, 16—17.

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freilich ohne daß man ſich an die althergebradhten Wochenfafttage band, Wochengottesdienſte mit Predigt, Gebet und Geſang eingerichtet, welche ſich in einzelnen Ländern noch bis Heute erhalten haben. Als Wochenfaſttag hat fich bei den Katholiken ber Freitag behauptet. Auch der Aſchermittwoch erinnert noch an das chriſtliche Alterthum, wo, wie bereits bemerkt, jeder Mittwoch ein Faſttag war. Wie die Feſtſetzung der Wochenfeiertage, ſo be⸗ ſtimmte das Leiden und die Verherrlichung Chriſti auch die jährlich wieder⸗ kehrenden Hauptfeſte mit ihren Feierzeiten. Dem Andenken an das Todten⸗ opfer Chrifti weihten die kleinaftatiſchen Gemeinden den 14. Tag bes Monats Nifan 5), indem fle Chriftus als das wahre Paflahlamın betrach⸗ teten. Biel nun ſchon die Zeit dieſes chriftlichen Feſtes mit dem jüdifchen zufammen, fo mußte vollends die Aehnlichfeit der Namen beider Befte (Paichafeft vom griech. muoyeıv, leiden, und Paflahfeft vom hebr. pasach, übergehen, sorübergehen) einen jchweren Verdacht auf Vermiſchung des Jüdischen mit dem Ehriftlichen erwedten. Daher erhob fid unter den übrigen Theilen der Kirche, welche am Sonntag nach dem erften Brühlingsvollmond die Auferftehung und am Freitag vorher den Tod Ehrifti feierten, beſonders die römische Kirche gegen jene Beflzeit der Kleinaitaten und um 190 drohte ihnen bereitd der römiſche Biihof Victor mit Auffündung der Kirchenges meinichaft, ein Benehmen, weldes man in jenem Beitalter noch mit der lauteften Mißbilligung zu züchtigen wagte. Erft die Synode zu Nicaͤa er⸗ ledigte diefen Streit zu Gunften der römifchen Kirche. Weit 325 ift die Beitbeftimmung für Charfreitag und Oftern in der ganzen Kirche fich gleich« geblieben. Dem Auferfichungdfefte ging übrigens eine vorbereitende, der Betrachtung des Leidens Chrifti gewidmete Baftenzeit voran, welde, ans fangs in den verfchiedenen Theilen der Kirche von ungleicher Dauer, endlich übereinftinmend auf 40 Tage feftgefegt wurte. Jeder hohe Feſttag ward mit einer Nachtfeier (Vigilia) eingeleitet. Später nannte man aud das Singen gewiffer Palmen nebft den Gebeten am Vorabend des Allerfeelen« tage® oder" einer wichtigen Todtenmeſſe Vigilien. Bevor das GChriftenthum fich unter die Germanen verbreitete, hieß das Bert des Todes und der Auferftehung allgemein Paſchafeſt, welcher Name

85) Nifan hieß der erſte Monat der Hebräer, welcher mit dem erften Neumond nach der Tags und Nachigleiche des Frühlings begann. Der 14. Nifan flel daher um die Zeit des erſten VBollmondes nach dem Acquinoctium. An dieſem Tage feierten die Juden das Paſſahfeſt.

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fih bei den romanifchen Bölfern erhalten hat. Bet den Deutſchen aber er- hielt das Auferftehungsfekt den Namen Oflern (engliih Easter) von ber Frühlingsgättin Oftara (angelfähftich Eastre ©), deren Feſt gefeiert wurde, fobald man das erfle Veildhen gefunden. Das Zufammentreffen dieſes chriſt⸗ lichen Feſtes mit dem heidniſchen Frühlingsfeſte in der Zeit und theilweiſe auch im Sinne mag die Verbreitung des EhriftentHums unter den Ger- manen nidyt wenig gefördert haben. Auferfiebung war ja die Loſung beider, An das Kreuz und Auferſtehungspaſcha ſchloß ſich eine Beflzeit von 50 Tas gen, Pentekoſte, deren Iegter Tag ald das hohe Pfing ſtfeſt anfangs allein hervorgehoben ward zum Andenken an die Ausgießung de heil. Geiſtes. Dieje 5Otägige Feſtzeit feierte die Verherrlichung Chriſti, welche von der Auferftehung an eingetreten. Im 4. Jahrhundert wart aus dieſer Feſtzeit no der vierzigfte Tag als Feſt der Himmelfahrt hervorgehoben?), Die Pentekoſte traf mit der den ganzen Monat gehaltenen Waifeier der Ger⸗ manen zujammen. Die Beiftedausgiegung vom Himmel ber fand bei ihnen um fo Schneller Anklang, da ſte an ein Herntederfteigen der fegnenden Götter auf die Erde während des Blüthenmonds Mai geglaubt hatten, Darum find auch fo viele der heidnifchen Bräuche, welche die Maifreude Fundgeben, im chriftlichen Deutfchland bis auf diefen Tag lebendig geblieben. Als Nebenfeier erjcheint im nadapoftolifchen Zeitalter dad Epiphanien=-, d.h. Eriheinungsfeft Chriſti, vielleicht zuerft von den Gnoftifern audgegangen, weldhe am 6. Iaguar .die Verbindung des Logos mit dem Menfchen Jeſu bei feiner Taufe im Jordan feierten. Die Kirche feierte während der drei erfien Jahrhunderte denfelben Tag zum Andenken, dab das Innewohnen des Logos in Jeſu ‚bei der Taufe geoffenbart worden. In Bolge der Lehrbes flimmungen über die Gottgleichheit des Weſens Chriſti und deſſen Verbin⸗ dung mit der menfchlichen Natur ſchon im Mutterfeibe verbreitete ſich gegen Ende des A. Jahrhunderts von der römiſchen Kirche aus die Feier der Ge— burt CHrifti, ald Erſcheinung ded Logos im Fleiſche, am 25. December. Der Epiphanientag ward daneben ald Tauffeft begangen. Im 7. Jahr⸗ hundert erhielt auch der erſte Januar feine Bedeutung ald Feſt der Beichnei- dung Chriſti, und unter den Proteflanten iſt am Neufahrötag noch Tange Dank gefagt worden für das foftbare, weil auch erlöfungskräftige Tröpf- _ lein Blut, welches Jeſus bei jeiner Befchneidung verloren. Die vier— 6) Bol. Thl. I, S. 299. | 7) Geftügt auf Apoſtelgeſch. 1, 3.

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wöchentliche Borbereitungszeit auf Weihnachten, der Advent, ward dur Gregor den Großen feſtgeſetzt, to daß nun eine dritte Beflzeit, deren Mittels punkt das Geburtöfeft Chrifti, dauernd von Ende Nonember bis zum 6. Ianuar, abgeſchloſſen neben den Beiden andern fland. Im Abendlande trat mit dem Ende des 4. Jahrhunderts eine allmälige Aenderung in der Ber deutung des Epiphantenfefled ein: e8 wurde bezogen auf die Erfcheinung der Weiſen aus dem Morgenlande, worin ja ebenfalld ein Offenbarwerden der göttlichen Weſenheit Jeſu lag. Im Uebrigen fiel auch die chriſtliche Wei h⸗ nacht mit einem Feſt des germaniichen Heidenthums zufammen, mit dem Julfeft®), welches nadı dem Fürzeften Tag gefeiert, die Wiedergeburt ber

Sonne froblodend begrüßte. Hier alfo Wiedergeburt des allbelebenden Tagesgeſtirns, dort Wiedergeburt der Menſchheit durch Einkehr des Gött⸗ Tichen in ihr. Der deutſche Chriſtbaum mit jeinen fchimmernden Lichtern fomboliftrt anmuthig die Verfchmelzung diefer Ipeen.

3.

Die vorerwähnten drei Feflzeiten bildeten feit dem Abichluß der dritten die Grundzüge des Kirhenjahres, an welche fih, zunädhft audgehend von der Verehrung der Märtyrer (Blutzeugen), im Lauf der Zeiten eine Menge anderer Feſte und Beiertage anfchlofien. Denn, wie das Heiden» thum1), wollte auch das Chriſtenthum neben dem Gottespdienft feinen Hervencult haben, Diefer chriſtliche Heroendienft erhiehereine reiche und reichfte Entfaltung, als die Kirche, nach erlangter Herrfchaft im römifchen ‚Weiche, der allmäligen Abſchwaͤchung des religiöfen Lebens unter ihren Sliedern Halb bewußt geworden, zu den beldenmüthigen Opfern der Vers folgungszeit als zu Heroen aufzublidlen begann. Zuerft freilich feierten nur ein« zelne Gemeinden die Todedtage ihrer Märtyrer auf deren Gräbern ald Tage ihrer Geburt zum höhern Leben in der Herrlichkeit (natalicia). Allein da die paulinifche Lehre von der Unverdienftlichfeit ber Werke praftifch inımer mehr in Bergefjenheit gerieth, da ſchon Origenes ed fr annehmbar erklärte, daß „alle Hingeichiedenen Heiligen die Liebe gegen die auf Erden Zurüd« geblieberien bewahren und diefe durch ihre Bürbitten vor Gott vertreten ;* ba er fogar behauptete, „wie wir durch das theure Blut des Herrn erfauft worden, fo können wohl auch Etliche durch das theure Blut der Märtyrer 8) Vol. Thl. U, ©. 388,

4) Bol. Thl. II, S. 183 fg. und ©. 300 fg.

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erfauft werden;* da endlich Cyprian und Euſebius 2) in diefen Ton ein- flimmten: fo Eonnte es nicht fehlen, daß-an den Martyrertagen bald ein wahrer Heroencultus geübt wurde.

Jede Kirche verehrte ihre beſondern Heiligen und hatte daher ihre be⸗ fondern Märtyrertage. Das Zuſammenſchließen der geiammten Kirche zu fefterer Einheit rief confequent dem Befte aller Märtyrer in der griedgifchen Kirche am Sonntag nah Pfingften, das Feſt aller Heiligen in der römifchen Kirche am 1.November hervor. Mit der ſteigenden Vergottung Chriſti wäh. rend der Streitigfeiten über feine Logodnatur wuchs ſodann auch Tas Anſehen feiner Mutter Maria und dies hatte die Einfegung von zwei Marienfeften zur Folge, des „engliſchen Grußes“ oder „Mariä Verkündung“ am 25. März, und des „Kirchgangs“ oder „Mariä Reinigung” am 2. %e- bruar. Späterhin fügte die germanifche Kirche nach der zuerfl von Epipha⸗ nius 3) verbreiteten Sage, daß die verftorbene Maria vor den Augen der Jünger in den Himmel erhöht worden, das Feft „Mariä Himmelfahrt * am 15. Auguft, hinzu. Schon 1140 feierten die ritterliden Domherrn von Lyon das Feſt der „unbefledtten Empfängniß Mariä”, welches aber erft im 14. Iehrhundert allgemeine Verbreitung fand.

Hatte man nun einmal den fpäteren Märtyrern ihre Ehrentage gege- ben, fo durften billig die Apoftel nicht vergeflen werden, um fo weniger, da man felbjt den Opfern des bethlehemitifchen Kindermordes, als Märtyrern für Ehriftus, dee 28. December, „der unfchuldigen Kindlein Tag”, weihte, Als Natalitie der Apoflel Petrus und Paulus brachte das auf dieſe feine Hauptmärtyrer, flolge Rom den 29. Juni in allgemeine Aufnahme, dazu das Feſt des Lehrſtuhls Petri, „Petri Stuhlfeier* den 22. Februar zum Andenken des Tages, da der Herr dem Petrus die Schlüffelgewalt über⸗ geben. Endlich ward als Gedaͤchtnißtag Iohannes des Täufers ter 24. Juni feftgefegt und fortan gefeiert. Daß diefer Tag befonders in Deutfchland zu fo großem Anfehen gelangte, erklärt fich daraus, daß er zwſammentraf mit dem altheidniſchen Feft der Sommerſonnenwende.

An den Heiligendienſt ſchloß ſich ſpäterhin der Reliquiendienſt, und auch dieſer dat feine Feſte gefunden in der „Kreuzerhöhung“ am 14. Sep⸗

2) St. 340 ala Biſchof von Bäfarea. 3) Seit 367 Biſchof von Conftantia auf Eypern, der Vater aller Kegerriecher, ausgeitattet mit der merkwürdigen Gabe, Dinge zu fehen,. die nicht find, und Ber: dammte zu wittern, wo noch Geiſt und Leben waltete.

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tember zu Ehren des von Kaifer Heraklius angeblich wieder eroberten 2) und in der „Kreuzfindung* am 3. Mai zu Ehren des von Helena, der Mutter Konftantins, angebli wieder aufgefundenen Kreuzes Chriſti. Auch den Engeln ward ihr @ultustag.e Im 7. Jahrhundert feierte Rom zuerft das Beft des Erzengeld Michael und die Deutichen nahmen daſſelbe zum Erfag für ihre Wodandverehrung willig an. Nach den Engeln erhielten ferner, von Glugny aus, auch die armen Seelen ihren Gedenktag. Seit Anfang des 11. Jahrhunderts feiert Die Kirche am 2. November das „Belt aller Seelen" zu ihrer Erlöfung aus dem Fegefeuer. Endlich durfte die Kirche ihrer eignen Verherrlichung gedenken. Papft Urban IV. erhob 1264 dag „Fronleichnamsfeſt“, weldes bisher in feinem ehemaligen Sprengel Lüttich gefeiert worden, zum allgemeinen Kirchenfefte. Der Triumph des Glaus bend an die Verwandlung der irdifchen Stoffe beim Abendmahl war ja jelbftverftändlich der Triumph der Kirche felbft, welche durd, jenen Glauben den Gipfel des Anſehens und der Madıt über die Gemüther erzeichte. Einen ganz andern Sinn haben die „Kirchweihfefte”, welche von jeder Gemeinde ſchon in derjenigen Beriode gefeiert wurden, wo ber Kirchenbau fich erſt recht zu entwideln begann. Da wird nicht die Kirche als religiöfe Gemeinfchaft verherrlicht, fondern die Erinnerung an die Einweihung des Kirchengebäubes aufgefrifcht und die Freude am Cultus überhaupt auögetrüdt. Unter den Kirchweihfeſten ift eins der befannteften das der Engelweihe“ zu Einftedeln in der Schweiz. Sehr einträglicy für die paͤpſtliche Curie wurde die Ein« führung der „Subeljahre* durch Bonifaztus VIII., welder feftiegte, Daß alle 100 Jahre den bußfertigen Befuchern der Apoftelfirchen in Rom, den Mömern 30, den Bremden 15 Tage lang vollkommener Ablaf für die Sün« den. des ganzen Lebens ertheilt werde. Das geſchah 1300 nah Chriſti Geburt. Noch beſſer fpeculirten die folgenden Päpfte, von denen Clemens VI. das Jubeljahr alle 50, Urban VI. alle 33 und Paul U. alle 25 Jahre wiederfehren hieß. .

Nach der Neformation haben fih von den bier genannten Feſttagen in der Iutherifchen Kirche erhalten der Kirchweihtag und der Allerfeelentag, jegt Todtenfeſt genannt ; von den Heiligentagen, befonder8 in Würtemberg, Peter und Raul, Johannis des Täufers Tag, Stephanus, Mariä Ber Fündigung und Reinigung, anderwärtd auch Michaelis als Engel» und

4) Heraflius ließ das Kreuz auf Golgatha wieder aufrichten, daher „Kreuzer⸗ hoͤhung.“

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Kinderfefl. Unter den Reformirten findet ſich nach größere Ungleichheit. Bon den Heiligentagen, deren Feier bie und da geblieben ift, nennen wir Stes pbanus, Johannes, Peter und Paul, Maria Verkündigung. Leitend bei ber Abihaffung von Weiertagen war das Sichabwenden der Reformation vo der Legende. Die meiften beibehaltenen Feſte und Heiligentage gründen fi anf die heil. Schrift. Die lutheriſche und reformirte Kirche feiern das Jubiläum der Reformation, von 1517 an gerechnet. Erſtere hat ihre jährliche Neformationsfeier tbeild am 31. Oktober, theils am 25. Juni; die reformirte Schweiz, mit Ausnahme von Graubündten und Thurgau, am Dreifaltigkeitöfonntag. Die Baftenzeiten der Eatholifchen Kirche wurten in den proteflantifhen auf Bußtage eingefchränft.

A.

In dem Gottesdienfte der erften Ehriftengemeinde zu Ierujalem fehen wir bereits alle Hauptfeiten des @ultus, wie ihn die fpätere Entwicklung der Kirche fortbildete, enthalten: das Gebet, die Predigt und bie Ver⸗ waltung der Sacramente. Die Chriftengemeinde machte damals noch Elite große Bamilte aus, welche in den täglichen Liebesmahlen die Ge⸗ meinſchaft des leiblichen. und geiftigen Lebens zugleich barftellte. Der Mpoftelgeichichte zufolge darf mit einiger‘ Sicherheit angenommen werben, e8 habe in der apoftolifchen Zeit zweierlei religiöſe Berfammlungen gegeben, bie einen zur Abhaltung der Liebesmahle, die mit Dankgebeten für bie ir« diſche Speife und die Wohlthat der Erlöfung dur Chriſtus verbunden waren und in der Beier des Abendmahles ihren Abichluß fanden, Die andern zur Erbauung der Gemeinde durch Borlefen von Stellen des A. X. und Bors träge derer, die fih vom Geifte zum Reden getrieben fühlten!). Bei den Heidenchriften fcheinen bie Liebesmahle nicht fo häufig gefeiert worden zu fein, obwohl fie auch bei ihnen mit dem Abendmahl verbunden waren. Merkmürdig iſt der in Korinth eingeriffene, von Paulus gerügte Mißbrauch, daß daſelbſt nach altgriechifcher Sitte bei Gaftmählern Jeder feine befondern Speifen und Getränke mitbrachte und für fich allein genoß, wodurch ber-

1) Auch in den heidenchriſtlichen Gemeinden burfte früher reden, wer ſich dazu getrieben fühlte, bis Paulus dem Redeeifer bes fchönen Gefchlechtes ein Ende machte mit dem berühmten: ‚‚Taceat mulier in ecclesia!‘‘ (Das Weib fehweige in der Ges meinte!) Bermuthlich fchien Gefahr vorhanden, es möchte der natürliche Redetrieb der Frauen nach und nach mit dem Antrieb des Geiftes verwechfelt werden.

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eigentliche Zwed der Agapen, die Darftellung brüderlicher Gleichheit Aller durch Genuß der gleichen einfachen Speifen, vereitelt zu werben drohte 2). Paulus war e8 ebenfalls, der dem „Zungenreden * in der Gemeindeverfamm« lung ein Ende machte, weil dies für die Wenigften verftändliche Neben in der Verzüdung, wobei der VBerzüdte ganz in fein eignes religiöſes Leben verfunfen war und der Außenwelt völlig vergaß, nicht zur gemeinfamen Er⸗ bauung dienen fonnte, fondern in die Einfamfelt paßte ?).

Die Privathäufer, in denen die Chriftengemeinden ſich verfammelten, entiprachen den jüdiichen Synagogen. Wehnli verhielt e8 ſich mit ber Benugung de8 A. T. zur Erbauung auch diefe Art der Andachtsübung Schloß fih dem jüdiſchen Eultus an, nur daß auch aus den Apofryphen des A. T. vorgeleſen ward, ‚und mit der Schriftbetrachtung freie Predigt des Evange- liums oder Vorleſen eines Paulinifchen Briefes, Letzteres freilich zuerft nur bei den Heidenchriften, abwechfelte. Schon in der apoftolifchen Zeit ertön⸗ ten Lobgefänge, meift Pialmen, deren Gebrauch wieder dem jüdifchen Eul- tu8 entlehnt war, wie denn Chriſtus felbft nach vollendetem Pafſſahmahl mit den Jüngern einen Lobgeſang gelungen hatte Beim Scluffe des Lie⸗ besmahles, welches wahrjcheinlich aus dem jüdiſchen Paſſahmahl bervorges gangen, ward zum Gedächtniß des Todes Chriſti und zur Erneuerung ber geiftigen Gemeinichaft mit ihm) nach feinem Beifpiel das Brot gebrochen und unter Alle vertbeilt, und der Kelch voll Weines machte die Hunde. Das war die urfprüngliche Abendmahldfeier bei Juden = und Heitendriften.

Wo bereitd eine Chriftengemeinde befland, ward die Taufe Neubefehr- ter ebenfalla in der Berfammlung vorgenommen und zwar auf den Qlauben, daß Iefus der Chriſtus, Gottes Sohn fei. Darin allein fcheint urjprüng« lich das bei der Taufe abzulegende Glaubensbefenntniß beftanden zu haben. Das fogenannte apoftoliihe Symbolum ift bedeutend fpäter entflanden und bat auch feine Geftalt mehrmals gewechielt, bis es fidh in der gegenwärtigen Form firirte. Vor dem A. Jahrh. zeigen fich nur unſichere Spuren befielben. Die ältefte Formel finden wir bei Marcellus von Ancyra (337). Sie ent«

2) 1. Ror. 11, 17—22.

3) Welches eigentlih die Sprache der „Zungenredenten“ geweſen, darüber if man gegenwärtig noch nicht einig. Paulus erlaubt übrigens das Zungenreden in ber Berfammlung unter der Bedingung, daß Leute mit der Gabe, es auszulegen, da feien. 4. Kor. 14, 27 und 28.

4) 1. Ror. 10, 16.

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 10

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hält zwar bereitö alle Artikel, aber es mangeln noch viele nähere Beſtim⸗ mungen 5). Außer diefer brachten die folgenden Zeiten noch ſechs andere Zormeln hervor, deren legte, dem griechiſchen Pfalter des Papftes Gregor J. entnommen, das apoftolifche Bekenntniß in feiner gegenwärtigen Form mit Ausnahme des Artifeld von der Höllenfahrt, flatt deſſen ein Hernieberfleigen in die Unterwelt gelehrt wird, enthält, Unſer apoftolifhes Symbol flammt mithin aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts. Die Kirche machte von die⸗ fem Glaubendbefenntnig Gebrauch bei der Taufe von Kindern und Katechu⸗ menen ; es ward auch bei der Abendmahläfeier und in der griechifchen Kirche vollends bei jedem Gottesdienſt verlefen.

8.

Sehen wir im apoftolifhen Zeitalter den Cultus, als gemeinfames Opfer der Herzen vor Gott, no im innigften Zufammenbang mit dem fitt« lich⸗religiöſen Leben der Ehriften überhaupt, fo fängt in der nachapoſtoli⸗ . Shen Periode bereit die Trennung des Cultus vom fittlichereligiöfen Leben an und das Folgende wird zeigen, daß mit ber wachlenden Entfaltung des Cultus in Formelweſen und Schaugepränge auch jener Riß immer Elaffen« der wird.

Daß die Abhaltung der Agapen auf den Sonntag befchränft wurde, läßt fi zwar aus dem Anwachſen der Gemeinden begreifen; daß aber auch eine Abſchwaͤchung der brüderlihen Liebe und des Gleichheitsgefühls zu den mitwirfenden Urſachen gehörte, erhellt daraus, daß die Agapen ſchon zu Anfang des 5. Iahrhunderts aufgehört Hatten. ine weitere Abweichung treffen wir bei ber Feier des Abendmahles ſelbſt. Beror nämlich Die Ger meinde betete um den heiligen Geift, Daß er ihr Brot und Wein zum Leib und Blut Ehrifli machen möge, brachte fie mit feierlichem Lob⸗ und Dank— gebet unter Emporhebung des Brotes und Kelches als finnbildlicher Zeichen

5). Wir feben es, aus dem Griechiſchen überfegt, zur Vergleichung hierher. „Ich glaube an den allmädhtigen Bott, und an Jeſus Chriftus, feinen eingebornen Sohn, unfern Herrn, der gezeugt ift vom Heil. Geifte mit Maria, der Jungfrau, der unter Pontius Pilatus gefreuzigt und begraben worden und am britten Tage aufer- fanden ift von den Todten, emporgefliegen in die Himmel und fich gefegt hat zur Rech⸗ ten des Vaters, woher er Fommt, zu richten die Xebendigen und Todten; und an den heiligen Geift, eine heilige Kicche, Berzeihung der Sünden, Auferftehung des Fleiſches, ewiges Leben.‘

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fi ſelbſt Gott zum Opfer bar, ein Uct, welcher in der apoſtoliſchen Zeit nicht vorfam und in ein einzelnes Moment des Gottesdienſtes zuſammen⸗ drängte, was eigentlich der Brundgedanfe des ganzen Botteßdienfled war. Die noch vorhandenen alten Liturgieen 1), in ihren Beſtandtheilen ge⸗ hörig geficdhtet, fowie die betreffenden Stellen der Kirchenväter laffen erfen- nen, daß damals der Gottesdienſt fchon ziemlich weitläuftg eingerichtet und genau formulirt war. Wir verfuchen in Kürze ein Bild von bemfelben zu entwerfen.

Der Gottesdienft hatte drei Hauptbeftandthbeile, den erbaulichen, an welchem allein auch die Katechumenen und Büßenden theilnabmen, fodann die Anbetung oder dad Opfer, endlich die Beier ded Sacramented. Der erfle Theil begann mit Gebeten für die Katechumenen, die Büßenden und bie eigentlichen Gemeindeglieder, auch für tie Befeflenen, wenn deren gab. Der Geiftliche betete laut vor, die Gemeinde befräftigte fein Gebet mit lau- tem Amen oder fonft entiprechenden Worten. Hierauf folgte die Vorlefung aus der Heil. Schrift bald des alten, bald des neuen Teflamented, woran Auslegung und Ermahnung ded Geiftlichen fih anſchloß. Die jeweilige Taufe Scheint am Schluß des erſten Saupttheild vorgenonmen worden zu fein; denn bevor das „Opfer * begann, mußten die Ungetauften und Büßen- den fihh entfernen. Worin das Opfer befland, haben wir bereits angeführt. Es ward eingeleitet mit einem kurzen Segensſpruch über die Gemeinde, welche denfelben erwieberte, Nun Fam die gegenfeitige Begrüßung mit dem heiligen Kuß?) und hierauf die Collecte für die Armen 3), meift in Lebens⸗ mitteln beftehend, aus welchen dann Brot und Wein für da8 Opfer und das Abendmahl ausgefondert wurden, Das Opfer ſelbſt, Euchariſtie, d. h. Dankfagung, genannt, ward von dem Geifllihen im Namen ber Gemeinde an einem Tifch, ber ald Altar diente, dargebracht. Das Opfergebet begann mit der Präfation, einem Wechſelgeſpräch zwifchen dem Geiftlihen und der Gemeinde. Rad dem erfien Opfergebet fang oder ſprach Die Gemeinde die Worte des jefaia’fhen Lobgeſangs: „Heilig, heilig, heilig iſt der Herr

1) Liturgie (Asszovpyle) griechiſches Wort für Dienſt im Allgemeinen, Gottes⸗ dienft im Befonderen.

2) Die Geſchlechter fagen aber von einander gefondert.

3) Die Eollecte für die Armen, welche im apoftolifchen Zeitalter in ganz freier Weile außerhalb der Berfammlung ftatt Hatte, ift hier bereite zum Cultus geworben. Die Folgen ließen nicht auf ſich warten.

10*

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Bott Zebaoth! Himmel und Erde find feiner Ehre voll d)!* War der Lob⸗ gefang verflungen, fo erinnerte der Geiſtliche, wie Chriſtus das Gedaͤchtniß⸗ mahl feines Todes eingefegt habe mit dem Befehl, bei jedem Genuß deſſel⸗ ben feinen Tod und feine Auferfiehung zu verfündigen, worauf die Gemeinde dies in kurzen, feierlichen Worten that. Die Opferbandlung endete mit der allgemeinen Zürbitte für die Kirche, die Berfolgten, die Kranken, jelbft für die heipnifche Obrigkeit, und dem Gebet des Herrn. Jetzt erfi kam als dritter Haupttheil die eigentliche Kommunion, wobei Brot und Wein unter Abfingen von Hymnen auögetheilt wurden. Mit Dank⸗ und Segend- gebeten fchloß die Communion. Weil man das einmal gefegnete Brot von der Kraft des Logos durchdrungen glaubte, ward ed den bei der Gommunion nicht Anwefenden zugefandt. Die Taufe beftand damals noch allgemein im Uintertauchen des Täuflings. Mit ihr verband ſich bereits der Erorcid- mus, d. 5. dad Herausbeſchwören des Teufeld aus dem Täufling, weldhes die Iutherifche Kirche beibehalten hat. Mochten das Abſchwören des Götzen⸗ dienfteß bei der Taufe und Die Erinnerung an das Teufelaustreiben durch Chriftus zur Entflehung des Erorcismus mitwirken, der Hauptentſtehungs⸗ grund defielben Liegt jedenfalls in der damaligen Lehre, daß der Teufel das Eigenthumorecht über jeden Menſchen befige, der nicht durch Chriſtus erlöſt worden. Zugleich ward die Taufe theild in Nachahmung der jüdiichen Be⸗ fihneidung, theild um die Wiedergeburt befehrter Heiden und Juden durch Beränderung des Namens außzudrüden, zum feierlichen Anlaß der Namend« ertheilung. Da in jener Beit die Kindertaufe noch nicht allgemein und bie Bahl der Neubekehrten groß war, fo bildeten die noch lingetauften, aber dem Chriſtenthum Zugewandten eine eigne Klafje, die der Katehumenen. Dieſe wurden in der äriftlichen Religton mit Zugrundelegung der bei der Taufe auszufprechenden Befenntnipformel unterwiefen. Schon in den Tagen der Apoftel war die Taufe keineswegs immer mit der Handauflegung verbunden 5), die apoftolifchen Väter verbanden dieſe Handlungen gewöhn- lich mit einander. Als jedoch das Anfehen der Bifchöfe flieg, nahmen fie die Handauflegung, durch welche der heilige Geift mitgetheilt werden follte, als ihr ausſchließliches Vorrecht in Anſpruch. In Folge deſſen Fonnte fie mit der Taufe nur noch verbunden werden, wenn der Bifchof taufte; früher

4) Sefaia 6, 3. 5) Apoſtelgeſch. 8, 14—17.

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oder fpäter ward fle aber jedem Betauften ertheilt als „Befräftigung * der Taufe, Iateinifh Birmelung‘), Schon in der älteflen Kirche wurden bie Neophyten nach der Taufe mit wohlriehendem Del (Chriſam) gefalbt zu Strei- tern Chrifti, Im der griechifchen Kirche blieb die Salbung durch den ge⸗ meinen Priefter gleich nach der Taufe; im der römifchen ward fie mit der Firmelung verbunden unt aljo dem Bifchof zugetheilt. Auch Die Beizies hung von Pathen ald Zeugen der Taufe flammt aus der nachapoftolifchen Periode. Bei erwachfenen Täauflingen bürgten fie für deren Aufrichtigkelt, bei Kindern für eine chriſtliche Erziehung.

Bereits hatte auch die Ehe, weil von Chriſtus ausdrücklich geheiligt, ihre beſondere Einſegnung, welcher, wie heutzutage noch, die Promulgation voranging. Die Brautleute wurden nach vollendeter Communion vom Geiſt⸗ lichen vor verſammelter Gemeinde getraut. In die naͤmliche Zeitperiode weiſen die mit kirchlichen Feierlichkeiten verbundenen Leichenbeſtattungen zu⸗ rüd. Am jeweiligen Todestage eines lieben Hingeſchiedenen ſpendete man in ſeinem Namen für die Armen oder den Altar, damit ſeines Namens im Kirchengebet Erwaͤhnung geſchaͤhe. Vom Ende des 3. Jahrhunderts an wurden, in Erinnerung an altheidniſche Sitte, auf den Gräbern der Mär- tyrer Mahlzeiten gehalten, wogegen die Kirche lange Zeit zu kämpfen hatte; denn fie felbft hielt auf den Gräbern der Märtyrer fürmlichen Gottesdienft unter Geſang, Vorlefen der heiligen Bücher und Gebet um die Fürbitte die- fer VBollendeten, wie ſchon Cyprian berichtet.

6.

Mit der Erhebung des Chriſtenthums zur Staatöreligion begann das Hineindringen.der großen Mafjen in die Kirche, dad äußerliche Chriſtwerden jener gegen das Religiöfe innerlich Gleichgültigen, welche auf Befehl des Fürſten eben -fo gehorfam den Unendlichen anbeten, wie fle den Priap füflen. Dies der Erflärungsgrund, warum die bereitd in den Cultus ein« gedrungenen heidniſchen Elemente von 312 an immer mehr die Oberhand gewinnen.

Die abergläubigften Vorftellungen mußten in den Cultus eindringen durch Beiſpiele, wie das des Konſtantinus, welcher ſich mit keinem andern als dem Waſſer des Jordan wollte taufen laſſen. Daß nicht blos die an das gelobte

6) Bon firmare, bekraͤftigen.

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Land ſich anfnüpfenden Heiligen Erinnerungen e8 waren, welche die Wallfahr- ten dahtn hervorriefen, bezeugt der Ausfpruch bes Hieronymust), „nicht das fet löblich, nur in Serufalem geweſen zu fein, ſondern in Serufalem gut ge= lebt zu Haben.” Aus den Wallfahrten gingen, wahrfcheinlich Durch den Einfluß des Biſchofs Ambroſtus von Malland zum allgemeinen Firchlichen Eultact geworden, die Proceſſtonen oder Bittgänge hervor, ein Brauch, wel⸗ her ſchon im Heidenthum vielfach geübt worden und noch jetzt gelibt wird. Einft war man unter Vortragung der Götterbilder um die Felder gezogen, Sructbarfeit zu erflehen; jegt z0g man unter Vortragung des Kreuzes, fpäter auch der Seiligenbilder und Reliquien, um die Kirchen, an nähere oder entferntere Orte, um Verzeihung der Sünden, Abwendung oder Auf« hören der göttlichen Strafgerichte zu erbitten.

Die Kaiferin Mutter, Helena, gab durd ihre Auffindung des vorgeb⸗ Itchen Kreuzes Chrifti dad Signal zum Neliqwienaberglauben, welcher den angeblichen Kleidern, Gebeinen und andern Veberreften Chriſti und der Heiligen magiſche Kräfte zuſchrieb. Erft im Mittelalter jedoch wurden bie Reliquien zu förmlidrer Verehrung in den Kirchen aufgeftellt. Gegen die einreißende Verehrung ber Chriftus= und Heifigenbilder durch Niederfallen und Anbeten eiferte fhon Auguſtinus. Welchen vergeblichen Kampf fpäter die griechifchen Katfer dagegen unternahmen, haben wir oben erwähnt. Nom begünftigte hier und immer das Eindringen des Heidniſchen in den chriftlt« hen Eultus aus „Mitleid mit der Schwäche des unmündigen Volkes“, aus „pädagogiichen Rückſichten.“ Danf dem Heiligen Umbroflus ward aud die Anrufung der Engel in den Eultus aufgenommen, weil es unbillig ſchien, ihnen geringere Ehre zu erweifen, als den Heiligen, um fo unbiliiger, da man bereits nicht allein Märtyrer zu verehren anfing, fondern auch Solche, die während ihres irdifchen Dafeins theils durch auffallende Frömmigkeit, theils durch ausgeſuchte Selbftpeinigungen oder Welffagungen u. dergl. die Bewunderung ihrer Zeitgenoffen erregt hatten.

Gheterbild und Göttermythus, Hetligenbild und Heiligenlegende, das läuft einander aufs Schönfte parallel. Es ift daher begreiflih, daß beim Beginn der Bilderverehrung agch die Erfindung von wunderbaren Geſchich⸗ ten über die Heiligen zur Blüthe gedieh, zumal ſchon die faljchen Evange»

4) Gebürtig aus Stridon, Vorfteher eines Vereins von Eremiten und frommen „Grauen zu Bethlehem, 331—420.

151

Hen vurch ihre Erzählungen über Chriftus ſelbſt an den Tag gelegt hatten, wie man kindlich und fromm dichten könne. Das Mittelalter benugte dann bie ſchon vorhandenen Legenden vielfach zur Erbauung der Gemeinde anflatt der Predigt über die heilige Schrift, ja feine Mönche Teifteten das Unerreich⸗ bare in felbfleigener Erfindung neuer Legenden über ihre Ordensheiligen. Im Uebrigen charakteriſirt e8 den Unterſchied zwifchen dem Cultus ber griechifchen und dem der römiſchen Kirche während des Zeitraumd vom 4. bis 11. Jahrhundert, daß in erfterer das erbaufiche, in letzterer das Titur« gifche Element vorzuherrichen begann. Die griechifhe Geſchwaͤtzigkeit gefiel fi in fünftlichen, prunkhaften Predigten über die fhlichten Worte der Schrift und die Kunft des Redners Iohnte lautes Beifallklatfchen feiner gleichgeſtnn⸗ ten Gemeinde. Die römiſche Kirche ihrerſeits hatte den Kirchengeſang, vornehmlich durch die Bemühungen des Ambrofius, zu einer anerkennens⸗ werthen Stufe fortgebilvet, und feſtſtehende Formeln für das Gebet, für die Spendung ber Sacramente, für die Wechfelreden zwiſchen dem Geiſtlichen und der Gemeinde (Kitanei), kurz eine vollftändige Liturgie, geſchaffen. Aus Altherkömmlichem und neu Hinzugefügtem hatte in der Mitte des 5. Jahrhunderts ſchon Leo der Große ein vollſtaͤndiges, Sacramentarium“ zuſammengeſtellt und ſich bemüht, demſelben allgemein kirchliche Geltung zu verſchaffen. Mit einigen durch tie Paͤpſte Gelaſius und Gregor I. anges brachten Veränderungen warb es endlich unter Gregor M. zu allgemeiner Geltung in der abendlaͤndiſchen Kirche gebracht. Da erft durch dieje Litur⸗ gie die Schlußworte der heiligen Handlung: Ite, missa est! allgemein ges bräuchlich wurden, fo fdheint das Abendmahl mit dem von diefen Worten dbgeleiteten Namen „Mefle* erft damals allgemein bezeichnet worden zu fein. Gregor VI. war es auf, welcher den Völkern des Abendlandes fammt jener Liturgie das Latein als ausſchlfeßliche Sprade des Tirchlichen Eultus aufzwang. Nur die Predigt blieb der Landesſprache überlaffen und ward fpäter von den deutfhen Myſtikern mit großem Erfolg in der Volks⸗ ſprache gehandhabt. Obwohl nun die genannte Liturgie ald vom Apoftel Petrus überliefert galt, ſahen fih die fpätern Päpfte doch gendthigt, viel⸗ fache Aenderungen an derfelben vorzunehmen, beſonders nachdem durch den volländigen Sieg der Transfubftantiationsichre daB Meßopfer zum Mittels yunft des ganzen Gottesdienſtes geworden war. Es müßte jedoch für uns fern Zweck zu weit führen, die ganze römifche Liturgie, wie fie ſeitdem im Geltung geblieben, näher darzuſtellen. Die beſte Kenntniß davon gewinnt

152

man durch eigne Anſchauung des katholiſchen Gottesdienſtes. Wir führen nur noch an, daß die Seelenmeſſen ſchon vor der kirchlichen Feſtſetzung der Verwandlungslehre eingeführt wurden, daß im 12. Jahrhundert, um ein Berfchütten des Blutes Chriſti zu verhüten, den Laien der Kelch allmälig entzogen ward?) und daß, was das Erhauliche angeht, nach der Reforma⸗ tion auch in der Fatholiichen. Kirche die Predigt nach Stellen der Schrift wieder zu höherer Geltung gelangt iſt.

In Hinfiht des Cultus hat Die Reformation nicht eben zur apoftoli- ſchen Zeit zurüdgeführt. Statt des Sacramentes ward die Predigt nad Texten der Schrift zum Hauptflüd und Mittelpunft eines jeden, felbft des Feſtgottesdienſtes. Die Abendmahlsfeier zog ſich auf beftiinmte Befttage

zurück. Die liturgiſche Einheit hörte auf; jede der Iutheriichen oder refor«

mirten Landesfirchen befigt nun ihre eigene Liturgie, faft jede ihr eigenes

Geſangbuch. Während in der fatholifchen Kirche der Volksgeſang mehr,

wenn nicht ganz zurüdigetreten ift, herrſcht er allein im Iutherifchen und re= formirten Gottesdienſt. Spuren der Litanei finden ſich gegenwärtig in Preußen. Das Abendmahl wird bei den Lutheranern am Altar empfangen (wandelnde Communion), auch hier und da in der reformirten Kirche; in etlichen Landeskirchen der Iegtern wird e8 von Bank zu Bank ausgetheilt (figende Communion). Un die Stelle der Firmelung dur den Biſchof trat in der proteflantiichen Kirche die Confirmation als feierliche Be⸗ flätigung des Taufbefenntniffes durch die nach empfangenem Unterricht mün« dig gewordene Jugend. Der Abendmahlsgenuß vor der Trauung wurde abgeichafft. Leichenreden eriegen nun bie Todtenmeflen. Gin Verſuch der preußiſchen Regierung, eine gemeinjchaftliche Liturgie (gende) für die unirte Iutherifchereformirte Kirche berzuftellen, iſt an dem theologifchen Parteigeift unfered Jahrhunderts geſcheitert.

7.

Chriſtus ſelbſt, der den Vater im Geift und in der Wahrheit anbeten lehrte, hatte ed nicht verfchmäht, bei der Stiftung feines Gedaͤchtnißmahles

2) Zur gleichen Zeit wurden die noch ungefirmelten Kinder vom Abendmahl ausgeſchloſſen. Seit die Kindertaufe allgemein geworden, hatte man nämlich die Kinder zum Abendmahl gelaflen. Diefe Verfügung war alfo nur eine Ruͤckkehr zur alten Katehumenenordnung. Damit vom Blute Chriſti Nichts vergeudet werde, mußten nun auch die Schnurrbärte der Priefter befeitigt werden. |

153

7

fowohl ald in feinen Gleichniſſen an die finnlihe Auffaffung des Menjchen anzufnüpfen. Denn in Sachen der Religion bat auch die Sinnlichkeit ihr Recht, gerade in dem Maaße, als fie geeignet ift, religiöfe Gemüthsftim⸗ mungen zu erwedfen oder wenigftens zu erhalten und zu fördern. Da fid nun bie Kirche von Anfang an ald eine Erziehungsanftalt zum religiöfen Glauben und Keben betrachtete, fo Fonnte fle im Eultus, ihrem Hauptmittel zur Erreichung dieſes Zweckes, der Sinnlichkeit ihr Recht nicht vorenthalten. Daß fie jedoch dieje Berechtigung der Sinnlichkeit nach und nad zu weit ausdehnte, in ihrer Geflaltung nad der Reformation hingegen zu fehr bes fchräntte, wird unfere Betrachtung der äußerlichen Erfcheinung des Eultus zeigen. Zu dieſer rechnen wir die Ogte feiner Ausübung, Die dazu ges brauchten Geräthichaften und Stoffe, und die dabei vorgenommenen Geremo« nien, von denen wir hier freilich nur der wichtigſten gedenken fünnen. Ihre vollftändige Aufzählung und Gefchichte würde ein dickes Buch füllen.

Wie bereitd angeführt worden, veriammelten fidh die erſten Chriſten in Privathäufern, zu Rom während der Verfolgungen oft in den Katakom⸗ ben, engen, unterirdifchen Höhlen und Gängen, welche urfprünglic Puzzo⸗ langruben gewefen waren und Dad Hauptmaterial zu dem feflen Mörtel der Römer geliefert hatten. Bald wurden einzelnen Chriften ihre geeigneten Häufer abgefauft, um biefelben zu Verſammlungsorten herzurichten. So ein Xocal erhielt dann, weil man den beidnifchen Namen Tempel noch fcheute, Eurzweg den Namen Ekkleſia, Verſammlung der Auserwählten, Es waren große, von Säulen geflügte Säfe, in welchen fih ein erhöhter Plag für die öffentlid) Redenden und Betenden und ein einfacher Tifch zur Qustbeilung des Abendmahles befand. Zu Anfang des 3, Jahrhunderts erhoben fi die erſten Kirchen. Unter den Kaifern Philippus Arab und Gallienus, welche den Chriften Ruhe ließen, nahm der Kirchenbau einen fo. allgemeinen Aufihwung, daß Diocletian bereit wahre Prachtgebäude vor« fand, als er die Zerftörung der Kirchen befahl. Schon fehr frübzeitig Hatte man die Kirchen mit Vorliebe über den Gräbern berühmter Märtyrer erbaut und daher heißen folche Botteshäufer in der griechifchen Kirche Martyrien, in der römiihen Memorien. Die practvollften und zahlreichſten Kirchen erhoben fich aber erfi nad) dem Siege des Chriſtenthums über das Heiden- thum. Da wurden auch die fchönften heidniſchen Tempel in chriſtliche Kir⸗ chen umgewandelt, in Rom z. B. das Pantheon und die Tempel der Veſta, der Fortuna, des Saturn, des Romulus und Remus und des Kaiſers An⸗

154 B

toninus. Bezeichnend iſt dabei, Daß den Göttern und Heroen, welchen jene Tempel geweiht geweſen, entſprechende Heilige im Beſitze folgten. Das Pan⸗ ſheon weihte Bonifazius IV. der ſeligſten Jungfrau und allen Heiligen. Marta erhielt die Tempel der Veſta und der Fortuna, Die Maͤrtyrerbrüder Kosmas und Damlanus bezogen den Tempel des Romulus und Remus, Auch die fhönften Baſiliken 1), urfprünglih zu öffentlichen Gejchäften beftimmte Prachtgebaͤude der Römer, wurden von Konftantin an in Kirchen verwandelt. Die Baftlifa war ein Tängliches Viereck, von doppelten oder vierfahen Säulenreihen der Länge nad durchzogen, und enbdigte in ein Halbrund. Das ward nun fo ziemlid die allgemeine Bauart audı der neu errichteten Kirchen. Auc den Namen empfingen die Gotteshäujer von ben Baſtliken, freilich mit der Deutung beffelben in ten Sinn: „Haus des Kö— nigs aller Könige.” Uebrigens wurden bie Kirchen auch anders genannt, in der griechiſchen Kirche Kugsaxn (oöxda) woher der Name Kirche d. 1. Haus des Herrn, gleichbebentend mir dem lateinifchen Wort Dominica, abgefürst Dom. Es Tag der Form der Bafllifa nahe, dem Bauſtyl der Kirche das lateiniſche lange Kreuz zu Grunde zu legen. Der untere Theil des laͤngern Kreuzſchenkels bildete daB eigentliche Schiff der Kirche, in wel⸗ ches man von Abend her eintrat. Gegen Morgen, am obern Theil des Kreuzes fland das Sanctuarium oder Helligthum, wo der Altar, Hinter ihm die Site der Gefftltchen und eine oder zwei Kanzeln flanden. Kleinere Kirchen hatten die ebenfalls altheidmifcdhe Geſtalt der Rotunde. Die Ver= Bindung derſelben mit der Baftlifa rief jene großartigen byzantiniſchen Bau⸗ ten hervor, üßer deren Kreuzdurchſchnitt ſich als Sinnbild des Himmels eine hochgewölbte Kuppel erhob. In der griechiſchen Kirche hatten aber damals auch nicht wenige Gotteshaäuſer das gleichſchenkelige griechiſche Kreuz zur Grundlage. Daß man in alle Kirchen von Abend her eintrat und die Ge— meinde ihr Antlitz gen Morgen zu richten genöthigt war, hatte feinen ſtun⸗ bildlichen Grund. Es follte dadurch daran gemahnt werden, daß Chriftus, die Morgenfonne des neuen geifligen Tages, im Ortent erfchienen und, wie Baſilius fagt, daß das Paradies, welches wir erftreben, einft von Gott im Morgenland erfchaffen worben ſei. Im Allgemeinen Hatte damals jede Kirche

1) Basilica nach Vitruv (V, 1) ein öffentliches Gebäude am Marft, beſtimmt zur Ausübung der Rechtöpflege, auch Handelszweden dienlid, im Innern mit doppels ten Säulengängen verfehen. Das urfprünglich griehiiche Wort (BaosAsxös) bedeutet bekanntlich Föniglich, Baoskın (odxia) Eönigliche Wohnung, Palaſt.

" 155 vier Abtheilungen, welche die vier Hauptklaffen ver Ehriften darſtellten: 1) den Borhof für die Büßenden und Katechumenen, 2) den eigentlichen Tempel oder die innere Halle für die vollberechtigten Gläubigen, 3) den Chor für die Sänger und niederen Kirchendiener, und 4) das Heiligthum im engern Sinne, wo gebetet, gepredigt ımd die Spendung der Saeramente vorgenommen wurde. Dad Heiligthum war durd Schranken "und Bor Hänge vom übrigen Kirchenraum getrennt. Der erhöhte Stuhl (Kathebra) des Biſchofs ftand Hinter dem Altar, rechts von ihm die Stühle der Priefter, links die der Diafone. 0

Bereits auch waren die Wände der Kirchen mit Bildern auß der heil. Geſchichte ausgeſchmückt. Selbſt die Dreieinigfeit wurde abgebilbet: Gott Bater in Geftalt eines Greiſes, Chriſtus als Lamm oder auf einem Lamme ſtehend, der heilige Geiſt nach einer Stelle des Johannisevangeliums (1, 32) in Taubengeſtalt. Dieſe Bilder waren gemalt oder in Moſaik eingelegt und wurden noch nicht verehrt. Erft die halberhabenen Bilder und vollends die Statuen riefen die Bilderverehrung hervor, da ſte entſchiedener zu finns licher Erfcheinung famen und daher dem finnlich « religiöfen Bedürfniß mehr fihmeichelten. Uebrigens bezeichnete Die Kirche, plauflbel genug, die Kirchen⸗ bilder ald „die heiligen Schriften Solcher, welde nicht leſen könnten.“ Buerft fanden fih die Bilder der Märtyrer nur in den Maͤrtyrerkirchen. ALS aber die Heiligenverehrung überhand nahm, füllten ſich alle Kirchen mit ihren und anderer Heiligen Bildnifſen. Zu Verzierungen der Kirchen wur⸗ ben auch rein ſymboliſche Bilder, wie der Sich, das Lamm, der Weinſtock, der Adler u. a. m. angewendet. Das Kreuz war zur Zeit Konflantins des Großen zu Rom und in andern Stäbten auf den Marktpläben aufgerichtet, zur Zeit des Chryſoſtomus begegnete es Einem bereitd auf allen Wegen ımb Stegen.

Wie fih der Kirchenbau vom 7. Jahrhundert an weiter entwicelte, wird das Kapitel von der Ariftlihen Kunft nachweiſen. Hier nur noch dies: Ie mehr die Predigt im Cultus zurüdtrat, defto weniger wurde beim Kirchenbau auf die akuſtiſchen Verhältnifie Rückſicht genommen. Auf der Höhe ihrer Entwicklung ſchien es die Firchliche Baufunft weſentlich dar⸗ auf abgeiehen zu haben, daß in den weiten Domen gleichzeitig möglichft viele Meſſen gelefen werden könnten. Begreiflich mußten daher die Kirchen nad) der Reformation wieder zur Grundgeſtalt einfacher Hörfaͤle zuruͤckkeh⸗ ven, damit der Hauptzweck des proteftantifthen Cultus, die Predigt, mög⸗

156 ®

lichſt gefördert werde. In der älteren Beit ward bin und wieder durch Sammerichläge auf Metall zum Bottesdienft eingeladen. Im 7. Jahrhun⸗ dert ertönten zum erflen Mal Kirchengloden und fie find vielleicht die erfte Beranlafjung zur Errichtung von Kirchthürmen geweien. Eins der mäd- tigflen Mittel, auf die Sinne der Gläubigen zu wirken, waren fie jedenfalls und find ed jetzt noch. Erſt mit den Glocken Täutete die Kirche ihren vollen Triumph ein.

8.

Schon im 2. Jahrhundert ward der Zifch, worauf dad Abendmahl verwaltet wurte, wegen des der Communion vorangehenden Dankopfers Altar genannt. - Anfangs waren diefe Tifche von Holz oder Stein und wurden nicht geweiht. Von Konftantin an famen die mit Bold, Silber und Edelſteinen verzierten Altäre auf. Pulcderia, bed Theodofius Schweſter, ſchenkte fogar der Kirche zu Konflantinopel einen ganz goldenen Altar, und vom Beginn ded 6. Jahrhunderts an wurden die Altäre auch eingeweiht. Inder Folge gingen fie über die einfache Form eines Tifches hinaus und wurden mit Eoftbaren .Teppichen und entlich mit Reliquien, Heiligenbildern und Blumen belaftet. Im 6. Jahrhundert, ald das Mefjelefen überhand nahm, wurden mehrere Aktäre in einer Kirche errichtet und fie mehrten ſich allmälig dermaßen, daß im 8. Jahrhundert Karl der Große die Errichtung „überflüffiger Altäre“ verbieten mußte, Die heiligen Gefäße, deren man fich von Anfang an zur Beier des Abendmahls bediente, waren der Kelch und die Brotjhüffel (voran, patena). Zuerſt unſcheinbar an Stoff und Form, wurden fe befonders unter dem prachtliebenden Konftantin häufig aus Gold und Silber verfertigt. Die Spezialgefchichte diefer Kirchengeräthe und der mit derielben eng zufammenbängenden Berwandlungslehre enthält eine Maſſe jublimen und fubtilen Blödfinns, womit wir und weiter nicht befafien wollen 1). Seit dem 13. Jahrhundert hörte das bedeutungsvolle Brotbrechen bei der Communion auf, weil dad Brot zu ganz Heinen Oblaten gebacken wurde, damit vom Leibe Chrifti Nichts verunehrt werde. Geit Die Mefle ald Opferung des Leibes Chriſti Durch den Priefter betrachtet wurte, heißt da8 Abendmahlsbrot Oblara (Opfer, vom lat. offerre) oter Hoftie

1) So verbot z. B. die Synode ‚von Tribur (895) ben Gebrauch hoͤlzerner Abendmahlskelche, damit „das Holz nicht fuͤrder Chriſti Blut einſauge.“

157

(eigentl. Opferthier). Die Proteftanten haben, um das Brotbrechen mög⸗ lich zu machen, wieder größere Brotlaibchen eingeführt. Die feierliche Ems porhebung der Hoftie bei der Wandlung * in.der Meſſe laͤßt fich bis ins 10. Jahrhundert zurücdverfolgen und ſchon im 12. Jahrh. gab bei dieſer „&levation * eine Glocke den Gläubigen das Zeichen zur Anbetung der Ho⸗ ftie, zuerft im Erzbischum Tours, bald darauf in der ganzen römiſchen Kirche. Durch dergleichen Neuerungen im Eultu8 pflegte man die kirch⸗ liche Feſtſetzung einer biäher beftrittenen Lehre, im gegebenen Ball der Trandfubftantiationdlehre, norzubereiten.. Wurden fle von ber Maffe gut. aufgenommen, fo wagte man getroft auch die entipreihende Neuerung in der Lehre 2),

9.

Im Vorhofe der Baſiliken befanden fih Brunnen oder fonftige Waffer- fammler, daneben Kanne, Becken und Mufchel, damit der Chrift vor dem Eintritt ind Gotteshaus feine Hände wajche, mit reinen Händen ben Leib des Herrn zu empfangen. Mit dem Verſchwinden der Vorhöfe vom 7. Jahr⸗ Hundert an fand die Waſchung in einem Becken innerhalb der Kirche ftatt. Der heilige Ort verlieh im Volksglauben dem darin befindlichen Wafler eine befondere Weihe, jo daß zum Bwede der Reinigung ein bloßed Belprigen mit demfelben hinreichend ſchien. Die Priefter, welche dem Teufel nicht bloß eine Herrfchaft über den natürligen Menfchen, fondern aud über die Elemente der Natur beizumelfen anfingen, gingen noch weiter und weißten das Sprengwafler durch Auötreiben des Teufels unter Beichwörungsformeln.

2) Die Geftaltung der Transfubftantiationsichre in der römifchen Kirche gab einen Hauptflügpunft für Hierarchifche Anfprüche ab. Es wurde von biefem Punkte aus während des Mittelalters das Unglaublichfte behauptet und angeftrebt. So ver- bot auf einer Synode vom Jahre 1099 Papft Urban, daß irgend ein Geiftlicher in ein Dienftverhältniß zu einem Laien träte, weil es fhändlih wäre, daß hochheilige Pries fterhände, weldhe was nicht einmal einem Engel vergönnt fei in der Mefle „ven allmädtigen Gott felbft fabrizirten“, Laienhänten dienfibar wären, welche täglich und nädtlich durch unfaubere Berührungen befleckt würden. Webrigens hegte und predigte noch der Hofprebiger Ludwigs XIV., der befannte Sefuit Bourdaloue, ganz diefelbe Anficht. Den Prieftern, meinte er, gebühre größere Ehre als der Sung- frau Maria, weil Jeſus Chriftus, unfer Bott, im Leibe der Jungfrau Maria nur eins mal Fleiſch geworden, während er tagegen in den Händen ber Priefter tagtägli, fo oft fie Meſſe läfen, Fleiſch werde.

158

Vergebens eiferten angejehene Kirchennäter dagegen als eine heibnifche Uebung 1); die Befprengung der Gläubigen durch den Priefler mit dem Weihwedel, dad Sichbetupfen mit Weihwafler in Borm des Kreuzes ward zulegt allgemeiner Cultusbrauch.

Waren in den Tagen der Verfolgung die Chriften oft genöthigt ge« weien, ihre nächtlichen oder unterirdiichen Zufammenkünfte mit Lichtern fünftlih zu erbellen, jo bewog das Wohlgefallen am Lichtglange und ſinn⸗ bildliche Deutung der brennenden Lichter auf Ehriftus, das „Licht der Welt“, die zur Herrſchaft gelangte Kirche, die Lichter auch am hellen Tage für ihren Gottesdienſt beizubehalten, und das Eonftantinifche Zeitalter zeigte feine Prachtliebe in Anfhaffung Eoftbarer Kirchenleuchter 2). In fpäterer Zeit fam die „ewige Lampe” auf, wahrfcheinlich veranlaßt durch das Gleichniß Ehrifti von den zehn Jungfrauen. WIE die Heiligen vollftändig die Stelle der alten Bötter eingenommen und zu Nothhelfern der Gläubigen gewor- den waren, fing man an, Wachskerzen ald Opfergaße vor ihren Bildern zu ' verbrennen; man that ihnen auch Gelübde und widmete ihnen nad Erfül« lung gewifjer Wünſche oder nach Rettung aus Gefahren Votivtafeln.

Die innerliche, aber nur deflo wirkfamere Reaction des Juden- und Heidenthums gegen daß flegreiche Chriſtenthum knüpfte endlich felbft an den Geruchsſinn der Gläubigen an. Noch der Kaiſer Theodoſtus hatte jeden Ge⸗ brauch des Weihrauchs felbft im Privatleben aufs Strengfte unterfagt. Was Half e8? Im 5. Jahrhundert hauchten bereits Käftchen und hohle Thierbilder ihre Weihrauchdämpfe über den Uktar, das Opfer und Die Prie- fir. Im 12. Jahrhundert famen die jchwingenden Rauchfäfſer auf, womit man die Reliquien und Heiligenbilder, Altar, Opfer und Priefter beräu— herte. Man gründete dieſe Ceremonie auf das A. T. und die Offenbarung Johannis (8, 3—6). Die proteftantifche Kirche hat-all dies Prächtige und Sinneberaufhende des Cultus entfernt. Befonderd die Bilderflürmer ver

1) Juſtinus Martyr bezeichnete diefelbe noch als eine Erfindung der Teufel zur Nachäffung der Taufe. Was zu feiner Zeit erft vereinzelt vorfam, flegte fpäter durch den Nberglauben der Menge und deſſen Pflege durch die Priefter. Wirklich hatten die Heiden bei der Pforte ihrer Tempel heiliges Wafler zum Beſprengen, auch Weihwebel, - womit ihre Priefter das Volk befprengten.. Das Wafler wurde mit Salz gemifcht und ebenfalls von den Prieftern geweiht.

2) Das Auffommen der Kirchenbeleuchtung am hellen Tage mag auch durch bie Erinnerung an den Leuchter des juͤdiſchen Tempels mit veranfaßt worben fein.

159

reformirten Kirche wollten Nichts mehr in der Kirche ſehen, als weiße Mauern ?).. Nur die Iutheriiche Kirche behielt den Altar bei, in der refor⸗ mirten wird meift der Taufflein in einen Abendmahlstiſch umgewandelt.

Längft waren in Griechenland die Waflerorgeln befannt geweien. Die erfte Windorgel joll Hieronymus im Jahre 400 in Jerufalem gehört haben. Im Abendlande, befonders in Deutfchland, vervollkommnete fich Died herr⸗ liche Inftrument ſehr ſchnell. Da aus Mangel an Volksbildung der Ger meindegejang bald ſehr unordentlich geworden, hatte Papft Vitaltanus im 7. Sahrhundert denfelben durch Errichtung kirchlicher Sängerchöre zu er⸗ jegen geſucht, welche von nun an in der Kirche immer allgemeiner in. Aufe nahme famen. Doch, ein Sängerchor erfeßte die majeftätifche Gewalt des Bemeindegefanges nit. Darum führte derfelbe Papft die Orgel zur Bes gleitung des Kirchengefanges ein. Die Drgeln erhielten prächtige Verzie— rungen und wurden fo beliebt, daß die Legende ihre Erfintung ter heiligen Cäcilia zufchrieb, welche in einer Weiheflunde der Engel Lobgefang vernom⸗ men und hierauf begnadigt worden, durch Lied Inftrument die himmlifchen Sarmonieen flerblichen Ohren nahe zu bringen. Die Bilderftürmer ber Reformation zertrümmerten in ihrem Vandalismus auch die Orgeln. In der Iutherifchen Kirche zwar wurden bie Orgeln beibehalten, in ber refor« mirten aber, zumal in der fchweizerifchen, jchaffte man fle ab, bis einzelne Städte im 18. Jahrhundert diefelben wieder einführten.

10.

Sp lange noch Erwachſene getauft wurden, erihienen die Tauflinge in.weißem Gewande, zum Zeichen, Daß fie den neuen, gereinigten Menfchen nermittelft Des Bades der Wiedergeburt anzögen. Bei der Trauung vor der Gemeinde war die Braut verfchleiert und bekränzt. Trotzdem, daß ſich die Scheidung der Cleriker von den Laien früh bemerkbar machte, fam doch lange Jahrhunderte hindurch fein eigentlich priefterliched, nur für den Eul« tus beflimmted Gewand auf. Die lange Stola, die furze Dalmatika, dic Alba, von ihrer weißen Barbe jo genannt, wurden bis ind 9, Jahr⸗ hundert von den Prieftern jowohl im Privatleben, wie beim Gottesdienſte getragen. Dann erſt ward verordnet, daß der Prieſter die Alba, in welcher er den Gottesdienſt verrichte, außerhalb der Kirche nicht tragen dürfe. Nur

3) Die freilich unfäglich troſtlos weiß find.

160

die Veränderung der Kleidermode unter den Laien erhob biefe von ben Prieſtern beibehaltenen Kleidungsſtücke allmälig zur Prieſterkleidung. Aus dem runden, geichlofienen Oberrod, den die Römer früher auf Reifen und Märfchen trugen, entwickelte ſich zuerſt das vorgeichriebene Alltagsffeid, dann, als die Laien ihn nicht mehr trugen und die Priefter fi feiner nur noch bei Ausübung des Eultus bedienten, das mit Gold, Silber, Evelfteinen und Perlen verzierte Mefgewand. Die proteftantifchen Geiftlichen wählten als ihre cultiſche Kleidung den einfachen, ſchwarzen Chorrod. Da und dort brachte die franzöftfche Revolution jenes fchattenähnliche ſchwarze Mäntel- hen der franzöftihen Abbes in Aufnahme, jenes Teichte Ding, welches hin- ten wie eine Schürze über den Brad herunter hängt. '

Wie alles Uebrige im Cultus, fo veräußerlichte ſich endlich auch das Gebet. Schon im 4. Jahrhundert Hatten die Einfledler der Thebais ihre - Gebete nach einem Kerbholz abzuzählen begonnen. Viel und lange beten galt dem überhandnehmenden Geifte der Werfheiligkeit für etwas Verdienft« liches, und es ift ganz folgerichtig, auch religiöfe Verdienfte, wenn man foldhe annimmt, gerade fo zu zählen, wie verdiente Taglöhne. Aus dem Kerbholz der Mönche und Einftedler entftand der Roſenkranz, welder je zehn Fleinere und eine größere Kugel funfzehn Mal enthält. Bei jeder fleinern wird ein Ave Maria, bei jeder größern ein VBaterunfer (Paternoster) gebetet. Im 13. Jahrhundert fam er durch die Domtnifaner, deren Ordens⸗ flifter ihm Die vorgefchriebene Geftalt gegeben haben foll, in allgemein kirch— lihen Gebrauch ). Im früheften chriftlichen Alterthum betete man mit ausgebreiteten Armen, um fo dem Leibe die Geftalt des Kreuzes zu geben. Dean beichrieb Kreuze mit den Händen bei jeder heiligen Handlung, insbe⸗ fondere bei der. Taufe und Benediction (Segensertheilung), ebenjo fpäterhin. beim Eintritt in Die Kirche und beim Hinausgehen, nachdem man zuvor die Finger in Weihwaffer getaucht. Auch bei Haufe befreuzigte man ſich ſchon frühe, vor wichtigen Unternehmungen, in Gefahren, beim Beginn der Mahl- zeit u. ſ. w. Bis zum 5. Jahrhundert war die Bekreuzigung nur eines Körpertheils, der Stirne (ald Sig des Geiftes) oder des Mundes (ihn vor fündlichen Reden zu behüten) oder der Bruft (Sig der argen Gedanken) ge=

4) Der Rofenfranz findet fich bekanntlich auch bei den Bupphiflen und Moham⸗ medanern. Heibnifche Völker von hoher geiftiger Regſamkeit, wie bie Hellenen und Germanen, hatten ihn nicht.

161 braͤuchlich, hernach befchrieb man das Kreuz über alle dieſe drei Theile (deutſches Kreuz) oder ſtatt des Mundes über die beiden ‚Schultern (lateini⸗ ſches Kreuz). Gewöhnlidd wurde beim , Kreuzmachen“ die Dreieinigkett angerufen. Buerft ein Hülfsmittel fittliher Wachſamkeit, ward die Bekreu⸗ zigung bald und immer mehr für ein Mittel von magiſcher Kraft gegen den Fürſten der Hölle und ſeine Dämonen gehalten.

Ein Heraustreten des Cultus aus der Verſammlung der Gemeinde erkennen wir beſonders in der Nothtaufe, in der Privatcommunion und der letzten Oelung. Die Nothtaufe war eine Folge der nachauguſtiniſchen Lehre, daß ungetauft verſtorbene Kinder nicht ſelig würden. Auch in der proteſtan⸗ tiſchen Kirche iſt fle Hin und wieder ertheilt worden, wo nämlich der Volks⸗ glaube flärfer war, als der Geiſt der Neformatoren. Aus der früher er- wähnten Sitte uralter Zeit, das übriggebliebene Nachtmahlsbrot für die zu Haufe gebliebenen Gläubigen mitzunehmen, entfland die Mitteilung des Sacramentes an Sterbende. Im 12. Sahrhundert ward die „letzte Delung” Todkranker ebenfalls zum Sacrament erhoben.

Achtes Kapitel.

Die Kirche: ihr Triumph, ihre Verfaſſung, ihre Spaltung. |

1.

In den beiden vorhergehenden Kapiteln iſt dargeftellt worden, wie bie Baflung der Lehre Chriſti im Verlaufe der Jahrhunderte theoretifch ſich ent» widelte und wie die jo außerordentlich wandelbare Theorie im Eultus den entfprechenden praftiichen Ausdrud fand. Jetzt find tie Wandelungen ber religiöfen Gemeinfchaft zu betrachten, welche von Ehriftus unter den Men⸗ hen geftiftet wurde. Wir Handeln aljo in diefem Kapitel von der Hrift- lihen Kirche im weiteften Sinne des Wortes; denn fernab von ber hiſto⸗ rifhen Betrachtungsweife Tiegt jener Particularismus, welcher in dieſer oder jener Kirche oder Confeſſton die „allein feligmachende * erblidt. Wir ver

Schere, Geſch. d. Religion. IM. 11

162

fieben daher unter der Kirche Chriſti die Geſammiheit derer, welche Jeſus von Nazareth als den Chriſtus anerkennen, weil dies das Gemeinſame aller chriſtlichen Fractionen iſt.

Die rein aͤußerliche Entwicklung der Kirche vollzieht ſich im ihrem Kampf gegen dad Juden⸗ und Heidenthum von den älteften Zeiten bis auf die Gegenwart. Ihre rein innerliche Entwicklung ftellt ſich dar in der Ge- fhichte der Kirhenverfaffung. Eine Bolge der Entwidlung in Lehre, Eultus und Verfaſſung, aber bie äußere Geftaltung der Kirche bebingent, ift die Geſchichte der Kirchentrennungen, welde unter Anderm -aud das Sektenweſen zu berühren bat. Don dieſen drei Gefichtspunften aus wird ſich Die Kirchengeichichte im eigentliden Sinn des Wortes eben fo Harald erihöpfend darlegen laffen. Die Anfnüpfungspunfte an die Entwidlungs- geichichte der Lehre und des Cultus werben ſich von jelbft in genügender Anzahl darbieten.

2.

Das EhriftentHum war aus dem Schooße des Judenthums hervor⸗ gegangen; unter den Juden war der erfte Wirfungsfreis feiner Apoftel; Die Eriftenz des Judenthums bedrohte es zuerft und hatte daher von dieſer Seite Her die erſten Anfechtungen zu beftehen. Die Apoftelgefchichte ta- tirt das erſte jelbfiftändige Auftreten der Gläubigen ald Gemeinde, den erfien Eroberungszug des Chriſtenthums in das Gebiet ded Hebraismus, son der Geiſtesgusgießung am Pfingſtfeſt, wo die Gläubigen ausgerüſtet wurden mit den nöthigen Waffen (Geifteögaben, Charismen) zur Eroberung des Erdkreiſes. Wie immer man fih dieſe Wunderlegende zurecdtlegen möge, bei Gelegenheit irgend eines außerorbentlihen Ereigniſſes muß bie Mittheilung des „Geiftes“ vermittelt Handauflegung ber Apoſtel, dieſe Durch die Geſchichte des Cultus zu hiſtoriſcher Gewißheit erhobene Thatfache, Ihren Anfang genommen haben; denn der allgemeine Glaube der erften Jahrhunderte an den Erfolg der Handauflegung läßt ſich kaum anders er- flären.

Gleich nach der Geiſtesausgießung find der Gemeinte, laut der Apoſtel⸗ seichichte, Durch eine Rede des Petrus bei 3000 Seelen Hinzugefügt worden ; daranter helleniftiiche Juden (die unter den Heiden wohnten und aufs Feſt mach Ierufalem gefommen waren) und Profelyten (Sudengenofjen), welche Ießtere bereitö das heidenchrifiliche Element in der Gemeinde vertraten.

0 PTODEe, "REDET FEVE UOR

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ech dachten, wie es ſcheint, die Synedriſten an Fein Cinſchreiten; wer⸗ muthlich, weil ſie mit der perſönlichen Unterdrückung Jeſu auch feine Sade dvernichtet zu Haben meinten, Als aber die Predigt der Apoſtel Petrus und Johannes von dem Auferflandenen im Tewpel vor allem Volk Aufſehen er- regte, erhob fich beſonders die fabbugatfche Partei gegen die, und Die Übrigen Rathsglieder widerſetzien ſich den Gewaltthätigfeiten gegen die Apoſtel um jo weniger, da in der Prebigt ber Apoſtel nom gekreuzigten und aufer⸗ Randenen Meſſtas ein Vorwurf auch. gegen fie als Mitſchuldige feiner Kreuzi⸗ gung enthalten war. : Nur der Pharifüer Gamaliel. warnte, unter Hin⸗ wetfung auf die bereitö erfehienenen falfehen Propheten Theudas und Judas, allzuweit zu gehen, worauf fid) der Rath, da die Apoſtel ſchon Gefängniß- ſtrafe erlitten, begnügte, ihmen Streiche geben zu laſſen, mit dem firengen Verbot, jemald wieder dergleichen Lehren vorzutragen. Aber fie Zehrten ſich nicht daran und wirkten nur um fo eiftiger fort.

Eine weitere Verfolgung ging etwas fpäter von dem Geſatzeseifer der „harifäifchen Partei aus. Der Diakon Stephanus, der Erſte jener Rich⸗ ung unter den Chriſten, welde die Losreißung des Ghriftenthums som Mofaismns erftrebten, hatte die Unzulänglichteit des moſaiſchen Geſetzes und Gottesdienſtes in öffentlicher Synagoge, dann auch vor dem hoben Mash serföchten. Cr wurde dafür gefleinigt und derſelbe Saulus, welcher fpäter« Bin dieſe naͤmliche Richtung zu ihrer durchdachteſten Ausbildung bringen follte , ſah damals dem Märtyrertode ſeines Vorgaͤngers mit Wohlgefallen gu, ja er wird als der Eifrigfe bei der mit Stephanus Hinnichtung aus- brechenden allgemeinen Ghriftenverfolgung zu Jeruſalem genannt. Dieſe MBerfolgung bezeichnet den Beginn der Verbreitung bes Ehriſtenthums außer halb Jeruſalews. Philippus firente mit großem Erfolg den Samen daß Esangeliums in Samaria aus. Andere flohen nach Damaskus und fuchten dort dem Evangelium Anhänger zu gewinnen. Damals find die erſten Sendboten Chriſti auch nach Antiochien, ber,gewaltigen Sauptſtadt Sprieus, gekommen. Auf die Nachricht von dieſer weitern Ausbreitung bed Chriſten⸗ thums verlangte Saulus Vollmacht vom Synedrium, die Verfolgung auch in Damaskus zu beginnen, ba ward er, wie er im erſten Korintherbrief 415,8) ſelbſt andeutet, durch sine Erſcheinung Ehriſti bekehrt. Stattnen die Chriſten in Damaskus zu verfolgen, predigte er daſelbſt fofort den Glau⸗ ben an Chriſtus und ward mit knapper Noth vor der Wuth der enttaͤuſchten Juden errettet. Die Bekehrung bed Saulus, welche zwiſchen 35— 41 nach

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Chr. Geh. geſetzt wird, ift eins der folgenveichfien Greignifle in der Kirchen⸗ geihichte. Er war Schüler des Phariſäers Gamaliel, ein feuriger Eiferer für das Geſetz Mofls, ein durchaus offener Charakter, und plöglih, äußer- li wenigftens nicht vorbereitet, {fl ex der Mann, welcher dem Geſetze Mofls den Todesſtoß verfegt und das Chriſtenthum zur Weltreligion erhebt! Dergleichen Feuergeiſter find in ihren plöglichen Umwandlungen wie eine Kugel, die, im faufenden Fluge auf einen undurchdringlichen, elaftifchen Gegenſtand ſtoßend, mit eben fo großer Heftigkeit die entgegengefegte Rich⸗ tung einſchlaͤgt. =

| Während fih das Wirken des großen Heidenapofteld in Damaskus vorbereitete, fühlte fih aud Petrus, der Kauptapoflel „Derer aus der Be- fihneidung *, durch eine „Höhere Erleuchtung * auf die Befehrung der Heiden hingewiefen und begann diefelbe mit dem römiihen Hauptmann Cornelius zu Joppe. Mit Geſchick vertheidigte er ſich hierüber gegen die Vorwürfe der fireng moſaiſch Gefinnten im jüdiſchen Lande. Auch zu Antiochia gab e8 bereitö Heidenchriſten, welche von helleniftifchen Juden aus Eypern und Cyrene befehrt worden waren. Sicherer, als in Damaskus, Tonnte Pau⸗ lus 1) hier feine Wirkſamkeit fortiegen. -Barnabad, ber. ihn aus feiner Vaterſtadt Tharſus abgeholt, war fein Mitarbeiter in Antiochia. In diefer Stadt erhielten die Gläubigen von ihren heidniſchen Gegnern zuerft den Na⸗ men Chriftianer. Bon den Juden wurden ſie verähtlih Galiläer oder Nazaräer, fpäter au von den Heiden Nazarener genannt.

Die zweite Chriftenverfolgung zu Ierufalem, nur gegen einzelne Sührer der Gemeinde gerichtet, erhob Herodes Agrippa, um, wie Die Apoftelgeichichte andeutet, fich bei den Juden beliebt zu machen und durch folchen Eifer für das Geſetz Moſis viel Unmoſaiſches in feinen Handlungen zu bebedien. Jakobus, den Sohn des Zebebäuß, Ließ er mit dem Schwerte hinrichten, den Petrus in Ketten legen. Er machte aber der Verfolgung ein unfreiwilliges Ende, indem er an einer efelbaften Krankheit verfchien. Die erfte Mifftonsreife des Paulus, in Begleitung des Barnabas unternommen,

4) Man vermuthet, Baulus fei fein Name als römifcher Bürger, Saul fein jüdifher Name geweien. Daß er von Apoſtelgeſch. 13, 9 an immerfort Paulus genannt wird, hat wohl feinen Grund fchwerlich in der Belehrung des Sergiue Paus Ius, fondern darin, daß die Apoftelgefchichte mit jenem Kapitel die Erzählung feiner Miffionsreifen beginnt, durdy welche fein römifcher Name befonders berühmt geworden war als gebräuchlicher Name bes Heidenapoftels.

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wird ziemlich übereinflimmend in das Jahr 44 geſetzt. Don Antiochien aus gingen fie nach Seleucia und fhifften von da nad ber Inſel Cypern, wo fie den Statthalter befehrten. Weiter ging bie Neife nach den Flein« aftatiichen Landſchaften Pamphylien, Piſidien und Lykaonien, dann wieder durch die nämlichen Bezirke zurück nach der Küftenftabt Attalia, von wo fie nach Antiochien zurückkehrten. Auf diefer Reiſe predigte Paulus überall zuerft in den jüdifchen Synagogen, wo folche vorhanden waren. Die Hei⸗ ben hörten ihre Predigt theild in diefen Derfammlungen , theild warb ihnen das Evangelium bejonderd vorgetragen. Die fireng mofaifch gefinnten Ju⸗ ben jtritten zuerft mit den Apofteln in den Synagogen. Als fie jedoch mit geiftigen Waffen Nichts ausrichteten, machten file Gebrauch von ihrer allbekann⸗ ten Gefchicklichkeit, Aufruhr zu erregen, und hegten, wo ſie fonnten, ben heidnifchen Pöbel zu Gewaltthätigkeiten gegen Die Apoſtel. Das war außer» halb SIerufalems, zum Theil auch in biefer Hauptſtadt ſelbſt, der Juden Kampfweiſe gegen das Chriſtenthum. Nachdem die Apoftelverfammlung zu Jerufalem ungeachtet eifriger Vorftellungen, die von gläubig gewordenen Pharifaern ausgingen, beichloffen Hatte, den Heiden, welche Ehriften wer⸗ den wollten, die Beſchneidung zu erlaffen, und nur die Befolgung der vier noachiſchen Gebote von ihnen zu fordern, unternahm Paulus, abermals von Antiochien aus, feine zweite Belehrungsreife um das Jahr 50. In Bes gleituung von Timotheus und Silas befuchte er die in obgenannten klein⸗ aftattfchen Städten geftifteten Gemeinden, durchzog Phrygien, Galatien und Myften und fegte von Troas nach der Infel Samothrafe, von da nad Mace⸗ donien über, wo er zu Philippi und Teffalonich Gemeinden grüntete. Weiter predigte er dad Evangelium in Berve und Athen. Einen längern Aufent- halt nahm er zu Korinth. In Epheſus fodann ward er wohl aufgenommen, blieb aber nicht ange daſelbſt, fondern reifte über Eäfaren nach Ierufalem. Auch auf diefer zweiten Reiſe erfuhr Paulus in Theffalonih und Beroe Proben von der Aufwieglerfunft der Juden. Ihre Läfterungen in ber Synagoge zu Korinth bewogen ihn, die Juden dajelbft aufzugeben und fid den Heiden zuzuwenden. Bon Antiochien aus unternahm Paulus jpäter feine dritte und letzte Mifftonsreife um das Jahr 54, hauptſächlich zur Stärfung und Vergrößerung .der bereitd geftifteten Gemeinden in Ephefus, Macedonien, Griechenland und Troas. Während eines längeren Aufents Haltes zu Epheſus erhoben fid zum erften Mal, ohne von den Juden anges ftiftet zu fein, die Heiden gegen ihn. Der Silberarbeiter Demetrius fanımt

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feinen Zunftgenofien, denen nicht mit Untecht bange war um den Berluft bes reihen Gewinns, welchen ihnen die Nachbildung des hochberuͤhmten Dianentempels in Silber brachte, erregten einen Aufſtand gegen bie &hriften, jeboch ohne weiteren Erfolg. Durch Varſtcht entging Paulus auf biefer feiner dritten Reiſe den Nachflellungen ver Juden. Bu Jeruſalem ſelbſt aber, wo er zur Beler des Mflnofkfefles eingetroffen, erregten bie daſelbſt anweſenden aftatifihen Juden einen fo gewaltigen Aufruhr gegen ihn af& Berftörer des mofaifchen Geſetzes, daß die Römer nur mit Mühe fein Leben retteten. eine weiteren Schickſale find bekannt. Don der römifchen Ge⸗ fangenichaft aus wirkte er noch durch Briefe und Sendboten auf die von ihm geftifieten Gemeinden. Im der großen Chriftenverfolgung unter Nero fol er enthauptet worden fein. '

In Rom war eine Ehriftengemeinde durch Iudenchriften ſchon vor dem Jahre 54 gefliftet worden. Gegen Enbe des 1. Jahrhunderts zeigen ſich Ehriftengemeinden bis an Den Euphrat Hin, ferner in Aegypten (Alexan⸗ drien), im proconfularifden Afrika, in Spanien, Gallien und Britannien, ohne daß fih deren Urfprung mit hiſtoriſcher Sicherheit nachweiſen Tiefe. Die Widerſtandskraft des Judenthums war mit der Berflörung Ierufalems gebrochen. Von da an mußten die Juden Bei den heitnifchen Chriſtenver⸗ fülgungen die Gelegenheit fuchen , ihren Eifer für das Geſetz an den Chri⸗ fen zu bethätigen. Nur in jenem legten furditbaren Auffladern bes jüdi⸗ fihen Nationalgeiſtes unter Sadrlan, als in dem „Sternenfohn” der erwartete Meffias begrüßt worden und unter beffen Anführung das. Teßte jüdische Heer Paläſtina durchzog, konnte Moſes noch einmal an den verhaß⸗ ten Nazaraͤern gerächt werden ohne Beihülfe der Heiden. Als Rom damals die Macht des Judenthumd vernichtete und auf den Zrümmern von Jahve'a Tempel die Statue des Jupiter Capitolinus aufrichtete, Hatte fein eigener der ſetzungsprozeß durch das Chriſtenthum fehon begonnen.

3.

Mit Nero begann das bisher meift gleihgültige oter aus Geringe ſchaͤtzung nachſichtige Heidenthum feinen Kampf gegen Dad ChHriftenthum, zwar noch nicht aus prinzipiellen Gründen, wie fpäter die befferen Kater, Trafan, SHadrian, Antonimus der Philoſoph, Severus und Diocketian diefen Kampf führten, fondern zunähft aus Rachewuth Aber die Verbrenmng Noms,

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welche der kaiſerliche Phantaſt ſelbſt angeordnet, um ſich Troja's Band recht lebhaft zu vergegenwärtigen, deren Anſtiftung ex jedoch bald auf die Chriften zu fchieben für gut fandt). Der in Rom herrſchende Haß gegen bie Iuden umfaßte auch die Ehriften, aber bio&, weil man fle al& eine jüdiſche Sekte Betrachtete und zum Theil mit jenen Zeloten unter Judas dem Gauloniten, die auch Galiläer genannt wurden, verwechfelte 2). Daß Nero zum Schilde feiner eignen Sicherheit fkatt der Juden die Chriſten wählte, hatten Erftese wefentlich einigen mächtigen Zürfprechern unter Nero's Künftlingen zu. veus danfen. Diele erfte Chriftenverfolgung in Rom war bie Urſache, daß Mom den Chriften ald da8 zweite Babylon erfchien, deffen Untergang ,: ihrem Glauben zufolge, die Offenbarung Johannis weiffagte, und Nero ald der Antichrift,, welchen die Offenbarung darftellte als das Thier mit den ſieben

1) Der ſtrenge Tacitus, gewiß fein Freund Nero’s, läßt es indeſſen unentfchieden, ob Nero wirklich der Anftifter des Brandes geweien. Sequitur clades, forte an dolo principis , incertum , nam utrumque auctores prodidere. Annal. XV, 38.

2) Wir werden unten fogleich auf die Gründe zu fprechen fommen, welche ben Römern die Ehrifen verdächtig machten. Hier fei der berührt, daß jene auch in ben Schriften der Kirchenväter häufig betonte Gcheimnißthuerei, womit die Chriften ihre gottesdienftlichen Uebungen vollzogen, namentlih das Myfterium des Abendmahls,

bei den Heiden den allerfhlimmften Argwohn erwedte. Selbft wiſſenſchaftlich und

fittlich fo hochgebildete Mönner, wie Tacitus, blickten auf die Chriſten mit unver⸗ bolenem Abfıheu. Man höre nur des großen Geſchichtsſchreibers berühmten Bericht über die Gürifßienverfolgung unter Nero: „Um das Gericht (daß er der Anz Bifter des Brandes von Rom ſei) zu vernichten, unterſchob Nero Schuldige und belegte diejenigen mit den ausgeluchteften Strafen, welde, wegen ihrer Abfcheulichs feiten verhaßt, vom Pöbel Ehriftianer genannt wurden. Diefes Namens Urheber, EHriftus, war unter des Tiberius Regierung von bem Procurator-Bontius Pilatus Bingerichtet worden. Der heillofe Aberglaube, für den Augenblick unterdruͤckt, brach neuerdings ana, nicht nur in Judaͤa, dem Mutterlande dieles Unheila, fondern quch in Rom, wo ja überallher alles Scheußliche und Schmachvolle zuſammenſtroͤmt und Anhang gewinnt. Nun wurden zuerſt Solche ergriffen, die ſich dazu (zum Chri⸗ ſtenthum) befannten, dann auf deren Angabe eine große Menge, nicht ſowohl bes Verbrechens der Brandfiiftung als vielmehr des allgemeinen Hafles der Menfchheit Ueberwiefener. Ihre Hinrichtung ward mit Hohn begleijet, indem fie, in Thierfelle gehäft, von Hunden zerfleifcht wurden oder, mit Bed; überzogen, bei einbrechender Ounkelheit als Fadeln brannten. Deßhalb regte Ach für die allerdings Schulkigen und mit Recht auf unerhörte Weiſe Veftraften-bas Mitleid." Annal. IF, 44. Gueton (Nero, 16) bezeichnet Die Christiani als ein genus hominum superstifionis novae ac malifieae feine Menfchenart von neuem und bösartigem Aberglauben).

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Köpfen und fieben Hörnern, defien Zahl 666 iſt?). In der Verfolgung unter Nero foll audy Petrus den Maͤrtyrertod erlitten haben. Das Schick⸗ fal der übrigen Apoſtel gehört großentheild den Dichtungen der Legende an. Unter ihnen foll blos Johannes eined natürlichen Todes geftorben fein.

Bei der bier gebotenen Gelegenheit bemerken wir, daß, was die Blut⸗ zeugen der Religion Chriſti angeht, die Zahl der Märtyrer durch Die Legende ohne Zweifel bedeutend übertrieben worden ift, da und dort geradezu in’s Ungeheuerliche. Indeffen das tumultuarifche Verfahren des heibnifchen Volkes bei den ChHriftenverfolgungen, die Ausdehnung bes römiſchen Reiches und die vielfache Willfür der Provinzialbeamten gegen die Ehriften laſſen ed anderweitig bedenklich ericheinen, die Zahl der Märtyrer in dem Maaße zu befchränfen , wie Gibbon e8 verfucht hat ). Der begeifternde Gedanke: „Durch die Nachfolge ded Kreuzes Chriſti gehe ich fofort ein zu feiner Herr⸗ lichkeit”, ftärkte ſelbft Jungfrauen und Unmündige, die größten Qualen mit bewundernswürdiger Gelaſſenheit zu ertragen, verleitete aber auch, beſonders in fpätern BVerfolgungen, verbunden mit der geheimen Begierde nach den kirchlichen Ehren des Martyriums, Viele, die Bluttaufe recht abfichtlich zu ſuchen. Gleihwohl Eonnten die edleren Gemüther unter den ‚Heiden ſolche Obmacht ded Geiftes über die Todesfchauer der Leiblichen Natur nicht ohne hohe Bewunderung anfhauen. Auf die Bewunderung aber folgt leicht Die Zuneigung zu einer Sache, die mit ſolchem Heldenmuth verfochten wird, und aus dem Blute Eines Märtyrerd erwuchſen zehn neue Befenner Chriſti 5). Hinwieder wußte die Kirche ihre Glieder vor furdtfamer Verläugnung des Glaubens aufd Nachdrüdlichfte abzufchreden durch die Schmady der Aus⸗ floßung (Excommunication), weldhe fie über die Treulofen verhängte, fowie durch die ſchwere, Tangmwierige. Buße, die ein Abtrünniger bis zu feiner - Wiederaufnahme durchzumachen hatte. Wer auch nur ein Gremplar der heil. Schrift an die Heibnifhe Obrigkeit ausgeliefert, oder ſich von einer heidnifchen Magiftratsperfon das falfche Zeugniß hatte ertheilen laſſen, er habe den Göttern geopfert, wurde ausgeſtoßen und Fonnte nur durch jene Bußen zuletzt Verzeihung erlangen. |

3) Diefe Fabbaliftifche Bezeichnung bes Namens Offenbarung 13, 18 ergibt nad den Sahlenwerthen des hebräiichen Alphabets die Worte Kesar Neron, Kaiſer Nero.

4) Hist. of the deel. and fall of the Rom. emp., chap. 16.

5) Wir bemerken Hierbei, daß Märtyrer nur Diejenigen genannt wurden, welche um Ehrifti willen den Tod erlitten; Belenner oder Confeſſoren hin⸗

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4.

: Daß die Römer, welche bisher gegen alle ausländifchen Religionen fo tolerant geweſen 1), das Chriſtenthum mit folder Beharrlichkeit auszu⸗ zotten fuchten, daß von ihnen aus der- Berfolgungsgeift auch auf die übrigen heidniſchen Völker überging, daß Volk und Obrigkeit fi gegen die neue Religion fo oft vereinten, das hat zwei Hauptgründe: den Volkshaß gegen die Chriſten und die Leidenfchaften oder bie Stantögrunbfäe der jeweiligen Kaiſer.

Der heidniſche Volkshaß traf die Chriſten, wie wir bereits bemerkt haben, zunächſt als jüdiſche Sekte, denn die Juden, ſeit ſie im Reiche ge⸗ nauer bekannt geworden, hatten ſich durch ihr abgeſchloſſenes Weſen, ihre Verachtung gegen die Heiden als Unreine, ihren wüthenden Fanatismus, ihre Geneigtheit zu Empörungen, wo immer ſie ſich befinden mochten, die entſchiedene Abneigung des heidniſchen Volkes zugezogen. Dazu mochte auch beitragen ihre bildloſe Gottesverehrung, welche im roͤmiſchen Reiche allein fland und für „Atheismus“ erklärt wurde, als müßte, wer fein Gottes bil Kat, überhaupt keinen Gott haben. Der nämlidhe Borwurf traf mit doppelter Härte die Chriften, weil fle noch einen weit auffallendern Abfcheu gegen alles fogenannte Ghgendienerifhe an den Tag legten. Hatten ferner die Juden ſich begnügt, ihre Religion den Heiden gegenüber "zu behaupten, ohne offene und entſchiedene Angriffe gegen das Heidentfum zu unternehmen, fo erklärten dagegen bie Chriften alle Heidenthümer für Ausgeburten der Hölle, die Götter für Teufel, welche die Menfchen zu ihrer Anbetung verführt hätten 2), und bie Götzendiener ſelbſt für eine Beute der ewigen Verdammniß, von welcher einzig die Bekehrung zum chriſtlichen Glauben erretten könne. Bald, verkündigten fie, bald. werde Chriſtus wiederfommen in Herrlichkeit, dem neuen Babel zum Untergäng, den Un⸗ gläubigen zum Gericht, den Seinigen zur unfterblichen Verherrlichung. Solche Lehren der Undultfamfeit riefen naturgemäß auch auf Seite ber

gegen die, welche Drohungen und Qualen zum Trotz Chriftus laut befannten, aber nicht hingerichtet wurden.

4) Bel. Thl. II, ©. 201 und 219.

2) Daß fchon die Juden einzelne heibnifche Götter zu Teufeln degradirt hatten, it früher gezeigt worden. Die Chriften dehnten nad) dem Vorgang bes Paulus (1. Korinth. 10, 48— 22) dies Verfahren nur weiter aus. -

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Heiden Unduldfamfeit hervor. Die Beihimpfung ihrer Religion erregte ihren Grimm, die Verfündigung des nahenden Untergangs den Verdacht, als gingen die Chriſten auf den Umſturz alles Beftehenden aus,

Bis auf Konftantin blieb der riftliche Gottesdienſt den Heiden gegen über ein Myſterium. Da er feinem Hauptbeflandtheil nach ein Opfer war, zu welchem nur die vollberechtigten Glieder der Gemeinde zugelaffen wurden, und häufig nächtlicher Weile flattfand, fo fuchte Neugier oder Argwohn den Schleier des Beheimniffes zu Füften, und es gingen im Volk entfehliche Ge⸗ rüchte um über blutige Kinderopfer, antbropophagiihe Mahle und abe ſcheuliche Wolluſtübung bei den gotteddienfllihen Verfammlungen ber Chriſten. Begreiflih! Denn die Heiden felbft Hatten ſolcher Myſterien ge⸗ nug, und die Katholiken, d. h. Die der redhtgläubigen Kirche angebörigen Ehriſten waren Teidenfchaftlich genug, tie Sektirer vor den Heiden derartiger Bränel zu bezüchtigen, wie denn die Sektirer ihrerſeits die Katholifen mit gleicher Münze bezahlten 3).

3) In neuerev Zeit. hat &. F. Daumer („Geheimnifie des chriſtlichen Alters hums“, 1847) dic von ben griechiſch⸗roͤmiſchin Heiden gegen die Chriſten geſchleuderte Yuflage des Kannihalismus wieder aufgefriiht. Daumer betrachtet das Chriſßenthum als eine Fortſetzung des althebräifchen Keuer: und Molochdienftes und daher ift ihm der chriftliche Gott ein „Moluchftier und Molochofen“ (a. a. O. 1, 15 fg.). Am Schhufle feiner zweibäntigen Unterfuchung kommt er zu dem Schluß, daß „Religion und Gulius des chriſtlichen Alterihums über ale Maßen geaufam und gräulich gea weſen, Haß die Gebräuche des Abendmahls und der Meſſe, die meientlichfien in bielgs Religion, in vollfommen anthropothyſiſchen und anthropophagiſchen Cultusacten bes ftanden, daß hiebei eine Unzahl ganz eigentlicher und förmlicher Menichenopfer ger fallen, indem man Kinder und andere Menfchen mordete, und daß diefe namenlofe Barbarei etwas rem Prinzipmäßiges, ſchon in den erften Anfängen (des Ehriftens thums) nthaltenes gewefen fei“ (II, 2683-69). Daumer läßt ſich feine Mühe veuen, feine Leſer zu uͤberzeugen. Gr weiß 3. B. auf's Genguchle zu erzählen (I, 79. fg.) wie Chriſtus mit feinen Jüngern bei Einfegung des, Abendmabls eigentlich ein Find verzehrt und wie Sudas Sfchariot, aus Abſcheu vor ſolchem Rannibalismus, die anthras pophagiiche Gefellfchaft beim Hohen Rathe denuncirt habe. Da in Daumers Augen Ehriftus einmal ein Molochiſt war, jo fieht und hört er aus der ganzen Gefchichte des Chriſtenthums nur molochiftifche Gräuel heraus. Da wird er denn manchmal, natür⸗ lich unfreiwillig, wahrhaft fomifh. So, menn er (I, 93 fg.) zu beweifen fucht, das Wort Sefu: „Lafjet die Kindlein zu mir kommen!“ fet eigentlich eine molochiſtiſche Dpferformel geweſen. Trotz allen diefen-Ausfchreitungen tee Conſequenzmacherei muß aber bemerkt werden, Daumer hätte gar nicht fo unrecht, wenn ex fi darauf bes fchräntte, zu fagen, ver Menfchenopfercult habe mit dem Chriſtenthum keineswegs fein

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Die Abfonderung der Ehriften von allem übrigen Volk nit nur im Gottesdienft, fondern auch in Sitten und Gebraͤuchen und in der Lebendweiſe erregte ihnen ebenfalls viele Feinde. Selbft bei Gaſtmahlen wagten fie nicht zu genießen von dem Fleiſche eines Thieres, weldyes den Göttern geopfert worden, noch brachten fie aus: ihren Bechern die gebräuchliche Kibation dar. Ihren Abſcheu gegen alles an ben: Götterdienſt erinnernde Bildwerk an Ge⸗ rärhen, Kleidern und Wohnungen Iegten-fle unverholen an den Tag, Ges ſellige Freuden flohen, den Glanz des Luxus verachteten ſie. Theater, Tanze, Ihierhegen, ſelbſt feögliche Weifen der Muſik galten ihnen für Ver⸗ fuchungen des Teufels. - Ein ödes, völlig freutlofes Dafein fihien der Sterblichen zu warten, wenn dieſe büftere Sekte Meifter werden ſollte.

Ende erreiht. Auch noch im. Chriftenihum wurden Menſchen geopfert. Dies leug⸗ nen, heißt eine ganze Menge von Zeugniſſen der Gefchichte und Sage, mißachten. Das Chriſtenthum hat befanntlich die Opferidee nicht verworfen; es hat an die Stelle des Thieropferd nur ein höheres, ein hödhftes das des Sohnes Gottes, gefebt. Behaup⸗ ten, mit diefem einen und hoͤchſten Opferact fei eben für immer die Sühne vollzogen worden, heißt der Rirchengefchichte ins Geſtcht fchlagen. In der Meſſe wurde und wird ja täglich die Opferung Ehriſti wiederholt und täglich ißt der Priefler ben Leib und trinft das Blut Chriſti. IR es da fo wunderbar, menn während des chriſtlichen Alterthums und während des Mittelakters der rohe Sinn der Menge ihre altheidnifchen Borftellungen vom Werth des Menſchenopfers durch das chriftlihe „Myfterium” bes Fräftigt fand? Gewiß nicht. Und ift es wunderbar, daß in Zeiten, wo Briefter heute Meile lafen und morgen etwa wieder dem Thorr opferten,, die Leute auf den Einfall Samen, tem Ghriftengott, welcher fih den eigenen Sohn zum Opfer bringen liche, müßte auch die Opferung von andern Kindern wohlgefällig fein? Ghenfalls nicht, wenigftens in den Augen eines Unbefangenen nicht. Höchſt auffallend hinfichtlich der Fortdauer des Menfchenopfercults im Chriſtenthum ſind einige Aeußerungen in Luthers „Tiſchreden“ (zuſammengeſt. von C. Seifart im „Deutſchen Mufeum“ 1853). Es wird da förmlich und beſtimmt gefagt, der im Mittelalter bei „unferen Borfahren“ eingeführte Menſchenopfergräuel habe bis in Die Zeiten der Reformation fortgedauent und erſt Kaiſer Karl V. habe ihn abgeſchafft. Noch Kaiſer Morimilian L, der „legte Mitter“, habe die Gewohnheit gehabt, in Kriegsgefahren Menfchenopfer zugeloben, mie Sephta, und dann den Grften Beften, der ihm begegnete, wirklich zu opfern. Daumer führt (Jahrb. f. Wiflenfchaft und Kunſt, I, 87) aus Harthaufens „Studien über Mußlands Innere Zuſtaͤnde“ auch ein unverdaͤchliges Zeugniß an, Daß im Inneren Rußlands „Seibfiverbrennungen, Selbftenimannungen und anthropophagiſche Paſcha⸗ mahle noch immer im Schwange gehen.” Namentlich werde da zur Feier ter Oſter⸗ nacht einem jungen Mädchen bie linfe Bruft abgeſchnitten, in eine Schüflel aelegt, in Heine Portionen zerfchnitten und von fimmtlichen Anwefenten als heiliges Mahl ges noflen.

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Weſſen Herz noch an den Lebensgenüflen und Schönheiten ber alten Götter⸗ welt hing, mußte ſich aufgefordert fühlen, das Ghriftenthum auf Tod und Leben zu bekämpfen.

Den Haß des Volkes gegen die Chriften fhürte vollends das Intereffe

der Priefter, deren Anſehen zu jhwinden drohte, deren Tempel immer ſpär⸗

lichere Weihgefchenke und Opfergaben eintrugen, fowie die Gewinnfucht der Goeten, Magier, Gaufler, welde immer fchlechtere Geſchaͤfte machten. Diefen Haß nährten auch die Beforgniffe der Künftler und Handwerker, welche Götterbilder oder fonft Gegenftände des Luxus verfertigten und nur durch das Aufkommen des Heiligentienfied und eined glänzenden Cultus unter den Ehriften allmälig getröftet werden konnten; ihn unterflügte endlich die Habſucht vieler Großen, welche gar zu gern das Vermögen der Ehriften einzogen, fowie die Raubluſt des Pöbels und feine Sucht, recht viele Gegen- flände öffentlicher Hinrichtungen zu gewinnen.

Seit Nero's Tode Hatte die chriftliche Kirche fih 26 Jahre Tang ‚(68— 94) ungeftört im Reiche ausgebreitet, da flörte der Argwohn Domis- tians, zu deflen Ohren das Gerücht von dem kommenden Reiche Chriſti in arobfinnlicher Auffaffung gelangt war, den Frieden der Kirche durch den Befehl an die Statthalter aller Provinzen, die Chriſten als Weinde des Reichs zu verfolgen. Unter ihm ward ber römifche Biſchof T. Flavius Clemens, ein Neffe Veſpaſtans, den die unächten Clementinen als einen Schüler tes Petrus bezeichnen, als „Atheiſt“ enthauptet. Es kam den ChHriften wohl zu Statten, daß fie von allgemein gehaften Unmenſchen, wie Nero und Domitian, verfolgt worden ; denn auf die Ermordung Beider folgte auch für ſie, wie für Die übrigen geplagten Unterthanen, eine Zeit der Ruhe. Men ein Tyrann mißhandelt, der fommt dadurch flet3 in einen beflern Auf. Erft der treffliche, aber dem alten Götterglauben ohne philofophiiche Skru⸗ pel ergebene Trafan verfolgte die Chriften aus Grundfag, als Sole, Die fi gegen göttliche und menſchliche Majeftät auflehnten ) und bem erneuten Verbote geheimer. Gefellichaften zuwider fortfuhren, durch ihre Firchliche Ge— meinfchaft einen Staat im Staate zu bilden. Trajan erkannte, wie tief auch das alte Staatöleben vom alten Götterglauben durchdrungen fei, wie Die Aufrechthaltung der bürgerlichen Ordnung nicht allein von der obrigfeitlichen

4) Die Chriften weigerten fich naͤmlich, den Bildniſſen verflorbener oder lebender Kaifer die vorgefchriebenen Ehren zu erweiſen, verlagten aber fonft den bürgerlichen Ge⸗ horfam keineswegs, nahmen auch an feinen Smpörungen theil.

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Gewalt, fondern auch von dem Slauben der Völker an die Götter als Schirmer des Staats von jeher abhängig geweien, mit. wie gutem Grund endlich wichtige Staatshandlungen ftetd von religiöjen Geremonten begleitet oder oft durch Drafel der Götter geleitet worden waren. Deßwegen fchien ihm das Wohl des Staated von der Aufrechthaltung des Väterglaubens ungertrennlich und jeder Angriff auf den letzteren ein Verbrechen gegen bie Öffentliche Wohlfahrt. Mit feinem Breunde Plinius dem Iüngern, damals Statthalter in Pontus und Bithynien, vereinigte fih Trajan dahin, Die Ehriften jollten nicht aufgefucht, aber auf eine mit der Unterfchrift des Klägers verſehene Klagefchrift hin verhört und, wenn fie den Göttern nicht opfern wollten , beftraft werden 5).

5) Das 10. Buch der Spifteln des Plinius enthält feine Korrefpondenz mit dem Kaiſer. Der 96. (97.) diefer Briefe ift eines der merfwürdigften Documente über das Urchriſtenthum und über das Verhalten der römischen Staatsgewalt zu demfelben. Plinius Schreibt: „Bis jetzt Habe ich es bei denen, welche mir als Chriften angegeben wurden, auf folgende Weife gehalten. Ich fragte fie, ob fie Epriften wären? Wenn fie geſtanden, fragte ich fie zum zweitens und brittenmale, und drohte ihnen mit der Todesftrafe ; wenn fie beharrten, ließ ich fie Hinrichten. Denn ich war überzeugt, daß, was e8 auch fei, was fie eingeflanden, wenigftens ihr Ungehorjam und ihre unbeugs fame Hartnädigfeit geftraft werden müfle. Andere, welche von demfelben Wahnfinn angeftecft waren, babe ich ‚weil fie römifche Bürger waren, aufzeichnen laffen, um fie nah Rom zu fenden. Bald zeigten fi) nun, weil fich das Verbrechen wie gewöhnlich durch die Verhandlung verbreitete, mehrere Gattungen beflelben. Ich erhielt eine Schrift ohne Namen, die das Berzeichniß vieler Namen enthielt, welche läugneten, Ehriften zu fein, oder je geweſen zu fein, und welche, indem ich ihnen das Gebet vors ſprach, die Götter anriefen, und deinem Bilde, das ich zu diefem Endzwede mit den Bildniſſen der Götter hatte bringen laſſen, mit Wein und Weihrauch-opferten, auch außerdem Ehriftum läflerten: Dinge, zu welchen, wie man fagt, die ächten Ehriften nicht gezwungen werden können. Diefe nun glaubte ich loslaſſen zu fönnen. Andere, von einem Angeber als Ehriften angegeben, befannten fich als Chriften, läugneten es aber bald wieder : fie feien es geweien, haben es aber wieder aufgegeben, einige vor drei Jahren, einige vor mehreren Jahren, einige fogar vor zwanzig Jahren. Alle beteten dein Bild und bie Bildniffe der Götter an, auch fluchten fie Ehriftus. Sie behaupteten aber, ihre Schuld und ihr Irrthum habe hauptfächlich darin beftanden, daß fie an einem gewiflen Tage vor Tagesanbruch zufammengefommen jeien und Chris flus, als einem Gotte, zu Ehren unter einander ein Lied gefungen, und ſich durch einen Cid, nicht zu einem Verbrechen, fondern dazu verbunden haben, feinen Diebs ſtahl, einen Raub, keinen Chebruch zu begehen, ihr Wort nicht zu brechen, fein Hinterlegtes Qut auf Verlangen abzuläugnen ; hierauf feien fie gewöhnlich auseinander gegangen und nur zu einem Allen ohne Unterfchied gemeinfamen, jedoch unfchuls

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Daß Die Edicte Trajans und Domitians fortwährend in Kraft blieben, jegte die Chriften auch unter günftiger geſtimmten Kaifern vielfachen Miß- Handlungen aus. Defto weniger blieben die von Trajan angeordneten Rechtsformen in Kraft. Der Iegte Ueberreft republikaniſcher Freiheit fchien fh unter Hadrian, feinem Nachfolger, dadurch geltend machen zu wollen, daß das Volk, wenn es um die Arenen oder ſonſt bei öffentlichen Feſten ver⸗ ſammelt war, mit tobendem Gebrüll die Hinrichtung der Chriften forderte, und fie meift auch erhielt. Diefer ſchandbaren Lynchjuſtiz, welche befonders in Kleinaften und Griechenland geübt wurde, machte Hadrian erft auf bie Borftellung des Profonjuld Granianus hin ein Ende. Sie kehrte wieder unter Markus Aurelius, dem Philofophen, der als Stoifer dem Unfterblich« feitöglauben ber Ehriften feindlich war und außerdem Trajans Stagtsmaximen buldigte. In Smyrna und Galiien begann die Verfolgung mit öffentlicher Mißhandlung der Ehriften durch den heidnifchen Pöhel. Die Obrigkeit trat niemals ernſtlich dagegen auf, wenn ſie auch einige Ordnung in die Schlädhs terei zu bringen wußte. "Unter Septimius Severus gelangte Die Lynchiuſtiz in Afrika zur Blüthe, fowie er, früher ein Beſchützer der Chriften, das Ver- ‚bet erlaſſen Hatte-(i. 3. 202), zum Chriſtenthum oder Judenthum über⸗ zutreten. Den Zwiſchenraum der Ruhe bis auf Derius unterbrach nur dir turze Verfolgung unter Mariminus, ber die Chriſten haßte, weil der fonft fo grauſame Garacalla, fein Vorgänger ,. ihrer gefchont hatte. Die unter- befien an Ausdehnung mächtig gewachſene, aber im Geifte vieler ihrer Glie⸗ der gefchwächte Kirche traf 250 ein harter umfafjender Schlag durkh das Ediet des Derius, alle Chriſten follten auf einen beftimmten Termin vorges laden und aufgefordert werden, die gotteödienfllichen Bräude der Staatd- zeligion zu verrichten. Die fih Weigernden follte man mit ber Folter zwingen, die Hartnädigen Hinrichten.. Nun begann der Pöbel die Häufer der Chriften zu erbrechen, zu plündern, zu verwüflen und die Geächteten ſelbſt unter Mißhandlungen vor den Richter zu fihleppen. Der Schreden und die Qualen brachten Viele zum Abfall, eine Thatſache, welde die da⸗ digen Mahle wieder zufammengefommen ; was fe jedoch nach einem Edicte, in welchem ich deinem Befehle zu Folge die Privatvereine verboten hatte, aufgehört haben zu thun. Um fo nöthiger hielt ich e8 aber, von zwei Eflavinnen, welche Diakoniffinnen genannt ‚wurden, bie Wahrheit durch die Folter zu erforſchen. Sch entdeckte aber Nichts als

einen verkefeten und ungemefienen Aberglauben, und vo bie foͤrmliche Unterſuchung auf, um deine Beſehle zu vernehmen, u |

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maligen Kirchenlehrer nicht fchmerzlich genug beflagen zu künnen meinten. - Weſentlich aus gefälliger Nachgiebigfeit gegen den heidniſchen Volkshaß ver⸗ folgte dann Gallus die Chriften (252). Die Chriſten hätten, als eine ver⸗ heerende Seuche hereinbrach, die öffentlichen Gebete und Opfer an die Götter mitmahen follen. Ihre Weigerung erneute im Bolt den alten Wahn, der beionderd zu Trajand Zeiten unter den ungebilveten Ständen . herrſchend geworden zu fein ſcheint, um der Ehriften willen jende der Götter Zorn Hungerönoth, Seuchen, Dürre, Ueberſchwemmungen, Erdbeben, Kriegeunglüd. Je mehr nun das Reich fanf und Die Kirche wuchs 6), um fo entfchiedener ward auch von Gebildetern alles öffentliche Linglüd den Chriſten ald Erregern des Götterzornes beigemefien. Daß ließ fih auch der altersihwache Balerian von dem Agyptifchen Zauberer Macrianıd weismachen und die Verfolgung wüthete, bis der greife Schwachkopf zum Fußſchemel des perfifchen Königes Sapor geworden. Sein Sohn Gallienud machte der Verfolgung durch förmlichen Erlaß ein Ende. Unter Gallus und Balen« tinion hatte die allgemeine Stondhaftigfeit der Gemarterten gezeigt, ‚in der decifchen Verfolgung ſei die Spreu einftweilen vom Korne gefoben. Die legte große Chriftenverfolgung, welche nur durch das jchonende Verfahren des Cafard Konftantinus Feine allgemeine ward, hatte flatt unter dem Kaifer Diocletian, der, von den Caäſar Galerius überredet, durch jein Verfol⸗ gungsedict das Chriftenthum gänzlich zu vertilgen fuchte. Beſonders hatte es dies Edicet auf Vernichtung der Bibeln abgejehen. Sklaverei verhängte es über die Chriften niedern Standes, zerftörte alle Breiheitshoffnung chriſt⸗ liher Sklaven, nahm den Chriften alles Klagerecht und damit den richter⸗ lihen Schuß, entfegte die vornehmern Ehriften aller Würten und Aemter, Wiederholte Feuersbrünſte in jeinem Palaſt, von Galerius, hierin einen zweiten Nero, den Chriſten aufgebürbet, bewogen Diocletian zu noch fchär« ferem Verfahren, bis endlich das Edict erging, alle Chriften mit den äußer⸗ ſten Mitteln zum Opfern zu nöthigen. Uber ſchon waren die Zeiten ded allgemeinen Chriftenhafles vorüber und zuletzt erlahmten alle Werkzeuge der Reaction im Kampfe gegen die hriftliche Revolution. Dabei Tönnte es auf⸗ fallen, daß meift nur die vergleichungsweiſe trefflichiten Imperatoren bie Chriſten verfolgten, während Narren und Ungeheuer, wie ein Eommobus,

6) Diefes Wachſen bezeugt mehr ale alles Andere die begendariſche Uebertreibung in den auf uns gelommenen Berfolgungsberichten.,

176 -

ein Heliogabal und Baracalla, ihrer fhonten, wenn das nicht daraus leicht fih erflärte, daß eben nur die guten Kaifer von der antiken Staatsidee er- füllt waren und diefelbe aufrecht zu erhalten fuchten.

.5.

Durch den unermüdlichen Belehrungseifer feiner Bekenner hatte fich das Chriſtenthum ſchon zu Tertullians Zeiten (Anfang des 3. Jahrh.) von einer Gränze des Mönerreiches bis zur andern, ja weit über diefelben hin⸗ aus bis unter Die Germanen einerfeitö, die Perſer und Armenier ander

ſeits, verbreitet. Dazu half die Blüthe des Handeld und Verkehrs, wie der Eriegerifche Marich der Legionen gegen die überallher drohenden Feinde des Meiches. Auch innere Gründe wirkten mehr und mehr zur Ueberhand- nahme der neuen Religion mit. Die Standhaftigkeit ihrer Bekenner unter den Verfolgungen konnte ihres moraliſchen Eindrucks auf die Heiden nicht verfehlen. Die Gebildeten unter den Letzteren wurden einestheils durch die Bemühungen der chriſtlichen Apologeten, bon welchen wir in dem Kapitel ‘über die chriftliche Wiffenfchaft reden werden, überzeugt oder anderntheils durch die tugendhafte Lebensführung vieler Ehriften gewonnen. Auf bie Maflen dagegen wirkte anziehend der Befig der Wunderkraft, in welchem die Kirche angeblich ſich befand und nicht weniger jener mächtige Zug, welchen eine im Siegen begriffene Sache ftet8 auf die Menge übt. Endlich hatte das Chriftenthum noch den großen Bortheil, daß es der im römifchen Welt- reih bis zur Monftrofität gefteigerten polytheiſtiſchen Berbrödelung und Berfahrenheit gegenüber als ein wohlgefügter Organismus daftand.

Zunächſt zwar dauerte nad Diocletians Abdankung die Ehriftenver- folgung im Orient fort, bald jedoch flimmte eine tödtliche Krankheit den Galerius milder. Sein Nachfolger in der Herrfchaft des Oftens, Marimin, wollte eben die Verfolgung erneuen, als er im Kampfe gegen Licinius, ben einen der beiden Herrſcher des Weftend, umkam. Licinius, der das ge= meinfchaftlich mit Konftantin verfündigte Toleranzedict feinerfeitß gebrochen, ward von Xepterem gejchlagen und ber Herrſchaft beraubt. Als Allein- herricher verfündigte nun Konftantin Glaubens⸗ und Gewiſſensfreiheit im ganzen Reiche (324), wie er fie früher in Gallien aufrecht erhalten, fo lange er nur dieſe einzige Provinz beherricht hatte,

Man bat über die Beweggründe Konflantind zu dieſem Schritte, fowie zu feiner jtetS größeren Begünftigung der Ehriften im Verlaufe feiner Re»

—— 0

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177 gierung vielfach hin und her geftritten. Geſchichtlich erweisbar ift nicht,

daß feine Mutter Helena ſchon vor 324 eine Chriftin geweien und ihn in

der hriftlichen Religion habe erziehen laſſen. Bon noch geringerer hiſtori⸗ fcher Bedeutung, d. h. von gar Feiner, iſt auch die befannte, von Euſebius erzählte Legende, Konftantin jei zum Chriftenthum befehrt worden dadurch, daß ihm vor der Enticheidungsfchlacht gegen Kicinius am Himmel ein ſtrah⸗ lendes Kreuz erichienen ſei mit der Umſchrift: „In hoc signo vinces.“ Die biftorifchen Motive für Die Bekehrung des Imperatord liegen nicht im Bes reiche der Mythen. Konftantin mochte durch die zahlreichen Chriften am Hofe feined Vaterd die neue Religion Tennen, -ihre Anhänger achten gelernt haben. Seinem Regentenblicke fonnte die Macht der chriftlichen Partei und deren Bedeutung für jeine Plane, die Bürgfchaft tiefer Unterthänigkeit, welche in der hriftlichen Lehre vom duldenden Gehorfam gegen die Obrig- feiten lag, die fleghafte Gewalt der Begeifterung, welche daͤs Beldzeichen des Kreuzed feinen zahlreichen chriſtlichen Kriegern erwecken mußte, nicht ent« gehen. Darum erklärte er ſich zum Schirmherrn der Ehriftenheit. Auf der andern Seite konnte ihm aud nicht. verborgen bleiben, daß die Ehriften nod in der Minderheit wären und daher die Heiden nicht geradezu in ihrer Religion gefränkt werden durften. Endlich jchwankte fein eignes Gemüth noch immer zwifhen chriftlichen und heidniſchen Vorftellungen. Deswegen blieb er Anfangs bei dem Grundfage allgemeiner Duldung ftehen, behielt die Würde eines Bontifer Marimud bei, verordnete fogar ein regelmäßiges Befragen der Haruſpices und empfing die hriftliche Taufe erſt Furz vor fei« nem Tode.

6.

Das Chriſtenthum war durch Konfltantin Staatsreligion geworden, ohne daß er es förmlich dazu erklärte. Die Duldung nämlich umfaßte alle Religionen und ſchloß nur entjchieden unſittliche Culte aus; aber den Vor⸗ zug hatte das Chriftenthum vor den übrigen Religionen des Neiched, daß der Kaiſer ſelbſt fih zum Schirmherrn Firchlicher Nechtgläubigkeit aufwarf, indem sr nicht nur die Synode von Nicaͤa zufammenberief, fondern auch ihren Schlußnahmen feine förmliche Genehmigung ertheilte und den Gehor⸗ ſam gegen biefelben bei Strafe der Verbannung befahl. Durch diefe Stel- lung zur oberften Staatögewalt ermuthigt, im Begriffe, gegen Anders⸗ denfende unter den Chriſten ſelbſt aller Duldſamkeit zu entjagen, ward bie

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 12

T78

faum zuvor verfolgte Kirche von Berfolgungsgelüften gegen bad Heiden- thum ergriffen. Die erflen Schritte Konflantind gegen das Heidenthum waren Der Art, daß fle den Heiden jelbft nicht auffallen fonnten, da der rö⸗ mifche Senat und etliche Kaiſer früberhin Aehnliches gethan. Gr verbot alle Wahriagerei, mit ihr die Orakel der Götter, zerfiörte phönikiſche Tem⸗ pel wegen unzüchtigen Götterdienfted und ſchaffte die Prieſter des Nil ab. Zur Bersubung vieler griechiſchen und aflatiichen Tempel aber ftanden ihm Bischöfe und chriſtliche Beamte bei, mit jenem Eifer, welchen früher die Hei⸗ den in Beraubung und Zerflörung chriſtlicher Kirchen an den Tag ges legt. Nachdem dad Beifpiel des Kaiſers die Menge der Unentſchiedenen, Grundſatzloſen und mit der Religion Speculirenden für das Chriſtenthum gewonnen batte, durfte fein Sohn Konſtantius bereits wagen, bie Schlie⸗ ßung der heidniſchen Tempel zu befehlen und die „Götzenopfer“ bei Strafe der Hinrichtung und Confiscation zu verbieten. Freilich konnte dies Edict wegen der noch immer vorhandenen großen Menge der Heiden einſtweilen nicht durchgeführt werden. Auch hatte Konſtantius, und dies thaten nad) ihm noch ſechs Kaiſer, den Titel eines Pontifer Maximus ebenfalls ange⸗ nommen, ja es geduldet, daß der Senat ſeinen Vater Konſtantin nach deſſen Tode unter die Götter verſetzte. Solche Inconſequenz trug begreiflich Vie⸗ led dazu bei, die Kraft des genannten Edictes zu lähmen. Die arianiſche Spaltung war ein weitere Hinderniß der völligen Untertrüdung des Hei- denthums, deſſen Anhänger durch gewaltiames Verfahren zu erbittern fich jede der kirchlichen Parteien ſcheute.

Unter der Regierung Juliand des Abtrünnigen * machte dad Heiden-- thum feine legten Anftrengungen, dem Chriſtenthum den Sieg zu entreißen. Die Unthaten feiner Faiferlichen Verwandten hatten, im Bunde mit pfäffi« ſchem Zwang, ſchon die Kindheit dieſes Fürften gegen das Ehriftenthum er- bittert.. „Der Nomantifer auf dem Throne der Cäfaren*1) erblickte dem Chriſtenthum gegenüber das Heidenthum im idealifirenden Lichte einer gro⸗ Ben Vergangenheit und fuchte durch Neformirung des Tegtern den Lauf der Geichichte aufzuhalten. Die Ehriften zwar wagte-er nicht offen zu verfolgen, aber er verbot ihnen, in den Schulen zu lehren, .entfernte fie aus öffentlichen Aemtern und Würden, befahl ihnen, die zerflörten Tempel wieder herzu⸗

4) Unter diefem Titel hat, wie Jedermann weiß, D. Fr. Strauß die Iulian’fche Reaction mit feinfter Ironie Harafteriftrt.

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fellen, die dazu gehörigen Schäge und Grundflüde wieder zurüdzugehen, ſchenkte den heitnifchen Prieftern die feit Konftantin der Kirche beflimmten Unterflügungen aus den Staatdeinnahmen, verbot die Bermächtniffe zu Gunſten der Kirche und ihrer Diener und würdigte Die riftliche Hierarchie - auf alle Weile herab. Dieje Verordnungen riefen einerfeits Gewaltthätig⸗ Feiten des heidniſchen Pöbeld, andererſeits vielfache Empörungen der Ehris fen hervor. Julian war nahe daran, dad Neich in allgemeinen Bürgerkrieg zu ſtürzen, al8 ihn der Todesſpeer eined Perſers -mitten if feiner thatenrei- en Laufbahn unterbrah 2). Sein Nacjfolger Jovian befannte ſich ſofort Öffentlich als Chrift und hob ſämmtliche Edicte Suliand auf. Dagegen er« ließ er zu Gunften der übrigen Religionen. ein allgemeines Toleranzedict, von defien Wohlthaten nur die Magie ausgenommen war. Auch Valenti- nian hielt den Grundfaß allgemeiner Toleranz aufrecht und ließ nur Die unzüchtigen Urten des Götterdienftes, fowie im Einverfländniß mit den aufs geflärteften Heiden, die nächtlichen Opfer nicht mehr zu. Gegen die, aller⸗ dings vielfach in verhrecheriiche Praktifen (Liebestränfe, Giftmorde u. ſ. w.) audgeartete Magie jedoch erhob er eine fo allgemeine und graufame Verfol⸗ gung, daß man diefelbe den Hexenprozeſſen Fühnlid an die Seite ftellen Rarf,

Balend, der Bruter und Mitregent Valentinians, verfolgte in ſei— nem Gebiete die Athanaflaner, und man fah das merkwürdige Schaufpiel, wie ein heidnifcher Minifter dieſes Kaiſers fich die Gunft der Artaner durch Grauſamkeit gegen ihre Mitchriften erwarb. MUeberwältigt von dem Ein- fluffe der chriftlichen Geiftlichfeit, befonders des Biſchofs Ambroſtus von Mailand, vernichtete endlich der Kaifer Theodoflus die Macht des Heiden- thums vollftändig. Nachdem der römiſche Senat, bisher feiner Mehrheit nach den alten Göttern ergeben, nun aber durch die Anwefenheit des Theo⸗ doſtus eingefchüchtert, mittelft förmlichen Beſchluſſes den Göttervater Jupiter und die Seinen abgefegt hatte und das Verbot des alten Götterdienftes von dem verfammelten römifchen Volke angenommen worden war, erhob fih im ganzen Reiche ein wahrer Verheerungsſturm gegen die Tempel und Götter bilder, nicht felten unter dey Anführung hriftlicher Bifchöfe. Hier und da, 3. B. in Ulerandrien, vertheidigten die Heiden ihre Heiligthümer mit Erbite terung, doch überall vergebens. Leider verfchonte die barbarijche Wuth bes

2) 3. 3. 363. 12%

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Erzbiſchofs Theophilus von Alerandrien nicht einmal die berühmte Biblio⸗ thek der Ptolemäer, wie denn das Chriſtenthum in ben erften Beiten feines Triumphes einen wahrhaft blödfinnigen Vertilgungsfampf gegen die herr⸗ lichen Vermaͤchtniſſe der antifen Kunft und Poefte entwickelte. Der Moͤnchs⸗ geift ließ fich Damals in dem ganzen Glanze feiner Stupidität fehen. Doch fehlte e8 in dieſer Götterbämmerung alles Schönen zum Glück auch nicht an rühmlichen Ausnahmen.

Bis zur Regierung des Juſtinian wahrte das Heidenthum feine legten Lebensfunken bauptfählic in den neuplatonifchen Philoſophenſchulen. Die Philoſophen, obſchon fle zuerfl den alten Glauben untergraben, follten feine legten Bertheidiger fein. Das Chriſtenthum hatten fie befämpft weſentlich aus Abneigung gegen alle Bolföreligion, wohl auch, weil es nidt in ihre hergebrachten Denkformen bineinpaßte. Die Unedleren ihrer Zunft hatten fogar den Fanatismus des heidnifchen Pöbels gegen die Ehriften gehetzt. Nun aber waren fie längft wieder friedliche, unſchädliche Gelehrte geworden, wandelnde Ruinen einer vergangenen Beit. Dennoch ſchloß Juſtinians graufamer Befehl ihre Schulen zu Athen, wo fie noch eine Nachblüthe er» lebt Hatten (529). . Somit durfte man zu einer Zeit, wo die Chriſtenheit großentheild ſchon wieder heidniſch geſinnt war, wenigftens nicht mehr heidniſch denken.

7.

Indem wir das Chriſtenthum in ſeiner Verbreitung außerhalb der Grenzen des römiſchen Reiches verfolgen, müſſen wir in die Zeiten vor Konſtantin zuruͤckgreifen. In Perſten ſoll ed vor Ende des 2. Jahrhunderts Eingang gefunden haben. Ungeachtet ihm dafelbft die feftgegliederte Prie⸗ fterfafte der Magier, feit 227 auch eine neu belebte, an Monotheismus freie fende Religion gegenüberfland, war es doch zu Konftantind Zeiten jo weit verbreitet, Daß der perfliche König von einer Verfolgung nur dur Konſtan⸗ tins mächtiged Fürwort abgehalten werben fonnte. Im A. Jahrhundert ſtanden die faft in ganz SBerfien verbreiteten Chriflengemeinden unter dem Metropoliten von Seleucia. Aber der Umſtand, dag ſeit Konflantin das Chriſtenthum in dem benachbarten Armenien das Uebergewicht errungen, bie enge Verbindung der perfifchen Chriften mit der römischen Reichskirche, deren Kaiſer jo häufige Kriege gegen Perflen führten, und die Unduldſam⸗ keit der Magier erregten ebenjowoh! das Miptrauen als den Religiondeifer

der perſiſchen Könige, fo daß von 343 an eine faft ununterbrochene Verfols gung begann. Nur die von den orthodoxen Kaiſern verfolgten Sekten fan« den Schuß bei der perſiſchen Politif, fo Die Magufäer und Manichäer. Auch in dem, 429 eroberten Armenien wurden die Ehriften von den Magiern ver⸗ folgt. Das Ehriftentbum in Perften jelbft unterlag fammt der Religion der Magier erft dem flegreichen Islam. Gibbon nimmt an, das Chris ſtenthum fet in Aethiopien erft ſeit Konftantin mir Erfolg verfündet wor« den; doch beutet die Erzählung der Apoftelgeichichte von der Belehrung des Känmererd aus Aethiopien Darauf, das Chriftentbum habe ſchon während des 1. Jahrhunderts Einfluß in Aethiopien gewonnen, was. fi um fo eher annehmen läßt, als fein Erfolg in diefem Lande gar nicht von dem Einfluß ber römifchen Katjer abhängig war. Dagegen vermochte das Beilpiel Kon ftantind die Könige von Armenien und Iberien, dad Chriftenthum anzuneh⸗ men. Arabien beſaß während der drei erften Jahrhunderte nur wenige Ehri« flengemeinden. Späterhin theilten fich dafelbft die alte Nationalreligion, das Chriftentbum und das Judenthum in die Herrichaft, bis Mohammed auftrat. | | Im 4, Jahrhundert war das Chriſtenthum in Britannien herrſchend geworden. Don hier aus verbreitere (um 430) der Brite Patric! daſſelbe in Irland, Columba unter den Pikten in Hochſchottland (um 535). Die Ungelfachfen, deren Invaflon das Ehriftenthum nad Wales und Northum⸗ berland zurüdgedrängt, wandten ſich demſelben nur zögernd zu, feit der Kd- nig Ethelbert von Kent durch Miſſionäre Gregors ded Großen fi hatte befehren laſſen. Die Zugeftänpnifle diefes fchlauen Kirchenfürften, welde ber lebenefrohen Sitte der Angellachfen gemacht wurden, fchjeinen nothwen⸗ Dig geweien zu. jein, um Diefen germanifchen Stamm nicht von vornherein abzufhreden. Daß die Kelten in Gallien, Britannien und Irland daß Chriſtenthum ohne dergleihen Zugefländniffe und jchneller angenommen hatten, als die Angelſachſen und fpäterhin die Sachſen felbft, mag wohl barauf zurüdzuführen fein, daß der Druidismus einerjeitd dem Chriſten⸗ thum verwandte Elemente in fid entwidelt hatte, andererjeitö aber jeine foziale Organifation ſchon zu verrottet war, um eines bedeutenden Wider⸗ flandes fähig zu fein. Unter den germanifhen Stämmen waren jedod die Gotben die Erften, unter welden fidy das Chriſtenthum verbreitete. Da einestheils der Glaube an eine Bortdauer nach dem Tode fih bei ihnen am hödften ausgebildet

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hatte und fe anderntheil® die beleibigte Gottheit nur durch Menfchenepfer recht verföhnen zu koͤnnen meinten, fo waren fle für: dad Evangeliun vom am Kreuze geopferten und wieder aufgeflandenen Chriſtus unſchwer zu gr» winnen. Unter den heidnifchen Katiern Valentinian und Gallienus (253 268) hatten fle viele CHriften aus dem Reiche gefangen fortgeführt und waren bereits in großer Zahl von denfelben befehrt worden. Die Beichlüfie des nicäniichen Goncils unterzeichnete unter Andern auch ein Biſchof der Gothen, Namend Theophilus. Unter den aus Kappadocien weggeführten chriſtlichen Gefangenen hatte ſich auch Ul fila (Wulfla Wölfle) befuns den. Dieſer, um 348 zum Biſchof geweiht, hat das Meiſte zur Ausbrei⸗ tung und Befeſtigung der chriſtlichen Religion unter den Gothen gethan. Er überſetzte die heilige Schrift ins Gothiſche, ſich eifrig bemühend, für die neuen Ideen den entſprechenden Ausdruck zu finden 1). Er war es auch, der die gothiſchen Chriſten zum Arianismus leitete, ein böchſt folgenreicher, zum Theil unheilvoller Schritt. Die Niederlaffung der Gothen in Möſten anter dem arianifchen Katier Valens befeftigte fle im Arianiemus. Zu Anfang des 5. Jahrhunderts hatte das ChriftentHum unter den Weflgotben (diefe nämlich find unter den bisher allgemein genannten Gothen zu vers ftehen) vollftäntig geflegt und auf ihren Groberungszügen befehrten die Meftgotben auch ihre Stammverwandten, die Oftgokthen in Pannonien, ebenfo die Burgundionen, Sueven und VBandalen. Don diefen ſämmtlich arianiſchen Stämmen verfolgte nur einer die Athanaflaner in den erober» ten Provinzen, naͤmlich die Bandalen unter Genſerich nach der Eroberung von Nordafrika.

Die Hriftfihe Lehre von der Dulpfamfelt und der Großmuth, tie freifih vergeblih Streiche mir Streichen zu vergelten verbietet, wider⸗ ftand ter flreitbaren Sinnesmweife der Germanen höchlich. Sie mußten das Her erfl erfahren, daß wenigftens die Kirche es mit Dfefer Lehre keineswegs fo buchſtaͤblich nahm, mußten erft durch der chriſtlichen Weſtgothen glänzende Siege überzeugt werden, daß der Ehriftengott ein ſtarker Sort und daß Hel⸗

1) Die Bruchſtuͤcke diefer gothiſchen Bibelüberfekung, aufbewahrt in den Codex argenteus zu Upfala, in dem Codex Carolinus zu Wolfenbüttel und in einem Codex der Ambrofana zu Mailand, And uns Deutfchen, audy ganz abgeiehen von ihrem Ins halt, heilig. Denn, wie befannt, bilden fe das ältefte Denkmal unferer Sprache, find die Urquelle deuticher Sprachwiſſenſchaft. Ausgabe von Gabelentz unt Löbe, Altenburg und Leipzig 1836. Ausg. von Mafmann, Stuttg. 1856.

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venrubm auch Vekennern des Kreuzes zu: erringen möglich fiel. Aus dem⸗ felben runde hatten die Yranfen, obwohl ihrer viele ala Söldner der römie fchen Caͤſaren fich befehrt Hatten oder von den chriſtlichen Bewohnern: er+ oberter Ranüfiniche befehrt worden waren, ihrer großen Mehrheit nach am Hribenthum:feftgehalten, bid angeblich das erfolgreiche Gebet ihres Helden⸗ königs Ehlodiwig in der Schlacht bei Tolviacum (Bülpid) fie ebenfalls von der Obmacht des Chriftengotted überzeugte (406). Den König taufte- ber Erzbiſchof Memigius von Rheims 2). Dem Beifpiel des ftegreichen Fuͤrſten und feines Volkes folgte ein großer. Theil der durch jene. Schlacht unterwor⸗ fenen Alemannen ; ihr füdlicher Theil jedoch; der zwiihen dem Rhein und den. Alpen wohnte, ward erſt durch irifche Milflonäre, Bridolin (A. 514), Gallus und Columban (feit 614), für das Chriſtenthum gewonnen. Baly nach ihrer Belehrung zum Ghriftenthum überhaupt wurden die Rongebarben durch den Einfluß ihrer Königin Theodelinde, der Verehrerin Gregors Des Großen, zum Athanaſtanismus binitbergesogen (600).

8.

Unter. dem Schutz der fraͤnkiſchen Könige, als bevollmädtigter Apoftel Gregors des Großen, verbreitete Winfried oder Bontfactud das Chriſten⸗ thum zwiichen Rhein, Donau, Saale und Unftrnt. Als Burgen des neuen Glaubens errichtete er Klöfter, von: benen aus Geſittung und bie friedliche Beichäftigung des Aderbaues unter den: Reubelehrten verbreitet wurden. Ebenfo trefflich erwielen fich die Klöfter in der Naͤhe der Grenzen ald Bor burgen gegen. dad Heidenthum. Ueberall organifirte Bonifacius Landes» firhen und unterwarf diefelben dem apoflolifhen Stuhl, als deſſen Gtelfsertreter er felbft von Mainz aus, mit der Würte eines Erzbifchofs bekleidet, die deutſche Kirche regierte. Der „Apsflel’der Deuts ſchen“ ward 755 von den heibnifcdyen Briefen -bei feinem zweiten Bekehrungs⸗ verſuch erichlagen 1). Erſt nach ihrer Unterwerfung dur die Franken ber kehrten ſich die Frieſen.

2) Die Franken nahmen das athanaſianiſche Bekenntniß an. Ihre Siege und Eroberungen trugen das Meifle zur allmaͤligen Unterdruͤckung des Arianiennre: bei.

1) Bunfen, zu defien unbebingten Verehrern ich übrigens nicht gehöre, hat, wie mirfegeint, in feinen „Zeichen der Zeit” E, 78 fg.) die beſte, weit parteiloſeſte Würs digung der Wirkfamfeit des-Bonifacius gageben.

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Bis dahin waren alle heidniſchen Völker, die fich befehrt Hatten, durch ganz friedliche Mittel für das Chriſtenthum gewonnen worden. Wit Karl denm Großen beginnen die gewaltfamen Bekehrungen, weldye von der gefun- kenen geiftigen Kraft der Kirche das fprechendfte Zeugniß geben ). Bevor wir zur Erzählung berjelben vorgeben, vergegenwärtigen wir uns raſch bie hohe Bedeutung der Völkerwanderung für die Ausbreitung tes Chriſten⸗ thums. Daß diefe ungeheure Umwälzung, die Völkerwanderung, gerade dann eintrat, als das Chriſtenthum den Sieg im römifchen Weltreich errun- gen hatte, öffnete diefer erobernden Religion ein Feld der Wirkfamfeit, wel⸗ ches ihr fonft ganz oder größtentheils verfchloffen geblieben wäre. Die Bes flegten mußten felbft ihre Befleger dem Chriſtenthum unterwerfen: fo woll ten es die Weltgeſchicke. Hinwieder ſollte das verdorbene Weſen der Römer und Griechen an der unverdorbenen Jugendfriſche der Germanen ein Mi⸗ ſchungselement empfangen, welches ſich kraͤftig genug erwies, das ſchon ent⸗ artete Chriſtenthum vor gaͤnzlichem Verſinken zu bewahren und, durch die neue Religion befeelt, eine neue Welt an der Stelle der zufammenflürzenden zu geftalten. Das Chriſtenthum, weldes die ſchlummernden Keime des deutfchen Geiſtes zu den herrlichſten Entwidlungen wedte, bat Die germani⸗ ſchen Stämme zu Herrſchern Europas, ja des ganzen Erbballd, erhoben. Es Hat die Abneigungen ber Nationalitäten gemildert und alle Völker, welche die große Wanderung mit ihm in Berührung brachte, mit Ausnahme der Hunnen, mit den Bewohnern bes römifchen Weltreiched zu einer Fa⸗ milie zu verbinden verſucht.

9.

Der Erfte, welcher mit dem Schwerte zum Glauben an den Gekreuzig⸗ ten befebrte, war Karl der Große, der mächtige Branfenfaifer. Ihm, der durch paͤpſtliche Weihe das abentländiiche Kaiſerthum in feiner Perfon bat erneuen und auf den fränkftichen Herrfcherfiamm übertragen lafien, ſchien es doppelte Pflicht, fi nicht nur als Schirmherrn, fondern auch als Mehrer und Förderer der Kirche zu bewähren. Der Beſchimpfung des bimmlifchen Königes durch, Gögendienft”, fo weit fein Arm reichte, ein Ende zu machen, paßte gar wohl zu feinen auf Errichtung eined germaniſch⸗römiſchen Kaifer-

3) Es fol damit nicht gefagt fein, von da an feien alle Belchrungen gewalts fam vor ſich gegangen ; aber wir werten von nun an beren genug antreffen.

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thums geridgteten Groberungsplanen. Zudem begriff er die nivellirende Macht des Chriſtenthums jehr gut: kein ſtärkeres Mittel gab es, den flarren Nationalgeiſt der Sachſen zu beugen. Schon vor feiner Kaiferfrönung hatte er daher die Sachen mit Gewalt zu befehren gefucht, aber erft drei Sabre nachher (803) war ihre Unterwerfung und Außerliche Belehrung voll» endet. Wie gewaltthätig er bei feinem Bekehrungswerke verfuhr, ift in je⸗ dem nicht gar zu einfeltig pfäfflihen Schulbuch des Breiteren zu Tejen 1). Wenn man aber dieſe fchlächtermäßigen Bekehrungen betrachtet, fo kann man daraus lernen, wie tief dad Chriftenthum binnen acht Jahrhunderten von feiner idealen Höhe herabgefunfen.

In Skandinavien wehrte theils die Eriegerifche Wildheit ber. Bewohner, theils die Höhere Ausbildung bed germanifchen Religionsſyſtems dad Chri⸗ ſtenthum am längften unter allen. germanifhen Stämmen ab. Jütland, Dänemark, Schweden und Norwegen empfingen die erfien Keime des neuen Glaubens durch Die unermüdliche und unerfchrodene Thätigkeit des Ans⸗ garius, eines Mönches aus dem Kloſter Corvey. In Daͤnemark gelangte das Chriſtenthum zur Herrſchaft unter Knut dem Großen (1015 1030), welcher die daͤniſche und britiſche Krone auf feinem Haupt vereinigt hatte. Sauptfächlich von England aus ward das Miſſionswerk auch in Norwegen und Schweden mit Eifer fortgefegt. In beiden flegte das Chriſtenthum um ‚die Mitte des 12. Jahrhunderts. In Island, der Heimat: der Edda, erhob fih das Kreuz im 11. Sahrhundert durch norwegiſche Chriften, gleiche zeitig in dem feit 972 bevölferten Grönland. Die Belehrung Böhmens war mittlerweile (Ende des 9. Jahrh.) von der griechischen Kirche aud bes gonnen worden. Die römiſch⸗ germaniſche Kirche vollendete aber erſt feit dem politifchen Anſchluß Böhmend an Deutfhland (10. Jahrh.) die Aus⸗ rottung des bortigen Heidenthums und gewann dadurch Böhmen für fich; ſpaͤterhin ebenfo das von Böhmen aus befehrte Polen. In beiden Ländern hatte das Beifpiel der Fürſten dem Chriſtenthum Bahn gebrochen. Dafjelbe war der Val in Rußland. Da Mohammedaner, Juden, griechifche und römische Chriſten den Großfürſten Wladimir (fl. 1045) mit Bekehrungs⸗ verſuchen bedrängten, fanbte er zehn feiner verfländigften Unterthanen in

1) Neben Karl dem Großen hat ſich unter den Völkern germanifhen Stammes durch graufamen Befchrungseifer befonders der König Olaf Tryggvafon von Norwe⸗ gen den Namen eines Heiligen erworben.

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verſchiedene Länder, um alle bie cancursirenden Meligiowen genau zu vruͤfem Dir griediihe Cultus beſtach das Urtheil diefer Asgefandten am meiften, duher der Großfürſt mit ben -Bojaren des Meiches beichloß, man wolle fl ber. griechifchen Kirche zuwenden. Er zwang durch die Eroberung Cherfons den Kauiſer Bafllins IE, ihm feine Schweſter Anna zu vermählen. Nach Gewährung dieſes Wunſches nahm er ſammt feinem Bolt die Taufe im Dniepr.

Seit 863 hatten griechiſche Rifftonäre and die Bekehrung ber Sla⸗ ben in Mähren begonnen ; zu Ende ded 9. Jahrhundertö war der eine der⸗ ‚felben, Metbodius, bereitd? Oberbifchof von Mähren. Nach jeinem Tode wußte Rom auch diefe Provinz der griechifhen Kirche abzugewinnen. Die Bommern, Wilsen und Obotriten, unter denen ſich der Cultus des ſlavi⸗ fen Heidenthums am böchften ausgebildet hatte, widerſtanden ebenſo Hartz nädig den Waffen, wie den Mifftsnären Polens und Deutſchlands. Ends lich von Boleslav MI. unterfocht, ‚Tiefen fick die Bommern taufen (1128): Die übrigen Stämme der. Wenten beflegte und zwang zur Belehrung der Sachſenherzog Heinrich der Löwe, 1142 1162: Im 9, Jahrhundert erloſch der’ ſchwache Reſt griechiichen: Heidenthums, welder fi unter ben Marnoten im Peloponnes erhalten hatte. Die feit 865 beflehende bulga⸗ vifche Kirche wurde ein Zankapfel zwiſchen Rom und Konfkantinopel. Im 11. Jahrhundert fiegte durch Stephan, den: erfien chriſtlichen Fürfien? ber Magyaren, das Chrifienthuum auch in Ungarn, Tem altrömiſchen Bannoniem Die Finnen unterwarf und nöthigte zur Belehrung. im 12. Jahrhundert Erich der Heilige, König von Schweden. Theils durch Schug gegen ihre Feinde, theils durch den Ritterorden der Schwertbrüder, den Biſchof Als brecht von Riga. 1.202 geftiftet, am wenigften dur das Evangelium, wur⸗ den big 1211 auch die Bewohner von: Lievland und Eſthland, letztere zus gleich mit: Hülfe der Dänen, befchet. Die Preußen angehend; waren: feit dem 10, Jahrhundert an ihrem: Mßtrauen alle Bekehrungaͤverſuche geicheis tert. Sie hatten Gelegenheit geamg gehabt, zu bemerken, um was fir höchft weltticher Zweche willen :polniiche und deutſche Fürften fib fe: eifrig um: ihr Gechonbeit: befämmerten.. Zulegt, ald fie wieder ein Blutbad unter ben Ehriften ihres Landes angerichtet hatten und in Polen eingebrochen waren, ließ ſich der. zu Hülfe gerufene deutiche Mitterorten 1226 Preußen ſchenken und führte bis 1283 gegen Died unglüdliche Wolf einen Vernichtungsfrieg, Durch Anlegung fehler Städte und Burgen und Herbeiziehung zahlreicher

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veutſcher Eoloniften ward endlich die Chriſtianiſtrung Preußens erzwungen. Dem litthauifchen Großfürften Sagello genügte die Hand der polniſchen Thronerbin, das Chriftentium anzunehmen, feinem Volke weißwollenes Ge⸗ wand ald Pathengeſchenk und dad Beifpiel feines Fürften, daffelbe zu thun (1386). Daß bei allen diefen Völkern ſelbſt wichtige heidniſche Bräuche Jahrhnunderte nach ihrer Befchrung fih erhielten, Darüber wirb ſich Niemaud wundern, ber bedenft, daß die Bekehrung zum Chriſtenthum jett Karl dem

Gtoßen fehten mehr etwas Anderes war, als eine Pelzwaͤſche unter dem Her⸗ ſagen gewiſſer Formeln 2).

10.

Waͤhrend das Chriſtenthum, das Schwert als umgekehrtes Kreuz in der Hand, feinen Siegeszug durch Europa vollendete, erhob ſich gegen feine affatiichen und afrifanifchen Länder, fogar nah Spaniens Eroberung das mächtige Frankenreich bedrohend, das halbmondförmige Schwert des Islam. Has Refultat des großen Kampfes zwiſchen Chriftenthum und Moham- medanerthum, anf welden wir im 6. Buch zurikdfommen werben, war einftweilen die Herrihaft des Islam über die Hämushalbinſel, Kleinafien, SHrien, Arabien, Aegypten und Die ganze Nordküſte Afrikas, jedoch fo, daß in Aften etliche chriftliche Sekten, im europätfchen Thetl ded Reiches, befon⸗ Ders in Morra, die griechiſche Kirche ſich unter der urſprünglichen Bevölke⸗ rung erhielten.

2) D. h. damit begnuͤgten ſich im der Regel die Bebehrer, welche wohl wußten, warum fie ihren Profelgten tas Joch des neuen Glaubens fo leicht und fanft als mög» lich zu machen ſich bemühten. Allein es wäre doc rein unbegreiflih, mie gerade die Germanen tenn diefe haben wir hier vornehmlich im Auge die eigentlichen welts Hiftorifchen Träger des Chriſtenthums bitten werden koͤnnen, wenn ben Außerlichen Bekehrungsgruͤnden und Belehrungsmitteln nicht hoͤchſt bedeutende innerliche zu Sülfe gelommen wären. Ich finde dieſe, abgefehen von ber germanifchen „Innerlichkeit” übers haupt, insbefondere in den Aehnlichkeiten zwifchen altgermanifch-heidnifchen und chrifts liben Dogmen. Den „flarfen und eifrigen Gott“, ben jüdiſch⸗chriſtlichen Jehova, konnten die Germanen, welche den Jorn der Goͤtter durch „Manblot“ (vgl. Thl. 1,

S. 341) zu fühnen gewohnt waren, unfchwer fich gefallen laſſen. Dee chriſtliche Teu⸗ ſel entforad, ganz gut ihrem Loki, wie ihre Genien und Helden den chriſtlichen Heiligen entiprahen. Die Wunder Odhins und Thorrs machten ihnen auch die Ehrifti glaubs haft, die Lehre von ber Unfterblihfeit der Seele war ihnen von Haufe aus geläufig und dad Dogma vom füngften Gericht konnte ihnen ganz gut als eine Verfion ihres eigenen von der Goͤtterdaͤmmerung erſcheinen.

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Zum Erfah für jene Einbußen ſchloß aber die Entdedung Amerikas und die Findung des Seeweges nad Oftintien dem Ehriftenthum neue Ge⸗ biete befehrerifcher Ihätigfeit auf. Freilich merfien die Eingebornen Ame⸗ rifad bald, daß die neue, mit Gewalt ihnen aufgebrungene Meligion ihre Sklaverei zu verewigen beftimmt wäre. So gelang ed denn dem Fanatis⸗ mus der Spanier nur, die Azteken und Inkas zu vernichten, nicht aber, fie zu befehren. Nachdem die befehrungßeifrigen Dominikaner dies eingefehen hatten, errangen fie, den edlen Lad Caſas an der Spike, bie Losſprechung der Indianer von der Sklaverei, freilich mehr nur in der Theorie als in der Praris. Das Unglüd ihrer Brüter erregte bei den übrigen Stämmen ber Indianer fo großes Mißtkauen gegen die hriftliche Religion, daß ihnen auch auf dem Weg der reinften Milde wenig mehr beizufommen war. Nur den Jefuiten in Paraguay, welde Liſt und Milde mit weifer Berechnung der indianiſchen Gemüthsart verbanden, gelang es, daſelbſt eine blühende Golonie unter den Indianern zu gründen. Da wurden die hriftlichen Indianer zu fleißigen Arbeitern und guten Kindern, welche die Bäter Iefuiten wirflic lieb hatten, Die rohe Bauft der Staatögewalt, welde fpäter die Iefuiten ihres rothen Kindergartens in Paraguay beraubte, hat wieder Alles verdorben.

Wie das Chriftentfum in China, Oftindien, Afrifa, kurz unter den Völkern beinahe aller Farben und Zonen im Laufe der geographiichen Ent« deckungen mehr oder weniger Eingang gefunden, kann hier nicht naher dar⸗ geftellt werden. Wir verweilen hierüber auf die Geſchichte der Miſſionen und begnügen uns, einige befonders Wichtige hervorzuheben. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts Hatte der Jeſuit Xaver das Chriſtenthum in Japan gepflanzt. Daß er auch dort, mitten im Heidenthum, Roſenkraͤnze, Colibat, Mönche und eine Art Papſt vorfand, ſchien ihm anfänglich eine Nachaäffung des Chriſtenthums durch den Teufel!). Bald aber erkannte er, wie günftig biefer Umftand ber Verbreitung des römiſchen Chriſtenthums unter den Ja⸗ panefen wäre. Nach feinem Tode erhob fih, da die Iefuiten nur den aufe erftandenen, wohlweislich nicht den gefreuzigten Chriſtus predigten, die ja= panifche Kirche zu hoher Ausdehnung und Madıt. Aber zu früh zeigten bie Patres ihre Herrfchergelüfte, zu forglos ihre fleifchlichen Schwachheiten, fo daß ſich von 1587 an eine faft ununterbrochene Chriftenverfolgung erhob, die

1) Ein Puritaner hätte daraus gefchloflen, die römifche Kirche Habe den Teufel nachgeahmt, vieleicht Hiftorifch richtiger, wenngleich ebenfalls unHöflich genug.

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mit Ausrottung des Chriſtenthums und der Sperrung Japans gegen das ganze Ausland endigte.

Die katholiſche Miſſton Hat in neuerer und neuefler Zeit nach allen Himmeldgegenden bin eine fehr umfafjende Thätigkeit entwidel. Ob ihrer Anftrengung die Erfolge entfprechen, ift noch nicht zu entſcheiden. Dik pro⸗ teftantifche Miffton wetteifert mit ihr, ift aber weitaus in den meiften Fällen nur der Pionier engliicher und yankee'ſcher Handelgintereffen. In Wahre heit, der Welthandel ift der eigentliche Mifflonär unferer Tage und injofern er allmälig auch die entfernteften und roheften Völker des Erbballd in ben Bereich materieller Eultur Hereinzieht, muß er mit oder wider Willen, aud der Träger geifliger Bildung werden. Das Chriſtenthum, fo wie ed num einmal geworden, hat tieffte Schattenfeiten, aber feine Lichtfeite, feine civi⸗ liſtrende Macht, follte darob nicht überjehen werden. .

11.

Der äußeren Ausbreitung der hriftlichen Kirche entiprah ihr Ausbau im Innern. Mit ihrer Vergrößerung ward ihre Organifation immer com⸗ pltcirter und zugleich weltliher. Die Geſchichte der Kirchenverfaflung ftellt und die allmälige Entwidlung der Kirhenherrfchaft (Hierarchie) einer- feitö, die immer größere Ausartung der Kirhenzucht andererfeitd vor Au« gen. Die Darflellung der Iegtern wird daher den paffenden Uebergang zur Geschichte der Kirhentrennungen bilden.

In der Gemeinde zu Jeruſalem, welche theild zur Beftreitung der Lies besmahle, theils zur Unterflügung der Armen, der Wittwen und Waifen unter ihren Gliedern eine aus freiwilligen Beiträgen gebildete Kaffe führte, beforgten zuerft die Apoftel die Leitung aller das Gemeinwefen betreffenden Angelegenheiten. Die Eiferfucht der helleniſtiſchen Glieder gegen die rein jüdifchen, betreffend die tägliche Armenbeforgung, veranlaßte die Apoftel, von der Gemeinde fieben Armenpfleger (Diakonen) wählen zu laſſen. Später mag eine Ähnliche Veranlaffung die Wahl von Gemeindeälteften EPresbytern) nah dem Vorbilde der jüdiſchen Synagogenverfaſſung hervorgerufen haben. Dieſelbe wird zwar in der Apoftelgefchichte nicht er⸗ zählt, aber (Rap. 11, V. 30) bereits voraußgefegt. Die wachſende Zahl ber Gemeindeglieder erforderte gebieteriich ſolche Arbeitötheilung in den Dienft des Wortes, dem die Apoftel, die äußere Keitung der Gemeinde, der die Preöbpter, und die Armenpflege, welcher die Diakonen vorftanden. Die

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Erbauung der Gemeinde blich deſſenungeachtet nach wie vor ein Hecht Aller, die fich dazu getrieben fühlten, und mit dem Hirtenamte der Presbyter war die Ausübung eines bejondern Lehramtes noch nicht verbunden. Als eigent- liche Gemeinde vor ſteher, deren Verfammlung an der Stelle des Syne⸗ driums über die wichtigften Angelegenheiten entihied, galten (nach Apgſch. 15, 6) nur die Apoftel und Presbyter ; die Diakonen waren bloße Kirchen diener, wie ſchon ihr Name anzeigt. |

Die heidendriftlichen Gemeinden empfingen weſentlich diefelbe Ber» faflung ; doch Fam unter ihnen zuerſt die Bezeihnung der Xelteften ald Aufs feher (Erioxonos, Biſchöfe) auf, ein unter den Griechen und Römern zur Bezeichnung politifcher Aemter fehr gebräuchlicher Name. Zu fünmts lihen Gemeindeämtern wurden Die Gewählten durch, Handauflegung und Gebet eingeweiht, um ihnen ‚dadurch Die zu jegendreihem Wirken nothwens digen Geiftesgaben (Charismen) zu verfchaffen. Dies war die priefterliche Ordination in ihrem Keime. Noch während der apoftolifchen Zeit wurden auch Brauen dem Dienft der Gemeinde gewidmet und zwar ald Diakoniſ— fen, welche die Armen ihres Geſchlechts zu beforgen hatten.

| Noch während der apoftolifden Zeit wurde mit der wachienden Zahl

des Gemeindeglieder die Lehrgabe teltener, jo daß die Gemeinden hei der Mahl von Presbytern wefentlih auf Lehrbefähigung Rückſicht zu nehmen anfingen. Im 2. Jahrhundert war die Firchliche Rede und mit ihr die Ver- waltung der Sacramente bereitd Borrecht der Kirchenvorfieher geworden ; deswegen erſchienen diefe ald von heil. Geift beſonders Begabte, demnächſt ald von Gott befonderd Bevorzugte oder Erwählte und wurden daher mit dem Gefammtnamen Kleru8 bezeichnet im Gegenjag zum übrigen Ehriften- volfe, den Laien (von Auog scil. Feod, Volk Gottes). Durch ſolche . Erneuerung des altteftamentlichen Prieſterthums erhielt erft die feierliche Handauflegung ihre Bedeutung ald Ordination, d. h.. Aufnahme in den geiftlihen Stand.

Eine Behörde, wenn fie zu tücdhtiger Gefhäftsführung befähigt jein fol, bedarf immer eined Vorſitzenden, der ihre Verhandlungen leitet.

1) Klerus, vom griechifchen xAngos, bezeichnet eigentlich das 2008, unter Hin- weifung darauf, daß Gott durch das Loos die Erwählung des Matthias zum Apoftel fundgegeben. Apoftelgefh. 1, 26. „Wem Gott Berftand giebt, dem giebt er das Ant.” Später ward daraus: „Wem Gott das Amt giebt, dem giebt er auch Ver⸗ fand.” \

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Griftiged Uebergewicht und Organiſationstalent machen ſich aber zulegt in allen Behörden geltend. Daher kam ed, daß unter den Presbytern, welche Anfangs wahrſcheinlich abwechſelnd den Berfig führten, nah und nad die Sitte auffam, dem ausgezeichnetſten Mitglied den beftäntigen VBorfig zu üben teagen. Dieſes, da feine Aufſicht am meiften in Anſpruch genommen wurde, ward ſchlechthin der Auffeher, Biſchof genannt, ein neues Amt, welchen: das Intereffe der kirchlichen Einheit im Kampfe gegen. dad Heidenthum immer mehr Obliegenheiten und Rechte übertrug. Anfänglich wurden die. Bifchöfe von.den Preöbptern, ipäter von den andern Bilchöfen durdy Handauflegung geweiht, zuvor aber von ihrer Gemeinde gewählt. Ihnen allein ftand bie Firmelung, die Ordination, die Einweihung ber Heiligthümer, die Verwal⸗ tung der kirchlichen Einfünfte zu.

Das Verbot ded Paulus, rivatfireitigfeiten vor beidnifche Richter zu bringen, hatte den Presbytern richterliche Gewalt über die Gemeindeglieder verichafft. Diefe ging nun ebenfalls auf die Bifchöfe über, ‚dauerte aber, was die Laien anbelangt, natürlich nur bis zur flaatlichen Anerkennung des Chriſtenthums. In Angelegenheiten von hoher Bedeutung hatten die Bi⸗ fchöfe Rath und Einwilligung der Presbyter einzuholen. Als Nachfolger der Apoftel und Stellvertreter Chrifti war jeder Biſchof in feiner Gemeinde Gott allein verantwortlich, von feinem auswärtigen Bilchof abhängig. Dap jedoch das Anjehen der Bifchöfe um fo höher ftand, je größer ihre Gemein- den waren, liegt in der Natur der Sache.

Bis zum Ende ded 3. Jahrhunderts hehielt die Gemeinde dem Klerus gegenüber das Mecht der Ercommunifation und Wiederaufnahme, der Bis fchofswahl, der Beftätigung vom Bifchof getroffener Preöbyterwahlen und der Begutachtung in wichtigern Dingen. Da die Leitung der Gemeinten, verbunden mit dem Lehramt, immer jchwieriger ward, fo wurde auch den Diakonen Antheil an den kirchlichen Functionen gegeben und wurden fie in Folge deſſen ebenfalld durch Ordination des Biſchofs in den Klerus aufge nommen. Die Weiterentwicklung des Cultus erforderte ſodann auch die Aufftellung niederer Kirchenamter, der Oftiarien, Lectoren, Exorciſten und Akoluthen 2). Auch die Unterbiafonen in größern Städten gehörten dieſem niedern Klerus an. Ein Auffteigen durch diefe Stufenleiter der Hierarchie, welches praftiich geübte Kirchenvorfteher bildete, fand Häufig ſtatt. Aus

2) Thuͤrhuͤter, Borlefer, Tenfelsbeichtwörer und Aufwärter.

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der freien und vertsauliden Berathung einzelner Biſchöfe über die im 2. Jahrhundert allmälig ſtaͤrker hervortretenden Lehr⸗ und Kirchenzuchtſtrei⸗ tigkeiten, zugleich im Hinblid auf die Apoftelverfammlung zu Ierufalem, und weil das Anſehen der dortigen Wutterfircye mit ter Zerflörung der heiligen Stadt erloſchen war, entflanden zu Anfang tes 3. Jahrhunderts die Provinzialignoden, an welchen die Bifchöfe der jeweiligen Hauptſtadt den Borfig führten. In den öffentlich gehaltenen Sigungen diefer Synoden flimmten die Biſchöfe, biöweilen unter Zuzug von Presbytern und Confeſ⸗ foren, über Angelegenheiten der Kirchenlehre und Kirchenregierung nad freiem Ermefien ab. Dadurch wurde die Einheit des Glaubens, des Cul⸗ tus und der Berfaffung gefördert, aber zugleich den Bifchöfen der Provinzials hauptflädte (Metropoliten) ein überwiegendes Anfehen gegeben, wel⸗ ches ihnen fpäter zur Herrſchaft über die Biichöfe der betreffenden römiſchen Provinz verhalf. Im 3. Jahrhundert Hatten die Metropoliten von Ans tiochien, Alerandrien und Rom bereitd überwiegenden Einfluß auf die ganze hriftliche Kirche, ja der römifche Bifchof erfreute ſich des größten Anſehens, weil die Sage ihn zum Nachfolger des Apofteld Petrus erhob und die Welt« fladt auch in den Gemüthern der Chriftenheit Gefühle der Ehrfurcht wach erhalten hatte.

12.

Konftantin I. war es abermals, von deflen übel angewandtem Eifer die weitere Ausbildung und Verſchlechterung der chriſtlichen Hierarchie aus⸗ ging. Die Bereicherung der Kirche und ihrer höhern Diener durch ihn legte den Grund zu jener Geldgier, welche von nun an dem Geifte des Chriſtenthums ebenfo mächtig ald flörend entgegentritt. Kat auch die Wii- tenfchaft jene Eonftantinifche Schenkung an den römifchen Bifchof Sylveſter J., in weldyer ganz Italien und andere Provinzen des Abendlandes enthalten geweien fein follen, als eine der keckſten Bälfhungen, welche fih Rom je= mals erlaubte, nachgewiefen, fo ſteht doch feft, daß Konflantin eine jährliche Steuer zu Eirchlichen Zweden anordnete und allen feinen Unterthanen gefeß- lich erlaubte, ihr ganzes Vermögen der Kirche zu vermachen. Berner, daß er in jeder Stadt des Reiches regelmäßige Getreidelieferung für die chriſt⸗ lichen Armenfonds anwies, die Bifchöfe jelbft mit reichlihen Geldipenden unterflüßte und, zumal den römifchen Bifchof, mit großem Grundbeſitz aus⸗ flattete. Bisher waren für die Armen, für den Unterhalt des Gotteödien-

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ſtes und der Geiftlichen immer nur freiwillige Steuern der Gläubigen "ges floffen. Man hatte diefelben von jeher als Gott dargebrachte Opfer betrach⸗ tet und Jeder hatte eine Ehre darein gefeßt, den Andern an Breigebigkeit zu überbieten. Daraus entwidelte fich fodann der Glaube an eine Ver⸗ dienftlichfeit folher Opfergaben vor Bott, welche mit dem Werthe derfelben in Verhaͤltniß flehe, und fo glaubte denn Konftantin die Yehlgriffe feiner Regierung, feine Tyrannei, feine gewiſſenloſe Politik und feine Laſter durch defto höhere Freigebigkeit gegen die Kirche und ihre Diener abbüßen zu koͤn⸗ nen. Derfelbe Wahn trieb eine Vielzahl der ferbenden Begüterten zu den reichſten Vermächtnifien, der lebenden zu Schenfungen an die Kirche. Je weiter im Verlaufe der Zeiten das Heidenthum zurüdgebrängt wurde; deſto mehr bereicherte fich Die Kirche mit den Ländereien, Einkünften und Schaͤtzen der verödeten oder zerflörten heibnifchen Tempel, Gegen Ende des 5. Jahrhunderts wurde aber durch gefegliche Beflimmung dad Einfom- men jedes Bisthums in vier Theile zerlegt, deren erfler dem Biſchof, ter zweite der niederen Geiftlichkeit, ‚der dritte Den Armen, der vierte dem öffent» lichen Gotteödienft zu gute Fam. Die Befreiung des Kirchenguted von der Staatöfteuer (Immunität) erſtrebte fhon die Synode von Ariminum ; doch der Kaiſer Konftantius ging auf das ungereimte Anfuchen nicht ein.

Die hriftliche Hierarchie, welche in den Tagen der Verfolgung der Kirche Einheit und Kraft zum Widerftande gegen die Staatögewalt verlie- ben, bildete, fobald Konflantin das Chriſtenthum unter den Schub des Ge⸗ fees geftellt hatte, einen nun anerkannten Staat im Staate. Ihre Ber- faffung trat unverändert ein in die Reichsverfaſſung, ja Konſtantin erhöhte das Anfehen der Biichöfe durch die ihnen erwiefene übertriebene Ehrfurcht und beging außerdem den großen Fehler, die fortan unnöthig gewordene Gerichtsbarkeit der Biichöfe felbft in weltlichen Angelegenheiten anzuerfen- nen. War ed zwar von Konſtantins Zeiten an den Laien auch erlaubt, vor _ den weltlichen Richter zu treten, fo durften Doch die Bifchöfe nur von Ihres⸗ gleichen, bie Klerifer nur von ihren Bifchöfen gerichtet werben und der welt liche Richter war gehalten, die Urtheile dieſer geiftfichen Richter zu voll⸗ ziehen). Oft diente die geiflliche Gerichtsbarkeit dazu, ber Verfolgung Andersdenkender Nachdruck zu geben.

1) Man wollte dadurch die Vergehungen der Geiſtlichen vertufchen, um Seandal zu vermeiden. Konſtantin kannte dieſe Abſicht wohl und ging darauf ein mit der Scherr, Geſch. d. Religion. II. 13

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Die raſche Aushreitung des Chrißenthums frit Konflantin trug weient« fi zur Entftehung folder Bisthümer bei, welche ganze Provinzen umfaß⸗ ten. Das Met der Bifchofswahl blieb dem Volke, in Verbindung mit dem nieberen Klerus, noch geraume Zeit, nur verhinderte dies nicht, daß von den Bandidaten der Bifhofswürde hie und da die verwerflichfien Mittel, wir 3. B. Beſtechung und Intrigue gegen ihre Mitbewerber, mit Erfolg ange⸗ wendet wurben. Ie mehr das Kirchenwefen in ber Hierarchie Form uud Ger ftalt gewann, deſto Iehhafter fühlte man das Bedürfniß, die. kirchlichen Rechtagewohnheiten und Befege nieberzufchreiben. So entflanden zunädft die apoftoltifhen Conſtitutionen, deren erſte 6 Bücher Das Kirchen⸗ techt des 3. Jahrhunderts enthalten. Im A. Jahrhundert wurden fie nad den geänderten Rechtöverhältniflen eingerichtet und wurde ihnen daß 7. und 8. Buch beigefügt. Geſetzliche Geltung erhielten aber die Gonftitutionen niemals, wohl aber zu Anfang des 6. Jahrhunderts die 50 erften. Artikel der apoftolifhen Canones, welche aus den Eonftitutionen und den Synodalbeſchlüfſen des A. Jahrhunderts zuſammengeſetzt worden. Unter Juſtinian wurden dann die kirchlichen Gefetze, ſoweit fie zu Staatsͤgeſetzen erhoben waren, unter die Inſtitutionen, Pandekten und 168 Novellen“ des großen Corpus juris aufgenommen.

13.

Dem Kirchenrecht ber germanifchen Völker drüdte das eigenthümlich germanifhe Lehnsweſen (Feudalismus) fein beionderes Siegel auf. Sowohl berechnende Bolitit als werkheilige Frömmigkeit bewpg Die ger manifchen Zürften, den Biſchöfen Land und Leute zu verleihen und bie Biſchöfe weigerten ſich nit, die alte, durch das Chriſtenthum im römischen Reiche wenigftend theoretiſch abgethane Schmach der ‚Sflaverei durch ˖ den Befitz von Leibeigenen zu erneuen, Seit die Klöſter ald Burgen der Kirche jenfeit8 der Alpen fo hohe Bedeutung gewonnen, empfingen aud ihre Aebte - Land und Leite zu Lehen, Dadurch wurden fie fammt den Bifchöfen Va⸗ fallen ihres Lehnäheren. Zu den Einkünften diefer Güter gejellie ſich nach, und nach der Zehnten, der endlih unter Karl dem Großen zum Staatd- gefeg erhoben wurde, nachdem feine göttlihe Einſetzung mit dem unermüd⸗ lichſften Eifer aus dem Alten Teftament nachgewiefen worten war. Die

Öffentlichen Erklärung, „er würde, follte er felbfl- einen Bifchof am Chebruch ertappen, feinen £aı lichen Mantel über den Sünder breiten ! !“

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Mahl der Bischöfe ging vom Könige ober auf befien Vorſchlag von Klerus und Laien aus. In Cieilſachen anerfannten Bilhöfe das Königliche Bericht, in peinlihen Brozefien wurden fie von Ihreögleichen gerichtet. In ihrem Gebiet übten fie eigene Gerichtsbarkeit und waren fleuerfrei, jebosh von ber Heeresfolge nur perfönlich, nicht in Bezug auf ein zu ſtellendes Contingent, ausgenommen !); inter den fränkifchen Königen übten die Grafen bie peinlihe Gerichtsbarkeit auch über die Unterthbauen der Biſchöfe. Ws Kronvafallen hatten die Biſchöſe Sig und Stimme auf den Meichötagen,. weil dajelbft geiftlihe und weltliche Angelegenheiten verhandelt. wurden. Diefe Verhältniſſe knüpften zwar die Kirche enger an den Staat, ver» lichen ihr aber dafür um,jo Höhere weltliche Macht. Als fpäterhin ber Stant der Gemeinfreien immer mehr vom Adel unterdrücdt wurde, üben gaben Tauſende ihr Gut den Biſchöfen und Klöflern und empfingen es hin⸗ wieder von ihnen zu Lehen, weil. in jenen Zeiten barbarlidher Gewaltſam⸗ feit der Schwächere noch am meilten Schuß von der. Kirche erwarten konnte, von ber Kirche, die, fo verderbt fie auch bereits fein mochte, damals doch die einzige Macht war, welche wenigſtens einigermaßen die Sache der Humanität vertrat. Die Erhebung der päpftlihen Macht konnte aber das Vaſallen⸗ serbältniß der Biſchöfe und Aebte nicht ungetrübt laſſen. „Kein Knecht kann zwei Herren dienen“, ſteht geichrieben. Daher mußte ed, ale erſt die Tiara in Mom feffaß, zwiſchen Bapft und Kaiter zu Auseinanderfegungen über dad Verhältniß zwifchen der geiftlichen und weltlichen Gewalt. kommen. Dies führt uns auf die Entflehung des Bapfttbumd, .

14.

Auf der Synode zu Nicäa waren die allmälig erworbenen Metropofi- taurechte der Bifchöfe zu Rom, Antiodien und Ulerandrien förmlich aner« kannt worden, fo namlich, daß man dem römifchen, Bifchof ald dem Nach⸗ folger des Betrus.da8 oberite Unfehen unter den Dreien zugefland. Biſchof Damafus (366— 384) erhielt vom Kaifer zuerfi dad Recht, Streitigkeiten außerhalb feiner Diöcefe Ichlichten und Appellationen gegen den Ausſpruch

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1) Wie Jedermann weiß, machten aber im Mittelalter viele Bifchöfe und Achte von ihrer perfünlichen Befreiung vom Kriegspienft feinen Gebrauch. Im Gegentheil, biefe Prieſter der „Religion der‘ %iebe und Duldung“ gehörten oft zu den tapferften Haudegen, zu den erbarmungstofeiten Gengern und Brennern. Ueberhaupt läßt ich auf Chriſti Lehre eine ſchaͤrfere Satire nicht denken, als dag Mittelalter war.

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anderer Metropoliten annehmen zu dürfen. Nachdem jedoch Konflantin das reigend gelegene Byzanz zur eigentlichen Hauptftadt feines Meiches erhoben und ihm feinen Namen verliehen, erhob das Concil von Konftantinopel den Biſchof der neuen Mefldenz ebenfalls zum Metropoliten mit dem Range bed zweiten im Reiche und demfelben Vorrecht, welches der roͤmiſche Bifchof be⸗ ſaß. Bon da an firitten fi die Bifchöfe von Mom und Konftantinopel um die Oberherrſchaft, die von Alerandrien und Anttochten traten ihnen gegen über zuräd und firitten ſich felbander um ba8 höhere Anichen. Um nun den Brundfag der Gleichheit unter den Metropoliten nit aufzuheben, wur⸗ den die von Rom, Konftantinopel, Alerandrien und Antiochien zu Erz⸗ bifhöfen erhoben, eine Würde, welche im 5. Jahrhundert den früher allen Bilhöfen zufommenden Namen des Patriarchats erhielt. Die Gewalt⸗ thätigfeit des Dioscurus von Ulerandrien gab dem Goncil zu Ehalcedon Beranlaffung, ihn abzufegen und dadurch dem Uebergewicht Alerandriens über Antiochien ein Ende zu machen. Die Eroberungen der Araber endlich benahmen beiden Patriarchen die Möglichkeit, ihr Anſehen fürberhin gegen die von Hom und Konftantinopel geltend zu machen.

Ohne fih auf die Spigfindigfeit der byzantiniſchen Theologie, welche Die Blaubenshändel jener Zeit hervorrief, tiefer einzulaffen, nahınen die römi- ſchen Biſchöfe mit ſchlauer Politik vorwiegend ‘Partei gegen Diefenigen von Konftantinopel, vertheidigten daher das athanaflanifche Bekenntniß gegen das arlanifche und erndteten die größten Vortheile vom Siege des Athana⸗ flanismus. Rühmten fie ih auch, nur vom Kaiſer felbft gerichtet werden zu dürfen; fo ſchien ihnen doch ein weit größerer Ruhm, ſich in geiftlichen Dingen felbft vom Kaiſer unabhängig zu behaupten. Das bewiefen fie den arianiſchen Kaifern gegenüber, und erhöhten dadurch ihr Anfehen in den Augen ber rechtgläubigen Welt. Ueberall fandten fe ihre Vicarien bin, Appellationen an den römiichen Stuhl zu "bewirken und gute @elegenheiten zur Einmifhung in fremde Händel auszufpähen. Kräftig unterflügten ſie ihre Sreunde, welche ihren Beiftand durch Bugeflänpniffe erfauft hatten.

Den Ausſpruch Chriſti, weldher Simon ald den Feld der Kirche bes zeichnet hatte, auf die angeblichen Nachfolger ?) des Stmon Petrus beziehend, trat Leo der Große am gewaltigften mit den monarchifchen Anſprüchen des

4) Ob Petrus uͤberhaupt jemals in Rom geweſen, iſt noch ſtreitig; daß er da⸗ ſelbſt die Biſchofswuͤrde bekleidet habe, dafuͤr hat man keinen einzigen hiſtoriſchen Be⸗ weis und alle Wahrſcheinlichkeit ſpricht dagegen. Die Sage von Petri Biſchofthum

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römischen Stuhls auf die gefammte chriſtliche Kirche hervor. Er unterwarf fi} die von den ariantichen Bandalen bebrängte afrifanifche Kirche, machte fein ſchiedsrichterliches Anſehen über die Kirche Balliend geltend, bewog Balentinian III. zu dem Geſetz, welches die höchſte richterlihe und geſetz- gebende Gewalt in der Kirche dem römtichen Stuhl übertrug, aber einfl« weilen nur im den noch nicht verlornen Provinzen des Abendlandes Geltung erlasıgen fonnte. Leo war es, der die Synode zu Ehalcedon durch feine Bicarien (Legaten) regierte; nur vermochte ex daſelbſt nicht zu hindern, daß dem Patriarchen von Konftantinopel Dienämliche Gewalt über die morgen- länd iſche Kirche ertheilt ward, die er ſelbſt durch Valentinian über Die abendländifcde erlangt hatte).

15.

Das abendländifche Kaiſerthum neigte fich immer mehr feinem. Unter⸗ gang entgegen. Eine Provinz nach der andern ging an die erobernden Ger⸗ manen verloren. Beft fland die Macht der Kaifer nur noch im Oſten; Rom und Italien blieben nicht felten bülflos fich felbft überlafien. Die römiſchen Bifchöfe nun, an Grundbeſitz, obrigfeitlicher Gewalt und mora⸗ liſchem Einfluß die Größten Italiens, waren e8, auf welche. fi in Zeiten der Hülflofigfeit Aller Blicke richteten, und nicht vergebend. Beſonders als die Longobarden Italien überſchwemmten, fchafften fie Geld, Truppen und Proviant zur Vertheidigung gegen dieje graufamen Dränger, Eauften Gefangene los und linderten nach beflen Kräften das allgemeine Elend. Dadurch erhob fich ihr Anfehen über dasjenige des fernen und ohnmaäͤch⸗ tigen Kaiſers. Zur Entihädigund für die gebrachten Opfer erhielt Gregor ber Große vom Kaifer die weltliche Gerichtsbarkeit über. jeine Grundfaflen, nebft dem Recht, die weltlihen Obrigkeiten in den Landſtrichen, wo St. Peters Patrimonien lagen, zu wählen!). Als fodann (726) zwifchen

iſt offenbar erſt zu der Zeit entſtanden, als einzelne Biſchoͤfe ſich uͤber ihre gleichſtehen⸗ den Brüder zu erheben anfingen, alſo früheſtens im 2. Jahrhundert.

2) Leo's Grifteshoheit und Beredtſamkeit Toll bekanntlich auch den Hunnen Attila, bie „Godegiſel“, zum Rüdzug aus dem zitternten Stalien vermocht haben. Der Zus fammenhang bes Creigniſſes iR freilich nicht ganz Har, indeſſen hat es das Anichen des römiichen Stuhles unzweifelhaft bedeutend erhöht.

1) St. Peters Patrimonium (Erbe St. Betere) heißt der dem römischen Bifchof zugehörige Orundbefig. Durch diefen Namen fol das göttliche Recht auf befagtes Grundeigenthum bezeichnet werden.

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Papft ) Gregor I. und dem Kaifer der Bilderſtreit entbrannte, nahm om und Italien, ſelbſt mit den Waffen, für Gregor Partei. Der Gtatihalter des Kaiferd wurde aus Mom vertrieben und der Papft als das weltliche Oberhaupt Roms und des dazu gehörigen, Bisher von dem Statthalter re= gierten Gebietes anerfannt. Es war aber natürlich nit bloß der Eifer für hie Bilder, was die Italiener zu folchen Schritten bewog. Ste wollten ih vornämlid von dem Drud tes Faiferlichen Steuerweiens befreien, Der Streit Gregors H. mit Leo dem Iſaurier bezeichnet den Anfang ber Epoche, da die Paͤpſte fich den germanifchen Fürften zuwandten. Gregor, obwohl er die Eroberungdpläne ded Longobardenkönigs Liutprand vereitelt Hatte, war der erfte Papft, welcher fih von einem germantichen Fürften, von Lint⸗ prand felbft, Orundeigenthum fchenfen ließ, und zwar ſolches, das dieſer Fürſt dem Kalfer weggenonmen. Gregor IM., wegen feindieliger Politik von Liutprand in Die Enge getrieben, rief den fränkifchen Hausmaler Karl Wlartell zu Hülfe, welder jedoch nur vermittelnd dazwilchen trat. Gregors Nachfolger, Bapft Zacharias, fchloß Frieden mit den Longobarden und ver⸗ pflihtete zugleihh den Hausmaier Bipin durch Entbindung von feinem Unterthaneneide gegen das meroningifche Königshaus dem römiſchen Stuhle. Pipin, um die Gewiſſensſkrupel feiner Franken zu beſchwichtigen, ließ fich von Bapft Stephan I. die königliche Salbung ertheilen und befreite ihn da⸗ für von der drohenden Macht des Longobardenkönigs Aiſtulph 3). Vergeblich forderte der oſtrömiſche Kaiſer Konflantin V. feine den Longobarten ent riffenen Provinzen zurüd; der Papſt erhielt von Pipin das römifhe Ducat nebft dem @rarchat von Ravenna und die Bentapolis. Dafür verkich Stephan, um ja nicht ald Bafall des Ffankenkönigs zu erſcheinen, biefem und feinen Söhnen den Titel eines römtfchen Patricius. Damit war bie Lostrennung des Papſtes von der Oberhoheit des Kaiſers von Oftrom vollendet.

16.

Maͤchtig förderte bie Weiterentwicklung des Papftthums jener Tag, da Bapft Leo IM. Karl den Großen zum römifchen Katier Frönte (Weihnacht

2) Papſt (ndnas, d. i. Bater) bie der römifche Bifchof ſchon feit dem 6. Jahr⸗ hundert.

3) Zwei Mal zog Birin beswegen über die Alpen. Das zweite Mal zögerte er fo lange, daß der heil, Perrus felbft vom Himmel her ihm einen Brief ſchiden mußte, bevor er fich zur Rettung des Bapftes aufmachte.

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799). Nach der Theilung des ftaͤnkiſchen Reiches gerlerh zwar dad nette Kaiſerthum eine Zeit lang in Verfall; aber ſeit ſeiner Wiederherſtellung durch die Ottonen galt es für Pflicht jedes deutſchen Königs, die römiſche Kaiſerkrone zu erwerben. Mit den Ottonen begannen die verhaͤngnißvollen Nömerzüge. Bis auf Heinrich IV. nahm fein deutſcher König die Kaifer- krone ald eine Gabe des Papſtes an?).. Der Rampf dieſes uriglücklichen Fürften gegen Gregor VII. änderte die Verhaͤltniſſe. Bevor wir bieſen Kampf betrachten, haben wir noch einige Veränderungen in der Stellung der Bifchöfe und Synoden anzuführen, und.auf Die Decretalen * bes Pſeu⸗ doiſidorus einen Blick zu werfen.

Der Berfall der Föniglichen Gewalt nach dem Erlöfchen des Karolingere flamms hatte zur Bolge, daß die Bifchöfe vom König unabhängiger wurden, von ihm nur noch die Belehnung durch Ueberreichung von Ring und Stab (Inseftitur) empfingen und zum Heerbann ihr Gontingent fellen muß ten. . Als die natürlichen Buntesgenoffen des Königs (beziehungsweife des Katierd) gegen tie hohe Ariftofratie errangen fle auch die peinliche Gerichts« barkeit in ihrem Gebiet, melde früher die Grafen geübt hatten. Die öfumenifchen Synoden, unter Konftantin als oberſte Behörde der ganzen Kirche entſtanden, hatten eigentlid) mit ber 680 81 zu Konſtantinopel gehaltenen ein Ende genommen. Im Widerſpruch gegen die factiſch einge⸗ tretene Trennung wurde die darauf folgende zu Nicda noch als fiebente öͤku⸗ menifche,, son der griechiſchen Kirche ſodann die zweite trirllanifihe, von det römijchen Kirche die zu Sardica als achte oͤkumeniſche geltend gemadt, Später hielt die römiſche Kirche ihre beſonbdern Synoden, namentlich die vor den Königen und Kaiſern berufenen, welche über Päpfte richteten ; dann bie fogenennten Lateran⸗Synoden ?), welche das päpftliie Anfehen ſelbſt über die Concilien erhoben und die Infallibilität Der letzteren auf die Päpfte über⸗ trugen. Im 9. Jahrhundert wurde zuerft von den Dectetalen Pſeudoifidors Gebrauch gemacht. Im Vertrauen auf den damaligen Mangel an aller ®e- ſchichtskenntniß hatte ein für das Papſtthum Begeifterter e8 unternommen, einer nach Biſchof Iſidor von Hitpalid genannten Sammlung kirchenrecht⸗ licher Artikel eine Anzahl erdichteter kitchenrechtlicher Beſtimmungen, welche

1) Die Demtüthigung, den Untergeßenen des Papſtes vorzuftellen, bat auch von Karls des EOroßen Nachkommen nur Kaifer Ludwig H., Sohn Lothars J., ſich gefallen laffen.

2) Bom Lateran-Balaft in Rom, der früheren Neſdenz der Mpfte.

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von 91—384 entflanden fein follten, beizufügen. Der fromme Betrüger, welcher fich dadurch vermuthlich ganz im Stillen den Himmel zu verdienen meinte, hat in feiner Plumpheit Rechtszuſtände, die im 9. Jahrhundert erft im Werden begriffen waren, nämlid die Vereinigung ber höchſten geſetz⸗ gebenden,, beauffihtigenden und richterlichen Gewalt über Die Kirche in der päpftlihen Würde, als in den erſten vier chriftliden Jahrhunderten ent ftanden hingeſtellt. Rom machte von dieſer Faͤlſchung den umfaflendften Gebrauch unt ließ fie erft fallen, als diefelbe der proteftantifchen Kritif gegen« über gänzlich unhaltbar geworden war.

17.

Das von Karl dem Großen berrührende, durch Otto den Großen er» neute Geſetz, daß jede Papſtwahl nur mit Genehmigung des Kaiſers gültig ſei, war durch Heinrich III. abermals befräftigt und dadurch die Unterord⸗ nung des Papſtes unter den Kaifer neuerdings feftgefept worden. Aber bald nach dem Tode dieſes Eraftvollen Kaiſers ließ Papſt Nikolaus II., um bie päpftliche Würde dem Einfluß der römiſchen Adelsparteien zu entziehen und fie wo möglid auch vom Faijerlichen Anſehen unabhängiger zu machen, durch eine Synode zu Rom ein eigenes Collegium errichten, welchem fortan die Wahl des Papſtes allein zukommen follte, das Collegium der Gar- dDinäle, damals zufammengefegt aus den angefehenften Geiftlihen Roms und ben ſteben ſuburbikariſchen Bifchöfen. So flanden die Sachen, ald Hilde⸗ brand, ber. fchon mehr al8 einen feiner Vorgänger nach feinem Willen geleitet hatte, unter dem Namen Gregor VII. den apoftolifchen Stuhl beftieg (1073).

Der Kampf des jungen Heinrich IV. gegen die aufrührerifchen Sachſen einerjeit8 und die in Deutſchland eingerifiene Simoniet) andererjeits gaben dem genialen, vom höchſten Gefühle feiner Stellung erfüllten Gregor, welcder fi zuvor von dem Könige hatte beflätigen laffen, die gewünſchte Beranlaffung zum Streit mit der oberften bürgerlichen Gewalt um die Ober . herrſchaft in der Ehriftenheit. Der Plan Gregors, übrigens keineswegs glei bei Anfang des Streites in feinem ganzen Umfang bervortretend, fhwerlicy fogar in dDiefem Umfang vorbedadıt, jondern vielmehr erft im Ver⸗

1) Die Simonie, d. i. der Kauf und Berkauf geifllicher Pfründen und Würden, zum Theil eine natürliche Folge des Lehnsweſens, hat ihren Namen bekanntlich von Simon dem Zauberer, der apoftolifche Gewalt um Geld erwerben wollte (Apoflelges ſchichte 8, 18—24). |

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laufe des Kampfes fi entwidelnd der Plan Gregors ging dahin, die . hoöchſte geiftliche und weltliche Gewalt im Papfte zu vereinigen, und zur Behauptung derfelben alle Beiftlichen von weltlicher Herrſchaft und bürger- lichen Berhältnifien ganz unabhängig zu machen. Dies zu erreichen, ver⸗ bot er die Inveftitur mit Ring und Stab durch die Hand weltlicher Kürften, forderte den Lehns⸗ und Hultigungseid von den Erzbiſchöfen, maßte ſich das Net an, durch die Gewalt des Bannes felbft den Raifer feiner Würde zu be= rauben, und veranlafte dad Kirchengefeß allgemeiner Ehelofigfeit (Cöli⸗ bat) der Geiftlihen2). Dafjelbe, von dem Papfl auf drei Borwände ba⸗

2) Gregors Plan wurde und wird natürlich ſehr verichieden beuriheilt. Man kann der Senialität und Energie des Papſtes alle Gerechtigfeit widerfahren laflen und dennoch , namentlich wenn man nicht aufhören will, ein Deutfcher zu fein, fein Werk entfchieden verdammen. Gr trat auf für die „Freiheit der Kirche” , wie er fagte, und hat doc auf die furchtbarfie Knechtichaft der Menfchheit hingearbeitet. Gr trat auf für die Cinheit der Kirche” und doch führten feine Reformen geradewegs zur Spals tung ber Chriftenheit. Er trat auf für die „Reinheit der Kirche“ und doch ift fein Coͤlibatsgeſetz, deſſen Durchſetzung er wefentlich einem urtheilsloſen Voͤbel verdankte, welcher die Geiſtlichen mit brutaler Gewalt zwang, ſich von ihren Frauen zu trennen die Quelle namenloſer Laſter und Graͤuel geworden. So raͤchte ſich die Vergewalti⸗ gung des Geiſtes und der Natur. Das Ideal des Papſtihums mag ein ſolches ſein, aber

Waͤre der Geiſt nicht frei, dann waͤr' es ein großer Gedanke, Daß ein Gedankenmonarch über die Geiſter regiert. Platen.

- ine erſchoͤpfende, auf genaueſte Bergleihung der Quellen geſtuͤtzte hiſtoriſche Würdigung des großen Streites zwiſchen weltlicher und geiſtlicher Macht am Ausgang des 11. Jahrhunderts, des Kampfes zwifchen Deutfchland und Rom hat uns neuerlich Hartwig Floto gegeben (Kaifer Heinrich ter Vierte und fein Zeitalter”, 1886). Bloto iſt gerebt. Wr fagt (11,.274): „Immerhin ift anzunehmen , daß der letzte Grund feiner (Gregors) Bläne ein guter war und daß er aufrichtig für da® Wohl ber Shriftenheit zu wirken glaubte. Das ift aber auch faft Alles, was man ihm zum Lobe nachſagen kann. Denn es iſt ſicher, daß er fi) täufchte, wenn er feine Reformen für heilſam hielt, und es ift ficher, daß er fchlechte Mittel anwandte, um fie durchzuführen. Gregor war ohne Zweifel ein großer Mann: er beuutzte den günftigen Moment, um Sachen anzubahnen,, die noch heute beſtehen. Wir fehen noch heutiges Tages die Dionumente, vie er errichtet bat: das Edlibat, Deutichlands Zeriplitterung und bie Spaltung der Kirche. Allein es war nicht Die zwingende Kraft feiner Ideen, fondern bie Jugend Heinrich und die Untreue der deutichen Fürften, was ihm oder vielmehr feinen Nachfolgern den Sieg verſchaffte. Die Intereffen des Papitihums und die Snterefien der deutfchen Küriten gingen himmelweit auseinander, aber in dem einen Punkte trafen fie zufammen : in der Grniebrigung des Kaiſerthums. Darum haben die Bäpfte mit deutichen Fuͤrſten Buͤndniſſe geſchloſſen wider die deutfchen Kaiſer und auf diefe Weife endlich den Sieg davon getragen.“

Li

firt ®), konnte allerbing® erſt lange nachher zu veilflänkiger Durchführung ge» bracht werben 4). Inteflen gebührt Gregor unzweifelhaft der traurige Rahm, dad Band zwiichen Priefterlichem und Menſchlichem zericmitten zu haben. Auch ber paͤpftliche Anſpruch auf unbebingte Oberherrlichkeit aber den Klerus fand Anerkennung , denn bald nach Gregor ſuchten alle Biſchöfe die Veſtäti⸗

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3) GErſtens, der Apoſtel Baulus (1. Kor. 5, 11) habe geboten, „fo Jemand tft ein Hurer oder ein Geiziger oder ein Abgöttifcher oder ein Läfterer oder ein Trunken⸗ bold oder ein Räuber, mit demfelbigen follet ihr Nichts zu Ichaffen haben.“ Gre⸗ gor nahm alfo Die Ehe für abfolut identifch mit Hurerei. Zweitens, das gefammte katholiſche Bolk beftehe aus Chriſten, die in Der Ehe, oder aus folchen, die jungfräus Ich (eben. Gin Laie, der im Coneubinat lebte, müßte ercommunicirt werden ; um wie viel mehr nicht Die Priefter? Wiederum nimmt hier Gregor She und Concu⸗ Binat für daſſelbe. Daß ein fo bedeutender Geiſt zu folcher Sophifterel griff, ift wahr⸗ haft klaͤglich. Bor Gregor lebten bie Priefter in der She, nad ihm lebten fie im Coneubinat. Das der Hiftorifche Unterſchied. Drittens, die Päpfte Leo I. und Gtegor T. haben ten Brieftern vom Subdiafonus aufwärts die Ehe unterfagt. Dies

beweiſt wur, daß es ſchon vor Gregor VII. Gregote gegeben. Der wahre Grund bes

Eölibatsgefepes mar natürlich ein ganz anderer: bie Prieflerehe wurde verboten, um bie Eirche gänzlich dem Einfluß der weltlichen Nacht zu entziehen, die Briefter zu ent menfchen und dadurch zu unbedingt willfährigen Werkzeugen der vom Papft geibten Theofratie zu machen. Wer, wie ich mir befien bewußt bin, über dem Unterfchied zwilchen Katholicismus und Proteflantismus völlig parteilos Acht, wirb zu einer ans

. been Anficht über das Eölibat unmöglich gelangen können. Aber es charafterifirt den

ZJohannes von Müller, der ja, während er in feiner Geſchichte der ſchweiz Eibge⸗ noſſenſchaft taeiteifchen Republikanismus erfünflefte, vor jeder Macht roh, baß er die fublime Entdeddung machte, das Coͤlibat ſei für das Mittelalter nicht nur noth⸗ wendig, fendern auch heilfam gewefen,, denn „ohne daſſelbe wäre Das Prieſterthum zu einer Kafte geworden.” Freilich, wenn man die fhamlofen Schmeicheleien kennt,

womit Müller einen Jerome von Weſtphalen überfchüttete, wird Einem auch jene Be:

haußtung nicht fehr auffallen.

4) Gs gereicht den deutſchen Bifchöfen jener Zeit zu großer Ehre, daß weitaus die meiſten derfeiben von dem Verbot der Prieſterehe durch Gregor gar feine Notiz nahmen. Wo bie Creaturen des Papſtes es thaten und das naturwidrige Gefetz durch⸗ ſetzen wollten, hatten ſie von Domherrn und Pfarrern einen Widerſtand zu befahren, der manchmal lebensgefaͤhrlich für fie war. So der charakterloſe Erzbiſchof Siegfried von Nainz auf einer dortigen Synode im Herbſt 1078. Es gelang, das Cölibat in Deutſchland allmaͤlig durchzufuͤhren, als die Agenten des Papſtes beutelüſterne Raub⸗ riner und den füßen Poͤbel aufftifteten, mit ven ſchaͤndlichſten Brutalitaͤten gegen die verheiratdeten Pfarrer vorzugehen. Uebrigens konnte noch hundert Jahre nach Er⸗ laſſung des Gölibatsgefeges ein Biſchof von Erfurt an Bapft Merander II. berichten, daß in feinem Sprengel faſt ſaͤmmiliche Pfarrer in ber Ehe lebten.

gung ihrer Würde in Mom. Der Streit Aber tie Inveſtitur wurde durch das zwiſchen Kaiſer Keinrich V. und Papſt Ealiztus IE. vereinbarte Wonnſer Goncordat 1122 beigelegt, welchem zufolge die Wahlen der Biſchöfe und Aebte inı dentichen Meiche in des Kaiſers oder feiner Abgeotdneten Gegen⸗ wart, ohne Simonie und Gewaliſamkeit, durch Klerus und Bolt vor fi gehen follten. Der Kaiſer follte die Gewählten vermittelt des Scepters mit den Reichslehen belehnen, der Papft aber fie vermittelſt Ringes und Stabes inveſtiren.

Was Gregor VII. gewollt, Innocenz m. vollbrachte ed. Unter ihm gelangte das Papftthum auf den Gipfel ſeiner Machthöhe. Die Fürſten des Abendlandes beugten ſich ihm und, dem „heiligen zömifchen Reich deutſcher Hation* das Joch feines Willens auflegend, ſetzte er das Geſetz durch, daß jeden vom Papft ausgeſprochenen Bannfluch des Reiches Acht beigefügt

‚werben müfle. Während des Lebens von Innocenz galt in Theorie und

Braris der Grundſatz, daß der Papft Richter und Herr ſei über alle Kaiſer, Könige und Bölfer der Erde. Der flolgefte Traum, welchen die Theokratie je geträumt, jchten in Erfüllung gegangen zu fein. Für eine Weile war Ber Gedanke des Papfithuns, die Staatögewalt vollſtaͤndig zu zeripkittern send auf dem allgemeinen Mivellement einen Hoheprieftertbron zu erhöhen, gur sat geworben.

.

18. -.

So lange der Kirchen noch nicht viele waren, wurden Gottesdienſt und Seelforge von den Kloftermönden einerieitd, von den Bijchöfen und ihren Canomici 1) (fpäter Domherrn) andererfeltd verwaltet. Mönde und Canoniker waren die einzigen niederen Cleriker der Karolingerzeit. Aus den . Domberren bildeten ſich die biſchöflichen Kapitel. Den Archidiakonen über gaben die Biſchöfe allmälig die Ausübung der Gerichtsbarkeit in ihrem Mas men. Der. Verfall des canoniſchen Lebend im 10. Jahrhundert theilte die Domkapitel in geiſtliche und weltliche Glieder. Letzteren ward nad Wieder herſtellung de® eanoniſchen Lebens mindeften® der Dienft eines Subdiakonen übertragen. Nachdem die Zahl der Kirchen durch Fromme Stiftungen fi vermehrt datte, wurde das Recht der Bifchöfe, die Pfründen ihres Gprem

4) Sie Hatten ihren Namen von dem canoniſchen Leben, zu welchem fie ſeit der Karolingerzeit verpflichtet waren.

204

gels zu beſetzen, vielfach beſchraͤnkt durch das Batronatörecht, welches die Nachkommen der Stifter in Anſpruch nahmen. Mit dem zunehmenden Verfall des kirchlichen Lebens ließen die biſchöflichen Domherren ihre Ber» richtungen immer häufiger durch Vicare verſehen. Die Biſchöfe übergaben die ihrigen gern den fogenannten Chor⸗ oder Weihbifchöfen. Den Archi⸗ diakonen fegten ſie ein richterliches Collegium meift weltlicher Offizialen zur Seite. Predigt und Seelforge wurden den Pönitentiarien, auch Bfarrer genannt, übergeben. Bu Pfarrern waren ſchon früher die Canonici auf den PBatronatöpfründen geworben.

Längſt hatte fih das Collegium der Cardinäle zum geiftlichen Rathe des Papſtes, jowohl in Verwaltung feiner weltlichen GHoheitsrechte, wie in Eirhlihen Dingen erhoben: Aber erft dad Concil zu Konſtanz fprad bie Anerkennung diefes Collegiums als einer: Firdlichen Behörde aus. Dieſen Beſchluß lieh fih Rom gefallen; die gleichzeitige Beftimmung hingegen, daß alle Nationen des Abendlandes im Garbinalcollegium vertreten fein follen, blieb fo gut wie unerfüllt. Seit der Trennung von der abenblänbifchen Kirche. behauptete der Patriarch von Konftantinopel fih als das Haupt der morgenländifch » griechifchen,, jeboch flet8 unter Oberhoheit des Kaiſers. Seit der Eroberung Konftantinopeld durd die Türfen fland der Patriarch von Konftantinopel unter der Hoheit des Sultans, ihm zur Seite die aus den Metropoliten gebildete befländige Synode. Diefer Hierarchie blieb bürgerliche Gerichtöbarkeit über die Chriften.

19.

Daß vie papſtliche Unfehlbarkeit ſich über diejenige der allgemeinen Soncilten erhoben habe, davon legten feit der zweiten Hälfte des Mittel⸗ alterd die „Bullen“ und Breven, durch welche der Nachfolger Petri aus eigner Machtvollkommenheit neue Kirchengeiege erließ oder beflehende aufe bob, dad deutlichfte Beugnig ab. Was vor Gregor VIl. ohne Widerrede ges golten, daß ein allgemeines Eonciltum Aber dem Papft ſtehe, mußte zu Konftanz und Vaſel wieder ausdrädlich in Anfpruch genommen und neuer- dings als Kirchengeſetz ausgefprochen werden. Bald darauf kam die Refor⸗ mation. Obwohl nach diefer großen Kirchenſpaltung die römifch-Fatholiiche Kirche auf ihrem mit Mühe behaupteten Gebiete fi wefentlich gleich blieb, ſah ſich doch das Papſtthum gezwungen, eine ganz andere Stellung gegen die fatholifchen Fürſten anzunehmen. Von Bann und Interbict Eonnte wenig

205

mehr die Nebe fein. Der Geiſt der Reformation drang unmerflic immer tiefer in die gebildeten Klaſſen der Katholiken ein und ber Erfolg war, daß die Päpfte ihre und des übrigen Klerus rechtliche Stellung nach und nad. jedem einzelnen. katholifchen Staate gegenüber durch Concordate feſtſetzen mußten. Dabei ging die geiftliche Gerichtsbarkeit über Die Laien, mit Aus⸗ nahme des Kirchenſtaates, allgemein, über die Kleriker ſelbſt faft überafl verloren. Gegenwärtig wird auch im fatholifhen Geiſtlichen der Staats⸗ hürger joweit anerfannt, daß er in Einil- und Criminalprogefien dem welt« lichen Richter Rede zu ſtehen hat. Nur in reinkirchlichen Dingen gilt noch das Kirchenregiment, erlafien die PBäpfte noch ihre Breven und uͤben das Recht der Exrkommunication!).

Mas das proteftantifche Kirchenweſen angeht, ſo bildete es fich unter Mitwirkung der betreffenden Landesherren und Obrigkeiten ſehr verſchieden⸗ artig aus. Als allgemein anerkannter oberſter Grundſatz galt zwar das allgemeine Prieſterthum der Chriſten (nach 1. Petr. 2, 9) mit Aufhebung des Unterſchiedes zwijchen Klerus und Laien, doch ebenfo allgemein ward ber geiftliche Lehrftand, gegründet auf die Predigt des göttlichen Wortes in der Schrift, aufrecht erhalten. Den Kern der proteftantifchen Geiftlichfeit bilde— ten von nun an überall die Prediger oder Pfarrer, denen in größern Stadtgemeinden meift Helfer (Diafonen im neuern Sinn) zur Predigt, zum Jugendunterricht und zur Seeljorge beigegeben wurden. In Deutich- Iant und mehr noch in der Schweiz ward die Pfarrwahl großentheild den Gemeinden übergeben ; wo Bijchöfe gewaltet, fam die Befegung ber geift- lihen Pfründen an die Gonftftorien. Die Patronatörechte wurden auch fürderhin anerkannt. Je nad der. flaatlichen Bora, welche die Reformation vorgefunden,, beftimmte fich die Kirchenverfaflung in ben verfchiedenen Län dern. Im lutherifchen Deutfchland ging die Macht der Hierarchie auf den Landesheren über, in deffen Namen die Eonfiflorten, Superintendenten an des Spige, das Kirchenregiment übten. Die Synoden wurden beibehalten, aber nur aus Geiftlichen und Mitgliedern weltlicder Behörden ohne Zuzies . bung von Gemeindeälteften zufammengefegt. In: Schweden und der eng« liſchen Hochkirche behielten die Biſchöfe die kirchliche Oberauffiht. In der deutjchen Schweiz bildete fich eine republitaniich » ariftofrariiche Verfaffung,

* 4) Der Begriff „veinkiechliche Dinge“ ift freilich in einigen neueren Concordaten, -3. B. dem öftreichifchen,, wierer ein außerordentlich dehtibarer geworben.

inhems hier Die aberſte Eirhlidde Betzörde, Die regelmäßig fi verſammelnde Syrode, aus den Pfartern des Kantond und etlichen Abgeordneten des großen oder Kleinen Raths zufammengeirgt wurde. In Genf geftaltete ſich Die Kirchenverfafſung demokratiſch, durch Galvind Einfluß. Er errichtete ein geifliches Gericht, befichend aus den. von der Gemeinde gewählten Aelte⸗ Ben und den Pfarrern, zur Aufrechthaltung der Kirchenzucht. In Franlk⸗ reih und Schottland wurde dieſe noch Follsgialifche Presbyterialverfaffung, meldge am meiften an bie urchriſtliche erinnert, zur ſynodalen fortgebildet. Nach vielfachen Umgeftaltungen hat die genferifche Kirchenverfafſung ihren Demofratiichen Charakter darin behauptet, daß feit 1847 ein vom allen res formirten Bürgern gewähltes, aus geiftlichen und weltlichen Mitgliedern beſtehendes Conſiſtorium die oberfte Firchliche Behörde bildet.

Das Rirhengut wurde bei Belegenheit der Reformation größtentheild von den Landeöherren eingezogen und es Fann feinem Zweifel unterliegen, daß dieſe Manipulation die meiften Fürſten für das „gereinigte Wort Gottes“ günftiger flimmte als alles Andere. Auch die republifaniichen Obrigfeiten haben allmalig baare Befoldung der Geiftlichfeit aus der durch Einziehung der Pfründgüter bereicherten Staatskaſſe eingeführt. Daß den Bilhöfen und Pfarrern der engliichen Hochkirche die Einkünfte der alten Kirchengüter un« geſchmaͤlert blieben, hat ſchon die jchreiendften Mebelftänte zur Bolge ges habt, zumal den, daß die geiftlichen Verrichtungen meift um den kümmer— lihften Lohn PVicaren übergeben werden, während der reiche Pfrüntbefiger fih tem Müßiggang überläßt.

In Rußland ſchuf Peter der Große 1721 als oberfte kirchliche Behörde des Reiches die „Heilige Synode” aus vom ihm felbft hiezu gewählten Prü« Iaten. Unter der Synode fliehen die Erzbifchöfe und Biihöfe, die Syuode ſelbſt unter dem Czaren, alfo vollfländiger GEaäjaropapismus Se der Fülle ihrer Machtvollkommenheit zog Katharina 11. fämmtliches Kirchen⸗ gut ein und ſetzte eine beſtimmte Befoldung für die geiftlichen Stellen aus ver Staatökafle feft. Der Klerus verdient den Namen einer Kafte, weil in Ruß⸗ laud ter geifllihe Stand erbli iſt. Daher die geiftige Unfähigkeit fo vieler Popen. Die niebere @eiftlichkeit Der ruifiichen Kirche befleht aus den Litur⸗ gen und den Prieftern. Bu den Kiturgen gehören die Sänger, Vorleſer und Diafonen , zu den Prieftern die Bopen und die Protopopen oder Erz⸗ priefter. Die Arhimandriten, Aufſeher der Aebte, fichen an Rang gleich

unter den Bilhäfen. Mur aud Den Kionergeiſtlichen werden die Biſchöfe, Metzopstisen und Patriarchen genammen ; die Briefter und Siturgen bringen bochſtent zum Erzprieſtoer.

20.

Die im Vorſtehenden ffizzirte Entwidlung der Hierarchie aus den be⸗ ſcheidenſten Anfängen fann nicht völlig verftanden werben, ohne Veruͤckſich⸗ tigung der zugleich mit ber Hieratchie und geoßentheild in deren Inter⸗ ehe fih entwidelnden Kirchenzucht. Diefe war die ſchärfſte Waffe, mis welcher Bifchöfe und Päpfte ihre Anſprüche durciepten. Außerdem eined der ergiebigften Mittel zur Bereicherung der Kirche und ihrer Diener und endlich eine Haupturſacht der zunehmenden Kirchenzerſplitterung.

Die. Kichenzucht jeit den Tagen des Theodoſius hat wohl die zahlreich“ fien und furdtbarften Graͤuel hervorgerufen, welche Die Erde jemals getragen bet. Sie nahm Ihre Anfänge in der Beitrafung des Ananias und ber Sapphira durch Perrust) umd in der Ausichliegung eines Blutſchänders aus der Egrinthiihen Gemeinde auf Betrieb des Paulus?2). Der Haupt- grundfag, von welchem die Ausfchliegung aus der Gemeinde (Ereommuni« fation) ausging, war der Ausſpruch des Paulus: „Gott wird die, fo draußen find, richten.“ Der uranfängliche Zwed der Kirchenzucht, welche Anfangs weientlih in ber Ercommunifation bei größeren, in Ermaßnung durch die Gemeindevorfieher bei geringeren Bergehungen beſtand, war, die Kirche als „Gemeinſchaft der Heiligen“, ala deu „geifligen Leib Chrifti” rein zu erhalten. Unter den größeren Bergehungen verftand das apoftolifche . Zeitalter jegliche Art von Gößendienft, Anzucht, Trunkſucht, Unxedlichbeit und Gewaltthätigfeit. Im 2. Iahrhundert mollten bie Montawiften son einer Wiederaufnahme der Ercommunicihzten Nichts mehr willen, uneinges denk der Milde, mit welcher einft Paulus den reuigen Blutſchänder zur Wiederaufnahme empfohlen. Da nun die Kirche auf das Recht der Be» gnadigung nicht verzichten wollte, ſah fie ſich genöthigt, die Karren Montas niften felbft auszufchliegen, auß gleichen Grunden fpäterhin die Novatianer und Donatiften. Bugleich verleitete das Ueberhandnehmen des Gnoſticis⸗ mus, welcher die Willkür einer dichteriſchen Phantaſte an die Stelle der ſchlichten apoſtoliſchen Tradition zu fegen und Heidniſches in das Chriſten⸗

1) Apfielgeice. 8, 111.

2) 1. Korinth. 3, 1.13. 2. Kor. 2, I—11.

208

thum einzumifchen drohte, die Kirchenzucht auch auf dad Gebiet des Glaubens auszubehnen 'und die Gnoftiker ebenfalls von der Kirche auszuichließen. Da⸗ durch ward bereits nicht nur Meinheit des Lebens, fondern. auch Heinheit und Einheit des Glaubens zum Zwede der Kirchenzucht erhoben.

In den Zeiten der Verfolgung befaß die Kirche bereits ein ausge⸗ bildetes, ſtrenges Bußſyſtem für die Abtrünnigen jeder Art. Oft erfiredte | fih die auferlegte Buße auf daB ganze Leben des Ausgeſtoßenen. Strenges Baften, öffentliche Demüthigung in jeder Gemeindeverfammlung , Aus- ſchließung vom Abendmahl u. A. m. gehörten zu dieſen Bußen. Was hier die Kirche um ihrer Selöfterhaltung willen that, wurde oft durch die Autos rität der Belenner und Märtyrer gemildert. Sobald Provinzialfgnoden entflanden waren, nahmen fie das Hecht det Ercommunitation gegen ganze firchliche Parteien in Anſpruch. „Weil außerhalb der Kirche Tein Heil“, hielt es die Synode zu Nicaͤa und hielten ed nach ihr alle folgenden öfumenifchen Synoden für gleichbedeutend, von der Kirche auszufchließen oder den Fluch über die Irrgläubigen audzufprechen 9). . Die Ercommunifation erhielt natürlich durch die allgemeinen Concilien der ganzen Kirche die umfaffendfle Bedeutung und Eonnte felbft Dadurdy nicht geihwäcdht werden, daß hie und da andere ökumenifche Concilien denfelben Fluch über die Mehrzahl der Theilnehmer an einem vorhergehenden Concil ausfpracen.

Seit Konſtantin wurde die Entbindung von Kirchenbußen (Dispen- fation) immer häufiger und wurden die Bußen ſelbſt, beſonders was flit« Tide Vergehungen betraf, bedeutend gemildert. Bereits Hatten die Bifchöfe die Berhängung der Kirchenbußen nebſt dem Bann an fich gezogen, und zum heil erlaubte der Zuſtand ihrer eignen Sittlichkeit feine zu große Strenge mehr gegen die armen Sünder. Unter Leo dem Großen wurde, als nothwendig zur Berzeihung der Sünden (Abſolution), Das geheime Bekenntniß, die Beichte, eingeführt, freilih nur für Die abendländifche Kirche. Die Kirche ſollte ihrem Haupt nur ſo lange aͤhnlich bleiben, als ſie, gleich ihm, in Niedrigkeit und Verfolgung lebte. Je mehr fie erſtarkte, deſto mehr verlor fie den Geiſt ihres Stifters. Haß und Unduldſamkeit traten

3) „Avasnua loro, Anathema über ihn oder fie!“ ſo lautete der Fluch, deſſen eigentlicher Sinn ift: „Sie feien dem Gerichte Gortes übergeben!“ weil fie, nicht mehr zur Gemeinfchaft der Heiligen gehoͤrend, die Verzeihung der Sünden und das ewige Leben eingebüßt haben.

. 209 an dieſes Geiſtes Stelle. Hatte die Kirche fich früherhin mit Ausſchließung der Keßer begnügt, fo fing fle unter Theodoſtus an, dieſelben zu verfolgen. Unter feinem Mitregenten Marimus floß (385) zum erfien Mal Menichen« blut, um des Glaubens willen von Mitchriſten vergofien. Briscillianug, Bifchof von Avila in Spanien, ward nebft etlichen feiner Genoſſen, vor⸗ nämlich auf Betrich des lafterhaften Bifchofd Itharius, um irrtgümlicher Glaubensmeinungen willen vom Faiferlichen Präfekten in Trier gefoltert und hingerichtet. Selbſt Ambrofiud von-Mailand und Martin von Tours, die beiden Bifchöfe, weldye den Priscillian und feine Genoffen verdammt hatten, erflärten laut ihren Abſcheu gegen dieſe ſluchwürdige, in ihren Folgen ſo inhaltſchwere That?).

21.

In der deutſchen Kirche konnte die Kirchenzucht erſt im 8. Jahrhundert eingeführt werden und zwar, weil daſelbſt von Alters her jedes Verbrechen mit Geld („Wehrgeld“) hatte gefühnt werben können, nur durch die kaiſer⸗ liche Einführung der biſchöflichen Sendgerichte. Auf fchwere Verbrechen jegte Die Kirchenzucht Geißelung,, Baften, Eheverbot, Gefängnig und Bann, verbunden mit der Todesſtrafe. Wer freiwillig feine Bergehungen beichtete, kam mit einer verhältnigmäßigen. Geldftrafe Davon, welche Anfangs zu Gunften der Armen eingezogen wurde. Jedem Biſchof blieb in feinem Sprengel das Recht, zu bannen, nämlich aus der Gemeinfchaft der Chriſten. Den umfaffendften Gebrauh vom Bannftrahl machten jedoch die Paͤpſte. Seit Gregor VII. zitierten Kaifer und Könige vor dieſer geiftlichen Waffe, auch wenn fte fih im beſten Rechte befanden. Der Glaube der Völker war des Bannes Macht, der Fürften Ohnmacht. Das 11. Jahrhundert fah auch das Interdiet entfliehen, jenen päpftlihen Machtſpruch, kraft deſſen alle kirchlideen Berrichtungen in dem bezeichneten Landſtrich aufgehoben wurden.

——

4) Zur Lichtſeite der damaligen Kirchenzucht gehoͤrt, daß ſelbſt der Kaiſer Theo⸗ doſtius ſich derſelben unterwarf. Er hatte die aufruͤhreriſchen Bewohner von Theſſalonice groͤßtentheils ohne Unterſchied des Alters und Geſchlechts niedermetzeln laſſen. Dafuͤr verweigerte ihm der muthige Ambroſius den Zutritt zum Abendmahl, bis der Autokrat vor allem Volke im Dom zu Mailand für feine Grauſamkeit knieend Buße gethan hatte. Meberhaupt muß anerkannt werden, daß die Mittel der Kicchenzucht das ganze Mittelalter hindurch oft die einzigen waren, tie vichifche Brutalität der Machthaber wenigſtens einigermaßen zu bänbigen.

Scherr, Geſch. d. Religion. IN. 14

u

210 . | |

Zuerft nur gegen Landfriedensbruch geriähtet, warb dieſer Völkerbann be» fonder& in der Hand des dritten Innocenz zum unfehlbaren Mittel, durd daß - erſchreckte Volk ven hartnädigen Fürften zu bezwingen. Die Obrenbeichte erhob Innocenz II, zum allgemeinen Kirchengeſetz, zur unerläßlichen Bes dingung ter Seligfeit. Aber dadurch ward nicht audgefchloffen, daß man Berzeibang der Sünden, Ablaß, nicht auch fürderhin, wie ſchon jeit den erfien Kreuzzügen, auf andere Weife erlangen fonnte. Da die Sendgeriäte allmälig wieder zum altgermantichen Brauch der Geldbußen für Alles und Jedes zurüdigefehrt waren und von den dadurch vermehrten Summen aud die Kirche außer den Armen ihr Scherflein zu nehmen begonnen hatte, fo er⸗ theilten Bifchöfe und Paͤpſte Ablaß auch ohne Beichte und Gericht, un weni⸗ ger mühſam zu Gelde zu fommen. Anfangs hatten freilich die Bischöfe nur einzelnen Heiligthümern dad Hecht verliehen, ihren Befuchern Ablaß zu er- theilen, und aud die Päpfte hatten Anfangs ten Ablaß nur zu dem Zwede | verkauft, um Geld für die Kreuzzüge zu erhalten. In foldhen Dingen machen fich jedoch die Conjequenzen raſch und von ſelbſt. Warum follten die Päpfte den reichen Ertrag des Ablaßhandels nicht für fich felbft behalten, wie fie im 14., 15. und 16. Jahrhundert wirklich thaten? Wollten fie und ihre Nepoten, Courtijanen und Künftler nicht auch leben und zwar möge Lichft gut Teben? In Folge deſſen verkauften Eurz vor der Neformation die Adlagfrämer ihre Waare unter Ausdrüden, welche Reue und Buße für über- flüfftg zur Vergebung erflärten, und dod hat die Kirche in thren redht- mäßigen Organen diefe Bedingungen der Sündenvergebung niemald aufge geben. Der Ablaßfram ift jeit der Neformation verſchwunden, der Ablaß *felber nicht.

22,

Schon Yuftinian hatte durch Verfolgung der Sektirer, die er durch tyrannifche Gefege zum Aufftand reizte, um ihnen mit befferem Nechts«

- grund beifommen zu können, mehrere Provinzen entvölkert. Auf das Gut⸗ achten des Abtes Theophaneß, daß ed mit dem Geifte des Evangeliums über einftimme, Keßer zu verbrennen, hatte fodann die orientalifche Kirche viele Manichäer dem Peuertode überliefert. Zu Anfang des 11. Jahrhunderts erlitt eine aͤhnliche Sekte das gleiche Schiekjal in Orleans und einigen an— beren Städten Branfreichd. Das Concil zu Verona hatte auf Beranlaffung von Papſt Lukas I. bereits weltlichen und geiftlichen Gewalten die Aufs

. 211

ſpürung, Berfolgung und Beftrafung der Keger auferlegt im Jahr 1184. Da gaben die unglücklichen Albigenfer Innocenz IV. die erwünfchte Gelegen⸗ heit, unter Gewährung des Ablaffes für alle Iheilnehmer den Kreuzzug gegen die Reber zu predigen. Im fürchterlichften Gemetzel erſcholl die Stimme ded Leguten Peter von Baftelnau: Schonet Keinen; der Herr kennt die Seinen!” und die Findliche Unfchuld bfutete für Kegereien, von denen ſie feine Ahnung hattet)... '

-Den Thaten der päpftlichen Kreuzfahrer in der Provence folgte dann auf dem vierten Xateranconcil (1215) die Einfegung der Inquifition durch Innocenz. Diefem Olaubendtribunal ward die Vollmacht ertheilt, nöthigen« falls unabhängig von den Biſchöfen der Kegeret überall nachzufpüren, durch Zeugniffe und Folterqual jeder Art jeden des Irrglaubens irgendwie An— gefchuldigten oder auch nur überhaupt Verdächtigen zu überweifen und ihn hierauf dadurch fuchte die Kirche ihr „ecclesia non sitit sangui- nem zu retten dem ftrafenden Arm der weltlichen Gerechtigkeit zu über⸗ liefern, Bald darauf fliftete der heilige Dominicus gegen die Keger den nad ihm benannten Mönchsorden und organiftrte aus den -eifrigften Mit— gliedern beffelben die Miliz Chriſti“, welche, als, Familiaren“ der Inqut« fition thätig, den traurigen Ruhm ſich erwarb, im Haffinement der Ent- menſchung ed am weiteften gebracht zu haben. Nur die nordifihen Heren« richter könnten diefen Ruhm der ſüdlichen Keßerquäler beeinträchtigen.

Dieffeitd der Alpen wollte nämlich die eigentliche Inquifition im gane zen Umfang ihrer ſchrecklichen Thätigkeit nicht fo recht gedeihen. Was

1) Lenau hat in feinen ‚‚Albigenfern‘‘ das berühmte Bild vom Glaubensloͤwen gezeichnet: Inbruͤnſtig küßt ihm (dem Gekreuzigten) Innocenz die Wunden, Ein zahmer Leu, der ſeinen Herrn beleckt; Doch hat die ſcharfe Zunge Blut geſchmeckt -Und feine Wuth iſt losgebunden. Der Leu brüllt auf und hat mit ſeinen Krallen Wuthblind den eignen Meiſter angefallen, Er hat ſein Bild ſchon halb zerriſſen Und meint es immer noch zu kuͤſſen. Vom Blute ſeines Herrn berauſcht, Durchtobt die Welt der grimme Leu; Wohin das Ohr des Wandrers lauſcht, Hoͤrt er der Opfer Wehgeſchrei. 14*

212 .

Deutihland insbefondere angeht, fo hatte ſich hier der vom Papft zum ober⸗ ften Keberrichter beftellte Marburger Mönch Konrad durch feinen. ra⸗ fenden Fanatismus bald. bei Geiftliden und Laien fo verhaßt gemacht, daß es allgemeine Billigung erfuhr, als ihn 1233 einige Mitter todtichlu« gen. Dafür aber gelangten, jeit 1484 Innocenz VIII jeine Bulle gegen Zauberei erlaffen, bei den deutfchen und den andern nordifhen Völkern bie Herenprozefle zu folcher Blüthe, daß ſelbſt die von der fpanifchen Inquifition veranftalteten kaum damit zu concurriren vermochten. Und wie denn die Deutichen von jeher in allen Dingen gründlich waren, ftellten die beiden für Oberdeutſchland erwählten Herenrichter, Heinrich Inftitor und Jakob Sprenger ein Handbuch der Herenrichterei zufammen, den Herenbammer (malleus maleficorum) *, welcher, „mit dem Geifer eines vor Fanatismus, Habſucht, Wolluſt und Grauſamkeit wahnfinnig gewordenen Mönchs ge⸗ ſchrieben“ 2), bei den Hexenrichtern bald canoniſches Anſehen erlangte, So hatte Deutfchland doc feine Inquifttion ; denn Zauberei galt zugleich für Keberei und umgefehrt, nur daß an den Zauberern nicht bloß die beleidigte Majeftät der Kirche, fondern auch die beleidigte Mafeftät Gottes zu rächen war. Woher aber die Wuth gegen alle Ketzerei feit dem 11. Jahrhundert? Die Ketzer waren nicht mehr unfchätliche Theofophen, oder Leute von ſchwär⸗ merifhen Anfichten in bloßen Glaubenslehren, fonvern fle griffen das An⸗ fehen der Hierarchie an und damit ihren Geldgewinn, ihre Herrſchſucht, ihre Lüfte. Weniger gefährlich fei ed, meinte man, Etwas wider Gott ald witer den Papſt zu lehren.

Die Macht der Inquifition erreichte ihre Vollendung durch Gregor IX., | welcher durch feine Bulle vom Jahr 1231 alle Keger excommuniecirte und fie dem weltlichen Gericht zu übergeben befahl. Nicht genug, dab Ludwig der Heilige die weltlichen Behörden Frankreichs der Inquiſition dienſtbar machte, dafjelbe that auch Ferdinand der Katholiſche von Spanien, Letzterer vornämlich in der Abftcht, Die Keer unter den gewaltfan befehrten Juden und Mauren auszurotten. Wo einmal und fo lange die Inquifttion herrfchte, war die Gewifiendfreiheit verloren, erftarb jede geiftige Negung, umlauerte allgemeine Spionage das öffentlihe und Banitlienleben, gingen Treu und Glauben unter, wurden die Heiligften Bande der Blutönerwandtfchaft zer⸗

2) Koͤppen im feiner trefflihen Abhantlung über Heren und Herenprogefle in Wigand's „Vierteljahrſchrift““ f. 1844, Bo. 2.

213

rifſen. So wirkte die Inquifition im Allgemeinen. Spanien indbefondere Bet fie entuölfert und zu Grunde gerichtet. Man Tann von dieſer Inſti⸗ tution kaum fpredhen, ohne daß fih Einem feder Blutstropfen in den Adern empört. Dennod begnügen wir uns, mit Zahlen nachzuweifen, wie fie in Spanien geraft bat. Don 1481 bis 1808, wo fie durch Napoleon aufgehoben wurde, find durch die fpanifche Inquifition 34,658 Menfhen lebendig, 18,049 in efligie verbrannt, 288,214 zu Galeeren oder: Kerker, alfo. im Sanzen 340,921 als Ketzer oder Zauberer oder Heren verurtheilt worden. Nach Napoleons Sturz führte Ferdinand VH. die Inquiſition wieder ein. Die Nevolntion von 1820 machte ihr ein Ende für immer (?). In Rom felbft ift gegenwärtig die Inquiſttion kaum noch mehr als ein ge⸗ heimes Polizeigericht 3).

23.

In der Geſchichte der Kirchentrennungen finden wir je nach dem Beitalter, welchem dergleichen Spaltungen angehören, ſehr verſchiedene Ur« fachen derfelben. In den Jahrhunderten der Verfolgung entflanden wirfs liche Sekten nur aus dem Grunde, weil einzelne Barteien eine ftrengere Läuterung der Kirche verlangten, ald die Kirche gewähren fonnte. Unter Konftantin bildete fih aus demſelben Beweggrunde die Donatiftenfefte, welche theild den geiftigen Waffen Auguftins, theild den Legionen der Kai— fer nad langem Kampfe unterlag. Die D onatiften hatten, durch harte Geſetze Ronftantins erbittert, zuerft die Waffen erhoben. Freiwillig trennte fih von der Kirche und fliftete eine eigene Sefte unter den Gothen der, we gen jeiner Strenge gegen fehlbare Geiftliche ungerecht verfolgte Audius von

3) Um diefen Abfchnitt zu fürzen, fagen wir nur noch, daß feit ter Reformation in den proteflantifchen (wie auch In den katholiſchen) Ländern die Kirchenzucht allmätig laxer geworden if. An einzelnen Fanatikern und fanatiihen Thaten, die fi) da und dort bis zu inquifitoriicher Sraufamfeit fleigerten, hat es indeflen aud im Proteſtan⸗ tismus Feineswegs gefehlt. Die durch Calvin veranlaßte Berurtheilung und Hinrich: tung des Miguel Serveto in Genf (1583) war 3. B. ein Ausfluß der proteftantifchen Kirhenzucht, welcher mit höchfter Ehre in den Annalen ter ‚Santa Gafa‘’ zu Matrid paradiren fönnte. Die Sophtsmen, womit der finftere Calvin fi felber und. womtt Andere ihn zu entſchuldigen fuchten, find geradezu laͤppiſch. Es ſteht feſt, audı der Pror teftantismus hat Scheiterhaufen gefhürt. Unter den blutigen Verfolgungen, welche von der griedhifchen Kirchenzucht ausgingen, ift etwa das cäfaropapifliihe MWürhen ans zuführen, womit zur Zeit Peters des Großen in Rußland gegen die Rasko Initen (Alt⸗ gläubigen) verfahren wurbe.

214

Mefopotamien. Seine asketiſche Sekte nerfhwand nach der aligemeinen Annahme des Arianismus von Seite der Gothen. Die wegen ihrer Ar- Beitfchen und Verachtung Tirchlicher Ordnung von felbit aus der Kirche ge⸗ ſchiedenen Maffalianer, ebenfalld tem 4. Jahrhundert angehörig, Biel ten fi bi8 ind 7. Iahrhundert. Die Briscillianiften wurden wegen gnoftifcher Anfichten über die Berfon Eprifli, wegen Verwerfung ber Ehe und aller thierifhen Nahrung von der Kirche ausgefchlofien, behaupteten ſich jedoch, durch das Blut ihrer Märtyrer in ihrem Glauben beftärkt, bis ins 6. Jahrh.

Die weit verbreiteten Manicäer, deren Sekte von dem Durd die Saflaniden vertriebenen Magier Mani zu Anfang des 3. Jahrhunderts ges fiftet worden, wurben von der Kirche niemald anerkannt. Der Grund⸗ gedanfe ihres Lehrſyſtems, welches Parfismus, Mithrasreligion, Buddhis⸗ mus und Chriftenthum mit einander vermengte, war, die Entftehung der Melt fei ein Abfall von der Gottheit, die Entwidlung der Welt eine all« mälige Rückkehr zu Gott, durch Befreiung des Kichted von der Finfterniß, eine Befreiung, welche zwar Chriſtus begonnen habe, weldje jedoch zu volls enden, Mani gejendet worden ſei. Diefe Weltanfbauung feflelte viele Ge— müther jo flarf, daß der Manichäismus trotz der blutigſten Verfolgungen ſeine Ausläufer bis tief ins Mittelalter hinein getrieben hat.

Das zunehmende Verderbniß der Kirche rief die Sekte der Pauli— cianer ins Leben, welche fo genannt wurde, weil ihr Stifter, Konftantinus mit dem Beinamen Sylvanus, durch die Lectüre Des neuen Teſtamentes bes geiftert worden war, nad dem Mufter ded Apofteld Paulus wieder ächt apoftoltihe Gemeinden zu gründen, denen er denn auch Den Namen pauliniſcher Bemeinden gab, um 660. Die PBaulicianer flügten fih ganz auf das neue Zeftament, verwarfen das alte und fämmtlidhe neuen Dogmen und Cultus⸗ formen der Kirche, auch das Moͤnchsweſen. Nadı mannigfachem Wechſel ihrer Schickſale wurden ſie vom Kaifer Alexius Comnenus unterworfen, und ihrer Viele zur Kirche zurüdgeführt. Doch find die Paulicianer ded Hä— musgebirges auch gegenwärtig nod nicht verſchwunden. Um die Mitte ded 11. Jahrhunderts war unter ten Baulicianern felbf die dualiſtiſche Sekte der Bogomilen entſtanden. Ihre Anficht dreht fih um ben Gegen⸗

ſatz zwiſchen Satanael (Satan) and Logos (Ehriftus), Beide Söhne des alleinigen guten Gottes. Dem Satanael ward die Urheberſchaft ded ganzen ihnen 10 verhaßten Kirchenweſens zugefchrieben.

Seften anderer Art entflanden aus den Kämpfen, welde Die Entwick⸗

215

Yung bes kirchlichen Lehrbegriff3 erregte, Wir haben die meiften derſelben im Kapitel von der Lehrentwiclung genannt. Unter ihnen find Die Aria⸗ ner die wichtigfte, eigentlich Feine Sekte, ſondern geradezu eine Gegenkirche. Sie verſchwanden nach vielen blutigen Kämpfen und Verfolgungen, in Ber tracht deren die Athanaflaner weder ihnen, noch fie ihren Gegnern viel vor⸗ zuwerfen haben, erft im 7. Jahrhundert, nachdem die Longobarden, die letz⸗ ten Arianer, fih dem Athanaſianiſchen Bekenntniß zugewandt.

Der ganze Mömerbrief des Apofteld Paulus. legt Zeugniß dafür ab, daß auch bei bedeutenden Berfchtedenheiten in den Blaubensanfichten kirchliche Gemeinſchaft und Firchlicher Friede unter wahrhaft chriſtlich Gefinnten mögs lich, ja Pflicht if. Statt deſſen hatte tie Kirche, äußerliche Glaubens⸗ anſichten mit dem inneren Glauben, der da fellg mache, verwecfelnd, angefangen, dur Mehrheiten die Minderheit zu verdammen. Sind der artige Befchlüffe wirklich Dur) Eingebung des heiligen Geiftes gefaßt wor» den, fo ift es ſehr verwunderlich, daß der Streit fo oft fich erneuerte und dag zulegt zwei ungefähr gleich flarfe Barteien einander gegenfeitig aus der Kirchengemeinſchaft fich außfließen, wie dies bei dem großen Schisma zwi⸗ fen der morgenlänbifchen und ber abentländifchen Kirche geſchehen ifl. Politiſche, Flimatifche und nationale Motive haben hierbei ficherlich mehr gethan ald Abweichungen in Blaubendmeinungen. Der Streit bob damit an, dag Bapft Nikolaus J., von dem abgefegten Patriarchen Ignatius aufges best, die Wahl des byzantintichen Batriarchen Phottus für ungültig erklärte und denfelben bannte. Photius feinerfeits ſprach 866 ebenfalld den Bann and gegen den Papft und klagte in einem Kreisichreiben die römifche Kirche der willfürlihen Veränderung bed Symbolums, der Faſten am Samflag u. f: w. an... Dafür wurde, als ein Regierungswechſel ihn geftürzt, feine Abfegung auf der Synode non Konflantinopel 869 durch die päpftlichen Legaten beftätigt. Im 11. Jahrhundert erneute der Patriarch Michael Cerularius den Kampf, indem er den von Photius gegen Mom ge= ſchleuderten Anklagen Borwürfe über das Cölibat ber Briefter und den Ge brauch umgefäuerten Brote beim Abendmahl beifügte. Der Papft gab hie Vorwürfe zurüd, und das Wortgefecht endete den 16. Juli 1054 damit, daß die päpftlichen Legaten den Bannfluch gegen den Patriarchen auf. den Hochaltar der Sophienkirche legten. Gerularius, an derSpige einer Synode; bannte hierauf den Papſt ebenfalld. Von ta an vermocten weder die Ve⸗ drängniſſe ‘der griechifchen Kaifer nad die Verhandlungen der. Synoden zu

tuden hier Die aberſte Eiräliche Behörde, bie regelmäßig ſich verfammelnde Spuode, aus den Pfarrern des Kantons und etlichen Abgeordneten des großen ober Eleinen Math zufammengeisht wurde. In Genf geftaltete fidh die Kirchenverfaſſung demokratiſch, durch Galvind Einfluß. Cr errichtete ein geiſiliches Gericht, beſtehend aus den. von der Gemeinde gewählten Aelte⸗ Ben und den Pfarrern, zur Aufrechthaltung der Kirchenzucht. In Frank⸗ reih und Schottland wurde dieje noch Follsgialifche Presbyterialverfafſung, welche am meiften an bie urchriftliche erinnert, zur ſynodalen fortgebildet.

Mash vielfachen Limgeflaltungen hat die genferifche Kirchenverfaflung ihren Demofratiichen Charakter darin behauptet, daß feit 1847 ein von allen res formirten Bürgern gewähltes, aus geiftlichen und weltlichen - Ritgliedern beficheudes Conſiſtorium die oberfte kirchliche Behörde bildet.

Das Rirhengut wurde bei Gelegenheit der Reformation größtentheils von den Kandeöherren eingezogen und es Tann feinem Zweifel unterliegen, daß diefe Manipulation die meiften Fürſten für das „gereinigte Wort Gottes * günftiger flimmte ald alles Andere. Auch die republifaniihen Obrigfeiten haben allmältg baare Befoldung der Geiftlichfeit aus der durd Einziehung der Pfründgüter bereicherten Staatskaſſe eingeführt. Daß den Bifchöfen und Pfarrern der englifhen Hochkirche Die Einkünfte der alten Kirchengüter un- gefehmälert blieben, hat ſchon die jchreiendften Mebelftände zur Bolge ge habt, zumal den, daß die geiftlichen Verrichtungen meift um den fünımer- lichften Lohn Vicaren übergeben werden, während der reiche Pfründbeſttzer fih tem Müßiggang überläßt.

In Rußland ſchuf Peter der Große 1721 als oberfte Eirchliche Behörde bes Reiches die „heilige Synode“ aus von ihm felbft Hiezu gewählten Pra⸗ laten. Unter der Synode fiehen die Erzbifchäfe und Biſchöfe, die Synode ſelbſt unter dem Gzaren, alſo vollftändiger Gäjaropapismug. Se der Fülle ihrer Machtvollkommenheit zog Katharina 11. ſämmtliches Kirden- gut ein und ſetzte eine beſtimmte Bejoldung für die geiftlichen Stellen aus ver Staatskaſſe fe. Der Klerus verdient den Namen einer Kafte, weil in Ruß⸗ land ter geiftlihe Stand erblich ift. Daher die geiftige Unfähigkeit fo vieler Popen. Die niedere Geifilichkeit der .ruiftichen Kirche beflcht aus den Litur⸗ gen und den Prieftern. Bu den Liturgen gehören die Sängers, Vorleſer und Diakonen, zu den Prieftern die Bopen und die Protopopen oder Erz⸗ priefter. Die Arhimandriten, Aufſeher der Aebte, fichen an Rang gleich

ter ben Diichäfen. Mur aus den Kionergeiſtlichen werden die Biſchöfe, Metropoliten und Patriarchen genemmen ; die Priefter und Liturgen bringen bochſtene zum Erzprieſter.

20.

Die im Vorſtehenden ffizzirte Entwicklung der Hierarchie aus den be⸗ ſcheidenſten Anfangen fann nicht völlig verftanden werden, ohne Berüdfid« tigung der zugleich mit der Gierarchie und geoßentheild in deren Inter⸗ ee ſich entwidelnden Kirchenzucht. Diefe war bie ſchärfſte Waffe, mis welcher Bifchöfe und Päpfte ihre Anfprüce burchiegten. Außerdem eineß der ergiebigften Mittel zur Bereicherung der Kirche und ihrer Diener und endlid) eine Kaupturfache der zunehmenden Kirchenzerfplitterung,

Die, Kirhenzucht jeit den Tagen des Theodoſtus hat wohl die zahlreich⸗ fien und furdtbarften Sräuel hervorgerufen, welche Die Erde jemald getragen hat. Sie nahm ihre Anfänge in der Beftrafung des Ananiad und ber Sapphira durch Petrus!) und in der Ausſchließung eines Blutfchänders aus der korinthiſchen Gemeinde auf Betrieb deö Baulns?). Der Haupt- grundfag, von welchem die Ausichliegung aus der Gemeinde (Ercommuni- kation) ausging, war der Ausfprud des Paulus: „Gott wird die, io draußen find, richten.“ Der uranfängliche Zwed der Kirchenzucht, welche Anfangs weientlid in der Exrcommunilation bei größeren, in Ermahnung durch die Gemeindevorfieher bei geringeren Bergehungen beſtand, war, die Kirche als, Gemeinſchaft der Heiligen", als den „geifligen Leib Ehrifti“ rein zu erhalten. Unter den größeren Bergehungen verftand das apoftolifche Zeitalter jegliche Art von Gößendienft, Unzucht, Trunkſucht, Unredlichbeit und Gewaltthätigfeit. Im 2. Jahrhundert mallten Die Mantaniften von einer Wiederaufnahme. der Excommunicirten Nichts mehr willen, uneinge- denk der Milde, mit welcher einft Paulus den reuigen Blutichänder zur Wiederaufnahme empfohlen. Da nun die Kirche auf das Recht der Men gnadigung nicht verzichten wollte, ſah ſie fich genöthigt, die ſtarren Monta⸗ niften felbft außzufchließen , aus gleigen Gruͤnden ipäterhin die Nevatianer und Donatiſten. Bugleich verleitete das Ueberhantnehmen des Gnoſticis⸗ mus, welder die Willfür einer dichteriihen Phantafle an die Stelle der ichlichten apoftolifchen Trarition zu fegen und Heidnifches in dag Chriften«

1) Apnfielgeich. 5, 11.

2) 1. Rorinih. 5, 1-—13. 2. Kur. 2, 1—11.

thum einzumifchen drobte, die Kirchenzucht auch auf das Gebiet des Glaubens auszubehnen und die Gnoſtiker ebenfalls von der Kirche auszufchließen. Das durch ward bereits nicht nur Meinheit bes Lebens, fondern auch Reinheit und Einheit des Glaubens zum Zwecke der Kirchenzucht erhoben.

In den Zeiten der Berfolgung befaß die Kirche bereits ein audges bildetes, firenges Bußfpfiem für die Abtrünnigen jeder Art. Oft erſtreckte fih die auferlegte Buße auf das ganze Leben des Ausgeſtoßenen. Strenge Baften, öffentliche Demürhigung in jeder Bemeindeverfammlung, Aus—⸗ ſchließung vom Abendmahl u. A. m. gehörten zu diefen Bußen. Was bier die Kirche um ihrer Selbfterhaltung willen that, wurde oft durch die Auto- rität der Bekenner und Märtyrer gemildert, Sobald Provinzialiynoden entflanden waren, nahmen fie das Hecht det Excommunikation gegen ganze kirchliche Parteien in Anſpruch. „Weil außerhalb der Kirche Fein Heil”, hielt es die Synode zu Nicaͤa und hielten es nach ihr alle folgenden ölumenifchen Synoden für gleichbedeutend, von der Kirche außzufchließen oder den Fluch über die Jrrgläubigen audzufprechen 3. Die Excommunikation erhielt natürlich durch die allgemeinen Goncilien der ganzen Kirche die umfaffendfte Bedeutung und fonnte felbft dadurch nicht geihwächt werden, daß hie und da andere ökumeniſche Concilien vdenfelben Fluch über die Mehrzahl der Sheilnehmer an einem vorhergehenden Concil ausfpracen.

Seit Konftantin wurde die Entbindung von Kirchenbußen (Dispen- fation) immer häufiger und wurden die Bußen jelbft, befonderd was fitt« liche Vergebungen betraf, bedeutend gemildert. Bereits hatten die Bifchöfe die Verhaͤngung der Kirchenbußen nebſt dem Bann an ſich gezogen, und zum Theil erlaubte der Zuſtand ihrer eignen Sittlichfeit feine zu große Strenge mehr gegen die armen Sünder. Unter 2eo dem Großen wurde, als nothwendig zur Berzeihung der Sünden (Abſolution), das geheime Bekenntniß, die Beichte, eingeführt, freilich nur für die abendländifche Kirche.

Die Kirche ſollte Ihrem Haupt nur fo lange aͤhnlich bleiben, als fie, glei ihm, in Niedrigkeit und Verfolgung lebte. Ie mehr fle erflarkte, deſto mehr verlor fie den Geiſt ihres Stifters. Haß und Unduldſamkeit traten

3) „Avasnua loro, Anathema über ihn oder fie!“ fo lautete der Fluch, defien eigentlicher Sinn ift: „Sie feien dem Gerichte Gottes übergeben!” weil fie, nicht mehr zur @emeinfchaft der Heiligen gehörend,, die Verzeihung der Sünfen und das ewige Leben eingebüßt haben.

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an dieſes Geiſtes Stelle. Hatte die Kirche ſich früherhin mit Ausſchließung der Ketzer begnügt, fo fing ſie unter Theodoſtus an, dieſelben zu verfolgen. Unter feinem Mitregenten Maximus floß (385) zum erften Mal Menichen- blut, um des Glaubens willen von Mitchriſten vergoffen. Priscillianus, Bifchof von Avila in Spanien, ward nebft etlichen feiner Genoſſen, vor⸗ naͤmlich auf Betrieb. des laſterhaften Biſchofs Ithaeius, um irrthümlicher Blaubensmeinungen willen vom Faiferlichen Präfekten in Trier gefoltert und hingerichtet. Selbſt Ambrofius von Mailand und Martin von Tours, die beiden Biſchöfe, welche den Priscillian und feine Genofjen verdammt hatten, erklärten laut ihren Abfcheu gegen .diefe ſluchwürdige. in ihren Folgen ſo inhaltſchwere That).

21.

In der deutſchen Kirche konnte die Kirchenzucht erſt im 8. Jahrhundert eingeführt werden und zwar, weil daſelbſt von Alters her jedes Verbrechen mit Geld („Wehrgeld“) hatte geſühnt werben können, nur durch die kaiſer⸗ liche Einführung der biſchöflichen Sendgerichte. Auf ſchwere Verbrechen jegte die Kirchenzucht Geißelung, Baften, Eheverbot, Gefängnig und Bann, verbunden mit der Todesſtrafe. Wer freiwillig feine Bergehungen beichtete, fam mit einer verhältnigmäßigen. Geldftrafe davon, melde Anfangs zu Gunften der Armen eingezogen wurde. Jedem Biſchof blieb in feinem Sprengel das Recht, zu bannen, nämlich aus der Gemeinfchaft der Chriften. Den umfafjendftien Gebrauch vom Bannftrapl machten jedoch die Paäpſte. Seit Gregor VII. zitierten Kaifer und Könige vor dieſer geiftlichen Waffe, auch wenn fie fich im beften Rechte befanden. Der Glaube der Völfer war des Bannes Macht, der Bürften Ohnmacht. Das 11. Jahrhundert ſah au das Interdiet entfteben, jenen päpftlien Machtſpruch, kraft deſſen alle kirchlichen Verrichtungen in dem bezeichneten Landſtrich aufgehoben wurden.

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4) Zur Lichtſeite der damaligen Kirchenzucht gehoͤrt, daß ſelbſt der Kaiſer Theo⸗ doſtus ſich derſelben unterwarf. Er hatte Die aufruͤhreriſchen Bewohner von Theſſalonice groͤßtentheils ohne Unterſchied des Alters und Geſchlechts niedermetzeln laſſen. Dafür verweigerte ihm der muthige Ambrofius den Zutritt zum Abendmahl, bie der Autofrat vor allem Bolfe im Dom zu Mailand für feine Grauſamkeit fnieend Buße gethan hatte. Ueberhaupt muß anerfannt werden, daß die Mittel der Kirchenzucht das ganze Mittelalter hindurch oft die einzigen waren, tie viehifche Brutalität der Machthaber wenigſtens einigermaßen zu bändigen.

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Zuerſt nur gegen Landfriedensbruch gerichtet, ward dieſer Völkerbann be⸗ ſonders in der Hand des dritten Innocenz zum unfehlbaren Mittel, durch das erfchredte Volk ven Hartnädigen Zürften zu bezwingen. Die Ohrenbeichte erhob Innocenz II. zum allgemeinen Kirchengefeg, zur unerläßlichen Bes Dingung ter Seligkeit. Aber dadurch ward nicht ausgeichloflen, daß man Berzeihang der Sünden, Ablaß, nicht auch fürderhin, wie ſchon feit den erften Kreuzzügen, auf andere Weile erlangen Eonnte. Da die Sendgeriäte allmälig wieder zum altgermantihen Brauch der Geldbußen für Alles und Jedes zurüdgefehrt waren und von den dadurch vermehrten Sunimen aud die Kirche außer den Armen ihr Scherflein zu nehmen begonnen hatte, fo er⸗ theilten Bifchöfe und Päpfte Ablaß auch ohne Beichte und Gericht, um weni⸗ ger mühfan zu Gelde zu fommen, Anfangs hatten freilich die Bifchöfe nur einzelnen Heiligthümern das Hecht verliehen, ihren Befuchern Ablaß zu er» theilen, und aud die Päpfte hatten Anfangs ten Ablaß nur zu Dem Zwecke verfauft, um Geld für die Kreuzzüge zu erhalten. In foldhen Dingen machen fich jedoch Die Conſequenzen rafh und von ſelbſt. Warum follten die Päpfte den reichen Ertrag des Ablaßhandels nicht für fich felbft behalten, wie fie im 14,, 15. und 16. Jahrhundert wirklich thaten? Wollten fie und ihre Nepoten, Courtiſanen und Künftfer nicht auch Ieben und zwar möge lichſt gut leben? In Folge deſſen verkauften kurz vor der Neformation bie Ablaßkrämer ihre Waare unter Ausdrüden, welche Neue und Buße für über- flüfftg zur Vergebung erflärten, und doch hat die Kirche in ihren rechte mäßigen Organen diefe Bedingungen der Sündenvergebung niemald aufges geben. Der Ablaßkram ift jeit der Neformation verſchwunden, der Ablaß *felber nicht. 22, Schon Yuftinian hatte durch Verfolgung der Sektirer, die er durch tyrannifche Sefege zum Aufftand reizte, um ihnen mit befjferem Rechts⸗ - grund beifommen zu können, mehrere Provinzen entvölkert. Auf das Gut- achten des Abtes Theophaned, daß ed mit dem Geifte des Evangeliums nber- einftimme, Keber zu verbrennen, hatte ſodann die orientalifche Kirche viele Manichäer dem Peuertode überliefert. Zu Anfang des 11. Jahrhunderts erlitt eine Ahnliche Sekte das gleihe Schickſal in Orleand und einigen an— deren Städten Frankreichs. Das Concil zu Verona hatte auf Veranlaffung von Papſt Lufad I. bereitd weltlichen und geiftlichen Gewalten die Aufr

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fpürung, Berfolgung und Beftrafung der Keter auferlegt im Jahr 1184. Da gaben die unglücklichen Albigenſer Innocenz IV. die erwünfchte Gelegen⸗ heit, unter Gewährung des Ablafjes für alle Theilnehmer den Kreuzzug gegen die Keger zu prebigen, Im fürchterlichflen Gemetzel erſcholl die Stimme des Legaten Peter von Baftelnau: Schonet Keinen, der Herr kennt die Seinen!” und bie kindliche Unfchuld Hlutete für Kegereien, von denen fte Feine Ahnung battet).. .

Den Thaten der päpftlichen Kreuzfahrer in der Provence folgte dann auf dem vierten Lateranconcil (1215) die Einfegung der Inquiſition dur Sunocenz. Dieſem Glaubendtribunal ward die Vollmacht erteilt, nöthigen« falls unabhängig von den Biſchöfen der Keberet überall nachzufpüren, durch Zeugniffe und Folterqual jeder Art jeden des Irrglaubens irgendwie An— gefhuldigten oder auch nur überhaupt Verdächtigen zu überweifen und ihn hierauf Dadurch fuchte Die Kirche ihr „ecclesia non sitit sangui- nem zu retten bem firafenden Arm der weltlichen Geredhtigfeit zu über- liefern. Bald darauf ftiftete ‚der heilige Dominicus gegen die Keßer den nad ihm benannten Mönchsorden und organiftrte aus den eifrigften Mit- gliedern beffelben die Miliz Chrifti”, welche, als, Bamiltaren * der Inqute fition thätig, den traurigen Ruhm ſich erwarb, im Raffinement der Ent- menfchung e8 am mweiteften gebracht zu haben. Nur die nordifchen Heren« richter könnten diefen Ruhm der füdlichen Ketzerquäler beeinträchtigen.

Dieffeitö der Alpen wollte nämlich die eigentliche Inquifttion im gan« zen Umfang ihrer fchredlichen Ihätigfeit nicht fo recht gedeihen. Was

1) Lenau hat in feinen ‚‚Albigenfern‘’ das berühmte Bild vom Glaubensloͤwen gezeichnet: Inbrünftig Tüßt ihm (dem Gefreuzigten) Innocenz die Wunden, Ein zahmer Leu, der feinen Herrn beledt; Doch hat die Scharfe Zunge Blut geſchmeckt -Und feine Wuth ift losgebunden. Der Leu brüllt auf und haf mit feinen Krallen Wuthblind den eignen Meifter angefallen, Er hat fein Bild ſchon halb zerrifien Und meint e8 immer noch zu kuͤſſen. Bom Blute feines Herrn beraufcht, Durchtobt die Welt ver grimme Leu; Wohin das Ohr des Wandrers laufcht, Hört er der Opfer Wehgeſchrei. 14*

fenſive wieter zur Öffenfive vorzugehen. Die „Miltiz Chrifti*, jetzt nicht mehr aus plumpen Dominifanern, fondern aus feinen Jeſuiten beftehend 1), hielt nicht nur den Siegedlauf ded Proteflantigmus durch Europa auf, ſon⸗ bern griff diefen auch in feiner eigentlichen Heimat, in Deutfchland, mit Er- folg an. Die Fatholifche Kirche hat im Grunde alle Urjache, den Reforma⸗ toren danfbar zu fein, denn die Neformation ift für fie ein Mittel der Neu—⸗ beiebung und Wiederfräftigung geworden.

Dies gefagt, überbliden wir zum Schluß des Kapiteld die im Vor⸗ fiehenden noch nicht berührten Anläufe und Erfolge ter Reformation und dann noch die Seftenbildung, wie fle von der Reformationgzeit bis auf uns fere Tage herab zu Tage getreten ift.

England hatte der ebenſo eitle als gewaltthätige und graufame König Heinrich VII. feit 1532 vom römifhen Stuhl lodgeriffen. Nirgends war die Meformation jo ganz und gar äußerlich, fo ganz und gar dad Werk per⸗ fünliher Willkür wie bier. Unter der Regierung von Heinrichs Tochter Elifabethb wurde dann dad Meformwerf mit etwas mehr Ernft angefaßt und durchgeführt. Die von einer Synode zu London 1562 angenommenen 39 Glaubendartifel, welche zwiichen Katholicismus, Luthertfum und Calvinis⸗ muß die Mitte Halten, find 1571 durch eine Parlamentsacte beftätigt wore den ald Grundlage der reformirten Kirche Englands2). In Schottland hatte vor Allen Johann Knor den Calvinismus befördert durch feine feurige Beredtiamfeit. Gegen tie Regentihaft für Die unmündige Maria Stuart ſich empörend, rief die reformirte Partei Tie Königin Eliſabeth um Beiftand an und brachte dadurch 1561 einen Parlamentsbeſchluß zu Stande, kraft deflen die Reformation in Schottland nach Calvins Lehre eingeführt wurde. Der Adel that hiebei aud) dad Seine und erhielt zum Lohn dafür den größ« ten Theil des kirchlichen Grundbeftged. Die proteftantifhen Niederländer, d. h. die fleben zur Utrechter Union vereinigten nördlichen Provinzen der

4) Auf den Jeſuitismus kommen wir im folgenden Kapitel zurüd.

2) Diele „reformirte“ Kirche wurde aber fogleich nad) Ihrem Siege zur Berfole gerin gegen bie fogenannten Buritaner, welche in firenger Befolgung der Lehre Calvins die halbkatholiſch⸗biſchöͤſliche Verfafung der anglikaniſchen Kirche verwarfen und eine presbyterianifche Kirchenverfaffung wollten. Die fchroffite Fraction der Presbyterianer waren befanntlich tie Bramniften oder Sndependenten, welde der große Oliver Cromwell unter der Regierung Karls I. zu einem welthiftorifchen Siege führte.

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Niederlande erfochten gegen die Inquifitoren und Generale ihres Despoten Philipp A. son Spanien mit der Sicherung des evangelifchen Glaubensbe⸗ Fenntniffes zugleich ihre politijche Unabhängigkeit (1609). Hier entiprang alſo, wie in England, aus der religidfen Reform die ftaatliche Revolution. Mit Ausnahme des ruifiichen Reiches, blieb fein Land Europa's von der Meformation unberührt. In Frankreich, Polen, Ungarn und Siebenbürgen. behaupteten fich die Neformirten als eine mächtige Bartei. Gaͤnzlich ausge⸗ sottet wurden fle in Italien und Spanien, lange Zeit ſchwer bedrängt in. Oeſtreich, Baiern und den deutſchen Erzbisthümern.

27.

Unter den Sekten, welche die geiftige Bewegung der Neformationgzeit- ins Dafein rief, haben wir der Socinianer und Urminianer bereitd früher gedadt. Die Wiedertäufer, deren erſter Sturm und Drang durch das Schickſal Thomas Münzers und Johann Bodolts von Leyden abge= fühlt worden, gaben die communiftijch = Demofratijche Seite ihrer Meinung, - auf und fammelten ſich unter Leitung des Menno Simon feit 1536 zu ftillen Gemeinden, welche unter ihren Angehörigen ftrenge Kirchenzucht hielten und nad) dem Buchflaben der Schrift Eid, Krieg, gerichtliche Klage, Ehe— fheidung, die nicht durch Ehebruch begründet fei, verboten. Nach ihrem. Reformator wurden fie in der Folge Mennoniten genannt. Die reformirte Kirche war überall zu jehr Staatöfirdye geworden und wirfte dadurch erfäls tend auf tiefere Gemüther. Hohles Wortgezänf war großenthrild an die Stelle der erbaulichen Predigt getreten, Die Kirchenzucht ichien Manchen allzu= fehr vernachlaͤſſigt, Hinwieder galt Glaubens⸗ und Gewiffensfreiheit auch in. reformirten Ländern noch zu wenig, geiftlicher Ehrgeiz Einzelner fonnte in der Kirche nicht genug Nahrung finden; zudem bot die Erforichung der Bibel fo viele Anfnüpfungspunfte für die religiöfe Phantaſie und endlich hatte die Meformation feinen ſehr beimerfbaren Einfluß auf Die Läuterung des fittlichen Lebens geübt. Dies find die Urſachen, aus welchen nach dem. Stoden der reformatoriichen Bewegung eine ſolche Maſſe von Sekten ent: ſtand.

Der Schuſter Georg For gründete 1649 in England die ,Geſellſchaft der Freunde", welchen die Welt den Spottnamen der Quaker (Zitterer) gegeben hat. Sie ftellen die unmittelbare Eingebung (Inipiration) des Heil, . @eiftes, welche fie Jedem der Ihrigen beimeflen, an Autorität der heil..

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Schrift gleich, verwerfen Kriegsbienft, Eid. und Zehnten und alle bürgerr liche Rangordnung und zeichnen ſich auch Außerlihb aus durch ihre gleiche förmig fchlihte Tracht. Der daheim erlittenen Verfolgung müde, zog ein Theil von ihnen unter William Penn nad) Amerifa und gründete daſelbſt 1681 die Stadt Bhiladelpbia.

Im Jahr 1722 ftiftete Ludwig Graf von Zinzendorf die „Brübder- gemeinde * am Hutberge, welche er jedoch als Glied der augäburgifchen Con⸗ fefftondverwandtfchaft und zugleich Der bifchöflichsenglifchen Kirche anerkennen ließ, weshalb die Herrnhuter nicht al8 wirkliche Sekte zu betrachten find. Die Brüdergemeinde fchließt Angehörige aller nichtkatholffchen. Con⸗ feiftonen in fih. Das geiflige Band der Einheit ift die innige Erfaffung des erlöfenden Kreuzed Chrifli in Glauben und dankbarer Liebe; dad äußere Band eine bifchöflich » presbpteriale Verfaffung , welche aber die Verpflich⸗ tungen der Glieder gegen die Landeskirche nicht aufhebt. Zinzendorf ſelbſt lieg fi von einem mährifchen Bifhof, Jablonsky, zum erften Biſchof feiner Gemeinde weihen. Bür fih und feine Nachfolger nahm er das Hecht des Bindend und Löſens in Anfpruch, die mildefte Form des Bannes, nach dem Evangelium. Zinzendorfs Plan fcheint gewefen zu fein, im Geifte der Apoſtel den Hader der reformirten Confeſſtonen allmälig zu tilgen und die Grundlage einer wahrhaft unirten Kirche zu legen. Daß Die Kiebeöglut feiner Gemeinde für Chriftus fih in allzufinnlihen Bildern auödrüdte und ihre Andacıtd« bücher heute noch von Blut und Schweiß und Thränen überquellen, iſt größtentheild dem Einflug der Hallenſer Pietiften auf Zinzendorf zuzu⸗ Schreiben. Duldſamkeit gegen Angehörige aller Confeiftonen hat von jeher die Brüdergemeinde, wohin fie kam, ausgezeichnet. "

Der von Sohn Wesley 1729 gegründete Methodiften verein, ſo ge⸗ nannt wegen ber ängftlich ſtrengen Lebensart ſeiner Glieder, wurde erſt durch die Unduldſamkeit der anglikaniſchen Geiſtlichkeit von der Kirche losgeriſſen. Die Methodiſten konnten ſich mit ten Herrnhutern in England nicht ver« einigen, weil fie einen ſchmerzlich gewaltſamen Durchbruch der Gnade für nothwentig zur Seligfeit hielten. Sie gründeten Daher ein eigenes Kirchen wefen mit ftrenger Kirchenzudt. In England und Amerifa hat der Metho« dismus weite Verbreitung erlangt, vornämlich durch die populäre Bercdt- fanıfeit feiner Prediger.

Emanuel Smwedenborg, ein geiftreicher Naturforfcher, gründete 1743 die Kirche des neuen Jeruſalem“, aufgefordert, wie er meinte, durch eine

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Dffenbarung Des Herrn. Geſpraͤche mit den Geiſtern der Vorwelt und der Geſtirne boten ihm den Stoff zur Aufſtellung feiner neuen Lehre, Die mit Zuröcdiegung Des erlöfenden Todes Chriſti hauptſächlich die Menfehwertung Gottes hervorhob und die Schrift allegoriſch auslegte. Die Getftererichei- nungen Smwedenborgs find von der neuern Wiflenidaft einem ſomnambulen BZuftande einzelner Gehirntheile im BZuflande des Wachens zugeichrichen worden und jedenfalls ift ed für Die Nealität Dieler Eriheinungen ein mißficher Umftand, daß Swedenborgs Geifter jo ganz in feinem Sinne rede> ten. In England, Nortamerifa, Schweden und Würtemberg zählt ber Ewedenborgianiämus DBefenner.

Zu den Erfheinungen religiöier Bhantaftif auf Dem Gebiet Der Seften- Hildung gehören auch Die von Gichtel geitifteten Engelbrübder, welde gleich den Engeln ohne Sorge und Arbeit leben wollten; dann dir Sh a⸗ fers in Nordamerifa, welche in communittiicher Oemeinfaurfeit leben, den gefchlechtlichen Umgang verwerfen und zum ©ottestienft tanzen ; ferner die Brüggler und Antonianer in der Schweiz, welche, weil Die Gläu— bigen nach ihrem Dafürhalten nicht jündigen können, Lie Unzucht ald einen gottesdienftlichen Met betrachten, und andere dergleiden Ihoren mehr. Gin Abſenker des Methodismus gründete im Waadtland unter dem Einfluffe der fehr zweideutigen Frau von Krüdener 1818 die feparatiftifchen Gemeinden der _ (fpottweife fo genannten) Momiers. Ihre lebensfeindliche Kopfhängerei und zudringliche Vrofelgtenmacherei regte dad Volk gegen fie auf. Die -Seften ter Darbyften und Irvingianer, beide nad ihren Etiftern genannt, find Producte des an phyſtſchem und religiöfen Nebel reichen Eng lands. Jene verwerfen alles äußere Kirchenwefen ſammt dem geiftlichen Lehrftand ; dieſe rühmen ſich, Die Gabe Ted „Zungenredens“ in ihrer Ges meinde empfangen zu haben, und haben ten alten Kobl vom baldigen Naben des Weltgerichtd wieder aufgewärmt. Nordamerifa, Das Seftenparadieß, bat endlih aud tie Monftrofttät des Mormonismus Hervorgebradt. Bermittelft des unerhört Täppifchen Märdend von den wiederaufgefuntenen Schriftplatten des fabelhaften Buches Mormon bat John Emirb 1830 Die Sekte Ver Mormonen geftiftet und Tieje „Heiligen der legten Tage” Icben jegt im Lande Utah am großen Salzſee in einer Art jüͤdiſch⸗chriſtlich-Jan— Bockolt'ſcher Gütergemeinihaft und Vielweiberei.

Zu großen Erwartungen ließ fidy die religiös» reformifttiche Vewegung an, welde in Gen wierziger Jahren unſeres Jahrhunderts in Deutichland

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 15

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zum Ausbruch Fam. Es zeigte fi) aber bald, daß dieſe religiöſen Strebungen eigentlich nur verhaltene Politif waren, wie denn ja wir Deutichen flet& geneigt find, für die verfagte politifche Thätigkeit Erfag zu juchen in einer den Glauben betreffenden. Zudem hingen die deutſchkatholiſchen, lihtfreundlihen und freigemeindplidhen Bewegungen jener Zeit mehr oder weniger eng mit den wiflenfchaftlichen Kämpfen zufammen, welche von 1830 an in Deutichland gegen alle kirchliche Autorität geführt wurten. Ronge und Ezeröfi auf der einen, Rupp, Uhlich und Wislicenus auf der andern Seite wandten nur unbewußter oder bewußter, zurüchaltender oder offener die Reſultate Hegel'ſcher Philoſophie auf die kirchlichen Zuſtände an. Den äußeren Anſtoß zum Deutſchkatholicismus, mit welchem die Freien Ge— meinden auf proteftantiichem Gebiet parallel gingen, gab, wie befinnt, das Aushängen des „Rodes Chriſti“ zu Trier. Wer jegt unbefangen auf die kurze deutichkatholiiche und lichtfreundliche Herrlichkeit zurückblidt, wird fagen müflen, der ganze Lärm fei nur eine Demonſtration des Kiberalidmud ge= weſen. Man fagte in der Borm von deutſchkatholiſchen und freigemeint- lihen Goncilienbefhlüffen, was man in politiſchen Zeitungsartifeln und Reden nicht fagen durfte. Der große Revolutiondverfuh von 1848 hat dann das Intereffe an jenen religiössreformiftiihen Anläufen vollftändig fortgefegt. Es hätte demnach der Gewaltsmaßregeln der Regierungen gegen Deutjchkarholifen und Breigemeindler Faunı bedurft. Die allgemeine Jmpo⸗ tenz unferer Zeit zu religiöfen Schöpfungen hatte ſich in der Sache, gegen welche ſoviel gehäſſige Maßregelei aufgeboten wurde, unzweifelhaft genug geoffenbart.

Neuntes Kapitel.

Das fıttliche und foziale Leben der Völker im Ghriftenthum. 1.

Der Spruch: „Un ihren Srüdten jollt ihr fle erfennen!* womit Ehriftus den Unterjchied zwifchen Achter und falſcher Brömmigfeit kenn⸗

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zeichnete, läßt fich swanglos auf das Chriſtenthum felbfi anwenten., Wo daffelbe in feinem Kern und Geift erfaßt worden, hat e8 Segen geftiftet; wo es hingegen nur äußerlich befannt wurde, da haben unter drifllichem Deckmantel Heucelei, Niederträchtigfeit, Bosheit und Graufamfeit namens los Schändlicdyes vollbracht. So, wie die gefellihaftlichen Verhältniſſe nun einmal waren, fonnten Die guten Früchte des Chriſtenthums weit mehr nur im Privatleben gedeihen, al8 in ter Ocffentlichfeit, und darum wird auch die Schilderung, welde wir von den Wirfungen der riftlichen Religion auf das fittlihe und foziale Leben der Völfer im vorliegenden Kapitel zu geben verſuchen, die Schattenjeiten unverhältnigmäßig hervorzuheben fihrinen. Die Geſchichte Hat ſich aber natürlich nicht ausdrücklich zu verwahren, daß fle nicht Darauf ausgehe, Aergerniß zu geben, und überdicd kann fie hier noch ten Chriften das tröftliche Wort fügen, die zu berührenten Aergerniſſe feien nur Rejultate der allmäligen Berfälihung der chriftlichen Idee geweien. Indeſſen auch an Lichtjeiten fehlt e8 nicht und ein unbefangener Sinn wird jolde finden in dem Einfluß des Chriſtenthums auf dad ehelihe Leben, auf Die Veredlung ter Volksſitte, auf die IJugendbildung, auf Die Förderung ber Mildthätigkeit, des humanen Vorſchritts in Anerfennung der Menſchen⸗ würde und jener idealen Gefühlsweiſe, welche um des Bleibenten willen das Bergängliche aufzuopfern bereit iſt. Hiezu in ſchroffem Gegenfage ftchen freilih die Erfcheinungen des Aberglaubend und Fanatismus, die Juden⸗ Ichlächtereien, die Folterkammern und Scheiterhaufen der Inquiſition, die Hexenprozeſſe, der Jeſuitismus, tie Neligiondfriege, das Muckerwejen. Gute und ſchlimme Regungen mifchen fih in den Erfcheinungen der dhriftlichen Askeſe, des Ordensweſens, der Möncherei und Nonnerei und felbft in jenen Ausbrüchen ter Volköfatire, weldhe den audgearteten Cultus durch muth- willige Nachaͤffung feiner Acte verhöhnte. Die fozialen Einflüffe des Chri⸗ ſtenthums machen ſich bemerkbar im Ausbau der Hierarchie, welcher ſchon früheren Ortes betrachtet wurde, ferner in den Kreuzzügen, in den Bauerne friegen, in der Heiligung der Monardie durch die fatholifche und die pro= teftantifche Kirche, in tem Auftauchen fozialiftifcher und communiftifcher Weltbeglüdungsfyfteme. "

Nachdem wir fo die Umriffe des zu durchmeflenden Kreiſes angegeben, verfihreiten wir dazu, die einzelnen Erfcheinungen deſſelben in die geſchicht⸗ liche Beleuchtung zu rüden, merfen aber zugor an, daß dies und das, welches, fireng genommen, hieher gezogen werben fönnte oder follte, in einem ber

15*

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nod) folgenten Kapitel berührt werden wird oter auch in einem der vorher» gehenden ſchon berührt worten if.

2.

Ehriftus Hatte in mehrern feiner Ausiprücde die Monogamie geheiligt, Paulus zwar die Unterordnung des Weibes unter den Mann 1) entichieden ‚gelehrt und dem Weibe in der Verfammlung Stillihweigen auferlegt, aber dennod) einerſeits auch den Ehemännern ihre Pflichten gegen die Frauen einges ihärft, andererieitö die beiten Geſchlechter moralifch einander gleichaeftellt 2). Endlich hatten Chriſtus und feine Apoftel faum eine Sünde jo ſchwer ver- "pönt, wie die Unzucht und Den Ehebruch indbejondere 3). Damit griff das Chriſtenthum das Grundübel an, welches das eheliche Leben der alten Welt zerrüttet hatte, und wo es fich der Herzen bemächtigte, ftellte es die Reine heit ter Ehe, die Würde und den moraliichen Einfluß des Weibes ald Gat- tin und Mutter ber. Uber fchweren Stand harte es damit felbft unter feinen Bekennern, einen immer jchwerern Stand, je mehr die Religion Jeſu felbft in Dogmatik und prunfendes Kircdhenweren audartete. Dafür zeugt eine Reihe von Ausſprüchen berühmter Kirchenväter, welche in Predigt und Schrift auf die Veredelung des weiblichen Geſchlechts und des ehelichen Lebens bingewirft haben. Von hoher Bedeutung und trefflich geeignet, ben fchroffen Segenfag zur Stellung des Weibes in der altheitniihen Welt anſchaulich zu machen, ift die Schilderung tes Verhältniffes zwiichen hrifte lihen Ehegatten, welche und Tertullian entwirft: „Welche Eintracht Herricht zwiichen zwei chriftlichen Gatten, Die durch diejelbe Hoffnung, Durch daffelbe Gelübde, durch dieſelbe Megel des Lebens und des Gehorſams verbunden find! Sie bilden in Wahrheit einen einzigen Leib, den ein und diefelbe Seele belebt. Gemeinichaftlich beten fie, gemeinschaftlich geben fle ſich den Uebungen der Buße und der Religion hin. Das Bild ihres Lebens tft eine gegenſeitige Unterweiſung, eine gegenſeitige Ermuthigung und Unterſtützung.

1) SphHef. 8, 22—24. 1. Timoth. 2, 8-18.

2) Sphef. 5, S—33. 6, 1—3. Kol. 3, 418. 19. 1. Kor. 7, 2—5 und 10—16.

. 3 Val 5, 19. Matth. 8, 27—32. Chr. Baur in Tübingen behauptet zwar, die Briefe an die Cyheſer, Kolofler und den Timotheus feien feine Acht paulinifchen ; aber diefe Behauptung ſteht noch nicht unangefochten und die Kirche hat fie wenigſtens fhon frühe als Acht anerkannt, daher fich nach denfelben gerichtet, und dasift uns bier die Hauptſache.

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In der Kirche und am Tijche des Herrn jebt ihr fie gemeinschaftlich. Allee ift unter ihnen gemeinschaftlich, Die Sorgen und Verfolgungen, die Freuden und Vergnügungen. Nichts haben fie vor einander geheim; gleiched DVer- trauen verbinder fie Beite und gegenſeitige Dienſtfertigkeit.“ Es ſpre⸗ chen auch deutliche Zeichen dafür, daß tie Faſtencur des Chriſtenthums weit‘ mehr auf die Brauen ald auf die Männer fittenbefernd gewirkt habe. Unter Kaiſer Valens ſcheinen mehr [pie Männer, als die Frauen, ſich den Lüften ihrer heidniſchen Vorfahren wieder überlaffen zu haben, ald fie den hungerne den Gothen das Brot um ihre IJungfrauen und Iünglinge verfauften, an der blühenden. Jugend dieſes Volkes ihre Vegierden zu fühlen. Auch ala die Germanen über das Reich hereinbrachen, wählte jo manche Frau und Jungfrau ten freiwilligen Tod, um ihre Reinheit zu wahren ; die aber der roben Gewalt nicht hatten entgehen können, fuchten unter Thränen ihren Troft bei der Kirche, Deren Kehrer die Opfer der Gewaltthat von der Echuld des Ehebruchs und der Unzucht frei ſprachen 4).

Bei den germaniichen Stämmen ftand, wie wir wiffen, Das Weib in hohen Ehren, ehe fie das Chriftenthum annahmen. _ Doc fonderbar, gerade ihre Vermiſchung, felbft die bloße Berührung mit den chriftlichen Bewoh⸗ nern des römiſchen Reiches ſcheint ihrer Keuſchheit und ehelichen Treue großen Eintrag gethan zu haben. Die Sittengeſchichte des Mittelalters liefert und eine Menge Beiipiele von leichtfertigften Eheſcheidungen, von Berlobungen ſchon in der Wiege aus -politifchen Rüdfichten, von ſcham⸗ lofeftem Ehebruch und ins Große getriebener Unzudt. Von den Tagen der Zroubadourd an big zur Meformation ſcheint Das Ehriftenthum den geringe ften Einfluß auf die Reinheit der Sitten überhaupt und auf die Heiligung der Ehe im Beionderen geübt zu haben. Hatte auch die Kirche die Ehe zwiichen Verwandten bis zum flebenten Grad hinaus und die Eheſcheidung gänzlid verboten, ſie ſelbſt Tod ſorgie auf der andern Seite wieder durch den Ablaß und dur Ungültigerflärung fürftlicher Ehen unter dem Bor: wand allzu naher Verwandtſchaft Dafür, Daß man ihre Strenge in ſolchen Dingen nicht allzu jehr fürdte. Selbſt die folidere Bürgerlichfeit wußte

4) Selbſt der ſtrenge Auguſtin beflagte dabei nur, „es babe vielleicht beim Cr⸗ dulden folcher Gewaltthat eine gewile fleiichliche Luft troß alles Eträubens ter Seele nicht ausbleiben fünnen.” Ihm gerade märe es wohl angeftanden , dicie Bemerfung zu unterdrücken.

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den rajenden Ausbrüchen der MWolluft einzig ten Damm entgegenzufegen, daß fie durch Errichtung reicher Bordelle („ Brauenhäufer *) wenigftend Ord⸗ nung in die Ausſchweifung zu bringen ſuchte. Skate, daß im Mittelalter die häuslihe Tugend nicht Fräftiger aus ihrer Verborgenheit hervortrat. Die Autoren jener Zeit gedenken ihrer Eaum vor al tem Wuft öffentlicher Sittenlofigfeit, welcher ihrem Auge überall entgegentrat. Bei Alledem trug der Mariencultus Dazu bei, in Hohen und Niebrigen ein mehr oder weniger lebhaftes Bewußtfein von der Würte reiner Weiblichkeit zu bewahren, und war auch die Frau in rechtlicher Veziehung wenig mehr ald die Magd ihres Ehemannes, fo ward fie doch durch Die geiellige Sitte ter ritterlid-roman« tifchen Gefellfihaft zu einer höheren und freieren Stellung erhoben. Wenig ſtens auf jo lange, bis die Courtoiſte ter Blüthezeit dieſer Gefellichaft im 14. und 15. Jahrhuntert in wüfter Roheit und Zuchtloſigkeit unter« ging ?).

Die Reformation, indem fie das Volk wieder mit den Urfunten des Chriſtenthums befannt machte, trug Vieles dazu bei, Zucht und Ehrbarkeit in gefchlechtlichen VBerhältniffen wieder mehr zur Geltung zu bringen. Bes ſonders republifaniiche Otrigfeiten erließen eine Reihe firenger Sittenman- date. Wir erwähnen nur des Zürcher Mandats von 1532, welches das Tan zen mit nadtem 2eibe, das Umwerfen der Jungfrauen beim Tanze u. dgl. ver⸗ bietet- In deutichen Städten fing man an, Mitglieder des Rathes ale Auf- jeher bei den Tänzen hinzuſtellen, damit wenigſtens die gröbften Ungebühr- Tichkeiten unterblichen. Im Allgemeinen tft zu bemerfen, daß die Reforma⸗ tion, wo fle Durch den freien Bürgerfinn getragen wurte, die Reinheit Des ehelichen Lebens, die öffentliche Zucht und Sitte allmälig wieder hergeftellt hat. Wurden do in ſolchen Städten, welche vor ter Acformation Bordelle gehalten hatten, nad der Neformation unverbefferliche Lufltirnen erfäuft, freilich ebenfall8 wieder eine Uebertreidbung! In monarchifchen Staaten, be= fonderd Deutſchlands, Kat die Erajfe Unfittlichfeit vieler Fürften Ten reintgen- den Einfluß der Meformation lange Zeit gehemmt. Aber auch da fehlte es

5) Man muß die Sittenprediger jener Periode leſen, um zu erfahren, wie es mit Sitte und Ehrbarfeit in ter „guten, alten, frommen Zeit” eigentlich beftellt mar. Und (hen früher, fchon von Anfang an lauerte in der Bluͤthe ter mittelalterlichen Remantif der Wurm der Sittentofigfeit. Vgl. in meiner „Geſchichte tentfeher Eultur und Sıtte” die beiten Kapitel „Die ritterfich:romantifche Gefeflichaft” und „Die ritterlich:romans tifche Literatur”, S. 96— 146.

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nicht immer an fühnen Predigern, welche fürflliche Chebrecher Aug’ in Auge zu ftrafen mwagten. Nachtem- die Reformation in flarrer Orthodorie vers fnöchert war, trat ter Syener’jche Pietismus vielfady als Beförderer einge— zogenen und reinen Yamilicnlebens auf. An den Fleinen Höfen Deutſchlands verbrängte er bie und da als eine neue Mode die gefchlechtliche Brivolität, entartete aber dafür in der Hofluft bald zu pedantifcher Frömmelei ®).

Wohin wir gegemwärtig unfere Blicke wenden, überall in criſtlichen Staaten ift die rechtliche Stellung des Weibes durch beſondere Geſetze be— ſtimmt und zwar ſo, daß es dem Manne nirgends, mit Ausnahme Eng» lands 7) und Rußlands, rechtlos oter als bloße Magd gegenüberficht. Dazu hat allerdings ter Humanismus ber Aufflärungeperiote viel beigetragen; aber eben diefer Humanismus war feinem gefunden Kerne nach wiederum nur das Chriftentbum in einer freieren Born. Uebrigens hatten tie Re— ‚formatoren ſchon dadurch, daß fie die Eheſcheidung ſowie die Wiedervers heiratung des unſchuldigen Theiles bewilligten, ebenſo durch Uebertragung der Eheſachen an die weltlichen Gerichte, geſetzliche Beſtimmungen über die rechtliche Stellung der Frauen veranlaht8). Das Weib ift in unſern chriſt⸗ lichen Staaten tem Manne infoweit gleich geftellt, daß ed alle Gaben feines Geiſtes und Gemürbhes geltend machen, fi ungehenmt in feinem Wirkfungd« freife bewegen, fogar einen beberrfchenden Einfluß auf den Mann gewinnen Tann. Daß die Geſetze ihm das Leberfchreiten feines Wirkungskreiſes theils ſchwer, theils unmöglich machen, dient zu feinem Hell. Die emanzipationd- ſüchtigen Brauen der Gegenwart werden von den tiefer blickenden Geiſtern ihres eignen Geichlechts mit Recht betauert. Die Breibeit, welche fle zumal im freien Amerika noch erjtreben zu müffen meinen, fit feine antere als bie Zreibeit des Unfinne.

HH M. Burthold hat in Raumers „Hift. Taſchenbuch“ (Jahrg. 1852 und 4853) ein hoͤchſt anichnuliches Lebensbild der frommen Yürften - und Grafenhöfe im proteftantifchen Deutichland gezeichnet.

7) Die Ehegefege dieſes Landes find eine Schmach, von welcher es unbegreiflich ift, daß ein eivilifirtes Volk fie dulden kann. Rechtlich ift Tas englifche Cheweib geraden die Eflavin tes Mannes. Man ſehe die Schriften ber beräßmten Mr. Norton, der Enkelin des großen Sheridan, über dieſes Thema.

8) Die Fatholifihe Kirche Hatte zwar factiſche Ehefcheidungen nicht hindern, aber, weil fie jede diefer Shen als kirchlich fortbeftehend anſah, die Wieberverheiratung nicht geftatten Fönnen.

232 3.

„Wer unter euch der Größte jein will, Der fei Aller Tiener; und wer unter eudy Der Vornehmſte fein will, der ſei Aller Knecht!“ hatte Chriſtus deinen Jüngern zugerufen. Dadurch, jowie durch feine Lchre von der Näch⸗ ftenlicbe und von der ewigen Beſtimmung aller Menſchen; durch die Demuth endlich, mit welder er den Sflavendienft verrichtete, feinen Jüngern Die Füße zu waſchen, bat Chriftus die Sflaverei, Died zweite Orundübel der alten Welt, im Prinzip zerflört.. Der tem Paulus zugeichriebene Brief an Phi— lemon brachte den Gegenjag des chriſtlichen Geiſtes zur Sklaverei bereits in praktiſche Anwendung. Da wird, der ganzen antiken Weltanfhauung zum Trotz, ein entlaufener Sklave feined Herrn Bruder genannt und demfelben zur Breilaffung empfohlen. Unter den Kirchenvätern war Eyprian einer der Erften, weldye für des Sflaven Menſchenwürde in die Schranfen traten. Er jchreibt an Demetrian: „Du verlangft von deinem Sklaven, daß er Dir ergeben jeden Augenblid zu Dieniten ftehe. Iſt diefer Sflave weniger Menſch ald tu? Er tritt in die Welt ein unter denſelben Bedingungen, wie du; er gleicht Dir in Geburt und Tod; er hat wie du eine vernünftige Seele, er ift zu derfelben Hoffnung berufen und für da8 gegenwärtige Leben, wie für die Zufunft, Denjelben Gejeßen unterworfen.” In Wahrheit, wenn die Kirche in einer einzigen Beziehung dem Geifte ihres Stifterd treu ge— blieben, fo war es in Bezug auf die Milderung und DVerwerfung der Stfaverei. Bid zur Zertrümmerung des römifchen Reiches Durd dic Bars baren ward fie nicht müde, auf Milderung des Looies, wo möglich auf Frei— laffung der Sklaven binzuwirfen. So verfaufte Ambroſius, als ihn fonft Nichts mehr geblieben, die foftbaren Kirchengefäße, um von den Barbaren Gefangene loszufaufen, und behalf ſich mit hölzernen Abendmahlskelchen. Ganz aufheben jedoch lich fidy die Sklaverei durd feinen Machtſpruch, ohne daß zugleih die ganze alte Welt felbft wäre aus ihren Angeln gehoben worten.

Nachdem die Germanen filh der Weltherrichaft bemächtigt hatten, trat an die Stelle ter antifen Sflaverei die Leibeigenſchaft nach ten Gruntjägen des altgermaniichen Herkommens, nebft Der an das Lehnsweſen gefnüpften. Hörigfeit. Auch da konnte die Kirche nicht durch Machtfprüche abbelfen. Dafür erhob fie mwenigftend die Breilaffung von Hand = oder perfönlichen Leibeizenen in der öffentlihen Meinung zu einem der verdienftlicften Werke und vrellzog diefelbe unter kirchlichen Ceremonien. Dadurch war die Leib—

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eigenichaft an und für ſich gerichtet, weil ald etwas Gott Mipfälliges hin⸗ geſtellt. Es ift unrichtig, was cin Hiftorifer dem andern nachſchreibt Die Leibeigenfchaft fei fchon im 15. Iahrhundert aufgehoben worden. Bere langten Loc; die Bauern zur Reformationgzeit, bevor ſie Die Waffen ergriffen,

in ihrem Manifeft unter Anderm auch, gänzliche Aufhebung der Leibeigens,

Schaft", eine Forderung welche fie nebft den übrigen auf die heilige Schrift gründeten. Die Haus- und perfönliche Leibeigenſchaft war ed allein, vie im 15. Jahrhundert durch kirchliche Gelege aufgehoben wurde. Erſt die menjchlich-freie Zeit, während welcher das Chriftenthum wefentlid als Geift der Humanität waltete, begann, wie befannt, Die völlige Vernichtung der an Gruntbefig gefnüpften Leibeigenſchaft. Währent aber jo in Europa die Sklaverei allmälig der chriſtlichen Idee von der Gleichheit und Bruderſchaft der Menſchen wich, ohne ſchon völlig vertilgt zu fein 1), wucherte fle in Amerika zur üppigiten Giftblüthe auf. Die jpanifchen Konquiftadoren machten die Indianer au Sflaven, um an dieſer Barharei zu Grunde zu gehen, und etwas ſpäter fam Der Oräuel des Negerhandeld auf. Noch find weder die Bemühungen einzelner Neligiondgefellidaften, wie der Quäfer, nod) Die An— firengungen einzelner großiherziger Männer, wie die des unfterblihen Wil- berforce, noch erleuchtete Staatsbejchlüffe, wie die des franzöſiſchen Convents und des britiſchen Parlaments, noch die Beſtrebungen der nordamerifani- ſchen Abolitioniſten vermögend geweſen, Der Abſcheulichkeit des Negerhan⸗ dels und der Negerfklaverei in Ländern, die ſich chriſtlich nennen, ein Ende zu machen.

4.

Auf die Jugendbildung hat das Chriſtenthum sehr heilſam theils durch den Religionsunterricht, theils dadurch eingewirkt, daß ed dic Volks⸗ ſchule ins Leben rief. Das Heiden- und Judenthum hatten die Jugend des Volks vernachläſſigt; nur höhere Schulen für das reifere Jugendalter gab es im römiſchen Reiche, als das Chriſtenthum den Kampfplag betrat. „Laſſet die Kinder zu mir kommen und wehret es ihnen nicht; denn ihrer ift das Reich Der Himmel!* Diefes große Wort Chrifti, wenn auch oft vergeffen, bat der kindlichen Jugend ihre Wichtigkeit in Den Augen der drift- lichen Melt gegeben, indem ed dic hohe Beltimmung des Kintes, feine

41) Rußland, Polen, Donaufürftenihümer.

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Anſprüche auf geiftige Ausbildung zum erfien Mal ausſprach. Mit Diefem Wort im Herzen haben Lie edelſten Freunde ter Menſchheit fib Tem ſchönen Werke der Iugentbildung gewidmet.

Zuerft freilich begnügte ſich tie Kirche, Die Eltern und Patben bei Der Taufe ihrer Kinder zu einer chriſtlichen Erziehung derſelben zu verpflichten. Das elterliche Haus, Die Familie mußte vor Allem durch den Geiſt tes Chriſtenthums umgebildet werten. Der höheren Schulen freilih, wo Jünglinge für den geiſtlichen Stand herangebildet wurden, entflanten ſchon im 2. Jahrhundert etliche, Die Katechetenſchulen nämlich, deren berühmtefte fib zu Alerandrien und Antiohien befanden. Im 5. Jahrhundert traten an deren Stelle tie Kathedral⸗ und Episkopalſchulen, weldhe nebſt der Theo⸗ logie auch die fieben freien Künfte lehrten. Bald Tarauf wurden in ten Stätten die ſogenannten Parochialſchulen errichtet, in denen Knaben und Jünglinge tie Anfangsgründe weltlicer Wiffenichaft Iernten. Doc die eigentlide Volfsihule begann erſt, als Karl ter Große und Alfred ter Große ten Pfarrern jeder Gemeinde die Unterweifung ter ihnen anvertrauten Jugend im Lefen, Schreiben, Latein und Kirchengeſang zur Pflicht machten. Dane⸗ ben ließ Karl an feiner Hofjchule fähigern Knaben höheren und niedrigeren Standes durch feinen Freund Alfuin Unterricht inden fiehen freien Künſten er⸗ teilen. Befontere Volksſchulen fiftete Damals auch Biſchof Theodulf von Orleans in jeinem Sprengel. Aber alle dieſe edlen Schöpfungen welkten nad tem Tode ter Stifter bald dahin. Tie Pfarrer ſanken ebenfalld in den alten Schlentrian zurüd unt begnügten fih, ihrer Jugend bis zur Fir— melung das apoftoliiche Glaubensbekenntniß einzubläuen. Im 13. Jahre hundert nahmen fi die Bettelmönche der verwahrloſten Jugend an, errich® teten in ihren Klöftern Volksſchulen, übernabmen felbft in Städten ten Jugendunterricht, veranlaßten aber durch ihre öftere Weigerung, die Jugend fhreiben zu lehren ?), mande Stadtbehörde, eine eigene Stadtfchule zu er= richten. Auch die Ganonici, welde im 9. Jahrhundert die Stiftöichulen, eine Art niederer Gelchrtenfchulen, übernommen, waren allmälig faul ge= worten. An ihrer und der Pfarrer Stelle wurde herumziehenden Mönchen oder Studenten der ganze Jugendunterricht übergeben. Aus dieſen Leuten, die niemals Icbenslänglich angeftellt, fontern nur für einige Zeit gedungen

1) Damit feine allzuſtarfke Concurrenz im einträglichen Buͤcherabſchreiben auffime.

235

wurden, bildete fid der Stand der Schullehrer, welcher bei allen feinen Berrich- tungen den Pfarrern untergeben war, gleichſam als eine Klaffe nicderer Kle- riker. Es muß bei diefen Berhältniffen befonterd mit dem Neligionsunters richt übel beftellt gewelen fein; denn tie Neformatoren hielten für noth⸗ wendig, ben Unterricht der Jugend in der Religion wieder den Pfarrern zu übergeben, und die Apologie der Augsburger Confeſſton wirft den Katholi⸗ fen, bei welchen die alten Schulverhältniffe noch beibehalten wurten,, vor: „Bei unfern Gegnern gibt ed gar feine Katecheie für Die Knaben. Bei un werden die Pfarrer und Kirchendiener gezwungen, die Jugend Öffentlich zu unterrichten und abzuhören, und dieje Einrichtung trägt Die beften Früchte“.

Die Erfindung der Buchtruderfunft, welche erft tie Einführung von Lehrbüchern möglich machte, fowie die theilmeife Trennung des Religions» unterrichts von Den übrigen Fächern tur die Neformation, rief in ten proteftantifchen Zändern die Gründung regelmäßiger Dorfichulen bervor. Vreilih gab e8 im 16. Jahrhundert noch der Schulen genug, wo der Lehrer nichts Unteres ald den Katechismus behandelte. Unter Den Katholiken ha— ben nach der Reformation befonders die Iefutten fich des Iugendunterrichtes bemächtigt.. Allein diefer Schuleifer, weientlid im Dienfle der Ordens⸗ zwecke ſtehend, erftrecfte fih mehr auf die Kinter der Wohlhabenden und der unterfien Volksklaſſen und legte einen großen Werth auf todten Mechanis- mus in der Jugendbildung. Auf proteftantiichem Gebiet nahm ſich der Spener⸗Francke'ſche Pietismus beſonders eifrig des Schulweſens an, brachte aber bei der Jugend nicht viel Beſſeres zuwege, als einen frömmelnden Ans firih. Erft im 18. Jahrhundert nahm das Schülweſen einen anerfennens- wertben Aufibwung durch Bajedow, den Vhilanthropen unt Rationaliften, welcher die Realfächer zur Grundlage des Unterrichts zu erheben fuchte, und den genialen, gemütblichen Schweizer Peſtalozzi, welcher, zwar durch Rouffeau mit angeregt, Loc nad) eigenen Ideen mit einem Herzen voll Yiebe die Bil- dung des ganzen Menſchen, nah Berftand unt Gemüth, anftrebte und durch feine Methode des Anfhnuungsunterrichtes das Clementar- und Realſchul⸗ weien reformirte. Der Geift des Achten Chriſtenthums war es, welcher in dieſes edlen Mannes völliger Hingebung an das Volksſchulweſen zu Tage trat und am gewaltigften zur Förderung deffelben nicht nur in der Schweiz, fondern auch im übrigen Europa beigetragen bat.

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236

5.

Nicht minder groß war der Einfluß des Chriſtenthums auf Die Förde⸗ rung der Mildthätigkeit. Die gebildetſten Völker der altheitnifhen Welt, Griechen und Römer, hatten ihre Armen vorwiegent aus Staatöflugheit Öffentlih unterflügt. Am beiten hatte noh das moſaiſche Geſetz für Die Armen geforgt. Aber von Hffentlihen Anftalten für Arme und Kranke, von wohltbätigen Vereinen, von jener Liebe vollends, welche ſich tröftend zu denn Verbrecher bernicderneigt, if in der ganzen vorcriftlicen Welt feine Spur zu finden, wenn man nit etwa Dad Prytancion der Athener, in welchem nur hochverdiente Greiſe auf Staatdfoften geipeift wurden, zu den wohlthätigen Auftalten rechnet. Ungeachtet aller Begünſtigungen durch das mojatfche Gefeg und ungeachtet Ted phariſäiſchen Geifted, welcher das Almoien zu Den verdienftlien Werfen rechnete, waren zur Zeit Jeſu die Armen aud in Juda ganz auf Den Bettel angewieien, die Wahnſinnigen und Ausjägigen ſich jelbft überlaffen. Anders fam ed jegt. Selbft arm, ein Bore und Vorbild der erhabeniten Liebe, legte er feinen Gläubigen beſon⸗ ders die Urmen und Kranken and Herz, und nahm fi der Verbrecher mit rettendem Erbarınen an: „Alles, was ihr einem dieſer Geringften ges - than haben werdet, das habet ibr mir getban!* „Ic bin nicht gefonunen, zu berufen Gerechte, fjondern Sünder zur Buße.“ „Die Gejunden bedürfen des Arztes nicht, jondern die Kranken.” Tiefer Geift der Barmherzigkeit bat feine Kirche nie verlaſſen, fondern im Lauf Der Zeiten nur verfchietene Beftalt angenommen,’ mitunter freilich eine bedenkliche.

Schon Chriftus jelbft- hatte mit feinen Apoſteln eine gemeinſchaftliche Armenfaile geführt (Joh. 12, 4—8). Nach jeinem Hingang jegte bie Chriſtengemeinde in Ierufalem dieſelbe fort. Aus den freiwilligen, oft jehr bedeutenden Beiträgen Der Begüterten ward täglich eine Almoienipendung an die Armen, beſonders Wittwen und Wailen beftritten, ein Oefchäft, wel» ches wegen feiner wachfenden Ausdehnung bald ſteben Armenpflegern (Dia⸗ Eonen) übertragen wurde. Zur Zeit der großen Hungersnoth ſammelte Paulus in ten Gemeinden von Mafedonien und Adaja eine Kicheöfteuer für Die Gemeinde in Ierufalem. Im 2. und 3. Jahrhundert ward Die Armen- fteuer, meift aus Naturalien beftehend, während des Gottesdienſtes, unmit⸗ telbar vor ker Euchariſtie, ald Gott wohlgefälliged Danfopfer dargebradt 1).

4) Aus diefer Armenfteuer find fpäter Die Kirchenfleuern entſtanden, welche bie zur Reformation meift in einen Opferftod geworfen wurten, feit ter Reformatien

237

Aber auch außerhalb Ted Gotteödienfted erwieſen die Chriften ihre thätige Bruderliebe gegen Arme, Kranfe und Gefangene auf die thätigfte Weife. Die Satire Lufiand, welche an dem Beifptel des Peregrinus Proteus dar- ftellt, wie leicht die Mildthätigkeit der damaligen Chriften durch Schwindler, die „in Chriſtenthum machten *, mißbraucht werden fonnte, tft gerade das glänzendſte Zeugniß für den Geift, der damals die Kirche befeelte.

Als die hriftliche Kirche durch Konftantin zur Staatöfirche geworden, trat fie als Bermittlerin zwifchen die Geber und Empfänger hinein , ftiftete zahlreiche Armenanftalten und Spitäler, erwirkte im Namen der Armuth die reichften Gaben und Vermächtniſſe und ftellte dieſe gefliffentlich als vers dienftliche Werfe dar. Dadurdy ward die freie Wechfelwirfung zwischen Bes güterten und Dürftigen geflört. Der Wohlthäter dachte bei feinen Gaben bald mehr an ſich ſelbſt, nämlich an fein Seelenheil, als an den Armen: Die Liebe wich einem gläubigen Egoismus. Eben deßwegen ragen Geflal- ten der aufopfernditen Bruderliche, wie Ambroſtus, Baulinus?2), Gregor von Nazianz, Johannes Chryſoſtomus 2) u. A. m. fo hoch über ihr Zeitalter hervor und fünpfen fo gewaltig gegen den einreißenden Mangel an wahrer Näcftenliebe. Boll Entruͤſtung ruft Ambroſtus den Reichen ſeines Zeit—⸗ alters in der Schrift über Naboth zu: „Ihr ſchmücket die Wände und ent— blößt die Menſchen. in nadter Menſch jchreit nor deiner Thür und du vergint ihn. in nackter Menſch fehreit und Du, du grübelſt nach, mit wel= chem Marmor du deinen Borbof ſchmücken wolle. Ein Armer bitter um ‚Brot und erhält keins; ein Menich bittet um Brot und dein Bferd zerbeißt das Gold mit feinen Zähnen. Welches Gericht bereiteft du ir, o Reicher! Das Volk hat Hunger und du verjchließeft deine Speicher. In deiner Madıt ſteht es, Diele vom Tode zu erretten, und du willſt nit. Wine einzige Gemme deines Ringes könnte das Leben einer ganzen Schaar erhalten“. Eben fo polizeiwidrig redet Baulinus in feiner Schrift über den Armen- kaſten: „Die Armen erwarten euch an den Pforten der Kirche; ſie heften ihre Augen auf euch, beobachten euere Ankunft und verfolgen einen jeden eurer Schritte. Ihre durch Hunger geſchwächte Stimme richtet an euch flehentliche Bitten; fe rufen eure Iheilnahme zu irgend einer Erleichterung

aber in einigen Ländern duch Aufheben tes Klingelbeufsls zu Gunſten der Armen eingefammelt werden.

2) Um 390 in Barcelona.

3) Erzbiſchof von Konftantinopel, ſtarb 407 im Exil.

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ihres Elended an. Hütet euch, ihre Klagen in Murren zu verwandeln, hütet euch, daß nicht Scufzer gegen euch auffteigen zum Vater der Waiſen, zum Beſchützer der Wittwen, zu dem Gott, weldyer in der Berfon ter Armen leidet“. Hören wir endlich nod einen Vater der griechifchen Kirche! GB ſchadet Nichts, fondern belehrt nur, daß La Mennais und andere Schwär- mer“ der neuften Zeit gar Feine neue Sprache geführt haben. Gregor von Nazianz ergeht ſich in folgenden ragen und Schilderungen: „Wir folls ten die Armen den linbilden der Witterung ausgeſetzt laflen, während wir in bequemen und prädtigen Häufern wohnen, welde mit Erelfteinen aller Barben geziert find, überall von Gold und Silber erglänzen und ten Blick auf Die audgeiuchteften Gemälde hinziehen! Die Armen flerben vor Kälte in ihren zerriffenen Gewändern und unter den Lumpen, die fle kaum bedecken, und wir, wir jchleppen hinter und lange fliegente Kleider, gewebt aus Lin⸗ nen und Seite! Die Armen leiden Mangel an den nothwendigften Lebend- mitteln, und ich, ich ſchwimme in allen Ledereien! Sie liegen Hingeftredt vor unjern Pforten, abgemattet und ſchmachtend vor Mangel, Faum im Stande, deutliche Worte zu ſprechen, manchmal nicht im Stande, die Hänte auszuſtrecken und fih zu ten Füßen der Reichen hinzuwerfen oder fie mit ihrem Sammer zu rühren; und wir, wir fchlafen in weichen Betten, welche forgfältig gegen die Strahlen des Tages geihügt find!“

Nachdem im 5. Jahrhundert die blutige Verfolgung der Keßer begon⸗ nen, fing Die Kirche an, die Werke ter Barmberzigfeit wejentlih auf Die Rechtgläubigen zu Geichränfen, und immer mehr machte fih der Grundſatz geltend, gegen Solche, die von der Kirche verfloßen worden, fei man aller Chriftenpflidt entbunden. Abgeſehen davon, nahmen auch die Klöfter, zunächft hervorgegangen aus felbftgewählter Armuth, an der Beforgung der Armen und Kranken theil. Wohl famen Zeiten, wo aud die Priefter und Mönche, durch den Reichthum ihrer Pfründen verdorben, tie Pflege der Armuth verfäumten; doch jelbft in den finfterftien Zeiten des Mittelalters finden fi ehrenhafte Ausnahmen. Papfte, wie Gregor der Große, und iogar ein fo undultjamfter und gewaltthätigfter Menfch, wie Innocenz III., werden von unverbächtigen Zeugen ald Väter der Armen, ber Wittwen und Waifen gepriejen. Zudem fonnte alle Werkheiligfeit nicht hindern, daß auch Laien fih mit wahrer Nächftenliebe der leidenden Menfchheit annahmen. So die Landgräfin Elijabeth von Thüringen, welde im Spenden, wie in der Kranfenpflege, gleich Unvergeßliches Teiftete. Im Hinblid auf tie bes

239

dauerliche Abweichung der biöberigen Mönchsorden von ihren Pflichten ge= gen die Armuth fliftete Franz von Aſſiſſt, gerührt durch das Evangelium vom reichen Iüngling, feinen Bettclorden, die Franziskaner im Jahre 1209. Selbft nur von Bettel lebend, theilte dieſer Orten, jo lange er noch unver« borben blieb, das Exbettelte mit den Armen. In Bolge der Reformation ward das Armenwefen in den proteflantiichen Ländern der Kirche entriffen und zur Staatsſache gemacht. inen Theil der cingezogenen Kirchengüter beftimmte man zu Armenfonds der berreffenden Ortſchaften, befontere Ver⸗ mächtniffe für Die Armen bildeten andernorts das Almojengut. Dieſe Ar⸗ mengüter, jowie die Spitäler und Armenhäuſer, wurden fortan, bisweilen mit Zuzug der Ortögeiftlichen ,. von weltlichen Behörden verwaltet unter Dberaufficht der Regierung. Wo die Spendgüter den Bedürfniffen der Orts⸗ armen nicht genügten, half die Privatwohlthätigkfeit aus. So ſtand ed mit dem Armenwefen in den proteftantifchen Rändern, bis die erneute Zunahme der Bevölkerung nach den Dreißigjährigen Kriege, der wachiente Steuerdrud, die Zollſchranken, der fleigende Luxus, endlich die Fabriken das drohende Geſpenſt des Pauperismus heraufbefhworen. Da erft raffte fich der Bros teftantismus wieder zu umfaffenterer Sorge für das Armenweſen auf. Mittlerweile hatte Vincentius von Paula, geb. 1576 in der Gascogne, den Geift werfthätiger Liebe innerhalb der Fatholifchen Kirche zu neuem Le⸗ ben angefadt. Er ftiftete ten Priefterorden der Miſſion, deſſen Glieder verpflichtet waren, Durch Seelforge und Milvthätigfeit Die Kranfen zu trö« ften, die Urmen aus der Noth zu ziehen, die Verbrecher aus ihrer leiblichen und geiftigen Berfunfenheit zu erheben. Im Verein mit der Frau von Le Gras, fliftete er auch, angeregt Durch den von Branz von Saled 1610 er= richteten Orten der Bifttantinnen, den berühmten Verein der barnıherzigen Schweſtern“ (Filles de la charite). Ihm ift auch die Errichtung des erften Findelhauſes zu verdanken. Eine treffliche Anregung hätte Brande, der Er⸗ bauer des Waijenhaufes in Halle (1694), der proteflantifchen Kirche in der Richtung freier Wohlthätigkeit gegeben, wäre nur der Gegenjag ter Ortho⸗ torie zu feinem an ſich achtungswerthen Pietismus nicht zu ſchroff geweien. Aber die freie Liebe ward durch dieſen Gegenjag in den Augen Vieler zur Parteifache des Pietismus und ward es immer mehr, einen je auffallenderen Anſtrich fich die Pietiften gaben. Died war ter Grund, warum Francke's Beiipiel nicht jo allgemeine Nachahmung hHervorrief, wie man es hätte wünjden follen. Die Pietiften, fich ſelbſt überlaffen, wirkten nun in ihrer

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Weile als freie Bereine fort, die Stuatöregierungen blieben bei ihrer büreau- kratiſch⸗geſetzlichen Armenpflege, bis in unſerem Jahrhundert Lie Arnen- frage die drennenpdfte aller Zeitfragen geworden if. Denn mit der über: Bandnehmenden Serrfchaft des Induſtrialiomus wächſt auch in ungcheurer Progreſſton das Broletariat, und wenn wir auch nicht leugnen wollen, daß manche der gegen das prolctarifche Elend und die prolctarifche Verſumpfung neueften® ergriffene Mittel, wie 3. B. die „Innere Miſſton“, ganz gut ges meint jein mögen, jo iſt doch klar, daß ſte zu der Größe des Uchels in einem Fläglichen Mißverhältniß ſtehen. Aber nicht der chriftlien Idee fallt Das zu Laft, ſondern vielnrehr jenem totalen Abfall von ihr, welder die ſelbſt⸗ ſüchtige Geldmacherei ald Scele Der Geſellſchaft proclamirt bat.

Nur eine ganz unbiftoriihe Anihauung kann überjehen, daß Tas Chriftentgum durch alle die Jahrhunderte ſeines Beſtehens herab in feinen beften Trägern jencd himmlische Erbarmen des Menſchen für ten Menſchen, weldyed der Habbi von Nazareth lehrte, gepretigt hat. Und nicht allein gepredigt. nein, auch berhätigt. In der Geſchichte der chriſtlichen Mildthä— tigfeit und Opferfreudigfeit gibt cd eine ununterbrodgene Reihe von Män- nern und Frauen, von Chriften und Ehriftinnen, welchen die Gloriole der Heiligkeit um die Schläfe zu legen fein fühlender Menſch, ob er fih zum chriſtlichen Dogma befenne oder nicht, auch nur einen Augenblick fid) beſin— nen wird. Breilich find das nicht immer und nur folde Heilige, welche die Kirche kanoniftrte. Allein wad man auch von Kirche und Kirchenge— ſchichte halte und mag man felbft fo weit gehen, die letztere mit Görhe in ihrer Totalität für weiter Nichts als für eine Miihung von Irrthum und son Gewalt“ anzufehen, fein Wiffender und Unbefangener kann leug- nen, daß nicht nur die Schillerrihe Tugend des £ategorifchen Imperativs, fondern aud die jpeziftfchschräftliche Fein „leerer Schall iſt.

Die hriftlihe Tugend quoll und quillt aus dem Spiritualismus und Idealiomus der hriftlichen Idee, weldher dem Materialiemud und Realismus der antifsheidnifchen Idee des entjchiedenften entgegenftebt. Diefer chrift- liche Idealismus Hat in feinen Ausfchreitungen Thörichtefles und Unjeligftes

zu Stande gebracht: düftere Weltentiagung und aberwigige Selbftpeinigung, wahnftnnige Bußkrämpfe, rafende Thaten des Banatiöınus, rine unheilvolle Bergötterung des Pfaffentbums. Aber auf der andern Seite, wie hat er im Größten und Kleinften das altheifige Wort bewährt: „Est Deus in

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nebis!“ Gr bet die enimergte und verrottate Welt des roͤmiſchen Reiches in das Verjüngungsbad ſeiger ſteragen Moral gezwungen; er frohlockte auf den in Qualen zuckenden Lippen der Blutzeugen der erſten Kirche, wie auf den Lippen der zahlloſen Märtyrer der Geiſtesfreiheit, welche die Inquiſition bluten und brennen lich ; er hegeißleste Die Böhler zu jener Völkerwanderung in unigelehrter Richtung, zu den Kreuzzügen, welde, indem fie Abendland und Morgenland mit einander in Berührung brachten und Die sreidentelie ihren Bölfer aus der Dumpfheit mittelalterlicher Abſonderung herausriſſen, einen unermeßlich guten Einfluß auf den cultusgefchichtlichen Prozeß geübt haben. Und weiter war ed dieſer Idealiomus, der Die poetische Welt eines Wolfram von Eſchenbach, eines Dante und Milton ſchuf; er war 8, Der einem Mafael, einem Sorreggie, Murillo und Dürer.den Binfel führte, ber die Donriffe eines Erwin von Steinbach und eines Heinrich Sunere ent⸗ warf, der den Myfifern des Mittelalterd, einem Tauler, Suſo und Thomas son Kempen die Herzenslaute einer wunderbaren Beredtſamkeit eingab. Der chriſtliche Idealismus war eb ferner, welder in den Reden, Schriften und Handlungen der Reformatoren aufſtand gegen den üppigen und habgierigen Materialiamus einer Kirche, deren Haupt fih nicht ſcheute, von Den Lufl- binnen Roms ald Abgabe den fogenannten Mildzind" zu erheben, und als dann die Herzen im Lutherthum immer mehr verödeten und eine ver⸗ Inöcerte Dogmatik die Kanzeln mit dem Wortgezänf leerer Unterſcheidungs⸗ lehren erfüllte, da war er es wieder, welder den frommen Spener zur Stiftung feiner „Collegia pietatis‘‘ anregte, die freilich fpäter ſchnoͤde ent⸗ arteten. Und bis auf unfere Tage herab iſt der chriſtliche Idealismus wach

ad thätig geblieben und mitten in dem wilden Getöſe des Geldeultus wirkt

ex feine fillen Wunder, mitten in den grimmigften Wüthen Der Nevakıtion erhebt er die leuchtende Friedendvalme. Am 23. Februar 1848 tobte der Kampf in den Straßen von Paris. Un einer Straßenecke wurde. nach mör⸗ deriſchem Gefecht ein Wachthaus von den Infurgenten erflürmt. Einige per Sieger, vom Kampfe erhitzt, wollten zur Miedermetzelung der gefangenen Soldaten ſchreiten. Doch legt ſich ihr Mordzorn bald. Mur Einer will fish nicht zufrieden geben. „Man Hat meinen Bauder gemordet“, zuft ar wilthend nud, „ib muß wister Einen morden!“ Da entwaffnet +in Proletarier ven Rachedurſtigen durch die Brage: „Aber wen wollteft du denu morden, der nicht aud) dein Bruder wäre?" Ich wüßte in der gan⸗ zen modernen Gejchichte Feinen zweiten Zug, der an einfacher. Gräfe Bien

Schere, Geſch. d. Religion. TH. 16

gleihfäme. Grinnern wir und dieſes Lichtfſtrahls chriſtlichen Idealismus in dem Dunkel, welches wir jet zu durchſchreiten haben.

6,

Die Machtgröße des Aberglaubens im Chriſtenthum Hat ihren wefentlichen Grund in der innerlich durchaus unvollfländigen Meberwindung des Heidenthums durdy das Chriſtenthum. Auf diefem Mangel baftrt die Vermiſchung jüdifch- hriftlicher Vorftellungen mit den Borftellungen der verfchiedenen Heitenthümer. Ausgehend vom biftorifch gegebenen Wunder⸗ und Teufelöglauben, nahm dad Chriſtenthum, je mehr Völker es eroberte, tefto mehr auß den uriprünglichen Religionen derſelben in fih auf, Naͤher angefehen, zweigen ſich im chriftlichen Aberglauben verjchiedene Stoffgebiete aus. Als das erfte erfcheint das, indbefondere von Ennemoſer ſchriftſtelle⸗ riſch cultivirte 1), Gebiet des thierifchen Magnetismus, der Sympathie und des Somnambulismus, weldyes überall der altheidnifchen Zauberei und Wahrfagerei zu Grunde lag. Ein zweites Gebier ift der Glaube an die Macht der Heiligen über bie £örperlidye Natur, ein dritted die poctifche Per⸗ foniftcation des Bien, ein viertes die der Menjchenjeele angeborne, in Ge⸗ fpenfterfeherei u. dgl. m. ausgeartete Unſterblichkeitsahnung, ein fünftes der Glaube an den Einfluß der Geflirne auf die irdiichen Weſen, beſonders die Menichen. Dieſe Stoffgebiete fchieden fih im Bewußtſein der chriſt⸗ lichen Bölfer in zwei einander entgegengefegte, und zwar, was die Aus⸗ übung des Aberglaubend betrifft, in das Gebiet kirchliche Wunder wirfung, und in daß verbotene Gebiet der Magie, deren Unterſcheidung in weiße und ſchwarze von der Kirche nie audbrüdiih anerkannt wor⸗ den iſt. Im Mittelalter und noch lange nach der Reformation haben flu- pide Pfaffen und ungebildetes Volt Alles, was ſie nicht verflanden, in dem Tiegel der Magie geworfen. So ward befanntlih Albertus Magnus um feines Wintergarten willen für einen der größten Zauberer gehalten und die Erfindung der Buchdruderkunft für eine Eingebung des Teufeld erflärt. Als die Hexenprozeſſe in ihrer fenerrotben Blüthe ftanden, war es gefähr- Tih, mehr zu wiſſen, als andere Menichenkinder. Die Entſchuldigung mit „weißer Magie* war nicht immer ein Schugmittel harmloſer Alchhymiſten.

4) „Geſchichte der Magie.” „Der Magnetismus im Berhältniß zur Natur und Religion.”

243

Nur ein Gebiet ded Aberglaubens wußte fi im Mittelalter zwiſchen dem kirchlichen Wunder und der Magie in der Schwebe zu erhalten, nämlich die Aftrologie. Chaldäifchen Uriprungs, und gegründet auf die Betrachtung der Geſtirne als beſeelte Weſen, kam fie von den Arabern Spaniens und Sieiliens zu den Chriſten, wo der Stern der morgenländifchen Magier über Bethlehem bald die kirchlichen Zweifel gegen fe beichwichtigte. Wurden auch von den Chriften die Geſtirne nicht mehr für befeelte Weſen angeſehen, fo betrachtete man doch ihren Lauf als Offenbarungen Gottes über das Schickſal der Menſchen, fchrieb ihnen verichiedene Temperamente und Wir- kungsarten zu und ftellte das Horoffop, die Nativität, je nad den Annah⸗ men ihrer Eigenfchaften. Mars z. B. wart gewöhnlich als unheildrohen⸗ der, Jupiter ald glüdbringender Stern betrachtet. Auch die Gimmelsräume theilte man ein in verfchiedene Käufer, 3. B. des Lebens, des Reich⸗ thums u. f. w., welche dem bei der Geburt eines Menichen in ihnen erfcheis nenden Geftirne wieder eine befondere Bedeutung gaben. Der aftrologiiche Aberglaube unterflügte mächtig den Glauben an unbedingte Vorberbeftims mung der Schickſale. Diele Fürften, felbft Papfte, Hatten ihre Aftrologen. Bur Reformationszeit ward die Aftrologie beſonders von Melanchthon eifrig betrieben. Wallenftein nährte mit ihr feine verderblichen Hoffnungäträume und, wer follte e8 glauben? felbft Kepler, der Vater der neuern Aftronomie, verwarf die Aftrofogie nicht ganz, fuchte fle vielmehr anf neue Prinzipien zu gründen, unter andern auf den Einfluß, welchen die Lichtſtrahlen der Sterne, befonders der Planeten, auf die Bewohner der Erde ausüben follten. Darum fpuft denn die Aftrologie auch heute noch.

Schon in den neuteflamentlihen Schriften fehen wir die Wunderfraft der Kirche im Kampf gegen die Zaubereien und Weiffagungen des Heiden⸗ thums. Die Upoftelgefhichte 3. B. erzählt, wie Baulus aus einer Sklavin den Wahrfagergeift austrieb und dafür von den Herren berfelben verflagt wurde. Die Zauberei überhaupt, wurbe fie von jübifchen oder heidniſchen Goeten geübt, galt ſchon den Apofteln für ein Werk des Teufeld. Die . Kirche nad) Ronftantin, je träger fie ward im Kampf gegen das Böſe felbfl, richtete ihre Waffen um fo eifriger gegen den Teufel und feine Dämonen. ge mehr der Beift Lügenhafter Phantafterei und frommen Betruges Volt und Klerus unterwarf, deflo reichlicher fprubelte ber Born der heiligen Le⸗ gende. Die Heiligen fpielten mit den Naturkräften, wie mit gehorfamen Kindern. Ihre flerblichen Ueberreſte, deren Aechtheit zu bezeugen ein

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Traum genügte, wirken größere Wunder, als fie von Chriſtus ſelbſt erzaͤult werden. Auzuſtinns joger Tegt in feiner Schrift vom „eldre Gabueh * Beugniß ab für unzaͤhlige Wunder, welche die Refiqwien des heil, Stepha⸗ nnd, auıh in feinem eignen Sprengel, gewirkt haben follen. Außer ven Weliquien warb auch das Kreuzſchlagen und Tas Beiprengen mic Weihwaſſer Gchutzmittel gegen daͤmoniſche Einflüffe. Im Fahre 373 tritt Die Ausaͤbung heidniſcher Bauberei im romiſchen Reiche zuerfi wieder grell hervor. So ungerecht in vielfacher Hinſtcht das Verfahren Valentinians L dagegen war, es fanden ſich wirklich eine Menge Zauberbücher vor (autch der junge CThryſoſtomus beſaß ein ſolches) und die Häufige Anwendung von Liebes⸗ tränfen , fernbin tödtenden Holz⸗ und Wachsbildern, Geiſterbeſchwörung, Wettermachen u. dal. m, ward bei vielen Angeſchuldigten comflarirt ®). Shen damals ward den weiblichen Geſchlecht eine wichtige Noble in Dielen Dingen zugerheilt. Die Heren jind nicht erſt im Mittelalter erfunden worden ®). Der Groreismus, die Damonenaudtreibung, blieb ſeit Konſtan⸗ tin Die einzige Art dor Krankenheilung, welche die Geiftlihen, als Work⸗ zenge des heil. Geiſtos, übten. Dafür ward er mit der Zaufe verbunden, um ben feine Goͤgen abſchwoͤrenden Heiden dem Einfluß derielben zu ent⸗ giehen ; wie denn bekanntlich die Götter Der Heiden nicht für leere Sinbäl⸗ dungen, fondern für böje Geiſter angefchen wurden. Als die Kindertaufe allgemein geworden, ward der Ezorcißmus gleihwohl nice abgefchafft. Ihn unterftügte bald die Lehre, Daß jeder Menſch von Geburt an unter des Teu⸗ febs Gewalt Wehe. Davon überzeugt, ſetzte Luther für die Taufhandlung die Formel fehl: „Bahre aus, du unreimer Geiſt, und gib Raum dem helli⸗ gen Geiſt!“ Der Exorcidinns galt den Lutheranern als eines der Haupt⸗ merkmale kerchlicher Rechtglaͤubigkeit den Reformirten gegenüber. Der tutholiſche Klerus übt ihn heutzutage noch. Daher könnte von dieſen Mrak⸗ tiken des Exorciſirens und Bannens, wie aus Dem Mittelafter, wo ein⸗ mal ein Biſchof von Kauſanne zum Beſten des Gedeihens der Salmen die »Olutegel und ein andermal ein Biſchof ven Chur die gefräßigen Maibäfer dannte, ſo auch aus newer und neueſter Zeit Ergotzlichſtes berichtet mer⸗

2) D. h. die Angeſchuldigten bekannten ſich zu dem Wahn, daß fie bie. ihnen ſchuldgegebenen zauberiſchen Praktiken wirklich üben koͤnnten. 3) Das Wort „Here“ kommt vom althochdeutſchen hazus, hazusa, hazasa, mittelhd. (aber fetten) hegıse. Noch His ins 16. ımd 17. Jahrhundert wird dinfer Bezeſchnung das ort „Wnholde” (mascul. Unholdaere) vovgejogen.

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den, wen Dazu Raum wäre. Auch deſſen enthalten wir und, jenes Gebiet des pfaͤfflichen Betrugo und der gläubigen Dummheit zu betreten, we, in alter und neuer Zeit, Gracifire und Heiligenbilder weinen, bluten und bie Augen versehen, daB Bint des heiligen Januarius fläifig wird, Engel das Hand der Maria nad) Lereto tragen, furz, wo die Märkenfabrifation hufteriicher Moͤnchs⸗ und Nonnenphantaite oder hierarchiſcher Pfiffigkeit in vollem Gang ift. Dergleichen gehört doch mehr in eine Geſchichte der menfchliden Narrheit ald in eine Gefchichte Der Religion. | Wenn auf dem berührten Felde die Wunderſucht mehr eine fpezifiich hriftliche Färbung trägt, To iR Dagegen in dem Glauben an bie Gottes⸗ urtheile, welcher in dem mittelalterlichen Prozeßverfahren «ine jo bedeutende Rolle fpielt, Altheidniſches nur etwas verchriftlide. Das germanifche Hei⸗ denthum hatte. den Göttern, als höchften Schügern des Rechtes, in zweifel: haften Nechtsfällen ein unmittelbared Eingreifen zu Bunften des Schuld» Iojen und zu Ungunften des Schuldigen zugefchrieben. Demzufolge war bie Berufung auf ein Gottesurtheil (Ordal 2)) unter die altgermanifchen Rechts⸗ bräuche aufgenommen worden. Wenn ein Ankläges den Neinigungdeid des Angeflagten und feiner Eideshelfer nicht traute, jo Eonnte er einen ge⸗ . richtlichen Zweikampf mit dem Gegner fordern, als ein Gotteönetbeil. Oder ein Angellagter, wenn er Feine Eideshelfer finden konnte, durfte es ver- juchen, durch Zweifanıpf mitt dein Anfläger ſich zu reinigen, oder dadurch, daß er fich einer andern Art von Gottrdurtheil unterwarf. Die gewöhn⸗ lichſten Arten waren die Feuerprobe und die Waſſerprobe, denen beſonders auch angeklagte Frauen unterworfen wurden, wenn fie. Keinen fanden, der ihre Schuldlofigfeit tin Zweifanpf mit dem Ankläger vertreten wollte. Die religiöfe Ehrfurcht wor der Heiligkeit der Orbalien hatte ſich jo tief dem Be⸗ wußtſein der germanischen Bölfer eingeprägt, daß die Kirche e8 mit dieſem heidnifchen Brauch machte wie mit noch vielen anderen. Sie adoptirte den⸗ felben, gab ihm ihre Weihe und bereicherte ihn nambaft. So fannte das Mittelalter Proben mit kaltem und jiedendem Wafler, das Wegichreiten über heiße Kohlen oder glühend gemachte Pflugſcharen, das Aufaſſen um Aragen glähenten Eiſens als Ordalien, ferner Die Krınzpeode, die Abend⸗

4) Ordäl, wovon das lat. ordalium, iſt die angelfaͤchſiſche Form des Wortes. Die althochdeutſche lautet urteili. Vgl. Grimm „Deusfche Mechtoallerthüter“, 2. 9. ©. 908-937, wo der Gegenſtand erjchoͤphend abgehandelt iR.

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mahlsprobe, dic Probe des geweihten Biſſens, entlih das Bahrrecht 3). Daß mit allen diejen Berufungen auf tie Gerechtigkeit Gottes viel Mißbrauch und Schwindel getrieben wurde, unterliegt gar keinem Zweifel, und daß bie Ordalien fhon im 13. Jahrhundert der Spott der Bernünftigen waren, bezeugt und einer der hellſten Denker des Mittelalters 6). An die Stelle der

5) Ergreifend if die Uebung des Bahrrechts im 17. Abenteuer der Nibelungen:

noih gefchildert: Die Nacht war vergangen, man fagt’, es wolle tagen; Da ließ die edle Fraue zu dem Münfter tragen Siegfried den Herren, ihren lieben Mann. Mit ihr gingen weinend, was fie der Freunde gewann. Da fie zum Münfter famen, wie manche Glocke Hang! Da hörte man allenihalben manches Pfaffen Sang. Da kam der König Gunther herzu mit feinem Bann Und auch der grimme Hagen: fle hätten’s klüger nicht gethan. Sie hielten ih am Leugnen. Kriemhilte da begann: „Ber daran unfchuldig, leicht iſt es dargethan; Gr darf nur zu der Bahre hier vor dem Volke gehn, Da mag man gleich zur Stelle fih der Wahrheit verfeh'n.“ Das ift ein großes Wunder, wie es noch oft geſchieht; Wenn man den Mordbefledten bei dem Todten fiebt, So bluten ihm die Wunden, wie es auch jebt geichah ; Daher man nun der Unthat ſich zu Hagen verſah. | Die Wunden floflen wieder fo flark als je vorher. Die erſt fo mächtig Hagten, fie weinten nun noch mehr. Da ſprach König Gunther: „Run hört die Wahrheit an: Ihn erfchlugen Schaͤcher, Hagen hat es nicht gethan.” „Mir fine diefe Schächer“, ſprach fie, „wohl bekannt ; Nun laß es Gott noch rächen von feiner. Freunde Hand !. Gunther und Hagen, ihr habt es wohl gethan.“ . Da wollten wieder flreiten die Degen in Siegfrieds Bann.

6) Sottfried von Straßburg, der Dichter des Triftan. V. 15648 fg. erzählt er, wie die des Chebruchs mit Triftan angefhuldigte Iſolde ſich dem Gottesurtheil tes Tragens eines glühenden Eifens untertwirft. Vermittelſt eines ebenfo finnreidhen als komiſchen Cinfalls macht das fchöne und geiftvolle Weib die ganze Geremonie zu einer luſtigen Poſſe, deren Ausgang Gottfried mit ter ihm eigenen koͤſtlichen Ironie dar⸗ ſtellt:

.... Amen, ſprach bie fchöne Ifot. In Boitcönamen fle griff es an Unt trug es, daß ſie's nicht verbrann.

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Gottedurtheile trat Dann allmäkig, oft noch mit jenen verbunden, eine ſcheuß⸗ liche Bolterfunft , welche bei und in Deutſchland namentlich dann raffinirt ausgebildet wurde, al8 im 16. Jahrhundert ber inquifitoriſche Prozeß den Anklageprozeß verdraͤngte.

7.

Wir wenden uns zu dem Zauber⸗ und Hexenweſen der mittelalterlichen und ſpaͤteren Zeit, ſagen aber ſogleich, daß wir das ungeheure Material, welches aus dem orientaliſchen, aus dem griechifch⸗römiſchen, keltiſchen, flaviſchen und germaniſchen Heidenthum tm chriſtlichen Volksglauben fi angeſammelt, nicht in feinem ganzen Umfange hier betrachten köͤnnen. Wir haben es nur mit den vorragendſten Spitzen des Zauber⸗ und dvexenglau— bens in der chriſtlichen Welt zu thun 1).

In dieſem Drama, welches komiſch wäre, wenn ihm nicht die furcht⸗ barſten Bräuel anhafteten,, jpielt der Teufel eine Hauptrolle. Ganz folge richtig, da ja das chriſtliche Dogma die Natur als einen Abfall von Gott faßte, entlehnte der hriftliche Teufel von tem großen Naturgoti der Alten, vom Pan, die Geftalt. Im diefer trat er in der Anſchauung der Kirche an

Da war wohl offen erfläret

Und all ver Welt bewähret,

Daß der viel tugendhafte Chrift Hanthierlich (wintschaffen) wie ein Aermel if. Er fügt fich bei und fchmiegt fi an,

So man es mit ihm fügen fann,

Alfo gefüge und alfo wohl,

AS er mit allem Rechte fol.

Er ift allen Herzen gleich bereit

Zum Trug wie zur Wahrhaftigkeit.

Iſt es Ernſt oder ift es Spiel,

Er ift je ſo wie man ihn will.

1) Den auf dem Zaubergebiet weniger oder gar nicht Heimifchen verweife ich auf den fchon früheren Ortes berührten „Derenhammer“ (malleus maleficarum) von Sprenger und Eonforten, das reichfte Arfenal mittelalterlicher Barbarei. Werner auf Anhorns Magiologia, Haubers Bibliotheca magica , Horfts Zauberbibliothef, Brimms Deutfche Mythologie (Abſch., Teuſel““ und ‚Zauber‘, 3.9. 936-1058), Soldans Seh. d. Herenprogefle, Köppens Abhandlung über Heren und Hexen⸗ prozeſſe in Wigand's Vierteljahrsfchr. f. 1844, II., 1— 74 und auf das Kapitel ‚‚Zaus berweien und Hexenprozeß““ in meiner ‚‚Beich. deutlicher Gultur u. Sitte‘ S. 352 fg..

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die Stelle Der noch lunge Beimlich wereßrten heidniſchen Götter, Fiftete ir ein eigene® Hei, beffen Unterthanen Zauberer und Seren waren, ebenfo einen eigenen Cult und benahm ſich überhaupt als „Affe Gottes". Ihm zu Ehren wurden die „Herenfabbatbe” gefeiert und in Deutſchland galt ale fein Hauptfeft Die Walpurgisnacht auf dem Blocksberge 2). Dan fand feine Ausübung Der Magie mehr möglich ohne einen Bund mit dem Teufel, Eraft deſſen ter Bethörte ihm feine Seele verihrieb mit dem eignen Blute, wo. gegen ihn der Teufel in tie Geheimniſſe der Zauberei einweißte, ihm zügel⸗ Infen Genuß natürlicher und widernatürlicher Wolluſt verfcaffte, ihm Reich⸗ thümer, Kriegöglüd u. a. m, zuwandte. Da im altgermaniiden Heiden⸗ thum befonders die Weibes im Rufe des Befiges höherer Gcheimnifle und Kräfte gehanden Hatten, Da man nicht vergaß, wie durch dad Weib die Sünde in die Welt gekommen, da ferner dem ſchwächern Geſchlecht Die Reis gung zu binterliftigen Hülfamitteln vorzugẽeweiſe zugeichrieben wurde, Schön heit und Häßlichfeit der Weiber auf Viele zu allen Zeiten einen dämoniſchen Einfluß ausisbten und endlich die phantaftiider angelegte Natur des Weibes ſelbſt oft verdäctige pſychologiſche Ericheinungen hervorrief: jo Hand beſon⸗ ders das weibliche Geſchlecht im Verdachte Der Zauberei und des Bündniſſes mit dem Teufel. Manchmal glaubten die Angeſchuldigten, durch den Gebrauch narfotifher Salben, beionderd aus Bilfenfraut, in franfhafte Träune ver» ſetzt, felbft an ihre Zuftfahrten auf dem Beienftiel, an ihre Bublichaft mit dem Teufel und den Herenmeiftern, an ihre Arafı, Krankheiten und ver⸗ beerende Gewitter zu verurfachen. Was fle aber jelbft nicht glaubten, lehrte fie die Zolter glauben oder wenigftend befennen 3). Wie der Teufel ein Gegenreich zum Reiche Gottes gegründet, im Gegenfag zum menſchge⸗ wordenen Gottesſohn mit einer menſchlichen Sungfrau den Teufelsſohn Merlin gezeugt hatte und den Heroen der Kirche gegenfiber Bauft und Don Juan zu Heroen feines Hollenreiches erhob, fo war er, Darauf deutete unver⸗ fennbar feine Bodögeftalt, aud der Widerpart der reinen hriftlichen Liebe und demaufolge ein neuer Baal, Herr der ausſchweifendſten Unzucht. Daher

9 Hier klingt fo weht Germaniſch⸗Heidniſches duch, denn bie erſte Mainacht mair die Beit eines gennanlichen Opferfeſtes und der alten Maiverſammlung tes Botles.

9) „Du ſollſu fa din geioltert werden, daß bie Gemne durch dich fſcheint/ Imatete tie Hurlersfenmel beiı der Bolterung. einer Gexe. In meinem werhln. eitirten Bu habe ich ©, AB die vestotellazikhe, Darftrllung ber Folterumg einer fdywan.ger ren Frau, die ac Haze yeozefflet wurde im J. 1001, eingeruct. .

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feine‘ vorwiegende Meigumg , das weibliche Geſchlecht in feinen Dienſt zu ziehen. Die Hexenrichter aber waren mit dieſer Seite der Sache fo wene traut, daß Ar mis Hülfe des Kelten phyſivlogiſche Spezialintten hernuszu⸗ bringen wußten, welche maw fonft kaum durch nıifeoftepifche Unterfuhung hätte ermitteln können . Außerdem ftoht fe, daß der Hexemprozeß fin ale damit Beidgäftigten, vom Denuneinnten, Ankläger und Richter oft eine und dieſelbe Berion bis zum Genfer, ein höchſt einträglidies Ges ſthäft war; denm die Gabe der Singerichteten verfiel dem Fibcus, d. h. großentheils den fungirenden Oriſilichen, Juriſten, Spiowen und Genfern. Das Voelk harte wirklich nicht Unrecht, wenn ed in feinen Sagen bdiefen Teufel, der vie Geifilichen und Herenrichter, feine erbittertften Feinde, fo ſehr bereicherte, oft als einen gar „dummen Teufel“ abfahren lieh.

Daß der Eintritt in des Teufel Band und Meich mit einer Abſchwö⸗ wg Gottes, Chriſti, der Kirche, Tarz des ganzen. Chriftentkumd verbunden: gedacht wurde, ift ſehr begreiflich. Weniger begreiftich ift die Ausfage des heiligen Officiumd son Rogeofin. in Spanien, der Zeufel drüde den Neu⸗ aufgenommenen Die Figur einer ganz kleinen Kröte in den linken Augenſtern ein. Man wird fich weder darüber, noch über irgend eine andere Tollheit, Widernatürlichkeit und Scheuplichfett im Zauber» und Hexenweſen wandern, wenn man Die totale Berteufelung ter Matue und des Menſchen, wir diefe Sorte von Ehriftentbum fie zumege gebradıt, im Auge behält: Auch über Die Infzenefegung der Hexenſabbathhe durch cine tollgewordene Phantafle’ verwundert man fid) Bann nicht. Der Hexenſabbath tft Mittel -.und Glauz⸗ punft der Herenreligion. Die Seren und Zauberer fommen zu demfelben, nachdem fie ſich mit der aud dem Fett ungetaufter Kinder, Wolfswurzel, Mauchskappenu. dgl.m. bereiteten Hexenſalbe eingeriohen, auf Böcken, Ofen⸗ gabeln, Beſenſtielen durch die Luft geritten. Jedes Land hat jeine Ver⸗ fammlungsorte, Deutfchland die meiften und unter diefen wieder als Lieb⸗ lingdftätte den Broden. Die Verſammlung hebt gewöhnlich um 9 Uhr Abends an und endigt um Mitternacht. Sie beginnt damit, daß Alles vor

4) Alles nach Anweiſung bes Hexenhammers. Der alte ehrbiche Sauber ſagt deßhalb, der Nırtor dieſes Buches Imbe „mehr wie ein Henker ale wie ein Geiſtticher geſchrieben und wie ein Merk, der etliche hardels ansgshuret:hat." Köppen been treffrud, ker Hexenhammer, welcher canoniicdee Anfehen erlangte, fei ,‚mnit.dem Grifer eines vor Fanatiemus, Hakfude, Wolluſt und Henkersluſt wahnfiunig gewor⸗ denen Moͤnchs geſchrieben.“

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dem Teufel niederfällt,, ihn unter Berlängnung Gottes Herr und Meiſter nennt, ibm die linfe Hand, den linken Fuß, die linke Seite, die Genitalien und den Hintern füßt®). Wei befonders feierlichen Anläften beichten ſodann die Zauberer und Hexen dem Zenfel ihre Sünden, welche darin beſtehen, daß fie Kirchen beſucht, Die Geremonien des chriſtlichen Gottesdienſtes mit- gemacht und zu wenig Böfes gethan haben. Der Teufel legt ihnen Bußen auf und ertheilt Die Abſolution. Dann celebrirt er höchſtſelbſt die Teufels» mefle und ftellt feinen Anhängern ein Paradies in Ausfibt, weldes das chriſtliche weit hinter ſich laſſe. Zum Danke küßt man ihm abermals ben Hintern, wobei er zur Anerkennung der Hultigung Geſtank von. fih gehen

läßt. Zum Schluß der Meffe theilt er das Abendmahl in beiterlei Geſtalt

aus ©); aber die hölliſche Hoftie iſt fchwarz und zähe wie eine alte Schub⸗ ſohle und der Trank aus dem hölliſchen Kelch bitter und ekelhaft. Hierauf beginnt der Tanz, wobei Alle das Geficht nach der Außenfeite ded Kreifes ehren, und dad Schmaufen an den von dem hölliſchen Wirtbe bereiteten Zifchen. Aber die Speifen und Getränke ſchmecken fchlecht und wiberwärtig.

Während des Schmauſens und Tanzen vermifcht ſich der Teufel mit allen Anweſenden fleiſchlich indem er den Männern ald Succubus, den Weibern

als Incubus beiwohnt 7) und befiehlt, fein Beifpicl nachzuahmen, worauf er

die Derfammlung mit der Ermahnung entläßt, möglichft viel Böſes zu- thun. Die Namen Gottes oder Chriſti oder der Jungfrau Maria auszu⸗ ſprechen, ift beim Herenfabbath ſtreng vervönt; aud das Wert Salz darf. nicht gehraycht werben. :Zum Schluß der ganzen Beier brennt ſich der

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5) Satan erſcheint beim Hexenfabbath gewöhnlich in finfterer Haltung. Halb Menſch, Halb Bo, fit er auf einem ſchwarzen Thron. Gr bat eine Krone von Heinen Hörnern auf und außertem noch ein großes Horn auf ber Stirne, von ‚welchen ein flarfer Lichtichein ausgeht. Seine großen runden @ulenaugen leuch⸗ ten in fchredlichem Glanze. Seine Finger laufen in Krallen aus, feine Yüße gleichen Gaͤnſefüßen, am Kinn Hat er einen Ziegenbart und am Hintern einen langen Schwanz. j

6) Natürlich, denn dies galt damals für ketzeriſch.

7) Die ältefle urfundliche Erwähnung einer Buhlichaft zwiſchen Teufel und Here if, fcheint es, die, welche in einem zu Touloufe 1278 verhandelten Hexenprozeß vor: fommt. Bol. Soldan, a. a. D. 147. Wie fehr mußte Doc das Bewußtfein einer Zeit verteufelt und verthiert fein, welche glauben Fonnte, Mädchen gäben ihre Jungs

fräutichfeit, Frauen ihre cheliche Treue preis, um dafür Die dewohnung eines ſceu⸗⸗

lichen Bockes einzutauſchen.

- oh.

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große Bod zu Afche, welche unter alle Hexen ausgetheilt wird, als ein Mittel, ſchaͤdliche Werke zu thun.

Die Folgen des Zauber» und Herenglaubend waren entfehzlich. Eine Bulle des zuchtloſen Papſtes Innocenz VIII. gab 1484 das Signal zur großen Herenhag und Deutfchland hat den traurigen Ruhm, daß es das ſchreckliche Glaubensgeſchäft am gründlichſten und methodifchfien getrieben. Im Jahre 1489 erſchien der Hexenhammer und mit Diefem „Liber sanctissi- mus‘ in der Sand gingen Theologen und Juriſten an die Arbeit. Die Maleflggerichte* wurden etablirt, und da Alles, aber auch gar Allee, ſelbſt das Widerfprechendfte, Schönheit und Haͤßlichkeit, Sittfamfeit und Lüder⸗ lichkeit, Klugheit und Einfalt, fromme Inbrunſt und Gleichgültigkeit, Reich— thum und Armuth, Stärke und Schwäche, Glück und Unglüd, in den Ber- dacht der Hererei bringen Fonnte, fo begannen bald in deutichen Landen maflenhafte Hexenbrändes). So auch im übrigen Europa). Und bie Reformation war weit entfernt, dem Gräuel zu feuern. Im Gegentheil. Iſt doch Luther ſelbſt befanntlid ein leidenſchaftlicher Teufelögläubiger ge⸗ wefen 19%) und die proteflantiichen Theologen und Juriften gaben fih alle Mühe, ihre katholiſchen Eollegen in hexenbrenneriſcher Verfolgung bed Teu⸗ feld noch zu übertreffen. Es ift buchſtäblich wahr, Daß namentlih am Ausgang ded 16. und in der erften Hälfte des 17. Jahrhunderts Deutſch⸗ land und Europa von Scheiterhaufen rauchte, auf welchen unglückliche rauen, Mädchen, Kinder fogar ein qualvolles Ente fanden, nachdem man ihnen durch ſcheußliche Martern das Bekenntniß von uUnmoͤglichem ausgepreßt hatte.

Vergebens hatten Pr von Anfang an denfente Männer gegen den graufamen Unftnn erflärt 19). Ihre Stimmen verhallten in dem Lärm einer.

8) „Sinäfcherungen ter Unholden“, war ber offizielle Ausdrud für dieſe Juſtiz⸗ morde.

9) Ratürlich trugen Spanier und Bortugiefen mit der Inquifttion auch den Heren> prozeß in ihre überjeeifchen Kolonien. In den puritanifchen Colonien von Nordamerika ſah befonders das Jahr 1692 zahlreiche Herenbraͤnde.

10) So zwar, daß er nicht nur auf der Wartburg dem Teufel das Dintenfaß nachwarf, fondern die Bretinen (Kilkroͤpfe“, ‚„‚Wechfelbälge‘‘) für Fruͤchte der Buhl⸗ f@aft des Teufels mit Heren erflärte.

11) In einem 1489 erfchienenen ‚‚ Schön gefprech von den Onholden‘‘ behauptet: ber Berfafler, Uri Molitor, das ganze Herenwefen fel auf evtel dantaſtiglein und‘ Eynbildung‘‘ zurädzuführen.

allgemeinen Tollwuth. In ter zweiten Hälfte bes 16. Jahrhunderis hatte der niederländiihe Prieſter Cornelius 2008 ausgeſprochen, der Gerenprosß ſei nur eine Art neuer Albgmie, vermittelft weicher man aus Menſchenblut Geld umd Silber mache, hatte aber dieſen Ausſpruch theuer bezahlen mäflen. Im Jahre 1631 verrichtete Friedrich von Spree, ein Mitglied deſſelben ZJeſnitenordens, weicher fo viele Hunderte, ja Zaufende von Kerre verbvannte. eine That ewelfier Tapferkeit, indem er fein Buch Cautio erimir- nalts gegen den Hexenprozeß veröffentlichte 12). Aber fein Auftreten wiefte je wenig, daß der son ihm befänpfte Gräuel jeine größte Ausdehnung erſt jegt gewann. Der niederländiſche Arzt Balthaſar Becker (. Peienewe Märelde 1694) und der Beutiche Gelehrte Thomafius, weicher von 1701 +2 verihiedene Traktate gegen Zuuberglauben und Gerenprogeß erjcheinen ließ, nahmen Spre'8 Oppofition wieder auf und führten fle weiter. Erſt mußte aber da® ganze Jahrhundert der Aufklärung” zu Ende gehen, bever der Gerenprogeß befeitigt wurde. Den legten Herenbrand im großen Styi, webri 97 Perſonen gemordet wurden, veranflaltete der Erzbiſchof von Salz» burg 1678. Als legte Hexe im beutichen Reich wurde 1749 zu Würzburg Dit flebzigiährige Nonne Dario Renata Gänges verbrannt. Die cite Sezenkinrichtung auf beutichem, und zwar vroteſtantiſchen Boden hatte 41783 zu Glarus flatt.

Doch gerade das Jahrhundert ber Aufllärung , weiches dem Maleftz⸗ gericht ein Ende machte, hatte, wie Jedermann weiß, in Sachen des Abe glaubens ebenfalls feine ſchwachen Seiten, ja ſchwaͤchſte. Theils die von der Treimaurerei fi} auszweigende Geheimbündelei, theild Die Uebertreibungen des Mesmeriöomus, theil® Die alten Beobleme der Alchymie unterhielten den Glauben an die Herftellung des Steined der Wellen und des verjüngentem Lebenselixirs, an Goldkocherei, Wahrfagerci und Geifterbeichwörung. Zus mal m den höheren, weil blaftrten oder in dem „Sturm und Drang einer aährenden Zeit unficher nad Höheren * taftenden Stänten 13). Der gläu=

. 49. Die edle Maunn warf barin ten Herenrichtern die Werte ins Gefit: ‚Yrierr Lich ſchwoͤre ich, daß unter den Bieten, weiche ich wegen angeblichen Hexerei zum Scheis terhaufen begseitete (als Beichtenter) , niit Eine war, von welcher man, Alles genau erwogen, hätte fagen firmen , fie fei ſchuldig geweſen, und das Mänsliche theilten min zwei andere Theologen aus ihrer Praris mit. Aber behandelt Kirchenobeve, behandels Bichier, dehundelt mi fe, wie jene Uingiädliichen,. untermertt and benteßben Martern, us ihr werdet in unas Mira: Hauberct entnesten‘‘ }

13) Willen. wir doch, daß felbft ein Goͤthe noch in veileren Jümmlinvojtcheen eifrig

bige Wahn erganiftrte ſich in Den Mamerlogen von ber „Trietn Obier- sen; *, De ſich für eine Kortfegung des ſabel haften Roſenkyenzer⸗Dunded aus⸗ gaben, in Wabrheit uber Die Organe des Jeſuitiomus waren. In dieſer Sphäre, wo ſich mpfifche Sentimentalitaͤt krankhafte Bunderfucht, Induſtrie⸗ xuterlichteit und bierarchiſche Schlaicheit wunder ſam miſchten, biähten bie großen Wuntermäuser und Schwindler, ein SalntBermain, Gaglioſtro und Caſanova, welcher Iegtere feine Freundin, die Marquiſe d Urf, für bie ihr abgeſchwindelte Million ſchwauger zu machen verſprach sem Mond. Die Aufflaͤrung ſuchte den Obſcurantiomus vergeblich mit ſeinen eigenen Waffen zu ſchlagen, indem fie dem entarteten Freimauterorden den 1776 son Weishaupt und Bwadh geftifteten Geheimbund der, Illuminaten“ ent⸗ gegeniegte.. Im Uebrigen hat das 19. Jahrhundert dem 18, in Sachen bed Abberglaubens nicht eben ger viel vorzuwerfen. Im Bolte ift der Zauber- md Herenglauben noch immer lebendig, und was die, Gebildeten“ angeht nun, wir haben ja glüclich das „odiſch⸗magnetiſche“ Zeitalter erlebt, wo ber Aberwig deB iſchrückens, des Geiſterklopfens und Der Vſychogra⸗ vhenmantik epidemifth graffiste. Mur die Formen des Linfinas find andere und, glüdlicher Weite, mildere geworden.

8.

Die Lehre von der alleinigen Rechtfertigung burd den Glanben, ver⸗ bunden mit jener buhftäblicen Auffafſung des Glaubens, welche vergißt, daß Liebe das untrügliche Merkmal desd redhtfertigenden Glaubens fein ſoll, biefe Lehre iſt bie Duelle des chriſtlichen Fanatismus geworden. Ber anders glaubt, als wir, den verfludst die Kirche, den verdammt Bott ſelbſt. Den aber Gott richtet, wie follten ihn die Menschen nicht ſtrafen? Wehe lichten follten fie no& gegen ihn zu erfüllen Haben? Auf biefen Ermäyun- “gen, Fommen fie nım zum Bemußtfein oder ſchlummern fle in den dunkeln Tiefen des Gemäthes, beruht aller Fanatismus. Es verficht ſich dabei ton felbſt, daß Herrſch⸗ und Habfucht der Geiſtlichen und Weltlichen bei den Ansbrũchen der Unduldſamkeit meiſt eine ſehr wichtige Rolle geſpickt haben. Selten war die Schlechtigkelt um religidſe Begründung verlegen.

Als mit dem Erldſchen des Heidenthums vie Serſolgengeſucht der Ehri⸗

mit Studien zur Findung tes „Steins ber wi und der Fimgfrankichen Erde ch veſchaftigte.

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ſten keinen andern Gegenſtand mehr hatte, kamen die Juden an die Weiße. Diele Unglücklichen, nirgends unter chriſtlicher Gerrihaft zum Grundbeftg berechtigt, waren genötbigt, fidy auf den Handel zu verlegen. Diefer ver- Ihaffte ihnen Geld, welches fie, entgegen der kirchlichen Anfhauung, auf Zins anlegten, wodurch fie aber in den Ruf des Wuchers geriethen. Der Haß ihrer Schuldner, das Gelüft derſelben, von Täftigen Glaͤubigern befreit zu werden, die Habſucht und Willfür der Fürſten fchärften den Fanatismus gegen die Judenſchaft in allen Ländern Europas. Meift aber war der Anlaf zur Berfolgung Aufreizung von priefterlidher Seite, leidenſchaftlich⸗religidſe Aufgeregtheit der Maſſen, öffentliches Unglück, Anſchuldigung auf Mißbrauch von Hoſtien und anderen chriſtlichen Heiligthümern oder auf Mord von Chriſtenkindern zu geheimen religiöſen Zwecken.

Schon im 6. Jahrhundert hatte der Pobel von Rom und Ravenna die Juden mißhandelt, geplündert und ihre Synagogen verbrannt. Aber Theodorich wußte bald Ordnung zu ſchaffen, ſo daß dieſe Judenverfolgung eine vereinzelte blieb. Spanien hat die traurige Ehre, die Reihe der großen Judenverfolgungen zu eröffnen. Seit Hadrian befanden ſich da- ſelbſt zahlreiche Judencolonieen. Um 612 zwang Eifebut, König der Wefl- gothen, 90,000 Juden zur Annahme der Taufe. Die Widerftrebenden wurden gemartert und ihr Vermögen eingezogen. Der Klerus äußerte ſich zwar gegen das Aufzwingen der Taufe, verpflichtete aber die einmal gewalt« fam Getauften, bei der Kirche zu bleiben. Als daher häufige Rüdfälle ins Judenthum erfolgten, verbannte ein Nachfolger Sifebuts alle Juden aus feinem Gebiete und eine Kirchenverſammlung zu Toledo verpflidhtete jeden König des Reichs zu dem Eide, dies Edict aufrecht zu erhalten. Es verſteht fi, daß die Hart bebrüdten Juden den Mauren die um 711 erfolgte Erobe⸗ rung Spaniens aus beften Kräften erleichterten. Wirklich befanden fte ſich unter mohammedanifcher Herrſchaft weit befier, als unter chriſtlichen Fürſten. In Deutfchland gab zuerft die ungeheure Aufregung ber Kreuzzugszeit zu Judenſchläͤchtereien im ausgedehnteften und graufamften Maaße Beranlafiung. Die einmal gegen Die Raͤuber des heiligen Grabe entflammte Wuth richtete fih aud gegen die Nachkommen derer, bie den Herrn gekreuzigt. Alle Feinde des Chriftenthums ſchonungslos zu vertilgen, ſchien ja überhaupt verdienftlih. Das ihnen geraubte Gut mochte als irdiſcher Lohn foldhen Verdienſtes gelten. Als das kreuzfahrende Geftndel unter Peter von Amiens, Walther und Gottſchalk 1096 nad Trier Fam, ſtürzte es fi) auf

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die unglücklichen Juden. Der Kleinere Theil der Gemeinde, welcher ſich in die Burg des Biſchofs Egilbert hatte retten können, mußte den Schuß beifel- ben durch Annahme des Chriſtenthums erfaufen. Gleicherweiie haufte der Böbel in Meg, Köln, Mainz, Worms und Epeier. Die Kreusfahrer unter dem Grafen Emmicho bezeichneten ihren Weg am Main unt längs ber Donau bi8 in das Innere von Ungarn mit dem Blute der Juden. Am Rhein follen damals 5000, in Mitteldeutihland 12,000 Juden dem Schwerte der Kreusfahrer erlegen jein. Während des zweiten Kreuzzuges 1146 ging es nicht befier. Der Mönch Rudolf, welder den Kreuzzug in den Mheingegenden predigte, rief die Waffen der Kreuzfahrer audy gegen bie Juden auf. Die Kreuzfahrer aller Nationen benahmen ſich nicht edler. Bei der Erſtürmung Ierufalems ward feines Juden geichont, das Feuer ver⸗ zehrte ihre Synagoge jammt den zahlreich darin Verſammelten.

Es würde und zu weit führen, alle Judenſchlaͤchtereien aufzuführen. Sie kamen in allen Ländern der Chriftenheit vor und waͤhrten, auf Antrieb der Inquifition, am Iängften in Spanien. Aber auch in Deutfchland nahmen fle mit den Kreuzzügen keineswegs ein Ende. Das ganze 13. und 14. Jahrhun⸗ dert hindurch und noch bis ins 15. hinein genügten die albernften Anfchul« digungen, Ströme von jüdiſchem Blut vergießen zu machen. Im Jahre 1298 3. B. mordete in der Gegend von Würzburg und Nürnberg ber Pöbel unter Anführung des Edlen von Rintfleifh an 100000 Juden, „darum daß fie die große Bosheit getrieben mit unferes Herren Leichnam. * Die ſchreck⸗ lihe, unter dem Namen des „großen Sterbent“ oder des „Schwarzen Todes" von 1347— 1350 wüthende Peſt wurde den Juten ald Brunnen vergiftern* ſchuld gegeben und ſtachelte die chriftliche Mordluſt zu furchtbarer Rafereit). Die Menge wüthete finnlos, wie es ihre Art ift, aber die eigent-

oo... ——

1) Ein treffliches Bild der Judenſchlachten hat Th. Meyer⸗Merian nach zeitgenoͤſſi⸗ ſchen Chroniken in der Feſtſchrift, Baſel im 14. Jahrhundert““, S. 151—190 geieichnet. Beim Betrachten deſſelben, und wenn man es mit den zahlreichen in Wort und Bild uns überlieferten, anderen unmenfchlichen Bladercten und Beinigungen zufammenhält, welchen die Juden das ganze Bittelalier hindurch und bis in die neuefle Zeit herein unterworfen wurden, muß man in der Erhaltung des jüdifchen Volkes eines der größs ten Wunder der Weltgefchichte erfennen. Die Juden haben von den Ghriften linges heures erbuldet, und wenn fie ſich dafür in igrer Weife zu rächen fuchten, wer Tann es ihnen verdenten? Ihr Jahve war ja fein Bott der Gnade, fondern der Mache und konnten fie etwa von den Ghriften Duldung und Erbarmen lernen? Bgl. Depping:

lien lieheber der Judenſchbächtewien wußten wohl, warum fie jene dequ xeisten. Der Ehroniſt Koamad von Prag hat das Rechte getroffen, wenn er ſchon im Betreff der Judenmorde zur erſten Arsugpugägelt märuft: „lie viel Geld Haben die Juden damals werinten!" Das wars. Die Meichthü⸗ wer, welche fich in den ſchuutzigen Judengaffen (Gihemo’s) angefammelt, waren zu lockend.

9,

Yinter den Ehriflen ſelbſt bat ter Kanatiömus als bitterfie Frucht Die Meligionsfriege hervorgerufen, die mit dem Aufſtand ber Gircum- cellionen in Afrika gegen Lie kaiferſiche Macht im 4. Jahrhundert begannen und in den Streitigkeiten zwiſchen Arianern und Athanaſianern fi fort- fegten. Zur Zeit der Kreuzzüge kamen danı die Kämpfe zwiſchen Griedgen md Lateinern, etwas ſpäter Die Bertilgungdfriege gegen Die Albigenſer. Wie dad große Schidma in der abendländiſchen Chriftenheit, die Reforma⸗ tion, von den Huffitenfänpfen an, eine ganze Meihe von Meligiondkriegen in Deutſchland, in der Schmeig, in Frankreich und in den Riederlanden Geruor= ‚tief, wie und in welchem Grade diefen Kämpfen polttifche umd foziale Ele⸗ mente fich beimifchten, wie namentlich Deutfchland durch das unerhörte Mißgeſchick, genannt der dreißigjährige Krieg, politiſche Macht, WohtRam, Bevölkerung und Bildung zunal einbüßte, Dies Alles kann bier eben nur berührt werben. Ebenſo, wie in England dad Prinzip der Reforma- tion im Puritanismus feine politiſch-demokratiſchen Conſequenzen zog und fegreich geltend machte, im Puritanismus, welcher, eine ber größten fittlihen und ſozialen Erfiheinungen im der germanifch-chriſtlichen Welt, zwar nah kurzer Herrſchaft im Muttetlande der monarchiſchekirchlichen Reaction erlag, dafür aber jenſeits des atlantifchen Ozeans zur nordameri⸗ Eanifchen Republik, als zu einer neuen Welt, dad Bundament gelegt hat.

"Dagegen ift gerade hier, bei Berührung der Religionskriege, wie mir ſcheint, die rechte Stelle, von der Sefellihaft Jeſu zu reden, und wen auch keineswegs eine Geſchichte, fo doch eine Eharakteriſtik berielben einzu⸗ flechten.

Der Jeſuitismus iſt Die Negeneration des Katholicismus. Aus Spa⸗ „Die Juden im Mitelalter““; Schubt: „Jüdiſche Wierkudrkigkelten‘; Miller: ‚Bu ben Iudenſgoitblidern. (Beitiche. fF. d. Culaurgeſch. ERBE, &. MB far).

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nien, ber alten Heimat des Fanatismus, ging er hervor. Geſtiftet 1540 durch Inigo de Loyola, wurde die Geſellſchaft Iefu in überrafchend kurzer

Zeit ein Inflitut, welches der päpfliche Stuhl mit ungeheurer Wirkung dem _

proteſtantiſchen Geiſt entgegeniegte. Die Beichlüffe des tridentiner Coneils von 1562, welde die Entwidlung des Ratholicismus zum Abſchluß brach⸗ ten, laſſen die Thätigkeit des Jeſuitenordens, welcher zuvor ſchon an Eatholis fchen Höfen Deutihlands Eingang gefunden, deutlich fpüren. Sie boten der Keperei den Kampf auf Leben und Tod. Der Jeſuitenorden führte ihn. Die Jeſuiten entwarfen die große Fatholifhe Kombination, welche Europa umfaßte und, geflügt auf die fpanifche Macht, durch das Scheitern ber Anicläge Philipp's IL. auf England, wie durd die Ihrongelangung des Bearners (Heinrich's IV.) in Frankreich zwar gehemmt, aber nicht auf« gegeben wurde. Der Jeſuitismus wollte die ganze Erde zu einer Art Gottes⸗

flaat im Sinn des Katholiciömus, zu einer Domaine des Papfles machen,

der natürlich eine Marionette in den Händen des Ordens fein follte und war. Jedem freien. Gedanken nicht nur, nein, dem Gedanken überhaupt auf den Kopf zu treten, an die Stelle ded Denfend ein unflares Kühlen zu fegen, mit unerbörter Spftematif und Gonfequenz die Verdummung und Verknechtung ber Maſſen durchzuführen, gefcheidte Köpfe, die Reichen und Mächtigen, die einflußreichen Leute jeder Art durch blendende Vortheile an ſich zu fehleln, die vornehme Geſellſchaft zu gewinnen vermittelft einer Moral, welche durch ihre Clauſeln und Vorbehalte zu einem Compendium des Laſters und Freveld wurde !), die Armen durch Beachtung ihrer materiellen

4) Diefe Moral it allbekannt, fo daß wir nur ein paar charalteriſtiſche Proben anführen. Der jeſuitiſche Cafuiſt Gscobar lehrt: „Man darf denjenigen toͤdien, welcher uns beohrfeigt hat, obwohl er flieht, vorausgeicht, daß man es nicht aus Haß oder Rachſucht thue und dadurch etwa übertriebene und flantsgefährliche Mordthaten veran⸗ laſſe“. Der Jefuit Lamy verfündigt: „Es iſt einem Prieſter oder Mönche erlaubt, einen Berläumder zu tödten, der ſtandaloͤſe Beichuldigungen über feine Gemeinfchaft zu veröffentlichen droht”. Der Zefuit Filutius beſtimmt: „Ciner heimlichen Hure iſt man Gewiſſens halber noch weit eher Lohn ſchuldig, als einer öffentlichen ; denn bie heimfiche Hingebung des Weibrs iſt weir mehr werth als diejenige ber öffentlichen Dirne. Daſſelbe gilt von dem einer Jungfrau, Braut oder Nonne verfprochenen Hurenlohn‘‘. Wiederum ſpricht Escobar: „Ciner Hausfrau ift erlaubt, zu fpielen und zu diefem Zweck von dem Geld ihres Ehemannes zu nehmen““. Auch tröftet derfelbe: „Eine unlautere Abſicht wie 3. B. die Weiber mit wolluͤſtiger Gier betrachten, verbunden mit tem Beftreben, die Mefle gebührend zu höxen, hindert nicht, daß die Mefle vor Gott rechtfertige‘ !

Scherr, Geſch. d. Religion. III. 17

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Beduͤrfniſſe zum Dank zu verpflichten, Hier der Ginnlichfeit, dort der Babe ſucht, hier der Gemeinheit, dort dem Ehrgeiz zu fchmeicheln, Alles zu ver⸗ wirren, um endlich Alles zu beberrfchen, die Civilifation untergehen zu laffen in einer bloßen Vegetation und die Menſchheit in eine Schafheerde ‚umzuwandeln: darauf ging die Geſellſchaft Jeju aus. Ihre Organifa- tion war großartig und bewunderungswürdig. Hier war in diametralem Gegenfag zu der auf Befreiung des Individuums gerichteten Reformations⸗ idee das völlige Hingeben der Individualität. an ein Ganzes vollfländig durchgeführt. Das Herz des Iefuiten ſchlug in der Bruft ſeines Ordens. Nie Hat ein General gehorfamere, unerfchrodenere, heldenmüthigere Solda⸗ ten gehabt, als der Jeiuitengeneral, und nie auch wurde ein Heer mit meifler- bafterer Strategie geführt, als die Eonipagnie Iefu. In ewiger Proteus- verwandlung und doch ſtets diefelbe führte fie den nimmer raftenden Krieg gegen die Freiheit. Alles wurde auf Diefen Zweck bezogen und Alles mußte ihm dienen. Der Jeſuit war Gelehrter, Staatdmann, Krieger, Künftler, Erzieher, Kaufmann ; aber ſtets blieb er Jeſuit. Er verband fich heute mit Königen gegen dad Volk, um morgen ſchon Dolch oder Giftphiole gegen die Kronenträger in Anwendung zu bringen, weil bei veränderter Gonftellation der Vortheil ſeines Ordens dies erheifhte. Er predigte den Völkern die Empörung und ſchlug zugleich ſchon die Schaffote für die Mebellen auf. Er fharrte mit geiziger Hand Haufen von Gold zuiammen, um fie mit freigebi= ger wieder zu verfchleudern. Er durchſchiffte Meere und durdwanderte Wüften, um unter taufend Gefahren in Indien, China und Japan das Chriſtenthum zu predigen und ſich mit von Begeifterung leuchtender Stirne zum Märtyrertod zu drangen. Gr führte in Südamerifa das Beil und den Spaten des Pflanzers und gründete in den Urwildniſſen einen Staat, wäh- rend er in Europa Staaten untergrub und über den Haufen warf. Er zog Armeen als fanatifcher Kreugprediger voran und leitete zugleich ihre Be⸗ wegungen mit dem Beldmeßzeug des Ingenieurs. Gr fhweigte das Ge⸗ wiſſen des fürftlichen Herrn, welcher die eigene Tochter zur Blutichande vers führt, wie da8 der vornehmen Dame, welche mit ihrem Lakaien Ehebruch trieb- und ihre Gtieftinder vergiftet hatte. Kür Alles wußte er Troft und Rath, ‚für Alles Mittel und Wege. Er führte mit der einen Hand Dirnen an da& _ Lager feiner prinzlichen Zöglinge, während er mit der andern die Drähte ber Maihinerie in Bewegung ſetzte, welche den Augen der Entneruten die Schreckbilder der Hölle vorgaufelte. Er entwarf mit gleicher Geſchicklichkeit

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Staatöverfaflungen, Zeldzugspläne und riefige Handelscombinationen.. Er war eben jo gewandt im Beichtfluhl, Lehrzimmer und Rathefank, wie auf der Kanzel und auf dem Disputirfatheder. Er durchwachte die Nächte Hin- ter Actenfascifeln, bewegte ſich mit anmuthiger Sicherheit auf dem glatten Parquet der Paläfte und athmete mit ruhiger Faſſung die Peflluft ber Lazarethe ein. Aus dem goldenen Kabinet des Bürften, den er zur Aus rottung der Ketzerei geſtachelt, ging er in die fchmußtriefende Hütte der Ar- muth, um einen Ausfägigen zu pflegen. Bon einem Herendrande kommend, ließ er in einem frivolen Höflingdfreife ſchimmernde Leuchtkugeln fkeptifchen Wiges fleigen. Er war Belot, Breigeift, Kuppler, Faͤlſcher, Sittenprediger, Wohlthaäter, Mörder, Engel oder Teufel, wie die Umflände es verlangten. Er war überall zu Haufe, denn er hatte fein Vaterland, feine Familie, Feine Sreunde ; ihm mußte dad Alles der Orden fein, für welden er mit bewun- derungswürdiger Selbflverläugnung und Thatkraft lebte und flarb. Nie, fürwahr, hat der Menfchengeift ein ihm gefährlicheres Inftitut gefchaffen, als den Jeſuitismus, und nie hat ein Kind mit fo rüdfichtslofer Entſchloſſenheit feinem Vater nad) dem Leben gefirebt, wie dieſes 2).

10.

„Wer zu mir fommen will, der verlaugne ſich ſelbſt und nehme fein Kreuz auf fih und folge mir nah *! Diefer Zuruf Jefu Chrifti, nebft dem Ausſpruch des Baulus: „Die Ehrifli find, haben ihr Fleiſch fammt feinen Begierden und Lüften gefreuzigt*, bat die Askeſe ind Leben gerufen, d, h. die Hebung in der Abtödtung des Fleiſches. In dies große Gebiet des irchlichen Lebens gehört"das Faſten, die Selbflpeinigung und Selbſternie⸗ drigung, das Cölibat (Ehelofigkeit), die Möncherei und daB Eremitenweien,

2) Ich habe mir erlaubt, diefe Charakteriſtik des Sefuitenordens aus meiner Geſch. deutſcher Cultur und Sitte (S. 277 fg.) Hier zu wiederholen, weil fie mir gerecht fcheint. Wenn ich das Weſen des Sefuitismus darin fehe, daß er ein Krieg auf Leben und Tod nicht allein gegen ’diefe oder jene Form bes Denkens fei, fontern gegen das Denfen, gegen die Bethätigung der menſchlichen Bernunft überhaupt, fo Bin ich neues ſtens in diefer Anficht nur noch beftärft worden durch das Verfahren der frommen Väter gegen ten armen Günther in Wien. Diefer Mann hatte ſich fein Leben lang eine beifpiellofe Mühe gegeben, das Fatholifhe Dogma, an weldhem er mit ganzer Seele hing, ſpeculativ zu rechtfertigen. Aber zu diefem Bwede mußte er denken. Das war fein Verbrechen und deßhalb ließen ihn die Sefuiten durch die roͤmiſche Curie vers dammen.

17°

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Das Ballen, im Orient allgemein gebraͤnchlich, von Jeſus felbft ald ein Huͤlfſmittel zus Erhebung des Geiſtes über Verſuchung und Traurigkeit be⸗ zeichnet, aber keineswegs als regelmaͤßige Uebung verordnet!), iſt von den

ZJuden auf die Chrifien übergegangen. Demzuwider wurden ſchon früher beſtimmte Faſttage felgeiegt und die katholiſche Kirche hat eine Anzahl der⸗ felben gegenwärtig noch beibehalten ; auch Die lutheriſche kündigte noch hier und da Öffentlidte Fafttage an. Im Allgemeinen unterſcheidet ſich das hrift- liche Faſten, nınwenslich der Eurspäer, vom altfübiiden dadurch, daß es ſich hauptſaͤchlich auf Enthaltung von Fleiſchſpeiſen bezieht, wobei jedoch dem Fiſchen kein Fleiſch zugeichrieben wird, obwohl fie bekanntlich nicht aus Sauter Gräten beſtehen. Das vierzigtägige Baften vor Oſtern bat tie Bäl- fer durch Erneuerung der altrömtidıen Saturnalien einigermaßen mit ſich zu derfoͤhnen gewaßt. Die Mummerei der deutichen Faſtnachtszeit und des italieniſchen Carneval it aber nicht immer von der Kirche ungerügt geblie⸗ ben; denn ernfte Stimmen klagten darüber: „Da die Ehriften an dieſen Tagen vorſätzlich raſeten, um vor den Faſten den alten Adam nod einmal austoben zu laſſen, fo banden fie Larven vor, tauſchten in ihren Kleidun⸗ gen die Geſchlechter, gaben fidh ungefcheut Dem Bacchus und der Venus hin und hielten allen Muthwillen für erlaubt. * Die Selbfiprinigungen zur Ertödtung bed Fleiſches wurden in der "Kirche erſt recht Mode, als fonft Niemand mehr tie Chriſten peinigte, außer fie ſelbſt. Konnte vie Gewaltthat der Heiden Feine «Heiligen mehr machen, ‚fe machten Me Ghriſten durch Grauſamkeit gegen das eigene Fleiſch ſich ſelbſt zu Heiligen. Die heftige Meigung der Orientalen und Afrikaner zer Wolluſt was uͤbrigens wine eben fo wichtige Beranlaffung zu ſolcher Askeſe. . Darım ift fie auch von ihnen ausgegangen. Daß geflebt der heil. Hierond⸗ mus in einer Epiftel an Euſtachius ehrlih ein. Ihn felbft, der zwar von Geburt Erin Drientale war, aber in Rom die Ausſchweifungen kennen gelernt hatte, peinigte während feines Aufenthalts in der Einöde die Sinnlichkeit dermaßen, daß er ſich halb todt faftete, fich mit einem groben Sad bekleidete, ‚feinen Uugen den Schlaf vermehrte und.oft laut auffchreiend feine Bruft mit Bäuften und: Steinen jhlug?). Das merkwürdigſte Beiſpiel eines Selbft-

9) Matth. 6, 16-1859, 14-47, | 2) Ruther, in feinen Tifchreden Graukf. A. v. 3. 2576, Fol. 3225), ſpricht in feiner derben und braftifchen Manier davon, daß „auch die Heilige Bäter in der Rinden

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an

quälerd it Simeon Stylites, Der Säulenheilige, ein Syrier von Geburt, wel⸗ der 30 Jahre lang auf einer 60 Fuß hohen Säule aller Unbill des Witte rung treßte. Gr verſchied auf feiner Säule (im 3. A541), nachdem er wäh- rend der ganzen Zeit Schanren von Wallfahrera Buße gepredigt, hen Horden ber Araber Recht gefproden und ſelbſt dem Kaifer feine Hatbfchläge ertheilt hatte. Eine beſonders gebräuchliche Art, fich zu Fafleien, war bie Geißelung entweder mit eigener oder von frem.er Sand. Im Mittelalter wurde fir aufs Eifrigfte angewendet. Höchſt eigenthümlich muß die Breude Konıada von Warburg, des Beichtvaters der Landgraͤfin Eliſabeth von Thüringen, geweien fein, dab es ihm gelang, durch Geißelungen das Irdiſche in jeinem Beichtkind zu ertötten. Auch die Enthaltung vom Genuß des Weines ge

hüört zur Askeſe und galt ſchon im 2. und 3, Jahrh. bie und da für ver⸗

dienſtlich. Im Mittelalters ward Die Selbfiquälerei immer erfinderiider. Man waltfahrtete mit Erbien in den Schuhen, trug Eifenringe oder Ketten am ven Leib und einzelne Glieder und brachte ſich die 7 Wunden deö Gar löfers bei. Ind Groteske fallen die Selbfterniedrigungen, welde Hd im 13. Jahrhundert Jakobus de Benedictis anthat. Bet der Hochzeitäfeier feiner Nichte erſchien er, die Eitelfeiten der Welt zu verböhnen, mit geihrer- tem und gefedertem Leibe. Ein ander Dal erfchien er fplitternadt, einen Sattel auf dem Rüden und einen Zaum int Munde, auf allen Bieren Fries hend, vor allem Volke auf öffentlichen Marfte, jo daß männiglich ſich ent- fegte._ Als Damiani und die Bettelorden mit beredter Zunge die Geißelung als eines der verdienflichften Werke empfahlen, erhoben ftch von Perugia aus und ſteckten mit ihrem Wahnfinn aud das Übrige Italien an lange Büge Büßender, die, entblößt bis zum Gürtel, fich öffentlich bis aufs Blut

haben Fleilſchliche lüfe gehabt, daarumb man den Celibatum meiden vnd sinfam leben fliehen fol.“ Gr jagt unter Anderem: „Sanıt Augußinus, ſchon ein alter Mann, Magt wber die naͤchtigen Pollution. S. Hieronymus flug feine Bruß mit einem Steine, fo befftig war er angefochten, gleichwol welt es nicht helfen , kondte dem vhel wicht ſteuwren vnd fondte bie Jungfraw io er gu Rom am Tang geſehen Hatte, vicht auß dem Hertzen fchlagen. Franciſeus der Barfüßee Moͤnch machte Schmeeballen, herbei nd füflet fie, daß jm die böfe Luſt vergehen folt. Sauct Benedicius legte ſich uniee wie Dörner. Denn wenn jm die böfe Luft enfame, fo zog er ſich nacket auf und Irgis ſich in die Döner vnd zerkratzt den Arß gar wol. Bernharbus-caftenste ſich vnd machte fein Leib ſo muͤde und malt, daß jm der Athem jo vbel and und roch, dag nisments vmb jn bleiben kondte“.

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geißelten?). Doch der , ſchwarze Tod" mußte erft feine Hippe ſchwingen, bevor das nüchternere Deutſchland (1349) von jener geiftigen Veſt angeftedt wurde. Bon da an fam es in Uebung, bei großen Landplagen dur Beißlerzüge die zürnende Gottheit zu verföhnen. Es bildeten fi ſogar förmliche Geißlervereine und das tolle Weſen nahm überband, bis das Goncil von Conſtanz abmahnte und an einzelnen Orten, wie 3. B. in Thů⸗ ringen, das geiftlide Bericht einfhrit. Nur allgemah und nicht ohne Widerftand nahm die Beißelepivemie ein Ente, um fortan im flillen Kaͤm⸗ merlein ihre Macht auszuüben. Das würdige Seitenftüd zu den Flagellan⸗ ten bildeten zur jelben Zeit die Tänzer, in denen ſich der finnliche Bußkrampf kaum minder graufam äußerte. Wie jenen die Arm- und Rückenmuskeln, fo zuckten diefen die Beinmuskeln convulftvifh vor Höllenfurdht und Buß⸗ fertigteit,, daher ihr Tanz ebenfalls anftedend war. Die Erorciflen fanden an diefer Tanzwuth ein ſchönes Object der Wirkfamkeit und glaubten die tänzerifche Beſeſſenheit vornämlich durch Anrufung von Sancı Veit heilen . zu können. Bon daher flammt die Benennung Beitstanz.

Großes Unheil bat der Ausſpruch des Apoſtels Paulus angerichtet: „Wer feine Toter zur Ehe gibt, thut wohl, wer fie aber nit zur Ehe gibt, der thut beſſer“. In den erften Jahrhunderten fon las man dergleichen

3) Der Beginn des Flagellantismus im Großen, der Anfang der Geißelfahrten, iR, wenn auch die ganze Erſcheinung mit Wahrfcheinfichfeit auf den heil. Antonius von Vadua (ft. 1231) zurüdgeführt werden fann, wohl unzweifelhaft in das Jahr 1360 zu feßen. Damals, wo Italien in Folge der Kämpfe zwilchen Raifer und Bapft zur Wüfte geworden war, wo die furchtbare Zerrüttung aller fozialen und moralifchen Berhältnifie eine ſchwaͤrmeriſche religiöfe Aufregung begünftigte, wo endlich die welſiſch⸗paͤpſtliche Partei nad den Siegen Manfreds und der Shibellinen einem neuen Smpuls mit Bes gierde nachkam, damals ging von der welfifhen Stadt Perugia der Ruf zur Buße und zu einer allgemeinen Geißelfahrt aus. Vgl. MeyersMerian a. a. O., we ©. 191 fg. diefer Gelehrte eine ſehr fleißige und anfchauliche Schilderung des flagellantis fhen Treibens gegeben hat, und Förſtemann: „Die chriſtlichen Geißlergeſellſchaften““. Zeitgenoͤſſiſche Quellen find: Die Limburger Chronik, die Elfaͤſſiſche Chronik von Clo⸗ fener und Koͤnigehoven, die Oberrheinifche Chrenik, Wurſtiſens Baslerchronif, das Chronikon des Albert von Straßburg. Die Limburger Chronik beſchreibt die ,, Gei⸗ feler‘‘ in ihrem Bericht über das Jahr 1349 ausführlich. Deutfchland muß ordentlich neu aufgeatmet haben, als es von den Schredien des fchwarzen Todes, ber Judenfchlachten und Beißlerzüge erläft war. Die Limburger Chronik fagt: „Darnach (1350) da das

Sterben, die Geißelfahrt und Judenſchlacht ein Ende hatte, Hub die Welt wieter an zu leben und fröhlich zu fein.‘

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Stellen nicht immer im Zufammenbang. Bereits im 2. Jahrhundert galt das Gelübde ewiger Keufchheit für verdienfllih, die Ehe der Beiftlichen, beſonders das Eingehen der zweiten Ehe, ward feheel angefehen, Sungfrauen gelobten fih ald Bräute dem Herrn und wagten es, nicht immer ungeftraft, durch vertrauted Zufammenleben mit Geiftlichen auf jhwefterlichem Fuße der Macht des geſchlechtlichen Triebed Trog zu bieten. Bu Anfang ded A. Jahr⸗ hunderts tauchten ſchon bie und da Belege auf, weldhe dem Klerus die Ver⸗ ebelihung nad der Ordination verbieten wollten, ein deutliches Zeichen, wie das Volk auf äußerlihe Auszeichnung des Kleriterd Werth zu legen anfing, und zugleih, wie mächtig jener finftere Geift war, welder den Naturtrieb als etwas an fih Sündliches verdammte. Zu Nicäa verhinderte der Wider⸗ fand des firengen Confeſſors Paphnutius, der geichlechtlid in völliger Ent- haltſamkeit gelebt, allgemeine Gölibatgefege. Aber die trullanijche Synode verpflichtete die Bifchöfe, fih von ihren Gattinnen zu trennen. Seit 385 beſtimmten einzelne Provinzialſynoden des Abendlandes nur die Subdiako⸗ nen dürfen ihre Frauen behalten. Daß Anfehen der in Ehelofigfeit leben⸗ den Mönche ſtimmte zulegt die öffentliche Meinung für allgemeine Ehelofig⸗ feit der Geiſtlichen 4), Wie endlich Gregor VII. die Ehelofigfeit der Geiſt⸗ lichen zum allgemeinen Kirchengefeg erhob, haben wir gefehen. Furchtbares Sittenverderbniß unter der Beiftlichkeit, gefleigert bis zur unnatürlichfien Berirrung, war tie Folge. Im Mittelalter; dem geſchlechtlich⸗naiven, erregte dad Concubinat der Beiftlichen weniger Aergerniß. Nach der Refor⸗ mation, ald die Kirchenzucht der Fatholifchen Kirche und die öffentliche Mei⸗ nung bierin firenger wurden, mußte der Kindermord öffentliches Scandal gerhüten. Im neuerer Zeit gehören Prozeſſe, wie der des Pfarrers Riem⸗ bauer, zu ten furdhtbarften Anklägern des Cölibats. Luther und Zwingli

4) ,, Aber darnach, da die Zeit deß zorns, wütens vnd blindheit kam, nam die Lügen vberhand und trieb die Wahrheit auß, alſo, daß fle auch das arme, vnſchuldige Weiber Böldtin gar verachteten für groffer Heiligkeit und heuchelen. Doch Löfet vieler einiger Spruch Chriſti alle re Argumente und Gruͤnde auff, verwirfft und macht fie zu⸗ fhanten. Nemlih, Bott fchuff ein Männlin und Frewlin. Wiewol die lieben Vaͤte (Kirchenvaͤter) vngeſchickt vnd vngereimt gnug vom Cheſtande ſchreiben. Warlich groſſe Narren finds geweſt, die mit vielen Geſetzen die Che, ſo doch Gottes ordnung vnd geſtifft iſt, nicht haben woͤllen freylaſſen vnd geſtatten. Es iſt fürwar ein wuͤnder⸗ lich und vnſelig Mandat vnd verbot, die Ehe nicht zuzulaſſen, fo doch der heilige Mann Baphuutius das Eheliche Beylager eine Keufchheit Heißt‘. Luthers Tifchreben, Fol. 329, . |

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haben durch Wort und Beifpiel die Ehe wieder gehelligt und den Getftlichen wieder zum ganzen Menfchen gemacht.

11.

Zum Gebiet der chriftlihen Aokeſe gebört als ein Haupttheil das Ein⸗ ſtedler⸗ und Mönchsweſen, deſſen Geſchichte jo. reich ift an Beweiſen ‘Alles überwindender Willengkraft, wie an’ abſchreckendſten Erſcheinungen der Graufamkeit und des religioſen Wahnfinns. Sie zeigt uns eben jo häufig, daß der Sterbliche nicht immer ungeftraft die Schranken feiner körperlichen Natur vergißt, als fie und darauf hinweiſt, wie viel unabhängiger der Menjchengeift von feiner irdiſchen Hülle iſt al8 der gemeine Materialismus unferes Beitalters glauben machen will, Freilich wurde dieſe Geiſteskraft der Askeſe zumeift an den Unflnn verfehwendet; allein wer Welt und Men⸗ fen fennt, wird fih darüber nicht allzufehr ärgern. Es war eines der wahrften Worte, die je geiprochen wurden, als Schiller fagte: „Berftand tft fletß bei Wen'gen nur gewefen “.

Schon im 3. Jahrhundert, als die Berfolgungen des Derius und Dioele⸗ tian ſtrengeren Kirchenlehrern für Strafgerichte Gottes über die allmälig entartende Kirche galten, trat eine moraliſche Scheidung unter den Chriſten ein in Solche, die ſich nur zur Befolgung der eigentlichen Sittengeſehze ver⸗ pflichtet hielten, und Solche, denen völlige Weltentſagung für das allein wahre Chriſtenthum galt, die jedes weltliche Vergnügen für eine Berlodung bes Teufels hielten und die Erde als ein von Gott verordnete Jammerthal - betrachteten. Je mehr die EhHriftenheit in die gegebenen Weltverhältniffe . bineingezogen wurde, defto flärker empfanden dieſe einjeitigen Eiferer den Trieb, die Welt zu fliehen ; denn fie bedadhten nicht, daß das Chriſtenthum in die Welt eingehen müſſe, um diefelbe zu überwinden. Zu den berühm⸗

teften Eremiten des 3. Jahrhunderts gehört Paulus von Theben, welcher ſeit der Verfolgung unter Decins in einer Höhle der Wüfte, nur. von einer Valme genährt, fein Leben zugebradht hatte, bi8 ihn 340 Anto= nius flerbend fand. Diejer, gebürtig aus der Thebaiß in Aegypten, durch die Erzählung des Evangeliums vom reichen Jüngling, wie fpäter- bin Franz von Affift, Heftig erichüttert, hatte Haus und Familie ver⸗ laſſen, un in der Wüſte ganz der „Himmlifchen Philoſophie“ gu beben. Zum Berge Kolzim am rorhen Meere, wo er fih aufhielt, z0g der Muf feiner

265 Bikonen ?), jeiner Wunderkraft und firengen Lebensweiſe bald Taufente von Nachahmern hin. Da fekbft Konſtantin dem Wundermann Aegyptens tiefe Verehrung bezeugte und dadurch das Leben in der Entfagung in den Augen des Volkes zur Heiligenwuͤrde erhob, fo vereinigte fih mit der Wun⸗ derſucht aud) der Ehrgeiz, die Wüſte mit Eremiten zu bevölfern. Auch das weibliche Gefchlecht folgte dem allgemeinen Zuge und bald fah ſich Pacho⸗ mins, ein Schüler des Antonius, veranlaßt, um 340 auf der Niliniel Ta- benna Klöfter für die beiderjeitigen Geſchlechter zu gründen. Dazu mochte tun unter Anderem auch das Vorbild der alten Therapeutengemeinden be⸗ wegen. Die Lebensregeln, welche er feinen Klöftern gab, wurden von ber Ueberſchwaͤnglichkeit, welche das Mönchsleben mit demjenigen der Engel vers glich, als die englifche Disziplin bezeichnet. Die volkreihe Stadt Oryrhyn⸗ dub widmete fih, getrieben durch das Beifpiel der nahen Klöfter, zum größe ten Theile dem Mönchsleben. Zehntauſend Frauen und zwanzigtauſend Männer gaben fich den mönchiſchen Lebendregeln hin. Ungefähr um die naͤmliche Zeit ftiftete Hilarion in der Wüfte Gaza Klöfter nach eigener Regel. Bon dort aus verbreiteren fie fich ſchnell und zahlreich über ganz Baläftind. An der Küfte des ſchwarzen Meered gründete Bafllius, Erzbiſchof von Eä- farea, um 360 eine Menge von Klöftern, wiederum nach befonderer Regel. Daffefbe that um 370 der Biſchof Martin von Tours in Gallien. Um 341 führte Athanaſtus, des Antonius Freund und Verehrer, das Mönchsweſen auch in Rom ein und in Eurzer Zeit erhoben ſtch zahlreiche Klöfter auf den Trümmern der heidnifihen Tempel, felbft inmitten des Forums. Gegen Ente des A. Jahrhunderts war Faum mehr ein Land der Chriftenhett zu finden, wo nicht bereits Klöfter eriftirt hätten,

So verfihieden die Ordensregeln waren, alle Iiefen hinaus auf blinden Gehorſam gegen die Befehle des Kloſtervorſtehers (des Archimandriten oder Abtes), Abtödtung der finnfichen Triebe, völlige Armuth und gänzlide Weltentfagung. Furchtbare Strafgeſetze wußten ten Gehorſam aufrecht zu erhalten. Kerker, Geißelung bis aufs Blut, überrriebene Baften. waren

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4) Die Cinſamkeit, verbunden mit Aufechtungen der Wolluſt und harter Asleſe, fpiegelte feiner Acht ägyptiihen Phantafle allerlei teuflifche Erfcheinungen vor. Webers haupt hat die Askeſe bei vielen Gremiten und Mönchen oft ſolche Vorfpiegelungen ber Phaniafie hervorgerufen. 86 erfihienen ihnen gute und böfe Geiſter, fie vernahmen überiedifche Stimmen, Himmel und Hölle öffneten ſich vor ihrem innern Auge. Diefe Phantasmen find zu einem unerichöpflichen Born ter Heiligenlegende geworben.

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anf geringe Bergehungen geiegt. Die Sedulbsübungen, welche den aͤgypti⸗ fchen Mönchen auferlegt wurden, beftanden meift in frudtlofer Anftrengung ihrer körperlichen Kräfte. Im Uebrigen erhielten fi die Mönche tiefer erften Zeit durch die Arbeit ihrer Hände, durch Land = und Gartenbau, wo dies anging, oder in der afrikaniſchen Wüſte durch Flechten von Matten und anderem Beräthe aus Palmenfafern. Anfangs wurde gegen Diejenigen, welche wieter in die Welt zurüdfehren wollten, Teine Gewalt geübt. Als aber der Fanatismus für das „englifche Leben * erft erflarkt war, ließ man nad) vollendetem Noviziat (Probezeit) den Eintretenden unverbrüchliche Treue ſchwören und Staat und Kirche vereinigten ſich, den eidbrüchigen Flüchtling der Strafe. feined Vorgeſetzten auszuliefern. Nur Wahnfinn oder Tod konnten fortan den Unglüdlichen befreien, welchen Mißhandlungen, Nacht⸗ wachen, Baften, Unterdrückung aller natürlichen Triebe mit ſich jelbft entzweit batten2). In der Kleidung richteten fih die Mönche gewöhnlich nach der Natur und Lebensweife ihres Lantes. Vorgeſchriebene Ordenskleider kamen erſt fpäter auf. Aber ſchon damals raftrten. ſich bie Mönde das Haupthaar, den Sklaven „ähnlich zu jheinen. Im 5. Jahrhundert ahmte dies ber römische Klerus infoweit nad, daß er fi eine Platte auf dem Scheitel ſchor (Tonfur des Petrus). Die britiiche Kirche blieb bei der ohnehin landes⸗ üblichen Abſcheerung des Vorderhauptes (Tonſur à la Paulus). Um alle Augenluft zu meiden, bevedten die Mönche ihr Haupt mit einer Kapuze. Die älteſten Klöfter Aegyptens beflanden aus ſchlechten, in regelmäßige’ Straßen eingetheilten Hütten, einer Kirche, einem Krankenhaus, einigen Geſchaͤftszimmern, einem Garten und Brunnen, Alles durch eine gemeinſchaft⸗ liche Mauer gegen bie Außenwelt abgefperrt. Die Mönde der firengeren Orden fchliefen auf dem nackten Erdboden oder auf Matten oder einem rohen Tuch. Nachts wurden ſie zu beſtimmter Zeit durd ein Horn⸗ oter Trom⸗ petenfignal zum gemeinfamen Gotteödienft gewedt. Daß ein folches Leben bei gemöhnlichen Naturen alles wärmere Gefühl ertödten mußte und ben legten Reſt des Gemüthslebens in Teidenfchaftlihen Glaubenseifer zuſammen⸗ drängte, verſteht ſich von ſelbſt. Dies und der unbedingte Gehorſam, ſowie der Mangel an Geiſtesbildung, eignete die Mönche zu einem gefährlichen

2) Opfer fallen hier, Meder Lamm noch Stier, Aber Menfchenopfer unerbört. Goͤthe.

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Heer in der Hand gewaltthätiger Biichöfe, welches in Glaubensſachen oft mit Kauft und Knittel entſchied. Die kaiſerlichen Truppen follen einen Kampf mit ihnen weit mehr, ald mit den wildeflen Barbaren geſcheut haben.

Durch die Stiftung der Klöfler war aber das Einfledlerwefen keines⸗ wegd aufgehoben worten. Es gab vielmehr Asketen, denen felbit das Klofterleben nicht ſtreng genug war, theild weil fie ſich felbft noch flärker quälen und erniedrigen wollten, ald die Ordensregeln geftatteten, theil® weil ſte die völlige Einſamkeit, fomit die gänzliche Unterdrüdung des Ge⸗ felligfeitötriebes,, in den Klöflern vermißten. Deßwegen verfchmähten die Einen das Klofterleben von vorneherein, Andere verließen Die Klöfter, um als Anacoreten zu leben. Die Kloftermönde hießen im Gegenfag zu diefen Cõnobiten (gefellig Lebende), Die Anachoreten übertrieben die Selbſt⸗ peinigung und Selbfterniedrigung bis zum Aeußerften. Im buchſtäblichen Sinne nahmen fie dad Kreuz Chrifti auf ſich, trugen ſchwere Ketten, Bein⸗ fhienen, Arm» und Haldbänder von Eifen. Männliche und weibliche Ein⸗ fledler entjagten felbft den Kleidern, fo daß ihre Leider ſich nach und nad mit Haaren bedeckten. Dazu gehörte no, daß Etliche in Mefopotamien den Nebufadnezar nadrahmten, und St. Ephraͤm hat eine begeifterte Lobrede auf diefe grafenden Heiligen verfaßt.

Schon im 4. Jahrhundert begannen die Klöfter ſich zu bereichern durch die großartigen Beichenfe Derer, welche das „engelgleiche Leben” bewunderten, durch die Opferfreudigfeit der Novizen, welche beim Eintritt meift alle ihre Habe auf das Klofter übertrugen, und durch zahlreiche Ver⸗ maͤchtniſſe. Diele betrachteten zwar ihre Geſchenke ald Wohlthaten zu Gunr fien der Armen und allerdings verwendeten die Mönde und Nonnen, fo fange fle noch nicht felbftfüchtig und üppig geworden, den größten Theil der milden Gaben zum angegebenen Bwede. Doc nicht lange widerſtanden fie dem dämonifchen Einfluß des Reichthuma. Die Arbeit ruhte, die Klöfter wurden rei und die Noth der Zeit nicht minder, als der Hang zu ſorg⸗ loſem Müßiggange lockte Tauſende in die „beiligen-Mauern*. Man wähne nicht, Daß diefer Uebelftand verborgen geblieben ſei. Schon zur Zeit des Chryſoſtomus fuchten die Vernünftigern dem Zudrang zum Möndeleben gu fleuern.

Bei allen Schattenfeiten jedoch, welche das Mönchsweſen von Anfang an darbietet, Darf nicht vergeffen werden, daß es der Wiflenfchaft bedeutende Dienfte geleiftet Hat. Es gab doch auch Anachoreten, welche ihre Einſamkeit

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buch das Sindium kirchlicher une weltlicher Wiſſenſchaft zu erheitern wußten. Sie haben viele griechiſch⸗ römiſche Caſſtker durch ihre Abſchriften der Nachwelt erhalten. Die Mönche von Aegypten, von Gallien und Italien befehäftigten ſich, fo viele ihrer Dazu Geſchick und Neigung hatten, mit Bücherabfchreiten. Befonders lenkte Eafliodor die Mönche feines Kloſtert Vivareſe auf gelehrte Studien hin, denen er einen hinlaͤnglich weiten Spiel raum geflattete. Am meiſten bat fih um Wiſſenſchaft, Schulweien ums Urbarmachung öder Landſtriche der Benebietinerorben verdient gemacht. Er trägt den Damen feines Stifter, des Benedict von Nurfia, welcher ihn 529 im Kloſter Monte Caſſino nach milden aber mit unverbrũchlichen Gelübden ver» bundenen Regeln gründete. Durch dieſe Stiftung nad neuer Hegel trat Bene» dict als Reformator des in Ueppigkeit und Unfittlichkeit verfunfenen Klofter- lebens auf. Zeugniſſe folhen Berfalld And die Verbote des 6. umd 7.

: aligemeinen Concils, es dürfte feine Brau eine Nacht in einem Mannsflofter

: und fein Mann eine Nacht in einem Zrauenflofter zubringen, au bürften

A Beine aus beiden Geſchlechtern gemiſchte Klöſter errichtet werden. ‚rc Das abendländifche Mönchsweſen hat in vielen Beziehungen einen ganz

andern Charakter angenommen , ald das morgenländiiche und afrikaniſche. on Selbftpeinigung ward, beionderd was dic Faflen betrifft, bei Weitene

* nicht in dem Maaße wie im Orient und in Afrika übertrieben. Im Allge⸗ - meinen neigten ſich die europäifchen Möndıe mehr zu geiftiger Beichäftigung

I 206)

hin. Seit dem 10. Jahrhundert galten Die Klöfter nit mehr als Laien⸗ gemeinden; ihre Bewohner traten in den geiftlichen Stand und fingen ſeit dem 11. Zahrhundert an, zur Verrichtung weltlicher Geſchäfte Laienbrüder aufzunehmen. Die Entfichung von Kongregationen, deren Stellung zu den kirchlichen Obern ſehr verſchieden war, die Bervielfältigung der Orbensregeln, das Beftreben, den Geift jeded Ordens durch defien Gewand anfchaulich zu "machen, 'veranlaßten die Entfichung befonderer Orbenstrahten. Durch Entziehung von bifchöflicher Aufftht wurten die meiſten Orden unmittelbare Diener des Papſtes, und die Mönche vornämlich waren das flegreidhe Heer, welches dem Gölibatögefeg Gregors VIL., oft mit Gewalt, Beltung ver⸗ ſchaffte. Ihr wohldisziplinirter Banatiömus war überhaupt die furdyt- barfle Waffe der Paͤpſte gegen Irrichrer und Sekten. Zum Kreuzzug gegen Die Mohammedaner, wie gegen bie Ketzer wußten fle die Völker mit gleicher Kraft zu begeiſtern. Ihre großen Veflgungen, Anfangs durch Bebauung weiter Wildnifie erworben, fpäter durch Geſchenke und Erbichaften vermehrt,

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Verichafften ihnen auch große weltliche Gewalt; denn kraft des Tehnsrecktes erwarben fe ſich dur dieſelben zahlreiche Bafallen, wie denn 3.2. im 11. Jahrhundert der Abt von Lorſch 1200 Mitter zum Kriegsdienft ftellte. Außerdem erklärten ſich viele freie Bauern, um den Plackereien der adeligen Eeuteſchinder zu entgehen, zu Unterthanen ter Klöſter. Aber mit Reich⸗ thum und Macht wuchs auch die Lieppigfeit und linfittlichfeit ber Klöfter. Bon den reihen Bewohnern Clugnys berichtet der heil. Bernhard, fle Hätten ſich allzeit die feinften Stoffe für ihre Gewaͤnder ausgeſucht, in Bezug auf die Weine meifterliche Kennerſchaft an den Tag gelegt und auch die Koch⸗ Eunft nicht verachtet. Died waren noch barmloje Mängel. Inden Zeiten ibreß tiefften Verfall, im 14. und 15. Jahrhundert, Hatte die Möncherei und Nonnerei befanntlicd noch ganz andere aufzuweifen und bat fie nrit naioſter Schamlofigfeit auch wirklich . aufgewiefen. Die Schwänfe= und Sotenliteratur ded 14. und 15., die grobianiiche des 16. Jahrhunderts gibt ausreichendes Zeugniß, wohin ed damals mit den drei Möfterlichen Gelübden, Gehorſam, Armuth und Keufchheit, gelommen war.

In das Volksleben, in die Eirchlichen und fozialen Bexhältniffe des ſpaͤteren Mittelalters haben beſonders bie zu Anfang des 13. Jahrhunderts gegründeten zwei großen Bettelerven der Dominikaner und Branzißfaner lebhaft eingegriffen. Jene, -geftiftet durch den farsatifchen Spanier Domi- nifus Guzman und zunachft gegen die Albigenier beflimmt, hatten ben Rampf gegen tie Ketzerei, diele, von dem „feraphiichen Bater*, dem angeb- lichen Wundertbäter und wirflihen Schwärmer und Kyniker gran von ARE geſtiftet, hatten Bußpredigt und, Arwennficge zum uaupingenden Oꝛdenszweck. Beide Orben fanden vermittelſt ihrer Mrdensgenerale unter alleinigem Gehorſam des Papfted, welcher Durch die Heere von Bettelmönden üser die Hergen der Bölfer gebot. Beide bemärhtigten fi des Bemüther durch ſteißige Benupung des Vorrechts, überall Beichte zu hören, geriethen aber dadurch nicht felten in ärgerliche Streitigkeiten mit der übrigen Geiſtlichkeit. Aus beiden Orden find berühmte Univerſttätslehrer her⸗ vorgegangen, Zwei große Parteien unter den Schulaftifern tragen ihre Namen von Bettelmönden, die Thomiften von dem Dominikaner Ihomas von Amino und die Scotffien von dem Franziskaner Duns Scotus. Ranger ald tie Domintfaner blieben die Franziskaner dein Gelübde frei⸗ williger Armuth getreu, und aud dann, als die Franziskanerklöſter ſich reich gebettelt hatten, war der Geiſt des Stifters noch fo mächtig, dab fid die

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Partei der Spiritualen, welche an jenem Geluͤbde fefthielt, vom Orden aub« fhieb und e8, nach mannigfachen, oft blutigen Verfolgungen,, gegen VPaͤpfte und Inquifitoren durdhfegte, als Brüder der firengen Obfervanz unter eige- nen Vorſtehern anerkannt zu werden. Während dieſes Kampfes hatten bie Spiritualen eine dem Papſt entſchieden feindfelige Stellung angenommen und den Kaifer Ludwig den Baier gegen jenen mädtig unterflügt. Sie waren die einzigen Mönche gewefen, welche dem päpftlichen Interdict gegen die Faiferlih gefinnten Städte und Länder zum Trog die kirchlichen Bunctie= nen dafelbft ausübten.

In Hinfiht des Cultus wurden etliche Orden von fpezieller Beftim- mung gefliftet,, wie 3. B. der Servitenorden zur Beier der göttlichen Jung⸗ frau und ihres Schmerzes, im Jahr 1233. Gegen die Zeit der Reforma- tion hin war das Mönchsweſen in allgemeinem Berfall begriffen. Die Mirakel ihrer Drdensheiligen fanden wenig Glauben mehr. Die Unwiffen- beit, Roheit und Sittenlofigfeit der Mönche waren Gegenſtände allgemeinen Spottes und Aergerniffes. In den Nonnenflöftern wurden bie Wände gar zu laut von Kindern befchrieen. Wenig half es, dag. tie Päpfte faft alle Drvendftifter Heilig oder wenigſtens felig geſprochen Hatten, die über» fchüffigen Verdienſte derfelben ſchienen dur die Sünden ihrer Ordens⸗ glieder vollftändig aufgebraudt zu fein. Man kam allmälig zu der Er- kenntniß, dab das Mönchsleben kein befonderes Verbienft vor Bott begründe, wie die Kirche lehrte; und wer noch Ablaß begehrte, nahm ihn lieber aus dem allgemeinen Schag aller Heiligen, als von demjenigen eines einzelnen Ordens, z. B. von demjenigen ber Franziskaner, deren Portiuncula⸗Ablaß ihnen beſonders große Reichthümer verjchafft hatte. Es konnte auch nicht viel zur Befeſtigung mönchiſchen Anfehens beitragen, Daß Knaben bisweilen die Würde ton Aebten befleideten, und noch wentger, daß die gefammte Möncherei fih zum Dämpfer des neu erwachten Lichtes bergab. Gleichwohl ift in Deutſchland von einem Mönche die Reformation ausgegangen, mie denn die Beſſeren dieſes Gefchlehts far immer in offenen oder geheimen Bwieipalt mit der Kirche geratben find). Die geiflige Schwingung des

3) In ofenen Gegenſatz zu der Kirche war beſonders der 1260 von Gherardo Segarelli gegründete Apoftelorden getreten, welcher die Armuth des apoflolifchen Lebens wiederherzuftellen unternahm und das Kommen des Reiches Gottes verfündigte. Unter

* dem Mailänder Dolcino artete der Orden (eine Art Bettelorden) aus, doch zählen wir u feinen Ausartungen nit, ‚daß er das Schwert gegen die Inauifltion ergriff.

. 271 Reformationszeiralter bat übrigens, wie auf den Katholicismus überhaupt, fo auch auf die Moͤncherei und Nonneret wenigſtens einigermaßen reformi- ftifch eingewirft. Dann haben das 48. und 19. Jahrhundert tüchtig unter den Klöftern aufgeräumt, aber in unferen Tagen vermehren ſich dieſe An⸗ ftalten wieder in fehr beveutendem Maaße. Go ebbt und flutet die Mei- nung der Menfchen über das, was fie für religiöß und verdienſtlich halten.

In weit geringerem Grade als in der äbendländifchen Möncherei findet fi Bewegung, Entwicklung und Veränderung im Mönchsweſen ber griechie ſchen Kirche, obwohl es in dieſer eine fo hervorragende Rolle fpielte, daß die meiften Biihöfe aus ben Mönden gennmmen wurden. Der griedhifchen Kirche eigenthümlich ift aber der Mönchöverein der Heſychaſten, ſpottweiſe Nabelbeihauer genannt, welchen der Abt Barlaam 1340 auf dem Berge Athos entdeckte. Ohne die Vermittlung Chriſti meinten diefe Schwärmer durch flille Beichaulichkeit, vornämlich, wie Barlaam fagte, durch Yirirung ihres Blickes auf den Nabel, in einen Zuſtand verjegt zu werden, wo fle

"mit Teiblihem Auge Lad unerfchaffene Gotteslicht fchauen könnten. Drei

Synoden zu Konftantinopel fanctionirten 1341—50 nad den feinften Er⸗ Örterungen und gröbften Prügeleien zwifchen Hefochaften und Antiheſychaſten das Streben ter ſtillen Mönche; nur follten fie bedenfen, daß jenes anſchau⸗ bare Gotteslicht dem eigentlichen Weſen Gottes untergeordnet fe. Das ganze Curioſum erinnert fehr auffallend an die brahmaniſche Joga ).

12,

Dom Mönchswefen find einzelne Befellfchaften und Orden ausgegangen, weiche einen befonderen Zweig des chriftliden Affochttionslchens bildeten. Man liebt es, unfer Jahrhundert als das Zeitalter der Affociation zu bezeich- nen, aber noch in weit höherem Grade verdient Das Mittelalter dieſe Bezeich⸗ nung. Wir können jebod aus der bunten Fülle des chriftlichemittelalter- lichen Bereinswefens nur einige der bedeutendften Erfcheinungen herausgreifen.

‚Wer jene Bülle Eennt, weiß, daß namentlich auch die im Urchriſtenthum lie⸗

gende Idee des Communismus wiederholt und vielfach nach Verwirklichung rang. Balls die Eommuniften unierer Tage die Kirchengefchichte genauer fennten, würden fie ſich weniger mit Originalität bräften. „Alles ſchon dagemwejen. *

4) Bol. Thl. I, ©. 128, bef. Anm. 6.

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Eine der merkwürbigften, jedoch keineswega mönchiſchen Affociationen des Mittelalters waren die Bauvereine oder Bauhütten. In den altrömi- ſchen Bauvereinen Britanniend Hatte dad Chriſtenthum befonders fchnelle Aufnahme und mächtigen Schuß gefunden. Diejenigen Bauvereine, welche zur Zeit Gregors des Großen daB altbritifche Kirchenthum gegen dad rö« mifche bewabrten,, hielten auch feft an den altrömiſchen Formen ihrer Aſſo⸗ ciation , ſoweit ſich diefelben mit dem Chriſtenthum vertrugen. Don einem ſolchen Bauverein, demjenigen in Dorf, der 926 eine eigene Verfaflung aufftellte, verbreiteten fih die Bauvereine über England und den enropäilchen Gontinent. Ihr Zweck war wefentlih die Förderung der kirchlichen Bau⸗ kunſt. Und fo Großes zu ſchaffen, wie die Nachwelt ihnen in der That zu vertanfen bat, bedurften fie firenger gefellichaftlicher Ordnungen. Der Meifter der Hütte führte die Sittenpolizei über die Genoſſen und ſaß dem von ihnen frei erwählten Schöffengericdhte vor. Lüderliche Mitglieder wur« den ohne Gnade außgeichloffen, Verlegung des Baugeheimniffes, weldyes aus Furcht vor Entweihung fireng bewahrt werden mußte, nicht minder Die PBrofanation der geheimen rfennungdzeihen (Wortzeihen, Gruß und Handſchenk) ward fireng geahndet. Sämmtliche Bauhütten Deutſchlands waren untereinander verbunden. Als Großmeiſter derſelben ward der Mei⸗ ſter der Straßburger Haupthütte anerkannt. Als die Franzoſen zu Ende des 17. Jahrhunderts Straßburg wegnahmen, ging der deutſche Bauhüt⸗ tenbund einer raſchen Auflöſung entgegen. Im 17. Jahrhundert waren in England unter denſelben Vereinsformen und Symbolen Vereine von nicht bauenden oder „angenommenen Maurern“ entſtanden, welche ſich die Be⸗ förderung der Humanität, die Erbauung der Menſchheit ſelber zu einem wahren Tempel Gottes als Zweck vorſetzten. Vollſtaͤndig ward dieſer Zweck ausgeſprochen durch Errichtung der Großloge, der erſten eigentlichen Frei⸗ maurerloge, in London 1717, von welcher ſich die Freimaurerei in Kurzem über das übrige Europa, beſonders das proteſtantiſche verbreitet hat. Welchen Schwankungen die Freimaurerei in der Folge unterworfen war, haben wir erwähnt. Von jefuitiſch⸗myſtiſchen Zuthaten reinigte ſich die deutſche Maurerei 1782 auf dem großen Convent in Wilhelmsbad bei Ha= nau und nahm das Syflem des Eflefticiamus au, d. 5. fie erhob zum Grundfag die praktiſche Humanität und Religtofttät mit Beifeitefegung aller eonfeiftonellen Unterfhiete. Im Uebrigen haben Maurer, wie Friedrich der Große, die Freimaurerei ein „großes Nichts“ oder eine „erhabene Kin⸗

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derei’’ genannt. Gegenwärtig ift fie faum noch mehr als eine Abart ber geheimen Bolizei in den Händen der Bureaufzatie.

Auch den Kriegerftamd ſuchte das Chrjſtenthum, fo viel es in feiner wittelalterlihen Borm konnte, zu durchdringen, In den Kreuzzügen er» wuchs, weſentlich veranlaßt durch Entſtehung der geiſtlichen Ritterorden, allmaͤlig die Vorſtellung von Dem chriftlichen Ritterthum als einem idealen Orden, deſſen Mitglieder zur Vertheidigung Der Kirche, der Wittwen und Waiſen, wie zur Meidung ungerechter Fehde verpflichtet ſeien. Dieſe Vor⸗ ſtellung beſiegelte die Kirche durch die religiöſen Ceremonien, durch welche fie den Eintritt des Edelknechtts, welcher als Nobize des Ritterthums er⸗ ſchien, in den Ritierſtand verherrlichte. Durch Gebet, naͤchtliche Waffen⸗ wache an heiliger Stätte, Beichte und Communion mußte er ſich vorberei⸗ ken auf den Ritterſchlag, den er nach abgelegtem Rittergelübde ) im Kreiſe von Rittern und Damen empfing. Das Ritterſchwert reichte ihm, mährend er im weißen Gewande des Täuflingd vor dem Altar knieete, die Hand des Prieſters. Der ritterliche Brauendienft fand feine religiöfe Begründung oder Rechtfertigung in tem durch die Kreuszüge aufs Höchſte gefleigerten Mariencultus, Die Kreuzzüge gaben auch den Anſtoß zur Gründung der geiftlichen Nitterorben der Templer und der Johanniter oder Hoſpitaliter (ipäter Rhodiſer und Maltefer genannt). Halb Priefter, halb Ritter, wa⸗ sen die Mitglieder zum Kampfe gegen die Ungläubigen verpflidtet. Die Templer nahmen ein frühes und tragifches, die Maltefer ein ſpaͤtes und Schmähliches Ende. Auch die Orden ter Deutſch⸗Herren und der Nitter von Calatrasa (in ihrer erfien Geſtalt) beruhten auf jemen möngpifch-ritter- Lichen Prinzipien. ° Erſtere fochten, wie Templer und Soßanniter gegen die Sarazenen, ihrerjeitd gegen die Heidnifchen Slaven in Breußen und Lit⸗ thauen, Xegtere gegen die Mauren in Spanien, Die weitere Geſchichte Dies fer Orden gehört nicht hieher. In unferen Tagen gibt es bekanntlich der Orden und der Ritter unzählige und ift das Ordensweſen an einem Punft angelangt, wo die. Erhabenpeit aufhört und die Lärherlichfeit beginnt.

13. Bei all ihren milden und graufamen, erbabenen und aberwißigen Eigenſchaften befaß die Hriftliche Kirche auch Humor. Sie ließ ihre Heilige

41) Welches neben den obengenannten Berpflichtungen auch die Treue gegen ben Lehnsherrn enthielt. Scherr, Geſch. d. Religion. II. 18

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ſten Anſtalten, deren Ausartung ihr wohl bewußt war, ungeſtraft zu gewiſ⸗ fen Zeiten verböhnen und gab fogar ihre Diener zur geiftlichen Poſſenreiße⸗ rei her. Nur bisweilen machte fie zu biefen Ausſchreitungen ein firenges und zorniges Geſicht und dann ergingen biſchöfliche und päpftliche Verbote gegen den Unfug, die aber wenig halfen. Erſt die Reformation bat ter Mutter Kirche ihre humoriſtiſchen Anwandlungen vergeben gemacht. Aber doch hat fie ſich erft in unferen Tagen auch noch des Lächelns entwöhnt, welches fie bis dahin wenigſtens zur Carnevalszeit ihren Kindern im Süten und Norden gezeigt hatte.

Früher, vor der Neformation, war das, wie ſchon geiagt, anders. Die chriſtlichen Feſte geflalteten fih da jehr oft zu heidniſch audgelaffenen Suturnalien. Zu Weihnachten miſchte in Sranfreih das Volk unter Die kirchlichen Gefänge allerlei Gaſſenhauer, oft unjauberfte. In Deutfchland hielt der Pöbel in der Chriſtnacht auf den Kirchhöfen unzüchtige Tänze. In vielen Gegenden war ed Brauch, daß am zweiten Öftertage die Weiber ihre Männer prügelten, welchen Liebeödienft die Männer am dritten Tage erwiederten, um anzudeuten, daß man in der chriſtlichen Ehe ſich gegenfeitig beffern folle, und zu verhindern, daß zu diefer Zeit Eines vom Andern die eheliche Pflicht fordere. Am Ofterfeft jelber erzählten die Geiſtlichen zur Entihädigung für die traurige Baftenzeit allerlei Schnurren und Schwänfe von der Kanzel herab, und je heller tie Gemeinde auflachte, defto beffer. Dies Oftergelächter galt zudem als &reudenzeichen über die Auferftehung des Herrn. Alle dieſe und noch andere Weihnachts- und Öfterpofien in der cisalpiniihen Kirche find ganz offenbar ein Nachklang der germanijch- und Eeltifch=heidntichen Winterfonnenwende- und Brüblingsopferfefte und der Damit verbunden gewejenen Aeußerungen ter Volksluſt.

Frankreich, wo die Luft an den Eartcaturen des Heiligſten“ am lau⸗ teften und unbezähmbarften geweſen zu fein fcheint, war auch die Heimat des berühmten Efelöfeftes * zu Ehren der Jungfrau Maria und zum Ge- bächtniß ihrer Flucht nach Aegypten: Auf einen abgerichteten Eſel ſetzte man das ſchönſte Mädchen der Stadt mit einem hübfchen Knäblein im Arme. Geiftlihkeit und Volk geleiteten in feierlicher Prozeſſion diefe heilige Familie in die Kirche und flellten fle neben den Hochaltar. Hierauf ward die Meſſe geleſen; beim Schluffe jedes Abſchnittes Derjelben brachte Die Verſammlung ein lautes, einſtimmiges ,Hinham! Hinham! an und freute fih, wenn der Eſel in die verwantten Töne einftimmte. Zum Schluß der Meſſe yahte

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ber Priefter flatt des Amen und Segens drei Mal und die Verfammlung hahte ihm drei Mal nad. Die Beierlichkeit jelbft endete mit dem Abfingen der berühmten Eſelshymne, deren Strophen in lateinifcher, der Refrain aber in franzöfticher Sprache abgefopt waren. Am Schluß der Hymne mußte ber „Herr Eſel“ (Sıre Asnes) niederfnien, wahrfheinlih, um ſich für die widerfahrene hohe Ehre zu bedanken, wenn nicht gar um das Ge— bet zu parodiren. Dem Eſelsfeſt kann man, mie e8 jcheint, den hriftlichen Urſprung nicht abſprechen, es fei denn, daß man die Beranlafjung zu der⸗ gleichen Boffen überhaupt in dem heidniſchen Sinn ſuche, welcher ver Kirche des Mittelalters noch ſtark in den Gliedern ſteckte. Auf das römtfche Hei⸗ denthum dagegen, nämlich auf die Saturnalien, weldye das goldene Zeital⸗ ter der Gleichheit unter den Menfchen feierten, führt Flögel mit Recht das „Narrenfeſt“ zurück!). Es wurde in den Tagen von der Weihnacht bis am Sonntag nadı Epiphanias gefeiert, meift jedoch, z. B. in Paris, am Neujahrstage. In Brankfreih war es vornämlich beliebt; aud) in Spanien aber ward ed gefeiert, denn ſchon 633 erhob das Concilium zu Toledo fihh dagegen. Im 10. Jahrhundert führte Theophylaktus, der Patriarch von Konftantinopel, daſſelbe in der griechifhen Kirche ein, wofelbft c8 erft 200 Jahre nachher abgefchafft wurde. In Frankreich machte erſt 1552 ein

4) In feiner „Geſchichte des Grotesffomifchen.” Er gibt folgende Schilderung nad) ten Quellen: „Dean erwählte in den Thurmfirchen einen Narrenbifchof oder Narrenerzbiichof, und zwar unter den lächerlichften Geremonien. Hierauf führte man ihn mit großem Bomp in die Kirde. Auf dem Zuge und in der Kirche felbit tanzten und gaufelten fie, die Gefichter beichmiert, oder mit Laryen angethan, und verkleidet in Weibsbilder, Thiere oder Poſſenreißer. In den Kirchen, welche unmittelbar un: ter dem Papft fanden, erwählte man einen Narrenpapft, dem man den päpfllichen Schmuck mit eben fo lächerliden Geremonien anlegte. Der NRarrenbifchof hielt als⸗ dann einen feierlichen Gottesdienft und fprach den Segen. Die vermummten Geift: lichen betraten das Chor mit Tanzen und Springen und fangen Sotenlieder. Die Diakonen und Subdiafonen aßen auf dem Altar vor. der Naſe des Priefters, welcher Meile las, Würfte, fpielten vor feinen Augen Karten und Würfel, thaten in's Rauch⸗ faß flatt des Weihrauchs Flecke von alten Schuhſohlen, Tamit ihm der häßliche Ge: ftanf in die Nafe fahre. Nach der Meſſe lief, tanzte und fprang Jedermann nad) fei: nem Gefallen in der Kirche herum und erlaubte fich die größten Ausſchweifungen, ja Einige zogen fi) fogar nadt aus. Hierauf feßten fie rich auf kothbeladene Karren, ließen fi durch die Stadt fahren und warfen den fie begleitenden Pöbel mit Koth. Dft ließen fie ftil Halten und machten mit ihrem Körper die geilften Gebärden, die fie mit ten unverfchämteften Reden begleiteten.”

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Parlamentsbeſchluß dem Narrenfeſt ein Ende. Was Deutſchland angeht, ift es auffallend, daß nur aus den rheiniſchen Städten ganz fihere Nachrich⸗ ten von der Feier des Narrenfefles auf und gefommen find. Es kann dies fer Umſtand die Anſicht befräftigen, daß dad ganze Feſt, weil nur in mehr tomanifirten Gegenden heimlich, roͤmiſch⸗heidniſchen Uriprunges geweſen ſei.

14.

Auf die Bilder ernfler Askefe, wobei ter Menih oft in Grauſamkeit gegen fih ſelbſt verfällt, refigiöfer Bemeinfdhaft und des Umſchlagens reli- giöfer Bräuche in rohnärrifche Luftbarfeiten mag nicht ganz unpaffend das Bild des Muckerthums folgen, weiches den chriſtlichen Affociationdtrieb mit asfetifcher Grauſamkeit und frecher Wolluft in abichrediender Miſchung vers bindet und dieſe Mifchung zum verbrecdherifhen Wahnwitz potenzirt. Das Weſen der Muckerei ift die Berinengung von Geifl und Fleiſch, Befriedigung des Geſchlechtstriebes unter frommer Maske, in feiner Vollendung ſogar Heiligung der Unzucht zum Gottesdienſte, ganz der alte Baald- und Aſche⸗ radienft der Syrer und Phöniker!). Darauf deutet treffend der freilich erft 1835 in Königsberg aufgefommene Name „Muder*, in der Jäger- ſprache dortiger Gegend bie techniſche Bezeihnung des männlichen Hafen, welcher fich bekanntlich durch feine Geilheit auszeichnet.

Schon 2. Timoth. 3, 1—9 ſchildert prophetifch die fommenden Irr⸗ lehrer als „graufam, Die Wolluft mehr liebend als Gott, Häuferihleicher, welche die Weiblein gefangen führen. “2, Berri 2, 10—22 werden die bereit aufgetretenen Irrlehrer beichrieben und non ihnen gefagt, „fie Locken, indem fe aufgeblafene Worte der Eitelkeit reden, durch Fleiſcheslüſte, durch Geilheit auch die, fo den im Irrthum Wandelnden wirklich entronnen wa⸗ ren.” In der That ift von einzelnen gnoftiihen Seften befannt, Daß fie bereitd die Unzucht in die Religionsübung eingeführt haben. Späterhin verbargen die Kloftermauern die Chriften diefer Sorte, und im Mittelalter treten dergleichen Erfcheinungen wefentli zu Tage an Geſellſchaften, welche außerhalb der Klöfter herumpagirten. Zu diefen gehören die durch Amal⸗ sid v. Bena und David von Dinanto zu Anfang des 13. Jahrhunderts ge⸗ ftifteten Geſchwiſter des freien Geiftes, deren fhlechtere Partei den Grund⸗ jag verfündigte, keine irdiſche Luft könne den im Herzen wohnenden Got⸗

1) Bl. Thl. II, S. 67 fg.

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tesgeift trüben, und auf Löfung ber Ehe und Vernichtung alles Cigenthums

Binfteuerte. Die „Apoftelbrüder * fodann unter Dolcino und feiner Frau

Margaretha Rellten unter andern religidien Grundgefegen auch das auf, „Mann und Weib mögen ohne Unterfchied zufammmenliegen. *

Das Gericht der Kirche welches dieſe Schwärmer ausrottete, baunte den Geift der Wolluft wieder in die Klöfter. Daher war c8 erft dem bie Klöfter auflöienten Proteftantismus vorbehalten, das Muderthum wieder seht in Flor zu bringen. Der Halle'ſche Pietismus, eine Entfeflelung der religiöfen Individualität von den Banden Eirchlicher Orthodorie und zugfeich eine Nenbelebung des Myſticismus, trug in feiner Lehre vom gewaltſamen Durchbruch ter Gnade die Keime ausichweifender Schwärmerei. Unwiſ—⸗ fende und zugleih hochmüthige Menjchen, welde als Propheten auftraten, bildeten den Uebergang von dem älteren Pietiömud zur moternen Muderei. So der Sporergeielle Roienbah und der Schuſtergeſelle Daut mit feiner Donnespofaune * vom nahenden Weltgericht. Die Muderei ſelbſt trat ind Leben einerfeitd durch den Bandweber Elias Eller von Ronsdorf, welder fily für den Herrn Chriflus, feine Frau für Die Zionämutter audgab und die Ronsdorfer Sekte ſtiftete, anderfeits dur Eva Buttler, welcher Die ſo⸗ genannte „buttler'ſche Rotte“ ihr Entflehen verdanfte. Diefe „Inſpirirten“ wiederhelten die Grundſätze ter Gejchwilter des freien Geiftes, hielten um bes ihnen innewohnenden Geiftes willen Alles für erlaubt und überließen fihh allen Ausfchweifungen der Geſchlechtsluſt. Ebenfalls zu Anfang Des 18. Jahrhunderts traten bie Gebrüder Kohler im Banton Bern als Pros pheten des nahenden Weltgerichtes auf. Die Gräuel der Ausfchweifung, welche die von ihnen geftiftete Brügglerfette* Gefudelten und zu welchen fie das ſchamloſeſte Beifpiel gaben, entichuldigten fie mit dem Schriftwort: „Den Heinen ift Alles rein.” Den Wiedergebornen, und als ſolche bes zeichneten fie ſich felbft und ihre Heerde, den Wiedergebornen , lehrten fie, gereiche Nichts mehr zur Sünde 2).

Das 19. Jahrhundert weift nicht weniger abfchredende Erfheinungen

ps - —— ——

3) Die Affenſchande des Cultus dieſer Sekte iſt theoretifch dargelegt in tem bes ruͤchtigten „Gliederbuͤchlein“, welches noch jeßt da und dort in der Schweiz Unheil anrichtet. Zu den Gontraften des Jahrhunderts der Aufklärung gehörte es auch, daß in dem friedrichifch aufgeflärten Berlin um 1780 ein gewifler Rofenfeld , feines Zeichens ein Schaͤfer, fich ein förmliches Harem von 7 Maͤdchen hielt , die für ihn ars beiteten umd mit welchen er ale „Meifins“ in „Gottes Namen“ Unzucht trieb.

278

der Muderei auf. Abgeſehen von dem für das Altlutherthum ſchwärmen⸗ den Paſtor Martin Stephan, welder aus Stocklutheranern eine beiondere Sefte gebildet hatte, diefelbe zur Auswanderung nach Amerika bewog und fein Anjehen als Seftenbifhof zur Schändung vieler Ausmwanderinnen miß⸗ brauchte, fehen wir den Cultus der Wolluft förmlich organifirt in den kö— nig&berger Bonventifel, weldem die beiten Prediger Ebel und Dieftel vor- ftanden, im Jahre 1835. Wie die Beiden in praktifcher Anwendung der Theoſophie ded I. H. Schönherr den Geſchlechtsgenuß durch den Beift zu heiligen ſuchten, dürfen wir Anſtands halber nicht beſchreiben. Wir be= merfen nur, daß der Hauptzweck der von ihnen veranftulteten Berfammlun« gen die Ausübung der Unzucht in verfchiedenen Graden war, von denen der erfle, die demüthige Hingabe des Körper zu wollüftigen Manipulationen, als Act der Heiligung bezeichnet wurde. Die höchſten Grade follten zur Erzeugung des Meſſias beftinnmt jein. Ein Dupend Jahre vor dieſer wü⸗ ſten Komödie der Brömmelei im Deutichen Norden hatte im deutfchen Süden das Muckerthum eine wüfte Tragödie aufgeführt. Im Dorfe Wildensbuch an der Nordgränze ded Cantons Zürich hatte Margaretha Peter, eines ver⸗ möglichen Bauers fhöne und begabte Tochter, einen Brömmlerfreid um ſich verfammelt, in welchem fie als Prophetin galt. Die Prophetin trieb aller⸗ let Muckeriſches, unter Anderem auch Ehebrud mit einen frommen Schu ſter, wobei die Gattin deſſelben eine evelfte That beroiicher Frauentreue vollbrachte, indem fle, ihren Mann vor Schmach zu bewahren, das Kind der Prophetin, welche ihr häusliche Glück zerftört Hatte und an weldye fie keineswegs glaubte, für ein von ihr felber geborenes ausgab. Im Jahr 1823 erfolgte dann die Wildensbucher Kataſtrophe. Mit der Wolluft ver⸗ band fi die mörderiiche Graufamfeit. In Margaretha hatte fidh bie fire Idee ausgebildet, fie müfle zur Erlöfung der Ihrigen den Satan überwine den und ed fünne dies nur durch ein Blutopfer geſchehen. So lieh fle denn im Kreife ihrer Familie und anderer Gläubigen zuerft ihre Schwefter Elifa- beth und dann fich ſelbſt Freuzigen. Die nah Ruchbarwerdung der That aus der Nachbarfchaft herbeigeeilten Pietiften frohlockten beim Anblid des bluttriefenden Hauſes und der Leichen Ter „neuen Märtyrerinnen.” Einer rief: „O könnte auch ich flerben wie diefe Heiligen! * Ein Anderer beflagte nur, daß das Opfer nicht am Charfreitag gebracht worden fei. Angeſichts diefed Gräuels bat man, denfen wir, doch wohl nicht fo ganz Unrecht, von einem Molochismus im Chriftenthum zu fprechen. Die Gegenwart freilich

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279

bat gelernt, die pietiſtiſchen Myſterien ſorgſamer zu verbergen, Faͤllt aber bie und da ein Blig der Deffentlichfeit in dieſes Dunkel, fo zeigt er und mitunter Geftalten wie Die jenes Chefs einer pietiftifchen Sekte, weldyer vor einigen Jahren zu Lauffen in Würtemberg die eigene Tochter ſchaͤndete und Dann die Frucht diefer Blutichande erwürgte.

15.

Schon mehrmals haben wir die Kreuzzüge berühren müſſen und e8 wird jegt nicht zum Ichten Mal fein, daß wir ihrer erwähnen. Cine Er⸗ zählung Diefer ungeheuren Bewegung in der Chriftenheit wäre übrigens rein überflüfftg. . Wir deuten nur an, daß man wohlthut, die Kreuzzugszeit nicht in die Graͤnzen der Periode einzujchließen, welche mit der Kirchenvers fammlung ‚von Clermont (1095) beginnt und mit dem Verluſt von Ptoles mais, als der legten chriftlichen Veſte in ‘Paläftina, endigt (1291). Die Kreuzzüge, d. h. der Kampf zwifchen der hriftlichen und mohammedantfchen Welt, deſſen Idee die Seele des Mittelalterd war, begannen, als der Is⸗ lam, wie wir im fechften Buch jehen werden, zuerft ſein erobernded Schwert gegen Die chriftliche Welt erhob, und erft der Fall von Granada und die Serfhlaht von Lepanto machten ihnen ein Ente. Der Zweck, welchem die Kreuzzüge im engeren Sinne, d. h. die Kriegsfahrten nach dem gelobten Zande, 7 Millionen Chriſten geopfert hatten, wurde nicht erreicht; denn bie mit fo viel Mühfal, Tapferkeit und Menfchenverluft eroberten heiligen Stäte ten gingen nad) kurzem Beflge wieder verloren. ber wie zumeift nicht die Abfichten Der Menfchen, fondern die von ihnen kaum geahnten Folgen ihrer Handlungen die Gejchichte machen, fo Hat die durch Die Kreuzzüge vermit- telte Berührung zwiſchen Morgenland und. Abendland höchſt bedeutende welthiftorifche Einflüffe geübt. Man kann geradezu ohne Uebertreibung ſa⸗ gen, die Rückwirkungen der byzantiniſchen, farageniichen und mauriſchen Welt auf die abendländiiche haben den in Barbarei ſtockenden Entwicklungs⸗ prozeß der legteren erft recht in Gang und Fluß gebracht. Diefe Lichtfeite ter Erfcheinung ift jo mächtig, daß die Schattenfeite, nämlich die außeror⸗ dentlihe Erhöhung des Anfehens des römifchen Stuhls durch die Kreuze züge,, fein allzu ſtarkes Bedenken erregen fann. Allerdings, einen Triumph ohne Gleichen hat das Papftıhum in den Kreuzzügen gefeiert. Hier erſchien die abendländifche Chriftenheit zum erflen und letzten als eine Heerde und dieje Heerde folgte begeiftert dem Winfe des römiſchen Hirten.

16.

Auf vie politiſche Berfaflung der Staaten hat das Chriftenthum zu Seiten einen unverfennbaren und unmittelbaren Ginfluß geübt. In den Tagen der Berfolgungen predigten die Kirchenlehrer unbetingte Unterwer- fung unter die heidniſchen Obrigfeiten; nur durch Dulten foflte der Glaube gegen fie behauptet werden. Die Chriſten folgten wirflih dieſen Ermah- nungen und ſchloſſen felbfi die verfolgenten Kaifer in ihr Gebet ein. Als Konftantinus gegen feine Mitregenten kämpfte, behauptete Die Kirche fein goͤttliches Recht auf Den Thron und heiratete ihn als einen von Bott ges - fepten Fürſten, wie einft David und Salomo geweien freien. Eine Zeit lang behielten zwar die chriſtlichen Kaifer Die aus tem römiſchen Heidenthum ſtammende oberſte Priefterwürde des Pontifer Marimus bei, erſchienen aber gerade and dieſem Grunde nicht ald Häupter ver Kirche, waren vielmehr in kirchlichen Dingen ter Hierarchie untergeorbnet. Als Theodoſius den Ver⸗ fuch machte, dieſe Trennung der weltlichen und geiſtlichen Gewalt anzutaſten, wies ihn Ambroſtus aufs Entſchiedenſte zurück. Er geſtattete ihm nicht, Innerhalb des durch ein Bitter abgeſchloſſenen Heiligthumes feinen Sig zu nehmen. Unterhalb des Gitters zu den Laien mußte fi der Gebieter des Ervfreifed feßen. Der Bejlgnahme der Bafllica Portia durch die Kaiferin Yuftina , die Vormünderin des minderjährigen Kaiſers Gratian, widerfegte tb Ambrofius mit den Worten: „Der Tribut gehört dem Kaiſer, Bott vie Kirche; diefe kann nicht dem Kaiſer zuftehen ; die Autorität Des Kaiferd er» Rredt fih nicht über den Tempel Gottes. Der Kaiſer ift in der Kirche, nicht über Der Kirche,

Die Krönung Karls, des Branfenfönigs, zum Kaiſer in der St. Pe- terskirche zu Rom burch Die Hand des Papſtes rief das heilige römifche Reich ins Leben. Die Kaiſerwürde zwar erhielt dadurch befontere Weihe in den Augen ter Völker, aber jener verhängnißvolle Krönungsact wurte die Ba⸗ fd der Anfprüche der Päpfte auf die Oberherrlichkeit über Kaiſer und Reich, fiber die ganze Ehrtftenheit überhaupt. Im der Stunde, wo Karl fid von dem Papſt die Rrone auflegen ließ, wutde die Drachenſaat gefätt, welche nachmals in den Känıpfen zwifchen dem „geiſtlichen“ und tem „weltlichen * Schwert fo üppig aufgewuchert und für unfer drutſches Vuterland zu einem unermeßlichen Nationalunglück ausgefthiagen if: Im Writtelafter wurden auch tie Könige ter Abrigen chriſtlichen Staaten bereits als Me Gelalkten

281

Gotteß betrachtet, und befondere Titel, wie 4 B. apofivliſche Majeflät “, dienten dazu, das Königthum zu heiligen. Die Reformation, weil fie fig zunächſt an das Volk wandte und Luther ſelbſt, Eraft feiner Meformator- würde, einen Gefalbten des Herrn, Heinrich VII. von England, ſehr deſpek⸗ tirlich behandelte, ſchien Anfangs das göttliche Recht des Katferd und der Könige Hintanzufegen. - Doch erfhroden über die Auslegung Ted Evange⸗ Hums durch die-unglüdlichen, durch die feudaliſtiſche Brutalität ver Fürſten, Evelleute und Pfaffen zur Verzweiflung getriebenen Bauern, begann Luther anbedingten Gehorſam gegen die Obrigfeiten zu predigen und lehrte, die .Hriftliche Freihelt habe mit der ſozialen und politifchen Nichts zu ſchaffen. Luther erhob die proteftantiiden Fürften zu Häuptern der Kirche in ihren Lanten und begründete ihre Selbſtherrlichkeit durch die Lehre, dem Kaiſer, als Feind des Evangeliums, fet man in Sadyen, welche ten Glauben bi= rühren, teinen Gehorſam ſchuldig. Die Lehre vom befchränften Unter⸗ thanenvirftand und son der Kürftenmadt „von Gottes Gnaden“ iſt eben⸗ falls auf Luther zurüdzuführen. Dagegen befeelte die von der Schwetz Audgegangene refarmirte Kirche ein vorwiegend republikaniſcher Bei.

Innerhalb der katholiſchen Kirche brachten die Iefutten die Lehre auf, Die Fönigliche Gewalt ruhe, unabhängig von der Kirche, auf dem Willen des Volkes ;'wenn jedoch das Seelenheil der Völker es fordere, könne der VBapft bie Könige abfegen,, die Inquifition gegen fie einfchreiten, ver für das Heil ber Kirche Begeiiterte fie ermorten. Dergleichen Marimen wechſelten aber mit ter mehr oder weniger Eirchlich-unterwürfigen Geſinnung der Könige, Im Allgemeinen bat bis auf heute die Kirche jo viel als mögli in die welt« lichen der Staat fo viel ald möglich in die geifllichen Angelegenheiten ein⸗ gegriffen. War man bisweilen des Kampfes müde, jo fchloffen geiftliche and weltfihe Gewalt Concortate und Compromiffe mit einander. In weldem Verhältniß Heutzutage das Chriftenthum zum Staat ſtehe und ums gekehrt, davon ſchweigt Die Gefchichte einftweilen.

17.

Wir fchließen das Kapitel mit einer kurzen Sinweilung auf die com⸗ muniftijchen und ſozialiſtiſchen Syſteme, fofern dieſelben auf das Ehriftenthum Bezug genommen haben. Somit ift ed nicht an uns, das „Utopien * de Thomas Morus, vie Sonnenftadt * &ampanellas, die „falenttutiche Repub⸗ Ht* Senelons, die Dceana * Harringtons, dieſe harmlofen Rachahmungen

282

der platoniſchen Republik, einer ernſten Beachtung zu würdigen, fo bezeich⸗ nend für die fozialen Zuftände der Zeiten, in welchen dieſe Männer gelebt . haben, das Mifbehagen an der Wirklidyfeit ift, woraus die genannten So⸗ zialiyfteme hervorgegangen find. Auch der Contrat social Rouffeaus, die communiftiichen Syſteme Mably’s und Morelli’s und ter praktiſche Commu⸗ nidömus Baboeufs find ganz aus freiem philofophifhen Nachdenken, ohne Berüdjihtigung des Chriſtenthums, entſtanden. Mit Berufung auf die Heil: Schrift Hingegen haben ſchon die Gejchwifter des freien Geifted den pollendeten Communismus gepredigt und die Wiedertäufer zur Zeit der Re⸗ formation denfelben verfochten. Ginzelne Vereine und Orden haben den Communismus geübt, ohne ihn für Die ganze Staatsgeſellſchaft empfehlen zu wollen. So lange bie erften Chriften noch eine Gemeinde waren, hielten fie ebenfalls, aber mit der Erlaubniß, daß der Einzelne nebenbei immer noch Privateigentfum befigen dürfe, eine Art Bütergemeinichaft. Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert tft der Communismus nie mehr vom dhriftlichen Stantpunft aus als allgemeine Gefellihaftsordnung empfohlen worden. Auch der Gründer des modernen Sozialismus, der Graf von Saint-Simon, geftorben 1825, wagte es nicht, feine Theorie ausdrücklich auf Das Ehriften- thum zu gründen, fondern meinte zur Ausführung Lerfelben eine neue Neligion die er in feiner Schrift „dad neue Chriſtenthum“ niederlegte, fliften zu. müffen. Zwar wollte er, indem er die Religion der Bruterliebe verfüntigte, feine neue Liebe, nur eine neue Aufgabe der Liebe predigen ; aber er Ichließt jene Schrift mit dem Aufruf, ed möchten fich die Menjchen verbinden, Dad Reich Gottes auf Erden herbeizuführen, indem fle die Reli⸗ gion der Liebe zu einer Neligion der Freude und des Genuſſes machten. Die St. Simon’fche Affociation, gegründet zu dem Zwecke, den Arbeiter» ftand in. die ihm gebührende Stellung einzufeßen, in ihren Formen insbe» fondere durch Bazard weiter fortgebildet, ift eine nach dem Bilde ter Firdh- Tihen geftaltete Hierarchie, deren Haupt, alle weltliche und geiftliche Macht in fich vereinigend, Jedem die feinen Fähigfeiten entſprechende Stellung an- weift. Jedes Erbe joll dem Staat zufallen und durch die Banfanftalten deflelben je dem Fähigſten übergeben werden, um damit weiter zu wirth⸗ haften. Sp wollten zwar St. Simon und die Sceinigen Nicht vom biftoriichen Chriſtenthum wiſſen, aber fle entlehnten unbewußt feine Haupte grundfäge und Lie Formen feiner Hierardie. Fourier unt die ganze Reihe ber fpäteren Sozialiſten verjchmähten es Dagegen nicht, bei günfliger Gelegen⸗

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heit das Anfehen bes Chriſtenthums für ihre Sache flreiten zu laſſen. Unter den deutſchen Communiſten hat Weitling ganz offen dad Chriſtenthum für feine Zwecke audzubeuten geſucht.

Zehntes Kapitel. Die Wifſenſchaft

1.

Der culturgeichichtlihen Methode unferer Betrachtung der Religions» biftorie getreu, gehen wir. bei Einräumung eine® Platzes für überfichtliche Darftellung der Wiflenichaft im Chriſtenthum mit möglichfter Tiberalität zu Werke. Iſt doch außer der chriftlichen Feine andere Religion von ihren Be⸗ Tennern jo wiflenichaftlid aufgefaßt und verarbeitet worden und in feiner anderen hat das wifjenfchaftliche Leben To fehr auf das religiöfe zurückge⸗ wirft. Denn wenn auch bei den hindoftanifchen altägyptiichen und mosle⸗ mifchen Gelehrten theologifche und philoſophiſche Studien blühten, die Bölfer find von denfelben unberührt geblichen. Dagegen fteht e8 unzweifels baft feft, daß die denfente Erfaffung und Verarbeitung der hriftlihen Ideen in Theologie und Philoſophie auf die Völker felbft mächtige Einflüffe geübt bat und zu einem der gewaltigften Motive der modernen Civiliſation ge= worden ift. j .

Hiermit gehen wir fogleih an die Sache ſelbſt, fo zwar, daß uns zunaͤchſt die äußere Gefchichte Der vom Chriſtenthum unmittelbar hervor⸗ gerufenen theologifchen Fachwiſſenſchaften befchäftigen wird, während fpäter

zur Sprache fommen joll, wie Theologie und Philofophie zum Ideengehalt der chriftlichen Meligion fich verhalten haben.

2,

Unter allen Wiffenichaften brachte Das Chriſtenthum, weil e8 von feinen Gegnern bereit3 im 2. Jahrhundert wiffenfchaftlicd angefochten wurde, zuerft die Apologetik hervor. Rhetoren und Philofophen griffen es an,

284

hetoren und Bhilvfophen vertkeidigten es. Im Allgemeinen führten die Apologeten der griehiichen Kirche den Kampf vorwiegend nit philoſophi⸗ fher Begründung, Diejenigen der abendländtichen, zumal der afrikaniſchen Kirche mehr mit dem Gewichte der Thatfachen, wodurd fie die politiichen und moralifchen VBorurtheile, die volksthümlichen Verdächtigungen und An⸗ jhuldigungen gegen die Chriften zu widerlegen fuchten. Unter denen, welche das Chriftenthum in öffentlihen Schriften angriffen, find befonderd zu nens nen: der Rhetor Bronto, Lehrer ded Marcus Aureliud, Apulejus, ein myſtiſcher Philoſoph und Priefter des Mithras; gegen Ende des 2. Jahr⸗ bundertö, ter ſchon öfter erwähnte Lukianos und vor Allen Celſus, deſſen Wahrbaftige Rede“ (AAnIns Acyos), um 150 geſchrieben, erft bei« nahe ein Jahrhundert fpäter in den acht Büchern ded Origines gegen Celſus eine entſprechende Beantwortung fand. Zu den hervorragenden Apologeten der abenvdländifchen Kirche gehören Minutius Felix, ehemals Rhetor, defien Dialog Ortavianus” zu den beften Apologieen des Chriſtenthums gehört; ferner Tertullian, deſſen „Apologetieus * der betreffenden Wiſſenſchaft ihren Namen zu geben würdig war, und Arnobius, deffen „fleben Bücher gegen die Heiden“ in weit höherem Grade die Schwäche des Heidenthums ent⸗ hüllen als fie das Chriſtenthum in vortheilhaften Lichte darftellen. Größer iſt die Zahl der griechiſchen Upologeten. Schon um 130 (nad Anders 126) übergaben Quadratus, Biſchof von Athen, und Ariflides, «in ehemali⸗ ger Philoſoph, dem Kaiſer Hadrian Apoingieen für die Ehriften. Die zwei Upologieen, welche Juftinus der Märtyrer den Antoninen überreichte, am fle von der Verfolgung der Ehriften abzubringen, zogen ihm erbitterte Beinde unter den heitnifchen Philojophen zu, von denen befonderd Einer, Crescentius, nicht ruhte, bis Juftinus (um 165) den Maͤrtyrertod erlitt. Mit weniger Geſchick führte (um 170) ſein Schüler Tatian den Vertheidi⸗ gungskrieg in ſeiner, Anſprache an die Hellenen*. Die Widerſprüche der philoſophiſchen Syſteme gegenüber der Einheit der göttlichen Offenbarung baͤcherlich zu machen, wählte ſich Hermias zu feiner Aufgabe. Mit mehr Würde vertheidigte Athenagoras in jeiner Schugfchrift vie Chriſten vor Marcus Aurelius. Die Erhabenheit der chriftlichen Moral über die Philo- fopheme des Heidenthums, die Kogoslehre, nebft antern Grundlagen des Ehriftenthums hat er mit philofophifchem Geiſte in diefer Schrift (, Geſandt⸗ ſchaft Geireffend die Ghriſten“) ind Licht geſtellt. Theophilus von As thechien bemühte fih in feinem Werte „Ueber den Glauben der Ehriften *,

285

weniger tie volkathümlichen Berläumbungen gegen die Chriften zu wider⸗ legen, als vielmehr die Grundlehren des Chriſtenthums und deren Vorzüge gegenüber Heidnifchem Aberglauben und heidniſcher Philofaghie auseinander zu fegen. Auch dad Beitalter Konſtantins brachte noch Apologeten hervor. Unter ihnen gehört Lactantiud Firmianus, Verfaffer Der „thealogiichen In⸗ -Ritutionen *, terlateiniihen, Eufebius son Caͤſarea, welder mit drei Schriften als Apologet auftrat, der griechiſchen Kirche an.

Nachdem das EChriftentkum den Sieg über daB Heidenthum davon getragen, ruhte Die Apologetik, bis Alanus ab Insulis, ein Ciſtercienſermönch, tm 12. Jahrhundert eine Bertheitigung des katholiſchen Glaubend gegen die Ketzer, Juden und Mobammerdaner für nothwentig hielt. Im 13. Jahr⸗ Gundert richtete Themas von Aquino feine ,„ Sunme fatholiicher Glaubens» wahrheit * gegen Heiten, Iuden und Mohammedaner. Apologieen, nicht des katholiſchen Glaubens, ſondern ded Chriſtenthums überhaupt, erfchienen erſt wieder gegenüber dem Deiemud ter engliichen Freidenker, meift von engli- fchen Geistlichen verfaßt, zu Denen unter andern Richard Barter, Etwarb Chandler, Nathanael Lardner gehören. Don herporragender Bedeutung iſt, daß felbfi Heroen der Naturwiſſeuſchaft und Mathematik, wie Newton, Hal⸗ fer und Euler, fi) des Chriſtenthums mit großer Vorliebe angenommen haben. Die berühmtefte Apologie des Chriſtenthums, welche in neuerer Seit eribien, find wohl die zum erften Mal 1799 veröffentlichten „Reben über die Religion an Die Gebildeten unter ihren Verähtern“ von Schleier⸗ macher.

3.

Neben der Apologetik entwickelte ſich im Schooß ber Kirche die Wiſſen⸗ ſchaft der Exregeie (Schriftaualegung) des alten und neuen Teftamenteß, Schon im 2. Jahrhundert war namlich eine Sammlung der neuteſtameni⸗ lichen Schriften tem A. T. zur Seite geftellt worden, aber noch zur Zeit des Eufebius von Caſarea beſtand Dem Zeugniß feiner Kirchengeſchichte zufolge u ein Unterſchied zwifchen den anerkannten (öuoAoyovuere) und zweifelhaften Schriften (iwrsäeysusru). Erſt die Provinzialfgnoden von Hipporegius (393) und Karthago (397) ſetzten den neuteftamentlihen Kanon feft und die allgemeine Kirche anerfannte die dort für Glaubendregel erklärten Schriften (Kanon) ohne förmlichen Beichluß eines öfumenifchen Conciliums. Die chriſtlichen Belehrtenfhulen von Alerandrien und Antiochien widmeten

286

ſich mit bejonderem Eifer der Schriftauslegung. In Alerandrien galt die allegerifchphilofophiiche Exegeſe, als deren berühmtefter Vertreter Origi⸗ ned erfcheint ; in Antiochien die hiſtoriſch⸗ſachliche Exegeſe, deren Zweck⸗ mäßigfeit befonders in ten Anſichten des Theotorud von Mopſueſtia zu Tage tritt. Dieſer nämlidy hielt viele jogenannte meflianifche Weiffagungen für unbewußt ideelle Beziehungen auf den Mefitae und das Hohelied für daß, was es ift, für ein Liebeslied. Zwiſchen diefen beiden Schulen vermittelnd haben Hieronymus von Stridon und Auguftinus fich vielfach um die rechte Shhriftauslegung bemüht. Auguſtinus war der Erfte, welcher ſich das Ver⸗ haͤltniß der einander fo oft widerfprechenden vier Evangelien Flar zu machen ſuchte. Im Mittelalter, wo die heil. Schrift nach und nach faft ganz vergeflen wurde, hatte die Exregefe Berien, um dann durch den Humanidmud zu neuem, vielgeftaltigem Lehen erwedt zu werden. In den Streitichriften und Difputationen der Reformationszeit fpielte fie eine wichtige Rolle. Luther zeigte eine große Zirtuofttät in der Schriftauslegung, aber nicht jelten auch eine große Rechthaberei. Seine buchſtäbliche Auffafjung ber auf Einfegung des Abendmahls bezüglichen Ausſprüche Chriſti drang gegen Bwingli’s philoſophiſchere Auslegungsweife wifjenjchaftlih nicht durch. Außer Calvin und Beza hat ſich vornämlich der Niederländer Hugo Grotiud (im 17. Jahrh.) um die Schriftauslegung verdient gemadt. Innerhalb ber Eatholifchen Kirche, welche zu Trident die Bulgata für den einzig gülti- gen Tert der Schrift erklärt hatte und wo zudem ter Papſt fich die allein richtige Exegeſe vorbebielt, war eine wiflenfchaftlihe Schriftauslegung un= möglich geworden, bis die Sanfeniften fch derfelben annahmen. Die Er— läuterung des N. T. Durch Paſchaſtus Quesnel hat hiebei einen erbitterten Kampf der Curie mit den Breunden der Schrift hervorgerufen. Auch in der lutheriſchen Kirche hatte Die Schriftauslegung der Orthodorie weichen müffen. Spener und Srande regten fie zuerft wieder an. Michaelis, ein Zögling des halle'ſchen Waifenhaufes, gehört nebft Ernefti und Senler zu den Be— gründern der rein wiflenjchaftlichen Eregefe. Diefe mußte aber, bevor fte ihren ganz unbefangenen Standpunft erreichen konnte, erft noch durch Supranaturaligmus und Rationalismus hindurch, deren jeder ihr nach feiner Weiſe Gewalt anthat 1). Die neuefte Eregefe verdient den Namen der hiftorifch«ritifchen Auslegung.

1) Die Wuntererflärungen der Rationaliften, befonders tes übrigens hochacht⸗ baren Paulus, füllen einen ſchweren Anekdotenkaſten.

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Mit ter Exegefe eng verbunden ift die Einleitungsmwiffen- haft, welche die Fragen über Entflehung und Aechtheit der Heil. Schrif⸗ ten zu beantworten ſucht. Aus der von Andreas Öflander, dem Verfaffer der proteflantiichen Evangelienharmonie (1537), herſtammenden Harmoniſtik, weldye die vier Evangelien mit einander in Webereinflimmung zu bringen fuchte, entwidelte fih durd Storr und Eichhorn tie Evangelienkritif. Die Hypotheſe des Letztern von einem den Drei erften Evangelien zu Grunde lies genden Urevangelium brach der neuen. Wiffenfchaft die Bahn und zeugte Dafür, wie tief der Glaube des Zeitalterd an die unmittelbare Eingebung der Evangelien durch -den Heil. Geift erfchüttert fei._ Die eingeichlagene Bahn ward in der Bolge auch von Schleiermacher, De Wette, Eredner und Anvdern betreten, bis David Friedrich Strauß in feinem „Leben Jejfu 2)” Tie Un⸗ glaubwürdigfeit aller Evangelien darzuthun ſuchte und den mythiſchen Stantpunft geltend machte, vermöge deſſen die evangelifche Befchichte in fagenhafte Dichtung und der perfönliche biftoriihe Chriſtus in einen unper⸗ ſönlichen, idealen fih verwandelte 3) ein Refultat, welches aus der Ueber⸗ tragung des Neubegelianismus auf die Kritif der Evangelien hervorging. Diefer Richtung gehört auch Bruno Bauer an, welcher die verneinende Kritik mit Außerfter Schärfe bis zu ihren Außerften Confequenzen führte). Da⸗ gegen hat die Tübinger Schule unter Chriſtian Baur die „geichichtliche

2) Grfchien zuerft 1838.

3) „Mit Beifeiteftellung der Begriffe von Unfündlichfeit und fchlechthiniger Voll⸗ fommenbeit als unvollziehbarer,, faflen wir Chriftus als denjenigen , in defien Selbſt⸗ bewußtfein die Einheit des Göttlichen und Menfchlichen zuerft mit einer Energie auf: getreten ift, welche in dem ganzen Umfange feines Gemüthes und Lebens alle Hemmun⸗ gen diefer Einheit bis zum verfchwindenden Minimum zurüdträngte; der infofern einzig und unerreicht in ter Weltgefchichte fteht, ohne Laß jedoch das von ihm zuerfl errungene und ausgeſprochene religiöfe Bewußtfein der Läuterung und Weiterbiltung durch die fortfchreitende Entwidelung des menschlichen Geiftes fich entziehen dürfte”. Diefer Sag von Strauß enthält die Duinteflenz feiner Kritif des Chriftentyums. Wir fommen unten auf Strauß zurüd.

4) Kritik ter evangel. Sefchichte der Synoptifer und des Sohannes, 1841—42, Das Endergebniß der Bauer’fchen Kritif geht bekanntlich über das ber Strauß’fchen weit hinaus. Bauer zufolge ift Markus, bei welchen die Empfaͤngniß und Geburt Sefu noch als eine natürliche erfcheint, ter Urevangelift, welchen dic antern abge: fhrieben und in tbeologifchen Ablichten verändert haben. Die Erörterung dieſer Ab⸗ fichten führt zu dem, Facit, das Cyriſtenthum fei eine Schöpfung ter theologiichen Phantafie und Tendenz.

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Kritik“ zu hohem Anfehen gebracht, und wenn etwa auch dieſe nicht ganz un« befangen fein follte, fo läge der Grund gewiß nur in der Einfeitigkeit, mit welcher tie Hegel'ſche Weltanſchauung die Geichichte behandelt, und Die darin beſteht, daß fie bie Geſchichte als eine logiſch nothwendige Emifaltung der abſoluten Idee mit Verkennung des Prinziys der Freiheit betrachtet. Es verſteht ſich oon ſelbſt, Daß das evangeliſche Chriſtenthum immer übel weg⸗ kommt, wenn ed mit dem Maaßſtabe eines philoſophiſchen Syſtems, ſei es bewußt oder unbewußt, gemeflen wird,

Durch Michaelis find au Exegeſe und Kritik bed alten Teſtamentes wifſenſchaftlich angeregt worden. Hier durfte ſich die Wiſſenſchaft ſchon freier Kewegen und war nud dem flörenden Einfluß philoſophiſcher Eyſteme weni. ger audgefegt al8 bei Ver Bearbeitung bed neuen Teſtamentes. Breilid war #3 den „glaubigen Eregeten” fatal genug, daß mande für mefllanifch gel tende Stellen im Lichte umbeiangener Forſchung ihren prophetiſchen Werth einbüßten, Uber dieſe Einbußen wurden reihlich aufgewogen durch die po⸗ #tiven wiſſenſchaftlichen Mejultate, welche Gelehrte, wie Geſeniue, Ewald, Digig, Meier u. a. m. auf dem Gebiete altteftamentlicher Bibelforfchung gewannen.

4.

Die Wiſſenſchaft der Kirchengeſchichte iſt für die allgemeine Religionsgeſchichte inſofern von Wichtigkeit, als He die denkende Selbſt⸗ erkenntniß der chriſtlichen Kirche darſtellt. Ihr Begründer war Euſebius von Caͤſarea (315— 380), deſſen Kirchengeſchichte bis 324 reiht. In der Entwicklung diefer Wiſſenſchaft laſſen ſich ungefähr fünf Hauptperioden unterfcheiden. Die erfte, während welder das Chriſtenthum in Europa noch um die außjchliegliche Herrfchaft Fampfte, ſtellt und die Kircgengefchichte noch nicht als eine allgemeine dar, weil die Nationen noch nicht zu einer Familie dur das Chriftenthum verbunden waren, Während der zweiten Periode zeriplittert fih die Kirchengeſchichte in Chronikjchreiberei und Legen⸗ dendichtung, bis Lie Kritif des Laurentius Balla über die angebliche Schen« tung Konftantind einer wiflenfchaftlichern Behandlung Bahn brach. Die dritte Periode, wo die Gelehrten der getrennten Kirchen die Kirchengefchichte im Interefje ihrer Eonfejftonen darftellten, begann mit den Magdeburger Centurien“ des Flatius Illyricus und Genoſſen, welchen der gelehrte Jeſuit Cäfar Baronius.(1588) feine „kirchlichen Annalen * gegenüber flellte. Die

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proteftantifche, wie. bie katholiſche Kirche, beide hatten und haben begreiflic, ein hohes Interefie, die Rechtmäßigkeit ihrer Exiſtenz möglichft genau aus der Kirchengefchichte nachzumweifen. Die confefftonelle Kirchenbiftorie erſtreckt ſich Daher neben der höher entwickelten biß auf Die Gegenwart. In der vier ten Periode that ſich der Gegenſatz zwifchen der freifinnigen rein wiffen- ſchaftlichen und der pietiftifhen Richtung hervor. Im erfteren Sinne Ihrieben 3. B. Mosheim und Semler, im Teßteren Arnold. Beide Parteien aber flanden im Gegenfaß zur Kirche wegen der darin herrfchenden Ortho- dorie, wie denn alle Orthodorie auf Verläugnung der Gefchichte beruht. In ber fünften Periode (neuefte Zeit) ift zur unparteiifch fachlichen Behandlung der Kirchengeſchichte mit Marheinecke's Verſuch auch die philoſophiſch con⸗ ſtruirende hinzugetreten. Die antikirchliche Tendenz hat im Allgemeinen aufgehört. Durch freifinnigen Geiſt und hiſtoriſche Unparteilichkeit zeichnen ſich die kirchenhiſtoriſchen Werke von Gieſeler, Haſe und Niedner aus.

Den Uebergang von der Kirchengeſchichte zur Dogmatik bildet die Dogmengeſchichte, welche die Entwicklung der chriſtlichen Glaubens⸗ lehre darſtellt. Auf die Entwicklung dieſer Disziplin, ſowie auf die der Dogmatik ſelbſt, hier einzutreten, iſt überflüſſig, denn beide theologiſche Fachwiſſenſchaften find in ihrem Borfchreiten wefentlih von der Entwiclung tes Firchlichen Lehrbegriffs abhängig oder aber fte richten ſich nach der außer» Eirchlichen Geftaltung der religiöfen Ideen. In erfterer Beziehung können wir auf früher Geſagtes zurück, in leßterer auf nody zu Sagendes vorwärts weifen. Neben dem Inhalt des Glaubens, mußte auch die Stttenlehre

des Chriſtenthums zu einem @egenftande befonderer wifjenfchaftlicher Be—⸗

arbeitung werden ; denn die moralifchen und dogmatischen Lehren fliehen mit einander in einem geiftigen Zufanmenhang, der fih als Syſtem darftellen läßt. Eine wiffenichaftlihe Darftellung des chriftlihen Moralfyftens fuchen wir aber bei den Kirchenvätern vergebens. Noch erfchienen chriſtlicher Glaube und chriſtliche Sittlichfeit al8 ein untrennbared Ganzed. Nur Anfänge diefer Wiffenfchaft in fehr freier Form flellen uns der Pädagogos * des Cle⸗ mens von Nlerandrien und die Schrift des Ambroftus „über die Pflichten der Geiſtlichen“ dar. Erft im 12. Jahrhundert, als der Gegenfag zwifchen Glauben und Sittlichfeit auch gar zu grelf hervortrat, wurde die chriſtliche Moral zur Wiflenfhaft und zwar durch Abälards Werk: „Ethik, oder: Erfenne dich felbft"! Die folgenden Scholaftifer, mit Ausnahme bed Thomas von Aquino, der in feiner Summa die Moral großentheild nad Schere, Geſch. d, Religion. I. 19

ud

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der Ethik des Uriftoteles behandelte, erzeugten durch Einmiſchung des bürs gerlichen und canonifhen Rechtes in tie Moral die Caſuiſtik, d. h. ein Syſtem von Berhaltungdregeln für jeden denkbaren Gewiſſensfall. Sie if ein Spiegel des ſchwankenden Zuftandes, in welchem fich die fittliche Ueber⸗ zeugung des Mittelalterö befand. Ihre Repräſentanten find Raymund von Pennaforte im 13., Bartholomäus de ©. Concordia im 14., Angelus te Glavafto im 15. Jahrhundert. ine ehrenvolle Ausnahme von dieſem Treis ben machten die Myſtiker, von weldyen befonderd Hugo und Richard von St. Victor und Thomas von Kempen Erwähnung verdienen. Sie ſchrieben zwar feine Moralſyſteme, hielten aber doch die rein chriftliche Moral: Des muth, Liebe, Nachahmung Chrifti, in ihren Schriften aufreht. Die Huma- niften, befonderd Erasmus in feinem „Handbuch des dhriftlichen Streiters *, hielten hriftliche und philofophiidhe Moral für Eins und Daffelbe, nämlid für das oberſte Vernunftgefeg. Die vorwiegenden Glaubenäftreitigfeiten der Reformationgzeit liegen Fein beſonderes Interefle für die wiflenfchaft- liche Geftaltung der Dioral auffommen. Der Erfte, welcher innerhalb der proteftantiichen Kirche eine chriftliche Ethik herausgab, war 1577 Lambert Daneau (Danäus). Die Iutherifhe Orthodorie, welche die Werke“ immer mehr hintanzufegen begann, ließ aber die Moralwifjenjchaft Grachliegen ,. bis einerfeitd der Pietismus, andererfeitd die Leibnitz-Wolff'ſche Philoſophie, jener aus praktiſchen, dieſe aus theoretiichen Motiven, das Interefje daran aufs Neue wachriefen. Beide Richtungen in Behandlung der driftlichen Moral, fowohl die praftiiche ald die fpefulative, haben, jedoch ohne Die hriftliche Moral von einer philofophiiden Weltanfchauung abhängig zu machen, De Wette und Schleiermacher, in neueſter Zeit Rothe mit einander zu verbinden geſucht.

Wie auf proteſtantiſchem, ſo erregte die Moralwiſſenſchaft während des 17. Jahrhunderts eine große Bewegung der Geifter auch auf fatholifchem Ge⸗ biete, Die Iefuiten hatten die von den Scholaftifern überlieferte Caſuiſtik auf

die Spige getrieben. Ihr Prinzip war der Probabiliämus, d. h. ein Gegen

überftellen Fircylicher Autoritäten in jeder Gewiſſensfrage ohne definitiven Entfcheid, ein mehr ober minder Billigen gewiffer Handlungen. Diefer vollftändigen Auflöfung der chriftlihen Moral traten die Janfeniften mit Geiſt und Eifer entgegen, bejonderd. Bascal in feinen Lettres Provinciales.

- Wie wenig damald Die katholiſche Hierarchie auf Hriftliche Sittlichfeit Hielt,

beweift am beften das Verbot der genannten Schrift durch Papſt Urban VIII.

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auf Betreiben der Jeſniten, welche feine beffere Widerlegung derfelben zuwege⸗ bringen Fonnten.

Auch die Wirkfamfelt des geiftlichen Standes felbft ift wiffenfchaftlich beleuchtet worden. Die praftifche Theologie zerfällt aber je nach den Haupts feiten geiftlicher Thätigfeit wieder in verfchiedene Wiflenfchaften: Homiletif, Katechetik, Liturgif, Paftoralwiffenfhaft (Lehre von ber Seelforge). Die frühefte und genauefte Bearbeitung ift der Homiletik (Lehre von der geiftlichen Redekunſt) zu Theil geworden. Keime derfelben finden ſich ſchon bei Chryſoſtomus (‚‚mwegs begwovuns‘‘). Auguftin war der Erfte, welcher eine wirkliche Homiletik audarbeitete (De doctrina chri- stiana). Diefe Homiletif blieb im Gebrauch bis zur Reformation. Das Mittelalter hat Feine geliefert, weil während befjelben die kirchliche Redekunſt gänzlich in Verfall gerathen war; die myſtiſchen Volföprediger aber waren feine Iheoretifer noch Redefünftler, jondern redeten von der Leber weg. Die Homiletif der Humaniften ſchloß fih an die claffifche Mhetorif an; die von Reuchlin (1502) gründete fih auf die Negeln Quintiliand und Cicero's mit Beibehaltung des driftlichen Standpunftede. Nach der Reformation artete die Homiletif der Lutheraner aus in die engherzigfle Pedanterie. Sie nahm ſchon deßwegen einen beichränftern Charafter an, als die reformirte, weil unter den Zutheranern der alte Perifopenzwang (das Predigen nad) für jeden Feſt- und Sonntag vorgejchriebenen jährlich wiederkehrenden Texten) beibehalten wurde. Der Pietisnus hat hier ebenfalld zum Beſſeren geführt, ließ jedoch feine Predigtweife bald in übertriebene Formloſigkeit ausarten. Das Gemüthlid- Fromme der pietiftifchen Bredigtweije mit dem Rhetoriſchen der orthodoren zu verbinden, verfuchte Mosheim in jeiner „Unweifung, erbaulidy zu predigen®. Die fonthetifche Predigtweiſe, weldye weſentlich auf fireng logifcher Zerglieterung eines vom Tert abgeleiteten Thema's beruht, hat vornämli Reinhart ausgebildet und theoretifch in feinen Ges ftändniffen” begrüntet. Die analytifche, freiere Predigtweife, welche mehr den Gedanfeninhalt des Terted entwickelt, ift von Lavater, Herder, Schleier: macher, Dräjefe u. U. geltend gemacht worden. Gine Vermittlung Dieler beiden Richtungen fucht die neuefte Zeit in ihren Vertretern, zumal in den homiletifchen Werken von Palmer und Mlerander Schweizer. Innerhalb der katholiſchen Kirche ift die geiftliche. Redekunſt feit der Neformation wieder mehr in Yufnahme gekommen. Im 17. und 18, Jahrhundert hat beionterd Frankreich große Kanzelredner (Boſſuet, Blechier, Bourdaloue,

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Maflilon, Bridaine) hervorgebracht, jedoch ohne daß die Homiletik als Wiſſenſchaft durch bedeutende Werke theoretifch gefördert worden wäre.

5,

Schon in der Gefchichte der Firchlichen Lehrentwidlung haben wir darauf hingewieſen, daß diefelbe mit der mwiffenjchaftlichen Entwidlung Der religiöjen Ideen ja nicht zu verwechieln ſei. Jene beruht wefentlidh auf Tradition, Schriftautorität, hierarchiſchem Intereſſe und volksthümlichem Aberglauben; dieſe hingegen weſentlich auf der philoſophiſchen Bearbeitung der religiöſen Vorſtellungen, alſo auf der Freiheit des denkenden Indivi— duums. Daß die Religionsphiloſophie durch ihre Forſchungen nach dem Weſen und den Eigenſchaften der Gottheit, nach Entſtehung der Welt, nach der Natur des Menſchen u. A. m. auch zur Speculation über andere, nicht religiöſe Gegenſtände geführt wurde und ſich alſo zur allgemeinen Philoſo— phie erweiterte, liegt in der Natur des menſchlichen Geiſtes. Das Verhält— niß der hriftlichen Theofophie und Philoſophie zur Kirchenlehre hat fih im Lauf der Zeiten fehr verfchieten aeftaltet. In den erften Jahrhunderten juchte die Philoſophie fich theils felbft zur Kirchenlehre zu erheben, theils nahm fie, von der Kirche zurücgeftoßen, eine tiefere Auffaffung des Ehriften- thums für fh in Anspruch und ließ die Kirchenlehre ald Volksreligion ge— währen. In der langen Periote der Scholaftik fuchte die Philoſophie die allgemein von ihr anerkannte Kirchenlehre denfend zu durchdringen und auf Bernunftfchlüffe zu gründen. Mit dem Auftreten der Platoniker befreite fie fid) vom Dienft der Kirchenlehre, blieb aber in ihren meiften Syſtemen ab⸗ hängig theild von Plato, theild vom Chriftenthum überhaupt. Erft mit Carteſtus trat die Philofophie ganz felbftftändig auf. Aber durch die Wol: fianer ward der alte Scholaſtieismus auf yproteflantiihem Boden erneut, während die englifchen Freidenker offen gegen die Kirchenlehre auftraten N), Die durch Kant gegründete Tranfcendentalphilofophie erhielt fich allezeit ganz unabhängig von der Kirchenlehre; doc firebte ihre idealiftifche Seite (Schelling, Schletermader, Hegel) das Chriftentbum (nit die Kirchen Iehre) auf die Form des reinen Begriffs zurüdzuführen, während Die rea-

1) Die Wolfianer fuchten freilich nicht die Kirchenlehre, aber boch die mefentlichen Lehren des Ehriftenthums du ch Vernunft und Schrift zu begruͤnden. Das iſt eben gebundene, unfreie Philofophie Scholafticismus.

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Iftiihe Seite (Herbart) das religiöfe Gebiet möglihft vermied. Der Matertalismud der franzöftichen Encyklopädiften Hingegen erhob ſich mit ent- ſchiedener Beindjeligfeit gegen das Chriftenthum felbft. Sein Nachhall ift ber gegenwärtige Materialismus der Phyſtologen. Die übrigen philofo= phiſchen Richtungen der Gegenwart fireben die ewigen Wahrheiten des Chriſtenthums, ob fie nun deren viele oder wenige gelten laffen, mit dem wiffenichaftlichen Zeitbewußtjein zu vermitteln. Nach diejer Grundirung wollen wir näher auf die einzelnen Saupterfcheinungen der hriftlichen Theo⸗ jopbie und Philofophie eingeben.

6.

Der Onofticismugt) ift entflanden aus dem Eintreten des Chri- ſtenthums in den alerandriniichen Nenplatonismus. Das Gemeinfame fafl all’ ter zahlreichen Syſteme, in weldye er ſich ausbreitete, war das Streben, das Chriftenthum als die abjolute Religion denfend zu begreifen, den tiefften Urgrund des Böſen zu erforichen 2), die Nothwendigfeit und das eigentliche Weſen der Erlöfung nachzuweiſen. Als die abiolute Religion ließ ſich das Chriſtenthum in dreifacher Weile je nad feinem Verhältniß zu den vors chriſtlichen Religionen auffaffen. Entweder ließ man das Chriftenthun, ganz umvorbereitet durch Judenthum und Heidenthum, dieſen als falichen, den Namen „Religion * nicht verbienenden Religionen gegenübertreten, was einzig der Gnoſtiker Marcion (um 150) in jeinem vorwiegend ethiſchen Syſteme that; oder man erfannte in den vordrifllichen Religionen einen nody unentwidelten Keim ewiger Wahrheit als Vorbereitung auf das die Wahrheit vollfommen offenbarente Chriſtenthum, und diefer Anficht hul⸗ digten die meiften Syſteme, das des Bafllived, Saturninus, Valentinus (um 140), das der Ophiten u, A. m. Endlich konnte man die abfolute Religion als uranfänglide Offenbarung Gottes, die durch Chriſtus nur zu allgemei⸗ nerer Geltung gekommen jet, betrachten. Dies thaten vom Standpunft des Heidenthums aus die Anhänger des Karpofrated (um 140), indem fte Heidntjche Weltweile (Pythagoras, Platon, Epiphanes, den Sohn des Sarpofrated) neben Chriftus als Träger der Uroffenbarung verehrten, das

41) Bon yrooss, Erfenntniß, im Gegenfag zum Glauben, über deſſen Inhalt man nicht nachforſcht. j

2) Hierin machen die Karpokratianer, welche den Unterfchied zwifchen Gut und Böfe für bloße menſchliche Cinbildung erflärten, eine Ausnahme.

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jüdifche Geſetz hingegen für ein Werk der abgefallenen, weltſchaffenden Engel anfahen.

Dur ihre Forſchungen nach dem Urſprung des Böfen wurden die meiften Gnoftifer zu einem mehr oder minder deutlichen Dualismus geführt. So fett 3. B. Valentinus ald die zwei Orundurfachen ver Welt Den tiefen Urgrund alles Seins (Budos) und die weienlofe Materie (xhwuu), Mar⸗ cion den „gütigen Gott”, als deſſen erfte Offenbarung der „gerechte Welt- ſchöpfer“ ericheint, und den Teufel, Baftlides „ten unbefannten Gott“ und das Chaos, die Wurzel alles Uebels“. Zur Erklärung über den Urfprung des Böfen diente zum Theil auch die vielfach geftaltete Emanationdlehre der Onoftifer, aber noch weit mehr zur Speculation über Die Erlöfung und die Perſon des Erldfere. Nach Baftlides vereinigte ſich die erfte der göttlichen Emanationen (voös), die ewige Vernunft, mit Dem Menſchen Jeſus bei der Taufe im Jordan, die Menfchenfeelen durd Befreiung von dem anhängen- den Materiellen zu reinen Geiftern zu erheben. Der Iudengott, Vorſteher der fieben zulegt emanirten Geiſter, hat mit ihnen die Welt erfchaffen und ift betreffend das Erloͤſungswerk unbewußt ein Beförderer deſſelben gewor- den. Nach Valentinus gibt es zwei zur Wiederberftellung der Sarmonie im Geiſterreich beſonders beitimmte Aeonen (emanirte Geifter): Chriſtus und ten heil. Geiſt. Dieſe Zwei, dem ganzen emanirten Geifterreich ema⸗ nirt, erzeugen und fenden den „Wetter * Jeſus, welcher fih mit Dem vom Weltfchöpfer (Iudengott) gefandten Meſſtas bei der Taufe vereinigt, um Die Seelen der Menfchen wieder von den Banden der Materie zu befreien, bie Einen an die Graͤnze des Geiſterreiches, die Andern, nämlich die rein geift- lichen (pneumatifhen) Chriften in das Geiſterreich felbft zurückzuführen. Marcion jedoch betrachtet den Erlöfer nicht als Emanation, jondern als perſönliche Offenbarung des bisher verborgenen „gütigen Gottes * in Jeſu, denn Gefchöpf des „gerechten Weltfchöpfers*, um die Macht des Teufels zu überwinden, durch Erwedung reiner Liebe zum „gütigen* Gott die Men- ſchen von der frafenden Gerechtigkeit des Weltfchöpfers zu erloͤſen und zur vollkommenen Seligkeit zu führen.

Die Gnoſtiker ſuchten ihre Syſteme nicht zur Kirchenlehre zu erheben, fontern fahen meift in ſtolzer Abgeichloffenheit auf den volfsthümlichen Kirhenglauben herab. Gnoftifchen Anſichten Huldigten auch Apologeten, wie Tatian und Arnobius. Der chriftliche Neuplatonifer Syneflus, 410 zum Biſchof von’ Ptolemais geweiht, anerkannte den befiehenden Kirchen«

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glauben ungeachtet feiner tualiftiichen Phtlofopheme, deren Eonfequenz ihm den Glauben an die Auferfichung des Leibes und den Untergang der Welt nicht erlaubte. Dagegen fuchte die rein chriftliche Gnoſis der Alerandriner Clemens und Origines beſtimmend auf die Kirchenlehre einzuwirfen. Sie konnten ohne das Wiſſen keinen rechten Glauben, ohne den Glauben kein rechtes Wiſſen anerkennen. Glauben und Wiſſen ſollten nach Origines durch allegoriſche Schriftauslegung allein vermittelt werden können. Durch die Philoſophie dachten die Alexandriner den Glauben zur Vollendung zu erheben. Das Syhſtem des Origines, frei von Dualismus und Emana⸗ tionslehre, gründet ſich auf philoſophiſche Auffaſſung der Dreieinigkeit. Eigenthümlich derſelben iſt die ſtrenge Unterordnung des Logos unter Gott Vater, des heil. Geiſtes unter den Logos. Die Dreiheit erſcheint dem Origines als die nothwendige, ewige Form der Selbſtoffenbarung des Einen Gottes. Bekanntlich war der Origenismus der Kirche zu philoſophiſch; ſie eilte, ihn beſtmöglichſt auszuſcheiden (origeniſtiſcher Streit). Mit philoſophi⸗ ſchem Geiſte hat unter den Kirchenvätern nur noch Auguſtin ſein, wie er meinte, kirchliches Glaubensſyſtem aufgeſtellt. Das Schickſal deſſelben in der Kirchenlehre iſt früheren Ortes berührt worden.

7.

Den Inhalt der chriſtlichen Offenbarung hatte Origines als den alleinigen Gegenſtand der Philoſophie bezeichnet und der letztern ſomit ihre Graͤnze angewieſen. Den Uebergang zur Scholaſtik, welche die Schranke der Kirchenlehre als Gränze der Philoſophie betrachtete, bildet im 9. Jahr⸗ hundert Johannes Scotus Erigena mit ſeinem Hauptwerk De divisione naturae. Nehnlich den Alexandrinern, erklärte er die wahre Philoſophie für die wahre Religion und die wahre Religion für die wahre Philoſophie. Sein Syſtem ift vorwiegend pantheiftiich, da er Die ideale und finnliche Welt ala ein bloßes Sichmodifiziren und Geftalten der Gottheit betrachtet und eine allmälige Rückkehr derfelben in die zöttliche Wefenheit annimmt. Die (platonijche) Idealwelt bezeichnet er als erichaffen und doch felbft jchaffend, als den Inbegriff aller unfichtbaren Urſachen der fidhtbaren Dinge, - Um die in das Materielle verfunfenen Menjchen zu ſich zurüdzuführen, hat Gott ſich noch einmal unmittelbar in die Materie verfenft und ift in Jeſu erfchienen. Darum wird Feine Seele verdammt bleiben.

Mit Scotus Erigena begann diejenige Richtung der Philofophie,

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welche die allgemeinen Begriffe oder Ideen (universalia) ald außerhalb des menschlichen Denkens für fi beftchend (real) annahm und daher als Rea⸗ lismus bezeichnet wurde. Unter den NRealiften der erſten fcholaftiichen Periode, weldye mit dem Nominaliften Johannes Roscelinus (1090) endet, find zu nennen Gerbert von Aurillac (farb als Papft Stluefter II), Berengar von Tours, Lanfranc und Anfelmus, Erzbiichöfe von Canterbury. In diefer erften Beriode, welche nod nicht zum eigentlichen, weientlid ariftoteliichen Scholaſticismus gehört, Herrichte die platonifche Richtung allein. Die durch Bekanntſchaft mit den Arabern vermittelte ariftotelifche Philoſophie rief den Nominalidmus hervor, d. b. die Anſicht, daß die Univerfalien bloß im menfchlichen Denken erifliren und ihre Nealität einzig im Individuellen haben. Roscelinus ging ſoweit, die Univerjalien ald bloße Worte (nomina) zu bezeichnen, woher Dieje ariftotelifche Richtung ihren Namen erhielt. Das Meberhandnehmen ded Nominalismus, welches die Vhilofophie tiefer in das Falte Gebiet der Logik hineinzog, wedte ten philoſophiſchen Myſticiomus, welcher fich vorwiegend mit Meligionsphilofophie von praftiicher Richtung beichäaftigte und als feine Hauptaufgabe erfannte, den Weg zur innigften Vereinigung der Seele mit Gott nachzuweifen. Neben den beiden Bictoren ift von den Moftifern Bernhard v. Clairvaur zu nennen, welcher als des Menschen höchſte Beftimmung die felige Anichauung mit Gott, wodurch bie Seele in Gott überfließe, bezeichnete.

Ungeadtet erſt in der 3. Periode der Scholaftit (1250 1320) die ariftotelifche Philojophie vollftändig befannt wurde, gelangte doch der Realismus wieder zu ausfchließlicher Herrſchaft. Dagegen that fich innerhalb defjelben ein neuer großer Gegenjag auf, hervorgerufen durd Zhomad von Aquino und Dund Scotud. Die Berfchiedenheit beider Syſteme, aus welchen ein auch nach der Reformation fortdauernder Schul- zanf hervorging 1), beruht wejentlich auf drei Punkten. Thomas erklaͤrte, daß die Univerlalien, bevor ſie fich mit der Materie verbinden, nur Der Möglichkeit nach vorhanden feien, jobald fte fich aber mit der Materie zu Individuen verbunden haben, feien fte Feine wahren Univerfalien mehr. Duns Scotus hingegen behauptete, die individuellen Dinge jeten nur Spie- gelbilder der an fich eriftirenden Univerfalien, weldye die Kraft befigen, Durch Individualiftrung der Materie in die Erfcheinungswelt einzutreten, Werner

1) Die Jefuiten erklärten fi gegen die Brancisfaner für Thomas von Aquino.

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erhob Thomas die Erfenntniß Gottes, als den höchſten Zweck des Menfchen, zur Hauptaufgabe der Theologie. Duns Scotud hingegen, welchem bie Seligkeit als. höchſter Zweck des Menfchen galt, faßte die Theologie ald aus⸗ Schließlich praktifche Wiffenichaft. Dies kam daher, weil Thomas den Ver⸗ Hand, Duns Scotus den Willen für die höchfte Geiſteskraft des Menfchen anſah. |

In der legten Sauptperiode der Scholaftif (1320— 1561) nahm ber Nominalismus den Kampf mit dem durch Thomas von Aquino erfchütterten Nealismud von Neuem auf und gelangte endlich zum Siege, vornämlich durch Wilhelm von Okham, Iohannes Buridan 2) und Gabriel Biel, Die immer mehr in abfurde Spibfindigfeit, in die Dialektif des „Höheren Blöd⸗ finns * 3) ausartende Scholaftif verlor ihren Einfluß auf die hriftliche Theo⸗ logie und rief eine zweite Reihe von Myflikern hervor, deren Bertreter dad Ewige weientlic durch Gefühl und Willen zu erfafien ſuchten. Johannes Gerfon (geb. 1363) erklärte das unmittelbare Erkenntnißvermögen des Ueber⸗ finnlichen für bes menfchlichen Geiſtes höchſte Erfenntnigkraft und die my⸗ ftijche Theologie, da fle ich auf innere Erfahrung eines frommen Strebend gründe, für die wahre Philoſophie. Raimund de Sabunde (un 1436) fuchte das Verſtaͤndniß der geoffenbarten Religion vermittelt frommer Naturbetrachtung. |

8,

Während die Scholaftif allmälig erlofch, machte die durch das erneute Studium des platonifchen, ariftotelifchen und ftoifchen Syſtems, fo wie durch das einft ſchon von Roger Bacon (geb. 1214) angeregte Studium der Natur- wiflenfchaften geläuterte Wiffenfchaftlichfeit den Verſuch, felbfiftändig,, ohne Ruͤckſicht auf Die Kirchenlehre, zu philoſophiren. Merkwuͤrdiger Weife finden wir aber die philoſophiſchen Syſteme der Reformationdzeit faft alle in Ita⸗ lien, wohl aus dem Grunde, weil die Ideenbewegung Deutfchlands, Frank⸗

2) Autor der berühmten Kabel vom Bel, welcher aus efelhaften Serupeln zwifchen zwei Heubünbeln verhungerte.

3) Welche alles Ernſtes Fragen discutirte wie diefe: „Kann Gott etwas Ge: ſchehenes völlig ungeichehen machen und demnach aus einer öffentlichen Dirne eine Jungfrau? Wie viele Engel haben Platz auf einer Nadelſpitze? Warum hat Adam von einem Apfel und nicht von einer Birne gegeſſen? Wie hätte Chriſtus die Er- löfung vollbracht, falls er in Geſtalt eines Kürbifies auf die Welt gekommen wäre?“

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reichs und Englants damals Hauptfächlich auf das praktiſch und kirchlich Religiöſe gerichtet war. Der deutfhe Theoſoph, Jakob Böhme, ift der erfte wichtige Philoſoph innerhalb des ſchon befeftigten Proteſtantismus.

Mit Uebergehung der Philoſopheme deutſcher Platoniker dieſer Zeit (Reuchlin, Agrippa von Nettesheim, Paracelfuß) wenden wir und ſogleich zu den italiſchen Philofophen )). Girolamo Cardano (geb. 1501) erfaßte Bett ald das eine ewige Sein, die Well aber als die Entfaltung feines Lebens. Bott der Dreieinige, ald welcyer er Almacht, Anſchauung des Un⸗ endlichen und Liebe in fich vereinigte, iſt das felbftbemußte Leben ter Liebe. Des Menſchen Geift ift ewig, weil er Gott, die Welt und das Unendliche in fig aufnehmen kann, fie immer mehr vollendet und nicht alter. Der Geift wird immer wieder geboren und nimmt neue Lebendformen an (Seelenwanderung). Als Narurforfcher hat Cardano ſich eine eigenthüm⸗ liche Raturphilofophie gebildet, melche er aber mit feiner Lehre von Gott in feinen foftematifchen Zufammenbang bradyte. Die drei überall ſich offen- barenden Prinzipien: Materie, Form und Seele, die Sympathie, melde das Univerſum beberricht, bringt er in Feine anfchautiche Beziehung zum görtligen Walten. Die Weltprinzipien des Bernardino Teleflo (geb. 1508) find: Gott, der die Menſchenſeelen fchafft, die Materie und deren Dewegen: Wärme und Kälte Bei ihm berricht die auf bloße Sinnes⸗ wahrnehmung, ftatt auf Vernunftfchlüffe gegründete Betrachtung der Dinge (Senfualisnus) zu fehr vor, als er in Gott die rechte Einheit des Als hätte erfaſſen köͤnnen. Gr ift fo wenig Xheolog, daß er felbft die Ver⸗ werfung derjenigen unter feinen Anfichten, weldye der Kirchenlehre oder der heil. Schrift zuwider wären, für billig Halt. Für die Geſchichte der Philo- fopbie jheint uns fein Syſtem wichtig als bie erfte Probe eines entſchiede⸗ nen Senfualidmus. Die Weltanfchauung ded Giordano Bruno (gefl. auf dem Scheiterhaufen der Inquifition zu Rom i. 3.1600) ift ein Ratur= philofophle und Theologie phantaftevoll verfchmelzender Pantheismus, wel⸗ cher immer und überall im Weltganzen eine unendliche Harmonie ſucht und findet. Das Sein Gottes ift, Bruno zufolge, dad Sein ſchlechthin, aber es

1) Eine fo einläßliche und treffliche Darlegung dieſer italiſchen Philofophie, wie fonft meines Wiſſens in der deutfchen Literatur fonft nirgends, findet fih in Moriz Carriere's bekanntem Buch: „Die philofophifche Weltanfchauung der Reformationg- zeit“, ©. 318—606.. Ich muß mich natürlich unverbältnißmäßig viel kürzer faffen, verdanfe ihm aber viel,

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muß als That gedacht werden. Gott, die höchſte Intelligenz, erſchließt ſich in- der Welt, um fein eigenes Wefen anzuſchauen; der göttliche Geift oder

die abfolute Einheit ift zugleich Das, welches begreift und welches begriffen

wird. Die Materie fegt Bruno nicht außer, jondern in Bott; denn Gott als der Allgegenwärtige tft nicht der Raumlofe, fondern nur der Dur feinen Raum Beſchränkte, vielmehr der allen Raum Erflllende, und Eins ift die Materie oder der Leib, Eins die Form oder die Seele, Ein ewiges unendliches Sein. Die göttliche Borfehung iſt Eins mit der Freiheit und Nothwendig⸗ feit, nämlich als Selbftbeflimmung. Als fchöpferifche Weſenheit nennen wir Bott den Vater, ald die den Dingen eingeborene Kraft und Weisheit Sohn, endlich Geiſt als die Liebe, welche durch die Betradhtung der Schönheit erzeugt wird und das Endlihe zum Unendlichen zurüdführt. Die Liche wirft in dem Menfchen die Wiedergeburt des Geiftes und Gemäthes, kraft welcher die Gottheit in ihm Wohnung nimmt. Die Seele ift unſterblich. Je nad) ihrem höheren ober njedrigeren Streben wird fie nach dem Tode in einen höheren oder niedrigeren Leib, in eine höhere oder niedrigere Welt wan⸗ dern, Cäſar Bantni (als „Atheiſt“ verbrannt zu Toulouje 1619) mag des frivolen Wiges wegen; den er gegen Eirchliche Dogmen richtete, als ein Vorläufer Voltaire's angejehen werden. : Sein Gottesbegriff reiht an den Bruno’ihen nicht Hinan. Auch Vorklänge des modernen Materialismus finden fich in feinen Schriften. So, wenn er fagt, die Seele ſei in jedem Körperteile ganz und nichts Anderes als ber felbfibewußte Nervengeift, deflen gute und ſchlimme Neigungen von den Samen und Säften abhängen, welche in unſer Wefen eingehen. Tomaſo Campanella (geb. 1568) ver- räth in feinem Syſtem noch die meifte Abhängigkeit vom Platonismus und ftreift nahe an Dualimus. Das Entftchen der endlichen Dinge aus Gott, dem unendlichen, ewigen Sein, welches dreieinig ift in Macht, Weisheit und Liebe, kann er nur dadurch erflären, daß er dad Nichtfein mit feinen brei Prinzipien: Ohnmacht, Unmiffenheit und Haß ald Begränzung bed Seins auffielt. Daher haben alle endlichen Dinge Theil eben jo wohl am Sein, ald am Nichtfein. In Gott eriftiet zuerft die Idealwelt, angefüllt mit Engeln, die man Tugenden nennt. Sie denfen die Iteen. Auf der Ideal⸗ welt beruht die mathematifche Welt, worin die Geifter die geometrifchen Körper bilden. Auf diefer endlich beruht die materielle Welt, beflehend aus der Materie, Wärme und Kälte. In allmäliger Reihenfolge biltet Gott diefelbe zu Himmel und Erde aus durch Die Nothmentigfeit, das

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Shidial und die Harmonie. Die von der Materie gefeflelte Seele kehrt durch die göttliche Hülfe der Religion wieder zu Gott zurück. Seligfeit ifl die Er- fenntniß, daß wir in Gott find und Gott in und. Campanella Hofft eine Wiederbringung aller Dinge, wo alle Seelen zum Bater zurüdfehren und in ihm wechfellofe, unvergängliche Seligfeit genießen werden.

In Deutſchland bat zu Anfang des 17. Jahrhunderts ein einfacher Handwerker, Jakob Böhme (geb. 1575), die chriſtliche Idee mit philoſophi⸗ ſchem Genie durchdrungen und dadurch Ter nordiidhen Myſtik den vollkom⸗ menften Austrud verlichen. Nah Böhme iſt Gott die ewige Einheit, ver ewig ſich in ſich ſelbſt gebärende Wille. Als Wille ſchlechthin ift Bott der Bater, als Geminh und Gerz des Willens (das Wort) der Sohn, als Auszahg vom Willen und Gemüth die Kraft und ter Geil. In folder Dreieinigfeit iſt er ewig feiner felbft bewußt. Wie Bruno bezeichnet aud) Böhme Gottes Denken ald Schaffen. Intem Gott das Wort ewig aus fih ſelbſt gebiert und durch das Wort alle Dinge Schafft, gebiert er alle Dinge in fih ſelbft. Darum nennt Böhme dad Weltall den Leib Gottes, Inneres und Aeußeres in feiner Einheit den lebendigen Bott. Die Notb- wendigfeit der göttlichen Selbſtbeſtimmung bringt, wie alle andern Gegen⸗ ſätze, jo auch den Gegenſatz des Guten und Böfen hervor. Das Vöſe ifl nothwentig zur Offenbarung des Guten. Sofern nun Bott das Böje nur zur Offenbarung ded Guten will, ift es für ihn aufgehoben. Im Menfchen erfcheint das Böje ald der von Bott fi jcheidende, das Fürſichſein begeh⸗ rende Wille. In der Liebe zu Bott und ten Menfchen einiget fidh Die Seele wieder mit dem göttlichen Willen und empfindet nun Gott ſelbſt ald Liebe, während fie ihn zuvor ald Zorn empfunden bat. Als Chrifus geboren wurde, ward Gott ald Menfch geboren; aber Chriſti Seele ift eine Greatur, wie Die unfere, nicht vom Himmel herabgebracht. Chriſtus, der mit Gott vollkommen geeinigte Menſch, muß in und geboren werten; Dann geben wir ein in Gottes Willen und haben Berzeihung der Sünden?) Die äußere Menſchheit Ehrifti mußte am Kreuze erfterben, damit durch biefe völlige Hingabe das ewige Wort in der Menfchheit allein herrſchend werde,

2) Denfelben Gedanken hat auch ein jüngerer Zeitgenofle Böhme’s, der myflifche Poet Johann Scheffler (Angelus Silefius), in feinem „Cherubinifhen Wanders⸗ mann“ fehr prägnant ausgeſprochen:

Wird Chriſtus tauſendmal zu Bethlehem geboren Und nicht in dir; du bleibft doch ewiglich verloren.

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Durch den Slauben an Chriftus erflirbt die Ichheit und kommt das ewige Wort zur Herrichaft au in und. Der Tod führt aus dem Reiche der Natur ind Reich der Himmel, wo Alles Harmonie, Ruhe und Freude ifl. Die Höllenqual der Böfen faßt Böhme Ähnlich wie Bruno, nur ohne See⸗ Ienwanderung. 8 wird jede Seele das, was ihrer herrichenden Begierde entfpricht.

9.

Frankreich hat waͤhrend dieſer Periode ſtatt aufbauender Philoſophen Skeptiker hervorgebracht. Michael Montaigne (geb. 1533) ſuchte durch den Satz, daß die Vernunft nicht im Stande ſei, die Wahrheit zu erken⸗ nen, die Offenbarung aber allein die Wahrheit enthalten könne, ſeine Zweifel an der chriſtlichen Religion zu beſchwichtigen oder wenigſtens zu verhüllen, wogegen ſein Schüler Pierre Charron den Skepticismus gegen die Religion wandte mit der Erflärung, daß feine Meligion, auch die hriftliche nicht, dem angeborenen Tugendtrieb des Menfchen ganz genüge. Aus dem franzöflfchen Sfepticismus aber ging das Syflem des Garteflus, welches felbft mit dem Zweifel beginnt, hervor. René Descarted (geb. 1596) ward der Befreier der Philoſophie von der Theologie und dem alt- claffiihen Syſtemen. Aus allen Zweifeln bleibt, fo lehrt uns Garteflus, nur die Eine Gewißheit übrig: „Ich denke, daher bin ich* (cogito, ergo sum). In Folge deffen unterfucht Garteflus das denkende Ich und findet darin eine Anzahl angeborener Begriffe und Wahrheiten. Zu den angebo« renen Begriffen gehört befonderd die Idee eines volltommenften Weſens (Gottes), welche dem Menfchen nur von dieſem felbft mitgetheilt fein kann. Auf die Gottesidee gründet ſich alle Gewißheit der Philoſophie. Wahre⸗ Subftanz, d. H. Grund feiner feldft, ift nur Gott. Subſtanzen im weitern Sinne, d. 5. Dinge, die den Grund ihres Seins einzig in Gott haben, find Geift und Materie. Das Attribut (d. h. weſentliche Eigenfchaft) des Geiſtes iſt das Denken; das Attribut ber Materie Die Ausdehnung. Gleich Anfangs Hat Bott die Welt vollendet geichaffen und durd feinen fortwäh- renden unmittelbaren Beiftand (coneursus) wird fle erhalten. Der Menſch bat eine immaterielle Seele-(denfende Subftanz), welche von dem Körper ihrer Natur nad) ganz verfchieden tft und in der Zirbeldräfe ihren Sit hat. Beil die Thiere nicht denken, fo haben fie Feine Seele und find daher bloße Automaten. Indem Descarted vermittelt diefer Grundgedanken daB Prin⸗

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Ay aänzlicher Borausfegungslofigfett in der Philoſophie und das Ausgehen der Speeulation vom felbftbewußten Ich geltend machte, indem er endlich den alten Gegeniag von Geiſt und Materie ald den Gegenſatz der Begriffe von Denfen und Sein ind Bewußtfein hineinſtellte, bat er der modernen Bhilofophie ihre Sigenthümlichkeit gegenüber der antiken verliehen.

Was die Carteflaner Beulinr und Malebrandhe vergeblich auſtrebten, den Dualismus zwijchen Sein und Denken aufzuheben, gelang befler, wie⸗ wohl keineswegs ganz, dem großen Juden Baruch Spinoza (geb. 1632 in Amſterdam). Bon Gartefius entlehnte er den Begriff der Subſtanz, ver- volltändigte ihn aber dahin, daß er alle näheren Beſtimmungen, weil dies jelben doch nur Negationen enthalten würden, von ihm ausfhlog. Den Dualismus des Carteſtus juchte Spinoza dadurch zu heben, daß er Denken und Ausdehnung (cogitatio et extensio) für die beiden einzigen Attribute erklärte, unter welchen der menſchliche Berftand die Subſtanz anzuſchauen vermöge, ohne daß doch Diele Attribute der Subflan; wirklich zukommen. Ulle Eörperlichen Dinge find nur Mobdiflcationen der Ausdehnung, alle gei- fligen Individuen nur Modificatiouen des Denkens. Gegenfeitige Einwir- fung des Körperlihen und des Geiſtigen auf einander fchließt Spinoza firenge aus; fte ift bloß ein das menſchliche Vorftellen täufchenter Schein. Dagegen findet zwiichen der Ordnung und dem Zuſammenhang der förper- lichen Dinge einerſeits und der geifligen Dinge andererſeits eine vollftändige Uebereinftimmung flatt, jo daß z. B. jede Veränderung im Körper einer Veränderung In der Seele, und jeder Zuftand der Seele einen Zuftande tes Körpers entſpricht, weil ja Körper und Serle eigentlidy in der Subſtanz daſſelbe find, nur unter verfchiedenen Uttributen angefchaut. Seiner Sub⸗ ftanz, deren Begriff das alleinswahre Sein tft, ſpricht Spinoza, obwohl er fie Gott nenni, alles Selbftbewußsiein und allen Willen ab. Da der Menſch nur aus zwei Modiftcationen befteht, nur eined ter zahllofen ver⸗ fhwindenden Momente der Subflanz if, fo hat er Eeinen freien Willen, jondern iſt von allen Seiten ber determinirt (zum Wollen und Handeln ge= zwungen). Gonfequent hebt Spinoza auch den realen Unterjchied zwiſchen Gut und Böſe auf. Böſe oder Sünde nennt der Menich nur, was einem ihm feſtſtehenden Begriffe von Vollkommenheit nicht entſpricht; dad Voll fommene aber ift die Subſtanz, ohne welche auch das Böje nicht geſchieht. Erkenntniß und Liebe Gottes ift die höchſte Tugend, zugleich die wahre Seligfeit. Mit dem Tode hört die Individualität, das Selbfibewußtfein

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der Seele auf, da fa bie Zerſtörung des Leibes auch Die Auflöfung der Seele, als ihrer entfprechenden geiftigen Modification, zur Folge haben muß. Carteſius und Spinoza übten auf die philoſophiſche Auffaffung ber Religion feinen unmittelbaren Einfluß. Diefer ift erſt fpäter, mit der Wiebererwedung Spinoza's durch Schelling, mit Macht Hervorgetreten. Dagegen haben die gleichzeitigen englifchen Freidenker auf die philoſophiſche Behandlung des Chriſtenthums um fo bedeutender eingewirkt.

10.

Die Entdeckung Amerika's (1492) und des Seeweges nach Oftindien (1498) hatte den Geſichtskreis der chriſtlichen Nationen erweitert und die Erde aus einer flachen Scheibe unwiederbringlich in eine Kugel umgewandelt. Kopernicus ſodann (geſt. 1543) hatte es gewagt, die Erde um die Sonne kreiſen zu laſſen und damit der menſchlichen Eitelkeit, welche das von ihr bewohnte Sandkorn als den Mittelpunkt des Weltalls betrachtete, einen ge⸗ waltigen Stoß verſetzt. Kepler ergründete eben die Geſetze der Planeten⸗ bahnen, Galilei aber erfand das Mikroſkop, richtete zuerſt das Teleſkop nach den Geſtirnen und ward der Vater der Phyſik, als Bacon von Veru⸗ lam (geb. 1561) das Syſtem der Wiſſenſchaften reformirte, indem er die Philoſophie auf die Erfahrung zurüdführte, alle Weltanſchauung auf er- fahrungsgemäße Naturpbilofophie gründete und den ganzen Wuſt abſtracter Theorien und überlieferter Vorurtheile aus der Philoſophie verbannte. Da⸗ durch ward ſowohl der kirchliche Autoritaͤtsglaube tief erſchuͤttert, als auch die Freiheit des Denkens wieder hergeſtellt. Es konnte daher nicht fehlen, daß ſich das befreite Denken auch an die Kirchenlehre und an die geoffenbarte Religion ſelbſt machte.

Die engliſchen Freidenker legten zuerſt mit vollem Bewußtſein die Vernunft als oberſten Maßſtab an ten Offenbarungsglauben 1). Der Erſte unter ihnen iſt Herbert v. Cherbury (geb. 1521). Ueber das Verhältniß des Glaubens zur Vernunft ſprach er folgende Anſicht aus: „Beide haben ihr eigened Gebiet, und der Glaube kann nur dad Anjehen haben, welches ihn die Vernunft zufpridt. Er kann nur dann feſtſtehen, wenn er ber

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41) Ausfuͤhrliche Darlegungen des englifchen Freidenkerthums geben, wie befannt, Schloffer (Gefch. d. 18. Jahrhunderts, Bd. 1.), L. Noack (die Freidenfer in der Re⸗ ligion,, Bo. 1.), 9. Hettner (Literat:irgelch. d. 18. Jahrhunderts, Pb. 1).

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Bernunft nicht zumiderläuft und den Schuß der Priefter verbient nur ber- jenige Theil feines Inhaltes, welcher aus ten Grundlehren der rechten Ver⸗ aunft zufammengefegt if.“ In Folge diefer Anficht hat Herbert 5 Grunds artifel der Vernunftreligion aufgeftellt, von denen er behauptete, daß fle den Kern des Ghriftenthung enthalten. Da wir bier unter den englifchen Freidenkern nur Locke und Tindal einer nähern Betrachtung unterwerfen können, fo wollen wir die Stellung der Uebrigen zum Chriſtenthum in Furzen Sägen bezeichnen. Thomas Hobbes war ein Päpftler im Sinne der anglikaniſchen Kirche. Er geftand nämlich einzig dem Staatsoberhaupte das Recht zu, Megel und Richtſchnur für die Auslegung der heiligen Schrift aufzuftellen. Nur foweit follte die Autorität der Offenbarung gelten, als fle durch die Autorität de8 Souverains geheiligt werde. Blount wollte Fein Wunder ohne Prüfung der Gewährsmänner glauben. Entfchieden wurden die Wunder und Weifjagungen der Schrift beftritten von Collins (welcher ben Namen „Breidenfer * (Free-thinkers) aufgebradyt bat), Woolfton und Annet, während Toland die betreffenden Stellen für bloße Erziehungsmite tel der Vernunft erklärte. Shaftesbury faßte als das Weſen des Ehriften- thums die Sittlichkeit, von welder alle Glückſeligkeit abhänge. Chubb fuchte als eigentliche Lehre Chrifti nachzuweiſen, dag Nichts als die Ueber⸗ einftimmung der Seele und tes Lebend mit der ewigen Megel des Rechten den Menfchen Gott angenehm machen könne; daß wir uns, von diefer Ne- gel abgewichen,, einzig durch Buße und Beflerung der göttliden Gnade ver⸗ fihern können; daß endlid Bott die Welt mit Gerechtigkeit richten und Jedem nach feinen Werken vergelten werde.

John Locke (geb. 1632) beftritt die Behauptung des Carteflus, daß es angeborene Ideen gebe, und lehrte, daB die Seele ihren ganzen Inhalt den Eindrüden zu verdanfen habe, weldye die materiellen Dinge auf fie ma= hen. Aus ten einfachen Ideen, welche der Berftand theild durch die Sinne, theils durch Reflerion erhält, bilden fi) die zufammengefeßten der Mori (3. B. des Raumes, der Zeit und des Denkens) der Subftangen und Ver⸗ hältniffe. Aus den einfachen und zufammengefegten Ideen bilden ſich die Erkenntnifſe. Zur Offenbarung ftellt ſich ſein Syſtem alfo: „Eine Offen- barung kann Feine neuen Vorftellungen geben und die Nefultate der Ver nunff , nur beſtäͤtigen, aber nicht widerlegen; im Gegentheil Hat die Ver⸗ nunft. allein. zu entfcheiden, ob etwas für Offenbarung Ausgegebenes wirf« lich Offenbarung. fei oder nicht." Nach den die Stügen des Autoritäts-

glauben® zerflörenden Arbeiten feiner Borgäuger begann Matthäus Tindal (geb. 1656) den Aufbau des erften deiſt i ſchen Syſtems. Wan erflärt oft für Deismus die Anfiht, daß Bott feit der Schöpfung nicht mehr un⸗ mittelbar, fondern nur durch die ein für alle Mal gegebenen Naturgeſetze und Naturfräfte in der Welt fortwirke, gleich einem Uhrmacher, der eine nur einmal des Aufziehens bebürftige Uhr zuwege gebracht und ihre auf- gezogene Mafchine dann ſich felbft überläßt. Doch diefe Nnficht läßt ſich weder in Tindald, nod in Morgans und Bolingbroke's Werken nachweifen. Bollkändig entwidelt haben wir fie erft in dem von K. Bogt aus dem Eng⸗ liſchen überfegten Buche „Natürliche Gefchichte der Schöpfung“ gefunden. Bielleiht haben die Gegner Tindals Anftchten bis zum läppifchen. Epiku- raͤiomus entftellt nur in der. Abſicht, jeine Behauptungen betreffend die Of⸗ fenbarung Gottes, die Erhörung des Gebets u. f. w. lächerlich zu machen, Betreffend die Offenbarung lehrt er: „Obwohl Gott fein Geſetz durch Chri⸗ flus äußerlich verfündigen ließ, fo hat er e8 doch noch beftändig allen Men⸗ ſchen, ſowohl Chriften als Nichtchriſten, ind Herz gepflanzt." Hinſichtlich des Gebetes hebt Zindal hervor, der Menſch könne durch daflelbe die ewige Weisheit nicht beftimmen, wie fte bei ihrer Fürforge für alle Geichöpfe han⸗ dein folle, noch Gott überreden, bie ewigen Geſetze zu ändern, bie er vor der Weltfchöpfung feftgeftellt habe. um alle Dinge in ihrem georbneten - Gang zu erhalten. Die Unveränderlichkeit des Naturgeſetzes, weldes Zindal zufolge Bott felbft niemals übertritt, war den Wundergläubigen natürlich ein Dorn im Auge; noch mehr, daß Zindal.offen erklärte, er wolle zwar die Dreieinigfeit Gottes und die Gottmenſchlichkeit Ehrifti nicht läugnen, fet aber doc) nicht gefonnen, Etwas zu glauben‘, was nicht die Brüfung der Vernunft aushalte.

11.

In Deutfchland if das Freidenkerthum aus den freieren Elementen der Reformation hervorgegangen und Hat ununterbrochen feine Bertreter gefunden bis auf den heutigen Tag. Wie kühne Behauptungen ſchon vor Zutgers Zeit audgelprochen wurden, zeigt dad Beiſpiel des Hermann Ryofi⸗ wyk, welcher in den Niederlanden die Anftcht verbreitete, weder Chriſtus fet Gottes Sohn, noch die Bibel ein göttliches Buch, das ganze Chriſten⸗ thum vielmehr Thorheit und Unfinn. Unter den Freidenfern der Reforma⸗ tionszeit ift beſonders Sebafttan Brand hervorzuheben, welcher die Bernunft

Gere, Gef. d. Religion. U. 20

für das innere uud. eigentliche, Die Sibet nur für daS äuferlihe Wort Got⸗ ted erllänte, in dee Vibel Nichts fir Gottes Wort anetannte, als was dem twwers Gotteßtwons bee iprnunfs entipeedie ,, und daher ber Buchfinben Den @chrift „des Irufela Sig, Gieg und Schwert.” nannte, im Begenfag zu Suther, der Die Bernumfs „des Keufeld Gerne ſchalt.

Da die Leibnit ⸗Wolſſche Philaſoyhie auf das deuiſche Freidener ihnm in feiner Geſtalung als Naturaliamus feinen Einfluß geübt hat, fo wollen wir bie Geſchichte deſſelben fortſegen, bevor wir zu Leibniigz übergehen. Die von Mathiak Kauten geſtiftete Partei der Gewiffener (um 1872) wollte das Gewiſſen alo die albeinige Quelle bes Religion auexfenuen. Kau- rad Dippel (geb. 1073) forderte auf zu freier Schriftauslegung durch Yen heiligen Grit, dor jedein Ausleger fort und fort fich mittheile. Die che bang der Dernunfs über bie Bibel ipracı Edelmann (geb. 1698), der nich umgetriebene Obyſſeus ter beutichen Denfircibet im 18. Jahrhundert, am sohtommenfien aus. „Zur Regel meines Glaubens und Lebens“, ſprach eo, „IM mir Nichts als die Vernunft gegeben.“ „Wo ihr nicht den Ich gen Bott andens konnen lernen wollt, ald ihn ewere Hexenlaterne, die Bio bei, faſt durchgehendo heſchreibt, fo werdet ihr ihn nimmermehr kermes bernen.* Edelmanns Grundanſicht ſtützt ſich auf Verallgemsinerung Des johannetfhen Logodolehre:· „Der Logos, welcher von Anfang hei Gott war, MR nicht bloß in Jeſu, fontern in allen Menſchen Fleiſch geworden *1).

Eine vollflännig abgerundete, son der Theologie ganz unabhängige Weltanſchauung tritt um& nad. Spinvza's Shſtem ſofom in dein Leibnitz ſchen entgegen. Gottfried Wilhrim Leibnitz. (geb. 1646) ging in feiner Mona⸗ denlehre war ebenfulld, wie Syinoza, vom Begriffe der Subſtanz aus, de⸗ finirte jedoch denſelben ganz anders. Die Subſtauz iſt nach Leibnitz thätige Kraft, welche nach allen Seiten hin abſtoßend wirft, daher reine Individua⸗ litaͤt Monade. Er dachte fich eine unendliche Vielheit von Monaden, weil das Sein einer Anbinidualität dad Sein unendlich vieler anterer Indivi⸗ Iuaßteten vorausfege, und bie Monade ſelbſt als. unendlich Kleines, ale Put. Die Gottheit iſt ebenfalls Momabe, aber diejenige, deren ſchöpfe⸗ riſcher Wille alle übrigen Monaden durch Ausſtralung (.Efulguratien“)

1). Da haben, wir alio ſchon den „idealen Chriſtus“ des David Friedrich Strauß Nichts Neues unter der Sonne! Reichlichſtes Material zur Kenniniß und Beurtheilung Dippels und feiner Nachfolger liefert dir „Bibliochek der deutſchen Auſrer des 18. Jahrhunderts“ von Martin v. Geiſmar.

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ſchafft. Je nachdem eine Monade der göttlichen Vollklommenheit in höherem oder geringerem Grabe theilhaft iſt, beſitzt fie eine hellere oder truͤbere Vor⸗ ſtellung vom ganzen Univerſum, iſt fie ein hellerer oder trüberer Spiegel beffelßen.. obwohl fie gegen alle übrigen Monaden vollfommen abgeichkoffen bleibt. Da alle Veränderungen in einer einzelnen Monabe von Gott aus⸗ gehen, jo muß ſich das ganze Unizerfum darnadı richten, daher 3. B. jeder Beränkerung in der: menſchlichen Seelenmouade eine ähnliche Veränderung in den Monaden des Körpers entiprechen. Darin befteht die von Leibnig jo genannte präflabilirte Garmonie. Der legte Zwed der Weltfchöpfung ift Die Errichtung eined Gottesreiches. Diefen zu erreichen, flimmt Die Has« monie bed Nasurreiched mit der Harmonie der moralifhen Welt zufammen zu einer höchſten Harmonie, Eraft welcher das Gute ſtets belohnt, das Böſe ſteis beftraft wird. Da nun die ganze Welrharmonie im Dienfte des Guten ſteht, fo ift die vorhandene Welt die befle, bie gefchaffen werben konnte (Optimismus). Von den angeborenen Ideen lehrt Leibnitz, fie ſeien nur ber Anlage nah in der Seele enthalten. Die Seele tft als Subftanz unfterblih. Das Böfe läßt Gott nur zu, weil ohne daſſelbe weber fltt- liche Freiheit noch Tugend eriftiren Eönnen. Es tft nichts Neales, ſondern geht aus den obenerwähnten größern oder geringern Unvollkommenheiten der Monaben hervor und kann demnach die Weltharmenie nicht flören. Ehriftian Wolf (geb. 1679) bat viele Gedanfen von Leibnig in fein Syſtem aufgenommen, die Monabologie jedoch bedeutend abgeändert. Gr umfaßte alle Wiffenfchaften zu einem Syſtem der Philoſophie, welches er in einzelne Disziplinen zergliederte. Die Haupttheile feines Wiflenfchafteniofems find die theoretifche und die praftiiche Philaſophie. Zur erſtern gehört bie „notüriche Theologie *, ald deren Stifter Wolf befonders großen Einfluß erlangt bat. Da er bie Philofophie befkimmte als die „Wiflenichaft tes Möglichen“, d. h. Defien, was feinen Widerſpruch enthält, ſo fuchte er die Theologie weſentlich auf diejenigen Lehsen des Chriſtenthums zu beſchränken, welche einander nicht widerfpzechen. Die Wolflaner, unter denen Bilfinger, Baumeifter, Baumgarten und Meier zu nennen find, fuchten die Vhiloſophit ihres Meifters in den einzelnen Disziplinen auszubauen. Die Theologen von Wolffcher Richtung behaupteten die Nothwendigfeit des philofophifchen Beweifes für die Kehren der Grifflichen Meflgton.

Un die populär gewordene Wolf'ſche Philoſophie ſchließt Eh Sie beutiche Yaurflärung, Freiheit von. jehem Autoxitätszwange in religlöſen

20*

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und wifienfhaftlihen Dingen war ihre Loſung, die Glückſeligkeit des Indi⸗ viduums der Zweck ihrer Forſchungen und Beftrebungen. Daher ward bie Unfterblichkeitöfrage beſonders lebhaft beſprochen (Moſes Mendelsſohn), das Chriſtenthum als Gluͤckſeligkeitslehre dargeſtellt (Steinbart), das Moral⸗ lehren in der Philoſophie (Garve, Engel) und auf der Kanzel Mode 2), über das hiſtoriſche Chriſtenthum aber ein merfwürbiger Wirrwarr von Meinun⸗ gen Toßgelafien. So ftellte Reimarus (1694 1765), Verfaſſer der „Wolfenbüttler Fragmente“, das Unternehmen Jeſu als einen verfehlten Empörungsverfuch dar, welcher dann durch eine vorgebliche Auferftehung zu Ehren gefommen ſei. Wünfch Hielt Iefus für einen redlichen Schwärmer, der ein Opfer feiner Täufchung geworden, Venturini übte feine Phantafle in der „natürlichen Befchichte ded großen Propheten von Nazareth". Die Sittenlehre des Chriſtenthums Hat Mauvillon (1787) angegriffen. Der Philoſoph Eberhart flellte Sokrates und Ehriftus auf eine Linie. Bahrbt endlich wollte das Chriſtenthum wieder bei den PHilofophen „zu Ehren Gringen* dadurch, daß er in feinen Briefen über die Bibel Alles, was ind Gebiet des Wunderbaren flteifte, befeltigte. Ueber biefe werfeltägigen Aufklärer erhob fi das auffläreriiche Genie eines Leſſing, wie ſich der Thurm einer gotbifchen Kathedrale über an feinem Fuße Elebenden Trödel» buden erhebt. Leffing war auf allen Bebieten feiner umfaffenden wiffen- ſchaftlichen Thätigkeit derfelbe Eenntnißreiche, Elare, maßvolle und humane Mann. Die Krone feiner theologifchen Autorſchaft bilden jene unvergleich⸗ lichen, bie befte deutſche Profa enthaltenden, durch die Herausgabe der Molfenbüttler Bragmente (1774) veranlaßten Streitfchriften gegen den Hamburger Hauptpaſtor Götze. Er machte darin geltend, daß das Chriften- thum äfter ſei, als das erft innerhalb der Kirche entflandene neue Teftament, welches er als einen bloßen Bauriß des chriſtlichen Glaubens bezeichnet. Er tadelte das einfeitige Feſthalten der Broteftanten an dem gefchriebenen Wort, wodurd der lebendige Geiſt der Kirche zu fehr In den Hintergrund gedrängt worden ſei. ine abgerundete theologifche Anficht Hat Leffing übrigens bekanntlich nicht aufgeftellt. Zu feinen Grundgedanken gehört, daß er die

2) Rifolai, der Typus der Aufklärung in der Bluͤthe ihres utilitarifgen Proſais⸗ mus, zeichnet in feinem „Sebaltus Nothanfer“ folgendes Ideal eines Pretigers: „Er (diefer Brediger) war beftändig befliffen,, feinen Bauern zu predigen, daß fle früh auf: fließen, ihr Dich fleißig warten, ihren Acker und Garten aufs Beite bearbeiten follten. *

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Dffenbarung nicht als eine fett beftimmter Zeit abgeichlofiene, fondern als

fortwährende, flufenweife Erziehung des Menfchengeihledhts durch Gottes

Geiſt betrachtete. Leſſing ift für Deutſchland und die Welt der eigentliche Vor⸗

läufer und Wegbahner einer tieferen und ideelleren Geiſtesrichtung geweien. 12.

Bon Locke's Senjualismus ging Eondillacs (geb. 1715) Syſtem aus, welches weſentlich in dem Verſuche beftand, die ganze geiftige Thätigkeit bes Menſchen als eine flufenweile Entwiclung ter finnlihen Empfindung dar- zuftellen. Er nannte den Menſchen das vollfommenfte Thier, jedoch ohne die Materialität der Seele zu behaupten oder das Dafein Gottes zu Täugnen. Charles de Bonnet (geb. 1720) leitete durch die Behauptung, alle menſch⸗ liche Seelenthätigfeit jei bloße Bolge der Nervenbewegung, den Senfualis- mus zum Materialismus hinüber. Die moralifhen Confequenzen des Ma⸗ terialismus zog Helvetius (geb. 1715), indem er auch den fittlichen Willen der finnlihen Empfindung unterwarf und die Selbftliebe zum Brinzip aller Moral erhob. Den Materialidömus vollendete La Mettrie (geb. 1709). Die Seele, behauptete er die Seele iſt der denkende Theil des Körpers, das Gehirn. Mit dem Tod ift die Voſſe ausgefpielt. Der Glaube an Gott hat keinen vernünftigen Grund ; nur durch den Atheismus Tann bie Welt wieder glüdlih werden. Die von Diderot und d'Alembert heraus⸗ gegebene philofophifche Encyklopädie wandte die Weltanichauung auf alle Berhältndffe des Lebens an, freilich mit jener Delicatefie, ohne welche man den Sranzofen Nichts plaufibel machen kann. Dem Allem fügte der durch Mevifton tes Calas'ſchen Prozefied zuerft berühmt gewordene Voltaire (1694— 1778) feinen beißenden Spott, feinen von Esprit funfelnden Wig über die dogmatifchen Lehren des Chriſtenthums, über die Perſönlichkeiten und Wunder der Bibel bei, fo daß jene Revolution, in deren Verlauf das Chriſtenthum abgeichafft wurde, in der öffentlichen Meinung Frankreichs bie kraͤftigſten Keime anfegte 1). Die Deutfchen, bei deren höhern Ständen

eier ——

1) Voltaire's Haß gegen das kirchliche Chriſtenthum ſteigerte ſich bekanntlich zu dem Wuthwort: ‚‚Ecrasez !’infame!‘* Der Diderot'ſche Bere: Et des boyaux du dernier pretre Serrer le cou du dernier roi führte diefes Thema weiter aus, weldyes aus der Theorie in die Praxis zu überiegen, die franzöfifche Revolution alles Ernftes verfucht hat. Wie Jedermann weiß, war übris

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fett Ludwig XIV. franzöftiches Wefen für guten Xon galt, nahmen den Bot⸗ tairismus mit Vergnügen auf, und während Friedrich der Große in diefer Binſicht ziemlich Flein war, meinten die übrigen deutſchen Nachahmer da⸗ durch groß zu fein. Die Voltaire'fche Weife, Über Das Religiöſe zu ſprechen, hatte übrigens ſchon vor ihm der Englänter Bolingbrofe angeftimmt, nur bat Voltaire ernfllicher auf den Glauben an Gott und Linfterblichkeit gehal- ten, als jener Philoſoph der Blaftrtbeit, welcher die Kirche nur als Staats⸗ inftitut, vie hriftliche Meligion nur als Zaum und Zügel des ungebilbeten Poͤbels gelten ließ.

Der aufrichtigſte und genialſte aller franzöſtſchen Philoſophen diefe® Zeitalters iſt Iran Jacques Rouſſeau (geb. 1712). Ungeachtet feiner großen @infeitigfeit in Würdigung der menſchlichen Gultur und in ten Brundfägen der Erziehung, iſt er nicht nur ein wahrer Apoſtel Des anges borenen Menſchenrechtes geworden, fordern fein Idealismus hat audy zugleich ein wohlthätiged Gegengewicht gegen Den Alles blafirenden Matertaliömuß gebildet. Als ein Mann von Gerz, dem bie Religion und das Denken zus gleich Sache des Herzend waren, hat er bie ernften Angelegenheiten ver Menſchheit ftets mit einer Würde beiprochen, vor welcher Voltaire und die Materialiften beihämt flehen mußten. ®ott, fittliche Freiheit und Unfterb- lichkeit der Seele Hält ex feſt, betrachtet Das Leiden und Sterben Chriſti tt tiefer Verehrung, und betreffend die unbegreiflichen Stellen des Evangeliums räth er jene Befheidenheit an, weiche hienieden auf völlige Gewißheit ver⸗ zichtet, in der Hoffnung, jenfeitd zum Schauen zu gelangen. Freilich nimmt er bei Alledem ten übrigen Reltgionen gegenüber eine ähnfidye Stellung ein, wie Leffing in feinem Nathan: Alle Religionen find tem Bildungsltende jedes Volkes angemeſſene Heilsanſtalten. Jeder foll nad feiner Religion leben. Damit übereinſtimmend ließ auch ber alte große Fritz, Jeden nach feiner Facon felig werten *.

13. Die Borläufer der Tranfcendentalphilofophie, an welche der Begründer

ber legteren, Kant, unmittelbar anfnüpfte, waren der Schotte Hume (geb. 1711), welcher dad Ich, die Seele, für eine Einbildung erflärte, und der

gens der Spötter Voltaire auch zugleich Prophet. In feinem befannten Briefe an Ehauvelin (dat. vom 2. April 1764) hat er die Revolution des Beflimmteflen vor: hergefagt. Ich komme im folgenden Kapitel auf Boltaire zuruͤck.

Year Berkelch (geb. 1088), wilder bloß vonfektden Weſen wirkliche Eriſten; yeidwicb, abe koͤrperlichen Dinge dagegen flir weimeinfe, durch Bstt gewitkie Bestellungen hielt. Inmanuel Rant (geb. 4724 zu Königsberg) legte fein vrhiloſovhiſches Syſtem nieder in einer Meihr von Merken, als even widhtigfie he „Mritif ber reinen Veruunft“ amd vie Kritik der vaaltiſchen Bernanft * gu betrachten find. Wie wir aus feinen „Vreiegomena* jehen, if Kent vornaͤmlich durch Die Unterjudumg Hume's über den Wegriff. von Urſache und Wirkung zu feiner „Kritik des Erkenntnißvermögens“, Deren Reſultat et Ten „Teanicendentaden Idealiemus“ nennt, geführt worden. Der Gtund⸗ gedanfe feines Syſtems beftche Darin, daß wir in uns sinerfeitd Dentformen vorfinden, welche nicht ans ber Erfahrung hersorgehen, dieſelbe vielmehr Überfleigen (daher Die Bezeichnung „tranfcenbental‘*), daß wir aber anderem fine Die reale Griſtenz einer Außenwelt auzunehmen Durch die Grfahrung gezwangen werden, jedoch nicht im Stande And, deren Brfßandtheile, die Dinge an ſich, im ihrer Weſenheit zu erfermen. Zu Den ſubjertiven Denb formen gehört unter andern auch das Verhältniß von Urſache und Wirkung, Da jede Erfenntnig aus Erfahrungsſtoff und Darauf angewenbeter Denke form beſteht, fo gibt es feine aus bloßem Denfen gewonnene Erfenntniß und jo gehört indbejondere die Erfenntniß des Ueberſinnlichen ind Gebiet der Unmoͤglichkeit. Was von der zeimen Beruunft ansgefchlofen werben muß, das Ueberſinnliche, finder aber feine Heimat im Gebiet ver praftifchen Men wanft, welcher wicht die Erbenntuiß, fondern ber Wille, die erfahrungagemäß vergefundene firtliche Freiheit, angehört. Die Uwtesjschmeg über Die Rich⸗ eng, welche ver Wille annehmen foll, führt zumäft anf den latrgorkſchen Inperatio*, d. h. Die innere Nöthigung zum Guten, ſodann auf bad höchſte Bat als Birk bed Willrns. Das hürhſte But, beſtehend in ber mit höchſter Glückſeliakeit verbumtenen höchſten Tugend, erfordert ga feiner Realiſirung einerfeks vie Unfterblichkeit der Geele, andeverfrits das Dafrin Gottes, ala des Urcheberd der natürlihften und fittlichen Weit, als deu whetften Intellis genz, welche unfern ſittlichen Baftand fenut ımd uud darnach vergilt-

Was Kants übrige religisie Grundſähe angeht, je hut er dieſelden im einem beſondern Werke: „Die Religion innerhalb der Granzen ber zeinen Beraunft” zufammengefaßt. «Gier ‚gründet er die Religion dutchweg auf vie Moral, erklaͤrt den hiſtvriſchen Schalt der Schrift Für gleichgültig, den mornlifchen für die Hauptſache und flellt ald das Weſen aller religiöſen Entwicklung ven allmäligen Uebergung vom Kirdenglauben zum WBernunfle

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glauben hin. Unter. den Anhängern bes Kantiſchen Kriticismus, welder das Syſtem weiter ausbauten, haben fih Reinhold, Fries und Rrug am meiften audgezeichnet.. Der Kantianismus bildete ſich aber auch eine ſtarke Partei unter den Theologen. Der Rationalismus Der. Wolfichen Theologen, mit dem der Kantianer vereinigt, trat nun erft recht in entſchiedenen Gegea⸗ fag zum Supranaturaliömus und jo flanden ſich damald zwei große Theo⸗ logenparteien gegenüber: die rationaliftifche, welche alles nicht Ra⸗ tionale ausſchied, mit .einjeitig moralifirenter, und die fupranaturali«- ſtiſche, welche das biftorifche Chriſtenthum als übernatürliche Offenbarung fefthielt, mit einfeitig dogmatifirender Richtung. Den Rationaliömud ver» traten als Dogmatifer Wegicheider und Brerjchneider, Röhr mehr ale Sournalift. Den auf Bernunft und Willen gerichteten Prinzipien Kants gegenüber juchte Jakobi (geb. 1743) auch das Gefühl wieder in feine Rechte einzufegen. Er behauptete die Möglichkeit einer Erkenntniß bed Ueber⸗ finnlihen und fuchte diefelbe zu erweiſen durch Annahme der auf Nöthigung des Gefühle berupenden „VBernunftanfchauung *, welche freilich im Grunde als ein ganz Unbeſtimmbares ericheint,

14.

Der tranfcendentale Idealismus Kants entwickelte ſich zunächſt ein⸗ ſeitig zum ſubjeetiren Idealismus des älteren Fichte (geb. 1762), welcher einfach darin beſteht, daß Fichte nur das Ich als real annimmt, die ganze Außenwelt hingegen zum weſenloſen Product des vorſtellenden Ich verflüchtigt. Das Cogito, ergo sum des Carteſius verwandelte er in den Satz: „Ich bin Ic und fege mich felbft *. Das unbekimmbare , Ding an fi *, welches Kant noch hatte ſtehen laſſen, warf er weg und faßte das Ich als fich felbft und alle Bilder der Außendinge, legtere in Form des Nicht⸗Ich, unaufhörlich erzeugend, als bad abjolute Werden, welches zugleich menfchliched Subject ift. Fichte bat dies unhaltbare Syſtem nachmals aufgegeben und in einen dem Schelling’ichen ähnlichen objectiven Idealismus umgewandelt. Schellingd Naturphilofophie war ihm aber hierin bereitd zuvorgefommen. Hatte Fichte das Ich zum abfo- Inten Werden gemacht, fo faßte Schelling ſeinerſeits das abfolute Werden als das Ih im unendlichen Sinne, d. h. ald das Weltih, welches in der Ratur als unbewußte Vernunft wirft, beiden Organismen zum Bewußtfein übergeht und im Menfden zum Selbfibemußtjein gelangt, Scellings Bhilofophie iſt zunaͤchſt Naturphilofephie. Die ſchiefe Richtung, welche er der Natur⸗

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wiſſenſchaft gegeben hat und weiche ‚auch das Genie feine® Schülers Olen micht zu rechtfertigen vermadhte, ſpricht fich beutli in. den Gägen aus: „Ueber tie Natur philefophiren, Heißt fo viel als bie Natur fhaffen *. „Die Darfiellung der Identität: der Natur mit der Ideenwelt iſt durch bie Naturphiloſophie zu leiſten“. Diefen Grundfag der Identität zwiſchen Sein und Denken, weldem bie Schelling’fche Philofophie au den Namen der Identitaͤtsphiloſophie verdanft, finden wir in. Schellingd Syſtem überall durchgeführt. In der Identität des Geiſtigen und Körperlichen beſteht im das Abſolute (Bott). Die.Ipentität des Seins und Vorſtellens, wo das Angeihaute zugleich das Anfchauende ift, macht das felbftbewußte Id aus. Die Weiterentwidlung ded Syſtems, wo das Abfolute bereitd als abjolute Bernunft (Identität des -Objectiven und Subfectiven) gefaßt wird, ift auf die Hinneigung Schelling® zu Spinoza zurüdzuführen. Zur Theoſophie endlich geftaltete fih feine Weltanfhauung durch dad Studium der My flifer , beionderd Jakob Böhmes. Nun ericheint ihm das Böſe als der menichliche Eigenwille, auf deflen Kampf mit dem göttlichen Univerſal⸗ willen die Gefchichte beruht, Chriſtus als dad menſchgewordene Prinzip der Liebe, welches den Willen. des Menſchen mit dem Willen Gottes verjöhnt, das Ziel aller menſchheitlichen Entwicklung als die vollendete Herrſchaft des Univerfalwillend, wo. Gott Alles in Allen fein wird.

Der Umſchwung, welcher durch Schelling in der Philojophie eintrat, hatte in der Theologie ſchon mir Herder (geb. 1744) begonnen, ein Ein⸗ kehren ver Geiſter in die Tiefe, ein Stihabwenden vom Sfepticidmud und oberflichlicher Verftändigfeit sugleih. Herder hat durch feine rein menſch⸗ liche, Den @eift alter Zeiten durchdringende Auffaflung die Bibel wieder zu höherem Anichen gebracht, die Verwechfelung theologifcher Tehrmeinungen mit der Religion ſelbſt zu befeitigen geſucht, bie Religion zur Sache des Gemüths, des innerften Bewußtfeind gemacht. Feſthaltend an dem hiſtori⸗ ſchen Chriſtus, hob er an ihm mit Vorliebe das Menſchliche hervor und ſtellte das Goöttliche des Gottesſohnes gern in Geſtalt des menihlich Edlen und Liebenswürdigen dar. - Ein theologiſches Syſtem hat Herder jedoch fo wenig entworfen als Leſſing. Dieje beiden großen Männer konnten fih an dem Ruhm genügen laffen, den Humanismus des 18. Jahrhunderts am edelften wiflenfchaftlih zur Geltung gebradht zu haben. Die Leffing- Gerder'ſche Richtung in der Theologie ſehte mit großem Erfolg Schleier macher (geb. 1768) fort. In freier Benugung Schelling'ſcher Brundfäge

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machte er den Gedanken Ber Immanenz Sortes (das Imemchnen des göte- Uchen Weſens im der Weit) theslogüſch wirkſann und frgte Die Religion im tie Beſinnachelt des Gefühle, alle Wegehenheitn ale Haublungen Gottes vorgufteflen und Gott als lebendige Binheit Des AUs, fi sei aber won Alm gänzlich mbhängig zu übten. Was ihm um der Kircenlehre utıht Halte Gar ſchien, gab er kuͤhnlich auf, hielt Dagegen ale Grandiage des Chriſten⸗ ubams den hiftoriſchen Chriſtus ſeſt, wie er einſt geiebt habe, jegt noch verſoulich fortlebe und geiſtig einwirke anf die Kirche. Chriſtliche Religiv⸗ Maät it ibm, mit Chriſtus In Geiſtes⸗ und Herzendgemeiwichuft zu treten as in ihm zu loben.

15.

Unter allen philoſophiſchen Syſtenen Kat wohl das KHegel’fche den tefften und umfaifendfien Einflug auf die Entwidlung ber religtöſen Sven fih zu werichaffen gewußt. Hegel (geb. 1770) begreift als Ba6 Abſolute nicht mehr das Ich oder das Werden uber die Vernunft, ſondern Die Idee, welche in unmittelbarer Exifbenz der Lebendprozeß, in ihrer Diüffe song gedacht, das Wahre und Sute ik. Dieſes ganze Leben des Univerfwnd beſteht in der Selbſtentwicklung ver abſoluten Idee. Indem bie Idee fich ihrer ſelbſt entäußert, iſt fie die Natur. In des Natur entwidelt fie ſich ſtafenweiſe 618 zum Menichen empor, in welchem fie zum freien, vernünftigen Sch wird und ebenfalls frufenweiſe ihre Selbftbefreiung zum ſelbſtbewußten, fltt« lichen Geiſte vollbringt. Die Selbſentwicklung ber Idee innerhalb der Natur bat die Naturphiloſophie, die Selbſtentwicklung ber Idee tm Menfchen Hat Die Geiſtesphiloſophie darzuſtellen. In Recht und Staat erfheint bie abſelute Idee ald der objeetive Geiſt. Im Staate iſt die Geſammtheit ber Dwoect, der Einzelue dad Mittel, der Staat daher, indem er die Handlungen wer Einzeinen beauffichtigt und leitet, ber ſtitliche Geiſt. Inſofern ericheint Die Weltgeſchichte (die Geichichte der Staaten in ihrer Wechſelwirkung) als der Entwicklungsprozeß des ſtitlichen Geiles: „Die Weltgeſchichte iſt ons Betgeriht*. Zum abſoluten Geiſte wird die Idee in Kunſt und Reli⸗ gion, durch jene koinmt fbe zur Anſchauung, durch biefe zur Vorſtellung. Des Veſtimmung gemäß, dafı das Beten aller Biligkon in der Berfögnung bes Endlichen mit dem Unendlichen, des Menſchen mit Gott, befieht, unterſchei⸗ der Hegel drei Staufen der Religeon: Die Matmreligion, im welcher Gott noch weientitch als Naturmacht erſcheint; die Keligion ber gelftigen Indisi⸗

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dualitaͤt, in welcher die Sottheit entweder als Eine ober als mehrere geiftige Individunalitaͤten erfägeint (Juden einerſeits, Romer und GSriechen anderer ſeits); die abſolute Religbon, dad Chriſtenthum, welche die Werfähuumg gwiſchen Bott und Menſch vollzieht, indem fle das Göusfiche und Menſchliche in dem Gottnenfchen Ehrifius vereinigt und Bott offenbart ald den ficdh ſelbſt Entaͤußernden (Bater), als den aus feiner Allgemeinheit und Unend⸗ Achkeit in die Beflimmung Der Endlichkeit Herausgetretenen (Sohn) und 48 den auß diefer Entäußerung zu ſich Zurückkehrenden Cheil. Geil). Se RR benn die Dreieinigfeit nur die abfolnte Idee In Form des Vorſtelleus. Daher die Hegel’ihe Oruntanfiht: Man fege an die Stelle ber Vorftellung den reinen Begriff, jo erfennt man dad Chriftenthum und die abfolute Phi⸗ Tofophie ald Ein umd Daſſelbe. |

Unter Hegeld zahlreihen Anhängern und Schülern haben, während Herbart leibnigifche und Eantifche Prinzipien eigenthbümlich weiter bildete, Daub uud Rofenfrang befonderd Dad Gebiet der Pipchologie, Band die Mehtsphilofophie, Henning die Logik, Hotho, Bifkher und Ruge die Aeſthe⸗ it, Michelet Die Moral umd Geſchichte ver Vhlloſophie, Strauß, Fenerbach und Marheinecke die Meligionsphilofophle bearbeitet. Die Schule hat ſich aber in eine rechte und linke Seite getheilt. Die Hegelianer der Linken, auch Jungbegelianer genannt, find jelbfiftandig über Hegel hinausgegaugen. Beſonders Strauß, Beuerbah und Ruge. Dieſer vornebmlid ale Hand» huber einer glänzenden Kritik, deren Organ die „Halliſchen“, nachmalb „Deutſchen“ Jahrbücher waren und welche vom theologiſchen, philoſophi⸗ ſchen und literariſchen Gebiet allmälig ſehr einflußreich auf das politiſche und ſoziale hinübergriff, bis alle bisherigen religiöſen, philoſophiſchen, (dievamiichen , volitijchen und ſoezialen Standpunkte glüdlid „überwunden ® wıren, d. b. auf Dem Papier. Aus feiner Meligionsphiloiophte zu fchließen, hatte Hegel (das behaupten auch die Hegelianer der redhten Seite) an der hiſtoxiſch wirklichen Erſcheinung Chrifti feftgehalten. Strauß dagegen het die Perſon Chrifti ald eine nie dageweiene, fondern als eine nur my⸗ chiſch entflandene dargeſtellt. Chriſtus tft ihm Die bloße Idee der Gottinenſch⸗ lichkeit im Gewand des religiöſen Mythus und, von dieſem Gewand ent⸗ kleidet, niemand Anderes als die mit dem Abſoluten ſich Eins wiſſende Menſchheit. Es war der Evangelienkritik der Tübinger Schule (Chr. Baur, Schwegler, Zeller) vorbehalten, einen hiſtoriſch wie llicen Jeſus wieder an die Stelle dieſes idealen zu fegen.

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Zubwig Feuerbach endlich hat ſich gänzlich von aller biäherigen, au von der Hegel'ſchen Philoſophie loßgefagt. Er wollte eine neue Philoſophie, Die „Bhilofophie des Menfchen *, gründen , deren höchſtes Brinzip die Ein⸗ beit des Menfchen mit dem Menſchen ſei. Die Philoſophie tritt fortan im die Stelle der Religion; denn in dieſer „verhält ſich der Menſch zu Bott nur als zu dem Andern feiner ſelbſt“, ein Standpunkt, der aufgegeben wer⸗ den muß. „Einſamkeit it Endlichkeit und Befchränftheit, Gemeinſchaftlich⸗ Seit ift Kreiheit und Unendlichkeit. Der Menſch für ſich iſt Menſch im ge⸗ wöhnlidhen Sinn, der Menſch mit dem Menſchen die Einheit son 34 und Du if Bott“ 1).

1) Feuerbach iR von den chrenhaften feiner Gegner als ein durchaus ernfler und reblicher Denker anerkannt worden. In der That kann Nichts verfehrter fein, ale diefem Manne Frivolität vorzuwerfen. So, wie Feuerbach thut, fpricht und ſchreibt nur eine innige, mannhafte, muter tiefen Schmerzen errungene Ueberzeugung. Was es eine urfprünglich wei, ſanft und gläubig angelegte Natur, wie Feuerbach if, loſtet, um zu einem foldyen Refultate zu gelangen, davon haben freilich weder die Kris volen noch die Fanatiker eine Ahnung. Unter aflen Umfänden lohnt es ſich der Mühe, daß man eine ſolche Ericheinung beachte. Feuerbach fagt: „Das Geheimniß der Lehre von Bott ift die Lehre vom Menfchen“. Hiervon ausgehend hat er das Ergeb⸗ niß feiner Sebanfenarbeit in feinen „DBorlefungen über das Weſen der Religien” (Sämmtl. Berfe, Bd. 8, S. 21 fig.) in diefen Sägen bündig zufammengefaßt: „Die Theologie if Anthropologie‘, d. h. in dem Begenflande der Religion, ben wir griechiich Theos, deutich Bott nennen, fpricht ſich nichts Andres aus als das Weſen des Menſchen, oder: der Gott der Menfchen if nichts Andres als das vergötterte Weſen des Menfchen, folglich die Religions: oder was eins ift, Gottesgefchichte denn fo verfchieten die Religionen , fo verfchieden find die Goͤtter, und die Religionen fo verfchieden, als die Menfchen verfchieden find nichts Andres, als tie Befchichte der Menſchen. So gut, um ſogleich diefe Behauptung an einem Beifpiel, das aber mehr als ein Beifpiel ift, zu erläutern und veranſchaulichen, der griechifche,, römifche, übers haupt heitnifche Bott, wie felbR unsre Theologen und Philoſophen zugeben, nur ein Gegenſtand der heidnifchen Religion , ein Weſen ift, welches nur im Glauben und in der Vorſtellung eines Heiden, aber nicht eines chriftlichen Volkes oder Menſchen Eris flenz Bat, folglich nur ein Ausdruck, ein Bild des heibnifchen Geiſtes und Weſens if; fo gut iſt auch der chriſtliche Bott nur ein Gegenftand der chriſtlichen Religion, folglich auch nur ein harafteriftifcher Ausdruck des chriſtlichen Menichen-Geifles und Welens: Der Unterſchied zwifchen dem Heidnifchen Gott und dem chrütlichen Gott oder Volke. Der Heide ift Patriot, der Chriſt Koemopolit, folglich ift auch der Gott der Heiden ein patriotifcher, Der Gott der Chriften dagegen ein fosmopolitifcher Gott, d. h. ter Heide hatte einen nationalen , befchränften Gott, weil der Heide ſich nicht tiber die Schranke feiner Rationalität erhob, die Ration ihm über den Minfchen ging; der

47T

Nachdem der idealiftiſche Pantheiomus der Hegel'ſchen Schule Die per⸗ fönliche Unſterblichkeit neuerdings in Frage geftellt, nachdem Marheinecke

Chriſt aber hat einen univerfellen, allgemeinen, bie ganze Welt umfaflenden Gott, weil er ſelbſt fich über die Schranfe der Nationalität erhebt, die Würde und das Weſen des Menfchen nicht auf eine beftimmte Nation einfchränkt. Der Unterfchied zwifchen dem Polytheismus unt Monotheismus iſt nur der Unterfchied zwifchen den Arten und der Sattung. Der Arten find viele, aber die Gaitung ift nur Eines, denn fie iſt es $o, worin die verſchiedenen Arten übereinfiimmen. Go gibt es verfchiedene Menſchen⸗ arten, Raflen, Stämme oder wie man es fonft nennen will, aber fie gehören doch alle zu einer Gattung, zur Menfchengattung. Der Polytheismus ift nur da zu Haufe, wo fih der Menfch nicht über den Artsbegriff des Menfchen erhebt, wo er nur ten Men⸗ ſchen feiner Art als feines Gleichen, als gleichberechtigtes, gleichbefähigtes Weſen ans erfennt. In dem Begriff der Art liegt aber die Vielheit, folglich gibt es ba viele Götter, wo der Menſch das Weſen der Art zum abfoluten Wefen macht. Zum Mono⸗ theismus erhebt fi aber da der Menſch, wo er fich zum Begriff der Gattung erhebt, worin alle Menfchen übereinfimmen , worin ihre Art⸗, ihre Stammes», ihre Natios nal-Unterjchiede verfchwinden. Der Unterfchied zwiichen dem Ginen, oder was eins ift, allgemeinen Gott der Monotheiften und den vielen, oder was eins iſt, befonderen Rational-Bdttern der Heiden oder Polytheiſten iſt nur der Unterfchied zwifchen den vielen verichiedenen Menfchen und zwifchen dem Menfchen oder der. Gattung, worin Alle eins find. Die Sichtbarkeit, Handgreiflichkeit, kurz Sinnfälligfeit der polytheiftis fchen Götter ift nichts Andres als die Sinnfälligfeit der menfchlichen Art: und Natio⸗ nalunterfchiede,, der Grieche 3.3. unterfcheidet fich ja fihtlih, hHantgreiflich von andes ren Bölfern die Unftchtbarfeit , Unfinnlichkeit der monotheiſtiſchen Götter iſt nichts Anderes als die Unfinnlichkeit, Unfichtbarkeit der Gattung, worin alle Menſchen über: einftimmen, die aber nicht als folche ſinnlich, handgreiflich exiſtirt; denn es exiſtiren ja nur die Arten. Kurz der Unterfchied zwifchen dem Polytheismus und Monotheismus reducirt fi) auf den Unterfchied zwifchen Art und Gattung. Die Gattung ift allers dings unterfchieben von der Art, denn in ihr laſſen wir ja eben die Unterichiede weg; aber deßwegen ift die Gattung nicht ein eignes, felbfiftändiges Weſen; denn fle ift ja nur das Gemeinfame der Arten. So wenig der Battungsbegriff des Steine ein fo zu fagen übermineralogifcher Begriff iR, ein Begriff, der über das Bebiet tes Steinreiche Binausgeht, ob er gleich verichieden ift von dem Begriff des Riefels, des Kalks, des Flußſpaths, ja gar keinen beſtimmten Stein ausfchließlich bezeichnet, eben weil er alle befaßt; eben fo wenig fällt auch der Gott überhaupt, der eine und allgemeine Gott, von dem alle die körperlichen, finnlichen Bigenfchaften der vielen Goͤtter abgeftreift find, außer das Weſen der menſchlichen Gattung; er if vielmehr nur der vergegens flänplichte und perfonificirte Gattungsbegriff ter Menſchheit. Oder deutlicher ausge⸗ druͤckt: find die polytheiſtiſchen Goͤtter menfchliche Weſen, fo iſt auch der monothei⸗ ſtiſche Gott ein menſchliches Weſen, ſo gut als der Menſch, ob er gleich uͤber die vielen beſonderen Menſchenarten hinausgeht, uͤber dem Juden, dem Griechen, dem Inder ſteht, deßwegen doch kein uͤbermenſchliches Weſen iſt. Es if daher nichts thoͤrichter,

bie Berfiellung vom reinem feligen Leben im Ienfeits in die eines feligen Lehent im Disffeits aufzulöfen und Feuerbach überhaupt aus die Stelle deu theologiſchen die anthropologiſche Weltanſchauung zu ſezen unternommen hatte, trat dieſer Speculation der naturwifſenſchaftliche Naterialismus neueſter Zeit zur Seite, verfochten insbeſondere von Moleſchott, Vogt, Büchner, bekaͤmpft von anderen Naturforſchern, wie Liebig und Schleiden 2). Es laͤßt ſich nicht verkennen, daß die materialißiſche Richtung des Beitaltent ihres philoſophiſchen Ausodrucks bedarft hat, um zu erfahren, wo ſie aus⸗ münden müßte. Im Uebrigen hat der modernfſte Materialismus gerade Durch feine Verachtung aller ſpeculativen Philoſophie on den Tag gelegt, daß er. die geiflige Seite des Menfchen zu wenig, kenne oder berüdjichtige und bie Erledigung der Borfragen, welche zum Aufbau einer Weltan⸗ ſchauung gehört, gänzlich vernadzläfftgt Gabe. Die Geſchichte beginnt besrit® über ihn wegzufchreiten, wie fie über den ebenfo einfeitigen Idealismus Berfeley’3 und Fichte's Hinmweggefchritten if.

16.

Die großartigen Vötlerbewegungen ber napoleoniſchen Zeit haben iu der Theofogte eine Reſtauration zur Folge gehabt. Im der deutſchen Bur⸗ ſchenſchaft erwachte ein begeifterte8 Streben nach volksthümlicher Religiofttät, weldem ſelbſt des Standpunkt. Schleiermachers nicht niehr genügte. Die Romantik. der in Amt und Würden getretenen Burichenfchafter gebar die newe Orthodorte, welche den Wortglanben ber alten mit ber Gemuͤthlichken dee Pletismus verband und fih dabei der Formen moberner Bildung bes

iente. Einer ihrer älteflen und ehrlichſten Vertreter war Klaus Harms, zu den neueren gehören Gengftenberg und Leo. Cine beſonders firenge, ſpezifiſch lutheriſche Partei, welcher ſelbſt Hengſtenberg nicht mehn „gläubig.” genug iſt, hat ſich ſeit einigen Jahren bemerkbar gemacht. Ste verwirft alle Kritik der Schrift, alle Philoſophie und haͤngt ſich an die Lutheriſche Lehte als wenn man den chriſtlichen Bott nom Himmel auf die Erbe kommen läßt, den Ur⸗ fpeung der chriſtlichen Meligion aus ber Offenbarung, eines von. Menſchen unter fi - denen. Weſena ableitet. Der chriftliche Gott if. eben fo gut in und aus dem Menfchen entſprungen als der heidniſche. Gin auberer Gom als der heaidniſch⸗ if er nur deß⸗ wegen, weil auch der chriſtlicha Menfdrein anderer if, abs der haidniſche“ 2) Das phaloſephiſche und foziale Credo der materialiſtiſchan Schule gibt Boyd in feiner. Stesitjcyeift „Röhlenglaube und Wigenfhefi“, 1. Aufl, ©. 123-123.

—— ——

388 ya völligen Verderbaiß der menſchlichen Mater, nen ber Unhigkeit Art

Versenfi, Dan Goͤuliche zu begreifen. Bei Alledem fehlt es nicht an

Xhenfogen, weiche eine zwiſchen ven Frinemen mermwilitcinte Richtung ein⸗ halten und eine chriftlidwreligiäie. Lebenſsauſchauuug gar wohl mit wiſſen⸗ ſchaftlicher Auffaffung zu vereinigen. willen. Gehen Member, ehwohl er in ber Miffenfchaft Da& Erbauliche zu ſehr hervorhoh, regat dieſe vermittelnde Richtung an, Ulmann, Julius Möller, Nitzſch Rothe ſatzten Diejekhe fort, Tholuck hat wenigftens den alten mechaniſchen Infpiratienäbegriff aufge geber und eine durch Gott gewirkte.innene Erregung. an beffen Stelle geſetzt. Die ſchweizerijch⸗reforminte Kirche ſtelli bieten Männern Alexander Schweb⸗ ger. Gagenbach und Schenkel zur Seite. Mit nit unbebeutenten Go folge wirft gegemmärtig auch eine, lauge Brit ulht gebührend beachtete phi⸗ loſophiſche Richtung, deren Vertveter, der jüngere Fichte, Weiße, Wirth, Ulrich, Chalybaͤus und Carriare, die Wiſſenſchaft mit vielen hervorragenden Asbeiten bereichert haben. Caxuriare begeichnek ihre Eigenthamlichtein fa: „Nieſe Richtung bekämpft ſemohl den Pantheismus, ald ben Deismud, und weiſt zugkeich ben Kern: beider zu, bevahren. Ste han die Idee eis ſawohl unendlichen als ſelbſthewußten, der Welt einwehnenden und fd im eignen Weſen ala Perſoönlichkeit erſaſſenden Gattes aufgeftellt und entwickalt, fe ſucht Natur und Geſchicuue in. Seit, Gurt in Natur und Geſchichte zu begreifen *. 17. |

Nachdem wir der Entwaicklung son Theologie und Philoſophie im deut⸗ ſchen Proteſtantismus lange unausgeſetzt nachgegangen, fordern Ericheinum gen auf dem kathaliſchen Gebiet unfere Aufmerlſamkeit. Im 18. Jahr⸗ haudert war fethi: in dem tieforfunfenen Italien wieder eine lkitfländig seiigiäfe Weltanſchauuug erwacht. Un Giordane Bruno anknüpfend, be tradyteie Vico das Univerſum als Die Offenbarung der. ewigen Ideen Gotta: „Bon Sort, in Geta, zu. Bott And alle Dinge“. Den Begeiff Bed Mesichen fiehe er nicht im bloßen Iidividuum, nielmehr in bar Gier ſammtheit bes Menſchen ung deven Schickſalen verwirklicht. Den Bantkeitr uud Schellings und Gegelß nerpflangen Inter Gioberti auf incliſchan Boden. o Dası Weſen“, faga er, „.Ichafft: die Criſtenzan, die endliche Walt geht: aus dem Mnendlkhen harnor, welches fie: durcharingt und erhaälz“. Die Wahr⸗ heiten der Väiteksphie wart. er: auch für Das religiöſe Gebiet gelb.

Derfelsen Richtung huldigte Mamiani, welcher ih kühn genug dahin audſprach, der Entſcheid der Vernunft fei aller kirchlichen Autorität vorzu⸗ zieben. Gegen das Ghriftenthum erklärt er ſich nicht, fondern will die Leh⸗ ren befielben auslegen im Sinne ter freien Bernunft, der Duldung und Liebe. Cine Kritik des Bewußtfeins, ähnlich der Kantiſchen, hat Galuzzi unternommen. Dem religiöfen Nihiliemus ergab ſich Bonavino, die Unter⸗ ordnung der Vernunft unter die Autorität des katholiſchen Glaubens ver- fündigte Ventura.

Die politiiche Reftauration in Frankreich rief auch die religtöfe hervor. Letztere begann aber noch unter der Herrfhaft Napoleons und hatte ſich fogar fchon unter der Schreddenäherrfchaft vorberetiet. Den Anfang machte die katholiſche Myſtik St. Martins, deren Geiſtes⸗ und Gemüthötiefe Viele wieder für das Ehriftentbum gewonnen haben mag. An ihn fchlofien fi Ghoteaubriand und die Frau von Stasl, welde das Chriſtenthum von aͤſthetiſcher Seite empfahlen. In feinem berühmten Buch ,‚Genie du Christianisme‘‘ hat Chateaubriand die Bertheitigung des romantifchen Katholicidmus geführt. Plumpere Reflauratoren find die Theofraten De Maiftre und Bonald gewefen. Befonders der Erftere ftrengte fich ungeheuer an, die Vernunft der Infallibilität des Papfles zu unterwerfen und die tühnflen Hoffnungen Gregors VII. in ein philofophifches Syſtem zu brin⸗ gen. Ein extremer Kopf konnte durch das Befeg des Gegenfaged wohl zu ſolchen Philofophemen getrieben werden in einem Lande, wo man wenige Jahre zuvor das Ehriftenthum abgeſchafft hatte. An De Maiftre und Bonald ſchloß fich zuerft au Lamennais an, kam aber bald von dieſer Anſicht ab und wollte die Vernunft nur dem in der Kirche vertretenen Urtheil der Mehrheit unterwerfen. As ihm jedoch diele Mehrheit felbft unbequem ward, fand er für gut, an dem Urtheil der eigenen individuellen Vernunft feflzubalten. Durch Eoufin, den eleganten Efleftiker, wurde das Hegel'ſche Syſtem in Frankreich befannt, obwohl er feinerfeitd den Theismus verthei⸗ digte. Ungeachtet feines Theiömus aber nahm er gegen das Chriſtenthum eine fonderbare Stellung ein. „Das Chriſtenthum“, äußerte er, „bat noch 300 Jahre im Leibe; darum ziehe ich vor ihm billig den Hut ab. *

Am tiefflen wurde der Katholiciemus im Deutfchland vom Geiſte ber Wiffenfchaft berührt. ine Tavaterifähefentimentale Richtung, jedoch ver⸗ bunden mit edler Duldfamfeit, erkennen wir in dem Biſchof Johann Michael _ Seiler (geb. 1751), äfthetifhen Ratienalismus in den Schriften Heinrichs

son Weſſenberg. Dom Kantiſch⸗Fichte ſchen Stampunkt aus ſuchte Georg Sermes das katholiſche Dogma zu begründen. In feinem Syſteme geht ex, wie fon Carteſtus, won Zweifel aus, um zur Wahrheit durchzudeingen. Als genialer, Eoumpffertiger und terroriſtiſcher Verteidiger des hierarchiſchen Karbolieteums iſt Joſeph von Görres berühmt geworben. Einer der wiſſenſchaftlichfien katholiſchen Theologen der neweßen Zeit war aber Adam Möhler, weldher aus ber Rüſtkammer der idealiſtiſch⸗pantheiſtiſchen Philo⸗ fophie die Waffen zur Bekämpfung des Proteſtantiomus und zur philofor phiſchen Bertheidigung bed katholiſchen Dogma’s entlehnt bt. Neueſtenß HM beſonders der Verſuch Günther's, die katholiſche Glaubenslehre fperufatte zu rechtfertigen, im katholiſchen Deutſchland nicht, ohne Wirkung geweſen; aber die papfläiche Curie Bat, wie ſchon früher gelegentlich bemerkt werden; biefen wohlgemeinten Berfuch ale ketgeriſch verworfen. Man fell nick denken, fondern bloß glauben hierin wenigſtens fimmen der Tatheltiche und ber proteflantifche Hierarchismus brüderlichſt zuſammen.

18,

Die den Hrifllihen Nationen eigenchümlichen Anſtalten zur Pflege der Miſſenſchaft find die Univerſttäten. Bon ber Akademie, worin Blato, dem Ayfeion, worin Ariftoteleß, der Stoa potlile, worin Bewen feine Schüler um fi verfammelte, unterfcheiden fle ftch weſentlich durch ihre zunfigemäßre Berfaffung, welche ihren Mitgliedern von jeher gewiffe Vorrechte gegeben, durch die Mehrzahl ihrer Xehrer, den größeren Umfang ihrer Wiffenichaften, weldye feit alter Beit in vier Sauptgebiete (Facultäten) eingetbeilt worden find, und endlich) namentlich dadurch, daß fle die Religion in wiffenichaft licher Form behandelten, während jene griechiſchen Schulen eben ausſchließ⸗ lich Philoſophenſchulen mit beftimmter ſyſtematiſcher Nichtung gewefen find. Die ältefte, im 11. Jahrhundert geftiftete Univerfität, Bologna, war An- fangs bloß eine nach dem Muſter der altrömiſchen eingerichtete Nechtsichule, Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurden tie hohen Schulen son Paris und Oxford, wo zuerft nur Theologie und Philoſophie gelehrt worden, zu Univerfitäten im wiſſenſchaftlichen Sinne badurh, daß aud alle übrigen Wiſſenſchaften in das Gebiet ded Lehrftoffs aufgenommen wurden. Anfaͤng⸗ th verftand man unter Univerfität (universitas) nar die Gorperationen ber Schüler (Bologna) oder der Lehrer (Sorbonne in Parid); ven. nun. aber eine Anfinlt, wo die Geiammtheit der Wiſſenſchaften gelohnt wird. Um ſich

Scherr, Geſch. d. Religion. IN. 21

dieſen aͤlteſten Uiniverfitäten gegenüber das gehörige Anſehen zu verihaffen, fuchten die jüngeren meift paͤpſtliche Stiftungebriefe nad und auch ohne dies verfäumten die Bäpfte nicht, dieſe Sige ter Wiſſenſchaft, melde im Mittelalter meiſt die Leitſterne ber öffentlichen Meinung waren, durch Gunſtbezeugungen fh zu verpflichten. Im 13. Jahrhundert entflanden noch Die liniverfitäten von Cambridge, Salamanca und Liffaben, im 14. Jahrhundert die von Rom, Pavia, Lyon, Avignon, Prag, Wien, Heidel⸗ Berg, Köln und Erfurt, im-15. Jahrhundert Die von Turin, Florenz, Glasgow, Bordeaur, Ingolftadt, Würzburg, Leipzig, Roſtock Greifswalde, Breiburg, Bafıl, Tübingen, Wittenberg, Uipfala uud Kopenhagen. Das Beitalter der Reformation errichtete aus Kirchen⸗ und Kloftergütern die Univerfitäten von Marburg, Königäberg,, Genf, Jena, Straßburg, Leyden, Helmftedt u. a. m. Im den Gebieten ter Reformation wurden bie alten Univerfitäten umgeftaltet und nebft den neuen fchlagfertige Heerlager bes PBroteflantismus. Geflaltete ſich die Univerfität Wittenberg zur Haupt⸗ burg des orthodoren Lutherthums, fo errichtete dafür ber calviniſtiſche Berliner Hof eine Hauptburg Ted Calvinismus in der Univerfität Halle. Aber gerade dieſe Parteiftellung Hat der Pflege ter Wiffenfchaften auf den Univerfttäten oft ungebübrliche Feſſeln angelegt und jegt noch üben gewille Geiſtesrichtungen auf dieſe Gelehrtencorporationen eine vereinfeitigende, Die Breiheit der geiftigen Entwicklung befchränfende Gewalt aus. So oft indeſſen die Umiverfitäten die Kortbildung der Wiffenfchaft zunftmäßig oder kirchlich einfeitig beichränkt haben, die Heroen der Wiflenfchaft find doch großen Theile an diefen Stätten gebildet worden und haben bafelbft den ber fruchtendften Wirfungsfreis gefunten.

Elſtes Kapitel, Die Kunſt.

1.

Eine untergehende Welt reißt auch das Schöne in ihren Trümmer⸗ flurz. Doch daſſelbe bleibt, weil ewig, nicht für immer unter den Ruinen eines vernichteten Gefellfchaftöbau’& begraben, fondern es feiert, ſobald die

323

ungeheure Kataflrophe verraufcht ifl, immer wieber feine Auferfiehung und hebt jein Rillmächtig Leben von Neuem an. Vom Often her erbob fid der fpirituelle, vom Norden ber fanı der materielle Orkan, welche mitſammen bie entnervte, alt und Eindiich gewortene Roma zu Boden warfen. Man möchte jagen, Ehriftenthun und Bermanenthum hätten ſich auf den Ruinen der antiken Welt die Hände reichen wollen zu dem Bunde, durch welden jenes in diefem erft recht feine weltgefchichtliche Bedeutung gewonnen. Wo aber, wie bier gefchab, einc große Idee die rohe Naturfraft zu ihrem Träger gewinnt, da mag dad Befichende auf Verheerung und Berftörung ſich gefaßt maden. Nicht umſonſt floßen wir in den Schriftwerfen der römijchen Kaiferzeit auf Männerblide, welde voll geheimen Grauens nah Judaͤa ſowohl als nad den germaniſchen Wäldern gerichtet find. Die Ahnung erfüllte fih, die große Göttertämmerung brach herein. Eine Welt. voll Schönheit aber einer Schönheit, teren Bildungen bis an die Schultern in den Sumpf fittliher Fäulniß verfunfen waren erlag dem germani- hen Streithammer und der Keule einer fanatifhen Mönderei. Konnte der germanifche Eroberer, noch heiß vom Zorne der Schlacht, die maßvolle Plaftik der griechifchen Kunft refpectiren , er, deſſen religiöfe Phantafle in Schöpfung Eolofjaler Nebelgebilde fich gefallen hatte? Mußte der ChHrift, zu einer Zeit, wo die tiefe Milde und Liebe der Ausfprüche Jeſu fchon fo viel- fach vergeflen und verfchollen war, nicht bei der erften Gelegenheit eine zer- ſtöreriſche Fauſt gegen die Götterbilder erheben, er, deffen Glaubensgenoſſen man gemordet, weil ſie vor dieſen Götterbildern nicht anbetend und opfernd hatten knieen gewollt? Jean Paul Hat nicht übertrieben, wenn er, vom zerſtöreriſchen Walten des Chriſtenthums in deſſen erſtem Siegedfieber redend, fagte, daſſelbe habe wie ein jüngfter Tag die ganze Sinnenwelt mit allen ihren Reizen vertilgt und zu einem Grabhügel zufammengedrüdt. Allein er ſelbſt gibt den Schlüffel zu diefer Erjcheinung,, indem er hinzufügt, alle Erdengegenwart fei durch das Chriftenthum zu Himmelszukunft verflüchtigt worden. Gerade das ift der Punkt, auf welchen man aufmerkffam machen muß, wenn man das feindjelige und verheerende Verhalten des jugendlich maßlofen Chriſtenthums gegen die antife Cultur und Kunft nicht ungerecht beurtheilen will. 2,

Das Chriftenthum war die Reaction des einfeltigen Spiritualismus

gegen den einfeitigen Materialisınus der heidniſchen Welt. Es Hilft Nichts, 21*

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mit Platen zu beklagen, daß die Erſcheinung des Chriſtenthums in ein ver⸗ derbtes Beitalter gefallen fell). Gerade weil das Heitenthum zu dem ge» worden, was es zulegt war, mußte das Chriſtenthum kommen. Nach den wuthenden Orgien, in welchen die antike Welt den letzten Heft ihrer Lebens⸗ kraft ausgeraft, that Die chriſtliche Faſteneur der Menſchheit noth. Ertrem ruft dem Extrem. Das Ehriſtenthum iſt ebenſo weſentlich idealiſtiſch, als dad Heidenthum realiſtiſch war. Dieſe Gegenſäthe traten an zu einem Kampf auf Leben und Tod. Aber der chriſtliche Idealiomud entwickelte eine Energie, wie fle der heidniſche Realismus in feiner Verrottung nicht aufzu⸗ Bieten vermochte. Er erlag und über feiner Leiche erhob der Sieger einen wilden Triumphſchrei. Mit maßlofefter Verachtung blickte ter Geift auf die Natur herab, bis wieder für dieſe die Zeit der Heaction gefommen war. Die chriſtliche Idee ſpitzte füch zu einer totalen Verwerfung des Nasürlichen und Wirklichen zu. Den Alten war das Diefſeits Alles, das Jenſeits Nichts geweien. Das Ehriftenthum kehrte das Verhältnig um. Es proclantirte die Erde ald ein total Berwerfliches, den Simmel als das allein Gültige und Erſtrebenswerthe. Wit fanatiſchem Ingrimm verwarf ed Die „Welt und daB „Bleifh". Im der erflen Epiftel Iohannis?) fleht geſchrieben: „Habt nicht die Welt lieb, noch was in der Welt il. So Iemand die Welt lieb Hat, in dem tft nicht die Liebe des Vaters. Denn Alles, was in der Welt ift, nämlich des Fleiſches Luft und der Augen Luft: und heffärtiges Leben, iſt nicht vom Bater, fondern von der Welt. Und die Welt vergehet mit ihrer Luft; wer aber den Willen Gottes thut, der bleibet in Ewigfeit*. Bier ift firengfle Verwerfung der Welt, ihrer Schönheit, ihrer Luſt ge= fordert. Der Chriſt foll ih von der Welt, von der Wirklichkeit, vom Irdi⸗ ſchen ab⸗ und mit all feinem Sinnen und Trachten dem Ienjeitd, dem Ueber⸗ trdifchen zuwenden. Er foll unaudgefegt daran arbeiten, das Fleifch aus⸗ zuziehen, um ganz Geifl zu werben.

Allein die Welt, die Wirklichkeit, die Materie iſt nun doch einmal ba. Selbſt die ſchwindelndſte Abſtraction, die verzückteſte Nyſtik kann fich dieſer Thatſache kaum auf Augenblicke entſchlagen. Wie half ſich das Chriſten⸗

1) Chriſtus erſchien; doch leider in hoͤchſt unſeligem Zeitraum, Als ſich das Menſchengeſchlecht neigte zu tiefem Verfall. Langſam drang ſein lehrendes Wort in barbariſche Seelen, Drang in verderbte zugleich, die es ſophiſtiſch entweiht 2) Ray. 2, V. 15—17. |

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thum dagegen? Sehr einfach dadurch, daß es das ganze Gebiet der Materie denn Widerſacher Gottes zuwies, dem Teufel. Die große Verteufelung der Menfchheit hob an: dem chriftlichen Bewußtſein in jeiner ſtrengſten Con⸗ fequenz war die Welt nur eine Teufelei. Nichts Naturloferes, Gottver⸗ laſſenered als diefer fpiritualiftifche Schwindel des Chriſtenthums in Der Blüthe feines Wahns. WUberwig aller Art, tollſte Willkür war das noth⸗ wendige Reſultat. Das Heidenthum hatte die Natur vergättert, das Chris flenthum verteufelte fie. Am liebften Hätten die chriftlichen Asketen und Enthuflaften ſie ganz. gelengnet, aber da Dies felbft dem Wahnſinn unmög⸗ lih war, mußte man fich jo zu jagen begnügen, ſie wenigſtens möglichſt ſchwarz anzuſtreichen. Es iſt unglaublich, zu was für rohen und flupiden Anſchauungen der fpiritualiftiiche Zelotismus gelangte. Alles Natürliche und Naturgemäße war ihm zulegt Tenfelöwerf. Kein Wunder daher, daß ehriftliche. Asketen von ihrem Haß gegen die Natur bis zur Selbſtentmannung fid treiben liegen. -

Der Grieche hatte die Schönheit angebetet. Als jene attifche Hetäre, ber fhaumgeborenen Aphrodite gleich, in der nachıen Herrlichkeit ihrer Schön⸗

‚heit aus dem Waſſer der Bat von Eleufld auftauchte, begrüßte das am Ufer

seriammelte Wolf dieſe Erfcheinung als eine Offenbarung des Göttlichen mit lautem Frohlocken. ine chriftliche Verſammlung hätte darin nur eine Dffenbarung von Teufliihem gefehen. Die Anwendung hiervon auf dad Verfahren der Ehriften gegen die heidniſchen Kunſtideale und Kunſtſchöpfun⸗ gen ergibt fih von felbfi. Die heidnifchen Göttermythen, die heidnifchen @Bötterbilder, die ganze wunderbare Fülle von Schönheit, welche das claſſiſche Altertum in Wort, Bild und Schrift gefchaffen das Alles -erichien den Chriſten als Teufelswerk. Die Heidnifhen Götter felb waren ihnen Teufel und es ift charakteriftifch, daß in der mittelalterlicden Sage vom Tannhäufer die Odttin Venus, die holdfelige Mutter der Liebe, als eine „Zeufelin* auf tritt. Die chriftlichfpiritualiftiiche Anficht, dad Alles, was wir umter beim Begriff Natur zufammenzufaflen pflegen, nur ein teufliiher Abfall von Gott, nur ein Widerfpiel des Grifles fet, führte in den erften Jahrhunderten des Chriftenthun zu einer förmlichen Achtung der Schönheit. Was natür« lich, was ſchön, war fatanifch, alfo verwerflich. Der Menſchenleib ſelbſt wurde, ald Verführer zu Teuflifchem, zu einem Gegenſtand bes Abſcheu's. Die Welt war eine Eitelkeit, ein Jammerthal, höchſtens gut genug zu einer Vorbereitungsfchule für das Ienfeits, Allerdings wirkten, neben ber fpirir

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tualiftifhen Idee des Ehriftenthums, noch antere Motive zur Bildung Piefer Anihauungsweife mit: die aus dem Judenthum überfommene Vorftellung eined firenggeiftigen,, bildloſen Gottes, der Anblick der moralifhen Ver⸗ fumpfung des Heidenthums, welche tem chriſtlichen Sitteniveal fo grell widerſprach, und endlich der Haß gegen Eultformen, deren Nichtbeachtung oder Verachtung fo viele Taufente ton Märtyrern mit dem Leben bezahlt hatten. Diefer Haß war nur conjequent, als er, zum Siege gelangt, an bie Stelle des Schönen das Efelhafte fette und auf die Altäre, von welchen die herrlichen Geflalten ter olympifchen Götter Herabgeflürgt worden waren, ten haͤßlichen Moder ter Heiligenffelette erhöhte.

Aber die Schönheit und ihre Offenbarung in den Künften gehört nun einmal zum Leben und leben mußten tie Chriften doch, aller Himmelsſehn⸗ jucht zum Trog. Die Natur blühte fort und fort und zeigte ihren undank⸗ baren Kindern in jedem Frühling die bolde Schönheit ihres nie alternden Antliges Tächelnd wieder. Der Himmel leuchtete und die Geſtirne rollten in ihren ewigen Bahnen, unbefümmert um alle die Weltgerichtöviftonen eines finfteren Fanatismus. Die Welt lebte von Neuem auf nad furchtbaren ErfYütterungen, auf den Gräbern einer untergegangenen Geſellſchaft richtete fich eine neue wohnlich ein und, ach, das, Fleiſch“, das verachtete und ver⸗ worfene Fleiſch machte bald alle feine Rechte wieder gebieteriich geltend. Der Aſchermittwoch des Urchriſtenthums fonnte nicht ewig währen. Das unaustifgbare Verlangen des Menfchen nad Barbe, Ton und Bild, nad bildlicher Anſchauung feiner Ideale, nah Schönheit und Beitfreude erwachte mit verdoppelter Stärke wieder und wandte fich, mit jchlechtverhehltem Seh⸗ nen zu den der Berflörung entgangenen Schönheitsreften des Heidenthums, gottesdienſtlichen Uebungen, wie zu dem geielligen Spielen und Vergnügun— gen der Vergangenheit zurück. Es war hohe Zeit, dem Realismus bedeu⸗ tende Ginräumungen zu machen, wenn der Idealismus nicht Gefahr laufen follte, feine Faum erlangte Herrichaft wieder zu verlieren. Die Kirche, Flug wie fle war, erfannte dad und fanctionirte, wenn auch widerftrebend, mit vielen Seufzern über die menſchliche Schwäche und nicht ohne offizielle Proteſterhebung gegen die „Werke des Teufels“ factiſch Die Thatſache, daß der Menſch nicht lauter Geift fei und daß demnach auch feine Sinne einigermaßen Anſpruch auf Befriedigung hätten.

Die Folge bievon war die Entwicklung des chriftlichen Cultus und Die Entfaltung der chriſtlichen Kunſt. Jenen Haben wir in einem früheren

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Kapitel. betrachtet und wir weiſen auch im Betreff einiger. künſileriſchen Mo- mente auf daffelbe zurüd?). Dieje führen wir jest in ihren bedeutendſten Phaſen vor, natürlich mit Vermeidung des Detaild, welches in die Aeſthetik und Kunftgefchichte gehört. Würde jedoch bier noch die Frage aufgewarfen, ob denn nicht im dhriftlichen Dogma ſelbſt ein Punkt vorhanden gewefen, son welden das chriftliche Kunſtideal ausgehen fonnte und mußte, fo gaben wir zur Antwort: allerdings. Diefer PBunft war die Vorſtellung vom Bottmenfhen. Bott war Fleiſch geworden, er war fichtbar in der Körperlichkeit erichienen warum follte feine Erſcheinung nicht in Bild und Farbe feftgehalten werden Dürfen? Died einmal zugegeben, zügerte Die hriftliche Kunft, zumal bei wachjendem Heroen = oder Heilligendienft, nicht mehr, alle Anregungen der antiken zu benußen, um einen vollſtändigen chriſt⸗ Tihen Olymp zu fchaffen. Freilich war Anfangs noch der Spiritualiduns fo mächtig, daß dad Dieffeitd nur für eine Folie des Jenſeits galt und Alles, auch in der Kunft, auf eine Vergeiſtigung, oder hriftlich. zu iprechen, auf eine Verklärung des Irdifchen hinauslief. Daher in der altchriftlichen Kunft, und auch fpäter immer wieder, fo oft das altchriftliche Ideal zu neuen An⸗ jehen kam, die asketiſche Vernachläfſigung der fchönen Leibesformen, die hektiſch⸗ himmelsſehnſüchtigen Gefichter, ter verachtungsvolle Bild auf Das „Fleiſch“. Sonft aber brach der ganze blühende Realismus des hellenifchen Heidenthums in die hriftlihe Kunſt herein, um in den höchſten Aufichwüns gen derjelben eine vollentete Verſchmelzung mit dem Idealisſsmus zu erleben, eine wahrhafte Irandfiguration, im höheren als im kirchlich⸗beſchränkten Sinne. Dies vorausgeſchickt, reden wir zunächſt von der Architektur, dann son Biltnerei und Malerei und endlich von Muſik, Scaufpielfunft und Poeſte. 2 Ä 3.

Es liege in der menfchlichen Natur, dag beim Beginn einer neuen Weltperiode, fo ſchroff auch immer die Idee derjelben dem Beifte der vorher⸗ gegangenen entgegenftehen mag, die Prarid der Anfnüpfungen an das Ver gangene nicht entrathen kann. Nur allmälig fchafft fi eine neue Welt-

3) 3. B. in VBelreff der Ausbildung der Liturgie, in welder, wie Jedermann weiß, die Anfänge der chriſtlichen Dramatik wurzein, und in Betreff der Bauart der. älteften chriſtlichen Kirchen.

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anſchauung Bormen, die ihr. adäquat find. Hunächſt bedient fie ſich bes bereit vorhandenen ; aber fie bildet Diefe, indem fie fie mit ihrem Geiſte erfüllt, nach und nad vollfländig um, bis fie zuletzt Ichäpfungsnädtig genug ift, ihren eigenften Gedanken zur finnlichen Erfcheinung zu bringen. Dies gilt auch von der Baukunſt im Chriſtenthum. Wie wir im Kapitel vom Cultus ſahen, eignete fich die Kirche zunörberft die Bafllifen des griechifch⸗ sömiichen Heidenthums zu gotteßdienfllichen Bweiden an ober errichtete in diefem Styl neue Gotteshäuſer. Später beveicherte fih ter altchriſtliche Styl durd Adoption und reichliche Anwendung des römiſch⸗bhzantiniſchen Auppelbaue’s. Im 10. Iahrhundert, wo die Emanzipation Des ChHrifllichen vom Antiken ſchon bedeutende Worſchritte gemacht Hatte, Fam der Bauſtyl auf, welchen man jegt den romaniichen zu nennen pflegt, wriler, unter ben Boͤlkern romaniihen Stammes entwickelt, von diejen aus im die Laͤnder ber abendländiichen Kirche fid) verbreitete. Ex behielt Die Grundform ver ali» chriſtlichen Baflifa bei, an die Stelle der flachen Bedeckung der Naume aber fegte er das Gewölbe und bradıte dafleibe in der Form des KHalbfreifes (Halbrundbogens) zu der mannigfachſten Durchbildung und Gliederung. Roc war aber In diefer Ardhiteftonif viel zu viel Antikes zurüdgeblieben, als daß ſchon in ihr das Ideal chriſtlicher Baufunft zu voller Erſcheinung gelommen wäre. |

Die chriftliche Ider, d. h. die Emportragung der Seele über dad Ir⸗ diſche, baufünftleriich zu verwirklichen, war, nachdem fich Die Kraft des roma⸗ niſchen Styls im 12. und 13. Jahrhundert erfchöpft hatte, jeuer Architeftur vorbehalten, welche man gewöhnlidy die gothifche nennt, Die aber von neue⸗ sen Kunſthiſtorikern mit Recht als die germaniſche bezeichnet wird, weil fie zu Der angegebenen Zeit in allen germaniidyen oder wenigftend vom Ger manismus getränkten Rändern mit gleicher Energie hervorgetreten ift was diejelben mit colofjalen Monumenten bedeckt hat. Ueber den Urfprung des germanijchen Bauſtyls, deſſen Hauptmerfmal, wie Federmann weiß, der Spitzbogen iſt, hat man viel geſtritten und es fehlt nicht an gewichtigen Stimmen, welche die Entſtehung deſſelben auf orientaliſch-ſarazeniſche Ein— flüſſe zurückleiten 1), Wie mir ſcheint, thut es auch der Erhabenheit

1) Schon Sörhe nannte den Kölner Dom „eim ſchöne ſarazeniſche Blume, im Abendland entfaltet”. J. Bram (Geſch. d. Kunſt, I, 10) will den Uriprung der Borhif ſtatt im himmelanſtrebenden Sinn tes germanischen Mitielalters vichnelge

*

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der. germantiden Architektur Eeinen Eintrag, wenn ſich Die abſolute Ori⸗ ginalitaͤt derſelben nicht beweiſen ließe. Gibt es denn überhaupt eine abſolite Originalität? Der germaniſche Bauftyl beweiſt ja ſeine germaniſche Natur gerade dadurch, daß er univerſell alle vorhandenen brauchbaren archi⸗ tektoniſchen Elemente, altchriſtliche, srientaltiche und romanifche, in ſich aufs nahm und Tas Vorhandene mit feinem Geiſte, mit feiner tiefen Iunerlich« keit durchhauchend, für alle Zeit das Ideal des chriſtlichen Tempels ſchuf. Denn er bat, im directen Gegenſatz zum griechiſchen, den Olymp zur Erbe herabzichenden und daher breit und wohlig ber Erde fich anſchmiegenden Tempel, die hriftliche Idee der Vergeiftigung des Irdifchen voll und gan zur Erideinung gebradt, indem er feine Dome, au welchen Alles in bie Höhe Airebt, als eine verſteinerte Himmelsſehnſucht in die Lüfte fleigen ließ. Die ven ber Tradition geheiligte ſymboliſche Kreuzform ber altchriftlicken Bafllifa mit ihren drei weientlihen Theilen: Vorhalle, Schiff und Chor, bat auch die germaniſche Architeftur beibehalten ; ſonſt aber arbeitete fie in dem ihr eigentgümlichen Geiſte. Dem Spigbogen gefellte fie Gurtgewölbe und Strebepfeiler, von denen letztere nad außen den eigentlichen Mauerkern bildeten und in mannigfaltiger Gliederung als theils in Giebeldächer theilb in kleine Thürme auslaufende Stügen die Fintönigkeit der Mauerwand aufs hoben, währen? fie im Innern als cylindriſche Säulen mit elaftiicher Kraft aufichießend mit den Blaͤtierkronen ihrer Kapitäͤle In die Gurte der Wölbung fi verflochten. Was die Außenſeite ihrer Tempelbanten angeht, jo hat Die Gothik ihren größten Reichthum an des Bagade und den Thärmen ent faltet. Die Ornamentif der erfleren haͤuft fih um und ber dem Haupt⸗ yortal. Die Uebergiebelung defielben conftruirt ſich zu einem beſonderen Zwiſchenbau, in deflen Witte ein müchtiges Prachtfenſter (die Roſe) das Licht in das Mittelſchiff des Münſters firdmt. Die Thürme, in welchen der himmelanftrebende Grundgedanke des ganzen Baues potenzist wiederkehrt und deren gewöhnlich zwei Die Fagade frönen oder doch krönen ſollten, ſtei⸗ gen, dur ein vielgliedriges Pfeilerfoften belebt, zunächft viereckig anf. Das Obergeſchoß dagegen Hat meiſt eine achtedige Grundform ımb von da aus fpringt Die achtſeitige, Aligranartig durchbrochene Spige wunderbar kühn und ſchlank aufiwärts, ein fteinerner Stral, und da, wo an ihrem äußerften

geradezu und ganz ſpeziell in der ſarazeniichen Architeliur der Tulun⸗Moſchet in Kairo finten, von wo dieſer Bauſidvl durch die Mormennen nach Europa gekommen ſei.

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Ende die acht Rippen ſich zufammenfchließen,, breitet eine in Kreuzesform gemeißelte Blume Ihre Blätter dem Ihau des Himmels entgegen. Dies im Allgemeinen der Charakter des chriftlich-germanifhen Tempelbau's.

Größeres als feine Servorbringungen und der chriſtlichen Idee nur halb⸗

wege fo Entiprechendes hat die Architektur in ber chriftlichen Welt nie wie⸗

ver geichaffen. Dan muß die Wirkung von Kathedralen, wie die Straß«-

durger und Kölner find, jo recht empfunden haben, um-zu wiffen, was die

mittelalterliche Hingabe an das riftliche Glaubensideal, zu deren Organen

die in einem früheren Kapitel erwähnten Baugefellfchaften fih gemacht

hatten, zuwege bringen fonnte. Später, zur Zeit der Renaiſſance, gewann

das antike Element in der Baufunft wieder flarfe Geltung und feither ift,

ganz abgeiehen von dem platten Ungeſchmack der Zopfs und Perrücken⸗

yeriode, in der Architektur eine oft wunderlichſte Miihung von antiken, byzautiniſchen, orientaliſchen, romaniſchen und germaniſchen Elementen und

Motiven herrſchend geworden. Zu einem eigenthümlichen, ihre Seele ver»

körpernden Bauſtyl bat es Die moderne Zeit noch nicht gebracht; es wäre

denn, daß man in Fabriken- und Kaiernenfyl eine Berförperung diefer

Seele erbliden wollte.

4,

Nachdem „der Bund ber Kirche mit ten Künften * 1) einmal gefchloffen war, wurden neben der Architektur auch die biltenten und redenden Küsfke, Bildnerei und Malerei, Muſik und Poeſte, dem Cultus dienftbar gemacht. So lange der ipeziftich chriſtliche Geiſt in der Kirche wach und mächtig blieb, zeigte auch die ganze fünftleriiche Thätigkeit einen jchroffen Contraſt gegen die Formenſchonheit und Sleifcheöfreude bes Heidenthums auf. Die bildende Kunft der Alten hatte ihren höchſten Triumph in der vollendeten Nach» ſchöpfung des vollendeifien Gebildes der Natur, d. i. der Menſchengeftalt, geſucht und gefunden. Die hriftlihe Kunft nun, getreu ihren am Ein⸗ gang dieſes Kapiteld entwidelten Ideal, wollte mehr. Denn überall über der Natur ein „höheres Wahen“ vorausjegend, wollte ſie dieſes Walten seranichauliden, weldes die natürlichen Erſcheinungen durchdringe und dem

1) Unter diefem Titel hat A. W. Schlegel in einem befannten Gedicht das Thema behandelt, welches uns hier beihäftigt. GE if intereflant zu fehen,, wie der „Reuromantifer* fih Mühe gibt, zu katholiſtren, und wie duch all den katholiſchen Pomp feiner Berfe die veotehantifche Rüchterngeit Ducchicgeint.

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fich die Menfchenfeele entgegenzumenden babe, „wie die Pflanze tem Licht“. Mit einem Wort, die antife Kunft bat die ſchöne Sinnlichkeit, die chriſt⸗ liche hatte das jchöne Gemüth zum Vorwurf. Jene hatte Wundervolles geſchaffen, indem fie fih begnügte, Natürliches in harmoniſchem Gleichmaaß darzuftellen, dieſe konnte zunachft nur Rohes und Unzulängliches zuwege bringen, weil ihr Streben, rein @eiftiged zu veranfchaulichen, im Grunde ein fünftleriih unmdgliches war. Erft dann, ald das Heidnifche Kunſtideal im Chriſtenthum wieder foweit mächtig geworden, daß es die ewige Wahr⸗ heit, der Menich fünne über den Menfchen nicht hinaus, den chriftlichen Künftlern fühlbar machte, begann der Auffchwung der bildenden Kunſt in der hriftlichen Welt. |

Bevor mit der ſtillſchweigenden Anerkennung jenes Satzes eine chriſt⸗ liche Mythologie ſich entwickelte, oder, mit andern Worten, bevor in der Vorſtellung vom Gottmenſchen der künſtleriſche Accent allmälig von der erſten auf die letzte Sylbe hinüberrückte, brachte es die altchriſtliche Kunft nur zu einer dürftigen Symbolik oder vielmehr Hieroglyphik ), aus welcher ſich freilich fpäter die ganze Fülle ſymboliſcher und allegoriiher Darftellung herausbildete ; ferner zu Anfängen der Bildnerei in kirchlichen Brachtgeräthen und Prachtgewändern, in Elfenbeinfchnigereien , in reliefartigen und flatuae rifhen Darftellungen; endlich zu Verſuchen in der Mofaif-, Wand - und Zafelmaferei. Auch die Illuſtrirung der heiligen Echriften vermittelſt Miniaturmaferrien Fam fon frühzeitig vor, gelangte aber erft weit ipäter zu hoher Bollendung. Mit den Ueberbleibjeln dieſer altchriſtlich⸗byzantini⸗ fchen Bildnerei und Malerei, deren Tippen in der orientaliſch⸗griechiſchen Kirche bis auf den heutigen Tag flehend geblieben, bat man befunntlich zur Neftaurariondzeit modifche Abgötterei getrieben, welche die abſonderlich- ſten Kunſtſchrullen zu Tage förderte, jetzt aber verſchollen iſt.

In der Periode des romaniſchen Kunſtſtyls, welcher das frühere Mittel⸗ alter beherrſchte, erhob ſich die bildende Kunſt, beſonders in Deutſchland und in Italien, über die engen Schranken des Byzantismus. Die Einflüſſe der Antike gewannen allmälig Boden gegenüber der flarren Tradition. Die Technik in Bildnerei und Malerei vervollfonmte fih und im den Geftalten

2) In diefer Bilderfibrift bedeutete 3. B. der Weinſtock den Grlöfer, ebenfo der Fiſch und das Lamm, das Schiff die Kirche, das Kreuz den Opfertod, die Leier den Sottesdienfl, Der Palmzweig ven Heiland als Sieger über den Top.

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küͤndigte fich die Berichuselzung des hellenifchen und des chriſtlichen Ideale fhon leife an. Doc behielten in dieſer Periode, wie aud in der folgenden des germaniichen Style, Bildnerei und Malerei noch vorwiegend den decora⸗ tiven Charakter, und was aud) im Einzelnen die Stein und Metallifulptur, bie Wand» und Tafelmalerei Vortreffliches leifteten, im Ganzen blieben fie der Arditektur unterthan, deren Werke fie iymüden mußten. Was ind« beſondere tie Bildnerei angeht, To hat fie ed, jo lange ſie eine ſpezifiſch &riftliche war, zu einem jouverainen Auffichſtehen, in der Weile der antiken, nie gebradt. Sie bewegte ſich baher mit Vorliebe in ter Sphäre des Reliefs, weil fie in dieſer Form am paflendfien als architeftoniiche Zierde terwendet werten fonnte. In der Sladmalcrei, die freilich erfi am Ende bes 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts zu höherer Blüthe gelangte, fiberte ſich die hriftliche Baukunft einen neuen Schmuck. Jenes gebänpfie und doch phantafliiche Licht, jenes träumerifche Helldunfel, welches mit Glate malereien bedeckte Benfter in das Innere der gothiſchen Münfter falten laſſen, ſtimmte jo recht zur chriſtlichen Andacht. Im Uebrigen macht ſich in den. Werken ber bildenden Kunft ded Mittelalters Häufig ein fatirifcher Zug be= merkbar. Wie der Volfögeift es Tiebte, in ben früheren Orts berührten Narren» und Ejelöfeften Die kirchlichen Geremonien poſſenhaft zu traveſtiren, fo liebte es die mittelalterlige Kun, vermittelt groteöfer Bildungen bie Ausicreitungen der Pfaffgeit zu perfifliren, ja nicht felten auf das Dogua felöft ein ironiſches Streiflicht zu werfen. | Mit dem 15. Jahrhundert begann die Entwidlung der Kunft des modernen Styls, auf welche Die in immer größerem. Umfange wieder erwachende und gepflegte Kenntniß des claffiihen Alterthums son mafe gebendem Einfluß war. Cine Zeit bob an, in welcher Lie fünftlerifhe Ver⸗ bindung des chriſtlichen Ideallsmus mit dem antifeheidnifchen Realismus ſich vollzog. Das im Katholicismus zur Meife gediehene mythologiſche und fomboliiche Element befleibete ſich mit helleniſch ſchönen Formen und von Stufe zu Stufe fchritt Die Kunft vor, bis in den Gebilden eines Mafael das chriſtliche Kunftideal, das Durcleuchtetiein des Natürlihen vom Geifligen, Die Verklärung des Irdifchen zum Himmliſchen, die Erhebung des Menſch⸗ fihen zum Göttlichen, erfüllt wurde. In den florentinifchen, umbrifchen und venetlanifchen Malerſchulen und ihren vorragendften Meiftern (Xeonardo ta Vinci, Correggio, Micdyelangelo, Buonarotti, Rafael Santi, Tiziano) ſehen wir diefe Kunſthöhe in ihrer ganzen Größe, Farbenherrlichkeit und

333 Anmuth entfaltet: unvergleichlihe Majeftät in Buonarotti’s Propheten und Sibyllen, unvergleihliche Gottmenſchlichkeit in Rafaels Madonnen und Chriſtusbildern, eine bis zur heidniſchen Fleiſchesfreudigkeit geſteigerte Farbenpracht und Anmuth in den Gemälden Tizians, der ja dem chriftlichen Olymp zur Seite kühn feine wundersollen Benusbilder aufftellte Mit weit größerer Strenge, als bie Italiener, kamen bie- Meifter der beutichen Schule, ein Hand Holbein, Lucas Kranach und Albrecht Dürer, den Forde⸗ zungen des hriftlichen Idealismus nach und namentlich erjcheint in Dürers Geftalten die fittlidre Idee des Chriſtenthums in’ ihrer größten Reinheit. Dagegen flug in der. niederländifchen Schule des Peter Paul Rubens ber Idealismus in blühendſten Realismus um und modiflzirte ſich dieſer in den Werfen der holländiſchen Maler zu keckſtem und derbſtem Materialismus. Die fpanifche oder, genauer geſprochen, die ſevillaniſche Malerfchule des 17. Jahrhunderts hatte das Eigenthümliche, daß fie im Idealiftiihen und Reali— fttichen gleich art war. So insbeſondere ihr Großmeifter Murillo, welcher tim Genrebild die vollendetfte Naturwahrhett erreichte, während er in der chriſtlich mythologiſchen Malerei den höchſten Schwung religidfer Begeifte rung mit holdfeligfter Anmuth verband.

Die Reformation if der bildenden Kunft nicht günftig geweien. Zwar die Reformatoren ſelbſt waren der Mehrzahl nach keineswegs fo bilderſtür⸗ merifeh gefinnt, wie viele ihrer Anhänger es waren; allein der Geift der Reformation drängte doch überall vom Aeußerlichen auf das Innerliche, vom Mythologiſchen zum Begriff, vom Symbol und Bild zu Wort und Shift zurück und äußerte fih dann im calviniftifchen Puritanerthum geradezu tunftfeindlich und oft vandaltfch genug. Auch die Fatholifche Kunſt ſank am Ende des 17. Jahrhunderts in rafchen Berfall, nachdem fie in Italien ſchon früher das finnlihe Element auf Koften des fpirituellen effecthafcherifch be⸗ gimftigt hatte. Eine zweite Schöpfungäperiode der modernen Kunfl brach erft wieder mit dem Ende des 18, und dem Anfang des 19. Jahrhunderts am. In die Lorbeeren derjelben theilen ſich hauptſächlich eine deutfche, eine fran- zöftiche und eine belgiſche Malerſchule, fowie die Meifter der monumentalen Maſtik der Neuzeit, welche aber ganz entjchieden mehr vom Hellenismus als som Chriſtenthum infpirirt wurden.

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5.

Bon allen Künften hatte ſich am früheſten die Muſitk mit dem chriſt⸗ lichen Cultus verbunden. Bieter fie doch dem Menfchen ein nächſtliegendes Mittel zur Ausftrömung jeiner Gefühle. Die Pialmen und Hymnen famen aus dem Judenthum in das Chriſtenthum berüber und jene tiefen Herzens⸗ töne ter Hebräifchen Lyrik wurden und blieben der Grundklang des chriſt⸗ lichen Kirchengeſanges. Er tönte ſchon, bevor es noch eine Kirche gab, ſchon bei dem Abendmahl Chriſti mit feinen Jüngern, dann bei den Agapen ber erfien Gemeinden. Die Kirche begriff bald Die Vortbeile,, welche Mufif und Befang als Andahhtsmittel darboten. Bon dem Eoncil von Laodicea (364) an, welches zuerft tie Einführung regelmäßiger Kirchengeſaͤnge decre⸗ tirte, dann weiter von Ambroflus und Papſt Gregor I. an, mwelder Letztere den Shoralgefang begrüntete, war die Hierarchie für Entwidlung der Muſik nad Zheorie und Praxis unausgeſetzt thätig. Aus dem Choral mochte fich der vierſtimmige Geſang entwideln,, aber zur Ausbildung der Harmonie hat das Eingreifen der Inſtrumentalmuſik und vor Allem der Orgel das Weſent⸗ lichfte gethan. Mit der Vervolllommnung der Saiten- und Bladinftrumente, fowie ter Orgel, ging e8 freilich nur langfam vorwärts. Erſt 1444 foll Meifter Droßdorf aus Mainz die erfte große Orgel mit Pedal gebaut haben und die Scheidung des Pfeifenwerks in beflimmte Regiſter kam erfi im 16. Jahrhundert Hinzu. Die Theorie war der muflfaliihen Praxis vielfach porausgeeilt, indem fchon zur Zeit Friedrich Barbaroſſa's Meifter Franko aus Köln die höchſt bedeutſame, mannigfachfte Vorſchritte von Melodie und Harmonie begründende Erfintung des Menfuralgefanges gemacht hatte. Im 15. Jahrhundert entwidelte fih die Figuralmuſik und von da an geflaltete ſich Geſang und Muſik in der römiſchen Kirche immer Funftreicher, fo daß die Gemeinde dieſen Verfchritten nicht mehr folgen konnte und die Ausübung der Kirchenmuſik Sängern und Muſikern von Fach anheimficl. Große Zondichter kamen diefem Fünftlerifhen Drang im Katholicidmus zu Hülfe, befonders in Italien. So im 16. Jahrhundert Paleftrina, im. 17. Mar⸗ cello und noch im 18. Pergoleſe. Aber es ließ fich nicht überfehen, daß bie italifche Muſik, wie von der Gemeinde, fo auch vom Kirchlichen mehr und mehr ſich emanzipirte und häufig in weltliche, fogar in finnlichelüfterne Weiſen auslief. Die Reformatoren, und vor Allen Luther, bemühten fi energifch, den ſchon damals opernhaft außgearteten Kirchengefang wieder zu

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feinen Wefen zurüdzuführen, d. 5. ihn wieder zur Sache der Gemeinde zu madyen. Und damit war der Einfluß der Reformation noch nicht erichöpft. Wenn fle ſich zu den bildenten Künften cher feindſelig verhielt, fo war fie Dagegen für die Muflf von ebenjo tiefgreifender ‚ala nachhaltiger Anregung. Machte fie doch die Religion, welche zu einer Sache äußerlicher Convenienz geworden war, wieder zur Sache ded Gemüthes und mit diefer Einkehr des Menſchen in ſich felbft war auch der Grund gelegt zu jener großen Neform und Vollendung der Muſik, welde zu den fihönften Thaten des deutſchen @eiftes gehört. Denn in Deutichland wurde, während die italifche und franzöftihe Muflf in zopfiger Verjchnörfelung und wüften Opernipectafeb anterging,, eine Tondichtung wach, welder Fein anderes Volk etwad auch nur annähernd Ebenbürtiges entgegenzuftellen hat. Nachdem in der erften. Hälfte des 18. Jahrhunderts Bach und Händel dem religtöfen Tonftyl jeine- claffliche Geftalt gegeben, begründete Gluck einen edleren dramatiſchen Styl. in der Muſik und verſchmolz Haydn in feinen großen Tongemälden daß reli« gidfe Element mit dem weltlichen in anmuthigfter Weile. Auf dieſe Vor⸗ gänger folgten dann Mozart und Beethoven, welche die deutſche Tonſchöpfung vorerft gerade fo zur Vollendung und zum Abſchluß brachten, wie Göthe und Schiller mit der Poefte tbaten. _

6.

Gegen feinen andern Zweig der antifen Kunft hatte fih das Ehriften- thum mit dem Grad von Born und Energie erhoben, weldyen e8 gegen die Schauſpielkunſt in ihrem ganzen Umfang entwidelte, und man muß fagen, daß es Hier im vollften Rechte war. Nicht nur bie niedrigeren Gattungen. der Schaufpiele, die wüften Thierhetzen und die graufamen Gladiatoren⸗ kaͤmpfe, forderten die chriſtliche Oppofttion in tie Schranken, fondern au das eigentliche Drama. Gegen die furdtbare Entartung defielben im römi⸗ fhen Reiche boten die Kirchenväter das ganze Beuer ihrer ftrafenden Beredt⸗ famfeit auf. Einer derfelben, Chryſoſtomus, bezeichnete die Theater ale „Wohnungen des Teufeld, Schaupläge der Unſittlichkeit, Xehrfäle der Schwelgerei und Ueppigkeit, Gymnaſten der Ausfchweifung, Katheber der Peſt“ eine ebenfo firenge als wahre Charakteriftil. Denn wie das an- tife Drama aus gotteßdienftlichen Uebungen hervorgegangen war, fo theilte ed in feinen letzten Zeiten auch ganz den fittlichen Verfall der heidniſchen Re⸗ ligion. Nicht mehr befchritten die erhabenen Geftalten eines Aeſchhlos und

336

Sophokles die Bühne, fondern dieſelbe war nur noch der Schauplatz ge- meinfter Gankelel und der Befrietigung Haflrten Braufamfeits - und Wol⸗ Iuftfigel®. Wie weit mußte es mit einer Geſellſchaft gekommen fein, weldge die Tragif darin fand, daß man Verbrecher Die Rollen des Herafles und Daͤdalos zu fpielen zwang und die Unglücklichen auf der Bühne ſelbſt einen fhredlichen Rartertod finden ließ1)! Dies für Die Grauſamkeit des Publi⸗ eumd. Bür feine Wolluft waren Komödien da, in welchen die mythologi⸗ fhen Licbeöfzenen der Paſiphae mit dem Stier oder der Leda mit dem Schwan in nadtefler Ratürlichkett gefpielt wurden, und andere, we nackte Zänzerinnen obfeöne Batefzenen aufführten?). Kein Wunder, wenn bie . Kirche diefe von Blut und Schmup ſchlüpfrige Bühne entfchieben verdammte und, in Erneuerung altrepubfitenifch-römifcher Anſichten über Schaufpieler md Schaufpielerinnen,, diefe mit den Kupplern und Luſtdirnen in eine Klafie ſetzte und für ehrlos und infam erflärte.

Aber das Chriſtenthum follte auch auf tiefem, wie auf fo vielen ande- zen Bebicten noch, erfahren, daß fein Wort von tes Geiſtes Stärfe und des Fleiſches Schwäche umgefehrt am allerwahrften fei. Denn auch bier beflegte das lebensluſtige, fündige Fleiſch“ den asketiſchen Geiſt oder nöthigte ihm wenigftend weitgehende Conceſſionen ab. Die Augenluft*, von welcher bie oben citirte Epiftel Johannis, wahrſcheinlich mit fpezieller Rüũckſichtnahme auf das Theater, verdammend gefprocden, wollte fi nicht bannen laffen. Da half kein Gedonner kirchenväterlicher Berettiamfeit, da frommten feine oft wiederholten antitheatralifchen Concilienbeihlüffe. Das ‚‚Panem et circenses‘‘! blieb auch noch im Chriſtenthum bie Lofung der Menge und überdies hatte die Vollziehung der firchlichen Evicte gegen das Schaufpieler- volf ihre Miplichkeiten in Zeiten, wo ein Zufall die verbußltefle und ver= worfenfte aller Komöbdiantinnen, welde feit Beſtehen der Welt die Bretter

4) In der Rofle des Herakles den Flammentod auf dem Oeta, in ber Rolle des Daͤdalos das Zerrifienwerden durch ten Minstaures im vabyrinth, wobei ein wüthen: der Eder den Minotauros „machen“ mußte.

3) Se befonders in der berüchtigten Komödie „Majınna“, welche aus ber Zeit des Konſtantin ſtammt. Wie fche das Publicum. auch das chriſtliche noch, an diefem ärgerlihen Stüd hing, verräth ter Umfand, daß die Aufführung der Majuma bie zu den Seiten des Honorius und Arfadius nicht weniger als acht Mal verboten und doch immer wieder erlaubt wurde.

337

a betreten, in der Perfon der ſchönen Theodora, der Gemahlin Juftiniang, zur allgebietenden Kaiferin des römiſchen Reiches erheben Eonnte.

Unter ſolchen Umftänden machte es die Kirche mit dem Schauſpiel—⸗ weien, wie fle unter ähnlichen mit Anderem that. Was fie nicht bewaͤl⸗ tigen Eonnte, das eignete fle fich an And verwandte e8 „ad majorem Dei gloriam“. Wer nicht in Abftractionen lebt und fich fein abftractes Bild von den Menſchen macht, wird ſich kaum einfallen laſſen, dieſe Politik der Kirche zu rügen. Indem fie e8 mit Menſchen zu thun hatte, wie fle nun einmal find, handelte fte, wie fle mußte, ald fie, wie die übrigen Künfte, fo auch die Schaufpielfunft in den hriftlichen Eultus einführte und dadurch fance tionirte, um fo mehr, da der vom Heidenthum entlehnte theatralifche Apparat Durch Die gotteödienftlichschriftliche Weihe zugleich fittlich geläutert wurde. Bald war die oberfle Direction de? ganzen Schauſpielweſens bei der Kirche und fo kann Das moderne Drama einen nicht weniger religiöien. Urfprung für fid in Anſpruch nehmen ald das antife 3).

Die Kirche mußte fh, nad Tangem vergeblichem Kampfe gegen Lie „Augenluſt“ ihrer Gläubigen, damit zufrieden geben, dieſe Luft wenigftend auf fromme Gegenftände zu Ienfen. Bu diefem Zwecke benutte fie die ſchon im Cultus der Urfirche liegenden dramatiſchen Elemente 2), um dieſelben im Verlaufe der Zeit zu einem vollftändigen liturgijchen Drama, zur Meſſe aus- zwbilden. An dieſes gotteödienftliche Schaufpiel reihten fih dann bald

- andere firhliche Dramen an, die biblifh-mäthologifchen „Mofterten *, jo

genannt, weil fie ſich mit den Geheimniſſen ded chriſtlichen Dogma's vor⸗ zugsweiſe bejihäftigten. Zuerſt wurden in den Kirchen an den großen chrifte Tichen Beften, bejonderd zur Weihnachts- und Öfterzeit die Szenenfreife, welche die Geburt, die Paffton und den Tod Jeſu umſchloſſen, von den Geifte lichen dramatifch dargeftellt, Anfangs pantomimifch,, dann dialogiftrt, und zwar Letzteres jo, daß früher der Dialog im Eirchlichen Latein, ſpäter aber in den verjchiedenen Zandesiprachen verfaßt war. Aus diefen Myfterien ift das Drama aller europäifchen Kiteraturen erwachlen; in der ſpaniſchen aber blieben fe unter dem Titel Autos (Acte) auch ſpäter eine ſtehende Titerarifche Gattung und erhielten dort auch die vollendetfte poetiſche Geftalt. Bei Aufführung der Myiterien hatten die Kirchenräume die Schaaren Der

3) Dgl. Thl. I, ©. 196. 4) Die Wechfelreten des Priefters, des Diakonus und der Gemeinde. Scherr, Geſch. d. Religion. III. 22

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frommen Zuſchauer bald nicht mehr faffen fünnen And man war daher ge⸗ nöthigt geweien, auf Kirdhöfen und anderen freien PBlägen die heilige Schaubühne aufzuſchlagen, welche fih nah und nach mit izeniihem Apparat aller Art, bunten Coſtüms, Decorationen, Flugmaſchinen und Verſenkungen bereiherte). Das alte und dad geue Teſtament und alle die Märtyrer geichichten und SHeiligenlegenten lieferten die Stoffe. Selbſtverſtändlich war die Dramatifirung noch eine ſehr rohe). Sie war nicht mehr als eine planloje Aufeinanterfolge von in epiſcher Breite fih abwidelnden Sze- nen, deren erfte manchmal mit der Weltſchöpfung anhob und deren legte mit dem Weltgericht ſchloß. Da iſt e8 denn begreiflich, daß fo ein Myfterium oft mehrere Tage, ja eine ganze Woche dauerte und daß man, die Geduld der Zuſchauer zum Audharren zu bewegen, mitunter zu dem Mittel greifen mußte, an das vollftändige Anhören eines dieſer unendlichen heiligen Schau- fpiele eine Ablaßertheilung zu fnüpfen”). Selbfiverftändlih ift auch, daß bei einer Erweiterung der Myſterienſpiele, weldye oft in einem Stüd hun⸗ dert Acteurs und ganze Schaaren von Engeln, Teufeln, Heiligen und

5) Die Möyfterienbühne war gemöhnlih in drei Etodwerke getheilt: das obere ftellte den Himmel vor, das mittlere die Erde, das untere die Hölle.

6) Nach unferem Gefühl oft fogar eine frech traveſtirende, blasphemifche,, nach mittelalterlid‘em freilich , wie die Berehrer des Mittelalters ın foldyen Fällen zu fagen pflegen, nur eine naive. Alt, in feinem vortrefflihen Bud „Theater und Kirche“ (S. 389) führt an: In einem franzöflihen Müyfterium fah man während der Kreuzigung und Grablegung Ehrifti Bott ten Bater oben auf feinem Himmelsthron fchlafend. Zwifchen ihm und einem Engel, ter ihn wedte, entipann fich folgender Dialog.

Eng. Pöre Eternel, vous avez tort, Et devriez avoir vergogne; Votre fils bien-aime est mort, Et vous dormez comme un yvrogne, Gottvater. Il est mort? Eng. D’homme de bien. Gottvater. Diable m’emporte, qui en savais rien.

7) Unter ver Regierung Heinriche IV. von England wurde zu Cheſter ein Myſte⸗ rium von der Weltfchöpfung und tem Weltuntergang aufgeführt, welches eine volle Woche lang fpielte. Iedem, welcher diefem Schaufpiel ununterbrochen anwohnen würde, war ein taufendjühriger Ablaß zugeſichert. Bgl. Collier, Hist. of English dram. poetry, 11, 173. . In Frankreich hießen die kirchlichen Schaufpiele Mysteres, in Deutfchland Weihnachts: und Ofteripiele (Paſſionsſpiele), in England Miracle-Plays (Wunder: fpiele), in Spanien Autos, in Italien Vangelii oder Commedie spirituali,

339

Kriegsknechten auf die Muͤhne führte, der Klerus nicht mehr alle Rollen bes ſetzen konnte. Man mußte alfo die vagirenten Joculatoren, Hiftrionen und Spielleute zur Aushülfe nehmen und bald agirten mehr Laien als Kleriker die Firchlihen Dramen. Hiemit war der erfte Schritt zur Emanzi⸗ pation des Theaterd von der Kirche angebahnt. in zweiter gefchah da⸗ durch, daß ſich dem bibliſch⸗mythologiſchen Myſterium als eine weitere dra⸗ matiſche Gattung die moraliſche Allegorie geſellte, die Moralität *, deren

Charaktere PVerfonificationen von Tugenden und Kaftern waren. Gegen

Ende des Mittelalters finden wir die Myſterien und Moralitäten in den Händen eigener Spielgeiellihaften, der fogenannten Pafftonshruderfchaften, die im Vorſchritt der Zeit dem weltlichen Element in den geiftlichen Spielen

einen immer breiteren Raum geflatteten. In der Mitte des 15. Jahrhun«-

derts ſehen wir die weltliche Komödie als „Fafſtnachtsſpiel“ in den deutſchen Städten ſchon feleftftändig neben der kirchlichen ftehen. Damals begann ſich in Italien auch die. Oyer zu entwideln und etwas fpäter, zur Neformationg- zeit, finden wir neben diefen von der Kirche emanzipirten dramatiſchen Gat⸗ tungen das gelehrte Schuldrama floriren, in welchem die Reminiscenz des

claſſiſchen Alterthums den Ton angab. Dieſe Reminiscenz beſtimmte, wie

befannt,, die Geftaltung der dramatifchen Poefle Italiens, Frankreichs und zunächft auch Deutfchlande. Nur zwei Ländern, England und Spanien, war ed gegönnt, unbeirrt von antifen Vorbildern, auf nationalen Grund» lagen eine reichfle dramatiiche Literatur aufzubauen.

7.

Es fonnte nicht fehlen, daß die hriftliche Idee in ihrer erſten Strenge, Herbigfeit und Düfterniß auch die Poefle, dieſe ewige Tröfterin und Jugend⸗

verleiherin der Menfchheit, zu den „verdammlichen itelfeiten der Welt *

warf. Jedoch griff, wie in Betreff der Muflf, fo ebenfalld in Betreff der geiftigften Kunſt ſchon fehr frühzeitig eine mildere Anſchauung Platz. Die dichteriſchen Bücher des alten Teſtamentes übten zu bedeutenden Einfluß auf die Bekenner des neuen, als daß eine Fortführung der in jenen angeſchlage⸗ nen Töne hätte ausbleiben können, und wo noch ein Bedenken gegen die Handhabung poetiſcher Formen auftauchte, half man ſich daruͤber hinweg,

indem man der „yheidniſch⸗weltlichen“ Dichtung eine „chriſtlich⸗geiſtliche

entgegenſetzte. Auf Originalität hat dieſe altchriſtliche Poeſie geringe An⸗ ſprüche. Ihre Vorbilder blieben, wie ſchon angedeutet worden, einestheils 22*

340

der Jubel⸗ und Klagegefang der hebrätfchen Pijalmiften, anterntbeils Die viftonäre Orakelſpendung der hedrätihen Propheten. In Wiederaufnahme des Iegteren Elemente ſchuf die Poeſie der Urfirche jenes merfwürbige Werk, welches unter dem Titel der Apofalypfe (Offenbarung) Johannis * in den Kanon der neuteftamentlihen Schriften aufgenommen wurte. Die Apofa- Inpfe gehört zu den feltenen Hervorbringungen der Phantafle, welche die Signatur eines ganzen Zeitalters geben. Die bizarren und furdtbaren Vi⸗ flonen eines Ezechiel und Daniel find bier noch überboten. Der Gegenfak der Kriftlihen Himmelsſehnſucht gegen die heidniſche Erdenfreutigfeit in feiner ganzen Schroffheit, aller Schmerz, aller Zorn, alle laute Klage und geheime Siegeshoffnung des unter Verachtung und Verfolgung ringenten neuen Glaubens {ft hier in Bildern von ätzender Schärfe dargelegt, welche zuweilen Die Seele triumphirend emporflügeln in die efftatifhen Wonnen des himmlischen Jeruſalem, noch öfter aber fie mit der Wucht einer unge⸗ heuren Traurigkeit zu Boden drüden!). Kein Wunder, daß die Apofalypie unter Denen, welden fle nicht ein Dichterwerk, fondern eine Yuntgrube gläubiger Grübelei ift, fo viele Verrückte gemadıt bat.

Roſenkranz hat vorgefchlagen 2), zu befferer Ueberjichtlichkeit der Steale äriftliher Poefte drei große Kreife anzunehmen, den der griechiicheorientali« ſchen, den der lateiniſch-romaniſchen und den der germanifch-proteftantifchen Kirhe. Der Charakter des erften wäre die „Refignation *, der des zweiten tie „Nitterlichkeit*, der des dritten die „Selbftgewißheit*. In weiterer Ausführung deſſen beftimmt dann der genannte Nefihetifer die Neflgnation als tie „noch negative Baflung der Freiheit als Gehorfam gegen das Dogma*, die Ritterlichfeit ald „pofttive Geftaltung der Freiheit ald Kampf für da8 Dogma*, die Selbftgemwißheit endlich als „abjolute Manifeftation der Freiheit ala Kritik des Dogma’3 und ald Vorbehalt der Kritik für alle feine praftifchen Gonfequenzen“. Wer nicht einen unbedingten Aberwillen gegen das Handtiren mit philofophifchen Kategorien hat, Fann fi am Ende diefe Schabloniflrung der PVoefte im Chriſtenthum gefallen laſſen, d. H. im

1) „Die Poeſie der Propheten Hat fi bis zu jener bittern, heftigen, ſchoͤnheits⸗ feindlichen Lauge hinaufgefleigert, womit viele Blätter der Apofalypfe überzogen find, welche chlorartig allen Lebensrofen die Röthe abägt und das Leben zu einem verbranns ten Eactusflengel macht mit wenigen übertriebenen Blüthen, zu einer heißen Sand: wüfte mit wenigen Oaſen“. Fortlage, Geſch. d. Poeſie, ©. 154.

2) „Die Poefie und ihre Gefchichte”, S. 408 fg.

.

341

Großen und Ganzen; im Einzelnen aber ift fle nur mit demjelben Zwang durchzuführen, der ſolchen Schablonifirungen überhaupt anhaftet. Denn die taujenderlei Modificationen und Nuancen, welche zu allen Zeiten in Auf- faffung, Werthung und Wirkung des Chriſtenthums ſich kundgaben, ſprachen ſich auch in der chriftlichen Poeſte aus.

8.

Die Väter der griechifchen Kirche waren die älteften chriftlichen Dichter und für den älteften derfelben Fann Klemens von Alerandrien (um 200) angeſehen werden, der Verfafler eines berühmten Hymnus auf den Sotes Ehriftus. Ihm reihen fich bis ins 5. Jahrhundert hinein Gregoriod von Nazianz, Upollinaris von Laodifeia, Syneſios von Kyrene und Methodios von Patara an. Dad cdharafteriftiiche Merkmal diefer alerandriniichen und byzantinifhen Hymnenlyrik if die Verbindung der bebräifchen Pſalmen⸗ inbrunft mit der würdevollen Einfachheit hellenifcher Formen. Der Ton diefer altchriftlichen Gefänge ift in der That ein reflgnirter, adfetiicher ; es find Lieder, wie fie im Schooße einer leidenden und ftreitenden Kirche ent« ftehen Fonnten und mußten. In der Tateinifchen Kirche, in welcher die Hymnenlyrik durch den berühmten Mailänder Bifhof Ambroftus eingeführt und durch Papft Gregor I. weitergebildet wurde, kündigt fidh der Triumph des Chriſtenthums ſchon frühzeitig dichteriih an. Doc erft mit den 11, Jahrhundert, wo der Eieg der römifchen Kirche fchon entichieden war, bes ginnt ihr Belang machts und prachtvoll aufzutönen. So ein Pradtlied kirchlichen Triumphes ift des Cardinals P. Damtani (ft. 1072) Hymnus auf die Sreuden des Paradiejes!). ALS ein Gegenftüd zu dieſem triumphi⸗

1) Der fromme Dichter beginnt feine Schilderung, in welcher tie riftlichen PVorftellungen von den himmlifchen Wonnen in der abentländifchen Kirche zuerft eine feſte poetiſche Geflaltung erhielten, mit einem fehnfuchtsvollen Aufblid aus bem biefleis » tigen „Cxil“ nad) dem jenfeitigen „Vaterland“ und fährt dann alſo fort:

Ach, wer fchildert Das Entzüden in des Friedens ew'gem Stral, Wo fich aus lebend’gen Perlen bebet der Baläfte Zahl, Wo von Bold die Tiiche jchimmern in dem hochgewoͤlbten Saal.

Denn aus Grelfteinen find die Häufer diefer Stadt gebaut, Und belegt mit reinem Golde werden Straßen bier gefihnut, Ohne Schmug und Unreinheiten, fein Getöf’ auch macht fich laut.

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renden Frohlocken kann der dumpfdröhnende Donnerton betrachtet werden, womit in dem allbefannten, mit ziemlicher Sicherheit Dem Minoritenmönd

Winters Kälte, Sommers Hitze drüden niemals diefen Ort,

Wieſen grünen, Saaten reifen, Bäche Honigs fließen dort,

Und in ew’gem Frühling blühen hier die Rofen fort und fort. Balſam ſchwitzt, es glüht der Safran, Lilien blühn im weißen Kleid, Wo der Duft von edlen Hoͤlzern und Aromen iich zerftreut,

Und in grünen Wältern reifen Früchte ver Unfterblichfeit.

Sonn’ und Mond find bier erlofchen, wie auch der Geſtirne Heer, Denn das Lamm taucht ſelbſt den Wohnort ein in feines Kichtes Meer, Gin nie untergeh'nter Tag if, Nacht und Zeiten find nicht mehr.

Auch die Heil’gen glänzen jeder wie die Sonne Hell und far,

Bringen nah vollbrachtem Siege jubelnd Preis und Ehre tar, Ueberzählend ihre Kämpfe, der befiegten Feinde Schaar.

Aller Kehl it abgewaſchen, alle Lockung, aller Schmerz, Und das Fleiſch ift Weit geworden, Leib und Geift find nur Bin Herz, Sie genießen ew’gen Frieden, aller Streit fanf niederwaͤrts.

Und fie ziehn in ihren Uriprung, vom Beweglichen befreit, Schaun die gegenwärt’ge Wahrheit ohne Schein und ohne Kleid, | Trinken aus lebend'gen Quellen urgeborne Süßigfeit. |

Daher ſchoͤpfen fie des Lebens ewige Srneuerung, Klar, lebendig, lieblich ohne jegliche Berminderung, Ohne Krankheit, immer blühend, ohne Alter, ewig jung.

Daher ziehn Re unvergaͤnglich's Dafein, denn es flarb der Tod, Daher blühn fie Hell und grünen, denn in Roth fam hart die Noth, Und tas Recht ift abgerungen, womit lang der Tod gedroht.

Und fie fennen den Allweifen, Nichts ift ihnen unbekannt, In der Sremten Bruft Geheimniß dringt ihr Heiliger Verftand, Und ihr Wollen und Rit-Wollen ruht auf Ginem Gegenftand. |

Und wenn Jeder gleich ter eignen Arbeit Früchte ernten muß, Streut die Liebe Allen reichlich doch aus ihrem Ueberfluß; Und fo wird, was Einer ernfet, allen Andern zum Genuß.

Um ven heil'gen Leichnam Sammeln fie wie Adler fh zumal, Wo ſich mit den Engeln leget Heil’ger Serlen große Zahl, Und die Bürger zweier Welten effen Brod von Einem Mahl.

. Und Genuß hier und Begierde quillt im unerfhöpften Fluß, Denn die Reizung ſchafft nicht Qual hier, der Genuß nicht Ueberdruß, . Der Genuß treibt nur zur Reizung, und die Reizung zum Genuß.

ü 343 Thomas von Gelano (um 1250) zugeichriebenen ‚Dies irae dies illa“ die Schrecken des Weltgerichte8 verfündigt werden. Ein Jahrhundert früber hatte Bernhard von Clairvaur in feinem „Jesu duleis memoria* und anderen Hymnen feinem driftlichen Stoicismus begeifterte Worte geliehen und fpäter verherrlichte Thomas von Aquino das Fronleichnamsfeft in einem myſtiſchen Hymnus und ſang der Mönch Jacoponus fein ſüßmelancholiſches „Stabat mater“.

Wenn man dieſen Fortgang der kirchlichen Hymnologie mit Aufmerk⸗ ſamkeit anſieht, ſo bemerkt man unſchwer, daß die chriſtliche Poeſie von ihren erſten ſchüchternen und asketiſchen Tönen ſchon zum Reicheren, Vielgeſtaltige⸗ ren und Sinnlicheren vorgeſchritten iſt. Wir nehmen das letztgebrauchte Wort ſelbſtverſtändlich im beſten Sinne, nämlich in dem von Natur. Es ift überhaupt ein Irrthum, zu glauben, die Freude an der Natur fet im Chriftenthum nit frühzeitig wieder erwacht. Selbſt ſchon zu einer Zeit, wo ter fpiritualiftifche Enthuflasmus des Chriſtenthums mit größter Ver⸗ achtung auf das Natürliche und Wirfliche herabſah, hatte fich fogar ein fo mönchiſcher Charakter, wie Baſtlius der Große war, nicht enthalten können, in einem Briefe an Gregor von Nazianz dem Ausdruck feiner finnigen Naturfreude Raum zu geben, und mit Recht hat Humboldt diefen Brief als ein Beugniß poetiicher Landſchaftsmalerei angeführt 2). Aber das Ver⸗ balten der Ehriften zur Natur war nicht dad naive, unbefangene der Hel⸗ lenen. Der Chriſt konnte freilich ſeine Augen der Herrlichkeit der Natur nicht auf die Länge verſchließen. Er mußte, ſofern ihn die Askeſe nicht gefühllos oder wahnfinnig gemacht, die Natur bewundern und lieben. Allein diefe Bewunderung und Liebe war eine fo zu fagen nur im Geheimen zu befriedigende. Die Reize der Natur waren für ihn verbotene, Daher nur

—— nn

Aus der ſuͤßen Floͤtenſtimme quillt der Bach der Melodie, Inſtrumente, ſüß den Ohren, toͤnen jauchzend Harmonie, Denn ſie fingen Preis dem König, welcher ihnen Sieg verlieh.

Gluͤcklich, gluͤcklich ift die Seele, die vor ihrem König fteht, Unter deren Füßen unten ſich des Weltall Are dreht, Sonn’ und Mond git den Geſtirnen ferne nur vorübergebt. (Fortlage's Ueberf.) 88 if nicht unintereffant, die Schilderung des hriftlichen Paradieſes mit ter des mos⸗ lemitchen zufammenzuhnlten. ©. u. 6. Buch, 3. Kap., 5, Anm. 12. 2) Kosmos, II, 27.

344

mit einem geheimen Schauder und Grauen betrachtete und genoſſene. Aus dieſer Dämonijchen Reizung und Lockung und der geheimen Angft davor ift | jenes romanttiche Naturgefühl entiprungen, weldes in der modernen Poefte : und Kunft eine fo höchſt bedeutende Rolle Ipielt.

Der in Frage lebende Brief des Baſilius bietet auch noch einen weiteren Geſichtspunkt. Es findet ſich nämlich darin eine mythologiſche Anfpielung, die jich im Munde eines Kirchenvaterd und Anachoreten ziemlich jonderbar audnimmt, Wir Dürfen aber nicht vergeflen, daß die Väter der Kirche durdichnittlich in der clafjlichen Literatur wohlbewandert waren, und mochte Diefe auch zu den „verdammlichen fleiſchlichen“ Dingen gehören, dennoch fonnten die frommen Männer dem Zauber ded Menſchlich-Schönen, welder in der antifen Mythologie und Poefle waltet, nicht immer widerftehen. Sa, noch mehr, wir floßen in der altchriftlihen Dichtung auf Werke, deren Verfafſer bei den „armen blinden * Heiden die umfaffendften poetifchen An⸗ leihen machten, woraus fid dann der wunderlichfte Durcheinanter von Chrifte lihem und Helleniihem ergab. So, um cin berühmtes Beifpiel anzufüh« ren, in dem Paſſtonsſpiel Xguorös zuoywr, angeblih von dem ſchon ge= nannten Gregor von Nazianz verfaßt, mit wahrhaft großartig ungenirter Benügung bed Euripites3). Aller Wohlgemeintheit ungeachtet, welche nian diefem Stück zuerfennen mag, fann man doch nicht umhin, zu lächeln, wenn die Jungfrau Maria, nachdem ihr das bevorſtehende Leiden ihres Sohnes angekündigt worden, ihren Schmerz in Worten Luft macht, welche Euripides feinen Hippolytos ſprechen ließ, als Liefer von der blutfchänderifchen Liebe ter Phätra zu ihm unterrichtet wor- den ward),

Ein weit reinerer und originalerer Ton als in derartigen Mifchwerfen hob in der chriſtlichen Poeſte zu Elingen an, ald nach verftummtem ungeheu= ren Getöfe der Völkerwanderung in der Farolingijchen Zeit die chriftliche Idee dad germanifche Gemüth zu erfüllen und zu bewegen begann. Zu erörtern, wie bie chriftlich-geiftliche Eultur in das Germanenthum einging und wie ſich allmälig aus ber lateiniſch-geiſtlichen Dichtung die deutjch-

3) Vgl. über dieſes merkwuͤrdige Product altchriftiher Dichtung die treffliche Abhandlung, welche Elliſſen feiner mit einer metrifchen Heberfegung begleiteten Tert⸗ ausgabe vorfegte. „Analekten der mittels und neugriechiichen Literatur”, J.

4) Q yaia unteg, nAlov Ü' avanıuyai! cet. Xe. r. 267. Hipp: 601.

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345

geiftliche heraudbiltete, ift hier nicht ver Ortd). Wir jprechen daher nicht von den einichlägigen Bemühungen eined Hraban, Norfer, Williram und

Anderer, felbft von der möndijchegelehrten, althochdeutichen, ald Spradys

quelle außerordentlich wichtigen Evangelienharmonie des Benedictinerd Ot⸗ frid, welche in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts gedichtet wurde, wohl aber furz von, der etwa zwei oder drei Jahrzehnte früher entflandenen altſächſiſchen Evangelienharmonie „Heliand“ (Heiland). Dieſes in Stab⸗ reimen gedichtete, auf die Berichte der Evangelien baſirte Epos iſt ohne Frage das eigenthümlichſte Werk germaniſch-chriſtlicher Ppeſte. Mit der- ſelben wunderbaren Naivetät, womit Homer feine Götter ſprechen und huns deln laͤßt, iſt hier der Stoff der evangeliſchen Geſchichte behandelt. Ein zweites derartiges Werk exiſtirt nicht. Ton und Färbung find ganz germa- niſch-national. Keine Spur von mönchiſcher Gelahrtheit. Alles volks— mäßig, klar, ruhig, echtepiih. Der unbefannte Dichter hat Dem Geiſt des Chriſtenthums einen germanischen Leib gegeben. So ſchildert er un die Hofhaltung des Herodes als die eined altfüchflichen Herzogs, läßt den Chriſtus wie einen germanijchen Adaling unter feinem Dienftgefolge erjcheinen und macht aus der Bergpredigtverfammlung ein deutſche Herzen anheimelnded altgermaniiches Volksthing.

9.

| Die Kreuzzüge in der umfaflenden, an früherer Stelle von uns dDargelegten Bedeutung gefaßt führten jene Blüthe der mittelalterliche hriftlichen Poefte herauf, welche wir die ritterliche Romantik zu nennen pfle- gen. Morgenland und Abendland, bag durch Byzanz vermittelte Wieder- erivachen der antifen Erinnerungen, die Einflüffe arabijcher Cultur und das riftlich-Tpiritugliftifche Liebesidenl verbanden fih zur Schöpfung einer poetie ſchen Welt, deren Seele die Minne war, ſich offenbarend ald Gottedminne und al& Trauenminne Mittelpunkt diefer romantiſchen Wunderwelt blieb das farholiiche Dogma, aber gerabe weil tiefes Dogma nad) allfeitiger fünft- lerijcher Geſtaltung rang, mußte der chriftliche Spiritualismus dem realifti= jhen Prinzip in der Poefle die weitgehennften Einräumungen madhen. In ber That jehen wir denn guch den bluͤhendſten Realismus in den romanti⸗

8) Bine fleißige und reihe Sammlung der altdeutſch⸗geiſtlichen Dichtung. gibt Sötefe in feinem „Mittelalter“, Abfchn. 2, 3, 4.

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ſchen Regionen walten, weldye Dame „Aventüre * ald Mufe durdichweift, einen Realismus, hinter welchen der chriftliche Idealismus oft jehr beſcheiden zurüdıritt.

In der Provence zunähft, dann in Nortfrankreih äußert fih die ritterliche Romantif lyriſch, didaftiih und epiih. Die farolingiichen und bretoniſch⸗keltiſchen Sagenkreiſe liefern vorwiegend das Material. Aber ein höherer Gehalt wird dieien Stoffen erft eingehaudt, eine edlere Kunftform erhalten fie erft in Deutichland, wo Nitterepopde und Dinnegeiang zur Bollendung geführt werden. Die Höhepunkte dieſer deutſch⸗romantiſchen Nitterdichtung bezeichnen ald Lyriker Walther von der Bogelweide, ald Epiker Wolfram von Eſchenbach und Gottfried von Straßburg. Wolframd Par⸗ zival ift eine8 der merfwürbdigften Werke des Menſchengeiſtes, ein pſycholo⸗ giſches Epos voll Tieffinn und Gedanfenhohheit. Gottfried Triftan da⸗ gegen gehört zu dem Anmuthigften, was die Poeſte je geſchaffen. Wolfram ift myſtiſcher Ipealift, Gottfried lebensfreudiger Realiſt. Jener fchöpft feine Infpiration aus der himmlifchen, diefer die feinige aus der irdiſchen Minne. Im Parzival ringt die Hriftliche Himmelsſehnſucht, im Triftan pulftrt die heidniſche Leidenſchaft. Wolfram laßt den Gott, Gottfried läßt den Men⸗ fen triumphiren. Beide Dichter fiellen in fih den großen Gegenſatz zwifchen Idealismus und Realismus dar, welder ſich fpäter in der deutſchen Literatur noch oft wiederbolte!). Eigenthümlich ift das Verbältnig der volfsmäßigen deutſchen Heldendichtung zur ritterlicheromantijchen Kiteratur. Die altnationalen Gagenfreife, von fahrenden Sängern Jahrhunderte lang durch mündliche Tradition fortgepflanzt und dann zu Anfang des 13. Jahr⸗ hunderts von kunftmäßigen Dichtern überarbeitet, bewahrten ihre heidniſche Natur. Der Stolz des germanijchen Heldengelanges, das Nibelungenlied, iſt im Wefen und Ton durdaus heidniſch. So au die Gudrun und das Eleine Heldenbuch. Chriftliches wird zwar Häufig darin erwähnt, aber ganz beiläufig und aͤußerlich. Diefg grandioſe Epik ift naiv finnlich, welt⸗ lich, heidniſch.

Das Ziel, welches zu Anfang des 13. Jahrhunderts der Deutſche Wolfram mächtig angeſtrebt hatte, die Geſtaltung der chriſtlichen Idee zu einer Univerfaldichtung,, erreichte im 14. der Italiener Dante. Man bat ihn nicht mit Unrecht den Homer des Chriſtenthums genannt, denn wie bie

1) Klopftod und Wieland, Schiller und Göthe, Börne und Heine.

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homeriichen Gefänge das Helleniihe Dogma mythologiſch auseinanderfalten, fo thut Dante's große Dichtung, die Divina Commedia, mit dem chriſt⸗ katholiſchen. Die göitliche Komödie löſt das Dieſſeits ind Jenſeits auf, verfluͤchtigt den Realismus des Menſchendaſeins in die phantaſtiſchen Zus kunftswelten der Hölle, des Fegfeuers und des Himmels. Durch einen Genius von ungeheurer Energie iſt in Dante's Gedicht dad ganze unermeß⸗ liche Material, welches heidniſche und chriſtliche Phantafte ſeit Jahrhunderten und Jahrtauſenden zur Conſtruction eines vorgeſtellten, gehofften ſowohl als gefürchteten Lebens nach dem Tode aufgehäuft hatte, zu einem Rieſenbau verwendet worden, der feines Gleichen nicht hat?). In diefem Wunderbau ift Alles myſtiſch, ſymboliſch, allegoriich ; das Wirkliche erfcheint als unmög« lid, das Unmögliche als wirklid. Mit unvergleichlicher Meifterichaft hat der Dichter im Fortgang feiner Wanderung durch die Welt der chriftlichen Mythologie den Entfinnlihungsprozeg veranfchaulicht, welchen dem hriftlichen Dogma zufolge die Menſchenſeele durchmachen joll. Im Inferno ftehen wir noch auf dem realen Boden der Leidenjchaften, aber wie wir mit dem Dichter aus den Höllenbulgen heraus und die Stadien des Yegefeuerberges hinans Reigen, bleibt Schritt für Schritt alles Reale Hinter und zurüd und im Paradiio vollends geht allmälig die ſinnliche Begreiflichkeit ganz aus. Da wandeln wir in der Aetherluft der reinen Idee und alle Vorftellungen ver- fäufeln zulegt in efftatiihen Wonnen, für die e8 feinen Ausdruck mehr gibt. Das Fleisch ift Geiſt geworben.

Dante's Komödie fieht am Eingang der ttaliihen Literatur als Die größte Leiftung derfelben. Hier war die Fatholiiche Idee zur großartigften dichterifchen Erfcheinung gefommen und fogleih trat ein Niedergang Liefer Idee ein. Das antife Element wurde in der italifchen Poefte neben dem hriftlihen mächtig. Weniger deutlich erkennen wir dad in der hriftlich-

2) Es fieht zu vermuthen, daß Dante eine äußerliche Anregung zur Schöpfung der göttlichen Komödie duch den franzöflihen Minftrel Raoul de Houdan erhalten habe, welcher um 1190 Das Gedicht „‚La vove vu la songe d’Enfer‘‘ verjaßt hatte. Selbftverftändlich haben die antifen Mythen vom Elyſium und Tartarus auf die Ges ftaltung der chriftlihen Vorftellungen von Himmel und Hölle eingewirft. Falls Dans te's Name nicht dadurch entweiht würde, möchte ich fagen, daB für Deutfchland der Pater Kochem eine Art vollsmäßiger Yante geworden if. Sein „Himmelsihlüffel“ läßt befanntlich die Folterphantafte aller Inquifltoren und Herenrichter Hinter ſich. In dieſem grotesfen Buch feiert die hriftliche Mythologie ihr „Narren: und Gjelsfeft“.

348

platoniihen Sentimentalität Der Sonnettendichtung des Petrarca, aber ſehr deutlih ſchon in der Norelliftif des Boccaccio, welder tie Möndyerei mit dem Spottgelücdhter beidniicher Fleiſchesluſt überſchüttet. Dieſer Zug von Ironie und Spott zieht fih auch Turd Lie romantijche Epik ter Pulci und Arioſto jehr vortretend hindurch, und wenn ed; tem Taſſo mit tem chriſt⸗ katholischen Ideal hoher Ernſt war, io iſt er in jeinem aroßen Kreuzzugs— gedicht Tod ein zu offenfuntiger Nachahmer ter antifen Epifer geweien, als dag fein Werk für einen reinen Ausdruck jenes Ideals gelten könnte. Noch entjchiedener und geradezu Tominirend tritt die antife Reminiscen; in Des Portugieien Samoed herrlichem Heldenlied von den Yufiaten auf. Da wird ſchließlich die hriftlihe Verteufelung der heidniſchen Götter ganz fallen ge= lajjen und werden, wenn auch mit Unhängung allegoriider Deutung, die Umarnungen helleniiher Nymphen criftlihen Helten ala lodendfte Beloh— nung für beftandene Gefahren und Mühſale Hingeftellt. Biel reiner und firenger ericheint das katholiſch-romantiſche Ideal in der ſpaniſchen Poeſie. Nachdem der Kreuzzugsgeift in den Romanzen vom Eid eine jhönfte Ver: förperung gefunten, fam Die ganze Ritterwelt zu breitefter Darlegung in jenen Romanen, weldhe man nad ihrer typiichen Hauptfigur Almatiromane zu nennen pflegt. Allerdings fand dieſe Ritrerdichtung, wie ihre höchſte Vollendung, jo zugleih auch ihre Vernichtung durch das mit Recht welt— berühmte Buch des tieffinnigen Cervantes, welcher Den Gegenſatz von Ideas lismus und Realismus mit fouverainer Genialität zu einer Tragikomödie des menſchlichen Lebens geftaltete und an dem Schidjal des edlen Mancha- ners nachwies, Daß der Menſch nicht ungeſtraft die Verhältniſſe der Wirk— lichfeit mißachte- Dennoch aber trieb erſt nach Cervantes das katholiſche Dogma in Spanien ſeine reichſten und prächtigften poetiſchen Blüthen, in den Dramen eines Zope und Calderon. Hier wird die chriſtliche Himmels— ſehnſucht zur Verzückung, die kaum mehr vom Wahnfinn zu unterſcheiden iſt, die chriſtliche Rechtgläubigkeit zu fanatiſcher Ausſchließlichkeit, die Glau— bensbegeiſterung zu wilder Graufamkeit. Es iſt etwas Mänadenhaftes, Or- giaſtiſches in dieſer Lope-Calderon'ſchen Dichtung. Sie haucht einen narko— tiſchen Duft, welcher die Sinne umnebelt und das Herz zuſammenſchnuͤrt.

10.

Das Prinzip der Glaubensautorität, die katholiſche Idee, wie ſie im ſpaniſchen Drama des 17. Jahrhunderts ihre vollſte und blendendſte poetiſche

349

Darftellung gefunten, hatte fih an der Reformation zu neuer Lebensfaͤhig— keit aufgefrifcht. Nur im Gegenfag zum reformatorifhen Germanismus war der Romanismus zu jenem energiichen Abſchluß gelangt, welchen ihm Die Befchlüffe ded Tridentiner Concild gaben. Das proteftantifhe Prinzip, die, freie Selbftbeflimmung des Individuums, das „Ideal der Selbftgewiß- beit *, ift feiner innerften Natur nach eben fo weſentlich germanifch, als der Katholicismus wefentlich romanifch iſt. Die beiden großen Gegenfäge im biftoriichen Chriſtenthum, die fatholiihe Veräußerlihung und die proteflan- tifche Verinnerlichung defielben, blieben auch nattonal abgegränzt, Denn die bleibenden Eroberungen, welche der Proteftantißmus unter den romaniſchen Völkern gemadıt, ſtatuiren höchftens eine Ausnahme von der Regel. Auch in Betreff der poetifchen Production. Denn wenn aud, um einige vor= zagendfte Beifpiele anzuführen, zur Reformationszeit ein Rabelais die Spring- flut feines cynifhen Sarkasmus gegen den Fels der Kirche anbranden ließ; wenn fogar fchon früher ein Pulci das Eirchliche Dogma ganz offen verhöhnt, ein Arioſto taffelbe ironisch belächelt, ein Macchiavelli die jeſuitiſche Caſui— ftil, bevor es einen Jeſuitenorden gab, in feiner zügellofen Komödie La Mandragola blutig gegeißelt hatte nirgends doc war e8 zu einem ent= ſchiedenen Bruch mit der Hriftlichen Autorität gefommen.

Der germanijche Ernft vollzog diefen Bruch. Die Bibel einerfeit, das claſſiſche Alterthum andererjeitd wurden für die Völker germanifchen Stammes die Grundlagen einer neuen Weltanfhauung. Der Kampf der Freiheit gegen die Autorität begann auch in der Poeſte. Diefer Außerte ſich zunaͤchſt vorwiegend polemiſch und Iegte überall den Maafftab einer verftän- digen Kritik an die Vergangenheit. So in den religids-politiichen Faſt⸗ nachtöfpielen jener Tage; fo in den Werfen jener Reihe von Babuliften und Satirifern, welche von Brandt bis auf Fiſchart herabreicht; fo in der bei aller abfichtlichen Unclaffleität dennoch clafftfähen Satire der Epistolae viro- rum obscurorum, welche aus den Kreifen der deutſchen Humantften bervors gegangen iſt, wo der Wig des Erasmus und der edle Enthuftasmuß des Uls rih von Hutten den Ton angaben!). Bezeichnend ift auch, daß auf der

1) Erhard, in feiner „Geſchichte des Wieteraufblühens wiſſenſchaftl. Bildung *, 11, 380, weift mit nicht geringer Wahrfcheinlichfeit nach, daß der erſte Theil der „Duns felmännerbriefe” von Johann Erotus verfaßt fei. Seine Mitarbeiter feien Peter Eber⸗ bady und Herinann von Nuenar gewelen. Zum zweiten Theil könne Hutten beige: fteuert haben.

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Bränzicheide des 14. und 15. Jahrhunderts Das uralisgermanifche Thierepos, welches fi im Verlaufe Der Zeit zur derben Ironifirung des Pfaffenthums beraufgebildet batte , in dem niederdeutfchen „Reinefe Vos“ feinen dichteri= fen Abſchluß fand. Als poſitive Dichteriihe Schöpfung konnte tie Refor⸗ mationdzeit in Deutidhland zunächſt nur das proteftantifche Kirchenlied auf⸗ weiten, zu welden Luther die marfige Weiſe angegeben hatte.

Dagegen ſchickte der germaniicye PVroteftantismus in England zwei Dichter vor, durch welche das proteftantiicde Prinzip feine höchſte poetiiche Weihe erhielt: Shakſpeare und Milton. Wir nehmen natürlich das Wort Proteftantismus hier nicht in dem engen confeiftonellen, ſondern im weiten und weiteſten Sinn. Proteſtantismus ift und alfo Die freie Selbftbeftim- mung des Menichen und in diefem Sinne nennen wir Chaffpeare einen pro= teftantiichen Dichter. Der wunderbare Genius tiefes Mannes, tem ohne MWiderrede der Thron des Univerjaldichters der modernen Welt eingeräumt ift, wußte Nichts von Dem mittelalierliben Gebuntenjein des Geiſtes. Das kirchliche Dogma hat ihm nicht imponirt. Die Charaftere, die er geichaffen, find frei, ſie beſtimmen fich jelbft, ihre Handlungen find Acte ihres Willens. Sie find feine ſchemenhaften Darionetten an den Drabten des firdlichen Dogma’d und der kirchlichen Moral, fondern Menſchen, volle und ganze Meniden, von innen heraus lebend, auf fich felbft geftellt. Nun aber ſteht dem freien Menichenwillen ein Ewiges, Geheimnißvolles gegenüber, was die Menſchen Verhängniß, Schidial, fttlidie Nothwendigfeit, Gott nennen. An diejer Schranke bricht ſich die menſchliche Selbftgemißheit ; fie geht an ihr zu Grunde, falls fte nicht zugleich Selbftbeichränfung if. Das if Shafipeare’s Tragik. Die menicliche Freiheit artet leicht in Willtür aus, welde im Anrennen gegen jelbftgefeßte, unweſentliche, nichtige Schranfen ein eitled und thörichtes Spiel treibt, in deſſen Verlauf fie haltlos in fi) zuſammenbricht, um aus ihrer Vernichtung das Rechte hervorgehen zu laflen. Das ift Shakſpeare's Komif. So hat Shafipeare in Tragif und Komif, zwiſchen welchen” jein tiefernfler und zugleich olympifch beiterer Humor tie vermit⸗ telnde Brücke ſchlägt, die ethiiche Idee des Chriſtenthums in ihrer ganzen Tiefe erfaßt. Milton feinerfeits verficht in feinem großen Gericht vom ver- lorenen Paradies ebenfall8 die proteflantifche Idee der Freiheit, aber nicht fo faft in dem weltweiten Shakſpeare'ſchen als vielmehr in dem begränzteren Sinne des Puritanismus. Die Schranke, an welcher hier die menſchliche Selbftbeftimmung zu Grunde geht, ift nicht das ewige Sittengefeß, ſondern

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das bibliſche Dogma in ſeiner puritaniſchen Auffaſſung. Hierin liegt der Grund der dogmatiſchen Verkümmerung der großen Ingention von Miltons Merk, hierin auch der weitere, warum Klopſtocks Verſuch, den von Milton angeichlagenen Tonim 18. Jahrhuntert fortzuführen, nur eine fehr vorüber- gehende Wirkung gethan hat.

Denn dieje 18. Jahrhundert ging, wie Jedermann weiß, recht eigent« lich darauf aus, alle Schranken der gefchriebenen und traditionellen Autori« tät niederzuwerfen und die Prinzipien der Reformation vom religiöien aud auf die übrigen Gebiete des Lebens herüberzupflanzen. Der Geift dieler Beit war ein hriftlicheidealiftiicher, jofern er ein weientlich Eosmopolitifcher war; er war aber aud ein antifsrealiftiicher, jofern er die Gruntfäge des Humanismus allieitig zur Geltung zu bringen ſuchte. Die religiöfe Sfep- tik, von den englijchen Breidenkern auf die franzöflichen Encyklopädiften üher« gegangen, hatte hier, nachdem das antike Schönheitsiteal in der franzöſiſchen Tragödie zum Eritifchen Mefler geworden, eine deiftiiche Poefte erzeugt, ale deren Hauptrepräfentant Voltaire erfcheint. Er übergoß die Eirchlichen Dog« men, die Hierarchie, das biftoriihe Chriftentyum überhaupt mit der Lauge bitterften Spotte8 2), aber zugleich anerkannte er huldigend die Grundlehren des chriftlichen Glaubens und der chriftlichen Sittenlehre). Er war jo fehr Deift, daß er in Verjen, die zu feinen glängendften gehören, den berühmten Ausfpruh that, wenn Gott nit wäre, müßte man ihn erfinden ?). Im

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2) Die Quinteſſenz deſſelben iſt zuſammengefaßt in der 1722 geſchriebenen Epi⸗ ſtel an Uranie (l.e Pour et le Contre).

3) Keiner ter Zeloten, welche eine wüthende Grimafle fchneiten, fo oft Vol⸗ taire's Name genannt wird, würde es zu jener hohen Anficht des ethiſchen Prinzips im Ehriftenthum bringen, welche Voltaire in feiner Alzire Darlegt, da, wo er den Chris ften Gusman zu dem Heiden Zamore fagen läßt:

Des dieux que nous servons connais la difference: Les tiens t’ont commande& le meurtre et la vengeance; Et les miens, quand ton bras vient de m’assassiner, M’ordonnent Je te plaindre et de te pardonner. &) Ils (les peuples) ont adoré tous un maltre, un juge, un pere; Ce systeme sublime à I’homme est necessaire:: { C’est le sacre lieu de la socidte,

Le premier fondement de la sainte equite,

Le frein du scelerat, l’esperance du juste.

Si les cieux, depouilles de leur empreinte auzuste,

352

deutſchen Rationalismus und Humanidmus wurde dann dieſes deiftiiche Prinzip zum weltbürgerlichen Idealismus erhoben und erhielt feine claiitiche dichteriſche Geſtaltung in Leſſings Nathan, dieſem, Bild edelfter Menſchheit *. Houffeau, flatt wie Voltaire an den Esprit“, appellirte an das Gemüth und ſetzte Dem bibliihen Evangelium ein Naturevangelium, der geoffenbar= ten Religion die natürliche entgegen, Deren Eredo er immer und üferall, am beredteften aber in der berühmten Profession de foi du vicaire savoyard verfündigte. Auch Rouſſeau ift ein Gläubiger, aber flatt ein Theologe zu fein, ift er ein Menſch. „Wage es, ruft er jeinem Emil zu, ten Philos fophen gegenüber Bott zu bekennen! Wage c8, den Unduldiamen gegenüber Humanität zu predigen!“ Der enthuflaftiiche Ruf nad Natur und Freiheit, welchen Roufſeau erhoben, fand Iauteften Wiederhall in Deutjchlant. Hier nahmen ihn die, Stürmer und Dränger * auf, welchen Gerber, in Fortſetzung der Mifflon Leffings, als Fritiiher Bannerträger voranſchritt. Göthe und Skhiller erhoben dann die naturaliftiiche Wreiheitdidee der Sturm- und Drangperiode in die Sphäre der Kunft. Wie fi die beiden großen Män- ner im eben befreundet waren, jo ergänzen fich ihre Werfe gegenieitig. Hier ift das Ideal der Humanität, in welchem Heidnifches und Ehriftliched, ge— läutert im euer der modernen Bildung, zum modernen Griechenthum ver= fhmilzt, voll und ganz zur poetijchen Erſcheinung gefommen. Abgewandt Beide dem kirchlichen Dogma und oft in den jchärfften Ausdrüden dicje Abneigung manifeftirend, find doch Göthe und Schiller vom lauterſten und innigften reli= giöſen Gefühle befeelt. Ueberall ift und wirft in ihnen der Gott. Wunder- bar haben fie die Verteufelung ter Natur überwunden und im Menſchlich⸗ Schönen herrlih das Göttliche aufgezeigt. Die Göthe⸗Schiller'ſche Poeſte ift die Summe einer adhtzehnhundertjährigen Bildungsgefchichte der Menſch— heit. Daher wird ed auch Jahrhunteste währen, bis wieter fo eine Men— ſchengeſchick beſtimmende“ Dichtung gereift it. Was einftweilen nady Göthe und Schiller Dichterifch zu Tage getreten, ift bei aller Genialität im Einzel— nen doch im Ganzen nur Unfertiges, Unreifed. Die durch EChateaubriand in Sranfreich, tur die romantiiche Schule in Deutſchland begründete mit— telalterlichefatholiftrende Reaction gegen ten humaniftifhen Idealismus Hat zwar der Contrerevolution Sandlangerdienfte geleiftet, aber Fünftleriih nur

Pouvaient cesser jamais de le manifester, Si Dieu n’existait pas, il faudrait l’inventer.

... 393

fohr wenig Bleibendes geichaffen und ift dann, an ſich felber verzweifelnd, theils in quietiftiiche Blafirtheit, theild in wilde Berriffenheit umgeſchlagen. In dem Sumpf der Blafirtheit verſchwanden die deutfchen Romantiker. Die rothe Fahne der Zerriffengeit und Verzweiflung einer wirklichen ober blo8 gemachten ſchwang Byron Hodhtrogig gen Simmel und ihm find in Deutſchland Heined) und feine Schule, in Branfreih Hugo und feine neu⸗ tomantiichen Anbänger nadgeganyen. Bon einer „Pocfle und Kunft der Zufunft * wird dermalen viel geiproden und geichrieben, aber die wirkliche Erſcheinung derfelben {ft jelbft am fernften Saum des Horizontes der Ge⸗ genwart noch nicht wahrzunehmen.

Anhang zum fünften Bud. Das Judenthum in der chriſtlichen Zeit.

1.

Mährend das Chriſtenthum ſich ſtets in höherem Maße als welt- erobernde Religion bewährte, in die Eigenthümlichkeiten aller Nationen ein⸗ ging und alle Gebiete Des geiftigen Lebens durchdrang, erwies ſich das Judenthum, deffen Anhänger durch Die legte große Niederlage unter Bar⸗ Cochbah noch weiter über den Erdkreis zerftreut worden, al8 die confervative Religion, welde ſchon wegen ihres nationalen Charafterd und mehr nody wegen der Verwerfung ihrer geichichtlich » nothwendigen Entwidlung im Chriſtenthum, Feiner jelbftftäntigen Entwicklung mehr fähig ſein konnte. Zugleich aber bietet und die weitere Gefchichte des Judenthums den in der Weltgeſchichte einzigen Anblick eines Volkes, welches, obwol es Feine Heimat mehr befigt und feinen Staat mehr bildet, doc nicht in die übrigen Völker anfgegangen if, fondern fich als eine geiftige Einheit behauptet hat.

Man hat die Entftehung der neuen Geſetzbücher, die Beränderungen in

mn

5) Melcher aber doch zwei Gedichte geſchrieben hat, die zu den fchönften gehören, welche überhaupt im und vom Chriftenthfum hervorgebracht wurden ; die „Wall: fahrt nach Kevlaar“ und das Nortfeebild „Frieden“.

Scherr, Geſch. d. Religion. IM. 93

der Berfaffung der jüdiſchen Religiondgenofienidiaft und im Eultus, die Beripaftung Der Juden in Selten als weitere Eutwiciungen bed Judenthums anfehess wollen ; aber es wird fi bri näherer Betrachtung zeigen, Daß das⸗

felbe in allen dielen Dingen theils an das Althergebrachte gefeſſelt geblieben,

theils unter dem Einfluffe des Chriſtenthums und des Islam geftanden ift. Die Leiftungen juͤdiſcher Belehrten vollends in ter Philoſophie bangen ganz son Einflüffen ab, welche dem Judenthum fremd find. Ein Mofes Maimo⸗ nides, Spinoza und Mendelsfohn philofopbirten fo wenig im Geifte des Judenthums, ald Arifigteles im Geiſte der homeriſch⸗heſtiodiſchen Volförelis gion philofophirt hat. Ein kurzer Ueberblick über Die Geſchichte des Juden thums feit den Zeiten Hadriand wird vorftehende Behauptung beftätigen.

92,

Von den Phariiäern her waren mündliche Ueberlieferungen neben dem moſaiſchen Gefege im Gebrauch. Als nun mit bem Tempel auch dad mo= ſaiſche Prieftertfum ein Ente genommen, erhoben fid die Synagogenlebrer (Nabbinen) zu Erben der Vriefler una Hohenprieſter. Die Rabbinen lei⸗ teten die Gemeinde nah der Halacha, d. h. dem allgemein anerfannten Herkommen. Unter ihnen bildete ſich zwar die Tradition mündlicher Ge⸗ ſetze weiter, aber gegen Ende bes 2. Jahrhunderts verſchwand ber Urheber dieſer Tradition, der Pharkjäismus, in Verachtung gefallen burd die nier drige Scheinheiligfeit feiner Glieder, und mit ihm zugleich ter Sadduzaäis⸗ mus, gegen welchen cinige der neueren Gelee fpeziell gerichtet waren. Die Samariter verwarfen conjequent au die rabbinifche Tradition. Ihre firenge geiflige Abgefchloflenheit, gegründet auf das alleinige Feſthalten am geichriebenen Gelege Moſis, hat fie jo vereinzelt, Daß ihrer gegenwärtig nur noch ein paar Hunderte vorhanden fein mögen.

Die rabbiniſche Tradition fahte um 230 n. Chr. Jehuda der Heilige in der Miſchna zuſammen, einem neuen Geſetzbuch, weldyes unter den Ju⸗ den bald allgemeine Gültigkeit gelangte. Statt wie zuvor dem alten Teſta⸗ ment, wandte fidh jegt das Stutium (Gemara) allgemein der Mifchna zu. Um 359 wurden fänmtlihe Commentarien zu derfelben gefanımelt und daraus, mit Bugrundelegung des Mifchnatertes, entftand ver Talmud, def= jen erſte Redaction Die Bezeichnung der Jeruſalemitiſchen führt. Erſt der fogenannte Babylonifche, weil von den batylonifchen Rabbinen Aſche und Abina redigirte, Talmud erlangte jedoch allgemeine Anerkennung. Auch die

3

freie Umerbeitung ded Talmud, welche im 12. Jahrhundert Mofe Ben Mai⸗ mon (Maimonides) unter dem Einfluß arabiſch⸗ariſtoteliſcher Philoſophie vdruahm, kam unter dem Titel, Jad Chaſaka“ bei den Inden gu großem An⸗ ſehen, wenigſtens unter den heller denkenden. Daß unermeßliche Raterial, waß die verſchiedenen Mebactionen,; Erweiterungen und Erlaͤuterungen der Talmude anhäuften, wurde dann poetiſch ausgenützt von Selten: jener in pulgär⸗ aramäiſcher Sprache ſich bewegenden Dißtung, welche vie Hagada (d. 1. Geſagtes) heißt). - Mofe Corduero brachte im 16. Jahres hundert die von Alters ber traditionell unter den Juden fortgepflanzte my⸗ ſtiſch⸗ magiſche Geheimlehre der Kabbala, welche zu fo viel Humbug und Schwindel Veranlaſſung gegeben, zum Abſchluß. Sie enthält, in einer dunfeln und bilderreichen Sprache verfaßt, ein wunderlichſtes Geuiſch von jüdifchen, perſiſchen, aͤgyptiſchen, griechiichen und arabtichen Anſchauungen und Meinungen.

3.

Die Berfaffung der Judengemeinden bat ſich nad) den politiſchen Ver⸗ bältniffen der Völker gerichtet, unter denen „Iirael in der Zerſtreuung“ lebte. Die in Palaͤſtina zurücgeblichenen Iuten errichteten aus den anges fehenften Rabbinen das aliherkömmliche Synedrium, deſſen Vorfiger den Ti- tel Naſt führte. Unter Jehuda dem Heiligen aber exiflirte fon Fein Synedrium mehr. Er, der Nafl, war nur noch Vorſteher eines geifflichen Berichtes, weldyes aus ihm ſelbſt und zwei Beiſttzern befand und bie Befug« nif der Verhängung von Geißelung und Bann befaß. Die babylonifchen Judengemeinden fanden anfänglid) unter einem rein weltlichen Oberhaupte, dem Reſch⸗Glutha, d. h. Haupt ber Coloniſten. Um 260 errichtete dieſer zwei einander beigeordnete rabbinifche Gerichtshöfe, den einem in Nahardea, den andern in Sura, wo ſich die beiden wichtigſten Rabbinenſchulen befan- den. Im 8. Jahrhundert Famen durch die Bekehrung eines Fürſten der Ehafaren am kaspiſchen Meer Juden auf den Thron dieſes Reiches. Dritte halb Jahrhunderte hindurch Herrfchte daſelbſt ſtets ein Jude mit einem: juͤdi⸗ fchen Miniſter und einem aus Juden, Ehriften und Mohammedanern gebils deten Math. Allgemein galt der Brundfag ber Oteligiondfreiheit. Inter

4) Eine Sammlung Hagadifcher Gedichte, ind Deutfche übertragen, gibt: Jolo⸗ wie?’ 3 „Polyglotte der oriental. Bocfle*, ©. 286-316.

23*

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der maurifchen Herrihaft in Spanien entftanden ebenfalld rabbiniſche Ge⸗ richtshöfe, welche ihre Sprüche nach Maßgabe des Talmud fällten. Der Islam, insbeſondere der mauriich-fpanifche, befchämte überhaupt im Mittel« alter die hriftliche Intoleranz gegen die ISuden, von welder wir im 9. Ka⸗ pitel des 5. Buches gehandelt haben!). Erſt der Humanidmus des 18. Jahrhunderts und mehr noch die franzöftiche Revolution und die Na- poleon’sche Geſetzgebung begannen die barbarifchen Feſſeln zu brechen, in welche das mittelalterliche Ehriftenthum die Judenſchaft gefchlagen hatte. Napoleon, um den Juden Gelegenheit zur Aeußerung ihrer bürger- lichen Gefinnung nad den Grundfägen ihrer Religion zu verfchaffen, berief auf den 10. Juli 1806 alle jüdiſchen Notabeln Frankreichs zu einer Ver: fammlung nad Paris. Diefe erklärte ſich mit Berufung auf einen frühe- ren Synodalbeſchluß für die Monogamie, für Eheſcheidung nur unter Bes willigung ter Landesgeſehe und die Schließung gemifchter Ehen mit Ehriften. Sie verwarf den Wucher, erflärte Branfreih für dad Vaterland der darin wohnenden Juden und ſprach cd aus, daß der Einfluß der Habbinen nur auf dem Herfommen berube. Dadurd befriedigt, berief Napoleon den großen Sanhedrin, d. h. dad jüdifche Synedrium für ganz Sranfreich, ald oberfte Behörde der Judenſchaft, um die Beſchlüſſe der Notabelnverfammlung zu fanetioniren, was auch wirflih geſchah. Schon zuvor war die von neun Notabeln in Verbindung mit Faiferlihen Commiffarien entworfene Verfafz fung der Judenfchaft eingeführt worden. Kraft diefer flanden je 2000 Ju— den unter einem Confiflorium, alle Eonftflorien des Reichs unter einem

4) Unter dem Schuge moslemifcher Toleranz war dann auch jene neuhebräifche Gultur in Spanien zur Blüthe gefommen, welche in den Werken ber ſpaniſch⸗juͤdiſchen Dichterichule, deren Hochmeifter Juda Ha⸗Levi (geb. um 1080) if, einen fchönen Bei- trag zur Weltliteratur geliefert hat. Bol. Iolow’gza.a. DO. S. 317—337. Die fuͤdiſchen Philoſophen, an deren Spike der fhon genannte Maimonides fteht, waren auch Lie bauptfächlichften Vermittler zwifchen der arabifchsariftotelifchen Philofophie und ter chriſtlichen Scholaſtik. Ueberhaupt verdanft die Wiflenfchaft den aus der pyrenaͤiſchen Halbinfel nach dem Norden gewanderten füdifchen Gelehrten viel. Im Uebrigen ift zu bemerfen, daß der Fühnfte, originellfte und edilfte Denker, welchen die neuhebräifche Bildung hervorgebracht hat, Baruch Spinoza, fein großes pantheiftiiches Syſtem nur

: Schaffen konnte, nachdem er fi von allen Borausfegungen des Mofaismus wie des Rab-

binismus freigemacht hatte. Auch Mofes Mendelsfohn war fein Jude mehr; ſonſt hätte er nicht den mißlungenen Verſuch machen fönnen, die Denffreiheit als jüdifch- religiöfes Prinzip nachzuweiſen.

357

Gentralconftftorium in Paris. Seit 1831 wurde fogar die frühere Bes fimmung, daß die Rabbinen von ihren Gemeinden bejoldet werden müß- ten, aufgehoben und die Befoldung der Rabbinen ebenfalld dem Staat überbunden. In ten legten Jahrzehnten hat tie „&manzipation der Juden“ in allen civilifirten Ländern Europa's zu weitläufigen geletgebes rifhen Erörterungen geführt. In England, Belgien, Deutichland und Hol- land machte dieſe Emanzipation auch praftifche Vorfchritte, welche der bür- gerlihen Gleichberedhtigung der Juden mit den Chriften mehr oder weniger nahe kommen. Völlige Befreiung vom Joce der mittelalterlichen Barbarei haben jedoch die Juden vorerft nur in Branfreih und Nordamerika erlangt.

Schfles Bud, Der Islam ä

—— «

Erftes Rapitel. A abien.

1.

Wenn dad Buch vom Chriſtenthum, ungeachtet wir befliffen waren, e8 nah Möglichkeit zu fürzen und zufanımenzudrängen, ung unter der Hand zu einem Umfang angeſchwollen, welcher zu dem ter übrigen Bücher unſeres Werkes in mißlichem Verhäͤltniß ſteht, io fönnen. wir, Dagegen glei) zu An⸗ fang dieſes ſechſten und letzten Abichnitted dem Leſer die beruhigende Vers ſicherung geben, daß er hier nicht jo lange feftgehalten werden foll, wie dort. Nicht etwa, ald ob der breife Raum dort; der fhmale hier durch Sympathie, und Untipathie bedingt wäre jeder Einfidhtige wird, glauben wir, und das Zeugniß geben, daß wir mit Der Unbefangenheit, wie fie dem Cultur⸗ hiftorifer zukommt, fämmtliche Erfheinungsformen der religiöfen Idee bes tradıtet haben nein, die außführlidyere Behandlung des Ehriftenthums, die gedrängtere de8 Mohammedanerthums war und iſt, wie übrigens Jeder mann weiß, durch die Natur der beiden Religionen geboten. Die reihe in⸗ nere und äußere Entwicklungsgeſchichte, wie das Chriſtenthum ſie beſitzt, geht dem Islam ab. Zwar dort, wie Hier, wurde das Dogma firirt, al⸗ lein ſchon der Umſtand, daß biefe Firxirung im Chriſtenthum zu verſchiede⸗ nen Zeiten, nach langen Zwiſchenraäumen vor ſich ging, während fie im Mo— hammedanismus mit Abſchluß des Koran ein für allemal geſchah, begründet einen höchſt bedeutenden Unterſchied. Freilich hat auch der Islam, wie das Chriſtenthum, ſeine Mythenbildung, ſeine Tradition, ſeine Sekten, ſogar feine Philoſophie; aber alle dieſe Entwicklungsſtadien halten mit denen des Chriſtenthums keine Vergleichung aus. Der Jolam iſt ſtarr, ſchroff, ſtei⸗

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nern wie fein monotheiſtiſches Symbolum; das Chriſtenthum flüfftg, bieg- fam, vielgeftaltig, in einem unendlichen Entwicklungsprozeß begriffen. Ent- lich iſt dieſes univerfell, weſentlich kosmopolitiſch, jener ſpezifiſch orientalifch, ſo ſehr, daß ſelbſt der bedeutendſte Sektenzwieſpalt, welcher in feinem Schooße entſprang, der zwiſchen Sunniten und Schiiten, wie wir ſehen wer⸗ den, ſeinen letzten Grund in einem Haremszank hatte. Daher auch bog,

der mohammedaniſchen Ausbreitungs: und Eroberungspolitif ungeachtet, im

Islam der religiöfe Gedanke, obgleih von Chriſtenthum vielfach beeinflußt, vom Idealen und Menfchheitlichen wicder zum Realen und Nationalen zurück. 2.

lee Von der ſyriſchen Wüſte im Norden begränzt, dehnt ſich, von einem Volke ſemitiſchen Stammes bewohnt, die Halbinſel Arabien zwiſchen dem rothen Meer im Weſten und dem perſiſchen Golf im Oſten nach Süden

weit in die indiſche See hinaus. Dieſem weiten Raum, welchet unge⸗

faͤhr 50,000 Quadratmeilen enthalten mag, verliehen feine Gtänzinarken, Meer und Wüfle, von Alters her den Charakter einer Abgeſchloſſenheit, welche Sahrtaufende hindurch bewahrt wurde. Wenigſtens von denen feiner Bewohner, welde ſich als die eigentlichen Gingeborenen und Söhne des Landes anzuſehen liebte, bon den Arabern, bie ſich Bedewinen (Beduinen), d. i. Beinohner der Wüfte nannten. Es paßt jedod die Vorftellung, vie füßarenartige, welche wir mit diefem Worte zu verbinden pflegen, nicht ganz auf die Wohnſttze der äditen Nraber. Denn die von ihnen bewohnte Hoch⸗ Häche, obgleich ungeheure Sandfteppen In fich bergend, bietet doch nicht das einförmige Bild einer Sahara. In das arabifhe Plateau find wildzerrif- fene Schluchten eingeſprengt, wo ſich Ouellen- und Regenwaffer zu Baͤchen ſammeln, welde ihrerſeits weiterhin Die Sohlen unt Seiten fantvaler Thaͤ— ler mit Grün beffeiden. Ueber der Flaͤche weiter Steppenſtriche tagen ſchroff jene feltfamen Felskegelbildungen auf, wie fie duch der Salbinfel ves Sinai ein fo bizarreß Nusfehen geben, 'und hinter den wandelbaren Hügeln bes Slugfandes hervor blühen dem Techzenden Auge des Wanderers Oafen ent- gegen mit ihren Weideplägen, Brunnen und Dattelpalmen. Im Ganzen hat diefe®Land mit feirien plöglichen Uebergängen- vom wildeſter Eindde zur feppigfeit tropifcher Vegetation, init jeiner Abgeſchloſſenhelt und Unzirgäng- lichkeit , mit feinem den größeren Theil bed Jahres. über waltenlofen Firma ment, aus welchem bet Tage eine brennende Sonne Ihre Stralenguͤſſe nieder⸗

—.

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fendet , während bei Nacht die Geftirme groß und klar herableuchten Dies ſes Land mit frinen prächtigen Gewittern, mir feinen Sandhofen auftbüre menden und fortwirbeinden Oxfanen, mit jeinen Luftipiegelungen und ras jenden Wolkenhrüchen Hat etwas an's Unheimliche ſtreifendes Figenthümliches die Phantafte in hohem Grade Aufregended und Wacherhaltendes. Aber

“nicht: ganz Arabien iſt fo ein Wüſtenplatean. Nah drei Seiten.fällt bie

arabifche Hochebene jeewärtd ab und zwilchen fie und die obengendnnten Meere und Golfe iſt ein jchmaler Küftenftrih eingelagers, deflen Boden ſchon in altefter Zeit um feiner Sruchtbarfeit willen weitberühnt war. Gier gedieben die £oftbarften Fruͤchte und Gewürze, und wie bie phyſiſchen Lebens⸗ bedingungen andere waren, al& im Innern, jo waren auch Beichäftigungen und Sinnedart der Bewohner von denen ihrer Stammgenoffen beteutend verſchieden.

3. In den Küſtenlandſchaften der Halbinfel ſaß in Dörfern und Städten ein betriebſames Geſchlecht. Emſige Bodencultur zeitigte eine Mafie ander» wärs vielbegehrter Produkte, Das Meer lud zur Verſchiffung berielben en,

regte alfe den Handelsgeiſt an und diefer entwidelte, verbunden mit dem Sinn für feineren Lebensgenuß, welcher fih im Gefolge bes Wohlſtandes

‚überall einfellt, die erfindfame Kunflfertigkeit der Küftenbeuöfferung, Un⸗

tes diefes alſo war ſchon frahzeitig eine ſeßhafte, Aderbau, Gewerbe und Han⸗ tel treibende Givilifation daheim, welche, wenn auch von vorherrſchend ma⸗ terieller Richtung, immerhin eine bebeutende geiflige Begabung und Regſam⸗ feit vorausſeht. Die Wüſtenſtämme bagegen waren Tein fehhaftes, fondern ein nomadiſches Bolt, Ste wohnten eigentlich gar nicht, fondern zogem mit ihren Heerden waftät von Weideplatz zu Weideplatz. Schon dieſe Unſtäte bedingte jenen. dem aächten Araber unaustilgbar eingeborenen Zug und Hang der Abentenerlichktit. Der Beduine war, was er noch jetzt iſt, Hirt, Jaͤger,

Krieger und Raͤuber, gewöhnlich das Alles zuſammen. Ehafe, ſtameele

und Pferde machten feinen Reichthum aus; ſte waren der Gegenſtand feiner friedlichen Beichäftigungen ald Hirt und ebenjo das Ziel feiner Tapferkeit und Beuteluſt als Krieger und Wegelagerer. Bon Jugend auf. durch bie Mühiale, Wechſelfälle und Gefahren bed Lebens in der Wüfte geſtählt, früh⸗ zeitig gewöhnt, Alles nur won ſich ſelbſt oder höchſtens nach von feinem Stayme zu erwarten, erwies der Beduine als erften, Charakterzug sin un⸗ bandige® Freiheitsgefühl, weichem ganz natusgemäß ein aͤußerft veizbares

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und eiferfüchtiges Ehrgefühl ſich gefellte. Damit verband ſich weiter eine wilde Racheluſt, die mit todverachtender Kühnheit und zugleich mit ſchlaue⸗ ſter Lift nach Befriedigung trachtete. Im Berneren eine ritterliche Gaſtlich⸗ feit und Galanterie, Treue in Freundſchaft und Haß, Freude am Helden baften und Wagnifvollen, entlid „eine höchſt feurige Phantafle, die im Sinnlihften zu jhwelgen liebte und doch daneben wicder eine Kraft der Ab- firaction bewährte, wie fie nur wenigen Völkern eigen if. If fa doch das femitiiche Abftractionsvermögen, wie e8 ſich in dem abftracten, flarr jenfeiti- gen Gotteöbegriff des hebräifchen und miohammedaniihen Monotheismus offenbart, vielleicht Das größte, welches die Welt geſehen.

4,

Wenn je der Sap, daß die Poeſie die höchſte Blürhe des intellectuellen Dafeins eines Volkes fei, auf eine Nation angewendet werden darf, jo muß er von den Bewohnern ded alten Arabiens gelten, Der Araber iſt ein ges borener Babulift und Mährcenfreund von Anfang ber geweſen. Er ift es jegt noch und wir werden ſeines Ortes Gelegenheit haben, zu fehen, wie bie arabiiche Gultur auf der Höhe ihres Glanzes eine Bülle von Werfen der Phantafle hervorbrachte. Ziemlich einfeitig freilich ift die arabiſche Dich- tung immer geblieben: fie hat es weder zur höheren Epik nody zur höheren Dramatik gebradt. Das lyriſch⸗didaktiſche Element einerſeits, das ditaf- tifch»epifche andererfeitd war und blieb flet3 in ihr tonangebend. Der vor⸗ mohammedanifchen Zeit eignet die größere Originalität und Kraft, ter mohammedanifchen die formale Verfeinerung. In der alten Zeit war die Poeſie der natürliche Ausdruck jeder höheren Stimmung. Der altarabiiche Dichter war. zugleich auch Held und Übenteurer, oft der Prophet und Schieds⸗ richter, immer der Liebling feined Stammes. Diefe wilden Kinder einer wilden Natur haben, wenn man dad Unfehen der Dichter und Dichterinnen unter ihnen in Betracht zieht, das bichteriiche Wort offenbar ald eine Offen- barıng von Göttlichem betrachtet und verehrt. Die wildbizarren Natur ſzenen des Landes, der Stolz auf eine unvermijchte Abkunft, Die Begebniffe einiamer und gefahrvoller Wüftenftreifereien der Breiheit Hochgefühl, ber Tapferkeit und Abenteuerluft rubelofer Drang, Lobpreifung der Kühnheit "und Gaftlihkeit, Hohn über Beigheit und Kargheit, die unaufhörlichen

Fehden der Stämme unter einander, der Blutradye unverbrüchliches Gefep,

endlich eine Ziebe, wie fte jo herzig und glähend zugleich nur in Zeiten mög⸗

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lich war, wo das Weib, noch nicht zur Haremsbewohnerin erniedrigt, "dem Bewerber als freie Perfönlichfeit gegenüberſtand dieſe Motive befeelen und tragen die altarabiiche Volkspoeſie, welche man kennen muß, um bie Energie zu begreifen, womit diefed Volk, als feine Stunde gekommen, er» obernd aus feinen Steppen hervorgebrochen.

Diefe altarabijche Lyrik, oft flarf mit epifchen Tönen verfegt, oft die daftiich zum Sinn», Sprüch⸗- und Räthielwort ſich zujpigend, Hat einen eigenthümlich rapiden, wortfargen Ausdruck, der Diction ter Edda nicht unähnlid. In Beziehung auf ihre Form der Sylbenmeſſung Ten Endreim gefellend, gibt fie, voll von Fühnen und bligenden Bilvern , fletd nur Die - Sauptinomente, alle Nebenumftände der Bhantafie des Hörers überlaflend. Ihre älteften Pfleger, wie jener unheimliche Nede und Räuber Taabbata Scharran und jener berühmte Bogenſchuͤtze und Läufer Schanfara, find vom Nimbus der Mythe und Sage umgeben. Durch mündliche Ucberlieferung fortgepflangt, zeugten die alten Lieder ſtets neue Sproffen und fo konnte Abu Temmam im 9. Jahrhundert nad) Ehriftud die Gefänge von 521 Dich« tern und 56 Dichterinnen in feinem berübinten Liederbud „Hamafa * ſam⸗ meln. Später fchloflen ſich dieſer Sammlung noch weitere an. Uber die gefeiertften, die eigentlich claſſtſchen altarabiſchen Nationalgebichte find die fieben , Moallakat“, verfaßt von Amru, Hareth, Tarafa, Suheir, Antara, Lebid und Amrilfais, Diefe Gefänge find Ergebniffe der Dichteriichen Wett⸗ fänpfe, welche alljährlih auf der menſchenwimmelnden Meſſe zu Okhadh abgehalten wurden und die außerordentliche Theilnahme Der arabifchen Be⸗ völferung hinlänglich bezeugen. Das Gedicht, welches den Preis erhielt, wurde jeded Mal mit goldenen Lettern auf perfliche Seide geichrieben und zum ewigen Ruhme des Dichterd am Eingange des uralten Nationalheilig⸗ thums der Kaabah zu Meffa aufgebangen, woher der Name (Monllafat, d. i. die aufgehangenen, Gedichte nämlich 1)).

5.

Eines dürfte bei Betrachtung Der altarabifchen Volksdichtung ſehr auf« fallen: die fpärliche Aeußerung fpezifiichereligiöfer Gefühle. Die religiöfe

4) Bol. Rofenmüller im 6.Br. der „Nachträge zu Sulzers allg. Theorie der fchönen Kuͤnſte“ Hammer: Geſch. d. arab. Literatur. Weil: die poet. Lit. d. Araber vor und unmittelbar nad Mohammed. Rüdert: Die Hamafa, überfegt und erläutert. Rückert: Amrilfais, der Dichter und König. Altmann: Die Wüllens harfe, eine Sammlung arabifcher Volfelieder.

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Stimmung mangelt freilich nidyt völlig, aber man kann fi Ihren Ausdruck faum bager denfm. Daher gewährt die Hamaija keine ſehr feften Anhalts⸗ punfte zur Befimmung deflen, was die alten Araber geglanbt haben. Ein ſyſtematiſches Glauben war unser ihnen jedenfalls nicht vorhanden, aber ſchon in den älteften Volksliedern fehen wir jenen fataliſtiſchen Zug, weldyer nachher im Islam dogmatifche Geſtaltung gewann, fehr poſttiv auftreten. Die Ineinsbildung des Gotteßbegriffes und des Schickſalsbegriffes fcheint demnach altarabiſch zu ſein ?). Werner Hat man zwar fe die Behauptung aufgeftclit, die Araber vor Mohammed Hätten immer nod eine, wenn auch vielfach polytheiſtiſch verbunfelte, Erinnerung an den urſprünglichen Mono⸗ theiomus der femirifchen Bölkerfamilte bewahrt; allen wir haben feined Or⸗ tes gefehen, daß die Vorftellung von einem urfprüänglidden Monotheismus der Semiten überhaupt eine ganz willfürliche iſtz). Wie die übrigen ſemi⸗ tifchen Stämme, huldigten in alter Zeit auch die Araber einer Naturreligion, weldye aber bei ihnen nicht zur Schaffung concreter menflicher Götterfor⸗ men vorſchritt, fondern zum Fetiſchismus entartete. Das Idol trat an Die Stelle der Idee, und, wie da& fo in der Naturreliglon, ja In der Religion überhaupt zu geben pflegt, die anfänglichen Symbole des Göttlichen wurden zu dieſem felbft, die Zeichen zu Weſen. Das waren die Götzen, gegen welche Mohammed eiferte.

Aller Religion Grund und Anfang, des Menfchen Gefühl feiner Ab⸗ bängigfeit von der Natur, hat auch die alten Araber zur Verehrung wohl⸗ thätiger oder fhredlicher oder aud nur befonders auffälliger Naturdinge geführt. So erwiefen fie Ehrfurdt den Geſtirnen und ſchrieben benfelben einen beilfamen oder auch unbeilfamen Einfluß zu, fo hatten ihnen Quellen und Bäche etwas Goͤttliches, was ſtch in einem waflerarmen Rande leicht be⸗

4) Bol. das Gericht „Duldmuth und Ausdauer? in Rüderts Hamafa, I, 76. 2) S. Thl. II, Kay. 3, auch Kap. 4, 13 und noch befonders Anm. 16. Aller: dings kommen in den altarabifchen Gedichten manche Stellen vor, welche auf eine ge: läuterte Vorftellung von Bott fchließen laſſen. So heißt es z.B. in der Moallafa des Suheir (MR. H. 1, 147 fg.): Berberget nicht vor Gott, was ihr hegt in eurer Bruft, Berheimlihenn! Was Bott ihr verbergt, ift ihm bewußt allein Suheir war ein Zeitgenoſſe Mohammeds, und daß deſſen Lehre auf ihn einges wirft, zeigt gleich der Nachfag zu der angeführten Stelle: Sei es nun aufgehoben und in das Buch geſtellt Zum Tag der Nechnung, ober die Strafe gleich gefällt.

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greift; fo waren ihnen feltfam geformte Belfen und Berggipfel heilig, ebenſe ungewöhnlich geftaltete oder gefärbte Steine 3), und galten ihnen auf) ge⸗ wiffe Ihiere für Wohnſitze übermenſchlicher Weſen. Da war denn allen den zahlloien Bizarrerien fetiichiftiichen Aberglaubend Thüre und Thor geöffnet. Daß ferner ein Volk, welches jo viel auf unvermijchte Abkunft hielt, aus eine Art Cultus der Vorfahren hatte und die Gräber derfelben heilig hielt, {FR gang in der Drönung. Der Glaube an eine Fortdauer nach tem Tode, wenn er überhaupt vorhanden, war jedenfall ein fehr un: beftimmter, übereinftinnmungdlojer. Dagegen umterliegt e8 feinem Zweifel, daß die altarabifche Religion, wie jede Religion, aud ihren Bottesdienft hatte. Mit Gebeten, Gelübden und Baften ſuchte man die überirdifchen Mächte zu verföhnen und zu gewinnen. Gegen bie als böfe gedachten wandte man mancherlei Zauberpractifen, Amulete uw. dgl. m. an und guten und böfen brachte man Opfer dar, wobei die alten Araber, ald Achte Seniiten, - wohl mitunter auch den Menichenopferbraud übten. Endlich mag bei der fhroffen Zerflüftung der Stammeögenoffenfchaften noch mit ziemlicher Sicherheit angenommen werten, baß jeder Stamm feinen eigenen Stammes⸗ gott oder Stammesfetiſch hatte.

Das Gefagte gilt, wie für die Beduinen, im Allgemeinen aud) für bie Küftenbewohner. Nur waren bei diefen, in Bolge ihres Handelsverkehrs mit den Nahbarvölfern, die einheimifchereligiöien Vorftellungen fehr bedeu⸗ tend mit fremden verfegt. Bedenkt man, wie fehr Mohammed auf den Ueberlieferungen ded Moſaismus fußte, wie fehr er diefelben bei feinen Landsleuten als befannt voraußfegte, und ferner, wie die Araber vermittelft des Glaubens an ihre angebliche Abſtammung von I8mael, dem verfloßenen Sohne Abrahams, den Gedanken der Blutsfreundichaft mit den Hehräern fefthielten, fo wird man nicht anftehen, zu fagen, daß insbeſondere die culti« pirteren Araber, die Städtebewohner, fchon frühzeitig mit den religiöfen Anfhauungen des Hebräismus befannt geworden fein müſſen. Ebenfalls weift der altarabifche Geifterglaube die Einflüffe der perſiſch⸗juͤdiſchen Lehre von den Engeln und Dämonen deutlih auf. Sodann fonnte auch das Chriſtenthum den Arabern nicht unbekannt geblieben fein, da fte lange vor

nn

3) Der altarabifche Brunnens und Steincult Hat fi mit Modiftcationen auch noch im Islam erhalten. Er wurde aus Göttertienft Reliquiendienf. Vgl. was unten im 4. Kav. vom Brunnen Zem:Zem und vom fchwarzen Etein in der Kaabah in der Beſchreibung diefes Tempels gefagt iſt.

PS

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Mohammed mit Ehriften in friedliche und feindliche Berührungen gefonımen waren. Alle dieſe religiöfen Elemente, heimiſche und fremde, wirrten fidy unvermittelt Durcheinander. Und der Wirrwarr befriedigte das religiöje Be— türfniß nicht nur nicht, fondern brachte ed nicht einmal in feiner ganzen Tiefe zum Bewußtfein. in dunfles Gefühl des Mangel einer religiöfen Einheit mußte freilich fhon lange durd die arabiſchen Stämme gehen, Denn

ſonſt wären die Erfolge des Islam unbegreiflicd ; aber bevor der Mann auf-

ftand, der diefen Mangel Allen Elar machte und zugleih Abhülfe deſſelben bot, begnügte man ſich mit einem fehr Außerlichen Griag. Es war Lies dad religiöfe Band, welches Lie Wıllfahrt nach ter Kaabah in Meffa um Die arabiſchen Stämme ſchlang. In dieſem uralten Nationalheiligthum, welches im Befig des Stammes Koreiſch und von demſelben erbaut war 9), flanden bie verichiedenen Sole "altarabiichen Gottesdienſtes. Es mag Tas Allem nach eine wunderliche Götterverſammlung gewefen fein. Aber fo jebr harte ſich die Vorftellung von der Heiligkeit dieſer Stätte dem arabijchen Bewußt- fein eingeimpft, daß der Jolam wohl die Bögen in ver Kaabah zerichlagen, jedoch) den Tempel ſelbſt in feinem Anjehen nicht ernietrigen konnte, fondern noch erhöhen mußte. Die Kaabah ift gleichlam ter Durchgangspunkt des alten Araberthums ind neue geweſen unt jo ift fie aus einem nationalen Heiligthum zum beiligften Ort der mohammetaniichen Welt geworben.

6.

Jahrhunderte waren über dad alte Arabien hingegangen, wirkungslos, wie Wolfenfchatten über den Spirgel der See binftreiben. Wenn aud nicht mehr in den Küftenlantichaften, jo hHerrichte Doch im Inneren des Landes noch immer ein fozialer Zuftand, wie er, dem Buch der Geneſis zufolge, ſchon in den Tagen der hebräiſchen Patriarden geweien war. Beduinenicheichd, wie Abraham einer gewejen, führten über Die einzelnen Stimme ein patriarchalifches Regiment, gegründet auf eine beifpielloje Zähigkeit der Staummesüberlieferungen,, welde bis ind Einzelnfte nachzu— weifen vermochte, wie und in welchem Grade der Stammfürft mit Jedem der Etammgenoffen blutöverwandt war. Zwiſchen den einzelnen Stämmen gab

4) ©. den 16. Doppelvers in der Moallafa tes Suheir (R. H. 1, 147). Die Lıgende freilich will, tie Kaabah fei von feiner geringeren Perſon als Jomael im Ver: ein mit feinem Bater Abraham erbaut worden.

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ed Freundſchaften, aber noch weit mahr Feindſchaften, verurſacht einestheils durch Die ſehr laren argbiſchen Begriffe vom Mein und Dein, anderntheils durch Dad Gebot der Plutrache, welches Jahrhunderte hindurch eine ununter⸗ bradyene Kette non Wechſelnwrden ſpannte. Trog ererbten Haſſes unter einander betradgteten ſich jedoch die Bebewinen hinwieder als zuſammenge⸗ hoͤrend. namlich ten Staͤdiebewohncen gr ‚gegenüber, weldye ber aͤchte Wüſten⸗ araber ald vom arabiſchen Prinip der Unvermiſchtheit des Blutes und der Sitte abgefallen anſah, während ihrerſeits dieſe, Abgefallenen“ ihre Stam⸗ mesbrüder in der Wüſte als Bettler und Räuber verachteten, dabei aber doch im Geheimen die Reinheit des Blutes und der Sprache dieſer Barbaren bewunderten und beneideten ). Das große Vermittlungsmotiv zwiſchen den Bölfern, das gegenieitige Iutereffe, war aber auch bier thätig und brachte die fchroffen Gegenſaͤtze zwiſchen nomadiſchen und feßhaften Arabern vielfah zum Schpeigen. Dann fo einfach Die Beriuindfie ber Wüſtenbewoh⸗ ner waren. ihre Befriedigung mußte doch theilweife in den Städten gefucht werten, wohin aud) Die Rohproducte der Nomadenwirthſchaft gebracht wur« den, um in den Handel zu fommen. Ueberdies hatten die Städtebewohner ihrerfeit gemichtige Gruͤnde, nrit den Beduinen freundliche, auf gegenfeitigen Vortheil baflrte Berhältniffe zu unterhalten, wenn die Handeldkarawanen, welche auf dem Landweg vach Syrien und den Euphratländern gingen oder van dorther Famen, die Wüſtenſtraßen ungefährbet yafliren ſollten. Für alle hieie materiellen Wechſelbeziehungen zwiſchen Wüſte und Sur, Beduinenthum und Civiliſotion bildete Wekfa, gerade wie für bie

zerfahrenen religibſen Anſchauungen, den Sammelplatz und Mittelpunkt.

Dieſer Ort mußte alſo aus beiderlei Urſachen weitbekannt und hochangeſehen ſein im Lande, um ſo mehr da ihm die Rolle des Verwittlers zwiſchen den Gegenſaͤtzen qrabiſchen Lebens weſcatlich erleichtert wurde durch den Umſtand, daß ſeine Bewohnor großen Theild zugleich Hirten, Ackerbauer, Händler und Krieger waren. Mekka vereinigte demnach, mie es, örtlich angeſehen, zwi⸗ ſchenr der t Waſtenhochebene und dem Küſtenland mitten inne lag, in feinen

4) Ruh in der Zeit nach Mohammed nor. Am Kingang ber 32. Malame bes Hariri erzählt Hareth Ben Hammam: „Mi trieb in meings Jugend ein Geluͤſte aua ven Städten in die Wülle, zum Umgeng mit den freien Leuten, welche wohnen unter den Haͤuten (der Zelte), um zu lernen ihre Sitten, bie ungefärbten,, and ihren teogigen Stolz, Jen angrexhten,, ſammt ihrer Zunge Meinheit, dev arabiſchen Mebe Fejnheit“. Müderis Hariri, 1, 3.

Scherr, Geſch. d. Religion. II. 24

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Mauern die verfchtedenen Elemente des Araberthums. Es mußte Daher von größter Vedeutung jein, daß gerade an diefem Drte der Mann aufftand, welcher ter gefchichtöioien Abyeichloffenbeit Arabiens ein Ende machte. Bon Mekka aus, dem Brennpunft feines phyſiſchen und intellectuellen Lebens, brady das arabiſche Volf, nicht aufgerieben, fondern nur geflählt dur jahr- bundertelange innere Fehden, erobernd auf die Bühne der Weltgeicbichte hervor, unwiderſtehlich gleich den Wüftenorfanen feiner Heimat.

nn nn

weites Rapitel. Mohammed und der Korant).

1.

Legendarifche Pietät will den Stammbaum des arabifchen Propheten bis zu Jsmael binaufleiten; doch begnügt ſich die rechtgläubige Genealogie

4) Mohammed hat leider unter feinen Zeitgenofien feinen Biographen gefunten, der mit nüchterner Treue die Lebensgefchichte des Propheten aufgezeichnet hätte. So war denn, als überhaupt biographiſche Aufzeichnungen über Mohammed begannen, die Berfon und Geſchichte defleiben ſchon mit jenem Wufl von Fabeln umgeben, womit die Bollsphantafle, und vollends bie orientalifche, die menfchlihen Züge der Heilande und Propheten ins Uebermenfchliche zu fleigern, d. h. zu verzerren liebt. Fuͤr die befte Biographie des arabifchen Propheten galt lange die von dem berühmten arabifchen Gelehrten Ismael Abulfeda verfaßte, duch 3. Gagnier ins Latein übertragen ‘(De vita et rebus gestis Mobammedis, Oxon. 17233). GEndlich unternahm es ein deutfcher Orientaliſt, &. Weit, auf der Balls ganz neuer Forſchungen das Leben Mohammeds zu fchreiben („M., fein Leben und feine Lehre, aus handſchriftl Duellen und dem Koran geichöpft“, 1843). Dies ift meines Wiflens bie befte bisherige Leis fung auf diefem Gebiete, neben welcher das hübfch erzählte „‚Life of Mohammed‘: von Waſhington Irving feine wiflenfchaftlihe Beteutung bat. Bor einiger Zeit börte ich, es ſei in Galeutta eine neue, auf ganz neu in oftindifchen Archiven aufgefundene Urkunden geftügte Lebensgefchichte des Propheten erfchienen, von einem bdeutfchen Forſcher (Dr. Sprenger) engliſch gefchrieben. Ich konnte mir aber weder dies Buch verſchaffen noch überhaupt etwas Näheres darüber in Srfahrung bringen. Mas den Koran angeht, fo find tarüber zu vergleichen Sale (Obserrat. hist. et crit. sur le Mahometisme), Hammer: Purgftall (die bezügl. Aeußerungen in den Fundgruben

3

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gewöhnlich damit, dem Stifter des Islam zwanzig Ahnen zu geben. Jeden⸗ falls war feine Bamilie, dem Stamme Koreiſch angehörend, eine zu Mekka

ſehr angefehene und in ihren befieren Tagen mit.der Hut der Kaabah und -

mit der Bewirthung der Walltahrer betraut geweien. Noch der Großvater des Propgeten, Abdalmuttalib, Hatte Diele geehrte Stellung eingenommen. Unter feinen Söhnen aber Fam die Bamilie herunter und die Habe feines zehnten oder elften Sohnes Abdallah befchränkte ſich auf etliche Kameole und Schafe und eine abyifiniihe Sklavin. Diefem armen Abdallah die wahren Helden der Menfchen kommen ja far fletd aus den Hütten, nicht aus den Paläften, gebar jein Weib Amina im April 571 den Knaben Mohammed oder, wie der Name eigentlid lauten follte, Muhammad, d. i. der Bielgeprieiene. Abdallah flarb fchon zwei Monate nach der Geburt feines Sohnes und ijeine Wittwe und Waiſe hatten alle Prüfungen ber Dürftigfeit zu erfahren. Nur mit Mühe konnte Amina für ihren Knaben eine beduinifhe Amme gewinnen, wie die mekkaniſche Sitte e8 wollte. Später freilich bat man, was Amina's Schwangerfichaft betrifft und Moham- meds Geburt und Kindheit, die allerpräcdtigften Wunder gedichtet, aber wir befaffen und nur ganz gelegentlich Damit und befchränfen und überhaupt auf die vorragendften thariächlien Züge im Leben des Propheten. Wer bie Mythenbildnerei der moslemiſchen Kirche noch nicht kennen follte, Tann die des Orients, in der Geſch. d. osman. Reiches, in ter Geſch. d. arab. Literatur), Weil (Hikorifcyekritifche Binleitung in den Koran), Gräße (Allg. Literaͤrgeſch. I, 308 fg.). Ueber die rechtliche Ceite des Koran bat Tornaumw eine vortreffliche Monographie gegeben („Das Moslemifche Recht“, 1855): An Berdeutichungen der Bibel des Islam if fein Mangel. Abgeſehen von einer älteflen, durch Schweigern nach einer italifchen Verſion 1616 angefertigten, befigen wir eine von Wahl („Der Koran oder das Geſetz der Moslemen“, 1828) und eine neuere von Ullmann („Der Koran, aus dem Arabifchen wortgetreu neu überlegt”, 1840, 3. Aufl. 1844) ; außer: dem metrifch überſetzte Bruchitüde von Hammer. Ueber den Islam an fi und über fein Berhältniß zum Ghriftentgum haben außer den ſchon Genannten von Deut: ſchen geichrieben Möhler, Maufe, Gerod, Krafft, Geiger, Rofenkranz, Kolb, Döllinger, Abeken u. A. Sehr zu berüdfichtigen find die bezüglichen Abfchnitte in Gibbons Hist. of the decl. and fall of the Rom. empire, (Chap. 80 81). Endlich darf nicht überfehen werden die geniale Charafteriftif, welche Carlyle in feinen Lectures on heroes, bero-worship and the heroic in history von Mohammed gegeben hat (im Orig. pag. 68 seq., in der Neuberg'ſchen Ueberſ. S. 74—137). Ueber das Chalifat Hat wieter &. Weil das beteutenpfte Werk geliefert („Geſch. d.

Chalifen“, 1848 fg.).

24*

372

bunten Schöpfungen berfelben bei Abulfeda, Irving und in den Anmerkun- gen bes Weil'ſchen Buches nachleſen. Als Probe mag hier fichen, daß Die Schafe, wenn fie an dein Kinde Mohammed vorübergingen, fi ehrfurchts⸗ sol verbeugten, daß der Mond, wenn Ihm der Knabe aus der Wiege zu- winkte, fich zu demſelben Herunterneigte und daß das Wunderfind unmittel⸗ bar nach feiner Geburt fprechen konnte Hierin abrigens Jeſn nachſtehend, welcher nadı moslemiſcher Tradition fon im Mutterleibe jeinem Naͤhrvater Joſeph eine von diefem an Frau Marta gerichtete ffeptifche Aeußerung ſehr nachdrücdtich verwied. Seltfamer Welfe gefhah neben ven vielen über- flüffigen Wundern, welche Mohammeds Wiege umgaben, gerade das eine nothwendige nicht, die Heilung des Anaben von epiteptifchen Unfällen, welche auch no dm Mann peinigten. | 2.

Sechs Jahre alt, verlor er feine Mütter und bald darauf auch feinen GSroßvater Abbalmuttalib. Seines Vaters Brüder Abu Talib und Zubeir nabmen ſich des Verlaflenen an und er machte, heranwachſend, mit Tiefen Beiden Oheimen mehrere Hanbelsreifen. Zwanzig Jahre alt, hat er zuerft in einem Treffen geftanden,, in einer Fehde, welche die Koreifhiten gegen die som Stamme Hawazin führten. In feinem fünfundzwanzigſten Jahre be⸗ gegnet er und wieder, ald Viehhirt in der Umgebung von Meffa, dann kurz darauf al® Gefchäftsreifenter eines Leinwandhändlers Namens Saib. An diefer Stellung wurde er mit einem gewiflen Hakim befannt und dieſer empfahl ihn als Gefchäftsführer feiner Tante, der reichen Kaufmannswittiwe Chadidija. Die anerkannte Treue und Redlichkeit Wohammeds war der Grund diefer Empfehlung, welche eine höchſt bedeutende Wendung in fein Leben brachte. Denn aus dem gefchäftlichen wurde bald ein trauteres Ver- haͤltniß zwifchen Herrin und Diener. Als Mohammed von feiner zweiten &e- ſchaͤfisreiſe heimkehrte, ſah Chadidia von der Terraffe ihres Haufed aus, wie zwei Engel mit ihren Sittigen den Heimkehrenden beſchatteten, d. h. die gute Mirtwe hatte ihren ſchönen und brasen Geſchaͤftoführer lieb gemonnen. Kurz darauf heirateten fe einander, nachdem Chadidja ihren Vater Chumweilap, der Nichts von einem armen Eidam wifjen wollte, im Weinraufch feine Ein⸗ willigung abgeliftet hatte. Mohammed erwies ſich dankbar. Er hielt jeine Frau Chadidja fo hoch, daß er hei ihren Lebzeiten, um ihr Verdruß und Aerger zu erfparen, feinen außerordentlich großen Luſttrieb möglichſt baͤn⸗

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digte und ihr, nachdem fle geftoshen, das liebenollf und ehrendſte Andenken bewahrte. Es gefchah daher ganz im Sinne des Propheten, wenn Der Koran die Chadidja zum Range einer vollfommenften Frau erhob 1). Nah feiner Verehelichung bat Mohammed bis zu feinem vierzigſten Lebensjahr als Kaufmann gelebt. Dann ift er ald Prophet aufgetreten. Doch muß ihn ſchon zuvor Höheres als der Handel beiehäftigt haben, fo fehr, daß er dem legteren feine rechte Aufmerkiamfeit mehr ſchenkte. Darauf deutet wenigſtens die Nachricht, er ſei feines erheirateten Vermögens verkuftig ge worden. Auf die Beichäftigung mit Höheren als merfantilen Dingen weiß der Umſtand, Daß Mohammed viele Zeit dem einfamen Nachdeufen widmete und fid zu dieſem Zwecke bald allein bald wit Chadidja in eine Höhle des Berged Hara zurücdzog, tagelang, wochenlang. In diefer beſchaulichen Ein» famfeir mag ihn dad Geheimniß jeiner Befimmung zuerft Mar geworden fein. Er batte jo ziemlich alle Seiten des arabiſchen Lebens kennen gelernt: er hatte in der Wüfte und in Städten gelebt, er war Hirt und Händter, arm und reich geweſen und hatte aud) den Krieg geiehen. Alle dieſe Lagen, Beichäftigungen und Erfahrungen hatten ihm feine Befriedigung gewährt. Wie alle Menfchen, in welchen der Genius lebt, dachte er mehr an Audere als an ſich ſelbſt. Ihn erbarmite die nationale Zerfahrenheit feines Volked, al& deren Grund er nit Recht den Mangel einer einheitlichen Religion, eines oberjten, mächtigen und umfaffenden religiöfen Gedankens erkennen mochte. Nah Art tharkrüftiger Naturen verihmähte er aber, über feiner Erfenutniß elegisch zu brüten. Er ſtellte fein Licht nicht unter den Scheffel, es forte vielmehr über ganz Arabien hinleuchten, und wehe denen, die es zu löſchen verſuchen würden. Es käßt ſich nicht leugnen, mit Adhtarabiicher Berftän- Digfeit und Schlauheit, aber zugleich nicht minder mit aͤchtarabiſcher Dee geifterung und Tapferkeit ging Mohammed an fein Werk.

3.

Des Beftimmteflen verneinen wir, wie die unbefangene Betradgtung, zweifeldohne thun muß, gleich hier die Zrage: IR Mohanımed «ein Betrü⸗ ger geweien? Wir finden e8 fogar feltiam, daß noch Irping!), der doch

4) Die vier vollfommenften Frauen find nach dem Koran: Mirjam, die Schwes ſter Moſe's, Marin, die Mutter Jeſu, Ehadidja, die erfle Gattin Mohammeds, um Fatima, des Propheten einziges hinterlaſſenes Kind, mit Ali vermäblt.

4) Life of Mebammed, chep. 16.

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font ein Mann von Geiſt und Geſchmack iſt, ſich damit abgeben mochte, diefe Trage alles Ernſtes zu erörtern. ine weltgeichichtlihe Bewegung, wie der Islam war, fann zu ihrem Grundmotiv nicht den Betrug haben. Man gründet überhaupt nichts Großes und Trauerntes auf Lug und Trug. Sp auch Feine Religion. Erſt dann, wann der religiöie Gedanke fich zu verbunfeln anfängt, fucht und findet er in dem Betrug einen zweibentigen Helfer. Mohammed war ein Menfch von Ueberzeugung; fogar, wenn man will, ein Fanatifer war er, wie denn wahrhaft Bedeutendes eigentlich gar nie ohne einen gewiffen Grad von Fanatismus geleiftet wird.

Als fcharf beobachtender und die gewonnenen Anfhauungen denfend verarbeitender Mann hatte er auf feinen Meilen die Religtonen der Juden und Ehriften näher fennen gelernt. Was von feiner Befanntfchaft mit einem chriſtlichen Mönch, Namens Neftor, welcher ihn unterrichtet und ihm fein Pros phetenthum gemweiflagt haben foll, berichtet wird, hat einen zu Icgendenhaften Auſtrich, um fehr ind Gewicht zu fallen. Indeflen fegt fein Wiffen von Jũdi⸗ fhem und EChriftlichem einen Umgang mit gebildeten Juden und Ehriften um fo mehr voraus, ald er, der „ungelehrte Prophet, * wie nicht zu fchreiben jo auch nicht zu Iefen verfland und demnach auf mündliche Belehrung über die heiligen Schriften und Bräude der genannten beiden Religionen angewiefen war. Daß er unter den @inflüffen von tiefen beiden Seiten ber die Selbſt⸗ ftändigfeit feines Gedankens wahrte, zeugt für die Eigentbiimlichfeit feines Genius. Man bat da leicht fagen, nur die Eitelkeit habe ibn neben Tem Mofaismus und dem Chriftenthun eine dritte Religion fliften laſſen. Diefe Unterftellung ift weiter Nichts als ein jüdiichschriftlihes Vorurtheil.

Daß der vage Sternendienft und der plumpe Fetiſchismus jeined Volkes inhaltslos und nichtig fei, Dad war Mohammedd Orundgedanfe.. Bon diefen Bunfte aus fann er auf Reform. Diejed Wort ift aber vielleiht ein übelgewähltes, weil unzulänglicyes. Denn wir leugnen entichteden, daf die Araber vor Mohammed unter den abgöttifhen Symbolen von Menichen- . und Thiergeftalten oder anderen Fetiſchen ein einiges höchſtes Weſen ver- ehrt haben. Das tfl Hier, wie überall, wo fpätere Betrachter ihre eigenen monotheiftiihen Anftchten den polytheiftiichen Völkern angedichtet haben, unwillfürlidh, wie wir zugeben. Mohammed fand in Arabien nur ein viel- götteriiches Bewußtfein vor und der Monotheismus, weldhen er an deſſen Stelle feßte, ift weientlich fein Werl. Er war jedoch weit entfernt, fi an⸗ maßlich als den erften Berfündiger der wahren religidjen Idee binzuftellen:

375

er gab fih nur für den Vollenver des Werfes von Adam, Noah, Abraham, Mofed und Jeſus 2). Er ließ Die hebräiſche Tradition gelten unt bis zu einem gewiffen Bunft auch die hriftlihe. Er verehrte in Moſes den Her⸗ fteller des Begriffes eines geiftigen, außerweltlidyen, einzigen Gottes. Er verehrte in Jeſus den großen Reformer des Judenthums, weldyer dieſes zum Humaneren fortzubilten und vom leeren Beremonienwefen zu reinigen unter« nommen hatte. Dennoch genügte ihm weber das Judenthum noch da Chriſtenthum. Jenes nicht, weil es die Reform durch Iefus- verworfen, dieſes nicht, weil ed Durch die VBergottung Jeſu den monotbeiftiihen Gotteds

begriff getrubt hatte. Er wollte alio ein Drittes: den moſaiſchen Grund⸗

gedanfen der Einheit, Alleinheit und Geiftigfeit Gottes, verbunden mit einer Religiondübung welche, entgegen dem jüdiichflarren Ceremoniendienſt, die humanen Elemente des Chriſtenthums zur Entwidlung bringen follte.

Hierin nun, ſcheint ung, liegt ver Kern des Islam, aber auch ſeine

Schwäche, Dir Schwäche, welche jedem Eflefticismud anflebt. Moham⸗ med hatte ohne Zweifel eine Ahnung von Ten bildenden und humanifirenden Elementen im Chriſtenthum, vermöge welcher diefes das Judenthum über- wand, weil er aber die chriftliche Idee einer Verföhnung von Gott und Menſch, Geiſt und Natur nicht zu faſſen verſtand, beraubte er feine Reli« gion ter Entwidlungsfähigkeit und ſetzte mit feinem. woſaiſch⸗ſtrengen Gottesbegriff zugleich eine Stabilität, weldye nothwendig zu der Ausſchließ⸗ lichkeit des Judentbhums zurücführte. Die Ereluflvität, die Intoleranz liegt, was auch ältefter und jüngfter Zelotismus fagen mag, nidt im Weſen des Chriſtenthums; wobl aber liegt fte im Weien des Islam und daher gereicht ed feinen Befennern um jo mehr zur Ehre, wenn fie trogdem vielfach eine größere Toleranz bewieien als die Ehriften 3).

2) Diele Fünfe gelten ven Moslemin als ächte und wahre Propheten des alleinigen Gottes vor Mohammed. Nach einer anteren Trabition fpannt fich freilich eine Kette von nicht weniger als 124,000 Bropheten.unt Anofteln von Acam bis zu Mohammed herab.

3) E86 ift ein großer auf Mohammed Haftender Mafel, daß er von an’änglicher Toleranz zur Intoleranz rüdwärts fchritt. Jener fchöne, Duldſamkeit athmende Vers

des Koran (Sura 5, B. 78): „Diejenigen, weiche glauben, Juten, Chriſten und

Sabäer, wer an Gott alaubt und an ten füngfien Tag und gute Werke übt, der hat Nichts zu fürchten und wird nicht betrübt“ murde fpäter förmlich widerrufen durch mebrere andere, insbelondere aber durch tiefen: „Wer einer andern Religion als dem Islam anhängt, ter fintet durch fie feine Aufnahme bei Bott und gehört in jener

Welt zu den_ Verdammten“ (S. 3, B. 84). Da haben wir ben befimmteften Ans

4.

Menn ein ungewöhnlicher Geift einmal zum Gefäß eines großen Ge⸗ dankend geworden iſt, jo läßt ihm Liefer weder Naft noch Ruhe mehr. Die beherrſchende Idee erfüllt das ganze Weien des Menſchen, pulftrt in jeder feiner Adern, vermiſcht fich mit allen ſeinen Vorſtellungen und verleiht ſei— nem ganzen Daſein einen erhöhten Schwung. Ein Enthuftasmus, der To den Menſchen in feinem Innerften aufrüttelt und fein Nervengeflecht in Schwingung verfegt, bringt leicht eine Eranfhafte Reizung mit ſich, die in phantaflevollen Naturen zu fomnambuliftifcher Efftafe id fteigert. So eine Natur war aber Mohammed und zudem, wie wir fchon Angedeuter haben, eine epileptiihe. Daraus, meinen wir, erklärt ed ſich, daß die ihn erfül- Iende Idee ihm zuleßt viſtonär gegenftänplidh wurde, daß er das, was er dachte und wollte, in himmliſchen Traumgeftchten zu erbliden glaubte. Die moslemiſche Tradition drüdt diefen pfychologiſchen Prozeß jo aus: Im vier- zinften Lebensjahre Mahonımeds erfähten ihm der Engel Gabriel ald Ueber⸗ Bringer der görtlihen Offenbarung und befahl ihm, dieſelbe als Propbet des hoͤchſten Gottes den Menſchen mitzutheilen )). So wurden dem Bropheten Me einzelnen Abſchnitte Des Koran dur den genannten Engel geoffenbart.

In den erflen drei Jahren nach feiner „Erleuchtung“ hat ſich Moham⸗ med nur feinen vertrauteften Breunden mitgetbeitt. Zuerſt der Chadidja, die ihm nicht nur Braun, ſondern auch inniufte Breuntin war. Chadidja empfing die Mittheilumg mit Begeifterung , beieitigte Die Zweifel ihres Gats ten, beftärkte ihn in feinem Vorhaben und ward feine erfte und eifrigfte Jüngerin. Durd ihre Mitwirkung ward der erfte Pleine Kreid von Beken⸗ nern des Idlam gewonnen, Abu Bekr und Othman, die nachherigen Cha⸗ lifen, Mohammeds Sklave Zeid und fein junger Vetter Ali, „der Löwe Sotted *, ferner Abdurrabman, Saad, Talha und Zubeir. Die Eleine Ge— meinde verfammelte fich im Geheimen zu Gebet und Betrachtung und ver⸗ ſtaͤrkte ſich zwar allmälig, namentlid durch den Beitritt von Frauen, hatte

ſpruch auf Alleinſeligmacherei. Freilich gibt es eine Tradition, weldyer zufolge gerade die 8. Sure tes Koran, in welcher tolerantere Meußerungen vorkommen , die zuletzt durch den Propheten feinen Anhängern miigetheilte wäre. Dies bewirfe, daß Mohammed am Ende feines Lebens wieder duldfamer geffimmt gewefen ſei. Moͤglich, daß dem fo war; aber in dem kriegeriſchen Tumult, ven der Islam nach des Propheten Tod erhob, verhallte bieſe Mahnung zu. Dulpfamkeit.

1) Die Schhilderung der Bifionen I. bei Weil, S. 42 fa.

aber bald auch Hohn, Waberſtaad und Verfolgung ja befahren Virke Wiperwärtigfeiten wuchſen, ald Mohammed nach eitiiger Zeit Offemekich in der Kaabah jeine Lehre zu verfüntigen begannen hatte. Mngeſehenſte Maͤu⸗

ner des Stammes Koreiſch, ja aus der Reihe ferner nächſten Berwandten

traten gegen den Propheten auf, und wie das in ähnkichen Fällen auch anderwaͤrts geſchah, forderten die Widerſacher vor alten Dingen, er möge Much Wander den Wahrheitsbewris für ſeine Sendung führen. Da gab er denn, wie eiaft auch Zarathuſtra in ſolcher Rage gethan haben ſoll ®}, wiederholt die Antwort, er ſei nicht neinndt, Wunber zu thun, fondera nur, den Menichen das ihm von Bott geoffenbarte Buch zu bringen, deſſen Ins bat Wunders genug ſei. Ä

Die Koreiſchiten jedoch jahen die Sache anders an. WimestGeils von dem Standpunkt aus, welchen die Mittelmäßigkeit bem Genius gegrnüber einzunehmen pflegt, anderntheils unter dem Geſichrepunkt ihres Intereſſeb als Huͤter der Kaabah, welches fie durch die nent Lihre geführben glaubten. Endlich mag zur Ungunſt, welche Mahommed erfuhr, auch ber Umſtand mitgewirkt haben, daß er nicht mehr reich war. Cinem Reichen pftegen iu die Menſchen Alles zu verzeihen, nie aber einem Armen Geiſtesgröße und Seelenhoheit. Indeſſen vergrößerte ſich doch allmälig die moslemiſche Ges meinde und zuweilen erlebte der Prophet die Freude, einen heftigſton We derſacher zu befebren. So den Omar, einen der angefehenften Männer 06 Stammes Koreiſch, ſpäter als zweiter Chalif eine der Grundfäulen des Jolam. Solchem Gewinn hielt ein großer Verluſt die Waage, der Tod Chadidja's. Kines Erſatzes bedürftig,, fuchte denjelben der Prophet, in dem Verlöbniß mit Aiſcha, der. ichönen, klugen und räͤnkevollen Tochter Abu Welrs; aber Aiſcha war feine Chadidja und fo bat fich denn Mohammed von pet an den Fordernugen feined glübenden Zemprraments im Umgang mit den Frauen ruͤckhaltslos Hingegeben. Er, der in jungen Jahren der alternden Chadibja, übereinftimmenden Zeugniffen zufolge, die Treue gehalten, war im alten Tagen Befiger eined Harems von Brauen und. Kebfinuen.

5.

In diefer Beit unabtäfflger Aufregung, 100 von einem Tag zum andern ber Erfolg mit der Verfolgung und umgekehrt wechſelte, icheint das viſto⸗

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2) Vgl. Thl. I, ©. 166.

·2

378

näre Element in Mohammed ganı aufrrorbentlih mächtig geworden zu fein. Berzudung folgte auf Berzüdung, Erideinung auf Erſcheinung. Wenigſtens fegt Die mos lemiſche Tradition in dieſe Periode eine Fülle von Viſionen und Öffenbarungen, welche Dem Bropheten wurten. Da werden und Rüffe zugeworfen,, die freilich nur etwa Der &laube Fnaden kann. Das berühm- tefle dieſer Geſichte iſt Mohammeds Nachtreiſe von Mekka nach Ieruialem und von da durch die ſieben Himmel!). Aber „der Prophet gilt Nichts in jeinem Heimarlande*. Dem Koreiſchiten genägten Diele Traummunder nicht, oder vielmehr war es zwiſchen ihnen und Mohammed ſchon fo weit gefom- wen, daß eine Katafleophe unausweihlihd war. Mehrmals ſchon Hatte er vor feinen Feinden aus Mekka weichen und mit jeinen Anhängern in der Wüfte, in Höhlen und Schluchten Zuflucht ſuchen müſſen. Immer zwar war er wieder in die Baterflatt zurüdgefehrt, aber jegt mehrten fi die Anzeichen, daß die Koreifchiten zum Aeußerſten zu fchreiten ſich entfchloflen hatten, um des Menfchen ledig zu werden, den fie nur für einen eingebil- deten Störenfried anfahen, welcher die Frechheit hatte, fle aus ihrem behag⸗ lihen Schlendrian aufzurütteln. Inwieweit fle das belichte Moment der

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1) Das if allerdings eine Offenbarung, naͤmlich eine glaͤnzendſte der arabiſchen Bhantafle. Mohammed machte die Reife auf dem Wunderroß A Boraf (der Blitz), welches ihm der Engel Gabriel zu diefem Zwecke zuführte. Das Roß hatte, wie menſch⸗ liche Sprache , fo auch ein menſchliches Seficht, aber die Backen eines Pferdes; feine Augen waren wie Hyazinthen und funfelten wie Sterne; feine ganze Geſtalt firalte von GErelfleinen und feine Arlerflügel glänsten wie Sonnenftralen. Im fiebenten und hoͤchſten Himmel wurde der Prophet von Abrakam empfangen. Diele Wohnung der Seligen it aber von fo überfchwänglicher Herrlichkeit, daß feine Menichenzunge fie be: ſchreiben kann. Was aber von einem der feligen Bewohner gefagt wird, reicht hin, eine Vorſtellung von den übrigen zu geben. Nämlich fo ein Infaß des fiebenten Him⸗

mels übertrifft an Größe die ganze Erde; er befigt 70,000 Köpfe, jeder diefer Köpfe

aber wiederum 70,000 Munde, jeter dieier Munde 70,000 Zungen und jede dieſer Zungen fingt in 70,000 verfchiedenen Sprachen unabtäffig das Lob tes Höchſten. Sehr wunderbar ift auch der zur Rechten von Allah's unfihtbarem Thron ftehende Lo⸗ tosbaum Sidrat. Jedes Samenforn feiner Früchte umfchließt eine Houri, d. 5. eine jener ewigen Himmelsjungfrauen, welche zur ®lüdicligfeit der wahren Gläubigen bes fimmt find. Nachdem Mohammed getanfenfchnell noch einen ungeheuren Raum vol blendenden Lichtes und tieffler Finſterniß dDurcheilt Hatte, fah er fich zwei Bogens fhüfle weit von Allah’ Gegenwart entfernt. Aber das Antlig Gottes war mit 20,000 Schleiern bedeckt, denn der Anblick deſſelben müßte jeden Menfchen auf der Stelle vernichten.

379.

„Meligionägefahr* gegen die Neuerer wirkfam machten, ift nicht ganz klar. Es wird aber wohl auch Hier bedeutend mitgelpielt haben.

Mohammed hielt der Gefahr bis zum Aeußerſten Stand. Er fühlte, wie wichtig e8 war, gerade. von Mekka aus feine Lehre Vorfchritte machen zu laflen. Und fie hatte auch wirklich fchon beträchtliche gemacht. Die für die Folge widhtigften in der Stadt Medina, wohin fie durch, Wallfahrer gebracht worden, denen fie der Prophet auf einem Hügel bei Mekka gepredigt hatte. Nach Medina richteten fich daher die Blicke Mohammeds, ala feine und feiner Befenner Stellung in Mekka unhaltbar geworden. Die moslemiſche Ges meinde ſiedelte nach Medina über, doch blich der Prophet ſelbſt mit Abu Bekr und Ali in Mekka zurück, bid er feine Stunde, feine Minute mehr vor dem Mortfiahl der Koreifihiten fiher war. Schon hatten die Meucelmörter näcdhtlicher Weile Mohammeds Haus umzingelt, da erfl entwich er vor ihnen, mit Anwendung ächtbeduiniſcher Lift 2), Er entfam mit Abu Bekr nach mancherlei Faͤhrlichkeiten glücklich nach Medina, wo er mit Jubel em⸗ pfangen wurde und wo ſich bald alle jeine Anhänger um ihn fammelten. Bon diejer Hidjrah (Flucht) des Propheten im I. 622 n. Chr. datirt die modlemifche Zeitrechnung.

6.

Nun verbindet fih in Mohammed mit dem Amt des Bropheten. das des Kriegerd und Zürften. Aeußerlich zwar blich feine Fürſtlichkeit vorerft noch von jehr beduinifcher Einfachheit, wie die Hochzeit feiner geliebten Torhter Fatima mit dem treuen Ali darthut, welche lange nad der Ueberſited⸗ lung nach Medina flattgefunden zu haben ſcheint 1). Weußerlicher Glanz gab aber damals feinen Maaßſtab für arabiſche Macht. Beweis hierfür iſt, dag Mohammed, trotz feines aͤrmlichen Haushalts, bald im Stande war,

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2) Alt legte fich, mit Mohammeds Kleidern angethan, fo im Haufe nieder, daß ihn die lauernden Koreifchiten von außen fehen fonnten. Sie hielten -ikn für Mo⸗ hammed und glaubten daher, es jei überflüfftg, die übrigen Theile des Haufes zu bes wachen. So gelang es dem Propheten, auf der entgegengelegten Seite unbemerft über die Mauer hinunterzufteigen.

1) Die ganze Ausfteuer des Paares beftand aus zwei Nöden, zwei fllbernen Armbändern, einem Becher, einer Handmuͤhle, zwei Waflergefäßen , einem Trinffruge und einem ganz armfeligen Bette. Der Hochzeitsſchmaus war auch patriarchaliſch genug; er beſchraͤnkte ſich nämlich auf eine Echüffel voll Datteln und Dliven.

380;

ale Heeresflerſt feiner Behre mit Tem Schwerte Nachdruck an geber. Er hielt hiebei an dem richtigen Gedanken feſt, daß der Gewinn Metka's für feine Gache entſcheidend ſein mäßre, und fo ſehen wir dan Team vun Medina aus angriffoweiſe gegen bie Koreiſchiten vorgehen, nachdem er ben Krieg genen die Ungläubtgen fürmlich als vin Gebot Gottes procamirt hatte. Seinen erfin Sieg gegen die Kodetſchiten gewann er bei Vedr. Inteflen wären die genenfeitigen Kriegsfahrten vorerſt meiſt nur beduinifche Raubzuͤge, Razzin’s Im altnationaten Styl, und lange ſchwankte die Entfcheidung. Eine erſte Bereunung Mekka's mißlang, aber anderwärts gewann der Prophet Terrain; allmälig fo viel, Laß die moraliſche Ruͤckwirkung auf die Korriichi⸗ ten nicht ausblieb. Mehrere Häuptlinge Terjelden anerkannten ten Pro⸗ pheten, fo 3. B. der gefürchtete Khaled, der ſtch ipäter den Titel Schwert Gottes“ erward. Endlich, zu Ende des Jahres 629, war Mohammed im ‚Stande, mit eimen Heer von zehntauſend Streitern vor Mekla zu rüden, une nach furzer Belagerung zog er im Jannar 630 als Sieger in die heilige Stadt ein. Die verſtockteſten Koreifchiten vrrfielen wem Tode, ſonſt aber ließ Der Steger eine Auge Mäßigung walten. Die Kaabah wurde, nade= dem die Gögenbilder zerichlagen worden, zum Haupttempel des Islam geweiht.

Gerade aber die Reinigung des Nationalbeiligthums von den Spuren der Stololatrie brachte unter ſolchen arabiſchen Stänımen, welthe noch an der alten Religion fefthielten,, eine große Gonföderatien zumege, deren Made Mohamined durch die im Februar 636 im Thale bei Honain gefchlageme Schlacht brach. Bon da an gebot er uͤber Arabien und konnte feine Waffen bereits aach Syrien tragen, gegen den Kailer von Byzanz Doch war dies nur ein erfier Anlauf des Yalam anf ter Bahn der Ersderung. Der Pro⸗ phet mo@te fühlen, daß zunaͤchſt in Atabirn felbft nach genug zu thun fei, um baflelbe auf dem Fuß der neuen Lehre zu organiftren. Das that er denn auch) von Medina aus, weldhe Stadt er mit Recht fehr lichgewonnen hatte. Im zehnten Jahre der Hidjrah machte ex noch eine Wallfahrt nad Mekka, welche durch Zahl und Glanz ſeines Sefolged und durtch Die allgemeine Ber- ehrung, die ihn dabet entgegenkam, zu einem wahren Triumphzug feines Propherenthums wurde. Nad Medina zurückgekehrt, erkrankte er, nachdem er ſchon auf der Reiſe den Gefährten feine Ahnung vom Nahen des Todes⸗ | ongelö uisgetheilt und aud bei Liefer Gelegenheit wieder, wie öfter ſchon Berfuchen, feine Perſon zu vergottea, gegemüber, alles Grnftes betont Hatte,

381

er ſei ein Menſch wie andere. Seine ſtrankheit nahm zu, obgleich ex Fah, Die Gemeinde im Glauben zu Härten, no täglich im Die Moſchre fchlenpte und ypredigte. Die Nachrichten über feine Lehten Lebendtage weichen ſehr won einander ab und fo iſt auch nicht mit völliger Sicherheit ausgemittelt, ob her 7. oder B. Juni des Jahres 632 fein Todestag it 3). Kiniges über feinen Ausgang ficht jedoch Feft. In feiner Leuten äffentlichen Rede ſprach er au der befiuumenten Gemeinde unter Anderem: „Ich hörte, der Kan eures Bropheren erflille euch mit Schredden. her bat ie ein Prophet vor mir ewig gelebt, daß Ihr glauben Fünntet, ich würde mic nie von ech Inennem ? Ich wankere Zegt zu meinem Herrn, euch aber ermahne id) gu gegenſeitiger Eintracht.“ Auf Dem Stevbrlager ſcheufte ex feinen Gflnuen hie Freihnit und befahl, alle Beld, was in feiner Kafle ſai es mar wenig gemag, fecha bis fieben Denare an die Urmen zu vertheilen. Wepor er bad Me⸗ mußtfein verlor, hat er gebeket: „Gott fiche mir hei im Tohesfamapfe ! * Dann iſt er in den Arsen der Mifcha perſchieden mit hen Warten: „Bm Kam höchſten Befährten im Raradiefſe!“ An der Stelle, mn fein Krembenleger geſtauden, wurde ihm fein Grab gegraben, jeht das Ziol der Wilgenfahrt von Millionen 3).

7,

-Sür einen wahrkakt Berufenen und Begeifterten wird den Saifter des Yalanı Seder anfehen, der unbefangen as ihn heramiriet. Immer hilicken amd der mizatulofen Berzerrung ſeines Bibdes durch die legendenſüchtige Kyrdition menſchlich edle Züge. Gr ſelbſt, wir wiederholen es, trat jedem Bergettungs⸗ verſuch entgegen. Als ein Meubeschrter ihn fragte: „Bft du Gottes Sohn?” gab er zer Antwort: „Wort bat feinem Sohn; er wand nicht gezeugt und zeugt nicht.“

Die arabifche Myrhonſucht Hat natürlich fid) beeilt, audy Die harperliche Erſcheinung Mohammeds mit dem Nimbus des Wunderbaren zu umgeben 1).

2) Die meiſten moelemiſchen Lebenobeſchreiber Mahammeds geben den Monag, den 438. Tag des Rabia⸗l⸗Awwal don 14 Bahare der Hidjwah an.

8) Wir fommen unten m A. Rap. darauf zusüd.

1) Er konnte von hinten fo gut fehen wie vom vornen, denn ex hatte zudidgen den Schultern zwei Augın, fo Heim wie Nadelöhre, womit er Dusch Me Kleider ſah. Kaein Speichel konnte das Seemaſſer verſiͤißen. aim Schweißtronien glichen Beten , fie wurden als Aroma gebraucht, u. dgl. m.

R

382 Wiſchen wir dieſen Nebel von ſeinem Bilde, ſo bleibt immerhin noch eine ſtattliche Perſonlichkeit übrig. Mittlerer Statur, Hatte er einen wohlgeform⸗

ten Kopf, ein rundes, rothwangiges flarfbebartete® Befiht, eine lange '

ſchmale Nafe, eine hohe Stirne, große fhwarze Augen. Obwohl, wie wir gemeldet, oft die Beute einer ſchrecklichen Krankheit, war er auödauernd im Ertragen von Hunger und Durft, Hige, Froſt und Strapazen aller Art, ein kühner Reiter, perfönlich tapfer, ein ſcharfblickender Anführer, umſichtiger Volitifer. Dabei im Benehmen von mildem Ernft, im Umgang von an« muthiger Leusfeligkeit, in feinen Blanen und deren Durchführung von tiefer und umfaflender Menſchenkenntniß geleitet. Gewöhnlic, wortfarg, erhob er ib, wenn Drt und Stunde e8 forderte, zu einer unwiderftchlichen Berebt- ſamkeit, die in gewaltigen Worten die Unfchauungen feiner glühenden, von frühauf mit den Erzeugniſſen der Volkspoeſte feines Rantes genährten Ein⸗ bildungskraft außftrömte. Daß Liebe zu den Menſchen der Grundzug feines Charakters war, mögen nur Solche bezweifeln, welde nicht willen oter nicht wiffen wollen, daß er fidh jelbft die größte Frugalität der Lebensart aufer- legte, um dem rafllojen Hange zum Wohlthun nachleben zu fünnen, der ihn befeelte und fid immer in anſpruchloſeſter Form, oft fogar humoriſtiſch äußerte2). Er liebte überhaupt einen harmlofen Scherz und zeigte fidh den Menſchen ftets fo zugänglich und nachſichtig, wie er fi den Thieren mit⸗ leidsvoll erwies. Nur nah einer Richtung Hin, im Umgang mit den Weibern, hat er, wenigſtens nach abendländifchen Begriffen, die Schranfen der Maͤßigung durchbrochen. Weihrauchdüfte und eines Weibes Umarmun⸗ gen, batergefagt, entflanmten mehr als alled Andere feine Andacht im Gebet. Es mag fo fein. Er konnte auch, abgejehen von den hergebrachten Liebeöbräuchen im Orient und von der altarabiichen Sitte der Vielweiberei, auf fein ganz außergewöhnlich feuriges Naturell, auf feine faft märcenhafte Lendenfraft fih berufen). Und wenigflend war er fein geheimer Wollüfling. Er

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2) Als ihn einft einealte Frau bat, er möchte doch für fie beten, daß fie ins Pas radies füme, verfegte er: „Es kommt feine alte Frau ins Paradies.” Da aber hier: über die Alte in Thränen ausbrach, tröftete er fie, unter Berweifung auf den 38. Vers ber 86. Sura des Korans, damit, daß Gott im Paradiefe die alten Weiber wieder zu Sungfrauen umgeftalte. Uebrigens iſt die angegogene Stelle und mehr noch eine weitere, Sura 33, Bers 37, 28, 34, ein fchlagender Beweis gegen die irrige Meinung, der Jolam ſpreche den rauen die Seele und die Unfterblidyteit ab.

3) Er that au fo. Wenigſtens berichtet Petrus Pafchaftus bei Maracci (Pro- dromus Alcoran, IV, 8585) nad) arabifchen Quellen: Sibi rober ad generationem

383

barg die Befriedigung glühender Triebe nicht hinter der Maske der Gleis

nerei. Ueberhaupt war in diefem großen Manne, welder eine der größten Mevolutionen der Weltgeſchichte gemadıt, etwas Offenes, Ehrliches, Biede⸗ res, jo gar nichts Muckerhaftes, und da er in feltenflem Maaße Genie und Einfachheit, Herzensgüte und Ihatfraft vereinigte, fo durfte ihn Carlyle wohl einen urjprünglichen Wenichen nennen und in der Garlyle’ ſchen hohen Bedeutung des Wortes einen Helden u

quantum triginta viri habent inesse jactaret, ita ut unica hora posset undecim femi- nis satisfacere. Nach Abulfeta (de vitaM. p. 140) äußerte fih Ali, als er den Leich- nam des Propheten wuſch, noch viel erprefflver, fehr naiv bewunderungsvell.

A) Cariyle fchließt Seine bereits oben eitirte Charakteriſtik Mohammeds mit den Worten: „Für die arabifche Nation war es Mohammeds Auftreten wie eine Geburt aus der Finſterniß zum Licht. Arabien wurde erfi mit Hülfe deſſelben leben⸗ dig. Bin armes Hirtenvolf, unbemerkt feit der Schöpfung der Welt in feinen Wuͤſten umherziehend: da ward ihnen ein Heldenprophet herniedergefandt mit einem Worte, das fie glauben Eonnten, und fiehe da, das Unbemerfte ward weltbefannt, das Kleine ift weltgeoß geworden. Innerhalb eines Jahrhunderts darauf reicht Arabien mit einer Hand nad) Granada, mit der andern nad) Delhi. Stralend in Tapferkeit und Herr: lichfeit und hellleuchtentem Genius, glänzt Arabien lange Jahrhunderte über einen großen Theil der Welt. Glaube ift groß, befeelend. Die Geſchichte eines Volkes wird fruchtbar, geifterhebenp, gruß, fobalo es glatıbt. Diele Araber, der Mann Moham- med und das Bine Jahrhundert, iſt es nicht, wie wenn ein Funke gefallen wäre, Gin

Bunfe, auf eine Welt von dem, was fhwarzer, unmerfbarer Sand fchien? Der Sand erweift fich als entzünpliches Pulver, lodert himmelhoch von Delhi bis Granada! Ich \

fage, der große Menich iſt immer wie ein Blitz vom Himmel; die übrigen Menfchen warten aufihn gleih Brennftoff und dann flammen auch fie auf.” Fr. Kolb in feiner Abhandlung über den Islam (Staatsler. v. Rotteck und Welder, 2. A. VII, 383) Außert: „Am wahrfcheinlichften däucht uns, daß (in Mohammed) drei verfchiedene Momente wirkten: Streben nach einem tem Bolfe Gluͤck verheißenden Ziele, eigene Schwärmerei und felbfifüchtige Zwede.” Zugegeben, biefes ſtrenge Urtheil ließe fich in allen Theilen rechtfertigen, müßte man dann nicht fagen, ungefähr das nämliche Urtheil könnte über alle Religionsſtifter, wie über alle weitgefchichtlichen Charaktere überhaupt, gefällt werden? Ganz fo, wie hier ein Ehrift über Mohammed, Außerten fih Heiden und Juden über Chriſtus. Vom Standpunkt des berühmten Buches De wribus impostoribus aus fann man noch weiter gehen und fagen: alle Religionofliftung iſt nur ein felbftfüchtiger Betrug. Ob aber diefer Standpuntt der hiſtoriſchen Betrachtung ſtandhaͤlt, ift eine andere Frage. Gelegentlich weile ich bier noch den oft gehörten Vor⸗ wurf zurüd, Mohammer habe tie Ausbreitung des Jslam vermittelt des Schweries beiohlen. Ja wohl, aber wo hat es denn je eine weltgefchichtliche Revolution geges ben, bei welcher nicht das Schwert in erſter oder lepter Kinie mitwirfte? Ic meine,

. 8.

Die Heilige Meligionturtunde der Mohammeraner ift bekauntlich der Koran. . Dead Wort bedeutet „das Bud“ !) oder „Die Schrift “, alio ganz bafielbe, wad „Bibel*. Dieſe Bibel des Islam iſt in ihren einzelnen Thei⸗ len des Werk Mohemmeds, aber nicht als Ganzes, d. h. der Prophet hat den Juhalt Rischweife und zu nerichiebenen Zeiten feinen Anhängern mit getheilt, aber die Zulaumeenfellung rührt nicht von ihm felber her. Er hat nicht einmal die Sammlung befohlen. Einzelne Stüde hat er, wie es fcheint, diefem oder jenem diktirt; wenigften® befanden fich hei feinem Tode Koran- fragmente, auf Pergament, auf Leder, auf Balmblätter gefchrieben, in ner ſchiedenen Händen. Undere waren darch Audere vermittelt Aufwendiglen⸗ and vufbewahrt worden. Da Mh aber fihen unter Mohammeds näcftem Rahfolger ‚Abu Bekr, die Nothwendigfeit, die heiligen Docımmente zu fam- meln, fühlbar madıte, fo beauftragte der Chalif den ehemaligen Geheim⸗ ſchreiber des Propheten, Zeid Ibn Thabit, mit diefer Arbeit. Schon un- ur dem Chaliſen Othman gingen jebach in dan Abſchriften des Koran jo wiele veviiedene Leſsarten um , daß Zeid eine nochmalige Redaction unten nehmen mußte. Diejer wurde dann canoniſches Anfeben zuerfannt. Oth⸗ man ſandte Abfchriften davon in alle bedeutenden Städte des Reiches und befahl zugleich, alle früheren zu vesbzeunen. Es iſt ſelhſtverſaͤndlich, daß Dem fremmen Glauben ter Mohammedauer ter Inhalt ihrer Bibel, wiie don glaͤubigen Juden und Eheiflen der Inhalt der ihrigen als unmittelbaze göttliche Offendarung gilt. Die Urſchrift des Koran, fagt der orthutore Moslem, ift von Urkeginn an im fichenten Himmel vorhanden geweien.

Der Koran, mie er ungs jetzt vorliegt, if befauntlih in 114 Suren (Abichnitte) eingesheikt, devan jede wieder in eine guößere ober Sheineue An⸗ zahl von Sägen oder Berfen zerfälli. Man theilt diefe Suren au ein in ſolche, welche während des Propheten Aufenthalts in Meffa, und in jolche, welche während feines Aufenthalts in Medina geofienbart wurden, in mekkaiſche und mebinenflirhe Suren alio. Es harrſcht aber in Dem Bu in Bezichung auf Eintkeilung und Zeitbeftimmung rin gesßer Wirnwarx wa der Medaetor deſſelben ift offenbar fo willtürlich verfahren, wie e8 eben ber

m Ehrißmmihem AR, twenigfene was die Praxis angeht, durchaus nicht berechtigt, vom Jolam feine Belehrungsart zum Borwurf zu mahen.

1) Daher heißt der Aoran auch ſchlechtweg Al Kitah (dad Buch, die Schrift, eigtl kLeſen oder das zu Leſende).

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DE

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Bufull wollte. Einige der Suren find von uwerhaͤltuißmuͤßiget voͤnge, an⸗

- Bere befichen nur aus ein paar Sägen. Jede Sura führt einen eigenen, son

einem in tr vorkommenden Stichwort oder Bild hergenommenen Titel, ber of barock lautet („die Aub”, „ber Elephant“, „der Bucflabe Kaft,., &x machte ein zorniges Geht“ u. aäͤ. m.). Dis Bolumen Des Koran erreicht nicht die Hälfte Dde8 Umfangs ber. Bibel. Den Styl des Koran angehen, Wer in einer Urt poetiſcher Profa geichrichen, die Häufig am Ende ber Zei⸗ Ton veimt. Die rhyrhmifſche Proſa, wie fte ſteis Klingt, wenn fie ſich erft.auß Ber gebundenen Redeweiſe berawszubißsen angefangen Bat, gab num ein wib⸗ Üged Gefäß für die Biflonen, Ermahnungen, Drohungen und Vorſchrifton des Propheten ab. Nicht felten fpricht er als wahrer Dichter, noch öfter ber ale Rhetor. Sehr oft Freilich iſt der Woran breit, ſchwülſtig verwon- vom von einer methobiihen Gliederung feiner Lehren, von einem fogi- ſchen Organismus iſt feine Spur in ihm viele Stellen jedoch beurkunden, dag ber Prophet, fortgerifien von dem Fruer feines Glaubens, für Anfchnuun⸗ gen voll glühender Bhantafle auch einen echt dichteriſchen, hinreißend mäch⸗ tigen Ausdrud gefunden. . Den börhften Schwung der Energie des Zornes erreicht der Koran, wo er die Schrecken des jüngfien- Berichte und die Qua⸗ ten der Hölle jchildert, die höchſte Anmuth und Seterlichkeit, wenn er die Belohnung der Seligen im Paradieſe befchreibt 2). Jener wunderbar naiv

epifche Zauber, welchen wir in dem biblifchen Buch der Genefld bewundern,

geht dem Koran gänzlich ab. Die biblifhen Gefhichten von Abraham bis | CHriftus werden zwar in unendlihen Wiederholungen aufgetiicht, aber mit wunderlihem Märchenkram verbollhornt. Bid zum Meberbruffe ehrt die Schöpfungdgeichichte wieder und jpielt dabei der Teufel (I5lid) eine große Rolle. Ebenſo unleidlih oft müflen wir den Aufruf zum heiligen Kampfe mitanhören. Den ganzen Koran in einem Zuge durdhzufefen, tft eine der ermüdendften Lejearbeiten, die e8 geben Tamm).

2) Wir werden Gelegenheit haben, Proben aus dem Koran zu geben. Dieaußer: ordentliche Wirkung, welche derſelbe auf die Araber machte, foll durch die befannte | Geſchichte von der Belehrung des gefeterten Dichters Lebid eviwiefen werben. Lebid hatte fi geweigert, an Mohammeds Sendimg zu glauben; als er aber die Verſe 17 | uud 18 der 2. Sura vernahm, riß er befhämt feine an der Kaabah aufgehangene Moallaka herab und brkannte ich zum Jolam.

3) Ich kann mid) felbft durch eine fo große Autorität, wie die Hammers if, nid; zu einem andern Urtheil uͤber ven literariſchen Werth des. Korans, al6 das oben ge- gebene ift, beftimmen laffen. Hammer nemmt (Bundgr. d. Orients, I, 35) ven Komm

Schere, Geſch. d. Religion. I. 25

Der Koran, Te, wie er nun einmal if, gibt die canoniſche Norm für Dad religiöſe, ſoziale und politiſche Leben ber Belenner des Pro— pheten. Er lehrt den Islam, wie Mohammed feine Meligion nannte, d. 5. die Ergebenheit, bie abfolute Unterwerfung unter das Schickſal, als den Willen Gottes). Er flatuirt die Unzertrennlichkeit des religiöſen und des bürgerliden Geſezes und demnach auch die Vereinigung der höchſten geiſtlichen und weltlichen Macht in einer und derfelben Hand. Sein In- halt iſt alio zugleich Dogmatik, Ritualgeieg, Sitten- und Rechtslehre. Nach diefen drei Seiten bin werden wir ihn auch einer Betrachtung unterziehen, fobald wir Hier, wa® das Dogma betrifit, ichon oben Angedeutetes noch ein- mal betont haben: naͤmlich, dad Mohammed feine Lehre nicht ale etwas unbedingt Originale gab. Es wäre died auch ein jehr eitled Linterfangen gewefen. Die Hauptquelle des Islam iſt ganz augenſcheinlich ber Hebrais⸗ muß, aber fie bat fich mit fehr bedeutenden Zuflüffen aus der. altperftichen und der chriſtlichen Religion vermifht. Auch ift, namentlich in den mosle⸗ miſchen Religionsbräuchen, einiges Altarabiſch⸗Heidniſche zurüdgeblieben.

Der dogmatifche, rituelle und rechtliche Inhalt des Koran beſtimmt alſo den Inhalt der drei zunachfi folgenden Kapitel).

Drittes Kapitel.

Das moßlemifhe Dogma.

1.

Das Dafein Gottes, d. h. der Glaube daran, ift Grunddogma jeder Religion. Der Menſch glaubt, es fei ein Weſen über ihm, er verehrt,

das Muſterwerk arabifcher Dichtfunft. Weil dagegen (d. poet. Lit. d. Araber, S. 60) zuerkennt dem Koran nur „vollendete Rhetorik.“ Nach meinem Gefühl kommt an aͤchter Poefle Nichts im Koran den altarabifchen Gefängen eines Schanfara, Ans tara und Amrilkais gleich.

4) Islam fommt von der Wurzel Selame, Unterwerfung, Hingebung. Gin Mos- lem ift alfo ein fi Hingebender (an Bott), ein Glaubender.

5) Die moslemifche Theologie bezeichnet die Dogmenlehre, die Cultlehre und die MRechtslehre mit den Ausdrücken Usul ed-din, Feru' ed-din, ’Jime fikh.

387

fürchtet, Tiebt dafjelbe, erwartet von ihm Hülfe in diefem, Seligfeit in einem- zufünftigen Xeben. Die Idee des Dafeind der Gottheit ift alfo der Punkt, von welchem alle Dogmatik audzugehen bat. Auch die moslemifche; nur will fie es nicht Wort haben, fofern fle fagt, das Dafein Gottes ei eine fo bedingungsiofe Vorausfegung, die Borftellung davon fei jedem Menfchen fo eingeboren, daß ed nicht nur rein überfluͤſſig, fondern jogar fündhaft wäre, nod davon zu fprecdhen, Diefen ureingeborenen Begriff die Menfchen erft Ich» ren zu wollen. Es ift, meint der Moslem, rein unmöglich, nicht zu wiffen oder gar zu bezweifeln, daß Gott if. Das Sein Gottes erft bemeifen zu ı wollen, wie es bie hriftliche Philofophie aller Zeiten mit fo großer Mühe waltung fich angelegen fein lieg, würde einem Modlem, wenn überhaupt | als begreiflich, jedenfalls als eine todeswärdige Ketzerei vorkommen. Die I moslemiſche Theologie fängt daher damit an, das Wefen Gottes zu bes flimmen. Hieran reiht fte die übrigen Grunddogmen des Islam und fo er» halten wir deren fünfe: 1) das Teuhid, die Einheit (und Eigenfchaften) Gottes; 2) das ’Edolet, die Gerechtigkeit Gottes (Prädeftination); 3) das Nebüwwet, da8 Prophetenthum; 4) dad Mi’od, das kuͤnftige Leben; 5) das Iınamet, die Erbfolge der Imame 1).

2,

„Kein Gott außer Gott!“ lautet dad Symbolum des Islam). Allah?) ift der eine, alleinwahre Bott. Er hat fein Weien in fich ſelbſt, genügt ſich felbft, tft weder gezeugt noch zeugt er. Er ift bad Centrum, in welchem ſich Alles vereint, er erfüllt mit der Unendlichkeit feines Weſens das Weltall, defjen Urheber und Regierer er iſt. Von Ewigkeit zu Ewigfeit iſt

1) In der Auffaflung einiger diefer Dogmen weichen die beiden großen Selten des Islam, die Sunniten und die Schiiten, von einander ab. Ich werde diefe dogmatifchen Unterfchiede, welche übrigens mehr aus einem politifchen als religiöfen Zwielpalt der genannten Sekten erwuchſen, einftweilen angeben. Der Urfprung des Zwiefpalts wird weiter unten im Kapitel berührt werden. Wo ich im Kolgenden Koranfiellen anführe, find diefelben entweder der Ullmann’fchen oder der Sams mer ’fchen Berdeutfchung entnommen, fo zwar, daß Eitate in ungebundener Mede ber erfteren, in gebundener der leßteren angehören.

4) Lo illahe illallah.

2) Zufammengezogen aus al und elah. Wie ſprachlich, To auch begrifflich ſtimmt dieſe Benennung Gottes Allah bedeutet der Verehrungswürbige, Grhabene mit

den hebräifchen Bezeichnungen der Gottheit (E), Eljon, Elohim) überein. 25 %

Ze 7

378

näre Element in Rohammed ganı anfirrorbentlich mächtig geworben zu fein. Verzückung folgte auf Berzüdung, Ericdeinung auf Erſcheinung. Wentaftens fegt die mos lemiſche Tradition in dieſe Periode eine Külle von Viſtonen und Offenbarungen, welde tem Propheten murten. Da werden und Nüfle zugeworfen, die freilich nur etiwa der Glaube Fnaden fann. Das berühm⸗ tefte diefer Geflchte it Mohammeds Nachtreife von Mekka nad Ieruialem und von da durch die fleben Himmel 1). Aber „der Prophet gilt Nichts in feinem Heimatlande*. Den Koreiſchiten genügten dieſe Traummunder nicht, oder vielmehr war es zwilchen ihnen und Mohammed ſchon fo weit gefom- men, daß eine Kataflrophe unausweihlih war. Mehrmals fhon hatte er vor feinen Beinden aus Meffa weichen und mit jeinen Anhängern in der Wüfte, in Höhlen und Schluchten Zuflucht fuchen müffen. Immer zwar war er wieder in die Vaterflatt zurüdgefehrt, aber jegt mehrten fich die Anzeichen, daß Die Koreiſchiten zum Aeußerſten zu fchreiten ftch entfchloffen hatten, um des Menfchen ledig zu werden, den fie nur für einen eingebil- deten Störenfried anſahen, welcher die Frechheit hatte, fie aus ihrem behag⸗ lichen Schlendrian aufzurütteln. Inwieweit fie das belichte Moment der

1) Das iſt allerdings eine Offenbarung, nämlich eine glaͤnzendſte der arabiſchen Phantafle. Mohammed machte die Reife auf dem Wunderroß A Boraf (der Blitz), welches ihm der Engel Gabriel zu diefem Zwecke zuführte. Das Roß hatte, wie menſch⸗ liche Sprache , fo auch ein menschliches Schicht, aber die Backen eines Pferdes; feine Augen waren wie Hyazinthen und funfelten wie Sterne; feine ganze Geftalt ftralte von Grelfteinen und feine Arlerflügel glänzen wie Sonnenftralen. Im fiebenten und hödften Himmel wurde der Prophet von Abrakam empfangen. Diele Wohnung der Seligen it aber von fo überfchwängficher Herrlichkeit, daß feine Menfchenzunge fie be: fhreiben fann. Was aber von einem der feligen Bewohner gefagt wird, reicht hin, eine Vorſtellung von den übrigen zu geben. Nämlich fo ein Infaß des flebenten Hims

mels übertrifft an Größe die ganze Erde; er befigt 70,000 Köpfe, jeder dieſer Köpfe

aber wiederum 70,000 Munde, jeder dieier Munde 70,000 Zungen und jede dieler Zungen fingt in 70,000 verfhhiedenen Sprachen unabläffig das Lob tes Hoͤchſten. Sehr wunderbar ift auch der zur Rechten von Allah's unfichtbarem Thron ftehende %o: tosbaum Sidrat. Jedes Samenforn feiner Brüchte umfchließt eine Houri, d. h. eine jener ewigen Himmelsjungfrauen, welche zur Sfüdicligfeit der wahren Gläubigen be⸗ ftimint find. Nachdem Mohammed getanfenfchnell noch einen ungeheuren Raum vol blendenden Lichtes und tiefer Yiufterniß Durcheilt hatte, fah er fich zwei Bogens fhüfle weit von Allah's Gegenwart entfernt. Aber das Antlig Gottes war mit

20,000 Schleiern bedeckt, denn der Anblick deſſelben müßte jeden Menſchen auf der

Stelle vernichten.

379. „Religionsgefahr“ gegen die Neuerer wirkfam machten, ift nicht ganz Elar. Es wird aber wohl aud Hier bedeutend mitgefpielt haben.

Mohammed hielt der Gefahr bi zum Aeußerſten Stand. Er fühlte, wie wichtig ed war, gerade. von Mekka aus feine Lehre Vorichritte machen zu laſſen. Und fie Hatte auch wirklich ſchon beträchtliche gemacht. Die für die Folge widhtigften in ver Stadt Medina, wohin fie durch Wallfahrer gebracht werden, denen fie der Prophet auf einem Hügel bei Mekka gepredigt hatte. Nach Medina richteten ſich daher die Blicke Mohammeds, ala feine und feiner Bekenner Stellung in Mekka unhaltbar geworden. Die moslemiſche Ge⸗ meinde fledelte nach Medina über, doch blich der Prophet ſelbſt mit Abu Bekr und Ali in Mekka zurüd, bis er feine Stunde, keine Minute mehr vor dem Mordftahl der Koreifchiten ficher war. Schon hatten die Meucelmörter nädhtlicher Weile Mohammeds Haus umzingelt, da erfl entwich er vor ihnen, mit Anwendung ächtbeduiniſcher Lift?) Er entkam mit Abu Bekr nach mancherlei Fäprlichkeiten glücklich nah Wetina, wo er mit Jubel em⸗ pfangen wurde und wo fih bald alle jeine Anhänger um ihn fammelten. Bon dieſer Hidirah (Flucht) des Propheten im I. 622 n. Chr. Datirt die moslemifche Zeitrechnung.

6.

Nun verbindet fih in Mohammed mit dem Amt des Propheten das ded Kriegerd und Bürften. Aeußerlich zwar blich feine Fürſtlichkeit vorerft nod von jehr beduinifcher Einfachheit, wie die Hochzeit feiner geliebten Tochter Fatima mit dem treuen Ali darthut, welche lange nach der Ueberſited⸗ lung nad Medina flattgefunden zu haben ſcheint 1). Aeußerlicher Glanz gab aber Damals feinen Maafftab für arabiihe Macht. Beweis hierfür tft, dag Mohammed, trog feines aͤrmlichen Haushalts, bald im Stande war,

3) Alt legte fih, mit Mohammeds Kleidern angethan, fo im Haufe nieder, daß ihn die lanernden Koreifchiten von außen fehen fonnten. Sie hielten ihn für Mos hammed und glaubten daher ,»e8 fei überflüfftg, die übrigen Theile des’ Haufes zu bes wachen. So gelang ed dem Propheten, auf der entgegengeleßten Seite unbemerkt über die Mauer Hinunterzufteigen.

1) Die ganze Ausfleuer des Paares befland aus zwei Möden, zwei filbernen Armbändern, einem Becher, einer Handmühle, zwei Waflergefäßen , einem Trinffruge und einem ganz armfeligen Bette. Der Hoczeitsihmaus war auch patriarchalifch genug; er befchräntte fich nämlich auf eine Echüflel voll Datteln und Dliven.

«als Hecrrofteſt feiner Beer mis tem Schuetie Reifen a irn. Gr hielt hiebei an tem richtigen Gedsaten feR, vaß der Grwinn Mekka’s für ieine Gate enfiseitent ſein weißer, ums io ichen wir ifn Tenn von Medina aus angılfidwriie gruen die Koreiſchiten vorgehhen, nabtem er Deu Rrieg genen Lie Unglänbigen formlib als ein Gebet Gottes yrociamirt hatte. Seinen erien Gieg gegen tie Roreiiddten gewanu er bei Der. Iutefien waren Die gegrmieitigen Aricgöfahrten vorerä mei nur betuinikbe Raubzäge, Kazia’s tm altnationelen Styl, und lange idywanfte Die Enıfhridung. Cine erſte Beremuung Wells’ mißlanz, aber anderwärtd gewann ter Bropket Zerrain; allmälig io viel, daß Die moraliſche Rüdwirkung auf vie Aorriichi- ten nit ausblieb. Mehrere Häuptlinge Terjelben auerlaunten ten Bro- vheten, fo 3. B. der gefürdtete Khaled, der ſich ipätır den Titel Sqhwert Gottes" erwarb. CEnptidy, zu Ende des Jahres 629, war Mohammed im Stande, mit einem Heer von zehntaufend Streitern vor Metla zu rüden, une nach furzer Belagerumg zog er im Ianuar 630 als Sieger in die heilige Start ein. Die verſtockteſten Koreiſchiten vwerfielen wem Tode, jonſt aber ließ der Sieger eine Auge Mäßigung walten. Die Kaabah wurde, nad dem die Bögenbilder zericlagen worten, zum Hampttenpel bed Iölam geweiht.

Gerade aber die Reinigung des Nationalbeiligthumd von den Spuren ver Itolelatrie brachte unter ſolchen arabiihen Stämmen, weldhe noch an der alten Religion fefihielten, eine große Confödrration zumege, deren Made Mohammed durch die im Februar 630 im Thale bei Honain geichlageme Schlacht brab. Bon da an gebot er über Arabien und konnte jeine Waffen bereits aach Syrien tragen, gegen den Kailer von Byzunz. Doc war dies nur ein erfier Anlauf des Jolam auf ter Bahn der Eroberung. Der Pro⸗ phet mochte fühlen, daß zunädk in Arabien ſelbſt nech genug zu thun fei, um daſſelbe auf dem Fuß der neuen Lehre zu organiftren. Das that er denn auch von Medina aus, welde Stadt er mit Recht fehr liebgewonnen hatte. Im zehnten Jahre der Hidjrah machte ex noch eine Wallfahrt nad Mekka, welche darch Zahl und Glanz feines Gefolges und durch die allgemeine Ber- ebrung, die ihm dabet entgegerrfam , gu einem wahren Triumphzug feines Prophetenthums wurde. Nach Medina zurüdgekehrt, erkrankte er, nachdem er ihon auf der Meile den Befährten feine Ahnung vom Nahen ded Todes- omgel& mitgetheilt und auch bei Liefer Gelegenheit wieder, wie öfter ſchon Verſuchen, feine Merſon zu vergeben, gegenüber, alles Gruſtes betont Hatte,

981

er fr ein Menſch wie anbere. Seine Arandheit nahm zu, obgleich er ih, Die Gemeinde im Glauben zu flärken, no täglich im die Moſchee fihlepnte und predigte Die Nachrichten über feine Leiten Lebendtage weichen ſehr son einamber ab und fo ift auch nicht mit völliger Sicherheit ausgemättelt, ob ber 7. ober 8. Juni des Jahres 632 fein Todestag iſt 2). Einiges üher feinen Ausgang fehst jedach feſt. In feiner Leuten öffentlichen Rede fvrach er zu der hefümmmenten Gemeinde unter Anderem: „Id hörte, Der Kan eures Bropberen erfillle euch mit Schredden. Aber bat je ein Prophet vor mir ewig. gelebt, daß ihr glauben Fünntet, ich würbe mic nie vom euch nennen ? Ich wankere Jet zu meinem Herrn, eu abar ermahne ich zu gegenſeitiger Eintracht.“ Auf dem Stevbrlager fchenfte ex feinen Gklanen hie Freiheit und Hefahl, alled Beld, was in feiner Kafle fei es mar wenig gem, fech8 bis ſieben Denare an bie Armen zu vertheilen. Vevor ar Das Me: mußtfein verlor, hat er gebetet: „Gott Aiche mir Hei im Todetfampfe!“ Damm tft er in den Armen der Mifcha verfibieden. mit Don Warten: „Im Kam höchſten Brfährten im Paradiefe!“ An der Stelle, mn fein Kranbenleger geſtauden, wurde ihm fein Grab gegzaben, jeßt das Biel der Wilgenfahrt yon Millionen 3).

7,

Für einen wahrhaft VBerufrnen und Begeifterten wird Zen Saifter bed Jalam Zeder anſehen, der unbefangen an ihn heramiritt. Inner baicken aus ber miratuloſen Verzerrung ſeines Bilbdes durch die legendenſüchtige Tyndition menſchlich edle Züge. Gr ſelbſt, wir wiederholen es, trat jedem Bergettungß- verſuch entgegen. Als oin Reubeẽehrter ihn fragte: „BER du Gottes Sohn?” gob er zur Antwort: „Wort hat Seinen Sohn; er ward nicht gezrugt and geugt nicht.“ |

Die arabiſche Mynhenſucht Hat natürlich ſich beeilt, auch Die härperliche Erſcheinung Mohammeds mit dem Nimbus des Wunderbaren zu umgeben 1).

2) Die meiſten moslemiichen Lebenobeſchreiber Rehammeds geben tn Monag, don 18. Tag des Rabia⸗l⸗Awwal des 14 Dahres der Hidjwah an.

8) Wir lommen unten im A. Any. darauf zus.

1) Er konnte von hinten fo gut fehen wie vom vornen, denn ex hatte zutſchen den Schultern zwei Augın, fo Mein wie Madelöhrs, womit er Dusch De Kleider (ah. Kein SEheichel konnte das Seemaſſer verfäßen. Gaime Euhweißtronien. glichen Peacken, fie wurden ale Aroma gebraucht, u. dal. m.

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Wiſchen wir diefen Rebel von feinem Bilde, fo bleibt immerhin noch eine ftattliche Berfönlichkeit übrig. Mittlerer Statur, hatte er einen wohlgeform- ten Kopf, ein runtes, rothwangiges flarfbebartetes Beficht, eine lange ' ſchmale Naſe, eine hohe Stirne, große ſchwarze Augen. Obwohl, wie wir gemeldet, oft die Beute einer ſchrecklichen Krankheit, war er auddauernd im Ertragen von Hunger und Durf, Hihe, Frof und Strapazen aller Art, ein fühner Reiter, perfönlich tapfer, ein ſcharfblicender Anführer, umſichtiger Volitifer. Dabei im Benehmen von milden Ernft, im Umgang von an- muthiger Leutfeligkeit, in feinen Blanen und deren Darchführung von tiefer und umfafiender Menihenfenntniß geleitet. Gewoͤhnlich wortfarg, erhob er fih, wenn Ort und Stunde es forderte, zu einer unwiderfichlichen Berebt- famfeit, die in gewaltigen Worten die Anfchauungen feiner glühenden, von frühauf mit den Erzeugniffen der Volköpoeſte feines Lantes genährten Ein⸗ biltungsfraft außftrömte. Daß Liebe zu den Menſchen der Grundzug feines Charakters war, mögen nur Solche bezweifeln, welde nicht wiflen oder nicht wiffen wollen, daß er ſich ſelbſt Die größte Frugalität der Lebensart aufer- legte, um dem rafllojen Hange zum Wohlthun nachleben zu können, der ihn befeelte und fih immer in aniprucdlofefter Korm, oft fogar humoriſtiſch äußerte2). Er liebte überhaupt einen harmlofen Scherz und zeigte fi den Menſchen ſtets fo zugänglid und nachfichtig, wie er fi den Thieren mit⸗ leidsvoll erwies. Nur nah einer Richtung Hin, im Umgang mit den Weibern, hat er, wenigftend nach abendländifchen Begriffen, die Schranken der Mäfigung durchbrochen. Weihrauchdüfte und eines Weibes Umarmun« gen, hat er gefagt, entflammten mehr ald alles Andere feine Andacht im Gebet. Es mag fo fein. Er fonnte auch, abgeichen von den hergebrachten Liebeöbräuchen im Orient und von der altarabiichen Sitte der Vielweiberei, auf fein ganz außergewöhnlich feuriged Naturell, auf feine faft märdenhafte Lendenkraft

nn

2) Als ihn einſt eins alte Frau bat, er moͤchte doch für ſie beten, daß ſie ins Pa⸗ radies kaͤme, verſetzte er: „Es kommt Feine alte Frau ins Paradies.“ Da aber hier⸗ uͤber die Alte in Thraͤnen ausbrach, troͤſtete er ſie, unter Verweiſung auf den 38. Vers der 36. Sura des Korans, damit, daß Gott im Paradieſe die alten Weiber wieder zu Jungfrauen umgeſtalte. Uebrigens iſt die angezogene Stelle und mehr noch eine weitere, Sura 33, Bers 27, 28, 34, ein Ichlagender Beweis gegen bie irrige Meinung ‚der Jolam ſpreche den Frauen die Seele und die Unfterblichkeit ab.

3) Er that auch fo. Wenigfens berichtet Petrus Paſchaſtus bei Maraeci (Pro- dromus Alcoran, IV, 585) nad) arabifchen Quellen: Sibi robar ad generationem

m 57 a unit 1 ——

383

barg die Befriedigung glühender Triebe nicht hinter der Maske der Gleis

nerei. Ueberhaupt war in diefem großen Wanne, welder eine der größten Mevolutionen der Weltgeichichte gemacht, etwas Offenes, Ehrliches, Biede⸗ res, jo gar nichts Muckerhaftes, und da er in feltenftem Maaße Genie und Einfachheit, Herzensgüte und Ihatfraft vereinigte, fo durfte ihn Carlyle wohl einen uriprünglichen Menſchen nennen und in der Garlyle’ichen hohen Bedeutung des Worted einen Helden‘).

nn

quantum triginta viri habent inesse jactaret, ita ut unica hora posset undecim ſemi- nis satisfacere. Nach Abulfeta (de vitaM. p. 140) äußerte ſich Ali, als er den Reich: nam des Propheten wuſch, noch viel expreffiver, fehr naiv beivunderungsvell.

4) Cariyle fchließt feine bereits oben citirte Charakteriſtik Mohammeds mit den Worten: „Für die arabilche Nation war es Mohammeds Auftreten wie eine Geburt aus der Finſterniß zum Licht. Arabien wurde erſt mit Hülfe beffelben leben⸗ dig. Bin armes Hirtenvolf, unbemerkt feit der Schöpfung der Welt in feinen Wüften umberziehend : da ward ihnen ein Heldenprophet herniedergefandt mit einem Worte, das fie glauben konnten, und fiehe da, das Unbemerkte ward weltbefannt, das Kleine ift weltgeoß geworben. Innerhalb eines Jahrhunderts darauf reicht Arabien mit einer Hand nach ®ranata , mit der andern nach Delhi. Stralend in Tapferkeit und Herr: lichfeit und heilleuchtentem Genius, glänzt Arabien lange Jahrhunderte über einen großen Theil der Welt. Glaube ift groß, befeelend. Die Geſchichte eines Volkes wird fruchtbar, geifterhebend, gruß, fobalo es glaubt. Diefe Araber, der Mann Moham: med und das Eine Jahrhundert, iſt es nicht, wie wenn ein Funke gefallen wäre, Gin Bunfe, auf eine Welt von dem, was ſchwarzer, unmerfbarer Sand ſchien? Der Sand erweißt ſich als entzuͤndliches Pulver, lodert himmelhoch von Delhi bis Granada! Ich füge, der große Menich ift immer wie ein Bliß vom Himmel; die übrigen Menfchen warten aufihn gleich Brennftoff und dann flammen auch fie auf.” Fr. Kolb in feiner Abhandlung über den Islam (Staatsler. v. Motte und Welder, 2. 9. VII, 353) äußert: „Am wahrfcheinlichfien däucht uns, daß (in Mohammed) drei verfchiedene Momente wirkten: Streben nad einem tem Volke Glück verheißenpen Ziele, eigene Schwärmerei und felbftfüchtige Zwecke.“ Zugegeben, diefes firenge Urtheil ließe ſich in allen Theilen rechtfertigen, müßte man dann nicht fagen, ungefähr das nämliche Urtheil Eönnte über alle Religionsflifter, wie über alle weltgeſchichtlichen Charaktere überhaupt, gefäflt werden? Ganz fo, wie hier ein Ehrif über Mohammed, äußerten Ach Heiden und Juden über Chriſtus. Vom Standpunkt des berühmten Buches De tribus impostoribus aus fann man noch weiter gehen und fagen: alle Religionefiftung iR nur ein ſelbſtſuͤchtiger Betrug. Ob aber diefer Standpunkt der hiſtoriſchen Betrachtung ſtandhaͤlt, iſt eine andere Frage. Gelegentlich weile ich hier noch den oft gehörten Bors wurf zurüd, Mohammer babe tie Ausbreitung des Jslam vermittelt des Schweries beiohblen. Ja wohl, aber wo bat es denn je eine weltgefchichtliche Revolution gege⸗ ben, bei welcher nicht das Echwert in erſter oder letzter Linie mitwirkte? Ich meine,

—— *

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. 8&.

Die Heilige Religiondurkunde der Mohanmmedaner ift bekauntlich der Koran. .Ded Wort hebentet „das Bud" !) oder „die Schrift“, alio ganz bafielbe, was „Bibel“. Dieſe Bibel des Jalam iſt in ihren einzelnen Thei⸗ len des Wert Mohammebs, aber nicht als Ganzes, d. h. der Prophet hat den Juhalt iackweiſe und zu verichiebenen Zeiten jeinen Anhängern mit⸗ gerbeilt, aber die Zufammenftelung rührt nicht von ihm felber ber. Er hat nicht einmal die Sammtung befohlen. Einzelne Stücke hat er, wie es ſcheint, biefem oder jenem diktirt; wenigfiens befanden fich hei feinem Tode Koran« Fragmente, auf Pergament, auf Leder, uf Balmblätter goſchrieben, in. ner- ſchiedenen Händen. Undere waren dauch Audere permittelft Muiwendigler- und vufbewahrt worden. Da Mb aber ſchon unter Mohammeds naͤchſtem Rabfolger , Abu Bekr, die Nothwendigkfeit, die heiligen Docımente zu fam- meln, fühlbar machte, fo beauftragte der Ehalif den ehemaligen Geheim⸗ ſchreiber des Propheten, Zeid Ihn Thabit, mit diefer Arbeit. Schon un⸗ er Dem Ghalifen Othman gingen jedach in dan Abſchriften des Koran jo wiele vevilhienene Leſsarten um, daß Zeid eine nechmalige ORtedaction unter⸗ nehmen mußte. Diejer wurde dann canonifihed Anfeben zuerfannt. Orh⸗ man fandte Abfchriften davon in alle bedeutenden Städte des Reiches und hefabl zugleich, alle früheren zu verbrennen. Es if ſelhſtverſaͤndlich, Rab Sem frammen Glauben der Mohammedauer ter Inhalt ihrer Mibel, wie don glaͤubigen Zuden und Ehriſten der Inhalt ter ihrigen ale unmittelbase göttliche Offenbarung gilt. Die Urſchrift des Koran, fagt der orthotore Moslem, ift von Urkeginn an im fichenten Himmel vorhanden geweien.

Der Koran, wie er uns jeht vorliegt, if befauntlig in 114 Suren (Abicheitte) eingetheikt, Devon jede wieder in eine guößere ober fleinere Au- zahl von Sign oder Berfen zerfällt. Man theilt diefe Suren au ein in ſolche, weiche während des Propheten Aufenthalts in Mekka, und in foldye, welche während feines Aufenthalts in Medina geoffenbart wurden, in

mekfaiihe und mebinenfiiche Suren alio. Es harrſcht aber in Dem Bud in Deziehung auf Eintkeilung und Zeitbeflimmung ein geefer MBirmmarr uud der Redaetor deſſelben ift offenbar fo wiltfärlidh verfahren, wie es eben der dae Chriſtenchum iR, wenigfiens was die Praris angeht, durchaus nicht berechtigt, vom Jolam feine Belehrumasart zum Borwurf zu machen. 4) Daher heißt der Arsen auch fdiebiweg Al Kitah (das Buch, die Schrift, eigtl Lefen oder das zu Leſende).

385 Bufall wollte. Einige der Suren find von uwerhaͤltnißmuͤßiget Binge, an⸗ vere beſtehen nur aus ein paar Sägen. Jede Sura führt einen eigenen, von einem in ihr vorfommenden Stichwort oder -Bild-hergenommenen Titel, ber oft bare Inutet („die Zub", „ver Elephant“, „der Buchſtabe Kaf?, & machte ein zurniges Geftht" u. d.m.). - Das Bolumen Des Koran erreickt nicht Die Hälfte Des Umfangs der Bibel. Den Styl des Koran angehen, Mer in einer Urt portifher Profa geichrieben, die Häufig am Ende ber Zei⸗ Ten reimt. Die rhyrhmiſche Proſa, wie fie ſteis klingt, wenn fie ſich erſt 8 Der gebundenen Redeweiſe herauszubilden angefangen Bat, gab nun ein wil⸗ Üges Gefäß für die Biflowen, Ermahnungen, Drohangen und Berfchtiften des Propheten ab. . Nicht felten fpricht er als mahrer Dichter, noch öfter aber als Rhetor. Sehr oft Freilich ift der Woran breit, fihwülkig verwor⸗ vom von. einer merhobiichen Gliederung feiner Lehren, von einem fogi- ſchen Organismus it feine Spur in ihm viele Stellen jedoch beurkunden, daß der Prophet, fortgeriffen von dem Beuer feines Glaubens, fir Anfchaumms gen voll glühender Bhantafle auch einen echt dichteriſchen, hinrveißend mäch⸗ Aigen Ausdruck gefunden. Den höthſten Schwung der Energie des Zornes erreicht der Koran, wo er die Schreden des jüngfien Gerichts nnd die Qua⸗ ten der Hölle jhildert, die höchſte Anmuth und Feierlichkeit, wenn er die Belohnung der Seligen im Paradiefe befchreibt 2). Jener wunderbar naiv epifche Zauber, welchen wir in dem biblifhen Buch der Genefld bewundern, geht dem Koran gänzlich ab. Die bibliſchen Gefchichten von Abraham bis Chriſtus werden zwar in unendlihen Wiederholungen aufgetiicht, aber mit wunderlihem Märchenfram verballhornt. Bid zum Ueberdruffe kehrt die Schöpfungsgefchichte wieder und fpielt Dabei der Teufel (Iblis) eine große Rolle. Ebenſo unleidlih oft müffen wir den Aufruf zum heiligen Kampfe mitanhören. Den ganzen Koran in einem Zuge durcdhzufefen, ift eine der ermüdendſten Xefearbeiten, die ed geben kann ?).

2) Wir werden Gelegenheit haben, Proben aus dem Koran zu geben. Die außers ordentliche Wirkung, welche derfelbe auf die Araber machte, foll durch bie befanmte | Geſchichte von der Belehrung des gefeterten Dichters Lobid eviniefen werben. Lebed hatte fich geweigert, an Mohammeds Sendimg zu glauben; als er aber die Berfe 1:7 | uud 18 der 2. Sura vernahm, riß er befhämt feine an der Kaabah aufgehangene Moallaka herab und befannte fich zum Jolam.

3) Ich kann mid) ſelbſt durch eine fo große Autorität, wie die Hammers iR, nid; zu einem andern Urtheil über den literarifchen Werth des. Korans, als das oben ge: gebene ift, beftimmen laffen. Hammer nennt (Fundgr. d. Orients, I, 25) ven Kovan

Schere, Geſch. d. Religion. I. 25

Der Koran, fo, wie er num einmal if, gibe die comewiidge Asım für Das seligiäfe, ſo ziale um yoliniidge Leben der Belrmner des Pıre- pheten. Er letzet en Islam, wie Mobammeb jeine Religion nannte, ». h. tie Ergebenheit, die abielnte Unterwerfung unter dad Schidial, als den Willen Gottes). Cr Ratuirt Die linzerrennlidgfrit tes religisien und geifiligen und weltlicgen Nacht in einer unt berielben Hand. Gein In- yalt iR alio zugfeig Dogmatit, Rituelgrieg, Eitten- un Redttichee. Rad fobald wir hier, was DaB Dogma betrifit, idden oben Angedeutetes noch eim- mal betont haben: namlich, dab Mohammer ieine Lehre nicht als cımas unbedingt Originale gab. Es wäre dies auch ein ſehr eitles Unterfangen geweſen. Die Hauptquelle des Jelam iſt ganz augenſcheinlich der Gebrais- mus, aber fie hat ſich mit ichr bedeutenden Zufläflen aus der altperſiſchen und der qchriſtlichen Religion vermiſcht. Auch if, namentlich in den moßle- milden Religionsbräuden, einiges Altarabiſch⸗Heidniſche zurüdgeblichen.

Der togmatifhe, rituelle und rechtliche Inhalt des Koran beflimmt alfo den Inhalt der drei zunachft folgenden Kapitel).

Drittes Kapitel.

Das moslemiſche Dogma.

1.

Das Dafein Gottes, d. h. der Glaube daran, ift Grundtogma jeder Religion. Der Menſch glaubt, es jei ein Weien über ihm, er verehrt,

das Muſterwerk arabiiher Dichtfunſt. Weil dagegen (d. port. Lit. d. Araber, S. 60) zuerkennt dem Koran nur „vollendete Rhetorik.“ Nach meinem Gefühl fommt an Achter Poefie Nichts im Koran den altarabiichen Gefängen eines Schanfara, Ans ara und Amrilfais gleich.

4) Islam fommt von der Wurzel Selame, Unterwerfung, Hingebung. @in Mos- lem iſt alfo ein ſich Hingebender (an Bott), ein Glaubender.

5) Die moslemifche Theologie bezeichnet die Dogmenlehre, die Gultlehre und die Mechtslehre mit den Ausdruͤcken Usul ed-dia, Feru’ ed-din, ’Jime fikh,

387

fürdhtet, liebt daſſelbe, erwartet von ihm Hülfe in diefem, Seligfeit in einem- zufünftigen Leben. Die Idee des Daſeins der Gottheit if alfo der Punkt, von welchem alle Dogmatif auszugehen bat. Auch die moslemiſche; nur will fie ed nicht Wort haben, jofern fie fagt, das Dafein Gottes jei eine fo bedingungslofe Vorausfegung, die Vorftellung davon fei jedem Menichen fo eingeboren, daß ed nicht nur rein überflüſſig, fondern jogar fündhaft wäre, nody davon zu Ipredhen, dieſen ureingeborenen Begriff die Menfchen erft leh⸗ ren zu wollen. Es ift, meint der Moslem, rein unmöglich, nicht zu wiflen oder gar zu bezweifeln, daß Gott ifl. Das Sein Gottes erft beweifen au | wollen, wie es bie chriftliche Philofophie aller Zeiten mit fo großer Müh« waltung fi) angelegen fein ließ, würde einem Moslem, wenn überhaupt |. als begreiflich, jedenfalld als eine todeswürdige Kegerei vorfommen. Die moslemiſche Theologie fängt daher damit an, das Wefen Gottes zu bes flimmen. Hieran reiht fle die übrigen Grunddogmen des Islam und fo er» halten wir deren fünfe: 1) das Teuhid, die Einheit (und Eigenfchaften) Gottes; 2) das ’Edolet, die Gerechtigkeit Gottes (Praͤdeſtination); 3) das Nebüwwet, das Prophetenthum; 4) das Mi’od, das fünftige Xeben; 5) das Imamet, die Erbfolge der Imame1).

2,

„Kein Gott außer Gott!" Iautet das Symbolum des Islam). Allah?) tft der eine, alleinwahre Gott. Er hat fein Welen in fich felbft, genügt fich felbft, tft weder gezeugt no) zeugt er. Er ift das Centrum, in welchem ſich Alles vereint, er erfüllt mit der Unendlichkeit feines Wefens das Weltall, deſſen Urheber und Regierer er ift. Von Ewigfeit zu Ewigfeit iſt

1) In der Auffaffung einiger diefer Dogmen weichen die beiden großen Sekten des Islam, die Sunniten und die Schiiten, von einander ab. Sch werde biefe dogmatifchen Unterfchiede, welche übrigens mehr aus einem politifchen als veligiöfen Zwiefpalt der genannten Sekten erwuchſen, einftweilen angeben. Der Urfprung des Zwiefpalts wird weiter unten im Kapitel berührt werden. Wo ich im Bolgenden Koranftellen anführe, find diefelben entweder der Ullmann’fchen oder der Sams mer’fchen Verdeutſchung entnommen, fo zwar, daß Eitate in ungebundener Rede der erfteren, in gebundener der leßteren angehören.

1) Lo illahe illallah.

2) Zufammengezogen gus al und elah. Wie. fprahlich, To auch begrifflich ſtimmt biefe Benennung Gottes Allah bedeutet der Verehrungswürdige, Grhabene mit

den hebräifchen Bezeichnungen der Gottheit (El, Eljon, Elohim) überein. 25*

er, ohne Grlelı un WBohazuz ut temneh säremmeun:ı Birem Ürre- en Monsıkridmus ciupichärten. wirt ker Koran nie mie zu mir wale- Ber Ginkrir Gottes ivgenkwir Eix:raı ıbun fgazır. ae urben tem Gögen-

Tient namentlich ang ie eriüluhbe Srkre son ter Trteitir AL Un tod blich Tiefer Farre unt ri’rriuctige Monstteiäunnd zit Dam; conieauent. Wäre er Vieles zeblieben io mufte tie Berürkkun; einer Bintel- Aufe mwiiben Gottheit und Menibbrit zanz umırrkleiken, was nid: zeihab. Sei eb, daß ter yerfiide Duslimnd, weldier in tpiterer Zeit ten Meiaitnnd gefälit batte ꝰ), Yierin für den Ilam masgebent war, ſei es, ta) Mobrermrt Die altarabiiä- populäre Tamesuenichre ıu ichenen harte oter x ibrer !eiber nicht zu entidlagen vermeibte, oter iei es, daũj dieſe beiten Bert ;uiammra= wirften, genug, Die Beifter frielen im meoalcmiiken Berupiirin cine ’chr bedentente Holle. Die Engel freilib Ant, wie Seikörfe, ie auch ichlechtbin nur Boten und Diener Gottes. Anters icheint es ih mit den Tjinnen zu verhalten. Ich Tage abſichtlich iheint, denn das Berbilmig Dirier Geifter M im Koran nirgends recht Flar und beflimemt angegeben. Dieſe Diinnen "bildeten Allem nach, wie bei den jütiiden Rabbinen, io auch bei ten Arabern eine zwiſchen Nenſchen und Engeln mitten inne ſtebende Glafte geifterbafter 3) Sage: Es iR nur ein einziger Bott! Tennch haben He Gott Geiñer zus

geſellt (gieigehelit), die er ſelbſt geſchaffen, und in Unwiſſenbeit haben fie ihm Söhne und Tödgter angedichtet. Lob und Breis fei ihm allein und fern von ihm Alles, was fie ihm beilegen. Der Shöpvier des Himmels und ter Erde, wie jollte er einen Sohn haben, da er ja keine Frau bat! Er iſt der Schöpfer aller Dinge und ihm Ant alle Dinge befannt. Das iſt Gott, euer Herr; es gibt feinen Bott. außer ibm, tem Schöpfer aller Dinge. Darum dienet nur ihm, tenn er trägt Sorge für Alles. Kein Geſicht kann ihn erfaflen, doch er erfaflet jenes Geſicht. Er if ter Unerforichliche unt All: wiſſende. Sura 6. Es gibt Ungläubige (Lie Ehriften) welche fagen: Gott iR der dritte von Lreien. Es ift aber nur ein Bott. Sur. 5. Vgl. außerdem über das Grunddogma tes Islam Sur. 9, B. 30— 31; ©. 16, B. 53; ©. 18, V. 110; ©. 19,8. 36; S. 21, 3. 108, 5.22, ®. 12; ©. 23, V. 92. Endlich faßt die 112. Sura das moslemifhe Symbol noch einmal energifch zufammen:

Gott ift Einer, "

Er ift von Ewigfeit;

Er ward nicht gegeugt

Unt bat nicht gezeugt ;

Ihm gleich ift Keiner !

4) Bgl. Thl. II, ©. 116 fo.

389

Beben. Ihre Bertennung ift ein Collectivname für gute ſowohl ala böſe Geis

fer, Genien und Dämonen im perſiſch⸗jüdiſchen Sinn). Das Haupt der

Dämonen ift der Satan, Ibis, offenbar ein Abklatſch des perſtſchen Ahri⸗

man und ganz im perflich-rabbintichschriftlichen Sinn der Widerſacher Got-

tea, ber Berbörer der Menſchen. Dabei ift e8 aber eigen, daß der Koran

fich ängſtlich bemüht, zu verküten, daß man diefen Widerpart Gottes dieſem

etwa zur Seite, beziehungdweife gegenüber flelle, Das Dafein tes Satans | wird nicht geleugnet, er ift, aber er ift nur dann, wenn man Ihn anruft, | d. b. an ihn glaubt, was unfehlbar zur Bertammniß führt). Bei Vers

gleichung ſaͤmmtlicher Stellen des Koran über die Geißler fann man ſich un⸗

ſeres Erachtens kaum des Gedankens entfchlagen, der Islam habe durch Her⸗

beiziehung der Geiſterlehre den Verſuch machen wollen, ein Band der

Vermittlung zwiſchen Gott und Menſch zu knüpfen, habe das aber nicht zu⸗

wegegebracht. Fehlt doch, wie bekannt, das Moment der Vermittlung, der

Berföhnung dem Jelam ganz.

3.

Das Dogma von der Geredhtigfeit Gottes enthält die Lehre von der Vorherbeſtimmung, jenen Fatalismus, weldyen wir nach den jetigen Hauptträgern ded Islam, einen türfijchen zu nennen pflegen. Wie ſich aber die menſchliche Vernunft gegen die Identität von Gerechtigfeit und Präteftination mit Recht empört, fo ift auch die moslemiſche Lehre von der Vorherbeflimmung fehr widerfprudhsvol. An vielen Stellen wird mit fchneidender Schärfe ausgefprochen, daß Gott jeden Ding und jedem Mens fihen jein Schickſal unwiderruflich vorberbeftimmt Habe und nur Solide den rechten Weg führe, welche er wolle t). An andern dagegen wird ebenfo

5) Bon den Geiftern redet der Koran in den Suren &, 6, 7, 48, 72. 6) Ich Füge meine Auffaffung des moslemifchen Satans insbefondere auf diefe Stelle der 4. Sura: Wer Gott ein anderes Wefen zur Seite feßt, dem verzeiht er nicht. Sie (die Ungläubigen) rufen außer ihm weibliche Gottheiten an und den aufs rührerifchen Satan. Gott hatte diefen verflucht, worauf er (der Satan) fagte: Nun will ich einen beftimmten Theil deiner Verehrer nehmen und verführen und ihnen verz. botene, böfe Begierden einhauden. Wer num außer Gott den Satan fi zum Be⸗— fhüger wählt, der wird augenfcheinlich feinen Untergang finden. Satan verforicht: ihnen wohl und regt ihr Verlangen auf; aber was der Satan verfpricht, ift nur Trug.

Ihre Wohnung wird die Hölle fein und fie werden feine Ausflucht finden. 1) Jedem Dinge haben wir feine Hare und beutliche Beftimmung gegeben ; einent jeden Menſchen haben wir fein Geſchick vorherbeftimmt. Sur. 17, B. 14. Gott leitet

3%

ſcharf betont, daß Jeder dereinſt für jein Glauben, Thun und Laffen werde ſtrenge Rechenſchaft ablegen müflen?). Der Widerfpruc if Far. Allerdings ift es fo recht die Aufgabe des Glaubens, Widerfprüde für Nichts zu achten, Widerfprechendfle zu glauben. Der Glaube fann nidt nur Berge verfegen, fondern auch Thäler ausfüllen, d. h. er fdhreitet, wie im vorliegenden Falle, über die weite und tiefe Kluft der Widerfprücde in einem Dogma hinweg, ohne fie auch nur zu bemerken. Daß nicht alle Augen für das Vorhandenſein folder Klüfte blind find, das ift der Urfprung aller Kegerei und Sektirerei. Auch im Islam, wo gerade das Dogma von ber Praͤdeſtination den bedeutendftien Riß in die Einheit der moslemiſchen Welt verurjachte. Hier if der Punkt, wo die Scheidung der Sunniten und Schiiten eine wirklich innerlidhe, geiftige, religiöfe Bedeutung bat. Die Sunniten_befennen ſich nämlid zum Dogma der Vorherbeſtimmung in ſei⸗ FR ſtarrſten Folgerichtigkeit und ſprechen demnach dem Menfchen die Freiheit des Willens unbedingt ab. Sie find Kataliften im firengften Wortfinn und Daher naturgemäß auch Banatifer. Die Schilten dagegen fahen bie Flaffende Kluft des Widerſpruches und fprangen nicht hinüber. Sie fanden, tie ewige Vorherbeſtimmung fei mit der Gerechtigkeit Gottes unvereinbar, und weiter, daß, wenn der Menſch jenfeitö für feine Handlungen gerichtet werden folle, er diefjeitö die Fähigkeit haben müfle, überhaupt zu handeln. Sie flatuirten alſo bie Willensfreipeit bed Menichen, halfen fih aber, um dad Vorherwiſſen Gottes nicht leugnen zu müffen, damit, daß fle annahmen, die Handlungen eines jeden Menſchen feien von Uranfang in das, Buch der Geſchicke“ einge- ‚tragen, d. h. Bott befannt. Man bat um dieſer abweichenden Auffaffung des zweiten moslemiſchen Grunddogma's willen die Sciiten als tie Prote— flanten und Nationaliften des Islam bezeichnet. Die letztere Bezeichnung mag angehen, aber um die erftere gelten zu laffen, müßte man vergeflen, daß gerade ein Hauptmitbegründer des Proteſtantismus, Calvin, die Prä⸗ deftinationdlehre in wahrhaft juunitifcher Strenge faßte 3).

auf den richtigen Weg, wen er will. ©. 2, V. 209. Dazu vgl. S. 2, B. 6; S. G, B. 38; ©. 16, B. 96 und noch eine ganze Menge ähnlicher Stellen.

2) An jenem großen Tage (des Gerichts) wird Jeder nach feinen Handlungen den Lohn empfangen ; Gott weiß, was Jeder gethan. S. 39, B. 70. Der Barallelftellen find ebenfalls fehr viele, faſt zahllofe.

3) Weil (HiR. krit. Einf. i. d. Koran, S. 95 fg. Bol. auch Weil, Geſch. d. Ehalifen, II, 262) fucht fehr fcharffinnig nachzuweiſen, dab Mohammed felbft keines⸗

391 4.

Das: dritte moslemiſche Grunddogma ftellt, wie oben angegeben wars ben, die Lehre vom Prophetenthum (Nebuwwet) fell. Es geht darauf aus, dem Begründer des I8lamı eine unzweifelhafte Autorität zu verleihen, Die Lehrfäge von Bott und von feinem Bropheten find unzertrennfich mit einander verbunden. „Gott ift Gott und Mohammed: ift jein Prophet *. Wohlverftanden, Mohammed ift der Prophet. Allerdings nicht der erfte und einzige der Propheten I), aber er tft der endgültige Vollender des Pro⸗ phetentbums 2). Die Offenbarung von Gottes Wort iſt fo weientlih an | ihn gebunden, daß der Glaube an eine nicht durch Mohammed vermittelte Offenbarung ein falicher it). Demnach wäre der rechte Glaube an Gott durd den Glauben an Mohammed bedingt. Der Koran kommt fehr häufig auf diefen Punft zurüd, Er polemiſirt, ‚wenn auch in achtungsvollfter Form, bei diefer Gelegenheit haufig gegen Chriſtus, d. 5. gegen defien VBergottung. Die Chriſten fagen, heißt e8 in der 19. Sura, der Allbarmherzige habe einen Sohn gezeugt; daß iſt ein ungeheuers liches Borgeben! Und in der 5. Sura: Chriftus if weiter Nichts als ein Bejandter; vor ihm find andere Gefandte hergegangen und feine Mutter war ein gewöhnliches Weib. Weiter wird in der 4. Sura ganz deutlich zu ver⸗ fteben gegeben, dag Chriftus weit entfernt geweſen, fich felber zu vergotten. Es heißt da: Chriftus ift nicht jo Hoffärtig, daß er ſich weigern follte, ein Knecht Gottes zu fein. Mohammed nennt aud ſich einen bloßen Knecht Gottes, aber allerdings in dem Sinne, in welchem ſich der Papſt einen Knecht der Knechte Gottes titulirt: denn, wie gefagt, er ift der Prophet der Propheten, das Siegel an der durd ihn ein für allemal abgefchloffenen Urs funde der Offenbarung. Auch binfichtlich dieſes Dogma's eriftirt zwi⸗ hen den Sunniten und den Schiiten eine Meinungsverſchiedenheit. Jene, geftügt auf die Koranftelle (S. 40, B. 57), wo Mohammed aufgefordert

wege das Dogma von der Borherbeftimmung in befien nachmaliger Starrheit gewollt habe, fondern daß es in diefer Starrheit erft dann zur Geltung gefommen-, als bie Chalifen, politiſcher Zwecke wegen, eines blinden Fatalismus und des daraus refultis renden blinden Gehorſams ter Moslim bedurften.

4) S. 0. Rap. I, 3.

2) Mohammed ift der Gefandte Gottes und das Siegel aller Propheten S. 38, B. 38. Dazu vgl. ©. 2, B. 209: ©. 6, B. 34; ©. 21; S. 40, V. 78,848. 02,6.94,8.2.

3) ©. die eben citirten Suren und dazu noch bie weiteren 3, B, 19.

wird, täglich zu beten, damit ihm Bart feine Sünden vergebe, behaupten, des Brophet und Me Propheten überhaupt jeten der Sünde unterworfen ge⸗ Weien, wie die übrigen Menſchen, aber durch befondere göttliche Gnade van dar Strafe für ihre Berfehlungen befreit worden. Die Schiiten dagegen wehmen an, Die Propheten feien durchaus reine Wengen geweien, denn fie hätten unmöglich fündigen können.

5.

Das vierte modlemiſche Hauptdogma umfaßt die Unſterblichkeit der Seele, die Auferſtehung von den Todten, das jüngſte Gericht, die Beloh⸗ nung der Guten und die Verdammung der Böſen 1). Das Ganze iſt zwei⸗ ſeldohne den yerflichschriftlichen Vorſtellungen nachgebildet, aber im Einzel⸗ nen ebenſo geſchickt als umfläntlich auf die heißsblütige Phantaſie der Araber, af die ſinaliche Anſchauung der Orientalen berechnet. Die Lehre von ber Unſterblichkeit der Seele ift Die Baſis der Lehre von ben legten Dingen. Si— (die Ungläubigen) fagen: Es gibt kein andered Leben, als unfer hieſiges im diſches Daſein, und wir werden nicht wieder auferwedt. Sollteft du fie aber ſehen, wenn fie einſt vor ihrem Herrn ericheinen und er fie fragt: IE die Auferficehung nun nicht wahr geworben? ba werben fie antworten: Wohl ift fie wahr, o Herr! Und Bott wird jagen: Nehmet nun hin die Strafe dafür, daß ihe nicht glauben wolltet 2). Ihr (Menſchen) müßt fter« ben, aın Tage der Auferſtehung aber werdet ihr wieder auferwedt 3). Blaue bet an Gott und an den Tag des Gerichts! )

Nach feiner Weije wiederholt der Koran die Lehre vom Weltgericht, som „großen Tag”, vom „Tag der Trennung” (der Guten von den Böſen)

nn

41) Ich könnte hier auch noch die Geſchichten von der Schöpfung, vom Sündenfall (Apielbiß) im Baradiefe, von der Sündflut u. f. w. berühren, erachte e&.aber für Raums verichwentung, ta der Koran diefe Mythen durchaus der Bibel nachgebildet und nur mit märchenhaften Arabesken verziert hat. Das Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen, wie es in diefen Geſchichten im Koran zu Tage tritt, if ganz das bibliſche. Auch bie Schutzen gel⸗Lehre des Islam if der perſiſch⸗jũdiſchen homogen. Sie findet fi am befimmteften ausgeiproden S. 11, ®. 61 und ©. 13, V. 13. Die leptere Stelle lautet: Ein jeter Menfh hat feine Engel, die (von Bott herabgelandt) einander ablöfen, vor und hinter ihm Heugehen und auf den Befehl Gottes ihn bewachen.

2) Sur. 6, V. 29—30,

3) Sur. 23, 2. 18.

4) Eur. 2, 8. 179.

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383

fehr oft und eindringlich. Aber man muß die einzelnen Beſtimmungen Die« fer Lehre im ganzen Buch zufammenfucen. Gin türflicher Gotteagelehrter, weldher im 16. Jahrhundert ſchriab, Mehemed Bir Ali, Hat die einzelnen Szenen des Geritätages fo zulammengehellt?): Wann bie Beik des jüngßen Gerichtes heraunaht, gibt der Engel Ißrafil mit feiner Bofaune baa ZBeichen. Des Befehles Allah's jeden Augenblick gewärtig, hält Liefer En⸗ gel das Mundflü feiner Poſaune beändig an den Mund. Sobald Ißra⸗ fil den Befehl empfangen, Häft er, und es gibt einen entjeglichen Schall, dex alles Lebende tödtet, dem blaſenden Engel miteingerechnet. Vierzig Jahra laug bleibt die Welt aukgeſtorben; dann erweckt Allah den Ißrafil wieder. Dieſer ſtößt ein zweites Mal in die Poſaune und von dem zweiten Schall werden alle Todton lebendig 6). Die Auferfiandenen find ganz ohne Beflei- dung; been aber, welche Propheten und Heilige geweien, ſchickt man geflügelse Himmelörofle (Borals) entgegen und Eoflbare Stoffe aus dem Paradieſe. Sie fleiden fig in letztere, befleigen die erſteren und reiten auf ihnen ind Paradies, wo fie in Schatten von Allah's Thron ſich niederlaffen. Die übri= gen Menschen ſtehen zuianımengedrängt, hungernd, durſtend und ſchwitzend,

8) Nach einer Mittheilung im „Magaz. f. d. Lit. d. Ausl.“ 1886, Nr. 102.

6) Wann in die Poſaune geRoßen wird, dann wird Alles, was im Himmel und auf Erden ift, leblos niederfürzen, nur die Wefen ausgenommen, welche Gott davon ausfhlicht. Und wann wieder in die Bofaune geftoßen wird, dann werden fie fi wieder aufrihten und um fih bliden. Und die Erde wird leuchten Durch das Licht ihres Herrn und das Buch (worin die Handlungen aller Menſchen gefchrieben find) liegt offen und die Propheten und Mörtyrer treten als Zeugen auf und in Gerechtig⸗ feit nur wird gerichtet zwifchen ihnen und Keinem Unrecht geichehen. Sur. 39, 2.

-68—69. Das Weltgericht wird eingeleitet durch den Weltuntergang. So heißt es

in der 69. Sura:

Warm in die Bofaune geblafen wirt mit einem Stoß, Werden Erde und Berge zerrifien werden durch einen Stoß. An jenem Tage fällt die einfallende Stunde, An jenem Tage geben die geipaltenen Himmel zu Grunde.

Und in dee 77. Sura: Bei den auf einander folgenden Sendungen vom Himmel, Bei der Sterne Getuͤmmel, Bei den Gageln, welche tie Fluͤgel ausbreiten, Dei den Berien des Koran, weldge die Wahrheit deuten, Melde Grmahnungen geben, Verheißungen und Drohungen für diefes und jenes Leben

394

indem die Sonne ihren Köpfen bis auf eine Meile nahe rückt ). Funffigtauſend Sabre fang (nach andern Angaben nicht fo lange) müſſen fle in dieſem Buftande verbarren. Unterdeſſen werben alle Bücher eingereicht, weldhe bie Engel über den Lehenswandel der Menſchen geführt haben, und Allah ver- hört die Seelen ohne Vermittlung eines anderen Welens. Auch eine Wage wird aufgerichtet, in welcher man das Gute und das Böſe gegen einander abwägt. Die Seelen, deren Gutes überwiegend iſt, kommen in dad Para⸗ Died, Diejenigen, an denen das Böfe überwiegt, in die Hölle es ſei denn, daß Allah ihnen verzeihe oder daß Propheten oder Heilige fie ihrer Fuͤrbitte würdigen follten. Dod kann Bürbitte nur flattfinden, wenn die Seele glaäubig aus dem irdiſchen Dafein gefchteden if. Wer im Glauben flirbt, aber ob der Schwere feiner Sünden Feiner Verzeihung und Feiner Fürbitte theilhaft geworden, der muß Fürzere oder Tängere Zeit im Höfllenfeuer bren⸗ nen und wird dann ind Paradies entrüd. Ein Atom: des wahren Glau⸗ bens ſchützt übrigens fchon wider die Emwigfeit der Höllenqual®). Ueber die Hölle hinweg wird eine Brüde (A Sirat), welche fo dünn wie ein Haar und fo fharf wie ein Schwert tft, nah dem Paradiefe führen?). Alle Seelen müffen über dieſe Brüde gehen. Einige fommen mit der Schnellig- keit des Blitzes hinüber, andere mit der eines rennenden Pferdes, wieder andere im Paßgang, wieder andere ſchleypen fich unter der Laft ihrer Sünden

—-

Es kommt der verheißene Tag:

Wenn die Sterne ohne Licht bleiben

Und die Himmel ſich zerfpalten,

Wenn die Gebirge zerftäuben

Und die Gottgefandten Wache halten.

7) Das flimmt freilich nicht ganz mit dem „Beripaltenfein“ der Himmel, aber

Bolgerichtigfeit in den Details muß man im Koran fo wenig fuchen als in anderen Religionsurkunden.

8) Der Islam ſtatuirt alſo Feine Ewigkleit der Höllenſtrafen. Er folgt hierin nicht der chriftlichen, fondern der milderen zorsaftrifchen Anſchauungsweiſe. Berg. Thl. II, S. 181 folg. Nur für die Nichtmoslim gibt es nach ter fpäteren intolerans teren Anficht des Propheten (f. o. Rap. II, 3, Anm. 3) eine ewige Verdammniß.

9) Die Brüde Tfchinevad des Zend: Avefta. Bol. Thl. I, S. 180, Anm. 2. Im Uebrigen ift fo zu fagen auf biefer Brüde vom Erhabenen oder Furchtbaren zum Burlesfen und Lächerlichen auch nur ein Schritt. Einer Legende zufolge verwandelt fih nämlich beim Uebergang über al Sirat Mohammed in einen Foloflalen Widder und fammtlihe Moslims fegen ſich in Gehalt von Flöhen in feinen Pelz.

395

wanfend vorwärts und noch andere flürzen, wenn fle die Brücke kaum betre= ten haben, häuptlings in den Höllenſchlund hinab.

Immer, wo er von ben legten Dingen ſpricht, wirkt der Koran tief⸗ ergreifend: Da zeigt fih Mohammed als rechter Dichter. Seine Sprache iſt hier felder wie der Schall. der Gerichtöpofaune, welcher verſtockte Ge⸗ wifien erbeben macht 103. Die Schilderungen des Ortes der Pein durch⸗ weht etwas wie Höllenglut, die am gewaltigften aufichlägt, wo des Gerichte gedacht wird, welches der Lügner, der Verleumder und ter Wucherer harrt 11). Bon dem dunfelrorhen Hintergrunde der Höllenbilder heben ſich dann vie Gemälde paradiefticher Seligfeit nur um fo reizender ab. In Wohlgeruch athmenden Schattenhainen, durchmurmelt von ftlberhellen Quellen, bat der feltge Gläubige feinen Wonneflg. Die Tieblichften Früchte, die füßeften Meine, fredenzt von anmuthigen Paradiefesjünglingen, erfreuen ihn und in den Armen fchwarzäugiger, von Schönheit und ewiger Jungfräulichfeit fira« lender Houri's foftet ex ftetd erneute Freuden 12).

10) So die 101, Sura: Die klopfende Stunde, was ift die klopfende Stunte? Und von der Hopfenden Stunde wer gibt dir Runde? Es ift der Tag des Gerichts, wo die Menfchen wie Heufchreden verfireuet vom Wind, Die Berge gleich gefrämpelter Baumwolle find. Und weflen Wagfchale finft, dein wird's im ew’gen Leben gut; Und weſſen Schale fleigt, finft in die Flammenwuth. Weißt du wohl, was da ift die Blammenwuth? Es ift der Hölle brennendſte Blut. 41) Weh' dem Lügner, der den guten Namen ftreift! eh’ dem, der nur Schäße auf Schaͤtze häuft, Weil er ewig fich auf feinen Reihthum fleift. Weh'! Hinunter in die Höllenflampfe (Al Hutama)! Weißt du, was das ift, die Höllenftampfe? Feuer Gottes ift es, hochaufragend, Ueber Herzen wild zufammenfchlagend, Blut, wie in ein Gewoͤlbe zufammengebogen, Flammen, hoch wie Säulen aufgezogen. Sura 104. 12) Die Gerechten trinfen Wein, gemifcht mit Flut vom Kampherquell ; Davon trinken die Diener Gottes, dad Wafler leitend von Stell’ zu Stell’, Die ihr Wort hielten und den Tag fürdhteten, deſſen Uebel weit wird Freifen, Die aus Liebe Gottes fpeiften die Armen, Sklaven und Waifen, Sagend: wir fpeifen euch Gottes wegen und wollen weber Bank noch Lohn, Wir fürchten vom Heren den Tag voll Trog und Hohn.

Der Koran, fo, wie er nun einmal if, gibt die canonifde Norm für Das religisfe, foziale und politiſche Leben der Beienner bed Pro pheten. Er Ichkt den Islam, wie Mohammed feine Meligion nannte, d. 5. die Ergebenheit, die abjolute Unterwerfung unter das Schickſal, als den Willen Botte8?). Er flatuirt die Unzertrennlichkeit des religiöſen und des bürgerlichen Geſetzes und demnach auch die Bereinigung der höchſten geiſtlichen und weltlichen Macht in einer und verfelben Hand. Sein In» halt iſt alio zugleig Dogmatik, Ritualgefeg, Sitten- und Rechtölehre. Nach diefen drei Seiten bin werden wir ihn auch einer Betradytung unterziehen, fobald wir bier, was das Dogma betrifft, ichon oben Angedeutetes nody ein- mal betont haben: nänılid, dad Mohammed jeine Lehre nicht ald etwas unbedingt Originaled gab. Es wäre dies auch ein jehr eitles Unterfangen gewefen. Die Hauptquelle des Islam iſt ganz augeniceinlid der Hebrais⸗ mus, aber fie bat fich mit ſehr bedeutenden Zuflüffen aus der altperflfchen und ber hrifllichen Religion vermiſcht. Auch if, namentlich in den mosle⸗ miſchen Religionsbräuchen, einiges Altarabiſch⸗Heidniſche zurüdgeblieben.

Der dogmatifhe, rituelle und rechtliche Inhalt des Koran beflimmt alfo den Inhalt der drei zunächſt folgenden Kapitel 5).

Drittes Kapitel.

Das moslemiſche Dogma.

1.

Das Dafein Gottes, d. h. der Glaube daran, ift Grunddogma jeder Religion. Der Menſch glaubt, es fei ein Wefen über ihm, er verehrt,

das Muſterwerk arabifcher Dichtfunft. Weil dagegen (d. poet. Lit. d. Araber, S. 60) zueriennt dem Koran nur „vollendete Rhetorik.“ Nac meinem Befühl kommt an aͤchter Poeſie Nichts im Koran den altarabifchen Gefängen eines Schanfara , Ans tara und Amrilfais gleich.

4) Islam fommt von der Wurzel Selame, Unterwerfung, Hingebung. Gin Mos- lem iſt alfo ein ſich Hingebender (an Gott), ein Glaubender.

5) Die moslemifche Theologie bezeichnet die Dogmenlehre, die Cultlehre und die Nechtslehre mit den Ausdrücken Usul ed-din, Feru’ ed-din, 'Ilme fikb,

387

fürchtet, liebt Daffelbe, erwartet von ihm Hülfe in diefem, Seligfeit in einem- zufünftigen Xeben. Die Idee ded Daſeins der Gottheit if alfo der Punkt, von welchem alle Dogmatif auszugehen bat. Auch die moßlemifche; nur will fie ed nicht Wort haben, jofern ſte fagt, das Dafein Gottes jei eine fo bedingungsloſe Vorausfegung, die Vorftellung davon fei jedem Menſchen fo eingeboren, daß ed nicht nur rein überflüfftg, fondern jogar fündhaft wäre, noch davon zu ſprechen, Diefen ureingeborenen Begriff die Menfchen erft Ich» ren zu wollen. Es ift, meint der Moslem, rein unmöglich, nicht zu wiffen oder gar zu bezweifeln, daß Bott if. Das Sein Gottes erft bemeifen zu ı wollen, wie es bie chriftliche Philofophie aller Zeiten mit fo großer Müh« waltung fich angelegen fein ließ, würde einem Moslem, wenn überhaupt als begreiflich, jedenfalld al8 eine todeswürdige Keperei vorfommen. Die moslemiſche Theologie fängt daher damit an, das Wefen Gottes zu be= flimmen. Hieran reiht fle die übrigen Grunddogmen des Islam und fo ers halten wir deren fünfe: 1) dad Teuhid, die Einheit (und Eigenfchaften) Gottes; 2) das ’Edolet, die Gerechtigkeit Gottes (Prädeftination) ; 3) das Nebüwwet, das Prophetenthum; 4) das Mi’od, das fünftige Leben; 5) das limamet, die Erbfolge der Imame),

2,

„Kein Gott außer Gott!" Tautet dad Symbolum des Islam). Allah?) ift der eine, alleinwahre Gott. Er hat fein Welen in fich ſelbſt, genügt fich felbft, ift weder gezeugt noch zeugt er. Er ift das Centrum, in welchem ſich Alles vereint, er erfüllt mit der Unendlichkeit feines Wefens das Weltall, deffen Urheber und Regierer er ift. Bon Ewigfeit zu Ewigkeit iſt

1) In der Auffaflung einiger diefer Dogmen weichen die beiden großen Sekten des Islam, die Sunniten und die Schiiten, von einander ab. Sch werde dieſe dogmatifchen Unterfchiede, weldye übrigens mehr aus einem politifchen ale religiöfen Zwielpalt der genannten Sekten erwuchfen, einftweilen angeben. Der Urfprung des Zwieſpalts wird weiter unten im Kapitel berührt werden. Wo ich im Folgenden Koranftellen anfuͤhre, find diefelben entweder der Ullmann’fchen oder der Sams mer ’fchen Berdeutfchung eninommen, fo zwar, daß Eitate in ungebundener Rebe ber erfleren, in gebundener der legteren angehören.

4) Lo illahe illallah.

2) Zufammengezogen aus. al und elah. Wie ſprachlich, fo auch begrifflich ſtimmt diefe Benennung Gottes Allah bedeutet der Verehrungswürbige, Grhabene mit den hebräifchen Bezeichnungen der Gottheit (EI, Eljon, Elohim) überein.

. 25 %

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er, ohne Seflalt und Wohnung und dennoch allgegenwärtig. Dielen ſtren⸗ gen Monotheismus einzuſchärfen, wird der Koran nicht nmide und mit wahr⸗ haft Priegerifchem Bigoridmus wird Alles verworfen, was dem Dogma vun der Einheit Gottes irgendwie Eintrag ihun könnte, alfo neben dem Gögen- dienft namentlich auch die hriftliche Lehre von der Trinttär 3).

Und doch blieb dieſer ftarre und eiferſüchtige Ronotheismus nicht ganz eonfequent. Wäre er diefes geblieben, jo mußte Die Borftellung einer Mittel- ftufe zwiſchen Gottheit und Menſchheit ganz unterbleiben, was nicht geſchah. Sei e8, daß der perfifche Dualismus, welcher in fpäterer Zeit den Moſaismus gefäliht hattet), Hierin für den ISlam maßgebend war, jeies, daß Mohammed Die altarabifch-populäre Dämonenlehre zu ſchonen hatte oder ſich ihrer felber nicht zu entfhlagen vermochte, oter fei es, daß dieſe beiden Motive zuſammen⸗ wirkten, gemug, die Beifter ſpielen im moslemijchen Bewußtſein eine ſehr bedeutende Rolle. Die Engel freilich find, wie Geſchöpfe, fo auch ſchlechthin nur Boten und Diener Gottes. Anders Scheint e8 fih mit den Djinnen zu verhalten. Ich fage abſichtlich ſcheint, denn das Verhältniß diefer Geiſter tft im Koran mirgends recht klar und beflimmt angegeben. Diefe Djinnen "hildeten Allem nad, wie bei den jüdifchen Rabbinen, fo auch bei den Arabern eine zwifchen Menfchen und Engeln mitten inne ftehende Claſſe geifterhafter

3) Sage: Es iſt nur ein einziger Gott! Dennoch Haben fie Gott Geiſter zus gefellt (gleichgefteflt), die er ſelbſt geihaffen, und in Unwifienheit haben fie ihm Söhne und Toͤchter angedichtet. Lob und Preis fei ihm allein und fern von ihn Alles, was

fie ihm beilegen. Der Schöpfer des Himmels und der Erde, wie ſollte er einen Sohn haben, ba er ja feine Frau hat! Er iſt der Schöpfer aller Dinge und ihm fint alle

Dinge befannt. Das it Gott, euer Herr; es gibt feinen Gott außer ihm, dem Schöpfer _

aller Dinge. Darum dienet nur ihm, denn er trägt Sorge für Alles. Kein Geficht Tann ihn erfaflen, doch er erfaflet jedes Seftcht. Er if der Unerforfchliche und Al: wiſſende. Sura 6. GEs gibt Ungläubige (die Ehriften) welche Sagen: Gott ift der dritte von dreien. Es ift aber nur ein Gott. Sur. 5. Pol. außerdem über das Grunddogma des Islam Sur. 9, V. 30— 31; ©. 16, B. 53; ©. 18, V. 110; S. 19, V. 36; S. 21, V. 108; S. 22, V. 12; ©. 23, V. 92. Endlich fat die 112. Sura das moslemiſche Symbol noch einmal energiſch zuſammen:

Gott iſt Einer,

Er ift von Gwigfeit ;

Er ward nicht gezeugt

Und hat nicht gezeugt ;

Ihm gleich ift Keiner!

4) Bol. Thl. I, S. 118 fo.

389

Weſen. Ihre Benennung ift ein Collectivname für gute fowohl als böfg eis

fier, Genien und Dämonen im perfifch-fübifchen Sinn). Das Haupt der

Dämonen ift der Satan, Ib1is, offenbar ein Abklatſch des ‚perfifchen Ahri⸗

man und ganz im perflichrabbiniichschriftlichen Sinn der Widerſacher Got»

tes, ber Bethörer der Menſchen. Dabei ift ed aber eigen, daß der Koran

fh ängftlich bemüht, zu verhüten, Daß man dieſen Widerpart Gottes diefem

etwa zur Seite, beziehungdweife gegenüber ſtelle. Das Dafein des Satans | wird nit geleugnet, er ift, aber er ift nur dann, wenn man ihn anruft, | d. b. an ihn glaubt, was unfehlbar zur Verbamimnig führte). Bei Ver-

gleichung ſämmtlicher Stellen des Koran über die Geiſter kann man ſich un⸗

ſeres Erachtens kaum des Gedankens entfchlagen, der Islam habe durch Her-

beiziehung der Geiſterlehre den Verſuch machen wollen, ein Band der

Vermittlung zwiſchen Gott und Menſch zu knüpfen, habe das aber nicht zu⸗

wegegebracht. Fehlt doch, wie bekannt, das Moment der Vermittlung, der.

Berföhnung dem Jelam ganz.

3.

Das Dogma von der Gerechtigfeit Gottes enthält die Lehre von der Vorherbeſtimmung, jenen Fatalismus, welchen wir nach den jegigen Hauptträgern ded Islam, einen türkischen zu nennen pflegen. Wie fi aber die menſchliche Vernunft gegen die Identität von Gerechtigkeit und Präteftination mit Recht empört, fo ift auch Die moslemiſche Lehre von der BVorherbeftimmung fehr widerfprudsvol. An vielen Stellen wird mit fhhneidender Schärfe ausgeiprochen, daß -Gott jedem Ding und jedem Mens ſchen jein Schickſal unwibderruflih vorberbeflimmt habe und nur Solde den rechten Weg führe, welche er wolle). An andern dagegen wird ebenfo

8) Bon den Geiſtern redet der Koran in den Suren 4, 6, 7, 48, 72. 6) Ich füge meine Auffaffung des moslemifchen Satans insbefondere auf diefe

Stelle der 4. Sura: Wer Gott ein anderes Mefen zur Seite ſetzt, dem verzeiht er

nit. Sie (die Ungläubigen) rufen außer ihm weibliche Gottheiten an und den aufs rührerifchen Satan. Gott hatte diefen verflucdht, worauf er (der Satan) fagte: Nun will ich einen beftimmten Theil deiner Verehrer nehmen und verführen und ihnen verz. botene, böfe Begierden einhauden. Wer nım außer Gott den Satan fih zum Be⸗ fchüger wählt, der wird augenfcheinlich feinen Untergang finden. Satan verfpricht:

ihnen wohl und regt ihr Berlangen auf; aber was der Satan verfpricht, if nur Trug.

Ihre Wohnung wird die Hölle fein und fie werden Feine Ausflucht finden, 1) Jedem Dinge haben wir feine Hare und deutliche Beſtimmung gegeben ; einen jeden Menſchen haben wir fein Geſchick vorherbefimmt. Sur. 47, B. 14. Gott leitet

390

ſcharf betont, daß Jeder dereinft für jein Glauben, Thun und Laffen werde ſtrenge Rechenſchaft ablegen müflen?). Der Widerfpruch iſt Har. Allerdings ift ed fo recht die Aufgabe des Glaubens, Widerfprüde für Nichts zu achten, Widerfprechendfled zu glauben. Der Glaube fann nit nur Berge verfegen, fondern auch Thäler audfüllen, d. h. er fhreitet, wie im vorliegenden Falle, über die weite und tiefe Kluft der Widerfprüche in einem Dogma hinweg, ohne fie auch nur zu bemerfen. Daß nicht alle Augen für das Vorhandenſein folder Klüfte blind find, das ift der Urſprung aller Keperei und Sektirerei. Auch im Islam, wo gerade dad Dogma von ber Präbeftination den bedeutendften Riß in die Einheit der moslemifchen Welt verurjachte. Hier iſt der Punkt, wo die Scheidung ber Sunniten und Schiiten eine wirklich innerlidhe, geiſtige, religiöfe Bedeutung bat. Die Sunniten_befennen ih nämlih zum Dogma ber Vorherbeſtimmung in feis ſtarrſten Folgerichtigkeit und ſprechen demnach dem Wenſchen die Freiheit des Willens unbedingt ab. Sie find Fataliſten im ſtrengſten Wortſtun und daher naturgemäß auch Fanatiker. Die Schiiten Dagegen ſahen die Flaffende Kluft des Widerfpruches und fprangen nicht hinüber. Sie fanden, tie ewige Vorherbeftimmung ſei mit der Gerechtigkeit Gottes unvereinbar, und weiter, daß, wenn der Menſch jenfeitö für feine Handlungen gerichtet werden folle, er dieſſeits die Fähigkeit haben müfle, überhaupt zu handeln. Sie flatuirten alſo bie Willensfreiheit de des s Menfchen, halfen ſich aber, um das Vorherwiffen Gottes nicht leugnen zu müffen, dam damit, daß fie annahmen, die Sandlungen | eines jeden Menſchen feien von Uranfang in das Buch der Geſchicke“ einge» tragen, d. h. Bott befannt. Man bat um dieſer abweichenden Auffaffung des zweiten moölemifchen Grunddogma's willen die Schiiten als die Prote— flanten und Rationaliften des Islam bezeichnet. Die letztere Bezeichnung mag angeben, aber um die erflere gelten zu laſſen, müßte man vergeflen, daß gerade ein Hauptmitbegründer des Proteftantisnus, Calvin, die Brä«- deſtinationslehre in wahrhaft junnitifher Strenge faßte 3).

auf den richtigen Weg, wen er will. S. 2, V. 209. Dazu vgl. S. 2, V. 6; S. 6, B. 38; ©. 16, B. 96 und noch eine ganze Menge ähnlicher Stellen.

Z) An jenem großen Tage (des Gerichts) wird Jeder nach feinen Handlungen den Lohn empfangen ; Gott weiß, was Jeder gethan. S. 39, B. 70. Der Barallelftellen find ebenfalls ſehr viele, faſt zahllofe.

3) Weil (HiR. krit. Cinl. i. d. Koran, S. 95 fg. Vgl. auch Weil, Geſch. d. &halifen, 11, 262) fucht fehr fcharffinnig nachzuweiſen, daß Mohammed felbft feines

391

4.

Das: dritte moslemiſche Grunddogma ftellt, wie oben angegeben wors ben, die Lehre vom Prophetentbum (Nebtuwwet) feſt. Es gebt darauf auß, dem Begründer des Islam eine unzweifelhafte Autorität zu verleihen, Die Lehrfäge von Gott und von feinem Propheten find unzertrennlich mit einander verbunden. „Gott ift Gott und Mohammed: ift jein Prophet *. Wohlverftanden, Mobammed ift der Prophet. Allerdings nicht der erfte und einzige der Propheten 1), aber er ift der endgültige Vollender des Pros phetenthums 2). Die Offenbarung von Gottes Wort ift fo wefentlih an ihn gebunden, daß der Glaube an eine nicht Durch Mohammed vermittelte Offenbarung ein faliher id). Demnach wäre der rechte Glaube an Öott durch den Blauben an Mohammed bedingt. Der Koran kommt fehr häufig auf diefen Punkt zurüd, Er polemiflrt,, wenn auch in achtungsvollſter Form, bei diefer Gelegenheit häufig gegen Chriſtus, d. 5. gegen deſſen VBergottung. Die Ehriften fagen, beißt es in der 19, Sura, der Allbarmherzige habe einen Sohn gezeugt; das ift ein ungeheuer« liches Vorgeben! Und in der 5, Sura: Chriftus ift weiter Nichts als ein Geſandter; vor ihm find andere Gefandte hergeaangen und feine Mutter war ein gewöhnliches Weib. Wetter wird in der A. Sura ganz deutlich zu vers ftehen gegeben, daß Chriftus weit entfernt geweſen, ſich felber zu vergotten. Es heißt da: Ehriftus ift nicht fo hoffärtig, daß er ſich weigern follte, ein Knecht Gottes zu fein. Mohammed nennt auch fidh einen bloßen Knecht Gottes, aber allerdings in dem Sinne, in welchem ſich der Papft einen Knecht der Knechte Gottes titulirt: Denn, wie gefagt, er ift der Prophet der Propheten, da8 Siegel an der dur ihn ein für allemal abgeichloffenen Urs funde der Offenbarung. Auch hinfichtlich dieſes Dogma's eriftirt zwi⸗ fhen den Sunniten und den Schliten eine Meinungdverfchiebenheit. Jene, geftügt auf die Koranftelle (S. 40, B. 57), wo Mohammed aufgefordert

wege das Dogma von der Vorherbeſtimmung in defien nachmaliger Starcheit gewollt habe, fondern daß es in diefer Starrheit erft dann zur Geltung gekommen, als bie Ehalifen, politifcher Zwecke wegen, eines blinden Fatalismus und des daraus refultis renden blinden Gehorfams der Moslim bedurften.

1) S. o. Kay. UI, 3.

2) MNohammed ift der Gefandte Bottes und das Siegel aller Propheten S. 33, B. 38. Dazu vgl. S. 2, B. 209; ©. 6, V. 34, ©. 21, S. 40, V. 78; S. 4, V. 62; 6.94, V. 2. "

3) ©. die eben citirten Suren und dazu noch die weiteren 3, 5, 19.

wird, täglid zu beten, bamit ihm Gott feine Sünden vergebe, behaupten, des Prophet und die Propheten überhaupt ſeien der Sünde unterworfen ge= weſen, wie die übrigen Menſchen, aber Durch beſondere göttliche Gnade van dar Strafe für ihre Berfehlungen befreit werden. Die Schiiten dagegen nehmen an, Die Propheten feien Durdsaus reine Menſchen geweien, denn fle Hätten unmöglich fündigen können.

5.

Das vierte moßlemiihe Hauptdogma umfaßt die Unſterblichkeit der Srele, dic Auferſtehung von den Todten, das jüngfle Gericht, die Belob⸗ nung der Guten und die Verdammung der Böien!). Das Banze iſt zwei⸗ felGohne den perflichschrifllichen Borftellungen nachgebildet, aber im Einzel« nen ebenfo gefchickt ald wuftänklich auf die Heighlütige Phantafie der Araber, anf die finaliche Anſchauung der Orientalen beredinet. Die Lehre von Der Unſterblichkeit der Seele ift Die Bafld der Lehre von ben legten Dingen. Sie (die Ungläusigen) fagen: Es gibt fein anderes Leben, als unfer hieſiges ir⸗ diſches Daſein, und wir werden nicht wieder aufermedt. Sollteſt du fie aber ſehen, wenn fie einft vor ihrem «Deren ericheinen und er fie fragt: I die Auferfichung nun nicht wahr geworden? da werben fle antworten : Wohl ift fie wahr, o Herr! Und Bott wird jagen: Nebmet nun hin die Strafe dafür, daß ihr nicht glauben wolltet 2). Ihr (Menfchen) müßt ſter⸗ ben, am Tage der Auferflefung aber werdet ihr wieder auferwedt 3). Glau⸗ bet an Gott und an den Tag tes Gerichts! 4)

Nach feiner Weije wiederholt der Koran die Lehre vom Weltgericht, vom „großen Tag”, vom „Tag der Trennung“ (der Guten von den Böfen)

1) Ich koͤnnte hier auch noch die Geſchichten von der Schoͤpfung, vom Suͤndenfall (Apfelbiß) im Paradieſe, von der Suͤndflut u. ſ. w. berühren, erachte es aber für Raums verſchwendung, da der Koran dieſe Mythen durchaus der Bibel nachgebildet und nur mit märchenhaften Arabesken verziert hat. Das Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen, wie ed in diefen Geſchichten im Kovan zu Tage tritt, if ganz das bibliſche. Auch bie Schugengel:Lchre des Islam iſt der perſiſch⸗jũdiſchen homogen. Sie findet ih am beflimmteften ausgelproden ©. 11, 8. 64 und ©. 13, B. 12. Die leptere Stelle lautet: Ein jeter Menfch hat. feine Engel, die (von Bott herabgefandt) einander ablöfen, vor und hinter ihm hergehen und auf den Befehl Gottes ihn bewachen.

2) Sur. 6, B. 29—30,

3) Sur. 23, ®. 18.

4) Sur. 2, B. 173.

393

ſehr oft und eindringlih. Aber man muß die. einzelnen Befimmungen die⸗ fer Lehre im ganzen Buch zufammenfuchen. Gin türkiſcher @otteögelehrter, welcher im 16. Jahrhundert ſchriab, Mehemed Pie Ali, Hat bie einzelnen Szenen des Gerichtätages fo zulammengeßellt 5): Wann bie Zeit des jüngßen Gerichtes herannabt, gibt der Engel Ißrafil mit feiner Poſaune bad Beiden. Des Befehles Allah's jeden Augenblick gewärtig, hält dieſer En⸗ gel das Mundftü feiner Poſaune befländig an den Mund. Sobald Ißra⸗ fil den Vefehl empfangen, bläft er, und es gibt einen entſetzlichen Schall, den alled Lebende tödter, den blaſenden Engel miteingerechnet. Vierzig Jahre lang bleibt die Welt autgeſtorben; dann erwedt Allah den Ißrafil wieder. Dieter flößt ein zweites Mal in die Poſaune und von dem zweiten Schall

werden alle Todton lebendig 6). Die Auferfiandenen find ganz ohne Bellei- bung; denen aber, welche Propheten und Heilige geweien, ſchickt man geflügelie Simmelsrofle (Borals) entgegen und Eoftbare Stoffe aus dem Paradise. Sie kleiden fi in letztere, befleigen die erfleren und reiten auf ihnen ind Paradies, wo fie im Schatten von Allah's Ehren fich niederlaffen. Die übri« gen Menschen ſtehen zuiammengedrängt, hungernd, durftend und ſchwitzend,

8) Nach einer Mittheilung im „Magaz. f. d. Lit. d. Aust.“ 1886, Nr. 102. 6) Wann in die Bofaune geſtoßen wird, dann wird Alles, was im Himmel und

auf Erden ift, leblos nieberflürzen, nur Die Wefen ausgenommen, welche Gott davon ausſchließt. Und wann wieder in die Poſaune geftoßen wird, dann werden fie fi wieder aufrichten und um fih bliden. Und die Erde wird leuchten durch das Licht ihres Herrn und das Buch (worin die Handlungen aller Menfchen gefchrieben find) liegt offen und die Propheten und Märtyrer treten als Zeugen auf und in Gerechtig⸗ feit nur wird gerichtet zwifchen ihnen und Keinem Unrecht gefchehen. Sur. 39, V. 68—69. Das Weltgericht wird eingeleitet durch den Weltuntergang. So heißt es in der 69. Sura:

Wamnm in die Bofaune geblafen wirt mit einem Stoß,

Werden Erde und Berge zerriflen werden durch einen Stoß.

An jenem Tage fällt die einfallende Stunde,

An jenem Tage geben die gefpaltenen Simmel zu Grunde.

Und in dee 77. Sura:

Bei den auf einander folgenden Sendungen vom Himmel,

Bei der Sterne Getümmel,

Bei den Bagrln, welche vie Klügel ausbreiten,

Bei den Berien des Koran, weldge Die Wahrheit deuien,

Welche Ermahnungen geben,

Verheißungen und Drohungen für dieſes und jenes Leben

a 0. —— .. --

394

indem die Sonne ihren Köpfen bis auf eine Meilenaherüdt”). Funfzigtauſend Jahre Tang (nach andern Angaben nicht To Tange) müflen fie in dieſem Buftande verharren. LUnterdeffen werben alle Bücher eingereiiht, weldhe Die Engel über den Lebenswandel der Menſchen geführt haben, und Allah ver⸗ hört die Seelen ohne Vermittlung eineg anderen Weſens. Auch eine Wage wird aufgerichtet, in welcher man da® Gute und das Böfe gegen einander abwägt. Die Seelen, deren Gutes überwiegend ift, fommen in dad Para⸗ die, diefenigen, an denen das Böfe überwiegt, in die Hölle es jei Denn, dag Allah ihnen verzeihe oder daß Propheten oder Heilige fie ihrer Yürbitte würdigen follten. Doch kann Yürbitte nur flattfinden, wenn die Seele gläubig aus dem irdiſchen Dafetn gefähteden tft. Wer tm Glauben flirbt, aber ob der Schwere feiner Sünden Feiner Verzeihung und Feiner Bürbitte theilhaft geworden, der muß fürzere oder Tängere Beit im Höllenfeuer bren⸗ nen und wird dann ind Paradies entrückt. Ein Atom des wahren Glau—⸗ bens ſchützt übrigens ſchon wider die Ewigfeit der Höllenqual®). Ueber die Hölle hinweg wird eine Brücke (Al Sirat), welche fo dünn wie ein Haar und fo fcharf wie ein Schwert iſt, nad dem Paradiefe führen?). Alle Seelen müflen über diefe Brüde gehen. . Einige fommen mit der Schnellig- feit des Bliges hinüber, andere mit der eines vennenden Pferdes, wieder andere im Paßgang, wieder andere fchleppen fid) unter der Laft ihrer Sünden

*

Es kommt der verheißene Tag: Wenn die Sterne ohne Licht bleiben Und die Himmel ſich zerſpalten, Wenn die Gebirge zerſtaͤuben Und die Gottgefandten Wache halten. 7) Das ftimmt freilich nicht ganz mit dem „Zerivaltenfein“ der Himmel, aber Bolgerichtigfeit in den Details muß man im Koran fo wenig fuchen als in anderen

Religionsurfunden.

8) Der Islam flatuirt alfo Feine Ewigkeit ber Höllenftrafen. Gr folgt hierin nicht der hriftlichen, fondern der milderen zoroaſtriſchen Anſchauungsweiſe. Vergl. Thl. 11, S. 181 folg. Nur für die Nichtmoslim gibt es nach der fpäteren intolerans teren Anficht des Propheten (1. o. Rap. II, 3, Anm. 3) eine ewige Verdammniß.

9) Die Brüde Tfchinevad des Zend - Avefta. Bel. Thl. I, S. 180, Anm. 2. Im Uebrigen ift fo zu fagen auf diefer Brüde vom Erhabenen oder Furchtbaren zum Burlesken und Lächerlichen auch nur ein Schritt. Einer Kegende zufolge verwandelt fih nämlich beim Uebergang über al Sirat Mohammed in einen Foloflalen Widder und fämmtlihe Moslims fegen fi in Beftalt von Flöhen in feinen Pelz.

395

wanfend vorwärts und noch andere flürzen, wenn fle die Brüde kaum betre⸗ ten haben, haͤuptlings in den Höllenſchlund hinab.

Immer, wo er von ben legten Dingen ſpricht, wirkt der Koran tief⸗ ergreifend. Da zeigt ſich Mohammed als rechter Dichter. Seine Sprache iſt hier ſelber wie der Schall der Gerichtspoſaune, welcher verſtockte Ge⸗ wifſſen erbeben macht 10). Die Schilderungen des Ortes der Pein durch⸗ weht etwas wie Höllenglut, die am gewaltigſten aufſchläͤgt, wo des Gerichtes gedacht wird, welches der Lügner, der Verleumder und der Wucherer harrt 11). Von dem dunkelrothen Hintergrunde der Höllenbilder heben ſich dann die Gemaͤlde paradieſtſcher Seligkeit nur um fo reizender ab. In Wohlgeruch athmenden Schattenhainen, durchmurmelt von ſilberhellen Quellen, hat der ſelige Gläubige feinen Wonneſttz. Die lieblichſten Früchte, die ſüßeſten Weine, kredenzt von anmuthigen Paradieſesjünglingen, erfreuen ihn und in den Armen fchwarzäugiger, von Schönheit und ewiger Jungfräulichfeit ſtra⸗ lender Houri's foftet er ſtets erneute Freuden 12).

10) So die 101, Sura: Die Hovfende Stunde, was ift die Flopfende Stunde? Und von der Flopfenden Stunde wer gibt dir Runde? Es ift der Tag des Gerichts, wo die Menfchen wie Heufchreden verfiteuet vom Wind, Die Berge gleich gefrämpelter Baumwolle find. Und weflen Wagfchale finft, dem wird's im ew’gen Leben gut; Und weflen Schale fteigt, finft in die Flammenwuth. Weißt du wohl, was da ift die Flammenwuth? Es ift der Hölle brennendſte Blut. 11) Weh' dem Lügner, der den guten Namen ftreift! Meh’ dem, der nur Schäge auf Schäge häuft, Weil er ewig fich auf feinen Reichthum fleift. eh’! Hinunter in die Höllenftampfe (Al Hutama) ! Weißt du, was das if, die Höllenftampfe? Teuer Gottes ift es, hochaufragend, Ueber Herzen wild zufammenfchlagend, Glut, wie in ein Gewölbe zufammengebogen, Blammen, body wie Säulen aufgezogen. Sura 104. 412) Die Gerechten trinfen Wein, gemifcht mit Blut vom Kampherquell ; Davon trinfen die Diener Gottes, das Wafler leitend von Stell’ zu Stell”, Die ihre Wort hielten und den Tag fürchteten, deſſen Mebel weit wird freifen, Die aus Liebe Gottes fpeiften die Armen, Sklaven und Waifen, Sagend: wir fpeifen euch Gottes wegen und wollen weder Dank noch Lohn, Wir fürchten vom Herrn ben Tag voll Trog und Hohn.

386

6.

Das fünfte Dogma, das von der Erbfolge der Imame (Imameı), 1% ein von Sunniten und Schiiten ſehr verſchieden gefaßtes. Seine Natur iſt, wie wir oßen anmerkten, mehr eine politifche als religiöfe und der Ur⸗ fprung feiner verfchiedenen Beltung bei den beiden grofien Sekten des I6r am muß geradezu in einer Haremsintrigue gefucht werden. Aiſcha, die Tochter Abu Behr, nach dem Tode der Chadidja des Bropheten einfluß⸗ reichſte Frau, obgleich fie ihm mehr ale einen Verdruß verurfachte und fogar ihre eheliche Treue bei einer Gelegenheit. in ſehr zweideutigem Lichte erfhien, dieſe Aiſcha haßte den tapfern Uli, den Gatten von Moham⸗

Deßwegen fchirmte fie der Herr vor'm Uebel diefes Tages, gab ihnen heiteres Geficht und Freude,

Er lohnte ihre Geduld mit dem Paradies und mit Seide.

Dort ruhen fle auf weichen Matten, fühlen weder Froſt noch Hitze,

Es wallen über ihnen fühle Schatten und Früchte neigen fih von der Bäume

Ä Spike.

Es freiien Schalen aus Silber und Becher aus Glas,

Gefäße aus Silber von gehörigem Maaß.

Sie trinken Becher, gemiicht mit dem Gewürz Sendſchebil,

Bon dem Duelle genaunt Selfebil. -

GEs Freifen um fle ewige Jünglinge, zerſtreuten Perlen gleich,

Und ſchauſt du näher, flieht du ewige Gnade und das himmliſche Reich.

Im Kleide aus grüner Seite, mit Gold gefickt,

Sind fie mit filbernen Armbäntern gefchmüdt ;

&8 tränfet fie der Herr mit reinem Trank,

Das ift ihr Lohn, das ift für ihre Deühe der Dank. Sura 76.

In der 38. Sura (B. 49 fg.) heißt es: Wahrlich, die Frommen follen einen herrlichen Aufenthalt haben, namlich Etens Gärten, deren Bforten ihnen offen find. Sie können ch dort niederlaffen und von allen Arten Früchten und ®etränfen fordern. Neben ihnen werten fein Jungfrauen mit keufchen Blicken und von gleichem Alter mit ihnen. Die Uebelthäter aber follen einen ſchlünmen Aufenthalt haben, nämlich die Hölle, in welder fie brennen ſollen. Welch ein elentes Lager iſt dies! Stinfendes und heißes Wafler und noch Anteres mehr der Art follen fe foften. Vgl. über Himmel und Hölle noch die Sura2 (B. 27), 38 (B. 17), 43 (B. 66 fg.), 70 (8. 7 fg.), #7 (3. 16 fg.). Wie ſchon oben bemerft worten, iſt es irrig, zu meinen, Mohammed babe den Frauen Unflerblicfeit und Seligfeit abgeiprochen. In der 33. Sura heißt es ausprüdlih: Für die gläubigen Bänner und Frauen, "für die wahrhaftigen, getultigen und demüthigen Männer und Frauen, für die Almoſen gebenden und faftenten und für die feufchen Männer und Frauen, die oft Gottes eingedent find, hat Bott Berföhnung und großen Lohn bereitet.

397

eds Tochter Fatima, umd fette alle Hebel tn Bewegung, um. die Ernennung

des Gehaßten zum Nachfolger des Propheten zu hintertreiben. Mohammed hatte die Schwachhetit, diefen Ränfen nicht entſchieden genug entgegenzir- treten. Wenigſtens unterließ er es, den Alt beflimmt genug als feinen Nachfolger zu bezeichnen. Zwar that er auf der Hüdfehr von feiner Ab⸗ fhiedswallfahrt nach Mekka die Aeußerung: „Wer mich liebt, der wähle auch Ali zum Freunde (maula). Gott ſtehe dem bei, der ihn befchügt, und verlaffe den, der ihn anfeindet”. Allein die Neider Ali's fanden in dem von Mohammed gebrauchten Ausdruck einen Doppelfinn, welchen fle zu ihren Bunften auslegten 1). Sie brachten e8 daher, hauptſächlich durch die Ma⸗ chinationen der Aiſcha, dahin, daß nach dem Tode Mohammeds von der Verfammlung der Gläubigen (Djemo’ er) nicht Ali, fondern Abu Bekr zum Statthalter (Chalif) des Propheten gewählt wurde. Auch fpäter wurde Ali noch zweimal übergangen, indem ihm Omar und Othman vorgezogen wurden, und ald er beim Tode des legteren endlich zum Chalifat gelangte, vermochte er es feinem Haufe dennoch nicht zu erhalten, wie wir jeined Ortes ſehen werden.

Die Sunniten nun Teugnen eine erbliche Berechtigung zur Herrſchaft über das Volf der Moslim und behaupten, nur die bier erften Chalifen, Abu Bekr, Das Othman und Ali, feien, weil von der Djemo' et gewählt, aͤchte Imame d. h. die wahren und gefeglichen Lenker ber Gläubigen tn geiſtl ihen und. weltlichen Dingen ‚gewejen. Die Schiiten dagegen fafien das Dogma vom Imamet fo, daß Ali und feine Nachkommen ein erbliches Recht

dazu gehabt und daß demnach fomwohl die drei erften Chalifen als auch Die, .

welche fpäter die Söhne Ali's vom Chalifat verdrängten, fammt und fon« ders Ufurpatoren gewejen feien. Nach ſchiitiſchem Glauben erbte ſich die oberfte geiftlihe und weltliche Regierung der Moslim in dem Geichlecht Ali's und Batima’d fort. , Nur die Nahfommen Ali's find den Schii ächte

Imame, Als den zwölften und Iegten verehren fie den Mohammed Mehdi, welchen fie bei allen Verſammlungen redhtgläubiger, d. h. ſchiitiſcher Mos⸗

lim noch jetzt unſichtbar zugegen glauben. Natürlich haſſen und verfolgen ſich die beiden Sekten gegenſeitig als Ketzer. Die Sunni?), deren Haupt—⸗

nn

1) Das Wort maula bedeutet ebenſogut Herr und Gebieter als Freund und Beſchuͤtzer.

2) Dieſen Namen haben ſie von der Sunna, d. i. von der Sammlung von Lebensregeln für die Glaͤubigen, welche aus den Reden und Handlungen des Pro⸗

ige die Türkei und Aegypten find, haben ihren Gegnern, deren Hauptßg Perfien if, den Schimpfnamen Schi, d. i. Abtrünnige gegeben, ter aber son dieſen, wie es mit foldden Bezeichnungen zu geben pflegt, als Ehren⸗ name aboptirt wurde.

Diertes Kapitel. Der modlemifhe Gottesdienſt.

1.

Man hat gejagt und oft wiederholt, daß ein Unterſchied fei zwiſchen Dogmatik und Religion, ja fogar, Laß in der erfleren geradezu der religiöien Idee Widerſprechendes jein könne und nicht felten wirklich ſei. Die Anficht mag auf dem philojophifhen Standpunkt ihre Berechtigung haben und läßt fid) aus der Dogmengeſchichte aller Religionen zweifeldohne begrünten. Die rein culturhiſtoriſche Betrachtung darf aber der philoſophiſchen Kritik des Inhalts ter Dogmatik ſich entſchlagen; fle faßt denielben einfach als ten theoretiichen Theil eines Glaubensſyſtems und iſt daher berechtigt, zu jagen: das Togma ift die Seele der Religion. Dieje Seele jhafft ſich ihren Leib, den Cult. Die praftiiche, die gotteöbienftliche Seite der Religion iſt der jeweiligen theoretiichen Entwicklungsſtufe fo ziemlich überall adäquat. Den reihften, am meiften künſtleriſch organifirten aller Culte befigt ohne Frage der Katholicismus und ed entſpricht der Fatholifche Gottesdienſt vollftäntig dem Eatholijchen Dogma, welches, in Berüdfihtigung der finnliden Seite ber Menicdyennatur, durch Herbeiziehung und Geltendmadhung mythologis jeher Elemente ten chriſtlichen Spiritualismus der jinnlihen Begreiflichfeit

pheten, wie mündliche Tratition ſolche angeblich aufbewahrt hatte, geſchöpft fint. Die authentiiche Zufammenflellung der Sunna rührt von Abdallah Mobammed Ben

Jsmail el Dſchaafi, genannt EI Bochari (ft. 869 n. Chr.), her. Die Schiiten

verwerfen die Sunna, die Sunniten dagegen halten die VBorfchriften derfelben neben denen des Roran für verbindlihd. In ihrem Berhälmiß zur Tradition könnte man alfo die Sunni die Katholifen, die Schii die Proteflanten des Islam nennen.

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näher zu bringen ſuchte. Micht ganz folgerichtig perhaͤlt ſich der moſaiſche

Cult zum moſaiſchen Dogma. Dem ſtarr abſtract⸗monotheiſtiſchen Gottes⸗

begriff des Hebraismus wäre ein noch einfacherer Gottesdienſt, als der

bebräifche war, entſprechend geweſen. Es ſcheint aber, daß Moſe feinen

durch den Aufenthalt in Aegypten an reiche Cultentfaltung gewöhnten Volke

in dieſer Hinſicht nicht allzu wenig habe bieten dürfen, und dann haben wohl

auch die prächtigen Culte ihrer ſyriſchen Nachbarn auf den der Juden Ein⸗

fluß geübt. Weit confequenter, ald im Hebraismus, ift im Islam das Ver⸗

hältniß zwifchen der Seele und dem Leibe der Religion, zwiſchen Dogma

and Eult. Die firenge Feſthaltung des Begriffes eines jenfeitigen, leib⸗

und bildlofen. Gottes verwehrte jedes Herantreten der Künfte zum Gottes⸗

dienft als gögendieneriih. Einzig und allein die Architektur durfte im

Dienfte der Religion thätig fein, aber auch fie mußte fih wenigftens jo

lange nicht fremde Bildungselemente in den Islam eingegangen auf das

Allernothwendigfte beſchraͤnken. So fehlt denn dem moslemiichen Cult das

Element der Schönheit. Das modlemifche Ritual entbehrt aber nicht nur

des aͤſthetiſchen Moments, ed hat überdies etwas Abftractes, fo zu fagen

Vereinzelndes, denn allen Beobadhtern ift im Gottesdienſt des Islam ein ı gewifler Mangel an Gemeinſamkeit aufgefallen), Der Moslem | fheint das, was die Chriften unter Erbauung der Gemeinde“ „Andacht ı ber Gemeinde”, „Gottesdienſt der Gemeinde“ verftehen, gar nicht zu | fennen. Sein Cult ift, obgleich nicht immer vom Einzelnen geübt, dene : noch weſentlich Sade des Einzelnen. Der Islam kennt aud keine

kirchlichen Gnadenmittel, keine Sacramente, und es darf alfo der Aus⸗

druck, moslemiſche Kirche“, wenn er überhaupt gebraucht werden will, nur

in ganz äußerlihem Sinne verftanden werden.

2,

Die vier großen Pflichten des moslemiſchen Gotteödienfted find: 1) das Gebet, 2) das Baften, 3) dad Almofengeben, 4) die Wall- fahrt nad Meffa.

Das Gebet (selat) gilt für die erfte und höchfte Eulthandlung. Sie vornehmlich reinigt Die Seelen). Es ift daher nicht zu verwundern, daß die Vorfchriften über diefe gottesdienftlihe Uchung bis ind Einzelnfte gehen.

1) Bal. insbeiondere Abeken, „das relig. Leben im Islam”, S. 17 und 37. 1) ©. über das Gebet die Roranfuren 2, 3, 7, 9, 20, 23, 29, 50,

400

Meidung ), Stellung und Baltung des Körpers, Belt, Hahl und Reihen⸗ folge ter Gebete, dies Alles und noch vieles Andere iſt genau feſtgeſetzt. Der Betende muß fi mit dem Geficht zur Kebleh, d. i. nach der Himmels“ gegend wenden, wo dad Bauptbeiligtbum des Idlam, die Kaabah, Tiept; ex muß zuerft Rraff aufrecht flehen, mit geman an einander gefthloffenen Yüßen, dann figend die vorgeſchriebenen Berneigungen abfhum, wobei mit der Stirne die Erde zu berühren und wohl Darauf zu achten ift, daß Tein unreiner Ge genftand berührt werde. Bünfmal des Tages wird gebrtet und zwar ba, : wie befannt, im Drient der Tag mit den Abend anhebt beim Untergang der Sonne, bevor dieſelbe gänzlich verſchwindet, Denn nach Sonhenanter gang bis gegen Mitternacht bin, ferner kurz vor oder während ber Mitier⸗ naht, dann bei Sonnenanfgang und endlich zu Rittag. Zu jeder biefer fünf Tages» und Rahtzeiten ruft weil der Iſslam keine Glocken Bat von der Balerie der Mofcheenminarets herab der Muezzin fingend die Glaͤu⸗ bigen zum Gebet auf). Wo er au ſei nur nicht an einem unreinen Drte gehorcht der Moslem, gänzlich unbekümmert um die Außenwelt, dem Ruf und verrichtet unter mancherlei Wendimgen und Neigungen die vorgefhrtebene Anzahl von Gebeten. Den Inhalt derfelben bilden An⸗ tufungen und Lobpfeifungen Gottes, wobei das „Allah akbar“ (Gott fi groß!) Häufig wiederkehrt, ferner Segensſprüche auf den Propheten, Bit⸗ ten um Seil und Gedeihen, Citate aus dem Koran. Den Haupfbe flandtheil des moslemiſchen Gebetes macht Die Cingangdfure des Koran

2) Männern ift es erlaubt, nackt ihr Gebet zu verrichten; nur die Schamtheile müſſen bedeckt fein. Die Frauen dagegen muͤſſen beim Beten vollſtändig angezogen fein und dürfen nur das Geficht, die Hände und die Füße bis zu den Knöcheln unbe deckt haben.

3) Mit der Formel:

Lo illahe illallah!

Gott iſt groß! Gott iſt groß! Gott iſt groß!

Ich zeuge, daß kein Gott iſt denn Allah!

Gott iſt groß! Gott iſt groß! Gott iſt groß!

Ich zeuge, daß Mohammed iſt der Prophet Goites!

Kommt zum Gebet, kommt zum Gebet!

Herbei zum Tempel des Heils, herbei zum Tempel des Heils! Gebet ift befler ale Schlaf, Gebet ift befler als Schlaf!

Gott ift groß! Bott iſt groß! Gott ift groß!

Außer Allah Fein Gott!

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83). Sie ik in der mohammedaniſchen Welt ganz das, was in bet hriftlihen das Vaterunfer.

3.

Das Faften (saum) iſt eine Abſchwächung deg Opfers und zwar des Menſchenopfers. Statt fein Leben darzubringen, quält der Menſch feinen Leib durch Enthaltung von gewohnten, beziehungsweife nothmendigen Ges: nüffen. Das moslemifche Geſetz kennt verfchiedene Bafttage im Laufe des Jahres, welche jedoch nur für verdienftlich, nicht für geboten gelten. Geboten jedoch, durch den Koran, iſt die große Baftenzelt während des ganzen Mo⸗ nats Ramazan, in welchem der Prophet die erſten göttlichen Offenbaruns gen empfangen haben ſoll. Da muß vom Sonnenaufgang bis nach Sonnen⸗ untergang alle Tage des Monats, hindurch unverbrüchlich. aefaftet. werden. Nur Kinder unter fleben Jahren, Kranke, MWahnfinnige, Kindbetterinnen. und Reiſende find davon ausgenommen. MWährerrd der angegebenen Tages: zeit ift der Genuß jeglicher Speile verboten. Auch darf nichts Flüſſtges mit dem Munde berührt, ja nicht einmal der eigene Speichel verſchluckt wer⸗ den. Tabakrauchen und das Einathmen von Wohlgerüchen iſt unterfagt ; ebenfo das Einnehmen purgirender Medizin, endlich das Baden und bie geſchlechtliche Beiwohnung. Jede Verlegung einer diefer Vorfchriften, ſowie das Ausiprechen einer Lüge, macht die Faſten gänzlih ungültig und bie Wiederholung derfelben nothwendig. Außer den Ramazan⸗Faſten gibt e8 aber noch ein Faſten in Folge eines Gelübdes (nezr) und das mit dem foge- nannten Sähnopfer (kefforet) verbundene Baften. Der Moslem thut nänt- lich Gelübde, zu einer Heftimmten Zeit zu fuften, nah Mekka zu wallfahren, befondere Gebete zu verrichten, befondere Almofen zu geben oder auch für eine beflimmte Zeit der Frauen ſich zu enthalten, entweder rein „urh Gottes Willen“, wo alfo die Opfernatur des Gelübdes deutlich zu Tage tritt, oder um dadurch von Gott etwas Bewünfchtes zu erlangen oder ſich bei einer Unternehmung den göttlichen Beiftand zu fihern. Das Kefforet da= gegen {ft eine Eulthandlung, welche dem Moslem in gewiſſen Bällen zur

4) Im Namen des allbarnherzigen Gottes! Lob und Preis Bott, dem Welten: } herren, dem Allerbarmer, der da herrichet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir ! dienen und zu die wollen wir flehen, auf daß du uns führeft den rechten Weg, den ' Weg derer, die deiner Gnade ſich freuen, und nicht den Weg derer, über welche bu: zürneft, und nicht den Weg ber Irrenden.

Scherr, Gef. d. Religion. I. 26

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Büßung unfreiwillig begangener Sünden oder zur Reinigung von Ver⸗ geben vorgefchrieben iſt 5).

4.

Die altberühmte arabiſche Gaſtfreiheit hat durch den Islam die höchſte religiöſe Weihe erhalten. Der Koran erhob die patriarchaliſche Milde gegen . Bedürftige zu einer Religionspflicht, das Almoſenſpenden zu einem Cultact. Dieſe Pflicht, dieſen Act ſchreibt der Koran an ſehr vielen Stellen und nicht ſelten in Ausdruͤcken vor, welche an Humanitaͤt aͤhnlichen Vorſchriften des Evangeliums durchaus nicht nachſtehen. Auch wurden und werden die Ge⸗ bote der Mildthätigkeit von den Moslim eifrigſt befolgt, wie die zahlloſen frommen Stiftungen im Orient, die Schulen und Spitäler in den Städten, die Karavanjeraid und Brunnen an den Wüftenftraßen und dergleichen An⸗ ftalten mehr beweifen. Auch auf tie Sklaven, welche in der moslemiſchen Welt entſchieden viel humaner behandelt werben als in der chriſtlich⸗ ameri⸗ kaniſchen, erftredt fid) die milde Fürſorge, ja jogar auf Thiere, wie der be= kannte Taubenipital bei der Bajazid⸗Moſchee in Stambul und die Kapenitiftung in Damadfus zeigen. Das moslemijche Geſetz handelt von der religiöfen Pflicht der Wohlthätigkeit unter dem Titel „Abgabe vom Eigenthum * (zekat) und untericheidet einen nothwendigen oder gebotenen und einen bloß angerathenen Zekat (zekat wodjib und zekat sunnet). Der erſtere muß von jedem freigeborenen und volljährigen Modlem nad Maaßgabe ſeines Vermögens entrichtet werden. Der Ertrag dieſer Steuer füllt an Arme, als welche alle betrachtet werden, die nicht für ein Jahr die Mittel zum Lebensunterhalt befigen, an Schuldner, welche ihre Schulden ſchlechterdings nicht aus eigenen Mitteln bezahlen können, an Fremde, die ohne Subſiſtenz⸗ mittel find, an Unglaͤubige, welche den Gläubigen im Kriege beigeftanden. Dann wird der gebotene Zefat noch verwendet zum Loskauf von Sklaven, die von ihren Herren fchlecht behandelt werden, ferner zur Erbauung von Moicheen, Schulen, Grabmälern, Brüden, Brunnen und zur Einridtung anderer gemeinnüßiger Unftalten. Die Verwendung des bloß angerathenen Zekat ift natürlich der Willkür des Einzelnen überlaffen 2).

85) Tornauw, d. moslem. Recht, S. 180. 1) Ueber den Zefat vgl. die Koranſuren 2, 48, 50, 57.

403

5.

Die Wallfahrt nach Mekka (el Heddj) ift eine gottesdienftliche Uebung, melde ter Koran (Sur. 22) jedem Moslem vorfchreibt. Jeder Gläubige joll, ftreng genommen, wenigftend einmal in feinem Leben die Kaabah, das Haus, weldyes Abraham zum Tempel des wahren und einigen Gottes erbaute, pilgernd betreten. Dieje Pflicht erfüllt zu Haben wird in der ganzen mo⸗ hammedaniſchen Welt als ein großes Verdienſt und Glück betrachtet und jeder von diefer Wallfahrt Zurüdgefehrte führt mit Stolz den Ehrennamen eined Hadſchi (Pilger). Indeſſen ift e8 bei den bedeutenden Koften und Opfern, welche mit diefer Reije verbunden find, ſchlechterdings unmöglich, dag alle Bekenner des Islam diefelbe unternehmen, und Mohammed felbft icheint dies bei Zeiten eingejeben zu haben. Wenigſtens werden auf münd«- liche Ausfprüdhe des Propheten die näheren Beflimmungen zurüdgeführt, welche in modlemifchen Gefeg betreffd der Wallfahrt nach Mekka gültig find. Demzufolge ift diefe nur Pflicht unter folgenden Bedingungen. Der Pilger muß perjönlich frei, d. h. Fein Sklave, volljährig, im vollen Beſitz der Ver⸗ ftandeöfräfte und der Gefundheit fein; er muß ferner die zur Reiſe nötbige Zeit haben und gewifje Garantien der Sicherheit des Weges, endlich fo viel Nermögen, daß e3 zu feinem Unterhalt auf der Meije und zur Subflftenz jeiner Bamilie während feiner Abwefenheit ausreiht. Man fieht, dieje Be⸗ flimmungen find dehnbar genug, um die Fahrt nach Mekka zu feinem abio- Iuten Müffen zu mahen!), Die auf der Wallfahrt zu beobachtenden rituellen und moralifchen Vorjchriften gehen ind Einzelnfte. Tracht, Reini⸗ gungen, Gebete, Ceremoniel, innere und äußere Lebensführung auf der Hins und Herfahrt und am Ziel der Pilgerjchaft ſelbſt, Alles ift dem Hadſchi aufs Genauefte vorgezeichhnet und es beftehen Die vornehmften Cultbräuche bei und in dem Heiligthum der Kaabah in Umgängen um daflelbe, im Her⸗ jagen gewiffer Gebetformeln, im Küſſen ded con Abraham beim Bau des Tempeld geweihten jchwarzen Steind, im Trinken aus dem Brunnen Zem⸗Zem und endlich im Darbringen eined Opfers (Kurban). in Theil des geopferten Kameeld, Stiered oder Schafes wird von den Pilgern

1) Die Schüten laflen es zu, daß die Wallfahrt nach Meffa durch Stellvertreter um Lohn abgemacht wird, wie es ja auch bei den Katholifen Wallfahrer „im Tag: lohn“ gibt.

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ſelbſt verzehrt, das Uebrige den Armen ausgetheilt?). Mit der Wall- jahrt nach Mekka wird die nach Medina zum Grab des Propheten verbun⸗

23) Ich halte es fuͤr angemeſſen, in dieſer und der folgenden Note von den in weiteren Kreiſen noch wenig bekannten zwei Hauptheiligthümern des Jolam eine aus Burdhardts Travels in Arabia und Burtons Pilgrimage to EI-Nedinah and Meccak ausgezogene Beichreibung zu geben. Burckhardt war Befannsfich der erfie Europäer, weicher die Kaabah, Yurton der erfte Europäer, welcher das Grab des Propheten fa. Burdharbis Schilderung der Kaabah ift im Nachſtehenden durch den Bericht Burtons berichtigt und ergänzt. Ich kürze übrigens beide Beichreibungen nach Möglichkeit.

Die Kaabah fleht in einem von einer Mauer umfchlofienen länglichen Viereck, welches 257 Schritt in Me Länge und 210 Schritt in die Breite mißt. Diefer vffene Platz ift an der Oſtſeite von einer Säulenhalle umſchloſſen, deren Pfeiler in vierfacher Meihe Reben. Bon biefer Säulenhalle aus führen mehrere grpflaftente Wege nach ter Kaabah im Wittelyunft des Biereds. Das heilige Haus if ein länglichee maſſiver Bau, welcher 85 Fuß Länge, 45 Fuß Breite und 30—40 Fuß Hoͤhe hat. Das aus grauem Mekka⸗Geſtein aufgeführte Gebäude ficht auf einer 2 Fuß hehen Grundlage, und da fein Dach flach ift, fo gleicht es im der Berne einem voltfommenen Cubus. So, wie es jetzt lebt, wurde es im 3. 1629 umgebaut. Der einzige auf ter Nordfeite befindliche Eingang hat eine Thüre, welche ganz mit Silber überzogen und mit golde: nen Zierrathen verfehen ik. An der Südoflede der Kaabah, nahe ver Thüre, befindet fi der berühmte „Ichwarze Stein“ (Hedjar eleswed), über defien Urſprung eine Menge von Sagen umgeht, von denen bie meiften höchſt abgeichmadt find. Die gäng und gäbfte bringt diefen Stein, wie den Urfprung ter Kaabah Überhaupt, mit Abraham in Berbintung. Es if dieſer ſchwarze Stein ein unregelmaͤßiges Eirund von etwa 7 Zoll Durchmeſſer mit einer wellenförmigen Oberfläche, welche aber durch die Millio⸗ nen Berührungen und Küfle abgenügt if. Bin maffiver Bogen von Gold biltet die Einfafiung des Steines. Auf der Nordfeite der Kaabah, hart an ter Mauer und gerade neben der Thüre, Befindet fi im Boden eine mit Marmor leicht bekleidete Hoͤh⸗ lung, groß genug, um drei Perfonen Raum zum Eigen zu laffen. Hier zu beten wird für fehr verdienfttich gehalten, denn diefe Höhlung foll der Ort fein, wo Abraham mit feinem Sohne Jömael den Kalk und Thon netete, defien fie zur Erbauung der Kaabah benöthigt waren. Auf ber Nordweſtſeite der Kaabah if Die berühmte goldene Waller: rößre, durch welche Das auf dem Dach des Gebäudes gefammelte Negenwafler ber: unterfirömt und zwar auf ein fehr ſchoͤnes Mofaikpflafter. An diefem Plab, behauptet die moslemifche Legende, liegen Ismayl, der Sohn Ibrahims (Abrahams) und feine Mutter Hadjirah (Hagar) begraben. Rund um die Raabah fäuft der fogenannte GL Mataf, d. i. der Blag des Herummwandelnd, ein, mit grauem, vom den Füßen der Gläubigen wie Glas polirtem Granit gepflaftertes Eirund, umgeben von zweiunt: dreißig fchlanfen vergoldeten Pfeilern, zwifchen welchen je fieben Glaslampen hängen, die nah Sonnenuntergang angezündet werden. Unter ven fapeflmartigen Gebaͤuden, welche innerhalb der Mingmauer der Kaabah Reben, nimmt nach dieſer felbfi an Heilig⸗ keit den erfien Rang ter Makam ein, welcher den Brunnen Zem⸗Zem umfchliegt.

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den 2). Ein dritter außerordentlich heiliger Ort ift die Moſchee Masjid⸗el⸗ Aska in Ferufalem, ein vierter die Aa Sofla zu Konflantinopel, ans einer

Diefe Kapelle Hat eine viereckige Geftalt und der Cingang öffnet ih nach Süpdoft. Dee Raum, weicher den Brunnen enthält, if mit Darmoren von verſchiedener Farbe verziert. Die Mündung des Brunnens felbft ift von einer fünf Fuß hohen und etwa zehn Fuß im Durchmeſſer haltenden Mauer umgeben. Auf diefe fiellen füch die Leute, weiche das Waſſer in ledernen Bimern heraufjichen. Das Waller aus dem Brunnen Zem⸗Zem ift von falzig bitteren Geſchmack und verurfacht keit Diarrhde. Es wird, zum Trinken und zu Abwalchungen gebraucht, in hoher Berehrung gehalten, obgleich Burton feinen Gläubigen davon trinfen ſah, ohne daß der Trinfende ein fehr fchiefes Geficht dazu machte. Das Wort Zem⸗Zem felbft ift zweifelhaften Urfprungs, indem ed Binige ableiten von Zam-Zam oder Murmeln des Waflers, Andere von Zam! Zam! (Fülle! Fülle! nämlich die Ylafche), dem Ausrufe Hagars, als fie den Duell zuerſt erblickte. Dem mittleren Teil der Fronte der Kaabah zugemantt, fteht der Mambar, d. i. Die Kanzel der Moſchee, aus feinem weißem Marmor gearbeitet. Bine ſchmale Treppe führt zu der Stelle des Chatyb (Predigers uber welcher fi ein vergoldeter obelisfartiger Spigthurm erhebt. Hier wird an Kreitagen und an gewiſſen Feſten den Pilgern gepredigt. u

3) Die Stadt Metina, von den Arabern Wedinetsel:Rabi, d. i. Stadt des Pro⸗ pheten genannt, liegt auf einer großen Hochebene Mittelarabiens, in einer 12 (engl.) Meilen ringsumher heiligen Gegend, welche eine Menge von Heiligthümern, Mofcheen, Kapellen, Brunnen, Grabmälern u. f. w. enthält. Intereſſant ift in der hübſchge⸗ bauten Stadt mit etwa 16,000 Einwohnern das bunte Gemifch der Vevoͤlkerung, welde aus Hier zurücdgebliebenen Pilgern aller muelemifchen Racen befteht und von ber Kübrung, Bewirthung und Anbettelung der Pilger lebt. Das Intereflantefte der : Statt jedoch ift die von ferne golden bligende Moſchee, in welcher die Geheine Mos: hammeds ruhen und welche daher Masjidsel-Nabawi heißt. Sie bildet ein längliches, von vier größeren und zwei Feineren Minarets überragtes Viereck. Burton fagt, ee fei beim Herantreten an das hochheilige Gebäude ſehr entiäufcht worden. Der Weg zu demfelben fei von gemeinen Baraden und Buben eingeengt, und je näher er die Moſchee felbit angeſehen habe, deſto mehr fei fie ihm wie ein ungeheurer Raritäten: laden vorgelonnmen, vollgepropft mit barbarifcher Zierrath und überladen mit ärmlichem Schmuck. 6 gelang dem fühnen Englänter, in der Geſtalt eines andäctigen Pils gers tie heiligen Raͤumlichkeiten genau zu betrachten. Die eigentliche Moſchee Heißt Haram. Außerdem find nody merfwürdig die Quelle, der Garten und der Redner⸗ Ruhl des Propheten, Sowie das Kenfter, zu welchem der Engel Gabriel hereinflog, wenn er die himmlifchen Botfchaften an Mohammed beftellte. Mohammed ift be⸗ kanntlih an dem Ort, wo er flaxb, d. i. in dem Zimmer feiner Frau Aiſcha, bes: graben worden. Diefer Raum nun bildet in dem ſüdweſilichen Winfel der Mofchee ein großes unregelmäßiges Biere, welches nad) allen Seiten durch eine breite PBaflage von der Mofchee felbft geichieden it. Im biefem Viereck befindet ich das Maufoleum, eingefchlofen von einem doppelten Bifengitter, innerhalb beflen ber Vorhang Herabs

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chriſtlichen Baſtlika in eine türktfche Moichee verwandelt, unter deren Kuppel der moßlemifchen Legende zufolge der Prophet Elias dereinft feine Antacht

hängt, welcher die Gräber Mohammeds und ber beiden erften. Ehalifen, Abubefr und Dmar, verhüllt. Gin auf tem Vorhang angebrachter Rofenfranz von Perlen mit einem Stern in der Mitte bezeichnet das Grab des Propheten. Den Stern nennen die Moslim das „Juwel unter den Juwelen des Paradieſes.“ Burton dagegen meint, das Ding fehe ganz fo-äls, wie der Stöpfel zu einer gewöhnlichen Wafler: flaſche. Ueber Grab und Sarg des Propheten gibt es verichiedene Lesarten. Der einen zufolge beftcht der Sarg aus einem fchwarzen Marmorblod, nach einer andern liegt Mohammed tief in der Erde in einem mit Silber befchlagenen Sarge von Eben⸗ holz, eine dritte läßt den Leichnam des Propheten fammt feinem eifernen Sarge bireft in den Himmel gefahren fein. In Wahrheit ſcheint etwas Beſtimmtes hierüber Nies mand zu wiflen; denn fo oft der Borhang erneuert werden muß, nimmt man dazu Die Nacht und zu Arbeitern gläubigfte der Gläubigen, welche um feinen Preis der Melt Sarg oder Grab felbft anzubliden wagen würden. Auch Burton Fonnte dem Allers heiligften, d. 5. dem Sarge des Propheten, nicht ganz nahe treten, wie Dies überhaupt Jedermann firengfiens unterfagt it. Das Heiligihum ift mit geblümten Tapeten belegt, mit grünen Ziegeln gedeckt, mit fellfamen Arabesfen bemalt und Nachts mit Kante

. Iabern von geichnittenem Glas erleuchtet. Burton fagt, bei Tage habe das Ganze

ziemlih ärmlicd und ſchmutzig ausgeſehen, bei nächtlicher Beleuchtung aber habe es ganz den Eindeud einer wunderlichen Theaterbeforation gemacht. Burton fah wähs rend feines Aufenthalts in Medina auch die große alljährlich von Damaskus her foms mende Pilgerfaravane in der heiligen Stadt anlangen. Es geſchah dies während der Nacht und der folgende Morgen, erzählt Burton, beftralte eine ganz neue, über Nacht wie aus ber Erde hervorgezauberte Welt. Bwilchen den Häufern von Medina war eine große Stadt von Zelten emporgewachfen, wie Baläfte mit Harems, Küchen und Ställen, mit vergeldeten Sinnen und koflbaren Shawigebängen, mit Bavillons, Be⸗ ſuchs⸗ und Schlafzimmern; weiße, graue, grüne Zelte als Brivatwohnungen oder als Buben, aus denen Tabak, Frucht: und Spezereihändier fchrieen. Dazwiſchen ragten große weiße, fyrifche Dromebare empor, an deren Hödern braune Beduinen Flebten, ferner Arnauten, Türken und feuerblickende kurdiſche Reiter in ihren malerischen Trach⸗ ten, perfifche PBilgrime, vor Ermüdung in Ohnmacht fallend, rufende Scherbetvers fäufer, fromme Hadſchi's, einander’ floßend und rämpelnd, fo daß bald hier bald dort einer unter die Fuͤße der Kameele oder unter die Seile der Zelte putzelte, Ranonens donner von der Bitadelle, lautes Gefreifch von Frauen und Mädchen in dichtverfchlofs ſenen Sänften, dus denen fie doch ganz frei herausfollerten, wenn bie Träger über die Stride und Pflöde der Zelte fielen; weiterhin eine kuͤhn daher reitende Gruppe ara⸗ biſcher Scheils, den Arzah (Kriegstanz) aufführen, im Tanze ihre Gewehre losfenernd, Schwerter ſchwingend und ſich dazu in wahnfinnigen Sprüngen windend und drehend, fo daß die hellfarbigen Lumpen ihrer Anzüge luftig im Winde flattern, mit ihren unge- heuren Speeren ftoßend und fuchtelnd’oder diefelben Hoch in die Luft werfend, unbe:

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verrichtet hat, und außerdem gibt e8 in allen dem Islam zugewandten Län⸗ dern noch eine Menge von Wallfahrtöflätten, häuflg die Grabmäler berühm⸗ ter Heiliger, Glaubenskaͤmpfer, Geſetzlehrer, frommer Dichter.

6.

Gottesdienftlihe Pflichten der Moslim find ferner: 1) der Krieg gegen die Ungläubigen; 2) die Reinigungen; 3) die Be ſchneidung. „Befämpfet fie (die Ungläubigen), bis alle Verſuchung (zum Gögendienft) aufhört und die Religion Allah's allgemein verbreitet iſt“! befiehlt der Koran t) und wiederholt fchärft er den Djehod, d. i. den Krieg gegen die Ungläubigen, d. i. gegen alle Nichtmoslim, ein 2). Die näheren Be» flimmungen des Glaubenskrieges find, daß er unternommen werden foll gegen alle Ungläubigen, welche ſich der moslemiſchen Botmäßigkeit nicht unterwerfen wollen; ferner gegen foldye Ungläubige, weldye, unter moslemiſcher Herrfchaft lebend, den Gehorfam und die Steuerzahlung verweigern ; endlich gegen Mo8«- lim felber, wenn fie fidy gegen die Imame auflehnen. &8 ift alfo zweifellos, daß die Verbreitung des Islam vermittelft des Schwertes für ein verdienftliches Merk galt und daß, wie ſchon weiter oben berührt wurde, Mohammed felbft von feinen früheren toleranten Anftchten zu gewaltfamen überging. So lange die jugendliche Erpanflufraft des Islam währte und fie währte Jahrhunderte hindurch vollbrachte er vermittelft des Djehod gewaltige Eroberungswunder, aber gerade dieſes rein äußerliche Verbreitungsmittel zog den inneren Wurmfraß der moslemiſchen Welt groß. So iſt dem Rauſch jugendlichen Fanatismus greifenhafte Erftarrung auf dem Fuße ge= folgt. Sowie der Islam aufhörte, zu erobern, war im Grunde feine welt gefchichtliche Rolle ausgeipielt. Der gotteddienftliche Act der Reinigung (Tehoret) ift offenbar nur die religiöfe Weihe gefundheitpoltzeilicher Vor⸗

fümmert wo und auf wen fie berunterfallen und zwifchen all tiefem bunten Ge: wimmel und Getöfe da und bort ein wanfendes, zulammenbrecdentes, zerlumptes Menichenbild, leiſe betend und mit hohlen Augen umberblidend nad einem ruhigen Winkel, um dafelbft, auf heiligem Boden, das lebte und höchſte Ziel zu erreichen, ten Tod,

1) Sura 8, B. 39. In derfelben Sura läßt Mohammed Allah zu den Engeln fagen: „Ich bin mit euch, ftärfet daher die Gläubigen; aber in die Herzen der Uns gläubigen will ich Furcht bringen. Darum hauet ihnen die Köpfe ab und hauet ihnen ab alle Enten ihrer Finger. Cs gefchieht dies deßhalb, weil fle Gott und feinem Ge: fandten widerſtrebten.“

2) Sur. 9. Sur. 49.

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ſchriften ). Der Moslem muß ſich reinigen (wachen) vor der Verrichtung des Bebeted, vor Antritt der Wallfahrt, vor der Berührung bed Koran, nad dem Beiſchlaf, nad Verrichtung der Nothdurft, nach dem Samenergußñ im Schlafe, nach Berührung noch nicht erkalteter Leichname, nah Waſchung von Leichnamen. Ebenſo die moslemiſche Frau nah dem Beiſchlaf, nach der Menſtruation, nach dem Gebaͤren. Wie bei dieſen Reinigungen, iſt auch bei dem Gebot der Beſchneidung der Knaben, welche meiſt vom achten bis zum zehnten Lebensjahr vorgenommen wird, das ſanitariſche Moment vorwiegend. Die Opferidee, welche der jüdiſchen Beſchneidung zu Grunde lag, iſt bei der moslemiſchen ganz in den Hintergrund getreten.

7.

Eine geſchloſſene Prieſterkaſte kennt der Jolam nicht, ja nicht einmal ein Prieſterthum, ſofern dieſes auf einer eigenen Weihung beruht. E bedarf keiner ſolchen, um zu den geiſtlichen Verrichtungen zugelaſſen zu wer⸗ den, und dieſe find eben auch nur ein Beruf, wie ein anderer. Das mos— lemiſche Dogma anerkennt Feinen heiligen Geift und weiß daher auch von feinem möyftiichen Fortpflanzen deffelben vermittelft der Priefterweihe. Mo⸗ hammed hat allerdings eine Theofratie geftiftet, infofern die höchſte geiftliche und weltliche Macht bei feinen Stellvertretern, den Chalifen, war. Allein das Papſtthum oder, wenn man will, der Rafaropapismus des Chalifats hat befanntlich Feine dauernde Herrſchaft über die moslemifche Welt ſich zu erhalten gewußt. Wir Fommen im zweitnächſten Kapitel auf diefen Punkt zurüd und jagen bier nur, daß von der politifchen Zertheilung ded Mohanı= medanerthums aud die religiöfe Oberhauptöfrage abhängig wurde. Die große Mehrzahl der Sunniten verehrt in dem türfifhen Sultan (Padiſchah) den den Ehalifen, das Oberhaupt des Glaubend und den Stellvertreter des Propheten. Do if den Sunniten von Bez und Maroffo nicht der tür⸗ fifche,, fondern ihr eigener Sultan Glaubensoberhaupt, während bei den Beduinenſtämmen der arabifchen, fyrifchen und afrifanifchen Wüften die Anne erfennung eined ſolchen Oberhauptes, wenn überhaupt vorhanden, nur eine nominelle iſt. Die Schiiten betrachten den Schah von Perſien ald Inhaber des Chalifats. gIm türftfchen Reiche gibt es eine Art Hierarchie, doch iſt bie Gliederung derfelben eine ziemlich kofe. Das Organ, vermittrift deffen

3) Ueber das Gebot der Reinigung f. Kor. Sur. 4, B, AG; Sur. 8, V. 8—9.

109

ber Sultan die geiſtliche Sette.feines Machtnollkommenheit Ferhätigt, IR der Großmufti, gewöhnlicher Scheich hl Islam (Heltefter Ted laubent genannt), welchen man mit Unwenbung eines abendlaändiſchen Begriffes Cult⸗ miniſter titulieen Tann, Er tft Präſident der Verſiammlung der Ulema, zu welcher, Rreng genommen, alle zur @eiftlichkeit und Gerichtapflege gehören⸗ den Perſonen zählen, Die aber allınälig Die Stellung eines kleineren Colle⸗ giums, einer Urt von Oberconfiftorium, eingensmmen bat, unter welchem die Beiftlichen und Kischendiener höheren und niederen Ranges (Imame, Khatibs, Sänger, Vorleier, Gebetausrufer u. I. w.) Raben, ſowie bie hack Anleitung des Koran Recht fyrechenden Nichter (Radis), Die Mönderei] bat der Prophet nicht befohlen, ſondern cher quadrücklich verworfen). ! Dennoch Hat der Islam jeine Mönche, Derwiſche („ Armt .), welche bis drei @elübbe ber Armuth, des Geharfams und Kry Keußbbeit ablegen und theils ald wandernde Bettler (Fakire), teils unter der Zeitung von Scheicha in Changahs oder Tekies (Klöſtern) leben, welche meift reich dotirt find. Schon die erſten Chalifen ſollen, wie mönchiſche Legenden woellen, Derwiſchvereine geſtiftet haben; geſchichtlich aber ſteht, unſeres Wiſſens, wur feſt, daß erſt im 3. Jahrhundert der moslemiſchen Zeitrechnung die Möncherei im Islam auffem, Bon da ab vermehrten ſich die moslemiſchen Mönchs⸗ orden raſch und ihre Geſchichte ift im Guten und Schlimmen fo ziemlid die der hrifkligen. Auch Heilige Asketen (Santons) und Einſtedler (Ma- rabuts) bat ter Islam. Sie fiehen bei ber Menge in großem Anſehen und ihre Gräber werden oft zu Wallfohriöflätten. Natürlich iſt mit dem Mönhsweien auch eine legendarifche Literatur großgeworden, die an Wun⸗ berbarfeit der chriſtlichen Nichts nachaibt.

8.

In den Blüthezeiten der moslemifchen Macht und Cultur bat ſich im Morgenland und Abendland (Spanien) die arabifche Architektur in Ers

bauung graudioſer und zierlicher Moſcheen (Medschid) kunſtreich ſehen Jaſſen.

Immerhin aber entſprachen und entſprechen dieſe Tempel mit ihren anmuthig geſchwungenen Kuppeln und ſchlanken Minarets dem ſtreng monotheiſtiſchen, allem Mythologiſchen todfeindlichen Gottesbegriff des ISlam. Nie wurden und werden im Innern Gemälde oder Statuen geduldet; Koranverſe in zier⸗

4) Sura 3, Gura 87.

wei

410

licher Goldſchrift waren und find der einzige Schmud ber nadten Wände. Eine Kanzel für den Borlefer oder Prediger und Fußteppiche für die knieen⸗ ben Antächtigen find die einzigen Geräthfchaften. Im Borhofe der Moſchee

: fehlt nie der Springgquell, damit die gefegliche Reinigung vor dem Gebet

verrichtet werden fann. GEbenſo einfach wie das Innere der Moicheen ift der Borteödienft in denfelben. Wenn er nicht ein privatlicher, d. h. Das Gebet Einzelner iR, fo befteht er in dem Bortrag von Abſchnitten aus dem Koran dur den fungirenden Imam, welcher mitunter ter Vorlefung mora= liſche Erörterungen und Ermahnungen beifügtl. So beionderd am Frei⸗ tag, dem Sabbath der Moslim, welder der „Tag der Berfammfung

heißt, übrigens keineswegs fo fireng gefeiert wird wie der jüdtiche oter auch

nur mie der Sonntag der Chriften. Der Islam hat auch feine heiligen Seiten und_religiöjen Feſte. Unter den erſten find befonders zu erwähnen die drei heiligen. Nächte, in welchen der Prophet empfangen, geboren und _in den Himmel erhöht worden; unter biefen das Feſt des kleinen Beiram, am Ende des Ramadan, der vier Tage lang währende modlemifche Carneval mit feinen raufchenten Luſtbarkeiten, und der große oder Kurban Beiram (Opferfeft) während des Pilgermonats. Bei Gelegenheit dieſes Feſtese, welches ; zum "Andenfen an die beabfichtigte Opferung Iſaaks durch Abraham gefeiert wird, werben eine Maſſe Rinter, Schafe und Ziegen geichlachtet, deren Fleiſch man an die Armen vertheilt. Uebrigens richtet fi Die Wie- derfehr diefer Feſte nach dem orientaliichen Mondjahr, und da dieſes gegen das Sonnenjahr zu furz ift, jo fallen dabei jene finnigen Beziehungen der Feſte anderer Religionen zum Naturleben ganz weg. Raſtloſes Losbrennen von Echießgewehren aller Art, Beuerwerfe und buntefte Beleuchtung- ver Mofcheen und Minarets find unerläßliche Bedingungen moslemiſchen Feſt⸗ jubels. Eine vorragende religiöſe Geremonie bei diefen Feſten ift das „Bifr“, d. i. die Erwähnung des Namens Gottes 1). Endlih erwähnen

—— -

4) Abeken (a. a. O. 24) beſchreibt als Augenzeuge das Zikr fo: Da ſtellen fid eine groͤßere oder geringere Anzahl Menſchen, Derwiſche oder auch einfache Laien, in einen Kreis, bald ſich bei den Haͤnden faſſend, bald vereinzelt; und waͤhrend zu dem Klange eintoͤniger Muff Sänger, wie fle ſonſt auch bloß zur Unterhaltung des Volkes dienen, religiöfe Hyınnen und Liebeslieder voll finnlicher Glut in den Worten und myflifcher Bedeutung im Einne abfingen, reeitirt der Kreis bald die Glaubensformel des Islam: Es ift fein Gott außer Bott und Mohammed if der Geſandte Gottes! bald, weil auch diefe Worte noch zuviel find für den inneren Ueberſchwang, den ein:

| | |

411.

wir Hier noch, daß ber Jolam vom Meliquiendienft keineswegs ganz frei iſt. Mantel, Bart und Fahne des Vropketen werden nämlich ale Heiligthümer aufbewahrt und mit größter Wachſamkeit vor profanen Blicken gehuͤtet. Alljaͤhrlich am 15. Tag des Ramadan bezeugt der Sultan dieſen Reliquien feine Ehrfurdt. Außerdem iſt es religiöfer Brauch, bei großer Kriegsnoth die heilige Fahne öffentlich auszuhängen, und ſtets noch hat der Anblid der⸗ felben feine fanatiftrende Wirkung auf die moslemiſche Volksmenge geübt. Soweit freilich find Die Moslim im NHeliquiendienft nie gefommen, daß fie, wie die Chriften thaten, das angebliche Praputiun ihres Propheten und die angebliche Milch feiner Mutter abgöttifch verehrt hätten.

Fünftes Kapitel.

Die moslemiſche Sitten- und Rechtölehre.

1.

Wenn man die arabifche Breude am Yabuliren bedenkt und die heiß⸗ blütige Maͤrchenphantaſtik vieler Stellen im Koran , insbefontere die Schil⸗ derungen von Paradied und Hölle, ind Auge faßt, fo dürfte ed parabor flingen, wenn wir lagen, der Islam jei die nüchternfte aller Religionen. Eine nähere Betrachtung dieſes religidien Syſtems wird freilich den gethanen Ausfpruch rechtfertigen. Denn wirklich der Jslam iſt, ob auch einzelne feiner Dogmen mit dem ganzen Bauber phantaftevoller Arabeskenmalerei umgeben feien, in feinem Kern und Weſen profatfch, vorwiegend praktiſch und auf praftifche Ziele gerichtet. Da iſt feine Spur von jenem poetifchen

fachen Namen Gottes: Allah! Allah! immer wiederholend, unter wechſelnden Bies gungen und Stredungen, Lie, wie Lie innere Aufregung ſich gewaltfam fleigert, oft zu epileptifchen Zufällen werden und den Cindruck einer dämonifchen Raferei machen, in welcher der Name Gottes kaum noch verftändlich, faft wie eine Blasphemie, aus dem halberſtickten Gemurmel der heiferen Kehlen heraustönt und ten Hörer mit Enifeßen erfüllt. Diefe Begeifterten find wie an eine höhere Macht dahingegeben,, fie wähnen fich gleihfam von dem Namen Gottes in Befiß genommen und beherrfcht. Am allges meinften ift die Theilnahme an diefen Zikrs wohl in den Ländern arabifcher Zunge, während fie in der Türkei fih mehr auf die Derwilche zu befchränfen ſcheint.

418

Hau und Duft, welcher auf wealshriligen Masurrefigionen Legt und Deflen das Chriſtenthum fo viel aus dem Heidenthum herübergenemmen bat. Eine echte Zeugung des zeflestivenden Verſtandes, ſpraug der Zlam aus dem Saupte des großen Mannes vom Stamme Koreiſch, der, weil er wußte, daß das Rüchtern⸗Rationale der Menge vermittelſt bunter Rhetorik einge⸗ ſchaeichelt werden muß, die berübrten Arabedken um feine Lehrſätze ſchlang, rhetoriſche Blumenguirlanden. Es iſt von Vedeutung, daß Mohammed ent- ſchieden und zu wiederholten Malen erklärte, er ſei kein Dichter und wolle beiner fein. Sein Werk war im der That vorwiegend Verſtandeswerk. Daher :die kahle Broia des mosiemiigen Eultus, der Mangel des Zufammenhauss | mit dem Naturleben, die Abweſenheit aller Naturſymbolik. Erſt ta, wo der Ilam mit den religiöfen Anfchauungen eines Volkes arifcher Abkunft in Wechſelbeziehung tritt, erft in Perſien fommt, wie wir im folgenden Kapitel fehen werden, in feine theiftifche Starrheit ein beieelend pantheiftifcher Hauch. In feiner Urfprüngficgkeit und Reinheit verrieth der Islam nicht die geringfte Neigung zu philofophiicher Speculation. Beftimmt und bes feblshaberi wie fen Symbolum trat er vor die Völker mit den Worten: Glaubt mich und befolgt meine Borfchriften! Das reicht aus für dieſes und jenes Leben. Es ift auch wahr, der Koran hat fürforglich das Dieffeits and Jenſeits in den Kreis feiner Lehren gezogen und dad Daftin des Mos—⸗ tem in einer Weiſe geregelt, die einem gläubigen Gemüth vellfommen genü- gen kann. Mit leichter Mühe lieh ſich deßhalb auf koraniſcher Grundlage ein vollſtaͤndiges Gebäude moskemiſcher Sitten» und Rechtslehre aufführen, das wir im Folgenden wenigflens in feinen Haupttheilen muftern wollen, indem wir aus dem PBoltzeigefeg, aus dem Bürgerlichen Recht umd aus dem Gtrafrecht die wichtigften Beſtimmungen anführen.

2.

In den Bereich der Geſundheitspolizei fällt die Adoption des mofai- ſchen Verbote, Schweinefleiſch zu effen, da dieſe fette Speife in heißen Klimaten leicht Krankheiten veraulaffe. Aus dem gleichen Srunde ift auf ber Genuß des Fleiſches Erepirter Thiere umterfagt. Mitualer Natur da gegen ifl dad Verbot, dat Fleiſch von Thieren zu effen, bei deren Schlad- tung die Nennung des Namens Allah's unterlaffen worden. Ethiſche Bes deutung hat die Unterfagung des Trinfens von Wein, an welche fich freilich bie „Aufgefläten* unter den Moslim zu Feiner Zeit fehr gekehrt Haben,

418

Als Belofmuing vieſſritiger Enthaltſumkleit von Geramfchenten Gerraͤnken wird ben Soligen im Jenfeits das Kredenzen einer Art von Wein in Kunst geſtellt, welchen nicht berauſcht. Mit dem Verbot des Weins Mt ang

verbunden das ber Glückoſpiele um der aberglaͤnbiſchen Rontbefengung und Zeichendeuiung 1).

3.

Auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechtes find zumächfl Die Ehrgefege vorragend. Hier tft aber bie wunde Stelle des Islam. Geb es, daß Mo- Hammeb Aberhaupt ſich fcheute, der tiefeingewurzelten orientaliſchen Gewohn⸗ beit der Bielweiberei entgegenzutreten, fei ed, daß fein perſönlicher Wollufl- bang ibm die Gefahr eines folchen Verſuchs in vergrößerten Muaßſtab erſchei⸗ nen ließ, genug, er konnte fih zu tem reinen Begriff dee Ehe, zur Menegamie nicht erheben. Mit Geflattung der Polygamie waren alle bie unberechenbaren fittlicden Schäven janetionirt, welche in feßer Geſellſchaft wuchern, wo die fefte Grundlage aller Kultur, die Heiligkelt der Familie, in polygamiſche Zerfahrenheit ſich auflöſt. Trotzdem muß zugeflanden werben, daß durch die Beitimmungen ded Koran über die ohelidten Berhältniffe die Stellung der Frauen im Orlent wenigftend einige Verbeſſerung schiekt, indem der maßlofen Willkür des Mißbrauchs der Frau von Selten bed Mannes doch einige Schranken gefrgt wurden Die moslemiſche Ehe if ein Vertrag, welder bie eheliche Beiwohnung zum Bwede bat. Es wurd unterfthieden 1) die beſtaͤndige Ehe, 2) die geltweilige Ehe (meldde übrigens nur bei den Schiiten Geltung hat) und 3) die Ehe mir Sklavinnen. Im Allgemeinen gilt die Borfchrift, dab der Moclem vier rechtmäßige Frauen haben dürfe („befländige @de*) und außerdem Sklavinnen zu Beiichläferie- nen nad Luft und Vermögen („zeitiweilige Ehe") Hat ihm aber eine Dex legtern ein Kind gebowen, fo darf er fie weder verkaufen noch verſtoßen, es fei denn, daß fle des Ehebruch8 überwieien würde. Bei Eingehung der Ehe muß die Braut von guter Herkunft (d. h. nicht unehelich geboren) und von

4) ©. beſ. Kor. Sur. 2, 5, 6. In Betreff des zuletzt erwähnten Verdores heißt es in der 5. Sura nachdrücktich: O ihr Gläubigen, wahrlich ver Wein, das Spiel nnd Looswerfen iR verabfchenungemiärbig und ein Werk tus Gatans; vermwihe fie, auf daß es euch twohlergehe. Durch Wein und Spiel will der Satan nur Feindfſchaft und Haß unter euch Miften ımd euch vom Denen an Con und von der Verrichtung bes Gebeis abbringen.

44

tadellofem Wandel, ferner mannbar und jungfeäulih fein (d. h. falls bie Ehe nicht mit einer Wittwe oder einer geſchiedenen Frau geſchloſſen wird). Nicht nur die Zuſtimmung bed Vaters oder des ſtellvertretenden Verwandten, fondern aud die der Braut muß eingeholt werden. Die befläntige Ehe it dem Moslem nur mit moslemifchen Frauen, die zeitweilige auch mit hrife lichen und jüdiihen gefattet 1). Ehehinderniſſe find insbefondere nahe Blutöverwandtidaft, Verwandtihaft dur die Amme, Schwäͤgerſchaft, Schonvorhandenſein der geieglichen vier Brauen, Nichtbefig der Geiſteskraͤfit und gewifle körperliche Mängel, die dem Bwed ber ehelichen Verbindung widerfpredgen. Der Koran geht biebei in fehr fpeziell phyñologiſche Vor ſchrifien ein und regelt auch das eheliche Leben bis ind Einzelnfle. Den Brauen insbejondere wird, ein fittfames, zuͤchtiges und ſchamhaftes Betragen nahdrudiam eingejhärft: nie follen fie fi völlig nadt erbliden laſſen, ſelbſt von ihrem Gatten nicht, nie Gefiht und Bufen einem fremden Wanne ent blößt zeigen und alle Bewegungen und @eberden vermeiden, weldye ihre ver- borgenen Reize enthüllen fönnten 2). Der Abſchluß der Ehe erhält durch Verrichtung religiöjer Bräude, namentlich durch Reinigungen und @ebktt, die religiöfe Weihe. Unerläßlicy if ed, dag Bräutigam und Braut, wenn fie ſich zur erfien Umarmung anıhiden, auerufen: Bismallah, d. i. im Re

men Gotteö! ein Ausruf, den der wahre Modlem überhaupt von der Wirge |

bis zum Grabe myriadenhaft gebraudt und ohne den er weder das Bröfte noch das Kleinfte vornimmt. Hat der Moslem nur eine Brau, fo ie verpflichtet, je die vierte Nacht bei ihr zugubringen ; hat er vier Frauen, jo muß er bei jeder derjelben von vier Nächten eine zubringen. _ Die Frau fann jedoch den Mann von diejer Verpflichtung entbinden oder auch die ihr gehörige Nacht einer Mirfrau abtreten. Streng geboten ift hinſichtlich du Leiſtung der ehelichen Pflicht von Seiten des Mannes, daß er mit feiner rechtmaͤßigen Frau oder mit jeder feiner rechtmäßigen alle vier Monate ein

AM Die 8. Sara Ratwirt gar feinen Unterfchied zwiſchen der @he mit moslemiſcha Frauen. Es heißt da: Auch iſt es eudy erlaubt, m big find, und auch freie Frauen von Denen, welde die Guden und Chriſten), wenn ihr ihnen ihre Morgen em lebet und fie nicht zu Epebrecherinnen und Beifchläie

eiblicher Wohlanfändigfeit. legt ausführlich dar dk

415

Mal den Beifhlaf vollziehe.. Ausdrüdlic wird befohlen, vor jeder ehelichen Beimohnung die Seele zu weihen (durch Gebet oder Almojen 3)). Der anın muß der Braut eine Morgengabe geben offenbar eine Milderung Des alten Weiberfaufeds und hat vor Entrichtung derfelben Fein Recht auf Die ebeliche Zärtlichkeit der Frau. Der Gatte ift verpflichtet, die Oattin zu ernähren unt ihr Wohnung und Kleidung zu geben. Er darf fie nicht Ihlagen. Er hat dagegen das Nutnießungsredht an dem ganzen Vermögen Der Frau und dieje darf ohne feine Einwilligung feine Berbindtichfeit ein- chen, feinen Vertrag abfchliegen. Im Ganzen blickt aus den moslemiſchen Ehevorſchriften, ſo weiten Spielraum fie dem Naturtrieb laſſen, doch das Beſtreben hervor, Maßloſigkeiten zu verhüten. Gegen die Hurerei hat der Prophet mit ſehr ſtrengen Worten geeifert?). Er ließ es ſich, wie der Koran bezeugt, auch angelegen fein, das Loos der Frauen möglichft ficher zu ftellen. Zwar heißt e8 in der 2. Sura V. 320 ganz nad) moſaiſchem Vorgange: oe Die Männer follen der Weiber Herren fein“! Doc zugleich auch, nadıdem den Frauen Pflichterfüllung eingefchärft worden: „Die Männer müſſen ſich gegen die Weiber nad Gerechtigfeit bezeigen*. Die Eheicyeidung iſt zwar zunähft ganz der Willfür des Mannes anheimgegeben, indeſſen hat das mos⸗ Lenrijce Recht diefe Willfür doch fo fehr mit Elaufeln eingehegt, daß bie Braun fo ziemlih vor Unbilligfeit geihügt if. Bei einer Scheidung muß Der Dann der geichiedenen Brau ihr beigebrachtes Vermögen herauägeben / Sit Re kann ſich, nach Ablauf einer gewiſſen Friſt, wieder verheiraten. Her Fender aus der getrennten Ehe vorhanden, fo bleiben nad funnitifchem te Söhne bis zur Beihneidung, die Töchter bis zum Eintritt der

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) Kinn Mation bei Der Mutter; nach jchiltiichem dagegen bleiben fänmtliche

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en Der moßlemifchen Ehegefege nicht weiter befaflen, aber wir 3

3 Fo 2, DB. 224. Die Worte im nämlihen Bers: „Die Weiber find euer fen e in euswer Ader auf welche Weile ihr wollt" haben zu ffandalöfen fagen elle Vaantaflung gegeben, indem einige Erklärer behaupteten, nach dieſer Ä Rein, 705, U es erlaubt, auf widernatürlihe Art der Frau beijuwohnen. Untere

4) 8, iq Mmmed BHcabe dicen Ausiprudy nur geihan zur Entkräftung der jüdifchen Sure, Gin, BSeiſci fa Fa parte postica würden gefundere und begabiere Kinder erzeugt. fen, CU [, Pure 2235 D einen Hure follt ihr mit hundert Streihen geißeln! Der v. 1_, Toy Konzexre 35rau ald nur eine Hure oder eine Gögendienerin heiraten und N eisze ma -Dauurer ober Goͤtzendiener zum Dannı nehmen türfen, Sur. 24,

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deln Pool Giedener Gatten bei den Vater. Wir dürfen und hier mit den

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konnen verfichern, daß ſchon ein fluͤchtiger Ueberblick derſelben genͤgk, um Die gaͤng und gäbe Meinung zu widerlegen, die modlemiſche Frau jet eben gar Nichts als ein Mittel männlicher Lufbefriedigung, als ein Kinder- erzeugungs inſtrument. Freilich if damit noch lange nicht gefagt, daß der Islam dem Weibe die ihm gebührende ſoziale Stellung einräune. Der Grundfag der Polygamie verwehrt Died und Hammer⸗Purgſtall hat in feiner Charakteriſtrung des Berbälmtfied von Mann und Frau in modlemifchen Ländern ebenſo wahr als fein darauf hingewieſen, daf die moslemtichen Sprachen das Wert „Haußfran“ nicht kennen). In der Zirrfet bat jedoch neueflend das Findringen abenbländiicher Caltur der Bielweiberei bes beutenden Abbruch gerhan. Anch ift dort der Handel mit weißen und fogar mit fhwargen Sflaninnen verboten worden,

4.

Ein großes bürgerliche Verdienſt erwarb fi Mehammed durch feine Reform des arabiſchen Erbrechtes. Die Srundfäge, welche der Koran in dDiefer Beziehung aufftellte, zeugen Aberall von Vernunft und Billigkeit und es fommt Ieptere namentlich auch Ben Frauen zu gut. Die Formen teſta⸗ mensarifcher Berfügung find genau geregelt, Ebene umſichtig und zugleich human erweiien fi die Vorſchriften des moblemiſchen Nechtes in Betreff der Sigenthuunsvenhäliniffe, weiter die Befkimmungen uber Kandel und Wandel, Kauf und Verkauf, Schuldenmeſen, Miethverträge, Pfandweſen und gericht liches Beufahzen in Civilſachen. Der oberſto Rechtoſatz im modleniichen Prozeß iſt: bei allen Handlungen ver Modlim wird flet# die gute Abficht

3) Der Stufengrad, auf welchem das Weib als Frau, Gemahlin, Beiichläferin fieht, wird in den vorderafiatifchen Sprachen, wie in den europäifen, zwar Far abge: ftyattet, aber feine der erſteren hat in Wort für die eigentliche Hausfrau, fondern nur für den Hausherren, welchen der Perfer Ketchoda, d. i. Gadenherr nennt, woraus das vertihe „Satte* entkanden. Bel den Übrigen Benennungen ter Verhältnifie des Weibes zuin Manne liegt der Begriff abgefonderter Eingeſchloffenheit oder eines Ge: maches zmm Grande. Das arabifche Wort „Harem“, irrig in Europa für gleichbe: deutend mit Lottergemach gehaften, bezeichnet den Begriff unantaſtbaren Cigenthums; des Perſers „Schebiſtan“ bedeutet das Racht⸗ oder Schlafgemach, und des Türken „Odalik“ ſteht zunaͤchſt dem deuiſchen Frauenzimmer. Der Morgenlaͤnder betrachtet alfo die Weiber in der gewoͤhnlichen Bezichung nicht als Perſonen, aber auch nicht als Sachen, fondern als einen abgefchloflenen, für Fremde unantaflbaren Raum der Luft, als ein Gemach, wie auch das deutfche „Gemachel oder „Gemahl“ aueweiſet. Geſch. d. osman. Reiches, III, 213.

47°

(bona fides) vorausgeſetzt. Geſtändniß, Zeugenausfagen und Eid find bie brei Beweismittel. „Dem Kläger die Zeugen, dem Bellagten der Eid“ ift mo8lemifche Nechtöregel. Einen Dunkeln Fleck bildet im Rechtscoder des Idlam das Kapitel som Sflavenrecht, obgleich, wie ſchon früher bemerkt worden, der Modlem feine Sklaven durchfchnittlich viel milder behandelt als der amerifanifche Pflanzer. Sind dod in den moslemifchen Staaten von jeher und in zahlreichen Fällen Sklaven zu den höchſten Würden emporge- fliegen und fogar Eidame von Sultanen geworden. Streng genommen dürfen nur im Kriege mit Ungläubigen gemadjte Gefangene in das Sklaven⸗ verhältniß treten, allein dermaten gibt es in allen mosfemifchen Ländern weiße und mehr noch ſchwarze Sklaven und Sklavinnen, weldhe nicht durch Krieg, fondern durch Raub und Kauf in die @ewalt ihrer ‚Herren gefommen find. Breilaflung findet flatt gegen Entihädigung oder durch ben freien Willen des Herrn bei feinen Lebzeiten oder durch teftamentarifche Verfügung bei jeinem Tode. Die Freigebung eines Sklaven ift eine gottgefällige Hand» lung, aber Rectgläubigkeit, d. i. Bekenntniß des Islam von Seiten des Sflaven, ift unerläßliche Bedingung derfelben. Eine Sklavin, die ihrem Herrn ein Kind geboren, erhält zwar dadurd noch nicht das Hecht auf Frei⸗ laflung, aber fie wird nach dem Tode des Herrn in das Erbtheil ihres Kin- des eingerechnet und erlangt dadurch die Freiheit.

5.

Criminalſtrafen konnen (ſollen) bloß verhängt werden gegen Solche, die bei Begehung des Verbrechens volljährig und im vollen Beſttz ihrer Verſtandeskraͤfte geweſen find. An Weibern dürfen überhaupt Feine Stra⸗ fen vollzogen werden, wenn ſie im Zuſtand der Menſtruation oder der Schwangerſchaft find oder fo lange fle ihr Kind an der Bruft nähren. Gül⸗ tige Beweismittel tm Strafprozeß find nur Geftändniffe oder Zeugenausſa⸗ gen. Auf Teichteren Vergehen fteht Forverliche Züchtigung (Peitfchenhiebe auf Rüden und Schultern, djeld), auf Sapitalverbrechen die Todesftrafe, ge⸗ wöhnlich vermittelft des Schwerte oder des Galgens vollzogen (ketl). Jede Strafe ift öffentlich zu vollziehen. Die fpätere Sriminalpraris hat jedoch die mildere Straftbeorie, wie fle im Koran dargelegt ift, vielfach verfchärft. Bon einzelnen Verbrechen und Beftrafungen heben wir hervor: die Verleum⸗ dung, welde mit 80 Beitichenhieben beftraft wird; Die Trunfenheit, welde

ber gleichen Strafe unterliegt; den Diebflapl, welder nah Verhaͤltniß mit Scherr, Gef. d. Religion. II. 27

418

Verſtummelung an Hand und Fiß oder mit Tebenslänglicher Einſperrung nes fähnt werden muß ; die Kuppelei, auf welcher 75, den widernatärlichen Umgang yon Weibern unter einander, äuf welchem 100, die Päveraftie zwifthen Mitt Verjährigen, auf welcher ebenfalls 100 Peitſchenhlebe ſtehen. Die. Strafe der Päderaftie zwifchen Volljaͤhrigen ift der Tod. Auf Abfall vom Glauben, auf Raubmord, Nothzucht, Blutfchande ſteht ebenfalls der Tod. Der Ehe: bruch wird, wenn feine Berfhärfungsgrane vorliegen, bei beiden Geſchlech⸗ stern mit 100 Peitſchenhieben, bei erſchwerenden Udfländen mit dem Xpde Beftraft 2). Die ehebrecheriſche Sklavin kommt mit 50 Peitſchenhteben weg. Der Ehebruc eines Unglaͤubigen mit einer moslemiſchen Iran hat ſtets die Strafe des Ketl zur Folge. Ausdrücklich ift im moslemiſchen Geſetz das Recht der Blutrache anerkannt. Wer einen Mord oder Todtſchlag verhßt, iR mit feiner Berfon den Angehörigen des Getödteten verantwortlih. Die Berfon oder die Berfonen, welchen das Recht der Blutrache zufteht, Tann oder können aber auf Bollziehung berfelben verzichten und ſich mit einem Sühnegeld (Weergeld) abfinden laſſen. Mit den Rückfällen nimmt es dad moblemiſche Recht fehr fireng. Wer ſchon dreimal beſtraft worden iſt, er- leidet beim vierten Vergehen ſchlechterdings die Todesſtrafe.

Sechſtes Kapitel. , Zur Geſchichte des Islam.

1.

Nach des Propheten Hingang wurde offenbar, daß ber Islam noch keineswegs unerſchütterlich daſftand auf dem Wuͤſtenſand Arabiens. ALS

4) Um die Thalfrage Bes Chebruchs zu beſahen, find, A Falle Ya’ Gefl aont̃ vorliegt, vier männliche Zengen von untadelhaften Wandel oder drei maännliche umd zwei weibliche Zeugen erforderlih, wie man ſieht, eine fchwierige Beweisführung.

Der Koran fagt in der 4. Sura in Betreff des Chebruchs der Frauen: Wenn eure

Frauen ſich durch Chebruch vergehen und vier Zeugen aus eurer Mitte bezeugen dies,

fo kerkert ſie (die Schuidigen) in turem Haufe ein, Bis der Tod fe befreit Oder Bott

ihnen fork ein Beftetungkinilel dmori,

118

micht Mehr die anerkannte Autorität eitteß genialen Mannes oͤppoſitionelle Negungen niederhielt, traten dieſe alsbald herbor. "Bad unbaͤndige Frei⸗ heitbgefuͤhl der Beduinen fand das Joch deß neuen Glnubens zu ſchwer. Das Gebot firetigen Faſtens und allzuhäufigen Betens, wie das Verbot bed Wilhes, machke die Söhne der Wüfte mit Sehnſucht nah den Tareren Ord⸗ hungen des urväterlichen Glaubens zurückblicken. Politiſche Motive mehrten die Unzufriedenheit. Die einzelnen Stäunne fühften ſich unbrhaglich in dem Verband eines wenn auch immer noch Ioderen Staatöwefens. Insbefondere rührten fih Die Koretfchiten wieder, denn fle hatten die Einbuße ihrer domintrenten Stellung unter den arabiſchen Stämmen nöd nicht vers ſchmerzt, und verriethen die Abſicht, ſich ber Berrſchaft ded Chalifats miicht zu fügen. Bi dieſen Mißlichkeiten kam noch das haͤßliche Zerwürfniß An Ver Familie des hingegangenen Propheten, ein Befwärftiß, welchts, wie wir üben (Ray. 3, 6) fahen, Die dogmatiſche und politifihe Geſtaltung ver moslemifhen Welt beeinflußte. Indeſſen waren die Gefährten Möhammebs Männer, die bei Fortführung feines Werkes vor Widerwärtigfeiten und Hinderniffen nicht zurüdichraden. Wie bedrohlich die Umflände fein moch⸗ . ten, Alles, was Arabien an heißem Glaubenseifer, Begeifterung für eine große Idee, ichlauer Politik und sodverachtender Kuͤhnheit beſaß, ſtand doch auf der Seite des Wlam und fo wußte Abu Bekr feinem Chalifat bald Ach⸗ tung zu verfchaffen. Die meuteriſchen Koreiſchiten wurden durch Gewähe tung von allerlei Vortheilen gewonnen, die bereinzefteh Aufftände anderer Stämme mit Energie niedergefchlagen. Aber das genügte dem Chalifen und den Häuptlingen feines Raihes nicht. Diefe Männer erfannten, daß durd den Islam das arabifcge Wefen in feinen Tiefen aufgewühlt worden fet, daß der neue Glaube ein Element der Bewegung in das Volk gebracht habe, welchem, wenn es wicht Unheil feiften folkte, ein neues und weites Feld der TIhätigkeit angewtefen iverden müßte. Man Betonte daher mit Entſchie⸗ denheit das Gebot des Islam, die Ungläubigen zu bekehren oder wenigftend der Herrfchaft der Moslim zu unterwerfen, und eröffnete durch Aufpflanzung der Fahne des „Heiligen Krieges * der arabiichen Kriegs⸗ und Beuteluſt ein unermeßliches Gebiet. Auf der Bahn der Eroberung flürzte ſich Arabien mit wilder Thatkraft in die Weltgeſchichte. Als eine neue geſchichtliche Nacht erhob fi der Islam und begann das Antlig des Morgenlandes um⸗ zuwandeln. Das euer, welches in Der Abgeſchloſſenheit der arabiſchen Halbinfel angezündet worden, ging flammend und’freffend durch die orien« 27*

420

talifche Welt, Heil und heiß auf in den Sübweflen des Occidents herüber- fchlagend. „Das Baradies ift nor euch, Tod und böllifches Feuer hinter euh!* Das war der Auf, womit moslemiſche Heerführer ihr jugendkraͤf⸗ tiged Bolt auf altersihwade Völker ſchleuderten. Schaar auf Schaar, den Koran in der einen, Schwert und Brandfadel in der andern Hand, brach aus den arabifhen Steppen hervor. Bor ihnen her ging ein Schredien des Unerhörten, gleich der lähmenden Macht einer ungeheuren Naturkataftrophe?).

2.

Es ift nicht unferes Amtes, den moelemiſchen Eroberern auf ihren Wegen nahzugehen. Wir bezeichnen die Richtung derſelben nur von ferne und verweilen den Lefer hinſichtlich der politiichen Schickſale des Islam auf

4) Ein deutſcher Dichter, Julius Moſen, in feinem lange nicht nach Verdienſt gefchägten „Ahasver“, Hat die Erhebung des Islam mit unvergleichlidher Gnergie geſchildert:

Hörft du den Samum aus der Wuͤſte braufen ? Staubfäulen fehreiten riefenhaft voraus,

Die gleich den Rreifeln in ſich felber faufen. Hoͤrſt du das Land von taufend Roſſen flampfen, Das Berge beben? Oder will zu Staub

In Rauch und Wirbel ſich die Welt verdbampfen ? Mer hält den Halbmond auf in feinen Bahnen? Wild lechzen unter feinem Zeichen auf

Zum heißen Himmel blutigrothe Fahnen.

Da fprengt einher, da naht mit Ungewittern

Das Schreden Gottes, des Propheten Heer

Mit Donnerruf, daß alle Herzen zittern.

Allah iſt groß! Bewaltig das Berhängniß,

Das Schwert ein Schlüffel zu dem Paradies ; Erfenntniß ſprengt der Meufchheit das Gefaͤngniß! Allah ift groß, fo weit fein Odem wehet, Mohammed fein Prophet, foweit im AU

Die Sonne leuchtet und der Halbmond gehet ! Allah ift groß! Sein Reich ift zu erflreiten!

Der Moslem flürzt duch Blut und Tod hinein Auffauchzend in das Meer der Seligfeiten.

Allah ift groß! Wer ift, der feiner ſpotte?

Ihr Sögendiener, Heuchler, wehe euch !

Der Moslem kommt, am Boden heult die Rotte.. . .

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Aal Weils Ehalifengefchichte und Hammerd Osmanengefchichte. Uebrigend Fennt ja jeder Schulfnabe die Geichichte des Mohammedanerthums, wenigftens in ihren Umrifjen. Das byzantiniſche Griechenthum hatte in Syrien den erften Anprall der Streiter ded Islam auszuhalten und hielt ihn fchlecht ges nug aus. Syrien und Paldftina wurden von den Moslim erobert, welche jofort im Sturmlauf durch die mefopotamische Ebene nach Perſten vordran⸗ gen und nad blutigen Kämpfen in der Entſcheidungsſchlacht bei Kadefta die Macht des Tegten Königs der Ormuzdreligion von Iran vernichteten (634 n. Chr.). Und wie über das Zend-Avefta, fo triumphirte ber Koran, von feinen Befennern über den Indus getragen, auch über die Beda’8'). Ganz Aften von den phönikiſchen Geftaden bis zum Ganges gehorchte dem Cha⸗ lifenfchwert, welches fich mit jchwerer Wucht von Syrien aus auch auf Aegypten legte und ſich von da meiter und weiter die Nordfüfte Afrika’s entlangſtreckte. Tarik trug e8 zu Anfang des 8. Jahrhunderts chriftlicher Zeitrehnung über die Meerenge von Gibraltar, und nachdem bei Xeres de la Brontera die Weftgothen ihm erlegen, überflutete der moslemijche Erobe« rungäftrom ganz Spanten. Er brandete fogar nordwärt3 über den Granit- wall der Pyrenaͤen hinaus, aber bei Tours und Poitiers ftellte ihm germa- niſche Tapferkeit einen Damm entgegen, der den wüthenden Strom zurück— fluten machte (732).

Während fo im Abendland die Macht tes Islam auf Spanien bes ſchränkt wurde, hatten Inzwijchen im DMorgenland Moslim ihr Schwert gegen Moslim gekehrt. Nachdem die beiden Nachfolger des erften Chalifen, Omar und Othman, meuchlerijch ermortet worden, fehlen des Propheten Schwies gerfohn Alt endlich zu feinem Rechte zu gelangen. Er wurde in Medina zum Chalifen auögerufen, allein fein Beind Moawijah aus dem’ mächtigen Haufe Omeljah, Statthalter von Syrien, erhob gegen ihn die Fahne der Empörung. Bergebens erwies Ali in ſchrecklichen Schlachten feine edle Heldennatur. Er erlag dem Dold eines Meuchlerd (660), feine Familie ging unter und das Chalifat kam an die Omeijahden, unter welchen die Moslim gegen Kleinaften, fowie gegen tie Infeln des ägäifchen und mittel« ländifchen Meeres Groberungszüge machten. Schon jegt wurde auch Kon⸗ ftantinopel von ihnen beſtürmt, aber erft weit fpäter, unter den türfilch«

4) Aber nur poliifh. Während die ſproͤde Ormuzdreligion unter den Schlägen des moslemifchen Schwertes in Splitter ging, vermochte diefes Schwert bie elaftifche Zaͤhigkeit des Brahmanenthums nicht zu überwinden.

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tabellofem Wandel, ferner mannbar und jungfraͤulich fein (d. h. falls die She nit mit einer Wittwe oder einer geſchiedenen Frau geichlofien wird). Nicht nur die Zuftimmung des Vaters oder des flellvertretenden Verwandten, ſondern audy die der Braut muB eingeholt werden. Die befläntige Ehe ift dem Moslem nur mit moslemiſchen Frauen, die zeitweilige auch mit chrifl- lihen und jüdiichen geftattet 3). Ehehindernifie find insbeſondere nabe Dlutsverwandtihaft, Verwandtfhaft durh die Amme, Schwägerichaft, Schonvorhandenſein der geieglichen vier Frauen, Nictbefig der @eiftesfräfte und gewifle körperliche Mängel, die dem Zwed der ehelichen Verbindung widerfprechen. Der Koran gebt hiebei in jehr fpeziell phyilologiiche Bor- ſchriften ein und regelt auch das eheliche Leben bis ind Einzelnfle. Den | Srauen insbeſondere wird ein fittfames, züchtiges und ſchamhaftes Betragen nahdrudiam eingeichärft: nie follen fie fi völlig nadt erbliden laſſen, ſelbſt von ihrem Gatten nit, nie Gefidht und Buſen einem fremden Manne ent blößt zeigen und alle Bewegungen und Geberden vermeiden, welche ihre ver- borgenen Reize enthüllen könnten2). Der Abſchluß der Ehe erhält durch Berrichtung religiöjer Bräuche, namentlih durch Meinigungen und Gebete, die religiöfe Weihe. Inerläplich ift ed, dag Bräutigam und Braut, wenn fie ſich zur erſten Umarmung anıdiden, aufrufen: Bismallah, d. i. im Na- men Gotted | ein Ausruf, den ber wahre Moslem überhaupt von der Wiege bis zum Grabe myriadenhaft gebraucht und ohne den er weder das Größte noch das Kleinfte vornimmt. Hat der Moslen nur eine Frau, ſo iſt er verpflichtet, je die vierte Nacht bei ihr zugubringen ; hat er vier rauen, fo muß er bei jeder derſelben von vier Nächten eine zubringen. _Die Frau fann jedoch den Mann von diejer Verpflichtung entbinden oder aud) Die ihr gehörige Nacht einer Mitfrau abtreten. Streng geboten ift hinfichtlidy der Zeiftung der ehelichen Pflicht von Seiten ded Mannes, daß er mit feiner rechtmäßigen Frau oder mit jeder feiner rechtmäßigen alle vier Monate ein

1) Die 5. Sura ſtatuirt gar keinen Unterſchied zwiſchen der Che mit moslemiſchen oder juͤdiſchen und chriſtlichen Frauen. Es heißt da: Auch iſt es euch erlaubt, u heiraten freie Frauen, die gläubig find, und auch freie Frauen von Denen, weldye bie Schrift vor euch erhalten haben (Juden und Chriſten), wenn ihr ihnen ihre Morgens gabe gebet und züchtig mit ihnen lebet und fie nicht. zu Ehebrecheringen und Beifchläfe: rinnen machet.

2) Die Vorſchriften weiblicher Wohlanfläudigfeit. legt ausführlich dar die 24. Sura,

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Mal den Beiſchlaf vollziehe. Ausdrücklich wird befohlen, vor jeder ehelichen Beimohnung die Seele zu weihen (durch Gebet oder Almojen ?)). Der Mann muß der Braut eine Morgengabe geben offenbar eine Milderung des alten Weiberkaufes und hat vor Entridhtung derjelben Fein Recht auf die eheliche Zärtlichkeit der Frau. Der Gatte ift verpflichtet, die Gattin zu ernähren und ihr Wohnung und Kleidung zu geben. Er darf fie nicht ihlagen. Er hat dagegen dad Nugnießungdreht an dem ganzen Vermögen der Frau und diefe darf ohne feine Einwilligung Feine DVerbindtichfeit ein- geben, feinen Vertrag abichliegen, Im Ganzen blickt aus den moslemiſchen Ehevorſchriften, fo weiten Spielraum fie dem Naturtrieb laflen, doch das Beftreben hervor, Maßlofigfeiten zu verhüten. Gegen die Hurerei hat der Prophet mit jehr ftrengen Worten geeifert*). Er ließ es fich, wie der Koran bezeugt, auch angelegen fein, das Loos der Frauen möglichft ficher zu ftellen. Zwar heißt e8 in der 2. Sura V. 320 ganz nad mofaiihem Vorgange: „Die Männer jollen der Weiber Herren fein“! Doch zugleich auch, nachdem den Frauen Pflichterfüllung eingefchärft worden: „Die Männer müflen fi gegen die Weiber nad) Gerechtigfeit bezeigen*. Die Eheſcheidung tft zwar zunächſt ganz der Willfür des Mannes anheimgegeben, indeflen hat das mos⸗ lemiſche Recht diefe Willfür doch fo jehr mit Blaufeln eingehegt, daß die Brau To ziemlih vor Unbilligkeit geſchützt iſt. Bei einer Scheidung muß der Dann der geſchiedenen Frau ihr beigebracdhtes Vermögen herausgeben und fie kann fih, nad Ablauf einer gewiflen Frift, wieder verbeiraten. Sind Kinder au der getrennten Ehe vorhanden, fo bleiben nadı funnitiichem Recht die Söhne bis zur Beſchneidung, die Töchter bis zum Eintritt ber Menftruation bei der Mutter; nad ſchiitiſchem dagegen bleiben fänmtliche

Kinder geichiedener Gatten bei dem Vater. Wir dürfen uns bier mit den.

Einzelnheiten der moslemijchen Ehegejege nicht weiter befuflen, aber wir

3) Sur. 2, B. 224. Die Worte im nämlihen Bers: „Die Weiber find euer Acker; kommet in euren Ader auf welche Weife ihr wollt“ haben zu ffandalöfen Gontroverfen Beranlaflung gegeben, indem einige Grklärer behaupteten, nach diefer Koranſtelle fei es erlaubt, auf widernatürlihe Art der Frau beizuwohnen. Untere fagen, Mohammed habe diefen Ausſpruch nur geihan zur Entkräftung der jüdifchen Meinung, im Beiſchlaf a parte postica würden gefundere und begabtere Kinder erzeugt.

4) Kine Hure und einen Hurer follt ihr mit hundert Streichen geißeln! Der Hurer fol feine andere Frau ald nur eine Hure oder eine Gögendienerin heiraten und eine Hure foll nur einen Qurer oder Gögeudiener zum Dann nehmen türfen. Sur. 24, B. 1—2,

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tönten verſtichern, daß ſchon ein Rüdhtiger Ueberblick derſelben genäigt, um Die güng und gäbe Weinung zu widerlegen, die modlemiſche Frau ſei eben gar Nichts als ein Mittel männlicher Lufbefriedigung, als ein Kinder⸗ erzeugungs inſtrument. Freilich if damit noch lange nicht gefagt, daß ber Islam dem Weibe die ihm gebührende ſoziale Stellung einräume. Der Srundfag der Polygamie verwehrt dies und Hammer⸗Purgſtall hat in feiner Charakteriſtrung des Verbälmiffes von Wann und Frau in moslemiſchen Ländern ebenfo wahr als fein darauf hingewieſen, daß die moslemiſchen Sprachen dab Wert „Haußfrau* nicht Fennen®). In der Türkei bat jedoch neueflend das Findringen abenbländiſcher Caltur der Bielweiberei be deutenden Abbruch gethan. Anch tft bort ber Handel mit weißen und ſogar mit ſchwarzen Skflavinnen verboten worben.

4.

Ein großes bürgerliche Verdienſt erwarb fi. Mohammed durch feine Reform des arabiichen Erbrechtes. Die Grundfätze, welche der Koran in Diefer Beziehung aufftollte,, zeugen überall von Vernunft and Billigfeit und ed fommt letztere namentlich auch ven Frauen zu gut. Die Formen teſta⸗ mentariſcher Berfügung find genau geregelt. Ebenje umfidhtig und zugleich human erweiien fi die Vorſchriften des moſslemiſchen Rechtes in Betreff der Sigenthumsverhältniffe, weiter die Befkimunungen aber Handel und Wandel, Kauf und Verkauf, Schuldenmeien, Miethverträge, Pfandweſen und gericht: liches Beufahzen in Civilſachen. Der oberſte Rechtaſatz im moBdlenrijchen Mrozeß ift: Hei allen Handlungen der Moslim wird ſtets die gube Abficht

8) Der Stufengrad, auf welhem das Weib ald Frau, Gemahlin, Beifchläferin fieht, wird in den vorderafiatifchen Sprachen, wie in den europäifhen, zwar Far abge: ſthattet, aber feine ber erſteren hat din Wort für die eigentliche Hausfram, fondern nur für den Hausheren,, welchen der Berfer Ketchoda, d. i. Gatenherr nennt, woraus das vertfhe „Batte* entRanten. Bel dem Übrigen Benennungen ter Verhältnifie bes Weibes zum Manne liegt der Begriff abgefonderter Singefchtoffenheit oder eines Ge: maches zum: Grunde. Das arabiſche Wort „Harem“, irrig in Europa für gleichbe: deutend mit Lottergemach gehakten, bezeichnet den Begriff unantaſtbaren Eigenthums; deo Perſers „Schebiftan* bedeutet Das Nacht: oder Schlafgemah, und des Türken „Obdalik“ ſteht zunaͤchſt dem deuiſchen Frauenzimmer. Der Morgenlaͤnder betrachtet alfo die Weiber in der gewoͤhnlichen Bezichung nicht als Perſonen, aber auch nicht ale Sachen, fondern als einen abgeichlöflenen, für Fremde unantaflbaren Raum der Luft, als ein Gemach, wie auch das beutiche „Gemachel⸗ oder „Gemahl“ ausweiſet. Geſch. d. osman. Reiches, III, 213.

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417 (bona fides) vorausgefegt. Geſtändniß, Zeugenausfagen und Eib find bie drei Beweismittel. „Dem Kläger die Zeugen, dem Beklagten der Ein * ift moßlemifche Rechtsregel. Einen dunfeln Fleck bilder im Rechtscoder des Jolam das Kapitel vom Sklavenrecht, obgleih, wie ſchon früher bemerft worden, der Moslem feine Sklaven durchſchnittlich viel milder behandelt ale der amertfanifche Bflanzer. Sind doch in den moslemifchen Staaten von jeher und in zahlreichen Fällen Sflaven zu den höchſten Würden emporge⸗ fliegen und fogar Eidame von Sultanen geworden. Streng genommen bürfen nur im Kriege mit Ungläubigen gemachte Gefangene in das Sflaven- verhältniß treten, allein dermalen gibt e8 in allen moslemiſchen Ländern weiße und mehr noch ſchwarze Sklaven und Sklavinnen, welche nicht durch Krieg, fondern Dur Raub und Kauf in die Gewalt ihrer Herren gekommen find. Freilaſſung findet flatt gegen Entihädigung oder durch den freien Willen des Herrn bei feinen Lchzeiten oder durch teftamentarifche Berfügung bei ſeinem Zode, Die Freigebung eines Sklaven iſt eine gottgefällige Hand⸗ lung, aber Redhtgläubigkeit, d. t. Befenntniß des Islam von Seiten bes Sklaven, ift urerläßlihe Bedingung derſelben. Cine Sklavin, die ihrem Herrn ein Kind geboren, erhält zwar dadurch noch nicht das Recht auf Frei⸗ laflung, aber fle wird nad) dem Tode des Herrn in das Erbtbeil ihres Kin- des eingerechnet und erlangt dadurch die Freiheit.

5.

Criminalſtrafen können (follen) bloß verhängt werden gegen Solche, bie bei Begehung des Verbrechens volljährig und im vollen Bett ihrer Verftandesfräfte geweien find. An Weibern dürfen überhaupt Feine Stra- fen vollzogen werden, wenn fie im Bufland der Menftruation oder der Schwangerfchaft find oder fo lange fle ihr Kind an der Bruſt nähren. Gül- tige Beweidmittel im Strafprogch find nur Geftändnifje oder Zeugenausſa⸗ gen. Auf Teichteren Vergehen fteht Förverliche Züchtigung (Peitfchenhiebe auf Rüden und Schultern, djeld), auf Eapitalverbrechen die Todesftrafe, ge= wöhnlich vermittelft des Schwerted oder des Galgens vollzogen (ketl). Jede Strafe ift öffentlich zu vollziehen. Die fpätere Eriminalpraris hat jedoch

die mildere Straftbeorie, wie fle im Koran dargelegt iſt, vielfach verfchärft.

Bon einzelnen Verbrechen und Beftrafungen heben wir hervor: die Verleum⸗ dung, welde mit 80 Beitichenhieben beftraft wird; die Trunfenheit, welde

ber gleichen Strafe unterliegt; den Diebſtahl, welcher nach Verhaͤltniß mit Scherr, Gef. d. Religion. III. 97

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kbnnen verſtchern, daß ſchon ein Mächtiger Ueberblick derſelben genäͤgk, um Die gaͤng und gäbe Neinung zu widerlegen, die moolemiſche Frau ſei eben gar Nichts als ein Mittel männlicher Lufbefriedigung, als ein Kinder⸗ erzeugungäinfirument. Breifi iR damit ned Iange nicht gefagt, daß der Islam dem Weihe die ihm gebührende foziale Stellung einräume. Der Srundfag der Polygamte verwehrt dird and Hammer⸗Purgſtall Bat in feiner Charakteriſtrung des Verhälmiffes von Mann und Brau in moslemiſchen Ländern ebenio wahr als fein darauf hingewleſen, daß die moslemiſchen Sprachen das Wort „Hausfrau nicht Eennend). In der Tuͤrkei bat jedoch neueſtend das Findringen aBentländiicher Cultur Der Bielweiberei bes deutenden Abbruch gethan. Anch tft Dort ber Handel mit weißen und ſogar mit ſchwarzen Sklavinnen verboten worden.

4.

Ein großed bürgerliche Verdienſt erwarb ſich Mohammed durch feine NReform des arabiſchen Erbrechtes. Die Orundfäge, weldye der Koran in Diefer Beziehung aufftellte, zeugen überall von Vernunft and Billigkeit und es fommt Ieptere namentlich auch Ben Frauen zu gut. Die Formen tefla- mensarifcher Berfügung find genau geregelt, Ebenje umfidtig und zugleid human erweiſen fich die Boricriften des moßlenmmifden Rechtes in Betreff der Sigentbumbverhältniffe, weiter die Beſtimmungen aber Handel and Wandel, Kauf und Verkauf, Schuldenmeien, Miethverträge, Rfandweſen uad gericht» liches Beufahsen in Civilſachen. Der oberſte Rechtoſatz im modlemijchen Bogen | ift: bei allen Handlungen ver Modlim wird fletd die gute Abficht

8) Ya Stufengrab, auf welchem das Weib als Frau, Gemahlin, Beifchläferin fieht, wird in den vorderaftatifchen Sprachen, wie in den europäifhen, zwar Mar abge: ſthattet, aber feine ber erſteren bat ein Wort für Die eigentliche Hausfrau, fondern nur für den Hausherren, welchen ber Berfer Ketchoda, d. i. Gadenherr nennt, woraus das veartiche „Batte* entlanden. Bel den Übrigen Benennungen ter Verhältniffe des Meides um Manne liegt der Begriff abgefonderter Eingefchkoffenhett oder eines Ge: maches zum runde. Das arabifdhe Wort „Harem”, irrig in Europa für gleichbe: deutend mit Lottergemach gehnften, bezeichnet den Begriff unantaſtbaren Cigenthums; des Perſers „Schebiſtan“ bedeutet das Nacht⸗ oder Schlafgemach, und des Türken „Odalik“ ſteht zunaͤchſt dem beutichen Frauenzimmer. Der Morgenfänder betrachtet alſo die Weiber in der gewoͤhnlichen Bezichung nicht als Perſonen, aber auch nicht ale Sachen, jondern als einen abgefchlöflenen, für Fremde unantaflbaren Raum der Luft, als ein Gemach, wie andy das deutſche „Gemache “orer „Gemahl“ ausweiſet. Geſch. d. osman. Reiches, III, 213.

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(bona fides) vorandgefegt. Geſtändniß, Zeugenausfagen und Eid find die drei Beweismittel. „Dem Kläger die Zeugen, dem Beklagten der Eid“ ift modlemiſche Rechtsregel. Einen dunkeln Fleck bilder im Nechtöcoder des Jolam das Kapitel vom Sklavenrecht, obgleich, wie ſchon früher bemerkt worden, der Moslem feine Sklaven durchfchnittlich viel milder behandelt als der amerifantiche Pflanzer. Sind doch in den moslemifchen Staaten von jeher und in zahlreichen Fällen Sflaven zu den höchſten Würden emporges fliegen und fogar Eidame von Sultanen geworden. Streng genommen dürfen nur im Kriege mit Ungläubigen gemadjte Gefangene in das Sklaven⸗ verhältniß treten, allein dermalen gibt es in allen mosfemifchen Ländern weiße und mehr noch ichwarze Sklaven und Sklavinnen, welche nicht durch Krieg, ſondern Durch Raub und Kauf in die Gewalt ihrer Herren gekommen find. Breilafjung findet flatt gegen Entſchaͤdigung oder durch den freien Willen des Herrn bei feinen Lchzeiten oder durch teftamentarifche Berfügung bei ſeinem Tode, Die Freigebung eines Sklaven iſt eine gottgefällige Hand⸗ lung, aber Redhitgläubigkeit, d. t. Bekenntniß des Islam von Seiten des Sflaven, ift urierläßliche Bedingung derfelben. Eine Sklavin, die ihrem Herrn ein Kind geboren, erhält zwar dadurd noch nicht das Hecht auf Frei⸗ laflung, aber fie wird nach dem Tode des Herrn in das Erbtbeil ihres Kine des eingerechnet und erlangt dadurch die Freiheit.

5.

Eriminalftrafen können (follen) bloß verhängt werden gegen Solche, die bei Begebung ded Verbrechens volljährig und im vollen Beft ihrer Verftandeskräfte geweien find. An Weibern dürfen überhaupt feine Stra- fen vollzogen werden, wenn fie im Bufland der Menftruation oder ber Schwangerſchaft find oder fo lange fle ihr Kind an der Bruft nähren. Gül- tige Beweismittel im Strafprozeß find nur Geftändniffe oder Zeugenausſa⸗ gen. Auf Teichteren Vergehen fteht Forperliche Züchtigung (Peitichenhiebe auf Rüden und Schultern, djeld), auf Gapitalverbrechen die Todesftrafe, ge⸗ wöhnlich vermittelft des Schwertes oder des Galgens vollzogen (ketl). Jede Strafe ift Iffentlich zu vollziehen. Die fpätere Griminalpraris Hat jedoch

die mildere Straftheorie, wie fle im Koran dargelegt tft, vielfach verfchärft.

Bon einzelnen Verbrechen und Beftrafungen heben -wir hervor: die Berleums dung, welde mit 80 Peitſchenhieben beftraft wird; die Trunfenheit, welche

ber gleichen Strafe unterliegt; den Diebflahl, welcher nach Verhaͤltniß mit Scerr, Geſch. d. Religion. III. 27

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Verfiümatilung an Sand und FA über mit Lebenslänglicher Einſperrung ge⸗ fühnt werben muß ; die Kuppelei, auf welcher 75, den widernatärtichen Umgang yon Weibern unter einander, Auf welchem 109, die Päderaſtie zwiſchen Mitt Berjährigen, auf welcher ebenfalls 100 Peitſchenhtebe ſtehen. Die. Strafe der Päderaftie zwifchen Voljährigen ift der Tod. Auf Abfall vom Stauden, auf Raubmord, Nothzucht, Blutfchande ſteht ebenfalls der Tod. Der Ehe bruch wird, wenn feine Berfhärfangsgrane vorliegen, bei beiden Geſchlech⸗ tern mit 100 Peitſchenhieben, bei erſchwerenden Umſtünden mit den Ipde beftraft ?). Die ehebrecheriſche Sklavin kommt mit 50 Peitſchenhieben weg. Der Ehebruch eines Ungläubigen mit einer moslemiſchen Frau hat ſtets die Strafe des Ketl zur Folge. Ausdrücklich ift im moslemiſchen Brfeg das Recht der Blutrache anerkannt. Wer einen Mord oder Todtſchlag verkbt, iſt mit feiner Perfon den Angehörigen des Grtödteten verantwortlih. Die Berfon oder Die Berfonen, welden das Recht der Blutrache zufteht, Tann oder können aber auf Boltziehung derfelben verzichten und fi mit einem Sühnegeld (Weergeld) abfinden lafſen. Mit den Rückfällen nimmt es dad moslemifche Recht fehr fireng. Wer ſchon dreimal Heftraft worden #fl, er⸗ leidet beim vierten Vergehen ſchlechterdings die Todesſtrafe.

Sechftes Mapitel. Zur Geſchichte des Islam.

1.

Nah des Propheten Hingang wurde offenbar, daß ber Islam noch keineswegs unerſchuͤtterlich daſtand auf dem Wüͤſtenſand Araͤbiens. Als

4) Am die Thalfrage ves Chebruchs zu beſahen, find, in Falle Yen’ Geflakeniß vorliegt, vier männliche Zeigen von untadelhaften Wandel oder drei maͤnnliche umd zwei weibliche Zeugen erforberlih, wie man fieht, eine fchwierige Beweisführung. Der Koran fagt in der 4. Sura in Betreff des Chebruchs der Frauen: Wenn eure Frauen ſich durch Chebruch vergehen und vier Zeugen aus eurer Mitte bezeugen dies, fo kerkert fie (die Schuidigen) in eurem Haufe ein, bis der Tod fe befreit öder ct ihnen fonft ein Beftekungeminel anliſt.

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wicht itehe die anerkannte Autorieht eitteß genialen Mannks oppoſitlonelle Wegungen niederhielt, traten dieſe alsbakd herbor. Bad unbändige Frei⸗ heitsgefühl Ver Beduinen fand das Joch bed neuen Glaubens zu ſchwer. Das Gebot ſtrengen Faſtens und allzuhäufigen Betens, wie das Verbot deb Wilhes, machke die Söhne der Wüfte mit Sehnſucht nalh den laxeren Ord⸗ nungen des urväterlichen Glaubens zurückblicken. Politiſche Motive mehrten die Unzufriedenheit. Die einzelnen Staͤmme fühlten ſich unbehaglich in dem Verband eines wenn auch immer noch lockeren Staatsweſens. Insbeſondere rührten ſich die Koreiſchiten wieder, denn fie hatten die Einbuße ihrer dominirenden Stellung unter den arabiſchen Stämmen noͤch nicht vers ſchmerzt, und verriethen die Abſicht, fich der Herrſchaft bes Chalifats niicht zu fügen. Zu dieſen Mißlichkeiten kam noch das häßliche Zerwürfniß An ver Familie des hingegangenen Propheten, ein. Zerwürfniß, welches, wie wir Eben (Rab. 3, 6) fahen, Die dogmaliſche aid politkfche Geſtaltung ver moslemiſchen Welt beeinflußte. Indeſſen waren die Gefährten Möhanimeds Männer, die bei Fortführung feines Werkes vor Widerwärtigfeiten und Hinderniffen nicht zurüdichradten. Wie bedrohlich die Umſtaͤnde fein mode

.ten, Alles, was Arabien un heißem Glaubenseifer, Begeifterung für eine

große Idee, ichlauer Politik und woduerachtender Kuͤhnheit beſaß, fland doch auf der Seite des Wlam und fo wußte Abu Betr feinen Chalifat bald Ach⸗ tung zu verſchaffen. Die meuteriſchen Koreifchilten wurden durch Gewäh- rung von allerlei Vortheilen gewonnen, die vereinzelten Aufſtaͤnde anderer Stänme mit Energie niedergeichlagen. Uber das genügte dem Chalifen und den Häuptlingen feines Raihes nicht. Diefe Männer erfannten, daß durch den Islam das arabifche Wefen in feinen Tiefen aufgewühlt worden fet, daß der neue Glaube ein Element der Bewegung in das Volf gebracht habe, welchem, wenn es nicht Unheil fliften folkte, ein neues und weites Feld der Thätigkeit angewiefen erden müßte. Man Betonte daher mit Entſchie⸗ denheit das Gebot des Islam, die Ungläubigen zu bekehren oder wenigftend ber Herrſchaft der Moslim zu unterwerfen, und eröffnete durch Aufpflanzung der Fahne des „heiligen Kriege * der arabiichen Kriegs⸗ und Beuteluft ein unermeßliches Gebiet. Auf der Bahn der Eroberung flürzte ſich Arabien mit wilder Thatkraft in die Weltgeſchichte. Als eine newe gefchichtliche Macht erhob fich der Iölam und begann das Antlig des Morgenlandes um⸗ zuwandeln. Das euer, weiches in der Abgefchlofienheit der arabijchen Salbinfel angezündet wurden, ging flammend und'fteffend durch bie orien« 77°

420

talifche Welt, Hell und Heiß au in den Sübweften des Occidents herüber- fehlagend. „Das Paradies ift vor euch, Tod und bölliiches euer hinter euh!* Das war der Auf, womit moölemifche Heerführer ihr jugentfräf: tiged Volk auf altersſchwache Völker ſchleuderten. Schaar auf Schaar, den Koran in der einen, Schwert und Brandfadel in der andern Hand, brach aus den arabifchen Steppen bervor. Bor ihnen her ging ein Schreden des Unerbörten, glei der laͤhmenden Macht einer ungeheuren Naturkataſtrophe ?).

2.

Es ift nicht unfered Amtes, den modlemifhen Eroberern auf ihren Wegen nachzugehen. Wir bezeichnen Die Richtung derfelben nur von ferne und verweifen den Leſer Hinfichtlich der politiihen Schickſale des Islam auf

4) Sin deutfcher Dichter, Sulius Mofen, in feinem lange nicht nach Verdienſt geihägten „Ahasver“, hat die Erhebung des Islam mit unvergleihliher Cnergie geſchildert:

Hörft du den Samum aus der Wuͤſte braufen ? Staubfäulen fchreiten riefenhaft voraus,

Die gleich den Rreifeln in fidy felber Saufen. Hörft du das Land von taufend Roſſen flampfen, Daß Berge beben? Oper will zu Staub

In Rauch und Wirbel fich die Welt verbampfen ? Mer hält ven Halbmond auf in feinen Bahnen? Wild lechzen unter feinem Zeichen auf

Zum heißen Himmel blutigrothe Bahnen.

Da fprengt einher, da naht mit Ungewittern

Das Schreden Gottes, des Propheten Heer

Mit Donnerruf, daß alle Herzen zittern.

Allah iſt groß! Gewaltig das Berhängniß,

Das Schwert ein Schlüffel zu dem Paradies ; Erkenntniß ſprengt der Menfchheit das Gefaͤngniß! Allah ift groß, fo weit fein Odem wehet, Mohammed fein Prophet, foweit im AU .

Die Sonne leuchtet und der Halbmond gehet ! Allah if groß! Sein Reich iſt zu erſtreiten!

Der Moslem flürzt durch Blut und Tod hinein Aufjauchzend in das Meer der Seligfeiten.

Allah ift groß! Wer ift, der feiner ſpotte?

Ihr Goͤtzendiener, Heuchler, wehe euch !

Der Moslem kommt, am Boden heult die Rotte....

Aal Weils CHalifengefchichte und Hammers Osmanengeſchichte. Uebrigens Fennt ja jeder Schulknabe die Geſchichte des Mohammedanerthums, wenigſtens in ihren Umrifſen. Das byzantiniſche Griechenthum hatte in Syrien den erften Anprall der Streiter des Islam auszuhalten und hielt ihn fchlecht ges nug aus. Shyrien und Paldftina wurden von den Moslim erobert, welche fofort im Sturmlauf durch die mefopotamiicdhe Ebene nach Perſten vordran⸗ gen und nad) blutigen Kämpfen in der Entſcheidungsſchlacht Hei Kadefta die Macht des Tegten Königs der Ormuzdreligion von Iran vernichteten (634 n. Chr.). Und wie über dad Zend⸗Aveſta, fo triumphirte der Koran, von feinen Befennern über den Indus getragen, aud über die Veda's). Ganz Aften von den phönikiſchen Geftaden bis zum Ganges gehorchte dem Cha⸗ lifenſchwert, welches ſich mit jchwerer Wucht von Syrien aus auch auf Aegypten legte und fich von da weiter und weiter die Nordfüfte Afrika’s entlangſtreckte. Tarif trug e8 zu Anfang des 8. Iahrhunderts chriftlicher Zeitrehnung über die Meerenge von Gibraltar, umd nachdem bei Xeres de la Brontera die Weftgothen ihm erlegen, überflutete der moslemijche Erobes rungäftrom ganz Spanien. Er brandete fogar nordwärts über den Granit- wall der Pyrenäen hinaus, aber bei Tours und Voitiers ftellte ihm germa⸗ nifche Tapferkeit einen Damm entgegen, der den wüthenden Strom zurüd« fluten machte (732).

Mährend fo im Abendland die Macht Des Islam auf Spanien be⸗ fchränft wurde, hatten Inzwiichen im Morgenland Moslim ihr Schwert gegen Moslim gekehrt. Nachdem die beiden Nachfolger des erften Chalifen, Omar und Othman, meuchleriſch ermortet worden, ſchien des Propheten Schwies geriohn Alt endlih zu feinem Rechte zu gelangen. Er wurde in Medina zum Chalifen ausgerufen, allein fein Feind Moawijah aus dem mächtigen Haufe Omeijah, Statthalter von Syrien, erhob gegen ihn die Fahne der Empdrung. Vergebens erwied Alt in fchredlihen Schlachten feine edle Heldennatur. Er erlag dem Dolch eined Meuchlerd (660), feine Bamilie ging unter und dad Chalifat Fam an die Omeijahden, unter weldyen die Moslim gegen Kleinaflen, ſowie gegen Die Infeln des ägäifchen und mittel« Tändifchen Meeres Eroberungszüge machten. Schon jegt wurde auch Kon⸗ ftantinopel von ihnen beflürmt, aber erft weit fpäter, unter den türfifch-

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4) Aber nur poliiſch. Während die ſproͤde Ormuzdreligion unter den Schlägen des moslemiſchen Schwertes in Splitter ging, vermochte diefes Schwert die elaftifche Zähigfeit des Brahmanenthums nicht zu überwinden.

4 . gamanifdien Sultanen, erlag, wie befannt, bie Hauptfaht Hfkrams, Lam Ielam. Zweiundneunzig Jahre nah Ali's tragiſchem Yusgang volzog Abbas an den Omeijahden den Spruch der Nemefid. Das ganze ameie jahdiſche Haus wurde ausgerotter, mit Ausnahme ded Abdexrahman, welcher fih, nach Spanien rettete und dort ein von dem morgenländifcgen unabbhänr giges Ehalifat gründete, mit der Hauptſtadt Cordoba.

Die Chalifen der abbaſidiſchen Dynaftie ſchlugen ihre Reſidenz in Bag- bad auf und herrſchten bis ind zweite Jahrzehent des 9. Jahrhuudertaà mis großem Glanz, Bon da an zerfiel das morgenländifhe Chalifat, biß es von feinen Prätorianern, den aus ihren Stammfigen in ten. hochaſiatiſchen

‚Steppemwildnifien gekommenen, fpäter nach einem ihrer Häuptlinge, Dömgn, benannten Zuranistu (Türfen, Seldſchuken) geftürzt wurde (1258), Gin Schattenchalifat vegetirte bis 1538 in Arghpten. Seitdem führssn bie tütkiſchen Sultane_ den Ehalifentitel, welder. aber. von ben Shliten nicht gnerfannt wurde. Wo nicht die Türken herrſchten, zerbröckelte dag moale⸗ mifche Gebiet 1 in größere oder Meinere Reiche. Zeitweilen bauten mos⸗ lemiſche Herricher in Perfien und Indien mächtige Staaten auf. Das abend⸗ laͤndiſche Chalifat in Spanien erlag im Laufe der Jahrhunderte inneren Zwiſten und den aus ihren Bergafglen in Afturien und Galizien wieder an⸗ griffsweife gegen den Halbmond vorgebenden Ghriften. Die Schlacht von Toloſa brach für immer das Uebergewicht des Islam auf dex pyrenätichen Halbinjel (1212) und die Eroberung Granada's durch die katholiſchen Kö— nige (Berbinand und Iſabella) unterwarf. dig letzte Stätte moslemiſcher Herr⸗ haft im Abendland dem chriſtlichen Regiment, (1492). Der Türfen- ſchrecken, welcher von Konſtantinopel aus die Chriſſenheit fo lange in Athem gehalten, fing feit dem Sieg der chriſtlichen Klotten bei Lepanto (1571,) feine Furchtbarkeit zu verlieren an. Sodann vernichteten ihn der glorreiche Wi⸗ derſtand der, Bürger des belagerten Wiens und die Siege ber deutſch-kqiſer⸗ lichen Heerführer in den legten Derennien, des 17. Jahrhunderts völlig. Seither ift das türkifhe Reid, immer ynayfhaltfamer- gefunfen und es hängt dermalen feine Eriftenz überhaupt von der Gnade, d, h. von ber gegenjeitis gen Eiferfucht der europälichen Großmaͤchte ab. Der Auggang bes, Kampfeq zwifhen Kreuz und Halbmond, im Mittelalter das eigentliche Agene Dex Weltgefchichte, ift jet nur noch eine Frage der Zeit; denn bie Ueberlegen⸗ heit der chriſtlichen über die moelemiſche Welt ſteht laͤngſt unzweifelhaft feft-

423

d.

Daß Cholifat, als Caͤſaropapismus, entwickelte einen Despotiömus, welcher in der moslemiſchen Welt unzählige Empörungen, Palaftrevolutig- nen, Bruͤderzwiſte und Bürgerkriege hervorrief. Die großen bynaftifchen Wechſel und Kämpfe find im Vorſtehenden angedeutet worden. Hier fei jegt. kurz noch eigiger Erſcheinungen religiögelogialer und religiösepolitiicher Natur gedacht, welche im Laufe der Zeit Die moslemifche Geſellſchaft von in- nen heraus mehr ober weniger erichütterten.. Es hat dem Slam nie an Keztzern gefehlt, aber fie untericheiden ſich von den chriſtlichen dadurch, daß ſie ſich ſelten damit begnügten, freiere Anſichten in religiöſer Beziehung zu hegen und zu lehren, ſondern daß fie vielmehr gewöhnlich zugleich die Fahne des Aufsuhrd, gegen, Die Despotie der Chalifen oder Sultane erhoben. Das Vorbringen des Islam nad Perfien und Inbien, hatte Die Mahamme⸗ daner mit den zeligißfen Anſchauungen dieſer Länder. befannt gemadt und mir werben weiter unten fehen, daß aus ber Durdringung des Mohamme danigmus mit dieſen Anſchauungen fpäter die moslemifche Myftif und Theo⸗ ſophie entiprang, Schon im 2. Jahrhundert der Hidjrah aber ftanden in ter Landſchaft Khorafſan zwei Häretifer und Mebellen. auf, Mawendi und Mokaunnaa (der, verichleierte Prophet“), von denen jener das brahmanifche Dogma gon der Seelegmanderung dieſer eine willfürlich aus dem Parfld- mus gezpgene Üreigeifterei in den Islam einzuführen verfuchte. Lnlange darauf Riftete ein gewiſſer Babek die Sekte der Churremije (d. i. der Sröhlichen), indem er epikuräiſche Freiheit und Gleichheit, Gemeinschaft der Güter und der Weiber predigte. Unter dem Chalifat der Ahbaflden grün- dete Saffan Sſabbah den Geheimbund der ISmaeliten oder Bates niten, in deſſen höchſtem Grad, den, Eingeweihten als einziges. Dogma der Sup: „Nichts glauben und ſich Alles erlauben!" verfünbigt wurde. An zweihundert Jahre lang verhreitete dieſer Bund permittelft ſeiner Werkzeuge, ber mordhereiten Affaffigen, deren Namen noch jegt von dem romantifchen Zauber geheimen Grauens, umgeben if, Furcht und Entfegen durch die mos⸗ lemiſche Welt, nem Banuftrol der geiftlichen, dem Schwert ber weltlichen Macht trpgend, in feinen legten Meſten erſt Durch den Mongolen Timur aus⸗ getilgt. Ein hoͤchſt merkwürdiger, religihſe, politiihe und fozialg Ele— mente in fich vereinigender Auffiond, welder. dag ganze Türkenthum yon Alten umgeftalten au wollen ſchien, erhob ſich im Jahre 1420. der chriſtlichen

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Hera. Der Grieche Dukas hat ausführlichen Bericht Darüber erflattet 1), Doch fo, daß von einem tieferen Verftändniß der Sache bei ihm offenbar feine Rede war. Es muß damals eine höchſt lebhafte Bewegung der Beifter durch die nicht» offizielle türfifche Welt gegangen fein, Ideen leuchten auf, die ihrer Zeit um

Jahrhunderte, wo nicht un Jahrtaufende voraneilen; aber die wüften Wogen.

brutaler Gewalt fchlagen fogleich wieder über ihnen zufanımen. Wie es fcheint, hatte die ungeheure Verwüftung, weldye die Züge Timurs hinter ſich zurüds ließen, erwähltere @eifter und edlere Gemüther dem Gedanken einer durchgrei⸗ fenden religiöfen und ſozialen Reform zugänglidy gemacht. Berflich-moslemiiche Myſtik, jüdifche und chriftliche Anfchauungen gaben ben Anftoß dazu. Drei Männer waren die Träger des Reformverſuches oder, wenn man will, des Auf- ruhrs: der berühmte Nechtölehrer und Heeresrichter Bedreddin, ein höchſt begabter Landmann, Böreflüdfhe Muſtapha, und der jüdiſche Rabbi Torlaf. Bedreddin gewann in der europälichen Türkei die „@ebildeten“ für feine Bläne, Torlak in Aften die Derwiſche, Böreklüdfche die Kandbewohner. Er lebte und lehrte als Einſtedler auf dem Berg Stylarios, am füblichen Ende der Bucht von Smyrna, Chios gegenüber. Seine Anhänger nannten ihn Dede Sultan. Seine Predigt ging auf allgemeine Toleranz und Ver⸗ brübderung der Menfchen unter einander, ohne alle Rückficht auf die Verſchie⸗ denheit des religiöfen Bekenntniſſes, alfo auf völlige Gleichheit und Güͤ⸗ tergemeinfchaft. Nur die Weiber follten von diefer ausgenommen fein. Als

die Erhebung immer größere Dimenflonen annahm, übertrug Sultan Mo—

hanımed I. dem Statthalter von Sſaruchan, Sisman, die Unterwerfung der Empörer. Allein Sisman ward in den Schluchten des Stylarios von den Anhängern des Dede Sultan gefchlagen und fammt feinem ganzen Heere vernichtet. Ein zweiter türkiicher Heerführer, Alibeg, erlitt am Stylarios ebenfalld eine fo furchtbare Niederlage, daß er nur mit Wenigen entkam. Jetzt ſezßte Mohammed 1. eine Armee von 180,000 Mann unter feinem Sohn Murad und dem Großweſir Bajeſid Paſcha gegen die Rebellen in Be- wegung. Unter furdtbarem Gewürge wurden bie Päͤſſe des heiligen Ber- ges erftürmt. Böreklüdſche, in die Hände der Sieger gefallen, wurde nad Epheius gebracht und dort den furchtbarſten Foltern unterworfen, um ihm einen Widerruf abzuprefien. Er blieb ſtandhaft. Nun nagelte man den

1) Edit. Javarin. p. 49 sq. Sammer (Geſch. d. osman. Reiches, I, 293 folg.)

folgt mehr türfifchen Quellen, befonders dem Neſchri; feine Darftellung ſcheint uns aber von Boreingenommenheit gegen bie Aufftändifchen zu zeugen.

—t—

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Märtyrer in Kreuzesform auf ein Brett und hieb vor den- Augen des ſter⸗ benden Gefreuzigten alle feine Sünger zufammen , die feine Lehre nicht ab⸗ fhwören wollten. Sie flürzten ſich mit den an ihren Meifter gerichteten Worten: Vater Sultan, dein Reich komme zu uns! fröhlich in die Säbel, Nach Böreklüdſche's Ausgang wurde auch Torlaf geichlagen, gefangen und bingerichtet, ebenfo Bedreddia. Die Reformation des Islam war gefchei« tert, aber noch lange glaubten die zerftrenten Lieberrefte ihrer Anhänger, Dede Sultan walle noch immer lebend auf Erden.

Eine genauere Befanntfchaft mit den Bevölkerungen der moßlemijchen Gebiete zeigt und überhaupt von Jahr zu Jahr mehr, daß neben der ver⸗ fnöcherten Ortbodorie Ted Islam ein buntes Seftenweien eriftirt, welches die ganze Scala reltgiöjer Vorftellungen durdläuft, vom ſchlechtmaskirten Fetiſchismus an bis hinauf zu freimaureriichem Nationalismus. Abgeſehen von ganzen Bölferichaften, welche, wie 3.38. die Defiden?), vom Moham⸗

2) Die PYeſiden (Jezidi), in Kleinafien, Armenien und Kurdiſtan zerftreut wohnend, gelten für „Teufelsanbeter.” Die Ehrfurcht, welche fle der Sonne und den Geſtirnen, dem Licht und Feuer zollen, fowie ihre firengen Reinlichkeitsbraͤuche, laſſen vermuthen, daß dunkle Traditionen tes chaldäifchen Sabäismus und des Parfismus unter ihnen fortleben. Dancben aber auch jüpdifche, chrififiche und moslemiſche Vor⸗ ttellungen. Der berühmte englifche Reiſende Layard hat ſich in neuerer Zeit lange unter ten Jezidi aufgehalten, als Gaſt ihres oberfien Scheichs, und hat, was er da beobachtete, im 9. Rapitel feines Werkes über „Nineveh und feine Ueberreſte“ nieder: gelegt. Layard zufolge fcheinen die Sezidi allerdings das böfe Princip, den Scheitan (Satan) als das höcfte zu verehren. Sie vermeiden es aber mit ängftlicher Schen, feinen Namen auszufpredhen, und nennen ihn Melek el Kuht (mädrtiger Engel) oder Melet Ta—us (König Pfauhahn). Sie beſitzen aud ein Idol des Melet Ta—us, die Bronzgefigur eines Vogels, welche aber nicht ale Fetiſch, ſondern nur als Symbol betrachtet werde. Der Scheitan ift, wie fie glauben, der Anführer der Engel. Gr erleidet jegt feine Strafe für feinen Aufruhr wider Gott, aber einft werde er, mit diefem verföhnt, wieder zur himmlifchen Macht und Herrlichkeit eingehen. (Nachklang des zoroaſtriſchen Dogma’s von der endlichen Berföhnung Ormuzds und Ahrimans?) Den Satan müfle man fürchten und verehren, denn jeßt habe er die Macht, den Men: fchen zu ſchaden, und fpäter die Mittel, fie zu belohnen. In Chriſtus fehen die Jezidi einen hochgeſtellten Engel, in Mohammeb. einen Propheten, wie auch Abraham ein folcher war. Sie glauben an die Kodmogenie der Geneſis und halten überhaupt das Alte Teftament, wie das Gyangelium und den Koran, für verehrungswürdige Bücher. Den Miſchmaſch des jezidiſchen Rituale harakterifirt es, daß die Jeſiden ihre Kinder zugleich der Taufe und der Beichneidung unterwerfen, fein Schweinefleifch eſſen, aber Wein trinken und die Sonne als ihre Kiblah anfehen, d. h. als den Punkt, welchem

18

medagiamus nur, einige. Lehrſaͤge oder rituclle Vorſchtten angenpnugn” ha⸗ ben, im Uebxigen aber, ein vages Gemengſel von jüdiſchey, chxiftlichen und heidniſchen Vorſtellungen ihre Religion nennen, bet Die, Bezeichnung Ihr lqm foft fo vielerlei einzelne Bildungsgrade und Meinungen, wie hie Der zeichnung Chriftenthum. Während, das kirchliche Dogma in flareer Ent⸗ wichlungqlofigkeit verharrte, ließen es vorgeſchrittenere Meißen binzer ſich, um, ſich gelänterteren Anſchauungen und einer Moral zuzuwenden, deren Zorderungen die der edelften Humanität ſind 2).

beim Seht das Geſichi zugekehrt werden muͤſſe. Layard erzaͤhlt, er habe ſich große Muͤhe gegeben, zu erfahren, ob der jezidiſche Glaube etwa mit dem Manichäismus aulemmenhänge.; er babe aber barüber nisht, den geringflen Aufſchluß erhalten kännen. 3) Als Zeugniß deſſen ſtehe hier das falgende, aus der „Wuͤſtenharſe“ von,

3. Altmann entlehnte arabifche Spruchgedicht:

Eh' Sad Ben Malik, der geheißen ward der Weile,

Antrat aus diefer Welt die große Himmelsreife,

Sprach er: Gs neiget ſich mein Tag, ihr meine Erben,

O Söhne, kommt herbei und lerne! von mir flerben.

Ih hinterlaſſe nicht euch Schäge zum Vexmaͤchtniß,

Dips, letzte Wort doch leb' in euch als mein Gedaͤchtniß.

Er ſprach: Den Narren dreht das Leben fich in Kreiſen;

Gin Baradielespfad, ein g’rader, iſt's dem Weiſen.

Das Eein Hat keinen Werth tem, der das Ziel verfennt ;

Doc hohen Werth hat's dem, der es ein Gottſein nennt,

Allah fei dein Gehet am Abend und am Morgen,

Dank, ihm für Lieb’ und Luft, dank ihm Tür Leid und Sorgen.

Trag deinen Kummer fill, dein GLüc theil' mit den. Leuten,

Laß deineg Serle Gold bie ganze Welt erbeuten,

Der Ahnen rühm' did) nicht und nicht mit Meichtgum praje;

Haft heine tu, dem Heren der Welt den Dank bezahle.

‚Der Armuth ſchaͤm dich nicht, lern' Müh' und Roth erdulden,

Stirbft du, bezahlet, Gott den Glaͤuh'gern deine Schulden.

Arm kamß tu auf die Welt, arm trägt man Dich zu Grabe,

Mer zwifchen Armuth wohnt, was iſt denn deſſen Habe?

Auf Tugend ſteh' dein Sinn, fie darfſt du leid erwählen,

Und moßieſt bu. Be felhh aus Allah's Händen fehlen.

Bertraug nicht ber Welt, ftüg’ dich auf eig ne Kraft,

Sei wie ein Gifeppfeil an einem Cichenſchaft.

GlaybR vu, ein Freund fei bein, dann ſei ihm tzeu wie Gold,

Dad fordre nicht, daß er im Jammer dir fei hold.

Je Mind'retz du verhoffſt in dieſem armen Zehen,

Sp mehr, wird dir vielleicht durch. Echichalsbuld gegeben,

Aa

Am Grafen, ahen murbe, ſeit der KHreuzigung deß Reformers nam. Paxge Gtylarios nur. nach, ein Verſuch zur Umgeſtaltung des Jolam, vom BUND I Unte. beraus gemacht: Der Ahebe deſſelben war Mohammend Ahbsel > Raben, be 8

(ach, 1728), den? Shlfter Dex wadı Ihm benapnien Seüe der, Wo bebi

Wechabiten) Der Kern von Wahgbs, Lehre ii ratianalißiſcher Deiamus Ihr Prediger, durch eifrige Stadien geichult, wandte ſich mit auffläreriſcker Polemik gegen den Legendenwuſt, welder, im Laufe der Zeit das moslenuſche Dogma um⸗ und ühermucert batda, foxderta eine venaunftmäßlge Erflaͤrung beR Koran, verwarf; alle Zradition, eifexie gegen bie überagäßige, Verabxung des Propheten ala; gegen Abgötterei und verlangte. daß die Moelim aus. dem Schlamm ber Ueppigkeit energiſch ſich aufraffen ſollten. Nachdem der nqut Prophet den Fürſten von Derajeh und Lahſar, Ebn Sehud, für feine Lehre gewonnen und zum weltlichen Oberhaupt (Emir) der Sekte erflärt hatte,

Durch Wiperfpruch reis’ nicht don zorn’gen Dann, o Kind,

Durch Sanfimuth Heil du ihn non feinem. Fehl geſchwind.

Nicht laß ob deinem Grall das Norgenroth ſich heben,

Soll Gottes Sonne denn auf einem. Sumpfe ſchweben?

Bergib mit Huld, o Rind, bein, der dein Herz jerreißt,

Wie Allah gnädig ſelbſt dem Satan fich erweilt.

Huͤll' ganz in Tugend dich, wie in ein Kleid von Gold,

Doch bleib’ auch dem, der nadk in Laſtern gehet, Hein.

Oft ſcheint auch wohl dem, Blick zu fehlen nur das Sei,

Indeß ter Nachbar trägt es um die Schuliern weit,

Der Schein betrügt das Herz, der Schein betrügt den Sinn, - Lern’ ihn beherrfchen, Sohn, und groß IR bein Gewinn.

Erkenn' als wahr nicht an den Wahn, das Borurtheil;

Das. Necht ſej heine Macht, die. Wahrheit fei dein Heil,

Gerecht fei Jedermann und thu' nad deiner Pflicht,

Doch rige leicht das Herz des Feind's, zerreiß' es nicht.

Die Tugend fei der Stab, daran dir des Propheten

Himmlifche Fahne weht, laß Jeden davor beten.

Sie fei dir nicht ein Pfeil, der in ein Herz Ach taucht,

Daß ſchwarzer Dampf. aufftrigt, ala wenn. ein Opfer raucht.

Sie fei, wenn Nichta mehr dich, den frzien ei, grregt,

Der Engel, der dein, Herz vor Allah's Fuͤße legt,

So fprab Ben Malik, der geheißen ward der Weile,

Eh’ er von diefer Welt antrat die Himmelsreife.

So ſprach er und nach mehr der Spruͤch' ht’ er geſprochen,

Doch .pibglih, ſchwieg er.Rill, fein Auge.wan gehraden,

128

breitete ſich Diefe vermittelt Sener und Schwert raſch unter den arabifchen

t Stämmen aus. Die Schwäche des türkiihen Reiches ermöglichte es fogar den Wahabi, nad blutigen Kämpfen die heiligen Städte Mekka und Medina zu erobern (1806). Die Pforte rief den Paſcha von Aegypten Mehemed AU und defien Stieflohn Ibrahim gegen die Empörer auf. Unter Fuͤhrung dieſer beiden Generale gewann bie Orthodoxie entſcheldende Stege über dir Rrform (1815). Die Häuptlinge der Wahabi wurden gefangen und bin- gerichtet. Sobald aber Mehemed Ali feine Truppen aus Arabien zurück gezogen hatte, erhoben fi die Wahabi abermals in Waffen, und da fie ſich innerhalb ihrer Stammgebiete halten, fcheint die türfifche Deglerung ganz auf ihre Unterwerfung verzichtet zu haben.

4.

Wie alle großen geſchichtlichen Bewegungen, trug auch der Islam im erſten Ungeſtüm feiner Jugend etwas Zerſtöreriſches in ſich. Wie alle Re⸗ volutionen, bedecte auch die moolemiſche, wo immer fie den Fuß hinſetzte, die Erde mit Trümmern. Kein Denkmal der Geſchichte, kein Werk der Fröm⸗ migfeit, und Kunſt war den Streitern Allah's heilig. Im Gegentheil un- heilig und verhaßt war ihnen Alles, was das Schönheitögefühl der alten Völker gefchaffen und die Wuth chriſtlicher Mönche noch unzerſtört gelafſen hatte. Denn das Alles erſchien den Moolim nur als Zeugniß ſtuchwuͤrdigen Goͤtzendienftes. Gewiß muß uns ein höchftes Gefühl der Achtung vor der Eulturarbeit des clajftichen Alterthums durchdringen, wenn wir bedenfen, daß e8 und, allen VBerwüftungen durch dhriftlichen und moslemifchen Sana= tiömus zum Trotz, noc eine ſolche Fülle von geiftigen und künſtleriſchen Schägen überliefern fonnte. Indeſſen führte, wie im Chriſtenthum, jo auch im Islam die ewige, unvertilgbare Freude des Menfchen am Schönen eine glückliche Reaction herbei. Als die arabifche Invaflon im Morgenland und Abendland die Geſtalt feiter Herrichaft gewonnen hatte, flellten ſich auch, mit den Mitteln, fie zu befriedigen, die Bedürfniffe höherer Bildung und feineren 2ebendgenuffes wieder ein. Die glanzuollen Höfe der Chalifen aus dem Haufe Onteljah zu Damasfus und zu Cordoba, die Hofhaltungen der Abbaſiden zu Bagdad, der Gasneviden in Perflen, der Pataniden und der Moguls in Indien wurden zu Sipen arabijcher Wiſſenſchaft und Kunft.

Die moslemiſche Kun hat es jedoch nie zu der Fülle und PVielfeitig- keit gebracht, zu welcher die chriſtliche aufblühte, fobald dieſe, nachdem fte

423

Den einfeitigen Spiritmafiamus Hinter fich hatte, anfing, die Subſtanz der riftlichen Idee allfeitig in ſchönen Formen zu entwideln und alle Künfte in den Dienft der Kirche zu berufen. Der fireng feftgehaltene Grundfag, daß die bildliche Darftellung, befonders die der menſchlichen Geſtalt, verwerflid fei, beichräntte die bildende Kunft der Moslim auf die Architektur, während unter ihnen -von den redenden Künften auch nur eine zu höherer Entwidlung fam, die Poeſie, und wieder Diefe nur in Epik, Lyrik und Didaktik. Denn ' die höchſte postifche Gattung, bie Dramatik, brachte ed in der moslemiſchen Welt kaum zu roheflen Anfängen. weil die Seele der dramatifchen Kunfl, . bie freie : Selbfibeftimmung des Menſchen von der Wucht de. fatalikiichen Dog⸗ ma's erdruͤckt wurde.

Die moslemiſche Baukunſt, price ‚wir aud die faragenifche und, mit befonderer Rückſicht auf Nordafrika und Spanien, die mauriſche zu- nennen pflegen, hat alle Länder, wo ber Islam berrichte und herrſcht, mit Monu- menten bebedit. Ihre bedeutenbften Hervorbringungen find Moſcheen, Bur⸗ gen und Palaͤſte. Der Moſcheenbau weit zwei Hauptformen auf. Die eine, dem altchriftlichen Baſilikenftyl verwandt, ifl der große, quadratiſche, mit Arkaden umgebene Hof; die andere ift der geichloffene, gewölbte und betuppelte Tempel, auf deflen Form der byzantiniſch⸗römiſche Styl Einfluß gehabt haben mag. Im arciteftoniidhen Detail zeigt fih Eigenthümliches, eine zwiefache Bogenform nämlich, Die des Hufeiſenbogens und die des Spig- bogen, welche lettere, auf altorientaliichen Cindiichen) Vorbildern berubend, in der chriſtlich⸗abendlaͤndiſchen Architektur eine viel größere Bebeutung erlangte ald in ber modlemiihen. Die Ornamentit ber Iegteren ift reich und phantaftifch,, aber zugleich, da fle von eigentlicher Geſtaltenbildung ab⸗ firabiren mußte, doch wieder monoton, Sie muß. fih allzufehr auf An⸗ wendung von geometrijchen Linien und Yiguren, auf Nachbildung von Blätter und Blumenwerk beſchraͤnken. Im Allgemeinen darf man fagen: der Charakter Ter modlemifchen Baufunft ift nicht Erbabenheit. Das Groß- artige, Erhebende, den Geiſt in flaunende Bewunderung Verjegende gebt ihr ab, Dagegen bezaubert fie durch die Zierlichfeit ihrer Formen, die wirfs fame Bertbeilung von Licht und Schatten, den Reichthum und die Zartheit ihrer Ornamente, die wie von Feenhand geſchaffen ſcheinen. Ihre Mofcheen, Palaftyallen und Kioske find gewiffermaßen geeignet , die Sinne angenehm zu erregen, wie die Seele in vage Träumereien gu wiegen. Reiſende von fiharfer Beobachtungsgabe verfihern, das Geheimniß des ſüßen Nidts-

Has, dir, RE" Wer Drientalen, Werbe Etnem ek War, weni van or Werkung aibel?miſcher Wihrwerke erſahren hube 1).

5.

Winwal aus Ihrer halbinfulakiſchen Wöpefärtnfferigett tzetausgetreten, ervberren He Araber nicht nur Ränder und Neere, ſondern wich We Reife ves Wiſſens. Für dieſes hochbegabte, jugendfriſche Bott wurde bie Be ridtung MM denn Acdeeneſerungen griechiſch⸗raͤmiſcher Culinir geiſtig ſo be⸗ Wudtenv‘, Val es as der Hand des erſturrten Buränrineriätiits Me Mifften Adernehmen konnte, im Jahrhunderten, we die Finſterniß trier Wirken über der Ghriftenheit brütete, die Leuchte antiker Bildung ver vem OriAuen Ya wahern tind To Hodh'Entbor zu hatten, daß ein Siverſchein derſelben auch An vie mönthiſch verfinfierte Zeit des Wendlandes hetrinfiel. Wie ſchvn verichrt worden, waren eb insökfondare die Höfe der Chaliſen aus dem Gathfe Abdas In Bagdud and der Chatifen Aus dein Hauſe Oxiefirh in Tot vvoda, Wo arabdiſche Wiſſenfchaft und Kunſt am frucheſten Bluͤthhen frieb Ad Drqre reifte. Fuͤr Bagbad bezeichnet Der Name Eis Abigemia (Ben Stun, ft. 1068), für Corvoba der Name Averross (Abul Walid Moßkränheb En Ahned On Nohanmer Ebn Roshd, fl. 1217) Den Mittel⸗ und HEHE puikt etner wiſſenſchafttichen Thaͤrigkeit, zu weicher Ueberſehumgen gtkecht⸗ Mer Bücher , beſonders ver Werte des Arifloteles, trs Arabiſche We Alt derung gegeben Hatten und die ſtch im den Dißgipiiien der Muthemarik, Aſtrondinie, Phyſik, Heilkunſt, Geſchichtfchreibung, Theologie und Pilofe- phie dindig nrähle. Iht Charakter war freilich weit mehr nur ein erhalte a ver als ein ſchopferiſcher, aber gerabe die erhaltende Thaͤtigkeit der atabiſchen Gelehr⸗ faukrit verdient, wie Jedernann weiß, in hohem Srade die Dankbarkett ves

4) Dieſe Bauwerke, ſelbſt mur die bedeutendften, einzeln aufzuzaͤhlen, iſt natürlich hier nicht der Ort. Sind ſie doch in Kunſtgeſchichten und Reiſehuͤchern oft genug beſchrieben worden. Ich moͤchte nur in Betreff der mauriſchen Denkmale auf der wyetndiſthen Halbinfel verweiſen auf Be Sthilverung derſelben durch M. Willtöiriin I „Zei· Fahe m Spanien und Poͤringal“) und in Betteff der moeleniſchen Baufen in DRifdien af den · 8. Vnnb der Reiſe am vie Wett“ von Graf Goͤrg. Zn Hgterem Buch (S. 498 19.) findet ih namentlich eine ausführliche und meifterhafte Beſchrei⸗ bung ber „erften architeftonifchen Zierte Indiens“, des Taje Mahal, d. i. des Tems 'pels, welchen Schah Jehan (ft. 1688) in der Nähe von Agra über dem Grabe feiner Hentingsgerählin Modmtäz Mahal erbaute, Sörk ſagt, dieſes Maufdleum mache un Cinbrucdleines! Follitherkxs, Den fein irdiſches Webaͤube nahhe konnue

abe, Don Arabien fted gtoßenthells zuzuſchteibn, baße dle Farei der elaſſiſchen Bildung inz Mitteliilter Ginüberhefkitet würden: bimdt iſt Alles geſagt.

Mit'der Virbteffing des Idlaim in Vorderaſten und Spanien ſewann ich der Strom arabiſcher Poeſte an Brefte und Ausbehnuig, aber er blißle zuglelch die Kräft aid urfprüngfidge Ortginalitkt ein, welche die altärabifce Dichtung ausgezeichnet hatte. Wie der Islam ſelbſt, ME Huch) die hoerifche Titeriitur deffelben eine Miſchung verichtebeher Eleinenle und 8 haften 'an ihr dußerdem woch die Makel höſtſcher Speichelleckerei imd jener raffinirten (Kiliitelr,, welche überall einzutreten pflegt, ibo der Auell wifhrändtiäger Anfpiration verſtegt. Dies gilt namentlich von ber arabifchen Lyrik nach Mohammed, welthe in Ihn Vuxcid, Motenebbi und Toghrai glanzende Re⸗ präfentänten ſtellte 1). Auf dem Felde der Didaktik erweiterten Meidäni, gBamathſchari und Schakruh den altarabifchen Bnomenvorrarh zu Lehrbich⸗ rungen, welde das zanze Gebiet der Moral umfaffen, uͤnd än die ziemlich mythiſche Verſon des Fabeldichters Lokman knuͤpft ſtch bie Enlwicklüng Deb Apologs, welche dann in dem Thierepos vom dummen und argliſtigen Schal Mi (, Kalilah ve Dimmah *) ihren Abſchluß fand. Inſofern inch die 'drke biſche Maͤrchendichtung und Novelliſtik eine ſtark vidaktiſthe Faätrbung krug, haͤngen dieſe Gattungen mit der Fabelpoeſie genau zufammen. Mohammed hatte zwar gegen die Märchenluft ſeinteð Volkes geeifert, aber wie vergeblich,

4) Der berühmtefte dieſer drei it Motenebbi, welcher mit Wahrheit von ſich ges fagt hat: „Mich kennt das Roß, kie Nacht, das Schlachtrevier; Der Schlag, der Stoß, die Feder, das Papier.“ Gr wurde 968 im Kampfe mit raͤuberiſchen Beduinen erſchlagen, nach einem Leben voll bunter Abenteuerlichkeit. Sein Name bedeutet „ter Prophet fein Wollende * und war ihm zum Spott gegeben worden. Denn beim Beginn feiner Laufbahn hatte er den mißglüdtten Berfuch gemacht, in Mohammeds Fußftapfen zu treten, und deßhalb Am Styl des Koran zu den Bewohnern ver Wuͤſte geſprochen: Bei dem Serne, der geht, Bei dem Dom, ber fich dreht, Bei der Nacht, bei bem Tag, Berſlucht ſei, wer glanben nicht mg ! Ich ſtehe Hei Bekannten, Din fruͤhern Sottgefandten, Ya Gott will mir erlaufen, Zu regeln ten Glauben.

TER"

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zeigt der Umſtand, daß es ſchon unter dem Ghalifen Omar gewerbömäßige Erzähler gab, welde für den Märchenhunger ihrer Zuhörer von allen Eden und Enden ber phantaftiihen Stoff herbeiſchafften. So haͤufte fih nad und nad ein ungeheures Material von wunderbaren Geſchichten, welches, fpäter vielfach mod vermehrt und überarbeitet, jezt unter dem Xitel der Märchen von taulend und einer Naht („ Elf Leila“) weltberuͤhmt il. Neben Diefer unerjchäpflichen Fundgrube orientalifcher Einbildungsfraft ſteht als Schatzkammer arabifchen Wiged und Humors die in gereimter, mit Verſen seich durchwirkter Proſa ſich bewegende Makamendichtung mit ihren kunſt⸗ vollen Wort⸗, Buchſtaben⸗ und Raͤthſelſpielen, welche durch Hariri (fl. 1121) auf ihren höchſten Gipfel geführt wurde 2). Als die arabiſche Macht in Vorderaſten der Invaſion hochaſiatiſcher Horden erlag, verloſch dort auch das Licht arabiſcher Wiſſenſchaft und Poeſie. In Spanien hinterließ das Araberthum feinen chriſtlichen Beflegern eine Erbſchaft der Bildung, Die nomentlih, wie im elften Kapitel des Buches vom Chriſtenthum erwähnt worden, auf die Anfänge der abendländifchemittelalterlihen Dichtung Ein- flug übte, Im Morgenland felbft jedoch trieb ner Islam, befruchtet Durch altperfliche und indiſche Ideen, in der neuperfiichen Literatur noch feine prachtvollſte Gulturblürhe.

6.

Schon unter Omar wurde Perften eine Provinz bes Chalifat3 und der Islam verdrängte die Ormuzdreligion. Im Geheimen hingen freilidy nod Viele derfelben an, indbefondere in den öſtlichen Gegenden des Landes. Andere wanderten nad Indien aus, wo befanntlich noch jet viele Befenner des Parftsmus leben, freilich eines zur feellofen Mumie gewordenen Parfis⸗ mus, Einige Jahrhunderte Tang befand ſich dann in Perfien der Prozeß einer neuen Gultur in ‚wilder Gährung, bis die Miſchung perfticher und arabifcher Elemente zu einer leidlichen Klärung gediehen war. Ihren Aus- drud fand dieſe perflich-arabifche Bildung in der neuperflfhen Sprache,

2) Diefe Krone orientaliicher, Nopelliſtik hat bekanntlich Fr. Ruͤckert durch eine wunderbare Nachbildung, in weldyer der Meichthum, die Biegfamfeit und der Wohllaut unferer Sprache einen höchften Triumph. feiern, der deutſchen Literatur angeeignet. („Die Berwandlungen tes Abu Seid von Serug ober bie Natamen des Hariri“, 3. Auflage. 1844.)

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welche fihon zur Zeit der Saffaniven das Pehlwi zu verdrängen angefangen batte und in den Tagen, wo unter den moslemiſchen Dynaftien der Sama« niden und Gasneviden Perfien zu ruhigeren und georbneteren Buftänden gelangte, als eine reiche und entwidelte Schriftiprache feflgeftellt war.

Es gibt zwei wahrhaft productive Perioden perftfcher Literatur. In der erften verfchmolz ſich das arabifcheabenteuerlidhe Element des Iölam mit- den religiößcheroifchen Traditionen des alten Perferthums und aus dleſer Miſchung ging jene romantifche Epif hervor, die in dem Schahname des Firbuft gipfelt. Wir haben von diefem größten Dichterwerk des Orients ſchon früheren Ortes ausführlich gerebet 1) und Eönnen uns daher hier begnügen, zu fagen, daß dDaffelbe nicht vermöge, fondern im Gegentheil trotz des Jolam geichaffen wurde. Denn nicht dad modlemifche, ſondern das zendaveflifche Dogma tft

die Seele des Schahname. Im der zweiten Periode nahm der perſiſche I8-

Iam den Bantheismus Indiens in ſich auf und fhuf eine myſtiſche Lyrik, eine pantheiftifche Theofophie, welche die höchſte Stufe philofophifcher Weltan- ihauung im Islam ausmacht. Wir verweilen noch einen Augenblic bei dieſer bebeutendften inneren Entwidlungsphafe des Mohammedanismus. Den äußeren Anftoß zur perflihen Myſtik gab der von Abu Hafchem um die Mitte des 8. Jahrhunderts n. Chr. geftiftete moslemiſche Mönchs⸗ orden der Sufi 2). Der Dichter Senaji (fl. 1180) verlieh dann in feinem myſtiſch⸗didaktiſchen Buch Hadika“ dem Sufismus zuerft poetifche Geftalt. Aber erft als die Einbrüche der Mongolen in Perfien Alles in Frage ftellten und das drohende Chaos die Menfchen zur Einfehr in fich ſelbſt nöthigte, gelangte die myſtiſche Lehre zu größerer innerer Vertiefung und zu größerer äußerer Geltung und Wirkſamkeit. Die Einwirkung des brafmanifchen Dogma ift augenſcheinlich. Denn die perfifche Myſtik laͤßt ſich ganz gut in bie brahmaniſche Borderung zufammenfafien: Die menſchliche Ichheit (Be⸗ fonderheit) foll in die göttliche Allgeit aufgelöft werden ?). Der Menfch ver- nichtet, bet lebendem Xeibe, fein Sch, um fich in Gott wiederzufinden und in und mit Gott ewig zu leben, in und mit Gott, der in Allem der Eine ift. In der unendlichen Anfchauung dieſes All⸗Einen zu leben, das ift die voll« fommenfte Stufe der Heiligkeit, dies daB Biel, nach welchem der wahre Sufi

41) Thl. 1, S. 185 —194.

2) D. i. der Wollebekleiveten, von souf,, souf Boll.

3) Bel. Thl. I, ©. 128. Scherr, Geſch. d. Religion. II, | 28

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ringen fotl®). Bwar bat man behauptet, der perfiihe Pantgeismus nuter- ſcheide fi vom indiſchen Dadurch, dab er Die Perſönlichkeit Gottes feſthalte.

4) Der Sufi Ferideddin Attar (erſchlagen 1226) fingt:

Wem Goit vergoͤnnt, ein Wiſſender zu fein,

In deffen Herzen wohnt nur Gott allein;

Ihn kümmert nicht, was ihm die Welt auch ſchicke;

Sa, auf fich ſelbſt nicht wirft er feine Blicke.

In Ibm (Gott) vernichtet fein heißt Willen nur;

Nicht weiß, wen noch des eig’'nen Dafeins Spur.

Der Wiffende ſtrebt nicht nach beiden Welten ;

Mur Bott allein, fon Nichts kann für ihn gelten;

Auf Goties Antlitz ruht des Geiſtes Bid,

Vom eignen Selbſt bleibt Fein Gefühl zuruͤck.

In den Anmerkungen zu ſeiner trefflichen Verdeutſchung von Sadi's Roſengarten

(S. 241) faßt K. H. Graf Weſen und Form des Sufismus in dieſen Sätzen zuſam⸗ men: „Die Sufl, deren Urſprung ſich in die Anfänge der Herrſchaft des Islam in Perfien verliert, bilden nicht etwa eine einzige, durch eine genau formulirte Lehre von den uͤbrigen Mohammedanern unterfihiedene Seklle, fie ind felbR in eine unzaͤh⸗ ige Menge von Selten oder Schulen geiheilt, die aber alle in der Hauptſache überein: fimmen, nämlid in dem Streben, fid) über die äußeren Formen ber Religion zu erheben und durch ein myſtiſches Verſenken in bie Tiefen der Gottheit fih von den Feſſeln des irdifchen Dafeins zu befreien und zur Cinheit mit Gott zu gelangen. So mannigfaltig die Lehren find, welche die einzelnen Schulen über die Art und Weile auffteflen, wie man zu diefem Siele gelangen fann, fo flimmen fie doch im Allgeıneinen darin überein, daß es vier Hauptftufen gibt, die der Suft zu durchlaufen hat, bevor er daſſelbe erreicht. Die erſte Stufe ift die des Gefehes, auf welcher die gewöhnlichen Menſchen, denen der Sinn für das Höhere nicht aufgegangen iſt, ftehen bleiben ; durch genaue Beobachtung der im Islam vorgefihriebenen Gebote und Gebrauche bereitet ſich der Strebende zur Aufnahme der höhern Wahrheit vor. Dann ſucht er einen durch feine Erleuchtung und Heiligkeit ausgezeichneten Pir oder Scheich, d. h. Alten, auf, ſchließt ic ihm als Jünger an, gelobt ihm unbedingien Gcherfam, und gelangt fo auf die zweite Stufe, welche der Pfad genannt wird, wo er die Beobachtung ber relis giöfen Gefege und Ceremonien als etwas Neußerliches und Todtes von ſich wirft, oder fie nur noch beibehält, um vor dem Volke nicht als ein Ungläubiger zu erfcheinen und fein geheimes Wiſſen deſto fiherer bewahren zu koͤnnen, wo er von dem Eörperlichen zu dem geiftigen Gottesdienſt auffleigt. Mur große Frömmigkeit und geiſtige Kraft kann aber den Suft befähigen, fidy fo von den Banden des Gefepes Ioszumaden, um Gott im Geiſte und in der Wahrheit anzubeten und auf biefem engen und rauhen Pfade zu gehen, ohne zu ſtraucheln. Iſt es ihm aber gelungen, gläubig und Heilig darauf fort- zuwanbeln, fo erreicht er die dritte Stufe, die des Willens, wo er, im Befite ükerna= tüclicher Ginficht, den Engeln bes Lichtes gleich ifl, die an dem Throne Goties fichn.

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Aber bet näherem Bufehen verſchwindet biefer Unterſchied, oder wo er hervortritt, ſteht er einer Scheinconceiflon an die modlemiſche Ortbobexte

ſehr ähnlich.

Eine Heihenfolge großer Dichter, unter denen wieder Dſchelaleddin Rumi, Sadi und Hafis vorragen, unternahm es, biefen philoſophiſchen Pan⸗ theismus didaktifch und lyriſch zu predigen. Mewlana Dſchelaleddin Mumi (1207—1273), die „Nachtigall des beſchaulichen Lebens“, fliftete Dem Orden der tanzenden Derwiiche („ Mewlewi *), welche, um den in der Mitte Killfigenden Scheich beim Klange der Trommel und Ylöte unter dem Aus- ruf „Allah hu!“ im Kreife fich drehend, durch diefen Eultact das Sichdrehen und Schwingen aller Weſen um das N: Eine fpinbolifiren 2). Sein doppel- gereimteß Lehrgedicht Mesnewi“ iſt das Brevier der Mewlewi, aber höch⸗ ſten Schwung nimmt feine Myſtik in den Ghafelen feines Diwan, Hier tönt ber perſiſche Pantheismus bithyrambifh auf, Wohin der Dichter blickt, überall fieht er nur das All-Eine 6). In taufend Geflalten offenbart

Dann bat er nur noch einen Schritt zu thun, um bie vierte, bie hoͤchſte Stufe, das Ziel, nad) dem feine Seele feufzt, zu erreichen, das Ziel der Verfenfung in die Bott: heit, des völligen Cinsſeins mit Gott. Dieſes hoͤchſte Ziel erreichen nur wenige Aus- erwählte während ihres irdifchen Daſeins; biefes find die heiligen Lehrer, um welche, wie um höhere Weſen, zahlreiche Schüler fich fchaaren, mit dem Wunfche, ihrer gött- lichen Erleuchtung theilhaftig zu werden und fih von ihnen auf den Pfah der Wahrheit leiten zu laflen. 8) Ich kenne zwei Ghaſele Dichelaleddins, welche eigens für den Tanz der Mew⸗ lewi gebichtet wurden. Beide enthalten die Aufforkerung zu dem myſtiſchen Reigen: Schal’ o Trommel, ball’ o Flöte! Allah hu! , Wall’ im Tanze, Morgenröthe! Allah hu! u. ſ. f.

Das zweite ift tieffinniger. Es beginnt mit den Worten:

Tritt an zum Tanz! Wir ſchweben in dem Reih'n der Liebe,

Mir ſchweben in der Luſt und in der Bein ber Liebe und endigt mit dem Vers:

Ih kann die Raͤthſel alle dir ber Schöpfung jagen,

Denn aller Raäthſel Löfungswort ift mein, ber Liebe. Bine hoͤchſt anfchauliche Schilderung des Tanzes der Mewlewi findet ſich bei Hailbrons ner („Morgenland und Abendland,“ I, 94 fg.).

6) Ich fah empor ımd fah in allen Raͤumen Gines,

Hinab in’s Meer und fah in allen Wellenfchäumen Eines.

Sch ſah in's Herz, es war ein Meer, ein Raum ber Welten,

Bol taufend Trkum’, ich ſah in allen Träumen Eines.

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es fich, immer anders und doch Immer Dafielbe. Nie und nirgends, darf man ohne Anftand behaupten, bat die myſtiſche Ekſtaſe ihr Sicheinsfühlen mit der Weltfeele glänzender manifeftirt als in den Ghaſelen Dſchelaleddins, welcher ein jauchzendes Credo der Durchgottung bes Univerſums angeftimmt hat ). Er ift e8 auch geweien, welcher mit aller Entfchiedenheit der pharifät- fhen Werkheiligfeit im J8lam entgegentrat und namentlid dem Gultgebot des Wallfahrens eine Höhere Deutung gab®). Bon den Werken des Mos⸗ licheddin Sadi (1175—1263) kommt Hier der Mofengarten („ Guliſtan *) in Betracht. Das audy in Deutichland fehr bekannte und geſchaͤtzte Buch iſt

Du biſt das Erſte, Lepte, Aeußre, IJunre, Ganze; Es ſtralt dein Licht in allen Farbenſaͤumen Eines. Du ſchauſt von Oſtens Gränze bis zur Graͤnz' im Weſten, Dir blüht das Laub an allen grünen Bäumen Eines; _ _ Bier widerfpänft’ge Thiere zieh'n den Weltenwagen ; Du zügelft fie, fie find an deinen Bäumen Gines. Luft, euer, Erd’ und Waſſer find in Eins gefchmolzen In deiner Furcht, daB dir nicht wagt zu bäumen Eines. Der Herzen alles Lebens zwiſchen Erd’ und Himmel . Anbetung dir zu fchlagen foll nicht fäumen Eines. (Ruͤckerts Ueberſ.) 7) So 3. 3. in dem befannten, oft citirten Ghaſel, welches anhebt: Sch bin das Sonnenftäubchen, ich bin der Sonnenball; Zum Stäubchen fag’ ich: Bleibe! und zu der Sonn’: entwall’ ! und mit den echipantheiftifchen Berfen fchließt : Ich bin der Wefen Kette, ich bin der Welten Ring, Der Schöpfung Stufenleiter, das Steigen und der Fall. Ich bin, was iſt und nicht it. Ich bin, o der du's weißt, Dichelaleddin, o fag’ es: ich bin die Seel’ im ALL! 8) In folgendem fchönen, von Rofen überfegten Ghaſel: ° Die Pilger, die zur Kaabah ausgegangen, Wenn endlich fle zum Ziele hingelangen, Seh'n fie ein Haus von Stein, erhaben, heilig, - Bon fahlen Thalabhängen rings umfangen. Sie ziehen aus und hoffen Gott zu fhauen, Sie ſuchen viel, umfonft ift ihr Verlangen ! Doch fchallt wohl eine Stimme aus dem Tempel, Weaenn deſſen Schwell’ inbrünftig fie umfangen : 1 „Was betet ihr zu Thon und Stein, ihr Thoren? - Das Haus verehrt, nach dem die Reinen rangen, Des Herzens Haus, das Haus des Wahren, Einen O felig, die in diefen Tempel drangen!“

eine Art morgenländifchen Gefellfchaftäfptegeld oder auch, wenn man will, eine Art „Anwetfung zum feligen Leben“, d. h. es Außert fih darin nicht, wie in den Diwanen Oſchelaleddins, eine träumerifhe Gotttrunfenheit in dithyrambiſchen Lauten, fondern eine fpruchfertige, die Erſcheinungen des Lebens mit hellem Auge meſſende Weisheit gibt praftifche Regeln, die aber doch wieder nicht ohne myſtiſch⸗poetiſchen Anhauch find. Denn auch Sadi war Pantheift. Zugleich jedoch ift in ihm-ein Zug von Nationalismus, vielleicht fogar von Skeptik, Anfäge zu jener Ironie, welde dann in.den Liedern bed Mohammed Schemseddin (d. i. Glaubensfonne), genannt_Hafis (d. i. der_Bewahrer, Auswendigwiffer , nämlich des Koran) mit fouverainer Macht Hervorbridt. Hafis (ft. 1389) if von allen morgenländijchen Dich⸗ tern im Abendland, wenigftens in Deutfchland, am populärflen geworben 9). Er war Suft, Pantheiſt, Myſtiker, zugleich der kühnſte Ketzer des Orients und ein frommfter Moslem. Sofern man wenigftend den höchſten Grad der Glaͤubigkeit in der ſelbſtbewußten Einheit mit Gott ſehen will. Bei Hafis iſt überall die Materie vom Hauch des Göttlichen durchgeiſtigt, das Weltall von der Gottheit durchdrungen. So konnte er in der Wirklichkeit eine Verförperung des Ideals erblicken, eine „„befte Welt“, und mit gott trunfenem Enthuſtasmus zum beiteren Genuß diefer beften Welt auffordern. Es tft ihm vollkommener Ernft, wenn er fingt, auch Kuß und Wein jeien göttlich, aber wer ihm das als Frivolität anrechnen wollte, müßte überhaupt bie pantheiftifche Weltanfchauung als frivol verwerfen. Wenn man endlich betrachtet, mit welcher überlegenen und göttlich heiteren Ironie Hafis feine Polemif gegen allen Egoismus, Buchftabendienft, Pfaffen» und Philifter-

geiſt führte, fo Eommt man unfchwer zu der Anftcht, diefer perftiche Poet ſei

der freiefte Geift gewefen, welchen der Orient überhaupt hervorgebracht hat. Insbeſondere find feine Lieder die genialfte Manifeflation der Sreieit und des Humanidmus im Islam.

In Hhafis Hatte diefer eine Stufe erreicht, von welcher er entweder zu neuen Entwidlungen vorfchreiten oder aber wieder zurüdfinten mußte.

9) Hauptfächlich durch die Verdeutichung feiner Gedichte durch Daumer. NIE eine fo bedeutende Leitung, Eünftlerifch genommen, dieſe Berbeutichung anerkannt werden muß, fo ift doch zu fagen, daß diefelbe weit mehr eine Umdichtung iſt, und zwar im weiteften Sinne des Wortes, als eine Meberfegung. ine Lefe Hafis’fcher Gedichte von verfhiedenen Weberfebern gibt Jolowiczs „Polygloite d. oriental. Poeſie,“ S. 545559.

Lange konnte der Dithyrambos der perfifcken Myftit nicht währen, und da felb der Hafis'ſchen Weltfeligfeit immer noch ein flarker Zug moslemifchen Fataliomus angebaftet hatte, fo kann es kaum befremden, daß bei erfolgtem Müdgang der perfifchen Eultur die muftifche Efflafe zu trägem Quietismus er- ſtarrte. Diefe qnietiftifche Erflarrung , welche feitber das Hauptmerkmal der moß8lemifchen Eultur geblieben, Fündigte ſich bereitö am Ausgang des 14. Jahr: hunderts in der perflfchen Literatur an, deren mit Hafis entichwundenen Genius das Talent eines Mewlana Oſchami (fl. 1492) nicht wieder zurüd- zubringen vermochte. Schon in der berühmten Fabelnſammlung der „An- wari Soheili* wird die indiſch⸗bhuddiſtiſche Gleichgültigkeit als höchſte Weis: beit und Tugend gepriejen 10) und an die Stelle des weltgeſchichtlichen Pro- zeffeß tritt die beſchauliche Kirchhofäruhe. Im diefer Dammert der Geift de Islam, in der türfifchen Literatur nur als ſchwacher Nachhall arabticher und perfiicher Vorklänge aufgetreten, feit Sahrbunderten dahin. Ob er ſich je wieder zu neuen Offenbarungen aufraffen wird wer mag e8 fagen?

Wir ſtehen am Ende unſerer Wanderung durch das weite Gebiet der Entfaltungsgeſchichte der religiöſen Idee. Der Leſer, welcher mir mit Ge⸗ duld bis hieher gefolgt iſt, wird mir das Zeugniß nicht verſagen, daß ich mich redlich bemühte, Feine auch nur irgendwie bedeutende Seite dieſes uner⸗ meflichen Gebietes unbeachtet zu laſſen. Möge e8 mir, wünfche ich, einiger maßen gelungen fein, ihm bie Mühfale des Tangen, fehwierigen und ermüben- ben Weges zu verbergen.

In Betreff der Mängel meines Buches habe ih ein fo lebhaftes Ge- fühl, als es nur der ftrengfte Kritiker haben fann. Seit dem Erfcheinen des erften Theild hat die Spezialforihung namentlich in Beziehung auf den alten Orient Manches zu Tage gebracht, was jeßt jenen Abſchnitten zu gute kaͤme. Ich würde daher bier thunliche Berücfichtigung dieſer neuen Ent-

nn 2

10) SR einer Belt Befig für dich zerronnen, Set nicht im Leid darüber es ift Nichte; Und haft du einer Welt Beflg gewannen, Set nicht erfreut darüber es iſt Nichte. Vorüber geh’n die Schmerzen und bie Wonnen, Geh' an der Welt vorüber es if Nichts. (Grafs Heberf.)

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deckungen fofern fie, was zuwetlen der-Ball, nicht bloße Hypotheſen find verſprechen, wenn nicht bie Ungunft einer Zeit, welche für höhere und höchſte Ideen und Probleme meift nur eine fpärlidhe und verdroffene Aufe _ merffamfeit hat, die Ausftcht trübte, daß mein Buch in zweiter, vervollkomm⸗ ter Seftalt erfcheinen fönnte. So, wie die Sachen fichen, muß ich mid) be= gnügen, zu fagen: Einzelnes mag man tadeln, und zwar mit Net, das Ganze aber dürfte felbft ein firenges Urtheil gelten laſſen als den erſten Ver⸗ juch einer mit unbefangenem Geifte gefehriebenen vollftändigen Gefchichte der Religion.

Die religiöfe Zeugungskraft der Weltgefchichte ſcheint einflweilen er- fchöpft zu fein, im Großen, wie im Kleinen. Im Großen, denn im Orient hat feit dem Islam, im Occident Hat feit der Neformationdzeit die religidfe Idee nichts Weltgefchichtliches mehr geichaffen. Im Kleinen, denn von äußerlihen Gewaltmitteln, welche gegenwärtig fo vielfach in religiöfen Din- gen den innerlichen Trieb erfegen follen, wird Niemand im Ernſte Gutes erwarten.

Biele Anzeichen fprechen dafür, daß wieder einmal ein Tag der Welt- . gefchichte fich dem Abend zuneige. Der große Motor unferer Zeit, der In⸗ duftrialismus, wird feine Miffton vollenden, d. h. er wird nicht raften noch ruhen, bis er die legten Reſte des Feudalismus vom Erdboden weggefegt hat. : Das ift fein Recht. Seine Schuld wird fein, daß er in ungezügelter Herrſch⸗ ſucht und wüthender Gier nach Gewinn auch alle Tempel vertilgen wird, die dem Böttlihen und dem Menfchlichen, den ewigen Idealen errichtet find, um auf den Trümmern derfelben das goldene Kalb zu inthronifiren. Menfchen

- mit Herzen fo hart wie der untere Müplftein und mit Stirnen von Erz wer⸗

den um dieſen Götzen den Reigen tanzen. Aber mitten in den Bacchanalien eine bleternen und ſchmutzigen Materialismus wird eine furchtbare Nacht die entgötterte Welt, die poeftelofe Geſellſchaft überrafchen. Die Geſchichte der Menfchheit zählt mehr als eine folde Nacht voll ungeheurer Zerftörung. Doch immer ift dieſen Nächten wieder der Morgen gefolgt. Die Finfterniß ift ſtets mit dem Lichte ſchwanger und aus dem Grabe einer Welt grünt und blüht eine neue auf. Dfchelalebdin fingt:

Wohl endet Tod des Lebens Noth, Do ſchauert Leben vor dem Ton, Das Leben fieht die dunkle Hand,

Den hellen Kelch nicht, den fie bot.

So ſchauert vor der Lich’ ein Herz, Als wie vom Untergang bebrohi; Denn wo tie Lich’ erwachet, Richt Das Ich, der tunfele Despot.

Du laß ihn flerben in ter Nacht Und athme frei im Morgenroth!

Druck von Dito Wigand in Leipzig.

Negiiter.

(Die römische Zahl bezeichnet den Theil oder Band, die arabifche die Seite.)

A. Abendmahlslehre III, 126 fg. Abendpmahlöftreit II, 100.

Aberglaube im Ehriftenthum III, 242 fg.

Abhängigfeitsgefühl des Menfchen I, 4. Ablaß II, 113, 210. Adityas I, 106. Adonai II, 112. Adonis II, 78. Adoptianer III, 99.

. Adrafteia II, 186. Negypter II, 3 fg. Aeſchylos II, 196. Aether IL, 161. Ngapen III, 109, 137. Agathodämon II, 187. Agni l, 104. Ahriman I, 170. Ahuras 1, 169. Aides (Ais) II, 164, 183. Mi II, 299. Albigenfer III, 211. Albordfch I, 98, 174. Alfadhir II, 313. Alfar II, 326.

Allah II, 387. Amazonen II, 83, Amor II, 208. Amppitrite II, 179. Amſchaſpands I, 171. Amun II, 16 fg. Anahidäa I, 173. Anahuac I, 83, Ananga I, 112. Nnath IL, 26. Anaragoras III, AO. Anarimanter III, 38. Anarimenes 111, 38.

Anninga I, 41. Anthropomorphismus II, 161, 178. Antifipenes III, 4.

Anubis II, 26.

Anufe II, 19.

Aphrodite II, 163, 170.

Apofalypie II, 340.

Apokryphen II, 98.

Apollo II, 208.

. Apologetif III, 283 fg.

Apophi II, 23.

Apoſtel IIT, 88.

Apfaras I, 103.

Arabien, Land und Volk IN, 361 fg.

Ares II, 174.

Arges II, 163.

Arier I, 98 fg.

Nriofto III, 348.

Ariftipp II, 41.

Ariſtophanes II, 196.

Ariftoteles III, 43.

Arius III, 98.

Arminiancr II, 134.

Arnold von Brescia III, 117.

Artemis II, 175.

Arueris 1, 23. _

Afchera II, 68 fg.

Aſen II, 313.

Nienheim IL, 312.

Asgard Il, 312,

Aſidäer III, 9.

Askeſe, die indifche I, 129. die chrifiliche III, 289 fg.

Asklepios II, 179,

Asfı II, 310.

Aflaffinen III, 423.

Nitarte I, 73 fg.

Afteria IL, 162.

Afträos II, 162.

442

Afuren I, 106. Asvinen 1, 108. Atbanaflus III, 98. Atlas II, 162.

Atiye II, 82. Audhumbla II, 307. Aufklärer III, 307 fg. Auguflinus III, 96 fg. Aum I, 107. Auftralier I, 19. Avataren I, 120. Averroẽs III, 430, Avizenna III, 430. Azieken I, 40 fg.

B. Baal II, 68 fg. Baaltis II, 68 fg. Baau II, 77. Babel III, 423. Babylonien II, 61. Bad III, 338. Bacchus II, 210. Bacon, Roger III, 297.

Bacon, von Berulam IH, 303.

Baiwe I, 4. Baldur III, 314. Bann Ill, 209. Barden II, 234 fg. Bafiliken III, 184. Bauhütten III, 272. Bauer III, 287. Baur III, 287, 318. Bedrebdin III, 224. Beelzebub III, 17. Beethoven Ill, 338.

Begharden und Beghinen III, 116.

Beheſcht I, 179. Beiram III, 310. Bel lI, 63, 87. Belbogi II, 261. Belen 11, 239. Bellona II, 206, Belfta II, 308. Beltis II, 63, 87. Bergelmir II, 308.

Beichneidung, die der Neger I, 33. die der Aegypter II, 30. die der Hebraͤer II, 134. bie der Moslim II, 408.

Bhagavadgita I, 149. Bhavani 1, 109. Bibel N, 98 fg. Bifroͤſt I, 312.

Bilbog II, 262. Bilderverehrung III, 100. Bjelbog II, 263.

Boa 1, 41.

Boccaccio III, 348. Bog II, 261. Bogdo⸗Lama I, 242, Bob II, 269.

Böhme III, 300. Bonald III, 320. Bon-fu I, 236.

Boͤr II, 308. Boͤrekluͤdſche III, 224. BoresSeth II, 28. Bragi II, 314. Brahma, das I, 107. Brahma, der I, 109. Brahmanen 1, 117. Bretfchneider IIl, 312. Briareos II, 163. Brontes II, 163, Bruno III, 298. Bubaſtis, |. Anath. Buddha I, 223 fg. Buddhismus 1, 222 fg. Bundeheich I, 162. Bundeslade II, 124. Buonarotti II, 332. Buri II, 308. Buſchmaͤnner 1, 16. Büßerlegenden, indifche I, 130. Byron III, 383.

@. Galderon III, 348. . Galifornier I, 16. Calvin III, 220. Camokẽs Ill, 348. Gampanella III, 299. @anones Ill, 194. Cardano III, 298. Gardinäle III, 200. Garriere III, 298, 319. Garteftus, f. Descartes. Cäfar I, 232. III, 38. Genteotl I, 88. Geres II, 210. Geridiwen II, 239 fg. Gervantes III, 348. Chalifat III, 397. Chalifen III, 408, 421 fg. Chalybäus III, 319. Chariten II, 178. Chaſeph II, 189.

+

Chateaubriand III, 320. Cherubim II, 114. Chiliasmus III, 111. Chineſen I, 194 fg. Ehriftenverfolgungen III, 186 fg. Chriſtliche Lehrentwicklung III, $9 fg. Chriſtenthum IH, 1 fg. Chriſtus III, 87. @icero II, 220. III, 3%, 47. Coͤlibat IH, 201, 262 fg. Communismus II, 361. Concilien III, 90. Condillac III, 309. Eonfeffionen II, 89 fg. Eonfurius, f. Kongstfe. Eonftitutionen, apoflolifche IH, 194. Eorreggio I1l, 332, Couſin III, 320. Greatianismus III, 122. Cultus, Begriff deflelben I, 18.

der der Naturreligionen I, 19— 42, der aztefifche 1, 63 fg. der peruanifche 1, 82 fg. der brahmanifche I, 182 fg. ber zoroaftrifche I, 183 fg. ber chineftiche I, 208 fg. ber buddhiſtiſche I, 233 fg. der ägyptifche II, 33 fg. ber babylonifche II, 64. der fyrifsphönitifche H, 68 fg. . der phrngifche II, 80 fg. der bebräifche IL, 119 fg. der beflenifche II, 188 fg. der römifche II, 213 fg. der Eeltifche IL, 247 fg. der flavifche II, 274 AR der finnifche II, 288. der germanifche IL, 336 fg. der chriftliche III, 136 fg. der moslemifche III, 398. Eyriflus III, 98. Gzart II, 269. Ezernobogi Il, 261. Gzernybog II, 269.

D.

Da Du a ED a a En u

Dagon II, 68.

Dairt II, 221.

Dalai:tama, f. Tale⸗Lama. Dämoheneult, mongolifcher I, 44. Dante III, 346 fg.

Deismus III, 308.

De Maiftre III, 282.

Demeter I, 164, 181. .

Ebioniten IH, 91.

Demofritos II, 39.

Derketo II, 68. -

Derwiſche TIL, 409. Descartes III, 301. Deufalion II, 170. Deutfchkatholifen III, 223. Deva I, 103.

Dews I, 171.

Diafonat IT, 189. ,

Diana II, 208.

Dichtung, altchriftliche IIL, 341 fg. Dido-Anna II, 75.

Diehod III, 407.

Diinnen Il, 388.

Dinge, bie legten III, 83 fg. 134 fg. 392 fg. Diogenes III, 41.

Dionyfos I1, 181. Doͤckalfar Il, 326.

Dogma, das moslemifche III, 386 fg. Dogmengefchichte II, 289, Dom II, 154.

Domherren III, 203. Domoviesdufi II, 264. Donar II, 299.

Donatiften III, 213. Druiden II, 231 fg. 281 fg. Druidinnen II, 234 fg. Dryaden II, 182.

Dſchami III, 438. Dfchelaleddin III, 4385. Dürer III, 333.

. Durga I, 109.

Dusdähtfchitfch I, 42. Duzakh I, 176. Dvergar II, 326.

Edart III, 118.

Edda (ältere und jüngere) H, 304 fg.

Edelmann III, 306.

Eheweien, chriftliches III, 3238, 262, woslemiſches III, 413 fg.

Eileithyia IL, 17.

Einherier II, 313.

Einfiedlerweſen III, 264 fg.

Eir II, 316.

Eisriefen, f. Hrimthurfen,

& 11, 112.

Elben II, 302.

Elfen II, 243.

Gtion II, 112.

@lohtm II, 112.

Elyſion II, 188.

444

Embla II, 310. Encyklopaͤdiſten HI, 309. Engel, im Hebraͤismus II, 114.

im Chriſtenthum III, 109, 130.

im Sslam III, 388. Engelbrüber III, 2328. 808 Il, 162. Gpyifuros III, 48. &pimetheus II, 162. Episfopat III, 190. Epistolae vir. obscur. Ill, 349. Erebos II, 161. Grinnyen II, 163, 183. Erloͤſungslehre III, 103 fg. &tos II, 160, 177. Erwin von Steinbach III, 241. @ielsfeft III, 274. Eſſäer III, 9. Eſus II, 239. Cuchariſtie III, 109, 147. Guhemeros 111, 28. @uflites III, 41. Gumeniten I], 183. @uripides Il, 196. Ewald III, 288. Exegetik 111, 288. Grorcismus III, 244,

8.

Fafire IIL, 409. Fanatismus, chriſtlicher III, 253. Faſten III, 260, 401. Faftnachtsfpiele III, 339. Fatalismus, moslemifeper III, 389. Yatum II, 208. Faunus IL, 206, Febris II, 206, Teen Il, 241. Tegefeuer III, 111. Fenris II, 318. Feruers I, 169. Feſte, die chriftlichen III, 139 fg.

die moslemifchen II, 410. Fetiſche I, 32. Fetiſchismus I, 18. Setifchmänner I, 33, Feuerbach III, 316. Fichte, d. ä. I, 312. d. j. II, 319. Fides II, 206. Fimbultyr II, 334. Finnen II, 227, 284. Firduſi I, 183. III, 433. Fifchart III, 349. Blagellanten, |. Geißler.

Flora II, 206.

%0 I, 199.

Foraſizzo II, 299.

Forfetti II, 314.

Kortuna II, 208,

Fourier III, 282.

Brand III, 308.

Stande III, 239.

Freia II, 316, 320.

Freidenker, die englifchen II, 303 fg. bie deutfchen III, 305 fg.

Freimaurerei IL, 272.

Kreir II, 320.

Frigg II, 318.

Sriffa IL, 299.

Fro IL, 299.

Frouwa II, 299.

Fulla II, 316.

Furien II, 212.

G. Gaͤa II, 189. Gajatri I, 126. Galilei III, 303. GSandharven I, 108. Ganeſas I, 112. Ganyınedes II, 178. Gefion II, 316. Geißler III, 261 fg. Senefis, Buch der II, 101. Benugthuungsfehre IH, 103.

. Germanen II, 289 fg.

Geſellſchaft Jeſu III, 286 fg. Gefenius III, 288.

Ghebern 1, 139.

Giganten II, 163.

®imil II, 338.

Gioberti IH, 319.

Gitagovinda I, 123, 150. rieverung D et Religionegeficte l, Gluck III,

Gnall, m

Gnatenmahl II, 92. Gnoſticismus III, 293 fg. Goldalter II, 327.

Gorinia II, 264.

Gorotman I, 179.

Görres II, 321,

Goſchurun 1, 175.

Göthe III, 352,

Gott, hriftliche Lehre von III, 102 fg. Bottesdienft, f. Eultus. Sottesfreunte III, 118. Götterdämmerung, f. Ragnarok.

13.

2

Gottesgerichte, die der Neger I, 34.

Gottesurtheil IH, 248 fg. Gottfried von Straßburg III, 346. Grazien, f. Ehariten.

Gregor der Siebente III, 200. Griechen, 1. Hellenen.

Groot III, 118.

®ünther III, 321.

Gwarthawn II, 243.

Gyges II, 163.

Gypti II, 6.

H. Hades II, 187. Hafis III, 437. Hagada III, 388. Hagenbach III, 319. Halacha III, 3854. Halbgötter II, 184. Hamäfa III, 368. Händel III, 335. Haraveks I, 91. Hariri III, 432. Harpyien II, 179. Har:Seph IL, 20. Hathor II, 19. Hausgeifter IL, 302. Havamal II, 344, Haydn III, 338. Hebe II, 178. Hebräertbum II, 90 fg. Hegel III, 314. Heiligendienft III, 142, 243 fg. Heimdall II, 314. Seine III, 383. Hel II, 318. Helden, germanifche II, 300 fg. Heliand III, 348. Helios II, 162, 179. Hellen II, 170. Hellenen II, 146 fg. Hellia II, 300. Helvetius III, 309. Hemera II, 161. Hengftenberg III, 318. Hephäftos II, 173. Hera II, 164, 173. Herafles IL, 184. Heraklitos II, 38. Hercules li, 213. Herter III, 313. Hermes II, 174. Hermes, Georg III, 321. Hermetifche Bücher II, 14.

Heroencult der Griechen II, 183. Herrnhuter III, 224. Heflodos II, 183, 157. Heftia II, 164, 178. Herenhammer, f. Herenwefen. Herenfabbath, f. Hexenweſen. Herenwefen III, 244, 247 fg. Hidjrah Mohammeds II, 347, Hilft II, 287.

Hindoftan, Land und Leute I, 98 fg. Hiob, Buch II, 144. Hitopadefa I, 149.

Hitzig II, 288.

Hlin U, 317.

Hluodana II, 299.

Hnoß II, 316.

Hödur II, 314.

Hohepriefter II, 122. Hoheslied II, 143.

Holbein III, 333.

Holda II, 299.

Hom I, 163.

Homeros II, 153, 187. Homiletif III, 291. Homorofa IL, 62.

Honover I, 169.

Horagalles I, AO.

Horatius III, 34.

Horen II, 178.

Hornophre IL, 17.

Horus 11, 21.

Hrimthurfen II, 307. Husdao I, 177.

Hugo IN, 383. Huißilopotchli I, 89 fg. Huirtocihuatl I, 59. Humanismus III, 116, 349. Hünen IL, 302.

Huß II, 118.

Hyiſos II, 10 fg.

Hylas II, 83.

Hymenäus II, 209.

Hyperion II, 162.

3. Jahve II, 112. Safobi III, 312. Sama I, 106. Sanfe III, 138. Sanfenismus Ill, 134 fg. Sapan I, 219 fg. Sapetos II, 162. Iblis III, 385, 389. Spafeld II, 337.

-— 1-8 .

Idealismus, der chriſtliche III, 840 fg. Sehova II, 112. Sefuitismus, ſ. Geſellſchaft Jeſu. Jeſu Leben III, 80 fg. Jeſu Lehre MI, 69 fg. Jezidi, f. Defiden. Smamet III, 396, Immunitaͤt ui, 193. Imuteph II, 23.

Inder I, 98 fa.

Indianer I, 20 fg.

Sindra I, 104. gubußrialiömus III, 139, Inkas 1,

innere en II, 240. Innocenz der Dritte III, 203. Inquifition III, 211 fg. Interdict III, 209.

Sinti (Intip) 1, 80. Sinveftitur III, 199.

Joga I, 129.

Jogi, f. Joga.

Joh II, 19.

FJoͤrdh II, 316, 321. Jörmungandr II, 318, Zötunen II, 322. Fötunbeimt II, 310. Jovis II, 204.

Stan I, 187.

Iris II, 178.

Ifis II, 23 fg.

Islam III, 359 fg. 386. Jubeliahr II, 120.

Juda Ha⸗Levi III, 356. Suoenehlahten m̃, 284 fg. Judenthum, das in ber Geitichen Belt

III, 353 fg. Zugendbildung, chriſtliche IN, 283. Juksakka I, 40. uno II, 208. Jupiter II, 208. SJutribog II, 268. Suvenalis II, 211. III, 38.

K. Kaabah III, 368, 404. Kabbala III, 383. Kaiomorts I, 175. Kaleda IL, 263. Kali 1, 109, Kalidafa I, 180. Ramadeva I, 112. Kamidienft I, 220, Kamos II, 68.

Kanaan, ſ. Palaͤſtina

Kant III, 310 fg.

Kaftenweien, inpifches I, 117. ägyptifcen II, 48.

Katechetik IH, 291.

Ratechumenen III, 148.

Katharer III, 107.

Kawe II, 288.

Kebleh (Kiblah) Ill, 400.

Kefforet III, 401.

Kelten II, 225 fg.

Kepler in, 303.

Keto i, 170.

Ketzer, ſ. Katharer.

King, heilige der Ehinefen I, 200.

Kirche, Begriff der III, 106, 129 fg.

- Kampf, Triumph, Berfaflung,

Spaltung ber IIl, 161 fg.

Kirchen III, 89.

Kirchengefchichte III, 288.

Kirchenväter III, 101.

Kirchenverfammlungen, f. Concilien.

Kirchenzucht III, 207 fg.

Klerus III, 190.

Klöfter, |. Moͤnchsweſen.

Kneph II, 16 fo.

Koatlicue I, 88.

Kolpios II, 77.

Koltki II, 264.

Kongstfe I, 199 fg.

Köos II, 162.

Kopernicus III, 303.

Koppa I, 419.

Koran III, 370, 384 fg.

Korybanten II, 81.

Kottos II, 163.

Kranach IN, 333.

Kreugzüge III, 279.

Krios Il, 162.

Krifchna I, 121 fg.

Krodo II, 268.

Kronos II, 162 fg.

Kunottari II, 288.

Kunft, aztekiſche I, 73.

peruanifche I, 91.

indifche 1, 147 fe.

chinefifche I, 211 fg.

ägyptifche II, 51 fg.

griechifche II, 198 fg.

römifche II, 216.

keltiſche IL, 247.

hebräifche III, 16.

chriſtliche III, 322 fg.

moslemifche III, 424 fg.

u MH Min

Kupalo II, 263.

Kupay I, 82.

Kutka I, 42.

Kybele (Kybebe) II, 79 fg. Kyflopen II, 163.

L.

Lado (Lada) II, 263. Lakſchmi I, 109. Lamaismus I, 240, Zamenais III, 320. Lao⸗tſe I, 201. Zaren II, 208. Larven II, 207. Leben, fittliches und fogiales im Chriftens

thum III, 226 fg. Led II, 263. Leibnitz III, 306, Lel II, 263. Lemuren II, 207. Leo III, 318. Leſchie II, 264. Leſſing III, 308. Leto Il, 162. Zeufothea II, 180. Richtfreunde III, 228, Liebig III, 318. Ljosalfaheim IL, 312. Ljosalfar IL, 326. Litanei III, 181. Liturgie II, 147. Liturgik III, 291. Locke III, 304. Lofo 11, 316. Logosidee III, 93. Lohho (Loko) II, 299. Lofi II, 317 fg. Zope III, 348. Zucretius II, 220. III, 34. Zufianos III, 28. Zuther III, 217 fg.

M. Ma II, 82. Macchiavelli III, 349. Machinito I, 28. Mager I, 160. Magie III, 242. Mahabharata I, 149. Mahan-Atma I, 107. Maja I, 118. : Maimon (Maimonides) II, 888. Malina 1, 4. Mama Dello Huasko I, 79.

#47

Mama Duilla I, 80. Manabozho I, 23,

Manen II, 206.

Manichäer III, 214. Manitu I, 21.

Manko Kapakl, 79, Mannus 11, 301.

Mantik 11, 192.

Manu I, 102,

Marabuts IIL, 400. Marcello II, 334.

Märchen, arabifche III, 432. Marheinecke II, 317.

Mars II, 204, 208. Märtyrer III, 141, 168. Maruts I, 106.

Marzana Il, 269. Materialismus III, 309, 318, Mepdizin-Beutel I, 238. Medizin Männer I, 27. Melkaͤrth II, 78.

Men II, 82.

Menes II, 9.

Mengetfe I, 201.

Mendtios II, 162. Menichenopfer, 1. Eultus. Menth II, 19.

Mercurius II, 208.

Diern I, 08.

Meichia und Meſchiane L, 176. Meſſe IIL, 181.

Meſſias I, 8 fg. Methodiſten III, 224. Metropoliten III, 192. Mewlewi 1Il, 435.

Mexiko I, 49 fg.

Meritli 1, 54, 60.

Mali l, 87.

Michaelis III, 286. Michelangelo, f. Buonarotti. Midgard II, 310. Midgardichlange Il, 318, 331. Mildthaͤtigkeit, chriftliche FH, 286 fg. Milkom 11, 68.

Milton III, 350.

Minerva II, 208. Pinnetrinfen Il, 340. Mifchna III, 354.

Mifttcha I, AB.

Mithras I, 173.

Mirkoatl I, 59.

Mnemofyne II, 162. Moallakat, die und ihre Berfuffer III, 368, Mohammed II, 370 fg.

448

Moͤhler III, 321.

Mokannaa III, 423,

Molefchott III, 318.

Moloch II, 71 fg.

Momiers III, 228.

Möndeweien III, 264 fg., 409.

Mongolen 1, 43 fg. .

Montaigne III, 301.

Moralitäten III, 339.

Moralwiſſenſchaft III, 289.

Morana II, 269.

Mören II, 186.

Mormonismus II, 228.

Morsfoj Ezar II, 264.

Mofcheen III, 409.

Mofe II, 104 fg.

Montenebbi III, 431.

Mozart III, 338.

Muderthum III, 276 fg.

Muoi II, 23.

Murillo III, 333.

Mufen II, 178.

Muspelheim II, 312.

Muspilli II, 332.

Mutter, die idväifche IE, 210.

Mylitta IE, 63 fg.

Myfterien II, 337.

Myſtiker des Mittelalters III, 148. perſiſch⸗moslemiſche III, 433 fg.

Mythologie I, 18.

M. Najaden II, 182. Narrenfeft III, 278. Nafiräer II, 128. Naſtrand II, 338. Neander III, 318. Neger 1, 29 fg. Nehalennja II, 299. Neith II, 16 fg. Nemeſis II, 186. Nephthys II, 23. Neptunus II, 209. Nereus II, 179. Nerthus II, 299. Neforius II, 98. Netpe II, 22. Neuplatonismus III, 48 fg. Nezr HI, 401. Niang I, 31. Nibelungenlied III, 346. Niflheim II, 312. Mifihel 11, 312. Nike II, 179.

Nil⸗Okeamose II, 23. Niördr II, 319.

Nirwana I, 229 fg. Nisroch II, 88.

Nikfch III, 310. Rornen II, 311. Numanf Madana I, 23. Nymphen 11, 182.

D. Dannes II, 62. Ochfih:Häddäh I, 24. Odhin II, 308, 313 fg. Degir II, 322. Dergelmir, f. Ymir. Dfeanos II, 160. Okodil I, 41. Omphale II, 83. Opfer, f. Eultus. Opferidee I, 12. Ops II, 210. Optimismus I, 10. Orakel, griechifche II, 192. Ordal, f. Gottesurtheil. Orden III, 271 fg. Oreaden II, 182. Origines III, 298. Ormuzd I, 170 fg. Ofiris II, 23 fg. Dfflan II, 238. Oſtara II, 299. Difrid IIT, 348. Ovidius Il, 219, III, 38.

8. Pagoden I, 1385. Palaͤſtina II, 91 fg. Baleftrina III, 334. Pallas II, 162, Pallas Athene II, 178. . Paltar II, 299. Ban II, 182. Pandora II, 169. Papſtthum IT, 198 fg. Parabrahma 1, 107. Paradies, das chriftliche III, 343 fe. das moslemiſche III, 398 fg. Bariah I, 118. Parmenides II, 39. Barfen I, 159. Barvati I, 109. Parzen, |. Mören, Bafagier III, 216. Pascal II, 138,

Paſcht II, 16 fg. Paſtoralwiſſenſchaft III, 291. PBatriarchat II, 196. Paulicianer III, 214. Paulus III, 90 fg.

Pe ll, 19.

Pelagius III, 96. Pelasgifche Völker II, 146 fa. Pelasgos IL, 148.

Bele I, 37.

Penaten II, 205.

Perahta (Berchta) IL, 299. Perkunas II, 2685. Perkuna⸗Tete II, 268. Perſephone II, 182. Perſes IL, 162.

Peru 1, 74 fg.

Perun II, 263.

Veicheräh I, 16. Peſtjungfrau II, 272. Petrarca III, 348.

Phan II, 20. Pharifäismus III, 6 fg. Pharmuthi II, 23.

Philo II, 18.

Philofophie des Alterthums III, 36 fg.

Phöbe II, 162.

Phoöbos Apollon I, 173. Phorkys 11,179.

Photius II, 218.

PBhtah II, 19 fo.

- Bifollos II, 265.

Pitris 1, 106.

Platon III, 42.

Plinius 1, 38.

Pluto II, 211.

Poefte der Hebräer II, 141 fg. Pogoda Il, 263.

Pohyviſt II, 264.

PBolarvölfer I, 39.

Polel IL, 263. Polyneſier I, 36 fg.

Bomona Il, 206.

Pontos II, 160.

Porewit II, 267.

Bofeidon II, 164, 179. Potrimpos II, 268. Prädeftination II, 92, Prediger (Salomo’s) II, 144. Presbyterium III, 189. Briapos II, 182.

Prometheus II, 162, 168, Bropheten, die hebräifchen II, 106 fg. Brofelyten IU, 9.

19

Proſerpina II, 211. Proteftanten III, 219. Broteus II, 180.

Prowe II, 268. Pfalmen II, 142. PBuranas I, 103. PBuritanismus III, 2856. Pyrrhon III, 44. Pythagoras III, 37, 39. Bythia II, 193.

D. Duafer III, 223. Quetzakoatl I, 83. Quirinus II, 208.

Ra II, 19.

Rabbinen III, 354. Rackſchas I, 106. Radegaſt IL, 267. Radien⸗Atzhie I, 39. Radien-Kidde I, 39. Rafael III, 332. Ragnaröf II, 330 fg. Pama I, 121. Ramajana, f. Rama. Ramazan II, 401.

Pan II, 322.

Panna II, 23. Rationalismus III, 312. Rawendi II, 423. Recht, das moslemifche III, 411 fg. Religionsfriege III, 286. Reliquien III, 113, 142. Remonftranten, f. Arminianer. Reftauration III, 318 fg. Reto IL, 22.

Reuchlin IH, 116.

Rhea II, 162, 181. Rieſen II, 302. Ritterthum III, 273. Roöhr III, 312. Romantik III, 348. Römer II, 201 fg. Romulus II, 213. Roufſſeau IH, 310, 352. Rubens III, 333,

Ruge III, 318. Rugiäwit 11, 267. Ruſalki II, 264.

Sacramente III, 108 fg. Sadduzaͤer II, 8.

450

Sadi III, 436.

Saga II, 316.

Saint Martin IN, 320. Saint Simon Ill, 282. Sakjamuni I, 224 fg. Sakti I, 109.

Salambo II, 76.

Sälde Il, 302.

Sandon II, 83. Santons III, 409. Saraffa I, 40.

Sarzapi Il, 30. Sarasvati I, 109. Sartan II, 88.

Satan II, 115, 389. Sate Il, 19.

Saturnus II, 210. Satyın II, 182. Savonarola III, 108. Sarnot II, 299. Schaddai II, 130. Schahname I, 188 fg. Schai Il, 23. Schamanismus I, 17, Schang⸗ti I, 204. Scheich⸗üͤl⸗Islam III, 489. Schelling III, 312. Schibleh I, 48. Schidfal II, 185, 302, 311.

Schiiten (Schii) II, 387, 390 fg. 397.

Schiller III, 382. Schisma III, 119. Schleiden III, 318. Schleiermacher II, 313. Schweizer IIL, 319.

Seb II, 22.

Seelenwanderung, bruhmanifche I, 139.

buddhiſtiſche I, 232. ägyptifche II, 31 Seiler III, 320. Sekten III, 89 fg. 213 fg. Selene II, 163. Semiramis Il, 89. Senafi III, 433. Seneca IIl, 47. Senfualismus III, 309. Seoſeres I, 48. Seraphim II, 114. Serapis, ſ. Sarzapi. Seuſſe (Sufo) IH, 118. Sevech IL, 16 fg. Shafers III, 223. Ehafipeare III, 3850. Eilene II, 182.

Silvanus II, 206.

Simonie III, 200.

Simzerla II, 263.

Sinear, f. Babylonien.

Siöfn II, 316.

Sirenen 1, 180.

Sittenlehre, die moslemifche II, 413 fg. Siva I, 109 fg.

Sfalta II, 308.

Sfepticismus I, 6 fg.

Sklaverei in der hriftl. Welt IIT, 232 fg. Sfuld II, 311.

Slaven II, 258 fg.

Snotra II, 317.

Sofrates III, 41.

Sol II, 208.

Soma:Öpfer I, 106. Sonnenjungfrauen I, 83 fg. Sophiftif II, 40.

Sophokles IL, 196.

Soſioſch I, 181. Sozialismus III, 281. Sozinianer III, 133.

Spener III, 241.

Spinvza III, 302.

Sprüde (Salomo’s) II, 148. Stamana:-Gautama 1, 224. ©ti I, 109.

Staäl, Frau von III, 320. Stedinger III, 216.

Steropes II, 163. Storjunfare I, 4. .- Strauß III, 287, 318. Stribog II, 264.

Styr II, 160.

Sudra I, 227. Süpfee-Infulaner 1, 34 fg. Sufismus III, 433 fe. Sunniten (Sunni) i 387, 300 fg. 307. Supranaturalismus III, 312. Suttur II, 329, 331.

Sutra I, 227.

Swantomwit II, 266 fg. Swartalfar II, 326. Swedenborg III, 224. Symbole III, 120 fg.

Syn Il, 317.

Synagogen III, 18. Synedrium IH, 14.

T.

Taate II, 21. Tabu I, 36, 38, Tacitus 11, 293, 336. IM, 27, 98,

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Zap I, 107.

Tale⸗Lama I, 240.

Talmud II, 384.

Tanfana II, 299.

Tangaloa I, 37.

Taphne II, 23.

Taran I, 239.

Tartaros II, 160, 188.

Tat I, 23.

Tauler III, 118.

Tehoret III, 407.

Telefto III, 298.

Tellus II, 210.

Tempel, der falomonifihe II, 128. Teofalli I, 82, 64.

Teofualo I, 69.

Teotl I, 82, 56.

Terminus II, 206.

Teftament, altes II, 98 fg. Teihys II, 160.

Tegkatlipofa I, 59. Teufel IN, 109, 130, 247 fg. Teules I, 52.

Teutates II, 239.

Teutonen Il, 292,

Thags I, 127.

Thaumas II, 179.

Theia II, 162.

Themis II, 162.

Theofratie, moſaiſche A, 106. Thetis IL, 179.

Thierdienſt, ägyptifcher II, 34 fg. Thomas von Kempen III, 118. Thorr II, 314.

Thoth, f. Taate. Thrymskvidha II, 322. Thurfen II, 302.

Tien I, 204.

Tiermes 1, 41.

Titanen und Titaniden II,-102 Titanomadie II, 168.

Tiziano III, 332.

Ttafatefolotl I, 89.

Zlalof I, 89.

Tleps I, 48.

Tme II, 23. °

To nie und Todtenfeſte, ſlaviſche RE,

Toltefen I, 83.

Tonatiuh I, 87.

Torlaf III, 424. Torngarſuk I, 42. Tradition III, 89. Traducianismus III, 1232.

Triglaw II, 268. Teimurti I, 109. Ttitonen II, 180. Tſcherkeſſen I, 47 fg. Tfchernoibeg H, 264. Tſchinevad I, 179. Tſchurs II, 263. Tfchustfe 1, 201. - Tugend, die chriftliche III, 240. Tuifto (Tuisko) IL, 308. Tupan I, 20.

Turan I, 187.

Zürfen IIL, 422.

Tyche II, 187. Typhoeus TI, 167. Typhon II, 23.

Tyr II, IA,

U,

Uboze II, 264.

Nifka III, 188. Uller II, 314. Ullmann III, 349, Ulriei III, 319. Univerfitäten 111, 321 fg. Uranos II, 160.

Urd II, 311.

Uſchas I, 108. Utgarblofi II, 328. Utraquiften III, 118.

8. Paisja I, 118. Bampyrismus 11, 278. Panini III, 299. Paruna I, 104. ° Vedanta⸗Philoßophie I, 108. Veda's I, 102. Vendidad⸗Sade I, 162. - Benus II, 208. Verbreitung des Chriſtenthums III, 190 fg. Berfall der alten Welt IH, & fg. Berföhnungslehre III, 109. Berteufelung III, 338. Vertumnus II, 206. Veſta II, 209. Beftalinnen II, 214. Vico III, 319. Victoria II, 206. | Vinci, Leonardo da Ill, 332. Virakocha I, 79. | Pirgilius III, 24, 34. Pirtus II, 206. Bifcher III, 318.

Biſchnul, 109 fg. Bispered I, 162.

Boat III, 318.

Bol II, 299. Boltöpoefle, ſlaviſche II, 283. Volla II, 299. Boltaire III, 309, 881. Böluspa II, 304 fg, Brita I, 106, Bulcanus II, 208. Bulgata I, 117.

.Wahab III, 427 fg, , Wahabi, ſ. Wahab.

Waidelotten und Waibelottinuen I, 276.

Wainaͤmoͤinen II, 286. Waldenſer III, 118, Waldgeiſter II, 302. Waldindianer, füdamerifanifche I, 19 fg. Waldnomaden des Nordens I, 38 fg. Walhall II, 313. . Wall II, 314. Walfüren Il, 314. Walther von der Bogelweibe II, 319, Wanadis II, 319, Banaheim II, 312. Wanen II, 320. Wara II, 317. Waflergeifter II, 302. Maflerhölle II, 336. We II, 308. ° Wegſcheider III, 312, Weiße II, 319. Weltanſchauung, anthropologiſche I, 8. theologiſche I, 8. Werdandi II, 311. Wesna II, 269. _ Weſſenberg II, 321. Wichte II, 308. -- Micliffe III, 118, Widar II, 314. Miedertäufer III, 223. Wila II, 270. Wilen II, 270. Wili II, 308. Wirth III, 319.

Bi t, die im C | | —5 e im Chriſtenihum II,

8 MWittiwenverbrennung, I, 144 fg. - Wodan II, 298. Wokoſch II, 263. Wolf III, 307. MWolfenbüttler Fragmente III, 308. Wolfram von Eſchenbach IM, 346. Woloß II, 263.

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&. Zatrija I, 117. Zenofrates IH, 43. Xenophanes 11I, 38. Ziubteuftli I, 89.

9. | Dang I, 202. er PYeſiden II, 4285. .

Mogdraftl II, 314. | Pmir II, 306.

Dn 1, 202.

Zamtid, 31.

Zambianchi I, 31.

Zanchor I, 31. 1 Barathuftra I, 162 fg. Baruana I, 168. Zauberei, Religion der I, 17. N Baubertrommel I, 40.

Bauberweien, |. Hexenweſen. t Zekat III, 402. | Seller III, 318.

Beloten IH, 16. Bemargla II, 264. Bem-Zem IH, 367, 404, Bend:Avefta I, 162. Zendvolk I, 97.

Benon III, 44.

Zeus II, 164 fg. 172 fg. Siewonia II, 269.

gift III, 410, Binzendorf III, 224.

8io II, 299.

Znitſch II, 263. Zvroaſter, |. Zarathuſtra. Zofim II, 263.

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