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. Lehren und Meinungen 17 “ a originellften Denker aller Zelten "
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Einleitung.
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Es iſt eine ganz andre Sache, eine Geſchichte von Thatſachen und von Ideen zu ſchreiben. Thatſachen find etwas feſtes und beſtimmtes, über deſſen Beſchaffenheit man nicht zweifelhaft ſeyn kann, ſobald man hinlängliche Nachrichten daruber hat. Es faͤllt dagegen ſchon jedem Menſchen ſchwer ſeine eignen Ideen beſtimmt
a Na ; noch ſchwerer iſt es die Ideen Ans drer beſtimmt aufzufaſſen; am ſchwerſten aber
mit Andern über die beſtimmte Beſchaffenheit v. erhaupt und beſonders von ſolchen
n Ideen üb 1 rue hat, einig zu werden. Niemand kann daher weniger auf allgemeinen Beyfall rechnen als ein Geſchichtſchreiber der hilof phie, und keine Art von Geſchichtſchrei⸗ ern iſt wohl unrer ſich mehr uneinig als es die
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Begriffen vom Atheiſums ſeyn mußte; nach wel⸗ denen es eben kein ausgemachter Glaubensartikel
das Werk einer verſtaͤndigen Urſache ſey, für 1
mittelt iſt, fo kommen die Quellen deſſelben | daraus auf Welt und Menſchen gezogen hat.
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11 Einleitung. Um daher nicht gleich im Voraus Gelegen⸗ heit zur Uneinigkeit zu geben, will ich feine De. finition von Religion und Religionsphiloſophie voraus ſchicken. Denn eine jede Definition iſt ein Apfel der Zwietracht, wenn man ſie unter die Philoſophen wirft. Ich uͤberlaſſe es daher einem Jeden die Data welche ich in die Geſchichte der Religionsphiloſophie aufgenommen habe nach ſeinen eignen Begriffen zu pruͤfen. Im Gan⸗ zen wird doch wohl jeder mit mir daruͤber einig ſeyn, daß die Idee einer Gottheit fie mag nun als Einheit oder Vielheit gedacht, als Abſtraktum oder Concretum beſtimmt werden die Grund lage aller Religion ausmacht. Bey 2070 7 nun dieſe Idee finde, fie mag aus einer Quel fließen aus welcher ſie will, den halte ich AN
einen Theiſten. Daher iſt mir auch z. B. Epi kur kein Atheiſt, welches er nach andern 1 nach den Plattnerſchen und Hemſterhuiſchen
chen aber auch leicht die meiſten Bekenner der griechiſchen und roͤmiſchen Volksreligion, bey
war, daß die Welt und ihre Zuſammenſetzung 5 A Atheiſten zu erklären feyn duͤrften. Wenn der Begriff von einer Gottheit un⸗ ter den Meinungen irgend eines Denkers ausge-
Betrachtung; dann die Folgerungen !
Dieſe
Einleitung. | u |
Def Ordnung habe ich indeffen nur da 1 vr wo über jeden dieſer Gegenſtaͤnde etwas neues und originelles zu finden war. Wo dies ſes nicht der Fall war, habe ich es unangezeigt gelaſſen, wie dieſer oder jene Philoſoph uͤber Ge⸗ genſtaͤnde dachte, bey welchen er blos den Mei⸗ nungen ſeiner Vorgaͤnger folgte. Denn es kommt bey einer Geſchichte dieſer Art nicht dar⸗ auf an wer etwas gedacht hat, ſondern was gedacht worden, aus welchen Quellen es N 79 71 mit was Br Gruͤnden es Punk 1, 5
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und dies wird Gewinn fuͤr die Wiſſenſchaft
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ſeyn. — Ganz konnte ich mich jedoch hieran
nicht binden, und manche Wiederholungen was
ren unvermeidlich um den Faden des Ganzen nicht zu verlieren.
Es findet bey einer Geſchichte von Ideen auch ein ganz andrer Pragmatismus ſtatt, als bey einer Geſchichte von Thatſachen. Denn That⸗ ſachen fließen immer aus andern Thatſachen bis ſich ihre Quelle entweder in Naturwirkungen oder in Ideen findet, zu welcher ſie jedoch nur lten, und nicht allemal auf den richtigſten We⸗ gen, von unſern Geſchichtſchreibern gefuͤhrt e. Ideen fließen hingegen Ac e
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v Einleitung.
aus andern Ideen, ſondern werden von brigi⸗
nell; Koͤpfen oft unmittelbar aus ihrem Genie
oduzirt, wovon ſie oft nicht einmal ſelbſt einen Grund angeben koͤnnen Zuweilen kann dieſes zwar beſſer noch von Andern geſchehen, zuweilen a auch nicht. Man muß ſich daher hüten den Pragmatismus nicht zu weit zu treiben und einen | Zuſammenhang hineinzutragen wo keiner iſt. * Ich wage es daher nicht den Gang im Allgemeinen anzugeben, welchen die Ausbildung der Religionsphiloſophie genommen hat. Zu⸗ 5 weilen ſieht man in der Geſthichte der Religions⸗ phil oſophie eine Idee durch Einbildungskraft
entſtehen, und die Vernunft hinterdrein Gruͤnde
=: diefelbe aufſuchen. Zuweilen geht es umge⸗ ehrt. Die Spekulation findet einen Begriff und die Einbildungskraft ſchmuͤckt ihn aus, und führt ihn dabey nicht ſelten über die Grenzen des Erweislichen hinaus. Bald verwandeln ſich phyſiſche Begriffe in metaphyſiſche, bald wieder metaphyſiſche in phyſiſche.
Alle Religionsideen R nd ARE Zweifel phi⸗ loſophiſchen Urſprungs d. h. fie ſind durch Nachdenken entſtanden. Sie wurden aber auf eine doppelte Weiſe weiter fortgeleitet, l theils durch fortgeſetztes Nachdenken, theils BR. durch Tradition. Hieraus entſtehen zwey Haupttheile der philoſophiſchen Gedichte der Religion; nemlich die Geſchichte des frey en Nachdenkens über die Religion, oder die 5 * Geſchichte der Beige ;
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Einleitung.
phie, und die Geſchichte der durch Tradition fortgepflanzten Religionsideen, welche, da dieſe Tradition groͤßtentheils die Geſtalt der Offen⸗ barung annahm, auch die Geſchichte der Of⸗ fenbarungsreligionen heißen kann. Die er⸗ ſtere iſt diejenige welche ich hier vorgetragen habe. Beyde find ſchwer von einander zu tren⸗ nen, denn ſie erklaͤren ſich gegenſeitig; die Ge⸗ ſchichte der Offenbarungsreligionen iſt eben ſo⸗ wohl einer philoſophiſchen Behandlung faͤhig und
mwuͤrdig, als die eigentliche Geſchichte der Reli⸗ gionsphiloſophie, und es finden ſich in ihr eben ſo viel Denkmaͤler von den Anſtrengungen der menſchlichen Denkkraft als in dieſer; nur daß ſie dabey nicht ſo frey handelt, ſondern immer irgend eine Autoritaͤt zum Grunde legt. Da man aber nur von einem freyen Nachdenken uͤber die wichtigſten Angelegenheiten der Menſch⸗ heit, wahre Aufklärung über die Ein ſichten er⸗ warten kann, welche die Vernunft innerhalb ihrer Grenzen von denſelben beſizt, ſo duͤrfte eine ſolche Trennung der Geſchichte des freyen und des an Offenbarungsbeariffe gebundnen Nachdenkens doch nicht zweecklos ſenn. Mas ich zur Geſchichte der eigentlichen Religionsphiloſophie rechne, wird man aus dem Buche ſelbſt erſehen. Ich fand für nöthig einige Uinterſuchungen über die Religionsbe⸗ griffe der aͤlteſten Völker vorauszuſchicken, um zu zeigen wie der philoſophiſche Urſprung der Religion ſich auch unter der wine 8 | N ung
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und unſcheinbarſten Huͤlle erkennen laͤßt. Auch | glaubte ich dieſes deswegen thun zu muͤſſen weil ö unſre meiſten philoſophiſchen Geſchichtſchrei⸗ | ber von den Religionsideen dieſer Voͤlker handlen, 0 um doch etwas von der barbariſchen Philoſophie zu ſagen, von der fie überhaupt nicht viel wis ſen. Da ich nun gerade denjenigen Theil der Philoſphie behandle welchen ſie bey dieſen Voͤl⸗ kern an die Stelle der Philoſophie uͤberhaupt ſetzen, ſo glaubte ich ihn nicht uͤbergehen zu duͤrfen. Auch zeigt es ſich daß die aͤlteſten grie⸗ chiſchen Philoſopheme ſich nicht ohne Ruͤckſicht auf die Volksreligion, und die Ideen der grie⸗ chiſchen Volksreligion ſich nicht ohne die Re⸗ ligionsbegriffe andrer Voͤlker erklaͤren laſſen. Von den Hebraͤern habe ich nur fo viel geſagt, als ich ohne auf die ſpaͤterhin unter ihnen ent⸗ ſtandenen Offenbarungsbegriffe Ruͤckſicht zu neh⸗ men ſagen konnte. Die uͤbrigen Voͤlker, deren Rieligionsbegriffe andre Geſchichtsſchreiber der Philoſophie aufzunehmen pflegen, verweiſe ch inn die Geſchichte der Offenbarungsreligionen; als die Indier, Chineſer, Perſer, Eben ds hin rechne ich die ſpaͤtern Juden, die Cabbalis ſten und Rabbinen, die Philoſophie des Chris ſtenthums, der Kirchenvater, der meiſten Sch ⸗ laſtiker und überhaupt aller chriſtlichen Theol. gen, auch die Philoſophie der Araber, Auch glaube ich die Meinungen aller Myſtiker Schwaͤrmer und Theoſophen dahin verweiſen zu muͤſſen, weil ſie, wenn auch nicht durchgaͤngig n NE bon
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Offenbarungsbegriffen die ſie mit ihrem innern
Lichte verbanden ausgiengen. Endlich gehoͤrt auch alles dasjenige dahin, was wirkliche Phi⸗ loſophen zur Vereinigung ihrer Philoſopheme
mit den Offenbarungsreligionen gethan haben.
3. B. Leibntzens Abhandlung über die Ueber
ſtimmung des Glaubens und der Vernunft; Kants Religion innerhalb der Grenzen der blo⸗
ßen Vernunft. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß
bey alle dieſem auch viel philoſophiſches Nach⸗ denken ftatt findet, aber immer gieng es doch
entweder von Offenbarungsbegriffen aus, oder
zweckte doch auf dieſelben ab, und das Wenige was etwa die Frucht eines wirklich unabhaͤngi⸗ gen Nachdenkens ſeyn dürfte, läßt ſich bey eins
zelnen Per ſonen noch ſchwerer von dem übrigen abſondern als die Sonderung im Ganzen iſt. Es ſoll mir lieb ſeyn, wenn Jemand nach die⸗
yo Trennung eine philoſophiſche Geſchichte der Offenbarungsreligionen bearbeiten wollte, nch
5 lieber aber, wenn ich kuͤnftig ſelbſt dazu im
Stande ſeyn, und durch den Beyfall des Pub⸗
kums dazu aufgemuntert werden follte,
So viel als moͤglich habe ich aus den Quel⸗
kun fig gefhöpft, und mic zur Bauthelung
ihres Werths der lehrreichen Unterſuchungen eis
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Fuͤlleborn, Tennemann und andrer bedient. . ich es nicht thun e ich u
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nt Einleitung.
Maͤnnern ſelbſt gefolgt, und habe meine Leſer darauf aufmerkſam gemacht. Bey der Ge⸗ ſchichte der neuern Philoſophie mußte ich mich durch mancherley Umſtaͤnde genöthigt, kuͤrzer faſ⸗ ſen als ich gewuͤnſcht haͤtte und auch noch oͤfter den Urtheilen Andrer folgen. Doch werden meine Leſer nichts dabey verlieren, wenn ſie ſtatt der meinigen zuweilen die Reſultate der For⸗
ſchungen eines Schwab, Staͤudlin und Eber⸗ ſtein erhalten. | ee ,
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Einleitung
BR S8.
Erſtes Buch. Hiſtoriſch 1 philoſophiſche Unterfus
8 der Grundideen der Religionen der älteften Voͤlker N
Erſtes Capitel. Hebraͤer. 6 3 1:26 Zwey tes Capitel Chaldaͤer s 26. 36 Drittes Capitel. Phoͤnizier 2 Pi 36541 Viertes Capitel Aegyptr⸗⸗ x: je 63 Fuͤnftes Capitel. Griechen . 84
Sechstes nnen Dichter Sheofogen der an
chen 6 g Hmoytes Bud. Vorbereitungen der Neliglonsobl⸗ 5
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loiopbie bey den Griechen. : Erſtes Capite! Ueber die Nach forſchungen der Griechen nach ang erſten Urſache der Dinge
_ Überhaupt u „96 101 ae Capitel Thales 8 107: 109 ittes Kapitel Anaximander 100 Anaximenes ma 119 Viertes Capitel. Pythagoras „ 115131 Künftes Capitel. Eleatiker⸗ 132147 Sechtses Capitel. Heraklit D 8 1477183 Siebentes Capitel Empedofles 154° 159
Achtes Kapitel Leucipp und Demokrit s 1595 165 Neuntes Kapitel. Sophiſten und Arheiften 166+ 174 dae uch. Geſchichte der altern Religtonsphi. |
loſoph Les Tapitel. Anaxagoras 0 157184 |
Zbweytes Capitel. Sokrates 184 > 103
. Drittes Capitel, Schuͤler des Sokrates 195 200
iertes Capitel. Plato: D 201 220
Be Capitel. Ariſtoteles⸗ 220: 233 Sechstes Capitel. Epikur 2 110 248
Siebentes Capitel Stoiker ® 2449273
Achtes Capitel. Skeptiker = © 274312
Neuntes Eapitel. Neuplatonikee „ 312.337
Mr Zehntes 3 850 Scholaſtiker 6 „„ 338 373
Viertes
Inh aigner. Geſchichte der neuern „ loſo Erſtes Capitel. Erſte unabhangige Selb unter dem ons Skeptiker. Montagne ei ron. Hobbes A Seite 374386 Zweytes Capitel. Carteſius 386, 396 Drittes Capitel. Spinoza a 3901 Viertes Capitel. Phyſikotheologen - 410 415 Fuͤnftes Capitel. Leibnitz und Wolff > 416. 428 Sechstes Capitel. Skeptiker und Naturaliſten 429 : 439 Siebentes Capitel. ee Philoſophie 440.450
1 „ solgende Druckfehler dürften den Sinn entſtellen.
"ei 32 eile 2 6 Kabiren ſtatt Kobiren. “ z befleckten ft. beflochten. | 3 40 + 151 en ſt. Bochant. 5 „ 43 10 nach: daß die Griechen -— iſt hinzuzuſetzen: f ie. „ 888 Anm. Z. 1. [ ingelle&u:le fi. intellecturale. 110 8. 5. l. über das Unbedingte im menſchlichen Wiſſt en, ſtatt N uͤber das Unbedingte, unmenſchliche Wiſſen. 2131 12 l. Timaͤus von Lokri ſt. Tim. v. Lokei 0 2180 Anm. 3 4. v. unt I. 857016 fi. End e. 189 3. 4. v. u 1. erſte bewegende ft. erſt bewog. * s 249 3 9. l. Befriedigung fanden ft. Befr. fordern. 7 2 2061 ⸗ % I Inſtrumentalurſache ft. Wee en „273 21 einzelnen ſt. einzelner. 2422731. l. Pyrrho ſt. Pyreho 23 287 > I 1. auch kein materieller, denn ein materielles We⸗ ER fen ft. auch kein materielles Weſen vi 298 >; 17. l. die Ueberſetzung des Ennius von Euhemerus Ge⸗ a 1 1 gie der Goͤtter ſt. vor Fubu Geſch. d. 9
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Erſtes Buch.
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Werk der Natur. Kein aͤngſtliches methodiſches Forſchen leitete die ältefien Denker auf die Säge
welche fi ſie fanden, kein Ehrgeiz trieb ſie an ſie zu
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konnte nicht eher erkannt werden, als bis man mehrere berfelben gefunden und geprüft hatte, und ihre Erfindung konnte nicht eher Ehre und An⸗ ſehn geben, nicht eher des Forſchens werth geach⸗
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2... Buhl. Capitel 1. | 3 Die aͤlteſten Philoſopheme waren sa er das — 4 Reſultat eines natürlichen Beduͤrfniſſes, Das Bebduͤrfniß der Erkenntniß vblbſspbiſge Wahr⸗ heiten fuͤhlt nicht der ganz rohe Menſch, der nichts | als Befriedigung ſinnlicher Triebe begehrt, und mit nichts als mit dieſer Befriedigung beſchaͤftigt $ iſt. Ueber dieſen Zuſtand mußte die Menſchheit ni daher ſchon hinaus ſeyn, wenn fie geiſtige Beduͤrf 5 1 niſſe ſollte fühlen koͤnnen. Die Menſchen, welche zuerſt philoſophirten, mußten ſich daher ſchon in ei⸗ nem gewiſſen Wohlſtande befinden, in welchem ſie nicht ihre ganze Zeit der Jagd, dem Feldbau, der Viehzucht oder der Fiſcherey zu widmen noͤthig hatten. Sie mußten Zeit und Muße zum Nachdenken ha⸗ ben, und dabey in einem Zuſtande ſeyn, in wel⸗ chem fie das Nachdenken überhaupt nicht ganz ent⸗ behren konnten. In einem ſolchen Zuſtande, wel⸗ cher die Erfindung philoſophiſcher Wahrheiten und Ihre Ausbildung bis auf einen gewiſſen Grad vor⸗ N * | zuͤglich begünftigte, befanden ſich zuerſt jene No- 1 maden, welche betraͤchtliche Heerden hatten, die fuͤr ihre Beduͤrfniſſe ſorgten, und ein anſehnliches Hausweſen, von Weibern und Kindern, Knechten 44 und Maͤgden zu beherrſchen, aber auch zu verſor⸗ 5 74 gen hatten. Die Sorge fuͤr das Ganze erforderte 2 Nachdenken von ihnen, bie Sorge für das Eins m | zelne
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2 Bruch I. Capitel r. RN ward ihnen von ihren Untergebenen abgenom⸗ men. Nachdenken war alſo ihr vorzuͤglichſtes Ges 15 ſchaͤft. Da es nun nicht, fehlen konnte, daß es nicht gute Köpfe unter ihnen gab, welche mit der Sorge fuͤr ihre unmittelbaren Beduͤrfniſſe, vermit, telſt eines ſchnell umfaſſenden Blicks und guter Ordnung, die fie in ihre und ihrer Hausgenoſſen Geſchoͤfte brachten, bald zu Stande kamen ſo konnten fie ihr Nachdenken auch andern Gegenſtaͤn⸗ den widmen, welche über den Kreis ihrer haͤusli⸗ chen Beduͤrfniſſe hinauslagen. | Welcher Gegenſtand lag ihnen aber wohl 1 her als die Frage: wer wohl das Ganze der Dinge ſo beſorgen möchte, wie fie felbft für das Ganze ihres Hausweſens ſorgten? Dies Hi ee ſie gar leicht auf den Begriff eines großen Mannes fuͤhren, dem ſie dieſe Beſorgung zuſchrie⸗ ben, und von dem fie Alles ableiteten, was nicht durch ihre eignen Kraͤfte und Bemuͤhungen zu Stande gebracht ward. | Die Beſchaffenheit folder urſpruͤnglichen na⸗ 0 5 turlichen Philoſopheme richtete ſich uͤberall nach den g Umſtaͤnden, in welchen ſich die erſten Denker befan⸗ den, weil ſie ſelbſt ein Werk dieſer Umſtaͤnde was N ren. Es iſt daher ganz natuͤrlich, daß wir bey . den älteften Menſchen, von deren religioſen Begrif⸗ . 1 * fen
4 Buch 1. Capitel 1.
fen wir Nachricht haben, den Glauben an einen einzigen Gott antreffen. Denn da ſie Nomaden *
waren, in deren patriarchaliſchen Verfaſſung alles von der oberſten Direction eines Einzigen abhing,
fo konnte es gar nicht anders ſeyn, als daß ſi ſie auch, ſobald fie ſich jene Frags aufwarfen, nur einen oberſten Weltſchoͤpfer und Regierer annahmen. wi Es wäre widernatuͤrlich geweſen, wenn ſie zuerſt auf den Polytheismus gekommen waͤren, der nur bey einen ganz andern Art des Urſprungs religiöfer Ideen
ſtatt findet. Man hätte daher gar nicht noͤthig ge⸗
habt, den Wonotheismus der alten Hebraͤer fuͤr 9
ein Werk ſehr tiefer oder wohl gar uͤbernatuͤrlicher Weisheit anzuſehen, und ihn entweder aus den Myſterien der aͤgyptiſchen Prieſter, denen man eben
ö deswegen eine ſehr tiefe Religionsweisheit zuſchrieb, 24 oer aus einer beſondern göttlichen Offenbarung her⸗ zuleiten, oder ihn wohl gar zu bezweifeln, 8
man ihn fuͤr eine Frucht einer ungleich größern Aufklärung hielt, als man jenen nomadiſchen Fa- milienvaͤtern zutraute.
Die geſamte Religionspbilofopbie der 85. 5 braͤer war ein Werk des Nachdenkens ihrer no⸗ madiſchen Vorfahren. Denn die Hanptgrundfäße 4 ihrer Religion überhaupt liegen ſchon in den Bes griffen derſelben. Das, was Moſes hinzuthat, bes 1
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. 5 Puch 1 Sapikkt 1 a 1 traf größtentheils blos den aͤuſſern Cultus, und d Philoſopheme welche fpätere Denker unter ih⸗ nnen aus der Religion ſchoͤpften und mit ihr ver⸗ banden, beruhten ſaͤmtlich ſchon auf den Meinungen, welche ſchon Abraham, Iſaac und Jacob hatten. Die aͤlteſten Spuren der Religlonsphiloſophie der Hebraͤer und die eigenthuͤmlichſte Darſtellung ihrer 0 wahren Geſtalt iſt daher in der Geneſis zu ſu⸗ chen. Zwar finden wir auch hier nicht ihren erſten Urſprung. Denn jene Erfindung der Religion ſelbſt muß alle den Menſchen vorhergegangen ſeyn, von denen uns die Geneſis erzaͤhlt; aber wir finden ſie doch ihrer Urquelle am naͤchſten. Wir finden auch in der Geneſis nicht eigentll⸗ he Philoſopheme, ſondern nur Beſultate eines philoſophiſchen Nachdenkens, wir erblicken un⸗ ter mancherley Einkleidungen und erkennen in man⸗
cherley Aeuſſerungen was jene alten Denker gefun⸗
den haben; wovon ſie ausgegangen find, vermögen wir nur durch wahrſcheinliche Schluͤſſe zu ergruͤnden. ' Der religiöſe Geiſt der Geneſis weht uͤber den Ruinen von Jahrtauſenden, unter denen es ſchwer iſt, den eigentlichen Standpunkt und die ee des Religfonsgebaͤudes das fie ent⸗ hielten, noch ſchwerer aber den Erbauer deſſelben zu euträthſeln. So viel 1 gewiß, daß die Nachkommen Nis A 3 | 8 0
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fahren, den er gekannt zu haben ſcheint, und den 7 er und ſeine R achkommen, und mit ihnen alle die,
ſchen Gehalt haben. Zwar hat man jenen ane, 1
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man dieſes thut, ſind blos grammatiſch, und als ſolche auch nicht einmal ſtreng beweiſend. Auch
ben koͤnnen. Wenn nehmlich einige Stellen, a a 8 Ri
| „ 6 Buch J. Capitel 1. 3 Abrahams den größten Theil ihrer religloͤſen Sen dieſem ihren Urvater verdankten, und daß Biefer viel von ſeinen religioͤſen Usberzeugungen aus ei ⸗ 25 nem Nachdenken ſchoͤpfte, und durch daſſelbe aus⸗ bildete. Doch iſt es auch nicht zu verkennen, daß 4 er ſelbſt ſchon Vieles von ſeinen fruͤhern Vorfahren 4 entlehnte. Denn ſchon der aͤlteſte von feinen Vor⸗ |
auf welche die religisfen Begriffe feiner Machkom men Einfluß hatten, für den erſten Menſchen ges halten haben, Adam, muß aͤhnliche Religionsbe⸗ griffe gehabt haben, wie ſie Abraham und ſeine „ Nachkommen hatten, wenn irgend die Nachrichten, 4 | welche die Geneſis von ihm giebt, einigen hiſtori⸗
Menſchen, die wir kennen, den Polytheismus zu⸗ ſchreiben wollen. Allein die Gruͤnde, mit welchen
wuͤrde man nach denſelben den Polgtheismus nicht 5 ; ſowohl ihnen ſelbſt, als denjenigen, welche die Nach- richten von ihnen uns hinterlaſſen haben, zuſchrei⸗ f
Gen. I, 26. * 22. von der Gottheit in der viel-
ſochen Zahl zu ſprechen ſcheinen, welche jedoch nach 5 einein 3
nnn AR 8 * 5 RR 1 6 N e enn 8 * N * * 1 ' "3 > E > 7 5 ; 5 “ 5 fe 3 Buch J. Capitel “. 7 R e *
fen Hierzu kommt, daß, wie wir ſchon gezeigt RE haben, der Monotheismus den Menſchen, welche 3 bey einer nomadiſchen und patriarchaliſchen Verfaſ⸗ 5 ſung eine Religion erfinden weit natuͤrlicher iſt als der Polytheismus, und daß es unerklaͤrlich ſeyn 7 würde, wie die Nachkommen Monotheiſten gewor⸗ Ey den wären, wenn die Vorfahren Polytheiſten waren. Ss | Wenn wir alfo gleich weit entfernt ſind die e derjenigen mitzutraͤnmen „ welche von den Kenntniſſen und der Philoſophie Adams viel zu er⸗ zählen wiſſen f wobey ſie, da ſie ihn fuͤr den erſten Menſchen halten „von der Vorausſetzung einer an⸗ 9 debe Weisheit ausgehen, die ſie ſich nicht groß genug denken zu koͤnnen glauben, ſo iſt es uns doch 15 wahrſcheinlich daß fon Adam gewiſſe und zwar unh Religionsmepnungen hatte wie Abraham. Ob er dieſelben zuerſt erfunden, oder wie es wahr⸗ 90 ; ſcheinlicher iſt, ſchon auch von alteren Vorfahren, 1 wenigſtens zum Theil empfangen hatte, laͤßt ſich 5 ne ausmachen. Denn hieruͤber verlaſſen uns alle | | | A 4 biſto⸗ s
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7 a, a 1 Buch l. Capitel ee = u 5 ha = biſtoriſhe Nachrichten, und führen uns nirgends je auf den erſten Urſprung der Reli onsideen, wel he ſie uns an den aͤlteſten 1 a eutdecken laſſen, zuruck. 5 Wenn der Erzählung vom verlohtnen Paradieſe etwas hiſtoriſches zum Grunde liegt, ſo 15 1 kann es nichts anders ſeyn, als daß die aͤlteſten 2 Vorfahren der Hebraͤer urſpruͤnglich in einem Lande 2 wohnten, in welchem die Natur alle Beduͤrfniſſe des Lebens ohne Cultur hervorbrachte, und daß ſie durch irgend eine ſchreckende Naturbegebenheit aus demſelben vertrieben wurden. Sie ſchrieben dieſe Begebenheit religioͤſen Gründen zu, indem ſie ſich an einem heiligen Baume vergangen, und da⸗ “2 durch jene Strafe zugezogen zu haben glaubten. 4 Dies zeugt von religiöfen Begriffen und vom Nach⸗ denken uͤber dieſelben. Die religioſen Begriffe wa⸗ ren ungefaͤhr dieſelben, welche wir in ſpaͤtern Zeiten bey ihren Nachkommen wiederfinden: Es iſt ein Gott, der von den Menſchen Gehorſam for⸗ 1 1 dert, und fie für ihren Ungehorſam beſtraft. 25 1 Auf die feinern Modifikationen der Religionsbe⸗ 4 griffe in dieſer Erzählung wollen wir e Ruͤckſicht nehmen, weil ſich nicht beſtimmt ausma⸗ chen laßt, wie viel davon auf Rechnung der En, kleidung zu ſetzen ſey. | * — 5 „ A 4
18 ieh
8 0 4 3 Sie berdeiſen m daß die = altern Vorfahren Abrahams an einen Gott glaub⸗
ten, mit dem die Menſchen in beſondern Verhaͤlt⸗
5 N niſſen ſtehen, der ein maͤchtiges Wei en ſey, und
die Menſchen nach moraliſchen Geſetzen, die aber |
freilich auf ſeiner Willkuͤhr beruhten, und unter
+
vornehmſten wären, richte und behandle.
Ohngeachtet nun Begriffe dieſer Art ſchon zu⸗
| N vor ſtatt gefunden haben mußten, ſo iſt doch Abraham hauptſaͤchlich fuͤr den Stifter der he⸗
blraͤiſchen Religion anzuſehen, und ihre Begriffe
8 wurden von ihm, wo nicht entdeckt und ausgedacht,
} e gewiß durchdacht und nach Gründen erforſcht, die fuͤr ihn befriedigend waren. hr hierzu gaben ihn feine Talente die Fähigkeit und feine an
ſole Antrieb und Veranlaſſung.
12 pe Schon in ſeiner Jugend brachte er ſeinen re⸗ Ugioͤſen Ueberzeugungen ein großes Opfer, indem
f er um ihrer willen feines Vaters Haus und ſein Vaterland verlies, wahrſcheinlich weil feine naͤchſten
5 . Verwandten mit ihm in Abſi cht auf die Religion
| 5 e. dieſer Mrſachf zum zweytenmal ſeinen Wohn⸗
welchen Gehorſam und Verehrung gegen ihn die
nicht harmonirten. Bald darauf veraͤnderte er aus
do Buch J. Capitel 1. „ fiS. Dies mußte ihm die Religion — gi tig machen, und ihn zum fleiffigen Nachdenken über. 5 dieſelbe veranlaſſen. Da nun noch dazu kam, daß feine religioͤſen Auswanderungen mit dem glücklich⸗ 9 ſten Erfolge gekroͤnt wurden, und er durch dieſellßen ; in einen Wohlſtaud verſeßt ward, der alle feine 3 Hofnungen und Forderungen uͤbertraf, ſo mußte ihm dieſes die Religion in dem reizendſten Lichte vi erfcheinen laſſ en. Er bildete ſich demzufolge einen Begrif von Gott, als einem menſchenfreund⸗ lichen Weſen, welches jedoch manchen Menſchen 5 4 insbeſondere vor andern feine Freundſchaft ſchenke, 9 und ganz beſonders ihm dieſelbe zugewandt habe. | 1 Er glaubte in feinen Schickſalen die zuverlaͤſſigſten 16 Beweiſe zu finden, daß Gott ihn beſonders beguͤn⸗ ſtige, und glaubte dieſe Gunſt durch jene vertrauens⸗ volle Aufopferung verdient zu haben. Eine der vorzuͤglichſten Eigenſchaften, welche er et 1 Gott zuſchrieb, war Wahrhaftigkeit ‚ oder Treue 1 } als Freund und Bundsgenoſſe. Auf diefe: gründete er die Idee von einem Bunde, welchen er mit Gott ſchloß, und demzufolge er ihm treu zu dienen verſprach, und das gegenſeitige Verſprechen von in erhalten zu haben glaubte, daß Gott ihm eine zahle reiche Nachkommenſchaft geben, und dieſe eben y ug; wolle wie er ihn bezünſtigt he t
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. Bic l. Capitel i. N 11 4 Dir x Wund, welchen er in beſondern Unterredun⸗ gen mit Gott geſchloſſen zu haben glaubte, ward der Grund derjenigen Familienreligion, welche die Nachkommen Abrahams vor allen andern Menſchen auszeichnete, und in der Folge zur Volks, und Staatsreligion ward, als aus der Abrahamiſchen Familie ein Volk geworden war. Mit ſehr lebhaften Zuͤgen entworfen ſtand das 7 55 Bild Gottes vor Abrahams Seele, die es ganzerfuͤllte. Seine Religion war ganz ein Werk der Linbil⸗ dungskraft. Der Weg, auf welchen er ſich zu ſeinen Ideen von Gott erhob, war nicht der einer ruhig forſchenden Vernunft. Nicht auf kalte ſchul⸗ gerechte Schluͤſſe bauete er feine Religionsbegriffe, ſondern er flog der Gottheit zu auf den Fittigen der Phantafie, Daß dieſes der Weg war, auf 5 welchen er zu feinen religioͤſen Vorſtellungen kam, wird in den Nachrichten, welche uns die Geneſis ni, von ihm mittheilt, ganz und gar nicht verhehlt. Denn es wird deutlich darinn geſagt, daß es Traͤume waren, in welchen Abraham feine meiſten und wichtigſten Unterhandlungen mit Gott pflog. So machte er nach Gen. XV. 12. zuerſt den Bund | | mit Jehova, an den ſich alle ſeine übrigen religiös Pr Ideen anreihten, in tiefem Schlafe. Seine ee ‚she indeſſen fo ſtark geweſen zu
e N ß E u * * ee;
1
12 Buch l. Capitel ss
ſeyn, 525 er auch im wachenden Zuſtande goͤttliche ö Erſcheinungen zu haben glaubte, und daher natuͤr⸗ 7 licherweiſe an einen ſichtbaren Gott glauben mußte, | | Eben fo lebhaft als dieſe religiöfen Vorfile n lungsarten der Phantaſie Abrahams vorſchwebten, eben fo kraͤftig wirkten fie auf fein Herz und auf ſeine Handlungen. Abraham empfand ſo ſtark fuͤr den Gott, den er für feinen Freund hielt, daß feine religiöfe Empfindung alle übrigen unterdruͤckte und daß er in einem Anfall vun religiöfer Schwaͤr⸗ merey feinen Sohn, der ihm über alles theuer war, feinem Gott opfern wollte, von der er zu einem ſolchen Opfer aufgeſodert zu ſeyn glaubte. Ein Beweis, daß ſein Religionsglaube uͤberaus kraͤftig, und doch nicht auf moraliſche Gründe gebaut wa! Sollen wir ihn deswegen, weil feine ReligiuR n Werk der Einbildungskraft war, aus der Reihe religiöfer Denker verbannen, und ſeiner nicht in einer Geſchichte der Religionsphiloſophie gedenken? O dann hätten wir uns in Acht zu nehmen, daß man uns nicht bewieſe, daß alle Philoſophie, aus einem gewiſſen Geſichtspunkte betrachtet, Werk der 1 Einbildungskraft iſt! FR Nicht ganz dieſelbe Geſtalt, welche die Rel Be gion bey Abraham gehabt hatte, behielt fie bey 4 feinen erſten Nachkommen. Das Verhaͤltniß, 8 1 | RR welches |
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Buch l. Gapitet 5 13 a
welches f e zwiſchen der Gottheit und ſi 5 dark "RR men, war ſchon etwas verändert. Sie fahen Gott
nicht ſowohl fuͤr ihren, als fuͤr den Freund ihres Vaters an. So gern ſie ſich alſo auch ſeines Schußes erfreuen mochten, und fo groß das Zus trauen war, welches ſie zu Gott hatten, ſo konnte
doch nicht mehr die Innigkeit bey jenem Verhaͤlt⸗
niſſe ſtatt finden, welche Abraham dabey fühlte.
| Iſaak ſcheint von eingeſchraͤnkten Geiſteskraͤften und
daher wenig Denker in der Religion geweſen zu ſeyn. Es bleibt ihm daher nur das Verdienſt, daß er den, ſich allerdings vor den großen Haufen ſehr auszeichnenden Religionsbegriffen ſeines Va⸗ ters treu blieb, und ſie auf ſeine Nachkommen fort⸗ pflanzte. Jakob war ſchon von lebhafterem Geiſte. Seine Einbildungskraft beſchaͤftigte ſich vorzuͤglich in ſolchen Lagen, in welchen er der Religion be⸗
durfte, mit religioͤſen Vorſtellungen, und wirkte
Traͤume, die vom Nachdenken über die Religion
zeugen. So liegt ſeinem Traume von der Him⸗ melsleiter eine freilich ſehr ſinnlich vorgeſtellte dee
von der Vorſehung zum Grunde. Unter Jakobs
35 Soͤhnen, von denen die meiſten wohl uͤber die Re⸗
ligion wenig nachdenken, und ſie ſich wenig zu
Herzen nehmen mochten, wirkte ſie vorzuͤglich auf | Joſeph. Auch er hatte Traͤume, die er nach re⸗
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14 Buch I. Capitel 1. 4 1 ligioͤſen Begriffen beurtheilte und auslegte. Ein N fo vorzuͤglicher Kopf wie er war, muß nothwendig über feine Religion nachgedacht, und er muß fie unſtreitig vorzuͤglicher gefunden haben, als die Re⸗ ligion der Egypter, in deren Geheimniſſe ſich eins weihen zu laſſen, er gewiß die beſte Gelegenheit hatte, da er der Schwiegerſohn eines egyptiſchen Prieſters war. Dies ſcheint mir ein ſtarker Ge⸗ genbeweis wider die von vielen gewagte Behaud⸗ tung zu ſeyn, daß die Religionsbegriffe der He. braͤer aus den Geheimniſſen der egyptiſchen bene | ſter ihren Urſprung haben.
Bey den Religionsideen dieſer nomadiſchen Stammvater des iſraelitiſchen Volks verdient bes ſonders bemerkt zu werden, daß ſie ganz partiku⸗ lariſtiſch waren. Sie bekuͤmmerten ſich wenig um das allgemeine Verhaͤltniß der Gottheit zu der Menſchheit, ſondern glaubten mit ihr in ganz be⸗ ſondern Berhältniffen zu ſtehen, die ſie mit keinen 4 andern Menſchen gemein haͤtten. Dies war eine 17 natuͤrliche Folge des Urſprungs dieſer Religionsbe⸗ 9 griffe und der anfaͤnglichen Richtung, welche ſie 15 9 durch Abrahams Schickſale erhielten, die ihn vor⸗ zuͤglich zum Nachdenken über die Religion veran laßten, und dieſes Nachdenken leiteten. Jener Par⸗ ER 4 tikularismus hat die ausgebreitetſten Folgen bis in 4
2. 1
18
die fpötken Bi, gehabt und U noch nicht allen
9 auf unſer Religions ſyſtem verlohren. In das Zeitalter dieſer Nomaden gehört jene a Urkunde, welche wir an der Spitze der Ges neſis finden, ‚und welche eine Cosmogonie enthält, die ganz mit den Begriffen jenes Zeitalters uͤber⸗ einſtimmt. Zwar laͤßt es ſich nicht genau beſtim⸗ men, wenn ſie eigentlich ihren Urſprung genom⸗ men hat, doch druͤckt fie genau den Religionsglau⸗ ben Abrahams aus. Sie enthaͤlt naͤmlich denſelben Gedanken, welchen Abraham bey einer feierlichen
Gelegen heit nach Gen. XIV, 22. aͤuſſerte: daß ein
böchfter Gott ſey, welcher Himmel und Erde d. h. alles was da iſt, geſchaffen habe, ein Gedanke, der unſtreitig die Grundlage ſeiner ge— ſammten Religion sideen war. Ihrer Einkleidung nach ſcheint jene Erzaͤhlung beſtimmt geweſen zu ſeyn „ dieſen Gedanken conkret und ſo darzuſtellen, wie er den "größten Eindruck auf ſolche machen konnte, welche zu dieſem Religionsglauben einge⸗ weiht werden ſollten. Sie ſcheint mir alſo ur⸗
ſprünglich zur Mittheilung der Religion befiimmt geweſen zu ſeyn, welche die Abrahamiſche Familie
auszeichnete. Dadurch, daß dieſe Religion durch mehrere Generationen hindurch vermittelſt dieſer Er⸗ abu fortgepflanzt wurde, ward ſie zum wee
lar
9
16 Buch I. Capitel 1.
lar, und fo vertrat ſte gewiſſermaaſen die Stelle |
eines Glaubensbekenntniſſes dieſer Familienre⸗ 4
ligion. Auf dieſe Weiſe laßt ſich ihre Erhaltung, "und zugleich die Wichtigkeit am beſten erklaͤren, wel⸗ che ihr Moſes beylegte, da er fie an die Spitze feiner Schriſten ſtellte, und bey feiner Gefeßgebung oͤftere Ruͤckſicht darauf nahm. Der Zeitpunkt ihrer Entſtehung ſcheint wenigſtens nicht ſpaͤter zu er als Abrahams Zeitalter, vielleicht entſtand fie viel fruͤher. Da Abraham aber zuerſt mit e Eifer ſeine Religion bey ſeiner Familie zu Wee.
ſuchte, fo koͤnnte er leicht ſelbſt dieſe Erzählung
abgefaßt haben, um ſich ihrer als 2 11 Mittheilung zu bedienen ). |
Unter den Religionsſchriften der Sanbe fin |
den wir auch ein andres Dokument, welch orientaliſche Nomaden als Denker u 2
fcher über die Religion darſtellt, und recht ei ei⸗ 1 3
gentlich die Religionsphiloſophie dieſer Menſchen ee,
4) Die Gründe aller dieſer Meinungen über die gie |
ligionsideen der Stammvaͤter der Hebräer und ihre weitere Ausführung findet man in meiner praft 17 Einleitung in das A. T. Thl. 1. beſonders in den Unterſuchungen uͤber das erſte Buch Moſis und in den Allgemeinen Bemerkungen uͤber die fuͤnf Bucher
Dofis S. 398. f. „
8 ſchildert. 1 Dies ift das Buch Gibt Zwar iſt | es ohne Zweifel ein Gedicht, oder wenlgſtens eine mit vielen Dichtungen aus gemahlte Geſchichte. Aber
der Dichter war ein ſehr kenntnißreicher Mann,
w l her bey den vielen Kenntniſſen, die ihm zu Ge⸗
bote ſtanden, gewiß nicht fuͤr die Hauptſcene ſeines
Gedichts einen Ort und ein Zeitalter gewählt has
? ben wird, welches er nicht genau kannte. Auch
le te der Dichter zwar hoͤchſtwahrſcheinlich in einem un Zeitalter als das patriarchaliſche war; aber
es iſt außer Zweifel, daß er die Zeit feines Ges bit in das patriarchaliſche Zeitalter verſeßzte. Wir koͤnnen es daher mit Recht als eine Schilde⸗
: rung der Sitten und Denkungsart jenes Zeitalters
i anſehen. Als ſolche dient es zu einem uͤberzeugen⸗
a den Beweiſe, daß man in jenen Zeiten über Rell⸗
5 gion zu phi ſophiren pflegte, und zeigt zugleich x efähr wie man es that. Es geſchah ſehr na⸗
1 türlich am erſten zu ſolchen Zeiten, da man durch irgend einen wichtigen Vorfall dazu aufgefordert
war, wie hier durch die Ungluͤcksfaͤlle, welche Hiob erlitten hatte. Es geſchah in geſellſchaftlichen Un⸗
5 terrebungen, man trug ſeine Meinungen in langen Reden und mit aſſertoriſchen Behauptungen vor,
5 ohne ſich jedesmal über die Gründe derſelben zu
0 k ren. Man war über gewiſſe Hauptſaͤtze einig,
RN. | von
18 Buch J. Capitel 1. . von denen man ausgieng, und ſtritt ſich nur ent⸗ weder uͤber die Folgerungen, oder uͤber die Vor⸗ ſtellungsart, welche man ſich von jenen Hauptbegriffen zu machen hatte. Man ſchoͤpfte ſeine Behauptungen theils aus anerkannten Wahrheiten, die man von den Voreltern geerbt zu haben ſcheint, zum Theil aber bildete man ſie auch durch eignes Nachdenken, wo⸗ bey man Spiele der Einbildungskraft und Wirkun⸗ gen des Genies gern fuͤr uͤbernatuͤrliche W tungen und Eingebungen hielt. 5 5 Die Religionsideen ſelbſt, welche das Buch 5 Hiob verraͤth, waren in der Hauptſache dieſelben, welche wir bey den uͤbrigen Patriarchen finden. Die ſtreitenden Freunde waren daruͤber einig, daß ein hoͤchſter Gott von unumſchraͤnkter Macht fey, der Himmel und Erde gemacht habe, und daß dieſer Gott die Schickſale der Men⸗
ſchen beſtimme. Nur ſtritten fie darüber, nach welchen Grundſaͤtzen Gott mit den Wenfhen
verfahre, ob nach moraliſchen oder nach will⸗ kuͤhrlichen? Der Streit wird im Ganzen ge⸗ nommen fo beygelegt, daß jene Grundſaͤtze dem Menſchen unerforſchlich ſind, daß dieſer es aber doch nicht wagen duͤrfe, ſie zu tadeln, ſondern ſi ſi ch 9 mit he dem Willen Gottes Hein mie. 4
das
| Buhl Capitel r. 19 Das Verhaͤltniß zu Gott, in welchem Hiob du ſtehen glaubte, erſchien ihm aber nicht von einer ſo vortheilhaften Seite wie dem Abraham. 5 Er wagte es nicht ſich einen Freund Gottes zu nen⸗ nen, ſondern war zufrieden damit fein Knecht zu ſeyn, und berief ſich nur auf die Treue, welche er ihm als ſolcher bewieſen haͤtte. So richteten ſich auch bey ihm, fo wie bey Abraham, feine religiöſen Vor⸗ ſtellungsarten nach den Ruinen in ke er un befand,
Was von den Erſcheinungen Jehova's, von dem Gericht welches er hält, von den Söhnen
Gottes, die ſich um ihn verſammlen, von dem Sa⸗
tan, der als Anklaͤger auftritt, und dem es uͤber⸗
laſſen wird, Hiobs Ungluͤck zu veranſtalten, geſagt
wird, gehoͤrt zur dichteriſchen Einkleidung, und iſt nicht auf Rechnung des patriarchaliſchen Zeitalters zu ſetzen, ob es wohl nicht zu läugnen iſt, daß in
demſelben ſchon der Glaube an Engel als Diener 5 der Vorſehung ſtatt fand. Es iſt nicht einmal dem Dichter als feine wahre Meinung zuzuſchreiben, . da es ſich nicht ausmachen läßt, ob er dieſelbe da⸗ 3 mit habe aͤuſſern, oder nur feinem Werke | eine
B23:
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20 Buch J. Capitel 1. eine glänzende Einkleidung dadurch habe geben wollen).
So harmoniren denn die älteften Denkmale,
welche wir von den Religionsideen der nomadiſchen Hebraͤer haben, darinn, daß ſie zeigen, daß jene Nomaden wirklich uͤber ihre Religion nachdachten,
ob ſie gleich die Eingebungen ihrer Phantaſie mit {
den Reſultaten logiſcher Schluͤſſe verwechſelten, ja fie unftreitig noch über dieſelben hinausſetzten, ins
dem fie fie für Funken eines göttlichen Feuers ans ſahen, welches eine höhere Begeiſterung in ihrer
Bruft entzuͤndete. Auch ſtimmen fie ſowohl in Ab⸗
ſicht auf den Monotheismus als auf die Grundzuͤge des Verhäaltniſſes zwiſchen Gott und den Menſchen überein, wobey ſich jedoch unter Hiobs Meinungen weniger Hang zum Partikularismus findet, als un⸗
ter dem Abrahamiſchen. Ohne daß jene aͤlteſten Denker es ſich Bent bewußt waren, hatte die Anwendung des aus der
Erfahrung abſtrahirten Saßes, daß alles ſeine
Urſache
*) Man ſehe hierüber Herrn D. Staͤudlins gelehrte und ſcharfſinnige Abhandlung: Ueber die Phlloſo⸗
phie, den Zweck und den Urſprung des Buchs Hiob in ſeinen Beitraͤgen zur Philoſophie und Geſchichte der Religion und Sittenlehre. Zweiter Band. S. 132. u. f.
Fe
4 x
Bud I. Capitel 8 21 Urſache habe, ſie auf den Begriff einer hoͤchſten
f Urſache geführt. Daher verbanden fie. mit dem Begriffe von Gott, den eines Schoͤpfers des Him⸗
mels und der Erde. Die Idee deſſelben wuͤrde jedoch ganz' unfruchtbar fuͤr ſie geweſen, und ihnen hoͤchſtens als ein Gegenſtand muͤſſiger Spekulatio⸗ nen erſchlenen ſeyn, wenn fie nicht auch das Bes duͤrfniß eines Erhalters der Dinge und Re
gierers ihrer Schickſale gefühlt hätten Dies
allein gab der Idee von Gott bey ihnen ein großes Intereſſe, und ſie ſuchten ſich auch Begriffe uͤber
das Verhältniß zu bilden, in welchem ſie mit ihm
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fanden, Dieſe ſchufen fie ſich ganz ihren bisheri⸗ gen Schickſalen und Erfahrungen gemaͤß. Abra⸗ ham, der ſich durch das Opfer, welches er ſeiner Religion durch ſeine Auswanderung aus ſeinem
; Vaterlande gebracht hatte, ein Verdienſt bey Gott erworben zu haben glaubte, wagte es ihn fuͤr ſei⸗
nen Freund anzuſehen, und ſogar, als ob er in gewiſſer Ruͤckſicht mit ihm auf einer Stufe ſtaͤnde,
8 ein Buͤndniß mit ihm zu machen. Sein unene ee. wickeltes Gefühl führte ihn hierbey nicht ganz irre. Er ahndete dunkel, daß die Geſetze der Moralitaͤt, daß z. B. der Grundſatz, daß man Vertrage hal⸗ ten muͤſſe, auch dem hoͤchſten Gott Himmels und
der Erde heilig ſeyn aue und daß der Menſch als
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22 Buch J. Capitel 1. ein freyes moraliſches Weſen in gewiſſer Rüͤckſicht 1 mit dem hoͤchſten moraliſchen Weſen auf einer Stufe Ar ſtehe. Der Mangel dieſer Erkenntuiß führte ſeine 5 ſpaͤtern Nachkommen ſehr oft irre, und in ihm liegt 3 insbeſondere der Knoten des ganzen Streits, in N 1 welchem Hiob mit feinen Freunden begriffen if. Die Wahrheit: daß der Wille der Gottheit keine regelloſe Willkuͤhr, ſondern der voll- E kommenſte Abdruck der hoͤchſten Moralitaͤt 5 ſey, war das Unerforſchliche, was dem Hiob 2
und feinen Freunden nach allen ihren Unterſuchun⸗ 5 gen übrig blieb. Freilich würden fie dieſe Wahr⸗ heit nur dann ohne Widerſpruch haben auf den Kreis ihrer Erfahrungen anwenden koͤnnen, wenn 2 ſie den Glauben an Unſterblichkeit der Seele da⸗ . 24 mit verbunden hätten. Aber auf dieſen nahmen ſie bey ihren Religlonsmeinungen keine Ruͤckſicht und hatten davon hoͤchſtens nur dunkle Ahndungen, 5 aber keine feſte Ueberzengung. Abraham, der mit 4 ſeinem Schickſale auf der Erde, und mit dem Lohn 8 der ihm für feine religioͤſe Treue geworden war, vollkommen zufrieden war, bedurfte dieſes Glau⸗ 9 bens weniger, und er beruhigte ſich vo omme 3 über die Zukunft, da er von Jehoba die Ber, 1 heiſſung erhalten zu haben glaubte, daß er eine e Nachkommenſchaft haben, und ace. . eben
*
Buch I. Capitel 1e 23 eben fo wie er den Schutz Jehova's genießen wuͤrde. | a
Daß alle Begriffe von Gott, welche jene als ten Denker hatten, in eine ſehr menſchliche Form gegoſſen werden mußten, ſo bald ſie dieſelben feſt⸗ halten wollten, konnte bey ihrer Ungeuͤbtheit im Denken und Abſtrahiren nicht anders ſeyn. Da ſie
glaubten, daß er ſichtbar erſcheinen konne, fo ſchrie⸗
ben ſie ihm eine Geſtalt zu, und zwar ſehr na⸗ türlich die menſchliche, doch fo daß fie behaupteten, daß die Geſtalt der Gottheit das Urbild ſey, nach
welchem der Menſch geſchaffen worden wäre. Auch
alle Verhäͤltniſſe, in welchen fie ſich mit Gott dach⸗ ten, waren nach menſchlicher Weiſe geformt. Sie dachten ihn entweder als Freund, oder als Bundes genoſſen, oder als Schußzherrn, oder auf eine an⸗
” dere menſchliche Weiſe. Da ihre Philoſophie noch
unendlich weit von aller Critik entfernt war, ſo war es 0 unmoglich, dergleichen Abwege zu vermeiden. Faſt nur in dieſer Ruͤckſicht vervollkomm⸗
Ae Moſes die Grundideen der Religion der He⸗
bräer einigermaaßen, indem er mit der größten Strenge ein Bild der Gottheit zu machen verbot. Auch ſcheint er dadurch ſein Volk von den allzu
7 conkreten Vorſtellungsarten von der Gottheit haben
ablenken zu wollen, daß, ohngeachtet er ihnen den
5 N it ER di B 4 | Gott
. n Fr
24 Buche Gasitei 1.
Gott ihrer Vaͤter unter dem bedeutungsvollen Na⸗ f
men Jehova ankuͤndigte, er doch dleſen Namen aus zuſprechen verbot, und ſie dadurch veranlaßte, fi) blos allgemeiner, das Weſen und die Eigen ſchaften Gottes im Allgemeinen bezeichnender Aus druͤcke von ihm zu bedienen. *
Die Privatuͤberzeugungen dieſes großen Mans nes, der gewiß auch ein tiefer Denker in der Re⸗ ligton war, duͤrften ſich aus feinen Schriften ſchwer, und nie mit Gewißheit entraͤthſeln laſſen. Denn dieſe beziehen ſich durchgaͤngig nur auf die Reli⸗ gionsideen, welche er unter feinem Volke herrſchend zu machen ſuchte. Daß er nicht ſelbſt tiefere Res
U * 4 1
ligionseinſichten gehabt haben ſollte, als die n eee * chaliſchen waren, für welche er feinem Volke allein |
Empfaͤnglichkeit zutraute, iſt kaum zu vermuthen.
Die uͤbrigen hiſtoriſchen Schriften der Hebraͤer zeigen größtentheild mehr wohin Mangel an Nach⸗ denken uͤber die Religion fuͤhren kann, als daß ſie Spuren von vernuͤnftigem Denken über bie Religion; enthalten ſollten.
Die hebraͤiſchen Dichter und Phüssopben legen ihren Religionsideen überall bie patriarchaliſchen zum Grunde, und mahlen nur hie und da einzelne
Eigenſchaften der Gottheit mit lebhaften Farben 7 95 aus. Der neunzehnte und neunundzwanzigſte Pfalm tragen
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Kr * a, 5 3 — 88 Sooo ß abe a a nn 5 3
Buch J. Capitel r. 28
nagen den aus der Natur geſchöpften Bewels für
5 das Daſeyn Gottes mit dichteriſchem Feuer und
Glanz vor. Zuweilen kommen dieſe Dichter und Philoſophen auf das Problem über die moraliſchen Eigenſchaſten Gottes, welches im Buch Hiob ab⸗ gehandelt wird, wiſſen es aber eben fo wenig bes friedigend zu entſcheiden. Sie ſuchten indeſſen oft
den zu weit getriebenen Partikularismus ar Volks
zu verbeſſern und e een
Von Religionsierthämern und Steiöghtiztei 3
N gegen die Religion enthalten die Schriften der He⸗ braͤer viele Beyſpiele. Auch ſcheint ein gewiſſer
Atheismus bey ihnen nicht ganz unbekannt gewe⸗
ſen zu ſeyn, der beſonders bey ſolchen Menſchen
ſtatt fand, die keine Strafe ihrer Thorheiten und Laſter fuͤrchten zu duͤrfen wuͤnſchten, und ſich daher
gewiß nicht auf philoſophiſche Grundſaͤtze ſtuͤtzte,
= A A Auffallender iſt in der bebröiſthen Geschichte | ein ſtarker Trieb nach Gegenftänden religiöfer Ders 3 den man beynahe eine Religions ſucht nen⸗
. = a — E r „
ſondern hoͤchſtens die vorhandnen Bewelſe für die Religion zu bezweifeln ſuchte. Daher ſprachen auch
die Thoren nur in ihrem Herzen: Es iſt kein
0 Gott, und ag es nicht laut werden.
B 5 nen,
8
*
26 Buch I. Capitel 2. nen, und als eine Krankheit des menſchlichen Ver⸗ ſtandes betrachten koͤnnte, weil er in den wider⸗ 5 finnigfien Vorſtellungsarten feine Befriedigung eben
ſo leicht und noch leichter fand, als in min en 5 von der Gottheit. 9
*
*
Zweytes Capitel. a
‘ x N n x | Ez iſt nicht zu zweifeln, daß unter den unzaͤhl . baren Bewohnern jener Weltgegend, aus deren 5 Schooße die ſo wichtig gewordene iſraelitiſche Reli⸗ \ ligion hervorgieng, von denen die meiſten ein aͤhn⸗ 4 liches Nomadenleben führten wie die Stammvater der 4 Iſraeliten, welches fie auf eine gleiche Weiſe zum Nachdenken uͤber die Religion einladen, und auf 4 ahnliche Ideen führen mußte, ſehr viele waren, welche auf ihre Weiſe uͤber die Religion phile u phirten. Aber es find uns keine Nachrichten von | den Reſultaten ihres Nachdenkens uͤbrig geblieben. Nur aus dem Wenigen, was wir von den bey den groͤßten Voͤlkern jener Gegenden berrſchenden Religionsmeinungen wien, koͤnnen wir * 8 er⸗ ta ®
sh Wr Rt ’
Bruch J. Capitel 22 27 ſten Grundideen zurückſchliegen, welche wirklich ein
0 Neſultat eines freyen nach 1 forſchenden
9 ſehn mochten.
Das Volk, welches jenen nomadlſchen Weifen am meiſten gleichzeitig war, und auch ihre Nach⸗ kommen durch den groͤßten Theil ihrer Geſchichte hindurch begleitet „waren die Chaldaͤer. Sie was
ren zugleich das ältefte Volk ), das einen gewiſ⸗
ſen Grad von Cultur erreichte, von dem wir Spu⸗ ren in der Geſchichte entdecken. Wir beſitzen durch Herodot, Cteſias, Divdor von Sicklien, Arran und Strabo einige Nachrichten von ihrer Religionsver⸗ faſſung, die aber nur wenig Zuſammenhang haben, und nur unſichere Schluͤſſe auf die unter ihnen an⸗ genommenen Religionslehren erlauben. Einer ihrer
Prieſter, Beroſus, hat ihre Geſchichte geſchrieben, & und Joſephus „Syncellus und Euſebius haben
uns Fragmente davon aufbehalten. Aber eben ſo
2 groß wie der Unterſchied zwiſchen einer Staatsreli⸗ gion und einer philoſophiſchen iſt, fo groß iſt auch - f der Unterſchied ai einem Prieſter und einem
5 55 sr Philo⸗
*
= 2 Daß d die e Chadder ein Volk, nicht eine beſondere
Bolksklaſſe von Prieſtern, Gelehrten oder Wahrſa⸗
Um, 2 ö gern waren, ſagt Cicero de divinatione I. 1. Chal-
dae, non ex artis ſed ex net vocabulo no- minati.
u Buch I. Capitel 2.
Philoſophen über die Religion. Beroſus zeigt fi 05 in ſeinen Nachrichten ganz als Prieſter. Gewohnt durch unerhoͤrte Wundererzaͤhlungen als Prieſter zu imponiren, glaubt er dieſes auch als Ge⸗ ſchichtſchreiber zu koͤnnen, und macht ſich gleich dadurch verdächtig, daß er ſeinem Volke ein Alter
von 150000 Jahren zuſchreibt, und von feinem aͤlteſten Zuſtande die abentheuerlichſten und wider⸗
ſprechendſten Beſchreibungen macht. Es laͤßt ſich auch leicht entdecken, daß er ſeine Denkwuͤrdigkeiten aus den mofalfchen Buͤchern, aus griechiſchen Fa⸗ beln und Philoſophemen zuſammengeſeßt, und nur weniges aus den Ueberlieferungen feiner eignen
Nation entlehnt hat. Von demjenigen alſo, was
von religioͤſen Ideen darin vorkoͤmmt, laͤßt es ſich
nicht ausmachen, ob es jemals der Glaube irgend eines Menſchen geweſen ſey, noch weniger aber, ob
ſich jemand irgend etwas dabey habe denken konnen. Es belohnt alſo die Muͤhe nicht zu erforſchen, wie
eine Rosmogonie wie die des Beroſus jemals
in dem Gehirne eines Menſchen habe ee koͤnnen.
Nach ihm ſoll urſpruͤnglich ein Gott Bel vor⸗ handen geweſen ſeyn, der ein Weib Omoroka hatte, das ihm ſo lange Weile machte, daß er es einſt zum Aeekree mitten durchſchnitt, und aus dem : einen
2
0 Theile den Himmel aus dem andern die Erde
*
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* ö 4 0
Boch l. Capitel „ 209
wachte Darauf ſchnitt er ſich ſelbſt den Kopf ab,
.
und aus feinem Blute entſtand das Menſchenge⸗
ſchlecht. Der Gott ohne Kopf vollendete darauf die Schoͤpfung, ſchied Himmel und Erde, vertrieb
die Finſterniß, und da die Erde noch nicht bevoͤl⸗ kert genug war, zwang er einen andern Gott ſich
| felbft umzubringen, damit aus feinem Blute noch
mehr Menſchen hervorgehen moͤchten. Wenn das
nicht Unſinn iſt, fo muͤſſen es Hieroglyphen ſeyn,
die man auch auf dieſe oder jene Weiſe zu deuten verſucht hat. Aber alle dieſe Deutungen ſind hoͤchſt unſicher, und erſt dann, wenn ſich eine davon ers
weiſen ließe, wäre es der Mühe werth zu unter⸗
ſuchen, wie die Meinungen, welche unter jenen entraͤthſelten Bildern verborgen laͤgen, entſtanden ſeyn koͤnnten. Immer aber wuͤrde es ſehr zweifel⸗ haft bleiben, ob eine ſolche Kosmogonie wirklich das
Kosmogonie z. B. der moſaiſchen, ſey. Die Nachrichten ; welche uns Diodor ) von
den Meinungen der Chaldaͤer mittheilt, mit dieſer De. Kosmogonie vereinigen zu wollen,
ſcheint 0 Diod. 50 pibl. hiſt. lib, II. p. 143. ed. Wedelingt
\
” Reſultat des Nachdenkens irgend eines frey über den Urſprung der Dinge forſchenden Menſchen, oder nur eine entſtellte Darſtellung irgend einer andern
N T.
7
30 Buch I. Capitel 2.
ſcheint mir ebenfalls eine ſehr Überflfiger Arbe zu ſeyn, bey der Witz und Scharfſinn einen weiten Spielraum haben, aber nichts gewiſſes ausgemacht werden kann. Sie fuͤhren aber doch nicht ſo wie jene auf bloße Wirkungen einer wilden Phantaſie zuruck, ſondern zeugen von wirklichem Nachdenken. Die Chaldaͤer hielten nach ihm die Welt. für, ewig, glaubten aber in den Bewegungen der Weltkoͤrper eine ſolche Ordnung und Regelmaͤſſigkeit zu bemer⸗ ken „die nicht durch Zufaͤlle oder mechaniſch *), ſon⸗ dern
4) So glaubte ich a οαα in jener Stelle beym Diodor II. 143. erklaren zu muͤſſen. Sie heißt: er de ru & TH TE A dianocugou Jen 177 mp9Y0r% YEyoOVEYCY , c 70 ends % 1 Ev EFT yıyopsvwv, A dg cru, A awronerwg, A 60 %νντν ru */ / He Hj¶] nenupousvn IJewv pio cbvre hep. Herr Hofe, Meiners erinnert hierben ſehr richtig biſt. doctr. de Deo p. 84 daß aus dieſer * 5 Stelle, wenn man ſie im Zuſammenhange ließt, nicht zu ſchlieſſen fey, daß die Chaldaͤer einen * SE zigen hoͤchſten Gott und eine Vorſehung geglau > haben. Aus den folgenden erhellt vielmehr, 0 ſie das goͤttliche Urtheil, nach welchem die Ordnung der Weltkörper beſtehen ſollte, in die Geſtirne ſelbſt
ſetzten, und dieſe für Götter hielten. So haͤtten
fie fi 0 h mnie eehte wenn dies ſo ö N 5 ä ale „id 500 viel
Buch I. Capitel 2. N
N dern 0 00 einem beſtimmten und unansgefeßt bes N obachteten Urtheil der Goͤtter beſtaͤnde. Dieſe Goͤt⸗
ter waren, wie er weiter zeigt, die Geſtirne ſelbſt. Die Chaldaͤer legten alſo jenes vernünftige Urtheil, nach welchem ſich die Weltkoͤrper bewegten, in dieſe Weltkoͤrper ſelbſt, ohne ein Weſen von ihnen zu unterſcheiden, welches ihnen die Geſetze ihrer Bes
wegung vorgeſchrieben habe. So ſcheinen alſo er
Chaldaͤer die aͤlteſten Dantbeifäen in gewiſſen Sinne zu ſeyn. |
Nach Anleitung der ſehr unvollkommenen Kennt; |
niſſe, welche fie, von der Aſtronomie beſaßen,
glaubten ſie an einigen der Geſtirne einen groͤßern
Einfluß auf die Bewegungen der übrigen. zu bes merken, als an andern, ohne jedoch die geringſte Ahndung von einem allgemeinen Grabitationsſyſtem
zu haben, nach welchem ein ſolcher Unterſchied des Eiuufluſſes wirklich ſtatt findet. Sie machten dem
zu Folge gewiſſe Eintheilungen unter ihren Geſtirn⸗ i göͤttern, die weiter nicht hierher tere
viel beißen ſollte als nach hen Willen. Es müß daher in dieſer Stelle von einer durch mechani⸗
Pi ſche Naturkraͤfte bewirkten Bewegung verſtanden
werden, die bey den goͤttlichen mit Verſtand begab⸗ ! tteen Geſtirnen nach der Meynung der Chaldaͤer fo wenig NE, ſtatt finden ſollte als eine zufällige.
7
17
4.3 Buch J. Capitel 2.
Da ihr Religionsſyſtem ganz aus theoretiſchen 5 Meinungen entſprungen war, ſo konnte es keinen
5 ſehr vortheilhaften praktiſchen Einfluß haben. Auch
waren ihre Prieſter, welche am erfien fähig waren,
die praktiſchen Folgerungen daraus zu ziehen, die laſterhafteſten und veraͤchtlichſten Menſchen, welche je gelebt haben, und ihr Religkonscultus ward,
je nachdem es denjenigen, die das Volk vermittelſt deſſelben leiten wollten, vortheilhaft ſcheinen mochte, mit den größten Abſcheulichkeiten, mit Menſchen⸗ opfern, Unzucht u. d. gl. vermiſcht, ohne daß man ſagen koͤnnte, ſie haͤtten dadurch etwas den Grund⸗ fügen ihrer Religion widerſprechendes gethan, wenn
| dieſe auch nicht gerade darauf hinleiteten. Da indeſſen das praktiſche Beduͤrfniß, wel⸗ ches den Menſchen zur Religion leitet, auch bey
dieſem Religions ſyſteme feine Befriedigung ſuchte, ſo entſtand daraus die Aſtrologie mit alle ihren abentheuerlichen Mißgeburten. Man hatte aus den regelmaͤßigen Bewegungen der Geſtirne geſchloſ⸗ 5
ſen daß ſie Verſtand haͤtten, und ſich mit freyem
4
Willen nach einer beſtimmten Ordnung bewegten.
Die Schlußart war voͤllig dieſelbe, wie man aus den regelmäßigen Handlungen eines Menſchen auf ſeinen Verſtand ſchließt. Den Widerſpruch, wel⸗
cher zwiſchen einer beſtimmten nac Hand⸗
lungs⸗
Buch J. Cave B 33
Inngsieife und freyem Wilen ſtatt findet, überfah
man. Man bemerkte mancherley wirkliche phyfis
ſche Einfluͤſſe der Geſtirne, beſonders der Sonne
und des Mondes, auf unſere Erde, und glaubte
noch mehrere eingebildete zu bemerken. Man glaubte dem zufolge berechtigt zu ſeyn, alle die Einfluͤſſe von ihnen zu erwarten, welche der natürliche Religions
glaube hoͤhern Weſen überhaupt zuſchreibt, d. h. alle diejenigen, welche der Menſch nicht durch eigene Kraͤfte zu bewirken vermag, und von denen gleich⸗ wohl ſein Wohlſtand abhaͤngt. Sonſt iſt dle Phantaſie gewohnt, ſich ſelbſt ein menſchenähnliches oder metaphyſches Weſen zu ſchaffen, und an daſ⸗
ſelbe jenen Religionsglauben, oft mit der größten Staͤrke und Innigkeit zu heften. Hier mußte es der menſchliche Geiſt daher ſchon natürlich finden,
deen Geſtirnen die Lenkung ſeiner Schückſale zuzu⸗
ſehr natürlich, daß diejenigen, welche zuerſt jene Schluͤſſe aus ihren Beobachtungen uͤber die Ge⸗
5
trauen, da man bereits von ihren Einfluͤſſen ſo⸗ wohl als von ihrer een 5 0 haben | & a. | »
Aber nun kam es Barauf an, ble Beſchaf⸗ fenbeie des Einfluſſes der Geſtirne auf die menſch⸗ lichen Schickſale naͤher kennen zu lernen. Es war
ſtirne 1 von andern dafuͤr angeſehen wur⸗ e N C den,
1 N 8
34 Vouch J. Capitel 2.
den, daß ſie auſſer jener allgemeinen Kenntniß ih⸗ 5
res Einfluſſes, auch noch beſondere Kenntniſſe von
f ihrem Einfluſſe in beſondern und beſtimmten Faͤl⸗ len hätten; und eben fo natuͤrlich war es, daß
dieſe der Verſuchung nicht widerſtehen konnten, ſich
‚ihnen: dieſe Meinung ihrer
das Anſehen, welches en ſchien, zu Nutze zu
Zeitgenoſſen zu v machen. So ent der Taͤuſchung und größte Unheil auf fi ch unſchaͤdlich ſcheine en Irrthuͤmern.
Die Religionsmeinungen der Chaldaͤer waren
e Aſtrologie, ein Syſtem Betruges, welches das Erde geſtiſtet hat, aus an
im ganzen Orient ſehr verbreitet, und ſi ſie hatten 25
großen Einfluß auf alle benachbarte Voͤlker, auf Meder, Perſer und Phoͤnizier „vielleicht auch auf die Aegypter. Doch modificirten und verbeſe | ſerten dieſe Voͤlker zum Theil jene Meinungen, wie wir weiter ſehen werden. 19 Dr
Bey den Chaldaͤern waren die Religionsbegeiffe aus einer ganz andern Duelle entſtanden, als bey
der patriarchaliſchen Religion der Hebraͤer. Bey
357 2
dieſen gieng ſie unmittelbar aus dem Gefuͤhl des 1 praktiſchen Beduͤrfniſſes, der Voraus ſetzung des Einfluſſes eines hoͤhern Weſen auf die menſchlichen
Handlungen und Schickſale hervor, und begruͤndete einen * W von der Sonkeits der zwar ſehr | . mene
g
1 AR: in Abſicht auf ſeine Eiigefeheänttheit
| und Ünvollkoimmenheit, aber doch auch menſchlich
in Ab ſicht auf die moraliſchen Eigenſchaften der
menſchlichen Natur war, die man der Gottheit in höherem Grade beylegte, und dadurch alſo doch eis
nen, obgleich unvollkommnen Begriff von der Gott,
heit als einem moraliſchen Weſen erhielt. Bey den chaldaͤiſchen Sternanbetern hingegen „welche in
ſpaͤtern Zeiten im Orient wieder unter dem Nas men der Sabier auftraten, gieng die Idee von
hoͤheren Weſen aus einem theoretiſchen Trugſchluſſe hervor, nach welchem man regelmaͤßig ſich bewe⸗ gende Weſen fuͤr vernünftige und freye Weſen hielt.
Da es der Weſen dieſer Art, die man beobachtete,
mehrere gab, ſo mußte dieſe Art zu ſchließen noth⸗
V
wendig auf Polhtheismus führen. Von ihren Ei⸗ genſchaſten erhellt aus dieſer Schlußart weiter nichts, als daß fie Verſtand und Willen hätten, und aus einer durch die Phantaſie ſehr vergrößert dargeſtellten Erfahrung, ſetzte man hinzu, daß fie
| auch einen großen Einfluß auf die Menſchheit häts
ten. Ob. ihr Verſtand weiſe und ihr Wille gut,
ob alſo ein vorthellhafter oder nachtheiliger Einfluß von ihnen auf die Menſchhelt zu erwarten ſey, und
« . 85
ob derſelbe ſich nach moraliſchen oder willkuͤhrlichen Grundſaͤtzen richte, darüber ließ ſich nach jenen Prämien ik ausmachen. Es fiand alſo der „ 2 Be⸗
uch l Capitals „
36 Buhl. Capitel 2.
| Betrüͤgerey der Prieſter nach dieſem Religions ſo⸗ 2 ſteme ein unbegrenztes Feld offen, die auch nicht
5 ermangelt haben, es in ſeinen Folgen zu einem der abſcheulichſten zu machen, die je auf der Erde ſtatt gefunden haben.
So groß iſt der Unterſchied 1 einer Re⸗
ligion die von moraliſchen Begriffen ausgeht, und
bey der dieſelben geſetzgebend ſind, und einer ſol⸗ 1 chen, bey der theoretifche Irrthuͤmer zum Grunde liegen, nach denen fi die moralifchen Begriffe rich.
ten muͤſſen.
Drittes Capitel.
*
Non den Chaldaͤern ſtanden woll bie Phöni 8 zier mit jenen hebraͤiſchen Nomaden, von deren re⸗ ligtöſer Denkungsart wir die aͤlteſten Nachrichten A haben, in der naͤchſten Verbindung. Ein alter Schriftſteller, Eupolemus, den Eusebius) an⸗ führt; behauptete ſogar, daß fie von Abraham une terrichtet worden waͤren, welches aber wohl keine | Ruͤckſicht verdient, da er denſelben zugleich zum 15 5 ai der Chaldaͤer und zum ee der Aſtro⸗ 4 2 logie x
“) Eufebii praepar. A IX, 17.
» a 4 ” EEE N ER De FU TER ER EG
Buch l. Cavitel N; 37 i ve
logie hr von der, wie wir gezeigt haben, Abra⸗ bams Religionsmeinungen ſehr verſchieden waren,
aus einer ganz andern Quelle floſſen, und auf ganz an⸗ dere Reſultate führten. Einige neuere Schriftſteller *
; ben Abrahams Freund Melchiſedek fuͤr den Leh⸗ rer der Phönizier halten wollen. Allein feine Res
ligionsgrundſaͤtze; welche Abraham fuͤr aͤcht erkannte, waren von den phoͤniziſchen eben ſo verſchieden als die abrahamiſchen, und entkraͤften vollends den ſehr
ſchwachen Beweis, welcher auf der Aehnlichkeit des
Namens Melchiſedek mit dem Sydek, den San⸗
chuniathon als den Vater der Kobiren, welche nach
ihm phoͤniziſche Gelehrte oder Prieſter zu ſeyn
5 feinen f anführt.
Von den urſpruͤnglichen Philoſophemen der
Phoͤnizier, welche Beziehung auf die Religion has
ben, find uns durchaus Feine zuverlaͤſſigen Nach⸗
.
richten übrig geblieben, von ihrer Religionsuͤbung ä haben wir ſolche, welche zeigen, daß ſie den Dienſt der Geſtirne mit der Verehrung vergoͤtterter Men⸗
ſchen verbanden, und ihren Cultus mit alle den
Aofgenliäfeiten beflochten u welche ſich mit dieſen . | es
8 Grotius, Cumberland und 5 e michae⸗
Bi ler in feiner Abhandlung über die n We, en Wien 1796, S. 59. € 3
38 Zug. Capitel 3.
Religionsarten nur zu leicht verbinden laſſen. Sie waren thoͤricht genug zu glauben, daß ſie ſich des Schutzes eines Gottes verſichern koͤnnten, wenn fie ihn an goldne Ketten legten, und ſo weit von allen moraliſchen Begriffen von der Religion entfernt, daß Menſchenopfer unter ihnen gewohnlich waren, bey denen ſie ihre eignen Kinder nicht Ge Dies zeigt von einem tiefen Verderben ihrer Re gion, und vom Mangel an allem vernuͤftigen Nach⸗ 9 denken uͤber daſſelbe. Was man ſonſt von ihren 1 Religionsbegriffen bat entdecken wollen, beruht theils auf Schluͤſſen, die man von den Vorſtel⸗ lungsarten ſolcher Völker, mit denen fie in Dew
auf die ihrigen gemacht hat, theils auf den Nach⸗ richten, welche Euſebius vom Sanduntathon, “ang 15 behalten hat. f =
Was die erſte Quelle betrifft, fo haben jene 1 Schluͤſſe nur einen geringen Grad von Ueberzen⸗ gungskraft. Die Phoͤnizier ſtifteten viele Colonieny _ in welche fie allerdings ihre ganze Maſſe e von Ideen mitbrachten. Aber wir haben von den 1 begriffen biefer 1 ſo wenige 1
ard
don, und das Wenige beftätigt. blos das er ge. ä ſagte. Ob griechiſche Staaten, und welche, den Bi 5
— = 2 = .
are * Bu an
viel von den ſpätern Ideen derſelben auf Rechnung
jenes Urſrungs zu ſetzen ſeyn moͤgen. Bey denen
Voͤlkern, mit welchen die Phoͤnizier blos in Han⸗
delsverbindungen ſtanden, ſcheinen ſie die gewoͤhn⸗ liche Politik handelnder Völker beobachtet zu has
ben, ſich auf ihre Religions begriffe gar nicht ein⸗ zulaſſen. Sig ſcheinen indeſſen eher noch von ihnen manche religioͤſe Meinungen angenommen, als ſolche
zu ihnen gebracht zu haben, und uͤberhaupt unter den Voͤlkern nur in Abſicht auf ihren Handelsgeiſt,
ſonſt aber in keiner andern Ruͤckſicht originell ger weſen zu feon.
| Vorzuͤglich ſcheint kein freyes ape n che 5 Nachdenken über Religion bey ihnen ſtatt ges Pr funden zu haben. Dies iſt das einzige zuverlaͤſſige 5 Reſultat „welches ſich mir aus dem berühmten Fragment des Sanchuniathon beym Euſebius ) fuͤr die Religionsgeſchichte der Phoͤnizier zu erge⸗ ben ſcheint. Ich brauche mich hierbey nur wenig a auf den hiſtoriſchen Werth deſſelben einzulaſſen, und will nur kurz meine Meinung daruͤber ſagen.
Das
7
* eb praparat. evangel, ib, I. 10. ed. Vigerii
9
. . Cavitel 3. 1
PR Aren Urſprung verdankten, iſt 60 ſehr zwei⸗ i felhaft, und eben fo ſehr iſt es die Frage: wie
40 Buch J. Capitel 3. Das Wort Sanchuniathon ſcheint mir gar kein eigenthuͤmlicher Name geweſen zu ſeyn, fons dern einen Gelehrten oder Philoſophen uberhaupt bey den Phoͤniziern bezeichnet zu haben. Dies be⸗ ſtäͤtigt ſowohl die Erklarung des Theodoret, nach | welcher es einen Liebhaber der Wahrheit bezeichnet haben ſoll, als die des Bochant, der es durch
Eiferer für die Lehre oder Gelehrſamkeit erklaͤrt ). 13 Auch laßt ſich hieraus am erſten einſehen, wie
mehrere Schriftſteller von Sanchuniathons aus ver- ſchiedenen Zeitaltern haben ſprechen koͤnnen.
Die Theogonie und Rosmogonie ſelbſt,
welche Philo von Byblus von einem ſolchem Sara chuniathon oder phoͤniziſchen Weiſen nach dem 728
Euſebius entlehnt zu haben vorgab, enthaͤlt weiter gr
nichts als Philoſopheme der Art, wie man ſie 9
dem Orpheus zuſchreibt, und die von Thales deut⸗ 1
licher und zuſammenhaͤngender gemacht worden a
ſeyn ſcheinen, und griechiſche Mythen und re
J Toren Werth kann man am been nach dem , 1
; ‚Safe *
0 Man fehe die Memoires fur les Pheniciens par M. Abbé Mignot** in der Hiftoire de Pacad. des Inſeriptions T. XXXIV. p. 64. und über das Ganze ee Meiners hift. de deo. P. I. p. 6
Buch I. Capitel 3. 4
Euſeblus ſelbſt darüber fällte ). Er fagt näms lich: Die Griechen hätten ſich dieſe Fabeln zugeeig⸗ net, und ſie weiter ausgeſchmuͤckt. Durch ihren
Reitz hätten fie die Wahrheit ſelbſt unterdrückt; Denn, ſetzt er hinzu, unſre Ohren, die von Ju⸗
gend auf an dieſe Fabeln gewoͤhnt, und von vielen |
Jahren her fuͤr dieſelben eingenommen worden ſind,
betrachten ſie als ein geheiligtes Unterpfand. Das Alter, welches ihnen Wuͤrde glebt, macht es ſchwer, ſich von ihnen los zu machen, und ſo ſcheint die
Wahrheit Fabel, Fabeln aber Wahrheit zu ſeyn“. Wenn das wirklich Worte eines Sanchuniathon ſind, ſo
zeigt er ſich dadurch mehr als einen Weiſen, als durch alles uͤbrige was er erzaͤhlt, beweißt aber auch,
daß er bey den Religionsbegriffen ſeines Volks nichts
( 7 27 Fe
2 > BEE
zu denken gewußt, und gar keine eigenthuͤmlichen
Vorſtellungsarten deſſelben gekannt habe, weil er = uns fonft dieſe, und nicht diejenigen, welche fie von den Griechen angenommen hatten, mitgetheilt haben würde, Denn das Wenige, was darunter
allenfalls phoͤniziſchen Urſprungs ſeyn koͤnnte, kommt
i 0 gegen das griechiſche in gar keine Betrachtung, und * verliert ohne daſſelbe allen Sinn und eine
5 50 22 Euſeb. praep. p. 39. D.
1 E; Be . f 5 Viler⸗
P
42 Buch J. Capitel Pr
Blei allen Völkern des Alterthums haben wohl | die Aegypter am meiften die Augen der Forſcher
der Religionsgeſchichte auf ſich gezogen. Man hat faſt alle denkbaren Religionsarten bey ihnen gefunden, oder ihnen beygelegt. Herodot fand bey ihnen feine griechiſchen Fabeln und Myſterien, Plato, der in ſeinen Schriften ſeine Philoſopheme eher 5 allen andern Menſchen als ſich ſelbſt zuſchreibt, vr legte ihnen einige derſelben bey, und ward dafür, vielleicht ſehr wider feinen Willen, für ihren Schuͤ⸗ ler gehalten; Diodor aus Sicilien hielt ihre Religion größtentheils für hiſtoriſch, und betrachtete ſie als Materialien für feine Geſchichte; Plutarch
legte altplatoniſche ‚und Porphyr und Jamblich 4 neuplatoniſche Philoſophie hinein; neuere Schrift⸗ 37
ſteller haben bald eine verderbte, bald eine geheim⸗ | 4 nißvoll verhuͤllte Offenbarungsreligion bey ben Aegyy⸗ tern geſucht. | |
ergiebt ſich, daß alle die Quellen, welche wir für
.
Bouch J. Capitel a. 43 Aus den Reſultaten neuerer Forſchungen *)
die Religionsgeſchichte der Aegypter beſißen, mit großer Vorſicht gebraucht werden muͤſſen, und daß
nach Abzug deſſen, was die Griechen durch Natlo⸗ Er
nalſtolz, durch Schmeicheleyen und Prahlereyen der
Aegypter, und durch den Hang, ihre eigenthuͤm⸗
liche Philoſophie uͤberall zu finden, verleitet, den urſpruͤnglichen Ideen der Aegypter hinzugefügt
haben, nichts eigentliches übrig bleibt, als
eine aſtronomiſche Beligionslehre, und ein
religioͤſer Dienſt, welchen die Aegopter A
Thieren leiſteten. Die erſtere war den Aegopten 5 zwar nicht ganz eigenthümlich, hatte aber doch 5 manche beſondere Modifikationen durch die indie
duelle Lage dieſes Volks erhalten, daß die Griechen
0 ſich nicht zuſchreiben konnten, der letztere aber war 2. Me toll, daß ſie ihn ſich nicht zueignen wollten. Da wir nur in den urſpruͤnglichen Religionsmei⸗ nungen eines Volks Spuren des Nachdenkens uͤber
| Religion ſuchen koͤnnen, fo haben wir hier allein
auf dieſe Muaͤnde Rückſicht zu nehmen.
Pr Eine f i A Vorzüglich aus den vortrefflichen, ſehr gelehrten und
ſcharſſi nnigen Critiken des Herrn Hofrath Meiners
in ſeinem Verſuch über die Religionsgeſchichte der aͤlteſten Völker, beſonders der Aegyptier. Göttin.
gen 1775.
*
2 N 5 44 Buch J. Capitel 4. Eine aſtronomiſche, oder eigentlicher due 2 55 chronometriſche oder Kalenderreligion nennt man die Religion der Aegypter in ſo fern, als mit einem jeden ihrer Götter ein gewiſſer Zeitabs ſchnitt, ein Jahr, oder ein Cyclus von Jahren, a ein Monat, Woche oder Tag bezeichnet ward. So bezeichnete z. B. Neith das aſtronomiſche Jahr, Oſiris das Sonnenjahr, Iſis den Monat uͤber⸗ haupt, eine Claſſe von zwoͤlf Goͤttern die zwölf Monate, eine andere von Acht Goͤttern die Woche mit ihren ſieben Tagen, eine dritte noch manche andere Zeitbeſtimmungen. Die Prieſter dleſer Goͤt⸗ ter mußten ſorgfaͤltig darauf halten, daß dieſe Zeit⸗ beſtimmungen beobachtet wurden, ſie mußten den Anfang und das Ende einer jeden dieſer Zeitperlo⸗ 25 5 den durch gewiſſe Ceremonien bezeichnen, und dm Volke bekannt machen. Auch waren die Tempel dieſer Götter. fo gebaut, daß Zeitbeſtimmungen an ihnen bemerkt werden konnten, ſo daß z. VB. die Sonne zu einer gewiſſen Zeit jährlich durch eln kiel ⸗ nes Fenſter an einen gewiſſen Ort im Tempel ſchien, 4 und dadurch den Ablauf des Jahres anzeigte. So viel iſt durch die Beobachtungen einiger ſcharfſinni⸗ > gen und gelehrten neuern Forſcher e
*) Man fehe Gatterer de theogonia Aegyptiorum in 4
Commentatt. Soc. Reg. Scient. ad a *. et 53 3 dad, ©
1 D ee 11 * f
Be Er
Buch J. Capitel 4. 4858 Allein wir dürfen hieraus eben ſo wenig ſchließen, daß die Götter der Aegypter weiter nichts geweſen waͤren als Kalenderzeichen, als man nach Jahr⸗ ‚taufenden wird folgern Töhnen, daß die catholiſchen 0 Chriſten nichts als Kalenderzeichen verehrt hätten, f weil ihre Heiligen den Kalender fuͤllen, ihre Tem⸗
peel mit Uhren verſehen find, welche zur Zeiteintheis
lung dienen, und einige ihrer gottes dienſtlichen Perſonen fuͤr den richtigen a dieſer Uhren ſor⸗ 080 muͤſſen. a Soͤttliche Verehrung ds Säriftzeidiens für eine Zeitbeſtimmung! ein Gott, der nichts weiter iſt, als ein Schriftzeichen, und ein Schriftzeichen welches ein Gott iſt! wer vermag ſich hierbey et⸗ was zu denken? welches Volk wird einem Schrift⸗ zeichen Tempel bauen, Opfer bringen und Prieſter fuͤr daſſelbe erhalten? Man betrachtet nach dieſer 5 Hypotheſe die ganze Religion der Aegypter als elne Policeyanſtalt, die alſo im Grunde ganz und gar keine Religion wäre, Oder ſollte fie doch wirklich den Schein der Religion gehabt, das Volk wirklich etwas te als Kalenderzeichen unter feinen Goͤt⸗ | tern
' claſſ. hiftor. et philolog. p. 1-57, und beſonders Phamenophis oder Verſuch einer neuen Theorie
d über den Urſprung der Kunſt und Mythologie von
Caarl sriedrich Dornedden, Göttingen 1797,
46 Buch J. Capitel 4. | tern verſtanden, und nur etwa der Pollceymeiſter das ganze Geheimniß gewußt haben? Dann wären ja doch jene Goͤtter wenigſtens fuͤr das Volk etwas mehr geweſen als Kalenderzeichen, und es bleibt immer die Frage uͤbrig: was es ſi ch a rn und was fie ihm waren? | Dieſe Frage iſt in der That ſchwer zu brant⸗ |
worten, und ich kann mich hier um ſo weniger | auf eine befriedigende Beantwortung derſelben eins laſſen, da ſich kein wichtiges Reſultat für die Ne ligionsphiloſophie daraus erwarten laßt. Vielleicht waren die Kalendergoͤtter der Aegypter gleich unſern i Kalenderheiligen vergoͤtterte Menſchen, wie Dio⸗ | dor von den meiften behauptet, der bey dieſer Bu hauptung vielleicht nur in ſo fern gefehlt hat, als | er bey den Aegyptern dieſelben vergoͤtterten Men⸗ | ſchen fuchte, welche die Griechen verehrten. Am naͤchſten aber liegt bey ſolchen Göttern, mit deren Namen man Zeiteintheilungen bezeichnete, freylich
die Idee von vergoͤtterten Geſtirnen, welche auch durch die meiſten Nachrichten beſtatigt wird, nach 1 welchen die Aegypter unter dem Oſiris die Sonne und unter den Iſis den Mond, und neben dieſen noch viele andere Geſtirne und Conſtellationen goͤtt⸗ lich verehrten. So waͤre der Urſprung eines Tbeils
der Religion bey den Aegyptern derſelbe gewefen, N Wie
„ ee tn Pe 1
ur
Buch J. Capitel 3 47 EM bey den Chaldaͤern, toben ſich jedoch nicht aus⸗ machen läßt, welches von beyden Voͤlkern den Sterndienſt von dem andern angenommen habe, oder | ob fie nicht beyde vielleicht unabhängig von einans“ _ der darauf gekommen find, Wenigſtens nahm die Verehrung der Geſtirne bey den Aegyptern eine andere und vernuͤnftigere Richtung als bey den Chal⸗ daͤern. Denn ob es gleich auch bey ihnen nicht an aſtrologiſchen Betruͤgereyen gefehlt haben mag, fo erwarteten ſie doch nicht blos die Beſtimmung ih⸗ rer Schickſale, von einem geheimen und uͤberna⸗ tuͤrlichen Einfluß der Geſtirne, ſondern ſie bedien⸗ ten ſich des natürlichen Einfluſſes derſelben zu nuͤtz⸗ | lichen Zwecken, beſonders zu Eintheilung der Zeit, die ihnen der jaͤhrlichen Ueberſchwemmung des Nils wegen, von welcher die Fruchtbarkeit ihres Landes sang vorzuͤglich nothwendig war. N Eine andere hoͤchſt ſonderbare Richtung des eeliöfen Triebes finden wir in dem Thierdienſt der Aegypter. Sie leiſteten theils ganzen Claſſen von Thieren, theils einzelnen Individuen derſelben einen Goͤtzendienſt, bey welchen ihr Eifer in Ueber⸗ nehmung der groͤßten Beſchwerlichkeiten deſſelben, die Koſten, welche fie darauf verwendeten, und dle Bigotterie, mit welcher ſie denſelben behaupteten,
5 ale Stufen des größten Fanatismus erreichte und ! übers
* *
48 Buhl Capitel 4.
uͤberſtieg, der je unter Menſchen f ſtatt gefunden hat, Sie errichteten ihnen Tempel, verordneten ih⸗ nen Prieſter und Prieſterinnen, brachten ihnen
Opfer, und erflehten von ihnen Seegen fuͤr ihre
Kinder. Sie beteten faſt alle vierfuͤßige Thiere in ihrem Lande, viele Gattungen von Voͤgeln, ſogar Gewuͤrme und Schlangen, und ſelbſt einige Fiſch⸗ arten an. Ste heiligten nicht blos nuͤtzliche, ſon⸗ dern auch ſchaͤdliche Thiere, und verfuhren dabey ohne alle vernuͤnftige Gruͤnde. Einige der nuͤtzlich⸗
ſten Thiere, wie z. B. Schweine und Eſel, wur⸗ g
den von ihnen ſogar im hohen Grade verabſcheut, und zum Zeichen des Fluchs, welchen ſie auf ſie
legten, an gewiſſen Tagen von Anhöhen herabge⸗
ſtuͤtzt. Aus den göttlichen Thiergeſchlechtern wählte ſich entweder die ganze Nation, oder einzelne Di⸗
ſtrikte, Städte und Dörfer ein beſonderes Indivi⸗ duum zum Schutzgott, und brachten es in einen fuͤr daſſelbe beſtimmten Tempel, wo man es mit = verſchwendiſcher Pracht bediente. Nicht blos die 3 ihm beſtimmten Prieſter und Prieſterinnen, ſondern 3
auch die angefehenften und edelſten Männer re ne,
ten es ſich zur Ehre die heiligen Thiere zu bedie⸗ nen. Es waren ihnen Laͤndereyen zugetheilt, und reichliche Einkünfte, Auſſerdem brachten fie ihnen
noch freywillig die koſtbarſten Leckerbiſſen, waͤhrend
— By 2 un A 2 en ie, 5 2 w
ed ee 2
Buch J. Capitel g. 49 ſie ſich ſelbſt am nothwendigſten Lebensunterhalt
abbrachen, und am Papyrus kauten, wohlfelle Kraͤu⸗
ter aßen, oder kuͤmmerlich von gedoͤrrten Fiſchen \
ſich naͤhrten. Selbſt den praͤchtigſten Schmuck und die ausgeſuchteſten Wohlgeruͤche verwendeten fie für die gegen dieſe Wohlthaten ganz unempfaͤnglichen Thiere. Man hielt ihnen einen Harem der ſchoͤn⸗ ſten Kebsweiber ihres E Geſchlechts, ja die Aegypter
gaben ſelbſt nach Herodot (i, 46.) ihre eignen
Weiber den haͤßlichſten Thieren preis. Wenn hei⸗ lige Thiere ſtarben, ſo wurden ſie auf die koſtbar⸗ ſte Art einbalſamirt und begraben, und nach Dio⸗ dor oft mehr als eine Tonne Goldes auf ein ſolches Begraͤbniß verwendet. Durch den Tod eines heis gen Thieres ward das Haus, der Diſtrikt, oder das ganze Land in die tiefſte Trauer verſetzt, und mit den ſchwerſten Trauerkoſten bedruͤckt. Die Er⸗ mordung dieſer Thiere, ſelbſt die unvorſetzliche, ward unvermeidlich mit dem Tode beſtraft, und wenn
auch der Tod eines ſolchen Verbrechers das ganze Land in Gefahr ſetzte. Dabey waren fie fo wenig
einig uͤber die Grundſaͤtze ihres Thierdienſtes, als conſequent in denſelben. Sie heiligten einzelne In⸗ Biidue mancher Thierclaſſen, und andere ſchlach⸗ teten und verzehrten ſie ohne Bedenken. So Pe fe z. B. Ochſen, un ſich aber
1 8 | D der
7
x 1
50 Buch J. Capitel 4 der Kühe. Dagegen beerdigten fie gefallene Ochſen forgfältig, Kühe warfen fie in den Nil. Einige Diſtrikte verehrten gewiſſe Thiere, andere verabs ſcheuten fie, und ſchlachteten und verzehrten fie ohne Bedenken. Daruͤber fand unter ihnen die größte Erbitterung ſtatt, die oft in blutige Seite ausbrach. r
Man hat mannichfaltige urſachen dieſer hoͤchſt ſonderbaren religioͤſen Erſcheinung aufgeſucht. Da der Urſprung derſelben uͤber alle Geſchichte hinaus liegt, ſo ſcheinen die Aegypter ſelbſt die Urſachen | derfelben nicht gewußt zu haben, oder doch zweifel⸗ haft darüber geweſen zu ſeyn. Herodot verſchweig ſie als heilige Geheimniſſe. Dem Diodor wurden mancherley Urſachen derſelben angegeben. Die erſte | war eine Sage, nach welcher ſich die Götter den Aegypter einſt in Thiere verwandelt haben ſollten, die zweyte eine andere Sage, nach welcher die Thiere Feldzeichen ſeyn ſollten, unter deren Anfuͤh⸗ rung man gluͤcklich zu ſeyn glaubte, „und fie daher aus Dankbarkeit verehrte, die dritte war die Nuͤtz⸗ lichkeit der Thiere. Eine vierte war die Politik ‚ ber Könige, vermoͤge welcher fie jedem Diſtrikte an⸗ 3 dere Goͤtterthiere zuzutheilen, fie dadurch in Unei⸗ nigkeit zu erhalten und Verſchwoͤrungen vorzubeu⸗ 1
gen ne, en führt auffer dieſen drey | andere
| 1 4
10 Buch I. Capitel 4, 0 51
andere Urſachen an: Die erſte iſt, weil die Aeghp⸗
ter an Seelenwanderung geglaubt, und daher den Seelen ihrer verſtorbenen Vorfahren in den Thie⸗ ren wohlzuthun gemeint hätten. Die andere ganz entgegengeſetzte Urſache iſt, man habe die Thiere fuͤr ein Eigenthum des boͤſen Gottes gehalten, und ſie geſcheut und ihnen geſchmeichelt, um ſeine Bos⸗ heit einzuſchlaͤfern. Die dritte Urſach iſt, weil man an den Thieren gewiſſe Aehnlichkeiten mit den Goͤt⸗ tern und ihren Eigenſchaften bemerkt haͤtte. Por⸗ phyr ſetzt hierzu noch eine Meinung, nach welcher die Gottheit alles beleben, und vorzuͤglich in den Thieren wohnen ſoll ). Unter den Meinungen der neuern zeichnet ſich die von Marsham und Dornedden aus, nach welcher die Thiere dadurch zu ihrer Verehrung gelangt waͤren, daß 1 man ſich ch ihrer als Schriftzeichen bedient hätte. Marsham glaubt h naͤmlich, man wäre, indem man die Gottheit und ihre Eigenſchaften mit dieſen Thieren bezeichnet hätte, am Ende dazu bewogen worden, ihnen einen
vr Sonn der Vale beyzulegen, wos
von
er Man ſehe hierüber Meiners Abhandlung uͤber den 5 Tuhierdienſt der Egyptier, und die wahrſcheinlichen Arſachen feiner Entſtehung und Erweiterung in ſei⸗
= 5 nen unc en phil. Schriften, Thl. I. S. 192 u. f.
A .
Be. $
52 Buch J. Capitel 4.
von ſie nur Zeichen waren. Dornedden meynt da⸗ gegen, man habe ſie nur deswegen geheiligt und verehrt, weil es ſonſt ſchwer wuͤrde geweſen ſeyn, es im Gedaͤchtniſſe zu behalten, was fie als Schrift⸗ zeichen bedeuten ſollten. Man habe alſo blos, um dem Gedaͤchtniſſe zu Hülfe zu kommen, den Thie⸗ ren eine ſo auſſerordentliche Verehrung gewidmet 82 Welch ein ungeheures Mittel zu Erreichung eines ſehr kleinen Zwecks! Es waͤre ſchon viel gewe⸗ ſen, wenn man jene herumlaufenden Buchſtaben nicht geſchlachtet hätte, weil man fie brauchte um dem Gedaͤchtniſſe zu Huͤlfe zu kommen. Aber ih⸗ nen Tempel zu bauen, ſie anzubeten, ihnen die
koſtbarſten Geſchenke zu machen, um ihrer willen zu darben, ſich untereinander zu bekriegen, und Menſchen, um ihres unvorſaͤtzlichen Mordes willen zu toͤdten, — das wuͤrden gewiß die ungleich wohl⸗ thätigern Buchſtaben unſers Alphabeths, wenn fie, | wie die Zahlen bey Lichtenberg, im Wee 1 8 1 nen koͤnnten, nicht verlangen! 4 Keine der angefuͤhrten Urſachen dürfte „ an und fuͤr ſich hinreichend ſeyn, um jenes merk⸗ wuͤrdige Phaͤnomen zu erklaͤren. Alle zuſammen, ; 7 12 55 oder „) Phamenophis von Dornedden beſonders in der Ab⸗
handlung über den ſogenannten Thierdienſt der Aegypten, S. 313. n. f.
oder doch die meiſten derſelben, Können zwar zur
Buch I. Capitel 4. 3
Erhaltung des Thierdienſtes bey den Aegyptern beygetragen haben, aber zu ſeiner Entſtehung
wirkten ſie gewiß nicht gemeinſchaftlich. Man hat
um die Urſachen dieſes Thierdienſtes zu erforſchen, ſorgfaͤltig zu unterſcheiden, wodurch er urſpruͤnglich entſtanden iſt, und welche Gruͤnde die Aegypter be⸗ wogen habe, ihn beyzubehalten. Es iſt nicht vor⸗ auszuſetzen, daß dieſer Thierdienſt auf einmal durch einen gemeinſchaftlichen Einfluß des ganzen
Volks entſtanden ſey. Denn welche Gruͤnde haͤtten ſtark genug ſeyn koͤnnen, ein ganzes Volk auf ein⸗
mal zu ſo wichtigen, beſchwerlichen und druͤckenden
Veranſtaltungen zu bewegen, als dieſer Thierdienſt
erforderte, welche Vorſtellungen hätten rührend ger nug ſeyn koͤnnen, es mit dem Elfer zu entflam⸗
men, mit welchem dieſer Dienſt von den Aegyptern geleiſtet wurde? Unter den angefuͤhrten Urſachen
“find keine dieſer Art, wenigſtens konnte keine das
x
von auf einmal auf ein ganzes Volk mit der Kraft g wirken welche hier exfodert wird. Es iſt daher nicht zu zweifeln, daß dieſer Dienft einen ſchwachen | Urſprung gehabt habe, nach und nach zu der Höhe emporgewachſen ſey, welche er erreichte, und dann | durch die meiſten der angefuͤhrten Urſachen in Ver⸗
en mit der Macht der Gewohnheit dem Aus 2 3 ſeebhn
54 Buch J. Capitel 4.
ſehn des Alterthums, dem Eigennuß der Prieſter, und jener beſondern Liebe, welche oft bey Menſchen zu gewiſſen Thieren ſtatt findet, erhalten worden ſey. Wir fragen indeſſen hier nicht ſowohl, warum die Aegypter bey ihrer gottes dienſtlichen Verehrung der Thiere ſo handelten, wie ſie thaten, ſondern was ſie dabey gedacht, und zwar urſpruͤnglich gedacht haben? Aus alle dem vorhergehenden laͤßt ſich dieſes nicht hinreichend beantworten, die Grie⸗ chen konnten es nicht ergruͤnden, und ſelbſt die ſpaͤ⸗ tern Aegypter, die ſich weiter nichts dabey dachten, als daß ſie der Autoritaͤt ihrer Vorfahren, oder den Vorurtheilen des großen Haufens, oder ihren perſoͤnlichen Vortheilen dabey froͤhnen mußten, wuͤr⸗ den wohl kaum haben ſagen konnen, was die er⸗ ſten Thieranbeter dachten. Auch uns wuͤrde die Frage unbeantwortlich ſeyn, wenn nicht neuere Reiſende an der entgezengeſetzten Kuͤſte von Afrika
am Senegal, und bey andern wilden Voͤlkern, we
che ungefähr auf derſelben. Stufe der Cultur ſtan⸗
den, auf welcher ſich die Aegypter befinden moch⸗
ten, als der Thierdienſt bey ihnen entſprang, aͤhn⸗
liche Gebräuche entdeckt hätten, nach welchen ſie f
Gegenſtaͤnde goͤttlich verehrten, an denen auch der 4 größte Scharfſinn nichts göttliches entdecken kann, wenn er ſich auch zu dem niedrigſten Begriff von
Goͤtt⸗
7+
Buch J. Capitel 4. 55
Goͤttlichkeit hevabläßt. Dieſe Segenflönde find uns | ter dem nach dem portugieſiſchen gebildeten Namen e e Fetiſche, und ihre Verehrung unter dem des
Fetiſchismus bekannt.
Vernunftgebrauch zu verrathen. Und doch war ſie wohl urſprünglich eine natuͤrliche Wirkung des re⸗
5 über erklärte ). Er ſagte: “es fey nicht der
Auf den erſten Aublick ſcheint dieſe Aeuſerung
der Religiofität ungebildeter Menſchen den gröͤbſten
Aberglauben und einen gaͤnzlichen Mangel an allem
ligisſen Triebes, und eine Folge eines obgleich be⸗ ſchraͤnkten, aber doch ſinnreichen Nachdenkens un⸗
gebildeter Naturmenſchen. Man höre, wie ſich
einſt ein Wilder in Amerika, der als einen ſolchen
„ religiöfen Gegenſtand, den er in feiner Sprache |
einen. Manitu nannte, einen Stier verehrte „dar⸗
Br Stier ſelbſt, den er anbete, ſondern ein Manitu
der Stiere, der ſich unter der Erde befaͤnde, und
5 alle Stiere befeelte” ; er ſetzte hinzu: daß diejeni⸗ gen, deren Manitu ein Bär wäre, einen ähnlichen
Baͤrenmanitu verehrten, und gab zu, daß es auch
5 einen ſolchen Manitu des Menſchen gaͤbe. Man
„
ſiegt
. a M. fi ueber den Dienſt der Fetiſchengötter. Aus
dem Franz. von de Broſſe. Berlin und Stralſund . 1785. S. 40. | ; E 4
56 | Buch l. Capitel 4. 5
ſieht bieraus, daß der urſprüngliche Ferien vorausſetzt: 1) Daß der Menſch ſich ein hoͤheres Weſen als Princip irgend eines Lebens, einer Kraft, oder einer Wirkung denke. 2) Daß er mit einem ſolchen Weſen in gewiſſen Verhaͤltniſſen zu ſtehen, und einen Einfluß deſſelben auf ſich und ſeine Schickſale zu erkennen glaube, und daher ge⸗ genſeitig auf daſſelbe zu wirken wuͤnſche. 3) Daß er, um den Begriff deffelben feſt zu halten, ihn an irgend einen ſinnlichen Gegenſtand knuͤpfe.
Der rohe Naturmenſch iſt nicht fo fähig, Begriffe, die er durch bloſes Nachdenken gebildet hat, feſt⸗ zuhalten, ohne ſie an einen ſinnlichen Gegenſtand zu knuͤpfen, wie wir es ſind, die wir von Jugend auf zur Abſtraktion und zur Erſchaffung von Ge⸗
genftänden der Phantaſie angeleitet werden. Es 1
iſt ihm daher ein Huͤlfsmittel für feine natürliche Logik, daß er einen ſolchen uͤberſinnlichen Begriff
au etwas ſinnliches anknuͤpft. Der finnliche Ge⸗ N
genſtand iſt ihm alſo eine naturliche Siero⸗ glyphe, gegen deren Gebrauch ſich gewiß nichts einwenden läßt, der vielmehr als ein Produkt na⸗ tuͤrlichen Nachdenkens Beyfall verdient.
Dies fuͤhrt uns auf die Aegypter zuruck. Bey 3 ihnen finden wir eine göttliche Verehrung von Ge ⸗ genſtänden, an denen ſich gar nichts goͤttliches und
; ver⸗
Bus Gapitel | 37 derehrungs würdiges erkennen läßt, wir finden fer⸗ | ner Hieroglyphen, d. h. willküͤhrliche Zeichen für
SGegenſtaͤnde des bloſen Nachdenkens, d. h. für mr überfinnliche Gegenftände. Die Aegypter verehrten alſo die Thiere, und wie wir es dem Juvenal leicht
glauben konnen, auch andere Gegenſtaͤnde, als Hieroglyphen f und dachten ſich unter dieſen Zeichen
urſprünglich nichts anders als das Bezeichnete. Hiergegen haͤtte nun die geſunde Vernunft ge⸗ wiß nichts einzuwenden, eben fo wenig als gegen jenen Fetiſchismus, den wir den reinen oder ur⸗ ſpruͤnglichen nennen koͤnnen. Aber dieſer Fetiſchis⸗ mus oder Hieroglyphendienſt, welches im Grunde eins und daſſelbe iſt, und wohl paſſender mit dem letzten Namen bezeihnet werden koͤnnte, ſcheint in ſeiner Reinheit nur ein vorübergehender fluͤchtiger Gedanke zu ſeyn. Er konnte ſchon bey denen, welche zuerſt einen uͤberſinnlichen Gegenſtand des Nachdenkens an einen ſinnlichen knuͤpften, um ihrer Phantaſie und ihrem Gedaͤchtniſſe zu Huͤlfe zu kommen „ausarten. Noch mehr aber war er der Ausartung unterworfen, ſobald er von feinem Er⸗
finder zu einem andern uͤbergieng.
Der Grund dieſer Ausartung fo wie der meiſten Verderbniſſe aͤchter religioͤſer Ideen, war 115 1 n. Verwechſelung des ſubjekti⸗ 8 5 ven
58 Buch! I. Gavitel 4 4. * . ven in den religioͤſen Begriffen, mit dem ‚obs jektiven, welche von jeher in der Religionslehre die groͤbſten Verwirrungen geſtiftet hat, und doch ſehr gr leicht und natuͤrlich, den wiſſenſchafllichen Denker 3 ſelbſt ſchwer zu vermeiden, dem ungebildeten aber 1 0 faſt unvermeiblich it. Jene Verbindung der durch 5 Nachdenken gefundenen Begriffe von hoͤheren 95 ers IH ſinnlichen Weſen mit finnlichen Gegenſtaͤnden, wur RE von den urſpruͤnglichen Denkern willkührlich 1 en aus klugen Abſichten gemacht. Sie war alſo voll- kommen fubſentte, So lange ſie als ſubjektiv ber 1 trachtet , mußte fie nicht allein vollig unſchid⸗ 1 lich, ſondern ſelbſt nuͤtzlich feyn, und dem Get icht . niſſe ſowohl als der Phantaſie zu Huͤlfe kommer 5 Aber nur zu leicht vergaß man, daß dieſe Verbin- 4 dung des ſinnlichen mit dem uͤberſinnlichen ſub⸗ 5 4 jeftio und willkͤhrlich war. Man fieng an, m ; für eine weſentliche und nothwendige Verbindung zu halten, welche wirklich zwiſchen jenen Gegenſtän⸗ 3 den ſtatt fände, und alfo objektiv waͤre. DIR, ; kam es, daß man die Eigenſchaften des Zeichens 4 und des Vezeichneten voͤllig mit einander verwech⸗ . i ſelte. Man widmete dem ſinnlichen Gegenſtande 1 die Verehrung, welche dem uͤberſinnlichen gebührte, und legte dem höheren Weſen die Sigenfüaftendee 4 5 bey, 10 dem man ſich anfaͤnglich ohne alle 3 | weitere
#
weitere Beziehung an jenes hatte erinnern wollen. ä
So entſtanden aus der Vermiſchung des Begriffes der Thiere und der Götter Gegenſtaͤnde einer reli⸗
gioſen Verehrung, die nicht widerſprechender, und
ein Cultus, der nicht unvernünftiger ſeyn konnte. Das bisher geſagte reicht vollkommen hin zu Ar wie der fo unvernünftige‘ Thierdienſt der
2 Aegypter aus vernuͤnſtigen Nachdenken durch eine
® Teichte Verirrung entſtanden ſeyn kann, und genuͤgt BE überhaupt, die irrigen Begriffe zu entwickeln, die 5 iin; zum Grunde lagen. Nicht voͤllig aber moͤchte
dadurch der ungemeine Eifer erklaͤrt ſeyn, mit wel⸗ chem die Aegypter die druͤckenden Gebräuche dieſer undernänftigftei aller Religionsarten beobachteten. Dieſe Erklarung gehört nur in fo fern hierher, als
dadurch die Richtigkeit der angegebenen Grundideen RR des ögyptiſchen Thierdlenſtes beſtaͤtigt wird. Ich Kr glaube daher, daß der Grund jenes Eifers eben darinn lag, daß man lebende und empfindende We⸗ ſen an die Stelle der Goͤtter ſetzte, bey denen man voraus ſetzen und wahrnehmen konnte, daß die ih⸗
nen gewidmete Verehrung wirklich etwas auf ſie wirkte, welches bey bloſen metaphyſiſchen und durch
Een | © -
7 *
die Phantaſie e Goͤttern W fat
an 1 60 Bruch J. Capitel 4. Es bleibt nur noch die Frage uͤbrig: ob und
wie dieſer Thierdienſt mit dem oben angeführten
Sterndienſt zuſammen hieng? Urſpruͤnglich ſcheint dies nicht der Fall geweſen zu ſeyn, wie aus dem ſehr verſchiedenen Urſprunge beyder erhellet. Der Thierdienſt ſcheint Alter zu ſeyn, weil er die Frucht einer Stuffe der Cultur iſt, auf welcher ſich die Menſchen eher befinden, ehe ſie zu ſolchen Begriffen
gelangen koͤnnen, wie der Sterndienſt vorausfeßt..
Sobald aber die Aegypter dieſen erfunden, oder von einem andern Volke angenommen hatten, konn⸗ ten ſie beyde leicht mit einander verbinden, indem ſie Thiere zur Bezeichnung der Geſtirngöͤtter waͤhl⸗ ten, und verbanden fie auch wirklich. Ihre reli⸗ gioͤſen Begriffe erhielten dadurch eine neue und ſonderbare Miſchung, die nicht wenig dazu beytra⸗
gen mußte, ſie ſo raͤthſelhaft zu machen 0 wir
ſie wirklich finden.
Man hat neben den religioͤſen Vortele ge 5 ten, welche der Sterndienſt und der Thierdienſt
der Aegypter vorausfeßen, und die ſich, wie wir gezeigt haben, urſpruͤnglich allerdings auf Nachden⸗ ken gruͤnden, ihren Prieſtern eine geheime phi⸗
loſophiſche Theologie zuſchreiben wollen). Al
lein aus hiſtoriſchen Gruͤnden EM ſich eine ſolche richt
) M. ſ. Vogels Verſuch über die Religion der alten
Aegypter unb Griechen, Nuͤrnb. 1793. 4 S. 131.
u, ee
Philoſopheme damit verbanden. Sie bequemten ſich daher bey ihren Erklärungen nach den Meinun⸗ gen, welche ſie bey demjenigen, der ſie darum fragte, N bemerkten, oder vorausfeßen konnten, und ſpeißten
| haupt ihrer Religion eine beſondere Wichtigkeit ben. Aber ſie glaubten dieſes am beſten da
Buch l. erte d. | 61
nicht erweiſen. Es läßt fih auunche Saheen⸗ lich machen, daß bey jenen Prieſtern nicht viel Nach⸗ .
denken über die Religion zu ſuchen iſt *).
Eine ſolche geheime Theologie koͤnnte nun ent⸗ 5 Ba weder wirklich in Verbindung mit ihrer Volksrelt⸗ | gion geweſen ſeyn; fie koͤnnte eben die vernünft⸗ 7 gen Begriffe erhalten haben, welche derſelben zum Grunde lagen, und die wir zuvor entwickelt haben. Sie konnte zugleich den Schluͤſſel zu alle den Ver⸗ irrungen enthalten haben „durch welche dieſe Volks⸗ 1
religion eine ſo ſonderbare Geſtalt erhalten bat. a Allein von dem allen findet ſich in den mancherley RE
Erklärungen, welche die agypttſchen Prieſter von
ihren religidſen Gebräuchen machten, keive Spur.
Sie wollten zwar, beſonders bey den Griechen, gern
für aufgeklärter gelten als das Volk, und Übers =
thun zu koͤnnen, wenn fie griechiſ ſche Mythen
einen Herodot mit TE und moßerigfen Deu: a Pr Art ungen .
ar 3 * * 0 . a NE) . 7
= Meiners FREE der „ ättefien Völker. ve S. 256. u. f. Hiſtoris doctrinae de vero Dee. Kat
. 28. leg
N
62 Buch l. Capitel 4.
tungen, einen Plato mit Phloſophemen 1 N Diodor mit Geſchichten ab. Es iſt ſelbſt, wie aus dem obigen erhellet, nicht einmal wahrſchein⸗ lich, daß ſie die wahre Quelle ihrer religiöſen Ge⸗ brauche kannten. Denn hiſtoriſche Nachrichten konn⸗ ten ſie davon nicht haben, weil ihr Urſprung in ein Zeitalter faͤllt, von dem keine Geſchichte her⸗ kommen kann, und ihn durch philoſophiſche Unter⸗ ſuchungen zu ergruͤnden, ſo wie wir es gethan ha⸗ ben, würde eben diejenige philoſophiſche und reli⸗ gioͤſe Aufklärung vorausſetzen, welche wir re bens bey ihnen ſuchen. | Es berechtigt uns alſo nichts , irgend“ eine geheime Theologie bey den aͤgyptiſchen Prieſtern 55 vorauszuſetzen „die fie als eine beſtimmte und bes gruͤndete Wiſſenſchaft beſeſſen, und einander ſelbſt insgeheim und etwa auch aufgeklaͤrten Fremdlingen mitgetheilt hätten. Es iſt zwar nicht zu zweifeln, daß es auch unter ihnen Denker gegeben haben mag, die ſich zu reineren Religlonsbegriffen erhes ben. Aber es läßt ſich nicht erweiſen, daß ſolche a ein Eigenthum ihres ganzen Ordens durch Mit \ 1 theilung geworden ſeyen. Es läßt ſich vielm e 5 Be, 3 vorausſetzen, daß es bey einer ſo eben us in Unſinn uͤbergegangenen Religion, deren vernuͤnf⸗ gen Urſprung fie ch einfahen, mehr Religions-
a: 2 5 7
1
Euch 1. Capitel 4. 368
veraͤchter und Gotteslaͤugner unter den aͤgyptiſchen Prieſtern gegeben haben mag, als bey irgend einer
andern Religion, und daß ſie ſich daher ihrer Re⸗
ligion nur als eines Gaukelſpiels zur Taͤuſchung des Volks, und zur Befriedigung ihres Eigennu⸗ Bes und ihrer Herrſchſucht bedient, und dadurch
ihre Thorheiten und Verderbniſſe ins keine, vermehrt au mögen. |
Fuͤnftes Capitel. Bi
Bi. | keinem Volke des Alterthums haben wohl
einzelne Menſchen ihre Anlagen bis zu einem ſo
hohen Grade von Vollkommenheit ausgebildet als
bey den Griechen. Denn ob es gleich ein Vor⸗
urtheil iſt, wenn man, wie es jetzt gewiſſermaaſen
Mode iſt, von den Griechen wie von einer hoͤhern ER Menſchengattung ſpricht, hinter welcher die übrige, Sr
2 1 *
; | ſelbſt die gegenwärtige Menſchheit im Ganzen ge 4
nommen weit zurück ſteht, die von den uͤbrigen 1 = pen nie erreicht worden iſt, ja vielleicht nm
. ſeyn ſollz ſo iſt es doch gewiß, daß ein⸗
zelne
64 Buch I. Capitel 5.
zelne Helden, Geſetzgeber, Philoſophen, Dichter und Kuͤnſtler unter ihnen ſich ſo weit über ihre Zeitgenoſſen erheben, daß nicht leicht Beyſpiele un⸗ ter andern Voͤlkern von Menſchen gefunden werden, die ſich in einem ſo hohen Grade vor ke: Glei⸗ chen auszeichneten.
Dieſe Bemerkung, welche ſich durch die ganze + griechiſche Geſchichte hindurch bis zu den Zeiten hin, da die Griechen ausgebluͤht hatten beftätigt, giebt uns den Schluͤſſel zu der Entſtehungsart eines Hauptbeſtandtheils ihrer rellgioͤſen Ideen nemlich zu ihrer Menſchenvergoͤtterung. Es iſt ſchwer zu erklaͤren, wie Menſchen ihres Glei⸗ chen je in einem ſo erhabenen Lichte betrachten 1 konnten, daß fie mit der Perſon von Individuen aus ihrer Mitte den Begriff der Goͤttlichkeit zu verbinden faͤhig waren, jenen Begriff in dem ſchon das Uebermenſchliche liegt, und dem daher jeder Menſch durch ſeine Exiſtenz ſelbſt zu widerſprechen ſcheint. Nur da kann dieſes daher ſtatt finden, g wo einzelne Menſchen ſich ſo weit uͤber ihres Glei⸗ chen erheben, daß die Uebrigen ſich die Erhabens heit ihrer Eigenſchaften gar nicht zu erklaͤren wiſ⸗ ſen, und ſie eben ſo unbegreiflich als unerreichbar finden. Wo der Menſch einmal etwas Unbegreif⸗ | liches gefunden hat, da wird es ihm leicht noch
mehr 75 |
a
Buch J. Capitel 3
We bergleichen zu vermuthen. Er freuet ſich ein } Subjekt gefunden zu haben, an welches er alles
was ihm unbegreiflich iſt anknuͤpfen kann, und
glaubt durch dieſe Anknuͤpfung ſelbſt das Uabegreif⸗
liche begriffen zu haben. So konnten die aͤlteſten
rohen Griechen, die ſo weit unter der Hoͤhe zu⸗
ruͤckblieben, zu welcher ſich Einzelne unter ihnen
—
erhoben, oder zu erheben ſchienen, durch Bewun⸗ derung ihrer Geiſtes⸗ und Koͤrperkraͤfte, durch
Furcht vor ihrem Heldenarm und durch Dankbarkeit
für die Wohlthaten die fie von ihnen empfangen hatten, auf den Gedanken kommen, daß dies die
Weſen waͤren, an deren uͤbermenſchliche Kraͤfte zu
glauben und von welchen die Lenkung ihrer Schick⸗
ſale zu erwarten, ſie das zur Religion leitende
- Gefühl ihrer Beſchraͤnkung trieb.
Es läßt ſich nicht erweiſen ob je ein Menſch
bey ſeinem Leben im Ernſte ſey vergöttert worden.
Denn Vergötterungen welche in ſpaͤtern Zeiten der Stolz von Tyrannen erzwang, oder die Schmeices ley niedriger Sklavenſeelen erzeugte, kommen hier
nicht in Betrachtung, wo nur von Wirkungen ei⸗ nes freyen Denkens die Rede ſeyn kann. Der
Tod, ſollte man glauben, widerſpreche aller Men⸗ 0 ſchenbergötterung, und zeige dieſe kindiſche Operation 8 es * Verſtandes in ihrer ganzen Bloͤße.
E Aber
6 Buhl. Capitel 5. Aber nein, wir fehen die Griechen auch an ben Graͤbern ihrer Götter knieen und hören wie fie
bey ihren Feſten und Myſterien die Begraͤbniſſe
der Unſterblichen feyern. Der Glaube an Unſterb⸗ lichkeit des beſſern Theils des Menſchen muß mit⸗
hin bey ihnen uralt geweſen, und ſo wie der Glaube
an Götter überhaupt, allem methodiſchen philoſo⸗ phiſchen Raiſonnement vorhergegangen feyn.
Dieſer Glaube aber konnte bey ihnen der Mens ſchenvergoͤtterung ſchon die Hand bieten. Wenn der Tod das Daſeyn der Menſchen in den Augen von ih⸗ 8 res Gleichen nicht aufhebt, fo läßt er. fie in einem ungleich ſchoͤnern Lichte erſcheinen, indem er fie von
alle den Flecken reinigt, welche ſie an ihrer wahren 1
Geſtalt ſehen, indem er den Tadler verftummen laßt, der ſich ſchaͤmt fo ungroßmuͤthig zu ſeyn, je⸗ rd manden zu ſchmaͤhen, der ſich nicht verantworten | kann, und indem er alles, was zuvor unbegreiflich
an einem bewunderten Menſchen war, in noch ges
heimnißvollere Schleyer huͤllt, hinter welchen die Einbildungskraft alles zu vermuthen wagen darf, da fie ſicher iſt, nicht vom Gegentheile überführt zu
werden. Auch verwandelt der Tod oft Haß in Liebe, E |
und Unzufriedenheit in Sehnſucht, Liebe aber läßt er noch ſtaͤrker und heller emporflammen. So konnten cm
18 1 * l HN
Wir finden Menſchenfiguren mit dem Diadem
der Goͤttlichkeit geziert, zwar auch dey andern Voͤl⸗ kern des Alterthums, einen Mithras bey den Pers
fern *) einen Belus bey den Babyloniern. Aber bey ihnen ſcheint man mehr Goͤtter vermenſchlicht als
Menſchen vergoͤttert zu haben. Denn da die Grund⸗ lage ihrer Religion Feuer⸗ und Sterndienſt war,
und ſie dieſe Gegenſtaͤnde nicht abbilden konnten, ſie
aber als Koͤnige und Beherrſcher der Welt betrach⸗
teten, ſo waͤhlten ſie als Symbol derſelben Bilder
von Königen, welches dann in fpätern Zeiten, da man der Menſchenvergoͤtterung von den Griechen ges
wohnt war, Veranlaſſung gab, die Geſchichte irgend
eines fruͤhern Koͤnigs an das Goͤtterbild zu knuͤpfen.
Was ſich ſonſt etwa von goͤttlichen Menſchen bey den Voͤlkern des Alterthums findet, haben ſie entweder
von den Griechen angenommen, oder es iſt ihnen von denſelben angedichtet worden.
Menſchenvergoͤtterung findet ſich alſo im Alter⸗
thum vorzüglich bey den Aue Die urſache „ wie
9 Cudworth ſyſtema intellectual c. not, Moshem, *
Jenae 1733 fol. p. 327. |
| € 2
Buch 1. Capitel 5. 67 |
vorzügliche Menſchen noch leichter nach ihrem Tode vergöttert werden, als bey ihrem Leben.
Dee Buch I. Capitel 5.
wie wir gezeigt haben darinn, weil ſich bey ihnen |
mehr als bey allen andern Völkern einzelne Indivi⸗ duen vor ihres Gleichen auszeichneten. Eine andere
Urſache war, weil die Griechen, ſo ruͤhmlich ſie ſich
auch in der Folge zur Originalität erhoben, doch ur⸗
ſpruͤnglich kein originales Volk waren. Von den ur⸗
ſpruͤnglichen Griechen den eigentlichen Autochthonen
hat die Geſchichte nur wenig Spuren aufbewahrt, aber auch wohl eben ſo wenig der Geiſt der folgenden Zeitalter. Griechenland verdankt ſeine erſte Cultur fremden Ankoͤmmlingen. Seine gluͤckliche Lage, welche es mit mehrern Meeren in Verbindung ſetzt, machte es fruͤhzeitig zu einem Sammelplaß fremder Coloniſten. Dieſe waren groͤßtentheils Abentheurer
die mehr von der Natur als vom Gluͤcke beguͤnſtigt
waren; Maͤnner von vorzuͤglichen Talenten die in ih⸗ rem Vaterlande keinen angemeſſenen Wirkungskreis
fanden, ſich mit andern unternehmenden Koͤpfen ver⸗
banden, und im Anbau von Gegenden die, wie ſi e
. ſelbſt, von der Natur reichlich beſchenkt, von Men⸗
ſchen aber verlaſſen waren, ihr Gluͤck ſuchten. Da⸗
durch ward Griechenland ſehr bald ein Brennpunkt, in welchem fi die Strahlen der hoͤchſten menſchlichen
Energie vereinigten; ; dadurch entſtand aber auch j jene
* Ungleichheit unter ſeinen Bewohnern welche machte, daß ein Theil den andern für Götter anſahe. Wenn
5
\
Buch . Gavitel „ 69
0 dem wllden Urgriechen, der in Hölen wohnte, von
Eicheln und Wurzeln lebte, mit Muͤhe auf Baum⸗
rinden uͤber Fluͤſſe ſchwamm, und nicht einmal den
Gebrauch des Feuers kannte, in großen wohl aus⸗ geruͤſteten Schiffen der kunſtreiche Aegypter kam,
und feſte Gebäude anlegte; wenn der ſchlaue Phönts
das Geſchenk des Oelbaums das Leben verſußte;
ster ihm feine kuͤnſtlichen Handelsprodukte brachte; wenn der verſtaͤndige Creter ihm die erſten Begriffe
von buͤrgerlicher Geſellſchaft beybrachte, und durch
wenn der wohlthaͤtige Sicllianer ihn den Feldbau
lehrte; wenn er dieſe Fremdlinge alles durch Eiſen
wunderung und Dankbarkeit zur Menſchenpergoͤtte⸗ rung leiten? Die Erfahrung neuerer Zeiten lehrt
tloirten Leuten in Bewegung gefeßt wird, ſehr leicht b
und das Eiſen ſelbſt durch Feuer zwingen ſah, wie
leicht konnte ihn da nicht Furcht und Hoffnung, Be
uns, daß die Ideen roher Wilden, wenn ihre Phan⸗
taſie durch die Erſcheinung von Fremdlingen aus cul⸗ 5 00
den Gang gehen, welcher zu dieſem Ziele führt ). So fuͤhrten die Umſtaͤnde in welchen ſich Grie⸗ chenland befand, als bey ihm der erſte Grund zu
. dem gelegt wurde, was es in der Folge ward, ſehr
8 e
va
ö 9 zur Menſchenvergoͤtterung, die jedoch alle⸗ \ | E 3 mal
5 M. ſ. Meiners Verſuch über die Religionsgeſchichte
der n Volker S. 34. 8
u 0 . 1
70 Buch J. Capitel 5. mal mehr eine Tochter dunkler Gefühle als deutlicher
Begriffe und eines freyen Nachdenkens iſt. Sie
kann auch nicht die erſte Aeuſſerung des religioͤſen Triebes ſeyn. Denn wenn man Menſchen das Praͤ⸗ dicat der Goͤttlichkeit geben ſoll, fo muß man- ſchon
vorher ſich einen Begriff des göttlichen 1 haben.
Auch hatten die aͤlteſten Griechen ine fon religioͤſe Begriffe, ehe jene fremden Coloniſten zu ih⸗ nen kamen und ihrem religioͤſen Triebe die Nichtung zur Menſchenvergoͤtterung gaben. Herodot fagt „):
8 Die * ö 1 75
*) Herodot. II. 52 p. 109 ed. Gronov. Lugd. Bat. 1715. Ein alter heiliger Name bey den Pelaſgern war die Kabiren. Man ſieht aus der angeführten ö
Stelle, daß er nicht auf beſtimmte Götter z. B. auf
Kaſtor und Pollux bezogen werden darf, wle man ihn zuweilen erklaͤrt hat. Er war vielmehr ein 85 gemeiner Goͤttername und bezeichnete Götter uͤber⸗ haupt. Die richtigſte Ableitung deſſelben iſt unſtrei⸗ tig von III welches in allen orientaliſchen Dialek ten Größe bezeichnet. Der Gott Hiobs ſelbſt wird | Cap. XXXVI. 5. 922 IN genannt. Die Wei⸗ 2 1 nung welche Sokrates beym Plato im Eratylus aͤuſ⸗ f ſert, nach welcher die aͤlteſten Griechen die Geſtirne N
verehrt hätten, iſt nicht unwahrſcheinlich, ans kann wenigſteus von einem Theile derſelben gelten. % ®
Doch 4 4
Syn SAT * Fr 2 1 “N | 1
ne, x az
h
Buch J. Capitel 5. m. | ae Pelasger beteten vormals zu den Goͤttern, und opferten ihnen. Namen aber gaben ſie ihnen nicht,
ſetzt Ger rec), und eingetheilt hatten”. Herodot lei⸗
denn ſie hatten noch keine gehoͤrt. Goͤtter nannten Setzer, Ordner) weil ſie alle Dinge in Ordnung ge⸗
tet hierauf nach ſeiner Lieblingsmeinung welche ihm die ſchlauen aͤgyptiſchen Prieſter, die ihm ſehr zu
imponiren wußten, annehmlich gemacht hatten, die Götternamen aus Aegypten her. Wenn man auch dieſe hiſtoriſche Herleitung eben fo wie jene etymologiſche auf ihren Werth beruhen laßt, fo er⸗
hellt doch ſo viel aus der Stelle, daß die aͤlteſten
Bewohner Griechenlands, ſchon eine Religion, und
wahrſcheinlich eine einfachere und natuͤrlichere Reli⸗
gion hatten, ehe die Umſtaͤnde ihr nachmaliges aus
ſo mancherley Beſtandtheilen zuſammengeſetztes Goͤt⸗ be terfoftem herbeyfuͤhrten. Der Analogie zu Folge, duͤrfte die aͤlteſte Religion der Griechen ein aͤhnli⸗ 5 Seuſtiſnus geweſen ſeyn, wie er ſich bey den | E. 4 | 44
Doch kann fie nicht als ein hiſtoriſches Zeugniß be⸗ trachtet und mit der Nachricht des Herodot in Pa⸗
5 15 rallele geſetzt werden. Denn Sokrates aͤuſert ſie als R 1 eine bloße Vermuthung um ſeine mehr witzige als ernſthafte Ableitung des Wortes 9e von 1 an⸗ * 175
‚Anbringen |
J
fie diefelben (Here, nach Herodots Etymologie;
.
**
72 Buch J. Capitel 5.
aͤlteſten Aegyptern und andern Voͤlkern findet, die mit ihnen auf einer gleichen Stufe der Cultur | ‚fanden. Auch ſcheinen die heiligen Eichen und 14 Tauben zu Dodona wan auf Fetiſche ban deuten.
Jene Gremdlinge⸗ welche Griechenland bes. kerten, und anbauten, waren indeſſen auch nicht ohne Religion. Man pflegte zwar in ihrem Zeit- alter mit dem Vaterlande gar leicht auch die vaͤ⸗ | terliche Religſon zu verlaſſen. Auch waren die neuen Ankoͤmmlinge in Griechenland unſtreitig käl⸗ ter gegen ihre eigenthuͤmliche Religlon, als fie in ihrem Vaterlande geweſen ſeyn wuͤrden, ſonſt wärs den fie nicht geduldet haben, daß fich bey den ein- gebohrnen Griechen unter ihren Augen und durch fie ſelbſt veranlaßt, eine beſondere Religion bil⸗ dete. Demohngeachtet brachten fie mancherley Sa⸗ gen, Begriffe und Meinungen aus ihrem Vater⸗ 8 lande mit, welche in der Folge Beſtandtheile der Religion des Landes wurden, in welchem fie ſich anbauten. Da es uns hier nicht ſowohl darum zun thun iſt, die Volksreligion der Griechen zu erkla ⸗ ren, als Spuren originellen Nachdenkens in der⸗ 4 ſelben aufzuſuchen, ſo konnen wir uns auf dieſe Theile der griechiſchen Religion die ſich ſchon als nicht originell ankuͤndigen, weil fie von andern
Voͤl⸗
Buch I. Capitel s. 73 Voͤlkern nach Griechenland mitgebracht wurden, nicht einlaſſen. Sie trugen aber nicht wenig dazu bey, das griechiſche Religionsſyſtem noch verwickelter zu machen, als es ſeinen uͤbrigen heterogenen ah theilen nach ſeyn mußte.
Als jene Fremdlinge ihr Vaterland verließen, da mußten ſie das Vertrauen zu ihren vaterlaͤndi⸗ ſchen Göttern aufgeben, da fie ihnen entweder nicht maͤchtig oder nicht gütig genug zu ſeyn ſcheinen N mußten, um ſie in ihrem Vaterlande zu erhalten und zu begluͤcken. Die Liebe zu ihren Mitbuͤrgern, wenn ſie nicht ſchon durch die Betrachtung erkaͤltet war, daß ſie es waͤren, um derer willen ſie von dem Platze weichen mußten, den ihnen die Natur angewieſen zu haben ſchien, mußten ſie beym ewi⸗ gen Abſchiede aus ihrem Herzen reißen. Sie war⸗ fen ſich mit Muth und Vertrauen in die Arme der Natur. Meere flutheten ihnen entgegen, Stürme umbraußten ſie, der Donner rollte über ihrem Haupte. Nahrungsmittel hatten fie viel- leicht nur auf kurze Zeit bey ſich, fuͤrchterlicher Hunger drohte ihnen, wenn ſie nicht am wohlthaͤ⸗ tigen Buſen der fruchtbringenden Erde Nahrung
fanden. Was war natuͤrlicher, als daß fie wuͤn⸗
\ fen mußten, das unbezwingbare Meer, der to⸗ bende Sturm, und der brüllende Donner möchten 55 e E 5 un⸗
3 x } | 5 j . a 74 Buch I Capitel 5.
unter der Aufſicht höherer Weſen ſtehen, die ihre 8
Gewalt zu zuͤgeln faͤhig wären, daß ſie in der Erde eine wohlthaͤtige Mutter z ſehen wuͤnſchten, die ihre Gaben ihren Kindern gern mittheilt? die
Schrecken des Meeres haben von jeher den rohen
Schiffer zur Religion gefuͤhrt, ſie lehren noch jetzt den wildeſten Matroſen beten. Jener Wunſch mußte bald zum Glauben, der Glaube zur Reli⸗ gion werden.
So trat bey den neuen Vevoͤlkerern Grie⸗
chenlands an die Stelle ihrer vaterlaͤndiſchen Relis
gion, gegen welche ſie durch die Entfernung aus ihrem Vaterlande kalt geworden waren, eine deſto
waͤrmere Verehrung perſonificirter Naturwir⸗
kungen. Freilich mochten noch manche andre theils bekannte, theils unbekannte Urſachen dazu beitra⸗
gen, daß Griechenland der Hauptſitz einer Reli⸗
glon ward, die ſich zum Theil auf perſonificirte
Naturwirkungen gründete. Eine der vornehmſten
dieſer Urſachen war unſtreitig, daß es ſelbſt groͤß⸗ tentheils Naturgegenſtaͤnde waren, an welche man
in dem Vaterlande der neuen Eee die Reli⸗
Bio geknüpft hatte. So gieng aus Menſchenvergztterung und
Perfonificirung von Naturwirkungen, in Verbin⸗ dung mit mancherley Sagen, Begriffen und Mer
788
Buch J. Capitel z. 75 nungen welche die neuen Anköͤmmlinge ans ihrem Vaterlande mitbrachten, die Religion Griechen⸗ lands hervor. Die erſten Coloniſten verehrten die Natur und duldeten die Menſchenvergoͤtterung bey den urſpruͤnglichen Bewohnern, auch befoͤrderten fie dieſelbe wohl, da ſie ihnen gewiß manche Vortheile brachte. Ihre Nachkocngen wußten beydes mit einander zu verbinden, und die vergoͤtterten Men⸗ ſchen mit den perſonificirten Naturkraͤften in eine Claſſe von Weſen und zum Theil in dieſelben Per⸗ ſonen zu verſchmelzen. Beyde Beſtandtheile der griechiſchen Religion mußten ſich nach den übrigen mitgebrachten Begriffen entweder modificiren laſſen oder ſie ſelbſt modificiren. So erhielten die Dich⸗ ter welche zuerſt die Volksreligion Griechenlands in Zuſammenhang zu bringen ſuchten, einen reichhal⸗ tigen Stoff zu ihren Theogonieen und Kosmos gonieen. Die Fundgrube der Dichter i die Phantaſie. Sie war zwar auch die Quelle aus welcher jene Religionsbegriffe der Griechen überhaupt herfloffen, aber der Unterſchied zwiſchen dem Dichter und dem⸗ jenigen der ſich eine Religion bildet, iſt der, daß es dieſen, wenn er fie auch blos aus der Einbil⸗ ent ſchoͤpfen ſollte, um Wahrheit, jenen e. nur um Reitz und Anmuth ſeiner Vorſtel⸗ 4 2 lun⸗
Bu Capitel 5. lungen zu thun if. Wir konnen daher auf die
mancherley Verzierungen, welche die Religlonsideen 8
der Griechen durch ihre Dichter und vorzuͤglich durch Homer und Heſi od erhielten, hier nicht Ruͤckſicht nehmen. Die Grundſtoffe, aus welchen ſie die | Gewebe ihrer Phantaſie verfertigen, bleiben uͤber⸗ all diejenigen welche wir als die Hauptbeſtand⸗ theile der griechiſchen Religion entwickelt haben, und weiſen alſo auf dieſelben Operationen des % Nachdenkens zuruͤck, mit denen wir es bier — zu thun haben. | | h Nur eine Idee berdicht hier unſre Aufmerk⸗ | ſamkeit. Dies ift die von einem hoͤchſten Schick⸗
ſal, einer unvermeidlichen Nothwendigkeit (sıca sınapuevn) welche nach Homers Vorſtellungs⸗ ; art über alles und ſelbſt über die Götter herrſchte. Sie mußte dem Dichter dienen, um alle Wider⸗ ſpruͤche in den Charakteren ſeiner Goͤtter und in ihrer Händlungsweiſe aufzulöfen. Sie ſcheint aber
doch mehr als bloße Maſchinerle des Dichters zu 2 4 ſeyn. Sie ſcheint ihren Grund in der Unzulaͤng⸗ 5 A
lichkeit der griechiſchen Religionsbegriffe überhaupt zu Auflöſung der Probleme, um welcher willen der Menſch ſich eine Religion erdenkt, zu haben, eine Unzulänglichkeit die freilich niemand ſtärker
füblen mußte, als ein epiſcher Dichter, welchen 1
den
—
| Buhl. Capitel 8
den Sufammenhang des ganzen Schickſals merk!
würdiger Menſchen, ja ganzer Staͤdte und Laͤnder mit aufmerkſamen Blick uͤberſchaut, um aus ih⸗
nen große Dichtergemaͤhlde zu bilden. Vieles davon
8
konnte man fi aus Religionsbegriffen, aus den Willen der Goͤtter, aus ihrer Liebe und ihrem Haſſe gegen einzelne Perſonen und aus den Be⸗ dingungen an welche ihre Macht geknuͤpft war, erklaren. Was mbrig blieb, warf man in eine Idee zuſammen, welche alles Unbegreifliche in ſich begreifen mußte.
Die Religion der Griechen hatte bey alle dem
0 Widerſprechendem was ſie in ſich ſchloß, doch im
Ganzen genommen, mehr einen vortheilhaͤften
als einen nachtheiligen Einfluß auf die Sitt⸗
lichkeit. Zwar war ihr religioͤſer Cultus keines⸗ weges frey von den Abſcheulichkeiten welche irrige Religionen zu erzeugen pflegen. Denn ſie brachten den Göttern ſelbſt in gewiſſen Faͤllen Menſchen⸗ opfer *). Auch war reine Sittlichkeit keinesweges der Charakter welchen ſie an ihren vergoͤtterten Menſchen gefunden, oder ihren vermenſchlichten Göttern beygelegt hatten. Aber fo viel Unſittlich⸗ keiten se diefe Götter, nach den Erzählungen,
1 welche
9 6 in dite Themiſt I. 466. 519 ed. Reisk, Meiners hift. de Deo. p, 209.
* U
—
€
78 Buch J. Capitel 5. welche man von ihnen hatte ſich erlaubten, fo wagten es doch die Griechen nicht alles das ſich ſelbſt zu erlauben, was ſie ihren Goͤttern nachſag⸗ ten. Sie wußten wohl, daß man ſich ſelbſt bey un⸗ ſittlichen Menſchen mehr durch Sittlichkeit, als durch Unſittlichkeit empfiehlt, wenn man ſich nur nicht das Anfehn giebt durch ein ſittliches Betragen ihre Unſittlichkeit beſchämen zu wollen, ſondern vielmehr durch Beſchraͤnkung ſeiner eigenen Begierden den ihrigen deſto freyern Lauf zu laſſen ſcheint. Sie ſchloſſen hieraus, daß dieſes bey den Goͤttern auch ſo ſeyn werde. Hierzu kam noch der Charakter der Großmuth und Wohlthaͤtigkeit gegen die Mens ſchen, der den Goͤttern bey alle ihren Fehlern doch immer blieb, und welcher auch bey ihren Verehrern dieſe Geſinnungen befoͤrderte. Die grlechiſche Reli⸗ gion trug ſchon dadurch zur Moralitaͤt bey, daß ſie die Götter als moraliſche Weſen betrachtete, welche den Werth der Sittlichkeit und Unſittlichkeit zu er⸗ kennen faͤhig waͤren, und ſie ward dadurch daß ſie ihren Goͤttern große moraliſche Fehler zuſchrieb, weniger ſchaͤdlich als diejenigen Religionen, deren Goͤtter gar keine Beziehung auf Moralität hatten. Es gab bey den Griechen eine Religionsanſtalt,
welche von vielen andern Voͤlkern auf mancherley {
Weiſe nachgeahmt worden iſt, und in welcher man hr den
5
Bruch I. Capitel . 70 den 6 läſſel zu den Grundbegriffen ihrer Volks⸗ religion, oder auch zu reinern Begriffen welche fie
neben der Volksreligion hatten, geſucht hat. Dies
waren ihre Myſterien, religioͤſe Feſte, welche zu
gewiſſen Zeiten und an beſtimmten Orten vorzuͤg⸗ lich zu Eleuſis gefeiert wurden, und zu welchen
niemand hinzugelaſſen wurde, als Perſonen, welche
ſich mit gewiſſen Ceremonien dazu hatten einweihen
laſſen, und deren Verſchwiegenheit man ſich durch Drohungen der ſtrengſten Ahndung verſichert hatte.
Man hat behauptet, daß bey dieſen Myſterien den Eingeweihten auch gewiſſe geheime Religionslehren waͤren mitgetheilt worden. Welches aber dieſe
Lehren waren läßt ſich nicht mit Gewisheit aus⸗
machen. Nur aus den Wirkungen, welche die My⸗
ſterien auf die Griechen und auf ihre Volksreligion
Aufferten, läßt ſich einiges ſchließen. Bey weitem
der größte Theil der Griechen ließ ſich in die My⸗ f
ferien, vorzuͤglich in die Eleuſiniſchen einweihen, und die Uneingeweihten waren nur ſelten Aus⸗
nahmen. Sie waren fuͤr dieſelben im hoͤchſten Grade eingenommen, leiteten ihre Einführung von
den Goͤttern ab, und betrachteten ſie als eines der
wohlthaͤtigſten Geſchenke der Götter welches fie ſelbſt
dem Ackerbau an die Seite feßten. Demohngeachtet bemerkt man aich, 3 der große Haufe der Grie⸗
| chen
TER N * 80 Buch l. Capitel 5. chen dadurch in der Religion wirklich aufgeklärter ge⸗ worden waͤre. Der Poͤbel hieng zu allen Zelten mit dem größten Eifer an feinen Fabeln, und Verfol⸗ gungen ſolcher Maͤnner, welche Verachtung gegen dieſelben und reinere n verriethen „ waren
nicht ſelten.
Nichts deſtoweniger waren auch Maͤnner, welche ſich notoriſch uͤber die Volksreligion erhoben haben, für die Myſterien im hohen Grade einges nommen. Cicero *) nennt Eleuſis „das heilige
und verehrungswuͤrdige, wo zu ſeiner Zeit Voͤlker und Menſchen aus den entfernteſten Weltgegenden eingeweiht wurden. Dein Athen, fagt er zum Attikus hat viele herrliche Einrichtungen und Er⸗ findungen gemacht, aber keine die den Vorzug vor den Myſterien verdiente, wodurch wir aus der roheſten Wildheit zur ſauften Menſchlichkeit ge⸗ mildert, und aus dem geſeßzloſen Leben zur buͤrger⸗ lichen Geſellſchaft ausgebildet werden, wo wir, wie es heißt, die Weihe des Lebens, in der That aber die 5 achten Grundſaͤtze der Lebensweisheit empfangen haben”. Der Redner Ariſtides erklärte noch im zweyten Jahrhunderte nach Chriſti Geburt den Tempel zu Eleuſis fuͤr den ene Tem⸗ i „ * Cie. de Nat. Deor. I. 0 de Leg. u. 14. Orat. i in Verrem. he 72.
\
Ane 4. « * nf * —— - N 2 8 N ‘ f N. * N 7 1 Wi) 177
N
N. Buch l. Capitel3. 55 a A pel es Menſchengeſchlechts, und Dröteitäede
| * noch im vierten Jahrhunderte dem Kat: ſer Valentinian, die Abſchaffung der Myſterien, weil den Griechen alsdann ihr Leben freudenlos
ſeyn wuͤrde, wenn die allerheiligſten Myſterien,
von denen ſie die Wohlfarth des ganzen menſchli⸗ m Geſchlechts abhängig glaubten, zerſtört wären ). Hieraus laͤßt ſich ſchließen, daß die Elenſini⸗
ſchen Myſterien das Volk keinesweges in ſeinem
Religionsglauben ſtoͤrten, daß fie aber doch auch für den Aufgeklaͤrten etwas enthielten, was fie ihm ſchaͤtz bar machte. Wie ſich dieſes beydes vers
einigen ließ, laßt ſich erklären, wenn man auf die
Eintheilung der Eleuſiniſchen Myſterien in kleine
und große achtet. In die kleinen Myſterien wurde
der größte Theil der Griechen bis auf wenige f Ausnahmen eingeweiht. Sie beſtanden in drama⸗ ‘ tiſchen Darſtellungen der Vorſtellungen der Volks⸗ a religion, und dienten dazu, dem Volke dieſelben llebhafter zu machen. Mehrere diefer Vorſtellun⸗
gen betrafen vorzuͤglich die Freuden Eliſi ums, und die Qualen des Tartarus, und dienten dazu, den
| Glauben an 8 der Seele, und an Be⸗ | 5 loh⸗ 0 Ariſtides Opp. T. I, p. 256. Ed. 8, leb. Zofimus
1 v Hit. lib. IV. e 1 1 5 F N 1 |
. „ 3
« *
- 7
82 Buhl. Capitel 5. lohnungen und Strafen. nach dem Tode, dem
Volke feſter einzupraͤgen. Dies mußte natürlich
zugleich die Zufriedenheit des Volks, dur
nung reitzender Ausſichten jenſeits des Grabes, |
und die Moralität deſſelben durch Erinnerung an |
eine kuͤnftige Vergeltung befördern. So ward
durch dieſe kleinen Myſterien die griechiſche Volks 993
religion eigentlich praktiſch gemacht.
In die großen Myſterien wurden nur Mäns Er
ner von vorzuͤglichem Anſehn und Geifteskräften 4
eingeweiht. Sie enthielten daher auch unſtreitig Dinge, wodurch vorzuͤgliche Koͤpfe befriedigt wer⸗ den konnten. Daß fie Aufſchluͤſſe über. den wahren
Werth und die Grundlagen der griechiſchen Volks⸗ | religion ertheilten, iſt ſehr wahrſcheinlich, ſo wie
auch, daß ſie zugleich Gruͤnde enthielten, welche
die Eingeweihten von der Nothwendigkeit uͤberzeug⸗
ten, dieſe Aufſchluͤſſe dem Volke geheim zu halten ). Was ſie aber an die Stelle der von ihnen aufge⸗
hobenen Volksreligion ſetzten, läßt ſich wenigen
mit Gewißheit ausmachen. Zwar iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß man in e die Lehre von
einem
*) Auguſtin. de civit. Dei. 10. 29: ueberhaupt= Herrn Hofrath Meiners vortreffliche Al |
über die Myſterien der Alten, in feinen vermifchr A
ten phil. Sariften Th, III. 8. 164 . 7
Buch J. Eapitel s. 8
einem hoͤchſten und in ſofern einzigen Gott int ele
ner vollkommneren Geſtalt vorgetragen habe, als ſie die Volksreligion enthielt. Weniger wahrſcheln⸗
lich iſt es, daß man dieſe Lehre mit überzeugenden‘ Gruͤnden unterftüßt, daß man vollkommen reine
Begriffe von Gott gelehrt, und insbeſondere, daß
man ihn als Schoͤpfer und Erhalter der Natur dargeſtellt habe. Denn zu dieſen reinern Religions- begriffen erhoben ſich die griechiſchen Phiioſophen erſt nach und nach, als die Myſterien ſchon laͤngſt
eingefuͤhrt waren. Wie haͤtten die erſten Stifter
derſelben, die in einem ſehr rohen Zeitalter lebten, zu dieſen Begriffen kommen koͤnnen? Wie haͤtten
U
die Philoſophen noch lange Zeit hindurch über dieſe Lehren viel unvollkommnere und irrigere Dinge ſa⸗
gen koͤnnen, wenn fie, die doch unſtreitig in diefe.
großen Myſterien eingeweiht waren, in denſelben
eines beſſern belehrt worden waͤren? Und wie haͤt⸗ ten endlich von den Philoſophen ſelbſt jene Lehren vorgetragen werden duͤrfen, wie es einige derſelben thaten, wenn fie hätten fuͤrchten muͤſſen, ſich das durch der Entweihung der Myſterien e zu 5 machen? f
Wir werden alfo in den Myſterien der Stier
chen P und wenigſtens in den duͤrftigen Nachrichten . die er son ihnen haben, vergebens eine vollkomm⸗
a 52 | nere
A „ 1
84 Buch J. Capitel 6. ER a nere Religionsphiloſophie ſuchen, als in ihrer Volksreligion. Mehr Befriedigung wird uns die
Unterſuchung uͤber die ee 93 8 & Piitofophen gewähren. | ;
*
Sechstes Capitel.
. | RE Ragin vertrat in den aͤlteſten Zeiten bey den ö
Griechen die Stelle der Geſetze, und diente in der 9
Folge dazu, die Geſetze einzuführen, und fie dem Volke heilig und ehrwuͤrdig zu machen. Ehe Ge⸗ feßgeber unter den Griechen auftraten, waren Dich ter, und zwar religiöfe Dichter, ihre Lehrer und Lei⸗ ter. Dieſe Dichter ſind es, welche zuerſt den Na⸗ men der Theologen erhalten haben, aber wohl eben ſo wenig als die meiſten unſerer Theologen Religionsphiloſophen waren. Homer und Heſiod 1 gehören gar nicht hierher. Homer zeigt in feinen 4 Gedichten ein Genie, dergleichen nur dann und
wann ein gluͤckliches Jahrhundert erzeugt. Ein 7
Wunder wäre es daher, wenn das Zeitalter der Entſtehung der Homeriſchen Gedichte auf einmal eine ganze ſo erhabne Menſchenclaſſe, Homerliden genannt, erzeugt haͤtte. Noch ne * das
en
Ra Buch I. Capitel 6. 85 Wunder geweſen, wenn alle dieſe Menſchen, die doch gewiß alle Driginalgenies ſeyn mußten, wie aus einer Form gegoſſen geweſen waͤren, und fo ganz aus einem Tone geſungen haͤtten, daß ihre mannigfaltigen Geſaͤnge ſich von ſelbſt in ein Ge⸗ dicht, wie die Sliade oder Odyſſee, zuſammengefuͤgt ‚hätten, oder doch hätten zufammenfügen laſſen *). Homer bleibt mir alſo der heilige Name eines einzigen und untheilbaren großen Mannes. Aber ein Theologe war er nicht. Er ſang was ihm ſein großer Geiſt zu ſingen trieb, und ſtellte dar, was ihm edel, ſchoͤn und darſtellungswuͤrdig unter den Gemaͤhlden, welche ſeine Phantaſie aus den 8 Sagen 125 Vorzeit geſchoͤpft, oder ſelbſt erſchaffen F 3 hat⸗ x
2 Diese Gründe ſollen durchaus nur als Gründe für | meine ſubjektive Ueberzeugung uͤber dieſen Gegen⸗ ſtand gelten. Ich habe Herrn Prof. Wolfs Gruͤnde fur feine Meinung nicht gehörig geprüft, und bin
vielleicht auch nicht faͤhig dazu. Doch habe ich die
5 Odyſſee mit Ruͤckſicht auf feine Hypotheſe geleſen,
und getraute mir damals aus jedem Geſange der⸗
N ſelben die Exiſtenz von allen vier und zwanzig zu
bewelſen. Auch bin ich bey maucherley Unterſu⸗ dungen über das orientaliſche und griechiſche Als ttterthum auf mehrere Gründe geſtoßen, welche es
phioͤchſt wahrſcheinlich machen, daß die Schreibekunſt weit älter iſt als die homeriſchen Gedichte.
9
86 Sud . Saure 6.
hatte, zu ſeyn ſchlen. Was man in fpätern gel ten fuͤr einen theologiſchen und religiöfen Gebrauch von ſeinen Dichtungen machen wuͤrde, ließ er ſich
wohl ſo wenig traͤumen, als der hebraͤiſche Saͤnger
der Lieder der Liebe, daß man ihn einſt zum Vor⸗
bildner einer myſtiſchen Hochzeit machen wuͤrde.
Auch ſtrebte er, wie wir ſchon bemerkt haben, ſei⸗ nen Dichtungen nicht Wahrheit, ſondern nur Ma tiſchen Werth zu geben,
Heſiod war mehr Theolog, aber ig: ie wenig Philoſoph als origineller Dichter. Sein Verdienſt beſteht blos in Zuſammenſtellung der
mannigfaltigen religiöfen Sagen, Begriffe und Meinungen ſeines Volks. Unbekuͤmmert um ihre Entſtehung und ihren philoſophiſchen Werth ſtellte 7
er ſie hin wie er ſie fand, und that vielleicht nur
hier und da etwas davon oder dazu, um ihren
Zuſammenhang zu befoͤrdern. Ein ziemlich neologiſcher Theologe kehr Zeit ſcheint Orpheus geweſen zu ſeyn. Mehrere Sce⸗
nen aus ſeiner fabelhaften Geſchichte ſcheinen uf
Streitigkeiten zu deuten, die er deshalb theils mit den Großen theils mit dem Poͤbel hatte. Ariſto⸗
teles ſcheint zwar ſeinen uͤbriggebliebenen Schriften . 4 zu Folge die Extſtenz des Orpheus bezweifelt in haben, da er nur einmal von den ſogenannten 4
* Or⸗
32
* i /
| Buch l. Capitel 5. 87 Orphiſchen Gedichten ſpricht; nach dem Cicero
2 läugnete er fie ſogar ausdruͤcklich “). Da indeſſen
ältere Schriftſteller als Ariſtoteles: Herodot, Plato, Demoſthenes und Iſokrates von einem Orpheus ſprachen, und ſich kein Grund einſehen laͤßt, warum man einen erdichtet haben ſollte wenn keiner geweſen ware, fo iſt feine wirkliche Exiſtenz wenigſtens wahr⸗ ſcheinlicher als ſeine erdichtete. Er ſoll in Aegyp⸗ ten geweſen ſeyn, und nach der Behauptung eini⸗ ger Schriftſteller von den Aegyptern viel gelernt, nach andern aber ihnen vieles gelehrt haben. Vielleicht fand beydes Statt. Er ſoll der Urhe⸗ ber der Samothraciſchen Myſterien ſeyn, die je⸗ doch nach andern Nachrichten Altern Urſprungs zu ſeyn ſcheinen, und daher von ihm vielleicht nur re⸗
5 formirt wurden. Myſterien dieſer Art wurden
wahrſcheinlich zuerſt den wilden Bachusfeſten ent⸗ b gegengefeßt, indem fie nach gewiſſen Regeln und Ordnungen gefeiert wurden, da Regelloſigkeit der weſentliche Charakter jener war. So ließe ſich ein Grund denken der ihn He , fih den Orgien
F 4 der
) Ariftoteles de anima I, 5. erwahnt der Orphiſchen ; Gedichte durch: ra Oi nahsusve , Cicero 72 de nat. Deor. I. 38 ſagt: Orpheum poetam docet a Ariſtoteles numquam fuifle et hoc Orphicum car- N men Pythagorei ferunt cuiusdam fuifle Cercopis.
88 Buch l. Capitel 6. | ber thraziſchen Weiber zu widerfeßen, und dadurch
ihre Wuth zu weißen, durch die er feinen, Tod fand. 8785
Von den Gedichten, die ihm 9 wer⸗ |
den, ift es ausgemacht, daß ſie weit ſpaͤtern Ur⸗ 4
ſprungs ſind, indem ſie platoniſche, ſtoiſche, ja ſelbſt chriſtliche Idee verrathen. Man hat daher ſehr irrig aus ihnen zu erweiſen geſucht, daß Or⸗ pheus einen einzigen wahren Gott nach reinen Bes
griffen gelehrt, daß er in der Schoͤpfungslehre mit
Moſes uͤbereingeſtimmt, ja ſelbſt die Dreyeinigkeit | gelehrt habe ?). Die untergeſchobenen Orphiſchen \ Gedichte, welche wir jetzt haben, feinen indeſſen nicht auf einmal in ihrer gegenwärtigen Geſtalt ent⸗ ſtanden, ſondern nach und nach immer mit neuen gu füßen verſehen worden zu ſeyn. Euripides, Sokrates und Plato haben ſchon Orphiſche Gedichte 15 7150 und nur der letztere ſcheint ihre Aechtheit bezweifelt zu haben. Auch werden die erſten, welche So dichte unter dem Namen Orpheus verfertigt haben ſollen in eine ſehr frühe Periode verſeßt. Cicero 7 und Suidas nennen als den Verfertiger der Der, 4 phiſchen Gedichte einen Pothagorder re von 14 dem
*) Cud worth fyftema intellecturale. p. 24¹ a 0 352.
Mosheim ſtimmt indeſſen nicht in Eudwotths un⸗ kruliſche Traͤume ein.
| Buch l. Cain . : „ e 0 1155 meter nichts bekannt iſt. Sextus Empirikus f | ſchreibt fie einem andern Pythagoraͤer Onomakri⸗ tus zu, der zur Zeit des zweyten Perſiſchen Krie⸗ ges lebte, und von dem Piſiſtratiden Hipparch aus Athen verbannt worden war, weil er eine falſche Prophezeyung des Muſaͤus gemacht hatte, nachher aber wieder mit ihm verſoͤhnt, und dem perſiſchen Feldherrn Mardonius empfohlen ward, bey dem f er ahnliche Kuͤnſte trieb ). Ich weiß nicht ob Serxtus auſſer dem Vermuthungsgrunde, daß, wer einmal ſtiehlt immer ein Dieb iſt, andere Gruͤnde m hatte, dem Onomakritus die Unterſchiebung dieſer Gedichte zuzuſchreiben. Wenn aber Onomakritus bey den Orphiſchen Gedichten eben ſo verfuhr, wie er nach dem Herodot mit den Ausſpruͤchen des 0 Muſäus that, fo hat er dieſelben nicht ſowohl ganz untergeſchoben als nur verfaͤlſcht, und von 0 denjenigen Gedichten, welche zu Platos Zeit unter ſeinem Namen herumgiengen, koͤnnten wenigſtens einige ihm eigenthuͤmliche geweſen ſeyn. Ohngeach⸗ tet dleſe nun in der Folge immer mehr verfaͤlſcht wurden, ſo könnten doch auch wohl diejenigen Ge⸗ FS dich⸗ 9 Herod. VII. 6. Man 1 Meiners hiſt. de
Deo p. 187. ſeg. I. C. G. Gerlach commentatio de ih er örphicis. Gotting. 1797.
9... Buhl; Capitel 6.
dichte, welche noch feinen Namen führen, einige Achte Ideen von ihm enthalten. Es verdiente alfo vielleicht die Muͤhe, dieſe Spuren des Geiſtes des älteften Alterthums in dieſen Gedichten aufzuſuchen. Für Religionsphiloſophie und ihre Geſchichte dürfte indeſſen wohl nur wenig Gewinn aus ihnen zu ſchoͤpfen ſeyn, da die Hauptideen dieſelben ſind, welche ſich behm Homer und Heſiod finden, und der griechiſchen Volksreligion überhaupt zum Grunde lagen, und ſich nur durch eigenthuͤmliche Namen und Bezeichnungen unterſcheiden. Er ſcheint die Entſtehung
des Weltalls zuerſt aus dem Waſſer hergeleitet, oder |
wenigſtens die erſte Veranlaſſung zu dieſer Herlei⸗
tung, die Thales weiter ausbildete, gegeben zu has
ben ). Demoſthenes ſagt von ihm: “Orpheus, der uns die heiligſten Myſterien gelehrt hat, ſagt:
dag die unerbittliche und ehrwuͤrdige Dike (die Goͤ⸗ tin der Gerechtigkeit) am Throne des Zeus ſiße,
und die Aufſicht über alle menſchliche Angelegenheis ten führe”. Unter den Orphiſchen Hymnen fängt: ſich wirklich die ein und ſechszigſte noch ſo an: f
91
SEiaoch l. s. 9500 8 finge das Auge der Dike, der umherſchauen⸗ |
r | den ſchoͤngeſtalteten, Die am heiligen Throne des Koͤniges Zeus ſitzt ). Es wuͤrde dem Orpheus Ehre machen, wenn wir dieſe Nachricht, welche zugleich das beſtaͤtigt,
was wir vorhin von dem überbleibenden aͤcht
| orphiſchen Nachhall in den ihm zugefchries
benen Hymnen geſagt haben, ſo erklaͤren könnte, daß er zuerſt mit der griechiſchen Volksreligion Begriffe von Gerechtigkeit verbunden haͤtte. So
waͤre er zugleich der erſte re Theologe zu nennen.
5 Wie vom Dichter zum Profaiften, fo machte
a auch Pherecydes welchen die Griechen nach Or⸗
pheus unter ihren aͤlteſten Theologen nennen, vom
Dichter zum Philoſophen e Uebergang. Den 5 bange Fragmenten nach zu urtheilen, y welche uns
von
2) Demofthenes Orat. I. in Ariſtogit, ed. Reiske
Vol. I. p. 772: la. % c N N GEuvaV
Amy NV d rag Kyiwrarag juiv TEÄSTEE naradeikac
"Op@svs rag T Ye Ag Y O ar a6
11 mar Ta roy nvgpumuv eDopäv, Die örte Orphiſche Hymne faͤngt ſo an: 1 oe, Opus Amns lle muÄıdepnsoc ayAuouopdou * H . ane ape er 990 is 18981 |
\
Bu m ee —
Tr
92 Buhl, Capitel 6,
von ihm übrig geblieben ſind, war aber ſeine
Proſe weit dunkler als die Verſe Homers und
Heſiods. Er ſoll nach dem Diogenes Laertius ) ein Buch geſchrieben haben, welches fi fo anfieng: „Jupiter, die Zeit und die Erde waren immer”. Ein ſehr ſchwacher Grund liegt hierinn zu der
Behauptung, daß er ſich von den andern Dichtern dadurch unterſchieden haben ſolle, daß er lehrte jene Urprincipien waͤren ewig geweſen, da ſie nach andern Dichtern entſtanden ſind. Ariſtote⸗ les 1) ſagt von ihm: Pherecydes und einige ans
| dere
> SE
—
*) Diogenes Laert. I. XI. 6. oder I. 119. Hermias |
Irriſio gentil. Phil. p. 178 ed. Colon 1686 erklart dieſe Behauptung des Pherecydes bo, daß ſie eine
pythagoräifche Lehre zu ſeyn ſcheint. Er ſagte
Segenv dec fe xD? So αν Zuyva, um Y
N Kpovov, Taue uE rey aS ατ, Y N ẽ ds e
, Kpovov de vov xegovov. d Mev Ba lie roiev,
7 Je n To rage, o de Apo, Ev c r YIVOREVE.
Wenn Pherecydes Lehrer des Ppthagoras war, 4 ‘
‚hätte dieſe Erklärung viel für ſich. ) Ariſtot. Metaphyf, XII. 4. ed. du Val. T. II. ik
Ospenvörs Az SN ο TIvsg TO ae ‚apwrov
apısov TNS, Pleſſing verſteht im Memnonium II,
327 nr Stelle ganz 0 0 ‚wenn er fie fo erklärt: | Pie
— 2 et
Buch I. Cat 3 93
101 Theologen, die nicht in lauter Fabeln ſpra⸗ chen behaupteten: daß das erſte Urprincip das | Beſte geweſen ſey. Dies bezieht ſich auf die
Frage, welche er in dieſer Stelle abgehandelt, ob
die Praͤdikate gut und ſchoͤn den Urelementen der
. Dinge zu geben wären, oder ob es Begriffe find, welche dann erſt, nachdem die Dinge ſich bis auf
einen gewiſſen Grad aus ihren Urelementen ent⸗ wickelt hatten, entſtehen konnten. Pherecydes ges
hört unter diejenigen, welche das erſtere behaupte⸗
u
ten und lehrten, daß das Urprincip der Dinge
gut ſey. Dies moͤchte indeſſen noch ziemlich dun⸗
kel ſeyn, wenn es nicht durch das, was Ariſtote⸗ les hinzuſetzt, deutlicher wuͤrde. Spaͤtere Philo⸗ ſophen ſagt er, hätten daſſelbe behauptet als:
Empedokles und Anaxagoras, unter welchen jener die Freundſchaft, dieſer den Verſtand beyde alſo moraliſche Urprincipien angenommen haͤtten; hier⸗
aus ſieht man, daß in der Lehre des Pherecydes
der * Keim der Idee von einer moraliſchen Ur⸗
pherecpdes und einige Andere, nahmen zum erſten Erzeuger der Dinge das Beſte an. Apısov iſt hier
nicht Subjekt, ſondern Praͤdikat, wie aus dem vor⸗ ee ee erhellt.
4
er
94 Buch I. Capitel 6.
Urſache der Welt lag, die in der Folge von .
Anaxagoras und Sokrates weiter entwickelt ward.
Von dieſen aͤlteſten Volkslehrern welche die
Griechen durch Religion zu bilden und zu leiten f
ſuchten, unterſchieden ſich ihre Geſetzgeber das
durch, daß fie nicht blos vorübergehende , Stims
mungen der Gemuͤther des Volks zu bewirken,
ſondern bleibende Grundſaͤtze bey ihnen feſtzuſezen ſuchten. Hierzu war ein feſter und bleibender Entſchluß eines jeden Volkes, dem fie Geſetze ga⸗
ben, erforderlich, welcher allein durch die Ueber⸗ zeugung bewirkt werden konnte, daß dieſe Gefeße gut und weiſe waͤren. Sehr natuͤrlich kamen ſie
dadurch auf den Gedanken, ſie von den Göttern
£
abzuleiten, und vorzugeben, daß ihnen dieſelben un⸗
mittelbar von den Goͤttern offenbart worden wa ⸗
ren. Viele benutzten dieſen Gedanken zu einem
ſolchen Vorgeben, als Minos, der ſich auf die
Offenbarung des Zeus bey den Kretern; Lykurg, . der ſich bey den Spartanern auf das Orakel zu
Delphi berief. Andre wußten die Ideen der Volkes
religion unmittelbar zu benußen, um ihren Ge⸗
ſeßzen Eingang und Gewicht zu verſchaffen. So 4
Zaleufus der von feinen Landsleuten, die vom Werth der Geſetze ſchon zuvor uͤberzeugt waren,
zum Gefeßgeber gewählt wurde. Cicero, Diodor ON
Aa Eavitel6. u von Siellien und Stobaͤus ), haben uns den Eins 3 gang feiner- Geſetze aufbehalten, der zwar nicht wortlich fo gelautet haben mag, wie fie. ihn uns | mittheilen „aber doch gar wohl dieſelben Gedan⸗ ken enthalten haben kann ). Unſere Bürger: ſollen ſich vor allen Dingen uͤberzeugen, daß Goͤt⸗ ter ſind. Sie ſollen den Himmel betrachten, ſeine | Pracht und Ordnung, und bedenken, daß dieſelbe nicht durch Zufall oder durch Menſchenwerk ent⸗ ſtanden iſt. Sie moͤgen dadurch die Götter vereh⸗ ren, und ſie als Urheber alles Guten was die Menſchen haben betrachten lernen. Sie mögen. ihre ( Gemuͤther rein vor allen Verbrechen bewah⸗ ren, indem die Götter keinen Wohlgefallen an den verſchwenderiſchen Gaben der Boͤſen haben, wie elende Menſchen j ſondern durch Tugenden und gute Geſinnungen verehrt ſeyn wollen!. Es iſt wahr, daß dieſe Gedanken eines beſſern Zeitalters wuͤr⸗ dig zu feon ſcheinen, und daß fie mit manchen Aeuſſerungen des Plato in ſeinen Buͤchern von den ger nd Aehnlichkeit 3 Sie enthalten a aber ) Cicero de legibns II, 7. Diod, Sic. bibl. XII. 84. 85. T. II. p. 491 ed. Weſſel. Stobaeus de legibus et conſuet. c. 42. ) M. ſ. Herrn Hofrath Heynens Legum Locris a
1 Zaleuco ſeriptarum fragmenta in feinen Opuſculis II pe. 73 fd. Meiners hiſt, de Deo, p. 220. |
96 Buch J. Capitel 6. aber doch nichts was nicht mit der griechlſchen Volksreligion beſtehen koͤnnte. Sie ſprechen we⸗
der fuͤr noch gegen ihre beſondern theoretiſchen Vorſtellungsarten. Nur ihre praktiſche Anwendung
war fuͤr ihr Zeitalter vielleicht neu und auszeich⸗
nend, doch aber wie mir es ſcheint nicht ſo ſehr, daß nicht ein weiſer Geſetzgeber, ein Mann der gewiß viel Zeit und Kraͤfte dem Nachdenken ge⸗ widmet hatte, darauf hätte kommen können, be⸗ ſonders wenn er, wie Zaleukus aus der Schule des Pythagoras war, der ganz dieſelben Grund⸗
füge in Abſicht auf die Volksreligion durch Lehren
Rund Vorſchriften zu verbreiten fuchte, ). Bey den alten hebraͤiſchen Volkslehrern, die doch auch nicht viel gebildeter waren, als dieſe Griechen, un ud Aeuſſerungen dieſer Art nicht ſelten. Wenn i
Lokrenſer demohngeachtet abergläubiſch und laſter haft waren, ſo beweißt dieſes weiter nichts, als
0
ö
ü
daß die Geſetze des Zaleukus mit den meiſten und f trefflichſten Geſetzen ein gleiches Schickſal baten. . ö
*) M. ſ. Meiners Geſchichte d. Wife I, * *
Zbeytes
Buch II. Capitel n. 97 3 weytes Buch. | Erſtes Eapitel,
Es 955 noch einen en in das Heiligthum der Religion den die Griechen fanden. Sie ſuch⸗
ten eine erſte Urſache der Dinge, und fanden
*
* 8
die Gottheit. Bey den aͤlteſten griechiſchen Die tern war ein ſolches Urprincip der Dinge eine bloße Nebenidee, welche durch die Perfonificatios nen einzelner mächtig wirkender Naturkraͤfte in Schatten geſtellt ward, und durch den mächtigen Willen, welcher ihren vergoͤtterten Menſchen zus a überflüßig gemacht zu werden fehlen. Ari⸗ ſtoteles ſcheint daher zweifelhaft darüber zu ſeyn, ob er den Heſiod ſeiner Idee vom Chaos wegen unter die Forſcher nach der erſten Urſache der Dinge kachnen fol *). In eben diefem Verhaͤlt⸗
niſſe
%) Ariſtot. Metaph. I, 4. Trorrsbceis gdy ric He doe Tοοοντον Öyryons To Fowrov navy 8 rο απνν,t,
epcora 7 amısvpiav eU roc 80 aIyusv ws apXTy,
lange Zeit der Fall geweſen ſeyn. Man begnuͤgte
98 Buch II. Capitel 1.
niſſe befanden ſich die uͤbrigen aͤlteſten griechiſchen > 3 Dichter und Volkslehrer welche bald die Nacht, bald das Meer, bald die Liebe zum Urprincip der Dinge machten. Es ſcheint eine Art von Keßerep gegen die griechiſche Volksreligion geweſen zu ſeyn, 770 nach einem ſolchen Urprincip zu forſchen, da man die Götter hatte, von denen man ſonſt Alles ab⸗ leitete. Doch mußten Griechen, welche uͤber ihre Volksreligion nachdachten, bald fuͤhlen, daß dieſe Goͤtter nicht hinreichend wären, das Daſeyn des Ganzen zu erkla laren, indem fie ihrer urſpruͤngli⸗ chen Idee nach entweder Menſchen waren, deren Daſeyn nebſt dem Daſeyn der Dinge, mit welchen 5 ſie in Verhaͤltniſſen ſtanden, wieder eine Erklarung bedurfte, oder Symbole einzelner Naturkräfte wel 1 die Frage nach dem Ganzen, nach ſeiner Entſtehung 5 und Zuſammenſetzung übrig ließen. Wie indeſſen die Philoſophie ſich oft es muß gefallen laſſen, ihre 4 Fragen von der Volksreligion mit einer Inconſe⸗ 5 quenz beantwortet zu ſehen, ſo mag es auch lier
—
ſich mit dem Daſeyn der Goͤtter, forſchte nicht nach ihrem Urſprung, hielt ſie wie Pherecydes für ewig, oder huͤllte wie Homer alles unter den Mantel der W Nothwendigkeit.
Einige Denker fiengen nach und nach an, ei⸗
nen Nebenweg zu ſuchen. Sie giengen davon aus,
daß ſie nach der Materie fragten, aus welcher die
Welt gebildet ſey. Eine Zeitlang begnuͤgten ſie
ſich, bald dieſen bald jenen Gegenſtand dafür ans zunehmen. Die Frage nach der Urſache, durch welche die Welt gebildet worden ſey? ſcheinen ſie | hierbey nicht ganz vernachlaͤſſigt, ſondern fie aus ihrer Volksreligion beantwortet zu haben. Denn die Bemerkung, daß das Holz, aus welchen ein Tiſch beſtehet, ſich nicht ſelbſt zum Tiſch gemacht, das Erz aus welchem eine Bildſaͤule gegoſſen ft, ſich nicht ſelbſt zur Bildſaͤule gemeiſſelt habe, mußte
ſie wohl ſehr bald lehren, daß mit Beantwortung
der Frage, aus was fuͤr einem Stoffe die Welt gebildet ſey? noch nicht alles abgethan waͤre. Aber
auch dieſe Frage konnte man ſich einigermaaſen,
0 wenn auch nicht vollig befriedigend, aus der Volks⸗ religion beantworten. Bald aber fieng man an,
das Unbefriedigende der Volksreligion über dieſen | Punkt zu fühlen, und gieng daher einen Schritt
weiter von derſelben ab, indem man ein verſtaͤu⸗
diges Weſen annahm, welches die Welt gebildet be. Die Volksreliglon fieng an den Vortheil
zu fuͤhlen welchen die Philoſophie hierdurch über b. Bee hatte, und verfolgte des halb einen 3 Di 2 | Anaxa⸗
. D VAN 4 55
N 2 8 * . 92 ER AR .
ji | Sich l. Gaviteti, | 9
100 Buch II. Capitel 1. Anaxagoras und Sokrates. Aber ihre Verſolgun⸗
gen bereiteten der Philoſophie nur neue Triumphe.
Es war ſchon ein großer Gewinn fuͤr die
Philoſophie, welchen jener erſte Schritt mit ſich
führte. Man war zuvor nicht fähig geweſen, ſich andre als individuelle Gegenſtaͤnde, andre als con⸗
krete Urſachen und Wirkungen vorzuſtellen. Jett | ward die Abſtraktion feiner und allgemeiner. Man
ſieng an, ſich allgemeine Urſachen der Dinge zu denken. Anfaͤnglich dachte man auch dieſe Urſa⸗ chen oder vielmehr Urſtoffe blos ſinnlich, Waſſer, Luft, Feuer und Erde. Dann vermißte man,
wenn man einen einzelnen Urſtoff dieſer Art an⸗
nahm, die Bewegung, wozu kein Grund in einem einförmigen Urweſen lag. Man nahm daher meh⸗ rere Urweſen an, die ſich durch chemiſche Wirkun⸗ b gen wechſelſeitig in Bewegung ſetzen konnten, als
das Warme und das Kalte, das Fluͤſſige und das
Trockne. Auch verſuchte man den Grund der Ber wegung der Urſtoffe dadurch zu erklaren, daß man ihnen moraliſche Eigenſchaften als Neigung und
Abneigung, Liebe und Haß zuſchrieb. Dann ſah
man, daß an bloßer Bewegung nicht genug ſey,
ſondern daß die Bewegung, durch welche ein fo
wohlgeordnetes Werk, wie der Weltbau iR, zu 2
8 gekommen ſeyn ſollte, auch eine zweck m ee
Buch II. Cuvitel 1: 2.008 mäßige Bewegung ſeyn muͤſſe. Eine zweckmäßige
75 Bewegung konnte nur von einer verſtaͤndigen Urs
ſache herkommen, die jetzt um ſo leichter angenom⸗ men werden konnte, da man ſchon zuvor den Ur⸗ ſachen der Dinge mige Eigenſchaften zuge⸗ ſchrieben hatte. f Dies ſcheint mir der Gang im allgemeinen ge⸗ weſen zu ſeyn, welchen die raiſonnirende Vernunft bey den Griechen nahm, um zu dem Begriff einer verſtaͤndigen und moraliſchen Welturſache zu gelan⸗ gen, der dann als man ihn einmal gefaßt und auf⸗ zuſtellen gewagt hatte, der Religionsphiloſophie ihr wahres Feld eroͤffnete. Man hat dabey bisher gewoͤhnlich uͤberſehen, daß die Volksreligion die güden ausfüllen mußte, welche wir in den Syſtemen der aͤlteſten griechiſchen Philoſophen entdecken, die uns daher größtentheils als wahrhaft kindiſche Ver⸗ ſuche erſcheinen. Die Nachrichten der Alten von fih⸗ nen, geben uns nur das Eigenthuͤmliche zu erkennen was jeder derſelben behauptete, ohne zu zeigen, wie ſie ſich dasjenige, zu deſſen Ekklaͤrnng ihre eigen⸗ thuͤmlichen Lehren nicht hinreichen, vermittelſt der { Wolköreligion, erklärten.
102 Buch II. Capitel 2. |
Zweytes Capitel.
D hales von Milet, in Jonien, wird von den
Alten allgemein für den erſten erklart, welcher über den erſten Urſtoff der Dinge zu philoſophiren anfteng, und das Waſſer dafür erklaͤrte. Man ſieht offen⸗ bar, daß er hiermit blos die Frage beantworten wollte, woraus alles entſtanden ſey? Die Beant⸗ wortung derſelben lag gewiſſermaaſen auſſer dem
Kreiſe der grlechiſchen Volksreligion, und war alſo
eigentlich ein Gegenſtand des Nachdenkens für einen Philoſophen. Doch konnte ſie leicht ſo beantwortet werden, daß ihre Beantwortung den Ideen der
Volksreligion nicht widerſprach, und die Antwort, .
welche Thales darauf gab, ſcheint ſelbſt mit ihnen uͤbereingeſtimmt zu haben, ja vielleicht aus ihnen ge⸗ ſchoͤpft zu ſeyn. Denn das Meer oder der Ocean
war ſchon laͤngſt von den theologiſchen Dichtern fuͤr einen der aͤlteſten Götter erklaͤrt worden. Orpheus 5
ſcheint insbeſondre den Ocean, welcher ſeine Schwe⸗
ſter Thetys heurathete, fuͤr den Urheber des ganzen 5
4
Stammbaums der phyſiſchen Götter erklärt zu bee; BB 9 ben. * 1
*
3 *
+
ben. Dem zufolge erklirt auch Age 95 die Orphiſche Lehre fo, daß aus dem Waſſer, wel⸗ ches ſich zu Schlamm verdickte, alles entſtan⸗ den ſey. 12 Thales hatte alfo bey Beantwortung der Friss . woraus Alles entſtanden ſey? vielleicht kein andres Verdient, als- daß er die Ideen der Volksreligion Fe entwickelte, und ſie von ihrer mythiſchen Hülle entkleidete. Vielleicht lagen alſo in der grie⸗ dich Volksreligion die einzigen "Gründe, warum Thales das Waſſer fur den Urſtoff der Welt anſah. Ariſtoteles a) deutet ſelbſt auf dieſen Urſprung der Thaletiſchen Lehre hin, doch ſtellt er neben denſelben noch die Vermuthung, daß Thales das Waſſer fuͤr , allgemeinen Urſtoff gehalten habe, weil alle Nah⸗ wungsmittel feuchter Natur ſind, weil die Waͤrme ſelbſt aus Feuchtigkeit entſteht, welches wohl nicht unrichtig durch die gewohnliche Erſcheinung erklaͤrt wird, bey der man ſagt, daß die Sonne Waſſer ziehe, und weil der Samen aller Dinge feucht iſt. Dieſe Gruͤnde ſchließen indeſſen die aus der Volksre⸗
ligion entlehuten nicht aus, und Eönnen ſehr wohl G 4 5 neben
J
ER 1 2 Atbenagoras legat. pro Chriſt. p. 144. ed. Re-
Ye 5 chenb.
r, Ariſtot. . I. 3.
FR
104; Such ! I. apitel , neben ihnen beſtanden haben. Es ware dann ein weiteres philoſophiſches Verdienſt des Thales gewe⸗ ſen, ſeine Behauptung, wenn er ſie auch aus der Volksreligion ableitete, doch nicht blos auf ihre Autoritaͤt, ſondern auch auf Gruͤnde der en | fahrung ſtuͤtzen zu wollen. BC Wenn Thales ſich die Frage, 5 woran ales N entſtanden ſey? aufgeworfen und beantwortet hatte, | fo mußte ihn, wie auch Ariſtoteles bemerkt, die Natur der Sache ſelbſt dahin treiben zu fragen, wo⸗ durch es entſtanden ſey? Diefe Frage konnte er ſich aus ſeiner Volksreligion ſo beantworten: durch die Macht und den Willen der Götter. Man hat ao nicht noͤthig, darüber weiter zu ſorſchen, ob Tha⸗ 9 les das Waſſer aus gleichartigen oder verfchiedenen 4 Theilen beſtehend gedacht, nnd ob er ſich die Ver⸗ wandlung des Waſſers in Dinge anderer Art durch Verdichtung und Verduͤnnung, oder auf eine andre Weiſe gedacht habe. Es laͤßt ſich hieruͤber kein Ei entſcheidendes Zeugniß der Alten anführen „ und er kann gar wohl hierüber gar nicht gedacht, ſondern in der Macht der Götter hinlänglihe Befriedigung gefunden haben. Dagegen muß er unter dieſer Vor⸗ ausſetzung die Götter ſelbſt für nicht entſtanden und ewig gehalten haben. Eine ſolche Behauptung 9 kann dep ihm gar nicht eee ee 0 1 f den,
99
Buch Il. ewitd 3 * e
PR da an; „den einige ſeinen Lehrer, an⸗ f
dre ſeinen Schuͤler nennen, und der wenigſtens ge⸗ 4 wit ſein Zeitgenoſſe war *), daſſelbe behauptete. Hiermit ſtimmt auch Diogenes von Saerte überein m, der unter feinen Ausſpruͤchen den anführt: das Als teſte der Dinge iſt Gott, denn er iſt unerſchaffen. Ob ich gleich den Nachrichten dieſes Schriftſtellers ni keinen großen Werth beylege, ſo finde ich doch in den übrigen theologiſchen Behauptungen des Thales, welche er anführt, unter der Vorausſetzung „daß er dabey ſeiner Volksreligion, nicht aber ſeinem waͤßri⸗ gen Princip gefolgt ſey, nichts ſeinem Zeitalter wi⸗
derſprechendes. Sie ſind folgende: die Welt iſt das
ſchoͤnſte, denn ſie iſt ein Werk Gottes. Man braucht aus dem Singular Oeos welchen Diogenes hlerbey braucht, nicht zu ſchließen, daß er den Thales die Einheit Gottes behaupten laſſe, und etwa aus die⸗
ſem Grunde den ganzen Ausſpruch verwerfen.
Wo von einem Gott die Rede iſt, werden des⸗ wegen die übrigen nicht ausgeſchloſſen. Im Grunde ſagt Thales auch hierdurch weiter nichts, als was
Ariſtoteles den Pherecydes ſagen laßt. Diogenes
0 G 5 En ſagt
k
* 1
) M. ſ. Meiners Geſch. der Wiſſenſchaften I. 354 wo 5 !
25 998 das Zeitalter des one ſehr forgfältig w ſtimmt iſt. N 5 Diog, Laert. I. 35.
*
Seele oder ein goͤttliches Weſen ausgedehnt ſey,
106 Buch II. Capitel 2. ſagt ferner: Thales wurde gefragt: ob es den Göttern wohl unbemerkt bliebe, wenn ein Menſch |
boͤſes thut? Auch nicht einmal wenn er böfes denkt,
antwortete dieſer. Wenn man dieſes nicht im ſtrengſten Sinne nimmt, ſo wird man bey den aͤlteſten griechiſchen ans aͤhnliche e finden.
Jetzt laßt ſich auch erklären wie Thales habe behaupten koͤnnen: alles ſey voll von Goͤttern oder Daͤmonen. Dies war nichts anders als Entwick⸗ 1
lung eines Theils der Begriffe, welche ſeiner Volks⸗
religion zum Grunde lagen, und durch welche Na⸗ turwirkungen und Naturgegenſtaͤnde vergoͤttert wur⸗ den. Er ſagte vielleicht damit für ſein Zeitalter etwas Neues, weil man jene urſpruͤngliche Ent⸗ ſtehungsart der griechiſchen Volksreligion nicht mehr kannte. Aber im Grunde zeigte er doch nur damit, daß er das Weſen derſelben tiefer eingefehen hatte als Andre, behauptete aber nichts originelles. . Hoͤchſtens dehnte er dieſen in der Volksreligion 4
liegenden Grundfaß weiter aus, als er durch die 94
Mythen ſelbſt ausgedehnt wurde. So ſcheint es eine Erweiterung dieſes Satzes geweſen zu ſeyn, wenn er behauptete, daß durch das Ganze eine
wie
Buch Il. Eapitel d
wie auch Ariſtoteles vermuthet *), und eine Ans wendung deſſelben aufs Einzelne, wenn er behaup⸗
tete, daß der Magnet eine Seele (einen Daͤmon)
habe, weil er das Eiſen an ſich zieht *).
Man hät auch nicht nöthig, dieſe Behaup⸗
tung weiter auszuſchmücken und dem Thales den Gedanken einer Weltſeele zuzuſchreiben, der im
Grunde jener Lehre daß alles voll von Goͤttern ſey, gerade entgegen iſt, denn wo waͤre dann noch
Plaß für eine Weltſeele? Plutarch und Stobäus haben ie ſehr falſch aus Nike Sage gefols gert
5 188 de anima I, 5. Kar ev rw dd de rec urn (Y νν per a Saciy. oe igοε U. ©x- h 1 due wysy mayra nanpy Iewv et.
Si 2 Ariſtoteles de anima I. 2. Eoıns de zu ease 15
hi; E DV M ονNνẽisꝓ ,., N Tı 2 1 BIN Urohaußavew, eımep Tov AuJoveQy V exe OT: r og ngo ze Ariſtoteles nimmt hier Vox in einer
Bedeutung, in welcher es Thales wahrſcheinlich
nicht nahm, um ſein Princip von der Bewegung Von des Steins nicht eine Seele wie die menſch⸗ llche, ſondern einen Dämon, wie die Daͤmonen, welche die griechiſche Religion den Bergen, Fluͤſſen, Baͤumen u. ſ. w. zuſchreibt. |
[er
bey ihm zu finden. Thales dachte ſich unter der
1 *
* 4
108 Buch II. Capitel 2. gert ). Was Cicero dagegen dem Epikuräer Vellejus vom Thales ſagen läßt, ſtimmt ganz mit dem uͤberein was wir bisher von ihm geſagt
haben, und enthält kürzlich die Theologie dieſes
alten Denkers. Thales ſagte: das Waſſer fey der Urſtoff aller Dinge, die Gottheit aber fe das vernünftige Weſen, welches alles aus dem
Waſſer bildet ). Nur das erſtere behauptete 1
Thales als Philoſoph, das letztere als Anhaͤnger der griechiſchen Velksreligion. Anaxagoras dage⸗ gen war der erſte, der es auch als Philoſoph be⸗ hauptete, wie wir weiter ſehen werden. |
Die Beſchuldigung des Thales, daß er ein 4 Atheiſt geweſen ſey, faͤllt jetzt von ſelbſt weg. 1
Sein waͤßriges Pine koͤnnte allenfalls zum 4
Abele f
) Plut. de plac, Phil. I. 7. Seni El. 5 1. 3. | p. 54 ed. Heeren. 2 ) Cic. de nat. Deor. I. 10. Thales Milefius qui
primus de talibus rebus quaeſivit, aquam dixit ini- tium rerum, deum autem eam mentem, quae.ex aqua cuncta fingeret. Die Stelle welche darauf folgt iſt ganz verdorben. M. vergl. übrigens: C. A. Doederlini Animadverſionis : hift. erit. de . Thaletis et Pythagorae theologica ratione 1750. Göß über den Begriff der Geſchichte der Philoſophle und uͤber das Syſtem des Thales. Erlangen 1794.
—
Buch II. Gapite 1 1009 Atheismus geführt haben, wenn er weiter nichts
behauptet hätte, Aber es iſt gewiß, daß er es nur neben Klon: Rane e
ee
Jun andre Philoſophen aus Milet werden ge⸗ | woͤhnlich dem Thales an die Seite geſetzt, und als ſeine Nachſolger betrachtet. Anaximander und Anaximenes wählten denſelben Gegenſtand der Unterſuchung, welchen Thales gewaͤhlt hatte, nemlich den Urſtoff der Dinge. Der erſtere ſcheint dabey nicht blos auf das erſte Entſtehen der Dinge ſondern auf ihre unaufhoͤrliche Veranderung geach⸗ tet zu haben. Er fand das Waſſer nicht veraͤn⸗ derlich genug, und nahm daher einen unbeſtimm⸗ ten Urſtoff an. Die Alten, welche ihn meiſtens ohne viel von ihm zu wiſſen, blos um ihre Ge⸗ lehrſamkeit zu zeigen, anführen mochten, ſcheinen ihn oft mißverſtanden zu haben, indem ſie ſeinen | \anbeftimmten Urſtoff (rege) blos Unbeſtimmt⸗ heit in Ruͤckſicht des Raums und alſo Unendlich⸗ keit zuſchreiben, und indem ſie gerade gegen feine A 01 e ae e Wurf durch dieſe oder
0 Buch II. Capitel 3. oder jene Eigenſchaften zu beſtimmen ſuchen. Der Begriff des Unbeſtimmten kann ſehr mannigfaltig gefaßt und ſehr fein daruͤber philoſophirt werden, wie man jeßt ſieht, da man ſo viel und ſo fein über das Unbedingte unmenſchliche Wiſſen philoſo⸗ phirt hat. Er iſt an ſich ein negativer Begriff, wird aber ſogleich poſitib, ſobald er auf etwas be⸗ ſtimmtes bezogen wird, eine Beziehung die ihn im Grunde ganz aufhebt. Jedes Beſtimmte kann in
gewiſſer Ruͤckſicht unbeſtimmt ſeyn. Wird er nun, | nur in Ruͤckſicht auf feine Unbeſtimmtheit aufge faßt, ſo kann es eben ſo viel unbeſtimmte Gegen⸗ ſtaͤnde geben als beſtimmte und die Mannigfaltig⸗ keit der Begriffe des Unbeſtimmten ins Unendliche
vervielfältigt werden. Es duͤrfte alſo wohl ſchwer 6
ſeyn zu ſagen, welchen unter den unzähligen mögs
lichen Begriffen des Unbeſtimmten ſich Anaximan⸗ der bey ſeinem aS gedacht habe. Am ſicherſten wird man indeſſen wohl gehen, wenn man den einfachſten der ſich denken läßt, für den Begriff dieſes alten Philoſophen hält. Er ſcheint alſo nur 4 fo viel damit haben ſagen wollen: Es laſſe ſich 4 kein beſtimmter Naturgegenſtand als Urſtoff an⸗ | nehmen, wie etwa Thales das Waſſer, oder Phe⸗
recydes die Erde dafür annahm, ſondern er muͤſſe
ein Mittelding zwiſchen den allgemeinften Natur⸗ . fofen
>
Buch II. Capitel 3. ar
ſtoffen und z. B. duͤnner als Waſſer, dichter als
Luft, groͤber als Feuer, feiner als Luft, geweſen |
ſehe.
liegt es, daß er durch alle Dinge verbreitet ſeyn, und
alles erfuͤllen muͤſſe, und daß ihm nichts anders
als noch hoͤherer Urſtoff zum Grunde liegen koͤnne. Der Urſtoff muß alſo grenzenlos ſeyn, in Abſicht des Raums und der Zeit. Dies mußte ſchon Tha⸗
les dabey denken, wenn er ſich den Begriff eines
Urſtoffs deutlich dachte. Man glaubt alſo mit
Unrecht in dem Worte ameıpoy welches Anaximander von dem Urſtoffe braucht, einen Grund zu finden, daß er dem Urſtoffe zuerſt das Praͤdikat der Unbe⸗
grenztheit und Unendlichkeit gegeben habe.
Durch dieſe Unendlichkeit aber wird der Urſtoff noch nicht fuͤr das göttliche, Weſen erklaͤrt „wenn gleich dies Prädikat in einen ausgebildeten Syſtem
des Monotheismus oder Pantheismus dem goͤttlichen
Weſen gegeben wird. Anaximander war weder Mo⸗ notheiſt noch Pantheiſt. Sein Urſtoff war überhaupt nichts göttliches, wenn er ihn ſich auch als unendlich dachte. Er beantwortete eben ſo wie Thales nur die Frage, woraus die Welt entſtanden ſey? und
überließ, eben fo wie er, die Frage, wodurch ſie
entſtanden ſey? der Volksreligion zur Beantwortung.
Schon in dem Begriffe eines Urſtoffs der Dinge
9 N
7
112 Buch II. Capitel 3.
Atheiſten gehalten werden.
a
ganzen philoſophiſchen Geſchichte nicht hat ).
25 4 * ö 12 1228 vi
Er kann alſo eben ſo wenig als jener für einen
2
Aus einer burkeln und wahrſcheinlich verdor⸗ benen Stelle des Cicero hat man die Nachrichten von Anaximanders Syſtem ſehr zu bereichern ges ſucht. Cicero läßt den Epikuraͤer Vellejus fagen 9 Anaximandri opinio eſt nativos eſſe deos, longis intervallis orientes occidentesque, eosque innu- merabiles eſſe mundor. Doss letzte Wort, welches der Stelle eine ganz andre Bedeutung giebt, fehlt in manchen Handſchriften, und iſt daher ſehr ver⸗ daͤchtig. Ohne daſſelbe hat Anaximanders Mel⸗ nung wenig von der griechiſchen Volfsreligion abs weichendes. — Mit demſelben enthält fie eine ungeheure Paradoxie, aus der ſich ein Pantheismus heraus erklaren läßt, der feines Gleichen in der
Allein alle Si, Nachrichten, welche Cicero den | Eh
*) Cie, de nat. Deor. I. Io.
*) M. f. Tiedemanns Geiſt der ſpekulativen 833 a pbie Th. I. S. 55. Eufeb. praep, evangel: I. g. 9 ſagt: Anaxiwander babe behauptet alles Entſtehen und Vergehen der Dinge komme von einer immer⸗ währenden kreisfoͤrmigen Bewegung der Welten her. Von abwech ſelnden Entſtehen und Vergeben der Wels, ten, wie es Tiedemann verſtanden hat, ſagt er nichts.
Buch II, Capitel .
g Epikuraͤer von den Behauptungen andrer Philofos 1 phen geben laͤßt, ſcheinen eben keinen großen
Werth zu haben, da die Epikuraͤer eine beſondre 3 N Stärke darinn ſuchten, die Meinungen aller ans,
dern Philoſophen auf die äuſſerſte Spite zu ſtellen, und fie dadurch lächerlich zu machen. In dieſem
Charakter aber läßt Cicero den Vellejus ſprechen,
der auf dieſe Weiſe in der unmittelbar vorherge⸗ henden Stelle den kugelrunden Gott der Gtoffer, der in ewiger Bewegung iſt, und bald verbrennet bald den, lächerlich gemacht but
Ei EEE ſcheint be ſchon mehr
als Thales um die Art und Weiſe, wie aus ei
nem Urſtoffe eine Welt habe werden koͤnnen, ſich bekuͤmmert, und uͤber mancherley Erzeugungen und Veränderungen in der Koͤrperwelt verſchiedene Hy⸗ potheſen gewagt zu haben. Nur ſo viel moͤchte | ich unter den, mit unter laͤcherlichen Meinungen, | welche ihm die Alten zuſchreiben, ſuchen, z. B. unter der Behauptung, daß die Menſchen aus
Fiſchen entſtanden waͤren, daß die Erde urſprüng⸗ |
lich mit einer feurigen Rinde umgeben geweſen wäre, die zerplatzt, und aus deren Bruchſtuͤcken die Geſtirne gebildet worden waren. Er ward dabey von ſpaͤtern Schriftſtellern und andern, die ſeine | Sara H Mei⸗
.
114 Buch II. Capitel 3. Meinungen weiter fortpflanzten, gewiß ſehr oft mißverſtanden. N
Es iſt die Frage, ob ihn einmal Apakinier nes, den man als feinen Schüler nennt, recht ver⸗ ſtanden hat. Denn dieſer ſcheint wieder einen Schritt zuruck gegangen zu ſeyn, indem er wieder einen beſtimmten Urſtoff der Welt, nemlich die Luft annahm. Spaͤte Schriftſteller *) behaupten, er habe gelehrt, auch die menſchliche Seele fey nichts anders als Luft. Vielleicht hatte er nur geſagt, das belebende Princip im Menſchen ſey die eingeathmete Luft.
Durch dieſe weitern Verſuche des Nachden⸗ kens über den Urſtoff der Dinge, ſcheint die Reli⸗ 1 gionsphiloſophie zwar unmittelbar nichts gewonnen zu haben. Indeſſen war es immer vorthellhaft für fie, wenn man mehrere Arten von Urſtoffen der Welt anzupaſſen verſuchte, weil dieſes eine weitere Beleuchtung der Weltentſtehung veranlaſſen, | und die Frage, wodurch ſie entfianden fe? im
mer näher herbeyfuͤhren mußte. „ | . ) Simplicius in Phyf, Arift. p. 6. Piatarchur de f Plac. I. 3, Stobaeus p. 296. > A
Viertes
Buch II. Capitel 4. 1 115
N. Philofophie des Pythagoras befand ſich, eben fo wie die feiner Vorgaͤnger, blos auf dem Wege iu einer philoſophiſchen Religlonstheorte, ohne eine ſolche wirklich in ſich zu enthalten. So viel ſich aus den ſehr zweydeutigen aͤchten Ueber⸗ bleibſeln der Philo ſophie des Pythagoras erkennen
laßt, ſchloß ſich dieſelbe bey ihm ſelbſt und ſeinen aͤlteſten Schülern an die Volksreligion an, der ſie ſehr eifrig anhiengen, ohne daß ſie gewagt haͤtten 4 derſelben philoſophiſche Lehrſaͤtze an die Seite, oder gar entgegen zu ſeßen. Wenn dieſes mehrere ſpaͤ⸗ tere Pythagorzer thaten, ſo geſchah es entweder, weil ſi ſie die urſprünglichen Grundfäße des Urhe⸗ bers ihrer Philosophie nicht kannten, oder ſi ch Dies felben durch eignes Nachdenken zu veraͤndern oder zu berbeſſern für berechtigt hielten, wobey ſie das 5 Beyſpiel andrer Philoſophen, welche eine eigens | thuͤmliche Religionsphiloſophie hatten, nachahmten, und beſonders häufig Platoniſche 80 mit den > Pythagorälſchen derben 5
Ha Dir
16 Buch II. Capitel 4.
Der Philoſophie des Pythagoras 4 eben jener dunkle und vieldeutige Begriff des arsıpov zum Grunde, welcher die Philoſopheme des Anaxi⸗ manders ſo dunkel macht, und ſich in unſerer Sprache gar nicht mit einem Worte ausdruͤcken laßt. Ariſtoteles ) hat dieſem Begriffe und der Entwickelung deſſelben ein ganzes Vuch in ſeiner Phyſik gewidmet, ohne welches wir noch weniger elnſehen würden was die alten Philoſophen dabey dachten. Jenes arelpon konnte dem Sprachgebrauche nach bedeuten, wie Ariſtoteles bemerkt: 1. das Undurchdringliche, 2. das Unermeßliche, 3. das Unvollendete, 4. das Unbeſtimmte, 5. das, wozu ſich immer noch etwas hinzuthun laͤßt, 6. das ins Unendliche theilbare *). Man denke was ſich aus ſolch einem Begriffe alles machen laͤßt! beſonders, wenn man ihn wie die Pythagoraͤer und Plato fuͤr eine Subſtanz haͤlt, wogegen Ariſtoteles ſehr richtig zeigt, daß er nur ein Accidenz ſey. Als Subſtanz betrachtet, nahm ihn Pythagoras, ſo wie es vor ihm Anaximander gethan hatte, Pr den Urſtoff der Dinge an.
g x 7 ®) Ariſt. phyf. aufcultat, III. e. 4 = fin; *) Arift. auſc. phyſ. III. c. 6. 9. 10. 11.
75
Buch II. Capitel 4. 17
Alle jene Proͤdikate des ameıpon aber paſſen MR auf keinen denkbaren Begriff beſſer, als auf den einer Zahl; nichts iſt undurchdringlicher, nichts un⸗ ermeßlicher, nichts unvollendeter, nichts unbeſtimm⸗ ter nichts theilbarer als eine Zahl. Wie leicht war es daher einem Denker, der noch nicht durch die mannigfaltigen Erfahrungen, welche die philo⸗
ſophiſche Geſchichte uns vorhaͤlt, gelernt hatte, wie leicht das Spiel des Scharfſinnes mit bloßen Be⸗
griffen taͤuſcht, beyde Begriffe für eins und dafs
ſelbe zu halten, und Zahlen fuͤr den Urſtoff der Dinge anzunehmen? Aus Zahlen laͤßt ſich un⸗ endlich viel machen, wie die Arithmetik lehrt. Aus
dem Urſtoffe der Dinge mußte ſich auch unendlich
viel machen laſſen. Eine neue Aehnlichkeit beyder!
Aus Zahlen als Punkte genommen, ihr urfprängs liches und natuͤrliches Schema, laſſen ſich Linien, aus Linien Flaͤchen, aus Flaͤchen Koͤrper machen.
Körper waren es ja eben „dle aus dem Urftoffe
entſtehen mußten! So war ja mit der Arithmetik
und Geometrie, der Lieblingswiſſenſchaft des Py⸗ thagoras, die er ſo anſehnlich durch neue Erfin⸗ dungen bereicherte, zugleich, die Wiſſenſchaft der
Entſtehung der Welt aus ihrem Urſtoffe gefunden!
Es war ſehr natürlich, daß Pythagoras dieſe nu unter feine philoſophiſchen Lehrſaͤtze auf, 9 3 | nahın,
118 Buch II. Capitel 4. nahm, und ihr mannigfaltigen Einfluß auf andre Reſultate ſeines Nachdenkens erſtattete. Es macht ihm aber Ehre, daß er den Muſen wegen derſel⸗ ben nicht eine Hekatombe opferte, fo wie wegen der Erfindung des Verhaͤltniſſes der Quadrate am rechtwinklichen Dreyek, deren Zuverlaͤſſi igkeit ihm daher wohl evidenter ſeyn mußte, als die ei Zahlenſyſtems.
Schon in dieſem Kreiſe von er * man | die Religionstheorie des Pythagoras geſucht. Well aus der Eins das ganze Zahlenſyſtem hervorgeht, nannte fie Eudorus *) den hoͤchſten Gott. Niko⸗ machus *) ein Pythagoraͤer des zweyten Jahr⸗ hunderts nach Chriſti Geburt, nannte eben dieſe Monas Gott, gab ihr aber zugleich die widerſin⸗ nigſten und widerſprechendſten Praͤdikate. Eben fo machte er es mit der Dyas, welche auch ſchon an⸗ dre der Monas an die Seite, oder auch wohl über ſie ſetzten, weil aus dieſer allein kein Ver⸗ haͤltniß entſpringt. Andre glaubten in der Trias die hoͤchſte Grundurſache zu finden, weil in dieſer
die Monas und Dyas ſich verbinden. Dies war
* ber Theologen een welche une e ) Eudorus ap. Simplic. i in phyf. Ant. 1 I. **) Photius Cod 187. p- 237. ed. Haeſchel. RR ners Geſch. d. Wiſſenſch. I. 538. |
Bruch II. Capitel 4. 119 gern überall die Dreyeinigkeitslehre finden wollten. Nikomachus weiß einer jeden Zahl eine beſondre Goͤttlichkeit zuzuſchreiben, bis zu der Zehn, welche Py⸗ thagoras als die vollkommenſte Zahl betrachtet hatte. ö | Dieſe nennt er den uͤbergoͤttlichen Gott, den Gott . der Goͤtter, und ſchreibt ihr alle Vollkommenheiten zu, welche ſein verbranntes Gehirrn erdenken konnte. Von dieſer Fahlenvergoͤtterung läßt ſich aus den altern und aͤchten Nachrichten, die bes ſonders beym Ariſtoteles zu ſuchen ſind, nichts erweiſen. Denn wenn es gleich unlaͤugbar iſt,
i daß Pythagoras die Zahlen als Urſtoffe der Dinge
betrachtete, und daß er manche Zahlen fuͤr wichti⸗ ger anſah als andre, ſo folgt doch hieraus noch nicht, daß er fie für göttliche Weſen hielt. Als Urſtoffen kamen ihnen alle die Eigenſchaften des Areipov zu, es wurden alle Dinge von ihnen her⸗ gelei. et, es wurden ihnen Praͤdikate gegeben, welche der Gottheit nach theiſtiſchen Begriffen zukommen. Aber es fehlten ihnen andre weſentliche Praͤdikate, welche ihnen haͤtten gegeben werden muͤſſen, um eine Religion zu begruͤnden. Nach dem Ariſtote⸗ les ſprechen die Pythagoraͤer den Urſtoffen ſogar geradezu die Praͤdikate gut und ſchoͤn, d. h. alle moraliſche Eigenſchaften ab, und behaupteten, das en 96 3 4 Gute
120 Buch IL Capitel 4. Gute und Schoͤne haͤtte ſich erſt me Entſtehung der Dinge entwickelt ). Wet N 8 Man hat indeſſen noch in at SR J ſchen Meinungen Grundbegriffe einer philoſophiſchen Religionstheorie aufgeſucht. Das Syſtem des Pr thagoras war nicht durchaus conſequent, und man hat es, weil man eine ſolche Conſequenz durchgängig in demſelben finden wollte, oft ſehr falſch beurtheilt. i Wenn Pythagoras ganz conſequent gedacht hätte, fo hatte er die Entſtehung aller Dinge und alle Eigen⸗ ſchaften derſelben a priori aus den Zahlen und aus den Verbindungen und Verhaͤltniſſen derſelben ablei⸗ ten muͤſſen. Er that es auch wo es ſich nur mit ei⸗ 9 nigem Scheine thun ließ, z. B. ſelbſt in der Moral. Wo es aber nicht angieng, da machte er es, wie es bis jetzt noch alle Syſteme welche von Saͤtzen a priori ausgegangen find, gemacht haben, er nahm die Er fahrung zu Huͤlfe. Aus dieſer ſchoͤpfte er, wie es ſcheint, ohne alle Principien und blos durch Rathen | feine zehn Kategorien oder Grundbegriffe mit ihren Gegenſaͤtzen, auf welche fein Zahlenſyſtem wohl weiter keinen Einfluß hatte, als daß es ihre Anzahl beſtimmte. Eben daher nahm er auch mancherley Eigenſchaften, welche er ſeinem unbeſtimmten Ur⸗ ſtoffe gab. eie Eigenſchaft, welche mit ſeiner geome⸗ ©) Arift. Metaph. XII, 4.
Buch II. Ci PR e
gemeinen. Theorie noch die meiſte Verwandſchaft hat, war, daß er ſeinen Urſtoff auch den Raum nannte, weil dieſer fo wie die Zahlen bie: Dinge von einander unterſcheidet. Der Raum umgiebt
nach Pythagoras die Welt, und ſie zieht ihn in
ſich hinein, wie ein Thier den Athem in ſich zieht. Der eingeathmete Raum iſt eben der Urſtoff der
Dinge, und heißt als ſolcher Aether, ein Stoff,
der zwar durch das Einathmen ſchon etwas groͤ⸗
1
—
ber geworden zu ſeyn ſcheint, als das Arstpo, aber noch immer fein und unbeſtimmt genug iſt, daß noch alles aus ihm gemacht werden kann. Concentrirter Aether iſt Feuer, und der Haupt⸗ fiß deſſelben das Centralfeuer, welches als der vorzuͤglichſte unter allen Körpern den Mittelpunkt
des Ganzen einnimmt. Dies Centralfeuer, ſo
wie der Aether, iſt alſo im Grunde immer nichts
anders als jener Urſtoff, welches nicht aus der Acht zu laſſen iſt. Aus dem Centralfeuer geht
alle Wärme hervor, welche die übrigen Körper durchdringt. Aus ihm eutſtehen die vorzuͤglichſten
; Weſen, die Goͤtter und die Seelen der Menſchen.
Um daſſelbe bewegen ſich alle Himmelskörper, auch die Erde, welche durch ihre Bewegung um das
Centralfeuer an und Nacht bervorbringt 9. Es
| 5 Ariſt aufe, phyſ. IV. 6. de coelo II, 13.
122 Buch II. Capitel 4.
iſt nicht ganz ausgemacht, daß Pythagoras unter dem Centralfeuer die Sonne verſtanden habe. Mehrere Pythagoraͤer unterſchieden das Central⸗ feuer von der Sonne *), und es bleibt immer
ſonderbar, daß Ariſtoteles in der Stelle, in wel⸗ cher er der Bewegung der Erde um das Central⸗
feuer gedenkt, und da wo er ſie widerlegt, nicht mit einem Worte die Identitat deſſelben mit der Sonne erwähnt. Die Hypotheſe der Pythagoraͤer mußte dadurch eine ganz andre Geſtalt gewinnen, wenn ſie die Erde um die Sonne, und nicht um ein willkührlich angenommenes Centralfeuer ſich be⸗
wegen ließen, und er wuͤrde fie nicht mit der kur⸗
zen Bemerkung haben abfertigen koͤnnen: daß die Pythagoräer die Erſcheinungen nicht nach ihrer Natur, ſondern nach 2. Be n
gen erklaͤrten.
Das Centralfeuer, oder der Aus fluß deffelßen, der Aether, kann auch nur fehr uneigentlich die Weltſeele genannt werden. Denn es iſt und
bleibt licht anders als der Urſtoff der e 1
*) Philolaus ap. Stob, ecl. phyl. I. Vol. I. p. 488. N ö
ed. Heeren. Timaeus Locr. de anima mundi ap.
Gale Opufe. mythol. p. 550, Alexander Polyhi⸗ ſtor. ap. Diog. Laert, VIII, 26. e 1 d. Geſch. d. Phil. I. 366.
K An
Buch II. Capitel a. 123
Die Seelen der Goͤtter und Menſchen ſind zwar
aus ihm geformt, aber ſie haben in ihrem Ur⸗ ſtoffe noch nicht die Eigenſchaften, welche ſie durch ihre Form erhalten. Denn dem Urſtoffe legten die Pythagoraͤer wie Ariſtoteles (Metaph. XII, 4) ſagt, keine moraliſchen Eigenſchaften bey, ſondern 4 den ausgebildeten Gegenſtaͤnden. Das Verhaͤlt⸗ niß des Urſtoffes zu der Welt iſt nicht daſſelbe, welches das Verhaͤltniß der Seele zum Koͤrper iſt, daher ihn auch Pythagoras lieber mit einem Weltathem als mit einer Weltſerle verglichen au haben ſcheint. | Es kommen daher dem Centralfeuer und dem | Aether zwar alle die göttlichen Eigenſchaften zu, welche dem Urſtoffe der Welt uͤberhaupt zukom⸗ men, und zwar vielleicht noch in einem höhern Grade, in ſofern es der vollkommenſte Urſtoff iſt, und aus ihm die vollkommenſten Weſen, hervorge⸗
hen. Aber von den eigentlichen Goͤttern ſcheint es
Pythagoras noch genau unterſchieden zu haben. Er nannte es daher auch nur die Wache oder die Wohnung des Zeus, uud auch ein ſpaͤterer Py⸗ thagoraͤer Philolaus *) giebt ihm keinen andern Namen als den: der Heerd des Ganzen, das Haus des Zeus, die Mutter der Götter, den Als
8 | tar ) ap. Stobaeum l. e.
—
9
124 Bouch II. Capitel 4. | tar und den Innbegriff der Natur. Eben "biefer ſetzt ihm ein andres aͤuſſerſtes, alles umgebendes Feuer an die Seite, worunter er unſtreitig den zuſſern von der Welt noch nicht eingeathmeten Yes ther verſteht. So ſcheint auch Pythagoras die uͤbrigen Geſtirne nicht ſowohl ſelbſt fuͤr Goͤtter als nur fuͤr heilige Wohnungen derſelben geben
zu e.
Man ſieht alfe, daß 3 feinen richti⸗ 4 gen Begriff von dem Syſtem des Pythagoras hats ten, welche bald dieſe bald jene von ſeinen Ideen “2 für den Gott dieſes Philoſophen hielten. So 3 glaubt ihn der Eplkuraͤer Vellejus beym Cicero Et dadurch lächerlich. zu machen „ daß ſein Gott, für | welchen er die, ihm auch im Grunde nur ange⸗ dichtete Weltſeele anſieht, dadurch in Stücken ge⸗
riſſen wuͤrde, wenn die Seelen der Menſchen von $ ihm genommen wurden, und dadurch zu widerle⸗ 77 gen, daß die Menſchenſeelen allwiſſend ſeyn müßs 4
ten, wenn ſie Theile der Gottheit waͤren. Man kann ihm dies zugeben, und es wird zur Beſtät⸗ 4 N ” Cic. de nat, Deor. I. 11. Es gilt hier iR
was oben von der oberflächlichen und falſchen Aud-
legungsart geſagt worden iſt, welche die Epiku⸗
raͤer von den Behauptungen andrer Philosophen :
W
den durch das Ganze verbreiteten urſtoff nicht fuͤr
eine Weltſeele, und die Weltſeele nicht fuͤr Gott hielt, weil ſich eben fo etwas abſurdes unmittel⸗
bar daraus folgern laßt. Nach eben dieſer irrigen
Vorausſetzung, daß Pythagoras den feurigen Ae⸗
f ther fuͤr goͤttlich gehalten habe, behauptete Alexan⸗ der der Polyhiſtor ), daß er Sonne, Mond und
Sterne, für Götter erklaͤrt haͤtte. Noch weiter
ſind diejenigen von der Wahrheit entfernt, welche behaupten, Pythagoras haͤtte die Sonne fuͤr das hoͤchſte göttlihe Weſen gehalten ). Dies grüns det ſich auf die Meinung, daß die Sonne und das Centralfeuer af lbe fey, ag he gar nicht erwieſen iſt.
Der ſtaͤrkſte Beweis aber, daß ee innerhalb ſeines philoſophiſchen Syſtems keine Theologie gehabt habe, iſt die Aufmerkſamkeit und
Verehrung welche er der Volksreligſon widmete. Sein philoſophiſches Syſtem ſcheint auf fi ie keinen
weitern Einfluß gehabt zu haben, als daß er be⸗
hauptete, die Götter wären auch aus dem allge⸗
meinen Urſtoff, und zwar aus der Quinteſſenz
5 e, N dem Centralfeuer entſtanden, ſie waͤren | des⸗
* ap. Diog. Laert. VIII, 25 20 Tennemann RR, d. Phil, I. 128.
—
Buch II. Capitel 4. 125 . gung ber Behauptung dienen, daß Pythagoras
| Br a 126 Buch II. Capitel 4. deshalb mit den Menſchen⸗ und Thierſeelen, welche eben daraus entſtanden waͤren, verwandt, und ſorgten darum fuͤr ſie. Er unterſchied ſich dadurch von den aͤltern Dichtern und Theologen „welche | | den Göttern entweder gar keinen oder einen Urs f ſprung aus dem Chaos zuſchrieben. Sonſt nahm er den Volksglauben wie er ihn fand, und ſcheint * blos einige genauere Beſtimmungen der Rangord⸗ nungen und Claſſen der Goͤtter verſucht zu ha⸗ ben *). Auch ſcheint er nicht ganz mit den die Goͤtter herabwuͤrdigenden Fabeln, zufrieden gewe⸗ ſen zu ſeyn, welche die Dichter von ihnen erzäh⸗ len, wenn anders einer Wundererzaͤhlung des Hie⸗ ronymus von ihm, nach welcher er in die Unter⸗ welt hinabgeſtiegen ſeyn und daſelbſt die Seelen des Heſiodos und Homers, wegen der Fabeln, die fie den Goͤttern angedichtet hätten, beſtraft gefee hen haben ſoll, etwas Wahres zum Grunde 4 liegt *). | Verehrung der Götter, war eine der 5 4 lichſten Vorſchriften, welche Pythagoras ſeinen J Schuͤlern und den Mitgliedern, der von ihm ge⸗ 4 ſtifteten Geſellſchaft einſchaͤrfte. Die Pythagoräer 4 kleideten ſich nur in ſolche ie welche man fuͤr
—
*) Meiners Geſch. d. Wiſſenſch. L m 541. * Me Laert, VIII, 21,
P * vw“
eren, 4 * m 51 1 N \
Buch I. Capitel 2 kay fuͤr gottgefällig hielt, enthielten ſich aus Froͤm⸗
migkeit von vielerley Speiſen, lehrten und wohn⸗ ten faſt nur in Tempeln und heiligen n, Sie beteten oft mit Andacht bey den Bildniſſen und Altaͤren der Götter, weil ihr Lehrer geſagt hatte, man koͤnne die Sitze der Götter nie in gu⸗ ter Abſicht beſuchen, ohne ſie beſſer zu verlaſſen, als man ſie betreten habe. Sie unterredeten ſich oft uͤber die Verehrung der Goͤtter und ſangen ih⸗ nen täglich Lobgeſaͤnge. Bey jedem Mahle goſſen fie Wein zu Ehren der Götter aus, und raͤucher⸗ ten ihnen Weihrauch. Sie opferten den Goͤttern z doch haufiger Mehl, Kuchen und Weihrauch als blutige und koſtbare Opfer, indem ſie behaupteten, daß nicht koſtbare und praͤchtige Opfer, ſondern Reinigkeit des Herzens und der Hände dem Op⸗ fernden die Gnade der Goͤtter verſchaffe »). Es kann ſeyn, daß Pythagoras dieſe Froͤm⸗ migkeit mehr aus Politik, um ſich und ſeinem Or⸗ | den Anſehn bey dem Volke zu verſchaffen, als aus Ueberzeugung uͤbte und empfahl. Dann wird aber gewiß eben dieſe Politik ihn veranlaßt haben, nichts in fein philoſophiſches Syſtem zu verweben, was der Volks religion entgegen zu ſeyn ſcheinen e, und den Goͤttern des Volks weder ſeine
Zah⸗ | er Meiers Geſch. d. Wiſſeuſch, I. 481.
ye.
* *
128 Buch II. Capitel 4. |
Zahlen, noch feinen Aether, noch en 8
an * ‚ zu ſetzen. a 8 den angeführten und dale andern weh ſerungen ſcheint zu erhellen, daß er auch die Volks⸗
religion zu verbeſſern und manche edlere Ideen mit
ihr zu verbinden ſuchte. Aber es darf auch nicht
verſchwiegen werden „daß er Aberglauben, Myſti⸗
cismus und Schwaͤrmerey beguͤnſtigte, ob ihm gleich bey weitem nicht alle die ungeheuren Ausſchweifungen
zur Laſt zu legen find, welcher ſich feine Schuler :
ſchuldig machten. Dieſe ruͤhmten ſich der genaueſten Vertraulichkeit mit goͤttlichen Naturen, und wunder⸗
ten ſich, wenn jemand ſagte, daß er noch niemals einen Dämog geſehen habe. Sie glaubten Erſchei⸗
nungen abgeſchiedner Seelen zu haben, und an ge⸗ wiſſen Zeichen erkennen zu koͤnnen, ob die Geſtalten, welche ihnen in Traͤumen vorkamen, Seelen von le⸗
benden oder verſtorbenen Menſchen ſeyen. Sie rie fen die Geiſter ihrer verſtorbenen Freunde hervor,
und hoͤrter Stimmen aus ihren Graͤbern. Sie
glaubten die Zukunft aus allen Arten von Vorbedeu⸗ tungen, aus dem Fluge und Geſchrey der Voͤgel, aus Träumen, Stimmen und andern Dingen ent⸗ raͤthſeln zu koͤnnen ). Es laͤßt ſich nicht ausma⸗ chen, wie vielen Antheil die Lehre N ſielbſt
*) Menners Geſc. d. Wiſſenſch. I. 482.
4
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Buch II. Capitel 24. ag ſelbſt an dieſen Aus ſchweifungen hatte, ſo viel iſt aber gewiß, daß, wenn ſie dieſelben auch nicht ver⸗ anlaßt haben ſollte, ſie doch nicht hinreichend war, n zu verhuͤten. a
Dem bisher geſagten zu Folge gieng alſo | aus dem Syſteme des Pythagoras noch keine phi⸗ loſophiſche Religionstheorie hervor. Demohngeach⸗ tet diente es dazu, eine ſolche fuͤr ſpaͤtere Philo⸗ ſophen immer noch mehr vorzubereiten und naͤher herbey zu fuͤhren. Er blieb nicht bey dem bloßen Urſtoffe und einigen ſchwachen Verſuchen, aus dem⸗ ſelben etwas zu machen, ſtehen, ſondern er machte auf die Ordnung und Schoͤnheit des Ganzen, die aus ihm entſtanden war, aufmerkfam, Zwiſchen dem Urſtoffe und dem Entſtandenen ließ er freilich noch eine große Luͤcke, aber eben dieſe ward in der Folge der Plaß, welchen die phitofophifche Res a. einnahm. | Ohne mich hier auf die Streitigkeiten aa lasen „welche uͤber die Aechtheit und das Alter des Ocellus Lukanus geführt worden ſind, will ich hier nur zeigen, daß das Syſtem dieſes Pytha⸗ goraͤers nach der Darſtellung deſſelben, welche Bardili geliefert hat, das bisher geſagte betätigt, und zugleich durch daſſelbe erlaͤutert wird. Ocellus behauptet, die Welt ſey ewig, Er theilt ſie in . Be; J | bie
130 Buch II. Capitel 4. die Welt uͤber und unter dem Monde; alles ent⸗
ſteht in ihr durch Zeugung. Die Sublunariſche 5
Welt iſt der veraͤnderliche Theil, der ſich leidend verhaͤlt und in ſich erzeugen läßt. Der uͤber dem Monde iſt wirkſam und thaͤtig, und enthält den
Grund von allen Arten der Abwechslung und den
Veränderungen in der ſublunariſchen Welt. Es iſt alſo eine ewige SE jung in der Welt. Dies ſcheint blos eine andre At der Darſtellung derjenigen Behauptung zu ſeyn, welche Pythagoras ſombo⸗ liſch durch das Einathmen des Urſtoffs ausdruͤckt, | wovon wir oben geſprochen haben. Erſt bey feinen + moraliſchen Lehrſaͤtzen nimmt Ocellus die Götter zu Huͤlfe. Er eignet ihnen Unſterblichkeit, Einfluß auf die Menſchen und eine gewiſſe Aufſicht über fie zu. Ai Dieſe Art der Exiſtenz hatten fie durch eine ewige | Nothwendigkeit. Er ſchreibt ihnen auch Einfluß auf die ganze Einrichtung der menſchlichen Natur zu, in⸗ dem er die menſchlichen Begierden von den Göttern. | ableitet und behauptet: Gott habe den Menſchen durch eine ununterbrochene Zeugung, eine Art von Unſterblichkeit geſchenkt. Dies hebt Bardili als ei⸗ nen Widerſpruch des Ocellus gegen ſich ſelbſt her⸗ aus, weil er die Einrichtung der Natur zuvor noth⸗ wendigen und ewigen Geſetzen, hier aber den Göts
tern zuſchreibt. Er glaubt den Widerſpruch damit
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* 5 1 3 47
Buch II. Capitel 4. 131 zu loͤſen, daß er meint, Ocellus verſtehe unter der Gottheit die Welt, die ewige Natur. Wenn aber DOeellus als Pythagoraͤer ſeine theologiſchen Ideen blos aus der Volksreligion nahm, ſo ſieht man ſehr wohl ein, warum er der Goͤtter erſt im moraliſchen Theile feiner Lehren gedenkt, und ihnen einen fo maͤchtigen Einfluß auf die Menſchen zuſchreibt, ohne daß er die Welt fuͤr die Gottheit darf auge⸗ | ſehen haben. i N | Weit mehr unterſcheidet ſich von täter a ſtellung der Lehren des Pythagoras das Syſtem ' des Timaͤus von Lokei, welches ebenfalls von Bardili ſehr lichtvoll auseinandergeſetzt worden iſt. Der Satz: Drey Dinge waren es \ durch welche das jetzige Weltſyſtem zu Stande kam, Gott, die Idee und Materie widerſpricht geradezu den erſten Grundſätzen der Philoſophle des Pytha⸗ goras nach der obigen Darftellung. Dagegen iſt dieſer Saß ganz platoniſch, wie uͤberhaupt das Syſtem des Timaͤus mehr Aehnlichkeit mit dem platoniſchen Syſteme, als mit irgend einem pytha⸗ E goraͤſchen bat 2 i 1 Fuͤnf⸗ 1 M. ſ. Epochen der vorzüͤglichſten philoſophiſchen | . nebſt den noͤthigſten Beplagen. Erſter
Theil, J 2
132°. Bull. Capitel 5.
Fünftes Capitel.
Fan ruͤher als die ubrigen aͤlteſten Pblſpben Grie⸗ chenlands, gelangte Kenophanes zu einem Ziele, bey welchem jene auf einem langſamern, aber ſiche⸗ rern Wege endlich auch ankamen, naͤmlich zu ei⸗ ner rationalen Theologie. Kenophanes hatte den Weg dahin zuruͤckgelegt, auf den Fluͤgeln der idealiſirenden Einbildungskraft „ und getrieben von einem genialiſchen Geiſte des Widerſpruchs, gegen einfeitige und unbegruͤndete Behauptungen. Er
N | | na,
Theil, von Chriſtoph Gottfried Bardili. Halle 1788. Es befindet ſich in dieſem Buche als Bey⸗ lage eine Darſtellung der Syſteme des Ocellus
und Timäus, nebſt einem Verſuche ihre Aechthelt zu vertheidigen, die beſonders Meiners hit. + 3
Deo p. 312 feqg. Geſch. d. Wiſſenſch. Bd. I S. 584 f. Philol. Bibl. 1. 85. S. 204 ſcharfſinnig beſtritten hat. Tennemann hat im Syſtem der Platoniſchen Phil. Bd. I. durch Vergleichung der Schrift des Lokriers mit dem Platoniſchen Timaͤus die Unächtheit von jener zu zeigen geſucht, „die ich 1 denn nach dem Obigen auch lieber zugebe, als 2 Be mae des Der: |
Buch II. Capitel . 33 war an's Ziel gekommen, ohne zu wiſſen wie, und wagte daher nicht mit voͤlliger Zuverlaͤſſigkeit zu behaupten, daß das Ziel das einzige wahre, und der Weg der richtige fen, den er gegangen war. Er ward es zum erſten Zweifler. |
Auch er gieng vom Nachdenken uͤber die Na⸗ tur, ihr Daſeyn und die Gruͤnde deſſelben aus. Seine Vorgänger hatten ſtillſchweigend als Grund⸗ ſaß angenommen: aus Nichts wird Nichts, und hatten daher allemal ein Etwas vorausgeſetzt, | woraus Alles entſtanden ſeyn ſollte. Jenes Et⸗ was aber, Feuer, Waſſer, Luft, ein Chaos, oder ein unbeſtimmter Urſtoff war in jeder Ruͤckſicht unzureichend, das aus ihm entſtandne, zu erklaͤ⸗ ren. Dies ließ ſich auf mancherley Weiſe zeigen. . Ariſtoteles *) hat uns aber vorzuͤglich ein Dilemma
ä | 32 e 7
4 ) Ariftoteles de Xenophane Zenone et Gorgia Cap. 3. M. ſ. Buhle de Ortu et progreſſu Pan- theismi inde a Xenophane usque ad Spinozam in Comment. Soc. Reg. Scient. Gotting. Vol. X. p. 157 feg. wo p. 163 gezeigt iſt, daß das dritte und vierte Cap. dieſes Fragments, ohngeachtet ſie als Lehre des Zeno überfchrieben find, vom Xe⸗ nophanes handeln, auch Spalding Commentarlus in primam partem libelli de Xenophane, Zenone et
| Pos Berolin. 1793.
134 Buch II. Capitel 5. aufbewahrt, durch welches Kenophanes es bewies. Alles Entſtandene , fagte er, muß entweder aus etwas Gleichem oder aus etwas Ungleichem ent⸗ ſtanden ſeyn. Das Gleiche kann nichts Gleiches hervorgebracht haben, weil es ſonſt nicht von ihm zu unterſcheiden ſeyn wuͤrde. Sollte es aber aus etwas Ungleichem entſtanden ſeyn, fo müßte es aus. 1 Nichts entſtanden ſeyn. Aber aus Nichts wird Nichts. Er glaubte mithin in dem Begriff des Entſtehens ſelbſt einen Widerſpruch zu finden, und es blieb ihm nichts übrig als ein Seyn, und
zwar ein ewiges Seyn einer wenne Subſtanz. N
Dieſe große Idee halte er blos durch Ver⸗ 1 nunftſpekulatlon gefunden. Er wußte fie nicht mit 5 N der Erfahrung zu vereinigen; doch meinte er ſeiner u Vernunft mehr glauben zu muͤſſen, als ſeinen — 4
Sinnen und ſeiner Erfahrung. Seine Idee, eine 1 der erhabenſten, die je in eine menſchliche Seele gekommen iſt, erſchien ihm höher, als alle feine bisherigen Begriffe. Er verglich ſie mit den er⸗ 9 babenſten Vorſtellungsarten, welche er bisher ger Be habt hatte, um in ihnen Praͤdikate zur weitern Ausſchmuͤckung, ſeiner an ſich eben ſo einfachen | als großen Idee zu finden. Die hoͤchſten Be⸗
griffe, welche er en waren die Mahitgern 1
Bor
Wenne aa bee x 64 * [u \ % 4 *
unterſcheiden wußte. Dieſe verband er mit ſeiner Idee, indem er ſie theils noch reiner und voll⸗ kommner dachte, als ſie in der Volksreligion ſelbſt
gedacht wurden, theils ihnen dadurch einen beſon⸗ ders hohen Werth gab, daß er ſie einzig und al⸗
lein von ſeiner ewigen und unveraͤnderlichen Sub⸗ ſtanz praͤdizirte, die, er in ſofern den einzigen
Gott nannte. \
An und für ſich ſelbſt liegt in her Idee des | Kenophanes gar kein Grund, fie mit religißfen
Praͤdikaten zu denken. Die Praͤdikate der Ver⸗
nunft und Empfindung, der Allwiſſenheit und All⸗
macht, welche er ſeiner ewigen Subſtanz giebt, laſſen ſich auf keine Art aus ihrem Begriffe ber weiſen, und eben ſo wenig aus andern Begriffen,
0 da der Begriff von ihr ſelbſt ein Urbegriff ſeyn
ſoll, dem nichts höheres zum Grunde liegt. Er verfuhr alſo inconſequent, indem er ſeiner Idee
religiöſe Praͤdikate gab, und wuͤrde ihr dieſe Praͤ⸗ dikate gewiß nicht gegeben, und jene ewige Sub⸗ |
ſtanz nicht Gott genannt haben, wenn nicht ſchon
zuvor Religionsbegriffe vorhanden, und die hoͤch⸗
ſten geweſen wären, welche Tenophanes kannte.
Man kann alſo auch eigentlich nicht fagen, daß in⸗
J 4 a e |
Buch II. Capi B "Ag,
"Borflellangsarten feiner - Volksreligion von den 5 Goͤttern, die er ſehr wohl von den unwuͤrdigen zu
/ ALT EN een ; i ;
22" Buch II. Capitel 5. | nerhalb ber Philoſophie des Kenophanes der Grund zu einer eigentlichen und confequenten Religionstheo⸗ rie gelegen habe, und daß er nach Anleitung ſeiner Ideen religioͤſe Begriffe gefunden haben würde, wenn ſie nicht ſchon da geweſen waͤren. — Jetzt wollen wir ihn ſelbſt in den wenigen dichteriſchen
8 Fragmenten, die uns mehrere Schriftſteller von ihm | aufbewahrt haben ) ſprechen laſſen: | | Das weiß kein Sterblicher gewiß, und keiner | Wirds je ergründen, was ich von den Göttern - 5 Und von dem Ganzen ſage. Wer das Rich⸗ NR >. tige aa 17 Darüber teife, hätte doch für ſich Pi. N Noch immer nicht Gewißheit. Ueberall
5 Herrſcht nichts als Meinung). Dies gilt nur als Vermuthung und Wahr⸗ ſcheinlichkeit! x?) Es iſt ein Gott, der größte aller Götter | x 8 8 7 Und
) und die Herr Fuͤlleborn geſammelt, u Infanımens 731 | geſtellt und geſchmackvoll uͤberſetzt hat. Ich gebe 1 nach dieſer Ueberſetzung. S. Fuͤlleborns Beyträge
St. 7. |
an) Dleſe Verſe führt Sextus Empiriens anadv, Math. VII, 49 und 110. g Sn ae vnn) plutarch. Amator. ö neh
f * r r n
n Ar Hr ik 2 i 19957 4 * * N N 4
5 Wir alle find aus Waſſer und aus Erde ffff)
Buch Il. Eapitels. * 5 0 Und FIRE: ähnlich meder an Geſtalt
Die Menſchen waͤhnen daß die Götter, ſo wie ſie | Gebohren werden, und, wie ſie Gewand Und Form und Stimmen haben f). Ja wären Loͤw' und Stier mit Händen nur Verſehen, um zu mahlen und zu thunn Was Menſchen koͤnnen; fi cher wuͤrden ſie N ni Die Götter mahlen, wie fie felber find, 5 14 Und ihnen Körper geben, die den ihren Vollkommen glichen ff). c | Aus Erd' iſt Alles: Alles wird zu Erde ff) a Die Götter haben nicht vom Anfang Alles e 38 Dem
Y clemens Alex. Strom. V. p. 6er und Euſeb.
Praep, Evang. XIII, 13. p. 678. u) Sextus adv. Math. IX, 144.
bu) Simplicius in Phyſ. Ariſt. 0 m Clemens Strom, V. 601 Euſeb. Praep. XIII. 13.
p. 678. f * 1) Clemens et Euſeb. I. c. | 1
a ’ II) Sextus adv. Math, X. 313. Stobaeus 1. p. 294
ed. Heeren.
+itt) Sextus adv. M. IX. 361. X. 315.
138 Buch II. Capitel 5.
Dem Sterblichen verliehen: dens fin- det er
Durch langes Forſchen erſt das weer ).
Auſſer den in dieſen Fragmenten 5 | Begriffen von der Gottheit, verdient noch bemerkt zu werden, daß Tenophanes derſelben eine KRu⸗ gelgeſtalt gab, wahrſcheinlich um anzudeuten, daß ſie ſich in allen ihren Theilen vollkommen gleich
ſey, daher er auch behauptete, die Empfindungen | der Gottheit wären fi durchgängig gleich.
Sehr merkwuͤrdig aber iſt es, daß Nenopha⸗ nes dem Begriffe einer bloßen Vernunftidee voll⸗ kommen gemäß, laugnet: daß Prädikate der Zeit und des Raumes auf die Gottheit anwendbar waͤ⸗ ren. Nach ihm war ſie weder grenzenlos noch
unbegrenzt, weder beweglich noch unbeweglich. Er 1
ſcheint dabey jedoch nicht bedacht zu haben, daß, | was eine Kugelgeſtalt haben foll, im Raume exiſti⸗ ren muͤſſe, daher er auch wohl dieſe Geſtalt nur als Schema ſeiner Veri gehraucht haben ö 4
duͤrfte. | X
Man hat eine theologiſche Vorſtellungsart u wie die des Keuophanes gewöhnlich Pantheismus ge nannt. Es iſt fonderbar, daß man zuweilen die
| felbe *) Stobaeus I. p. 224. ed, Heeren. K
Buch II. Capitel 5. 1390 ſelbe für atheiſtiſch erklaͤrt, oder doch wenigſtens mit dem Atheismus in eine Claſſe geſetzt hat. Sie iſt demſelben noch weit mehr als der Theis⸗ mus entgegengeſetzt. Denn ſie iſt im Grunde ein übertriebner Theismus, welcher der Idee von Gott eine ſo weite Ausdehnung giebt, daß da⸗ durch das Daſeyn aller andern Gegenſtaͤnde auſſer ihm verdrängt wird. Wenn es daher moglich | waͤre, daß ſich jemand dadurch an einem Gegen⸗ ſtande verfündigen koͤnnte, daß er die Exiſtenz deſ⸗ ſelben leugnete, fo würde ſich der Pantheiſt nicht ſowohl an Gott als an den Cirarathappe 85 Gott verſündigen N Wie Kenophaned feine aus der bloßen Spe⸗ kulation geſchoͤpfte Idee von Gott mit der Erfah⸗ rung und dem Daſeyn der ſinnlichen Gegenſtaͤnde vereinigte, daruͤber fehlt es uns an hinlaͤnglichen Nachrichten. Wir wiſſen nur ſo viel, daß er durch den Widerfpruch der Erfahrung gegen ſeine Idee | ſich in Zweifel verwickelt ſahe, aus denen er ſich nicht zu helfen wußte. Zwar hatte er nicht ei⸗ gentlich die Maxime des Zweifelns, und war da⸗ 915 N her 9) Man wuͤrde ihn daher mit mehrem Recht, eben fo wie Sichten (S. deſſen gerichtliche Verantwortung
S. 58) einen Akosmiſten als einen Atheiſten nen⸗ nen koͤnnen.
140 Pe Il. Capitel N.
ber nicht eigentlicher Skeptiker, ober beg ein 1 ’ felnder Dogmatiker ).
Am wenigſten konnte er ſeine Ideen von der Gottheit mit der Volksreligion vereinigen, ob er ſie gleich wie vorhin gezeigt worden iſt, im Grunde aus derſelben ſchoͤpfte “). Er verwarf ſie daher mit einer Freymuͤthigkelt, die ihm eben fo zur Ehre gereicht, wie den Griechen in Italien die
Toleranz, welche ſie gegen ihn uͤbten, und die | | Achtung die fie ihm feiner freyen Denkungsart
ohngeachtet bezeugten. Sie legten ihm fogar Fra⸗
gen über religloͤſe Gegenſtaͤnde vor, die er . J
fo vernuͤnftig als freymuͤthig beantwortete. Weft ſanatiſcher behandelten die Athenienſer einen Anaxa⸗ 4 goras, Protagoras und Sokrates. b
Seine Verwerfung der Volksreligion war ubrigens eine eben fo natürliche Folge als ein ſiches res Kennzeichen davon, daß er in feiner Philoſophie 4 eine eigenthuͤmliche Religionstheorie zu haben glaubte. 4 Wir haben dieſelbe daher bey den bisher betrachteten \ griechiſchen Philoſophen auch nicht gefunden, weil
ſie
9 M. vergl. Staͤudlins Bain und Bor des Ri Skepticismus S. 178 f. 5 —
*) Diog. Laert. IX. 18. Sent. Emp. ann 289. IX, 193. 5 f
#
pr
Woch II. Gapitel 5 RR? N
fe ihre Pblsſepheme durchgängig an die Vorſtel x
ungen der g anfchloffen.
Daß di Verbindung welche Kenöphanes zwi⸗ Then feiner ewigen Subſtanz und der Idee von der Gottheit machte, nicht nothwendig war, beweißt auch dieſes, daß ſein Schuͤler Parmenides, ohnge⸗ achtet er von derſelben Idee ausgieng, dieſe Verbin⸗ dung nicht ſchloß. In den von ihm uͤbrig gebliebe⸗
nen Fragmenten ) bezeichnet er die einzige Sub⸗
ſtanz nirgends, als die Gottheit. Er beginnt ſein philoſophiſches Gedicht von der Natur mit einer my⸗
thifäpen Fiktten, welche auf Ideen der griechiſchen
Volksreligion hindeutet, und wenigſtens fo viel bes
—
weiſt, daß ihm dieſe Ideen nicht ſo zuwider waren, wie feinem Lehrer Renophanes. Er läßt ſich durch
zwey griechiſche Goͤttinnen, Themis und Dike, in
das Heiligthum einer andern Goͤttin fuͤhren, deren Namen er nicht nennet, welche ihm die Lehren der Wahrheit enthuͤllt. Von der Göttin Dike fagt er:
—
Dies
9 Die Suͤueborn ebenfalls überſetzt, und mit aus
gebreiteter Gelehrſamkeit erläutert hat, im ön Stuͤck
\ feiner Beytraͤge zur Geſch. der phil.
142 Buch II. Capitel 35. Dies bleibt ewig wahr und feſt Daß nie etwas aus Nichts von ſelbſt entſteht: Und Dike laͤſſet nicht entſtehen nicht vergehn, ſie haͤlt des Ganzen Bande 805 In einer andern Stelle ſagt er: | 327 Es haͤlt das All die mächtige Nlothwendig keit (wvayxy) In der Begränzung Banden eingeſchränkt. Und weiter: | Auſſer dem was if u Giebt es ſonſt nichts, und wird es nimmer geben, Das Schickſal (ug) hat es ganz und unbe⸗ 4 weglich, und feſt gemacht. 3 Dann ſpricht er noch von einer Goͤttin in I 1 Verſen: 99
S m — E
Die dichter € Elemente find | Gebildet aus unreinem Feuer, und Aus Nacht die andern. Unter ihnen iſt 4 Das Reich der Flammen. Und in ihrer Mitte 7 Die Goͤttin, die das große All beherrſcht. | Von ihr ſtammt groͤbere Erzeugung und Vermiſchung, daß das Weibliche ſich mit 9 Dem Maͤnnlichen, und dies mit jenem 8 — 3 Von allen Göttern ferme ſie e 0 Den Eros. * W
baus *) vergleicht, nach welchen Parmenides daſſelbe | Wefen: das Princip aller Bewegung und Erzeu⸗ | gung, die Goͤttin, Regiererin „die Inhaberin der Hoße, das Schickſal, die Vorſehung, die Welt⸗ ſchoͤpferin die Nothwendigkeit und Dike nennt, und wo er ſagt: daß alles durch Wothwendigkeit beſtimmt wird, ſo wird man leicht einſehen, daß die
Religionstheorie des Parmenides aus philoſophiſchen
und Volksideen zuſammengeſetzt, aber von der ſei⸗
nes Lehrers ſehr verſchieden war. Sein Fatalis
mus ſcheint ſich indeſſen mit der Idee einer einzigen Subſtanz conſequenter verbinden zu laſſen, als der Pantheismus des Kenophanes. Denn Fatalismus ſcheint in ſeinem Syſtem vollig die Stelle der Reli⸗
gion eingenommen zu haben. Die Idee von einer
eiſer⸗
) Stobseus T. I. p. 482. ſd. ed. Heeren. Die Dich⸗ tung von dem Feuerkranze des Parmenides ſcheint Stctobaͤus eben fo wenig verſtanden zu haben, als
der Epikuraͤer Vellejus beym Cicero de Nat. Deor. I.
11 welcher keinen Sinn darinn zu finden geſteht. Nach dem obigen Fragment waͤre der Feuerkranz nur der Sitz der Goͤttin nicht die Goͤttin ſelbſt ge⸗ weſen. Die andre Stelle ſteht beym Stob. I. p. 158. Es iſt jedoch zweifelhaft, ob fie vom Demokritus
gilt oder vom Parmenides. M. ſ. Fuͤlleborns Bey⸗
träge St. VI. p. 99 und 102.
Wenn man dieſes mit ein paar Stellen beym Sto⸗
1,
244 Vuch II. Capitel 5.
eifernen Nothwendigkelt war zwar nicht neu. Sie war, wie wir geſehen haben, ſchon vom Homer mit den Mythen der Volksreligion verbunden worden. Aber ſie duldete doch, obgleich im Grunde auch nur durch eine Inconſequenz, neben ſich den Glauben an RE Götter, Beym Parmenides ſcheint fie dagegen diese ſen Glauben ganz verdraͤngt und er ſelbſt mit den
Goͤtternamen als mit Dichterbildern nur geſpielt,
und ſie vielleicht blos aus Klugheit gebraucht zu haben. |
Man dürfte alfo dem Parmenides wohl nicht Unrecht thun, wenn man ihn fuͤr den erſten Athei⸗ ſten unter den griechiſchen Philoſophen halten wollte, Er war es imenigftend | in fofern, als die Idee von der Gottheit innerhalb ſeines Syſtems keinen Pb fand,
- Daß es nicht nothwendig war, mit der Idee von einem Ganzen (EY aal rav) den Begriff der Gottheit zu verbinden, beftätigen auch die Mei⸗ nungen des ieliſſus, welcher etwas ſpaͤterhin im Ganzen eben die Grundfäße hatte, welche Xes nophanes behauptete. Cr unterſchied ſich von die⸗ ſem und dem Parmenides hauptſaͤchlich dadurch, daß er die Weltſubſtanz materiell *) dachte. Dies
| mußte
*) Meiners hift. de Deo p. 335 506 Buhle Lehre buch d. Geſch. d. Phil. I. 299.
NR) 1 1 Ä
mußte die Verbindung derſelben mit der Idee von der Gottheit noch mehr erſchweren. In den Frag⸗ menten eines von ihm gefchriebenen Buches, welche 1 * Simplicius 9 aufbewahrt hat, findet fü ch daher auch nicht eine Spur dieſer Verbindung. Stobäus c) fagt zwar, er habe die Elemente Goͤtter und ihre Vermiſchung die Welt genannt. Durch das was er hinzuſetzt, zeigt er aber auch daß Menlſſus mit dem Goͤtternamen ſehr freyhge⸗- big war. Er nannte die Seelen goͤttlich, und diejenigen welche dieſelben rein erhalten. Dage⸗ gen ſagt Diogenes Laertius 1 Meliſſus habe von den Göttern geſagt, es laſſe ſich nichts mit Gewißheit von ihnen behaupten, well keine Er, * von ihnen u en.
vor Da Meliſus Feldherr und Staatsmann + war, ſo mag er wohl Gruͤnde genug gehabt haben ‚ fein Artheit von den Goͤttern zuruͤckzuhalten, fuͤr welche ſich in ſeinem Syſtem im Grunde wohl eben 1 wenig Plat finden 2 als in dem des menides. | | er BSR. d w 1 Cie
9 Simplicius ad Arifot, 1 A 1. 55 ete. 9 Stobaeus Ecl, phyf. p. 60. | 35 Ne Diog. Laert, IX, % |
K
Buch II. Capitel u s 5
146 Buhl Eavits.
Einer der ſcharſſinnigſten Köpfe, welcher aus der eleatiſchen Schule hervorgieng, war Zeno. Das, was er ſic von dem Stifter derſelben am meiſten zu eigen gemacht hatte, war fein Hang zum Zweifeln. Bey ihm war es aber nicht mehr
bloßer Hang, ſondern Maxime gegen alle dogmati⸗
ſchen Behauptungen das Gegentheil zu vertheidi⸗
gen. Er ſcheint daher die Lehren des Xenopha⸗ nes nur in ſofern brauchbar gefunden zu haben, als ſie den Behauptungen andrer Philoſophen ent⸗ gegengeſetzt werden konnten, und betrachtete fie ſelbſt nicht weniger mit ſkeptiſchen Augen als andre. Daß er aber, ſo viel wir wiſſen, die Verbindung theologiſcher Begriffe mit der Idee von einer eins
zigen Weltſubſtanz nie zum Gegenſtande feiner = Skepſis gemacht hat, beweißt ebenfalls, daß er
ſie nicht als etwas Weſentliches im She des eee betrachtete. 925 e Es duͤrfte alſo wohl ermiefen 4 sa Bde theologiſchen Ideen des Kenophanes. keines veges originelle und ſeinem Syſteme weſentliche Pbieſs⸗ pheme waren, ſondern daß ſie nur zufällig von ihm damit verbunden wurden, weil er nichts böberes kannte, wodurch er ſeiner Idee von einer ewigen Weltſubſtanz, fuͤr die er den groͤßten Enthuſias⸗
mus 5
er
Buch 1 eme. le
| mus 1 einen groͤßern Glanz geben konnte,
als durch die Praͤdikate der Göutihkeit, ehe er
n r e re
| ſtand, Oh welhen ihn die ältern e e, n a phen geknuͤpft hatten, an die Betrachtungen uͤber
den Urſprung der Welt. Diogenes und Suidas
machen ihn zn einem Schüler des Nenophanes,
und nach einer Stelle welche der erſtere aus Hera⸗
Flits- Schrift ſelbſt anführt, ſcheint er wenigſtens
den Kenophanes gekannt, ihn aber eben ſo wenig für einen ächten Philoſophen erkannt zu haben,
4 as d Se und Pythagoras“). Aus den
bleibſeln ſeiner in ein ſo tlefes Dunkel ge⸗
| hüllen Philo ſophie, daß ſelbſt Sokrates ſie nicht
ganz zu verſtehen geſtand, ohngeachtet er dasje⸗
nige, was er verſtanden hatte, fuͤr vortrefflich er⸗ i | Hark; erhellt auch nicht, daß en Lehren
auf die dert IX. 1 um 3. ® | - 8 2
148 Buch II. Capitel 6. auf ſeine Meinungen einen großen Einfluß gehabt hätten. Nur die Maxime des Zweifelns ſcheint | er in feiner Jugend von ihm angenommen, zu ha⸗ ben, wogegen er in ſeinem Alter ſtrenger Dogma⸗ tiker wurde. Auch ſcheint er durch Kenophanes eis nen ausgebreitetern Begriff von dem Weltganzen er⸗ halten zu haben, als ſeine Worgänger. in Jonien ® hatten. PN: Von Pythagoras ont e er die Idee entlehnt | haben, daß Feuer der Urſtoff der Welt ſey, wenn er nicht durch eigenes Nachdenken darauf kam. Doch verfuhr er bey weiterer Erklarung, wie die Dinge aus Feuer entſtanden ſeyn koͤnnten, mehr nach der Weiſe der altern joniſchen Philoſophen als nach der des Pythagoras. Er ſuchte nemlich aus der Natur und den bekannten Eigenſchaften des Feuers ſelbſt zu zeigen, wie die Dinge aus demſelben entſtehen koͤnnten, und brauchte dabey nicht wie die Pythagoraͤer bloße Hypotheſen und
a priori angenommene Saͤtze. Auch gieng er noch .
weiter als die Jonier vor ihm. Er gab nicht blos einen Urſtoff an, aus welchem alles ge formt ſeyn ſollte, ſondern auch ein Princip, nach wel⸗ chem die Dinge aus dem Feuer entſtanden ſeyn, und überhaupt alle Veränderungen in der Welt vorgehen ſollten, nemlich die N wodurch
N alle
ii
Buch II. Capitel 6. 140 alle "Dinge, aus dem Einen Urſtoffe, in den ſie ſcch zuvor befunden haͤtten, abgeſondert werden, und alſo entſtanden waͤren, und Einigkeit wodurch ſie wieder zerſtoͤrt wurden, indem ſie in Eins zu⸗ ſammenflöſſen. Er nahm an, daß ein ſolcher Wechſel unaufhörlich unter den Dingen erhalten würde. Einen Grund deſſelben konnte er nicht an⸗ e, und behauptete daher daß jener Wechſel ſchlechthin nach den Geſetzen der Nothwendigkeit 50 fände *). Er lehrt daher, wie Clemens von ee ) von ihm ſagt: das Univerſum hat weder ein Menſch noch ein Gott gebildet, ſondern es war immer und iſt und wird ſeyn, ein immer
lebendes Feuer, das ſich nach beftimmten Sn V
. and wieder *
* RM Hirn
„ Aeres Geſetz der Reethwendigkelr been
aer dasjenige, nach welchem ſich alles richten ren Er hielt alſo nur diejenigen Menſchen für vernünftig, welche dieſes Gefeß erkennen, und darnach urtheilen und handeln, als nach einem allgemeinen Vernunftgeſetz. Er vergleicht ſie mit Wachenden, ſo wie diejenigen, welche es nicht er⸗ kennen mit Schlafenden. Dies ſcheint mir der r oeh cet wahre 5
5 5) Spline in Arift, Phyf. Aufc, 6, 1. 9 Meiner Alex. Strom. I. V.
4 ,
150 Buch II. —
wahre Sinn einer Stelle zu ſeyn, welche Sertus ) 5 4 aus ſeinem Werke anführt, und aus welcher er | die wunderliche Meinung ableitet, daß eine gött, liche Vernunft die Menſchen umſchwebe und von ihnen eingeathmet werde, wenn ſie wachen, „ nicht aber wenn ſie ſchlafen, daher der Menſch un wa⸗ chenden Zuſtande nach der allgemeinen, im ſchla⸗ fenden aber nach ſeiner beſondern nene Vernunft denke und een 8 ) Sextus Empir. adv. Math. vn, 126. iz Die Bote | welche Gertus aus dem Buche des Heraklit von der Natur anführt, find: Ae rede corroc, abu- vr NV ret avöpwren, nat posen 7 ansası HR RHBTRYTES TO TOWwToV. YIUvWREVOV Yap Kari roy A roο, amsıpoı E0InaTı e ον,ẽ ers wa ‚EOYWV TOIETWV , OHOIMY EyYW bins, 677,77 Soc "dımıpewv 'önusov, M Op dung Se. rec de * ag XA 0n00% eye eurac role, a ONWemEp 6N0CK Sudovrsg eau i * dis das erednı rw ou. TE A0 ds sovrog wos, | ü Saen öl molloı ws act eve Sorgen. 7 | ves en GN mi AN end n¹,,ܾs rors rie 15 ravrog diorungews, do Nd rı av Kurs rie kvnenc- | HOIUWUNTWUEN, badete, . de a ‚dinawper, Ya dos J. |
10 Buch II. Cunts, N eine ſo beſtimmt gedachte Nothwendigkeit, 5 e diejenige / welche Heraklit annahm, laͤßt auch in der That keine Gottheit übrig. Ihre Geſehe konnte er ſich immer als Vernunftgeſetze denken, ohne deswegen ein vernuͤuftiges Weſen anzuneh⸗ © men, dem er ſie beylegte. Sie wurden ihm Ver⸗ nunftgeſeße, in ſofern ſie durch die Vernunft des Mia en erkannt wurden, und da er ſie einmal für die Geſetze erkannte „ durch welche die ganze 1 Natur regiert wurde, ſo mußte er es freilich vers | nünftig finden, wenn die Menſchen ſie zu erkennen ſuchten, und nach ihnen ſich richteten. Plato,
| Ariſtotel s und Cicero wiſſen auch nichts von dem⸗ | Amir: s. Sextus über je Stelle geträumt | Wh. ben ſo 3 bürſte es auß ee 10 en daß Heraklit jenes ewige Feuer ſich als | Weltſeele gedacht habe, Ariſtoteles druͤckt ſich dar⸗
uber zu dunkel aus ). Eher koͤnnte er ſich die
Entſtehung der Dämonen und Seelen aus einem Rei ohngefähr auf eben die Art gedacht ha⸗ | K 4 f a 8 A ben,
| 9 Arik. de anima I. 2. Er ſpricht in dieſer Stele
auch von der Seele des Menſchen nicht von der Weltſeele, und ſagt daß Heraklit, das Athemholen für die Seele des Menſchen, und zugleich für das Princip aller übrigen Theile deſſelwen gehalten habe.
132 Bruch II. Capitel 6. | ben, wie die Pythagoröer, ohne deswegen dieſem Seelenprincip Denken: and. ang beyzu⸗ legen. In s Eine Stelle beym Dingen gaertius 5) ſchelnt anzudeuten, daß er eben ſo wie Thales behauptet 4 habe: alles ſey erfüllt von Daͤmonen. Wenn wir dieſes auf eben die Art auslegen wollen, wle wir es bey Thales gethan haben, fo märe dies eine | Erklarung geweſen, zu welcher ihn die Volksrell gion veranlaßt haͤtte. Denn ohngeachtet er den
Göttern ausdruͤcklich allen Antheil an der We:
ſchoͤpfung abſprach, ſo koͤnnte er ſich doch in ans 4 dern Ruͤckſichten nach dem Volksglauben akkom⸗ | modirt, und müßte deswegen feine Philoſophie demſelben nicht geradezu entgegen geſetzt Kae Denn die Lehren der griechiſchen Volksreligion n über die Weltentſtehung und Weltſchöpfung waren Fehr unbeſtimmt, und ließen der Peloſoptze frehes 1 Felde „Nee EEE 9
e Er ſoll indeſſen doch mit Homer ſehr u
frieden geweſen ſeyn, und in ſeiner Kraftſprache erklart haben, daß er werth ſey, mit Nutzen ge⸗ N peitſcht zu werden. Der Grund hiervon aber ſoll 5 nach 3 Plutarch kein andrer genefen 1 85 ai 95 Diog, Laört. I, 7. |
1 4 * — 7 1 u E . P 2 0 11 * REN \ 3 \ x
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I. Capi s. 183 wis he ich ige, Sie Henk 5
| 1 m Dr Grund ales Eniſehens hien .
Wenn Heraklt wirklich dem Volksglauben |
Re nachgab, ſo durfte dieſes doch wohl mehr
| aus Klugheit und Akkommodatlon geſchehn ſeyn,
als aus Ueberzeugung. Denn ſein Syſtem hat 1 0 ſtarke Tendenz zum Atheismus. Da
nn ohnehin nicht befriedigend erklaren
ö wie er es mit der Erfahrung vereinigte, ſo
| tape ſich ſich auch nicht beſtimmen, ob es nicht mit
den Ideen der Volksreliglon in ſofern ſie als Sach n der Tradition und N een,
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| #2 .
Ale u bisherigen Dillofopkeme fast Empedokles zuſammen, und bediente ſich ihrer zur Erklarung der Naturgegenſtaͤnde auf eine Art, bey welcher f er, wie ihn auch Ariſtoteles beſchuldigt, feinen Grundſaͤtzen nicht immer ganz treu geblieben zu 4 ſeyn ſcheint, daher ſich auch wohl ſchwerlich ein zuſammenhaͤngendes Syſtem aus den Behauptun⸗ gen, welche die Alten von ihm aufbewahrt haben, zuſammenſtellen laſſen duͤrfte. Er war zugleich ein trefflicher Dichter und eifriger Naturſorſcher. Den Dichter konnte bald dieſe bald jene Idee fo begei⸗ ſtern, daß er ſie fuͤr die erhabenſte und wichtigſte von allen an ſah, nach welcher die juͤbrigen beur⸗ | theilt werden mußten; dem Naturforſcher konnte
bald dieſer bald jener Naturgegenſtand ſo wichtig
und einflußreich erſcheinen, daß er die Natur der uͤbrigen von ihnen ableitete. Die Philoſophen vor
ihm hatten ſich in alle vier Elemente getheilt, und nd der eine dieſes, der andere jenes für den Urſtoff j der Dinge angenommen. Eine noch Älter Meinung war, daß das Ganze aus einem Chaos, einem
unbe⸗ N
| | Buch II. Capitel 7, 1253 ub a Urſtoſfe heroorzegangen fep. Beyde Meinungen wußte Empedokles ſo zu verbinden, daß ſich zuerſt die vier Elemente aus dem Chaos entwickelt hatten. Auf das unentwickelte Chaos wendet er die Idee des Kenophanes von einer einzigen Weltſubſtanz an, und nannte es daher vielleicht auch nach dem Beyſpiele dieſes Philoſo⸗ phen, Gott. Nur ſchrieb er ihm dieſen Namen nicht fo einzig und vorzugsweiſe zu, wie Kenopha⸗ nes ſeiner ewigen Weltſubſtanz, denn er nannte auch die Elemente Götter. Dabey ſpricht er noch | von andern Goͤttern, welche aus den Elementen : erzeugt worden waͤren. Dies waren wahrſcheinlich die Goͤtter der Volksreligion. Als den Grund der Entwicklung der Elemente aus dem Chaos nahm er wie Heraklit Zwietracht und Freundſchaft, oder wenn man mit dieſen bildlichen moraliſchen Ausdrücken hyſiſche verwechſeln will, Anziehung und Zu uͤc ig oder Sympathie und Antipa⸗ thie an. Dieſe ſetzt er zuweilen den uͤbrigen Ele⸗ N menten ſo an die Seite, daß ſie mit ihnen in eine i Claſſe zu gehoͤren ſcheinen. Von der Wirkſamkeit der Sympathie und Antipathie giebt er keinen Grund an, als daß fie ſchlechthin in der Natur der Dinge ſtatt fände, Doch band er ſie nicht an 55 dachvenbts⸗ Geſetze wie geratii, fondern bes
5 | ! haup⸗
*
16 Buch II. ve 7. 5 Haupfete, baß die Dinge hl Zufall in die Ver⸗ bindung gekommen waren, iin welcher fie ſich bes finden. Dieſe Idee ſcheint ihm beſonders eigen⸗ thümlich zu ſeyn, und er führte fie mit Dichter⸗
geiſt aus. “Wald fonderte ſich dieſes bald jenes
Element zuerſt aus dem All ab. Bald vereinigs
ten ſich dieſe Theile der Elemente bald jene. Da⸗ 4
ber glengen vor der zweckmäßigen Zuſammenſeßung
der Naturgegenſtände, vermittelſt welcher ſie jetzt
beſtehen, mehrere unregelmaͤßige vorher, die nicht beſtehen konnten. Es entſtanden Koͤpfe ohne
Hälfe, Füge ohne Körper, Ungeheuer, die halb
Menſchen halb Thiere waren, u. ſ. w. Dies
waͤhrte ſo lange bis zweckmaͤßige Zufammenfeguns
gen entſtanden, die fortdauren konnten t 4 Die Fähigkeit andre Gegenftände auſſer ſch 3
wahrzunehmen, leitete Empedokles bey den em:
pfindenden Weſen, von der Verwandſchaft ab, in
welcher fie vermittelſt ihres Urſtoffes zu den wahr⸗ genommenen Öegenftänden ſich befinden. Die See⸗ . len der Menſchen waren nach ſeiner Meinung aus
allen vier Elementen zuſammengeſetzt, und die Gs feße der Anziehung und Zurückſtoßung der einzel-
nen Theile herrſchten in ihnen. Vermittelſt eines jeden dieſer Theile erkennen die Seelen die Gegen⸗
fände, 1055 denſelben verwandt ſind. So er⸗ klaͤrt
| Buch Il. Capt. 187 klaͤrt Aristoteles die dicterſhen Ausdrücke ae Philosophen wenn er ſagt:
5 er Durch Erde erkennen wir Erde, durch Waſſer h A das Waſſer Bu Durch aß, di kimmlifihe Luft, durch Feuer e verzehrendes Feuer | dae burt ‚Siebe, Haß durch ha traurigen,
anne: sh eh | 5 Aus diser MBefätiptung zog er eine 0
Want Folge auf die Eigenſchaften der Gottheit. Die Gottheit, worunter, wenn er fie abſolut nennt, das Eine Ganze, das unentwickelte Chaos, in b welchem noch alles Eins iſt, verſtanden werden muß, beſitzt den geringſten Grad von Erkenntniß, weil in ihr die Theile noch nicht entwickelt ſind, welche in der menſchlichen Seele ſich gegenſeitig er⸗ kennen. Dagegen iſt ſie das ſeeligſte Weſen, weil ſie die Zwietracht nicht kennt. Hieraus kann man ſchließen, welche Begriffe Empedokles mit der Gottheit der Elemente verband, und was ihm die Gottheit uͤberhaupt war. Sie war ihm, wie dem Kenophanes, nichts als ein bloßer Name den er a Aare ee en N |
'
a ! d * Da A \ * ! l n —
& 94 aut. Metaph. UI. 4. de anima I, 2.
hf
158 Buch II. Emite7.
Da Empedokles aus den Elementen nebſt | den übrigen Weſen auch ein oͤttergeſchlecht ent- ſtehen ließ, fo erhielt ſeine Phantaſie dadurch 2 Stoff, ſich eine ganz beſondre Daͤmono ologie u bilden. Dieſe ſcheint theils darinn beſtanden zu | haben, daß er fo wie die Pythagoraͤer und Hera⸗ klit einen feurigen Urſtoff der Daͤmonen und Sees 1
len annahm, theils in andern Behauptungen, nach welchen er den reinſten und erhabenſten Dämonen Geſtirne zum Sitz anwies. Vorzuͤglich merkwuͤr⸗ dig aber iſt ſeine Lehre von der Seelenwanderung 8 wegen deß Princips das er dabey annahm. Er behauptete nämlich, die Daͤmonen, welche eigentlich feine aͤtheriſche Körper bewohnen, wuͤrden, wenn fie ſich gewiſſer Vergehungen ſchuldig machten, in gröbere, menſchliche und thieriſche Körper gebannt, uund muͤßten dieſelben fo lange durchwandern, bis | Fe ihre Verbrechen abgebuͤßt hätten. Die Seelen 5 der Menſchen haͤtten daher zuvor ſchon andre Koͤr⸗ 4 per bewohnt, ehe fie mit den menſchlichen verein nigt wurden. Nach dem Tode aber wuͤrden ſie 1 5 5 entweder in die Geſellſchaft der reinen Dämonen 1 | zurückkehren, wenn ſie ſich derſelben würdig ge⸗ EB macht hätten, oder wenn ſie ſich durch Mord und 1 Fleiſcheſſen entweihten, zur Strafe in andre thies 4 riſche . ſogar in Pflanzen einwandern muͤſ⸗ E . x i rd fen. 4
nenn rer 7° R N 7 75 n 7 „u . * { >
w. Diefe Lehre an ſich, konnte Empedokles leicht aus den Myſterlen mehrerer Völker, und ſelbſt der Griechen entlehnt haben. Aber es iſt ſonder⸗ bar, daß, da er ſich auf dieſe Art eine morali⸗
ſche Vergeltung dachte, ſich keine Spur findet,
daß er auf die Idee eines ue eee be A gerieth. |
Die Retitonaphilofophie dürfte Wich die * dieſes feurigen Kopfes wohl ſehr in Gefahr
ug . Capitel 1
gerathen ſeyn, auf Irrwege geführt zu werden,
ee er vielen u aße ſie gehabt Ve
bern greifen Piftfopken ten faft
1 . — | 2 erſchöpft zu has
velcher die Vernunft verſuchen konnte, ſich den Urſprung der Welt aus Materie, und und Mate, zu denken. Neben den bisher er⸗ wähnten, ſcheint nur noch eine Art derſelben denk⸗
bar zu ſeyn, und dieſer bemächtigte ſich ein phllo⸗
ſophiſcher Geiſt, von dem wir faſt weiter nichts 0 * Namen denen und dies wiſſen, daß
ER} * er
TR
1 * 1.8
| und verbunden wurden. Dieſe Ideen f
66 Buch II. Capitel g. er aus mancherley Grunden kein G 1 1
durch und durch ein materielles Weſen ſeyn wollte.
Alle vorhergehende Philoſophen waren von einem Urſtoffe ausgegangen, den ſie ſich als ein Gan⸗ | zes dachten, welches durch Zerſtuͤckelung, Tren⸗
nung und Abſonderung ſeiner einzelnen Theile, den
mannigfaltigen Gegenſtaͤnden in der Welt ihr Da⸗
ſeyn gegeben hätte. Xenophaues, den, oder deſſen
Schüler Parmenides man für Leucipps Lehrer hält, blieb ſogar bey dem Gedanken des Einen
Ganzen ſtehen, und idealiſirte ihn in ſo hohem | Grade, daß er ihn auf die wirklichen Gegenftände nicht mehr anzuwenden vermochte. Leucipp ſchlug daher einen ganz entgegengeſetzten Weg ein. Er
gieng von ganz einzelnen Gegenſtaͤnden aus, und
verſuchte das Ganze aus ihnen zuſammenzuſehen. Er nahm als Urſtoff aller Dinge eine zahle Menge untheilbarer Koͤrperchen an. Zum Schau⸗
| laß wies er ihnen einen unendlichen leeren Raum
an, und als Miitel ſie in einen Zuſammenhanz zu bringen, nahm er eine ewige Bewegung unter ihnen an, durch welche ſie unaufhoͤrlich getrennt
ſchlechthin , als beſtehend durch das — 2 n ge es eee pe haͤtt
nicht eee Er ee daher in 90 |
urſpruͤnglichen Beſchaffenheit jener Atomen ſelbſt eine Verſchiedenhelt an, durch die es moͤglich ges macht wurde, daß aus ihnen mannigfaltige Dinge
5 mn konnten.
Bey einem Systeme, wie dieses it, Bleibt |
nun n freilich kein Grund übrig, „das Dafeyn einer
Gottheit anzunehmen, und wir finden auch keine
Hr Nachrichten „daß Leucipp auf dieſelbe Ruͤckſicht geg nommen habe. Demohngeachtet wußte fein Schuͤ⸗ ler Demokrit welcher Leucipps Syſtem mit vie⸗ N. lem Scharfſinn ausbildete, Ideen von Goͤttern da⸗
mit zu verbinden. Die Veranlaſſung hierzu gab ihm, wie alle den Altern Philoſophen, welche rell⸗
3 giöſe Ideen mit ihren Rinnen verbanden,
00 olkt ksreligion. 8 Es koͤnnen verſchledene Ursachen ſtatt gefuns
N den haben, welche die Philoſophen veranlaßten,
h ihren Phitofophemen auf die Volksreligion
ö ickſicht zu nehmen, welche wir auch ſchon hier ben da angedeutet haben. Theils konnten die = Eindrücke welche der Volksglaube von ihrer
Jugend her auf ſie gemacht hatte, eine Macht
4 uͤber ſie behaupten, gegen welche ihre Philoſophie
—
ar ihne vermochte. Sie ſahen die Meinungen a des Volksglaubens fuͤr ausgemachte Wahrheiten N | L 0 an
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ä er Be 3 4 * * * 1 nn — 4
% Boch ll. Cab ggg.
an, hielten es fuͤr gottlos an ihnen zu Be
und glaubten, daß über ihre Gruͤnde dachten 4
und an ihnen zweifeln einerley ſey. e daher nur uͤber dasjenige zu philoſophlren, in Ans ſehung deſſen die Volksreligion ihnen freyes Feld ließ, und woruͤber durch dieſelbe nichts beſtimmt
war. Dies ſcheint mir bey Thales und den le tern joniſchen Philoſophen der Fall geweſen zu 4
ſeyn. — Andre wurden durch die Achtung, welche ſie gegen das Alterthum hatten, bewo⸗ gen, die Lehren zu beguͤnſtigen, oder wenigſtens
zu ſchonen, welche durch daſſelbe ehrwuͤrdig gewor⸗
den waren. Bey allen alten Voͤlkern, und bey vielen Neuern hat das Alterthum einer Meinung ſehr oft die Stelle der Gruͤnde vertreten muͤſſen, und nicht ſelten die vernuͤnftigſten und evidenteſten
x Gegengruͤnde uͤberwogen. Es war daher von je⸗
4
her die Fräftigfte Stuͤtze der Volkerreligtonen, uud
aͤuſſerte ſeine Kraft nicht blos bey dem gedanken, loſen großen Haufen, ſondern ſelbſt bey Denkern.
Mehrere alte Philoſophen duͤrften daher ee 1 daſſelbe bewogen worden ſeyn, da, wo wo ſie keine
Gruͤnde für die Meinungen der Volksreligion ſahen, vorauszuſetzen, daß die Alten doch wohl ſolche ge⸗ habt haben koͤnnten, die ſie nicht wußten. Sie
waren daher zu unentſchloſſen, die . derer “ fe
2
N s 3 2 Sr A EEE
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| Buch 1, ‚ Capitel$. Ale fie ich bewußt waren, jenen inbekaurten entgegen
5 s, feßen, die ihnen vielleicht eben deswegen um
3 75 deſto wichtiger ſchienen, weil fie, ihnen unbekannt waren, und ſuchten lieber ihre Meinungen mit der Volksreligton zu vereinigen, als fie auf Koſten derſelben zu erheben. Der einzige Xenophanes macht hier eine Ausnahme, indem ſeine erhabene Idee von der ewigen und einzigen Subſtanz, ihn mit einem Enthuſiasmus erfuͤllt hatte, welcher ſo⸗ wohl das jugendliche religioͤſe Gefuͤhl, als die
N Ehrfurcht des Alterthums bey ihm uͤberwog. Po⸗
litik mag auch wohl mehrere alte Philoſophen theils bewogen, theils mitgewirkt haben, fie zu IR bewegen, der Volksvorurtheile zu ſchonen. Dies
war wohl vorzuͤglich bey Pythagoras der Fall,
bey men jedoch die Politik zugleich durch edlere 0 e unterſtuͤtzt ward, indem er in der Volks⸗ 0 religion zugleich Mittel fand, die Moralität * Volks zu befoͤrdern. i Hab Demokrit unterſcheidet ſich von den abe, henden Philoſophen ſehr vortheilhaft dadurch daß er den Volksglauben weder ohne Unterſuchung an⸗ nahm, noch auch ganz gleichgültig gegen denſelben war. Er machte ihn zum Gegenſtande einer phi⸗ 5 Ya loſophiſchen Unterſuchung, bey der er freilich nicht x ſiehr as aewefen zu feyn ſcheint. Sextus a en it Ems
1 Ne \
W Buch ll. eite 8.
Empirikus fuͤhrt uns zweyerley Quellen an, 1458 welchen er den Volksglauben erläuterte. Demo⸗
critus ſagte nad ihm *): die Alten betrachteten die Himmelserſcheinungen, Donner, Blitz, Wet⸗
terleuchten, Sternſchnuppen, Sonn ⸗ und Mond⸗
finſterniſſe. Sie wurden dadurch erſchreckt und glaubten, daß Götter die Urſachen davon waͤren. Dies ſetzt voraus, daß fie ſchon Begriffe von Goͤt⸗
tern hatten, welchen fie jene Wirkungen zuſchrei⸗ ben konnten, und erklärt alſo noch nicht was zu erklären war. Demokrit leitete daher den Begriff von den Goͤttern noch von einer andern Quelle, nemlich von wirklichen Erſcheinungen goͤttlicher Ge⸗
ſtalten her, die den Menſchen vorkommen Eönnten Dieſe Erſcheinungen ſtellte er ſich als Geſtalten von ungeheurer Groͤße vor, die zwar nicht unzerſtoͤrbar,
aber doch auch nicht leicht zerſtoͤrbar waren, die mit den Menſchen ſpraͤchen, und ihnen die Zukunft ver⸗
kuͤndigten. Einige dieſer Erſcheinungen hielt er für wehlthätig, andre für ungluͤcksbringend, und ſoll
daher den Wunſch geaͤuſſert haben, daß ihm nur
wohlthätige Erſcheinungen vorkommen möchten. Aus
ſolchen Erſcheinungen meinte er, hätten die Men⸗ ſchen ſich Vorſtellungen von Göttern gebildet, da es on n Gott gebe, der eine arne Natur
batte.
*) Sent. Ens. adv. Math. IX. 24 und 19.
Buch Il. Capitel 8. 163
5 f * Sextus unterſcheidet dieſe Erklärung der Entſtehung des Religionsglaubens zwar von der
des Epikur, welcher ihn aus Traumerſcheinungen
herleitete. Ich ſehe aber keinen rechten Grund die⸗ fer Unterſcheidung, und bin daher auch geneigt zu
glauben, daß Demokrit, von dem Epikur vieles an⸗ genommen hat, ebenfalls nichts anders als Traum⸗ geſi chter, die er für bedeutend hielt, bey dleſen Er⸗
f ſcheinungen ſich dachte. Dennoch ſcheint Demokrit geglaubt zu haben, daß dieſen Erſcheinungen etwas
Reales zum Grunde liege, und daß es wirklich
Ds
uͤbermenſchliche Weſen gebe, denen er den Namen b
der Goͤtter zugeſtand. | Hier ſehen wir alſo, wie ein Philoſoph, dem |
fein eigentliches Syſtem nicht die geringſte Veranlaſ⸗ ſung zu religiöſen Ideen gab, ſondern fie vielmehr € ganz zu verbannen ſchien, demohngeachtet Meinungen dieſer Art an daſſelbe zu knuͤpfen wußte. Eine fo 5 willkührliche Anknuͤpfung aber mußte freilich jeder
Art des Aberglaubens frehen Spielraum laſſen, wie denn die angeführte Daͤmonologie des Demokrits dem menſchlichen Verſtande eben nicht viel Ehre macht. Nur eine vernünftige Religlonsphiloſophie
| iſt im Stande, aberglaͤubiſche Vorſtellungen zu ver⸗ bannen, denen felbft der ſtrengſte Materialismus | * Se Platz übrig laͤßt.
23 8 Neun⸗
A N > N n J 5 ya * ans SEN
1 „ 24 ER
7 777 7
Neuntes Capitel.
Pa 10 1055 ſo unvollkommenen Zustande, ber | vielmehr bey dieſem gaͤnzlichen Mangel aller vernünf⸗ 5 tigen Religionsphiloſophte, ſollte man erwarten, daß die Anzahl derer, welche die Wahrheit aller re⸗ ligiöſen Ideen geläugnet haͤtten, ſehr groß geweſen 5 ſeyn müßte. Wir haben indeſſen nur wenig Nach⸗ richten von Atheiſten aus diefer Periode, 9 99
auch dieſe lebten nur zu Ende derſelben. Wenn man nemlich ſo billig ſeyn will, die unvollkommenen religib⸗
ſen Ideen der bisher genannten Philoſophen von f dem Vorwürfe des Atheismus zu befreyen, der 1
auch in der That fehr unſchicklich ſeyn, und den fie mit dem groͤßten Theile der Griechen uͤberhaupt thei⸗ len würden, ſo bleibt niemand übrig, der den Na⸗ men eines Atheiſten mit einigem Scheine führen
koͤnnte, als Protagoras von Abdera, Prodikus von Ceos, Kritias und Diagoras von Melos; 9 Protagoras, ein Schuͤler Demokrits, der
ſich zuerſt den Namen eines Sophiſten oder Weis⸗
heitslehrers gab, war ein Mann von großem Scharf⸗
ſinn, und vielleicht der erſte Philoſoph, welcher den Idealismus bey ſich ſelbſt zum Bewußtſeyn erhob,
wie
—
166 Buch II. Capitel 2.
Be, Kuß l. Cineto. N i DR ans fur Satze erhellt: kin he Menſchen
iſt das wirklich, was er ſich vorſtellt; auſſer dem Vorgeſtellten giebt es nichts Wirkliches, und was
fi gar kein Menſch vorſtellt, iſt gar nichts). —
Daß die Anwendung dieſes Saßes auf die Ideen
des Religions glaubens ihn in die größten Schwierig⸗
keiten verwickeln mußte, kann die philoſophiſche
Geſchichte unſrer Tage lehren. Denn wenn die
Götter bloße menſchliche Ideen waren, ſo waren ſie nicht viel, waren ſie aber dieſes nicht, ſo waren ſie Bi gar nichts. Hieraus laßt fi erklären, wie er eine 5 Schrift von den Göttern mit den Worten anfangen f konnte: Von den Göttern kann ich nicht ſagen vb | fie e ſind, oder ob ſie nicht ſind. Denn vieles hin⸗ dert die Eniſcheidung hieruͤber; die Dunkelheit der Sache, und die Kuͤrze des menſchlichen Lebens ). Er ward wegen dieſer Schrift aus Athen verbannt 5 und fü e ſelbſt öffentlich, auf dem Markte verbrannt. BER So eiferſüchtig bewies ſich die Volksreltgion gegen N bloße Zweifel, |
Ein andrer Sophift prodikus a aus 0 —
5 man gewöhnlich auch unter die Atheiſten rechnet,
i Br
) Sent Br. Hypatypof. Pyrrhon. I. . g a *#) Sext. Emp. adv. Math. IX. 56. Diog. Laert. XX. 357. Cic, de nat. Deor. I. 12. Qaintil, inſt. ö 300 or. III. I.
is Buch II. Capitel9. duͤrfte vielleicht mehr praktiſcher Atheiſt geweſen ſeyn
als theoretiſcher. Denn er war ſehr lafterhaft, ohn⸗ geachtet er der Erfinder einer trefflichen moraliſchen Dichtung, der Wahl des Herkules war. Des Atheismus iſt er beſchuldigt worden, weil er die Religion vom Eigennutz ableitete, und behauptete, die Meuſchen hätten diejenigen Dinge, welche ihnen nüßlich wären: Sonne, Mond, Fluͤſſe und Quellen
zu Göttern gemacht. Als Beyſpiel davon, führte |
er die Aegypter an, welche den Nil verehrten. Wenn er dieſes ausſchlieſſend behauptete, und keine andre Entſtehung der religioͤſen Ideen anerkannte, ſo dürfte er freilich vom Atheismus nicht frey zu ſprechen ſeyn.
Aus einer andern Quelle leitete Kritias, einer von den dreyßig Tyrannen, welche die Spartaner “über Athen ſetzten, die Religion her, und zeigte durch ſeine Ableitung die in folgenden Verſen, die uns Sextus Empirikus von ihm aufbewahrt hat, enthalten iſt, daß er die Religion zwar für eine bel ſame Sache hielt, aber ſelbſt keine hatte.
Einſt handelten die Menſchen regellos 4 928 ;
Und thieriſch, nur Gewalt beherrſchte de;, 15 - Der Edle hatte keinen Vorzug, 5 Auch duldete der Frevler keine Strafe. 8 5 Da, glaub' ich machte man die Strafgefege, Damit ace gebieten {era N
Der
x Such ll. ewig 169 2 Der Menschheit, und den Frevel unterdrückte; 1 Eu RN Wer ſich vergieng der ward beſtraft. h 1 an Es hielten alſo die Geſeze i / Die Menſchen ab vom offentlichen Unrecht, Doch thaten fie es heimlich deſto mehr. — 3 n ich war ein weiſer kenntnißrei⸗ e reicher Mann * De ſtrebte etwas zu erfinden, | Was Sterbliche mit banger Furcht erfüllte, 7 Wenn heimlich etwas boͤſes ſie vollbringen, 8 2 5 Ja reden nur und denken wollten. 5 Drum fuͤhrte er die Gottheit ein, | Ein Weſen, welches unvergaͤnglich lebt, . alles hört und ſieht, verſteht und wahr⸗ | nimmt und 5 öheter Natur iſt — alles hört, Wos Menſchen. ſprechen, wie 12 handeln,
| 5 600 e, du a ſchweigend nur was Boͤſes f | nr denkſt,
Die Gluten merken's! fie find einſichtsvoll! So ſprach der Mann, und dadurch fuͤhrte er N Die heilſamſte der Lehren ein, und barg Die Wahrheit unter Taͤuſchung. — Dort aber zeigte er der Goͤtter Sitz 15 Menſchen von woher er wußte, daß | 0 Kir | 145 Die
4 Buch II. Capie 9. & 8 >
Die meiſte Angſt und Schrecken ſie be In jenen obern Regionen, wo der Bliz 1 DORCRDFELUE wo des Donners Stimme rolt
Im Sternumkraͤnzten Himmel jenem en |
Werke ars; Der kunſterfuͤllten Meifterin, der Zeit. Von wo der Sterne Feuerbaͤlle fallen 1
U
Und Wolkenbruͤche auf die Erde ſtroͤmen. 5 1
AP dieſe Schrecken ſtellte er vor Augen Der Menſchen, und wies eine angemeßne 2 Wohnung Der Gottheit zwiſchen ihnen an. So tilgte er den Frevel gegen die Sethe,
So glaub' ich uͤberredete zuerſt 2 Die Menſchen jemand, daß es Götter he * une | task e
) Sext. Emp. IX. 54. Plutarch, de plac. phil. 1 7. 4
fuͤhrt einige von dieſen Verſen als ein Fragment aus dem Siſyphus des Euripides an. Sie könn ten aber demohngeachtet dem Kritias gehöre: wenn ſie auch Euripides dem Siſyphus in den Da gelegt haͤtte. Denn dieſer Tragiker ſoll ſich öfter der Arbeiten andrer bey ſeinen Werken bedient haben.
So erzaͤhlt Diogenes Laertius von ihm, daß ihm
Sokrates dabey geholfen habe. Diog. Laert. II. 5. H. 18. Kritias hatte zwar auch den Sokrates
gehort % |
N 3 Ja * x ne — 2 1 a Bart AR:
Bll.ouch II. Eapiehig fr ö 100 Es war ſehr unweiſe von einem Manne, der | ſelbſt ‚Gefeßgeber und Herrſcher ſeyn wollte, daß er durch Aeuſſerung ſolcher Meinungen Grundſätze zu erſchuͤttern ſuchte, die er doch wenigſtens fuͤr eine ſehr heilſame Stͤͤtze der Geſetze anerkannte. Man ſieht hieraus daß leichtſinnigen Menſchen nichts heilig iſt, wenn es darauf ankoͤmmt . ae und Scharfſinn zu zeigen. 5 Den Kritias ſchuͤtzte fein Anſchn vor der Strafe, welche Protagoras erfahren hatte, und die auch Diagoras von Melos dulden mußte. a Dieſer begnuͤgte ſich nicht, die Goͤtter zu leugnen, und ihre Entſtehung aus unſtatthaften Gruͤnden herzuleiten, welche ihre Exiſtenz verdaͤchtig mach⸗ ten, ſondern er griff den Glauben an ſie gerabe⸗ zu in einer Schrift an, in welcher er, wie der Titel (or aroropvig ovrec) andeutete, die Götter | von ihrer Burg herabftürgen wollte. Da von der Schrift nichts mehr uͤbrig iſt, ſo find die Gründe mit welchen er es that, unbekannt. Vekannt | ab iſt es, daß die Quelle, aus welcher ſein Atheismus floß, nichts weniger als philoſophiſch war. Er hatte ein Gedicht geſchrieben, welches gehoͤrt und könnte in ſofern ſpaͤterhin erwähnt | werden. Da er aber ſich eigentlich zu den Sophl⸗ "Ken hielt, fo habe ich ihn hier mitgenommen.
x 2 E
5 .
* 44 8 * 2 1 *
7 Buch II. Capitel 9. ſich mit bi Worten anfieng: Alles kommt von | der Gottheit und dem Gluͤcke. Dies Gedicht ward ihm entwendet, der Entwender ſchwor es ab, daß er es ihm geſtohlen habe, und las 5 bald darauf das Gedicht mit großem Veyfall, als ſein eigenes ab. Diagoras erwartete, daß die Goͤtter dem Betruͤger ſogleich für feinen Meineid- firafen wuͤrden, da aber dieſes nicht erfolgte, 7 ſo verwandelte ſich ſeine Bigotterie in Atheismus. Er ſchrieb jene Schrift, ward deswegen vor Se richt gefodert, und als er nicht erſchien, ein Preis 4 auf feinen Kopf gefeßt. Auf der Flucht vor die⸗ 4 fer Verfolgung kam er um. Hätte er zuvor aufs geklaͤrtere Religionsgrundfäße gehabt, fo wuͤrde er nicht fo fönell von einem Extrem in d andre gefallen ſeyn. 4 Ganz neuerlich hat ein Gelehrter den Wage | 1 ras mit Gruͤnden gegen die Beſchuldigung des Atheismus vertheidigt, welche, wenn ſie befriedi⸗ gend waͤren, dienen wuͤrden, alle diejenigen davon . freyzuſprechen, welche von den Alten des Atheis⸗ 80 beſchuldigt wurden ). Seine Bertfebigung 4 *) Ueber den Atheismus des Diagoras von Melos. Vom Herrn Prediger Thienemann. Mit Anmer:
kungen des Herausgebers in Suͤlleborns 19 A gen St. XI. S. 15: 64. a
8 n ER
7 1
| Su II. Gavitel : | kast in der Hauptſache darauf hinaus, daß der Name ages von den Alten oft auch ſolchen gege⸗ ben wurde, welche nur die Goͤtter der Volksreli⸗ gion läugneten. Aus eben dem Grunde waren
ſchon einige Kirchenvaͤter geneigt, den Diagdras nicht allein gelind, ſondern ſelbſt guͤnſtig zu beur⸗ N theilen. Allein um einen Menſchen, welcher ſeine vaͤterliche Religion verläugnet, von der Beſchuldi⸗ gung der voͤlligen Irreligioſitaͤt frey zu ſprechen, muß ſich zeigen laſſen, was für Religionsbegriffe er an die Stelle derjenigen geſetzt habe, welche er aufgab. Man müßte alſo zur Entſchuldigung des Diagoras und andrer, die man gern mit ihm aus gleicher Verdammniß retten moͤchte, zeigen, woher ſie andre Religionsbegriffe gehabt haͤtten, wenn ſie die ihrer Volksreligion verwarfen. Nun haben wir aber gezeigt, daß alle bisherige Philoſophen keine eigenthümlichen Religionsideen innerhalb des Ges biets ihrer Philoſophie hatten, ſondern ſie ſaͤmmt⸗ uch von dem Volksglauben entlehnten, und nur mitunter nach ihren Philoſophemen modifizirten. Der erſte Urſprung unabhängiger philoſophiſcher Religionsbegriffe iſt, wie wir weiter zeigen wer⸗ den, erſt nach dem Anaxagoras zu ſuchen. Nun hätte
zwar Diagoras weil er ſpaͤter lebte, ſchon von
9 * Philoſophen Religionsbegriffe annehmen, 5 11 | e
—
174 Buch II. Capitel 9. und dabey ſo wie es ihm ſelbſt widerfuhr, von den Athenienſern des Atheismus beſchuldigt 1 1 den koͤnnen. Allein keiner von den Alten ſagt, daß er ein Schuͤler des Anaxagoras geweſen ſey. Die meiſten ſtellen ihn vielmehr mit Demokrit zus | 4 ſammen, und Seſychius macht ihn geradezu zum 1 Schüler deſſelben. Von Demokrits Religionsbe⸗ griffen aber haben wir gezeigt, daß ſie weiter 4 nichts als eine ziemlich ungluͤckliche philoſophiſche — Erklaͤrung des Volksglaubens waren. Wenn Dia⸗ goras den Volksglauben ſelbſt aufgab, ſo bedurfte er auch dieſer Erklärung nicht, und es mußte ihm bey ihrer ſonderbaren Beſchaffenheit leicht werden, | fie aufzugeben „wenn er auch ſonſt dem Syſteme ſeines Lehrers, mit dem ſie nur wenig Zufammens \ hang hatte, treu blieb. Da es ſich alſo nicht zeigen läßt, woher Diagoras andre Religionsbegriffe er⸗ halten konnte, wenn er feine Wolföreligion aufgab, ſo duͤrften diejenigen Nachrichten der Alten wohl die 4 richtigſten von ihm ſeyn, welche behaupten daß er 4 gar keine en n bahnen n ba a 1 4
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| ; Drittes
Di au Quellen der Materie, aus welchen die Phi loſophen Prineipien der Weltentſtehung und Welt⸗ bildung ſchöpfen konnten, waren erſchoͤpft. Keines der verſchiedenen Elemente, aus welchen ſie dieſelbe
herzuleiten verſucht hatten, war hinreichend dazu, ja nicht einmal in ihrer Verbindung konnten die bishe⸗
rigen Principien der Weltbildung den freyen und kritiſchen Denker befriedigen. Da eroͤffnete auf ein⸗
mal Anaxagoras der Phiioſophie ein weites Feld,
auf welchem ſie neue Unterſuchungen anſtellen konnte, N um im unendlichen Raume der Spekulation die Ur⸗ 18 3 welche das Ganze in 8
Er nahm eine ewige Materie als den Urfioff
an, f woraus alles gebildet ſey. Er dachte ſich dieſe
| = Materie in einer unendlichen Zahl von Urbeſtand⸗
en urfpränglig 2 5900 hi Leucipp es ge⸗ | „„
176 Buch III. Capitel 1j than hatte. Er unterſchied ſich aber von dieſem Denker dadurch, daß er ſchon in dieſe Urbeſtand⸗ theile den Grund zu der verſchiedenen Qualität der Dinge ſetzte, welche Leucipp blos aus ihrer verſchie⸗ denen Zuſammenſeßung hergeleitet hatte. Er nannte | dieſelben Homoiomerien, welches beydes gemeln⸗ ſchaftliche und ähnliche Urbeſtandtheile bedeutet. Sie follten nemlich gemeinſchaftliche Urbeſtandtheile aller Dinge, und ſich ſelbſt untereinander in ſofern aähn⸗ lich ſeyn. Aber nur ähnlich, nicht gleich, denn es lagen in ihnen ſchon ſelbſt weſentlich verſchiedene Qualitäten. — Leucipp hatte feine Atomen nach 5
BL ſchlechthin nothwendigen Geſetzen in einer beſtaͤndi⸗
gen Bewegung ſtehend gedacht. Auch hierbon gieng 125 Anaxagoras ab. Er dachte ſie ſich urſpruͤnglich ru⸗ hend, und ſetzte den Grund ihrer era in el, nen von denſelben verſchiedenen Verſtand.
| Diefer von der Materie verfchiebene 1 die rohe Materie zu einer Welt ausbildende Verſta d, war die fruchtbare Idee, welche den Keim zu einem ganzen Stammbaum nener philoſophiſcher Syſt me enthielt. Beym Anaxagoras ſelbſt waren die Ideen, welche dieſem Syſteme zum Grune * freilich nur noch Embryonen. Die Wirkſamkeit dieſes Beflandes auf dle Welt war nur ſche each und t. ckte
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Bud Ill. Capital 1 a 17
980 86 bl nur darauf, daß er den Urbeftanbtheien a
7 den erſten Auſtoß zu ihrer Bewegung gab. Die 8
1
Bewegung ward der Grund der Abſonderung ih⸗
rer verſchiedenen Qualitäten, aus welchen denn
verſchiedenartige Dinge entſtanden. Alles was ſich hierauf weiter aus der mechanſſchen Bewegung der Dinge erklaren laßt, erklaͤrte Anaxagoras aus der⸗ ſelben, und nur, wo die ſe nicht hinreichte ließ er die Wirkſamkeit des Verſtandes eintreten. Plato und Ariſtoteles tadelten ihn deswegen, und ſagen,
er habe unterlaſſen, zu zeigen, wie der Verſtand
alles nach Ideen und Zwecken eingerichtet habe.
| Er bediene ſich deſſelben nur wie einer Maſchie
zur Weltbildung wenn er in Verlegenheit ſey, don
welcher Urſache er etwas ableiten ſolle. Souſt
mache er aber alles andre zur Urſache als den Veerſtand ). Es wuͤrde ungleich beſſer um die
Phyßtk ſtehen, wenn unſre Philoſophen und Na⸗
Fele dae ‚ae, Sfr, dee, un ni
5 ſo oft aus Trägheit zu einer auſſerweltlchen ver⸗
fländigen Urſache ihre Zuflucht. zur Erklärung! von
Erſcheinungen genommen hätten, deren Urfachen fie
in W Sinnenwelt haͤtten auffuchen ſollen. Man
2 7 91228 0 feht ae ern.
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Ki u 2 Plato aan 0. 46 dat. net. 1. b gg 9 * ar 08 | M e e ee e eg
* 3
178 Buch III. Savite *
ſieht indeſſen doch aus dieſen Vorwuͤrfen fo viel, daß er den Verſtand mehr als eine Watururſache betrachtet, welche mechaniſch auf die Materie wirkt,
als daß er ihn voͤllig wie ein vernünftiges Weſen,
nach freygedachten Zwecken hätte handeln laſſen. Er hatte ſich alſo den Begriff eines weltbildenden | Verſtandes noch nicht vollig entwickelt, und war zufrieden Rin ihm den erſten Grund der Bewe⸗ gung gefunden zu haben, we er in der Ma⸗ terie vermißte.
Daher waren auch die Praͤdikate, welche 1 dem weltbildenden Verſtande gab, ſehr einge⸗ ſchraͤnkt. Er legte ihm eine Erkenntnißkraft bey, welche in dem Begriffe eines auf alle Dinge wir⸗ kenden Verſtandes liegt, alſo eine Art von All⸗ wiſſenheit; eine große Kraft zu wirken, welche ebenfalls zu ſeiner Allwirkſamkeit erfordert wird, mit der er aber keine frege Wirkſamkeit verbunden zu haben ſcheint, daher fie wohl nicht Allmacht genannt werden kann. Doch betrachtete er ſie als unabhängig in ihrem Wirken, welches er nothwen⸗ dig thun mußte, wenn der Verſtand die erſte und oberſte Urſache ſeyn ſollte. Er ſcheint auch da⸗ durch das Prädikat eines nüchternen. Philoſo⸗ phen, welches ihm Ariſtoteles giebt, verdient zu haben, daß er von anderweitigen Eigenſchaften des
welt⸗
r r 1 1 2
„
Buch ll III. Eavitel . 179 a
weltbildenden Verſtandes nichts lehrte, als von fols cen, welche er gerade zur Weltbildung nöthig fand, und welche dazu dienten, ihn von der Ma⸗
terie zu unterſcheiden. Wenigſtens iſt dasjenige, was er von der Subſtanz des Verſtandes gelehrt haben ſoll, ſehr wenig und unausgemacht, und es iſt wohl Mißverſtand, wenn man ihn demſelben Praͤdikate geben laͤßt, durch welche er mit der
Materie Gleichheit oder Aehnlichkeit zu erhalten
ſcheint/ z. B. daß die Subſtanz deſſelben aus dem
feinſten Aether beſtehe.
Gott nannte Anaxagoras den weltbildenden
| Verſtand nicht; wahrſcheinlich weil der Goͤtter⸗
name durch die Volksreligion zu ſehr herabge⸗ ſunken war, als daß er ihn fuͤr ein ſo erhabenes
Weſen wie er ſich den weltbildenden Verſtand | dachte, haͤtte paſſend finden koͤnnen; vielleicht auch
um den uͤbeln Folgen zu entgehen, welche ihm die⸗ ſes bey den Anhaͤngern der Volksreligion hätte
zuziehen. koͤnnen, die ihn aber demohngeachtet um untergeordneter Behauptungen willen, die der
| Volksrellgion entgegen zu ſeyn ſchienen, oder viel⸗
aus Athen verbannten. Demohngeachtet erreicht ö
leicht auch um ſeinen Freund Perikles zu kraͤnken,
5 der Begriff ſeines weltbildenden Verſtandes die I value Idee von der Gottheit nicht, und man
M 2 | würde
*
Sartre * e >. 2
180 Buch III. Capitel 1. wuͤrde ihm daher wenn man ihm einen Namen geben wollte, den ihm ſein Urheber nicht gab, wohl eher eine Weltſeele als Gott nennen konnen. Es lag daher auch in der Philoſophie des Anaxago⸗ ras keine eigentliche Theologie, ob ſie gleich mehr als irgend eine andre zur Ausbildung einer philo⸗ ſophiſchen Theologie beytrug. a
Die Quelle des Begriffes des weltbildenden Verſtandes koͤnnte beym Anaxagoras ſchon die Aufſuchung eines von der Materie verſchiedenen, 1 und auf dieſelbe urſpruͤnglich wirkenden Weſens : geweſen ſeyn. Denn wenn er in der Materie durchaus keinen Grund der Weltbildung fand, wenn er denſelben auſſer ihr ſuchen wollte, ſo blieb nichts übrig als ihn in einem Geiſte oder Ver⸗ ſtande zu ſuchen. Die übrigen Praͤdikate welche er ihm gab, ergeben ſich aus dem Verhaͤltniſſe dieſes Verſtandes zur Materie, wie wir gezeigt haben. Man hat indeſſen noch andre Quellen der Theorie des Anaxagoras angegeben, worunter wohl diejenige, welche die Veranlaſſung dazu beym | Hermotimus von Clazomene ſucht, am meiſten Aufmerkſamkeft verdient. Sie ſcheint nämlich ein neues Beyſpiel zu der Bemerkung zu ſeyn, daß die Einbildungskrafe En dem Raiſonnement
den
| Em IM, l. Capie B l Vorſprung abgewinnt, und oft die Veranlaſ⸗ fung zu den Entdeckungen deſſelben wird.
Die Nachrichten der Alten von dieſem Her⸗ motimus ſtimmen darklun mit einander überein: daß feine Seele unabhängig von feinem Körper gewirkt haben ſoll. Dies konnte auf mannigfals tige Weiſe ganz natürlich zugehen. Hermotimus konnte ein Schlaſwandler ſeyn, er konnte fieber⸗
hafte Phantaficen oder Verzuckungen haben. Auch
durfte er nur ein ſehr lebhafter Traͤumer ſeyn. Der Grund hiervon konnte in einer ſehr lebhaften Einbildungskraft oder in einem krankhaften Zu⸗ ſtande liegen, wie bey Nikolai, der aber kluͤger war als Hermotimus, und die Geiſter, welche ihm erſchienen, mit Blutigeln vertrieb). Dafür werden ihm aber auch die Berliner, die ebenfalls kluger find als die Clazomenier, wohl ſchwerlich für einen großen Philoſophen anſehen, oder ihm en gar einen Tempel erbauen, wie es dieſe dem Her⸗ motimus thaten, nachdem fie ihn in einem Zus ſtande einer ſolchen Geiſtesabweſenheit für tod ges halten, und verbrannt hatten. Daß die Sage hieraus ein Wunder machte, war eben ſo natuͤr⸗ | lich, fo wie auch daß bie Alten, welche dieſe Sage SR N.
* M. f. die Beriiniſchen Blätter von 1799.
182 Buch III. Capit el r.
erſt mehrere Jahrhunderte nach Hermotimus auf⸗
zeichneten es als ein Wunder erzaͤhlen.
Ein Zuſtand dieſer Att, er mag nun ſeinen Grund gehabt haben, worinn er wolle, mußte
den Hermotlmus, wenn er irgend fähig war,
nachzudenken, auf den großen Unterſchied zwiſchen Leib und Seele aufmerkſam machen. Er mußte daraus fe zern, . daß Leib und Seele verſchieden
waren, 2. daß die Seele unabhaͤngig von dem Koͤr⸗ per wirken, 3. daß der Leib aber nicht unabhängig.
von der Seele thätig ſeyn koͤnne. So durfte er durch einen Zuſtand der Art, von welchen die Er⸗ zahlungen in unſern pſychologiſchen Magazinen im⸗
mer noch den groͤßten Raum einnehmen zu einem
der erſten Pſychologen gebildet worden ſeyn. Wenn er nun die hier gemachten Beobach⸗
tungen auf die Welt im Ganzen uͤbertrug; wenn
| ihn die Bemerkung, daß fein Körper nicht unab⸗
haͤngig wuͤrken koͤnne, auf den Gedanken brachte, daß die Materie es uͤberhaupt nicht koͤnne, ſo
mußte er nothwendig faſt ganz auf daſſelbe Sy⸗ 6 |
ſtem kommen, welches Anaxagoras lehrte. Da Anaxagoras aus eben der Stadt mit Hermotimus war, ſo iſt die Vermuthung freilich ſehr wahr⸗
ſcheinlich „daß er fein Syſtem von ihm angenom⸗
men habe, ob gleich Ariſtoteles nur ſo viel ſagt,
”
daß
nnen. vs
RER
Buch III. Capitel t. 183
daß er es eher als jener behauptet haben ſolle.
Dem nüchternen Anaxagoras kann immer das Ver⸗
dienſt bleiben, auf philoſophiſche Gründe zuruͤckge⸗
fuͤhrt zu haben, was der phantaſtiſche Hermoti⸗ mus nur als ein Produkt ſeiner Einbildungskraft
auufgeſtellt hatte *),
Mit dem Anaxagoras zugleich und wie es ſcheint, ſo daß ſie von ihm gelernt hatten , ohilos fophirten Diogenes von Apollonia und Arche⸗ laus. Sie ſcheinen nach den wenigen Nachrich⸗ ten welche Simplicius von ihnen mittheilt nichts originelles gehabt, ſondern nur eine Vereinigung zwiſchen den Ideen des Anaxagoras und denen
von aͤltern Philoſophen zu treffen geſucht zu haben.
Sie folgten unter den ältern joniſchen Philoſophen dem Anaximenes darinn, daß fie die Luft für das Urprincip der Welt annahmen, und die Denkkraft mit derſelben verbanden. Dadurch hätte die Phi⸗ loſophie einen guten Theil der Schritte zuruck thun
eee welche ſie durch Anaxagoras vorwaͤrts ge⸗
* Rn M 4 . than
*) Man vergl. Herrn Prof. Carus gelehrte und ſcharf⸗
g ſinnige Abhandlungen: De Anaxagoreae Cosmo- theologiae fontibus 1797 und über die Sagen von Hermotimos aus Klazomene, in Suͤlleborns Bey⸗
traͤgen St. 9. auch: Anaxagoras und fein Zeitgeiſt St. 10. S. 162282.
a E⸗ iſt allgemein anerkannt, daß die geſammte f Phghiloſophie der Griechen durch Sokrates eine 1
a li Be: PET ey 3 Den ER
184 Buch Ill. Capitel 2. than hatte. Aber man mußte bald fühlen, daß eine ſolche Verbindung noch unnatuͤrlicher und un⸗ gegründeter fen, als wenn man in die Materie ſchlechthin den Grund der Weltbildung legte.
l *
Zweytes C apitel.
72
ganz neue und ſehr vortheilhafte Richtung erhielt,
4 * *
indem er ſie von Spekulationen uͤber die allgemeine N Natur der Dinge, die man noch viel zu wenig: 4 kannte, um gründlich über fie philsſophiren zu kön⸗ f nen, abzog, und auf die Natur des Menſchen fixirte. Dies hatte auch fuͤr Religionsphiloſophie ſehr wohl⸗ | thaͤtige Folgen, indem Sokrates, wenn er auch nicht unterſuchte, was Religion an ſi ch ſey, doch deſto heller ins Licht ſeßte, was fie den Mens ſchen iſt. * So vortrefflich ER 5 Sokrates die prakti⸗ ſche Selte der Religion herauszuheben wußte, ſo kann man doch nicht ſagen, daß er die theoretiſchen | Religionsbegriffe um einen Schritt weiter gebracht habe. Er legte feinen Lehren über die Religion ſchlecht
>
N U — 2 ” *
Buch III. Capitel . 183 ſchlechthin und ohne Einſchraͤnkung die Religion ſei⸗ i
„ nes Volks zum Grunde. Er ſprach durchgehends
von den Göttern, und wenn hier und da unter den Aeuſſerungen bey Xenophon und Plato, die man mit dem meiſten Rechte für ſokratiſch halten kann,
é Hess in der einfachen Perſon vorkommt, ſo iſt
entweder von einem einzelnen Gott der Volksrelil⸗
gion, oder von dem Genius des Sokrates, oder von der Gottheit der Götter überhaupt, d. h. von
ſolchen Praͤdikaten derſelben die Rede, welche ie
ten 20 dein und ro deuoviov welches collektive Bes
nen gemeinſchaftlich zukommen und ihre Mehrheit nicht ausſchließen. Eben fo iſt es mit den Wor⸗
nennungen der Götter überhaupt find, dergleichen
wir in unſrer Sprache nicht haben, und wodurch
*
den Menſchen alles Gute mitgetheilt haben, und
nicht beſtimmt wird, ob man einen oder mehrere Goͤtter annehme. Etwas aͤhnliches hat in unfrer Sprache das Wort Obrigkeit, welches in einer
Republik ſowohl als in einer Monarchie gebraucht
werden kann. Ich zweifle daher ſehr, daß So⸗
krates die Einheit Gottes erkannt haben dürfte, | Ihn bewog die wohlthaͤtige und weiſe Einrichtung der Natur zum Beſten der Menſchen hauptſaͤchlich
dazu, das Daſeyn von Goͤttern anzunehmen, welche
fortdauernd für fie ſorgen. Warum hätte er es
he 0 1 er ei — * 5 5 i 9 E . 4 e \ 2
M; ge⸗
*
ſeyen? Er bewies ferner das Daſeyn der Götter aus der allgemeinen Meinung der Menſchen welche
daß es Menſchen Wr „die an einen wu Gott
den Vorbedeutungen und Rathſchlaͤgen eue
dualität verwebt war. Der Glaube an Mantlk oder Vorbedeutungskunſt, war in ſeinem Zeitalter
e n
188 Buch III. Capitel 2. gerade widerſprechend finden ſollen, daß mehrere Goͤtter ſich zu einem wohlthaͤtigen Zweck vereini⸗ gen, und wenigſtens in dieſer Ruͤckſicht gleiche Ge⸗ ſinnungen haben ſollten, beſonders da der Cha⸗ rakter der Goͤttlichkeit ohnehin vorauszuſetzen ſcheint, daß alle diejenigen, welche ihn haben gleichgeſinnt
daſſelbe behauptet. Die allgemeine Meinung ſeiner Zeitgenoſſen und Vorfahren, aber ſprach für meh⸗ rere Goͤtter, und er wußte vielleicht nicht einmal,
glaubten.
ae 8
we Sein vorzuͤglichſter Beweis war endlich von
welche, wie er glaubte, die Götter den Menden ertheilten. Dieſer Grund mußte fuͤr ihn am uͤber⸗ zeugendſten ſeyn, da er ganz mit ſeiner Indivi⸗
allgemein, und noch lange nach ihm hiengen ihm 8 4 ſelbſt die aufgeklaͤrteſten Maͤnner noch eifrig an ), | 9 ſo wie noch im vorigen Jahrhunderte nicht allein
N N e ö
©) Meiners üb. d. Genius d. Sokrates in ſ. ver⸗ 3 miſchten Scufen Bd. 3. | 07
Buch III. Capitel . 187
alle kleine, ſondern auch ſo große Maͤnner, wie 1 Grotius an Aſtrologle glaubten *). Sokrates | glaubte daher auch daran, und fah es für einen ; Theil der Wirkungen der goͤttlichen Vorſehung an,
ö daß die Goͤtter den Menſchen weiſe Rathſchlaͤge | - über Dinge ertheilten, welche auſſerhalb des Ges f
k ſichtskreiſes ihrer eignen Einſicht lagen, und ihnen doch zu wiſſen nöthig waren. Sokrates hatte aber
N. auch noch beſondre Gründe, an die Mantik zu
glauben. Er war durch das Orakel des Apollo
zu Delphos für den weiſeſten unter den Griechen erklart worden. So groß auch die Beſcheidenheit
dieſes wahrhaft großen Mannes ſeyn mochte, ſo ernſtlich auch ſeine Erklaͤrung, daß dieſes nur da⸗ von zu verſtehen ſey, daß er einſehe daß er nichts wiſſe, gemeint ſeyn mochte, ſo konnte es doch nicht
fehlen, daß dieſe Erklarung wenigſtens nicht et⸗ was dazu beytragen mußte, | feinen Glauben an
das Orakel zu Delphos zu ſtaͤrken, und vielleicht war es eben dieſes, was die ſchlaue Pythia beab⸗
ſichtigte. Sokrates glaubte ferner auf eine ganz
beſondre und ausgezeichnete obgleich bey andern
EP 5 5 — 5 a en SE ee re en ae en x S
OR nicht ganz ugewößlige Weiſe goͤttlicher 7 b Rath⸗ ; | 2 Grotius de veritate rel. chrift. nimmt Beweiſe für
die Wahrheit des ee N aus der Aſtrolo⸗ gie her.
m
188 Buch III. Capitel: n. Rathſchlaͤge und Vorbedeutungen gewuͤrbigt zu werden. Dies war was er unter feinem Dimos 8 nion verſtand *), welches er keinesweges für ein beſondres goͤttliches Weſen, ſondern nur für eine beſondre Aeuſſerung der Vorſorge der Goͤtter für
ihn uͤberhaupt angeſehen wiſſen wollte. Daß So⸗
krates in dieſem Punkte ein Schwaͤrmer war, if J nicht zu laͤugnen, aber hat es wohl je einen gro⸗ 5 ö fen Mann ohne einen Anſtrich von Schwaͤrmereng
gegeben? Der auf eine vermeinte unmittelbare
Wahrnehmung und Erfahrung ſich gruͤndende Glaube an Mantik, konnte aber den Sokrates 1
auch auf keinen andern Religionsglauben führen,
als auf den an die Volföreligton, und alfo an die Mehrheit von Göttern. Wie viel Sokrates von 1 den nähern Beſtimmungen dieſes Glaubens, be ſonders von feiner hiſtoriſchen und mythiſchen Seite 4 annahm, laͤßt ſich nicht ausmachen, da er ſich nie \ daruber erklärte. Er dürfte indeſſen wohl vieles 1 von den Ideen der alten Dichter angenommen ha⸗ 1 ben, da er ſie fuͤr goͤttlich begeiſterte Maͤnner hielt, 4 und er ſich über das, was ihm darunter unerklärlich 4 und widerſprechend erſcheinen mußte, durch ſelne Meinung von ſeiner, oder welches daſſelbe if, von
der menſchlichen Erkenntnißſchwaͤche and Unwiſſen⸗
*) Xenoph. Apol, Soer, A
Rn 4
* r 9 8 1 935.5
Buch III. Gay a hellt beruhigen konnte. Will man ja bey ihm Re,
lüglonsideen überhaupt von den Ideen feiner Volkes
.
religion unterſcheiden, ſo kann man ſagen: daß ihn die weiſe und wohlthaͤtige Einrichtung der Natur, und die vortheilhafte moraliſche
Wirkung der Beligioſitaͤt auf die Menſchen,
von der Wahrheit und den Werth der Res ligion überhaupt, die Mantit aber von fei ner Volksreligion überzeugte,
Man hat oſt, aber wie ich glaube nicht mit binlänglichen Gruͤnden behauptet, daß (Sokrates in ſeinen Religions meinungen dem Anaxagoras
gefolgt ſey, und die Ideen deſſ elben erweitert und ſie praktiſch gemacht habe. Wir haben ge⸗
zeigt daß Anaxagoras gar keine eigentliche Reli⸗ gionsphiloſophie hatte, ob feine Behauptungen gleich dazu führen konnten. Sokrates aber ſchoͤpfte
feine Religtonsbegriffe aus einer ganz andern Quelle, als Anaxagoras die von ſeinem weltbilden⸗ den Verſtande. Anaxagoras brauchte dieſen blos als eine Maſchine, um der weltbildenden Bewe⸗ gung den erſten Stoß zu geben, und da er eine ſolche erſt bewegende Urſache innerhalb der Mate⸗ rie nicht finden konnte, ſo nahm er das einzige
Weſen dafür an, welches ſich auſſerhalb der Mas
lere er laͤßt, einen Verſtand. Sokrates
mochte
*
*
190 Buch Ill. Capitel * mochte mit dem allgemeinen Begriff der Welt, 5 den er einen von den Sophiſten erfundenen Nah⸗ 1 men nannte ), nicht einmal etwas zu thun haben, | weil er ihn für üͤberſchwenglich hielt. Er hielt deswegen alle Syſteme über Weltbildung für un⸗
nutz und die menſchliche Erkenntniß überfchreitend, | |
ja er ſuchte ſelbſt manche Meinungen des Anax l goras, z. B. die, daß die Sonne eln feuriger „
Stein ſey, ausdruͤcklich zu widerlegen IB Wenn 4 Sokrates aus goͤttlichen Werken das Daſeyn der
Götter bewies, fo war es daher nicht ſo wohl
aus der allgemeinen Weltbildung, als aus der
Bildung des Menſchen, und der Dinge die dem 4 Menſchen nuͤtzlich ſind. Auch dieſes daß er nicht | F
von allgemeinen fondern von individuellen Wirkun⸗ 4
gen beym Beweiſe für das Daſeyn der Götter 1 ausgieng, mußte ihn beym Polytheismus erhalten. 4 Sokrates machte vortreffliche praktiſche An⸗ 4 wendungen von den Ideen der Volksreligiou de⸗ 4 nen er folgte. Daß dieſe ganz neu waren „ läßt E ſich indeſſen nicht geradezu behaupten. Sie liegen 1 zum Theil unmittelbar in den Weſen jeder Rel 4 gion und mußten daher ſchon laͤngſt vor Sokrates ö daraus entnickelt worden ſeyn. Wenn wir die | | Art
*) Xenoph, Mem. Socr. I. 5. 18. | ) Ibld. IV. 7. §. 6. 7. .
| N wa / x U le 5 %; 4
Buch Ill. Capitel s. 201
i Art und Mile genauer Tennten, wie weiſe und tugenöhafte Griechen ſchon laͤngſt vor ihm ihren
Religionsglauben anzuwenden wußten, fo müßten wir ſie entweder mit den Meinungen des Sokra⸗ tes hieruͤber uͤbereinſtimmend finden, oder es fuͤr
N unerklaͤrlich halten, wie ein Volk, das vorzuͤgliche
555 Geiſtes kraͤfte hatte, ſo lange an leeren Fabeln habe
hängen koͤnnen. Die griechiſche Volksreligion würde uns überhaupt dann in einem ganz andern Lichte
erſcheinen, als nach den gewoͤhnlichen Vorſtellun⸗
gen der Dichter, die nur das heraushoben was
fuͤr die Phantaſie Reitze hat. Anwendungen die⸗ ſer Art mochten daher ſchon zuvor, beſonders bey den Myſterien gemacht worden ſeyn. Vorzüglich
aber ſcheinen ſie, wie wir ſchon oben bemerkt has
. ben, die Ppthagoraer gemacht zu haben.
Eine beſonders merkwuͤrdige Anwendung da⸗
f bon machte Sokrates auf die Unſterblichkeit der
Seele. Er gründete ſie vorzuͤglich darauf, daß er die Natur der Seele fuͤr göttlich hielt. Da er
5 nun die Götter für unverganglich hielt, fo nahm
10
er auch die menſchliche Seele dafuͤr an. Hieraus folgt nun keinesweges daß er die Gottheit fuͤr ein materielles Weſen gehalten habe, von welchen die menſchlichen Seelen als Theile abgeriſſen wuͤrden. N gründete anftreitig jene ag der menſch⸗ N
x | lichen
Pe
. Götter Vernunft befi ist. | Dabıy er le 0 doch auch aus der Mantik und andern aberglö bi⸗ ſchen Vorſtellungen Beweife für die unte. der Seele. . Bey alle dem iſt die Derkungsent des Er, krates uͤber feine oäterliche Religion in vieler Hin⸗ ſicht muſterhaft für alle Anhänger positiver Rel i gionen. Er ließ die unweſentlichen Beftimmungen feiner Religion, die beſondern Namen, Sa, | und Attribute der Götter fo viel als möglich uns 3 berührt, ober ſuchte, wo er ihrer erwähnte, 8 einen moraliſchen Sinn unterzulegen. Nur selten bedient er ſich daher eines beſondern Goͤttern | mens, ſondern er nennt gewöhnlich . die Götter 1 überhaupt. In Anſehung der Verehrung der b Goͤtter behauptete er: daß der nach den Gefegen . und Gewohnheiten eines jeden Staats eingerichtete 3 Gottesdienſt der beſte, und den Göttern ‚angenehmfie . f ſey. Dies zeigt daß er auch die beſondern Sm deſſelben fuͤr unweſentlich hielt, ob er gleich mit vielem Eifer die Pflicht die Götter zu verehren * | haupt vertheidigte, und fie forgfältig nach ich den! „ ſetzen ſeiner Vaterſtadt verehrte. Auch dieſe L ehre von der geſetzlichen Verehrung der Götter war — 9 var om fondern,, urſpruͤnglich durch das ER Ora⸗
| Bu III. Covittl ö
Deubel bes Apollo zu Delphos ertheilt worden, deſſen Vorſteher, nach dieſen und andern Merkma⸗ len zu ſchließen nicht gemeine Religionseinſichten gehabt haben muͤſſen. |
Drittes Capitel.
—
Ul. den Schuͤlern des Sokrates blieb Ke. nophon den Lehren ſeines Meiſters RL getreu⸗ ſten. Sein Leben war zu thätig, als daß er ſich auf eigne Spekulationen haͤtte einlaſſen konnen, wozu man ihm die Anlage wohl nicht abſprechen ! kann. Wenn er auch nicht wie Sokrates auf eine ganz beſondre Weiſe durch ein Daͤmonion geleitet zu werden glaubte, ſo hielt er doch viel auf die Mantik, und ſchoͤpfte Vorbedeutungen aus Traͤu⸗ men, aus andern Zeichen z. B. aus dem Nieſen, vorzuͤglich aber aus den Eingeweiden der Opfer thiere. Er glaubte richtige Grundſaͤtze der Aus⸗ legung dieſer Vorbedeutungen zu beſitzen. Der N richtigſte war wohl, daß er annahm, die Rath⸗ ſchlaͤge der Götter ſtimmten allezeit mit der geſun⸗ den Vernunft überein und günſtige Zufaͤlle ließen in RETTEN TI m
Sokrates. In feinen ſokratiſchen Geſprächen be⸗
Laertius erhellt. Auf die Einheit Gottes kann
mine und nur die autem ee zu ih⸗ 4
194 Vug n. 5 ig 5 1 ihn auch in allen den Faͤllen, die und 5 kannt
worden ſind, dieſe Uebereinstimmung finde de en * Aeſchines war einer der treuſten Schüler 1
N
trachtet er die Tugend als Geſchenk und Einge⸗ a
bung der Götter, und leitet die Unſterblichkeit BE |
Seele von ihrer Goͤttlichkeit ab. Nichts als Ans. wendung einer veredelten Volksreligion!
Schon etwas weiter entfernten ſich die cyni. 1 ker von ihm. Antiſthenes der Stifter, dieſer Schule, fol in einem Buche, welches von der Natur handelte, behauptet haben: es gaͤbe nur ei⸗ nen Gott der Natur, aber viele Volksgötter. Dieſer Gott gleiche keinem Dinge und könne daher aus keinem Bilde erkannt werden ). Antiſthenes ſcheint ſich weit mehr auf theoretiſche Spekulatio⸗ nen eingelaſſen zu haben als Sokrates, wie aus dem Verzeichniſſe feiner Schriften beym Diogenes
er durch den Grundſaß der Sparſamkeit geleitet
worden ſeyn, welcher in ſeiner ganzen Phitofophie herrſcht, welche überall fo wenig Beduͤrfniſſe al
Mr Mr.
6) Cie. de Nat. Deor. I. 18. Lactant. Div. ink. 1 5. Clem. Al. e p. 46.
4,
| eh, un. Cet . e Befriedigung zuläßt. Nun bedarf aber die Natur nur eines einzigen Gottes. — So konnte 75 Antiſthenes darauf kommen, die Zahl ihrer Urheber und Regenten bis auf einen zu beſchraͤnken. Doch erhellt aus dieſer, ohnehin nicht auf ganz unver⸗ daͤchtigen Zeugniffen beruhenden Behauptung, noch nicht, daß er die Volksgoͤtter geradezu deren, fen habe.
Sein Schuͤler Diogenes von Sinope, ſpricht in den Anekdoten welche vor ihm erzählt werden, gewöhnlih von mehrern Göttern. Er wagte es indeſſen mit ſeiner gewoͤhnlichen Freymuͤ⸗
5 thigkeit auch den religiöfen Aberglauben anzugrei⸗ fen, in ſofern er moraliſch ſchaͤdlich werden konnte, a er behauptete, es ſey laͤcherlich, ſeine Ge⸗ ſchaͤfte zu vernachlaͤſſigen, um zu Tra umdeutern zu gehen, fie um Rath zu fragen; den Göttern für
Erhaltung der Geſundheit zu opfern, und ſie ſelbſt durch Unmäßigkeit bey den Opferfeſten zu zerrüts ten. Vorzuͤglich aber verſpottete er die Meinung, 5
daß Räuber und Mörder durch Reinigungen und
Einweihungen in die Myſterien ein ſeliges Leben nach dem Tode erlangen koͤnnten, Maͤnner aber,
wie Ageſilaus und Epaminondas, wenn ſie jene Gebrauche unterlaſſen haͤtten, ſich im Pful des
Taertarus waͤlzen muͤßten. Er ſcheint überhaupt 60
17 N 2 den
*
196 Buch III. Capitel 3. 1 den Gebräuchen der Buͤßungen nicht guͤnſtig gewe⸗ ſen zu ſeyn, indem er zu jemanden, den er ſich beſprengen ſahe, ſagte: Ungluͤcklicher! weißt du nicht, daß du ſo wenig von moraliſchen Verge⸗ hungen als von Sprachfehlern entſuͤndigt werden kannſt? Auch war er ein Gegner unanſtändiger Geberden und Stellungen bey gottesdienſtlichen Gebraͤuchen, und erinnerte einſt ein Weib, das
ſich auf eine unanftändige Art vor einem Goͤtter⸗ 4
bilde niedergeworfen hatte, über dieſe Unſchicklich⸗ keit; wobey er hinzuſetzte: alles ſey von Goͤttern erfuͤllt; ein Satz, der ſich zwar auch mit der grie⸗ chiſchen Volksreligion vereinigen läßt, aber doch der rohen Vorſtellungsart nach welcher die Bild⸗ 9 ſaͤule der Gotthelt mit ihr ſelbſt i 19 7 2 entgegen iſt. Von Gebeten um beſtimmte Güter war er kein Freund, und behauptete, die Menſchen erbäs . ten ſich öfter was ihnen gut zu ſeyn ſchiene, als wirklich gut wäre. Doch behauptete er den Göt ten gehöre Alles, und alles Gute komme von den Goͤttern, weswegen er im Scherz den Schluß zu 1 machen pflegte: Freunde haben alles unter ſich 2 gemein, die Weiſen ſind Freunde der Goͤtter denen Alles gehoͤrt; alſo gehört Alles den Weiſen ). | ; Uns 9 Diog. Laert, VI. |
ee
Buch III. Capitel z. 197
Miegariker von den Lehren des Sokrates ab.
Sie verbanden damit die Künfte der ſophiſtiſchen Dialektik und manche Behauptungen der eleatiſchen Schule. Vielleicht bedienten fie ſich aber dieſer
5 auch nur bey ihren ſophiſtiſchen Streitigkeiten, weil
ſie viel paradoxes haben, und den Meinungen der meiſten andern Philoſophen entgegengeſeßzt ſind. Von den lehren des Sokrates ſcheinen ſie auch nur in ſofern Anwendung gemacht zu haben, als
fe . Gegenſtaͤnde bey ihren Diſputationen
waͤhlten. In Rückſicht auf Religion wird von
| -uflides, dem Stifter dieſer Schule erzählt, er
habe nach dem Sokrates gelehrt, daß es ein einzi⸗ ges hoͤchſtes Gut gebe, und daß daſſelbe mit vers
ſchiedenen Namen, „unter andern auch Gott geuannt
werden konne. Hieraus ſcheint ſich zu ergeben, daß er den theoretiſchen Begriff des Renophanes von einer Weltſubſtanz, auf den praktiſchen vom
5 Ungleich weiter als die Cyniker wichen die
hoͤchſten Gute anwendete und beyde mit einander |
gewiſſermaaſen verband, wo nicht verwechſelte.
Aus einer Verbindung dieſer Art mußte ein hoͤchſt Nate Begriff entſtehen, welcher manche wis
derſprechende Praͤdlkate in ſich faßte. Wir kennen die Behauptungen nicht, auf welche Euklides ſelbſt
w al Begriff gefuͤhrt wurde. Aber es fin⸗
N 3 | den
7 0 Yo
198 Buch III. Capitel 3. |
den ſich hier und da mehrere Raifonnements zlterer
und neuerer Philoſophen, die vom hoͤchſten Gute ſprechen, als ob es ein unabhaͤngig exiſtirendes
Weſen waͤre, und as viel a
‚enthalten, . lage Euklides von Megara ſcheint ee mit der
Benennung Gott eben fo willkuͤhrlich umgegangen zu ſeyn, wie Kenophanes, der ohne hinreichenden
Grund dazu zu haben, ſeine Weltſubſtanz ſo nannte;
wenn er das hoͤchſte Gut Gott zu nennen erlaubte. Denn, wenn man ſich auf andre Weiſe einen Begriff
von Gott gebildet hat, ſo kann man dieſen wohl in einer gewiſſen Beziehung das hoͤchſte Gut nennen, da denn dieſe Benennung nichts anders bedeutet als
das hoͤchſte moraliſche Weſen und die Quelle alles | | Guten für den Menſchen. Verſteht man aber dar⸗
unter nach Sokrates einen gewiſſen Zuſtand menſch⸗ licher Vollkommenheit, welchen der Weiſe ſich zum
Ziel ſeines Strebens zu machen hat, ſo wird man dieſen Zuſtand nur ſehr uneigentlich Gott nennen konnen. Ein ſolches Spiel mit leeren und unent⸗ wickelten Begriffen iſt indeſſen ebenfalls oft von aͤl⸗ tern und neuern Philoſophen getrieben worden. Die Religionsphiloſophie duͤrfte daher durch dieſe Anwen⸗ 1 dung welche Euklides von der Idee von . wachte 4
nichts gewonnen haben.
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Buch III. Capitel 3. 199
Schon aus dieſer willkuͤhrlichen Anwendung des 8 Gottes erhellet, daß die Megariker, wenn ſie uͤberhaupt ein Syſtem hatten, wenigſtens für: die Religionsphiloſophie keinen Plaß in demſelben fan⸗
den. Noch mehr wird dieſes dadurch beftätigt, daß 10 ſie, wie Gertus Empirikus von dem Megariker
Alexinus erzaͤhlt *), die mit der Religion in Zuſam⸗ menhange ſtehenden Behauptungen andrer Philoſo⸗ phen lächerlich machten, oder wie von Stilpo er⸗ zählt wird, auch der Volksreligion fpotteten. |
Am weiteſten wich Ariftipp von feinem Lehrer
DR Sokrates ab, und ſchlug einen Weg ein, der ihn ſelbſt zum! Lehrer der Niedertraͤchtigkeit, und ſeine
Schüler zu öffentlichen philoſophiſchen Vertheidigern
des Laſters machte. Einem feinen Wolluͤſtlinge wie
Ariſtipp war, mußte die Religiofität eines Sokra⸗
eine unnuͤtze Burde zu ſeyn ſcheinen, die er weg⸗ warf, ob es auch gleich ſeinem Syſteme zuwider
geweſen wäre, ſich durch Beſtreitung des religloͤſen Glaubens Unannehmlichkeiten und Gefahren zuzu⸗ ziehen. Wahrſcheinlich ließ er daher als Philoſoph die Religion ganz unberuͤhrt. Seine Schuͤler ver⸗
banden die Sophiſtik mit feinem Syſtem ünd wur⸗ den wahrſcheinlich eben dadurch ſo inconſequent, ſich
durch Beſtreitung des Goͤtterglaubens Verdruß zu⸗
95 zuziehen. Dies that beſonders Theodor, welcher
. die
2 Sent. Emp adv. Mat. IX. 108. 109.
200 Buch III. Capitel 3. | die Götter. geradezu angriff, und deswegen aus
Athen verbannt wurde, doch iſt nicht bekannt mit
welchen Gruͤnden er dieſes that. Bekannter iſt es von ſeinem Schuͤler Euhemerus der den griechi⸗ ſchen Religionsglauben mit hiſtoriſchen Gründen. zu widerlegen ſuchte. Noch irreligioͤſer als Theodor, ſprach fein Schuler Bion ohngeachtet er erkannte daß Srreligiofität nicht wohl mit Freymuͤthigkeit bes ſtehen koͤnne, und zuletzt wieder ſo in Aberglau⸗ ben zuruͤckſank, daß er ſich in feiner letzten Krank heit durch aberglaͤubiſche Buͤßungen zu retten ſuchte. Man hat oft behauptet dieſe Cyrenaiker haͤtten nur den Volksglauben, nicht die Religion uͤberhaupt be⸗ ſtritten. Allein ihr philoſophiſches Syſtem hat eine | zu ſtarke Tendenz zum Atheismus, als daß man g \ ‚glauben koͤnnte daß fie bey ihrer Beſtreltung der Volksreligion doch andre und beſſere Religlonsleh⸗ ren erkannt haͤtten.
Viertes i
Buch III. Capitel . s
Viertes Capitel.
Eben der religioͤſe Geiſt, welcher in den lehr⸗ reichen Geſpraͤchen des Sokrates lebt, weht auch
in den Philoſophemen feines großen Schülers Plato. Getrieben von einem hohen philoſophi⸗ - Shen Dichtergeiſte ſuchte er alles zu idealiſiren, oder mit Idealen in Verbindung zu fegen. Dies
gab ſeinem ganzen Denken einen religiöfen Schwung
und Religion erkennt man als den Schlußſtein ſei⸗ nes geſammten Lehrgebaͤudes und zugleich als das Bindungsmittel welches die Beſtandtheile deſſelben in ihren einzelnen Fugen zuſammenhaͤlt. Aus res ligloͤſen Begriffen erklärt er das Daſeyn der Welt und ihre Einrichtung; von der Religion waren großentheils feine Ideen von der menſchlichen Seele und den Gründen ihrer Fortdauer entlehnt; Re⸗ Yigfon ſtellte ihm das Ideal der Tugend und den Grund der Heiligkeit der buͤrgerlichen Geſetze auf; Religion ward daher von ihm für eine der wich⸗
tigſten Staatsangelegenheiten erklaͤrt.
Es giebt daher mehrerley Eingänge in das 77 Heiligthum der platoniſchen Religlonsphiloſophie, und fie iſt einer verſchlebenen Darſtellung von 1 N 5 meh⸗
2 Buch III. Capitel 4.
mehrern Seiten faͤhig. Sie ließe fi ch dels
phyſiſche Theologie, als Cosmotheologie, als Pſp⸗
chotheologie „als Moraltheologie und als politifche ;
Theologie darſtellen. In alle dieſen Formen wuͤrde ſie ſehr wichtig erſcheinen, und ſich an den ganzen
Mikrokosmos platoniſcher Ideen anknüpfen laſſen,
und es duͤrfte ſchwer zu entſcheiden ſeyn, welche
von dieſen Darſtellungsarten die wichttne n und all⸗
umfaſſendſte ſeyn wuͤrde.
In jedem ſeiner Dialogen, in welchen Plato
von theologiſchen Ideen ſpricht, oder ſprechen laͤßt, weiß er ihnen daher ein neues Intereſſe zu geben,
und vergebens ſucht man in einem einzelnen die
Hauptſumme ſeiner Theologie, ſo ausführlich er hr
ſich auch in einigen derfelben darüber verbreitet. | Marſilius Sicinus hat im Dialog parme⸗ nides die innerſten Heiligthuͤmer der platoniſchen Theologie geſucht, glaubt aber, daß um fie darinn zu finden, ein hoher Grad von Nuͤchternheit und
Freyheit des Geiſtes erfordert werde. Dagegen 1 behaupten neuere Forfher *) daß man, um eine { ö geheime Theologie in diefem Dialog zu finden, zus
vor von dieſer Idee eingenommen ſeyn muͤſſe. Und in der That ſcheint dieſer Dialog, welcher
von
9 Tiedemann Dialogorum Platonis argumenta p. 340.
u ö — — f . r et Se, SR 0 * —
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Buch III. Capitel 4. 203 von der eleatiſchen Idee des Einen handelt, mehr ein Verſuch durch Huͤlfe der Dialektik metaphyſi⸗ ſche Wahrheiten auszumachen, dergleichen man in der Philoſophie oft, aber mit wenigem Gluͤcke ges macht hat, als eine Unterſuchung theologiſcher Ge⸗ genſtaͤnde zu ſeyn. Denn die Idee der Eleatiker von der Einen allgemeinen Subſtanz „ward, wle | wir oben gezeigt haben, von Kenophanes blos will⸗
kluͤhrlich, von Parmenides aber gar nicht mit der
Theologie verbunden. Daher iſt auh in dieſem ganzen Dialog von derſelben direkte gar nicht die Rede. Eben ſo wenig iſt die Platoniſche Reli⸗ gionsphiloſophie im Philebus zu finden, in wel⸗ chen ſie die Neuplatoniker und beſonders Proklus ſuchten. Deſto mehr beſchaͤftigt ſich Plato im Ti⸗ maͤus mit Religionsbegriffen. Hier knuͤpft er an den Saß: daß alles feine Urſache habe, unmittels
bar den Begriff eines Welterbauers, welcher,
wie er behauptet, ein Weltideal nöthig gehabt hat, nach dem er die Welt formte. Der Grund | welchen er hatte die Welt zu erſchaffen, war ſeine
995 Guͤte, daher auch die Welt die beſte iſt. Da es
nun nichts beſſeres giebt, als was Verſtand hat, Verſtand aber ohne Seele nicht denkbar iſt, fo ward die Welt ein beſeeltes Thier. Dann zeigt dieſer Dialog weiter die Art und Weiſe der Welt⸗ N er⸗
BT Eu as >
20% Zus III. > Cavitel 4. 5 crſchuffung nach den Begriffen „welche Plato pop
den Zwecken der Dinge hatte, und zum Theil nach den Behauptungen von der thieriſchen Natur der Welt. Auch ſucht er ſeine Ideen an die mythi⸗
ſchen Theogenieen und Cosmogonieen anzuſchließen.
Die vornehmſten Werke des Vaters der Welt wa⸗
ren die Geſtirne, welche zugleich die oberſten Goͤt⸗
ter ſind. Dieſe erzeugten die uͤbrigen Daͤmonen,
z. B. Oceanus, Thetys, Jupiter, Juno, von des nen die Alten erzählen, welche ſelbſt Goͤtterſoͤhne
waren, und denen man daher dasjenige, was ſie von dem Urſprunge ihrer Eltern fagen, glauben muß. Den Untergöttern ſchenkte der Welturheber
Unſterblichkeit, ohngeachtet fie an ſich nicht unzer⸗
ſtörbar waren, und überließ ihnen die Schoͤpfung weiter fortzuſetzen. Sie ſchufen zuerſt den Men⸗
ſchen nach weiſen und wohlthatigen Abſichten. Um
dieſe zu zeigen, verbreitet ſich der Dialog uͤber die ganze Anthropologie ſehr ausfuhrlich. Dann ſpricht er von Entſtehung der unbelebten Theile der Welt, welche der Schöpfer aus einer unbeſtimmten Ma⸗
terie formte, die feinen Abſichten nicht ganz ent⸗
ſprach, die er aber ſo gut einrichtete, als es moͤg⸗ A lich war. Die Thiere laͤßt Plato endlich durch Seelenwanderung entſtehen, indem die menſch⸗
| lichen Seelen in Thiere ene die mit ihren
Cha⸗
Buch ul. empire BEN © ‚Charakteren die meiſte Aehnlichkeit haben, 2 B. eiltle Menſchen werden Voͤgel, wilde und gügeljofe, werden Raubthiere, dumme, werden Fiſche. e größte Theil des Dialogs iſt ein ſchoͤner Traum, * in welchem Plato durch ſeine Einbildungskraft ſich | weit “über die Gränzen des Erweislichen kae Tan laßt. ’ - | Mit dieſen Ideen ſtehen zunaͤchſt Wage in Verbindung, welche Plato im Politikus durch einen Fremden unter dem Titel einer Sage vor⸗ tragen laͤßt. Gott iſt der Beweger der Welt. So lange er die Bewegung derſelben ſelbſt regiert 90 geht alles zut. Von Zeit zu Zeit aber überläßt * er die Welt als ein ee Thier ihrer eig⸗ nen Bewegung. Da geht denn alles verkehrt u zu Grunde, bis Gott die Zuͤgel der Weltregierung wieder ergreift. Dieſe Behauptungen ſind ein be⸗ quemes Mittel das Uebel in der Welt zu erklaͤ⸗ ren. Zugleich aber erklaren ſie auch die Dichter⸗ fabeln von dem goldnen Zeitalter unter Saturns
1 und dem ſilbernen unter Jupiters Regierung.
Fruchtbarer ſind die Ideen des zehnten Buchs von den Geſetzen. Hier ſetzt Plato den Glau⸗ N ben an Goͤtter und ihre Regierung der Welt als | eine geſetzliche Pflicht feſt. Er tadelt daher mehr rere der altern Philoſophen und Dichter, welche * ent⸗
A . ad,
x „ . 5 OR 20 Buch III. Capitel 4.
entweder atheiſtiſche oder unwürdige Ideen von den
Goͤttern verbreiteten, und alles entweder vom Zus,
fall oder natuͤrlichen Wirkungen ableiteten. Dann unternimmt er das Daſeyn der Goͤtter ſelbſt zu beweiſen. Er geht dabey von der Bewegung aus, in welcher ſich die Koͤrper, vorzuͤglich die Geſtirne
befinden. Alles was ſich bewegt, wird entweder
. durch ſich ſelbſt oder etwas Anders bewegt. Was 1 ſich ſelbſt, oder etwas anders in Bewegung ſetzt,
iſt eine Seele. Alſo muͤſſen alle in Bewegung be⸗
findliche Koͤrper Seelen haben. Alſo haben alle Geſtirne Seelen. Dieſe Seelen ſind Daͤmonen oder Goͤtter, und ſo kommt er auf den Saß, daß Alles von Göttern erfüllt ſey.
A Darauf fucht er aber auch die Vorſehung der
Götter zu beweiſen. Er geht davon aus, daß er
ihnen die höchfte moraliſche und intellektuelle Voll⸗ kommenheit zuſchreibt. Da ſie nun dieſe beſitzen
und die Welt hervorgebracht haben, ſo werden ſie
auch fuͤr ihre Erhaltung auf die vollkommenſte
Weiſe ſorgen. Wohlfarth und Vollkommenheit des Ganzen (owrypix . apern 8 ol) iſt der Zweck
der goͤttlichen Vorſehung. Manches was dem Ganzen heilſam iſt, faͤllt den einzelnen beſchwerlich. Daher die ſcheinbaren Uebel in der Welt. ueber⸗ haupt genommen aber weiſen die Goͤtter jeder Seele
ſo⸗
2 —
| Buch III. Eapite 4. 207 Gohl. im beben als nach dem Tode den Plat an, welcher ihr zum Beſten des Ganzen zukömmt. Das durch ſucht er zugleich die Einwuͤrfe gegen die Vorſe⸗
hung zu widerlegen, welche von der Gluͤckſeeligkeit
der Laſterhaften und dem Ungluͤck der Tugend haften
15 hergenommen find. Auch widerlegt er das Vorur⸗
theil, als ob die Götter durch Geſchenke und Opfer der Laſterhaften gewonnen werden koͤnnten. Nach dieſen Grundſaͤtzen beurtheilt er die Geſetze, welche der Staat in Ruͤckſicht auf die Religion zu ge⸗ | Ä ben hat. | Zuge
Der Dialog Epinomis von zweifelhafter Aechtheit, enthaͤlt auch mehrere theologiſche Ideen von zweifelhaftem Werth. Dle Zahlenlehre wird in demſelben nach pythagoraͤiſcher Weiſe als die erſte und goͤttlichſte Kunſt geprieſen. Ihr folgt die Theo⸗ logie die hier ebenfalls als eine Lehre von den Gees len der Weltkoͤrper dargeſtellt wird. Hiermit ſteht die Lehre von Dämonen in Verbindung „ welches 4 unfichtbare Weſen find, die jedoch zuweilen ſichtbar werden koͤnnen. Gegen die Menſchen find fie fehr wohlwollend geſinnt, und machen die Mittelsperſo⸗ nen zwiſchen ihnen und den Goͤttern aus. Wer die
Goͤtter, und die rechte Art und Weiſe fie zu verche
| ren Are der iſt weiſe und gluͤcklich. Daher muͤſ⸗ kg ſen
208 Er III. Caitel .
ſen die Verwalter 25 Geſetze vorzüglich jene wir
ſenſchaften ſich zu erwerben ſuchen.
Ob Plato gleich mit vielem Scharffi inn man⸗
chen der aͤltern Fabeln von den Göttern einen phl⸗ loſophiſchen Sinn unterzulegen ſucht, ſo zeigt doch fein zweytes Buch von der Bepublik daß er
ihnen nichts weniger als einen unbedingten Werth beßylegte. Hier behauptet er nämlich mit eben fo viel Eifer als Freimuͤthigkeit, daß alle unmorali⸗ ſche und unwuͤrdige Fabeln von den Göttern, ſelbſt
manche Homeriſche und Heſiodeiſche in einem gu⸗ ten Staate nicht geduldet werden duͤrften, damit die Buͤrger nicht an denſelben ein böfes Beyſpiel nähmen, oder ſich die Vorſtellung machten, daß die Goͤtter, von denen ſolche Uugerechtigkeiten und Laſter erzählt werden, wohl ſelbſt den Ungerechten
und Laſterhaften nicht abhold ſeyn duͤrften. Die
Götter werden zugleich gegen die Beſchuldigung vertheidigt, welche ſich aus manchen Fabeln er⸗
giebt, daß ſie den Menſchen aus Bos heit und Leldenſchaften Boͤſes zufügen, und es wird bes
hauptet „daß ſie nur den Boͤſen Strafen anferles
gen zu ihrer Beſſerung, die ihnen 1 vielmehr
nuͤßlich als ſchaͤdlich ſind.
| Im ſechsten dieſer Buͤcher ſcheint Pute un⸗ ter dem Namen der Idee des Guten von dem
höhe
| maͤus als den Vater der Welt beſchreibt. Er ſagt daß die Kenntniß dieſes hoͤchſten Guts die
| erſte und er habenſte Wiſſenſchaft ſey, und giebt zu
erkennen, daß fie zu hoch für feine gegenwärtige Unterredung ſey. Er will daher nur von einem Abkömmlinge des hoͤchſten Guten ſprechen, welcher demſelben ahnlich iſt. Als ſolchen beſchreibt er den Sonnengott und ſchließt dieſe in ein ſymboljſches und myſtiſches Gewand gehuͤllte Betrachtung, mit den Worten: „die Sonne giebt den ſichtbaren Dins gen nicht allein die Sichtbarkeit, ſondern fie beför⸗ dert auch ihre Erzeugung, ihr Wachsthum und ihre Nahrung, ohne doch ſelbſt eine erzeugende Kraft zu ſeyn. — So erhalten auch die erkenn⸗
baren Gegenſtaͤnde von dem, Guten nicht allein ihre
Erkennbarkeit, ſondern auch ihr Seyn und ihre
Subſtanz, ohne daß doch das Gute ſelbſt eine
Subſtanz fl. Es iſt vielmehr über alle Sub⸗
ſtanzialität an Wurde und Macht erhoben ) . Dos
15 Es kann wohl ſeyn daß dieſe dunkeln Worte, die einen Lichtſtrahl aus der eſoteriſchen platonifchen
Philoſophle (wenn es eine ſolche gegeben hat), zu
. ſcheinen könnten, ſich nach jedem philo⸗ 8 ſophi⸗
1 Duc III. ein, 209 | bochſten Weſen zu reden, welches er im Ki,
—
+
210 Bug III. Enviket 4.
Das zehnte Buch enthält zubörderſt Myth N
fig eine Erklärung, aus welcher etwas deutlicher erhellt, was Plato unter den Ideen dachte, welche
er als Urbilder der wirklichen Dinge darſtellt. |
Gott hat von jeder Art von Gegenſtaͤnden nur eine einzige Uridee erzeugt, welche dasjenige ent⸗ haͤlt was den einzelnen Gegenſtaͤnden dieſer Art gemeinſchaftlich iſt, z. B. nur eine Idee eines
Menſchen. Hätte er zwey oder mehrere hervorge⸗
bracht, ſo waͤren ſie nicht Urideen geweſen, ſon⸗ dern haͤtten eine andre gemeinſchaftliche Uridee vor⸗
ausgeſetzt. Dies iſt vollig unverfiändlih, wenn
man
ſophiſchen Syſteme deuten laſſen; mir iſt indeſſen
ihre Uebereinſtimmung mit Ideen der neuſten idealiſti⸗ ſchen Philoſophie vorzuͤglich auffallend geweſen.
Ich ſetze ſie ſelbſt her, um die Richtigkeit meiner Ueberſetzung pruͤfen zu laſſen: rov Av Tas op- eve, E MOVOU of. 1 TE op ονοννντνt Te \ psxew On ανν Kal 12 yevaoıy au avänv nos TpoßyV’ 8 yEvsSıy avrov ovTro. rg 7 xx TOIG YIyUWaHoREVOIOG TOWUy AN ovov 70 yıyvwansehas Davos uno re uyaJe mapsıraı AN A To Eva TE Ha TNY CRY e MUTOIG v -· 10 SG α oro Ts yasa, ad eri erene, rie Sciag peo He nos dv ν,H vmepexovroc. Plat. de 1 I. VI. p. 687. F. ed, Francof. 1702 fol.
=
Sit III. us l. 1
f 1 fh unter den Ideen etwas anders als auge ö meine Vorſtellungsarten denkt, und ſie als reale
oder ſubſtanzielle, nicht aber als ideale nur in ei⸗
ner Intelligenz und für dieſelbe erte Gegen | ſtaͤnde betrachtet. 5 Dann ſucht er die Unſterblichkeit der Seele daraus zu beweiſen, daß es kein Uebel für dle Seele giebt, en fie zerſtoͤrt werden könnte. Sie kann nemlich durch Untugend welche das eins zige Seelenuͤbel iſt „ zwar verderbt. aber nicht zer⸗ ſtoͤrt werden. Da nun alſo die Seelen im Tode dieſelben bleiben, welche fie zuvor waren, die Goͤt⸗ ter aber die Tugendhaften lieben, und die Laſter⸗ haften haſſen, ſo werden ſie nach dem Tode jene belohnen, dieſe beſtrafen. Die Art und Weiſe dieſer Vergeltung hüllt Plato hier in eine Fabel, welche mit den Ideen der griechiſchen Volksreligion |
K viele Aehnlichkeit hat. Es erſcheint darinn eine
. ungeheure Lichtſaͤule, welche als die Axe der ganzen Welt dargeſtellt wird. Es laͤßt ſich nicht mit Gewisheit behaupten, in wiefern Plato hier⸗ durch den hoͤchſten Gott habe bezeichnen wollen. | Wenn ihm dieſe Idee wirklich eigen war, ſo war fie ihm unſtreitig nur eine ſymboliſche Vorſtellung des hoͤchſten Weſens, als Urhebers der i der e Welt. 9 2 Zu
a | Buch Ill. Capitel 4.
Zu den verhoͤltniſſen der Götter gegen 2 die Menſchen und den Wirkungen, welche fe unter ihnen hervorbringen, gehoͤrt auch die Be⸗ 1 geiſterung der Dichter, welche Plato im Jon den Sokrates einem epheſiſchen Rhapſoden einde⸗ monſtriren laßt, der ſich ſelbſt darüber wundert, | da ihm Sokrates zeigt, daß er ſelbſt mittelbar von den Göttern begeiſtert werde, wenn er ein ho⸗ meriſches Gedicht vortrage. Wie der Magnet ei⸗ nen eiſernen Ring anzieht, und dieſem die Kraft mittheilt andre anzuziehen, ſo daß daraus eine magnetiſche Kette entſteht, fo begeiftern die Goͤtter den Dichter, der Dichter den Rhapſoden, und der Rhapſode die Zuhörer. Die Beweiſe, daß dieſe Begeiſterung etwas auſſerordentliches und goͤttliches ſey, werden vorzuͤglich aus den auſſerordentlichen Ruͤhrungen zur Freude und beſonders zur Trau⸗ rigkeit und Thraͤnen hergeleitet, welche die Leſung und Anhörung der Dichter bey Zuhörern hervor⸗ 3 bringt, die ſonſt keine aͤuſſere Urſache zur . 1 oder Traurigkeit u. d. gl. haben. ei
Daß Plato, fo wie Sokrates auch Träume, Vorbedeutungen und Orakel für göttlich gehal⸗ f ten habe, erhellt aus dem Phaͤdo und Crito, | und das letztere beſonders aus der Apologie des 4 Sokrates. Daß die Sprache uͤberhaupt einen
goͤtt⸗ ‘ 1 4
Buch III. Enpitel. 213
5 göttlichen Urſprung habe, ſcheint er jedoch nach
dem Cratylus zu ſchließen, nicht angenommen 0
5 haben.
Einen ganzen Dialog, den zwepten Aleibia⸗ des widmet Plato der Lehre vom Gebet. Es
wird dabey vorausgeſetzt, daß die Goͤtter dle Ge⸗
bete der Menſchen hoͤren und erhoͤren. Doch wird auch behauptet, und mit dem Beyſpiel des Oedi⸗ pus belegt, daß die Goͤtter den Menſchen zuwei⸗
len Bitten um Dinge gewaͤhren, die ihnen ſchaͤd⸗ N
lich ſind. Daher wirb empfohlen, beym Gebet
vorſichtig zu ſeyn, und es den Göttern ſelbſt zu
uͤberlaſſen, was fie den Menſchen Gutes gewaͤh⸗ ren wollen. Zugleich wird erinnert, daß dle Goͤt⸗
ter nicht auf den Werth der ihnen dargebrachten Geſchenke, ſondern auf das Herz des Betenden ſehhen. Fruchtbarer vit als in ſeinen derelchen Ideen iſt Plato in praktiſchen Anwendungen
von Rellgionsbegriffen. Die Goͤttlichkeit der menſch⸗
lichen Seele „welche er in mehrern feiner Dialogen behauptet, aus welcher er die Gruͤnde für ihre
7 Fortdauer nach dem Tode zum Theil ableitet, und
die er beſonders im erſten Alcibiades zum vor⸗
nehmſten Gegenſtande der Selbſtkenntniß macht,
; a tom ſehr gute Gelegenheit die Lehren der Mo⸗
O 3 e
214 Buch III. anne
ral, au Religionsibeen anzuknuͤpfen. Die bon ihm 175
behauptete Aehnlichkeit der Menſchen mit Gott iſt theils eine naturliche theils eine moraliſche. Die natürliche beſteht vorzüglich darinn, daß er die
menſchlichen Seelen eben ſo wie die Götter als
Principien einer unabhaͤngigen und urſprüͤnglichen Bewegung betrachtet; die moraliſche beſteht in den Anlagen zur Tugend, und wird erhoͤht var die Tugend ſelbſt. | rn St Den Büchern von den Gefegen trägt Plato vorzuͤglich ſeine Moral vor. Im vierten dieſer Bucher trägt er die Bewegungsgruͤnde vor f welche die Menſchen zur Geſeczlichkeit leiten
ſollen, und die er zur Vorrede ſeiner Geſetze ge⸗
macht wiſſen will. Sie ſind von der Religion hergenommen. Die Götter belohnen die Guten, welche ihnen ahnlich find, und beſtrafen die Unge⸗ rechten und Zuͤgelloſen, die ihnen unaͤhnlich ſind.
Daher ſollen die Menſchen die Goͤttern nachahmen
und ſie verehren.
Im fuͤnften Buche wird bee ver⸗ | trauen auf die Bottheit im Unglüd empfohlen. Der Tugendhafte wird von den Goͤttern nicht ver⸗
laſſen, ſeine Tugend bleibt nicht unbelohnt, daher muß er die Leiden geduldig, mit Hoffnung und
Vertrauen daß er bald wieder gluͤcklich ſeyn werde,
ertra⸗
—
Buch III. Capitel 4. 215 ‚ertragen. Da er in dieſem Buche von der Ein⸗ | theilung des Staatseigenthums ſpricht, ſo ver⸗
15 ordnet er den Göttern einen anſehnlichen Theil
deſſelben einzuraͤumen.
Mit der Sorge des Staats für den Sfr fentlichen Gottesdienſt beſchaͤftigt ſich auch das ſiebente Buch, wo von religioͤſen Spielen, und das achte wo von Feſten und Opfern die Rede iſt. Das neunte Buch erklaͤrt die Verbrechen ges gen die Götter, beſonders den Tempelraub, für die ſchwerſten unter allen; das zehnte von dem wir ſchon vorhin geſprochen haben, empfiehlt Re⸗ ligtoſität unter den Staatsbuͤrgern auf alle Weiſe zu verbreiten. Das eilfte endlich empfiehlt die Verehrung der Eltern aus dem Grunde, weil es viele Beyſpiele gebe daß die Goͤtter die Verwuͤn⸗
ſchungen der Altern uͤber ihre Kinder int
haͤtten. f Im Phaͤdo wird der Selbstmord als eine Verletzung der Pflichten gegen die Goͤtter vorge⸗ ſtellt, indem der Selbſtmoͤrder den Poſten vera laͤßt, welchen ihm die Götter angewieſen haben.) Im Sutyphro endlich handelt Plato die Lehre von der Heiligkeit und Gottesverehrung ausführlich ab. Ein undankbarer Sohn beruft ſi 1 in ane um ſich zu rechtfertigen auf das 75 „ Bey⸗
216 Buch III. Capitel 4. Beyſpiel des Jupiter der nach der Fabel ſeinen Vater vom Throne ſtieß. Sokrates zeigt ihm das Unsernünftige dieſer Fabel aus richtigen Be⸗ griffen von der Heiligkeit der Goͤtter. Heilig iſt was den Göttern gefällt. Wenn nun den Goͤt⸗ tern bald das Gute und bald das Boͤſe gefiel, ſo wuͤrden ſie ſich ſelbſt widerſprechen. Sie koͤn⸗ nen alſo nichts als das Gute wollen, und zwar nur darum weil es gut iſt. Hierauf unterſucht er weiter, ob wohl das Gute und das Heilige Eins und daſſelbe ſeyp. Es wird beſtimmt, daß das Gute uberhaupt von weiterm Umfange ſey als das Heilige, und dieſes vorzüglich dasjenige ſey, was die Menſchen thun, indem ſie die Götter verehren. Dann kommt er weiter auf den Zweck der Gottesverehrung. Sie kann nicht ein Handel | zwiſchen Menſchen und Goͤttern ſeyn, da die Men⸗ ſchen den Goͤttern Geſchenke machen um wieder ſolche von ihnen zu erhalten, weil die Menſchen den Göttern Überhaupt nicht nuͤtzlich werden koͤn⸗ nen. Es werden durch dieſen Dialog einige un⸗ wuͤrdige Vorſtellungen von der Gottesberehrung aus dem Wege geraͤumt, ihre wahre Natur u
ihr Zweck aber bleiben unbeſtimmt. Dies dürften die Hauptideen der glätenfien TRUE und zugleich die RUE derſelben ſeyn.
’ *
Buch III. Cavite Be 217
been Ich wage es nicht fie in einen foftematie ſchen Zuſammenhang zu bringen, ſo leicht dieſes
auch ſeyn möchte, weil es mir nicht einleuchtet, ob
und in wiefern Plato überhaupt ein philoſophl⸗
ſches System gehabt habe, noch weniger aber, wie weit man es aus ſeinen Dialogen mit Zuverlaͤſſig⸗ keit ſchöͤpfen könne „). Nur 25 noch einige Be⸗ | merkungen darüber.
Nato ſcheint der erſte unter den griechtſchen Philoſophen zu ſeyn, welcher, wenn nicht eine Religlon unter feinem Volke bereits vorhanden ge⸗
Pe weſen wäre, eine ſolche durch ſeine Pyhiloſopheme
rer
ES
rr * 27 - 2 un
—
hervorgebracht haben wuͤrde. Da aber theils eine
ir Volksreligion, theils einige Philoſopheme, welche
mit Religfon in Verbindung ſtehen, ſchon vorhan⸗ den waren, ſo hatten dieſe großen Einfluß auf
ſeine Religionsphiloſophie. s durfte ſich ſehr | en machen laſſen, daß dieſelbe ganz aus
> 2 5 den
ER 9 Ben prof. ee konnte bey ſelnet lm
2 Bekanntſchaft mit Plato dabey zuverſichtlicher zu Werke gehn, daher ich diejenigen welche eine mehr foffematifche Darſtellung der platoniſchen Theolo⸗
„ N gie verlangen, an ihn verweiſen muß. Ich haͤtte
1 ihn ganz zum Fuͤhrer waͤhlen koͤnnen, und wurde vielleicht beſſer gethan haben. Aber es macht mir mehr Vergnügen, wo es möglich iſt, aus den * Quellen ſelbſt zu ſchoͤpfen.
218 Buch III. Capitel 4.
den Lehren des Anaxagoras von einem weltbilden⸗ den Verſtande, und aus den Meinungen der Volks⸗ 3
religion, beſonders nach der moraliſchen Ausbil⸗
dung welche ſie durch Sokrates erhalten hatte ent
ſtanden ſey. Ph 90 on Das vorzüglihfte Verdienſt, welches ‚für
Plato dabey übrig bleiben möchte, duͤrfte ſeyn,
daß er die hoͤchſte Welturſache, welche Anaxago⸗
ras nur als ein verſtaͤndiges Weſen darſtellte, als | ein moraliſches und im hoͤchſten Grade gutes Wer |
fen vorſtellte. Mit dieſer hoͤchſten Welturſache,
dem Vater der Welt, welcher der Idee des höhe
ſten Guten entſpricht, haben jedoch die Menſchen 4
nach der platoniſchen Theologie wenig zu thun.
Sie ſtehn blos in Verhaͤltniſſen mit den Untergoͤt⸗ f
tern von welchen ſi e auch erſchaffen worden ſind,
und im Grunde nicht einmal mit dieſen unmittel⸗ bar, ſondern mehr mit den Daͤmonen, welche die
Mittelsperſonen zwiſchen ihnen und den Göttern
ausmachen. Es war daher ſehr gut, daß Plato
auch die Götter und Däntonen als vollkommene
gute und moraliſche Weſen darſtellte, und alle „ |
moraliſche Fabeln von ihnen verwarf. 1011
Die Einheit Gottes wird daher von n Plato BI.
keinesweges auf die Weiſe gelehrt, wie in den
neuern chriſtlichen und philoſoptziſchen Syſtemen.
er
Buch III. Capitel 1055 219
Er erkannte einen böchſten Gott, aber neben ihm auch viele andre Goͤtter. Dieſe waren aber fuͤr
die Menſchen mehr Gegenſtaͤnde des Vertrauens und der Verehrung als der hoͤchſte Gott. Daher, ſobald von den Verhältniſſen der Gottheit und der Menſchen die Rede iſt, allemal von den Göttern nie von dem hoͤchſten Gotte geſprochen wird. Ei⸗
nige platoniſche Meinungen, welche mit der Theo⸗ logie im Zuſammenhange ſtehen, ſind zwar merk⸗
wuͤrdige Produkte des über religiöfe Gegenſtaͤnde philoſophirenden Verſtandes, aber doch im Grunde bloße Verirrungen deſſelben. Z. B. die Lehre
von den Ideen, insbeſondre von dem Weltideal,
und von der Weltſeele. Sie haben daher der
Religions wiſſenſchaft keinen Gewinn gebracht, ihr
aber doch auch im Grunde keinen Schaden zuge⸗ fuͤgt, man müßte denn die wunderlichen Meinun⸗ | gen über die platoniſche Dreyeinigkeit dahin rech! nen, welche ſie zum Theil veranlaßt haben, und die bier keine weitere Rückſicht verdienen.
Es darf endlich auch nicht unbemerkt gelaffen
. werden, daß durch Plato manche veligiöfe Vor⸗
urtheile, wenn auch nicht erzeugt, doch beguͤn⸗ |
. ſtigt wurden. Hierher gehoͤren auſſer dem Glau⸗ 5 sen an Träume, Vorbedeutungen und Orakel, der
Glau⸗
RL ! : ee 4 . NR SER
220 Bu 1. Capitt 5.
Glaube an die Begeiſterung der Dichter, an 150 Wirkſamkeit des elterlichen Fluchs, und beſonders die Meinung, daß die Götter den Menſchen zus
wellen Bitten erfüllen die ihnen nachtheilig
ſind *).
Fuͤnftes Capitel.
F ur den noch groͤßern Schuͤler des großen Plato, für Ariſtoteles, war die Idee einer Gottheit, we⸗ der ein Beduͤrfniß des Herzens noch der Einbil⸗
dungskraft wie fuͤr ſeinen Lehrer. Er wich von ihm vorzuͤglich darinn ab, und erhob ſich auch
wohl hauptſaͤchlich dadurch uͤber ihn, daß er allen
Einfluß des Herzens und der Einbildungskraft
auf die Philoſophie zu verbannen ſuchte, und ſie, was fie wohl tinmer ſeyn ſollte, zu einem Werke des reinen Verſtandes machte. Aber auch für
den Verſtand iſt die Theologie ein Beduͤrfniß.
Dieſe Wahrheit, welche man jetzt ſehr verken 1 9 ſich in der e 7 Arſſtorles. |
.*) Dies letzte Vorurtheil wertete Jeſus mit ile
Weisheit. M. ſ. Luk. XI. 5. 13 und meine moral.
Einleitung ins N. T. Thl. II. S. 53.
* 8 8
*
Bi In. Carittl „ 221 ‚im 5 nit wie Plat darauf aus, überall re⸗ ugtoſe Ideen zu finden, oder ſie anzuknuͤpfen, ‚und
doch fand er ſie, und ſah ſich, ohne es zu ſuchen, genoͤthigt ihre Realität anzuerkennen. Das kleine
Gebiet welches die Religionsphilofophie innerhalb des Syſtems des Ariſtoteles gewiſſermaaſen mit Gewalt behauptet, macht ihr daher unſtreitig mehr Ehre, als der große Einfluß, welchen ihn Plato
freywillig zugeſteht, und ſelbſt mitunter aufdringt.
Ariſtoteles fuͤhrte das Daſeyn und die Be⸗ ſchaffenheiten der Dinge auf die einfachſte und all⸗
gemeinſte Erſcheinung zuruͤck, welche wir in der
Erfahrung wahrnehmen, auf Bewegung. Er nahm einen allgemeinen Zuſammenhang der Bes wegung durch das ganze Weltall an, welches er in ſeiner Phyſik als eine große Maſchine betrach⸗
tete, in welcher die einzelnen Triebraͤder immer
durch allgemeinere in Bewegung geſetzt werden.
\ Die größten Maſſen der Bewegung enthalten die
Veweguugen der Himmelskörper. Dieſe waren ihm die allgemeineren Triebräder, und die aͤuſſerſte
7 Sphäre des Himmels das oberſte und allgemeinſte
unter ihnen allen. Er nahm dieſe Bewegung,
und folglich die Welt uͤberhaupt, fuͤr ewig an. Er dachte ſich alſo eine Reihe von Bewegungen, von denen immer eine die Urſache der andern
war.
*
8
22 Buch III. Eaptter 5. war. Die letzte und äufferfte aber Aal & Ur
fache geweſen. Daher nahm er als ſolche einen oberſten Beweger an „ der ſelbſt unbeweglich
waͤre. w Als phyſiſche Urſache betrachtet, it der oberſte Beweger einzig, ewig, wie die Bewegung
ſelbſt, einfach und unkoͤrperlich, und von unend⸗
lichem Einfluffe auf das Ganze, was durch ihn in Bewegung geſeßt wird. Der Begriff deſſelben
duͤrfte wohl als der eines reinen Handelns zu con⸗ ſtruiren ſeyn. In, feiner Phyſik wo Ariſtoteles
die erſte Urſache der Bewegung nur im allgemei⸗ nen betrachtet, braucht er von ihr den Namen
Gott nicht. In einer andern Stelle aber, wo er fie in einem beſtimmten Verhältniffe zu der Welt als Erzeuger der in derſelben vorhandenen Dinge betrachtet, nennt er fie Gott, und ſchreibt ihr zus
gleich die allgemeine Bewegung zu *).
Man hat oft behauptet, Ariſtoteles habe den |
Himmel. überhaupt oder insbeſondre die äufferfte
Sphäre des Himmels unter der Gottheit verſtan⸗ |
den. Allein ohngeachtet die aͤuſſerſte Himmels⸗
ſphaͤre die Urſache der Bewegung der übrigen 5 Welt iſt, ſo unterſcheidet er doch davon auch eine
hoͤhere Urſache, wodurch dieſe bewegt wird, und
die
*) De gener. et corrupt. II. 10.
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8 Br 2 em . en. „ * * S an ee 8822
16 6 Buch Ul. Covitel N. I 223 die er ben erſten unbeweglichen Beweger nennt (ro
| mpurov Aue anivyrov *).
Auch hat man den Gott des Ariſtoteles eine
. Weltſeele genannt. Allein dies iſt er eben des⸗ wegen nicht, denn eine Seele iſt nach dem Be⸗ griff des Ariſtoteles ein Weſen, welches ſich ſelbſt
bewegt; der Gott des e aber iſt unbe⸗ weglich. 1
Da Ariſtoteles nichts Erperüiges und mate⸗ rielles als den erſten Beweger annehmen konnte,
ſo blieb ihm wie dem Anaxagoras nichts uͤbrig,
als einen Verſtand dafuͤr anzunehmen, und den erſten Weltbeweger als ein vernuͤnftiges Weſen zu betrachten *). Die Wirkſamkeit Gottes beſteht
. in ewiger Erhaltung der ewigen Bewegung. Wie
er ſie aber erhalte bleibt unerklaͤrt. In Ruͤckſicht
auf ſich ſelbſt aͤuſſert Gott gar keine Wirkſamkeit, weil er nichts bedarf. Es bleibt fuͤr ihn keine
V Phyf. Aufe. VIII, 6, 0 Phyt. VIII. 5.
Thaͤtigkeit übrig, als eine anſchauende (Fewpyrm). Fraͤgt man aber was die Gottheit anſchaue, ſo giebt Ariſtoteles keine befriedigende Antwort dar⸗ auf. Er zeigt daß Gott ſich weder mit der Be⸗
trachtung der Welt beſchaͤftigen koͤnne, weil dieſe föleäter iſt als er ſelbſt, noch mit der Betrach⸗
tung
\
224 Buch iI. wit a 3 tung feiner ſelbſt, weil wir es ſelbſt bey einem Menſchen für unſchicklich halten, ſich mit Be trachtung ſeiner ſelbſt zu beſchaͤftigen. Was Gott aber kezudten⸗ läßt Ariſtoteles uns zu haben übrig ). - | Ariſtoteles betrachtete Gott lg BR die 15 erſte Urſache, und den hoͤchſten Sweck des Ganzen. Cauſal⸗ und Finalzuſammenhang brach⸗ ten daher nach ihm die Reihe der Dinge in einen in ſich ſelbſt zuruͤckkehrenden Zirkel. Der Unter⸗ ſchied welchen wir zwiſchen Natur und Gott ma⸗ chen, fand daher bey ihm nicht „ ſondern Natur und Gott waren ihm daſſelbe, wie ſie es im Grunde in jedem conſequenten philoſophiſchen Syſteme ſeyn muͤßten. Gott wird daher auch von ihm das hoͤchſte Gut genannt, welches wohl nichts anders ausdruͤcken ſoll, als daß er unter allen Dingen den hoͤchſten Werth habe, und im Beſitz desjenigen ſey, wornach alle andre Weſen ſtreben ). Es wird ihm daher auch die hoͤchſte 2 Seeligkeit beygelegt, fo langweilig auch fein Zus ſtand nach den bisher angefuͤhrten Ideen zu ſeyn ſcheint. Die Seeligkeit Gottes charakteriſirt Ari⸗ Wee 1 als Seifgenungfamtet, und er⸗ | laͤutert
*) Magn. Moral. II. 15. r) De coel, II. 12.
e LTR N BR - . * u *
1 1 Ruh IM, Capitel „ 235
ite . noch mehr dadurch Ne er zeigt, 0
1 Die Gottheit bedürfe keines Freundes 59).
Da die Pa, a dem Ariſtoteles nichts an⸗ n nach demjenigen Zuſtande iſt,
10 ER als ein Str in welchem ſi ſich die Gottheit befindet, ſo folgt noth⸗ wendig daraus, daß ſie derſelben nicht bedarf, und
uͤber ſie erhaben iſt. Er zeigt dieſes auch in Be⸗
ziehung auf einzelne Tugenden. „Die vollkommne
Seeligkeit, ſagt er ) iſt eine anſchauende Wirk⸗
ſamkeit; das erhellt auch daraus, daß wir die
Soͤtter für die ſeligſten Weſen halten. Denn was
ſollen wir ihnen fuͤr Handlungen zuſchreiben? Ge⸗
rechte? Aber fie würden lächerlich erſcheinen, wenn
man ſich daͤchte, daß fie untereinander Verträge beobachten, Depoſita herausgeben und dergleichen. Tapfere? Aber dann muͤßten ſie ja um der Ehre
willen Furcht und Gefahren dulden! Wohlthaͤtige?
Aber wem ſollen ſie Geſchenke machen? Auch ware es abgeſchmackt Geld oder etwas dergleichen bey ihnen anzunehmen. Handlungen der Maͤßi⸗
gung? Aber dieſes Lob waͤre eine Laͤſterung, weil
die Goͤtter keine unedlen Begierden haben. Man | mag alſo alle Arten von Handlungen betrachten,
„„ ſo ) Ethic. Eud. VII. 12. 0 **, Ethic. Nicom. X, 8.
8
A PP K * 4 x 2 1 7 * N N
226 Buch III. Capitel z. ſo werden ſie zu gering, und der Götter. unwür⸗ ur dig erſcheinen. Gleichwohl nimmt man allgemein an, daß ſie leben und thaͤtig ſind, und nicht ſchla⸗ fen, wie Endymion. Wenn man aber einem le⸗ benden Weſen das Handeln abſpricht, was bleibt ihm uͤbrig als eine anſchauende Thaͤtigkeit? Die göttliche Wirkſamkeit, welche ſich von der gewoͤhn⸗ lichen Gluͤckſeligkeit unterſcheidet, kann alſo nur in Spekulation beſtehen!. Hieraus zieht der Philos ſoph weiter die Folge, welche wir vorzuͤglich bes- merken wollen, da fie die einzige praktiſche Fol- gerung ſeyn dürfte, welche er aus feinen theolo⸗ giſchen Begriffen hernimmt: Unter den menſch⸗ | lichen Handlungen iſt daher diejenige, welche dieſer f |
1
am ähnlichften iſt, die beſeeligendſte. Dies erhellt auch daraus, weil bey den uͤbrigen Thieren, denen 8 keine Gluͤckſeligkeit zukommt, dieſe Art von Thaͤ⸗ tigkeit nicht ſtatt findet. Das goͤttliche Leben iſt durchgängig gluͤcklich, das menſchliche nur in ſofern es jener Art zu exiſtiren aͤhnlich iſt. Den Thie⸗ ren kommt keine Glüͤckſeeligkeit zu, weil keine Spekulation bey ihnen ſtatt findet. So weit ſich 4 die Spekulation erſtreckt, fo weit geht auch die Gluͤckſeeligkeit. Je mehr ein Weſen ſpekulirt def glückfeeliger iſt es, und zwar nicht durch ihre Re⸗ ; fultate, ſondern durch die, Spefulation ſelbſt. 4 Denn
\
1
Buch III. Capttl z. 5. 227
5 a fie er hat einen abſoluten Werth, ſo bei; bie 1 Seeligkeit ſelbſt Spekulation iſt“. 3 Aus dieſer Stelle erhellt deutlicher was 3 Ariſtoteles ſich unter der goͤttlichen Seeligkeit durch Spekulation dachte. Sein Geiſt der ſich unauf⸗ hoͤrlich mit den erhabenſten und ſcharfſinnigſten Spekulationen beſchaͤftigte, fuͤhlte ſich durch nichts gluͤckſeeliger als durch eben dieſe Spekulation. Dies
trug er auf das hoͤchſte Weſen uͤber, und ohnge⸗ achtet er glaubte, daß dieſes weder ſich ſelbſt noch die Welt zum Gegenſtande feiner Spekulation ma⸗ chen koͤnne, ſo ließ es ſich doch denken daß fuͤr den hoͤchſten Geiſt auch auſſerdem noch Gegenſtaͤnde dr Spekulation ſtatt finden konnten. a Ariſtoteles hielt, wie aus eben dieſer Stelle erhellt, das ſpekulative Leben fuͤr das wuͤrdigſte 5 und gluͤcklichſte für den Menſchen. Doch wollte er nicht daß es in muͤſſigen Spekulationen beſtehen
ſeollte, ſondern die Handlungen des Menſchen fol
len mit feinen Spekulationen uͤbereinſtimmen, und SR ihre Nichtigkeit und ihren Werth bewähren. Dies % fagt ı er gleich im folgenden Capitel, deſſen Schluß fuͤr uns in mehrerer Ruͤckſicht merkwuͤrdig iſt. Nachdem er gezeigt hat, daß der Weiſe auch ohne 0 große Macht und Reichthuͤmer glückfeelig ſeyn koͤnne, und dieſe Behauptung durch Zeugniſſe andrer Phi ie f 9 3 55 | Io dx
28 Buhl. Capitel s.
loſophen beſtätigt hat, ſetzt er hinzu. 57 „Dieſe (Zeugniſſe) dienen hierbey allerdings auch zur Ue⸗
berzeugung. Bey praktiſchen Gegenſtaͤnden aber wird die Wahrheit aus dem Leben und den s and⸗
lungen erkannt. Denn dieſe find das vornehmſte. |
Das vorhin geſagte muß daher auf Handlungen und Leben bezogen und gebilligt werden, wenn es damit uͤbereinſtimmt. Stimmt es aber nicht da⸗ mit überein, fo iſt es für leeres Wortgepraͤnge zu
r 3 ih & g 1
* c nn = * pr ve 1
halten. Wer alſo nach ſeiner Vernunft handelt, — wer ſie auszubilden ſucht, und in die beſte Ver⸗
faſſung geſetzt hat, der iſt der gottgefaͤlligſte, denn wenn die Goͤtter ſich um menſchliche Dinge befüms mern, wie es ſcheint daß fie es thun, fo dürfte
es vernuͤnftig ſeyn, anzunehmen, daß ſie an dem⸗ jenigen, was das Beſte und» ihnen ſelbſt Aehn⸗ lichſte iſt, am meiſten Wohlgefallen haben, das iſt aber die Vernunft; daß ſie alſo diejenigen
welche dieſelbe lieben und ſchaͤtzen, als ſolche be⸗ lohnen, die Etwas das ihnen theuer iſt befördern,
und recht und gut handeln. Daß aber dieſes 94 vorzuͤglich bey den Weiſen ſtatt findet, iſt leicht einzuſehen. Er iſt alſo den Goͤttern am wohlge⸗ 1 fälligften, und dürfte daher auch wohl der glückfees 7
ligſte ſeyhn. So waͤre der Weiſe auch von dieſer Seite der begluͤckteſte.
7 Diefe 1
a,
Buch III. Capitel 5. 229 m Dieſe Stellen des Ariſtoteles, welche in Ruͤck⸗ bit auf feine geſammte Theologie merkwürdig find, "bedürfen weiter keiner Erläuterung in Ab⸗ ſicht auf ihren Inhalt. Sie zeigen deutlich wie weit ſich der Elnfluß theologiſcher Ideen auf die
praktiſche Philoſophie des Ariſtoteles erſtreckte und
was er von der göttlichen Vorſorge für die Men⸗
ſchen hielt. Eine allgemeine Vorſehung, ein großer Weltplan, welcher durch die ganze Maſſe der Be⸗ 5 wegung, welche von Gott aufgeregt wird, voll⸗ ſtireckt und auf Gott ſelbſt als ſeinem lezten Ends
zweck zuruͤckgefuͤhrt wird, folgt aus den obigen allgemeinen Behauptungen des Ariſtoteles. Aber eine ſpeclelle Vorſehung welche den Menſchen als
Selbſtzweck behandelt, laͤßt ſich ungleich ſchwerer daraus ableiten. Ariſtoteles ſcheint fie daher nur 9 eine wahrſcheinliche Behauptung gelten zu laſ⸗
ſen „ um zu zeigen, daß wenn fie ſtatt faͤnde, auch dann der Weiſe am gluͤckſeeligſten ſeyn würde,
Ariſtoteles ſpricht in dieſen Stellen von Goͤt⸗ tern, nicht aus ſchlieſſend von einem einzigen und hoͤch⸗ fen Gott. Er legt ihnen jedoch in der erſten derſel⸗ ben Selbſtgenungſamkeit bey, welche er anderwaͤrts dem hoͤchſten Weſen zuſchreibt. Was er alſo hier
von Göttern überhaupt fagt, kann auch von dem
I
er Gott verſtanden werden. Ich wage es | ? 3 nicht
230 Bouch III. Capitel EG
nicht zu entſcheiden, ob er, wenn er von mehrern
Goͤttern hier und in andern Stellen ſpricht, ſich
blos zu der Volksmeinung herabgelaſſen, u
lich mehrere Untergötter neben dem höchſten
angenommen habe. Das letztere iſt mir 4 wahrſcheinlich, da Plato und andre Philoſophen den Begriff eines hoͤchſten Gottes mit dem von an⸗ dern Goͤttern zu vereinigen wußte, und Ariſtote⸗ les den Geſtirnen und untern Sphaͤren Seelen bey⸗
legt, wiewohl er ſie deutlich von dem hoͤchſten Gott
unterſcheidet ). Was hinderte ihn, fie auch Goͤt⸗ b ter zu nennen, da der Begriff der Goͤttlichkeit uͤber⸗ haupt von ihm nirgends feſtgeſetzt, wenigſtens nicht fo beſtimmt wird, daß er nur ausſchlieſſend einem einzigen und hoͤchſten Weſen augetheilt wer⸗
den koͤnne?
Je mehr ſich Plato in ſeinen Büchern von 550 5
Republik mit Religionsangelegenheiten befchäftigt, deſto weniger thut es Ariſtoteles. Nur einmal ge⸗
denkt er behlaͤufig der Verehrung der Götter, und verordnet, daß wuͤrdigen und angeſehnen und vor⸗ züglih alten Männern, welche eine ehrenvolle Ruhe 2
von Ihren ER, verbient en das Prie⸗
) De coelo II. 12.
Buch III. Capitel 3g. 23 | Prieſterthum zu ertheilen ſey ). Dabey ſuchte er die öffentliche Religion z u manchen andern nützlichen BEN P Zbwe⸗ 2 De republ VII. 9. Tro yap ruav ro, be- mei Tu D TY den — mperei de 727 Jepæ- e¹E 5 6050 eic Jseg. Uebrigens vergleiche man über die Theologie des Ariſtoteles Herrn Prof. Vaters Theologiae Ariſtoteleae vindicias Lipf, 12795 und vornemlich des beruͤhmten und verdlenſt⸗ vollen Herausgebers des Ariſtoteles, Lehrbuch der Geeſchichte der Philoſophie Th. 2. Kein Theil der Geeſchichte der Religions philoſophie hat wohl mehr Schwierigkeiten als die Theologie des Ariſtoteles. Ich fühle ſehr wohl, daß ich nicht im Stande gewe— ſen bin alle Dunkelheiten derſelben aufzuhellen, und ihre ſcheinbaren Widerſprüche entweder zu' heben, oder die wirklichen als ſolche zu zeigen. Es kommt hierbey ſehr viel daranf an, daß uͤber die Aechtheit oder Unaͤchtheit des vierzehnten Buchs der Me⸗ taphyſik entſchieden wird. Wenn es keine andern Gründe für die Unaͤchtheit deſſelben giebt als einige Widerſprüche gegen andere Behauptungen des Ari⸗ ſtoteles, welche Buhlens Lehrbuch IT 545 anführe, ſo dürften ſich dieſelben wohl noch heben laſſen. Wenn aber auch die Unächtheit deſſelben erwieſen waͤre, ſo entſtünde eine neue Frage über feinen Werth, da es, wenn nicht den Ariſtoteles ſelbſt, doch gewiß einen Mann zum Verfaſſer hat, der mit der Philos ſophle des Ariſtoteles ſehr vertraut war. Ich habe um dieſer Zweifel willen keinen Gebrauch davon ma⸗ 908 wollen.
— 5 )
*
Pr 7
232 Buch III. Capitel J. Zwecken im Staate zu benutzen. So ſollten z. B. die Guͤter der Staatsverbrecher zum Beſten der Religionsäbung confiſcirt werden, um zu verhuͤten, daß der Staat nicht ungerecht gegen ſie zu verfah⸗
i ren verleitet wuͤrde, wenn ſie zu ſeinem eignen Be⸗ fien eingezogen wuͤrdenn Schwangere Weiber ſoll⸗ ten um ſich | Bewegung zu machen, täglich zum Tempel der Geburtsgoͤttinnen gehen, und daſelbſt beten. — Den Monarchen giebt er den Rath, ſich durch Religioſitaͤt Anſehn vom; Volke zu er⸗ werben.
Die Dunkelheit und Uubeftamthet des Ari⸗ ſtoteles in ſeinen theologiſchen Ideen, war die Ur⸗ ſache warum er ſowohl als ſein Schuͤler Theo⸗ phraſt von Vellejus beym Cicero *) der Incon⸗ ſequenz und Unbeſtaͤndigkeit in theologiſchen Mei⸗ nungen beſchuldigt werden konnten. Vielleicht kam es eben daher, daß ſein Schuͤler Heraklides Pontikus ſo weit herabſinken konnte, daß er ſich ſelbſt fuͤr einen Gott gehalten wiſſen wollte, und
dieſes durch einen Verſuch, welcher einen lacher⸗ | lichen Ausgang hatte, zu beflätigen ſuchte e). |
Eben daher konnte auch einer feiner Nach⸗ folger Strato von Lampſakus den hoͤchſten 1
| 20 bes
r *
—
5) Cie. de nat. Deor. I. 13. ) Diogenes Laert. V. 89. 90.
5
Buch III. Capitel 5. 233 des Ariſtoteles ſelbſt uͤberfluͤſſig finden, und ver⸗ ſuchen das Daſeyn aller Dinge und ihre Beſchaf⸗ fenheit aus phyſiſchen Urſachen, und den für note wendig angenommenen Eigenſchaften der Dinge zu erklären. Daß er deswegen für einen Atheiſten zu halten ſey, laͤßt ſich nicht zuverlaͤſſig behaupten. Denn er konnte bey dieſen Meinungen immer noch 5 Untergötter annehmen, oder den Glauben der Volksreligion damit verbinden. Unwahrſcheinlicher iſt es daß er ein Pantheiſt geweſen ſeyn fene wofuͤr ihn einige gehalten haben ).
* Buhle de ortu et progreſſu Pantheiſmi in Com- ment. Soc. Sc. Gotting. T. X. Plattners phil. ö ee N‘ I. H. 923. Anmerk. |
P 5 Slcedstes
5
234 Buch III. Capitel 6.
Sechstes Capitel.
Neben Plat und Ariſtoteles wird Epikur ber quem einen Platz finden, weil er das Unzureichende | der Gründe aufdeckte, auf welche ſich die Reli⸗ glonsmeinungen dieſer Philoſophen ſtuͤtzten und das durch veranlaßte, daß man fie in der Folge zu verbeſſern ſuchte. Seine eigene Religions philoſo⸗ phie iſt zwar im Ganzen weit unvollkommner, ent⸗ 1 hält aber doch Keime von Wahrheiten, welche in
ihrer vollkommnen Geſtalt zu ihren wichtigſten | Gründen gehören, und feßt ſich einigen aberglaͤu . biſchen Meinungen entgegen, welche von jenen Phi⸗ loſophen beguͤnſtigt worden waren.
Epikur verwarf die Teleologie der So⸗ kratiker und Platoniker, welche einerſeits zu uns vollſtaͤndig war, und auf die man anderſeits zu viel gebaut hatte. Er behauptete daß es nicht 3 4 nothwendig ſey anzunehmen, daß die Dinge welche | zu gewiſſen Zwecken dienen, gerade um dieſer Zwecke willen gemacht ſind, daß z. B. das Auge zum Sehen, das Ohr zum Hören gemacht ſen. Er glaubte daß dieſe Eigenſchaften der Dinge durch Zufall entſtanden, und dann erſt, da ſie ein⸗
mal
7 „
| Buch Il. . Capitel 6. N sek: ihre Beſchaffenheit erhalten hätten, auf ge | wiſſe Zwecke bezogen, und ſie zu erreichen ange⸗ wendet worden ſeyn koͤnnten. So ungeheuer dieſe f Voraus ſetzung iſt, ſo war ſie doch weder neu noch eines Philoſophen unwuͤrdig. Schon Ems pedokles hatte fie, wie wir gefehen haben, ges | macht, und mit vielem Aufwande von Einbildungs⸗ kraft annehmlich darzuſtellen geſucht. Sie zeugt von einer ſehr weitgehenden Abſtraktion, ohne welche keine, irgend bedeutende Philofophte möglich iſt. Aber fie iſt unvollendet wenn man dabey bey der 55 Wirkſamkeit des bloßen Zufalls ſtehen bleibt.
Geſetzt es waͤre moͤglich, daß der Zufall die klein⸗
***
ſten Theile in einen gewiſſen Zuſammenhang brin⸗
gen koͤnnte, iu welchen fie beſtehen koͤnnten, nach⸗ dem unzählbare andere Verſuche ihrer Zuſammen⸗ feßung vergeblich geweſen wären, fo müßte es eln Geſetz geben, wodurch beſtimmt wuͤrde, unter wel⸗
155 chen Bedingungen ein Zuſammenhang der Dinge
überhaupt ſtatt finden koͤnnte. Dieſes Geſetz würde denn eigentlich als Weltregierer zu betrachten ſeyn, und eine neue Unterſuchung über den Urheber deſ⸗ ſelben veranlaſſen. Erſt mit dieſer Unterſuchung wuͤrde der Gang geendigt, und zu befriedigenden
1655 Reſultaten gefuͤhrt werden, welchen die philoſophi⸗ 0 rende Vernunft des Spitar eingeſchlagen iſt. Ue⸗
f bein
236 Buch III. Capitel 6.
brigens war dieſe Einwendung im Grunde dieſelbe welche Kant gegen die dogmatlſchen Behauptungen,
von einer objektiven und auf Erfahrung gegründe⸗
ten Teleologie gemacht hat, nur daß Epikur die Teleologie ganz umzuſtuͤrzen, und ihr andre dog⸗ 2 Meinungen entgegen zu feßen ſuchte, Kant ſie hingegen in ihre ſubjektiven Schranken zuruͤck⸗ wieß, innerhalb welcher ſie das Ziel erreichen kann,
zu welchem er ſie freilich noch nicht gefuͤhrt hat.
Dabey ſuchte Epikur vorzuͤglich die Meinun⸗ gen zu widerlegen, welche Plato und Sokrates von | der Beſchaffenheit der Naturzwecke behauptet hatte, und nach welchen ſie das Wohl der Menſchen durchgaͤngig beabſichtigen ſollten, indem er die vie⸗ len Uebel, welche die Menſchen treffen als Gegen⸗ beweis anfuͤhrte. Dieſen Beweiſen haben die Ver⸗
theidiger einer wohlthaͤtigen Einrichtung der Na⸗
tur fo lange auf mannigfaltige Weiſe auszuweichen
geſucht, bis man erkannt hat, daß die mohlthätigen
Zwecke der Natur ſich nicht durch Erfahrung be⸗ weiſen, und ihre Zwecke überhaupt fi) aus ders ſelben nicht erkennen laſſen, ſondern nach Ver⸗
nunftideen beurtheilt werden muͤſſen.
Gegen die Theologie des Ariſtoteles gilt vor⸗ zuͤglich die Einwendung, daß ſich gar kein Grund
elnſegen laßt, warum die Gottheit fi mit Bes 115 we⸗
N RE u nee N RN 14 ee 5 .
—
Buch III. wit 65 ah.
wegung der Welt beſchaͤftigen follte, Wenn ſie ſi ch ſelbſt genung, wenn ſie uͤber die Welt ſo weit
erhaben iſt, daß fie dieſelbe nicht einmal ihrer Be⸗
- 1 trachtung wuͤrdigt, warum wendet ſie eine ſo un⸗ geheure Kraft an, fie in ewiger Bewegung zu er⸗ halten? Epikur macht dieſen Grund gegen alle die⸗
jenigen geltend, welche eine ſchaffende oder bildende Einwirkung der Gottheit auf die Welt annehmen. Er fragt nach dem Grunde welchen die Gottheit
| bewogen haben ſollte, eine Weit zu ſchaffen, ſie in Bewegung zu feßen, oder aus einem rohen
Urſtoffe zu bilden; Die Antwort welche Plato hier⸗
auf gab: die Güte Gottes habe ihn dazu bewo⸗
gen, war bey ihm nicht angewendet, da er bie
Welt nicht für einen Beweis der goͤttlichen Güte anſehn wollte. Ariſtoteles hatte ſchon alle Thaͤ⸗ tigkeit von der Gottheit ausgeſchloſſen, auſſer der | contemplaliven „weil fie, um das hoͤchſte Gut zu
erreichen, derſelben nicht beduͤrfe. Epikur gieng noch weiter, und behauptete ſogar daß die Seeltg · keit der Gottheit, durch eine ſo große Arbeit, wie
geſtoͤrt werden muͤßte. Er glaubte alſo vielmehr Gründe ‚gefunden zu haben, warum eine hoͤchſte
Gottheit, wenn eine waͤre, die Welt nicht wuͤrde
ehe haben, als ſolche, vermöͤge welcher ſie es
haͤtte
die Welterſchaffung und Erhaltung, nothwendig
238 Buch III. Eapitel . | hätte thun ſollen; und betrachtete alſo die Melt
mehr als einen Gegenbeweis gegen das Daſeyn
einer Gottheit, als wie einen Beweis für daſſelbe. Ein richtigerer Begriff von der moraliſchen Natur der Gottheit zerſtoͤrt leicht dieſe Sophiſtereyen, aber ein ſolcher war zu ſeiner Zeit er b vor- handen. Noch ungleich ſchwaͤcher iſt der Grund, wel⸗ > chen Epikur hiermit verband, daß nemlid das N Univerſum zu groß ſey, als daß es von einer ein zigen Gottheit gebildet ſeyn, und durch dieſelbe re⸗ giert werden koͤnnte. Ein ſonderbarer Widerſpruch zeigt ſich hier beym Epikur in Anſehung der An⸗ wendung ſeiner Denkkraft. Dem Manne der den ungeheuren aber ausſchweiſenden Gedanken einer Weltbildung durch Zufall faſſen konnte, ſchien die ungleich regeimaͤßigere Idee einer Alles bildenden und regierenden Gottheit zu ungeheuer zu ſeyn! Demohngeachtet hatte Epikur Religionsideen mit ſeinem philoſophiſchen Syſteme verbunden, und zwar nicht ſo ganz inconſequent, wie man oft von ihm behauptet hat. Er nahm das Daſeyn goͤttlicher Weſen aus dem Grunde an, weil der Glaube an dieſelben unter allen Voͤlkern und Menſchen verbreitet iſt. Dies war ein Grund, deſſen ſich Sokrates bedient und den ſelbſt Ariſtote⸗ les
AAN RONALD ANDERE 1 Wee
a uch III. Capitet 6. 239 les nicht ganz unbedeutend gefunden hatte Aber keiner von ihnen hatte den Werth deſſelben philoſo⸗ phiſch beſtimmt, oder ihn aus hoͤhern Gründen abs geleitet. Dies that Epikur. Er behauptete die Menſchen glaubten deswegen allgemein an Goͤtter,
weil ſi fie einen Begriff a priori (FpoAyYw) von
denſelben haͤtten. Die Sinne aber, die Begriffe a priori und die Empfindung ſah Epikur fuͤr die Quellen der Wahrheit, und die Evidenz (evapysız) Ä für ihr Kriterium an *). In diefem Beweiſe für.
5 das
a | * Diog. Laert, X. 20. Ev rowev rw zavovı Ae o Erimepos up Ty5 oAyIsing wm Tag e, nat rag mpoAmyas na ve ra. Die po ur erklärt Diogenes im folgenden Cap. durch Mun re o, eEmIev Pavsvros. Dies wären alſo, wie auch aus der weitern Erlaͤuterung erhellt, Begriffe a priori im relativen Sinne, d. h. Begriffe, die wir uns durch ſchon gehabte Erfahrungen gebildet haͤtten, und die wir nun nur in Beziehung auf eine neue Erfahrung Begriffe a priori nennen koͤnnten. In dieſem Sinne würde es ganz widerſinnig ſeyn, zu behaupten, daß die Menſchen von den Göttern eine mpoApıv oder Begriffe a priori hätten, Denn wie ſollten fie ſich dieſelben durch Erfahrung ers’
waorben haben? Cicero erflärt daher die 2e In dieſer Ruͤckſicht unſtreitig weit richtiger, wenn er
„ | fie-
240 Buch III. Capitel 6.
das Daſeyn der Goͤtter liegt der erſte Keim M einem ſubjektiven Beweiſe fuͤr das Daſeyn Gottes überhaupt, und er macht daher dem Scharffinn und dem philoſophiſchen Blick des Epikur unſtrei⸗ tig mehr Ehre, als man ihm bisher dafuͤr hat widerfahren laſſen. Er war freilich auf einen ſehr ſchwachen Grund gebaut, da ihn Epikur nicht auf eine Analyfe der menſchlichen Natur, fondern auf die Erfahrung von einem allgemeinen Glauben der Menſchen gruͤndete; indeſſen wird er doch dadurch nicht geradezu umgeſtoßen, wenn man ihm, wie die Alten thaten, einzelne Atheiſten, oder wie die Neuern thun koͤnnen, ganze Nationen entgegenſetzt, bey welchen keine Spur eines Glaubens an Gott ge⸗ funden wurde. Denn Epikur koͤnnte immer noch
eins
fie infitas vel potius innatas cognitiones, de nat. Deor. I. 17 nennt. So wären es Begriffe a priori
im abſoluten Sinne, die aller Erfahrung vorher⸗ Eu
gehen, und von derfelben ganz unabhängig find.
Nur in dieſem Sinne laͤßt es ſich verſtehen, wie . 0 Epikur behaupten konnte, daß die Menſchen ſolche 5
Begriffe von den Göttern haͤtten, und den allge⸗ meinen Glauben derſelben an Götter als einen Be⸗ weis dafuͤr anfuͤhren konnte. Hieraus erhellt aber auch daß er es mit dieſem Beweiſe ernſtlich mente der allerdings viel ſcheinbares hat.
Buch III. Capitel s. 241 einwenden, daß jene Menſchen ihre Begriffe von der Gottheit entweder nicht entwickelt oder abſicht⸗ lich verdunkelt hätten.
Ungleich ſchwaͤcher und unphiloſophiſcher + waren A Beweiſe, welche Epikur fuͤr das Daſeyn der Götter führte. So behauptete er als ein allgemeis nes Natutgeſetz eine allgemeine Symmetrie in der Natur (swovowe) nach welcher jeder Art von Dins gen eine andre von entgegengefeßten Eigenſchaften entgegengeſtellt waͤre. Weil es nun ſterbliche We⸗ ſen gaͤbe ſo muͤßten auch unſterbliche vorhanden ſeyn. Nach dem Sextus Empirikus *) behauptete Epikur, die Menſchen hätten urſpruͤnglich durch Traͤume einen Begriff von Goͤttern erhalten. Dies widerſpricht nicht geradezu dem vorhergehenden. Denn auch andre Philoſophen des Alterthums un⸗ terſchieden zwiſchen den Gruͤnden des Glaubens an Goͤtter und der Entſtehungsart deſſelben. Er konnte denſelben auf natürliche Begriffe gründen, welche den Menſchen eigen ſind, und behaupten, daß fie durch Träume geweckt werden müßten, Daraus folgt noch nicht, daß er jenen Gruͤnden nicht einen hoͤhern Werth beylegte, als den Traum⸗ bildern zukommt. Uebrigens folgte er bey dieſer 475 | Ei Mei⸗ 9 Sext, Emp. adv. Math, IX. 24.
\ Q
242 | Buch III. Eapitel 6. | 5 } Meinung fo, wie wi vielen andern dem Des | mokrit. ’
Es war ge wenn Eptur nach die⸗ fen Beweiſen für das Daſeyn der Götter ihnen eine menſchliche Geſtalt giebt. Denn die Ge⸗ ſtalt unter welcher die meiſten Menſchen Goͤtten glauben, iſt unſtreitig menſchenaͤhnlich, wie ſchn Kenophanes, obgleich in einer ganz andern Abſicht 1 bemerkte. Auch konnte fie Epikur unter allen vonn Menſchen denkbaren Geſtalten wohl mit Recht fr die wuͤrdigſte für Goͤtter erklaͤren. Indeſſen hätte 9 es ihm als Philoſophen mehr Ehre gemacht, wenn er es bey dem allgemeinen Begriffe der Menſchen von den Goͤttern haͤtte bewenden laſſen, und auf 2 dieſe ſinnliche Vorſtellungsarten ſich dabey m. eingelaſſen hätte.
Dies that er wirklich in Abſicht der Dichter⸗ 9 fabeln, die er verwarf, beſonders in ſofern ſie et⸗ EB was von den Göttern behaupteten, wodurch dem 3 Begriffe von ihrer vollkommnen Seligkeit Abbruch u gefhah, als Kriege, Kämpfe, Wunden, Haß, Klagen, Ausſchweifungen u. d. gl. Denn Epikur betrachtete die vollkommne Seeligkeit der Goͤtter ; J als einen der vornehmſten Beſtandtheile des Ber griffes welchen die Menſchen a priori von denfee ben haben. Dagegen erlaubte er ſich ſelbſt eine
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70. 2 g 1
Buch III. Capitel 6. 243 Behauptung die mehr eines Fabeldichters als eis ; nes Philoſophen wuͤrdig iſt, indem er gewiſſe Zwi⸗
1 ſchenrzume zwiſchen den Welten (intermundia)
annahm, in welchen er den Goͤttern ihre Woh⸗ nung anwies, um ſie für Regen und Schnee zu ſichern. N Man hat oft behauptet, die Begriffe des Sy
kur von den Göttern hätten mit feiner Atomen» hre, die er von Demokrit und Leucipp annahm, . beſtehen konnen, und er habe daher das Da⸗ ſeyn der Götter nicht im Ernſte angenommen, ſon⸗ dern nur deswegen mit ſcheinbaren Grunden bes hauptet, um ſich vor den Verfolgungen des Poͤ⸗ bels und der Prieſter zu ſichern. Allein ohngeach⸗ tet er bey feiner Erklärung der Entſtehung der Welt durch eine zufällige Verbindung der Atomen, allerdings keinen Grund hatte, ein von der Welt verſchiedenes hoͤchſtes Weſen anzunehmen, welches er auch nicht that, ſo konnte er doch damit eben ſo gut wie Demokrit Meinungen von Göttern vers binden, welche eben ſowohl aus Atomen entflanz den waren wie die Menſchen, und die uͤbrigen Gegenſtaͤnde in der Welt, und nur eine vollkomm⸗ nere und gluͤcklichere Compoſition hatten als dieſe. Die Götter, welche alle Philoſophen vor Anarxa⸗ goras annahmen, waren, wie wir gezeigt haben, nichts Q 2 ans
244 Buch III. Capitel 6. anders als Weſen, welche aus demſelben Urſtoffe, aus Feuer, Waſſer, Luft, Aether u. d. gl. ent⸗ ſtanden waren, aus welchem fie die übrige Welt entſtehen ließen, nur daß ſie vor den uͤbrigen Ge⸗ genftänden in der Welt die hoͤchſten Vorzüge hats ten. Freilich ſcheint alles dasjenige was aus Ato⸗ men entſtanden iſt, der Vergaͤnglichkeit ſehr unter⸗ worfen zu ſeyn, daher auch Demokrit ſeine atomi⸗ ſtiſchen Goͤtterphantome nicht fuͤr unvergaͤnglich hielt. Epikur, welcher die Unſterblichkeit der Götter als einen Hauptbeſtandtheil des menſchlichen Begriffs a priori von denſelben betrachtete, ſicherte ſeinen Goͤttern die Unvergaͤnglichkeit dadurch zu, daß er behauptete, die Atomen welche von ihren Weſen
verlohren giengen, wuͤrden unaufhoͤrlich durch neue
erſeßzt.
Daß er übrigens, nicht fo ſehr wie der Stol⸗ ker Poſidonius, und viele andre nach ihm behaups tet haben, den Verſtoß gegen die Volks meinungen
fuͤrchtete, erhellt auſſer ſeiner ſchon angefuͤhrten
VPerperkung der Dichterfabeln, auch daraus, daß
er die Wahrſagerkunſt, welche im Alterthume in
dem groͤßten Anſehen ſtand, und ſelbſt von einem
Sokrates, Plato und Ariſtoteles in Schuß genom⸗
men ward, verwarf. Nur die ſcheinbare Verwer⸗
fung derſelben hatte dem Sokrates hauptſäͤchlich den | Tod
Er
Buch III. Gavitel 156
Tod bereitet, und Epikur hätte pon dieſer Frei⸗ geiſterey alles fuͤrchten muͤſſen, wenn er überhaupt etwas fuͤrchtete, und fie alſo vor allen Dingen vermeiden muͤſſen, wenn er überhaupt au Furcht 525 Meinung zurück zielt.
Aus den Begriffen Epikure von der Selig⸗ keit der Götter, fo wie aus denen des Ariſtoteles von ihrer Selbſtgenungſamkeit, geht die Meinung hervor, daß ſie ſich mit Lenkung der menſchlichen
Angelegenheiten nicht beſchaͤftigen. Indeſſen duͤrfte | doch wohl nur fo viel daraus folgen, daß ſie ſich daraus kein ernſthaftes Geſchaͤft machten, aus welchem Beſchwerlichkeiten fuͤr ſie haͤtten entſtehen koͤnnen. Denn in einem Briefe welchen Diogenes Laertius dem Epikur beylegt ), ſagt er: „Halte dies für die Hauptgrundſaͤtze einer guten Lebens⸗ philoſophie: Erſtlich, daß Gott ein lebendiges un⸗ dergängliches und ſeeliges Weſen iſt, wie e der
2 3 all
#) Diog, Laert, X. 27. Wenn diefe Briefe auch un⸗ aͤcht ſeyn follten, fo muͤſſen ſie doch im Geiſte Epl⸗ kurs geſchrieben ſeyn, und wenigſteus eben ſo viel zur Beſtimmung feiner Grundſaͤtze gelten, als als les andre was Diogenes Laertius von ihm ſchreibt, beſonders da dieſer unter allen Schriften Epikurs, die er kannte, dieſe Briefe aus waͤhlte, um durch fie einen. Begriff von feinem Syſtem zu geben.
246 Buch Il. Cosi,
allgemeine Begriff von Gott lehrt. lege eb nichts i f
bey, was ſich mit ſeiner Underzänglichkeit und Seeligkeit nicht verträgt. Schreibe ihm aber ales
zu, was zu Erhaltung ſeiner Unbergänglichkeit u und
Seeligkeit gehoͤrt. Denn es ſind Goͤtter, weil ihre Erkenntniß evident iſt. So find fie aber nicht wie ſie der Poͤbel glaubt, denn dieſer iſt in ſeinen Be⸗
griffen von ihnen inconſequent. Es iſt daher nicht
gottlos die Goͤtter des Poͤbels zu laͤugnen, gott: los aber iſt es den Göttern die Meinungen des
Poͤbels zuzuſchreiben. Denn die Vorſtellungsarten 1
des Poͤbels von den Goͤttern ſind keine Begriffe a priori ſondern Vorurtheile. Daher wird den Böſen von den Göttern das groͤßte Unglück zugeſchickt, Gutes aber den Guten. Denn
da ſie Wohlgefallen an den Tugenden ba 3
ben die ihnen eigen find, fo beguͤnſtigen fie die, welche ihnen ähnlich find; Alles aber, was nicht fo iſt, verwerfen fie”,
Diefen Worten nach hätte Epikur alſo feiner. |
Religionsphiloſophie auch ein praktiſches Inter⸗ eſſe und zwar im Grunde daſſelbe zu geben ge⸗ wußt, welches Plato dem ſeinigen gab, das fi
auch auf nichts anders als auf Aehnlichkeit mit 1 den Göttern gründet, Dies enthielt zugleich einen et
Grund zu der en 24 Götter, welche Ei ’ ' hin kur
7 uch
1
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Bus UI. Capitels 247
1 bur ſeinen Schuͤlern ſorgfaͤltig einſchaͤrfte. Nach dem Cicero wäre indeſſen der Grund dieſer Ver⸗ ehrung reine Achtung der Erhabenheit und Vor⸗ trefflichkeit der göttlichen Natur geweſen, eine uns eigennuͤtzige Öotteöverehrung, auf die ſich die Epi⸗ kuraͤer etwas einbildeten. |
Auch baburch erwarb ſich Epikur wenigſtens ein negatives Verdienſt um die Religionsphiloſo⸗ | phie, daß er der Lehre vom Fatum, welche ' ihr bochſt gefährlich if, ſobald ſie eonſequent durch⸗ geführt wird „und die in den meiſten bisherigen philoſophiſchen Syſtemen ausdruͤcklich oder ſtill⸗
* ſchweigend geherrſcht hatte, nachdruͤcklich wider⸗
ſprach. Eine Stelle ſeiner Briefe welche mehrere 0 hierher gehörige Ideen kurz zuſammenfaßt, bezeugt auch dieſes: „Wen haͤltſt du wohl, für vortreffli⸗ . cher als denjenigen, der würdig von den Göttern denkt, der den Tod nicht fuͤrchtet, und vernuͤnftige
Einſichten von den Zwecken der Natur hat, der
das hoͤchſte Gut von der Seite faßt, von der es am erreichbarſten iſt; und in dem hoͤchſten Uebel eis nen kurzdauernden Schmerz erkennt; der die
Nothwendigkeit, die einige zur Gebieterinn
der Natur machen, laͤugnet; und alles theils
5 tkm Zufalle theils von uns ſelbſt ableitet, Denn 928 2 4 die
. 4 7 u 0 **
—
248 Buch III. Capitel 6. die Nothwendigkeit kennt kein Geſetz, der Zufall ift unbeftändig, was aber aus uns ſelbſt entſpringt, iſt frey, daher es auch gebilligt und getadelt wer⸗ den kann. Daher iſt es beſſer, ſich durch die Götterfabeln, als durch das Fatum der Phyſiker leiten zu laſſen. Denn jene haben die Ehre der Götter zur Entſchuldigung, dies aber iſt eine grundloſe Nothwendigkeit“. Im Ganzen genom⸗ men, duͤrfte daher die Religionsphiloſophie durch Epikur, theils ohne, thells ſelbſt wider feinen Willen wohl mehr gewonnen als verlohren ha⸗ ben *)., Bu | 7 ) M. vergl. äbrigens auſſer Cicero, Cukrez, Dio⸗ genes Laertius, und Gaſſendi, Meiners Ab⸗ handlung über Epikurs Charakter und deſſen Wis
derſpruͤche in d. Lehre von Gott in deſſen verm. Schriften Th. 2. S. 45. f. |
Siebentes
*
4
Buch III. Capitel 7. 249
Siebentes Capitel.
ö F. länger die Griechen philoſophirten deſto mehr verlohr ihre Philoſophie an Originalitaůͤt. Ihre fruͤhern Philoſophen hatten nach und nach die möglichen Meinungen über. die Natur der Dinge 5 und ihre Erklaͤrungsgruͤnde erſchoͤpft, ſo daß den ſpaͤtern nichts uͤbrig blieb, als entweder einem un⸗ ter ihnen zu folgen, oder von Allen dasjenige zu waͤhlen, was ihnen am beſten ſchien, oder wenn fie bey Keinem Befriedigung fordern, Alles zu bezweifeln.
Diejenigen welche zuerſt den Weg des Wöb⸗ lens einſchlugen konnten natuͤrlich damit noch die meiſte Originalitaͤt verbinden, und die meiſten wirk⸗ lich oder ſcheinbar neuen Saͤße aufſtellen. Dies
RN thaten die Stoiker. Unter dieſem Namen ver⸗
ſteht man eine Auswahl von griechiſchen Philoſo⸗ phen, welche eine Auswahl von Lehren fruͤherer Philoſophen trafen, die ſie entweder annahmen oder kritiſirten und verbeſſerten, und von denen uns die Alten nur eine Auswahl von Meinungen |
ihrer vornehmſten Lehrer hinterlaſſen haben. Ein
25 . genau zuſammenhaͤngendes und von
5 25 Wi⸗
* A * N 9 7 5 1
25 Boch III. Capitel 7. Widerſpruͤchen freyes Syſtem ihrer Lehren buͤrfte fi daher wohl kaum entwerfen laſſen, wenigſtens kein ſolches, von dem ſich behaupten läßt, daß es wirklich ganz in dem Kopfe eines unter A ei ſtirt habe. Ä Sie ſuchten im Ganzen genommen, die Re ſiſchen und metaphyſiſchen Meinungen ihrer Vor⸗ gaͤnger mit einander zu vereinigen. Hieraus geht das Eigenthuͤmliche ihrer Theologie hervor, ei⸗
ner Wiſſenſchaft, die durch ſie eine viel weitere | 1
aber auch unbeſtimmtere Aus dehnung erhalten hat, als ſie zuvor gehabt hatte. Sie wußten dieſelbe indeſſen recht gut in vier Abtheilungen einzuthei⸗
len in deren erſter ſie das Daſeyn der Gottheit,
in der zweyten ihre Beſchaffenheit, in der dritten ihre Weltregierung und in der vierten ihre Fuͤr⸗ ſorge fuͤr die menſchlichen Angelegenheiten zeigten.
Bey ihnen wird es vorzuͤglich auffallend, wie ſchwankend und unbeſtimmt im Alterthume der 4 Begriff der Gottheit war; denn fie gaben die ſen Namen bald dieſem bald jenem Gegenftande, bald mit weiterer bald engerer Ausdehnung, und laſſen daher bald an eine Einheit, bald an eine Vielheit goͤttlicher Weſen denken. Sie nennen 1 nemlich Gott bald die ganze Welt, bald den Ur: 25 € ſtoff der Welt, Feuer oder Aether, bald bas Prin- 1
5 RR ah,
Buch III. Capitel 7. 281 | ab, wodurch die Welt gebildet ward, bald die Melt + Seele, bald das Naturgeſetz des Zuſam⸗ menhangs der Gegenſtände, bald das Sittengeſeßz, bald die Sonne, bald die Sterne, bald das Schick⸗ ſal *). Unter dieſen verſchiedenen Benennungen
ſollen ſie jedoch nach Laktanz und Diogenes Laer⸗ tus ®*) ein und daſſelbe Weſen verſtanden haben. Dabehy ſprachen ſie noch oͤfterer als von einem Gott „ von Goͤttern in der mehrern Zahl, bedie⸗ nen ſi 0 dabey der Ramen der griechiſchen Volks⸗ götter und ſuchen die Fabeln von denſelben bald auf dieſe bald auf jene Weiſe zu erklaͤren. Wie fie und andre Philoſophen vor ihnen den Namen Gott auf eine ſo verſchiedene Weiſe brauchen konnten, laßt ſich nur dann einſehen, wenn man bedenkt ö daß dieſer Name kein eigen⸗ 4 thümliches Erzeugniß der Philoſophie, ſondern aus der Volksreligion in ſie hinuͤber gekommen war. Durch die Volksreligion aber ward der Begriff welcher mit dem Worte: Gott, verbunden werden ſollte, ſehr wenig und ſehr unſi cher beſtimmt, be⸗ ſonders da die Philoſophen über die Entſtehung des Glaubens an Volkshoc felof nicht einig a waren.
U
N ; 9 M. . Tiedemanns Syſtem d. ſtoiſchen Phil. 8b. U. | * RR ©. 186. |
* ®*) Lactant. div. inft. I. 5. Dios. „aert. VII. 135.
1
252 Buch III. Capitel 7. waren. Jede perſonifizirte, phyſiſche oder morali⸗ ſche Kraft, jedes phyſiſche oder metaphyſiſche Prin⸗ | cip konnte daher Gott genannt werden, und man | konnte dem, der es von einem ſolchen Gegenſtande brauchen wollte, mit nichts beweiſen, daß er dazu nicht berechtigt ſey. ö Demohngeachtet thaten erſt die Stoiker, 1 | ‚man fälfchlih ſchon weit Altern Philoſophen, bes ſonders den Joniſchen zugeſchrieben hat: fie nann⸗ ten den Urſtoff woraus die Welt gebildet iſt, und die Urſache wodurch ſie gebildet iſt Gott, ohn⸗ geachtet ſie beyde innerhalb der 8 ſelbſt ſuch⸗ ten. Plato und Ariſtoteles nannten zwar die Ur fache der Weltbildung und leßterer beſonders die der Weltbewegung, welche ihm die Form der Weltbildung war, auch Gott, aber ſie unterſchie⸗ den dieſelbe von der Welt und ihre Lehre von dem hoͤchſten goͤttlichen Weſen eben dadurch von der Lehre der Stoiker, die es mit der Welt oder 5 einem ihrer Theile und Eigenſchaften ser felten.
Man hat geſagt, daß die Stoiker die Ein⸗ heit Gottes behauptet haͤtten. Dies gilt nur von ihrer Idee von Gett, wenn ſie dieſelbe in dern
Bedeutung der Welt, oder des allgemeinen welt⸗ 1 bildenden oder belebenden e das fie a 1
Buch III. Capitel 7. 283 oft als Weltſeele darſtellten, nahmen. Dann be⸗
haupteten fie nur eine Gottheit, weil es nur eine
- Melt giebt. In dieſem Sinne ſpricht Antonin von der Einheit Gottes *). Dies ſchlieft aber nicht die Befugniß aus, welche ſie ſich anderwaͤrts erlaubten, den Namen Gott auch von andern und eingeſchraͤnkten Weſen zu brauchen, deren meh⸗ rere neben einander beſtehen konnten. In ſofern behaupteten ſie auch nur die Einheit eines hoͤch⸗ ſten Gottes, neben welchen mehrere niedere ſtatt fanden, die aber auch in ihrer Art einzig ange⸗ ſehn werden mußten, 3. B. nur ein Sonnengott, nur ein Gott des Meeres u. ſ. w. Man hat ihnen überhaupt die Lehre von der Einheit Gottes mehr durch Schluͤſſe beygelegt, als daß ſie dieſelbe ausdruͤcklich behauptet hätten. Dies iſt offenbar in der Stelle, welche man dafür aus dem Athe⸗ nagoras anfuͤhrt der Fall *). Antonin behaup⸗ tete ſie eben ſo gewiß blos in dem angezeigten Sinne, denn er verehrte bekanntlich mehrere Goͤt⸗ ter, und | Plutarch“) den man auch für diefe Behauptung anführt, ſpricht ausdruͤcklich blos von 8 e Zevs, und ſucht die W da⸗ it
254 Buch III. Capitel 7.
durch zu beſtreiten daß er ihnen zeigt, ſie müßten,
wenn ſie conſequent ſeyn wollten, nicht einen einzi⸗ gen Apollo wie ſie thaͤten, ſondern mehrere anneh⸗ men, weil ihnen nach jedesmaliger Verbrennung der
Welt ein neuer noͤthig waͤre. Eben ſo ein neuer
ik u. ſ. w. Be Nach dem bisher gefagten werden die Be weiſe, welche die Stoiker für das Daſeyn eines
göttlichen Weſens fuͤhrten einlenchtender ſeyn. 4 Es waren deren mehrere, fie wurden von meh rern ſtoiſchen Philoſophen geführt, und find uns vorzüglich von Cicero und Sextus aufbehalten wor⸗ den. Sie führten insgeſammt mit mehrerer oder minderer Ueberzeugungskraft auf das Daſeyn einer Gottheit, oder vielleicht richtiger geſagt einer Gott lichkeit in der Natur, wobey jedoch einige, und zwar vorzuͤglich diejenigen, welche Cicero anfuͤhrt, mehr |
das Daſeyn mehrerer Götter, andre das von eis ö 4 nem allgemeinen und hoͤchſten goͤttlichen Weſen be R ö gruͤnden. a ER Die Stoiker alſo führten für die Eriſten der u Gottheit den uͤbereinſtimmenden Glauben des menſchlichen Geſchlechts an dieſelbe, die Erſcheinun⸗ 1 gen der Goͤtter welche von vielen Geſchichtſchrei⸗ bern erzählt werden, die Vorbedeutungen, und die 5 4 Wahrſagerkunſt an. Dies waren die . 1 1 e
Buch III. Capitel 7. 238 BVeweiſe, die vorzüglich für den Volksglauben gel⸗ ten, und deren ſich ſchon die Sokratiker oft fuͤr denſelben bedient hatten ). Scharfſinniger, und eines Philoſophen wuͤr⸗ diger iſt folgender Beweis, den Cicero dem Chry⸗ ſippus beylegt: Wenn es etwas in der a giebt, deſſen Hervorbrin, gung menfchliche Vernu und Kraͤfte uͤberſteigt, ſo iſt der Urheber deſſelben gewiß fuͤr beſſer als Menſchen ſind, zu halten. Nun koͤnnen aber die Himmelskoͤrper und alle dies jenigen, welche von immerwaͤhrender Natur ſind, von Menſchen nicht hervorgebracht werden. Ihr Urheber iſt alſo beſſer als Menſchen. Ueber⸗ menſchliche Weſen aber werden mit Recht Götter genannt. Denn nur Götter können die Menſchen, welche im Beſitz der Vernunft ſind, an Vorzuͤgen uͤbertreffen. Es waͤre unſinniger Stolz, wenn die Menſchen glauben wollten, daß es keine beffere Weſen gäbe als fie find. Es giebt daher A eine Gottheit. Dieſer Beweis wird noch dadurch verfiärkt „daß Chryſipp zu zeigen ſucht, die Erde ſey zu ſchoͤn um blos zu einer Wohnung fuͤr Men⸗ ſchen gemacht zu ſeyn. Sie ſey gewiß ein Wohn⸗ platz für Götter. Hierzu kommt noch, daß gewiß alles „ 00 weit vorzuͤglicher iſt als die 75 1 - 5 Kan 5 2 Cie de Dat. Deor. II. 2-4 |
256 Buch III. Cavpitel 7.
Erde, die von der dikſten Luft umgeben iſt, da⸗ ?
her es ſich noch weit mehr als einen Wohnplag fuͤr Goͤtter denken läßt.
Dieſem Beweiſe der von der Eingeſchränkt⸗ |
heit der menſchlichen Eigenſchaften hergenommen iſt, ſetzten fie einen andern an die Seite, welcher gerade von dem Gegentheil, nemlich von der Vor⸗
trefflichkeit der menſchlichen Natur entlehnt war,
und den ſie mit den Sokratikern gemein hatten,
ihm aber doch eive andre Wendung geben. Die
Vernunft ſelbſt welche der Menſch beſitzt, kann er nirgend anders als von einem hoͤhern und goͤttli⸗ chen Weſen her haben. Alle Urſtoffe aus welchen der menſchliche Koͤrper beſteht, Feuchtigkeit, Waͤrme,
feſte Theile und Luft, ſind von dem allgemeinen
Urſtoffe, aus welchem die Welt beſteht hergenom⸗ men. Es muͤſſen daher der Welt dieſelben Ei⸗
genſchaften, welche der Menſch hat, und zwar in hoͤherm Grade zukommen. Am meiſten gilt dieſes
von der Vernunft, welche der Menſch unſtreitig
auch von der Welt erhalten haben muß, da er
alles uͤbrige von ihr hat. Alſo muß der Welt auch Vernunft zukommen. Dies wird auch damit bewieſen, daß die Welt, welche das Beſte unter allen Dingen iſt, auch im Beſitz der beſten Eigen⸗
ſchaft ſeyn muß, RE der ge, bat, dies iſt
aber
F ͤDN ⁵⁰ꝗ w *
Bud iu. epi 7. 287 ö aber die Vernunft. Die Veruünftigkelt der Welt aber beweiſt noch uͤber dieſes die in ihr herrſchende
Ordnung, der Jahrszeiten, der Ebbe und Fluth Ä | wc des Laufs der Geſtirne.
Dieſe Beweiſe, welche Cicero den kuclllas in einem Athem fuͤhren laßt, zeigen daß er es für elnerley hielt, das Daſeyn von Göttern, und eines f durch die ganze Welt verbreiteten goͤttlichen We⸗ ſens, oder mit andern Worten die Ne der Welt zu beweiſen ). |
Die Beweiſe der Stoiker für das Daſeyn der
Gottheit, welche Sertus Empirikus anführt, gründen ſich theils auf die Nothwendigkeit eine urſprünglich bewegende Kraft in der Natur anzu⸗
nehmen, theils auf das Beduͤrfniß einen Grund des Zuſammenhanges der Naturgegenſtaͤnde zu fin⸗ den, theils auf die Idee eines Weſens von hoͤch⸗
ſter Vollkommenheit, auf welche die Stufenfolge
*
in der Natur führt, bey der man bemerkt, daß immer ein Weſen beſſer iſt als das andre, und
alſo ein beſtes ſeyn muß, welches der Menſch we gen ſeiner vielen eee nicht ſeyn khan BE nölsut.- 1 180% 5 10
9 — de nat, Deor. 1. 6.
*) Sext, Erg air Math. dB 75, 78, 85.
e et 2 a iel
N
2588 Buch III. Capitel 7. ee Am merkwurdigſten find die, obgleich noch ziemlich unvollkommen moraliſchen Beweiſe der Stoiker, welche Sextus anführt: Sie ſchloſſen aus den Begriffen von Pflichten gegen die Götter, welche die Menſchen als Vorſchriften der Vernunft anerkennen, daß eine Gottheit exiſtiren muͤſſe ). a Alle dieſe Beweiſe vereinigen ſich dahin, der Welt alle Praͤdikate der Goͤttlichkeit zuzuſchreiben, und fie zur Gottheit zu machen, und ſchließen alſo daraus, daß eine goͤttliche Welt aülin, daß a Er Gott ſeyn muͤſſe *). il | Durch die Auffuchung der eee Voll⸗ kommenheiten der Welt, wodurch ſie ſich vor den Stoikern, die nur die für die Menſchheit wohl: thätigen Einrichtungen derſelben vorzüglich bemerle ten, auszeichneten, bahnten die Stoiker der Phys | ſikotheologie den Weg. Durch ihre Weltvergoͤtte⸗ rung aber brachten fie viele Verwirrung in die Religlonsphiloſophie; denn wird das Prädikat der | Goͤttlichkeit der Welt im Ganzen gegeben, ſo er⸗ ſcheinen viele Theile und Eigenſchaften der Welt als das gerade Entgegengefeßte der Goͤttlichkeit. Es entſteht daher die Frage, welchem Theile oder welcher Eigenſchaft es eigentlich eien dieſe be⸗
x
®) Sext. adv. Math, IX, 131, 189 iM 1 » Cie. de nat, Deor. AT 8-15. Sext, adv. Math, | IX. 111. N 4 X 4
R i 5 5 7 / ra
Buch Ill. Cavitel 7. 9 259
alte deteten die Stoiker auf verſchiedene Weiſe, bald iſt es der Urſtoff der Welt, bald ihre Form, i bald ihr Zuſammenhang, bald ein allgemeines Princip der Weltbewegung überhaupt, bald bes ſondre, einzelne Theile derſelben bewegende Kräfte, bald ein allgemeines Ideal unter welchem fie die Welt uͤberhaupt als das vollkommenſte Weſen denken, bald eine beſondre Claſſe vollkommner We⸗ ſen in der Welt was ſie mit dem Pfübkte! det | | Goͤttlichkeit bezeichnen. 1 Es läͤgt ſich daher nicht viel im auge wee | von den Eigenſchaften ſagen, welche ble Stoiker der Gottheit beylegten, ſondern es kommt auf die Beſchaffenhelt des Gegenſtandes an, auf walhen 5 den Begriff der Goͤttlichkeit gerade bezogen⸗ Nach dem Diogenes Laertius “) war bey | ih⸗ nen der Begriff der Welt ein hoͤherer Begriff 2 als der oon Gott. Denn ſie nahmen das Wort Wen u dreyfacher Bedeutung. Sie nannten for
Gott ſelbſt, in ſofern er das ganze Weſen des ”
| Weltſtoffs ausmacht, un vergänglich und ohne Ur⸗ ſſprung, und der Urheber des ganzen Zuſammen⸗ hangs der Dinge iſt, und in genen Zeiträumen barg n in ſich ſelbſt ben und ihn wies
25 ver an VII. ER 138. | hy;
80 > * *
260 Buch III. Capitel 7. der aus ſich erzeugt. Auch nannten ſie die Welt das Syſtem der Himmelskoͤrper, und drittens ſaß⸗ ten ſie beydes Gott und das Sternenſyſtem un⸗ ter der Benennung Welt zuſammen. In ſofern nannten fie auch die Welt den Junbegriff des Ganzen „oder das Syſtem des Himmels und der Erde und der in ihnen befindlichen Naturgegen⸗ fiände, auch das Syſtem der Götter und Men⸗ ſchen und der Dinge die für beyde da find. Aus dem obigen iſt leicht zu verſtehen, wie fe or alle dieſe Begriffe kommen konnten. e In beſonderm Verſtande definirten fie Gott als ein lebendiges Weſen, welches unſterblich, dere nünftig, wollkommen, oder durch Vernunft glück; ſeelig iſt, welches unempfänglich für alles Böfe iſt und fuͤr die Welt und die Dinge in der Welt | ſorgt. Auch nannten ſie ihn den Urheber und Va⸗ ter des Ganzen ). Hierbey ſcheinen ſie die Norhwendigkelt gefühlt zu haben, Gott von der Welt zu unterſcheiden. 1 a» Die Stoiker giengen bey der phyſi (hen. 9 mechaniſchen Erklarung der Natur der Dinge ſo weit zurück, daß fie Feuer als die erſte und all⸗ gemeinſte Urſache derſelben annahmen, und ihre Erzeugung und Berföhrung in 1 ſuchten. mr Die⸗ *) Diog. Laert, VII. 147.
1
Buch III. Capitel 7. 261 i Dieſes Urfeuer oder dieſen Aether, welches daſſelbe iſt, konnten ſie aber nicht von Gott unterſcheiden und ihn etwa für ein Werkzeug ſeiner Macht hals
ten, ſondern ſie betrachteten ihn als Gott ſelbſt.
Im engern Sinne war ihnen alſo Feuer die Sub⸗ ſtanz oder das Weſen Gottes, im weitern das ö durch das Feuer erzeugte, nemlich die Welt ſelbſt,
wie aus der zuvor angefuͤhrten Definition erhellt.
In jedem Sinne aber hielten ſie die Gottheit fuͤr
materiell en Sie nahmen alfo die Inſtansmag⸗
talurſache für einerley mit der abſoluten, elne phi⸗ loſophiſche Oekonomie, die in der That in vielen
Fallen nicht zu tadeln iſt. Sie nannten jenes Ur⸗
feuer vernuͤnftig; wie es dies ſeyn koͤnne, unter⸗
nahmen fie weislich nicht zu zeigen; daß es aber
vernünftig ſey, bewieſen fie daraus, weil es ein ſo vernünftiges Werk ww die Welt iſt ee bracht habe.
Sa Auf eben dieſe Weiße ſuchten fie in Gott
nicht ſowohl den Grund der phyſiſchen und mora⸗ liſchen Ordnung der Dinge, ſondern ſie hielten lihn ee u. n ah So laßt es ſich ver⸗ * ah ee . 2 9 Euſeb. praepar. ee xv. 16. wupvospov hlut. de plac. phil. I, 6. Tlveupn "voepov mupwösg Diog Laert. VII, 156. Ane uro 1% fe O. cm ewas up re 155 1 70
m 2 1 1055 N]
*
262 Buch II. Capitel 7.
ſtehen wie ſie Gott eln ewiges und „ unverön⸗ x derliches Naturgeſetz nennen konnten).
Da ſie Gott als eine allgemeine vernuͤnftige Urkraft betrachteten, ſo folgt ſchon von ſelbſt, daß fie ihn für allmaͤchtig allwiſſend und allge⸗ 8 genwaͤrtig halten mußten. Seneca behauptet aber auch ausdruͤcklich, daß Gott die geheimften king 2 ken der Menſchen wiſſe **). |
Die Güte Gottes beweiſen ſie theils aus der | Vortrefflichkeit feiner Regierung, theils daraus, daß er vermoͤge feiner Welsheit keines Zorns fü . hig ſey, und daß er, wenn er es waͤre bey ſeiner unumſchränkten Macht die groͤßten Zerſtoͤrungen anrichten mußte, weil ſchon ein zorniger Menſch, wenn er Macht beſitzt, großen Schaden thut 5e).
Daß die Idee eines Weſens, wie ſich die Stoiker Gott dachten, auch ſehr paſſend mit dem Namen Weltſeele bezeichnet werden konnte, iſt leicht einzuſehen. Man hat jedoch den ſtoiſchen = | Gott unter diefem Namen, ſich nicht anders vor⸗ 4 zuſtellen, als er bisher beſchrieben worden iſt, noch weniger aber dabey an ein von Gott verſchiedenes Weſen zu denken, wie Dan Plato *
eee 3 1 nr 4 K
Die ) Cic. de nat. Deor. L. 14. J #*) Seneca ep. 83 de vita beata c. XX. / a Lactant. de ira Dei c. V. N 7) Tiedemanns Syſt. d. ſtoiſch. Phil. 80 II. S. 118.
*
Buch Ill. Capitel 7. 263
Die Stoiker ſchrieben der Gottheit mit der
Wider auch Freyheit des Willens zu. Dieſem
widerſprechen ſie nicht dadurch, wenn ſie oft vom
a Schickſal/ Fatum, oder von nothwendigen Ge⸗ feßen reden, von welchen ſie behaupten, daß ſich
Gott ſelbſt unabaͤnderlich nach ihnen richte. Denn
fie dachten ſich dieſe Geſetze als von Gott ſelbſt
feſtgeſetzt, und lehrten, daß er deswegen nie von
ihnen abweiche, weil ihn nie eines Entſchluſſes ge⸗
teue ). Sie glaubten dieſe Geſetze in der Phyſik
auffinden zu koͤnnen, und nannten fie Asyas ore
rue, Gedanken, welche zuvor als Ideen oder Maxis
men in dem goͤttlichen Verſtande lagen, ehe ſie auf
die Natur angewendet wurden *), und gleichſam den Saamen aller kuͤnftigen Formen und Veraͤn⸗ derungen der Dinge enthielten. Sie wußten hier⸗ durch ſehr gluͤcklich der zur Traͤgheit im Forſchen
(ignava ratio) verleitenden Gewohnheit alles uner⸗ klaͤrliche unmittelbar von der Gottheit abzuleiten,
von der einen Seite, und dem trreligiöfen abſoluten Naturalismus auf der andern Seite auszuweichen. Schon aus den bisher angeführten Behaup⸗
tungen erhellt, daß die nnen, wenn ſie irgend
Rt in ons
| 9 Senec- de benef, VI. 23 ˙ m Plattners phil. Aphorismen F. 975 S. 357
0 1 9
*
*
264 Buch III. Capitel 7. conſequent waren, die Lehre von der Vor FEN
mit ihrer Theologie verbinden mußten. Auch für
ten ſie unter der dreyfachen Art von Beweiſen, welche ſie fuͤr die Vorſehung hatten, die erſte aus dem Begriffe von der Gottheit ſelbſt, die, zweyte Gattung derſelben iſt von der in der Natur be⸗ merkbaren Lebenskraft und die dritte von der vor⸗ trefflichen Einrichtung und Cioöur der an e ver)
Die aus dem Begriffe ı von Gott * bon 9 hergenommenen Veweiſe fuͤr die Vorſe⸗ hung gruͤnden ſich darauf, daß es kein wuͤrdigeres 5 Geſchaͤft für die Gottheit giebt, als die Weltre⸗ gierung, daß es ihr Schande machen wuͤrde, wenn fie ſich durch Menſchen an Verſtand, Tugend und Geſelligkeit, und einer darauf ſich gruͤndenden Thaͤ⸗ tigkeit uͤbertreffen ließe, daß denn noch ein höheres Weſen als ſie die Welt regieren muͤßte, und fi ie mithin nicht im Beſitz der hoͤchſten Vollkommen⸗ 1 heit waͤre, daß endlich die Erfahrung lehre, daß die Geſtirne welche göttlicher Natur e can 4 mächtigen Einfluß haben. 0 |
Die auf die allgemein verbreitete cee in ber Natur ſich gründenden Beweiſe, beruhen auf manchen eigenthuͤmlichen Auſichten, welche die
Stoi⸗ 8
1
” Cie: de 91 Deor. II. 30. 31.
Buch III. Capitel 7. 265 Stoiker von der Natur hatten. Sie ſchloſſen da bey gewoͤhnlich daß eine Vollkommenheit die einem ſchlechtern Gegenſtande, oder einem Theile des Ganzen zukommt, dem Beſſern und dem Ganzen nicht fehlen „dürfe, daß z. B. die Organiſation,
welche die Pflanzen aus der Erde hervortreibt, auch der Erde ſelbſt eigen ſeyn muͤſſe, daß die Luſt, wodurch die lebendigen Geſchoͤpfe ſehen und hoͤren, auch mit ihnen ſehen und hören muͤſſe. Da nun durch die Luft alles zuſammenhaͤngt, ſo iſt eine all⸗ gemeine Lebenskraft durch die Natur verbreitet ).
Sie giengen hiervon zu den aus den weiſen Einrichtungen in der Natur hergenommenen Be⸗ weiſen uͤber, indem ſie bemerkten, daß, wenn man bey Kunſtprodukten einen vernünftigen und wetſen Urheber voraus ſetze, ſolche von Naturprodukten an Vollkommenheit weit uͤbertroffen werden, die alſo 9 auf eine ungleich hoͤhere Weisheit kiahatuns; Für die weiſe Einrichtung der Natur fuͤhrten ſie die gutberechnete Stellang der Geſtirne, wodurch ver: hindert wird, daß ſie als feurige Koͤrper keinen Schaben thun, ſondern vielmehr fehr nüßlich wer⸗ den, die Regelmaͤſſigkeit ihres Laufs, die Stellung der Erde im Mittelpunkte der Welt, ihre man⸗
. dialen e das Menſchengeſchlecht welches
| a e ie J Tic. de nat, Deor. II, 33. u
„
266 Buch III. Capitel 7. En zu ihrem Anbau und Verſchoͤnerung auf dieſelbe geſetzt iſt, die Schönheit des Meers, feiner In⸗ ſeln und Kuͤſten, die unzählbare Menge ſeiner Be⸗ wohner, die Luft, ihre zweckmaͤßige Verduͤnnung
und Verdichtung zur Befruchtung der Erde und 4
Erhaltung der Thiere durch das Athmen, und endlich den Aether an, von dem ſie ſich als von der Sphäre des Laufs der Geſtirne deſto erhabes nere Vorſtellungen machten, je weniger fie ihn kannten. Hiermit verbanden fie dann noch Bes trachtungen über die weiſe Erhaltung ber Wel, und aller ihrer Theile ). hi
Für die Vorſehung Gottes für das Wiens | ſchengeſchlecht, führten fie noch e Mee vn i weiſe aus dem Bau des menſchlichen Korp 3 ſonders aus ſeiner Geſtalt, den Sinnen, ihrer Feinheit und Richtigkeit, aus den Kraͤften der Seele und aus der Einrichtung der Welt zum Beſten des Menſchen. Dabey ſuchten fie noch insbeſondre zu erweiſen, daß die göttliche Vorſehung ſich auf alle Individuen des Menſchengeſchlechts erſtreckt v). |
Man fieht hieraus, daß die Stoiker darauf 0
ausgiengen, alle die Bewelſe zu erfehöpfen, welche |
es ee der Erfahrung warfen 12 0 9
daß
*) Cap. 36- Fl. 2% Senec. de benef. vn 23. Cie. de! 5 II. 54 - 66.
\
Buch lll. cam. 450 aß elne . die Welt regiere und verſorge. Den aus eben derſelben zu ſchoͤpfenden Gegenbe⸗ weiſen, ſtellten ſie ein Theodicee oder Apolo⸗ gie des Uebels entgegen. Sie ſuchten alſo zuerſt zu zeigen, daß, was wir Uebel nennen, in Anſe⸗ hung des Ganzen kein Uebel iſt weil die Welt als Gottheit gedacht, thoͤrigt handeln würde, wenn fie ea hervorbraͤchte, was ihr nicht zutraͤglich ware E Sie ſuchten dabey die Summe des Ue⸗
bels ſo viel als moͤglich zu verringern, und zu zeigen, daß kein Uebel ohne Annehmlichkeit ſey *).
Zur Erklärung des Uebels konnten fie nicht wie Plato eine urſprͤngliche bösartige Beſchaffenhelt der Materie behaupten, weil fie auch die Materie als ein Produkt, oder vielmehr ein Edukt Gottes N betrachteten, und ihm wenigſtens eine unbegraͤnzte Gewalt über dieſelbe zuſchrieben. Sie lehrten das her eine nothwendige Verbindung zwiſchen dem Gu⸗ ten und Boͤſen, indem fie behaupteten, daß von zwey entgegengeſetzten Dingen keines ohne das an⸗ dre ſeyn koͤnne, daß nichts wahr ſeyn koͤnne, wenn nichts falſch wäre, nichts gerecht wenn nichts un⸗ gerecht wäre, ſo auch nichts böfe, wenn nichts gut
alen Dies ſuchten ſie auch durch bie Erfahrung a zu 5 Antonin u, 3. IV, 23. VI. 7. X. 9 ei 1a. IH, 2.
268 Buch III. Capitel 7. zu beſtaͤtigen. Sie zeigten z. B. daß der Bau des menſchlichen Koͤrpers nicht ſo vortrefflich ſeyn koͤnnte ohne eine gewiſſe Zartheit und Schwaͤche feiner Theile, daß aber Krankheit und Verletz bar⸗ keit eine nothwendige Folge dieſer Zartheit ſeg“). Das Unglück des Tugendhaften erklaͤrten j
fie insbeſondre theils aus der angeführten nothe wendigen Beſchaffenheit des Guten und Boͤſen, theils daraus, daß es ihnen zur Uebung ihrer Tu⸗ gend nuͤtzlich ſey, und andern zum Beweiſe diene, daß alles was ſie fuͤr Uebel halten, in Gottes Augen und an ſich kein Uebel iſt, weil es Gott a ſeinen Lieblingen nicht zuſchicken wuͤrde, wenn 10 ein wirkliches Uebel wäre ). 3 |
Die praktiſche Anwendung, welche die
Stoiker von ihren Religionslehren machten, war weniger ausgebreitet, als man nach fo reichhalti? gen Praͤmiſſen erwarten ſollte. Sie ermahnten mit theologiſchen Gründen vorzuͤglich zur Zufriee denheit, indem ſie lehrten, daß der Weiſe alle 4 ſeine Schickſale als den Willen Gottes betrachte, und ſich ihnen daher unterwerfe, indem er weiß. daß es thoͤrigt und vergeblich iſt, ihnen zu wider⸗ . und daß alles was ihm nur 4 1 koͤnne
*) Gellius VI. 1. Antonin VI. 36. IX. * 8 * . Seneca de providentia c. III. V.
Buch III. Capitel 7. 269 könne zum Beſten des Ganzen diene. Frellich ein ſchwacher Troſt, im Ungluͤck fi) als Opfer des
Ganzen zu betrachten! Darum lehrten ſie jedem ſeine eigne Angelegenheiten als fremde zu betrach⸗
{
ten, und 100 Ku zu beurtheilen ).
Sie lehrten 7 auch Gott zu verehren, 1 ihm fuͤr ſeine Wohlthaten zu danken. Zur reinen
und vom Aberglauben freyen Gottes verehrung, fo⸗
derten ſie Glauben an Gottes Daſeyn, Erkenntniß
ſeiner Güte Macht, Weisheit und ſeiner uͤbrigen
erhabnen Eigenſchaften, und Anbetung Gottes mit reinen und tugendhaften Herzen. Sie lehrten da⸗ bey Gott nicht ſowohl um aͤuſſere als vielmehr um
moraliſche Wohlthaten bitten. Der Weiſe wird
ſich z. B. von Gott nicht den Genuß eines Frauen⸗
zimmers ſondern Stärke: erbitten, daß er fie nicht
begehre, nicht um Erhaltung ſeiner Kinder fle⸗
hen, ſondern um Kraft ihren Verluſt nicht zu bes
fuͤrchten, und wenn er ſich ereignen ſollte, ihn zu ertragen Fr Als ein ei Tugendmittel
uͤber⸗
Bee 7 5 *
5 Epictet Euch. 13. Senec. de vita best, e. x. 5 dich ep. 74. S. 17.
| 0 ”) Antonin. V. 21. Arrian, I. 16. Cie. de nat. Deot,
II. 28. Antonin, IX, 40.
Ei
270 Buch III. Capitel 7. 5 überhaupt, betrachteten fie den Gedanken an die All⸗ 7 gegenwart Gottes). ee Zu dem Ideal eines vollkommnen Welfen, welches fie entwarfen, brauchten fie die weligiöfen Farben, daß fie den Weiſen, der im Beſiß aller a Tugenden iſt, als goͤttlich vorſtellten, weil in ihm die göttliche Vernunft herrſcht. Er iſt durch die Wiſſenſchaft Gott würdig zu verehren, allein wahr⸗ haft gottesfuͤrchtig und ein Prieſter im eigentlichen 3 Sinne zu nennen, und durch ſeine den ‚göttlichen Gefegen gemaͤßen Tugenden ein Liebling der Gottheit. Der Thor hingegen iſt ein Feind Got⸗ tes, weil er den Geſetzen der n wel he Geſetze Gottes find, nicht folgt “). e
So machten die Stoiker amn prakti⸗ a ſche Anwendungen von ihren religisfen Ideen „ die jedoch, weil ſie die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele nicht damit verbanden, im Grunde ſehr kraftlos waren, und uͤberhaupt kein eigentliches moraliſches Verhaͤltniß der i 1 den! Men⸗ ! ſchen begruͤndeten. A
Dies waͤren die vorzuͤglichſten e ee,
der Stoiker, welche die Religionswiſſenſchaft
objektive betrachtet, betreffen. Sie breiteten aber
* Seneca ep. Xx. **) Diog. Laert. VII, 119.
| B.uch III. Capitel 7. a7 auch ihre Philoſopheme weiter als ihre Vorgänger uͤber die ſubjektiven Religionsideen, ihre Entſte⸗ hung und ihre verſchiedenen Formen aus. 5
Die Entſtehung des Begriffs von Gott,
leiteten ſie nach dem Cicero aus vier Urſachen herz
aus dem Vorherwiſſen der Zukunft, aus den Vor⸗ theilen welche die Einrichtung der Natur dem
Menſchen bringt, aus dem Schrecken welches ihnen
furchtbare Naturbegebenheiten verurſachen, und aus der bewundernswuͤrdigen Ordnung der Natur).
Die letzte Urſache führt Sertus Empirikus als die
vorzuͤglichſte an, und ſetzt noch hinzu, einige neuere
Stoiker hätten behauptet, die aͤlteſten aus der Erde
i entſprungenen Menſchen haͤtten die nachfolgenden an Geiſteskraͤften weit übertroffen, und wären da⸗
9
durch fähiger geweſen die ee und or n
ſchaſten zu erkennen ).
DOhngeachtet fie, wie ale 150 t 10 .
die Lehre von der Einheit Gottes nicht ſo ſtreng behaupten, wie man gewöhnlich glaubt, ſo erlaub⸗
ten ſie ſich doch viele Abweichungen von dem ge⸗ wohnlichen Volksglauben und manche Mobificas tionen beffelben nach ihrer Philoſophie. Sie waren
hieruͤber unſtreitig unter einander ſelbſt nicht einig,
„ un f | und
E 2 wa
) Cic. de nat. Deor. IL 5.
* 7 5 55 er
0 Sent. Fp. IX. 26-28. vergl. Senera epih. ge.
*
272 Buch UI. Capitel 7. N
A — r 2 ’ 7 * * 5 * f 5
und die en Stoiker giengen 0 walter teen die fruͤghern. 0 1 Nach dem 2 Laertius * . ſie | verſchiedene Namen der "Götter" als Benennungen verſchiedner Eigenſchaften des einzigen hoͤchſten Got⸗ tes. Das Weſen welches alles durchdringt, ſagt er, wird auf verſchiedene Weiſe benannt, nach ſei⸗
nen Eigenſchaften“. Er führt hierauf die Namen
Dios, Zeus, Athene, Hera, Hephaiſtos, Poſei⸗ don und Demeter als ſolche Benennungen an, und erklärt: fie. nach der Etymologie der griechiſchen
Sprache. Dieſe Erklaͤrun gen ſind zum Theil frei⸗
lich ziemlich weit hergeholt. Eben ſo mochten es auch die allegoriſchen, welche fie verſuchten, "größe 3: tentheils ſeyn. Sie erklaͤrten z. B. die Fabel, daß Saturn ſeine Kinder verſchlungen habe, und vom Jupiter in Feſſeln gelegt worden ſey, ſo: Saturn bedeutet die Zeit, welche durch den Aether, der durch Jupiter bezeichnet wird, und die Himmels⸗ ſphaͤre erfuͤlt, beſtimmt und eingetheilt: wird ). An ſo ſubtile Erklaͤrungen hatten die erſten Erfin⸗
der der Fabeln gewiß nicht gedacht. Richtiger
waren daher unſtreitig die Erklaͤrungen, nach wel⸗ chen ſie die Fabeln von den Göttern theils aus | | mig *) Diog. Laert. VII. 147. 2 6 4. Cie. de nat. Deor. II. ꝶ5.
Me
| Buch III. Capitel 7). 278 4 mißzderſtandenen phyſiſchen Beobachtungen und Be⸗
griffen, die durch Veranlaſſung der Armuth der 8 Sprache perſonifizirt wurden 4), theils aus der
Dankbarkeit der Menſchen gegen wohlthaͤtige Nas
turgegenſtaͤnde, theils aus ihrer Dankbarkeit und Verehrung gegen große Männer herleiteten **).
Sie hatten dabey aber auch manche Lehren
von Dämonen „die aber wohl mehr individuell und |
einzelner von ihnen eigen geweſen ſehn duͤrften, als daß ſie ſich aus den allgemein von ihrer Schule | gebilligten Grunbfägen hätten e laſſen.
| 5 5 1d. Il. 28. ) Id. C. 24.
S | Achtes
391
74 Buch II. Capitel 8.
Achtes Capitel.
D Ver andre Weg welchen dle Griechen betreten
onnten, welche nicht ihren Bergen die den
Schauplatz der philoſophiſchen Originalität vor ih⸗
nen eingenommen und ausgefüllt hatten, folgen
wollten, war der des Skepticismus. Ihn gien⸗ gen gewiß viele, theils aus Gleichgültigkeit, theils aus Mangel an Befriedigung durch die herrſchen⸗
den philoſophiſchen Grundſaͤtze; aber nur wenige
brachten die Gruͤnde deſſelben zum deutlichen Be⸗
wußtſeyn, noch wenigere ſtellten fie wiſenſchaft
lich dar.
Am wenigſten ſcheinen die aͤltern Skeptiker ihren Skepticismus auf die Religion ausgedehnt zu haben, wahrſcheinlich weil ſie dieſelbe mehr als
einen hiſtoriſchen und politiſchen, als einen philoſo⸗ phiſchen Gegenſtand betrachteten. Zwar haben wir
ſchon unter den aͤltern Sophiſten einen Protagoras gefunden, deſſen Ausſpruch: er koͤnne nicht ſagen
ob Götter find oder nicht, ihn in die Claſſe der
Skeptiker verſetzte. Aber unter den Skeptikern nach Sokrates als deren Hofäherz gewöhnlich Py⸗
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* . > I u De er ee en ee re u
Buch III. Capitel Z. 275 yreho genannt wird, finden ſich nur wenig Spuren eines religioͤſen Skepticismus. So wie ſie die Religion uͤberhaupt als ein Reſultat von Volksſagen und Volksmeinungen betrachteten, ſo ſcheint auch der einzige Grund ihre Zweifel an der Religion die Verſchiedenheit der Meinun⸗ gen der Völker über dieſelbe geweſen zu ſeyn 9 Je mehr indeſſen die Religion ein Gegenstand 1 er Ptiofophie ward, und je zahlreicher die dog⸗ matiſchen Behauptungen der Philoſophen uͤber die⸗ ſelbe wurden, deſto mehr ward ſie auch den An⸗ griffen des Skepticismus ausgeſetzt. Er traf das her vorzuͤglich die religiöfen heften Epikurs und der Stoiker. Aus Plato's Schule giengen Phüloſophen hervor, bekannt unter dem Namen der neuern Akademiker, die nicht ſowohl die Behauptung der Lehren ihres Meiſters, uͤber die ſie vielleicht ſelbſt zweifelhaft waren, als die Beſtreitung andrer Schulen, welche neben ihnen bluͤhten, zu ihrer Hauptbefhäftigung machten, und ſich dabey weis⸗ lich hinter eine gewiſſe ſtolze Beſcheidenheit, und hinter den Grundſaß uͤber nichts entſcheiden zu Bohr zuruͤckzogen. Den Geiſt dieſer Schule D Diog, Laert. IX, 84. rien * S 2
von der Natur der Eoͤtter mitgetheilt, welche
276 Buch III. Capitel 8. s hatte vorzuͤglich Cicero aufgefaßt, und er hat 5
uns den Skepticismus derſelben in Ruͤckſicht auf die Religion am ausfuͤhrlichſten in den Buͤchern
überhaupt die wichtigſte Fundgrube der B Religionsphiloſophie des Alterthums ſind.
Aus dem erſten dieſer Buͤcher haben wir hauptſaͤchlich die Religionsmeinungen Epikurs ge⸗ ſchoͤpft. Eben daſſelbe enthält auch die Gegen⸗ gründe der Akademiker gegen dieſelben, welche Ci⸗ cero dem Cotta in den Mund legt. Cotta ſucht
in der Hauptſache zu zeigen, daß Epikur im Grunde das Daſeyn der Götter aufhebt, ohngeachtet er ich das Anſehn geben will, daſſelbe zu behaupten ?), und daß daher die Akademie weit mehr Beyfall
verdient, indem ſie das Daſeyn der Götter als unendlich wahrſcheinlich annimmt, und nur auf
Gewißheit Verzicht thut). Er ſucht daher zus erſt den Beweis Epikurs welcher von der Allge⸗ meinbeit des Glaubens an Götter hergenom⸗ men iſt, dadurch zu widerlegen, daß er ihm das Beyſpiel einiger philoſophiſchen Athelſten, und aller E | Wien 8 entgegenfbels a ar
| 4 5 | 1
15 Cie. de nat, Deor. I. 26. 29. 34. 37. 44. * AR 31. 32. Quseſt. Acad. I.
„
Buch III. Capitel g. 277
5 ge Hierauf ſucht er zu zeigen, daß das ganze atomiſtiſche Syſtem Epikurs ſich mit dem Glau⸗ ben an Goͤtter nicht vertrage. Er macht zuerſt
Rauf das Abentheuerliche dieſes Syſtems überhaupt aufmerkſam. Dann zeigt er, daß wenn Goͤtter
aus Atomen beſtuͤnden, ſo muͤßten ſie einmal ent⸗ ſtanden ſeyn, und wären daher auch der Vergaͤng⸗ lichkeit unterworfen. Er tadelt hierauf überhaupt das willkührliche und grundloſe Verfahren Epikurs
in der Philoſophie „da er ſich, wenn eine Hypo⸗ theſe nicht aus reichte immer mit neuen Hppothe⸗ ſen balf, und Begriffe bildete, bey ER er | nicht deutliches dachte“).
Er ſchließt aus dieſem Mangel deutlicher Be⸗ griffe von der Gottheit, daß ſie dem Epikur ein bloßes Ideal ſey, wie die Coiſche Venus dem Kuͤnſtler, und deckt dabey die Schwache von Epi⸗ kurs Beweiſen fuͤr die menſchliche Geſtalt der Soͤtter auf. Zuerſt widerlegt er die Behauptung, daß die Menſchengeſtalt der Goͤtter ein Begriff a priori ſey, damit: daß ſie vielmehr eine Erfin⸗
dung der Politik zu ſeyn ſcheine, welche durch Dich⸗
ter und Kuͤnſtler beguͤnſtigt ward, und welcher die natürliche Neigung jedes Geſchöpfs die Form ſei⸗
ner Gattung fuͤr die ſchoͤnſte zu halten, zum Grunde
Eau RER liegt. A *) Cap. 25. 26. |
Nen
er
278 Buch III. Eapitel 8. . liegt. Darauf bezweifelt er den Grund, daß die menſchliche Geſtalt die ſchoͤnſte ſey, auch deswegen, 1
weil die Menſchen ſelbſt ſehr rſchleden über. 4
menſchliche Schoͤnheit urtheilen. Daß man ſich überhaupt Goͤtter unter einer andern als menſch⸗ lichen Geſtalt denken koͤnne, zeigt er mit dem Bey⸗
ſpiele der Aegppter. Endlich widerlegt er auß den Beweis, daß ſich die Vernunft mit keiner an⸗
dern als der menſchlichen Geſtalt verbunden den⸗ | ken laſſe, indem er zeigt, daß er ſich blos darauf gründe, daß man noch kein andres vernuͤnftiges Weſen geſehen habe, als in Menſchengeſtalt, wor⸗ aus aber nicht folgt, daß kein andres möglich ſey. | Dann fügt er noch hinzu, es laſſe ſich nicht einſe⸗ hen wie die Menſchen zu einer den Göttern aͤhn⸗ lichen Geſtalt gekommen ſeyn ſollten, da alles blos vom Zufall beym Atomenſyſtem abhaͤngt. Er zieht hierauf noch einige abſurde Folgerungen welche
ſich aus der Menſchengeſtalt der Goͤtter ergeben, 6
3. B. daß fie Glieder haben müßten die fie nicht brauchen, daß fie eben die Sorgfalt auf Erhal⸗ tung ihrer Glieder wurden wenden mühen mr die Menſchen u. fe w. ). 4
Dann zeigt er das Unzureichende und e, 1
friedigende in den Meinungen Epikurs von dem
e - ®) Cap. 27- 36.
Rh III. Capitel 3. 279 f Aufenthalt und der Seeligkeit der Goͤtter, und endlich überhaupt das Unrichtige der Schluͤſſe von den Ideen, welche wir uns bilden, auf das wirk⸗ liche Daſeyn ihrer Gegenſtaͤnde, worauf im Grunde die Meinungen Epikurs von den Göttern überhaupt beruhen ). Die von Epikur angenommene Jſonomie, nach welcher er von dem Dafeyn ſterblicher Weſen auf das nothwendige Daſeyn entgegengeſetzter, naͤm⸗ lcch unſterblicher ſchließt, widerlegt er kurz durch einige abſurde Folgerungen, welche zeigen daß durch } ſolche Entgegenſetzungen unendlich mannigfaltige und hoͤchſt widerſprechende Geſchoͤpfe der Einbils RR dungskraft entſtehen. Denn zeigt er noch einmal das Widerſprechende in der thaͤtigkeitsloſen See⸗ ligkeit der Götter ). | Endlich macht er noch auf das Grundloſe in Epikurs Empfehlung der Gottesverehrung nach feinem Syſtem aufmerkſam; indem nach demſelben die Goͤtter den Menſchen nichts Gutes erzeigen können und als unthätige Weſen keine Achtung verdienen. Eben dieſen Grund wendet er gegen Demokrits religioͤſe Phantaſmen an, und aͤuſſert am Ende die Meinung, daß Epikurs ganze Rell: Br Me gious⸗ J Cap. 1 38. 0 ) Cap. 39. 40.
280 Buch III. Capitel 83. gionstheorie wohl nur zum Schein von ihm er⸗ dichtet ſeyn duͤrfte, um ſich nicht der Verfolgung auszuſetzen ). Allein aus dem Unbefriedigenden und Widerſprechenden welches Epikurs Religions⸗ meinungen auſſer ihrem Zuſammenhange haben, duͤrfte fi dieſes wohl nicht ganz zuverlaͤſſig fol⸗ gern laſſen, da ſich, wie wir oben gezeigt haben, gar wohl einſehen laßt, wie er bey feiner Den⸗ kungsart darauf kommen konnte. | Ohngeachtet der Akademiker Cotta Kai Mel, I
nungen der Sioiker vor denen der Epifuräer einen
großen Vorzug gegeben hatte, ſo werden ihm | A doch, nachdem Balbus im zweyten Buche das
ſtoiſche Religionsſyſtem vorgetragen hat, im drit⸗ 4
ten die Einwendungen der Akademiker gegen a ſelbe in den Mund gelegt. ER N
Gagen die von den Stoikern Mean Neth; 5 wendigkeit beym Anblick des Himmels eine Gott⸗ heit als Regentin deſſelben anzunehmen, wendet er ein, daß viele und zwar namentlich die Epikurder, dieſe Nothwendigkeit nicht anerkennen. Gegen den
Grund welchen die Stoiker von dem allgemeinen 4
Voͤlkerglauben herneymen; daß die Meinung vieler Thoren dem Weiſen nichts beweißt. Den Goͤttererſcheinungen ſegt er das Wide | und
*
) Cap. 41-44.
Bruch III. Capitel 8s. 281 | und Unwahrfcheinliche in den Erzählungen von denſelben entgegen. Den Beweiſen aus der Man⸗ tik das Unzweckmaͤßige und Unzuverlaͤſſige dieſen Kunſt; den Sotterverſohnungen daß ſie den Charakter der Goͤtter zu widerſprechen, und bloſe Erfindungen der Politik und Feldherrnkunſt zu ſeyn ſcheinen ). Uleberhaupt wendet er gegen die Beweiſe des Balbus und der Stoiker ein, daß ſie vorausſetzen, was ſie beweiſen ſollen und b daher hoͤchſtens beweiſen, daß Menſchen ſind welche an Götter: glauben, aber nicht daß Goͤtter ſind. Dies bezieht er beſonders auf die Beweiſe, welche von der Vorſorge der Goͤtter für die Menſchen hergeleitet werden, und die allerdings ſchon einen anderweitigen Begriff von den Goͤttern voraus⸗ aun Min e Er geht . . den Begriff uͤber,
ai die Stoiker von der Gottheit hatten, und aus welchen ſie einen Beweis fuͤr das Daſeyn der⸗ ſelben herleiteten. Sie ſuchten nemlich zu zeigen, daß die Welt Gott ſey, und daß alſo ein Gott ſeyr weil eine Welt iſt. Daß die Welt Gott ſey, bewieſen ſie aus dem Begriffe des beſten oder voll⸗ eee Weſens, indem ſie ſchloſſt enz Gott iſt
une 1 S 5 4 das 9 Cie. de nat. Deor, III. 56 a 900 C. 7. 8.
282 Buch III. Capitel 8.
das beſte Weſen, — die Welt iſt aber das beſte Weſen das wir kennen, — alſo iſt die Welt Gott. Statt darauf aufmerkſam zu machen, daß das beſte Weſen, welches wir denken koͤnnen, nicht nothwendig das beſte Weſen ſeyn muͤſſe, das wir durch Erfahrung kennen, ſucht Cotta dieſe Be⸗ hauptung der Stoiker durch Abſurditaͤten zu wi⸗ derlegen, welche er daraus ableitet. Sie ſchloſſen 1 nemlich weiter, daß dem beſten Weſen auch die 5 1 beſten Eigenſchaften und unter dieſem vorzuͤglich Vernunft beygelegt werden muͤſſe. Hieraus fol⸗ gert Cotta, daß die Welt nach dieſen Grundſaͤtzen
auch der beſte Mathematiker, Floͤtenſpieler u. ſ.
w. ſeyn muͤſſe. Auch ſucht er den Satz, daß Vernunft und Empfindung die beſten Eigenſchaf⸗ ten ſind, dadurch zu widerlegen, daß er folgert, wenn ein empfindendes Weſen beſſer iſt als ein empfindungsloſes, fo- müßte eine Ameiſe beſſer ſeyn, als die Stadt Rom, und wenn im Gegen⸗
theil dem beſten Weſen die beſten Eigenſchaften 4
zukommen müffen, fo muß der Stadt Rom Ver⸗ nunft zugeſchrieben werden, weil ſie das Beſte auf
der Erde iſt ). Alle dieſe Verwechslungen und Trugſchluͤſſe gründen ſich darauf, daß der relative un | 1 Be
) Cap. 9.
Buch III. Capitel 8. 283
Begrif des Beſten oder meer . als eln ee Begriff behandelt wird. 25 5
Dann zeigt er weiter, daß wenn die Welt ee iſt, auch die Sterne keine Goͤtter ſind, beſonders da man von der regelmaͤßigen Bewe⸗ gung oder Einrichtung einer Sache auf ihre Ver⸗ nuͤnftigkeit und Goͤttlichkeit nicht ſchließen koͤnne, 2 ſonſt die Meersſtrudel, Ebbe und Fluth, ja Tertian und Quartanfſieber Götter ſeyn 3 + | Be >? Schluß: daß wenn etwas in der Welt ſey, was Menſchen nicht hervorbringen koͤnnen, es von Goͤttern hervorgebracht ſeyn muͤſſe, giebt er nicht zu, indem er einwendet, die Natur koͤnne es hervorgebracht haben. Eben darauf beruft er ſich gegen den Beweis, daß die Welt zu ſchoͤn fey, um bloß zu einem Wohnplaße für Menſchen be⸗ flimmt zu ſeyn. Der Vorwurf, daß es der groͤßte Stolz ſey, wenn ſich der Menſch fuͤr das beſte Weſen halte, entſchuldigt er damit, daß der Menſch kein beſſeres Weſen kenne, und ſich freilich fuͤr beſſer halten muͤſſe als der Orion und den Hunds⸗ ſtern, weil er Vernunft ger die jene vn haben. Auch gegen den Bewels, daß . Weh als ein Produkt der Welt keine Seele haͤtte be⸗ eine UN Tom:
284 Buch i ——
kommen konnen, wenn die Welt keine bälle, be⸗
ruft er ſich auf die Natur. Er billigt die Bes merkung der vernunftmaͤßigen Ordnung in der
Natur, nur will er nicht zugeben, daß ſie nur durch einen Gott konne bewirkt werden, ſondern meynt ſie koͤnne auch durch einen natuͤrlichen Zu⸗
ſammenhang in der Natur, durch eine gewiſſe Sympathie ihrer Theile fortdauern 9. Hierauf bedient ſich Cotta der Gründe, mit welchen ſchon Carneades, der beruͤhmteſte Lehrer der mittlern Akademie und Schuͤler des Arceſi⸗ laus, den man gewoͤhnlich fuͤr den Stifter dieſer Schule und den Urheber ihres Skepticismus an⸗ nimmt, gegen die Religionsmeinungen der Stoiker
ſtritt, und die auch Sextus Empirikus aus fuͤhr⸗
lich mittheilt “). Sie waren vorzuͤglich gegen
die materiellen Begriffe gerichtet, welche die 4
Stoiker mit der Gottheit verbanden, ſie mochten 5
ſie nun mit der Welt uͤberhaupt oder mit einem
aͤtheriſchen Princip, welches den Urſtoff und den erſten Grund des Lebens und der Bewegung in
der Welt ausmacht, verwechſeln. Denn immer 1
blieb die ſtoiſche Gottheit materiell, fie mochte nin '
im BER | Fu der Welt überhaupt oder
N dig 15 5 ) Cap. 11. | Ss u | ) Sext, Em. adv, Math. IN, 140. 189.
ER III. Gavite: 8. döſtrakbeſen der einfachſten und feinſten materiellen
Urſache ihrer Form und aer ede b werden. e, te 1 at N
Carneades wendet dagegen ein, daß kein 0 80 per unvergaͤnglich iſt, weil ein jeder in Theile aufs gelößt werden kann, und der Einwirkung einer äuffern Gewalt ausgeſetzt iſt. Alle Körper find ferner veränderlich, denn Feuer, Waſſer, Luft und Erde, woraus alle Körper beſtehen, find vers änderlich, und daher auch vergaͤnglich. Alle be⸗ lebte thieriſche Körper haben Empfindung, ſind des Vergnuͤgens und Schmerzens empfaͤnglich. Was aber fuͤr Schmerz empfaͤnglich iſt, das iſt auch des Unterganges fähig. Eben dieſer Schluß ; auf Vergaͤnglichkeit wird aus der Neigung und Abneigung welche der thieriſchen Natur eigen iſt gezogen. Ein koͤrperliches belebtes Weſen, wie die Gottheit der Stoiker, kann alſo nicht unver⸗ j gänglich ſeyn. Was aber 85005 unſterblich itt, das iſt nicht Gott ).
Ari Cotta bricht dleſe Beweisart ab, indem er bemerkt, daß auf unzählige Arten bewiefen wer⸗ den koͤnne, daß alles was Empfindung hat, dem | Untergang ausgeſetzt iſt. im Sextus Empi⸗
| ß rikus 0 0 Cap. 12, 13. |
286 Pe Il. cane. 3
rikus finden ſi & auch noch ih andre Sof N mit welchen Carneades dieſes bewies. Br
Er geht aber weiter auf die Beflanbtheile eis nes thierifhen Weſens über, Es muß entweder zuſammengeſetzt oder einfach ſeyn. Iſt es zuſam⸗ mengeſeßt, ſo laſſen ſi ch die Theile deſſelben auch ö auflöfen, Doch nach den Stoikern ſoll alles aus Feuer beſtehen, alſo einfach ſeyn. Sie bewieſen dies zum Theil damit, daß alle belebte Weſen umkommen, ſobald ihnen die Waͤrme abgeht.
Cotta ſetzt dieſem entgegen, daß dies auch der Fall
iſt, wenn ihnen Luft und Feuchtigkeit mangelt,
und daß das Feuer, wenn es zu groß wird, ſelbſt
den Untergang befördert, Wenn aber das Feuer ein belebtes Weſen iſt, ſo kommt ihm Empfin⸗ dung, alſo auch Schmerz, alſo auch Vergänglich⸗ keit zu, wie vorhin gezeigt ward. Auch lehrt die Erfahrung, daß jedes Feuer der Nahrung bedarf. Sobald ihm dieſe abgeht, muß es derlöſchen un ift mithin vergaͤnglich »). Br Sextus Empirikus fuͤhrt noch elnige beam 1
hierher gehörige Beweiſe des Carneades an; Gott
iſt, ſagt er, entweder endlich oder unendlich. Un, endlich kann er nicht ſeyn, ſonſt waͤre er unbeweg⸗ lich und unbelebt (als materielles Weſen namlich | 9 *) Cap. 14. 9
—
Buch l III. Saite: 8. 287
bedacht) / da er alſo beweglich vorgeſtellt wird, ſo muß er auch endlich ſeyn. Er iſt aber auch nicht
endlich. Denn das Endliche iſt ein Theil des Un⸗ endlichen. Das Ganze aber iſt beſſer als ſeine
Theile, mithin waͤre das Unendliche beſſer als
Gott. Es iſt aber nichts beſſer als Gott. Alſo
kann Gott auch nicht endlich ſeyn. Wenn aber Gott weder endlich noch unendlich ſeyn ſoll, ſo giebt es kein drittes was er ſeyn kann. Es iſt alſo
kein (materieller) Gott. Aber fährt er weiter
fort, auch kein immaterielles Weſen iſt ohne Em⸗ pfindung, Leben und Thaͤtigkeit ). (Nach ſtoi⸗ ſchen Grundſaͤtzen iſt das allerdings richtig).
Die weitern Einwendungen des Carneades ges gen ben ſtoiſchen Begriff von Gott, welche Cotta
hier kurz, Sextus Empirikus aber weitläuftiger
anführt, find gegen die moraliſchen Eigenſchaf⸗
ten deſſelben gerichtet, und im Grunde dieſelben,
um welcher willen Ariſtoteles behauptete, daß Gott
nicht tugendhaft genannt werden dürfe *). Dies
wird aus den Begriffen einzelner Tugenden ge⸗ zeigt. Gott kann nicht klug genannt werden.
Denn Klugheit beſteht in der Erkenntniß des Gu⸗
ten, des Uebels und des Gleichguͤltigen und in der
Wahl
) Sext. Emp. adv. Math IX. 148- 151.
0 Ariſt. Eth, Nicom. X. g. fr oben.
288 Buch III. Capitel 8. Wahl zwiſchen denſelben. Fuͤr Gott aber giebt es kein Uebel, alſo bedarf er auch keiner Klug⸗ heit. Verſtand brauchen wir, um von dem Be⸗ kannten auf das Unbekannte zu ſchließen. Gott iſt aber nichts unbekannt. Alſo braucht Gott keinen Verſtand, Gerechtigkeit iſt ein Reſultat des gefells ſchaftlichen Zuſtandes unter den Menſchen. a Dieſer | findet bey Gott nicht ſtatt, alſo auch keine Ges rechtigkeit. Maͤßigkeit iſt Enthaltſamkeit von Wol⸗ luͤſten. | Tapferkeit bezieht ſich auf Schmerz und Gefahren. Aber Wolluͤſte, Schmerz und Gefah⸗ ren ſind fuͤr Gott nicht da, alſo auch keine Maͤßig⸗ keit und Tapferkeit ). e Carneades brauchte, wie Sertus Empirikus
uns nach den Nachrichten eines ſeiner Freunde des
Clitomachus meldet, noch insbeſondre zur Wider⸗ legung des Polytheismus den die Stoiker be⸗ guͤnſtigten, einen Sorites, der zwar wenig philo⸗ ſophiſchen Werth hatte aber recht ver ang gemacht, und daher in feinem Zeitalter ſehr wirk⸗ ſam war. Er gruͤndete ſich im Ganzen genommen auf den Saß: wem ein Ding einer Art für Gott gehalten wird, fo muͤſſen alle übrige von gleicher Art ebenfalls dafur gehalten werden. Dem zu Folge ſchloß er z. B. wenn Neptun ein en iſt, a ſo
) Cie, de N. D. III. 15. Sext. Emp, I. e, 153-176.
Wu Capiter. 289
| fo iſt es auch der Nil; ift es aber der Nil ; fo 0 iſt es jeder Fluß; iſt es jeder Fluß, ſo iſt es
auch jeder Bach; iſt es jeder Bach, fo iſt es auch
jeder Graben. — Wenn Venus eine Göttin iſt,
ſo iſt es auch Amor, iſt es Amor, ſo iſt es auch | das Mitleid, denn beyde ſind Affekten, iſt es
aber das Mitleid, ſo iſt es auch die Furcht und überhaupt alle Gemuͤthsbewegungen. Da aber die Furcht keine Gottheit ift, fo iſt es auch nicht die Venus ). Dieſer Art zu ſchließen bedient ſich auch Cotta beym Cicero auf ſeine Weiſe, und
| bringt dabey viel Gelehrſamkeit an **). Zugleich
zeigt er das Widerſprechende, was in den Fabeln
| von den Goͤttern ſelbſt liegt, da die meiften Goͤt⸗
ter ſo viele Namens verwandten haben , daß man
= nicht weiß, welcher der Rechte iſt. So giebt es | = B. dreh Jupiter, ſechs Herkules, drey paar 1 Dioſ kuren, drey Choͤre der Mufen, ö vier Sonnen⸗
goͤtter u. ſ. w. deren Geſchichte und Abſtammun⸗
gen ſich faͤmmtlich untereinander widerſprechen.
Dabey zeigt er, daß die allegoriſchen Deutungen der
b Stoiker dieſe MWiderfprüche nicht aufheben, daß z.
Pr Ben ine Hoffung Tugend, Ehre,
E . =
| na. 9 Sixt; wa. adv. M. IX. 182190. 189 Cic. de N. D. III. 16. 25.
T
290 Buch Ul. Capitel 8.
Sieg, Wohlfarth, Einigkeit u. ſ. w. Sachen, ober keine Götter find. Eben fo, wenig kommt, wie
er weiter zeigt, bey der ſinnreichen, aber oft ſpiß⸗ fuͤndigen und willkuͤhrlichen Deutung heraus, welche die Stoiker von den Namen der Wali machten. En Cotta wendet ſich hierauf u den Cuwerbun,
gen gegen den dritten Hauptgegenſtand der
Religionsphiloſophie der Stoiker, nemlich gegen die
Lehre von der Vorſehung. Allein alles dieſes
und ein betraͤchtlicher Theil deſſen, was er gegen
den vierten Abſchnitt der ſtoiſchen Religions phi⸗ 4
loſophie, gegen die Lehre von der göttlichen
Vorſorge für das Menſchengeſchlecht 1 ſogt, 4
iſt für uns, vielleicht nicht ohne Schuld eines
frommen Eifers, verlohren gegangen. Nur den
Gedanken hat uns Laktanz *) aufbewahrt. Man koͤnne auch annehmen, daß die Materie eine eigen⸗ thümliche Kraft befige und behalte, und bedürfe dann weder eines Weltſchoͤpfers, noch ee baumeiſters. D e e mg „ Cotta befindet ſich et eg. ae — Fri treffen, ſchon bey den Beweiſen, welche von den menſchlichen Seclenkräften , und beſonders von der
e 3 3
Vernunft hergenommen nde Er ſucht aus den
) Lactant. divin. inſtit, II, 3, 8.
Tra⸗ 4
Buch Ul. Capitel 8. 291
id gen, daß die Vernunft von den Menſchen eben ſo
e
667 p c ⁊ͤ , re ae SEE 2 LAS and R 2 n r en 5 > f | AHA * ;
N ſehr gemißbraucht, als weiſe und gut angewendet werden konne, und mithin ein ſehr zweydeutiges Geſchenk der Götter ſey, wenn ſie eins iſt. Die gute Abſicht, welche die Goͤtter dabey gehabt haben
ſollen, laßt er nicht als Entſchuldigung gelten,
ſondern behauptet, ſie haͤtten den Menſchen uͤber⸗ haupt keine Vernunft, oder wenigſtens keine des
Mißbrauchs fähige Vernunft geben ſollen, da ſie denſelben doch haͤtten vorausſehen koͤnnen. Am
Ende, meint er, gereiche es den Goͤttern eben ſo
ſehr zum Vorwurf, wenn kein Menſch ſeine Vers nunft weiſe gebrauche, als wenn be keiner er
Kt koͤnne *). | | Aber wenigſtens en die Gbtter öh fährt er fort, die Guten beguͤnſtigen, wenn ſie nicht alle Menſchen gut machen konnten. Daß ſie das Be zuweilen betrafen, iſt keine Entſchuldigung⸗ a
Sie ſollten es verhindern. Oft beſtrafen ſie es nicht einmal. Cotta bemerkt dabey, daß dieſes eine große Empfehlung des Suͤndigens ſeyn wuͤrde,
a wenn nicht das Gewiſſen auch ohne alle religiöfe
Ba cht eine große a e Eben ſo wenig
e wer⸗ 25 Cie, x. D. IH. 26. 37. . 8
Ne j de e * *
J
Traglkern und aus wirklichen Wegebeuhelten zu zei⸗
3
292 Buch III. Capitel 8.
werden die Guten belohnt. Wenn ſie auch man⸗ ches Gute genießen, ſo geſchieht dies auf die ge⸗ woͤhnliche Weiſe ohne Ruͤckſicht auf ihre Tugend. Daher danken auch die Menſchen den Goͤttern fuͤr
alles andre Gute, nur nicht fuͤr ihre Tugend.
Wenn man daher Veyſpiele anfuͤhrt, daß es den Guten wohl geht, ſo ſchreibt man dieſes den Göttern zu. Die entgegengeſetzten Fälle zählt man
nicht. Daß die Goͤtter nicht alles bemerken, iſt
keine Entſchuldigung fuͤr ſie. Noch weniger iſt es
eine Entſchuldigung, daß ſie die Sünde der Bora eltern an den Nachkommen ſtrafen, weil dies die
größte Unbilligkeit iſt. Gleichwohl ſoll die Gott⸗ heit nach ſtoiſchen Grundſaͤtzen alles thun koͤnnen, und zwar ohne Muͤhe. Sie kennt alſo entweder
die menſchlichen Angelegenheiten nicht, oder bekuͤm⸗ mert ſich nicht um fie — Cotta ſchließt mit der Erklaͤrung, daß er dieſes vorgetragen habe, nicht um alle Religionsmeinungen zu ſtuͤrzen, ſondern nur um zu zeigen, wie dunkel und wie ſchwer fie zu erweiſen find. Auch ſolle das, was er geſagt habe, nur fuͤr Meinungen, nicht für Urtheile gelten“).
9 * » * er 9 1
) Cap. 31- 40. Auch vergleiche man überhaupt den Verſuch einen Streit zwiſchen Middleton und
Erneſti uͤber den wee ee Charakter der ; Cice⸗
—
5 ie ra 8
JJ Ga a ]ĩ² ö gran amd But Sri Lew 3
Buch III. Capitel . 293
m d In eben dieſem akademiſchen Gelſte ſind Ci⸗
cero's Buͤcher de divinatione geſchrieben, die un⸗ terhaltendſten der Ciceroniſchen Buͤcher, voll Maͤhr⸗
chen und Anekdoten. Die Mantik ſtand ohnge⸗
faͤhr in eben dem Verhaͤltniſſe zur Religionsphilo⸗ ſophie des Alterthums, in welchem zu der unſrigen die Lehre von der Offenbarung und von Wundern
ſteht. Die größten Philoſophen des Altertums e ſich, wie wir hier und da bemerkt haben,
mit ihr beſchäftigt, und nur wenige ſie gelaͤugnet.
In der Hauptſache ſuchte man ſie durch die Er⸗ fahrung zu beweiſen, und die Fälle, in welchen Vorbe⸗
deutungen nicht eingetroffen waren, mit der menſchlichen
Unwiſſenheit, und mit der Mangelhaftigkeit jeder
Kunſt und Wiſſenſchaft zu entſchuldigen. Die Phi⸗
loſophen und beſonders die Stoiker ſetzten fie mit
der Lehre von der Vorſehung für das Menſchenge⸗
ſchlecht in Verbindung, und behaupteten, die Gott⸗ heit habe die Begebenheiten der Welt in ihrem urſpruͤnglichen Plane fo eingerichtet, daß mit ges
wiſſen Erfolgen jederzeit gewiſſe Anzeigen verbun⸗
A den wären, und es kaͤme nur auf die Menſchen an,
T 3 g auf
u Ciceroniſchen Bücher von der Natur der Goͤt⸗ ter zu entſcheiden. Eine Solge von fünf Abe handlungen 1799.
= ä 1 Be
294 Duc ll. Capitel 8.
auf ſie zu Altea Diefe Lehre erhielt dadurch, daß ſie ein Werkzeug der Politik war, den Feldherrn
ein großes Anſehn gab, und durch oͤffentliche An⸗
ſtalten mancher Art beguͤnſtigt wurde, bey allen al⸗
ten Voͤlkern, beſonders aber bey den Roͤmern,
eine große Autoritaͤt. Cicero laͤßt fie im erſten
Buche von der Divination durch ſeinen Bruder
Quintus vertheidigen, und bestreitet ſie im zwey⸗
ten mit Gruͤnden der Akademie, beſonders des : Carneades, fo daß einem jeden die Freyheit übrig
bleibt, davon zu denken was er will. Dieſe in⸗
tereſſanten Bucher liefern indeſſen mehr Stoff zu
pſychologiſchen als theologiſchen Bemerkungen, und ſind insbeſondre in ſofern lehrreich, als ſie zeigen, wie ſich die aufgeklaͤrteſten Leute von Dingen haben
uͤberreden koͤnnen, an die est nur .. WR Weir
ber glauben.
Das Vuch vom Schickſal haͤngt mit dieſen N Büchern einigermaaßen zuſammen. Es iſt fehr 5 mangelhaft auf uns gekommen. Die Bruchſtücke, 1
welche uns davon uͤbrig ſind, enthalten groͤßten⸗
theils hiſtoriſch die Meinungen andrer Philoſophen, f und die Frage, ob ein nothwendig beſtimmter Zur
ſammenhang unter den Dingen in der Welt ſeys
wird mehr in Ruͤckſicht auf ee Naturwiſ⸗
ſen⸗
alle dieſen verſchiedenen Meinungen für kein
Buch ll, Capitel 8. 298
1 ſenſchaft und moraliſche Yntfeopologie, als auf Wehn | | ct erörtert,
Die Maxime der neuern Akademiker war, bey . ſelben beſtimmt zu entſcheiden *), und alle zu bes
ſtreiten, diejenigen aber am meiſten, welche mit der
entſcheidendſten Mine des Dogmatismus auftraten. Dies thaten aber die Epikuraͤer, daher fie dieſelben am lebhafteſten angriffen. Sie erlaubten ſich in⸗
1 deſſen doch in beſtimmten Faͤllen, eine Meinung wahr⸗ ſcheinlicher zu finden als die andre. Daher glaubte Cotta keineswegs inconſequent zu handeln, wenn er
bey feiner Beſtreitung der Gründe andrer Philoſo⸗
phen fuͤr das Daſeyn, und die Natur der Goͤtter die Wuͤrde eines Pontifex verwaltete. Er gruͤn⸗ dete als ſolcher ſeine Religionsmeinungen auf die Autoritat der Alten, eben ſo wie es Plato in Anſe⸗
hung der griechiſchen Volksreligion gemacht hatte ),
* und unterſchied von dieſem hiſtoriſchen Grunde der Religion die philoſophiſchen, die er eben ſo ſcharf⸗
ſinnig und hartnaͤckig kritiſirte, als er jene glaubig annahm. Von einem Philoſophen, ſagte er, muß ich Gründe für die Religion erhalten; unſern Vor⸗
eltern aber auch ohne Gründe glauben“.
e
10 | ER Dies ) Cie, de nat. Deor. I, 1, 5, ar. 0 ) Cic. de N. D. III. 2. Plato Timaeus,
296 Buch III. Capitel 8.
Dies war im Ganzen genommen auch dle Den⸗
kungsart Cicero's. Die akademiſche Philoſophie,
deren Maxime, ſich alles Entſcheidens zu enthalten,
er von Sokrates ableitete, kam ihm als Staats⸗
mann und Redner trefflich zu Statten. Sie war
der Kaͤlte, welche ein Staatsmann in Ruͤckſicht auf
Meinungen behaupten muß, völlig angemeſſen, und
ſchien ihn nicht in Gefahr zu feßen, Märtyrer fels
nes Syſtems zu werden, ob er es gleich im Grunde
vielleicht ward; ſie ſetzte ihn als Redner in den
Stand, jede Sache von verſchiednen Seiten zu be⸗ trachten, und diejenige, auf welche es ankam, ge⸗ ſchickt zu vertheidigen. Nur ließ er in Sachen der Religion ſein Herz gern mitſprechen, und dann
ſchien er ſich zu Religionsgrundſaͤtzen zu neigen,
welche aus ſokratiſchen und ſtoiſchen zuſammenge⸗ ſetzt, und entweder die ſokratiſchen mit ſtoiſcher
Schaͤrfe und Beſtimmtheit, oder die ſtoiſchen mit
ſokratiſcher Einfachheit und Wuͤrde dargeſtellt, wa⸗
ren. Auch ſcheint er dann gern von einem einzi⸗ gen und hoͤchſten Gott, oder vielmehr von einer Gottheit überhaupt geſprochen zu haben. Dieſe Geſinnung zeigt er vorzuͤglich In feinen ir;
von den Geſetzen.
Dogz
e
. N 75 Buch III. Capitel 8. 20907 Daß er indeſſen auch ſeiner Phantaſie zus weilen einen kuͤhnern Schwung bey religlioͤſen Ideen erlaubte, zeigt ſein Traum des Scipio. Ueberhaupt ſcheinen die aufgeklärteften und geſetzteſten unter den Koͤmern, bey welchen bes kanntlich keine eigenthuͤmliche Philoſophie entſtand,
die aber doch nicht ſaͤmmtlich fremden Syſtemen
anhiengen, eine ahnliche Denkungsart gehabt zu haben, von der wir nur wenige Proben geben koͤnnen, weil ſie nicht eigentlich philoſophiſch war. Der Lehrer des Cicero, O. Mucius Scaͤvola, ein Conſul und Pontifer Maximus von großem Anſehn, nahm dreyerley Arten von Goͤttern an, Goͤtter der Dichter „der Philoſophen und der Ge⸗ feßgeber. Die Götter der Dichter hielt er für ganz abgeſchmackt, die der Philoſophen nicht fuͤr ſchicklich zu einer Volksreligion. Mit ihm behaup⸗ tete Varro *): „daß er, wenn ihm jetzo die neue Einrichtung des roͤmiſchen Staats aufgetragen würde, die Namen und Verehrungsarten der Gott⸗ heit ganz anders beſtimmen wuͤrde, als ſie unter den Roͤmern ſeiner Zeit gebraͤuchlich waren. Da aber von den Roͤmern, als einem alten Volke, ge⸗ ö + 15 wiſſe
2) Auguſtin. de civ. Dei IV, 27. meiners uͤber die
Myſterien der Alten in ſ. verm. phil. Schriften, Th. III. S. 296.
\
8 Buch III. Capitel 8.
wiſſe Götter einmal als Götter des Staats auf
genommen worden; fü halte er es fuͤr ſeine Pflicht, von ihren Benennungen, u. ſ. w. nach der Weiſe der alten frommen Vorfahren ſo zu reden, daß
das Volk mehr dadurch veranlaßt würde, ſeine
Götter zu. verehren, als fie zu verachten. Er ließ ſich's merken, daß er vieles verſchweige, was nicht blos er ſelbſt verachtete, ſondern was ſelbſt das Volk verachten wuͤrde, wenn es bekannt waͤre, und ſetzte ungeſcheut hinzu, daß es ſehr viele Re⸗ ligionswahrheiten gebe, die man dem Volke nicht mittheilen dürfe, und daß auf der andern Seite wieder eben ſo viele Irthuͤmer ſeyn, die man dem Volke laſſen müßte”,
Daß einzelne Roͤmer ſchon ſehr kühe e ans.
fiengen, frey über die Volksreligion zu denken, bes weißt die Ueberſetzung des Ennius vor Fuhr⸗ manns Geſchichte der Goͤtter. Daß aber noch lange
einige Anhaͤnglichkeit an die Volksreligion bey ih⸗ nen uͤberblieb, beweiſen die Spuren derſelben,
welche ſich noch in den Schriften des Tacitus fin⸗ {
den. Nach den Bemerkungen, welche wir bisher
uͤber die religisfe Denkungsart der aufgeklaͤrteſten
Maͤnner des Alterthums gemacht haben, iſt es
ſehr wahrſcheinlich, daß dieſe Anhaͤnglichkeit des
Tacitus an die Volksreligion, die übrigens keinem
pPuhi⸗
1
HL ie n — ar *
Bauch III. Cavitel s. 299 philoſophiſchen Syſteme angehangen, wohl aber fie |
alle gekannt und ihre tiefften und erhabenſten Ge⸗
danken ſich zu eigen gemacht zu haben ſcheint, nicht blos um des großen Haufens willen angenommen
war. Sie gruͤndete ſich vielmehr auf wirkliche
Ueberzeugung vom Daſeyn hoͤherer Weſen, die uͤber den Lauf der Dinge und das Schickſal der Menſchen walteten, die Gerechtigkeit der Voͤlker und Individuen belohnten, und ihre Ungerechtigkeit bez ſtraften, wiewohl ſie zuweilen hierinn nach einer Regel der Weisheit verführen, die ſich nicht von Menſchen einſehen und beurtheilen laſſe. Er ver⸗
raäth auch noch Glauben an Mantik; doch dachte er hierinn nicht fo beſchraͤukt wie Livius, der in
ſeiner roͤmiſchen Geſchichte ſo viele Kuͤhe reden und und noch mehr Steine regnen läßt, um die Ereig⸗ niſſe der Zukunft vorher zu verkuͤndigen. Der
wunderbare Gang der menſchlichen Begebenheiten vor und in ſeinem Zeitalter, beſonders das oft ſehr auffallende Ungluͤck der Rechtſchaffenen und
das glänzende Gluͤck vieler Voͤſewichter ſcheinen ihn zuweilen zu Zweifeln an der Vorſehung veranlaßt
zu haben. Daher er denn zuweilen anf den Glau⸗
E er,
ben an ein blindes Fatum oder einen bloßen Zus
fall, von welchen die Welt und Ihre Angelegenhei⸗ ten abhangen, geratben zuweilen wieder zu einem
NA A 1 22 . beſ⸗
300 Buch III. Capitel 8.
beſſern Princip der Dinge zurückgekehrt zu t ſcheint, wodurch er ſeinen Beurtheilern Veranlaſ⸗ ſung gegeben hat, ihn bald fuͤr einen Stoiker, bald fuͤr einen Epikuraͤer, bald ar einen mug au erklären *). !
Ueberhaupt herrſchte unter den Römern, nach der richtigen Bemerkung eines trefflichen Geſchicht⸗
ſchreibers der Philoſophie *), ein mehr prakti⸗ ſcher Geiſt in der Philoſophie, als bey den Grie⸗
chen. Sie hatten zu viel Gelegenheit zu großen Thaten, um nicht das Handeln fuͤr wichtiger zu
halten, als das Raiſonniren. Sie verwarfen daher zwar die theoretiſche Philoſophie in den Syſtemen nicht, welche ſie von den Griechen annahmen, hiel⸗ ten ſich aber doch mehr an die praktiſche, und ſuchten manche theoretiſche Ideen mehr praktiſch zu machen. Dies hatte auch Einfluß auf die Re ligionslehre, beſonders bey den fpätern Stoikern, welche die Moral genauer mit der Religion ver⸗
banden. Es war dieſes, wie jener philoſophiſche Geſchichtſchreiber ſagt, im geringſten nicht dem Eu,
„) Buhle Lehrbuch der Geſch. der Phil. Thl. W.
S. 54. Staͤudlins Bemerkungen uͤber die Philo⸗ ſophie des Geſchichtſchreibers Tatitus, Jals Anhang zu der Geſchichte des Skepticismus. Bd. II. S. 299.
8) Buhle Lehrbuch IV. §. 499.
A
Buch III. Capitel 3. 30
| Einfluſſe des Chriſtenthums zuzuſchreiben, das da⸗
mals ſich im roͤmiſchen Reiche zu verbreiten an⸗ fieng, wie einige neuere Gelehrte geglaubt haben. Vielmehr erhellt aus den Werken des Seneca, Epiktet und Antonin offenbar, daß Epiktet die ſo⸗ genannten Chriſtianer nicht einmal als eine beſon⸗
dre Religionspartey kannte, ſondern ſie mit den
Juden derwechſelte, und die beyden andern Schrift⸗ ſteller ſie als Schwaͤrmer verachten. Aber bie Bearbeitung der Moral ſelbſt, und die Betrach⸗
tung des menſchlichen Lebens in feinem Verhaͤlt⸗
niſſe zur Pflicht, konnte an ſich ſelbſt Urſache wer⸗ den, daß auch der Begriff von Gott mehr gelaͤu⸗
tert und naͤher mit der Moral verknuͤpft wurde.
Es iſt dies nicht ſo zu verſtehen, als ob die ſpaͤ⸗
tern Stoiker die Pflichten für. göttliche Gebote ans F gefehen hätten. Im Gegentheile wieſen fie ihnen die Vernunft zur einzigen Quelle an. Aber ſiee 5
f benußten die Idee von Gott mehr als Triebfeder zur Vefolgung der ſittlichen Geſetze, wie vor ihnen
f
geſchehen war. Sie hatten ſich bereits von den
Feſſeln der Volksreligion losgewunden, und konn⸗ ten auch bey der zu ihrer Zeit freyern religioͤſen Denkart des groͤßern Publikums ohne Ruͤckhalt
ihren religioͤſen Glauben darlegen. Daher ſtellten |
. ſie ein hoͤchſt vollkommnes und moraliſches Weſen a | als
203 SEE . als den Vater der Götter und Menſchen, als den Urheber und Regierer der Welt auf. Die Be liche Vernunft war ihnen die Quelle und dern Grund der menſchlichen, und die Ausübung des 9 Pflichtgeſetzes der menſchlichen Vernunft bekam bey dieſer ihrer Vorſtellungsart ein neues miächtl⸗ | ges Motis durch die Idee des Verhaͤltniſſes, wor⸗ iun der Menſch zur Gottheit ſtehe, der Würde, bis ihm daſſelbe ertheile, und die er um ihrer ſelbſtwillen zu bewahren habe. Auch die eſoteri⸗ ſche Phlloſophie der altern Stoker hatte zwar viel ſubtiliſirt uͤber die letzte Urſache der Welt, und die Beziehung in welcher jene zu dieſer ſtehe. Sie hatte ebenfalls die Reſultate der Spekulation zur Kritik der Volksreligion angewandt. Aber da ſie den Begriff von Gott abgeſondert von der Moral unterſuchte, ſo hinderten die dialektiſchen Schwierig, keiten, die hierbey der theoretiſchen Vernunft un⸗ vermeidlich aufſtoßen, daß fie damit auf das Reine kam, und der Begriff von Gott blieb auch für die 4 Moral gaͤnzlich unfruchtbar. Es iſt erſt ein Ver⸗ 5 dienſt der fpätern Stoiker, Moral und Religion 9 näher verbunden zu haben. Dieſe Vereinigung Id | ihnen auch Gründe der Beruhigung an die wenn ſie ſich bey den Lehren, einerſeits von ib Vorſehung, und andrerſeits von der Freyheit des Men⸗
* r — 4
Sog III. Capite 8. 3
Benfäen;. in Zweifel verwickelt fühlten, die a 0
nicht zu loͤſen wußten“. 1 | Hohe 1659 So weit dieſe Wa eng die borthellhaſteſte vielleicht, die fi überhaupt“ über die Religtons⸗
philoſophie der Boͤmer machen laͤßt. Sonſt lehrt die Geſchichte, daß es unter ihnen, beſonders in
den hoͤchſt verderbten Zeiten der Kaiſer, ſehr viele ir⸗ religibſe Menſchen und praktiſche Atheiſten gab.
Theoretiſche philoſophiſche Gegengruͤnde gegen das
Daſeyn Gottes, finden wir auſſer den angezeigten ſkeptiſchen der Akademiker nicht. Der Epikuroͤis⸗ mus, ob er gleich im Ganzen nichts weniger als atheiſtiſch war, mußte auch viele Atheiſten unter den
Roͤmern, bey denen er ſehr beliebt war, machen. Denn es war ungleich leichter, ſich von den Gegen⸗
gruͤnden Epikurs gegen die religtöſen Ideen andrer
Philoſophen, als von eee a” ee die er an ihre Stelle feßen wollte.
Der letzte Skeptiker von Bedeutung war ls der bedeutendſte unter allen, welche wir aus dem Alterthum kennen, Sextus Empirikus, den wir
ſchon oft genannt haben. Er ſuchte in ſeinen Pyr⸗ rhoniſchen Skizzen und in feinen Buͤchern gegen die
Gelehrten die Gewißheit aller menſchlichen Erkennt⸗
5 niſſe nach einem feſten ſyſtematiſchen Plane wankend
zu machen. In dem erſten ſeiner Vuͤcher gegen
1 5 die
/
34 Buch III. Capitel s.
die Phyſiker ») that er dieſes in Rückſicht auf die Religions wiſſenſchaft. Schon vieles haben wir hier⸗ aus fuͤr die aͤltere Geſchichte der Religionsphiloſo⸗ phie geſchoͤpft, und werden daher nur e was noch. übrig. iſt, hier anfuͤhren. |
Sextus geht bey feiner Beurtheilung der Ge; wißheit in der Religionswiſſenſchaft kritiſch zu Werke, indem er zuerſt von der Entſtehung der religioͤſen Begriffe unter den Menſchen ſpricht. Er führt die Meinungen verſchiedner Philoſophen darüber an, nach welchen fie entweder eine Erfin⸗ dung der Geſetzgeber oder herrſchſuͤchtiger Mens ſchen, ein Reſultat der Dankbarkeit gegen die Nas tur und ihrer Bewunderung, oder der Eindrücke von Traͤumen und Viſionen auf die Menſchen, oder endlich eine Erfindung des groͤßern Scharfe ſinnes der Urmenſchen ſeyn ſollen. Schon aus der Verſchiedenheit dieſer Meinungen ſchließt er auf ihre Ungewißheit. Er widerlegt ſie aber auch alle nach der Reihe. Die, welche die Goͤtter fuͤr eine
Erfindung der Geſetzgeber ausgeben, ſetzen vor⸗
aus, was erklart werden ſoll, denn wie kamen die Geſetzgeber ſelbſt zu Begriffen von den Göttern? Auch haben alle Voͤlker en und zwar ahnliche | Yo Be⸗ *) Sent. Emp. adv. Math. IX. g. 13. 194. und taͤudlins Geſch. d. Skepticismus Th. I. S. 428 f.
5 Buch III. Capitel 8. 308 | Begriffe von den Göttern. Es iſt aber nicht . wahrſcheinlich, daß alle ſich ſollten haben von Ge⸗
5 ſeßgebern belehren laſſen, und daß alle Geſeßzgeber auf aͤhnliche Begriffe gekommen ſeyn ſollten. | Auch
diejenigen, welche Menſchen vergoͤttert haben ſollen,
wovon andre die Begriffe von den Goͤttern her⸗
leiten, muͤſſen ſchon zuvor dergleichen Begriffe gehabt
haben. Auch ift eine ſolche Menſchenvergötterung nicht wahrſcheinlich. Wenn auch manche ‚Könige
f ſich bey ihrem Leben vergoͤtterten oder vergoͤttern
ließen, fo wurden fie nach ihrem Tode verachtet. — -
Ri Daß. die Alten fo einfältig ſollten geweſen ſeyn, je⸗
des nuͤzliche Ding zu vergoͤttern, findet er nicht wahrſcheinlich, weil ſie täglich. dergleichen Dinge por 8 ihren Augen zu Grunde gehen ſahen, und ſie ſelbſt zerſtoͤren konnten. Demokrits vergoͤtterte Phantas⸗ men, findet er eben ſo unwahrſcheinlich, als Epikurs Ableitung der Goͤtter aus Traumbildern. Wenig⸗ ſtens konnte man dadurch eben ſo wenig, als durch die ſchoͤne Ordnung der Geſtirne auf den Gedanken an unſterbliche und ſeelige Weſen kommen. Ueber⸗ haupt beſchuldigt er alle dieſe Ableitungen des Be⸗ griffs von den Goͤttern eines Cirkels, indem der
| Begriff der Seeligkeit der Goͤtter, von einer in ihrer | . hoͤchſten Vollkommenheit gedachten Gluͤckſeeligkeit 8 der Menſchen, der Begriff der menſchlichen Glücks * 1 ſeelig⸗
+ - = 4 A WAT.
306 Buch III. Capitel 8. ſeeligkeit aber, wieder Begriffe von Göttern voraus⸗ feßt. Dies paßt am beſten im griechiſchen, wo gluͤckſeelig, vdH, derjenige heißt, e Daͤmon hat. |
Weil aber nicht alles was man ſich vorſtell, exiſtirt, ſo ſah Sextus ſehr richtig ein, daß nach der Unterſuchung über die menſchlichen Vorſtellun gen von den Göttern, die Exiſtenz der Goͤtter ſelbſt unterſucht werden muß. Er fuͤhrt hierauf 55 an, daß einige von denen, welche die Exiſtenz Gottes unterſucht haben, ſie laͤugneten z. B. Diagoras, Critias, Theodor vielleicht auch Epikur; Andre be⸗ zweifelten fie Dann ſetzt er die Gruͤnde der Thel⸗ ſten für die Exiſtenz Gottes auseinander. Seine Darſtellung dieſer ſchon bekannten Gründe, hat | viel intereſſantes; fie betrifft: 15
1) den Beweis des Daſeyns Gottes aus der > anden der Voͤlker. Der Glaube f an die Gottheit, iſt nicht blos allgemein un⸗ ter den Menſchen, ſondern auch dauerhaft. Falſche Meinungen dauern nicht lange. Diefer Glaube exiſtirte von jeher, und dauert noch immer fort. Nicht blos der große Haufe, ſondern auch die vernünftigften und edelſten Menſchen haben ihn. Die Dichtkunſt hat nichts Großes und Glaͤnzendes hervorgebracht, a £ mo⸗
Er 5
* 4 A; 4 *
Buch III. Capitel gs. 307
wobeß nicht ein Gott im Spiele iſt. Die meiſten Phyſiker und Philofophen ſtimmen
damit uͤberein. Sie aber verdienen den mei⸗
ſten Glauben als die ſcharfſinnigſten Maͤnner.
Manche Fabeln werden zwar auch mit großer
Allgemeinheit geglaubt; allein dieſe haben in
ſich ſelbſt Widerſpruͤche, welche der Glaube an Götter nicht hat. — Auch die Allgemein⸗ ag des Glaubens an die Fortdauer der
ene beguͤnſtigt den Glauben an e weil er ihn vorausſetzt.
2) Der Beweis aus der regelmaͤßigen Ein⸗
richtung der Welt, wird fo geführtz die
5 Materie an ſich iſt unbeweglich, und bedarf einer aͤuſſern ſie bewegenden Urſache. Dieſe
| muß die Kraft der Bewegung in ſich ſelbſt,
und ſie zu keiner Zeit von einer andern em⸗
N pfangen haben, mithin goͤitlich und ewig
ſeyn. Sie hat vernuͤnftige Menſchen hervor⸗
RR gebracht, und muß daher er e R m 105
Die Welt iſt ein eee munigſt mit
einander verbundenes, nicht blos zuſammengeſetztes Ganze, wie eine Kette oder eine Heerde. Ihre Theile ſind nicht ſo getrennt, daß der Zuſtand des 508 N: auf die andern keinen Einfluß hätte, wie
u 2 3. B.
38 Buch III. Capto nn. z. B. bey einer geſchlagenen Armee ſich die Eins zelnen Entkommenen recht wohl befinden koͤnnen, ohngeachtet ihre Mitſtreiter verwundet oder gets ? tet ſind, ſondern es herrſcht eine allgemeine Sym⸗ pathie unter allen Theilen der Welt. Sie wer⸗ den alſo durch eine allgemeine Natur vereinigt. Da manche Theile der Welt vernuͤnftig find, fo muß auch die ſie vereinigende Natur hoͤchſt vers 4 nuͤuftig und goͤttlich ſeyn. Hierauf folgen die ſchen angefuͤhrten ſtoiſchen Beweiſe, welche von dem Be⸗ ; griffe des vollkommenſten Weſens hergenommen 4 ſind, der auf die Welt uͤbergetragen wird; dann folgt der Sokratiſche Beweis aus dem Kenophon, welcher von der Vortrefflichkeit der menſchlichen Ei⸗ genſchaften, auf die hoͤhern Vollkommenheiten ſei⸗ nes Urhebers ſchließt. Er wird mit demjenigen ſtoiſchen fuͤr gleichbedeutend genommen, bey wel⸗ f chem vorausgeſetzt wird, daß der Menſch alle feine Eigenſchaften von der Welt erhalten habe, daß mithin die Welt eben diejenigen Eigenſchaften be⸗ ſitzen muͤſſe, welche fie dem Menſchen mitgetheilt hat „ beſonders die Vernunft. Dieſe Behauptung konnte leicht laͤcherlich gemacht werden, dadurch, daß man daraus folgerte: alſo muͤſſe die Welt auch Galle und Blut haben. Hiergegen wird gezeigt, daß dieſes nur von einfachen Koͤrpern, als von 3 De Fo
3 N eh > . 2 N
Buch III. Capiel 1
luft, ni; Waſſer und Erde, nicht von zuſam⸗ 1 mengefeßten gelte. Es folgt ferner die Schlußart, vermoͤge der man, weil man bey einem Kunſtwerke auf einen geſchickten Kuͤnſtler ſchließt, bey einem Naturprodukte auf einen noch ungleich trefflichern
Urheber zu ſchließen, berechtigt ſeyn ſoll. Dann
werden noch einige der ſtoiſchen, von dem auf die
Welt uͤbergetragenen Begriffe, des vollkommenſten und beſten Weſens hergenommenen Beweiſe aus⸗
geführt, und dieſer Begriff für gleichbedeutend mit
der Platoniſchen Meinung von der durch die Güte
1 Gottes hervorgebrachten beſten Welt erklaͤrt. Dem
Einwurfe, daß vermoͤge des Begriffs der hoͤchſten Vollkommenheit der Welt allerley unpaſſende Ei⸗ genſchaften beygelegt werden müßten, z. V. daß die Welt der beſte Dichter ſey, wird dadurch be⸗ gegnet, daß von abſoluten Vollkommenheiten, nicht von hypothetiſchen und relativen hierbey die Rede ſey. Vernuͤnftige und lebende Weſen, z. B. find
ſchlechthin fur beſſer zu halten, als unvernuͤnftige und lebloſe. Archilochus iſt aber deswegen, weil er ein Dichter iſt, nicht geradezu fuͤr beſſer zu hal⸗
ten als Sokrates, der kein Dichter iſt. Endlich | macht ein analogiſcher Beweis den Beſchluß. In
| t jedem zufammengefeßten natuͤrlichen Körper, iſt i ein nneheder Theil, alſo muß auch in der Welt
u 3 ein
15
310 Buch III. Capitel 83. ein ſolcher ſeyn. d kann aber kein andrer * als Gott. 3) Beweiſe fuͤr das Dusche der Götter, aus | den ungereimten Folgen des Atheismus. Dieſe find ſehr ſchwach, und ſetzen ſaͤmmtlich voraus, was bewieſen werden ſoll. Wenn keine Götter find, fo giebt es keine Religion, keine Heiligkeit, keine Weisheit, welche die Wiſſenſchaft goͤttlicher und menſchlicher Dinge iſt, keine Gerechtigkeit, welche aus dem Ver⸗ haͤltniſſe der Meuſchen unter ſich und mit den Goͤitern entſpringt, und keine Wahrſager⸗ kunſt. Da nun aber Religion, Heiligkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und Wahrſagerkunſt g ſtatt finden, ſo ſind auch Goͤtter. 8 . Auf dieſe Gruͤnde des Theismus, laßt Sex⸗ Ir tus die Gegengruͤnde der Atheiſten folgen. Es find vorzuͤglich die Zweifelsgruͤnde des Carneades, 1 von welchen wir bereits oben geſprochen haben,
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und die ſich theils darauf gründen, daß, wenn Gott ein lebendes und empfindendes Weſen ſe ſey, wi
er dem Schmerz und dem Untergange unterworfen ſeyn muͤſſe, theils auf Darlegung entgegengefeßter
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Begriffe, von denen Gott nothwendig einer zu:
kommen muß, als endlich oder unendlich, und von denen er zu zeigen ſucht, daß ihm keiner von bey ⸗ 4 | 4 1 den
Buch III. Capitel 8. ! 311 den zukömmt, theils auf moraliſche Elgenſchaften,
welche Gott beygelegt werden, und von denen er zeigt, daß ſie in Widerſpruͤche verwickeln. Den
Beſchluß macht der oben angefuͤhrte Sorites ge⸗
gen die mythiſche Religion.
Um dieſer einander gegenuͤbergeſtellten Be⸗ weiſe, fuͤr und wider des Daſeyn Gottes willen, von denen die Gegenbeweiſe doch noch betraͤchtlich ſchwaͤcher find, als die Beweiſe fuͤr daſſelbe, fo unvollkommen dieſe auch im Ganzen genommen find, glaubt Sextus, daß der Skeptiker vollkom⸗ men berechtigt ſey, feinen Beyfall uͤber e Gegenſtand zuruͤck zu halten.
Sextus haͤlt uͤbrigens dieſe zweifelnde Den⸗
kungsart keinesweges für irreligiöbs. Er ſagt viel⸗
mehr: pielleicht wird der Skeptiker in dieſem Punkt noch feſter befunden werden, als andre Philoſophen; er giebt den Geſetzen und Sitten
N feines Vaterlandes gemaͤß zu, daß Goͤtter ſind,
er unterläßt nichts, was zur Gottesverehrung und Frömmigkeit gehört; aber in philoſophiſchen Un⸗ terſuchungen hieruͤber, uͤbereilt er ſich nicht“.
Es iſt überhaupt merkwuͤrdig, daß die a
philofophifchen Skeptiker, und zwar namentlich
9
Sertus, ſehr wenig Zweifler über hiſtoriſche Ge⸗
genſtaͤnde waren, als ob die menſchliche Natur ein
u 4 naoth⸗
—
372 Buch III. Capitel 9.
nothwendiges Beduͤrfniß hätte, von dieſer oder je
ner Seite feſte Ueberzeugungen zu haben. Dar⸗ aus laßt ſich auch erklären, wie Skepticismus und Supernaturalismus beyſammen beſtehen koͤnnen.
Neuntes Capitel. N
Die Bluͤthe der griechiſchen Philoſophle war mit der griechiſchen Freyheit dahin gewelkt. In Rom war ſie eine fremde Pflanze, in einem Treibhauſe
erzogen. Mit Rom und der alten roͤmiſchen Kraft,
ſank auch die von Roͤmern in Schutz genommene Philoſophie immer tiefer. An aͤchte Originalität war nicht mehr zu denken, und zwar um ſo we⸗ niger, jemehr ſchon das Feld der Phtiofophie durch die Altern Philofophen verengt worden war, und jemehr Geiſteskraft junge Denker auf die Kennt⸗ niß der Syſteme der altern verwenden mußten.
Neue Erzeugniſſe in der Philoſophie konnten daher nur dadurch hervorgebracht werden, daß man die
Meinungen zweher oder mehrerer altern Philoſo⸗ phen mit einander verband, da denn durch die
gegenſeitigen Modifikationen manche Begriffe eine
neue
8 8 £ — * u A r r
8
Buch III. Capitel 9g. 313 neue Geſtalt erhielten. Auch fieng die Einbil⸗ | dungskraft, deren willkuͤhrliche Beſtimmungen zu
bekaͤmpfen, ein vorzuͤgliches Gefühl der bisherigen
Philofophle geweſen war, wieder an, ihre Herr⸗ ſchaft auf die Philoſophie ſelbſt auszubreiten. Auch die Religionsphiloſophie erfuhr dieſes. Es zeigt ſich vorzuͤglich in der Theologie des Maximus Ty⸗
Bu rius und Alcinous „ die zwar eigentlich Platoniker ſeyn wollten, aber mit Platoniſchen Saͤtzen auch
Ariſtoteliſche und ſtoiſche vermiſchten, und dabey ihrer Einbildungskraft freyern Spielraum ließen, als es ihre Meiſter erlaubt haben wuͤrden.
Maximus von Tyrus, ein Rhetor und Philoſoph, der unter den Antoninen lebte, hat mehrere von ſeinen Betrachtungen der Theologie gewidmet. Gleich die erſte zeigt: was Gott ſey nach dem Plato, und giebt zu erkennen, wie Plato von ihm in dieſer Ruͤckſicht gefaßt worden ſey. Bey der großen Verſchiedenheit menſchlicher Meinungen, ſagt er, wirft du alle darinn uͤber⸗ einſtimmend finden „daß ein Gott König und Bas ter iſt, und viele andre Götter, Soͤhne des hoͤch⸗
fin Gottes find, die mit ihm herrſchen. — Glaubſt du, daß Plato allein hiermit nicht über
- Ss eein⸗
314 Vuch III. Capitel 9.
gemacht annahm, was andre Philoſophen zu er⸗ weiſen ſuchten, und was Plato mehr angedeutet
als beſtimmt vorgetragen hat. — Seine Me⸗
thode, die Eigenſchaften Gottes zu beſtim⸗
men beſchreibt er fo: „man theilt die bekannteſten
N
Eigenſchaften der Natur in zwey Theile, und den
vorzuͤglichſten von beyden wieder, bis man zu dem geſuchten kommt. Die Dinge ſind theils leblos,
theils belebt, — das belebte iſt beſſer als das
lebloſe. Das Belebte iſt theils vegetirend theils empfindend. Das empfindende iſt beſſer als das vegetirende. Das empfindende iſt theils vernünfs
tig theils unvernuͤnftig. — Das Vernünftige bat 155
einen diskurfieen oder intuitiven Verſtand. — Die Beſte dieſer Eigenſchaften wird jedesmal Gott bey⸗ gelegt, und fo iſt hier das Reſultat: daß Gott Alles, allezeit und zwar zugleich erkennt”, Man
ſieht, daß dieſes die ſtoiſche Methode iſt, di Maximus indeſſen ſcharfſinnig zu brauchen wußte.
Er erklärt hierauf, daß Gott kelnesweges ein Ge⸗ SB
genfanb fe ſinnlicher Erkenntniß ſey . und 8 man
Wr * g 1 *
®) Maximi Tyrii diſfertationes Philofopbicae cum Interpretatione et notis Dan. Heirfii, acceſſit Al- cinoi in Platonem introductio. Lugd. Bat. 1614. 8.
ke.
Buch II. Capitetg. 31785
daher ſich allen ſinnlichen Eindrücken entziehen |
muͤſſe, um jenes reine Licht zu erkennen. Er
zeigt ſehr redneriſch, daß dieſes jetzt nicht moglich
ſey, und fuͤgt hinzu: „wie ſoll man dieſem Meere entſchwimmen, und Gott ſchauen? Dann wirſt du ihn ganz ſehen, wenn du zu ihm gerufen werden wirſt. Er wird aber nicht lange verziehen dich zu rufen, erwarte nur den Ruf! Das Alter kommt, welches dich dahin führt, und der Tod, den der
Elende beweint, und deſſen Ankunft er fürchtet,
den aber, der, welcher Gott liebt, gern erwartet
und muthig entgegengeht“. Dann zeigt er weiter,
daß hier keine vollkommne Erkenntniß Gottes moͤg⸗
ach iſt, und fügt hinzu: „Wenn du aber zu
*
ſchwach bift, den Vater und Schöpfer zu erkennen,
ſo gnöge es dir, feine Werke zu betrachten, und feine vielen und mannigfaltigen Kinder anzubeten. Denn es ſind nicht etwa nur dreyßigtauſend Sohne und Lieblinge Gottes, wie jener Dichter ſagt, fons _ i dern unzählige ſowohl im Himmel, die Geſtirne, un
als in der Luft, die geiftigen Weſen“.
Man erkennt in dieſen Worten des Maxi⸗
0 mus ſchon viel Myſticismus, und eine ſehr aus⸗ gebreitete Daͤmonologie, die er auch ſogleich wei⸗
ter ausführt. Er beſchließt feine Abhandlung mit
den Worten: „Stelle dir die Herrſchaft Gottes
Ar | | | als , i . Hl N
316 Buch lll. Capitel 9.
als ein Reich vor — ihn ſelbſt als den open unerſchüͤtterlichen König, der feinen Unterthanen
heilſame Geſetze giebt. Theilnehmer ſeiner Herr⸗
ſchaft find viele ſichtbare und unſichtbare Götter,
Einige wohnen ihm zunächſt als ſeine erſten Mi⸗
nifter und Verwandten, feine Tiſch- und Hausge⸗ noſſen. Andre dienen ihnen, und dieſen wieder andre. Du ſiehſt eine Stufenfolge und Rang⸗
ordnung, die von Gott bis auf die Erde ae |
ſteigt'.
gion mit der Philoſophie zu vereinigen. Sie hat
indeſſen ſo viel aͤhnliches mit der orientaliſchen Da⸗ | monologie, daß er nicht ganz unbekannt mit der⸗ ſelben geweſen zu ſeyn ſcheint. Sie iſt unſtreitig
ſehr reitzend für die Einbildungskraft, doch ſuchte
Maximus auch den Verſtand davon zu überzeu⸗
gen, indem er einen Beweis fuͤr das Daſeyn von Mittelweſen zwiſchen der Gottheit, und den Men⸗ ſchen aus einer allgemeinen Stufenfolge führte, welche in der Natur ſtatt finden fol, Dieſe Stu⸗ fenfolge bewies er indeſſen nicht aus der Erfah⸗ rung, wie viele ſpaͤtere Philoſophen gethan babet „ ſondern er ſuchte ſie a priori aus den allgem
ſten Eigenſchaften Gottes und der Menſchen 25 5
S
Die Daͤmonologie des Maximus Tyrius, ent⸗ ſtand offenbar aus dem Beſtreben, die Volksreli⸗
ee
1
o an Ser
Boch III. Gapitel 9. 317
ee Gott iſt unſterblich und anderirberlich | der Menſch iſt ſterblich und veränderlich, oder uf ferer Eindruͤcke faͤhig. Zwiſchen beyden fehlt eine Claſſe von Weſen, die von beyden etwas hat, und unſterblich oder veraͤnderlich iſt. Dies ſind die 8 Dämonen *), über deren Natur er denn noch nach dieſen Begriffen mancherley beſtimmt. | Auch verſuchte Maximus eine Theodicee, Bu ſetzt dabey voraus, daß Gott gut iſt, und leitet das Uebel in der Welt theils von der Boͤs⸗ 0 artigkeit der Materie, theils von der Freyheit der RN menſchlichen Seele, und ihrer Verbindung mit dem Koͤrper her, und vertroͤſtet auf die Trennung der Seele von demſelben und ihre Ruͤckkehr *). Er ſpricht in ſeinen Betrachtungen überhaupt fehr her⸗ abwuͤrdigend von der menſchlichen Natur. | Alcinous, der mit dem Maximus gleichzei⸗ tig, und vielleicht noch fruͤher lebte, und von wel⸗ | chem wir eine Einleitung in die Platoniſche Phi⸗ loſophie beſitzen, ſahe ſich gleichfalls durch die Un⸗ beſtimmtheit, mit welcher Plato von dem hoͤchſten Weſen ſpricht, in Verlegenheit geſetzt, und gends ‚thigt, dasjenige, was er darüber vortraͤgt, theils aus andern Quellen, theils aus eignem Nachden⸗ „ Ba a Y Dißfertat: XXVII. ) Diff. XXV.
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1 N 6 15 2 9 , Ki u j 66
318 Buch III. Capitel 9. | ken zu fhöpfen. Die dritte Urſache der Wel (Gott neben der Weltmaterie und dem Ideal)
ſagt er, haͤlt Plato beynahe für unbeſchreiblich N.
Er verſucht daher ebenfalls zur Entwerfung ſeiner
Begriffe von der Gottheit die ſtoiſche Methode,
nach welcher Gott von allem erkennbaren und denk; baren das beſte und vorzuͤglichſte zugeſchrieben wird,
und findet in ihm nach derſelben zuvoͤrderſt den
hoͤchſten Verſtand, oder das reinſte Vorſtellungs⸗ Vermögen. Ein ſolches muß auch die reinſten, blos intelligibeln Vorſtellungen haben. Dies ſind
für Gott die Ideen, dadurch ſchließt ſich feine Lehre
wieder an die Platoniſche an. Auch ſucht er da⸗ durch mit den Platoniſchen Grundſaͤtzen, nach wel⸗ chen die Gottheit unbeſchreiblich iſt, uͤbereinzuſtim⸗
men, daß er viel von dieſer Unbeſchreiblichkeit und
Unbegreiflichkeit ſpricht, und ſelbſt Widerſpruͤche in der Lehre von Gott, welche fuͤr andre Einwuͤrfe
gegen dieſelbe ſeyn wurden, zum Beweis jener Unbegreiflichkeit anfuͤhrt. Doch zeigt er einen si ep
fachen Weg zur Erkenntniß der Eigenſchaften
Gottes, nemlich durch Abſtraktlon, durch Anal- s
gie, und dadurch, daß man ſich die Vollkomme heiten ſinnlicher Gegenſtaͤnde in einem höhe Grade
9 Alcinoi introductio in dogmata Platonis Cap. X. ed. Heinſii 1614. p. 476. ö ö
4 70
Buch Ill. Capitelg. 370
Grade an überſinnlichen denkt, und fie Gott in eis
5 nem hoͤhern Grade beylegt. Dadurch kommt er
—
auf die hoͤchſte Güte, auf die Einfachheit, Unver⸗
aͤnderlichkeit und Immaterialitaͤt Gottes. Uebri⸗
gens iſt ſeine Theologie in der Hauptſache plato⸗
niſch und mit einer ziemlich reichhaltigen. Daͤmono⸗ logie verbunden, wie ſie ſich indeſſen auch ſchon
beym Plato findet.
Dieſe Proben zeigen wie die! Theologie, welche bey den altern griechiſchen Philoſophen im Grunde
immer noch phyſiſch war, und daher noch von Sex⸗ tus Empirikus als ein Capitel der Phyſik behandelt wird, bey den ſpaͤtern immer mehr metaphyſiſch
ward, indem man immer eine phyſiſche Beſtim⸗
mung des Begriffs von der Gottheit nach der an⸗
dern demſelben widerſprechend fand, und. fie daber durch metaphyſiſche zu erſetzen ſuchte. | Es ergoß ſich in den erſten Jahrhunderten
g 955 des Chriſtenthums, mit unaufhaltbarer Gewalt ein Strom von Einbildungskraft, dem die Philoſophie bisher feſte Daͤmme entgegenzufeßen
geſucht hatte, in das Gebiet der menſchlichen Ideen.
Er kam vom Oriente, der Quelle aller Abentheuer⸗
lichkeiten her, und die Philoſophie war zu ſchwach, ihm zu widerſtehen, und mußte, wenn ſie noch ei⸗
nige Herrschaft uͤber die Gemuͤther der Menſchen
be⸗
320 Buch III. Capitel 9. a behaupten wollte, ſich bequemen, der Phantaſie zu } dienen. Es iſt für die Geſchichte der menſchlichen Geiſtesbildung uͤberheupt, und insbeſondre für die Geſchichte der religiöfen Ideen ſehr wichtig, dieſem Ereigniſſe bis auf die erſten Quellen deſſelben, welche die Geſchichte uns entdecken laͤßt, nachzu⸗ ſpuͤren. Ich behalte mir aber dieſes auf eine an⸗ dre Zeit vor, und werde daher hier nur die Re⸗ ſultate deſſelben ſo weit beruͤhren, als es nothwen⸗ f dig iſt, und uͤbrigens den Gang verfolgen, welchen | die Philoſophie bisher genommen hatte, und ihre fernern Wirkungen zeigen.
Ein ſtarker Hang zum Sander aten und Ueberſinnlichen, war die naͤchſte Folge hiervon, wiewohl er auch unſtreitig durch die Ueberſaͤttigung, durch alles Natuͤrliche, welches durch die große Macht, welche einzelne Perſonen im roͤmiſchen Reiche, Kaiſer, Statthalter und Guͤnſtlinge erlangt hatten, auf den hoͤchſten Grad getrieben war, den ſie durch die damals wirkſamen menſchlichen Kraͤfte erreichen i konnte, befoͤrdert wurde. 4
Diefe Umftände hatten Einfluß auf alle Satz tungen von Philofophie, welche damals im Gange | waren. Aus allen ſuchte man vorzüglich dasjenige | heraus zuheben, was uͤberſinnlich und wunderbar
ſchien, oder ſich mit dem Wunderbaren am leichteſten RW
Boch Il. Capittg zar
ö BER ließ. Dadurch ward die Religionsphi
| loſophie zum wichtigſten Theile der Philoſophie a überhaupt, aber ohne daß ſie dadurch gewonnen Hätte, Denn man ſuchte ihre Grunde keinesweges zu verſtaͤrken, ſondern nahm ſie als ausgemacht "a ihre beſondern Lehren ſuchte man nicht durch
ſchärfere Beſtimmung und feſtere Begründung zu
vervollkommnen, ſondern fie mit allen möglichen
5 Farben der Einbildungskraft aus zumahlen, und
mit unerweis lichen Satzen, die man aber fuͤr er⸗ wieſen hielt, weil ſie der Mena uren ve 2 nn zu uͤberladen. 15
Unter allen philoſophiſchen Systemen des ar
tertgums hatte, wie wir geſehen haben, das pla⸗ | toniſche am meiſten eine religioͤſe Tendenz, und
geſtattete zugleich der Einbildungskraft den weite⸗ ſten Spielraum. Dadurch gewann es die Ober⸗ band über alle andre Syſteme, und die neue Phi⸗
5 loſophie, welche aus den mannigfaltigen Einfluͤſſen der alten, aus der Religion, und aus dem Ge⸗ biete der Einbildungskraft hervorgieng, ward neu⸗ platoniſche Philoſophie genannt. =
Dieſe Philofophie, welche von mehrern guten i eee ward, iſt uns am vollſtaͤndigſten ö
5 in der Darſtellung Plotine übrig geblieben, eines m. der ihr nicht ganz en geweſen zu in | * 5 fon
ſeyn fan; der be 40. 1 Celeb: dab, Tiefſinn und Unſinn mit einander zu verwechſeln,
und unter allen Ausſprüchen Plato's ſich die Er⸗ mahnung, den Grazien zu opfern 2 am wenigſten
geſagt ſeyn lieg. Seine ſechs Enneaden ſind aus
Antworten entſtanden, welche er ſeinen Schuͤlern auf Fragen ertheilte, die ſie ihm über philoſophi⸗
ſche Gegenſtaͤnde vorlegten, und ſind daher ohne
allen Plan und Ordnung. Demohngeachtet ſcheint
ſeine Philoſophie mehr als irgend eine andre den x
Zweck beabſichtigt zu haben, das ganze menſchliche Ideenreich in ein Syſtem zu bringen, und durch eben dieſe ſyſtematiſche Tendenz, welche keineswe⸗ | ges einer feſten und kritiſchen Methode folgte, in
a
manche Fehler gefallen zu ſeyn. Es laͤßt ſich auch u
nicht ausmachen, wie viel dem Plotin ſelbſt von
der Erfindung und Ausbildung ſeiner Philoſophie
zuzuſchreiben ſey. Das meiſte hatte er wahr⸗
ſcheinlich ſeinem Lehrer Ammonius Sakkas zu
danken, den er ausſchweifend verehrt, und daher auch gewiß ſklaviſch folgte. Ammonius aber ſcheint uͤber alle damals vorhandene Produkte des * ſtandes und der Einbildungskraft philofophirt, und
ſie ſeinem Syſteme einzupaſſen geſtrebt zu
Plotin, der anfänglich über die Lehren ſeines Mei⸗
ſters ein ſtrenges Stillſchweigen beobachtete, theilte
. b Rh 7 2 f > am 7 7 5 7 uf 5
Buch III. Capitel 9. 323 en en “fo: viel davon mit, als er ſelbſt sefoßt . 5 5 gur vollſtändigen Ewſicht in die Behanprun 15 955 Mlotins „ wird eine Kenntniß der in feinem Zeitalter überhaupt herrſchenden, aus der Einbil⸗ dungskraft ſowohl als aus dem Verſtande, und | beſonders aus dem Glauben an höhere Offenba⸗
rungen entſprungenen religioͤſen Ideen erfordert.
Wir behalten uns dieſes fuͤr eine philoſophiſche Geſchichte der Offenbarungsreligtonen vor, und wollen daher nur auf dasjenige, in Plotins Sy⸗ . Ruͤckſicht nehmen, was eigentlich philoſophiſch
zu ſeyn, und mit den Lehren älterer Philoſophen,
zuſammen zu hängen ſcheint. Viel aͤcht originelles
dürften wir ohnedem nicht darinn finden. | Die Plotiniſche Philoſophie hatte darinn die | meiſte Aehulichkcit mit der Platoniſchen, daß ſie . eine religioͤſe Tendenz hatte. Denn Plotin betrachtet es als die hoch ſte Aufgabe der Pelsſophe, ſich der Gottheit zu nähern. Dies that auch Plato, und er forderte, der Menſch ſolle durch Tugend Gott ähnlich werden. Allein Plotin behauptete, auf dem Wege, den 1 85 Ari⸗ f e gezeigt hatte, man konne Gott das Praͤ⸗ dikat der Tugend nicht zuſchreiben, weil die Be⸗
be 98 menſchlichen 1 nicht auf ihn x 1 | T
34 Buch III. Capitel 9. A paſſen, weil er keine Tugend hat, ſondern die Tu⸗ gend, oder das Gute ſelbſt iſt, und weil nach ſei⸗ nem Begriffe von Gott ihm uͤberhaupt keine Pra⸗
dikate zukommen. Er betrachtete daher die Zu gend nur als eine Vorbereitung zu der Annaͤhe⸗ rung zu Gott ). Dieſe Annaͤhrung ſelbſt ſollte durch eine beſondre Anſtrengung des Denkvermoͤ⸗ gens, durch eine Ekſtaſe geſchehen, worunter Plos
tin nicht, wie man gewoͤhnlich annimmt, eine 2 ſchwaͤrmeriſche Erhoͤhung der Einbildungskraft, |
fondern ein Beſtreben verſtand, vermittelſt einer ſehr weit getriebenen Abſtraktion, den allgemefn⸗ ſten und einfachſten Begriff zu denken, der ſi ich nur erſinnen laßt. Er ſcheint auch hierinn den Ariſtoteles zum Fuͤhrer gehabt zu haben, welcher, wie wir oben gefehen haben, lehrte, daß der Menſch durch Spekulation Gott ahnlich werde. FOR Jener allereinfachſte Begriff ift dem Plotin f der Begriff von Gott, deſſen Daſeyn zu ‚erweifen er überfläffig findet, vermuthlich weil er von ie dem verlangte, er folle ſich durch jene intellektuelle Anſchauung, durch die Ekſtaſe 1.7 vom Di | deſſelben uͤberzeugen. Diaß er nicht viel, l nicht del Fr 3 fländiges zur Erklaͤrung jenes Begriffs ſogen 1 | konn⸗ | f 5 Plotin, Ennead 1, ib. z. 1,2 Fi
| Buch III. ewe 99ů 33 5 Ahle leuchtet von ſelbſt ein. Er beſthrleb ihn nach Art der Pythagoraͤer und Eleatiker als * hoͤchſte und abſolute Einheit, die er auch h das Weſen oder Seyn (ro ) ſchlechthin nennt. „Was iſt das Weſen? (en) ſagt er, die Kraft aller Dinge, ohne welche ſie nicht ſeyn wuͤrden, auch nicht der Verſtand, die erſte und allgemeinſte Lebenskraft. Was uͤber das Leben erhaben ift, iſt die Quelle des Lebens. Denn die Wirkung der
+
! Lebenskraft, das All der Dinge iſt nicht das Erſte,
1 ſondern ſie fließt aus einer Quelle. Denke dir . elne Quelle, die keinen hoͤhern Urſprung hat, ſich aber ganz im Fluſfe ergießt, und doch durch ſie nicht erſchöͤpft wird, ſondern unverändert bleibt; die Fluͤſſe aber, welche aus ihr entſpringen, ge⸗
BR meinſchaftlich flieſſend, ehe ſie ſich trennen, und gleichſam ſchon wiſſend, wohin fie flieſſen werden *)”.
5 Er zeigt hierauf weiter, wie ein einziges und ein⸗ SR faches Weſen, das Princip von vielen ſeyn koͤnne,
i R aber die Vergleichungen } deren er ſich dabey be⸗ dient, machen die Sache nicht deutlicher, als 80 | 3 e in den angefuͤhrten Worten finden wird. | | Er unterſcheidet von dieſem einfachen Wesen, | Ei einen hoͤchſten verſtand dadurch, daß er in die⸗ ſem eine Mannigfaltigkeit findet, well der Ver⸗ a 1 „„ ſtand
*
D bletin. Ennead III, 8. 9.
36 Buhl Eapitel ).. ſtand oder die Denkkraft ein Gedachtes voraus⸗ N feßt, worauf fie ſich bezieht. Die Denkkraft faßt alſo wenigſtens etwas zweyfaches in ſich. Dass Einfache aber iſt hoͤher als das Zweyfache. Er ſucht daher auch zu zeigen, daß das hödfte eine fache Weſen des Denkens nicht bedarf. Er be⸗ trachtet es daher auch als das vollkommenſte und reinſte Gute, welches ſich ſelbſt genug iſt, und auch deswegen des Denkens nicht bedarf, indem das Denken Streben nach dem Guten iſt, und die Denkkraft erſt durch das Denken gut wird? ). Schon dieſe Beſtimmungen laſſen bey Plots 4 hoͤchſtem Weſen nichts anders zu denken ‚übrig, 1 wenn man ſich uͤberhaupt etwas babey denken ſoll, A als ein reines Handeln, wie wir uns auch die 1 Gottheit des Ariſtoteles allein denken konnten „oder 5 einen reinen Willen. So beſchreibt auch Plotin wirklich ſeinen Begriff von der hoͤchſten Gottheit. { “Seine Handlungen, fagt er, find fein Weſen, ſein Weſen und ſein Wille ſind daſſelbe. Wenn 5 dieſes ſo iſt, fo iſt er das, was er ſeyn will. Sein s | Wollen und Handeln iſt alſo nicht ſowohl ſeiner Natur gemäß, ſondern ſeine Natur iſt ſeinem Wol⸗ | len und Handeln gemäß”. Oterdurch will er die vollkommenſte Freyheit des hoͤchſten Weſens ade
drücken, 2
9
5) IV, 6. 4 5.
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Such ln eg 32
nicken und 0 fei daher hinzu Er iſt alſo vollkommen KR
Herr ſeiner ſelbſt, denn abe iin San hängt von 00 ab” 1). 2 00 ai
Wie kam aber Plotin oder ſeine neupfatanifäe fee dazu, ſich von Gott einen ſo ganz abſtrakten Begriff mit vieler Muͤhe zu bilden? Hierzu lag die Veranlaſſung zum Theil ſchon in den Begriffen
andrer Philoſophen, denen fie folgten. Plato ließ,
den Begriff des hoͤchſten Gottes ganz unbeſtimmt,
ee foobente die meiſten conkreten Beſtimmun⸗ 2 1 von ihm ab, und ließ nichts übrig, als einige
von den Beſtimmungen, aus welchen Plotin ſeinen
Begriff bildete. Die Stoiker gaben der Abſtraks . tion in Anſehung der Beſtimmung des eigentlichen |
Begriffs von Gott völlig freyes Spiel. Das Chri⸗ ſtenthum, welches, wenn auch nicht auf Plotin, doch gewiß auf ſeinen Lehrer Ammonius Einfluß hatte, drang auf Einheit und Immaterialität Got⸗ tes. Hierzu kam aber noch vorzuͤglich die Emana⸗
tionslehre, welche eigentlich die Grundlage des
ganzen neuplatoniſchen Syſtems, oder vielmehr das Mittel war, durch welches die Neuplatoniker überhaupt ihre Behauptungen in Zuſammen hang und in ein Syfſtem zu bringen ſuchten. Dieſe Lehre lag ei⸗ s ſchon a der ſtoiſchen Philoſophie, denn ſie N . late. er: Fun. VI. 8: 12, 13. Mi nr
— I * dar
328 Buch ul. Epil h N folgte nothwendig aus der Behauptung, daß dle
Welt Gott ſey auch lehrten die Stoiker, * daß Gott,
als ein ewig lebendes Feuer, den Stoff der Welt
| unaufhörlich verzehre und wieder von Neuem erzeuge. Die Stoiker machten indeſſen keinen weitern Ger brauch von dieſer Lehre. Sie lag aber auch in der phantaſi ereichen Philoſophie der Morgenlaͤnder, | welche ſie unter mancherley Formen darſtellten, und bald aus der Gottheit, als aus einem großen Licht⸗ a meere, das Ganze der Weſen ſich ergießen, bald aus ihr als einem Mittelpunkte ringsherum Strah⸗ len ausgehen und mehrere concentriſche Sphären
ſich erzeugen ließen, bald verſchiedene Zeugungen 5 5
von Göttern oder Daͤmonengeſchlechtern von dem Höhe ſten Weſen ableiteten. Alle dieſe Emanationsbe⸗ ii
griffe waren nichts anders als Hypotheſen, indem
ſich die Art und Weiſe der Emanation durchaus
nicht befriedigend zeigen, 1 8 weniger aber ker ae
fen ig. *
Die Neuplatoniker glaubten eine gründiche
Theorie er Emanation in derſLogik gefunden zu har ben, und lehrten daher eine logiſche Emana- | tion, die fie jedoch fuͤr phyſiſch gehalten wiſſen | wollten. Die Logik lehrt allgemeine Begriffe, von 1
eingeſchraͤnkten und einzelnen unterſchelden „ die a
gemeinen fun Abſtraktion bilden 7 die einzelnen 7 5 5 aus
ug Capie 9% 320
dds ihnen abletten. Die Neuplatoniker glaubten 8 wenn ſie Gott als den allgemeinſten Begriff dachten, welcher in allen einzelnen Begriffen. enthal⸗ ten ift, fo koͤnnten ſie alles aus ihm ableiten, und 5 meinten daher das Geheimniß der Emantlon ge⸗ funden zu haben. Sie bedachten dabey freylich nicht, daß wenn das Einzelne auch unter den All⸗ gemeinen enthalten ift, es darum nicht in ihm ent⸗ halten iſt, und daß alſo vielmehr das Allgemeine aus dem Einzelnen, „als das Einzelne aus dem Allge⸗ meinen fließt. Auch begiengen ſie dabey ben Feh⸗ ler, welcher zu unzähligen Irrthuͤmern in der Phi⸗ | loſophie Veranlaſſung gegeben hat, daß ſie von der Denkbarkeit dier Sache auf ihre Wirklichkeit ſchloſſen. 5 takt Da nun zum Denken eines allgemeinen Be⸗ griffs logiſcher Tiefſinn und Abſtraktion erfordert wird, ſo drangen ſie vor allen Dingen auf Ange⸗ | wohnung an ein reines und abſtraktes Den: ken, indem ſie behaupteten, daß man nur dadurch zum Denken des hoͤchſten und allgemeinſten Bes ez, welches ſie Anſchauung Gottes nannten, ge⸗ langen koͤnnte. Um dieſer Sache und ihrer Philo⸗ ſophie überhaupt nun deſto größere Wichtigkeit zu 775 geben, ſtellten fie dieſe logiſche Ekſtaſe als einen 4 5 Zuſtand vor, zu welchem man nur
j X 5 PN durch
ö .
330 Buch III. Capitel 9. durch Muͤhe und große Vorbereitungen gelangen koͤnne, wie denn auch abſtraktes Denken wirklich 1 nicht Jedermanns Sache ift, ſondern Uebung er⸗ 6 fordert. Eine gute Anwendung dieſer Vorſtellungs⸗ art war, daß ſie ſelbſt der Moral eine Stuͤtze durch dieſelbe verſchaften, indem ſie behaupteten, man müſſe ſich durch Uebung der eee zu jener Ek⸗ ſtaſe vorbereiten. ar hen Bey ihrer Ableitung der emgeſchränktern Be 4 griffe aus dem Allgemeinen, kam den Neuplatonikern | beſonders die Pythagordiſche Zahlenlehre zu Statten, weil ſie ſich auf eben die ſcheinbare analytiſche Me⸗ thode gruͤndet, deren ſich jene bedient. Eine Zahl iſt durch eine gewiſſe Operation ein Produkt der an⸗ dern. Alle Zahlen ſcheinen ein Produkt der Einheit zu ſeyn, weil fie ſich in Einheiten auflöſen laſſen. Daß ſie dieſes nur vermöge der Verbindung ſind, in welche unſer Verſtand die Einheiten ſetzt, überfahen die 5 Neuplatoniker, fo wie man es noch lange nach ih⸗ nen uͤberſehen hat, und betrachteten als Natutgeſeß, was nur Geſetz des Denkens iſt. Da dieſe Philoſo⸗ ; phen logiſche Begriffe für wirkliche Weſen anſahen, 4 1 ſo mußte ihnen nicht ſchwer werden, auch Zahlen da⸗ 99 | mit zu verwechſeln, beſonders da ſie ſelbſt Plato zum 4 Vorgänger hatten, der mit der Zahlenlehre wenig⸗ 94 ſtens ein e Spiel are und vermittelſt | Rene 2
ee De en 8
Such l III. Capit ek 330, f . | ihn verſucht hatte, aus logiſchen und mathe⸗ $ 2 matifchen Saͤtzen er und pe G h |
. an abzuleiten. Dies feßte fie in ben Stand U zu überreben, /
wi fie vollkommen philoſophiſch zu Werke giengen, ö wenn fie aus dem hoͤchſten einfachen Weſen ein zwey
tes, einen hoͤchſten Verſtand ableiteten, weil ſie in
8 demſelben etwas zweyfaches, dem ſie das einfache
voraus ſetzten, zu finden glaubten. Aehnliche Bruͤ⸗
3 cken, die groͤßtentheils aus den Bruchſtücken älter
rer Syſteme zuſammengeſetzt waren, ſchlugen ſie ſich
dann weiter von einem Verſtande zu einer Verſtan⸗
deswelt, von einer Verſtandeswelt zu einer Sinnen⸗ welt, von dem Begriffe der Welt überhaupt zu einer 75 Weltſeele, von der Weltſeele zu Menſchen und Thier⸗
ſeelen u. ſ. w. Da wir ihr Verfahren nicht fo
pʒzh̃hiloſophiſch finden können als fie es ſelbſt fanden, fo
.
1 dürfen wir uns auch von ihnen keinen reellen Gewinn f für die Religionsphiloſophie verſprechen, beſonders ba
ſelbſt ihr Unſinn groͤßtenstheils nicht originell iſt.
Wir begnuͤgen uns daher nur noch, kurz einige e he ihres 9 wee 0%, 0 X | 1 Aus
*) M. 1 505 die ausfühnich Darſtellung des Ploti⸗
niſchen Syſtems in Tiedemanns Geiſt d. ſpek. Phil.
Thl. III. S. 262 = 433. und Buhle Lehrbuch der ER Kl der Phil. Thl. IV. S. 303 „ 434
—
—
pen Buch u. Eapitel 9. |
Aus dem hoͤchſten emfatdien Weſen / bent
reinen Handeln geht der erſte Verſtand hervor, in
welchem ſich die Intelligenz und das Intelligible (das
Ich und Nicht Ich) welche in reinen Handeln eins und daſſelbe ſind, trennen. In ihm liegt alles In⸗
telligible, mithin die ganze Welt, und ſie iſt, inſofern . ſie ⸗darinn liegt, Verſtandeswelt. Aus dem Ver⸗ | ſtande geht eine hoͤhere Weltſeele, aus dieſer
wieder eine niedere, fo wie aus der Verſtandes⸗ welt eine niedere Welt hervor. Dieſe zweyte Welt
erſtreckt ſich bis an die Sphäre des Mondes, und ihr Ausfluß ift endlich unſre grobe ſublunariſche
Sinnenwelt. Bey der Unterſcheidung ſo man⸗
nigfaltiger Welten, richteten ſich die Neuplatoniker '
wahrſcheinlich am meiſten nach der orlentaliſchen und cabbaliſtiſchen Emanationslehre, der ſie jedoh einen pythagoräiſchen Anſtrich zu geben wußten. Auch ſcheint ihre ganze Unterſcheidung verſchiedener Claſſen von Weſen und Welten, ſich nach den Unter ſchieden gerichtet zu haben, welche ſie unter den ver⸗ ſchiedenen Seelenkraͤften fanden. Wille, oder übers
haupt praktiſches Vermoͤgen, Verſtand, Einbil⸗ 1
dungskraft und Sinnlichkeit ſcheinen die Stuffen
der Seelenvermöͤgen geweſen zu ſeyn, nach wel⸗ | 4
chen Mar. die Stuffenfolge der un ire. Da-
Buch Ill. 1 ewe 8. 333
en . die Seele beym Aufſteigen zur Ans
‚Me ſchauung Gottes diefe Stufenfolge durchlaufen muß.
Das Verdienſtliche dieſes Syſtems, wel⸗
De: ches allem ‚gefunden. und deutlichem Denken fofhe entgegen zu ſtehen ſcheint, und daher ſehr oft mit der tiefſten Verachtung behandelt worden iſt, ſetzt
Tiedemann überhaupt in Befoͤrderung des ab⸗
| ſtrakten Denkens, ohne welches freilich keine wahre Philoſophie beſtehen kann, und in das Beſtreben
15 alles auf einfache Begriffe zuruͤckzufuͤhren, und die⸗ 5 ſelben in einen ſyſtematiſchen Zuſammenhang un⸗ ter ein oberſtes Princip zu bringen. In der That
iſt auch in keinem der aͤltern Syſteme das Beſtreben ſo ſichtbar, das menſchliche Wiſſen in einen wahren ſpſtematiſchen Zuſammenhang zu bringen. Nur
verſaͤumten die Neuplatoniker „ganz nach einer ein⸗
fachen feften und kritiſchen Methode dabey zu Werke
1 zu gehen, ohne welche der Hang zur Vildung von
Syſtemen der Philoſophie mehr nachtheilig als
e wird.
Fuͤr die Yeligionapbilofopbie: insbeſondre
| fon es nach eben dieſes Philoſophen Meinung )
vorzuͤglich den Nutzen gehabt haben, daß es die
1 1 philoſophirende Vernunft veranlaßte, von dem Bes
3
5 1 ai ber e alle Angeſcheſpnte Prädikate zu
tren⸗
5 = Tiedemann gest d ſpek. Bil 25. I. ©. 438.
334 Buch Ill. Capiel 99. trennen und ihm hoͤhere und a N TO
mungen beyzulegen. Indem es jedoch Gott in ei⸗
nen bloßen abſtrakten Begriff verwandelte, ſo nahm es ihm von der andern Seite alles, was es ihm von der einen gab, und wuͤrde ſicher das Ende aller Religions philoſophie geworden ſeyn, wenn man es ſtreng und befriedigend hätte beweiſen und hernach uͤber den wahren Gehalt deſſelben 577 nachdenken koͤnnen.
Ein Syſtem wie dieſes, war ſehr „
faltigen Veraͤnderungen fähig, und wuͤrde deren
gewiß ſehr viele erfahren haben, wenn die An⸗
hänger deſſelben weniger ſchwaͤrmeriſche Verehrer ihrer Lehrer geweſen wären, und ihre Ausſprüche nicht als höhere Eingebungen betrachtet ‚hätten.
Plotins beruͤhmteſter Schüler Porphyr, ſuchte in⸗
deſſen doch, ohngeachtet ſeiner aus ſchweifenden Ehr⸗ furcht für feinen Lehrer, etwas in feiner Theolo⸗ gie zu verbeſſern, was in der That einer RR: ferung bedurfte. Plotin hatte gelehrt, daß man 4 dem hoͤchſten Weſen, als der einfachſten e, keine Praͤdikate zuſchreiben dürfe, und ihm gleich⸗ wohl einige beygelegt. Dies erklärte ſein Schüler ſo, daß die Gottheit ihrer Natur nach über alles Denken erhaben, und in ſofern ohne alle Prätis kate ſey, daß ihr aber doch felt me fo bald
1 2 5 — 7 r 3
Buß ll. Cant u 3 335 bald fie als ein Weſen gedacht werde. Dies duͤr⸗
050 nur verneinende Praͤdikate ſeyn. Da⸗ wa
her iſt Gott in keinem Orte, und eben deswegen
uberall in allen Dingen. Auch der hoͤchſte Ver⸗
ſtand und die intellektuelle Weltſeele ſind in kei⸗
nem Orte, aber in Gott und in allen Dingen. Die körperlichen Dinge find in der Seele, im Ver
ſtande und in Gott zugleich. — Noch mehr
wußte Prephyr die Dämonologie ſeines Wees aus⸗
ere e u
Ein etwas ſpaͤterer Neuplatoniker, Bei der zugleich ein guter Mathematiker war, und on überhaupt durch mannigfaltige Gelehrſamkeit
aus zeichnete „unternahm es zuerſt, die Theologie
mathematiſch zu demonſtriren ). Der Ge⸗
*
A
danke war um fo natuͤrlicher, da ſchon ſeine Vor⸗
gaänger durch Anwendung der pythagoräiſchen Zah⸗
lenlehre, Mathematik und Theologie in Verbin⸗ dung geſetzt hatten. Er geht von Sätzen über die Einheit aus. „Jede Vielheit ſetzt eine Ein⸗
—
‚heit voraus“, iſt fein erſter Saß. Dann zeigt er
weiter, daß alles Hervorbringende beſſer iſt als dos d e , daß das e 17 über
ir en en,
75
9 Proch Lyei Diadochi element eee et
*
N phyſica quae Fr. Fatricius de e fecit latina \ Ferrariae 15830 . | .
336 Buch Ill. Cane
alle Weſen erhaben it, well alle Weſen barnach ſtreben, daß alle Weſen von einer erſten Urſache herkommen, daß dieſe erſte Urſache das abſolut Gute iſt, u. ſ. w. Er weicht in einigen Stuͤcken vom Plotin ab, die aber nicht weſentlich ſind, und wodurch wenigſtens die Religions philoſophie nichts gewonnen hat. Seine wichtigſte Abweichung war die Behauptung der Ewigkeit der Welt, die er je doch igroͤßtentheils mit denſelben Gruͤnden unter⸗
ſtuͤtzte, mit welchen fie ane 55 nn ge⸗
ſucht hatte. Mit der meiſten Deutlichkeit, j oßgfeld 8
Originalität, trägt Boethius die Philoſophie fein,
nes Zeitalters, und beſonders die Religionslehren
derſelben in ſeinen Schriften vor. Beſonders ent⸗
wickelt er den Begriff von Gott, als dem voll⸗ kommenſten Weſen ſehr gut. Auch erklärt er ſich
über Vorſehung und Fatum befriedigender, als man es bisher gethan hatte, ſo: Vorſehung iſt die Anordnung, der Plan aller Weltbegebenheiten
im goͤttlichen Verſtande; Fatum die Ausführung ö
deſſelben in Zeit und Raum durch die Subſtanzen in der Welt. In ſeiner philoſophiſchen Troſtſchrift finden ſich beſonders viele lehrreiche, obgleich nicht neue egen 12 die Natur des .
BER
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2 wart:
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m Bu! III. Gapitel9- “ 337 Andes Philoſophen des fuͤnften und ſechs⸗
N ten ee machten ſich blos durch einzelne neue Gedanken oder Gründe , für manche Lehren
um die Religionsphiloſophie verdient. So ver⸗ theidigte z. B. Aeneas von Gaza, die Vorſe⸗
hung wegen des Uebels auch damit, daß Gott den 5
| Menſchen manche kleinere Uebel zuſchicke, um ſie vor groͤßeren zu ſichern. Solche, welche das Neu⸗ platoniſche Syſtem blos in RNuͤckſicht auf das J Chriſtenthum beſtritten, oder annahmen, gehoͤren
nicht hierher, eben ſo wenig, als die Philoſophie
der Kirchenvater, die wir einer Geſchichte der Philoſophie des e überhaupt vorbe,
1 Bu *).
* -
9 M. vergl. uͤbrigens Tiedemanns Geiſt d. ſpek.
Phil. Th. III. S. 519. f. und Suͤlleborns Bey⸗ ‚träge St. 3. auch Meiners Beytraͤge zur Geſch. d. Denkart der erſten Jahrhunderte 10 Chriſti e Be 17823. |
aa fi x Bin Zehntes
338 Buch III. Capitel 10.
Zehntes Capitel. ER |
Al die magiſche ang der . . Philoſophie begann zu verloͤſchen, als das finſtre Jahrtauſend des Mittelalters eintrat, in wel⸗
chem nur noch die Schriften der Kirchenvater gleich N
Lichtmagneten leuchteten, welche einige Stralen der . altern griechiſchen Aufklärung eingefogen hatten,
aber ihre ſchwache Erleuchtung nur ſehr fparfam
mittheilten. Die Unwiſſenheit ſelbſt erzeugte in⸗ deſſen in dieſen Jahrhunderten manche Selbſtden⸗ ker, und wuͤrde derer noch mehr erzeugt haben, wenn nicht die Barbarey der Sprache dem Selbfts denken die größten Hindernuiſſe in den Weg gelegt hätte, und es nicht an allen ofen S dazu gefehlt haͤtte. ' Ohngeachtet Religion in dieſen Jahr busber, 5 ten ein Hauptgegenſtand fuͤr alle diejenigen wax, ä welche von ihren Geiſteskraͤften Gebrauch machten, g ſo war doch durch die poſitive Religion, welche in 4 dieſem Zeitalter ganz hiſtoriſch und auf Autorität gegründet war, dem religioͤſen Nachdenken ein zu 4 fees 2 Yang als daß wahre Originalität, 4 welche a
ig nl. eme e. 0 m)
15 1 venue, dabey bitt ſtatt finden Kane. 5 Da wir nur auf die Reſultate eines originellen Mic denkers über die Reli iglon in dieſer Geſchichte "Rück cht zu nehmen haben, ſo wird uns die
5 Schola des Mittelalters weniger Ausbeute
„ geben, als eln o langer Zeitraum zu verfprechen
| 1 9 3 u .
Dieie erſten Verſuche „ ber Glaubenslehre des
eine eine wiſſenſchaftliche Geſtalt zu ger
ben, hatten auch auf dle Religionsppiloſophie mans nigfaltigen Einfluß. Johann von Damaſkus,
der im achten Jahrhunderte lebte, und den man 1
als den Vater der chriſtlichen Dogmatik betrachtet,
ſonderte auch die Theologie ſorgfaͤltiger als bisher ; ft geſchehen war, von der Phyſik und Metaphyſik ab Mr und beftimmte zu Ihrem Inhalte die Betrach⸗ tung von immateriellen Weſen, Gott, Geiſtern
4 und Seelen uͤberhaupt 9. Sonſt war ſeine Phi⸗
| loſophie eine Verbindung ariſtoteliſcher und bibli⸗
ſcher Ideen. Er betrachtete Gott als das vollkom⸗
menſte Weſen „und ſuchte hieraus ein Einheit zu erweiſen. Denn waͤren zwey oder mehrere voll⸗
1 Weſen, ſo wären fie entweder vollkom⸗
* men
| L
a Höhknbes Hine phyt c 1. >» wc
340 EN Zug In. Cavitcl 10,
men gleich, „und mithin eins und daſſabe, oder fe 4 waͤren dadurch verſchieden daß das eine die Voll- A kommenhelt in einem mindern Grade beſaße als 5 das andre. Dann waͤre es aber nicht . | kommenſte Weſen. — Auch fein Schuͤler Theo eo dor Abucara gab dem von der Nothwendt g 8 einer Welturſache hergenommenen Beweiſe dadurch ; ein neues Gewicht, daß er zu zeigen ſuchte, daß das Menſchengeſchlecht nothwendig einen Schöpfer vorausſetze, well es ungereimt ſey, es als ewig, oder aus der Erde hervorgewachſen, anzunehmen). Ein Philoſoph des neunten Jahrhunderts Johann Scotus Erigena, ward durch de Schriften des vorgeblichen Dionyſius des Arropa⸗ giten mit neuplatoniſchen Religlonsideen erfüllt, und warf in feinem Buche von der Elatheilung der Natur ), Pſiyſik, Metaphyſik, und Theo» logie wieder durch einander. Er ſcheint ſelbſt noch weiter, als die Alexandriner zu gehen verſucht zu haben, indem er aus dem neuplatoniſchen Sage daß Gott keine Prädikate zukommen ; folgerte; 1 daß 9 ) Tiedemann Get d. fp. öl 20 . Zoctes 9 Hauptſt S. 37, 48. 3 > Einen kurzen Auszug der Gaupfiberd dieſes Bu- 7 ches findet man in Balle comm., de ortu et pro-
greſſu Pantheilmi in gina Soc, Sc. ar Vol. X. ö
—
* f
*
* x > .
Bic III. Capitel 10. 0 zur er 9 fi 0 ſelbſt nicht durch Prädikate kennt.
5 lehrte ferner, Gott habe von allen Dingen
auſſer them keine Kenntulß, und eben dieſes mache
1 feine bolommenſte Erkenntniß aus. Dies ſcheint b ſich nicht anders verſtehen zu laſſen, als ſo: daß i bon Gott kein Begriff, ſondern nur eine Idee
att finde, und daß Gott von den Dingen auſſer
ihm keine diſcurſtoe 1 ſondern eine intuitive Er⸗
5 kenntniß vermittelſt der Ideen habe J. Auch fin⸗
ben fo bey ihm ſchon Spuren des Unterſchiedes, welchen die ſpͤͤtern Scholaſtiker zwiſchen theologis ſher und phlloſophiſcher Wahrhelt machten, indem
er zwiſchen dem theologischen und philoſophiſchen |
Wer der Allmacht Gottes unterſcheidet, un d be⸗ bauptet, jenen komme das Merkmal der Unmit⸗
N telbarkeit zu, dieſen aber nicht. Der Begriff der
gb tuichen Allmacht ward überhaupt im Mittels alter ſehr übertrieben und gemißbraucht. N tan ſtritt darüber, ob die Allmacht Gottes auch unmög⸗ liche Dinge bewirken koͤnne? ob ſie das Geſchehene ungeschehen machen koͤnne? Peter Damian, ein
Cordinal des eilften Jahrhunderts, der fü ch durch den N ne den ihm ſeine Talente erwarben, aus 2285 Y 3 N h r dem k
In 0 Tiedemann Geiſt ꝛc Th. IU. 8.3 184• 189. und die Vorrede zum fuͤnften Thel Allgemeine Lit
krlaturzeitung 1796. N. 204 u. 5.
0
8 342 Buch lll. Capie 10. „
dem niedrigsten Stande emporſchwa 19, behauptete ſtreng, daß die Allmacht eine Gefallene Wieder zur Jungfer machen koͤnne, und daß der, welche r das 5 Gegentheil lehre, der Allmacht 3 and | ein Ruchloſer ſey. Zum Gluͤck ließ ſich nur dle neuplatoniſche Phtloſophie von ihm a ie 5 Behauptungen brauchen 7955 er , In ‚eben dieſem eiften Jabber ie Anfelm, Biſchoff von Canterbury, we Be zuerft einige Verſuche machte, die eee, J fophie unabhängig von pofitiven Religionslehren ; | bearbeiten sr), Als er noch Prior im Sete bat | in der Normandie war, ward er von einigen Klo | ſterbrüdern erſucht, etwas Über das göttliche We⸗ fen, und die damit zuſammenhängenden lehren, b aus bloßen Vernunftgruͤnden zu ſchreiben, und er * that es zuerſt in einer Schrift, die er Monolo⸗ gium nannte, und in der er die Sprache des eig⸗ N nen Nachdenkens über göttliche. Gegenftände — Er ſpricht in der Vorrede ſehr beſchelden und furcht⸗ ſam von dieſem Verſuche, und beforgt vet
77
n
* Petr. Brise de Dei embihsteütde epif. in de la Bigne append, bibl. St. Patramp. 486 ca. Tieder I mann IV. 250.
* 8. Aunſelmi Opera Audio, Gabr. Gerber ei II. Paris. 1731 fol,
.
Luc ll . Cavite 10, a 465 906 er es zu neologiſch ſcheinen mochte |
Diefe berwelßt er auf die Schriſten des hell. Aus ; guſtinus, a bey dem ſie ähnliche Worte und Lehren
ur finden würden. Er geht von Vernunftbeweiſen
ö für das Daſeyn eines hödften Weſens aus. Zu⸗
erſt beweißt er, daß es ein hoͤchſtes und abſolutes |
Gute geben muͤſſe, weil alle einzelne Guͤter, wor⸗ nach die Menſchen ſtreben, ein ſolches allgemeines Gute vorausſeßen, wodurch ſie eben gut ſind.
i Dann zeigt er, daß, das hörhfte Gut, auch den
’ boͤchſten Grad bon Große haben müſſe, weil allein | ä das Gute nicht groß genug ſeyn kann. Da nun
alles eine Urſache haben muß, ſo laßt ſich nichts |
| denken r was eher die Urſache von Allem ſehn könnte, als was das Größte und Beſte zugleich iſt. Das Daſehn eines größten und beſten oder solfommenften Weſens, erweißt er ferner aus den berſchiedenen Graden von Vollkommenheit, welche unter dem Weſen ſtatt finden, weil entwer der die Rehe von Weſen, deren immer eins voll⸗ x kammer iR. als das andre, unendlich ſeyn, oder es ein vollkommenſtes Weſen geben muß. Dieſer Beweis führt freylich blos auf ein Weſen von der relativ ‚höchften Vollkommenheit in Vergleichung mit den Unvollkommnern. Anſelm aber betrachtet | [2 als einen Erweis eines abſolut vollkommen⸗ 5 Pi * ſten
7 Ku wyı% * 180
1 N
344 Buch III. Capitel 10.
ſten Weſens ‚ und beweißt daher die Einheit def ſelben auf eben die Weiſe, wie es Johann von Damaſkus gethan hatte, und legt ihm auch bey, daß es völlig nnabhaͤngig durch fü ch fest, alles
andre aber durch daſſelbe exiſtiren müͤſſe. So iel
kann in Anſelms Monologium allenfalls noch für
reine unabhängige Philofophie gelten ). Das Weitere ſchließt ſich ſogleich an den Kirchenglauben an, und ſoll dazu dienen, die Lehren von der
Schoͤpfung aus Nichts, von der Drepeinigkeit, und
andre a priori zu beweiſen. ESC gehört alſo nicht 12
hierher, und zwar um fo weniger da auch nicht einmal die phlloſophiſchen Säge, welche es enthält,
originell, fondern aus ber Philoſophie der N
chenväͤter und Neuplatoniker geſchoͤpft fi nd. |
Eine andre kleine Schrift von ihm, Pest
gium genannt, hat denſelben Zweck, unterſcheldet ſi ch aber von dem Monologlum durch die Form,
indem ſie wie der Titel andeutet, eine Rede an einen andern, jenes aber eln Selbſtgeſpräch iſt. | Hier wird der Beweis für das Daſeyn Gottes ſo g gefuͤhrt: Ein Weſen deſſen Nichtſeyn nicht gedacht
werden kann, iſt hoͤher als ein ſolches, deſſen
Nichtſeyn gedacht werden kann. Das hoͤchſte Be
fen ift, ei ein DR deſſen Nichtſeyn nicht ge⸗ 4 4 dacht Ä
) Monologium de e dirinitatis effentia Cap. 1 V.
Bit ut Cavite 15. 345 er werben kann, und muß alſo nothwenbig exl⸗ . fir en =). Ein Beweis hiergegen wäre, daß es b Atheiſten, f oder wie es der Pfalniſt. ausdrückt, beſſen Worte Anſelmus braucht, Toren giebt, i welche in ihrem Herzen ſprechen: es iſt kein Gott. Dagegen ſagt Anſelmus: die Thoren konnten dies ſes wohl in ihren Herzen ſprechen, aber keinen | | Begriff damit perbinden, fo wie auch anderer Un⸗ | ſinn, 5. 8. Feuer iſt Waſſer, ſich durch Worte | ausdrücken laßt, ohne daß ein Begriff damit ver, 65 | bunden iſt. 85 Es ift nicht u blaze, baß bieſer Bebels, 1 W er am Ende auf einer logiſchen Täu⸗ ſchung beruht, ungemein ſchärffinnuig iſt, und wenn er auch nicht, wle man oft behauptet hat, ganz 2 if, welchen Des Cartes aus dem Ber | dec biete Aehnlichkeit mit demſelben. ER Die Schwaͤche dieſes Bewelſes ward indeſſen a ſchon in Anſelms Zeitalter gefuͤhlt, und eln Mönch Gaunilo ſchrieb daher eine Vertheidlgung des Wen 9 7 N 3 Er fast batinnen: r =») Proslogium feu de Dei exiſtentis Cap. II. III. > ,®%) Liber pro inſipiente adverſus S. Anſelmi in Proſ logio ratiocinationem auctore Gaunilone ma-
ioris monafterii monacho, in eig opp. ed, Gerdeton p. 35. ö
5
0 we ö Bi u, cane le. 2
die Behauptung, daß das boͤchſte Weſen 1 blos im Verſtande, f ſondern auch auf . denſelben
exiſtiren muß, beruht doch am Ende nur . 1
daß ich mir das hoͤchſte Weſen ſo denken | Ich kann aber auch etwas falſches denken. Se
5 müßte alſo jenen Gedanken nicht blos denken,
/
ſondern zu gleicher Zeit als wahr erkennen. Wenn aber dieſes waͤre fo müßte 1. Denken un
erkennen bey bieſem Gedanken nicht verſchied en, ſondern eins und daſſelbe ſeyn. Dann könnte ih aber 2. das Gegentheil gar nicht denken, und die ganze Sache bedurfte mithin keines Beweis
3. müßte es wenigſtens mit einem unumföglichen 1
Beweiſe dargethan werden, nicht aber damit, daß ich es mir ſo denken muß. Er ſucht dann weiter zu zeigen, daß ich ein höchſtes Weſen Rat einmal denken kann, weil ich mir es nicht ver⸗ Bi eines allgemeinen Begriffs wie z. B. einen unbekannten Menſchen vorſtellen kann. Er be⸗ weißt hierauf, daß der Begriff eines böͤchſten We⸗ ſeus ein bloßer Reflectionsbegriff ſey, und erlaͤutert dies mit einem ſehr paſſenden Beyſpiele. 1 ‚Man ſpricht, ſagt er, von einer glücklichen: Sufel, welche alle andre an Vorzügen ‚übertreffen ſoll, Wenn mir jemand davon erzählt, ſo kann ich dieſes leicht verſtehen. 1 er nun e du e nz *
4 Bug IH, Cute 105 . i w
AR 1 *
* heit An Bi dasenge, ER du Er als 4 \ das vollkommenſte denkſt/ nicht blos „im Verſian⸗ de, ſondern in der Wirklichkeit eriſtiren muß; ſo würde ich glauben er ſchentte. Dies, glaubt Gaus nile könne der 3 Thor, welcher in ſeinem Herzen |
ſpricht: es iſt fein. ‚Gott, auf Anſelims Beweiſe a fr fen Ale findet er ſein Nee
K 5 ne ee antwortet Anfelm, in einer 1 7 in welcher er die einzelnen Behauptungen Ganni⸗
les zu widerlegen ſucht, in der Hauptſache aber ee: es ſey nicht von dem hoͤchſten denkba⸗ Weſen die Rede, ſondern von dem wirkli,
n 55 | chen hö fien Weſen. Dies wuͤrde aber nicht das ö
AN 0 on, wenn es als nicht exiſtirend gedacht werden konnte. Man ſieht daß ſi ſich Anſelm auch
ö hier, wieder dadurch taͤuſcht, daß er vorausſetzt, was bewieſen werden ſoll, und. denn aus der Vor⸗ aus ſetzung argumentirt. — Dieser Streit fe übrigens mit einer Humanitaͤt gefuͤhrt y welche man | dm. n eilften Jahrhunderte icht, erwarten „ und die 6 man
48
2 2 * 8. Anſelmi über be contra Gaunilo- . nem reſpondentem pro inüpiente. 5
1 \
348 Buch ll. Cp . man ſi ch ſelbſt in unſerm Zeitalter zum Muſter . | bey mancherley Streltigkeiten haͤtte ne men ſollen. f Alle diejenigen, welche in Anfelms und den naͤchſt folgenden Zeiten, den Namen von Phu ſo⸗ phen erhielten, können ihn zwar nur größtentheils 1 um deswillen mit einigem Scheine behaupten; well 4 fie über die Religien phlloſophirten, und man kann | fügen, daß Religtonsphilofophie in jenem Zeitalter die Sphaͤre der Philoſophie überhaupt ausfüllte x und alle andre Theile derſelben blos um jener willen bearbeitet wurden. Demohngeachtet g. gewann ſie hierdurch als Wiſſenſchaft betrachtet went 3 1 nichts. Denn das Ziel war zu feſt vorgefſckt, ER. bey welchen alle Philosophen ankommen ig Es war daher ſchwer zu vermelden, daß nicht bey den meiſten philoſophiſchen Behauptungen über die Religion vorausgeſeßzt wurde, was zu erwel⸗ ſen war. Auch galt die Autorität. der frühern Kl. chenſchriftſteller ſo viel, daß nur ſelten ein guter Kopf es wagte, zu ihren Behauptungen 2 binzuzuthun; etwas davon zu thun, welches ft | noch nöthiger geweſen wäre, durfte niemand wa⸗ gen. Die Scholaſtiker dieſes Zeitaleers beſchöf⸗ tigten ſich daher nur mit Philoſophemen über einzelne Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe Gottes. | Gottes Allwiſſenheit ehen en. von 1 La- A h pat
>»
| ne Buch m. Cant 10 349 Darin. und Zuge von St. Pitwer; welcher | auch den Bewelſen, welche von der Nothwendig⸗ 3 N keit einer erſten Urſache, und aus der zweckmaͤßi⸗ gen Einrichtung der Welt bergen emen find, eine neue Wendung gab, gegen die Einwendung zu g vertheldigen, daß manches kuͤnftige ganz vom Zu⸗ falle abhaͤnge, und es daher vorher zu wiſſen un⸗ moͤglich ſey. Die alexandriniſchen Ideen von Got⸗ tes Unveränderlichkeit und bie alten von dem Das ſeyn des Uebels hergenommenen Einwürfe gegen
Me die Vorſehung, wurden von ihnen von mancherley | Seiten betrachtet. Die Methode des Vortrags
der Theologie überhaupt, und mithin auch der Lehren der Religions philoſophie ward von Hilde⸗ bert von Lavardin in eine neue und beſtimmtere Form gegoſſen, die durch Petrus Lombardus dem ganzen ſcholaſtiſchen Zeitalter zum Muſter 5 wurde. Aber ſelbſt der ſcharfſinnige Abaͤlard 38 brachte in der Religionsphiloſophie keine neuen lit . 3 von einiger Erheblichkeit hervor 7 Bi Die meifte Driginalität dürfte ſich noch bey ben Myſeikern finden, in ſofern ſie philoſophi⸗ ſches N mit der Myſtik verbanden. Ho⸗
' 9 m. ſ. über dieſe Schriftſteller Biker hift. crit. Phil. T. III. und Tiedemann Geiſt d. ſp. Phil, Th. IV. S. 271 f.
335 em nit. ell 10.
Lonerlus von Autun, ein Wyftker des wel,
ad 14.
niß zu Gott „im philoſophiſchen Sinne 2 zu haben scheint. Wenigſtens beſtimmt fein eis was ſpaͤterer Zeitgenoſſe Richard, Prior des . ſters zu St. Viktor in Paris die Stufen 4 Himmelsleiter nach einer ihm eigenthümlichen, fi
lich im Grunde auch mehr kirchlichen als 1 phiſchen Pſpychologle. Sie hat ſechs Stufen.
Zwey liegen im Gebiete der Einbildangskraſt, zwey in dem der Vernunft, zwey im Gebiete % nes höhern durch übernatürliche Einflͤſe geweckten |
und geleiteten Erkenntnißvermoͤgens. Die e liegt blos in der Einbildungskraft, durch welche wir die Groͤße der Werke des Schoͤpfers bewun⸗
dern, ohne weitere Schluͤſſe daraus zu ziehen. Die
zwepte verbindet Vernunft mit der Einbildungs⸗
kraft „und lehrt uns die Zwecke der Werke des 3 Schoͤpfers erforſchen und bewundern. Auf der
w * N re
ö a EAN * u x m > + e 88
dritten Stufe, auf welcher die Vernunft vorzuͤg⸗
; 2 lich wirkſam iſt, die Einbildungskraft aber doch 5 1
auch noch Einfluß hat, erheben wir uns zu allges
meinen und uͤberſinnlichen Begriffen. Auf der vierten zeigt uns die Vernunft allein, Ideen von 9 überſinnlichen Weſen. Auf der fuͤnften verbindet 5 ſich
-
. l. HI. eue 16. . 381 5
* een mit der Vernunft zu teinern men } 5 taphyſt ſchen Ideen von Gott, ſeiner böͤchſten Voll⸗ kommenhelt und Einfachheit. * Auf die ſechste ſtellt uns die Offenbarung allein, und laßt uns ſogar manches glauben, was der Vernunft zu wi⸗ WB derſprechen em als die Sn von der Ben 5 einlgkeit. Den Beweis, daß das böchſte Weſen ſelbſt⸗ flaͤndig und unabhängig ſeyn müffe, ſcharfte Ri⸗ 5 chard auf eine neue Art, indem er zeigte, daß das 5 hoͤchſte Weſen ſeine Eigenſchaften, und beſonders
die Vernunft nicht von ſolchen Weſen erhalten ha⸗
ben koͤnne, welche geringer ſind, als es ſelbſt if,
und daß es alſo durch ſich ſelbſt eriſtiren muͤſſe. Mn
# Auch die Einheit Gottes verſucht er hieraus auf elne neue Art abzuleiten. Wenn das hoͤchſte We⸗ | fen: feine Goͤttlichkelt von ſich ſelbſt hat, fo müßte
5 ſie e mehrern dieſelbe mitgetheilt haben, wenn meh⸗
rere Götter exiſtiren ſollten. Aber dann müßte fie f ihre Subſtanz haben mittheilen koͤnnen, alfo müßte eine und dieſelbe Subſtanz zugleich mehrere ſeyn Tonnen, welches unmöglich iſt. Auch aus der All⸗ AR macht Gottes folgert Richard feine Einheit. Es
. kann nur ein allmachtiges Weſen exiſtiren, well
mehrere allmaͤchtige ihre Macht gegenſeitig aufhes .
10 ben, und e 325 allmächtig ſeyn wurden. Die
it N n * Un⸗ \
352 Buch III. Capi 10,
Unveränberlichkeit Gottes leitet er daraus ab, daß Gott weder verbeſſert noch verſchlimmert werden
kann. Die Allgegenwart folgert er aus der All⸗ .
macht, beſtimmt ſie aber nach neuplatoniſchen Be⸗
griffen, bey denen ſich nichts c denken f
läßt. 1 3%
Alanus von Ryſſel, gewöhnlich 1 9 5 genannt, der ſeine meiſten Zeitgenoſſen des zwoͤlf⸗ ten Jahrhunderts an Gelehrſamkett und Scharfſinn uͤbertraf, folgerte die Nothwendigkeit einer erſten Urſache aus dem Saße: daß die Materie ohne
—
Form und die Form ohne Materie nicht ſeyn koͤnne, und daß mithin eine hoͤchſte Urſache ihrer
Zuſammenſetzung ſeyn muͤſſe, da nichts ſich ſelbſt
zuſammengeſeßzt haben kann. Man hat oft, noch in unſern Zeiten die nothwendige Verbindung * 5
Materie und Form verkannt).
Ohngeachtet die Philoſopheme der miles, un⸗ we ter den Scholaſtikern dieſes Zeitalters, wenn fi e conſequent geweſen wären, und ſich nicht ganz durch kirchliche Autorität hätten leiten laſſen, fie, beſonders in ſofern ſie aus neuplatoniſchen Quellen
geſchoͤpt waren, nothwendig auf Pantheismus
haͤtten leiten muͤſſen; (denn die Schoͤpfung aus Nichts |
war nur ein 2 und ee ganz unphis
2 7. 21
) Tiedemann Th. IV. S. 313: 323. 5 W
loſo⸗
—
Boch III. Capitel 10. 353 0
f . Nothbehelf, das Daſeyn der Dinge
durch Gott zu erklaͤren, obne ſie aus ihm abzu⸗
leiten), ſo finden wir doch nur zweg derſelben, welche ſich dieſer Conſequenz, die in den Augen der kirchlichen Orthodoxie ein Verbrechen war,
ſchuldig machten. Dieſe waren Almarich Lehrer ;
der Theologie in Paris, und ſein Schuͤler David
de Dinanto. Von ihren Behauptungen um wel⸗
cher willen ihre Gebeine auf dem Concilio zu Paris
im Jahr 1209 aus ihrer geweihten Grabſtaͤtte ver⸗ bannt; „und zu einem unehrlichen Begraͤbniſſe verur⸗
ö theilt wurden ſind uns nur folgende aufoehalten
worden: 8 5
Alles ift Gott und Sort if Ales; Schöpfer ad Gefhönf find Eins; die Ideen ſchaffen und wer⸗
den geſchaffen; 55 Gott heißt darum der Endzweck f
aller Dinge, weil alles in ihn zurückkehren wird, um in Gott unberäͤnderlich zu ruhen, und dann nur
ein einziges und unberänderliches Individuum aus⸗ zumachen. Wie Abraham und Iſaak nicht verſchie
dener Natur ſind: ſo ift alles Eins, und alles
| haus, Gott * 5 das Wan aller Sa)
1 85 Die
7 11 or
* ac. 11000 O hiſt. BERN et nn p. 110. .
Buhle comment, de ortu et progr. pantheiſmi | * fe u 4 3 3 . 50
125
7
354 Buch III. Capitel 10.
Die Behauptungen Davids von Dinanto ſtimmen im Weſentlichen mit dieſen überein. Man erkennt jedoch aus ihnen deutlicher, daß dieſer Pantheis⸗
mus aus der neuplatoniſchen Verwechslung logi⸗ ſcher allgemeiner Begriffe, mit Subſtanzen im me⸗ taphyſiſchen Sinne entſtand.
So unvollſtaͤndig und a auch dieſe Behauptungen ſeyn moͤgen, die uns nur von Gegnern der Verurtheilten aufbehalten find, fo ſieht man doch, daß fie ein Gemiſch henplatos niſcher und ariftotelifcher Ideen waren; beſonders
iſt der Satz: daß Gott der Endzweck aller Dinge
fey, dem Ariſtoteles eigenthuͤmlich. Ariſtoteles mußte daher die Schuld dieſer Ketzerey mit tra⸗ gen, und ſeine Schriften, welche kurz zuvor erſt den abendlaͤndiſchen Gelehrten durch die Araber
bekannt worden waren, wurden von eben dieſer 4
Kirchenverſammlung verboten. Das Verbot aber half, wie die meiſten Verbote dieſer Art, das Verbotene nur mehr auszubreiten, und Ariſtoteles begann durch daffelbe erſt recht ee E zu erhalten.
Dieſer Einfluß hatte aber die naͤchſte Fog, daß durch ihn das Selbſtdenken noch mehr einge⸗ ſchränkt ward, als es bisher durch die Schranken
geſchehen war, in welche das kirchlliche Syſtem den
Geiſt
Brach III. Capitel 10. 355
Sleiſt einengte. Man wagte es gar nicht, andre
Gegenſtaͤnde des Nachdenkens zu waͤhlen, als
ſolche welche bereits durch Ariſtoteles und die Kir⸗ chenvͤter auf die Bahn gebracht worden waren, noch weniger wagte man es, von ihren Behaup⸗
| tungen abzugehen, und alles Philoſophiren beſtand
darinn, daß man Einwuͤrfe gegen die autorifirten Behauptungen aufſuchte, und fie entweder durch
Autorität oder durch Gegengründe, die man aus
dem angenommenen Syſtem ſchoͤpfte, niederſchlug. Daher findet man bey Alexander von Kales,
Wilhelm von Paris, und Vincent von Beau⸗
vais deſto weniger Neues, je mehr ſie ‚Ihre Bor | gänger an Gelehrſamkeit uͤbertrafen.
m.
| Selbſt Albert der Große machte ſich um die Religionsphilofophte wohl groͤßtentheils blos
} dadurch verdient, daß er ihr eine für fein Zeit, alter vollkommnere ſpſtematiſche Form gab, als ſie
bisher gehabt hatte. In Anſehung der Lehren ſelbſt, befchäftigte er ſich groͤßtentheils damit, die Kirchlichen Lehren gegen die ariſtoteliſchen, und die
ariſtoteliſchen gegen die neuplatoniſchen zu vertheidi⸗
gen, oder ſie unter einander zu vereinigen. Daß er hierbey viel und mit vielem Scharfſinn gedacht
d bat, iſt nicht zu verkennen. Doch dürfte wohl Be fein Verſuch alle Eigenſchaften Gottes
8 2 c aus
— —
356 Buch III. Capitel 10. aus dem Begriffe der nothwendigen erſten Urſache ſyſtematiſch ebe, e eee Neu⸗
heit haben W. > 123 Er wu, 4 << en ie 17 | Area: ene Alberts Zaltgenoß, der nuf ei | 5
tura, könnte dagegen uns mehr? 116015 ot
175
9 0 Nachdenkens liefern. Seine Ideen ge
ein , Refultat, höherer Erleuchtung. und PR betrachtete, mehr als irgend andre in die Geſelchie der Dffenbarungsreligion. Eben dahin 14 wir auch Thomas von Aquin den berühn a 7 40 mehrern ge Beitalteen, Richard von Middleton, Heinrich, von Gent, Aegi dius von Colonna, und aubre berweiſen, die zum Hauptzweck hatten ; dle ariſtotelſchen Kehren
mit dem kirchlichen Syſtem z bereinigen, und „das
bey zwar manche f ſcharfſi innige Verſuche zur ſtimmung dieſer Lehren machten, die aber d
nicht als Reſultate eines frehen Beige
angeſehen werden konnen. „ been eee
95 M. f. Tiedemann Th. w. Cop. 9. 10. Wr die Behauptungen dieſer Philoſophen des Mit 8 ausführlich ngelhantense a und charſßenis be
. Artheilt find.
*
ru
Au: Der leſte, welcher es wagte, ſich bon ſeinen
fernen ‚und ſich einen eignen Weg zu bahnen, war Johannes Duns Scotus, zu Anfange des 0 vierzehnten Jahrhunderts. Er that es auch in
der Religionsphiloſophie, in welcher jedoch dasfes
nige was er lehrte, mehr fuͤr ſeine Zeit, als uͤber⸗ haupt neu war. Er verwarf die Beweiſe a priori fuͤr das Daſeyn Gottes, und laͤugnete, daß der N Saß: daß ein vollkommenſtes Weſen exiſtiren müſſe, an und fuͤr ſich einleuchte. Er wendete da⸗
. gegen ein, daß unſer Begriff von Gott nicht ganz
einfach, ſondern aus den Merkmalen des voll⸗
. kommenſten, unendlichen, und hoͤchſten Weſens zu⸗
uh lll. Capitel in 3570
*+
ſammengeſetzt ſey, daß es alſo erſt erwieſen wer⸗
den muͤſſe, daß dieſe Merkmale in wirklicher Ver⸗ 1 bindung ſtehen, ehe man etwas von ihnen praͤdizi⸗ ren koͤnne, und daß uͤberhaupt erſt zu erweiſen ſeh, daß das, was wir uns unter der hoͤchſten
Vollkommenheit denken, ein Weſen ſey. Er hielt
ſich daher an die Beweiſe a poſteriori, welche die
Nothwendigkeit einer erſten Urſache darthun, und
die er mit der ihm eignen Subtilität führt, die jedoch im Grunde keine Originalitaͤt iſt. Aus dem Begriff der erſten Urſache, leitet er die Uns
. * Guatzel abe weil die Zahl der Dinge
3 2 3 ! un?
aͤngern und Zeitgenoſſen wieder etwas zu ent-
358 Duc in een MR unendlich iſt, die Gott als erfte urſahe
und hervorbringen muß. Gottes — |
gert er aus feiner Unendlichkeit. Denn Gott kann
nach derſelben nicht aus endlichen Theilen zuſam⸗
mengeſetzt ſeyn, weil er ſonſt endlich ſeyn müßte,
aber auch nicht aus unendlichen, weil bey der Un⸗ endlichkeit keine Mehrheit ſtatt findet. Die mei⸗ ſten Scholaſtiker hatten durch die Neuplatoniker
veranlaßt, die Frage aufgeworfen, ob Gott unter irgend ein Praͤdikament oder ein Geſchlecht der
Dinge gehoͤre? Dieſe Frage laßt ſich nur ſo be⸗ friedigend beantworten, daß wir von Gott keinen
Begriff, ſondern eine Idee haben; und Scotus
näherte ſich dieſer Entſcheidung mehr als bisher |
geſchehen war, dadurch, daß er behauptete, alle von Gott gebrauchte Woͤrter und Begriffe waͤren tranſcendent, d. h. von hoͤherer und allgemeinerer Bedeutung als bie Gattungsbegriff des Ver, ſtandes. | . Der Gewinn, welchen die Segmente
phie im Mittelalter bis auf Duns Scotus er⸗ | |
langte, war nach der Bemerkung des trefflichſten und jetzt vielleicht einzigen Kenners der Philoſo⸗ pheme dieſes Zeitalters folgender: „Sie gewann den meiſten Zuwachs durch allmälige Reinigung von
übertriebenen Abſtraktionen der aleraubiigerz dur Ver⸗
2
3 ar sg, 7
n. *
Bug! III. Capitel 10. 359
Berflärtung der Beweiſe von Gottes Daſeyn, und 1 Bearbeitung des Beweiſes a priori; durch Be⸗ richtigung der Begriffe goͤttlicher Allmacht und Weis⸗ | heit; durch Ableitung der goͤttlichen Vollkommenhel⸗ ten aus wenigen Principien und durch Annaherung dieſer Lehre zur wiſſe enſchaftlichen Einheit; endlich durch richtigere Erklärung mancher goͤttlichen Ei⸗
Rs genſchaſten, und Hebung ſehr ſcheinbarer Schwie⸗
rigkeiten *
Der Zeitgenoffe des Johannes Duns Sera, Servaͤus Natalis, beſtrebte ſich vergebens, die Einfachheit Gottes mit der Mehrheit, feiner Attribute zu vereinigen, und den Widerſpruch zwiſchen bey⸗ den zu haben, welcher daher entſtand, daß man alle Vorſtellungen von Gott als erſter phyſiſcher Urſache, metaphyſiſcher Idee, und moraliſchen We⸗
ſeen durcheinander warf. Beſſer gelang es ihm,
einen Grund fuͤr die Einheit Gottes daraus zu ſchoͤpfen, daß, wenn man einmal mehr als einen Gott annimmt, die Anzahl der Goͤtter gar nicht zu beſtimmen iſt, und mithin unendlich ſeyn kann. 90 Der beruͤhmteſte Schuͤler des Duns Scotus Sranciskus de Mapronis zeichnete ſich vorzuͤg⸗ lich dadurch aus, daß er der Philoſophie ein all⸗ gemeines Princip zum Grunde zu legen ſuchte. Dies
ee | 34 war
) Tiedemann Th. IV. S. 646.
366 Buch III. Capitel ie 10. war im Grunde kein andres als der Saß des Wi, a
derſpruchs „den er ſo ausdruͤckte: von jedem iſt
| Bejahung oder Verneinung wahr, von keinem aber beydes zugleich. Das allgemeine Subjekt, worauf ſich dieſes Princip bezieht, iſt das Ding, ens. Nun warf er ſogleich die Frage auf: ob Gott ein ens zu nennen ſey? Er bejahete ſie mit verſchiede⸗
nen Gruͤnden. Um nun aber gegen die gewoͤhnliche 1
Lehre von der Einfachheit Gottes nicht anzuſtoßen, läugnete er, daß das ens der oberſte Geſchlechtsbe⸗ griff ſey, welcher alle hoͤchſt mannigfaltigen Geſchlech⸗ ter unter ſich begreift, und verwickelte ſich dadurch in Widerſprüche, aus denen er ſich nicht heraus fin⸗ den kann, und die ſeine ſonſt ſehr ſcharfſinnigen Be⸗ hauptungen ſehr dunkel machen. Die Beweiſe a priori fuͤr das Daſeyn Gottes verwarf er wie ſein lehrer, und fuͤgte noch den neuplatoniſchen Satz als Grund bey, daß Gott nicht definirt werden koͤnne.
Er naͤherte ſich den nicht blos dialektiſchen, ſondern f i
dogmatiſchen Behauptungen in der Religions philo⸗ fophte auch dadurch, daß er lehrte: unter Gottes Eigenſchaften finde nicht blos ein ddealer oh realer Unterſchied a *
Sn
9 M f. üser Hervaͤus und Franciskus de e Tiedemann Th. V. Cap. 3. u. 4.
2 Brouch III. Capitel 10. 361 Daß die Meinung des Scotus, daß das Daſeyn * nicht a priori bewieſen werden koͤnne, keines⸗ weges allgemein angenommen ward, ſieht man daraus, daß Wilhelm Durand die Bewelſe a priori wieder hervorſuchte, und uͤberhaupt dreyer⸗ ley Beweiſe fuͤr Gottes Daſeyn annahm, nem⸗ lich: aus der nothwendigen Exiſtenz des vollkom⸗ menſten Weſens, einer erſten Urſache und eines durch ſich ſelbſt exiſtirenden Weſens. Er trug dieſe an ſich nicht neuen Beweiſe, ſo wie auch die Lehren von der Einheit Gottes, auf eine Art vor, die ihnen den Schein der Neuheit geben. Diemohngeachtet gieng Wilhelm Cccam noch weiter, als ſein Lehrer Scotus, und behaup⸗ tete, daß ſich das Daſeyn Gottes uͤberhaupt nicht demonſtriren, und die Eigenſchaften deſſelben be⸗ friedigend aus der Vernunft ableiten laſſen. Sein Hauptgrund iſt freilich nur der: weil Ariſtoteles es nicht befriedigend demönftrirt hat. Denn es iſt nicht nothwendig, einen erſten Beweger anzuneh⸗ men, weil ſich etwas auch ſelbſt bewegen kann, und es iſt überhaupt nicht nothwendig, eine erſte Ur⸗ ſache der Bewegung anzunehmen, weil ſich, we⸗ nigſtens nach Ariſtoteles auch eine unendliche Reihe
von Urſachen denken laßt. Seine Bemerkungen
5 über bie Eigenſchaften Gottes und das Unvermoͤ⸗ | Ä 3 e gen \ 5
362 Buch III. Capitel 10.
gen der Vernunft ſie zu erkennen, und zu bewei⸗ ſen, ſind zwar ein oft ſich widerſprechendes Ge⸗ miſch von Dogmatismus und Skepticismus, ver⸗ rathen aber doch vielen Scharfſinn. Er ſetzt übers baupt die Vernunft in der Theologie herab um die Offenbarung zu erheben *).
Dieſes Mißtrauen gegen die Kräfte der Ver- nunft in Sachen der Religion, nahm im vierzehn⸗ ten und funfzehnten Jahrhunderte immer mehr uͤberhand. Es findet ſich in dem letztern beſonders bey Peter de Alliaco, welcher eben fo wie Oe⸗ cam behauptete: das Daſeyn Gottes laſſe ſich durch die Vernunft nur wahrſcheinlich machen, nicht
unwiderleglich beweiſen. Er behauptete jedoch, 4
daß, wenn man das Daſeyn Gottes annehme, die Einheit deſſelben nothwendig daraus folge. Da⸗ bey behauptete er, daß Gottes Wille keine Ur⸗ ſache habe, weil in ihm Denken und Wollen Eins iſt. Es ſcheint dieſer Vernunftſcepticismus auch 1 eine Hauptſache ber Sonderung der Theologie von
der Philoſophie geweſen zu ſeyn, die man in der 4
Folge machte, und welche bey Peter de Alliaco 4 ſchon fichtbar wird. |
Der leßte unter den Scholaſtikern, welcger unſre Aufmerkſamkeit verdient, RHaymund von
*
| | 1
Buch III. Capitel 10. 363 = Sabunde, ein Spanier, welcher um das Jahr 1430 als Lehrer der Theologie zu Toulouſe eine natürliche Theologie ſchrieb, erwartete deſto mehr von der Vernunft, je weniger ihr ſeine naͤchſten Vorgaͤnger zugetraut hatten. Er ſuchte nemlich in ſeinem Werke, bey welchem er ſo viel man weiß, zuerſt den Namen einer natuͤrlichen Theologie gebraucht hat, alle Lehren ſeiner Kirche aus der Vernunft abzuleiten, und gieng hierinn noch weiter als die aͤlteſten Scholaſtiker, welche hoͤchſtens die Dreyeinigkeit aus der Vernunft zu beweiſen ſuch⸗ ten. Er betrachtet daher die Wiſſenſchaft, welche er naturliche Theologie nannte, als ein unentbehr⸗ Ülches Huͤlfsmittel zur Erkenntniß des Menſchen und ſeiner Beſtimmung, zum Verſtaͤndniſſe der heiligen Schrift und zur Vertheidigung des catho⸗ liſchen Glaubens gegen alle Ketzereyen ). Er ſetzt daher ſein Buch, welches er auch das Buch der Natur nennt, ſogar gewiſſermaaßen über die heil. Schrift hinaus, und es iſt zu verwundern, daß man ihn daruͤber, ſo viel man weiß, nicht erketzer N 5 ur Be Ohn⸗
) Theologia naturalis S. liber encakatärm authore Raymundo de Sabunde Art, et Med, Doctore et SS Theol. quondam Profeſſore. Francofurti 1635. 8. Im Prologus zeigt Raymund die Wees neceſ- fitatem et ſufficientiam libri.
1
364 Buh . Catan,
Ohngeachtet er aber ſeine Vervunftbeweiſe uni den Lehren der Kirche zu modiſiziren ſuchte, fo iſt doch fein Buch durchgaͤngig ſelbſtgedacht und enthaͤlt manches Neue. Er geht davon aus: der Menſch ſtrebt nach Gewißheit. Alle Gewißheit beruht auf Zeugniſſen. Das beſte. Zeugniß liefert dem Menſchen feine eigne Natur. Er muß alſo zuerſt ſich ſelbſt kennen lernen, und die Kenntniß aller andern Dinge auf fi beziehen, um ſich das durch kennen zu lernen. — Es giebt eine Rang⸗ ordnung unter den Dingen, von welchen eins volle kommner iſt als das andre. Der Menſch muß diefe Stufenleiter von der unvollkommenſten Claſſe den Weſen bis zu ſich durchlaufen, um ſich ſelbſt kennen zu lernen, und dann auf ihr weiter bis zu der Gott⸗ heit aufſteigen. Sie hat vier allgemeine Grade, und dazwiſchen noch viel beſondre Stufen. Alle Weſen exiſtiren entweder blos, z. B. die Elemente und Steine; oder ſie exiſtiren und leben wie die Pflanzen; oder ſie empfinden auch, wie die Thiere; oder ſie exiſtiren leben und empfinden, und haben | zugleich Verſtand und freyen Willen, welches der Vorzug des Menſchen iſt. Der Menſch befige gemeinſchaftlich, was alle andre Weſen nur einzeln, oder im geringern Grade haben. Aber er hat ihnen
ie ie 40 und ka auch nicht die ſei⸗ N 19 5 ngen
Sub) 1. Capitel 1o. 363 ven gegeben. Sie müͤſſen daher von einem ho⸗
. bern gemeinſchaftlichen Urheber herkommen). Dieſe Art, den von der Einrichtung der Na⸗
tur hergenommenen Beweis fuͤr das Daſeyn Got⸗ tes zuführen, nähert: ſich unter allen am meiſten der
5 een e en e MER der ag 5
“rn
genſchaßte des 6 Menfisen ARE Da Rahmund
einen allgemeinern Ueberblick uͤber das ganze Reich
der Natur that, als Sokrates, ſo konnte er auch
. die Ein heit Gottes daraus folgern, welches Sokra⸗ tetees nicht that. Er leitete ſie daher, weil eine Ord⸗
mung in der ganzen Natur bey aller Verſchiedenheit
3; ihrer Gegenſtaͤnde und der Eigenſchaften derſelben
—
herrscht, weil immer Eins auf das Andre, und Al⸗
les ſich auf den Menſchen als den letzten Zweck in der
Natur brzleht *). Da ferner auf derjenigen Stufe von Weſen, auf welcher der Menſch ſteht, mehr Einheit ſtatt findet, als bey den niedern Stufen, indem die Eigenſchaften der Menſchheit nur einer ein⸗
igen Claſſe von Weſen zukommen, ſo muß auf der Hhoͤchſten Stufe der Weſen, auf welcher Gott ſteht,
auch die hoͤchſte Einheit herrſchen, und die Gottheit nicht einer Claſſe von Weſen, ſondern einem einzigen
Individuo zukommen ). Aus dieſen Verhäͤltniſ⸗ Mi
A | ſen Tit. I.. 20 Ut, VL. ) Tit. V.
366 Buch III. Copitel 10.
ſen leltet Raymund auch die Eigenſchaften Gottes 49
mit vielem Scharfſinn und Streben nach Conſequenz
ab. Er ſucht dabey die platoniſche Ideenlehre mit
feinem Syſtem zu vereinigen, und weiß doch bein Pantheismus ſehr ſcharfſinnig auszuweichen. Er unterſcheidet zu dem Ende ein doppeltes Seyn, ein wirkliches und ein Seyn in der Idee. Gott kommt alles Seyn zu. Alle Dinge ſind in ihm, aber nicht nach ihrem wirklichen Seyn, ſondern in der Idee. So exiſtirt ein Haus doppelt, in der Idee ſeines Erbauers und auſſer derſelben ). Er leitet
auch aus ſeinen Ideen die Schoͤpfung aus Nichts,
und aus dieſer, auf eine ſinnreiche oder nicht cure gehoͤrige Weiſe die Dreyeinigkeit ab. Ber Sehr ſcharfſinnig erweißt auch Raymund, 50 es Pflicht des Menſchen ſey, an Gott zu glauben. Er geht davon aus: daß es Pflicht für den Menſchen ſey, ſich desjenigen, was er beſißzt,
zu ſeinem Beſten zu bedienen. Nun beſitzt er das
Vermoͤgen, an Gott zu glauben. Es iſt aber fels
nem Vortheil gemäß, dies zu thun. Alſo iſt es
Pflicht fuͤr den Menſchen an Gott zu glauben“ ). Raymund leitet hier den Glauben an Gott faſt auf dieſelbe Weiſe aus dem Gluͤckſeeligkeits ſyſtem ab,
| wie ihn Kant aus den formalen Moralprincipien ab⸗
lei⸗ 50 Tit. XIV, 200 Tit. LXVI. L XVIII *
Buch III. Capitel 10. 367 | leitet. Sehr leicht wird es ihm hieraus, auch dle * Pflicht abzuleiten, allen Lehren der Kirche zu glau⸗ ben, indem er von ihnen allen zeigt, daß f e dem Menſchen zum Vortheil gereichen.
Noch mehr Aehnlichkeit mit dem Kantiſchen
Glaubensgrunde für das Daſeyn Gottes, hat der
Beweis, welchen Raymund fuͤr daſſelbe daraus her⸗ leitet, daß es einen hoͤchſten Vergelter der menſch⸗ chen Handlungen geben muß. Denn wenn ein ſol⸗ cher nicht waͤre, ſagt er, ſo waͤre der Menſch verge⸗ bens da, und alle feine Handlungen wären ohne Zweck; ja alle Dinge überhaupt wären ohne Zweck, weil der letzte Zweck, auf den ſie ſich alle bezie⸗ hen, der Menſch, keinen Zweck haͤtte. Der Menſch muß ſich alſo auf Gott, der ihn belohnt oder be⸗ ſtraft, als auf feinen hoͤchſten Zweck beziehen *). Aus dieſem Begriffe eines hoͤchſten Vergelters, leitet Raymund hierauf nochmals die ſaͤmmtlichen Eigenſchaften Gottes, beſonders feine Macht, Weis⸗ heit, Gerechtigkeit, auch ſelbſt ſeine Einheit ab. Für die Wohlthaten, welche der Menſch von Gott 8 empfangen hat, iſt er ihm Liebe ſchuldig ). Hieraus leitet Raymund die ganze Pflichtenlehre und daraus, daß der Menſch ſeine Pflichten ge⸗ | gen Gott zufolge ſeines natürlichen Verderbens j 2 | nicht e) Tit, LXXXIII. 50 Lit. Xx.
a
38 Buch Ul. Capital io.
nicht erfuͤllt, die ganze chriſtliche Religionslehre ab. d Die Unſterblichkeit der Seele gruͤndet er auf den hohen Werth des Menſchen.
Ungemelner Scharfſſinn, unausgeſehtes Salbe denken und Streben nach wiſſenſchaftlicher Einheit und Conſequenz machen dieſes Buch, welches den Verdienſten der Scholaſtiker um die Religionsphi⸗ loſophie die Krone aufſetzt, auch demjenigen inter eſſant, welcher einſieht, wo Raymund zuviel ges ſchloſſen, oder ſeine Behauptungen nicht feſt ge⸗ ug gegruͤndet hat. Daher fand es ſelbſt Mon⸗ tagne vortrefflich, und wuͤrdigte es einer Ueber⸗ ſehung ins franzoͤſiſche ). u
Die ſcholaſtiſche Philoſophie en war durchaus keine originelle Philoſophie. Es la⸗ gen ihr überall die Philoſopheme des Alterthums, und vorzuͤglich die des Ariſtoteles, zum Grunde. Da aber die theologiſchen Lehren des Ariſtoteles, mit den Lehren des Chriſtenthums, beſonders des kirchlichen „nur ſehr wenig uͤbereinſtimmen, ſo mußte man in der Religions philoſophie jederzeit die neuplatoniſchen Philoſopheme damit verbinden. Das Streben, dieſe Verbindung der Phitofophie mit dem Chriſtenthum, und um derſelben willen
die der eee und neuplatonifchen, Puiloſo⸗ 5
phie
8
5 Montagne Eſſays II, 12.
BU Capitel 10. 369
krengungen des Scharfſinns und ihre Produkte in der Religionsphiloſophie, welche wir angefuͤhrt baben. | ER . Als im funfzehnten Jahrhunderte die Schrif⸗ ten der Alten kritiſcher behandelt zu werden anfin⸗ gen, widerfuhr dieſes auch den Schriften der Phi⸗ 4 loſophen. Man erkannte, daß dasjenige, was
man bisher für Philoſophie des Alterthums an⸗
le zu Stande zu bringen, erzeugte alle die Ans
geſehen hatte, von der wahren Meinung der A
ten, und beſonders des Ariſtoteles gar ſehr ab⸗ 5 wich, und es entfianden jetzt viele neue Anhänger 4 der alten Philoſophen. Jeder Philoſoph des Al⸗ terthums fand ſeinen neuen Vertheidiger. Alle vereinigten ſich in Beſtreitung des Scholaſticismus, aber alle beſtritten ſich auch untereinander ſelbſt. Der Scholaſticismus mußte unter dieſen Um⸗ ſtänden nothwendig ſeinen Untergang finden, aber die neu hervorgerufenen Syſteme konnten ſich eben ſo wenig behaupten. Keins derſelben war an und fuͤr fi, beſonders in der unvollftändigen unvolls kommenen und dem Geiſte neuerer Zeiten oft wi⸗ derſprehenden Darſtellung, in welcher die Syſteme
der Alten und übrig geblieben find, befriedigend ges
nug, um allgemeinen Veyfall zu finden, wenn 5 auch jedes N einen oder mehrere ſeiner Ba
u
370 Buch III. Capitei 10. ſten Herolde befriedigte. Hieraus entftand beh eis nigen Eklekticismus, bey andern Steptictsmus und
uͤberhaupt der Wunſch nach einer neuen und durch
aus verbeſſerten Phlloſophie.
An wahre Originalituͤt war in dieſer Pe, rlode, welche ſich von der Mitte des funfsehnten Jahrhunderts bis in die Mitte des ſiebzehnten ers
ſtreckt, noch weniger zu denken als in der ſcholaͤ⸗
ſtiſchen. Der menſchliche Geiſt erlag unter der laſt der neu erworbenen Kentniſſe. Man fieng jegt auch an, den Alten das Vortheilhafte abzu⸗
merken, welches ein gefaͤlliges und geſchmackvolles
Gewand für die Philofophte hat, und ſuchte feine
Philoſopheme in ein ſolches zu kleiden. Die neue Geſtalt welche die Philoſophie dadurch erhielt, ſah
man oft für Originalitaͤt an, ohne daß fie es war.
In der Religlonsphiloſophie, gab es in dieſem i
Zeitalter eben fo viel mannigfaltige und wider⸗
ſprechende Behauptungen, als in den übrigen Thel⸗ len der Philofophie, und noch weit mehr Schwaͤr⸗
mereyen; aber deſto weniger neue Ideen, je mehr | man bie Vorſtellungsarten derjenigen alten Philos *
ſophen, die man in Schutz genommen hatte, mit dem kirchlichen Syſteme zu vereinigen ſuchte. Ei⸗ ner der neuften Anhänger alter Philoſopgen war
| Ba⸗
Bruch I, Cavitel 10. 371 Badulph Cudworth ein Platoniker. Sein In, tellektualſyſtem, ohngeachtet es ganz der Widerle⸗ gung des Atheismus gewidmet iſt, enthaͤlt indeſſen nicht ſowohl neue Ideen über Religion sphiloſophie, als eine reichhaltige Sammlung aͤlterer, die aber Aer ſcharfen kritiſchen Pruͤfung gar ſehr beduͤrfen um für die Geſchichte der Religions philoſophie brauchbar zu ſeyn. — Viele Gelehrte dieſes Zeitals ters wurden durch die Philoſophie des Alterthums gegen die kirchlichen Religionslehren. eingenommen, und noch mehrere kamen in den Verdacht es zu
ſeyn. Man ſuchte die alte ſchon unter den Gries
chen herrſchende Gewohnheit, Gegner der Staats⸗
religlon Atheiſten zu nennen wieder hervor. Mit dieſem Namen ward Hermolaus Barbarus be⸗ beichnet, weil er den Teufel citirt haben ſollte, um von ihm die Bedeutung des ariſtoteliſchen Kunſt⸗ worts eure lex zu erfahren; Michael Ficinus weil er den Tod des Sokrates mit dem Leiden
Chriſti verglichen hatte; Angelus Politianus, weil er den Ariſtoteles lieber las als die Bibel; Petrus Pomponatius, weil er mit Arlſtoteles an der Unſterblichkeit der Seele zweifelte, Andreas Czdſalpinus, weil er nach dem Ariſtoteles den
Ad en nur für ſpekulativ, nicht für
8 5 Aa 2 Wr prak⸗
372 uch III. Capitel 10. praktiſch hielt, und viele andre wegen ähnlicher von den Alten entlehnter Behauptungen ).
Lucilius Vanini ward ſogar als Atheiſt verbrannt; welches er indeſſen ſo wenig als ein origineller Philoſoph war, der hier unſre Auf⸗ merkſamkeit verdient “). Eben dieſes Schick ſal widerfuhr dem Jordanus Brunus, von deſſen angeblichen Pantheismus wir unten weiter ſprechen werden, um eben dieſer Beſchuldigung willen. Rur der Sathriker Petrus Aretinus ſcheint mit etwas mehrerm Grunde, wenigſtens für einen Zweif⸗ ler an dem Daſeyn Gottes gehalten worden zu ſeyn, weil er, da man ihn fragte, warum er Gott allein mit feinen Sathren verſchone? darauf ant⸗ wortete: weil ich ihn nicht kenne. Keiner dieſer angeblichen Atheiſten hat jedoch Gründe für den Atheismus vorgebracht, welche wir hier anführen koͤnnten. 3
Thomas Campanella ward von dem ka⸗ tholiſchen Clerus lange Zeit verfolgt, weil man ihn beſchuldigte, er habe eine neue 1 einfuͤhren wol⸗
) Genkini Thomafi ii hiftoria atheiſmi. Cap. VII. l | *®) Sülleborns Beptraͤge St. 5. Stäudlins n F träge Th. I. S. 147.
. Se; Re t BR AN Ge NE ENT ge es Bau 8 Bd N N „ . 5 en 70 \ 1. ER 4 9 vi * a
** > * 2
5 13 wi Buch III. Gavitel 10, 5 355
e 5 and ſelbſt der Pabſt konnte ihn, nicht
ſchuͤtzen. Ohngeachtet er aber einen Atheiſmus
triumphatus geſchrieben hat, ſo hat er doch fuͤr die Religionsphiloſophie nichts neues von Bedeu⸗ tung geleiftet *).
So endigte ſich die lange Periode der alten Philoſophie damit, daß die meiſten ihrer Anhaͤn⸗ | gr um der aus ihr geſchoͤpften Reltgionsideen wil⸗ len wurden.
g = * 9 Suͤlleborns Beytraͤge S. 6. Tiedemann Th. V S. 530. | |
*
Aa 3 Viertes
34 Buch IV. Capitel t.
Viertes Buch.
Erſtes Capitel.
9 ls man nach mannigfaltigen Verſuchen bie ſcho⸗ laſtiſche Philoſophie zu vertheidigen, oder die Sy⸗ ſteme der alten Philoſophen wieder geltend zu ma⸗ chen, erkannt hatte, daß der menſchliche Gelft durch die ſelben auf keine Weiſe voͤllig befriedigt werden
koͤnne, da wagte man es endlich wieder uͤber die wichtigſten Gegenftände der menſchlichen Erkennt⸗
niß ſelbſt zu denken. Von dieſem Selbſtden⸗ ken an, welches ſich nicht plotzlich und auf einmal
erhob, ſondern erſt an einzelnen Gegenſtaͤnden ver⸗
ſucht ward, ehe es auf das ganze Gebiet der Ph loſophie angewendet wurde, datirt ſich die neuere philoſophie, die man gewohnlich von Carteſius an rechnet, weil er der erſte war, der Über die geſammte Philofophie nachdachte, und deſſen Sy ſtem Anhaͤnger fand, und herrſchend wurde. 1
Schon vor ihm lebten indeſſen manche unab⸗ baͤngige Selbſtdenker, welche in der Wee |
Er ai * fr . . n
5 Philoſophie überhaupt nicht übergangen wer⸗
den duͤrfen, und von welcher einige auch unſre
Aufmerkſamkeit verdienen.
Der beſte Wecker des Selbſtdenkens in der Philoſophie, iſt der Skepticismus. Auch der neuern Philoſophie überhaupt, fo wie den meiſten
ihrer beſondern Syſteme gieng er vorher. Schon im ſechs zehnten Jahrhunderte lebte Michael von 755 Montagne, den ein ſehr detirminirter Scepticis⸗ mus in Ruͤckſicht auf die Schulphiloſophie, auf Grundſaͤtze der Philoſophie des Lebens leitete,
welche mit Recht noch in unſern Zeiten gefchäßt
werden. Ohngeachtet er des Raymund von Sa⸗ bunde Verſuche die Religionswiſſenſchaft aus der Vernunft zu entwickeln, ſehr in Schutz nahm, ſo, war er doch Skeptiker in Anſehung der Religions philoſophie, indem er alle Religions erkenntniß, welche die Menſchen befißen, von der Offenbarung ableitete. Er fand vorzuͤglich Schwierigkeiten in den Vorſtellungen der Vernunft von den morali⸗
N ſchen Eigenſchaften Gottes. Wie kann Gott z. in
B. Weisheit beſitzen, die zwiſchen Gutem und Boͤſem waͤhlt, da kein Uebel ihn trifft? Wie Vers nunft und Verſtand, die uns zur Aufklärung dunk⸗ ler BR dienen; da ihm nichts dunkel iſt“)“ 2
Aa 4 Mn Eben 2 Tiedemann Th. V. S. 585. e
Buch W. Eavitel 1. i 5
— 370 Buch IV. Capitel vw. Eben dieſe Schwierigkeiten hatte ſchon Arlſtoteles bemerkt, und die akademiſchen Skeptiker hatten ſie den dogmatiſchen Behauptungen der Stoiker ent⸗ gegengeſtellt. Den Atheismus betrachtet er jedoch | als eine unnatuͤrliche und monftröfe Denkungsart, welche ſich auch in dem verſchrobenſten menſchlichen
Geiſte nur ſchwer behauptet, und welche die Men⸗ | ſchen hoͤchſtens nur aus Eitelkeit vorgeben, fin DR... Noth aber bald davon zurückkommen. Die Athets
ſten nennt er elende und hirnloſe Menſchen, die ſich viele Muͤhe geben, ſchlimmer zu ſeyn, als ſie ſeyn koͤnnen. — Sein Skepticismus in Abſicht 4 auf die Vernunftreligion, trug für feinen wohlge⸗ 4 ordneten Geiſt die ſchoͤne Frucht, daß er zu einer u
Zeit, wo alles religioͤſen Fanatismus, Verfolgungs⸗ ſucht und Partheigeiſt athmete, Religionsduldung zu predigen wagte. Jene religiöſen Aus ſchwelfun⸗ 4
gen betrachtete er als eine Folge der Neigung, 4
derr Religion nur ſolche Dienfte zu leiſten, die un
ſern Leldenſchaften ſchmeicheln. Er empfahl daher.
um deſto mehr ihre ſanftern Pflichten zu uͤben ). 4
Miontagnes Freund und Nachahmer Char⸗ 4
ron, der in feinem Werke von der Weisheit,
Ko ‚jenen ſehr ahnliche f A dan |
deze
) Staͤudlin Eeſcichte des Stepriigmnd. Du St. 11. 1
* N 3
8 78 * 7 1 7 5 ˖ *
5 _
*
Vuch IV. Capitel 1. 377
zeigt, ſcheint feinen Skepticismus auch auf die poſi⸗ tive Religion und auf das Chriſtenthum ausge⸗
dehnt zu haben. Auch mag er wohl mit den Reli
geonsmeinungen aller Philoſophen vor ihm wenig
zufrieden geweſen ſeyn. Doch ſchwebt ihm ein Ideal
| einer Religion des Geiſtes und Herzens vor, wel⸗
ches er auf eine Art ſchildert, durch die er eine für fein Zeitalter ſehr aufgeflärte religioſe Den⸗
7 kungsart zeigt, De es doch if de e au bes
gruͤnden ).
Ebenfalls mehr Zweifler als Gottesläugner |
ſcheint Thomas Hobbes geweſen zu ſeyn. Zwar findet die Religion in feinem Syſteme keinen Platz,
und ſein Materialismus und Fatalismus ſcheint ſie ſogar aus demſelben zu verdraͤngen. Doch
ſpricht er mit Achtung von der geoffenbarten Re⸗ üigion und gruͤndet ſelbſt das Anſehn der geſetzge⸗ benden Gewalt zum Theil auf dieſelbe. Auch
mußte ihn feine Anhaͤnglichkeit an die monarchiſche or Regierungsform der Idee geneigt machen, daß ein
hoͤchſtes Weſen alles mit unumſchraͤnkter Macht beherrſche. Er ſcheint indeſſen die Religion obs jektiv als ein Reſultat von Thatſachen, und mit⸗ hin als einen blos hiſtoriſchen Gegenſtand angeſe⸗ en und fie daher als Philoſoph blos ſubjektiv
1 Aa 3 als » Stäudlin e d. Skepticismus ih 2. S. 33.
— 2 * > ci» = . 2 Te a TH 1 = 5
328 Buch IV. Capitel 1.
als eine Erſcheinung 10 menſchlichen Seifte betrach 4 tet zu haben. Dies war unſtreitig eine neue und
eines Philofophen wuͤrdige Anſicht, von der bie
Alten jedoch, wenn ſie die Frage uͤber die Entfies hung der Religion aufwarfen, auch ſchon ee erblickt hatten. | |
Hobbes ſagt: „Sorge fuͤr die Zukunft macht } die Menſchen geneigt, den Urſachen der Dinge nachzuforſchen, weil ihre Erkenntniß ſie in den Stand ſetzt, in der Gegenwart fuͤr ihre Vortheile zu ſorgen. Neugier oder Neigung zur Erkennt der Urſachen, treiben den Menſchen zu jeder Wis kung die Urſache zu ſuchen und wieder die Urs |
ſache der Urſache; bis er nothwendig in ſeinen 4 Gedanken zuletzt darauf kommen muß, daß es
eine Urſache giebt, die keine Urſache weiter hat, ſondern ewig iſt, und dies iſt, was die Menſchen Gott nennen. Es iſt alſo unmöglich eine tiefe Un⸗ terſuchung über die natürlichen Urſachen anzuſtellen, ohne geneigt zu werden zu glauben, daß ein wis ger Gott iſt, ob der Menſch gleich keine ſeiner 679
Natur entſprechende Idee in feinem Geiſte faſſen kann“. Er vergleicht hierauf die menſchliche Er⸗
kenntniß von Gott, mit der Erkenntniß, welche ein ’ 2
Blinder von dem Feuer hat das ihn waͤrmt. 35800
Und
/ k Buch IV. Capitel . 3279
Und wenn der Menſch, fährt er fort, auch
| nicht viel über die Urſache der Dinge nachdenkt, ſo treibt ihn die Furcht, welche aus der Unwiſſenhelt uͤber dasjenige, wovon ſein Wohl und Weh ab⸗ haͤngt, entſteht, verſchiedene Arten unſichtbarer Maͤchte voraus zuſetzen, fie im Ungluͤck anzurufen, und ihnen im Glück zu danken, und alſo die Kin⸗ der ſeiner Phantaſie zu vergoͤttern. Dieſe Furcht vor unſichtbaren Dingen iſt der natuͤrliche Saame desjenigen, was jeder in ſich ſelbſt Religion und in denjenigen, welche es auf andre Weiſe fuͤrchten oder verehren Aberglaube nennt. Mit dieſem Keime der Religion iſt von andern die Erforſchung der Urſachen kuͤnftiger Dinge verbunden worden, wodurch ſie ſich Macht und Anſehn uͤber andre zu verſchaffen geſucht haben. Nur der Menſch allein hat Religion, kein andres lebendes Geſchoͤpf. Die Furcht iſt die Mutter des Polytheismus, die Er⸗ forſchung der Urſachen der Dinge erzeugte die Idee von einem ewigen, unendlichen und allmaͤchtigen Weſen. Die Menſchen nennen die hoͤhern Maͤchte Geiſter, und unkoͤrperlich, wobey ſie ſich aber nichts denken, wiſſen auch nicht, auf welche Weiſe ſie wirken. Sie ehren ſie auf die Weiſe, wie man Menſchen ehrt, und ſchreiben ihnen alle aufs ſerordentliche e zu. In vier Dingen alſo,
N Buch IV. Capitel 9
alſo, im Glauben an Geiſter, Mangel an Kent⸗ niß der Mittelurſachen, Furcht und in der Ge⸗ wohnheit zufaͤllige Dinge fuͤr Vorbedeutungen zu halten, liegt der natuͤrliche Saame der Religion, der durch mancherley Einbildungen, Urtheile und Leidenſchaften verſchiedner Menſchen, in ſo man⸗ nigfaltige Gebräuche ausgeartet iſt, daß die, welche bey einigen gewöhnlich fi find, Andern meiſtens laͤ⸗ cherllch erſcheinen. Einige haben den Urſtoff der Religion durch eigne Erfindungen, andre durch Gottes Leitung ausgebildet. Der Zweck der heyd⸗ niſchen Religionen, deren Thorheiten Hobbes zu a zeigen ſucht, iſt menſchliche, der Zweck der geofe fenbarten göttliche Politik ©). Ueber die lettre
ſagt Hobbes noch manches geiſtreiche, welches in 0
einer Geſchichte der Offenbarungsbegriffe Aufmerk⸗ ſamkeit verdient.
Durch die Offenbarung hat fi Gott ein Ass nigreich errichtet, welches Hobbes das propheti⸗
ſche nennt. Er unterſcheidet davon ein natuͤrlie⸗
ches, welches hierher gehoͤrt. In ſeinem natuͤr⸗ lichen Reiche regiert Gen die Menſchen, * an em
*) Leviathan or the matter Forme et Ne: of 5 common wealth eecleſiaſtical and civil by The- mas Hobbes of Malmesbury. London 1651, fol. Part. I. Chapt. II. 13.
3
Bruch IV. Capitel r. 381 ſeine Vorſehung glauben. Das Recht zu dieſer Regierungsgewalt gruͤndet ſich nicht auf die Wohl⸗
thaten welche er den Menſchen als Schoͤpfer er⸗
zeigt hat, ſondern auf ſeine unwiderſtehliche Macht. Dieſem Rechtsgrunde gemaͤß belohnt und beſtraft Gott willkuͤhrlich die Menſchen, ohne auf Verdienſt und Schuld zu ſehen. Es gruͤnden ſich darauf die Geſetze Gottes, welches die Ver⸗
ſchriften der Vernunft über das Betragen der Menſchen gegen einander, und uͤber die Verehrung
Gottes ſind. Ehre beſteht in der Meinung von
der Macht und Guͤte eines andern; Verehrung
Gottes alſo darinn, daß man ſo erhaben von ſei⸗
Danks und Gehorſams; theils willkuͤhrlich. Die
ner Macht und Guͤte denkt als moͤglich. Als in⸗ nere Verehrung iſt ſie Liebe die ſich auf die Guͤte Gottes bezieht, Hofnung und Furcht die ſich auf feine Macht gründen, Die aͤuſre Verehrung bes
8 ſteget in Lob, welches ſeine Guͤte, in Ehrfurcht und Ruhm, die ſeine Macht und die Gluͤckſeelig⸗
keit welche durch ſie befördert wird, zum Gegen⸗ ſtande haben. Sie wird theils durch Worte, theils durch Handlungen ausgedruckt. Die Zei; chen der Verehrung ſind theils natürlich, als die Attribute der Guͤte, Gerechtigkeit und Wohl⸗ thaͤtigkeit, und die Handlungen des Gebets, des
will⸗
382 Buch IV, Capitel 1.
willkührlichen find entweder geſetzlich oder frey⸗ willig. Bey der geſetzlichen Verehrung kommt es nicht auf die Worte oder Gebärben an, ſondern der Gehorſam gegen die Vorſchriften der Geſetze uͤber ſie, macht die Verehrung aus. Der Zweck der Verehrung unter Menſchen iſt Macht. Deyn wenn ein Menſch einen andern verehrt ſieht, ſo hält er ihn für maͤchtig, und iſt um fo bereitwilli⸗
ger, ihm zu gehorchen, welches ſeine Macht ven
größert. Aber Gott hat keine Zwecke; die Vers ehrung welche wir ihm widmen, kommt von unſrer Schuldigkeit, und richtet ſich nach unſern Begriffen
von den Regeln der Ehrerbietung, welche der
ſchwache Menſch dem Maͤchtigen erzeigt.
Hierauf entwickelt Hobbes die Eigenſchaften
welche wir Gott beyzulegen haben, aus dem Be⸗ griffe der Verehrung. Unſtreitig eine neue, und aus ſeiner ſubjektiven Anſicht der Religion ent⸗
ſprungene Methode. Nur einige Proben davon:
zuerſt muͤſſen wir Gott Exiſtenz zuſchreiben, denn |
kein Menſch kann etwas verehren, wovon er glaubt daß es nicht exiſtirt. Zweytens: Solche Philo⸗
ſophen, welche ſagen, daß die Welt oder die Welt⸗
feele Gott ſey, ſprechen unwurdig von ihm; und er
1
laugnen feine Exiſtenz. Denn unter Gott iſt die
Urſache der Welt zu verſtehen, und zu ſagen dle | / Welt
Buch IV. Capitel “. 383 Welt iſt Gott „heißt ſagen, daß Gott nicht die | | Urſache deſſen iſt, was da iſt, alſo nicht Gott. Drittens zu ſagen, daß die Welt unerſchaffen und ewig ſey, heißt laͤugnen, daß ein Gott iſt. — Wer in Dingen, welche Groͤße oder Macht andeu⸗ ten ſagt, daß Gott endlich ſey, verehrt ihn nicht. Denn es zeigt nicht den Willen an Gott zu ver⸗ ehren, wenn wir ihm weniger zuſchreiben als wir | koͤnnen, und endlich iſt weniger als wir koͤnnen, weil man zu allen endlichen noch etwas hinzufuͤgen kann. Daher iſt es unehrerbietig, Gott eine Fi⸗ gur, Theile, einen Ort, Leidenſchaften, Willen, Sinnlichkeit, Bewegung und Ruhe, oder uns ei⸗ nen Begriff oder eine Idee von ihm zuzuſchreiben, denn alles das iſt endlich, auch zu ſagen, daß mehr als ein Gott ff, denn es kann nur ein Un⸗ endlicher ſeyn. Wir duͤrfen daher Gott nur nega⸗ tive oder ſuperlative Attribute geben; als: der Hoͤchſte, der Groͤßte, oder unbeſtimmte als: Gut, Gerecht, Heilig, Schoͤpfer, und uͤberhaupt nur ſolche, die unſre Ehrfurcht gegen ihn erhöhen, Denn es iſt nur ein Name, der unſern Begriff von feiner Natur ausdrückt, und dieſer iſt: Ich bin, und noch ein Name der fein Verhaͤltniß zu uns ausdruͤckt, dieſer iſt Gott, in welchem Vater ı Rös nig und Herr begriffen iſt. |
30
ee
384 Buch IV. Capitel 1. a Zu den Handlungen der Gottesverehrung rech⸗ 1 net er: Gebet Dankſagung, Geſchenke, bey keinem 3 andern als Gott zu ſchwoͤren, ehrfurchtsvoll von 4 Gott zu ſprechen, Gebete und Opfer mit Anſtand und Geſchmack darzubringen, Gott nicht biss in Ge⸗ heim ſondern auch oͤffentlich zu verehren. Endlich fuͤgt er hinzu: Gehorſam gegen ſeine Geſetze, das 1 iſt gegen die Geſetze der Natur, iſt die größte Got⸗ 1 tesverehrung. ni Nun noch einige Parsdoren, die ſehr berühmt geworden ſind, und ſo ſonderbar ſie auch klingen, doch von Hobbes aus dem Obigen mit vieler Con⸗ ſequenz gefolgert werden: Der oͤffentliche Gottes ⸗ dieuſt muß gleichfoͤrmig ſeyn. Denn Handlungen welche von verſchiedenen Menſchen auf verſchledene Weiſe geſchehen, koͤnnen nicht ein oͤffentlicher Got⸗ tesdienſt genannt werden. Wo alſo mehrere Ar⸗ ten von Gottesdienſt erlaubt ſind, da kann man nicht ſagen, daß ein oͤffentlicher Gottes dienſt ſtatt f finde, noch daß der Staat uͤberhaupt Religion babe, »- 3 Da nun Worte (und folglich auch die Attri⸗ bute von Gott) ihre Bedeutung durch Einwilligung und Feſtſezung der Menſchen erhalten haben, und ei dieſe Attribute ſolche ſeyn ſollen, welche allgemein unter den Menſchen Verehrung aus druͤcken, ſo muß N 1 ihre
Buch IV. ‚Ca tel a 385 | ihre Bedeutung als Zeichen der Gottes verehrurg | durch die hoͤchſte gefeßgebende Gewalt im en 5 feſtgeſetzt werden.
Da aber nicht alle Handlungen conventio⸗ nelle Bedeutungen haben, ſondern einige natuͤrliche Zeichen von Verehrung, andre von Beſchimpfung find, fo konnen die letzteren durch keine menſchliche Macht zu einem Zeichen der Gottesverehrung gemacht, und die erſtern nicht von ihr getrennt werden. Da es aber eine unendliche Zahl gleich- gültiger Handlungen und Gebaͤrden giebt, fo müfr ſen diejenigen, welche der Staat darunter zu Zei⸗ chen der Ehre und des Gottesdienſtes macht, von den ane dazu gebraucht werden ).
Aus der oben erwaͤhnten Unterſcheidung zwi, föen einer geſetzlichen und frepwilligen Gottesver⸗ ehrung ſieht man, daß Hobbes hierdurch nicht den Gewiſſenszwang in Schuß nehmen will, ſondern da er nur von einer geſetzlich zu beſtimmenden Sf fentlichen Gottesverehrung ſpricht, fo iſt feine Meinung keine andre als die ſokratiſche; daß man die Goͤtter am beſten verehre, wenn man es den jedesmaligen Landesgeſetzen gemäß thue.
Die * Hobbes en pat 1. 454 31 Of the ! Kingdome of God by Nature, . |
386 Buch IV. Capitel 1. | Die Ideen des brittiſchen Philoſophen vers rathen unſtreitig eben ſo viel Originalität als Scharfſinn, und ſind ſehr lehrreich wenn ſie auch nicht durchaus conſequent, und ſelbſt wenn ſie wie man ihn oft beſchuldigt hat, nicht ſeine wahre Meinung ſeyn ſollten. Doch konnte er bey Vor⸗ aus ſetzung der Subjektivitaͤt der Religion alles ers waͤhnte behaupten, ohne ſeinem Materialismus in widerſprechen. f
1
Zweytes Capitel.
Nas erſte Syſtem, welches die neuere Phlloſo⸗ phie mit Beyfall aufſtellte, war wenigſtens eben ſo theologiſch als das platoniſche unter den Syſte⸗ men der alten Philoſophie. Es iſt daher fuͤr die | Religionsphiloſophie ſehr merkwuͤrdig. Es geht vom reinſten Idealismus aus, verbindet damit Theologie, und erzeugt dadurch Realismus. Dieſen hoͤchſt intereſſanten Gang der Carteſiani⸗ ſchen Philoſophie wollen wir in den vorzuͤglichſten F Schriften des Urhebers derſelben verfolgen. “ Renatus Des Cartes bat in feinen Mer ditationen über die erſte Philoſophie, welche
er der Sorbonne zur Beurtheilung vorlegte, die Hauptreſultate feiner Philoſophie, und zugleich die Methode durch welche er zu ihnen gelangte, mit einer Klarheit vorgelegt, welche ihr als den hell: ſten Kopf feines Zeitalters charakteriſirt. Aus dem Wirbel von Ideen, in welchem das damalige Zeitalter durch die chaotiſch untereinander liegen⸗ den, aus dem Alterthume hervorgezogenen, und neu entdeckten Kentniſſe umhergetrieben ward, | konnte ſich Carteſius nicht glücklicher retten, als durch einen allgemeinen Zweifel, von dem fein | Philoſophiren ausgeht ). Ihm blieb von feinem geſammten Seyn nichts uͤbrig, als fein Denken. Dies allein uͤberzeugte ihn von ſeinem Seyn, be⸗ ſtimmte ihm aber auch zugleich die Art ſeines Seyns, als ein Seyn im Denken, mithin ein ideales Seyn. Er zeigt daher, daß alle Gegen⸗ ſtaͤnde auſſer ihm, ſich als Modiſikationen ſeines Denkens erklaͤren laſſen, daß ſich aber ihre Reall⸗ tat nicht beweiſen laſſe, weil er von einem maͤchtl⸗ gen Weſen, welches auf ſeine Natur Einfluß hätte, in Ben" u. Pr werden
t N ae koͤnn⸗
120 Renati des Cartes meditetichen de prima philofo« | phia e 1678. 4. Med. k; ‘
Bb 2
3s Buch . Capitel a.
koͤnnte ). Er findet indeſſen, daß, geſetzt daß 4
feine Vorſtellungen auch blos ſubjektiv und ideal
wären, und ihnen kein Gegenſtand auſſer denſel⸗ |
ben entſpraͤche, fie doch eine Urſache haben muͤſ⸗
hervorzubringen. Dieſe zu raſche Anwendung des
Satzes der Cauſalitaͤt iſt unſtreitig der Grundfeh⸗
ler feines Syſtems. — In der Urſache muß wenige ;
ſtens eben fo viel Realität ſeyn, als in der Idee, welche von ihr in eine bewirkt worden iſt. Wenn nun dieſe Urſache auch wieder eine Urſache hat, und ſo immer weiter, ſo muß ich doch am Ende
bey einer hoͤchſten Urſache ſtehen bleiben, welche 1 die Quelle aller Realität meiner Ideen if.
Dies führt ihn auf die Idee von Gott).
u —
Alle andre Ideen koͤnnen jedoch, wie Carte
ſius zuvor bey Darſtellung des Idealismus, von welchem er ausgeht, gezeigt hatte, aus mir ſelbſt und als Modifikationen meines Denkens erklärt
werden. Dies kann aber nicht mit der Idee von 2
Gott geſchehen. Denn ob ich gleich die Idee von
einer Subſtanz in mir haben kann, weil ich ſelbſt | |
eine Subſtanz bin, fo kann ich doch nicht in mir | die
®) Meditatio II. De natura mentis humanae, Quod ipſa ſit notior quam corpus. *) Med. III. De Deo quod exiſtat.
Buch IV. Capitel 2. 389 die Idee von einer unendlichen Subſtanz haben, da ich ſelbſt endlich bin, wenn ich ſie nicht von el⸗ ner unendlichen Subſtanz ſelbſt erhalten habe Hy Hieraus folgert Carteſius, daß Gott nothwendig exiſtirt, und dies iſt fein Hauptbewe is für das Daſeyn Gottes, mit welchem er, wie wir welter ſehen werden, noch andre verbindet. Wenn nun Gott die Urquelle aller Realität meiner Ideen iſt, ſo folgt daraus, daß ſie auch wirklich real und gewiß ſind. Denn Gott koͤnnte mich zwar damit ktaͤuſchen; aber Taͤuſchung und Betrug find Une vollkommenheiten, welche dem Begriff des voll⸗ kommenſten Weſens widerſprechen. Auf die Wahr⸗ haftigkeit Gottes gruͤndet Carteſius alſo alle Rea⸗ litaͤt der menſchlichen Erkenntniß, daher er ſie auch unter den Eigenſchaften Gottes am forgfäls ligſten zu erweiſen ſucht ) SGewiſſermaaſen unabhängig von dieſen Sägen iſt der Beweis fuͤr das Daſeyn Gottes, welchen Carteſius aus dem Begriffe des vollkommen⸗ ſten Weſens herleitet. Er geht dabey von dem Satze aus: Was ich an einer Sache deutlich als zu derſelben gehoͤrend wahrnehme, das gehört
0 warden 12455 4 ee Bb 3 8 * auch g ) Med. in par. 1 1 dn |
2 N 2 Med. IV De vero et falſo a De rerum mate- tlalium exiftentia.
300 Buch IV. Capitel 27
. n * er 2
auch gewiß zu derſelben. Nun gehört zu dem
Begriffe des Weſens, welches alle Vollkommen⸗
beiten umfaßt, and) Der Snuff des Sens, v ihm ohne denſelben eine Vollkommenheit fehl und es alſo nicht das vollkommenſte ſeyn würde
Alſo muß das vollkommenſte Weſen nothwendig
als exiſtirend gedacht werden. Carteſius erkennt ſelbſt, daß dieſer Schluß einem Sophiſma ſehr aͤhnlich ſieht. Denn da ich gewohnt bin, ſagt
er, bey allen andern Dingen die Exiſtenz don dem 5
Weſen zu trennen, ſo uͤberrede ich mich leicht,
daß ſie auch von dem Weſen Gottes gelrennt wers
den, und alſo Gott als nicht exiſtirend gedacht weren könne; bey genauerer Aufmerkſämkeit aber wird es klar, daß man die Exiſtenz ſo wenig von dem Weſen Gottes trenben koͤnne, als von dem Weſen eines Triangels, daß ſeiie n drey Winkel zwey rech⸗ ten gleich ſind, oder von dem Begriff eines Berges den eines Thals; ſo daß es kein größerer Wider⸗ ſpruch iſt, Gott (das iſt das vollkommenſte Weſen)
ohne Exiſtenz (d. i. ohne eine gewiſſe Vollkommen⸗ .
heit) zu denken, als einen Berg ohne Thal. =
Indeſſen folgt daraus, daß ich mir einen. Berg 0
nicht anders als mit einem Thale denken kann,
nicht daß Berg und Thal exiſtiren, ſondern nur daß e und Thal, ſie abge Pr. ober. uicht von
N n € ıyllen eins
Buch V. Capitel 2. 39 einander nicht getrennt werden konnen; aber dar⸗ aus daß ich Gott nicht anders denken kann, folgt daß die Exiſtenz von Gott unzertrennlich iſt, und daß er folglich wirklich exiſtirt, nicht weil mein Ge ⸗ danke dieſes macht, ſondern im Gegentheil, well Nothwendigkeit der Sache ſelbſt, nemlich der Exiſtenz Gottes mich beſtimmt es zu denken 175 Auf dem dogmatiſch idealiſtiſchen Standpunkt, auf welchem Carteſius ſtand, folgerte er vollkommen con⸗ ſequent. Er konnte ſich baher aus feinen Fehlſchluͤſ⸗ fen nicht herausfinden, und ſeine Gegner konnten ihn nicht widerlegen, da fie groͤßtentheils noch von 5 einemungleich niedrigen Standpunkte aus das Gebiet der Philoſophie uͤberſehen wollten. Nur dann wenn man die Subjektivitaͤt der ganzen Methode, durch welche Carteſius zum Begriffe von Gott ge⸗ langte einſieht, kann man ae Beweiſe ars wuͤrdigen. 72 N den den Vetheldigungen eben cee Meditationen gegen die dawider gemachten Eins wuͤrfe, ſtellt Carteſius feine Beweiſe fuͤr das Daſeyn Gottes in geometriſcher Form auf und fügt daſelbſt noch folgende zu den ſchon angefuͤhrten hinzu: Wenn ich die Kraft haͤtte, mich ſelbſt zu erhalten, ſo wuͤrde
7 1 noch mehr die Kraft ee 7¹ mir die Vollkommen⸗
8 Bb 4 | hei⸗ * Medit. V. p.32. 33. Eo ue ol 11
392 Buch IV. Cavpitel 2. heiten zu geben, welche mir fehlen, denn dleſe ſind
une Accidenzen, ich aber bin eine Subſtanz, ich
habe aber dieſe Kraft nicht, weil ich mir ſonſt jene Vollkommenheiten ſchon gegeben haben wuͤrde, alſo
habe ich auch nicht die Kraft, mich zu erhalten. Ich
muß alſo von einem andern erhalten werden, und derjenige, welcher mich erhaͤlt, muß nicht allein die Vollkommenheiten haben, welche ich beſitze, ſondern
auch die welche mir fehlen, mithin alle Vollkom⸗ a menheiten ). Dieſer Beweis gründet ſich auf die ö aus der ſcholaſtiſchen Philoſophie hergenommene Vorausſetzung, welche unzählige Fehlſchluͤſſe in ihr erzeugt hat, daß der ſubjektive Reflexionsbegriff Subſtanz objektive Realität habe, und daß jede
Subſtanz ſchlechthin vollkommner ſey als ein Accidenz,
da es doch nur von meinem Verfahren bey einer Res |
flexion abhängt, ob ich ein Accidenz für eine Sub⸗ ſtanz annehmen will oder umgekehrt. toren
Da Carteſius dieRealität aller unſrer Erkennt⸗ Apen Gott ableitet, ſo war es nicht inconſequent,
wenn ſein Schuͤler Walebranche behauptete, daß wir alles in Gott ſaͤhen. Er gieng davon aus, daß | wir alle Gegenſtaͤnde nur vermittelſt der Worftellun
gen erkennen. Er ſucht hierauf zu zeigen: daß uns dieſe Vorſtellungen nicht von den Gegenſtaͤnden ſelbſt | mit⸗
*
, Refponfio ad ſecundas obiedtiones p. 89.
—
Nah l IW. Capitel . 393
mitgetheilt werden, daß unſer Geiſt ſie nicht ſelbſt hervorbringt, daß fie uns nicht anerſchaffen find, oder jedesmal von Gott hervorgebracht werden, ſo oft wir ihrer beduͤrfen, daß wir endlich in ihnen nicht die Eigenſchaften unſers Geiſtes anſchauen !). Es bleibt ihn alſo nicht übrig, als zu behaupten, daß wir alles in Gott ſehen. Das iſt nun freis lich nicht ſehr deutlich, und man kann auch nicht ſa⸗ gen, daß es durch die Beweiſe, welche Malebranche dafür fuhrt, deutlicher wuͤrde. Er gründet fie hauptſaͤchlich darauf, daß unſre Seelen mit Gott in der genaueſten Verbindung ſtehen, und Gott gleich⸗ ſam der Ort der Geiſter ſey, ſo wie der Raum der Ort der Körper iſt. Wenn Gott alſo den menſch⸗ lichen Geiſtern, die in ihm vorhandenen Vorſtellun⸗ gen mittheilen will, ſo kann er es thun, und es iſt vermoͤge des Geſetzes der Sparſamkeit, welches in der Natur herrſcht, wahrſcheinlicher, daß er dieſes thun als eine unendliche Menge von Ideen in jedem Geiſte erſchaffen werde *). — Man kann hier⸗ aus leicht auf den Werth der uͤbrigen Behauptun⸗ gen Malebrauches über die Religionsphiloſophie ſchließen, die er gleichfalls als die vornehmſte philo⸗ | ſoptiſche ee t aber eben nicht 53 ee ien mit KM . Malebranche recherche de iu verite L. III. c 1-5. l Chap. 6.
5 3 17 * > F Mn. 14° 48 N h „ 2
394 Buch IV. Capitel 2. N mit hellen Begriffen bereichert. Auf dem Wege, welchen Carteſius und Malebranche eingeſchlagen waren, gleng Berkeley am weiteſten, und kam da⸗ durch zu einer dogmatiſchen Behauptung des Idealismus. Er geht daven aus: Ich nehme nichts wahr als meine eignen Ideen, und keine Idee kann anderswo als in einem Geiſte ſich be⸗ finden; nun hängen: meine Ideen nicht von mir ab,
und ich bin nicht Urheber derſelben. Sie muͤſſen alſo in einem andern Geiſte exiſtiren, und durch 1
deuſelben mir mitgetheilt werden. Die Mannig⸗ 7
faltigkeit und Ordnung dieſer Ideen zeigen, daß dieſer Geiſt weiſe, mächtig und gut iſt. Um dieſes } Beweiſes fir das Daſeyn Gottes willen, hielt Bers keley feinen Idealismus für das kraͤftigſte Mittel gegen den Atheismus. — Carteſius hatte im Grunde ganz daſſelbe behauptet, nur ſuchte er den Realismus damit zu vertheidigen, daß uns Got ä mit unſern Ideen taͤuſchen wuͤrde, wenn ſie nicht real waͤren. Berkeley ſucht dagegen zu zeigen, daß 1 dies keine Taͤuſchung von Seiten Gottes, ſondern daß der Realismus oder Materlalismus vielmehr eine Selbſttaͤuſchung ſe n. 3 den durch die carteſianiſche Philo ſophie ver- | ganlaßten und durch die Schuler des Carteſtus noch mehr bearbeiteten, mit der EEE in Ver⸗
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1 AN ” 7 179 "ur
3 Aa
Buch IV. Capitel 2. 3095
indung ſtehenden Lehren, gehoͤrt auch die von
der Wirkſamkeit Gottes vermittelſt der Ge⸗ ſchoͤpfe. Gewöhnlich betrachtet man ſie blos als eine theologiſche Erklaͤrung des Zuſammenhanges des Leibes und der Seele, und ſie iſt unter dem Na⸗ men des Syſtems der gelegentlichen Urſachen bekannt. Allein fie ift von groͤßerm Umfange. Mas lebranche, der fi e vorzüglich ausarbettete, nach dem ſchon de la Forge einiges davon gelehrt hatte, betrachtete Gott als den erſten und allgemeinen Grund aller Wirkſamkeit der Weſen, und alle übrige Weſen als Mittel „deren er ſich zu Erreichung feis ner Zwecke bedient ). Die ganze Welt wird da⸗ durch zu einer Maſchine, deren Bewegung einzig ö von Gott abhängt. Dadurch wird freilich alle Frey⸗ | ir re aufgehoben, welches ich die Carteſianer nicht zugeben wollten, und 7 durch mancherlen Sophiſtereyen aus dieſen Wi⸗ Berppklieh heralszuhelfen ſuchten. Der Streit dar, über, welchen vorzüglich Arnauld erregte, ward jedoch mehr mit kirchlich theologischen als pbiloſo⸗ phiſchen Grün den geführt, ſo wle auch die ganze Lehre durch die Streitigkeiten des Janſevismus für die damaligen Zeiten eine e erhielt, bie fie | a... | 29 Wb beide, fur la Metaphyfique p. 118 fd. 0
396 Boch W. Capitel z.
jetzt nicht mehr hat. Eine geſunde, die Frepheit des Menſchen behauptende Philo ſophie möge uns bewahren, daß 2 dieſelbe nie wieder er⸗ vn ee een ee eee e eee 3
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in „ a enn Di ieee weht der Garreſtanteuus bath, die ganze Philoſophie in Religionsphiloſophie zu verwandeln, erreichte durch Spinoza ihr Ziel. Denn der Spiaozismus iſt nichts anders, als ein philoſophiſches Soſtem, welches durchaus auf ei⸗ ner theologiſchen Grundlage beruht, und deſſen kleinſte Theile durch theologische Gründe beſtimmt werden, und Spinoza iſt, wie Herder ſehr treffend von ihm ſagt, ein Architbeiſt vor allen We
Daß man den wahren Charakter ſeines ‚Soft em ſo lange verkannt, daß man es ſelbſt als e, Athels a mus geläͤſtert hat, kam daher, weil es auf e phyſiſchen Sätzen beruht, die wenn man fi e nicht verſteht, den Begriff von Gott bersbzuwür 4 digen ſcheinen, und wenn man fie berſtehl, der niedern Phantasie den n Weg #9 Gott fo. fee ver⸗
*
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Buch IV. Capitel3. 397
engen, daß ſich alle durch Phantaſie erzeugte reli⸗ gioͤſe Vorſtellungen, wie es die meiſten Ideen der d Volksreligton find, nur ſehr ſchwer damit vereini⸗ gen laſſen. Es gehoͤrt hierzu ein Kopf der wenig⸗ ſtens dem Geiſte des Spinoza nicht ganz fremd iſt; denn dieſer wußte, wie aus ſeiner Geſchichte bekannt iſt, nach feinen Grundſaͤtzen jeder redlich aher Religionsart Beyfall zu geben. | | Die Grundideen des Spinozismus ſind nichts weniger als originell. Sie find aus einem Abs grunde geſchoͤpft „ in welchen ſich die menſchliche Vernunft um ſo leichter verliert, je tiefer ſie das Weſen andrer Dinge ergründen will, ohne ſich ſelbſt und ihr Erkenntnißvermoͤgen gehörig zu ken⸗ nen. aber waren es faſt immer nur die abſtrak⸗
| teften und tiefſinnigſten Denker, welche ſich bis das bin berloren, wenn die conkreteren und leichtſinnt⸗ | gern lieber auf blumigern Wegen wandelten. Schon Kenophanes hatte ſich die Idee von Einem gebil⸗ det, in welches er Alles hinein legte, aus dem er aber nicht viel wieder herauszuholen wußte. Gluͤck⸗ N licher waren die Stoiker hierinn, die, wie auch ſchon Heraklit vor ihnen gethan hatte, in dem Ei⸗ nen ein phyſiſches Weſen, ein ſich ſelbſt nährenz des und verzehrendes Feuer dachten, aus dem ſie alles zu machen wußten, weil ſie um Conſequenz P nicht
398 BR 0. Capitel 3.
nicht zu aͤngſtlich bekuͤmmert W 2) auch dann und wann einen Sprung über einen Widerſpruch hinweg erlaubten. Die Neuplatonl⸗ ker wußten durch Logik Alles in Eins und Eins
in Alles zu verwandeln, und es fehlte ihrem Sy⸗ ſteme weiter nichts, als daß die Logik nicht fo der Natur, wie dem Verſtande Geſetze giebt. Schon vorher hatten es die Kabbaliſten durch Phantaſie zu thun gewußt, und a 3 thaten ſie es
eu 1
nachher. | BR
Es fehlte nur noch, daß dieſe phlloſephiſche Metamorphose durch Metaphyſik bewerkſtelligt wurde. Das unternahm ſchon zu Anfange des ſi ebenzehnten Jahrhunderts Giordano Bruno der ſich jedoch von allen andern Alles in Eins verwan- delnden Philoſophen dadurch auszeichnet, daß er das Eins noch von et arge 05 2 babe
ee Ehe a Bis.
) So verſtehe ich wenigſtens, was 1 9 lehren läßt: Ueber die Lehre des Spinoza Veylage |
1. S. 291. “Nicht bis zum Begriffe des allerhoͤch⸗ ſten Weſens, deſſen Erkenntniß auſſer dem Bezirke
des menſchlichen Verſtandes liegt, koͤnnen wir uns
auf dieſe Weiſe hinaufſchwingen; — Höhere Bes trachtungen, welche über die Natur hinaus gehen, 9 ſind demjenigen, welcher nicht glaubt, unmöglich, 1 und von keinem Nutzen“. |
*
Buch IV. Capitel 3. 399 ee Em nur einen negativen Ping in un⸗
J 75 Geſchichte findet. En
Spinoza ſcheint burch die Kabbala, in der er als ein geborner Jude unterrichtet ward, zuerſt auf dieſe Idee geleitet worden zu ſeyn, und ſie
f mußte in der carteſi aniſchen Philoſophie, der ...
ſich fpäterhin ergab, ſehr viel Nahrung finden, denn dieſe Philoſophie konnte vermöge ihres Bes
. geiffes von Gott, nach welchem er das Weſen iſt, f welches alle Realitäten in ſich vereinigt, ſehr ns | tuͤrlich auf die Idee fuͤhren, daß Gotte Eins und Alles ſey. Spinoza glaubte jedoch dieſen Begriff,
welchen Carteſius ohne einen Grund deſſelben an⸗
zugeben, ſchlechthin im menſchlichen Geiſte als
von Gott ſelbſt mitgetheilt annimmt, noch tiefer
‚begründen zu koͤnnen. Er legte den Grund beffels ben in gewiſſe Satze, von denen er glaubte, daß fie an ſich ſelbſt evident wären, und ſcheint dabey
wenigſtens ſtillſchweigend vorausgeſetzt zu haben, 3 daß ohne fie anzuerkennen, alles Denken unmoͤg⸗ lich ſeyn würde, Er glaubte fein Spſtem mathe⸗
matiſch demonſtriren zu konnen, und trägt es in
biefer Geſtalt in feiner Ethik vor ). Allein es geht ihm, wie allen Mathematikern, wenn man
2 ihm ®) B. d. S. Opera poſthuma 1677. 4.
4% Buch IV. Capitel 3.
ihm ſeine Definitionen nicht e % faut fein ganzes Syſtem dahin. 9 eg N
Gleich die erſte ſetzt voraus, des ein Weſen möglich ſey, welches nicht anders als eriſtirend ge⸗ dacht werden kann. Dies kaun aber ſehr bezweis felt werden. Denn auſſerdem daß alle die Ein⸗ wendungen dagegen gelten, welche man gegen den Carteſianiſchen Beweis von der nothwendigen Eri⸗ ſtenz Gottes gemacht hat, ſo kann ich mich ſelbſt denken als nicht exiſtirend. Aller Begriff von Exiſtenz iſt aber von mir ſelbſt auf andre Dinge
uͤbergetragen. Mithin kann ich alles andre auſſer
mir noch leichter als nicht exiſtirend denken Fl
—
Auf dieſem Satze beruht nun vorzuͤglich hr
Begriff welchen Spinoza von Subſtanz annimmt, und ſeine Behauptungen von demſelben, aus wel⸗
chen ſein ganzes Syſtem herfließt. Wenn aber der Begriff von Subſtanz, als einem Weſen, wel⸗
ches die Exiſtenz nothwendig in ſich ſchließt, nicht
nur nicht nothwendig gedacht werden muß, ſondern vielleicht gar nicht gedacht werden kann, ſo wird die ganze Grundlage des ſpinoziſchen Syſtems ler.
ſtoͤrt.
Ohne dieſe Grundlage bleibt es indeſſen W |
noch ein Syſtem wie alle andre Syſteme, d. h.
ein
*
) Ethices pars I, Deſinit. t.
Wr 9
E *
Buch l IV. Cavitel 9 4e
en Berfuh, aus einem schlechthin und ohne Ber
8 angenommmenem Begriffe das Weſeu aller
3 Fr ar ihre Eigenſchaften zu erklären, und als
ein ſolcher Verſuch iſt es ein bewundernswuͤrdiges Werk des Scharfſi ines, und der Conſequenz. Ue⸗
berall liegt der einmal angenommene Begriff von Gott als der einzigen unendlichen Subſtanz zum
Grunde, und aus der unendlichen Fuͤlle dieſes
Begriffe werben alle übrigen Begriffe geſchöpft. Der Hauptpunkt, wodurch ſich jedes Syſtem
welches Alles als Eins betrachtet, von demjenigen unterſcheldet / die bey der Mannigfaltigkeit der
Dinge ſtehen bleiben, und ſie nur durch Cauſal⸗ zuſammenhang verknuͤpfen, wird ſcharf aufgefaßt.
Gott iſt innere aber nicht aͤuſſere Urſache der
Dinge „). Damit wird der Begriff der Urſache
im Grunde aufgehoben, und an ſeine Stelle ein
Zuſammenhang der Dinge durch Inhärenz geſetzt.
Doch nennt Spinoza die Dinge auch goͤttliche Pro⸗
dukte u nimmt aber an, daß ihr ganzes Weſen
Seyn und Wirken „durch Gott beſtimmt wird.
ate N. en 1 Natur gemaͤß, und in
% Eth. I. propof. 24. \
s
X 9 Ech . 1. . 18. Deus eſt omnium rerum 1
cauſa immanens; non vero tranfiens.
60
4 BuhIV, Capitei 3. ſofern unabhängig, als er von nichts auſſer ihm beſtimmt wird, aber deswegen nicht frey. Frey⸗ heit findet nur ſtatt wo eine Wahl zwiſchen meh⸗ rern Zwecken moͤglich iſt. Spinoza aber behauptete daß Gott gar nicht nach Zwecken, ſondern allein nach den Geſetzen feiner Natur handle *). Dies ſind aber nothwendige Gefeße; daher hat Gott keinen freyen Willen. Eben ſo wenig hat er Ver⸗ ſtand, oder uͤberhaupt ein Erkenutnißbermögen. Denn dies wuͤrde vorausſetzen, daß Dinge ohne ſein Denken und vor demſelben da waͤren, ſie ſind aber nur durch daſſelbe da. Mithin iſt das Den⸗ ken Gottes wenigſtens ganz verſchieden von dem menſchlichen Erkenntuißvermoͤgen. n | Am paradoreften ſcheint es auf den 3 4 Anblick im ſpinoziſtiſchen Syſteme zu ſeyn, wie Menſchen als goͤttliche Attribute oder Modifikatio⸗ nen derſelben betrachtet werden, und ſo der goͤtt⸗ 4 lichen Subſtanz inhaͤriren koͤnnen. Indeſſen war 1 auch dieſer Gedanke nicht ganz neu. Schon Car⸗ teſins hatte gezeigt, wie alle Dinge als Modifika⸗ 4 tionen des menſchlichen Denkens gedacht werden } koͤnnten. Es mußte daher weit leichter ſeyn, dies von dem goͤttlichen ſich vorzuſtellen. — Gott iſt ein denkendes Weſen. Seine Ideen und die Dinge *) Eth. I. propoſ. 17. Appendix. part, I. l
Buch IV. Capitel 3. 4003
find eins und daſſelbe. Der Menſch iſt urſprüng⸗
*. lich eine goͤttliche Idee, von einer beſonders exiſti⸗
renden Sache. Das Objekt dieſer Idee iſt der
Leib. Die Ideen unterfcheiden ſich wie ihre Dbs
jekte. Daher haͤngt die Beſchaffenheit der Seele von der Beſchaffenheit des Koͤrpers ab. Die
Grundeigenſchaft der Körper iſt Bewegung, und
ſie unterſcheiden ſich durch die Geſchwindigkeit der⸗
ſelben. Ein Koͤrper wirkt auf die Bewegung des
andern, und durch dieſe Wirkung nimmt der Geiſt das Daſeyn andrer Koͤrper wahr. Der Geiſt kennt
ſich und andre Dinge nur durch den Koͤrper, und die Eindruͤcke welche auf ihn geſchehen. Aber uns
fere Erkenntuiß von unſern und fremden Koͤrpern
iſt unvollkommen. Von Gott haben wir jedoch
eine vollkommne Erkenntniß, weil die Erkenntniß
eines jeden andern Dinges die Erkeyntniß Gottes
art in Gott iſt. Sein Wille hängt ganz von fe
vorausſetzt. Der menſchliche Geiſt hat keinen
freyen Willen, weil er eine beſtimmte Vorſtellungs⸗
| nem Verſtande ab, denn Wille und Werftaud . Eins und daſſelbe ).
ö *) Dies find die baupibeen des zwepten Theils der
8 Die
Ethik. 75 Ce 2
* “a
0 4 Buch IV. Capitel 3.
| 7 Die Empfehlung dieſer Ideen, mik welcher Spinoza das zwepte Vuch feiner Ethik ſchlleßt, zeigt, was er ſich von ihnen verſprach, und wie er ſie angewendet wiſſen wollte. Er haͤlt ſeine Lehre für ſehr nuͤtzlich für das Leben ‚ “in ſofern fie lehrt, daß wir alles unter goͤttlicher Leitung thun, und der göttlichen Natur theilhaftig find, und zwar um ſo mehr, je vollkommner wir han⸗ deln, und je mehr wir Gott erkennen. Dieſe Lehre hat alſo, auſſer dem daß ſie das Gemuͤth voll⸗ kommen beruhigt, den Vortheil, daß ſie uns zeigt, worinn unſer hoͤchſtes Gluͤck oder unſre Seeligkeit beſteht, naͤmlich allein in der Erkenntniß Gottes, | durch die wir nur zu Handlungen der Siebe und 1 Frömmigkeit geleitet werden. Wir erkennen da⸗ durch deutlich, wie unrichtig diejenigen bie wahre u „Tugend ſchaͤtzen, welche für die Tugend und die guten Handlungen, als große Dienſtleiſtungen, die 1 groͤßten Belohnungen von Gott erwarten, als ob Tugend und Gottſeeligkeit nicht ſelbſt Gluck ſeelig⸗ keit und hoͤchſte Freyheit wären”, Er zeigt dann weiter, wie fie feiner Meinung nach zur Glide guͤltigkeit im Gluͤck und Ungluͤck, zur Menſchen⸗ liebe, zur Zufriedenheit und zu aan Grund⸗ 1 ſuͤtzen der Staats verwaltung füge *
— *
Der
Buch IV. Capitel ER | 405 5 Der dritte Theil der Ethit handelt von den ih
g Affetten „ die Spinoza ebenfalls von den Ein⸗ druͤcken, welche auf den Körper geſchehen, und
den Ideen ableitet, welch der Geiſt vom Zustande
feines Körpers hat. Affekten fi ind Eindruͤcke, | welche auf den Körper geſchehen, und durch welche
feine Thaͤtigkeit erhöht oder beſchraͤnkt wird, und
zugleich die Vorſtellungen dieſer Eindruͤcke. Wenn
8 wir alſo ſelbſt die zureichende Urſache dieſer Ein⸗
druͤcke find, fo find die Affekten thaͤtig, ſonſt aber leldend. Aus vollkommnen Ideen geht daher
Thaͤtigkeit, aus unvollkommnen Leiden hervor.
5 Hier ſagt Spinoza deutlich, daß Geiſt und Koͤr⸗ per eine und dieſelbe Sache ſind, die bald als
Denken, bald als Ausdehnung vorgeftellt wird. Alle Affekten leitet er aus einem vollkommnern und unvollkommnern Vorſtellen, und aus Befoͤrde⸗ rung oder Hinderung des Vorſtellens her, und zeigt ſich bey aller Einſeitigkeit feiner Sr als einen ſehr tiefen Menſchenkenner. N Die Urſachen, warum der Menſch von er
fekten beherrſcht wird, und das Gute und Boͤſe,
was die Affekten haben, zeigt das vierte Buch.
Gut nennt Spinoza das, wovon wir gewiß wiſ⸗
ſen, daß es nuͤtzlich, boſe wovon wir gewiß wiſſen, | es ſchaͤdlich iſt. Nuͤzlich iſt, was unſre Er⸗
Cc 3 kennt⸗
406 Buch IV. Capitel 4. kenntniß befoͤrdert. Der hoͤchſte Gegenſtand un⸗ ſerer Erkenntniß iſt Gott, alſo Erkenntniß Gottes das hoͤchſte Gut. Alles was ſich auf die Erkennt⸗ niß Gottes in unſerm Streben und Handeln bezieht, gehoͤrt zur Religion. Nuͤtzlich iſt ferner was den Koͤrper fuͤr Eiadruͤcke empfaͤnglich und zum Han⸗ del faͤhig macht, weil der Geiſt eben dadurch zum Erkennen geſchickter wird. Frey iſt, wer der Ver⸗ nunft allein folgt. Er fuͤrchtet nichts, auch nicht den Tod, fondern ſtrebt unaufhaltſam v dem hoͤchſten Gute. 4 Der fünfte Theil der Sibir fl gabel, N 9 der Menſch zur Freyheit gelangen kann, und was die Vernunft über die Affekten vermag. Affekten des Leidens find eine Folge undeutlicher und uns vollkommner Vorſtellungen, ſie hören’ daher auf ein Leiden hervorzubringen, ſobald wir uns deut⸗ liche Begriffe von ihnen bilden. Die Affekten ſind alſo deſto mehr in unſrer Gewalt, je bekannter fie uns ſind. Es giebt aber keinen Affekt, wovon wir uns nicht einen deutlichen Begriff bilden koͤnn⸗ ten. Alle Affekten können daher auf die Idee von Gott bezogen werden. Sie find in fofen Vorſtellungen von Vollkommenheiten, die Freude, 4 und in Ruͤckſicht auf Gott Liebe erwecken. Daher E ſoll die Aebe zu Gott das 4 vollkommen be herr⸗
#
Buch V. Capitel 3. 407 herrſchen. Gott ſelbſt iſt keiner Freude und Trans
igkeit, welche aus dem Uebergange von einem un⸗ vollkommnern Zuſtande zu einem vollkommnern,
oder umgekehrt, beſtehen, und alſo auch keiner Liebe und kelnes Haſſes faͤhig. — Der Geiſt kann nicht denken, ohne den Koͤrper, doch wird er
nicht ganz mit demſelben zerſtoͤrt, denn es bleibt
in Gott eine ewige Idee von feinem Weſen uͤbrig, von welcher der Geiſt, wie Spinoza behauptet,
auch ein gewiſſes Gefühl beybehaͤlt, fo wie er ihm
eins von einer Exiſtenz vor ſeiner Vereinigung mit dem Körper beylegt. — Je mehr wir die ein⸗ zelnen Dinge ihrem Weſen nach erkennen, deſto mehr erkennen wir Gott, und erlangen dadurch die größte Gemuͤthsruhe. Hieraus entſteht die Liebe Gottes, welche ewig iſt. Aus alle dieſem geht
der Satz hervor: Wer einen Koͤrper hat, der zu den meiſten Dingen geſchickt iſt, der hat eine Geiſt, deſſen größter Theil ewig iſt. Denn wir
werden dadurch der Liebe Gottes faͤhig, welche
ewig iſt. Wenn wir aber auch nicht wuͤßten, daß unſer Geiſt ewig iſt, ſo wuͤrden wir doch Froͤm⸗
migkeit und Rellgion und alles was zum Edel⸗ muth und zur Seelengröße gehört; über alles zu
ſchätzen haben. Seligkeit iſt nicht der Lohn der Hi Tugend, „ fondein die Tugend ſelbſt; und wir ge⸗
Ce 4 nießen
*
48 Buch IV. Capitel 3.
nießen fe. e nicht, weil wir die Begierden beherr⸗
ſchen, ſondern weil wir ſie genießen, helene wir die Beglerden. und wa Spinoza beſchließt die Derſtelang Kran Sy ſtems damit, daß er die großen Vorzüge des Wei⸗ ſen vor dem Unwiſſenden daraus folgert. Der
Unwiſſende, ſagt er, wird von aͤuſſern Urſachen
mannigfaltig beunruhigt, und gelangt nie zur wah⸗
ren Gemüthsruhe, er lebt ohne Erkenntniß ſeiner ſelbſt, Gottes und der Dinge, und hoͤrt auf zu ſeyn, ſobald er zu leiden aufhört. Der Weiſe hin⸗ gegen, als ſolcher, leidet kaum einige Verändernng der Seele, ſondern durch Erkenntniß ſeiner ſelbſt/ Gottes und einer ewigen Nothwendigkeit der Din⸗ ge, hoͤrt er nie auf zu ſeyn, ſondern genießt un⸗ aufhoͤrlich der wahren Gemuͤthsruhe. Iſt auch der Weg ſteil, den ich dahin gezeigt habe, ſo iſt er 2 zu finden. Was ſo ſelten iſt, muß ſchwer ſeyn. Wenn der Weg zum Heil leicht und mů⸗ helos zu finden ware, wie Eönnte er. faft von al len vernachlaͤſſigt werden? Aber alles flüge in ſo re als ſelten“.
Seitdem man angefangen. Zu. Shea Syſtem nicht mehr fuͤr einen Inbegriff der Ruch⸗ loſigkeit, ſondern fuͤr ein Meifterftück des menſch⸗ lichen . anzuſehen, det man unter den Wor⸗
1 5
Buch IV. City | 4
ten beſſlben gewöhnlich noch einen welt tiefern Sinn geſucht, als ſie unmittelbar deuten, und
iſt daher über dieſen wahren Sinn ziemlich unei⸗ nig geweſen. Allein ob leich der Buchſtabe dies ſes Syſtems zuweilen ziemlich paradox iſt, und es daher manchem unerklaͤrlich ſcheinen duͤrfte, wie Spinoza dieſes oder jenes, woͤrtlich verſtanden, im Eruſte behaupten konnte, ſo iſt doch einem ent⸗ ſchloſſenen und fuͤr ſein Syſtem eingenommenen Denker, vieles moglich, was Andre nicht begreifen
koͤnnen, und es duͤrfte immer ſichrer ſeyn, bey
dem Buchſtaben ſtehen zu bleiben, als ihm einen fremden Geiſt einzuhauchen ).
5 M. vergl. ubrigens die geiſtvollen ie we des Spinozismus in Jakobi: Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an Mendelsſohn zte Ausgabe 11789. Heydenreich Natur und Gott nach Spinoza 1789. Gott. Einige Geſpraͤch e über Spinoza's Suyſtem von Herder ꝛte Ausgabe 1800. Sichte W'iſſenſchaftslebre S. 16. 45. Plattners phil, „Auyporiſmen S. 403, 5 KON Demi
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0 1 2 e e . in D. Sehens Sins s ward bot den un ſten feiner Gegner nur geläftert und als Atheiſmus gebrantmarkt. Verſtanden ward er nur von We⸗ nigen und widerlegt von noch wenigern. Die beſte 4 Widerlegung deſſelben duͤrften wohl Lockens Un⸗ terſuchungen über den menſchlichen Verſtand ent- halten, öb ſie gleich nicht direkte gegen den — nozismus gerichtet waren. Sie zeigen nämlich dur Induktion die Entſtehung aller Begriffe aus d Erfahrung, und beweiſen das Ungegruͤndete der Behauptung von angebornen Begriffen. Der car⸗ teſianiſche Begriff von Gott und der „ fofnogtftifge 4 von einer unendlichen Subſtanz aber, werden fr angeborne Begriffe genommen. Wenn man auch Lockens Herleitung aller Begriffe aus der Erfah⸗ rung nicht befriedigend finden kann, ſo muß man ihm doch zugeben, daß alle nur vermittelſt der Ers fahrung entwickelt werden, und daß man alſo von Gegenftänden von welchen keine Erfahrung moͤglich iſt, nichts ſo dogmatiſch behaupten duͤrfe wie die Carteſianer, und Spinoza von den Ideen thaten,
die ſie ihren Syſte men zum Grunde legten. ; 93 5 ? | 2 7 Ei⸗ 4
Buch IV. Capitel 4. 41x Einen andern Beweis, welcher dem Spinoziſ⸗ mus und den ihm aͤhnlichen Vorſtellungsarten mit Erfolg entgegengeſetzt werden kann, fuͤhrte der Englaͤnder de Stair gegen die Behauptung: daß Gott alle Thaͤtigkeit in den Subſtanzen hervorbringe und alle Bewegung den Koͤrpern mittheile. Er
zeigt das Gegentheil aus der Empfindung unſrer freywillſgen Entſchluͤſſe, und daraus, daß wir oft unſre Abſichten verfehlen, welches nicht geſchehen | ee wenn Gott unſern Willen lenkte). Da die Beweiſe a priori fuͤr das Daſeyn Gottes, wenn ſie mit vollendender Conſequenz ge⸗ fuͤhrt werden, leicht unvermeidlich zum Spinoziſ⸗ mus fuͤhren duͤrften, ſo iſt es ebenfalls fuͤr eine Rettung des menſchlichen Verſtandes aus dieſem Abgrunde des Tiefſinns anzuſehen, wenn man den Beweiſen à poſteriori mehr Nachdruck zu geben ſuchte. Da dieſe die Abzweckung der Naturwirkun⸗ gen auf Endur ſachen vorauſetzen ſo ſind ſie der Lehre des Spinoza, nach welcher keine Endurſachen ſtatt finden, gerade entgegen. Die richtigere Me⸗ thode in der Phyſik, welche Franz Bako veran⸗ laßte en er vun er FETTE und Ver⸗ E ee ſiche | x "®M De rn phyfiologia nova experimentalis Lugd. 41᷑8686. Explorat III. fect. 13. Tiedemann Thl. VI- S. 259.
412 Buch IV. Capitel 4. a ſuche, als auf vorgefaßte Behauptungen a priori zu bauen lehrte, und die großen Entdeckungen in allen Thetlen der Naturwiſſenſchaft welche das ſieb⸗ zehnte Jahrhundert hervorbrachte, gaben zu ſorg⸗ faͤltigerer und allgemeinerer Bearbeitung der aus der Natur geſchoͤpften Beweiſe für das Daſeyn Gottes treffliche Veranlaſſungen. Hierzu kam der Eifer für die Ehre der Naturwiſſenſchaften die man nicht
beſſer als durch ihre Anwendung auf Theologie zu ;
befördern glaubte. Dies erzeugte mannigfaltige, theils allgemeine Bearbeitungen der natuͤrlichen Theo⸗ logie, theils beſondre Sterntheologieen, Steintheo⸗ logieen, Fiſchtheologieen, Donnertheologieen und dgl. die ſaͤmtlich für die Theologie gut gemeint waren, aber doch eigentlich mehr die Naturwiſſenſchaft it die Religionsphiloſophie bereicherten.
Wenn der Bewels für das Daſeyn einer hoͤch⸗ ſten weiſen und guͤtigen Urſache aus der Zwecke maͤßigkeit und Wohlthaͤtigkeit der Natur vervoll⸗ komnet werden ſollte, ſo kam es vorzuͤglich darauf an 1) daß er mit der groͤßten moͤglichſten Voll⸗
ſtäͤndigkeit durch die ganze Natur und alle ihre 4
einzelnen Produkte hierdurch gefuͤhrt wurde 2) daß dieſes ſo viel als möglich in einer ſyſtematiſch Ord⸗ nung geſchahe 3) daß die Erklaͤrungen des Daſehus der Naturgegenſtaͤnde aus bloßem Mech ulſnus
oder
Buch IV. Capitel . 43
oder blindem Zufall unmöglich gemacht wurden. |
Am dieſe Punkte machten ſich die Bearbeiter deſ⸗ ſelben auf mancherley Weiſe verdient. Schon Jo⸗ hann Bap ſtellte in ſeinen phyſikotheologlſchen Betrachtungen uͤber die Schoͤpfung mancherley Be⸗ obachtungen auf, welche dem Mechanismus und Zufall in ſofern entgegenſtehen, als fie von Din⸗ gen hergenommen find, die leicht anders ſeyn koͤnn⸗ ten, als fie find, aber dann weniger zweckmäßig ſeyn wuͤrden, und daher nicht nothwendig ſo ſeyn mußten, und wobey es das groͤßte Wunder wäre, wenn ſie durch bloßen Zufall gerade die weiſeſte Einrichtung erhalten haͤtten “). Noch mehr vers beſſerte Samuel Parker dieſen Beweis, indem er das Daſeyn der Endurſachen vorzuͤglich daraus zu erweiſen ſuchte, daß unter unzähligen möglichen Einrichtungen der Welt und des menſchlichen Koͤrs pers gerade die zweckmaͤßigſte getroffen fey. Die Erde z. B. koͤnnte unzählige andre Stellen im Weltgebaͤude einnehmen, aber keine wuͤrde ihr ſo zutraͤglich ſeyn, als diejenige, welche ſie wirklich bat *). Es fehlt ihm indeſſen an einem be⸗ | ſtimmten Begriffe von e „und er bes . trach⸗ 0 John Rey the Wisdom of God, nin I the Works of the creation. London 1691. 8. 40) Parker difputasiones de Deo.
414 Buch IV. Capitel 4. N 4 trachtet den Epikuraͤismus als den einzigen Re⸗ praͤſentanten aller Erklaͤrung der Weltentſtehung durch Zufall, und begnuͤgt ſich daher damit, blos das atomiſtiſche Sy ſtem zu widerlegen, ſtatt zu 4 zeigen, daß übtehaupt kein Ohngefaͤhr in 4
ſeyn kann.
Eben dieſe Beweisart ward durch Senelons eindringende Beredſamkeit in Frankreich ſehr em⸗ pfohlen, durch Derham in England und durch Nieuvetyt in Holland bearbeitet und erweitert, wiewohl auch fie nicht von den Fehlern frey blie⸗ ben, in welche ihre Vorgaͤnger fielen. Dabey 9% ben die Phyſikotheologen uͤberhaupt oft dadurch Bloͤßen, daß ſie Endurſachen ſuchten, wo keine ſind, fie ſelbſt hier und da willkuͤhrlich voraus ſetz⸗ ten, und zu ihrer Unterſtuͤtzung Erſcheinungen in der Natur annahmen, die man bey genauerer Un⸗ terſuchung als irrig erkannte. Aus einem kurz⸗ ſichtigen Eifer entſtanden Behauptungen der Artt Es ſey eine beſondre Weisheit Gottes, daß 1 die großen Fluͤſſe an die großen Staͤdte sr | habe.
Je mehr indeſſen die , Naturwiffenfihaften A vollkommnert wurden, deſto glücklicher wurden dieſe Fehler vermieden, beſonders da Maͤnner, die zugleich tiefe Denker und große Naturfonſcher wa⸗
ren,
Buch 1. Capitel 4. | 418
nen, nie Bonnet, Sulzer und Beiinasup „den Natur Beweis fuͤr das Daſeyn Gottes mit ihren ſcharfſinnigen Beobachtungen, und großen Kent⸗ niſſen unterſtuͤßten. Daher werden die aus der Natur geſchoͤpften Gruͤnde dem Denker jederzeit — eben fo ehrwürdig bleiben, als ſie fuͤr den Laien lehrreich und uͤberzeugend ſind, wenn auch derje⸗ nige, welcher andre als theologiſche Erklärungen der Natur und ihrer Beſchaffenheit wenigſtens fuͤr 1 moglich hält, ihnen keine apodiktiſche ee zu⸗ ee Mun.
i Fünftes Capitel.
N 2 } 7 ‘ 7
Be das Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts machte ein Mann, der an Geiſt den größten Wei⸗ ſen des Alterthums an die Seite geſetzt werden kann, und an Kenntniſſen fie fo weit uͤbertraf, als er vermittelſt der Erfahrung von zwey Jahrtauſenden, die er vor ihnen voraus hatte es thun konnte, Teutſchland zum Hauptſißz der Philoſophie, und es iſt es ſeitdem geblieben,
Der
416 Buch IV. Capitel 3.
Der Mann war Leibnitz. Seine Philoſo⸗ phie, die er nur bey einzelnen Veranlaſſungen und in einzelnen Auffägen vortrug ohne fie in vollſtaͤn⸗
digen Zuſammenhang zu bringen iſt noch nirgends rein dargeſtellt worden. Von ihren einzelnen Theis
len haben ſelbſt ſeine eifrigſten Verehrer erkannt,
daß ſie nicht neu ſind ‚, fondern daß alle den Behaupt⸗
tungen, welche Leibnißzen am meiſten eigenthuͤmlich
zu ſehn feinen, Ideen älterer Philosophen zum Grunde liegen. Von den am meiften hieher gehö⸗
rigen Ideen ſagt ein Mann, der ſi ch noch ce zu feiner Schule bekennt: )
«Der mätertelle Gewinn, den bie Metaphyſik
Leibnitzen zu verdanken hat, iſt nach meinem Urtheil,
ſo betraͤchtlicht nicht, wie ihn einige von ſeinen Zeit⸗ genoſſen gemacht haben und konnte es auch nicht wohl ſeyn, da er ſo viele Vorgänger hatte. Der Grund⸗ {aß der Identitat und des Widerſpruchs, den er fuͤr das Fundament der nothwendigen Wahrheiten hielt, findet ſich bekanntlich ſchon im Arifioteles. Das Princip des zureichenden Grundes, wird
allem Philofophiren vorausgeſetzt, und kommt bei
Ä | = *) gen Geh. Nath Schwab in ſeiner 1
uͤber die Fortſchritte der Metaphyſt k ſeit Leibnitz und Wolff in Deutſchland S. 9 f. 8 g
3
Buch IV. Capitel . 417 mehrern alten Philoſophen, nur nicht in diefer ſei⸗ ner Allgemeinheit und Beſtimmtheit vor. Es iſt auch von dem Grundſaß: aus Nichts wird Nichts, womit faſt alle griechiſchen Philoſophen ihre Spe⸗ kulationen über die Entſtehung der Welt anfangen, wenig unterſchieden. Der Grundſaß des nicht zu Unterſcheidenden, den er in der Metaphyſik ein⸗ führte, findet ſich im Cicero, der ſich dabey auf die (ohne Zweifel Griechiſchen) Naturkundigen be⸗
ruft. Auch hat ihn Jordanus Brunus ſchon ges
lehrt. Seine Lehre von dem Kriterium der Wahrheit it ganz Platoniſch und Arlſtoteliſch.— Von dem Cosmologiſchen Geſetze der Continuität, in fofern es auf die Gattungen der exiſtirenden Weſen geht, findet ſich zwar der Name nicht, aber doch ganz deutlich die Sache im Ariſtoteles. Die Lehre von der durchgaͤngigen Verknüpfung aller Theile der Welt nach Raum und Zelt iſt ſtolſch; nur daß ſie ſich beſſer mit der Freyheit vereinigen läßt. — Den ſcharfen Begriff einer einfachen | Subſtanz hatte er von dem Des Cartes erhalten;
und ſo konnten ihn die Pythagoraͤer, die Eleatiker
und Plato wohl auf den Gedanken bringen, daß der Korper weiter nichts als ein inen „ und N mn den Monaden gegründet ſeo.— Die Hypo⸗ 5 Ügefe der vorher BES iſt nach der | Tu Db e Be
48 Buch IV. Capitel 5.
Bemerkung Moſes Mendels ſohns, eines großen
Verehrers von Leibnizen, ſchon in einem Werke des Spinoza enthalten: ſie kann aber auch durch Combinirung der Hypotheſen des Des Cartes und
e MER ar .
1 f
des Malebranche uͤber die Vereinigung der Seele N
und des Koͤrpers, entſtanden ſeyn. — Leibnitzens Beweis von dem Daſeyn Gottes, ſtimmt im We⸗
ſentlichen mit dem Sokratiſchen, dem Platoniſchen
und Ariſtoteliſchen uͤberein, nur daß er allgemeiner
ausgedruͤckt iſt. — Die Sache der Vorſehung vertheidiget er ungefaͤhr wie Plato und die Stoi⸗
ker, und erklaͤrt wie jener, den Urſprung des Ue⸗
bels. — Von ſeiner beſten Welt findet ſich joa gar der Ausdruck ſchon beym Thales, und Plato
war auch hierinn fein Vorgaͤnger. Seine ſchoͤne Idee von einem urſpruͤnglichen, mit der Seele un⸗ |
zertrennlich verbundenen und unzerſtoͤrbaren orga⸗ niſirten Koͤrper liegt ihrem Keime nach, ſchon im
Hippokrates. — Leibnitz war auch, als ein wahr⸗ haftig großer Mann von der Eitelkeit uͤberall Er
finder ſcheinen zu wollen, weit entfernt“ . 9 Nach dieſem unpartheiſchen und wohl üben
dachtem Urtheile eines großen Kenners der B Leibnitziſchen Philo ſophie duͤrften wir alſo verge⸗
bens etwas originelles für die Religionsphiloſophle
in derſelben ſuchen. RR aha id a u |
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> is 8 u Tu ic a nt
Buch IV. Capitel 5. 419 auf das Leibnitziſche Syſtem großen Einfluß ges habt zu haben. Denn wenn die Leibnitziſchen Ideen uͤberall als Syſtem zu betrachten ſind, wenn ihnen irgend ein Hauptgedanke zum Grunde liegt, ſo iſt es die Idee von Gott. Denn Gott wird von Leibniß als die Urquelle der Monaden, mits
bin aller Materie der: Gegenftände feiner Philos N ſophie; als das hoͤchſte Subjekt des zurelchenden SGrundes, alſo als der Grund der Form ſeiner ö Philoſophie; und als der Urheber der vorher be⸗
ſtimmten Harmonie, mithin als der Grund alles
Zuſammenhanges unter den Vorſtellungen und Weſen betrachtet. Die Leibnitztſche Philoſophie
duͤrfte alſo wenigſtens eben fo theologiſch ſeyn, als
es die platoniſche und ſpinoziſtiſche ar.
D.urch ſeine Theodicee, welche Leibniß zur
f n der Weisheit und Guͤte Gottes bey
dem Uebel in der Welt, hauptſaͤchlich gegen Ba ple
f ſchrieb, ward er in einen Streit mit der MNew⸗ tonſchen Schule, mit der er ſonſt manche Streſ⸗
tigkeiten batte, auch in Rückſicht auf Religlons⸗ philoſophie verwickelt. Er betraf hauptſächlich die
N | Newtonſchen Behauptungen, daß der Naum des
Hr
1 . * N
„Empfiiſdungsorgan oder Senſorlum der Gottheit,
I. und die. Welt eine Maſchine ſey, welche von Zeit
n Zelte von Gott ene um: müßte, r Leib⸗ f
4 8 7 N Hu 01 ‚0 * IE * ntltz
420 Buch IV. Capitel 3. nit ſetzte dieſen Behauptungen, welche von Clarke vertheidigt wurden, Gruͤnde entgegen, welche da⸗
von hergenommen waren, daß ſie auf Vorſtellungen
führten, welche der Gottheit unwuͤrdig waren, und
noch beſſere, durch welche er das Ungegruͤndete der
Vorſtellungen von einem abſoluten Raume und einer
abſoluten Zeit mit ſiegendem Scharfſinn zeigte, und
den Grund zu einer beſſern Theorie dieſer Begriffe
legte, als man bisher gehabt hatte. So gewann
durch dieſen Streit die Metaphyſik im Ganzen mehr 4
als die Religionsphiloſophie. Am wenigſten ges wann ſie durch Clarken, der ſich bey dieſem Streite nicht eben als ein großer Philoſoph zeigte, ohnge⸗
achtet fein Verſuch das Daſeyn Gottes zu demon⸗
ſtriren, ihm bey ſeinen Zeitgenoſſen vielen Ruhm er⸗ warb. Dieſe Demonſtration war aber im Grunde auch nichts anders als der von der Nothwendigkeit einer erſten Urſache der exiſtirenden Dinge herge⸗ nommene Bewei s, den noch dazu viele andre vor
ihm ſchon beſſer gefuͤhrt hatten als er, und den vor⸗
züglich Leibniz, den er beſtritt ohne ihn zu verſtehen, durch den Saß vom er Grunde leer za
begründen ſuchte . wann EN eit 8 zack Leibnitzens babecher Schiler wolff — 4
‚feine. Ideen aan g can ei S1
85
5 Leibnitz Opp- 7. U. 7 1. p. *
0 ia u R
Buch IV. Capitel 5. | 42
eine Claſſifikation. Die Idee von Gott blieb bey | ihm nicht mehr Hauptgedanke aller Theile der
Philoſophie, ſondern er ward in eine beſondere Wiſſeuſchaft verwieſen, in die natuͤrliche Theologte. Dieſe Abſonderung, beſonders in ſo fern ſie von der Moral geſchah, gab nebſt mannigfaltigen Miß⸗ verftändniffen und Verdrehungen, den Gegnern
Wolffs die meiſte Gelegenheit ihn anzugreifen und
aller möglichen Irrthuͤmer, ja ſelbſt des Atheiſmus verdaͤchtig zu machen. Deſto forgfältiger ſuchte er
ſie zu behaupten und zu vertheidigen. Er zeigte 15 daher, daß der Menſch auch ohne alle Ruͤckſicht Rauf die Idee von Gott durch das Geſetz feiner Na⸗
tur verbunden ſey nach Vollkommenheit zu ſtreben, und daß ſelbſt der Atheiſt von dieſer Verbindlich⸗ keit nicht frey ſey. Etwas origenelles lehrte er in
der Religions wiſſenſchaft fo wenig als Leibniz, aber
allen Begriffen gab er mehr Beſtimmtheit, Deut⸗ lchkeit und Zuſammenhang. Er ſchaͤrfte die bishe⸗
| rigen Beweiſe fuͤr das Dafeyn Gottes; ſelbſt den,
welcher vom Begriffe des allerrealſten Weſens herge⸗ nommen iſt. Leibniß hatte zu dieſem Beweiſe nichts
mehr verlangt um ihn als richtig anzuerkennen, als
, .
daß die Moͤglichkeit eines ſolchen Weſens bewieſen mwmuͤrde. Dies that Wolf indem er behauptete, daß | 5 an dem Begriffe eines Wefens, in welchem alle Reas -
Du 3 Bu li
4222 Buch IV. Capitel 5. litäten gedacht werden, gar keine Verneinung, mithin auch kein Widerſpruch moglich ſey. Ein Begriff aber der keinen Widerſpruch in ſich ſchließt, iſt moͤg⸗ lich, und nach Leibnitzens und wie ich glaube aller con⸗
ſequenter Idealiſten Meinung, iſt der Begriff des
allerrealſten Weſens, wenn er n ae 1 wirklich. rin 52 h
Wolffs Hauptbeweis, und bett . | am innigſten mit feinem Syſtem verwebt war, war
jedoch derjenige, welcher von der Nothwendigkeit eis ner hoͤchſten Welturſache hergenommen war. Er ſuchte um ſeinetwillen die Zufälligkeit der Welt ſtreng
zu bewelſen, und leitete auch die Eigenſchaften Gottes hauptſaͤchlich aus dem Begriffe eines zureichenden
Grundes vom Daſeyn der Welt her. Die Vorfiels lungen vom göttlichen Erkenntnißvermoͤgen erweitert er dadurch ſehr, daß er zeigte, Gott müffe ſich alle
moglichen Welten haben zugleich vorſtellen koͤnnen,
um einen zureichenden Grund zu haben, dieſe wirklich ins Daſeyn zu rufen. Er fand auch zuerſt einen
Ausweg aus den unendlichen Verwirrungen in wel. che die Begriffe über das Verhaͤltniß der in dnn göttlichen Verſtande exiſtirenden Ideenwelt und der wirklichen die Religionsphiloſophie gefeßt hatten, ine dem er deutlicher als es bisher geſchehen war, eine intelligible oder Verſtandeswelt von der ſinnliͤ⸗
chen
*
P * F 8 E
4
Buch IVV. Capitel 5. 1 423
. | chen unterſchied, und unter jener die nach deutlichen |
Verſtandesbegriffen gedachte, unter dieſer aber die unter den Formen der eee borgeſſalte Welt verſtand. ö | Mir ſcheint es auch Wolfen vorzuͤglich ei⸗ genthmig zu ſeyn, daß er den allen ungekuͤnſtelten
. Religionsideen fo natürlichen Anthropomorphiſmus
des gemeinen Menſchenverſtandes auch philoſophiſch
Br: in Schutz nahm, beſonders da er es auf eine ganz
andre Weiſe that, als es Epikur gethan hatte. Er behauptete nämlich wir könnten uns einen Begriff von Gott bilden wenn wir ihm alle guten Eigenſchaften der Menſchheit beylegten und fie dabey in ihm als im vollkommenſten Grade exiſtirend daͤchten ). Wolfs zahlreiche Schuͤler giengen auf dem Wege
fort, welchen ihr Lehrer vorgezeichnet hatte und ſuch⸗
‚ten feine Behauptungen gegen die Angriffe des Mas terialiſmus und Empiriſmus welche beſonders von franzöͤſiſchen und engliſchen Philoſophen beguͤnſtigt wurden zu vertheidigen. Unter ihnen verdient befona ders Reimarus bemerkt zu werden, weil er jenen
* agu, die beſonders durch die Popularität, mit ©. Dd 4 a wel⸗
*) M. vergl. von Eberſteins Verſuch einer Geſchichte der Logik und Metaphyſik bey den Teuſchen von
KLleibnitz bis auf gegenwärtige Zeit. Erſter Band. Herausgegeben von Eberhard Halle 1794.
4424 Buch IV. Cavittl * 3 welcher ſie vorgetragen wurden, auf das groͤßere 5 Publikum Einfluß gewannen, ebenfalls Popularität entgegenſetzte, aber eine ungleich gründlichere und ed⸗ 4 lere Popularität, Er zeigt durch feine Abhandlun⸗ 4 gen von den vornehmſten Wahrheiten der natürliden Religion, daß ſich die Lehren derſelben auch durch die 4 einfachſten und ſinnlichſten Erfahrungen über die Na⸗ ä tur beftätigen laſſen, wenn man fie nur mit ausge⸗ breiteter Kenntniß und philoſophiſchem Blicke auffaßt. Er ſammelte zu dleſem Endzwecke eine erſtaunens⸗ wuͤrdige Menge von Beobachtungen uͤber die ganze Natur, aus welchen ſich ſchließen laßt daß Men⸗ ſchen und Thiere einen Urſprung, und daß fie dieſen Urſprung nicht von der Welt, oder den mechanischen 5 Kraͤften der Natur haben; daß die körperliche Welt = an fich leblos, und daher keiner innerlichen Vollkot menheit fähig ſey; daß fie folglich auch nicht f lbſt ſtaͤndig, ewig, nothwendig, ſondern von einem ans dern um eines andern willen hervorgebracht ſey; und daß ſich endlich Abſichten Gottes und Spuren der göttlichen Vorſehung in der Natur entdecken laſen.— Be: Unter den zahlreichen Gegnern Wolffs, verdient 1 am meiſten Cruſius bemerkt zu werden. Er fand den Saß des zureichenden Grundes nicht hinläng⸗ 8 lich zum Beweſſe fuͤr das Daſeyn Gottes und häuft 4 daher die ey dafuͤr und führt ſelbſt die wahr⸗ 15
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Buch IV. Capitel 5. 425
ſcheinlichen an. Er nahm auch vorzuͤglich darauf
Ruͤckſicht, daß es am ſicherſten ſey an Gott zu glau⸗
05 ben, weil dies nicht ſchaden koͤnnte, wenn auch kei⸗
ner waͤre, wir ihn aber durch Unglauben beleidigen
konnten, wenn einer wäre. Durch dieſes argumens
tum a tutiori ſucht auch fein Schüler Wuͤſtemann
die Einheit Gottes zu beweiſen. Cruſius gruͤndete
auch die Moral und ihre Verbindlichkeit auf den
Willen Gottes.
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5% Einer der neueſten Wolfianer, welche den Ruhm dieſer Schule behauptet haben, war
Ben *
Moſes Wendelsſohn. Auch er ſuchte ſich auf
mancherley Weiſe um die Religionsphiloſophie vers dient zu machen. Er behauptete, ſie habe in ihren
SR Grundbegriffen geometriſche Evidenz und leiſte ſelbſt K noch mehr als die Geometrie, indem alle Eigen⸗ Er haften Gottes fo zuſammenhaͤngen, daß aus jeder
alle erkennbar ſind. Dieſe geometriſche Eoidenz
ſuchte er beſonders an dem ontologiſchen Beweiſe \ für das Daſeyn Gottes zu zeigen. Was nicht iſt, 5 ſchließzt er, iſt entweder unmoglich, oder blos moͤg⸗ lich: im letztern Falle iſt es zufällig. Das allervoll⸗ kommenſte Weſen kann aber nicht zufällig ſeyn: es iſt alſo entweder unmöglich, oder wirklich. Allein unmöglich kann es nicht ſeyn, weil es keinen Wi⸗
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dacht werden. Dazu wird aber ein unendlicher a 4
"aa. Buch IV. Cable.
derſpruch enthalten kann; Es 1 ale ae ſehn ). | In feinem Phädon gründet Mendelssohn die Ei Unſterblichkeit der Seele hauptſaͤchlich auf die Güte Gottes, welcher ſie als eine einfache Subſtanz u nicht vernichten werde, da er allein es nur konne. | In feinen Morgenſtunden welche hauptſaͤchlich Betrachtungen der naturlichen Theologie gewidmet ſind, verſucht Mendelsſohn auch einen neuen Ber weis für das Daſeyn Gottes zu führen. Er gruͤn⸗ det ſich darauf, daß alles in der Welt nicht nur vorſtellbar iſt, ſondern auch wirklich vorgeſtellt wer⸗ den muß. Denn wenn irgend ein Ding vollkom⸗ men vorgeſtellt werden ſoll, ſo muß es in feinem Zuſammenhange mit allen möglichen Dingen „
Verſtand erfordert. Wenn wir alſo eine Welt 71 annehmen, ſo muͤſſen wir auch einen Verstand. ſetzen, der ſich alles in derſelben . das deut⸗ lichſte vorſtellt. 9 Nicht viel gluͤcklicher als dieſer Beweis dürfte - 7 die Widerlegung des Spinozismus ſeyn, welche BE 5 Mendelsſohn in eben dieſem Werke verſucht. Denn f ie 1 57 Huftfachlg Wem hinaus, meh er Lücken 1
9 Mendel s ſohn Abhandlung über die Evidenz nden phil. Schriften Band L
*
*
Buch IV. Capitel 5. 427 in dieſem Syſteme zu zeigen ſucht, die man bey genauerer Aufmerkſamkeit entweder wirklich gefüllt findet, oder von denen es ſich doch nicht erweiſen läßt, daß fie nicht gefüllt werden Fönnten. Die größte Schwierigkeit im ſpinoziſtiſchen Syſteme iſt unftreitig, daß durch daſſelbe die Möglichkeit des Selbſtbewußtſeyns nicht nur nicht erklaͤrt wird, ſondern ſogar aufgehoben zu werden ſcheint. Hier⸗ 5 auf machte Mendels ſohn vorzuͤglich aufmerkſam. Es iſt indeſſen kein Syſtem hierinn viel gluͤcklicher. D.urch Mendelsſohn und eine Streitigkeit, welche ſich zwiſchen ihm und Jakobi über gewiſſe Aeuſſerungen Leſſings, durch welche er ſich noch kurz vor ſeinem Tode zum Spinozismus zu beken, nen ſchien, erhob, ward dieſe Philoſophie, welche 1 den tiefſten Grundlagen der Religions philoſophie ſo
nahe angeht, von neuem zur Sprache gebracht. 900 Mendelsſohn, Jakobi, SHemſterhuis, Ser—
der und Heidenreich, entwickelten in ihren bey dieſer Gelegenheit geſchriebenen Schriften, viele hoͤchſt ſcharfſinnige, wichtige und tief eindringende
Ideen, über das Weſen und die Grundlagen der
religioͤſen Begriffe, welche viel dazu beygetragen haben, den Ideen der kritiſchen Philoſophie uͤber Religion den Weg zu bahnen, und die bisher fo fie ee Lebre Spinozas in ein beſſeres Licht 18 | zu
428 Buch IV. Capitel 5. |
zu feßen, Aus den Jakobiſchen Meinungen hat
man das Reſultat gezogen: „daß die Vernunft
nur zu Zweifeln und Irrthuͤmern in den wichtigſten f
Gegenſtaͤnden des Denkens leite, daß der Spino⸗
zismus noch das conſequenteſte Syſtem der Ver⸗
nunft ſey, daß alle wahre menſchliche Erkenntniß auf Glauben und der Glaube auf Offenbarung beruhe“. Mendels ſohn verſtand unter dieſem Glau⸗
ben den chriſtlichen, und glaubte Jakobt habe ihn
dazu bekehren wollen, nur etwas feiner wie es Lavater einſt thun wollte. Wizenmann hat ins deſſen gezeigt, daß Jakobi unter dem Glauben einen natürlichen und keinen uͤbernatuͤrlichen verſtanden habe; Jakobi hat es beſtaͤtigt; und die kritiſche Phi⸗
loſophie hat einen moraliſchen Glauben ans Licht ge⸗ bracht, der wenigſtens ein Wen des cen,
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5 Sich lies Erpitel
Ai 1 N 4 : 1140 115
ze: eine Vertheidigung des Glaubens, aber nicht
ar ſowohl des naturlichen als des uͤbernatuͤrlichen, ſuch⸗
ten die erſten in der langen Reihe von Skeptikern
welche neben den Dogmatikern. der neuern Philoſo⸗
phie gleichzeitig hinlaͤuft, ihren Skepticiſmus zum Theil im Ernſte, zum Theil aber auch wohl nur um ſich vor gefährlichen elgen zu ſichern, binaus⸗ After. | La WMothe le De ſuchte aus der Ver, | fötedenhei. der Religionen zu zeigen, daß die Vers 5 nunſt in Anſehung der Religiou nichts Gewiſſes ent⸗ ſcheiden koͤnne, und daß die Skepſis, zu der er ſich in jeder Rückſicht, nur nicht in Abſicht anf die ehriſt⸗ liche Religion bekannte, den Geiſt am beſten zu der⸗ ſelben vorbereiten und der Geheimniſſe des Glaubens faͤhig machen koͤnne, welcher der Magnet ſey, der unſerm n de Pole der We Gnade ei zn.
Huet, der PER FRE; vorzüglich ges up die zu feiner Zeit entſtandene Carteſianiſche Phi e richtete, behauptete ebenfalls daß der Menſch | * | | nicht
430 Buch IV. Capitel 6.
nicht gewiß wiſſen könne, ob feine Kenntniß wird lich mit den Objecten uͤbereinſtimme. Er gab ins deſſen zu, daß Gott die Objekte nach der Wahrheit erkenne, daß er daher auch allein bey den Men⸗ ſchen auf eine übernatürliche Art den Glauben wirken
koͤnne, welcher dasjenlge gewiß macht, was nach der
Vernunft ſehr ungewiß iſt. Da er den Glauben als uͤbernatuͤrliche Wirkung anfahe, fo hatte er nicht nöthig zu zeigen, wie er ſelbſt i werden konne.
Auch Peter Baple wollte merkaftehe das Ans fehen haben, als ob er feinen Skepticiſmus nur bis
an die Grenzen der geoffenbarten Religion erſtrekte. ; Denn in dem fo berühmt" gewordenen Artikel ſeines
Woͤrterbuchs über die Manichaͤer, behauptet er, daß
dieſelben nur durch die Autorität der Offenbarung des h 1
Irrthums überführt werden koͤnnen. Er ſucht zu
zeigen, daß die Erfahrung mehr für das Daſebn el nes böfen Princips neben dem Guten, als wider
daſſelbe ftreitet, giebt aber doch zu, daß der Manſ⸗
chäiſcnus durch Gründe a priori widerlegt werden könne. Ueberhaupt ſcheint feine Vertheidigung dieſer alten Meinung die Aufmerkſamkeit nicht zu verdienen, 7 welche fie erregt hat. Er räumt auch ſonſt dem Glau⸗ ben überall eine große Autorität ein, wo er die Ver⸗
* * macht, doch * ein ſo heller 75 N
8 * de r — r en FR
2 7 1 5 N / 8 ) m
Buch IV. Capitel 6. 431 ö Kopf wie er war, unmoͤglich haben glauben zu koͤn⸗ |
| nen, daß es dem Glauben zum Vortheil gereiche, wenn
manche Theologen in England die Sache des Glaubens damit gegen die Freydenker bertheidigen zu müuͤſſen glaubten, daß ſie die Einfichten . der
13 er ihn mit den evidenteſten Wahrheiten in Widerſpruch g zu ſetzen ſuchte. Er ſcheint ſich indeſſen in ſeinen Mei⸗
nungen überhaupt nicht gleich geblieben, und wenig⸗ ſtens zuweilen gegen die Religion uͤberhaupt kaltſin⸗
nig geweſen zu ſeyn. Denn obgleich ſeine Behaup⸗ tungen in ſeinen Gedanken uͤber die Cometen, daß der Altheiſt tugendhaft und der Gläubige laſterhaft ſeyn
koͤnne, und daß Atheiſmus nicht ſchlimmer als aber⸗
glaͤubiſche Religion ſey, ſehr richtig ſind; fo wird doch die, daß ein Staat von Atheiſten ganz gluͤcklich
und ſicher ſeyn koͤnne, von jedem warmen Verehrer der Religion bezweifelt, und die, daß die Religion auf die Sitten und Charaktere der Menſchen keinen es
ßen Elufluß habe verworfen werden.
IN 1 99 — 1 ‘ Ernſtlicher war es unstreitig gemeint, n wenn
1 Vernunft in Religlonsſachen fo tief als moglich
berabfeßten. Sie trafen indeſſen hierinn wieder mit denjenigen zuſammen, welche die Freydenkerey
| am weiteſten trieben, und ihren Skepticismus nicht Aion. ‚auf Offenbarung ſondern auf Religion üben
„
a
432 Buch IV. Capitel 6.
überhaupt ausdehnten, wie Tindal, Shafts⸗ f
bury, Bolingbrocke, Chubb und andre thaten. Ein König, welcher die Mitte des achtzehn⸗
ten Jahrhunderts verherrlichte, und ſehr viel für
die Welt that, ſcheint ſehr geneigt geweſen zu
ſeyn, der Ideenwelt eben fo viel Abbruch zu thun, als er der wirklichen Vortheile ſtiftete. Friedrich,
dem kein philoſophiſches Syſtem voͤllig Gnuͤge lei⸗ ſtete, verwarf zwar den Atheismus des Syſteme de la nature mit Eifer und Nachdruck, verband
aber doch die Idee von der Gottheit, welche er
*
gegen daſſelbe vertheidigte, weder mit Glauben an die Vorſehung noch an Unſterblichkeit der Seele.
Den Begriff eines Geiſtes hielt er für ganz um
verſtaͤndlich und widerſprechend. Er verſammelte
einen Hof von Männern um ſich, welche die größe 2 ten Philoſophen zu ſeyn glaubten, und es vielleicht 3
hätten werden koͤnnen, wenn ſie nicht noch mehr darnach geſtrebt hätten, die witigſten Koßſe zu ſeyn oder zu ſcheinen. Voltaire, unſtreilg der
größte Kopf unter ihnen, griff die poſi tive Reis 1 gion mit dem beiſſendſten Witze an, und verſcheüte 8
auch nicht immer die natürliche. Beſoners! nachte 0
er Leibnitzens Lehre von der beſten Welt zum er genſtande ſeines Spottes in dem Helden feine
mans 5 Canide, „den er die ganze Welt durch en | ö laͤßt, 4
Buoch IV. Capitel g. 433
ute, „um alle moͤglichen Uebel aufzuſuchen, welche die Meinung ſeines Lehrers Pangloß, daß die Welt die beſte ſey, widerlegen ſollen. Da die Philoſophie das Lächerliche nie hat als einen Pro⸗ bierſtein des Wahren anerkennen wollen, ſo kann auch die philoſophiſche Geſchichte entuͤbrigt ſeyn, die Art wie Voltaire mit der Philoſophie um⸗ gieng, zu referiren, da ihr ohnehin keine feſten Principien zum Grunde lagen. Mehr blieb ſich
la Mettrie gleich, der alles Geiſtige aus Mecha⸗
—
nismus und Organismus herleiten wollte, ohne Kenntniß genug davon zu haben, um nur das
koͤrperliche befriedigend daraus zu erklaͤren. In⸗
deſſen bekannte er noch vor ſeinem Tode nicht ans Ueberzeugung geſchrieben zu haben. Maupertuis
vielleicht der gruͤndlichſte unter dieſer vielwiſſenden
Geſellſchaft, und eben darum oft der Gegenſtand
des Spottes der Uebrigen, war zwar mit dem Pkhyſikotheologiſchen Beweiſe für das Daſeyn Gots
tes unzufrieden, und wollte keine Endurſachen in der Natur anerkennen. Er glaubte aber einen
andern Beweis an deſſen Stelle ſetzen zu konnen, sr indem er ein allmächtiges und allweiſes Weſen
voraus ſetzte, und aus demſelben die Geſetze der f ö Bewegung a priori ableiten wollte. Da er nun 0 N Bor Bewegungsgeſetze a poſteriori in der Natur Br. Ee fand,
3
334 Buch IV. Capiti6,
fand, ſo überzeugte er ſich dadurch von dem Daß ſeyn Gottes. Andre, als d'Argens und d' Alem⸗ bert, wollten hoͤchſtens den Schein haben der Au⸗ torität ihrer Kirche manche Lehren der Religlons⸗ philoſopie zugeſtehen, die ſie der Vernunft ab⸗ laͤugneten. Der letztere war nebſt Diderot der vornehmſte Verfaſſer und Unternehmer der Ency⸗ elopädie, in welcher man, fo wie der Verfaſſer des
Syoſtems der Natur, durch Materialismus alle
Religion zu verdraͤngen ſuchte, aber dabey ſo ſeicht zu Werke gieng, daß man in ganzen Artikeln die Schriften religiöfer Schriftſteller z. B. Bonnets ausſchrieb, und nichts daran aͤuderte, als daß man an die Stelle von Gott, die Natur, und fuͤr das
8 Wort, Vorſehung, allgemeine Geſetze, feßte. Dis |
derot behauptete zwar öffentlich, Gott nicht zu ken⸗
nen, ſuchte aber doch Gruͤnde dafuͤr auf, daß ihm
Gott verzeihen werde, feine Exiſtenz gelaͤugnet zu haben. Mit dem meiſten Scharfſinn wußte Hel⸗ vetius alle Wirkungen der Seele auf ſinnliche Empfindungen zu reduciren, und dadurch einen Materialismus zu etabliren, wodurch er Moral
und Religion ungewiß machte. — Der Materias
lismus ſcheint auf den erſten Anblick gründlicher
zu ſeyn als der Spiritualismus, weil jener ſo welt
als moglich auf Erfahrungen baut, dieſer aber | 1 a | nur
Dur. ewt s
mur zu leiht zu verborgenen Ursachen ſeine Bun 8
flucht nimmt, wo es nur an feiner Truͤgheit lag, daß er keine ſichtbaren entdeckte. Er wird aber nie zu einer befriedigenden Erklarung aller geiſti⸗ gen Phänomen durchgefuhrt werden konnen, und daher immer ein unvollſtaͤndiges Syſtem bleiben. Daher ſahen ſich auch die groͤßten Kenner der Na⸗ tur gensthigt, den Spiritualismus mit dem Mas dterialismus zu verbinden, wie Bonnet that, oder ire Syſteme unvollendet zu laſſen und fi) dem Skepticismus zu uͤbergeben. | R Unter den franzoͤſiſchen Schriſtſtellern, ole die Philoſophie mit Aumuth und Beredſam keit vortrugen „und einen großen Ruhm erwarben, zeichnet ſich Rouſſeau, fo wie durch vieles andre,
auch dadurch aus, daß er nicht allein die natür⸗
liche Religion, ſondern auch das relnere Chriſten⸗
thum vertheidigte, welches er als eine natürliche 1
Religion betrachtete. Um einen beſondern aber vorzuͤgtich wichtigen Gegenſtand der Religious phi⸗ laoſophie machte ſich Necker verdient, indem er 1 über den Einfluß religiöfer Meinungen auf den Staat ſchrieb und ihre Wichtigkeit für den ſelben
zeigte. Der neuſte politiſche Atheismus der
Franzoſen iſt nur wenig mit philoſophiſchen Grüns den nn, worden. Doch haben Dupuis und * Ee 2 5 Des
436 15 | Buch IV. Capitel 6.
Delaulnaye mit vielen unerwieſenen Behauptun⸗ gen alle Religionsideen aus aſtronomiſchen und phpſiſchen Begriffen abzuleiten geſuchtt. Ein Skeptiker den man in Frankreich für zu religioͤs hielt, und in England des Atheismus be⸗ ſchuldigte, deſſen Skepticismus aber auf die Phi⸗ loſophie in Deutſchland vielen Einfluß hatte, war ume. Er betrachtete die Erfahrung als den | Grund aller menſchlichen Erkenntniß, aber als einen ungewiſſen Grund. Alle allgemeinen Saͤtze betrachtete er als Folgerungen aus der Erfahrung, welche durch die Gewohnheit eine und dieſelbe Wahrnehmung oft zu machen, gebildet werden. Dies gilt insbeſondre von dem Satz, daß Urſa⸗ chen und Wirkungen in beſtaͤndiger Verbindung mit einander ſtehen, welchen er davon ableitet, daß wir eine ſolche Verbindung oft wahrzunehmen ger wohnt ſind, und uns dadurch jenen Satz gebildet haben. Er verwarf daher ſchon darum den phy⸗ ſikotheologiſchen Beweis fuͤr das Daſeyn Gottes, 5 weil er ſich auf den Saß der Cauſalitaͤt gründet. Hierzu kommt, daß die Verbindung, welche wir zwiſchen Gott und der Welt als Urſache uud Wir⸗ | kung annehmen, nicht einmal Sache der Wahrneh⸗
mung und Gewohnheit iſt, wie in andern Fällen, wo wir den Satz der Caufalität anwenden. Auch
be⸗
Buch V. Capitels. 437
beſtriu er 0 Theiſten von der Seite, daß ſie in ihren Begriff von Gott gewoͤhnlich noch weit mehr
hineinlegen, als fie aus der Beſchaffenheit der
Welt als feiner Wirkung betrachtet folgern koͤnnen. Denn die Menſchen legen oft Gott ihre eigenen
Abſichten und Maximen unter. Hume haͤlt daher
die Vergeltung in einem kuͤnftigen Zuſtande für u
eben fo ungewiß, als die Exiſtenz Gottes. Denn entweder beweißt ſchon die Erfahrung, eine ver⸗ geltende Gerechtigkeit, — dann iſt ſie befriedigt, oder nicht, — dann iſt kein Grund da, ſie zu be⸗ welſen, weil alle Wahrheit blos aus der Erfah⸗ rung gefolgert werden kanu. Aus einem voraus⸗ geſetzten, oder über die Folgerungen aus der Erfah⸗ rung hinaus ausgedehnten Begriffe von Gott er⸗
laubt Hume nicht auf eine künftige Vergeltung zu
ſchlie ßen.
Hume war übrigens nicht gerade zu Gegnern
der Religion, ſondern nur Skeptiker. Er hatte g Achtung für den reinen Deismus als eine eble und erhabene Idee, und vertheidigte ihn ſelbſt in Frank⸗ reich gegen die Encyclopaͤdiſten. Da wo er alle Res ligion zu zertruͤmmern ſchien, verwies er auf den
—
7
Offenbarungsglauben, den er jedoch ebenfalls, wes
nigſtens in ſo fern er ſich auf Wunder ſtuͤtzt, wan⸗ kend zu machen ſuchte In ſeiner naturlichen Ges Fe. 3 ſchichte
Bw 1 ’
438 Buch IV. Capitel 6. ſchichte der Religion ſucht er den Urſprung der Re ligion aus der menſchlichen Natur zu erklaren. Er
phaͤlt den Polytheiſmus für die erſte Religion und
leitet den Deismus aus demſelben ab. Von dem reinen Deismus ſpricht er mehrmals mit großer Achtung als von einem ſehr vernünftigen Syſtem welches dem Menſchen ſeine ganze Wuͤrde fuͤhlbar machen konne. Nur geſteht er ihm wenig Einfluß auf die Moralitaͤt zu, macht aber deſto mehr auf die ſchaͤdlichen Wirkungen fanatiſcher und aberglan
bifcher Religionen aufmerkſam. | Aus Humes Dialogen über die aatörliche Re⸗ ligion, welche übrigens die ſchon angeführten Mei⸗ nungen enthalten, zieht ein treflicher Kenner feiner Philoſopheme *) das Reſultat: Wir koͤnnen zwar nicht wohl ohne alle Religion ſeyn, aber ſobald wir ſie nach ihrem Fundamente und nach ihren Wir⸗ kungen philoſophiſch unterſuchen wollen, ſo ſtellen ſich uns unwiderlegliche Einwuͤrfe dar, und der Glaͤubige meint nur mehr zu glauben, als der Zweifler. In ſeinen moraliſchen Verſuchen ſchloß Hume die Religionspflichten ganze aus, und ſuchte insbeſondre zu beweiſen, daß der Selbſtmord eben | er ſo ) Stäudlin in der Geſch d. Skeptielsmus Thl. II. S. 2 4. die überhaupt über dieſen * Abſchnitt
zu ee iſt.
Buch IW. Cmwit 6 439 N 5
ſo wenig eine Verletzung unſrer Pflichten gegen .
Gott als gegen andre und gegen uns ſelbſt ſey. Humes Grundſaͤtze fanden in England manche
Anhänger aber noch weit mehr Gegner. Veſon ?
ders eher ihn Reid, Beattie und Oswald aus dem Geſi chtopunkte des gemeinen Menſchen⸗ verſtandes zu widerlegen. Der letztre, ohngeachtet 5 ſein heftiger dogmatiſcher Ton nicht faͤhig war eiuen ſo feinen Skeptiker wie Hume zu widerlegen, ent⸗ wickelt ſehr gut das naturliche und dem gemeinen Menſchenſi nn „dngemeffehe des Theismus. Die Eriftenz Gottes haͤlt er fuͤr eine heitige und zu leicht ſi ch barbietende Wahrheit, als daß fie dem Ratfonnement der Menſchen unterworfen werden ſollte. Er hält es für ſchaͤdlich einen Beweis von etwas zu verſuchen was jedem von ſelbſt evident ſeyn ſollte. Jeder nicht ganz unwiſſende Menſch, meint er, werde auch die Eigenſchaften Gottes aus der ſichtbaren Harmonie des Univerſums erkennen und bey dem Glauben an Einen Gott bleiben, bis er einen Grund ſieht, zu vermuthen, daß mehr als Einer exiſtirt. Prieſtley ſuchte zu zeigen, daß Humens Gegner die Natur des geſunden Ver⸗ ſtandes nicht recht begriffen haͤtten, griff ihn aber
ſelbſt noch lebhafter an, und vertheidigte die Re⸗
philoſophiſcher Heftigkeit. Ee 4 Sie,
440 Buch IV. Capitel 7.
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| Mamas) n Sisbentel. Cepizte .
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Nie b ir wohl eine Pbüsſophie he Beötefrfen. ihres Zeitalters in dem Grade entſprochen wie die kritiſche. Als ſie auftrat, fand ſie große N tigkeit bey mittelmaͤßigen und ſchlechten, Ungewiß⸗ heit und. Zweifelſucht bey den beſſern, und den Wunſch nach befriedigendern Unterſuchungen über die Urquellen unſrer Erkenntniſſe als man bis her ge⸗ macht hatte, bey den beſten Koͤpfen. Viele ſchwank⸗ ten zwiſchen Meinen, Glauben und Ueberzeugtſeyn ungewiß hin und her, und niemand konnte willkome mener ſeyn als Rant der ihnen zu weiſen unter: nahm, wie weit fie auf jedem dieſer Weege gehen duͤrften. Die menſchliche Ideenmaſſe ſchien das Salz der kritiſchen Philoſophie ſehr zu bedürfen am. für, Faulheit bewahrt zu werden z Es iſt frech, Schade, daß ſie in einzelnen Theilen dadurch ver⸗ ſalzen worden iſt; Aber die erregte Gaͤhrung wel⸗ che immer weiter fortgeht, wird wohl noch Alles
in das richtige Verhältnig bringen. eee,
Die kritiſche Philoſophie ſchlleßt ſich an alle vorhergehende Philoſopgeme von dieſer oder von
ſtell t.
Buch IV. Capitel 7. Mar
jener Sete an. Ste ſichert ber Popufarpbilsfes
phie und der demonſtrativen Methode ihre Rechte indem ſie jeder ihre wahren Grenzen anweißt. Sie bahnt dem Forſchen den Weg, ſo weit durch dafs ſelbe etwas zu erreichen iſt und macht jenſeits des Gebiets der Naturforſchung den Glauben zur Pflicht. Der tiefere Denker aber wird ſie unſtreitig am liebſten da erwarten, wohin ihn Humens Skepti⸗ cismus geſtellt hat und die Belehrung bey ihr daruͤber ſuchen, ob die Erfahrung wirklich die ein⸗ zige Quelle der menſchlichen Erkenutniß ſey und wie ſie es ſey? Sie ſchlaͤgt zu Beantwortung dieſer
Fragen einen ſehr ſichern Weeg ein, indem ſie die
Produkte der Erfahrung von den Vernunftideen forgfältig abſondert, die Elemente der Erfahrung ſelbſt aufſucht, und ſie einzeln betrachtet als die vorzuͤglichſten Meents der Philoſophie auf⸗
Man 3 über einzelne Behauptungen mit
1 der kritiſchen Philoſophie noch fo uneinig ſeyn; die⸗ n Weg den Werth der menſchlichen Erkenntniß
An insbeſondere der Erfahrungskenntniß zu er⸗ forſchen, wird man jederzeit für den richtigſten ers
kennen muͤſſen, und die Philoſophie wird künftig
immer wieder auf denſelben zuruͤckkehren, wenn ſie ſich auch noch ſo oft von ihm verirren ſfollte. Ein eigentliches philoſophiſches Syſtem,
wenn darunter eine Erklärung der geſamten menſch⸗ lichen Erkenntniß aus einem gemeinſchaftlichen runde oder Geſichtpunkte verſtanden werden ſoll,
iſt indeſſen auf dieſem Wege zu erreichen nicht moͤg⸗
lich; denn bey der gelungenſten Durchfuhrung der kritiſchen Philoſpheme Ffuͤhren fie nirgends anders als dahin, zu zeigen, * die Erfahrung daun N e 5
44% Buch IV, Capitel 7. der menſchlichen Erkenntniß ſey. Die ſelbſt aber iſt etwas hoͤchſt mannigfaltiges und kann nicht die einfache Grundlage eines Syſtems wer⸗ den. Verſteht man dagegen unter einem philoſo⸗ phiſchen Syſtem eine vollſtaͤndige Ableitung und
Erklaͤrung der Quellen der menſchlichen Erkenntniß, gleichviel ob aus einem oder aus mehrern Princl⸗
pien, ſo kann die kritiſche Philoſophie allerdings darauf Anſpruch machen. Die letztre Erklärung eines Syſtems duͤrfte auch wohl leicht die richtigſte ſeyn, da es immer noch nicht ausgemacht iſt, ob nicht ein Syſtem im erſten Sinne, als Ableitung alles Wahren aus einem gane eee Pues cip, eine Chimaͤre ſey. |
Um uͤber die Realität der wenſchlchen Reli, gionstdeen zu entſcheiden, werden in der kriti⸗ ſchen Philoſophie ihre Quellen mit eben der Un⸗ partheilichkeit unterſucht, wie die Quellen aller uͤbri⸗ gen Begriffe. Kant war ſchon zuvor, ehe er fein
großes kritiſches Werk in dem Umfange unternahm, f
in welchen es die Critik der reinen Vernunft bears beitet, von der Unzulaͤnglichkeit der gewoͤhnlichen Beweiſe fuͤr das Daſeyn Gottes uͤberzeugt, glaubte aber doch daſſelbe daraus demonſtriren zu koͤnnen,
daß die Moͤglichkeit aller denkbaren Dinge ein
ſchlechterdings nothwendiges Weſen voraus ſetze, das er Gott nannte, und aus deſſen Begriffe er auch die vorzuͤglichſten Praͤdikate der Gottheit ab⸗ leiten zu koͤnnen glaubte. Auf dieſen Beweis, den er zuvor fuͤr den einzig moͤglichen gehalten hatte, nimmt er in feinen ſpaͤtern kritiſchen Schriften gar keine Ruͤckſicht. Es ſcheint jedoch, als ob der Be⸗ griff der demſelben zum Grunde liegt, derſelbe fen welchen er in der Eritik der reinen Vernunft als l as
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Buch IV. Capitel7. 4
das wn Ideal entwickelt, woraus das 0
Denkvermoͤgen den Stoff der Moͤglichkeit aller
Dinge hernimmt, wovon er aber zeigt, daß dabey nur die Idee deſſelben, nicht aber ſeine Wirklich⸗ keit oder Exiſtenz vorausgeſetzt werde Er nimmt daher den ontologiſchen, cosmologiſchen und phyſikotheologiſchen Beweis fuͤr die einzigen an,
welche man für das Daſeyn Gottes zu führen verfus
— —
chen kann. Den erſten widerlegt er mit der ſchon oft gegen denſelben gebrauchten Einwendung, daß die Exiſtenz keine Realität ſey, und mithin in dem Begriffe des allerrealſten Weſens nicht liege. Den zweyten damit, daß der Schluß vom Daſeyn einer Wirkung auf eine Urſache nur in der Sinnenwelt gelte, man aber nicht vermittelſt deſſelben auf das
Daſeyn eines Weſens auſſerhalb der Sinnenwelt
—
und der Erfahrung kommen koͤnne. Er zeigt ferner
daß die Unmoͤglichkeit einer unendlichen Reihe von Urſachen, ſich nicht einmal in der Sinnenwelt, viel
weniger aber uͤber dieſelbe hinaus erweiſen laſſe, und daß es alſo eine falſche Selbſtbefriedigung der Vernunft ſey, bey einer erſten Urſache ſtehen zu bleis ben. Endlich macht er auf das Unerweisliche der
Verbindung der ſchlechthin nothwendigen erſten Ur⸗ ſache mit dem Begriffe des allerrealſten Weſens aufmerkſam. Gegen den phyſikotheologiſchen Beweis zeigt Kant, daß wir doch nur eigentlich aus der von uns ſelbſt beobachteten Ordnung und Zweckmaͤßigkeit der Welt, auf das Daſeyn eines weiſen Urhebers derſelben ſchließen koͤnnen. Da aber dieſe unſre Beobachtungen nur einen kleinen Theil der Welt betreffen koͤnnen, und mithin ſehr eingeſchraͤnkt ſeyn muͤſſen, ſo koͤnnen wir uns nach Ben nur einen eingeſchraͤnkten . von 11 a r⸗
444 BuhlV. Cavite 7. ?
Urheber derſelben bilden, und. find ni
daraus auf ein Weſen von uueingefäpränbtee Voll kommenheit zu ſchließen. Wir muͤſſen ferner das bey voraus een, daß jene Ordnung und Zweck⸗ maͤßigkeit in der Welt nicht nothwendig ſondern zufällig fey, und alſo den phyſikotheologiſchen Bez weis mit dem cosmologiſchen verbinden, welcher
wieder mit dem ontologifihen in Verbindung ſtetht;
daher die Einwuͤrfe, welche gegen einen von dieſen Betwelſen gemacht werden koͤnnen, gegen alle gelten.
In der Critlk der reinen Vernunſt wollte Kant
wie er ſagt, zwar nicht mit der Vernunft daruͤber chikankren, daß bey dieſem Beweiſe Naturprodukte mit Kunſtwerken verglichen werden; in der Eritik der teleologiſchen Urtheilskraft zeigt er jedoch daß
dieſe Beurthellungsart der Naturprodukte blos ſub⸗ 5 jektive Gültigkeit habe, und daß wir alfo daraus nicht auf das objektive Verhaͤltniß der Natur zu ei⸗
nem hoͤchſten dieſelbe nach Zwecken und Abſichten einrichtenden Verſtande ſchließen koͤnnen. Hieraus
ergiebt ſich alſo, daß dieſe Bewelsart blos von e E f
jektiver Gültigkeit iſt. Fr
Uleebrigens zeigt Kant mit der tiefſten Gründ⸗ lichkeit, daß der Begriff eines allervollkommenſten Weſens als der oberſten Welturſache ganz und gar
keinen Widerſpruch enthalte, und alſo der Athels⸗
mus gar nichts in der Vernunft gegruͤndetes fuͤr 2 habe. Das Dafegn Gottes bleibt nach dieſen Bes
krachtungen eine hoͤchſt vernuͤnftige Hypotheſe, 4
welche ein großes Intereſſe der ſpekulativen Vernunft
fluͤr ſich hat. Eine ſolche Vorausſetzung kann der
Vernunft jederzeit nuten, und doch niemals ſcha⸗ den. Nur iſt fie als ein regulatives Princip zu
Han nach welchen wir die Data der Erfah⸗
| zung
-
Buch IV. Capitel 7. 443 rung beurtheilen, nicht aber als ein conſtitutives, nach welchen wir Behauptungen wagen, zu welchen uns die Erfahrung nicht berechtigt, weil wir ſonſt leicht in den Fehler der faulen Vernunft, welche mit Vernachlaͤſſigung der Beobachtungen immer fos gleich zu uͤbernatuͤrlichen Urſachen ihre Zuflucht nimmt, oder der verkehrten Vernunft, welche vor- aus ſetzt was bewieſen werden ſoll, verfallen koͤnnen. Die ſpekulativen Beweiſe für das Daſeyn Gottes verlieren alſo keinesweges, wie man oft behauptet hat, durch die critiſche Philoſophie gaͤnz⸗
lich ihre Guͤltigkeit. Sie werden blos von den
An ſpruͤchen auf apodiktiſche Gewißheit, auf das Anſehn von Gruͤnden fuͤr eine hoͤchſt vernuͤnftige pere verwieſen. | Man kann es indeſſen in ſpekulativer Ruͤck⸗
ſecht dahin geſtellt ſeyn laſſen, ob man dieſe Hy⸗ potheſe machen will oder nicht. So wuͤrde die kri⸗ tiſche Philoſophie wenigſtens den Indifferentismus beguͤnſtigen. Allein dieſem koͤmmt Kant dadurch zuvor, daß er zeigt: der Menſch habe ein großes praktiſches Intereſſe das Daſeyn Gottes voraus⸗ zuſetzen. Er zeigt daß die Vernunft praktiſch ſey, und ein hoͤchſtes Sittengeſetz fuͤr die menſchlichen Handlungen enthalte. Dieſem Geſetze ſoll der Menſch unbedingt gehorchen. Allein es ſteht oft den Neigun⸗ gen und Trieben nach Gluͤckſeeligkeit entgegen. Diefe Triebe wuͤrden gegruͤndeten Anſpruch darauf machen koͤnnen, daß der Menſch nach ihnen handeln ſolle, wenn die Vernunft nicht die Voraus ſetzung des Da⸗ ſeyns Gottes auf ihrer Seite hätte, welchen fie fi als das hoͤchſte moraliſche Weſen denkt, welches Sitt⸗ lichkeit und Gluͤckſeeligkeit in einer hoͤhern Verbindung der Ringe, als diejenige iſt, welche wir durch Er⸗
fah⸗
446 Buch IV. Capitel N fahrung kennen, in Harmonie ſetzt. Die Vernunft
gebietet alſo zugleich mit dem Sittengeſetze die Vor⸗
ausfeßung anzunehmen, daß ein Gott ſey, deſſen Wille durchaus mit dem Sittengeſetze uͤbereinſtimmt, der alſo heilig iſt, und deſſen Macht hinreicht die Au⸗
torität des Sittengeſetzes im ganzen Univerſum zu be⸗
haupten, der alſo allmaͤchtig if. Eine ſolche Er⸗ kenntniß unſrer Pflichten als goͤttlicher Gebote heißt Religion, und die Vorſtellungen welche wir uns nach derſelben von Gott und feinem Verhaͤltuiſſe zu der Welt und zu uns ſelbſt bilden, umfaßt die Woral⸗ theologie. Die Ueberzeugung welche Religion und Theologie auf dieſe Art hervorbringt, beruht durch⸗ aus auf ſubjektiven Gruͤnden, und heißt daher Glaube. Sieif aber jedem moraliſchen Menſchen nothwendig. In ſofern das praktiſche Intereſſe hoͤher iſt, als das theoretiſche, behauptet die praktiſche Vernunft ein Primat vor der ſpekulativen, und es koͤmmt ihr alſo vorzuͤglich zu, die Behauptungen uͤber Gott und ſeine Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe zu beſtimmen, woben ſie jedoch der ſpekulativen Vernunft nicht widerſpre⸗ chen darf.
Auf dem Grund und Boden welchen Kant der Philoſophie angewieſen hat, verſucht jetzt Fichte ein
Syſtem nach der Idee zu errichten, nach welcher ein philoſophiſches Syſtem auf einem einzigen hoͤchſten Grundſaß beruhen muß. Ob ein ſolches überhaupt
möglich ſey, wird ſich erſt aus der voͤlligen Durchs führung deſſelben bis auf die individuellſten Gegen⸗
ſtände der menſchlichen Erkenntniß ergeben. Ob es
das einzige moͤgliche ſey, wird man vielleicht erſt nach Jahrhunderten, wenn die Vernunft alle möglichen Wege zur Einheit zu gelangen, deren Anzahl ſich bis jest noch gar nicht ee laͤßt, len
Duc V. Capitel 7). 47
| „ koͤnnen. Fuͤr den ſpekulativen
Theil dieſes Syſtems giebt es durchaus keine Theo⸗ logie. Denn alle Gegenſtaͤnde der ſpekulativen Er⸗
kenntniß werden aus einer Wechſelwirkung des Ich
auf ſich ſelbſt erklaͤrt und der Grund dieſer Wech⸗
ſelwirkung, ſo wie das Bewußtſeyns überhaupt, in eine Beſchraͤnkung des Ich gelegt, von der ſich weis
ter kein Grund angeben laßt. Da nun Beſchraͤn⸗ kung der Idee eines unbeſchraͤnkten unendlichen We⸗
ſens widerſpricht ſo laͤßt ſich nicht einmal eine ana⸗ loge Idee von einem ſolchen Weſen bilden, und das
Selbſtbewußtſeyn deffelben iſt wenigſtens unbegreifs lich. Alles uͤberhaupt was ins Gebiet der Begriffe gehoͤrt, darf von dem unendlichen Weſen nicht praͤdi⸗
zirt werden, weil es endlich iſt. Fichte rechnet mit
Kant die Subftanzialicät hierher. Schon Kant hatte
erklart“) daß die Frage ob das hoͤchſte Weſen eine
Subſtanz ſey? gar keine Bedeutung habe, daß man ſie einraͤumen, dadurch aber auch nichts verſtehen konne. Fichte erklaͤrte geradezu, daß man es nicht Subſtanz nennen duͤrfe. Dies erneuerte die Miß⸗ verſtaͤndniſſe und Wortſtreitigkeiten welche ſchon ſeit
den Neuplatonikern mehrmals uͤber die Subſtanziall⸗ taͤt des hoͤchſten Weſens geführt worden find und bey
denen nichts herauskoͤmmt, weil immer jede dem Worte Subſtanz ſeinen eigenen Begriff unterlegt und
den andern darnach beurtheilt.
AJgn prakriſcher Hinſicht folgt Fichte ebenfalls
in der Hauptſache den Ideen Kants. Er nimmt an daß wir, um vernuͤnftigerweiſe den Geſetzen unfrer
Vernunft folgen und uns von ihrer Erfuͤllung einen
reellen Erfolg verſprechen zu koͤnnen, glauben muͤſ⸗
N ſen, nt ein Weſen ſey, den uns dieſer Er⸗ i folg
oe) Critit der reinen Bernunft gte Ausgabe S. 524.
N
AIs Buch IV. Capitel 7 folg unſerer tugendhaften Handlungen geſichert wird.
Aber ſo nuͤchtern als Anaxagoras, will er zu dieſer
Vorausſetzung weiter nichts genommen wiſſen, als
was unumgaͤnglich dazu erfordert wird: Dies iſt,
daß eine moraliſche Weltordnung ſey. Dieſe
nennt er daher Gott. Er giebt jedoch zu, daß ſie auch als ein reines Handeln, oder ein reiner Wille
hypoſtaſirt werden koͤnne, und thut „ er davon ſpricht; ja er hält es ſelbſt für nuͤtzlich, fie
fuͤr den gemeinen Verſtandesgebrauch zu perfonifigts
ren und anthropomorphiſiren.
Man hat Fichten um dieſer Behauptungen wil
len des Atheismus beſchuldigt. Er ſelbſt hat ſich
ſehr lebhaft gegen dieſe Beſchuldigung pertheibigt und 1 ſie ſelbſt auf ſeine Gegner zuruͤck zu waͤlzen verſucht. Ein Beweis, daß ein jeder, der einen andern Begriff von Gott hat als der Andre, denſelben des Atheis⸗
mus beſchuldigen koͤnne und zugleich eine Warnung,
daß man ſich dieſer bürgerlich nachtheiligen Beſchuldi⸗ gung, nie gegen einen Menſchen der es nicht wenig⸗ ſtens zugleich praktiſch beweißt, daß er ein-Atheift ſey, bedienen ſollte. Es iſt uͤbrigens nachtheilig fuͤr die Würde der Philo ſophie, daß Philoſophen den Nas men eines Atheiſten nicht fo gleichguͤltig dulden khn e
nen, wie den eines Indeterminiſten. Die Kantiſche Critik des Erde
nennt Platner eine dogmatiſche, und feßt ihr eine ſkeptiſche Critik entgegen. Gegen die Kantiſche
8
Moraltheologie wirft er ſkepilſche Fragen auf, welche theils den phyſikotheologiſchen Beweis für das Das
ſeyn Gottes, von dem er anzunehmen ſcheint, daß ihn Kant ganz verwirft, vertheidigen, theils den von Kant angegebnen moraliſchen Glaubensgrund als unzureichend zeigen ſollen. Er haͤlt es mau fo uns |
er⸗
—
a 1 3 Buch w. Capitel 7. ER 449 a
3 daß die Welt auf . „als daß ſie auf Gluͤckſeeligkeit abzwecke. Er ſchreibt der theore⸗ tiſchen Vernunft eben fo viel Recht zu, das Daſeyn eis nes verfiäudigen Urhebers der Welt anzunehmen, als der praktiſchen, welches Kant im Grunde wohl nicht leugnet. Er will das Geſetz der Cauſalitaͤt auf die theoretiſch vorgeſtellte Welt eben fo wohl ungewendet wiſſen wie es Kant auf die moraliſche anwendet. Er behauptet mit der Vorſtellung von Gott ſey uns zu⸗ gleich ein Vorgeſtelltes, oder mit der Idee von ihm ein Objekt dieſer Idee gegeben. Er fragt: Schließt man auch richtig von einem vorhandnen Gebote auf das wirkliche Daſeyn der Mittel feiner Erfuͤllung? Plattner findet uͤbrigens in geometriſch ſeyn ſol⸗ lenden Beweiſen für das Daſeyn Gottes keine Evi⸗ ˖ denz, geſteht aber die volle Ueberzeugung ſeiner ſkep⸗ tiſchen Critik von der vernunftmaͤßigen Wahrhelt des phyſiſchtheologiſchen; d. h. ihr Unvermoͤgen, die . der Vernunftidee von einem verſtaͤndigen irheber der Weltanordnung zu leugnen, oder die uͤberzeugende Kraft dieſer Idee zu ſchwaͤchen. Denn fie. läßt die vernunftmaͤßigen Vorſtellungen gels ten wie die ſinnlichen, und bezieht fie eben fo wie dle ſiunlichen mit Ueberzeugung auf Objekte, weil dieſes der Einrichtung des Vorſtellungsvermoͤgens und alſo des Menſchen Natur gemäß iſt. Plattner verſteht unter Atheismus die Leugnung des Satzes, daß die Zufammenfegung der Welt das Werk einer verſtaͤndigen Urſach iſt. In feiner Ver⸗ theidigung des Theismus gegen denſelben iſt vorzuͤg⸗ lich der Gedanke bemerkenswerth, daß die Endurſa⸗ chen den Wirkurſachen keinesweges entgegengeſetzt, ſondern ebenfalls wirkende Urſachen find, indem fie auf die . eines geiſtigen Weſens wirken die⸗ 1 ſelbe
Ep: SV. et, ur | ſelbe zu beſinmen. Dem zu a ert 5
darauf zu per
daß die materialiſtiſche Erklärung der Welt nic * = E
3 * %
ber Einrichtung der Weit aus ai ch ar eb Sei 1 ü fies eine natürliche, phyſiſche Erklärung, Er
als die bloße Moͤglichkeit, die theiſtiſche aus ae ſachen eines unendlichen Geiſtes, aber bie höchſte mo⸗ raliſche Gewisheit fuͤr ſich habe, die 2 wisheit aber eben fo völlige 1 2 geometriſche. |
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Ich uͤberlaſſe es meinen Leſern aus eh 85 4 ſtellung der Lehren und Meinungen der vorzi Selbſtdenker aller Zeiten Reſultate zu 11815 * mich ergeben ſich folgende daraus: daß die t menſchl che Vernunft ſich jederzeit verirrt, wenn 25 aus ſic ſelbſt herauszugehen verſucht, um ſich eine Idee ve Gott zu bilden; daß die Menſchen ſehr Unrech 0 n und die Würde ihrer Natur welche ſie von allen Seis ten auf Ideen von einer hoͤchſten Vollkommenheit 7 führt, herabſetzen, wenn fie nicht anders als durch apo⸗ diktiſche Beweiſe gezwungen das Daſeyn f annehmen wollen; daß ſie hingegen wichtige, ; dende und überzeugende Gründe haben es freywill anzunehmen, und die Maximen ihrer Handlung 1 und den Erfolg ihrer ee und e f
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