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Geschichte des

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Date Due

Ubntrr Bur«tu Cat. no. 1137

Kleine Handbücher

der

Musikgeschichte nach Gattungen

Herausgegeben

von

Hermann Kretzschmar

Band X Geschichte des Dirigiereiis

von

Georg Schünemann

Leipzig

Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel

1913

Geschichte

des

Dirigier ens

Georg Schünemann

Mit vielen Orchesterplänen

Leipzig

Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel 1913

Copyright 1913 l)y Broitkopf & Härtel, Leipzig.

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Printei) i.i Bermany

Vorwort.

Die vorliegende Arbeit ging aus meiner Untersuchung über das Taktschlagen in der Mensuralmusik hervor1. Bei dieser Studie, die das Direktionsverfahren zur Zeit der Niederländer behandelte, ergaben sich so viele Abweichungen von der heutigen Praxis, daß ich das Thema weiter zu verfolgen und die Entwicklung des Dirigierens im Zusammenhang darzustellen versuchte. Der Schwer- punkt wurde dabei auf die ältere Zeit gelegt, auf den Zeitraum zwischen den Jahren 1400 und 1800, der auf Grund eines um- fassenderen Quellenm'aterials behandelt wurde, als es den wenigen, bisher erschienenen Beiträgen zur Geschichte des Taktschiagens zu Gebote stand2. Es kam mir bei dieser Arbeit vor allem darauf an, ein möglichst geschlossenes Bild von den Hauptphasen der Geschichte des Dirigierens zu geben und durch die Darstellung der älteren Praxis auch dem praktischen Musiker Anregungen zu bringen. Aus diesem Grunde ist die älteste Zeit, die Epoche der alten Kulturvölker und der Griechen, nur so weit in die Arbeit einbezogen worden, als sie Grundzüge für die weitere Entwicklung aufgestellt hat. Das 19. Jahrhundert, das eine ge- sonderte Behandlung erfordert, habe ich dem Thema in einer kurzen Skizze angeschlossen, die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit

* Als Berliner Dissertation erschienen. Die Arbeit wurde unter dem Titel »Zur Frage des Taktschiagens und der Textbehandlung in der Mensuralmusik« auch in den Sammelbänden der Internationalen Musik-Gesellschaft (Jahrgang X, S. 73 f.) veröffentlicht. Ebenda (S. 385 f.) erschien ein kleiner Nachtrag zu dem Aufsatz von Adolf Chybinski.

2 Eine Übersicht und Kritik über diese Vorarbeiten habe ich bereits in meiner Dissertation gegeben. Die wichtigsten sind die Aufsätze von Emil Vogel (»Zur Geschichte des Taktschiagens«, Peters- Jahrbuch 1898), Rudolf Schwartz (>Zur Geschichte des Taktschiagens«, ebd. 1907) und Ambrosius Kienle (»Notizen über das Dirigieren mittelalterlicher Gesangschöre«, V.f.M. 1885). Nach Abschluß der vorliegenden Arbeit erschien noch eine kleine, wenig er- giebige Broschüre von Adolf Chybinski (»Beiträge zur Geschichte des Takt- schlagens«), die unberücksichtigt bleiben konnte.

VI Vorwort.

erhebt, sondern nur über das Fortleben und den Ausbau der im Verlauf der Arbeit aufgestellten Theorien orientieren soll.

Bei der Beschaffung des verwerteten Quellenmaterials waren mir die Vorstände der Bibliotheken zu Upsala und Brüssel und namentlich Herr Prof. Dr. Albert Kopfermann, Direktor der Musik-Abteilung der Kgl. Bibliothek in Berlin, behilflich. Besonderen Dank schulde ich Herrn Geh. Regierungsrat Professor Dr. Her- mann Kretzschmar, der meine Arbeit durch mannigfache Rat- schläge unterstützt und gefördert hat.

Berlin, im Januar 4 913.

Georg Schünemann.

Verzeichnis der Abkürzungen1.

B. B. = Kgl. Bibliothek, Berlin. V. f. M. = Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft. M. f. M. = Monatshefte für Musikgeschichte. I. M.-G. = Internationale Musik-Gesellschaft. Smlbd. = Sammelbände. Eitner = Biogr.-Bibliographisches Quellen-Lexikon von Bob. Eitner.

1 Die allgemein gebräuchlichen Abkürzungen sind hier ausgelassen. Gleich- zeitig möchte ich bemerken, daß der Ausdruck >Auf- und Niederschlag«, den ich im Sinne älterer Musiktheoretiker gebraucht habe, nur die Taktierbewegung kennzeichnet, nicht die Folge der Taktschläge.

Inhalt.

Kapitel I. Das Takts chlageii in der Musik des Altertums.

Hörbares Angeben rhythmischer Akzente S. 1 f. Die Cheironomie S. 2 f. Die Rhythmik in der griechischen Musik S. 3 f. Das Taktschlagen des Chorführers S. 4 f. Verteilung von Auf- und Niederschlag in geraden und ungeraden Takten S. 6 f. Beispiele aus dem Anonymus Bellermanns und den Resten der griechischen Musik S. 7 f. Charakter der Chordirektion S. 1 0 f.

Kapitel II. Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals.

Rhythmik der Chorgesänge im Gregorianischen Choral S. 12 f. Die Schola Cantorum als Mittelpunkt der liturgischen Organisation und ihr Diri- gent S. 1 6. Die Cheironomie im Gregorianischen Choral S. 4 7 f. Ihr Ursprung aus der Musikübung der griechischen Kirche S. 19 f. Der Vor- sänger und sein Amt S. 20 f. Grundformen der Cheironomie und der Neumenschrift S. 22 f. Die Neumation im Zusammenhang mit der Chor- leitung betrachtet S. 24 f. Einführung der griechischen Taktlehre in die Choraltheorie S. 27 f. Taktische Direktion der Hymnen S. 30 f. Direktion von mehrstimmigen Sätzen im Organalstil S. 32 f. Einfluß der Mehrstim- migkeit und Mensuralmusik; die musica plana S. 34 f.

Kapitel III. Das Taktschlagen in der Mensuralmusik.

Die Moduslehre nach griechischem Muster S. 36 f. Vorzeichnungen zur Messung der Tonquantität S. 37 f. Nachrichten vom Präcentor und vom Taktieren mit unbewaffneter Hand oder mit dem Fuß S. 38 f. Der Gebrauch des Taktstocks und der Kantorstab S. 41 f. Mißbräuche beim Taktieren S. 43 f. Angabe der Mensur in der Instrumentalmusik S. 46 f. Die Takt- arten der Mensuraltheoriker im 16. Jahrhundert und die Verteilung von Au f- und Niederschlag S. 47 f. Die Takteinheit S. 47. Sinn der Taktzeichen und des »tactus< S. 48 f. Dauer des einmaligen Auf- und Niederschlags S. 53 f. Gleichmäßiges, metronomisches Taktieren S. 54 f. Taktieren zusammenfallender gerader und ungerader Taktarten S. 56 f. Direktion nach dem Chorbuch S. 63. Praktische Winke für Chordirigenten und neue Anschauungen vom Dirigieren S. 64 f. Beteiligung von Instrumenten bei der Ausführung der Chormusik S. 65 f. Vorschläge für die Übertragung und Direktion der a cappella-Literatur S. 67 f.

VIII Inhalt.

Kapitel IV. Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance.

Der neue Musikstil S. 68 f. Der Continuo als stenographische Partitur für den Kapellmeister; Taktstriche und Notation S. 70 f. Umbildung der alten Rhythmik in die Taktmetrik S. 73 f. Taktzeichen und Taktlehre im 17. Jahrhundert S. 74 f. Die Cembalodirektion in der Oper; Orchester- besetzung und Instrumentenspiel S. 76 f. Taktschlagen in Chor- und Kirchenmusikaufführungen S. 86 f. Taktstockdirektion, Taktrolle und andere Hilfsmittel des Taktschiagens S. 87 f. Einteilung der Noten auf Nieder- und Aufschlag S. 90 f. Pisas Taktierform S. 94 f. Die Leitung mehrchöriger Musikstücke und ihre Anordnung S. 97 f. Direktion nach den in der Musik ausgedrückten Affekten S. 102 f. Dynamik und Tempomodifikation S. 104 f. Zeitdauer des Breventakts S. 111. Schwierigkeiten der Chor- leitung, und unfähige Dirigenten S. 111 f. Lautloses Taktieren S. 114 f. Zusammenfassung S. 116.

Kapitel V. Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert.

Taktlehre und Taktzeichen im 1 8. Jahrhundert S. 1 1 7 f. Verteilung von Nieder- und Aufschlag nach der alten Theorie S. 121. Giuppentaktdirektion durch wiederholtes Auf- und Niederschlagen oder durch Seitenbewegungen. Die italienische Taktierform S. 123 f. Französische Taktierform S. 124 f. Pointierter Vortrag S. 136 f. Die deutschen Taktiermethoden. Reaktionäre Stimmen S. 141. Vertreter der italienischen Praxis S. 142 f. Neue Figuren der Gruppentaktdirektion S. 145 f. Der Sieg der französischen Taktiorform S. 150 f. Hilfsmittel des Dirigierens S. 153 f. Unterscheidung von Kirchen- musik- und Operndirektion S. 154 f. Taktschlagen in der Kirchenmusik und Proteste gegen den Taktierlärm S. 155 f. Die Klavierdirektion in der Oper- und Instrumentalmusik. Wiederholtes Anschlagen der Harmonien und Mit- spielen der Hauptstimme S. 162. Vorschlagen bei pausierendem Generalbaß S. 163 f. Direktion bei Fermaten, Kadenzen und Recitativen S. 165 f. Füh- rung des Orchesters durch den Konzertmeister S. 169 f. Doppeldirektion S. 170 f. Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des Kapellmeister- und Konzertmeisteramts S. 172 f. Zusammenfassung S. 177. Praxis des Dirigierens. Orchesterbesetzung S. 178 f. Orchesterstellung, im Konzert- saal S. 1 86 f., in der Kirche S. 1 94 f., in der Oper S. 1 99 f. Einstimmen S. 203 f. Vortragsfragen. Schulung der Orchestermusiker S. 205. Dresdener Orchesterschule S. 205 f. Berliner Schule S. 207 f. Mannheimer Schule S. 209. Ausarbeitung des Vortrags. Dynamik S. 211 f. Echowir- kungen S. 211. Kontrastierende Dynamik S. 21 2 f. Crescendo und Decre- scendo S.213L Tempobestimmung nach dem Notenbild S. 220 f. Tempovorschriften und ihre Anwendung S. 2ä1 f. Tempobestimmung nach dem Pendelgesetz bei den Franzosen S. 224 f. Quantz' Tempoangabe nach dem Pulsschlag S. 227 f. Schnelle Tempi in der alten Musik S. 228 f. Tempo modifikation nach der Affektenlehre S. 229 f. Affektbestimmung

Inhalt. IX

in Vokalwerken S. 234 f., in Instrumentalstücken S. 236 f. Vortrag der Affekte durch modifizierte Tempoführung S. 239 f. Junkers Theorie als Zusammenfassung S. 242 f. Politik des Kapellmeisters S. 249 f. Anzeichen einer neuen Musikpraxis; das Ende des freien, subjektiven Improvisierens S. 252 f.

Kapitel VI. Die Berufskapellmeister in Deutschland.

Stellung der Kapellmeister im 19. Jahrhundert S. 253 f. Beseitigung des Continuo und Ende der Klavierdirektion S. 255 f. Der moderne Taktstock- dirigent S. 258 f. Nachteile der Taktstockdirektion und die Gegner S. 259 f. Vorteile der neuen Praxis und ihre Verbreitung S. 261 f. Joh. Fr. Reichardt einer der ersten Fortschrittsmänner S. 264. Bernh. Anselm Weber und die Erfolge seiner Opernleitung S. 264 f. Die neben Beethoven wirkenden Wiener Kapellmeister S. 265 f. Otto Nicolai als Dirigent S. 269 f. Ludwig Spohr S. 271 f. Spontinis musikalisches Regiment in Berlin; Charakter seiner Direktion S. 274 f. Carl Maria von Weber als Kapellmeister S. 278 f. Mendelssohns Direktion, ihre Eigenart und Bedeutung S. 283 f. Meyerbeer S. 295 f. Umblick unter den Dirigenten kleinerer und größerer Musikplätze S. 297 f. Das Wirken der vormärzlichen Kapellmeister und Gassners Direk- tionsbüchlein. Kapellmeisterpolitik S. 299, Studium S. 299 f., Taktierbewegungen S. 300, Besetzung der Orchester S. 302 f., Stellung der Instrumente in der Kirche S. 305 f., im Konzertsaal S. 308, bei Musikfesten S. 308 f., Orchester- disposition im Theater S. 312 f. Allgemeine Vortragslehren, Tempofüh- rung S. 316 f.

Kapitel VII. Ausblick.

Die französische Musikübung als Ausgangspunkt einer neuen Direktions- richtung S. 318 f. Habenecks Direktion S. 319 f. Berlioz' Bedeutung im Direktionsfach und die Grundzuge seiner Direktionslehre S. 323 f. Franz Liszt als Dirigent und sein Vortragsstil S. 328 f. Richard Wagners Direktion. Grundlagen seiner Vortragslehre und der Aufsatz: >Über das Dirigiren« S. 333 f. Wagners Lehre im Zusammenhang mit der älteren Direktions- literatur S. 339 f. Ihre Stellung zur Lisztschen Richtung und zur Men- delssohnschule S. 341. Hans von Bülow als Apostel Lisztscher und Wag- nerscher Ideen S. 342 f. Umblick unter den modernen Dirigenten S. 344.

Kl. Handb. der Musikgesch. X.

Erstes Kapitel. Das Taktschlagen in der Musik des Altertums.

Die primitivste Art des Taktschiagens ist ein hörbares An- geben rhythmischer Akzente, etwa durch Zusammenschlagen der Hände, durch Klopfen oder Schlaginstrumente. Bei den Natur- völkern wird noch heute Gesang und Tanz mit solchen Takt- schlägen begleitet, mit Klappern, Becken und Pauken der ver- schiedensten Form, mit Händeklatschen und Fußstampfen. Der Rhythmus ist das eigentlich gestaltende Prinzip dieser Musik. Nicht die Führung der Stimmen, nicht die melodischen Linien geben ihren Gesängen den Charakter, sondern die hineilenden Schläge der Trommeln, die gedämpften Klänge der Pauken, die anfeuern- den Rhythmen der Tanzschritte oder die gleichmäßig pochenden Schläge der Instrumente, zu denen eine fast improvisatorisch gehaltene, scheinbar frei und willkürlich gesungene Sprachmelodie vorgetragen wird. Man kann viele von diesen Stücken nach den Phonogrammaufnahmen, die im Berliner psychologischen In- stitut aufbewahrt werden, analysieren und wird doch immer bei der rhythmischen Aufzeichnung der Weisen Schwierigkeiten finden, da unser moderner zwei- und dreiteiliger Gruppentakt der exo- tischen Musik fremd ist. Versucht man, durch Nachzählen der rhythmischen Schwerpunkte andere Gruppierungen oder Perioden aufzustellen, so trifft man oft auf 7- oder 15-teilige Takte, die wir nicht mehr als ein Ganzes auffassen können. Aber diese komplizierte Rhythmik und das frei Rezitativische des Gesanges, der mitunter einem exstatischen Rufen und Jauchzen gleicht, beruht doch auf innerer Gesetzmäßigkeit, auf einer Gliederung, die nicht immer leichte und schwere Rhythmen in gleiche Teile teilt, sondern nach dem Charakter des Stückes und der Textbetonung frei akzentuiert. Allerdings gibt es in der exo- tischen Musik auch viele Tanzlieder in taktischem Gleichmaß, sie bilden aber bei den von abendländischer Kultur unabhängigen Stämmen die Ausnahme. Meist sind die Stücke so gebaut, daß durch fortlaufende Trommelschläge ein fester rhythmischer Halt gegeben wird, nach dem sich der Gesang in sprachmelodischen

Kl. Handb. der Musikgesell. X. 1

2 Erstes Kapitel.

Formen und Formeln bewegt. Für die Ausführung der über- lieferten Kult- und Gebrauchsmusik genügt daher ein Vorsänger, der den Sängern Ton und Tempo angibt und mit lauter Stimme mitsingt, während Musiker und Tänzer die Stücke mit Schlag- instrumenten oder durch Fußstampfen und Händeklatschen rhythmisch begleiten.

Ähnlich haben wir uns die Musikübung der alten Kulturvölker zu denken. Auch bei ihnen stand die Freude am rhythmischen Element der Musik im Vordergrund der Kunstübung1. Auf aus- gegrabenen Reliefs und Malereien sieht man Tanzszenen, Umzüge und Festbilder, bei denen Lärminstrumente, Klappern, Zymbeln, Sistren, Pauken und auch Taktschläger eine große Rolle spielen2. Man wird annehmen können, daß auch in diesen Epochen die Musik durch Vorsänger und durch lautes Taktschlagen geleitet wurde.

Neben diesem Markieren des Taktes gab es in alter Zeit noch eine andere Art der Gesangsleitung, die sogenannte Gheironomie, die man namentlich in Kultgesängen anwandte. Sie bestand darin, den Verlauf der Melodie oder ihren Vortrag durch Be- wegungen der Hände und Finger anzudeuten3. In der vedischen Musik soll der führende Sänger beim Gesang der heiligen Melodie die Töne an den Knöcheln der rechten Hand bezeichnet und mit dem Zeigefinger der linken darauf geschlagen haben, eine Me- thode, die als Gedächtnishilfe für die Sänger ausreichen mochte4. Vortragsnuancen drückte man durch ähnliche Zeichen aus: z. B. die Schwäche dadurch, daß man mit dem Daumen der Rechten über die Fingerspitzen der Linken in möglichst gerader Linie fuhr. Die Stärke wurde durch ein starkes Drücken des Daumens auf die innere Fläche der rechten Hand angegeben8. Auch durch Kopfbewegungen versuchte man sich verständlich zu machen6. Alle diese Bewegungen werden mnemotechnische Hilfsmittel ge- wesen sein. Sie wurden notwendig, sobald die Sänger im Vortrag

1 Das beweist die große Zahl von Schlaginstrumenten, die uns erhalten geblieben sind.

2 Wilkinson, Manners and custonis of the Ancient Kgyptians. London 1837, Bd. II. S. 270.283. Fig. 5—8, vgl. auch Rowbothun, History of Musio. London 1885, S. 212 3. Karl Bücher, Arbeit und Rhythmus. 4. Aufl. Reise- berichte, S. 5:< und Tafel VII.

3 W. Christ et M. Paranikas, Anthologie graeca carminum christia- norum. Leipzig 1871, S. 114.

* Chry sander, Über altindische Opferrmisik. V. f. M. 1885, S. 30.

5 Oskar Fleischer, Neumen-Studien I, S. 35.

6 Fetis, Hist. gener. de la mus. IV. S. 43.

Das Taktschlagen in der Musik des Altertums. 3

der Melodien, die nur in mündlicher Überlieferung erhalten blieben, unsicher wurden. Später entwickelte sich aus diesen cheiro- nomischen Zeichen eine selbständige Kunst der Gesangsleitung, die sich, wie wir sehen werden, bis zum späten Mittelalter gehalten hat. Beide Arten der Direktion, das laute Taktschlagen und die Gheironomie, bilden den Ausgangspunkt für eine Geschichte des Dirigierens.

Die Musik der alten Kulturvölker bietet noch viele Probleme, die der Lösung harren, so daß man über Charakter und Ausführung der Gesänge nicht mehr als Vermutungen aufstellen kann. Sichere und verbürgte Nachrichten von der Musikübung des Altertums finden wir erst in der klassischen Zeit der griechischen Kunst. Hier stehen wir zum ersten Male in der Geschichte der Musik vor einer festen, in sich geschlossenen Kunstlehre, vor sicheren Quellen und Musikdenkmälern, die einen Überblick über die gesamte Kunstübung eines Volkes geben.

In der griechischen Kunst nimmt die Musik keine Sonder- stellung ein, sie ist keine für sich stehende selbständige Kunst- gattung, sondern nur ein Teil des Gesamtkunstwerks, der sich mit der Lyrik, dem Drama oder der Orchestik zu einem Ganzen verbindet. Im wesentlichen ist die Musik der Griechen Gesangs- kunst, sie schließt sich an die Poesie an, leitet ihre Gesetze aus der Dichtung ab und tritt umschreibend, Stimmung und Aus- druck der Poesie vertiefend hinzu. Wohl haben die Musik- instrumente, namentlich Kithara und Aulos, eine eigene Literatur von Übertragungen der Gesangsstücke, von Unterrichts- und Virtuosenwerken, aber in erster Reihe sind auch sie Begleitinstru- mente, die den einstimmigen Sprachgesang mitspielen oder hin und wieder verzieren1. Die Entwicklung der Musik hält daher mit der Geschichte der Dichtung gleichen Schritt, so daß die Epochen der Epik, der Jambenpoesie, der Meliker Sappho und Alkaios, der Chorlyrik und Tragödie auch Etappen der griechi- schen Musikentwicklung bilden.

Die Eigenheit und Kraft der griechischen Tonkunst, die weder Harmonien noch Akkorde anwandte, liegt in der kunstvollen Verbindung von Melik und Rhythmik. Doch überwiegt auch hier die Gestaltung der Rhythmik, da ein Betonen des melodischen Prinzips nicht der griechischen Anschauung vom Wesen der Kunst entsprach. Die Musik sollte den Sprachvortrag beleben und heben,

1 S. Riemann, Handbuch der Musikgeschichte I, I.

1*

4 Erstes Kapilel.

die Ausdruckskraft der Dichtung verstärken, sie sollte der Ethik dienen, aber nicht selbstherrisch hervortreten1. Daher ist das rhythmische Moment das Ausschlaggebende für Charakter und Wirkung eines Tonstückes. Der Rhythmus verbindet die Teile des Gesamtkunstwerks zu einem Ganzen, er bildet das einende Prinzip von Poesie, Tanz und Musik. Es gibt Poesie ohne Melodik und Tanz ohne Gesang, aber keine Kunstgattung ohne rhythmische Gliederung. Sie bringt die Geschlossenheit, die ge- regelte Teilung von Zeit und Bewegung.

Was von der griechischen Metrik über Versbau und Versmaß gelehrt wird, gilt ebenso für die musikalische Rhythmik. Alle Ge- sänge folgen dem Sprachmetrum, wenn nicht durch die Notation, durch Punkte oder Striche über den Noten, eine Abweichung vom Versakzent gefordert wird. Wir finden also auch in der Musik Gruppen, die dem Daktylus, Jambus und Trochäus entsprechen, und Perioden nach Art des Hexameter, Tetrameter, der loga- ödischen und päonischen Versmaße. Aus dieser Harmonie von Metrik und musikalischer Rhythmik erklärt sich, daß vielen griechischen Musikstücken die Rhythmenbezeichnung fehlt. Über- haupt ist überall da, wo die Musik nur als Umschreibung oder ton- liche Verstärkung der Sprache auftritt, eine rhythmisch exakte Notation überflüssig. Das zeigt sich noch in der Kunst des Mittelalters und in den Gesängen der Minnesänger.

Es würde zu weit führen, wenn ich an dieser Stelle den fein- gliedrigen Rhythmenbau der griechischen Musik, der oft be- schrieben wurde, noch einmal entwickeln wollte. Uns inter- essiert hier lediglich die praktische Seite der Kunstübung. Ich will mich daher auf einen kurzen Überblick über die Grundzüge der Aristoxenischen Taktlehre, soweit sie für die spätere Zeit wichtig geworden ist , beschränken und versuchen , aus der griechischen Theorie und einigen Musikbeispielen eine Anschauung von der Direktion und Ausführung der Chorgesänge zu geben.

Nach den Berichten griechischer Schriftsteller taktierte der Chorführer mit lautem Fußstampfen. Er bewaffnete die Füße auch mit eisernen Sohlen, damit die Taktschläge weithin gehört wurden. Dies lärmende Taktieren, das Thesis (Niederschlag) und Arsis (Aufschlag) genau angab, ergibt sich aus der Verbindung von Musik und Orchestik2. Aber auch der zum Tanz spielende

» Vgl. H. Abert, Die Lehre vom Ethos in der griech. Musik 1899.

2 Julii Pollucis Onomastikon (rec. Immanuel Bekker 184fi, B. 199):

Das Taktschlagen in der Musik des Altertums. 5

Flötenbläser oder der Lehrer taktierte mit dem Fuß, um die Taktzeiten deutlich zu markieren1. Seltener dirigierte man mit der Hand2. Sänger und Tänzer hatten sich nach dem lauten Taktschlag des Chorführers zu richten. Wie haben wir uns nun bei dieser Direktion die Ausführung der Chorgesänge zu denken ? Wie wurden die Noten auf den Auf- und Niederschlag verteilt? Nach der Lehre des Aristoxenos lassen sich alle Taktarten auf eine Maßeinheit zurückführen, auf den chronos protos, der die kleinste, nicht teilbare Einheit bildet3. Die Zusammenfassung mehrerer Chronoi zu einem geschlossenen Komplex ergibt eine Taktgruppe4. Unter diesen sind die gebräuchlichsten, die eine fortlaufende Aneinanderkettung zulassen und keine unübersicht- lichen Periodisierungen aufstellen. Sie teilen sich in drei Ge- schlechter: in das gerade (daktylische), ungerade (jambische) und fünfteilige (päonische)5. Auf die Taktgruppen, die in kon-

Scholia graeca in Aeschinis Timarcheam (rec. Fr. Franke 1839, S. 167 zu ßdrraXov): 'j7TOt:o5iov 5i7r).oüv bitb xöv 5e;iov uooa eyorce;, oxav aüXäiat, xataxpo'jo'jatv o.\xa tw Ttooi urcorcootov, xöv p'jfttiöv »tjxö auva7roBi5övx£;, ö xaXoüst ßaxaXov.

Bacchii Isagoge (C. v. Jan., Mus. Script. 4895, § 98): "Apoiv rcotav Xe-fo- jaev elvat; Oxav [A£X£tupo; tj ö itou;, Yjvixa av [AjXXojjaev £[i.ßaiveiv. 8£oiv noiav; Otav xeijaevo; u. a.

1 Lucianus (rec. Jul. Sommerbrodt 1886—99 II, 1, S. 132) : xotl aükr^i [xev dv x<ö [A£3(u xaHrjxou Ina'jkwv xal xxujtöjv xtp Kohl.

Terentius Maurus (de litteris et metris rec. Lachmann 1836, Vers 2254/55): pollicis sonare vel plausu pedis discriminare, qui docent artem, solent.

2 Quintilian, de institutionc orat. libr. XII (Gesner ed. 1738 IX, 4, S. 466): maior tarnen illic licentia est, ubi tempora etiam animo metiuntur et pedum et digitorum ictu intervalla signant. Auch Terentius Maurus a. a. 0. Vgl. Aristoteles, Probleme XIX, 22 und 45 (Übersetzung bei Gerh. Tischer, Die aristotelischen Musikprobleme, Berlin 1903), auch Westphal, Fragmente und Lehrsätze der griech. Rhythmiker 1861, S. 98 f. u. v. u.

3Aristoxenos, Rhythmische Fragmente (Textabdruck in West p hals Griechische Rhythmik und Harmonik, 1867, Anhang, S. 7): KotXefaftai Be -pöVco? |x£v xöjv ypöviov 6 buch ftTjöevö; tön p'jil|Ai£o[A£vo)v Suvaröc wv ötaip£&T]vat. (Unter Ö'.>S}|ai£o|A£v(mv ist der rhythmusfähige Stoff zu verstehen, wie Feußner Arist. Grundzüge der Rhythmik, Hanau 1840 nachgewiesen hat.) Siehe auch Aristox. S. 8: 'Ev <p otj ypöv<o ;atjx£ ouo cpftöfY01 Bövovxat TeSrjvai xaxa fAT)0£va xponov. . .

* Aristox. S. 9: ßt Ö£ C7]ixaiv6p.£^a xöv ou&jaöv xai Yvl»ptfJLOV Ttotoü(AEv xr, a{arlr,a£t, itoög dsxiv a; tj tiXeio'j; evo;. Oxi ;aev ouv 1% evo; ypovou itou« oux av £tT) cpav£pov, £r£tofjTT£p £v a'fj|A£tov o'j icotei Siatpestv ypovc'j.

5 Aristox. S. 12: Tüiv tcoqüiv xal auve^ij p'j&[AOjroitav cittoEyopvIvtuv xpia y^vt) £3xt" to öaxx'jXtxöv xai ia[At3txöv xal to Ttaiwvtxov. AaxxuXtxöv [aev o'jv £axi to £v 'taw X6yui, lajtfiixöv öe Iv xö> öiirXastip, 7tauuvtxöv oe

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6 Erstes Kapitel.

tinuierlicher Folge gesetzt wurden oder aber miteinander wech- selten, hatte der Dirigent Auf- und Niederschlag zu verteilen. Die Einteilung charakterisiert Aristoxenos mit diesen Worten: »Von den Taktgruppen bestehen die einen aus zwei Zeiten, eine auf, eine ab; die anderen aus drei, zwei auf, eine ab oder eine auf, zwei ab1.« Damit wird die Anordnung der geraden und un- geraden Takte erklärt. Die daktylischen werden in Hälften geteilt, wie die geraden Takte der modernen Musik, die un- geraden in ungleiche Teile, in zwei Zeiten für den Aufschlag und eine für den Niederschlag oder umgekehrt. Die Variante ist durch die Metrik bedingt, da Jamben und Trochäen trotz gleicher Chro- noszahl in der Anordnung der Länge einander entgegengesetzt sind. Von den genannten Taktgruppen sind die kleinsten die dreiteiligen, die dem Jambus oder Trochäus entsprechen. Sie vereinen drei Chronoi protoi in einem Takt. Der Größe nach folgen die vier-, fünf-, sechs- und achtzeitigen Takte bis zum achtzehnzeitigen ungeraden, dem sechzehnzeitigen geraden und dem 25-zeitigen päonischen Takt2. Das sind die Grenzen, in denen sich sämtliche Taktarten bewegen. Alle Gruppen, mögen es nun sechzehn- oder vierzeitige Takte sein, lassen sich auf wenige Takt- teile oder Unterabteilungen zurückführen. So umfassen etwa die kleinsten (vierzeitigen) daktylischen Takte zwei Takt teile von je zwei Chronoi; die eine Hälfte gehört zur Thesis, die andere zur Arsis. Die großen Takte werden in mehrere Unterabteilungen oder Taktteile zerlegt, da sie ihres Umfanges wegen schwer aufzufassen

1 Aristo x. S. 9: Töjv oe zoSt&v ot \xiv im. 060 ypovow sv-pteivrai toü re avi» xai toü xctTco, ol Ik (% Tpiwv, ouo (xev tiüv ava>, evöc 8e toü xc£tu>, tj i% dvo? (jtiv toü ä'^iu, ouo oe töw xgcto). Die folgende Stelle, die wohl die Teilung der fünfteiligen Takte enthielt, ist unvollständig überliefert. Feußner a. a. 0. ergänzt: ol oe ex Terrapurv, ouo xe t<hv ävw xat ouo x&v xotttu. Ebenso Westphal. Morelli (Aristox.-Ausgabe 1785) bringt keine zuverlässige Fassung. Die Ergänzung Feußner-Westphal scheint mir nicht überzeugend. Vielleicht sollte für die päonischen Takte noch die Teilung 3 : 2 gegeben werden Da der fünfteilige Takt in der späteren Zeit keine führende Rolle spielt, ja bis in die Neuzeit hinein in der Praxis wenig berücksichtigt wurde , ist an dieser Stelle von einer eingehenderen Behandlung seiner Teilung abgesehen worden.

2 Aristox. S. 43: Mit der Aufstellung des achtzeitigen Taktes bricht das Aristoxenos-Fragment ab. Pscllus, der die Aristoxenische Lehre kommen- tierte, ergänzt die Lehre von der Ausdehnung der Takte nach der oben ge- gebenen Theorie: otusjecDai oe tfottvetat p.ev b(j.ßixöv ylvoc |*^XP' T0^ ^*T">- xat&sxav/jp.ou f/eYeSou; wüte -fwecSai töv |i£-fi<JTOv ir6oa l^arÄofotov toü e").a- ytaxo'j, oe oV*TuXixöv \xiyjn toü exxcttSexaoT^jiou, oe* r.mmviv.6v pfyßt toü TrevTexateixooaotjfAou.

Das Taktschlagen in der Musik des Altertums. 7

und zu übersehen sind1. Solcher Taktteile kann es nach der Lehre des Aristoxenos nicht mehr als vier geben2, d. h. der größte gerade Takt, der sechzehnzeitige, könnte etwa in 4 + 4+4 + 4 Zeiten zerlegt werden; jede Vierergruppe würde einen Taktteil aus- machen: wir hätten einen großen daktylischen Takt, der nach Analogie des geraden Rhythmengeschlechts 8 + 8 zu taktieren wäre. Ebenso müßte der größte ungerade Takt von 18 Zeiten, der 6+6 + 6 gegliedert sein könnte, nach dem trochäischen Taktschema 12 + 6 oder 6 + 12 Zeiten nach dem Bilde des jam- bischen Rhythmengeschlechtes dirigiert werden. Ein zwölf- zeitiger Takt, etwa die erste Hälfte des Hexameter, wäre 6 + 6 zu taktieren, oder aber 8 (4 + 4) + 4 nach dem trochäischen Muster. Die letzte Einteilung wäre vorzuziehen, da bei gerader Teilung der zweite Versfuß des Hexameter zerschnitten würde. Die Taktteile sind innerhalb jeden Taktes gleich, der Zahl und Größe nach, z. B. 18 Zeiten =6+6 + 6. Nur die rhythmische Gliederung, wie sie Sprachakzent und Wortbetonung bringt, gibt dem Takt Mannigfaltigkeit und Abwechslung3.

Ich will die Taktlehre an einigen Beispielen aus der griechi- schen Musik erläutern. In einer Traktatsammlung, die Beller- mann zusammengestellt hat, wird im Anschluß an Aristoxenos eine Schule für Instrumentenspiel gegeben, die unter anderem auch Beispiele für das Taktschlagen enthält4. In jeder Takt- gruppe wird von dem Verfasser die Arsis durch einen Punkt be- zeichnet, die Thesis durch die Noten ohne Punkt5. So wird ein vierzeitiger Takt in dieser Form aufgestellt:

h r L f

A II c d

Die beiden ersten Noten gehören zur Thesis, c und d zur Arsis: eine Einteilung nach dem geraden daktylischen Geschlecht. Aller-

1 A rist.ox. S. i»/1 0 : oi frip iXdxxo'j; x&v t:ooü>v, EUTTepfXirjTrTOM tri aii\)rt<3Ei . . . oi \j.sfdXrji TO'Jvsvttov rerovOaat, 8uorepiX?j7:TGv yap ttj ata!)T,-£i [t.ifZ%oi c'/ovTe?, 7tXao\(i)v hiovzai ot((j.£iwv. . .

2 Aristox. S. 10 : Aia xi 5e o'j iwrzav Tz),dt» «jjiefa xo.iv xExxapoiv, ot; ö ttoö; ypfjtai y.rxxa xfjv autoü 'A'-vpiv, EJstspoN ÖEty>)T)a£x«!. Die Stelle, auf die Arist. hinweist, ist nicht erhalten.

3 Aristox. S. tO: xai 7rpooil£X£ov oi xoi; elpTjfjivot? , oxi ra piv sxdaxo'j ~ooo; OT|U.£ia Otaptiva 'icx ovxc* xat x<ü äot}}|AÖ> v.al xw (A£f£i)£i, oi ö'utto xyj; p'j9|i.07:oiia; iv/6\xt\o.i Staipioeis zoXXyjv }.a|xß<£,vo,jai itotxtXiav.

4,Av(i)v6[j.ou aif7pa[Xfxa ~£pi \to'JOiy.ffi. Berlin 1844, ed. Fr. Bellermann. 5 A. a. 0. S. 21 : H |aev oOv Slssi? 0f)(j.7iv£Tc.t, orav ärj.wz otjaeTov soxiv- xov 7j* olov H (A) 7) o'apois ot^v caTtY|j.e\ov

8 Erstes Kapitel.

dings geht aus dem Beispiel nicht hervor, welche Noten dem Auf- und Niederschlag zukommen, denn die Worte Thesis und Arsis werden von den Theoretikern in verschiedenem Sinne gebraucht. Entweder dachte man mit Bacchius an die Orchestik und identi- fizierte Thesis mit Niederschlag, Arsis mit Aufschlag1, oder man bezog die Worte auf Hebung und Senkung der Stimme, wobei dann die Arsis (Hebung) als schwere oder gute Taktzeit gelten muß2. Da der Anonymus Bellermanns in einer späten Zeit, im 4. Jahrhundert, schrieb, wird die Gleichstellung von Arsis mit schwerer Zeit, wie sie die Metriker lehren, das Richtige treffen. Es ist auch für eine Taktlehre das Gegebene, daß der Nieder- schlag bezeichnet wird, zumal es sich um eine Instrumenten- schule handelt, die mit einer Markierung leichter Taktteile kaum eine praktische Anleitung zum rhythmisch exakten Spiel ver- binden kann. Das zitierte Notenbeispiel wäre auftaktisch zu lesen: die ersten beiden Noten kommen auf den Aufschlag, die übrigen auf den Niederschlag.

Für den sechszeitigen Takt wird u. a. dies Beispiel gegeben:

r L r F

A c H fl

Die Striche über den Noten zeigen eine zweizeitige Länge an, der Punkt die Arsis, die schwere Zeit. Es wäre zu taktieren: A— c— H auf den Aufschlag (vier Zeiten), d auf den Niederschlag (zwei Zeiten), eine Teilung nach ungeradem Rhythmengeschlecht. Diese Anordnung in ungleiche Teile ist für das Taktschlagen ebenso wichtig geworden wie die Teilung der geraden Takte in Hälften. Bis in die Zeit der Renaissance hat sich die gleiche Gruppierung der Taktteile behauptet.

Interessant ist auch das Beispiel für den zwölfzeitigen Takt, das der Anonymus anführt. Da wird an zwei Notenreihen, die leider unvollständig überliefert sind, die Einteilung nach ge- radem und ungeradem Rhythmengeschlecht gezeigt. Einmal teilt der Punkt die Noten in 6 + 6 und dann in 3 + 9 Zeiten, wodurch die Zugehörigkeit zum daktylischen oder jambischen Takt gekennzeichnet wird.

1 S. o. die zitierte Stelle (S. 4, Anui. 2) und Aristides Quint. (Meibom, Antiqu. mus. auct. Septem S. 31): apot; [xsv oüv eaxt cpopa ouifAaxo; irzl avtu' ftiai; 81 lr\ xo xaxio xaiixoü [xspou;.

2Martianus Capeila 'Meibom, a. a. 0. S. 4 91): Arsis est elevatio, thesis depositio vocis ac remissio. Vgl. Bellermann a. a. 0. S, 21 Kommentar.

Das Taktschlagen in der Musik des Alterturas.

9

In den erhaltenen Musikresten der griechischen Kunst ist meist ein einheitlicher Takt durchgeführt1. Nur in zwei Stücken tritt Taktwechsel ein, in dem Gesang des Mesomedes an die Muse, wo der trochäische Rhythmus im Mittelteil vom Hexameter ab- gelöst wird, und im zweiten delphischen Hymnus, der allerdings nicht lückenfrei erhalten ist. Beide Male ist der Rhythmenwechsel tonmalerisches Ausdrucksmittel. Der Text wird eindrucksvoller, dramatischer gestaltet2. Wo aber die Dichtung keine Kontraste, keine Stimmungsgegensätze erfordert, hält sich die Rhythmik an ein durchgehendes Taktmaß, das von der Metrik bestimmt wird. Als Beispiel für diesen gleichmäßigen Takt soll das Epi- taphium des Seikilos, das auf einer Säule in Tralles in Kleinasien gefunden wurde, analysiert werden. Es ist mit genauer Rhyth- menbezeichnung geschrieben. Über die Noten sind Striche ge- setzt: die Zeichen für zweizeitige ( ) und dreizeitige (_i) Länge. Außerdem sind Punkte eingefügt, die nach den Worten des zitier- ten Anonymus den Niederschlag bezeichnen. Auch die metri- sche Betonung wird durch Punkte gekennzeichnet. Durch diese Zeichen ist die Rhythmik der Musik festgelegt. Das Notenbild mit der Übertragung sieht nach Jan so aus3:

CZ Z KIZ I, K I ZIKOCO(J>CKZ

f

-*• JL» * I •'-

£§=§!

3

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"Oaov £fj; <pat - vo'j, [atj-oev o - Xoj? a>j hj - r.w' rpöc 6-H-

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Kl K C OOCK O I ZK CCCX-i

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•pv iz - ti £»jv, "o tI - Xoc 6 ypö-vo? in - ai - teT. Das Stück wohl das schönste, das uns von der griechischen Musik erhalten geblieben ist zeigt eine Einteilung nach geradem Rhythmengeschlecht. Je drei Chronoi werden zu einer Gruppe

1 Jan, Mus. script. X. Carmjnum graecorum reliquiac. Dazu: Supp- lementum Melodiarum rel. (1899).

2 Vgl. Abert, Die Lehre vom Ethos in der griech. Musik. S. 163.

3 Jan, a. a. 0. S. 452/53 und Supplementum Melodiar. S. 38/39. Über die innere rhythmische Gliederung der Melodie siehe Spitta, V. f. M. 1894, S. 1(M. Die dreiteilige Länge mit Punktangabc auf <J> in fcj-r/j und £fj\/ bezieht sich mit auf die vorangehende Note. Riemann Handb. d. Musik- gesch. I, 1) bringt das Stück im 6/4-Takt und in anderer Tonlage.

10 Erstes Kapitel.

zusammengefaßt und bilden die Hälfte eines Taktes. Der Gesang wäre zu taktieren wie unser schneller 6/s"Takt. Man kann daran denken, die Musik im 3/8-Takt zu notieren, so daß jeder Takt drei Chronoi umfaßt, dem widerspricht aber die Punktangabe und die Haltung der Melodie. Im Chorgesang hätte der Chorführer bei diesem Stück die schweren Taktzeiten durch Fußstampfen zu markieren.

Auch die Hymne des Mesomedes, die beginnt: 'Aeios jxoücä |xoi <fi/.7, müßte nach dem Schema J^ | J ^, J J\ J J\ '. | in geraden Takten dirigiert werden. Sechs Zeiten auf den Auf- schlag, sechs auf den Niederschlag. Bei der Stelle KaXXufcst« aoepa jjouoojv tritt dann Taktwechsel ein durch einen zweimal ge- setzten Hexameter, der etwa J h J^ ^ J^ J J I J J" -T1

) # , 9 m aufzulösen wäre. Hier liegt eine Zusammenfassung in zwei 6/4-Takte vor, denn der Hexameter kann mit seinen 24 Zeiten nicht als eine einzige Taktgruppe aufgefaßt werden1. In jeder Hälfte des Hexameters würden vier Viertel dem Nieder- schlag gehören, zwei Viertel dem Aufschlag. Eine gerade Teilung würde den zweiten Versfuß zerreißen. Nach diesen im epischen Versmaß gehaltenen Takten lenkt die Hymne wieder in den Rhythmus des Anfangs ein. Wir haben eine Gegenüberstellung von geraden und ungeraden Rhythmen, die der Chorführer mit seinem Taktschlag anzugeben hat.

Es handelt sich stets darum, die Rhythmen auf den zwei-, drei- oder fünfteiligen Takt zurückzuführen. Sprachakzent und Metrik geben dann dem Taktbau die Vielfarbigkeit und Beweg- lichkeit, die akzentreiche Schattierung und Ausdruckskraft, denn das Tempo wurde im Chorgesang meist ohne größere Schwan- kungen und Änderungen durchgeführt2.

Die Gesamtleitung lag bei allen chorischen Aufführungen in den Händen des Chorführers. Mochten Festspiele, Umzüge oder Tempelkult durch Chorgesang verherrlicht werden, wurden Tra- gödien oder Satyrspiele aufgeführt, stets war der Chorführer der Leiter von Tanz und Musik. Er gab den Sängern den Ton an und sang mit lauter Stimme vor, während der mitwirkende Flöten- bläser, der wohl mehrere Instrumente verschiedener Stimmung besaß, die Gesänge begleitete3. Der Chorführer leitete Einzug

1 Über die Größe der Takte s. o. S. (5.

2 Aristoteles l'robl. XIX. (5: Ali t( oi itoXXoi aoovte; au'j^o'jot päXXov tov (!>'ji)}jl6v tj ot 6X1701; tj '6~i ;i.äXXov ttoöc £va te xal ■i\fz\>.'>\a [iXiTouai xa\ ßpaoiitepov apyovroit, &o-£ pöov toü otötoO T'jf/dwo'joiv lt j/cv y«P Tt£ fa/it ttXeuuv Y^veTat '(\ äfxaptt« (Jan, Script., S. 107). Vgl. hierzu Abert, a. a. 0.. S. 427 f.

3 Vgl. Riemann, Handb. d. Musikgesch. I. 4, S. 4 42.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 11

und Aufstellung der Choreuten, Tanzbewegungen, Reigen und Prozessionen, und führte das Ineinandergreifen von Musik und Drama. Diese Gesamtleitung des Chorführers beruht auf der Verbindung von Musik, Poetik und Orchestik. Es war keine rein musikalische Direktion, sondern eine rhythmische Führung von Tanz und Gesang. Die Grundzüge dieser Leitung sind für die Geschichte des Dirigierens von großer Bedeutung geworden. Sie bilden in der Zeit der Mensuralmusik den Ausgangspunkt für die Lehre vom Taktschlagen und sind bis in das 17. Jahrhundert hinein in der alten Form gültig geblieben.

Zweites Kapitel. Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals.

Zu den Aufgaben einer Musikgeschichte, die die genetische Entwicklung des christlichen Kirchengesangs aus der Kunst der Griechen und Orientalen ableiten wollte, gehört die Frage nach Ursprung und Beschaffenheit des jüdischen Tempelgesangs und der heidnischen Musik. So viel von den Historikern hier ge- arbeitet worden ist, so wenig Positives ist bisher geleistet. Es ist ver- sucht worden, die christliche Musik mit dem antiken Hymnengesang in Verbindung zu bringen1, es ist bewiesen worden, daß die Liturgie des Abendlandes aus den kirchlichen Gemeinschaften in Jeru- salem, Antiochien und Alexandrien hervorging, doch der innere Zusammenhang mit der Kunst der Hellenen und die Entstehung der Psalmodie, die das älteste Dokument christlicher Musik bildet, sind noch nicht einwandfrei und überzeugend nachgewiesen worden. Bezeichnend ist, daß die exakte Buchstaben-Ton- schrift der griechischen Musik von der christlichen Kirche nicht übernommen wurde, daß sie trotz der Bestrebungen der mittel- alterlichen Hellenisten durch eine neue Art der Notierung, durch die Neumierung, ersetzt wurde. Vielleicht ist hier der Kult des Orients die bestimmende Macht gewesen, denn der Grundcharakter der christlichen Musik weist nicht nach dem Hellas des Pindar und Sophokles, sondern nach der Kultmusik des Morgenlandes. Wenn überliefert wird, daß in Milet die religiösen Gesänge durch Instrumente, durch Tanz und Händeklatschen rhythmisch belebt

1 Gevaert, La melopee antique dans le chant de l'eglise latine. 1895.

12 Zweites Kapitel.

wurden, daß im jüdischen Tempeldienst lärmend und laut beim Gesang agiert wurde1, so wird man an die Musikübung der alten Kulturvölker erinnert. Und wenn wir im Abendland von der Gheironomie als der gebräuchlichen, der christlichen Musik eigen- tümlichen Direktion hören, dann denkt man zurück an die Bräuche der Inder, die mit Hand- und Fingerbewegungen eine auswendig gekannte Melodie begleiteten. Wohl lassen sich im Aufbau der christlichen Hymnengesänge Verbindungsfäden mit der griechi- schen Kunst auffinden, aber in einer Beziehung stehen alle Gesänge der Kirche im Gegensatz zur griechischen Musik: in der Haltung der Melodie, die alle Enharmonik und Chromatik ausschaltete und durch die reine, keusche Diatonik ersetzte. Erst als die christ- liche Kirche zur Herrschaft gekommen war, wurde die griechische Theorie von Melik und Rhythmik in der Gestalt, wie sie Boetius, Gassiodorus und Martianus Capella verkündeten, wieder auf- genommen, der Kirchenmusik angepaßt und von antikisierenden Schriftstellern nach neuen Gesichtspunkten ausgelegt.

Von einer Ablehnung heidnischer Kunst ist der christliche Kirchengesang, der nach Gregors Reform der Gregorianische Choral genannt wurde, ausgegangen, um in eine Wiederaufnahme und Weiterführung der antiken Lehre einzumünden. Eine Ent- wicklung, die wir nur in ihrer zweiten Periode, in der Epoche nach Gregors des Großen Regierung, sicher verfolgen können, da Musiktheoretiker des Chorals und erhaltene Musikdenkmäler zum großen Teil einer späteren Zeit angehören. Von dieser Epoche wollen wir in unserer Darstellung ausgehen und durch Rück- blicke und ältere Nachrichten, wie sie Kirchenväter und Histo- riker bringen, den Charakter der Choraldirektion entwickeln.

Es gibt kaum ein zweites Problem, daß die Liturgen so viel beschäftigt, als die Frage nach der Rhythmik des Chorals. Die widersprechendsten Theorien stehen einander gegenüber. Bald wird eine strenge, taktmäßige Gliederung, bald wieder ein freier, oratorischer Rhythmus als Fundament des Chorals nachgewiesen. Eine Folge der unrhythmischen Notierung der Gesänge in Neumen, d. h. in Notenformen, die durch Striche, Punkte, Häkchen und Bogen die ungefähre Richtung der Melodie, aber nicht ihre Rhyth- mik und Tonhöhe angeben. Allerdings bringen Satzgliederung, Wortakzent und Syntax einen Anhalt für die Gruppierung der Tonformeln, aber eine Taktlehre im Sinne der griechischen Musik,

1 Peter Wagner, Ursprung und Entwicklung clor liturgischen Gesangs- lormen, 4 911, 3. Aufl. S. 16, nacli Theodoret, haeret. fab. IV, 7.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 13

eine Theorie von der Mensur der Gesänge, die sich auf alle Musik- stücke anwenden ließe, ist aus dem frühen Mittelalter nicht über- liefert. Wir müssen uns an Musik und Nachrichten von Musik- schriftstellern und Geschichtschreibern halten, wenn wir nicht die in unserer Zeit übliche Methode des Choralgesangs als bindend anerkennen wollen. Indes haben die Versuche, den Choral in ein festes Taktmaß zu spannen, keine greifbaren Resultate gebracht. So geistvoll Hugo Riemann die taktische Mensur der Gesänge durchgeführt hat, eine befriedigende Lösung ist damit nicht er- reicht worden. Das gesamte Notenbild wird in dieser Über- tragung zu unruhig und kompliziert. Namentlich die chorischen Gesänge haben sich wohl selten in Quintolen, Triolen und ähnlichen Gruppen bewegt. Man fragt sich auch, weshalb die Stücke nicht taktmäßig abgeteilt wurden, wenn man eine gleichmäßige Ein- teilung, eine stets wiederkehrende Gruppierung gleicher Ab- schnitte verlangte. In den römischen Notenbüchern waren nicht einmal Pausenzeichen in die Tonschrift eingefügt! Ich glaube, die Beibehaltung einer unrhythmischen Notation erklärt sich aus liturgischen und rein praktischen Gründen. Die christliche Musik sollte die Dienerin der Sprache sein, eine Steigerung und Verinnerlichung des Wortgedankens. Sie sollte einem Sprachgesang gleichen, nicht einer selbständigen Musik in unserem Sinne. Daher schloß sich auch die Psalmodie, der älteste Bestand- teil der Kirchenmusik, eng an den Rhythmus der Sprache an. Der Gesang war mehr ein akzentisches Rezitieren als ein eigent- liches Singen. Eine Ausnahme bilden allerdings die Halleluja- Gesänge, die mit ihren reichen Melismen einem Jubilieren und Jauchzen gleichen. Aber auch hier war eine freie, ataktische, nur inneren musikalischen Gliederungen folgende Rhythmik möglich, da die Kleriker die Gesänge nach der Methode ihres Gesangsmeisters genau einstudierten, so daß die Chorliturgie auswendig gesungen werden konnte1. Die Stücke wurden ohne

1 Guido, Reg. rhythni. (Gerb. Script. II, S. 25): Hac de causa rusticorum multitudo plurima Donec frustra vivit, mira laborat insania, Dum sine magistro nulla discitur antiphona. Ebd. S. 34: Mirabiles autein can- tores et cantorum discipuli, etiamsi per centum annos quotidie cantent, num- quam per se sine magistro unam vel salteni parvulam antiphonam cantabunt. AurelianusReomensis sagt (Gerb. Script. I, S. 53) : Porro autem, etsi opinio me non fefellit, licet quispiam cantoris censealur vocabulo, minime tarnen perfectus esse poterit, nisi modulationem omnium versuum per omnes tonos, discretioneinque tarn tonoruni, quam versuum antiphonaruni seu in- troitum in theca cordis memoriter insitam habuerit.

14 Zweites Kapitel.

Notenbuch vorgetragen, da die wenigen kostbaren Musikbücher, die man anfertigte, in erster Reihe für den Chordirigenten oder Leiter der Liturgie bestimmt waren.

Durch eine oratorische Rhythmik wurde auch jeder Anklang an die profane Musik ausgeschlossen. Volks- und Tanzmusik waren zu allen Zeiten an den Gruppentakt mit betontem und leichtem Taktteil gebunden. Von diesem rhythmischen Gleich- takt hielt sich der Choral fern, denn die Geistlichen, die alle In- strumente aus dem Kirchendienst verbannten, wollten auch in der .Rhythmik einen Gleichklang mit der weltlichen Musik ver- meiden. Diese Abtrennung des liturgischen Gesangs von der außerkirchlichen Gebrauchsmusik betont schon Diodor von Tarsus (um 370), wenn er den Gläubigen sagt, daß nicht das Singen der Unvollkommenheit angehöre, sondern das »Singen mit Begleitung seelenloser Instrumente«. »Daher sind nach Diodor in den Kirchen bei den Gesängen die Instrumentalbegleitung und die anderen kindischen Zugaben abgeschafft, und nur das pure Singen beibehalten worden. Denn das Lied erweckt die Seele zu einer glühenden Sehnsucht nach dem, was im Liede dar- gestellt ist; es besänftigt die vom Fleisch aufsteigenden Leiden- schaften; es wehrt die . . . bösen Gedanken ab; es betaut die Seele, daß sie fruchtbar wird in der Hervorbringung mannigfaltiger Güter; es macht die frommen Kämpfer edel und stark in bezug auf das Ertragen furchtbarer Übel; es wird den Frommen zu einer heilenden Salbe aller Wunden, die das Leben schlägt . . . alles dies ... kommt durch die Kirchengesänge den Frommen zu1.« Dieser Gedanke der reinen, durch keine weltlichen Anklänge pro- fanierten Kirchenmusik ist das Leitmotiv in der Gestaltung der frühchristlichen Liturgie. Und aus diesen Anschauungen läßt sich auch die ataktische Rhythmik der christlichen Musik verstehen, jene freie Deklamation, die sich an keine schweren und leichten Taktteile bindet, sondern allein dem Wortakzent und der Satz- gliederung folgt. Für die vorgregorianische Zeit ist dieser rezi- tativische, akzentische Vortrag der Chorsätze vielfach bezeugt. So sieht Diodor die Kraft des Gesangs in einer harmonischen An- passung der Rhythmen an den Text2, und die Psalmodie wird

1 Übersetzung nach Harnack, Diodor von Tarsus. Texte und Unter- suchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur von Gebhardl und Harnack. Neue Folge, VI. Band, 1901, S. 131.

2 A. a. 0. S. 102.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 15

geradezu mehr »ein Sprechen als eigentliches Singen«1 genannt. Auch der Ambrosianische Gesang schloß sich eng an den Text an, wenn auch nicht bewiesen ist, daß das Metrum streng beachtet wurde2. Es ist anzunehmen, daß alle Gesänge der Liturgie, die zum weitaus größten Teil Prosatexten folgen, in deklamatorischer Rhythmik vorgetragen wurden. Daß aber auch verzierte Gesänge einer ataktischen rhythmischen Gliederung folgen können, läßt sich noch heute an vielen Volksweisen zeigen. Für die ältere Zeit wird man da kaum bindende Vorschriften aufstellen, da gerade die ornamentreichen Weisen der Liturgie in verschiedenen Kirchen auch verschieden ausgeführt wurden.

Aus der engen Verbindung von Wort und Ton, die wir als Norm für die Ghorgesänge ansehen, erklärt sich, daß wir in der Blüte- zeit des Gregorianischen Chorals, in der Epoche von Gregors Wirken bis etwa zur Regierung Karls des Großen, so wenig von der Rhyth- mik hören. Alle Rhythmenregeln waren überflüssig, solange sich die Rhythmik auf den Text stützte und alle melismatischen Tongruppen nach überlieferter Praxis gesungen wurden. Erst im 10. Jahrhundert, als der Bestand an liturgischen Weisen stark zugenommen hatte und Tradition und Sicherheit in der Aus- führung der Sätze verloren gehen, werden Gesetze über die Choral- rhythmik gegeben, die ihre Herkunft aus der Wiederaufnahme der antiken Kunstlehre herleiten. Diese Theorien werden am Schluß des Kapitels behandelt, da sie kaum Anspruch auf All- gemeingültigkeit erheben können. Die Epoche der neumierten Tonstücke hält sich nach den Musikdenkmälern und Geschicht- schreibern zu urteilen an keine Taktlehre, an keine sich stets gleichbleibende Gruppenteilung der Rhythmen und Takteinheiten, sondern an einen freien solistischen Vortrag und eine oratorische Rhythmik in den einfachen Stücken und Chorgesängen.

Mit Ausnahme der Hymnen, die nach metrischen Texten kom- poniert sind, bieten somit die Gesänge des Chorals keine Anhalts- punkte für eine taktische Mensur. Sie können daher nicht nach griechischem Muster dirigiert worden sein, da eine regelmäßige Folge von schweren und leichten Taktteilen das Ebenmaß der Ge- sänge und die deklamatorische Tonsprache zerstört haben würde.

1 Primitiva autem Ecclesia ila psallehat, ut modico flexu vocis faceret psallentem resonare: ita ut pronuncianti vieinior esset, quam psallenti [quam canenti]. Gerbert, De cantu et mus. sacr. I, S. 203.

2 S.Peter Wagner, Neumenkunde, Palaeographie des Gregorianischen Chorals, S. 238 f.

16 Zweites Kapitel.

Im Mittelpunkt aller kirchenmusikalischen Bestrebungen stand die schola cantorum in Rom, jene Sängergemeinschaft, die Gregor der Große nach dem Zeugnis des Johannes Diaconus gegründet und materiell gesichert haben soll. Was die Päpste Sylvester (—336), Sixtus (—440) und Leo der Große (—461) für die Ausbildung der Sängerchöre getan haben1, tritt hinter der Organisation der Schola zurück. Die römischen Sänger über- holten in kurzer Zeit alle Chorvereinigungen. Hier wurde die Liturgie im Sinne Gregors dem nach der neuerdings angefochte- nen Überlieferung die Regelung und Reformierung der Liturgie zugeschrieben wird in \ einheitlicher Manier ausgeführt. Ein Vortragsstil bildete sich, der als vorbildlich in allen Kirchen galt. Von der Schola, die die liturgischen Gesänge im Gottesdienst nach Gregors Vorschrift ausführte, ist die römische Methode des Gesangsvortrags in die fernsten Kirchengemeinden gekommen; und nach dem Muster der Schule, in der auch die heranwachsende Jugend Unterricht erhielt, wurden an vielen Orten Singeschulen eingerichtet. Die Gesänge erhielten sich durch Unterricht und Überlieferung in traditioneller Vortragsmanier, so daß die Be- deutung der Schule immer weiter wuchs. Wie in Rom gesungen wurde, galt als Vorbild und Gesetz der christlichen Kirche.

Der Dirigent der schola cantorum war der Primicerius, der Prior scholae, ihm folgten dem Range nach: der Secundicerius, Tertius, Quartus letzterer unterwies die Sängerknaben und die Subdiakonen, sieben an der Zahl. Zu diesen Männerstimmen gesellte sich bei der Ausführung der Chorgesänge noch die Reihe der Singknaben. Der Primicerius rangierte nach Gregors Be- stimmung unter den höchsten Würdenträgern; er leitete Zere- monie und Musik und überwachte Lehre und Vortrag des Gesanges.

Nach dem I. Ordo Romanus, der im 7. oder 8. Jahrhundert aufgestellt wurde, standen die Sänger an allen Tagen, an denen der Papst zelebrierte, im unteren Chor der Kirche. »War der Papst im Secretarium angekleidet, so erschien der vierte Sänger vor ihm und meldete, wer die Epistel lesen und wer das Graduale

1 Gerb., De cantu I, S. 36. Anm. a. : Quamquain tempore S. Silveslri P. ei poslea plures et magnae fuerint in urbe basilicae conditae, non tarnen singulae Clericos vel Monachos speciatim liabebant, qui in illis sacra offieia celcbrarent. . . Ideoque schola cantorum instituta fuit, quae urbi communis erat et ad sta- tiones, processiones. singulasque diebus eorundem festis occlesias urbis con- veniebat, ibique sacra officia, et Missarum solemnia, Pontifice vel Presbytern cclebrante, deeantabat.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 17

singen sollte. Hatte er die Zustimmung des Papstes erhalten, so brachte er die Meldung an seinen Obern, den Primicerius zurück; die Schola stellte sich in zwei Reihen auf, die Männer an den Flügeln, die Knaben in der Mitte, oder die Männer gegen das Schiff hin, die Knaben dem Altare zu1. Nach dieser Aufstellung hob der Primicerius den Introitus an. Sobald der Subdiakon der Schola die Antiphon zum Introitus angestimmt hatte, faßte er seine Planeta zu einem Bausch auf, d. h. er faßte den vorderen Teil seiner Planeta vorn auf der Brust in einen Bausch zusammen, so daß die Arme frei wurden2.« Das geschah, wie Kienle nach- gewiesen hat, um den Gesang durch Handbewegungen zu leiten. Über die Art dieser Direktion erfahren wir aus der römischen Ur- kunde nichts weiter. Aber es sind Notizen in anderen Schriften erhalten, die einen Rückschluß auf die römische Praxis zulassen, Nachrichten aus den Kirchen zu St. Gallen, Mainz, Mailand und Monte Cassino.

So findet sich in einem Bericht über eine Osterfeier in Ingel- heim, die im Jahre 1030 abgehalten wurde, eine interessante Be- merkung über die Direktion einer Sequenz. Ekkehard IV. aus St. Gallen, der nach Mainz als Dirigent einer Singeschule berufen war, mußte in Ingelheim vor Kaiser Conrad und vielen Bischöfen und Fürsten die Ostersequenz »Laudes Salvatori« dirigieren. Der Chronist gibt davon folgende Beschreibung: »Mitten im Chore, dem kaiserlichen Throne gegenüberstand der choralkundige Mönch von St. Gallen, um den Gesang zu leiten. Als nun nach dem Alle- luja Pasca nostrum die Sequenz beginnen sollte und der Kantor die Hand erhoben hatte, um, wie es sich gebührt, dieWeisen der Sequenz mit der Hand zu malen, da ereignete sich das dem Kantor so Ehrenvolle, daß drei Bischöfe im Pontifikalschmuck in den Chor hinabstiegen, um mit ihm die Gesänge zu singen, die er sie in St. Gallen selber gelehrt hatte3. « Die Sequenz wurde also nicht taktiert, sondern mit der Hand »gemalt«, die Ton- figuren wurden mit Gesten veranschaulicht, die die Ausbiegungen

i Migne, Patr. Lat., Tom. 78, S. 9H : Tunc illi elevantes se, per ordinem vadunt ante altare, et statuuntur per ordinem acies duae tantum, paraphonistae quidem hinc inde aforis, infantes ab utroque latere infra per ordinem. Et mox incipit prior scholae antiphonam ad Introitum.

2 Ambrosius Kienle, Notizen über das Dirigieren mittelalterlicher Ge- sangschöre, V. f. M. 48S5, S. 4 60.

3 Anselm Schubiger, Die Sängerschule St. Gallens, S. 82: »Cum ma- num ille ad modulos sequentiae pingendos rite levasset.« Kienle [a. a. 0) weist die Sequenz nach. Obige Stelle nach seiner Übersetzung.

Kl. Handb. der Musikgesch. X. "

18 Zweites Kapitel.'

und Steigerungen der einfachen Melodie durch leichte Hand- bewegungen nachzeichneten. Diese Gheironomie, die schon bei der Musikübung der alten Kulturvölker erwähnt wurde, war in der Musik der christlichen Kirche die gebräuchliche Direktions- form. Wir wissen aus Mailand, daß dort noch im Jahre 1130 der Verlauf der Melodie vom Kantor durch entsprechende Hand- bewegungen angedeutet wurde1, und können somit den Gebrauch der Cheironomie für die Kirchen in St. Gallen, Mainz und Mai- land nachweisen.

Zu diesen Nachrichten kommt als wichtigste Quelle ein Bericht von der Chorleitung in Monte Cassino, den ein Mönch im 11. Jahr- hundert aufgeschrieben hat. Er gibt eine Beschreibung von der Gruppierung der Sänger, die wie in Rom in zwei Reihen aufge- stellt waren, und fährt dann in holprigem Kirchenlatein fort: »Ein Magister steht mitten im Chor mit Alba und Mantel be- kleidet; in der Linken hält er den Hirtenstab, das Zeichen der Disziplin, da alle Sänger ihm unterstellt sind. Dann hebt er die rechte Hand und zeigt mit gemessenen und gut berechneten Be- wegungen allen Sängern (den Verlauf der Noten). Alle haben nach seiner Hand zu sehen, damit der Gesang durch die gemesse- nen Bewegungen gleichsam vorher gezeigt wird und alle einmütig wie aus einem Munde singen2.« Noch ausführlicher beschreibt der Mönch die Cheironomie an einer anderen Stelle, die sich so übersetzen ließe: »Ein Magister steht mitten im Chor mit dem Festgewand geschmückt. Er heißt der die Cheironomie aus- führende Dirigent (Cheironomikos). In der Linken hält er den Stab des Bischofs oder Abbaten, um gleichsam die ihm übertragene Würde zu zeigen. Dann hält er ihn in der Rechten hoch, damit alle darauf hinsehen, und zeigt ihnen nach der Kunstlehre den Ablauf der Noten, wie wir gesagt haben. Mit klarer Stimme singt er auf fünf Tonstufen fünf aufsteigende und ebensoviel absteigende Noten. Daher heißt die Tongruppe, die er vorträgt: Serenimpha. [Eine Bezeichnung, die auch als Neumenfigur vorkommt.] So sieht das Notenbild aus, das er mit den Handbewegungen zeigt:

1 Kienle, a. a. 0. S. 166.

2 Gerbert, De cantu I, S. 320, Anm. a: Ex una parte chori tres cleriei in ecclesia et tres de alia; et magister per medium, qui albas indutum atquc pluvialem sinistra manu pastoralem virgam propter disciplinam tenens, ut omnes obiiciantur. Proinde dcxtra manu elevata metiri atque componere ostensionibus omnibus demonstrat, ut insimul aspiciantur ad manum, ut sicut metiendo praenotatur cantus omnes quasi una voce concorditer cantum componat.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 19

Der Dirigent gibt nach diesem Bericht durch einen Quintengang Tonart und Tonhöhe an, so daß die Sänger die Lage der Halb- töne hören und sich danach richten können. Dann leitet er durch malende Handbewegungen, durch Zeichen, die dem Gang der Melodie entsprechen.

Wie das Wort Cheironomie (x^P und vojxo?) auf Griechenland weist, so zeigen auch die Erläuterungen, die der Mönch aus Monte Cassino über Tonformeln wie Jonicon, Chamilon, Cuphos u. a. gibt, daß die Praxis der cheironomischen Direktion aus dem Osten stammt. Nach den Berichten von Allatius und Goar wurden noch in späterer Zeit im Gottesdienst der griechischen Kirche die Sänger in zwei Abteilungen aufgestellt, von denen jede einem Chorsänger folgte. In der Mitte stand der Kantor, der die Melodie cheironomierte. Im Euchologium graecum sagt Goar2, daß die Griechen selten aus Büchern singen und »noch seltener aus solchen, die mit Musiknoten versehen sind «. Diesem Mangel helfen sie dadurch ab, »daß irgend jemand halblaut, so daß er von allen gut gehört werden kann, beiden Chorseiten aus einem Buche in kleinen Abschnitten vorsagt, was zu singen ist. Bei Gesängen, die mehr bekannt und gebraucht sind, bedienen sie

1 Ebd. I, S. 321, Anm. a: Unus magister in medio stat sacris vestibus indutus, qui dicitur cheronomika (!) (y_eipovo[i.txtf?), sinistra manu baculum episcopi vel abbati tenens, quasi potestate ab eo accepta, dextra manu sursum tenens, ut omnes ibi aspiciant, et ille per Studium artis neumarum casibus demonstrat, ita ut diximus, serena voce ostendens per quinque neumas in quinque cordis ascendit, vel descendit per gradibus cordarum tonando : ita illa neuma, qui per quinque gradibus cordarum tonando ascendit vel descendit serenimpha vocatur. Ita facta est, quem cum manibus demonstrat. Zur Cheironomie vgl. Kienle, a.a.O., Fleischer, Neumen-Studien I, 2, Peter Wagner, Neumenkunde und Paleographie mus., Bd. I und VII. In Bd. VII der Pa- leographie ist ein Deutungsversuch der Cheironomie unternommen, der allerdings praktisch nicht recht brauchbar ist. Unbeachtet blieb bisher eine Stelle in den Schriften des Aelredus (1 2. Jahrhdt.) : Interim histrionicis quibusdam gestibus totum corpus agitatur [a cantoribus], torquentur labia, rotant, ludunt humeri; et ad singulas quasque notas digitorum flexus respondet (Migne, Patr., Tom. 195, S. 571).

2 Goar, Euchologium graecum. Übersetzung nach Kienle, a. a. 0., vgl. Fleischer, a. a. 0. I, S. 34. Die doppelchörige Aufstellung ist von Philo- Eusebius schon für den Vigiliengesang der Therapeuten bezeugt. Auch hier werden zwei Vorsänger, die sich > durch die Würdigkeit der Person, wie in der Musikc auszeichneten, als Leiter des Chors genannt. Siehe P. Wagner, Ursprung und Beschaffenheit, S. 23.

2*

20 Zweites Kapitel.

sich verschiedener Bewegungen der rechten Hand und der Finger, die sie ganz (oder) halb einbiegen, ausstrecken usw., als Zeichen, um die verschiedenen Töne und Modulationen auszudrücken, was Cedrenus ,Cheironomia' nennt. Derjenige nun, der die Kanones und Hymnen versweise vorspricht, . . . der alles, was zu singen ist, angibt und durch seine Stimme die Führung hat, heißt Kanonarch, d. h. derjenige, der die Kanones anstimmt und ihren Gesang leitet.« Daß hier betont wird, die Griechen bedienten sich keiner Notenbücher, beweist, daß der Verfasser das später in Rom übliche Absingen von Noten gekannt hat1. In- teressant sind vor allem seine Nachrichten von der Cheironomie und dem Kanonarch. Was da vom Einbiegen der Finger und den Handbewegungen gesagt wird, schließt unmittelbar an die Musik- übung der alten Kulturvölker an2. Die römische Kirche wird die orientalisch-griechische Methode einer sichtbaren Notenangabe aufgenommen und ihrem Zweck entsprechend umgebildet haben. Auch das Amt des Vorsängers finden wir wenn auch in anderer Form in der Liturgie des Abendlandes wieder. Der Präzentor, auch Kantor genannt, war der Solist des Kirchen- gesangs. Auf seinen Vortrag hatte der Gesamtchor zu antworten. Er stand auf einem abgesonderten Platz und mußte mit deutlicher, klarer Stimme die Intonationen und Solostücke singen, die er noch häufig mit Verzierungen, Ornamenten und Figuren um- rankte. Man verglich ihn etwas drastisch mit dem »Knecht, der die Ochsen mit dem Stachel antreibt«3, oder man sagte: »was auf dem Schiff der Steuermann, auf dem Wagen der Lenker, das ist im Chor der Präzentor«4. Dem Präzentor gegenüber, auf der anderen Seite des Chores stand der Succentor, der die Responsion ausführen mußte. Wo die liturgischen Funktionen

i Vgl. Kienle, a. a. 0. S. U>8.

2 S. o., S. 2. Eingehende Quellennachweise über die Cheironomie der Kulturvölker gibt Fleischer, a. a. 0. I, 4.

3 Honorius Augustodunensis (Migne, Tom. 4 72, S. 549): Praecentor qui cantantes voce et manu incitat, est servus, qui boves sümulo minans dulci voce bobus jubilat. Ebd. S. 567: Praecentores, qui chorum utrinque regunt, sunt duces, qui agmina ad pugnam instruunt.

4 Quod est in triremi gubernator, in curru rector, praecentor in choris. (Du Gange, Glossar, Artik. »Praec.<) Ausführlich behandelt das Amt des Präzentors Udalricus Gluniacensis Monachus (II. Jahrhdt.) in dein Kapitel: De praecentore et armario (Migne, Tom. 149, S. 7 4 8 f .) . U. a. heißt es da: tota servitutis divinae ordinatio in ecclesia super nulluni pendet quam super illum Quod voluerit ut cantetur, cantatur; quod voluerit ut legatur, legitur . . .

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 21

nicht nach römischem Muster verteilt werden konnten, mußte der Vorsänger auch die Chordirektion übernehmen. So wird in den constitutiones Lichefeldenses verordnet: der Kantor solle den Ge- sang nach dem Verlauf der Noten (also cheir onomisch) leiten oder aber dem Succentor die Direktion überlassen. Alle Anord- nungen der Liturgie habe er zu überwachen und die Singknaben zu unterrichten1. Weiter wird dem Dirigenten die Intonation über- tragen, die Aufstellung des Chors, die Kontrolle der Musikbücher2. Im Chor haben wir uns sein Amt als Vorsänger ähnlich zu denken, wie die Führung des ersten Tenors in unseren kleinen Männer- chören. Der Präzentor gab Ton und Tempo an und leitete mit seiner Stimme die übrigen Sänger, falls die cheironomische Direktion nicht ausreichte. Auch die Ausführung der Absätze oder der Endpunkte der Psalmodie wurde von ihm dirigiert, denn die Kadenzen wurden nicht nach dem Wortakzent, sondern nach dem Charakter der Melodie gesungen3. Dann sorgte er dafür, daß in der Psalmodie nicht geeilt oder geschleppt wurde, daß das Zeitmaß dem Affekt des Musikstücks entsprach; Trauergesänge wurden langsam und gemessen, Responsorium, Graduale und Traktus bald langsamer, bald schneller gesungen. Er mußte auch auf die richtige Ausführung der Absätze (Pausen) achten, die bei ruhigem Zeitmaß länger, bei lebhaften kürzere Zeit gehalten wurden4. Man sieht, daß eine gesangliche

1 Gerbert, De cantu I, S. 304 Anm. b: Cantoris officium est chorum in cantuum elevatione et depressione vel per se, vel per succentorem suum regere, et in omni duplici festo lectiones legendas canonicis praesentibus iniungere, chronica paschalia singulis annis mutare, cantores, lectores et ministros altaris in tabula ordinäre. Ad illum pertinet instructio puerorum et disciplina et eorun- dem admissio et ordinatio . . . (Const. Lichef. an. 1193.)

2 Ebd. I, S. 304, Anm. a: Cantor debet stare in dextro choro et succentor in sinistro, et unusquisque in choro suo fratres ad vigilandum et cantandum excitare, neglegentias de antiphonis, psalmis, responsoriis et hymnis, atque versiculis unusquisque in suo et in altero, si alter non emendaverit, corrigere; ut fratres ordinate Stent vel sedeant, providere .... canticum incipere (nach Martenius).

3 Instituta patrum de modo psallendi (Gerb. Script. I, S. 6):Om- nis enim Tonorum depositio in finalibus, mediis vel ultimis, non est secundum accentum verbi sed secundum musicalem melodiam Toni facienda.

4 Ebd.: Psalmodia semper pari voce, aequa lance, non nimis protrahatur, sed mediocri voce, non nimis velociter, sed rotunda, virili, viva etsuccincta voce psallatur: syllabas, verba, metrum in medio et in finem versus, id est initium, medium et finem, simul incipiamus et pariter dimittamus. Punctum aequaliter teneant omnes. Una qualitate cantemus, simul pausemus, semper auscultando. Si morose cantamus, longior pausa fiat, si propere, brevior. S. 7: Ergo cum

22 Zweites Kapitel.

Leitung, ein Mitsingen des Präzentors oder Kantors neben der Cheironomie häufig notwendig wurde; es mußte mit »Hand und Stimme« dirigiert werden, wenn der Gesang ohne Schwankungen durchgeführt werden sollte1. Da in der Kirche ein verhältnismäßig kleiner Chor die einstimmigen Choralsätze sang, die in der Schule bereits einstudiert waren, so konnte der Dirigent mit der ge- sanglichen Führung und einer cheironomischen Leitung bei der Direktion auskommen.

Ambrosius Kienle erzählt in seiner zitierten Schrift, wie er beim Studium des Chorals nach einer ähnlichen Methode ge- sungen hat: »Oft unbewußt und unwillkürlich hob sich die Hand des Lehrers und malte in feinen Linien die graziöse Bewegung der Melodie.« Weiterhin gibt er folgende Charakteristik der cheironomischen Direktion: »Ruhig und gemessen zeichnet die Hand die mittlere mäßige Bewegung, gewandt und schnell die flink eilenden rhythmischen Füße, gewaltig und hoch schwingen sich die melodischen Bogen, langsam und majestätisch gleiten sie von ihrer melodischen Gipfelung nieder, zart und weich legen sich die weihevollen Formen eines innigen Gebetes hin, kräftig und fest treten andere auf; hier türmt es sich langsam und impo- sant auf, dort springt es in überraschender Plötzlichkeit wie eine schlanke Säule empor.« Doch man braucht nicht die Phantasie zu befragen, um eine Vorstellung von dieser Direktion zu geben. Will man die Grundformen der Cheironomie aus der Musik ableiten, so stelle man sich vor die Aufgabe, einem Chor von Singknaben und Männern eine einstimmige Melodiebewegung so anzudeuten, daß der Verlauf des Tonstücks von allen Sängern wiedererkannt wird. Drei Grundbewegungen werden dabei stets wiederkehren: die aufsteigende, absteigende und wagerechte Linie:

// \\

Diese drei Typen sind die Grundformen der Sprachakzente und auch die der Neumenschrift. Dem Akut /, der eine Hebung der

quidquid agitur pro Defunctis, totum flebili et remissiori debet fieri voce . . . Responsoria vero et Antiphonas, Gradualia, Tractus, Alleluja, Offertoria et Communiones, omnemque gravem cantum, remissiori ac velociori processu per- solvamus . . .

1 Honorius Augustodunensis (Migne, Tom. 172, S. 567): Cantores manu et voce alios ad harmoniam incitant, quia et ducere alios manibus pu- gnando, et voce hortando ad certamen instigant. S. auch Joh. de Muris (Gerb. Script. III, S. 202): Sed tarnen hinc oculi nequeunt perpendere cantum, si non auris adest et voces praemodulantum.

Das Dirigieren dos Gregorianischen Chorals. 23

Stimme anzeigt, entspricht in der Neumation die Virga /, dem Gravis \ der Punkt. Der wagerechte Strich bleibt in der Neu- mierung als Zeichen gleicher Tonhöhe, oder er geht als Zirkum- flex zur Notenform der Clivis ^ über, die die Verbindung zweier Töne darstellt. Der Akut würde in der Neumenschrift einen höheren Ton bezeichnen, die Hebung der Melodie, der Gravis einen tieferen, die Senkung der Stimme, und der Zirkumflexus eine Vereinigung zweier Noten, von denen die zweite tiefer steht als die erste. [ \

Der Zusammenhang von Sprachakzent und neumierter Ton- schrift ist schon vor vielen Jahrzehnten von Coussemaker1 erkannt worden und wird in unserer Zeit kaum noch bestritten. Am ausführlichsten haben Peter Wagner2, Oskar Fleischer3 und Dom Mocquerau4 den Ursprung der Neumation aus den Sprach- akzenten entwickelt. Die Akzente werden als bildlicher Ausdruck der Gesten des Redners gesehen, als Grundformen jener Hand- bewegungen, die ein Redner beim Vortrag unwillkürlich anwendet. Quintilian spricht daher von einer Cheironomie, die man das Gesetz der Gesten nennen könnte, und von Bewegungen, die den Formen der Akzente gleichen5. Man findet auch Neumenschriften in den denkbar einfachsten Formen, Akzentneumen, die allein die Sprachakzente variieren, z. B. die Lamentationes Jeremiae, die etwa um das Jahr 700 aufgeschrieben wurden6, oder die Car- mina Adhelmi, von denen Gerbert ein Faksimile gegeben hat7.

Sieht man sich ein rein akzentisch notiertes Tonstück an, das etwa rezitierend mit wenigen Tonfällen vorgetragen werden müßte, z. B. den Anfang zum Johannes-Evangelium8:

1 Histoire de l'harmonie au moyen-äge. Paris 1852. III. Chap. II.

2 Neumenkunde (s. o.).

3 Neumen-Studien (s. o.).

* Paleographie mus. Les principaux manuscrits de chant . . publik par les B6n6dictins de Solesmes. Bd. I.

6 M. Fabii Quintiliani, De institutione oratoria libri XII (ed. Gesner) XI, 3, S. 578: Optime autem manus a sinistra parte incipit, in dextra ponitur; und I, 11, S.60: Et certe quod facere oporteat, non indignandum est discere, cum praesertim haec chironomia, quae est .. lex gestus et ab illis temporibus heroicis orta sit, et a summis Graeciae viris et ab ipso etiam Socrate probata, a Piatone quoque in parte civilium posita virtutum, et a Chrysippo in praeceptis de libe- rorum educatione compositis non omissa. Über die Cheironomie der Hellenen, die keine ausgebildete Kunst der Gesangsleitung darstellt, siehe Fleischer, a. a. O.

6 Faksimile bei Fleischer, a.a.O. II, S. 4.

7 Gerbert, De cantu I, S. 202.

8 Ebd. II, Tab. II. Faksimile.

24 Zweites Kapitel.

xai yo>pt,c aurou e^evsto oüöe ev

dann erkennt man den Zusammenhang von neumierter Tonschrift und Sprachakzent. Auch die komplizierter notierten Musik- stücke der abendländischen Kirche, wie wir sie aus dem 9. und 10. Jahrhundert kennen, lassen sich auf die Urformen der Akzente zurückführen ; es sind variierte Formen des Akuts, des Punktum und des Zirkumflex.

Von den alten Schriftstellern ist die Entwicklung der Neu- mation aus den Sprachakzenten bezeugt, am prägnantesten in den Worten: »De accentibus toni oritur nota quae dicitur neuma«, die Dom Mocquerau nach einer Urkunde des 10. oder 11. Jahr- hunderts zitiert1. Man kann annehmen, daß die Neumenschrift anfangs nur die Akzente umgebildet und kombiniert hat, bis sie im Laufe der Jahrhunderte jene Gestalt bekam, die wir in den Musikdenkmälern der römischen Kirche finden.

Es war gezeigt worden, daß in der Musikübung der griechischen Kirche die Noten an Hand und Fingern bezeichnet wurden, um die Sänger im Vortrag zu stützen, und daß auch das Abendland die orientalisch-griechische Cheironomie übernahm. Wenn nun die Grundformen der Neumen den Typen der cheironomischen Handbewegung gleichen, so werden auch die Notenzeichen ein Abbild der Gesten des Chorleiters gewesen sein, ähnlich den Ak- zenten der Schrift, die gleichfalls ein Bild von den Gestikulationen des Redners und vom Worttonfall geben. Die Neumenschrift brachte keinen Anhalt für Tonhöhe und Rhythmik der Gesänge. Sie war ohne Kenntnis der überlieferten Ausführung als Noten- schrift unbrauchbar. Wohl aber gab sie eine ungefähre Andeutung über den Verlauf der Melodie, die der Sänger kannte. Sie ent- sprach dem Bild, das der Chorleiter durch seine tonmalerische Direktion veranschaulichte. Die Neumenschrift stellte also in ihren Grundformen gleichsam ein graphisches Bild der Cheiro- nomie dar. Was die Sänger im Unterricht gelernt hatten, wurde ihnen durch die Direktionsführung, durch das Nachmalen der Melodiebewegung wieder lebendig. Sie sahen den Verlauf der Melodien in den Gesten des Chorleiters, in seinen in schräger und wagerechter Linie geführten Handbewegungen.

1 Aus Cod. Pal. lat. Nr. 235, fol. 38 in der Paläogr. mus. (Bd. I). S. auch P.Wagner, Neumenkunde(S.215),wodieUrkunde abgedruckt und übersetzt ist.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 25

Das zitierte Beispiel aus dem Johannes-Evangelium könnte ich mir durch die Cheironomie in dieser Form:

/ \d d J \d

\c --..c

«ai ytopn; aurou e-j-evsTo oüoe sv

ausgeführt denken; die Zeichen [ und | sind Spiritus lenis und asper, und die Schleifer an den Buchstaben wohl Vortragszeichen. Es blieben Gravis, Akut und Zirkumflex auszudrücken, deren Ton- bewegung in der punktierten Linie angedeutet ist. Damit soll keine Übertragung des solistischen Stücks, sondern nur eine Vorstellung von der praktischen Seite der Cheironomie gegeben werden. Da alle chorischen Tonsätze auswendig vorgetragen wurden, so wird wohl diese cheironomische Gedächtnishilfe neben der Führung des Vorsängers für die Praxis des frühen Mittel- alters ausgereicht haben.

Die drei Typen des Akut, Gravis und Zirkumflex findet man auch in einer Tabelle spätgriechischer Neumenformen wieder. Es sind die sogenannten »Papadiken«, Unterrichtsbücher für Sänger, die vielleicht auf Johannes von Damaskus (8. Jahrhundert) zurückgehen. In dieser Tonschrift, die von Gerbert und Fleischer1 veröffentlicht, bisher keine überzeugende Lösung gefunden hat, trifft man die Akzentzeichen in den Figuren « - Ison / Psephiston s Bareia.

Diese Neumenformen gehören zu den großen Zeichen, von denen gesagt wird, daß sie keine Tonbedeutung haben, da sie »allein der Cheironomie wegen gesetzt werden«2. Sie können als Formeln für die melodiemalende Direktion angesehen werden. Die übrigen Figuren der Tabelle sind in seltsamen, z. T. recht komplizierten Formen aufgezeichnet. Ich kann mir vorstellen, daß die Zeichen £-* (Tromikon) und"! (Strepton) durch ein Drehen

der gespreizten Hand nach rechts und links: % und cp , dem

1 Gerbert, Decantu II, Tab. VIII f., Fleischer, a .a. O. III, Riemann.. Handb. der Musikgesch. I, 2, S. 108 f.

2 A. a. 0.: Eist Taü-a oid [xfar^ tyj; veipovoliua? xsiixeva xal oO oca cpoovT(v,

26 Zweites Kapitel.

Sänger Andeutungen für den Vortrag geben können, etwa für ein Tremolieren oder Verzieren des Tones, aber unmöglich können diese Zeichen: -©0-> und ähnliche für die praktische Cheironomie in Betracht kommen. Man wird diese Figuren anders deuten müssen: als Tempoangabe (schnell, langsam), als Charakterbezeichnung von Tonstücken (vgl. das Choreuma) oder als Vorschriften für Gesten und Bewegungen, wie sie der Kult vorschreibt. Darauf weisen auch die beigefügten Namen und die Einzeichnung der Figuren. Sie werden häufig in roter Farbe über oder unter die Noten ge- setzt, sind also Vortragszeichen in unserem Sinne1. Sicherlich liegen allen Figuren einfache Formen zugrunde, vielleicht jene drei Akzentformen, die wir aus den Notierungen der christlichen Musik kennen.

Die komplizierten Zeichen, die die griechische Tabelle zeigt, kommen in der Neumenschrift der abendländischen Kirche nicht vor. Das erklärt sich daraus, daß Vortragsangaben wie schnell, langsam und ähnliche in der älteren Tonschrift unnötig waren, so- lange noch tüchtige Gesangsmeister die Ausführung der Stücke nach überlieferter Methode einstudierten. Später half man sich mit der Einzeichnung von Buchstaben, um Tempoänderungen und Vor- tragshinweise zu geben, eine Methode, die sich mit der eben beschriebenen Einfügung der Cheironomiezeichen in die Papa- diken in Verbindung bringen ließe, wenn sich diese Figuren auf ein älteres orientalisches Alphabet zurückführen ließen2. Im wesentlichen bringen die neumierten Stücke des Abendlandes Weiterbildungen, Kombinationen und Zusammenfassungen der Akzentzeichen. Man wird in diesen Notierungen eher ein Abbild cheironomischer Bewegungen sehen können als in den stark ver- schlungenen Zeichen der spätgriechischen Tonschrift.

Natürlich hat der Chorleiter bei der Direktion nicht alle Einzel- heiten und Feinheiten der Neumennotation in der Luft nach- gemalt. Solche Bewegungen wird kein Sänger verstanden haben. Wohl aber wurden an wichtigen Stellen das Steigen und Fallen, das Umbiegen und Ausweiten der melodischen Linie, möglich er- weise auch Verzierungen einer Note z. B. das Quilisma cd/ der Tonschrift durch die Cheironomie veranschaulicht. Man würde auch kaum verstehen, wie sich eine unrhythmische und in der Tonhöhenbezeichnung unklare Notenschrift, wie die Neumierimg,

1 Vgl. Fleischer und Riemann, a.a.O.

2 Vgl. Fleischer, a.a.O., Bd. III.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 27

Jahrhunderte lang behaupten konnte, wennjiieht die Cheironomie die Tonzeichen erklärte, jene melodiemalende Direktion, die die überlieferten Tonstücke in ähnlicher Weise darstellte wie die Noten- schrift. Was die Musikbücher dem Sänger sagten, das zeigte der Dirigent in seiner Leitung.

Die Neumierung des Gregorianischen Chorals ist in ihrer Grund- form eine Gedächtnishilfe für Chordirigenten, Gesanglehrer und Sänger. Eine Tonschrift wie die unsrige ist sie nie gewesen, und alle Versuche, die Zeichen in moderne Notierung zu übertragen, können nur von Berichten der Theoretiker, von Vergleichen mit späteren Dokumenten, in die Linien oder Buchstaben eingefügt sind, ausgehen, aber nicht von den Tonzeichen der früheren Jahr- hunderte selbst, da Intervalle und Rhythmik nicht kenntlich gemacht sind. Durch diese Notation, deren Sinn nur den Kle- rikern bekannt war, wurde jede Profanierung der Musik, jede Ausbeutung der Melodien durch die Gebrauchsmusik ausge- schlossen. In späterer Zeit, als die Tradition in der Ausführung der Gesänge verloren zu gehen drohte, wurde dann die Tonlage der Stücke durch höher und tiefer gesetzte Neumen vorgeschrieben. Man glossierte die Zeichen mit Buchstaben und Vortragsbe- merkungen, bis die Einführung von Linien mit vorgeschriebener Tonhöhe und Guidos Notenreform die Unsicherheit der Notie- rungen beseitigte.

Es ist bezeichnend, daß wir vom 10. Jahrhundert an, in einer Zeit, wo die Neumenschrift kritisiert und verbessert wird1, Nach- richten finden, die die Rhythmik des Chorals nach antikem Muster schematisieren oder erklären. Berühmt ist da das 15. Kapitel aus Guidos »Micrologus «, das die Gesänge nach Analogie der Me- trik analysiert. Auch Hucbald und andere Musiktheoretiker bringen solche Ausführungen. Diese Rhythmenlehren, die sich kaum zu einer einheitlichen Theorie verdichten lassen, gehen auf die Wiederaufnahme der griechischen Kunstlehre zurück. Was Augustin in seinen »Büchern der Musik«, was Boetius, Cassiodor und Capella aus der griechischen Musik herausdeuten,

1 Hucbaldi musica (Gerb. Script. I, S. 117): Quod hisnotis, quas nunc usus tradidit, quaeque pro locorum varietate diversis nihilominus deformantur figuris, quamvis ad aliquid prosint, remunerationis subsidium minime postet contingere: incerto enim semper videntem dueunt vestigio . . . Johannes Cotto erzählt, daß selten drei Sänger in einem Gesang übereinstimmend gesungen hätten : tot fiunt divisationes canendi, quot sunt in mundo magistri. (Gerb. Script. II, S. 258). S. auch Guido (Gerb. Script. II, S. 25 u. S. 34) u.a.m.

28 Zweites Kapitel.

wurde umgeformt und als Regulativ der Choraltheorie benutzt. Daß diese Lehren erst vom 9. Jahrhundert an einen größeren Raum in der Musiktheorie einnehmen, geht auf die antikisieren- den Bestrebungen der Zeit zurück. Die Theorieen wurden not- wendig, als die Unsicherheit in der traditionellen Ausführung der Gesänge zunahm und der Konnex mit der römischen Schule gebrochen war. In vielen Kirchen folgte man einer besonderen Maxime in der Interpretierung des Chorals; es gab »so viel Aus- führungsmethoden als Sänger in der Welt«, wie Johannes Cotto sagt. »Wenn der eine sagt: Meister Trudo hat mich unterrichtet, so erwidert ein anderer: ich habe aber bei Meister Albinus studiert; und ein dritter setzt hinzu: Meister Salomon singt das sicher ganz anders. So weiß denn keiner, welche Intervalle in der Neumierung ausgedrückt sind1.« Viele Gesangsmeister lehrten ihre eigene Methode des Choralgesangs, weil der Anschluß an Roms Autorität verloren war. So wurde auch versucht, die Neumen auf Schlüssellinien zu notieren und die Rhythmik des Chorals nach griechischem Muster auszubauen, um die Unsicher- heit der Neumennotierung und des Choralgesangs zu beseitigen. Was die Theoretiker hier lehren, sind keine allgemein gültigen Gesetze, keine bindenden Vorschriften, sondern wohl mehr Vor- schläge und subjektive Anschauungen von Gesanglehrern. Huc- bald macht sich z. B. eine Theorie zurecht, nach der im Choral keine ungleiche oder willkürliche Rhythmik zulässig ist. Alle kurzen Noten müßten gleich kurz, alle Längen gleichmäßig lang sein. Die langen Töne sollen den kurzen genau entsprechen und die Gesänge mit Ausnahme der Distinktionen in gleichmäßigem Tempo vom Beginn bis zum Ende durchgeführt werden2. Damit stellt Hucbald das Gesetz der gemessenen Noten auf, die Norm

1 Joh. Cotto (Gerb. Script. II, S. 258) : Unde fit, ut unusquisque tales neu- mas pro libitu suo exaltet aut deprimat, et ubi tu semiditonum vel diatessaron sonas, alius ibidem ditonum vel diapente faciat; et si adhuc tertius adsit, ab utrisque disconveniat. Dicat namque unus hoc modo: Magister Trudo me do- cuit; subjungit alius: Ego autem sie a magistro Albino didici; ad hoc tertius: Certe magister Salomon longe aliter cantat . . . (s. S. 27, Anm. 1).

2 Hucbald, Commemoratio brev. (Gerb. Script. I, S. 226/227): Inaequalitas

ergo cantionis cantica sacra non vitiet Item brevia quaeque impeditiosiora

non sint, quam conveniat brevibus. Verum omnia longa aequaliter longa, bre- vium sit par brevitas, exceptis distinetionibus, quae simili cautela in cantu obser- vandae sunt. Omnia, quae diu, ad ea, quae non diu, legitimis inter se morulis numerose coneurrant, et cantus quilibet totus eodem celeritatis tenore a fine usque ad finem peragatur , . S. auch ebd. S. 228.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 29

für eine Noteneinteilung in Längen und Kürzen, bei der jede Länge zwei Kürzen in sich aufnimmt. Eine Theorie, die bereits die Mensuralmusik mit ihrer strikten Messung der Noten- werte ankündigt. Auch in der Hucbald zugeschriebenen Musica enchiriadis wird eine taktmäßige Choralausführung erwähnt, die die Quantität der Silben zur Grundlage der Rhythmik nimmt1. Guido führt eine ähnliche Theorie in dem erwähnten Kapitel des Micrologus aus. Er unterscheidet prosaische und metrische Gesänge. Letztere folgen dem Versbau, so daß von jambischen, daktylischen, spondeischen Takten gesprochen werden kann. Die einzelnen Neumen gleichen den Versfüßen, die Neumengruppen dem einzelnen Vers. Jeder Ton muß ein Vielfaches der kleinsten Kürze sein und im Verhältnis von 1:2, 1:3, 2:3 oder 3 : 4 stehen. Guido setzt hinzu: seine Theorie ließe sich besser lehren als aufschreiben, und schließlich sagt er, man solle seine Lehren nicht zu wenig, aber auch nicht beständig anwenden, sondern mit Vorsicht2. Daraus geht hervor, daß auch er keine festen Gesetze für die Choralrhythmik geben will, sondern mehr An- leitungen zu ihrem Verständnis und ihrer Komposition (de com- moda componenda modulatione). Seine Lehre ist eine Einführung der mittelalterlichen Auffassung der griechischer Kunsttheorie in den Choralgesang, ein spekulatives System, das die Unsicherheit und Willkürlichkeit des Choralgesangs beseitigen will3. Sobald

1 Mus.ench. (Gerb. Script. I,S. 182): Quid est numerose canere? Ut atten- datur, ubi productioribus, ubi brevioribus morulis utendum sit. Quatenus uti quae syllabae breves, quae sunt longae, attenditur.

2 Guido, Microl., Kap. XV (Gerb. Script. II, S. 16f.): Sunt vero quasi pro- saici cantus ... in quibus non est curae, si aliae maiores, aliae minores partes et distinctiones per loca sine discretione inveniantur more prosarum. Metri- cos autem cantus dico, quia saepe ita canimus, ut quasi versus pedibus scandere videamur. Non autem parva similitudo est metris et cantibus, cum et neumae loco sint pedum, et distinctiones loco versuum, utpote ista neuma dactylico, illa vero spondaico, illa iambico metro decurreret . . . S. 15: Ac summopere caveatur talis neumarum distributio, ut . . . neumae alterutrum conferantur, atque respondeant, nunc aequae aequis, nunc duplae vel triplae simplicibus, atque alias collatione sesquialtera vel sesquitertia. S. 17: Et omnia, quae diximus, nee nimis raro, nee nimis continue facias, sed cum discretione.

3 Die Einführung griechischer Lehren und griechischer Fachausdrücke ia die Theorie des Chorals zeigen u. a. folgende Stellen: Quae canendi aequalitas rhythmus graece, latine dicitur numerus: quod certe omne melos more metri diligenter mensurandum sit (Hucbald, Gerb. Script. I, S. 228) oder: Neque audiendi sunt, qui dieunt, sine ratione omnino consistere [cantum], quod in cantu aptae numerositatis moram nunc velociorem, nunc vero faeimus pro- duetiorem Idcirco ut in metro certa pedum dimensione contexitur versus,

30 Zweites Kapitel.

aber der Gesang in eine strenge Mensur gespannt wurde, mußten neue Gesetze für seine Direktion aufgestellt werden. Eine cheironomische Chorleitung konnte für taktisch gegliederte Stücke nicht ausreichen.

Schon früher war erwähnt worden, daß die Hymnen und alle Gesänge nach metrischen Texten eine taktmäßige Ausführung wahr- scheinlich machen. Hier erforderte das Versmaß eine geschlossene, ebenmäßige Rhythmik. Guido sagt daher, daß häufig so ge- sungen würde, als ließen sich die Versfüße mit den Füßen mar- kieren, wie es auch wirklich gemacht werde, wenn metrische Texte gesungen würden1. Seine Worte erinnern an das Tak- tieren des griechischen Chorführers. Doch wird man daraus nicht auf ein lautes Taktschlagen schließen dürfen, denn im Gottes- dienst war ein lärmendes Skandieren der Metrik schlecht an- gebracht. Wohl aber zeigen Guidos Ausführungen, daß man im Unterricht die Versfüße genau auszählte, und daß im Chor nach taktmäßiger Direktion gesungen wurde. Auch Hucbald schreibt, daß im Unterricht jede Note durch Fußstampfen genau ausgemessen wurde, »damit das Gedehnte dem Kurzen genau ent- spräche und der Gesang gleichsam nach metrischen Füßen ge- schlagen werde«. Weiter sagt er zum Schüler: »Wohlan, beginnen wir zur Übung, ich werde beim Vorsingen die einzelnen metrischen Füße durch Schläge markieren, du magst es dann nachmachen2.« Die Zitate beweisen, daß man neben der cheironomischen Direk- tion auch das Taktieren kannte. Metrische Gesänge wurden demnach mit auf- und niederschlagender Hand dirigiert3. Wir hätten eine cheironomische Direktion für die Prosatexte und eine

ita apta et concordabili brevium longorum sonorum copulatione componitur cantus: et velut in hexametro versu si legitime currit, ipso sono animus delectatur. Berno von Reichenau (Gerb. Script. II, S. 77). Vgl. Aribo (Gerb. Script. II, S. 227) u.v.a.

1 Guido, a. a. 0. (Gerb. Script. II, S. 16): Metricos autem cantus dico, quia saepe ita canimus, ut quasi versus pedibus scandere videamur, sicut fit, cum ipsa metra canimus.

2 Mus. ench. (Gerb. Script. I, S. 182): [Videndum est] ut ea, quae diu, ad ea, quae non diu, legitime concurrant et veluti metricis pedibus cantilena plaudatur. Age canamus exercitii usu; plaudam pedes ego in praecinendo, tu sequendo imitabere.

3 Vgl. Augustinus, Demus. libri sex(Migne, Patr. lat.,Tom. 32, S. 1113) : Intende ergo et aurem in sonum, et in plausum oculos: non enim audiri, sed videri opus est plaudentem manum, et animadverti acriter quanta temporis mora in levatione, quanta in positione sit. Ebenda, S. 1110: In plaudendo enim, quia levatur et ponitur manus, partem pedis sibi levatio vindicat, partem positio.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 31

taktische für Hymnengesänge anzunehmen. Beide Formen der Chorleitung können ineinandergegriffen haben. Wurde der Chor unsicher, dann konnte man sich mit einem Angeben rhythmischer Schwerpunkte helfen, war der Gang der Melodie dem Gedächtnis der Sänger nicht gegenwärtig, so konnte der Dirigent die Musik cheironomieren. Indes war die Cheironomie, nach den Quellen zu urteilen, in der klassischen Zeit des Chorals die bevorzugte Direk- tionsform. Sie entsprach mehr dem Charakter der Gesänge, der priesterlichen Würde und der weihevollen Stimmung der gottes- dienstlichen Handlung. Eine schöne, ruhige, ästhetisch wirkende Führung der Hand, die die wichtigen Einschnitte und Weitungen der melodischen Linien nachzeichnete, fügte sich eher in den Rahmen der Zeremonie als ein währendes Auf- und Niederschlagen. Die Sänger kannten die Melodien und ihre Ausführung auswendig, sie konnten dem Dirigenten und Vorsänger folgen, ohne einen regelmäßigen Taktschlag vor Augen zu haben.

Fassen wir zusammen, was über die Direktion des Chorals gesagt wurde, so ergibt sich, daß in der christlichen Kirche die orientalisch-griechische Cheironomie weiter ausgebildet und um- gestaltet wurde. Aus einem Gestikulieren mit Händen und Fingern, das als Gedächtnishilfe dienen sollte, wurde eine eigene Art der Direktion, ein tonmalerisches Veranschaulichen der Melodie, das den Sängern ein ähnliches Notenbild zeigte wie die Neumenschrift. Voraussetzung dieser Chorleitung war, daß alle Stücke mit ihren Texten ohne Notenhilfe aus dem Gedächtnis gesungen werden konnten, daß Rhythmus und Melodien aus dem Unterricht be- kannt waren. Metrische Texte in regelmäßiger taktischer Fassung wurden taktmäßig dirigiert. Bei den Aufführungen sang in der Regel der Kantor oder Präzentor mit. Er führte mit seiner Stimme den einstimmigen Chorgesang und sorgte auch dafür, daß die Texte auf die Melodien richtig verteilt wurden. Wurden die Sänger unsicher, so half der Chorleiter durch Vorsingen und Cheironomieren oder durch Bezeichnung rhythmischer Schwer- punkte. Auch gab er vorher die Tonart und Lage der Halbtöne an, wenn unbekanntere oder neue Weisen gesungen wurden.

Für die Geschichte des Chorals beginnt mit dem Wirken Huc- balds und Guidos eine neue Epoche, die Zeit der Umbildung und Erweiterung des Kirchengesangs. Viele Neuerungen in Liturgie und Ausführungspraxis datieren aus dieser Zeit: die Einführung der Sequenzen, die eine strenge Silbenmessung aufstellten, d. h. jeder Note eine Silbe zuteilten, wodurch die Ausführung

32 Zweites Kapitel.

der langen Vokalisen im Alleluja- Gesang geregelt wurde; dann die Bekanntschaft mit der Orgel, die durch die byzantinischen Musiker, die zur Zeit Pippins und Karls des Großen nach Franken kamen, vermittelt wurde, und schließlich die Erfindung der Mehrstimmigkeit. In der unter Hucbalds Namen überlieferten Mu- sica enchiriadis finden wir die frühesten Beispiele von Parallel- fortschreitungen in Quinten und Quarten. Diese Versuche, mehrere verschiedene Stimmen gleichzeitig erklingen zu lassen, wurden schon im 10. und 11. Jahrhundert in den Choral gebracht und haben Rhythmik und Gestalt der Gesangsweisen von Grund aus umgestaltet. Wie man sich die Ausführung und Leitung solcher Stücke zu denken hat, zeigt eine Stelle in der Scientia artis musicae des Elias Salomon (13. Jahrhundert)1. Er beschreibt da die Direktion eines Satzes im Organalstil und sagt: »Sind vier gute Sänger vorhanden, die zu singen haben, dann müssen sie sich nach einem richten. Dieser kann die erste, zweite, dritte oder vierte Stimme selbst übernehmen. Singt er die vierte, dann muß er von seiner Stimme aus dem ersten Sänger leise den Ton angeben. Dabei ist genau zu beachten, daß der erste Sänger auf seinem Ton so lange zu warten hat, bis der Dirigent dem zweiten den Ton gegeben hat. Beide haben zu warten, bis auch der dritte seinen Ton vom Dirigenten bekommen hat. Alle drei müssen dann in der ersten Harmonie bleiben, bis der Dirigent selbst die vierte Stimme eingesetzt hat. Sie dürfen von der ersten Note nicht früher weggehen, bis der Dirigent die zweite zu singen beginnt, nachdem alle drei Stimmen zuerst mit seiner Stimme übereingestimmt haben. . . Ebenso ist zu beachten, daß der Dirigent die Sänger bei allen Abschnitten leiten und danach als erster wieder einsetzen muß, welche Stimme er auch über- nommen hat.« Weiter zeigt Salomon, wie der Dirigent zu ver- fahren hat, wenn er selbst die erste, zweite oder dritte Stimme singt, und fährt dann fort: »Wenn der Dirigent nicht zu den vier Sängern gehört, die zu singen haben, . . . dann gibt er allen der Reihe nach die Töne an und schlägt ihnen mit der Hand die Absätze oder Einschnitte des Tonstücks auf das Notenbuch vor, indem er

1 Elias Salomon, a. a. O. (Gerb. Script. III, S. 57): Rubrica de notitia cantandi in quatuor voces. S. 59: Et est sciendum, quod secunda vox differt a prima per quinque punctos, tertia a secunda differt quatuor punctos, quarta a tertia quinque. S. 60: Sed quare voces non distant aequali numero punctorum? Respondeo: consonantia vocum, neque natura cantus artificialis nee naturalis hoc permittit.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 33

ihnen leise den Text vorsagt (?). Singt ein Sänger zu wenig oder nicht sicher genug, oder bringt er falsche Noten, dann soll der Dirigent ihm, wie es sich gehört, ins Ohr sagen: Du singst zu wenig, du singst zu tief, zu steif, du bringst die Noten zu un- genau, und ähnliches, doch soll er's so sagen, daß es von anderen nicht verstanden wird; oder er muß bisweilen mit einem Sänger mitsingen, wie es gerade nötig wird. So wird er am besten den ganzen Gesang in die rechte Tonstärke und den rechten Klang bringen«1.

Elias Salomon gibt hier in etwas weitschweifiger Rede die interessantesten Nachrichten, praktische Winke, die doppelt wertvoll sind, da andere Kirchenmusiker und Theoretiker über ihren Spekulationen die Praxis ganz vergessen. Nach Salomon geht in der mehrstimmigen Musik Vorsingen und Dirigieren Hand in Hand. Der Chorleiter gibt jedem einzelnen den Ton an, bis die Harmonie sicher eingesetzt ist. Dann haben die Sänger seiner Stimme zu folgen und zwar so, daß alle Stimmen in gleicher Bewegung singen und sich immer nach dem Vorsänger richten. Natürlich ist ein solcher Gesang nur im langsamen Zeit- maß möglich. Wir haben uns ein Aushalten der Zusammen- klänge zu denken, ein Ausklingenlassen, das an der reinen Har- monie Gefallen findet. Großes Gewicht legt Salomon auf die

1 EI. Salomon, a.a.O. S. 57 f. : Item notandum notabiliter, quod dato, quod essent aeque boni cantores quatuor, qui cantare debent, necesse est, quod regant se per unum : et ille, aut etiam unus de quatuor, qui debebunt cantare vel non, si debet ipse cantare primam vocem, hoc est, magis bassam, aut se- cundam, aut tertiam, aut quartam: si quartam, tunc tacito de sua, primo ponet primum in prima. Et nota notabiliter, quod iste primus tantum exspectabit in primo puncto, quousque posuerit secundum in secunda voce: et illi duo tan- tum exspectabunt, quousque tertium posuerit in tertia: et ipsi tres tantum exspectabunt in primo puncto firmiter, quousque ipse fuerit in quarta voce; nee se movebunt de primo puncto, quousque ille summus ineeperit cantare secundum punctum, obtemperatis primo tantum tribus voeibus cum sua voce. Item notandum, quod in omnibus punetis illum Rectorem quasi primum ineipere permittere debent. Item notandum, quod ipse debet eos regere in omnibus pausis et post pausas ineipere debet, qualemcumque ipse cantaverit vocem. Item si Rector iste non fuerit de quatuor, qui debent cantare in quatuor voces, tunc inspectis, quae dieta sunt de sonoritate vocum, ponet omnes ordinatim in suas voces et faciet eis pausas cum manu super librum honeste dissyllabando. Sed si quisquam parum aut minus rigide sonabit, aut posuerit vanos punetos, tunc dicet ad aurem cuiuslibet honeste: parum sonas, minus sonas, nimis rigide cantas, nimis figuraliter ponis punetos; et taliter, ne ab aliis agnoscatur: aut cantabit aliquotiens cum aliquo, prout erit magis et minus necesse; et tunc affirmabit totum cantum in debitam sonoritatem.

Kl. Eandb. der Musikgescti. X, 3

34 Zweites Kapitel.

Ausführung der Kadenzstellen. Hier mußte der Chorleiter die rhythmische Bewegung durch Handbewegungen andeuten, auch dann, wenn er selbst nicht mitsang. War die Pause vorüber, so begann der Dirigent wieder als erster mit seiner Stimme, worauf die übrigen Sänger ebenso einsetzten wie am Anfang. Während des Gesanges wurde auf die Noten, die man zu singen hatte, mit dem Finger oder einem Stäbchen hingewiesen, damit sich Mie Sänger schnell orientieren konnten1.

Vom 12. Jahrhundert an weichen Organum und Diaphonie der Lehre vom Discantus, von der gemessenen Musik (Mensural- musik). Auch diese Kunst zog man in die Liturgie, so daß der Gregorianische Choral immer mehr an Geschlossenheit ver- lor. Als die päpstlichen Sänger in Avignon die mehrstimmige Musik Frankreichs kennen lernten und sie im Jahre 1377 nach Italien brachten, war die Tradition Gregors auch in Rom am Ende angelangt. Die Polyphonie hielt ihren Einzug in die Kirche, die begleitenden Faktoren beim Hochamt wurden zum Mittel- punkt der Kirchenmusik, das Ordinarium der Messe der Aus- gangspunkt einer neuen Literatur.

Der Einfluß der Mehrstimmigkeit machte sich in der gesamten Ausführung des Chorals geltend. An die Stelle einer freien, viel- gestaltigen Rhythmik trat eine gemessene, taktische Mensur. Der Choral wurde in die rhythmischen Gesetze der neuen Kunst gezwängt. Auf den Sprachakzent nahm man nicht die gleiche Rück- sicht wie in früherer Zeit, ja man begann sogar die alten Melodien in genau gemessenen Notenwerten vorzutragen. Sollte ein Musiker einen Kontrapunkt zu einer gegebenen Stimme improvisieren (cantus supra librum), oder sollte eine Choralmelodie den Tenor eines mehrstimmigen Tonsatzes bilden, so war es das beste, wenn die Grundstimme oder der cantus firmus in gleichen Zeitwerten gesungen wurde. So wurde es auch in der Praxis gehalten. Das dreistimmige »Benedicamus Domino«, das Johannes Wolf in seiner »Geschichte der Mensural-Notation« mitteilt2, ist nach diesem Grundsatz angelegt. Der Tenor muß in gleichen Notenwerten gesungen werden, da sonst kein erträgliches Partiturbild zustande kommt. Trotzdem ist die Tenorstimme in der Notierung genau rhythmisiert. Da nun auch die alte Neumenschrift, deren Einzel-

1 EliasSalomon, a. a. O. (Gerb. Script. III, S. 24) : cum dextra facimua pausas, ostendimus punctoscum digito et stilo, et aliquotiens volvimus librum.

2 Bd. II, Nr. 48, S. 81. Tenor auf S. 82, System 3.

Das Dirigieren des Gregorianischen Chorals. 35

formen sich um das Punctum und die Virga kristallisierten, in die viereckige Choralnotenschrift nach und nach überging, so zeigt der Choral vom 12. Jahrhundert ab ein völlig verändertes Aussehen. Man definierte ihn als eine Folge gleichwertiger Noten. In der Discantus positio vulgaris heißt es: »Alle Noten sind im Choral lang und liegen außerhalb der Mensur1.« Oder es wird definiert: »Der Choral ist durchweg in gleichen Notenwerten gesetzt2.« Man unterschied einen cantus planus und eine musica mensurata. Dem Gregorianischen Choral wurde durch diese Spekulationen und durch die Übernahme seiner Melodien in die mehrstimmige Mensuralmusik nicht genutzt, vielmehr datieren von dieser Zeit die Unsicherheit und Ungewißheit über die Aus- führung seiner Melodien, die sich durch alle Jahrhunderte hin- zieht. Mit der Einführung der Mehrstimmigkeit verschwand denn auch die Praxis der Cheironomie. Die neue Chorliteratur, deren Ausführung einem besonderen Kirchenchor übertragen wurde, ließ sich nicht mehr nach den alten Gesetzen dirigieren. Man taktierte die Stücke nach der Praxis der Mensuralmusik3.

1 D i s c. p o s. v u 1 g. (Coussemaker Script. I, S. 95) : Propterea notandum, quod omnes notae planae musicae sunt longae et ultra mensuram, eo quod men- suram trium temporum(!) continent.

2 Hieronymus deMoravia (Couss. Script. I, S. 90) : Omnis cantus planus et ecclesiasticus notas primo et principaliter aequales habet. Vgl. Joh. de Muris (Couss. Script. II, S. 303) u. a.

3 Über das Eindringen der Ideen von der gemessenen Musik in den Choral siehe Bermudo, libro primero de la declaracion de instrumentos. Ossuna 1549 (folLXIIv.); Poisson, Traitö th6orique et pratique du piain chant. (Paris 1750, S. 400); Dom Pierre Benoit de Jumilhac, La science et pratique du piain chant 1673 (ed. Nisard et Leclercq 1847, S. 145). Weitere Quellen bei Raph. Molitor, Reform-Choral 1901, I, S. 72ff. Vgl. Gafurius, Pract. mus. (1496, fol. A. IV), Salomon, a. a. O. (S. 33): cum cantus intendat orationem decorare, u. a. m.

3*

36 Drittes Kapitel.

Drittes Kapitel. Das Taktschlageu in der Meiisuralmusik.

Die Entwickelung der christlichen Musik hatte von einem ein- fachen Rezitieren und Jubilieren den Weg zu melismenreichen, vielgestaltigen Gesängen genommen, zu einer Folge von Sätzen, deren Rhythmik sich weder aus der unsicheren Neumenschrift, noch aus dem Anschluß an das Textwort klar erkennen ließ. Man versuchte deshalb, die Choralrhythmik ähnlich der griechischen Taktlehre auszubauen, die Mensur in eine Reihe von Notenwerten aufzulösen, die einander zu größeren Einheiten ergänzten. Die Rhythmenregeln, die Guido und Hucbald für die Neumation aufstellen, können als Anfang der neuen Theorie von der Mensural- musik gelten. Sie nahmen ihre Anregungen aus der Kunstlehre hellenistischer Schriftsteller, verwerteten sie nach eigener An- schauung und gaben damit den Anstoß zu einer Umgestaltung der traditionellen Vortragslehre.

Auch die Führer der Mensuralmusik griffen auf die griechische Theorie zurück. Sie bildeten nach griechischen Metren eine so- genannte Moduslehre, die die Folgen der Noten nach dem Schema der gleich kurzen oder langen, der jambischen, trochäischen, dak- tylischen, anapästischen Versfüße zu taktischen Gruppen zusam- menfaßten. Die Noten stellten allerdings auch in diesen Gruppen noch keine festgeprägten Werte vor, da sie erst durch ihre Stel- lung im einzelnen Modustakt bestimmte Zeitwerte erhielten, aber schon in der Zeit der beiden Franconen (nach 1260) ist eine feste Wertbestimmung der Noten erreicht. Zum ersten Male wird in der Geschichte der christlichen Musik der rhythmische Wert der einzelnen Note unabhängig vom Text ausgedrückt1. Während die Neumen erst durch die Textunterlage rhythmische Werte erlangen, ist in der Mensuralmusik die Note für sich eine rhythmische Quantität, die ohne Rücksicht auf die Wortbetonung stets den gleichen Zeitwert beansprucht. Wenn auch die Lehre der ars antiqua nur die dreiteilige Notenmessung kennt, so tritt doch bereits im 14. Jahrhundert durch die italienische Kunst auch

1 Quellenangaben und weitere Ausführungen sind in meiner Arbeit: »Zur Frage des Taktschiagens und der Textbehandlung in der Mensuralmusik« ge- geben (Sammelb. der I. M.-G. 1908, S. 73f.). Weiterhin zitiert unter: Seh. 1908.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 37

das zweiteilige Maß in der Theorie auf, so daß die Grundele- mente der taktischen Mensur, der gerade und ungerade Takt, von dieser Epoche an in der Mensuraltheorie festgelegt sind.

Durch die Übernahme eines zwei- und dreiteiligen Maßes in die Mensurregeln wurden arithmetische Abteilungszeichen, Striche, Punkte oder Zeichen notwendig, die über die zugrunde liegende Mensurierung orientieren mußten. Philipp de Vitry, der die Notenschrift durch Einführung roter Noten zur Bezeichnung von Rhythmenänderungen (Triolen, Synkopen) vereinfachte und auch die Notationsregeln übersichtlicher und klarer faßte, gibt folgende Vorzeichen zur Notenmessung:

jrITj modus perfectus, d. h. die Longa ist dreizeitig zu messen. | modus imperfectus, d. h. die Longa ist zweizeitig zu messen. jr;_ tempus perfectum, d. h. die Brevis ist dreizeitig zu messen. jp_ tempus imperfectum, d. h. die Brevis ist zweizeitig zu messen.

Zu diesen vielfach verschieden formulierten Zeichen kommen noch andere, die die Zerlegung der Semibrevis in Minimen an- geben. Ihre Wertbestimmung wird durch einen Punkt im Kreis oder Halbkreis dargestellt1. Man könnte folgende Zeichen als Grundnormen der Theorie aufstellen:

! ,n Longa-Takt = Modus perfectus.

| ' | Longa-Takt = Modus imperfectus.

O Brevis-Takt = « * * Tempus perfectum.

=

II II II Q Brevis-Takt = 1

= I Tempus imperfectum. 1 I I I ' 0 Brevis-Takt = (Tempus perfectum cum

= ttt t t T t ^ ? ) prolatione maiori. d Brevis-Takt = ♦♦ ) Tempus imperfectum cuin_

=== 1 1 1 t t t ( prolatione maiori.

1 Über die Mensuraltheorie, über Taktbuchstaben und -zeichen siehe J 0 h. Wolf, Geschichte der Mensural-Notation I, 92f., 97f., 274.

38 Drittes Kapitel,

Nehmen wir die Brevis als ganze Note, die Semibrevis als halbe, die Minima als Viertelnote, so hätten wir in der Tabelle einen 3/1} 2/x, einen 3/2, 2/2, einen 9/4 und 6/4 Takt. Diese Takte werden aber nicht nach modernen Grundsätzen angewandt. Die Vorzeichnungen geben nur die Messung der Noten an; sie legen keine Gruppentakte fest.

Die aufgestellten Zeichen zeigen die Haupteinteilungen der ars nova, die von verschiedenen Theoretikern noch weiter geführt und durch Buchstaben und Mensurregeln in ein festes System gebracht wurden. Wurde die vorgezeichnete Messung der Noten im Verlauf des Tonstücks noch geändert, so konnten durch einen Punkt (punctus divisionis) die zusammengehörigen Notenwerte getrennt, andere, zweiteilige, durch den Punctus perfectionis (unserm Additionspunkt entsprechend) dreiteilig gemacht werden. Durch alle diese Regeln war die musikalische Rhythmik fest fixiert. Konnte die herrschende Notenmessung nach dem Notenbild be- stimmt werden, so brauchte man keine fortlaufenden Taktpunkte oder Taktzeichen mehr zu setzen, da alle Werte durch die gleiche Noteneinheit gemessen wurden1. Wir haben also eine ähnliche Rhythmenbestimmung wie in der griechischen Musik vor uns; die kleinste Maßeinheit der Mensuraltheorie entspricht dem chronos protos des Aristoxenos. Nur ist die Rhythmik in der neuen Kunst unabhängig vom Text, es ist eine selbständige, rein musi- kalische Rhythmenlehre, die ebensogut für Instrumental- als Vokalmusik gilt.

Aus der praktischen Musik geht hervor, daß in der frühesten Zeit nach dem Longatakt gesungen wurde2, bis durch die ars nova im 14. Jahrhundert der Brevistakt in weiteren Gebrauch kam, der sich zwei Jahrhunderte hindurch in Theorie und Praxis behauptet hat. Über die Direktion dieser rhythmisch genau fixierten Gesänge geben die Theoretiker in der ersten Epoche der Mensuralmusik wenig Auskunft. Eingehende Nachrichten habe ich in den zeitgenössischen Werken nicht gefunden. Doch steht fest, daß man sich auch in dieser Epoche nach einem Vorsänger richtete. So sagt Hieronymus von Mähren, daß sich alle Sänger, wenn sie auch sehr tüchtig sind, einen Präzentor und

1 Hier. v. Mähren (Couss. Script. I, S. 89): Tempus armonicum est mensura omnium notarum, qua scilicet unaquaeque mensuratur nota.

2 S. Wolf, a. a. O. II, Nr. 1. Das Stück ist in Longatakten zu übertragen, da sonst Dissonanzen am Anfang des Taktes entstehen würden.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 39

Direktor wählen, auf den sie beim Gesang genau achten1. Die Musiker kannten die Mensurregeln, sie hatten die Intervall- und Proportionslehren im Unterricht studiert und wußten, daß im Anfang eines jeden Taktes Konkordanzen stehen mußten. So konnten sie nach der Führung eines Vorsängers wohl auch ohne sichtbare Direktion ihre Stimme vortragen, zumal wenn man mit Riemann annimmt, daß Instrumente die Stimmen be- gleiteten oder die Führung der Unterstimmen übernahmen2. Indes haben die Nachrichten, die ich aus dem 15. und 16. Jahr- hundert für das Taktschlagen gefunden habe, und die weiter unten zitiert werden, auch für die frühe Epoche der Mensural- musik Beweiskraft. Denn man kann sich kaum denken, daß eine rhythmisch genau notierte Musik erst vom Jahre 1450 an mit auf- und niederschlagender Hand dirigiert worden ist. Man wird annehmen können, daß der Präzentor auch in früherer Zeit nach der gleichen Art wie die Chorleiter der klassischen a cappella- Periode taktiert hat. Daß wir aus der Epoche der ars nova nichts weiter darüber erfahren, erklärt sich aus der theoretisch- spekulativen Methode der Mensuralschriften.

Mit der Entwickelung der Mehrstimmigkeit zum durchimi- tierenden Vokalstil hin und mit dem Schwinden der komplizierten Notation wurden die Schriftsteller praktischen Fragen mehr zu- gänglich, und wir finden in dieser Zeit auch Hinweise auf die Di- rektion der Musik. So schreibt Ramis von Pareia (15. Jahrhun- dert), man solle beim Singen »mit der Hand oder mit dem Fuß oder Finger« taktieren3. Und Adam von Fulda (um 1490) bringt sogar ein ganzes Kapitel vom Takt, das den tactus-Begriff genau definiert4. Auch Bildwerke geben darüber Aufschluß, daß ein Taktieren mit Hand oder Finger im 15. Jahrhundert

1 C o u s s. Script. I, S. 93: Secundum est, ut quantumque sint omnes equa- liter boni cantores, unum tarnen precentorem et directorem sui constituant, ad quem diiigentissime attendant. Vgl. Seh. 1908.

2 Hugo Riemann, Das Kunstlied im 14. und 15. Jhdt. (Sammelbd. d. I. M.-G. 1906, S. 529 f.). Handbuch für Musikgeschichte II, 1. Kap. 18. Vgl. auch Kinkel dey, Orgel und Klavier in der Musik des 16. Jhdts., und Arnold Schering, Die niederländische Orgelmesse im Zeitalter des Josquin. Schering, der fast die gesamte Literatur als Vokalmusik mit Orgel- begleitung erklärt, geht in seiner einseitigen Theorie sicherlich zu weit. Man weiß nicht recht, wo die Grenze von Vokal- und Instrumentalliteratur liegen soll. Die Frage bedarf noch einer eingehenden Untersuchung.

8 Ramis de Pareia, Neuausgabe von Joh. Wolf, S. 83. * Gerb. Script. III, S. 362 f.

40 Drittes Kapitel.

allgemein bekannt war. Berühmt ist das linke Altarwerk der Brüder van Eyck, wo man einen Sänger mit niederschlagender Hand taktieren sieht1. Bernhard Pinturicchio (1454—1513) malt einen Chor von 10 Engeln, die aus einem Notenblatt singen, während ein anderer mit der erhobenen rechten Hand den Takt gibt, ein Bild, das die Praxis der Zeit deutlich widerspiegelt2. Zwei Chöre von je drei Engeln, die nach einem Notenblatt singen, zeigt Sandro Boticelli (1446—1510). Der mittlere taktiert mit leicht niederschlagender Hand3. Auch in der Practica musica des Gafurius (Ausgabe vom Jahre 1496) sieht man auf Folio 1 einen Knabenchor, der von einem Taktschläger geleitet wird. Alle Singeschüler singen nach einem großen, auf einem Pult stehenden Notenbuch4. Die Musikbilder des 15. Jahrhunderts bestätigen somit die Bemerkungen der Theoretiker: man tak- tierte mit auf- und niederschlagender Hand.

Ausführlichere Nachrichten über das Taktschlagen und die Form, in der die Taktschläge auf die Noten verteilt wurden, finden wir allerdings erst im 16. Jahrhundert, in einer Zeit, wo der a cap- pella-Stil der Niederländer seinen Siegeszug durch die Kultur- länder hält. Fast in jedem praktischen Lehrbuch der Gesangs- kunst oder Musik steht in dieser Zeit ein Kapitel über den Takt (de tactu). Leider bringen die Werke infolge des skrupellosen Abschreibens, das früher allgemein üblich war, fast durchweg dasselbe. Die hierhin gehörigen Definitionen des Taktes sind in meiner zitierten Arbeit zusammengestellt worden. Ich will hier aus der Liste der dort gegebenen Taktdefinitionen nur die wich- tigsten anführen. Adam von Fulda schreibt:

»Der Takt ist eine beständige Bewegung, die die Mensur richtig zusammenhält. Er ist nichts anderes als die notwendige und passende Messung des Modus, Tempus und der Prolation.« Ahn- lich oder mit gleichen Worten wird der Takt von den übrigen Theoretikern erklärt. Ornitoparch (1517) sagt, daß der Präzentor nach Angabe der Taktzeichen den Gesang dirigieren müsse; andere meinen: der Takt, der durch Auf- und Niederschlagen der Hand

1 Original im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin.

2 Chiesa di S. Maria Maggiore. Rom.

3 Sa. Vergine col Bambino ed angeli. Rom.

4 Erwähnt sei auch das Relief von Lucca della Robbiaim Floren- tiner Dom (Sängertribüne). Ein kleiner Junge macht die Bewegungen des Takt- schlägers nach, er schlägt mit dem Zeigefinger der Rechten in die hohle linke Hand.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 41

oder eines Fingers gegeben werde, gleiche dem Pulsschlag; oder es heißt: »Der Takt ist eine von der Hand ausgeführte Bewegung, die die Art und Weise kennzeichnet, die die Sänger beim Gesang einhalten müssen1.« Agricola (1532) beschreibt den Takt mit diesen Worten : »Der Tact odder schlag / wie er allhie genomen wird ist eine stete vnd messige bewegung der hand des sengers / durch welche gleichsam ein richtscheit / nach ausweisung der zeichen / die gleicheit der stymmen vnd Noten des gesangs recht geleitet vnd gemessen wird / Denn es müssen sich alle stymmen / so der gesang wol sol lauten /darnach richten/.«

Diese Definitionen sagen zunächst, daß der Takt durchweg durch Auf- und Niederschläge der Hand geführt wird, oder aber möglichst unauffällig durch Heben und Senken eines Fingers. In einer Handschrift des 16. Jahrhunderts (de signis musicali- bus. B. B.) heißt es z. B.: »Der Takt ist die Ordnung, nach der durch gleichmäßiges Heben und Senken eines Fingers die Werte der Noten und Pausen gemessen werden.« Oder es wird defi- niert: »Tactus ist ein gleichförmige bewegung eines fingers oder hand / darauff alle Noten vnd Pausen / nach irem valore oder wert gesungen werden (1572, Wilfflingseder).« Der Harfner auf dem rechten Flügel des Genter Altarwerks taktiert nach dieser Methode. Er zählt mit dem Finger den Takt aus.

Auch der Gebrauch des Taktstocks war den Musikern be- kannt. Die Theoretiker Philomates (1523), Bermudo (1549), Vogelsang (1542), Raselius (1589) und andere schreiben aus- drücklich, daß man mit der Hand oder mit einem Taktstock taktieren soll. Diese Taktstockdirektion, die oft eine Errungen- schaft des 19. Jahrhunderts genannt wird, läßt sich weit zurück- verfolgen. Ich hatte schon im vorigen Kapitel eine Urkunde des 11. Jahrhunderts angeführt, in der berichtet wird, daß der Kantor im Chor einen Stab in der linken Hand hält, zum Zeichen, daß alle Sänger ihm unterstellt sind. Bei der Direktion hält er ihn in der Rechten hoch, »damit alle hinsehen«, und gibt dann den Verlauf der Noten an2. Damit ist der Gebrauch des Takt- stocks schon für die älteste Zeit bewiesen. In vielen Kirchen galt ein häufig aus Gold oder Silber gefertigter Stab als Abzeichen der Kantoren. Man nannte ihn die »königliche Rute«, vielleicht

1 Quellenangabe: Seh. 1S08, S. 76—78.

2 S. o., S. 18.

42 Drittes Kapitel.

um damit auf die Direktion hinzuweisen1. Er war das Symbol des Präzentors oder Sängers. Auch in Regensburg wird der silberne oder vergoldete Stab als äußeres Abzeichen des Kan- tors genannt2. Wenn nun überliefert wird, daß Palestrina im Jahre 1564 in Rom mit einem »güldenen« Stab dirigiert hat3, so wird man die Herkunft der Taktstockdirektion mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Gebrauch des alten Kantorstabs ableiten können.

Im 16. Jahrhundert war der Taktstock als Direktionsmittel weit verbreitet. Auf Bildern und Miniaturen sieht man Takt- stockdirigenten, und auch in zeitgenössischen Werken finden sich viele Nachrichten über die Praxis, von denen ich hier die wich- tigsten anführen will.

Auf einem Bild in der Margarita philosophica von Reischius (1496) ist z. B. ein Konzert von Orgel, Blockflöte, Harfe und Laute dargestellt. Ein Sänger steht vor den Musizierenden mit einem langen Taktstock4. Eine Miniatur, die in den Jahren 1504—1522 angefertigt wurde, zeigt einen Kapellmeister, der

1 Honorius Augustodunensis (Migne, Tom. 172, S. 567) : Can- tores . . . baculos vel tabulas manibus gerunt. Gerbert (De cantu II, S. 173) : Passim observavimus cantores in Gallia cum baculis . . . referuntque . . . quatuor cantores in diebus solemnibus indutos pluvialibus assistere in choro, cum baculis argenteis ad formam baculorum peregrinantium, sed crassioribus : item- que in Siciliae ac Melitae cathedralibus reperiri canonicalem dignitatem cantoris, qui fert baculum, seu potius virgam argenteam. Ebenda I, S. 322: Praeterea veteri more tenebant baculum cantores in choro . . . vocaturque baculus aureus vel argenteus, . . . quem portabant cantores, virga regia. Über die symbolische Bedeutung dieser Sitte schreibt Honorius (a.a.O. S. 552): Ex legis quippe praecepto baculos manibus tenebant, qui paschalem agnum edentes ad patriam tendebant. Secundum hunc morem cantores in officio missae baculos tenere noscuntur, dum verus paschalis Agnus benedicitur. Vgl. auch El. S a 1 o m o n (Gerb. Script. III, S. 24).

2 Dom. Mettenleiter, Musikgeschichte der Stadt Regensburg, 1866,S.lll.

3 Otto Kade, Zwei archivarische Schriftstücke aus dem 16. Jhdt., M. f. M. 1872, S. 48f.

4 Die Auflage, die mir vorlag, enthält die Jahreszahl 1503, eine Ausgabe von 1515 bringt sogar ein farbiges Bild. Reproduktion des »Typus musices« in Haberls Kichenmusik. Jahrbuch 1885, S. 74. Auf den mir vorliegenden Bildern hält der Sänger den Stab in der Linken, ein Fehler des Holzschneiders. In einer Pariser Vorlage (Reproduktion bei L a v o i x fils, Musique dans l'yma- gerie du moyen äge, Chronique musicale 1874) ist der Fehler vermieden. Vgl. auch das Bild im »Weißkunig«: Die geschicktheit in der musiken (Jahrbuch der kunsthistorischen Samml., Wien VI, S. 79), auf dem Kaiser Maxi- milian unter Musikern und Instrumenten mit einem Stab (Kantorstab?) ab- gebildet ist.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 43

seine Sänger mit einem langen Stabe dirigiert1. Auch das Titel- bild von Rhaus encbiridion musicae practicae (1520) schmückt ein kleines Bild, auf dem musizierende Engel mit einem Taktstock- dirigenten zu sehen sind. Philomates sagt: »Wer den Gregoria- nischen Choral gut dirigieren will, muß in der Hand einen Stab halten, den Verlauf der Noten zeigen und fortwährend die Mensur angeben2.« Sehr hübsch erzählt Bermudo (1549) von dieser Taktstockleitung. Er meint: Die Rute gibt die Mensur ungenau an, denn manche Sänger sehen nach der Spitze der Rute, manche wieder nach der Hand, und so entstehen Verwirrungen. Andere wieder vergessen, daß sie in der Kirche sind, sie führen nämlich mit der Rute so heftige Schläge auf das Buch aus, daß man es in der ganzen Kirche hört. Nach seiner Meinung genügt es, wenn man zu Anfang des Gesanges zwei bis dreimal mit der Hand den Takt anmerkt3. In einer Musica von Jan Blahozlav werden weitere Vorstellungen über die Taktstockdirektion gemacht. In den Verboten, die der Sänger sich zu merken hat, heißt es u. a. : »Das achte Vitium ist ein schlechtes Taktieren, d. i. ein Bewegen der Rute über den Sängern. Der Rute bedienen sich auch gute Kantoren wegen der Unwissenheit der Sänger oder wegen ihrer großen Zahl, besonders wenn sie in dieser oder jener Ecke singen, und wenn manchmal bei irgendeinem Satz ein schnelles oder lang- sames Singen nötig wird. Die, welche in der Ecke singen, richten sich nach der Bewegung der Rute, da sie sich nicht nach der Stimme des Kantors richten können, besonders wenn diese schwach ist. Aber für die nahestehenden Sänger soll man sich nicht der Rute bedienen. Geschickte Kantoren scheuen sich auch davor. Und ebenso, wie der Kundige dessen nicht bedarf, so ist auch für den Kantor, der nichts vom Takt versteht, zuweilen besser, nicht die Rute in die Hand zu nehmen. Der anwesende Fach- mann wird nur lachen, wenn er sieht, daß der Kantor einen schlech- ten Takt gibt, d. h. auf jeder einzelnen Note die Rute bewegt, sie sei nun länger oder kürzer. Das Taktieren mit dem Kopf oder Fuß soll man unbedingt vermeiden4.« Nach diesen Berichten

i Von Chybinsky erwähnt, Sammelb. d. I. M.-G. 1909, S. 386.

2 Vencesl. Philomates, Mus. libri IV. III, 1 : Gregorii cantum recturo congruit una Ferre stilum palma, seriem, saltumque notarum Pandere, et assiduo mensuram tangere motu.

3 Bermudo, a. a. 0. fol. 138v.

4 J. Blahozlav schrieb eine »musica« mit Ergänzungen. Er wurde später Bischof der Sekte der böhmischen Brüder, in welchem Amt er 1591 starb.

44 Drittes Kapitel.

darf man nun nicht annehmen, daß nur eine kleine, zierliche Rute, eine »virgula«1, im Gebrauch war. Die erwähnten Musik- bilder zeigen, daß man zuweilen auch mit einem langen und starken Stock taktierte. So sieht man auf einem Holzschnitt zu Kaiser Maximilians »Weißkunig« einen Knabenchor, der aus einem großen Notenbuch singt, während der Kantor mit einem dicken Stock dirigiert2.

Interessant ist eine Darstellung auf einer Tischdecke, die zwischen 1562 und 1568 angefertigt wurde. Man sieht ein Or- chester von Frauen und Männern und einen Taktstockdirigenten3. Das Titelblatt von »Elias Nicolaus (sonst Ammerbach genannt) Orgel und Instrument Tabulatur« (1571) zeigt wieder eine Tafel- musik mit Instrumenten und Sängerchor, die ein Kapellmeister mit dem Taktstock dirigiert. Weiter wird von einer Dirigentin erzählt, die mit einem langen, biegsamen und polierten Stäbchen die Musik leitete4. Raselius und Vogelsang definieren deshalb den Takt als eine regelmäßige Bewegung der taktierenden Hand, des Fingers oder Taktstocks5.

Wir haben also aus dem 16. Jahrhundert genug Quellen für die Taktstockdirektion. Die Praxis war ebensoweit verbreitet wie das Taktieren mit unbewaffneter Hand. Man durfte mit dem Stab nicht laut aufschlagen, wie Bermudo bezeugt, Van- neo sagt geradezu, das Taktschlagen solle stillschweigend geschehen, d. h. ohne lautes Aufschlagen oder Aufklopfen6, und Sancta Maria erzählt, es sei oft in der Luft taktiert worden,

Die musica erschien in 1. Auflage 1558, in zweiter 1569. Erhalten ist nur die zweite in Prag. Seine Schrift, die in böhmischer Sprache abgefaßt ist, wurde abgedruckt bei O t. H os t i n s k y, J. Blahozlav a Jan Josquin (Pseudonym eines böhmischen Priesters), Prag 1896. Diese Mitteilungen und obige Über- setzung verdanke ich Herrn Dr. Wladimir Helfert in Prag.

1 Joan. Vogelsang, Musicae rudimenta, 1542, Cap. VII: Tactus est continua percussio motiove, manu vel virgula precentoris . . . facta.

2 Jahrbuch der kunsthist. Samml. Wien. 1883, VI, S. XXII.

3 C. Becker und J. von Hefner, Kunstwerke und Gerätschaften des Mittelalters und der Renaissance. 1852, I, S. 45.

4 Bottrigari, II Desiderio, 1599. Beschreibung bei Lavoix, Histoire de l'instrumentation, S. 173/4.

5 Vogelsang, s. Anm. 1. Raselius, Hexacord. mus. (1589, fol. E. III): [Tactus] est digiti vel baculi motus.

6 Stef. Vanneo, Recenatum de mus. aurea (1533) II, 8: Et haec eadem tacite fieri potest, id est sine ulla evidenti expressaque alicuius instrumenti percussione, ut dictum est, sed animo atque mente ea observanda erit. Das »animo atque mente« ist dem Beachten des Taktes durch das Gehör entgegen- gesetzt und soll wohl nicht das Taktieren überhaupt ausschließen.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 45

wobei beim Nieder- oder Aufgehen der Hand nicht aufgeschlagen wurde1. Im Jahre 1546 wurde auch einmal befohlen, daß sich der Dirigent mitten im Chor aufstellen sollte, damit man »die Menssur (das Taktieren) ssehe und darinn ain Glaichheit gehalten werden müg«2. Man kann demnach das lautlose Taktieren, das gern zu den modernen Errungenschaften gezählt wird, bis in die Epoche der Mensuralmusik zurückdatieren, wenn man von der cheironomischen Direktion einer einstimmigen Melodie absieht.

Vanneo meint, daß mit der Hand, dem Fuß oder mit »irgend einem in der Hand gehaltenen Gegenstand3« taktiert werden kann, ein Vorschlag, der später viel befolgt wurde und zu Mißbräuchen aller Art führte. Sehr hübsch hat schon Philomates gegen diese Un- manieren beim Taktschlagen geschrieben. Er sagt: »Manche pflegen die Gesänge unter häßlichen Bewegungen zu leiten, in der Meinung, sie befolgten gute Vorschriften und eine ganz besondere Methode der Kantoren. Einige leiten die Gesänge mit nach beiden Seiten weithin ausgebreiteten Händen, wie wenn beim Streite von zweien der eine die Haare des andern mit seinen Nägeln nicht ausraufen kann und der verderbliche Streit damit zu enden droht, daß er beide Hände wehrlos ausstreckt. Andere habe ich gesehen, die die Mensur mit den Füßen angaben und dabei niederstampften wie ein sattes Pferd, das beim Spielen auf grüner Au umherstampft und sich ausgelassen freut. Manche machen es wieder wie ein Schwan und geben die Noten (mit Kopfbewegungen) an: wie der Schwan mit zurückgebogenem Halse singt, so pflegen auch sie sich beim Singen zu zeigen. Sie sollten sich schämen, für sie wäre es (wahrlich) besser, sie pflügten mit der Pflugsterze den Acker in Geduld4.«

1 Sancta Maria, Arte de tarier Fantasia, Valladolid 1565, fol 8: como muchas vezes vemos llevarse el compas en vago sin topar la mano en baxo ni en alto.

2 Mitgeteilt von Joh. Peregrinus, Geschichte der salzburgischen Dom-Sängerknaben oder schlechthin des Kapellhauses. Salzburg 1889, S. 48.

3 Vanneo, a.a.O. II, 8: [tactus] est ictus seu percussio quaedam levis, quae a musicis manu vel pede, vel quovis alio instrumento manu tento fieri solet.

4 Philomates, a. a. O. III, 1 :

Sunt quibus est usus moderari turpibus odas Gestibus, egregios mores se scire putantes. Atque exquisitam cantorum conditionem. Mensuram quidam palmis moderantur utrisque Eminus expassis, veluti cum in lite duorum Alter in alterius nequit insultare capillos Unguibus,' extensa letale minatur inermi

46 Drittes Kapitel.

Danach scheint es in manchen Chören arg zugegangen zu sein. Man darf diese Nachrichten aber nicht verallgemeinern. Wer Proben mit Sängern oder Musikern geleitet hat, die keinen Takt im Leibe haben, wird ebenso wie die alten Kapellmeister taktieren und gestikulieren. Das sind nebensächliche Begleit- erscheinungen, die für die Beurteilung einer Zeit kaum in Rechnung gestellt werden können. Und wenn die Musiker das Fußstampfen verbieten oder einschränken wollen, so wenden sie sich damit gegen einen allgemeinen Brauch der Instrumentalisten. Bei der Instrumentalmusik wurde in der Regel die Mensur durch Nieder- treten mit dem Fuß ausgezählt. Saunas meint: »Was die Sänger mit der Hand (beim Taktieren) angeben, müssen die Instrumentalisten, da sie die Hände nicht freihaben, mit den Füßen ausführen1.« Für den Unterricht wurde die gleiche Me- thode empfohlen2. Viele Theoretiker, die für Instrumental- und Vokalmusik schreiben, erklären deshalb den Takt als ein gleichmäßiges Heben und Senken der Hand oder des Fußes3. Daß man hierbei zuweilen auch lärmend verfuhr, zeigen die an- geführten Verbote von Blahozlav und Philomates. Doch haben wir uns bei guten Musikern das Fußtaktieren nicht anders zu denken als in unserm Instrumentalunterricht, wo man ebenso ohne diese Hilfe nicht auskommt. Im Orchester war es jedenfalls besser, wenn die Instrumentalisten nicht sämtlich den Takt traten, sondern sich bei schwierigeren Rhythmen die Taktteile durch Heben und Senken der Instrumente auszählten (Zacconi) 4, zumal wenn

Certamen duplici palma. Multos quoque vidi Mensuram pede signantes calcante, caballus Ut satur in viridi ludendo cespitat herba, Luxuriatque salax. Plerique imitantur holorem Neuma gubernantes, velut hie cervice reflexa Drensat, ita soliti conquiniseunt modulando Hui pudor, in campo satius deeuisset eosdem, Si stiva liras regerent patienter arantes.

1 S al i n a s, De mus. libri VII (1577) V, 4: Sed quod canentes manu faciunt, id musicis instrumentis ludentes, quia manu non possunt, pede facere coguntur.

2 St. Maria, a. a. O. toi. 8 v: es muy importante y necessario Ilevar el compas . . . con el pie, pues que tanendo no se pue de Ilevar la mano.

3 S. o. V a n n e o , S. 45, Anm. 3 ; R a m i s d e P a r e i a (s. o., S. 39) ; ferner Pietro Aron, Compendiolo (nach 1545), Kap. 38, Pierre Davantes, nouvelle et facile methode pour chanter (M. f. M. 1869, S. 168) u. a. Vgl. Seh. 1908, S. 79.

4 Zacconi, Prattica di musica I, Kap. 33: perche nel sonar delleViole, ■o de Tromboni essi sonatori fanno attione simile alle attione del tatto.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 47

der Kapellmeister nicht von allen Spielern gesehen werden konnte, oder wenn er als Sänger mitsang und auf die Instrumentalisten nicht achten konnte.

Alle diese Nachrichten werden eine Vorstellung von der älteren Praxis des Taktierens geben. Das Bild gleicht in großen Zügen durchaus unserer modernen Musikübung, wenn wir an kleinere Männerchöre, an Hausmusiken, an Proben und Unterricht den- ken. Man taktierte kleine Kapellen und Chöre durch Auf- und Niederschlagen der Hand oder des Taktstocks. Die Instrumen- talisten zählten die Notenwerte mit Fußbewegungen aus oder durch Heben und Senken der Instrumente, wie die Geigendiri- genten oder die ersten Bläser unserer Gartenkonzerte. Bei guten Chören oder in der Gesangstunde genügten auch Fingerbewegungen zur Angabe des Taktes.

Im 16. Jahrhundert unterschied man drei Taktarten: den großen Takt (tactus maior), den kleinen (tactus minor) und den proportionierten (tactus proportionatus) mit der Unterteilung des Sesquialter. Takteinheit war die Semibrevis (0). Sie galt einen tactus integer, wenn keine Proportionen und Augmenta- tionen vorlagen. So umfaßte der große Takt: eine Semibrevis, der kleine: eine Minima (<>), der Proportionatus: drei Semibreven und der Sesquialter drei Minimen, oder nach den Worten Agricolas (1532):

Der ganze Takt (tactus maior) »Ist / welcher eine vngeringerte Semibrevem odder eine Brevem in der helfft geringert / mit seiner bewegung begreif ft /«.

Der halbe Takt (tactus minor) »Ist das halbe teil vom gantzen / Vnd wird auch darumb also genant / das er halb soviel / als der gantze Tact / das ist / eine Semibrevem inn der helfft ge- ringert / odder eine vngeringerte Minimam mit seiner bewegung / das ist /mit dem nidderschlagen vnd auf f heben begreif ft /«.

Der Proporcien-Takt »Ist / welcher drey Semibreves als in Tripla / odder drey Minimas als inn Prolatione perfecta / be- greifft«1.

Auf diese Takte wurden Auf- und Niederschlag so verteilt, daß beim geraden Takt die Noten in Hälften geteilt wurden und beim ungeraden zwei Taktteile auf den Nieder-, der dritte"auf den

1 Ebenso definieren Ornitoparch, Mus. activae mikrologus 1517, II, 6; Faber, Ad mus. pract. introductio, Kap. II; Euch. Hoffmann, Mus. pract. praecepta 1572, Kap. X u. a.; s. Seh. 1908, S. 80.

48 Drittes Kapitel.

Aufschlag kamen1. Eine Gruppierung, die mit der griechischen Taktlehre vollkommen übereinstimmt. Es ergibt sich somit für das Taktschlagen im 16. Jahrhundert folgendes Bild:

v t I t Tactus maior: 0 <> o

I t l t Tactus minor: o === f

i i

I t \ t Tactus proportion atus: y o = 0 o 0

v t l_ t Sesquialter: o <> = <^ <> <>

Taktzeichen sind nach Adam v. Fulda: ©2, ©, © für den Minimentakt, O* (j) für den Semibreventakt und (£, 02, C2 für den Breventakt (H = o 0), der als diminuiert aus dem Tactus maior anzusehen ist2. Von diesen Zeichen haben sich Kreis, Halbkreis und durchstrichener Halbkreis am längsten behauptet, während die in großer Zahl aufgestellten Varianten aus der Praxis im Laufe der Jahrhunderte verschwinden3. Für das Taktschlagen bringt Agricola in seiner »musica figuralis deudsch« aus dem Jahre 1532 folgendes Beispiel:

»Vom gantzen vnd halben Tact ein Figur.

Item / das nidderschlagen vnd das auffheben zu hauff / macht allzeit einen Tact / Vnd wird der Halbe noch so risch / als der gantz Tact / geschlagen / wie volgt:

M i 2 auf: Ä 2 auf:

1 nid: 1 nid:

CV-

2 ein m tact ? ! >

Q) ein halb ) Q2 *

1 A g r i c o 1 a, a. a. O. ; St. M a r i a, a. a. O.; T i g r i n i, Compendio 1588, Lib. IV, Kap. XVI; Henningus Dedekind, Praecursor metricus mus. artis 1590, fol. B. 6, u.V. a.; s. Seh. 1908, S. 80.

2 Gerb. Script. III, S. 362.

3 Ernst Prätorius, Die Mensuraltheorie des Fr. Gafurius 1905 (Beihefte der I. M.-G.) hat die Taktzeichen der Theoretiker eingehend behandelt. Ich halte mich in der vorliegenden Arbeit an die praktische Seite des Taktierens und übergehe deshalb die theoretischen Spekulationen in der Taktvorzeichnung.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik.

49

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laut: 1 1

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Der Proporcien Tact lnid:

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ein propor.-tact

ein propor.-tact

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^s^"

ein propor.-tact.

Der halbe Takt soll »noch so risch« geschlagen werden als der

ganze, d. h. man muß ^ o in der Dauer gleich * ' taktieren.

i v _

Der Unterschied zwischen beiden Takten besteht nur in dem ein- maligen oder doppelten Auf- und Niederschlagen, so daß der Aus- druck »tactus« nichts weiter bedeutet als Auf- und Niederschlag. Deshalb sagt auch Agricola: »das nidderschlagen vnd das auff- heben zu hauff / macht allzeit einen Tact«. Wenn nun der große Takt diminuiert wurde, so daß zwei Semibreven anstatt einer den Takt bildeten, so konnte auch hier

1 1 mt

entweder °a° oder

o 0

taktiert werden. Da die Dauer der Brevis die gleiche ist, müßte im ersten Falle noch einmal so langsam als im zweiten dirigiert werden. Salinas meint: »Im Breventakt wird bisweilen einmal auf- und niedergeschlagen, das nennen die Musiker den großen Takt, zuweilen zweimal, was kleiner Takt genannt wird1.« Er unter- scheidet also großen und kleinen Takt nur nach dem sichtbaren Taktschlag. Rhau sagt, im Breventakt müßten entweder die Noten schneller vorgetragen werden oder zwei »tactus« an Stelle eines genommen werden2. Man sieht schon aus diesen Quellen,

i S a 1 i n a s, a. a. 0. V, 4, S. 242: in spatio temporis, quod in brevis cantu consumitur nonnunquam semel manus tollitur et ponitur in eo, quem ipsi com- passum maiorem appellant, nonnunquam bis in eo, quem minorem dicunt.

2 Rhau, Enchiridion musices, Kap. VII: Hinc est quod in ipsis [signis] vel notae velocius tangi debent, vel semper duo tactus (0) accipi pro uno. Weitere Quellen: Seh. 1908, S. 82.

Kl. Handfc. der Mußikgesch. X. *

50

Drittes Kapitel.

daß der tactus im 16. Jahrhundert keine Taktgruppe darstellt. Er weist nicht auf einen fest bestimmten Gruppentakt, sondern bezeichnet nur ein einmaliges Auf- und Niederschlagen.

Welche Art des Taktierens der Chorleiter anzuwenden hatte, richtete sich nach dem Charakter des Stückes, der durch das äußere Notenbild gekennzeichnet war. Langsame, getragene Sätze wurden in großen Notenwerten, bewegtere in kleineren notiert. In lebhaften, mit notierten Stücken dirigierte man die Brevis- werte durch zwei Nieder- und Aufschläge, in langsamen durch einmaliges Senken und Heben der Hand. Ein Stück wie Ludwig Senfl's »Wol kumpt der May« wäre nach der Regel: »zwei tactus an Stelle eines einzigen« so zu taktieren:

4 1 4 1 4 t 1 1 I t I

£#

+-F-

P

4 t 4 t 4 t 4t 4 t 4

Ludwig Senfl

(vgl. Ambros, Gesch. der Mus. Bd. V).

Ä

4t 4t 4t

4t 4 t

Wol

kumpt

der May

mit

während ein in größeren Notenwerten notierter Satz unter glei- chen Taktzeichen in dieser Form taktiert werden muß:

4 t 4 t 4 t

"tTTTt H ^~t^

4

t

4

4 t 4 t 4 t

4

t

4

fl-3-bMT fei H fr-

0—

=8=

M !I-V- N H H H

^ 4 t 4 t 4 t

4

t

4

4 t 4 t 4 t

-4=

4

B-

t

4 -a—

In

pit

Eleazar Genet-Car- pentras. (Ambros V,

S. 212.)

Sobald man den Breventakt mit einmaligem Taktschlag darstellte, konnte auch er als eine Taktgattung für sich gelten; er hieß dann

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik.

51

Tactus maior und der Semibreventakt : Tactus minor. So"definieren Lossius (1563) und Finck (1556) in ihren Musikbüchern. Andere wieder, wie Agricola, sehen den Breventakt nur als diminuiert an. So kommen in die Bezeichnung des tactus Unterschiede, die sich aus der jeweiligen Ansicht des Theoretikers, aus seiner Entscheidung für Semibreven- oder Breventakt als Maß für ein einmaliges Auf- und Niederschlagen erklären lassen. Eine Tabelle über diese Theorien der Musiklehrer habe ich in meiner früheren Arbeit gegeben.

Historisch ist die Entwicklung der Tactuseinheit so vor sich gegangen, daß der Longatakt der ars antiqua im 14. und 15. Jahr- hundert vom Breventakt abgelöst wurde. Ihm folgte um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts der Semibreventakt. Die Entwickelung ließe sich an Beispielen so veranschaulichen:

I. Petrus de Gruce (ca. 1250).

Lösung nach Longatakten; nach der Regel: In omnibus modis uten- dum est semper concordantiis in principio perfectionis.

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Wolf, a. a. 0. II, \.

II ^

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II. Joh. Dunstap Lösung nach

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der Theorie

des 4 5. Jahrhunderts in Brevistakten.

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Wolf, a. a. 0. II, 73.

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. . H .

III. Jos quin.

Lösung nach der Theorie des 4 6. Jahrhunderts Missa l'omme arme super voces musicales.

I t I t

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5s=

B

Ky -

It. It.

ri - e Petrucci, 1502, Nr. 4,

Ky

4*

52

Drittes Kapitel.

Die Maßeinheit ist im Laufe der Jahrhunderte im Werte kürzer geworden. Damit hängt auch die veränderte Notierungsweise zusammen. Die großen Notenwerte (Maxima und Longa) machen der ganzen Note und ihren Teilwerten Platz. Schon Rhau (1520) nennt den Semibreventakt die am weitesten verbreitete Taktart,, und Faber (1550) berichtet sogar, daß der Minimentakt, dessen Zählzeiten Viertel sind, bei den Kantoren sehr beliebt war. Um das Jahr 1540 waren sich allerdings die Musiker in Maßeinheit und Taktvorzeichnung noch so wenig einig, daß man gleich auf die Madrigalsammlungen drucken ließ: a misura di breve oder a note bianche bzw. a note negre, nach Vierteln zu zählen1. Durch diese Angaben wurde von vornherein die zugrunde liegende Maßeinheit und auch das Tempo bestimmt.

Nehmen wir mit den Theoretikern Agricola, Dreßler, Hoff- mann und Raselius die Semibrevis als tactus integer, so müßte nach unseren bisherigen Ausführungen ein Musikstück, wie das »Et in terra« aus Josquins Messe »l'homme arme« in folgender Weise übertragen und taktiert werden:

0 = Auf- und Nieder- schlag.

i

Q:

-&>. .&-

It. It.

-7

S

(Petrucci, 1502.)

iiS

-<g : <s>—\ <g— j

Wendet man ein, daß bei dieser Deutung die Zeichen: O für drei- teiligen und C fur zweiteiligen Takt keinen Sinn mehr haben, so ist zu erwidern, daß die Zeichen auf das Taktschlagen keinen Einfluß ausüben, sondern lediglich die Mensur der einzelnen Note angeben. Das Zeichen O sagt nichts anderes, als daß die Brevis drei Auf- und Niederschläge ausgehalten werden muß und unter dem Signum £ zwei Auf- und Niederschläge. Hierdurch rücken die Taktzeichen in neue Beleuchtung. Sie bezeichnen die Messung der Noten und setzen das Verhältnis vom einzelnen Notenwert zum Taktschlag fest, sie teilen aber keine Gruppentakte ab. Was die Theoretiker >>tactus« nennen, ist stets der Ausdruck für ein ein- maliges Auf- und Niederschlagen. In einer modernen Partitur-

1 Eine Liste von Madrigalsammlungen mit solchen Überschriften hat Th. Kroyer (»Die Anfänge der Chromatik im italienischen Madrigal des 16. Jahr- hunderts«, Beihefte der I. M.-G. S. 46f.) zusammengestellt.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 53

Übertragung bekommen die Werke deshalb ein fremdes Aus- sehen. Sie werden in die moderne akzentuierende Taktmetrik gespannt, die die musikalische Struktur der Stücke verändert und eine stilistisch einwandfreie Aufführung erschwert. Hier könnte nur eine neue Notierungsmethode abhelfen, eine Abgrenzung gleicher Noteneinheiten durch punktierte Taktstrichlinien, durch Auseinanderrücken der einzelnen einem tactus zukommenden Werte oder durch ähnliche Methoden. In den Sammelbänden der Internationalen Musikgesellschaft (1908) habe ich einige Stücke nach diesen Prinzipien übertragen. Sie unterscheiden sich von anderen Übertragungen durch die Negierung eines Gruppentaktes und durch die zugrunde liegende Maßeinheit. Nicht jedes Stück, das das Zeichen (h trägt, ist nach der Brevis abgeteilt, sondern, je nachdem es der Affekt des Tonstücks erfordert, nach dem tactus der Semibrevis oder Brevis. Die Herausgeber der klassi- schen a cappella-Musik müssten sich darüber klar werden, daß wir mit unserem modernen Takt ein fremdes Moment in die alte Chormusik hineintragen. Die Taktzeichen der alten Musik sind nur für die Mensur der einzelnen Note vorgeschrieben, nicht für die Form der Taktgebung. Letztere richtet sich allein nach dem Charakter des Tonstücks und gibt lediglich das äußere Orien- tierungszeichen für die Einteilung der Noten.

Die Lehre vom tactus wurde durch das Eingreifen von Sebald Heyden, dessen Gesangsschule »de arte canendi« im Jahre 1537 in erster Ausgabe erschien, wesentlich vereinfacht. Er verlangt, daß alle Gesänge nach einem einzigen, fest bestimmten Modus von Taktschlägen eingeteilt werden. Die Takteinheit der Semibre- vis soll überall das Grundmaß abgeben. Alle Proportionen, Aug- mentationen oder Diminutionen sind auf die Semibrevis zu be- ziehen. Sie ist das Einheitsmaß, das durch einmaliges Auf- und Niederschlagen der Hand gekennzeichnet wird. Hat der Sänger ein Diminutionszeichen, etwa ([ 2 , in der Stimme vorgezeichnet, so singt er zwei Semibreven an Stelle einer einzigen auf die ein- malige Tactusangabe, ebenso bringt er bei einem Zeichen, das Dreiteiligkeit verlangt, z. B. 03 , drei Semibreven auf den Auf- und Niederschlag. Es wurde also nicht das Taktschlagen verändert, son- dern die Noten selbst wurden schneller oder langsamer vorgetragen.

Die Dauer des einmaligen Auf- und Niederschlags (des tactus) beträgt nach Buchners Fundamentbuch (etwa 1550): »die Zeit zwischen zwei Schritten eines mäßig gehenden Menschen«. Eine Angabe, aus der sich nicht viel feststellen läßt. Ebensowenig

54 Drittes Kapitel.

besagen die Vorschriften, wie sie Agricola, Finck und Pierre Da- vantes in ihren Musikwerken bringen1. Am bestimmtesten drückt Gafurius in der »Practica musicae« den Zeitwert der Semibrevis aus. Er sagt: »Sie gilt solange als der Pulsschlag eines ruhig atmen- den Menschen2.« Wir könnten die Dauer der Semibrevis bei der Annahme von 72 Pulsschlägen in der Minute mit M. M. = 72 festsetzen, wobei natürlich Modifikationen nach 80 oder 60 zu stets möglich sind.

Im Verlauf der Arbeit ist darauf hingewiesen, daß der tactus der alten Musik nur ein Orientierungsmittel für die Sänger dar- stellt, daß er keine schweren und leichten Taktzeiten abteilt. Wir verstehen bei ganz anderen rhythmischen und metrischen Verhältnissen unter einem Takt eine Gruppe von Semibreven oder anderen Zeiteinheiten mit bestimmten Akzenten. Der tactus des 16. Jahrhunderts ist aber nur eine Maßeinheit der Noten, ein regelmäßiges Auf- und Niederschlagen, eine Orientierung für die Sänger. Der Taktschläger der alten Zeit konnte deshalb nur das Tempo angeben, aber keine Akzentuierungen. Er führte keine Seitenbewegungen bei der Direktion aus, sondern taktierte gleich- mäßig mit auf- und niederschlagender Hand, wie ein Metronom. Man verglich seinen sich stets gleichbleibenden Taktschlag dem Klopfen des Pulses oder den Schlägen der Uhr 3. So gibt Hermann Finck folgende Anleitung zum Verständnis des Taktbegriffs: »Ich möchte die Schüler auf die Uhren hinweisen, die nach be- stimmten Zeiten die Stunden durch (Hammer-) Schläge angeben, und zwar so, daß die Schläge immer in gleichen Abständen gegeben werden, d. h. niemals langsamer oder schneller werden, während man doch auf diese Schläge bisweilen mehr oder weniger Silben sprechen kann. Wir wollen hier von der deutschen Sprache reden, da sie zu unserer Auseinandersetzung geeigneter ist. Mag man nun zwei oder mehr Silben auf einen solchen Stundenschlag sprechen, so bleibt der Schlag doch derselbe und gleich lang, so daß er weder durch viele Silben gedehnt, noch durch wenige schneller wird. Ebenso muß man es sich im Gesang denken, wo vor allem beachtet werden muß, daß hier immer derselbe Takt beobachtet wird, daß er nicht bald langsamer, bald be- wegter wird, so daß, mögen nun eine, zwei oder mehr Noten

i S. Seh. 1908, S. 88.

2 Gafurius, a.a.O. III, 4: Semibrevis... plenam temporis mensuram consequens: in modum scilicet pulsus aeque respirantis.

3 S. Seh. 1908, S. 89.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 55

auf einen Takt zu singen sein, jene Noten gut auf diesen eingeteilt werden können1.« Diese Gleichheit des Taktierens wird von allen Theoretikern betont. Viele, die für den Unterricht schreiben, führen den Vergleich mit den Uhrschlägen bis inEinzelheiten aus. Von den Quellen, die in meiner zitierten Arbeit für diese Praxis gegeben wurden, will ich an dieser Stelle nur Hans Gerle an- führen, der in seiner »Musica« vom Jahre 1532 (fol. B. 3 v) eine Taktlehre für Geigenschüler in dieser Form gibt:

»Ein Prob wie du die Mensur sblt lernen. « »Thu ym also / lerns von einer schlag glocken / die die stundt anzaygt / Wann sie anhebt zu schlahen / so schlecht sie ein steten schlag / ein als (ebenso) lang als den andern / hast aber dannoch ein mal mer sylben zu zelen dann das ander mal / vnnd bleybt doch die Glock in jrem steten schlag / du zelst wieviel sylben du wollest / Also thu ym auch wann du geygest / so tridt die mensur mit dem fuß2 / ein drit (Tritt) als (ebenso) lang als den andern / es kummen drey oder vier buchstaben in der Tabulatur die auff ein schlag gehoeren die mustu geygen vnnd doch nur ein drit (Tritt) dar- zuthun / nicht soviel dritt thun als viel du züg thust / wie ich dann oft von manchen gesehen hab / Welche / als offt sie ein zug theten als offt theten sie auch ein dritt / das soll aber gar nichts sein . . . 3

Nun merck weyter wann die Glock anfecht zu schlagen / so sprichstu nur ein wort / Nemlich eins auff den selben schlag. Also /mustu auch thun / wann dir ein buchstab oder[ein Zyffer be-

kumbt / den mustu auff ein dritt oder ein schlag geygen / Also. n.<< Kommt eine ganze Pause vor, so soll der Spieler aufhören zu

geigen, aber nicht vergessen, mit dem Fuß den Takt zu schlagen. »Merck wann du der schlag vr nach wilt viere zellen / so

hastu zwu sylben am vie- re zu sprechen / die selbigen zwu

müssen gleych so bald gesprochen werden als das eins . . Auch die vier Silben in dem Worte »siebenzene« können auf

1 S. Seh. 1908, S. 90, lat. Text. Finck bringt den Vergleich in ähnlicher Weise zu Ende, wie Hans Gerle in der weiterhin zitierten Stelle.

2 S. o., S. 46.

3 Vgl. auch Hans Neusidler, Ein newgeordent künstl. Lauten- buch (1536), fol. B IIIv: »Einen solchen strich wie da | den mustu schlagen das er weder lenger noch kurtzer prumbt/ als wie die vr oder glocken auff dem Turm schlecht /gerad dieselbe leng / oder als wan man gelt fein gemach zeit/ vnd spricht eins / zwey / drey / vier / ist eins als vil als das ander / der glocken straich oder mit dem gelt zelen/ das bedeutt der lang strich /wie da vnd wirdt ein schlag genant / . .

56 Drittes Kapitel.

einen Uhrschlag gesprochen werden. Ebenso ist es in der Musik. Die Worte:

r f

F F F

F F F F

D

c n

4 d 0

5 0 d 4

Eins

vie - re

drey - ze-ne

Sie-ben-ze-ne

sind jedes für sich auf einen Schlag zu sprechen und auf einen tactus zu spielen: »Als wann drey oder vier mit einander schmiden/ Do müssen sie ein steten schlag füren ein als lang als den andern / dann wo einer lenger oder kürtzer schlecht dann die andern / so werden sie all yer (irr) / Also ist es auch wann du nicht auff die Mensur oder den schlag geygest . .

| Dies gleichmäßige Taktieren, das die Musiklehrer in den Vor- dergrund ihrer Taktlehre stellen, bildet den Schlüssel zum Verständ- nis der alten Musikpraxis. Es war ein mechanisches Auf- und Niederschlagen, ein sichtbares Angeben der einem Stücke zu- grunde liegenden Takteinheit. Da die Noten nicht durch Takt- striche abgegrenzt wurden, sondern sich in fortlaufender Linie an- einanderreihten, so blieb der gleichmäßige Taktschlag das einzige Orientierungszeichen für die Sänger. Er ersetzte ihnen die Takt- striche. Aus dieser metronomischen Taktusangabe erklärt sich auch die Freiheit der Textakzentuierungen in der polyphonen Kunst, jene reiche rhythmische Gliederung, die keinen regel- mäßigen Wechsel von betont und unbetont kennt, sondern die Deklamation und Motivik frei schalten und walten läßt. Die Betonung gibt allein der Sprachakzent, der bald auf diese, bald auf jene Stelle des tactus fallen kann2. Die Sänger sangen eben ihre Stimmen mit der jeweilig erforderlichen Wort- und Rhythmen- betonung zu dem sichtbaren, gleichmäßigen Taktschlag des Chor- führers. Sie sahen allein auf sein Taktschlagen und trugen da- nach ihre Stimmen vor.

Wurde den Sängern ein rhythmisch kompliziertes Tonstück vorgelegt, z. B. das dreistimmige Agnus Dei aus der Messe »l'omme arme super voces musicales« von Josquin:

Diskant

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5EE£*TT ^ " Q ,»4=^=^

t

Proportionatus

1 Ge rle, a. a. O. fol. B II. v.

2 Aus dieser Tactus-Theorie geht auch hervor, daß die Synkope, die in der a cappella-Literatur häufig auftaucht, nicht akzentuierend vorgetragen werden darf.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik.

57

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Tenor (integer)

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Bassus (dirainutus)

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so wußten sie, daß im Diskant unter dem Zeichen 3 drei Semibreven auf Auf- und Niederschlag kamen, im Tenor nach dem Zeichen C eine Semibrevis, im Bassus nach der Vorschrift (f zwei Semibreven. Das Stück würde in moderner Notenschrift dies Bild ergeben:

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3Z:

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58

Drittes Kapitel.

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Der Dirigent muß hier ganze Takte geben1. Solche Stücke, in denen gerader und ungerader Takt gleichzeitig auftreten, machten den Musikern schon im 16. Jahrhundert Schwierigkeiten. Faber (1550) rät, bei diesen Sätzen den ungeraden Takt so zu singen, als ob ein gerader vorläge, bis längere Übung von diesem Hilfs- mittel befreie. Diese Umbiegung des ungeraden Taktes hat bis zum 18. Jahrhundert nachgewirkt. In Seb. Bachs Werken wird

noch häufig »3» als "-* notiert2. Em. Bach gibt in seinem

»Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen« dafür fol- gende Erklärung: »Seit dem häufigen Gebrauche der Triolen bey dem so genannten . . . Vier Viertheil-Tacte, ingleichen bey dem Zwey- oder Dreyviertheil-Tacte findet man viele Stücke,

1 Über die Textunterlage s. Seh. 1908, S. 99 f. Im Diskant hätte ich regulär drei Ganze (Semibreven), im Baß zwei Semibreven notieren müssen. Da aber die Dauer der Semibrevis im tactus proportionatus und diminutus kürzer ist als im tactus integer, sind die Werte gekürzt worden.

2 Bach, Ges.-Ausg. XXII, S. 123, XXIII, S. 271—299, S. 310—313 usw.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 59

die statt dieser Tact-Arten oft bequemer mit dem Zwölf, Neun, oder Sechs-Achttheil-Tacte vorgezeichnet würden. Man theilt alsdann die bey Fig. XII befindlichen Noten wegen der andern Stimme so ein, wie wir allda sehen. Hierdurch wird der Nach- schlag, welcher oft unangenehm, allezeit aber schwer fällt, ver- mieden. «

Fig. XII.

FF=P

P* r—P-

Im 16. Jahrhundert wurde die Fabersche Methode der Anpassung eines Dreitakts an einen geraden von vielen Musikern befolgt. Ich habe den Diskant der übertragenen »Fuga trium vocum« von Josquin in einem Manuskript des 16. Jahrhunderts (de signis musicalibus; in der Kgl. Bibl. zu Berlin) und auch in Eucharius Hoffmanns »musicae practicae praecepta« in gerader Taktart analysiert gefunden, ohne aus diesen »Resolutiones valoris pro- portional« ein festes System erkennen zu können. Der Beginn dieser Beispiele sieht in Gegenüberstellung so aus:

Seb. Hey den.

H=3£

m^

Mscr. Cod. XVI saec.

Resolutio valoris proportionati

vtA-V* «— +• ttM— tm^o . i : ?5

m^m

Euch. Hoffmann. Resolutio

Diese Auflösungen des Dreitakts sind sicherlich nur Muster für den Anfängerunterricht. Faber nennt sie eine molestia, von der man sich bald freimachen solle. Bei gleichmäßigem, ganztaktigen Taktschlag ließen sich diese Stücke korrekt ausführen, sobald tüchtige Sänger den Chor übernommen hatten.

Aus den gegebenen Nachrichten und Anweisungen vom Takt- schlagen ergibt sich die Tatsache, daß wir in der altklassischen

1 A.a.O., Ausg. 1780, I, III, §27.

2 Vollständig 8. Seh. 1908, S. 95.

60 Drittes Kapitel.

Chormusik keinen modernen Takt vor uns haben. Der tactus ist nach der Theorie nichts weiter als ein einfaches Auf- und Nieder- schlagen, ein Orientierungsmittel und eine Stütze für die Sänger. Er wurde so gleichmäßig geschlagen, wie die Uhr die Stunden- schläge angibt. Nach diesem metronomisch-exakten Taktschlag, der keine Betonungen und Vortragsnuancen andeutet, wurden die einzelnen Stimmen, die ohne Taktstriche aufgeschrieben waren, vorgetragen, so daß die Musik nicht in die engen Schranken des Gruppentakts gezwängt wurde, sondern sich frei und unge- zwungen bewegen konnte. Das Fehlen der Taktstriche erleich- terte die Deklamation des Textes und die klare Hervorhebung der einzelnen Motive.

Bei der tactus-Angabe wurden Auf- und Niederschlag in ge-

u U I t I t

raden Takten in dieser Weise: ^ ^, QJi oder ^__^£ und in

ungeraden Takten nach dieser Form: *~. £ angegeben. Die Wahl zwischen Semibreven- und Breventakt richtete sich nach dem Charakter des Musikstücks, so daß die Sänger vorher über

die Form des Taktschiagens, entweder $■—$ &—-$ oder <^ a ^ ^> ,

I I i I I T ! I

orientiert sein mußten. Die Taktzeichen selbst charakterisieren nur die Mensur der Noten, nicht den Taktschlag. Der Kreis O gibt an, daß die Brevis dreiteilig zu singen ist, daß sie drei Auf- und Niederschläge ausgehalten werden muß. Soll ein dreiteiliger Takt durchgeführt werden, so weisen Zeichen wie (£3 oder 03 darauf hin, daß drei Semibreven einem tactus entsprechen, daß zwei ganze Noten dem Niederschlag und eine dem Aufschlag zukommen. Wenden wir uns der praktischen Seite des Kapellmeisteramts zu, so ist zunächst daran zu denken, daß die Kapellen der alten Zeit keine Massenchöre waren. Ihre Mitgliederzahl hielt sich an bedeutenden Musikplätzen, wie in der päpstlichen Kapelle zu Rom1, in der Wiener Hofkapelle2 oder in der Kapelle von

1 Haberl, Die römische schola cantorum. V. f. M. 1887, S. 281. Papst Julius III. bestimmte, daß die Zahl der Sänger auf 24 reduziert werden sollte. Unter Clemens VII. bestand die Kapelle aus 22 Sängern (ebd., S. 262).

2 Die Wiener Hofkapelle zählte im Jahre 1508/1509 einmal 20 Knaben- und 29 Männerstimmen, die wohl nicht sämtlich zum ständigen Personal der Kapelle gehörten. Im Jahre 1519 hat die Kapelle sechs Tenöre, sechs Bässe, sieben Altisten und 21 Singknaben. Vgl. Bruno Hirzel, Dienstinstruktion und Personalstatus der Hofkapelle Ferdinands I. aus dem Jahre 1527. (Sammelb. d. I. M.-G. X, S. 152/3.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 61

St. Marco in Venedig1 zwischen 17 und 40 Köpfen. Auch die Tatsache, daß man schon im 16. Jahrhundert in den einzelnen Stimmen Verzierungen improvisierte, beweist, daß nur kleinere Chöre die Ausführung der Stücke übernehmen konnten. In der Regel waren es kleine Solisten-Ensembles. Im Jahre 1475 wird einmal ein Chor von 32 Sängern eine außergewöhnlich große Besetzung genannt2. Kleine Sängerchöre zeigen die beschriebenen Bilder von Pinturicchio, van Eyck, Boticelli u. a. Auch auf dem Titelblatt zu Seb. Felsztyns »opusculum musicae mensuralis« (1519) sieht man einen kleinen Männerchor von 6 Mitgliedern, die nach einem Notenblatt singen, während der Chorleiter in Amtskette und Pelzmantel die Musik mit Handbewegungen leitet. Wir haben also nur an kleine Chöre zu denken, die vom Chorleiter, der womöglich selbst mitsang, dirigiert wurden. Seine Direktion, die mit Hand oder Taktstock ausgeführt wurde, mußte lautlos oder doch möglichst unauffällig vor sich gehen, ja die Bewegungen der Hand sollten von den Zuhörern nicht einmal bemerkt werden3, eine Forderung, die auch das Taktieren mit dem Finger erklärt. Zu den wichtigsten Aufgaben des Kapellmeisteramts gehörte die Erzielung eines gleichmäßigen Vortrags. Die Sänger mußten eine gute gesangliche Ausbildung genossen haben und vollkommen gleichmäßig singen4. Für dieses Ebenmaß des Vortrags war neben einer sorgfältigen gesanglichen Schulung die Erziehung zur Selbständigkeit bei der Textunterlage und der Ausführung der Dynamik von großer Wichtigkeit. Das Notenbild glich hier einer Skizze, deren Ausführung und Ausgestaltung dem Dirigenten und dem einzelnen Sänger überlassen war. Der Text wurde bei bekannten Sätzen, z. B. in den Meßkompositionen, nur an einigen Hauptstellen vorgeschrieben und mußte den Regeln des guten Vortrags entsprechend ohne Barbarismen und Verstöße gegen die Sprachgesetze auf die Noten verteilt werden. Josquinf legte

1 C a f f i, Storia della Musica Sacra nella giä cappella ducale di San Marco dal 1318 al 1797 (Venezia 1854/55). II, S. 39.

2 Vgl. K i n k e 1 d e y , a. a. O. S. 166.

3 Motus [tactus] tarnen caute, quantum fieri potest, monstrandus est, nee omnium auditorum oculis exponendus. Calvisiana. M. f. M. 1901. S. 90. Vgl. Joachim Burmeister, Musica a&ToajfeSiaaTixvj, Rostock 1601, fol. Aa. 4: Quo modestior fuerit motus, eo ornatior et gratiorem aspectum merebitur.

4 S. Chybiüski, a.a.O., S. 387, ebenda die Stelle aus Cochläus' »musica«: Decet autem alterum alteri vocem aecomodare (puta tenorem cantui) ne alte alteribus clamoris excessu profundatur atque suecumbat. Vgl. Molitor, a. a. O. S. 164f.

62 Drittes Kapitel.

nach dem Zeugnis des Coclicus auf diese Textunterlage großen Wert1. Auch die Regeln, die später Vicentino, Tigrini und Zarlino dafür geben, zeigen deutlich genug, daß man mit einer selbstän- digen Textunterlage rechnete. Diese Vorschriften, die von mir an anderer Stelle zusammengestellt wurden2, haben für die Zeit der Niederländer rückwirkende Kraft und dürfen von den Heraus- gebern alter Musikwerke nicht übergangen werden.

Die gleiche Selbständigkeit der Ausführung wurde in der Anwendung dynamischer Effekte vorausgesetzt. In Drucken und Handschriften finden sich keine Angaben darüber. Die Kom- ponisten verließen sich darauf, daß Dirigent und Sänger aus dem musikalischen Satz heraus die dialogisierenden Partien, Echo- wirkungen und die durch die Stimmführung gegebenen Kontras- tierungen des Ausdrucks erkannten. Es galt als Hauptregel, daß die Dynamik dem Textgehalt entsprechen, daß sie den Gefühls- ausdruck der Musik vertiefen soll3, ein Gesetz, das auf feine dynamische Schattierungen schließen läßt.

Wichtig war für die Aufführung auch die Aufstellung des Chores. Nach Zacconi sollen die Sänger nicht dicht beieinander- stehen, da der einzelne dann die eigene Stimme nicht deutlich genug kontrollieren kann4. Philomates will die einzelnen Stimmen so gruppiert haben, daß Diskant und Tenor zusammenstehen, ferner Alt und Baß. Jede Gruppe^soll von den andern getrennt sein5.

1 Adr. Petit Coclicus, Compendium musices (1552) fol. FIIv: Cum autem videret suos utcunque in canendo firmos, belle pronunciare, ornate canere, et textum suo loco applicare, docuit; s. auch Finck, a. a. O., Lib. V: De arte eleganter et suaviter canendi, und Schneegass, Isagoges Musicae libri duo 1591, Kap.: »De canendi elegantia« (Regel 5).

2 Seh. 1908, S. 103f. Nachzutragen sind zwei Stellen aus Burmeister, Hypomnematum musicae poeticae (Rostock 1599, Kap. X.), und aus Chr. Praetorius, Erotemata renov. musicae (1581, Kap. V).

3 Ganassi, Fontegara 1535, Kap. 2: quanto al fiato la voce humana comemagistra ne insegna doveressere proceduto mediocralmente perche quando il cantor canta aleuna composition con parole placabile lui fa la pronuncia pla- cabile se gioconda e lui con il modo giocondo pero volendo imitar si le effetto si prociedera il fiato medioero accio si possa crescere e minuir ali sui tempi.

4 Zacconi, Prattica di mus. II, fol. 56: Neil' aecomodamento delle parti, molti cercano d'amontonarle insieme, parendo ä loro, che quanto piü i cantori stanno uniti, e stretti, la Musica sia meglio per riuscire, e s'ingannano pur assai; poiehe, le parti havendo troppo vicine l'altrui voci, non possano sentir l'effetto della loro propria voce . . .

6 a. a. 0. III, 2: Cum pueris occentores simul, atque seorsum, et suc- centores stent cum excentoribus una. Mit den occentores sind vielleicht die Tenoristen, mit succentores die Altisten gemeint. Excentor ist der Bassist.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 63

Der Dirigent gibt jedem Sänger den Ton an und beginnt dann die Musik. Singt er selbst die Baßstimme mit, so ist seine Leitung noch sicherer, denn » der Baß gibt den übrigen Stimmen das feste, volle Fundament« 1.

Vom Dirigenten verlangte man eine gute kompositorische und gesangliche Ausbildung, Kenntnis der Lehre von Kirchen- tönen und Transpositionsregeln und eine vollkommene Übersicht über die vorliegende Komposition. Diese Übersicht war schwie- riger zu erreichen als heutzutage, denn die Chöre der a cappella- Zeit wurden nicht in Partitur geschrieben, sondern in einzelnen Stimmen oder Chorbüchern. In letzteren ist die Verteilung der Stimmen so getroffen, daß Diskant und Baß auf der linken Seite des Buches, Alt und Tenor auf der rechten stehen. Jede Stimme ist dabei für sich allein geschrieben, so daß die zusammen- gehörigen Notenwerte des Diskant und Baß nicht untereinander- stehen. Wir haben ein Notenbild, das nach unserer Gewöhnung schwer zu übersehen ist. Für die Musiker der Zeit existierten hier nicht die gleichen Schwierigkeiten. Das Zusammenlesen der einzelnen Stimmen gehörte mit zum Musikstudium. Kinkel- dey hat nachgewiesen, daß die Klavierspieler aus den Chorbüchern das Partiturspiel lernten, daß sie die nebeneinanderstehenden Stimmen abspielen mußten2. Diese Praxis mußte auch der Kapellmeister beherrschen, er mußte imstande sein, aus dem Notenbild eines Chorbuchs den Verlauf eines Tonstücks ohne weiteres abzulesen. Die Methode ist nach unseren Begriffen reich- lich kompliziert. Doch muß man dabei in Rechnung stellen, daß die alten Musiker die Mensuralnotierung ebenso leicht lasen wie wir die heutigen Noten, und daß sie eine lange Unterrichts- zeit durchmachten, in der Notations- und Gesangsregeln, Theorie und Partiturspiel gelehrt wurden. Wurde nicht aus dem Chor- buch, sondern aus einzelnen Stimmbüchern gesungen, so mußte der Kapellmeister sich die Stimmen nebeneinander aufstellen, so daß er einen ähnlichen Überblick über den Tonsatz hatte, wie in den Chorbüchern. Er konnte so die Einzelbewegungen der Stimmen verfolgen und auch bei Fehlern hier und da einhelfen.

Ausführliche Nachrichten über die praktische Seite des Kapell-

1 Ebd.: Voce subinde susurranti da cuique seorsum initium parti, quo ocncepto, incipe tandem . . . Vox gravis in fundo versanda regentibus odas Har- monicas frugi est, et conduxit vehementer.

2 Kinkeldey, a.a.O. S. 98 und 187f,

64 Drittes Kapitel.

meisteramts bringt Zacconi in seiner »Prattica di musica«1, ein Buch, das an die alte Mensuralmusik anschließt, das aber in vielen Partien schon auf die Zeit der Renaissance weist. In der Taktlehre kann Zacconis Werk zum Teil noch als Dokument der Mensuralepoche gelten. Er betont die Gleichmäßigkeit des Taktschiagens: der Kapellmeister soll ohne Schwankungen diri- gieren, selbst dann, wenn die Sänger Verzierungen improvisieren2. Zacconi warnt auch vor auffälligen Direktionsmanieren. Der Dirigent darf nicht zu Beginn der Musik »los « oder ähnliche Worte rufen und sich bei der Mitwirkung von Instrumentalisten nicht durch ihre Bewegungen beirren lassen3. Der gleichmäßige, genau abgemessene Taktschlag verbürge eine sichere Direktion.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts mehren sich die Stimmen, die an Stelle eines metronomischen Taktschiagens eine modi- fizierte Direktion vorschlagen. Es sind die Vorboten der Re- naissance. Schneegaß sagt in seiner Musiklehre (1591), die Gleichheit müsse in der Mensur wohl beachtet werden, damit nicht die Harmonie verwirrt oder geändert werde, trotzdem sei aber nach Maßgabe des Textes bisweilen ein langsamerer Taktschlag zu führen, darin liege die Anmut und Erhaben-

1 Prattica di mus., Venetia 1596. Seconda Parte: Venetia 1622.

2 Zacconi, a. a. 0. (I fol. 21 v.) : II debito de quelli che lo reggano & di reggerlo chiaro, sicuro, senza paura, e senza veruna titubatione pigliando l'essempio dell' attione del polso ö dal moto che fa il tempo dell' Orologgio, e han da fare che si come dal tatto si reggano e s'informano di suono le figure Musicali, che cosi ancora i cantori l'habbiano a seguire, e esser soggetti: Ne mai a quäl si voglia voce di cantore piegar si deve; perche il piegarsi alle voglie di questo, e di quello per darli tempo ch'empiano i canti di vaghezze, fa che l'harmonie divenghino debole e lente; e che i cantori si stanchino fuor di proposito odiando quella ritardanza, e mal gradita attione, e se bene per vaghezza del cantare, i can- tori alle volte ritardano alquanto, egli non deve riguardar a quella ritardanza: ma attendere al officio suo accioche i cantanti vedendo la sicurezza del tatto s'inanimischino, e prendino ardire, che s'egli vuole ritardar col tatto fin che il cantore habbia perfettamente informato le figure di suono, in ogni tatto con- verä ritardare; perche il cantore si piglia auttoritä sempre di pronuntiar la figura dopd il tatto: per farla sentire con maggior vaghezza.

3 fol. 22. Ancora si biasmano i rettori del tatto che sono pigri nel far prin- cipiare, e quelli piu che inanzi al dar principio dicano alcune parole. Come seria a dire, ö d via, ö altre simile, massimamente quanto le dicano si forte che quasi tutti i circunstanti l'odano. fol. 21v. : Oltra di questo nasce alle volte occasione di summistrar quest' atto col' internento de gli instrumenti: e perche nel sonar delleViole, ö deTromboni essi sonatori fanno attione simile alle attione del tatto: per questo bisogna esser avertito di non lasciarsi co gl'atti loro cavar di tempo, e uscir di misura.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 65

heitvdes Gesangs1.^ Zacconi unterscheidet "den Vortrag von welt- licher und geistlicher Musik. Letztere müsse würdig und ergeben klingen und nur das Lob Gottes verherrlichen. Der Vortrag, der an Liebeslieder erinnere, sei der Kirchenmusik durchaus fern- zuhalten2. Auch soll jedes Retardieren mit Vorsicht angewandt werden, damit kein Sänger in Verwirrung komme3. Die Tempo- modifizierung ist somit schon für das Ende des 16. Jahrhunderts bezeugt, für eine Zeit, in der die Bestrebungen der Hellenisten und der Kampf gegen den Kontrapunkt sich immer merklicher vernehmen lassen, in der die weltliche Musik mit den Madrigalen, Kanzonetten, Villanellen und die Instrumentalkunst die Prin- zipien der Mensuralmusik umgestalten und einer freieren, sub- jektiven Direktionsform die Wege weisen.

Für die klassische Zeit der Mensuralmusik ist aber' festzuhalten, daß der Takt gleichmäßig, fast mechanisch geschlagen wurde, daß er den Musikern als Orientierungsmittel diente und keine Tempoänderungen1 innerhalb eines Tonstücks zuließ. Die rhyth- mischen Gliederungen waren durch die Noten und ihre Men- surierung vorgezeichnet; jede Beschleunigung oder Verlangsamimg des Taktschiagens wurde vermieden, da eine Tempoänderung im Verlauf eines Tonsatzes durch den Wechsel der Taktzeichen angezeigt wurde. Die gleichen Grundsätze galten für Aufführungen, in denen Instrumente mitwirkten. Das beweisen die früher zitierten Stellen aus Lautenschulen, Geigen- und Klavierwerken, die sich völlig mit der Lehre der Gesangsschulen decken.

Wieweit die Instrumente in der Musik des 15. und 16. Jahr- hunderts selbständig tätig sind, kann erst eine spezielle Unter- suchung entscheiden. Aus Berichten der Zeitgenossen und musi- kalischen Darstellungen läßt sich nachweisen, daß vom 16. Jahr- hundert an die Instrumente tüchtig zur Chorbegleitung heran-

1 Schneegaß, a. a. 0. (De canendi observ. XI) : Mensurae ser- vanda est aequalitas, ne harmonia deformetur vel perturbetur: Sed tarnen pro ratione textus, tardiore tactu interdum uti, maiorem maiestatem et gratiam habet et cantum mirifice exornat.

2 A. a. O. II, fol. 55: E prima di dire, che le Musiche secolari, essendo Villa- nelle, Canzonette, e Madrigali, si cantano, e possano cantare ä commun volere di coloro, che le cantano e fanno cantare; ma perche l'Ecclesiastiche sono d'altra natura e consideratione. Ebenda fol. 54: Questo sia detto per Zelo di Dio, e per avertire i cantori, che cantando nelle Chiese, si ricordino di cantar ä lode del Signore, e non ä sodisfattione delle loro passioni amorose.

3 I fol. 22: Di stringerlo e allargarlo con maniera, e modo, che non si habbia a por in periculo quel che si canta.

Kl. Handb, der Mnsikgesch. X, 5

66 Drittes Kapitel.

gezogen wurden, namentlich bei Hausmusiken, festlichen Ver- anstaltungen und an Plätzen, wo das Sängerpersonal oder die Geldmittel für die Aufstellung eines tüchtigen Chors nicht aus- reichten. Das Titelblatt von Hermann Fincks »Practica musica« (1556) zeigt z. B. eine Musikaufführung, wo ein Männerchor von etwa 14 Köpfen, ein Knabenchor von (etwa) sieben Mitgliedern, ein Trompetenbläser und zwei Zinkenisten musizieren. Der Ka- pellmeister schlägt mit der Hand den Takt. Ein ähnliches Bild, ein Konzert von Cembalo, Baß, Posaune, Theorbe und Arm- geige ist einer handschriftlichen Liedersammlung vom Jahre 1592 vorangestellt1. Auch hier taktiert ein Sänger. Interessant für die Praxis der Zeit ist das bereits erwähnte Bild in Ammerbachs Tabulaturbuch vom Jahre 1571. Die Szene zeigt ein Festessen. Im Hintergrund wird an einem langen gedeckten Tisch gespeist, während im Vordergrund musiziert wird. Es konzertieren drei Sänger, ein Diskantist, ein Trompeter, ein Posaunist, ein Flötist, ein Pommerbläser und ein Positifspieler. Vor ihnen steht der Kapellmeister und dirigiert mit einem Taktstock2. Eine ähnliche Tafelmusik mit Clavichord-, Violen-, Theorben-, Baßviolen- und Zinkenbegleitung, die vom Dirigenten mit der Hand geleitet wird, ist als Wandbild in Auerbachs Keller in Leipzig dargestellt3. Auch in den Chorbüchern, die der Verleger Berg edierte (z. B. in den »Missae 4 vocum« von Blasius Amon, 1591) findet man ein Musik- bild, wo eine Flöte, zwei Zinken, Armgeige, Cello, zwei Posaunen, Laute, Cembalo, drei Männer und zwei Knaben (die Sänger) musizieren. Diese Bilder und Titelblätter zeigen, wie man sich die Werke mit der Überschrift: »zum Singen und Spielen« prak- tisch ausgeführt zu denken hat. Je nachdem geeignete Kräfte vorhanden waren, werden sie zur Musik herangezogen worden sein. Nach den Bildern zu urteilen, waren es verhältnismäßig kleine Besetzungen und kleine Instrumentengruppen, die diese oder jene Stimmen übernahmen. Diese Instrumentalbegleitung hat viel zu der Umgestaltung der alten Rhythmik und zur Begründung der modernen Taktmetrik beigetragen.

Für unsere heutigen Konzertaufführungen kann eine instru- mentale Begleitung der klassischen Vokalmusik kaum in Betracht kommen. Die Praktiker werden sich mit der neuerdings etwas

i Kgl. Bibl. in Berlin, Ms. Germ. 733.

2 Reproduktion in Rudolf Wustmanns Musikgeschichte Leipzigs, S. 74.

3 Reproduziert bei W u s t m a n n, a. a. O. S. 308/309.

Das Taktschlagen in der Mensuralmusik. 67

zu stark betonten Theorie der begleiteten Chorliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts nicht befreunden und sicherlich bei der rein vokalen Ausführung der Werke stehen bleiben. Sie läßt sich aus der Praxis unserer Tage ebensowenig streichen wie aus der Musikübung der alten Zeit. Dagegen kann für das Verständ- nis und die moderne Wiedergabe der alten Literatur von Histo- rikern und praktischen Musikern noch viel getan werden, denn unsere heutige Notierung der Werke in Partitur und Gruppentakt macht Sängern und Zuhörern noch immer viel Schwierigkeiten. Die Herausgeber alter Musik müßten von der modernen Notierung abkommen und die Taktstriche in den modernen Übertragungen aufgeben. Die Einteilung der Notenwerte kann durch Takt- punkte, durch Striche an den Linien, wie sie im Renaissance- zeitalter angewandt wurden, oder durch ähnliche Methoden an- gegeben werden. Auf alle Fälle ist in den Neudrucken darauf hinzuweisen, daß der moderne Gruppentakt in der alten Chor- literatur nicht existiert, daß der tactus der Theoretiker keine schweren und leichten Taktzeiten kennt. Die Wortbetonungen und Motivakzente müssen frei vorgetragen werden, ohne Rück- sicht auf die Stellung in der modernen Taktgruppe. Am besten wird man die alten Werke mit ruhigen und gleichmäßigen Be- wegungen der auf- und niederschlagenden Hand dirigieren. Leitet der Dirigent einen kleinen Solistenchor, so ist durch ruhige, gleich- mäßige Taktschläge eine gute Wiedergabe des polyphonen Stimm- gewebes und eine sichere Angabe der Textbetonung leicht zu erzielen. Modifikationen im Tempo sind allemal möglich, wenn auch ein zu starkes Nuancieren im Zeitmaß die Ausdruckskraft der Musik schwächen muß. In der Tempoangabe gibt allein der Affekt des Stückes den Ausschlag, nicht das moderne Partitur- bild, das oft genug weltliche Chorlieder in Chorälen Notenwerten notiert. Ferner wäre auf eine sorgfältige Textunterlage die sich am besten nach den Regeln Zarlinos und Vicentinos durchführen läßt und auf eine gute, sinngemäße Dynamik zu achten.

Neuerdings ist versucht worden, in den Partituren alter Chor- werke die Taktstriche in den einzelnen Stimmen verschieden zu stellen, um eine gute Textdeklamation zu ermöglichen. Dadurch wird das Notenbild unübersichtlich und für die praktische Aus- führung nicht viel gewonnen. Wertvoller ist der von Riemann verfolgte Weg, solche Stücke, die eine regelmäßige rhythmische Struktur und Akzentuierungsfolge zeigen, ohne Rücksicht auf die alten Taktzeichen in einen dreiteiligen oder vierteiligen Takt

5*

68 Viertes Kapitel.

aufzulösen, je nachdem es der Charakter der Taktmetrik erfordert. Die Methode läßt sich allerdings nicht in allen Sätzen durch- führen. Es wird deshalb am besten sein, wenn man Partituren und Stimmen in gleiche Semibreven- Gruppen abteilt, Takt- punkte oder kleine Striche an der obersten Notenlinie einführt und möglichst gleichmäßig taktiert. Eine freie Deklamation und eine exakte Motiv- und Wortbetonung werden sich dann leicht erreichen lassen. Grundbedingung für eine gute Aufführung bleibt aber das Aufgeben einer akzentuierenden Direktion.

Viertes Kapitel. Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance.

Wie das Mittelalter durch Boetius mit der griechischen Kunst- lehre vertraut wurde und in bewußter, nachschaffender Arbeit zu einer völlig neuen Theorie der Musik gelangte, wie die Men- suralisten auf die griechische Metrik ihr exaktes und zuverlässiges System der Notation gründeten und damit die Grundlage für das freie künstlerische Schaffen der Musiker brachten, so führt die erneute Beschäftigung mit der griechischen Kunst um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts zu einer völligen Umgestaltung der Kunstanschauung und der musikalischen Formen. Italienische Humanisten leiten einen Kampf gegen die Kunst der Polyphonie ein und versuchen eine Neubelebung der griechischen Musik nach den Grundsätzen der alten Kunst. Das praktische Resultat dieser Renaissancebestrebungen war die Begründung der italie- nischen Oper durch die Florentiner Hellenisten und die Erfindung der Monodie, deren Übertragung auf die verschiedensten Musik- gattungen zum Oratorium, zur begleitenden Kantate und zu den solistischen, konzertierenden und chorischen Instrumentalstücken führte.

Diese Umgestaltung der Musik brach nicht wie ein Elementar- ereignis herein. Lange vorbereitende Zeichen deuten eine Ände- rung des künstlerischen Empfindens an. Wenn man von großen italienischen Festkonzerten und Intermedienaufführungen mit ge- waltigen Orchestermassen hört1, wenn man liest, daß diesem Musiker am besten die begleitete Vokalmusik oder ein Sologesang

i Vgl. Vogel, Bibliothek der weltl. Vokalmusik Italiens I, S. 383f., und Kinkeldey, a. a. 0. S. 167 f.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 69

zur Viole oder Laute gefällt, da das Gemüt durch diese Musik stärker ergriffen werde1, daß einem anderen wieder der Gesang zur Orgel, Laute oder Lyra mehr Freude macht als die kontra- punktliche Musik2, dann wird man die um das Jahr 1600 ein- setzende Renaissanceliteratur als eine Erfüllung der Ideen ansehen, die an Stelle der Polyphonie den Sologesang, an Stelle der in der Chormusik üblichen breiten Textbehandlung und -Wieder- holung den logischen Wortakzent setzen wollten. Es galt, den Wortsinn und den Affekt der Tonsprache klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen und auch rein instrumentalen Stücken einen Inhalt zu geben, der sich nicht auf die übliche Struktur der Tanzstücke oder die Übertragungen vokaler Werke beschränkte. Eine Musikliteratur erstand, die sich in vollen Gegensatz zur Polyphonie der a cappella-Zeit stellte.

So verschieden die Werke der Renaissance: die Oper und Monodie, das Oratorium und die Instrumentalmusik, aussehen, gemeinsam ist ihnen die Ausführung des Basses auf einem Tasten- instrument. Der bezifferte Baß oder Basso continuo wird das Fundament der Renaissancemusik. Er gibt die akkordische Füllung der Musik, die harmonische und rhythmische Stütze für Solo und Chor.

Orgel und Klavier waren schon früh zu Hausmusiken, Fest- konzerten und Choraufführungen hinzugezogen worden, um der Musik einen sicheren Halt zu geben3. Der Organist oder Klavier- spieler begleitete die Chorstimmen, er gab die Harmonien an, die er aus Stimmen oder Chorbuch ablas oder vorher in Tabulatur- schrift aufgezeichnet hatte. Mit den zunehmenden Schwierig-

1 Castiglione,Gortigiano(1528),s. Kinkeldey a. a. O. S. 153. SethusCal- visius schreibt in der MeXozoua sive Melodiae condendae ratio (1592 fol. I, 2) : Etsi autem Harmonia nuda, ut videre est, in instrumentis Musicis, scienter et perite ab artificibus tractatis, propter numerorum ac proportionum rationem, quibus sese humanis mentibus insinuat, plurimam in affectibus excitandis exer- cet potentiam: tarnen si accesserit humana vox, quae sententiam insignem, numeris Harmonicis expressam, simul accinat, propter duplicem, quam et Har- monia et sententia aliqua praeclara gignit, delectationem, Melodia multd est mirabilior, augustior, auribusque pariter atque animoacceptatior.

2 Zarlino, Le Istitutioni Harmoniche, Venedig 1588, II. Parte, Cap. 8 9, Affektenlehre, s. besonders S. 89: si pud comprendere da questo, che con mag- gior dilettatione si ode un solo cantare al suono dell' Organo, della Lira, del Leuto, o di un altro simile istrumento . . .

3 Vgl. die zitierten Instrumentenbilder im vorigen Kapitel S. 66 und K i n- k e 1 d e y , a. a. O.

70 . Viertes Kapitel.

keiten der vielstimmigen Kirchenmusiken wurde aber das Par- titurspiel nach dem Chorbuch komplizierter und das Absetzen in die Tabulatur immer mühsamer, so daß sich ein Breslauer Organist schon im 16. Jahrhundert damit half, nur die Cantus- und Baßstimme aufzuzeichnen, um danach den Chorgesang zu begleiten1. Diese Notierung und Vereinfachung des Partitur- spiels, die sich nach den Forschungen von Kinkeldey häufiger findet, kann als Urbild des Continuo angesehen werden. Der bezifferte Baß war gleichsam eine stenographische Partitur. Der Dirigent improvisierte die vorgeschriebenen Harmonien am Klavier und gab so Sängern und Musikern Taktgang und Ton- höhe an.

Die Aufnahme der Tasteninstrumente in die Vokalmusik und Oper hat die gesamte Musikübung von Grund aus umgestaltet. Das zeigt sich schon im äußeren Notenbild: die großen Noten- werte, Longa, Maxima und Brevis, treten hinter den Halben, Vierteln, Achteln, Sechzehnteln zurück, die aus der Tabulatur bekannten Zweiunddreißigstel kommen in die Instrumental- stimmen2, die einzelnen Takte werden durch Taktstriche ab- geteilt. Wie die Werke des 16. Jahrhunderts notiert waren, ist früher gezeigt worden. Das Auffallende war das Fehlen der Takt- striche, die durch einen gleichmäßigen Taktschlag ersetzt wurden. Trotzdem war den Musikern der Gebrauch der Taktstriche bekannt, wie Beispiele in den Lehrbüchern Agricolas, Virdungs (1511), Bermudos (1549) und des Anonymus aus dem 16. Jahr- hundert3 beweisen. In der Orgel-, Klavier- und Lautenmusik bediente man sich meist einer möglichst genauen Abgrenzung der Werte durch Taktstriche, Punkte oder größere Zwischen- räume. So sind in dem ältesten erhaltenen Denkmal der Orgel- musik aus dem 14. Jahrhundert die einzelnen Takte durch Punkte genau abgeteilt4 und in Conrad Paumanns Fundamentum or-

i Kinkeldey, a. a. O. S. 191.

2 Die Zweiunddreißigstel kommen ihrer kurzen Dauer wegen erst spät in die Chorliteratur. G a r i s s i m i (Ars cantandi, 1693, S. 12) meint: Sie werden in den Singstimmen »schier niemals« und in den Instrumental-Stimmen selten gebraucht. Nicol. Stenger (Manuductio ad Musicum theor. 1659, S. 12) nennt sie modern; Niedt (Musicalisches A-B-C, 1708, S. 17) erzählt eine hübsche Historie von einem Hoffagottisten, der 20 Jahre in Diensten stand, ohne jemals Zweiunddreißigstel geblasen zu haben. In der Sololiteratur und Verzierungslehre sind diese Noten schon in der Renaissancemusik heimisch.

3 S. o. S. 59.

4 Wooldridge, Early English Harmony from the lOth to the 15th Century.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 71

ganisandi (1452) regelmäßig Taktstriche gezogen. Auch in Orgel - tabulaturen und in der Mehrzahl der Lautenbücher findet man oft die reguläre Taktabteilung. Diese Notierung kam mit den Tasteninstrumenten in die Renaissanceliteratur. Continuo und Partitur wurden durch Taktstriche abgeteilt. Allerdings findet man die Striche nicht mathematisch genau nach Semibreven- gruppen gesetzt1. Bald wechseln Breventakte und Semibreven- takte miteinander, bald fehlen Taktstriche besonders beim Zeilenbruch bald findet wieder innerhalb der Taktstriche Taktwechsel statt2. Man sieht deutlich, daß die Striche zu- nächst nur zur Erleichterung des Notenlesens gesetzt sind. Das Notenbild soll in der Einteilung leicht zu übersehen sein und über zusammengehörige Werte schnell orientieren. Das Ein- tragen der Taktstriche, das Spartieren, bedeutete eben nichts weiter als ein rein mechanisches Abteilen nach »Tempora« oder Zweitaktern. Sartorius definiert: »Tempus bedeutet in der Mu- sica zween tactus, als wenn ein Organist seine tabulatur oder ein Componist seine partitur in tempora eintheilet / so machet er allezeit nach 2 Schlägen ein strich durch die Linien: Wie auch der Bassus contmuus heutiges tages in tempora distribuirt wird3.« Die Taktstriche sind in der Literatur des beginnenden 17. Jahr- hunderts lediglich Orientierungsmarken, keine Akzentstriche. Deshalb findet man auch oft Dreitakter, die im Breventakt unter- gebracht sind, und zweitaktige Rhythmen im Dreitakt, eine Folge des rein mechanischen Spartierens.

London 1897. Vol. I. Facsimile Plate 42f. Zur Notation siehe Joh. Wolf, Zur Gesch. d. Orgelmusik im 14. Jahrhundert (Kirchenmusikalisches Jahr- buch 1899, S. 14f.). Über Taktpunkte bei den Mensuralisten vgl. Wolfs Gesch. der Mensural-Notation, auch Seh. Taktschi. 1908.

1 Die Opernpartituren von Peri, Gagliano, Monteverdi, Cavalli und Cesti sind taktmäßig notiert. Die bezifferten Baßstimmen werden in der Regel mit Taktstrichen notiert, doch gibt es auch Stimmen, in denen nicht gleiche Takteinheiten abgeteilt werden. In Gabriel Fattorini da Faenza »I sacri concerti a due voci da cantare e sonare co'l Basso generale« (1615) ist der Generalbaß ohne Taktstriche geschrieben. Dagegen wieder regulär in Fran- cesco Guilianis »Sacri concerti ä 1, 2, 3 & 4 voci con il suo Basso per l'Organo« (1619): Stimmen ohne, Orgelbaß mit Taktstrichen, die nicht immer gleiche Taktgrößen umfassen. Vgl. hierzu Kinkeldey, a. a. O. S. 204 und S. HOf.

2 Vgl. Frescobaldis Tokkaten, P e r i s Euridice, Cipriano da R o r es Madrigale (Partitur 1577), Frescobaldis Canzoni alla Francese (1645, Partitur in Semibreventakten) u. v. a.

3 Institutionum musicarum traetatio nova et brevis. 1635, fol. K. 6. Ebenso Fuhrmann, Musicalischer Trichter. 1706, S. 82.

72 Viertes Kapitel.

In den Singstimmen blieb man bei der alten Notierung ohne Taktstriche. Man wollte die bewährte freie Textakzentuierung nicht durch die Taktabgrenzung einengen. Noch in den Werken von Heinrich Schütz, Michael Bach, Tunder und Buxtehude findet man die Vokalstimmen zuweilen ohne Taktstriche geschrie- ben, während die Instrumentalstimmen genau abgeteilt sind. Um den Choristen das Singen nach solchen ataktisch notierten Stim- men zu erleichtern, setzte man häufig zur Orientierung über die zugrunde liegende Takteinheit »ad discernendum tactum« sagt Prätorius1 kleine Striche zwischen die Noten oder an die erste Zeile des Systems. Solche Einzeichnungen habe ich in Handschriften des 17. Jahrhunderts oft gefunden, z. B. in dieser Form:2

i-pEpEÖ^^P

wie es war von Anfang jetzt und im

Prätorius hat diese Striche an die oberste oder unterste Zeile gesetzt und rechtfertigt seine Methode mit diesen Worten : »Dieweil auch in etlichen Cantionibus vnd Gesängen / sonderlich aber in den Symphonien ohne Text / viel Fusen (^ ) nach einander ge- setzt / vnd dahero / wie denn sonderlich auch in den Propor- tionibus primo intuitu, wegen des tacts gar leichtlich irrungen vorfallen können: So erachte ich nicht vnnötig seyn / daß do- selbst vnten oder oben an kleine Strichlin vnd Virgulae (gleich- sam in meiner Terpsichore3 zu finden) zwischen jedem tact ge- setzt werden / damit man sich in der eyl vmb so viel besser / nach dem Tact richten / vnd wo man etwa darauss kömpt / desto füglicher vnd eher sich wiederumb in den Tact finden könne. Vnd wiewol ich hernach in etlichen Italianischen Autoribus befunden / daß sie die Tactus zu vnterscheyden / der Puncten zwischen den Noten sich gebrauchen /4, so kan ich doch noch zur zeit bey mir nit befinden / welches vnter diesen beyden am

1 M. Prätorius, Polyhymnia caduceatrix 1619. Generalbaßstimme. Ordinantz fol. A. III, Nr. 12.

2 Aus der Polyhymnia von Prätorius, Bassus (In meinem Besitz). S. auch die Löbauer Musikalien in d. Kgl. Bibl. zu Dresden (Handschriften) und Christian Hoffmann, Musica synoptica 1693, S. 11 u. a.

3 Terpsichore. Musarum aoniarum quinta 1612, Wolfenbüttel.

* Dies Punktabteilen habe ich in italienischen Werken des 17. Jahrhunderts nicht gefunden. Wohl aber war die Praxis in früheren Jahrhunderten verbreitet, s. o. S. 37 und S. 70.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 73

bequemesten zu gebrauchen; Sintemal die Puncta offtmals / als rechte zu den Noten gehörige Puncta angesehen werden. . . Wie

allhier zu sehen:

i

In seinen Kompositionen hat sich Prätorius zu den Strichen entschlossen, die er auch in Drucke einfügen ließ2.

Durch diese Orientierungsstriche sollte auch äußerlich die freie Rhythmik der vokalen Literatur von der Taktmetrik der Instrumentalkunst unterschieden werden, denn die selbständige Instrumentalmusik kennt keine Rhythmik im Sinne der a cappella- Kunst, sondern nur den Gruppentakt, der stets die gleiche Zahl von Notenwerten in einem Takt eint, und der den regelmäßigen Wechsel von betonten und unbetonten Taktteilen aufstellt. Die frühe Instrumentalmusik, soweit sie nicht Übertragungen vokaler Literatur bringt, beruht auf diesem Konstruktionsprinzip. Das zeigen die nach Taktstrichen abgeteilten Instrumentalsätze, die von Aubry mitgeteilten mittelalterlichen Tanzstücke3, die Musik- werke der Virginalisten und die Suitenmusik. Bei jeder reinen Instrumentalmusik, bei jeder selbständigen Führung der Instru- mente ist eine regelmäßige, taktische Gruppierung notwendig. Diese Struktur der Instrumentalmusik, die die Rhythmik der a cappella-Zeit schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beeinflußt hat4, setzt sich in der Renaissancezeit in allen Musik- formen durch. Wann dieser Prozeß der Umbildung der alten freien Rhythmik in die Gruppentaktmetrik zum Abschluß kommt, läßt sich nach Jahreszahlen nicht abgrenzen. Am Beginn des 17. Jahrhunderts rechnet man in der Kirchenmusik- und Solo- gesangsliteratur überall mit einem freien rhythmischen Vortrag, während weltliche Chöre und Instrumentalsätze auf die regel- mäßige Folge von schweren und leichten Taktteilen gestellt sind. Gegen Ende des Jahrhunderts läßt sich diese Scheidung nicht mehr verfolgen: Die Chorstimmen werden in der Regel nach Taktstrichen abgeteilt; Taktschwerpunkt und Textbetonung fallen zusammen.

1 Prätorius, Syntagma musicum III, V, S. 34/35.

2 S. o. Terpsichore und auch Polyhymnia caduceatrix.

3 Pierre Aubry, Estampies et Danses royales. Paris 1907.

4 S. Seh. Taktschi. 1908.

74 Viertes Kapitel.

Auch in der Taktlehre spiegelt sich diese Umgestaltung der Rhythmik. Zeichen, Vorschriften und Regeln über die Dauer der Noten wurden hinfällig, sobald ein durch Taktstriche be- grenzter Takt aufgestellt war, der die Einteilung der Noten regelte. Die verwickelten Proportionslehren der Alten verschwinden denn auch im 17. Jahrhundert aus Theorie und Praxis. Nur die Per- fektion zweier nacheinander gesetzter Breven oder Semibreven bleibt noch längere Zeit1. Als sich auch dieser Rest der alten Zeit verliert, ist unser modernes Notenbild erreicht. Man teilt die Notenwerte in zwei Unterteilungen, die Brevis in zwei Semi- breven, die Semibrevis in zwei Minimen u. s. f. Wir finden also nur noch zweiteilige Notenwerte, die zwischen den Taktstrichen in Gruppen zusammengefaßt werden2.

Von den alten Taktzeichen rettet sich die Mehrzahl in die neue Zeit. Sie bezeichnen aber nicht mehr die Notendauer nach dem geregelten Taktschlag, sondern orientieren über Anzahl und Dauer der in einem Takt vorkommenden Notenwerte. Ihre An- wendung geschieht anfangs ohne festes System. Frescobaldi verteilt z. B. unter dem Zeichen: 03/2 einmal sechs Halbe auf einen Takt, dann unter dem Zeichen: C ZU regulär drei Minimen, ebensoviele aber auch unter dem Zeichen £3/2.3 Prätorius stellt für den Dreitakt u. a. folgende Varianten auf: 3 . 3/i (£3 . (j)3 . 0 3/i-03/2-undG3.O3.C3/2-O3/2-©-C3.C3/2.* Hierbei deutet die Punktangabe im Kreis oder Halbkreis noch auf die alte Prolation. Aber schon Joh. Kretzschmar (1605) sagt: »Heu- tiges tages brauchen die Musici diese zeichen gantz vnd gar ohne vnterscheid6.« Auch die Taktvorzeichnungen C und (^ für den geraden Takt werden nicht streng geschieden, was Prätorius aus der Literatur seiner Zeit genau nachweist6; für uns ist daraus

1 Sie wird erwähnt von Chr. Thom. Wallis er, Mus. fig. praec. 1611, S. 24/25; Wolfgang Hase, Gründliche Einführung in die edle Music, 1657, S. 45; Georg F al c k, Idea boni cantoris 1688, S. 54/55; Joh. Rud. Ahle, Kurze doch deutliche Anleitung zu der Singekunst, 1690, cap. IX; Nie. S t e n g e r, a. a. O. S. 21 u. v. a.

2 Die Notenschrift hat durch diese Werteinteilung an Klarheit verloren. Die Dreiteiligkeit der Noten, die früher von dem vorgezeichneten Taktzeichen geregelt wurde, kann nur noch durch Augmentationspunkte erreicht werden oder durch Triolen- und Sextolenbildungen.

3 Frescobaldi, Toccate e Partite d'intavolatura di Cimbalo, 1614, S. 63, 67, 77, 79 usw.

4 Synt. mus. III, S. 52.

5 Joh. Kretzschmar, Musica Latino-Germanica, Leipzig 1605, B. 8.

6 Ebenda, S. 51. Die kritischen Neuausgaben alter Musik geben einen Einblick

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 75

ersichtlich, daß die Werke des 17. Jahrhunderts nicht nach der Regel: ft = alla Breve, C a^a Semibreve zu übertragen sind, sondern daß aus der Betrachtung von Text und Notenbild von Fall zu Fall festzustellen ist, wo man ein langsames oder ge- schwindes Tempo vorzuschreiben hat1. Dabei werden Charakter des Werkes (Motette oder Madrigal, Kirchenmusik oder weltliche Musik) und das verwendete Notenmaterial (lange oder kurze Notenwerte) den Ausschlag geben, denn getragene Stücke wurden in langen, lebhafte in kurzen Werten notiert.

Von den alten Taktarten bleiben:

»1. Der grosse / welcher ist /wenn eine kurtze [Brevis] mit einem Tact abgemessen wird / nach dem es der Modus vnd das Tempus zulest2 / diesen gebrauchen die Musici in den alten langsamen Gesängen.

2. Der kleine / welcher ist / wenn eine halb kurtze [Semi- brevis] oder zwo kleine [Minimen] mit einem Tact abgemessen werden / diesen gebrauchen die Musici in den newen geschwinden Gesängen.

3. Der Sprungtakt3 / wenn dreyhalb kleine [Semiminimen] oder drey kleine [Minimen] oder dreyhalb kurtze [Semibreven] mit einem Tact abgemessen werden. Vnd das geschieht in Trip- peln [Dreitaktern]4.«

Zu diesen Taktarten, dem Tactus maior (maggiore), dem Tactus minor (minore) und den Tripeltakten (Tripla maggiore, minore, Sesquialter) kommt noch als Unterteilung der Sextupla (6/2, 6/4)-5 Andere teilen die Takte in gerade und ungerade oder gleiche und ungleiche, in spondäische und trochäische, oder schlechte (schlichte) und Tripeltakte (Proporzientakte). Im Prinzip sind es die gleichen

in diese Praxis der Taktvorzeichnung. Unterschiede im Tempo werden mit C, und nicht sicher bestimmt. S. Hassler, H. L. : »Concentus« (Denkm. d. Tonk. in Bayern, Bd. V, 2, Vorw. S. XXX); Scheidt, »Tabulatura nova« (Denkm. d. Tonk., Bd. I, S. X), Joh. Hermann Schein, (Prüfer, Ges. -Aus- gabe I, S. VIII); Schütz, Ges.-Ausgabe I, Vorw. S.VII.

1 Prätorius , Synt. mus. III, 51 : »Es kan aber ein jederden Sachen selbsten nachdencken vnd ex consideratione Textus et Harmoniae observiren, wo ein langsamer oder geschwinder Tact gehalten werden müsse.«

2 S. o. S. 37.

3 Er wird »fast tantzende vnnd sprungsweise gesungen oder abgetheilet«« Chr. Demantius, Isagoge artis musicae 1632, fol. C. 2.

4 Joh. Kretzschmar, a.a.O. B 7/8.

5 Prätorius, Synt. mus. III, S. 73, ebenda Beispiele für den Sechstakt (S. 77). Die Quellen für die aufgestellte Takttheorie bilden die im Verlauf der Arbeit zitierten Theoretiker des 17. Jahrhunderts.

76 Viertes Kapitel.

Taktarten, wie in der a cappella-Zeit. Doch führen die Aufstellung des Gruppentakts und die geregelte Geltung der Noten innerhalb der Taktstriche zu einem weiteren Ausbau und zu einem Fixieren der zweckdienlichsten Taktarten. So wird der kleine Tripel- takt (3/2) beim Vorherrschen der Viertel zum Sextupla oder 6/4. Dieser wird bei weiterer Teilung zum 12/8-Takt, den bereits Fres- cobaldi vorschreibt1. Der große Tripeltakt kann wieder in einen 6/2- und 12/4-Takt zerlegt werden. Ebenso kommt man im geraden Takt durch Abteilen in kleinere Werte zum 4/4-, 4/8-und 2/4-Takt. Mit dieser Gruppierung und Abgrenzung des Gruppentakts sind die modernen Taktarten gefunden, wenn sich auch die Theoretiker über Namen und Aufstellung der Spezialtakte nicht einig sind. Aber der Sinn ihrer Takttheorie, mögen sie nun von Subsequiterza, Tripolina oder Quadrupla reden, ist der gleiche wie heute. Die

Figuren: C 3/2, C 3/4, C 3/s, C9/^ C9/8, C9ie, C6/4> C6/s, C 12/8> C12/i6 gehorchen alle demselben Gesetz: der Zähler gibt die Anzahl, der Nenner den Wert der in einem Takt vereinten Noten an2. Andere Zeichen wie 4/3, 8/12 u. ähnl. erklären sich aus der In- version. Vorher gebrauchte Taktarten werden umgeschrieben; kommt nach einer Partie im 3/4-Takt das Zeichen 4/3 vor» so heißt das: man soll 4 Dritteile des vorigen Taktes in einem Takt spielen. Da der dritte Teil des 3/4-Takts ein Viertel aus- macht, so lautete der neue Takt: 4/4. Ein 8/12-Takt nach einem 12 18 würde demnach den 8/8- oder 4/4-Takt ergeben3.

Takt- und Zähleinheit ist im 17. Jahrhundert die Semibrevis. Sie gilt einen Takt oder Schlag4.

Durch die genaue Takteinteilung und das übersichtlich ange- ordnete Notenbild wurden das Zusammenspiel der Instrumente und die Direktionsführung wesentlich erleichtert. Der Kapellmeister, der bei einer Opernaufführung vom Klavier aus dirigierte, konnte die Solostimmen und Instrumentalsoli leicht verfolgen, im Tempo nachgeben und auch, wo es nötig wurde, durch Anschlag der Har- monien oder durch Winke die Spieler und Sänger unterstützen, ohne den Überblick über den Gang der Stimmen zu verlieren.

1 A. a. O. secondo libro, Toccata prima, S. 3.

2 Nach Bononcini, Musico prattico 1673, S. llf., S. 21f.

3 Die Taktinversion wird in Frescobaldis Tokkaten oft angewandt.

4 Otto Sigfr. H a r n i s c h, art. mus. delineatio 1608, S. 70. Chr. D e m a n - t i u s , a. a. O. fol. B. V. Fredericus Funccius, Janua lat. germ. (1680), cap.VI. Horatio Scaletta, Scala di musica 1610, S. 3. Diruta, sec. parte del Transilvano 1609, IV, S. 25. A n d r. Crappius, mus. art. elementa 1608, fol. A. 6 u. v. a.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 77

Das Orchester, das der Dirigent einer Oper leitete, war in der Regel nicht stark besetzt. Peris »Euridice « wurde von einem Gravi- cembalo, einer Chitarrone, einer großen Lira und einer großen Laute begleitet, also lediglich durch Akkordinstrumente, die hinter der Szene aufgestellt waren1. Gagliano verlangt in der »Dame« »4 Viole da braccio ö da gamba<< für die Begleitung des Apollo- gesangs2, und Guidotti schreibt in der Ausgabe der »Rappresen- tazione« des Cavalieri, daß sich das Orchester nach der Größe des Saales richten solle; eine große Lyra, Clavicembalo, Chitar- rone oder Theorbe würden gut wirken, oder auch eine sanfte Orgel mit einer Chitarrone. Der Komponist halte es für gut, wenn sich die Wahl der Instrumente nach dem vom Sänger gewünschten Effekt richte3. Bottrigari erzählt, daß am Hofe zu Ferrara viele Instrumentalvirtuosen angestellt waren: Posaunen-, Kornett-, Flöten-, Schalmeien-, Violen-, Zither-, Lauten-, Harfen- und Cembalospieler4; in Florenz ließ man einmal ein Intermedio mit vier »Gravicembali doppi« begleiten5, und in den von Mal- vezzi edierten Intermedien werden für alle Stücke drei Organi di legno verlangt6. Wir finden in allen Orchestern eine große Zahl von Akkordinstrumenten, die die Ausführung des Continuo übernahmen, und daneben verhältnismäßig wenig melodieführende Instrumente. Eine Ausnahme macht nur das Orfeo- Orchester Monteverdis, das neben zwei Gravicembali, einer Arpa doppia, zwei Chitarroni, zwei Organi di legno, einem Regale: zwei Con- trabassi de Viola, zehn Viole da brazzo, zwei Violini piccoli alla Francese, drei Bassi di gambi, vier Tromboni, zwei Cornetti, ein Flautino, eine hohe und drei gedämpfte Trompeten aufstellt,

1 Peri, Euridice, »Ai Lettori«: Jacobo Corsi ... sono un Gravicembalo, e il Sig. Don Grazia Montalvo, un Chittarone; Messer Gio. Battista dal Violino, una Lira grande; e Messer Giov. Lapi un Liuto grosso.

2 Gagliano, »Dafne« (1608), Vorrede: Non voglia anche tacere, che dovendo Apollo nel canto de terzetti »Non curi la mia pianta, ö fiamma, ö gielo« recasi la lira al petto . . . e necessario far apparire al Teatro, che dalla lira d'Apollo esca melodia piü che ordinaria, perö pongansi quattro sonatori di viola (abbraccio, ö gamba poco rilieva) in una delle strade piü vicina ....

3 Vogel, a. a. O. I, S. 151 : una Lira doppia, un Clavicembalo, un Chitarrone, ö Tiorba che si dica, insieme fanno buonissimo effetto: come ancora un Organo suave con un Chitarrone. Et il Signor Emilio [Cavaliere] laudarebbe mutare stromenti conforme all' effetto del recitante.

4 II Desiderio, 1599. Ausg. in der Kgl. Bibl. zu Brüssel. Obige Angabe nach Lavoix,l'hist. de l'instrumentation, S. 173. Vgl. Kinkeldey , a. a. O. S. 158.

5 Kinkeldey, a.a.O. S. 169.

6 Vogel, a.a.O. I, S. 383ff. Textwiedergabe.

78 Viertes Kapitel.

wozu noch einige in der Partitur näher angeführte Instrumente kommen. Ein gewaltiges Orchester, das mit genialer Virtuosität verwendet wird. Klangwirkungen wie die von fünf Bratschen, zwei Cembali, drei Chitarronen und einem Kontrabaß, oder von Clavicembalo , zwei Chitarronen und zwei Violini piccoli hinter der Szene1 sind für diese Zeit überraschend und als dramatisches Ausdrucksmittel durchaus Monteverdis Eigentum. Aber das Orfeo-Orchester machte keine Schule. Die Cavalli- und Cesti- Zeit hielt sich an kleine Besetzungen und intime Wirkungen.

Aus den Instrumentengruppen schält sich ein orchestraler Kern heraus, der weniger dem Gabrielischen Sinfonieorchester und dem »Orfeo« folgt, als der Instrumentenverteilung in den Kammersonaten und Instrumentalkonzerten. Die durchschnitt- lich drei- bis fünfstimmigen Sinfonien der venetianischen Opern geben etwa das Grundmaß für die Instrumentenverwendung ab, nur müssen wir viele Akkordinstrumente für die Baßaus- führung hinzurechnen2. Unter den Baßinstrumenten, die den Continuo führen, sind Cembalo, Theorbe, Laute, Chitarrone die wichtigsten3. Von Streichinstrumenten sind alle Formen und Gattungen der Violen vertreten4, unter ihnen die Diskantviola, die im Laufe des 17. Jahrhunderts durch die Violinen ersetzt wird. So wird in Landis »Alesio« eine Sinfonie von drei Violinen gespielt5, in Cavallis »Statira« gibt es ein »Lamento di violini«6, bei Domenico Freschi eine »sinfonia per due violini e Organo«7, und Rossi überschreibt die Sinfonie zur »Erminia«: »quatro Violini con Basso continuo per tutti gli in- strumenti«8. Weiter werden noch Flöten, Hörner, Zinken und

1 Das Spiel hinter der Szene ist bei Cavalieri, den Florentinern und in den Intermedien bereits gebräuchlich.

2 Vgl. hierzu: Taddeo Wiel, J Godici Musicali Gontariniani del Secolo XVII, Venedig 1888.

3 S. o. In Freschis »Berenice vendicativa« ist sogar ein »Coro di Cembali« genannt. (Wiel, Nr. 46.)

4 Cavalli schreibt in »Le Nozze di Teti e di Peleo« eine »sinfonia di viole«, Carlo Pallavicino ein »Lamento con viole« und im »Enea« ein »pezzo con accomp. di viole (e basso).« Wiel, a. a. O. Nr. 15, 58, 62.

5 »Le Sinfonie de' Violini sono ä tre voci, e quasi sempre fanno armonia per- fetta da se; per accidente vi sono Bassi sotto, i quali tal volta caminano con uno de' Soprani d in ottave, ö in quinte . . . Vogel, a. a. O. I, S. 345.

6 Wiel, a. a. O. Nr. 22.

7 Ebenda, Nr. 92.

8 H. Goldschmidt, Das Orchester der italienischen Oper im 17. Jahr- hundert. Sammelb. der I. M.-G. II, 1900, S. 36.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 79

für besondere Effekte bei Festmusiken und Kriegsszenen auch Trompeten und Schlaginstrumente angewandt1. Eine genaue Angabe über die Verteilung der Instrumente wird von den Kom- ponisten selten gegeben. Oft genügt ein bezifferter Baß für alle Instrumente. Einzelne Stücke, wie der berühmte Satz des Tri- flauto in Peris »Euridice«, Monteverdis geniale Sinfonien und Tokkaten im »Orfeo«, viele Sätze in den Venetianeropern sind in Partitur geschrieben, doch ist die Verwendung der Instrumente aus den Noten nicht ohne weiteres abzulesen. Die Instrumente wirken bald selbständig in Ritornellen, Instrumentalsätzen oder Begleitungen mit, bald dienen sie zur Verstärkung von Chor- stimmen. Zuweilen ist ihnen der Weg überhaupt nicht vorge- zeichnet, oder es sind über einer Baßstimme mehrere Instrumente zur Ausführung der Musik genannt. Diese Praxis erklärt sich aus der Kunst des freien Improvisierens. Ein Musiker, der im Opernorchester mitwirkte, mußte über dem gegebenen Baß einen Kontrapunkt spielen, Diminutionen anbringen oder auf einem Akkordinstrument die vorgezeichneten oder durch das Notenbild verlangten Harmonien greifen. Den Continuospielern lag nur die Baßstimme vor, zuweilen auch Solo- und Baßstimme auf zwei Systemen2. Der Spieler folgte allein dem Baß, der bei der Aufführung stets stark besetzt war, und seinem Gehör, denn der Kapellmeister leitete die Gesänge nicht nach einem gleichmäßigen Taktschlag; er folgte dem Solisten und bestimmte das Tempo nach den in der Musik ausgedrückten Affekten. Darauf werde ich noch zurückkommen.

Über die Methode des Improvisierens, die der Kapellmeister vollständig beherrschen mußte, haben wir nicht viel Nachrichten. Die Vorreden der Opernwerke geben nur wenig Einzelheiten, und die Ansichten von Nutzen und Nachteil des Continuo, wie sie Komponisten von Kirchenwerken, Madrigalen und Kanzonen aufstellen3, bringen keine rechte Klarheit in die eigentliche Praxis. Am ausführlichsten behandelt Agostino Agazzari das Spiel über dem Continuo in dem schon in alter Zeit oft zitierten Kapitel:

1 Vgl. Cesti, Porno d'oro (Denkm. d. Tonk. in Österreich Bd. III und IV). Zu den Trombensignalen, wie sie im 4. Akt, Szene 14, oder im 2. Akt, Szene 14 vorkommen, wird man auch Pauken zugezogen haben.

2 Vgl. die von Goldschmidt gefundenen Orchesterstimmen, beschrieben in den Sammelb. der I. M.-G. II, 1900. S. 23.

3 Kinkeldey (a.a.O.) gibt in Anhang II eine Liste über diese Quellen.

80 Viertes Kapitel.

»Vom Instrumentenspiel nach dem Continuo und vom Instru- mentengebrauch«1.

Nach Agazzari teilen sich alle Instrumente in zwei Gruppen, in die Fundament- und Ornamentinstrumente. Zu den Fundamentinstrumenten gehören: Orgel, Gravicembalo, Laute, Theorbe, Harfe; Prätorius übersetzt2: »Fundament-Instrument seynd diese / so alle voces oder Stimmen eines jeden Gesangs führen vnd begreiffen können / vnd also das gantze Corpus vnd vollkommene Harmony aller, so wol der mittel- als vnterstimmen oder parteyen so wol in Vocali als Instrumentali Musica auff sich erhalten; Als da seynd: Orgeln / Positiff, Regalwerck / starcke doppel- drey- vnd vierfache Clavicymbel. Vnd hieher können auch die Spinetten / Lauten / Theorben / doppel Harffen / grosse Cithern / Lyren etc. [gerechnet werden]. Wenn man sie als Fundament-Instrumenta, meistentheils aber nur zu einer eintzigen, zwo oder dreyen Stimmen in einer stillen vnd eingezogenen Musik gebraucht.« Ornamentinstrumente werden die genannt, »die in einen Gesang / gleichsam als mit schertzen- . . . vnd contrapunc- tiren die Harmony lieblicher vnd wolklingender zu machen / Item / den Gesang zu exorniren vnd zu ziehren adhibiret wer- den; Das sind alle einfache Instrumenta, welche nur eine eintzige Stimme von sich geben vnd zu wege bringen können. Vnd werden dieselbige in . . . Blasende / als Zincken / Flöiten / Posaunen / Fagotten etc. vnd Besaittete Instrument, als Geigen / etc. abgetheilet. . . . Vnd zu diesen Ornament Instru- menten werden auch . . . die Spinetten / Lautten / Theorben etc. (wenn sie nicht als Fundament Instrumenta, sondern allein zur zier vnd verfüllung der Mittelpartheyen gebraucht) vom A. Agazzari referiret«3. Man unterschied Instrumente, die den Baß ausführen , und Ornamentinstrumente , die selb-

1 Del suonare sopra il basso con tutti stromenti e uso loro nel conserto, im Bassus zu: »Sacrae Cantiones« von 1609, abgedruckt bei Kinkeldey, a. a. 0. Anhang I.

2 Prätorius, Synt. mus. III, Cap. IV, S. 139f.

3 Agazzari schreibt: Come ornamento sono quelli, che scherzando, e contrapontegiando, rendono piu aggradevole, e sonora l'armonia. Über die Blasinstrumente denkt Agazzari nicht wie Prätorius: Di questi secondi [stro- menti di fiato] (eccetuando l'Organo) non diremo cosa alcuna, per non esser in uso ne' buoni e dolci conserti, per la poca unione con quei di corde, e per l'alterazione cagionato loro dal fiato umano, se ben in conserti strepitosi, e grandi si meschiano. Er gibt aber zu, daß die Instrumente sehr gut geblasen werden und im Konzert sehr gut wirken können.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 81

ständig über dem Continuo kontrapunktieren. Zwischen beiden Gruppen stehen Lauten, Theorben usw., die bei kleinen Besetzun- gen als Akkord-Instrumente gelten, bei größeren als verzierende, kontrapunktierende. Von den Spielern der Harmonieinstru- mente verlangt Agazzari vollkommene Beherrschung der Musik- theorie und des Kontrapunkts, gutes Instrumentenspiel, Kenntnis des Intavolierens (derTabulatur-Einrichtung) oder der Partitur und ein gutes musikalisches Gehör, um dem Solisten leicht nachgeben und folgen zu können. Die Ornamentinstrumente, »welche auff mancherley weise mit den Stimmen variiret vnd vermischet werden / zu keinem andern ende / als das sie die selben Zieren / Schmücken vnd gleichsam als Condiren vnd Würtzen« müssen sich, wie Prätorius übersetzt, »auff eine andere Art / vnd nicht als Fundament-Instrumenta hören lassen. Denn gleich wie jene das rechte Fundament vnd die Harmony fest vnd beständig halten; Also müssen diese Ornament-Instrumenta jetzunder mit Varietet vnd verenderungen schöner Contrapuncten, nach qualitet der Instrumenten die Melodiam zieren vnd aus Putzen. Aber hierin ist der vnterscheid / das vff diesen Ornament- Instrument nötig ist / dass der Instrumentist vom Contrapunct gute Wissen- schaft habe /die weil man alda vber demselben Bass / newer Passaggien, Contrapunct, vnd also fast gantz newe Parteien oder Stimmen Componieren muss1 . . . Soll derwegen der Lautenist seine Lauten [als Ornamentinstrument] . . . wohl vnd herrlich schlagen / mit mancherley inventionen vnd Variationen: Vnd es nicht machen /wie etliche / Welche weil sie mit einer geraden Hand begäbet seyn / vom Anfang biss zum Ende anders nicht thun als tirare e diminuere, das ist / eitel Läuff- lein und Colloraturen machen / insonderheit / wenn sie mit andern Instrumentisten zu gleich ein schlagen / Welche denn gleicher gestalt diesen nichts nachgeben / vnd auch vor grosse Meister vnd geschwinde Coloraturen macher angesehen vnd gehalten sein wollen : Daher denn anders nichts gehöret wirt / als eine vnliebliche Confusion vnd Widerwertiges streiten (Zuppa, das ist / elend Lahm ding) den Zuhörern gantz vnangenehm vnd beschwerlich2. Darumb ist es viel besser / wenn der Lauttenist . . . bissweilen mit lieblichen nider- vnd wiederschlägen ; Bald mit weitlauf fen-

1 Agazzari, a. a. 0.: ma il secondo lo ricerca: poiche deve sopra il mede- simo basso compor nuove parti sopra, e nuovi, e variati passaggi, e contraponti.

2 Agazzari: dove non si sente altro che zuppa, e confusione, cosa dispiace- vole, e ingrata, ä chi ascolta.

Kl. Handb. der Ht sikgesch. X. 6

82 Viertes Kapitel.

den / bald mit kurtzen eingezogenen / vnd gedoppelten redu- plicierten Passaggien, bald mit einer sbordonata frembden Har- monia, gleichsam als wenn man aus dem Thon kommen wolte / mit einer hüpschen Schönen art (gare e perfidie) in dem das er repetieret, vnd einerley Fugen vff vnterschiedenen Saiten / vnd an vnterschiedenen örtern herausser vnd zu wege bringet / die selbe repetieret vnd widerholet / vnd in summa die Stimmen mit langen Gruppen / Trillen vnd Accenten zu rechter zeit gebraucht / einflechte / das er dem Goncert eine Lieblikeit vnd geschmack gebe. . . Darneben sich aber mit grossem fleiss vnd judicio hüte vnd fürsehe / das er die andern Instrumentisten nicht offendire, oder mit ihnen zu gleich lauffe / sondern ihme wol zeit vnd weile nehme / Fürnehmlich / wenn einerley Instrument nahe bey ein- ander / vnd nicht in vnterschiedenen Tonen gestimmet oder von vnterschiedlicher grosse seyn1. « Weiter gibt Agazzari Vorschriften, wie die verschiedenen Ornamentinstrumente am besten Kontra- punkte und Verzierungen anbringen. Die Violine muß schöne »Passaggien« machen, »vnterschiedliche vnd lange Schertzi, rispostine, feine Fugen / welche an vnterschiedlichen örtern repetiret vnd wiederholet werden / anmutige Accentus, stille lange striche / Gruppi, Trilli etc.«; die Baßgeige (Violone) aber »gehet gar gravitetisch« und bleibt meist auf den tiefen Saiten, die Theorbe wieder muß in den tiefen Saiten »mit gar frischen widerschlägen vnd langsamen herunter vnd hienauff lauffen« gut gespielt werden, » mit stillen vnd messigen Trillen vnd Accenten ... so mit der Hand gar vnten am Stege gemacht werden«2. Die Doppelharfe soll »mit scharf fen griffen tractiret werden /das beyde Hände einander fein vnd wol Respondiren mit Trillen etc. «, die große Zither muß » allerhand gute vnd lustige possen mit leufflin / sprin- gen vnnd contrapunctiren « fertig bringen. Dabei ist darauf zu achten, daß die Musiker sich gegenseitig nicht übertönen und Konfusion anrichten. Jeder muß auf den andern hören und in einer stark besetzten Musik warten, bis die Reihe, » seine Schertzi, Trilli vnd Accent zu erweisen / auch an ihn komme«3.

Die Spieler der Ornamentinstrumente haben demnach zu im- provisieren, über dem gegebenen Baß selbständige Kontrapunkte

1 Prätorius übersetzt den Text Agazzaris wörtlich.

2 La Tiorba poi, con le sue piene, e dolci consonanze accresse molto la me- lodia, ripercotendo e passegiando leggiadramente i suo bordoni, particolare eccellenza di quelle- stromento, con trilli, e accenti muti.fatti con la mano di sotto.

3 Prätorius a. a. O., fol. T. 2f.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 83

und Verzierungen zu spielen. Für dies freie Orchesterspiel ge- nügte die Baßvorlage; der Baß wurde von den Musikern je nach ihrer Fertigkeit ausgeschmückt und frei ausgeführt. »Bald variierte eine Laute zehn oder zwölf Motive, von denen jedes fünf oder sechs Takte lang war, auf tausendfache Weise; sodann spielte eine andere . . . dasselbe, obwohl auf abweichende Art«1, so daß ein freies Phantasieren und Ausgestalten der Baß- skizze zustande kam. Die Musiker der Renaissancezeit rechneten mit dieser Praxis. Sie sahen in dem Orchestermusiker einen selbständigen Interpreten der Musik. Wie man in der Solostimme eine Auszierung, Variierung und Veränderung von jedem tüch- tigen Solisten verlangte, so auch in der Begleitung. In den alten Opernpartituren sind deshalb selten alle Instrumente mit ihren Stimmen eingezeichnet. Nur wo man eine vieltönige Improvi- sation aus dramatischen Rücksichten vermeiden wollte, wurden Instrumentalpartien vorgeschrieben.

Auf den Akkordinstrumenten wurden die Harmonien bald laut, bald leise, je nach Besetzung und Kraft der Singstimmen, angeschlagen. Die Musiker mußten dabei nachgeben und dem Sänger folgen und durften den Gesang nicht durch Passagen stören oder den Affekt der Musik schwächen. Die hohen Stimmen des Diskant wurden im Akkompagnement möglichst vermieden. Nach Agazzari soll der Fundamentspieler den Sopran überhaupt nicht mitspielen, sonst würden die freien Verzierungen des So- listen unklar und undeutlich2. Am besten sei ein gemessenes, ruhiges Fortschreiten in den Harmonien. Ludovico Viadana will höchstens in der Rechten Läufe und Passagen beim Begleiten mit einem Tasteninstrument zulassen, doch dürfen die Sänger dadurch nicht verwirrt werden3. Der Spieler eines Akkordinstru- mentes sollte stets die Absichten des Komponisten zu verwirk- lichen suchen und in seinem Akkompagnement den Musikaus- druck und Affekt des Textes berücksichtigen. Der Baß war meist

1 Ein französischer Musikbericht aus der ersten Hälfte des XVII. Jahrhun- derts, übersetzt und mitgeteilt von Wasielewski. M. f. M., 1878, Nr. 1.

2 Agazzari a. a. O.: fuggendo spesso le voci acute, perche occupano le voci, massime i Soprani, d falsetti: dove e d'avvertire di fuggire per quanto si puole, quel medesimo tasto che il soprano canta ... in tal caso devono tenere l'armonia ferma, sonora, e continuata, per sostener la voce, toccando hora piano, hora forte, secondo la qualitä e quantitä delle voci, del loco e dell' opera. Vgl. Prätorius, a. a. O.

3 Viadana. Goncerti ecclesiastici 1602. Vorrede; s. auch Prätorius: Synt. mus. III, VI, 2. Stück. Fol. S f.

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84 Viertes Kapitel.

mit Ziffern versehen, so daß die verlangten Harmonien schnell und sicher gegriffen werden konnten. Agazzari gibt ein Beispiel für die Baßbezifferung und -ausführung, in welchem die Anwen- dung der Gegenbewegung und die gelegentliche Baßverdoppelung auffallen. Allerdings scheut er sich in der Kadenz nicht vor einer Quinten- und Oktavenparallele. Im Anschluß an Agazzari geht auch Prätorius auf das Generalbaßspiel ein. Er behandelt es als ein ruhiges, nur den Sänger stützendes Begleiten, als ein Akkom- pagnement, das Solisten und Chor in der Harmonie und im rechten Takt hält.

Dies Generalbaßspiel, dessen eingehende Beschreibung vom Thema ablenken würde, bedeutete für die Praxis des 17. Jahr- hunderts, für Musiker, Kapellmeister und Komponisten eine große Erleichterung. Mit dem Continuo wurde eine Einrichtung in Tabulaturnotierung und das Partiturspiel überflüssig. Man hatte die Hauptstimme, den Baß, vor sich und konnte daraus den har- monischen Verlauf einer Musik ablesen. Bei Chorwerken, Kan- taten und vielstimmigen Musiken konnte sich der Kapellmeister auch die Melodie oder die führende Stimme einzeichnen, um eventuell einzuhelfen. Doch genügte in der italienischen Renais- sancemusik bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts meist eine be- zifferte Baßstimme1, da die Musik sich oft in einfachen, rezitieren- den Weisen bewegte oder, wie Agazzari sagt: »Weil man itzt . . . die rechte Art / die Wörter zu exprimiren erfunden hat / in dem man fast vnd so viel als muglich / eben so singet / als wenn man sonsten mit einem redete welches dann am besten mit einer eintzigen / oder Ja mit wenig Stimmen angehet. . . Als ist nicht nötig / das man alle [Stücke] absetze / oder in die Tabulatur bringe / sondern es ist gnug am blossen Bass / wenn nur die Signa darüber bezeichnet werden2.«

Diese Nachrichten geben ein Bild von den Verhältnissen, mit denen der Kapellmeister in der Frühzeit der Renaissance rechnen mußte. Er hatte ein mit Akkordinstrumenten stark besetztes Orchester zu leiten, das in der Oper etwa 20 bis 40 Mu- siker vereinte, wenn nicht vom Komponisten eine größere oder

1 Nach Doni (De' trattati di musica Tom. II, Franc. Gorius ed. Florenz 1763, S. 111) lag jedem Musiker eine Baßintavolatur vor. Das war jeden- falls keine Einrichtung des Basses, wie H. Goldschmidt erklärt, sondern nur eine Baßabschrift.

2 Agazzari a. a. O., obige Übersetzung von Prätorius (im Synt. mus. III, VI, Fol. T 3 v).

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 85

kleinere Besetzung vorgeschrieben war1. Wie ein Bild von der Wiener Aufführung der Oper »Porno d'oro« von Cesti zeigt2, gruppierten sich die Musiker um das Klavier des Dirigenten nach beiden Seiten hin. Sie spielten in einem tiefer gelegenen Orchester- raum, der von der Bühne getrennt war. Dieser besondere Or- chesterraum scheint erst mit der venetianischen Oper in Aufnahme gekommen zu sein; früher wurde das Opernorchester, wie oben erwähnt wurde, häufig hinter der Szene aufgestellt. Den Instru- mentalisten lag die Baßstimme vor, die frei ausgestaltet wurde. Die Fundamentinstrumente gaben die Akkordfolgen an, bald leise, bald wieder voll und stark, wie es der Ausdruck der Musik forderte. Dazu improvisierten die Spieler der Ornamentinstru- mente Kontrapunkte und Verzierungen, wenn ihnen nicht eine ausgeführte Instrumentalstimme vorgeschrieben war3. Nach Doni wurde vom ersten Instrumentenspieler (vom Konzertmeister) mit dem Fuß »nach altem Brauch« taktiert, also in der gleichen Weise, wie die Chorführer der Griechen und die Instrumenta- listen des 16. Jahrhunderts den Takt schlugen. Auch hier haben wir uns nur eine gelegentliche, mäßige Markierung des Taktes vorzustellen, nicht ein fortgesetztes Fußstampfen4. Den festen rhythmischen Halt gab der Kapellmeister mit seinem Cembalo- spiel. Er saß am Klavier und leitete durch genaue Harmonie- angaben und durch Winke Orchester und Solisten. Sein Spiel war einfach, rhythmisch exakt und mußte dem in der Musik aus- gedrückten Affekt entsprechen. Bei der Chordirektion hatte er einfach und ohne Passagen zu begleiten. Sein Spiel mußte, um mit Pietro della Valle zu reden, »möglichst simpel sein, alle Feinheiten des Kontrapunktes vermeiden und nur durch gut konsonierendes und schönes Akkompagnement die Sing-

1 Cesti verlangt für seine Serenata, die 1662 in Florenz zur Aufführung kam, 6 Violinen, 4 Altviolen, 4 Tenor-, 4 Baßviolen, 1 Kontrabaß und von Akkordinstrumenten ein kleines und ein großes Klavier, Theorbe und eine große Archiliuto. Ambros-Leichtentritt, Gesch. der Musik IV, S. 658, s. auch Denkm. d. Tonk. in Österreich, Bd. III, Vorwort, Peris »Euridice«, Monte- verdis »Orfeo«-Orchester und Kinkeldeys Angaben a.a.O., S. 169f.

2 Denkm. d. Tonk. in Österreich, Bd. III.

3 Vgl. die Vorschrift in Paolo Quagliatis La Sfera armoniosa, 1623; Avertimento per il Violino: Neil' Opere concertate con il Violino, il Sonatore ha da sonare giusto come stä adornandola con trilli e senza passaggi.

4 Doni a.a.O. II, S. 113: sequitasse per tutto la battuta del principal Sonatore (che la facesse col piede all' uso' antico).

86 Viertes Kapitel.

stimmen stützen«1. Wenn die Solisten das Tempo beschleunigten oder zurückhielten, um ihren Partien hier und da mehr Nach- druck zu geben, so mußten ihnen Dirigent und Musiker in ihrer Begleitung folgen2. Der Kapellmeister gab wohl auch Hinweise auf starkes und leises Spiel, auf Beachtung der Klangwirkungen und Affekte, wie denn überhaupt die gesamte Anordnung der Musik in den Händen des Dirigenten lag. Er hatte die Aufstellung der Spieler zu regeln, das Stimmen der Instrumente und die Anferti- gung und Verteilung der Baßabschriften (Intavolaturen) zu kon- trollieren3 und dafür zu sorgen, daß die Spieler der Ornament- instrumente mit ihren Improvisationen nicht den Gesang über- tönten und »wie ein hauffen Sperlinge« durcheinander zwitscherten, wie Prätorius sagt4. Daß wir von dieser vorbereitenden Tätig- keit des Kapellmeisters verhältnismäßig wenig erfahren, erklärt sich daraus, daß der Komponist selbst einstudierte. Die Kapell- meister waren in der Regel Komponisten, nicht lediglich repro- duzierende Musiker wie viele Dirigenten der späteren Zeit.

Neben der Cembalodirektion, die sich in der italienischen Oper bis in die Neuzeit gehalten hat, bestand im 17. Jahrhundert die alte Form des Taktschiagens weiter. Sie war besonders bei Chor- aufführungen und in Kirchenmusiken gebräuchlich, da man die häufig an verschiedenen Stellen der Kirche aufgestellten Chöre nicht vom Klavier aus leiten konnte5. Über Gebrauch und Methode des Taktschiagens unterrichten am besten die Musiktheoretiker; wir hören vom Taktschlagen mit Hand oder Taktstock, auch vom Taktieren mit Fuß oder Finger. Andreas Crappius sagt: »Der Takt ist eine beständige Bewegung, die der Kantor mit der Hand ausführt, um die Gleichheit der Mensur im Gesang recht zu leiten«6, oder es heißt: »Der Takt ist die Messung der Notengröße;

1 Della musica dell ' etä nostra (Gorius ed. II. S. 254): II sonare per reggere un Coro ha da essere il piü semplice di tutti, con nessuno artificio di contrappuntto; solo con buone consonance, e con graziosi accompagnamenti, che secondino le voci con garbo. Übersetzung in Leipz. Allg. Mus. Ztg. (1868, Nr. 49) und in der Süddeutschen Musikzeitung (Schott. Red. u. Verl. 1857, Nr. 38.)

2 Agazzari a. a. O.

3 Doni a. a. O., S. 110/111: perche con molto perdimento di tempo, e con- fusione bisogna disporre gl' Instrumenti, e distribuire i lumi, collocare i sedili, rizzare i leggii, e accordare gl' Instrumenti . . . senza parlare della fatica, e del tempo, che si mette in fare tante copie dell' intavolatura del Basso . . .

4 A. a. 0. T 2 v. 6 S. S. 96 f.

6 Crappius a. a. O., fol. A Vv: Tactus est motio successiva manu Can- toris facta, mensurae aequilitatem in cantu dirigens.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 87

nach dieser Messung werden die Töne in gleichen Zeitteilen aus- gezählt und gesungen. Die Taktteile sind Senkung und Hebung. Jene beginnt und zählt den Takt, diese teilt ihn. Geführt wird der Takt durch Bewegungen der Hand oder des Fingers1.« Ähn- lich definieren viele Musiker2.

Selbst die Gleichmäßigkeit der Taktführung wird noch von einzelnen Theoretikern erwähnt3, doch ist damit kein metro- nomisches Taktieren gemeint. Diruta sagt, daß das schnelle oder langsame Taktieren ganz im Belieben des Sängers oder Kapellmeisters stehe, und Orgosinus definiert: der Takt »ist eine gewisse abmessung der stimmen nach der Zeit in vngleicher geltung / Daher der eine gesang langsam / der ander geschwind genennet wird«4; andere sagen ausdrücklich, daß man den Takt nicht »schnurgleich« abmessen solle5. So werden wir bei der »Gleichmäßigkeit«, von der die Musiker zuweilen sprechen, an eine ruhige, ebenmäßige Taktführung zu denken haben, nicht an den alten Tactus der a cappella-Zeit6.

Die Taktstockdirektion, die im 16. Jahrhundert als allgemein gebräuchlich nachgewiesen wurde, ist auch im General- baßzeitalter weit verbreitet. Orgosinus schreibt, daß der Takt »gemeiniglich mit dem stabe regiert vnd gehalten wird«7.

1 Johann Magirus, Artis musicae libri II, 1611, 1, IV: Tactus est mensu- ratio Quantitatis, qua soni aequabili temporis mora mensurati numerantur et decantantur. Partes sunt Depressio et Elevatio: lila incoantur et numerantur hac mediantur tactus . . . Fitque vel . . manu, vel digito . . .

2 Der Takt wird bewirkt durch Heben und Senken der Hand (Cerone, El Melopeo, 1613, lib. VI, 18, S. 495), D i r u t a a. a. O. IV, S. 24, ebenso mit dem Zusatz »ugualmente portata«. Ähnlich Marin Mersenne, Harmonie universelle, 1637, (lib. V. de la composition, Tom. II, fol. 324), ferner Ahle (a. a. O. 1690, cap. IX), Demantius (a.a.O., fol. C. II), DanielFriderici (Musica figuralis, 1649, cap. IV), Erasm. Grub er, Synopsis musica, 1673, cap. V, S. 15/16, Dan. Speer (Grundrichtiger . . . Unterricht der musikal. Kunst 1687, cap. XIV), Hase (a. a. O., 1657, cap. IV, S. 40) In der »Disputatio musica de tactu« von Retzelius (Upsalal698) heißt es in These VII: manum demittamus et elevemus, quemad« modum apud nos fieri solet. Andrea Bontempi, (Historia musica 1695, II, S. 205/6) schreibt: La Battuta e la positione e elevatione della mano, col quäl movimento si dimostra la Misura del tempo sotto la quäle si canta, il quäl Tempo e binario e ternario.

3 S. Diruta a.a.O. (IV, S. 24): »ugualmente portata« oder Mersenne: Nulla ... in tota cantilena fiat mensurae mutatio, nisi ex propriis signis et characteribus praenotata fuerit (Harm, libri XII, 1648, S. 153).

4 H. Orgosinus, Musica nova, 1603, cap. IV§ 6 Friderici a.a.O., cap. VII, Reg. 19.

6 S. weiter unten S. 106f.

7 A. a. O., fol. A. V.

88 Viertes Kapitel.

Beringer sagt: Die Dimensio »isteine steteBewegung dessBaculi mit niderschlagen vnd auffschlagen / nach welcher die Figuren abgemessen werden«1, Magirus spricht vom »Baculus«2, Ban- chieri von der »bacchetta3« und Printz vom »Taktir Stock«4. Friderici verbietet dem Kapellmeister, mit dem »Chorstocke« allzu laut zu schlagen5, Hase und Speer6 berichten wieder vom Taktieren mit Hand oder Stock kurz, die Taktstockdirektion ist den italienischen und deutschen Musikern im 17. Jahrhundert bekannt. Auch auf bildlichen Darstellungen findet man Beispiele für diese Praxis. Bartholomaeus Kilian zeigt auf einem Bild eine Anbetung der Maria, die unter Chor- und Instrumental- musik vor sich geht. Auf der linken Seite musizieren unter einem Baldachin Instrumentalisten (mit Cembalo) und ein Chor, der von einem Kapellmeister mit einem Taktstock dirigiert wird7. Die Muse Cleio wird von Wolf gang Kilian auf seinem Bilderzyklus der neun Musen (1612) durch zwei Frauengestalten symbolisiert, von denen die erste aus einer vierstimmigen Partitur spielt, während die zweite mit einem Stock zu taktieren scheint8. Auf dem Titelblatt von Christian Hoff manns Musica synoptica (1693) das Bild datiert 1692 sieht man wieder einen Knabenchor und den unterrich- tenden Kantor mit dem Taktstock. Man dirigierte aber nicht allein mit Taktstöcken, sondern auch mit Papier- und Notenrollen, oder mit irgendeinem brauchbaren Gegenstand, den man gerade zur Hand hatte. Stephan Vanneo schrieb schon im Jahre 1533, daß man den Takt mit »jedem beliebigen, in der Hand gehaltenen Instrument« angeben kann9. Dasselbe sagen einige Musiker des 17. Jahrhunderts, so Ambrosius Profe, Athanasius Kircher,

1 Mat. Beringer, Musicae . . . Erster vnd Anderer Theil, 1610, fol. B. III.

2 Magirus a. a. O. I, IV: Tactus fitque vel baculo, vel manu, vel digito.

3 Adriano Banchieri, Cartella musicale, 1614. S. 33: . . . potiamo aggi- ungere si nomini battuta della percussione, che fa il Maestro di Capeila con jnano, bacchetta.

4 Casp. Printz im »Satyrischen Komponisten« 1696, Teil III, Kap. 19, S. 175.

5 Dan. Friderici a.'a. O., cap. VII, Reg. 17.

6 Wolfg. Hase a.a.O., cap. IV, S. 40: Der Tact ist nichts anders / als eine Bewegung /so geschieht mit der Hand oder einem Stocke. Dan. Speer a. a. 0., cap. XIV: Der Takt kann »augenscheinlich / dass man ihn sehen kan / mit einem baculo . . geschlagen werden. Vgl. auch Joh. Mich. Corvinus Heptachordum Danicum 1646, S. 16.

7 Kgl. Kupferstichkabinett in Berlin.

8 Kgl. Kupferstichkabinett in Berlin.

9 Vanneo, Recenatum de mus. II, 8, s. o. S. 45.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 89

Mersenne1 und Georg Falck, der den Takt mit den Worten er- klärt: er ist »eine richtige und beständige Niederlassung und Aufhebung der Hand / oder dessen / was in derselben gehalten und geführet wird«2. Unter diesen beliebigen Taktinstrumenten kommt in erster Reihe die Papierrolle in Betracht. Auf dem Vorsatzblatt zu Christian Michels »Tabulatura« (1645) sieht man große Frauengestalten, die auf verschiedenen Instrumenten .musizieren, während eine Dirigentin mit einer Rolle taktiert; und der schon häufiger genannte Musiker Daniel Speer schreibt, man könne mit einem »baculo« oder auch mit einer »Charta« dirigieren3. Diese Methode hat sich besonders im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreut und sich noch bis in die jüngste Zeit gehalten. Daß man aber im Zeitalter des Generalbasses auch andere »Instrumenta« zum Taktieren gebrauchte, als Stock und Notenrolle, ist von vielen Musikern bezeugt. So meint Banchieri, man könne auch mit einem Schnupftuch (fazzoletto) taktieren4, und Caspar Printz erzählt sogar, man habe in Syrakus einen Kapellmeister gesehen, der das Schnupftuch an den Taktierstock gebunden und damit den Takt geschlagen habe, »nicht anders, als wenn er eine Fahne (habe) schwingen wollen«5. Daniel Speer meint, es könne auch, wenn der Dirigent die Instrumentalisten nicht sehen kann, »mit einem Schlüssel auf deß Organisten sitzendes Bäncklein / doch mit Bescheidenheit / geschlagen oder geklopffet werden«, damit sich die Musiker danach richten können. Er habe es selbst »oft practicirt«6.|Alle^diese Hilfsmittel beim Tak-

1 Kircher, Musurgia 1650. Tom. II, III, S. 52: ... ad motum . . . manus aut alterius cuiuscumque rei manu detenti . . . Mersenne, Harm. univ. 1637. Tom. II, V, fol. 324: on peut aussi faire [sc. battre la mesure] avec le pied ou en teile autremaniere, que l'on voudra. AmbrosiusProfe, Gompendium musicum 1641 (Moderne Kopie in der Kgl. Bibl. zu Berlin, Original in Brüssel) S. 15 der Kopie: .... »Hand oder Fuss / oder Kopff / oder wormit man sonst die mensur des Gesanges geben möchte«. Anonym, Musicae rudimenta latino - belgica. Amstelodami 1645, S. 10: Dimensio fit manus aut instrumenti cuiuslibet ele- vatione et depressione. Vgl. Speer a. a. O., cap. XIV.

2 Idea boni cantoris, 1688, Gap. IX.

3 A. a. 0. 1687, Cap. XIV.

4 Adriano Banchieri a. a. O., S. 33.

5 Casp. Printz im »Satyr. Komponisten« 1696. Teil III, Kap. 19, S. 175. Vgl. auch Riepel, Anfangsgründe zur musicalischen Setzkunst 1752, S. 67, der ähnliche Unarten zur Sprache bringt.

6 Speer a.a.O., Kap. XIV. Gegen dies »Gehämmer mit Stöcken, Schlüsseln und Füssen« hat noch Mattheson (Vollk. Capellmeister 1739, III, XXVI, § 14) geschrieben.

°0

Viertes Kapitel.

tieren, die zu Mißbräuchen aller Art führten, bilden gewiß ein nebensächliches Moment für die Entwicklung des Dirigierens, aber die Nachrichten beweisen doch, daß man schon früh auf das einfache Mittel verfiel, die Hand mit einem Taktstock oder einer Rolle zu bewaffnen, um die Direktionsbewegungen deutlich und weithin sichtbar angeben zu können.

Die Einteilung der Noten auf Auf- und Niederschlag gibt Walliser1 in dieser Tabelle:

Forma Tactus Simplicis Depressio Elevatio

In Tripla Depressio Elevatio

Depressio

^5

Elevatio

£={E

Depressio

Elevatio

t=n±- ^^n

In Sesquialtera Depressio Elevatio

4=

3=$=$:

Es ist die gleiche Verteilung der Taktschläge, die wir aus der Mensuralmusik kennen: gerade Takte in Hälften, ungerade Takte in ungleiche Teile: zwei Takteinheiten auf den Niederschlag, eine auf den Aufschlag2. Ausführlicher als die oben zitierte Tabelle ist die Tafel in Maternus Beringers »Musicae . . . Erster vnd Anderer Theil« (1610), der die Einteilung der Noten auf die Taktschläge so formuliert:

Dimensio notarum binaria.

Niderschlag

Aufschlag

t t J J J j

mmu

t t

1

2

i Christ. Thom. Walliser a. a. O., Kap. VII.

2 Dan. Hizler, Newe Musica oder Singkunst, 1628, Kap. IV: Es ist ein Tact oder Schlag / welcher in zwey gleiche theil der zeit / darinn er geschieht /

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance.

91

Dimensio notarum ternaria. Proportionis Triplae.

Mit weissen Semibrevibus.

Mit schwartzen Semibrevibus.

H

0

Niderschag

Auffschlag

0

? ?

tttt

0

0 $

1 I

tttt

0

? ?

tttt

1

2

3

0

H

Niderschlag

Auffschlag

t t

t t tttt

t t tttt

\

2

3

Proportionis Sesquialterae.

Mit weissen Minimis.

Mit schwartzen Minimis.

0

?

Niderschlag

Auffschlag

t t

MM

?

t t tttt

t t

MM

\

2

3

i

0

t

Niderschlag

Auffschlag

t t t

MM

t t t

MM

t t t

MM

\

2

3

t

Ebenso werden die abgeleiteten Takte eingeteilt: der Sex- tupla : 3 \ 3 fi, der 12/s :6 j 6 f, der 9/4: 6 j 3 f usw.2.

kan abgetheilt werden: Nämblich/ein theil / darinn man niderschlägt / vnnd ein theil / darinn man auffhebet: Heisset auch Tactus vulgaris.« Der ungerade Takt enthält »eine zeit / darinnen man niderschlägt / die ander zeit / da man vnten hält / vnd die dritte zeit / darinnen man wider auffhebt«. Vgl. Bon- tempi, Hist. mus. II, S. 205/6: cantandosi sotto il tempo binario il valore d'una nota nella positione, e ugualmente il valor d'un altra nella elevatione; e sotto il tempo ternario, il valore di due note nella positione e disugualmente il valore d'una sola nell' elevatione u. v. a.

1 Vgl. Joh. Crüger, Musicae practicae Praecepta brevia 1660, cap. V.

2 Bononcini, Musico prattico 1673, S. 20ff.

92

Viertes Kapitel.

Ähnliche Tafeln wie Beringer bringen die Musikbücher von Staden, Hase und Hoffmann1, während Diruta2 seinen Beispielen noch die Synkopierung hinzufügt, z. B.

^3^£

i=

^=f=A^-L^

Von den Minimen kommt eine auf den Niederschlag, die andere auf den Aufschlag.

i=^=f^=f^^^

Synkopierte Minimen, die in der Mitte jeder Note Auf- oder Niederschlag

bekommen.

Interessant ist das Taktbeispiel, das Adriano Banchieri in der Cartella musicale (1614) anführt. Er bezeichnet darin die Nieder- und Aufschläge mit den Worten giü (nieder) und (auf) in dieser Weise :

Battuta nel tempo maggiore e perfetto, e sua proportione.

3

Gala e percuote. Alza giü giü giü giü

e termina.

x

S

^

1-4 *it i ? Hfc

gm su

gm

su gm

gm

v f ° 1 M v ?

w-

£

gm su gm

T*±3=t±

su gm

T-S r-

su gm su gm SU

3rr-^

33

*^

giü giü giü giü giü sü.

Battuta nel tempo minore perfetto, e sua proportione

f 1 ? Y 1 'iTM | T

:FF^

Gala e percuote, Alza giü giü giü e termina.

gm

1 Sieg m. Theophil Staden, Rudimentum musicum 1648, Stück VIII, Hase a. a. O., Kap. IV, Christian Hoffmann a. a. O., S. 8—10.

2 Diruta a. a. O., IV, S. 25.

3 Original im ersten Takt: ä; offenbar ein Druckversehen, wie das korre- spondierende Beispiel im Minore-Takt zeigt.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance.

93

1 1 i i j ^n= f i a , t i-ttpi h*

[giü sü] giü

su gm su

gm

^T^Tt^XXTHTr^

giu su gm

su gm

su gm

su gm

S

-r^-n^f

:H=j=T:

gs£

gm

giü giu su gm

su gm

Bei den angekreuzten Stellen (*) gehört das giü oder eigentlich unter die Pause. Banchieri setzt es zur Note, um deren Zuge- hörigkeit zum Auf- oder Niederschlag zu charakterisieren. Aus dem Beispiel geht noch hervor, daß die Noten in den Schluß- takten nicht der regulären Takteinteilung folgen, sondern frei vorgetragen werden. Staden sagt: »So im vnd ausser dem Tripel [Takt] in Acht zu nemen / daß die letzte Noten vor dem Final / vmb der Zier willen / keiner Mensur mehr vnterworffen / sondern lang gehalten / vnd dann erst auf das Final vnd letzte Noten gefallen / vnd außgehalten werde1.« Die Schlußkadenz wurde demnach ritardierend vorgetragen, um der Musik einen wirkungsvollen Ausklang zu geben. Auch Frescobaldi schreibt im ersten Buch der Tokkaten: »Die Kadenzen, wenn sie auch in schnellen Noten ausgeschrieben sind, soll man im Tempo sehr zurückhalten, und je mehr man sich dem Schluß der Passage oder der Kadenz nähert, desto langsamer soll das Tempo werden2.« Wie man im 17. Jahrhundert Theorien über die Herkunft des Taktes, über seine Ähnlichkeit mit dem Pulsschlag, der Ebbe

1 Rudim. mus. VIII, 6. Vgl. Prätorius, Synt. mus., fol. K 4 v.: Cantores, Organicines et alii Instrumentales Musici Oppidani pro more consueto statim ex penultima cuiusque Cantionis Nota, in finalem ultimam sine morulaaliquadepro- perant, monendos hie esse puto, qui adhuc . . . hoc non observarunt, d i u t i u s aliquantum in penultima, qualis quantaque etiam illa sit, commorati in quartum, quintum vel Sextum usque Tactum canendo consistant et dehinc in ultima demum desinant.

2 Ambros-Leichtentritt a. a. O. IV, S. 748. Vgl. F r i d e r i c i a. a. O. VII, Reg. 20: in penultima consonantia . . . sollen alle Stimmen auß- halten / vnd ein sanfftes / fein messig gezogenes Confinal machen / und nicht also bald daz final dem Gesänge anhengen.

94 Viertes Kapitel.

und Flut des Meeres oder mit den Hammerschlägen aufstellte1, so wurden auch Untersuchungen über Beginn und Ende des Taktes angestellt. Es handelte sich um die Frage: Wo beginnt der Takt? In der Luft oder erst beim Aufschlagen der taktieren- den Hand? Und wo endet er?

Sehr gründlich ist darauf Agostino Pisa in seinem Buch »Battuta della musica« (Rom 1611) eingegangen. Er kommt nach langen Untersuchungen dahin: Der Takt beginnt in der Luft, ist beim Aufschlagen halb, und wenn die Hand wieder ge- hoben ist, vollständig2. Diese Figur: V zeigt seine Anschau- ung von der Battuta. Um es musikalisch auszudrücken: Anfang des Taktes Ende des Taktes

Die gleiche Auffassung finde ich bei Erasmus Grub er: »Oben im Lufft fangt [der Tact] an / wann man den Tisch berührt oder schlägt / ist er halb / das ist unten / und die Hand wieder aufgehebt oder oben / ist er auss; Ist also von oben biss unten ein halber Tact, von unten biss oben wieder ein halber, und zu- sammen ein gantzer Tact3.« Damit stellt sich auch Gruber in Gegensatz zur allgemeinen Lehre und Praxis, die Pisa mit den Figuren :

! ,_äL_ (canto eguale) und | —Ä (canto ineguale)

—G> ' & &

kennzeichnet4. Der Takt beginnt hier beim Niederschlagen,

1 S. B a n c h i e r i a. a. O., S. 33; M e r s e n n e, Harm. univ. II, fol. 324v; K i r c h e r, Musurgia 1650, II, 52; R e t z e 1 i u s, De tactu musico These VII. Bei Retzel findet sich auch der Vergleich mit dem Uhrschlag. S. o. S. 54.

2 Pisa, Batt. della mus. (Original in der Kgl. Bibl. zu Brüssel), cap. V: La prima parte della nostra [battuta] comincia in aria e descendendo ä finire nel battere .... La seconda parte della nostra battuta comincia nel levare d'essa battuta e va sin al fine della elevatione. Cap. VII: . . . essendo la vera battuta della musica questa, la quäle si descrive in questa maniera V , e non con due linee rette, acciö sia facile il conoscere il descendere dall' ascendere e facendola in questa maniera A

3 Syn. mus., cap. V, S. 16.

4 Cap. V: Ma primo mostrarö, come questi eccellenti architetti vadino disponendo le figure del canto sopra quelli ballaustri, delle loro figure della battuta. Quella del canto eguale cosi depingono . . | » Quella delle proportioni cosi disse-

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 95

oder wie Penna sagt: »(La battuta) incomincia in quel punto, ö momento di percussione della Mano, e siegue nel levare, e ribbas- sare sino alla seconda percussione, e in quel punto di questa se- conda percussione, finisce la prima Battuta, e nell' istesso in- stante, ö momento incomincia la seconda1.« Pisa übersieht bei seiner Theorie, daß das Niedergehen der Hand vor dem Beginn des Takts noch nicht zur Battuta gehört, daß es nur ein Orien- tierungszeichen für die Musiker bildet. »Der Anfang wird beim Taktieren stets mit dem Aufheben der Hand gemacht, denn sonst würde man nicht niederschlagen können«, schreibt Tevo. Das Aufheben ist ein »segno initiativo ö indicativo«, während das Niederschlagen erst darüber informiert, daß der Gesang be- ginnen soll2. Die allgemeine Praxis ließe sich nach Anologie der gegebenen Figuren so aufzeichnen3:

| f\ und 4, f •'• '

Pisas Taktierform, die den Schwerpunkt des Taktes nicht berück- sichtigt, bleibt unbequem. Es ist auch sehr fraglich, ob sie über- haupt in Gebrauch war; eine ähnliche Methode habe ich mit Aus- nahme von Grubers Theorie in der durchgesehenen Literatur nirgends erwähnt gefunden. Es ist eine interessante, doch keine praktisch zu verwertende Idee. Pisa führt seine Beweise stets mit Aristoteles, Euclit und den Theoretikern des 16. Jahrhunderts (vor allem mit Stephan Vanneo). Er wollte in den zitierten Stellen wohl mehr eine theoretische Analyse der Battuta als eine prak- tische Anleitung zum Dirigieren geben. Der »Dottore di Legge canonica e civile e musico speculativo e prattico« Agostino Pisa wird von Zeitgenossen und späteren Theoretikern oft zitiert.

gnano .... La prima parte della loro battuta comincia nel battere e va sin' all' estremitä dell' elevatione, detto loro levata .... La seconda parte della loro battuta comincia della levata e descendendo sin al fine della discesa.

1 Lor. Penna, Li primi albori musicali, Bologna 1672, cap. 15.

2 Zaccaria Tevo, II Musico testore. Venezia 1706, II, 18: II princi- piare della Battuta e nell' elevatione della mano, che se cid non fosse, non si potrebbe battere se la mano prima non si levasse, cosa che pare ridicola, in veritä e cosi. La elevatione e segno initiativo d indicativo; e la positione ö segno informativo, che comincia il canto.

3 Vgl. Dan. Hizler a.a.O., Kap. IV. : Der ungerade Takt enthält »eine zeit/ darinnen man niderschlägt / die ander Zeit / da man vnten hält/ vnd die dritte zeit / darinnen man wider auffhebt«.

96 Viertes Kapitel.

Banchieri druckt ein ganzes Sonett von Pisa ab1, und noch Bo- noncini2, Tevo3 und Mattheson4 erwähnen sein Werk. Seine Figuren vom Taktieren haben sich in der gegebenen Form nicht durchgesetzt.

Was bisher von der Taktlehre und vom Taktschlagen im 17. Jahrhundert gesagt wurde, läßt sich dahin zusammenfassen, daß auch in der Zeit der Renaissance mit der Hand, dem Takt- stock oder irgendeinem brauchbaren Gegenstand der Takt ge- schlagen wurde, und zwar so, daß die geraden Takte in Hälften, die ungeraden in ungleiche Teile geteilt wurden. Wir finden also neben der in Oper und Instrumentalmusik gebräuchlichen Cembalodirektion noch eine Leitung durch einen Taktschläger. Sie war besonders in Chorkonzerten gebräuchlich, wo die Zahl der Mitwirkenden und ihre Aufstellung eine sichtbare Direktion nötig machten, und dann auch wegen der Notierung der Vokal- stimmen, die oft ohne Taktstriche gedruckt und geschrieben wurden. Selbst bei kleineren Gesangskonzerten mit schwacher Instrumentenbesetzung pflegte man zu taktieren. So malt Kaspar Netscher ein Konzert, wo eine Flügelspielerin und ein Sänger musizieren, während der Solist den Takt schlägt5, oder er zeigt einen Lautenspieler, der eine Sängerin und einen tak- tierenden Sänger begleitet6. Auch Franz Hals hat in seinem Bild »Musizierende Knaben« den Taktschläger deutlich charak- terisiert7. In Ecorchevilles Ausgabe alter Suitenmusik8 ist wieder ein Konzert reproduziert, wo eine Sängerin, eine Lauten- spielerin, ein singender Knabe und ein Kniegeiger konzertieren, während ein Sänger aus einem Notenbuch dirigiert. Auch die bildlichen Darstellungen von größeren Orchestern und Chören, die

1 Cart. mus. S. 34: Sonetto dell' eccellente S. D. Agostino Pisa utile a gli studiosi musici e cantori in dichiaratione della battuta overo misura musicale. Die Schlußzeilen lauten: S'alla breve e il concento, ö Semibreve, Si divid' egualmente la figura: Nella proportion van dui contr' una. Nt»n variasi Misura, in ciascheduna Sorte di Canto. E per parlar piü breve, II Canto e di tre Spetie, e una Misura.

2 Bononcini a. a. O. , cap. XIII, S. 40.

3 Zaccaria Tevo a. a. O. II, Kap. 18.

4 Joh. Mattheson, Das forschende Orchestre oder desselben dritte Eröffnung. Hamburg 1721, S. 403, Anm. f, und C r i t i c a musica I, S. 38.

5 Kgl. Gemälde-Galerie. Dresden.

6 Kgl. Pinakothek. München.

7 Kgl. Galerie zu Kassel.

8 Jules Ecorcheville, Vingt Suites d'Orchestre du XVII. Siecle francais. 1906. Tom. I, Blatt 1.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 97

früher beschrieben wurden1, und die sich leicht um viele Bilder vermehren lassen2, zeigen, daß man trotz akkordischer Beglei- tung b Solo- und Chorwerken mit der Hand dirigierte. Die Cembalodirektion beschränkte sich auf die Instrumentalmusik und auf die Leitung der Oper.

Eine eigene Praxis erforderte die Direktion mehrchöriger Musikstücke, der Kantaten und Kirchenmusiken. Ludovico Grossi da Viadana gibt für die mehrchörigen Stücke seiner Kirchenpsalmen (1612) diese Direktionsanweisung: »Bei dem ersten Chor ist auch der Posten des Kapellmeisters. Dieser hat aus dem Basso continuo des Organisten die Tempoangaben zu be- stimmen und die Soli, Duo, sowie die drei-, vier- und fünfstimmi- gen Sätze anzudeuten. Wenn dann die Ripieni einzusetzen haben, so hat er sein Angesicht allen Chören zuzuwenden und durch Erheben der beiden Hände das Zeichen für sämtliche Sänger und Musiker zu geben3.« Der Kapellmeister sorgt also für das rechte Tempo, für die richtigen Einsätze und leitet durch Handbewegungen die vereinten Chöre, die man in der Kirche an verschiedenen Plätzen aufzustellen pflegte. Seit dem vielchörigen Musikstil der Venetianer war es zur Regel geworden, die Chöre auf Emporen, im Schiff der Kirche, bei der Orgel, oder wo ein geeigneter Platz vorhanden war, voneinander getrennt aufzustellen. Jeder Chor wurde von einem Unterdirigenten geleitet. Über diese Aufstellung und Anordnung der Kirchenmusik sind wir am besten durch Michael Prätorius unterrichtet, der die italienische Praxis beschrieben und seine Kompositionen nach diesem Muster angelegt hat. Seine mehrchörigen Werke sind sämtlich auf eine solche Verteilung der Chöre berechnet. Er beschreibt den Brauch so: >>Nun-

i S. oben, S. 88f.

2 S. Albert Jacquot, La Musique en Lorraine (Paris 1882, S. 73). Ein Orchester und etwa 20 Sänger konzertieren auf einer Empore. Ein Sänger vorn in der Mitte des Orchesters taktiert mit der Hand. Vgl. auch das Bild auf S. 77, Fig. 19. Caroline Valentin (Gesch. der Musik in Frank- furt a. M. 1906, S. 111) beschreibt ein Bild aus dem Jahre 1612 (etwa). Man sieht auf demselben »in der Nähe des Eingangs zum festlich geschmückten, mit Wachskerzen erleuchteten Kaisersaale eine Estrade errichtet, auf der sich acht Bläser befinden, die mit Zinken, Pfeifen, Bomharden und Posaunen musi- zieren; in ihrer Mitte dirigiert aus einem großen Buch, in das alle hineinsehen, der Kapellmeister«.

3 Viadana, Salmi a 4 chori per cantare e concertare . . . con il Basso continuo 1612. In der Orgelstimme: Modo di concertare i detti Salmi a 4 chori. Übersetzung nach Haberl (Kirchenmus. Jahrbuch 1889, S. 59f.). Vgl. Prä- torius, Synt. mus. III, fol. O 1 v.

Kl. Handb. der Mnsitgesoh. X. 7

98 Viertes Kapitel.

mehr . . nennen etliche auch dieses eine Capellam, wenn man zu einem Choro Vocali, einen Chorum Instrumentalem compo- niret vnd setzet. Doselbsten wird der Chorus Instrumentalis, welcher ... in mangelung der Instrumentisten gar wohl aussen gelassen werden köndte / vom Choro Vocali, welcher Principalis, vnd vor sich selbsten ohne zuthun der Instrumentisten, doch dass ein Organist mit einem Positiff oder Regal darbey / den Sachen eine gnüge thun kan / abgesondert / vnd etwa gegen- über / oder an ein höhern / oder aber niedrigem ort vnd stelle geordnet: Welches in Italia auch Palchetto genennet wird / da sie bissweilen mehr als einen Chor pro Capella, vnd immer einen vber den andern stellen1. . . Es kan aber das Wort Pal- chetto aus nachfolgendem kurtzen Bericht / so viel besser verstan- den werden / weil man in etzlichen Kirchen / vnd bevorab Fürstl. Capellen vnten bey der Erden / oder sonsten an einem bequemen Ort / do die Musici von den Zuhörern vngehindert bleiben können / einen gewissen stand / einem Theatro gleich / von Balcken vnd Brettern auffzubawen / oder aber die Bretter vber etliche Stüle / do sichs leiden wil / zulegen / vnd oben mit Lehnen vnd Tappe- zereyen zubeschmücken vnd ausszustaffiren pflegt. Wie man dann auch wol / do man wil / gar einen sonderlichen Ort in die höhe / einer kleinen Poerkirchen gleich / dahin vnterschiedene Chor von den anderen weit abgesondert vnd gestalt werden können / auffbawen kan: Inmassen dann dergleichen fügliche örther in alten Kirchen / vnd zuvoraus hinten in den Choren / deren man zu jetzverstandener behuff gebrauchen / vnd daher Palchetto nennen kan / offtmals * gefunden werden2.« Von einer ähnlich angeordneten Kirchenmusik in Rom ist uns ein interessanter zeitgenössischer Bericht erhalten. Bei dieser Aufführung waren zwei Orgeln rechts und links vom Hochaltar aufgestellt und in der Länge des Schiffs 8 Chöre, je vier und vier auf Tribünen ein- ander gegenüber. Der Dirigent des Hauptchors, der die besten

1 S. auch Prätorius über die Anordnung der Polyhymnia- Chöre (ebd. III, fol. Y 2 v.) : Es »müssen vier Knaben/ an vier absonderliche Örter in der Kirchen gegen einander vber/ oder wohin es sich füglich schicken wil/ gestellet werden«. Jeder Solist bekommt ein Akkordinstrument zur Stützung des Gesangs mit an seinen Platz. Vgl. ebenda fol. P, Definition von Capella: Bei verschiedenen Chören und Instrumenten wird von den Italienern noch ein besonderer Chorus ausgezogen, »darvmb daß der ganze Chorus Vocalis, oder die gantze Capella denselben im Chor /vnd von den andern Choren gantz ab- gesondert/ musiciret«.

2 Prätorius, Synt. mus. III, fol. P 2.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 99

Sänger um sich versammelt hatte, schlug den Takt für den ersten Chor. Bei jedem der anderen Chöre stand ein Kapellmeister, der »nichts weiter tat, als die Augen auf dieses Taktieren zu heften, um dasselbe mit dem seinigen in Übereinstimmung zu bringen, so daß alle Chöre nach ein und demselben Zeitmaß sangen, ohne zu schleppen«1. In einer vielchörigen Kirchenmusik wirkten demnach ein Hauptdirigent und mehrere Subdirektoren mit. Die Chöre standen getrennt; bei jedem dirigierte ein Chordirigent, der dem ersten Kapellmeister folgen mußte2. Jeder Einzelchor und Solist hatte außerdem ein Akkordinstrument wenn viele Musiker zur Verfügung standen, auch mehrere Baß- und Orna- mentinstrumente — auf seinem Platz3. So war für jeden Chor der rhythmische und harmonische Halt gegeben, denn die Cho- risten richteten sich nach ihrem Chordirigenten und dem Ge- neralbaßinstrument, das ihre Stücke begleitete. Prätorius ver- langt, daß der Continuo etliche Male abgeschrieben und an die Organisten und Lautenspieler verteilt werde. In jeder Baßstimme soll der Chor, den der Organist zu begleiten hat, deutlich be- zeichnet sein, womöglich »mit rother Tinten vnterstrichen « werden. Auch der Dirigent muß den Generalbaß vor sich haben, »damit er nicht allein des Tacts halben / wenn sich derselbe in Tripeln vnd sonsten verendert / sondern auch einen vnnd dem andern Chor einzuhelffen / den gantzen Gesang vor sich haben möge«4.

Ein Bild von einer solchen mehrchörigen Kirchenmusik hat Michael Prätorius seinem Syntagma (Theatrum Instrumentorum) vorangestellt. Man sieht den Hauptchor mit dem Dirigenten unten auf dem Bilde. Zwei Posaunenbläser, ein Fagottist, vier Sänger und Orgel musizieren, während der Kapellmeister aus dem Notenbuch dirigiert. Rechts und links sind Emporen gezeichnet, auf denen je ein Musikchor postiert ist. Bei beiden dirigiert ein

1 Ein französischer Musikbericht. M. f. M. 1878. S. 5.

2 Vgl. Casp. Printz, Musica modulationis vocalis 1678, I, §6: »Die Sub- Directores . . . formiren den Tact dergestalt / dass er gar genau übereinkomme / mit dem Tact des Directoris.«

3 Prätorius, (a. a. O. III, fol.Y 2) über die Ausführung seiner Polyhymnia- Musik: »So ist es sehr gut / daß / wo man es haben kan / bey einem jeden Knaben /ein Regal, Positiff, Clavi-Cymbel, Theorba oder Lastten geordnet/ damit also bey dem Knaben / wenn er singet / zu gleich mit drein geschlagen« werde. S. auch den erwähnten Musikbericht (M. f. M. 1878, S. 5), wo es heißt: Die Chöre wurden in Italien sehr vorteilhaft aufgestellt, jeder Chor hatte eine .-kleine tragbare Orgel in der Nähe.

4 Prätorius, Synt. mus. III, fol. Q 3.

7*

100 Viertes Kapitel.

Subdirektor aus dem Notenbuch und begleitet ein Organist auf einer kleinen Orgel. Von Instrumentalisten erkennt man auf der linken Empore Streichbaß- und Geigenspieler, auf der rechten zwei Zinkenisten.

Die Anordnung einer vielchörigen Musik war dem Kapellmeister überlassen, der je nach der Zahl seiner Solisten und Instrumenten- spieler und nach dem Konzertlokal die Werke besetzte und dem Charakter der Musik entsprechend bald eine große Zahl von Akkordinstrumenten, bald eine kleinere, schwächere In- strumentengruppe dem einzelnen Chor zuteilte1. So hat Prätorius einmal die siebenstimmige Motette »Egressus Jesus« von Jacches de Werth »mit 2 Theorben, 3 Lauten / 2 Cithern, 4 Clavi- cymbeln vnd Spinetten / 7 Violen de Gamba, 2 Quer-Flöitten, 2 Knaben / 1 Altisten vnd einer grossen Violen (Bass-Geig) ohne Orgel oder Regal musiciren lassen. Welches ein trefflich-prech- tigen / herrlichen Resonantz von sich geben / also / das es in der Kirchen wegen des Lauts der gar vielen Saiten fast alles geknittert hat«2. Man richtete also auch die Werke der a cap- pella-Periode für Instrumentenbesetzung ein, um sie dem neuen Stil der begleiteten Kantatenmusik anzupassen. Prätorius hat uns ausführlich beschrieben, wie man Motetten von Lassus für Instrumentenmusik mit Sologesang arrangieren kann. Er schlägt vor, die Schlüsselvorzeichnung jeder Stimme nacheinander auf- zuzeichnen, so daß man Lage und Umfang jeder Konzertstimme übersehen kann. Danach läßt sich dann ohne große Mühe eine Instrumentengruppierung vornehmen. Die Stimmlage in der achtstimmigen Motette »In convertendo« von Lassus gibt er in folgender Form:

lüHte

Stimme 5. 6. 7. 8. Stimme

*. Chor. 2. Chor.

Aus dieser Tabelle kann die Tonlage des Gesanges bestimmt werden; es bleibt nur übrig, nach dem Charakter des Textes und nach den gerade zur Verfügung stehenden Musikern die einzelnen Stimmen

1 Die Instrumentenmenge, die in Kirchenmusiken mitwirken konnte, zeigt das Titelblatt von M. Prätorius' »Polyhymnia« 1619. Positif, Regal, Orgel, Baßinstrumente, Zinken, Krummhörner, Fagotte und alle möglichen Arten von Zupfinstrumenten sind abgebildet.

2 Prätorius, Synt. mus. III, fol. X 4 v.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 101

instrumental zu besetzen. Prätorius schlägt folgende Anordnung vor1: »Zum 1. Choro kan man gar füglich 3 Querflöiten / oder drey stille Zincken/ oder drey Violini; Oder aber 1 Violin, 1 Cornett, vnd ein Quer- oder Blockflöit vnter einander vermenget; Zum Bassett aber ein Tenoristen, darneben so man wil / auch ein Posaun; Auch wol eine Posaun oder Fagott absque voce humana; Do dann auch ein Knabe zu dem einen Diskant, darmit die Worte gehöret vnd vernommen werden können / anordnen vnd bestellen. Zum andern Chor kan man eitel voces; Oder aber Violn de Gamba, oder Violn de bracio, oder Blockflöiten / nebenst einem Fagott oder Quart Posaun / doch dass der Discant oder der Tenor, oder beyde miteinander auch humana voce neben den Instrumenten zugleich mit drein gesungen werden.«

Prätorius bringt noch weitere Anweisungen über die Anord- nung von Chorwerken; er bespricht die einzelnen Instrumenten- gruppen, ihre Verwendung bei der Aufführung und gibt dann eine Übersicht über die Art, wie man seine eigenen Kompositionen in der Polyhymnia, die »vff 2. 3. 4. 5 vnd 6 Chor gerichtet« ist, und ähnliche Werke mit »allerhandt musikalischen Instrumenten vnd Menschen Stimmen, auch Trommeten vnd Heer-Paucken« besetzen kann. Seine Vorschläge und Anordnungen beweisen, daß der Kapellmeister die vorliegenden Werke frei ausgestalten konnte. In der geschmackvollen, wirkungssicheren Arrangierung eines Musikstücks zeigte sich die Tüchtigkeit des Dirigenten.

Mit dieser Selbständigkeit der Ausführung rechneten die Mu- siker der Renaissance in ihren Werken; und wir können uns aus den Angaben des Prätorius eine Vorstellung davon machen, wie die vielen Werke mit der Überschrift: »per cantare e sonare«, »da cantarsi l'instrumento«, »per cantare alla Tiorba, Grave- cimbalo, Arpa doppia e altri Instrumenti« u. ähnl.2 in der Praxis ausgeführt werden konnten. Wo der Komponist bestimmte Klangwirkungen haben wollte, schrieb er detaillierte Angaben über die Besetzung vor3. Sonst genügten das Notenbild und

1 Prätorius, Synt. mus. III, fol. V.

2 Vogel, Bibl. der weltl. Vokalm. I, S. 451 (Melli, sec. musiche), S. 501 (I lieti giorni von Montesardo), S. 436 (Part, de Madrig. v. Mazzocchi); II, S. 109 (Quagliati, Canto, Canzonette per sonare et cantare) u.v.a.

3 Z. B. Monteverdi im 8. Buch der Madrigale: Altri canti d'Amor . . . ä 6 (c. 4 viole e 2 violini), Sinfonia ä doi Violini e una Viola da brazzo u. s. f. (siehe Tavola im B. c). Vgl. auch G i o v. P r i o 1 i s Delicie musicali (1625) : La violetta ä 7 (4 v. e 3 istr.), F iL Laurenzis Concerti et Arie (1641) »con

102 Viertes Kapitel.

allgemeine Hinweise auf Stimmenzahl und Continuo, um dem Kapellmeister einen Anhalt über den Bau der vorliegenden Musik- stücke zu geben1.

Bisher ist lediglich das äußere Bild vom Taktschlagen und Kapellmeisteramt, von Orchesterbesetzung, Instrumentenspiel, Orchester- oder Choranordnung aus zeitgenössischen Schriften und Werken abzuleiten versucht worden. Die rein künstlerische Seite der Direktion, die Frage nach der Vortragsmethode des Diri- genten ist nur vorübergehend gestreift worden. Es gibt eben im Renaissancezeitalter so viel neue Triebe in der Musikübung, daß sich kaum ein Blatt einzeln untersuchen läßt, ohne auf den Wuchs der ganzen Pflanze einen Blick zu werfen. So ist schon häufiger darauf hingewiesen, daß die Direktion im 17. Jahr- hundert freier und subjektiver wurde. An die Stelle des gleich- mäßigen Taktschiagens trat die Direktion vom Cembalo aus oder ein Dirigieren mit Hand oder Stock, das sich nach dem im Tonstück ausgedrückten Affekt richtete. Die frühesten Nach- richten über diese Leitung nach dem Gehalt der Musik sind schon im Kapitel vom »Taktschlagen in der Mensuralmusik« aufge- führt, dieMeinungen der Musiker Schneegaß undZacconi. Beide betonen, daß nach dem Textausdruck das Tempo modifiziert, daß weltliche und geistliche Musik im Vortrag streng geschieden werden müssen. Diese Gedanken sind Vorboten der Renaissance- bewegung. Man wollte die Gesangsmusik aus den Fesseln der Polyphonie befreien, um den Affekt der Textworte mehr zur Gel- tung zu bringen, man wollte die kontrapunktische Technik da, wo sie Selbstzweck geworden war, durch die einfache Rezitation, durch sinngemäße musikalische Unterstreichung der Wortge- dänken ersetzen. Im letzten Grunde geht die Renaissancekunst immer wieder auf ein Problem zurück: auf die Frage, wie die

una Serenata ä 5 e doi Violini, e Chitarrone«. Vogel, a.a.O. Vgl. hierzu Schütz' Werke (Ges. -Ausgabe, Breitkopf & Härtel), Vorwort.

1 Vgl. Ahles Vorschriften, seine Neuen Geistl. Arien aufzuführen (Denkm. d. Tonk. I. V. S. X, XIII, XIV): Die Stücke kann 1. einer allein zugleich spielen und singen zu einem Fundament, 2. können sie mit zwei Stimmen, mit 3 und dann mit vier »mit und ohne Fundament« musiziert werden, 3. kann man sie für zwei und drei Chöre arrangieren, 4. können die Ritornelle mit vier Violinen oder mit »2 Violinen und einem Corpore« gespielt werden. Bei anderen Chören schließt er seine Vorschläge mit der Bemerkung: Die Anstellung wird »Jedem anheim gegeben«. Vgl. auch die Vorschriften im Zodiacus (Denkm. d. Tonk. X, S. 90). Die genaue Besetzung, heißt es da, wird dem »Judicio eines wohlerfahrnen Musikalischen Gehörs überlassen«.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 103

Musik eine Affektensprache darstellen kann. Vincenzo Galilei, ein leidenschaftlicher Vorkämpfer der Renaissance, berührt in seinem Fronimo- Dialog diese Frage, er kritisiert die Werke eines Merulo und Guami vom Standpunkt des Renaissancemusikers und findet, daß ihre Arbeiten die Affekte der Schärfe oder Härte, der Milde oder Weichheit, der Rauheit und Anmut, des Klagens, Seuf- zens, Weinens, der Beruhigung und Raserei nicht mit der Kraft aus- drücken konnten, wie die Lautenmusik seiner Zeit1. Auch Castig- lione und Zarlino, die am Anfang des Kapitels zitiert wurden2, legen auf den Ausdruck der Affekte großen Wert. Nach Castiglione gibt das solistische Singen zur Violenbegleitung den Worten eine Anmut und Wirkung, die geradezu wunderbar sind3. Diese Be- tonung der Affektensprache zieht sich durch die ganze Literatur der Renaissancemusiker und -theoretiker, ja Agazzari behauptet, daß man erst jetzt den wahren Stil des Wortausdruckes gefunden habe4. Berühmt ist Monte verdis Vorrede zum 8. Buch der Madri- gale, in der er seine Erfindung des Tremolo beschreibt. Er habe erkannt, daß alle Leidenschaften oder Gemütsbewegungen in drei Graden sich abstufen, in Zorn, Mäßigung und Demut oder Flehen. Diesen Affekten entspräche der erregte, weiche und ge- mäßigte Charakter der Musik, von denen der Zorn durch die Tonsprache noch nicht realistisch dargestellt worden wäre. Aus diesem Grunde habe er die musikalische Nachahmung des Zornes im Anschluß an das pyrrhische Versmaß versucht und jene Noten- repetition auf gleicher Tonhöhe erfunden, die er auch in weiteren Arbeiten für Kirche und Kammer gebraucht habe6. Monteverdi

1 Vinc. Galilei, Fronimo Dialogo, Venedig 1584, S. 51: . . . al pre- sente alcune altre dir vene voglio io con sopportatione di Claudio da Coreggio, del maestro nostro di Capella, e del caro nostro Giosophe Guami, i quali tutti non per diffetto del' Arte e saper loro ma della natura dello strumento, non hanno possuto, non possano, ne potranno mai, esprimere gli affetti delle Ar- monie come la durezza, mollezza, asprezza e dolcezza; e consequentemente i gridi, i lamenti, gli stridi, i pianti, e ultimamento la quiete e'l furore, con tanta gratia, e maraviglia, come gli Eccellenti Sonatori nel Liuto fanno.

2 S. o. S. 69.

3 Castiglione, Cortigiano: ma sopra tutto parmi gratissimo il cantare alla viola per recitare: il che tanto di venustä, et efficacia aggiunge alle parole, che e gran maraviglia (s. Kinkeldey, a. a. O. S. 154, Anm. i),

4 Agazzari, a. a. 0. : dico, che essendosi ultimamente trovato il vero stile d'esprimere le parole, imitando lo stesso iagionare nel meglior modo possible.

5 Vgl. E m i 1 V o g e 1 s Übersetzung in der V. f. M. 1887, S. 396f. Das Wort Tremolo begegnet schon früher in den »Madrigali e Symfonie« Biagio Marinis,

104 Viertes Kapitel.

ist also aus der rein spekulativ-reflektierenden Anschauung über Charakter und Eigenheit der Musik zur Erfindung des Tremolo- effektes gekommen. Auch die erwähnten Arrangierungen der a cappella-Musik, wie sie Michael Prätorius vorschlägt, gehen auf die Anschauung der Renaissance zurück, auf das Hervor- heben des Wortgedankens und Affekts. Überall sieht man das Streben, zu einer schärferen Musikcharakteristik zu kommen.

Für diese Richtung ist auch die allmähliche Einbürgerung von Vortragszeichen charakteristisch. Früher genügten die Vor- tragslehren des Gesangmeisters, um eine schulgerechte und gute Wiedergabe eines Chors zu erzielen1. Proportions- und Takt- zeichen reichten aus, um den Verlauf des Tonstücks nach dem gleichmäßigen Taktschlag zu regeln. Jetzt hatte man ein neues Notenbild vor sich, eine taktmäßig notierte Partitur oder eine Vokalstimme, die trotz ataktischer Notierung nicht nach einem gleichmäßigen tactus, sondern nach den Akzentuierungen des Gruppentaktes, wie ihn Instrumente und Continuo brachten, ausgeführt werden sollte. Die freie Direktion und die taktische Rhythmik hatten neue Ausführungsbedingungen gestellt. Um den Musikern und Dirigenten nun einige Anhaltspunkte für den Vortrag zu bieten, die sich aus der allgemeinen Musiklehre nicht ohne weiteres ergaben, griff man zu Vortragszeichen, die über Dynamik und Tempoführung orientieren sollten. Die einfachsten dynamischen Effekte, die Echowirkungen und das Gegenüber- stellen verschiedener Stimmgruppen hatten schon die Meister des a cappella-Stils ausgenutzt. Sie sind in der Renaissancemusik Gemeingut der Komponisten. In Oper- und Chormusik, in Solo- konzert- und Instrumentalliteratur werden diese Effekte reichlich angewandt. Berühmte Beispiele sind da Andrea Gabrielis Sonate »pian e forte« und die Echoarien der venetianischen Oper. Viele Musiker geben die Dynamik genau an. So schreibt Adriano Banchieri in der »La Pazzia senile« (1601) Piano und Forte vor, damit mit genauer Abwechslung gesungen würde2. Prä-

doch ist damit wohl nur ein Tonvibrieren gemeint und nicht der Monteverdische Effekt. Ich urteile allerdings nur nach der Baßstimme der genannten Sammlung aus dem Jahre 1618.

1 S.Bernh. Ulrich, Die Grundsätze der Stimmbildung. Leipzig 1910, Kap. 1 und 4.

2 La Pazzia senile, 1601. Vorrede: Per ultimo avertasi in alcune Scene dove e scritto Piano e Forte, che vuol significare si canti con mutatione, o per meglio dire alteratione di voce, e questo per conoscere la diversitä de gl' inter- locutori (Vogel, a. a. 0. I, S. 57).

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 105

torius meint, eine solche »Variation vnd vmbwechselung« sei gut und vortrefflich, »wenn sie fein moderate vnd mit einer guten gratia, die affectus zu exprimiren vnd in den Menschen zu moviren, vorgenommen vnd zu werck gerichtet wird«. Es wisse jeder Musiker, was die Worte »Forte, elate, clare, id est, summa seu intentä voce« bedeuten, nämlich, daß die In- strumentalisten und Vokalisten »zugleich starck: Pian, submisse, wenn sie die Stimme moderiren vnd zugleich gar stille intoniren vnd Musiciren sollen1«. Diese Schattierungen seien am besten in Kammerkonzerten angebracht, wenn die »Stimmen oder Chori sich selbsten oder aber per vices in art eines Echo, forte e Pian, starck vnd still respondiren«2. In großen Kirchen müsse man mit Vorsicht vorgehen, da der weite Raum viele Schönheiten der Dynamik verschlinge. Noch feinere Unter- schiede als die von Forte, Piano, elate und submisse gibt Do- menico Mazzocchi in seiner Partitura de' Madrigali ä 5(1638), wo das Madrigal »Sul mattino« mit Vortragszeichen vom Forte bis zum Pianissimo bezeichnet ist3. Heinrich Schütz gebraucht die gleichen Zeichen; am genialsten in der großen Chorszene »Saul, Saul, was verfolgst du mich« an der Stelle, wo die Worte des Herrn erst forte, wie ein gewaltiger Ruf herausgestoßen werden, dann mezzo-piano und schließlich wie eine ernste Mahnung im zartesten pianissimo4.

Auch die Crescendo- und Decrescendomanier war den Re- naissancemusikern bekannt. Caccini spricht in seiner »Nuove Musiche« (1601) vom Schwellton und bringt Vorschläge für einige Arten der Esklamation, die einem Crescendo und Decrescendo gleichen5. Überhaupt zeigt die ganze italienische Gesangsmethode

1 Prätorius, Synt. mus. III, fol. O 4 v,

2 Ebenda, fol. B b 2. Vgl. J oh. An dr. Herbst, Mus. pract. 1642, S. 54: P. id •est Piano, Lind/ still. F. id est forte, wenn alle Stimmen starck vnd laut sich sollen hören lassen.

3 Theodor Kroyer, Dialog und Echo in der alten Chormusik, Peters- Jahrbuch 1909, S. 30.

4 Ges. -Ausgabe Bd. XI, S. 102. Die Dynamik ist im folgenden Kapitel zu- sammenfassend behandelt worden.

5 Caccini, Le nuove Musiche.Vorrede S. 6: Sono . . . alcuni altri detta prima nota nella propria corda, sempre crescendola, dicendosi questa essere la buona maniera per mettere la voce con grazia. Ebenda: ho trovato essere maniera piü affettuosa lo intonare la voce per contrario effeto all' altro, cioe intonare la prima voce scemandola, perö che l'esclamazione che 6 mezzo piü principale per muovere l'affetto: e esclamazione propriamente altro non e, che nel lassare de la voce rinforzarla alquanto. Vgl. hierzu B. Ulrich, a. a. O. S. 76.

106 Viertes Kapitel.

des 17. Jahrhunderte, daß man im Sologesang und auch im Chorvortrag durchaus modern nuancierte1. In der erwähnten Madrigalsammlung Mazzocchis werden sogar Vortragszeichen für Crescendo und Decrescendo angeführt. Der Buchstabe V zeigt ein Anschwellen vom Piano zum Forte an, der Buchstabe C das Crescendo und Decrescendo, An- und Abschwellen2.

Noch deutlicher als in diesen Vortragszeichen drückt sich der Geist der Renaissance in den Direktionsvorschriften aus, die die Musiker des 17. Jahrhunderts im Anschluß an die Vor- kämpfer der Renaissance geben. Fast einmütig wird betont, daß der Kapellmeister nach dem Affekt eines Tonstücks Tempo und Ausführung zu bestimmen hat. Monte verdi unterscheidet im 8. Buch seiner Madrigale (1638) sogar ein »tempo de la mano« und ein »tempo del' affetto del animo e non a quello de la mano«. Das erste, das für ein in Stimmen gedrucktes, dreistimmiges »Non havea Febo ancora« vorgeschrieben ist, soll ohne Schwan- kungen und Tempoänderungen nach dem Taktschlag gesungen werden, das letztere, ein vierstimmiges, in Partitur gesetztes »Lamento della ninfa«, ist nach der ausgedrückten Stimmung mit Tempomodilikationen vorzutragen, so daß der Klagegesang der Nymphe, ein Sopransolo, sich deutlich von den leise beglei- tenden Unterstimmen abhebt. Agazzari legt großes Gewicht auf eine solche geschmackvolle Begleitung der Hauptstimme; auf keinen Fall sollen die Akkordinstrumente den Affekt stören3. Auch Prätorius plaidiert für die Direktion nach dem Affekt eines Ton- stückes. Er sagt, man müsse »ex consideratione Textus et Harmoniae observiren, wo ein langsamer oder geschwinder Tact gehalten werden müsse«4. Kirchengesänge und weltliche Chor- stücke sollen verschieden dirigiert werden, erstere langsamer,

1 Vgl. Max Kuhn, Die Verzierungskunst in der Gesangsmusik des 16. und 17. Jahrhunderts. Hugo Goldschmidt, Die ital. Gesangsmelhode des 17. Jahrhunderts. Bernhard Ulrich, a. a. O.

2 Mazzocchi, Partitura de' Madrig. (1638), Vorrede: Questo V significa sollevatione, ö messa di voce che nel caso nostro e l'andar crescendo ä poco, ä poco la voce di fiato . . . Questo C dimosträ, che si come nelle tenute si prima da crescer con soavitä la voce di spirito, e non di tuono, cosi anche doppo succes- sivamente si debba ä poco, ä poco andar smorzando e tanto pianeggiarla in- sieme, che si riduca all' insensibile ö al nulla (Vogel, Bibl. I, S. 437).

3 A g a z z a r i , a. a. O. : in tal caso devono tenere l'armonia ferma, . . . non ribattendo troppo le corde, mentre la voce fa il passagio, e qualche affetto, per non interromperla.

4 Prätorius, Synt. mus. III, S. 51.

Vom Dirigieren im Zeilalter der Renaissance. 107

letztere schneller und frischer. Doch können auch beide Stil- gattungen ineinander greifen und in »Concerten per Choros . . <► bald Madrigalrsche, bald Motetten Art vnter einander vermenget vnd vmbgewechselt « werden. Hier hat man sich »auch im Tac- tiren« nach der ausgedrückten Stimmung zu richten1. Prä- torius wendet sich dann gegen die Musiker, die diese Stilmischungen in den Kompositionen nicht anerkennen wollen, und begründet seine Ansicht aus dem Charakter der Musik und ihrer klang- lichen Wirkung: »Ettliche wollen nicht zu geben / dass man in compositione alicuius Cantionis zugleich Motettische vnd Ma- drigalische Art vntereinander vermischen solle. Deroselben Meynung ich mir aber nicht gefallen lasse; Sintemahl es den Motetten vnd Concerten eine besondere lieblich: vnnd anmütig- keit gibt vnnd conciliiret, wenn im anfang etliche viel Tempora gar pathetisch vnd langsamb gesetzet seyn / hernach etliche geschwinde Clausulen daruff folgen: Bald wiedervmb langsam vnd gravitetisch / bald abermahl geschwindere vmbwechselung mit einmischen / damit es nicht allezeit in einem Tono vnd Sono fortgehe / sondern solche vnd der gleichen verenderungen mit eim langsamen vnd geschwinden Tact: So wol auch mit erhebung der Stimmen / vnnd dann bissweilen mit gar stillem Laut mit allem fleiss in acht genommen werde2.« Prätorius kommt darauf zurück, als er die italienischen Vortragszeichen Forte, Piano und Adagio, Lento, Presto erklärt. Diese Tempobezeichnungen sind ebenso wie die dynamischen Vortragszeichen erst im Re- naissancezeitalter in Aufnahme gekommen. Sie geben spezielle Hinweise auf den Affektausdruck, denn das Tempo eines Ton- satzes war bereits durch das Notenbild charakterisiert: durch lange Notenwerte für getragene Stücke und durch kurze Werte für lebhafte Sätze.

Ein Stück im C-Takt, »so fern der halbe Zirkul gantz«, hat nach Carissimi eine »langsame, gravitätische / gleiche Mensur«, eine Komposition im 3/1 erfordert ein langsameres Tempo als ein Stück im 3/2-Takt. Der 3/4 verlangt wieder eine geschwindere Bewegung als der 3/2.3 Es gibt allerdings Musiker, sagt Carissi- mi4, welche >> in allen Triplis ohne Unterscheid einerley Tact und Mensur gebrauchen / geben darbey vor / die vilfältige Verände-

1 Prätorius, Synt. raus. III, S. 51.

2 Ebenda, S. 80.

3 Ars cantandi, S. 14 f. * Ebenda, S. 16.

108 Viertes Kapitel.

rung der Zahlen seye nur von den Componisten erfunden / die Musicos dardurch zu vexiren / aber weit gefehlt / daß die Triplae alle in der Quantität Außtheilung oder Proportion über- ein kommen / gesteht man gern / aber in der Qualität Langsam- oder Geschwindigkeit / oder wie es die Italiäner Tempo, und die Franzosen Mouvement nennen / wird rotunde negirt / und gäntz- lich widersprochen / auch in den unterschiedlichen Modis und Gemüths - Bewegungen deren Gesänger (!) genugsam probirt / wie weit solche Klügling sich verschiessen; Ist eben / als sagte man: Ein Gulden wird in 3 Theil / als nemlich in 3 Kopfstück getheilt / ein Groschen auch in 3 / als nemlich 3 Kreutzer: so folgt dann / daß ein Gulden und ein Groschen eins ist. Man sehe und höre nur den großen Unterschied der Triplen in Couranten, Sarabanden, Menueten, Giguen u. dgl.; Wjrd alsdann mehrere Proben nicht brauchen.« Jede Taktart hat ihre eigene Bewegung, die durch das Vorherrschen größerer oder kleinerer Notenwerte charakterisiert wird1.

Für die Notwendigkeit der Tempomodifikation gibt Prä- torius diese Erklärung: »Es erfordert... offtermahls die composition, so wol der Text vnd Verstand der Wörter an ihm selbsten: dass man bisweilen / nicht aber zu offt oder gar zu viel /den Tact bald geschwind / bald wiederumb langsam führe; auch den Chor bald stille vnd sanfft / bald starck vnd frisch resoniren lasse. Wiewol in solchen vnd dergleichen vmbwechselungen / in Kirchen viel mehr / alss vor der Taffei eine moderation zu gebrauchen vonnöten sein wil«2, d. h. die dynamischen und Zeitmaß-Schattierungen sind eher bei der Tafel- oder Kammermusik am rechten Platz als in der Kirche, wo in dem großen Raum die feineren Nuancierungen oft verloren gehen. Aus diesen Worten und den früher zitierten Quellen ergibt sich, daß man schon zur Zeit der Renaissance Tempomodifikationen kannte und anwandte. Lediglich der Affekt, der Textausdruck bestimmte Tempoführung und Wiedergabe eines Tonstücks. Wir stehen hier am Anfang einer Kunst des Dirigierens, am Ausgangspunkt der modernen Auf- fassung vom Kapellmeisteramt.

Die Affektdirektion der Renaissancezeit hat sich im 17. Jahr- hundert rasch durchgesetzt. Viele Musiker stellten ihren durch

1 Auf diese Kennzeichen für die Tempobestimmung wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.

2 Ebenda III., fol. O 4 v.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 109

den Druck veröffentlichten Werken die Notiz voran, daß die Kompositionen nach den ausgedrückten Stimmungen frei aus- geführt, beziehungsweise dirigiert werden sollen. So Monte- verdi im 8. Buch seiner Madrigale in dem erwähnten »Lamento della ninfa«, so Frescobaldi im ersten Tokkatenbuch, wo es aus- drücklich heißt: »Die Art des Spielens darf nicht dem strengen Taktschlagen unterworfen sein. Man muß diese Stücke viel- mehr in der Art der modernen Madrigale vortragen, die, obschon schwierig, dennoch für die Auffassung erleichtert werden durch den Wechsel im Zeitmaß, indem man bald schmachtend, bald rasch singt, bisweilen den Ton gleichsam in der Luft hemmt, wie es gerade der Ausdruck des Affekts verlangen mag und der Sinn der Worte1.« Der freie Vortrag wurde auch vom Instrumentalsolisten gefordert. Wir haben uns vorzustellen, daß die gesamte Renaissancemusik in ähnlich subjektiver Manier ausgeführt wurde wie die moderne Musik. Ja die Freiheit der Wiedergabe war in alter Zeit noch größer als heutzutage. Denn die Solisten verzierten ihre Stimme mit Trillern, Koloraturen und Ornamenten, die Continuospieler improvisierten ihre Be- gleitung, während die Komponisten in ihren Werken nur die notwendigsten Vorschriften über Dynamik und Vortrag angaben, da sie in den Ausführenden nicht allein reproduzierende, sondern auch produktive Künstler sahen.

Die Tempomodifikation ist noch von vielen Musikern bezeugt. So sagt Daniel Friderici2: »Im singen sol durchauss nicht einer- ley tact gespüret werden: Sondern nach dem die worte des Textus seyn / also muss auch der tact gerichtet seyn. (Irren demnach die Cantores, welche den tact so schnurgleich abmessen / alss dass Uhrwerck seine minuten3 vnd observiren gantz kein decorum vnd convenientz des Textus vnd der Harmoney. Denn bald ein geschwinder / bald ein langsamer tactus erfordert wird/. « Er gibt diese Beispiele:

geschwind langsam

ce-le-ri prae-ce-dit, ce-le - ri prae-ce - dit tar-da se-qui-tur

1 Übersetzung nach Ambros-Leichtentritt, Gesch. der Musik IV, S. 748.

2 A. a. 0. Kap. VII, Reg. 19.

3 Er meint die Kollegen, die der alten Tradition folgen wollten.

HO Viertes Kapitel,

langsam geschwind

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i

£^-f f"7q:

tri - sti - ti - a gau - di-um, gau-di - um magnum

Auch Mersenne verlangt, daß man nach dem Wortgedanken oder den verschiedenen Affekten dirigiere2. Ähnlich schreibt Erasmus Gruber in seiner Synopsis musica (fol. B iTlv): Der Takt soll »nach dem Genio und Beschaffenheit des Texts /wie es derselbe erfordert« geschlagen werden. Retzelius sagt, es klinge sehr schön, wenn der Gesang bisweilen langsamer und wieder schneller genommen werde, je nachdem es der Affekt des Stückes Ernst oder Lebhaftigkeit andeute3. Hanns Haiden sieht in dieser Tempomodifizierung eine schöne Manier, »die affectus zu movirn«4. Diese Nachrichten, die sich leicht vermehren lassen5, beweisen, daß im Zeitalter der Renaissance nicht mehr metronomisch taktiert wurde, sondern daß man nach dem Aus- drucksgehalt der Musik dirigierte. Wie die Worte von Prätorius aus Wolfenbüttel, des Rostocker Kantors Friderici, des Regens- burgers Gruber, die Angaben von Mersenne und vielen anderen Musikern zeigen, ist die neue Richtung in der Direktion ebenso schnell wie die Renaissanceliteratur in Deutschland und Frank- reich durchgedrungen. Im 17. Jahrhundert beginnt die Kunst der Direktionsführung, die selbständige Leitung von Chor und Orchester oder, wie die Renissancemusiker sagen, die Direktion nach dem Affekt eines Tonstückes. Natur und Ausdruck des Textes, Stimmung und Gehalt eines Instrumentalsatzes bestimmen Vortrag und Tempomodifikation.

Ein fester Zeitwert des Semibreven- oder Breventaktes, ein integer valor notarum, existiert für diese Zeit nicht mehr. Un-

1 Worte und Notenbeispiele stehen fast notengetreu auch bei Joh. Mich. Corvinus (Heptachordum Danicum 1646, S. 16).

2 Mersenne, Harm. univ. (II, fol. 324 v) : suivant la lettre et les paroles, ou les passions differentes du sujet.

3 Retzelius, De tactu musico: nunc velocius, mox iterum languidius Tactum incedere animadvertimus; adeo ut saepe omnia instrumenta jam quie- tura videantur, cum redintegrato quasi certamine novis viribus personare in- cipiunt. Immo in voce ipsa pro rei gravitate aut alacritate interdum tardioribus et rursum celerioribus Battutis uti perquam decorum est.

* H. Haiden, Musicale instrumentum reformatum. 1610, B. V.

6 S. D i ru t a, a. a. O. IV, S. 24/25; Kircher, Musurgia II, S. 52; J.Cas- par Printz, Mus. modul. VII, §9, wo es u. a. heißt, daß der Direktor »eines Affecten oder anderer Ursach halber die Mensur geschwinder oder lang- amer« führt.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. Hl

gefähr läßt sich aber die Dauer einer Viertelnote aus einer Angabe von Michael Prätorius feststellen1. Er hat berechnet, daß bei einem »mittelmäßigen Takt«:

80 160 320

640

tempora in einer

halben

} viertel Stunde gantzen

halben

gantzen

Stunde

gespielt werden können. Die Dauer eines Breventaktes beträgt demnach ^©-Minute, die Viertelnote würde etwa M. M. 80 ent- sprechen, eine Angabe, die dem heutigen Gebrauch nahekommt. Die neue Richtung in Direktion und Musikübung machte vielen Musikern Schwierigkeiten, namentlich bei der Ausführung von Chorwerken mit Orchesterbegleitung. In der Direktion wurde das Tempo nach dem Textgehalt modifiziert und frei ge- führt, während in den Chorstimmen die reguläre Taktabteilung nicht überall durch Striche angezeigt war. Oft genug kamen durch das Festhalten an der traditionellen vokalen Notation Ver- wirrungen und Taktfehler in den Konzerten vor, zumal an kleineren Plätzen, wo der Kantor die Männerstimmen, auch wohl einzelne Instrumente, mit Laien besetzen mußte. Dann war aber auch die Pflege des Chorgesangs an vielen Orten, besonders in Deutschland, zurückgegangen. Es gab viele Chöre, die in den Kirchenmusiken und Konzerten so unsicher sangen, daß der Kantor gezwungen war, laut und hörbar den Takt zu schlagen. Gegen diese lärmende Direktion haben viele Musiker protestiert. Man könnte eine ganze Broschüre füllen, wollte man alle Proteste zitieren, die im 17. Jahrhundert und später gegen unfähige Kapellmeister niedergeschrieben wurden. Alle Musiker sind sich darüber einig, daß man beim Dirigieren nicht unnötig lärmen soll, daß die Werke erst tüchtig probiert und einstudiert werden müssen, ehe man öffentliche Konzerte gibt. Solche Dirigenten sind »thöricht«, schreibt Friderici, die »mit dem Chorstocke also zuschlagen, daß die Stücke davon fliegen; Vnd meinen, es sey recht tac- tiret, wenn sie nur männlich niederschlagen können / gleich als wenn sie Haberstroh dreschen müsten«. Wo taktiert werden muß, soll »nicht nur zweyen oder dreyen Knaben allein / sondern dem gantzen Choro tactiret werden«. Auch die Kantoren sind im Irrtum, die »nur einen oder zween Knaben vor sich stehend haben / und denen den tact vorschlagen / und lassen die andern

1 Prätorius, Synt. mus. III, S. 87/88. Vgl. Ahle, a. a. O. S. 27/28.

112 Viertes Kapitel.

Concentores, gleich als der Hirte seine Hunde hinter sich her- ziehen«1. Nach Johann Caspar Printz soll der Dirigent den Takt »alleine schlagen / und zwar deutlich / und ohne unnöthige / närrische oder hoffärtige Gauckeleyen«2. Daniel Speer empfiehlt vor allem ein tüchtiges Studium der aufzuführenden Musik. Die Dirigenten sollen sich »dahin bestreben / die aufführende Music- Stück zuvor zu probiren / vnd dann sehen / nach welcher Art sie am besten gehen /. . . Es gibt aber viel Neidhammel / so manchem ehrlichen Mann seine wohlgemeinte Arbeit durch den Tact nur verschimpffen / und dencken nicht / dass sie sich auch darmit versündigen«3. Kein Dirigent soll »mit einem Prügel auf das n'ähste Pulpet / oder ein ander Corpus solidum« so stark schlagen, » dass man solche donnernde Schläge weiter höret / als die Sänger selbst«4. Sehr grob wird Bontempi, der Ver- fasser der Musikgeschichte, den Chordirigenten gegenüber, von denen ein großer Teil kaum eine einzige Stimme übersehen könne, geschweige denn einen ganzen Chor5; das Taktschlagen, von dem so viel Aufhebens gemacht werde, sei im Grunde genom- men doch eine einfache Sache6. Am köstlichsten werden die unfähigen Kapellmeister von Johann Bahr vorgenommen, der auf alle Taktiermanieren der Reihe nach eingeht. Er schreibt in seinen »Musicalischen Diskursen« in dem Kapitel: »Von dem modo oder Art und Manier zu tactiren«: »An etlichen Orten haben die Organisten / wann sie informiren ein höltzern Gestelle / vnd in demselben einen hölzernen Arm / diesen tretten sie mit dem Fuss auf und nieder / dabey ich mich dann fast kranck lachen müssen. Andere tappen mit dem Fuss wider den Boden7/ dass

1 F r i d e r i c i , a. a. O. Kap. VII, Reg. 17/18.

2 Printz, raus, modul. I, §33. s Speer, a.a.O. Kap. XIV.

* Printz, a. a. O. VII, §11.

6 Bon tempi, Historia mus. 1695, II, S. 206: Fra questi] v' hanno alle volte gran parte quelli ch' hanno meno scientia degli altri; i quali come Oche fra i Cigni, raccomandando il Concerto parte alla fortuna, parte al valore di chi canta o suona, senza habilitä di rimettere ne meno una semplice Parte non che un Choro intero, come se tra il Compositore e'l Copiatore, tra] l'Asino di Sileno, e '1 Pegaso delle Muse, overo tra l'Huomo e la Scimia non vi fosse differenza al- cuna di spetie.

6 Ebenda: A questi aerei Contrapuntisti e eccellentissimi Dottori di Musica altro non manca, se non che sopra quel cubito di carta col quäle fanno pomposa mostra d'una Dottrina, non consistente in altro, che nelP alzare e abassare.

7 S. o. S. 45 f. G e o r g M u f f a t empfiehlt in der Vorrede zum Flori- legium (Denkm. d. Tonk. in Österreich II, 2, S. 25) das Fußstampfen, d.h. das

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 113

es pufft / und es mit grossem Aergerniss durch die gantze Kirche schallt. Vnd wann derer etliche zusammen tappen / klingt es nicht viel anders / als ein knappender Weber-Stuhl / darinnen Meister Michel Teppicht würcket. Andere tactiren mit dem Kopffe / und wann du von ferne stehest / vnd sie heimlich fragest: Bist du nicht ein Mausskopff? sprechen sie immer: Ja /ja /ja /ja. Andere nehmen zusammen gerolltes Papier in die Fäuste / und vergleichen sich also mit denen Kriegs Generalen / die mit dem Regiments-Stabe ihre esquadronen commandiren. Etliche führen den tact mit einer / etliche mit beyden Händen / und stellen sich nicht viel anders / wie Attavan zu Regenspurg / da er auf der Heyde gleich dem Vogel Phoenix vom Thurm fahren wollen. Andere gebrau- chen sich eines langen Steckens oder Stragels / ohne Zweifel ver- mittelst desselben die unachtsamen Jungen auf den Scheidel zu schmeissen, wie dann das Bayerische Lied lautet:

Ainer hat ainen Stecken ghabt / so bald sich a Bue verschnagelt hat / da hat ern übern Scheddel gschlogn / dass sich da Stecka hat zama bogn1.

Alle diese und dergleichen Arten können so ferne passiren / als sie nicht über ihre limites hinaus schreiten. Dann es würde nicht wol stehen / wann man einem Knaben / welcher ein solo sänge / mit allen beyden Händen (welches nur in vollen Chören gewöhn- lich/2) die mensur geben wolte. So würde es auch ein greulich Auggesperr abgeben / wann der director auf den Chor guter Leute mit einer Spitzruthe von zweyen Klafftern kommen solte.

Summa / ein jeder wird sich hierinnen pro variatione loci temporis et subjectorum / zu richten wissen3.«

Nach diesen Berichten zu urteilen, muß es in manchen Kon- zerten mitunter schlimm hergegangen sein. Aber sicherlich haben die Musiker in ihrem Eifer auch viel übertrieben. Es wäre völlig

Taktauszählen mit dem Fuß, mit diesen Worten: »Letzlich zur Richtigkeit deß Zeitschlags wird vilhelffen, wann mit den Lullisten [wie die Lullysche Schule] jeder Geiger das Tempo mit einer gebührlichen (I) Fuß- Bewegung anzeiget.«

1 Speer (a. a. O. S. 6) meint, der Präzeptor »soll seine Sing-Knaben um und bey dem Pult fein genau an der Hand haben / . . . und soll er solche zum öfftern mit Worten / und wo es nöthig auch mit dem Baculo zum fleissigen Mitsingen vermahnen«. Daß die armen Diskantisten nach dieser Methode recht oft »vermahnt« wurden, ist aus vielen Musiker-Biographien bekannt.

2 S. o., S. 97.

3 Johann Beerens, Musicalische Discurse 1719. S. 171 f.

Kl. Handb. der Mnsikgesch. X. "

114 Viertes Kapitel.

verkehrt, wollte man die zitierten Mißstände verallgemeinern. Wie hoch man von der Kunst des Dirigierens dachte, haben die früher erwähnten Nachrichten von Prätorius und anderen Musikern gezeigt. Das Taktierlärmen kam sicherlich nur bei unfähigen Musikern vor, oder es wurde notwendig, wenn man schlechte Kräfte auf dem Chor hatte oder Entgleisungen verhüten wollte. Daß davon in früherer Zeit so viel die Rede ist, beweist nur, daß es um die Leistungskraft vieler Chöre nicht gut bestellt war, denn die schlechtesten Orchester werden stets am lautesten dirigiert. Die chorische Technik stand im 17. Jahrhundert nicht mehr auf der Höhe der a cappella-Zeit, was sich aus der neuen Chorliteratur, die durchweg mit Instrumentalbegleitung gesetzt war, und aus der ge- samten Musikpraxis leicht erklären läßt. Früher waren die we- nigen Chorsänger einer Kapelle auf sich allein angewiesen, jetzt hatte man bei der Aufführung ein Positif zur Hand, auf dem der Kapellmeister oder der Organist begleitete und womöglich auch die Stimmen mitspielte, die man chorisch nicht besetzen konnte1. Es ist erklärlich, daß durch die Orgelbegleitung die Technik des Chorgesangs zurückging und die Leistungen mancher Chorvereine schlechter wurden. Dann wurden auch im 17. Jahrhundert, namentlich in Deutschland, die Dilettanten noch mehr zum Chorgesang in Kirchenvereinen und Kantoreien herangezogen als früher. Daß man bei solchen Kapellen in den Proben mit einer lautlosen, ruhigen Direktion nicht weit kommt, weiß jeder Chordirigent.

Die hübsche Schilderung, die uns Johannes Bahr vom Diri- gieren gegeben hat, ist häufiger abgedruckt worden und hat wohl manchem Leser ein Lächeln über die gute alte Zeit abgewonnen. Solche aus dem Zusammenhang gerissene Notizen bringen aber unsere Kenntnis von der alten Praxis nicht weiter. Es muß stets darauf hingewiesen werden, daß man in guten Ka- pellen ebenso wie in unserer Zeit möglichst ohne Lärm und auch lautlos dirigierte. Dafür haben wir genug Belege, die allerdings bisher nicht beachtet worden sind. Ich hatte schon für die Praxis der a cappella-Zeit nachgewiesen, daß von vielen Musikern ein geräuschloses, unauffälliges Taktieren verlangt wird. Das Gleiche fordern auch Theoretiker und Musiker der Renaissancezeit. Ago-

1 Viadana sagt, er habe oft, besonders in Klöstern, gesehen, daß eine Motette von fünf, sechs oder mehr Stimmen zur Orgel gesungen wurde, während nur zwei oder drei Sänger auf dem Chore standen. Vgl. Prätorius, a. a. O. III, S. 4.

Vom Dirigieren im Zeitalter der Renaissance. 115

stino Pisa betont in seinem Buch über den Takt, daß das »stre- pito del battere« vermieden werden soll; es sei nur notwendig, daß die Sänger das Taktieren sehen können1. Er beruft sich auf die Theoretiker Zacconi, Lusitano, Tigrini, Diruta und Sca- letta, deren Werke schon früher zitiert wurden. Von tüchtigen Kapellen wurde sogar ohne sichtbare Direktion gesungen, wie bei unseren kleineren Vokal- oder Streichkonzerten. Man folgte dem Gehör und der führenden Stimme des Vorsängers. So wurde z. B. von der päpstlichen Kapelle in Rom im 17. Jahrhundert gesungen. Antimo Liberati erzählt in seiner »Epitome della musica«, daß die Kapelle alle Gesänge in guter und ausgezeich- neter Ordnung ohne jedes Zeichen und ohne irgendwelche sicht- bare Taktbewegung vortrug, und zwar so gleichmäßig, »daß die Sänger nicht allein ohne Verwirrung oder Konfusion weiter- gingen, sondern auch mit der notwendigen Langsamkeit oder Schnelligkeit sangen und den Gesang so einrichteten, daß, wenn die Zeremonie des Priesters oder Zelebranten beendet war, auch im selben Augenblick der Gesang endete2«. Selbst Messen von Palestrina und Morales die allerdings nur eine kleine Besetzung beanspruchen konnten von tüchtigen Sängern ohne sichtbaren Taktschlag gesungen werden3. Solche Aufführungen, wie sie Liberati beschreibt, waren für gute Kapellen vorbildlich. Des- halb sagt auch Friderici: Der Takt soll »durchauss nicht ge- höret / sondern allein gesehen / oder wo es müglich / nur obser-

1 Pisa, a. a. O. S. 29, 48. Vgl. Gorvinus, Heptachordum Danicum 1646, S. 16: In canendi actu et tractu Tactum non aure sed oculo observabis. Id est, tarn leni et submisso indicabitur motu, ut ictus aurem non moleste cadat.

2 Ant. Liberati, ein Schüler Benevolis, kam 1661 als Sänger in die päpstliche Kapelle. Um diese Zeit ist wohl das zitierte Werk entstanden. In Gaet. Gasparis Catalogo della Biblioteca del Liceo musicale (I, S. 34) ist die erwähnte Stelle abgedruckt. Sie lautet: Se tutti i Musici e Cantori fussero dell' istesso valore, et ammaestrati nell' uso e essercitio, come i nostri della Capeila Pontificia (unico essempio, e stupore al mondo tutto) i quali senza segno, o moto alcuno di battuta cantano unitamente tutti i concerti musicali attenenti per le sacre fontioni del sommo Pontefice con un ordine cosl ponderato, et esquisito, che non solo vanno procedendo con il canto senza disturbo o confusione imagi- nabile, madipiüsanno, o con la tarditä, o con la velocitä necessaria compassar, e distribuire in modo la cantilena, che finita la cerimonia, o del Pontefice, o del Celebrante, si trova anche nel medesimo punto finita la cantilena.

3 Vgl. Erculeo, Lumi primi (1686, S. 51) : oltre cid puö dirsi, che le Messe del Palestina, Morales, Vittoria, Soriano e d' altri Regolari Compositori Ecclesiastici si potrebbero quasi tutte Scriver, e Cantar benessimo con le Figure del nostro Canto, e quasi senz' altra misura, che del buon giudizio de Cantanti.

116 Fünftes Kapitel.

viret vnnd gemercket werden1«, und Johannes Magirus meint, daß man den Takt nach dem Wink des Dirigenten oder aber nur in »Gedanken« beachten solle2.

Die angeführten Quellen beweisen, daß das lautlose Taktieren auch im 17. Jahrhundert bekannt war, und denkt man daran, daß selbst Tempomodifikationen und Vortragsschattierungen vom Dirigenten angegeben wurden, so wird man die Kunst der Chor- leitung und die geräuschlose Direktion nicht mehr für eine Er- rungenschaft des 19. Jahrhunderts erklären können. Man war offenbar bestrebt, störende Taktierbewegungen auszuschalten oder aber, wenn das Taktschlagen bei großen Kapellen oder unsicheren Musikern nötig wurde, möglichst ohne Lärm und lautlos zu dirigieren. Gute Chöre wurden durchaus nach modernen Anschau- ungen dirigiert, ohne jene Kraftäußerungen und Mätzchen, von denen oben die Rede war.

Die Zeit der Renaissance hat eine künstlerische Auffassung vom Kapellmeisteramt begründet und die Grundsätze für ein freies Dirigieren, für die Direktion nach dem Affekt eines Ton- stücks aufgestellt. Dem Taktschläger der a cappella- Periode folgte der Dirigent der Renaissance, der vom Klavier aus die Opern und Instrumentalstücke leitete oder aber mit Hand, Takt- stock oder Notenrolle Kantaten und Chöre dirigierte. Er schlug nicht mehr einen gleichmäßigen Takt, sondern bestimmte Aus- führung und Tempobewegung nach der in der Musik ausgedrückten dichterischen Idee. Das ist das Neue und Wichtigste, was die Epoche der Renaissance für die Geschichte des Dirigierens gebracht hat.

Fünftes Kapitel. Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert.

Mit dem Vordringen der Instrumentalmusik im 17. Jahr- hundert waren die rhythmischen Konstruktionsprinzipien der a cappella-Musik verloren gegangen. Der Gruppentakt, der stets die gleiche Zahl von Notenwerten zusammenfaßt und den regel- mäßigen Wechsel von betonten und unbetonten Taktteilen auf- stellt, setzte sich auch in der vokalen Literatur durch. Anfangs suchte man seinem Einfluß durch Fortlassen der Taktstriche

i Friderici, a. a. O. VII, Reg. 17.

2 A. a. O. I. IV, tactus fit vel »nutu vel cogitatione«.

Taktschlagen und üoppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. H7

oder durch kleine Orientierungsstriche in den Vokalstimmen zu begegnen, doch führten die anwachsenden Schwierigkeiten, die sich bei der Aufführung für die Sänger ergaben, bald zur Ab- grenzung der Notenwerte in allen Stimmen, zur Einführung der Taktstriche in die Vokalstimmen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist diese Umbildung des Notenbildes in der Chor- und Sololiteratur zum Abschluß gekommen. Wir finden in den Stimmen das moderne Notierungsbild und in der Literatur eine Rhythmik, die nicht mehr frei aus der durch Taktzeichen und Taktschlag geregelten Dauer der Noten werte die Musik aufbaut, sondern die mit der Metrik, mit dem Einordnen der Schwerpunkte in den Gruppentakt rechnet, die akzentuierende Silben nach dem Akzent oder Taktstrich einstellt.

Wie sich dieser Gruppentakt in Musik und Theorie darstellt, war im vorigen Kapitel gezeigt worden. An die Stelle der drei Taktarten der Mensuralmusik, die lediglich die Notendauer zum gleichmäßigen Taktschlag regelten, traten die fest begrenzten zwei- und dreiteiligen Haupttakte mit ihren Unterteilungen. Sie umfaßten innerhalb der Taktstriche eine Reihe von Noten- werten, deren Zahl und Dauer durch vorgezeichnete Angaben, wie 3/4, 6/8 usw. geregelt wurden. Diese Taktmetrik ist bis in die Neuzeit geblieben. Nur in unseren Tagen des Experimen- tierens und Suchens nach neuen rhythmischen Wirkungen ist durch die Renaissancebewegung eine Änderung eingetreten. Man versucht, den Taktstrich als Orientierungsmarke anzusehen und die alte freie Rhythmik der a cappella-Zeit in Chor und In- strumentalmusik wieder zu Ehren zu bringen, ein Streben, das Debussy und die Neufranzosen bisher am erfolgreichsten durch- geführt haben, während Scriabines Versuche, durch fortwähren- den Taktwechsel der Rhythmik ein neues Relief zu geben, bisher kein Resultat gebracht haben.

Die Musik des 18. Jahrhunderts steht ebenso wie die frühe Instrumentalmusik und die Literatur der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter dem Gesetz des Gruppentakts. Die Schran- ken des Taktstrichs sind die Gesetzgeber der Taktmetrik und Akzentuierung. Es ist das gleiche Bild wie in der vorangehenden Epoche: der Takt bringt eine Zusammenfassung von Notenwerten, deren Zahl und Dauer durch die Vorzeichnung bestimmt wird. Solcher Takte kann es nach dem Gesetz der zwei- oder drei- teiligen Notendauer eine unabsehbare Reihe geben. Doch wird ihre Zahl durch die Aufnahmefähigkeit unseres Gehörs begrenzt. Wir

118 Fünftes Kapitel.

können Gruppentakte, deren Ausdehnung etwa 16/4 oder 12/2 in gemäßigter Bewegung umfaßt, nicht als eine Einheit auffassen, wir werden stets Unterteilungen in kleinere Taktgruppen vor- nehmen, je nachdem Akzentuierung oder Harmonie einen Anhalt geben. Alle Taktarten gehen deshalb auf wenige Haupttypen mit ihren Unterabteilungen zurück. Ihre Zahl wird von den Theoretikern des 18. Jahrhunderts in folgender Tafel angegeben:

2/l, 2/2, 4/2, 2/4, 4/4', »/l, 3/2, 3/4, 3/8, 3/l6; 6/l, 6/2, 6/4, 6/8,

6/ie; 9/i, 9/2, 9/4, 9/s, 9/ie; 12lx, 12/2, 12/4, 12/s, "/m1- Die obere Zahl zeigt die Quantität an, »wieviel nemlich Noten aufm Tact gehen«, die untere die Qualität, »was. . . für Noten es seyn«2. Die Grenzen der Taktarten sind durch die Notenwerte (Ganze, Halbe, Viertel, Achtel usw.) und durch ihre Zusammenfassung in Gruppen von 2, 3, 4 bis zu 12 Einheiten oder Taktglieder gezogen. In der Praxis kommen noch anders formulierte Takte vor, z. B. der 1/4-, der 24/32-Takt oder die Fünftakter, mit denen schon Adolphati, Telemann und Kirnberger Versuche aufgestellt haben3, oder auch Zeichen wie 8/12, 4/3 und ähnliche, die auf die Taktinversion zurückgehen4. Die gebräuchlichsten Taktarten bleiben aber auch im 18. Jahrhundert der 2/2-Takt, 4/2, 2/4, 4/4,

6/ 6/ 12/ 12/ 12/ 3/, 3/ 3/ 3/ 9/ 9/ 9/ 5 \UTP

/4> ISi /4» /8> /16' /l> I2i /4» /8> 1 8i /4i /16 11UB

Ableitung ist verschieden; bald werden zwei Grundformen, bald wieder vier gegeben. Man kann folgende Gruppierungen verfolgen: 1. Gerade und ungerade Takte (Proportientakte), Ordinar- und Tripeltakte, äquale und inäquale, spondäische und trochä- ische6. Werden die großen Tripeltakte i3/^) in Unterabteilungen

1 Vgl. Joh. Peter Sperling, Porta musica, das ist: Eingang zur Music. Görlitz und Leipzig 1708, II, Kap. II.

2 Sperling, Principia musicae. Budissin 1705, Kap. IV. Die gleiche Lehre bei allen Theoretikern.

3 Vgl. Rousseau, Dictionnaire de musique. 1768. Art.: »Mesure«. Er weist auf die Arie »se la sorte mi condanna« aus der Oper Ariana von Le Sieur Adolphati hin, die im Fünftakt geschrieben ist. In Sulzers »Allgemeiner Theorie der schönen Künste« werden von J. A. P. Schulz Telemannsche Chöre im Fünftakt erwähnt (Art.: »Tact«). Kirnberger notiert das letzte Stück seiner »Lieder mit Melodien« 1762 (Das »Liebesband«) im 5/4" un(^ 6/2-Takt.

* S. o., S. 76.

5 Zur Aufstellung der Takttheorie sind die im weiteren Verlauf der Arbeit zitierten Quellen benutzt worden. Eine Aufzählung muß hier aus Raum- rücksichten unterbleiben.

6 Zaccaria Tevo, a. a. O. II, 18. Sperling, Porta mus. II, 1. M a t - t h e s o n, Das Neu-eröffnete Orchestre, 1713, I. Kap. III, vgl. Critica musica I, S. 38f. Münster, Musices Instructio 1748 (3. Aufl. § 5f.). Scheibe, Über die musikalische Composition 1773, Kap. V u.v.a.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. H9

aufgelöst, so können 6/4, 6/8, 12/4 und 12/8 auch als Tripel- takte — spondäische Tripel angesehen werden1. Diese Teilung in gerade und ungerade oder gleiche und ungleiche Takte schließt an die im vorigen Kapitel gegebene Takttheorie unmittelbar an.

2. Die Abteilung in zwei-, dreigliedrige und zusammengesetzte Takte, die besonders bei den Franzosen gebräuchlich ist. Lam- bert (1702) gibt als erste Klasse: C, (^, -2-, 4/8, als zweite: 3/2, 3, 3/8, (9/4/9/8), als dritte: <74, e/gj (ia/4i i2/8)a Demotz (1728) gruppiert die Takte: ä 2 (2/4, */8, */16, 6/4? 6/g> 6/ie).

ä 3 (3/2, 3/4, S/g| 8/l6f 9/4i 9/8> 9/ie); ä 4 (*/4> 18/4| ™/g| 1»/16)».

Die gleiche Teilung kennen Dard (1769)4 und Corette (1782)5. Wichtig ist an dieser französischen Takttheorie die Gleichberech- tigung des zweiteiligen und zusammengesetzten Takts.

3. Die Teilung in gerade zwei- und dreigliederige und in un- gerade zwei- und dreigliederige Takte. Die geraden zweigliede- rigen sind nach Marpurg: 2/2, 4/2, 2/4, 4/4, die ungeraden zwei- gliederigen: 3/2, 3/4, 3/8, was aus der alten trochäischen Takt- führung verständlich wird. Die geraden dreigliederigen Takte sind 6/4, 6/8, 12/8, die ungeraden 9/4, 9/86. Die gleiche Auf- stellung bringt Kalkbrenner7.

4. Einfache und zusammengesetzte Taktarten. Meinradus Spieß unterscheidet Triplae simplices et compositae8. Brossard bringt Tafeln über Triples simples (3/1? 3/2 usw.), Triples com- posez (9/l5 9/2, 9/4 usw.), Triples sestuples ou binaires ' (6/i> 6/2 usw.) und Triples dosduples ou ä quatre temps (12/i, 12/2 usw.)9. Im

1 Fuhrmann, Musicalischer Trichter 1706. S. 48. Vgl. Ernst Wilh. Wolf, Musikalischer Unterricht 1788. Taktlehre, S. 23 u.a.

2 Les principes du clavecin, Paris 1702. S. 23. Die eingeklammerten Takte im Nachtrag, S. 65.

3 m, * * * Pretre (Demotz de la Salle), Methode de musique selon un nouveau Systeme, Paris 1728, S. 150 f.

* Dard, Nouveaux Principes de Musique, Paris (1769) S. 8.

6 Mich. Gorrette, Le parfait maitre ä chanter, nouv. edition. 1782(?) Kap. VIII. Loulie (Elements ou Principes de Musique, Amsterdam 1698, S. 34f.) gibt eine andere Theorie; er gruppiert nach zwei-, drei-, vier-, sechs-, neun- und zvvölfzeitigen Takten.

6 Fr. Wilh. Marpurg, Anleitung zur Musik überhaupt, Berlin 1763, S. 70. Vgl. Kritische Briefe über die Tonkunst I, S. 123. 61. und 62. Brief und II, 67. Brief. S. 22.

7 Christ. Kalkbrenner, Theorie der Tonkunst, Berlin 1789. Vgl. Hiller, Anweisung zum musikal. richtigen Gesänge 1774, VIII § 12.

8 Tractatus musicus, Augspurg 1745, S. 79.

9 Seb. de Brossard, Dictionaire de Musique, 2. edit. Paris 1705. Artikel: Tripola.

120 Fünftes Kapitel.

Chemnitzer Musiklexikon werden Triplae simplices, compositae et mixtae erwähnt1. Türk gibt als Grundform den geraden und ungeraden Takt und unterscheidet in jeder Klasse einfache und zusammengesetzte Takte2.

Alle diese Theorien haben einen gemeinsamen Ausgangspunkt: den einfachen geraden und ungeraden Takt. Seine Vorzeichnung ist die gleiche wie in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts. Doch sind die alten Reste der Mensuralnotation, die Prolations- punkte und Perfektionskreise, mit denen sich die Renaissance- zeit noch schleppte, vollständig verschwunden. Man findet die noch heute gebräuchlichen Zeichen oder auch einfache Zahlen wie 2 und 3. Die 2 oder £ ersetzt in der französischen Ouver- türenliteratur das alla Breve-Zeichen. Sperling sagt dazu: 2 be- deutet zwar einen Ordinar-Tact, welcher 4 Viertel in sich hat, »es wird aber solcher Tact sehr geschwind tractiret / also / dass zwey dergleichen Tacte fast nur so lange dauren als sonsten einer; diese . . . Manier oder Species des Tacts ist von denen Frantzosen zu uns kommen / und wird solcher in Ouvertüren, Bourreen etc. gebraucht«3. Bei Vorzeichnung einer 3 muß der Takt aus den No- ten bestimmt werden, aus den zwischen zwei Taktstrichen stehen- den Werten. Die Zeichen C und (jr, die im Renaissancezeitalter unterschiedlos angewandt werden, gelten im 18. Jahrhundert wieder als Vorzeichen für die Taktbewegung. C »bedeutet eine langsame / gravitätische / gleiche Mensur, Tact, Proportion oder Eintheilung«, (f", einen Takt der »noch so geschwind« gegeben werden soll4. Die Regel bleibt für das 18. Jahrhundert Ge- setz und ist in dieser Form noch in unserer Zeit gültig. Die gesamte Taktordnung gleicht der modernen Theorie. Brüche,

1 Kurtzgefaßtes Musicalisches Lexicon. Chemnitz, bey Joh. Christ, und Joh. Dav. Stösseln, 1737. Artikel: Tact.

2 Dan. Gottl. Türk, Klavierschule, Leipzig und Halle 1789, S. 89f., vgl. auch S. 94.

3 Sperling, Porta mus. II, 1. Vgl. Friedr. Ehrh. Niedt, Musicalisches A B C. Hamburg 1708, Kap. IX, S. 21: 2, alla Breve ist »bey den Frantzosen in ihren Ouvertüren« sehr beliebt. Ferner Niedt, Musicalische Handleitung, Hamburg 1700, I, IV, Mattheson, Neu eröffnetes Orchestre I. Kap. III u. v. a. Vgl. die Partiturdrucke der Lullyschen Opern.

4 Carissimi, Ars cantandi, S. 14 f. Joannes BaptistaSamber, Manu- ductio ad Organum, Saltzburg 1704, S. 9: £, bedeutet »ein langsames und gravitätisch Gesang« geht noch einmal so schnell. In kontrapunk- tischen Stücken deutet das Q} nach Samber auf einen hurtigen Gesang, während (£, als Proportio dupla gilt: Allen Noten ist die Hälfte des Wertes entzogen, statt einer ganzen Note kommen zwei auf den Takt.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 121

ganze Zahlen und die Taktzeichen C und (fc geben Aufschluß über Anzahl und Wert der in einem Gruppentakt vereinten Noten. Zählzeiten sind im alla Breve die Halben, in den übrigen Takten Viertel, Achtel usw. Rhythmik und Notation zeigen das moderne Aussehen.

Die Verteilung der Noten auf Nieder- und Aufschlag lehren die an der alten Theorie festhaltenden Theoretiker nach dem be- kannten Schema der gleichen und ungleichen Taktteile. Gerade Takte werden in Hälften geteilt, ungerade in ungleiche Teile, nach dieser Form:

im 2/4 gehört 1 Viertel zum Niederschlag, 1 zum Aufschlag.

» 2/2

»

1 Halbe »

» 4/4

gehören 2 Viertel »

» 6/4

»

3 Viertel »

» 6/8

»

3 Achtel »

» 12/4

»

6 Viertel »

»12/8

»

6 Achtel »

» Vi

»

2 Ganze »

» 3/2

»

2 Halbe »

» 3/4

»

2 Viertel »

» 9/s

»

6 Achtel »

» 9/4

»

6 Viertel »

»

1

»

»

»

2

»

»

»

3

»

»

»

3

»

»

»

6

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»

»

6

»

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1

»

»

»

1

»

»

»

1

»

»

»

3

»

»

»

3

»

»

Diese Takteinteilung lehrt neben vielen anderen Musikern der sonst so reformatorisch gesonnene Mattheson1. Er nahm in seiner Taktlehre die alte Theorie mit in die Neuzeit, zitierte Stephan Vanneo und Agostino Pisa und bewies den Musikern, daß kein Takt in der Welt mehr als zwei Teile haben kann2. Seine Be- weisführung richtete sich gegen die Theoretiker, die dem Tripel- takt drei Teile zuerkannten, und gegen die Praktiker, die von der alten Taktiermethode nichts mehr wissen wollten. Mattheson blieb in diesen Fragen rückständig. Er sah nicht, daß die von vielen Musikern aufgestellten neuen Taktierformen eine Forderung der Zeit geworden waren, daß Vanneo und auch Pisa andere rhyth- mische Verhältnisse berücksichtigten als die Theoretiker und Praktiker seiner Zeit.

Die neue Richtung, gegen die Mattheson auftrat, macht sich in der theoretischen Literatur schon in der zweiten Hälfte des

1 Mattheson, Critica musica I, S. 38f., und Neu eröffnet. Orch. a.a.O. Vgl. Niedt, Mus. A— B— G. Kap. IX. Münster, a. a. O. § 12 u. v. a.

2 Crit. mus. a. a. O.

122 Fünftes Kapitel.

17. Jahrhunderts bemerkbar, in einer Zeit, wo die Taktstrich- abgrenzung in den Vokalstimmen zur Regel wird und der Gruppen- takt auch auf die Chorliteratur übergreift. Man kam bei Chor- aufführungen nicht mehr mit der alten Taktierform aus. Ein- mal war der Taktumfang durch das Vorherrschen der kleineren Notenwerte so groß geworden, daß sich ein einzelner Gruppen- takt, der etwa nur Sechzehntel umfaßte, nicht durch einmaliges Senken und Heben der taktierenden Hand angeben ließ, und dann war auch dem gleichmäßigen Taktschlag die Direktion nach dem Affekt des Stückes gefolgt: man modifizierte das Tempo. Bei der Klavierdirektion gab es hier keine Schwierigkeiten. Der Kapell- meister konnte überall die rhythmische Struktur des Notenbildes, die Aufhaltung und Beschleunigung des Tempos durch Mit- spielen der Hauptakzente angeben. Sobald er aber den Takt schlug, reichte dafür die Markierung durch einmaliges Nieder- und Aufschlagen in den großen langsamen Takten nicht aus. Die ein- zelnen Taktteile mußten ausgeschlagen werden, wenn die Musiker exakt zusammenspielen sollten. Musiker wie Johann Caspar Printz (1678)1 und Retzel (1698)2 sprechen daher von einem Ab- teilen des Taktes in gleiche Teile, von einem Taktieren des geraden Taktes in vier Unterteilungen. Daß hiermit eine Direktion ge- meint ist, die neben den alten Taktbewegungen auch Seiten- schläge oder wiederholte Nieder- und Aufschläge anwendet, wird von italienischen, französischen und deutschen Musikern bezeugt. Ihre Ausführungen, die in den Hauptpunkten übereinstimmen, werden am besten nach den einzelnen Ländern besprochen, denn die Aufstellung der modernen Taktfiguren ist nicht mit einem Schlage erreicht. Die Entwicklung führt von Italien nach Frank- reich und zuletzt nach Deutschland.

Aus Italien haben wir bereits im Jahre 1672 eine Nachricht, die beweist, daß man mit der alten Taktierform nicht mehr auskam. Lorenzo Penna gibt in den »albori musicali«3 folgende Takt- theorie: Der Takt besteht aus Niederschlagen und Aufschlagen der Hand und hat vier oder drei Teile. Der erste Teil im Viervierteltakt wird durch den Niederschlag bezeichnet, der zweite durch ein mäßiges Heben der Hand, die man ein wenig wiegen läßt (un

1 Mus. mod. I, §33: Der Dirigent soll »den Tact in gehörige gleiche Theil gantz just« abteilen.

2 A. a. O. These XIII: [musici] in quatuor partes aequales hunc tactum distinguere . . . solent.

3 Lor. Penna, Li primi albori musicali, Bologna 1672.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 123

poco ondeggiando), der dritte kommt auf den Aufschlag, der vierte auf das völlige Heben der Hand, auf das Anhalten im Auf- schlagen. Im Tripeltakt kommt der erste Teil auf den Nieder- schlag, der zweite auf das Wiegen der Hand, der dritte auf den Aufschlag1. Das Ondeggiare erklärt Brossard in seinem Musik- lexikon als ein wellenförmiges Bewegen der Hand: »Ondeggiando la mano heißt das Umwenden der Hand beim Taktschlagen nach dem Niederschlag, um den zweiten oder dritten Taktteil zu mar- kieren, bevor man wieder aufschlägt oder den Takt beendet« 2. Die Pennaschen Taktfiguren würden so aussehen:

^ t l und f

12 3 4 12 3

Zaccaria Tevo (1706) gibt sie in ähnlicher Form:3

H ' ' - i J f

12 3 4 12 3

Dies wiederholte Nieder- und Aufschlagen ist für die gesamte Gruppentaktdirektion charakteristisch. Es ist die einfachste und aus dem alten Schema des Taktschiagens sich natürlich ergebende Methode. Wir werden sehen, daß sie sich in allen Län- dern als die ältere Taktierform des Gruppentakts nachweisen läßt. Die »Principii di musica« aus dem Jahre 1708 stellen die be- kannten Formen des wiederholten Nieder- und Aufschlages auf: beim Viertakt zwei Taktteile nieder, zwei auf; beim Dreitakt

1 A. a. O. Kap. 15: la Battuta quattro parti, la prima e" battere, e la seconda 6 fermare in giü, la terza e" alzare, e la quarta e" fermare in sü; Nelle Note nere spiccano benissimo questo quattro parti di Battuta, perche la prima 6 nel percuotere, la seconda ö nel levare un poco ondeggiando la mano, la terza e" nell' alzata, e la quarta 6 nel fermare in sü. Nella Tripola si fanno trö parti di Battuta, una nel percuotere, la seconda nel levare ondeggiando, e la terza nel fermare in sü.

2 Brossard, Dictionaire, Art. Ondeggiare: C'est proprement dötourner la main en battant la mesure, apr^s l'avoir baissöe, afin de former un second ou troisi^me temps avant que de la lever tout ä fait, ou terminer la mesure.

3 II Musico testore, Venezia 1706, II, 18: la battuta d'egualitä quattro parti; la prima e il battere; la seconda il fermarsi all' in giü; la terza nell' alzar della mano; e la quarta in fermarsi all' in sü. Nelle Triple si formano tre parti; la prima 6 nel percuotere; la seconda nel levare ondeggiando; el la terza nel fermarsi in sü. Nelle Sestuple si formano sei tempi, tre nell battere, e levare, e altri tre nell' alzare, e fermarsi in sü.

124 Fünftes Kapitel.

zwei nieder, einer auf1. Ebenso erklärt Tessarini (1741)2 das Taktieren. Die Taktteile werden also beim Taktieren ausgeschlagen, und zwar werden die Hauptzeiten in der alten Form dirigiert, während die anderen durch nochmaliges Senken und Heben der Hand gegeben werden. Diese Taktierform hat sich in Italien bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gehalten. Rousseau sagt in seinem Dictionnaire, daß die Italiener die ersten beiden Zeiten des Dreitakts niederschlagen und die dritte auf den Aufschlag nehmen, und daß sie beim Viertakt die ersten beiden Zeiten nieder-, die andern beiden nach oben schlagen, eine Form, die in Frank- reich in dieser Zeit nicht mehr gebräuchlich war3. Selbst Loren- zoni (1779) hebt noch den Unterschied zwischen französischer und italienischer Taktiermethode hervor4, so daß man das wieder- holte Auf- und Niederschlagen als spezifisch italienische Taktier- form ansehen kann.

Die französischen Musiker gehen zur gleichen Zeit wie die Italiener auf eine Umänderung der alten Dirigierformen aus. Die bewegte und vielgestaltige Rhythmik ihrer Ballett- und Tanz- musik, der Ouvertüren und Opern erforderte von vornherein eine exakte, rhythmisch genaue Direktion. Wir wissen auch, daß gerade in der französischen Oper nicht nach italienischem Muster vom Cembalo aus dirigiert wurde, sondern mit einem Taktstock. Lully hat sich bekanntlich bei dieser Direktion mit einem langen

1 Principii di mus. (am Schluß: Venezia 1708, Appresso Anton. Bortoli): La Battuta e un abbassare, ed alzar della mano, la quäle comincia in terra, e fi- nisce in aria, e si divide in quattro parti, due in terra, e due in aria. 3/i s' batte in tre terzi, due in terra ed uno in aria.

2 CarloTessarini, Gramatica di Musica, 1741 : Tempi della Musica, avvertendo che quelli che saranno composti di 4 Tempi anderanno battuti, due in battere, e l'altri due in levare; quelli di 3 Tempi, due in battere, e l'altro in levare; quelli di 2 Tempi uno in battere, e l'altro in levare.

3 Rousseau, Dictionnaire de musique, Art. Frappe: Les Italiens frappent les deux premiers de la mesure ä trois, et levent le troisieme, ils frappent de meme les deux premiers de la mesure ä quatre, et levent les deux autres. Ces mouve- mens sont plus simples et semblent plus commodes [que les mouvemens des musiciens Francais]. Vgl. auch Art. Battre la mesure: Les Musiciens Francois ne battent pas la Mesure comme les Italiens. Geux-ci, dans la Mesure ä quatre tems frappent successivement les deux premiers tems et levent les deux autres . . . etc.

4 Antonio Lorenzoni, Saggio per ben sonare il Flauto traverso, Vi- cenza 1779, S. 46 Anm.: J Francesi non battono la misura come noi Italiani. S. weiter unten S. 136 Anm. 2.

Taktschlagen und Doppeldirektion im < 8. Jahrhundert. 125

Stock eine Verletzung am Fuß zugezogen, an deren Folgen er starb1. Seine Nachfolger an der französischen Oper, die sich gleichfalls eines Taktstocks bedienten2 und wohl auch hin und wieder da- mit aufschlugen, um den wenig leistungskräftigen Chor im rechten Tempo zu halten, wurden gerade dieser hörbaren Taktstock- direktion wegen von Kritikern und Schriftstellern scharf mitge- nommen, so daß der Kampf zwischen Nationaloper und italie- nischer Oper auch auf die Direktionspraxis übergriff. Grimm nannte den Kapellmeister der französischen Oper einen Holz- hacker3, Rousseau wurde noch ausfallender, und andere Schrift- steller schlössen sich an4. Selbst die deutschen Musiker spotteten,

1 Histoire du th6ätre de l'acad^mie royale de musique en France, 2. Edit. Paris 1757, I, S. 55.

2 Rousseau, a.a.O., Art. Bäton de mesure: [II] estun Bäton fort court, ou meine un rouleau de papier dont le maitre de musique se sert dans un Concert pour regier le mouvement et marquer la mesure et le tems. A l'Op6ra de Paris il n'est pas question d'un rouleau de papier, mais d'un bon gros Bäton de bois bien dur, dont le maitre frappe avec force pour etre entendu de loin. Vgl. auch die weiterhin zitierten Quellen.

3 Le petit prophete de Boehmischbroda, s. 1. 1753. Kap. IV: Le Bucheron.

4 Rousseau, a.a.O., Battre la mesure: Gombien les oreilles ne sont- elles pas choquöes ä l'Opera de Paris du bruit dösagröable et continuel que fait, avec son bäton, celui qui bat la Mesure, et que le petit Prophete compare plai- samment ä un Bucheron qui coupe du bois ! Mais c'est un mal inävitable; sans ce bruit on ne pourroit sentir la Mesure; la Musique par elle-meme ne la marque pas: aussi les Etrangers n'appercoivent-ils point le Mouvement de nos Airs . . . L'Opera de Paris est le seul theätre de l'Europe l'on batte la Mesure sans la suivre; partout ailleurs on la suit sans la battre. Vgl. auch Art. Orchestre: Le bruit insupportable de son bäton qui couvre et amortit tout l'effet de la Symphonie. AngeGoudar schreibt im » Le Brigandage de la musique italienne« (1777, S. 119): II serait tems, pour me servir de l'expression d'un auteur, de nous döfaire de ce bücheron qui fend nos opöra d'un bout ä l'autre. Ces coups redoubl6s de l'homme au bäton placö devant l'orchestre, etourdissent le spectateur sans le mettre en mesure. Cette maniere d'inter- rompre l'harmonie par un bruit sourd, vient de loin. Vgl. die Übersetzung der Stelle in Cramers Magazin der Musik I, S. 436 f. S. auch Gretry , M6- moires ou Essai sur la Musique, Paris 1789, I, S. 49f. ; C a s t i 1 B 1 a z e , De l'Opera en France, Paris 1820, I, S. 444 f.; Hect. Berlioz, Les Soir6es de l'Or- chestre, Paris 1852, S. 137f. u. a. Ein Parteimann der französischen Oper sagt in dem »Lettre sur le mechanisme de l'opöra italien« (Naples et se vend ä Paris 1756, S. 61f.) : Vous avez, sans doute, entendu parier plus d'une fois de la vanite des Italiens, de ce qu'on ne bat pas la mesure ä leur Opera, comme au nötre; c'est, dit on, parce que leurs Acteurs sont Musiciens, et que les nötres ne le sont

pas On ne bat pas la mesure ä l'Opera en Italie, cela est vrai; mais le premier

Violon y suppige d'une maniere quelquefois aussi dösagreable; et il la bat avec le pied, il se demene comme un possede et soutient l'Orchestre par des coups d'Archet si frappes, qu'on les distingue du fond de la Salle . . . etc.

126 Fünftes Kapitel.

die wahrlich wenig Grund dazu hatten1. In Deutschland wurden nur wenige Choropern aufgeführt, meist gab man italienische Opern, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts überhaupt keine Chöre hatten oder höchstens ein paar kleine Sätze, die zur Not von den Solisten oder von Schülern (wie in Dresden) übernommen werden konnten. Im französischen Musikdrama waren aber Chöre und Tanzszenen Hauptfaktoren der Oper. Eine hörbare Direktion ist hier eher verständlich als in der italienischen Oper, die sich vom Klavier aus ohne große Mühe dirigieren ließ. In Frankreich ist man auch im 18. Jahrhundert bei der Taktstock- direktion geblieben. Nur einmal, im Jahre 1762, wurde der Ver- such gemacht, nach italienischer Manier zu dirigieren. Die Partei- männer der Italiener waren begeistert, andere Musiker protestierten. Der Versuch war indes nur von kurzer Dauer, man kehrte bald zur altbewährten Lullyschen Direktion zurück2.

Lully hat jedenfalls bei seiner Leitung nur die Chorszenen, die Instrumental- und Ballettstücke, vielleicht auch die begleiteten Arien mit dem Taktstock dirigiert. Die übrigen, nur vom Con- tinuo gestützten Sätze wird er vom Klavier aus geführt haben, wenn nicht ein besonderer Akkompagnist die Begleitung über- nommen hatte. Die Rhythmik der altfranzösischen Oper ist so viel- gestaltig und abwechslungsreich, daß die Dirigenten bei der Taktstockleitung kaum mit der alten Taktierform auskommen konnten; oft wechselt der Rhythmus von Takt zu Takt, es werden Drei- oder Sechstakter in einen geraden Takt eingeschaltet, oder es folgt einem längeren Stück im 4/4-Takt ein einzelner 6/4- Rhyth- mus und dann der Schluß takt; ein Effekt, der nur dann sicher zur Wiedergabe kommen kann, wenn der Kapellmeister die Ak- zente genau markiert und der Continuospieler sich nach seiner Angabe richtet3. Bei solchen rhythmischen Veränderungen konnte

1 Quants, Autobiographie in Marpurgs hist. krit. Beyträgen I, S. 238: »Das [Pariser] Orchester war damals [im Jahre 1726] schlecht und spielte mehr nach dem Gehör und Gedächtniss, welches der mit einem großen Stocke vor- geschlagene Tact, in Ordnung halten mußte, als nach den Noten.« Vgl. auch J. Ad. Hiller, Anweisung zum musikalisch-richtig. Gesänge, 1774, V, 8: Wenn man ... in französischen Orchestern gar einen hölzernen Stock nimmt, um sich bei jedem Tactstriche damit hören zu lassen, so ist das nicht die beste Art

2 Vgl. Michel Brenet, Les Concerts en France (Paris 1900, S. 272f.), Konzerte der Direktoren Dauvergne und Gavinie.

3 Vgl. in Lullys Roland (Part. Ballard, 1685) den Schluß der Ouvertüre mit der Bemerkung, daß der Continuospieler im Schlußtakt die ganze Note in

Taktschlagen und Doppeldirektion im 4 8. Jahrhundert. 127

ein einmaliges Senken und Heben des Taktstocks zur Bezeichnung größerer Takte und ihrer Unterteile nicht genügen. Die einzelnen Taktzeiten mußten durch wiederholtes Auf- und Niederschlagen oder durch Seitenbewegungen angegeben werden. Diese Methode haben die Franzosen im 17. Jahrhundert befolgt, und schon an der Jahrhundertwende sind von ihnen die Prinzipien der Taktier- bewegung gefunden, die bis zum heutigen Tage gültig geblieben sind.

Unter den französischen Theoretikern bringt Etienne Loulie, maitre de musique ä Paris, wohl als erster eine ausführliche Direk- tionsanleitung. Er schließt in seinen Elements ou Principes de Mu- sique1 an die italienische Praxis an und stellt an die Spitze seiner Ausführungen den Satz, daß es beim Taktieren einen ersten und zweiten Niederschlag (frapper) und einen ersten und zweiten Aufschlag (lever) gibt2. Die Verteilung dieser Taktschläge richtet sich nach Taktart und Tempo.

In den zweizeitigen Takten (2, C, 2/4) ist nach Loulie nur eine Taktierform möglich, ein Niederschlag, ein Aufschlag: | t-

Beim Dreitakt (3/l7 3/2, 3/4, 3/8, 3/16) gibt es drei ver- schiedene Taktierformen :

1. Zwei Niederschläge, ein Aufschlag für die langsamen Tempi

oder v I t 3 uaer 4. 2. 3.

2. Ein Niederschlag, der 2 Zeiten gilt, ein Aufschlag für schnellere Tempi (alte Taktierform) j g |

3. Ein Niederschlag, der 3 Zeiten gilt, ein Aufschlag für sehr schnelle Tempi [ ^ \ 2 3

Die Viertakter sind nach einer einzigen Form zu dirigieren: Zwei Nieder-, zwei Aufschläge: | ^ £ £, doch wird der schnelle Vierachteltakt stets zweizeitig taktiert.

Die sechszeitigen Takte haben verschiedene Taktfiguren.

1. für langsame Tempi: 1 Niederschlag (2 Zeiten), ein zweiter Niederschlag (1 Zeit), ein Aufschlag (2 Zeiten) und ein zweiter Aufschlag (1 Zeit) oder: j 2 j \ |

eine Halbe und zwei Viertel auflösen soll, um für das folgende Prelude Ton [und Takt] anzugeben.

1 Amsterdam 1698, S. 34f.

2 II y a deux Frappers: 1. Frapper, 2. Frapper. II y a deux Levers: 1. Lever, 2. Lever.

3 Die Pfeile sind von mir zugefügt.

128 Fünftes Kapitel.

2. Für schnelle Tempi: 1 Niederschlag (3 Zeiten), 1 Aufschlag

(3Zeite*):i.s.3. L.6.1

Schüler können die Sechstakter auch nach der Dreitaktfigur taktieren, indem sie in jedem Takt zwei Dreitakte dirigieren. Die neunzeitigen Takte werden nach einer Manier taktiert: Ein Niederschlag (3 Zeiten), ein zweiter Niederschlag (3 Zeiten),

ein Aufschlag (3 Zeiten): f. 2.3. t. 5. 6. V 8. 9. Auch hier kann man drei Dreitaktsfiguren in jedem Takt angeben. Der zwölf zeitige Takt hat nur eine Taktier form: ein Nieder- schlag (3 Zeiten), ein zweiter Niederschlag (3 Zeiten), ein Aufschlag (3 Zeiten), ein zweiter Aufschlag (3 Zeiten) oder: j 2 3 \ - t t

7. 8. 9. 10. \\. 12.

Loulies Taktfiguren sind im Prinzip die gleichen wie die ita- lienischen. Er geht ausführlicher auf die Praxis ein, weil das Taktieren in Frankreich eine größere Rolle spielt als in anderen Ländern. Während in Italien und Deutschland Opern und In- strumentalkonzerte vom Klavier aus dirigiert werden2, ist in Frank- reich auch bei diesen Musikformen ein Taktschläger tätig.

Die gegebenen französischen Taktfiguren bringen noch keine neuen Ideen. Loulies Theorie zeigt ebenso wie die Definition Brossards über das »Ondeggiare« den Einfluß der Italiener. Aber schon aus dem Jahre 1702 haben wir ein Buch, das die Grup- pentaktdirektion wohl zum ersten Male in Frankreich nach mo- dernen Grundsätzen formuliert: die Klavierschule von Saint- Lambert, die unter dem Titel »Les principes du clavecin« bei Christophe Ballard in Paris erschien. Lambert bietet in seinem Klavierbuch die Direktionsformen mit einer Ausführlichkeit, die kein Musiker der vorangehenden Jahre erreicht hat. Er beginnt seine Lehre vom Taktschlagen mit dem vierzeitigen Takt und läßt dann die Taktierform des zwei- und dreiteiligen Takts folgen. Der Viertakt muß nach Lambert vierzeitig geschlagen werden. Die erste Taktzeit kommt auf den Niederschlag. Man senkt die Hand oder läßt sie in die Linke schlagen. Bei der zweiten Taktzeit führt man die Hand nach rechts (!), bei der dritten nach links und bei der vierten nach oben. Man zeigt beim Dirigieren diese Figur :

1 Vgl. T e v 0, a. a. 0. zitiert S. 123, Anm. 3.

2 S. 0. französische Taktstockdirektion. Rousseau u. a., auch weiter unten: Unterscheidung der Kirchenmusik- und Operndirektion in Deutschland, S. 154 f.

Taktschlagcn und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 4

129

Die Handbewegungen müssen gleichmäßig ausgeführt werden, d. h. man soll nicht längere Zeit dazu gebrauchen, um von dem ersten zum zweiten oder vom dritten zum vierten Punkt zu kommen1. Der alla Breve (^ und (fc) und der 4/8-Takt werden zweizeitig geschlagen. Lambert gibt diese Figur:2

Im Dreitakt wird beim 3/2-Takt, der ein langsameres Tempo ver- langt, nach der Figur

3

dirigiert. Ebenso der 3/4- und z/8-Takt. Hat der letztere ein schnelles Tempo, so dirigiert man ganztaktig, man schlägt auf der ersten Achtelnote nieder und läßt die beiden anderen Achtel beim Heben der Hand spielen, ohne eine zweite oder dritte Zeit zu unterscheiden. So werden auch die Menuettänze im 3/4-Takt dirigiert3.

Der 6/4-Takt kann nach zwei Manieren geschlagen werden, ent-

1 A. a. 0. S. 17: Aux Piexes marqu^es du Signe majeur, la Mesure se bat ä quatre temps; c'est-ä-dire, qu'il faut faire quatre mouvemens de la main, pour chaque Mesure. On les fait ordinairement de la main droite, pour la bonne grace en cette sorte. Le premier temps en baissant la main, ou en la faisant frapper dans la gauche. Le second en la portant ä droit. Le troisiSme en la passant ä gauche; Et le quatriöme en la relevant, imitant par ces quatre mouve- mens la Figure qu'on voit icy . Ces quatre mouvemens doivent etre £gaux; c'est-ä-dire, qu'il ne faut pas employer plus de temps, ä passer du premier au second, que du second au troisie"me, du troisieme au quatrieme et du quatriäme au premier.

2 A. a. O. S. 18.

3 A. a. 0. S. 19.

Kl. Handb. der Musikgesili. X.

9

130

Fünftes Kapitel.

weder zweizeitig: drei Viertel auf, drei Viertel ab, oder drei- zeitig nach der Form des schnellen 3/4"Takts, man macht dann zwei Takte an Stelle eines einzelnen. Lamberts Notenbeispiele wären so zu bezeichnen1:

i

i. |

f

t

4

t

^

£EE

i

■v— i-

Der 6/8-Takt wird zweizeitig dirigiert, der 9/4 und 9/8 nacn der Dreitaktsfigur, der 12/4 und 12/8 nach der Viertaktsfigur. »Die Handbewegungen dürfen nicht nachlässig ausgeführt werden«, sagt Lambert, »sie müssen im Gegenteil merklich markiert und deutlich sein. Wenn sie auch in der Luft ausgeführt werden, so muß es doch so aussehen, als ob man auf etwas aufschlüge. Die Hand muß so zu sagen bei den Bewegungen tanzen und den Augen ein Bild von dem Tonfall geben, den das Ohr hören soll. Die erste Zeit jeden Taktes muß noch markierter sein als die anderen. Die Musiker nennen sie , Frappe', weil die Konzertdirigenten bei dieser Taktzeit in ihre Hand oder mit einer Papierrolle auf einen Tisch [Notenpult] zu schlagen pflegen. Man läßt so die erste Taktzeit deutlicher als die andern fühlen2.«

Lambert geht dann auf die Schwierigkeiten ein, die Augmen- tationspunkte und Synkopen bei der Direktion hervorrufen können, und stellt danach für den Auftakt folgende Regel auf: Wenn die Stücke mit einem halben Takt beginnen, etwa der 4/4-Takt mit zwei Vierteln oder der 6/8 mit drei Achteln, so beginnt man beim Takt- schlagen mit dem Aufschlag. Macht der Auftakt nur ein Drittel oder Viertel des Gruppentaktes aus oder noch weniger, so beginnt man erst bei der Anfangsnote des ersten vollen Taktes zu dirigieren ; was vorhergeht, wird gespielt oder gesungen, während man die

1 S. 16 u. 19: Quand les Notes sont distribuees dans la Mesure, de la fagon que j'ay appellöe premiöre maniere [1. exemple] . . . la Mesure se bat a deux temps, sur chacun desquels on met trois Noires, ou leur valeur. Mais quand les Notes sont distribuöes de la facon que j'appelle seconde maniere, la Mosure se bat . . . ä trois temps gais, pareils ä ceux du Signe Binaire, [Trinaire?] en ne mettant qu'une Noire sur chaque temps, et faisant ainsi deux Mesures d'une, puis qu'il y a six Noires dans la Mesure.

2 A. a. O. S. 20.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 131

Hand in der Luft hält, bereit, auf die erste Taktzeit niederzufallen. Allemanden, Couranten, Giguen, Rigaudons, Bourreen bringen dafür Beispiele1.

An Ausführlichkeit und Genauigkeit läßt Lamberts Lehre vom Taktschlagen nichts zu wünschen übrig. Er ist unter den französischen Theoretikern der Bahnbrecher einer neuen Richtung. Zum ersten Male wird die italienische Taktierform weitergeführt. Es lag nahe, die Pennasche Dreitaktsfigur >ir ^ f" in die Form

! ^> umzubilden und aus dieser wieder 3 —2 abzuleiten.

Wann dieser Umbildungsprozeß vor sich gegangen ist, läßt sich schwer bestimmen. In Deutschland werden schon am Ende des 17. Jahrhunderts ähnliche Taktfiguren ausprobiert, und auch Lam- bert trägt seine Direktionsfiguren nicht als eigene Erfindung vor. Man wird annehmen können, daß die Grundzüge dieser Takt- bewegungen in Frankreich schon längere Zeit neben den italienischen gebräuchlich waren. Wichtig ist, daß bei diesen Figuren in jeder einfachen Taktart nur einmal, bei der ersten Taktzeit, niedergeschlagen wird, während die übrigen Taktteile durch Seitenbewegungen angegeben werden, die an das »Ondeggiare« der Italiener erinnern.

Die Taktformen, wie sie Lambert formuliert, haben sich mit einigen Änderungen in Frankreich rasch durchgesetzt und die italienische Methode vollständig verdrängt. So gibt Monteclair in der »Nouvelle Methode pour aprendre la Musique« (Paris, 1709) für den Zweitakt die Figur:

tems en levant

für den Dreitakt:

premier tems en frappant

Lever

^^> Fraper

Frap«r

l A. a. 0. S. 27.

132

Fünftes Kapitel.

und für den Viertakt diese Form:1

Neu ist hier das Angeben der zweiten Taktzeit im Viertakt durch eine Bewegung nach links und der dritten durch eine Bewegung nach rechts. Die noch heute gültige Direktions- form des vierteiligen Gruppentaktes ist damit gefunden. Von Monteclair an geben denn auch die französischen Theoretiker, die sich eingehender mit dem Taktschlagen beschäftigen, durch- weg die modernen Taktfiguren. Dupont2 (1718), der im ein- zelnen noch älteren Vorlagen folgt, auch für den 8/8-Takt eine neue Figur: ] \ 3 vorschlägt, bringt für den 3/4- und 4/4"Takt die Monteclair sehen Formen, die auch von De motz in seiner »Methode de Musique selon un nouveau Systeme« (Paris 1728) beschrieben werden3. Letzterer gruppiert die Figuren für den zwei-, drei- und vierzeitigen Takt auf drei Tafeln:

3

Second Temps ou Lever

I i

Premier Temps ou Frapper

c

IQ

C

o E

c

UJ

i A. a. O. (1709) S. 10, 11, 14.

2 Henri Bonav. Dupont, Principes de Musique, par demande et par r6ponce, Paris 1718, S. 16, 20 und 42.

3 A. a. O. S. 151: La Mesure ä trois Tems se bat en Triangle-Rectangle, son premier Temps se fait en baissant la main en ligne droite, et s'appelle Frapper; son second Temps se decrit en balancant la main de gauche ä droit; et son troisieme en la levant, et se nomment second, et troisieme Temps. S. 152: La Mesure ä quatre Tems se bat en figure d'Equerre, et Triangle- Rectangle; son premier Temps se fait en baissant la main droite en ligne d'aplomb; son second, et troisiöme Temps se figurent en deux Balencers, ou en ligne directe de droit ä gauche, et de gauche ä droit; et son quatrieme Temps se decrit en levant la main.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert.

133

Troisieme Temps ou Lever

£- f Premier Temps ou Frapper 1 Balancemenr

. I

rn

Quarneme Temps ou Lever ^

Second Temps ou premier Balancer

o

e

Mit großer Gründlichkeit hat auch Ghoquet das Taktschlagen behandelt. Seine »Methode pour apprendre facilement la Mu- sique soi-meme«, von der mir die Neuausgabe aus dem Jahre 1782 (Paris) vorlag, gehört zu den besten Büchern, die für Autodidakten geschrieben worden sind. In der Taktlehre, die allein 10 Kapitel umfaßt1, werden die bekannten Taktfiguren auf Seite 114/115 so aufgezeichnet:

1 I. De !a mesure en g6ne>al. II. Mesure ä quatre temps. III. Mes. ä trois temps. IV. Mes. ä deux temps. V. Division des mesures en gäneral; VI. Ordre des Battements des temps. VII. Diff6rence des mouvements dans les mesures ä deux temps. VIII. Legons pour la mesure ä deux temps Graves.

134 Fünftes Kapitel.

r>

Figure de la mesure ^ 2^e temps

ä deux temps

A 1er temps

Figure de la mesure ^ t

ä quatre temps

nie

gme B G 3m

A

ier

Figure de la mesure G 3me

ä trois temps B 2™

A 1er

Sehr hübsch ist seine Methode, das Taktieren ohne jede Hilfe zu erlernen. Er rät, ein Pendel aufzustellen und zu den Schwin- gungen laut zu zählen: »eins« »zwei« usf., bis der Zweitakt voll- kommen beherrscht wird. Schwieriger ist das Erlernen der Vier- taktfigur. Choquet weiß auch da Hilfe. Er schlägt vor, ein etwa 48 cm hohes Brett aufzustellen und daran Spielkarten oder Blätter zu heften, auf die man die Zahlen 1, 2, 3, 4 schreibt. Ihre An- ordnung und die Form des Bretts zeigt diese Figur:

In die Mitte der Karten kann man Nägel schlagen, die mit einer Schnur oder einem Band so verbunden sind, daß die Route, die die Hand beim Taktieren nimmt, vorgezeichnet ist. Das Band führt also von 1 zu 2, 3 und 4. Man stellt das Brett auf den Tisch und taktiert danach, während man laut zählt. Ein anderes Mittel ist: man stellt einen Toilettenspiegel auf, steckt die Karten in der angegebenen Form in den Rahmen und bezeichnet den

IX. Maniere de battre la mesure ä quatre temps. Moyen de se redresser en battant cette mesure. Lecons sur la mesure ä quatre temps, Syncope; son explication. X. Battre la mesure ä trois temps, Lecons sur la mesure ä trois t mps, Gauchers; comment ils battront la mesure.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert.

135

Weg der taktierenden Hand mit Kreidestrichen. Nach dieser Marschroute muß so lange taktiert werden, bis dem Lernenden die Taktfigur vollständig in Fleisch und Blut übergegangen ist1.

Wer »Linkshänder« (Gaucher) ist, kann dabei mit der linken Hand dirigieren, wie es Andre Campra gemacht hat2.

Die gleichen Taktfiguren wie Choquet geben Bordier3 und Michel Corrette. In der Violoncellschule hat Corrette noch auf das mehrmalige Niederschlagen im Viertakt hingewiesen4, doch ist damit nur ein Taktieren mit dem Fuß während des In- strumentalspiels gemeint, nicht ein Neubeleben der italienischen Taktierform. Die erwähnte Gesangsschule Correttes gibt im Kapitel VIII klar und deutlich die Taktfiguren:

Corrette ist sich vollständig klar darüber, daß ein wiederholtes Auf- und Niederschlagen nicht ratsam ist. Er nennt die Methode, beim Taktieren mit der Hand zweimal im Viertakt niederzu- schlagen, eine schlechte Manier, die beständig Verwirrungen her- vorrufe5. Die Lambert-Monteclairsche Taktierform ist auch weit klarer und übersichtlicher als die italienische, und es gehört schon die Brille des italienischen Parteigängers dazu, um ein wiederholtes Auf- und Niederschlagen innerhalb des einzelnen Gruppentaktes >> einfacher« und »bequemer« zu nennen als die französische Direk- tionsweise. Rousseau, der diese Meinung in seinem Musiklexikon vertritt, zeigt sich auch hier als blinder Anhänger der italienischen Praxis6. Interessant ist aber seine Gegenüberstellung der italie- nischen und französischen Taktiermethode. Im Artikel »Frappe«

i a. a. o. S. 131f.

2 A. a. 0. S. 157/158.

3 Bordier, Nouvelle Methode de Musique (1760), S. 38 40.

4 Mich. Corrette, Methode, thdorique et pratique pour apprendre en peu de tems le Violoncelle, Paris (1741), S. 5. Vom Viertakt: on la peut battre deux fois; C'est a dire, Couper la mesure en deux, qui est de battre surle3e tems, apr£s qu'on a trappe" sur le 1er.

6 Mich. Corrette, Le parfait maitre ä chanter, Kap. VIII: II y a per- sonnes qui ont la mauvaise maniere de batre deux fois dans la mesure ä quatre tems, . . . Ce qui les jettent dans un embarras continuel . . .

e S. o. S. 124, Anm. 3.

136 Fun tes Kapitel.

seines Musiklexikons sagt er: »Beim Taktschlagen mit der Hand schlagen die Franzosen nur bei der ersten Taktzeit nieder und markieren die übrigen durch verschiedene Handbewegungen: doch die Italiener schlagen die ersten beiden Taktteile des Drei- takts nieder, den dritten Taktteil auf, und beim Viertakt schlagen sie die ersten beiden Taktteile nieder, die andern auf.« Dasselbe wiederholt er im Artikel »Battre la mesure«1. Auch Antonio Lorenzoni sagt in seiner Flötenschule vom Jahre 1779: »Die Franzosen schlagen den Takt nicht so wie die Italiener. Im Viertakt schlagen sie den ersten Taktteil nieder und bezeich- nen die anderen mit verschiedenen Handbewegungen nach rechts und links: im Dreitakt schlagen sie die erste Taktzeit nieder und bezeichnen die übrigen mit Winken. Überhaupt schlagen sie in jedem Takt nur bei der ersten Taktzeit nieder2.« Wir haben also eine italienische und französische Taktierform zu unterscheiden. Erstere basiert auf wiederholten Auf- und Niederschlägen, letztere auf dem Grundsatz, nur den ersten Taktteil auf den Niederschlag zu nehmen und die übrigen durch Seitenbewegungen anzugeben. Die französische Form ist ihrer Klarheit und Deutlichkeit wegen auch die unsere geworden.

Die französischen Theoretiker machen fast ohne Ausnahme bei ihrer Taktlehre noch auf einen anderen Unterschied zwischen französischer und italienischer Praxis aufmerksam: auf den poin- tierten Vortrag der Rhythmen. Rousseau meint im Artikel »Pointer« seines Musiklexikons: »In der italienischen Musik sind stets alle Achtel gleichmäßig vorzutragen, wenn sie nicht mit Augmentationspunkten versehen sind. Aber in der französischen Musik trägt man die Achtel nur im Viertakt gleichmäßig vor, in allen anderen werden sie stets ein wenig punktiert gespielt, wenn nicht gerade vorgeschrieben ist: gleichmäßige Achtel'.« Den gleichen Unterschied stellt Michel Corrette fest3. Wir er- fahren, daß die Rhythmen in Frankreich schärfer akzentuiert

1 Vgl. oben S. 124, Anm. 3.

2 A. a. O. S. 46 Anm.: I Francesi non battono la misura come noi Italiani. Nella misura a quattro tempi battono il primo, e segnano gli altri con diversi movimenti della mano a destra, ed asinistra: nella misura a tre tempi battono il primo, e segnano gli altri nel modo accennato; e geueralmente non battono di qualunque misura que il primo tempo.

3 Violoncellschule, S. 4/5: Dans chaque Mesure Ies Croches se jouent ögale- ment dans la Musique Italienne; . . . Et dans la M usique francoise on passe la deuxiöme Croche de chaque tems plus vfte.

Taktschlagen und Doppeldirektion im i 8. Jahrhundert.

137

gespielt und gesungen wurden als in anderen Ländern, eine Eigen- heit, die sich mit dem Vorherrschen der Tanzformen in der fran- zösischen Literatur in Verbindung bringen läßt. Dieser poin- tierte Vortrag wird von allen Theoretikern erwähnt, die sich mit der Takttheorie genauer befassen.

Ausführlich geht bereits L'Affillard in den »Principes tres faciles pour bien apprendre la Musique«1 darauf ein. Er sagt: Man muß von zwei Achteln, die einer Viertelnote folgen, die erste punktieren und die zweite schnell vorübergehen lassen, z. B.:

Efe

tfEJEJ

£==£

33±==£=

Kommen vier Noten auf einen Schlag, dann muß die erste lang sein, die zweite kurz, die dritte lang, die vierte kurz, d. h. die Notenreihe:

fcr2~P~£

?*

V=&-

^=tc

ist zu spielen:

Em^r=rr=f^ii

Von zwei Achteln nach einer Viertelpause wird die erste punktiert:

-flr r^ 1

X

1 1 T1

A.7 9 i f P m

f J m

WTV ■= * i i

_l 1

<rs * * i

w gl v u-

i U-

* _ 1/_.

Nach einer Achtelpause wird das zweite Achtel punktiert, während das erste schnell gespielt wird:

i^

£

=§FE

->--

Die Achtel werden demnach punktiert, je nachdem ihre Zahl gerade oder ungerade ist. »Ist die Zahl der Achtel gleich, spielt man die erste lang, die zweite kurz, ebenso die übrigen. Bei un- gleicher Anzahl wird es umgekehrt gemacht, was man ,poin-

1 Amsterdam, Septieme Edition . . . corrigee et augmentee, s. a. S. 34 f. (Erste Ausgabe nach Eitner, 1694.)

2 A. a. O. S. 36: Quand il y a deux Croches apres un Soupir on pointe -la premiero et l'on passe vite la seconde, au Heu qu'apres le demi-Soupir, on passe vlte la premiere, on pointe la seconde, et l'on fait encore promptement la troisi- 6me pour aller tombersur la lre Note de l'autre tems. Weitere Beispiele S. 38, 40.

138

Fünftes Kapitel.

tieren' nennt1.« Dies Pointieren ist nach Hotte terre am gebräuch- lichsten im Zweitakt, im einfachen Dreitakt und im 6/4-Takt. Damit meint er aber nur den Vortrag der Achtel, denn im 6/8-, 12/8-, 9/8-Takt gilt die Ungleichheit für die Sechzehntel, im 3/2 für die Viertel2. Die kleinsten Notenwerte eines Taktes sind stets die Träger des rhythmisch akzentuierten Vortrags. Zu- sammenfassend läßt sich das Gesetz für die verschiedenen Takt- arten so formulieren:

Im 4/4-Takt werden die Achtel gleichmäßig gespielt, die Sech- zehntel pointiert3. Im 3/4-Takt wird das zweite Achtel jeder Takt- zeit (eines Viertels) schneller gespielt; in der Chaconne aus Lullys »Phaeton« sind also die angekreuzten Achtel sehr schnell vor- zutragen :

-•—

Nach Monteclair5 wird oft in Kompositionen für die Geige:

^nmn p*-tf-&=z£

gespielt. Doch gibt es auch hier Ausnahmen. Die Achtel werden gleichmäßig vorgetragen, wenn Sechzehntel vorkommen6, d. h. die Sechzehntel übernehmen dann den pointierten Vortrag. Monte- clair meint: die Achtel werden in den Stücken, wo die Melodie in größeren Intervallen gehalten ist, gleichmäßig gespielt, z. B.

f

o t ß 0 0 ß «_. . -p-4—

1 Louis Hotteterre, Principes de la Flute traversiöre, Paris, s. a- (nach Eitner vor 1707 erschienen) S. 22; ebenso Lambert a. a. 0., S. 25, 26; Dard, Nouveaux Principes de Musique, Paris (1769), S. lOf. u.v.a.

2 Lambert a. a. O., S. 26. Dard a. a. O., Monteclair a. a. O.,. S. 15f. D 6 m o t z a. a. O., S. 155f. u. a.

3 L a m b e r t , S. 26. Vgl. Monteclair, S. 15. Corrette (Violon- cellschule), S. 5. D a r d , S. 10 f. u. a.

4 Auf das Beispiel bezieht sich Corrette (a.a.O.): dans la Musique fran- coise on passe la deuxieme Croche de chaque tems plus vite, comme dans la Chaconne de Phaeton de Mr. de Lully.

6 A. a. O. S. 15.

6 S. o. Corrette a. a. O., S. 5.: mais on joue [les Croches] aussi quelque fois e"galement quand il y a des doubles Croches.

Takischlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert.

139

Auch Choquet verlangt für das Lied »L'Amour croit s'il s'in- quiette« aus Rousseaus »Devin de village« ausdrücklich einen gleichmäßigen Vortrag der Achtel: »sans pointer«1. Andere, wie Demotz, geben als Regel für den 3/4-Takt: Achtel egal, Sech- zehntel unegal2.

Für den 3/8-Takt, wo die Sechzehntel den ungleichen Vortrag übernehmen, bringt Monteclair als Beispiel:

3

W-

Es ist zu spielen:

Generalregeln für den pointierten Vortrag lassen sich, wie Mon- teclair sagt, schwer aufstellen, der Charakter der Stücke muß da entscheiden4. Es gibt Sätze, die man scharf pointieren kann, andere wieder, wo es weniger angebracht ist: »Le goüt juge de cela6.« Doch ist in allen Taktarten zu beachten, daß vier Noten von gleichem Wert, die einen Taktteil ausmachen, pointiert werden müssen, z. B.

%^m>

=*=^=

wird

3- ~^""*=(^r f L wircl

und

gespielt. Dard und Demotz geben bei jeder Taktart eine An- weisung zum pointierten Vortrag, z. B. 2/4: Achtel egal, Sech- zehntel unegal; 3/2: Viertel unegal; 3/4: Achtel egal, Sechzehntel

unegal; 6/8: Achtel egal, Sechzehntel unegal; 4/16: Sechzehntel egal, Zweiunddreißigstel unegal usw.

Für scharf rhythmisierte, charakteristische Sätze, besonders für Tanzstücke, gilt demnach die Regel, daß die Noten, die die kleinsten Notenwerte repräsentieren, pointiert werden müssen7,

i A.a.O. S. 190.

2 A. a. O. S. 162f.

3 A. a. O. S. 15.

4 Ebenda.

6 Lambert a. a. O., S. 26.

6 Beispiele aus Monteclair a. a. 0., S. 15.

7 Demotz a. a. O., S. 160: 11 faut observer, que dans les Mesures une sorte de Note est dite egale, ou inegale, toutes les autres sortes de Notes moindres en valeur que la de'nomm^e, sont inegales.

140 Fünftes Kapitel.

und zwar ist bei gerader Anzahl die erste Note länger zu halten als die zweite, während bei ungerader Zahl der kleinsten Noten- werte die zweite Note länger gehalten wird als die erste. Hugo Riemann, der diese Verlängerung der schweren oder betonten Taktzeiten den agogischen Akzent nennt, kommt unabhängig von den hier besprochenen Theoretikern zu dem gleichen Resultat wie die Franzosen: »Die zu verlängernden Werte sind immer und überall die auf die Schwerpunkte fallenden Noten und zwar die kürzesten; wo nämlich mehrere Stimmen zusammenwirken, wird stets diejenige zum Träger des agogischen Ausdrucks, welche sich in den kleinsten Werten bewegt1.«

Diese Akzentuierung bedeutet keine Umrhythmisierung des Notentextes. Nach Monteclair soll die zu verlängernde Note »beinahe so lang gehalten werden, als wenn ein Augmentations- punkt dabei stünde«. Auch Quantz, der den agogischen Akzent in seinem »Versuch einer Anweisung, die Flöte traversiere zu spielen«2, behandelt, sagt: das Aushalten darf im Wert nicht so viel betragen, als wenn ein Punkt bei der Note stände. Quantz stimmt überhaupt in seiner Theorie mit den Franzosen überein: die geschwindesten Noten im Adagio oder mäßigen Allegro müssen ungleich gespielt werden, die 1. 3. 5. 7. Hauptnote in der Figur M—M M— M sollen länger ausgehalten werden. Er rechnet unter die geschwinden Noten die Viertel im 3/2-Takt, die Achtel im 3/4, die Sechzehntel oder Zweiunddreißigstel im 2/4- und 4/4-Takt. Kommen noch kürzere Noten vor, so müssen diese ungleich ge- spielt werden. Ausgenommen sind: 1. die geschwinden Passagen im schnellen Tempo, wo man nur die erste von vier Noten durch längeres Aushalten akzentuieren darf, 2. die schnellen Staccato- läufe in Singstücken, 3. die punktierten und die mit einem Strich über dem Notenkopf versehenen Noten, 4. die Tonrepetition auf gleicher Tonhöhe, 5. die mit Bogen versehenen Gruppen von vier, sechs oder acht Noten und schließlich die Achtel in der Gigue (6/8-Takt).

Mit diesen Anmerkungen schließt Quantz direkt an die fran- zösische Theorie an. Wie stets, bringt er auch hier eigene Beob- achtungen: er weist auf Ausnahmen hin, die sich aus Notierung und Charakter eines Musikstücks ergeben. Seit Quantz wird die Lehre vom agogischen Akzent bei den deutschen Theoretikern

i Präludien und Studien II, S. 94. 2 Berlin 1752, XI, §12.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 141

häufiger behandelt. Interessant ist aber, daß auch diese Ak- zentuierungsregeln auf die französische Musikübung zurück- gehen1.

Ich hatte gezeigt, daß die Franzosen schon zu Beginn dea 18. Jahrhunderts die moderne Taktierform gebraucht haben. Die Deutschen bleiben lange Zeit bei der italienischen Praxis. Einige Musiker experimentieren allerdings schon frühzeitig mit den ver- schiedensten Taktfiguren, doch stehen ihre Versuche vereinzelt. Berühmte Männer, wie Mattheson und Hiller, sind durchaus gegen die Einführung der französischen Taktfiguren. Mattheson sagt: »Es ist wunderlich ! Unsere Lands-Leute wollen von den Frantzosen ihren Fleiß / ihre Accuratesse, ihre Fertigkeit in den Schlüsseln / ihre Einigkeit im Spielen / und andere gute Eigen- schafften keines weges erlernen; aber die Lufftstreiche /das Auffheben, das Windfechten, die Contorsiones, so ihrer et- liche mit Händen und Füssen /mit Leib und Seele / bey ihrem Tactschlagen anbringen / das sind Sachen / die uns Teutsche sonderlich / charmiren müssen / weil wir uns so viel Mühe geben / ihnen es hierinn als Affen / nachzumachen / und uns noch Airs dazu geben2.« Auch Hiller meint, daß mit einem »nach allen vier Winden gerichteten Gefechte der Hand, wobey die Nach- barn zur Rechten und Lincken für ihre Augen besorgt seyn müssen, im Taktgeben wenig gewonnen« werde. Er plaidiert für ein wiederholtes Nieder- und Aufschlagen der Hand, für die italienische Praxis3.

Man sieht, daß in Deutschland die französische Taktierform am Anfang des 18. Jahrhunderts bekannt ist, daß sie aber von einigen Musikern bekämpft wird. Viele wollen von der neuen Richtung überhaupt nichts wissen, wie Mattheson, Münster und Niedt4, andere wieder, wie Hiller, treten für die italienische Me- thode ein. Daneben gibt es noch eine dritte Partei, die im An- schluß an die Franzosen selbständig an dem Ausbau des Gruppen-

1 S.o. die Nachrichten von Rousseau und Corrette. Vgl. auch Muffat, Florilegium (Denkm. d. Tonk. in Österreich. Bd. I, 2. S. 6, und Bd. II, S. 24). Daß diese Rhythmenlehren schon früher bekannt waren, zeigen die Vortrags- anmerkungen von St. Maria (1565, vgl. Kinkeldey a. a. 0., S. 40). Sie- scheinen aber zur Zeit Lullys eine Spezialität der französischen Vortrags- kunst gewesen zu sein.

s Exemplarische Organisten-Probe, 1719, I, S. 180f.

2 Anweisung zum mus. rieht. Gesänge VI. § 15. 3S. o. S. 121.

142 Fünftes Kapitel.

takts arbeitet, und die schließlich die französische Taktierform zur Herrschaft bringt.

Wenden wir uns zunächst der Hillerschen Richtung zu. Schon frühzeitig trifft man in Deutschland Nachrichten, die die italie- nische Praxis vertreten. Die früheste finde ich bei Wolf gang Michael Mylius in den »Rudimenta musices« aus dem Jahre 1686. Mylius bringt für den großen Tripeltakt noch das alte trochäische Schema des Taktschiagens, aber beim 9/4 und 9/8-Takt meint er, daß der Takt durch »zwey Rückungen des Armes im Niederschlag /und eine im Auffheben« dirigiert werden muß, und daß die Zwölftakter (12/4, 12/8) »vier gleiche Rückungen/ zwey im Niederschlag, und zwey im Auffheben des Armes«, verlangen1. Es ist im Prin- zip die gleiche Methode, die Lorenzo Pen na und seine Landsleute befolgten. Ähnlich wie Mylius beschreibt Joannes Baptista Samber in der »Manuductio ad Organum« das Taktschlagen2. Er sagt: Der gerade Takt wird auch die »gevierdte Mensur« ge- nannt, »und dises darmben [darumben], weilen man auch pflegt den Tact in vier Theil mit der Hand zu theilen / der Gestalt / das man in Thesi oder nider- wie auch in Arsi oder Auffstreich die Hand zweymahl doch aber in gleicher Proportion bewöge / dardurch der Tact in vier Theil getheilet / und angezeigt wird«. Die »ungleiche / ungerade / oder gedritte Art der Mensur« wird darum so genannt, »an weilen man in dem nider Streich zwey- und einmahl im Auffstreich als in ungleicher Proportion die Hand zu moviren pflegt«. Wie wir uns diese Bewegungen der Hand, die »Rückungen«, wie Mylius sagt, zu denken haben, zeigt eine Stelle aus JustinusaDesponsatione's »Musicalische Arbeith und Kur tz- Weil . Das ist: Kurtze und gute Regulen: der Componier und Schlag- Kunst«3. Es wird gefragt, wie man den Takt schlagen muß; die Antwort, die der Lehrer gibt, lautet: »Schlage mit der Hand ... für einen gantzen oder geraden Tact, NB. Drey Staffel / oder Sprüssen; In dem Obersten fang an (nit zu zehlen) zu schla- gen /und fall auf den Mitteren /sprechend: Ein Viertel; fall auf den Untersten / sprechend: Zwey; Steige aufwärts wider in den Mit- tern/sprechend: Drey; In dem Anschlag dess Obersten auf- wärts / sprich: Vier; Und so fort wider auf den Mittern abwärts / sprechend: Eins / etc. In dem ungleichen oder Trippel-Tacten ä 3 aber / mache nur den Anfang zu zehlen / und zu sprechen

i Rud. mus. Gotha. 1686. S- 31/32.

2 Saltzburg 1704, Kap. III, S. 8.

3 Augsburg und Dillingen, 1723. Kap.: Tägliches Examen, U. Frag-Stuck.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 4 8. Jahrhundert. 143

unter dreyen Stafflen: In der Untersten sage: Eins; Auf- wärts in dem Mittern Zwey; In dem Obersten drey; und fall gleich wider in den Untersten. Im Trippel von 6 schlage nur 2 Sprüssen oder Staffeln; Auf der Untersten sprich: Eins / Zwey / Drey; Fahre in die Oberste /und zehle wider so vil. Im Trippel von 9 mache /wie im Trippel von 3 / auch Drey Stafflen/ fang von der Untersten an / sprich: Eins / Zwey / Drey; Steige auf in die Mittere / sprich wider 3 / und so in der Obersten wider 3. In 12 Achteln aber / schlage / und spreche / unter drey Stafflen in dem Mitteren anfangend / wie oben NB. in dem gantzen Tact, mit dem einzigen Unterschid: daß du an statt eines Viertels / drey Achtel sprichest / oder haltest.« Die Takt- figuren würden so aussehen:

I

4. 3. |

t 4.5.6.

1. 3. 2.

1.2.3.

I <• I

Viertakt Dreitakt Sechstakt

| 7.8.9. | 10.1 i. 12.

t

1-2.3. 7.8.9.

4.5.6

v 1.2.3.1 4.5.6.1

Neuntakt Zwölftakt

Diese italienische Taktierform hat sich lange in Deutschland gehalten1. Marpurg gibt dafür Beispiele in seiner »Anleitung zur Music überhaupt« (1763)2, und auch Hiller sagt in seiner Singeschule3, daß man die Bewegung des Viertakts sich am besten fühlbar macht, »wenn man das erste Viertel mit einem etwas stärkern, das zweyte mit einem schwächern Niederschlage, das dritte und vierte aber mit einer doppelten Rückung der Hand aufwärts ausdrückt«. Für den Dreitakt stellt Hiller zwei Formen auf. Er soll nach dem Schema j | £ oder J | | tak-

1 Mattheson sagt in der Exemplar. Organisten- Probe I, S. 85 : »Ich vernehme / in Franckreich schlage man zweymahl in einem Tacte nieder [?] / das ist noch leidlich; hier giebt es Leute / die solches wohl viermahl thun.«

2 Weiter unten zitiert. » A. a. O. VI. § 15.

144 Fünftes Kapitel.

tiert werden1. Die zweite, jambische Form, » | f,die sich sehr

gut für Sarabandenrhythmen eignet, hatte schon Dupont er- wähnt2. Sie wird von Scheibe in seiner großen Kompositions- schule neben der trochäischen aufgeführt und den Musikdirek- toren noch besonders empfohlen3.

Zu den italienischen Parteimännern gehört auch Georg Fried- rich Wolf. Er führt in seinem »Unterricht in der Singekunst«4 die Taktfiguren

i 4,l 3,l I

2. 3.

3. 2.

i.\ ' h.2.

auf, die unmittelbar an Mylius und Justinus anschließen.

Die zitierten Quellen zeigen, daß man in Deutschland viel länger bei der italienischen Praxis blieb als in Frankreich, wo bereits an der Jahrhundertwende die modernen Taktfiguren all- gemein gebraucht wurden. Aber es gab in Deutschland auch Fortschrittsmänner, die an der Formulierung der Gruppentakt- direktion selbständig mitarbeiteten.

Unter diesen Musikern gebührt Daniel Speer die erste Stelle. Er bringt in seinem »Unterricht der musikalischen Kunst« aus dem Jahre 1687 im 14. Kapitel eine Anweisung zum Tak- tieren des 12/8-Takts, die nach meiner Kenntnis der Literatur das früheste Beispiel für die moderne Viertaktfigur bildet. Es heißt da: »Ein zwölf fach tel Trippel-Gesangs-Tact 12/8 dieser hat seine besondere Manier / theils tractiren ihn nach eines schlechten [schlichten] Gesangs langsamen Tact, welches nicht gar unrecht / aber am gewissesten und besten ists / wann er Viertelweiß trac- tirt wird / als das erste Viertel mit der Hand unter]; sich / das

i A. a. O. III. § 14.

2 S. o. S. 132.

3 Über die musik. Compos., S. 227: Ein Musikdirektor hat daher »bey der Aufführung eines musikalischen Stückes sehr genau darauf zu sehen, wo der Componist in seinem Stücke in den ungeraden Taktarten die allgemeine Regel beobachtet, oder verlassen, und also dem Aufschlage einen von denen zum Nie- derschlage gehörigen Theilen gegeben, und ihn dadurch gegen die gemeine Regel größer als den Niederschlag gemacht hat«. Ebd. S. 229: Die Verschiedenheit der Größe des Niederschlags und Aufschlags soll der Dirigent beim Taktschlagen

A | A

I nrlpr V .3

* Halle 1784, S. 59f.

angeben (entweder Y ' oder y

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert.

145

ander auf die lincke Seit / das dritte auf die rechte Hand / das vierte über sich oder in die Höh / diss ist seine rechte Manier.« Wir haben Gruppentakt in der bekannten Form:

-10.11.12

<*-.5.6-

^7.8.9

1.2.3

Mit neuen Taktfiguren operiert Quirsfeld in seinem » Breviarium musicum«1. Er gibt zur Taktanschauung die Figuren

und fügt hinzu: »wiewohl man die Bewegung der Hand nicht eben mit einer solchen Figur führen dar ff«. In der Quirsfeldschen Form ist der 4/4-Takt nicht gerade zweckmäßig, brauchbarer ist die erste Figur des Dreitakts. Die gleichen Taktierfiguren hat noch Marpurg in der »Anleitung zum Clavierspielen« (1765) aufgeführt2. Sie scheinen demnach trotz Quirsfelds Verbot in Umlauf gekommen zu sein.

Bevor wir die Entwicklung der modernen Taktfiguren in Deutschland weiter verfolgen, muß eine Quelle berücksichtigt werden, die die gesamte Lehre des Taktschiagens behandelt, und die zeitlich dem Quirsfeldschen Buch unmittelbar folgt: das Musiklexikon des Böhmen Thomas Balthasar Janowka, das im Jahre 1701 in Prag erschien. Im Artikel »Tactus« bringt Janowka eine Anleitung zum Taktieren, die an Ausführlichkeit und Be- deutung hinter den Werken von Lambert und Choquet nicht zurückbleibt3. Janowka definiert den Takt als eine regelmäßige Bewegung der rechten Hand oder beider Hände. Die Methode,

1 1. Auflage nach Eitner, 1675. Ich zitiere nach der Dresdener Ausgabe vom Jahre 1688. Punctum VI, S. 16/17.

2 S. unten S. 148 f.

3 Janowka, Clavis ad Thesaurum Magnae Artis Musicae.

KL Handb. d»r Mnsikgesci. X. 10

146

Fünftes Kapitel.

mit beiden Händen zu dirigieren, ist uns im Verlauf der Arbeit schon begegnet. Viadana spricht davon, und Johann Bahr weiß in seinen Diskursen allerlei darüber zu sagen1. Auch in Walthers Musiklexikon (Titelkupfer) sieht man einen Diri- genten, der in jeder Hand eine Taktrolle hält und mit beiden Händen taktiert. Janowka denkt also bei seiner Taktdefinition an einen allgemeinen Brauch, der jedenfalls früher ebensoweit verbreitet war wie in unseren Tagen.

Er gibt sogar eine Anleitung, wie man beim Taktieren mit beiden Händen die Viertel des C-Taktes markieren kann. Die gewöhnliche Taktierfigur :

4

die Janowka für das Dirigieren mit einer Hand beschreibt2, ist dahin abzuändern, daß die linke Hand den ersten und letzten Taktteil mit der rechten gemeinsam ausführt und nach rechts geht, wenn die andere Hand nach der linken Seite geführt wird, nach diesem Muster3:

linke Hand rechte Hand

-':

3^

1 1

Diese Windmühlenbewegung wird sonst meines Wissens nicht erwähnt. Sie ist beim Taktieren mit unbewaffneter Hand sehr gut brauchbar, erinnert auch an manchen Temperamentsdiri- genten unserer Zeit.

Bei dem Dreitakt (3/l5 3/2, 3/4) kennt Janowka das Dirigieren nach trochäischem Schema (2 ab, 1 auf) und das Abteilen in gleiche

i S. o. S. 97 und S. 113.

2 S. 133/34: Modus ordinarium tactum mensurandi est, ut primus eius quadrans manüs demissione, alter ad sinistram partem modice altius, tertius rursum ad dextram altiüs, quartus denique supra ad humeros elevatione fiat. Et hoc de manu dextra intelligendum.

3 Ebenda: si uträque manu tactum mensurare placeat, tunc quoad sinistram manum secundus quadrans ad dextram, tertius ad sinistram elevatur, primö et ultimo cum dextra manu conveniente.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 147

Teile1. Bei lebhaft bewegten Taktarten, z. B. beim 3/8-Takt, gibt er der ungleichen Teilung des Gruppentakts ( | 2 | ) den Vorzug2.

Über das Taktieren nach gleichen Abschnitten bringt eine Stelle bei der Erklärung des 9/8-Takts Aufschluß. Es wird gesagt, daß diese Taktart in drei Teilen taktiert wird. Der erste kommt auf den Niederschlag der Hand, der zweite auf einen mäßigen, der dritte auf einen vollständigen Aufschlag3. Das ist die aus Italien bekannte Taktierform. L

Am interessantesten ist in Janowkas Taktlehre die Behand- lung der Sechstakter. Er beschreibt die sonst übliche Ableitung nach dem Muster des Zweitakts, gibt aber bei der Besprechung des 6/4-Takts eine völlig neue Theorie. Die sechs Viertel sollen so taktiert werden, daß die ersten beiden Viertel auf den Nieder- schlag kommen. Das dritte Viertel ist nach links zu schlagen {wenn man mit der Rechten dirigiert) oder aber in der Richtung nach dem Dirigenten zu, viertes und fünftes Viertel kommen auf die Taktbewegung nach der rechten Seite und das letzte auf den Aufschlag4. Die Taktfigur sieht so aus:

.6

M5

1 S. 156, vom 3/2-Takt: quidam tactum in duas inaequales medietates dividunt, ut thesis, seu prior medietas duas, in praesenti albas [notas] . . . posterior verd, seu arsis tertiam capiat, alii e contra in tres pares . . . melius secant, üt quamlibet sectionem, seu divisionem una . . . alba, aut duae nigrae, [notae] . . . ingrediantur. Vgl. auch S. 130: alii e contra in tres partes aequales . . .ad meliorem tactüs faciendam distinctionem dividere solent [tactum 3/i e* zlz\'

2 S. 262.

3 S. 272: hie tactus in tres partes, et non in medietates duas secatur, üt prima Sectio manüs depressione, altera modica, tertia tandem altiori ad hu- meros usque elevatione determinetur.

4 S. 265: Dividendus itaque hie tactus (6/4) in duas medietates aequales, medietatum verö medietates inaequales, ita, üt ad primum quadrantem tactus, qui depressione manüs fit, duae nigrae aut una alba etc, ad alterum, qui ad sinistram (si dexträ solüm dirigatur manu) seu ad corpus Tactistae contingit, tertia nigra veniat; ad tertium autem quadrantem, qui fit ad dextram partem, rursum duae nigrae, aut una alba etc, et ad quartum, qui manüs in altum prope humeros quodam modo contingit positione, iterum sexta nigra, aut duae caudatae [notae].

10*

148

Fünftes Kapitel.

Janowka bringt damit wohl zum erstenmal in der Musiklite- ratur — die moderne Taktierform des langsamen Sechstakts. Die bisher besprochenen Theoretiker kennen sie nicht, sie gehen entweder auf das Schema des Zweitakts zurück oder aber auf ein Teilen des Gruppentakts in zwei kleinere Takte, wie Loulie oder Lambert. Mit der Sechstaktfigur Janowkas und den französi- schen Taktier formen sind alle Bewegungen umschrieben, die wir noch heute ^beim Taktieren anwenden.

In Deutschland dringen die modernen Taktier figuren erst all- mählich durch. Viele Musiker hielten sich, wie wir gesehen haben, an die italienische Praxis, die heute ebenso wie früher im Unter- richt unentbehrlich ist. Noch in den sechziger Jahren kreuzen sich die verschiedenen Richtungen in der deutschen Musikliteratur so oft, daß Friedrich Wilhelm Marpurg in seiner »Anleitung zur praktischen Musik überhaupt« (1763) und in seiner »Anleitung zum Gla vierspielen « (1765) nicht weniger als elf verschiedene Takt- figuren aufstellen kann. Die Zeichnungen, die in seiner Klavier- schule auf Tafel 1 und in der »Anleitung zur Musik« auf Seite 79 f. stehen, haben diese Form:

1 II

2 2

III

IV

1 V

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert.

149

Marpurg bemerkt dazu: die Figuren I, II, III sind gleich gut. Figur IV wird nur im zusammengesetzten Alla Breve (4/2) ge- braucht. Bei Figur VII ist im Unterricht auch geteilter Auf- und Niederschlag möglich. Die Figuren V und VI und »gewisse andere Figuren, mit welchen etwas Harlekinade verknüpfet ist, ingleichen die der Hereinschiebung eines Orgelregisters ähnlich sehende, sehr gewaltsame Tactstösse etc. sind billig abgeschaffet worden«1.

Sieht man die Figuren genauer an, so findet man alle Rich- tungen, von denen bisher die Rede war, vereint. Figur I be- gegnete bei Lambert, Fig. II bei Speer, Janowka, Monteclair usw., Fig. VII und XI sind die alten Taktfiguren der Mensural- zeit, Fig. VIII steht bei Lambert und Nachfolge, Fig. V, VI und IX kennen wir von Quirsfeld2, Fig. III ist die italienische

i Anl. zur prakt. Mus., S. 79/80 f.

2 S. o. Scheibe gibt diese Figur:

für den Viertakt, die mit Quirs-

feld in Verbindung gebracht werden kann. Er erklärt sie nicht weiter, sondern sagt nur, daß man »um der Schwachgläubigen willen« die Minimen im Vier- takt (4/2) durch eine »kleine Veränderung mit der Hand« nach der gegebenen Form anzeigen kann. (Über die mus. Comp., S. 200.)

150 Fünftes Kapitel.

Taktierform, Fig. IV stellt eine Zusammenfassung zweier Einzel- takte dar, wie sie Loulie und Lambert erwähnen. Fig. X kommt bei Quirsfeld vor. Es fehlt nur eine Figur für das Taktieren nach ganzen Takten1.

Wir haben hier eine Zusammenfassung der italienischen,, französischen und deutschen Taktierformen. Sie gehen noch lange Zeit nebeneinander, wie Hillers und Georg Friedrich Wolfs Musikbücher zeigen. Doch kommt von der Mitte des Jahrhunderts an die französische Manier immer mehr in Aufnahme, eine Ent- wicklung, die von dem großen Erfolg der französischen Instru- mentalmusik, der am Beginn des 18. Jahrhunderts einsetzt, sicher- lich beeinflußt worden ist. Auch die allmählich aufkommenden größeren Chor- und Orchesterbesetzungen2 haben wohl mit dazu beigetragen, die italienische Taktierform, die beim Zusammen- spiel leicht verwirren kann, durch die französische zu ersetzen. Von den fünfziger Jahren ab findet man die modernen Taktier- marken in Deutschland häufiger erwähnt. G. G. G. gibt sie in seiner »Kurzen Anweisung zu den ersten Anfangs-Gründen der Musik« (1752) in folgender Form3:

4

Bey langsamer Mensur 2 3 bey geschwinder

I 3

I 3 Bey langsamer Mensur 2 bey geschwinder

1 .2

1 S. o. L o u 1 i 4. D^motz (a. a. O., S. 173) schreibt: Tous les Airs de Danses mesurees ä trois Tems legers, vites, et tres-vites se battent ordinaire- ment par Messieurs les Maitres ä Danser et Simphonistes ä un seul Temps pour chaque Mesure: La Mesure ä deux Tems legers, vites et tres-vites peut se battre de la meme maniere. Marpurg erwähnt im Critischen Musicus an der Spree (1750, I, S. 39) das Zusammenfassen zweier Takte: »Wenn die Bewegung in diesen Tactarten (3/2) ZU, 3/s) seftr geschwinde seyn soll, so pfleget man nur, in der äusserlichen Vorstellung derselben mit der Hand, zwey Schläge zu machen, da denn die beyden ersten Theile auf den Niederschlag, der letztere Theil auf den Aufschlag genommen wird. Die Herren Tantzmeister haben hier die Gewohn- heit, daß sie in den Menuetten zwey Tacte zusammenziehen, und die drey Glie- der des ersten zum Niederschlage, und die drey Gliedern (I) des andern zum Aufschlage nehmen.« 2 S. weiter unten.

3 Langensalz, bei Joh. Christian Martini. 1752, Kap. III, S. 11.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 151

Die gleichen Figuren sieht man in Johann Lorenz Albrechts »Gründliche Einleitung in die Anfangslehren der Tonkunst« (1761)1, in Kalkbrenners »Theorie der Tonkunst« (1789)2 und anderen Musikbüchern. Man kann sagen, daß die französische Direktionsmethode in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland allgemein befolgt wurde, wenn sich auch einige Mu- siker von der italienischen Praxis, die im Gesang- und Instrumen- talunterricht heute wie früher eine große Rolle spielt, nicht trennen wollten.

Aus unsern Quellen ergibt sich, daß gegen Ende des 17. Jahr- hunderts die alte Form des Taktschiagens in allen Ländern der veränderten rhythmischen Struktur der Musik angepaßt wird. Man dirigiert nach Gruppentakten. Die einzelnen Taktteile, die Achtel, Viertel oder Halben werden einzeln angegeben, wie 'es Taktgröße und Tempo erfordern. Zunächst verfiel man auf das Mittel, durch wiederholte Auf- und Niederschläge die Taktteile anzugeben, eine Methode, die zuerst in Italien auftaucht, und die sich dort bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hält. In Frankreich, wo in Oper und Konzert ein Taktschläger tätig ist, wird die ita- lienische Praxis durch eine neue ersetzt: man schlägt in den Haupttakten einmal nieder und gibt die übrigen Taktteile durch Seitenbewegungen an. Diese Taktierform ist schon am Beginn des 18. Jahrhunderts in Frankreich gebräuchlich und wird nicht mehr abgeändert. Die deutschen Musiker, die gleichfalls am Ende des 17. Jahrhunderts Versuche mit der Gruppentaktdirektion an- stellen, und die auch an der Jahrhundertwende die französische Direktionsform kennen, folgen zum Teil der italienischen, zum Teil der alten Taktierform, bis die neue Richtung, für die einige Fortschrittsmänner schon früh eintreten, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts allgemein in Aufnahme kommt.

Die entwickelten Grundsätze der Direktionsführung sind bis in unsere Zeit hinein gültig geblieben, trotzdem häufiger Versuche aufgestellt wurden, die Taktiermethode abzuändern. So macht Carl Ludwig Junker im Jahre 17823 den Vorschlag, man solle

i S. 37 und 41.

2 S. 8. Vgl. Simp. Schmelz, Fundamenta musica 1752. S. 26f.

3 Einige der vornehmsten Pflichten eines Kapellmeisters oder Musikdirektors. Winterthur 1782, S. 42. Die Ausführungen Junkers hat Cramer in seinem »Magazin der Musik« II, 2, S. lf. abgedruckt. Junker erzählt, daß Abt Vogler sich einer Taktierbewegung bediente, »die das dritte Moment [des Takts] am deutlichsten bezeichnen soll«! Was es mit dieser Taktierform auf sich hat, wird aus Junkers Worten nicht klar.

152 Fünftes Kapitel.

beim Taktieren das »lezte Moment des Takts, durch die Nieder- senkung der Hand« anzeigen, das erste »durch eine Bewegung aufwärts«, eine Theorie, die sich aus der damaligen Kenntnis der griechischen Rhythmik erklären läßt. Viele Musiker unter ihnen der in Deutschland eifrig gelesene Rousseau glaubten, die Griechen hätten den schweren Taktteil durch einen Aufschlag, den unbetonten durch einen Niederschlag angegeben, eine An- schauung, aus der leicht eine Theorie wie die von Junker resul- tieren konnte. Es wird übrigens erzählt, daß Scarlatti und einige andere Tonkünstler in dieser Weise taktiert haben1, was sich indes aus der Musikliteratur nicht weiter beweisen läßt. Auch Jeröme de Momignys (1762—1838?) Vorschlag, nach der Form:

3 2 4

zu dirigieren2, hat keine größere Beachtung gefunden. Die Prin- zipien der Gruppentaktdirektion, die aus der Entwicklung der Takt- metrik hervorgegangen sind, und die sich jahrhundertelang in praktischer Übung gehalten haben, sind eben durch neue Theorien ebensowenig umzustoßen, wie die Notenschrift durch neue No- tierungsmethoden nach enharmonischen oder auf dem bloßen Klavierbild basierenden Grundsätzen umgestaltet werden kann. Es liegt in der Natur des Gruppentakts, der auf regelmäßigem Wechsel von betonten und unbetonten Taktteilen beruht, daß die schweren Taktzeiten durch akzentuierte Niederschläge dar- gestellt werden, daß die unbetonten ohne Zeichenangabe bleiben oder durch Seitenbewegungen ausgedrückt werden und die unter- betonten wie das dritte Viertel im C-Takt oder das vierte Achtel im 6/8-Takt durch eine Taktierbewegung nach der rechten Seite angegeben werden, da die Führung der Hand nach rechts die nachdrücklichste und energischste Akzentangabe nach dem Nieder- schlag bildet. In der Form der Taktführung hat die spätere Musikpraxis nichts gebracht, was sich nicht an die gegebenen Prinzipien anreihte. Mit der Aufstellung des modernen Noten- bildes und dem Ausbau des Gruppentakts waren auch die Grund- sätze der modernen Direktionsbewegungen gefunden.

1 Heinr. Christ. Koch, Musikalisches Lexikon 1802. Art.: »Aufschlag«.

2 Paleographie musicale, Bd. VII, S. 364 f.

Taktschlagen und Doppeldireküon im 4 8. Jahrhundert. 153

Man dirigierte im 18. Jahrhundert ebenso wie in früheren Zeiten mit Taktstock , Taktrolle oder mit unbewaffneter Hand. Der Taktstock war besonders in Frankreich bei der Opern- direktion gebräuchlich, während man Konzert- und Chorauf- führungen oft mit einer Taktrolle leitete1. Die deutschen Musiker, die gleichfalls den Gebrauch des Taktstocks kannten2, bevor- zugten die Noten- oder Papierrolle zur Direktion, jedenfalls ihrer leichten Handhabung wegen. In zeitgenössischen Berichten wird die Taktrolle oft erwähnt, man sieht sie auch auf Musik- bildern und Porträts3. Sie galt an manchen Plätzen als Ab- zeichen des Kapellmeisters4 und war bis in das 19. Jahrhundert hinein beliebt. Bernhard Anselm Weber, der Berliner Kapell- meister, ließ sich Rollen aus starkem Leder mit Kälberhaaren ausstopfen, um mit dieser Taktrolle aus der Partitur zu dirigieren5, und noch Carl Maria v. Weber leitete sein erstes Londoner Konzert mit einer Papierrolle6.

1 Lambert a. a. O., S. 20 (zitiert auf S. 130), vgl. auch Rousseau, Dictionnaire, Art.: »Bäton de mesure« (zitiert auf S. 125, Anm. 2).

2 S.o. S. 87 f. Vgl. auch Jakob Adlung, Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit, 1758, S. 209 Anm: An manchen Orten wird der Takt mit einem »gravitätischen Regimentsstab« gegeben.

3 In Jos. Friedr. Bernh. Caspar Majers »Neu eröffneter Theoretisch- und Pracktischer Music-Saal« 1741 sind die neun Musen mit Musikinstrumenten abgebildet, eine von ihnen taktiert mit einer Papierrolle. Die Rivista musicale (Bd. V, S. 54) bringt das Faksimile vom Titelblatt zu Bordes »Le Privilege«, der Dirigent führt die Taktrolle, gleichzeitig mit dem Fuß taktierend. In Lamberts »Les princ. d. clav.« sieht man auf dem Titel- kupfer musizierende Engel, von denen einer mit einer Taktrolle dirigiert. Auf einem Kupfer von C. Guörin vom Jahre 1785 ist Franz Xaver Richter abgebildet, er taktiert mit einem lose zusammengefalteten Notenblatt. S p i 1 1 a erwähnt in der Bachbiographie (II, S. 156) eine Kupferstichsammlung, die bei Joh. Christ. Weigel in Nürnberg herauskam, und in der Dirigenten mit Takt- rolle dargestellt sind. Ich habe die Sammlung, die weder im Berliner Kupfer- stichkabinett noch im Nürnberger Germ. Museum vorhanden ist, bisher nicht sehen können. In Christ. Weigels »Abbildung der gemein-nützlichen Haupt- stände« (Regensburg 1698) findet man ein Bild, wo der Kantor als Taktstock- dirigent dargestellt ist. Zur Direktion mit der Taktrolle siehe auch: Mizler, Mus. Staarstecher 1740, S. 66; Adlung a.a.O.; Joh. Ad. Hillcr, Anweis. z. mus. rieht. Ges. V, §8; Gottfried Weber, Versuch einer geordn. Theorie der Tonsetzkunst 1824—26, I, S. 120 u. v. a.

4 A. G. M e i ß n e r erzählt in den »Bruchstücken zur Biographie J. G. Nau- manns « (I, S. 215) folgendes: »Naumann, noch nicht im Kurfürstlichen Dienste stehend, maßt es sich auch nicht an, mit einer Papier- Rolle (die durch lange Ge- wohnheit für das Zeichen eines Kapellmeisters gilt) den Tackt anzugeben.«

ö Allgem. Deutsche Musik-Zeitung (Tappert) 1878, S. 190.

6 Carl Maria v. Weber. Ein Lebensbild von Max Maria v. Weber, II,

154 Fünftes Kapitel.

Wie die französischen Musiker bei ihrer bewährten Taktstock- direktion blieben, so hielt man in Italien und Deutschland an der alten Praxis des 17. Jahrhunderts fest: Opern und Instrumental- stücke wurden vom Klavier aus dirigiert, und nur bei Chorauf- führungen, in der Kirche oder bei »weitläuftigen Musicken«, wie Em. Bach sagt1, war ein Taktschläger tätig. Charles de Brosses erzählt in seinen Reisebriefen aus den Jahren 1739 und 1740, daß in Rom nur bei Kirchenmusiken taktiert wurde, »niemals in der Oper, so groß das Ensemble auch war«2. Dasselbe berichten Corrette und Goudar3. Dieser behauptet sogar, die Italiener sähen die französische Oper als eine Vereinigung von Blinden an: sie hätten einen Stock nötig, um geführt zu werden; die Ita- liener taktierten in der Oper überhaupt nicht, sondern allein bei Kirchenmusiken. Ebenso wie in Italien wurde es in Deutsch- land gehalten. Junker sagt: bei der Kirchenmusik ist der Kapell- meister, »nicht Spieler, sondern Taktschläger«4, und Löhlein meint: »bey einer Kirchenmusik, wo die Musici zerstreut stehen, ist es beynahe unmöglich, daß alle Mitspielende, ohne Takt geben, immer so genau beysammen bleiben, als bey einem Concerte oder Cammer-Musik, wo die Musici nahe beysammen stehen« 5. Auch Mattheson6, Scheibe7 u. a. sprechen vom Taktieren in der

S. 666, vgl. die Zeichnungen von J. Hay ter (London 1826): Weber dirigie- rend. Abbildung in H erm. Gehrmanns Weber-Biographie (Harmonie-Verlag, Berlin).

1 Versuch über die wahre Art d. Ciavier zu spielen I, S. 4 Anm.

2 Charles de Brosses, Le President de Br. en Italic Lettres fa- miliäres, 2. edition, Paris 1858, II, S. 378: On bat la mesure ä l'^glise dans la musique latine, mais jamais ä l'Opera, quelque nombreux que soit l'orchestre.

3 Corrette, Celloschule (s.o.), S. 46: Les habiles Violons jouent les Adagio et Largo sans battre la mesure . . . ce que les Italiens pratiquent avec beaucoup de justesse ne battans la mesure que dans les musiques ä grand Choeur. L'Abbe Raguenet, Paralele des Italiens et des Francois, en ce qui regarde la Musique et les Op£ra, Amsterdam, nouv. edit., S. 36: On ne bat point la mesure aux Orchestres d'Italie, et cependant on n'y voit jamais personne manquer d'un tems. Goudar a. a. O., S. 120: Les Italiens regardent l'opöra de Paris comme une compagnie d'aveugles; ils disent pour raison qu'ils ont besoin d'un bäton pour se conduire. . . . Eux-memes [les Italiens] hatten t la mesure ä la musique d'öglise. Vgl. Rousseau, Dictionnaire, Art.: »Battre la mesure«.

4 A. a. 0. S. 17.

5 Anweisung zum Violinspielen, 2. verb. Auflage, 1781, S. 55.

6 Exempl. Organisten-Probe, I, S. 181.

7 Über d. mus. Comp., S. 297: »Das Taktschlagen ist einem Musikdirektor und Chorregenten oft ein unentbehrliches Hülsmittel, einen musikalischen Chor, zumal wenn er sehr stark besetzt ist, oder auch aus ungleichen Leuten bestehet,

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 155

Kirchenmusik, und noch Heinrich Christoph Koch schreibt in seinem »Musikalischen Lexikon« (1802): »Bey der Kirchenmusik giebt [der Kapellmeister] durch das ganze Tonstück hindurch den Takt; bey der Oper aber pflegt er gemeiniglich aus der Par- titur zugleich den Generalbaß auf dem Flügel zu spielen«; an einer anderen Stelle heißt es: »Man ist anjetzt gewohnt, nur bey Singstücken, und insbesondere bey der Kirchenmusik und bey andern großen Cantaten den Takt zu geben, wo es bey jener insbesondere die oft vorkommenden Fugen und fugenartigen Sätze, bey diesen aber die begleiteten Recitative nothwenig machen1.« Wir haben im 18. Jahrhundert in Deutschland und Italien zwischen der Direktion der Kirchenmusik und der Direk- tion der Opern und Instrumentalstücke zu unterscheiden. Wenn auch einige Musiker, wie wir noch sehen werden, das Taktschlagen, das durch die Raumverhältnisse, durch die Zahl der Mitwirkenden oder durch die Aufstellung von Choristen und Musikern auf ver- schiedenen Emporen2 nötig wurde, nach Möglichkeit einschränken wollten, so ist doch im ganzen 18. Jahrhundert die Scheidung von Kirchenmusik und Operndirektion3 in der Literatur deutlich zu verfolgen.

Wenden wir uns zunächst der Kirchenmusik zu. Die Renais- sance hatte hier die allgemeine Praxis durch das Generalbaßspiel umgestaltet. Jeder Chor sang unter Begleitung von Tasten- instrumenten, zu denen sich in der Regel ein Orchester gesellte. Das 18. Jahrhundert hat da nicht viel geändert. Wenn auch die Freiheit in der Besetzung von Instrumenten und Chören einge- schränkt und die Ausführung der Werke vom Komponisten genauer

die nicht gewohnt sind, mit einander zu musiciren, in gehöriger Ordnung zu halten. Vgl. auch Joh. Friedr. Wiedeburg, Der sich selbst informirende Ciavierspieler, 1765—1775. Teil II, S. 397.

1 Art.: »Taktgeben« und »Kapellmeister«.

2 Fuhrmann, Mus. Trichter, S. 80: Capella ist/ wenn in einer Vocal- Music ein absonderlich Chor in gewissen Clausuln zur Pracht und Stärckung der Music mit einfällt/ muß dahero an einem aparten Ort von den Concertisten ab- gesondert gestellt werden. S. auch Mattheson, Neu eröffn. Orch., S. 158: Besetzung u. Aufstellung mehrerer Chöre; und Mattheson, Kern mel. Wissen- schaft, 1737, S. 100, wo das Abwechseln der an »verschiedenen Orten« der Kirche aufgestellten Chöre »die grosseste Lust von der Welt« genannt wird.

3 Daß bei außergewöhnlich großer Besetzung auch in der italienischen Oper ein Taktschläger tätig war, bestätigt Quant z in seiner Autobiographie (a. a. 0., S. 217); er erzählt, daß bei der Aufführung der Fuxschen »Costanza e Fortezza«, die unter freiem Himmel vor sich ging, »wegen Menge der Ausführer« von Caldara der Takt gegeben wurde.

156 Fünftes Kapitel.

angegeben wurde, die äußere Praxis war die gleiche geblieben. Nur hatten die Kapellmeister jetzt mit noch größeren Schwierig- keiten zu kämpfen als früher, da die Ghorleistungen fast an allen Plätzen zurückgegangen waren. Schlechte Aufführungen, unzuver- lässige Kräfte, untüchtige Kantoren gab es in großer Zahl. Die Musiker kämpften genug gegen diese Zustände, doch ohne rechten Erfolg. Man protestierte gegen unfähige Dirigenten und gegen Kapellmeister, die durch lärmendes Taktieren ihre Musiker zusam- menhalten wollten; man wiederholte immer von neuem, daß auch ohne Poltern eine gute Auf führung zustande kommen kann. Solche Kritiken findet man in Musikbüchern, Reiseberichten und Instru- mentalschulen überall. Einige davon will ich hier anführen, um eine Vorstellung davon zu geben, wie die Musiker über un- fähige Kollegen urteilten, und wie sie sich eine gute Direktions- führung dachten. Fuhrmann sagt z. B.: Ein Vitium mensurae entsteht, »wenn einige Musicanten sich angewehnet den Tact mit den Füssen starck zu stossen / welches die gantze Music ver- unzieret. Hiewider handeln einige Directores selbst / so entweder mit den Füssen den Tact allzeit stampffen; Oder mit einem in der Hand haltenden Papier bey jedem Niederschlag so starck auff das vor sich stehende Pulpet oder Brett klopffe,n / dass es laut klatscht / und die Gemeine in der Kirchen jeden Tact kan schlagen hören; Welches aber ein hesslicher Soloecismus Direc- torius ist / denn man solte durchaus keinen Tact, als NB. nur den ersten zur Losung / in der Music schlagen hören / und die andern alle (wenn es nicht anders seyn kan) nur schlagen sehen1.« Johann Adolph Scheibe schreibt im »Critischen Musicus«, er verlange nicht, daß der Kapellmeister ein »ungeschicktes und polterndes Tacktschlagen mit den Füßen« anwende, es sei genug, wenn er die Mensur im Anfange der Sätze ein- oder zweimal stark an- gebe und dann mit der Hand bis zum Schlüsse eine mäßige Bewegung beibehalte2. Wenn er seinen Chor aber so gewöhne, daß die laute Angabe der Anfangstakte überhaupt wegfallen könne, so sei es desto besser3. Auch Mi zier meint, viele Kan- toren verständen wohl »den Tact mit einer langen Rolle von

1 Fuhrmann, Mus. Trichter, S. 75.

2 Von der Aufführung des Kühnauschen »Weltgerichts« in Berlin, das Benda und Bachmann dirigierten, heißt es in Cramers Magazin (I, S. 848), daß Herr Kühnau nicht nötig hatte, »mehr als einen oder zwey Tacte [lang] die Mensur eines jeden Stücks anzugeben«.

3 A.a.O. 1740. 78 Stück. S. 412.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 157

Papier zugleich mit den Händen, dem Kopf, dem Leib und den Füßen zu geben«; durch das »heftige stampfen der Füße« würde aber die Musik übertäubt, und »durch allerhand unartige Gebehrden des hin und her wankens mit dem Kopf nach dem Tact« brächten sie die Zuhörer nur zum Lachen. Ähnlich kritisiert Adlung die unfähigen Dirigenten in seiner »Anleitung zur musikali- schen Gelahrtheit«: Es ist lächerlich, schreibt er, »vorsieh selbst den Tact zu führen durch das Tappen mit den Füßen, oder Nicken mit dem Kopfe . . . Wenn . . in dergleichen Zusammenkunft Virtuosen sind, oder wenigstens solche, welche nach der herr- schenden Melodie sich zu richten wissen ; so ist auch weiter nichts nöthig, als nur die Mensur beym Anfange zu geben. Nachdem hat man billig sich nicht ferner darum zu bekümmern, oder man rege die Hand nur ein wenig. . . . Bisweilen bekommen die Füße dabey etwas zu strampfen, welche Bewegungen dienlich wider das hypochondrische Uebel. . . . Noch närrischer ist es, wenn außer dem Director derer andern mit musicirenden Köpfe, Hände oder Füße sich bewegen, und bisweilen so laut, daß einer den andern irre macht, und die Musik verhudelt wird1.« Also auch Adlung ist für ein Angeben der Mensur am Anfang eines Musik- stücks. Scheibe und Fuhrmann wollen diese Takte sogar laut markiert haben, damit die Musiker gleich das rechte Tempo fassen. Nach Scheibe ist das hörbare Taktieren auch dann notwendig, wenn Schwankungen im Takte vorkommen. Er sagt: ein wohl angebrachtes starkes Niedertreten mit dem Fuße kann vielen Fehlern vorbeugen. »Es ist dieses starke Niedertreten zuweilen ein nothwendiges Uebel, doch nur bey starkbesetzten Chören; man muß aber kein Handwerk daraus machen, sonst störet man die Zuhörer in ihrer Aufmerksamkeit, und macht sich und die Musik lächerlich. Auch sind heftige und abentheuerliche Ge- bärden gänzlich zu vermeiden, unter andern, wrenn man mit der Hand bald hoch in die Luft, bald bis unter den Fußboden fährt,, bald auch in die Perücke, daß sie sich um den Kopf herum drehet, oder auch mit dem Körper zugleich auf und nieder und gleichsam in der Luft herum schwebet, oder wohl gar gräßliche Gesichter dazu schneidet, und zuweilen laut zu schreyen anfängt2.« Auch

1 A.a.O., S. 209 Anm. Adlung erzählt auch, daß Christoph Semler eine Taktiermaschine erfunden habe, die die Stelle des Präfekten vertreten könne. Damit ist jedenfalls ein Metronom gemeint oder aber ein ähnliches Instrument, wie es Joh. Bahr beschrieben hat. S. o. S. 112.

2 Über die mus. Comp., S. 298/99.

158 ' Fünftes Kapitel.

Mattheson hat gegen den Taktierlärm oft protestiert. Sehr hübsch schreibt er in der »Exemplarischen Organisten- Probe«: »Was von dem Tactschlagen mit dem Fuß etliche für sonderbahre Meinung haben ist zu verwundern; zumahl da sie dafür halten müssen / ihr Fuß sey klüger als ihr Kopff / und habe sich dieser nach jenem zu richten. Sagen sie es zwar nicht absolute, so folgt es doch per indirectum aus ihrem Sentiment. Solches ist aber wider alle Ordnung und Vernunfft. Denn vors erste / wenn einer im Goncert spielet / muß ja bey Leibe keinen Tact / sondern nur derjenige führen / der entweder par Autoritate oder par Credit dirigiret / sonst hätte ein jeder seinen eigenen Tact / und würde es gehen: Quot capita totTactus, wie es denn am Tage lieget / und gar nichts neues ist / daß dieser auf- und jener zu gleicher Zeit niederschlaget , . . Dieses habe gemercket; je weniger einer von der Musik verstehet /je öffter wird er den Tact schlagen.« Das 15. Probe- Stück seiner Organisten- Probe, einScherzando im 2/4-Takt, hat er hingesetzt, damit den Musikern »die beliebte badinerie ihrer Füße nicht gar vergehe«1. Er ist der Meinung, »daß ein kleiner Winck, nicht nur mit der Hand, sondern bloß und allein mit den Augen und Geberden das meiste hiebey ausrichten könne, ohne ein großes Federfechten anzustellen; wenn nur die Untergebene ihre Blicke fleißig auf die Vorgesetzten gerichtet seyn lassen wollen«2. Dies Taktierlärmen , das in den Musikbüchern so oft erwähnt wird3, steht im Zusammenhang mit dem erwähnten Verfall des

i A. a. O. I, S. 84, 85, 180, § 2, vgl. auch Große General-Baß-Schule, 1731, S. 284/5 und 386/7.

2 Vollk. Capellm. III, 26, § 14, s. auch Exempl. Organisten-Probe, S. 85: Ich bin der Meinung mit vielen Verständigen / daß es besser wäre / auch bey grossen Musiken / das Lufftfechten und Tactschlagen gar einzustellen / falls es nur müglich / einen Coetum sonst im Aequilibrio zu erhalten; da aber solches nicht thunlich / soll man sich billig der geringsten Motion die nur ersinnlich ist / bedienen.

3 Proteste gegen das Taktierlärmen liest man bei Joseph Riepcl, Anfangsgründe zur musicalischen Setzkunst 1752, S. 67 (»Fünf, sechs, oder sieben Bauernknechte, . . . treffen mit ihren Drischein in der Scheune den Tact so genau, daß sie oft nicht ohne Ursache, in Kirchen oder bey andern Musiken, sich über das einfältige Tactschlagen aufhalten und heimlich lachen«), in M a r - purgs Anleitung zur Mus. S. 7 (»Der Ghorstock des Tarierenden muß nicht gehöret, sondern nur gesehen werden«), in Spi es s ' Tract. mus., Anhang, Art.: »Vitium mensuraei (der Fehler entsteht, »wennbeym Tact geben von dem Directore NB. daß Decorum nicht in Acht genommen wird«), in Löhleins Anw. z. Violin- spielen (2 .Aufl., S. 55 »es ist nichts ungereimter, als wenn man [beim Takt- schlagen] mit dem Fuße stampft, daß der Fußboden bebt«), in Carl Rolles » Neue Wahrnehmungen zur Aufnahme . . . der Musik« 1784 (S. 42 »ein starkes

Taktschlagen und Doppeldirektion im i 8. Jahrhundort. 159

Chorlebens. Viele Kantoren waren angestellt, die ihren Aufgaben nicht gewachsen waren, während die Sparsamkeit von Stadt und Kirche mit dazu beitrug, daß die Leistungen der Chöre zurück- gingen. Die Zuwendungen, die früher an Kantoreien und Vereine gemacht wurden, fielen im Laufe der Jahre vielfach fort, so daß sich an vielen Plätzen die freiwilligen Kirchenchöre auflösten. Zum Teil hatten sich diese Chöre überlebt. Die Zunahme der Con- vivia und Tafelfreuden, die Abnahme der singenden Mitglieder verurteilten viele Kantoreien zu einem Scheinleben. Die Interessen der Laien wandten sich immer mehr der Instrumentalmusik zu, so daß die Kirche oft auf die Laienkräfte verzichten mußte. Die Schulen boten nicht viel Ersatz, da man die Singstunden zu beschränken und überhaupt die Schulchöre abzuschaffen versuchte. Allerlei Vorfälle bei Umzügen, Begräbnis- oder Straßengesängen brachten willkommenen Anlaß, um gegen die Schulchöre vor- zugehen. Wie Seb. Bach mit den Pädagogen zu kämpfen hatte, wie er Privatschüler und Studenten mit auf den Chor nahm, um gute Aufführungen zu erzielen, ist aus der Bachbiographie bekannt. Auch der lange Streit zwischen Kantor Doles und Rektor Bieder- mann in Freiberg ist berühmt geworden. Der Pädagoge prophe- zeite den Singeschülern Verderbnis der Moral. Wenn die Kan- toren zweier durch Tradition und pekuniäre Mittel gut gestellter Musikstädte solchen Widerstand bei den Behörden fanden, dann kann man sich die Verhältnisse an kleineren Orten leicht denken. Hinzu kommt in der nachbachischen Zeit eine oft im Stil ver- fehlte, weichliche oder erschrecklich nichtssagende Kirchenmusik. Aus diesem kurz umrissenen Zeitbild erklären sich die Klagen der Musiker, die vom Taktierlärmen so viel zu erzählen wissen. Es mag bisweilen schlimm bei solchen Aufführungen hergegangen sein, und der gute Rat, nur den Anfang der Musik laut zu taktieren oder nur mit einem Wink und einer mäßigen Handbewegung die Aufführung zu leiten, war leichter hingeschrieben als durchge- führt. Jeder Kantor mußte sich eben so gut helfen, wie er konnte. Mattheson sagt z. B., er sei allezeit besser dabei gefahren, wenn er sowohl mitgespielt und mitgesungen habe, als wenn er »bloß

Fußtreten begünstiget die Aufführung auch nicht sonderlich«), in Sam. Petris Anleitung zur prakt. Mus. 1782 (S. 183: für Stadtmusikos gilt die Warnung: nicht beim Taktieren »so auftreten und stampfen, daß man glauben möchte, man wäre in einer Papiermühle, oder Hammerwerke«). Vgl. auch Hiller a. a. 0. VI, §15; (Voigt); »Gespräch von der Musik, zwischen einem Organisten und Adjuvanten« 1742, S. 36/37 u. a.

160 Fünftes Kapitel.

des Tacts wegen da gestanden« sei. Der Chor würde durch solches Mitspielen und Mitsingen ermuntert, und man könne die Leute viel besser anfrischen1. Ähnlich machte es Seb. Bach. Gesner hat uns davon eine Nachricht gegeben. Er sagt, es sei kaum zu beschreiben, wie Bach »bei dreißig oder gar vierzig Musikern den einen durch einen Wink, den andern durch Treten des Takts, den dritten mit drohendem Finger in Ordnung hält, jenem in hoher, diesem in tiefer, dem dritten in mittlerer Lage seinen Ton angibt, und daß er ganz allein, im lautesten Getön der Zusammenwirkenden, obgleich er von allen die schwierigste Aufgabe hat, doch sofort bemerkt, wenn und wo etwas nicht stimmt, und alle zusammen- hält und überall vorbeugt und wenn es irgendwo schwankt, die Sicherheit wieder herstellt, wie der Rhythmus ihm in allen Gliedern sitzt, wie er alle Harmonien mit scharfem Ohre erfaßt und alle Stimmen mit dem geringen Umfange der eignen Stimme allein hervorbringt2«. Gesner, der diese Worte in einer Anmerkung seiner Quintilian ausgäbe unterbringt3, hat jedenfalls an eine Bachsche Probe gedacht. Seine Beschreibung gehört aber mit in die aus zeitgenössischen Berichten gegebene Anthologie vom Taktierlärmen. Man sieht, wie sich schon Seb. Bach, der doch viele tüchtige Kräfte auf seinem Chor hatte, mit den Musikern abmühen mußte. Kleinere Plätze waren in dieser Beziehung noch schlechter gestellt.

Bachs Direktion und Matthesons Bericht, er habe bei der Di- rektion mitgespielt, ohne den Takt zu schlagen, führt uns auf eine Praxis, die sich ebenso wie im 17. Jahrhundert neben der Hand- oder Taktstockdirektion gehalten hat: auf die Leitung vom Klavier aus. Sie ist im 18. Jahrhundert die gebräuchliche Direk- tionsform in der Oper und Instrumentalmusik. Em. Bach sagt: »Auch bey den stärksten Musiken, in Opern, so gar unter freyem Himmel4, wo man ganz gewiß glauben solte, nicht das geringste vom Flügel zu hören, vermißt man ihn, wenn er wegbleibt5.« Der Flügel gibt der Musik das harmonische Rückgrat und die feste, rhythmische Führung. Das Klavier muß »allezeit das

i Vollk. Capellm. III, 26, §16.

2 Übersetzung nach Spitta, Bach II, S. 89.

a S. o. S. 5.

* Auf Barthol. Kilians Bild »Die Anbetung der Maria« (s. o. S. 88), sieht man eine solche Aufführung unter freiem Himmel. Auch Fuxens Festoper »Costanza e Fortezza« wurde im Freien aufgeführt (s. Quantz' Autobiographie).

5 Versuch über die wahre Art ... II. Einl. § 1.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. \(j\

Augenmerck des Tactes seyn und bleiben«1. Es ist nach Em. Bach am besten imstande, »nicht allein die übrigen Bässe, sondern auch die ganze Musick in der nöthigen Gleichheit vom Tacte zu erhalten; diese Gleichheit kan auch dem besten Musico, ob er schon übrigens sein Feuer in seiner Gewalt hat, im andern Falle durch die Ermüdung schwer werden. Da dieses nun bey einem ge- schehen kan ; so ist diese Vorsicht, wenn viele zusammen musi- ciren, um so viel nöthiger, jemehr hierdurch das Tact-Schlagen, welches heut zu Tage bloß bey weitläuftigen Musicken gebräuch- lich ist, vollkommen ersetzet wird. Der Ton des Flügels, welcher ganz recht von den Mitmusicirenden umgeben stehet, fällt allen deutlich ins Gehör. Dahero weiß ich, daß sogar zerstreuete und weitläuftige Musicken, bey welchen oft viele freywillige und mittel- mäßige Musici sich befunden haben, blos durch den Ton des Flügels in Ordnung erhalten worden sind2.«

Der Kapellmeister übernahm bei der Aufführung, wenn kein besonderer Akkompagnist an einem zweiten Flügel tätig war3, das Akkompagnement, die Begleitung nach dem Generalbaß. Ohne Überladungen in den Figuren und Manieren spielte er die Harmonien, um Solisten, Chor oder Instrumentalisten zu stützen. Die Regeln, die er in seinem Spiel befolgte, gehen auf einen Haupt- satz zurück: Das Akkompagnement mußte dem Ideengehalt des Stückes entsprechen. Außerdem mußte der Klavierist oder der Spieler des ersten Flügels auf die Taktordnung achten. Em. Bach, den Schubart einen ausgezeichneten Dirigenten nennt, der »viele geheime Kapellmeisterkünste aus dem Grunde ver- stand«4, begründet die Notwendigkeit dieser Taktführung mit folgenden Worten: »Will jemand anfangen zu eylen oder zu schlep- pen, so kan er durchs Ciavier am deutlichsten zu rechte gebracht werden, indem die andern [Musiker] wegen vieler Passagien oder Rückungen mit sich selbst genug beschäftiget sind; besonders haben die Stimmen, welche Tempo rubato haben [d. h. die die

1 Em. Bach, ebenda I, Einl. §9 Anm.

2 Ebenda.

3 In Dresden dirigierte z. B. Hasse vom ersten Flügel, während an einem zweiten Klavier ein besonderer Generalbaßspieler mitwirkte. Ebenso wurde es in der Berliner Oper unter Karl H. Graun gehalten.

4 Ges. Schriften, Stuttgart 1839, V, S. 187: /»Er weiß hundert Stimmen und Saiten so in eins zu verflößen, so in den Pulsschlag der Natur einzuleiten, so das Genie selbst in den Schranken der Ordnung zu erhalten, daß hierin schwerlich seines Gleichen ist. Die Akustik, die Orchesterordnung, und viele geheime Kapell- meisterkünste verstand er aus dem Grunde.«

Kl. Haiidb. der Musikgescli. X. 11

162 Fünftes Kapitel.

Noten etwas dehnen oder geschwinder spielen, als die Notierung angibt1] hierdurch den nöthigen, nachdrücklichen Vorschlag des Tacts. Endlich kan auf diese Art, weil man durch das zu viele Geräusche des Flügels an der genauesten Wahrnehmung nicht ver- hindert wird, sehr leicht das Zeit-Maas, wie es nöthig ist, um etwas weniges geändert werden, und die hinter, oder neben dem Flügel sich befindenden Musici haben einen in beyden Händen gleichen, durchdringenden und folglich den mercklichsten Schlag des Tacts vor Augen2.«

Bei dieser Klavierdirektion bediente sich der Dirigent vieler praktischer Hilfsmittel: er griff zuweilen Harmonien, wenn der Continuo pausierte, er teilte lange Noten in kürzere, betonte ein- zelne rhythmisch wichtige Stellen oder spielte, wenn Fehler vor- kamen, die Melodiestimme mit, bis die Musiker sich zurechtge- funden hatten.

Der Anfang eines Musikstücks machte den Musikern, wie wir schon gehört haben, große Schwierigkeiten. Telemann nannte die Anfangstakte, wie Petri erzählt3, die »Hundetakte«, »weil sie Menschen unerträglich waren«, und Quantz berichtet, daß bei großen Orchestern oft ein oder mehr Takte vorübergingen, bevor alle miteinander einig wurden4. Em. Bach schlägt des- halb vor, die Oberstimme namentlich bei schnellen Sätzen mit- zuspielen, damit die Musiker gleich in das rechte Tempo kommen5. Ein anderes Hilfsmittel war das Anschlagen der Harmoniefolgen. Der Kapellmeister gab z. B. beim C-Takt die einzelnen Viertel durch Akkordwiederholungen an, auch dann, wenn das Stück mit einem langgehaltenen Akkord begann6. Durch dies wieder- holte Anschlagen der Harmonien wurde der rhythmische Gang markiert. Der erste Geiger nahm das Tempo auf, akzentuierte wohl noch die wichtigeren Taktteile7 und vermittelte so den In- strumentalisten das Tempo. Hatten sich die Musiker den Anfang eines Satzes genau eingeprägt, so brauchten sie nur auf den Klavier- spieler zu hören und sich im Spiel nach dem Konzertmeister oder, wenn sie ihn nicht sehen konnten, nach ihrem Nebenmann oder

i Vgl. Em. Bach, a. a. O. I, III, §28. S. auch weiter unten S. 207.

2 Em. Bach, a. a. O. I, Einl. § 9 Anm.

3 Anl. zur prakt. Mus. 1782, S. 171/172. * A.a.O. XVII, VII, §45.

ö A. a. O. II, 29, §24.

6 J u n k e r , a. a. O. S. 41, 42 und Joh. Jos. Klein, Versuch eines Lehr- buchs der prakt. Musik 1783, S. 254, § 282.

7 Vgl. Petri, a. a. 0. S. 172.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert.

163

Stimmführer zu richten1. Telemannsche »Hundetakte« konnten dann nicht mit unterlaufen.

Das Betonen der akzentuierten Taktzeiten bildete ein Haupt- mittel der Klavierdirektion. Die Baßnoten wurden mit ihren Harmonien stärker angeschlagen, so daß jeder die rhythmischen Akzente deutlich hörte. Schwieriger war die Direktion, wenn der Continuo pausierte. Hier fielen die Fundamentstimme und der hörbare Taktschlag fort. An solchen Stellen gab der Kapell- meister, wenn die Pausen kurz waren, die Harmonie mit der rechten Hand an, d. h. er spielte über den einzelnen Pausen des Basses die jeweilige Harmonie, um den rhythmischen Gang aufrecht zu halten. Bei folgenden Stellen, die Em. Bach2 entnommen sind:

Allegretto.

i 1 4.

S

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können bei der Pause mit der rechten Hand die Harmonien an- geschlagen werden. Ein geschickter Dirigent wird im ersten Beispiel erst beim Sextakkord einsetzen, im zweiten ist das har- monische Vorschlagen unvermeidlich; würde man auf f die Har- monie einsetzen, so wird der Rhythmus unverständlich. In dieser Bewegung:

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kann die Taktordnung nur durch eine Achtelbegleitung ange- geben werden. Man wird ein Achtel im langsamen Tempo unbegleitet lassen, um den Vortrag der langen Note, die meist piano angesetzt wird, nicht zu »verdunkeln«, dann aber spielt man in Achteln:

1 Quantz, a.a.O. XVII, VII, §42.

2 A. a. O. II, 37, § 4. Die folgende Darstellung basiert auf Em. Bach, wenn keine andere Quelle angegeben wird.

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164

Fünftes Kapitel.

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In den Stellen, wo durch das Vorschlagen mit der rechten Hand die Harmonie oder der Gang der Hauptstimme undeutlich wird, fällt die Ausfüllung der Baßpausen fort, z. B. bei der Wendung:

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würde erst beim C des Basses einzusetzen sein, das Vorschlagen bei der Note f wirkt unharmonisch. In dem Motiv:

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würde ein Einfallen den Vorschlag der Hauptstimme stören. Auch charakteristische Gänge, wie dieser »pathetische Baß nach französischem Geschmack«:

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vertragen kein Vorschlagen bei den Pausen. Wenn der Kom- ponist auf den Vortrag markanter Modulationen in der Haupt- stimme Gewicht legt, fällt gleichfalls eine füllende Harmonie- angabe bei der Pause fort. Solche solistischen Stellen erkannte der Klavierist aus der Partitur oder aus der seiner Stimme über- schriebenen Melodie. In der Regel lag dem Kapellmeister die Partitur vor, zuweilen aber auch eine Direktionsstimme, in der über dem Baß die wichtigsten Einsätze der übrigen Stimmen

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 165

eingezeichnet waren1. Bei Instrumentalkonzerten oder Arien reichte der bezifferte Baß mit der darübergesetzten Solopartie aus. War diese nicht eingezeichnet, so wurde eine vorherige Verständigung nötig, die Bach im Interesse der Solisten für die Ausführung eines improvisierten Akkompagnements überhaupt empfiehlt.

Das Vorschlagen der Harmonien bei kurzen Baßpausen diente lediglich zur Stützung des Taktes. Es ersetzte die pausierende Fundamentstimme durch eine mit der Bechten gegriffene Har- monie. Sonst genügte bei regulär fortschreitendem Continuo ein gleichmäßiges Anschlagen der Harmonien, um die Takt- bewegung zu markieren und die Instrumentalisten auch an den Stellen sicher zu führen, wo der Solist durch Ausschmückung und Verzierung der Solostimme seine Partie variierte und mit Ornamenten umrankte. Sobald aber Kadenzen, Fermaten oder Recitative in der Orchesterbegleitung vorkamen, mußte der Ka- pellmeister andere Kunstgriffe anwenden, um eine exakte rhyth- mische Bewegung zu erzielen. Bei den zur Fermate leitenden Takten, die retardierend gespielt wurden, hielt er im Tempo zurück; er schlug die Harmonien schleppend an. Hatte der Solist die Fermate beendet Quantz schlägt für ihre Dauer vor: im Tripel, alla Breve und 2/4-Takt einen ganzen Takt außer dem Fermatentakt, für den 4/4 dagegen einen halben oder einen ganzen Takt, je nachdem die Fermate in der Arsis oderThesis steht2 dann mußte auf ein genaues Weitergehen der Instrumente gesehen werden. Der Kapellmeister schlug die erste Note nach der Fermate stark an, um allen Musikern den Fortgang des Stückes anzugeben. »Wenn auch . . . piano unter dieser Note stehen solte«, sagt Em. Bach3, »so giebet man ihr dennoch durch einen mäßig starken Anschlag einen Nachdruck. Diese Freyheit des Vor- trages ist alsdenn besonders nöthig, wenn der vorhergegangene Stillstand von dem Basse allein zuerst gebrochen wird. Es ist besser, daß man alsdenn eine Note etwas stärker, als es eigent- lich seyn solte, anschlaget, und dadurch die Mitspielenden in

1 Vgl. S p i 1 1 a , Bach II, S. 159f. Solche Direktionsstimmen findet man in den Kirchenbibliotheken Sachsens in großer Zahl. Noch Habeneck diri- gierte aus einer Violinstimme, in der die wichtigen Soli und Einsätze mit roter Schrift eingezeichnet waren (s. w. unten). Je nach dem Instrument, das der Dirigent übernahm, sind diese Stimmen verschieden. Im 18. Jahrh. diente meist der Continuo als Direktionsstimme.

2 Quantz, a.a.O. XVII, VII, §43.

3 A. a. O. II, 29, §11.

166

Fünftes Kapitel.

der Ordnung erhält: als wenn man aus einer übertriebenen Ge- nauigkeit dieses, denen übrigen Mitmusicirenden, wegen der gehörigen Nachfolge, unentbehrliche Zeichen weglassen, und dadurch wagen wolte, daß ein ansehnlicher Theil vom Stücke, wo der Componist oft eine besondere Schönheit angebracht hat, durch eine Unrichtigkeit verdorben würde. In dergleichen Fällen ist der erste Anfänger der Führer, und wenn es auch die Bratsche trift.« War dem Baß mit allen Ripienstimmen ein langer Ton zugeteilt, während die Hauptstimmen ihre eigene Bewegung beibehielten, so wurde für die Taktordnung und zur Sicherheit der übrigen Musiker notwendig, die Taktteile auf dem Klavier mit der rechten Hand harmonisch anzuschlagen. Das geschah auch an den Stellen, wo die Harmonie sich nicht ein einziges Mal veränderte1, z. B.:

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Wenn die liegende Stimme allein dem Baß zufiel, so konnte die Grundnote repetiert werden, sobald sie verklungen war. Dies Wiederholen der Baßnote durfte aber nie gegen den Takt ge- schehen, d. h. im C-Takt konnte die Note am Anfang und in der Mitte des Takts angeschlagen werden, beim ungeraden Takt nur im Niederschlag2. Kam bei diesem Aushalten der Baßnote ein forte vor, nachdem ein Piano vorhergegangen war, so kehrte man sich nicht an die Takteinteilung, sondern schlug »gleich bey dem Eintritt des Forte die Grundnote nebst der Harmonie mit beyden Händen« an, und wenn ein Fortissimo angezeigt war, mit vollen Akkorden3.

Für die Kadenzen galten die gleichen Hilfsmittel. Auch hier gab der Kapellmeister den Taktgang durch Betonen der Baß- noten und durch markantes Anschlagen der weiterführenden Noten an. Die die Kadenz einleitenden Partien wurden stark gespielt, auch wenn es nicht ausdrücklich vorgeschrieben war. Man hielt im Tempo zurück, so daß der Solist wußte, man erwarte

i Em. Bach, a. a. O. II, 29, §18.

2 Ebenda.

3 Ebenda.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 157

eine ausgeführte, verzierte Kadenz, die er übrigens selbst durch ein »schleppendes Forte« vorher andeutete1. Wollte er sich bei der Kadenz nicht aufhalten, so gab er dies »seinen Begleitern durch eine Bewegung mit dem Kopfe, oder mit dem Leibe zu ver- stehen«. Sobald der Akkompagnist das bemerkte, schlug er an Stelle der liegenden Grundnote kurze Noten an, er löste die Grundnote in kürzere Notenwerte auf, wie sie vorher gespielt wurden, damit die Musiker gleich hörten, daß die Kadenz der Solostimme ausfällt, nach dieser Form:

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Nach der Kadenz mußte der Baß mit großer »Festigkeit« und »sichern Wiederergreifung des Tempo« weitergehen. Wie bei den Fermaten wurden auch hier die ersten Noten nach dem Ruhe- zeichen kräftig und stark angeschlagen, »damit die übrigen Aus- führer das wieder ordentlich fortgehende Tempo deutlich fühlen«3. Sollten die Noten ausdrücklich piano vorgetragen werden, was selten vorkam, dann wurden die ersten Noten vor dem Eintritt des nächsten Taktes laut gespielt, oder der Klavierist gab den Musikern »durch eine Bewegung des Cörpers« die Takteinteilung zu erkennen:

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Schwieriger war die Direktion der Recitative, die von langge- haltenen Harmonien gestützt oder von eingeworfenen Instru- mentalphrasen unterbrochen wurden, und in denen der Solist frei, ohne strenge Taktgliederung rezitierte. Der Kapellmeister hatte in solchen Sätzen dem Sänger genau zu folgen, Ton und Modulation deutlich vorzuspielen und bei »feurigen Recitativen«, wie Bach sagt, die weiterführenden Harmonien schon unter der letzten Textsilbe anzuschlagen, damit die Instrumentalisten sich danach richten und rechtzeitig einfallen konnten. So wurde

i Em. Bach, a. a. 0. II, 29, §12.

2 Ebenda II, 30, §5.

3 Ebenda, §4. * Ebenda.

168

Fünftes Kapitel.

die »Lebhaftigkeit«1 des Recitativs am besten unterhalten2. Hatten die Begleiter einen Einsatz zusammen, so mußte der Kapellmeister den Musikern »mit dem Kopfe oder mit dem Leibe bey Zeiten ein merkliches Zeichen geben, damit sie alle zugleich geschwind einfallen« konnten:

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Der Quintenschnitt wurde gleichfalls möglichst unter der letzten Textsilbe angefangen und mit vollstimmigen Akkorden ange- schlagen4. Auch in Recitativen wie das folgende:

wo Läufe und kurze, »präcipitant« zu spielende Noten vorkommen, mußten die Musiker einsetzen, bevor die letzte Silbe völlig aus- gesprochen wurde5. Sie sollten, wie Hiller sagt, dem Sänger das letzte Wort so zu sagen »aus dem Munde nehmen«6. Für die Ausführung solcher Passagen, wie sie das gegebene Recitativ bringt, rät Em. Bach, bei der kurzen Pause vor den Zweiund- dreißigsteln das Signal zum Einsetzen durch einen starken An- schlag der C-Harmonie anzugeben7. Bei einem unsicheren Sänger schlug der Kapellmeister die Akkorde einige Male hintereinander an. Ähnlich verfuhr man, wenn der Solist den Notentext ver- gessen hatte oder seine Noten frei veränderte8. Der Kapellmeister

a Vgl. Em. Bach, a. a. 0. II, 38, §3.

2 Quantz, a. a. O. XVII, VII, §59.

3 Em. Bach, a. a. O. II, 38, §9.

* Quantz, a. a. 0. XVII, VII, §59. 5 Quantz, ebenda. « A.a.O. XIV, §14.

7 A. a. O. II, 37, §4.

8 Bach, a. a. 0. 38, § 7.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 169

mußte stets seine Harmonien ruhig weiterspielen, um dem Sänger einen festen Halt zu bieten. Weiter konnte er bei ungeübten Solisten die Melodiestimme mitspielen oder einzelne Intervalle vorher anschlagen1.

Mit diesen Vorschriften und Grundsätzen sind die Haupt- regeln der Klavierdirektion umschrieben: das Betonen der guten Taktteile, das Vorschlagen mit der Rechten, das Auflösen längerer Baßnoten in kürzere, das Mitspielen der Hauptstimme und das deutliche Herausstellen der Noten am Anfang eines Stückes, nach Halten und Kadenzen. Doch die Klavierdirektion reichte in Sinfonie und Oper nicht für alle Partien aus, z. B. nicht für die, welche ohne Continuo gesetzt waren. In solchen zwei- und dreistimmigen oder konzertierenden Stellen, wie sie die Kon- zerte von Quantz, Graun, Mozart, die Sinfonien der Wiener Vorklassiker, Haydns Jugendsinfonien und die italienischen Opern in großer Zahl bringen, ging die Führung an den ersten Violinisten über. Es gab demnach neben der Cembalodirektion noch eine Spezialdirektion durch den Primgeiger. Er taktierte zuweilen mit dem Geigenhals oder unterbrach sein Spiel, um mit dem Geigenbogen Taktbewegungen auszuführen. Der Violin- direktor dirigierte also nach der gleichen Methode wie die Instrumentalisten in früheren Jahrhunderten, die den Takt durch Heben und Senken ihrer Instrumente sichtbar machten2. Samuel Petri sagt:»Ich bediene mich statt der Battute [des Taktschiagens] seit einigen Jahren hinter meinem altvaterischen Rückpositive der Geige ebenfalls zu dieser Absicht mit so guter Wirkung, daß die Musiker stets im ersten Takte vollkommen beisammen sind, und jeder das tempo genau inne hat3.« Von diesem Mitspielen am Beginn eines Stückes war schon bei der Klavierdirektion die Rede. Petri meint, es könne da niemand irren, wenn der Prim- geiger » der Stimme, die die kleinsten Noten hat, sagt, daß er ihre Noten . . . vortragen wolle, und der Stimme, die die grossesten Noten hat, sagt, daß er ihre Noten stark angeben wolle«. Wenn

1 Quantz, a. a. 0. VII, VI, § 33, ebenda Notenbeispiel. S. auch Löhlein, Clavier-Schule, 2. Aufl. 1773, II, Kap. 18, §3.

2 S. o., Kap. III, S. 46. Vgl. auch Mersenne, Harm. univ. 1637, Tom. II, fol. 324 v: Ceux qui conduisent maintenant les concerts, marquent la mesure par le mouvement du manche des Luths ou des Tuorbes, dont ils iouent, afin de tenir le ton ferme qui regle les Chantres. Auf dem Titelblatt von Mozarts Raillerie musicale (1787, reproduziert in der Rivista musicale IX, S. 563) sieht man einen Musiker, der mit dem Geigenbogen zu dirigieren scheint.

3 A. a. O. S. 172.

170 Fünftes Kapitel.

z. B. die erste Violine Sechzehntel, der Baß aber Viertel vorträgt, so spielt er die Sechzehntel und gibt dabei die einzelnen Viertel stark an. »Als unübertreffliches Muster« in dieser Direktion wird der Dresdner Konzertmeister Pisendel gerühmt. Er hatte die Angewohnheit, beim Spielen die Taktbewegung mit dem Halse und Kopfe der Violine anzugeben. »Waren es vier Viertel, die den Tackt ausmachten, so bewegte er die Violine einmal unterwärts, dann hinauf, dann zur Seite, und wieder hinauf; waren es drei Viertel, so bewegte er sie einmal hinunter, dann zur Seite, dann hinauf. Wollte er das Orchester mitten im Stücke anhalten [aufhalten], so strich er nur die ersten Noten jedes Tackts an, um diesen desto mehr Kraft und Nachdruck geben zu können, und . . . hielt [darin] zurück.«1 Genau so machten es Matthäi und Ferdinand David im Leipziger Gewandhaus, und noch heute werden Gartenorchester in ähnlicher Weise von Geigen- spielern dirigiert, so daß es sich erübrigt, auf das äußere Bild dieser Direktion näher einzugehen.

Es handelt sich im 18. Jahrhundert um eine Doppeldirektion, eine Gesamt- oder Oberdirektion durch den Cembalisten (Kapell- meister) und eine Spezialdirektion des Orchesters oder der Ri- pienisten durch den ersten Geiger (Konzertmeister). Dies Zu- sammenwirken zweier Anführer war durch die gesamte musi- kalische Entwicklung gegeben. Die Instrumentalmusik hatte die Violine an die Spitze des Orchesters gestellt und ihrer Stimme die Führung übertragen. Damit war der erste Violinspieler neben dem Klavieristen das wichtigste Mitglied einer Kapelle geworden. Der Violindirektor, der an fürstlichen und königlichen Höfen auch Konzertmeister genannt wurde2, war der Leiter der In- strumentengruppen und der Instrumentalmusik. Er sorgte für ein exaktes, einheitliches Orchesterspiel, während die Oberleitung in den Händen des Kapellmeisters lag. Dieser dirigierte Chor- und Opernaufführungen, wählte die aufzuführenden Stücke aus und bestimmte Vortrag und Wiedergabe der Werke. In Italien und Deutschland war er zugleich als Komponist verpflichtet und mußte

1 Joh. Friedr. Reichardt, Briefe eines aufmerksamen Reisenden 1774, S. 40.

2 Reichardt, a. a. O. S. 37, und Koch, Mus. Lex. (1802), Art. Concert- meister: »Diesen Charakter bekömmt gemeiniglich derjenige Tonkünstler in den Hofkapellen der Regenten, dem das Direktorium der Instrumentalmusik übertragen ist. In andern Orchestern, die von keinem Hofe abhängen, wird er der Vorspieler oder Anführer genannt.«

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 171

den lokalen Bedarf an neuen Musikstücken decken. Doch hatte er ebensogut für fremde Kompositionen einzutreten, er durfte »andrer Leute löbliche Arbeit nicht gantz unter die Banck« werfen, wie Mattheson sagt1. Daß man diese Matthesonsche Ma- xime schon früh befolgte, zeigen die Bestände der Kirchenbiblio- theken und Opernarchive2. So wurden z. B. in Berlin wiederholt Hassesche Opern unter Graun aufgeführt. Ein Zeitgenosse sagt, Graun habe damit gezeigt, »daß er nicht in seine eigenen Arbeiten verliebt sey; sondern die Vorzüge eines fremden Meisterstückes mit Empfindung zu schätzen wisse«3. In der Pariser Oper bildete die Direktion überhaupt ein besonderes, vom Komponieren un- abhängiges Amt4. Quantz meint sogar, es sei nicht nötig, »an einem jeden Orte, oder bey einer jeden Musik, einen besonders guten Componisten zu haben«, wichtiger sei, daß der Dirigent »eine vollkommene Einsicht« habe, um »alle Arten der Com- position nach ihrem Geschmacke, Affecte, Absicht und rechtem Zeitmaaße« zu spielen. Ein Dirigent müsse deshalb noch mehr Erfahrung vom Unterschied der Stücke haben als ein Komponist5. Auch Kirnb erger identifiziert den Kapellmeister nicht mehr mit dem Komponisten. Er sagt in Sulzers »Allgemeiner Theorie der schönen Künste«: der Kapellmeister muß alles, was aufge- führt werden soll, herbeischaffen, »es sey, daß er die Sachen selbst componirt, oder anderswoher genommen habe«6. Ähnlich beschreibt Heinrich Christ. Koch das Kapellmeister amt, er fügt aber hinzu, daß der Kapellmeister in größeren Orchestern dem Violindirektor die Aufmerksamkeit auf jede Partie der Instru- mentalbegleitung überlassen solle. Jener habe sein Haupt- augenmerk auf die Singstimmen zu richten.

Diese Doppeldirektion hielt sich in der Zeit des erwachenden öffentlichen Konzertlebens, als in jeder größeren Stadt Deutsch- lands Dilettantenorchester, Vereine zur Pflege der Instrumental- musik oder stehende Orchester konzertierten, und blieb noch bis in die Beethovensche Epoche. Gyrowetz dirigierte seine

1 Vollk. Capellm. III, 26, §33.

2 S. u. a. das Dresdener Opernarchiv und die Bibl. der kathol. Hofkirche (Katalog im Archiv der Musikgeschichtlichen Kommission in Berlin).

3 Briefe, zur Erinnerung an merkwürdige Zeiten . . . aus dem wichtigen Zeitlaufe von 1740, bis 1778, Berlin 1778. I, S. 139.

4 Rousseau, Dictionnaire, Art. Maitre de musique. 6 A a. 0. XVII, I § 2 und 4.

6 Art. Capelle, ebenso in G. Fr. W o 1 f s Musikal. Lexikon 1787, Art. Capellm.

172 Fünftes Kapitel.

Sinfonien in Neapel mit der Geige, während Paisiello am Klavier saß1. Selbst Joseph Haydn mußte noch in London seine großen englischen Sinfonien, die keine Harmoniefüllung mehr verlangen, vom Klavier aus dirigieren2.

Die Direktion durch Kapellmeister und Primgeiger brachte manche Mißhelligkeiten mit sich. Oft wollte der Konzertmeister in Chor- und Opernaufführungen die Oberleitung übernehmen, oft wieder der Cembalist in den Sinfonien. So kam es an vielen Plätzen zu Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des Kapellmeister- und Konzertmeisteramts. Nikolaus Forkel plaidiert in einem Artikel über die »Direction einer Music« für das Dirigieren vom Flügel. Bei großen Vokalwerken kann nach Forkel die Violine unmöglich das Tempo genau und allen Mit- spielenden fühlbar angeben. Es müßten notwendig Haupt- taktteile angeschlagen werden, die in den meisten Fällen der Baß enthielte, wenn nicht, so könne doch der Flügelspieler, »der zur Begleitung und genauem Verbindung aller Instrumente und Stim- men unentbehrlich« sei, die kleinen Taktteile ohne Nachteil des Ganzen in Haupttaktteile verwandeln und dadurch den Gang des Takts fühlbar machen; dies könne und dürfe die Violine auf keinen Fall, denn ihre Stimme sei gegen die übrigen wie das Schnitz- werk am Gebäude. Auch ein Zurechtweisen der Irrenden sei nur dem Flügelspieler möglich, da der Anführer der Musik die voll- ständige Partitur vor sich haben müsse. Der Violinist aber habe in einem fort umzuwenden, den Bogen aus der Hand zu legen und sein Spiel zu unterbrechen. Der Flügel, der am besten in die Theorie der Musik einführe, sei daher am geeignetsten zur An- gabe des Takts: »Jede wohleingerichtete Capelle kann zur Be- stätigung dienen. Hier ist der Capellmeister Director, und bedient sich zur Anführung des Flügels. Der erste Violinist ist gleichsam sein Adjutant, weil die Stimme desselben die stärckste ist, und am deutlichsten durch alle Glieder des Orchesters gehört werden kann. Anführer aber ist er nie, es sey denn, daß ihm der Director irgend eine kleine Expedition anvertraue, dergleichen hier die Sinfonien und andere einzelne Instrumentalstücke sind.« Forkel denkt an die Werke der siebziger Jahre, an Sinfonien mit vollem Instrumentalakkompagnement, deren Direktion der Kon-

i Selbstbiographie, Wien 1848, S. 30.

2 Dies, Biogr. Nachrichten von J. Haydn 1810, S. 93. Vgl. auch C. F. Pohl, Mozart u. Haydn in London II, S. 166.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 4 8. Jahrhundert. 17'd

zertmeister allein übernehmen konnte. Solche Stücke sind in der Zeit der Wiener Vorklassiker und der Mannheimer noch große Seltenheiten. Seine Ausführungen erinnern aber an die Art, wie die neunte Sinfonie in Leipzig noch bis Mendelssohn dirigiert wurde. Die ersten drei Sätze leitete Konzertmeister Matthäi, indem er an den nötigen Stellen einsetzte und Tempo- änderungen mit dem Bogen markierte, beim Chorfinale kam dann der Chordirigent und dirigierte von einem besondern Pult aus.

Eine hübsche Übersicht über alle möglichen Arten der Di- rektion liest man in den »Wahrheiten die Musik betreffend gerade herausgesagt von einem teutschen Biedermann«2. Diese »Wahr- heiten«, die bisher wenig beachtet worden sind, bringen einen ganzen Abschnitt über die Direktion einer Musik, der so inter- essant ist, daß er hier im Wortlaut folgen soll. Unser Biedermann ist ein Gegner der Violindirektion und begründet das so:

»1. Da, wo das Orchester so eingerichtet, daß sich die Mit- glieder desselben alle übersehen, und einander zu gleicher Zeit hören können, mit braven Virtuosen besezt ist; der Komponist sein Stück vollkommen richtig bezeichnet, das Zeitmaaß ange- geben, und vor der öffentlichen Aufführung sattsame Proben ge- halten hat, braucht es weiter keiner Direktion; es dirigirt sich alsdann von selbst, wie die Uhr, wenn sie aufgezogen worden ist. Dieses ist die wahre und freye Direktion eines Orchesters, wovon der Zuhörer wenig oder nichts gewahr wird.

2. Wo aber das Orchester nicht die gehörige Einrichtung hat, wird die Direktion davon schon hörbarer, sichtbarer, und mehr gezwungen. Der Zembalist und die Bassisten müssen immer in Bewegung seyn, ihre Grundtöne, von welchen alle Zusammen- stimmungen getragen werden, so wie es Noth thut, durch stärkern Anschlag den übrigen Instrumentisten hörbar zu machen, damit sie solchem ihre anzugebenden Töne zugleich beyfügen können, auf daß die Zusammenstimmungen, oder Gedanken des Stücks, nicht in Unordnung empfunden werden mögen. Dieses geht ohne auszeichnende körperliche Bewegung derer, welche die Grund- instrumente spielen, nicht wohl an, daher fällt diese Direktion eben etwas ins Gezwungne.

1 Genauere Bestimmung einiger musicalischer Begriffe Göttingen 1780, abgedruckt in Cramers Magazin der Mus. I, 2, S. 1055f.

2 Frankfurt, a. M. 1779, S. 42f.

174 Fünftes Kapitel.

3. Bey Opern sezt man den obersten Violinspieler an einigen Orten auf einen etwas über das Orchester erhabnen Stuhl, damit ihn jedes Mitglied des Orchesters sehen kann, und er so das ganze Werk dirigiren soll. Das sieht nun zwar abendtheuerlich genug aus, zumal wenn der hochsitzende Herr Direktor sich so konvul- sivisch dabey geberdet, daß man alle Augenblicke den Arzt herbey- zurufen für nöthig halten muß, geschweige der üblen Wirkung, wenn eine Violine hoch sizt, und die übrigen, nebst andern In- strumenten, tief sitzen. Die in die Höhe gesezte Violine schreyt über das Orchester hinweg, als bestünde die Oper aus einer ein- zigen Violine, oder es käme zum wenigsten alles darauf an. Der hoch sitzende Herr Direktor hat nöthig umzuwenden; hier erhält die schreyende Musik eine Pause, und die übrigen Instrumente stöhnen nun, gleich Fröschen, düstern aus dem Sumpfe heraus. Er braucht das Schnupftuch; hier fällt die Musik ebenfalls in ein dumpfes Tönen. Dieses, und die konvulsivischen Geberden des Herrn Direktors, sind für den aufmerksamen Zuschauer gar ein artiges Nebenamüsement. Aber ob dadurch ein Orchester dirigirt wird, oder dirigirt werden kann? Dawider Hesse sich wol vieles einwenden. Erstlich ist es schon ein Fehler der Ein- richtung des Orchesters, wenn man dabey nöthig hat, ein Mit- glied höher zu setzen, als die andern Mitglieder, um von den übrigen gesehen werden zu können. Zweytens spielt die erste Violine allemal nur den obersten Ton einer Zusammenstimmung, oder die Melodie des Stücks, mit oder ohne Schnitzwerk oder Figuren. Da aber, wie vor bewiesen worden, Melodie mit allen möglichen Zierrathen doch weiter nichts ist, als das ausgezierte Dach am Hause, die Zusammenstimmungen eines Stücks aber allemal die Gedanken desselben ausmachen und ein ganzes Ge- bäude vorstellen; so wird leicht begriffen werden können, daß die Violine nicht das Instrument allein seyn kann, welches [die] Orchester, die musikalische Gedanken in der grösten Stärke dekla- miren sollen, dirigiren muß, so wie man ein Haus, um es von seinem Standorte wegrücken zu wollen, nicht am Dach anzufassen hat. Und es ist also diese Art von Direktion blosse Frazze.

4. Ein Direktor muß das Tempo von allen Stücken so anzu- geben wissen, wie es der Komponist zu der Zeit gedacht, da er das Stück komponirt hat; er muß bey Proben jedem Instru- mente, das wankend wird, einzuhelfen, und was falsch geschrieben ist, in Richtigkeit zu bringen wissen, und also die Partitur vor sich haben und verstehn.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 175

Da nun dieses niemand besser kann, als der Komponist selbst, so folgt augenscheinlich, daß der Komponist selbst Direk- tor seyn muß1.

5. Bey regelmässigen Kapellen oder Orchestern wird auch gewöhnlicherweise das Tempo oder Zeitmaaß so erhalten: Der Komponist, der immer einen Flügel dabey spielt, und mit den Bässen, wie es sich von selbst verstellt, in der Mitte des Orchesters sizt, gibt es auf demselben so an, wie er es im vollen Feuer dachte, als er das Stück komponirte; die Bassisten richten sich nach demselben, und der erste Violinspieler nimmt es ihm gleichsam ab, und theilt es unter die übrigen Mitglieder eben so aus, als er es vom Komponisten erhielt, und so geht jedes Stück in seinem Gange unverrückt fort. Diese Direktion ist eine sichre Direktion.

6. Da aber, wo blos der erste Violinspieler das Direktorium führen will; wo sich der Komponist nach demselben richten soll; wo sich der Violinspieler angewöhnt hat, bey Passagien recht zu eilen, und verlanget, das ganze Orchester soll alsdann auch sogleich mit ihm forteilen; wo er nur mit dem Zeitmaaße sich nach seiner Violine, und nicht nach den Zusammenstimmungen richtet; wo er, wann die Bassisten Passagien oder Läufer haben, so eilt, daß sich die Passagien auf den Bässen, wegen des dickern Tons nicht deutlich ausnehmen können, wenn sie ihm folgen wollen; wo er, wenn das Orchester auch einmal richtig zusammen im Tempo spielt, den Direktor vergessen, und nun, indem ihm derselbe wieder einfällt, mit possierlichen Grimassen, Fußstampfen und dergleichen, dasselbe auf einmal wieder ganz in Verwirrung sezt; wo ihm alle niedrige Chikanen gegen den Komponisten verstattet werden usw., da wird die Direktion nicht nur unsicher, sondern auch lächerlich2.

1 Anmerkung Biedermanns: »Man weiß, daß die Dresdner, Berliner und Stuttgardische Opern und Orchester in Teutschland die besten waren, als die Kapellmeister Graun, Hasse und Jomelli, als Komponisten, das Direktorium darüber führten. Erstere und leztere sind zu Grunde gegangen, und die Ber- liner war nach Grauns Tode dem Verfall sehr nahe; der jetzige Kapellmeister, Herr Reichhardt daselbst, hat aber Anstalten getroffen, sie wieder in Ordnung zu setzen, und wird vom grossen Friederich auf rechtmässige Art dabey geschüzt.«

2 Vgl. ebenda S. 86: »Ganz unvergleichlich lustig ist es, ein Orchester zu hören, wo ein Violinspieler, der nicht Kenner der Harmonie ist, das Direktorium führt. O, da akkompagnirt man so piano, so forte, daß es Vergnügen ist zuzuhören.« Auch Mattheson hielt die Violindirektion für eine »Musicanten Charlatanerie«. Exempl. Organistenprobe, Teil I, S. 85, §4.

176 Fünftes Kapitel.

Man kann also die Direktion eines Orchesters eintheilen:

a) in die wahre Direktion,

b) in die gezwungne,

c) in die Frazzendirektion,

d) in die sichre, und

e) in die unsichere und lächerliche.

Das Taktschlagen ist bei Virtuosen Pedanterey, wie in Paris bey der grossen Oper, und hilft zur Sache eigentlich nichts, als daß sie dadurch sehr oft ins Lächerliche gezogen wird; bey Lehr- purschen aber ist es Notwendigkeit.«

Unser Biedermann hält also die Doppeldirektion für die ge- wöhnliche Form des Dirigierens bei regelmäßigen Kapellen. Er überträgt dem Klavieristen und Komponisten die Oberleitung der Musik. Auch Fried r. Rochlitz tritt in den »Bruchstücken aus Briefen an einen jungen Tonsetzer1« für die Klavierdirektion ein, und Mozart erzählt von der Wiener Aufführung der »Ent- führung aus dem Serail«, daß er für gut befunden habe, wieder an das Klavier zu gehen, teils um das ein wenig in Schlummer geratene Orchester wieder aufzuwecken, teils um sich den an- wesenden Herrschaften als Vater von seinem Kinde zu zeigen2. Aus Paris aber schreibt er, die Probe zu seiner Pariser Sinfonie sei so schlecht gegangen, daß er am liebsten selbst mit der Geige dirigiert hätte3. Seine Nachrichten gehen eine verhältnismäßig späte Zeit an, eine Epoche, in der die Sinfonie sich von der An- koppelung an den Continuo schon zu lösen beginnt. Sie zeigen aber die Unterscheidung von Sinfoniedirektion und Opernleitung. Dort ist der Konzertmeister, hier der Klavierist der entschei- dende Dirigent.

Zu den Musikern, die die Direktion dem Konzertmeister übertragen, gehört J. J. Quantz. Er meint, es könne gleich sein, welches Instrument der Anführer spiele, da aber die Violine zum Akkompagnement unentbehrlich und auch im Tone durchdrin- gender sei als jedes andere Instrument, so sei es am besten, wenn der Anführer die Violine spiele4. In einem Artikel in dem »Jahr-

1 Allgem. Mus. Ztg. Jahrgang II, 1799, S. 18f.

2 Nohl, Mozarts Briefe, 1877, S. 369.

3 Pariser Brief vom 3. Juli 1778: »Den andern Tag hatte ich mich entschlos- sen, gar nicht ins Concert zu gehen, es wurde aber Abends gut Wetter und ich entschloß mich endlich mit dem Vorsatz, daß, wenn es so schlecht ginge, wie bei der Probe, ich gewiß aufs Orchester gehen werde und dem Hrn. La Hussaye, erstem Violin, die Violine aus der Hand nehmen und selbst dirigiren werde.«

i A. a. O. XVII, I, § 3.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 177

buch der Tonkunst von Wien und Prag«1 wird dem Konzert- meister sogar die gesamte Oberleitung eingeräumt. Es heißt da: »Wer . . im Spiele Bewegungen und Gebärden machen darf und muß, dies ist der Konzertmeister oder Direktor. . . . Tempo, Bewegung, Feuer, Schatten und Licht, muß er theils durch die Richtung seines Bogens, theils durch den Kopf, und theils durch den ganzen Körper geben. ... Auch der Kapellmeister [Klavierist] ist diesem Gesetze unterworfen, und zwar müssen seine Bewe- gungen noch stärker seyn, so daß er . . . oft mit dem Kopf, den Händen und Füssen arbeiten muß, ja, er ist nicht selten genöthigt, die Führung auf dem Flügel ganz zu unterlassen, um mit beiden Armen die Luft zu durchsäbeln. . . . Schicklicher wäre es freilich, wenn der Kapellmeister die Sorge des Dirigirens allein dem Direk- tor überließe, und er nur auf die Zusammenhaltung des Ganzen, und auf das richtige Einfallen der Vokalisten bedacht wäre. . . . Wie leicht entstehen nicht Unordnungen, wenn zwei Individuen zugleich, das Eine bei dem Klavier und das Andre bei der Violine dirigiren ? Ein Theil der Musiker sieht auf den Kapellmeister, ein andrer auf den Direktor. Man nehme nun an, (was so möglich ist) daß diese beide verschiedene Tempi führen, und urtheile dann über den Erfolg.«

Die Frage, ob der Klavierist oder der Konzertmeister die Oberleitung einer Musik beanspruchen kann , war aktuell ge- worden, als die Literatur der vollstimmig gesetzten Sinfonien anwuchs und die Konzertmeister im Sinfonieorchester die ersten Dirigenten wurden. Aber über das Zusammenwirken zweier Anführer lassen die Quellen keinen Zweifel. Solange der Flügel im Orchester blieb, war ein Kapellmeister im Em. Bachschen Sinne und ein Violindirektor oder Konzertmeister tätig. Nach dieser Form wurden Sinfonien mit Continuo, Opern und Kon- zerte geleitet, während bei großen Choraufführungen, wie in der Berliner Händel-Aufführung unter Hiller, und bei großen Kirchen- musiken noch von einem besonderen Pult aus durch Taktschlagen dirigiert wurde2.

1 1796, S. 173f.

2 S. o., S. 154 f. Bei der genannten Händelaufführung war J. Ad. Hiller der Hauptdirektor, Benda führte die Violinisten an, Fasch saß am Flügel. S. »Nachricht von der Aufführung des Händeischen Messias in der Domkirche zu Berlin« v. J. A. Hiller, 1786. Bei den Oratorienaufführungen der Wiener »Tonkünstler-Societät« im Burgtheater hieß es noch: »Dirigent bei der ersten Violine: H. Ant. Hofmann; am Flügel: Herr Umlauf; bei der Battuta: Herr

Kl. Handb. der Musikgesch. X. 12

178 Fünftes Kapitel.

Wenn wir uns nach diesem Überblick über Taktschlagen und Doppeldirektion der eigentlichen Dirigentenpraxis und den Vor- tragsfragen zuwenden, so muß zunächst ein Bild von den Orchester- verhältnissen gegeben werden, mit denen ein Kapellmeister zu rechnen hatte. Den Kern des Orchesters bildete im 18. Jahr- hundert die Streichergruppe mit Continuo. Hinzu kommen Bläser und Schlaginstrumente, die das harmoniefüllende Klavier- instrument umgeben. Der Continuo gibt der Musik das harmonische Gerüst, das von Streichern und Bläsern weiter ausgestaltet wird. Er wird auf einem Flügel unter Assistenz von Generalbaßinstru- menten — Theorbe, Harfe oder zweites Klavier ausgeführt oder auch auf der Orgel, wenn man kein besonderes Klavier- instrument in der Kirche zur Verfügung hat, oder wenn es der Komponist ausdrücklich verlangt1. Die Holzbläser sind den Streichern koordiniert, sie werden konzertierend, klangverstärkend (im Tutti) oder zur tonmalerischen Charakteristik gesetzt, doch nehmen sie nicht im modernen Sinne an der motivischen Arbeit teil. Erst die Monnsche Schule, dann die Mannheimer und der spätere Haydn geben den Bläsern selbständigere Partien, die nicht wie das Lullysche Bläsertrio oder Seb. Bachs konzertante Par- tien vorübergehend gebraucht werden, sondern die von vornherein an der Entwicklung und Durchführung der Gedanken teilnehmen. Die Streicher und eine im Vergleich zur Renaissancezeit verhält- nismäßig kleine Bläsergruppe sind die Grundlage des Orchesters. Die Besetzung wechselt je nach den Mitteln des Haushaltes, nach dem Ort der Aufführung und dem Charakter der Musik. Doch läßt sich aus zeitgenössischen Quellen ein ungefähres Bild von der allgemein gebräuchlichen Orchesterbesetzung geben. Ich habe die wichtigeren Orchesterbesetzungen auf einer Tafel zusammen- gestellt und will hier einen Ausschnitt davon anfügen. Die Ein- richtung der Tabelle ist so getroffen, daß erste und zweite Vio- linen, Celli und Bässe zusammengezählt oder durch ein + unter- schieden werden. Die Nebeninstrumente, die dieser oder jener Musiker übernehmen kann, sind in Klammern beigefügt.

Salieri.« S. Hanslick, Gesch. des Conzertwesens in Wien, S. 94. Auch der Chorsatz der neunten Sinfonie wurde bei der Uraufführung von Schuppanzigh bei der ersten Violine, von Umlauf am Klavier und vom taktierenden Beethoven geleitet. (Ebenda, S. 274.)

1 Biedermann, a. a. O. S. 29 nennt als Generalbaßinstrumente den Flügel, das Fortepiano oder die Orgel. Die weiter unten zitierten Bilder u. Orchesterpläne von H. J. Hahn (1720), Walther (1732), Burney (1784), Junker (1782) zeigen als Continuoinstrument die Orgel (S. 195f.).

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. Tabelle zur Orchesterbesetzung.

179

Kapelle.

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3

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Verschiedene Instrumente.

Quelle.

Leipzig (Große

5 + 5

1 +(2)

2 + 2

I

2

3

Flügel.

Dörffel, Gesch.

Konzertgesellsch.) 1746— »48.

3

der Gewandhaus- konzerte, S. 6.

Leipzig, Kon- zerte unter Hiller (1765—68).

8 + 8

3

2 + 2

2

2

2

2

Laute, Flügel.

Gerber, Alt. Lexikon i (Hiller).

Dresden, Hof- orchester (1753).

8 + 7

4

3 + 3

2

5

2

5

Tromp.Pauke, 2 Flügel.

Rousseau, Dic- tionnaire Orches- tertafel). 2

do. 1756.

18

4

3 + 2

3

6

2

6

Pentaleon, Gambe.

Fürsten au. Zur Gesch. d. Musik zu Dresden II, S. 294.

do. 1783.

15

4

4 + 3

3

4

3

4

Laute.

Cr am er, Mag. d. Musik I, S. 12 36 f.

Berlin, Hof- orchester 1754 3.

12

3

4+2

4

3

2

4

Gambe,

Theorbe,

2 Cembali.

Marpurg, Hist.

Krit. Beyträge I,

S. 76 f.

do. 1782.

13

4

4 + 3

2 + 2

2 +1

2

2 + 2

Harfe, 2 Flügel.

Forkel ,Mus. Al- man.l782,S.146f.

do. 1787.

20

6

8+4

2

4

4

4

2 Klarinetten. 2 Tromp., 3 Posaunen, ein Paar Pauken, 1 Harfe.

Anonymus, Be- merkungen eines Reisenden über die zu Berlin vom September 1787 bis Januar 1788 gegebene . . Musi- ken. Halle 1788.

Kapelle des Prinzen Hein- rich v o n Preußen 1754.

4

1

1 +1

1

1

Cembalo.

Marpurg, a. a. 0. I, S. 85 f.

do. 1782.

5

2

2 + 1

2

2

Cembalo.

Forkel, Alman. 1782, S. 149 f.

Kapelle des

Prinzen und

Markgrafen

Carl 1754.

5

1

1 + 1

1

3

2

1

Harfe, Cembalo.

I

Marpurg, a. a. 0. I, S. 1 56 f.

1 Vgl. dazu Christian Gottfried Thomas, Unpartheiische Kritik der vorzüglichsten seit drey Jahren ... zu Leipzig aufgeführten ... Concerte und Opern, Leipzig 1798, S. 18. Orchester: 1 2 Viol., 3 Va., 2 Vcl., 3 Bässe.

2 Vgl. Mennicke, Hasse und die Brüder Graun, S. 270 f.; Fürstenau, a. a. 0.; Forkel, Mus. Almanach 1782, S. 143 f. (Etat von 1782).

3 Vgl. Briefe, zur Erinnerung an merkwürdige Zeiten... aus dem wichtigen Zeitlaufe von 1740 bis 1778, Berlin 1778, I, S. 101. Zum Orchester gehören: 2 Flügel, 12 Viol., 4 Violen, 4 Vcl., 3 Bässe, 4 Fl., 2 Fag., 2 Hörner, 4 Oboen, auch abwechselnd (!) zu manchen Stücken eine Theorbe, eine Harfe.

12*

180

Fünftes Kapitel.

Kapelle.

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(4

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o

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SP

fe I

Verschiedene Instrumente.

Quelle.

Kapelle des Grafen

Branicki in Polen

1754.

8 1

1 +1

2

2

2

2

Marpurg, a. a. 0. I. S. 447 f.

Kammer- und Kapellmusik in Gotha 1754.

I 6

2

2

Zum Accom-

pagnement :

1 Fagott,

1 Laute, 1

Violone,Orgel.

Marpurg, a. a. 0. I. S. 270 f.

Hzgl. Hofkapelle in Gotha 1782.

9

1

2 + 1 (Ob.)

3

4

1

Orgel.

F o r k e 1 , \ Alma- nach1782,S.140f.

(vgl. Cr am er,

Mag. d. Mus. I, 2,

S. 756 f.)

7

1

(<)+<

2

2

Flügel.

Bischöfl. Kapelle zu Breslau1754.

5

Marpurg, a. a. 0. I, S. 446.

HochfürsÜ.

Schwarzburg-

Rudolstädti-

schc Kapelle

1757.

8 (2

Trom- peten.)

3

(Ob.) (Viol.)

3 + 2 (Trom- pete.) (Viol.

di Gamb.)

(2)

2 (Fl.) (Viol.)

2

1

(Fl.) (Viol.)

Pauke, 3 Tromp.,

(Cello), Cembalo.

Mar p u r g, a. a. 0. III, S. 77 f.

W ü r 1 1 e in b e r -

gischc Kammer-

u. Kirchenmusik

1757.

11

2 + 1 Hofmi

1

isiker.

1

1

Cembalo, Orgel.

Marpurg, a. a. 0 III S 65 f

4

2+ 1

2

2

3

do. 1782.

13

6

3 + 3

2

3

2

2

Orgel.

Forkel, Alman. 1782, S. 132.

Kapelle des Mark- grafen Friedrich

Heinrich v. Schwedt 1782.

6

2

2 + 2

3

2

2

3

Cembalo.

Forkel, Alman. 1782, S. 150.

Döbbelin'sche

4 + 4

2 4

1

2

2

»Wenn Flöten und Hoboen . . gebraucht werden, so sind noch zween Flöte- nisten da, die aber nicht in Sold stehen.«

Forkel, a. a. 0. S. 151.

Schauspielgesell- schaft in Berlin 1782.

i

Churf. Trier1-

schc Hof- und

Kammermusik zu

Coblenz 1782.

13

2 + 3

3

3

4

3

2 Klarinetten.

2 Tromp., Pauke, Orgel.

Ebd., S. 151 f.

Hochfstl. Anhalt- Zerbst'sche Kapelle 1757.

8

1

1+(1)

2

1

Cembalo.

Marpurg, a. a. 0. III, S. 130 f.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert.

181

Kapelle.

Violinen. Violen.

-3 3 «

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O

C

o

3

O

X

a5

o SO cd Et,

Verschiedene Instrumente.

Quelle.

Virtuosen.

1

1 I Zum Acc

it.

Mecklenburg-

Schwerin'sche

Hofkapelle 1757.

1

I ompagnemei

\

(Fl)

Cemb., Orgel, Tromp., Pauke.

Marpurg, a. a. 0. III, S. 339 f.

6

2

2 + 1

2

2 2

1

Kapelle des Car- dinais zu Preß- burg 1783.

9

(Fag. Fl.Kla- rinett.)

■+{«)

(Klar.)

2 + 2

1

(Viol.)

2

2

2 (Viol.)

2 Klarinetten,

(Viol.), 2 Trompeten, Pauke, Harfe.

Forkel, Alman. 1783, S. 99 f.

Thurnu. Taxische

Kammermusik zu

Regensburg

1783.

12

2

2 + 2

2

2

4

2

2 Klarinetten,

4 Trompeten,

Pauke.

Ebd., S. 102 f.

Churf. Hof- und

2 +1

2

3

2

1

Laute,

2 Klarinetten.

Forkel, Alman. 1782, S.127f. Vgl.

Kammermusik in Mainz 1782.

1

J

auch Cramer,

Mag. d. Mus. I, 2.

S. 749 f.

Churf ürstl. Ka- pelle in Bonn 1782.

8

+ 4 Akzes- sisten.

4

2

4

2

Forkel, Alman. 1782,S. 129 f.

do. 1783.

9

+ 2 (Akzes- sisten.)

2

2+2

2

2 (Klari- nette.;

4

3

3 Trompeten,

Pauke (1 Tromp. kann auch den Baß übernehmen).

Cramer, Mag. d. Mus. I, S. 384 f.

Hofmusik in Cassel 1783.

7+7

2

2 + 2

2

2

2

3

Cr am er, Mag. d. Mus. I, S. 146 f.

do. 1782.

5 + 6

1

2 + 2

2

2

2

2

Forkel, Alman. 1782, S.139f.

Ansbac bische

Kapelle, Kammer-

und Hofmusik

1782.

12

3

5 + 2

2

3

4

3

3 Klarinetten.

Forkel, Alman.

1782,S.136f., ^vgl.

Mizlers Mus.

Bibl. III, S. 366 f.)

Bcntheim-

Steinfurtische

Kapelle.

6 + (1)

2

2 + 1

2

(<)

i Klarinetten, Pauke.

Cramer, Mag. d. Mus. I, 2, S. 784 f.

8+(2) (Fl. Hörn, Fag. Ob. Vcl.)

2 (Ob)

2 + 2 (Viol )

2 (Viol. Vcl.)

4 (Ob.)

Orgel, Cemb.,

Posaune (der

Posaunist

spielt auch

Viol., Vcl. und

Hörn), 2 Chöre

Trompet. und

Pauken.

Kapelle des Erz- bischofs zu Sal z- burg 1757.

(Vi

Ol)

Marpurg, a. a. 0. III, S. 183 f.

182

Fünftes Kapitel.

Kapelle.

c

09

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SC

CD O

Verschiedene Instrumente.

Quelle.

Fürstl. Hofkapelle in Bamberg.

10

2

2 Bässe.

1

Hoboen,

Waldhörner,

Violoncelli.

Fr. Nicolai, Be- schreibung einer

Reise durch

Deutschland und

die Schweiz. 1783.

I, S. 129.

K. K. Hof- und

Kammermusik in

Wien 4782.

10

2 + 2

2

3 Posaunen.

Forkcl, Alman. 4 "82, S. 13Uf.

Fürstl. E ster- il azische Ka- pelle zu Ester- haz in Ungarn 4783 (unter Haydn).

11

2

2 + 2

2

2

2

Fork el, Alman. 1783, S. 1001.

Salomon- Haydn Kon- zerte in London.

1 2-1 6

4

3 + 4

[2]

[2]

[2]

[2]

Tromp. Pauk.

C. F. Pohl, Mo- zart u. Haydn in London II, S. 121.

Paris 1754 Con- cerls spirituels.

16

2

6 + 2

.

3

Orgel.

5

Marpurg, a. a.

16

(+2)

6

12

(mit Gam- bisten)

2

Flügel.

Opernorchester.

S

0. I, S. 192 f.

Hofkapelle in

Mannheim

1756.

10+10

4

4 + 2

2

2

4

2

Tromp. Pauke Orgel.

Marpurg, a. a. 0. II, S. 567.

do. 178-2.

1 8+(2) (+5 Akzes- sisten)

3

4 + 3

4

3

4

(+2 Akzes- sisten)

4

3 Klarinetten + 1. Akzess.

Forkel, Alman. 1782, S. 123 f.

Bei allen Orchestern ist auch ohne ausdrückliche Hervor- hebung ein Klavierist tätig: »Den Clavicymbal verstehe ich bey allen Musiken, sie seyn kleine oder große, mit dabey«, sagt Quantz1, und der Biedermann schreibt in seinen Wahrheiten: »Da . . bey jedem Tonstück, in dem der Komponist jeder Stimme eine natür- liche Melodie für sich giebt . . . immer Lücken in den Zusammen- stimmungen bleiben: so ist bey der Ausübung hauptsächlich ein Instrument nöthig, welches diese Lücken ausfüllt. Dieses In-

i A. a. O. XVII, I, § 16, Biedermann, a. a. O. S. 29: » Kein Stück kann ohne Generalbaß vollkommen ausgeübt werden.«

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 183

strument ist der Flügel, das Fortepiano oder die Orgel; bey regel- mäßigen Orchestern nimmt man noch Harfen oder Theorben dazu1.«

Die in unserer Tafel zusammengestellten Nachrichten sind nicht alle gleich -beweiskräftig; einige berücksichtigen nicht die Musiker, die Nebeninstrumente spielen, andere zählen die Konzert- meister und die Spieler der Bratsche, der Flöte, Oboe usw. nicht besonders auf, andere wieder bringen ihren Kapell-Etat summarisch kurz, es gibt bei diesen Berichten genug Lücken. Im großen ganzen kann man sich aber doch aus der Tabelle eine ungefähre Vor- stellung von den Orchesterverhältnissen bilden. Durchschnittlich finden wir Besetzungen von 4—20 Violinen mit den entsprechen- den Blasinstrumenten. Man kannte aber auch Massenorchester. Charles de Brosses erzählt von einer Aufführung in Born im Jahre 1740, wo zirka 200 Instrumentalisten mitwirkten2, die Berliner Händel-Feier (1786) stellte allein 38 erste, 39 zweite Violinen, 18 Bratschen, 23 Celli, 15 Kontrabässe usw. auf3; in London wurde bei dem ersten Konzert zur Feier des Händel-Jubiläums aus 274 Notenbüchern musiziert4, und Dittersdorf führte seinen »Hiob« mit einem Orchester von etwa 230 Personen auf5. Aber diese Or- chester blieben in der alten Zeit vor der Einführung der Musik- feste und Händel-Aufführungen nach dem Muster der Londoner Jubiläumsfeier Ausnahmen; man hat sich auch lange Zeit gegen diese großen Besetzungen gewehrt6.

Sieht man sich die Anordnungen auf unserer Tabelle näher an, so fällt zuerst die schwache Besetzung der Bratsche auf: zu 16 Vio- linen — 3 Bratschen (Hiller), zu 8 Violinen 2 Bratschen (Döb- belin'sche Gesellschaft) oder eine einzige (Gotha 1782). Diese Anordung wird indes von allen Musikern bestätigt. Petri ver-

i A. a. O. S. 29.

2 Lettres familieres II, S. 379: Dans un concert spirituel qui fut exiScute" la veille de Noöl, dans la salle papale de Monte Cavallo, je jugeai qu'il y avait ä peu prös deux cents instruments.

3 Hiller, a.a.O. S. 22f.

4 Burney-Eschenburg, Nachricht von G. Fr. Händeis Lebensumständen und der ihm zu London im Mai und Juni 1784 angestellten Gedächtnisfeyer. Berlin u. Stettin 1785, S. 9.

6 Selbstbiographie, Kap. 26. Eine Aufzählung außergewöhnlich großer Orchesterbesetzungen bringt Burney, a.a.O., Vorbericht.

6 S. Gerber, Neues Lex., Vorrede; Arteaga-Forkel, Gesch. der ital. Oper II, S. 222f., Koch, a.a.O., Art. Begleitung. Vgl. Men nicke, a. a. O. S. 45.

184 Fünftes Kapitel.

langt z. B. zu 6 ersten und 4 zweiten Ripien- Violinen nur 2 Brat- schen1, und noch in Kochs Musikalischem Lexikon (1802) wird als gewöhnliche Besetzungsregel vorgeschrieben: 8 Violinen 2 Bratschen oder 10 Violinen 3 Bratschen. Man hat dabei zu be- rücksichtigen, daß die Bratschen in der italienischen Oper und in der frühen Sinfonieliteratur sehr oft an den Baß gekoppelt sind, daß sie nicht die gleiche Rolle in der Literatur spielen wie in unserer Zeit. Vielleicht hatten die Instrumente auch einen be- sonders starken Ton und konnten leichter durchdringen. Quantz und Petri fordern ausdrücklich tüchtige Spieler für die Bratsche, keine abgedienten Violinisten2.

Quantz gibt folgende Besetzungsregel: Zu vier Violinen gehören

1 Bratsche, 1 Violoncell, 1 Kontraviolon von mittlerer Größe; zu 6 Violinen das gleiche (!) und ein Basson, zu 8 Violinen aber:

2 Bratschen, 2 Celli, ein zweiter, etwas größerer Kontraviolon, 2 Oboen, 2 Flöten, 2 Bassons und zu 12 Violinen: 3 Bratschen, 4 Violoncelli, 2 Kontrabässe, 3 Bassons, 4 Oboen, 4 Flöten, ein zweiter Flügel und eine Theorbe3. Damit stimmt unsere Tafel in den Hauptzügen überein. Auch die Besetzungsregeln von Petri und Koch bestätigen die Quantzsche Aufstellung. Jener verlangt zu 12 Violinen: 3 Bratschen, 3 4 Ripienbässe, Celli und 2 Kon- trabässe nebst dem Flügel, dieser zu 8 Violinen und 2 Bratschen: 2 Celli und 2 Kontrabässe, oder zu 10 Violinen: 3 Bratschen, 3 Celli, 2 Bässe. Wichtig ist bei der Quantzschen Besetzung auch die «horische Anordnung der Bläser: Zu 8 Violinen gehören 2 Flöten, 2 Oboen, zu 12 und mehr Violinen aber 4 Flöten, 4 Oboen. Dreßler meint deshalb: »Zehn, auch zwölf Violinisten, weniger aber nicht, die eine gehörige und gute eingreifende Spielart haben, sind in einem Orchester nothwendig; und alle blasende Instrumente müssen gehörig doppelt besetzt seyn4. « Das bleibt so bis zum Aufkommen des klassischen Instrumentalstils und der durchbrochenen Instru- mentation. Die Holzbläser sind entweder konzertierende, soli- stische, oder aber Tutti- Instrumente, während Trompeten und Pauken bei der alten Bestimmung bleiben, Festmusiken, kriege-

1 Petri, a. a. O. S. 187.

2 Quantz a. a. 0. XVII, III, Petri, a. a. O. S. 173.

3 A.a.O. XVII, I, §16.

* Ernst Christ. Dreßler, Fragmente einiger Gedanken des Musikalischen Zuschauers die bessere Aufnahme der Musik in Deutschland betreffend, Gotha 1767, S. 13.

Taktschlagen und Doppeldiroküon im \ 8. Jahrhundert. 185

rische Aufzüge und ähnliche Situationen zu begleiten. Die Ab- weichungen von der Quantzschen Regel, wie sie unsere Tafel hier und da zeigt, sind zum Teil durch den Etat der Orchester- verwaltung bedingt oder auch durch Lokalverhältnisse. Viele Schriftsteller sagen ausdrücklich, daß man bei der Orchester- besetzung den Ort der Aufführung in erster Reihe berücksichtigen muß1. Der genannte Biedermann meint: in der Besetzung muß man sich »immer nach dem Orte, wo ein Orchester stehen soll«, richten. »In Sälen, Kirchen, Opernhäusern, richtet man sich mit der Verstärkung ... nach der Größe derselben; und da hat man bemerkt, daß bey stärkerer Besetzung der Orchester die Violon- zellos nicht Kraft genug haben, durch die Violinen durchzu- dringen, und daß der unterste Ton von Zusammenstimmung deutlich sich ausnehmen soll. Man hat daher zu zwey Violon- zellos noch einen Kontraviolon gesezt und dann erwünschte Wirkung vernommen2.« Diese Verstärkungen sind auf unserer Tafel leicht zu erkennen. In einigen Kapellen haben wir sogar 3 Celli, 3 Bässe u. s. f., eine Besetzung, die sich aus der Grund- regel ergibt, daß in jedem Orchester die Bässe deutlich gehört werden müssen. Sie sind das Fundament des musikalischen Aufbaus und müssen alle anderen Stimmen stützen und im Takt halten3. »Allemal müssen die Bässe die Anzahl der Violinen bestimmen, wie der Boden oder Grund die Schwere des Gebäudes«, sagt unser Biedermann. »Immer müssen die verschiednen Töne der Zusammenstimmungen gleich stark, kräftig und schön da- bey gehört werden, welches eben geschieht, wenn der unterste Ton jeder Zusammenstimmung, als Basis, worauf das musikalische Gebäude ruhet, diejenige Kraft hat, welche, dieses Gebäude zu tragen, nöthig ist. Und hierzu gehören hauptsächlich Kontra- violonen4. «

Hatte der Kapellmeister die Besetzung einer Musik nach den zur Verfügung stehenden Kräften angeordnet, so konnte er sich •der Aufstellung der Musiker zuwenden. »Die Stellung und An-

1 Sulzers Allg. Theorie, Art. Besetzung; G. Fr. Wolfs Mus. Lex. 1787, Art. Besetzung.

2 A. a. O. S. 37.

3 Rousseau, Dictionnaire, Art. »Orchestre«: c'est la Basse qui doit regier et soutenir toutes les autres Parties. Wolfs Lexikon, Art. Besetzung: der Baß muß seiner Natur nach etwas mehr als alle Stimmen gehört werden. S. auch Sulzer, a. a. 0.

4 A. a. O. S. 38/39.

186

Fünftes Kapitel.

Ordnung der Personen ist . . kein geringes Stück einer musikalischen Regierung«, schreibt Mattheson, »jedoch muß man sich hierin offtmahls nach der Gelegenheit des Ortes viel richten. Im Gottes- Hause ist die Eintheilung anders zu machen, als in der Kammer. Auf dem Schauplatz und im Orchester wiederum anders.«1 Der deutsche Biedermann begnügt sich mit der Anmerkung, daß die Orchesterstellung verschieden sei, die beste sei die, wo sich die Musiker alle sehen und hören könnten, man solle sie in einem Zirkel oder Halbzirkel aufstellen2. Eingehender behandeln Quantz, Rousseau, Junker, Petri und Koch die Orchesterstellung. Ihre Nachrichten und eine Reihe von Orchesterplänen beweisen, daß man auch hier festen Grundsätzen folgte. Als Grundregel galt der Satz: die Bässe müssen dicht beim Cembalo stehen. Sie bestimmen am deutlichsten die Taktzeiten und können auch das Tempo nach der Angabe des Kapellmeisters dem ganzen Orchester übermitteln. Der Cembalist hat »kein Instrument, in welches er, den bestimmten Tackt, sicherer und schleuniger überpflanzen kann, um ihn, übers ganze Orchester auszubreiten, als die Bässe«3. Auf allen Orchesterplänen sieht man deshalb dicht beim Klavier mehrere Baßinstrumente:

Concerfisten

1 Cello; 2 Baß; 3 Streicher; 4 Bläser; 5 Konzertvioline; 6 Flöte; 1 Cello;

8 Gesangsolo.

Nach MaxSeiffert: Die Verzierung der Sologesänge in Händeis »Messias«, Smlbd. der I. M.-G. VIII, S. 600. (Händel im Kreise seiner Musiker in London.)

i Mattheson, Vollk. Capellm. III, Kap. 26 § 28.

2 A. a. O. S. 40.

3 Junker, a. a. O. S. 13.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert.

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Fünftes Kapitel.

Um das Cembalo gruppieren sich die übrigen Instrumente. Be- vor wir ihre Anordnung behandeln, ist noch ein zweiter Grund- satz anzuführen, der gleichfalls für alle Orchester gilt: die Stellung des Konzertmeisters dicht am Cembalo. Em. Bach sagt: »steht der erste Violinist, . . wie es sich gehört, nahe am Flügel; so kan nicht leicht eine Unordnung einreißen.«1 Sehr hübsch zeigen diese Regel die Orchesterpläne des Berliner Lieb- haberkonzerts (unter Bachmann) und des Rellstabschen »Konzerts für Kenner und Liebhaber« in Berlin, die der schon früher an- geführte Anonymus in seinen »Bemerkungen eines Reisenden« mitteilt:

Berliner Liebhaberkonzert unter Bachmann.

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Das Orchester ist

gegen den Saal

erhöht und geht

nach hinten

schräg hinauf.

Orchester-Barriere

a. Flügel. f. Oboen.

b. Violine I. g. Hörner. bf. Anführer (Viol.) h. Fagotte.

c. Violine II. i. Flöte.

d. Bratsche. k. 1. m. Solospieler und Sänger.

e. Bässe. n. Choristen.

i Em. Bach, a.a.O. I, Einl. §9 Anm.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 189

Konzert für Kenner und Liebhaber in Berlin (Rellstab)^ Wand des Chors.

Dritte Erhöhung i e d h

Zweire Erhöhung c c H h b

Ersre Abtheilung

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a. Fortepiano. f. Flöten.

b. Violine I. g. Oboen. b|. Anführer (Viol.) h. Fagotte.

c. Violine II. i. Hörner.

d. Bratsche. k. 1. m. n. Solosänger- und Spieler.

e. Bässe.

Der Anonymus hält die Bachmannsche Anordnung für unge- schickt. Der Anführer kehre dem Orchester den Rücken zu;, besser sei die Rellstabsche Stellung, da hier der Konzertmeister dem Direktor (Klavierist) gegenüberstehe und von den Spielern leicht gesehen werden könne.

Die Aufstellung der Instrumente ist auf den gegebenen Or- chesterplänen, die für Saalaufführungen gelten, so getroffen: erste und zweite Violinen stehen entweder hintereinander (Leipzig, Berlin, Liebh. -Konz.) oder nebeneinander (Rellstab-Konz.). Blechbläser werden in den Hintergrund postiert. Die Solisten und Konzertisten stehen vorn in der Nähe des Klaviers, während der Chor entweder hinter den Flügel, zur Seite oder vor den Kapellmeister gestellt wird. Eine ähnliche Aufstellung schlägt Quantz vor1. Er verlangt, daß bei einer zahlreichen Musik, die im Saal oder an einem großen Ort, wo kein Theater ist, aufgeführt wird, die Spitze des Cembalos gegen die Zuhörer gerichtet werden soll. Damit nun kein Musiker dem Zuhörer den Rücken kehre, sollen die ersten Violinen beim Klavier in einer Reihe nachein- ander stehen, und zwar der Anführer (Konzertmeister) beim

i A.a.O. XVII, i, §14.

190 Fünftes Kapitel.

•Klavieristen zur Rechten. Die Baßspieler, die mit dem Klavier gehen, sollen dicht beim Cembalisten spielen, zweite Violinen hinter den ersten, und hinter diesen die Bratschen. Neben die Bratschen kommen nach der rechten Seite zu die Oboen, hinter diesen die Waldhörner und Bässe. Die Flöten will Quantz, wenn sie konzertierende Partien blasen, vor die erste Violine haben oder auf die linke Seite des Flügels. Auch die Sänger können ■diesen Platz einnehmen, da sie, wenn sie hinter dem Klavieristen stehen und aus der Partitur singen, nur die Cellisten und Bässe ßtören, zumal kurzsichtige Sänger sich beim Notenlesen bücken müssen, wodurch Ton und Atmung behindert werden. Quantz' Anordnung ließe sich so aufzeichnen:

Bässe

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(Floren od. Solisten!

Eine Aufstellung, die durch die Gruppierung der Instrumente -nach einer Seite hin von den gegebenen Plänen abweicht. Aber «auch hier sind die gegebenen Grundsätze der Instrumentenanord- nung beibehalten.

Für die Verteilung der Instrumente um den Flügel plaidiert -Junker; er macht diese Vorschläge1: »Einer von den Contro- bässen stehet gleich beym Cembalisten, um die Zeitfolge aufzu- nehmen. . . . An die Bässe gränzen die Violen, auf der einen Seite des Flügels. Die Horns werden etwas entfernter, hinter die Bässe gestellt, weil in einer größern Nahheit, die Summe ihres Tons, keine gehörige Proportion mit dem ganzen haben würde, und die Melodie, auf Kosten, der Harmonie leiden müßte [vgl. die Ber- liner Orchester]. Braucht man Trompeten und Pauken, so ist ihr Plaz noch hinter den Horns, weil ihr Ton, noch schärfer ist. . . . Am Flügel zunächst, gegen die Violen über, stehen die ersten

i A.a.O. S. 13f. Kapitel »Von der Stellunga.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 191

Violinen, will man die zweyten Violinen den ersten gerade überstellen (da sie sonst, etwas unter die Violen zu stehen kämen) so sind wir auch der Meinung: und die Violen kämen alsdenn etwas seitwärts gegen die Bässe. Die übrigen Blasinstrumente, als Oboen, Flöten, Clarinetten, stehen am entferntesten von den Bässen unter den Saiteninstrumenten, theils, weil ihre Entfernung an sich, von den Bässen die größte ist, theils, weil sie eigentlich blos ausfüllen, theils, am wenigsten zur Bestimmung der Mo- mente [Taktteile] beytragen. « Seine Anordnung, die nicht gerade klar formuliert ist, könnte so aussehen:

Trompeten Pauken

Hörner Basse ■>;

Branchen

I.Violinen

2. Violinen ßass

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Diese Orchesterdisposition ist aber nach Junker nicht brauchbar, wenn auf einem Podium konzertiert wird. Diese Bühnen haben seinen vollkommenen Beifall, »nicht allein in Absicht der Wirkung der musikalischen Töne selbst, sondern auch in Absicht einer größern Freyheit und Ungezwungenheit, die hier denen Kapellisten über- haupt, und insbesondere dem Solospieler zu statten kommt, der hier gesichert ist, daß kein Nobilis, der auch etwas krazen oder dudlen kann, hart hinter ihm, in sein Blatt sehe, und ihn schenire«. Weiter gewähren die Bühnen den Vorteil, daß man das ganze Orchester leicht übersieht, die Spielenden alle im Auge behält, und daß die Töne genau miteinander sich vereinigen. Auch bei dieser Aufstellung gehören die Sänger an den Flügel, so daß »wenigstens außer dem Fall von Collisionen jeder Solosänger, mit dem Cembalisten, aus einem Blatt singe. . . . Um den Flügel herum, können hier die Spieler freylich nicht vertheilt seyn, sie können auf solchen Bühnen, dem Flügel blos seitwärts neben einander stehen. Rechts ohngefähr die Reihe der ersten Violinen, links gegen über, die Reihe der zweyten ; hinter den ersten, die Oboen, hinter den zweyten, die Flöten; hinter dem Flügel, in der Mitte die Bässe. Doch könnte man, die Violen zu den Oboen, und die

192

Fünftes Kapitel.

Violoncells zu den Flöten stoßen lassen.« Auch diese Anordnung, die die gegebenen Pläne nur wenig modifiziert, hält sich an die entwickelten Regeln. Sehr ausführlich ist Petri auf die Orchester- stellung eingegangen. Er bringt diesen Orchesterplan:

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Flöten

Direktor

Trompeten

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Erste Violine

Horns

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Pauken

Violoncelli Violon Violon

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Oboen

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und gibt für seine Brauchbarkeit folgende Erklärung:

»Der Direktor hat alle die Haupstimmen um sich. Ihm zur Rechten steht der erste Hauptgeiger, der ihn observirt, und seine Stimme alsdenn wiederum gut anführen kan. Ja der Di- rektor kan ihm so gar theils zwischen den Säzzen, theils mitten darinn ein Wort sagen, ohne daß irgend ein andrer gestört wird. Eben so hat er den ersten Geiger bey der andern Violine bey sich, und der erste Violoncellist, der bey ihm sitzt, spielt aus seinem Generalbasse oder Partitur mit. (Er ist auf der Tabelle mit A Cello bezeichnet.) Dieser sitzt schief und hat seitwärts rechter Hand die andern Bässe hinter sich im Gesichte, welche er diri- giren soll1. Die Bratschen, welche theils beim Schweigen der Bässe einen verjüngten Baß machen, werden alsdenn stark genung zu hören seyn, theils werden sie bey voller Harmonie sich nach der zwoten Violine als der ersten Mittelstimme gut richten können, wenn sie die zwote machen sollen. Man könte zwar die Brat- schen auch neben die zwote Geige zur Linken stellen, allein selten wird man so viel Breite im Salon haben, und außerdem entfernen sie sich auch zu sehr von den Bässen, mit denen sie doch so oft

1 D. h. er ist der Stimmführer der Bässe.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 193

gemeinschaftliche Arbeit haben. Die Blasinstrumente sehen den Takt im Bogenstriche der Geigen vor sich so wohl, als der Pauker, so daß bey gehöriger Aufmerksamkeit nicht leicht Fehler vorfallen können. Das ■+■ aber mit dem NB. bedeutet die Stelle des Solosängers, welcher wohl thut, wenn er sich zum Akkom- pagnement so nahe, als möglich macht, damit er es nach seinem Gefallen in dis und jenes Tempo sezzen könne, wozu nur ein kleiner Wink eines Fingers in der linken Hand nöthig ist, der von nie- manden bemerkt wird, als von denen, die es bemerken sollen. Endlich so hat er bey dieser Stellung auch die erste Geige un- mittelbar neben sich.

»Gesetzt aber, ein Solosänger wollte gern allein seyn, so kan er sich des Konzertspielers oder Bläsers Ort erwählen, und dieser ist vor der ersten Geige bey den Flöten und Flügel über dem NB, denn noch weiter gegen die Zuhörer vorrücken zu wollen, wäre wohl zu eitel.

»Die Singstimmen bey Chören habe ich nicht blos darum so gestellt, weil die Diskantisten und Altisten, die vorne stehen, die kleinsten sind; sondern damit Alt und Tenor auf der Seite stehe, wo die zwote Geige und die Bratsche stehn, die ihre Ge- hülfen sind, besonders bey Fugen1; ferner damit der Diskantist vor der ersten Violine stehe, die es gern mit ihm hält, und der hinter ihm stehende Bassiste, der gemeiniglich sein Präfekt ist, ihm im Pausiren und andern Fällen mit Hülfe nahe sey. Denn wir reden hier nur von Stadtkonzerten; für Kapellen wäre dergleichen vorzuschreiben lächerlich. . . .

»Noch eins muß ich anführen, warum ich die Fagottisten und Hoboisten zusammengestellt habe. Die Ursach ist doppelt: Einmal weil nicht jede Stadt sie beide zugleich besezzen kan, und eben dieselben bald Oboe bald Fagott blasen müssen2;

1 Vgl. ErnstWilh. Wolf, Auch eine Reise, aber nur eine kleine mu- sikalische in den Monaten Junius, Julius und August 1782, Weimar 1784, S. 25 von einem Ludwigsluster Konzert: »Das Singe-Chor machte die Fronte auf beiden Seiten des Flügels, und die Instrumente hatten ihre Plätze dahinter; Trom- peten und Pauken nahmen die Seitenwand am Ende des Orchesters ein und die übrigen blasenden Instrumente standen hinter den Violinen.«

2 S. o. dio Tabelle, vgl. Quantz' Selbstbiographie in Marpurgs Bey- trägen I, S. 197 f. Einer der ersten, die gegen das Spielen mehrerer Instrumente Front machen, ist Dreßler: »Wer auf Instrumenten, besonders blasenden, was gethan, soll vorzüglich sich zu einem halten; damit nicht der Ansatz, oder bey Violin und Violoncell die Faust verdorben werde, ... man wird manchmal kaum vor eins gehörig bezahlt.« (Fragm. einiger Gedanken, S. 13.)

Kl. Handt». der Musi>gesch. X. 13

194 Fünftes Kapitel.

zweytens, weil oft eine Oboe und ein Fagott mit einander obligat gesetzt werden, die daher einander in der Nähe seyn müssen. «

Die Petrische Aufstellung stimmt im Prinzip mit den Plänen von Quantz, Junker und Rellstab überein. Die Abweichungen erklären sich aus dem Aufführungslokal und aus dem Charakter der aufzuführenden Musik. Eine Kantatenaufführung, wie sie der Londoner Plan und Petris Vorschläge berücksichtigen, ist anders anzuordnen als die Konzert- und Kammermusik, auf die sich Quantz und Rellstab beziehen. Auf allen Tafeln, die für Saalaufführungen gegeben sind, sind aber die gleichen Regeln für die Orchesterstellung befolgt: die Bässe und der Konzert- meister stehen dicht beim Cembalo, erste und zweite Geigen sind entweder einander gegenüber oder hintereinander gestellt, während die schwächeren Holzbläser bei den Violinen oder am Klavier postiert werden. Die Blechbläser spielen im Hintergrund, damit sie die übrigen Stimmen nicht übertönen. Violinen und Bläser können aber auch getrennt voneinander stehen, wie im Leipziger Orchester. Die Solisten und Sänger konzertieren in der Nähe des Klaviers. Der Chor steht vor dem Kapellmeister oder dicht beim Klavier1. Sind die Sänger hinter den Instrumentalisten aufgestellt, so muß der Kapellmeister seinen Flügel so stellen, daß er sie stets im Auge behalten kann.

Die gleichen Grundsätze gelten für Aufführungen in der Kirche. Nur sind hier aus Raumrücksichten oft andere Voraus- setzungen für die Aufstellung gegeben. Von der Orchester- stellung in der Kirche werden die folgenden Tafeln eine Vor- stellung geben2.

1 Vgl. Pohl, Mozart und Haydn in London II, S. 27 über die Orchester- stellung bei den Oratorien-Aufführungen im Covent-Garden- und Drury-Iane- Theater: »Das Arrangement des Orchesters ist sehr gut. Ganz vorn ist eine Reihe der Solosänger; hinter diesen, erhöht, die der Chorsänger; sodann wieder unmittelbar hinter ihnen und dem Fortepiano, das das Ganze dirigirt, zur Seite die Violoncellen und Contrabässe, und auf den Seiten folgen dann wieder in einem Amphitheater die übrigen Instrumente, bis hinten zur Orgel, die nur zur Ver- stärkung der Chöre gebraucht wird(l).«

2 Die Pläne berücksichtigen nicht die Anordnung mehrchöriger Werke. Wie solche Kompositionen am Anfang des 18. Jahrh. aufgeführt wurden, zeigt eine Stelle in Matthesons Neu Eröffn. Orch. (S. 158). Es heißt da: Man »macht Stücke mit 3. ä 4. Chören / und besetzet selbige gemeiniglich also: Auff einem Chor stehen v. g. Trompeter und Paucker / da immer zu 6. Trompeten ein Paar/ und zu 12. zwey Paar Paucken gehören. Auf dem andern sind Posaunen /

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 195

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O/ Kapellmeister, der Orgel den Rücken zukehrend;

1. Sänger;

2. Violinen und Gambe;

3. Organist.

Nach: Altes und Neues aus dem Lieder-Schatze, Welcher vor Gott der . . .

Ev. Kirchen . . . geschencket und in dieses . . Gesang-Buch gebracht von

M. Hermann Joach. Hahn. Dresden. 1720. Titelkupfer.

Walther, Musical. Lexikon, 1732. Titelkupfer:

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Cincken und andere Blaß-Instrumenten. Auff dem dritten ein Chor Sänger mit zugehörigen Accompagnement, . . . und auf dem Vierten abermahl ein Chor Sänger / welches das Haupt-Chor ist und aus Concertisten . . . bestehet; allda sind die vornehmsten Symphonisten und wird die Direction geführet. Nach Gelegenheit des Ortes nimmt man auch wol das fünffte Chor in Ripieno, (wenn alles gehet) auf der Orgel mit dazu / allwo so dann wiederum ein Chor Capellisten mit ihrem Direttore dell'Organo magiore, welcher dem Organisten / der den Tact auf dem Haupt-Chor nicht sehen kan / dio Mensur gibt / und eine solche Bestellung / wenn sie wol dirigirt wird / ist gewiß eine Sache / die gar mercklich zur Andacht contribuiret.« Vgl. S. 97 f. und 155.

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Fünftes Kapitel.

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Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. J97

Aufführung des Händeischen Messias in der Domkirche zu Berlin 1786.

Nach J. Ad. Hiller a. a. 0. S. 28.

a) Director.

b) Flügel, mit einem Violoncell und Violon zur Seite.

c) Anführer der Violinen.

d) Principal Sänger.

e) Violoncelle und Violone.

f) Erste Violinen.

g) Zweyte Violinen. h) Bratschen

i) Flöten.

k) Oboen. 1) Fagotte, m) Waldhörner, n) Trompeten, o) Posaunen, p) Pauken, q) Discantstimmen. r) Altstimmen, s) Tenorstimmen, t) Baßstimmen.

Nota, p p ist das Orgelchor, wo in der Mitte ein Stück der Brustlehne heraus- genommen ist; diesem wagrecht laufende Tribunen auf beyden Seiten der Kirche sind o, n, s, t, q, r, die durch Pfeiler von einander abgesondert werden.

198 Fünftes Kapitel.

Mannheimer Hofkapelle (nach den Angaben von Carl Ludw. Junker entworfen)1.

Contra B. -f- Kpm.

In den Tabellen sind die angeführten Grundsätze leicht wieder- zuerkennen: Im Vordergrund die Sänger, beim Klavier oder der Orgel die Bässe, der Konzertmeister nahe dem Kapellmeister, die Instrumentengruppen vermischt, erste und zweite Geigen ein- ander gegenüber und die Blechbläser weit hinten. Bei vielen Orchesteranordnungen fällt die zerstreute Verteilung der Holz- bläser auf. So wurden von den Berliner Liebhabern die Hoboen in den Hintergrund gestellt und die Flöten ins Vordertreffen; in der Berliner Messias -Aufführung spielten sie rechts und links von der Baßlinie. Diese Anordnung erklärt sich aus der Literatur. Die Holzbläser werden in der Regel konzertierend oder klangverstärkend gebraucht. Sie bilden keine geschlossene Instrumentengruppe wie die Streicher und werden deshalb je

1 Junker, a. a. O. S. 18: »Zu unsrer Zeit, war in der Mannheimer Hof- kapelle, die Vertheilung der Stimmen folgende. Die Orgel hatte die Gestalt eines halben Monds; Im Durchschnitt derselben stand der Kapellmeister, er- höht; ihm zur linken ein Controbaßist; etwas tiefer unter ihm, zu beyden seifen, die Sänger, in der ganzen Krümmung des halben Monds. Höher ober den Sän- gern, standen in eben der Krümmung die ersten Violinen, dem Kapellmeister rechts; ihm zur linken eben so, die zweyten Violinen. Hinter den ersten Vio- linen, waren die Violen, und Horns; hinter diesen die Trompeten und Pauken. Ober den zweyten Violinen, waren eben so, die Violoncells und Controbäße, auch wohl manchmal ein Doppelchor von Horns, angebracht. In einer graden Linie, standen, ober dem Kapellmeister, also gerade zwischen den ersten und zweyten Violinen, die Oboen, und Flöten; und oberhalb dieser erst, war das Orgel possitiv angebracht, dem zur Seiten, die Fagotts spielten.«

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 199

nach ihrer Beschäftigung in der aufgeführten Musik in den Vorder- grund oder weiter zurück postiert. Als einheitliche, individuelle Klangfarbe treten sie erst bei den Wiener Klassikern auf, wodurch auch ihre Aufstellung im Orchester in ein festes System kommt. In Mannheim ist allerdings eine geschlossene Aufstellung schon früher erreicht. Wie die angeführte Tafel zeigt, schieben sich die Holzbläser keilförmig in das Orchester. Junker hat aber ge- rade an dieser Disposition viel auszusetzen: Die Instrumenten- gruppen sind nach seiner Meinung nicht dicht genug beisammen, was für die Streicher zutrifft. Auch soll der Kapellmeister schlecht zu sehen gewesen sein. Trotzdem bedeutet die Mannheimer Auf- stellung einen wichtigen Fortschritt in der Entwicklung der Orchesteranordnung.

Geradezu mustergültig für die ältere Zeit ist die Orchester- stellung, die Burney gibt. Da sind alle Forderungen der Praxis glänzend gelöst: In der Mitte dirigiert der Kapellmeister, dies- mal vom Orgelspieltisch aus, ihm gegenüber steht der Konzert- meister, der das Tempo dem hinter ihm spielenden Streichkörper übermittelt, und rings um den Dirigenten gruppieren sich die Bässe das Fundament von Chor und Orchester.

Auch in den Opernorchestern finden wir die entwickelten Grundsätze befolgt. Auf einem von Wilhelm Kleefeld veröffent- lichten Aufstellungsplan des Hamburger Opernorchesters sieht man beim Flügel die Bässe und Generalbaßinstrumente und zur Linken die Streicher, während Pauken und Trompeten mög- lichst in den Hintergrund gestellt sind1. Eine andere Orchester- stellung, die ein zeitgenössischer Kupferstich von der Aufführung der Fuxschen Oper »Costanza e Fortezza« zeigt, scheint nicht all- zu verläßlich, da zusammengehörige Instrumente nicht immer bei- sammenstehen, aber auch hier erkennt man im Vordergrund des in drei ansteigenden Beihen aufgestellten Orchesters den Baßspieler beim Klavieristen2. Auch die Orchesterbilder aus Amsterdam, die Scheurleer veröffentlicht hat3, bringen die gleiche Anordnung von Klavier- und Baßinstrumenten. Am be- rühmtesten war im 18. Jahrhundert die Hassesche Orchester- stellung in Dresden, von der Bousseau nach den Angaben des

1 Wilh. Kleefeld, Das Orchester der Hamburger Oper. Smlbd. der I. M.-G. I, S. 234.

2 Denkmäler der Tonk. in Österreich, XVII. Jahrg.

3 D. F. Scheurleer, Het Muziekleven in Nederland. 'S Gravenhage 1909, II, S. 198, 199, 232, 234.

200

Fünftes Kapitel.

Baron Grimm, der im Jahre 1753/54 in Dresden weilte, folgenden Plan in seinem Musiklexikon veröffentlicht hat:

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1. Clavecin du Maitre de Chapelle. 1.

2. Clavecin d'accompagnement. 8.

3. Violoncelles. a.

4. Contre-basses. b.

5. Premiers Violons. c.

6. Seconds Violons, ayant le dos tourne d. vers le Theätre.

Haubois, de meme.

Flütes, de meme.

Tailles, de meme.

Bassons.

Cors de Chasse.

e. Une Tribüne de Chaque cöt6 pour

les Timballes et Trompettes.

Diese Aufstellung1 erinnert an die Leipziger Konzertgesellschaft, zum Teil auch an das Berliner Liebhaberkonzert, sie ist aber durch das zweite Klavier und durch die Stellung der Bratschen zwischen den Geigen wesentlich unterschieden. An das Dres- dener Orchester denkt auch Quantz bei seiner Theorie der Opern- orchesterstellung, die sich in einer Tafel so fixieren läßt:

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1 Rousseau, Dictionnaire, Art. »Orchestre«: Le premierOrchestre de TEa- rope pour le nombre et l'intelligence des Symphonistes est celui de Naples: mais celui qui est le mieux distribue et forme l'ensemble le plus parfait est l'Orchestre

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 201

Er bringt für seine Disposition folgende Erklärung1: Das erst^ Klavier soll mit der breiten Seite gegen das Parterre stehen, damit der Kapellmeister die Sänger im Auge behalte. Zur Rechten muß der Anführer, d. h. der Konzertmeister sitzen und zwar ein wenig vorwärts und erhöht2. Violinen und Bratschen können von ihm an im länglichen Kreis sitzen, so daß die Bratschen mit dem Rücken gegen das Theater kommen; bei größerem Orchester- raum können auch die zweiten Violinen in der Mitte zwischen ersten Violinen und Bratschen sitzen; also umgekehrt wie in Dres- den, wo die zweiten Geigen mit dem Rücken gegen das Theater gestellt sind. Auf der Seite, wo die Violinisten aufhören, kann nach Quantz noch ein Violoncell und ein großer Violon Platz finden. Auf der linken Seite des ersten Klaviers hat das zweite zu stehen, die Länge am Theater hin und mit der Spitze gegen das erste zugekehrt: doch so, daß die Bassons noch dahinter Platz finden können, wenn man sie nicht auf die rechte Seite des zweiten Klaviers bringen will. Bei diesem zweiten Cembalo können noch ein Paar Violoncelli Platz finden. Oboen und Waldhörner will Quantz dahin stellen, wo in Dresden die Bassons standen; die Flöten sollen nahe beim ersten Klavier in die Quere postiert werden, so daß sie das Gesicht gegen das Klavier und das untere Ende der Flöte gegen das Parterre wenden. An Orten, wo zwischen Orchester und Zuhörern noch ein leerer Platz vorhanden ist, werden auch die Flöten mit dem Rücken gegen das Parterre und die Oboen in die Quere zwischen Flöte und zweites Klavier gesetzt. Die Quantzschen Ausführungen gehen in der Haupt- sache auf die Hassesche Orchesterstellung zurück, doch bringen sie

de l'Ope>a du Roi de Pologne ä Dresde, dinge" par Pillustre Hasse. Ebenda: on a soin. . que. . . chaque Violon soit de son premier et le voye: c'est pour- quoi cet Instrument ötant et devant etre le plus nombreux, doit etre distribue sur deux lignes qui se regardent; savoir, les premiers, assis en face du Thöätre, le dos tourne vers les Spectateurs, et les seconds vis-ä-vis d'eux le dos tourne" vers le Theätre. Diese Hassesche Stellung hat noch K o c h in seinem Lexikon (1802) beschrieben (Art. »Stellung«) : In der Mitte steht der Flügel mit den Haupt- bässen, »auf der rechten Seite desselben befinden sich die beyden Violinen und die Viole; . . . man ordnet ihre Sitze [auch] so, daß die ersten Violinisten vom Flügel an längs dem Geländer des Orchesters mit dem Gesichte nach dem Theater zu, und die zweyten Violinisten gerade gegen über mit dem Rücken an dem Theater sitzen; in diesem Falle werden beyde Reihen zuletzt vermittelst der Ausüber der Viole verbunden«.

i A.a.O. XVII, I, §13.

2 S. o. S. 174 (Biedermann).

202 Fünftes Kapitel.

zum Teil auch Verbesserungen, denn im Dresdener Opernorchester stehen die Fagotte zu dicht am Parterre und die Oboen zu weit entfernt. Wichtig ist bei diesen Anordnungen die Trennung von Bläsern und Streichern rechts und links vom Kapellmeister, ein Auf Stellungsprinzip, das sich bis in unsere Zeit gehalten hat. Im Berliner Opernorchester unter Graun waren die Instru- mente in einem Halbkreis aufgestellt, dessen Mittelpunkt da& erste Klavier mit den Generalbaßinstrumenten (Theorbe, Harfe,. Celli) bildete1. Als Joh. Fr. Reichardt die Direktion über- nahm, begann er seine Tätigkeit mit einer Reform der Orchester- stellung. Er stellte die Musiker nach folgendem Plan auf2:

Berliner Opernorchester.

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a. Kapellmeister. g. Flöten, b.f Konzertmeister. h. Oboen.

b. Erste Violinen. i. Fagotte.

c. Zweite Violinen. k. Klarinetten.

d. Bratschen. 1. m. n. Posaunen, Trompeten und

e. Bässe. Pauken.

f. Hörner. o. Harfe.

Hier fällt zuerst das Fehlen des Klaviers auf. Reichardt hatte es- aus dem Orchester beseitigt. Er begleitete nicht mehr am Klavier, sondern dirigierte mit Geigenbogen oder Taktstock, was ihm von unserm »Reisenden« recht übel genommen wurde. Von dieser Reform wird später die Rede sein. Das Orchester ist so gestellt: Bässe in der Nähe des Kapellmeisters3, sämtliche Streicher

1 L. Schneider, Gesch. der Oper und des Kgl. Opernhauses in Berlin, S. 87.

2 Nach »Bemerkungen eines Reisenden«, Halle 1788. S. 57.

3 Unser Plan scheint einige Bässe hinter dem Kapellmeister übersehen tu haben. J. Carl Fr. R e 1 1 s t a b sagt in seiner Broschüre »Über die Bemer- kungen eines Reisenden« (Berlin 1789, S. 49), daß zwischen ersten und zweiten Geigen die Bässe placiert waren, wodurch die gleiche Bogenführung der Violi- nisten behindert würde.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 203

einander gegenüber, Bläser rings um den Kern des Orchesters. Diese Reichardtsche Instrumentengruppierung steht im Gegensatz zur Dresdener Kapelle und repräsentiert ein Prinzip der Orchester- anordnung, das ebenso wie das Dresdener grundlegend wurde: das Prinzip der Streicherverteilung rechts und links vom Kapell- meister und der Instrumentenzusammenfassung nach chorischen Instrumentengruppen1.

Aus Theorie und Praxis ergeben sich somit für die Orchester- stellung im 18. Jahrhundert folgende Grundsätze:

1. Im Kernpunkt des Orchesters steht der Dirigent oder das Klavier des Kapellmeisters, um das sich alle Instrumente grup- pieren.

2. Die ersten Bässe und die Generalbaßinstrumente spielen dicht beim Klavier oder Kapellmeister.

3. Der Konzertmeister hat seinen Platz in der Nähe des Ka- pellmeisters; er muß den Streichern das Tempo, wie es der Kapell- meister gibt, übermitteln.

4. Die Klangmassen der Streicher und Bläser sind entweder voneinander getrennt auf der rechten und linken Seite vom Flügel aufzustellen oder vermischt, d. h. auf beiden Seiten Streicher und Blasinstrumente.

5. Die Holzbläser spielen je nach ihrer Beschäftigung in der Nähe des Dirigenten oder im Hintergrund. Doch können sie auch in geschlossenen Gruppen aufgestellt werden (Mannheim, Ber- liner Oper unter Reichardt).

6. Die Blechinstrumente und die Pauken sind möglichst weit vom Kern des Orchesters zu entfernen, sie dürfen niemals die schwächeren Instrumente übertönen.

7. Die Sänger stehen in Konzert- und Kirchenmusiken im Vordergrund, werden sie weiter hinten postiert, so muß sie der Kapellmeister leicht übersehen können.

8. Alle Solisten müssen möglichst im Vordergrund beim Klavier konzertieren.

Gestimmt wurde nach dem Ton des Flügels2. Der Kapell-

1 Daß die Klarinette nicht zu den Flöten, Oboen und Fagotten gestellt ist, sondern neben die Hörner, ändert nichts an dem modernen Prinzip der Reichardt- schen Aufstellung. Die Klarinette bildet in dieser Zeit den Ersatz für die hohen, weichen Trompetenstimmen. Ihr Klang mußte das alte Klarinblasen ersetzen; so war denn auch der natürliche Platz der Klarinettenbläser neben den Blech- instrumenten.

2 Quantz, a. a. O. XVII, I, 8; Junker, a. a. 0. S. 6; P e t ri, a. a. O. S. 177; Wolfs Lexikon, Art. »Stimmung« u.a.m.

204 Fünftes Kapitel.

meister schlug den D-Akkord oder Quinte und Oktave1 gleich- zeitig mit mäßigem Druck an, während die Musiker einzeln ein- stimmten2. Viel Lärm durfte dabei nicht gemacht werden, vorheriges Präludieren und Phantasieren, das ohnehin die Stim- mung verdirbt, mußte vermieden werden3. Bei Sinfonie- konzerten pflegten die Musiker stehend zu spielen, doch gab es auch hier Ausnahmen. Im Berliner Liebhaberkonzert saßen die im Hintergrund postierten Musiker (Bratsche, Oboe, Hörn), die übrigen standen4, und Dittersdorf erzählt, daß er in Großwardein die »Wiener Methode«, sitzend zu spielen, eingeführt habe. Er ließ lange Bänke und Pulte machen und rangierte das Orchester so, daß jeder Musiker gegen die Zuhörer Front machte5.

Besetzung und Aufstellung eines Orchesters war lediglich Aufgabe des Dirigenten. Hier zeigte sich sein Geschick, die ge- gebenen räumlichen und musikalischen Verhältnisse wirkungs- voll auszunutzen. Aber die Aufführungen hingen in der Zeit der willkürlichen Veränderungen, der Ausschmückung simpler Melodienschritte nicht allein vom Talent des Kapellmeisters ab, sondern zum großen Teil auch von der Schulung der Musiker, die, sobald sie selbständige solistische Partien ausführten aber auch nur dann6 ihre Stimme ebenso ausschmücken durften,

1 Junker, a.a.O.; Koch, Lex. Art. »Stimmung«, vgl. auch Sulzer, Allg. Theorie, Art. »Stimmung«: Die Cellisten stimmen nach dem C der Orgel oder des Clavicymbals die C-Saite, danach in reinen Quinten weiter, die Bratschisten machen es ebenso. Violinisten stimmen g und d1 nach dem Klavier oder der Orgel, und dann weiter in reinen Quinten. Quantz (a. a. O. XVII, VII, § 4) rät, die Quinten unter sich schwebend zu stimmen.

2 Junker, a. a. 0. S. 8. Mattheson nennt den Konzertmeister Farinelli in Hannover als Vorbild im Einstimmen. Er stimmte erst die eigene Violine, durch Anstreichen der Saiten, nicht durch »Fingerknippen«, wie es häufig geschah, danach stimmte der erste Violinist, der dann im Orchester die Runde machte und mit jedem einzeln einstimmte. (Vollk. Capellm. III, 26, §22). Gegen das Einstimmen der Streichinstrumente durch »Kneipen« der Saiten schrieb noch Pe tri (a. a. 0. S. 177).

3 Quantz, a. a. 0. XVII, I, § 8; Junker, a. a. O. S. 9; Petri, a. a. 0. S. 178; Sulzer, a. a. O.

4 Bemerkungen eines Reisenden, S. 15. 8 Selbstbiographie, Kap. IG.

6 Qu an tz, a. a. O. XVII, VII, § 15: »Ein jeder Concertist muß, wenn er eine Ripienstimme spielet, seiner Geschicklichkeit, die er im Concertiren und im Solospielen besitzet, auf gewisse Art entsagen, und sich aus der Freyheit, die ihm, wenn er allein hervorraget, erlaubet ist, zu der Zeit, wenn er nur accom- pagniret, so zu sagen in eine Sklaverey versetzen. Er darf also nichts hinzu- fügen, was irgend nur die Melodie verdunkeln könnte: besonders wenn eben dieselbe Stimme mehr als einmal besetzet ist.«

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 205

wie die Sänger. Die Orchestermusiker mußten deshalb eine ein- heitliche Manier im Abspielen der Noten befolgen, sie mußten die gleiche musikalische Schule zeigen. Es kam somit auf die musikalische Tüchtigkeit und den Geschmack des Dirigenten viel an. Der Anführer mußte ein geschickter und erfahrener Musiker sein, Kenntnis der Theorie und Komposition besitzen, Praxis im Orchesterspiel haben und sich, wie Quantz sagt, ein reiches Wissen durch Anhören guter Musiker oder Kapellen angeeignet haben1. Er fügt hinzu: »allein, so werden, leider, öfters nur solche zu Anführern erwählet, die . . . durch das Vorrecht der Jahre in einem Orchester hinauf rücken«. Eine Kritik, der man noch in Wagners Schriften begegnet. Quantz beklagt sich auch über die durch Zufall und Unverstand gewählten Dirigenten; es befänden sich in großen Orchestern unter den Spielern oft bessere Musiker als der Anführer2. Ein tüchtiger Direktor solle aber stets das Vorbild aller Musiker sein. Seine Kenntnisse und die Virtuosität auf seinem Instrument mußten die Leistungen der Orchestermitglieder übertreffen, denn der Konzertmeister war nicht nur technischer Leiter einer Aufführung, sondern auch der Bildner des Orchestervortrags. Er hatte einen gleichen Vortrag im Orchester einzuführen und zu erhalten. Die Schönheit des Orchesterspiels bestand darin, daß »die Mitglieder desselben alle einerley Art zu spielen« hatten, einerlei Bogenführung, einerlei Schule im Anbringen von Verzierungen3. Alle Manieren mußten gleichmäßig ausgeführt werden, damit nicht, wie Quantz sagt, »einer z. E. einen Triller hinsetze, wo andere simpel spielen; oder Noten schleife, welche von anderen gestoßen werden; oder nach einem Vorschlage einen Mordanten mache, den die andern weg- lassen«4. In der Einheitlichkeit des Vortrags lag die Kraft des Orchesters. So beruhte der Ruhm der Dresdener Kapelle unter Hasses Direktion zum guten Teil auf der Erziehung des Orchesters durch die Konzertmeister Volumier und Pisendel. Quantz rühmt in seiner Autobiographie die von jenem eingeführte »französische egale Art des Vortrags«, die Pisendel durch Einführung des »ver- mischten Geschmacks« zu solcher Feinheit der Ausführung brachte, daß Quantz auf allen seinen Reisen kein besseres Orchester ge-

1 Quantz, a. a. 0. XVII, I, §2 und 4.

2 Ebenda.

3 Quantz, a.a.O. XVII, VII, §16.

4 Ebenda XVII, I, § 9.

206 Fünftes Kapitel.

hört haben will1. Pisendel wird einer der »genauesten Anführer« genannt, der den französischen und italienischen Stil vollkommen beherrschte. Der berühmte Senesino soll ihm einmal bei der Probe einer Arie, die ihm Volumier niemals recht begleitete, die Hand gereicht und gesagt haben: »Dies ist der Mann, der zu akkompagnieren versteht2.« Pisendel nahm es überhaupt mit der Direktion sehr genau, jede Wirkung probte er aus »bis auf ■die Schicklichkeit oder Unschicklichkeit oder Nothwendigkeit einer kurzen Pause«3, er gab sich »die fast unglaubliche Mühe, zu jeder Oper, zu jedem Kirchen-Stücke, so unter ihm aufgeführt wurde, über alle Stimmen das Forte und Piano, seine ver- schiedenen Grade, und selbst jeden einzelnen Bogenstrich vorzuschreiben«, wie Reichardt erzählt. Er soll auch zu Hasses großer Bewunderung niemals das Tempo einer einzigen Arie ver- fehlt haben4. Das Orchester spielte vollkommen nach seiner Methode. Seine Art, das Adagio vorzutragen, Verzierungen zu improvisieren, zu nuancieren und den Bogen zu führen, wurde von allen Orchestermusikern befolgt, so daß ein Zusammenspiel erreicht wurde, das nach Rousseaus Worten von keiner anderen Kapelle wieder erreicht wurde5. Auch Gerber sagt: »Der große Hasse war Komponist, und der eben so große Mann als Conzert- meister, Pisendel sorgte für die Ausführung. Nach jeder ver- fertigten Oper besprach sich Hasse mit dem Conzertmeister über die Bezeichnung der Bogenstriche, und anderer zum guten Vortrage nöthiger Nebendinge6. Und so, wie die ausgeschriebenen Stimmen aus der Hand des Copisten kamen, erhielt sie Pisendel, der sie alle mit Aufmerksamkeit durchsähe und jeden kleinen, die Ausführung betreffenden Umstand, sorgfältig anzeigte. Daher entstand ... die mit Recht so vielfältig bewunderte Akkuratesse •des damaligen Dressdner Orchesters, wo es schien, als wenn die

1 Autobiographie, Marpurgs Beytr. I, S. 206.

2 Hillers Wöchentl. Nachrichten I, S. 287f.

3 Ebenda S. 288.

* Reichardt, Briefe eines aufmerksamen Reisenden I, S. 10; Über die Pflichten des Ripien-Violinisten, 1776, S. 80.

6 S. o. S. 200, Anm.

6 Daraus erklärt sich auch, daß gerade Hasse in der Bezeichnung seiner Werke überaus genau ist. Tempovorschriften wie: Allegro non troppo perö, ma con molto spirito (La conversione di S. Agostino. Denkm. deutscher Ton- kunst, Bd. 20, S. 3), Amoroso, ma non troppo lento u. ähnl., die für diese Zeit selten sind, findet man in Hasseschen Werken sehr oft.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 207

Aerme der Violinisten durch einen verborgenen Mechanismus alle zu einer gleichförmigen Bewegung gezwungen würden1.«

Eine ähnlich exakte, einheitliche Schule zeigte das Berliner Opernorchester unter Carl Heinrich Graun, den Schubart einen »Kapellmeister im buchstäblichen Verstände« nennt2. Schon in Ruppin und Rheinsberg stand die Kapelle »in einer Verfassung, die jeden Componisten und Conzertisten reizen, und ihm voll- kommene Gnüge leisten« konnte. Nach Friedrichs des Großen Regierungsantritt wurde dann das Orchester eins »der ansehn- lichsten in Europa«3. Die Musikererziehung lag in den Händen des Konzertmeisters Joh. Gottlieb Graun, der Schüler von Pi- sendel und Tartini gewesen war. Er eignete sich aber nicht Tar- tinis Bogenführung an, sondern ging auf Pisendels Schule zurück, die er durch eigene Vortragsnuancen weiterzubilden suchte4. Besonders wurde sein Tempo rubato gerühmt5, eine Vortrags- manier, die »im Vorausnehmen der folgenden« oder »im Aufhalten der vorhergehenden Noten« bestand, d. h. wenn man nach dieser Form h I h ausführte6. Grauns Schule wurde

4 4 4 4

unter seinem Nachfolger Franz Benda ebenso berühmt wie die Dresdener. Benda bildete seinen Adagiovortrag nach Graunscher

1 Gerber, Alt. Lexikon, Art. »Pisendel«.

2 Ges. Schriften V, S. 88.

3 Quantz, Autobiographie, a.a.O. S. 249.

4 Hillers Wöchentl. Nachrichten I, S. 75.

5 Reichardt, Briefe eines aufm. Reisenden I, S. 162: Das Eigene des Bendaschen Vortrags , der dem Graunschen Stil nachgebildet war, besteht in einigen »äußerst bedeutenden Nachläßigkeiten in dem Zeitmasse der Noten, die dem Gesänge das Gezwungene benehmen, und den Gedanken mehr dem Spieler eigen machen«. Vgl. auch ebenda S. 42.

6 Marpurg, Anl. zur Mus., S. 148 f. Vom Rubato wird in den meisten Musikbüchern gesprochen. Quantz hat die Manier zum erstenmal von der Sopranistin Lotti gehört, wie er in seiner Lebensbeschreibung erzählt (a. a. O. S. 214). Tosi-Agricola (Anleitung zur Singkunst 1757, S. 196) nennt das Rubato ein Verziehen der Geltung der Noten. Ebenso erklärt es der Bieder- mann in seinen »Wahrheiten« (S. 117, s. o.). Siehe auch H iller, Anweisung zum musikal. zierlich. Gesänge (1780, S. 88f.), Wolfs Lexikon, Art. »Tempo

rubato«, wo es in dieser Form « J, d. h. als Aneinanderbinden zweier oder meh*

rerer betonter Noten erklärt wird, die keinen neuen Anschlag bekommen. T ü rk (Klavierschule S. 374f.) gibt als Definition das Tonverziehen u n d ein Akzen- tuieren gegen den Takt. Kalkbrenner, Theorie der Tonkunst (1789, S. 12), sagt, daß man unter Rubato eine Veränderung der Bewegung versteht, und »die Noten allmählich etwas länger« gehalten werden können. Der heutige Gebrauch des Wortes scheint erst in den achtziger Jahren aufgekommen zu sein.

208 Fünftes Kapitel.

Art. Es war nach Reichardts Worten ein »äusserst rührender« Vortrag, der durch die ganze Bogenführung, den Nachdruck auf einzelnen Noten, durch die Dynamik und die nach Sängerart angebrachten Manieren erzielt wurde1. Schubart schreibt in seiner phantastisch überschwenglichen Weise: »Der Ton, den er aus seiner Geige zog, war der Nachhall einer Silberglocke«, er spielte nicht so geflügelt wie andere Zeitgenossen, aber »desto saftiger, tiefer, einschneidender. Im Adagio hat er beinahe das Maximum erreicht: er schöpfte aus dem Herzen und drang in die Herzen2.« Burney charakterisiert ihn mit den Worten: »Sein Styl ist weder der Styl des Tardini, Somis, Veracini noch irgend eines Hauptes einer musikalischen Schule oder Sekte, davon ich die geringste Kenntniß hätte: sondern es ist sein eigner, und nach dem Muster gebildet, welches alle Instrumentalisten studiren sollten, gutes Singen nemlich3.« Dieser Gesangsvortrag wird von allen Kri- tikern und Reisenden eine Eigenheit der Fridericianischen Musiker genannt. »Nicht, als wenn sonst nirgends Gesang zu hören sey, nein ! sondern, weil das Wesen des Gesangs . . . dort am wenigsten durch bunte Zierrathen verdunkelt wird«, schreibt der Frankfurter Bieder- mann4. Wie lange sich diese Manier im Orchester gehalten hat, zeigt ein Bericht in Cramers »Magazin der Musik« aus dem Jahre 1784: »Was auf Einspielen und eine Schule ankommt«, heißt es da, »sieht man am [Berliner] Orchester, welches noch immer ein Ganzes bleibt, wie man wenige hören wird ; obgleich viele seiner berühmtesten Mitglieder fehlen, und mancher Stümper von Alter und Profession darinnen ist. Die Art, die Akzente zu markiren, die Vorschläge anzubinden und das Abziehen der Hauptnote, die Ab- setzung der Perioden, der kurze elegante Vortragbey Sechzehntheilen, bey zuweilen kurzen Stellen von Ouvertürnoten, bey punktierten, die Pracht, dieß schöne Ensemble hat kein Orchester« ; nach des Referenten Meinung: ein Rest der alten Graun-Bendaschen Schule5.

1 Briefe eines aufm. Reisenden I, S. 162 f.

2 A. a. O. V, S. 95f.

3 Tagebuch seiner Mus. Reisen 1772/73 III, S. 101.

4 A.a.O. S. 71.

5 A. a.O. II, 1,S. 81 f. Vgl. Ernst Wilhelm Wolf, Auch eine Reise, 1784, S.12 und S. 16: »So sehr sich die jezt [in Berlin] herrschende Spielart von der Benda- ischen, auf den Streichinstrumenten, unterscheidet; so hörte man doch im ganzen Orchester noch die großen, edlen Züge dieses Mannes.« Eine sehr feine An- merkung über den Berliner, Dresdener und Wiener Vortrag hat Fr. Nicolai in seiner » Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz« ge- geben, die hier aus Raumrücksichten fortfallen muß. (Bd. IV, S. 542f.)

Taktschlagen und Doppeldirektion im ^ 8. Jahrhundert. 209

Auch das berühmteste Orchester des 18. Jahrhunderts, das Mann- heimer, verdankte sein Ensemblespiel und seine Tüchtigkeit einer einheitlichen, künstlerischen Erziehung durch die Konzertmeister. Joh. Stamitz und Christ. Cannabich waren die Bildner des Or- chesters, in dem sich mehr Solisten und Komponisten befanden als »in irgend einem andern Orchester in Europa«1. Der Erfolg dieser Schulung war ein Spiel, das alle Musiker und Zeitgenossen in eine wahre kritiklose Begeisterung brachte2. Wie die Berliner Musiker den Gesangsvortrag zur Hauptstärke ihres Spiels gemacht hatten, so hatten auch die Mannheimer ihre Spezialität: den Crescendo- und Decrescendovortrag. Junker sagt, wo Canna- bich mit seinen Musikern spielt, »da muß die Empfindung der Spielenden bis auf einen Punkt gestimmt seyn; da wird jedes Colorit, einstimmig, im Fortgang abgeändert; da wird Schatten und Licht durch einseitig-gleichzeitige Empfindung, präziß und klug, durchs Forte und piano ausgetheilt ; da müssen mittel- mäßige Stücke, durch die Zauberkraft der Spieler .. . bezaubern«3. Auch Beichardt nennt das Spiel, namentlich die Crescendomanier, geradezu »meisterhaft«4, und Schubart meint sogar, das Forte des Orchesters sei ein Donner, sein Crescendo ein Katarakt, sein Diminuendo »ein in die Ferne hin plätschernder Krystall- fluß, sein Piano ein Frühlingshauch«; nirgends werde Licht und Schatten besser markiert, nirgends die halben, mittel- und ganzen Tinten fühlbarer ausgedrückt, der Töne Gang und Verhalt dem Hörer »so einschneidend gemacht« und die Charaktere des Har- moniestroms in seiner höchsten Höhe allwirkender vorgetragen als in Mannheim5. Diese Vortragskunst verdankte das Orchester Johann Stamitz und seinem großen Nachfolger Christ. Canna- bich, der nach Schubart alle jene Zaubereien des Orchesterspiels erfand, die ganz Europa bewunderte6.

Solche Leistungen, wie sie von den Kapellen in Dresden, Berlin und Mannheim gerühmt werden, konnten nur durch die Tüchtigkeit der Konzertmeister erreicht werden. Der Violin- direktor mußte selbst ein tüchtiger Virtuose sein, alle musika-

1 Burney, Tagebuch II, S. 73.

2 Diese z. T. oft wiederholten Nachrichten gibt am besten Mennicke, Hasse und die Brüder Graun, S. 317 f.

3 Junker, Zwanzig Componisten, 1776, S. 22/23. * Briefe eines aufm. Reisenden I, S. 11.

6 Ges. Schriften V, S. 138, und I, S. 153. 6 Ges. Schriften V, S. 145.

Kl. Hr.dK der Musikgesch. X. 14

210 Fünftes Kapitel.

lischen Stile und Spielarten, alle Manieren und Schönheiten des freien Vortrags studiert haben und seine Schule im Orchester einzuführen verstehen. Bei der Aufführung leitete er dann die Musiker durch sein Vorspiel, das durchdringend und exakt sein sollte. Der Konzertmeister muß sich, wie Reichardt sagt, auf sein Instrument verlassen können, das an Stärke alle anderen überragen soll, er muß einen Arm haben, »der mehr gilt, als die übrigen, das heißt, er muß bey einem deutlichen und kräftigen Vortrage alle Vortheile seinem Instrumente und sich selbst ab- lernen, wodurch er seinen Ton, so viel als möglich, verstärken und durchdringend machen kann«1.

Bei der Ausbildung des Orchestervortrags war die Einstudie- rung des Streichquartetts die erste Pflicht des Konzertmeisters. Man verlangte von jedem Musiker einen schönen vollen Ton und Fertigkeit und Sicherheit in der Fingersetzung2. Von großer Be- deutung war auch die Bogenführung. Nicht Willkür bestimmte die Wahl von geschleiften oder gestoßenen Noten, sondern die Angabe des Komponisten oder, wo diese fehlte, die allgemein übliche Praxis und die Einsicht in den Affekt des jeweiligen Tonstücks. Ein Allegretto oder Allegro non presto wurde »ernsthafter, und mit einem zwar etwas schweren, doch muntern und mit ziem- licher Kraft versehenen Bogenstriche« ausgeführt, während ein Sostenuto mit langem und schwerem Strich vorgetragen wurde. Das gleiche hatten die Bratschisten zu beachten, die ebenso tüch- tige Spieler wie die zweiten Geiger sein mußten, und die auch etwas Harmoniekenntnis besitzen sollten. Sie mußten aus ihrer Stimme beurteilen können, welche Noten »sangbar oder trocken, stark oder schwach, mit einem langen oder kurzen Bogen« ge- spielt wurden; sie hatten nach der Natur des Tonstücks und dem herrschenden Affekt ihren Vortrag einzurichten. Bei den Cellisten mußte darauf gesehen werden, daß sie ihren Part nicht mit Ver- zierungen verbrämten. Dadurch würde, wie Quantz sagt, nur Schaden angerichtet. Wer gute theoretische Kenntnisse besaß, durfte an wenigen passenden Stellen Zusätze einfügen. Sonst hatte der Cellist einfach zu spielen und sich mit seiner Bogen- führung nach der Natur und dem Gehalt des Tonstücks zu richten.

1 Briefe eines aufm. Reisenden I, S. 39.

2 Die folgende Darstellung über die Ripienisten beruht, wenn keine anderen Quellen gegeben sind, auf Quantz, Von den Pflichten derer, welche accompag- niren, a. a. 0. Hauptstück XVII.

Taktschlagen und Doppeldirektion im i 8. Jahrhundert. 211

Größere Schwierigkeiten bot bei der Ausarbeitung eines Musik- stücks und bei der Ausbildung der Musiker die Dynamik. Vom Komponisten wurden die verschiedenen Stärkegrade nur in breiten Flächen vorgeschrieben : durch Einzeichnung von Vortragszeichen, wie f ff p pp mf piü f u. ähnl., durch Angabe von Solo und Tutti jenes wurde von den Konzertisten, dies von den Ripienisten gespielt oder durch Bemerkungen, daß man an dieser oder jener Stelle von der allgemein gültigen Praxis ab- weichen und die vorgeschriebene Dynamik anwenden sollte. Solche Vorzeichnungen sind aber in Partitur und Stimmen spär- lich gesät. Die nähere Ausarbeitung blieb dem Dirigenten und in den Solopartien dem Solisten überlassen. Das erklärt sich einmal aus der großen Freiheit in der gesamten Musikübung des 18. Jahrhunderts und dann auch aus der Tatsache, daß die Kom- ponisten meist die Dirigenten ihrer Werke waren.

Feste Regeln für die Anwendung des forte und piano kann man nach Em. Bach nicht aufstellen, »weil auch die besten Regeln eben so viel Ausnahmen leiden als sie fest setzen«1. Die Wirkung von Schatten und Licht hing allein von den musikalischen Gedanken und ihrer Verbindung ab. Wiederholte Motive, sie mochten notengetreu oder in veränderter Harmonie erscheinen, wurden durch forte und piano unterschieden2, ein Gesetz, das für alle Musikstücke galt. Die ältere Musik rechnet mit diesen Echo- effekten. Mag eine Bachsche Kantateneinleitung oder ein Solo von Vivaldi oder Quantz vorliegen, stets sind Themen und Ge- dankenwiederholungen dynamisch zu schattieren. Türk sagt in seiner Klavierschule: »Wird ein Gedanke wiederholt, so pflegt man ihn zum zweytenmal schwach vorzutragen, wenn er nämlich vorher stark gespielt wurde. Im entgegen gesetzten Falle trägt man auch wohl eine wiederholte Stelle stärker vor, besonders wenn sie der Komponist durch Zusätze lebhafter gemacht hat. Über- haupt müssen sogar einzelne Töne von Bedeutung nachdrück- licher angegeben werden als die übrigen3.« Das Thema erforderte eine starke Hervorhebung, um seinen Eintritt deutlich zu machen, ebenso wurde ein besonderer Schwung der musikalischen Gedan- ken stark vorgetragen4. Einen weiteren Anhalt zur Bestimmung

i A.a.O. I, III, §29.

2 Em. Bach, ebenda.

3 A. a. 0. S. 350.

* Quantz, a.a.O. XVII, VI, § 10, und Bach, a. a. 0. I, III, §29.

14*

212

Fünftes Kapitel.

der Dynamik gaben die Harmonien. Alle Töne außerhalb der Leiter, Konsonanzen oder Dissonanzen, vertragen nach Em. Bach ein forte, während die leiter eigenen schwach zu spielen sind1. Die Dissonanzen wurden als das treibende, leidenschaftliche Ele- ment der Musik durch starkes Betonen herausgestellt. Quantz unterscheidet drei Klassen von Dissonanzen, die mf, f und ff zu spielen sind2; in die erste, mezzo forte- Klasse gehören Sekunde mit Quarte, Quinte mit großer Sexte, große Sexte mit kleiner Terz, kleine Septime mit kleiner Terz und die große Septime. Die forte- Klasse bilden: Sekunde mit übermäßiger Quarte, und verminderte Quinte mit kleiner Sexte. Zur fortissimo-Klasse ge- hören: übermäßige Sekunde oder kleine Terz mit übermäßiger Quarte, verminderte Quinte mit großer Sexte, übermäßige Sexte, verminderte Septime, große Septime mit Secunde und Quarte. Quantz gibt für die Anwendung der dynamischen Abstufungen folgendes Beispiel:

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i A. a. 0. I, III, § 29. ~ A. a. O. XVII, VI, §14.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 213

Durch diesen Vortrag sollten auf dem Klavier die Singstimme und jene Instrumente nachgeahmt werden, die » das Wachsen und Verlieren des Tones« in ihrer Gewalt haben1. Uns mutet die Quantzsche Periodisierung etwas gezwungen an, doch gilt das Beispiel nur als Muster, wie man dynamische Akzente anwenden kann; schon Bach schreibt, daß die Art, »alle Augenblicke Schatten und Licht anzubringen, verwerflich ist, weil sie statt der Deut- lichkeit eine Dunckelheit hervor bringet, und statt des Frappanten zuletzt etwas gewöhnliches wird«2. Trotzdem wurde häufig mit diesem Kontrastieren gerechnet. Ein Hauptbeispiel ist dafür das Larghetto aus Reutters »Servizio di Tavola«, wo piano- und forte-Effekte beständig abwechseln3.

Dies dynamische Schattieren in breiten Flächen und scharf geschnittenen Winkeln schloß ein feineres Nuancieren, ein allmäh- liches Übergehen vom piano zum forte und umgekehrt nicht aus. Man übte im 18. Jahrhundert ebenso wie in den vorangehenden Epochen das An- und Abschwellen eines Tones, einer Harmonie oder einer ganzen Stelle. Für das 17. Jahrhundert waren schon im vorigen Kapitel Beispiele aus Caccinis und Mazzocchis Werken angeführt, die den Gebrauch des messa di voce verbürgen. Im 18. Jahrhundert gibt es viele Hinweise auf diese Kunst in Gesangs- werken und in den der Gesangschule folgenden Instrumental- werken. Berühmt ist Tartinis Brief an Magdalena Lombardini, der das An- und Abschwellen als Grundlage der Tonbildungslehre nimmt4. Geminiani bringt für diesen Effekt ähnlich wie Mazzoc- chi Vortragszeichen in der Form von Akzentstrichen, die er, wie Riemann nachweist5, bereits im Jahre 1739 angewandt hat. Die Zeichen Geminianis haben sich nicht durchgesetzt; man wollte auch hier den freien Vortrag nicht einengen und das Notenbild durch neue Zeichen nicht unübersichtlich machen. Ein kundiger, erfahrener Musiker wußte auch ohne ausführlichen Wegweiser den rechten Weg zu finden. Nach Em. Bach galt als Regel des guten Vortrags, daß jeder langgehaltene Ton mit einem pianissimo anfangen, bis auf ein fortissimo allmählich anwachsen und dann wieder nach und nach bis auf ein pianissimo abnehmen solle6.

i Quantz, a. a. O. XVII, VI, §14.

2 A.a.O. I, III, §29.

3 Denkm. der Tonkunst in Österreich, XV. Jahrg., 2. Teil, S. 6 f.

* Abgedruckt in H i 1 1 e r s Lebensbeschreibungen, S. 279. « Zeitschrift der I. M.-G., Jahrg. X, 1909, S. 137.

A. a. O. II, 29, §13.

214 Fünftes Kapitel.

Auch Quantz sagt, man müsse im Akkompagnement, wenn der Konzertist im Adagio den Ton bald verstärkt, bald mäßigt, und so »durch Schatten und Licht« mit den Affekten spielt, dem So- listen nachgeben und mit ihm zugleich die Töne »verstärken und mäßigen«1.

Daß dies An- und Abschwellen nicht auf einzelne gehaltene Töne beschränkt blieb, zeigen Quantzens Worte und die Lehren der Theoretiker. Oder soll man glauben, daß das piü forte oder men forte (moins fort)2, das piü piano und das ppp, das bereits Mylius im Jahre 1686 nennt3, im Sinne einer Register- dynamik4 gebraucht wurden? Es ist doch im Orchester wie im Gesang unmöglich, ohne Crescendieren oder Decrescendieren die vielfachen Abstufungen des forte und piano auszudrücken. Die Musikschriftsteller erklären eine große Reihe von Stärkegraden, die die Crescendomanier geradezu voraussetzen, forte, piü forte, (ff), fortissimo (fff6), das piano, pianissimo (pp, ppp), das piü piano, mezzo piano6, das rinforzando. Auch die Steigerungen p— poco f— p (bei Hasse)7 oder f— mezzo piano— piano (Händel)8 lassen kaum etwas anderes annehmen als ein Crescendieren und Decrescendieren. Man schrieb eben nur die notwendigsten Zeichen vor, »damit nicht ganz grobe Unschiklichkeiten begangen« würden, wie J. A. P. Schulz sagt9. Dem Sänger wurden über- haupt selten dynamische Vortragszeichen angegeben, da man von ihm verlangte, daß er den Grad der Stärke und Schwäche aus den Worten und der darübergelegten Melodie erkannte10.

Man braucht aber bei dieser Frage nicht bei Wahrscheinlich- keitsgründen stehen zu bleiben. Wir haben Nachrichten, die klar genug vom Crescendo sprechen, und die beweisen, daß man

i A.a.O. XVII, VII, §25.

2 Brossard, Dictionaire 1705.

3 Rudimenta musices, S. 42.

4 Vgl. Alf r. H e u s s' Aufsatz: Über die Dynamik der Mannheimer-Schule ( R iemann-Festschrif t) .

6 Vgl. Walthers Lexikon und Brossard, a.a.O.

6 Fuhrmann, Mus. Trichter S. 79: Mezzo piano bedeutet »ein wenig sachte«. Janowka, Clavis ad thes. (1701): »Mezo-piano; est idem quod semi- piano, seu semi-paulatim.«

7 Vgl. Men nicke, a.a.O. S. 320f., und Herrn. Abert, Jommelli, Halle, 1908 S. 146f.

» Fritz Vollbach (Praxis der Händelaufführung, S. 9, lOf.) stellt die hierher gehörigen Partien bei Händel zusammen. 9 Sulzers Allgem. Theorie. Art. »Vortrag«. 10 Sulzer, ebenda.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 215

neben der Echomanier mit einem allmählichen Anwachsen und Abnehmen der Klangstärke rechnete. Am ausführlichsten ist eine Stelle in Mylius' »Rudimenta musices« vom Jahre 1686, die bisher ganz übersehen worden ist. Es heißt da: »Was ist Piano und Forte? Piano, piü piano, heist sanfft / gantz sanfft / und zeigen an / daß man daselbst / wo bey einer Stimme das p. oder pp. ppp. zu finden / seine Stimme mäßigen / und mit zurück gehaltener Stimme singen müsse / dieses gebrauchet man in gantzen und halben Tacten / darauf gemeiniglich das forte folget /welches man mit diesen Wechselweise anbringet. Forte heist starck und frisch / anzeigend / daß / wo bey einer Nota das f zu finden / man munter / frisch und hertzhafftig daselbst singe. Doch ist bey beyden zu mereken / daß man nicht so plötzlich aus dem piano ins forte falle / sondern allmählig die Stimme stäreken/und auch wieder fallen lassen solle/ daß daher das piano voran / forte in der Mitten/ und wieder mit dem piano, bey denenNoten, wo man solche brauchet / geschlossen werden müsse1.«

Der Wechsel zwischen forte und piano konnte also durch dyna- mische Übergänge vermittelt werden. Doch wurde das Decrescendo nach dem forte nur bei einer folgenden piano-Stelle, »wo man solche brauchet«, angebracht, d. h. ein Crescendo zum forte hin ohne ein folgendes Abschwellen war ebensogut möglich. Daraus geht hervor, daß die dynamischen Abstufungen nicht ruckweise gespielt werden, und daß das Übergangscrescendo schon im 17. Jahrhundert durchaus dem Echoprinzip gleichgestellt und auch gleichberechtigt war.

Gewiß denkt Mylius an den Gesangsvortrag, wo eine feinere dynamische Nuancierung durch den Text von vornherein ge- geben ist. Was aber für den Solo- und Chorgesang gilt, ist ebenso für Kantate, Oper und Instrumentalkonzert maßgebend. Bei einem begleiteten Chorwerk wird kein Dirigent die Instrumenta- listen gleichmäßig forte oder piano spielen lassen, sobald die Sing- stimmen ein Crescendo bringen. Wenn der Konzertist bei einer »langen Aushaltung« den Ton an- und abschwellen läßt, so muß der Akkompagnist, wie Em. Bach sagt2, die Klangstärke mit wachsen und fallen lassen, »nicht mehr, nicht weniger« als der Solist. Das Orchestercrescendo ergibt sich ebenso wie das

i A.a.O. S. 42 f.

2 A.a.O. II, 29, §13.

216 Fünftes Kapitel.

messa di voce der Instrumente aus der Nachahmung des gesang- lichen Vortrags.

Neuerdings hat man sich mit dem Ursprung des Orchester- crescendo, das von einigen Zeitgenossen der Mannheimer Schule zugesprochen wird1, eingehend beschäftigt, und die Nachrichten, die Burney, Vogler, Schubart u. a. geben, nachgeprüft. Karl Mennicke, der die gesamte einschlägige Literatur berücksichtigt, ist der Ansicht, daß Jommelli, der zuerst die Vorschrift crescendo il forte anwendet, und die Mannheimer eine gemeinsame Quelle für ihren Effekt haben müssen2. Allerdings war über diese Quelle bisher nichts zu erfahren. Hermann Abert kommt deshalb zu dem Schluß, daß Jommelli, der das crescendo il forte in den Opern Eumene (1747) und Artaserse (1749) zum ersten Male gebraucht, auch als Erfinder der Crescendovorschrift anzusehen ist, was die Ausführungen Voglers und Schubarts bestätigen würde3. Bei diesen Untersuchungen hat man eine Nachricht aus dem Jahre 1711 übersehen, die klar und deutlich die bekannte Cre- scendomanier eine Spezialität der römischen Konzerte nennt. Sie steht in Scipione Maffeis Beschreibung des von Cristofori erfundenen Pianoforte und lautet in der Königschen Übersetzung: »Es ist jedem Kenner bewust, daß in der Music das Schwache und Starcke, gleich wie Licht und Schatten in der Mahlerey, die vor- nehmste Quelle sey, woraus die Kunsterfahrne das Geheimniß gezogen, ihre Zuhörer ganz besonders zu ergötzen. Es sey nun in einem Vor- oder Nach-Satz oder in einem künstlichen Zu- oder Ab- nehmen, da man nach und nach die Stimme vergehen, und hernach mit einem starcken Geräusche auff einmahl wiederkommen lasset; welches Kunst- Stück bey den grossen Concerten in Rom, häuffig im Gebrauch ist, und denjenigen, die einen rechten Ge- schmack von der Vollkommenheit dieser Kunst be- sitzen, ein gantz unglaubliches und verwundersames Ergötzen schencket4. « Diese Crescendomanier wurde in den

i Burney, Tagebuch II, S. 74 ; s. M e n n i c k e a. a. O. S. 317 f.

2 A. a. O. S. 317f.

3 Abert, Jommelli S. 215 f. u. S. 446.

4 Nuova invenzione d'un Gravecembalo col piano, e forte; aggiunte alcune considerazioni sopra gli strumenti musicali (Giornale de' Letterati d'Italia. Tom. V, Venezia 1711, p. 144): »Egli e noto a chiunque gode della musica, che uno de' principali fonti, da' quali traggano i periti di quest' arte il segreto di singolarmente dilettar chi ascolta, e il piano, e '1 forte; o sia nelle proposte,

Taktschlagen und Doppeldirektion im 4 8. Jahrhundert. 217

römischen Konzerten noch in den vierziger Jahren fleißig geübt wie Charles de Brosses in seinen römischen Reisebriefen aus dem Jahre 1740 bestätigt. Er erzählt da von der außerordentlichen Geschicklichkeit der römischen Musiker im Akkompagnement und fährt dann fort: »Ils ont une methode d'accompagner que nous n'entendons pas, qu'il nous serait facile d'introduire dans notre execution, et qui releve infiniment le prix de leur musique; c'est l'art de l'augmentation ou de la diminution du son, que je pourrais appeler l'art des nuances et du clair-obscur. Ceci se pratique, soit insensiblement par degres, soit tout ä coup. Outre le fort et le doux, le tres-fort et le tres-doux, ils prati- quent encore un mezzo piano et un mezzo forte plus ou moins appuye. Ce sont des reflets, des demi-teintes qui mettent un agrement incroyable dans le coloris du son. . . . Quelquefois l'or- chestre accompagnant piano, tous les instruments se mettent ä forcer ä la fois pendant une note ou deux, et ä couvrir entiere- ment la voix, puis ils retombent subitement dans la sourdine: c'est un effet excellent1.«

Nach diesen Nachrichten war der Crescendovortrag in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Berühmtheit der römischen Musikaufführungen. In den angeführten Stellen wird nichts von der Erfindung dieses Effekts gesagt. Wenn hier wirklich etwas Neues, noch nie Gehörtes vorgelegen hätte, wären die Musik- schriftsteller sicherlich darauf eingegangen. Die römischen Mu- siker hatten eben aus der bekannten Crescendomanier lediglich eine Spezialität gemacht, die von Zuhörern und Reisenden nach Gebühr bewundert wurde. Durch Jommelli, der sich den Cres- cendoeffekt in Rom angeeignet hat, kam die Vortragsmethode nach Stuttgart. Er wurde in Deutschland der Vertreter der römischen Crescendomanier, die vielleicht schon in der italienischen Schule, sicherlich aber bei Jommelli und den Mannheimern oft mit einem Kompositionseffekt Hinauftragen eines Motivs oder sequenzenmäßiger Aufbau einer Periode verbunden war2.

« risposte.o sia quando con artifiziosadegradazione lasciandosi a poco a poco mancar la voce, si ripiglia poi ad un tratto strepitosamente: il quäle artifizio ö usato frequente- m e n t e , ed a maraviglia ne' gran concerti di Roma con dilettc- incredibile di chi gusta la perfezione dell' arte.« Die Übersetzung Königs steht in Matthesons Criticae musicae Tom. II, S. 335.

1 Lettres familieres II, S. 379/80.

2 Vgl. Abert, a. a. 0. S. 216f.

218 Fünftes Kapitel.

Aus Italien oder auch von Jommelli her werden die Mannheimer ihre berühmten Effekte bekommen haben. Sie wurden in Deutsch- land die Hauptpioniere des Orchestercrescendos.

Charles de Brosses meint, in Frankreich könne man eine ähn- liche dynamische Nuancierung wie die römische nicht hören. Das mag für die dreißiger Jahre zutreffen, wird sich aber für die frühere Zeit kaum beweisen lassen. In Frankreich kam man sogar schon sehr früh zu einer Erfindung von Vortragszeichen für den Crescendo- und Decrescendovortrag. Rameau gebraucht in der gedruckten Partitur von »Acante et Cephise«1 (1751) bereits die Zeichen f^^ und ^^^\ . Er setzt sie zu den einzelnen Noten, um Ab- und Anschwellen des Tones zu bezeichnen. In der Partitur sind die Zeichen nicht weiter erläutert, sie sind also den Musikern bekannt gewesen, denn man führt keine neuen Zeichen ein, ohne sie zu erklären. La gar de (1758) bezeichnet die Figuren mit den Worten »Diminues« und »en augmentant«2. Von deut- schen Musikern hören wir denn auch, daß unsere heutigen Zeichen aus der französischen Musikübung stammen. Löhlein sagt in seiner »Anweisung zum Violinspielen«: »Die Franzosen drücken cresc. mit diesem ^>^\, decresc. mit diesem Zeichen f^»^ , beydes mit -«Cd^5'' aus«3. Und Kalkbrenner meint in der »Theorie der Tonkunst«: »Die französischen Tonsetzer haben in den letzten 20 Jahren ein Zeichen erfunden, welches zugleich das crescendo und das diminuendo sehr gut bezeichnet, und deswegen von den mehre- sten Tonsetzern Deutschlands ist angenommen worden; es ist dieses -«cCC^-*^- Dieses Zeichen wird auch sehr oft bloa zur Hälfte gebraucht, nemlich <dj oder £>-. Das erstere ist das Zeichen des crescendo, und das zweite das Zeichen des diminuendo*. «

In der Datierung irrt Kalkbrenner, die Zeichen sind weit älter r aber seine Worte bestätigen die Ausführungen Löhleins. Durch die Mannheimer Musiker, durch Abt Vogler, der die Zeichen in der Form Rameaus setzt5, haben sich die französischen Figuren

1 Partitur, Paris, chez Pauteur, la Veuve Boivin et Leclerc, s. Ouvertüre Takt 15/16, und Akt III, S. 128.

2 Lagarde, Journal de musique, Paris 1758. S. 2, 5, 6, 10 usw. Exem- plar in der Bibliothek des Herrn Dr. Werner Wolffheim in Berlin.

3 A. a. O. 2. Aufl. 1781, S. HO.

4 A.a.O. 1789, S.U.

6 S. Voglers Betrachtungen der Mannheimer Tonschule, Beispielband, IX.— XII. Lieferung, S. 2, 7, 10, 11; III. Lief. Tab. XIX; I, Lief. Tab. II usw.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 219

in Deutschland eingebürgert. Schubart nennt allerdings den Ber- liner Kapellmeister J. Friedr. Reichardt als den Musiker, der mit den Crescendozeichen den Anfang gemacht habe1, doch zeigt er sich hier schlecht unterrichtet. Reichardt hat die Notierung lediglich übernommen2.

Die Mannheimer sind demnach bei der Einführung dieser Zeichen Nachahmer gewesen; ja die Nachrichten über die französischen Cre- scendofiguren lassen vermuten, daß der vielgerühmte Mannheimer Vortrag auch von Frankreich her beeinflußt worden ist. Ohne Frage liegt aber in der Crescendomanier eine alte Ausdrucksform vor, die im 17. Jahrhundert ebenso bekannt war wie in der Vor- zeit der Mannheimer.

Unser Umblick wird gezeigt haben, daß die alte Zeit nicht nur mit dem Prinzip der Echomanier, sondern auch mit einem allmählichen Übergehen zum forte und piano hin rechnet. Wer diesen Effekt erst von Jommelli datieren will, nimmt der ge- samten Musik der Renaissance und der Bach-Händelzeit ihren tondichterischen Ausdruck. Der Unterschied zwischen alter Zeit und Mannheim ist allein der, daß man eine bekannte Vortragsart mit neuen kompositorischen Effekten ausstattete und durch ein glänzendes Ensemblespiel zu einer Berühmtheit machte, und daß man die selbstverständlichen Ausdrucksformen der alten Zeit von den fünfziger Jahren an mit neuen Zeichen und Vorschriften ver- sah3. Diese beschränkten in der Dynamik die Zeit der freien Vortragskunst, so daß dem Dirigenten die dynamische Ausarbeitung eines Satzes wesentlich erleichtert war. Er hielt sich an die Vor- schriften des Komponisten, die ihm bei der Einstudierung und Direktion die Hauptrichtung wiesen.

Ebenso wichtig wie die Erreichung einer sinngemäßen , wirkungs- vollen Dynamik waren bei einer Musikaufführung die Tempobe- stimmung eines Musikstücks und die Tempoführung. Mattheson nennt es »die Hauptverrichtung des Regierers einer Musik bey

1 Ges. Schriften I, S. 273.

2 Vgl. Reichardt, Über die Pflichten des Ripien-Violinisten, S. 65 f.

3 Eine Erklärung der Crescendovorschrift finde ich in der theoretischen Literatur zuerst in Marpurgs Kritischen Briefen (CXXXI. Brief, S. 19, 1763). Von den achtziger Jahren an steht eine Definition des crescendo fast in jedem größeren Lehrbuch der Musik; s. Klein, Versuch eines Lehrbuchs, 1783, S. 43, Georg Fr. W o 1 f , Unterricht in d. Singekunst 1784, S. 93, ders., Unterr. im Klavierspielen, 1784, S. 82, Wolfs Lexikon 1787, Art. »Crescendo«; Musikal. H andwörterbuch, Weimar 1786, Art. »Crescendo« usw. Vgl. auch Ernst Wilhelm Wolf, Auch eine Reise, 1784, S. 27.

220 Fünftes Kapitel.

deren Bewerckstelligung«; sie erfordere eine »scharffe Urtheils- Krafft«, da man bei der Aufführung »fremder Gedancken Sinn und Meinung« recht treffen solle1. Die Kapellmeister des 18. Jahr- hunderts folgten hier den gleichen Grundsätzen wie die Renais- sancemusiker. Während diese aber auf Einzelheiten nur selten eingehen und sich mit einem Hinweis auf die Affektendirektion begnügen, finden wir bei den Theoretikern des 18. Jahrhunderts viele ausführliche Nachrichten, die sich zu einem Gesamtbild einen. Die Grundzüge ihrer Lehre lassen sich in drei Abschnitte gliedern, in die Tempobestimmung nach dem Notenbild, in die Tempovorschriften und die Tempomodifikation, die wir im Zu- sammenhang behandeln wollen.

Den sichersten Anhalt für die Tempobestimmung bringt das Notenbild durch die vorgezeichnete und durchgeführte Taktart. Je nachdem große Notenwerte, Ganze und Halbe, oder kleinere, Viertel und Sechzehntel, in der Notierung vorherrschen, wird ein langsameres oder schnelleres Tempo festgelegt. Ein 3/1-Takt geht »gravitätisch«, ein 3/2 »ein wenig munterer und freudiger«, ein 3 /4 »gehet hurtig«, ein 3/8 »gantz geschwinde«, ein 9/8 »hüpffet gar«, wie Fuhrmann sagt2. Aus der vorgezeichneten Taktart er- kennt man, » ob der Gesang langsamb / mittelmässig / oder ge- schwind und hurtig gehen solle«3, denn jede Taktart hat ihre eigene natürliche Bewegung4. Nach Lambert hat der C-Takt ein langsames Tempo, der ([ -Takt geht noch einmal so schnell, der 2-Takt ist noch schneller als der -Takt, der 4/8 wieder schneller als der 2-Takt u. s. f.5 Der schon früher zitierte Demotz, der in seiner »Methode de musique« so gern systematisiert, gibt auch für diese Theorie eine summarische Übersicht, die sich etwa so zusammenfassen läßt:

2/4 se bat ä 2 Tems legers

vites

tres-vites

plus ou moins graves selon le Garactere des Airs

legers

vites

i Vollkomm. Capellm. III, 26, §13 u. 34.

2 Music. Trichter, S. 48.

s Samber, Manuductio, S. 13.

4 S u 1 z e r s Allg. Theorie, Art. »Tact«.

« A. a. O. S. 23.

4/8

»

»

ä 2

»

4/l6

»

»

ä 2

»

6/4

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»

ä 2

»

6/8

»

»

ä 2

»

6/l6

»

»

ä 2

»

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 221

3/2 se bat ä 3 Tems graves

U

16

» ordinairement ä trois Tems legers

» ä 3 Tems vites

» ä 3 » tres-vites etc.1 Auch hier ist das gleiche Prinzip wie im 17. Jahrhundert be- achtet: die in den verschiedenen Taktarten herrschenden Noten- werte geben den Anhalt zur Tempobestimmung. Das Gesetz hat für die gesamte Literatur Geltung2, besonders für Kompo- sitionen, die keine nähere Tempovorschrift aufweisen, wie die Mehrzahl der Sing- und Chorwerke des 17. Jahrhunderts. Wollte man die Bewegung näher charakterisieren, oder sollte das ge- gebene Gesetz modifiziert werden, so wurde das Tempo durch die Worte Tardo, Allegro, Adagio usw. angegeben. Sie wurden schon in der Renaissancezeit gebraucht, in einer Epoche, wo der integer valor notarum, das absolute Zeitmaß der Noten- dauer, verloren geht. Dabei ist aber charakteristisch, daß man die Tempovorschriften am häufigsten bei der Instrumentalmusik findet. So bringt Marini in den »Madrigali et Symfonie« vom Jahre 1618 in den Singstücken keine Tempovorschriften, während er bei den Instrumentalsätzen »Tardo« und »Presto« vorschreibt3. Auch die in den Denkmälerbänden im Neudruck vorliegenden Werke des 17. Jahrhunderts zeigen das gleiche Prinzip: Instru- mentalstücke werden mit Tempovorschriften, Vokalsätze oft ohne nähere Angabe notiert. Bei diesen gibt der Text neben dem Notenbild den festen Anhalt zur Zeitmaßbestimmung.

Die Tempovorschriften: Allegro, Adagio usw., die von den Theoretikern in drei, vier, fünf oder sechs Klassen gruppiert werden4, heben das Gesetz von Notenbild und Tempobestimmung nicht auf. Die Vorschrift Adagio beim 4/4- und 3/2-Takt, Allegro beim 3/4, Presto beim 3/8-Takt ist bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts das Reguläre. Diese doppelte Zeitmaßangabe durch Notenwert und Wortvorschrift läßt sich allerdings kaum verstehen, wenn die Angaben Adagio, Allegro und Andante wirklich nichts weiter be- deuteten als etwa: langsam, munter und gehend, zumal da sie zu

i A.a.O. S. 161 f.

2 Vgl. L o u 1 i 6 s Lehre vom Taktschlagen (s. o. S. 127 f.), Janowka, Ciavis ad thes., Art. »Tactus«, Marpurg, Critisch. Musicus an. d. Spree, S. 23, Sulzer, a. a. O., Scheibe, Über die mus. Composition, S. 204 f. u. v. a.

3 Ich urteile nach der Baßstimme.

4 S.Rousseau, Dictionnaire, Art. »Mouvement«; Demotz, a. a. O. S. 149, und Türks Zusammenfassung in der Klavierschule, S. 110 u.a.

222 Fünftes Kapitel.

Instrumentalstücken ohne nähere Charakterbezeichnang gesetzt werden. Man muß den Sinn der Worte weiter fassen: als Cha- rakterbezeichnung eines Tonstücks und als Anweisung zum musi- kalischen Vortrag. Daß diese Deutung für die Praxis des 18. Jahr- hunderts zutrifft, beweisen Quantzens Worte über die Ausführung der Adagio- und Allegrosätze: »Im Allegro, und allen dahin ge- hörigen muntern Stücken muß Lebhaftigkeit; im Adagio, und denen ihm gleichenden Stücken aber, Zärtlichkeit, und ein angenehmes Ziehen oder Tragen der Stimme herrschen1.« Mattheson erklärt die Worte als Charakterbezeichnungen: das Adagio zeigt die »Betrübniß« an, ein »Lamento den Schmertz; ein lento die Er- leichterung; ein Andante die Hoffnung; ... ein allegro den Trost; ein presto die Begierde etc.«2. Ähnlich beschreibt Löhlein die italienischen Worte: Eine mäßige Freude wird durch Vivace, Allegro ausgedrückt; eine Freude, die mehr Ausgelassenheit hat, durch Allegro assai, Allegro di molto, Presto; eine ausschweifende Freude durch Prestissimo; eine wütende Ausgelassenheit durch Allegro furioso; die Gelassenheit durch Andante, Andantino oder poco Andante, Larghetto; die Traurigkeit durch Mesto, Adagio, Largo, Lento, Grave3. Die italienischen Worte sind also nicht allein Tempo- und Vortragsvorschriften4, sondern auch musikalische Charakterbezeichnungen, sie kennzeichnen den einem Tonstück zugrunde liegenden Hauptaffekt.

Die Generalaffekte, auf die sich alle in einem Musikstück aus- gedrückten Leidenschaften zurückführen lassen, sind nach Ja- nowka und Spieß: Liebe, Leid, Freude, Zorn, Mitleid, Furcht, Frechheit [Mut, Entschlossenheit] und Verwunderung5. Dieser Affektengruppierung würden Andante, Adagio, Allegro, Pre- stissimo, Largo, Vivace, Presto, Allegro moderato ungefähr ent-

i A.a.O. XI, §15.

2 Kern melodischer Wissenschaft, 1737, S. 67.

3 Anweisung zum Violinspielen, 1781, S. 104.

* In Wolfs Lexikon findet man beide Erklärungen vereint: »Adagio bedeutet etwas mittelmäßig langsames, und wird den Tonstücken vorgesetzt, welche mit schmachtendem und zärtlichem Affect gespielt oder gesungen werden sollen. Ein solches Stück wird auch selbst ein Adagio genant.«

5 Janowka, Clavis ad thes., S. 2 : Primus amoris, Secundus luctüs seu planctüs. Tertius laetitiae et exultationis. Quartus furoris et indignationis. Quintus commiserationis et lachrymarum. Sextus Timoris et afflictionis. Sep- timus praesumptionis et audaciae. Octavus admirationis. Ad quos, si qui prae- terea sunt, omnes fere' revocari possunt. Vgl. Spieß, Tract. mus., Anhang, S. 1, »Affectus«.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 223

sprechen1. Wie die Affekte im Grunde genommen aus der Freude und Traurigkeit abgeleitet werden können, so gehen auch alle Gharakterbezeichnungen auf zwei Grundformen (Allegro und Adagio) zurück. Die italienischen Vorschriften bilden in der älteren Literatur das tondichterische Programm des Musikstücks. Sie sind Charakteristika der Hauptaffekte.

Sobald man die Worte Adagio, Allegro usw. nur als Tempovorschriften ansah, war das alte Gesetz der Zeitmaß- bestimmung nach dem Notenbild aufgehoben. Man konnte ein Stück in kurzen Notenwerten mit Adagio bezeichnen, ohne Miß- verständnisse befürchten zu müssen. Von der Mitte des 18. Jahr- hunderts ab wurde oft nach diesem Rezept verfahren. Ein frühes Beispiel dafür gibt bereits Meinrad Spieß. Er sagt, die Bei- spiele :

Tempus Binarium

Presto.

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Adagiö.

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Alla Breve. Alla Capella2.

seien in der Taktmessung sämtlich gleich. Bei dieser Notierung verliert die Taktvorzeichnung jeden Wert für die Zeitmaßbe- stimmung. Kalkbrenner zieht deshalb nur die Konsequenz aus dieser Notierungsweise, wenn er schreibt: »Der Takt hat . . keinen Bezug auf den langsamem oder geschwindern Gang eines Ton Stücks, sondern er bezeichnet nur, wie viel Noten einer gewissen Gattung im Umfange eines jeden Taktes müssen enthalten seyn3. « Es ist die moderne Erklärung des Gruppentakts, die keine Rücksicht auf das Gesetz der Notendauer kennt. Ohne Frage ist die alte

1 Die Aufstellung ist im Anschluß an Marpurgs Affektenlehre (Krit. Briefell, S. 273f.) gegeben, wo es u. a. heißt: ruhige und stille Liebe Melodien in mäßiger Bewegung; Traurigkeit Melodien in langsamer Bewegung; Freude erfordert eine geschwinde Bewegung; Zorn verlangt »geschwinde Tiraden auf- laufender Noten« und eine sehr heftige Bewegung; Mitleiden und Erbarmen geht in langsamer Bewegung bei »öfters einige Zeit liegen bleibendem Basse«; Furcht, Angst, Bangigkeit wird mit zitternden, abgebrochenen Tönen aus- gedrückt; Mut, Entschlossenheit, Unerschrockenheit leitet den Ausdruck von der Hoffnung und Liebe ab. Die Verwunderung fehlt bei Marpurg, sie ge- hört wohl mit in seine Klasse: Freundlichkeit, Gütigkeit, Wohlgewogenheit, Versöhnlichkeit, Eintracht, Dankbarkeit usw., die an den Ausdruck der Liebe anschließt.

2 Alla Capella bedeutet »auf Capell- oder Kirchenmusik- Art« (Musikalisches Handwörterbuch, Weimar 1786). Obiges Zitat nach Spieß, Tract. mus., S. 73.

3 Theorie der Tonk., S. 7.

224 Fünftes Kapitel.

Notierung übersichtlicher, verständlicher und logischer als die unsrige, doch wird sich ein Zurückgreifen auf die ältere Schreib- weise wohl erst durchführen lassen, wenn unsere Musiker sich daran gewöhnen, die Notierung ihrer Werke ebenso sorgfältig auszuarbeiten wie die Vortragsbezeichnung.

Die Frage, welche Zeitdauer einem Allegro oder Adagio, einer Gavotte, Gigue, Ghaconne usw. zukommt, hat die Musiker schon frühzeitig beschäftigt. Prätorius berechnete die Taktdauer nach der Uhr1. Ähnlich machte es Joh. Ad. Scheibe. Er erzählt, er habe die Zeit, die seine Kompositionen bei der Aufführung be- anspruchen, nach der Uhr bestimmt und den Dirigenten, die seine Werke aufführten, vorher davon Mitteilung gemacht2. Diese Zeit- bestimmung hält Türk mit Recht für sehr unvollkommen3. Auch die Bestimmung der Tempi durch Schritte, die Lambert wieder aufgefrischt hat4, ist so unsicher, daß man daraus keine brauch- baren Resultate ableiten kann. Am genauesten ist Quantzens Berechnung der Zeitmaße nach dem Pulsschlag und die franzö- sische Tempobestimmung nach den Schwingungen eines Pendels.

Bei den Franzosen sind Etienne Loulie und Sauveur die ersten, die das Pendelgesetz zur Tempobestimmung ausnutzen5. Loulie konstruierte ein Chronometer, mit dem er alle Taktbewe- gungen leicht bestimmen konnte. Es ist ein einfaches Pendel, das nach einem genau eingeteilten Maßstab verkürzt oder verlängert werden kann. Loulie gibt eine Anweisung zum Gebrauch seines Chronometers, läßt sich aber auf eine genauere Tempobestimmung zeitgenössischer Kompositionen nicht ein. Ergiebiger sind hier

i S.o. S. in.

2 Über die mus. Composition, S. 299. Vgl. Löhlein, Clavier-Schule 1773, S. 5.

3 Klavierschule, S. 112 f.

4 A.a.O. S. 18 f.

6 Loulie" veröffentlichte seine Beschreibung eines Chronometers in den schon früher zitierten Elements ou Principes de Musique (1698), S. 96f. Nach Rousseau (Dictionnaire, Art. »Ghronometre«) hat Sauveur in den »Prin- cipes d'Acoustique« ein Chronometer beschrieben. Auch L'Affillard (Prin- cipes tres-faciles, 7. edit., S. 54/55) nennt von Sauveur ein Werk: »Principes nou- veaux pour apprendre ä Chanter« (Eitner unbekannt), das vom Pendelgesetz zur Tempobestimmung handelt. Ich finde das Chronometer bei Sauveur erst im Jahre 1701 erwähnt, in dem »Systeme göneral des intervalles des Sons et son Application ä tous les Systemes et ä tous les Instrumens de Musique«. (Hi- stoire de l'Acad^mie royale des Sciences, Jhrg. 1701. M^moires deMathömatiqu 9, S. 315.)

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert.

225

die Arbeiten von L'Affillard1, Choquet2 und Onzembray3, die Loulies Ideen weiterführen und praktisch verwerten. L'Affil- lard bringt eine Reihe von Musikstücken, bei denen er genau die Pendelschwingungen berechnet hat, ebenso Onzembray und Choquet. Ihre Beispiele, die ich an einem in der Manier Loulies konstruierten Pendel nachgeprüft habe, zeigen eine mit unserer Bestimmung übereinstimmende Bewegung. So lautet bei der Arie »J'abandonne ma gloire« aus Lullys Roland:

9%tt i > ? r

-•— £?-

$:

t=t

J'abandonne ma gloire et la lais-se ter-nir, Je cheris le trait

die Vorschrift Choquets, das Pendel müsse 1 Fuß 4 Zoll lang sein oder nach unserem Maß etwa 43,2 cm. Die Bewegung würde un- gefähr der Bestimmung M.M. (J.) = 72 entsprechen. Für das Lied:

I

*Mb—d-

*

i

Si des Ga-lants de la vil - le, J'eus-se e-cou-te les dis-cours

aus Rousseaus »Devin de Village« ist die Pendellänge auf 2 P\iß berechnet, was der Angabe M.M.(^) = 60 ungefähr gleichkommt. Die Pendellänge für das Tempo der »Rigaudons, Gavotes, Contre- Danses, et autres Simphonies« ist mit 8 Zoll (21,6 cm) angegeben, etwa M.M. (ä))- 116.

Verläßlicher als diese Angaben sind die von Onzembray, der auf einer Tafel die Taktdauer mehrerer charakteristischer Musik- stücke nach Sekundenteilen berechnet hat4. Man findet da an erster Stelle eine Anzahl Lullyscher Kompositionen. Für die Bourree aus der Oper »Phaeton« gibt er 64 tierces eine Sekunde enthält 60 tierces an, d. h. die Dauer des Einzeltaktes beträgt li/jg Sekunde oder:

1 A. a. 0. S. 54 f.

2 A.a.O. S. 116f.

3 Onzembray, Desription et usage d'un M6trometre, ou Machine pour battre les Mesures et les temps de toutes sortes d'Airs. Histoire de l'Acad£mie royale des Sciences, Jg. 1732, S. 182f. Onzembray schließt an Loulie an, dem wohl das Prioritätsrecht für die Tempobestimmung nach Pendelschwingungen zukommt.

4 A. a. O. S. 191. La [colomne] marque le nombre de tierces que la duröe de chaque mesure contient.

Kl. Handb. d. Mnsikgesch. X. 15

226

Fünftes Kapitel.

(M. m. gj= m.

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^r rir r n

-*—+ J. j> i—

1 « 0 . &z

was mit Choquets Gesamtangabe übereinstimmt. Folgende Stücke aus Lullys »Atis« und »Phaeton« hat Onzembray mit 126 und 68 tierces berechnet :

Entree des Songes funestes aus der Oper »Atis«. (M. M. J = 58.)

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P=S=

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Le Printemps et sa suite dansent (aus der Oper »Phaeton«^ (M. M. «)= 106.)

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J3*

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Unsere Metronomangabe müßte etwa J = 58 und J = 106 lauten. Die weiteren Berechnungen von Onzembray z. B. 2. Air des Songes funestes aus der Oper »Atis«: 64 tierces, Gavotte aus der Oper » Roland« 74 tierces; les Demons aus der Oper » Psiche«: 90 tierces, Passacaille aus »Persee«: 114 tierces u. a. bestätigen, was unsere Beispiele zeigen: man nahm die Tempi durchweg etwas lebhaft. Interessant sind in der Tafel noch die Angaben über die »Thetis«- Ouvertüre von Colasse, deren Beginn auf 112 und deren zweiter Teil auf 90 tierces geschätzt wird. Man könnte folgende Metronom- angaben aufstellen:

Colasse, »Thetis« -Ouvertüre. (M. M. «1=64.) ^

m^

■0- -ß-'-m-

t=n

ß-p-

A

£

U\^ ^rfü

t=f

pm

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert.

227

Mittelteil: (M. M. J. = 80.

•^

rtt

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f=Sfr

ft^S^

, 1 I I I

Dies Kontrastieren im Tempo gilt für alle französischen Ouvertüren. Auch Lully ließ nach Lamberts Zeugnis die Reprise in der » Armiden «- Ouvertüre, die gleichfalls im Sechsvierteltakt steht, sehr lebhaft spielen1. Bei wortgetreuer Satzwiederholung wurde stets die Wiederholung schneller genommen. »Geschähe dieses nicht«, sagt Quantz, »so würden die Zuhörer glauben, das Stück sey noch nicht zu Ende. Wird es aber in einem etwas geschwindern Tempo wiederholet, so bekömmt das Stück dadurch ein lebhafteres, und, so zu sagen, ein neues oder fremdes Ansehen; welches die Zuhörer in eine neue Aufmerksamkeit versetzet2.« Die Manier war nach Quantz bei guten und mittelmäßigen Spielern gebräuchlich und von guter Wirkung.

Unsere Metronomangaben französischer Sätze zeigen in den bewegten Stücken ein äußerst frisches Tempo. Darin stimmen auch alle Theoretiker, die sich mit der Zeitmaßbestimmung be- schäftigen, überein: charakteristische Stücke, wie die französischen Tanz- und Instrumentalsätze, verlangen schnelle Tempi. Auch Quantz hat bei seiner Tempobestimmung der französischen Tanz- musik ein flottes Zeitmaß angenommen. Seine Berechnungen, die er nach dem Pulsschlag unter Annahme von 80 Schlägen in der Minute angestellt hat, ergeben für die Hauptstücke der fran- zösischen Musik folgende Metronomangaben3:

Entree, Loure, Sarabande, Courante (3/4) M. M. J = 80

Chaconne (3/4) Passecaille (3/4) Musette (3/4 oder 3/8)

oder auch zuweilen :

Bourree und Rigaudon ((£) (jeder Takt

bekommt einen Pulsschlag)

j— 160

^'=88, j = 176 4 oder J> = 80 J. oder J. = 80

a =80

1 L a m b e r t , a. a. O. S. 25 : Mr. de Lully, qui fait jouer la reprise de l'ou- verture d'Armide tres vite . . .

2 A. a. O. XVII, VII, §55.

3 A. a. O. XVII, VII, §49—58.

15*

228 Fünftes Kapitel.

Gavotte ((£ oderC) (etwas gemäßigter als ein Rigaudon) M.M.J =144 Rondeau ((£ oder 3 4) » » J =80

Gigue und Canarie (6/8) * * Äj.=80

Menuett («/4) > > , =160

Passepied (3/8) » » #N = 168

Marsch «£) » » J =80

Diese ungefähren Tempoangaben sind sehr hoch gegriffen und scheinen nach unserer Gewöhnung fast zu schnell. Quantz denkt dabei an Tanzstücke im Rahmen einer szenischen Auf- führung, die die angegebenen Tempi sehr gut vertragen. Auch er kann als Gewährsmann für die Feststellung gelten, daß die französischen Charakterstücke im 18. Jahrhundert sehr schnell gespielt wurden.

Quantz hat auch die Tempovorschriften Allegro, Adagio usw. nach dem Pulsschlag angegeben. Er stellt fest, daß man in der Zeit eines Pulsschlages nicht mehr als acht schnelle Noten spielen kann, und gibt für die Taktdauer der einzelnen Sätze folgende Aufstellung:

Im geraden Takt (C) kommt: In einem Allegro assai (4/4) auf jeden halben Takt die Zeit eines

Pulsschlages, nach unserer Bestimmung: M. M. J = 80. In einem Allegretto kommt auf jedes Viertel ein Pulsschlag,

M. M. j = 80. In einem Adagio cantabile kommt auf jedes Achtel ein Pulsschlag,

M. M. ,s = 80. In einem Adagio assai kommen auf jedes Achtel 2 Pulsschläge,

M. M. «,s = 40. Im Alla Breve ((£) kommt: In einem Allegro auf jeden Takt ein Pulsschlag, M. M. ^ = 160. In einem Allegretto auf jeden halben Takt ein Pulsschlag, M. M.

J = 80. In einem Adagio cantabile auf jedes Viertel ein Pulsschlag, M. M.

« =80. In einem Adagio assai kommen auf jedes Viertel zwei Pulsschläge,

M. M. j = 40. Ein poco Allegro, Vivace oder Allegro allein bildet etwa die Mitte

zwischen Allegretto und Allegro assai. Im 2/4- oder schnellen 6/8-Takt hat im Allegro jeder Takt einen Pulsschlag, M. M. J oder J. = 80.

Im 12/8-Takt kommen im Allegro, wenn keine Sechzehntel vorhanden sind, auf jeden Takt zwei Pulsschläge, M. M. J, = 80.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1S. Jahrhundert. 229

Beim Allegro im 3/4-Takt, das nur Sechzehntel oder Achtel- triolen aufstellt, bekommt das erste und dritte Viertel des ersten Taktes und jedes zweite Viertel des zweiten Taktes jedes einen Pulsschlag, drei Pulsschläge auf 6 Viertel, etwa M. M. j = 160. Für 9/8 gilt das gleiche.

Im sehr schnellen 3/4- oder 3/8-Takt, wo nur 6 geschwinde Noten in jedem Takt vorkommen, hat jeder Takt einen Puls- schlag, M. M. J. oder j. = 80. Im Presto sind die drei Viertel oder Achtel so schnell zu spielen wie die Achtel im 2/4-Takt.

Im Adagio cantabile (3/4), wo die Grundstimme in Achteln gesetzt ist, hat 1 Achtel einen Pulsschlag, M. M. f = 80. Ist die Bewegung in Vierteln notiert, der Gesang mehr arios als traurig, so kommt auf jedes Viertel ein Pulsschlag, M. M. J = 80. Man hat hier genau auf Tonart und Tempovorschrift zu sehen, denn wenn Adagio assai, Mesto oder Lento vorgeschrieben ist, so erhält jedes Viertel zwei Pulsschläge, M. M. J^ = 80.

Beim Arioso (3/8) bekommt jedes Achtel einen Pulsschlag, M. M. / = 80.

Wenn man zwei Pulsschläge in drei Teile teilt, so bekommt im Siciliano (12/8) das erste und dritte Achtel einen Pulsschlag. Doch kann man sich hier, wie Quantz sagt, nicht weiter nach dem Pulsschlag richten, da sonst das dritte Achtel zu lang wird.

Schnelle Stücke mit Triolenpassagen ohne Sechzehntel oder Zweiunddreißigstel können nach Belieben etwas schneller, als der Pulsschlag geht, gespielt werden, was besonders für die schnellen <78-, 9/8- und i2/8-Takte gilt.

Die Aufstellung, die mit unserer Tempoführung in den Grund- zügen übereinstimmt, gibt nur eine ungefähre Formulierung der Haupttempi. Quantz sagt selbst, daß es ungereimt und unmöglich ist, jedes Stück genau nach dem Pulsschlag abzumessen1. Nur die Grundtypen sollen durch die Tafel eingeprägt werden. Die italienischen Tempobezeichnungen bringen nach Hiller nur eine einfache Andeutung und Anleitung zur Tempoführung2, denn das »Langsame sowohl als das Geschwinde und Lustige hat seine Stuffen«3. Die eigentliche Tempoführung und der rhyth- mische Fluß können nicht durch Wortvorschriften und Regeln festgelegt werden, sie müssen aus dem Stücke selbst abgeleitet

1 A. a. O. XVII, VII, § 48.

2 Anweisung zum musik. richtig. Ges., Anhang, § 3.

3 Leop. Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule 1756, I, 2, §7.

230 Fünftes Kapitel.

werden, wie Leop. Mozart sagt1, aus den in der Musik ausge- drückten Affekten. Ein geschickter Musikus, der ein Werk gut zu studieren und zu dirigieren weiß, ist stets das beste Metro- nom (Rousseau)2.

Im Verlauf der Arbeit ist häufiger auf die Affektentheorie hingewiesen worden. Sie war der Hintergrund aller Bemerkungen über Musikererziehung, Orchesterspiel und Dynamik. Wie die Betonung der Ausdrucks werte der Musik, die bei der Lehre vom griechischen Ethos, bei den Vortragsregeln des gregorianischen Chorals und der a cappella- Kunst erwähnt wurde, im 17. Jahr- hundert zu einer neuen, auf Subjektivität gegründeten Literatur und Ausführungspraxis führte, so stehen wir im 18. Jahrhundert vor dem völligen Ausbau dieser praktischen Musikästhetik, vor einem geschlossenen musikalischen System.

Im Kompositionsstil und im Vortrag spiegelt sich ebenso wie in der Musikkritik die Lehre von den Affekten. Die Darstellung von Leidenschaften und Gemütsbewegungen ist das Endziel von Komposition und Vortragskunst3. Der Vortrag besteht nach Em. Bach in »nichts anderem, als der Fertigkeit, musikalische Gedancken nach ihrem wahren Inhalte und Affect singend oder spielend dem Gehöre empfindlich zu machen«4, und Quantz sagt: »Der musikalische Vortrag kann mit dem Vortrage eines Redners verglichen werden. Ein Redner und ein Musikus haben sowohl in Ansehung der Ausarbeitung der vorzutragenden Sachen, als des Vortrages selbst, einerley Absicht zum Grunde, nämlich: sich der Herzen zu bemeistern, die Leidenschaften zu erregen oder zu stillen, und die Zuhörer bald in diesen, bald in jenen Affect zu versetzen5.«

1 Leop. Mozart, a. a. 0. I, 2, § 7.

2 Rousseau, Dictionnaire, Art. »Chronometre «: le seul bon Chronometre que Ton puisse avoir, c'est un habile Musicien qui ait du goüt, qui ait bien la Musique qu'il doit faire exöcuter, et qui sache en battre la Mesure.

3 Heinichen, Der General-Baß in der Komposition, 1728, S. 4: Unser »finis Musices« ist, »die Affecten zu bewegen«. S. auch ebenda S. 25. Meinr. S p i e s s , a. a. 0., Anhang S. 5: »Affectus. Bey denen Menschen zu erregen oder zu stillen, ist der Music eintziges Zihl.« Mattheson, Kern mel. Wissenschaft, S. 6G: »Das rechte Ziel aller Melodien ist nichts anders, als eine solche Vergnügung des Gehörs, dadurch die Affecten rege werden.« H i 1 1 e r , Wöchentl. Nachrichten 1769, S. 370: »Zweck in der Musik« ist, »Ge- müthsbewegungen zu erregen.« S. auch S u 1 z e r s Theorie, Art. »Ausdruck in der Musik « u. v. a. Vgl. Hermann Kretzschmar, Allgemeines und Besonderes zur Affektenlehre, Peters-Jahrbuch 1911, S. 67 f.

* A.a.O. I, III, §2. 6 A. a. 0. XI, §1.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 231

Jedes wahre, vollkommene Musikstück1 drückt Leidenschaften oder Gemütsbewegungen aus. Es ist »entweder traurig oder leb- haft, ernsthaft oder zärtlich, wild oder sanft, gleichgültig oder emp- findsam« und gibt ein Abbild der Verzweiflung, des Trostes, der Ruhe, des Vergnügens, der Freude, des Kaltsinns, der Ungeduld und anderer Lagen unserer Empfindungen und Denkungsart2. Die Affekte treten bald vermischt, bald allein auf, sie greifen in- einander, kreuzen sich oder bewegen sich in kontrastierender Stellung, um schließlich einer einzigen Stimmung die Führung zu überlassen. Kaum hat der Komponist einen Affekt gestillt, so erregt er einen andern, »folglich wechselt er . . mitLeidenschaften ab3.« Diese Erkenntnis von der Ausdruckskraft der Musik ist das leitende Prinzip von Produktion und Musikübung.

Wir können uns die Affektenlehre des 18. Jahrhunderts kaum in ihrer vollen Wirkungskraft vorstellen, da wir eine ähnliche, rein praktische Musikästhetik nicht mehr besitzen. Im 18. Jahr- hundert folgte jeder Musiker, Kritiker, Komponist und Dirigent ihren Gesetzen. In unserer Zeit ist die Affektenlehre durch Hermann Kretzschmars musikalische Analysen und durch seine hermeneutischen Anregungen wieder zu Ehren gebracht und die Berechtigung einer rein musikalischen Dolmetscherkunst neben der philosophischen Richtung in der Musikästhetik erwiesen worden. Die praktischen Erfolge dieser Anregungen liegen in der ver- änderten Auffassung der Bachschen Kunst vor (Schweitzer, Pirro und Heuß) und in der allmählich systematisch werdenden Kritik unserer Tage. Allerdings steht eine umfassende Behand- lung der alten Ästhetik noch aus4. Sie müßte die Lehre aus Theo- rie, Praxis und Komposition ableiten und auch auf die Gefahren einer musikalischen Sammlung von Affektenformeln aufmerksam machen, wie sie sich kleinere Geister schon in früheren Jahr- hunderten zurechtgemacht haben.

Diese Affektentheorie, die bereits in der Renaissance der Direktionsführung neue Bahnen weist, bildet im 18. Jahrhundert den Hintergrund der Kunst des Dirigierens. Der wahre Ausdruck

i S. Quantz, a. a. 0. XVII, VI, §25.

2 Pe tri, a. a. O. S. 166.

3 Bach, a.a.O. I, III, §13.

* S. Kretzschmar, Allgemeines und Besonderes zur Affektenlehre, Peters-Jahrbuch 1911, und Wilhelm Casparis meist übersehene Disser- tation: Gegenstand und Wirkung der Tonkunst nach der Ansicht der Deutschen im 18. Jahrhundert, Erlangen. 1903.

232 Fünftes Kapitel.

der Affekte und deren lebensvolle Wiedergabe ist das Ziel, das der Kapellmeister zu erreichen sucht. »Der höchste Grad der von einem Anführer erforderlichen Wissenschaft ist: daß er eine vollkommene Einsicht habe, alle Arten der Composition nach ihrem Geschmacke, Affecte, Absicht und rechtem Zeitmaaße zu spielen. Es muß derselbe also fast mehr Erfahrung vom Unter- schiede der Stücke haben, als ein Componist selbst«, denn der Kapellmeister hat die Werke verschiedener Komponisten aufzu- führen, während sich der Komponist oft nur um das kümmert, was er selbst geschrieben hat1. Der Dirigent muß also die Ge- danken eines Stückes bestimmen können, er muß die ausgedrückten Affekte erkennen und danach Direktion und Vortrag einrichten. Quantz drückt das so aus: »Weil in den meisten Stücken immer eine Leidenschaft mit der andern abwechselt; so muß . . . der Aus- führer jeden Gedanken zu beurtheilen wissen, was für eine Lei- denschaft er in sich enthalte, und seinen Vortrag immer derselben gleichförmig machen. Auf diese Art nur wird er den Absichten des Componisten, und den Vorstellungen, so sich dieser bey Ver- fertigung des Stückes gemacht hat, ein Gnüge leisten2.« Der Vortrag gründet sich demnach auf die Untersuchung der Affekte und deren Wiedergabe. Welche Anhaltspunkte waren dem Kapellmeister für diese Affektenbestimmung gegeben, und wie brachte er die Affekte in seiner Direktion und Tempo führung zum Ausdruck?

Nach Quantz hat der Dirigent zunächst die Art der Kom- position und »Ort und Absicht« einer Musik3 zu berücksichtigen; ob sie in Kirche, Kammer oder Opernhaus aufgeführt wird, und welche besondere Gelegenheit vorliegt, eine Fest- oder Hochzeits- musik, eine Passionsaufführung oder liturgische Kirchenmusik, denn jede Musikgattung hat ihre eigenen Gesetze. So fordert die Kirchenmusik mehr »Pracht und Ernsthaftigkeit« als eine theatralische. Ihr Vortrag ist in Ausführung und Zeitmaß ge- mäßigter als der einer Oper4. Kommen in der Kirchenmusik »freche und bizarre Gedanken« vor, d. h. Themen im Zuscbnitt der Allesro- oder Prestomotive, so müssen sie soviel als möglich

i Quantz, a. a. 0. XVII, I, §4.

2 Ebenda XI, §15.

3 Ebenda XVII, VII, § 12. Vgl. Reichardt, Briefe eines aufmerks. Reisenden I, S. 35 f.

4 Quantz, a. a. 0. § 12 und 53.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 233

»vermäntelt , gezähmet, und sanfter gemacht werden«1. Mit anderen Worten: freudige, fröhliche Affekte, wie sie die Bachschen Jubelchöre in den Kantaten und die Allegri der Haydnschen Messen bringen, sind im Charakter von ähnlichen Sätzen weltlicher Musik zu unterscheiden. Sie müssen durch einen »bescheidenen Vortrag« (Quantz) gemildert und dem Rahmen der Kirchenmusik angepaßt werden. Hier muß der Direktor alle Gedanken, die der Komponist an den Begriff des Allegro binden kann, in der Bewe- gung »einer mäßigen Geschwindigkeit« vortragen2. Anders steht es bei der theatralischen Musik. Sie gibt dem Kapellmeister größere Freiheit in Tempo und Ausdruck, während die Intermezzi, die »mehr aus gemeinen und niedrigen, als ernsthaften Gedanken von den Componisten verfertiget« werden, nicht nach dem Modus der Oper, sondern »auf eine niedrige und ganz gemeine Art« zu spielen sind3, d. h. in einer sinnfälligen, charakteristischen, weder galanten noch reich verzierten Spielmanier. Das gleiche gilt von der Ballettmusik, die aus bestimmten Charakteren besteht, die ihr eigenes Tempo verlangen. Die Musik nimmt an der herrschenden Lustigkeit Anteil. Der Kapellmeister hat bei solchen Stücken auf das Temperament der Ausführenden, auf ihre Bewegungen und Gesten zu achten, damit die Musik nicht nachschleppt oder voreilt; er muß auf das »Niederfallen der Füße« sehen, um die rechte Be- wegung zu finden, und dann möglichst ernsthaft spielen lassen, da »das Zärtliche undCantable«in diesen Stücken selten zu finden ist4. Ein gut pointierter, rhythmisch genauer Vortrag, ein wenig verän- dertes Tempo ist hier die erste Regel einer guten Aufführung. Freier kann die italienische Tanzmusik vorgetragen werden, da sie nicht auf bestimmte Charaktere zugeschnitten ist. Der Diri- gent hat überhaupt zu unterscheiden, ob italienische, französische oder deutsche Stücke gespielt werden, und welcher Richtung die einzelnen Musiksätze angehören, denn der »Stylus lustig- und frö- licher Musicken ist sehr unterschieden / von dem ernsthafften und ernstlichen; der Kirchen -Styl ist sehr unterschieden von dem Theatralischen oder Kammer-Styl ; der Italiänische Styl ist scharff / bunt und ausdrückend; der Frantzösische hergegen natür-

1 Quantz, a. a. O. XVII, VII, §12. Vgl. Sulzers Allg. Theorie, Art. »Vortrag« : »Ein Allegro für die Kirche verträgt keine so geschwinde Bewegung, als für die Kammer oder das Theater . .

2 Junker, a. a. O. S. 30.

3 Quantz, a. a. O. XVII. VII, §13.

* Quantz, a. a. O. XVII, VII, § 56f., auch Reichardt, a. a. O. I, S. 35.

234 Fünftes Kapitel.

lieh / fliessend, zärtlich«1. Die Kenntnis dieser musikalischen Stilistik ist Sache der Ausbildung und Erfahrung. Der Dirigent muß in einem wohlgezogenen Orchester unter einem guten An- führer »vielerley Arten von Musik« mitgespielt haben, oder aber er muß » an verschiedenen Orten« , wo er gute Aufführungen hören kann, gewesen sein, und davon Nutzen gezogen haben2, denn nur durch ein vielseitiges Studium und durch die Praxis können die verschiedenen Stilgattungen und ihr rechter Vortrag getroffen werden.

Hat der Kapellmeister aus Gattung, Charakter und Stilistik einer Musik allgemeine Anhaltspunkte für die Direktion gefunden, so kann er sich der Detailausarbeitung der Musik zuwenden, der Untersuchung über die einem Stück zugrunde liegenden Affekte und über ihre sinngemäße Interpretierung.

Diese Ausdrucksanalyse, bei der man nicht allein die Melodie- stimme, sondern die gesamte Partitur untersuchen soll3, ist in der Vokalmusik am leichtesten zu treffen. Der Textgedanke gibt den Anhalt zur Affektbestimmung. Aber die Ausdrucks- möglichkeiten sind auch hier unbegrenzt, wie die verschiedenen Kompositionen gleicher Texte, die Messen, Hymnen, Psalmen und die Opern nach den Libretti von Zeno und Metastasio zeigen. Der Dirigent steht also in der Vokalmusik vor der Aufgabe, den vom Komponisten in den Vordergrund gestellten Ausdruck zu erkennen. Er muß, wie Reichardt sagt, bei einer Arie die Stel- lung zu den übrigen Stücken untersuchen und den Punkt treffen, unter dem der Komponist die Worte betrachtete. Für diese Untersuchung hat Joh. David Heinichen in seiner Generalbaß- schule hübsche Beispiele gegeben4. Sie sind zwar für die Kompo- nisten hingesetzt, lassen sich aber ebensogut auf die Untersuchung einer Vokalmusik auf die Affekte hin anwenden. Heinichen zeigt, wie der Komponist bei einem unfruchtbaren, dem Affektausdruck wenig entgegenkommenden Text die Worte in ein festes Stim- mungsbild, in eine Affektendarstellung einspannen kann. Der Komponist müsse »3 fontes principales, nehmlich Antecedentia, Concomitantia, et Consequentia Textus« auf die Locos Topicos untersuchen und die »occasione der Worte /die dabey coneurriren-

1 Mattheson, Das Beschützte Orchestre 1717, S. 115.

2 Quantz, a. a. O. XVII, I, §4. Vgl. Em. Bach, a. a. 0. I, III, §8.

3 Reichardt, a. a. O. S. 36.

4 Der General-Baß in der Composition, Einleitung. Siehe Kretzsch- mar, a. a. 0.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 4 8. Jahrhundert. 235

den Umstände der Person / der Sache / des Wesens / des Uhr- sprungs / der Arth und Weise / des Entzweckes / der Zeit / des Ortes etc. wohl erwegen«, dann kann es seiner Phantasie an Bildern und Affekten nicht fehlen. So können in einer Opern- arie der Metilde Worte: »Non e sola e straniera la causa, che vera; non dubito nö. se oprire si spesso meglio da se la veritä «, die wahrlich keine Affekte ausdrücken, so gefaßt werden, daß der Komponist an das Vorangegangene (die An- tecedentia Textus) denkt, an die Worte »alti dissegni, e preci- picii inmensi: accusare, gridare, chieder raggione« etc. und sie mit »dem aller furieusesten Affect« ausdrückt, zu dem die Worte »Non e sola« gesungen werden. Oder der Musiker hält sich an die Worte »accusare, gridare« etc., um den Hintergrund der Arie auf einen »gleichsam zanckenden« Ton zu stimmen. Auch kann der Komponist den Entschluß der Metilde, ihren Geliebten zu be- freien, durch einen heroischen Affekt in pompöser Manier in der Arie fortklingen lassen. Geht der Komponist auf die Concomi- tantia Textus aus, so wird er auf den ersten Teil der Arie zurück- greifen und die Eigenschaften des Glücks, » das uns stets verfol- gende / . . das wandelbahre / und unbeständige / das rasende / das flüchtige / das opiniatre und contraire«, ja endlich das Leid bringende Glück vorführen. Heinichen bringt noch mehr Bei- spiele. Er zeigt die »Tentresse des Affectes« in einem »languis- santen« Siziliano, die »seufftzende Liebe« in einem klagenden, schluchzenden C-moll-Satz, den ängstlich die Geliebte suchenden Aminta in einem »bizarren / mit syncopationibus und semitoniis angefülleten Themate« und die »spielenden Liebes -Blicke« in einem lieblichen C-moll-Satz im 3/8-Takt mit schmeichelnden »Flauti unisoni«. Mattheson führt Heinichens Theorie1 noch weiter. Er gibt für die Melodieerfindung noch eine große Anzahl weiterer Fontes2, während Spieß an die Chrie: Quis? quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? erinnert3.

1 Interessant ist H i 1 1 e r s Kritik der Lehre Heinichens. Er bedauert, daß die Theorie »nicht etwas bestimmter und ordentlicher ist«. Sie sei »bey dem vielen Guten, das sie enthalte, nicht an allen Orten richtig und brauchbar« und erfordere für den, der sich solcher Hilfsmittel bediene, viel Unterscheidungs- kraft, »damit nicht, bey einigen Gelegenheiten, über den neuen Erfindungen der eigentliche und wahre Ausdruck verloren gehe«. (Lebensbeschreibungen, Hei- nichen.)

2 Vollkomm. Capellm. II, IV.

3 Tract. mus., S. 133.

236 Fünftes Kapitel.

Diese Erfindungslehren haben auch ihren Wert für die Direk- tion. Der Kapellmeister soll die vom Komponisten gewählten Grundaffekte eines Stückes bestimmen, d. h. er muß zusehen, ob der Musiker in unserer Arie die amourösen, die seufzenden oder die fröhlichen Affekte in den Vordergrund gestellt hat. Er muß die Stimmung treffen, von der der Komponist ausgegangen ist, die dem Stücke zugrunde liegt. Aus dieser Untersuchung ergibt sich dann die Durchführung und Modifikation des Zeit- maßes, denn in dem wahren, lebensvollen Ausdruck der Affekte beruht die Kunst des musikalischen Vortrags.

Schwieriger ist die Affektbestimmung bei den Instrumental- stücken, die »ohne Worte, und ohne Menschenstimmen, eben sowohl gewisse Leidenschaften ausdrücken, und die Zuhörer aus eine in die andere versetzen, als die Vocalmusik«1. Die Ausdrucks- analyse kann hier nur aus der Untersuchung des Notenbildes, der Setzart, der Stilistik und aus speziellen Vorschriften des Komponisten abgeleitet werden.

Zuerst hat man, wie Quantz sagt, auf die Tonarten zu achten. Dur ist meist der Ausdruck des »Lustigen, Frechen, Ernsthaften, und Erhabenen«, während Moll das »Schmeichelnde, Traurige und Zärtliche« anzeigt2. Auch die Tonartencharakteristik gehört hierher. A-moll, C-moll, Dis-dur und F-moll drücken nach Quantz den traurigen Affekt viel mehr aus als andere Molltöne, während die übrigen Moll- und Durtöne zu den »gefälligen, singenden, und ariosen Stücken« gehören3. Hierin schließt Quantz an Mattheson4 an. Für Mattheson hat D-moll etwas »devotes, ruhiges«, auch »etwas grosses / angenehmes und zufriedenes«. G-moll mischt »ziemliche Ernsthaftigkeit mit . . Lieblichkeit«; A-moll ist »etwas klagend /ehrbar und gelassen«, doch gar nicht unangenehm; E-moll macht » tief fden ckend / betrübt und traurig«, doch so, daß man sich noch zu trösten hofft; C-dur hat eine »ziemlich rüde und freche Eigenschafft«, ist nicht ungeschickt, »um der Freude ihren Lauff« zu lassen; F-dur ist geeignet, »die schönsten Senti- ments von der Welt zu exprimiren«; D-dur ist »etwas scharf f und eigensinnig«, mitunter auch »delicat«, wenn an Stelle der weichen Trompeten eine Flöte dominiert; G-dur hat »viel in-

1 Quantz, a. a. 0. XVIII, § 28.

2 Ebenda XI, § 16.

3 Ebenda XIV, §6.

4 Neu Eröffn. Orchestre III, Kap. II. Ich gebe nur einen kurzen Auszug aus dem Kapitel.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 4 8. Jahrhundert. 237

sinuantes und redendes«; C-moll ist ein »überaus lieblicher«, aber auch »trister Tohn«; F-moll ist gelinde, gelassen, dabei mit tiefer und schwerer Verzweiflung und Herzensangst gemischt; B-dur ist sehr »divertissant und prächtig«, hat gern etwas mo- dcstes; A-dur ist mehr zu »klagenden und traurigen Passionen« geneigt; E-dur ist verzweiflungsvoll oder traurig, es hat etwas »schneidendes /scheidendes/ leidendes /und durchdringendes« usw. Bei der Anwendung dieser Tonarten in »Ausdrückung der Affekte« gibt es allerdings viel Ausnahmen. Quantz rät daher, bei der Affektbestimmung auch noch auf die Intervalle und die Phra- sierung zu sehen. Geschleifte, naheliegende Intervalle sind schmeichelnd, traurig oder zärtlich, kurz gestoßene, in Sprüngen gehaltene Noten und Figuren, in denen Punkte hinter der zweiten Note stehen, sind lustig und kühn1. Punktierte und anhaltende Noten drücken Ernst und Pathos aus, lange Noten im Werte halber und ganzer Takte zwischen schnelleren sind prächtig und erhaben2.

Das Hauptkennzeichen der Affekte sind in den Instrumental- stücken die Dissonanzen. »Es stecken . . . schöne affectus und Be- wegungen in dem Gebrauch der dissonantien / sonderlich da man etwas trauriges wil einführen . . . denn was weit von der aequalität oder Vollkommenheit / das ist trauriger / verwirreter Natur3.« Die Konsonanzen befriedigen das Gemüt, die Dissonanzen bringen Unruhe und Verdruß4. Sie bilden das wichtigste Mittel des Affektausdrucks, denn »ohne diese Vermischung des Wohlklanges und des Übelklanges, würde in der Musik kein Mittel übrig seyn, die verschiedenen Leidenschaften augenblicklich zu erregen, und augenblicklich wieder zu stillen«5. Auch die verschiedenen Takt- arten geben einen Anhalt zur Bestimmung der herrschenden Affekte. Sie sind, wie Fuhrmann sagt, erfunden, damit sie »den affectum laetitiae et tristitiae desto besser rühren möchten«6,

1 Vgl. Em. Bach, a. a. O. I, III, §5: Lebhaftigkeit wird durch gestoßene Noten ausgedrückt, das Zärtliche des Adagio in »getragenen und geschleiften Noten«.

2 Quantz, a. a. O. XI, §16.

3 Werckmeister, Musicae mathemat. Hodegus Curiosus 1686, Kap. 28, S. 84. S. auch desselben Cribrum musicum 1700, Cap. XV, S. 38.

4 Quantz, a. a. O. XVII, VI, §12.

5 Ebenda, vgl. Li ngke, Einige zum allgemeinen Nutzen deutlicher gemachte Erwegungs und andere . . . Wahrheiten. Leipzig (ca. 1750), S. 60 über den Ge- brauch der Konsonanzen und Dissonanzen zur Erregung der Leidenschaften..

ß Musical. Trichter, S. 44.

238 Fünftes Kapitel.

und Werckmeister meint, »daß an der Mensur und Tacte zu Er- vveckung der Liebligkeit viel gelegen« ist1. So weist der 3/x-Takt auf ernste und traurige Affekte, der 3/8 wieder auf Freude und Frohsinn2. Nach Mattheson wird der 2/2-Takt gern »zu An- fang der Ouvertüren, zu Gavotten, Rigaudons, Entreen und anderer Frantzösischen Arten« gebraucht; der 2/4, »ein sehr be- liebtes Mouvement«, deutet auf kantabile Stücke, er »bringt fast von selbst singende Sachen hervor«, während der C-Takt der Arien, Allemanden, Bourreen usw. zu vielen Affekten geeignet ist. Der 6/4, der besonders in »gravitätischen Giguen« vor- kommt, zeigt » serieuse Sachen« an, der 6/8 ist f ür » coulante, melo- dieuse, auch frische und hurtige Sachen« geschickt. Mattheson nennt ihn fast die schönste Taktart der modernen Komposition. Der 12/8, der immer mehr zu »traurigen und touchanten Affecten« gebraucht wird3, bringt »eine gewisse Ernsthafftigkeit« mit sich. Er kennzeichnet die »aller tendresten und beweglichsten Sachen« in Kirchen-, Opern- und Vokalmusik. Der 12/i6 hat ein etwas »vehementes mouvement«, er drückt eine ungeduldige Passion aus. Von den ungeraden Takten ist der 3/x nur in alten Stücken zu finden, der 3/2 kommt in »tristen Arien« vor, der 3/4, der am gebräuchlichsten ist, dient meist für »lustige Sachen«. Der 3/8 kommt oft »par affectation« mit dem vorigen überein. Er ist sehr beliebt und wird auch in Adagio -Arien angewandt. Sein eigentliches Feld sind »Passepieds, Canaries, und andere hüpfende Species«. Der 9/8 wird weniger gebraucht, ist aber zu »bizarrien« tauglich. Das gleiche gilt vom 9/16. Diese Aufstellung ist nur die »formirung einer general-Idee«, wie Mattheson sagt4. Sie zeigt aber ebenso wie die Takttheorien Fuhrmanns, Ja- nowkas, auch Kirnbergers5 und Scheibes6, daß im 18. Jahr- hundert jeder Taktart ein eigener Charakter zugesprochen wurde. Der Hauptaffekt wird schließlich durch die Worte »Allegro, Allegro non tanto, assai, di molto, moderato, Presto,

i Mus. math. Hod., Kap. 6-5, S. 129.

2 Janowka, Clavis ad thes., Art. »Tactus« : 3/i , rebus gravibus Majes- tuosis, itemque tristibus ac lamentuosis maxime inservit. Vom 3/8: rebus gau- diosis et exultantibus in Ecclesiastico stylo [inservit].

3 Vgl. Heinichen, a. a. 0. S. 62: Der Sicilano im i2/8-Takt hat »gern etwas languissantes bey sich«.

* Mattheson, Neu Eröffn. Och., I, Kap. III, Vom Tacte.

5 Die Kunst des reinen Satzes, II. Teil, I. Abteilung, S. 122 f.

6 Über die musical. Compos., S. 204f.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 239

Allegretto, Andante, Andantino« usw. bestimmt1. Jedes dieser Worte legt einen andern Vortrag fest. Doch muß man stets daran denken, daß jedes Musikstück verschiedene Mischungen von »pathetischen, schmeichelnden, lustigen, prächtigen, oder scherzhaften Gedanken« ausdrücken kann, so daß sich der Ausführende unter Umständen bei jedem Takt in einen an- deren Affekt versetzen muß2. Außer diesen Vorschriften werden von vielen Komponisten noch spezielle Hinweise auf die im Stück ausgedrückten Gemütsstimmungen gegeben, Worte, »die wegen des Affekts und Hauptkarakters eines musikalischen Stücks zu Anfange desselben überschrieben werden . . . Sie kommen auch . . . mitten in einem Stükke vor, wenn ein andrer Affekt erfordert wird, welches vornehmlich in Singstükken des Affekts wegen öfters geschieht, den der Text mit sich bringt... In Absicht dieses Affekts gehören: Doloroso, Mesto, Languido, Lagrimoso,

Lugubre Pomposo, Maestoso, Affettuoso, Amoroso, Scher-

zando« u. s.w.3. Diese Angaben sind das sicherste Kennzeichen der einem Satz zugrunde liegenden Affekte, sie bilden die Pro- grammüberschrift der Instrumentalstücke.

Hatte der Dirigent ein Musikstück nach den gegebenen Ge- sichtspunkten auf die Affekte hin untersucht und auch die in einzelnen Stimmen etwa vorkommenden Schwierigkeiten4, sowie das Vorherrschen kleinerer oder größerer Notenwerte als Anhalt zur Tempobestimmung geprüft, so konnte er sich bei der Di- rektion ganz dem Ausdruck der Affekte zuwenden, vorausgesetzt, daß die Musiker ihm zu folgen wußten5 und nach einer ein- heitlichen Schule spielten. Wie er dabei im einzelnen die rhyth- mische Bewegung ausgestaltete, darüber lassen sich keine festen Regeln geben. »Hier muß ein ieder in seinen Busen greiffen und

i S. o. S. 221 f., u. Qu an tz, a.a.O. XI, §16.

2 Quantz , ebenda.

3 Petri, a.a.O. S. 158 f. ; auch Marpurg, Anl. zum Clavierspielen, S. 17 u. a.

4 Reichardt, Briefe eines aufm. Reisenden I, S. 3 6 f . ; Sulzers Allg. Theorie, Art. » Vortrag« : »Ein Stük mit allegro bezeichnet, dessen mehreste und geschwindeste Noten Achtel sind, hat eine geschwindere Taktbewegung, als wenn diese Noten Sechzehntel sind, und eine gemäßigtere, wenn sie Zweyund- dreyßigtheile sind; so auch in den übrigen Gattungen der Bewegung.« Vgl. auch oben: Tempobestimmung nach den Notenwerten, S. 107 f. und 220 f.

5 Petri, a. a. O. S. 172: Die Musiker müssen sich nach dem Konzertmeister und Musikdirektor richten, »welcher den Affekt des vorzutragen - den Stücks am besten überdacht hat«.

240 Fünftes Kapitel.

fühlen, wie ihm ums Hertze sey: da denn nach Befindung desselben unser Setzen, Singen und Spielen auch gewisse Grade einer ausser- ordentlichen und ungemeinen Bewegung bekommen wird, die sonst weder der eigentliche Tact, an und für sich selbst, noch auch die merckliche Auffhaltung oder Beschleunigung desselben, viel- weniger der Noten eigene Geltung ertheilen können; sondern die von einem unvermerckten Triebe entstehet« (Mattheson)1. Zur Direktion taugen eben keine »hölzernen Seelen«, wie Quantz sagt, sondern tüchtige Musiker2: »Niemand wird geschickt seyn, eine Leidenschafft in andrer Leute Gemüthern zu erregen, der nicht eben dieselbe Leidenschafft so kenne, als ob er sie selbst empfunden hätte, oder noch empfindet.«3 Da aber keine Leiden- schaft der andern vollkommen gleicht4, so kann auch das Zeit- maß nicht schnurgleich und abgezirkelt verlaufen; es muß durch Aufhaltung und Beschleunigung modifiziert werden, durch Ver- weilen bei nachdenklichen, traurigen Affekten und durch Vor- wärtsgehen bei energischen, fröhlichen Motiven, mit anderen Worten: die Tempoführung muß den musikalischen Affekten entsprechen. Rousseau betont in seinen Werken an verschiede- nen Stellen die Notwendigkeit dieser Modifikation: man müsse das Tempo bald beschleunigen, bald verzögern, wie es die herr- schenden Leidenschaften erfordern5. Mattheson übersetzt eine dieser Stellen in seinem »Vollkommenen Capellmeister« und setzt hinzu, es gäbe außer den mathematischen Zeitmaßen noch andere, die »nach Erfordern der Gemüths-Bewegungen, gewisse ungewöhn- liche Regeln« vorschreiben, die »auf den guten Geschmack sehen«. Der Dirigent müsse deshalb das Tempo bisweilen »verzögern, nach- geben; oder auch, in Betracht einer gewissen Gemüths-Neigung,

i Vollk. Capellm. II, 7, §20.

2 A.a.O. XVIII, §28.

3 Mattheson, Vollk. Capellm. II, 2, § 64.

* Vgl. Löhlein, Anw. z. Violinspielen, S. 106. Sulzers Allg. Theorie, Art. »Ausdruck in der Musik«. Kimberger, a.a.O. 11,1. S. 106f. u. a.

5 Rosseau, Methode claire, certaine et facile pour apprendre ä chanter la Musique, IV. Edition, 15. Question: il y a . . . de la difference entre la Mesure et le mouvement. ... De vient que sous un mesme Signe, on conduit souvent la Mesure differement; car quelquefois on l'anime et quelquefois on la ralentit suivant les differentes passions que la Voix doit exprimer. Vgl. Dictionnaire, Artikel »Execution« : II faut, en particulier dans la musique Frangoise, que la partie principale sache presser ou ralentir le mouvement, selon que l'exigent le goüt du Chant, le volume de Voix et le developpement des bras du Chanteur. Siehe auch Art. »Mouvement«, ebenda.

Taktschlagen und Doppeldircktion im 1 8. Jahrhundert. 241

und andrer Ursachen halber, den Tact in etwas beschleunigen und stärcker treiben«1. Quantz erklärt ein nachdem Pulsschlag abgemessenes gleichmäßiges Tempo für eine Ungereimtheit2, und Leop. Mozart sagt: jedes Zeitmaß, das langsame und lustige, hat seine Stufen3. Hill er nennt die Tempobezeichnungen Spiritoso, Con brio usw. »Meilenzeiger«, die vor dem Stadttore stehen »und zwar die Gegend der Örter, nebst ihren Entfernungen, nicht aber den richtigen Weg, den man nie verfehlen könnte« , anzeigen ; es sei besser, wenn man sich in den Charakter und in die rechte Be- wegung eines Stückes hineinstudiere, wenn man den Meilenzeiger zwar ansehe, aber immer auf der Straße sich erkundige, ob man auf dem rechten Wege sei, d. h. man müsse das vorgeschriebene Wort zum Leitfaden nehmen, aber im Zusammenhang des Stückes fleißig auf Stellen Achtung geben, »die den Grad des Affectes und der Bewegung richtiger und genauer bestimmen«4. Türk bringt in seiner Klavierschule eine ausführliche Besprechung der Tempo- modifikation5. Er meint, man könne bei Stücken, deren Cha- rakter Heftigkeit, Zorn, Wut, Raserei und dergleichen andeute, »die stärksten Stellen« beschleunigen, ebenso auch einzelne in der Wiederholung hervorgehobene Gedanken oder lebhaftere Par- tien zwischen Stellen von sanfter Empfindung. »Bey außer- ordentlich zärtlichen, schmachtenden, traurigen Stellen, worin die Empfindung gleichsam auf Einen Punkt zusammen gedrängt ist, kann die Wirkung durch ein zunehmendes Zögern, (Anhalten, tardando,) ungemein verstärkt werden. . . . Stellen, welche gegen das Ende eines Tonstückes (oder Theiles) mit diminuendo, diluendo, smorzando und dgl. bezeichnet sind, können ebenfalls ein wenig verweilend gespielt werden. Eine zärtlich r ührende Stelle zwischen zwey lebhaften, feurigen Gedanken, . . . kann etwas zögernd aus- geführt werden; nur nimmt man in diesem Falle die Bewegung nicht nach und nach, sondern sogleich ein wenig (aber nur ein wenig) langsamer. Besonders ereignet sich eine schickliche Ge-

i Mattheson, Vollk. Capellm. II, 7, §6 und III, 26, § 13. Vgl. auch Neu Er- öffn. Orchest., S. 91. Die Stelle aus der Methode bringt auch Scheibe, Über die mus. Compos. im Kapitel von der Taktbewegung, S. 299 f., §126. Scheibe sagt: »Ein Musikstück muß mit und in derselben Empfindung, mit welcher es der Componist gesetzt, oder die er auszudrücken gesuchet hat, und die es also gleichsam beseelen soll, aufgeführet werden . .

2 S. o. S. 229.

3 A.a.O. I, 2, §7.

4 Anw. zum mus. rieht. Ges., Anhang, § 3. & A.a.O. S. 371 f.

Kl. Handb. der Musikgescli. X.

242 Fünftes Kapitel.

legenheit zum Zögern in Tonstücken, worin zwey Charaktere von entgegen gesetzter Art dargestellt werden . . . Überhaupt kann das Zögern bey Stellen in langsamer Bewegung wohl am zweckmäßig- sten statt finden1.« Türk hat sogar hakenförmige Zeichen für die Angabe von Beschleunigung oder Aufhaltung des Zeitmaßes er- funden; er setzt sie über oder unter die Noten, ohne damit in der Praxis durchgedrungen zu sein2.

Alle diese Nachrichten zeigen, daß es bei der Tempoführung nicht auf die einzelne nur allgemein gültige Tempo- und Affekt- bezeichnung ankam, sondern auf ein Verstehen und Erfassen der in der Musik ausgedrückten Ideen. Diese bestimmten Vor- trag und Tempomodifikation.

Junker hat die entwickelten Grundzüge der Direktionskunst an speziellen Beispielen erläutert3. Seine Ausführungen, die für das 18. Jahrhundert geradezu klassisch sind, mögen hier als Zu- sammenfassung und Spezialisierung unserer Darstellung im Wort- laut folgen. Er beantwortet die Frage nach der Tempobestimmung mit folgenden Worten:

»Für den Kapellmeister, in so ferne wir ihn hier als Cemba- listen, oder überhaupt als Direktor, gedenken, kann das Allegro, nicht an einen einzigen erschöpfenden Begriff von Geschwindig- keit, das Adagio, nicht an den von Langsamkeit, gebunden seyn.

»Die nähere Bestimmung der Bewegung beruhet blos auf dem Ge- schmack; beruhet auf seinem eigenen Gefühl der Wahrheit, das erst fixirt werden kann, durch vorhergegangenes Studium der Partitur, und um so sicherer bestimmt werden kann, wenn das Stück selbst, Singmusik ist. . . .

»Die Bewegung des Stücks . . . wird ganz allein bestimmt, nach der, im Stück enthaltenen Haupt-Empfindung; und deren Gang, deren Bewegung, muß der Kapellmeister kennen; Studium der leidenschaftlichen Bewegung, muß also auch schon aus diesem Grunde, sein Hauptstudium seyn.

»Wenn der Sezer [Komponist], über sein Stück Allegro sezet, so versichert er also mit einem Wort, daß er eine Empfindung,

1 Türk gibt im Anschluß daran noch einige Musikbeispiele. Er zeigt, daß man Einleitungen in Haupsätze retardieren und einen »matten Gedanken« bei der Wiederholung zuweilen etwas verweilend spielen kann.

2 Die Figuren hat auch Georg Friedrich Wolf in seine Musikbücher auf- genommen. Unterricht im Klavierspielen 1784, S. 85 f. Kurzgefaßtes Musi- kalisches Lexikon 1787, Art. »Zeichen«.

« A. a. 0. S. 20 ff.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 243

in einer merklich lebhaften, oder geschwinden Bewegung, vor- trage: Aber welche, von den Empfindungen, von den Leyden- schaften?

»Eine Gesellige, oder Menschenfeindschaftliche? Und welche unter den Gesellschaftlichen? Wäre es gleich viel? haben Freude, Liebe, Wohlwollen, Erstaunen, Dankbarkeit, Entzückung, einerley Gang, einerley Bewegung??

»Der Direktor kann also ohnmöglich nach der bloßen Bezeich- nung, die richtigste Bewegung bestimmen; der Sezer kann es eben so wenig durch sie; Nur bey der Singmusik, thut es der Dichter; Er legt durch die nähere Bezeichnung der Leydenschaft, und dadurch, daß er sie kolorirt, die Art ihrer Bewegung auch näher ans Herz des Kapellmeisters, in so ferne er dirigirt.

»Ist es nicht Singmusik; so muß er die Art der Bewegung, im Thema des Stücks suchen.

»Welchen Vorzug hat abermahls die Singmusik, wenn es auf -die genaue Bestimmung der Zeitfolge ankommt !

»Laßet uns drey Grundregeln bestimmen, die den Kapellmeister, dessen Sache es ist, Musiken aufzuführen, immer sicher und rich- tig führen können.

»Um die Bewegung richtig und entsprechend zu bestimmen: nimm

1. Rücksicht, auf den besonderen Anlaß, und Gelegenheit der Musik.

2. Frage besonders (dieß gielt hauptsächlich bey Oratorien) nach dem Hauptinhalt des Ganzen.

3. Richte dich, bey Conzerten nach der Natur des Instruments, bey Solo Arien nach den Fähigkeiten des Sängers1, und dem Inhalt der Arie, und in beyden zum Theil nach dem Wunsch, des Spielen- den, oder Singenden, wenn sie Kenntniß, mit Geschmack ver- binden.

1 »Die Erlaubniß, sich in der Bestimmung des Tempo auch nach den Fähig- keiten des Sängers zu richten, scheint mir sehr mißlich und gefährlich. Man sieht nicht recht, wo diese Erlaubniß ihre Gränzen habe.« Diese Anmerkung in Cramers Magazin (II, 2, S. 757) trifft nicht das Rechte. Gewiß sind die Grenzen in der musikalischen Praxis schwer zu ziehen, aber Junker meint doch nur das gleiche, was Q u a n t z empfiehlt : Man achte bei schnellen Stücken auf die Fertigkeit und die Stimmen der Sänger: »Ein Sänger, der die geschwinden Pas- sagien alle mit der Brust stößt, kann dieselben schwerlich in solcher Geschwindig- keit herausbringen, als einer, der sie nur in der Gurgel markiret« (XVII, VII, § 52), oder an anderer Stelle: Der Anführer muß dem Concertisten die Freiheit lassen, »sein Tempo zu so fassen, wie er es für gut befindet« (XVII, I, § 6).

16*

244 Fünftes Kapitel.

* »Der besondere Anlaß, oder die Gelegenheit der Musik hilft

mit bestimmen.

»Die besonderen Anläße laßen sich sehr leicht in zwey Ge- schlechter theilen, nemlich in freudige, und in traurige.

»Sind sie un vermischt freudig, oder traurig, so wie sie es selten sind; so ist der Weg zur Bestimmung der Bewegung, leicht und sicher für den Direktor.

»Schwehr und unsicher ist dieser Weg, wenn bey solchen Ge- legenheits-Musiken (so wie es . . . fast immer geschiehet) Emp- findungen der Freude zum Beyspiel, mit entgegengesezten Emp- findungen, als zum Beyspiel, der Traurigkeit, der Melancholie, abwechseln; und so umgekehrt; und also dadurch aufhören, unvermischt zu seyn.

»Wie sieht es da mit der Bewegung aus ! Welches sind die Data ihrer Bestimmung?

»Bey diesem Wechsel entgegengesezter Empfindungen, hier wo eigentlich die leztern blos die Resultate der erstem sind, kann doch wahrhaftig am allerwenigsten, die Freude an den bloßen Begriff der Geschwindigkeit, die Traurigkeit an den bloßen Begriff der Langsamkeit ... für den gebunden seyn, der die Zeitfolge bestimmen soll.

»Wenn das Miserere mit dem Magnificat, in einer und derselben Musik und in einer so kurzen Zeitfolge abwechselt, welche feine Nüanzen von Mittelbewegungen zwischen beyden, entsprechen dieser Abwechslung?

»Laßet uns die Sache deutlicher machen, dadurch, daß wir sie auf einen besondern Fall, concentriren, laßet uns ohngefähr, ein Friedensfest, als den Anlaß, als die Gelegenheit, der besondern Musik annehmen.

»Dank wäre der Zweck des Festes überhaupt. Er wär's auch für den Dichter, und Sezer, allein für den Sezer könnte er keinen andern Ausdruck haben, als den, den die Freude überhaupt hat, weil er ihn durch keine andre Zeichen ausdrücken kann, als durch die, durch welche er, die gesellschaftliche Leydenschaft der Freude, überhaupt ausdrückt.

»Wäre dieß nun der Charakter dieser Gelegenheits-Musik über- haupt; so entsteht die Frage, ob er es im Ganzen und unver- mischt ganz wäre.

»Wäre die höhere Freude der Andacht der Geist, der in dieser Musik herrschen müßte, so entstehet die Frage, ob er ganz allein,.

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 245

durchaus ganz kenntlich, ohne Vermischung, ohne Kontrast, herrschen könne.

»Nein! Denn diese Freude wäre hier erst das Resultat ihrer entgegengesezten Empfindung; könnte und dürfte es hier nur seyn, müßte selbst, als dieß Resultat sinnlich vorgestellt werden, wenn sie nicht dunkel, sondern erklärlich, begreiflich seyn soll; und so müßten auch, um dem Stück mehr Leben, Wärme, und Deut- lichkeit zu geben, jene einzelnen Empfindungen von Schrecken, Furcht, Bemitleiden, Traurigkeit, in der Stufenfolge mit ange- geben werden, in welcher sie, zur Zeit des Kriegs, das Herz be- stürmten.

»Dieß, was eigentlich für den Sezer gesagt zu seyn, scheinen könnte, hat auch seinen großen Nuzen für den Direktor der Musiken ! Denn die Frage, ,\vie ist die Bewegung der Freude, und der Traurigkeit, einzeln und an sich betrachtet?' löst sich eigentlich jezt in die Frage auf: ,wie muß die Bewegung beyder seyn, in einer, an einander geketteten Zeitfolge, nicht mehr an sich, sondern kontrastirend betrachtet?'1.

»Die Bewegungen, die zwischen dem Begriff von Geschwindig- keit und Langsamkeit liegen, erschöpft der Componist noch lange nicht, wenn er auch die Bewegungen der Geschwindigkeit, durch Maestoso Moderato, presto, näher bestimmen wollte; denn sie sind nur dem feinsten Gefühl merkbahr.

»Die Bewegung der Freude, in so ferne sie Resultat ihrer ent- gegengesezten Leydenschaft ist, ist so unendlich entfernt von aufbrausender Hize, und schnellen Gang, daß sie vielmehr in Ruhe, und froher Gelaßenheit bestehet2.

»Dieß ist eine Grundregel für den Kapellmeister, er mag nun Sezer, oder Aufführer seiner Musiken seyn. Und sie wird sich in der Folge mehr bestätigen.

»Bey der Bestimmung der musikalischen Zeitfolge muß der Direktor auch Rücksicht nehmen, auf den Zweck, und Haupt- inhalt des Ganzen.

1 Nichts ist Sprung in der Natur; . . . keine Empfindung geht durch einen Sprung in ihre entgegengesezte über. Es giebt Mitteltöne, die eine Empfin- dung durchgehen muß, wenn sie zu ihrer entgegengesezten über gehen will. (Anm. Junkers.)

2 Denn empfindet die Seele, Freude nach Schmerzen, so empfindet sie eigent- lich Freude, über dasWegseyn, des Schmerzens. Ihre Freude ist also nicht unver- mischt, sondern mit dem mentalen Bewußtseyn ihres vorigen Zustandes, ver- bunden (Junker).

246 Fünftes Kapitel.

»Eine Regel, die man besonders für die Arten der traurigen Musik, nicht genug empfehlen kann. Durch den Mangel dieser Regel, habe ich oft unsere besten Paßions-Musiken , entstellt gefunden. Es ist unglaublich, wie sehr durch eine falsche Takt- bewegung die Wahrheit des ganzen, und ihr Eindruck geschwächt wird.

»Um unsern Saz deutlicher zu machen, so wollen wir uns hier, auf ein ganz bekanntes Stück, auf das Stabat Mater [Pergolesis], als Beyspiel berufen.

»Der Hauptinhalt dieses Oratoriums wäre Traurigkeit, auf der Seite, wo sie am erklärlichsten ist, auf der Seite, wo sie aus Mit- leid entstand. Die erhebenden Leydenschaften, die in diesem Oratorio mit vorkommen, stehen in einer nahen Verbindung mit ihr; also jede Bewegung der Freude, die der Sezer an den Begriff der Geschwindigkeit nur überhaupt binden, und mit Allegro be- zeichnen konnte, muß der Direktor, nur in der Bewegung einer mäßigen Geschwindigkeit, vortragen lassen.

»Denn hier ist keine einzige erhebende Leydenschaft unvermischt, rein.. . .

»Zuerst mußte das Herz [des Christen] seinen Jammer mit empfinden, ehe es sich durch die Betrachtung der seeligen Folgen seiner Leyden, erheben konnte.

»Diese Geschichte des Herzens mußte wenigstens der Compo- nist liefern, an diese Stufenordnung mußte er sich wenigstens mit dem Dichter binden.

»Aber sollte denn diese Anmerkung, nicht gleichfalls für den Direktor der Musiken intereßant seyn, da sie ihm einen sichern Weg bahnen kann, zur Erfindung, richtiger musikalischer Be- wegungen?

»Geschehen Verändrungen , durch allmählige Uebergänge, so muß hier, selbst in der Freude, noch leiser Nachklang der Traurig- keit tönen ; so muß die Freude über die Versöhnung, noch etwas an sich haben, von der Traurigkeit über den Leydenden.

»So unterscheiden sich für die Bestimmung der Zeitfolge über- haupt, in einem Kirchenstück, alle erhebenden Leydenschaften, von den erhebenden geselligen Leydenschaften überhaupt; so unter- scheidet sich die Freude aus Andacht entsprungen, überhaupt von jeder andern Freude, kurz so macht der Begriff der Andacht überhaupt, mäßige leidenschaftliche Bewegung nothwendig.

»Es ist offenbahrer Betrug, für das, nun schon einmahl, in den ruhigen leisen Ton der Andacht gestimmte Herz, wenn man die

Taktschlagen und Doppeldirektion im < 8. Jahrhnudert. 247

Allegros in geistlichen Musiken, so schlendrianmäßig herunter- rollen hört1

»Unsre dritte Regel war: der Direktor muß sich in der Be- stimmung der musikalischen Zeitfolge, nach der Natur des Instru- ments, und auch nach dem Willen des Spielers . . richten; .... [denn] jedes Instrument, hat seinen eigenen erreichbaren Grad von Geschwindigkeit2

»Das was ich bisher von der Einschränkung, der Geschwindig- keit eines Allegro gesagt habe, gilt auch von der Einschränkung der Langsamkeit eines Adagio. Nicht [von der] Vorzeichnung des Sezers, denn sie ist zu arm, wie wir wißen; Also nicht Begriff der langsamen Bewegung überhaupt, sondern Zweck und Haupt-

1 Junker gibt für seine Theorie in einer Anmerkung folgendes interessante Beispiel. Er zitiert den Schlußchor aus Grauns »Tod Jesu«: »Hier liegen wir gerührte Sünder«. Die begleitenden Stimmen sind dort staccato gesetzt, sie sollen das von vielen Empfindungen bestürmte Herz des Sünders zeichnen. Hier sind die Pulsschläge nach Junker nicht abgezirkelt genau zu nehmen, son- dern jedes Sechzehntel muß mit dem punktierten Achtel oder das Achtel mit dem punktierten Viertel ohne Gefühl des Zwischenraums leise verbunden werden. In der Oper würde der gleiche Staccatoeffekt etwa als Ausdruck der bangen Sorgen eines verurteilten Sklaven möglichst genau gespielt werden. Hier ist die Wirkung denn auch eine ganz andere als in religiösen Stoffen. Auch Petri (a. a. 0. S. 159) zitiert die gleiche Stelle bei Graun. Er meint, der Bogen müsse hier geschleppt werden, sonst würde die Traurigkeit zur Wildheit; das Seufzende und Traurige solle in dem Chor vorherrschen, nicht das Trotzige; Wehmut sei aber »allezeit ein sanfter, niedergeschlagner Affekt, ohne Wildheit« (vgl. Reich ard ts Briefe eines aufm. Reisenden, S. 56, wo die gleiche Ansicht vertreten wird). Die Ausfüh- rungen Junkers über die Modifizierung freudiger Affekte in Kirchenstücken, die, wie wir gesehen haben , auch Q u a n t z ausdrücklich verlangt, wird von C r a m e r in dem Abdruck des Junkerschen Aufsatzes eingeschränkt. Er sieht nicht ein, daß die Person, welche die freudige Stelle singt, von der andern verschieden sein könne, mit andern Worten, er glaubt nicht, daß die Arie: »Sings dem gött- lichen Propheten« noch Traurigkeit atmen solle. Dem wäre entgegenzuhalten, daß der zweite Teil der Arie ein etwas gemäßigtes Zeitmaß ganz gut ver- trägt. Die Frage nach den freudigen Sätzen in kirchlichen WTerken ist heute wieder aktuell geworden. Es gibt auch für Cramers Anschauung Verteidiger. (Vgl. Schnerich, Messe und Requiem seit Haydn u. Mozart. Wien, Leipzig. 1909.) Junker ist zweifellos im Recht. Die Allegri der Messen und Kirchen- musiken müssen moderiert gespielt werden, wenn anders der Eindruck einer liturgischen Musik gewahrt werden soll. Daran ändert die Tatsache nichts, daß gerade zur Zeit Haydns die theatralische Kirchenmusik in allgemeine Auf- nahme kam.

2 Die weiteren Ausführungen Junkers über diese bekannten Dinge über- gehe ich.

248 Fünftes Kapitel.

empfindung des Ganzen, und hauptsächlich der Kontrast ent- gegengesezter Empfindungen, bestimmen sie.

»Durch die verfehlte Bewegung eines Adagio, wird die Täuschung für's Herz weit mehr gehindert, als durch die, eines Allegro; und es giebt Fälle, besonders bey Trauer-Musiken, wo man das Adagio fast nicht langsam genug vortragen kann

»Nun entsteht noch eine intereßante Frage? ,Wie? ist jedes Stück durchaus, jedes Allegro, jedes Adagio, an eine völlig gleich - förmige Bewegung gebunden? Muß jedes Stück, ganz bis zu Ende, in der nemlichen Bewegung, die sich niemahls, weder einer größern Geschwindigkeit noch Langsamkeit nähert, vorgetragen werden? Oder darf diese Bewegung, selbst in der Mitte des Ton- stücks, etwas abgeändert, darf sie beschleunigt, darf sie zurück gehalten werden?.'

»Das erste überhaupt bejahen, würde eben so viel heißen, als der Tonkunst, oft das kräftigste Mittel der Rührung be- nehmen, und sie, außer aller Beziehung, auf die verschie- denen Modifikationen1, der leidenschaftlichen Bewegung ge- denken.

»Das letzte überhaupt bejahen, würde den Strom aus seinen Ufern reißen, tausend Unordnungen verursachen, und der Ton- kunst, ihre Wahrheit, benehmen heißen.

»So bald der lezte Satz eingeschränkt wird, so läßt er sich bejahen; der Conzertist, der Solo-Sänger schränken ihn ein.

»Es giebt keine Leydenschaft, deren Bewegung, sich selbst immer gleichartig, abgezirkelt seyn sollte; Sie wälzt sich durch verschiedene Modifikationen der Bewegung hindurch.

»Daß diese Modifikationen, der Komponist, durch seinen Satz selbst, durch die verschiedenen Arten der Kolorirung, beßer und vollständiger ausdrücken könne, als der Direktor, durch die Ver- änderung der musikalischen Zeitfolge, bleibt richtig; aber eben so richtig bleibt es, daß beyde, Sezer und Aufführer, einander in die Hände arbeiten müßen, und daß die Verände- rung der Zeitfolge, als unterordnete Kunst, noth- wendig bleibe.

1 »Modifikation« ist im 18. Jahrhundert ein Lieblingsausdruck der Musik- theoretiker, der besonders bei der Affektenlehre oft vorkommt. Man findet ihn auch häufiger in Verbindung mit der Tempoführung. Vgl. Rousseau, Dic- tionnaire, Art. »Mouvement<. Marpurg sagt: Die »Modification des Zeit- raums« nach Charakter und Affekt eines Stückes wird besser mit »Bewegung oder Zeitmaß« als mit dem Worte Takt ausgedrückt (Anl. zur Musik, S. 68).

Taktschlagen und Doppeldirektion im \ 8. Jahrhundert. 249

»Ich höre nicht gerne von Nachgeben, wenn es eine Kapelle darnach ist, aber ich behaupte zu gleicher Zeit, daß in einer guten Kapelle, wie ich mir sie denke; das heißt, daß, von Ripienistcn, die Geweihte der Kunst sind, dem Conzertisten, oder Solo-Sänger, nachgegeben werden müße, da, wo er die Kleinheitsschönheiten, die ihm der Sezer nicht vorschreiben konnte, und die ganz seinem eigenen Geschmack überlaßen sind, in seine Solos, webt.

»Ferner: so wenig ich, überhaupt vom Tempo rubato halte, (weil es meistens zu halsbrechendem Geklirr, gemißbraucht zu werden pflegt) so behaupte ich doch, daß in einer guten Ka- pelle, das heißt, von Männern, die dadurch nie irre gemacht werden können, dem Conzertisten nachgegeben werden müße, wenn er Geschmack genug hat, die Tonverziehung da anzubringen, wo sie hin gehört , und unter denen Umständen anzubringen, unter welchen sie Wirkung thun kann1.

»Des Cembalisten Sache ist es, den Solospieler, oder Sänger, der zunächst bey ihm am Flügel steht, am ersten, und sichersten zu verstehen, und so wie er ihn verstanden hat, den Strom auf- zuhalten oder fortzutreiben.«

Junker gibt mit seinen Ausführungen in den Hauptzügen nicht mehr als die übrigen Musiker. Der Wert seines Aufsatzes liegt in der auf bestimmte Fälle angewandten Untersuchung. Er zeigt die Wege, denen der Kapellmeister bei Bestimmung des Ausdrucks- gehaltes eines Stückes folgen muß, und beweist die Tempomodi- fikation aus Natur und Charakter der Musik. Seine Theorie schließt vollkommen an die gegebenen Grundsätze an: Bestimmung, Charakter, Anlage des Tonstücks, Aufstellung und Durchführung der Affekte geben die Richtlinie für Vortrag und Tempoführung.

Diese Lehren und die Hervorhebung der Affektendirektion ergänzen das Bild, das vom Dirigieren im 18. Jahrhundert ent- worfen wurde. Wir stehen vor einer Kunst der Direktion, die durchaus unseren modernen Forderungen gleichkommt. Ja der Dirigent der alten Zeit hatte noch ein größeres Feld künstlerischer Betätigung als unsere Kapellmeister, denn die Freiheit im Vortrag, der Subjektivismus in der gesamten Musikpraxis erforderte neben musikalischer Tüchtigkeit auch organisatorisches und päda- gogisches Talent.

Junker schließt den zitierten Ausführungen ein Kapitel »Von der Politik des Kapellmeisters« an. Er sagt da, ein Kapellmeister

1 S. o. S. 207.

250 Fünftes Kapitel.

müsse stets freundlich sein, nicht schimpfen und nicht beleidigen. Das sei die wahre Politik des Dirigenten. Darin kommt er mit Mattheson überein, der verlangt, daß ein Chordirigent mit »un- gezwungenen Lobsprüchen nicht faul« sein solle, wenn er nur einigermaßen dazu Ursachen finde. Er soll seine Aussetzungen und Monierungen »ernsthafft, doch so gelinde und höfflich, als nur immer möglich« anbringen und sich befleißigen, stets »um- gänglich, gesellig und dienstfertig« zu sein1. Nach diesem Re- zept ist Joh. Ad. Hill er verfahren. Sehr zu seinem Nachteil, wie es scheint, denn Burney weiß zu erzählen, daß Hillers Proben schlecht gingen, weil er zu wenig polterte und lärmte, zu wenig den strengen Herrn spielte2. Als Vorbild in der Politik des Ka- pellmeisters nennt Mattheson den bekannten Kapellmeister der deutschen Oper in Hamburg, Joh. Sieg. Cousser, der eine Gabe besaß, »die unverbesserlich war«: er war nämlich »uner- müdet im Unterrichten; ließ alle Leute, vom grossesten bis zum kleinesten, die unter seiner Aufsicht stunden, zu sich ins Haus kommen; sang und spielte ihnen eine iede Note vor, wie er sie gern herausgebracht wissen wollte; und solches alles bey einem ieden ins besondre, mit solcher Gelindigkeit und Anmuth, daß ihn iedermann lieben, und für treuen Unterricht höchst ver- bunden seyn muste. Kam es aber von der Anführung zum Treffen und zur öffentlichen Aufführung, oder Probe, so zitterte und bebte fast alles vor ihm, nicht nur im Orchester, sondern auch auf dem Schauplatze: da wüste er manchem seine Fehler mit solcher empfindlichen Art vorzurücken, daß diesem die Augen dabey offt übergingen. Hergegen besänfftigte er sich auch alsofort wieder, und suchte mit Fleiß eine Gelegenheit, die beigebrachte Wunden durch eine ausnehmende Höfflichkeit zu verbinden. Auf solche Weise führte er Sachen aus, die vor ihm niemand hatte angreiffen dürffen3.« Ein strenges Regiment führte Lully, der, wie Mattheson nacherzählt, »demjenigen die Violine auf dem Puckel entzwey« schlug, welcher sie nicht zu gebrauchen wußte. »Aber nach geendigter Probe ruffte er ihn zu sich / bezahlet ihm

i Vollk. Capellm. III, 26, § 7.

2 Burney, Tagebuch III, S. 47. Burney schließt daran die Bemer- kung: »es ist eine traurige Anmerkung, daß wenigen Komponisten von einem Orchester Gerechtigkeit widerfährt, wenn sie die Spieler nicht vorher hart an- gefahren und sich in ein gewisses Ansehn gesetzt haben.«

3 Vollk. Capellm. III, 26, § 8. Vgl. auch Mattheson, Grundlage einer Ehren- Pforte, Art. »Gottfr. Krause«.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 1 8. Jahrhundert. 251

die Violine doppelt/ und behielt ihn bey sich zu Gaste (I)1.« Nach Junker soll auch Jommelli nicht immer die nötige Zurückhaltung gewahrt haben; er brachte aber Aufführungen zustande, von denen die Zeitgenossen im Tone der höchsten Begeisterung schreiben2. Auch Händel war ein strenger Kapellmeister, der sich von Primadonnen und Virtuosen so leicht nicht drein- reden ließ3. Geradezu »unausstehlich« wird die Glucksche Poli- tik genannt4. Wie es bei seinen Proben zuging, davon hat uns Joseph Kämpfer einen hübschen Bericht gegeben. »So ein gut- müthiger lieber Mann [Herr Gluck] sonst in jedem Verhältnisse des Lebens ist«, erzählt er, »so macht er doch, sobald er auf dem Platze als Director steht, den wahren Tyrannen, der durch den geringsten Schein von Fehler in Harnisch und bis zu den stärk- sten Äußerungen der Hitze gebracht wird. Zwanzig, dreyssig- mal reicht nicht, daß er die geübtesten Spieler der Capelle, unter denen gewiß Virtuosen sind, die Passagen widerholen läßt, bis sie die von ihm intendirte Wirkung desEnsemble herausbringen. Er brusquirt sie alsdenn so sehr, daß sie ihm oft schon den Ge- horsam aufgekündigt und nur durch Zureden des Kaisers: ,Ihr wißt ja, er ist nun einmal so ! er meints nicht so arg' haben bewogen werden können, unter ihm zu spielen. Auch müssen sie immer doppelt bezahlt werden, und diejenigen, die z. E. für ihr Spielen Einen Ducaten sonst erhielten, bekommen, wenn Gluck dirigirt, zweye. Kein Fortissimo kann ihm an gewissen Stellen stark und kein Pianissimo schwach genug seyn5.« Auch allerlei amüsante Geschichten werden erzählt. Reichardt schreibt in seiner Autobiographie6, Kaiser Joseph habe mit ihm über Glucks Direktion gesprochen und erzählt, wie Gluck einmal bei

1 Mattheson, Critica musica I, S. 180.

2 Schubart, Ges. Schriften I, S. 83. Mus. Realzeitung (Boßler) 1789, abgedruckt bei Abert, Jommelli, S. 102. Hiller sagt allerdings, Jornmelli soll »gefälliger und höflicher« als Händel gewesen sein (Lebensbeschreibung, S. 181).

3 B u r n e y , Tagebuch II, S. 253. Vgl. H i 1 1 e r, a. a. 0. S. 104 u. 119,

4 Junker, a. a. O. S. 46. Burney, a. a. O. II, S. 253: »Er ist ein strenger Zuchtmeister, und eben so furchtbar als Händel zu seyn pflegte, wenn er ein Orchester dirigirte; dennoch versicherte er mich, daß er seine Brigade niemals widerspenstig befunden habe, ob er gleich niemals gelitten, daß sie den geringsten Theil ihrer Schuldigkeit versäumt, und er sie zuweilen eines von seinen Manö- vern zwanzig bis dreyssigmal habe machen lassen. «

5 Cramer, Magazin I, 1, S. 561 f.

6 Schletterer, Joh. Fr. Reichardt, 1865, S. 326/7.

252 Fünftes Kapitel.

einer Aufführung unter dem Pult hinweggekrochen sei zu einem Kontrabassisten hin, der falsch spielte und auf seinen Wink und Ruf nicht achtete, und ihn so derb in die Wade gekniffen habe, daß er aufschrie und sein gewaltiges Instrument mit großem Ge- räusch hinwarf. Als dem dirigierenden Meister ein anderes Mal die Trompeter bei einem kriegerischen Gefecht immer nicht stark genug bliesen, rief er zuletzt, um sie zu schmetterndem Blasen anzuhalten, aus vollem Halse: »Mehr Blech, mehr Blech!« Gluck hat selbst einmal erzählt, daß er, wenn er für die Kom- position einer Oper 20 Livres bezahlt bekomme, für das Ein- studieren 20 000 Livres erhalten müßte1.

Die Zeitgenossen berichten aber auch von den großen Er- folgen, die Gluck mit seiner Politik erzielte. Er schmolz alles »durch die genauesten Verabredungen mit Maschinist, De- korator und Balletmeister in ein großes Ganzes zusammen, das des kältesten Hörers Herz und Geist erschütterte«2. In dieser peinlich genauen Einstudierung seiner Opern war Gluck der Spontini des 18. Jahrhunderts. Auch sein ganzes Auftreten er- innert an den Berliner Generalmusikdirektor, wenn man Kämpfers Schlußbericht liest. Es heißt da, es sei »ganz originell, wie jede Stelle des Affects, des wilden, sanften, traurigen«, sich in seinen Mienen und Geberden male: »Er lebt und stirbt mit seinen Helden, wütet mit dem Achill, weint mit der Iphigenia, und in der Sterbe- arie der Alceste bey der Stelle: manco . . . moro ... e in tanto affano non pianto etc. sinkt er ordentlich zurück, und wird mit ihr beynah zur Leiche. «

Die Gluckschen Direktionserfolge können allein die Berichte über sein unermüdliches Studieren erklären. Aber sie erhalten erst ihre rechte Beleuchtung, wenn man daran denkt, daß Gluck in seinen Werken mit der allgemein gültigen Praxis brach. Bei seinen Aufführungen gab es keine eigenmächtigen Improvisationen der Solisten und Konzertspieler mehr. Alle Mitwirkenden durften nur den Notentext bringen, keine Manieren oder willkürliche Veränderungen einlegen. Seine Opern sind in ihrer Einfach- heit und Schlichtheit auf die strengste und peinlichste Genauig- keit im Vortrag angelegt. Ein Stück wie das »Che farö senza Euridice« aus dem Orpheus wird nach Glucks Worten durch die geringste Veränderung im Tempo oder Ausdruck zu einer Arie

i Marx, Gluck und die Oper, 1863. II, S. 112. 2 Schubart, Ges. Schriften I, S. 92.

Taktschlagen und Doppeldirektion im 18. Jahrhundert. 253

für das Marionettentheater. Ein Triller, eine Passage, ein Tempo- versehen könne den Effekt der ganzen Szene zerstören1. Diese Einheit von Vorschrift und Ausführung, von Szene und Orchester, von Solo und Akkompagnement war im 18. Jahrhundert nur durch einen Dirigenten von der Energie und Willenskraft, wie sie Gluck besaß, zu erreichen.

Der in Deutschland allerdings erst spät einsetzende Erfolg seiner Opern und vor allem der Aufschwung der deutschen Sin- fonie entschieden zum großen Teil das Geschick der alten Im- provisationskunst. Eine neue Musikpraxis erstand. Die Litera- tur der Vorklassiker, der Mannheimer, die Werke Haydns, Glucks und Mozarts stellten neue Ziele und lenkten in andere Bahnen. Der Continuo verschwand aus der Sinfonie, und der Klavierist überließ die Führung dem Konzertmeister. Die Musiker r die selbständig für ihren Part eintraten, ihn frei ausführten, räum- ten den Instrumentalisten das Feld, die lediglich die Noten nach den gegebenen Vorschriften abspielten. Was Quantz von den Ripienisten verlangte, was Em. Bach und Mattheson voraussetzten, wurde vom Orchesterspieler der Beethovenschen Zeit nicht mehr gefordert. Die Kapelle wurde ein vielstimmiges InStrument in der Hand des Dirigenten die Selbständigkeit der Orchester- musiker ging verloren. Eine Entwicklung, die von den Mann- heimern, von Jommelli, Gluck, Reichardt u. a. angebahnt und durch die deutsche Instrumentalmusik, durch den Sieg der klassischen Kunst zum Abschluß gebracht wird.

Sechstes Kapitel. Die Berufskapellmeister in Deutschland.

Wenn man an die Epoche der höfischen Kunstinteressen denkt, an die Zeiten, in denen ein Musiker als Komponist, Dirigent und womöglich auch als Virtuose aufzuwarten hatte, und sich ver- gegenwärtigt, wie Beethoven, Schubert oder Mendelssohn im Leben standen, so sieht man den Umschwung, den die Jahr- hundertwende im Musikleben gebracht hat. Dort ein Schaffen auf Bestellung, aus Dienst- oder Geldrücksichten hier ein Musizieren aus innerster Notwendigkeit, ein freies künstlerisches Wollen, das die Musik als Lebensbedingung aller Menschen sieht.

i Vgl. Marx, a. a. O. I, S. 444.

254 Sechstes Kapitel.

Gewiß haben die Musiker der vorangehenden Epochen selbst bestellten Arbeiten Ewigkeitswerte verliehen, aber das Wirken des Musikers ist doch erst nach Beethovens Vorbild freier und idealer im guten und schlechten Sinne des Wortes geworden. Wie im politischen Leben Deutschlands in den ersten Jahr- zehnten des 19. Jahrhunderts das nationale Bewußtsein auf- strebt, so wird auch in der Musik die Anteilnahme des Volkes an der Kunstpflege und Kunstübung der Grundstein einer neuen musikalischen Kultur. Die vielen Musikvereine, Singakademien und gemischten Chöre, die Musikfeste und die Begeisterung für die deutsche klassische Musikliteratur zeigen den Beginn eines neuen, auf breiterer, fester Basis stehenden öffentlichen Konzertlebens. Mit den Haydnschen Oratorien und dem Händel- kult auf den Musikfesten setzt die neue Zeit ein, sie blüht mit den Werken der Wiener Klassiker auf, um schließlich in die moderne, überreiche, aber einseitige Musikpflege einzumünden. Auf diesem Grund basiert die Stellung der Dirigenten im ver- gangenen Jahrhundert. Waren früher die Komponisten meist die Ausführer ihrer eigenen Werke, so scheidet sich im 19. Jahr- hundert die" Komponistentätigkeit vom Dirigentenamt. Mozart, Beethoven und Schubert hatten keinen Kapellmeisterposten, keine Anstellung wie Haydn oder Jommelli. Sie umgab eine Reihe kleinerer oder größerer Geister, die nicht mehr die eigene Literatur im alten Umfange vertraten. Der Kapellmeisterposten wurde unabhängig von den großen Tonsetzern, der Berufskapell- meister der Nachfolger der dirigierenden Komponisten und In- strumentalvirtuosen. Wer einmal in der Leipziger »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« die Konzertnotizen und auswärtigen Korre- spondenzen nachliest, wird Namen an Namen von Kapellmeistern aneinanderreihen können, die die Mission, deutsches Kunstschaffen zu interpretieren, allerorten mit mehr oder weniger Glück auf- nahmen. Es sind die Vertreter einer neuen Zeit in Konzert und Oper, die Vormänner der modernen Dirigenten.

Technik und Prinzip ihrer Tätigkeit ist die gleiche wie im 18. Jahrhundert, doch schafft die klassische Literatur andere Bedingungen und Grundsätze für die Aufführungen. Nicht das Zusammenwirken von Konzertmeister und Klavierist, nicht die Tüchtigkeit der Musiker in der selbständigen Ausführung ihrer Stimmen steht im Vordergrund, sondern allein die Kraft und der Wille des Dirigenten, der das Orchesterinstrument seinen Intentionen dienstbar macht. Die Geschichte des Dirigierens

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 255

wird zu einer Geschichte der Interpretationskunst, deren Aus- gangspunkt die Kunst der Klassiker bildet. Diese beendet das Generalbaßzeitalter und begründet Form und Methode unserer musikalischen Praxis.

Wir haben gesehen, wie der bezifferte Baß beinahe zwei Jahr- hunderte hindurch die Musikübung beherrschte, wie Kapell- meister und Musiker von der Generalbaßlehre in die Musik sahen, wie alle Welt, selbst die Dilettanten, ihr Bündel Theorie zugleich mit der Erlernung eines Instruments mit auf den Weg bekamen. Das bleibt so bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein. Dann mehren sich die ausgearbeiteten Tonstücke zum Teil noch mit Generalbaß ad libitum , um schließlich der Zeit der Buchstabenpraxis, d. h. der fertigen, unabänderlichen Aufzeichnung zu weichen. Wann die Sonaten, Trios und Sinfonien mit Con- tinuo aufhören, läßt sich in Jahreszahlen noch nicht bestimmen. Man findet bei den Wiener Vorklassikern, beim jungen Haydn und den Mannheimern oft Gontinuostimmen oder aber Lücken in der Harmonie, die auf eine Baßausführung am Klavier schließen lassen. Im deutschen Lied, wo man mit Laien und Dilettanten rechnen mußte, kündigt sich die neue Zeit schon bei Joh. Ernst Bach und Valentin Herbing an1. In der Kammermusik sind es Schobert und Mozart, in der Sinfonie Joseph Haydn (von den Pariser Sinfonien an) und Mozart, die eine Harmoniefüllung durch den Continuo, der sonst den Skizzen erst Form und Leben gab, überflüssig machen. Welche Veränderungen der Fortfall des bezifferten Basses in der Sinfonie geschaffen hat, zeigt ein Blick auf Haydns liebenswürdige erste Sinfonie (D)2 und auf seine englische B-dur-Sinfonie. Beide Werke trennt eine Welt voneinander. Im musikalischen Gehalt und im technischen Bild. Die Instrumente sind selbständig geworden, der Baß und die Bratsche haben sich vollständig vom alten Continuo gelöst, die rein instrumentalen Ausdrucksmittel sind bereichert, die Ak- kompagnementsbässe durch die durchbrochene motivische Arbeit, durch die volle, nuancenreiche Instrumentation ersetzt. Die Ein- bürgerung der Klarinette und die Beethovensche Wiederaufnahme des großen Blechbläserchors bedingen nicht den Unterschied, sondern die rein technische Behandlung der Instrumente, ihre solistische, im Ausdruck der Ideen vollwichtige Stimme und ihre

1 Hermann Kretzschmar, Gesch. des neuen deutschen Lieds, S. 226f.

2 Ges. -Ausgabe Breitkopf & Härtel, Nr. 1.

256 Sechstes Kapitel.

gruppenweise Zusammenfassung, die jene Lückenbeißer der Har- monie, die die Alten dem Continuo zuteilten, beseitigten. Mit dem Generalbaß verschwand auch der Klavierist aus der Sin- fonie. Der Violindirektor oder Taktstockdirigent wurde der alleinige Anführer der Musik.

Am längsten hielt sich der Continuo in der Kantate und in der italienischen Oper, wo das Klavier die Begleitung der Recita- tive und die Führung der Vokalisten bis weit in das 19. Jahr- hundert hinein behält. So sagt Friedrich Rochlitz in seinen »Bruchstücken aus Briefen an einen jungen Tonsetzer«, daß der Flügel oder sein Ersatz, das Pianoforte, für die Stimmung des Orchesters, für das Zusammenhalten der Harmonien und für die Recitativbegleitung unentbehrlich seien. Der Ausweg, die Recitative durch Cello- oder Geigenakkorde zu stützen, nütze wenig; mit der Begleitung am Pianoforte würde am besten das »sehr gewöhnliche Übel« beseitigt, »daß man einen Direktor hat, der außer dem Recitativ müßig sitzt, um nicht zu viel, oder der das schöne Anschließen unsrer jetzigen Instrumente an einander im Eigenen ihres Tones stört, um nicht zu wenig mitzuspielen«1. Ein Anonymus, der im Jahre 1803 die Frage: »Was soll man von dem Musikdirektor eines Operntheaters verlangen?« be- handelt und praktische Winke für das Einstudieren und Kor- rigieren bringt, ist der Meinung, daß in guten Orchestern das Pianoforte oder die Geige das beste Direktionsinstrument bilden; in weniger guten könne man aber den Flügel »seines hervor- stechenden Tons wegen« nicht leicht entbehren. Ohne alles Instrument zu dirigieren setze ein vorzüglich gutes Orchester und »die genaueste Übereinstimmung mit dem Cembalisten« vor- aus; auch diesen wegzulassen mache die Recitative »schaal und matt, wenn auch die Sänger so fest wären, ganz genau im Ton zu bleiben«. Der Kapellmeister solle nicht fortwährend mit- spielen, sondern nur bei Taktänderungen, in Recitativen, bei Fehlern und dgl.2. Daß bei dieser Direktionshilfe neben Flügel und Pianoforte auch die Geige gebraucht wurde, liegt in der Natur der Sache. Wer die Violine zu seinem Hauptinstrument gewählt hatte, wird die Oberleitung mit der Geige geführt und einem zweiten Musiker die Recitativbegleitung überlassen haben. Bei dieser Geigendirektion ging es mitunter nicht ohne Charla-

1 Allg. Mus. Ztg. 2. Jahrg. 1799, 3. Brief. S. 18/19.

2 Ebenda, 6. Jahrg., S. 165f., 172, 174.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 257

tanerie ab, wie ein Bericht in der Leipziger Musikzeitung zeigt. Der Dirigent, heißt es da, »lief mit eiligen Schritten, bald da, bald dorthin, rückte hier ein Notenpult zurecht, schob dort ein Licht auf die Seite, rief diesem zu, er stimme zu hoch, jenem, er stimme zu tief, gebot einem dritten mit mißfälliger Gebärde, zu schweigen, ermahnte einen vierten zur richtigen Execution seiner Solopartie, pochte einem fünften den Takt mit dem Finger auf die Schulter usw.« Dann gab er mit dem Geigen- bogen das Signal zum Beginn. Er setzte »die Geige unter das Kinn, hob sich mit sammt dem Instrumente, so daß dieses mit dem Kopfe zu dem Coulissenhimmel empor sah, auf den Zehen der Füße empor, legte den Bogen nahe am Frosch auf die Saiten, drehte noch einmal den Kopf, so weit es bey dem Beschwerlichen dieser Situation möglich war, nach beyden Seiten, und strich nun, als wenn er alle Saiten durchschneiden wollte, seinen ganzen Körper mit diesem Herunterstrich plötzlich so tief abwärts neigend, daß der Kopf unter das Pult zu stehen kam, herab«1. Aus dieser Karikatur erkennt man doch wahre Umrisse: die Schwierigkeit, ein schlechtes Orchester mit der Geige zu leiten. Bei gutgeschulten Musikern gab es hier weniger Umstände. Habeneck, der junge Spohr, Matthäi, Ferdinand David u. v. a., die mit der Geige dirigierten,, sind denn auch von solchen Persiflagen verschont geblieben.

Zu den Fortschrittsmännern, die die Klavierdirektion auch aus der Oper beseitigen wollten, gehört Joh. Friedr. Beichardt. Er dirigierte nicht mehr vom Flügel aus, sondern taktierte an einem besondern Dirigentenpult. Der Anonymus, der die Or- chesteraufstellung Beichardts beschrieben hat, nimmt ihm das Weglassen des Flügels recht übel. Er behauptet, die Sänger auf der Bühne hätten »ganz artig heruntergezogen«, weil kein Flügel aufgestellt war2. Auch Kirnberger schrieb an Forkel, daß »Beichardt, Marpurg und etliche solch Gesindel« den ä la modischen Geschmack durchsetzen und den Flügel vom Akkom- pagnement ganz verdrängen wollten3. Und der deutsche Bieder- mann sagt: »Wer dafürhält, der Flügel sey bey Orchestern gar nicht nöthig, der giebt deutlich zu erkennen, daß er von der ganzen Sache nichts verstehe!4« Aber diese reaktionären Stimmen

1 Allg. Mus. Ztg. 1814, 16. Jahrg. S. 392f.

2 Bemerkungen eines Reisenden, Halle 1788, S. 57.

3 Allg. Mus. Ztg. ed. Chrysander u. J.Müller 1871, S. 61 7 f. (Briefe Kirn- bergers an Forkel).

4 A. a. O. S. 30.

Kl. Handb. der Mnsikgesch. X. 17

258 Sechstes Kapitel.

drangen nicht durch. Je voller und selbständiger der musika- lische Satz wurde, um so mehr wurde das Klavier entbehrlich. Gramer, der die »Bemerkungen eines Reisenden« bespricht, macht die Anmerkung, daß Reichardt ihm gesagt habe, er hasse den von allen Saiteninstrumenten so heterogenen Ton des Klaviers beim Akkompagnieren. In Frankreich würde der Flügel häufig überhaupt nicht gebraucht, wie sollte da sein Fehlen an schlechten Aufführungen schuld sein?1 Rellstab sagt in seiner Gegen- schrift »Über die Bemerkungen eines Reisenden« geradezu: »Seit [Ph. Em.] Bachs Buch hat sich nun unser Harmoniesystem gewaltig geändert; wir haben den Flügel mit Recht von unsrer jetzigen Music verwiesen, denn es würde unausstehlich seyn, auf einem monotonischem Instrumente, nun noch monotonische Caco- phonie zu hören. Wir brauchen ihn nur noch bei Singmusiken zuweilen, und dabey ist das Accompagnement jetzt nicht mehr Wissenschaft, des Clavierspielers, sondern nur Hülfe des schwachen Sängers und bedarf man dazu weiter nichts als nur die Sing- stimme fleißig zu begleiten, in der Art wie dem Sänger am meisten geholfen wird2.«

Man sieht, daß die Generalbaßzeit ihrem Ende entgegengeht. Die neue Literatur verlangte eine andere Ausführungsform als die Werke Matthesons und Heinichens. »Das Harmoniesystem hat sich gewaltig geändert«, d. h. das Akkompagnement hat sich vom Gontinuo befreit, es ist durch den vollen Instrumentalsatz selbständig geworden. Sobald aber die Harmoniestütze in der Oper und Kantate vom Komponisten nicht mehr verlangt wurde, war die Geigen- oder Taktstockleitung auch hier die gegebene Direktionsform.

In der Literatur tritt für die moderne Praxis als einer der ersten Gottfried Weber ein. »Ich kenne keinen bodenlosem Streit«, schreibt er im Jahre 1807 3, »als über das Instrument, das bey Aufführung vollstimmiger Musikstücke zum Dirigiren das geschickteste sey? Keines, als der Taktirstab ! ist mein Bekenntnis Einer muß es seyn, dessen Willen im Moment un- bedingt alles überlassen bleibt, auch wenn dieser Eine weder dem Dienstrange, noch der Geschicklichkeit nach der Erste seyn sollte; und ihm müssen selbst die Granden seines Reichs im Augenblicke

i Mag. der Mus. III, S. 230 f.

2 J. Carl Fr. Rellstab, Über die Bemerkungen eines Reisenden, Berlin (1789) S. 38. Anm.

3 Allg. Mus. Ztg. 9. Jahrgg. 1807, S. 805f.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 259

blindlings nachfolgen Folgen nun alle diesem Einen, so kann

das ganze Chor und Orchester eben so wenig auseinander kommen, -als die zwey Hände oder die zehn Finger des Klavierspielers. . . . Wer es liebt, die Takte hörbar angeben zu lassen, wer das unaus- stehliche und unter gesitteten Menschen nie zu duldende laute Takttreten, oder das Klappern mit dem Bogen auf dem Musik- pulte, ertragen und dulden mag, der übertrage dem sogenannten Vorgeiger zugleich die Direktion und das Vorgeigen. Wer aber allen diesen Unfug gern verbannt sehen will, stelle einen Mann an die Spitze, welcher mit keiner Instrumental-Partie beschäftigt, sich ungetheilt der Sorge für das Ganze widmen kann; welcher blos taktire wohl gemerkt, nie hörbar, durch lautes Hämmern der Niederschläge auf das Pult, sondern immer nur sichtbar; dahingegen aber auch durch große, weit und leicht jedem Einzelnen sichtbare Bewegungen, durch Bewegungen, welche genau und unverbrüchlich die Takt- theile, so wie sie vorgeschrieben sind, angeben und zwar unaus- gesetzt angeben, nicht erst dann, wenn eine Unordnung sich zeigt oder im Entstehen ist und schon merkbar wird, damit jeder Ein- zelne, welcher mit seiner einzelnen Partie beschäftigt, einen Augen- blick ungewiß seyn sollte, durch einen einzigen Blick auf den Tak- tirstab sich seinen Zweifel auf der Stelle selbst lösen könne, ohne erst durch merkbares Fehlen den Dirigirenden zur Einhülfe auffordern zu dürfen.« Welches Instrument der Dirigent be- herrscht, ist nach Gottfried Weber gleichgültig, das beste ist, wenn er die Geige zur Hand hat, um den Sängern einzuhelfen, doch muß er sich »ausschließlich mit seiner Direktion, durchaus nicht mit Ausführung einer einzelnen Partie« beschäftigen.

Diese Direktionsführung, die durch Bernhard Anselm Weber, Carl Maria v. Weber, Spohr, Spontini und Mendelssohn propa- giert wurde, bringt viele Nachteile mit sich. Der Taktstock- dirigent, der kein Instrument zur Hand hat, kann vorkommende Fehler während des Spiels nicht so schnell verbessern, wie der Klavierist der alten Sinfonie und Oper, er kann unsichere Sänger nicht unterstützen und keine Choreinsätze durch Mitspielen angeben. Seine Hilfsmittel sind allein Winke, Zeichen oder Worte, mit denen bei schlechten Kräften wenig ausgerichtet wird. Voraussetzung seiner Direktion bleiben stets ein exaktes, ge- naues Studium und ein tüchtiges, gut eingespieltes, aufmerk- sames Orchester.

17*

260 Sechstes Kapitel.

Für die musikalische Bildung der Orchestermusiker ist die neue Direktionsführung nicht förderlich gewesen. Während früher jeder Musiker für seinen Part einstand, nach der allge- meinen Musiklehre und Schule des Konzertmeisters dynamische Abstufungen selbständig anbrachte und sein Solo ebensogut ver- zierte wie der Sänger, so hatte er jetzt nur noch die genau be- zeichnete Stimme nach den Angaben des Komponisten getreu abzuspielen. Jede Selbständigkeit war unterbunden. Die Kom- positionen wurden immer sorgfältiger mit Vortragsbemerkungen versehen. Überall waren dem Ausführenden die Wege vorge- zeichnet, die er bei der Wiedergabe einzuhalten hatte. Damit sank die Verantwortlichkeit des einzelnen Musikers für die Auf- führung.

Dann fühlten sich auch die Orchestermitglieder durch die Bevormundung eines nicht mitspielenden Dirigenten zurück- gesetzt. Alle Gegner der Taktstockdirektion berufen sich darauf, daß die Musiker auch ohne einen besonderen Taktschläger ihre Stimmen gut spielen können. Robert Schumann erzählt, daß ihn beim ersten Konzert Mendelssohns im Leipziger Ge- wandhaus der Taktierstab gestört habe; ein Orchester müsse wie eine Republik dastehen, über die kein Höherer anzu- erkennen sei1. Und Moritz Hauptmann schreibt im Jahre 1836 seinem Freunde Hauser: »Mir hat von jeher der verfluchte weißbuchne kleine Taktstock Ärgerniß gegeben, und wenn ich das Ding dominiren sehen muß, vergeht mir nun einmal alle Musik, es ist als wenn die ganze Oper nur da wäre, damit Takt dazu geschlagen werden könne, und nun gar das geflissentliche Markiren der kleinen Nuancen mit diesem verwünschten Hölzchen, es mag nothwendig geworden sein wenn ich aber da an Matri- monio segreto denke, wo der Maestro so hübsch ruhig am Cembalo saß, das Recitativo secco accompagnirte, wo alles wie von selbst ging, da bin ich doch in einer ganz andern Sphäre, himmelweit von unsrer gegenwärtigen, die mir auf die crudeste Weise bar- barisch, aller Anmuth, ja aller Würde entkleidet vorkommt2.« Auch Seyfried, Fetis und viele andere schrieben gegen die neue Direktionsform3, und ein »Stadtmusikus Fabian in Kräh-

1 Ges. Schriften über Musik u. Musiker, ed. G. Jansen, Leipzig 1891, I, S. 161.

2 Briefe von M. Hauptmann an Franz Hauser, ed. Alfred Schöne, I, S. 196.

3 Seyfried, Selbsterfahrungen auf Berufswegen, »Der Tactirstab«, in der Mainzer »Cäcilia«, XIII. Bd. 1831 S. 233 f.; Fetis in der Revue musicale 1828, Tom. II, S. 583. Siehe Neue Zeitschrift für Musik 1836, Nr. 31: »Vom

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 261

winkel« sagt sogar in einer Satire über die »Dirigenten- Künste« : »Wer eine ganze Oper hindurch immer nur mit der rechten Hand tactirt und diese am Morgen darauf noch rühren kann, den er- kenne ich für meinen Meister, denn ich halte so was nicht aus; aber das thut nichts; da ich abwechselnd auch den linken Arm gebrauche, dann wieder einmal beyde Hände zugleich (was, wunder- bar genug, weniger angreifend ist, und sich überdieß allerliebst ausnimmt) und zuweilen auch den Kopf oder den ganzen Ober- leib. . . . Übrigens wird wohl kein Billigdenkender verlangen, daß der Dirigent eine ganze Oper hindurch den Tact bestimmt genug angebe, um immer genau Auf- und Niedertact, Viertel und Halbe von einander unterscheiden zu können, da ein scharfes, stunden- langes Markiren des Tactes Arme erfordert, kräftiger als Drescher- arme1.« Was würde wohl unser biederer Stadtmusikus vom Diri- genten der »Meistersinger« gesagt haben?

Daß die Taktstockdirektion für die neuere Literatur die zweck- mäßigste Leitung war, hat die Entwicklung gezeigt. Alle Klagen über unstilistische Veränderungen der Melodien mußten mit der Zeit verstummen. Der Wille eines Einzigen stand für das Werk ein. Seine Auffassung und sein Können brachte in eine Haydnsche Sinfonie mehr Disziplin und Einheit der Wiedergabe als mancher Klavierist der Alten. Es handelte sich um die künstlerische Kraft des Dirigenten. Um seine Kunstanschauung zur Anerkennung zu bringen, strebte er danach, die Tonwerke in möglichster Vollkommenheit aufzuführen. Er brauchte seine Aufmerksam- keit nicht mehr zwischen einer Instrumentalstimme und dem Orchester zu teilen; er konnte sich ganz der Direktion, der Aus- arbeitung der Partitur zuwenden. Das Orchester war für ihn ein vielköpfiges Instrument, auf dem er seine Intentionen zu ver- wirklichen suchte.

Die Einbürgerung dieser Praxis geht mit dem Vordringen der klassischen Literatur und mit der steigenden Leistungskraft der Orchester Hand in Hand und ist erst in den dreißiger Jahren

Dirigiren und insbesondere von der Manie des Dirigirens«, S. 130: »Je weniger ein Orchester dirigirt wird, desto höher steht es.« Vgl. ebenda 1854: »Die Manie des Dirigierens« von Hoplit. (Rieh. Pohl.)

1 Allg. Mus. Ztg. 1827, S. 737 f.. Vgl. auch Ed. Devrient, Meine Er- innerungen an Mendelssohn, 3. Aufl., S. 59, wo es u. a. heißt: »Mich störte da- mals (1829) und alle spätere Zeit das unausgesetzte, bei Mangel an Genialität mechanische Taktiren. Die Musikstücke werden in solchen Fällen gewisser- massen durchgefuchtelt.«

262 Sechstes Kapitel.

beendet. In Berlin haben Reichardt1 und Anselm Weber2 die neue Direktion eingeführt. Hanslick erzählt, daß es in Wien noch im Jahre 1812 Aufsehen erregte, als Mosel bei dem ersten großen Wiener Musikfest mit einem Stäbchen taktierte3. In Dresden führte Carl Maria v. Weber den Taktstock im Jahre 1817 ein, im gleichen Jahre Spohr in Frankfurt a. M., im Jahre 183& Mendelssohn in Leipzig4. Wann diese Direktion in Wien und Hamburg definitiv in Gebrauch kam, haben weder Hanslick noch Sittard feststellen können5. Am besten sind wir hier über London orientiert, wo die Taktstockdirektion durch Spohr und Mendelssohn hinkam. Vor diesen Konzerten war in England ebenso wie in Deutschland die Doppeldirektion durch Kapell- meister und Violindirektor allgemein üblich. Der Klavierspieler hatte die Partitur vor sich und spielte mit, der Vorgeiger gab die Tempi an und führte mitunter mit dem Bogen Taktbewegungen aus. So hielt man's noch in den Haydnschen Konzerten, trotz- dem der Klavierspieler in Haydns englischen Sinfonien nicht» mehr zu sagen hatte. Das Anführen besorgt, wie Moscheies- schreibt, eigentlich der Vorgeiger (Leader), der Conductor (Flügel- spieler) »ist und bleibt eine Null«6. Spohr erzählt von der Ein- führung des Taktstocks in London folgende hübsche Geschichte7: Es war damals in London gebräuchlich, »daß bei Symphonien und Ouvertüren der Pianist die Partitur vor sich hatte, aber nicht etwa daraus dirigirte, sondern nur nachlas und nach Be- lieben mitspielte, was, wenn es gehört wurde, einen sehr schlechten Effekt machte Ein so zahlreiches und weit von einander stehen- des Orchester wie das philharmonische, konnte aber bei solcher Direktion unmöglich genau zusammengehen, und trotz der Treff- lichkeit der einzelnen Mitglieder war das Ensemble doch viel schlechter, als man es in Deutschland gewohnt war. Ich hatte mir daher vorgenommen, wenn die Reihe zu dirigiren an mich käme, einen Versuch zu machen, diesem Uebelstande abzuhelfen. Zum Glück war an dem Tage, wo ich dirigirte, Herr Ries am Piano,

i S.o., Kap.V, S. 202.

2 S. S. 153.

3 Hanslick, Gesch. des Concertwesens in Wien, S. 94. * S. \v. unten die Dirigenten-Charakteristiken.

5 Hanslick, a. a. 0. ; Sittard, Gesch. des Musik- und Concertwesens in Hamburg 1890, S. 93.

6 Aus Moscheles' Leben, Nach Briefen und Tagebüchern herausgegeben von seiner Frau. 1872. Bd. I, S. 74.

7 Louis Spohr, Selbstbiographie. 1860/61, II, S. 86f.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 263

und dieser verstand sich gern dazu, mir die Partitur zu überlassen und ganz davon zu bleiben. Ich stellte mich nun mit derselben an ein besonderes Pult vor das Orchester, zog mein Taktirstäbchen aus der Tasche und gab das Zeichen zum Anfangen. Ganz er- schrocken über eine solche Neuerung, wollte ein Theil der Direk- toren dagegen protestiren; doch als ich sie bat, wenigstens einen Versuch zu gestatten, beruhigten sie sich. Die Symphonien und Ouvertüren, welche probirt werden sollten, waren mir sehr bekannt und in Deutschland von mir öfters dirigirt worden. Ich konnte daher nicht nur die Tempi sehr entschieden angeben, sondern auch den Blas- und Blech-Instrumenten alle Eintritte andeuten, was ihnen eine dort nicht gekannte Sicherheit gewährte. Auch nahm ich mir die Freiheit, wenn mir die Ausführung nicht genügte, aufzuhören und den Herren sehr höflich, aber ernst Bemerkungen über die Vortragsweise zu machen, die Ries auf meine Bitte dem Orchester verdolmetschte. Hierdurch zu außergewöhnlicher Auf- merksamkeit veranlaßt und durch das sichtbare Taktgeben mit Sicherheit geleitet, spielten Alle mit einem Feuer und einer Ge- nauigkeit, wie man es bis dahin von ihnen noch nicht gehört hatte. Durch diesen Erfolg überrascht und begeistert, gab das Orchester auch sogleich nach dem ersten Satze der Symphonie seine all- gemeine Billigung der neuen Direktionsweise laut zu erkennen und beseitigte dadurch alle weitere Opposition von Seiten der Direktoren. Auch bei den Gesangssachen, deren Direktion ich auf Bitte des Herrn Ries übernahm, insbesondere beim Reci- tativ, bewährte sich das Taktiren mit dem Stäbchen, nachdem ich die Erklärung meiner Taktzeichen vorausgeschickt hatte, voll- kommen, und die Sänger gaben mir über die Genauigkeit, mit der ihnen nun das Orchester folgte, wiederholt ihre Freude zu- erkennen.

»Der Erfolg am Abend war noch glänzender, als ich ihn ge- hofft hatte. Zwar stutzten anfangs die Zuhörer über die Neue- rung und steckten die Köpfe zusammen; als aber die Musik begann, und das Orchester die wohlbekannte Symphonie mit un- gewöhnlicher Kraft und Präcision ausführte, gab sich schon nach dem ersten Satz die allgemeine Zustimmung durch ein langanhal- tendes Beifallklatschen zu erkennen. Der Sieg des Taktirstäb- chens war entschieden, und man sah bei Symphonien und Ouver- türen von da an Niemand mehr am Piano sitzen.« Die dreißiger Jahre bilden denn auch die Grenze für die Flügeldirektion. Der Sieg der deutschen Sinfonie und Oper hatte die alte General-

264 Sechstes Kapitel.

baßpraxis völlig zurückgedrängt, und im gleichen Maß, wie die von den Komponisten gestellten Aufgaben wuchsen, nahm auch die Virtuosität der Fachmusikerkonzerte zu. Eine Direktions- hilfe durch Mitspielen auf dem Klavier oder der Geige war bei der Aufführung überflüssig. Der Taktstockdirigent wurde der alleinige Führer der Musik.

Unter den Kapellmeistern, die die neue Zeit einleiten, gebührt Joh. Friedrich Reichardt ein Hauptplatz. Er ist in Berlin der erste, der mit der Abschaffung der Klavierdirektion in der Oper Ernst macht, sein Orchester nach neuen Grundsätzen anordnet und von der alten Graun-Bendaschen Schule abkommt. Friedrichs des Großen Worte: er solle die Berliner Kapelle tüchtig exer- zieren, hat Reichardt nach Kräften befolgt. Er beseitigte den durch unfähige und gealterte Musiker und das ewige Graun- Hasse- Repertoire eingerissenen Schlendrian, gewöhnte die Musiker an ein exaktes Nuancieren und versuchte die Crescendo- und De- crescendomanier nach Mannheimer Muster einzuführen1. Allein seine eifrig verfochtenen Reformen, seine freimütigen Kritiken und sein selbstbewußtes Auftreten schafften so viele Feinde, daß er sich als Dirigent der Königlichen Kapelle nicht halten konnte.

Reichard ts künstlerischer Nachfolger wurde B er nhard An sei m Weber2, der unter Holzbauer studiert und unter dem Einfluß des Allerweltmanns Vogler gestanden hatte. Nach kurzer Direk- tionszeit in Hannover wurde er als Kapellmeister an das Berliner Nationaltheater neben dem unbedeutenden Bernhard Wessely berufen. Seine Begeisterung für die Werke Glucks brachte ihn in Berlin bald an die Spitze des Musiklebens; seine Aufführung der »Schöpfung« und die großen Erfolge der Gluckschen Opern gaben der nur noch mühselig gehaltenen italienischen Oper den Todesstoß. Beide Bühnen wurden unter dem Königlichen Kapell- meister Weber geeint. Seine Direktion stand im Zeichen Reichardts. Er dirigierte mit einer Taktrolle aus starkem Leder, die mit Kälber- haaren ausgestopft war. Damit »bearbeitete« er die Partituren so

1 S. Schletterer, Reichardt, S. 223 f. u. 267; Reichardt, Über die Pflichten des Ripien -Violinisten, Kap. V, Gerbers Lex., Art. »Reichardt«; W. Pauli, J. Fr. Reichardt, sein Leben und seine Stellung in der Gesch. des deutschen Liedes, S. 52 u. a.

2 Die Direktion Alessandris und die Gastdirektionen des sehr energisch auftretenden Naumann haben im Berliner Opernleben keine nachhaltige Wirkung gehabt.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 265

.stark, daß die Kälberhaare weit umherflogen, wie erzählt wird1. Gerber, der ihn persönlich kannte, nennt seine Aufführungen musterhaft, er habe nie ein Orchester einstimmiger und feuriger spielen hören als die Kapelle am Berliner Nationaltheater. »Weder Eilen noch Nachschleppen« der Sänger war zu hören, stets blieben Chor und Orchester selbst bei den schwierigsten Finalsätzen eines Salieri zusammen. »Der Zuhörer, ganz hingerissen, sah und hörte weder Orchester, noch Sänger, sondern verlor sich ganz in Emp- findungen.« Erst am Schluß des Stücks kam er wieder zu sich2. Reichardt schreibt, daß der brave Kapellmeister Weber einen in

das Werk eines Gluck so tief eindringenden musikalischen Sinn gehabt habe und einen Eifer, wie er sich äußerst selten finde. Die Werke des Reformators Gluck würden nirgends »mit so viel Geist und Feuer« gegeben wie in Berlin3. Seit Anselm Weber hat Berlin lange Zeit hindurch den Ruf einer Gluckstadt gehabt, ein Ruhm, den auch Webers Nachfolger, Gasparo Spontini, gewahrt hat.

Hinter diesen Berliner Kapellmeistern bleiben die in Wien neben Beethoven wirkenden Dirigenten an Bedeutung weit zurück. Wir finden wenig Charakterköpfe, aber um so mehr Routiniers;

eifrige Musikanten mußten künstlerische Vollnaturen ersetzen. Da betätigten sich in der »Gesellschaft der Musikfreunde« der

-aus der Bearbeitung Händelscher Oratorien bekannte Hofsekretär Ignaz Franz von Mosel, dann Schmiedl, Baron Lannoy,

"Vincens Hauschka und Gebauer, der Gründer der Concerts spirituels, alles Musiker, die für Organisationsfragen verdienstlich gewirkt haben, die aber keine bedeutenden Dirigenten waren4. Ihre dilettantische Art zeigt sich schon in der Bestimmung der »Gesellschaft der Musikfreunde«, das Dirigentenamt abwechselnd nach dem Los zu bestimmen, dann auch in den Programmaufstel- lungen, in denen Sinfonien und Konzerte oft durch eingeschobene Arien zerstückelt oder überhaupt nur fragmentarisch gespielt wurden. Einmal wurde in Mozarts G-moll- Sinfonie das Me- nuett fortgelassen, ein anderes Mal von der Eroica nur der erste Satz gespielt, eine Unmanier, die sich bis in die letzten Jahre Beethovensehen Schaffens und bei der Chorsinfonie noch bis in

i Allg. Deutsche Musik-Zeitung (Tappert) 1878, S. 190.

2 Gerber, Neues Lexikon, IV, S. 520.

3 Reichardt, Vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien, 1810, II, S. 213.

4 Die folgende Darstellung basiert, wenn nichts anderes angemerkt ist, ;auf H a n s 1 i c k s beschichte des Concertwesens in Wien«.

266 Sechstes Kapitel.

unsere Zeit gehalten hat. Gute Kapellmeister, doch keine über- ragenden Interpreten waren Ign. Umlauf, der bei der ersten Aufführung der neunten Sinfonie die Chöre dirigierte, Salieri und Ign. von Seyfried, der noch gegen den Taktstockdirigenten in der Oper aufgetreten ist. Ihnen standen die Violindirektoren Clement und Schuppanzigh zur Seite, jener durch sein fabel- haftes Gedächtnis berühmt er schrieb einen Klavierauszug zur »Schöpfung« aus dem Gedächtnis nieder1 dieser durch sein Apostolat Beethovenscher Werke. Schuppanzigh suchte förmlich ein Patent für Beethovensche Interpretation zu erhalten. Sein Vortrag und die Wiedergabe Haydnscher und Mozartscher- Werke werden im ersten Band der Rochlitzschen Musikzeitung mustergültig genannt. Von den Augarten- Konzerten, in denen sich, von Kontrabässen und Bläsern abgesehen, nur Dilettanten- befanden, die Schuppanzigh mit der Violine dirigierte, heißt es, daß der Dirigent jede Komposition mit Feuer »in ihr vor- teilhaftes Licht« zu stellen wußte, man höre »die schwersten Symphonien von Haydn und Mozart mit einer Deutlichkeit und Präzision« im Vortrag, die »jede Schönheit, welche die Verfasser- in ihre Instrumente zu legen wußten«, unübertrefflich darstelle2. Allerdings hatte man später an seinem Spiel allerlei auszu- setzen, so seine Art, zusammengehörige Phrasen zu trennen, viel' rubato zuspielen und Unwichtiges herauszukehren3. Reichardt meint, er habe eine eigene pikante Manier, die humoristischen Quartette von Mozart, Haydn und Beethoven zu spielen, er trüge die größten Schwierigkeiten deutlich vor, wenn auch nicht vollkommen rein, seine Akzentuierung sei aber richtig und bedeu- tend4. Reichardt fügt noch hinzu, daß ihn in Wien das allgemein eingeführte Taktieren mit dem Fuß recht geärgert habe. Selten sei; ein Forte oder gar Fortissimo zu hören, ohne daß der Dirigent dabei ungestüm mit dem Fuße dreinschlüge. Auch bei Schup- panzigh wurde nach Reichardts Worten so taktiert5. Immerhin* kann Reichardt übertrieben haben, denn Beethoven vertraute Schuppanzigh sicherlich nicht ohne Grund seine Werke an. Das Taktierlärmen stand in Oper und Konzert noch immer auf der Tagesordnung und blieb das einzige Mittel, die Musiker, die-

i Spohr, Selbstbiographie I, S. 175.

2 Allg. mus. Ztg. I, S. 543.

3 H an s 1 ick , a. a. O. S. 204. * Vertraute Briefe I, S. 206 f.

6 Ebenda.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 267

wenig oder überhaupt nicht geprobt hatten, zusammenzuhalten. Bezeichnend ist dafür, daß in den Concerts spirituels grundsätz- lich alle Werke a vista oder bei schwierigen Stücken nach einer einzigen Probe gespielt werden sollten, daß Beethoven für sein Riesenprogramm im Jahre 1808, wo zwei Sätze der C-dur-Messe,. das G-dur- Konzert, die Chorphantasie und die fünfte und sechste Sinfonie von den verschiedensten Musikern und Dilettanten ge- spielt wurden, nicht einmal alle Stücke gehörig durchprobiert hatte. Bei tüchtigen Musikern konnte das a vista-Spiel für die Arbeiten Pleyels, Rosettis, Krommers u. a. ausreichen, aber der Beethovenschen Sinfonie gegenüber kam man mit dieser Methode nicht durch. Erst als sämtliche Dilettantenvereine in Berufs- orchester umgestaltet waren, erstand eine Interpretationskunsfc Beethovenscher Sinfonien.

Ein Blick auf die Wiener Kapellmeister zeigt, daß Beethovens nicht nur dem Brauch der Zeit folgte, sondern auch die ihn um- gebenden Taktschläger gut kannte, wenn er seine großen Werke selbst in die Öffentlichkeit brachte1. Daß er hierbei ebenso- wenig glücklich war, wie bei seinen ungeheuerlichen Programm- aufstellungen, beweisen die oft zitierten Schilderungen von Spohr, Ries, Reichardt, Wild, Seyfried und Atterbohm, von denen hier nur die Berichte Spohrs und Atterbohms angeführt seien. »Beet- hoven hatte sich angewöhnt«, erzählt Spohr in seiner Selbst- biographie2, »dem Orchester die Ausdruckszeichen durch allerlei' sonderbare Körperbewegungen anzudeuten. So oft ein sforzando vorkam, riß er beide Arme, die er vorher auf der Brust kreuzte, mit Vehemenz auseinander. Bei dem piano bückte er sich nieder,, und um so tiefer, je schwächer er es wollte. Trat dann ein Cres-

1 Vgl. Beethovens Brief an Breitkopf & Härtel vom 7. Jan. 1809: »Wir haben Kapellmeister, die so wenig zu dirigieren wissen, als sie kaum eine Par- titur lesen können. Auf der Wieden ist es freilich noch am schlechtesten. Da hatte ich meine Akademie zu geben, wobei mir von allen Seiten der Musik Hindernisse in den Weg gelegt wurden .... Hauptsächlich waren die Musiker aufgebracht, daß, indem aus Achtlosigkeit bei der einfachsten plansten Sache von der Welt gefehlt worden war, ich plötzlich stille halten ließ und laut schrie: noch einmal. So was war ihnen noch nicht vorgekommen;. . . Es wird aber täglich ärger. Tags zuvor meiner Akademie war im Theater in der Stadt in der kleinen . . Oper Milton das Orchester so auseinandergekommen, daß Kapell- meister und Direktor förmlich Schiffbruch litten; denn der Kapellmeister, statt vorzuschlagen, schlägt hinten nach; und dann kommt erst der Direktor [Konzertmeister].« Beethovens sämtliche Briefe ediert von E. Kastner, S. 142..

2 I, S. 200.

268 Sechstes Kapitel.

cendo ein, so richtete er sich nach und nach wieder auf und sprang beim Eintritt des forte hoch in die Höhe. Auch schrie er manch- mal, um das forte noch zu verstärken, mit hinein, ohne es zu wissen. .... Daß der arme taube Meister die piano seiner Musik nicht mehr hören konnte, sah man ganz deutlich. Besonders auf- fallend war es aber bei einer Stelle im zweiten Theile des ersten Allegro der Symphonie [aus A-dur]. Es folgen sich da zwei Halte gleich nacheinander, von denen der zweite pianissimo ist. Diesen hatte Beethoven wahrscheinlich übersehen, denn er fing schon wieder an zu taktiren, als das Orchester noch nicht einmal diesen zweiten Halt eingesetzt hatte. Er war daher, ohne es zu wissen, dem Orchester bereits zehn bis zwölf Takte vorausgeeilt, als dieses nun auch, und zwar pianissimo begann. Beethoven, um •dieses nach seiner Weise anzudeuten, hatte sich ganz unter dem Pulte verkrochen. Bei dem nun folgenden crescendo wurde er wieder sichtbar, hob sich immer mehr und sprang hoch in die Höhe, als der Moment eintrat, wo, seiner Rechnung nach, das forte beginnen mußte. Da dieses ausblieb, sah er sich erschrocken um, starrte das Orchester verwundert an, daß es noch immer pianissimo spielte und fand sich erst wieder zurecht, als das längst erwartete forte endlich eintrat und ihm hörbar wurde.« Ähnlich schildert Atterbohm die Beethovensche Direktion. Beethoven stand, wie er erzählt1, »wie auf einer abgeschlossenen Insel und dirigirte . . . mit den seltsamsten Bewegungen; so z. B. com- mandirte er pianissimo damit, daß er leise niederkniete und die Arme gegen den Fußboden streckte; beim fortissimo schnellte •er dann wie ein losgelassener elastischer Bogen in die Höhe, schien über seine Länge hinauszuwachsen und schlug die Arme weit auseinander; zwischen diesen beiden Extremen hielt er sich be- ständig in einer auf- und niederschwebenden Stellung«. Die Berichte, die in der Beschreibung des sonderbaren Auftretens Beethovens sämtlich übereinstimmen, sind vielleicht feuille- tonistisch gefärbt, aber so viel scheint sicher zu sein, daß Beet- hoven seine Intentionen mit größter Peinlichkeit ausgeführt haben wollte, daß er zu allen möglichen Mitteln griff, um die Mu- siker anzufeuern und zu begeistern. Daß er sich mit diesem ungestümen Gebahren leicht lächerlich machen konnte, kam -dem Schwerhörigen kaum zum Bewußtsein. Trotzdem zeigt aber die Begeisterung, die besonders seine Konzerte in den Jahren

1 Zum ersten Male mitgeteilt von H a n s 1 i c k , a. a. O. S. 276.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 269

1813, 1814 und 1824 hervorriefen, daß die Zeitgenossen unter den Absonderlichkeiten des äußeren Menschen doch die Genialität und das Große des Beethovenschen Ausdrucks erkannten. Man kann auch verstehen, daß Beethoven die Erstaufführung seiner Werke nicht den Wiener Kapellmeistern anvertrauen wollte, wenn diese auch glatter mit dem Orchester durchgekommen wären. Beethoven besaß ein großes Vertrauen zu der eigenen Kraft, er wollte für seine Werke ebenso wie die übrigen Kapell- meister auch in eigener Person einstehen1.

Die dreißiger Jahre führten den großen Wiener Musik- instituten keine neuen Kräfte im Kapellmeisteramt zu, die Gesellschaftskonzerte stagnierten unter den Dirigenten Lannoy, Klemm, Holz und dem besonders eifrigen Schmiedl, die Ton- künstler-Sozietät, von dem späteren Hofkapellmeister Aßmayer und von Randhar tinger »mit handwerksmäßigem Gleichmut« ge- leitet, wie Hanslick sagt, ging im Krebsschritt einher, und die zweiten großen Dilettantenkonzerte, die Concerts spirituels, dilet- tierten im alten Fahrwasser weiter, das nur durch einige Gastdirek- tionen, durch Preisausschreibungen und einen in der Ausführung nicht gerade würdigen Beethovenkult eine Nuance in die Alltäglich- keit des Musikbetriebs brachte. Das Orchester der Concerts spirituels spielte noch nach längst veralteter Methode mitten im Saal ohne jede Erhöhung, und dazu meist nach einer einzigen Probe, so daß Schubert einmal den Saal verließ, weil die Wiedergabe nicht mit anzuhören war. Hanslick, der die alten Herren Lannoy, Holz, Georg Hellmesberger noch gekannt hat, schreibt, er habe außer ihrem guten Willen und der schönen Pietät des Publikums nichts Rühmliches weiter an ihren Konzerten gefunden.

Man kann sich leicht vorstellen, welchen Beifall die im Jahre 1842 von Otto Nicolai begründeten Philharmonischen Konzerte beim Publikum und bei der Kritik nach den voran- gegangenen fragwürdigen Veranstaltungen hervorriefen. Mit Nicolai trat unter die Wiener Musiker ein geborener Orchester- dirigent, ein Künstler, dessen Ehrgeiz sich mit zähem Fleiß und mit einer Ausdauer paarte, wie sie in Wien lange Zeit ungekannt waren. Nicolais Energie und Unermüdlichkeit in den Proben und seine Strenge zu den Musikern spornte zu glänzenden Lei-

1 Vgl. Beethovens Danksagung nach der Aufführung der Schlachtsinfonie: »Mir fiel nur darum die Leitung des Ganzen zu, weil die Musik von meiner Com- position war; wäre sie von einem andern gewesen, so würde ich mich ebenso gern wie Herr Hummel an die große Trommel gestellt haben.«

270 Sechstes Kapitel.

stungen an. Die neunte Sinfonie bot er zum ersten Male in künst- lerischer Vollendung. Die Kritik nannte seine Konzerte die Krone der Wiener Musikgenüsse, wie überhaupt aller orchestralen Auf- führungen1. Nicolai duldete keine Sinfoniezerstückelungen, noch Virtuosenkunststücke in seinem Programm. Die einge- schobenen Liedvorträge standen auf dem gleichen künstlerischen Niveau wie die Orchesterstücke. Wie schnell das Orchester unter seiner Leitung erstarkte, zeigt ein Bericht von Berlioz2. Er schreibt, daß das Orchester vielleicht von anderen erreicht, 'doch von keinem übertroffen würde. Den Dirigenten charak- terisiert er mit diesen Worten: »Nicolai besitzt, meiner Ansicht nach, die drei Eigenschaften, welche unentbehrlich sind, um einen vollkommenen Dirigenten zu bilden. Er ist gelehrter, geübter, begeisterungsfähiger Komponist; er hat Gefühl für alle Anforde- rungen der Rhythmen und eine vollständig klare und deutliche Technik der Bewegung; endlich ist er ein erfinderischer und uner- müdlicher Veranstalter, der in den Proben weder mit seiner Mühe, noch mit seiner Zeit kargt, und der weiß, was er tut, weil -er nur das tut, was er weiß. Daher die ausgezeichneten materi- ellen und moralischen Eigenschaften, das Vertrauen, die Er- gebenheit, die Geduld und auch die wunderbare Sicherheit und das einheitliche Wirken des Orchesters vom Kärntnertor.« Das Orchester spielte mit »jener Wärme und Treue, mit jener Aus- arbeitung der Einzelheiten und Macht des Zusammenspiels«, » welche, wenigstens für mich, eine solches Orchester unter solcher Leitung zum schönsten Produkt moderner Kunst gestalten«3. Die Worte Berlioz' zeigen besser als alle anderen Kritiken die Größe und Kraft der Nicolaischen Direktion, die mit einem Schlage das Wiener Musikleben in die Höhe brachte. Aber die glänzenden Jahre seiner Orchesterleitung gingen bald ihrem Ende entgegen. 1847 verabschiedete er sich vom Wiener Publikum und ging nach Berlin; Georg Hellmesberger (d. ä.), Reuling und Prodi suchten die Konzerte noch zu halten aber »ver- flogen war der Spiritus«, wie Hanslick sagt. Das Konzertleben ging zurück, bis Karl Eckert als Reformator auftrat.

1 Witthauersche Zeitschrift. Nach Hanslick, a. a. O. S. 317.

2 Berlioz, Literarische Werke. Erste Gesamtausgabe, Breitkopf & Härtel, II, S.166f. Auf diese Ausgabe beziehen sich alle weiteren Quellenangaben, wenn nichts anderes angegeben ist.

3 Ebenda, S. 168.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 271

Unter den Jahr für Jahr nach Wien ziehenden Virtuosen, die sich in der Stadt Haydns und Mozarts hören lassen wollten, be- fand sich im Jahre 1812 auch Ludwig Spohr. Gleich sein erstes Konzert, das mit dem ersten Satz seiner Es-dur-Sinfonie ein- geleitet wurde, brachte ihm einen großen Erfolg. Doch wurde nicht der Komponist, sondern nur der Violinspieler gerühmt. Dieser virtuosen Meisterschaft auf der Geige verdankte er auch seine Erfolge als Konzertmeister und Orchesterbildner1. Seine Dirigentenlaufbahn begann er in Gotha, wo der junge Konzert- meister sehr energisch und selbständig auftrat. Er ließ für jedes Hofkonzert drei bis vier Proben abhalten und alles mit pein- lichster Genauigkeit einüben. Als Kapellmeister am Klavier fungierte neben ihm bei Vokalsachen ein Musiker Reinhard, der, wie Spohr erzählt, »anfangs einige schwache Versuche« machte, »sich bei den Vokalvorträgen als Dirigenten zu geriren«. Spohr wußte ihm aber als Vorgeiger durch Entschiedenheit so zu impo- nieren, daß jener sich allen seinen Anforderungen willig am Piano- forte fügte und Spohr im ungestörten Dirigentenansehen stand2. Durch die vielen Kunstreisen, die Spohr späterhin unternahm, wurde er als Virtuose und Dirigent weit bekannt, und wir finden ihn denn auch beim ersten deutschen Musikfest, dem Franken- hausener, an der Spitze des Orchesters. Ihm standen Kapell- meister Krille am Klavier und als Chordirektor Kantor Bischoff zur Seite. Die Kritik nennt Spohrs Leitung, der mit einer Papier- rolle »ohne alles Geräusch und ohne die geringste Grimasse« dirigierte, äußerst »graziös«, bestimmt und wirksam. Dem glücklichen Talente Spohrs schreibt der Kritiker der Leipziger Musikzeitung »die Vortrefflichkeit und Präzision der erschüt- ternden Gewalt, so wie des sanften Anschmiegens dieses zahl- reichen Orchesters an den Sänger, beym Vortrage der , Schöpfung' zu«. Eine einzige Bewegung Spohrs genügte, um die Musiker verstummen zu machen. Die erste Sinfonie von Beethoven, die unser Kritikus im Jahre 1810 »unstreitig seine gefälligste und populärste« nennt, klang »unverbesserlich«, sie wurde mit »Liebe, Feuer und höchster Präzision« vorgetragen; beim Trio des Menuett glaubte das Ohr eine reine Harmonika (Glasklavier) zu hören, so herrlich und einheitlich wurde gespielt3. Von diesem

1 Vgl. Reichardts Vertr. Briefe I, S. 26/27.

2 Spohrs Selbstbiographie I, S. 96.

3 Allg. Mus. Ztg. 1810, S. 751 f.

272 Sechstes Kapitel.

Konzert, das die erste Blütezeit der Musikfeste einleitete die zweite erleben wir in unseren Tagen datiert Spohrs Ruhm als Festdirigent. Sein Organisationstalent half über viele Klippen solcher Veranstaltungen hinweg, und noch im Alter von 61 Jahren finden wir ihn bei der Enthüllung des Beethovendenkmals in Bonn neben Liszt am Dirigentenpult, um die neunte Sinfonie und die große Messe zu leiten.

Spohrs Anstellung am Wiener Theater, die er nach seinen Wiener Konzerterfolgen erhielt, war lediglich die eines Konzert- meisters. Er hatte an der ersten Geige vorzuspielen, die Violin- soli in Opern und Balletten zu übernehmen und nur, falls Seyfried verhindert war, aus der Partitur zu dirigieren. Sein Einfluß auf das Musikleben erstreckte sich daher mehr auf die Propagierung seines Vortragsstils, wenn überhaupt von dieser Wiener An- stellung eine richtunggebende Tätigkeit angenommen werden kann. Spohr ging von Wien aus wieder auf Reisen und durchstreifte Deutschland und Italien. In Italien hatte er bei Konzertveranstaltungen seine liebe Not. Die Musiker kannten keine Nuancen der Stärke und Schwäche, noch richtige Tempi und konnten von ihrer alten Manier, Verzierungen willkürlich an- zubringen, noch immer nicht lassen1. In den Jahren 1817 1819 wirkte Spohr als Kapellmeister in Frankfurt a. M. Er exer- zierte auch hier die Musiker so lange, bis alles auf das pein- lichste beachtet wurde. Sein Vorgänger hatte mit der Geige dirigiert; da die Sänger an diese Manier gewohnt waren, begann auch Spohr zuerst mit dem Geigenbogen zu taktieren und nahm die Geige nur zur Hand, um nötigenfalls einzuhelfen. Er hielt dabei die Sänger zu einem sehr genauen Studium ihrer Partien an , bis die Geigenhilfe allmählich wegfallen konnte. Nun legte er die Geige beiseite und taktierte »auf französische Weise mit dem Stäbchen«2. Wie er diese Direktionsmanier in England verbreitete, ist schon erzählt worden. Die englische Presse nannte seine Direktion »wunderbar taktfest und dabei durch erläuternde Bewegungen den beabsichtigten Effekt deutlich an- merkend«3. Nach diesen Reisen, die ihn auch nach Paris führten, wo er sich davon überzeugte, daß jedes Theaterorchester »durch unausgesetztes Taktgeben« dirigiert werden müsse, wenn

i Selbstbiographie I, S. 297 u. 330.

2 Ebenda II, S. 57. Vgl. oben S. 124f.

3 Ebenda II, S. 245.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 273

es gut klingen soll1, wurde er vom Jahre 1822 an dauernd in Kassel als Kapellmeister angestellt. Sein Kasseler Wirken fiel in eine reichbewegte Zeit. Er erlebte die Revolution in Kunst und Leben, die großen Direktionstaten Spontinis, Mendelssohns und Wagners und mußte sich gestehen, daß er trotz seiner Energie und seines Strebens, nicht beim Alten stehen zu bleiben, in Kassel nichts Ähnliches leisten konnte. Moritz Hauptmann schreibt auch an seinen Freund Hauser einmal, daß fast alle Opern in Kassel durch die Bank schlecht gingen. Schuld daran sei, daß Spohr nicht Klavier spiele ; die ersten Proben einer neuen Oper würden mit dem Quartett gehalten, wo doch eine Klavierprobe viel mehr im Anfang helfe als etwa zehn mit dem Quartett2. Es würde ein falsches Bild geben, wenn man alle diese Angriffe auf den gealterten Künstler aneinanderreihen wollte. Wer Spohrs Selbstbiographie gelesen hat, weiß, welch ein willensstarker, vorwärtsstrebender Musiker er gewesen ist. Er hatte sich vom Konzertmeister zum freien, nur auf sich gestellten Dirigenten durchgearbeitet. In seiner Gothaer Zeit spielte er bei der Aufführung neben dem Klavieristen der alten Richtung, und bei der großen Beethoven- feier in Bonn stand er als moderner Taktstockdirigent vor dem Orchester. Durch Reisen und tüchtiges Studieren von der Zweck- mäßigkeit der neuen Direktionsform überzeugt, wurde er einer der wichtigsten Vorkämpfer der modernen Praxis. Die Einheit- lichkeit und Präzision, die er bei seinen Aufführungen erreichte, sein edler und vornehmer Vortrag, der mit »Glätte, Füllung und Rundung« des Tons eine wohlige Weichheit verband3, wurden das Vorbild vieler Kapellmeister und Violinspieler.

Spohr hat mit allen Mitteln auf einen exakten Orchestervortrag hingearbeitet. Er duldete keine solistischen Freiheiten im Or- chesterspiel; alle Musiker mußten einheitlich, deutlich, ohne konzertmäßige Kunstgriffe ihren Part ausführen4. Auch der Praxis hat er manchen Wink gegeben. So erfand er das Mittel, beim Studium eines Werkes Partitur und Stimmen an geeig- neten Stellen mit Buchstaben des Alphabets zu bezeichnen5. Dagegen scheint er dem Wunsch der Sänger bei willkürlichen

1 Selbstbiographie II, S. 126.

2 A. a. O. I, S. 244.

3 Jos. v. Wasielewski, Aus siebzig Jahren. Lebenserinnerungen. Stutt- gart und Leipzig, 1897, S. 54.

4 F. S. Gassner, Dirigent und Ripienist. Karlsruhe 1844. S. 53/54. 6 Gassner, a.a.O. S. 46f.

Kl. Handb. d. Musikgescli. X. 18

274 Sechstes Kapitel.

Veränderungen ihrer Partie mitunter doch nachgegeben zu haben. Als bei einer Jessondaprobe der Tenorist Terska einmal eine eigene Passage einflocht, rief Spohr mit zorniger Stimme: »Das steht nicht da ! « Aber der Tenorist bat den Meister so inständig, daß Spohr mit einem »In drei Teufels Namen« nachgab1. Als Kapellmeister gehört Spohr neben Reichardt und Anselm Weber, doch ist sein Einfluß auf die Direktionskunst weit größer als der der Berliner. Er wird durch seine Leitung der Musikfeste der erste richtung- gebende Dirigent.

Wenn die Zeitgenossen von der Eigenart der Spohrschen Direktion verhältnismäßig wenig zu berichten wissen, so haben sie sich desto eingehender mit dem Berliner Generalmusikdirektor Spontini beschäftigt. Dieser musikalische Alleinherrscher wurde auf Friedrich Wilhelms III. Antrieb im Jahre 1820 ein Jahr nach Anselm Webers Rücktritt an die Spitze der Berliner Oper berufen. Kontraktlich war Spontini verpflichtet, alle drei Jahre zwei Opern zu liefern oder eine kleine Oper im Jahr, die Premieren seiner Werke zu leiten und die übrigen Kapell- meister bei Krankheitsfällen zu vertreten. Es war ausdrücklich festgelegt, daß Spontini nur am Klavier oder Flügel, »ohne selbst den Musikstab zu führen, mit Beihülfe eines auf sein Verlangen von der General-Intendantur der Schauspiele behufs Führung des Musikstabes anzuweisenden Mitgliedes des Königlichen Or- chesters« zu dirigieren habe2. Zu dieser Subdirektion waren Kon- zertmeister Moser und Seid ler verpflichtet und zwar in der Weise, daß der erste Konzertmeister »jedesmal mit der Violine vorspiele, der andere aber nach der Bestimmung, welche Herr Spontini in Hinsicht auf die verschiedenen Tempos geben wird, taktieren soll«3. In der Praxis kam es anders. Spontini, der trotz seiner Tätigkeit an der Pariser italienischen Oper keine sonderliche Kapellmeisterroutine besaß, führte den Taktstock selbst und dirigierte sein Repertoire allein. Gleich sein erstes Debüt zeigte, daß man an dem Generalmusikdirektor eine Kraft ersten Ranges besaß. Nicht die freie humane Art im Umgang mit den Musikern, nicht die eigene Geschicklichkeit waren es, die seine Aufführungen berühmt machten, sondern sein eiserner Wille,

1 J. Schucht, Meyerbeers Leben und Bildungsgang. Leipzig 1869, S. 292 f.

2 Wilh. Altmann, Spontini an der Berl. Oper, eine archivalische Studie. Smlbd. d. I. M.-G. 1903, S. 249f. Kontrakt mit Spontini.

3 Dienst-Instruktion für Spontini, Altmann, a.a.O. S. 257 f.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 275

seine zähe Energie und seine souveräne Herrschaft über das gesamte Opernwesen. Er verstärkte das Königliche Orchester auf 94 Kammermusiker und placierte sie nach seiner eigenen Manier1. Er setzte auch durch, daß alle Opern ohne Ausnahme von den etatsmäßigen Kapellmeistern dirigiert werden sollten; Gastdirektionen, wie sie überall üblich waren, sollten ausge- schlossen sein, eine Ordre, die mit wenigen Ausnahmen durch- geführt wurde.

Unter Spontinis musikalischem Regime wurde die Berliner Kapelle ein Werkzeug, das so lange geölt wurde, bis die Räder ohne jede Unregelmäßigkeit liefen und schnurrten. Der Na- poleonide herrschte wie ein General über seine Musiker. Wenn er im »dunkelmoosgrünen Frack«, die Brust mit einer Reihe ganz kleiner Orden geschmückt, in aristokratischer Haltung schnell ins Orchester trat, saßen die Musiker »regungslos, alle Bogen über den Saiten, alle Mundstücke an den Lippen «2. Konzertmeister Moser klopfte mit dem Violinbogen an den blechernen Lampen- deckel seines Pultes, um anzudeuten, daß alle bereit seien3. Nach diesem Signal faßte Spontini seinen massiven Taktstock, der von dickem Ebenholz, mit Griff und Spitze aus Elfenbein gearbeitet war, in der Mitte und begann mit seinem Marschallstab zu tak- tieren4. Seine »energischen, präzisen, beinahe eckigen und doch graziösen Contouren des rechten Armes und seiner die Battuta schwingenden Hand« zeigten »dieselbe gebieterische Haltung der ganzen wie in Bronze gegossenen Figur«. Sein Blick traf bald rechts, bald links einen Musiker, ohne auch nur einen Moment die »majestätische Ruhe des olympischen Hauptes« zu stören5. Trotz seiner Kurzsichtigkeit beherrschte er Szene und Orchester mit einem Blick, nicht die kleinste Unregelmäßigkeit konnte ihm entgehen. »Mein linkes Auge ist erste Violin, mein rechtes zweite Violin«, sagte er in gebrochenem Deutsch zu Richard Wag- ner. Er faszinierte durch sein Auftreten Musiker und Sänger. Allerdings war es keine Kleinigkeit, unter seiner Führung zu probieren und zu studieren. Unzählige Quartett- und Orchester-

1 Über die Berliner und Dresdener Orchesterstellung siehe weiter unten S. 312 f.

2 Ad. Bernh. Marx, Erinnerungen. Berlin, 1865. I, S. 220f.

3 Heinr. Dorn, Aus meinem Leben. Berlin, 1870 75. II, S. 126.

4 Ebenda I, Spontini, S. 34. S. auch Rieh. Wagner, Erinnerungen an Spontini.

5 Heinr. Dorn, a. a. O. I, Spontini, S. 2.

18*

276 Sechstes Kapitel.

proben wurden zu einer Spontinischen Premiere abgehalten. Jeder Musiker, jeder Solist wurde so lange exerziert, bis alle Partien klappten und die Musiker ihre Stimmen auswendig kannten. Dann kamen Generalproben, letzte und allerletzte Proben, die durch ein »encore« des Dirigenten immer länger hingezogen wurden. Erst wenn die Oper wie am Schnürchen ging, wurde die Aufführung angesetzt. Spontini brauchte dann das Orchester nur anzutippen, das ohne Fehler und Störungen bis zum Schluß spielte. Er konnte am Anfang des Takts auf- oder niederschlagen, er konnte sein mächtiges Szepter nach allen Richtungen bewegen oder überhaupt ruhen lassen, stets waren die Musiker beisammen. Ein Recitativ Spontinis hätte kein anderes Orchester nach seiner Leitung spielen können, als die von ihm »gemaßregelte Königlich Preußische Kapelle«1.

Mit welcher Peinlichkeit er studierte, zeigen die »Erinnerungen an Spontini« von Richard Wagner, der über die Forderungen, die Spontini bei der Dresdener Aufführung der »Vestalin« stellte, wahrhaft erschreckt war. Wagner fühlte aber auch, daß hier ein ihm nahestehender Künstler vor dem Orchester stand, der selbst das kleinste Detail bei der Aufführung beachtete, und der die gesamte Regie am Dirigentenpult zu führen verstand. Durch diese Proben kamen Aufführungen zustande, von denen die Zeitgenossen in begeisterten Worten sprechen. Was über- haupt von Nuancen möglich war, wurde von Spontini erreicht: »Forte wie ein Orkan, Piano wie ein Hauch, Crescendo, daß man unwillkürlich die Augen aufriß, Decrescendo von zauberisch er- mattender Wirkung, Sforzando um Todte zu erwecken«2, und Kammermusikus Hanemann schreibt: »Das ..Piano, von der ganzen Masse ausgeführt, klang wie das Pianissimo eines Quar- tetts, und das Forte übertraf den stärksten Donner. Zwischen diesem Piano und diesem Forte bewegten sich Spontinis unüber- treffliche Crescendos und Decrescendos3.« Auch Berlioz be- wunderte diese mit Kompositionseffekten verbundenen Nuancen, er nennt Spontini geradezu den Erfinder des großen, weit ange- legten Crescendo4.

1 Heinr. Dorn, a.a.O. I, Spontini. Vgl. auch Marx, a.a.O.

2 Heinr. Dorn, a. a. O. II, S. 127f.

3 Paul Bekker, Leben und Schriften des Kammermusikers Moritz Hanemann. Allg. Musik-Zeitung (Lessmann) 1908. 35. Jahrg., S. 859 f.

4 Berlioz, Abendunterhaltungen im Orchester, Bd. 8, S. 195, 217.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 277

Das Hauptgewicht legte Spontini auf scharfe Unterstreichung der rhythmischen Akzente1 und völlige Übereinstimmung zwischen Szene und Musik. Nichts entging ihm, was zur Wirkung seiner Opern irgendwie beitragen konnte. Sehr hübsch erzählt Wagner, wie drastisch er bei der Einstudierung der »Vestalin« den Bratschern, die ihre Begleitungsfigur bei der Kantilene Julias im 2. Akt nicht nach seinem Wunsche spielten, mit hohler Grabes- stimme zurief: »Ist der Tod in den Bratschen !«, so daß die armen Musiker ganz bleich wurden, und wie er dann beim Triumphmarsch auf der höchsten Übereinstimmung in allen Bewegungen der Statisten bestand. Ebenso drollig ist Hanemanns Bericht von der Generalprobe der »Olympia«, in der der Baritonist Hammer- meister als sterbender Antigonus nicht an der von Spontini be- zeichneten Stelle der Bühne seinen Geist aushauchte. Spontini gebot Halt und war ganz untröstlich über den Fehler, dann zeigte er mit dem Taktstock über den Souffleurkasten die rechte Stelle und sagte: »Ick biete, sterbe Sie da. « Ein anderes Mal bei der Auf- führung des 2. Akts der »Olympia« auf dem Kölner Niederrhei- nischen Musikfest (1847) machte er einer Sängerin klar, daß die Olympia ein kindlich schüchternes Wesen sei, die der königlichen Erscheinung der Statira gegenüber kaum zu atmen wage. Er stellte sich zu diesem Zweck in Positur, machte sich ganz klein und sagte, den Kopf seitwärts gedreht, ganz unschuldig: »Ich bin ja so ein arme Kind, ich weiß ja nicht, wer meine Mutt ist«; bei einer anderen Solistin, die immer in den Oratorienstil fiel, richtete er sich riesenhaft auf, riß die Augen weit auf und rief: »Sie sein die Frau von dem groß Alexandre, und jetzt sein Sie dem Mord auf die Spur und verfluch den Cassandre, weil Er is gewees der Mord2.« Solche Worte wirkten bei ihm niemals lächerlich. Er blieb auch nach seiner Verbannung aus Berlin stets der gleiche Souverän. Sein Auge hätte noch immer den »wildesten Pauken- schläger« verstummen lassen, »wenn ihn mitten im rasenden Wirbel ein drohender Blick getroffen hätte«. Dorn, der diese Geschichten erzählt, berichtet noch, daß es ihm unvergeßlich bleiben wird, wie Spontini beim »Don Juan« abklopfte und den Solisten auseinandersetzte, daß die Noten bei den Worten: »Deiner Bänke sind zu viel« (Finale, 1. Akt) nicht in Vierteln gesungen werden sollten, die Noten zeigten wohl den bestimmten Ent-

1 Rieh. Wagner, a. a. 0.

2 Heinr. Dorn, a.a.O. I, Spontini, S. 28.

278 Sechstes Kapitel.

Schluß zur Bestrafung des Bösewichts an, aber die abgestoßene Achtelbewegung müßte zugleich die Furcht vor dem übermütigen Feind ausdrücken, eine Bemerkung, die mehr als alle andern den großen Musiker charakterisiert1. Sie beweist auch, daß Spontini die Opern anderer Meister nicht so obenhin einstudierte, wie R eil st ab behauptet hat. Wenn dieser Kritiker sagt, Spontini habe Mozarts und Glucks Werke barbarisch, unkünstlerisch, ja geradezu lächerlich aufgeführt, so läßt sich diese Kritik nur aus erbittertem Parteifanatismus verstehen2. Mendelssohn, dem Spontini nicht sympathisch war, schreibt von einer »Armida «-Aufführung, daß die große Masse trefflicher Musiker sehr gut gespielt habe, wenn er auch der Meinung war, daß Spontini das ganze Orchester »von Grund aus demoralisirt« habe3. Das strenge Regiment Spontinis hat gewiß viel böses Blut unter den Musikern hervorgerufen, sein Hochmut viel ge- schadet, aber die Berliner Oper verdankt ihm doch Aufführungen, wie sie in diesen Jahren nur wenige Bühnen bieten konnten.

Gegen einige Gastdirektionen konnte sich Spontini nur schwer wehren. Spohr stand bei der Berliner Premiere der »Jessonda« am Kapellmeisterpult, und Carl Maria v. Weber leitete die Erst- aufführung des »Freischütz«, der mit einem Schlage populär und der aristokratisch-französisierenden Richtung der großen Oper gefährlich wurde. Die Begeisterung für die Deutschromantik Webers war Spontini im höchsten Grade unsympathisch, zumal seine kurz vorher gegebene »Olympia« keinen sonderlichen Erfolg hatte. Spontini hatte seine Oper mit peinlichster Genauigkeit eingeübt und glaubte eine musikalische und szenische Glanz- leistung gebracht zu haben. Doch die Webersche Premiere blieb dahinter nicht zurück. Auch Weber hatte tüchtig studiert und mit den Musikern geprobt, nur nicht in dem Kommandoton Spontinis, sondern in freundlich zusprechender Weise4. Der Enthusiasmus für den deutschen Kapellmeister brachte denn auch eine von Eifer und Vertrauen geführte Aufführung zu-

1 Heinr. Dorn, a.a.O. I, Spontini, S. 15f.

2 Vgl. Ludwig Rellstab, Über mein Verhältniss als Kritiker zu Herrn Spontini, Leipzig 1827, S. 26 f., 46, 51 f.

3 Ferd. H i 1 1 e r , Felix Mendelssohn-Bartholdy, Briefe und Erinnerungen. Köln 1878, S. 105, und Meister-Briefe (ed. E. Wolff) S. 187.

4 Spontini soll 42 Proben zur »Olympia« abgehalten haben, Weber zum »Freischütz« 16; vgl. Max Maria v. Webers Weber-Biographie II, S. 304 und 309.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 279

stände, deren Geist ein absolutistisches Regiment nie erreichen konnte.

Weber war als Kapellmeister der geborene Organisator, ein arbeitsfroher, neuerungsfreudiger Dirigent, der überall mit dem Schlendrian des alten Opernbetriebs aufräumte. Schon in seinen Breslauer Kapellmeisterjahren war er als Reformator tätig. Er sorgte für ein gutes, zuverlässiges Personal, ließ neue Kräfte en- gagieren und erwirkte den Orchestermusikern, die früher auf Nebenverdienst angewiesen waren, ein größeres Gehalt. Das Orchester stellte er nach neuen Gesichtspunkten auf. Die rechte Flanke bildeten erste Violinen, Oboen und Hörner, Kontrabaß und Cello, die linke zweite Violinen, Klarinetten und Fagotte, neben diese kamen die Bratschen; Trompeten und Pauken standen hinter den Bratschen. Den Musikern und den maßgebenden Bres- lauer Kreisen gefiel diese Anordnung sehr wenig. Man war ge- wohnt, daß die Bläser vorn am Orchester postiert wurden und die Saiteninstrumente weiter zurück, also in ähnlicher Manier wie im Berliner Orchester unter Reichardt1. Trotz der Angriffe, die Webers Reform hervorrief, hielt er an seiner Disposition fest und reformierte unbekümmert weiter. Er veranstaltete Sänger- proben, dann Proben mit Quartett und schließlich ganze Dar- stellungs- und einige Generalproben, die man in solchem Um- fang in Breslau nie angesetzt hatte. Mit gleicher Energie betrieb er die Organisation der Prager Oper. Er arbeitete ein Regulativ für den Orchesterdienst aus, eine Ordnung für die Tätigkeit des Bühnenpersonals und entwarf genaue Szenarien, die sich bis ins kleinste erstreckten. Neue Mitglieder wurden angestellt, unbrauchbare Kräfte abgestoßen, ein Opernchor organisiert und geschult. Auch hier brachte Weber seine Me- thode der Opernproben durch. Von jeder neuen Oper wurden drei Vorproben, eine Leseprobe, eine Quartett- und Dialogprobe, eine Korrekturprobe, eine Setzprobe und eine vollständige General- probe abgehalten. Dabei überwachte er noch Dekorationen, Kostüme und Tanzarrangements. Er war, wie Spontini, Dirigent und Regisseur in einer Person.

In Prag erprobte Weber auch das von Reichardt und Forkel angeregte Mittel, das Publikum durch Programmeinführungen, durch kleine historische und ästhetische Analysen, die vor der

1 Die folgende Darstellung beruht, wenn nichts anderes angegeben wird, auf Max Maria v. Webers Weber-Biographie.

280 Sechstes Kapitel.

Aufführung veröffentlicht wurden, auf die Vorstellung vorzu- bereiten. So erreichte er, daß alle bedeutenden Werke auf dem Repertoire standen, von dem »Don Juan« an bis zum »Faust« von Spohr und zum »Fidelio«, an dem beinahe vier Wochen ge- probt wurde.

In Dresden, einem Hauptplatz der Italiener, lagen für ihn die Verhältnisse besonders ungünstig. Vom Hofe wurden die Italiener noch im alten Ansehen gehalten, und der Ruf zur Gründung der deutschen Oper entsprach mehr einer Forderung des Volkes als dem Wunsche des höfischen Geschmacks. Aber Weber ging auch hier mit Energie und Schaffenskraft rasch ans Werk. Seine erprobten Mittel, zunächst die Öffentlichkeit für die deutsche Sache zu interessieren und die internen Dienstangelegenheiten der An- gestellten zu regeln, bewährten sich auch hier. Er veröffentlichte den berühmten Aufsatz: »An die kunstliebenden Bewohner Dres- dens«, der die Aufgabe der deutschen Oper aufstellte, und entwarf eine tabellarische Aufstellung über das notwendigste Personal seines Unternehmens.

Weber ging der Ruf eines Organisators voraus. Aber eine solche Energie, wie er sie in seinem Regiment entfaltete, hatte man in Dresden nicht erwartet. Schon sein erstes Erscheinen vor dem Orchester, das er mit einer gepanzerten Ansprache ein- leitete, dann seine Reglements und die musikalisch-kritischen Einführungen in die aufzuführenden Werke gaben viel Stoff zum Hin- und Herreden, auch zu mancherlei Intrigen der Italiener.

Zu Webers Reformen gehörte auch die Einführung des Takt- stocks. Bis zu dieser Zeit hatte man an der Klavierdirektion festgehalten, die für die italienische Oper die natürlichste Leitung war. Weber griff als Dirigent der deutschen Oper zu seiner schon in Prag erprobten Taktstockdirektion, an die sich die Musiker bald gewöhnten. Mehr Widerstand fand er beim Ein- studieren der Sänger, die bei ihrer alten Manier, Verzierungen zu improvisieren, bleiben wollten. Weber ging dagegen uner- bittlich vor und erreichte es, daß wenigstens unter seiner Direk- tion alle Melodieveränderungen fortfielen. In den Proben hatte er »Ohren und Augen überall, jede falsche Note des am entfernte- sten sitzenden Instruments rügte ein rascher Blick, unermüdlich stieg er aus dem Orchester auf die Bühne und von dieser ins Or- chester, schob Sänger und Statisten zurecht, bezeichnete den Ort der Versetzstücke, führte allein und vollständig, um dem Regisseur Hellwig die Form seiner Anschauung zu zeigen, Regie

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 281

und Musik und war so präzis in seinen Befehlen, daß an kein Zögern gedacht werden konnte«1.

Weber legte den Schwerpunkt seiner Direktion auf die Ein- heitlichkeit und die dramatische Kraft der Aufführung und auf das Zusammenwirken aller Künste. Der Deutsche »will ein Kunstwerk, wo alle Teile sich zum schönen Ganzen runden«, schreibt er an den Theaterdirektor Liebich in Prag2. »Die Auf- stellung eines schönen Ensembles« ist die erste Notwendigkeit einer Opernbühne, nichts ist Nebensache. Ähnlich lautet sein Dresdener Programm: »Hat eine Kunstdarstellung es erreicht, in ihrem Erscheinen nichts Störendes mitgebracht zu haben, so hat sie schon etwas Verdienstliches, das Gefühl der Einheit, be- wirkt3.« Auf diese Anschauung vom Wesen der Operndirektion, die in Webers Schriften häufiger wiederkehrt und auch als leitendes Prinzip in seiner Opernkritik auftritt4, gehen alle seine drama- tischen Reformen zurück. Musik, Szene und Regie sind Teile des Musikdramas, deren Vereinigung zu einem Gesamtkunstwerk und deren Ineinandergreifen erst eine geschlossene Aufführung schafft. Für Weber ist das dramatische Moment der Kernpunkt des Opern- studiums. Nur wenn vom Darsteller der Ausdruck lebenswahr getroffen wird, ist nach seinen Worten ein Nachgeben im Tempo möglich. Alle Passagen und Rouladen sind nicht ihrer selbst willen geschrieben, sondern allein aus dramatischen Rücksichten. »Wer . . die letzten Passagen in der Arie der Eglantine nicht mit loderndem Feuer vortragen kann, vereinfache sich lieber diese Stelle, als daß die Leidenschaftlichkeit des ganzen Musikstücks erkältet werde. Wer die racheschnaubende Arie der Elvira im , Opferfest' (von Peter v. Winter) nicht auch ebenso singen kann, wird dem Werke weniger schaden, wenn er sie wegläßt, als wenn er sie gleich einem ruhigen Solfeggio dem Hörer giebt5.« Die Aufgabe des Dirigenten ist, Gesang und Instrumente so zu verbinden, daß die Wahrheit des Ausdrucks aus der Vereinigung beider resultiert, denn ihrer Natur nach stehen beide im Gegensatz zueinander, vokale Musik artikuliert und bedingt ein »Wogen im Takte«, instrumentale gliedert die Musik in scharfe Abschnitte. Erst die modifizierte

i Max Maria v. Weber, a. a. 0. II, S. 59f.

2 Sämtl. Schriften von C. Maria v. Weber, Krit. Ausgabe v. Georg Kaiser. Schuster und Loeffler, Berlin/Leipzig, S. 45.

3 Ebenda, S. 277.

* Vgl. Einführung in Cherubinis »Lodoiska«, a. a. 0. S. 297 f. 5 Ges. Schriften, S. 224.

282 Sechstes Kapitel.

Tempoführung verleiht dem Stück das musikalisch dramatische Leben, denn es gibt »kein langsames Tempo, in dem nicht Stellen vorkämen, die eine raschere Bewegung forderten, um das Gefühl des Schleppenden zu verhindern. Es gibt kein Presto, das nicht ebenso im Gegensatze den ruhigen Vortrag mancher Stellen ver- langte, um nicht durch Uebereifer die Mittel zum Ausdruck zu benehmen«1. »Das Vorwärtsgehen im Tempo, ebenso wie das Zurückhalten, darf nie das Gefühl des Rückenden, Stoßweisen oder Gewaltsamen erzeugen«, wie Weber sagt. »Es kann . . . in musikalisch-poetischer Bedeutung nur perioden- und phrasen- weise geschehen, bedingt durch die Leidenschaftlichkeit des Ausdruckes.« So müssen in einem Duett zwei kontrastierende Charaktere auch verschieden gesungen werden. Das Duett zwi- schen Licinius und Oberpriester in der »Vestalin« (III. Akt, Nr. 4) muß nach Webers Worten durch ruhige Führung der Partie des Priesters und durch fortreißende Gewalt in den Reden des Lucinius lebendig gemacht werden. Dadurch werden erst die Charaktere anschaulich. Für diese dramatische Gestaltung gibt es in der Musik keine Bezeichnungen. Sie liegen allein im menschlichen Herzen. Wo sie fehlen, kann kein Metronom, keine Regeltabelle helfen2. Das sind Worte, die uns von Mattheson, Junker und Türk her vertraut sind, wenn sie auch Weber nicht in die Form der alten Ästhetik kleidet. Er spricht von den Leidenschaften des Musikstücks, von der musikalisch-poetischen Bedeutung ein- zelner Phrasen und Perioden und meint im Grunde genommen das gleiche wie die alten Musiker: die Direktion muß den in der Musik ausgedrückten Affekten entsprechen und danach modifi- ziert werden, ein Grundsatz, der durch Richard Wagners Schriften Allgemeingut unserer Musiker geworden ist.

Als Dirigent war Weber ein Kapellmeister im Wagnerschen Sinne. Der dramatische Gehalt der Oper und das Zusammen- wirken von Musik, Szene und Regie bestimmten seine Direktion. Wagner erzählt, daß ein alter Musiker bei seiner Einstudierung der »Freischütz« -Ouvertüre sagte : » So hat es Weber auch genommen, ich höre es jetzt zum ersten Male wieder richtig3.« Wenn hier wirklich eine Ähnlichkeit mit der Weberschen Auffassung vor-

1 Weber, »Metronomische Bezeichnungen zur Oper ,Euryanthe' nebst einigen allgemeinen Bemerkungen über die Behandlung der Zeitmaße«. Ges. Schrift. S. 224f.

2 Ebenda, S. 225.

3 Wagner, Über das Dirigiren.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 28^

gelegen hat, was nach Webers und Wagners Schriften nicht zu bezweifeln ist, so bleibt es verwunderlich, daß Wagner gerade- diese Seite des Weberschen Wirkens in seinem Aufsatz: »Über das Dirigiren« übergeht. Dafür hat er an der gleichen Stelle- desto kräftiger die Mendelssohnsche Richtung vorgenommen und dabei Wahrheit und Dichtung zu einem Ganzen so geeint, daß es sich vielleicht lohnen wird, die Wagnerschen Ausführungen nachzuprüfen.

Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz vorstellen,, als die Dirigenten Weber und Mendelssohn. Dort der geborene Bühnenkapellmeister, der sein Werk und seine Ideen mit eiserner Energie durchführt, hier ein vornehmer,zurückhaltender,inKonzert-, Kirchen- und Kammermusik aufgewachsener Musiker, der die ganze Zeit seines Lebens in klassischen Bahnen bleibt und seine Haupterfolge im Konzertsaal erzielt. In Mendelssohn begegnet ein eigener Künstlerkopf, ein philologisch und historisch gleich geschulter Dirigent, der den Renaissancegedanken durch die Aufführung der Matthäus- Passion mit einem Schlage den Ge- bildeten verständlich macht, ein vielseitig gebildeter Künstler,, dessen Gerechtigkeit allen Andersdenkenden gegenüber, dessen Eintreten für alles Wahre und Edle der Kunst von allen, die nicht zur Partei gehörten, anerkannt wurde. Er steht mit seinem Streben, den Musikern eine größere geistige Bildung zu vermitteln, als erster in der Reihe der neueren Musiker. Ihm verdanken wir, daß sich der deutsche Musikerstand auf die jetzige Höhe der Bildung erhob.

Mendelssohn wuchs im Orchester auf, er konnte in den Sonn- tagsmusiken des elterlichen Hauses schon früh Charakter und Eigenart der Instrumente kennen lernen und sich die gesamte Orchesterpraxis aneignen. Schon bei der Aufführung der Mat- thäus-Passion zeigte er sich als Dirigent, der das Technische des Kapellmeisteramts vollkommen beherrschte. Mendelssohn nahm in den Proben zunächst die Stücke gruppenweise vor, übte »mit unerbittlicher Genauigkeit« und erklärte und be- richtigte mit kurzen, prägnanten Worten. Oft mußte er in den Proben mit der linken Hand auf dem Klavier begleiten und mit der rechten dirigieren. Als dann das zum Teil aus Dilettanten bestehende Orchester hinzukam, stellte er das Klavier zwischen beide Chöre, so daß er Orchester und zweiten Chor vor sich, den ersten hinter sich hatte. Devrient erzählt, Mendelssohn habe diese Situation beherrscht, »als ob er schon zehn Musikfeste diri-

284 Sechstes Kapitel.

giert hätte«1. Mit den Konzertreisen wuchs Mendelssohns Ruhm als Dirigent. In London, wo er im Jahre 1829 zum ersten Male konzertierte, kamen die Direktoren nach der Probe ans Orchester, um ihm zu gratulieren, Mendelssohn mußte herunter und im Orchester »an 200 verschiedene Hände schütteln«2. Er dirigierte mit einem Taktstock, den er sich in London hatte machen lassen. »Der Riemer dachte, ich sei ein Aldermann und wollte durchaus -eine Krone darauf befestigen«, schreibt er3. Aus allen seinen Reiseberichten und Konzertbeschreibungen sieht man die harmo- nische Natur, die Frische und Freudigkeit seines Musizierens, das ihm überall Freunde und Anhänger verschaffte. Ob er in München dirigierte, wo im Orchester »die forte krachten«4, oder ob er in Düsseldorf den »Israel in Ägypten« von Grund auf einstudierte, stets weckten sein Eifer, seine Freundlichkeit und sein außergewöhnliches Dirigiertalent eine wahre Begeisterung. Das Düsseldorfer Musikfest glich einem Triumph auf seine ganze bisherige Wirksamkeit. Der Düsseldorfer Magistrat setzte es bald durch, daß Mendelssohn die für ihn geschaffene Stelle eines städti- schen Musikdirektors annahm. Das Konzertieren machte ihm aber in Düsseldorf leidlich Mühe. Seine Aufführungen schlugen nicht ein. Ebensowenig die Mustervorstellungen, die er mit Immermann gemeinsam inszenierte. Der Skandal, der bei der ersten »Don Juan «-Aufführung ins Werk gesetzt wurde, die Arge- reien, die er später als musikalischer Intendant des neuen Stadt- theaters durchkostete, führten bald dazu, daß er sich vom Theater zurückzog und nur noch die vorgeschriebenen Konzerte leitete, bis er nach Leipzig als Direktor des Gewandhausorchesters berufen wurde, ein Posten, den er nur unter der Bedingung annahm, daß kein anderer durch ihn verdrängt würde5. Mendelssohn hatte sich in Düsseldorf nie recht wohl gefühlt. Orchester und Oper waren mittelmäßig. An Hiller schreibt er einmal: »Ich versichere Dich, wenn man niederschlägt, und alle fangen einzeln an, aber keiner recht tüchtig, und beim piano hört man, wie die Flöte zu hoch stimmt, und Triolen kann kein Düsseldorfer deutlich spielen,

1 Ed. Dcvrient, Meine Erinnerungen an Fei. Mendelssohn-Bartholdy und •seine Briefe an mich. 3. Aufl., S. 57/58.

2 S. H e n s e 1 , Die Familie Mendelssohn I, S. 226.

3 Ebenda S. 225.

* Reisebriefe von Fei. Mendelssohn. Leipzig 1861, I, S. 282. 6 S. Mendelssohns Brief an Conrad Schleinitz vom 26. Januar 1835, ab- gedruckt in Dörffels Gesch. der Gewandhauskonzerte, S. 84.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 285

sondern er macht ein Achtel und zwei Sechzehntel, und jedes Allegro hört noch einmal so schnell auf, als es anfängt, und die Hoboe spielt E in C-moll, und alle Saiten-Instrumente werden unter den Röcken im Regen getragen, im Sonnenschein bloß wenn Du mich einmal dies Orchester dirigiren hörtest, Dich brächten vier Pferde nicht zum zweiten Male hin1.« Und über das Theater klagt er seinem Freund Klingemann: »Das Theater . . geht so so, es ist und bleibt mittelmäßig, und ob's ein bischen drüber, ein bischen drunter ist, ist keine Woche solcher Arbeit wert. Das Plaisir zu regieren empfinde ich nicht, . . . mit Immermann vertrage ich mich nicht, die Mittelmäßigkeit preisen tu ich nicht2.« Daß er unter diesen Zuständen viel zu leiden hatte und mit Freuden nach Leipzig ging, kann man sich leicht denken. Er besaß kein orga- nisatorisches Talent. Engagieren neuer Kräfte, Gehaltssätze regeln, Statuten und neue Organisationen entwerfen, was man von ihm in Düsseldorf und Berlin verlangte, war ihm verhaßt, seiner ganzen Anlage zuwider. Er konnte erst da neuordnend eingreifen, wo gesicherte Grundlagen wie in Leipzig gegeben waren. Die Leip- ziger Vereine, Thomaner- und Paulinerchor, Singakademie und Ossianverein, dazu eine Menge guter Musiker und Dilettanten und ein Orchester, das von Hiller und Schicht, später von Christian Schulz und August Pohlenz geschult wurde, mit dem tüchtigen Matthäi am ersten Pult, und die Tradition, an der das Musik- leben seit den ältesten Zeiten ein kräftiges Rückgrat hatte das waren Faktoren, die den berühmten Konzert- und Musikfest- dirigenten anziehen mußten. Er schreibt auch gleich nach den ersten Proben, daß in Leipzig eine ruhige, ordentliche Geschäfts- stellung herrsche, daß die Musiker seinen Anforderungen mit größter Aufmerksamkeit und Liebe entgegenkämen. Einige Mängel seien noch im Personal, die sich mit der Zeit wohl noch abstellen ließen3. Das erste Konzert Mendelssohns, am 4. Oktober 1835, bedeutete für Leipzig den Beginn einer neuen Epoche. Es brachte Mendelssohns »Meeresstille und glückliche Fahrt«, Weber, Spohr, Cherubini und als Hauptwerk Beethovens B-dur-Sinfonie, ein Lieblingsstück Mendelssohns. Die Aufführungen der klassi-

1 Ferd. Hill er. Fei. Mendelssohn, Briefe u. Erinnerungen, 2. Aufl., 1878, S. 39.

2 Karl Klingemann, Mendelssohns Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann, Essen 1909, S. 154.

3 Brief vom 6. Oktober 1835, Reisebriefe II, S. lOlf. (Briefe aus den Jahren 1833—1847).

286 Sechstes Kapitel.

sehen Sinfonien waren schon unter Matthäi, der als Violin- •direktor fungierte, berühmt gewesen, aber die Präzision, die Mendelssohn erreichte, hatten die Musiker früher nicht gekannt. Schumann schreibt unter dem frischen Eindruck der Auffüh- rung, daß es eine Lust war, zu sehen, wie Mendelssohn die Geistes- windungen der Kompositionen vom Feinsten bis zum Stärksten mit dem Auge vorausnuancierte und als Seligster voranschwamm ■dem allgemeinen. Mendelssohn selbst hatte an der Aufführung ■allerdings einiges auszusetzen, die Musiker wollten das Allegro zur »Meeresstille« verschleppen, da sie ein langsameres Tempo gewohnt waren, und auch die Solostücke gingen im Orchester nicht gerade gut, »es wackelte manchmal«. Die Sinfonie »klappte« aber »ganz herrlich«. »Es war. . . eine Aufmerksamkeit ■und Spannung im ganzen Orchester, wie ich sie nie größer gesehen, sie paßten auf, wie die Schießvögel1.« Im Laufe der Jahre schwanden alle Unebenheiten im Ensemble, das Orchester spielte mit einer Virtuosität, daß Musiker und Solisten von weit herkamen, um sich im Rahmen der Gewandhauskonzerte hören zu lassen oder aber ihre Werke von Leipzig aus bekannt zu machen. Die Klassiker Haydn, Mozart, Beethoven, Cherubini gaben den Grund- ton der Konzerte. Daneben wurden viele neue Werke von Schu- mann, Schubert, Burgmüller, Hiller, Kalliwoda, Lachner u. a. auf- geführt2. Mendelssohn brachte alles, was ihm von den massenhaft eingesandten Kompositionen tauglich erschien, und sorgte dafür, daß die solistische Mitwirkung in jener Vielseitigkeit vor sich ging, wie sie die Zeit liebte. Konzerte für Klavier, Geige, Cello, Flöte, Hörn, Klarinette, Fagott, Posaune, Glasharmonika standen neben Lieder-, Kammermusik- und Opernfragmentaufführungen. Selbst Konzerte mit historischem Programm wurden gegeben kurz, Mendelssohn bot ein Programm, das auf Publikum und Kritik bildend wirkte, und dessen Vielseitigkeit bis in unsere Zeit hinein ein unerreichtes Vorbild geblieben ist.

Mendelssohn stand seinem Orchester nicht wie der Napoleonide Spontini gegenüber. Freundlichkeit und Güte, Herzlichkeit und vorbildliche Pflichttreue schufen ein inniges Band zwischen Dirigenten und Musiker. Alle sahen ihre Ehre darin, dem ver- ehrten Dirigenten alle Wünsche und Forderungen zu erfüllen.

1 W. A. Lampadius, Felix Mendelssohn, Leipzig 1886. S. 208.

2 Vgl. die Programmaufstellungen in Dörffels Gesch. der Gewandhaus- konzerte.

Die Berufskapelloieister in Deutschland. 287

Ein treuer Helfer war Mendelssohns Jugendfreund ^Ferdinand David, ein geschickter Komponist, geschmackvoller Solist und ausgezeichneter Konzertmeister. »Seine Violine allein ist zehn andere gute werth«, schreibt Mendelssohn1. Beim Anführen des Streichquartetts folgte er allen Anordnungen Mendelssohns ohne Widerrede und zeigte seine Selbständigkeit nur im Angeben von Strichmanieren und Fingersätzen. Gegen andere Dirigenten konnte er aber, wie Wasielewski erzählt2, geradezu unbotmäßig werden, er setzte dann sein eigenes Tempo durch, »wobei er seinen großen Mund bedrohlich in die Breite zog und fulminanten Blicks drauflos strich«, so daß das Ensemble unsicher wurde. Bei den Kollegen stand David in großer Achtung, wenn sie ihn auch nicht gerade verehrten. Mendelssohn schätzte sein Talent sehr hoch, er schrieb seinem »Principe« ganz offen, daß er sich keinen zweiten Musiker denken könnte, mit dem er so einig wäre in der Kunst, an dessen Tun und Treiben er solch innige Freude haben könnte als an dem seinen3. David mußte Mendelssohn auch bei seiner Abwesenheit als Dirigent vertreten, was ihm zuweilen viel Schwierigkeiten machte. »Ein Uebelstand bleibts aber doch mit dem Dirigiren und dem Vorgeigen zugleich«, schreibt er, »die neueren und neuesten Componisten verlangen doch durch- gehends einen Dirigenten, der mit dem Spielen selbst nichts zu schaffen hat. Bei den wichtigsten Stellen muß ich immer diri- giren, und da ists wieder am Nöthigsten, daß ich mit geige4.« Die Musiker hatten sich auch in Leipzig schnell an die Taktstock- direktion gewöhnt.

Im Laufe der Jahre kam es unter den Musikern, von denen uns der Paukist Pfundt, der Posaunist Queisser, dann Kiengel und Flöten-Grenser u. a. durch die hübschen Briefe Mendels- sohns und Davids vertraut sind, zu einer beinahe einzig dastehenden Anhänglichkeit an Mendelssohn, die ihren schönsten Ausdruck in den Briefen Mendelssohns und in dem herzlichen Schreiben des gesamten Orchesters an seinen Dirigenten gefunden hat5. Mendelssohn stand nicht nur seinen Musikern, sondern auch

1 Mendelsssohn an Ign. Moscheies am 30. Nov. 1839. (Meister-Briefe, ed. Ernst Wolff, S. 77).

2 Wasielewski, Aus siebzig Jahren, S. 67.

3 Jul.Eckardt, Ferd. David und die Familie Mendelssohn, Leipzigl888, S. 93.

* Ebenda, S. 149.

6 Jul. Eckard t, a.a.O. S. 141.

288 Sechstes Kapitel.

Solisten und Komponisten, die seine Hilfe in Anspruch nahmen, mit Rat und Tat zur Seite. Die Lisztschen Konzerte brachte er durch seine liebenswürdige Bereitschaft zum Gelingen, und bei den Berlioz- Konzerten begütigte und »vertuschte« er, so daß Berlioz, der über das Orchester und seinen Dirigenten in den Memoiren begeistert schreibt, schnell befreundet war und beide ihre Taktstöcke »wie die alten Krieger ihre Rüstungen« tauschten. Mendelssohns »nettes, leichtes, mit weißem Leder überzogenes Fischbeinstöckchen« erhielt Berlioz, Mendelssohn bekam von Berlioz einen »unbehauenen, mit der Rinde versehenen, unge- heuren Lindenknüppel«1.

Mendelssohns Direktion ist von Zeitgenossen häufig geschildert worden. »Die feine und anspruchslose Weise«, sagt Devrient2 von der Aufführung der Matthäus- Passion, »in welcher er durch Miene, Kopf- und Handbewegung an die verabredeten Schat- tierungen des Vortrages erinnerte und ihn so mit leiser Gewalt beherrschte; die gelassene Sicherheit, mit welcher er bei General- proben und Aufführung, sobald größere Stücke von gleichmäßiger Bewegung ganz im Zuge waren, kaum merklich nickend, al& wollte er sagen: ,Nun geht es gut und ohne mich', den Taktstock sinken ließ und mit der verklärten Miene zuhörte, die ihn beim Musizieren seltsam verschönte, ... bis er wieder vorausempfandr daß es nöthig sei, den Taktstock zu gebrauchen alles das war so bewunderungs- als liebenswürdig.« Auch Ferdinand Hill er beschreibt sein leicht-elegantes, vornehm-gewinnendes Auftreten. »Wenn ich von dem Einflüsse des genialen Leiters auf die Zuhörer spreche«, sagt er3, »so muß man nicht glauben, daß derselbe die Aufmerksamkeit der Letzteren auf sein Gebahren am Dirigenten- pulte irgendwie herausgefordert. Seine Bewegungen waren kurz, bestimmt; meistentheils, da er mit der rechten Seite dem Or- chester zustand, kaum sichtbar. Ein dem Conzertmeister zu- geworfener Blick, ein kleiner Wink nach der einen oder anderen Seite genügten. Es war die Theilnahme an der Sache, die an der Theilnahme erstarkte, welche ihr ein so außerordentlicher Mensch entgegentrug.« Ebenso charakterisiert ihn Lampadius4: »An- fangs, wenn er an das Dirigentenpult trat, ruhte auf seinem Ge- sicht jedesmal ein feierlicher Ernst. Man sah, daß ihm der Tem-

i H ensel, a.a.O. III, S. 2.

2 A. a. O. S. 58.

3 Ferd. Hiller, a.a.O. S. 134. * A.a.O. S. 372f.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 289

peldienst der Kunst etwas Heiliges war. So wie er aber den ersten Tact angegeben hatte, kam dann ein eigenes Leben in die feinen, schönen Züge. Sein edles Mienenspiel begleitete die ganze Musik, und man konnte die kommenden Effekte oft zum voraus darin lesen. Die Forti's und Crescendi's begleitete er mit einem eigenen energischen Ausdruck des Gesichts und mit lebhaften Schwin- gungen, während er bei den Decrescendi's und Piani's oft beide Hände beschwichtigend aufhob und langsam wieder sinken ließ. Den entfernteren Musikern winkte er, wenn sie anfangen sollten, und markierte es auch oft durch eine sehr charakteristische Hand- bewegung, wenn ihre Pause kam, als wollte er sagen:, weg damit1'.«

Mendelssohn ließ beim Studium zunächst das Stück glatt durch- spielen, nahm dann einzelne Stellen besonders vor und studierte so lange, bis alles glatt ging. Seine Bemerkungen und seine Aus- stellungen gab er meist im freundlichen Ton. Die Worte, die da zitiert werden, sind kurz, mitunter ironisch, aber niemals grob oder beleidigend2. In Leipzig hat sich wohl niemand über ihn beschweren können. Dagegen schreibt Mendelssohn aus Berlin, daß die Kapelle mit ihm habe »Schindluder spielen« wollen und er unangenehm grob werden mußte. Er nahm sechs Musiker in Strafe. Sie hielten ihn dann für Spontini, und keiner muckste mehr3. Solch Regiment war ihm aber im innersten Herzen zu- wider. Er liebte mehr ein freundliches, williges Zusammenarbeiten als eine militärische Disziplin.

Will man die Eigenart der Mendelssohnschen Direktion näher entwickeln, so lassen sich für seinen Vortragsstil nur wenig Vor- bilder angeben. Zelter konnte ihm wohl die Grundzüge der älteren Musikpraxis vermitteln, aber nicht den Weg vorzeichnen, der zum Verständnis der Klassiker führte. Hier mußten Mendelssohns musikalische Anlage, seine Erziehung und das Musikleben der Tage weiterhelfen. Daß es in Berlin zu Mendelssohns Jugendzeit um die Musik nicht schlecht bestellt war, haben wir aus den Cha- rakteristiken Anselm Webers und Spontinis gesehen. Mendels- sohn hörte in den Möserschen Konzerten die neuesten Beethoven- schen Sinfonien , unter Spontini Teile der Beethovensehen

1 Vgl. auch die Beschreibungen der Mendelssohnschen Direktion bei Wa- sielewski, Aus siebzig Jahren, S. 59, den Brief Rebeckas an C^cilie bei Hensel, a.a.O. II, S. 43, die Charakteristik inDörffels Gesch. der Gewandhauskonzerte, S. 85 u. a.

2 Vgl. Lampadius, a.a.O. S. 373.

3 Eckardt, a. a. O. S. 156.

Kl. Handb. der Musikges-L. X. 19

290 Sechstes Kapitel.

und Bachschen Messe. Auf seinen Reisen, namentlich in Paris und London, lernte er dann Musik und Musiker seiner Zeit kennen, deren Vortrag auf seine Kunstanschauung wohl den größten Ein- fluß geübt hat. Auch die Habeneckschen Konzerte hat Mendels- sohn besucht und bewundert1, wenn sie auch auf ihn nicht so bestimmend gewirkt haben wie auf Richard Wagner.

Als Interpret der Klassiker hat Mendelssohn einen eigenen Stil geschaffen. Was er in Leipzig brachte, war eigenes Kunst- erleben, eigenes Denken und Fühlen. Hier erfüllte sich zum ersten Male das Ideal klassischer Instrumentalkonzerte. Nicht allein durch die rein technischen Leistungen der Musiker, sondern durch den Geist und die Individualität des Dirigenten. Die Sinfonien, die für ein Orchester, das nicht nur aus Virtuosen bestand, glänzend gingen, erhielten ihre Hauptwirkung gerade durch den persön- lichen und eigenartigen Vortrag des Dirigenten. Lampadius, der Mendelssohns Konzerte besuchte, sagt, daß die Aufführungen von Werken Mozarts und Haydns durch die geistreiche Auffassung Mendelssohns ein ganz neues Gesicht erhielten. Er verstand es, durch »ein hin und wieder etwas beschleunigtes Tempo und durch die feinste Nuancierung mittelst Piano, Crescendo und Decrescendo« die Werke bei aller Pietät doch »mit dem Geschmack der Gegen- wart auf das sinnigste« auszusöhnen2. Schumann nennt seine Aufführungen treffliche Leistungen3. Man nahm Mendels- sohns Interpretation überhaupt als Autoritätsausspruch hin, freute sich über Einzelheiten, wie das Hervorkehren des d der Baßposaune im Scherzo der neunten Sinfonie , dem Schumann »eine erstaunliche Wirkung« zuspricht4, und schrieb meist nur, daß dies oder jenes Stück hinreißend vorgetragen wurde, oder daß es Mendelssohn »mit der Kraft« dirigiere, »die ihm eigen ist, und mit der Liebe, die ihm das allseitige Entgegenkommen einflößen muß«6.

Charakteristisch ist für Mendelssohns Direktion die Vorliebe für schnelle Tempi. Schleppen und behäbige Zeitmaße konnte er nicht mit anhören. Im Unterricht pflegte er aufs strengste auf die richtige Taktbewegung zu halten und seine Schüler mit

i Vgl. H e n s e 1 , a. a. O. I, S. 335f.; Eckardt, a. a. 0. S. 46.

2 Lampadius, a. a. O. S. 214.

3 Ges. Schriften über Musik und Musiker, Ausgabe 1854, III, S. 49.

* Ebenda IV, S. 98. Partitur Breitkopf & Härtel (Ges. -Ausg.), S. 102. Takt 11.

6 Schumann, Ges. Schriften II, S. 203/4.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 291

den Worten: »nur flott, frisch, immer vorwärts!« anzuspornen1. Den Sängerinnen gab er zur Devise: »Singen Sie nie ein Lied so, daß man dabei einschlafen kann, auch selbst ein Wiegenlied nicht !2« Sein Orchester gewöhnte er gleich beim ersten Konzert an schnellere Zeitmaße, und in den Proben begleiteten alle Schwan- kungen die Worte: »Tempo, Tempo, meine Herrn !3« Die Ou- vertüren und schnellen Sinfoniesätze mußten durchweg flott und frisch gespielt werden. Schumann war mit diesem »leiden- schaftlichen Treiben« einverstanden. Wer wollte entscheiden, schreibt er einmal, ob diese Zeitmaße »unter Voraussetzung eines makellosen Vortrags« nicht Beethoven gerade recht ge- wesen?4 In seiner Besprechung des ersten Mendelssohnschen Konzerts war ihm sogar das Scherzo der B-dur-Sinfonie von Beethoven noch zu langsam. »Du weißt, wie wenig ich die Streite über Temponahme leiden mag«, heißt es da5, »und wie für mich das innere Maß der Bewegung allein unterscheidet. So klingt das schnellere Allegro eines Kalten immer träger als das lang- samere eines Sanguinischen. Beim Orchester kommen aber auch die Massen in Anschlag: rohere, dichtere vermögen dem Einzelnen, wie dem Ganzen mehr Nachdruck und Bedeutung zu geben; bei kleineren, feineren hingegen, wie unserm Firlenzer, muß man dem Mangel an Resonanz durch treibende Tempos zu Hülfe kommen. Mit einem Worte, das Scherzo der Symphonie schien mir zu lang- sam; man merkte das auch recht deutlich dem Orchester an der Unruhe an, mit der es ruhig sein wollte.« Damit stellt sich Schu- mann im Prinzip auf die Seite Mendelssohns, wenn ihm auch dessen Tempi, z. B. beim ersten Satz der neunten Sinfonie, zuweilen zu lebhaft schienen6. Wagner hat Mendelssohn nur ein- mal in einer Probe zur achten Sinfonie dirigieren sehen. Er bemerkte, daß hin und wieder ein Detail, wie es Mendelssohn gerade paßte, herausgegriffen wurde, was so schön klang, daß Wagner gern gewünscht hätte, alle Stellen wären mit gleicher Sorgfalt ausgeführt worden. Sonst »floß diese so unvergleichlich heitere Symphonie außerordentlich glatt und unterhaltend da-

1 Hans v. Bülows Ausgewählte Schriften, 2. Aufl., 1911, II, S. 209.

2 L a m p a d i u s , a. a. O. S. 373/4.

3 Wasielewski, Aus siebzig Jahren, S. 60.

4 A. a. O. II, S. 214f.

5 A. a. O. I, S. 194.

6 Wagner, Über das Dirigiren. Vgl. Schumanns Ges. Schriften II, S. 214.

19*

292 Sechstes Kapitel.

hin«1. Mendelssohn soll auch Wagner gegenüber die Meinung vertreten haben, daß jedes zu langsame Tempo schade, er emp- fehle, lieber etwas zu schnell zu nehmen, damit könne man über Schwächen des Ensembles am besten hinwegtäuschen. Eine Be- stätigung dieser Mendelssohnschen Maxime will Wagner in London bei den Konzerten der Philharmonischen Gesellschaft gefunden haben. Die Instrumentalmusik, die, wie Wagner meint, noch nach Mendelssohnscher Tradition gespielt wurde, »floß . . . wie das Wasser aus einem Stadtbrunnen ; an ein Aufhalten war gar nicht zu denken, und jedes Allegro endete als unläugbares Presto«. Erst bei dem Wagnerschen Studium deckten sich die Schäden des Vortrags auf. Ebenso verstand Mendelssohn, als er mit Wagner einer Aufführung der achten Sinfonie beiwohnte, nicht die Be- zeichnung »Tempo di Menuetto«. Reissiger sollte den Satz, der nach Wagner bisher im Ländlertempo gespielt wurde, langsam, im alten Menuettzeitmaß spielen, wurde aber daran durch äußere Umstände verhindert und verfiel wieder in das alte Tempo. Ehe Wagner noch seinen Unwillen äußern konnte, sah er, wie Mendels- sohn lächelte, wohlgefällig mit dem Kopf nickte und sagte: »So ist's ja gut! Bravo!« »Ich glaubte in einen wahren Abgrund von Oberflächlichkeit, in eine vollständige Leere zu blicken« so schließt dieser Abschnitt des Wagnerschen Aufsatzes »Über das Dirigiren«. Durch den ganzen Artikel zieht sich wie ein roter Faden der Gedanke: Mendelssohn ist der Begründer der eleganten Manier im Dirigieren, des glatten »Darüberhinweggehens«, der Oberflächlichkeit. Und schließlich wird unter Wagners Feder aus Mendelssohns Bildung eine Gebildetheit, eine befangene Kunstanschauung, die von der wahren Geistesfreiheit weit ent- fernt sei. Daß diese Charakterisierung Mendelssohns über- trieben ist, wird niemand, der sein Wirken näher kennt, be- streiten. Wagner war nicht der Musiker, der seine Mitwelt ob- jektiv zu beurteilen verstand. Das zeigen seine Schriften und seine Autobiographie. Ihm war es selbst kaum noch bemerkbar, wenn er bei der Verfolgung eines Gedankens übers Ziel schoß und gegen Zeitgenossen ungerecht wurde. Man kann seine einseitige Stellung zur Mendelssohn-Schule, zur musikhistorischen Bildung und zur musikalischen Renaissance verstehen, aber man wird stets dagegen protestieren, wenn Wagner bei diesen Fragen als Autorität zitiert wird. Bei der Charakterisierung der Mendels-

1 Wagner, Über das Dirigiren.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 293

sohnschen Direktion kombiniert er aus wenigen Tatsachen eine Theorie , die ihm als Hintergrund seiner Ausführungen ge- eignet scheint. Wagner hat Mendelssohn nur in einer einzigen Probe gehört ! Das kann für ein Gesamturteil sicherlich nicht ausreichen. Er hat das Londoner Orchester mendelssohnisch spielen hören. Dabei fragt man sich, ob das Londoner Orchester wirklich alle Tempi und Details Mendelssohns Jahrzehnte hin- durch beibehalten konnte, und ob nicht gerade dies Orchester durch viele Gastdirektionen bald diese, bald jene Ausführung ge- wohnt war. Ferdinand David schreibt einmal, daß das Lon- doner Orchester nur dann das erste der Welt werden könnte, wenn es »statt eines halben Dutzend von Dirigenten einen Kerl« wie Mendelssohn ständig an der Spitze hätte, vor dem die Musiker »Respect haben« müßten, und der sie ein paar Jahre hindurch tüchtig »curanzte«, so aber klinge das Orchester wie eine wunder- volle Orgel, auf der ein langweiliger geschmackloser Spieler sein Wesen treibe. »Der Klang ist schön, aber keine Schattirung, dazu hauen sie bei allen verfänglichen Stellen vor, als ob sie extra dafür bezahlt würden, die sforzandos sind gleich Elephanten- Tritten, und pianissimo und fortissimo kennen sie nicht1.« So schreibt Mendelssohns Konzertmeister im Jahre 1839. Wenn er bei dieser Musiziererei irgendwo eine Mendelssohnsche Nuance gehört hätte, er wäre sicherlich mit einigen Worten darauf ein- gegangen. Zwei Jahre später hören wir, daß die neunte Sin- fonie unter Moscheies in einer bösen Verarbeitung die Baß- recitative wurden Solo gespielt, Orgelbässe zugesetzt und Vokal- partien abgeändert in London aufgeführt wurde2. Wäre das unter Mendelssohn möglich gewesen oder überhaupt geduldet worden? Wagner gab seine Londoner Konzerte im Jahre 1855. Da kann niemand die Schuld an dem Schlendrian des Orchester- spiels, wie ihn nach David auch Wagner vorfand, dem schon vor vielen Jahren entschlafenen Meister zuschreiben. Es bliebe somit nur jene Probe, die Wagner hörte, und die Freude Mendelssohns über das schnelle Zeitmaß des Tempo di Menuetto, die Wagners Theorie halten könnten. Es bleibt aber fraglich, ob Mendelssohn den altvaterischen Ton dieser Musik, die freundliche, beinahe Haydnsche Idylle des Trio nicht im richtigen Tempo genommen hat. Ich kenne keine zeitgenössische Stimme, die gerade auf diesen

i Eckardt, a.a.O. S. 102/103. 2 Ebenda, S. 124.

294 Sechstes Kapitel.

Punkt einginge. Die Kritik nennt Mendelssohns Vortrag der achten Sinfonie einmal »sehr bestimmt und genau vorgetragen«1. Sonst heißt es von seinen Konzerten nur: »vortrefflich aus- geführt«, »geschmackvoll«, »gelungen« usw., womit uns wenig gedient ist2. Ich finde aber in Berlioz' Beethoven -Analysen folgenden Satz: »Eine Menuett, im Zuschnitt und Zeitmaß der Haydnschen, ersetzt hier das Scherzo mit raschem Dreiviertel- takt3.« Daraus geht hervor, daß Wagner nicht der erste war, der dem Satz zu seinem rechten Zeitmaß verhalf. Ob Berlioz in seiner Anschauung auf Habenecks Direktion zurückgeht, die auch Mendelssohn gehört hat, ist schwer zu entscheiden. Diese Anleitung war aber weder für Berlioz, noch für Mendelssohn nötig, denn Beethovens Tempo und Vortragsangabe konnten von einem guten Kapellmeister kaum mißverstanden werden. Es ist möglich, daß Mendelssohn den Satz schneller haben wollte als Wagner, aber ein Scherzotempo wird er sicherlich nicht von den Musikern verlangt haben, zumal das Trio kaum im schnellen Zeitmaß durchgeführt werden kann. Im Falle Mendelssohn hat Wagner ein Charakteristikum, nämlich Mendelssohns Vorliebe für schnelle Tempi, etwas übertrieben und karikiert. Ohne Frage ist das Vorwärtsgehen im Zeitmaße bei den Beethovenschen Sinfonien kein Fehler. Nur der musikalische Ausdruck der Affekte ist's, der lebendig macht, nicht der Autoritätsglaube. Dafür zeugen aber Mendelssohns Künstlernatur und die Berichte der Zeitgenossen , daß man in Leipzig nicht oberflächlich musi- ziert hat. Mendelssohn besaß ein so feines rhythmisches Gefühl und einen so feinen Klangsinn, daß er die kleinsten Unregelmäßig- keiten des Ensembles hörte da wird er über Unebenheiten sicherlich nicht hinweggeeilt sein.

Wenn man bei komponierenden Dirigenten in der eigenen Musik die künstlerische Auffassung der klassischen Werke sich spiegeln sieht, so daß jene diese erklären könnte, so würde ich in den Konzertouvertüren Mendelssohns und den schnellen Sätzen der schottischen und italienischen Sinfonie jenes freudige, frische und flotte Musizieren erkennen, jene subtile klangliche Farbenzeichnung, die von seinen Konzertaufführungen über- haupt gerühmt werden. Die stets gediegene und meisterhaft

i Allg. Mus. Ztg. 1836, S. 105.

2 Vgl. Allg. Mus. Ztg. 1836, S. 87, 104, 273, 692 usw., auch Dorf fei, Gesch. der Gewandhauskonzerte.

3 A Travers Chants. Deutsche Ausg. von R. Pohl, Leipzig 1864, S. 57.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 295

beherrschte Form der Mendelssohnschen Werke, seine saubere, durchsichtige thematische Arbeit, scheint mir das Abbild seiner musikalischen Interpretation. Gewiß haben Mendelssohns Schüler seine Wiedergabe der Klassiker einseitig weitergeführt und damit die in unserer Zeit wieder auflebende Mendelssohnsche Idee zur Manier erstarren lassen. Dafür kann Mendelssohn nicht ver- antwortlich gemacht werden. Er war der erste, der das deutsche Konzertleben nachdrücklich in die Bahnen des Klassizismus und der Renaissance lenkte, ohne sich dem modernen Schaffen zu verschließen, und der in den dreißiger Jahren mit einem tüch- tigen Orchester vorbildliche Aufführungen und eine durchaus persönliche, individuelle Interpretation schuf.

Unter die »Musikbanquiers«, denen die Kraft, das Berliner Musikleben zu reformieren, fehlte, rechnet Wagner neben Mendels- sohn auch den Meister der Staatsaktionsoper: Giacomo Meyer- beer, der allerdings niemals Anspruch darauf erhoben hat, als Organisator zu wirken. Wenigstens nicht als Kapellmeister. Sein unsicheres Auftreten, sein ruheloser, wenig energischer Cha- rakter machten ihn zum Dirigenten im Weberschen oder Mendels- sohnschen Sinne nicht geeignet. Er besaß ein subtiles rhyth- misches und klangliches Gefühl, er verstand es, durch Höflichkeit und weitgehendes Entgegenkommen sich die Musiker zu ver- pflichten und sie zu guten Aufführungen anzuhalten, aber ein Kapellmeister, von dem große Wirkungen ausgehen, ist Meyerbeer nie gewesen, wollte es nicht sein. So viel Effekte er durch seine subtile und fein ausgedachte Instrumentation in der Oper schuf als Orchesterführer hat er kaum etwas Neues gebracht. Er ging sogar Einladungen zum Dirigieren von Musikfesten aus dem Wege und hat sich sehr bald aus den Fesseln seiner Berliner Stellung befreit. An Dr. S diu cht schrieb er einmal: »Der Hochgenuß [zu dirigieren] ist keines Falls so groß wie Sie glauben. Im Gegen- theil, ich werde sehr unangenehm, fast ärgerlich durch die vielen Fehler und falschen Auffassungen berührt, welche bei den ersten Proben auch des größten Künstlerpersonals unvermeidlich sind. Ich eigne mich überhaupt nicht gut zum Dirigenten. Man sagt; ,ein tüchtiger Kapellmeister muß ein gut Theil Grobheit haben'. Ich will das nicht bejahen. Mir ist eine solche Grobheit stets zuwider gewesen. Es macht einen sehr unangenehmen Eindruck, wenn gebildete Künstler mit Worten traktirt werden, die man keinem Bedienten sagt. Grobheit verlange ich nicht von einem Dirigenten, aber er muß energisch auftreten, scharfe Verweise

296 Sechstes Kapitel.

ertheilen können, ohne grob zu werden und darf bei den stärksten Rügen den Anstand nicht verletzen. Zugleich muß er soviel Jovialität entfalten, um sich die Liebe sämtlicher Künstler zu erwerben; sie müssen ihn lieben und fürchten. Nie darf er Cha- rakterschwäche blicken lassen, das beeinträchtigt den Respect ungemein. Ich kann nicht so energisch, schneidend auftreten, wie es beim Einstudieren erforderlich ist, und überlasse daher diese Function sehr gern den Kapellmeistern. . . . Die Proben haben mich zuweilen krank gemacht1.« Auch in zeitgenössischen Berichten, die in dieser Zeit allerdings schon wenig verläßlich werden, findet man immer wieder die Hauptseite des Meyerbeerschen Charakters betont: sein wenig energisches Auftreten und seine Konzilianz gegen die Musiker. Ihm war viel daran gelegen, selbst die klein- sten Partien seiner Partituren gut gespielt zu hören, er engagierte lieber einen berühmten neuen Virtuosen, als daß er eine Stelle von einem weniger begabten Spieler ausführen ließ2. Hieraus resultierte zum guten Teil die Vortrefflichkeit seiner Aufführungen3. Epochemachend oder geschichtlich bedeutend hat aber Meyerbeer als Kapellmeister nicht gewirkt.

In den Korrespondenzen und Kritiken der Musikzeitungen findet man in der Rubrik »Konzerte« oder »Musikbriefe« noch viele Lobhymnen auf diese oder jene Lokalgrößen. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, aus diesen einander oft widersprechenden, meist recht leeren Berichten die Bedeutung der einzelnen Kapell- meister klarzustellen. Weit verläßlicher sind da die Lebenser- innerungen und Aufsätze von Dorn, Marx, Wasielewski, Berlioz, Wagner u. a., die einen kleinen Umblick auf die Dirigenten der größeren und kleineren Musikplätze in den dreißiger und vierziger Jahren gestatten.

1 A. Niggli.Giac. Meyerbeer (Waldersees Samml. musikal. Vorträge), S. 311. J. Schlicht, Meyerbeers Leben und Bildungsgang, S. 399f.

2 Wagner, Über das Dirigiren.

3 Vgl. Berlioz, Memoiren II, S. 92: »Ich möchte nur sagen, daß [Meyer- beers Direktion der Hugenotten] mir von Anfang bis zu Ende der Vorstellung prächtig schön, vollkommen nuanciert und selbst in den schwierigsten Sätzen unvergleichlich klar und präzis vorgekommen ist.« Über die von Meyerbeer genommenen Tempi orientiert sehr gut E. M. E. D e 1 d e v e z, L'art du Chef d'Orchestre, 1878 (Remarques sur l'interprötation, ä l'op£ra, de la Partition des Huguenots.). Von Meyerbeers Auftreten anderen Kapellmeistern gegen- über erzählt Wasielewski (a. a. O. S. 172) einige charakteristische Züge.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 297

Als Dirigent der alten Schule wird Guhr in Frankfurt gerühmt, ein sicherer, strenger Kapellmeister, »despotisch und namentlich grob«, ähnlich wie der Dessauer Friedrich Schneider1. Das Orchester spielte unter Guhrs Leitung wie »ein einziges Instru- ment«2. Weiterwäre Lindpaintner zu nennen, nach Wasielewskis Worten, ein »biederer, wohlroutinirter, aber keineswegs poetisch veranlagter« Musiker3. Er hatte seine Stuttgarter Kapelle so gut geschult, daß sie Berlioz' Werke ohne Fehler vom Blatt spiel- te, eine Leistung, die noch heute jedem Orchester Ehre machen würde4. Auch Mendelssohn lobt die Disziplin der Stuttgarter Musiker, die so vollkommen schön und genau zusammenspielten, wie man sich's nur wünschen könnte; er nennt Lindpaintner den besten Orchesterdirigenten Deutschlands5. In Dresden, wo die Webersche Tradition bald vergessen war, wirkte Reißiger, der Komponist von »Webers letztem Gedanken« und ähnlichen .Salonstückchen, ein bei der Kapelle sehr beliebter Dirigent, der es mit dem Dienst nicht so genau nahm. Man erzählte sich, daß er, wenn er von der Frau zur bestimmten Zeit erwartet wurde, beim Dirigieren nach der Uhr sah und schnelli Tempi nahm, um pünktlich zu sein6. Braunschweig hatte an Georg Müller einen ausgezeichneten Kapellmeister, der sein »Staats- orchester«, wie es Meyerbeer nannte, zu hervorragenden Leistungen gebracht hatte7. In Hamburg dirigierte der gestrenge Kapell- meister Krebs8, in Hannover Heinrich Marschner, der sich mit schlechten Kräften redlich abmühen mußte. Weiter wären als tüchtige Dirigenten zu erwähnen: Franz Lachner und der im Dienst sehr schroff und grob auftretende Julius Rietz, der, mit einem ausgezeichneten Gehör begabt, sehr genau studierte, so daß man erzählte, er habe nie einen Fehler beim Dirigieren gemacht. »Seine Behandlung des Kunstwerkes war sachlich ruhiger, durchdringender Art. Demgemäß wußte er alle Einzel- heiten des Ensembles klar und deutlich durchzubilden. Seine Aufführungen zeugten von lebhaftem Temperament, aber bis zu

1 Wagner, Über das Dirigiren. Vgl. auch »Mein Leben« von R. Wagner, I, S. 133.

2 Berlioz, Memoiren II, S. 11.

3 Wasielewski, Aus siebzig Jahren, S. 147.

4 Berlioz, Memoiren II, S 22. 6 H ensel, a. a. O. I, S. 331.

6 Wasielewski, a. a. O. S. 171.

7 Berlioz, Memoiren II, S. 67.

8 Berlioz, a. a. O. II, S. 77.

298 Sechstes Kapitel.

schwungvoller Erhebung kam es nicht. Die vollständige Korrekt- heit ging Rietz über alles1.« Eine ähnliche Natur zeigte Ferdi- nand Hiller, den Meyerbeer als Kapellmeister neben Weber stellte2. Hiller war ein fruchtbarer, heute stark unterschätzter Komponist, der bei seiner Direktion sehr viel herumexperi- mentierte. David soll bei seiner langsamen Tempoführung im Händelschen Halleluja gesagt haben: »Das Stück wird erst am nächsten Musikfeste zu Ende sein.« In Paris schrieb man von seinen Konzerten, er »führe das Orchester wie ein österreichischer Oberst seine Panduren«. Wasielewski, der diese Kritik erwähnt, erzählt noch, Hiller habe einmal beim Anfang der C-moll- Sin- fonie Beethovens, der möglichst genau kommen sollte, zwei Takte- voraus markiert; bei den Proben hätte der Beginn ganz gut ge- klappt, bei der Aufführung aber setzten einige Musiker gleich einr was dem Dirigenten einen hübschen Heiterkeitserfolg einbrachte. Auch um seine Kenntnis der Klassiker scheint es nicht gut be- stellt gewesen zu sein3. Wollte man diese Größen zweiter Ord- nung nach den zeitgenössischen Kritiken weiter vorführen, man würde keine abwechslungsreiche Galerie zusammenstellen. Aber wie die um die großen Meister sich gruppierenden kleineren Geister ein Bild von dem Schaffen einer Epoche geben und die Eigenart der Vorbilder schärfer kennzeichnen, so wird vielleicht eine Zusammenfassung von ihrem Wirken, von ihren praktischen und künstlerischen Ansichten das musikalische Zeit- bild etwas beleben.

Es gibt ein kleines Büchlein, das, im Jahre 1844 erschienen, ein Kompendium des Dirigierens enthält: das wenig gekannte Werk »Dirigent und Ripienist« von F. S. Gassner. In der Ein- führung erfahren wir, daß der Verfasser bei seinen Studien durch die freundliche Teilnahme der Meister Spohr, Mendelssohn, Reißiger, Marx usw. unterstützt wurde, also Grund genug, die vorgetragenen Theorien als kompetent für die vormärzliche Zeit anzusehen. Gassner bringt zunächst Ausführungen über die Kennt- nisse, die bei der Direktion vorausgesetzt werden, und geht dann zu den Eigenschaften eines Dirigenten über, der allein für das richtige Erfassen der Tondichtungen, für die Besetzung der Stim-

i Wasielewski, a. a. 0. S. 70/71.

2 Johannes Weber, Meyerbeer. Notes et Souvenirs d'un de ses secrö- taires, Paris 1898, S. 113.

3 Wasielewski, a.a.O. S.68, 140f., 147. Vgl. F e r d. Hiller, Musikalisches und Persönliches, Leipzig 1876, »Über das Auswendig-Dirigiren«,

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 299

men und die Wahl der Werke verantwortlich zu machen ist. Durch eigene Tüchtigkeit und ein »leutseliges Benehmen« erringt sich ein Kapellmeister, wie Gassner sagt, am ersten die Verehrung seiner Untergebenen, und durch einen guten Vortrag, durch die Einsicht in die »inneren Schönheiten« und den »Charakter jeden Werkes« die allgemeine Anerkennung. Sein Amt verlangt ein tiefes Eindringen in die tondichterischen Ideen, ein »ästhetisch gebildetes Gemüth«. Darum müssen Geist und Phantasie durch Studium, auch in der bildenden Kunst und Literatur, geschult werden, eine Forderung, die durch Mendelssohn Allgemeingut der Musiker wurde. Weiter gibt Gassner zehn Gebote für den Kapellmeister. Sie sind allgemeiner Natur, in der Art der »Politik des Kapellmeisters« Junkerscher Richtung. Interessant ist da nur die Regel: »Zeige dich als Componist, wenn du solcher bist;, es ist nöthig, seine gegen Andere überwiegende Fähigkeiten geltend zu machen, wenn man an der Spitze eines Künstlercorps steht; bringe aber deine Arbeiten ja nicht zu oft.« Die Regel: haben die deutschen Kapellmeister fleißig befolgt, ohne damit die Entwicklung weitergebracht zu haben. Dann stellt Gassner Vorschläge für das Einstudieren neuer Werke zusammen, wobei er dem »sinnigen Dirigenten« rät, einzelne Effektmomente, die in der Partitur »gar nicht, nicht bestimmt genug oder unrichtig« bezeichnet sind, zu berichtigen. Dies Korrigieren fremder Ar- beiten war auch bei fehlerlosen Partituren gang und gäbe. Wie Moscheies die neunte Sinfonie umarbeitete , war schon erwähnt worden; auch Mendelssohn verbesserte eine Ferd. Hillersche Ouvertüre bei der Aufführung1, andere transponierten den Sängern zu Gefallen Opernarien, komponierten Übergänge dazu oder strichen tüchtig in der Partitur herum. Die Achtung vor dem Urtext war bei vielen Dirigenten nicht allzu groß. Sie er- streckte sich höchstens auf die bekannteren Werke der Klas- siker, aber auch da wurde, wie die Geschichte der Gluckschen Oper und der Beethovenschen Sinfonien zeigt, viel »verbessert«. Gassner fordert vom Kapellmeister Klavierproben mit den Solisten, Chor-, Quartett-, Bläser-, Haupt- und Generalproben. Be- zeichnend ist da seine Bemerkung, der Dirigent solle sich mit den Sängern über etwa anzubringende Verzierungen vorher verständigen . Er hält die notengetreue Wiedergabe bei den Ripienisten für

1 Vgl. Mendelssohns Brief an Hiller vom 24. Jan. 1837. Meister-Briefe, S. 127.

300 Sechstes Kapitel.

selbstverständlich, macht aber bei Sängern und Solisten doch eine Ausnahme. Diese Praxis hat sich noch bis zur Koloratur- und Effektfermate Meyerbeers in der Oper gehalten und ist erst mit dem Durchdringen des Wagnerschen Dramas verschwun- den. Gegner wie Gluck, Spohr, Spontini oder Weber bleiben bis dahin Ausnahmen. In der Sinfonie waren die Willkürlichkeiten, wie wir gesehen haben, schon früher abgeschafft, und wenn man liest, daß einige Flötisten in ihrer Partie noch Verzierungen an- brachten1, so sind das alte Praktiken, die aus der allgemeinen Richtung herausfallen. Besonderes Gewicht legt Gassner auf die Dynamik. Er gibt Anweisungen, die man heute noch mit Nutzen lesen kann, über die Abstufung der Stärkegrade nach dem Auf- führungslokal, nach Natur und Anlage eines Werkes und über die Erklärung der Vortragszeichen, deren Sinn der Kapellmeister den Musikern nahebringen soll. Mit der Forderung, daß ein Ripienist alles andere, nur nicht Virtuosenallüren in den Vortrag einführen darf, daß er einfach und gediegen spielen muß, schließt Gassner an Reichardt und Spohr an.

Die rein artistische Seite der Direktion, das Taktschlagen, berührt unser Buch eingehend. Es wird eine unauffällige, aber sichere Taktführung mit dem Taktstock oder Violinbogen geraten. Die Armbewegungen sollen ohne Charlatanerie gegeben werden, Winke und Blicke müssen unauffällig sein, alles Taktieren soll ohne Lärm und Koketterie vor sich gehen; je anspruchsloser die Taktierbewegungen aussehen, desto wirkungsvoller sind sie. »Der Dirigent hat nur das Zeichen zum Anfangen, die Tempis und jene Marken zu geben, die in den Proben verabredet wurden, oder überhaupt bei der Direktion üblich sind.« Bei einem tüchtigen ersten Geiger erreicht er dann ohne große Mühe den Kontakt mit den Musikern, so daß er keineswegs von Anfang bis zu Ende zu taktieren braucht. Es genügt, beim Tempowechsel so lange den Takt zu geben, bis das neue Zeitmaß erfaßt ist. Ebenso hat der Kapellmeister bei Schwankungen und Nuancierungen zu ver- fahren. Ein anhaltendes mechanisches Taktieren ist überflüssig; es bleibt ein Mißstand, wie Gassner sagt, wenn der Dirigent eines stehenden geübten Orchesters den Arm fortwährend rühren muß. Man soll nur die Wirkung der Direktion sehen, letztere aber entweder gar nicht oder aber »so anspruchslos wie möglich«. .Das sind die gleichen Forderungen, die die alten Musiker auf-

1 Vgl. B e r 1 i o z , Memoiren II, S. 20 und 26.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 301

gestellt haben. Auch Mendelssohn dirigierte unauffällig mit kleinen, eleganten Bewegungen und legte oft den Taktstock bei- seite, um ihn erst bei schwierigen Stellen wieder zu führen. Von Weber wird ähnliches erzählt; er hatte seine Musiker so einstudiert, daß er mitunter im Allegro der »Freischütz «-Ouvertüre nur die ersten vier Takte dirigierte und erst am Schluß wieder den Takt- stock zu führen begann1. Berlioz meint, die Orchestermusiker müßten stolz sein, wenn ihr Dirigent bei leichteren Stellen »die Hände in den Schoß legt«2. Noch Hans v. Bülow hat seine Musiker so geehrt.

Die Marken des Taktschiagens sind bei Gassner die gleichen, die wir aus dem 18. Jahrhundert kennen. Er betont, daß jeder Dirigent die Normen seiner Direktion bei Tempo- oder Takt- wechsel und beim Anfang eines Stückes den Musikern klar mache, damit kein Mißverständnis einreißen könne, und empfiehlt, An- gaben über Taktierung von Auftakt und Tempoführung (nach Achteln, Vierteln usw.) gleich in die Stimmen einzuzeichnen. Seine Ausführungen über die Recitativdirektion sind durchaus modern. Er kritisiert die Methode, alle Taktteile regulär auszuschlagen, bespricht das Angeben der Takte durch einen einzigen Nieder- schlag, wobei nur die a Tempo-Stellen dirigiert werden, und schließ- lich die Methode, den Taktstock in der Luft zu halten, solange die gleiche Harmonie ertönt, um nur beim Wechsel der Harmonie ein Zeichen zu geben. Die Ensembleschläge, die bei freien Reci- tativen zwischen die Gesangsphrasen fallen, sollen genau und deutlich angegeben werden, da man sich hier ganz nach dem Sänger richten muß. Interessant ist, was Gassner vom Begleiten der alten bezifferten Recitative sagt. Die Begleitung soll ent- weder auf dem Pianoforte gespielt werden oder von Kontrabaß und Cello in der Weise, daß der Baß die Grundnote, das Cello aber die zur Harmonie gehörigen Intervalle spielt. In einer An- merkung heißt es, daß dies Generalbaßspiel früher von jedem Cellisten verlangt wurde; daraus folgt, daß es in den vierziger Jahren nicht viele Musiker mehr gab, die die alte Methode noch beherrschten. Eine andere Manier ist nach Gassner das Aussetzen des Continuo für Streichquartett und das notengetreue Ab- spielen, wo sich der Zuhörer die Harmonie denken muß(!), aller- dings eine barbarische Zumutung, die, wie Gassner auch zugibt, von »minderer Wirkung« ist.

1 Berlioz, Memoiren II, S. 63.

2 Ebenda.

302 Sechstes Kapitel.

Von der Besetzung und Stellung des Orchesters bringt unser Kompendium ein ganzes Kapitel. Wie die Theoretiker des 18. Jahr- hunderts stellt auch Gassner an die Spitze seiner Ausführungen den Satz, daß man bei der Anordnung der Instrumente zuerst die Lokalität berücksichtigen muß, in der die Aufführung statt- findet. ' Ein kleinerer Raum erfordert eine schwächere Besetzung -als ein größerer, ein Erfahrungssatz, der noch heute oft genug übersehen wird. Das vollständige Sinfonieorchester besteht nach Gassner aus Streichquintett, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klari- netten, 2, auch 4 Hörnern, 2 Fagotten, 2 Trompeten, 3 Posaunen und Pauken, wozu als Verstärkungen Tamtam, Ophikleide, große und kleine Trommel, Pikkolo, engl. Hörn, Baßklarinette, Klappentrompete usw. kommen. Diese Verstärkungen können einzelne Musiker übernehmen. Besondere Kapellisten sind nach Gassner nicht nötig. Zu den Bläsern rechnet er mindestens 8 Geigen, 4 erste und 4 zweite, 2 Bratschen, 2 Celli und 2 Bässe. Das stimmt mit der beschriebenen Aufstellung von Quantz und Koch überein. Auch Beethoven hielt sich an diese Taxe. Er schreibt anläßlich der im Frühjahr 1813 stattfindenden Proben zur siebenten und achten Sinfonie an Erzherzog Rudolph: »In der Besetzung der Sinfonien wünschte ich wenigstens 4 Vio- linen, 4 Sekund, 4 Prim, 2 Kontrabässe, 2 Violonschell1.« Nimmt man dazu die Beethovensche Bläserbesetzung, dann läßt sich leicht denken, daß die Klangwirkung dieser Sinfonien in früherer Zeit mehr an die alte chorische Besetzung erinnert haben muß als an die moderne, die den 2 Oboen, 2 Klarinetten usw. ein Ensemble von 16 und mehr Violinen mit den zugehörigen Streichinstrumenten gegenüberstellt. Wenn wir Beethovens Aufstellung, die mit den früher angeführten Quellen genau übereinkommt, als die in kleinerem Musiklokal gültige Anordnung ansehen, so rückt die Beethovensche Instrumentation in ein neues Licht. Wir haben ein Nebenein- ander der Streich- und Bläsergruppen, kein Dominieren des Strei- cherklangs. So ungewohnt uns diese Klangwirkung erscheinen muß, so konsequent ist ihre Ableitung aus der älteren Zeit. Die Bläser sind bei Beethoven trotz ihrer selbständigen Führung ebenso wie in der alten Literatur den übrigen Instrumenten koordi- niert. Ihre Stimme ist selbst bei vollem Streicherakkompagnement stets durchdringend und kann nicht einmal im Tutti vom Streich- quintett gedeckt werden. Wollten wir auf diese Besetzung, die

1 Thayer, Beethovens Leben. 2. Aufl. (Riemann) III, S. 376.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 303

uns durch das über Gebühr starke Hervortreten der Streicher verloren gegangen ist, und die Beethovens Bläsereffekte viel dramatischer und wuchtiger wiedergeben würde, zurückgreifen, so müßten wir die Bläser stärker besetzen und sie womöglich in Konzertisten und Ripienisten teilen, oder aber das Streichquintett verringern, was sich indes bei unsern großen Musiklokalen kaum durchführen lassen wird. Daß Beethoven eine Besetzung, wie wir sie heutzutage anwenden, gutheißen würde, erscheint mehr als fraglich. In der Beethovenschen Zeit ist bei Aufführungen in kleineren Sälen das Verhältnis: 8 Geigen, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 oder 4 Hörner das reguläre1. Die Berechtigung und Wirkung dieser Klangverteilung ist in unserer Zeit durch das Verstärken des Bläserchors wieder zu Ehren gekommen. Leider wird in dem Beethovenschen Brief die Zahl der Brat- schen nicht angegeben. Nach Koch und Gassner müßten zu 8 Violinen 2 Bratschen genommen werden, eine Forderung, die der erwähnte Anonymus der Leipziger Musikzeitung die ge- wöhnliche Besetzung nennt, die er aber durch ein stärkeres Heranziehen der Bratschen verbessern will2.

In einem größeren Musiksaal wurde die Zahl der Streicher und auch die der Bläser vermehrt. Durch die Fachmusiker- konzerte in größeren Sälen, durch große Opernhäuser und durch die Erfolge der Musikfeste wird die alte Besetzungsregel immer häu- figer abgeändert. Die Streicher werden auf das Doppelte gebracht, während die Bläser bei der alten Taxe bleiben. So zählte nach Spohrs Bericht die Münchener Königliche Kapelle im Jahre 1815 12 erste, 12 zweite Violinen, 8 Violen, 10 Celli und 6 Bässe3. Die gleiche Geigen- und Bratschenzahl mit 9 Celli und 7 Kontra- bässen spielte in Berlin unter Spontini4. Sehr gut orientieren über die Orchesterbesetzung in dieser Zeit die Gassnerschen Orchestertafeln. Sie stammen, wie der Verfasser versichert, aus authentischen Quellen, von Spohr, Mendelssohn, Reißiger, Marx und anderen und zeigen neben der Stellung der Instru- mente auch ihre Besetzung. Wir finden da:

Im Dresdener Opernorchester: 8 erste Violinen, 8 zweite Violinen, 4 Bratschen, 4 Celli, 4 Bässe, 4 Hörner, 1 Harfe, 2 Oboen,

1 Vgl. Allg. Mus. Ztg. 1803, Jahrg. VI, S. 183f: Meist ist die Besetzung »daß zu 8 Violinen höchstens zwey Bratschen angestellt sind«.

2 Ebenda S. 182. Vgl. Allg. Mus. Ztg. 1810. S. 731. Anm.

3 Selbstbiographie I, S. 228.

* H e i n r. D o r n , a. a. 0. II, S. 126 f.

304 Sechstes Kapitel.

2 Flöten, 2 Fagotte, 2 Klarinetten, 4 Trompeten, Posaunen, Baß- tuba, Pauken, Schlaginstrumente.

Im Kasseler Opernorchester: 8 erste Violinen, 8 zweite Violinen, 4 Bratschen, 5 Celli, 3 Bässe, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunenr Harfe, Schlaginstrumente.

Im Berliner Opernorchester: 8 erste Violinen, 8 zweite Violinen, 6 Bratschen, 8 Celli (bei großen Opern 10), 4 Kontrabässe (bei großen Opern 5), Pikkolo-Flöte, 2 große Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten (bei großen Opern 4), 2 Fagotte (bei großen Opern 4), 4 Hörner, 2 Trompeten (bei großen Opern 4), 3 Posaunen (Tuba und Ophikle'ide), große Trommel, Becken usw.

Im Wiener Opernorchester: 8 erste Violinen, 8 zweite Vio- linen, 4 Bratschen, 4 Celli, 4 Bässe und die angeführte doppelte Bläserbesetzung.

Im Darmstädter Hoftheater: 8 erste Violinen, 8 zweite Vio- linen, 6 Bratschen, 4 Bässe, 4 Celli (4 Pulte für die Bässe) und die übliche Bläserbesetzung1.

Das ergibt der angeführten B-eethovenschen Besetzung gegen- über eine Verstärkung des Streichquintetts um die doppelte In- strumentenzahl. Es ist die noch heute gewöhnliche, für die ältere Literatur allerdings nicht berechtigte Aufstellung: wir haben eine starke führende Streichergruppe und eine im Verhältnis zur älteren Epoche schwächere Bläserbesetzung.

Bei Choraufführungen und besonders großem Musiklokal reichten die angeführten Besetzungen nicht aus. Sie mußten nach dem Charakter der Musik und nach der Saalgröße verstärkt werden. Solche Aufstellungen sind uns schon im 18. Jahrhundert in Rom, London und Berlin begegnet. Sie kommen durch das Vorbild der Londoner Händel-Feier in allgemeine Aufnahme und führen zu den Riesenorchestern der deutschen Musikfeste. Schon in Frankenhausen finden wir unter Spohr im Jahre 1810 nicht weniger als 42 Violinen, 12 Bratschen, 11 Celli, 9 Bässe, 4 Klari- netten, 4 Flöten, 4 Oboen, 4 Fagotte2, und die Musikfeste der »Gesellschaft der Musikfreunde« in Wien brachten 700, dann

1 Vgl. B e r 1 io z , Memoiren II, S. 11. Frankfurter Orchester: 8 Viol. I, 8 Viol. II, 4 Va., 5 Celli, 4 Bässe, 2 Fl., 2 Ob., 2 Klar., 2 Fag., 4 Hörner, 2 Tromp., 3 Pos., Pauke. Diese Aufstellung kehrt nach Berlioz »in fast allen deutschen Städten zweiter Größe« wieder. Vgl. auch Stuttgarter Orchester, ebenda, S. 19.

2 Allg. Mus. Ztg. 1810, S. 747 f.

Die Berufskapellmeister in Deutschland. 305

sogar 800 1000 Mitwirkende auf1, die in der Hauptsache in Händeischen und Haydnschen Oratorien in Aktion traten. Als Muster dieser Besetzung mag die Wiener Aufführung der »Schöpfung« am 5. und 9. November 1843 dienen. Man liest von einem Orchester von 59 ersten Violinen, 59 zweiten Violinen, 40 Bratschen, 41 Celli, 25 Bässen, 13 Flöten, 12 Oboen, 12 Klari- netten, 12 Hörnern, 12 Fagotten, 4 Kontrafagotten, 8 Trompeten, 9 Posaunen, 4 Pauken usw. Dazu kam ein Chor von 200 Sopran-, 150 Altstimmen, 150 Tenören und 160 Bässen2. Das bleibt hinter den jüngsten Aufführungen der achten Sinfonie von Mahler nicht zurück. Solche Massen traten aber in früherer Zeit nur in außerordentlichen Konzerten zusammen. Die Regel ist in der vormärzlichen Zeit ein Orchester von 16 Geigen, 4—6 Bratschen, 4—8 Celli und 4 Bässen mit entsprechender doppelter Bläser- Besetzung3.

In der Stellung der Instrumente folgten die Kapellmeister den gleichen Grundsätzen wie die Musiker des 18. Jahrhunderts. Sie gruppierten die Streicher und Bläser entweder rechts und links vom Dirigentenpult oder stellten die Streicher in die Mitte, dahinter die weicheren Bläser und das Blechorchester. Ein Fortschritt zeigt sich nur in der geschlossenen Anordnung der Instrumentengruppen, die durch die volle Instrumentation und die Gleichberechtigung aller Instrumente in der klassischen Literatur gegeben war. Aber trotz der allgemein durchgeführten Zusammenfassung der Instrumentenchöre gibt es bei der Anord- nung noch viele Unterschiede, Kapellen, in denen prinzipiell das System der Trennung von Bläsern und Streichern durchgeführt ist, und andere, wo die Dirigenten die Instrumentengruppen mischen oder sich nach den gegebenen Raumverhältnissen richten müssen. Die Rücksicht auf das Aufführungslokal kam besonders bei Kirchenaufführungen in Frage. So wurden in der Dresdener Hofkirche die Instrumente nach Streichern und Bläsern geteilt, die rechts und links vom Dirigenten postiert wurden. Der Kapellmeister kehrte dem Gros der Instrumente den Rücken zu, da er bei der Aufführung einer Messe den zelebrierenden Geistlichen sehen mußte. Der Chor stand zu seiner Rechten, während Trompeten und Pauken auf Seitentribünen aufgestellt

1 H ans lick , a. a. O. S. 145, 298 f. Vgl. auch Mendelssohns Be- richt aus München, wo im Jahre 1831 32 Geigen unter seiner Führung spielten.

2 G a s s n e r , a. a. O., siehe Beilage, Orchestertafel.

3 Vgl. oben S. 303 f.

Kl. Handb. der Musikgesch. X. 20

306

Sechstes Kapitel.

waren. Die Anordnung, die in der Hauptsache noch heute bei- behalten wird, sieht nach Gassner so aus:

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Ähnlich war die Aufstellung von Chor und Orchester in der Wiener Hof kapeile. Auch hier waren Streicher und Bläser

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Die Berufskapellmeister in Deutschland.

307

getrennt. Der zur Verfügung stehende Raum erforderte eine Längs- stellung der Streicher, die durch den Konzertmeister (rechter Hand vom Dirigenten) angeführt wurden. Der Chor sang in der Nähe des Kapellmeisters auf der linken Seite. Die Stellung der Celli und Bässe entspricht dem Dresdener Prinzip.

Von diesen Plänen weicht die Aufstellung in der Münchener Hofkapelle wesentlich ab. Der Chor stand rechts und links vom Dirigenten, dahinter die weichen Bläserstimmen, Oboe, Flöte, Klarinette, und erst hinter diesen spielten Streichquintett und Blechbläser1.

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Die Schwächen dieser Disposition liegen offenbar in der Auf- stellung der Bässe, die durch die Celli direkt mit dem Kapell- meister in Verbindung bleiben müssen. Dagegen gruppieren sich Streicher und Bässe sehr gut um den Platz des Organisten. Allerdings kann dieser nicht ausschließlich die Führung bean- spruchen, und so bleibt die Zurückstellung von Fagott und Bässen ein Übelstand, der durch die zwischengeschobenen Holzbläser noch verstärkt wird. Die Münchener Tafel ist noch in anderer Beziehung interessant. Sie zeigt nicht mehr die Teilung von Bläsern und Streichern auf gegenüberliegenden Seiten; Geigen und Bläser spielen auf beiden Seiten des Orchesterraums. Außer- dem ist der Chor in Hälften geteilt, die sich vom Kapellmeister leicht dirigieren lassen. Mit diesen Tafeln sind die früher auf- gestellten Regeln der Anordnung auch für die Kirchenmusik im 19. Jahrhundert bewiesen: die Gegenüberstellung von Bläsern und Streichern und ihre Zusammenfassung; für den Chor: die

1 Die folgenden Tafeln sind, wenn nichts anderes bemerkt wird, dem Gassner- schen Buch entnommen.

20*

308

Sechstes Kapitel.

Teilung rechts und links vom Kapellmeister und die geschlossene Seitenaufstellung.

Die gleichen Grundzüge findet man in den Aufführungen befolgt, die in einem größeren Saal oder auf einer Theaterbühne stattfanden. In Dresden hielt man auch hier an der Trennung von Bläsern und Streichern fest. Den Kern bildeten die Bässe, während der Chor rechts und links vom Dirigenten stand:

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Große Konzerte und Musikfeste, in denen gewaltige Chor- und Orchestermassen mitwirkten, verlangten eine Disposition, in der die Violinen mehr hervorgezogen und außer den Konzer- tisten auch die Menge der Ripienisten untergebracht werden mußte. Solche Aufstellungen sind von Zeitgenossen häufiger be- schrieben worden. So liest man in der Leipziger Musikzeitung einen genauen Bericht über Spohrs Orchester- und Chorverteilung beim Frankenhausener Musikfest2. Die Mitwirkenden waren in der Kirche so verteilt, daß in der unteren Galerie das Orchester, die Solisten und der Flügel standen, während auf der oberen Galerie die Choristen sangen, die Kantor Bischoff als Subdirektor leitete. Das Orchester arrangierte Spohr so, daß zu seiner Rechten die

1 S. die Tafel auf S. 309. Vgl. auch Gassners Orchestertafel: Stabiles Orchester im alten öpernhause zu Dresden bei großen Aufführungen. Sie deckt sich in den Grundzügen mit den gegebenen Aufstellungen.

2 Allg. Mus. Ztg. 1810, S. 749 f.

Die Berufskapellmeister in Deutschland.

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310 Sechstes Kapitel.

ersten Violinen und zur Linken der Flügel, die Solisten und die Bläser standen, hinter diesen spielten zweite Violinen und Bratschen in der ganzen Breite der Kirche, die beiden Anführer der Bässe standen hinter dem Kapellmeister. Einfacher als in Frankenhausen lagen die Raumverhältnisse bei den Wiener Aufführungen. Beim ersten Musikfest unter Mosels Leitung sang der Chor rechts und links vom Kapellmeister. Hinter dem Dirigenten spielte der Kla- vierist, der von den Solisten und neben diesen und zur Seite von konzertierenden Bläsern und den Bässen umgeben war. Nach dem Chor kam eine kleinere Abteilung von Bläsern, Bässen, Trompeten und Pauken und hinter ihnen der Streicherchor mit dem Violindirektor an der Spitze. Den Beschluß machten die Ripienisten1. Diese sehr geschickt getroffene Aufstellung wurde auch bei der Wiederaufnahme der Musikfeste in den dreißiger Jahren in der Hauptsache beibehalten. Man stellte aber mehr Baßinstrumente in die Nähe des Kapellmeisters und ließ den Chor bis an die Rampe vortreten. Auch die Bläser und Baßgruppen vor den Streichern fielen fort. Sie bil- deten jetzt die Flanken des Chors (s. den beiliegenden Orchesterplan).

Die Wiener Anordnung erinnert an die Aufstellung in den Pariser großen Konzerten, wie sie eine Tafel aus dem Jahre 1810 gibt: der von Bässen umgebene Chor singt rechts und links vom Kapellmeister, die Anführer der Bässe und die Recitativ- spieler stehen in seiner Nähe und der Flügel mit den Solisten vor dem dem Publikum zugewandten Dirigenten. Doch waren die Violinen in Paris vor den Chor gestellt, während Bläser, Celli und Bratschen hinter dem Kapellmeister spielten. Die Auf- stellung galt auch für die Oper, wo die Violinisten dann die Stelle des Chors einnahmen2. ßH. IJÜ '1

In den Münchener Odeonkonzerten wurden Chor und Or- chester vollständig getrennt. Vorn sangen Solisten und Chor, und erst hinter ihnen spielte das Orchester, das nach der Me- thode der Mannheimer Hofkapelle aufgestellt war3: links und rechts vom Dirigenten erste und zweite Violine, zwischen ihnen Bratschen und Bläser, in der Mitte die Bässe:

1 Orchestertafel bei Kandier, Giov. Ad. Hasse, Tav. II. Distribuzione dell' Orchestra nel grande Concerto degli anatori di musica in Vienna 1812.

2 Orchestertafel in der Allg. Mus. Ztg. 1810, S. 729/30.

3 S. oben S. 198.

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Die Berufskapellmeister in Deutschland. München, (Odeon-) Konzert-Saal.

311

Die halbkreisartige Stellung der Instrumente und die strahlen- förmige Verteilung der Violinen ist hier sehr geschickt durchgeführt, doch haben die letzten Violinen neben den Posaunen keinen günstigen Platz. Auch der Konzertmeister ist zu weit vom Dirigenten und vom Sopran entfernt. Ein ganz neues Prinzip zeigt die Aufstellung, die vom Darmstädter Musikfest im Jahre 1844 über- liefert wird. Das Orchester schiebt sich keilförmig in die Chormasse:

Stellung des Personals bei dem Musikfest in Darmstadt

am 25. August 1844.

Audirorium

312

Sechstes Kapitel.

Diese Disposition hat sich bis zum heutigen Tage bewährt und wird in unserer Zeit am häufigsten angewandt. Durch Hervorziehen der Streicher und Zusammenfassen aller Orchestermusiker zwischen

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den Choristen ist sie weit vorteilhafter als die in den Wiener und Dresdener Aufführungen durchgeführte Trennung von Chor und Orchester in zwei zum Teil hintereinander oder neben- einander musizierende Klanggruppen.

Die Berufskapellmcistcr in Deutschland.

313

Die gleichen Grundsätze, die für größere Choraufführungen ge- geben wurden, findet man in den Theaterorchestern befolgt. Auch hier lassen sich die beiden Richtungen, Blas- und Streichgruppen getrennt oder untereinander vermischt aufzustellen, verfolgen. Die Ausbreitung kann im Theaterorchester nur nach den Seiten er- folgen. Deshalb ist hier die Methode, Streicher und Bläser rechts und links vom Kapellmeister aufzustellen, die Berlioz die in Deutschland überhaupt gebräuchliche Auf Stellungsform nennt1, am häufigsten durchgeführt. Dafür bringen Gassners Orchester- tafeln aus Dresden und Kassel hübsche Beispiele (S. 312).

Der Dresdener Plan zeigt noch Spuren der Hasseschen Stellung, bei der gleichfalls Streicher und Bläser voneinander geschieden wurden. Eine Änderung der alten Stellung brachte in Dresden zuerst Carl Maria von Weber, der die Streichinstrumente auf die rechte Seite, die Bläser auf die linke postierte und das Diri- gentenpult bis nahe an den Souffleurkasten rückte2. Unsere Tafel gibt im wesentlichen das gleiche Bild, nur mit dem Unter- schied, daß Streicher und Bläser ihre Plätze getauscht haben. Als Spontini in Dresden die »Vestalin« einstudierte, verteilte er das Streichorchester über den ganzen Raum, Blech- und Schlag- instrumente getrennt auf beide Seiten, eine Neuerung, die Wagner beibehielt und auch bei der Intendantur durchsetzte3. Eine kleine Modifikation der Dresdener und Kasseler Anordnung bringt das Darmstädter Hoforchester, wo die Bässe zur Linken und die führende Geige zur Rechten, also im Prinzip nach der Weberschen Manier postiert waren. Sonst war auch hier die Teilung der streichenden und blasenden Gruppen beibehalten:

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1 Memoiren II, S. 12.

2 Max M. v. Weber, a.a.O. II, S. 140 f., vgl. Webers Eingabe vom Jahre 1818, ebenda, S. 144f.

3 R. Wagner, Erinnerungen an Spontini.

314

Sechstes Kapitel.

In München, wo die gleiche, von Wagner übrigens scharf ver- urteilte Methode, Bläser und Streicher zu trennen1, angewandt

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1 R. Wagner, Erinnerungen an Spontini: Die »noch bei den größten und berühmtesten Orchestern übliche Zertheilung des Instrumentalkomplexes in zwei Hälften, die der Saiten- und die der Blasinstrumente«, bedeutet »eine wirkliche Roheit und Gefühllosigkeit für die Schönheit eines sich innig ver- schmelzenden, überallhin gleich wirkenden Orchesterklanges«.

Die Berufskapellmeister in Deutschland.

315

wurde, dirigierte der Kapellmeister nicht an der Bühnenwand, sondern stand weiter zurück, wodurch die Orchesterleitung wesent- lich erleichtert wTurde (S. 314).

In Berlin wurden die Instrumentengruppen nicht streng von- einander geschieden. Die Geigen waren in zwei Abteilungen rechts und links vom Dirigenten aufgestellt, ähnlich wie unter J. Fr. Reichardt. Der Dirigent stand vor der Theaterwand, so daß er die Bühne leicht übersehen konnte. Die Bläser spielten zur Linken, während die Flöten etwas abseits saßen (S. 314).

Die jedenfalls von Marx aufgezeichnete Berliner Tafel wird Meyerbeers Orchesterstellung zeigen. Sie bildet die Übergangs- form zu jener Disposition, die das gesamte Streichquintett um den Dirigenten vereint und die Holzbläser und Hörner von den starken Blechbläsern und Schlaginstrumenten absondert. Durch- geführt war diese Anordnung in den vierziger Jahren in der Wiener Hofoper:

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Die Entwicklung der Orchesterstellung, die durch die klassi- sche Literatur und den Fortfall des Flügels verändert wurder führt im 19. Jahrhundert zur Zusammenfassung aller Instru- mentengruppen. Bläser und Streicher treten entweder einander gegenüber, oder das Streichquartett steht im Mittelpunkt und breitet sich nach beiden Seiten aus, während die Bläser in chorischer Anordnung auf den übrigen Raum verteilt werden. Tritt ein Chor hinzu, so wird er in den Vordergrund gestellt, und das Orchester spielt hinter den Choristen, oder aber der Chor rahmt das zu- sammenstehende Orchester ein, vorausgesetzt, daß nicht be-

316 Sechstes Kapitel.

sondere Raumverhältnisse eine seitliche Aufstellung des ge- samten Chors erfordern.

Gassners Büchlein vom Dirigieren, von dem unsere Beschrei- bung der Orchesterstellung ausging, bringt noch Ausführungen über Technik und Praxis des Dirigierens, die indes nicht viel Neues bringen. Interessant sind nur die Kapitel vom Vortrag und musikalischen Ausdruck. Gassner greift da auf den uns von Quantz her vertrauten Vergleich zwischen Musik und Redekunst zurück. Ihm gilt als Haupterfordernis eines guten Vortrags: Deutlichkeit und richtige Auffassung des »Charakters der Ton- dichtung«. Seine Vorschläge, die Hauptsachen plastisch hervor- treten zu lassen, die Dynamik genau zu beachten, Eilen und Schleppen zu verhindern und das Tempo nach den schnellsten Figuren zu bemessen, sind uns aus der älteren Literatur bekannt. Er ist Anhänger der Affektenlehre1, gehört also als Ästhetiker zu den letzten Vertretern der Quantzschen Richtung, was immer- hin in einer Zeit, in der die philosophische und romantische Musik- ästhetik im Vordergrund steht, dem Verfasser ein gutes Zeugnis für seine Literaturkenntnis ausstellt. Er gibt auch auf Grund der in einem Adagio oder Allegro ausgedrückten Affekte interessante Anmerkungen für ihren Vortrag. Ein Forte im Allegro kann »schneidend«, »durchgreifend« und »reissend« sein, im Adagio verlange man mehr »Größe, Fülle, Rundung« im Ton; das Adagio erfordere »mehr Verschiedenheit der Tonqualität«, mehr Gesangs- manier als das flüchtige Allegro. Während im Allegro alles »leicht, tändelnd, pikant« erscheine, so herrsche im Adagio »mehr Ge- wicht, Schwere, Tiefe des Gemüths«, im ersteren würde alles mehr »gestossen, kurz angeschlagen«, im letzteren »mehr gedehnt, gebunden«. Für die Wahl der Tempi und den Vortrag kann aber nach Gassner nur Geschmack und Gefühl ausschlaggebend sein. Jeder Dirigent soll sich durch das Studium der Klassiker bilden und »ästhetische Einsichten« in die musikalischen Kunstwerke zu gewinnen suchen; der Geist der Tondichtung, nicht die unsichere Überschrift bestimmen Tempoführung und Vortrag. Uns sind diese Gedanken und auch Gassners Ausführungen über genaues Beachten von Rhythmik und Dynamik, über Einheit und Egalität des Bogenstrichs aus der früheren Zeit geläufig,

1 A. a. O. S. 122, Man soll nicht das »Geschwindspielen« zur Hauptsache machen, »sondern jederzeit den Affekt, der ausgedrückt, oder den Effekt, der erreicht werden soll, zur Norm machen«, oder S. 123: »Mit dem Adagio werden zärtliche, schmachtende und traurige Affekte geschildert« usw.

Die Bcrufskapellmeister in Deutschland. 317

sie zeigen aber, daß man in der ersten Epoche der Berufskapell- meister nicht nur die Noten einfach herunterspielte, wie noch heute populäre Musikschriftsteller im Mißverständnis Wagnerscher -Ausführungen behaupten wollen.

Gassner kommt in seinem Buch wiederholt auf das »heutzuTage nur zu sehr einreissende Abjagen schneller Tempis« zurück. Wir wissen, daß gegen Mendelssohn und seine Schule der gleiche Vorwurf erhoben wurde, und können die Tendenz zu schnellen Zeitmaßen sogar bis zur Wende des 18. Jahrhunderts zurück- datieren1. Die Vorliebe für rasche Zeitmaße scheint für die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts charakteristisch zu sein, denn Mendelssohn war sicherlich nicht der geistige Vater der Richtung,, wenn er auch für die spätere Entwicklung durch seine Ausnahme- stellung im Konzertleben bedeutend genug wurde. Berlioz hat die gleiche Neigung zum Übereilen der Tempi bei vielen deutschen Kapellmeistern gefunden, neben Mendelssohn auch bei Krebs, Guhr und Lindpaintner. Er hatte die »Stumme«, die »Vestalin«, »Moses« und »Hugenotten«, die in Paris von den Komponisten einstudiert waren, und deren Tempi sich dort ohne Schwankungen gehalten hatten, an Ort und Stelle gehört und nennt die »Ueber- stürzung, mit welcher einzelne Teile . . in Stuttgart, Leipzig, Ham- burg und Frankfurt« gespielt wurden, einen »Verstoß in der Ausfüh- rung« , ohne Zweifel einen »unfreiwilligen, aber einen wirklichen, dem Eindruck sehr schädlichen Verstoß«2. Wenn man dazu Wagners Worte über die in seiner Zeit gewöhnliche »fatale Vorliebe für das Herunter- oder Vorüberjagen« hält, dann wird man die Ten- denz, schnelle Zeitmaße zu nehmen, eine Eigenheit der deutschen Kapellmeister nennen können. Daß diese raschen Tempi stets eine Verzerrung bedeuten, wird niemand behaupten. Wir hören heute die Klassiker unter Richard Strauß in vielleicht noch schnel- lerem Tempo, ohne darin einen Verstoß gegen den Geist der Musik zu sehen. Es kommt allein auf den Sinn der Wiedergabe, auf das Darstellen der dichterischen Idee an. In dieser Beziehung können wir einem Ferdinand Hiller, Guhr oder Krebs Originalität und Größe der Anschauung absprechen, nicht aber den großen Kapellmeistern der ersten Jahrhunderthälfte. Den deutschen

1 Allg. Mus. Ztg. 1799, Jahrgg. II, S. 60: »Hüten Sie sich vor dem Über- nehmen des Tempo's mozartscher und diesen ähnlicher Allegros I . . . Jeder- mann klagt, man vernehme bei dem gewöhnlichen Abjagen nichts genau ... und gleichwohl bleibt es beym Übereilen.«

2 Berlioz, Memoiren II, S. 18/19.

318 Siebentes Kapitel.

Kapellmeistern und ihrer Pflege der klassischen Literatur ver- danken wir einen gewaltigen Aufschwung im Konzert- und Musik- leben, das sich nicht auf einzelne Plätze wie in Frankreich und England konzentrierte, sondern an dem die gesamte Nation Anteil nahm. Erst auf dem Grund des Klassizismus, den gerade die vor- märzlichen Dirigenten dem Publikum nahegebracht und vev-r ständlich gemacht haben, war das Wirken der Neudeutschen möglich geworden.

Siebentes Kapitel. Ausblick.

Die Geschichte des Dirigierens wird durch die Entwicklung der Musikliteratur bestimmt. Neue Richtungen geben neue Interpretationsmöglichkeiten. Wie die Musik der Renaissance zur Affektendirektion führte, wie die Werke der Wiener Klassiker die Tätigkeit der Berufskapellmeister begründeten, so brachte auch die Kunst der Neudeutschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen neuen Vortragsstil und eine neue Auffassung der klassischen Literatur. Der Ausgangspunkt dieser Richtung weist nach Frankreich. Berlioz und Liszt nahmen ihre Anregungen aus der französischen Musikübung, und auch Wagner stellt sie in seinen Schriften wiederholt als Muster auf. Er nennt die Pariser Konservatoriumskonzerte die ersten Aufführungen, die ihm das Verständnis der Beethovenschen Kunst erschlossen haben. Das Musikleben konzentrierte sich in Frankreich in der Hauptsache ■auf Paris. Hier erhielten die Novitäten ihre Feuertaufe und ihr Testat zu einem eventuellen Umlauf in andere Städte. Stamitz fand in Paris schon frühzeitig Anerkennung, Haydn gründete durch die Pariser Aufführung des Stabat mater seinen Weltruf, Mozart schulte sich hier an der Musik Schuberts und Eckards die eigene Technik. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war die Be- deutung des französischen Musiklebens noch höher gestiegen. Spontini und Meyerbeer begannen hier ihren Siegeszug, Wagner wollte sich von Paris aus Anerkennung verschaffen, und Chopin, Liszt, Paganini, um nur einige Virtuosen zu nennen, holten sich in Paris, dem internationalen Marktplatz des gesamten Kunst- lebens, die Bestätigung ihrer Kunst. Alle Anregungen der fremden Musikliteratur wurden hier aufmerksam verfolgt. Man versuchte, die im eigenen Lande zurückgebliebene Sinfonieproduktion

Ausblick. 319

durch Import zu beleben und wollte neben den altbeliebten Werken Haydns und Mozarts auch das Schaffen der Modernen kennen lernen. Diesem Wunsche kam nach den ersten Beethoven-Auf- führungen Cherubinis ein Musiker entgegen, der für die Ver- breitung der neueren Musik von größter Bedeutung wurde: Anton Franz Habeneck. Er war Geigenvirtuose, Schüler Baillots und trefflicher Blattspieler, der es in kurzer Zeit zum Konzertmeister und schließlich zum Kapellmeister der Großen Oper brachte1. Habeneck sah seine Lebensaufgabe im Wirken für die Beethoven- sche Musik. Den Enttäuschungen, die seine ersten Versuche, Beethoven aufzuführen, fanden, folgte bald die Genugtuung, überall anerkannt zu werden. Aus den Musikern, die anfangs kopfschüttelnd ihrem Vorgeiger folgten, wurden begeisterte »Beethovener«, deren Konzerte im Mittelpunkt des französischen Konzertlebens standen.

Habenecks Orchester zählte im Jahre 1828: 15 erste, 16 zweite Violinen, 8 Bratschen, 12 Celli, 8 Kontrabässe, 4 Flöten, 3 Oboen, 4 Klarinetten, vollzählige Blechbläser und Schlagzeug. Es über- traf also in der Besetzung den in dieser Zeit in Deutschland gel- tenden Durchschnittstarif. Die Anordnung der Instrumente im großen Konservatoriumssaal war dem Pariser Opernorchester vom Jahre 1810 analog: links vom Kapellmeister spielten die ersten Violinen, rechts die zweiten, deren Verbindung die Brat- schen herstellten, Flöten, Oboen, Klarinetten standen hinter den ersten Violinen, hinter den zweiten Celli und Bässe, hinter den Holzbläsern kamen die Blechbläser und zum Schluß die Schlag- instrumente, eine Stellung, die mit kleinen Änderungen auch von Berlioz empfohlen wird2. Trat ein Chor hinzu, so wurde er vor die Violinen gestellt.

Habeneck dirigierte mit der Violine, also als Violindirektor der alten Schule. In seinen Direktionsstimmen, die noch erhalten sind, waren Instrumentaleinsätze und Soli mit roten Zeichen angemerkt, so daß er den Musikern nötigenfalls einhelfen konnte3.

1 Vgl. A.Elwart, Histoire de la Societe des Concerts. Paris 1860, S. 321f. Biographie d'Habeneck.

2 Habenecks Orchesterbesetzung und Stellung beschreibt Elwart, a. a. 0. S. 101 f., 114 f., ebenda Orchestertafel. Vgl. Berlioz, Instrumentations- lehre X, S. 298. Mendelssohn schreibt im Jahre 1832 an Zelter, daß beim letzten Konzert Habenecks 14 Geiger auf jeder Seite gespielt hatten (Hensel, a. a. O. I, S. 335).

3 Vgl. E. M. E. D e 1 d e v e z , L'Art du Chef d'Orchestre, S. 141, Anm.

320 Siebentes Kapitel.

Solche Fälle kamen indes selten vor, denn Habeneck probte mit seinen Musikern so fleißig und zeigte ihnen durch sein Vorspiel den Ausdruck jeder schwierigen Stelle so oft, daß die Musiker ihre Stimmen völlig beherrschten. Das Streichquartett war außerdem durch gleiche Ausbildung und häufiges Kammermusikspiel mit Habenecks Anführung vollkommen vertraut. Alle Musiker spielten mit gleichem Bogen und Strich, mit derselben Ruhe und demselben Feuer wie ihr Anführer1. Mendelssohn nennt es das beste Orchesterspiel, das man in der Welt hören könne. Nie sei ein Wanken, ein Fehler oder die leiseste Ungenauigkeit zu hören. Zu seiner Sommernachtsträum-Ouvertüre wurden allein sieben Proben angesetzt, trotzdem er die Ausführung schon nach zwei Proben gut fand, ein Beweis für die Exaktheit und Gediegen- heit, mit der das Habenecksche Orchester alle Werke einstu- dierte2. Ferdinand Hiller stellte die Aufführungen noch über die Leipziger Gewandhauskonzerte in den ersten Jahren der Mendelssohnschen Direktion3, und Richard Wagner betont in seinen Schriften immer von neuem den Eifer der Pariser Musiker, die auf das Studium der neunten Sinfonie allein drei Jahre verwandten. Das Resultat sei eine »unglaublich vollendete Technik der Ausführung« gewesen, durch die das Verständnis geweckt wurde und das Publikum förmlich in Exstase geriet. »Diesen Erfolg verdanken diese Künstler dem redlichen Fleiße, welchen sie Jahre lang ihrer Aufgabe einzig widmeten, und der, von sehr richtigem Gefühl geleitet, einzig auf den Gewinn des richtigen Vortrages für die gesangsmelodische Substanz dieser anscheinend so schwer verständlichen Werke [Beethovens] ge- richtet war. Sie hielten hierbei keine noch so unscheinbare Phrase, keinen Takt für erledigt, ehe es ihnen nicht gelungen war, diese melodische Substanz durch Auffindung der ihr entsprechenden Technik des Vortrages sich vollständig anzueignen, und der wirk- lich auffallende Erfolg hiervon ist nun, daß ein solches, für schwül- stig und unverdaulich geltendes Musikstück [wie die neunte Sin- fonie] plötzlich in der Weise melodiös ansprechend und fließend erscheint, daß das naiveste Publikum gar nicht begreifen kann, warum diese Kompositionen für unverständlicher als andere

1 S. den Brief Mendelssohns an Zelter bei Hensel, a.a.O. I, S. 335 f. Vgl. M.'s Reisebriefe I, S. 318f.

2 Jul. Eckardt, a. a. O. S. 46.

» Ferd. Hill er, Fei. Mendelssohn, S. 133.

Ausblick. 321

gelten konnten1.« Beim Anhören dieser »unbeschreiblich schön« vorgetragenen Sinfonie im Jahre 1839 ist Wagner nach seinen eigenen Worten erst das Verständnis für den Beethovenschen Vortrag aufgegangen. Er erzählt, daß die französischen Musiker durch unermüdliches Ausfeilen der Technik und Eindringen in den Gesamtbau des Werkes dahin kamen, ihre Stimmen zu »singen«, während Habeneck das rechte Tempo allein aus dem durch das Studium geweckten Melos der Beethovenschen Musik fand. Nie- mals wieder will Wagner die schwierigen Stellen der neunten Sinfonie so vollendet gehört haben als von den Pariser Musikern2.

Habeneck war ein Musiker »vom alten Schrot«, ein Allein- herrscher, dem alle unbedingt gehorchten3. Daß er aber »keine abstrakt - ästhetische Inspiration« besaß und »ohne alle Ge- nialität« war, wie es bei Wagner heißt4, ist schwer glaublich. Jedenfalls meint Wagner, daß Habeneck naturalistisch musi- zierte, daß er sich über diese oder jene Ausdrucksnuance keine Rechenschaft geben und seine Anordnungen nicht in ästhetische Maximen kleiden konnte, denn mit Fleiß allein ist eine solche Ver- geistigung der Musik, wie sie von Habenecks Konzerten gerühmt wird, nicht zu erreichen. Wenn Habeneck nicht die eigene Anschauung, das eigene Erleben der Beethovenschen Kunst den Musikern übermittelt hätte, es wäre nie eine außergewöhnliche Kunstleistung von seinem Orchester erzielt worden.

Habeneck erlaubte sich allerdings in seiner Direktion, die in der Oper ebenso anerkannt wurde wie im Konzert, viele Frei- heiten. So ließ er im Finale der zweiten Sinfonie Beethovens an der Stelle, wo alle Instrumente vor dem Schluß auf dem fis liegen bleiben, die Hörner allein während der ganzen Dauer der Fermate die Oktave halten5. Dann fand er, wie Berlioz meint, daß die Kontrabässe im dritten Satz der fünften Sinfonie

1 »Bericht über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule.«

2 Wagner, Über das Dirigiren.

3 Wagner, ebd. Vgl. Elwart, a. a. O. S. 328: »II avait l'ecorce rüde; mais cette £corce cachait un coeur excellent.« S. auch Mendelssohns Reisebriefe I, S. 326: »Es würde Euch freuen, all die Freundlichkeiten und kleinen Artigkeiten zu sehen, die Der [Habeneck] für mich hat; nach jedem Symphoniestück fragt er mich, ob mir irgend etwas nicht recht sei, und so habe ich einige Lieblings- nüancen hier, im französischen Orchester, zuerst durchsetzen können.«

4 Wagner, a. a. O.

5 Deldevez, a. a. 0. S. 58: »A l'execution, Habeneck laissait tenir la note (en octave) des cors isol^ment, pendant tout le temps de l'arret. «

Kl. Handb. a. Musikgesch. X. 21

322 Siebentes Kapitel.

»nicht gut klingen«; er ließ sie einfach fortfallen1. Auch mit den Reprisen ging er sehr frei um, was ihm vonBerlioz stark angekreidet wurde. Bekannt ist auch, daß Habeneck bei Erstaufführungen Beethovenscher Werke viel streichen mußte. Im Finale der zwei- ten Sinfonie wurde vom ersten Halt an der fis-dur-Stelle zum Unisono-fis am Schluß gesprungen und für das Larghetto das berühmte Allegretto der siebenten Sinfonie eingelegt »pour faire passer le reste«, ein Zugeständnis an das Publikum, das sich aus der Habeneckschen Politik, für Beethoven Propaganda zu machen, sehr gut erklärt2. Habeneck kannte die Sinfonien in- und auswendig. Zu Deldevez, der ihn einmal bei der Auf- führung einer eigenen Komposition um ein Ritardando bat, sagte er: »Lassen Sie mich nur machen, es ist weit besser, die rhyth- mische Bewegung aufrecht zu halten ! Sehen Sie auf Beethoven; bei ihm kommt in der fünften Sinfonie zum ersten Male ein poco ritardando vor3.« Die Worte zeigen mehr als alle anderen Berichte, wie eingehend Habeneck die Werke studiert hatte; und seine Beobachtung, daß Beethoven in den Sinfonien I— VIII ver- hältnismäßig spärlich mit dem ritardando und stringendo umgeht4, läßt einen Rückschluß auf das erwähnte Tempotreiben in der Beethovenschen Epoche zu. Man kann daraus vielleicht ein Stück Tradition heraushören. Deldevez nennt Habeneck auch den Erfinder des Tremolo nahe am Steg. Als ihm einmal in der Orakel- szene der Gluckschen »Alceste« das Tremolo der Geigen nicht schauerlich genug klang, rief er den Spielern zu: »Immer stärker, noch stärker ! «, bis die Spieler, dadurch angetrieben, den Ton in einem rasenden Tremolo nahe am Steg erzittern ließen5. Habe- neck war überhaupt ein erfinderischer Kopf. Die ewigen Sorgen, die ihm die seit alter Zeit mit Taktierlärm verbundene Chordirek- tion hinter der Szene machte, führten ihn auf den Gedanken, eine Taktmaschine zu erfinden. Er ließ durch einen Mechaniker zwei Pedale anfertigen, mit denen er vom Dirigentenpult aus den Takt hinter die Koulissen »treten« konnte. In Meyerbeers »Robert der Teufel« soll sich die Erfindung sehr gut bewährt

1 B e r 1 i o z , Memoiren I, S. 78.

2 Deldevez, De l'execution d'ensemble, Paris 1888, S. 141f.

3 L'art du chef d'orchestre, S. 103.

4 Die betreffenden Stellen hat Deldevez zusammengestellt (L'art du chef d'orch.).

6 Deldevez, De l'execution, S. 121.

Ausblick. 323

haben1. Habeneck verstand alles Technische so auszufeilen, daß nach dem Urteil der Zeitgenossen kein vollkommeneres Orchesterspiel zu hören war; alle Komponisten, auch Meyerbeer, waren herzlich froh, wenn ihre Werke unter seiner Ägide zur Auf- führung kamen2.

Der Habeneckschen Direktion, die auf die deutschen Musiker, vor allem auf Richard Wagner, einen so großen Eindruck gemacht hat, verdankt auch Berlioz mehr, als er eingestehen will. Sein leidenschaftliches Temperament, sein krankhaftes Gefühl, in jedem Musiker, der seiner Kunst fernstand, einen persönlichen Feind zu sehen, haben ihm die Freundschaft vieler Musiker, auch die Habenecks verscherzt. Daraus erklären sich am besten seine vielen Angriffe auf den berühmten Beethovendirigenten. Er schreibt Habeneck zwar gute Absichten, Talent und Begeisterung zu3, aber in erster Reihe sieht er in ihm doch nur den Verkleinerer seiner Kunst und den Intriguanten. Dabei hatte Habeneck Berlioz' Preiskantate, seine Phantastique und auch das Requiem dirigiert! Allerdings ging der Dirigent nach des Komponisten Worten mit den Werken reichlich oberflächlich um. Die Geschichte mit der Tabaksdose, die Habeneck gerade im größten Effektmoment des Tuba mirum bei der Direktion herauszieht, oder das Ab- brechen der Proben zum »Benvenuto Cellini«, weil Habeneck den Komponisten nicht zufriedenstellen kann4, können gewiß seine Autorität im Dirigentenfach in Frage stellen. Aber man wird wohl auch diese Berichte nicht Wort für Wort unterschreiben. Berlioz hat viel von dem alten General gelernt, vor allem die Technik der Ausarbeitung und das Verständnis für die deutsche Musik.

Berlioz' Bedeutung im Dirigentenfach liegt nicht in der neue Momente suchenden Reproduktion klassischer Musik, sondern in der Leitung seiner eigenen, an Instrumentation wie dichte- rischer Kühnheit überreichen Werke. Gerade die rhythmisch und technisch neuartige Faktur seiner Kompositionen bestimmte

1 M. Murland, Anton Franz Habeneck, Allg. Musik-Ztg. 1910, S. 1175f. Vgl. auch Berlioz' Nachrichten von der Londoner Taktiermaschine, Instrumen- tationslehre X, S. 292.

2 Henry Blaze de Bury, Meyerbeer et son temps, Paris 1865, S. 70 Anm.: »Jamais Meyerbeer ne dormait plus tranquille apres son diner que lorsqu'il savait, ä n'en pas douter, qu' Habeneck dirigeait.«

3 Memoiren I, S. 92.

4 Berlioz, Memoiren I, S. 263 f. und 279.

21*

324 Siebentes Kapitel.

sein Erweitern der Direktionspraxis, sein Übernehmen und Aus- bauen der Habeneckschen Tendenzen in der modernen Musik.

Berlioz war kein Instrumentalvirtuose wie Habeneck, Spohr, Mendelssohn oder Liszt, dafür besaß er einen außerordentlich feinen Klangsinn und ein Gefühl für musikalische Nuancen und Farben, wie wenige Musiker seiner Zeit. Wenn wir seinen Worten glauben dürfen, so war es einzig und allein der Mißerfolg seiner Werke unter fremder Direktion, der ihm den Taktstock in die Hand zwang. »Lernt euch selbst aufführen, und zwar gut auf- führen, . . . denn der gefährlichste eurer Dolmetscher ist der Diri- gent, vergeßt das nicht!1« In diese Worte faßte Berlioz alle seine Erfahrungen zusammen. Nach dieser Maxime handelte er von seiner Rückkehr aus Italien bis zu seinen letzten Konzerten.

Er muß ein temperamentvoller, feuriger Kapellmeister ge- wesen sein, eine Persönlichkeit, die Musiker und Publikum gleich von den ersten Takten an faszinierte. »Leidenschaftliches Un- gestüm«, »träumerische Weichheit der Empfindung« und eine gewisse »krankhaft melancholische Stimmung« sind die Charak- teristika seiner Werke und seines Vortrags2.

Bei der Direktion verkörperte er das ganze Orchester, wie der Fürst von Hohenzollern-Hechingen sagte3. Und wenn er auch in dem äußeren Auftreten mehr tat »als nöthig war, so daß er die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sein Gebahren lenken mußte, so geschah dies doch ohne alle Coquetterie«; er wollte sich nicht als Dirigiervirtuose zeigen, sondern lediglich seine Musik zur Geltung bringen4. In den Proben unermüdlich, bewies er bei der Organisa- tion seiner Privatkonzerte eine geradezu erstaunliche Willenskraft und Energie. Den ihm ergebenen Musikern war er stets kamerad- schaftlich gesinnt und konnte nur gegen Choristen reichlich grob werden ; er geriet aber im nächsten Augenblick über eine gelungene Stelle wieder in solche Begeisterung, daß er alles Vorangegangene vergaß. Er lebte in der Musik und fühlte sich glücklich, wenn er vor einem guten Orchester stand und seine Kunstbegeisterung

1 Berlioz, Memoiren I, S. 280.

2 Ebenda II, S. 322.

3 Ebenda II, S. 342.

4 Ferd. Hill er, Künstlerleben, Köln 1880, S. 98. Anton Seidl sagt von Berlioz (Über das Dirigiren. Bayreuther Blätter 1900, S. 306): »Bald war er hoch oben in der Luft, bald wieder unterm Pult, bald drohte er unheim- lich dem großen Trommler zu, bald wieder schmeichelte er dem Flötisten um den Bart, bald zog er die längsten Fäden aus den Violinisten, bald wieder stieß er durch die Luft auf die Contrabässe los.«

Ausblick. 325

auf die Musiker übertragen konnte. »Mit welcher rasenden Freude gibt sich [der Komponist und Dirigent] der Wonne hin, auf dem Orchester zu spielen!« schreibt er an Liszt1. »Wie ver- steht er es, dieses großartige, feurige Instrument zu drängen, zu fassen, zu umklammern ! er entfaltet wieder eine allseitige Auf- merksamkeit ; er sieht überall hin; mit einem Blick gibt er den Sängern und Musikern ihre Einsätze an, oben, unten, links, rechts, mit einer Bewegung des rechten Armes wirft er Akkorde hin, welche wie harmonische Geschosse in der Ferne zu platzen scheinen ; dann läßt er in den Fermaten die ganze durch ihn entstandene Bewegung anhalten; er fesselt die Aufmerksamkeit aller; er hält jeden Arm, jeden Atemzug in seinem Bann, er lauscht einen Augen- blick der Stille und gibt den bezähmten Wirbelsturm zu noch tollerem Laufe wieder frei. . . . Und im großen Adagio ! Wie ist er da glücklich, sich auf dem schönen See seiner Harmonien sanft zu wiegen . . . Dann geschieht es oft, aber nur dann, daß der Komponist und Dirigent das Publikum ganz vergißt; er be- lauscht sich, er beurteilt sich; und wenn er mit den Künstlern, die ihn umgeben, ergriffen ist, legt er keinen Wert mehr darauf, welchen Eindruck das Publikum . . . empfangen hat. Wenn sein Herz gebebt hat, bei der Berührung der poetischen Melodie, wenn er gefühlt hat, wie seine Seele in innerlicher Glut entbrannte, so ist sein Ziel erreicht, der Kunsthimmel steht ihm offen, was kümmert ihn die Erde ! « . . .

Berlioz ist in seiner Kapellmeisterlaufbahn nur als Interpret der eigenen Werke weiteren Kreisen bekannt geworden. Und wenn er fremde Arbeiten, sicherlich aber solche, die ihm unsympathisch waren, nicht ohne Voreingenommenheit hat auf- führen können, so ist er doch durch seine Schriften, besonders durch die Instrumentationslehre, einer der wichtigsten Förderer der Direktionskunst geworden.

»Der Dirigent muß sehen und hören können; er muß geistes- gegenwärtig und energisch beanlagt sein«, mit diesen Worten leitet Berlioz die positiven Ausführungen seiner Direktionslehre ein2. »Er muß in der Kompositionslehre bewandert sein, die klangliche Natur, den Umfang der Instrumente kennen.« Er muß Partitur lesen können und »Empfindung, Verständnis und Leidenschaft« besitzen, um seine Musiker anfeuern und

1 Memoiren II, S. 33 f.

2 Instrumentationslehre X, S. 269 f. : »Der Dirigent, zur Theorie seiner Kunst.«

326 Siebentes Kapitel.

begeistern zu können, kurz er muß eine angeborene Direk- tionsgabe besitzen, damit er seine künstlerische Aufgabe, die sich in Wiederholung und Ausarbeitung bekannter Stücke und in Neueinstudierungen teilt, mit gutem Erfolg durchführen kann. Bei neuen Werken, die den Musikern nicht bekannt sind, handelt es sich vor allem darum, »den Gedanken des Kompo- nisten ans Licht zu ziehen und klar und deutlich darzustellen«1. Der Dirigent muß sich den »geistigen Charakter des Werkes« klar machen und den Sinn und die Idee der Musik erfassen. Dafür geben persönliche Anweisungen des Komponisten oder, wo diese fehlen, Tradition, dann auch Metronomangaben wert- volle Hinweise2. Trotzdem bleiben bei den älteren, nicht metro- nomisierten Werken noch genug Zweifel über das jeweilige Tempo. In solchen Fällen entscheidet nach Berlioz allein die persönliche Auffassung des Dirigenten und sein Stilgefühl. Wie dies theo- retisch und auch praktisch zu bilden ist, darüber gibt er keinen Aufschluß. Seine praktischen Vorschläge berücksichtigen in erster Reihe die neuere Musik. Für diese waren aber Tradition und Metronomangabe noch immer zuverlässige Wegweiser.

Das rein Mechanische des Taktierens bringt Berlioz in der aus den früheren Kapiteln bekannten Form. Er plaidiert für den Taktstock als Direktionsmittel und gibt die bekannten Taktier- marken. Interessant sind da nur die Bemerkungen vom Drei- takt, der in Deutschland auch in dieser Weise:

3

geschlagen wurde, eine Form, die Mendelssohn bevorzugt haben soll. Sie ist unauffälliger als die jetzt allgemein übliche und noch heute sehr gut brauchbar, wenn der Dirigent alle Musiker vor seinem Pult aufgestellt hat. Neu sind Berlioz' Angaben über das Taktieren zusammenfallender Taktarten. Er gibt zum erstenmal eine theoretisch begründete Anleitung, komplizierte Rhythmen- mischungen, wie sie im »Don Juan«, in Spohrs Sinfonien, in der » Harold «-Sinfonie oder in »Fausts Verdammung« vor-

i Memoiren II, S. 216.

2 Instrumentationslehre S. 273.

Ausblick. 327

kommen, zu dirigieren. Er schlägt eine Einteilung der kleineren Rhythmen in die große Taktart und kleine Hilfsbewegungen mit der Hand vor, über deren Anwendung von Fall zu Fall zu entscheiden sei.

Berlioz' Beobachtungen von dem Verschleppen ganztaktiger Triolen im Alla Breve, ebenso seine Ausführungen über das Dirigieren des Recitativs, wo mit Nachdruck das Ausschlagen der Taktteile verlangt wird, seine Forderung, daß alle Musiker bei schwierigen Stellen den Dirigenten ansehen müssen, und ähn- liche Ratschläge gelten noch heute als Grundlage jeder Direktions- anleitung. Er kommt dann auf das alte Erbübel der französi- schen Operndirektoren, auf das laute Markieren des Takts zurück. Er nennt es »einfach eine Barbarei«. Nur ein einziger, vor- bereitender, hörbarer Taktschlag kann gestattet werden, wenn der Dirigent aus irgendeinem Grunde den Opernchor nicht sehen kann. Berlioz' Bemerkungen vom elektrischen Metronom, das jetzt allgemein eingeführt ist, und sein Vorschlag, tüchtige Chor- direktoren anzustellen und geteilte Proben anzusetzen, erinnern zum Teil an Gassners Direktionslehre.

Das von Berlioz ausdrücklich geforderte exakte, notengetreue Spiel der Musiker ist in unsern Tagen Gemeingut der Musikpraxis geworden. Wie die deutschen Musiker seit Reichardts Zeiten gegen die willkürlichen Veränderungen im Orchesterspiel gekämpft haben, ist früher gezeigt worden. Für Berlioz ist das Orchester ein einziges Instrument in der Hand des Dirigenten, der für Auf- fassung und Wiedergabe selbst einstehen muß. »Die Ausführenden sind nur mehr oder weniger einsichtige Werkzeuge, um Gestalt und Wesen der Werke ans Licht zu setzen; sie haben zu folgen, aber nicht zu gebieten.« Nicht die Musiker stehen im Mittel- punkt einer Aufführung, sondern die Individualität des Kapell- meisters. »Ich weiß wohl«, sagt Berlioz, »daß sich einige Künstler in ihrer Eigenliebe gekränkt fühlen, wenn sie so (,wie die Kinder', sagen sie) am festen Gängelbande gehalten werden. In den Augen des Dirigenten aber, der lediglich auf ein glänzendes Endresultat hinausarbeiten muß, verliert dieser Einwand jegliche Bedeutung Irgendwelche Bestrebungen individueller Auffassung . . . sollten [bei den Orchestermitgliedern] nicht zugelassen werden1.« Der Satz kann nur für die neuere Musik gelten und ist in dieser

i Instrumentationslehre S. 279. A Trav. Chants (ed. Pohl) S. 355.

328 Siebentes Kapitel.

Form auch zu scharf, da jedes Solo dem eigenen Empfinden eines guten Spielers überlassen bleiben muß.

Berlioz' Entwurf der Aufgaben eines Kapellmeisters und sein Eintreten für das moderne Direktionsprinzip sind für diese Zeit nicht neu. In Deutschland hatten wir von den gleichen Be- strebungen schon in früheren Jahren gehört. Berlioz' Kunst- reisen haben aber seine Anschauungen weit propagiert. Seine Instrumentationslehre wurde eines der wichtigsten Lehrwerke der Zeit, und seine Wanderreisen mit der » Phantastique«, » Romeo und Julia«, dem »Harold« führten der musikalischen Romantik und der Nachklassik Deutschlands eine Literatur zu, deren Klang- mischungen, deren Satztechnik und musikalisch-literarische Faktur einen großen Einfluß auf die Musikübung gewannen.

Ihren größten Vermittler haben seine Ideen in Franz Liszt gefunden, der der französischen Kultur mehr verdankt, als man anzunehmen geneigt ist. Er verlebte seine Jünglings- und ersten Mannesjahre, in denen ein Künstler fremden Einflüssen leichter zugänglich ist als in späterer Zeit, in dem Paris der sozialen und kunstphilosophischen Reformer und der freigeistigen Literaten, die auf sein Denken und Fühlen ebenso stark wirkten wie die Musiker Paganini, Chopin, Urhan, Fetis und Berlioz. Sein ganzes Leben hindurch hat Liszt die französische Kunstanschauung nicht verleugnet. Die sinfonischen Werke, die Klavier- und Liedliteratur zeigen überall jene rhythmische Beweglichkeit und jene fein nuancierte Farbengebung, die ein Hauptkennzeichen der französischen Musik bilden. Selbst in seinen an den Weimarer Poetenkreis anschließenden Kompositionen klingt der französische Ton durch, der allerdings durch die Eigenheiten seines Stils und die Schmiegsamkeit seiner künstlerischen Natur häufig verdeckt wird. Auf dem Gebiet der Orchesterdirektion läßt sich Liszts französische Richtung mit strikten Beweisstücken kaum belegen. Man darf annehmen, daß Liszt Habenecks Konzerte fleißig besucht hat, und daß auch er durch die Konservatoriumsauffüh- rungen in Beethovens Stil näher eingedrungen ist. Den größten Einfluß übte aber auf ihn die Kunst Berlioz'. Die » Phantastique« übertrug er fürs Klavier, Berlioz' Konzerte unterstützte er durch sein Klavierspiel, Berlioz' Werke gaben den Anstoß zur Schöpfung seiner sinfonischen Dichtungen.

Das künstlerische Ergebnis der Pariser Jahre wurde der Öffent- lichkeit zunächst nur durch den Klaviervirtuosen bekannt, der seinem Programm durch ein beinahe beispielloses Eintreten für

Ausblick. 329

-die moderne und klassische Literatur eine eigene Note gab. Aber erst nach Liszts Siegeszügen durch die kultivierte Welt, erst in den Jahren, wo der Virtuose in Weimar einen festumrissenen Wirkungskreis fand, wurden seine künstlerischen Ideen auch in •der Direktion in vollem Umfang wirksam. Am Weimarer Hof, wo er das Musikleben durch tüchtige Aufführungen zum Mittel- punkt der neudeutschen Musik und des Wagnerschen Musikdramas machte, wurde er der Begründer einer neuen Direktionsführung in Deutschland.

Gleich seine ersten Konzerte in Weimar zeigten der Öffent- lichkeit, daß ein Kapellmeister vor dem Orchester stand, dessen Vortragsstil sich nicht in die bekannten Listen einordnen ließ. :So meint der Referent der Allgemeinen Musikalischen Zeitung, daß die Beethovenschen Sinfonien »in langsameren Tempo's« genommen wurden, als man es allgemein gewohnt war, er fügt hinzu: »mit überraschendem Gewinn für die Wirkung«1. An •einer anderen Stelle heißt es: »Sein Feuergeist dämpfte sich . . . zu acht künstlerischer Ruhe und Besonnenheit, ohne an Kraft und Lebendigkeit zu verlieren2.« Damit wird der Hauptcharakter •seines Vortrags gekennzeichnet: sein Abweichen von der Mendels- sohnschule. Er dirigiert Beethovens Sinfonien langsamer im Tempo, also in entgegengesetztem Sinne wie die deutschen Ka- pellmeister. Unser Kritiker läßt sich an dieser Feststellung ge- nügen. Er schreibt in begeistertem Ton von Liszts Dirigenten- eigenschaften, fragt aber nicht, ob seine Beethovenwiedergabe sich musikalisch rechtfertigen läßt. Weiter werden Liszts Kon- zerte ein »Erwecken schlummernder Kräfte« genannt. Er ver- stand es, »den Geist des Werkes in vollem Glänze aufleuchten zu lassen«, jede feinste Nuance » allen Ausführenden erkennbar in seinen Bewegungen auszuprägen, ohne in carikirtes Herum- fahren auszuarten. Sein bewegliches, alle Gefühle abspiegelndes Antlitz verdolmetscht die Freuden und Leiden der Töne . . . Liszt ist die verkörperte Musikseele«3. Und Cornelius schreibt enthu- siastisch4: »Welche Studien enthielten die Proben zu den großen Musikaufführungen, welche Wunder erlebte man an Liszts Gehör, .an seiner leitenden und darstellenden Hand, an der Art, wie er ;sich mitzutheilen, wie er zu begeistern, zu elektrisiren wußte.«

1 A. a. O. 1844, S. 164.

2 Ebenda, S. 243.

3 Neue Zeitschrift für Musik 1844, S. 72 und Allg. Mus. Ztg. 1844, S. 164f. * Neue Zeitschrift für Musik 1867, S. 287.

330 Siebentes Kapitel.

Er erzog sein Orchester zu völliger Herrschaft über alles Materielle,, um dann in ungebundener Freiheit auf dem Orchester zu phan- tasieren wie auf dem Klavier. Durch anhaltendes, eifriges Proben brachte er seine Musiker dazu, daß sie alles Handwerkliche voll- kommen im Griff hatten und nur auf ihren Führer zu achten brauchten, um seinen Intentionen zu folgen.

Liszt besaß keine deutsche Kapellmeistertechnik, kannte keine Mendelssohnschule, keine Webersche oder Spohrsche Tradition. Er hatte viele deutsche Dirigenten gehört, aber der Geist, wie er durch Mendelssohn gefestigt war, konnte ihm nicht zur Herzens- sache werden. Seine Kunstanschauung wurzelte in der französi- schen Kultur. Habenecks Präzisionstechnik und Berlioz' pro- grammatisches Erfassen des musikalischen Ausdrucks bildeten die Grundlage seiner Direktion, die er durch innigstes Anschmiegen an deutsche Denkungsart weiterführte.

Er legte den Schwerpunkt seiner Interpretation in den Aus- druck der poetischen Idee. Nicht der Takt und das strenge Tempo, nicht der gleichmäßige Fluß von Rhythmik und Mensur waren für seinen Vortrag bestimmend, sondern der musikalische Gedanke, der Inhalt der Motive1. Er sah in der Sinfonie Beethovens ein Aufstellen, Entwickeln und Ausdeuten von Affekten nach programmatischen Gesichtspunkten. Es ist der gleiche Hinter- grund, auf dem die Alten ihre musikalische Fachästhetik grün- deten, nur vom Standpunkt des Programmusikers aus gesehen. Der lebhaften, frischen Leitung der Mendelssohnschule trat mit Liszt die größte Freiheit der künstlerischen Wiedergabe gegen- über, der ungebundene, nur dem Geist der Tondichtung folgende, stark modifizierte Vortrag. Liszt nennt ihn den »periodischen Vortrag«, da nicht der Einzeltakt mit seinen Akzenten Tempo und Ausdruck der Themen bestimmt, sondern die musikalische Periode, die zur Einheit gefaßte Motivik. Er nahm die Themen- gruppe, die in der neuen Kunst an Ausdehnung gewonnen hat und im Aufbau komplizierter geworden ist, zur Grundlage seiner Tempoführung. Doch hielt sich seine Freiheit im Vortrag stets in den Grenzen, die die ebenmäßige Architektur und die Indivi- dualität des Komponisten erfordern; Takt und Tempo sind, wie Liszt sagt, der Stamm des Baumes, der unverrückbar

1 S. L i s z t s Ges. Schriften V, Breitkopf & Härtel, S. 228 f. Brief vom 5. Nov. 1853 an Richard Pohl über das Dirigieren. Vgl. hierzu L. Ramann, Franz Liszt II, 1, S. 222 f.

Ausblick. 331

festhält, wenn Blätter und Zweige im Winde hin und her wogen1.

In der Direktion nach dem Affekt eines Stückes, die wir von der Renaissance an verfolgen konnten, liegt gewiß nicht das Neue der Lisztschen Direktion, sondern in dem Herausstellen der musi- kalischen Periode, in der veränderten Führung der Rhythmik,, die die Schranken der Gruppentakte überspringt, in der musi- kalisch freien Deklamation. Die Kapellmeister der älteren Zeit sind keine Taktschläger oder »Ruderknechte« gewesen, um mit Liszt zu reden2, sie kannten das Nuancieren und Modifizieren ebensogut wie er. Aber jenes freie Gestalten, wie es die Musik der sinfonischen Dichtungen zeigt, war der alten Kunst und der vor-Lisztschen Musikübung fremd. Nur aus dem Geist der Liszt- schen Orchesterwerke läßt sich auch die Eigenart seiner Direktion verstehen: ein freies, dem dichterischen Gedankengang folgendes Phantasieren, das einzig und allein durch den lebenswahren Aus- druck der dichterischen Ideen und ihre Charakterisierung mittelst weitgehender Modifikationen im Vortrag und Tempo bestimmt wird-

Wie sich Liszt als Klaviervirtuose eine eigene Technik schuf, so leitete auch der Dirigent seine Musiker nach einer eigenen Methode. Er führte den Taktstock nicht in abgezirkelten Dreiecken und anderen Polygonen, sondern versuchte, den Gang der Melodie nachzuzeichnen, ihr Heben und Fallen, ihr Verweilen auf ent- scheidenden Noten. Er versinnbildlichte in seiner Führung die musikalischen Perioden und Motive. Man könnte von einer mo- dernen Cheironomie sprechen, denn Liszt erstrebte eine sichtbare Darstellung von Phrasierung und Nuancierung. Seine Musiker hatten sich an diese freie Stabführung bald gewöhnt, sie ver- standen ihn vollkommen, wenn »bei lyrischen Partien sein Takt- stock [der Idee] mehr zu folgen als zu befehlen schien, wenn er bei Stellen lyrischen Hebens und Senkens völlig ruhte, oder wenn er bei hervortretend epischen und deklamatorischen Momenten nur den rhetorischen und Hauptaccent angab, oder auch, wenn Liszt bei Solopartien ihn ganz hinlegte, um dem Künstler die Bewe- gungsfreiheit zu sichern«3. Er wollte sich bei seiner Direktion

1 Ramann, a. a. O. II, 2, S. 105. Vgl. Liszt, Vorwort zur Partitur der Symph. Dichtungen.

2 Brief über das Dirigieren.

3 Ramann, a.a.O. II, 2, S. 93f. Vgl. Hanslick, Gesch. des Conzert- wesens, S. 310: Liszt meint, »es sei nicht nothwendig zu taktiren, sondern blos- die Eintritte der Rhythmen, Cäsuren und der Instrumente zu markiren«.

332 Siebentes Kapitel.

»augenscheinlich überflüssig« machen; die Dirigenten sind nach seinen Worten »Steuermänner, keine Ruderknechte«1. Kleinere Opern, wie »Martha«, leitete er überhaupt ohne Taktstock, und bei Instrumentalsoli ließ er einem tüchtigen Musiker völlig freie Hand2, hierin Berlioz' diktatorisches Regiment weit übertreffend. Gegen die Lisztsche Direktion erhob sich in der den Neu- deutschen feindlichen Presse ein wahrer Sturm. Aus seinen Dirigierbewegungen wollte man seine Unfähigkeit als Orchester- leiter beweisen. Seine Freiheiten im Vortrag wurden als un- gehörig hingestellt, während sein Eintreten für Berlioz, Wagner und selten aufgeführte Werke einen starken Widerhall in den antimodernen Blättern hervorrief. Liszt sah über die Hoch- fahrenheit manchen Kritikers hinweg und nur aus wenigen Briefen hört man, wie ihm die Unduldsamkeit der alten Schule naheging. Als nach dem Karlsruher Musikfest, das unter Liszts Führung neben den Klassikern auch Werke von Wagner und Berlioz brachte und bis auf einige Versehen des der Lisztschen Direktion ungewohnten Orchesters einen glänzenden Verlauf nahm3, viele Berufsmerker von seiner Unfähigkeit als Dirigent sprachen4, schrieb er jenen oft zitierten Brief an Richard Pohl, den Hopliten, in dem er seine Anschauung vom Dirigentenamt niedergelegt hat. Die Werke Beethovens und der neueren Kunst erfordern nach seinen Worten »einen Fortschritt in der Betonung, in der Rhythmisie- rung, in der Art, gewisse Stellen im Detail zu phrasieren, zu de- klamiren und Schatten und Licht im Ganzen zu vertheilen mit einem Wort: einen Fortschritt im Stil der Ausführung selbst. Dieser knüpft zwischen dem dirigirten und dem dirigirenden Musiker ein Band anderer Art als das, welches durch einen unver- wüstlichen Taktschläger geknotet wird. Denn an vielen Stellen arbeitet die grobe Aufrechterhaltung des Taktes und jedes einzel- nen Taktteiles | 1, 2, 3, 4 | 1, 2, 3, 4 | einem sinn- und ver- ständnisvollen Ausdruck geradezu entgegen. Hier wie allerwärts tödtet der Buchstabe den Geist.«

1 Brief vom Dirigieren.

2 Ramann II, 2, S. 94, Anm. 1.

3 Hoplit (R. Pohl), Das Karlsruher Musikfest, Leipzig 1853, S. 79f. Zur Lisztschen Direktion vgl. das Vorwort zur Partitur seiner sinfonischen Dichtungen und Liszts Briefe (ed. La Mara) I, S. 275 und 327, II, S. 109, 120.

4 Noch heute wird von vielen Musikern behauptet, daß Liszt ein schlechter Dirigent gewesen sei. Vgl. Arthur Laser, Der moderne Dirigent, Leipzig 1904. S. 29f.

Ausblick. 333,

Liszt schießt in seinen weiteren Ausführungen etwas am. Ziel vorbei. Niemand hatte von ihm verlangt, vor dem Orchester als Windmühle zu fungieren. Selbst die rüstigsten Taktschläger der alten Schule waren keine lebenden Metronome. Aber gerade das einseitige Verurteilen seiner Vormänner charakterisiert Liszts- Auffassung vom Dirigieren: Die neue Kunst fordert einen neuen Stil in der Ausführung, eine freie, individuelle, nur der poetischen Idee folgende Direktion. Für die Geschichte ist diese program- matische Richtung epochemachend geworden. Sie bildet neben Richard Wagners Direktionslehre das Vorbild der modernen. Dirigenten.

Als Liszt das Weimarer Musikleben reformierte, war Richard Wagners Tätigkeit als Berufskapellmeister bereits beendet. Nach den Kapellmeisterjahren in Lauchstädt, Magdeburg, Königsberg und Riga hatte er in Dresden eine feste Anstellung gefunden,, in der er als Dirigent und Organisator des Musiklebens bis zu den Märztagen wirkte. Auch Wagner war, wie Berlioz, kein Instrumentalvirtuose, als er zum Dirigentenpult kam, dafür hatte er aber die wichtigen Lehrjahre an kleineren Bühnen durch- gemacht. Er wuchs in der Praxis auf. Die Theaterluft war ihm ebenso wie seinem Vorgänger, Carl Maria von Weber, Lebens- bedürfnis. Beide besaßen von Haus aus die Neigung zum Bühnen- leben, beide waren geborene Reformatoren, beide erfüllte der- gleiche dramatische Geist in Wirken und Schaffen. Als Opern- dirigent gehört Wagner zur Weberschen Richtung, doch hat er durch neue praktische Vorschläge, durch seine Musikdramen und Schriften auf unsere Zeit nachhaltiger gewirkt als irgendein an- derer Kapellmeister. Es gibt keinen schaffenden Künstler, der sich nicht Wagners Kunst zu eigen gemacht hätte, keinen Diri- genten, der nicht auf Wagners Ideen zurückginge.

Das Leipziger Konzertleben vor Mendelssohn hatte auf Wagner keinen Eindruck gemacht. Matthäis Vorspiel in den Gewand- hauskonzerten und die Direktion von Kapellmeister Pohlenz, dem »Typus aller gemütlichen, dicken Musikdirektoren«, hatten ihn abgestoßen1. Im Chorwesen, das in Leipzig und Um-

1 Vgl. »Mein Leben« von R. Wagner, I. S. 73. Wagners Darstellung des alten Leipziger Konzertlebens ist stark anfechtbar. Vgl. D ö r f f e 1 , Gesch. der Gewandhauskonzerte, S. 67 f. Die zeitgenössische Kritik schreibt einmal von Pohlenz' Direktion: »Unser Musikdirector Hr. Aug. Pohlenz dirigirt um- sichtig und sicher und verdient allen Dank für das fleissige, eben jetzt besonders schwierige Einstudiren der Ensemblesätze.« S. auch Allg. Mus. Ztg. 1836,

;334 Siebentes Kapitel.

gegend noch eine Nachblüte der großen Kantatenzeit erlebte, und ebenso auf Ausflügen konnte der junge Wagner seinen Musikdurst stillen. Aber es zog ihn zum Instrumentalkonzert und zur Oper, deren Hauptvertreter er gerade in seiner Jugend nicht zu hören bekam. So wurde nicht einer der großen Kapellmeister Wagners künstlerisches Vorbild, sondern eine Sängerin, Frau Wilhelmine Schröder- Devrient. »Was Polenz durch seine Direktion der neunten Smphonie, was das Wiener Conservatorium, Dionys Weber und mancherlei andre stümperhafte Eindrücke, durch welche mir die klassische Musik in Wahrheit eindruckslos vorgeführt Avorden war, noch nicht vollständig erreicht hatten, gelang der unbegreiflichen Wirkung der unklassischsten, italienischsten Musik durch die wunderbar zündende und entzückende Darstellung des , Romeo' durch dieSchröder-Devrient1.« Die Kunst dieser genialen Sängerin erschloß Wagner das Verständnis für melodische Kraft und dramatische Wirkung. In Magdeburg gastierte sie unter seiner Direktion, und in Nürnberg hörte er sie als Emmeline in <ler »Schweizerfamilie« von Weigl, was auf sein empfängliches Gemüt einen so starken Eindruck auslöste, daß er noch in späteren Jahren bedauerte, daß »so etwas, wie die Darstellung dieses Schwei- zermädchens nicht als Monument allen Zeiten erkenntlich fest- gehalten und überliefert werden kann«. Dem Gesang der Schröder- Devrient entnahm er die »besten Anleitungen im Betreff des Tempo's und des Vortrages Beethoven'scher Musik«2.

Noch stärker wirkte auf ihn die Pariser Aufführung der ersten drei Sätze der neunten Sinfonie unter Habeneck. Hier hörte er zum erstenmal die Beethovensche Kunst in einer Vollendung, die seinem ganzen Denken und Fühlen eine andere Richtung gab. Seine frühere Geschmacksrichtung versank »wie in einem tiefen Abgrund der Scham und Reue«. Er fand das geahnte Traumbild der neunten Sinfonie verwirklicht. Klar und deutlich stand das Werk vor Wagner, der an Beethoven durch die Auf- führungen schwächlicher Kapellmeister irre geworden war. Jetzt erst verstand er nach seinen eigenen Worten das Melos der Beet- hovenschen Sinfonie und den dichterischen Willen des Kompo-

S. 327: »Herr Musikdir. Pohlenz dirigirte mit einer solchen Sicherheit, Bestimmt- heit und Umsicht, daß wir uns wundern müßten, wenn dies nicht von Allen anerkannt würde.«

1 Wagner, Mein Leben I, S. 101 f.

2 Aufsatz »Über das Dirisfiren«.

Ausblick. 335

nisten. Das Jahr 1839 bedeutet denn auch einen Wendepunkt in Wagners künstlerischer Entwicklung.

In Dresden fand er das erste weite Feld künstlerischer Be- tätigung, einen Platz, an dem er die nachhaltigen Eindrücke der Pariser Konzerte und die Anregungen aus der Kunst einer Schröder- Devrient schöpferisch verwerten konnte. Aus seiner Selbst- biographie hört man, wie die neugewonnene Kunstauffassung nach Ausdruck ringt, aus seinen Schriften klingt die Begeisterung und praktische Erfahrung heraus, mit der er Beethovens neunte Sinfonie studierte, Gluck und Mozart dirigierte. Und wenn er auch durch den Einfluß Liszts und durch Vertiefung des eigenen Schaffens noch neue Ausdrucksmomente und eine mächtige Steigerung der Schöpfungskraft errang das Fundament seiner praktischen Tätigkeit weist doch nach den Dresdener Kapell- meisterjahren. Hier steht schon der Musiker vor uns, der im Jahre 1869 seine Schrift vom Dirigieren schrieb. Wagner ver- schmähte später einen festen Kapellmeisterposten. Ihm war jede die Phantasie hemmende Berufstätigkeit, ebenso wie Meyer- beer, eine Last. So hat er auch auf die Nachwelt mehr durch seine Dramen und Schriften als durch seine Tätigkeit als Berufs- kapellmeister gewirkt. Wohl bedeuten seine Dresdener Direktionszeit und seine späteren Konzerte Höhepunkte künstlerischen Nach- schaffens. Doch alle diese Kunstleistungen treten zurück gegen die in Werk und Wort niedergelegten Gedanken von der Kunst des Dirigierens.

In den Schriften Wagners und der anschließenden schier unübersehbaren Literatur ist viel vom Dirigieren die Rede1. Das Bedeutendste bringt Wagner in seiner oft angezogenen Schrift »Über das Dirigiren« aus dem Jahre 1869. Der Aufsatz hat, so wertvoll er für Wagners Persönlichkeit und die musikali- sche Praxis im allgemeinen ist, viel Unheil angerichtet. Jene Wagnerianer, die alle Worte des Meisters kritiklos hinnehmen, halten die Ausfälle und historischen Rückblicke Wagners für einwandfrei, und so liest man denn oft von den Taktschlägern der alten Zeit, von ihrem Unverständnis der Klassiker, von phili- strösen Kapellmeistern und was der Worte mehr sind. Ja, wenn man den Berichten einer Fachzeitung glauben soll, dann hat

1 Vgl. Felix Weingartner, Über das Dirigieren, 3. Aufl., Leipzig 1905. Arthur Laser, Der moderne Dirigent. Leipzig 1904. Anton Sei dl, Über das Dirigieren. Bayreuther Blätter 1900, S. 291 f. Josef Pembaur, Über das Dirigieren, Leipzig 1892 u. a.

336 Siebentes Kapitel.

Wagner erst das kunstvolle Dirigieren entdeckt, ist er der erste gewesen, der uns die wahre Kunst des Dirigierens offenbart hat. Daran ist wenig wahr. Wagner hat sich durch seine bösen Er- fahrungen, die er mit minderwertigen Kapellmeistern bei der Auf- führung seiner Werke gemacht hatte, dazu hinreißen lassen, fast die gesamte Musikübung seiner Zeit zu negieren und anerkannte Musiker entweder mit Stillschweigen zu übergehen oder ihre Leistungen herabzusetzen. Daß er Mendelssohn als Dirigenten schief beurteilte und seine Vormänner, die ihm die Wege ebneten,, nicht richtig einzuschätzen wußte, war schon früher erwähnt worden. Davon abgesehen macht es keinen guten Eindruck, wenn man hören muß, daß eigentlich keine anderen Musiker als Wagner und seine Anhänger das Kapellmeisteramt verstünden. Der gesamte historische Überblick und zeitliche Umblick wird schwarz gehalten, so daß sich die positiven Ausführungen scharf und in derben Farben vom Hintergrund abheben.

Nach Wagner gibt es drei Arten von Kapellmeistern: die Musikanten alten Stils, deren Hauptstärke die Grobheit, Strenge und ein despotisches Regiment ausmachen, dann die eleganten, oberflächlich gebildeten Konzertdirigenten aus der Schule des glatten »Darüberhinweggehens« Mendelssohns und die Opern- kapellmeister, die nur vom »Standpunkte der allgemeinsten Handwerksleistung« aus beurteilt werden können. Wie unter diese Dirigenten die von Wagner verehrten Meister Weber, Spontini und Spohr einzuordnen sind, darüber ist sich Wagner nicht klar geworden. Er hätte sonst noch eine besondere Klasse von tüchtigen Kapellmeistern einrichten müssen, die allerdings seine Ausführungen abgeschwächt hätte. Entschuldigen lassen sich seine einseitigen Angriffe nur aus seiner auf das eigene Ziel gerichteten Anschauung vom Musikleben und aus den vielen An- feindungen, denen seine Kunst ausgesetzt war.

Dagegen sind seine positiven Ausführungen von größtem Wert. Wagner bringt hier, wie überall, wo er aus der Praxis schöpft, weitblickende und fruchtbare Gedanken vor. Er entwickelt eine Theorie, die im gleichen Maße von praktischer Erfahrung, künst- lerischer Schöpfungskraft und philosophischer Schulung zeugt. Sie ist der Niederschlag seiner eigenen Direktionsführung und spiegelt den Geist wider, den er den Klassikern entgegenbrachte.

Alle Schwierigkeiten, die sich einem Kapellmeister in der neueren Zeit bei der Aufführung entgegenstellen, laufen im letzten Grunde auf die Wahl von Vortrag und Tempo zurück. Zeitmaß

Ausblick. 337

und Vortrag stehen in innigster Verbindung miteinander. Die Frage ist allein die: Woraus erkennt man die vom Komponisten gewünschte Bewegung? Die Geschichte der Aufführungspraxis dreht sich um dies Problem, seit die Direktion von den Kom- ponisten auf die Berufskapellmeister übergegangen war. Früher hatte hier die Affektenlehre willkommene Hinweise gegeben. Als sie vergessen war, wurde von dem Charakter der Themen, von ihrem Ausdruck und vom Effekt gesprochen. Wagner faßt seine Meinung in die Worte zusammen: »Nur die richtige Er- fassung des Melos gibt das richtige Zeitmaß an: beide sind un- zertrennlich; eines bedingt das andere.« Die Musiker müssen ihre Stimmen »singen«, sie müssen den melodischen Kern und die figurativen Partien ihrer Stimme vollständig kennen. Dazu kann aber nur ein Kapellmeister die Anleitung geben, der selbst die Gesangskunst beherrscht.

Die gesamte Instrumentalmusik ist an der Gesangsliteratur erstarkt. Am deutlichsten zeigt sich dieser Zusammenhang bei -den Musikern, die die Musik vom Wortgedanken befreiten. Ihre Instrumentalmusik war ein Aussprechen von Affekten in rein instrumentalen Tonformen. Die Gesangskunst stand im 17. und 18. Jahrhundert im Mittelpunkt aller Vortragslehren. Jeder Instrumentalist, jeder Konzertmeister richtete sich nach der gesanglichen Tonbildungslehre und den solistischen Vortrags- manieren tüchtiger Sänger. Wagner greift auf diese, durch die klassische Instrumentalmusik in den Hintergrund geratene Praxis zurück. Er fordert vom Kapellmeister Kenntnis der Gesangs- kunst und die Fähigkeit, eine Melodie »mit guter oder schlechter Stimme« so zu singen, daß er das innere Leben der Melodie und ihren Ausdruck versteht.

Im Orchesterspiel gründet sich der gesangliche Vortrag auf Tonbildung, Dynamik und auf die Wechselwirkung von gehalte- nem und figuriertem Ton1. Grundlage aller Vortragskunst ist der »gleichmäßig stark ausgehaltene Ton«, »erst von ihm aus ist zu allen den Modifikationen zu gelangen, deren Mannigfaltigkeit . . den Charakter des Vortrages überhaupt bestimmt«. Die Eckpfeiler der Dynamik sind Forte und Piano. % Nicht ein charakterloses Lärmen oder ein überleises Piano, sondern ein tonerfülltes sattes Piano und klangfrohes Forte. Der Kapellmeister muß deshalb die In-

1 Die folgende Darstellung beruht auf dem Aufsatz »Über das Dirigiren« von Wagner.

Kl. Handb. der Musikgesch. X. 22

338 Siebentes Kapitel.

strumentalgruppen, Bläser und Streicher in das rechte Klang- verhältnis bringen, damit nicht in das leise Schimmern der Streicher das häufig von Nebenluft begleitete Piano des Holzquartetts aufdringlich hineinklingt (Wagner). Abwägen des Klanges und gegenseitiges Abstimmen musikalischer Farben bilden ein Haupt- moment des künstlerischen Studiums. Aus der fein abgestuften und klangreichen Dynamik ergibt sich erst jene Ausdrucks- technik des Instrumentenspiels, die die virtuose, von künst- lerischem Geist getragene Interpretation fundiert.

»Die Erfordernisse des Vortrages, ob er vorwiegend dem ge- haltenen Tone (dem Gesänge) oder der rhythmischen Bewegung (der Figuration) sich zuneigt, diese haben den Dirigenten dafür zu bestimmen, welche Eigenthümlichkeiten des Tempo's er vor- wiegend zur Geltung zu bringen hat. « Adagio und Allegro ergänzen einander. Jenes beherrscht nach Wagners Worten das Gesetz des gehaltenen Tones, dieses die Figuration. Wie beide ineinander verschmelzen, zeigt der dritte Satz der neunten Sinfonie, das Gegenüberstellen des modifizierten Andante und des langsamen, langgehaltenen Adagio. Mit der Brechung in den 12/8-Takt mit seinen ruhig fließenden Figuren wird »das neue Gesetz der Fest- haltung einer bestimmten Bewegung gegeben, welches in seinen ausgebildeten Konsequenzen uns zum Gesetz für das Zeitmaß des Allegro wird«. Wagner unterscheidet ein naives und senti- mentales Allegro. Jenes kommt am reinsten in Mozarts Alla Breve-Sätzen zum Ausdruck, dieses in den ersten Sätzen Beethoven- scher Sinfonien. Der Vergleich des Anfangssatzes einer Neapo- litaner, Mannheimer oder Jungwiener Sinfonie zeigt diesen Unter- schied noch deutlicher als die Gegenüberstellung mit Mozartschen Sätzen, deren Eigenart gerade in der weiten melodischen Span- nung der Seitenthemen besteht. Aber der Gedanke, daß Beet- hovens Allegri eine abgestuftere und freiere rhythmische Bewegung verlangen als die »Don Juan «-Ouvertüre, bleibt bestehen und in gleichem Sinne auch der an Liszt anschließende Satz, daß »seit Beethoven hinsichtlich der Behandlung und des Vortrages der Musik eine ganz wesentliche Veränderung gegen früher eingetreten ist. Was früher in einzelnen abgeschlossenen Formen zu einem Fürsichleben auseinandergehalten war, wird hier, wenigstens seinem innersten Hauptmotive nach, in den entgegengesetzten Formen, von diesen selbst umschlossen, zu einander gehalten und gegen- seitig aus sich entwickelt. Natürlich soll dem nun auch im Vor- trage entsprochen werden, und hierzu gehört vor allen Dingen,

Ausblick. 339

daß das Zeitmaß von nicht minderer Zartlebigkeit sei, als das thematische Gewebe, welches durch jenes sich seiner Bewegung nach kundgeben soll, selbst es ist.« Damit spricht Wagner die Hauptforderung seiner Lehre aus: die Modifikation des Tempos nach dem Geist der ausgedrückten Affekte. Die Grundzüge der Symphonik: im Adagio der gehaltene Ton, im AllaBreve die schnelle Figuration, fließen in der neueren Musik zusammen und müssen nach ihrem Gehalt und nach der zugrunde liegenden program- matischen Idee hervorgehoben werden. Das kann nur durch Änderungen in der Tempoführung erreicht werden. Ein Verweilen bei ruhigen, träumerischen Gedanken, ein Vorwärtsgehen in Partien freudig erregten Charakters bilden den Grundzug dieser aus der alten Literatur bekannten Tempomodifikation. Die Beispiele, die Wagner aus Beethovens Eroica und der neunten Sinfonie, aus der »Freischütz «-Ouvertüre, der Kreutzersonate, dem Cis-moll- Quartett und Mozarts Werken ableitet, sind wahrhaft klassische Denkmäler Wagnerscher Kunstanschauung. Genialer, tiefdrin- gender ist nie eine Direktionsanalyse in Worte gefaßt worden. Wie er das Programm dieser Werke entwickelt und durch nach- schaffende Phantasie zu einem wahren Gemälde seelischen Lebens gestaltet, das sind Gedanken und Anregungen, die uns die Eigen- art und Größe der Wagnerschen Direktion ahnen lassen. Alle, die ihn am Kapellmeisterpult gesehen haben oder unter seiner Leitung gespielt haben, rühmen auch seine lichtvollen Anweisungen und Erklärungen in den Proben, seine heilige Kunstbegeisterung und geniale Gestaltungsgabe. Es muß ein gewaltiger Eindruck gewesen sein, als Wagner in Bayreuth die neunte Sinfonie mit dramatischer Kraft und innigster Hingabe dirigierte. Viele datieren von dieser Aufführung, die Wagners Direktionsgabe der ganzen gebildeten Kunstwelt offenbarte, eine neue Epoche der deutschen Musikübung.

Stellt man die von Wagner entwickelten Vortragslehren der älteren Zeit gegenüber, so findet man kaum einen Punkt, der nicht auf die frühere Kunstübung zurückginge. Der Gesangsvortrag war bis zum 19. Jahrhundert in der Instrumentalmusik erstes Gesetz und die Tempoführung nach der ausgedrückten musi- kalischen Idee ein Vermächtnis der Benaissance. Selbst die Unterscheidung des Allegro- und Adagiocharakters findet man in der älteren Literatur, im Wagnerschen Sinne auch in Gassners Direktionsbüchlein. Gassner lehrt sogar die dynamische Modi- fikation nach dem Musikcharakter und Aufführungslokal. Die

22*

340 Siebentes Kapitel.

Wagnerschen Vorschläge zur Tempo- und Vortragsbestimmung bedeuten demnach eine Wiederaufnahme und eine aus der neueren Musik abgeleitete Begründung älterer Vortragslehren. Man wird aus diesen Vorschriften kaum eine Wagnersche Neuerung ab- leiten können. Sie liegt allein in der Weiterführung der Weber- schen Gesamtdirektion und in Wagners Anschauung von der Kunst der Klassiker.

Wenn man an die Schriften und Direktionstaten Webers und an unsere Charakteristiken Glucks und Spontinis denkt und liest Wagners Einführungen in die eigenen Werke, seine organisatorischen und kunstkritischen Aufsätze, so sieht man den Vollender Gluck- scher und Weberscher Gedanken. Das Zusammenwirken aller Künste, das Vereinen szenischer, musikalischer und rein drama- tischer Wirkungen zu einem geschlossenen Eindruck, das Neben- einander und Miteinander der Künste, wie es die Renaissanceoper, Monteverdi, Cavalli, Gluck, Spontini und Weber aufstellten, ist in der Oper Wagners und auch in seiner Direktion erreicht. Die Gesamtleitung liegt in einer Hand. Ein einziger Wille ist für die Aufführung, für die Anordnung und Ausführung von Musik, Szene und Regie maßgebend. Der Dirigent schreibt »dem Orchester das Gesetz der Bewegung, für den Vortrag wie für das Tempo, vor, und zwar nicht wie der einzelne Sänger nach seinem persönlichen Belieben, . . . sondern im Sinne des Ensemble's, der Uebereinstimmung Aller« (Wagner). Diese Gesamtdirektion, das Zusammengehen aller Mitwirkenden unter einer Führung und die einheitliche, korrekte Wiedergabe aller musikalischen und szeni- schen Vorschriften des Komponisten hat Wagner in seiner Direktion durchgesetzt und damit die Bestrebungen seiner Vorgänger durch Wort und Werk zu einer allgemein durchgeführten Praxis er- hoben.

Auch Wagners zuerst in Bayreuth durchgeführte Neuerung, das Opernorchester durch Tieferlegung und Verdeckung klang- lich abzudämpfen, hat sich so bewährt, daß die Wagnersche Reform, die an die Orchesterstellung in der Florentiner Frühoper erinnert, vielleicht unsere gesamte Musikübung umgestalten wird1.

1 Vgl. Wagners »Bericht über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule«, wo es u. a. heißt: »Euere Majestät haben . . einem berühmten, . . . Architekten die Aufgabe gestellt, vor Allem einen inneren Theaterraum zu konstruiren, in welchem . . die ästhetisch unschöne und störende Sichtbarkeit des Orchesters, bei möglichster Steigerung einer edlen Klangwirkung desselben, vermieden« werden soll.

Ausblick. 341

Seine Orchesterstellung wird in Bayreuth bis zum heutigen Tag beibehalten. Die Saiteninstrumente stehen unterhalb des oberen Schalldeckels, die weichen Holzbläser und Harfen unterhalb der Öffnung und die Blech- und Schlaginstrumente unter dem Bühnen- vorsprung, so daß die Schärfe ihrer Tongebung abgeschwächt wird1. Diese praktischen Anregungen Wagners und seine Auf- führungsanweisungen sind von einer Tragweite, die nur in einer gesonderten Abhandlung erschöpft werden könnte. !

Mit Ausnahme der Instrumentationsänderungen, die Wagner für Beethovensche Werke vorschlägt, fußen seine Ausführungen über die Wiedergabe der Klassiker auf den Lehrsätzen der älteren Zeit, sobald man auf die Grundlage des Vortrags sieht. Dagegen zeugen die Begründung und Angabe der Tempomodifikation, die Ana- lysen und praktischen Vorschläge von einer künstlerischen Dar- stellungsgabe und einem Einfühlen in die klassische Musik, die in der gesamten Direktionsliteratur ohne Beispiel dastehen. Wag- ner führt die Direktion nach der dichterischen Idee im Lisztschen Sinne aus. Er ist unabhängig von seinem hochherzigen Förderer zu dem gleichen Ziel wie Liszt gekommen, wie wenn zwei Männer, die von verschiedenen Stellen ausgingen, sich plötzlich am Ziel finden und in gegenseitiger Überraschung einander die Hände ent- gegenstrecken (Wagner). Liszt kam von der sinfonischen Dichtung, Wagner vom Musikdrama zu jener Freiheit der Auslegung, die ein Charakteristikum ihrer Interpretation ausmacht. Beide über- trugen die aus ihrem Schaffen gewonnenen persönlichen Eindrücke auf die Kunst der alten und neueren Meister und gewannen damit eine neue Anschauung von der musikalischen Interpretation, als die in der ersten Jahrhunderthälfte wirkenden Kapellmeister. Wie Liszt, der die Beethovenschen Sinfonien langsamer im Tempo nahm als die vormärzlichen Kapellmeister, sah auch Wag- ner in den klassischen Werken programmatische Tondichtungen, die er durch ein stark modifiziertes Zeitmaß dramatisch und musikalisch belebt haben wollte. Seine Auffassung, die man im Gegensatz zu der frischen, lebensfreudigen Wiedergabe der Men- delssohnschule die pathetische, sentimentalische nennen könnte, steht noch heute im Mittelpunkt unserer Musikübung. Was die alten Kapellmeister, was Weber und Liszt als Dirigenten ge- schaffen, hat Wagner durch sein Wirken und Schaffen gekrönt. Er hat in goldenen Worten sein künstlerisches und praktische»

1 Glasenapp, Rieh. Wagner V, S. 198 f.

342 Siebentes Kapitel.

Glaubensbekenntnis niedergelegt, das ein Vermächtnis unserer Zeit geworden ist.

Die von Wagners Schriften ausgehende Wirkung läßt sich noch in unseren Tagen kaum übersehen. Die Anhänger seiner Direk- tionsmaximen beherrschen Konzertsäle und Opernhäuser. Der wichtigste unter ihnen und der größte Apostel seiner Lehren war Hans von Bülow. Er hat dem Beispiel seines großen Meisters nachgeeifert und durch eigene Kraft und Tüchtigkeit einen Ehren- platz unter den Dirigenten unserer Zeit errungen. Bülow hatte unter Wagners Augen seine Lehrjahre durchgemacht, an kleineren Bühnen Routine erworben und in Liszts Schule jene pianistische Virtuosität erreicht, die ihn ein gutes Stück über viele Kapell- meister der Zeit hinausrückte. Was Bülow unserer Zeit gewesen, weiß jeder, der die Kunstreisen der Meininger Kapelle oder die Philharmonischen Konzerte in Berlin miterlebt hat. Ein Diri- gent von außerordentlicher Beweglichkeit des Geistes, ein glänzender Vortragsbildner und Erzieher, ein unübertrefflicher Organisator und vielseitiger Musiker und ein unermüdlicher Vorkämpfer für die musikalische Bildung.

Bülows Direktion war »Wagnerisch« in der gesamten Anlage und in der weitgehenden Modifikation des Tempos und zeigte Liszts Einfluß in der geistvollen, feinsinnigen Klangauslegung. Die Vorbilder lassen sich aus allem, was die höher stehende musi- kalische Kritik über Bülow schreibt, heraushören. Bülow blieb aber nicht beim Nachahmen stehen. Er trieb die Tempo- und Vortragsänderungen noch weiter als seine Vorgänger, so daß Wein- gar tn er für diese Eigenmächtigkeiten, denen Wagners Theorie Tor und Haus geöffnet hat, das Wort »Bülowiaden« geprägt hat1. Auch Retouchen in klassischen Werken soll sich Bülow nach Wagners Vorbild geleistet haben. So ließ er im Andante der fünften Sinfonie bei den im Forte gespielten Zweiund- dreißigsteln der Celli und Bässe, die ihm nicht deutlich genug herauskamen, von der Hälfte der Spieler gebunden, von der andern Hälfte aber gestoßen spielen und im selben Satz die erste Note des drittletzten Taktes und den Auftakt pizzicato anstatt arco spielen, weil ihm das vorgezeichnete Piano zum Kontrast nicht genügte2. Er experimentierte auch mit einer neuen Or- chesterdynamik, die durch das nacheinander einsetzende Spiel

1 Weingartner, Über das Dirigieren, 3. Aufl., S. 12 f.

2 Arthur Laser, Der moderne Dirigent, S. 14.

Ausblick. 343

eines oder mehrerer Geigenpulte ein wirksames Crescendo erzielen wollte, eine Methode, die vor ihm schon Gottfried Weber versucht hatte1. Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren, sie zeigen das Launenhafte der Bülowschen Direktion und das Ausgehen auf den Effekt. Aber alle diese Eigenmächtigkeiten treten doch hinter der großen, glänzenden Einstudierung, wie sie Bülow bot, zurück. Er hat als Orchestererzieher eine große Mission erfüllt. Ihm war eine bis ins kleinste ausgefeilte Wiedergabe das höchste Gesetz der Aufführung. Jeder Musiker kannte nicht nur seine Stimme, sondern auch die Rolle, die seiner Partie im Ganzen zuerteilt war. So wurde eine Genauigkeit im Vortrag, eine Übersichtlichkeit und Klarheit erreicht, die vielen Dirigenten vorbildlich wurde. Und dann übersah Bülow nicht eine einzige wichtige oder vom Komponisten nicht klar genug bezeichnete Stelle. Namentlich in Beethovens mehr der dichterischen Idee als dem realen Klangbild folgenden Instrumentation2 war er unerschöpflich im Abwägen der Instrumente und der Dynamik. Darin lag auch der Haupterfolg seiner Konzertreisen, in dem mustergültigen Ensemble seiner Kapelle und der kristallenen Deutlichkeit seiner Wiedergabe. Er hat als Dirigent die Ideen Wagners und Liszts propagiert, die Meininger Kapelle zu einer Berühmtheit deutscher Musikübung gemacht und durch glänzende Aufführungen den Beweis erbracht, daß selbst eine kleinere Kapelle große Kunstleistungen bieten kann, sobald ein tüchtiger Musiker an ihrer Spitze steht.

Durch Bülows Konzertreisen ist das Taktstockvirtuosentum recht eigentlich erst in Aufnahme gekommen. Die glänzenden Erfolge der Meininger unter Bülows Direktion riefen eine große Nachfolge von Kapellmeistern auf, die ihr großes Muster nicht nur in Äußerlichkeiten, in temperamentvoller Beweglichkeit und im Auswendigdirigieren oder in den Bülowiaden noch zu über- trumpfen suchten, sondern die auch eigene Wege einschlugen. Der bedeutendste seiner Schüler ist Richard Strauß, der von Bülow in die Direktionspraxis geradeswegs eingeführt wurde. Im Wagnerschen Sinne ist Strauß in Meiningen erzogen worden, Bülows geistvolle Interpretation und auch Liszts Vorbild waren seine Führer in jener schnell anstrebenden Dirigentenlaufbahn,

i Allg. Mus. Ztg. 1807, S. 823f.

2 Vgl. Paul Bekker, Beethoven 1911, II, 3, Die Symphonien, und II, 5, Gesangswerke.

344 Siebentes Kapitel: Ausblick.

die in unsern Tagen noch nicht abgeschlossen ist. Die Münchener, Weimarer und Berliner Jahre ließen einen Dirigenten heranreifen, der mit seinen weitgehenden Temporückungen und schnellen Zeit- maßen, die nicht reflektierend, sondern impulsiv und intuitiv gefunden zu sein scheinen, die Klassiker in hellen, freudigen Farben erklingen läßt, der in Beethoven nicht mehr den pathe- tischen Dichter, sondern den lebensvollen modernen Musiker sieht. Dadurch entfernt sich Strauß von Wagnerschen Idealen. Da- gegen scheint bei Arthur Nikisch die Wagnersche Tradition nach der Seite des Schwermütig -Tiefsinnigen fortzuleben. Kein größerer Gegensatz als etwa die Eroica unter Strauß und Nikisch. Dort sprühende Rhythmen, ein »Heldenleben« in klassischen Formen, hier ein gewichtiges Epos mit großen lyrischen und tragischen Akzenten. Ruhiger, ebenmäßiger und zurückhaltender ist Weingar tners Direktion. Sie gilt vielen als die berufenste Auslegung der Klassiker und bildet gleichsam eine Reaktion gegen Bülow. Weiter wären noch Mahler, Levi, Schuch, Mottl, Fiedler, Richter, Hausegger und viele andere zu nennen. Ihnen gerecht zu werden ist einer späteren Zeit vorbehalten, denn wie sich mit den Jahren aus der musikalischen Massenpro- duktion unserer Tage nur wenige Werke von bleibendem Wert herausschälen, so wird auch die Nachwelt unter der Unmenge von Dirigenten, die sich in unserer Zeit hören lassen, nur wenige Charakterköpfe finden. Die Orchesterleitung ist zu einer selb- ständigen Kunst geworden, die nicht mehr an schaffende Musiker gebunden ist, und die ihr Hauptziel in der individuellen Inter- pretation sieht.

Namen- und Sachregister.

Abert, Hermann, 4, 9, 10,214,216, 217, 251.

Adam von Fulda 39, Taktdefinition 40, Taktzeichen 48.

Adlung, Jakob, Nachricht von der Taktstockdirektion in Deutschland 153, Protest gegen den Taktierlärm und gegen unfähige Dirigenten 157.

Adolphati, Le Sieur, 118.

Aelredus, Nachricht von Unmanie- ren beim Kirchengesang 19.

Aeschines, Erklärung des ßaxa- Xov 5.

Affekt, Tempoführung nach dem Affekt 21, 102f., 106f., 220, 229 f., 232, 239 f., 278, 281 f., 290, 316, 326, 330 f., 336 f. Berücksichtigen des Affekts beim Akkompagnement 83, 106, Affektenlehre im Renais- sancezeitalter 102 f., im 18. Jahr- hundert 222 f., 230 f., Affektenbe- stimmung in der Vokalmusik 234 f., in der Instrumentalmusik 236 f.

Agazzari, Agostino, über Instru- mentenspiel und Improvisation im 17. Jahrhundert 79 f., über den neuen Stil der Renaissance-Litera- tur 84, 103, über Ausführung des Akkompagnements 84, 86, 106.

Agogischer Akzent 140, siehe >Pointer«.

Agricola, Martin, 51, 52, 54, 70, Taktdefinition 41, 47, Beispiel vom Taktschlagen 48 f.

Ahle, Joh. Rud., 74, 87, 111, Vor- schläge zur Aufführung seiner geist- lichen Arien 102.

Akzente und Neumenschrift 22 f.

Akzentneumen 23 f.

AI brecht, Johann Lorenz, Taktier- form des Gruppentakts 151.

A lessandri, Feiice 264.

A llatius, Leo, 19.

Altmann, Wilhelm, 274.

Ambros, A. Wilhelm, 85, 93, 109.

Ammerbach (Elias Nicolaus), Bild- liche Darstellung einer Musikauf- führung 44, 66.

A m o n , Blasius, Bildliche Darstellung einer Musikaufführung 66.

Anhalt Zerbstsche Kapelle 180.

Anonym, Bericht eines Anonymus aus dem 11. Jahrhundert 18 f. Traktat >de signis musicalibus« 41, 59, 70. Musicae rudimenta (1645) 89. Principii di musica (1 708) 1 23 f. Lettre sur le möcha- nisme de Fopera italien (1756) 125. Anonymus (1803) 256, 257, 303, siehe auch: Bemerkungen, Bieder- mann, Gespräch.

Anordnung eines mehrchörigen Musikstücks 97 f.

Ansbachische Kapelle 181.

Aribo 30.

Aristides, s. Quintilian.

Aristoteles 5, Tempoführung in den griechischen Chorgesängen 10.

Aristoxenos, Taktlehre und Ver- teilung von Auf- und Niederschlag in der griechischen Musik 5 f.

Aron, Pietro, Taktdefinition 46.

Arteaga 183.

Aßmaier, Ignaz, 269.

Atterbohm, schwedischer Dichter, 267, 268.

Aubry, Pierre, 73.

Aufstell ungdesChorsinderchrist- lichen Kirche 17, 18, in der griechi- schen Kirche 19, in der Zeit des a cappella-Stils 62 f., des Orchesters in der Oper des 17. Jahrhunderts 78, 85, der Chöre in der Renaissance- Zeit 86, 97 f., im 18. Jahrhundert bei mehrchörigen Musikwerken 1 55, 194 f., Aufstellung des Orchesters und Chors bei Saal-, Kirchen- und Opernaufführungen im 18. Jahr- hundert 186 f., im 19. Jahrhundert 305 f., 319, 340 f.

August in 27, Nachricht über das Taktschlagen 30.

Augustodunensis, s. Honorius.

Aurelianus Reomensis 13.

346

Namen- und Sachregister.

Bacchius 8, Thesis und Arsis er- klärt 5.

Bach, C. Ph. Emanucl, 177, 234, 253, 258, Einteilen von zusammenfallen- den, verschiedenen Rhythmen 59, Taktschlagen bei großen Musikauf- führungen 154, Klavierdirektion 160 f., Stellung des Konzertmeisters im Orchester 188, über die Dyna- mik 211 f., 213, 215, Affektenlehre 230, 231, 237.

Bach, Joh. Ernst, 255.

Bach, Michael, 72.

Bach, Seb., 58, 159, 178, 211, 219, 290, als Dirigent 160.

Bachmann 188.

Baculus episcopi vel abbati 18, 19, cantoris 42.

Bahr, Johann, 114, 146, 157, Nach- richt von allerlei Mißbräuchen beim Dirigieren 11 2 f.

Bässe, ihre Besetzung im 18. Jahr- hundert 184 f., ihre Aufstellung im Orchester 186 f.

Baillot, Pierre, 319.

Ballard, Christophe, 128.

Bamberg, Kirchenmusik 182.

Banchieri, Adriano, 94, Taktstock- direktion 88, Hilfsmittel bei der Taktangabe 89, Beispiele für das Taktschlagen 92 f., Sonett von Pisa 96, Angabe von dynamischen Vor- tragszeichen 10 4.

Basso continuo 69 f. , Spiel nach dem Continuo 80 f., Direktion nach dem Generalbaß 99, 161 f., 165 f. (siehe auch Klavierdirektion!, Ende der Generalbaßzeit 255 f., 257, 263.

Becker, C, 44.

Beethoven, Ludwig v., 177 (Anm.), 253, 25 4, 255, 265, 266, 267, 269, 271, 280, 285, 286, 289, 291, 294, 299, 303, 318, 319, 320, 321, 322, 328, 329, 330, 332, 334, 335, 338, 339, 341, 342, 344, als Dirigent 267 f., Orchesterbesetzung bei den Proben zur 7. und 8. Sinfonie 302, 304.

Bekker, Paul, 276, 343.

Bellermann, Fr., Anonymi Sriptio de musica 7 f.

Bemerkungen eines Reisenden 179, 204, 257, 258, Orchestertafeln 188, 189, 202.

Benda, Franz, 264, als Violinspieler und Konzertmeister 207 f.

Bentheim-SteinfurtischeKapelle 181.

Bericht über eine Osterfeier in Ingel- heim 17.

Beringer, Maternus, über die Takt - Stockdirektion 88, über Verteilung von Auf- und Niederschlag in den Taktarten des 1 7. Jahrhunderts 90 f.

Berliner Hoforchester, Besetzungs- etat (vom Jahre 1754, 1782, 1787) 179, Berliner Liebhaberkonzert (Or- chestertafel) 188, 189, 198, 200, Berliner Orchestervortrag 207 f., Opernorchester in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 304, Stellung der Instrumente 314, 315.

Berlioz, Hector, 125,270,276,288, 294, 296, 297, 300, 301, 317, 318, 321, 322, 328, 330, 332, 333, als Dirigent 323 f., über die Orchester- besetzung in Deutschland 304, über die Stellung der Instrumente 313, 319, über die Tempoführung in Deutschland 317, über das Diri- gieren 325 f.

Bermudo 35, 41, 70, Taktstock- direktion 43, 44.

Berno von Reichenau 30.

Biedermann, ein teutscher 178, 182, 183, 201, 257, Betrachtungen über die Direktion einer Musik 173 f., Besetzung der Bässe im Orchester 185, Aufstellung des Or- chesters 186, Tempo rubato 207, Berliner Orchestervortrag 208.

Biedermann, Joh. Gottl., Rektor 159.

Bischoff, Kantor 271, 308.

Blahozlav, J., 4 6, Taktstockdirek- tion 43.

Blaze de Bury, Henry, 323.

Boetius 12, 27, 68.

Bonn, Churf. Kapelle 181.

Bononcini, Giovanni Maria, 96, Taktlehre 76, 91.

Bontempi, Andrea, Taktdefinition 87, Lehre von der Einteilung der Noten auf Nieder- und Aufschlag 91, Nachricht von unfähigen Diri- genten 1 1 2.

Borde, La 153.

Bordier, Abbe Louis-Charles, 135.

Bortoli, Anton., 124.

Boßler (Herausgeber der Mus. Real- zeitung) 251.

Boticelli, Sandro, 40, 61.

Bottrigari, Ercole, 44, 77.

B r a n i c k i , Graf in Polen, Etat seiner Kapelle 180.

Namen- und Sachregister.

347

Bratsche, schwache Besetzung der B. im 18. Jahrhundert 183 f., Be- setzung im 19. Jahrhundert 303 f.

Brenet, Michel, 126.

Breslauer Kapelle 180.

Briefe zur Erinnerung an merkw. Zeiten 171, 179.

Brossard, Seb. de, Unterscheidung der Tripeltakte 119. Definition des »Ondeggiandc-c 123, 128, dyna- mische Vortragszeichen 214.

Brosses, Charles de, Unterschei- dung von Kirchenmusik- und Opern- direktion in Italien 154, Nachricht von großen Orchesterbesetzungen in Italien 183, von der Crescendo- und Decrescendomanier 217, 218.

Buchner, Fundamentbuch 53.

Bücher, Karl, 2.

Bülow, Hans von, 291, 301, als Dirigent 342 f.

Burgmüller, Norbert, 286.

Burmeister, Joachim, 61, 62.

Burney, Karl, 178, 183, 209, 216, 250, 251, Orchester- und Chor- stellung bei der Londoner Hiindel- feier 196, 199, Benda als Violin- virtuose 208.

Buxtehude, Dietrich, 72.

Caccini, Giulio, 213, über dyna- mische Vortragseffekte 105.

Caffi 61.

Caldara, Antonio, 155.

Calvisiana 61.

Calvisius, Sethus, 69.

Ca mpra, Andrej 135.

Cange, Du 20.

Cannabich, Christ., 209.

Capella, s. Martianus.

Carissimi, Giacomo, 70, 120, über Tempoführung im 17. Jahrh. 107 f.

Ca r 1 , Prinz und Markgraf, Etat seiner Kapelle 179.

Carmina, Adhelmi, 23.

Carpentras, Eleazar Genet, 50.

Caspari, Wilhelm, 231.

C assiodorus 12. 27.

Castiglione, Baldassare, 69, 103.

Castil Blaze 125.

Cavaliere, Emilio, 77.

Gavalli, Francesco, 71, 78, 340.

Cedrenus, Nachricht von der Cheiro- nomie 20.

Cerone, Pedro, 87.

Cesti, Marc' Antonio, 71, 78, 79, Orchesterbesetzung einer Serenata 85, Orchesterbild von der Auffüh- rung des >Pomo d'orot 85.

Chamilon, Neumenfigur 19.

Cheironomie bei den alten Kultur- völkern 2 f., 20, in der christ- lichen Musik 12, 17 1'., in St. Gallen, Mainz, Mailand und Monte Cassino gebräuchlich 17 f., in Griechen- land 19 f., Cheironomie und Sprach- akzente 22 f. , Cheironomie und Neumensch rift 24 f., Cheironomie- zeichen in den Papadiken 25 f.

Cheironomikos, der cheirono- mierende Dirigent 18.

Cherubini, M. Luigi, 281, 285, 286, 319.

Chopin, Fr., 318, 328.

Choquet, (Henri Louisj, 145, franzö- sische Taktierform 133 f., Vor- schläge, die Direktionsbewegungen ohne Lehrer zu erlernen 134 f., vom Pointieren 139, Tempobestimmung 225, 226.

Choralnotenschrift, s. Neumen, viereckige Choralnoten 35.

Chorbesetzung im 15. u. 16. Jahr- hundert 60 f.

Chor buch, Anlage im 15. und 16. Jahrhundert 63, ebd. Direktion aus dem Chorbuch.

Chorführer der Griechen 9 f.

Christ, W. und Paranikas, 2.

Chrono s protos in der griechi- schen Musik 5, 38.

Chrysander, Fr., 2, 257.

Chybinsky, Adolf, 43, 61.

Clement, Franz, 266.

Cochläus 61.

Coclicus, Adrian Petit, 62.

Colasse, P., 226, 227.

Con ducto r 262.

Conrad, Kaiser 17.

Cons tit utio nes Lichefeldenses, über das Amt des Kantors (Präzen- tors) und Succentors 21.

Cornelius, Peter, 329.

Corrette, Michel, 119, französische Taktierform 135, pointierter Vor- trag in der französischen Musik- übung 136, 138, 141, Taktschlagen in der italienischen Chormusik 154.

Corvinus, Joh. Michael, 88, 110, Nachricht vom lautlosen Takt- schlagen 115.

Cotto, Johannes, über die Unsicher- heit der Neumenschrift 27, 28.

Coussemaker 23, 35, 38, 39.

Cousser, Joh. Sieg., als Dirigent 250.

348

Namen- und Sachregister.

Cramer, Karl Friedrich, 125, 151, 156, 173, 179, 180, 181, 243, 251, 258, Berliner Orchestervortrag 208, Tempoführung 247.

Crappius, Andreas, 76, Taktdefini- tion 86.

Crescendo (und Decrescendo) in der Renaissance-Literatur 105 f., im 18. Jahrhundert 21 3 f., Spezialität des Mannheimer Orchestervortrags 209, im Berliner Orchesterspiel 264.

Cristofori, Bartol., 216.

Cruce, Petrus de, Musikbeispiel 51.

Crüger, Joh., 91.

Cup hos, Neumenfigur 19.

Dard 119, pointierter Vortrag 138, 139.

Darmstadt, Opernorchester in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 304, Stellung der Instrumente 31 3, Musikfest in D. , Orchester- und Chorstellung 311, 312.

Dauvergne, Direktor 126.

Davantes, Pierre, 54, Taktdefinition 46.

David, Ferdinand, 170, 257, 287, 293, 298.

Debussy, Claude, 117.

Decrescendo, s. Crescendo.

Dedekind, Henningus, 48.

Deldevez, E. M. E., 296, 319, 321, 322.

Demantius, Chr., 76, 84, über den Tripeltakt 75.

D e m o t z (de la Salle), Taktlehre 1 1 9, französischeTaktierform 1 32 f., poin- tierter Vortrag 1 38 f., Taktieren nach ganzen Takten 150, Tempobestim- mung 220 f., Tempovorschriften 221.

Desponsatione, s. Justinus.

Devrient, Ed., 261, 283, 284, 288.

Diaconus, Johannes, 16.

Dies, Alb. Christ., 172.

Diodor von Tarsus, Nachricht von der frühchristlichen Kirchenmusik 14.

Direktionsstimme 164 f., 319 (siehe auch Basso continuo und Klavierdirektion).

D iruta, Girolamo,76, Taktdefinition 87, Beispiel für die Taktierbewe- gungen 92 , Tempomodifikation 110.

Discantus positio vulgaris 35.

Dissonanzen als Kennzeichen für die Affektbestimmung 237 f.

Dittersdorf, Ditters v., 183, 204.

Döbbelinsche Schauspielgesell- schaft 180, 183.

Dörffel, Alfred, 179,284, 286,289, 294, 333, Orchestertafel 187.

Doles, Joh. Fried., 159.

D o n i , Giov. Batt., 84, über das Takt- schlagen bei einer Opernaufführung 85 , Anordnung der Aufführung 86.

Doppeldirektion im 18. Jahrhun- dert 170 f., 262.

Dorn, Heinrich, 275, 276, 277,278, 296, 303.

Dresdener Hoforchester, Besetzung (im Jahre 1753, 1756, 1783) 179, (in der ersten Hälfte des 1 9. Jahr- hunderts) 303 f., Orchesterstellung in der Oper unter Hasse 200, in der Dresdener Hofkirche 305 f., bei Konzertaufführungen auf der Bühne 308, in der Oper (erste Hälfte des 1 9. Jahrhunderts) 31 2,31 3, Dresdener Orchestervortrag im I S.Jahrhundert 205 f.

Dreßler, Ernst Christ., über die Orchesterbesetzung 184, Gegner des Spiels mehrerer Instrumente bei den Orchestermusikern 193.

Dreßler, Gallus, 52.

Dunstaple, Musikbeispiel 51.

Dupont, Henri Bonav., französische Direktionsform 1 32, Nachricht von der jambischen Taktierform des Dreitakts 132, 144.

Dynamik in der a cappella-Literatur 62, in der Renaissanceliteratur 1 0 4 f., im 18. Jahrhundert 211 f., im 19. Jahrhundert 316, 337 (s. auch die Dirigenten-Charakteristiken).

Eckard, Joh. Gottfr., 318.

Eckardt, Jul., 287, 289,290,293, 320.

Eckert, Karl, 270.

Ecorche ville, Jules, 96.

Einführung griechischer Lehren in die Theorie des Gregorianischen Chorals 29 f.

Einrichtung von Werken der a cappella-Zeit für Instrumental- und Vokalmusik 100 f., Einrichtung der Werke des 17. Jahrhunderts 101 f.

Einstimmen der Instrumente 203 f.

Einstudieren der Orchester- musiker 205 f., 210.

Ekkehard IV. aus St. Gallen 17.

Elwart, A., 319, 321.

Epitaphium des Seikilos, Taktbe- zeichnung und Direktion 9 f.

Namen- und Sachregister.

349

Erculeo, Marzio, Nachricht von einer lautlosen, nicht sichtbaren Führung des Chorgesangs H5.

Eschenb ur g 183.

Esterhaz, Kapelle in, 182.

Euclit 95.

Eyck, Genter Altarwerk 40, 41, 61.

Faber, Heinrich, Taktdefinition 47, Nachricht vom Minimentakt 52, vom Einteilen gleichzeitig auftreten- der verschiedener Takte 58, 59.

Fabian, Stadtmusikus (Pseudonym) 260, 261,

Falck, Georg, 74, Taktdefinition 89.

Farinelli, Christ., 204.

Fattorini, Gabriel da Faenza, 71.

F e 1 sz t y n , Seb., bildliche Darstellung in seinem Musikbuch 61.

F6tis, F. J., 2, 260, 328.

Fe ußner 5, 6.

Fiedler, Max, 344.

F i n c k , Hermann, 51,54, 62, Nachricht vom gleichmäßigen Taktschlagen 54 f., Bild von einer Musikaufführung mit Instrumentalbegleitung 66.

Fleischer, Oskar, 2, 19, 20, 23, 26.

Forkel, Nicolaus, 179, 180, 181, 182, 183, 257, 279, Aufsatz über die Direktion einer Musik 172.

Franken hausen, Musikfest 271, 310, Orchesterbesetzung 304, Or- chesterstellung 308 f.

Freschi, Domenico, 78.

Frescobaldi, Girolamo, 71, 74, 76, über das Retardieren 93, über die Tempomodifikation 109.

Friderici, Daniel, 87, Nachricht von der Taktstockdirektion 88, vom Retardieren vor dem Abschluß eines Musikstücks 93, von der Tempo- modifikation 109 f., Protest gegen den Taktierlärm 111 f., lautloses Taktieren 115 f.

Friedrich der Große 207, 264.

Friedrich Heinrich v. Schwedt, Etat seiner Kapelle 180.

Friedrich Wilhelm III. 274.

Führung durch den Vorsänger 2, 21, 22, 31, 38 f., 115.

Fürstenau , M., 179.

Fuhrmann, Martin Heinrich, 71, 1 1 9, getrennte Aufstellung der Chöre bei einer Kirchenmusik 155, Pro- test gegen den Taktierlärm und praktische Vorschläge für die Direk- tion 156, 157, Definition des mezzo piano 214, Tempobestimmung 220, Taktarten-Charakteristik 237, 238.

Funccius, Fredericus, 76. Fundament - Instrumente im

17. Jahrhundert 69 f., 77 f., 80 f. Fux, Joh. Jos., 155, 160, 199.

G. G. G., Taktierfiguren des Gruppen- takts 150.

Gabrieli, Andrea, 104.

Gafurius 35, 40, Dauer des ein- maligen Nieder- und Aufschlags 54.

Gagliano, Marco da, 71, 77.

Galilei, Vincenzo, Vorkämpfer der Renaissancebewegung 103.

Ganassi, Sylvestro di, 62.

Gaspari, Gaetano, 115.

Gassner, F. S., 273, 305, 306, 307, 308, 313, Buch über das Dirigieren 298 f., 31 6f., 327, 339.

Gaviniö 126.

Gebauer, Franz Xaver, 265.

G ehr mann, Herrn., 153 (Anm. 6).

Geminiani, Franc, Zeichen für An- und Abschwellen des Tones 213.

Generalbaß, s. Basso continuo.

Gerbers Lexikon 179, 183, 206, 264, 265.

Gerbert, Martin, 13, 14, 16, 18, 19, 21, 22, 23, 27, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 39, 42, 48.

Gerle, Hans, Nachricht vom gleich- mäßigen Taktschlagen 55 f.

G esner, Herausgeber des Quintilian 5, 23, 160.

Gespräch von der Musik (Voigt) 158.

G evaer t, F. A., 11.

Giornale de' Letterati 216.

Glasenapp, C. Fr., 341.

Gluck, Chr. (Ritter v.), 253, 264, 265, 278, 299, 300, 322, 335, 340, als Dirigent 251 f.

Goar, Euchologium graecum 19.

Goldschmidt, Hugo, 78, 79, 84, 106.

Gorius, Franc, Herausgeber der Werke Donis und Pietro dellaValles 84, 86.

Gothaer Kapellmusik 180, 183.

Goudar, Ange, Protest gegen den Taktierlärm in der französischen Oper 125, Unterscheidung von Kirchenmusik- und Operndirektion in Frankreich 154.

Graun, Joh. Gottl., als Konzert- meister 207, 208.

Graun, Karl Heinr., 161, 169, 171, 175, 247,264, Orchesterstellung in der Berliner Oper 202, als Kapell- meister 207.

350

Namen- und Sachregister.

Gregor der Große 12, 15, 16.

Grenser, Carl Augustin, Flötist im Gewandhausorchester 287.

Gr6try, Andre, 125.

Grimm (Friedr. Melch.), Baron von, 200, Protest gegen den Taktier- lärm 125.

G r u b e r , Erasmus, 87. Theorie über Beginn und Ende des Takts 94, Tempomodifikation 110.

Guerin, C, 153.

Guhr, Karl W. Ferd., 297, 317.

Guido 13, 31, 36, Rhythmenlehre 27, 29 f. , Taktschlagen in metri- schen Gesängen 30.

Guido tti, Aless., 77.

Guiliani, Francesco, 71.

Gyrowetz, Adalbert, "Violindirigent 171 f.

Habeneck, Anton Franz, 165, 257, 290, 294, 323, 324, 330, 334, als Dirigent 31 9 f., Orchesterbesetzung und -Stellung 319.

Haberl, F. X., 42, 60, 97.

Händel, G. Fr., 183, 186, 196, 197, 214, 219, 254, 298, 304, 305, als Kapellmeister 251.

Hahn, Hermann Joachim, 178, Or- chester- und Chorstellung 195.

Haiden, Hans, über Tempomodifi- kation 110.

Hals, Franz, bildliche Darstellung 96.

Handwörterbuch, Musikalisches 219, 223.

Hanemann, Moritz, 276, 277.

Hanslick, Eduard, 177 (Anm.), 262, 265, 266, 268, 269, 270, 305, 331.

Harnack, Herausgeber des Diodor 14.

Harnisch, Otto Sigfr., 76.

Hase, Wolfgang, 74, 87, 92, Nach- richt von der Taktstockdirektion 88.

Hasse, Joh. Ad., 161, 171, 175, 264, 310, Orchesterstellung in Dresden 199, 200, 201, als Kapellmeister 206 f., Dynamik 206, 214.

Haßler, H. Leo, 75.

Hauptmann, Moritz, 273, Gegner der Taktstockdirektion 260.

Hauschka, Vinc, 265.

Hausegger, Siegmund v., 344.

Hauser, Franz, 260, 273.

Haydn, Joseph, 169, 253, 254,25:;, 261, 262, 266, 271, 286, 290, 293, 305, 318, als Klavierdirigent 172.

Hayter, J., 153 (Anm. 6\

Hefner, J. v., 44.

Heinichen, Joh. Dav., 258, Affekten- lehre 230, Affektendarstellung 234 f., Charakter des i2/8-Takts 238.

Heinrich, Prinz von Preußen, Etat seiner Kapelle 179.

Helfert, Wladimir, 44.

Hellmesberger , Georg, (d. ältere) 269, 270.

Hell w ig, Regisseur 280.

Hensel, S., 284, 288, 289,290,297, 319, 320.

Herbing, Valentin, 255.

Herbst, Joh. Andreas, Erklärung dynamischer Vortragszeichen 105.

Heuß, Alfred, 214, 231.

H e y d e n , Sebald, Taktlehre 53, Musik- beispiel 56 f., 59.

Hieronymus,de Moravia, Definition des cantus planus 35, Nachricht vom Präzentor 38 f.

Hilfsmittel bei der Taktangabe 45, 88 f., s. auch: Taktstockdirek- tion.

Hiller, Ferdinand, 278, 284, 285, 286, 288, 299, 317, 320, 324, als Dirigent 298.

Hiller, Joh. Adam, 119, 142, 150, 153, 158, 177, 179, 183, 206, 207, 213, 251, 285, über die französi- sche Taktstockdirektion 1 26, Gegner der französischen Taktierform 141, Nachricht von der italienischen Direktionsform 143, von der Direk- tion des Dreitakts 143, 144, von der Recitativbegleitung 168, Or- chester- und Chorstellung bei der Messias-Aufführung in Berlin 197, 198, Tempoführung 229, 241, An- hänger der Affektenlehre 230, Kritik der AfTektentheorie Heinichens 235, als Dirigent 250.

Hirzel, Bruno, 60.

Histoire du theatre de l'academie royale 125.

Hizler, Daniel, über die Einteilung der Noten auf den Nieder- und Aufschlag 90/91, über die Taktier- bewegung im Tripeltakt 95.

Hoffmann, Christian, 72, 92, Bild- liche Darstellung einer Unterrichts- stunde 88.

H o f f m a n n , Euch., 52, Taktdefinition 47, Resolutio des ungeraden Taktes 59.

Hof mann, Anton, 177.

Holz, Carl, 269.

Holzbauer, Ign., 264.

Namen- und Sachregister.

351

H o n o r i u s , Augustodunensis, Nach- richt vom Präzentor 20, vom Diri- gieren 22, vom Kantorstab 42.

Hoplit, Pseudonym für Rieh. Pohl 261, 332 (s. Pohl).

Hostinsky, Ot., 44.

Hotteterre, Louis, über den poin- tierten Vortrag 137 f.

Hucbald, 27, 31, 36, Rhythmenlehre 28 f., Taktschlagen im Unterricht 30, Organum 32.

Hummel, Joh. Nep., 269.

Hymnus, delphische 9, des Meso- medes 10, Hymnen des Gregoria- nischen Chorals 15, taktmäßige Ausführung 30 f.

Improvisation im Orchesterspiel des 17. Jahrhunderts 79 f.

Instituta patrum de modo psallendi 21.

Instrumentalbegleitung in den Werken der a cappella-Zeit 39, 65 f.

Instrumentenspiel im 4 7. Jahr- hundert 78 f.

Intervalle als Kennzeichen zur Affektbestimmung 237.

Inversion der Taktzeichen 76, 1 1 8.

Jacches de Werth 100.

Jacquot, Albert, bildliche Darstel- lung einer Musikaufführung 97.

Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag 177.

Jan, Carl v., 5, 9.

Janowka, Thomas Balthasar, 149, 221, Lehre vom Taktschlagen 145 f., Definition des mezzo piano 214, Generalaffekte 222, Taktarten-Cha- rakteristik 238.

Jommelli, Niccol., 175, 216, 217, 219, 253, 254, als Dirigent 251.

Jonicon, Neumenfigur 19.

Jos quin d. Pres, Musikbeispiele 51, 52, 56 f.

J o s q u i n , Jan, böhmischer Priester4 4 .

Jumilhac, Pierre Benoit 35.

Junker, Carl Ludwig, 162. 178, 186, 194, 203, 20 4, 282", 299, Theorie einer neuen Direktionsform des Gruppentakts 1 51 f., Unterscheidung von Kirchenmusik- und Opern- direktion 154, Vorschläge für die Aufstellung eines Orchesters 190 f., Nachricht von der Chor- und Orchesterstellung in Mannheim 198, 199, über das MannheimerOrchester- spiel209, Tempoführung 233, 242 f., Politik desKapellmeisters 249 f., 251.

Justinus aDesponsatione, Anhänger der italienischen Direktionsform des Gruppentakts 142f., 144.

Kade, Otto, 42.

Kämpfer, Joseph, 251, 252.

Kaiser, Georg, 281.

Kalkbrenner, Christ., 1 19, moderne Taktierfigur des Gruppentakts 151, Tempo rubato 207, über die Cre- scendo- und Decrescendo-Zeichen 218, Taktdefinition 223.

Ka l liwoda, JohannWenceslaus, 286.

Kandier, Franz S., 310.

Kanonarch, der Chorführer in der griechischen Kirche 20.

Karl der Große 15, 32.

Kassel, Hofmusik 181, Opern- orchester in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 304, Stellung der Instrumente 312, 313.

Kienle, Ambrosius, 17, 18, 19,20, 22.

Kilian, Bartholomäus, Darstellung einer Musikaufführung unter freiem Himmel 88, 160 (Anm. 4).

Kilian, Wolfgang, Bilderzyklus der neun Musen 88.

Kinkeldey, Otto, 39, 61, 63, 68, 69, 70, 71, 77, 79, 80, 85, 141.

Kircher, Athanasius, 94, Hilfsmittel bei der Taktangabe 88 f., Tempo- modifikation 1 10.

Kirnberger, Johann Philipp, 118, 238, 240, 257, über das Kapell- meisteramt 171.

Klavierdirektion im 17. Jahrhun- dert 70, 76, 79 f., 84 f., 122, im 18. Jahrhundert 128, 154 f., 160, 161 f., 172 f., im 19. Jahrhundert 256 f.

Kleefeld, Wilhelm, 199.

Klein, Joh. Jos., 162, 219.

Klemm, Mitglied und Dirigent der »Gesellschaft der Musikfreunde«269.

Kien gel, Moritz Gotthold, 287.

Klingemann, Karl, 285.

Koch, Heinr. Christ., 152, 170, 183, 184, 186, 204, 302, 303, Unter- scheidung von Kirchenmusik- und Operndirektion 155, Kapellmeister- und Konzertmeisteramt 171, Or- chesterstellung 200 (Anm.).

König, Übersetzer des Scipione Maffei 216.

Konzertmeister, Titel des Violin- direktors 170, Leiter der Instru- mentalmusik 170, 171, 172f., 177, Stellung im Orchester 1 88 f., Bildner des Orchestervortrags 205 f., 209 f.

352

Namen- und Sachregister.

Krause, Gottfried, 250.

Krebs, Karl August, 297, 317.

Kretzschmar, Hermann, 230, 231, 234, 255.

Kretzschmar, Johannes, Takt- zeichen in der Renaissance-Litera- tur 7 4, Taktarten des 4 7. Jahrhun- derts 75.

Krille, Kapellmeister 271.

Krommer, Franz, 267.

Kroyer, Theodor, 52, 105.

Kühn au, Joh. Christoph, 156.

Kuhn, Max, 106.

Lachner, Franz, 286, 297.

L'Affillard, pointierter Vortrag in der französischen Musikübung 137, Tempobestimmung 224, 225.

Lagarde, dynamische Vortrags- zeichen 218.

La Mara 332.

Lambert, Saint, 135, 145, 149, 150, 1 53, 227, Taktlehre 1 1 9, neue Direk- tionsform des Gruppentakts und Lehre vom Taktschlagen 128 f., pointierter Vortrag 138, 139, Titel- bild seiner Klavierschule 153, Tempobestimmung 220, 224.

Lamentationes Jeremiae, 23.

Lampadius, W. A., 286, 288, 289, 290, 291.

Lan di, Stefano, 78.

Lannoy, Eduard, Baron v., 265, 269.

Laser, Arthur, 332, 335, 342.

Lassus, Orl., 100.

Laurenzi, Fil., 101.

Lavoix 42, 44.

Leader 262.

Leclercq, Herausgeber des Jumil- hac 35.

Leichtentritt, Hugo, 85,93, 109.

Leipziger Konzertgesellschaft, Or- chesterbesetzung 179, Orchester- tafel 187,200, Konzerte unter Hiller, Orchesterbesetzung 179.

Leo der Große 16.

Lettre sur le mechanisme de l'opera italien, Verteidigung der französi- schen Operndirektion 125.

Levi, Hermann, 344.

Liberati, Antimo, Nachricht von den Aufführungen der Päpstlichen Kapelle im 17. Jahrhundert 115.

L i e b i c h , Theaterdirektor in Prag 281 .

Liederhandschrift aus dem Jahre 1592 (Nürnberg), bildliche Darstel- lung einer Musikaufführung 66.

Lindpaintner,P. Josef v., 297, 317.

Lingke, Georg Friedrich, 237.

Liszt, Franz, 272, 288, 318, 324, 325, 335, 338, 34! , 342, 343, als Dirigent 328 f.

Löhlein, Johann Simon, 169, 224, 240, Taktschlagen in der Kirchen- musik 154, Protest gegen den Tak- tierlärm 15S, über die Crescendo- und Decrescendo - Zeichen 218, Tempovorschriften als Charakter- bezeichnung 222.

Lombardini, Magdalena, 213.

London, Salomon-Haydn-Konzerte, Orchesterbesetzung 182.

Lorenzoni, Antonio, Unterscheidung einer französischen und italieni- schen Direktionsform 124, 136.

Lossius, Lucas, 51.

Lotti (Sängerin) 207.

Louliö, Etienne, 150. 221, Taktlehre 119, Lehre vom Taktschlagen nach italienischen Grundsätzen 127 f., Tempobestimmung 224, 225.

Lucca della Robbia 40.

Lucianus, Nachricht vom Fußtak- tieren 5.

Lully, Jean-Baptiste, 120, 138, 141, 178, 225, 226, 227, Taktstockdiri- gent 124 f., 126, als Kapellmeister 250 f.

Lusitano, Vincentio 115.

Maffei, Scipione, 216.

Magirus, Johann, Taktdefinition 87, Taktstockdirektion 88, Chorführung ohne sichtbares Taktgeben 116.

Mahler, Gustav, 305, 344.

Mainz, Churf. Hof- u. Kammermusik 181.

Malvezzi, Cristofano, 77.

Mannheim, Aufstellung von Chor und Orchester 198, 199, 310, Or- chesterspiel 209, 217, 218, 219. Orchesterbesetzung 1 82.

Maria, Sancta, 48, 141, lautloses Taktschlagen 44, 45, Taktschlagen der Instrumentalisten 46.

Marini, Biagio, Anwendung des Wortes >Tremolo« 103, Tempo- vorschriften 221.

Marpurg, Fr. Wilh., 126, 143, 145, 158, 179, 180, 181, 182, 206, 221, 239, 257, Taktlehre 119, Übersicht über die verschiedenen Taktier- formen des Gruppentakts 148 f., Taktieren schneller Rhythmen 150, Tempo rubato 207 , Crescendo- definition 219, AlTektenlehre 223, Tempomodifikation 248.

Namen- und Sachregister.

353

Marschner, Heinrich, 297.

Martenius, Nachricht vom Amt des Präzentors und Succentors 21.

Martianus Capeila 8, 12, 27.

Marx, Adolf Bernh., 252, 253, 275, 276, 296, 298, 303, 315.

Massenorchester im 18. Jahrhun- dert 183.

Matthäi, H. Aug., 170, 173, 257, 285, 286.

Mattheson, Johann, 89. 96, 118, 120, 154, 171, 216 (Anm.)', 250, 251, 253, 258, 2S2, Verteilung der Noten auf Nieder- und Aufschlag 121, Gegner der französischen Taktier- form 141, Nachricht von neuen Direktionsmethoden 143, von der Choraufstellung in der Kirche 155, 194, Protest gegen den Taktier- lärm und praktische Vorschläge für die Direktion 15 8, 159 f., über die Violindirektion 175, Orchester- stellung 186, 194, Einstimmen der Instrumente 204, Tempoführung 21 9 f., Tempovorschriften als Cha- rakterbezeichnung 222, Affekten- theorie 230, Stilistik 233 f., Themen- erfindung 235, Tonartencharakte- ristik 236 f., Ausdruckswert der Taktarten 238, Affektendirektion 239 f., Politik des Kapellmeisters 250.

Maurus, s. Terentius.

Mayer, Jos. Friedr. Bernh. Caspar, Titelbild seines Musikbuchs 153.

Mazzocchi, Domenico, 101, 213, Angabe dynamischer Vortrags- zeichen 105 f.

Mecklenburg-Schwerin sehe Ka- pelle 181.

Mehrstimmigkeit im Choral 32 f.

Meibom, Herausgeber griechischer Schriftsteller 8.

Meißner, A. G., 153.

Melli 101.

Mendelssohn, Felix, 253, 259, 260, 261, 262, 273, 278, 295, 297, 298, 299, 303, 305, 317, 319, 320, 321, 324, 326, 329, 330, 336, 341, als Dirigent 283 f., 301.

Mennicke, Carl, 179, 183, 209, 214, 216.

Mensuralmusik 29, 35, 36 f.

Mersenne, Marin, 94, Taktführung 87, Hilfsmittel beim Taktschlagen 89, Tempomodifikation 1.10, Taktie- ren der Instrumentalisten 169. Mesomedes, Hymne 10. Messa di voce 106, 213 f.

Kl. Handb. der Musikgesch. X.

Metastasio, P., 234.

Mettenleiter, Dom., 42.

Meyerbeer, Giac, 274, 297, 298, 300, 315, 318, 323, 335, als Diri- gent 295 f.

Michel, Christian, 89.

Migne 17, 19, 20, 22, 30.

Mißbräuche beim Taktschlagen 43, 45 f., 111 f., 125 f., 156 f., 257, 266, 327.

Mizler, Lorenz Christ., 15 3, 181, Protest gegen den Taktierlärm 1 56 f.

Mocquerau, Dom., 23, 24.

Moduslehre der Mensuralisten 36.

Moser, Karl, Konzertmeister 274, 275, 289.

Molitor, Raph., 35, 61.

Momigny, Jerome de, Vorschläge für eine neue Direktionsform des Gruppentakts 152.

Monteclair, Michel Pignolet de, 135, 149, franzosische Taktierform 131 f., pointierter Vortrag in der franz. Musikübung 138 f.

Montesardo, Girolamo del, 101.

Monteverdi, Claudio, 71, 79, 85, 101, 340, Orchesterbesetzung des »Orfeoc 77 f., Erfindung des Tre- molo 103, Unterscheidung einer taktisch genauen und einer modifi- zierten Tempoführung 106, 109.

Morales, Christ., 115.

Morelli, Herausgeber der rhythmi- schen Fragmente des Aristoxenos 6.

Moscheies, Ignaz, 262, 293, 299.

Mosel, Ign. Franz v., 262, 265, 310.

Mottl, Felix, 344.

Mozart, Leopold, Tempoführung 229, 230, 241.

Mozart, Wolfgang, 169, 253, 254, 255, 265, 266, 271, 277, 278, 280, 286, 290, 317, 318, 326, 335, 338, 339, Klavier- undViolindirigent176.

Müller, Georg, Kapellmeister in Braunschweig 297.

Müller, J., 257.

München, Kgl. Kapelle, Orchester- besetzung (im Jahre 1815) 303, Orchesterstellung in der Hofkapelle 307, in den Odeonkonzerten 310 f., in der Oper 31 4 f.

Münster, Jos. Joachim Benedict,

118, 121, 141. Muf fat, Georg, Nachricht vom Fuß- taktieren in der Instrumentalmusik 112, vom pointierten Vortrag 141. Muris, Job. de, 22, 35. Murland, M., 323. Musicae rudimenta (1645) 89.

23

354

Namen- und Sachreejister.

Musiklexikon, Chemnitzer, über die Einteilung der Tripeltakte 1 20.

Musikzeitungen, Allg. Mus. Ztg. (Leipzig) 86, 176, 254, 256, 257, 258, 26!, 266, 271, 294, 303, 304, 308, 310, 317, 329, 333, 334, Allg. Deutsche Mus. Ztg. (Tappert) 153, 265, Witthauersche Zeitschrift 270, Neue Zeitschrift für Musik 260, 329, Allg. Mus. Ztg. (Leßmann) 276, 323, Süddeutsche Musikzeitung 86, siehe auch Rivista, Boßler.

Mylius, Wolfgang Michael, italieni- sche Direktionsform des Gruppen- takts 142, 144, dynamische Vor- tragszeichen 214, Crescendo und Decrescendo 215.

Naumann, Joh. Gottl., 153, 264.

Netscher, Kaspar, bildliche Dar- stellung ü6.

Neumen 12, Ursprung aus den Ak- zenten 22 f., Neumenschrift und Gheironomie 24 f., spätgriechische Neumen 25 f., die Neumierung des Gregorianischen Chorals als Ge- dächtnishilfe für die Sänger 27, Kritik der Neumenschrift 27.

Neusidler, Hans, Nachricht vom gleichmäßigen Taktschlagen 55.

Nicolai, Fr., 182, 208.

Nicolai, Otto, als Dirigent 269 f.

Niedt, Friedrich Erhardt, 70, 120, 121, 141.

Niggli, A., 296.

Nikisch, Arthur, 344.

Nisard, Herausgeber des Jumilhac 35.

Nohl, Ludwig, 176.

Onzembrav, Tempobestimmung

225 f. Operndirektion in Italien und

Deutschland 76 f., 126, 161 f., in

Frankreich 124 f. Orchesterbesetzung 66 f. , 77 f.,

178 f., 302 f., Orchesterspiel 65 f.,

79 f., 205 f., 210 f. Orchesterstellung 85, im 18. Jahr- hundert 185 f., im 1 9. Jahrhundert

305 f., 319, 340 f. Ordo Romanus 16. Organum 32, Direktion der Stücke

im Organalstil 32 f. Orgosinus, Heinrich, Taktdefinition

ü7, ebd. Taktstockdirektion. Ornament-Instrumente im

17. Jahrhundert 80 f. Ornitoparch, Taktdefinition 40, 47.

Ostersequenz >Laudes Salvatori« ihre Direktion 17.

Paganini, Nicolo, 318, 328.

Paisiello, Giovanni, 172.

Paleographie musicale 19, 23, 24, 152.

Palestrina 42, 1 15.

Pallavicino, Carlo, 78.

Papadiken, spätgriechische Neu- menformen 25.

Paris, Orchesterbesetzung in den Concerts spirituels und in der Oper (1754) 182, Orchesterstellung in den Pariser großen Konzerten und der Oper (1810) 310, 319.

Partiturspiel im 16. Jahrhundert 63.

Pauli, Walter, 264.

Paumann, Conrad, Fundamentbuch 70.

Pembaur, Josef, 335.

Pen na, Lorenzo, Beginn und Ende des Takts 95, italienische Gruppen- taktdirektion 122 f., 131, 142.

Peregrinus, Joh., 45.

Perfektion zweier Semibreven oder Breven im 17. Jahrhundert 74.

Pergolesi, Giov. Batt., 246.

Peri, Jacobo, 71, 77, 79, 85.

Petri, Sam., 162, 186, 203, 204, Pro- test gegen den Taktierlärm 158, Violindirektion 169 f., Orchester- besetzung 183, 184, Regeln für die Aufstellung von Chor und Orchester 192 f., Affektenlehre 231, 239, 247.

Petrucci 51.

Pfundt, Paukist im Gewandhaus- orchester 287.

Philipp de Vitry 87.

Philo mates 41, Taklstockdirektion 43, Mißbräuche beim Taktschlagen 45, 46, Chorstellung und Direktion 62 f.

Phrasierung, als Kennzeichen zur Affektbestimmung 237.

P i e t r o d e 1 1 aV a 1 1 e , über die Klavier- direktion im 17. Jahrhundert 85 f.

Pinturicchio, Bernard., 40, 61.

Pirro, Andrä, 231.

Pisa, Agostino, Theorie über Beginn und Ende der Battuta 94 f., Nach- richt vom lautlosen Taktschlagen 115, P. von Mattheson zitiert 121.

Pisendel, Johann Georg, 170, 207, als Konzertmeister 205 f.

Pleyel, lgnaz 267.

Pohl, C. F., 172, 182, 194.

Namen- und Sachregister.

355

Pohl, Rieh., 261, 294, 330, 332 (vgl. Hoplit).

Pohlenz, August, 285, 333, 334.

Pointer, pointierter Vortrag in der französischen Musikübung 1 3G f.

Poisson, Leonard, 35.

Politik des Kapellmeisters 249 f.

Pollux, Erklärung der ßdat; 4.

Prätorius, Christoph, 62.

Prätorius, Ernst, 48.

Prätorius, Michael, 84, 86, 104, 114, 224, Taktstrichabgrenzung in den Vokalstimmen 72 f, Taktzeichen in der Renaissanceliteratur 74 f. (ebd. Taktarten), Instrumentenspiel 80 f., Continuoausführung 83, 84, vom Retardieren vor Abschluß eines Musikstücks 93, Anordnung mehr- chöriger Musikwerke 97 f. Bild von einer mehrchörigen Aufführung 99 f., Einrichtung älterer Musik- werke 100 f., Erklärung dynami- scher Vortragszeichen 105, Tempo- modifikation 106 f., Tempobestim- mung 111.

Präzentor 20, 31, 39, sein Amt 20 f., Führung des Vorsängers bei Aufführungen, in denen nicht diri- giert wurde 1 I 5 f.

Preßburg, Kapelle des Kardinals 181.

Primicerius der Schola cantorum 16, 17.

Principii di musica, italienische Taktierform des Gruppentakts 1 23 f.

Printz, Job. Caspar, 422, Nachricht von der Taktstockdirektion SS, von Mißbräuchen beim Taktschlagen 89, von der Direktion mehrchöriger Musikwerke 99, von der Tempo- modifikation 440, Proteste gegen den Taktierlärm 1 1 2.

Prioli, Giov., 101.

Proch, Heinrich, 270.

Profe, Ambrosius, über Hilfsmittel bei der Taktangabe 88/89.

Psalmodie, Ausführung und Direk- tion 21.

Psellus, Taktgröße in der griechi- schen Musik 6.

Quagliati, Paolo, 85, 101.

Quartus der Schola cantorum 16.

Quantz, Job. Joachim, 182, 186, 193, 194, 195, 204, 207, 211, 240, 247, 253, 302, 316, französische Taktstockdirektion 126, agogischer Akzent 140, Aufführung der Fest- oper »Costanza e Fortezza« 155,

160, Beginn eines Musikstücks 4 62, Nachrichten von der Aufführung einer Musik und der Klavierdirek- tion 162, 163, 165, 168, 169, Dauer der Fermate 165, über den kompo- nierenden Kapellmeister 171, Vio- lindirektionl 76, Orchesterbesetzung 184, Aufstellung der Orchester 189 f., 200 f., Spiel der Ripie- nisten 204, Einstudieren der Mu- siker 205 f., 210 f., Dynamik 211 f., 21 4, Tempovorschriften 222, Tempo- bestimmung 224, 227f., 243, Wie- derholung eines Musiksatzes 227, Affektenlehre 230, 231, 239, Affek- tendirektion 232 f., 241, Affekten- bestimmung bei Instrumental- stücken 236 f.

Queisser, Carl Traugott, Posaunist im Gewandhausorchester 287.

Quintilian 5, 8, Cheironomie 23.

Quirsfeld, Johann, neue Taktter- figuren des Gruppentakts 145, 149, 150.

Raguenet, L'Abbe , über die Or- chesterdirektion in Italien 154.

Ramann, L., 330, 331, 332.

Rameau, J. Phil., 218.

Rarais de Pareia, Taktdefinition 39, 46.

Randharti nger, Benedikt, 269.

Raselius 52, Taktstockdirektion 41, 44.

Regensburg, Thurn und Taxische Kammermusik zu R. 181.

Reichard t, Joh. Friedr., 170, 175, 219, 232, 233,239, 247,253, 265,266, 267, 271, 274, 279, 300, 327, Orchester- stellung in derBerlinerOper2 02, über Pisendel als Konzertmeister 206, über Benda als Konzertmeister 207 f., über den Mannheimer Orchester- vortrag 209, über das Konzert- meisteramt 210, Afiektenbestim- mung 234, über Gluck als Diri- genten 251 f., R. als Dirigent 257, 258, 262, 264.

Reinhard, Chordirigent in Gotha 271.

Reischius, Musikbild in der Marga- rita philosopbica 42.

Reißiger, Karl Gottl., 292, 297, 298, 303.

Rellstab, J. Carl Fr., 202, 258.

Rellstab, Ludwig, 278.

Rellstabs Konzert für Kenner und Liebhaber 188, 4 94, Orchestertafel 189.

23*

356

Namen- und Sachregister.

Resolut io des ungeraden Taktes 59 f.

Retardieren in den Kadenzen und vor Abschluß eines Musikstücks 93.

Retzelius 94, Taktdefinition 87, Tempomodifikation 110, Nachricht von der Gruppentaktdirektion 122.

Reuling, W., 270.

Reutter, Karl Georg v., 213.

Rh au, Georg, Bildliche Darstellung in seinem Musikbuch 4 3, Erklärung des Taktschiagens im Breventakt 49, Nachricht vom Semibreventakt 52.

Rhythmus in der exotischen Musik 1 f., in der griechischen Musik 3 f. , im Gregorianischen Choral •12 f., Rhythmenlehren Guidos und Hucbalds 28 f.

Richter, Franz Xaver, Porträt 153.

Richter, Hans, 344.

Riemann, Hugo, 3, 9, 10, 13, 26, 39, 67, 140, 213, 302.

Riepel, Joseph, 89, Protest gegen den Taktierlärm 158.

Ries, Ferdinand, 262, 263, 267.

Rietz, Julius, 297.

Rivista musicale 153, 169.

Rochlitz, Friedr., 266, Anhänger der Klavierdirektion 176, 256.

Rolle, Carl, Protest gegen den Tak- tierlärm 158.

Rore, Cipriano da, 71.

Rosetti, Ant., 267.

Rossi, Michel Angclo, 78.

Rousseau, .1. J., 128, 153,154,171, 179, 185, 186, 199, 200, 206, 221, 225, 24S, Musikstücke im Fünftakt 118, Unterscheidung einer italieni- schen und franzosischen Taktier- form 124, 135 f., Proteste gegen den Taktierlärm in der französischen Oper 125, Anhänger der italieni- schen Direktionsbewegungen 135, Pointierter Vortrag 136, 141, Takt- schlagen in der griechischen Musik 152, Tempoführung 230, 240.

Rowbothan, John Frederick, 2.

Rudolph, Erzherzog 302.

Salieri, Ant., 266.

Salinas, Franciscus, Nachricht vom Taktschlagen in der Instrumental- musik 46, im Breventakt 49.

Salomon, Elias, 34, 35, 42, Direk- tion mehrstimmiger Sätze 32 f.

Salzburg, Kapelle des Erzbischofs 181.

Samber, Joannes Baptista, über die Vorzeichnung des */4- und Alla Breve-Taktes 120, italienische Tak- tierform 142, Tempoführung 220.

Sartorius, Erasmus, 71.

Sauveur 224.

Scaletta, Horatio, 76, 115.

Scarlatti, (Aless.), 152.

Scheibe, Joh. Adolph, 118, 154, 221, 238, über die Taktierfiguren des Dreitakts 144, über die Taktierform des 4/2-Takts 149, Protest gegen den Taktierlärm und praktische Vorschläge für die Direktion 156, 157, 241, Tempobestimmung nach der Uhr 224.

Scheidt, Sam., 75.

Schein, Joh. Hermann, 75.

Schering, Arnold, 39.

Scheurleer, D. F., 199.

Schicht, Joh. Gottfr., 285.

Schleinitz, Conrad, 284.

Schletterer, H. W., 251, 264.

Schmiedl, J. B., 265, 269.

Schneegaß,M. Cyriacus, 62, modifi- zierte Direktion 64 f., 102.

Schneider, Friedrich, 297.

Schneider, L., 502.

Schnerich, Alfred, 247.

Schobert, Johann, 255, 318.

Schöne, Alfred, 260.

Schola cantorum in Rom 16, ihre Bedeutung für den Choralgesang, Organisation 16 f.

Sehr öde r-Devrient, Wilhelmine, 334, 335.

Schubart, C. F. D., 216, 219, 251, über Em. Bach als Kapellmeister 161, über C. H. Graun als Kapell- meister 207, über Benda als Violin- virtuosen208, über das Mannheimer Orchesterspiel 209, über Gluck als Dirigenten 252.

Schubert, Franz, 253, 254, 269, 286.

Schubiger, Anselm, 17.

Schlich, Ernst v., 344.

Schlicht, J., 274, 295, 296.

Schütz, Heinrich, 72, 75, 102, An- gabe dynamischer Yortragszeichen 105.

Schulz, Christian, 285.

Schulz, J. A. P., 118, über die Dynamik 214.

Schumann, Robert, 291, über die Taktstockdirektion 260, über Men- delssohn als Dirigenten 2S6, 290 f.

Schuppanzigh, Ignaz, 177 (Anm.\ als Dirigent 266.

Namen- und Sachregister.

357

Schwarzburg-Rudolstädtische Kapelle 480.

Schweitzer, Albert, 231.

Scriabine 117.

Secundicerius der Schola canto- rum 4 6.

Seidl, Anton, 324, 335.

Seidler, Konzertmeister im Berliner Opernorchester 274.

Seiffert, Max, 186.

Selbständigkeit in der Arrangie- rung von Musikwerken des 4 7. Jahr- hunderts 4 04 f.

Semler, Christoph, Erfinder einer Taktiermaschine 167.

Se nesino 206.

Senfl, Ludwig, Musikbeispiel 50.

Sequenzen 34, Direktion 47.

Serenimpha, eine Neumenfigur 4 8.

Seyfried, Ign. v., 260, 266, 267, 272.

Sittard, J., 262.

Sixtus, Papst 16.

Somis, Giov. Batt., 208.

Spartieren eines Tonstücks im 17. Jahrhundert 71.

Speer, Daniel, 87, 149, Taktstock- direktion 88, Hilfsmittel bei der Taktangabe 89, Nachricht von schlechten Aufführungen 112, Vor- schläge für das Einstudieren der Singknaben 1 1 3, Nachricht von der modernen Taktierform des 12/s-Takts 144 f.

Sperling, Joh. Peter, 118, über die Vorzeichnung des Alla Breve-Tak- tes 120.

Spieß, Meinradus, 4 58, Taktlehre 419, Generalaffekte 222, Definition der Tempovorschriften 223, Affek- tenlehre 230, 235.

Spitta, Ph., 9, 153, 160, 165.

Spohr, Ludwig, 257, 259, 266, 267, 278, 280, 285, 298, 300, 303, 304, 308, 324, 326, 330, 336, Einführung der Taktstockdirektion in London 262 f., als Dirigent 274 f.

Spontini, Gasparo, 259, 265, 273, 282, 289, 300, 303, 318, 386, 340, als Dirigent 274 f., Orchesterstellung 3 13.

Staden, Siegmund Theophil, 92, über das Retardieren vor dem Abschluß eines Musikstücks 93.

Stamitz, Joh., 209, 348.

Stenger, Nicolaus, 70, 74.

Stößel, Joh. Christ, u. Joh. David, 420.

Strauß, Richard, 347, 343 f.

Subdiakon der Schola cantorum 17.

Succentor 20, 21.

Sulzer, Johann Georg, 118, 171, 185,

204, 214, 220, 221, 230, 233, 239,

240. Sylvester, Papst 16.

Tactus der Mensuralmusik 49 f.

Takt in der griechischen Musik 5 f., in der Mensuralmusik 37 f., 47 f., in der Renaissanceliteratur 73 f., 90 f., Theorien über Herkunft und Gestalt des Taktes 93 f., Taktlehre im 1 8. Jahrhundert 1 1 7 f., Taktarten als Kennzeichen für die Affektbe- stimmung 237 f.

Taktgröße in der griechischen Mu- sik 6 f.

Taktierform, alte 6 f., 47 f., 90 f., 4 21, italienische Taktierform des Gruppentakts 1 22 f., Unterscheidung einer italienischen und französischen Taktierform 124, 4 36, italienische Taklierform bei den Franzosen 1 27 f., bei den Deutschen 141, 142 f., fran- zösische Direktionsform 4 28 f., die Entwickelung der Taktierformen in Deutschland 142 f., Übersicht über die verschiedenen Taktierformen 148 f.

Taktrolle 89, 112, 113, 130, 453, 4 56.

Taktschlagen in der exotischen Musik 4 f., in der griechischen Mu- sik 4 f., im Gregorianischen Choral. 30 f., in der Mensuralmusik 36 f., in der Instrumentalmusik des 4 6. Jahrhunderts 46 f., in der Oper des 4 7. Jahrhunderts 83, in der Chormusik der Renaissance 86 f., 90 f., Beispiele für das Taktschlagen im 4 7. Jahrhundert 90 f., 92 f., Takt- schlagen bei der Aufführung mehr- chöriger Musikwerke 97 f., lautloses Taktschlagen 4 4 f., 444 f., Takt- schlagen im 1 8. Jahrhundert 4 24 f., in der Kirchenmusik des 18. Jahr- hunderts 154 f., im 19. Jahrhundert 300 f., 326 f.

Takt stock- Direktion, im 4 6. Jahr- hundert bekannt 44 f., der Kantor- stab als Vorläufer des Taktstocks 41 f., Gegner der Taktstockdirektion im 16. Jahrhundert 43, Taktstock- direktion im 1 7. Jahrhundert 86, 87 f., im 18. Jahrhundert bei den Franzosen 124 f., 153, 154, beiden Deutschen 153, im 4 9. Jahrhundert 258 f., 300, 326, 327, Einführung

358

Namen- und Sachregister.

der Taktstockdirektion in London 262 f., in Wien, Frankfurt a. M., Hamburg, Dresden, Leipzig262, 272, 280, s. auch Virga, Baculus.

Taktstriche in der Notation des

16. und 17. Jahrhunderts 70 f. Taktzeichen 37 f., 48, 52 f., 74 f., 118 f., 120 f.

Tartini, Giuseppe, 207, 208, über das messa di voce 213.

Telemann, Georg Philipp, 118, über den Beginn eines Musikstücks 162, 163.

Tempo in der griechischen Musik 10, im Gregorianischen Choral 21, in der Mensuralmusik 53 f., 64 f., in der Renaissanceliteratur 75, 102 f., 106 f., 111, im 18. Jahrhundert 21 9 f., Tempobestimmung nach den Notenwerten 107 f., 21 9 f., Tempo- vorschriften 107, 221 f., Tempobe- stimmung nach den Schwingungen eines Pendels 224, 225, nach der Uhr 224, 225 f., nach dem Puls- schlag 227 f., Tempomodifikation im 1 8. Jahrhundert 229 f., 236, 239 f., im 1 9. Jahrhundert 31 6 f., 326, 330 f., 338 f. (s. auch die Dirigenten-Cha- rakteristiken), schnelle Tempi in der vormärzlichen Zeit 31 7 f.

Tempo rubato 161 f., 207, 249.

Terentius Maurus 5.

Terska (Tenorist) 274.

Tertius der Schola cantorum 16.

Tessarini, Carlo, italienische Tak- tierform des Gruppentakts 124.

Tevo, Zaccaria, 96,118 128, über den Beginn des Takts 95, über die ita- lienische Gruppentaktdirektion 123.

Textunterlage zur Zeit des a cap- pella-Stils 61 f.

Thayer, A. W., 302.

Thomas, Christian Gottfried, 179.

Tigrini, Orazio, 48, 62, 115.

Tischer, Gerh., 5.

Tonartencharakteristik im 18. Jahrhundert 236 f.

Tosi-Agricola 207.

Triersche Hof- und Kammermusik zu Coblenz 180.

Türk, Dan. Gottl., 282, Taktlehre 120, Tempo rubato 207, über die Dyna- mik 211, Tempovorschriften 221, Tempobestimmung 224, Tempomo- difikation 241 f.

Tun der, Franz, 72.

Udalricus Monachus, de prae- centore 20.

Ulrich, Bernhard, 104, 105, 106. Umlauf, Ign., 177, 266. Urhan, Chr., 328.

Valentin, Caroline, Beschreibung einer bildlichen Darstellung (aus dem Jahre 1612) 97.

Valle, s. Pietro.

Vanneo, Stef., 45, 95, 121, lautloses Taktschlagen 44, Taktdefinition 46, 88.

Veracini, Franc, 208.

Viadana, Ludovico Grossi da, 114, über die Ausführung des Continuo 83, über dieDirektion mehrchöriger Musikwerke 97, 14 6.

Vicentino, Nicolo, 62.

Violindirektion 1 69 f., 172, 174, 175f., 177, 209f., 256f., 319.

V i o 1 i n d i r e k t o r, s. Konzertmeister.

Virdung, Sebastian, 70.

Virga pastoralis 18.

Vivaldi, Ant., 211.

Vogel, Emil, 68, 77, 78, 101, 102, 103, 104, 106.

Vogelsang, Taktstockdirektion 41, 44.

Vogler, Abt 151, 216, 264, dyna- mische Vortragszeichen für Cre- scendo und Decrescendo 218.

Vollbach, Fritz, 214.

Volum ier, J. Bapt. , als Konzert- meister 205, 206.

Vorsänger s. Präzentor.

Vorschläge für das Übertragen von Musikwerken der a cappella- Zeit 53, 67 f.

Vortragszeichen im 17. Jahr- hundert 1 0 4 f., im 18. Jahrhundert 206, 211 f., 213 f., 21 8 f., im ^.Jahr- hundert 260, 316, 338 f.

Wagner, Peter, 12, 15, 19, 23, 24.

Wagner, Richard, 205, 273, 275, 276, 277, 282, 290, 296, 297, 317, 318, 320, 332, 333, 342, 343, 344, über Mendelssohn als Dirigenten 291 f., Orchesterstellung 313, 314, 340 f., Konzerte Habenecks 318, 320, 321, W. als Dirigent 333 f., über das Dirigieren 335 f.

Walliser, Chr. Thom., 74, Tabelle von der Einteilung der Noten auf Nieder- und Aufschlag 90.

Walt her, Johann Gottfried, Titel- bild seines Musiklexikons 146, 178, 195, dvnamische Yortragszeichen 214.

Namen- und Sachregister.

359

Wandbild in Auerbachs Keller in Leipzig 66.

Wasielewski, Jos. W. v., 83, 99, 273, 287, 289, 291, 296, 297, 298.

Weber, Bernhard Anselm, 153,259, 262, 274, 289, als Dirigent 264 f.

Weber, Carl Maria v., 153, 259, 262, 283, 285, 295, 298, 300, 330, 333, 336, 339, 340, 341 , als Diri- gent 278 f., 30 1, Orchesterstellung 279, 313.

Weber, Dionys, 334.

Weber, Gottfried, 153, 343, über den Taktstockdirigenten 258 f.

Weber, Johannes, 298.

Weber, Max Maria v., 153, 278, 279, 281, 313.

Weigel, Joh. Christ., Kupferstich- sammlung 153.

Weigl, Josef, 334.

Weingartner, Felix, 335, 342, 344.

Weißkunig, Bildliche Darstellungen 42, 44.

Werckmeister, Andreas, über den Ausdruckswert der Dissonanzen 237, der Taktarten 238.

Wessely, Bernhard, 264.

Westphal, R., 5, 6.

Wiedeburg, Joh. Friedr. , 154 (Anm. 7).

Wiel, Taddeo, 78.

Wien, Hof- und Kammermusik 182, Opernorchester in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 304, Chor- und Orchesterbesetzung bei den Musikfesten der »Gesellschaft der Musikfreunde< 304 f., Orchesterstel- lung in der k. k. Hofkapelle 306,

in den Concerts spirituels 308, 309, bei den Musikfesten 310 (s. auch die eingeschaltete Orchestertafel), in der Hofoper 315.

Wild, Franz, 267.

Wilfflingseder, Ambr., Taktdefini- tion 41.

Wilkinson, J. Gardner, 2.

Winter, Peter v., 281.

Wolf, Ernst Wilhelm, 119, 219, Or- chesterstellung in einem Ludwigs- luster Konzert 193, Berliner Or- chestervortrag 208.

Wolf, Georg Friedrich, 171, 185, 203, 219, Anhänger der italieni- schen Taktierform 144, 150, Tempo rubato 207, Definition der Tempo- vorschriften 222, Zeichen für die Tempomodifikation 242.

Wolf, Johannes, 34, 37, 38, 39, 51, 71.

Wolff, Ernst, 278, 287.

Wolffheim, Werner, 218.

Wooldridge 70.

Württembergische Kammer- und Kirchenmusik 180.

Wust mann, Rudolf, 66.

Zacconi, Lud., 115, Taktschlagen der Instrumentalisten 46 , Auf- stellung der Chöre 62, praktische Anmerkungen für die Dirigenten 64, modifizierte Direktion 65, 102.

Zarlino, Gioseßb, 62, 69, 103.

Zelter, Karl, 289, 319, 320.

Zeno, Ap., 234.

Zodiacus 102.

781.63 Sch73<

3 5002 00258 7769

Schunemann, Georg Geschichte des Dmgierens,

ML 457 . S3

Seh unemann, Georg, 1884- 1945.

Geschichte des Dirigier

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