THE KARL HOLL LIBRARY OF CHURCH HISTORY

DUKE UNIVERSITY LIBRARY

N. C.

DURHAM

Date _

ee

Lebens,

Dr. Carl Friedrich Bahrdts G e ſchich te

ſeines

ſeiner Meinungen

und Schickſale.

Von ihm ſelbſt geſchrieben.

Vierter und letzter Theil.

Berlin, 1791.

bei Friedrich Vieweg, dem älteren.

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D.. C. F. Bahrdts Lebens -Beſchreibung von ihm ſelbſt.

Vierter Theil.

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Erſtes Kapitel.

Entrinnung. Ankunft in Halle.

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N war betaͤubt. Ohne alle beftimte Vor⸗ ſtellung von dem, was mir wiederfuhr, faßte ich blos den kalten Gedanken der Noihwendigkeit: „es iſt einmal nicht anders!“ Ohne alle Er— ſchrokkenheit und Angſt ging ich ans Fenſter und rufte meiner Frau: „Liebes Kind, ſteige „doch mit den Kindern aus und kom herauf, wir „wollen ein wenig fruͤhſtuͤrken.“ Mein Weib kam, ſahe die Wache, fing an zu zittern und zu beben und trat ſchon halb todt ins Zimmer. „Herr Jeſus, was iſt das? Gott! Iſt unſerer „Leiden noch kein Ende?“ Die Kinder fir gen an zu weinen, und ich mußte eine halbe Stunde das Jammern und Wehklagen mit an⸗

hören. 204488

Meine ruhige Mine, die freilich zum Theil erzwungen war, und die Verſicherungen, daß ja kein Verbrechen die Urſache des Arreſtes ſeyn koͤnne, machte endlich den Klageliedern ein Enz de. Das Geheul verwandelte ſich in ſtumme Traurigkeit. Wir ſaſſen ohngefaͤhr eine halbe Stunde beiſammen, ohne zu ſprechen. Endlich wards in meiner Seele wieder helle. Der erſte Schlag des Ungluͤks hatte mich ein wenig bes taͤubt. Jezt trat die ruhige Ueberlegung wieder ein und mit ihr die volle Heiterkeit meines Geiſtes. !

Laßts gut ſeyn, Kinder, ich will hier wohl noch Rath ſchaffen. Einige dunkle Ideen zu Entwuͤrfen ſtiegen in mir auf. Ich rufte den Inſpektor. Sagen Sie mir, lieber alter Freund, was das hier iſt? Ich bin mir keines Verbre⸗ chens bewuſt. Ich bin koͤniglich preußiſcher Un⸗ terthan und reiſe nach Berlin. Wie darf ers er wagen, mich aufzuhalten?

Ich bedaure es freilich, lieber Herr Super⸗ intendent, war die Antwort, daß Ihnen in mei⸗

nem Haufe die Ungelegenheit wiederfahren muß. Ich halte die ganze Sache für eine Chikane. Es iſt ein Menſch unten, der hier Ihren Arreſt verlangt hat, und ſich zugleich mit hat arretiren laſſen. Ich weis ſelbſt nicht, was ich dazu ſa⸗ gen ſoll.

Aber wer iſt denn der Menſch, fragte ich weiter, welcher mich hat arretiren laſſen? Wo iſt er her? Wie ſieht er aus? Ich kan nicht aus ihm klug werden, entgegnete der In⸗ ſpektor. Es iſt ein Kerl mit einem kupfrigten Geſichte, der wie ein Spizbube ausſieht. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht mit Ihnen ſpre⸗ chen wolle. Aber er will nicht herauf. Er ſagte, Sie kaͤnnten ihn gar wohl. Es wuͤrden bald andere Herren kommen, die mit Ihnen ſpre⸗ chen wuͤrden.

Jezt glaubte ich den Mann zu errathen. Es iſt mein geweſener Saufaus von Hausmeiſter, den die oͤkonomiſche Geſelſchaft ſo lange prote⸗ girt und endlich Schande halber verabſchiedet hat. Ich konte nicht anders urtheilen, als daß

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5 dieſe werte Geſelſchaft felbfe mit im Spiele fen Nur wußte ich mir keine Urſache zu erdenken, 8

warum dieſe Leute mich feſthalten wolten, da

ſie an mir nichts zu fordern hatten, und ſie auch ſelbſt wuſten, daß ich in der Pfalz nicht bleiben und, wenn ich bliebe, ihnen nichts helfen konte.

Ich konte mich daher des Gedankens nicht erwaͤhren, daß meine Gefangennehmung von der katholiſchen Parthei veranſtaltet ſey, und datz der verabſchiedete Haus meiſter ſich zum Verraͤ⸗ ther hatte brauchen laſſen. Und dies war fur mich der aͤngſtlichſte Gedanke, weil ich kein recht⸗ liches Verfahten heffen durfte, ſoͤndern Gewalt⸗ thaͤtigkeit und heimliche Tirannei beſorgen mußte.

Mie fiel jezt ein, daß in Oppenheim ein Prediger ſtund, der mein Schuͤler von Gleſſen her, und ein warmer Freund von mir war. Ich bat den Inſpektor, dieſem meinen Aufenthalt be⸗ kant zu machen, und ihn bitten zu laſſen, daß er mich beſuchen moͤchte. Der edle Mann kam nicht nur, ſondern ſchikte auch gleich nach einem benachbarten Pfacrer, welcher mit mir in glei⸗ chem Verhaͤltniſſe ſtund, und ließ ihn einladen.

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O was iſt Freundſchaft für ein Gut, in felgen Zeitpunkten des Lebens! Mein ganzes Herz wald erqulkt und erleſchtert, da ich dieſe beiden Freunde bei mir ſahe !“ Es war mir, als wenn ich nun einen Schirm gegen alle Ungluͤks⸗ ſchlaͤge gefunden haͤtte. Ich ward ſo aufgeraͤumt, daß mir die Mahlzeit ſo gut ſchmekte, als wenn

ich fie mitten in meinem Walen none haͤtte. 8

Der erſte Entſchluß, der genommen wurde, war dieſer: die beiden Freunde wolten des Abends, ſobald es finſter wuͤrde, ſelbſt eine Leiter bringen, auf welcher ich aus dem Fenſter hinab⸗ ſteigen und flüchten ſolte. Das Fenſter ging auf die freye Landſtraſſe und nirgends war Wa— che, als vor meiner Thuͤr. Meine Frau und Kinder, dachten wir, wird niemand feſt halten, wenn einmal der Vogel aus dem Bauer ſeyn wird.

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Eine halbe Stunde ergoͤzten wir uns herz—

lich an dieſem Einfalle: aber endlich kamen ver⸗

ſchiedene Einwuͤrfe zur Sprache, welche ihn ber A4

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denklich zu machen ſchienen. Ei, ſieng einer der Prediger an, es iſt ja hier zu Lande alles mit Gelde zu zwingen: wenn nichts gehen will, fo muͤſſen wir dieſen Weg einſchlagen. Ich ſagte ihm, daß ich allenfals hundert Gulden an⸗ zuwenden haͤtte. O wenn dies iſt, verſezte er, ſo wollen wir geſchwinde Arbeit machen. Er ging zu dem Inſpektor, und kam nach wenig Augenblikken mit ihm herauf, um uns zu ſagen, daß alles richtig ſey. Der Inſpektor ſelbſt ver: ſicherte mich, daß er ſogleich an den Geheimden⸗ rath. . . . nach A... ſchreiben und die hundert Thaler anbieten wolle. Das geſchah. Wir ſchikten eine Stafette fort, und der Inſpek⸗ tor betheuerte daß die hohe Obrigkeit ein Auge zumachen, und ihm Erlaubniß ertheilen wuͤrde, mich loszulaſſen.

Nachdem die Stafette abgegangen war, ſez⸗ ten wir uns vergnuͤgt zu einer Phomberpactie, und der Tag fahe feinen erften Stunden fo aͤhn⸗ a lich wie das Licht der Finſterniß.

Ein klein wenig fing mir das Herz an wie⸗ der zu klopfen, da der Inſpektor erſchien, uns

die Ruͤkkunft der Stafette zu melden. Doch die

Nachrichten lauteten gut. Wenn ſie mir hundert Gulden einhaͤndigen, ſo habe ich Ordre, Sie durchzulaſſen. Er wolte aber die Ruͤkantwort des Geheimdenraths nicht vorzeigen. Genug, ich gab ihm jezt die hundert Gulden und mein Freund eilte nach Oppenheim zu feinem Schwa— ger, dem Poſtmeiſter mit dem ausdruͤklichen Aufs trage des Inſpektors, daß er um das Beſte Ge⸗ ſpann Pferde bitten ſolte, was er im Stalle

haͤtte.

Dieſer Auftrag machte mir Unruhe. Ich glaubte urtheilen zu muͤßen, daß der Mann kei— ne eigentlich Ordre zur Loslaſſung habe, ſondern nur einen Wink, das Geld zu nehmen, und mei— ne Flucht zu beguͤnſtigen. Und die ſchuf zwie⸗ fache Beaͤngſtigung. Einmal, weil ich dann doch, auf der erſten Station wenigſtens, nicht ſicher war, wieder aufgefangen zu werden, und dann, weil ich ein aͤußerſt armſeliges Fuhrwerk hatte, naͤmlich noch immer meinen Marſchlinzer Phaeton, nue mit breiter Spur verſehen: folge

lich ein ſehr altes, verbrauchtes Waͤgelchen, wel⸗

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ches auf dem ungeheuren 'gepflafterten Damme

nach Oppenheim, zumal mit vier raſchen Pfer⸗ den beſpannt, und mit ſechs Perſonen und einem Koffer belaſtet, menſchlichem Anſehen nach jet? brechen und liegen bleiben muſte, ſobald es Flucht heiſſen und in vollem Jagen davon ge⸗ gangen werden ſolte. Meine bange Ahndung af ein Min 3 nr 1 9

Dieb Inſpektor hieß die Wache hinunter

gehen in die Gaſtſtube und gab vor, ich ſey un⸗

paß und wolle mich ſchlafen legen: ſie ſolten ein paar Butellen Wein zum beſten haben.“ Die Bauern giengen. Es erfchierren vier Fuchsheng⸗ fie, welche hinten eingelaſſen wurden. Meine Schaͤſe wurde angeſpannt und der Koffer aufge⸗ bunden. Meine Feau und Kinder fuͤhrte der Juſpektor in den Wagen und mich wieß er nach einer Schlippe, wo ich durchſchluͤpfen und eini⸗ ge hundert Schritte voraus gehen folte, ung Mir graute vor der ganzen Operation. Ich ſchlich mich durch und eilte mit ſtarken

Schritten die Straſſe hinab und auf Oppenheim

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zu. Und sehe da, ich war voch nicht Fünfyig Schritte voraus, ſo kamen ſchon die Bauern

hinter mir drein gelaufen und ſchrien, halt! Da

ich das hoͤrte, ergab ich mich in eine zweite Ges fangenſchaft, weil ich auf meine Fuͤße mich nicht verlaſſen konte, und durchaus es nicht wagen mochte, in der Stadt eingeholt zu werden. Zu⸗ dem war mir auch, wenn ich entrann, daß Shi fal meiner Kinder ungewiß. Ich ging alſo mit der Wache zuruk.

Als ich ins Haus kam, ging ich dem In⸗ ſpektor zu Leibe. „Herr, Sie haben mir hun⸗ „dert Gulden abgenommen, alſo ſchaffen Sie , mich fort, oder ich halte mich an Sie.“ Der Mann wurde wirblicht. Es wochte ihm nicht recht ſeyn, daß ich mich hatte kriegen laſ⸗ ſen. Und ich merkte hinterher, daß ich getroſt hätte fortlaufen koͤnnen, und daß die Bauern nur zum Schein mir nachgelaufen waren, um ſagen zu koͤnnen, ſie haͤtten mich verfolgt, aber nicht einzuhelen vermocht. Er hieß die Wache in die Stube gehen und führte, mich keklich an den Wagen zum Einficigen,

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Aber in dieſem Augenblik ſprang mein Hausmeiſter heraus, welcher mit der Schnaps⸗

pulle indeſſen amuſirt worden war, und etwas

vom kermen gehoͤrt oder von Flucht geahndet haben mochte. „Im Namen Sr. Kurfuͤrſtl. „Durcht. ſchrie der Kerl, proteftire ich gegen die „Ahfarth.“ Der Inſpektor ſchlich ſich zuruͤk. Mein Volk im Wagen bebte und heulte. Der Peſtillion, der ſchon auf den Pferden ſaß, wuß⸗

te nicht, was er thun ſolte. Ueber hundert

Menſchen hatten ſich vor dem Wirthshauſe ver— ſamlet. Ich faßte Muth, zog mein großes Cou- teau, trieb den Kerl auf die Seite und ſprang zum Poſtillion und ſchrie mit verſtellter Wuth auf ihn los: „Schwager fahr den Augenblik

„los: Du bekoͤmmſt einen halden Karolin Trink—

„geld: und zauderſt du noch, ſo ſtoß ich dirs „Meſſer in den Leib.“ Und ſo fort ſezt ich ihm

das Mordgewehr in die Seite. Das half. Der Schwager hieb ſeine Hengſte an. Der Haus⸗

meiſter ſchrie wie unfinnig und drohte dem Por ſtillion mit Feſtung und Zuchthaus. Ich ſprang in den Wagen und hieb gegen den Hausmeiſter,

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daß er mir von Halfe bleiben mußte. Alles war ein Moment. N

Jezt gings im Fluge zum Wirthshauſe hins aus und den Oppenheimer Damm hinunter. Mein Weib lag wie todt. Meine Kinder ſchrien durcheinander. Unſere Juliane weinte. Und ich zitterte und bebte wie ich in meinem Leben noch nicht gebebt hatte. Das waren ſchrek⸗ liche, grauſe Augenblikke! Der Wagen ſprung alle Augenblik halbe Ellen hoch in die Hoͤh, und bei jedem Sprunge uͤberlief mich ein Todesſchau⸗ er. Jezt liegen wir, dachte ich. Jezt ſtuͤrzt der Wagen zuſammen. Der ſchrekliche Fall, das Arm und Beinbrechen der armen Kinder, das Umringt- werden vom Poͤbel, das Einholen, das Zuruͤkſchleppen in ein vieleicht haͤrteres Gefaͤng— niß das alles ſchwebte mir mit einemmale vor Augen und preßte mir Angſtſchweiß aus. Gott erbarme dich! ſeufzte ich in einem hin, und fuͤhlte nur immer, obs unter mir noch hielt.

Indem ſtuͤrzte der Wagen in die fliegende Bruͤkke hinein, und der vom Prediger ſchon be⸗

ſtellte und gut bezahlte Faͤhrmann ſtieß ab. In dieſem Augenblikke kehrte mein entflohener Saft zuruͤk und ich athmete freier. „Kinder, nun „ſeyd ſtille, alle Noth iſt voruͤber!“ Die Kinder gaben ſich gleich. Aber die Mutter blieb harmvoll. Sie hatte beſtaͤndig mit Ahndungen zu thun. Und jezt wolte ſie ſichs gar nicht mehr ausreden laſſen, daß uns noch ein Ungluͤk be⸗ vorſtuͤnde.

Ich war ganz wieder in meiner Ruhe. Und waͤre mein elender Wagen nicht Grund zur Beſorgniß geweſen, ich hätte fingen koͤnnen. Nur dies ließ eine kleine Bangigkeit in mir zu⸗ ruf, daß wir noch liegen bleiben, und blos das durch noch eingeholt werden koͤnten.

Indeſſen verlor ich doch bei dieſer Vangig⸗ keit das Vergnuͤgen nicht ganz, welches mir ein ſchnelles Fuhrwerk gewaͤhrt. Kein Koͤnig kan raſcher fahren, wie ich jezt zwei Stationen hin⸗ durch fuhr. Das leichte Fuhrwerk, die vier friſchen Hengſte und der halbe Karolin thaten Wunder. So praͤchtig bin ich in meinem Leben

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nicht gereifet, Der ſchaͤrfſte Trab und kurzer

Galopp wechſelten.

In Grosgerau gab ich dem Poſtillion den halben Karolin, und bat ihn, ſeinen Nachfolger zu verſichern, daß auch er daſſelbe Trinkgeld ha⸗ ben ſolte, wenn er eben ſo fahren wuͤrde. Denn mein Wunſch war blos, nur erſt in Darmſtadt zu ſeyn, wo meine perſoͤnliche Bekantſchaft mit dem Erbprinzen und meine uͤbrigen Verbindun⸗ gen mich zuverſichtlich hoffen ließen, daß keine weitere Arretirung geſtattet werden würde, tea nigſtens keine der Art, dadurch ich in katholi⸗ ſche Haͤnde geriethe. Ich fagte auch dem Poſt⸗ meiſter, den ich ſchon vorher ſehr gut kante, daß ich zu dem Erbprinzen reiſete und vermochte ihn dadurch, Fi er ſelbſt für die ſchleunigſte Expedi⸗ rung ſorgte , und mir vier feiner beiten Pferde gab.

Und nun gings eben ſo, wie auf Daͤdalus Fittigen, nach Darmſtadt zu. Nur war auf dieſer zweiten Station die Gefahr etwas groͤſſer. Denn es ging durch lauter Waldung, und der Poſtillion nahm noch obendrein Schleifwege, ſo daß wir alle Augenblik fuͤrchten mußten, in der

Dunkelheit der Nacht, mit der Are an einem

Baume haͤngen zu bleiben und den Wagen in

Stuͤkken zu zerreiſſen. Aber es ging alles gluͤk⸗ lich ab. Wir kamen in der Nacht nach Darm⸗ ſtadt, und hatten die vier ſtarken Meilen in we⸗ niger als drei Stunden zuruͤkgelegt.

So herrlich hatte ich lange nicht geſchlafen. Nach achtehalb Stunden erwachte ich erſt mies der, nachdem meine Frau ſchon ſeit zwei Stun⸗ den am Fenſter geftanden und ihren Grillen nachgehangen hatte. Wir blieben den Vormit⸗ tag ſtille liegen. Ich handelte vom Poſtmeiſter eine Berline, dafuͤr ich ihm meine lateiniſche Schaͤſe und zehn Luisdors gab, und welche ich hernach in Halle wieder fuͤr ſechzehn Luisdors verkaufte. Nun hatten wir in einem ſchoͤnen Glaswagen volle Bequemlichkeit und Schuz fuͤr die Kinder gegen die Kälte der Nächte, 58

Wir reiſeten über Offenbach durch das Suldsifche, wo ich einen andern Namen mir gab, um nicht die katholiſche Parthei auf mich aufmerkſam zu machen. Es ging Tag und

Nacht,

Nacht, und ich gab auf jeder Station einen

Thaler trinkgeld, bis ich erſt wieder auf protes

ſtantiſchem Grund und Boden war. In Gotha raſteten wir bei den Anverwandten meiner Frau,

ſo wie in Erfurth, im Lentinſchen Haufe, wel⸗

ches uns mit Guͤte uͤberhaͤufte.

In der Nacht um eilf Uhr kamen wir vor das Grimmiſche Thor zu Leipzig, und mußten da leider durch die in einem ofnen Orte etwas ſeltſame Verſchlieſſung der Thore über andert— halb Stunden lauern und betteln. Es koſtete mich einen Speciesthaler, daß die Schlüffel ger holt wurden. Meine Mutter empfieng mich

mit Thraͤnen.

Sie ſahe jezt den Liebling ihres Herzens als Bettler, ohne Amt, ohne Ausſicht. Das Jammern der Menſchen, zumal wenn ich die Urſache davon bin, iſt die groͤßte Folter fuͤr mein Herz. Ich riß mich los. Wir blieben nur einen Tag und kamen den 28ſten Mai 1279 in Halle an.

Iv. B. W

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Zweites Kapitel.

Erſte Ausſichten auf Preußiſchem Boden,

Wi geſagt, in einem Koffer brachte ich alle meine und der Meinigen Habſeligkeiten mit nach Halle. Wir hatten jedes etwa dreimal weiß anz zuziehen, meine Frau zwei Kleider, ich eins, was auf meinem Leibe war. Das war unſer Reich⸗ thum. Meine gute Laune aber, die ich aus den Truͤmmern meiner Gluͤkſeligkeit gerettet hatte, und meine Kraft und Luſt zu arbeiten, war mir Schazzes genug, ſo daß ich wirklich wohlhaben⸗ der war, als ich ſchien.

Wir ſtiegen im Kronprinz ab. In weni⸗ ger als einer Stunde war es bis in die verbor⸗ genſten Winkel der Halle gedrungen: „Der D. „Bahrdt iſt angekommen!“ Und allen, die es hoͤrten, lief es kalt uͤber den Leib und machten 1 1 1. Es war warhaftig, als wenn die Peſt eingetreten waͤre: ſo graͤßlich waren die Ideen,

die ſich der große Haufe von mir machte und

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die mancher Herr im ſchwarzen Rokke durch ein gottſeliges Achſelzukken unterhielt.

Herr Teller hatte mich dem Herrn Eber⸗ hard empfohlen, (ſo wenigſtens hatte mir Herr Teller geſchrieben, daß ich mich in allen Stuͤkken an Herrn Eberhard halten und mich ſeiner Lei— tung bedienen ſolte) und dieſer war erſucht worden, mir ein Quartier auszumachen. Es

war alſo mein erſtes, zu Herrn Eberhard zu ge— hen, und mein Quartier in Augenſchein zu neh—⸗

men. Er empfing mich mit der ihm eignen Leb—

haftigkeit, welche ich mit der eines Franzoſen

vergleichen wuͤrde, der bereits in die Jahre der Reife und des Ernſtes gekommen iſt. Sein Ge— ſpraͤche und fein Air waren munter, und hatten eine milde Farbe von Jovialitaͤt, mit einigen feis

nen (gar nicht krallen) Zügen von Profefforis ſcher Wuͤrde. Auf die wenigen Worte, mit wel

chen ihm das Harmvolle meiner Lage anwinkte,

erwiederte er ein fluͤchtiges und ſorgloſes: „ja

„ja nun, es wird ſich mit der Zeit wohl

„geben.“ Zum freundſchaftlichen Einklange in

den Ton meiner Klagen war er gar nicht ge⸗ B 2 |

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ſtimt. Seine Handlungsweiſe wie ſein Ton ver⸗

ſcheuchten augenbliklich alle fernere Ausbruͤche meines Kummers von meinen Lippen. Man

hoͤrt auf zu klagen, wenn man kein Herz findet, das die Toͤne zuruͤkgiebt. |

Er führte mich in der Steinſtraſſe in ein

Haus, und was er fuͤr mich beſprochen hatte, war eine einfache Studentenſtube mit einer Kam⸗ mer. Da ich vorſtelte, daß ich ſo mich nicht behelfen koͤnte, hieß es, es ſey allenfals, eine Treppe hoͤher, noch eine ſolche Stube zu haben: aber nichts von Kuͤche u. d. m. Es befremdete mich. Denn es hatte ganz das Anſehen, als wenn man mich wie einen Bettler aufnehmen und auch ſo laſſen wolte. Es ſchien, als ſolte ich als duͤrftiger Privatmann mich mit meinen Kindern in ein Stuͤbchen preſſen, aus dem Gaſt⸗ hauſe ſpeiſen und verputten, bis man mich rufen wuͤrde, daß ich wieder laut werden ſolte. | |

Dieſe armſelige Beſtimmung beftätigten mie

hernach mehrere Umſtaͤnde, und unter andern

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9 21 der, daß, wenn ich von gewiſſen Schriften ſprach (auch gegen andere Herren in Halle und Berlin) welche meiner freimuͤthigen Denkungsart ges maͤß waren, man mir immer ſolche Antworten gab, welche anzeigten, daß man mich lieber uns ſichtbar und unhoͤrbar als thaͤtig und bemerkbar wuͤnſchte.

Ich verbat mir das Logis und ging auf den Kronprinz zuruͤk, um durch einen Lehnlakai mich ſelbſt um eins zu bewerben. Zufaͤlligerwei⸗ fe wußte der Menſch, daß in dem großen Weis manniſchen Hauſe zwei ſchoͤne Stuben mit Kammern vakant waren. Ich ging, ſie zu be⸗ ſehen. Herr Weimann hatte die ganze Etage an das Inſtitut vermiethet, welches damals Herr Prof. Schuͤz und Herr D. Semler veranſtaltet hatten und das, wo ich nicht irre, wieder in Stekken gerathen war. Er glaubte, da ihm die Miethe bis Michael bezahlt werden mußte, daß

es H. Semlern angenehm ſeyn wuͤrde, wenn er

einen Theil der leer ſtehenden Etage vermiethete,

und ihm dadurch Koſten erſparte. Wir wurden

auf 60 Thaler einig und ich bezog noch an dem⸗ B 3

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ſelben Tage die neue Wohnung, zu weſcher den ſehr gefaͤllige und freundſchaftliche Wirth, mir i eine kleine Kuͤche einraͤumte, und mich mit den noͤth'gen Meubeln und Kae fo gar ae; | gen verſorgte. | ‚sen

Es war mein Gluͤk, daß ich fo geeilt hatten Denn gleich am andern Moegen kam Herr Sem— ler und bezeigte ſeinen Unwillen. Und waͤr ich nun nicht im Beſitz geweſen, Here Weimann wuͤrde nicht Erlaubniß erhalten haben, mir das Quartier zu geben und ich hätte vielleicht Muͤhe gehabt, in irgend einem Hauſe aufgenom⸗ men zu werden: ſo groß war der Geſtank

meiner Kezzerhaftigkeit! 5 f 3:99 Ich a re allademſeben Aag, wo Herr 4 Weimann das ſcheele Geſicht erhalten hatte, bei | Herrn Semler meine Viſite ab und er bekannte mir offenherzig, daß er herzlich erſchrokken ſey, da er von meiner Ankunft gehoͤrt habe. Mein⸗ Ruf ſey zu ſchlim, als daß ich mich hier wuͤrde halten können, und ſeine eigne Ehre erfodere es-

daß er gegen mich ſchreibe. Ich ſuchte ihn zu

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beruhigen, aber er blieb dabei, daß ich den als bernſten Streich von der Welt begangen hätte, daß ich nach Halle gezogen ware. Uebrigens war er guͤtig und im hoͤchſten Grade theuneh⸗ mend an meinen Schikſalen, fo daß ich, bei aller feiner Unzufriedenheit mit mir, den Grund des guten Herzens nicht verkennen konte.

Bald ging ich auch zu Herrn Noͤſſelt, Frey⸗ lingshauſen und Knapp. Die erſten nahmen mich beide, wie natuͤrlich, kalt und ceremonidͤs auf. Im Noͤſſeltſchen Hauſe ſchien mir eine Tod: tenſtille zu herrſchen: Es war mir nicht anders, als wenn alle Dielen und Waͤnde voll Heimlichkeiten ſtekten. Alles ging leiſe, alles ſprach leiſe, und der Herr Doktor Noͤſſelt ſelbſt ſprach, als wenn ich bei ihm in der Beichte waͤre. Er liebt die Stille und Verborgenheit. Freylingshauſen war etwas natürlicher, und ſchien nicht verhindern zu wol⸗ len, daß man den toleranten Mann, der das Verdienſt auch im Unterdruͤkten ſchaͤzt, durch ſchimmern ſahe. Von ihm wurde hernach das Bon Mot bekant: „Dieſen Bahrdt werden die „Herren wohl unbalbirt laſſen muͤſſen!“

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Am herzlichſten war der edle Knapp. Die⸗ ſer nahm keine Staatsviſite an, ſondern ſezte mir Kaffee und Tabak vor und ſprach ſo, daß ich Muth hatte, den ganzen Nachmittag bei ihm zu bleiben. Unſere Geſpraͤche waren freund⸗ ſchaftlich und eben darum nicht zum Aus plaudern beſtimt. Wolte Gott, der Mann waͤre nicht Kol⸗ lege von ſolchen Kollegen geweſen. In ſeinem Umgange und in ſeiner Freundſchaft haͤtte ich mich ſelig gefuͤhlt. Er ſelbſt waͤre gern wieder zu mir gekommen und haͤtte Umgang mit mir geflogen: ich weis es gewiß, aber die Kolle⸗ gen hatten einmal beſchloſſen, dem abgeſezten Superintendenten keine Gegenviſtte zu machen: alſo wars Zwang der Klugheit, ſeine Kollegen nicht zu beſchaͤmen und allein tolerant zu handeln.

Herr Semler war oft, ſehr oft im Weimann⸗ ſchen Hauſe und ſelbſt auf dem Saale, wo mei⸗ ne Zimmer waren. Aber er konte es nicht uͤbers Herz bringen, den armen D. Bahrdt, der ihm jezt zu klein worden war, mit einer Momentlans:

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gen Viſite zu ihn. Kein Theologe An in u. den e erwiedert! !!

ger Eberhard war der einzige Mann, . mich beſuchte und mir Zutritt verſtattete. Schade, daß mein Herz keinen Ankergrund zur Freundſchaft fand. An Zuneigung fehlte mirs nicht. Und ich wuͤnſchte mir es wirklich, einen Mann von ſo viel Geiſt, als meinen Freund lie— ben zu koͤnnen: zumal, da ich hörte, daß er Übers all gut und ruͤhmlich von mir ſprach und gegen manche Kabale mich verfocht. Aber er hielt ſich beftändig fo, daß ich den Gönner nur aͤuſer⸗ lich ehren konte. Er kam zwar faſt alle Tage, aber nur auf zwei bis drei Minuten, und ge— woͤhnlich ſo preß vor der Mittagsmahlzeit, daß kein Aufenthalt moͤglich war. Und ein leichtes, mit franzoͤſiſchem Bon-Ton vorgebrachtes: Bon „jour mein lieber Herr Doktor, wie gehts Ih⸗ „nen?“ konte mein Herz, das nach Freundſchaft ſich ſehnte, nicht befriedigen.

Es war ein trauriges Leben fuͤr mich. Al⸗ le Welt floh mich. Alles ſcheute ſich vor mir. | 8 5

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Selbſt mein Wirth, der ein herzlicher und bieden; rer Mann war, und an dem ichs merken konte, ö daß er mich lieb gewonnen hatte und Zutrauen

zu mir empfand, ſchien doch nicht Muth zu ha⸗

ben, ſich viel mit mir abzugeben. Im Hauſe genoß ich alle moͤgliche EN ua: Ge⸗ faͤlligkeiten. mt es

Wenn ich auf der Gaſſe ging, wichen mir die Leute aus. Man ſahe ſich um, wenn ich vorbei war. Man zeigte mit Fingern. Man lief ans Fenſter und ſahe mir nach. Kinder ſag⸗ ten laut, aber mit einer Art von aͤngſtlichem Tone, wie wenn ſie ein gefaͤhrliches Thier erblikten, „Du! das iſt der D. Bahrdt!“ Ein Geiſtlichen kam mir in den Weg, bog aus, hielt den Hut an der Seite fuͤrs Geſicht, die ich zu paſſiren hatte, und ſchob ſo haſtig vor mir vorbei, als wenn der Gott ſey bei uns ihn den Odem ver⸗ ſezt haͤtte.

So einſam und von Menſchen verlaſſen leb⸗ te ich beinahe den ganzen Sommer. Mein Bal⸗ bier war, auſſer Eberharden, der einzige Sterb⸗ liche, den ich zu ſprechen bekam. Ich blieb in

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der erſten Zeit immer zu Haufe, um auf der Straſ⸗ fe kein Aufſehen zu machen. Endlich erkundigte ich mich, ob es keinen Garten gebe, den ich beſuchen koͤnte. Ich fand den Fleiſcherſchen vor dem Stein⸗ thore 0 wo ich eine einſame Laube mir wählte,

und woͤchentlich einigemal mit meinen Kindern hin⸗

ſchlich, um wenigſtens die übrige Natur zu geniefs ſen, da die menſchliche mir den Genuß verſagte.

Ich hatte in Oppenheim hundert und funf— zehn Gulden Koſten gehabt, und meine Reiſe, mit vier Pferden Extrapoſt, hatte mich ſchweres Geld gefoftet, fo daß ich etwa noch hundert Guls den mit nach Halle brachte. Und auch dieſes Geld, das ohngefaͤhr 11 Louisd’ors betrug, hatte keine lange Dauer. Denn ich mußte ja gleich, eine Menge von Beduͤrfniſſen fuͤr mich und die Meinigen anſchaffen, welche dieſe kleine Summe in der Geſchwindigkeit aufzehrten.

Was fuͤr traurige Ausſichten! Auf ein Ant durfte ich nach dem Tone des Herren Eberz

hards und meiner Berliner Korreſpondenten jjezt

gar nicht Rechnung machen. Alles, was ich hof⸗ fen durfte, war eine Samlung, von Berliner

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Freunden veranſtaltet, zu welcher mir Herr Tel ler in Heidesheim ſchon Hofnung gemacht hätte, welche dreihundert Thaler ohngefaͤhr betragen und ein paar Jahre dauern ſolte. Von Kollegiis konte ich nichts erwarten, weil ich keine theolo⸗ giſchen Kollegia leſen durfte und mit Vorleſun⸗ gen über lateiniſche Autoren, Alterthuͤmer u. d. nirgends viel zu verdienen iſt. Schriftſtellereier⸗ werb kante ich noch gar nicht und hatte auch

bis jezt noch nicht diejenige Bekantſchaft mit

Buchhaͤndlern, welche mir zu Speculationen haͤt⸗ te Gelegenheit geben koͤnnen.

Und doch wer hätt? es denken ſollen?

fand ich hernach bald den leztern Weg zum Verdienſt ſo, daß ich in ſechs Jahren nicht nur ſchuldenfrey ward, ſondern auch eine ganze Eta⸗ ge meubliren, und mich im Beſiz einer volftäns digen Equipirung, in Abſicht auf Waͤſche, Klei⸗ dung, und aller Arten der Geraͤthſchaften, erblik⸗ ken und im ſiebenten Jahre mich ankaufen konte. Aber freilich fand ich auf dieſem Wege auch zugleich das Ende meiner Rrafte und meiner Geſundheit.

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Drittes Kapitel.

Leiden der Armuth,

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Jo empfieng, wo ich nicht irre, durch Heren Eberhard funfzig Thaler von Berliner Freuns den, mit dem Bedeuten, daß ich nach und nach ein mehreres erhalten wuͤrde. Es wurde ſchon jezt nichts feſtgeſezt, worauf ich ſichere Rechnung machen konte. Mein dringendſtes Beduͤrfniß waren Betten. Denn ich mußte fuͤr jedes Bets te jährlich ſechs Thaler bezahlen, welches mir zu ſchwer fiel. Ich ritt daher nach Leipzig und kaufte mir Pferdehaar zu Madrazen und Wolle zu Kuverts. Die Kuverts durchnaͤhten meine Kinder, und die Madrazen verfertigte ich ſelbſt. In wenig Wochen konte ich die gemietheten Betten abgeben und war Beſizzer von ſechs eignen Schlafſtellen. Aber mein Geld wurde bald wieder alle.

Regelmaͤſſige Zahlungen des Verheiſſenen hatte ich nicht. Wenn ich in Noth war, klagte ichs Herrn Eberhard. Da bekam ich einmal 1,

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2, 6, Louisd'or. Es ſchmerzte mich, daß ich im mer erſt klagen und bitten und mirs zuzeddeln laſſen mußte. Es ſchien, als ob Herr Eberhard Auftrag haͤtte, fleißig nachzuſehn, wie ich ausſe⸗ he, wie meine Haus haltung ſtehe, und die Gra⸗ de meiner Armuth zu meſſen. Er ſolte mirs nur nach den ͤuſerſten Beduͤrfniſſen zutheilen. Ich ſolte nur das Kuͤchenleben behalten. Man be⸗ ſorgte, ich moͤchte zu muthig werden, wenn man mich zu fett werden ließe. So mußte ich al⸗ ſo bei der aͤußerſten Nothdurft mein ar ach schleppen, e

In dieſer Epoche ſchrieb mir Baſedow, daß er nach Halle kommen werde und bei mir zu wohnen und zu ſpeiſen wuͤnſche. Ich kante ſei⸗ nen Reichthum, folglich ſeine Kraft, mir beizuſte⸗ hen: und ſo ganz hatte ich ihm, wie Trapp zu ſagen pflegte, noch nicht in den Magen geſehen. Daher freute ich mich uͤber den Antrag um ſo mehr, da ich mir einen Freund und Geſelſchaf⸗ ter wuͤnſchte, der mir die Marter der quaͤlen⸗ den Einſamkeit abnahm. Ich machte ihm in meiner Etage eine ſchoͤne Wohnung aus und er⸗

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bot mich, wenn er ſich mit einer Schuͤſſel be⸗ a gnuͤgen koͤnte, ihn an meinem Tiſche zu bekoͤ⸗ ſtigen.

Ehe dies zu Stande kam, wurde ich krank und mein Hauswirth empfahl mir feinen Arzt, den D. Graͤbner. Ich fand einen gutmuͤthigen und freundſchaftlichen Mann an ihm. Er ur⸗ theilte, daß Erfchlaffung der Nerven der Grund des Uebels ſey, und empfahl mir mehrere vei— besbewegung und Genuß der freien Luft. Und da ich ihm meine vorige Diät beſchreiben muß⸗ te, ſo hielt er es für unumgänglich nothwendig, daß ich mäßigen Genuß des Weins fortſezte, an welchem ich ſeit fo vielen Jahren gewöhnt war. Meine Armuth verſtattete es nicht, in Halle mit zwölf Groſchen eine elende Butelle Franzwein zu bezahlen. Aber er drang darauf. Ich behalf mich die ganze Woche mit einer Bntelle, Man fand Wein bei mir, und wunderte ſich, daß ich ſolchen Aufwand machte, da ich doch von Wohlthaten lebte. Ich will mich weiter nicht auslaſſen. Roch nagt mirs am Herzen,

wenn ich an die Zeit zuruͤrdenke!

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Oft, wenn die zuruͤkgepreßte Thraͤne dem Harmvollen Herzen Luft machen wolte, biß ich erbittert die Zaͤhne zuſammen und fuͤhlte Keime des Menſchenhaſſes. Gott lob, daß ſie nie auf⸗ brachen! Ich kante meine Kraft und beſchloß, ſobald als moͤglich von den Bettlerfeſſeln mich loszumachen. Es gelang mir. Ich arbeitete mit Rieſenkraft. Rie, dachte ich bei mir ſelbſt, nie ſoll ein Sterblicher von mir wieder angewinſelt werden. Ich will lieber Brodrinden nagen und Waſſer trinken als den Wein geniefs fen, den mit ſolcher Wermuth verbitterte Gutthas ten mir gaben. Ach haͤtte ichs im Jahr 1779 geglaubt, daß ich im Jahr 1789 wieder betteln und wieder aͤhnliche Erfahrungen ma⸗ chen wuͤrde? Doch den Vorhang her⸗ unter! 8

Ehe ich ſo weit kam, daß ich unabhängig und von meinem eignen Fleiße leben konte, muß⸗ te ich vorher noch eine Art von wolthaͤtiger Tor⸗ tur oder vielmehr, von torturartiger Wolthaͤtig⸗ keit ausſtehen, welche Baſedow mir erzeigte.

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Er erſchien mir ganz mit der Mine des Patrons. In ſeiner erſten Anrede lag der Ges danke: lieber Bahrdt ich kan ſie gluͤklich ma⸗

chen, ich werde es auch vieleicht wenn ich ihr

Herz, ihre Handlungsweiſe, ihre Duldkraft nach meinem Wunſche finde. Das war der erſte Grad: die Daumenſchraube. Denn man denke ſich meine armſelige Lage, ſo wird man begreifen, daß ich Geduld mir nehmen mußte, auf den Pa⸗ tron zu horchen und wenigſtens zu erwarten, ob meine Duldkraft vermoͤgend war, die Laſten zu ertragen, mit welchen ich meinen Unterhalt fuͤr mich und meine Kinder erkaufen ſolte. Denn daß es Laſt war, die Baſedow mir auflegen wol⸗ te, wußte ich ſchon aus dem Totalbegriffe des Worts Baſedow. Und nun nehme man dazu, daß ich dies ſo alle Tage mir vorſagen und den ganzen geſchlagnen Tag mir vorſagen laſſen muß— te, daß er viel viel Vermoͤgenheit habe, mir beſſere Tage zu verſchaffen, wenn ich nur ıc,

Auf dem zweiten Grade muſte ich die Pros ben aushalten, die er mit mir zu machen ſchien,

ob ich auch der Mann ſey, auf den er Holz

IV. B.

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hakken koͤnne. Eine davon war, daß er ver⸗ langte, ich folte mie gefallen laͤſſen, ihm zu zus hoͤren, auch wenn er halbe Tage lang in einem Striche mir etwas vorſagte oder vorlaß, und kommentirte, auch wenns das fadeſte Zeug war, und ſolte dabei auch nicht gaͤhnen, ihn nicht un⸗ terbrechen, alle andere Geſchaͤfte dabei ſtehen laſſen, und ſogar Begierde und Luſt zeigen und allenfalls, wenns ihm gemuͤthlich war, das Eſſen daruͤber kalt werden laſſen. Eine andere war, ich folte eine völlige Superioritaͤt feines Geiſtes anerkennen, und es glauben und wuͤnſchen, wenn er mir ſagte: „lieber Bahrdt, wenn Sie der „Mann ſind, der redlich das Gute wil, ſo wil „ich meinen Geiſt ganz in Sie hinein gieſſen, denn „ich habe Ideen, die noch kein Menſch gehabt „hat c.“ Und dergleichen Unverſchaͤmtheiten ö ſolte ich nicht nur geduldig anhoͤren und fuͤr 8 wahr halten, ſondern auch mit andaͤchtiger Mi⸗

ne mich freuen, daß Gott ſolch ein Pfingſtfeſt - mir beſcheren wolte. Eine dritte war, ich ſolte

ſeine Launen dulden, ſolte mit ſeinen liebreichen

und freundlichen mich erquikken, und dann da⸗

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fuͤr auch, bei feiner heftigen und groben, wie ein Kind gegen den Vater mich verhalten.

Nachdem er mich vier bis ſechs Wochen mit dieſer Prüfung gequaͤlt und mir immer noch nicht beſtimt geſagt hatte, was das fuͤr ein Plan ſcy, den er mit mir auszufuͤhren ge— daͤchte, und durch den er mich vieleicht reich machen wuͤrde, verſuchte er endlich noch die Leiterſpannung. Schon durch das be— fiändige Hören und paſſive Denken der Baſe⸗ dowſchen Ideen abgeſtumpft und halb verduzt, nahm er mich eines Abends nach Tiſche in mein Studierzimmer, hieß mich auf das Kanape ſez⸗ zen, ging eine Viertelſtunde mit feinem Dämpfer auf und ab, wie wenn er fuͤr Gott den Herrn einen neuen Plan der Weltregierung ausdenken wolte, und ſezte ſich endlich mit einer Mine vol Andacht zu meiner Rechten (we Linken verirrte er ſich gewiß nie) und hub an, mir eine Rede zu halten, welche von neun Uhr bis nach ein Uhr dauerte. In dieſer Rede ſprach er in ei nem geheimnisvollen Tone von erſtaunenden Din⸗ gen, die in feinem Kopfe verſchloſſen lägen, und

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36 ä

welche von einem Manne, wie ich, mit meinem 3 Geiſte, mit meiner Kraft, (Zukker!) ausgeführt,

vielleicht und, wenn er wolte und die Hauptfederkraft verliehe, gewiß 10000 Thaler eintragen muͤßten: aber es wuͤrde frei⸗ lich freilich freilich von meiner Seite viel viel erfordert. Ich muͤßte mich ganz ganz ganz ihm anvertrauen, ganz nach ſeiner Idee arbeiten, ganz ihn in mich hinein gieſſen laſſen. Ich müßte ferner mit reinem Herzen und mit voller Reſignation auf Ehre und Vortheil arbeiten, und ganz ganz ganz, und allein vom Eifer fuͤr das Beſte der Menſchheit ent⸗ brannt ſeyn. Ich muͤſte das Gute, was wir ſtifteten, als die Sache Gottes anſehen. Ich muͤſte, von Herzen und ungeheuchelt bereit ſeyn, mir Laſt und ſogar Elend gefallen zu laſſen. Ich muͤßte gefaßt ſeyn, troknes Brod zu eſſen, und doch nicht muthlos zu werden. Ein ſolcher Mann, lieber Bahrdt, muͤſſen Sie ſeyn, Merken Sie wohl, was ich Ihnen ſage. Ich wil nicht, daß Sie hinterher mich anklagen, daß ich Ihnen nicht reinen Wein eingeſchenkt haͤtte. Ganz ein ſolcher Mann muͤſſen Sie ſeyn. Sind Sie

das, dann dann Bahrdt wollen wir Berge verſezzen dann wollen wir Dinge ausfuͤhren, die die Menſchen nie für möglich gehalten bat— ten. Aber ich bitte Sie, ich beſchwoͤre Sie, pruͤfen Sie ſich. Finden Sie ſich nicht ſtark genug, eine ſauere Bahn, ich ſags Ihnen vorher, mit mir anzutreten, ſo entſagen Sie lieber allen Vortheilen, die ich Ihnen in der Ferne gezeigt habe ꝛc.

Dieſe Dinge ſchwazte mir der Mann, mit tauſendfachen Wiederholungen, Wendungen, und Variationen des Ausdruks, der Stimme, und der Pantomime fuͤnftehalb Stunden lang vor, und ich armer Tropf ſaß, wie eine Genoveva vor ihrem Heiligen und horchte und ſchwizte, und brauchte die hoͤchſte Anſpannung meiner Duldkraft, es auszuhalten.

Ich hielts aus: aber nur zum Schein. Schon in der zweiten Stunde war der Gedanke in meiner Seele in feiner vollen Gluth: der Menſch hat tiranniſche Abſichten. Er wil mit der Maske der Andacht dich 100000 Thaler in

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der Ferne fchen laſſen, die du nie haben ſolſt, und durch dieſen Fernblik dich bewegen, dich auf einige Jahre zu feinem Sklaven machen zu laſſen, deſſen bischen Seelenkraft er zu gewiſſen Schrift⸗ ſteller projekten verbrauchen wil, um in der Welt felbft noch Aufſehn zu machen und Ehre und Reichthum zu erjagen,

Ich ließ ihn reden, bis es eins geſchlagen hatte. Da konte ich mich des Schlafs nicht mehr erwaͤhren und bat ihn, abzubrechen. Und er gab mir nicht undeutlich zu verſtehen, daß ihm dieſe Unterbrechung eine gewiſſe Unent⸗ ſchloſſenheit anzudeuten ſcheine: denn er haͤt⸗ te bis fruͤh um vier Uhr fortgeredet.

Ich beſchloß von Stund an, auf Baſedows Huͤlfe ſchlechterdings nicht mehr zu rechnen und ſchaͤmte mich vor mir ſelbſt, daß ich ein Thor geweſen war, ſo viel Wochen lang den Tirannen zu dulden und mich von ihm quälen zu laſſen, Ich ward nun weit freier und natürlicher in meinem Betragen. Ich ſprach mit, wenn er ſprach: unterbrach feine Reden und Vorleſun⸗

39 gen (mit denen er damals auch Herrn Eberhard häufig quälte, indem er ihn feine Urkunde ges gen D. Semler mit anzuhoͤren zwang) und han⸗ delte uͤberhaupt als ein Mann, der ſich fuͤhlte, von Baſedows Gleichen zu ſeyn. |

Baſedow ließ ſich, als ſchlauer Mann, es gar nicht merken, daß er meine Veraͤnderung empfand. Er blieb einige Wochen in ſeiner ge— woͤhnlichen Handlungsweiſe, kam aber hernach ganz ploͤzlich und gab allerlei Urſachen vor, wa— rum er Halle verlaſſen und ſich wieder nach Deſſau begeben muͤſſe. In der That geſchah's darum, weil ich ihn nicht mehr ſchmekte. Ich, mein Weib und meine Kinder ſegneten den Augenblik, in welchem er abzog.

Ehe Baſedow kam, ſchrieb ich meine Apo⸗ logie der Vernunft im Bezug auf die chriſtli⸗ che Verſoͤhnungslehre, dem Herrn D. Seiler gewidmet. In dieſer Schrift legte ich die Sei⸗ f lerſche Theorie zum Grunde und zeigte, philoſo⸗

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phiſch und eregetifh, das Unſtatthafte aller den Beweiſe, durch welche die Theologen und inſon⸗

derheit H. Seiler dieſe ſchon in Gieſſen von mir fuͤr den ſchaͤdlichſten Irthum erkante Lehre zu unterſtuͤzzen pflegte. Dabei entwikkelte ich alle Widerlegungsgruͤnde der Vernunft und zeigte zugleich, mit was für unzaͤhlbaren Schnizzern gegen Logik und Gemeinſinn H. Seiler dieſe Vernunfteinwendungen zu loͤſen verſucht habe. Und endlich zeigte ich, durch Induktion, daß die H. Schrift in keiner einzigen Stelle die Verſoͤh⸗ nungslehre vortrage, ſondern daß uͤberal die mo⸗ raliſche Aus beſſerung der Menſchheit als Zwek des Lebens und Todes Jeſu angezeigt werde.

Ich ſchikte mein Manuſcript nach Berlin und glaubte Ehre damit einzulegen: denn es war, als die erſte Frucht eines noch ungeuͤbten Schriftſtellers, gewiß gut gerathen. Und ich wuͤrde jezt ſelbſt, nur in der Form, ſehr wenig in der Materie zu verbeſſern finden. Aber man ſchikte mir es zuruͤk mit dem Bedeuten, daß ich mich mit ſo etwas gar nicht herauswagen muͤſſe. Bert

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Das ſchlug mich faſt nieder. Ich wußte nicht, warum man mich ſo veraͤchtlich behandel— te. Und beinahe haͤtte ich angefangen, zu zwei⸗ feln, daß die Laufbahn des Schriftſtellers dieje⸗ nige ſey, auf welcher ich Ehre und Brod finden wuͤrde. Ich legte mein Manufeript auf die Seis te und wurde erſt im folgenden Jahre ſo beherzt, es durch den Druk bekannt zu machen: wo mich denn auch der Beifall der Kenner für jene Demuͤ thigungen entſchaͤdigte und meinen Muth befeſtigte.

Die erſte Schrift, welche ich nun bearbeite:

te und dem Publikum uͤbergab, veranlaßte Baſe— dow. Dieſer hatte ein langes und breites uͤber Verbrauchung der Bibel mit mir geſprochen. Er hatte den ſehr richtigen Gedanken, daß die ganze Bibel fuͤr ſehr wenig Menſchen leßbar und geniesbar ſey. Er wuͤnſchte einen Auszug, und rieth mir, denſelben zu verſuchen. So ent— ſtand die kleine Bibel, welche Oſtern 1780 bei Mpylius in Berlin herauskam.

Dieſer ſonderbare Titel, der mit der Groͤ⸗ ſe des Buchs ſo ſehr kontraſtirt, kam daher. Meine anfaͤngliche Idee war, nur einen kurzen

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Auszug aus dem Altem Teſtamente zu machen, der für Kinder und Volk brauchbar ſeyn en Und für dieſe Idee waͤhlte ich den Titel: d kleine Bibel. Allein da ich in die Arbeit ein gerieth und beim Leſen der Bibel von ſo vielen ſchoͤnen Geſaͤngen der morgenlaͤndiſchen Dichter begeiſtert wurde und zugleich entdekte, daß dieſe Geſaͤnge faft alle auf die Geſchichte Bezie⸗ hung hatten und folglich, durch die Geſchichte, ihr volles Licht erhalten konten; da vermochte ich nicht, dem Gedanken zu widerſtehen, die ſchoͤnſten und gemeinverſtaͤndlichſten Stuͤkke der Propheten gleich mit in die Geſchichte des A. Teſtaments einzuweben und jedes an die Stelle zu ſezzen, wo es ſein hiſtoriſches Licht bekam. Bei dieſer Gelegenheit nun gerieth ich immermehr in den Geſchmack am Ueberſetzen der ſchoͤnen Geſaͤnge, daß ich alles mitnahm, was gemeinnuͤzzig war. | Und da nicht alles in die juͤdiſche Geſchichte paß⸗ te, ſo ſonderte ich das Uebrige unter eigne Ru⸗ briken. So entftand das große Buch von 60 Bogen gr. 9. mit dem kleinen Titel. Man haͤt⸗ te freilich zulezt den Titel noch abändern. follenz aber das wurde vergeſſen.

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07 &n diefem Buche ſtekt viel Fleiß. Und Herr Eberhares Uetheil, der mir gewiß damals nicht ſchmeichelte, bärgt mir dafür, daß es eine mei ner beſten Arbeiten iſt. Ich halte es fuͤr das Deite, was man mit Kindern ſtatt der lutheri⸗ ſchen Bibel leſen kan, wenn man dieſe, wie es wohl unftreitig ift, zu ſchwer für fie findet. Scha⸗ de, daß es fo theuer iſt.

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Baſedow brachte mir im Sommer ein Pa⸗ ket mit zwanzig Thalern und geſtund mir, daß es ihm von Herrn v. Rochow für mich zuge ſandt ſey. Durch Herr D. Beſeke in Mitau und Herrn D. Stark erhielt ich von Kurlaͤndi⸗ ſchen Menſchenfreunden (meiſt Maurern) zwei⸗ mal funfzig Dukaten. Die Berliner Geſchenke, die durch Herrn Eberhard mir zufloſſen, betrus gen im erſten und folgenden Jahre zuſammen, wo ich nicht irre, nahe an 400 Thlr. Sobald ich aber mich nur einigermaſſen aus der tiefſten Armuth herausgeriſſen und mit Waͤſche, Klei⸗ dung und vornehmlich Hausgeraͤthſchaften vers ſorgt hatte, verbat ich ſelbſt die Fortſezzung die⸗

ſer Geſchenke. Meine kleine Bibel trug 60 Luis⸗

dors ein, und die Apologie go Thaler. Kurz, ich hatte in den erſten beiden Jahren mit allem, was ich verdiente, ohngefaͤhr 1200 Thaler, davon ich wenigſtens 400 auf neue Hausgeräthſchaften ver⸗ wendete, um nicht immer mit geborgten Mobis lien mich behelfen zu muͤßen. Folglich habe ich aufs Jahr nicht mehr als 400 Thlr zu meinem und der Meinigen Unterhalt gehabt, mit denen ich in Halle, nicht anders als kuͤmmerlich leben konte. Zudem habe ich in dieſer Zeit von Dies ſem Gelde dreimal armen Studenten geholfen, die mich angiengen: einem mit drei, und zweien mit einem Luisdor, welche ich ihnen, durch die Schilderung ihrer Noth bewegt, ſchenkte.

Bei allen Laſten und Sorgen verlor meine gluͤk⸗

liche Laune ſich nie.

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——— 45 N Viertes Kapitel.

ꝓfälzer Neuigkeiten.

SR | Ar: erhielt lange Zeit keine Nachrichten aus

der Pfalz und feloft meine beſten Freunde ſchie⸗ nen mich vergeſſen zu haben. Aber ſie fanden ſich alle wieder. Einer nach dem andern, wie wenn er ſich nur erſt vom Schrerken uͤber mei⸗ nen Sturz erholt hätte, ſchrieb mir in den zaͤrt— lichſten Ausdruͤkken und bat um Nachricht von meiner jezzigen Lage.

Mein groͤßtes Anliegen war, zu erfahren, wie es in dem verlaßnen Heidesheim ausfähe, wie es um meine zuruͤkgebliebenen Habſeligkeiten ſtehe, und was ich davon zu hoffen haͤtte. Aber leider waren alle ſchon von Heidesheim weg und konten mir wenig Troſt ertheilen.

Herr Rühl hatte, wie man mir ſchrieb, gleich nach meiner Abreiſe eingeſehn, daß er der Fortſezzung des Inſtituts nicht gewachſen ſey.

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Folglich hatte er die Lehrer, die nicht ſelbſt ſchon zu ihrer Abreiſe Anſtalt gemacht hatten, verab⸗ ſchiedet, und die Zoͤglinge wurden theils abgeho⸗ let, theils durch Vorſorge der oͤkonomiſchen Ger ſelſchaft nach Hauſe geſchikt. Und ſo war nun das Seidesheimiſche, wie das Marſchlinzer Philanthropin, begraben.

Ueber meinen in Dienheim ausgeſtandenen Arreſt ſchried mir ein Freund einen Brief, den ich hier woͤrtlich einruͤkken wil:

Erſt jezt, lieber Freund, hat ſich mein Unwille gelegt, den ich uͤber Ihre ſo unbeſonnene Flucht, empfunden habe. Ich habe die er⸗ ſte Woche nach Ihrer Abreiſe voͤllig geraſet. Meine Liebe zu Ihnen erfuͤllte mich mit Wuth. Ich konte nicht an Ihe Schikſal denken, ohne mit den Fuͤſſen zu ſtampfen und mich an die Stirn zu ſchlagen. Und noch draͤngt ſich jedesmal, wenn ſich das Andenken dieſer Scene in mir erneuert, we⸗ nigſtens ein ſchmerzhafter Seufzer aus mei⸗ ner Bruſt herauf. Gott! daß Sie mir und

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unfeen . . nicht folgten, daß Sie Ibren älteften und treuſten Freunden nicht glaub⸗ ten, die aus fo unwiderſprechlichen Gründen es Ihnen bewieſen, daß Ruͤhl in allem Ber tracht Schurke war. Welche Schande, welchen Verluſt, welche Angſt haͤtten Sie ſich und Ihrem armen hypochondriſchen Wei⸗ be ſparen koͤnnen, wenn Sie dem Vöoͤſewicht

nicht getraut haͤtten, ſondern, nach unſerm

Roth, oͤffentlich abgereifet wären. Den

ganzen Spektakel hat der elende Bube ganz

allein angerichtet. Er hat Ihnen die heilig⸗ fie Verſchwiegenheit empfohlen, um Sie des ſto ſicherer zu machen. Gleich den folgen⸗ den Tag, da er bei Ihnen in Heidesheim geweſen war, wußte es ſchon Herr. in Duͤrkheim, daß Ihnen Ruͤhl 4% Gul⸗ den verſprochen und zur Flucht gerathen hatte. Er alſo hat es ſelbſt bekant gemacht, daß fie heimlich davon gehen wuͤrden. Er hat es dem Stadtſchreiber ſo gar ſtekken

und ihn dabei warnen laſſen, daß er auf

ſeiner Hut ſeyn moͤchte, damit ſie nicht ver⸗ heimlichte Gelder des Inſtituts mit fort

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ſchaften. und begreifen Sie nun wohl, daß

der Stadtſchreiber Sie nicht ohne Urſach zur Rede ſezte, da er Ihre Frau mit den Kindern aus dem Schloſſe fahren ſah? er

wußte Ihr ganzes Vorhaben und hat

Abends, da fie mit La Roche abfuhren,

laut im Schloſſe geſagt, „da reißt er hin! Adieu, Doktor Bahrdt.“ Was Ruͤhl ei⸗ gentlich für Abſicht bei dieſer niedertraͤchti⸗ gen Kabale gehabt hat, weis ich Ihnen nicht zu ſagen. Vieleicht, die katholiſche Parthei gegen Sie zu alarmiren, daß mans für einen Ungehorſam gegen den Kaiferlis . chen Befehl zum Wideruf anſehen und Sie unter dieſem Vorwande auffangen ſolte: vieleicht daß die oͤkonomiſche Geſelſchaft Sie einholen und mit Schimpf und Schande zu⸗ ruͤkfuͤhren ſolte, damit hernach ihre Kre⸗ ditores ſie feſtmachen und pluͤndern koͤnten? Das leztere iſt mir das wahrſcheinlichſte: denn der Sie hat arretiren laſſen, war Ihr verabſchiedeter Hausmeiſter. Und man ſagt fuͤr gewiß, daß Koch und Specht, eine Stunde nach Ihrer Flucht von Dienheim,

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daſelbſt eingetroffen wären und ſchreklich ger

wettert hätten, daß der Inſpek or Sie fort

gelaſſen hätte. Sie wolten ihn in Manheim bei der Regierung verklagen. Die Herren ſagen jezt oͤffentlich, Sie muͤſten über 1000 Gulden mitgenommen haben, die Sie von engliſchen und hollaͤndiſchen Eltern als Vor— ſchuͤſſe empfangen und ihnen verſchwiegen hätten. Sehen Sie, das haben Sie Ih⸗ rem ſeltſamen Einfalle zu verdanken, den erſten Schuft in Europa fuͤr einen gros— muͤthigen Mann zu halten, der, aus Ges fuͤhl Ihres Werths, redlich gegen Sie han— deln wuͤrde. Gott bewahre Sie vor aͤhn— lichen dummen Streichen und mich vor al— lem Andenken an dieſe Begebenheiten. kLaſ— ſen Sie mich bald, wo moͤglich, angenehme Nachrichten von Ihnen leſen, damit ich wie⸗ der mit frohem Herzen mich nennen kann ꝛc.

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Vieles von dem Inhalt dieſes Briefes bes

ſtaͤtigten bald andere Freunde und wenn ſie nicht

alle in der Nachricht einſtimten, daß die oͤkono⸗

miſche Geſelſchaft fo unfreundlich an mir gehan— IV. B. D

30 r

delt hatte; fo waren fie doch darin alle zw ſammentreſſend, daß fie der Verrätherei des Hofe, Ruͤhl meine Arretirung zuſchrieben, durch welche er ſeine Rache noch zu guter lezt an mir haͤtte kuͤhlen wollen.

Die ſcheusliche Denkungsart dieſes Men⸗ ſchen offenbarte ſich auch nachher mehr als zu deutlich. Denn ihm allein muß ich es zuſchrei— ben, daß alle meine Habſeligkeiten mit dem gan— zen Javentarium des Inſtituts in die Rabuſe gegangen ſind. Es iſt unglaublich, was ich er⸗ zaͤhlen werde.

Federman wird mir Recht geben, wenn ich behaupte, daß es die Schuldigkeit der fuͤrſtl. Leiningiſchen Regierung war, ſogleich nach mei⸗ ner Abreiſe (zumal da Ruͤhl und der Fuͤrſt es wußten, daß ich floh und meine Flucht ſelbſt durch ihren Rath veranlaßt war) alle meine Ef⸗ fekten in Duͤrkheim und alles, was in Heides⸗ heim zum Inſtitut gehört hatte, erſt zu verſio⸗ geln, dann, mit Zuziehung der oͤkonomiſchen Ges ſelſchaft, ein volſtaͤndiges und gerichtlich beglau⸗

1 5x bigtes Inventarium zu entwerfen, eine gewiſe ſenhafte Taxation daruͤber anzufertigen, fo fort alle Kreditoren vorzuladen, und ſie mit ihrer Liquidation zu vernehmen: mir ſelbſt aber zulezt alles, Inventarium, Tape und Liquidationen der Kreditoren zuzuſchikken und mich daruͤber zu hoͤ⸗ ren: und fodann die liquiden Schuldner von denen gerichtlich ſubhaſtirten Gütern zu befries digen, und mir den Ueberſchuß zu zuſtellen.

Von dem allen iſt meines Wiſſens nichts ge⸗ ſchehen. Ich ſchrieb ſelbſt, ich erinnere michs nicht mehr genau, ob an den Fuͤrſten oder an die Regierung, es gilt gleich und bat um Information, wie es mit meinen zuruͤkgelaſſenen Gütern ftehe, Aber niemand wuͤrdigte mich einer Antwort.

Ich ſchrieb an die oͤkonomiſche Geſelſchaft, aber ich erhielt auch da, ſtatt befriedigender Nachrichten, die bitterſten Klagen, daß die Krediz toren ihnen zu Leibe giengen, und man von Seiz ten der Regierung ſie auf keine Weiſe von mei— nen zuruͤkgelaſſenen Gütern befriedigen wolle.

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Sie baten, daß ich einen ſchriftlichen Aufſaz ein⸗

ſchikken möchte, in welchem ich erklaͤrte, daß die oͤkonomiſche Geſelſchaft ein Recht an meinen Guͤ⸗ tern habe, und daß man dieſelben in den Stand

ſezzen möchte, von dem Ertrag derſelben meine

Glaͤubiger zu befriedigen. Ich ſtelte dieſe Erklaͤ— rung von mir und die Leute lamentirten in einem hin, daß die Regierung ihnen nichts ver⸗ abfolgen laſſe, und daß ſie von den Glaͤubigern geaͤngſtet wuͤrden.

Ich wandte mich endlich an des Staatsmi⸗ niſters v. Herzberg Excellenz und bat um ein Vorſchreiben an die Leiningiſche Regierung, wels ches mein Geſuch, daß ſie von meinen hinterlaſ—

ſenen Guͤtern mir Rechenſchaft ablegen moͤchte,

unterſtuͤzzen ſolte. Des Koͤnigs Majeſtaͤt bewil⸗ ligte mein Bitten. Es ward von Berlin an den Fuͤrſten geſchrieben. Die Regierung antwortete: „ich hätte ja fo. viele tauſend Gulden Schulden hinterlaſſen, zu deren Tilgung meine hinterlaſſe⸗ „nen Guͤter nicht einmal hinreichten: was ich „denn alſo haben wolte?“ Man ließ mir dieſe Antwort von Berlin aus zugehen und gab

mir zu verſtehen, daß ich beffer gethan, wenn ich geſchwiegen haͤtte. Ich ſchwieg alſo nun. Und ich habe ſeitdem keinen Schritt weiter gethan, ſon⸗ dern das Meinige im Stiche gelaſſen.

Aber jezt darf ich doch wenigſtens getroſt aufs treten und fragen: ob dieſe Antwort der Regierung wohl hinlaͤnglich war? Folgt daraus, daß ich mein Vermoͤgen uͤberſteigende Schulden hatte (ich will es als wahr annehmen, ohngeachtet ich vom Gegen— theil überzeugt bin), daß ich keine Rechenſchaft fo— dern durfte? Blieb es nicht immer Pflicht der Regierung, mir die Glaͤubiger, die ſich gemeldet hatten, anzuzeigen, und mich zu vernehmen, ob ich ihre Foderungen auch fuͤr richtig erkenne? Kon— ten ſich nicht Leute mit falſchen Foderungen einge— ſchlichen haben? War es nicht billig, daß ich die einzelnen Poſten mit der Totalſumme erfuhr? Kon⸗ te ich nicht verlangen, daß man mir ein gerichtlich aufgenommenes Inventarium meiner Güter in Heis desheim und Duͤrkheim zuſchikte, damit ich ſehen konte, ob auch alles ehrlich zugegangen waͤre? Und geſezt, die Leiningiſche Regierung haͤtte mit meinen Guͤtern ganz willkuͤhelich verfahren, fie verkaufen

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und die Schuldner bezahlen wollen, war es nicht, dennoch ihre Pflicht, mir hinterher wenigſtens Ro⸗ tiz zu geben und zu melden; ſo viel iſt aus Euren Suͤtern bei der Verſteigerung herausgekommen und ſo viel haben wir an Eure Glaͤubiger bezahlt? Wo iſt in der Welt ein Land, in welchem von der Obrig⸗ keit nicht dieſe Rechenſchaft gefodert werden darf?

Und ich ſage es oͤffentlich, mir iſt nie dieſe Rechenſchaft abgelegt worden. Ich weis bis dieſen Augenblick nicht, was man von meinen Guͤtern ge⸗ funden hat, wer ſie zu ſich genommen hat? ob ſie | verkauft worden find? was dafür gelsſet worden iſt? wo das dafür geloͤßte Geld hingekommen iſt?

Es iſt moͤglich, daß der gute Fuͤrſt jezt dieſes lieſet und in ſeinem Herzen den elenden Ruͤhl ver⸗ wuͤnſcht, der mich ſo geplündert hat. Aber was wuͤrde mirs nun helfen, wenn die Sache unter⸗ ſucht und eine Art von Rechenſchaft abgelegt wer⸗ den ſollte? Meine Buͤcher, Briefe und Rechnun⸗ gen find zusuͤkgeblieben. Woraus ſoll ich mich jezt, da eine Zeit von beinahe zwoͤlf Jahren in dem Ge⸗ daͤchtniſſe das meiſte vertilgt hat, orientiren? Was

ſoll ich jezt für Veweiſe gegen geſchehene Ungerech⸗ tigkeiten fuͤhren?

Ich beſizze noch einen Brief, in welchem mir ein rechtſchafner Freund aus Duͤrkheim ſchrieb: A man hat Ihre Polyglotte, Ihren Seſychius von „Alberti, und andere Ihrer koſibarſten Bücher in „der Ruͤhliſchen Bibliothek gefehen. Alſo Here Ruͤhl hat ſelbſt ſich verſorgt? Was hat denn der Mann mit meinen uͤbrigen Guͤtern gemacht? Denn warlich ihn allein muß ich anklagen. Denn die rechtſchafnen Maͤnner der damaligen Regierung find zuverlaͤſſig frei von allen Vorwuͤrfen des Be— trugs und der Ungerechtigkeit. Sie hatten keine Gewalt in Dingen, wo Ruͤhl wirkte. Er kom⸗ mandirte. Er allein und ein gewiſſer Sekretaͤr, deſſen Namen ich vergeſſen habe (ſein fades Geſicht und ſeine tief liegenden Augen kuͤndigten laut den abgenuzten Wolluͤſtling und tuͤkkiſchen Achſeltraͤ— ger alle Duͤrkheimer Leſer werden ſich ſeiner er— innern) waren die Werkzeuge meiner Verarmung.

—_ *

Fuͤnftes Kapitel.

Hinderniſſe meiner Verſorgung in den preuſſiſchen Staaten.

= Gen erzaͤhlte ich noch weit mehr und umſtaͤnd⸗ licher, ſagt Herr D. Semler in der Vorrede zum er⸗ ſten Bande feiner Lebensgeſchichte S. 3. um menigs ſtens manchen die Larve abzureiſſen, an der ſich manche Zeitgenoſſen noch ſehr irren: aber noch

] *

aͤngſtlicher wird mir, wenn ich daran denken muß.

daß durch ſolche gewiß auffallende Erzaͤhlungen wohl gar hier und da ein Mann oder ein Zoͤgling

ich ſezze hinzu gebeugt oder beſchaͤdigt werden

koͤnte, der durch anderweitige Verdienſte Anſpruch auf Schonung hat.“ Das iſt gewiß der Fall

jedes rechtſchafnen Mannes, wenn er ſein eigner

Biograph werden will. Auch ich werde nur erzählen, was theils unvermeidlich theils weltkun⸗ dig iſt, und manches noch, was mir in den preufz ſiſchen Staaten wunderbares und zum Theil un⸗ glaubliches begegnet iſt, mit Aufopferung der weit beſſern Geſtalt, unter welcher ich dadurch erſcheinen koͤnte, bis auf die Zeit verſparen, wo ich und die

nicht mehr ſeyn werden, ang; die Nachwelt richtet.

Der wuͤrdigſte Staatsminiſter v. Fedliz war gewiß eifrig und ernſtlich darauf bedacht, mich in den koͤniglichen Staaten auf eine anſtaͤndige Art zu verſorgen und meine Talente dem Lande nuzbar zu machen. Er ſchrieb mir gleich nach meiner Anfunft in Halle in dem ruͤhrenden Tone des unverſtellten Menſchenfreundes:

„Seyn Sie uns wilkommen, mein lieber Herr „D. B. in den preuſſiſchen Staaten. Genieſ— „ſen Sie nun nach ſo viel uͤberſtandnen Lei— „den und Gefahren der Ruhe. Sie koͤnnen verſichert ſeyn, daß ich ꝛe.

Was fuͤr einen beſtimten Plan der Miniſter mit mir gehabt hat, weiß ich nicht. Ich habe ihn darüber nie befragt und habe eben fo wenig ſelbſt damals Vorſchlaͤge gethan oder um etwos mich bes worben. Und es ift ganz falſch, wenn Herr Sem⸗ ler in der angeführten Vorrede S. 6. ſagt, daß ich um eine Profeſſur angehalten hätte, Denn gerade

D 5

eine Profeſur hielt ich ſelbſt fuͤr das inproktka⸗ *

belſte. Und ich kan mich öffentlich auf Sr. Excel⸗ lenz Zeugniß berufen, daß ich weder dieſes noch ein ander Amt beſtimt mir aus gebeten habe.

Aber das weiß ich gewiß, daß der Miniſter mich im Schulfache anſtellen wollte und daß er mich auch ganz ohnfehlbar auf das beſte verſorgt haben wuͤrde, wenn nicht Herr Semler ſelbſt ſich dagegen aufgelehnet und den Miniſter beſorgt ges macht hätte, daß er mit der Fakultat ſich zulezt ges rade an den Koͤnig wenden, und ihm Verdruͤßlich⸗ keiten zuziehen moͤchte. Nur langer und heftiger Widerſtand hat den Miniſter endlich ermuͤdet und ihn bewogen, alle ſeine guten Abſichten aufzugeben und mich, in einem muͤhſeligen Privälleben, von Sorgen und uͤbermaͤſſigen Arbeiten verzehren zu

laſſen,

Herr Semler, den ich darum nicht um einen Grad weniger verehre, weil ich immer gewohnt bin, die einzelne fehlerhafte Handlung von dem gan⸗ zen Charakter abzuſondern und nie eines mit dem andern zu verurtheilen, Herr Semler war nach

39 meiner ueber enges die 3 dieſer Zer⸗ fiörung meiner Ausſichten, fo ernſtlich er auch S. 10. gegen den Vorwurf proteſtirt, daß er allein die Schuld habe und mein Verfolger geweſen ſey. Denn ob es gleich bekant iſt, daß die theologiſche Fakultaͤt in Halle gegen meine Anſtellung ſich ſezte und dem Miniſter die heftigſten Vorſtellungen ein⸗ reichte, fo weltkundig iſt es doch auch, daß auf der einen Seite der gutmuͤthige Freylingshauſen blos nachgebender Theil war und der vortrefliche Knapp die Schritte der Fakultat misfaͤllig anſah,

und daß auf der andern Seite, wenn auch die Fa—

fultät unanimiter gegen mich votirt gehabt hätte, dennoch die Autorität und der haſtige Eifer des Herrn Semlers bei Hofe den Ausſchlag gab. Waͤ⸗ re Herr Semler fuͤr mich geweſen; ſo haͤtten die

andern alle ſich heiſer ſchreien moͤgen, und kein

Menſch würde gethan haben, als wenn er fie hörte,

Weislich laßt auch H. Semler den erſten Ber richt, der gegen mich gemacht wurde, nicht mit abdrukken, weil dieſer zu ſehr mit Dingen anges füllt war, welche die guten Männer von bloßem Hoͤren-Sagen hatten und nicht beweiſen konten.

60 w. 7 . N 7 und man kan aus dem zweiten, den er S. ır. f. 1 hat abdruffen laſſen, nur noch einige Spuren von s der Heftigkeit des erſtern abnehmem und ſich aus ihnen die ungluͤk liche Wirkung deſſelben begteific machen.

Wenn man den Schattenſtrichen des zweiten Berichts nachgeht; ſo findet man, daß die Fakul⸗ tät um folgender Urſachen willen vom Miniſter vers langt hat, mir in Halle keine Profeſſur zu geben und ſelbſt als bloßen Docenten mich nicht au dulden.

I. „Unſer Beruf bringt es mit ſich, heißt es „S. 12., nicht nur die Verbreitung unmittelbar ir⸗ „religioͤſer Grundſaͤtze zu verhuͤten, ſondern auch „über die Lehren zu halten, welche in der heil. „Schrift und nach ihr in der Augsſpurgiſchen „Konfeſſion begriffen ſind.,, 85

Wer ſieht es dieſer Stelle nicht gleich an, daß ſie mit Erroͤthung hingeſchrieben werden mußte, um aus Gründen mich verdrängen zu koͤnnen!

rt een 61

a) Jederman weis es ja, daß folche alte Uni⸗ verſitaͤtsſtatuten, wie dieſe, auf die man ſich hier bezogen hat, nie der Maasſtab eines verftändigen _ Richters find und ſeyn koͤnnen. Und wie viele Pro: ceſſe koͤnte man gegen die Fakultaͤt und die ganze Akademie beginnen, wenn man alle dieſe alten Sta— tuten nach der Strenge nehmen, und jezzige Hand— lungen der Profeſſoren und Verfahrungsarten der Akademie darnach richten wolte.

b) Ein Semler aber, als der erſte Mitſtifter der Aufklaͤrung in Deutſchland und als ein ſo ei— friger Verfechter der algemeinen Denkfreiheit haͤtte am wenigſten den erleuchteten Zedliz die Schnurre ins Geſicht ſagen ſollen, daß er berufen ſey Sr: thuͤmer zu verhuͤten und uͤber die Lehren der augsſpurgiſchen Konfeſſion zu halten. Denn es war doch gar zu merklich, daß das verhuͤten und daruͤber halten nichts anders war und ſeyn konte, als ein aͤuſſerliches zum Schein gethanes Proteſti⸗ ren gegen Irthuͤmer und deren Verbreitung. Er unterſcheidet ja ſelbſt die oͤffentliche Lehre der Lu⸗ theraner von der innern moraliſchen Religion und giebt leztere (welche doch natuͤrlich Irthuͤmer d. h.

62 | abweichende Vorſtellungen von der öffentlichen Nee ligion enthalten muß) jedem frei. Folglich bekuͤm⸗

mert er fi nie (und kan es auch nicht) um die in

nern Vorſtellungen der Menſchen, ſondern blos um den oͤffentlichen Vortrag. Und er weis ſo nach ſelbſt, daß (fuͤr einen Mann wie er iſt, welcher ſei⸗ ne innere Religion auch fuͤr ſich hat und Irthuͤ⸗ mer in dem angezeigten Sinne hegt), Irthuͤmer verhüten und auf die Lehren der A. K. halten nichts anders ſey, als bei allem eignen Feſthalten an gewiſſen Irthuͤmern und eignem Verwerfen gewiſ— fer Lehren der A. K. dennoch aͤuſſerlich dage⸗ gen proteſtiren, daß nicht in dem oͤffentlichen Vor⸗ trage Irthuͤmer verbreitet und den Lehren der A. K. zuwider gehandelt werde. Iſt das nun nicht bloſſe Täuſchung der Unkundigen?

e) Hiezu komt, daß das Statut durch die Praxis des Königs und des koͤniglichen Oberkura⸗ lorii längft ſchon ſtillſchweigend abgeſchaft war. Denn wenn der König die volkommenſte Denk- und Schreibfreiheit eingefuͤhrt und ſelbſt Profeſſoren und Prediger in die Aemter geſezt hatte, welche Irthuͤmer d. h. Abweichungen von den bisherigen

&

=

Öffentlichen Lehren der A. K. nicht nur hegten, ſon⸗ dern auch vortrugen; ſo hat er ja offenbar den ver⸗ meinten Beruf der Fakultat aufgehoben, Irthuͤmer dieſer Art zu verhuͤten und über die Lehren der A. K. zu halten.

d) Inſonderheit aber möchte man hier fragen, warum denn die Fakultaͤt und Herr Semler inſon⸗ derheit erſt jezt ſich ihres Berufs erinnert habe, da der ungluͤkliche Bahrdt kam und ſein Brod ſuchte? Iſt denn vor dem D. Bahrdt kein Irthum in Hal⸗ le gelehrt, keine Lehre der A. K. in Schriften ange⸗ griffen worden? Hat die Fakultat vorher kein Buch cenfirt, daß der A. K. zuwider war?

e) Zudem iſt es ja an ſich ein albernes Geſez. Denn was heißt denn wohl jenes verhuͤten und dies ſes darauf halten? Sollen denn etwa wirklich die Theologen in Halle keinen Irthum zur Stadt odere zum Lande herein laſſen? Sollen Sie alle Schrif— ten unterdruͤcken, welche Saͤzze gegen die Lehren der A. K. enthalten? Sollen Sie ſchreien, verfols gen, Scheiterhaufen anzuͤnden? Nein. Nun was denn? Sie ſollen in ihren eignen Vortraͤgen dis

64

Irthuͤmer fein gründlich widerlegen, und die Leh⸗ ren der A. K. ſo ſcharf und einleuchtend beweiſen, daß die Menſchen alle, durch moraliſche Kraft, ge⸗ noͤthiget werden, von Itthuͤmern frei zu bleiben und der A. K. konform zu glauben! Wozu denn daruͤber ein Geſez? Das verſteht ſich ja von ſelbſt. Das iſt ja eben ſo viel als befehlen, die Schneider ſollen daruͤber halten, daß die Menſchen durch Kleider warm gehalten werden und ſich nicht erkaͤl⸗ ten, und damit doch nichts anders meinen als: die Schneider ſollen die Kleider gut und tuͤchtig nehen, daß der Wind nicht durchpfeiffen kan! :

t) Und darf ich wohl hier erſt erinnern, daß dies Geſez ſelbſt durch Semleriſche Praxis laͤngſt; abgeſchaft war? Habe ich noͤthig zu beweiſen, daß Herr Semler ſelbſt in ſeinem Leben Irthuͤmer d. h. Abweichungen von der oͤffentlichen Religion vorge⸗ tragen hat?

g) Ich will nur den Hauptpunkt noch beruͤh⸗ ren. Der ganze vorgebliche Beruf der Fakultaͤt rechtfertigt gar nicht ihr Verfahren gegen mich. Denn es iſt klar, daß, wenn ſie auch den Beruf

hat⸗

a 4 * 65

hatten, uͤber die Lehren der A. K. zu halten, ſie darum gar nicht das Recht hatten, mich zu verdräns gen und von der Univerſitaͤt zu vertreiben. Denn in der von Herr Semlern angezogenen Stelle der Statuten heißt es ja ausdruͤklich, ut cauſa ad Se- reniſſimum referatur, quo ipfe quid opus fit, ftatuat. Warum begnuͤgte man ſich nicht mit einer blos ruhigen Anzeige meiner Irthuͤmer an den Landesherrn und uͤberließ es dem, mit mir zu machen, was er noͤthig fand? Und iſt es nicht an ſich ganz augenſcheinlich, daß jenes verhuͤten und darauf halten nichts, als eine Wirkſamkeit durch moraliſche Kräfte d. h. durch Belehrungen und Gruͤnde anzeigt: keinesweges aber ein Schreien, Proteſtiren, und Widerſezzen gegen das Oberku— ratorium und gegen den Kurator in ſich ſchließt ?

II. „Wenn wir demnach an Ew. Hochfr. Exe. „uns neuerlich wendeten, um vorzubauen, daß D. „Bahrdt auf unſrer Univerſitaͤt am wenigſten als „Docent zugelaſſen werden möchte: fo handelten wir als rechtſchaffene Maͤnner, denen ihre Pflicht, „Gewiſſen und Eid theuer iſt. Wir kanten uͤber dieſes auch mehrere in feinen Schriften und Hana

i Iv. B. E ö

#

66 N N a

dlungen gegebene notoriſche Merkmale des Leicht⸗ „ſinnes, daß wir alſo ſeinen hiefigen Aufenthalt, „und erhaltene Erlaubniß, öffentlich lehren zu duͤr? „fen, für das Beſte der Univerfität nicht gleichguͤl⸗ g „tig halten konten; indem, wenn ihm gleich theo⸗ „logiſche Vorleſungen zu halten, nicht verſtattet „worden, er doch Gelegenheit genug bekommen „mußte, nach ſeiner bekanten Wirkſamkeit, den „uns anvertrauten Studioſis ſeine Meinungen und „gehaͤſſigen Begriffe von offentlichen Lehren der „evangeliſchen Kirche, durch Vortrag oder Um⸗ „gang beizubringen. Wir finden daher auch noch „keine Urſache, uns unſrer pflichtmaͤſſigen und bes „ſcheidenen Vorſtellung zu ſchaͤmen, und verdienen „daher um ſo weniger die Vorwuͤrfe eines teufli⸗ „ſchen Verfolgungsgeiſtes, oder folder im fins „ſtern ausgedachten, und zum Theil ausgefuͤhrten „Projekte, wodurch dem D. Bahrdt Freiheit, Le⸗ „ben und Verdienſt entzogen werden ſolte, oder „einer Misgunſt, die ihm alle Mittel entziehen „wolle, die Jugend in gemeinnuͤzzigen Dingen zu „unterrichten., 8

Es iſt wirklich zu bedauren, daß ein ſo vor⸗ treflicher Mann, wie Herr Semler iſt, ſich ſelbſt

8 267

Huber menſchlichen Schwachheiten theilhaftig ma⸗

chen mußte, wie in dieſer Vorſtellung zuſammen⸗ gehaͤuft ſind. N

a) Wird nicht jeder zuerſt fragen, warum denn die Herren vorbauen wolten, daß ich nicht Docent wuͤrde, da ſie doch wußten, daß ich nur Logik, Metaphyſik und Humaniora zu dociren die Erlaubniß haben ſolte? Was ging denn mein Taci— tus und Juvenal und meine Logik der A. Konfeſſion und dem Beruf der Fakultiſten an, uͤber ihre Leh— ren zu halten? - *

b) Muß man nicht ferner fragen, wie denn mein notoriſcher Leichtſin ſogar meinen Aufenthalt in Halle für das Beſte der Univerfität bedenklich machen konte? Hat man denn noob keinen leich tſin— nigen Mann in Halle unter den Profeſſoren gedul⸗ det? Es wuͤrde unverſtaͤndig oder vielmehr ganz eis gentlich niedertraͤchtig ſeyn, wenn ich hier Beiſpiele dagegen anfuͤhren und Profeſſoren nahmhaft ma— chen wolte, welche im Spiel, im Trunk, im Schul⸗ denmachen, im Kareſſiren ſich den Vorwurf des Leichtſinns zugezogen haben, ohne daß das Be⸗

E 2

ſte der Univerfitaͤt dabei gelitten hat. Ich begnüͤge mich, das Publikum auf die Magerkeit der Gruͤn⸗

de, aus welchen man mich von Halle zu verdraͤn⸗

gen ſuchte, blos aufmerkſam gemacht zu haben.

e) Und darum ſezze ich eine dritte Frage hin⸗ zu: was denn wohl die Herrn Fakultiſten für eine Beruhigung ihres ſo zarten Gewiſſens gefunden haben wuͤrden, wenn der Miniſter ihr Geſchrei er⸗ hört und mich von Halle nach Frankfurt oder Koͤ⸗ nigsberg oder Berlin verwieſen haͤtte? Waͤr ich denn dadurch verhindert geweſen, meine Meinun⸗

gen durch Vortrag und Umgang (und Schriften ſezze man hinzu) Jungen und Alten beizubringen?

Oder war es Ihnen nur um die heiligere Heerde der evangeliſchen Chriſten in Halle zu thun? Moch⸗ te ich immerhin der Verfuͤhrer anderer preuſſiſchen Unterth enen werden, wenn nur das von Irthuͤ⸗ mern unbeflefte Halle nicht durch mich verunreini⸗ get wurde? Was ſoll man nun von den reinen Bewegungsgruͤnden denken (S. 11.) aus welchen dies fer Bericht an das Oberkuratorium gefloſſen ſeyn ſoll!

-.

BE

Sechstes Kapitel.

0 Fortſezzung.

Martwürdig iſt es, daß Herr Semler in dem ob⸗

gedachten Bericht (S. 14.) ſogar dies ſich nicht zu geſtehen ſcheute, daß er ſich in die traurige Noth⸗

wendigkeit verſezt ſehen wuͤrde (wenn ich Profeſ—

ſor werden ſolte) die Studioſos von Beſuchung meiner gefaͤhrlichen Lehrſtunden (über Logik, Tas eitus ꝛc.) abmahnen zu muͤſſen.

Doch ich uͤbergehe dieſe und noch viel andere Merkwuͤrdigkeiten in dem ganzen Benehmen des übrigens fo ſanften und menſchenfreundlichen Sem— lers, um mit meinen Yefern bei zween Hauptpunk— ten noch zu verweilen und ſie der Beurtheilung der Zeitgenoſſen und der Nachwelt vorzulegen.

Der erſte betrift die Semleriſche Antwort auf mein Glaubensbekentniß, durch welche das ganze deutſche Publikum, ich moͤchte ſagen, erſchuͤttert und meine Faͤhigkeit zu einem auch nur halb geiſt⸗ lichen Lehramte recht abſichtlich zerſtoͤrt wurde.

E 3

70 ———

Wahr iſt es, daß mein Glaubensbekentniß ſehr fuͤglich hätte aus der Welt bleiben konnen. Und

ich gebe gern alles zu, was Herr Semler S. 350.

aus einer Berliner Schrift aus ſchreibt, um mich als einen Thoren aufzuſtellen. Denn ich habe wirk⸗ lich gefehlt, und kan dieſen uͤbereilten Schritt mit nichts entſchuldigen, als mit der Schwachheit meis nes Geiſtes, welche meine zuſammentreffende Un⸗ gluͤksſchlaͤge erzeugt hatten und mit der Schnel⸗ ligkeit des Druks, welchen meine Berliner Freun⸗ de beſorgten, denen ich die Bekantmachung ſo gut wie die Unterdruͤkkung dieſes Aufſazzes uͤberlaſſen hatte, |

Aber wenn ich gefehlt hatte, war darum Herr Semler berufen, mir es oͤffentlich vorzuhalten? Und wos ſolte die Antwort auf mein Glaubensbe⸗ kentniß? Wer hatte ihn denn gefragt? Was konte ihn bewegen, gegen einen ſchon ſo verfolgten und ungluͤklick en Mann noch ſelbſt zu Feide zu ziehen und ganz Deutſchland zu alarmiren, als ob er das "größte Verbrechen begangen haͤtte?

re lee jr *

War etwa das Glaubensbekentniß ſelbſt ſo gottlos und iereligiös, daß fein Gewiſſen ihn dräng-

te? Man ſehe es nur nach. Es enthielt nichts,

als die freimuͤthige Erklaͤrung, daß ich mir die Dreieinigkeit und die Gottheit Ehriſti insonderheit, nach Athanaſii Sinne nicht vorſtellen koͤnne: daß ich nicht von der Anſelmiſchen Satisfaktionstheo⸗ rie uͤberzeugt ſey: daß ich nicht glauben koͤnne, daß der Menſch von Natur ein Feind Gottes ſey und mit der Neigung zu allem Boͤſen geboren werde u. ſ. w. Im ganzen Aufſazze rede ich ganz beſcheiden von meinem Glauben und ſage nicht einmal gerade hin, daß ich die Dreieinigkeit, die Verſoͤhnung durch Chriſtum u. d. verwerfe, ſondern aͤuſſere blos dies, daß ich mir ſie ſo und ſo nicht vorſtellen koͤn⸗ ne. Waren denn das ſo entſezliche Irthuͤmer, da> zu H. Semler gar nicht ſchweigen konte? Betraf es nicht vielmehr gerade die Lehrſaͤzze, in denen H. Semler ſelbſt heterodox iſt, wie die ganze Welt weis und ihm Baſedow in der Urkunde aus ſeinen Schriften bewieſen hat? Iſt es nicht bekant, daß Herr Semler die Athanaſianiſche Dreieinigkeitsleh⸗ re verwirft und uͤber alle Dogmen der Kirche beſ⸗ ſere Vorſtellungsarten hat und ſeinen akademiſchen E 4

‚Zuhörern befant macht oder wenigſtens Winke das Bl zu aus der Hiftorie giebt, als der große Haufe der

Orthodoxen ſie hat und annimt?

Und man ſehe nur ſelbſt die Art der Widerle⸗

gung. Er widerſpricht keinem einzigen Sazze mei⸗ nes Glaubensbekentniſſes direkte und nent ihn Ir⸗

thum. Er ſtreitet faſt allein gegen mein Recht, dieſe Saͤzze ſo frei und gegen die oͤffentliche Reli⸗ gion vorzutragen und laut zu bekennen. War das

der Muͤhe werth? War es noͤthig, war es recht,

uͤber ein Bekentniß ein Geſchrei zu machen, uͤber

deſſen weſentlichen Inhalt er mit mir ſelbſt theore-

tiſch, obgleich nicht hiſtoriſch, einig war?

Ferner: mußte Herr Semler nicht bedenken, daß gerade er am wenigſten gegen mich auftreten durfte, da er mein Freund war, da er mich deſ⸗

ſen in Briefen verſichert hatte, da die Welt wuß⸗

te, daß er viel auf mich hielt, daß er meine Schrif⸗ ten in öffentlichen Koͤllegiis feinen Zuhörern em⸗

pfahl? War es nicht natürlich, wenn jederman

eine ganz eigene und ſonderbare Wendung ſeines Eharakters argwohnte? Konte es ohne ſchaͤdliches

Pr u TE 898

Auffehen bleiben 1 wenn ein Freund gegen ſeinen

Freund zu Felde zog und ihn oͤffentlich uͤber Dinge

zu beſchaͤmen ſuchte, die er im Herzen ſelbſt hegte?

Gewiß wird Hr. Semler jezt es noch mehr eins ſehen, was er ſchon ehemals S. 35 t. zu erkennen

gab, daß er gefehlt habe, und daß mein Beneh⸗ men gegen ihn, weiches ich in der kuͤrzern Erklaͤ⸗

rung uͤber Herrn D. Semlers Antwort auf das Bahrdtiſche Glaubensbekentniß. Berlin, 1780. 8. gezeigt habe, weitmehr der Geiſt der Sanft⸗ muth athmete, als ſein damaliges Betragen, wel— ches in allem Betracht auf meine Unterdruͤkkung wirken mußte.

Schwerlich wenigſtens kan er oder ſeine Leſer die Entſchuldigungen gründlich finden, mit wel⸗ chen er S. 35 1. feine Antwort rechtfertiget, daß er

als ein alter Profeſſor (das Alter thut worlich

nichts zur Sache) zu Veraͤnderungen der oͤffentli-

chen Religionslehre, ohne Nachtheil feiner ſelbſt

und der koͤnigl. Univerſttaͤt ohnmoͤglich hätte ſchwei⸗

gen koͤnnen. Denn wer wird ihm zugeben, daß

mein Glaubensbekentniß, als die Deklaration eis E 5

W

nes unbedeutenden Privatmanns, fuͤr eine Veraͤn⸗ * derung der Öffentlichen kehre anzuſehen war? Wer wird ſich uͤberreden laſſen, daß H. Semler Nach⸗ theil zu fuͤrchten hatte, wenn er zu dieſem Befents niſe ſchwieg, dergleichen ja jeder Menſch auszuſtel⸗ len ein buͤrgerliches und natürliches Recht hat? Und was verlor die Univerſitaͤt, wenn er ſchwieg und mein Glaubensbekentniß in Vergeſſenheit ge⸗ rathen ließ? 5

Wem wolte es ferner Herr Semler glaubhaft machen, daß mein Glaubens bebentniß fo viel pro⸗ teſtantiſche Stände in die tiefſte Befruͤbniß verſezt habe, und daß Halle darum 2 beurtheilt werden mußte? War ich denn der Maasſtab, nach welchem das Publikum die ganze Univerfi tät meſſen mußte?

Und welch ein faſt unverzeihlicher Winkelzug iſt es, wenn H. Semler auf eben dieſer Seite ſagt, daß mein Bekentniß an kaiſerliche Majeftät im Na⸗ men der Proteſtanten gerichtet geweſen ſey? Ha⸗ be ich auch wohl mit einer Silbe dieſe Frechheit geäuſſert, daß ich mein Bekentniß im Namen der Proteſtanten ablegte? A

0 75

Dioch ich eile zu einem zweiten Punkte, wel⸗

cher für mein Herz der allerempfindlichſte iſt, und von welchem jeder rechtſchafne Mann überhaupt und jeder Verehrer der großen Verdienſte des gu— ten Semlers wuͤnſchen muß, daß er nie in dieſer Geſchichte zum Vorſchein gekommen waͤre: ich mei⸗ ne die Ausfalle des Herrn Semlers auf meinen moraliſchen Charakter.

Man mag dieſe Sache anſehen, wie man will, und von mir ſelbſt die allernachtheiligſten Urtheile

hegen; fo wird man eingeſtehen muͤſſen, daß Ges

lehrte, wenn ſie mit einander in Streitigkeiten ge— rathen und noch mehr daß Theologen, wenn ſie ſich die Mine der Vertheidiger der Religion geben, ſich und ihrer vermeintlich guten Sache ohne Aus- nahme ſchaden, wenn ſie mit den Lehrmeinungen ihres Gegners zugleich ihren perſoͤnlichen Charak— ter antaſten und denſelben anzuſchwaͤrzen ſuchen.

Warlich es iſt betruͤbt, wenn ein ſo großer und vortreflicher Mann, wie Semler, ſich hier den Goͤzzen und andern Kezzermachern gleich ſtellt und die Lehre des Gegners durch Verdaͤchtigmachung

feines Charakters herabzuwuͤrdigen und dos Publi⸗ a

kum von ihm abwendig zu machen ſucht und noch mehr wenn er dies an ſeinem Freunde und . an einem Uungläklichen thut. N

Man kent mich. Ich bin ein Menſch, der Fehler hat. Ich habe vielfältig in meinem Leben leichtſinnig und unuͤberlegt gehandelt. Ich habe in diefer Geſchichte ſelbſt meine Fehler und meine Sitten angeklagt. Aber was geht denn das weine Lehrſäzze an? Können denn dieſe nicht wahr ſeyn, wenn ich nicht ſelbſt ein fehlerloſer Menſch bin? Müſſen meine muͤndlichen und ſchriftlichen Vortraͤ⸗ ge darum aufhoͤren, nuzbar und lobenswerth zu

ſeyn, wenn meine Handlungen zuweilen thoͤrigt und tadelhaft waren?

Heben denn menſchliche Thorheiten wahre Ver⸗ dienſte auf? Und hat nicht ein Mann von Talent und Verdienſten, eben um feiner Talente und Ver⸗ dienſte willen, Anſpruch auf Schonung und Nach⸗ ſicht? Ohne Bedenken wuͤrde ich allenfals einen durchaus ſchlechten Menſchen, wenn er ſeine Feh⸗ ler durch keine Verdienſte um die Welt verguͤtet,

| f 77

. als einen ſchlechten Men ſchen öffentlich an den Pran⸗ ger ſtellen. Aber einen Mann von Werth, der der

Welt nuͤzlich iſt und es taͤglich mehr zu werden ich

beeifert, ſolte man durchaus ſchonen. Und mir wenigſtens wuͤrde es Thraͤnen koſten, wenn ich z. B. von einem Semler Thorheiten und Fehltritte erzählen hörte und ſehen müßte, daß ein Mann von ſolchem Werth unter fo intoleranten Menſchen lebte. Das Verdienſt iſt zu ſelten und zu wichtig für die Welt, als daß man es der elenden Neigung aufopfern ſolte, menſchliche Thorheiten auszuſpaͤ⸗ hen und ſich uͤber ſie luſtig zu machen. Und nur die allerunedelſten Seelen koͤnnen ſich freuen, wenn ſie den Ruf eines wuͤrdigen Mannes durch Anekdo⸗ ten aus der Geſchichte ſeiner Schwachheiten vers dunkeln koͤnnen.

Aber ich moͤchte doch den guten Semler fra⸗ gen, was er denn von dem fo anftöfligen Leben (S. 16. der Vorrede) wiſſe, was ihn gegen mich zu agiren bewogen haben ſoll? War er denn je Zeuge davon, oder hat ers blos vom Hören: Sas gen? Und wenn er Zeugen hatte, warum machte er ſie nicht namhaft? Oder warens vieleicht keine

*

guten und tauglichen Zeugen? Waren es blos mei⸗ ne Feinde, die in namenloſen Pasquillen mich ge⸗ ſchaͤndet oder in vertrauten Briefen mich verleum⸗ det hatten? 8 5 |

Worin haben denn von jeher meine Gott⸗ loſigkeiten beſtanden? Habe ich je die Unſchuld ver⸗ führt? Habe ich irgend einen Menſchen an Gut oder Ehre wiſſentlich beſchaͤdigt? Habe ich mein Leben im Muͤſſiggange zugebracht, und als ein un⸗ nuͤzzer Menſch mein Brod gegeſſen? Habe ich bes trogen und gewuchert? Habe ich den Spieler ge⸗ macht und die Beutel gefegt? Habe ich einen Freund verrathen, oder einen Menſchen mit Wiſſen un⸗ gluͤklich gemacht? (Haͤtt' ich Freunde verrathen moͤgen; ſo ſaͤß ich vieleicht nie im Gefaͤngniß!) Laſſet einen rechtſchafnen Mann, der mich perſoͤn⸗ ſich gekant hat, namentlich auftreten und zeugen. Fraget alle, die mich handeln ſahen fraget mein eignes Weib, das ſo ſehr uͤber mich klagt, ob ich nicht von jeher der fleiſſigſte und arbeitſamſte Mann war, ob ich je dem Muͤſſiggange, dem Spiele, dem Trunke, dem unordentlichen Leben ergeben geweſen

bin, ob ich nicht vielmehr, bei unablaͤßlichen und

Fo ae

haft gehandelt haben folte?

gemeinnuͤzzigen Arbeiten und bei der redlichſten Er⸗

ziehung meiner Kinder, das maͤſſigſte, und ich

moͤchte ſagen, freudenleerſte Leben von der Welt gefuͤhrt habe? Fraget meine Kinder ſelbſt. Die ſind die ſollen meine Zeugen ſeyn.

Herr Semler fagt in der Lebensbeſchr. S. r. „daß die Sorgfalt, mit welcher fein Vater ihn er⸗ „zogen, ſein beſtaͤndiger Fleiß im Studiren und „Excerpiren und ſein geſeztes feſtes Urtheil ihm

hernach Beweiſes genug geweſen ſey, daß fein

„Vater ſeine Tage nicht in jugendlichen Ausſchwei⸗ „fungen verloren oder unrichtig vertheilt hatte.,

Wie komt es doch, daß er aus meinem Fleiſſe und

aus den anhaltenden Anſtrengungen meines Geiſtes, davon meine Amtsarbeiten und die Menge meiner Schriften zeugen, und vornemlich meine noch jezt im funfzigſten Jahre bluͤhende Geiſteskraft nicht eben fo menſchenfreundlich folgerte, daß ich ohn⸗ möglich (wie meine Feinde wollen) ein ausſchwei— fendes Leben geführt haben koͤnne, wenn ich auch in einzeln Zeitpunkten noch ſo uͤbereilt oder fehler⸗

2

80 | I O'derꝛ ſollen ſchlechterdings einzelne Thorhei⸗ ten den ganzen Charakter des Mannes entſcheiden N und verurtheilen? O dann moͤchte ich ihn ſelbſt fra⸗ gen, wie es ihm gefallen wuͤrde, wenn man ihn um jeder einzelnen Thor heit willen einen Thoren nen⸗ nen wolte? Und, bei Gott, wenn Thorheit mit Thor⸗ | heit ausgeglichen werden fol; fo will ich noch weit lieber einmal einen Nauſch gehabt oder gegen eine buͤrgerliche Konvention gehandelt haben, als mir | die Beflekkung der Geſchichte meiner Geiſtesthaͤtig⸗ keiten durch eine Ausgleitung zur Goldmacherei, oder die Verdraͤngung eines ungluͤklichen und da⸗ bei nuzbaren Mannes nachſagen laſſen.

Uebrigens verzeihe ich Herr Semlern den be⸗ ſtimten Vorwurf der Verſoffenheit (S. 7. in der Vorrede), um ſo viel williger, da gerade gegen die⸗ ſen Vorwurf alle Zeugen meines Lebens ſind und geweſen ſind. Ich trinke Wein, wie Herr Sem⸗ ler, und werde auch in Geſelſchaften, durch den Wein, gewoͤhnlich vergnuͤgter und munterer als ich im Anfange war, wie Herr Semler: aber ich habe nie vom Trinken Profeſſion gemacht. Und wer mich mehr als eine Butelle Wein (die ich ja

alle

4 ©

alle Tage fuͤr mich allein trinke) bei einer Mahlzeit hat trinken und dabei beſoffen geſehen hat, der tre⸗ te auf und zeuge fuͤr meinen lieben Semler, damit ichs ihm abbitten kan. Mein Herz bleibt bis dahin von allem fortdauernden Widerwillen gegen den verehrungswerthen Mann ſo entfernt, als es ge⸗ zen den armſeligen Schriftſteller geblieben iſt, aus deſſen Urne er jenen Vorwurf mit chriſtlicher Glaub⸗ willigkeit entlehnt hat. Ich habe viele Zeugen) die es wiſſen, daß Herr Moſchel ſelbſt den von ihm verleumdeten D. Bahrdt fo gut gefant hat, daß er in feinem Ungluͤk, wo Lebensgefahr ihn bedroh⸗ te, zu ihm floh, ſein Leben ſelbſt ihm anvertraute und daß er mehrere Tage lang, von ihm, dem D. Bahrdt, kurz nach der Ausgabe der ihm bekant gewordnen Urne, mit eigner Gefahr vieler Ver— druͤßlichkeiten, als Fluͤchtiger geheget, als Hungri⸗ ger beföftiget, als Kranker verpflegt, als halb ver: wirrter und Geaͤngſteter getroͤſtet und mit Unkoſten und Muͤhe gerettet worden iſt.

Iv. B. 7

Siebentes Kapitel.

Applauſus. Bekantſchaften. Haus kreuz.

-

HD. Miniſter fahe ſich von den Theologen fo bes ſtuͤrmt und mit fortdauernden Unruhen ſo bedroht, daß er feine anfängliche Wärme erkalten und alle ſeine Projekte, mich zu verſorgen, fahren laſſen muß⸗ te. Er begnuͤgte ſich, mich in Halle zu behaupten und mir das Recht zu ertheilen, als Privatdocent Philoſophie und Humaniora zu leſen. a

Das erſte, was ich jezt unternahm, waren Vorleſungen über die Rhetorik. Denn an die theoretiſche Philoſophie wolte ich mich nicht wa⸗ gen, weil Herr Eberhard in dieſer Wiſſenſchaft bisher das Monopol gehabt hatte, und ich es folg⸗ lich der Klugheit gemäß fand, einen Mann, deſ⸗ ſen Freundſchaft ich wuͤnſchte und deſſen Verdien⸗ ſte ich ehrte, durch Theilung des Applauſus nicht misvergnuͤgt zu machen.

Ich las meine Rhetorik, welche ganz beſon⸗ ders auf Bildung kuͤnftiger Prediger abzwekte, in

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7 K I anf ag as 83

dem Hoͤrſole des damaligen M. Mangelsdorf. Der Zulauf der Studenten war ſo groß daß nicht nur das Auditorium ſelbſt gepfropft voll war, ſondern daß auch auf dem Hofe (es war Parterr) alles voll war und die Studenten eine alte Waſchrolle, die unter der Einfahrt ſtand, herbei ſchlepten, die Fen— ſter oͤfneten und ſo an den Fenſtern bis oben hin— auf ſtunden und mir zuhoͤrten.

Meine Abſicht war, mit der Theorie die Pra⸗ xis zu verbinden und die jungen Leute in Invent on, Diſpoſition und Elokution zu uͤben. Da ich fuͤr dieſen Zwek einen geſchloßnen Numerus noͤthig hatte, damit die Herren in der Reihe ihre Aufſaͤzze mir bringen und ich dieſelben korrigiren konte; ſo war es mir nicht moͤglich, einen ſolchen Zulauf zu ertragen. Ich bat daher gleich en der zweiten; Stunde, nachdem ich den Zwek meiner Vorleſun⸗ gen bekant gemacht hatte, daß die, welche das Kollegium forthoͤren wolten, ſich aufſchreiben und alle uͤbrigen, die blos aus Neugierde hoſpitirt haͤt⸗ ten, nun wegbleiben möchten.

Alles Bitten und Vorſtellen war vergeblich. Der Zulauf ward immer größer, fo daß der Haus⸗ | *

84 0

wirih fi ſich auch beklagte, daß die Fenſter und die Waſchrolle ihm ruinirt wuͤrden. Ich hielt alſo i in der fünften Stunde inlgende Ae i „Es iſt mir dauernden Eifer Vereinen, 5 zu 3 und iQ würde in jeder andern Lage mich gluͤklich ſchazzen, von einem ſo glaͤnzenden Auditorio mich umgeben zu ſehen. Allein meine age Umſtaͤnde, die Ihnen allen bekant ſind, machen mir es zur bitter⸗ ſten Rothwendigkeit, die größere Ruzbarkeit dem Broderwerb aufzuopfern. Ich muß mit meinen Kindern allein von meinem Fleiſſe leben. Ich kan olſo, fo gern ich wolte, dies Kollegium nicht pu⸗ blice leſen. Ich muß nothwendig es entweder

wieder aufgeben, oder eine feſte Zaͤhl haben, wel⸗

che ſich in dieſen Hörfaf einſchraͤnkt, und mich or⸗ dentlich bezahlt. Ich traue Ihren guten Herzen zu, daß Sie dieſe Foderung eben ſo billig finden als beguͤnſtigen werden. Und fo erwarte ich es von Ihrer edlen Denkungsart, daß nunmehr alle Ho⸗ ſpiten wegbleiben und meinen beftändigen Zuhoͤrern den Raum laſſen werden. Ich will Ihnen, zum Beweiſe, wie ſchmeichelhaft mir Ihr Beifall iſt, dieſes kleine Opfer vergüten und Ihnen dafuͤr, daß

ſie die Belehrung weies Hörfates aufheben uͤber die Theorie der Deblamation wöchentlich auf der Wage eine Stunde e e Boclefungeh halten ꝛc. % πν ν imma el MIBIR «BAM

Dieſe Anrede that vortrefliche Wirkung. Ein erfolgtes Händeklatſchen bkieugte mir den Beifall der Vet ſamlung. Die Hoſpiten blieben weg. Es firfere ſich eine Zahl von 60 bis 70 Studenten. Aber leider nahm ich doch fuͤr das ganze Kolle⸗ gium, das mir an drittehalbhüͤndert Thaler ein⸗ tragen mußte, (die Perſon zu vier we 5 net) kaum 80 Thaler ein. ö

en

a hielt Wort und las auf der Wage meine Theorie der Deklamation. Und nun kam die ganz ze Univerſität. In der erſten Stunde waren uͤber 900 Studenten verſamſet.— Meine Feinde hat:

ten von meinem Beifalle gehoͤrt und die Eiferſucht befluͤgelte fie, ihn zu ſtoͤhren. Der Herr Prorek⸗ tor fand noͤthig, ſaͤmtliche Haͤſcher an die Wage zu poſtiren, unter dem Vorwande, allen Unord⸗ nungen vorzubevgen. Es gab aber Leute, welche behaupten wolten, es ſey gerade darum geſchehen,

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TEN

86 ; 9

die Studenten daruͤber unwillig zu machen, und a

man habe gewuͤnſcht, daß kaͤrmen entſtehen und man dadurch Gelegenheit bekommen mochte, nach Berlin zu berichten, daß meine Vorleſungen Tu⸗ multe erzeugten. Aber es ging, gegen alle menſch⸗ liche Erwartung, ſo ſtille zu, als man es bei einer ſolchen Verſamlung noch nie erlebt zu haben verſi⸗ cherte. Der Herr Profeſſor Woltaͤr und andere, die ſich in unkenbarer Kleidung mit eingeſchlichen

hatten, waren Zeugen davon. Ich hielt meine

Vorleſung bei der feierlichſten Stille dieſer Men⸗ ſchenmenge. Und da ich am Ende der Stunde die Vorſicht gebrauchte, den Herren Studenten vorzu⸗ ſtellen, daß meine Feinde auf jede Gelegenheit lauerten, mich in Berlin verhaßt zu machen, und ſie aus dieſem Grunde auf das dringendſte bat, daß ſie ja allen Schein eines Geraͤuſches, mir zu Liebe, vermeiden möchten, weil ſonſt alles, was fie thaͤten, auf meine Rechnung geſchoben werden

wuͤrde; ſo ward die ganze Verſamlung von dem

einſtimmigſten Vorſazze belebt, und dies große Studentenheer gieng, mit unerhoͤrter Geduld, vor den Haͤſchern ſo ſtill vorbei, daß auch kein Laut zu vernehmen war. |

Indeſſen kam doch Herr Eberhard des folgen— den Tages zu mir und rieth mir, die gewählte Abendſtunde, wo doch alzuleicht eine Unordnung vorgehen koͤnte, wenn der erſtaunende Zulauf blits be, zu veraͤndern. Ich ſchlug alſo am ſchwarzen Brete an, daß ich meine Vorleſungen des Sonn 15 bends fruͤh um 11 Uhr fortſezzen würde. Das ge ſchah und ich behielt bis zu Ende deſſelben über 500 Zuhörer beiſammen.

Uebrigens war und blieb mein Leben einſam und von Menſchenumgang leer. Der erſte Menfih, der ſich über das Vorurtheil hinweg ſezte und mit dem verſchrienen Kezzer öffentliche Freundſchaft zu halten beſchloß, war Herr Profeſſor Trapp, ein Mann, deſſen biederer und unbeſtechlich redlichet Charakter, deſſen herrliche Laune, deſſen heller Geiſt und ausgebreitete Kentniſſe mir eine ewige Sehnſucht nach ihm einföffen und das Andenken ſeines Abſchieds von Halle mir immer kummervoll machen werden. | |

Er ließ michs wiſſen, daß er mir gut ſey, und ich eilte mit meiner Frau und Kindern, ihm den

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erſten Beſuch zu machen. Meine ganze damals noch feurige Laune lebte bei dieſem Beſuche wieder auf, und begeiſterte den Hauswirth meines Trapps, den Heren Stifte amtmann Buͤttner dergeſtalt, daß er ſeine Hand zum neuen Freundſchaftsbunde bot und mir erlaubte, von Stund an ſein Haus als bag Meinige anzuſehn.

ie Wer die Freuden des geſelligen Lebens zu ſchmekken vesfteht, und ſich beſinnt, daß ich ſo lan⸗ ge Zrit ſie hatte entbehren muͤſſen, der wird ſehr leicht begreifen, daß dies fuͤr mich eine Epoche der Wiedergeburt war. Meine ganze Seele heiterte ſich auf. Ich bekam neue Schnellkraft. Ich fuͤhl⸗ te mich wieder und lernte meines Daſeyns froh werden. Eben ſo mein liebes Weib!

Es vergieng von jezt an faſt kein Tag, wo ich nicht, nach volbrachtem Tagewerk zu meinen Büttz ner und Trapp ſchlich und bei einem Butterbrod mit ihnen ein paar Stunden herzlich vergnuͤgt war. Kam ich zuweilen allein; ſo ging Herr Buͤttner heimlich fort und holte mein Weib nach, die ſich in dieſer Geſelſchaft mit mir gleich ſelitz fuͤhlte.

Aber die Freude dauerte nur wenig Wochen. Wenn beide Freunde als ehrliche Maͤnner handeln wollen; ſo muͤſſen ſie es vor jedem Richterſtuhle mir bezeugen, daß, ohn alle meine Veranlaſſung, endlich mein gutes Weib anſieng, ihre alte Krank- heit merklich zu machen. Fand ſie meinen Ton, den ich gegen die Familie beobachtete, zu herzlich und traulich, oder waren es, was mir wahrſchein⸗ licher iſt, Ohrenblaͤſereien und Verleumdungen die⸗ ſer Familie: genug, ſie fing an, nach ihrer Art uͤber Weiber und Maͤdchen zu deklamiren, welche frem— de Männer an ſich zoͤgen, und trieb ihr Moraliſi⸗ ren uͤber Sittſamkeit und Tugend ſo weit, daß meine Freunde zuruͤkhaltender wurden und ſich nicht mehr getrauten, in ihrer Gegenwart, den natuͤr⸗ lichen Gang ihrer frohen Laune zu behaupten. Und daraus erfolgte ganz natuͤrlich, daß man gegen meine Frau kaͤlter wurde und fie nicht mehr vers mißte und nachholte, wenn ich allein kam.

Die Folgen waren unvermeidlich. Meine gute Frau ſah und empfand die Veraͤnderung. Sie merkte, daß man ſich nicht mehr nach ihr ſehnte. Und ſie wurde eben dadurch in ihrem Verdacht, F 5

9 r

daß ich bei den weiblichen Mitgliedern dieſer Fa⸗ milien beliebter ſey, als fie es wuͤnſchte, ſo wie in jenen vermuthlichen Verleumdungen immermehr beſtaͤrkt. Und fo mußte von nun an jede Stunde, welche ich in dieſem Zirkel verlebte, für fie eine Stunde ftillen Harms und bald auch lauter Klagen werden.

Buͤltners und Trapps waren ihr nun der Dorn im Auge und ſie vergoß Thraͤnen, wenn ſie mich ausgehen ſahe. Ich bemuͤhte mich, ſie zu beruhi⸗ gen. Ich ſtellte ihr vor, daß ſie ſelbſt an ihrer Loge ſchuld ſey, und dieſe Freunde durch ihre uͤber⸗ triebene Delikateſſe und Moraliſiren von ſich ver: ſcheucht habe daß ich, bei meiner ungluͤklichen Loge, welche mich zu unaufhoͤrlichen und muͤhſeli⸗ gen Arbeiten noͤthigte, dieſe Erholungsſtunden nicht entbehren foͤnte ac. Aber alles war umſonſt. Sie machte mir Vorwuͤrfe. Sie klagte bei geringen Leuten uͤber meine Ausartung. Sie erhizte mich zuweilen durch zudringliche Reden bis zur Aerger⸗ lichkeit. Daraus entſtand ein neues Uebel.

Meine Kinder ſahen den fleiſſigen Vater, der

fuͤr ſie unter der Laſt der Arbeit faſt erlag und fuͤhl⸗

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ten, wie ungerecht es war, daß die Mutter mich ſo oft quaͤlte und fingen dadurch an. die Mutter in eben dem Grade weniger zu lieben, in welchem ihr Herz an dem Vater hieng. Die aͤlteſte, deren Bers ſtand fruͤhzeitig reifte, unterftand fich fo gar, was ich ihr oft liebreich und mit Gruͤnden verwieſen has be, der Mutter Vorwürfe zu machen und in kindi⸗ ſcher Einfalt, (ſie war damals etwa ſieben Jahr alt) meine Partie zu nehmen. Dies legte gegenſei⸗ tige Keime der Abneigung in das Herz der Mutter. Und ſo erlebte ich nach und nach das größte Leiden, was einem Vater begegnen kan, daß meine Frau immer hypochondriſcher wurde, daß meine Kinder, theils um meinetwillen, theils weil ſie den ganzen lieben Tag von der verſtimten Laune der Mutter gequält und durch ewiges Klagen oder Keifen mie: muͤthig wurden, ſie immer weniger liebten und (troz aller meiner Bemühungen, entgegen zu arbei⸗ ten) immer kalter und ſtoͤrriger gegen fie wurden und daß die Mutter ſelbſt die aͤlteſte Tochter ine ſonderheit anfieng zu druͤkken und ihr ihre Abnei⸗ gung fuͤhlen zu laſſen. Die mittelſte ward dafuͤr ihr Liebling, weil ſie, ohngeachtet ihr Herz in Va⸗ terliebe nie erkaltete, ſich doch eher, als die andern,

„arri :

von ihr brauchen ließ, etwas für ſie zu beſorgen,

was ich nicht wiſſen durfte, oder zu erforſchen, was ſie gerne wiſſen N ö 20 547 5 g „0 ra,

Das Hauskreuz mühe e nun mit jedem Jahte mehr uͤberhand, und es gedieh endlich dahin, was aller Orten der Erfolg geweſen war, daß auch in Halle überall es bekant wurde, wie ſehr meine Frau mit mir unzufrieden ſey, und daß meine Feinde um ſo mehr Gelegenheit fanden, ihre Angriffe auf meinen Charakter, durch Berufungen auf die Kla⸗ gen meiner Gattin, zu beglaubigen. NETT u

Einſtweilen wagte es mein Beichtvater, der Paſtor Senf, mir einen Vorhalt zu thun und es tadelhaft zu finden, daß ich mit dem. .... Hauſe mich ſo genau verbunden haͤtte, indem meine theo⸗

logiſche Reputation darunter litte, weil von.

nicht gut geſprochen wuͤrde. Das Reſultat meinen Antwort war dieſes: | J a:

„Ich danke Ihnen, mein Freund, für Ihre „wolgemeinte Erinnerungen. Sie haben recht,

„wenn Sie behaupten, daß des Mannes Reputation a

„oft von feiner Geſelſchaft abhängt. Aber ich kan „dennoch meinen Freund dieſer Ruͤkſicht nicht auf⸗ „opfern. Ich muß erſtlich erwägen, daß fie die er⸗ y ſten Menſchen in Halle waren, welche in meiner „traurigſten Lage, wo alles vor mir floh, mich „aufnahmen, und mein elendes Leben durch frohe „Stunden verſuͤßten. Ich muß Ihnen dabei fer: „ner ſagen, daß ich ſie beide für rechtſchaffene Maͤn⸗ „ner halte, was auch die halliſche Mediſanſe von „ihnen ſagen mag. Ich habe den , von „welchem man, wie Sie ſagen, nachtheilig ſpricht, „ehr ſorgfaͤltig beobachtet und bin durch folgende „Stuͤkke von ſeinem moraliſchen Werthe uͤberzeugt „worden. Er iſt erſtlich ein arbeitſamer Mann. „Er lebt in feinem Haufe fo regelmäßig als ich ſelbſt

„lebe. Es herrſcht Ordnung, Sparſamkeit und

„Reinlichkeit. Er iſt ein vortreflicher Erzieher ſei⸗ „ner Kinder. Er unterrichtet fie ſelbſt täglich meh: „rere Stunden. Er iſt maͤſſig und nuͤchtern. Er „lebt mit feiner Gattin in dem ſchoͤnſten Verneh⸗ „men. Ein ſolcher Mann kan kein ſchlechter „Menſch ſeyn, was auch die Welt fuͤr Anekdoten „von ihm aufzuweiſen haben mag, welche entwe⸗ „der in feine frühere Geſchichte gehören oder, wie

94 W Ri „gewoͤhnlich, Thatſachen enthalten, von welchen „man, wenn man den wahren Zuſammenhang der „Umſtaͤnde wüßte, ganz anders urtheifen wuͤrde, als „das Publikum urtheilt, welches nichts als die „Oberflache der menſchlichen Handlungen zu ſehen „oder vielmehr nur zu hören bekomt. Ich kan „mich alſo unmöglich entſchließen, Freunde aufzus „geben, die ſich meiner Freundſchaft noch nie uns „werth gemacht haben und die mir ſo viel Gutes „erzeigen. Ich ſezze mich vielmehr in ihren Fall, „und uͤberlege, wie mir es gefallen wuͤrde, wenn „ein Menſch, den ich liebe, um des Publikums wil⸗ „len, weil daſſelbe mich verſchreit und verkezzert, „aufgeben und meine Freundſchaft ſeinem Wun⸗ „ſche, vor der Welt verdachtlos zu erſcheinen, auf⸗ „opfern wolte. So ſehr mich das ſchmerzen wuͤr⸗ „de und fo gern ich es ſehen müßte, wenn mein „Freund, dem Geſchwaͤzze der Leute zum Troz „ſtandhaft bliebe und mich feines Umgangs wuͤr⸗ „digte, fo unmoͤglich muß es gegenſeitig meinem „Herzen werden, dem Narrendinge von Publi⸗ „kumsgeſchwaͤz eine Freundſchaft preis zu geben, „welche bereits ſo feſt und innig geworden iſt. ,

Deer Herr Paſtor zog ſich zuruͤk. Ob mein liebes Weib ihn zu dieſer vergeblichen Bemuͤhung verleitet hatte, laß ich unentſchieden. Wolte Gott, es waͤre dies der einzige Beichtvater geweſen, dem ſie dieſes Unliegen offenbaret hätte!

Achtes Kapitel.

Scheiftſtellerei, und akademiſche Vorleſungen.

1 las, auſſer meiner Rhetorik, noch ein be braͤiſches Grammatikale über mein eignes Lehrbuch, und merkte bald, daß ich in beiden Vorleſungen das Monopol hatte. Dies bewog mich, bei die— ſen beiden Vorleſungen zu bleiben und mir daher auch fuͤr die erſtere ein eignes Lehrbuch zu veran⸗ ſtalten. Meine in Gießen herausgegebene Homi— letik war mir zu unvolkommen. Die Theorie der Deklamation fehlte ganz, ſo wie ich uͤberhaupt wohl der erſte bin, der eine Theorie dieſer Kunſt ge: wagt hat. Die Lehre von der Erfindung war nicht befriedigend. Ueberdem wuͤnſchte ich auch, neben

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der Form, meinen Schuͤlern die Materie wo nicht

mitzutheilen, doch die Ueberſicht derſelben ihnen zu erleichtern und fie auf die Achten Gegenſtaͤnde der Kanzelberedſamkeit aufmerkſam zu machen, damit ſie von Hamburger Dogmatik und Amſterdammer Polemik abgefuͤhret wuͤrden und das predigen lern⸗

zen, wobei eigentlich nur die Kunſt des Nedners

anwendbar iſt.

So entſtand mein Verſuch über die Bered⸗ ſamkeit, welcher auſſer einer (noch alzuflach) ſki⸗ zirten geiſtlichen Rhetorik ein konzentrirtes Syſtem der moraliſchen Religion enthielt. Ich ließ ihn auf eigne Koſten drukken. Eine neue Auflage hat her⸗ nach die Deſſauer Verlagskaſſe zur Welt gebracht.

Ich hofte, mit meinen zwei Kollegiis etwas zu verdienen: aber das eine wurde mir ganz zerſtoͤrt, und das andere in Abſicht der Zahlungen verkuͤm⸗

mert. Von wem? das will ich fernerhin ganz

auf der Seite liegen laſſen.

Man hatte geſehen, daß meine hebraͤiſche

Grammatik beliebt und fleißig beſucht worden war.

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War es nun, daß man es dem lieben Gott veruͤ⸗ belte, daß er mich noch immer nicht hatte verhun⸗ gern laſſen, oder fuͤrchtete man auch dieſe Vorle⸗ ſungen fuͤr die Ehre der Univerfität oder die reine Lehre der Augsſpurgiſchen Konfeſſion bedenklich: f genug, man rieth einem M. Güthe, ſich die— ſes Faches anzunehmen und hebr. grammatikaliſche Vorleſungen anzufangen, die vorher weder er, noch ein anderer gehalten hatte. Wo ich nicht irre, ſo las er ſie das erſtemal gar umſonſt. Kurz, der Applauſus mußte natuͤrlich, durch mancherlei Re⸗ kommendationen, welche die neuen Ankoͤmlinge an M. Guͤthe erhielten, ſich theilen, und ſo war auch dieſer Biſſen Brod mir vereitelt.

Die Rhetorik und Deklamation behielt ich. Denn es war kein Theolog im Stande, zu deklami— ren und eine Predigt zu halten. Und ohne daß man ſelbſt Muſter iſt, laͤßt ſich ſo ein Kollegium nicht leſen. Auch war, wenn ja einer ſich als Mu⸗ ſter zeigen wolte, wie hernach Herr Triemeier that, der Unterſchied ſo auffallend, daß der Student den vermeinten Deklamator vom wahren alzuleicht ab⸗ ſondern und ſonach durch keine Rekommendation

IV. B. G

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98 RT

abwendig gemacht werden konte. Aber man wußte mir auf einer andern Seite zu ſck ſchaden, daß. mein Monopol mir doch nicht viel eintragen durfte.

Ich hatte, nachdem meine Rhetorik zweimal war abfolvirt worden, ſchon nahe an 300 Thaler Reſtantenſchulden. Dieſe Reſtanten übergab ich, nach damaliger Gewohnheit, dem Prorektor. Er ließ meine Liſte liegen. Ich erinnerte ihn, und ſollicitirte, daß die Studenten, die mir ſchuldig waren, citirt werden moͤchten. Man verſprachs und thats nicht. Ich erinnerte wieder: da hieß es endlich, meine Reſtanten koͤnten nicht citirt wer⸗ den, bevor ich nicht zu jedem Namen das Rogis ſezte. N

Ich durfte nicht fragen: Herr, warum haben ſie denn das nicht gleich geſagt? Warum haben Sie mich ein Vierteljahr laufen und bitten laſſen? Warum haben Sie mir verſprochen, die Schuldner vorzuladen und ſagen mir jezt erſt, daß meine Liſte mangelhaft ſey? Eben fo wenig durfte ich fragen: warum denn der Herr Prorektor dem armen D. Bahrdt allein zumuthe, daß er die Anzeige der Wohnungen ſeiner Schuldner beifuͤge, da man

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doch von keinem andern Docenten das bisher gefo⸗ dert hatte, und da natürlich die Pedelle alle Woh⸗ nungen der Studenten von ſeldſt wiſſen ſolten? Ich mußte dem Rechte des Staͤrkern weichen und ſchwei⸗ gen. Alſo machte ich mich an die Brieftraͤger und ſamlete mit Mühe und Koſten das Verzeichniß der Quartiere aller meiner Schuldner. Ich uͤbergabs, hofte nun auf Huͤlfe zur Zahlung und erhielt nichts.

Meine Reſtanten blieben bis ins folgende Pros rektorat. Ich bat den neuen Prorektor, mit Ein⸗ reichung neuer Liſten, um Verhelfung zu meinem Gelde. Er verſprachs und thats nicht. Ich ſolli⸗ citirte. Endlich hieß es, mein Zeddel waͤre unter dem vorigen Prorektorat (es war das Riedsfyſche) verloren gegangen: ich muͤßte die Namen und GAuartiere von neuem aufſchreiben und einreichen. Man denke ſich dieſe Arbeit Ich mußte mich ihr unterziehen und doch erhielt ich auch unter die— ſem Prorektorat von allen meinen Geldern nicht mehr als 27 Thaler. Viele Studenten waren in deſſen ſchon von Halle abgegangen. Viele leugne⸗ ten die Schuld. Viele wurden gar nicht eitirt.

G 2

do

Ich wandte mich nun an den Kurator und er⸗

zahlte ihm, wie man mich quäfte und ſchlug her⸗ nach, da ich Gelegenheit hatte, Sr. Excellenz in Berlin ſelbſt zu ſprechen, vor, daß man die Vor⸗ ausbezahlung einführen moͤchte. Der Miniſter fand meine Gruͤnde wahr und gab den Befehl.

Aber auch damit gewann ich nichts. Viele Profeſ⸗ |

Foren hielten die neue Einrichtung ihrem Vortheile nicht gemaͤß. Es fehlte an Exekution und doch die Sache gehoͤrt nun weiter nicht zu meiner Ge⸗ ſchichte. Die Leſer ſehen nun ſchon zur Genuͤge, was ſie in Abſicht auf mein Schikſal ſehen ſolten. |

Einer von meinen redlichſten Freunden unter den Profeſſoren (ein Mann von dem vortreflichſten Herzen, der nie an Kabalen Theil nahm) rieth mir, um meines großen Applauſus willen, mehrere Kol⸗ legia zu leſen und mich in das Gebiet der Philoſo⸗ phie hinüber zu wagen. Er benahm mir alle mei⸗ ne Bedenklich keiten und auch die wegen Herrn Eber⸗ hards. Ich folgte ihm, und fing an, über Logik und Metaphyſik Vorleſungen zu halten.

Ich fiel auf Erneſti's Initia, weil ich glaubte, den guten Zwek beiläufig erreichen zu koͤnnen, daß

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meine Zuhoͤrer, neben der theoretiſchen Philoſophie,

zugleich den aͤchten roͤmiſchen Ausdruk mitlernen möchten. Und dieſer Zwek ſchien mir um deſto noͤ⸗ thiger, da es ohnehin unſern meiſten Studenten an Latinitaͤt fehlt. Daher entſchloß ich mich, dieſes freilich hoͤchſt magere philoſophiſche Lehrbuch ums.

zuarbeiten, und beſonders die fehlenden Materien

zu erſezzen, übrigens aber den aͤcht roͤmiſchen Aus⸗ druk des Autors moͤglichſt beizubehalten. So ent⸗ ſtunden zwei kleine Lehrbuͤcher: Inſtitutiones logi- cae und Inſtitutiones metaphyſicae, welche ich auf eigne Koſten edirte.

Ich bekam zu dieſen Vorleſungen eine große Menge Zuhoͤrer, aber meine Unfaͤhigkeit, denen, die um Erlaſſung des Honorars baten, es abzu⸗ ſchlagen und die Schwierigkeiten, die ich fand, von den zahlbaren Auditoren das Geld einzutreiben, verurfachte beſtaͤndig, daß ich durch keinen anſehn⸗ lichen TEEN inne wurde. f

Von Berlin Eng erhielt ich viele Zuredungen zu ing meiner humaniſtiſchen Kentniſſe. Ich befolgte auch dieſen Rath und ſchlug Vorleſungen G 3

über den Tacitus an. Und da ich meinen Zuhd⸗

rern den Geiſt des Schriftſtellers nicht ſichtbar ma⸗ chen zu koͤnnen glaubte, wenn ich blos paraphra⸗

ſirte und erklärte, und nicht zugleich eine eigentfie!

che Ueber ſezzung mittheilte; fo fing ich an, mich im Ueberſezzen zu üben und beſtrebte mich, meinen Schriftſteller, im deutſchen Gewande, moͤglichſt treffend darzuſtellen. Das war die Veranlaſſung zu meinem deutſchen Tacitus. Ich gab erſt ein Probeſtuͤk heraus, und da das Beifall fand, ließ ich den ganzen Tacitus folgen. |

Nie hab ich eine Arbeit mit fo viel Enthuſias⸗ mus gethan wie dieſe. Ich wuͤnſchte mir, ein paar Decennien hindurch in dieſem Fache weilen zu koͤn⸗ nen. Ich beſchloß mit dem Verleger, alle roͤmi⸗ ſchen und griechiſchen Klaſſiker in ſolchen Ueberſez⸗ zungen herauszugeben. Aber mein Vergnügen wurde mit verbittert. Die Serrmanniſche Buch⸗ handlung in Frankfurt mochte zu eben der Zeit den Einfall gehabt haben, dergleichen Ueberſezzun⸗

gen zu liefern. Ihre Avertiſſements kamen wenig |

Wochen nach den Meinigen in Halle an und er⸗ ſchrekten meinen lieben Gebauer fo ſehr, (zumal

[a nee 103

da ſie zugleich mir und ihm den Krieg ankündigten) a er den . verlor, mee

Meine gust war nicht Be So ſehr auch un Bergſtraͤſſer und Konſorten meinen Ta⸗ eitus ſchulmeiſterten, jo gabs doch Maͤnner genug, welche meinen Tacnus bei allen (in lauter Kleinig⸗

keiten enthaltenen) Fehlern, in Abſicht auf Rich⸗ tigkeit und wahre Darſtellung des Geiſtes des Originals für die zur Zeit befte Arbeit erkanten. Ich ließ mir daher einfallen, da ich im folgenden Winter uͤber den Juvenal las, dieſen Dichter zu uͤberſezzen und auf eigne Koſten herauszugeben. Die Arbeit gerieth, aber der Druk war ſo ſcheus— lich und fehlerhaft ausgefallen, daß die Leſer auf allen Seiten Sinn und Verſtand vermiſſen mußten.

Um dieſe Zeit war es, da der Mag. Reich in Deſſau, ein Mann von vielem Genie und redlichem und feſtem Charakter, aber auch dabei ein unbieg⸗ ſamer Starrkopf, das beruͤhmte Projekt zu einer Gelehrten Buchhandlung entwarf. Er kam zu allererſt nach Halle und theilte mir und Herrn Ttapp⸗ ſein Vorhaben mit. Wir machten ihm allerlei Ein⸗

G 4

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wuͤrfe: aber er erklärte ſie fuͤr Zeichen der Muth⸗ loſigkeit und Mangel des Patriotismus. Trapp blieb bei ſeinem Unglauben. Ich aber, durch Ehr⸗ geiz und Ausſichten zu Gewinn bewegbarer, ließ mich von ihm einnehmen. Der Gedanke, daß es

Seelengroͤße ſey, die Bahn mit eigner Gefahr zu

brechen und die Republik der deutſchen Gelehrten vom Joche der Verlegerſchaft zu befreien, ſchmei⸗ chelte mir. Und die Hofnung, mit der Zeit, drei⸗ fachen Lohn meines Fleißes zu erndten, verblendete mich, daß ich die Moͤglichkeiten eines Bankeruts nicht ſah und ihre ſo nahe liegenden Gruͤnde nicht empfand. Ich verſprach Herr Reichen alle meine Schriften. ö

Die Sache begann. Ich brachte meine Lo⸗ gik, meine Methaphyſik, meinen Verſuch uͤber die Beredſamkeit, und hernach auch meine Ge⸗ dichte und meine Briefe uͤber die Bibel nebſt dem N Juvenal zu Markte und ward betrogen. meinen Juvenal konte ich 100 Thaler Luisd'or ha⸗ ben, welche ein Verliner Buchhaͤndler mir geboten hatte. Dafür wendete ich noch 120 Thaler auf Papier und Druk und nahm ohngefaͤhr 50 Thaler

ein. Und ſo ging mirs mit allen meinen Schriften.

Ich ſtekte Geld hinein, machte Schulden, und am Ende, da die gelehrte Buchhandlung zu Grabe getragen wurde, hatte ich fuͤr meinen Patriotis⸗ mus nichts, als daß ich 13 bis 14 Ballen Mafus latur zuruͤkgeſchikt bekam, nachdem ich alles in als lem, noch keine 200 Thaler von der gelehrten Buch⸗ handlung bezogen hatte. Ich darf meinen Verluſt ganz keklich 400 Thaler anſchlagen, das lucrum eefläns ungerechnet. f

Einen kleinen vorläufigen Erſaz dieſes Ver⸗ luſts gab mir »der wuͤrdigſte Staatsminiſter von Muͤnchhauſen. Dieſer brachte feinen Sohn von Goͤttingen nach Halle, und ließ mich des Abends ſpaͤt zu ſich auf den Kronprinz einladen. „Ich „war willens, fagte er, meinen Sohn nach Gene— „be zu bringen, da aber ſchlimme Witterung ein⸗ „gefallen iſt; ſo habe mich entſchloſſen, ihn vor der „Hand hier zu laſſen. Sein Lieblingsſtudium ſind „die Alten. Wolten Sie ſich wohl entſchlieſſen, ihn in dieſem Fache ein halbes Jahr zu unterhal⸗ „ten und feine Kentniſſe zu bereichern? Dieſer Antrag war mir um ſo ſchmeichelhafter, da ich der

G 5

106 ——

einzige Docent in Halle war, den der Miniſtesn ſprach und dem er ſeinen Sohn in die Lehre gab. Ich nahm feinen Befehl mit Ehrerbietigkeit an und erhielt den andern Morgen in aller Fruͤhe, wo der Miniſter wieder nach Berlin abreißte, 20 vuisd or mit einem überaus gnaͤdigen Handſchreiben, in wels chem er mich bat, ſeinen Sohn mit Wohnung, Tiſch u. ſ. w. zu verſorgen und mich feinem Unter⸗ richte zu widmen. Der große Mann mußte alſo wohl jene theologiſchen Berichte nicht geleſen

oder nicht geglaubt haben. Roch vor Ab⸗ a

fluß des halben Jahres ſchikte er mir von Berlin noch 20 Lulsd'or und dankte mir für meine Bemuͤ⸗ hungen. Das war wirklich uͤbergroße und unver⸗ diente Belohnung. Denn ich war nie ein ſo vol⸗ fomner Humaniſt, daß ich hätte im Stande ſeyn koͤnnen, dem jungen Herrn von Muͤnchhauſen wel⸗ cher ſchon ſelbſt die ausgebreitetſten Kentniſſe mit⸗ brachte, Kentn ſſe mitzutheiten, welche mit dieſer Verguͤtung ſich hätten ausgleichen laſſen.

Weit mehr wirkſamen Fleiß, Mühe und zum Theil auch Sorgen konte ich an den Sohn des Herrn Geheimden Raths von Lamprecht wenden,

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P 1 07

welchen mir diefer wuͤrdigſte Mann am Ende des Jahres 1779 anvertraute und dem ich ols Freund und eiter feines akademiſchen Lebens mich gewid⸗ met habe, bis er ſich, zum koͤniglichen Kriegstath und Profeſſor der Finanzwiſſenſchaften in Halle, empor geſchwungen hatte. RL |

Neuntes Kapitel,

Vollendete Aufklaͤrung und neue ſchriftſtelleriſche Laufbahn.

—— 2 Ü-wbrvd;:——

D. ich nach Halle kam, war von alter Dogma⸗ tik in meiner Seele nichts mehr uͤbrig, als noch eine dunkle Vorſtellung von der Soͤttlichkeit der heil. Schrift. Die poſitiven Lehrſaͤzze des Sys ſtems hatte meine Vernunft ſaͤmtlich aus mir vers trieben, wie einen unreinen Geiſt. Daran allein hieng ich noch, daß beſonders die Lehre Jeſu von einer uͤberngtuͤrlichen Offenbarung abſtam⸗ men muͤſſe.

Zwar dachte ich mir dabei nichts beſtimtes von Erſcheinungen, Geſichten und dergleichen Din⸗

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gen. Aber es war mir doch, als wenn ich das

Chriſtenthum nicht aus einer natuͤrlichen Quelle

herleiten und einer gewoͤhnlichen Konkurrenz den

Vorſehung es zuſchreiben koͤnte. Ich ließ die Art und Weiſe gleichſam unentſchieden. Die Sache ſelbſt aber, daß ſich Gott fuͤr das Chriſtenthum,

und deſſen Bekantmachung und Einfuͤhrung auf N ‚eine ungewöhnliche und gewiſſermaſſ en unmittelba⸗

re Art verwendet haben muͤſſe, ſchien mir noch un⸗ leugbar zu ſeyn.

Man wundere fh darüber nicht. Es ſcheint |

freilich ſonderbar, wie ein Mann, der alle Geheim⸗ niſſe ſchon verworfen und in ſeiner theoretiſchen

Religion nichts uͤbrig behalten hatte, als die ver⸗

nunftmäßigen Lehrſaͤzze von Gott, Vorſehung und, Unſterblichkeit der Seele, noch an einer unmittel⸗ baren Offenbarung haften konte. Aber wenn man erwaͤgt, daß ich in meiner Jugend ſo ſehr Schwaͤr⸗ mer geweſen war, daß alſo die alzutiefen Eindruͤk⸗

ke des fruͤhern Glaubens, nur ſehr langſam und

nach und nach von der Wirkſamkeit der Vernunft vertilgt werden konten, und daß ich inſonderheit in der Hiſtorie der Religion noch ganz zuruͤk war

2 s

nn 209

und vornemlich uͤber bibliſche Geſchichte noch gar nicht philoſophiſch nachgedacht hatte; ſo wird man dieſen merkwuͤrdigen Glaubensreſt Pe noch fo

ziemlich begreiflich finden.

Selbſt der anfaͤngliche genaue Umgang mit Baſedowen hatte dieſen Reſt unterhalten. Denn es iſt bekant, daß dieſer Mann, bei ſeinem ewigen Streben nach Originalität, auf den Einfall gera⸗

then war, ſich von der orthodoxen und heterodoren Parthei dadurch in gleicher Entfernung zu halten,

daß er die poſitiven Wahrheiten der chriſtlichen Dog⸗ matiken ſaͤmtlich verwarf, und die bloße natürliche Religion gelten ließ: dagegen aber auch, den Hete⸗ todoren zum Troz behauptete, daß die natürliche Religion ohne Offenbarung keine Gewißheit habe, und daß man folglich einen unmittelbar goͤttlichen Urſprung des Chriſtenthums annehmen muͤſſe, wenn

uͤberhaupt der Glaube an Religion beſtehen ſolle.

So ſuchte er, zwiſchen den Palaͤologen und Weo⸗ logen durch, ſeine eigne Bahn zu wandeln, indem er jenen ihre Dogmatik und dieſen ihre Vernunft laͤhmte und den neumodiſchen Glauben an eine geof⸗ fenbarte natuͤrliche Religion einzuführen ſuchte.

1 ro \ re ů

Da ich alſo täglich Baſedowen fiber ſeine ee genen Einfaͤlle peroriren hoͤrte; ſo derurſachte es mein alter Glaube ganz naturlich, daß mir fein Eins fall behagte, theils weil er meinen Glauben an Of⸗ > fenbacung durch Scheingruͤnde beguͤnſtigte, theils weil er mich reizte, auf ſolche Art ein Stuͤrmer der Dogmatik mit Reputation zu ſeyn. Denn der Gedanke war neu und zugleich bei dem Vereh⸗ rer der Offenbarung einſchmeichelnd. Und wenn ſich einmal das Herz für eine Theorie intereſſirt; fo wird der Verſtand nur alzuleicht gehindert, ſie mit Unbefangenheit zu pruͤfen. Daher fiel mir es da⸗ mals nicht ein, daß ja die natuͤrliche Religion erſt Gewißheit haben muß, ehe ein Glaube an Offenba⸗ rung möglich iſt daß ich ja erſt vom Daſeyn ei⸗ nes Gottes feſt uͤberzeugt ſeyn muß, ehe ich mich von der Exiſtenz einer Offenbarung dieſes Gottes uͤberzeugen kan u. ſ. w. Dieſe und alle andere Ber trachtungen ſtiegen in meiner Seele gar nicht auf, weil die Empfindung des Wohlgefallens an der Ba ſedowſchen Grille alles Mistrauen verbannte und den Geiſt der Pruͤfung einſchlaͤferte.

In dieſem lezten Schlafe meines geiſtigen des bens hat Hr. Semler zuerſt nich gewekt und Eber⸗ hard vollends munter gemacht.

PR Ich las jezt erſt (ich bekenne meine Schande) Semlers Schriften uͤber den Kanon und ward erſchuͤttert. Darauf bekam ich ſeine Widerlegung des Ungenanten in die Haͤnde, (in welcher er die Evangelien ſo aͤuſſerſt zweifelhaft macht, und von ihrer Entſtehung und Verfälſchung fo viel bedenkli⸗ ches ſagt, die Auferſtehungsgeſchichte ſo unkoͤr⸗ perlich macht und das Pfingſtfeſt ſo naturlich er⸗ klaͤrt) und das gab mir den lezten Stoß, daß ich wie aus einem tiefen Schlafe erwachte und mich an⸗ fieng zu beſinnen, wo ich war.

Dieſes Erwachen beſtand indeſſen in weiter nichts, als in einem Wanken meines Glaubens. Ich fühlte das Erdbeben, aber mein Glaubens haͤuschen ſtuͤrzte noch nicht. Denn ich erfante doch nur die Unzuverlaͤſſigkeit der heiligen Bucher ſelbſt: aber der goͤttliche Urſprung ihres Inhalts ließ ſich noch immer, bei jenen hiſtoriſchen Bedenklichkeiten behaupten. Und in meinem Kopfe ſtuͤzte ſich der:

1

N

112 FE

ſelbe vornemlich auf den Gedanken, daß Chriſtus

doch unmöglich ein fo volkomnes echrgebdube Ber erfunden haben Fönnte, s

Dieſe lezte Stuͤzze zerbrach Eberhard. Ich gerieth mehrmal mit dieſem großen Philoſophen

(wenn ich ihn beſuchte) in ſpekulative Geſpraͤche

und unter andern kam einmal die Rede auf den Vater Sokrates, von welchem Hr. Eberhard mit einem ſo auſſerordentlichen Enthuſiasmus ſprach, daß mirs eine Art von Ehrgeiz ward, mich gegen die alzugroßen Lobſpruͤche dieſes Mannes aufzuleh⸗ nen. Bei dieſer Gelegenheit behauptete ich, daß denn doch des Sokrates moraliſche Weisheit mit dem Lehrgebäude des Chriſtenthums nicht zu vers gleichen ſey. Und Hr. Eberhard uͤberfuͤhrte mich, daß Chriſtus keinen weſentlichen Lehrſaz vorgetra⸗ gen habe, den Sokrates nicht ebenfals gelehrt haͤtte. | |

Ich gab ihm in Diſputiren gar nicht nach und man muß auch das der Billigkeit gemaͤß nicht verlangen. Aber da ich nach Hauſe kam, fuͤhlte ich die Buͤndigkeit ſeiner Behauptungen und ſahe

mich

113

mich beſiegt. Und nun ſchwand meine Hauptbe⸗ denklichkeit, die mich bisher vom Unglauben zuruͤk⸗ gehalten hatte: daß nämlich Chriſtus Dinge gelehrt haͤtte, die er, ohne Offenbarung, nicht wiſſen kon⸗ te. Ich ſahe die klare Moͤglichkeit, daß Chriſtus fein herrliches Lehrgebaͤude aus den Schriften der griechiſchen Weiſen, (die ihm die Vorſehung durch den Umgang mit griechiſchen Juden in die Haͤnde gebracht haben konte) erlernt und zuſammen geſezt haben konte.

*

Jezt gerieth meine Seele in ihre lezte Fermen⸗ tation. Die Eindruͤkke der Erziehung empoͤrten ſich noch aber kraftlos. Die Vernunft kaͤmpfte mit Macht empor. Sie beſtuͤrmte mich mit Sem⸗ lers Thatſachen und Eberhards Moͤglichkeiten. Nun fehlte es nur noch an einer Empfindung (man ſehe den Schluß des 21ſten Kapitels im III. B. nach) welche dem Verſtande auf die Beine helfen mußte, daß er mit dem lezten Buͤndel des Wahnglaubens davon laufen und ihn ins Meer der Vergeſſenheit werfen konte.

Die Empfindung kam. Ich weis nicht mehr, bei welcher Gelegenheit ich gegen Trapp etwas aus IV. B. 9

dem Grunde behauptete, weil es der goͤttlichen Of⸗ fenbarung entgegen zu ſeyn ſchiene. Genug, Trapp, gegen den ich jezt von ohngefaͤhr die erſte Neuſſe⸗ rung von Offenbarung thun mochte, von welcher er in meinem hellen Kopfe keine Spur mehr zu fin⸗ den erwartet hatte, ſchlag hier eine fo herzliche La⸗ che auf, und fragte in ſo biederm und gutmuͤthigem Tone: „Ei, ei, der vernunftvolle Vahrdtius glaubt „an Offenbarung? O Büttner! Hören Sie „doch (dieſer war im Geſpraͤch mit andern) der „Bahrdtius iſt noch ein Glaͤubiger !,

Jezt ſchlug die Sterbegioffe meines Glau⸗ bens. Ich ſchaͤmte mich, ohne mirs merken zu laſſen. Ich ſtellte mich, als ob ich nur zum Scherz den Einwand gemacht haͤtte. Ich nahm die Empfindung der Scham mit nach Hauſe. 98 Und nun wars auf einmal in meiner Seele helle. g Run drängten fi) auf einmal alle hiſtoriſchen und, philoſophiſchen Gruͤnde in mir zuſammen; und ich fand es ſelbſt unbegreiflich, wie ich das Veaönſeg ſte Lehrgebaͤude hatte einſehen und eine foiche Er⸗ kentnißquelle dabei annehmen koͤnnꝶeen. nn

*

> Akt u

Ein ganz eignes Gefühl war mit dieſer lezten Entfeſſelung verbunden, das ich gar nicht zu be⸗ ſchreiben vermag. dan denke ſich einen Men ſchen, dem lang getragene Ketten endlich abgenom⸗ men werden. Man denke ſich einen Arbeiter, der ein ſchweres und wichtiges Stuͤk erarbeitet und vol⸗ lendet hat und nun beſchaut. Man denke ſich ei⸗ nen Mann in adlicher Bedienung, der noch kein Edelmann war, der eben darum von ſeinen Kolle⸗ gen bisher veraͤchtlich angeſehen wurde, und der nun auf einmal in den Adelſtand erhoben wird! Eine ſolche Miſchung von Freude, Ruhe und Stolz war es, die jezt mich durchgluͤhte und fire mei⸗ ne Blikke eine ganz neue Laufbahn eroͤfnete, von der ich freudig gewiß bin, daß ſie die Vorſehung durch meine vorher gegangenen Schikſale erzielt hatte, und daß ich gerade nur auf dieſem Wege und durch dieſe e * 5 er rg

Die Mynliuſſiſche Buchhandlung in Berlin ent⸗ ſchloß ſich, um dieſe Zeit eine dritte Ausgabe meiner Uebetſezzung des R. Teſtaments zu veranſtalten, welche unter dem Titel det neueſten Offenbarungen

H 2

Zu * 416

Gottes bereits ſo viel Aufſehn erregt, und meiner Verbannung aus dem Reiche zum Vorwande ge⸗ dient hatte. Ich arbeitete das Werk von neuem

aus, und verſahe es mit den noͤthigſten Erlaͤute⸗

rungen fuͤr Ungelehrte. Es wurde dabei der ſchik⸗ lichere Titel gewählt: das neue Teſtament, oder die neueſten Belehrungen Goꝛtes durch Jeſum und feine Apoſtel? mit Anmerkungen für Uns gelehrte. |

Die obengedachte lezte Entfeſſelung meines Geiſtes hatte mich veranlaßt, die Zeit meines Au⸗

fenthalts in Halle als eine ganz neue Epoche mei⸗ nes Geiſtes zu betrachten. Ich ſahe die vorherge⸗

gangenen Jahre als die Zeit des Wachsthums, dieſe aber als die Zeit der Reife an. Ich urtheilte, daß bei dem vielen Guten und Brauchbaren, was meine ehemaligen Schriften enthielten, dennoch ei⸗ ne Menge ſchiefer Gedanken mit untergelaufen ſeyn mußten, welche mein Glaube an einen uͤbernatuͤr⸗ lichen Urſprung des Chriſtenthums erzeugt“ hatte. Und ich betrachtete ſo nach, meine neuen Schriften, welche nach meinem hoͤchſt undolkomnen Glau⸗

1

bensbekentniſſe gefolgt waren, und noch folgen fol

ten, als die reifern Fruͤchte meines Geiſtes, welche, durch keine Zumiſchung von Wahnglauben, den Gaumen an reine Vernunftkoſt gewoͤhnter Leſer mehr beleidigen konten. amd Dies war die Urſache, warum ich in der Vor⸗ rede zu der gedachten dritten Ausgabe meiner Ue⸗ berſezzung des N. Teſtaments alle meine vorigen Schriften bis auf mein Glaubensbekentniß (dies mit eingeſchloſſen) verwarf, und vor dem Publiko feierlich erklaͤrte, daß ich nur die auf jenes Glau⸗ bensbekentniß erfolgten und erfolgenden Schriften fuͤr meine aͤchten Schriften erkente, welche meine wahren und gereiftern Ueberzeugungen darſtelten. i

Dieſe Vorrede hatte man kaum geleſen, fe gings auch ſchon wie ein Lauffeuer von Koffetiſch zu Koffetiſch: Bahrdt hat alles wiederrufen! Selbſt Gelehrte ſchuͤttelten die Koͤpfe und hielten im Ernſt dieſe Vorrede fir einen Wiederruf. Man ſolte meinen, es müßte kein Menſch das Buch ſelbſt geleſen haben. Denn da wuͤrde mans doch gleich in den Anmerkungen und beſonders im an⸗ gehaͤngten Woͤrter buche gefunden haben, daß ich

N Y 3

118 . 5 Bine \

jezt ein viel ärgerer Ketzer war, als jemals. Aber ſo iſt unſer liebes Publikum! Wenn ein einziger Maulaffe den Ton angiebt; ſo fährt jedes Auge ſchlaff uͤber den Gegenſtand hin, glaubt eben das zu ſehn und ſprichts dem Maulaffen nach. Und ſo werden oft Privaturtheile zu Uetheiten des Publi⸗ kums, deren ſich die OPEN Schiloduͤrger ſchaͤ⸗ men würden,

Aiber meine vollendete Aufklärung hatte noch eine wichtigere Folge, als dieſen vermeinten Wieder⸗ ruf. Ich ließ von Stund an Sprachſtudium mit Römern und Griechen und die ganze fürs Verhun⸗ gern eingerichtete Ueberſezzungsfabrik liegen und wandte mich auf die Bahn des philofopbifch = mo= raliſchen Schriftſtellers, auf welcher ich bisher gewandelt habe und bis an mein Ende allem Anſe⸗ hen nach wandeln werde.

Denn es dürfte ſchwerlich ein Fuͤrſt oder ein Miniſter ſich nun noch uͤber wein Talent erbarmen und mich fuͤr die Verdeutſchung der Meiſterwerke Latiums und Griechenlands bepenſioniren. Und ohne dieſe Unterſtuͤzzung werde ich gewiß nie zu ei⸗

119 ner Arbeit zuruͤkkehren, (ſo biel Reize fie auch Für mich hat) bei welcher unſer jezziges Publikum den beſten Schriftſteller verhungern laͤßt: ſintemal es einmal von dem Mauloffentone angefteft iſt, welcher

es zur Futterung der Recenſenten, der Schreiber der

Romane, der Monats ſchriften u. ſ. w. vereiniget hat.

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Zehntes Kapitel. eue Laufbahn. Briefe uͤber die Bibel.

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e mir immer unwiderſtehlicher Trieb, mei⸗ ne Wahrheit, wie mein Brod, mitzutheilen und ſie durch Mittheilung mir ſelbſt ſchmakhafter und ge⸗ nießbarer zu machen. Meine ganze Seele war al— ſo jezt im Aufſtreben nach Bekantmachung meines neuen Lichts uͤber Bibel und Offenbarung, ſo we⸗ nig auch daſſelbe in mir ſelbſt zur Volkommenheit gediehen war.

Ich ſahe die Offenbarung jezt als eine gewoͤhn⸗ liche und natürliche Veranſtaltung der göttlichen 24

298 V. L 7

126 j Vorſehung an. Ich betrachtete Moſen, Jeſum wie den Konfuz, den Sokrates, den Luther, den Semler und mich ſelbſt, als Werkzeuge der Vorſicht, durch welche ſie auf die Menſchheit Gu⸗ tes wirkt nach ihrem Wohlgefallen. Ich war uͤberzeugt, daß alle dieſe und aͤhnliche Maͤnner le⸗ diglich aus der Quelle der Vernunft geſchoͤpft hat⸗ ten. Und nur die aͤuſſerlichen Umſtaͤnde, unter welchen ſie gelebt und gehandelt hatten und durch welche ſie auf ihre Vernunftkentniſſe und deren Aus⸗ breitungsart waren geleitet worden, ſahe ich als die Mittel an, deren ſich die Vorſehung bedient hatte, ihnen dieſe Kentniſſe beizubringen und ſie zu dieſen Handlungsweiſen gleichſam zu noͤthigen.

Das waren die algemeinen Ideen, die ich jezt anfieng in den Verdauungswerkzeugen meiner Seele zu verarbeiten. Ich wußte ſelbſt anfangs nicht, was daraus werden ſolte und wuͤrde. Ic hatte blos unbeſtimten Vorſaz, meinen Mitgenoſſen dieſe Ideen mitzutheilen, und ihnen meine Vorſtellungs⸗ arten als Wahrheit annehmlich zu machen.

Die Vorſicht leitet alles! Auch hier traten zufaͤllige Umſtaͤnde ein, welche meine algemeinen

*

121 Ideen in beftimtere verwandeln mußten. Der

= Menſch wird gefuͤhrt, wohin ihn Gott haben will! Das iſt mein Glaube!

Es fiel mir ein, wer mag ſagen, daß ein aufſteigender Gedanke ſein Werk ſey, welches er frei volbrachte? es fiel mir ein, ein Wochen⸗ blatt uͤber die Bibel zu ſchreiben. Vieleicht war durch ein Ohngefaͤhr der Gedanke an Moſche's Bibelfreund in mir aufgeregt worden, der mich antrieb, etwas beſſeres dieſer Art zu leiſten. Ich hatte noch keinen plan. Mein erſter Gedanke war blos dieſer: das Neue Teſtament in der Reihe durch zu leſen und mich zu bemuͤhen, mit Huͤlfe der Exe⸗ geſe und der Logik etwas vernuͤnftiges bei jeder Stelle zu denken und meine Leſer denken zu lehren.

So ſezte ich mich an meine Briefe uͤber die Bibel. Der Briefton ſchien mir der bequemſte. Ich dachte und raͤſonnirte über die erſten Kapitel Matthaͤi, mit der Vorausſezzung, daß alles Wun⸗ derbare und Uebernatuͤrliche blos Kolorir der Er⸗ zaͤhlung ſey, welches von den Reſten des juͤdiſchen Aberglaubens der Erzaͤhlenden herkomme. Ich

95

122

philoſophirte daruͤber nach meiner Art, d. h. ich

bemuͤhete mich, mögliche Erklaͤrungsarten zu fin⸗ den, bei denen die Geſchichte an ſich ſelbſt Wahr⸗ heit behalten konte und das Wunderbare fi ch weg⸗

ſchaffen lieſſe.

Von ohngefaͤhr bekam ich Herrn Gedikens f

Schrift zu ſehen, in welcher er mit den eignen Wor⸗ ten der Romer und Griechen ihre Philoſophie auf⸗ geſtellt hatte. Mich deucht, er hatte mirs ſelbſt zum Geſchenk uͤberſandt. Da fand ich die Stelle, von der Geburt des Plato, wie ſeinem Vater ein Daͤmon erſcheint, der ihn auf die Geburt des Kin⸗ des aufmerkſam macht: wie die Eitern, nach der Geburt, auf dem Berge Hymettus opfern und in dem Munde des Kindes die Bienen einen Honigſtok anlegen: wie endlich die Tradition hinzuſezt, das ſey geſchehen, auf daß erfuͤllet würde, was Ho⸗ mer ſang: aus ſeinem Munde floß die Rede liehen cher, denn Honig u. ſ. w.

Durch dieſen Zufall gerieth ich auf weitere Spuren des Wunderbaren, welche die Liebe zum Wunderbaren, in der alten Geſchichte erzeugt hat⸗

.

123

te, und ich gieng mit dieſem Geſichtspunkte ſogleich an meinen Matthaͤus, um meinen Leſern zu zeigen, wie moͤglich es ſey, daß auch von Chriſto, aus Enthusiasmus für dieſen erhabenſten Lehrer der Menſchheit, dergleichen Umſtände feiner Ankunft und ſeines uͤbermenſchlichen Urſprungs erdichtet worden waͤren.

Und jezt erſt, da ich ſchon die erſten Bogen geſchrieben hatte, fixirte ſich in mir der beſtimte Zwek, die Wundergeſchichte des N. Teſtaments zu bearbeiten und ſie dem Vernunftliebenden Leſer begreiflich zu machen.

Dieſem Zwekke ſubordinirte ich einen weit wich⸗ tigern, als den lezten Zwek aller meiner kuͤnftigen Schriften, mit denen ich im Publikum zu erſcheinen gedachte. Nämlich ich hofte nun, durch Vertrei⸗ bung des Wunderbaren, welches dem redlichen Vernunftfreunde bisher ſo anſtoͤßig war, das Chri— ſtenthum, ſelbſt unter den Philoſophen wieder zu Ehren zu bringen und ſeinem erhabnen Stifter eine Menge zuruͤrkehrender Verehrer zu erzeugen.

Hatten nun jugendliche Eindruͤkke Antheil dar⸗ an, oder war es ganz freie d. h. aus eignem Nach denken entſtandene Ueberzeugung, genug, Jeſus Chriſtus war und blieb in meinen Augen der groͤßte und Verehrungswuͤrdigſte der Sterblichen. Wenn ich ihn in meiner orthodoxen Epoche als Gott an⸗ gebetet hatte; ſo verehrte ich ihn jezt weit inniger und herzlicher, als den Wohlthaͤter der Menſchheit und als das MNuſter der Weisheit und der zen Er ward der Held meines Lebens!

Mit e Verdruß hatte ich geleſen, wie ihn der Verfaſſer der Fragmente zum elenden Politiker herabgewuͤrdigt und ihm den armſeligen Zwek angedichtet hatte, ſich eine juͤdiſche Krone zu erringen. Mit wahrem Mitleid und wirklichem Kummer hatte ich die Eindruͤkke bemerkt, die dieſe Leſſingſchen Produkte unter dem Haufen der frei⸗ denkenden Menſchen hervorgebracht hatte.

Ich brannte vor Begierde, den Mann, der in meinen Augen das Ideal von geſunder Denkungs⸗ art und Herzensguͤte war, in einem dortheilhaften Lichte aufzustellen und ihn von zwei kontraſtirenden

125 Schandflekken zu befreien: von der Geſtalt des ernſthaften Beguͤnſtigers des Wunderbaren und

Uebernatuͤrlichen und von dem Vorwurfe des politiſirenden Sektenſtifters. |

Mein Chriſtus folte nicht mehr als Gott und Wunderthaͤter die Vernunft empoͤren: aber er ſolte auch eben ſo wenig, als ehrſuͤchtiger Heuchler, die Herzen der Tugendfreunde von ſich verſcheuchen. Ich beſchloß, ihn und ſeine Geſchichte, zwiſchen beiden Klippen ſeiner Ehre, hindurch zu fuͤhren und ihn als einen Mann darzuſtellen, welcher als das wohlthaͤtigſte Werkzeug der Providenz, ſich allein für die Aufilärung und Beſeligung der Menſchheit aufgeopfert hatte und ihn dadurch zum Gegenſtand der Liebe und Verehrung allen edeldenkenden Menſchen zu machen.

Mit dieſen Gedanken und Vorſaͤzzen ſchrieb ich

mein Wochenblatt, ohne ein weiteres Huͤlfsmittel zu kennen, als Analogie der Geſchichte, Exegeſe und Philoſophie d. h. Unterſuchung der Moͤglichkei⸗ ten und eigentlichen Urſachen der Dinge.

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126 en N a

Eine beſtimte Hypotheſe für die gabe E | ſchichte des thatrollen debens Jeſu hatte ich noch 9 nicht. Auch dieſe mußte der Zufall mir bringen.

Ich bekam Starkens Buch über die Myſterlen der Alten in die Haͤnde. Und ſiehe, das gab mei⸗ nem Gedankenſtrome die Richtung. Dies erwekte in mir meinen eignen Geiſt der Maurerei, der in England) uͤber mich ausgegoſſen war, und ſezte die Idee in volle Glut, daß Ehriſtus den Plan gehabt haben muͤſſe, durch Stiftung einer geheimen Ge⸗ ſelſchaft, die von Prieſteru und Tempelpfaffen ver⸗ draͤngte Wahrheit unter der ee zu 10 ten und fortzupflanzen. | 1 04 zur. nislio Und nun erſt bekamen meine Briefe uͤber die Bibel einen feſten Plan. Je mehr ich darüber las und dachte, deſtomehr fand ich Gruͤnde der Möoͤg⸗ lichkeit und der Wahrſcheinlichkeit, welche jene Hy⸗ potheſe begunſtigten. Und ich bin noch bis dieſen Augenblik überzeugt, daß dieſer oder ein ganz aͤhn⸗ licher Plan, der a en due Saen Jeſu iſt. * 5 27 a Hach agu | DEREN Bein CHs Int; 1

*) S. meine Gefängnißgefhichte,

127

Dias Blatt machte in der Welt viel Aufſehn.

Die Prediger intonirten auf den Kanzeln dagegen. |

Der Paſtor Juͤnken in Halle warnte feine Gemeine laut vor dieſer verfuͤhreriſchen Schrift. Der Pa⸗ ſtor Aahlen in Altona, welcher bei der Gelehrten Buck handlung drauf ſubſcribirt hatte, ſchrieb an den M. Reiche: er ſchikke ihm hiermit die erſten Bogen zuruͤk und verbitte ſich die Fortſezzung: denn er wolle ſich nicht noch in alten Tagen in feinem Glauben irre machen laſſen. Herr Reiz che hat den Brief mir ſelbſt vorgeleſen.

Ich hatte die Briefe uͤder die Bibel auf eigne Koſten drukken laſſen und war mit dem ſechſten Quartale zu Ende, als ich den Schaden zu ſehr empfand, den ich bei dem Debit der gelehrten Buch⸗ handlung erlitt. Daher beſchloß ich, dieſe Arbeit einem Verleger anzutragen. Herr Mylius in Ber— lin übernahm fie, verlangte aber ausdruͤklich, daß ich dem Werke einen neuen Titel geben ſolte, weil er die bloſſe Fortſezzung eines Artikels der gelehr⸗ ten Buchhandlung nicht verlegen mochte. |

Jcezt alſo hieß es: Ausführung des Plans und Iweks Jeſu in Briefen für Wahr heitſuchende

125 | —— ö N

Leſer. Und von dieſem Werke, in welchem ich meine Philoſophie über die Geſchichte Tofu, die ich in den Briefen uͤber die Bibel angefangen hat⸗

te, wirklich fortſezte und vollendete, find nach und

nach 10 Bändchen erſchienen. Sie endigen ſich mit

der Himmelfahrt Jeſu. Vieleicht laſſe ich noch

dereinſt zwei Baͤndchen nachfolgen, in welchen ich die Spuren der fortgeſezten Wirkſamkeit Jeſu, aus

der Apoſtelgeſchichte aufſuchen werde.

Es waren aber dieſe Briefe nicht die einzigen

ſchriftſtelleriſchen Arbeiten, welchen ich mich wid⸗

mete. Ich ſamlete zu gleicher Zeit verſchiedene

meiner Gedichte, auf deren Titel ich meine (ſchlecht getrofne) Silhouette ſezzen ließ mit der Aufſchrift:

Gedichte dieſes Naturgliſten. Es waren Dinge ohne Werth. Dichterei war nie meine Sache.

Aber man hat mich vielfältig in meinem engen Zir⸗

kel fuͤr einen Dichter gehalten: und ich habe für. dieſe Ehre das Leiden gehabt, daß mich überall die

Leute geplagt haben, ihnen Gelegenheitsverſe zu

machen. Ich wuͤnſchte, daß jeden die Leſung die⸗ ſes Geſtaͤndniſſes bewegen moͤchte, mich mit 55

nern Auffoderungen zu verſchonen.

Aber

Aber ein ſehr nuzbares Werk unternahm ich

auf Zureden des Buchhaͤndler Frommanns in Zuͤl⸗ lichau eines Mannes, welcher mir als Muſter der Rechtſchaffenheit und edler und zugleich hoͤchſt auf⸗ geflärter Denkungsart unvergeßlich ſeyn wird. Es hieß: Magazin für Prediger) oder Samlung neu ausgearbeiteter Predigt = Entwürfe) über die Sonn⸗ und Feſttaͤglichen Evangelien und Epi⸗ ſteln, fo wie über freie Texte und Kaſualfaͤlle. Zuͤllichau. 1782. ff.

Dieſes Buch gab ich nicht unter meinem Na⸗ men heraus, weil ich wußte, daß alle orthodoxe Prediger ein ſolches Buch wie Gift fliehen wuͤrden, ſo bald fie ſaͤhen, daß ich der Verfaſſer ſen. Und

wirklich iſt mir und dem Verleger dieſe kleine Liſt

gelungen. Es ſind wenige von meinen Schriften (ich nehme die Ueberſezzung des N. T. aus) fo viel gekauft, fo beifällig aufgenommen und fo häufig benuzt worden, als dieſe. Ich weis es auch von meinem ſel. Vater her, daß meine Diſpoſitionen eine eigne Leichtigkeit haben, welche macht, daß jeder, ohne alle Anſtrengung des Nachdenkens, daruͤber extemporiren kan. Die rechtglaͤubigſten Pfarr⸗

IV. B. J

1 *

herren und Paſtoren eee, e ge⸗ eh und e en. 20 nerd An

re 2 801 Die re vier bis fünf Bände 0 faſt ganz meine e Arbeit. In der Folge nahm der Verleger mehr fremde Stuͤkke auf, die ihm von angeſehenen Predigern eingeſchikt worden. An den neueſten Baͤnden habe Nan gar keinen ae ra 10 nommen.

32%

Nachdem ich ein paar Jahr über meinen Ver⸗ ſuch geleſen hatte, entſchloß ich mich, die Mate⸗ rialienſamlung, welche derſelbe enthielt, volſtaͤn⸗ diger zu bearbeiten und die Theorie der Redekunſt und Deklamation davon abzuſondern, Leztere kam in Halle bei Hendeln unter dem Titel heraus: Rhe⸗ torik fuͤr geiſtliche Redner. Die Theorie, welche der Verſuch enthielt, findet man hier weit reifer und ausfuͤhrlicher. Und die Skizze der moralis ſchen Religion legte ich hernach in meinem Syſtem der moraliſchen Religion zum Grunde, welche ein Jahr nachher im Viewegſchen Verlage erſchienen iſt,

Nia 4 5 DR > ab

. 131 Eilftes Kapitel.

Neuer Krieg mit der theologiſchen Fakultät,

*

Heer D. Semler hatte mich ſo vielfaͤltig beſchul⸗ diget, daß ich der Kirche Lehrſaͤzze andichtete, wel⸗ che gar nicht zur doctrina publica gehoͤrten: weil

Er ſie nicht dazu rechnete. Und er hatte mir damit

das Anfehn gegeden, als ob ich bei meinen Kriegen

gegen die Theologie oft nur mit einem Schatten

kaͤmpfte: wie, wenn das rechtglaͤubige Syſtem fo gar arg und vernunftwidrig nicht ſey, als ich es

zu machen fchiens

Mit der Erwaͤgung dieſer Anſchuldigung verband ſich in mir der Gedanke, daß bei den jez⸗ zigen Auftritten unter den Theologen, bei welchen faſt kein einziger ganz mit dem andern mehr uͤber⸗ einſtimte, ſondern jeder ſich fein Maas von Auf— klaͤrung feſtſezte, und bald mehr bald weniger von der alten Theologie wegwarf, und daß daher jezt faſt kein Menſch mehr wiſſe, was eigentlich ortho— doxe Theologie und doctrina publica fey und was

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132

hingegen zu den neuern Saͤzzen der ganz oder halb {

oder Viertels-Aufgeklaͤrten gehöre, q

Dieſes brachte mich auf den Einfall, einmal ein ganz eigentlich orthodoxes Lehrgebaͤude heraus zu geben und die Abweichungen der Neuern kuͤrzlich zu bemerken: damit die jungen Leute vornehmlich aufmerkſam und faͤhig gemacht wuͤrden, altes und neues gehoͤrig zu unterſcheiden und beides mit ein⸗

ander zu vergleichen.

Ich waͤhlte dazu meine eigne Dogmatik, wel⸗ che ich ehedem aus meines Vaters Heften zuſam⸗ men geſezt und mit den Syſtemen der damals be⸗ ruͤhmteſten Theologen in Uebereinſtimmung gebracht hatte. Es waren die Hefte, uͤber die ich zwei Jahr ſelbſt Theologie, mit Polemik vermiſcht, docirt hatte. Dieſes Werk lief ich durch, berichtigte den Ausdruk, und verſah es, unterm Text, in kurzen Noten, mit den Abweichungen der Neologen. Ich gabs dem Herrn Gebauer in Verlag. Und dieſer ſchikte es dem Herr Doctor Schulz zur Lenſur.

Dieſer große Kenner orientaliſcher 8 matikalien d. h. Pronominum, Konjugationen,

1

| 133

Runnationen uf. w. war ſeither ein ſehr toleran⸗ ter Cenſor meiner Schriften geweſen und hatte wirk⸗ lich mehr als Semler mich geſchont, welcher, bei den Briefen uͤber die Bibel, mich oft bis zum un- ſinnig werden gequaͤlt und mich gezwungen hatte, feine eignen Einſchiebſel in meinen Tert aufzuneh⸗ men, um den Druk nicht aufhalten zu laſſen. Er der Herr D. Schulz, hatte ſogar meine Ueberſez— zung des N. Teſtaments ohne alle Einwendung cam ſirt. Und die freimuͤthigſten Aeuſſerungen uͤber Gottheit Chriſti, Wunder, heil. Geiſt u. d. hatten ihn nicht erſchüͤttern und zu cenſoriſchen Gewalt: thaͤtigkeiten verleiten koͤnnen. Nur bei der einzi⸗ gen Stelle im Briefe an den Titus, wo ich uͤber das Waſſerbad der Taufe, in einer Note, zu deut⸗ lich mich herausgelaſſen hatte, daß ich dies Bad fuͤr eine bloße Ceremonie der Aufnahme in die Kir⸗ che anſaͤhe, hatte er in einem fehr hoͤflichen Billet mich gebeten, die Rote zu mildern. Und ich ſelbſt, geruͤhrt durch den Schmerz, den er uͤber die An⸗

taſtung der Taufe mehr, als uͤber Herausexegeſi⸗

rung der Gottheit Chriſti und Verſoͤhnungslehre empfand, hatte beſcheiden ihm nachgegeben und das Anſtöſſige des Ausdruks verändert,

J 3

Dieſer Herr Schulz bekam jezt mein Syftema Theologiae Lutheranae orthodoxum, cum breyi notatione diſſenſionum recentiorum in die Hände und behandelte daſſelbe, einige Wochen lang, mit der eben geruͤhmten cenſoriſchen Toleranz. Er ſchrieb auf acht bis zehn Bogen ſein imprimatur und geſtattete, daß in den Noten zu dem orthodo⸗ ren Terte, Offenbarung, Wunder, Dreieinigkeit und alle Geheimniſſe abgelaͤugnet wurden.

Was war auch anders von einem vernuͤnftigen Cenſor zu erwarten? Die kezzeriſchen Noten ent⸗ hielten ja nichts, als eine hiſtoriſche Anzeige deſ⸗ ſen, was heutzutage von vielen nicht mehr oder anders geglaubt wird. Es hieß immer: Hodie multi ita ftatuunt &c. Eine ſolche hiſtoriſche Anz zeige, ohne alle Empfehlung der Irthuͤmer, (dafuͤr freiſich Herr Schulz die in den Noten enthaltenen diſſenſiones recentiorum anſahe), konte ja kein Cenſor verwehren. Ja, ſo ſolte man denken.

Aber die Geſtalt der Dinge veraͤnderte ſich. > Man vernahm in geſelſchaftlichen Geſpraͤchen, daß Bahrdt ein ſolches Buch herausgab. Man

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ward aufmerkſam. Man wekte das ſchlafende Gewiſſen des Cenſors auf. Herr Schulz fand nd: thig, nun die Salultger daruͤber an Naehe zu ne 28 7000 f | Das 3 blieb auf einmal auſſen, wie das Roͤhrwaſſer. Die Seꝛzer lauerten. Herr Gebauer mahnte. Jezt hieß es, das Manuſcript kurſire bei der Fakultaͤt. Und endlich war auf einmal mein Syſt. orthodoxum nach einmuͤthigem (wenns wahr iſt!) Urtheile der halliſchen Theolo⸗ gen nicht mehe cenſurpaſſirend geworden. Die Kez⸗ zereien der erſten zehn Bogen hatten das imprima- tur: den folgenden Bogen aber, welche im Grunde dieſelben waren, ſolte es verſagt werden.

Ich ſchrie. Ich ſezte mein Schriftſtellerrecht durch. Das Manuſcript mußte heraus und wurde fort gedrukt. Aber ſo ungerochen durfte dem Bahrdt ſein Sieg nicht ausgehen. Man mußte billigerweiſe es ihn fuͤhlen laſſen, daß er abermals gegen alte Profeſſoren ſich aufzulehnen erdreiſtet hatte, und ſolte auch der unſchuldige Verleger ſelbſt dabei das Opfer werden muͤſſen. Was that die Fakultat?

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In der Salliſchen Gel. Zeitung erſchien eine Recenſion meines noch ungedrukten, noch nicht ins Publikum gebrachten Syſtema Theol. orthodoxum, in welcher man dies Buch als eine elende Kompila⸗ tion alter Hefte ankuͤndigte und alle Welt warnte, dieſes fehlervolle, RM und ganz unnuͤzze Werk zu kaufen.

Das war ein ſtarkes Stuͤk! Ein Buch oͤf⸗ fentlich recenſiren und beſchimpfen, das noch kein Menſch beurtheilen konte, weil es noch nicht gedrukt war: ein Buch bekant machen, deſſen Bekant⸗ machung ein ausſchlieſſendes Recht des Autors und Verlegers war: einem unſchuldigen Verleger ſein Publikum im voraus abſpenſtig machen und ihn um loco Thaler Koften prellen: und dazu die Macht des Cenſoramts misbrauchen, welche das Manuſeript in des Cenſors Hände ſpielt: das war wahrhaftig eine ganz neue Erſcheinung.

Ich war nicht gewohnt, mich von Fakultaͤten tiranniſiren zu laſſen, und hatte ſchon in Erfurt an den Wittenbergern es gezeigt, daß ich nicht ſchuͤch⸗ tern bin und mich intimidiren laſſe. Schnell ergrif

* 137 ich mein Schwerdt meine Feder, und ſchrieb: Appellation an das Publikum wegen einer Cen⸗

ſurbedruͤkkung / das theologiſche Syſtem betref⸗

fend. Sie war nicht ſanft, ich geſtehe es.

Diͤe Fakultät verklagte mich bei Hofe, erhielt aber zur Antwort, daß ſie meine ſchriftſtelleriſche Freiheit widerrechtlich gekraͤnkt hatte und ſolche unangenehme Ausfaͤlle auf ihre eigne Rechnung ſez⸗ zen muͤſſe. Was war zu thun? Die Appellation hatte Wunden geſchlagen. Man hatte gehoft, ſich das Duell zu erſparen und mich durch Blizze vom Berliner Horizont zu entwafnen. Dieſe Hofnung war fehlgeſchlagen. Man konte ſich mit Ehren nicht mehr zuruͤkziehen. Man grif alſo, obſchon ungern, zu gleichen Waffen. Herr Noͤſſelt ſezte eine Apologie der Fakultat auf, welche einen im hoͤchſten Grade erkuͤnſtelten Ton der Sanftmuth hoͤren ließ und nur über die Leiden der gekraͤnkten Unſchuld zu ſeufzen ſchien. In der That aber war fie voller ſophiſtiſchen Beſtreitungen meines ptaͤten⸗ dirten Rechts und, was noch weit ſchlimmer iſt, voller Aus falle auf meine Perſon und moraliſchen Charakter, durch welche der Verfaſſer recht mei⸗

C

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ſterhaft ſich das Mitleid und mir den Abſcheu ds n zu erringen geſucht hatte. ang

Ich konte nicht ſoweigen. Denn ich bete, daß alle Leſer durch die Sirenenſtimme der theo⸗ logiſchen Heiligkeit bezaubert und von mir abwen⸗ dig gemacht waren. Ja, meine Freunde gaben mir ſelbſt zu verſtehen, daß ich mich ſchwerlich gegen dieſe Schrift ganz vertheidigen und die durch ſie gemachten uͤbeln Eindrüffe aufs Publikum tilgen wuͤrde. Aber ich tilgte ſie. Ich entfaltete jene So⸗ phiſtereien und beantwortete jene Anzapfungen, nicht im geheuchelten Tone der Demuth, ſondern im wahren Tone des Muths, mit welchem ich immer meinen Gegnern entgegen getreten bin. Meine abgedrungne Replik auf die Erklärung, der theologiſchen Fakultaͤt zu Halle, wurde in Berlin cenſirt und machte einem Streite ein En⸗ de, den die Herrn wahrhaftig nicht hätten anfan⸗ gen ſollen, wenn ſie nichts als Federkraft gegen mich in ihren Händen geſehen hatten.

Um dieſe Zeit kam in Holland eine Ueberſe⸗ zung meines bibliſchen Syſtems der Dogmatik

heraus, welches ich ehemals in Erfurt bekant ge⸗ macht hatte. Dieſe holländifche Ueberſezzung war von einer Erſcheinung begleitet, welche mir das Zwergfel wolthaͤtig erſchüͤtterte. Der Verfaſſer hub in der Vorrede alſo an: „Ihr lieben Hollaͤn⸗ „der, ihr werdet euch wundern, daß ich die Schrift 5 eines Mannes Euch in Eurer Mutterſprache vor⸗ „lege, welcher einer der go'tloſeſten Menſchen und ein Werkzeug der böſen Feindes iſt, deſſen er ſich zur Zerſtoͤrung der Wahrheit und zur Verfuͤhrung „der Glaͤubigen bedient. Aber wundert Euch nur „nicht. Wenn der Bahrdt in neuern Zeiten ein „verworfner Unglaͤubiger geworden iſt, deſſen „Schriften die giftigſten Irthuͤmer verbreiten, fo „war er doch in den vorigen Zeiten, in welchen „er dies Buch ſchrieb, welches ich hier in hollaͤn⸗ diſcher Sprache Euch uͤbergebe, ein Mann nach „dem Herzen Gottes. Seine Lehre war damals „rein und fein Herz unverfaͤlſcht. Und ich kan „Euch ſagen, liebe Holländer, daß dieſes bibli⸗ „Ihe Syßem der Dogmatik, die wahre Salbung

„hat und den Achten Geiſt des Chriſtenthums „athmet ꝛc.“

140 ann

| Zwolftes Kapitel. oh \ Art ef f a tem Meine ſatpriſchen Launen.

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gr

Wann ich noch jezt ruhig zuruͤckdenke in die vo⸗ rigen Zeiten und alle Ausbruͤche meiner in fruͤher Jugend mir eigen gewordnen Neigung zur Satyre unpartheiiſch prüfe; fo kan ich warhaftig noch jezt keinen Grund zu den harten Anklagen finden, die ich daruͤber ſchon habe vernehmen muͤſſen.

Wahr iſts, ich habe mir viel damit geſchadet und mir manche Feindſchaften gemacht, die ich mir haͤtte erſparen koͤnnen. Und ich geſtehe, daß ich jezt gern alles zuruͤknehmen wuͤrde, was ich in meiner muthwilligen Laune zuweilen, ohne die Folgen vorherzuſehn, niedergeſchrieben habe, wenn ich das Geſchehene ungeſchehen machen koͤnte. Aber iſt darum wohl der Haß gerecht, den einige um dieſer Dinge willen gegen mich hegen? Wo iſt der Menſch, der durch eigne freie Thaͤtigkeit feinen Neigungen eine Richtang gab, die er her⸗ nach ſelbſt misbilligte? Wo iſt der Menſch, dem

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bei allen feinen Handlungen alle ihre Folgen ges gentwärtig find? Wenn die Menſchen die Folgen ihrer Handlungen allezeit, vollſraͤndig und in ihrem vollen Lichte ſaͤhen, würde wohl ein einziger Menſch ſeyn, der einen Fehltritt begienge?

Und wem habe ich denn mit meiner Satyre geſchadet? Habe ich irgend einen Mann von Werth um ſeine Ehre gebracht und, durch Aufhebung ſei⸗ nes Vertrauens im Publikum, ſeine Nuzbarkeit zerſtoͤrt? Habe ich je einen Juͤngling, der auf der Bahn des Ruhms und des Menſchenwerths kuͤhn dahin wandelte, mit bitterm Spotte muthlos ges macht, und ihn von ſeiner Laufbahn zu verdraͤn⸗ gen geſucht?

Wie mancher Reeenſent hat dieſe Suͤnde auf ſeinem Gewiſſen! Wie mancher meiner Pasquil⸗ lanten hat mir ſo geſchadet! hat mir Ehre und Achtung vieler Zeitgenoſſen entriſſen! hat meine Nuzbarkeit fuͤr die Welt gemindert!

Ich billige warlich nicht alles, was ich gegen Andere geſagt und geſchrieben habe. Aber bei

Gott, ich habe gegen keinen Menſchen unter der Sonne je fo haͤmiſch und moͤrderiſch gehandelt, wie in der Welt gegen s mich gehandelt worden iſt. Es reichen nicht hundert der ſchaͤndlichſten Schmaͤh⸗ ſchriften, welche ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren an meiner Ehre und an meinem Gluͤke genagt haben und denen man es vollkommen anſehen konnte, daß ſie die Abſicht hatten, mich nicht blos zu zuͤchti⸗ gen und meine Thorheit fuͤhlen zu laſſen, ſondern mich gerade zu aller Achtung meiner Mitmenſchen, alles Vertrauens des Publikums und aller Unter⸗ ſtuͤzzung der Zeitgenoſſen zu berauben. Man wollte mich mit Gewalt zu einem Verworfnen, zu einem Verbannten, zu einem Brodloſen, zu einem voͤllig ungluͤklichen Menſchen machen *g 175

Gott ſey Dank, mein Gewiſſen iſt von fol- chem Vorwurfe rein. Die Gegenſtände meiner Satyren waren entweder offenbare Thoren, wel⸗ che die Geiſſel verdienten, oder, wenn ſich ja an Maͤnner von Rang und Werth meine Feder ver⸗ griffen hat; fo wars Rothwehr oder doch nur Angrif auf ihre Fehler ohne ieee ihrer Ver dienſte. neh Gu Meg TIERE

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Nie war in meiner Seele Rache oder Haß.

Das ſagt mir mein Herz. Das ſage ich vor dem

Angeſichte Gottes. Bringt mir meinen aͤrgſten

Feind, bringt mir den Mann, der mich in das tiefſte Elend geſtuͤrzt hat, bringt mir ſelbſt die Röper die Potte, und aͤhnliche Zerſtoͤrer meiner Ruhe und meiner Gluͤkſeligkeit: und ihr werdet mich in jedem Augenblikke bereit finden, ihnen Güte zu erzeigen. Ich werde nie faͤhig ſeyn, ſie un— gluͤklich zu machen, wenn ich es in meiner Gewalt hätte. Es wird mir Schmerz machen, wenn ich ſie im Ungluͤk ſehe, und ich bins gewiß (Gott iſt Zeuge dieſes Bewußtſeyns!) daß ich mit Freuden ihnen die Hand reiche und ihnen helfe, wenn ſie meine Huͤlfe brauchen und verlangen.

Jene hundert namenloſe Pasquille (deren Verfaſſer ich meiſtens wußte) habe ich nie geleſen, theils um mir eine unangenehme Stunde zu erſpa⸗ ren, theils um nicht mein Herz mit Erbitterung und Rache zu beflekken. Das wiſſen alle meine Freunde. Nur dann las ich Schriften der Gegner und zog mit ſatyriſcher Feder gegen ſie zu Felde, wenn fie mich namentlich angriſten und gleichſam

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öffentlich herausfoderten. Und ich werde das fer⸗ nerhin beobachten. Namenloſe Schmäher ſollen nie geleſen und einer Antwort gewuͤrdigt werden Wozu ſoll ich Koth ee der a Jae e 20 | enen

* *

Die een Enkehimgtar meiner a: riſchen Produkte war, wenn ein lang anhaltendes Dulden tauſendfaͤltiger Verleumdungen und Pas⸗ quille mich endlich aufwekte und zu einem allge⸗ meinen Heerzuge gegen die ganze parthei mich ermunterte. Nie wars Rache gegen den Einzel⸗ nen. Nie lag Haß und Erbitterung zum Grun⸗ de. „Du haſt nun lang dich nekken und raufen „laſſen: du wilſt nun auch einmal rechts und links „um dich ſchlagen und die Gegenparthei fuͤhlen

„laſſen, daß du Kraft haſt.“ Ein ſolcher muth⸗

williger Gedanke ſchuf alles, was je aus meiner 3 eee ine ung an ale

IN. 1 * WII

Mein ſo Feeſchdieder Rirchen und ee

manach wurde in Leipzig empfangen und in Zuͤl⸗

lichau geboren. Ich war mit Herrn Zollikofer, Plattner, und einigen andern Freunden bei Ba⸗ ſedow,

1 52 *

4 Per ‘I

145

ſedow, der damals in Leipzig hauſete, zum Abend⸗ eſſen. Der felige Srommann war dabei und ſaß an meiner Seite. Wir waren vergnuͤgt. Die Rede kam auf die Partheien unter den Theologen. Und einer hatte den Einfall, daß es der Muͤhe werth ſey, einen Kalender zu machen, wo die ver: ſchiedne Witterung in der theologiſchen Atmoſphaͤ⸗ re angezeigt wuͤrde. Der fluͤchtige Gedanke war noch nicht herausgeſagt, als ich ſchon meinen Frommann in die Seite ſtieß und in demſelben Moment auch von ihm einen aͤhnlichen Stoß em⸗ pfing. Wir ſprachen beide kein Wort. Aber ein wechſelſeitiger Blik ſchloß ſchon den Kontrakt a Kirchen- und Keze e.

Nie hat ein Buch mehr Lermen erregt. Und was iſts denn im Grunde? Sinds poͤbelhafte Ausfaͤlle und Beſchimpfungen wuͤrdiger Maͤnner? Sinds Schaͤndungen ihres Karakters, wie ich fie ſo oft erdulden mußte? Was ich von den Schrif⸗ ten der aufgeſtellten Kalenderheiligen ſage, iſt frei muͤthiger Tadel, wie jeder Recenſent ſich ihn er⸗ laubt. Und was ich von BORN beibringe,

v. B. 0 C K

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iſt ſchwache Seite, iſt Thorheit, iſt Spottwuͤrdig⸗ keit: aber nie Schandflek des Herzens.

Eben ſo wenig iſt die ſcherzhafte Standrede am Sarge des weiland Hochwuͤrdigen und Hochgelahrten Herrn Johann Melchior Goͤtze, die ich dem verſtorbnen Kanonikus Fiegra, einem weiland algemein anerkanten und gebornen Schafs⸗ kopf in den Mund legte, etwas mehr als muih⸗ willige Laune, welche ſich nicht gegen den einzel nen Mann, ſondern gegen die Parthei empört hatte. Der ſelige Goͤtze war in ſeiner Art wirklich ein gelehrter und durch manche gute Seiten ſeines Karakters achtungswuͤrdiger Mann. Und Tauſen⸗ de, die meiner geſelſchaftlichen Reden Zeugen ſind, werden mir es bezeugen, daß ich oft von Goͤtzen ſo geurtheilt und ſelbſt ſeinen haͤmiſch ſcheinenden

Ausfall auf mich und andere von ihm verkezzerte | Gelehrte, feinem: bona fide irrenden Verſtande, nie ſeinem Herzen zugeſchrieben, ja, daß ich viel⸗ mehr gegen andere, die ſeinen Karakter verurthei⸗ len wollten, behauptet habe, daß ich von ihm und allen Kezermachern uͤberzeugt waͤre, daß die Leute mit gutgemeintem Eifer für Gott und ihre ſubjek⸗

tive Wahrheit handelten und wirklich die Abſicht

haͤtten, recht zu thun. Es war alſo wahrhaftig

nicht bei jener Standrede meine Abſicht, den Mann

zu beſchimpfen: (denn ich erzaͤhlte ja ohnehin nur

ſeine wirklichen Geſinnungen und Handlungen, nur

daß ich ſie in ein komiſches Licht ſtellte) ſondern, um die ganze orthodoxe Parthei einmal zu nekken und die Lacher gegen ſie aufzuregen. Und dieſe hatte ja dieſen jovialiſchen Schwang mae an mir verdienet.

So war auch meine Schrift, in welcher ich den armſeligen Profeſſor in Quedlinburg, (Voigt, glaub ich, hieß er) unter dem Namen Xaſimir Lauge, Schulmeiſter in Gibeon, mit der Geiſel der Satyre heimſuchte, nicht Wirkung eines Haſſes

gegen dieſen Mann, den ich gar nicht kenne und

der nie mich beleidiget hat, ſondern ſie war Folge des warmen Eifers fuͤr einen unſchuldig Verfolg⸗ ten. Ein Freund ſchrieb mir, daß der Paſtor Her⸗ mes in Quedlinburg von dem alten Boyſen und dem Paſtor (wie hieß doch der Idiot? Er faͤngt mit dem R. .. ſich an) verkezzert und gekraͤnkt wuͤrde und daß der Voigt die von jenen gedrehten K 2

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{ ET Ara 148

Bolzen verſchießen muͤſſe. Er ſchickte mir zugleich eine Rede dieſes ſogenanten Profeſſors, in welcher der gute Hermes angezapft war. Und er bat mich, meine Feder einmal wieder in das ſatyriſche Din⸗ tefaß zu tauchen und die Quedlingurger Ortho⸗ dopen zu zuͤchtigen. Das that ich, mit wahrer Freude über die Bokſpruͤnge der Parthei , ohne alle widrigen Empfindungen gegen die Einzel nen. Der ſpashafte Erfolg war, daß der Kantor in Giebichenſtein bei Halle, von loſen Leuten mit dieſer meiner Spottſchrift aufgezogen wurde, und im Ernſte auf mich böfe werden woll⸗ te, daß ich or in Pa e 15 U

So kan man es wubllch als globe Parthei⸗ krieg anſehen, daß ich meine Schrift über das theo⸗ logiſche Studium an den Staatsminiſter von Zed⸗ liz ſchrieb. Nur war hier gar keine eigentliche Satyre, ſondern ernſte Darſtellung des theologi⸗ ſchen Unweſens auf Univerſitaͤten. Ich zeigte mit einer Freimuͤthigkeit, wie noch niemand ſich erdrei⸗ ſtet hatte, daß die Theologieſtudirenden auf Uni⸗ verſitaͤten ganz verkehet gefuͤhrt und unterrichtet N wuͤrden, daß faſt alles, was ſie lernten und durch

das Geſpenſildes Konſiſtorialexamens zu lernen gez zwungen wuͤrden, ihnen in ihrem ganzen Leben nichts helfe, und daß im Gegentheil alles das, worin ſie ihres kuͤnftigen Amts halber unter— richtet und geuͤbet werden muͤßten, von den Pros feſſoren vernachlaͤßiget würde, ja, daß zu manchen nothwendigen Stuͤcken des theologiſchen Studiums auf den Univerfitäten gar keine Gelegenheit ſei.

Das hieß denn freilich nichts anders, als das ganze theologiſche Neſt zerſtoͤren und die theologi— ſchen Fakultaͤten zum Schikſale der Klöfter reif machen wollen. Indeſſen war doch das Geſchrei einzelner verlorner Schildwachten des chriſtlichen Zions alles, was auf dieſe Schrift erfolgte. Sie hatte ſo viel Licht und Wahrheit, daß in der Hauptſache gar keine Einwendung ſtatt fand, und doch that ſie kaum in einigen Nebendingen ihre Wirkung.

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Ich hatte die Nothwendigkeit der Examinir⸗ uͤbungen gezeigt. Dieſe fuͤhrte der Miniſter ein. Ich hatte vorgeſtellt, daß die Pruͤfungen der Kan⸗ didaten in den Konſiſtorien durch Fragen, die aus

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dem Stegreif beantwortet werden muͤſten, zwek⸗ widrig waren: und es wurde die beſſere Methode eingefuͤhrt, nach welcher der Kandidat einige Du⸗ zend Fragen, die in verſchiedene Fache feiner Kent? niſſe einſchlagen, ſchriftlich vorgelegt werden, mit

denen man ihn in ein leeres Zimmer einſchließt,

um ſie ihn hier ſchriftlich, und bei hinlaͤnglicher Zeit zum beſinnen, beantworten zu laſſen. Ich hatte gezeigt, wie thunlich und nuzbar es ſey, den theologiſchen Studenten mit einer gruͤndlichen Volksarzeneikunde bekannt zu machen, und ein paar Jahr hernach wurde dieſer Rath befolgt und in Halle einige Veranſtaltung dazu gemacht.

Meine Hauptklage, daß die Studenten un⸗ nuͤze Dinge lernen muͤßten, und zu ihrer Amtsfuͤh⸗ rung ſelbſt gar nicht weder in der Materie, noch Form gehoͤrig vorbereitet wuͤrden, wirkte nichts. Und ſelbſt die obgedachten Nebendinge wurden durch Befehle gebeſſert, denen es ſo ſehr an guter Ausführung fehlte, daß fie in kurzem wieder ein⸗ ſchlummern werden.

Meine lezte ſatyriſche Schrift war der ſo ver⸗ ſchriene amor, oder der Mann aus dem Mon⸗

ZE

de, in welcher die mit dem groͤbſten Fanatismus, und ich möchte hinzuſezzen, finftern Katholicismus verhunzte deutſche Maurerei der bezielte Gegen— ſtand war. Aber ich kan mir dieſe Schrift nicht allein anmaßen. Die Hälfte wenigſtens iſt frem⸗ der Beitrag, zu deſſen Annehmung ich mich bere⸗ den ließ. Ich mag mich hieruͤber nicht weiter her⸗ auslaſſen. Es bleibt dieſe und noch einige andere Arten des Misbrauchs, den gewiſſe Leute von mei— ner Wilfaͤhrigkeit gemacht haben, um durch mich ihre Pfeile verſchießen zu laſſen, der verborgne Theil meiner Lebensgeſchichte, welcher guͤnſtigere Zeitläufte erwartet, um hervorzubrauſen und meiz nem beklommenen Herzen Luft zu machen.

Der augenſcheinliche Beweis, daß der D. Baͤhrdt ſchuld an dem Erdbeben zu Kalabrien ſei, iſt nicht aus meiner Feder gefloſſen. Dieſe Schrift hatte die Abſicht, zu zeigen, daß die Herren, welche neuerlich wieder gegen mich berichtet, und als eine Miturſache des Verfalles der Univer— fität mich angegeben hatten, gerade fo argumen— tirt haben mochten, wie man argumentiren muͤß⸗ te, wenn man mir jenes Erdbeben ſchuld geben

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wollte. Sie erhielt den allgemeinſten Beifall,

und war ein recht angepaßtes Wansaeſce für

Dreizehntes Kapitel.

Haus und Herzensgefchichte,

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Men unermuͤdeter Fleiß konte mein liebes Weib nicht auſſer Beſorgniß ſezzen. Ich ſaß von fruͤh um fuͤnf Uhr an, und arbeitete ununterbrochen bis zu Mittage, wo ich gewoͤhnlich einen auch an⸗ derthalb gedrukte Bogen vollendet hatte. Nach der Mahlzeit widmete ich gewoͤhnlich einige Stun⸗ den der Promenade, welche ich nie ohne meine Frau und Kinder vornahm, auſſer wenn ich ritt. Nachmittags, von vier oder fuͤnf Uhr an bis Abends um ſieben auch wohl acht Uhr, las ich meine Kollegia. Und nach der Abendmahlzeit ging ich gewoͤhnlich ins buͤttneriſche Haus, wo um einen Dreier ein Spiel gemacht und herzlich dabei ge⸗ lacht wurde. Um zehn Uhr lag ich in meinem

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Bette. Und ging ich nicht aus; ſo war die neunte meine Schlafſtunde. So habe ich gelebt, fo lange ich in Halle bin. Unaufhoͤrliche Arbeit war mein Loos: und gewöhnlich drei bis viermal im Bütt: neriſchen Hauſe, faſt meine einzige geſellſchaftliche Erholung. Andere Geſelſchaften waren ſelten. Ich war ohngefaͤhr mit vier bis fuͤnf Familien bekant, die mich zuweilen zu einer Mahlzeit einladen lie= fen, welches ich fo erwiederte, daß hoͤchſtens zwoͤlf— mal im Jahre in meinem Haufe Gaͤſte waren, wels che bei mir weit frugaler bewirthet wurden, als vielleicht irgend jemand von meinem Stande ſeine Gaͤſte zu bewirthen pflegte.

Man ſolte meinen, daß ein ſo einfoͤrmiges Le⸗ ben bei ſo anhaltenden Kopfarbeiten, eine Gattin durchaus nicht beſorgt machen koͤnte. Und doch blieb die meinige bekuͤmmert. Ich fand oft, wenn ich des Abends nach Hauſe kam, die Spuren der Thraͤnen in ihrem Geſicht. Und wenn ich ſie nicht fand, fo erzaͤhlten mir meine Kinder, wie die Mut⸗ ter ſich beklagte, daß ſie mich ſo wenig genoͤſſe.

Gott weis es, daß ich zuweilen ſtundenlang in meinem Bette gelegen und mich uͤber dieſe Leiden K 5

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meines Weibes gehaͤrmt habe. Ich ſahe die Un⸗ moͤglichkeit, ihnen abzuhelfen. Und doch ſchmerzte michs, daß ich ihr Qualen verurſachen mußte, wel⸗ che ſie nicht durch freie Vergehungen verſchuldet hatte, ſondern die allein, theils in meiner Lage, theils in ihrer durch Romanenlektuͤre verſtimten a e ihren Grund hatten.

Wie mein weniger Umgang ſie kraͤnkte, ſo ward ſie auch (und dies mit jedem Tage mehr) durch jede finſtre oder auch nur gleichguͤltige Mine, die ſie an mir erblikte, auf das tiefſte verwundet. Sie hatte ein Ideal von Liebe und Genuß, welches, theils meines arbeitvollen Lebens halber, theils we⸗ gen ihrer eignen Unvermoͤgenheit, nicht zu realiſi⸗ ren war. Ich ſolte beſtaͤndig um ſie ſeyn, beſtaͤn⸗ dig freundlich und zaͤrtlich ausſehen. Wenn Sie denn oft zwanzigmal in einem Vormittage, um der unbedeutendſten Dinge willen (wenn fie ein ſchön Stuͤck Fleiſch gekauft hatte, das ich beſehen ſolte: wenn ſie auf die Kinder kiff, die ich durchpruͤgeln ſolte: wenn die Magd ihr naſeweiſe Reden gab, | die ich beſtrafen ſolte: wenn fie bei der Methode, | eine Soſe zu verfertigen, zweifelhaft war, und ich

155 ſagen ſolte, wie ich fie verlange u. f. w.) in meine Studierſtube kam und mich in meinen Arbeiten un⸗ terbrach, und ich dann, uͤber die ungelegene Zer⸗ reiſſung einer etwa angeſponnenen Gedankenreihe aͤrgerlich ward und fie anfuhr; ſo ſezte ſich jedes— mal der Gedanke von neuem in ihr feſt: dein Mann liebt dich nicht mehr: und ſie kam mit naſſen Au⸗ gen zu den Kindern zuruͤk, die nun durch ewiges

Roͤrgeln und Keifen die verſtimte Laune buͤſſen mußten. |

Es war gewoͤhnlich vom Morgen bis zu Abend kein Ton der Freude in meinem Hauſe. Jedes Verlegen eines Schluͤſſels, jedes Abhandenkommen eines Bandes oder ſonſt einer Kleinigkeit, brachte ſtundenlanges Schreien und Zanken mit der Magd oder den Kindern hervor und allemal fand ſichs hin⸗ terher, daß ſie ſelbſt das verlegt oder verloren hat⸗ te, über deſſen Verlierung oder gar Entwendung fie Kinder oder Geſinde ausgeſcholten hatte. Und fols ches laute Gezaͤnk, welches oft, ihrer hellen und durchdringenden Stimme halber, die Leute auf der Gaſſe ſtehen bleiben machte, wechſelte mit den ſtil⸗ len Seufzern und Klagen ab, die ſie uͤber mich aus⸗ ſchuͤttete.

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Mein aͤlteſtes Kind nahm ſichs immer mehr heraus, ihr zuweilen die Moral zu leſen und ihr vorzuſtellen, daß ſie den Vater noch zu Tode aͤrgern würde: aber eben das vergrößerte auch immer mehr die Abneigung der Mutter gegen dieſes Kind, wel- ches oft, mit Thraͤnen, mir klagte, daß es unter den Haͤnden dieſer wunderlichen Mutter das elen⸗ deſte Leben fuͤhren muͤſſe. Und dies Kind muß mir es vor Gott und Menſchen bezeugen, daß ich ihm gleichwohl nie gegen die Mutter beigeſtanden, ſon⸗ dern ihm allemal vorgeſtelt habe: „daß ein Kind „von ſeinen Eltern dergleichen Unannehmlichkeiten „dulden muͤſſe: daß es Urſache habe, ſich von der „Vorſehung ſolche kleine Leiden gefallen zu laſſen „und ſie als eine Uebung anzuſehen, die ihr vieleicht „in der Zukunft, wenn ſie ſelbſt in die Welt eintre⸗ „ten wuͤrde, ſehr zu ſtatten kommen duͤrfte: daß „fie bei aller Schwachheit der Mutter ihr unver⸗ „aͤnderliche Liebe, Ehrfurcht und Gehorſam ſchul⸗ „dig bleibe u. ſ. w.,

Ich gerieth endlich auf den ungluͤklichen Ein⸗ fall, mir auſſer der Stadt einen Garten zu kaufen, um daſelbſt durch den mir ſo ſuͤſſen Genuß der ſchoͤ⸗

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nen Natur das geſelſchaftliche Yeben in etwas ent⸗ behrlicher zu machen und durch das Ende der Abendbeſuche bei meinem Trapp und Büttner, mein jammerndes Weib zu beruhigen und zu verſuchen, ob ſie nun einer frohen Laune empfaͤnglich werden wuͤrde.

Ich hatte die ganze Sache zu uͤbereilt anges fangen. Die romantiſch ſchoͤne Lage des Gartens, deſſen Haus auf einer Bergekke die herrlichſte Aus— ſicht gewaͤhrte, und an welchem unmittelbar ein Arm der Saale vorbei floß, der mir die lang ge wuͤnſchte Gelegenheit zu einem Badeplazze darbot, hatte mich alzuſchnell bezaubert. Der Beſizzer be⸗

nuzte meine Hizze (ich kan's ihm nicht verdenken)

und nahm mir 1700 Thaler fuͤr ein Grundſtuͤk ab, dafuͤr er ſelbſt nur 900 Rthlr. bezahlt und das er blos mit einigen Obſtanlagen meliorirt, hatte.

Ich gerieth in Schulden und tauſenderlei Vers legenheiten daruͤber, und gewann fuͤr meine Ru⸗ he nichts. Und das hätt ich vorher wiſſen koͤn⸗ nen. Kam ich ſeltener jezt in die Stadt und vers mied die Gelegenheit zum Verdacht, fo kamen ans

dere deſto fleiſſiger in meinen Garten. Und wenn \ ich auch wirklich ganz Einſiedler geworden waͤre, ſo konte ich doch das ein vor allemal nicht hervor⸗ bringen, was meinem lieben Weibe die Ruhe zu geben vermochte, eine ſichtbare, unverfenbare und feurige Liebe, wie fie ihrem Ideale gemäß. war.

Liebe iſt ſo wenig des Menſchen freie That, als der Glaube. Es war alſo gar nicht in meiner Gewalt, ihre Erwartung zu befriedigen. Alles, was ich that und thun konte, war nicht mehr Liebe, ſondern eine aus Raͤſonnement entſtandene und durch Diſeretion unterhaltene Guͤte. Ich ſchaͤzte ihr gutes Herz: aber ich konte dabei die Eindruͤkke nicht hindern, welche ihre ewige Hypochondrie auf mich machten. Ja, es ward die Laſt ihrer verſtim⸗ ten Laune eben dadurch fuͤr mich deſto groͤßer, fuͤhl⸗ barer und unertraͤglicher, je ungeſtuͤmer fie meine Liebe zu fodern ſchien, und das Feuer der ihrigen mir aufdrang. Und mein beſtaͤndiges Arbeiten, vornaͤmlich aber meine jezt merklich abnehmende Kraft und Geſundheit vermehrte die Unmoͤglichkeit, der zaͤrtliche Gatte zu ſeyn, den fie verlangte.

f —æ u Ein ungluͤklicher Zufall gab mir vollends den Reſt. Meiner Frauen Bruder, (welcher bis⸗ her mit dem Grafen v. Werther einen langweili— gen Proceß gefuͤhrt hatte, von deſſen gluͤklicher Beendigung die 2000 Thaler abhiengen, die meine Frau zur Kaution hergegeben hatte), kam von Dresden nach Halle, uns zu beſuchen. Dieſer Menſch hatte ein ganz eignes Air von Stolz und Unverſchaͤmtheit, welches mit ſeiner tiefſten Armuth ſo fuͤrchterlich kontraſtirte, daß man ein ganzer Philoſoph ſeyn mußte, wenn man ihn dulden wol⸗ te. Er lebte eine Zeitlang bei uns und ward Ur⸗ ſache, daß ich jeden Tag meine Portion Gift vom Aergerniſſe bekam, welches mir fein Betragen vers urſachte. Eines Tages kam es zum Ausbruch. Er hatte ſchon über der Mahlzeit, wo er mit dem unleidlichſten Stolze die vornehmſten Perſonen Kerls und Schurken nannte und ſein Schikſal aus dem raſenden Grunde unwuͤrdig fand, weil er eines Kirchenraths Sohn ſey, alle meine Duldkraft er⸗ fhöpft. Nach Tiſche legte ich mich aufs Bette, um meine gewohnte acht Minuten lange Mittags- ruhe zu halten, und Volland ſezte ſich ins Zimmer und flikte ſeine Fußbedekkung. Er begann bei die⸗

fer Arbeit die ſchon abgebrochnen unangenehmen Geſpraͤche und ward, da ich ihm zu schweigen und mich ruhen zu laſſen befahl, ſo inſolent, daß mich blizſchnell die tobendſte Hizze uͤbereilte. Ich ſprang auf, maulſchellirte den baumſtarken Bengel, daß ihm der Kopf ſchwoll und ſezte ihn durch meine Wuth ſo in Schrekken, daß er zitterte und alle Ge⸗ genwehr vergaß.

Dieſer ungluͤkliche Augenblik war das Ende meiner bisherigen ſo eiſern geſchienenen Geſundheit. Ich ward gleich bettlaͤgerich, bekam die gelbe Sucht, ward, ſtatt der Brechmittel mit Purgiermitteln be⸗ handelt und behielt von der Zeit an einen kraͤnk⸗ lichen Koͤrper. Meine Verdauung wurde von Zeit zu Zeit ſchlechter und es fanden ſich Verſtopfungen ein, die nach Jahresfriſt ſo uͤberhand nahmen, daß ich ohne Kliſtire keine ordentliche deibesoͤfnung mehr erlangen konte ein Ungluͤk, das vom Jahr 1786 bis 1790 gedauert, und mir vollends allen Lebens genuß verkuͤmmert hat. ee

Ich wurde von jezt an ſelbſt im hoͤchſten Gra⸗ de hypochondriſch (obgleich das Uebel nur im Koͤr⸗

nme 161 per lag und mein Geiſt ſeine natuͤrliche Stimmung zur Froͤhlichkeit nicht verlor) und vermehrte dadurch, ohne mein Verſchulden, die Faͤlle, welche meiner Gattin Gelegenheit gaben, aus meinem kalten oder verdruͤßlichen Betragen, Mangel der Liebe zu fol gern und ſich daruͤber zu aͤngſten und was ſie ganz allein tadelswerth macht 10 bei Andern darüber zu beklagen.

Hiezu kam ein noch wirkſamerer Umſtand. Meine Kraͤnklichkeit und entſcheidender noch, ges wiſſe phyſikaliſche Beſchaffenheiten meiner Gattin, die jezt eintraten machten mir dasjenige unmoͤg⸗ lich, was ſonſt der Eheſtand mit ſich bringt und wovon acht Kinder bereits ihren Urſprung genom⸗ men hatten, die von meinem Weibe waren gebo— ren worden. Und nun war vollends der Klas gen kein Ende mehr. Ueberal ertoͤnte der alte Trauergeſang: mein Mann liebt mich nicht mehr. Und hätte ich nun noch lieben konnen; fo wuͤrde ich gerade nun haben aufhören muͤſſen, da ich fo gea peiniget ward.

N IV, B. 2

*. *

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Eine weit angenehmere Unterhaltung wuͤrde es fuͤr meine Leſer ſeyn, wenn ich hier eine Herzens⸗

geſchichte einſchalten koͤnte, welche in dieſer Epoche ſich ereignete. Eine Dame von hohem Stande, die ich nie geſehen hatte, begann mit mir einen ganzen Roman voll platoniſcher Liebe. Wie der erſte Funke

in ihr Herz gekommen ſey, der hernach zur vollen

Flamme gedieh, weis ich noch bis dieſe Stunde nicht. Sie hatte meine Schriften geleſen und durch ihren eignen Gemahl (der mein Freund war) Schil⸗ derungen meiner Perſon, meines Charakters und

meiner Launen erhalten. Sie hatte lange ſchon

Sehnſucht bezeigt, mich kennen zu lernen. Ihr eigner Gemahl ſprach mir oft davon vor, wie en⸗ thuſiaſtiſch ſeine Gattin fuͤr mich eingenommen ſey. Die Entfernung ihres Wohnorts hinderte mich, ihren Wuͤnſchen zuvorzukommen. Ich ſchrieb ihr. Sie antwortete mir. Der wechſelſeitige Ton ward immer traulicher, zärtlicher, feuriger. Im fuͤnf⸗ ten bis ſechſten Briefe erſchien ſchon das Du der innigſten Liebe. Kurz es begann, ohne daß wir beide uns geſehen hatten, das ſtaͤrkſte Band der Herzen, welches je platoniſche Liebe geknuͤpft hat. Nach einem halben Jahre ſahen wir uns. Sie

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ſtarb nach einiger Zeit. Ihr Zuſtand war der

hoͤchſte Grad der Reizbarkeit des Nerven ſyſtems. Ihr Herz war edel und ihr Verſtand volkommen aus gebildet. Mit der Zeit bringe ich die Geſchich⸗ te in einen Roman.

Vierzehntes Kapitel. 9

Gartenleben, Life, Moriz und Tokayer.

Je hatte in meinem ſchoͤnen Garten Vergnuͤgen, Ruhe und Geſundheit geſucht, und in dem Beſiz dieſer Güter zu doppeltem Fleiſſe und doppeltem Erwerbe fähig zu werden gehoft: aber ich fand mich getaͤuſcht. Meine Geſundheit war durch Wils helm Volland bereits zerſtoͤrt und die Hypochondrie ſeiner Schweſter (die jezt ſchon Studenten und Faͤhn⸗ drichen es klagte, daß ich nicht mehr bei ihr ſchlief) verbitterte mir die Freuden, welche meine eigne mir uͤbrig ließ.

Mein Buͤttner ſagte mirs auch jezt faſt jedes⸗

mal, wenn ich ihn deſuchte: daß ich der Mann ee

nicht mehr wäre, der ich geweſen war: daß ich 1

nicht halb mehr ſo genießbar ſey, als ſonſt. In der 1

That, meine Laune verſiegte, mein Wiz wurde matt, mein Feuer erloſch, meine Scherze wurden ſeltner, und meine ganze Kraft vertroknete, wie eine Pflan⸗ ze, der's an Nahrung gebricht.

Eine meiner liebſten Freuden waren meine drei Kinder, welche mich alle auf das zaͤrtlichſte liebten, und die ich mit einer einzigen Stirnfalte regieren und ſtill oder fröhlich machen konte, wie ich fie has ben wolte. Die aͤlteſte zeichnete ſich durch einen ſanften Charakter und Geſchiklichkeit aus. Sie lernte alles, leicht und volkommen, was ich gelernt haben wolte. Sie ſchien zu allem Talent zu haben. Ihr Klavier und ihr Geſang erhob ſich in wenig Monaten zu einer gewiſſen Reife. Ihre Nadel lei⸗ ſtete alle weibliche Arbeit. Ihre Haͤnde ſchaften Speiſe und Bakwerk. Und ſie ſelbſt ſchien dem al⸗ len keinen Werth beizulegen. Sie war nicht ſtolz und bemuͤht, ſich ſehen zu laſſen. Aber ſie war auch eben fo wenig ſchuͤchtern, es zu zeigen, wenn mans ſehen wolte. Sie hatte einige Wochen Unter⸗ richt im Singen gehabt, und eine Verlegenheit der

ru 165

Konzertdirektoren verurſachte, daß Herr Weimann ihr eine Rolle anbot. Und ſie, wie wenn vor 300 Perſonen ſingen, nicht mehr ſey, als vor ihrem Vater fingen, fagte ein kaltes Ja und fang. Sie iſt in meinem Leben nicht mit Widerſpenſtigkeit mir ungehorſam geweſen.

Die Mittelſte hatte weniger Staͤtigkeit und Ge ſchik: aber deſto mehr Feuer. Jede Nerveſ an ihr war Gefuͤhl und Leidenſchaft. Mir war oft bange, wie ich dies Feuer baͤndigen ſolte, ohne es zu un⸗ terdeüffen. Ihr Herz iſt edel und voll guten Willens.

Die Juͤngſte war beinahe von gleicher Lebhaf⸗ tigkeit aber etwas bezaͤhmbarer, als die Mittelſte. Ihre Sache war nie Kopfarbeit und Geſchaͤft, bei dem ſie ſizzen mußte und ſich wenig bewegen konte. Rehen und Steikken war ihre Pein. Aber wenn ſie die rauhe Kuͤchenſchuͤrze anlegen, ſich die Arme aufſtreifen und die haͤrteſten Hausarbeiten verrich⸗ ten durfte, dann fuͤhlte ſie ſich ſelig. Sie konte von fruͤh bis auf den Abend bei kehren, waſchen, ſcheuern, kochen, Bier abziehen u. d. ſtrapaziert

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166 \ werden, ohne zu ermuͤden, oder die ust zu der/ sie lieren. ©

Gern haͤtte ich zu dieſen Töchtern noch einen Knaben gehabt. Aber es hat mir nicht gelingen wollen. Der Himmel wolte meine Race nicht fort⸗ gepflanzt haben: ob darum, weil fie für die Welt zu gut oder zu ſchlim war, weis ich ſelbſt nicht. Unter den acht Kindern, die mein Weib mir gebar, ſind drei Knaͤblein geweſen, aber keins iſt leben ge⸗ blieben. Das lezte, was ſie in dieſer Epoche zur Welt brachte, war meine ſuͤſſeſte Hofnung, weil es ein ſtarkes und geſundes Kind zu ſeyn ſchien: aber die Wahl der Amme machte auch dieſe Hof⸗ nung mir welken. Es meldeten ſich verſchiedene junge und geſunde Perſonen, die meiner lieben Gat⸗ | tin aber alle zu reizend waren. Zulezt wurde eine alte Vettel gewaͤhlt, bei welcher das Kind mit je⸗ dem Tage mehr abnahm, bis endlich der Arzt 8 holt wurde und zu fpät uns entdekte, daß das es ö bei der Amme verhungert ſey. |

Schwaͤche und zunehmende Kraͤnklichkeit er⸗ heiſchten jezt diätetifche Huͤlfsmittel, darunter viel

—— nn 1 167

Bewegung in freier Luft das wichtigſte war. Ich verſuchte Gartenarbeit, die fo viel Reiz fuͤr mich hat: aber ſie bekam mir nicht, weil ich bei der kleinſten Bewegung, des Hakkens oder Grabens, in den heftigſten Schweis gerieth und gleich darauf mich merklich ſchlechter befand: wie denn auch das

Buͤkken bei der Gartenarbeit mir Kopfweh und

Schwindel verurſachte. ;

Der Arzt rieth mir zu einem Reitpferde. Auch dies ſtimte mit meiner Neigung. Ich kaufte ein Pferd und ward angefuͤhrt. Aber bald erhielt ich ein anderes, das meinem Geſchmakke entſprach. Ich fand es auf einer Leipziger Meſſe. Es war auf dem ganzen Roßplazze verſchrien, daß es ein Wild: fang ſey, daß es in vier Minuten um die Stadt,

herum jage, daß es uͤber alle Schlagbaͤume ſezze u. ſ. w. Mich luͤſterte darnach. Denn eine Schlaf⸗ muͤzze wolt ich nicht. Ich ließ es herausfuͤhren, und beſchloß, mich drauf zu ſezzen. Die Juden traten umher und ſiengen an zu predigen, wie ich mich in acht nehmen, wie ich die Zuͤgel halten, wie ich ſchluͤſſen ſolte. Sie machten mich konfus. Ich faßte die Zuͤgel zu lang. So wie man den Gaul 2 4

168 x

los ließ, gieng er mit meiner runden Perukke in die Luft. Ich erſchrak, fuhr mit der Rechten nach dem Sattelknopfe, und zog mit der Linken den Zuͤ⸗ gel bis an meine Ohren herauf. Alles Halten war umſonſt. Die Liſe (ſo nennte ich das Thier her⸗ nach) ging mit mir durch, und rennte zulezt auf ei⸗ nen ofnen Stall zu, in welchem rechts und links zwanzig Hengſte ſtunden. Zum Gluͤk blieb ſie mit⸗ ten im Thorwege ſtehen. Die da ſtehenden Juden griffen zu, und riefen einmuͤthig: ach lieber Herr Pfarr, ſteige Er herunter: das Pferd iſt wild: Er bricht Hals und Bein. Ich blieb ſizzen. Der Reitknecht eines Freundes, der mir das Pferd em⸗

pfohlen hatte, kam nachgelaufen und ſagte mir, | ich möchte nur getroſt ſizzen bleiben und den Zügel: noch nach meiner Art halten. Jezt faßte ich von

neuem Muth, weil ich gemerkt hatte, daß das | Thier keine Seitenſpruͤnge that, ſondern die regel⸗

maͤſſigſte Karriere machte, bei der es blos aufs

Feſtſizzen ankam und alle Reuterkuͤnſte entbehrlich

waren. Man ließ los und die Liſe floh mit mir

nach dem grimſchen Thore zu. Ich hatte den Zur gel mit beiden Haͤnden und ſo kurz gefaßt, daß ich ihr alle meine Kraft fühlen laſſen konte. Bald

I

wandelte ſich, da ich fie aus Leibeskraͤften anhielt, ihre Karriere in einen waͤlzenden Galopp und am halliſchen Thore hatte ich ſie ſchon im Schritte. Run war ich froh. Ich kam gluͤklich zuruͤk und erhielt fie für ſiebentehalb Luisd'ors. Das Thier ward mein Vergnuͤgen. Ich ritt ſie, aus wahrer Schuͤchternheit, vier Wochen lang im bloſſen Schritt, vertrieb ihr dadurch die Furcht und Scheuheit, und zog ſie mir ſo nach meiner Hand, daß ich hernach mit ihr machen konte, was ich wolte. Sie war das froͤmſte Thier, unter dem meine Maͤdchen weg⸗ kriechen konten. Und wenn ich drauf ſaß, ſo wars, als wenn ſie mit mir in den Himmel ſteigen wolte. Man blieb ſtehen, wenn man mich reuten ſah.

Wenn ich nach Lauchſtaͤdt ritt, welches von Halle

drei Stunden liegt, ſprang ſie mit mir uͤber den hohen Beichlizzer Schlagbaum und endete ſpielend den Weg in einer Stunde. Sie ſprang aus dem Stande uͤber eine Stange, die man ihr ſieben vier⸗ tel hoch uͤber den Erdboden vorſezte. Ein Officier beim Aſchersleber Regiment hatte ſie ehedem gerit—

ten. Als ich daher nach Aſchersleben kam, und

von Freunden eingeladen wurde, die Uebungen des daſigen Regiments in Augenſchein zu nehmen, ging L 5

12 REN

fie, auf den Schall der Trompete, mit mir durch und ich konte es nicht hindern, daß ſie zwei Attaken mitmachte. Der General v. Rohr lachte herzlich uͤber dieſen Streich, den ſie mir geſpielt hatte. Er fragte mich, ob ſie auch noch ſezte. Und da ichs bejahte, ſtach er mit feiner Suite auf die Gräben zu, uͤber welche die Reuter zur Uebung ſezzen muß⸗ ten, und meine Liſe uͤberſprang fie alle mit ihrem lateiniſchen Reuter ſo leicht, als ob ſie noch in der volkommenſten Uebung geweſen wäre. Ich brauche ſie heutiges Tages noch als Wagenpferd, und ſie hat, achtzehn Jahr alt, noch ihre volkomne Ge⸗ ſundheit, und erfodert alle Aufmerkſamkeit des Kutſchers, wenn fie nicht in ihrem Feuer Exeeſſe begehen foll,

Aber auch das Reuten bekam mir nicht. Ich fpürte nicht nur gar keine Veraͤnderung in meinem Koͤrper, ſondern ich bemerkte ſogar, daß mein Magen ſchwaͤcher ward. Nach dem Reuten wi— derſtand mir jede Speiſe. Ich habe die Beobach⸗ tung lange fortgeſezt und wenn ich andere Erfah⸗ rungen dazu nehme und z. B. die vielen Bereuter beherzige, welche ich im Alter hypochondriſch und

171 8

ohne Verdauungskraft gefunden habe; fo muß ich urtheilen, daß das Reuten die heilſame Bewegung

lange nicht iſt, dafür die Aerzte fie ausgeben wols len. Es erſchuͤttert die Eingeweide zu ſehr und das Auf⸗ und Abſchlappen des Magens ſcheint mir offenbar ihn zu ſchwaͤchen. Ich habe in der Folge das Gehen viel zutraͤglicher gefunden und glaube jeden Hypochondriakus verſichern zu koͤnnen, daß täglich zwei bis drei Stunden gemaͤßigte Bewer gung zu Fuß in freier Luft ihm die herrlichſten Wirkungen zeigen werde.

Ich kan dieſe Bemerkung durch meinen Freund Moriz beftätigen, welcher zu der Zeit, da ich in meinem Garten wohnte, nach Halle kam und fo hypochondriſch war, daß er mir den Vorſaz ge— ſtand, mit leeren Haͤnden durch die Welt zu Fuße zu laufen, um es ſey durch Hunger, oder Ent⸗ kraͤftung zu ſterben. Ich nahm ihn, ohne ihn je gekant zu haben, bruͤderlich auf, weil er mir gerade durch feinen traurigen Gemuͤthszuſtand ins treſſant wurde, bot ihm meinen Garten und meinen Tiſch an, und beredete ihn, wenns denn

einmal beſchloſſen wäre, den Tod bei mir zu er⸗

172 . —ͤ

warten. Er ließ ſich endlich zureden, mein Aner⸗

bieten anzunehmen, lebte einige Monate bei mir, bekletterte täglich die Giebichenſteiner Felſen, und trank ohne Verdruß und Sorgen, und ward ſtatt zu ſterben wie ein neugeborner Menſch. Heiter und kraftvol ging er nach Berlin zuruͤk,

mit der völligen Ruͤkkehe feiner Luft zu Geſchaͤften.

Ich hatte bei meiner Kraͤnklichkeit wenig Ver⸗ dienſt. Um ſo viel wilkomner war mir ein Brief aus Ungarn von dem Herrn v. Pronay, einem un⸗ gariſchen Magnaten, welcher mich erſuchte, ihm meine Gedanken über die haͤhniſche Litteralme⸗ thode aufzuſezen, welche Kaiſer Joſeph in allen ſeinen Staaten eingefuͤhrt wiſſen wolte. Er wuͤnſch⸗ te, dieſe elende Methode in ihrer Bloͤße aufgeſtelt und gruͤndlich verworfen zu leſen, um in Verbin⸗

dung mit mehrern Landſtaͤnden dem Kaiſer Gegen⸗

vorſtellungen zu thun. Ich ſchikte ihm, was er

wuͤnſchte, und erhielt einen Anker Tokayer, der

mir weidlich behagte.

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Founfzehntes Kapitel.

Glaube an meine Macht im Geißerreiche

En feltfamern Antrag zur Verbeſſerung mei⸗ ner Gluͤksumſtaͤnde that mir ein ehemaliger Krieges held, welcher mich verſicherte, daß mein Huͤgel, wo ehemals ein reiches Kloſter geftanden hätte, davon der Plaz noch das neue Werk benahmt wird, einen unermeßlich großen Schaz in ſich ſchlie⸗ ße, der aber von maͤchtigen Geiſtern bewacht wir: de. Ich wil den guten Mann X. nennen.

X. Ich weis, daß Sie in dieſem Fache gros ße Geheimniſſe beſizzen, lieber Herr Doctor, und da ich ſelbſt einige Kentniſſe davon habe, welche durch untruͤgliche Erfahrungen beſtaͤtiget find; fo nehme ich mir die Freiheit, Sie von der Moͤglich⸗ keit eines großen Gluͤks zu benachrichtigen und Ih⸗ nen meine Dienſte dazu anzubieten. 3

Ich. (mitleidig lächelnd) Ich begreife nicht, lieber Freund, wie Sie mich in dem Verdachte

174

haben koͤnnen, als ob ich Geheimniſſe aus der Gei⸗ ſterwelt verwahrte, da es weltkundig iſt, daß ich der groͤßte Unglaͤubige bin, und außer Gott gar nichts glaube, was ich nicht mit meinen Sinnen erreichen oder mit meiner W baten N Er

x. e lachend) Ei, das 0 Sie 5 mir nur nicht. Ich weis es mehr als zu gewiß, daß Ihnen Gott auch hierin große Gaben ver⸗ liehen hat. Sie koͤnnen die Geiſter ſicherlich zwin⸗ gen. Sie haben ja den Hoͤllenzwang, den ich in der Welt ſchon viele Jahre lang vergeblich ger ſucht habe. |

Ich. Ja, den hab' ich. Aber ich verwahre ihn, als ein Denkmahl der Moͤnchiſchen Spiz⸗ | doberdl,

&. (erfreut) O, haben Sie das Buch wirk⸗ lich hier? Ach, wenn ichs nur auf einen Augenblik ſehen moͤchte! Es iſt ein Schaz, der nicht zu be⸗ zahlen iſt. | |

Ich. Ja, ich habe es hier. Aber was wol: len Sie denn ſehen? Ich verſichere Sie aufrich⸗ tig, daß es Kinderpoſſen find, mit denen die Moͤn⸗

ä W ˙— m 7—˙ e

—— 175

che in den alten Zeiten das abergläußifihe Volk graf 00 |

x, Hallen Sie denn im Ernſte es fuͤr un⸗ möglich, mit den Geiſtern in Gemeinſchaft zu fom- men? Sie wollen vielleicht ſich gegen mich nur nicht herauslaſſen! Aber ich verſichere Sie bei Gott, daß Sie mit einem Ben Manne zu thun haben.

ITch. Ich betheure es Ihnen, daß es mein ganzer Ernſt iſt. Und wenn Sie einiges Vertrauen zu meinen Einſichten und zu meiner Ehrlichkeit ha⸗ ben, ſo glauben Sie mir, wenn ich Ihnen ſage, daß alles Narrenpoſſen find. Alle Geiſterſeherei iſt Betrug. Und wer fie behauptet, iſt entweder von feiner Phantaſie getaͤuſcht worden, oder er ift ein vorſezlicher Betruͤger, der andere zu aͤffen und zu misbrauchen trachtet.

X. Aber ich verſichere Sie doch bei Gott, daß ich ſelbſt ſchon Geiſter geſehen habe. Und der ... . in Halle, wird Ihnen, wenn Sie Luft haben, die Probe machen. Es iſt wahrhaftig wahr, Die Sache hat ihre Richtigkeit, |

176

Ichllacund ich ſage Ihnen, lieber Freund,

der . . . in Halle iſt entweder ein Narr oder ein Spizbube. Laſſen Sie ſich von ihm nicht aͤffen.

Die ganze Sache iſt widerſingiſch. J X. Ja, Sie können aber doch die Möglich keit nicht leugnen. i 1055

Ich. Mit dieſer lieben Moglichkeit behel⸗

fen ſich Tauſende und laſſen ſich damit die Beu⸗

tel fegen.

X. Aber was haben Sie Do für Gründe die Sache ganz zu verwerfen?

Ich. Unzaͤhlige. Bedenken Sie % PR daß wir in unſerer Sinnenwelt gar keine glaub⸗ hafte Spur vom Daſeyn der Geiſter haben. Er⸗ waͤgen Sie ferner, daß es ganz unvernuͤnftig iſt, Buchſtaben und Karaktern, die man auf Zinn oder Jungfernpergament mahlt, eine Kraft beizu⸗ legen, die Geiſter zu zwingen. Beherzigen Sie ferner, daß es ganz gegen alle geſunde Begriffe von Providenz laͤuft, wenn man einem Menſchen die Macht zuſchreiben wolte, die maͤchtigſten Geiſter zu ſeinem Dienſte zu zwingen und durch ſie die

Ordnung der Natur zu übergehen. Ne X. (ein⸗

x 5 £ Pin N 5

X. (einfallend) Ich hoͤre wohl, was Sie ſa⸗ gen wollen. Aber alle ſolche philoſophiſchen Gruͤn⸗ de beweiſen doch nichts gegen die Erfahrung.

Ich. Das iſt wahr. Aber Sie werden mich auch nie bereden, daß es richtige Erfahrungen giebt, die dawider ſtreiten.

X. (hoͤhniſch laͤchelnd) Wollen Sie mir er— lauben, Ihnen eine Probe zu machen?

Ich. Von Herzen gern. Sie ſollen alles von mir haben, was Sie verlangen. Zeigen Sie mir einen Geiſt und ich verlaſſe meinen Unglauben, und werde heute noch ein Exorciſt. Denn Muth habe ich, mit dem Beelzebub ſelbſt anzubinden.

KX. Wollen Sie mir auch Ihren Hoͤllenzwang dazu borgen?

Es half nichts. Der Mann hatte einen Glau- ben wie Lavater. Alle meine Gruͤnde waren um— ſonſt. Er bat und flehte fo lange, bis ich ihm den Hoͤllenzwang holte. Und ich mußte ihm die Er— laubniß geben, mit einem gewiſſen andern Manne, eines Abends ſich auf meinem Gartenhauſe einzu— finden und eine Konjuration vorzunehmen. Denn

IV. B. M

er behauptete, daß gerade hier eine Region ſein muͤſte, wo die Geiſter ſich haͤufig aufhielten und alſo ſehr leicht herbeizurufen waͤren.

Ich willigte in alles, weil ich mir Hofnung machte, die kranke Phantaſie des guten Mannes zu heilen und ihn von ſeinem Wahnglauben zuruͤkzu⸗ bringen. Der Tag wurde feſtgeſezt. Die Eporciz ſten erſchienen. Ich ſchafte meine Hausleute zu Bette, blieb ſelbſt in der Wohnſtube, welche in der zweiten Etage des Gartenhauſes war, und Über: gab den Beſchwoͤrern meinen großen Saal in der dritten Etage. |

Die guten Leute hatten ſich ſorgfaͤltig vorbe⸗ reitet. Sie hatten ganz neue Kreiſe von Perga⸗ ment, mit dem initio evangelii Johannis und allen hebraͤiſchen und griechiſchen Namen Gottes be ſchrieben, welche nur in beiden Teſtamenten gefun⸗ den werden. Sie hatten ſich mit Ggillis und pen- taculis Salomonis verſehen. Sie hatten Bogen⸗ lange Gebete und Konjurationen aufgeſzt.

Um zehn Uhr des Nachts bezogen ſie beide meinen Saal, legten ihre Kreiſe, beſprengten alles

mit Weihwaſſer und raͤucherten, daß das Haus vom Dampf erfuͤlt wurde. Ich ſaß in meiner Stube und hatte mir Koffe gemacht, um munter zu bleiben. Um eilf Uhr hoͤrte ich, daß ſie in den Kreis traten und anfiengen zu beten, daß ihnen Gott der Almaͤchtige beiſtehen und ihnen, durch das Blut des Ueberwinders der Hoͤllen, Kraft verz leihen wolle, den liſtigen Nachſtellungen des Sa— tans zu entgehen, und ihn durch die Kraft ſeines allerheiligſten Namens zu beſiegen und zu zwingen, daß er ihren Willen ausrichten muͤſſe.

Nachdem dieſe Beterei eine Zeitlang gedauert hatte, (es war eine duͤnne Dekke und die Stille der Nacht erleichterte es noch mehr, daß ich alle Worte verſtehen konte auch ſchrieen die Ber ſchwoͤrer ſo vernehmlich, daß der Teufel ſich nicht beklagen konte, die Ohren anſtrengen zu muͤſſen) ſo begann die Konjuration. Nach Beendigung derſelben raſteten die Exorciſten, und ich vernahm nicht das allergeringſte. Auf einmal hoͤrte ich die zweite Wiederholung, in welcher der Geiſt maͤch— tiglich ermahnt wurde, ſogleich zu erſcheinen und die hier befindlichen Schäzze getreulich anzuzeigen,

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180 En

*

und zu eroͤfnen. Auf die zweite folgte die dritte und lezte. Und nun hoͤrte ich weiter nichts, als

daß die Beſchwornen, da es zwoͤlf Uhr war, die Stuͤhle ruͤkten, ihre Kreiſe aufhoben, und mit dem gewoͤhnlichen Ceremoniel den Zwang be⸗

ſchloſſen. Sie legten ſich bald darauf, in ihre |

Mäntel gehuͤlt, auf die Stühle, und fanden ſich mit Tagesanbruch auf meiner Stube ein. 8 Ich. Nun, wie iſts gegangen, lieben Herren? Sie haben dem Teufel dieſe Nacht gewaltig zugeſezt. | X. (betruͤbt) Ja, leider noch nicht ſtark ges nug. Die Geiſter waren nicht herauf zu bringen. N. Ich bleibe dabei, fie find hier unten geweſen. Ich. Mir iſt nichts vorkommen. Haben Sie denn gar nichts vernommen? |

KX. O ja, ſehr viel. Sie ſtiebten von uns ten auf Sand und Steine an die Fenſter, daß es klirrte.

N. Ja ja, fie find in der Tiefe geblieben.

Und die Citation war entweder zu ſchwach, um ſie

.

er —— —— .

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7

vollends heraufzutreiben oder es iſt eine hoͤhere Macht uns im Wege geweſen.

Ich. Aber da Sie gar nichts geſehen ha— ben, wie koͤnnen Sie noch auf Ihren Glauben beharren? Sie haben mir doch verſprochen, mich durch eine Erfahrung zu uͤberzeugen. Sie haben aus meinem Hoͤllenzwange die allerſtaͤrkſten Kon— jurationen herausgeſucht. Warum trifts denn nicht zu? Sehen Sie denn nicht, daß alles Poſ— ſen iſt?

X. Ja ja, wenn der Herr Doktor nur ſelbſt gewolt hätten: die Probe würde wohl zugetrof⸗ fen ſeyn.

Ich. Wie ſo? wenn ich gewolt haͤtte? Ich verſtehe Sie nicht.

N. (bverdruͤßlich) Wir wollen den H. Doktor nicht laͤnger aufhalten. Wer weis, wem die Pro— be am beſten bekommen wird?

Wer haͤtte ſich das ſollen traͤumen laſſen? Die beiden Leute glaubten im Ernſt, daß ich eine noch kraͤftigere Konjuration unter ihnen gebraucht und ihnen die Geiſter abſpenſtig gemacht haͤtte. Und

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j 182 1 ———

ich hatte nun, ſtatt ſie von ihrem Wahnglauben

zuruͤkzufuͤhren, fie deſtomehr darin beſtaͤrkt. Denn ſie aͤrgerten ſich nun, daß ſie mir den Schaz meines Gartens verrathen hätten, und von mir als einen maͤchtigern Exorciſten angefuͤhrt, worden wären. Sie ließen ſichs nicht mehr ausreden. Und da ich hernach meinen Weinberg für 3000 Thaler kaufte, behauptete der X an verſchiedenen Orten ganz oͤffentlich, daß ich einen Schaz in mei⸗ nem Garten gefunden haͤtte und heimlich ein ſteinreicher Mann ſey. Kurz, die Exoreiſten hielten fuͤr gewiß, daß ich die Geiſter in mein Zim⸗

mer geholt und das Geld ſtatt ihrer in Empfang

genommen haͤtte.

Und werden meine Leſer mir es wohl glauben, wenn ich ihnen ſage, daß dies nicht das erſte und lezte mal war, daß ich fuͤr einen maͤchtigen Ge⸗ bieter der Geiſter gehalten wurde? Ich wolte noch mehr als zwanzig Perſonen in und auswaͤrts nam⸗ haft machen, welche ſichs bis dieſe Stunde nicht aus reden laſſen, daß ich ein Teufelsbanner bin.

Ich war einſt in Schlettau (einem ſächſiſchen

.

* N,

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Dorfe bei Halle) im Wirthshauſe zur Kirchmeß

und ftand, in meinen eignen Gedanken vertieft, an einem Fenſter. Ich bemerkte bald einen klei⸗ nen dikken Mann ſeitwaͤrts hinter mir, der in einem weg mich betrachtete. Ich wandte mich eini⸗ gemal, um ihn unmerklich ins Auge zu faſſen, und glaubte eine gewiſſe Sehnſucht in ſeinen Blik— ken zu leſen. Ich fuhr fort, zum Fenſter hinaus zu ſchen und hoͤrte endlich, daß der Mann ſich bewegte und mir näherte,

Ich. (indem ich mich umdrehte freund: lich) Haben Sie mir etwa was zu ſagen, lieber Mann?

Er. Ja, lieber Herr Doktor. Ich habe ſchon lange mirs gewuͤnſcht, Sie einmal zu fpres chen: habe mirs aber immer nicht unterſtehen wollen.

Ich. O, Sie konten zu allen Zeiten frei zu mir kommen. Ich nehme jederman gern und lieb⸗ reich auf. Was iſt denn wohl ihr Anliegen?

Er. Ja, wir werden an dieſem Orte wohl ſchwerlich uns ſprechen koͤnnen. Ich wil jezt nur ſo viel ſagen, lieber Herr Doktor, ich weis es, daß Sie ein großer Mann ſind und daß Ihnen

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Gott große und ſeltene Gaben verliehen hat, die

wenige Menſchen in der Welt beſizzen. Ich habe das auch von großen Gelehrten gehoͤrt, die ſonſt ihre Feinde ſind, daß Ihnen der liebe Gott

Ich. (einfallend) Laſſen Sie dieſe Lobſpruͤche weg, lieber Mann, und ſagen mir lieber kurz und gut Ihr Anliegen. Sol ich Ihnen einen Rath ges ben, oder einen Aufſaz verfertigen, oder

Er. Rein, nein. Ich habe etwas weit wichtigeres auf meinem Herzen. Ich weis, daß Sie ein Herr ſind, der viel großes leiſten kan, was menſchliche Kraͤfte nicht vermoͤgen. Ich habe ſelbſt ſchon einiges verſucht: aber ich glaube ge— wiß, daß ich ohne Sie nichts werde ausrichten koͤnnen. 8

Ich. Lieber Mann, Sie irren ſich ſehr. Ich habe und kenne keine andern, als menſchliche Kraͤfte. Und wenn Sie etwa mich zu Dingen zu gebrauchen hoffen, dazu Magiſche Kräfte, wie mans nennt, erfodert werden, ſo bedaure ich Sie.

Er. Verſtellen Sie ſich gegen mich nicht, fies ber Herr Doktor: ich bin ein ehrlicher Mann.

5

3 8 =

Sehen Sie, ich habe in meinem Haufe einen Schaz, der ſchon uͤber dreißig Jahre liegt. Es iſt algemein bekant daß der .... 30000 baares Geld hatte, und da er ſtarb, ſuchte man das ganze Haus durch und fand nichts, und jederman ſagte, daß ers ver⸗ graben haͤtte. Das Haus beſizze ich jezt, und es iſt zuverlaͤßig das Geld noch da. Sie ſollen den dritten Theil davon haben, lieber Herr Doktor, wenn Sie mir dazu verhelfen. Ich weis, Sie koͤn— nen. Ich habe ſchon drei Waſſergeiſter abgetrie— ben. Aber es ſizt noch ein maͤchtiger Luftgeiſt auf dem Schazze, welcher nicht wanken und weichen will. Und ich weis gewiß, Sie zwingen ihn.

Ich fuhr fort, den Mann zu bedeuten, daß er ſich an mir irre und ich konte dennoch mit allen Konteftationen und Vorſtellungen nichts bei ihm ausrichten: weil er ſichs feſt in den Kopf geſezt

hatte, daß ich die bei mir geſuchte Kunſt befäße, und

nur Urſache haben muͤßte, mich vor ihm zu ver⸗

bergen.

Wenn alle dieſe und aͤhnliche Glaubige an meine Macht im Ge ſterreiche nicht noch lebten, M 5

55 zum Theil brave und angeſehene Leue waren; x fo würde ich kein Bedenken tragen, ihre Namen zu nennen, welche ich jezt aus Diskretion verſchwei⸗ gen muß.

Sechszehntes Kapitel. Ruͤkkehr in die Stadt.

Geſchichte der meraliſchen Vorleſungen.

Jo hatte zwei Winter und einen Sommer in meinem Gartenhauſe ausgehalten und mit vielen Koſten alle moͤgliche Verſuche gemacht, den Rauch los zu werden, welcher bei Heizung der Oefen das ganze Haus erfuͤllte und zuweilen mit Gewalt durch die Oefen in die Zimmer drang, ſo daß man Thuͤr und Fenſter oͤfnen oder erſtikken mußte. Ich habe dieſe Noth wenigen geklagt, um einſtige Käufer

nicht abzuſchrekken: aber ſie war wirklich ſo groß,

daß wir ſie nicht mehr ertragen mochten.

Einmal gerieth ich in wirkliche Gefahr, mit

meiner Frau und meiner älteſten Tochter, welche

in meiner Kammer mit lag, zu erſtikken. Ich brante in meinem Ofen Steinkohlen, die ich, auch wenn ſie dampfen, ſehr gut vertrage. Das Feuer war um acht Uhr ſchon niedergebrant und wir hats ten uns halb zehn Uhr ſchlafen gelegt. Um eilf Uhr hoͤre ich meine Frau keichen und ſtoͤhnen, als wenn ſie mit dem Tode raͤnge. Ich ermunterte mich, konte aber kein Wort aus ihr herausbringen. Ich wekte meine Tochter. Dieſe ſtund auf, und wie ſie auf ihre Fuͤße trat, taumelte ſie in meine Arme. Jezt erſt merkte ich, daß Steinkohlen Dampf in der Stube war. Denn ich ſelbſt empfand nichts als ein wenig Kopfſchmerzen, und war an den Kohlen geruch ſchon fo gewoͤhnt, daß ich nicht drauf gefallen ſeyn würde, wenn ich nicht die Wirkung an meinem Weibe und Kinde gemerkt haͤtte. Ich ſchlepte eiligſt das Maͤdchen hinaus, riß das Fen⸗ ſter auf und zog die Mutter aus dem Bette, um fie ebenfals aus dem Zimmer zu bringen. Sie erz holten ſich beide wieder. Und nun fand ich, daß ein Windſtoß die gluͤhenden und noch Schtwefelduf: tenden Kohlen dergeſtalt getroffen hatte, daß gluͤ— hende Aſche im Zimmer um den Ofen herum lag. Waͤr ich eben ſo empfindlich gegen den Kohlendampf

geweſen, wie mein Weib, und hätte folglich nicht fo leicht erwachen und mich beſinnen und Huͤlfe ſchaffen koͤnnen; fo wären wir vieleicht alle drei ums Leben gekommen. | |

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Dieſer Vorfall brachte den Entſchluß zur Rei⸗ fe, den Garten wieder zu verkaufen, den ich, wos fern ich ihn nicht mehr bewohnen und die Miethe in der Stadt dabei ſparen konte, nicht zu behaup⸗ ten vermochte.

Ich miethete mich anfangs wieder in der Stadt ein, kaufte mir aber hernach ſelbſt ein Haͤuschen fuͤr 1000 Thaler, wo ich zu meiner Lieſe noch ein Pferd mit einer Halbſchaͤſe anſchafte, und alle Nach⸗

mittage aufs Land fuhr, um da zu arbeiten. Mei⸗ ne Lebensart blieb wie vorher. Ich arbeitete von fuͤnf Uhr des Morgens bis Mittag. Nachmittags nahm ich mein Schliftſteller⸗ Werkzeug mit nach Schlettau und benuzte blos die Bewegung des Fah⸗ rens und die Gelegenheit, in kurzen Pauſen, die ich in meine Schreiberei einſchaltete, die freie Land⸗ luft zu genieſſen. Zuweilen fand ich auch Geſel⸗ ſchaft, der ich, wiewohl ſelten, einen Theil der

Arbeit aufopferte. Ich habe mehrere hundert

Zeugen, die mich da bei meiner Arbeit getroffen haben: und dennoch ſeufzte die theologiſche Hei⸗ ligkeit ſo laut, daß mans in Berlin hoͤren konte: Der D. Bahrdt liegt Tag und Nacht auf den Doͤrfern!

Solche Seufzer, von Zeit zu Zeit an die Be— hoͤrde abgeſchikt, waren noͤthig, wenn der vers haßte und ein vor allemal zum Opfer der Un⸗ terdruͤkkungsſucht beſtimte Mann wirklich erliegen ſolte. Denn des Miniſters Wunſch, mich zu ver— ſorgen, war noch gar nicht in feinem Herzen erſtor— ben. Er hatte vielmehr vor kurzem nur erſt Mine gemacht, die verfallne und mit bloſſen Studenten- predigten bisher verſorgt geweſene Univerſitaͤtskir— che wieder in Aufnahme zu bringen und, in meiner

5 kleinen Per ſon, der Kirche ein Auditorium und den

Studenten ein brauchbares Muſter der Kanzelbe— redſamkeit zu geben. Und es hatte ſehr dringende Berichte gekoſtet, dieſe meine neuen Ausſichten zu verſinſtern und die Gefahr, mich durch Rednerta— lente in Anſehen und Kredit zu erblikken, von dem halliſchen Zion abzuwenden.

5

Aber ſchon bereitete ich meinen Unterdruͤkkern neue Beſorgniſſe. Ich bekam den Einfall, nach der Weile des ſeligen Gellerts, moraliſche Vorles ſungen zu halten, weil ſchon viele Familien, adli⸗ chen und buͤrgerlichen Standes, mich ermuntert hatten, einmal ein Kollegium zu leſen, welches fuͤr alle Stände geniesbar ſey. |

Mein Plan war, wöchentlich eine einzige Stun⸗ de dazu zu beſtimmen, und blos die wichtigſten und | intereſſanteſten Themata aus dem Umfange der mo— | raliſchen Religion auszuheben, um fie mit der ganz | zen mir moͤglichen Kraft der innern und aͤuſſern Beredſamkeit vorzutragen. |

Ich hatte damals das große Auditorium, in welchem ehedem der große Baumgarten feine Vor⸗ | | leſungen gehalten hatte. Es faßte bei 400 Mens ſchen. In dieſem Hoͤrſale ließ ich einen Abſchlag machen. Zwei Drittel des Raums beſtimte ich ö fuͤr Studenten und einen Drittel fuͤr Zuhoͤrer aus andern Staͤnden. Der Abſchlag ſonderte beide Arten von Zuhoͤrern von einander, und war ſo eingerichtet, daß zur Zeit, wenn ſich das Audito⸗

191 rium verſamlete, kein Theil den andern ſehen kon⸗ te. Erſt, wenn ich aufs Katheder ging, oͤfnete ſich durch große Schieber der obere Theil des Ver⸗ ſchlags, ſo daß beide Auditoria einander ſowohl als den Redner im Geſicht hatten.

Mein Vorſaz war, die Stunde des Sontags

um eilf Uhr zu halten, wenn alle Kitchen geendiget

waͤren. Ich waͤhlte den Sontag, weil da die Familien am erſten Zeit hatten, einer ſolchen Stun— de beizuwohnen und auch in Abſicht auf Seelen— ſtimmung dazu am aufgelegteſten ſchienen. Es war dies weder etwas unſchikliches noch neues.

Schon in Halle waren des Sontags Vorle⸗ ſungen gehalten worden. In Göttingen hatte Heine des Sontags Archäologie geleſen. Und ein Jahr darauf las unſer Paſtor Senf alle Sontage ein Kollegium über die haͤusliche Erziehung. Was rum ſolte ich alſo nicht Sontags eine Stunde Mo⸗ ral leſen?

Ich machte mein Vorhaben bekant und er⸗ hielt in der Stadt algemeinen Beifal. Viele Afs

ficiers und Familien verſprachen zu kommen. Eine ungeheure Menge Studenten meldete ſich. Ich vollendete meine Anſtalten und ſezte endlich dieſe moraliſchen Vorleſungen in meinen Lektionszettel. Und dieſer ging, mit der Liſte aller akademiſchen Vorleſungen, nach Hofe und wurde approbirt. g

Aber bald nach Oſtern, etwa vier Wochen, ehe die Sommervorleſungen ihren Anfang nah⸗ men, hoͤrte ich, daß einige bei der Univerſitaͤt meine moraliſchen Vorleſungen nicht billigen wol— ten und daß beſonders die Herren Theologen allerlei dagegen einzuwenden hatten. Ich eilte zu dem damaligen Prorektor, dem Herrn Prof. Schulz, und fragte, ob das Gerücht Wahrheit habe? Er nahm mich mit der aͤußerſten Hoͤflichkeit auf, zukte die Achſeln und geſtand daß allerdings verſchie⸗ dene Einwendungen gemacht wuͤrden, und daß man von Seiten der Fakultat mir durchaus nicht geſtatten wolte, dieſe Vorleſungen zu halten.

Ich drang in ihn, die Gruͤnde davon zu ver⸗ nehmen, konte aber nichts erfahren. Alſo wandte

ich mich ſo fort an den Miniſter, berichtete ihm, daß

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daß mir der Prorektor den Anſchlag meiner moras liſchen Borlefungen am ſchwarzen Bret nicht geſtat⸗ ten wolle, und bat um ſeine Protektion. Ich er⸗ hielt die ſchleunigſte Huͤlfe.

Se. Exellenz antworteten mir: „mit heuti⸗ „gem Poſttage habe ich an den Herrn Prorektor ſelbſt geſchrieben und ihm wegen Ihres Anliegens „meine Gedanken eroͤfnet. Es werden Ihnen nun „weiter keine Schwierigkeiten gemacht werden. „Benehmen Sie ſich nur ſelbſt dabei mit der noͤthi⸗ „gen Vorſicht, und ſchaden ſich nicht durch alzu⸗ „freimuͤthige Aeuſſerungen u. ſ. w.,

Nun freute ich mich meines Sieges. Der Ap⸗ probation des Oberkuratorii verſichert, ging ich ſogleich zu Herrn Schulz und ſagte Seiner Magni⸗ ficenz , daß mir der Miniſter ſchriftliche Erlaubniß ertheilt, und mir zugleich gemeldet haͤtte, daß er Seiner Prorektoriſchen Herrlichkeit feine Willens⸗ meinung eroͤfnet habe.

Herr Schulz war freundlich und artig: aber dabei in ſeinen Antworten ſo unbeſtimt, daß ich IV. B N a

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te. Er ließ ſich ſogar nicht einmal in ein ausdruͤk⸗ liches Geſtaͤndniß ein, daß er den Brief vom Mi⸗ niſter erhalten habe. Er wagte es nicht, mir die Vorleſungen weiter zu unterſagen: aber er huͤtete ſich auch, mir eine kategoriſche Erlaubniß dazu zu ertheilen. Und wenn mein Gedaͤchtniß mich nicht taͤuſcht; ſo bat er mich blos, die Zeit, naͤmlich die Sontagsſtunde, nicht mit oͤffentlich anzuſchlagen.

Ich nun ging, trozzend auf meine gerechte Sache und auf des Miniſters Handſchreiben, an die Arbeit, und ließ mir weiter nicht traͤumen, daß ich an meinem Vorhaben gehindert werden wuͤrde, zumal da ich dem Prorektor nachgegeben und die Beſtimmung der Zeit aus dem Anſchlage weggelaſſen hatte. Vor allen Dingen ſorgte ich jezt fuͤr gute Ordnung, und weil ich fuͤrchten mußte, daß ein erſtaunender Schwarm von Studenten ein⸗ dringen wuͤrde; ſo machte ich bekant, daß kein

Hoſpite geduldet werden koͤnte, ſondern daß jeder

von dem Anfange der Vorleſungen das Honorari⸗ um bezahlen und ſich ein Entree⸗ Billet bei mir ab⸗ holen müffe, ohne welches niemand eingelaſſen wer⸗

weder Ja noch Wein aus ihm herausbringen kon⸗

1

1 . Ste ui un 2

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den und einen Plaz finden würde. Das Honora— rium betrug, fuͤrs halbe Jahr, zwei Thaler. Und ich gab über 200 Billets aus.

Die Fakultat ließ mich gewaͤhren. Die Unis verſitaͤt ſchwieg. Der Prorektor ruͤhrte ſich nicht. Ich verwendete einige dreiſſig Thaler auf die Ver— ſchoͤnerung meines Hoͤrſales. Ich ließ den Ver⸗ ſchlag anſtreichen. Ich verſahe den fuͤr Familien beſtimten Raum mit Stuͤhlen. Kurz, ich handel— te oͤffentlich und ſtadtkundig ſo, daß es keinem Menſchen, geſchweige dem Prorektor, verborgen bleiben konte, was ich vor hatte. Meine Billets kurſirten in allen Haͤuſern. Aber es war ab— ſichtliche Stille. Man wolte mich ruhig alle An— ſtalten vorkehren laſſen und, erſt im lezten Augen blikke, mich ſtoͤren und zum Gelächter machen.

Nachdem ich dem Prorektor erflärt hatte, daß

ich den und den Sontag anfangen wuͤrde zu leſen, und mir kein Wort dagegen von ihm eingewendet worden war nachdem ich drei Wochen lang oͤf⸗ fentliche Anſtalten gemacht und Billets ausgegeben hatte ſchikten Se. Magnificenz der Theo⸗ N 2 |

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loge, Schulz, Direktor des Waiſenhauſes den Pedell, an die Frau D. Junkerin, an dem Sonnabende, welcher vor dem Sontage unmittel⸗ bar vorher ging, an welchem ich anfangen wolte zu leſen, abends um acht Uhr, und ließ ihr befehlen, bei zehn Thaler Strafe ſogleich die Thuͤren meines Auditorii zu verſchließen, mit Vorlegeſchloͤſſern zu verwahren, und mir ſchlechterdings allen Gebrauch des Hoͤrſals zu verwehren.

Um neun Uhr deſſelben Abends, wo ich ruhig in meinem Hauſe ſaß und mich auf die morgende erſte Vorleſung zubereitete, kam der Herr D. Jun⸗ ker, der Sohn der guten Frau, von welcher ich

das Auditorium gemiethet hatte, erſchrokken und |

leichenblaß gelaufen, und meldete mir den ſcheusli⸗ chen Vorfall.

Ich war wie verſteinert, da ichs vernahm. Iſts moͤglich, dacht' ich, daß man ſo heimtuͤkkiſch mit mir verfährt? Meine Erſtarrung ging in tobende Blutwallung uͤber. Ich rannte zum Poſt⸗ direktor, der mein Freund war, und bat ihn drin⸗ gend, mir bis zehn Uhr Zeit zu laſſen, daß ich noch

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——— 197

einen Brief nach Berlin ſchreiben und abgeben koͤn⸗ te. Er verſprachs und hielt Wort.

Im erſten Aufbrauſen meines Zornes ſezte ich mich und ſchrieb an den Miniſter.

„In dieſen Augenblikten erfahre ich den hoͤchſten „Grad der allerniederträͤchtigſten theologiſchen „Kabale, die je an einem Menſchen veruͤbt „worden iſt ꝛc.

Mit ſolchen heftigen Ausdruͤkken, war der ganze Brief erfuͤlt. Ich erzaͤhlte in dem bitterſten Tone den ganzen Vorfall, wie ich den Prorektor vor drei Wochen geſprochen, mich auf Sr. Exel⸗ lenz Handſchreiben berufen, und kein weiteres “ns terdikt erhalten hätte; wie boshaft man mir bei meinen Anſtalten zugeſehen und nicht einen Laut von ſich gegeben haͤtte, woraus Widerſtand zu ahnden geweſen waͤre: wie ſchaͤndlich es ſey, einen Mann erſt Koſten aufwenden und die ganze Stadt in Erwartung ſezzen zu laſſen, und dann erſt aus dem Hinterhalt hervorzubrechen und ihn, mit Ver: eitlung aller ſeiner Anſtalten, dem Hohngelächter des Publikums preis zu geben.

N 3

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Dieſer freilich zu hizzige Brief, den ich bei kaͤlterm Blute nicht geſchrieben haben wuͤrde, ward des Sonnabend Abends noch auf die Poſt gegeben. Ich ſchlief die ganze Nacht vor Scham und Aerger⸗ niß nicht. Den Sontag fruͤh ſchikte ich meinen Fiskal in die vornehmſten Haͤuſer und ließ anſagen, daß ich gehindert ſey, heute die moraliſchen Vor⸗ leſungen anzufangen. |

Aber um zehn Uhr ſchon hörte ich neuen Laͤrm. Man meldete mir, daß die Studenten ſchaaren⸗ weiſe nach meinem Auditorio zoͤgen: daß eine Men⸗ ge Herren und Damen auf gleichem Wege waͤren: und daß das Haus, wo ich haͤtte leſen wollen, mit Haͤſchern beſezt ſehy. Es war mir unglaublich. Ich ſandte meinen Fiskal ſelbſt hin. Und es war leider die Wahrheit.

Die Herren ... hatten beſorgt, ihre Vor⸗ legeſchloͤſſer moͤchten allein nicht ſtark genug ſeyn, mein Borhaben zu hintertreiben. Sie wußten, daß eine Menge Stabs- und andere Officiers meine Freunde waren und den Vorleſungen beizuwohnen | beſchloſſen hatten. Sie trauten dieſen Kriegshelden

zu, daß fie mit den Vorlegeſchloͤſſern nicht viel Kom⸗ plimente machen, ſondern mich de facto in meinen Hoͤrſal einfuͤhren wuͤrden. Sie kanten meinen Muth und ihre ungerechte Sache. Sie erwogen, daß ſie den Fehler begangen und mir weder ſchrift— lich noch muͤndlich ein Interdikt inſinuirt haͤtten, und daß ich alſo gar fuͤglich, kraft des Handſchrei⸗ bens vom Miniſter, ihre Vorlegeſchloͤſſer ignoriren, und mich der Erlaubniß des Oberkuratorii bedienen koͤnte. Kurz, es ward ihnen bange, daß die Reihe des Ausgelachtwerdens an ſie ſelbſt kommen duͤrfte, wenn fie nicht ſtaͤrkere Hinderniſſe mir entgegen ſez⸗ ten. Daher hatten ſie ſich entſchloſſen, in aller Fruͤ⸗ he das Haus mit Pedellen und Haͤſchern zu beſez— zen, um mich und meine Zuhörer, mit Gewalt abs treiben zu laſſen.

Aber ich handelte fo uͤbereilt nicht, wie fie gez glaubt hatten. Ich blieb zu Hauſe, und erwartete die Vertheidigung meiner Rechte vom Oberkurator. Und meine Zuhörer kehrten, da fie die Haͤſcher fa> hen, eben ſo ſtill in ihre Wohnungen zuruͤf. |

Was man in der Stadt und bald nachher in Deutſchland von dem Vorfall ſprach, werden mei⸗ N 4

200

ne Leſer wohl errathen koͤnnen. Ich hätte nicht Menſch ſeyn muͤſſen, wenn ich ohne alle Leidenſchaft dabei geblieben waͤre. Den Dienſtag gieng ein faſt eben ſo feuriges Schreiben an den Miniſter, in welchem ich den ſpaͤtern Auftritt berichtete, der am Sontage ſich ereignet hatte. Und ich erwartete nichts gewiſſers, als daß der Miniſter meine er⸗ theilte Erlaubniß durchfechten und der Fakultat eins auswiſchen wuͤrde. Aber meine Erwartung wurde nur zur Haͤlfte erfuͤllt.

Es dauerte vier Wochen, ehe von Berlin aus etwas erfolgte. Der Miniſter mochte nicht Luft haben, es zu einem foͤrmlichen Kriege zwiſchen ihm und der Fakultat kommen zu laſſen: weil er nicht gewiß war, in welcher Stimmung Friedrich den Großen eine Klage der Univerfität gegen den Kura⸗ tor finden würde, Er ſcheint daher lange ſich bez dacht und nachgeſonnen zu haben, wie er meine unartigen Gegner zuͤchtigen wolte, ohne ſich in ei⸗ nen direkten Krieg mit ihnen einzulaſſen. Und von dieſen Berathſchlagungen ſcheint mir folgender Er⸗ folg das Reſultat geweſen zu ſeyn.

Se. Excellenz ſchikten meine beiden Pri⸗ vatbriefe! an die Untverjität, mit dem Befehl, fi dagegen zu verantworten. Das war eine Eeſcheinung, die ſich kein Menſch zu entraͤthſeln vermochte. Viele weiſſagten mir aus dieſem Ge— brauche, den der Miniſter von meinen Briefen ge— macht hatte, einen traurigen Ausgang. Ich blieb in meiner Ruhe und ließ dem Dinge ſeinen Lauf. Mein Blut hatte ſich abgekuͤhlt und die ganze Sache war in meinen Augen nur noch Spie⸗ gelgefecht.

Aber was bei der Univerſitaͤt fuͤr große Augen gemacht wurden, kan man ſich beſſer vorſtellen als beſchreiben. Die runden Peruͤkken eilten in ihre Konferenzen und beſchloſſen meinen Untergang. „Das iſt erſchreklich, hieß es. So hat ſich noch „kein Menſch unterfangen, gegen alte koͤnigliche Proz „feſſoren zu ſchreiben. Da muß ein exemplum „fine exemplo ſtatuirt werden. Jezt dürfen wir „nicht ſchonen. Jezt muß alles heraus. Wir „müuͤſſen ſchlochterdings eine eklatante Satisfaktion „haben. Der Bahrdt muß oͤffentlich beſtraft und „für ſolche Inſolenzen gezuͤchtiget werden.,

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202 DH.

Es kam zum votiren. Der vorgeſchlagene

Bericht ward von vielen Profeſſoren, welche die Unbilligkeit des bisherigen Verfahrens gegen mich einſahen, mit Gruͤnden verworfen. Aber durch die Mehrheit der Stimmen wurde er durchgeſezt und ging nach Hofe. f 3 Der Bericht oder vielmehr die Anflage ent: hielt alles, was gegen mich aufzubringen war. Man ſtelte dem Oberkuratorio die Heiligkeit des Sontags vor, den ich mit meiner Moral hätte profaniren wollen. Man zeigte die gerechte Be— ſorgniß, daß Studenten- und Volksauflauf haͤtte entſtehen und gefährlicher Tumult aus meinem Vorhaben erwachſen koͤnnen, weil viele mich fuͤr einen Irlehrer hielten. Man ſchilderte meinen mo⸗ raliſchen Karakter auf die gehaͤſſigſte Art und be⸗

wies daraus, daß einen ſolchen Mann ſontaͤgliche

Erbauungsſtunden durchaus nicht kleideten: daß

zu einem ſolchen Unternehmen ein Mann von weit

reinern Sitten erfodert würde. Man äußerte Furcht, daß ſolche Vorleſungen als Konventikel angeſehen werden und andern dazu Gelegenheit

geben koͤnten. Man deklamirte uͤber die ſchrek⸗

lichen Unſittlichkeiten, welche entſtehen koͤnten, wenn in einem Auditorio Weiber und Toͤchter mit den Studenten zugleich ſich einfinden ſolten. Man beſchrieb meine unanſtaͤndigen Werbungen, mit denen ich auf Bierbaͤnken und Koffehaͤuſern meine Zuhörer zuſammen getrommelt hätte ꝛc.

Wie viel in dieſem Berichte Wahrheit war, mag ich jezt nicht unterſuchen. Ich will blos auf zwei Punkte meine Leſer aufmerkſam machen, mel: che ſie das uͤbrige deurtheilen lehren werden. Der Punkt der Werbungen war ganz falſch: denn ich bin noch bis auf den heutigen Tag auf kein halli— ſches Koffehaus gekommen, und kan den getroſt auffodern, der mich je in Halle in einem ſolchen Hauſe geſehen haben will. Ueberhaupt habe ich keinen Menſchen geworben. Ich habe blos mein Vorhaben, dazu mich andere ermuntert hatten, bekant gemacht, und ruhig erwartet, wer kommen oder ſchikken, und ſich ein Einlas- Billet ausbitten wolte. Auch nicht ein einziger Menſch kan ſagen, daß ich ihn ſelbſt darum angeredet habe. Und was zweitens die Gefahr des Tumults betrift, ſo iſt es befant genug, daß alle Studenten mir wohl wol⸗

204 *

ten und fr mich fo eingenommen waren, daß ge— wiß kein einziger Menſch ſich unterſtanden haben wuͤrde, aus Abneigung gegen meine Irglaͤubigkeit mich zu inſultiren und die Ruhe zu ſtoͤhren.

Aber die Herren.... begnuͤgten ſich nicht an dieſem Bericht. Sie ſuchten noch anderweitige Buͤndniſſe auf, um diesmal mit einer unbeſiegba⸗ ren Macht gegen mich zu Felde zu ziehen. Man wußte es dahin einzuleiten, daß das halliſche Stadt⸗ miniſterium zu gleicher Zeit eine ſchriftliche Pros teſtation einlegte und bei Hofe ſupplicirte, daß man dem Kezzer Bahrdt feine moraliſchen Vorleſungen an Sontagen nicht geſtatten moͤchte. Dieſes merk⸗ wuͤrdige Schreiben verdiente wortlich abgedrukt zu werden. Es enthielt eine Menge Seufzer uͤber meine Profanität und ſtellt hauptſächlich dieſen Grund gegen mich auf: |

Daß der Klingelbeutel in den halliſchen Kirchen darunter verlieren wuͤrde, indem zu beſorgen ſey, daß viele Leute, deren lüfterner Gaum ſie in meine Vorleſungen ziehen duͤrfte, nun die Fruͤhkirchen verſaͤumen und meinen neu⸗ modiſchen Deklamationen nachlaufen wuͤrden.

*

Gern Hätte man auch von Seiten der Bürgers ſchaft etwas tentirt. Aber ich hatte damals unter den Buͤrgern ſo viel Freunde und ſo gar Anhaͤnger meiner Grundſfaͤzze, daß ich eher ſelbſt im Stande geweſen wäre, ein paar hundert zuſammen zu brin— gen, welche ſich für meine Freiheit verwendet has ben wuͤrden. Denn meine Schriften hatten mir viele Herzen gewonnen.

Der Vericht ging alſo mit der Vorſtellung des Miniſterii nun ab, und man wartete mit Schns ſucht auf Antwort. Meine Feinde bei der Univers fität hoften ein ganzes Bündel voll Blizze, die mich treffen wuͤrden. Und die Theologen ſahen vielleicht einer knieenden Abbitte entgegen. Es dauerte aber wohl ſechs Wochen, ehe die Stille ane wurde.

Endlich erſchien ein Reſcript, bei deſſen Erblikkung allen der Mund offen ſtehen blieb, als wenn die Maulſperre ſie befallen haͤtte:

Wir haben auf euren Bericht beſchloſſen, daß, da das Sommerhalbe Jahr meiſt zu

206 5 Ende iſt, die moraliſchen Vorleſungen des d. Bahrdt vor der Hand ausgeſezt bleiben mooͤ sz gen: und ſoll derſelbe, da er an ſeinem Theile alles gethan hat, was ihm moͤglich war, nicht angehalten werden, die bereits empfangenen Gelder wieder herauszugeben ꝛc. |

Dieſes Reſcript wurde mir vom Oberkurato⸗ rio kommunicirt, und in einem Schreiben gleiches Inhalts befohlen, mich bei der Sache zu beruhi⸗ gen und meine Vorleſungen auf eine andere Zeit zu verſchieben. Und damit hatte der ganze Proceß, von dem man einen ſo eklatanten Ausgang erwar⸗ tet hatte, ein tragi⸗komiſches Ende.

Viele wußten ſich dieſes Verfahren des Mi⸗ niſters nicht zu entraͤthſeln. Ich aber glaube feine bſicht errathen zu haben. Mich deucht, er ſahe die Unmoͤglichkeit, mich fuͤr diesmal zu protegiren, und mein Recht durch zuſezzen. Auch fand er es vieleicht der Klugheit nicht gemaͤß, den Theologen geradehin unrecht zu geben, und ſie fuͤr ihre Unge⸗ rechtigkeit zu ſtrafen. Er erwaͤhlte alſo eine indi⸗ rekte Beſtrafung. Er noͤthigte fie, in meinen Brie⸗

nan | 2 07

fen die haͤrteſten Zuͤchtigungen zu leſen und ohne

alle Satisfaktion zu verſchmerzen. Und mich hofte

er dadurch zu entſchaͤdigen, daß er mich von der Ruͤkgabe der eingenommenen Gelder befreite. Ich enthalte mich aller weitern Anmerkungen. Zed⸗ liz war ein weiſer und rechtſchafner Mann, der

aber nicht immer ſo handeln konte, wie er wolte.

Man muß keinen Miniſter, fo wie keinen Wiens ſchen, nach der Auſſenſeite beurtheilen. Es traten oft Umſtaͤnde ein, welche die menſchlichen Han⸗ dlungen beſtimmen und die das Publikum niemals zu erfahren bekomt. Auch in dieſer Sache waren Umftände die ich verſchweigen muß, welche vieles Licht geben würden. —.

Ein merkwuͤrdiges Phaͤnomen war es fuͤr mich, daß mich kein Menſch um das empfangene Geld fuͤr die nicht gehaltnen moraliſchen Vorleſungen mahnte. Indeſſen ließ ichs freiwillig allen den Studenten, welche im folgenden halben Jahre bei mir hörten, zu gute gehen, und mir abziehen.

Zu Michael ſchlug ich meine moraliſchen Vor⸗ leſungen abermals an, und ſezte dazu zwei Stun—

den aus: eine des Mittwochs⸗ abends um fünf, und die andere, des Sonnabends (weil um fuͤnf Uhr das Konzert anging) nachmittags um zwei Uhr. Das ganze Publikum wurde eingeladen. Die Uni⸗ verfität legte mir keine Hinderniſſe wieder in den Weg. Mein Hoͤrſal ward gedraͤngt voll. Ich hatte bei 300 Studenten zu ordentlichen Zuhoͤrern, und der hintere Verſchlag faßte zuweilen funfzig bis ſiebzig Liebhaber, aus allen Staͤnden Offi⸗ cieis, Raͤthe, Profeſſoren und Bürger, mit Weis bern und Toͤchtern.

Jezt zeigte ſichs durch die Erfahrung, daß alle Beſorgniſſe wegen Unſittlichkeit und laͤrmender

Auftritte vergeblich geweſen waren. Nirgends

in der Welt muß ein ſtilleres und ernſteres Audi⸗ torium gefunden worden ſeyn. Es war eine ſo fei⸗ erliche Stille, daß man in einem Tempel zu ſeyn meinte. Mir ſelbſt war es ruͤhrend, ſolche Zuhoͤ⸗ rer vor mir zu haben. Ich ward durch dieſe Tod⸗ tenſtille fo begeiſtert, daß oft eine Thraͤne mir ent⸗ rann, wenn ich betete. Denn ich begann alle Vor⸗ leſungen mit einem Gebet und endete ſie u ges woͤhnlich mit Gebet.

Viele

De

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209

Viele viele junge Leute wurden in ihrem Innerſten durch meine Vorträge gerührt, und has ben mir es ſelbſt geſtanden, daß ſie durch mich moraliſch beſſere Menſchen geworden wären. Aus riſten und Aerzte hoͤrten mich, und verſaͤumten bis zu Ende des halben Jahres keine Stunde.

Ueberhaupt kan ich mich des Vorzugs ruͤh— men, daß in allen meinen akademiſchen Vorleſun— gen eine Beſcheidenheit und Stille geherſcht hat, die in keinem andern halliſchen Hoͤrſale noch ge— funden worden iſt. Bei einigen Docenten giebts zuweilen einmal ein laͤrmendes Scharren, Pochen, Ziſchen u. d. Und bei mir iſt, ſo lange ich in Halle geleſen habe, noch kein Geraͤuſch gehoͤrt worden. Ich konte in meinen Deklamationen das aͤußetſte pianiſſimo ausdruͤkken ohne Gefahr, daß eine Sylbe verloren ging. Alle, die mich je gehoͤrt haben, ſind meine Zeugen!

Im naͤchſtfolgenden Sommer, ſezte ich dieſe Vorleſungen fort, und hatte das Vergnuͤgen, daß ſelbſt Fremde aus der Nachbarſchaft, inſonderheit aber von Lauchſtaͤdt kamen, und meinen DR mit ihrer Gegenwart beehrten.

IV. B. O

Und fo habe ich denn wohl endlich in der Welt Zeugen genug, die mich vor dem Vorwurfe ver⸗ breiteter Irreligion ſchuͤzzen und mir nachſagen koͤnten, wenn fie für mich ſprechen wollten daß meine Vorträge religioͤſe und tugendhafte Ges ſinnungen verbreitet haben, und der Moralität im hoͤchſten Grade förderlich geweſen find. Nach dem Tode Friedrichs des Großen gab ich alle Vor⸗ leſungen freiwillig auf, und entſagte, in einer Schrift an den Prorektor, ſelbſt dem foro acade- mico!! |

Siebenzehntes Kapitel. Haͤusliche und auſſerhaͤusliche Plagen.

5

Men raſtloſer und in der That uͤbermaͤßiger Fleiß, welcher mir, ohngeachtet der ſchlechten Zah⸗ lungen meiner akademiſchen Zuhoͤrer, doch immer 1000 Thaler jährlich eintrug, konte mich dennoch nicht von Sorgenund Verlegenheiten befreien. Ich fing um dieſe Zeit beſonders an, daruͤber ae lich zu werden.

cn or 211

Meine Lebensart war einfach. Ich taͤg⸗ lich eine Schuͤſſel, hatte immer nur einen ganz fimpeln Rok, und kleidete meine Töchter in Lein⸗ wand und Kattun. Ich hatte ſelten Gaͤſte und be⸗ wirthete fie allemal äußerſt frugal. Und doch reichten meine 1ooo Thaler nirgends zu. Ich hate te immer Schulden, und mußte mit einer gewiſſen Aengſtlichkeit mich durch winden, um nur auszu⸗ weichen. Es wird das jederman unglaublich ſchei⸗ nen, der da weis, was eine ſolche Wirthſchaft koſtet, wie die meinige war. Mir war es raͤth⸗

ſelhaft.

Mein liebes Weib vernahm oft daruͤber mei⸗ ne Klagen, aber ſie vermehrte ſie mit den ihrigen. Ich war, nach ihrer Meinung, immer zu genau ge— gen ſie. Wer ſie in Geſelſchaft ſahe, hat gewiß nie Mangel verſpuͤrt. Sie erſchien voͤllig ſtandes⸗ maͤßig. Und doch mußt ich mirs zuweilen von ihr klaͤglich vorſagen laſſen, daß ſie ſich in Abſicht auf Kleidung zu kuͤmmerlich behelfen muͤſte. Ich muß te dieſe Vorwuͤrfe dulden und auf meine Klage, daß ich manche Woche 7, 8, 9, Thaler ihr zur Haushaltung geben mußte, (wovon Zins, Kleider,

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Wein, Holz, Licht, Kaffe, Zuker, Tabak, Plai⸗ ſirs ꝛc. nicht mit beſtritten wurden denn das bes ſtritt ich alle ſelbſt, und kaufte alles beſonders, und gewoͤhnlich in ſtarken Vorraͤthen ein) und daß doch nur 3 Kinder 1 Magd und 1 Bedienter im Haufe waren, auf dieſe meine Klagen mußte ich mit der Antwort fuͤrlieb nehmen, daß ja ihr Rechnungsbuch es ausweiſe, wozu das Geld ver⸗ wendet worden ſey. Und wenn ich ein Woͤrtchen ſprach, daß meine Vorraͤthe zu geſchwind ihre End⸗ ſchaft erreichten (ich erinnere mich, daß von einem halben Centner Hernhuter Lichter, zu Michael ein⸗ gekauft, zu Weihnachten keines mehr uͤbrig war) ſo jammerte ſie ſo heftig uͤber mein, aus meiner Aeußerung hervorleuchtendes Mistrauen, daß ich gern gern nichts mehr ſagte, ſondern geduldig fortſchanzte, und, jemehr mir aufgieng, deſtomehr zu erarbeiten trachtete.

Ich hatte damals den jungen Mann in mei⸗ nem Hauſe, deſſen ich ſchon mehrmalen erwaͤhnet habe, welcher meine Kinder ſo vortreflich bildete und unterrichtete, daß ſie mit entzuͤckendem Ver⸗ gnuͤgen, wenn die Schulſtunden kamen, auf ſein

*

* *

Zimmer eilten und mit Mismuth es vernahmen, wenn die Gloke ſchlug, die ſie wieder von ihm ab⸗ rufte. Er war ein Mann von den ſeltenſten Tas lenten. Er hatte die Kentniſſe, die gerade fuͤr Kin⸗ der waren, ganz in ſeiner Gewalt. Er beſaß die Gabe, ſie durch lauter Erzaͤhlung zu verſinlichen. Er hatte ein Air von Sanftmuth, Freundlichkeit und dabei edlem Stolze, welches jeden, das Kind wie den Greis, bezauberte. Wenn er ſprach, glaubte man die Weisheit, die Unſchuld und die unbeſtechliche Gewiſſenhaftigkeit zu hoͤren. Er blieb dabei ſich immer gleich. Nie war hervorſtechende Froͤhlichkeit oder Traurigkeit an ihm zu fehen, Stille Seelenruhe ſchien in ſeinem Geſichte gezeich⸗ net zu ſeyn. Kurz, ich hatte das Gluͤk, den vol⸗ kommenſten Erzieher meiner Kinder und meinen: waͤrmſten Freund an ihm zu beſizzen.

Ich nenne den Ben 5 dcr, um ihn

rauen Fra wenn er jezt irgen dwo fein Glük zu machen Hofnung haben ſolte daſſelbe zu vereiteln. Aber

feine Geſchichte will i ich fangen habe, von ihm. zu n ich einmal 2 in das Kapitel von meinen baue weil ſie ie e ret vollenden. ichen eeiden⸗

3

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Dieſer junge Mann lebte, wo ich nicht irre, zwei Jahre in meinem Hauſe und blieb in dieſer gan⸗

zen Zeit fuͤr mich, derſelbe achtungswuͤrdige Freund. Er hatte mein unbegraͤnztes Vertrauen. Er verwaltete, als Fiskal, alle meine Einnahmen.

Ihm war es ganz uͤberlaſſen, wie von meinen Zu⸗

hoͤrern die ſchuldigen Gelder fuͤr meine Vorleſun⸗ gen beigetrieben werden ſolten. Er hatte uͤberdem

auch meine merkantiliſchen Geſchaͤfte z. B. Praͤnu⸗

merationen und Samlungen fuͤr mich und andere zu beſorgen. 5

Im Beſiz dieſes Vertrauens gelang es ihm,

im lezten halben Jahre ſeines Aufenthalts (wenig⸗

ſtens wards eher mir nicht merklich) mit meinem Hausmaͤdchen, welches ich aus dem Reiche mitge⸗

bracht hatte, eine vertraute Freundſchaft zu er⸗ richten. Seine und ihre Tugend, die ſie uns ſeit

ihrem dreizehnten Jahre erbrobt e lich behauptet hatte, ſchien mir dor

ligen Folgen zu buͤrgen. \

AInnt' ichs dem Maͤdchen auch ſelbſt an Meg, gab und das ich des halb f

* * a ö 383 meinem D. ie mie ob fie gleich die ein⸗

Und in meinem Herzen (welchem ihre Geburt

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nun n 215

zige Magd in meinem Hauſe war) daß ſie Hofnung bekam, einſt die Gattin eines wuͤrdigen jungen Mannes zu werden, und ihm daß er eine tu⸗ gendhafte und aͤußerſt geſchikte und arbeitſame Pers ſon hatte lieben und ſich, wie ich waͤhnte, dadurch von allen andern Ausſchweifungen der Jugend ſichern lernen. f

Aber unſere Julie wurde ſeit dieſer Zeit, wie meine Frau klagte, etwas ſtoͤrriſcher und auch nachlaͤſſiger im Hausweſen. Und es kam dadurch ſo weit, daß ſie mit ihr ſich entzweite und (ich laſſe unentſchieden, auf welcher Seite mehr Schuld war) von ihr trennte. Sie und mit ihr mein Freund verlieſſen mit Thraͤnen mein Haus.

Es war gerade die Leipziger Oſtermeſſe, da beide abreiſeten. Ein paar Tage nach ihrem Ab: zuge kam ich ſelbſt nach Leipzig, und war kaum abgeſtiegen, als mir der Hausknecht meldete, daß ein junges Frauenzimmer mich ſprechen wollte. Ich ging und fand unſere Julie, in einem klei⸗ nen Kaͤmmerchen, auf dem Bette ſizzend und jam⸗ mernd. Sie rang ihre Hände, und Stroͤhme von Thraͤnen entſtuͤrzten ihren Augen. Ich halte

O 4

216 ;

es für Pflicht, die Urſache dieſes harmvollen Zus ſtandes unberuͤhrt zu laſſen. Genug, ſie breitete, einer Sterbenden ähnlich, ihre Hände nach mir aus. „Nur noch einmal, erlauben Sie mir, lie— „ber Herr Doktor, Sie zu ſehen. In meinem tief⸗ „ſten Jammer fuͤhle ich noch die Regungen der „Dankbarkeit, die ich Ihnen ſchuldig bin. Sie „haben als Vater, als der redlichſte Vater an „mir gehandelt. Nehmen Sie meinen innigſten „Dank dafür an, und laſſen mich Ihnen die lezte „Probe meiner Erkentlichkeit geben. Ich kan Sie | „nicht verlaſſen, ohne Ihnen eiwas zu offenbaren „was mir laͤngſt auf dem Herzen gelegen hat, und „wozu mein Gewiſſen mich draͤngt, Ihnen jezt „noch ſolches zu ſagen. Sie haben im vorigen „Herbſte einmal aus ihrer Chatulle ſechs Luisd'ors „vermißt, und ſo ſehr daruͤber gejammert. Ihre „liebe Frau hat vor meinen Augen das Kaͤſtchen „geöfnet, und ſie zu ſich genommen. Sie ſagte „mir, fie ſei genoͤthiget, es zu thun, weil Sie fie Noth leiden lieſſen. ꝛc.,

Gott iſt mein Zeuge, ich empfand bei dieſer Entdekkung weniger Schmerz, als ich jezt empfin⸗

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de, da ich ſie fuͤr mein Publikum niederſchreiben muß, wenn ich einmal will, daß man ganz in die Triebfedern meines Lebens und meiner Handlun— gen einſchauen ſoll. | Meine Gattin verlor bei mir durch diefe Anz klage nichts. Ich dachte bei mir ſelbſt, es ſey möglich, daß ich ſeit eiriger Zeit zu karg geweſen ſey in Zutheilung deſſen, was zu ihrer ſtandesmaͤſ— ſigen Kleidung erfodert wurde. Ich bedachte, daß mein Weib doch auch etwas zu mir gebracht haͤtte, und daß ſie auch ſchon als Gattin meine Kaſſe als die ihrige anſehen koͤnte. Daß ſie das Geld heim⸗ lich genommen hatte, war das einzige Fehlerhafte, was ich ihr, bei ihrer übrigens fo unverfaͤlſchten Liebe zu mir, noch wohl verzeihen konte. Alles alſo, was dieſes Geſtaͤndniß der ſterbenden Julie bei mir wirkte, war, daß ich aufmerkſamer auf meine Wirthſchaft wurde.

Aber von meinem Freunde vernahm ich nun erſt unerwartete Dinge. Ich fand, daß er mir in ſeinem Fiſkalat wenigſtens 150 Thaler Kollegien⸗ gelder untergeſchlagen hatte. Und von der Boh⸗

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niſchen Handlung vernahm ich, daß er ohne mein Wiſſen unter feinem Namen eine ungeheure Anzahl Exemplare von den erſten Baͤnden des Kampiſchen

Reviſionswerkes verichrieben, und die geſammelten

Pränumerationsgelder mitgenommen hatte.

Dieſe Erfahrung war mir aͤußerſt ſchmerzhaft. Dreimal ſo viel Geld haͤtte ich weit lieber verlieren

wollen, als es erleben, daß ein ſolcher Mann ei⸗ ner ſolchen Handlungsweiſe faͤhig geweſen war. Ich verurtheilte ihn nicht. Ich hielt es fuͤr einen von den traurigen Faͤllen, wo die beſten Seelen durch Verlegenheiten zu einer ſchlechten That her⸗ abgewuͤrdiget werden.

Ich wuſte nicht, wo mein .... und meine Julie hingekommen war. Nach einem Jahre ſchrieb er mir. Die Schilderungen ſeines Elendes, die Bezeugungen feiner Reue wegen an mir beganges ner Sünden, die Betheurungen feiner unveraͤnder— lichen und innigſten Liebe zu mir ruͤhrten mich bis zu Thraͤnen. Er bat mich, ihm zu erlauben, einen einzigen Tag bei mir zu ſeyn. Mein Herz wallte ihm entgegen. Er kam im Finſtern, fuͤhlte

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ſich ſelig, mich wieder zu ſehen, blieb dieſe Nacht And den folgenden Tag bei mir (denn in Halle durf⸗ tee er ſich vor ſeinen Schuldnern nicht ſehen laſſen) und ging den folgenden Abend im Finftern wieder aus der Stadt. Er geſtand mir, daß er ſeither in . ſich kuͤmmerlich mit Informiren beholfen, jezt aber einige frohe Ausſichten habe. Von der Julie wolte er nichts wiſſen. Nach 14 Tagen ſchrieb er mir wieder, ſchikte mir einen kleinen Aufſaz, den er wolte drukken laſſen, bat mich um 2 Luis: d'ors Vorſchuß und um einige Buͤcher, mit dem eidlichen Verſprechen, mir ſie in 14 Tagen wieder zu ſchikken. Ich ſchikte ihm, was er verlangte. Er hielt nicht Wort. Und ſeitdem habe ich nichts von ihm und der Julie gehoͤrt.

Dieſe beiden Menſchen ſind mir bis jezt noch ein Raͤthſel. Ich wuͤrde mich freuen, wenn ir⸗ gend jemand mir von ihnen Nachricht geben koͤnte: (denn wer das kan, weis auch aus dieſer Geſchich⸗ te, wer die Perſonen ſind, die ich nahmenlos ge⸗ ſchildert habe.) Roch bin ich geneigt, ihnen Gu— tes zu erzeigen, wenn ich ſie im Elend wuͤſte. Und beſonders neugierig waͤr ich, den Gang der Schik⸗

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ſale des jungen Mannes zu erfahren und fue wabtes Karakter entfaltet zu TORI

Einen Umſtand muß ich OR ganz kurz N ren, aber mit dem Wunſche, daß meine Leſer ihn, in der Beurtheilung des ganzen Zuſammenhanges mit in Rechnung bringen moͤgen. Meine Frau be⸗ ſchuldigte erſt nach einiger Zeit die tugend⸗ hafte, und von ihr ſelbſt bis zur innigſten Vertrau- lichkeit geliebte Julie, daß ſie ihr uͤber 50 Thaler werth an Waͤſche und Kleidung entwendet habe. Ich wolte und konte das nicht unterſuchen.

Verdruß und Sorgen draͤngten ſich von allen Seiten auf mich los, und machten mir mein ſo freudenleeres und mit ſtater Arbeit erfülltes Leben herzlich ſauer. Auch von auſſen ward ich be⸗ ſtuͤrmt. | |

Meine Schriftſtellerei und mein Applauſus oͤfneten manches neidiſche Auge und ſtellten ihm die Reichthuͤmer, welche in meine Kaffe zuſammenfloſ⸗ ſen, ſo ungeheuer vor, daß es billig ſich nach Ge⸗ legenheiten umſehen mußte, mich von einer gefaͤhr⸗

lichen Volbluͤtigkeit des Beutels zu befreien, und von meinem Ueber ftuſſe etwas abzuzapfen. Man wußte, daß ich im Reiche Schulden hinterlaſſen hatte. Man berichtetete alſo die dortigen Kor⸗ reſpondenten, daß ich jezt das Geld mit Scheffeln meſſe, und daß meine Glaubiger Narren waͤ—

ren, wenn ſie mich laͤnger ſchonten. Die Wirkung

dieſer chriſtlichen Belehrungen blieb nicht auſſen.

Herr Schellenberg, einer von der ehemaligen oͤkonomiſchen Geſelſchaft, der ſchon einigemal bei bei mir angeklopft und nachgefragt hatte, ob ich nicht bald im Stande ſey, der oͤkonomiſchen Geſelſchaft eine kleine Entſchaͤdigung dafür zu ge: ben, daß die Leiningiſche Regierung ſie nicht zur Befriedigung meiner Gläubiger, durch Ausliefe⸗ rung meiner Verlaſſenſchaft, in den Stand geſezt habe? ſchrieb mir jezt: daß er gewiſſe Nach⸗ richt habe, von meiner jezigen Vermoͤgenheit, um an die laͤngſt verlangte Entſchaͤdigung zu denken: daß es billig ſey, von 3 bis 4000 Thaler jaͤhrlichen

Einfünften arme Leute, die durch mich in Scha⸗

den gekommen wären, endlich einmal zu befriedi—⸗ gen: daß er mich zum leztenmale in Guͤte dazu

auffodern, und, wenn ich länger zoͤgerte, an mei⸗

nen König ſchreiben und mich zwingen würde 2c.

Ich antwortete dem guten Mann, daß er von

dummen, oder boshaften Leuten hintergangen

worden ſey, und ſuchte es ihm begreiflich zu ma⸗

chen, daß ich bei dem muͤhſeligſten Leben, kaum auf 1000 Thaler Fame und dabei noch Schul⸗ den hätte. Aber feine Korreſpondenten hatten ihm meine Reichthuͤmer zu gewiß und zu groß gemacht. Er ſchrieb wieder, ſchalt mich einen Fintenmacher und drohte mit Klage. Es ſchmerzte mich. Ich erwiederte den rauhen Ton ſeines Briefes nicht. Ich wiederholte die Verſichrungen von meiner Un⸗ vermoͤgenheit und bot ihm, zum Beweis derſelben, ei ne ſchriftliche und gerichtliche Ceſſion aller meiner Einnahme von Kollegiis an (die nach ſeiner Anga⸗ be einige tauſend Thaler betragen folten) wenn er mir dafuͤr jaͤhrlich 500 Thaler zuſichern wolte. Endlich ſchwieg er und ließ mich zufrieden.

Aber er trat nur von der Scene ab, um An⸗ dern Plaz zu machen, die mich quälen wolten. Eines Tages kam der Buchdruker Doſt (der dies

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nende Bruder bei der halliſchen Loge) zu mir, und brachte mir von Deſſau, aus der Drufferei der Ver⸗ lagskaſſe, der er ſeither vorgeſtaͤnden hatte, ver— ſchiedene Novitaͤten mit, darunter auch ein Pass quill auf den Herrn Hofrath Gruner in Jena war. Dieſe Broſchuͤre erregte meine Aufmerkſamkeit, weil Herr Gruner mein Freund, und feiner Vers dienſte wegen mir verehrungswerth war. Doſt merkte, daß ich frappirt war. Haben Sie das Ding noch nicht geleſen? Nein. Wiſſen Sie auch den Urheber nicht? Nein. Je, er iſt ja der Bergs rath Muͤller: aber es bleibt unter uns! Sie wiſ— ſen, daß er mit in der Loge iſt und es koͤnte mir Schaden thun, wenns verrathen wuͤrde, daß ichs Ihnen vertraut habe. Muͤller hat mir das Manu⸗ ſeript geſchikt, und an Muͤllern habe ich auch die Exemplare von Deſſau ſchikken muͤſſen. Verrathen Sie mich ja nicht ꝛc.

Dieſes Pasquill machte Laͤrmen. Gewiſſe Leute, welche die Augen des Herrn Hofrath Gru⸗ ners gern von der wahren Quelle, aus der das Produktchen gefloſſen war (denn aufrichtig zu ſa⸗ gen, war Herrn Müllers alzuſchwache Feder nicht

223 nnn

mit im Spiele, ob man gleich ſeine Haͤnde

dabei gebraucht haben mochte) ablenken wos

ten, ſchrieben dreiſt nach Jena: Bahrdt iſt

Verfaſſer des Pasquills. Herr Hofrath Gruner

hoͤrts, erſtaunt, glaubts (1) weils Männer und keine Knaben uͤberſchrieben hatten, 2) weil von mir die Rede ging, daß ich Medicin ſtudierte und, weil ich gegen ihn ſelbſt muͤndlich Luft bezeugt hats te, zu promoviren 3) weil es nach dem Geiſte der Satyre, der ſchon in meinen Schriften fo viel ge⸗ ſpukt haben ſollte, ganz glaublich war, daß ich mich im Gebiet des Hyppokrats als Ritter tummeln wollte) und konſtituirt mich in einem Briefe.

Ich antwortete ihm, daß er hintergangen ſey, und verſicherte ihn, daß er den Pasquillanten uns ter ſeiner eignen Zunft zu ſuchen habe. Er war damit nicht zufrieden. Er drohte, mich als den Pasquillanten zu behandeln, wenn ich mich nicht beſſer rechtfertigen koͤnte, als mit bloſſem Leugnen. Kurz, er brachte mich dahin, daß ich ihm, um aus einem ſo entehrenden Verdachte zu kommen, den Urheber zu entdekken verſprach, wofern er mich ſchriftlich und bei feiner Ehre verſichern wolte, daß

er

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er von meiner Entdekkung keinen ſolchen Gebrauch machen wolle, durch welchen ich kompromittirt wurde. H. Hofr. Geuner verſprach mirs (ich habe ſeinen Brief noch) und nun geſtand ich ihm, was ich aus Doſts Munde von der Sache wußte.

Nun fing Hr. Gruner an, Laͤrmen zu ſchlagen. Er uͤbergab eine Klage bei der halliſchen Univerfis tat gegen den Bergrath Muͤller. Man fandte ihm die Protokolle, nach denen ſich H. Muller heraus⸗ gewikkelt, und Doft ſeine an mich gethane Aus- ſage abgelaͤugnet, und die Ablaͤugnung beſchwo— ren hatte. Dies empoͤrte den hizzigen Mann. Sein Verdacht gegen mich erneuerte ſich. Er fing an, in Drukſchriften auf mich zu ſchimpfen. Ich beklagte mich. Er mußte auch mich vernehmen

laſſen. Ich ſagte vor der Univerſitaͤt eidlich die

Wahrheit und erklaͤrte, daß Doſt dies, ſeiner Maureriſchen Verbindungen halber, gelaͤugnet ha⸗ ben muͤſſe. Herr Hofrath Gruner ſahe jezt ein, daß er ſich an mir vergangen hatte. Er nahm das mir angethane Unrecht öffentlich zuruͤk. Aber den Verdruß konte er mir nicht wieder abnehmen, den ich von dieſer Geſchichte gehabt hatte. IV. B. op

Ein neuer Verdruß! Herr Kampe ſchikte mir eine ſehr ehrenvolle Einladung zur Theilnehmung an feinem Reviſionswerke und bat mich zugleich, das Fach anzuzeigen, in welchem ich arbeiten wol⸗ te. Ich uͤbernahm vieles aus der Methodologie und vorerſt die Materie, über den Zwek der Er⸗ Ziehung.

Es war bei der Geſelſchaft, welche fuͤr dies wichtige Werk ſich vereiniget hatte, die Einrichtung getroffen worden, daß alle Beitraͤge der Mitglieder bei allen Mitgliedern in dreifacher Abſchrift cirku⸗ liren ſolten, damit der Verfaſſer die von ſo vielen und ſo einſichtsvollen Maͤnnern erhaltenen Erinne⸗ rungen benuzzen, und ſeine Arbeit vervolkomnen koͤnte. Ich ließ alſo meinen Aufſaz über den Zwel der Erziehung ſeinen Umlauf antreten.

Ehe noch dieſer Cirkelgang geendiget war, ſchrieb mir ſchon Herr Hampe mit merklichem Ges fuͤhle des Schmerzes, daß einige der Geſelſchaft mit meinem Beitritt unzufrieden ſchienen. Er gab zwar der Sache eine aͤuſſerſt delikate Wendung, war aber doch genoͤthiget, mir zu rathen, mich freiwil⸗ lig zuruͤk zu ziehen.

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nn 226

Da mein Aufſaz von feiner kritiſchen Reife zu: ruͤk kam und an Herrn Kampe gelangte, ſchien er ſeinen mir gegebnen Rath zu bereuen. Er fand, wie er mir ſelbſt geſtund, meine Arbeit ſo gut, daß er meine fortgeſezte Theilnehmung am Reviſions⸗ werke wuͤnſchen mußte. Er bat mich darum inſtaͤn⸗ dig, und ermunterte mich, mit vieler Beredſam⸗ keit, mich an die Geſinnungen Einiger nicht zu keh⸗ ren ſondern meine paͤdagogiſchen Kentniſſe auf die ſem Wege der Welt fernerhin nuzbar zu machen.

Meine Achtung fuͤr Kampen als Weiſen, und meine Liebe zu ihm als Freund, neigte mich maͤch⸗ tig zu dem Entſchluſſe, auszuharren: aber da ich die drei mit Kritiken erfüllten Eremplare meines Aufſazzes durchlas, ſchwand mein Vorſaz auf ewig dahin. Ich erblikte mit Erſtaunen, daß ſich Maͤn⸗ ner Weltweiſe Paͤdagogen zu Ausbruͤchen ihres Widerwillens herabgelaſſen und mich bald mit Bitterkeit getadelt, bald anderer Lobſpruͤche wi⸗ derlegt, bald Ausfaͤlle ſogar auf meinen morali— ſchen Charakter gethan hatten. Ich meldete jezt Herr Kampen, daß er der Geſelſchaft mein Ab— ſchiedskompliment machen moͤchte. Ich werde dieſer Kraͤnkung nie weiter erwaͤhnen.

Y 2

Achtzehntes Kapitel. Proben tomiſcher Auftritte. nt

Wen es mir mehr um die Amuͤſirung des gro⸗ ßen Haufens der Leſerwelt zu thun wäre, als um richtige Darſtellung der eigentlichen Geſch ichte mei⸗ nes Lebens, oder wenn ich ſelbſt meiner jovia⸗ liſchen Laune und meinem Hange zur Satyre fol: gen wolte; fo würde ich eine zahlloſe Menge komi⸗ ſcher Auftritte einſchalten, welche ich bei meinen unzaͤhlbaren Bekantſchaften in der Welt erlebt han be, und welche gewiß die Leſer eben ſo angenehm unterhalten als ihre Menſchen⸗ und Charakterkent⸗ niß bereichern wuͤrden. Ich will hier nur ein paar zur Probe geben, um das Publikum urtheilen zu laſſen, ob es der Muͤhe werth ſey, einſt ein paar f Bändchen voll ſolcher Anekdoten beſonders heraus⸗ zugeben. |

Ich hatte ehedem in ..... eine ſchoͤne, feu⸗ rige, und amuͤſante Dame kennen lernen, welche die junge Gattin eines ſehr wuͤrdigen, aber alten

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Eheherrn war. Sie hatte auf mich, ich auf ſie, freundſchaftliche Eindruͤkke gemacht. Viele Jahre nachher, da ich in L. . . . zum Beſuch war, mel⸗ dete mir ein Freund, daz eine Dame und Herr mich feit zwei Stunden ſehnſuch tsvoll geſucht habe und mich zu ſprechen verlange. Ich eilte an den Ort, wo beide ſich aufhielten und ſahe bei meinem Eintritt ins Zimmer eine Matrone, voll Spu— ren ehemaligen Feuers, mit ausgebreiteten Armen auf mich zukommen und mir die Erneurung einer alten Bekantſchaft ankuͤndigen. „Kennen Sie mich noch, lieber Bahrdt? Ich ſtuzte. Ich wußte warlich nicht, wo ich in den alten Vorraͤ⸗ then meiner Phantaſie ihr Bild finden ſolte. Aber bei einer Dame, die Attachement fuͤr mich zeigt, und waͤre ſie auch fo alt wie Sarah, da fie den Iſaak gebahr, bin ich zu galant, als daß ich bei ihr eine Rolle ſpielen folte, die ihr Költe verrathen koͤnte. Ich nahm, bei ihrem Anblikke und ihrem Zuruf, alle meine Beſonnenheit zuſammen und ant— wortete mit der vollen Gluth meiner Augen: Ja, Madam, mein Herz ſagt mir es, daß ich Sie ken⸗ ne und es ſchlaͤgt ſchon vor Freuden uͤber das Wie⸗ derſehen einer Perſon, die ich ſonſt ic. Sie

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fiel mir in die Rede, und nennte mir den Namen ihres ſeligen Mannes. Da war Freude uͤber Freude. Wir erinnerten uns in aller Kuͤrze und Einfalt der vorigen Zeiten, und ſie praͤſentirte mir ihren jezzigen Gemahl den Herrn Geheimdenrath . . . welcher ſich meinen Freund nannte. Ich genoß wirklich ein paar recht angenehme Stunden in ihrer Geſelſchaft und die wechſelſeitige Wärme war ſo groß, daß ich mit Hand und Mund ver⸗ ſprechen mußte und verſprach, ſie in . zu beſuchen.

Ein Jahr drauf machte ich meiner lieben Frau das Vergnuͤgen, welches ich ihr alle Jahre ein auch zweimal verſchaft habe, mit mir eine Reiſe zu | thun, und diesmal in die Gegend, wo obgedachtes Ehepaar lebte. Ich ſchrieb meiner Freundin vor⸗ her, daß ich kommen würde, und fragte ausdrüfs lich an, ob ihr und ihrem Gemahl dieſe Zeit auch eine gelegene ſey? Es erfolgte die erwuͤnſchteſte Antwort. Sie erwarteten mich mit Sehnſucht. Man ſezze zu dieſem Umſtande der Anmeldung noch dieſen, daß der Herr Gemahl meiner Freundin ein Mann von 80000 Thalern war, und daß fie als

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Wittwe ihm ebenfals ein anſehnliches Be . hatte.

Wir kamen in . . .. an, fliegen in einem Gaſt⸗ hofe ab, um auch in dem kleinen Umſtande der Einquartierung keinen Fehltritt zu begehen, und lieſſen unſere Ankunft verkuͤndigen. Ein Bedienter kam und verlangte, daß wir mit Sak und Pak bei dem H. G. R. .. . einkehren ſolten. Nun war meine Phantaſie voller Erwartung. Ich hatte mir vorgenommen, den dritten Tag erſt wieder abzu⸗ reiſen und einen Tag recht herzlich vergnuͤgt zu ſeyn.

Beim Eintritt ins Haus wurden wir von der Dame, meiner alten Freundin, mit vieler Artig⸗ keit empfangen und in ein Zimmer gefuͤhrt, wo bereits zwei vornehme Damen an einem Tarokti⸗ ſche ſaßen. Nach Endigung der Bewilkomnungs⸗ komplimente, die meine gute Laune immer recht ſchiklich abzukuͤrzen weis, wurde ich als vierter Mann zum Taroktiſch eingeladen, und meine Frauen zimmer wurden von der Tochter des Hauſes um⸗ ringt und auf das freundſchaftlichſte unterhalten. P 4

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Ich ſpielte mit Ekel, das Duzzend Marken um ei⸗ nen Dreier, hielt mit aller Toleranz dieſe Mortifi⸗ kation aus, und freute mich indeß auf die gute und fröhliche Abendmahlzeit, die ich bei fo guten Freun⸗ den, bei einem ſo reichen und vornehmen Manne, nach ſo vielen brünftigen Inviten und nach einer expreſſen Anmeldung, erwarten mußte.

Noch hatte ich den H. Gemahl nicht geſehn. Denn der ſaß bis zum Abendeſſen unter Papieren begraben. Die Familie gefiel mir. Die ſaͤmtlichen Kinder waren wohlgebildet, lebhaft, geſittet und von der herrlichſten Stimmung. Der Zeitpunkt kam, wo mein von der langen Reife ausgehunger⸗ ter Gebieter unter dem Zwergfell befriedigt und meine Laune durch ein Glas guten Rheinwein an⸗ | gefeuert werden folte, Die fremden Damen waren | nach Haufe gegangen. Der alte Herr erſchien. ö Wir ſpeißten en familie und waren zwölf bis vier zehn Perſonen am Tiſche. 5 |

re

Ich war ganz Auge. Die erſte Schuͤſſel trat auf. Es war ein Schuͤſſelchen Rogout, davon ich die Hälfte allenfals allein auf mich genommen

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haͤtte. Ei nun, dachte ich, es iſt bei großen Ta⸗ feln ſo. Viel Schuͤſſeln aber klein und appetitlich! Ich mit Begierde mein kleines Portiönden, und erſezte mit Brod den ubgang. Ader kein Wein: glas auf dem Tiſche?

Der Pediente brachte für den alten Herrn ei⸗ nen Teller Spinat mit Kalbsaugen. Er ſezte ihn vor ſich, wandte ſich nach mir. „Sehen Sie mein „beſter Herr Doktor, das iſt meine Diät, Ich „eſſe meiſt nur ein bischen Gruͤnes. Kan ich mit „aufwarten? Ich bedankte mich, und er ver— ſchlang die anſehnlichſte Portion, indeß die andern an den Ragouticten Knoͤch leins nagten,

Wir ſprachen lang und verplauderten beim Ragout wohl ein halbes Stündeben, und das Thea⸗ ter wolte ſich nicht veraͤndern. Endlich begann der Herr Geh. Rath: „Mein beſter Herr Doktor, „trinken Sie denn des Abends ein Glas Wem? „See muͤſſen ſich an meine Diät nicht kehren: Bes „fehlen Sie, Ich erſchrak. Ich ſtotterte ein Gegenkompliment. Die aͤlteſte Tochter, melde neben mir ſaß, und von meinem guten Humor ſchon

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fuͤr mich eingenommen war, verſtund mein 1 pliment und ſtand auf: „Ja, ja Papa, ich hole für den Herrn Doktor ein Glas Wein.“ Das war mir ein Herzenstroſt. Sie brachte eine Pyrmonter Butellje rechten guten Rheinwein. Ich trank und kehrte mich nicht an des Herrn Geh. Raths Diaͤt. Mein liebes Weib und ihre Schwe⸗ ſter und meine Tochter wurden gar nicht gefragt. Ich muſte allein trinken, um deſtomehr Aufſehn zu machen, wenn ich viel traͤnke. Doch dafuͤr war auch anderweit ſchon geſorgt.

Das Schuͤſſelchen wurde abgetragen und ich ſchaute auf, was nun kommen wuͤrde, und ſiehe da es kam Butter und Kaͤſe und der Schmaus war beſchloſſen. Der alte Herr ſchielte nach mei⸗ ner Butellje. Und haͤtte das liebe herrliche Maͤd⸗ chen zu meiner Linken nicht ein wenig mit mir ſym⸗ pathieſirt: ich haͤtte nicht einmal das dritte Glas eingeholt. Er raſſelte mit dem Stuhle, ſo bald der lezte Biſſen Butterbrod (davon ich eines hal⸗ len Pfundes ſchwer zu mir genommen hatte, um die Luͤk ken der ausgebliebnen Schuͤſſeln zu erſezzen) hirabgeſchlukt war und machte Aufſtand.

y 234 Meine Toleranz blieb noch unerſchuͤttert. Wir klagten zwar einander beim Schlafengehen, da wir auf unſerm Zimmer allein waren, unſern allerſeiti⸗ gen Hunger und mein armes Weib, das ſo gern ein Glaͤschen guten Wein trinkt, ſeufzte über die Diät des alten Herrn. Ich aber troͤſtete mich und alle mit der Ausſicht auf das morgende Mittagsmahl. Die Leutchen haben ſich auf dieſen Abend, ſagte ich, nicht eingerichtet, weil ſie es für möglich halten mußten, daß wir nicht kämen. Morgen Mittag wirds ganz anders ausſehen. Da werden ſie auch wohl mehrere Gaͤſte bitten.

Ich bekam den andern Morgen Viſite von ei⸗ nigen Kavaliren, die mich zu einem Mittagsmahl invitirten. Ich ſchlug es aus, weil ich es fuͤr un⸗ ſchiklich hielt, der einzigen Mittagsmahlzeit, wel⸗ che meine Freunde mir bereitet und zu der ſie ver⸗ muthlich vornehme Gaͤſte geladen hatten, meine Gegenwart zu entziehen.

Die Zeit kam. Wir traten ins Tafelzimmer und fanden keinen einzigen Gaſt. Der Tiſch ſah ſo kahl, wie geſtern Adend. Eine ſeyn ſollende

Weinſuppe machte den Anfang. Auf ſie folgte ein Stuͤlchen Rindfleiſch von höchſtens drittehalb Pfund, wo der Herr Sohn Muͤhe hatte, die zwoͤlf bis vier⸗ zehn Portionen herauszubringen. Es ward trok⸗

ken gegeſſen und Senf dazu gegeben. Erſt nach dem Rindfleiſche kam der Wein und ward hoͤchſt lang⸗

ſam eingeſchenkt. Mein Magen knorrte. Es er⸗ folgte ein gebratnes Nierenſtuͤkchen vom Kalbe von

etwa drei Pfunden, bei deſſen Zerlegung der Herr

Sohn ein ſchaͤrferes Meſſer fodern mußte, um die Portionen herauszubringen. Die meinige war die groͤßte, und hatte, die Knochen abgerechnet, drei Loth Fleiſch. Sehr ſchnell folgte Butter und Kaͤſe

und da das liebe Mädchen mir das vierte Glas |

einſchenkte, rukte der alte Herr mit dem Stuhle und machte Aufſtand. Wir wurden gleich in ein anderes Zimmer gefuͤhrt und ich ſahe, da ich im Abgehen meinem verlaßnen Glaſe ſeufzend einen Abſchiedsblik gab, daß es der alte derr wieder in die Butellje fuͤllte. g

Man wolte nach Tiſche rathſchlagen, womit

uns die Zeit des Nachmittags vertrieben werden ſolte. Aber ich verſicherte heilig (vermoͤge eines

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Vorſazzes, den ich beim Rindfleiſche empfangen und beim Nierenſtuͤkke geboren hatte) daß meine Abreiſe ſchon feſtgeſezt und der Wagen angeſpannt ſey. Ich eilte auch, troz allen ſcheinbaren Einwen—⸗ dungen, nach meinem Kutſcher, und befahl ihm, ſich in einer Stunde reiſefertig zu machen, weil ich nicht Luſt hatte, noch eine Mahlzeit zu faſten. Wir fuhren ab, amuͤſirten uns unterweges mit der

Diaͤt des H. Geh. Raths und freuten uns, da wir ins Nachtquartier kamen, bei drei guten Schüffeln Eſſen fuͤr unſer baares Geld, uns wieder von der ausgeſtandnen Hungersnoth erholen zu koͤnnen.

Meine zweite Anekdote, die ich dem Leſer zur

Probe gebe, iſt kuͤrzer. Da das beruͤhmte Buͤchlein, Karrikaturen betitelt, das Licht der Welt erblikt hatte, ſagte die ganze Welt, daß ich der Verfaſſer ſey fo wie man ſchon hundert Schriften dieſer Art auf meine Rechnung geſchrie— ben hat. Im Sommer, nach Erſcheinung die: ſes ſatyriſchen Produkts, trat mich ein junger Mann in meinem Gartenhauſe an und brachte mir ein Kompliment von Herrn Froſch und Limburg

N

aus Leipzig (wenn ich nicht irre, gab er ſich für eis |

nen Verwandten vom Haufe aus) und erflärte mir endlich nach mancherlei ſchuͤchternen Wendun⸗ gen daß die Herren Froſch und Limburg mir, als dem Verfaſſer der Karrikaturen, ein kleines Praͤſent zugedacht hätten. Ich wurde frappirt, verſicherte ihn, daß ich die Karrikaturen noch nicht einmal geleſen, geſchweige geſchrieben haͤtte, und fragte neugierig nach der Urſache, welche die Herren

Froſch und Limburg zu dieſer unverdienten Guͤte bewogen habe. Der. junge Mann entdekte mir

hierauf, daß in den Karrikaturen der Guldentabak von Froſch und Limburg in Leipzig, als ein vor⸗ zuͤglich ſchoͤner Rauchtabak) empfohlen worden ſey, und daß die Handlung, ſeit dieſer oͤffentlichen Anpreiſung in einem ſo viel geleſenen Buche, ein merklich groͤßern Abſaz davon gehabt haͤtte. Jezt bedaurete ichs faſt, daß ich die Verfaſſerſchaft der Karrikaturen fo treuherzig abgelaͤugnet und den jungen Mann nicht bei ſeinem Glauben gelaſſen hatte. Denn wirklich hat mich hier die befoͤrderte Aufklaͤrung befchädigt und wenigſtens um ein hal⸗

0

) Der er auch wirklich iſt.

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bes Duzzend Pfund guten Knaſter gebracht, den mir die Herren Froſch und Limburg geſchikt haben wuͤrden, wenn ich ihren Glauben nicht geſtoͤrt ges habt hätte. Doch es ſey darum! Ich habe ja in der Melt weit mehrere Vortheile verloren, die ich hätte genieſſen koͤnnen, wenn ich des alten Glau⸗ bens haͤtte ſchonen wollen. Aber bei Gott, ich will lieber beim Brieftabak meinen Ueberzeugungen treu bleiben, als beim beſten Zweithaler Knaſter Orthodopie heucheln.

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Neunzehntes Kapitel.

Sehriftſtellerei.

f 2 den beiden Jahren 1786 bis zur Oſtermeſſe 1787 habe ich bis zur Ueberſpannung meiner Kräfte gearbeitet. In einem Winter betrug die gedrukte Bogenzahl 160, meiſtentheils groß 8.

Meine Lieblingsarbeit darunter waren die Reden Jeſu, welche ich aus den Evangeliſten ſam⸗

melte, unter gewiſſe Rubriken brachte, und, nah der Reihe der Materien geſtellt, theils woͤrtlicy uͤberſezte, theils paraphraſirte und kommentirte, und beides, Ueberſezung und umſchreibung, durch ‘a den Druf unterſchied. b Der Zwek dieſer Arbeit war, wie ich glaube, von nicht geringer Erheblichkeit. Ich hatte ſchon laͤngſt die Bemerkung gemacht, daß unſere leidi⸗ gen Dogmatiken mit ihren articulis fidei ſaͤmtlich aus den misgedeuteten Briefen der Apoſtel und vornehmlich denen an die Roͤmer und an die He⸗ braͤer entſtanden waren, und daß man zu all den juͤdiſchen Vorſtellungsarten, welche unſere Syſteme enthalten, uͤberall nur Beweisſtellen aus dieſen Briefen allegiren konte. Ich hatte dieſe Bemer⸗ kung unzaͤhligen meiner jungen Freunde ſowohl, als manchen Maͤnnern von gereiften Kentniſſen mit⸗ getheilt und gefunden, daß ſie jedem eben ſo wahr als auffallend geweſen war. Dies brachte endlich den Gedanken in mir hervor, daß es der Mühe, werth ſey, einmal das ganze chriſtliche Publikum darauf aufmerkſam zu machen, daß alle Beweis⸗ ſpruͤche für die ſogenanten pofitiven Wahrheiten des

I eEaEnee 240

des Chriſtenthums (Zurechnung des Falles Adams, Erbſuͤnde, Rechtfertigung ohne Werke, übernas tuͤrliche Gnade ic.) blos aus den Schriften der Apoſtel entlehnt ſind, und daß die Reden Jeſu von manchen Artikeln gar nichts, von einigen nur ſcheinbare Spuren enthalten. Wenigſtens ſchien mir der Schluß algemeine Beheerzigung zu verdie— nen: Wenn Jeſus in ſeinen Vortraͤgen nothwendig die zur Seligkeit nothwendigen Heilswahrheiten gelehrt haben muß; jo folgt, daß diejenigen Lehr— ſaͤzze, weiche er nicht gelehrt hat, und welche man blos aus apoſtoliſchen Schriften herleiten will (ges ſezt auch, daß ſie aus denſelben erweislich waͤren) doch gar nicht von großer Wichtigkeit ſind, ſondern zu den entbehrlichen Wahrheiten gerechnet werden muͤſſen. 8

Alſo fuͤr den Geiſt der Pruͤfung ſchrieb ich das Buch: Saͤmtliche Reden Jeſu, aus den 4 Evangeliſten geſammelt und ſo geſtellt, daß man das aͤchte Lehrgebaͤude uͤberſehen und ſich mit der eigentlichen Religion Jeſu bekant machen kan. Berlin bei Vieweg, 2 Baͤnde 8: da⸗ mit aus dieſer Samlung jeder forſchende Chriſt ſe⸗

IV; B. Q

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hen moͤchte, was wirklich Lehre Jeſu iſt und was im Gegentheil ſpaͤtere Lehrer der Kirche aus ihren eignen Reflexionen und Phantaſien wee haben.

Es iſt eine meiner beſten Schriften, die auch der bloße Dilettant, welcher jenen wichtigen Zwek der Pruͤfung nicht beabſichtet, als ein Erbauungs⸗

buch mit Vergnuͤgen und oft mit Ruͤhrung leſen wird. |

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Fuͤr eben dieſen Geiſt der Pruͤfung bearbeite; te ich in dieſer Epoche mein griechifch = deutſches Lexikon uͤber das N. Teſtament, welches ich ſo einrichtetete, daß auch Ungelehrte es gebrauchen, und bei der Leſung der lutheriſchen Ueberſezzung des N. Teſtaments ſich daraus Raths erholen, und den Sinn derſelben beurtheilen koͤnnen. Ich habe in dieſem Woͤrterbuche die aͤchten Bedeutungen der Worte des griechiſchen Teſtaments genau und be⸗ ſtimt angegeben, und auf das ſchaͤrfſte aus dem Sprachgebrauche des N. Teſtaments und den gleichzeitigen Schriftſtellern, den LXX, den Joſe⸗ phus und Philo bewieſen, auch die Analogie der

. 2.3.22 52.00 000 242

guten griechiſchen Schriftſteller, welche noch kein

Lexikon uͤber das N. Teſtament aufgeſtellt hat, faſt volſtaͤndig beigebracht, und mit unzähligen Allegas

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Nachdem ich dies noch zu fehlen ſcheinende Huͤlfsmittel fuͤr den wahrheitforſchende Leſer des N. Teſtaments bearbeitet hatte, age ich mich, nun ſelbſt ein Lehrgebaͤude des reinen Chriſten⸗ thums aufzuſtellen, welches die Refultate meines vieljährigen Pruͤfens und N % Berne enthalten ſolte. £ KR

Der auſſerordentliche Beifall, 45 ben ſich meine moraliſchen Vorleſungen erworben hatten, gab mir die erſte Veranlaſſung, dieſen Gedanken zu reali⸗ ſiren. Ich hofte mit recht, daß das Publikum, unter welchem man meine Lehren und Meinungen ſo verſchrien hatte, durch ein ſolches Syſtem von all den kraſſen Vorſtellungen zuruͤkkommen, und mit meiner Wahrheit ſowohl als mit mir kt

ausgeſöhnt werden wuͤrde. N

Durch das Studiunt der Reden Jeſu war mir Bee Mittelpunkt gleichſam figiet worden, in | | e |

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welchen ich mein ganzes Religions ſſyſtem konzen ?

trirt hatte: ich meine diejenige M ſenſchenliebe,

welche mich die natürlichen Gef uͤhle meines eignen | Herzens ſowohl, als die traurigen Erfahrungen mei⸗ | nes Lebens, als das hoͤchſte Beduͤrfniß für die menſcbliche Gluͤckſeligkeit, und folglich als den er⸗ ſten Grundſaz aller vernünftigen Religion denken lehrten.

So entſtund mein Syſtem der moraliſchen Religion zur endlichen Beruhigung fuͤr Zweifler und Denker (Berlin bei Vieweg) welches bereits die dritte Auflage erlebt, und einen algemeinen,

und ich mochte ſagen, widerſpruchfreien Beifall erlangt hat. in

Ich bediente mich bei der Ausgabe dieſes Werks einer kleinen Kriegsliſt, welche ſchon vor⸗ hergegangene Erfahrungen bewaͤhret hatten. Ich ließ einen andern Titel drukken, welcher ein Sy⸗ ſtem der reinen Lehre Jeſu und der Apoſtel an⸗ kuͤndigte, und meinen Namen nicht enthielt, und unter dieſem Titel, von Weihnachten bis Oſtern daſſelbe verkaufen, um das Publikum und in⸗

und diese on 5 mie vol⸗ 90 "rue bös u gleich mit karten eſfale aufgenommen, und die Leipziger Zeitüng 95 die ſonſt alle meine Schriften geſtriegelt hatte; gab den erſten Lobpreiſungston an, dem ix bald mehrere Recenſenten folgten. Zu Oſtern erſt nahm ich die Maske ab, und ließ das 2 untern dem e ae 2 Pa 18 82 Dis Buch hat weite Ge tung erfüllt, KR Menschen, sin den french” Gegenden, welche die 1 ER tauſendzuͤngi ge Fama mit den widrigſten Vorſtel / langen von mir erfuͤllt, und mich ihnen als einen hellloſen Mann geſchildert hatte, der alle theoreti—⸗ 25 ſwe fue praktische Religion mit Fuͤßen tritt, ge⸗

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riethen in ein angenehmes Erſtaunen, da ſie ver⸗ i S g nahmen, daß dieſes Syſtem meinen Glauben und

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mein Syſtem der moraliſchen Religion ihnen alles

erſt die Erlaubniß von ihren Eltern und Vormuͤn⸗ dern dazu verſchaft habe. Viele brachten mir ſelbſt die Briefe mit, in denen der Vater ſchrieb: „mein „Sohn, wenn das ſchoͤne Buch, das Du mir ge „ſchikt haſt, wirklich von dem D. Bahrdt in Hal⸗ „le iſt; ſo kanſt Du in Gottes Namen alle Kollegia „bei ihm hören ze. % So wurden junge Leute meine Schuͤler und Freunde, denen es vorher bei Leib und Leben verboten geweſen war, meinen Hoͤr⸗ ſal zu betreten.

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Eigne Ueberzeugung von der Unfehlbarkeit und Guͤte meiner Grundſaͤzze, welche dieſes Sy⸗ ſtem enthielt und Liebe zu dieſen Grundſaͤzzen hieß mich auf Mittel denken, dieſelbe immer mehr

in der Welt zu verbreiten, und bis in die Huͤtten

des gemeinſten Volks zu verpflanzen.

Ich bekam, beim Nachdenken uͤber dieſe Mit⸗ tel, den gewiß nuzbaren Einfall, meine moraliſche Religion auf alle Staͤnde und Verhaͤltniſſe der Menſchen beſonders zu appliciren. Und ſo entſtund zuerſt mein Sittenbuch fuͤr das Geſinde, welches

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ich in eben dem Winter noch druffen ließ, in wel⸗ chem mein Syſtem der moraliſchen Religion fertig wurde. Aber an dieſem Buͤchlein machte ich eine der traurigſten Erfahrungen meines Lebens.

Ich kan es kuͤhn behaupten, ohne eine einzige Stimme irgend eines denkenden und ehrlichen Mannes fürchten zu dürfen, daß dies Büchlein in Abſicht auf Inhalt fo wahr, fo volftändig und nuz⸗ bar, und in Abſicht auf Ausdruk ſo faßlich und ruͤhrend geſchrieben iſt, daß man gewiß fuͤr dieſe ſo zahlreiche und eben darum wichtige Menſchen— klaſſe kein beſſeres dagegen ſtellen kan. Und doch iſt dieſes ſo nuͤzliche Buͤchlein mit einer Kaͤlte und Gleichguͤltigkeit aufgenommen worden, die alle menſchliche Erwartung uͤberſteigt.

Ueberzeugt, daß es von der aͤußerſten Mich: tigkeit ſey, wenn jeder Hausvater dies Buͤchlein beſaͤße, und jedem Geſinde zu leſen gäbe, und daß dadurch eine erſtaunende Summe von guten Ge— finnungen unter dieſer wichtigen Menſchenklaſſe (ich meine das Geſinde) verbreitet werden wuͤrde, ſchrieb ich im Namen des Verlegers (ohne meinen

2 4

247

*

Namen bekant zu machen) faſt an alle Sürften und % Magiſtraͤte Deutſchlands, ſchikte ihnen ein Exem⸗ plar davon, und bot ihnen den aͤußerſt niedrigſten Preis an, wenn fie in großen Quantitäten es vers ſchreiben, und unter die arme Klaſſe ihrer Unters thanen vertheilen wollten: ſo daß manche mit zehn bis zwanzig Thalern eine ganze Stadt mit ihren Dorfſchaften Hätten verſorgen konnen. Und auch nicht an einem einzigen Orte fand ſich eine Neigung, auf die moraliſche Verbeſſerung des Ge⸗ ſindes, ein paar Thaler zu wenden, die oft hun⸗ dert und tauſendfach für Gegenſtände des vu verſchleudert werden,

Zu eben der Zeit ſchrieb ich das Buch: Ueber preßfreyheit und deren Grenzen zur Beherzi⸗ gung fuͤr Regenten, Cenſoren, und Schriftſtel⸗ ler: (Zuͤllichau bei Fromman) welches ohnſtreitig

unter meinen Schriften die meiſten lauten Lobprei⸗

ſungen erhalten, aber auch den Verfechtern des Glaubenszwanges und moraliſchen Deſpotismus das meiſte Aergerniß verurſacht hat. Das koͤnig⸗ liche Kammergericht in Berlin hat dieſe Schrift fuͤr den richtigſten Masſtab der Beurtheilung

248 ſchriftſtelleriſcher Freiheiten erkant und in der be⸗

kanten Sentenz (in den Streitigkeiten zwiſchen dem

D. Stark und den Verfaſſern der Berliner Mo⸗ natsſchrift) mit lautem Beifall gekroͤnt.

Noch gehoͤren in dieſe Epoche die oben bereits erwähnten Schriften: uͤber den Fweck der Erzie⸗ hung die Standrede an Goͤtzens Sarge und des Kirchen- und Kezzeralmanachs, zweites Guinqnennium fo wie Famor, oder der Mann aus dem Monde, und das Sendſchreiben an den Prof. Voigt in Guedlinburg.

Ein unreifer Einfall waren die neuen Litte⸗ raturbriefe, welche mit dem erſten Bande ihre Endſchaft erreichten. Ich hatte die gute Abſicht, mich mit einer Geſellſchaft denkender Maͤnner zu verbinden, und die reifſten Reſultate unſerer Lek⸗

tuͤre der Welt vorzulegen. Aber ich fing die Aus⸗

gabe früher an, als dieſe Geſelſchaft vollſtaͤndig ges wählt war. Kurz, es ward das nicht, was es s werden ſollen.

Aber eine meiner allerweiſeſten und nuzbarſten * die ich in dieſer Epoche noch begann, 2 5

2409 |

und auf meinem Weinberge, im leztem Winter =

vor meiner Verhaftnehmung vollendete, war meis ne analytiſche Erklärung aller Briefe der Apo⸗ ſtel. (Berlin bei Mylius.)

Meine Abſicht bei dieſem Werke war, dem Publikum vollends die Reſultate meines vieljähris gen Studiums uͤber das neue Teſtament zu liefern. Ich hatte bereits alles in Schriften geſagt, was zur Erläuterung der Geſchichte der Evangeliften und der Reden Jeſu noͤthig war. Ich wolte alſo nun auch die apoſtoliſchen Schriften in ihr Licht ſez⸗ zen, und dabei zeigen, daß die Apoſtel eben das reine und blos vernuͤnftige Lehrgebaͤude vorgetra— gen haͤtten, was ich aus den Reden Jeſu bereits aufgeſtelt hatte.

Ein wichtiger Nebenzwek war es, die apoſto⸗ \ liſchen Schriften zu gleicher Zeit fo zu bearbeiten, daß ſo wohl der gemeine Leſer meinen Kommentar daruͤber mit Erbauung leſen und ſich uͤber den wah⸗ ren Inhalt der Briefe der Apoſtel belehren, als auch der Volslehrer Anleitung finden möchte, je⸗ den apoſtoliſchen Text natuͤrlich zu zergliedern und

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die darin enthaltenen moraliſchen Wahrheiten licht: voll aus einander zu ſezzen. Ich halte es ſchier fuͤr meine beſte und nuzbarſte Arbeit.

Das Buch uͤber die Aufklaͤrung, welches mit Bezug auf die deut ſche Union geſchrieben war, und wovon der Hr. Prof. Weber in Buͤzow die lezte Abhandlung geſchrieben hat, wird hoffentlich je— dem wilkommen ſeyn, welcher einen feſten Begrif von dem ſo viel gebrauchten und gemißbrauchten Worte Aufklaͤrung ſucht, und auf unbefangene Ur⸗ theile uͤber die ganze Materie geleitet zu werden wuͤnſcht. Es gehoͤrt uͤbrigens in die neueſte Epoche meines Lebens, von der ich meinen Leſern nur noch etwas weniges zu ſagen habe.

Zwanzigſtes Kapitel.

Nachtraͤge zu meiner Gefaͤngnißgeſchichte.

S * Jo hatte, in der oben beſchriebnen Epoche mei— ner Geſundheit den Reſt gegeben. Meine Verdau⸗

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ungswerkzeuge waren im hoͤchſten Grade geſchwächt, Ne J fo daß ich Mittags nur wenige Loffel Gemuͤſe ge⸗ nieſſen, und Abends hoͤchſtens nur ein kleines But⸗ terbrod eſſen, und doch regelmäßig einigemal in jeder Woche von den heftigſten Schmerzen in der rechten Seite überfallen wurde, welche am Ende der Verdauung ſich einſtellten, oft bis in die ſpaͤte Nacht anhielten, und gewohnlich mit einem ers maitenden Schweiſſe ſich endigten. Dabei fehlten mir die gewoͤhnlichen Ausleerungen der Natur. Jh habe ſchon einmal ſieben Monate nach einan⸗ der die Kämpfiſchen Klyſtire gebraucht, und muſte nun ſchon taglich ein Klyſtir nehmen, wenn ic

| Leibesöfnung haben wollte. In dieſem traurigen Zuſtande brachte mich der Rath meines Freundes, des ſel. Goldhagen, zu dem Entſchluſſe, mein ſchriftſtelleriſches Leben,

das mich ſchlechterdings in kurzer Zeit aufreiben mußte, einzuſchraͤnken, und eine andere Quelle des Unterhalts für mich und meine Kinder aufzu⸗ ſuchen, weil in den preußl. Staaten meine Talente zu nichts brauchbar gefunden wurden. Und fo entſtand die Weinbergsgeſchichte, die ich in meiner

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be, und von welcher ich hier nur noche einige zur Volſtaͤndigkeit meiner Lebensgeſchichte erfordellß, che Auen nac holen *

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Im Herbſte des Jahres 1786 mech mein liebes Weib eine Dienſtmagd, welche, ſeitdem % Ju⸗ lie ſich entfernt hatte, die erſte wer, die mich von allen Verbruͤßlichkeiten befreien konte, welche. mir ſeither ſo manche meiner Mahlzeiten verbittert hat⸗ ten. Die einzige Schuͤſſel, die ich genoß bekam ich doch nun ſchmakhaft und kraͤftig, ſtatt daß ich ſonſt alle Wochen einigemal mich Hätte ärgern muͤſ⸗ fen, wenn meine wenigen Biffen durch Natblägtg⸗

keit oder Ungeſchiklichkeit der Magd verderben

waren. | ng

1 N 2

Dieſe Magd n ward kan der Liebling und dle.

Vertraute meiner Gattin. Sie fuͤhlte es als‘ eigne

Gluͤfſeligkeit, mich bei meinen Mahlzeiten verhuügt

und zufrieden zu ſehen. Und ſie freute ſich ‚ende %

lich einmal eine Perfon gefunden zu haben, welche mit dem hoͤchſten Grade von Geſchiklichkeit und Ak⸗

kurateſſe, alle übrige Eigenſchaften eines guten Ge⸗

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7 Oefärrgnipgifäpich wiläuftiger be seen 1

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253 . ————

ſindes verband, ich meine Fleiß, Arbeitſamkeit, Treue, Willigkeit und eine immer fröhliche Laune. Das Maͤdchen hatte auch wirklich eine in ihrer Art ſehr volkomne Erziehung gehabt. Die Frau Inſpekt. | Stoppelbergin auf dem Waiſenhauſe hatte feit dem dreizehnten Jahre ſie wie Kind gehalten, ihr alles, was zum Kochen, Bakken, Näterei u. ſ. w. gehoͤrt, lehren laſſen, und bei der ſtrengſten Auf⸗ ſicht ſie gebildet.

Indeſſen konte die Guͤte dieſes Geſindes das Temperament meines lieben Weibes nicht umſchaf⸗ fen. Ihre Gewohnheit uͤber alle Kleinigkeiten zu noͤrgeln und bei aller Gelegenheit, wenn etwas im Hauſe verlegt oder verloren, oder ihr etwas nicht wohlfeil genug eingekauft war, das Geſinde der Dieberei zu beſchuldigen, machte auch dieſe Magd ſehr bald mismuͤthig, ſo daß ſie ſchon zu Weinach⸗ ten meinem lieben Weibe den Dienſt wieder aufſag⸗ te. Ich wußte von dem allen nichts und bekuͤm⸗ merte mich auch um das weibliche Hausregiment nicht. Es war gerade das ſauerſte halbe Jahr mei⸗ nes Lebens. S. das vorige Kapitel.

. rn 254

Meine Kinder erzaͤhlten mir die angeſponnenen Verdruͤßlichkeiten. Ich melirte mich nicht drein. Mein liebes Weib uͤberdachte die Groͤße des Vers luſts und die Gefahr der Folgen. Sie beſorgte, daß ich ihr die Schuld geben moͤchte, wenn einſt wieder eine unwiſſende Koͤchin mich durch verhunzte Speiſen aͤrgerlich machen ſolte. Sie bat alſo die Magd ſelbſt, zu bleiben, und wandte, da dieſe auf ihrem Vorſazze beharrte, alle mögliche Bered—⸗ ſamkeit, Verſprechungen und zulezt dringende Bit— ten an, um ſie wieder anders Sinnes zu machen. Endlich, da alles nichts fruchten wolte, wurden die Kinder abgeſchikt, und dieſe brachten denn endlich es dahin, daß die Magd wieder neues Miethgeld nahm und im Dienſte zu bleiben verſprach. Und nun kehrte die alte Traulichkeit (die bis zu Klagen uͤber mich ausartete) wieder zuruͤk und meine Gat⸗ tin und Chriſtine waren ein Herz und eine Seele.

Da wir in den Winterabenden, zu Sparung des Holzes, in einer Stube beiſammen waren, ſo erfuhr ich einſtmalen von ohngefaͤhr, da die weib— liche Geſelſchaft auf Haus haltungsgeſchaͤfte zu reden kam, daß dieſe Magd vor kurzem erſt bei einer

255 | RER

Verwandtin in einer großen Gaſtwirthſchaft gear⸗ beitet, und dieſelbe faſt ganz allein verwaltet hatte. Sie hatte Kuͤhe gemolken, gebuttert, gefäfet, Wein und Bier abgezogen, aufgewartet, kurz alles ge⸗ than und geuͤbt, was in einer laͤndlichen Gaſtwirth⸗ ſchaft vorfallen kan. Dies machte mich zuerſt auf⸗ merkſam auf dieſe Perſon. Ich faßte ſchnell den Gedanken auf, daß eine ſolche Wirthſchafterin mit ſo volſtaͤndigen Kentniſſen und Fertigkeiten mir es moͤglich machen wuͤrde, eine große Wirthſchaft zu führen, von welcher ich einen anſtaͤndigen Ges winn ziehen und durch denſelben von Nahrungsſor⸗ gen und uͤbermaͤſſigen Geiſtesanſtrengungen mich wuͤrde befreien koͤnnen. Und dieſe Moͤglichkeit leuchtete mir um ſo mehr ein, jemehr ich bei dieſem Vorhaben die Zuſtimmung meines lieben Weibes erwarten konte, deren Vertrauen die Perſon beſaß, mit welcher ich es auszuführen gedachte,

s Die einzige Bedenklichkelt, daß gewiſſe Leute dieſen Weg zum Erwerb verſchreien wurden, ſchrekte mich darum nicht mehr, weil ich einmal in einem Lande lebte, wo alle andere Ausſichten mir ver⸗

ſchloſſen ſchienen und ich folglich gar keinen Grund finden

. A Ft * 256

finden konte, warum ich mich an Narrengeſchrei kehren und dem zu Gefallen, mich in der Welt aufzehren und meine Kinder in der Qnäteen Ar⸗ muth verlaſſen ſolte.

Der ſelige Goldhagen beſtaͤrkte mich in meis nem Vorſazze und fo kaufte ich im Jul. 1787 meinen Weinberg, und errichtete ein Etabliffement, welches ich noch dieſen Augenblik für vol ommen geſchikt halte, mir den Abend meines Lebens anges nehm zu machen, ob ich gleich bis jezt daſſelbe als eine Quelle tauſendfachen Verdruſſes habe erfahren muͤſſen.

Man denke ſich die unvorherzuſehende Wen— dung des Schikſals. Eden dieſe Perſon, auf wel— che ſich die ganze Moͤglichkeit gruͤndete, mein Etabliſſement (mit Bethuͤlfe eines geſchikten Mans nes, der die Aufwartung und Bedienung der Frem— den dirigirte) zu behaupten, wurde zufaͤlliger Weiſe mir verleidet. Sie war fünf Vierteliahr lang meis nem lieben Weibe im hoͤchſten Grade anſtaͤndig ge⸗ weſen, und ſie ward jezt auf einmal der Gegenſtand ihres Haſſes und ihrer unverſoͤhnlichen Rache.

w. B. 18% N 2

W.

Ich war mit meiner Gattin uͤber die Fuͤhrung der Wirthſchaft einverſtanden. Sie hatte nach meinem Willen blos das Fach der Erziehung mei⸗ ner Toͤchter und die Beſorgung der Waͤſche uͤber⸗ nommen. Sie ſolte mit Kuͤche, Stall, Keller ꝛe. gar nichts zu thun haben. Ich wolte mit ihr auf einem beſondern Fluͤgel des Hauſes wohnen, und auf dem andern ſolte die große Wirthſchaft ſeyn, uͤber welche ich allein diſponiren wolte, und die ich bereits in ſolche Hände gebracht und fo eingerichtet hatte, daß ſie nicht anders als gedeihen konte. Mein liebes Weib lebte bei dieſer Einrichtung wie eine Koͤnigin. Sie genoß, bei maͤßiger Arbeit (wie ſie ihre Schwaͤchlichkeit und ihre Liebe zu ſiz⸗ zenden Beſchaͤftigungen des Naͤhens, Filetſtrikkens, Stikkerei u. d. es erfoderte) alles, was fie ſich win: ſchen konte. Keine Sorge beunruhigte ſie, keine Handarbeit belaſtete ſie, kein Verbruß ſtoͤrte ſie. Und ich fühlte mich, bei der ſtaͤten Bewegung, welche Aufſicht und Diſpoſition erfoderte, bei der geſunden Luft und romantiſchen Gegend, in welcher ich athmete, bei der täglichen Unterhaltung des ges ſelſchaftlichen Lebens und bei den frohen Ausſichten in die sap der Ruhe im hoͤchſten Grade . lich. Ein Umſtand zerſtoͤrte das alles.

en 258

Gewiſſe Leute, welche ehedem, da mein liebes Weib Kaſſe, Keller und Vorraͤthe in ihren Händen hatte, mancherlei Genuß von ihrem guten Herzen bezogen hatten, (die ich hier in vielerlei ſchonender Ruͤk ſicht nicht fpecificiren mag) und welche nun auf einmal mein liebes Weib auſſer Poſſeß und ſich, auſſer Antheil ſahen, fiengen an, ihr alles ins Ohr zu raunen, was ihre Phantaſie erhizzen und ihre, den Hezzern wohlbekante, ſchwache Seite in Al— larm ſezzen mußte. Sie ſtellten ihr vor, wie erz niedrigend es fuͤr ſie ſey, die Wirthſchaft nicht in ihren Haͤnden zu haben. Sie berechneten ihr die Summen, welche die Magd unterſchlagen wuͤrde, wenn ſie ferner mit ſolchem Zutrauen behandelt wuͤrde. Sie erzaͤhlten ihr Hiſtorien von Liebesge⸗ ſchichten, und ſuchten durch dieſe ihr Angſt zu ma⸗ chen, daß ſie mich ſelbſt wohl ihr abſpenſtig machen dürfte. Kurz fie wiegelten fie auf, die Abſchaffung der Wirthſchafterin zu fodern. Und ſo ward meine Ruhe zu Grabe getragen.

Ich ſahe die Unmoͤglichkeit vor Augen eine ſolche Perſon von ſo ſeltner Geſchiklichkeit und Treue und die dabei fuͤr drei Mann im Hauſe arbeitete

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259 nr

(denn fie war für Vieh, Küche, Reinlichkeit, Bier

und Weinbehandlung, kurz, fuͤr die ganze große Wirthſchaft in welcher oft Mittags zwanzig Gaͤſte mit ſechs Schuͤſſeln gefpeifet, und oo, des

Nachmittags und Abends, mit Speiſe und Trank verſorgt wurden die einzige Magd im Hauſe) er mir ſogleich wieder zu erſezzen: und mein liebes Weib ftürmte gleichwohl mit ſolcher Hizze auf

mich los, ihren Willen durchzuſezzen, daß auf erhaltene abſchlsgliche Antwort in wenig Wo»

x En chen. das LEE weit und breit von ihren Klas

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5 den erfullt und mit entehrenden ee uͤberla⸗

Den war.

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| 3 Ich etſüchte alles, um ihr Herz, das im Grunde mich zu lieben ſchien, ob es gleich zu mei⸗ ver Schande und zum Ruin meiner Kinder ſich ver⸗

Art hatte, zu beſänftigen. Ich ſtellte ihr die An⸗

nebmli chkeit der Lage vor, in welche ich ſie geſezt hatte. Ich zeigte ihr die Unmd glichkeit, mein Etabliſſement ohne eine ſolche Perſon zu behaupten. Io gab ihr zu bedenken, wis ſehr ihr Geſchrei ſie felbſt und unjeie, änze Familie‘ entehre. Meine

Kinder ver relſigten iht ihre Bitten v und Vorſtellungen 8 Au den wege 9 war un

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N 1 Pr 260 X

Es gehoͤrt ein voͤlliges Alphabeth dazu, alle Auftritte zu ſchildern, und alle die Verſuche zu ent⸗ falten, welche mein liebes Weib ſeit jener ungluͤk⸗

lichen Verhezzung begonnen hat, (bald mit bittern |

Reden ins Angeſicht, bald mit lautem Geſchrei an alle Menſchen, deren Ohren ſie habhaft werden konte, bald mit Briefen, die ſie funfzig Meilen weit verſendete) meine Geduld zu ermuͤden und mich durch Schmach und Kraͤnkung unter ihren Willen zu beugen. Die Geſchichte verdient einen eige— nen Roman, den ich bereits entworfen habe, in welchem alle Scenen, alle Briefe, alle Belege, alle Zeugen zum Vorſchein kommen ſollen, um eine Geſchichte ganz aufzuhellen, welche, fo unbedeu⸗ tend ſie ſcheint, ganz eigne Beiträge zur Menſchen⸗ kentniß liefern duͤrfte.

Ich werde lebenslang mit Schaudern und Entſezzen an dieſe Epoche zuruͤk denken, in welcher ich zwei ſo wuͤthende Stuͤrme aushalten und auf der einen Seite in einem elenden Kerker von der fuͤrchterlichſten Inquiſition mich martern, und auf der andern von einer verfuͤhrten Gattin mich fol— tern laſſen mußte und dies in einem Zuſtande

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261 —ñ—

der äufferften Schwachheit, wo meine Kräfte durch uͤbermaͤßige Arbeit völlig geſchwaͤcht, meine Ges ſundheit zerſtoͤrt und mein Geiſt durch Sorgen und unbeſchreibliche Aergerniſſe zerruͤttet war.

Und von dieſen vorher gegangenen Zerruͤttun⸗ gen will ich meinen Leſern noch einige Proben vor⸗ legen, welche ihnen die Lage meiner Seele erſt ganz in ihrem fuͤrchterlichen Lichte zeigen und es ihnen voͤllig unbegreiflich machen werden, wie ich, unter ſolchen Umſtaͤnden, noch leben bleiben konte.

Mein Weinberg graͤnzt an die Beſizzungen ei⸗ nes ſeiner rechtglaͤubigen Froͤmmigkeit halber ſehr bekanten und reichen Herrn, der ſich einen Winzer, Namens Puf erkohren hatte, welcher die Geißel der Nachbarſchaft war. Seine Grobheit uͤberſtieg allen Ausdruk. Seine Fertigkeit im Schabernak⸗ ken ſucht ihres Gleichen. Und ſeine Dieberei war weltkundig. Dieſer Menſch wurde meine taͤg⸗ liche Plage. Er ergrif alle nur erſinliche Gelegen⸗ heit, mich zu ärgern, Bald mishandelte er meine Gaͤſte, wenn ſie unverſehens einen ofnen Fußſteig detraten, welcher unſere unmerkliche Graͤnze war,

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und den er allein mit mir begehen zu duͤrfen glaub⸗ te. Bald verſchlemte er uns mit Spreu und Koth die Quelle, aus welcher wir unſer Trinkwaſſer ho— len mußten. Bald uͤberfiel er mein Geſinde mit Karſten und Knitteln, wenn ſie aus dem Brunnen ſchoͤpfen wolten, der auf ſeinem Grund und Bo— den zwar lag, aber an den ich mit mehrern Wein— bergs beſizzern, vermoͤge alter Receſſe, Antheil hat— te. Bald ſchuͤttete er auf leinen Anhoͤhen Ströme von Schimpfwoͤrtern und Schmaͤhungen gegen mich und die Meinigen aus, wenn wir ihn oder ſeinen Jungen auf unſern Stuͤkken ertappt und verjagt hatten.

Nicht genug, mein Pachter ergrif ihn eines Morgens um drei Uhr auf ſeinem Krautſtuͤkke, auf welchem er vor ſeinen Augen Kraut geſtohlen und bereits in den Korb geladen und ſich auf den Ruͤk— weg damit gemacht hatte. Der Dieb ſezte ſich zur Wehre. Er ſchlug meinen Pachter blutruͤnſtig.

Wir gingen vors Siebichenfteiner Amt. Er geſtund

ein, 1) daß er ſonſt ſchon uͤber Dieberei ergriffen

worden waͤre, 2) daß er von meinem Pachter auf

dem Stuͤkke ergriffen worden ſey, 3) daß er ihn R 4

blutig geſchlagen habe. Ich verlangte von der *

Obrigkeit, daß er, nach dem Weinbergsrechte, als uͤberfuͤhrter Dieb und Räuber der RNachbarſchaft,

aus dem Weinberge geſtoßen und mie für fo viel

bereits angethane Mishandlungen Genugthuung geſchaft werden moͤchte. Sein Herr bat vor. Es dauerte lang, ehe man eine Strafe beſchloß. End⸗ lich ward ihm Geldſtrafe, Gefaͤngniß und Pranger zuerkant. Puf blieb in ſeiner Ruhe und trieb nun ſeine Mishandlungen deſto toller. Ich klagte wie⸗ der, verlangte Vollſtrekkung der zuerkanten Strafe. Es verzog ſich. Man entſchuldigte ſich, daß ihn der Gerichtsdiener, wenn er ihn holen ſolte, nie zu Hauſe finde. (Aber der Kerl wußte immer vor⸗ her, wenn der Gerichtsdiener kommen wuͤrde, und verſtekte ſich). Kurz J Im vorigen Herbſte, da ich meinen halliſchen Kerket verließ, war die Strafe noch nicht vollzogen, mir noch keine Ruhe geſchaft und der Dieb ſizt noch in ſeiner Klauſe, un⸗ geſtoͤrt. N

Wer einen Begrif ſich machen kan, was das heißt, neben ſolchem Geſindel leben und gegen ſol⸗ ches Geſindel keine durchgreifende Maasregeln fins

den, der wird fi b vorſtellen koͤnnen, welch ein tau⸗ ſendfacher Verdruß mir aus 8 einzigen Quelle frönen mußte.

Aber es gab noch eine andere Quelle dieſes Giftes, das mich verzehrte, welche ich nur kurz berühren will. Ich hatte drei Söhne des Profeſ— for Tilings aus Mitau, als meine Zoͤglinge übers nommen. Im erſten halben Jahre hatte ich mit denn aͤlteſten, der ein vortrefliches Herz zeigte, hoͤchſt vergnuͤgt gelebt. Im zweiten halben Jahre aber, da noch zwei jüngere und leider für die Univerſitͤts⸗ jahre noch ganz unreife Bruͤder dazu kamen, wur⸗ den mir meine paͤdagogiſchen Geſchaͤfte zur Folter. Es fanden ſich frühzeitig Geſelſchafter, welche die jungen Leute uͤberredeten, daß ſie bei mir viel zu geniert lebten und fuͤr ihr Geld (davon ich mich be⸗ reicherte) bei weitem die Gluͤkſeligkeiten nicht ge⸗ noͤſſen, die das aͤchte Burſchenleben mit ſich fuͤhre. Und nun fingen dieſe jungen Leute an, ſich Freihei— ten heraus zunehmen und Yrätenfionen an mich zu machen, welche jeden Tag mit neuen Aergerniſſen mir verbitterten. Nachdem ich fuͤnf Vierteljahr mich mit ihnen gequaͤlt und tauſend Inſultationen

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265 —³ —ee

verſchmerzt hatte, zogen ſie endlich, ohne Abſchied zu nehmen, von mir ab und der Vater der

von mir fo geliebte nie von mir beleidigte

mich ſonſt ſo enthuſiaſtiſch verehrende Vater hoͤr⸗ te blos die einſeitigen Berichte ſeiner Soͤhne zer⸗ riß das Band der zaͤrtlichſten Freundſchaft vers weigerte mir 150 Thaler ſchuldige Gelder ſchikte mir den beſcheidenſten und freundſchaftlichſten Brief, in welchem ich ihn um mein Geld erſuchte, offen, auf der Poſt zuruͤk und hat noch bis jezt nicht auch in meinem Ungluͤkke nicht, wie er hoͤrte, daß

meine Kinder Noth litten ſich ſeiner * .

entledigt.

Die in meinem Herzen noch in dieſem Augen⸗ blikke unzerſtoͤrbare diebe zu dieſem würdigen Mans ne heißt mich, dieſe Geſchichte abkuͤrzen. Nur dies einzige muß ich, um meiner Ehre willen, dem Publikum noch ſagen, (weil es ſo viele gab, die auch dieſe Tilingiſche Zoͤglingſchaft fuͤr eine Finanz⸗ operation ausſchrien) daß ich dieſen Tilingiſchen Kindern folgendes fuͤr drei Thaler woͤchentliche Zahlung geliefert und geleiſtet habe: 1) Mittagtiſch 2) Abendtiſch 3) taglich früh und Nachmittags für

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jeden eine Portion Koffe 4) alle morgen ein reichli⸗ ches Fruͤhſtuͤk von Butterbrod oder Kuchen 5) taͤg⸗ lich vier ſteinerne Kruͤge (a 15 Maas) Bier, und alſo im Jahr 2190 Maas 6) Vettung 7) Heizung 8) kicht 9) Aufwartung 10) Reinigung und Aus— beſſerung der Waͤſche 11) anfangs halb, nachmals ganz freies Billard (auf welchem ſie taͤglich zwan— zig bis vierzig Partien abdraſchen) 12) Sontags, jedem ein Viertelmaas Wein. 13) Privatſtunden uͤber Logik, Methaphyſik und mein Syſtem der moraliſchen Religion. 14) Freie Wohnung, be ſtehend aus zwei Stuben und zwei Kammern. Und nun frage ich, welcher Vater ſeinem Sohne dies alles, wöchentlich für drei Thaler, in Halle erzeu— gen mag? Und nun frage ich, ob ein Menſch aufs treten und ſagen mag, daß dieſes Koftgeld meine Koſten und Muͤhe verguͤten, geſchweige mich berei⸗ chern konte?

O ihr lieben Tilinge! Ihr werdet es jezt wohl ſelbſt einſehen, wie viel Unrecht ihr mir gethan habt, und wie viel unnoͤthige Kraͤnkungen eute uͤberſpanten Begriffe von Ehre und Freiheit mir

verurſacht haben. Vergebet mir, wenn meine uns

gluͤkliche Lage, zuweilen auch mich einmal verftims te und Eure Uebereilungen ernfter mich tadeln hieß,

als ſie es verdienten, ſo wie ich Euch nun vergebe, nachdem ich meine Leiden uͤberſtanden habe!

7

Ein und zwanzigſtes Kapitel.

135

Noch ein ſchauderhafter Nachtrag.

ann kan ich es uͤbers Herz bringen, einen Mann im Publikum aufzuſtellen, den ich wie meinen Bru⸗ der geliebt, und Für deſſen Redlichkeit ich mit mir ſelbſt länger gekaͤmpft habe, als für irgend einen Menſchen. Es iſt der Degen hard Pott in Leipzig, der ſich bisher als Theilhaber an der Waltherſchen Buch⸗ handlung bekant gemacht und jezt dieſelbe gekauft haben foll. | Be

Wenn Rachſucht meine Feder leitete, ſo Fünte ich ihm durch meine Berichte ſchaden. Aber ich will am Ende des halben Sekulums meines Lebens mein Herz nicht noch mit einem Laſter befleffen,

| 268

von welchem daſſelbe noch nie entweiht worden iſt. Ich will blos das kuͤrzlich erzählen, was mich ans

geht und was ihm keine bürgerliche Strafe zuzie-

hen kan.

Ich hatte mit dieſem Pott, der mir als Kompagnon der Waltherſchen Buchhandlung be— kant worden war, einige Briefe gewechſelt uͤber

Verlagsgeſchaͤfte und deutſche Union, und fein herz-

licher und freundſchaftlicher Ton hatte mir den Wunſch eingeflößt, mit ihm in nähere Bekantſchaft zu kommen. Er ſelbſt eilte meinen Wuͤnſchen zuvor.

Er kam auf meinen Weinberg und blieb uͤber Nacht bei mir. Ich wurde von ihm bezaubert. Alle ſeine Geſpraͤche athmeten einen gewiſſen Adel der Seele. Er redete mit Waͤrme und Abſcheu von alle dem, was nur von weitem einer Argliſt oder Riedertraͤchtigkeit aͤhnlich ſahe. Er zeigte bei den Aeuſſerungen feiner Grundſaͤzze und den Erz zaͤhlungen feiner Handlungsweiſe eine Feſtigkeit des Charakters, eine unerſchuͤtterliche Geduld und einen eiſernen Muth, gerade alſo die Tugenden, die ich wie Gottheiten anbete, weil ich ſie von jeher ſo

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269 2 ͤ

ſchwaͤrmeriſch geliebet und fo ſelten unter der Menſchheit gefunden habe. Er gab dabei Spuren

von ſehr ausgebreiteten Kentniſſen. Er ſchien uͤber

alle Fächer des Wiſſenswuͤrdigen gedacht und gele⸗

ſen zu haben. Er machte ſo gar den Liebhaber der ſpekulativeſten Philoſopyhie. Endlich ſprach er von ſeinen Verbindungen mit Menſchen ſo, daß ich nicht anders urtheilen konte, als daß er mit ſehr rielen der erſten und wichtigſten Maͤnner der Na⸗ tion in Konnepion ſtehe.

Dieſes alles nahm mich ſo fuͤr ihn ein, daß |

ich anfieng, die reinſte und feftefte Freundſchaft für ihn zu empfinden und er kam mir ſelbſt mit ſol⸗ chen Verſicherungen der ſeinigen entgegen, daß am zweiten Tage ſeines Aufenthalts ein Bund unter uns geſchloſſen wurde, wie ihn David und Jona⸗ than nur unter ſich errichtet haben konten.

Unſer Briefwechſel wurde immer traulicher.

Seine Beſuche, die er hernach fleißig wiederholte,

wurden immer neue Gelegenheiten, das Band der

Herzen feſter zu knuͤpfen. Und am Ende nannte er mich in Briefen nicht anders als Vater und ich ihn, meinen Sohn.

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——— 270

Da ſo eine Zeitlang unſere Verbindung ge— dauert hatte, bekam ich einige Urſachen zur Bes kuͤmmerniß, die wohl zuweilen einmal die Frage in der Tiefe meines Herzens aufſteigen lieſſen: folte auch Pott wohl der wahre und herzliche Freund ge: gen dich ſeyn, der du gegen ihn biſt, und der er zu ſeyn dich verſichert?

Er war in alle dem, was wir muͤndlich und in Briefen mit einander verhandelten, aͤuſſerſt nachlaͤſſig und ſaumſelig, und ſchien gar nicht, wie ſeine Verſicherungen es mit ſich brachten, zu der warmen Thaͤtigkeit zu bringen zu ſeyn, die ich mir wuͤnſchte. Ich machte ihm daruͤber zuweilen Vor— wuͤrfe. Ich bat ihn, mir offenherzig zu ſagen, wenn das und das Geſchaͤft ſeinen Neigungen nicht entſpreche, und verſicherte ihn aufrichtig, daß ich ſogleich abſtehen und es liegen laſſen wuͤrde, wenn er mir nur einen Wink geben wolte, daß er nicht gern ſich befaſſe. Aber er betheuerte es heilig, daß mein Verdacht ungegruͤndet ſey, daß er dem Geſchaͤft mit Leib und Seel zugethan fey, daß nur andere dringende Geſchaͤfte ihn ſeither abgehalten hätten, die Wärme zu zeigen, die ich von a zu erwarten berechtiget waͤre.

27 L

Mein Glaube an meinen Pott blieb unerſchuͤt

terlich. Es kamen neue Spuren von Kaͤlte in Ge⸗

ſchaͤften. Sie mehrten ſich. Sie wurden auffal⸗

lender. Jezt ſchrieb ich ihm einmal die Worte:

„lieber Pott, wenn Sie mich taͤuſchen, wenn Ihr

„Herz einer Falſchheit faͤhig ſeyn ſolte, dann

„werde ich gegen das ganze menſchliche Geſchlecht

„mistrauiſch.,, Auf dieſen Brief folgte eine Ant⸗ wort, die mich wieder volkommen beruhigte. | Er betheuerte es, daß er mich redlich liebte und daß ich nie nie ihn anders, als meinen treuſten Freund finden wuͤrde. |

Aber mehr als jene Spuren von Kälte und kachläſſigker tim Handeln erſchrekten mich gewiſſe Pottiſche und Waltherſche Reden und Erzaͤhlun⸗ gen über den Meineid. Und ich bekenne aufs

richtig, daß ich hier ſelbſt zu leichtſinnig und gegen meine eignen Grundſaͤzze, dieſen Zug in dem Cha⸗

raktec⸗ onen vermeigten Freundes betrachtet habe.

Die Liebe taͤuſchte mich und dekte Haͤßlichkeiten zu,

welche mich von jedem andern Menſchen zuruͤkge⸗

ſcheucht haben würden. Ee war mir zu ſehr Enz, gel, als daß ich hier den Satan hätte ahnden fola

len.

*

Pr 272

len. Es ſchien mir ein Flekken in der Sonne zu ſeyn, der mich nicht abhalten duͤrfte, in ihren wohl⸗ thaͤtigen Strahlen fortzuleben.

Was Wunder alſo, daß alles, was zulezt meine Verwandte und Freunde mir ſagten daß das faſt algemeine und einſtimmige Zeugniß, wel⸗ ches mir ſogar auf Kaffehaͤuſern ins Ohr geraunt wurde: „Pott ſey ein aͤuſſerſt boͤſer und gefaͤhrli⸗ cher Menſch“ mich nun nicht mehr ruͤhrte und von meiner Verblendung befreite. Denn ich war zu ſehr fuͤr ihn eingenommen, rechnete zu viel auf ſei— ne Betheurungen, und ſchrieb der Orthodoxie zu großen Antheil an dem boͤſen Leimund gegen den freigeiſteriſchen Pott zu, als daß ich mich an ſol— che Warnungen haͤtte kehren ſollen. Pott war und blieb mein Freund, dem ich Leib und Seele anzu> vertrauen bereit war.

und nun höre mar. s dire P. von dieſer meiner ihm bekanten, von ihm genaͤhrten, innigſten Freundſchaft und Traulichkeit des Jahres 1788, im Jahre 1789 fuͤr einen Gebrauch ge⸗ macht hat! IV. B. S

273

Er war es, der mir den Röper zu Ende des

Jahres 1783 empfahl, welcher ſchon im Februar 1789 gegen mich in Berlin denuneiirte. Roͤper kam zwar, wie Pott verſicherte, ohne Potts Ge⸗ heis. Aber da ich Potten hernach uͤber Roͤpern konſulirte, rieth er mir doch, Roͤpern zu behalten, und zwar aus dem Grunde, weil er ein aͤuſſerſt ar⸗ mer Menſch und ein treuer Freund ſey, der fuͤr . ſogar einen falſchen Eid gethan habe, um „.. ſeinen Freund zu retten.

Er war es, der um Roͤpers Reiſe nach Berlin wußte und ihn mit zwei Dukaten Reiſegeld unter⸗ ftüzte, wie er ſelbſt ſich einige Zeit nachher gegen

den Herrn Profeſſor Jakob in Halle verſchnapt hat.

Und hiebei beherzige man folgende Rebenumſtaͤnde. Da Roͤper auf drei Tage Urlaub von mir genom⸗

men hatte, und mir zu lange auſſen blieb, kam ich

auf die aͤngſtliche Beſorgniß, daß der arme Menſch, der ohnehin mit Kleidung ſchlecht verſehn war, un⸗ terweges zu Schaden gekommen ſeyn moͤchte: denn es war um die Zeit des tiefſten Schnees und haͤrte⸗ ſten Froſtes. Ich ritt daher nach Leipzig, und ent⸗ dekte Potten meine Bekuͤmmerniß. Pott ſtelte ſich

2 j 474

erſchrokken: verſichette, nicht begreifen zu koͤnnen, wo Roͤper hin ſeyn koͤnte: beſchikte ſeine Schwe⸗ ſtern; ließ ſich vorgeblich bei dem Studenten Schulz erkundigen: trieb das Nachſuchungsſpiel einen gan⸗ zen Tag: und ließ mich mit der bangen Muthmaſ—⸗ fung wieder nach Haufe reiten, daß Roͤper unters wegs erfroren, oder ſonſt wäre zu Schaden gefoms men oder heimlich entlaufen ſeyn muͤſſe. Alſo Pott ſtelte ſich, als wuͤßte er Roͤpern nicht, und hatte ihm doch zwei Dukaten zur Berliner Reiſe gegeben? Doch die Leſer ſollen folgern. Ich will blos erzaͤhlen.

*

Ich wurde auf dieſes, mit Potts Gelde nach Berlin gereiſeten Roͤpers Denunciation arretirt. Mein erſter Gedanke im Kerker war, meinem vers meintlich beſten, einſichtsvollſten und unternehmend⸗ ſten Freunde in der Welt, mein Ungluͤk wiſſen zu machen. Meine Kinder ſchikten meinen Bedienten zu Pferde nach Leipzig, meldeten Potten das Un⸗ gluͤk ihres Vaters und baten ihn um Rath und Unterſtuͤzzung. Der Bediente ſagte bei feiner Zu: tuͤkkunft aus:

S 2

| Pott habe den Brief mit kaltem Geſicht ge⸗ *

„leſen und ganz ruhig gefragt: erſt ge—

„ſtern iſt der Doktor arretirt worden?

„ich habe gedacht, er ſaͤße ſchon acht Tage. „Mache er mein Kompliment: ich wuͤrde ſie, „ſo bald ich koͤnte, auf dem Wien 55 ea 57

Ich ward von dieſem ſchreklichen Empfange

meines Bedienten erſt nach vielen Wochen benach⸗

richtiget und (beilaͤuſig und zur Schande meines

Kopfes geſagt) doch nicht an Potten ungläubig

gemacht. Meine Kinder fanden ihn raͤthſelhaft,

argwohnten aber eben ſo wenig, als ich nachher,

daß Pott mehr als ein unerklaͤrbar kalter Freund ſeyn muͤſſe. Sie wendeten ſich alſo, auf mein Ges

heiß, in der Zeit der groͤßten Noth, wo durch

Auſſenbleiben aller meiner gehoften Einkuͤnfte, wah⸗ re Hungersnoth begann, und ſie ſchon angefangen

hatten, ihre beſten Sachen zu verſezzen, um ſich

und ihren ungluͤklichen Vater im Kerker zu ernaͤh⸗ ren, wiederholt an dieſen Mann, auf den ich ſo viel Schlöͤſſer gebaut hatte, und flehten ihn mit Thraͤnen um Geld. Man ſezze hier voraus,

1) daß mir Pott noch Geld ſchuldig war, 2) daß Pott auf meine Lebensgeſchichte Praͤnumeranten⸗ gelder eingenommen hatte, die, nach vielen ſichern Nachrichten, ſehr anſehnlich geweſen ſeyn follen, 3) daß fein Kompagnon ein Vermoͤgen von 40000 Thalern und eine eigne Handlung hatte 4) daß Pott mein intimſter Freund zu ſeyn verſichert und dieſe Verſicherung bis jezt nicht zuruͤkgenommen hatte, und denke ſich nun dieſe neue Praͤmiſſe (zu der mei⸗ nen Leſern uͤberlaſſenen Konkluſion):

Pott ſchikte nach vielem Flehen zwanzig Thaler, ſchrieb, daß er kein Geld fuͤr uns habe, und gab, in der ganzen Zeit meiner Einkerkerung, in der meine Kinder in groͤßtem Elende und Jammer leben mußten, keinen Heller weiter.

Pott wurde während meiner Inquiſition in Leipzig verhoͤrt und druͤkte unter andern uͤber den Kommentar, den er doch ſelbſt geſchrieben hatte, ſich ſo aus, daß ein ſtarker Verdacht auf mich fal⸗ len mußte. Ich erinnere mich genau, daß die Kom; miſſion ſelbſt, im Verhoͤr, ihre Verwunderung ge: gen mich aͤuſſerte, daß mein intimſter Freund ſo unvorſichtig und mir nachtheilig ausgeſagt habe.

883

277 ——

Pott kam zu Pfingſten auf meinen Weinberg mit der Mine des waͤrmſten Freundes, blieb uͤber Nacht, zeigte ſich, wie meine Kinder ſagen, in der engſten Vertraulichkeit mit meinem lieben Weibe, aͤuſſerte den folgenden Tag, daß er aus Liebe zu mir und den Meinigen nun mein Leben ſelbſt ſchreiben wolle, da ich es nicht ſchreiben koͤnne, und verſprach meiner Familie von dem Buche den gan⸗ zen Buchhändler: Gewinn. Dieſer großmuͤthige Antrag ruͤhrte meine Kinder, und ſie ließen ſich be⸗ reden, dieſem Menſchen, ohne mein Wiſſen, alle meine Papiere einzuhaͤndigen, (Briefe, Dokumen⸗ te, Aufſaͤzze ꝛc.) die ich feit 24 Jahren mir geſam⸗ melt hatte, und die ich nicht gern fuͤr 2000 thlr. verkauft haben wuͤrde.

Das ſind die Thatſachen, die ich dem unpar⸗ theiiſchen Publikum vorlegen wolte. Ich mag nicht Richter ſeyn. Mir ſchauderts zu ſagen, was ich denke. Und noch iſt ſelbſt das, was ich denke, und denken muß, mir ein Raͤthſel. Denn alle meine Pſychologie und weitläuftige Menſchen⸗ kentniß reicht mir nicht zu, den Grad von Unmenſch⸗ lichkeit mir begreiflich zu machen, den ich in dem

1

Verfahren dieſes Mannes erblikke, Mein Verſtand

ſteht mir über der Frage ſtille: wie ein Menſch, ein menſchliches Herz zu einer ſo innigen Freundſchaft erwaͤrmen konte, mit dem unnatuͤrlichen Vorha⸗ ben nicht den Getäͤuſchten allein denn da kon— te eine perſoͤnliche und in Anſehung ihres Grundes noch unbekante Rache die natürliche Triebfeder ſeyn ſondern auch deſſen Weib und unſchuldige Kinder ins Verderben zu ſtuͤrzen?

Um aber meinen Leſern und Richtern auch fuͤr den einzigen möglichen Fall das noͤthige Licht zu ger ben, daß Pott vieleicht noch zur Zeit unbekante Urſachen gehabt haben konte, die innigſte Freund— ſchaft aus den Augen zu ſezzen und mein Verder— ben zu beſchließen; fo will ich hier einen Brief ab— drukken laſſen, den ich noch in meinem halliſchen Kerker erhielt.

Ich hatte Potten, den mein Herz auch damals noch nicht ganz verurtheilt hatte, (weil ich erſt nach⸗ her, bei mehrerer Freiheit, eine Menge Umſtaͤnde erfuhr, die ich hier als bloße Sagen uͤbergehe, und die mich dann erſt determinirten, ihn fuͤr treulos

S 4

1 “= _

zu halten) eine neue Ausgabe meines Syſtems der moraliſchen Religion verſprochen und bereits zum Drukke abgeliefert. Ich hatte ihn dringend gebeten, mir das Honorar den ıften Auguſt zu zah⸗ len, um mir und meinen Kindern damit Huͤlfe zu ſchaffen. Er hatte die Zahlung bis zur Meſſe ver⸗ ſchoben. Ich hatte in der Meſſe mit jedem Poſtta⸗ ge ihn gefleht, Wort zu halten. Ich hatte endlich, da ſein Verſprechen immer unerfuͤlt blieb und mei⸗ ne Noth hoͤher ſtieg, in einem Briefe Zweifel an feiner Freundſchaftstreue geäuffert. Und darauf bezieht ſich nun dieſer ſein Brief, den ich im Origi⸗ nal jedem zeigen kan, wer ihn zu ſehen verlangt;

Leipzig d. taten Oetob. 1789.

Ob ich Ihr Freund bin? Lieber beſter Bahrdt, hieran koͤnnen Sie zweifeln? Was für Grün: de haben Sie dazu? Ich habe Ihnen ja ges ſchrieben, vor meiner Abreiſe, daß Sie vor der Meſſe kein Geld hahen koͤnten, und jezt iſt die Meſſe ja noch nicht vorbei? Dieſe Woche erhalten Sie auf jeden Fall welches“). Wenn

7) Ich erhielt aber, auch in dieſer Woche, niehts.

F 280

der erſte Theil von Ihrem Leben da ſeyn wird; wenn Sie die Vorrede dazu werden geleſen haben, und wenn ich dann das nicht erfuͤllen werde, was da gedrukt drinnen ſteht: dann lieber Bahrdt, koͤnnen Sie erſt ſagen, Ich bin von Pott getaͤuſcht worden ). Was wird | denn aus Ihrer Gefangenſchaft? Wuche⸗ rer fist noch. Gern hätt ich ihn geſprochen, | um Richtigkeit mit ihm zu machen, weil ich äufferft unzufrieden mit ihm bin. Bald ein mehreres. Kann man Sie ſprechen? ſo komm ich zu Ihnen, Ihr lieber

Pott.

War das nicht immer noch der Ton des redlich⸗ ſten Freundes? Hatte er im Fruͤhjahre noch fo gez gruͤndete Urſach, mein Verderben zu beſchließen: was hatte er denn fuͤr Urſache, mich noch jezt zu überreden, daß er der alte Herzensfreund von mic ſey? Doch mich duͤnkt, dieſe ſchrekliche Geſchichte hat Licht genug für unbefangene Beurtheiler. Ich eile, ſie zu beſchließen.

5 S 5 ) Mein Leben und die Pottiſche Vorrede iſt nnn da. Was fagen die Leſer?

281 6

7

Ich war in nicht geringer Beſorgniß, ſeitdem ich gehoͤrt hatte, daß Pott meine Papiere in ſeinen Haͤnden habe. Ich wußte, was er für ein raffi⸗ nanter Kopf war, und wie ſchwer es halten wuͤrde, ſie wieder heraus zu bekommen. Ich ſchrieb ihm gegen das Ende des Sommers (wo ich noch ganz glaubte, daß er einen wenigſtens nothduͤrftig ehr⸗ lichen Gebrauch davon machen wuͤrde) daß ich, ob⸗ ſchon ungern, ihm dieſelben, (und mit ihnen den ganzen Gewinn von meiner Lebensgeſchichte, die er ſchreiben wolte) für 1000 Thaler uͤberlaſſen wolte. Poit dachte, ich muͤßte mich im Kerker ſeiner Diſ⸗ kretion üͤberlaſſen und war under ſchaͤmt genug, mir 500 Thaler zu bieten und auch dieſe Zuſage mit ſolchen geſchraubten Ausdrüffen zu thun, (der Brief ift in den Händen des Leipziger Magiſtrats), daß es immer in ſeiner Freiheit blieh, mich auf Die ſen Biſſen troknes Brod ſo lange harxen zu laſſen, als es ihm beliebte vieleicht ſo lange, bis meine Leiden mich aufgezehrt, und mein Tod ihn ganz diſpenſirt haben wuͤrde.

Dies empoͤrte endlich mein Herz und zerriß die bisherige uͤbertriebne Anhaͤnglichkeit an dem ſeini⸗

In un ne rau? 3 2 82

gen. Ich beſchloß, mein Eigenthum mit Zwang ihm zu entreiſſen. Ich bat Se. Exellenz den Koͤnigl. Staatsminiſter von Woͤllner um Hülfe und ſchloß eine Supplik an des Koͤnigs Majeſtaͤt bei, in wel⸗ cher ich allerunterthaͤnigſt nachſuchte, daß Se. Ma⸗ jeftät ſich bei dem Dreßdner. Hofe für mich derge— ſtalt verwenden möchte, daß der Pott genoͤthiget wuͤrde, die mir geraubten Papiere eidlich zu extradiren.

Daß dieſe Supplik hernach zu einer Arreti⸗ rung Potts und zu einer Klage wegen Entfuͤhrung meiner Tochter gediehen iſt, wiſſen meine Leſer aus meiner Gefaͤngnißgeſchichte. Wie die Sache zugegangen iſt, und was ſie fuͤr einen Aus⸗ gang gehabt hat, weis ich bis dieſen Augenblik nicht. Ich habe auf mein anderweitiges Schreiben an des Königs Majeſtaͤt und an den Magiſtrat zu Leipzig, in denen ich deklarirte, daß ich nie Potts Arretirung verlangt, und nie über Entführung meiner Tochter geklagt haͤtte, und blos um die Rüfgabe meines Eigenthums nochmals flehte noch bis jezt keine Antwort erhalten,

283 W er

Pott wurde durch feine Arretirung wüͤthend. Er ſchrieb nach Halle an den M. Rath, daß ich ſchuld an ſeinem Ungluͤk ſey und daß er ſich ſchau⸗ dernd an mir raͤchen wuͤrde. Er ließ, durch eben denſelben Freund, meiner Frau Reiſegeld anbieten und ſie einladen, nach Leipzig zu kommen und ge⸗ gen mich vor Gericht zu zeugen. Und mein gutes Weib, das ſehr an dieſem Menſchen hing, haͤtte ſich bei einem Haare bereden laſſen, wenn nicht ein redlicherer Freund von mir, es hintertrieben haͤtte.

Die nachherige Notiz, die Pott erhielt, daß ich an den Magiſtrat eine Erklarung eingeſchikt hatte, die mich offenbar von aller Schuld an ſeinem Arreſte frei ſprach, beſaͤnftigte ihn nicht. Er ſpie Feuer und Flamme und ſchrieb und ſchrie uͤberall herum: „er wolle ein Meiſterſtuͤk von Schimpf und Schande gegen mich ausgehen laſſen. Und das ſolte dann der erſte Theil meiner von ihm ge⸗ lieferten (ſogenanten) Lebensgeſchichte ſeyn.

Jezt alſo frage ich laut und vor aller Welt, ob ein ehrliebender Menſch von einem ſolchen Menſchen Seugniß gegen mich annehmen

Wu ann 284

ob ein ehrliebender Menſch dieſes ſchlecht geſchrie⸗ bene Pasquil kaufen und leſen kan?

——

Zwei und zwanzigſtes Kapitel.

Beſchlus in Aphorismen.

Waun in meiner Seele nur ein Keim von Mens ſchenhaß läge; fo müßte ich laͤngſt ein Teufel d. h. ein Feind und Haſſer der ganzen Menſchheit ſeyn. Denn ich glaube nicht, daß es viele Menſchen ge— ben wird, die ſo hohe Grade von Treuloſigkeit der Freunde und unnatuͤrlicher Schadſucht und Argliſt der Feinde erfahren haben.

Meine Feitgenoſſen mögen über mich richten. Die Nachwelt aber wird das Urtel revidiren und meinen wahren Gehalt und Werth für die Menſch⸗ heit aufs reine bringen.

——————— ——

= an 4, —— 285

Jedem ehrlichen Manne, der laut und unter ſeinem Namen mich mehr fragen will, als ich in dieſer Geſchichte geſagt habe, ſtehe ich zur Rede, wo und wann und wie er was fodert. Aber genan⸗ tem Buben und namenloſen Pasquillanten werde ich nie antworten. Wer ſich ganz rein weis, hebe den erſten Stein auf, und werfe ihn auf mich.

Wenn nicht himmelſchreiende Ungerechtigkei⸗ ten vorgehen und die Pfleger der Gerechtigkeit mir mein Eigenthum wieder geben, welches dem Pott abgenommen worden ſeyn und auf dem Leipziger Rathhauſe in Verwahrung liegen ſoll; fo werde ich eine ſehr intereſſante Samlung von Briefen nach und nach herausgeben, welche dieſe meine Geſchichte noch mehr aufklären wird.

Zu meiner Lebens geſchichte uͤberhaupt und Gefaͤngnißgeſchichte inſonderheit werden noch Nachtraͤge kommen, uͤber die man erſtaunen wird. Aber alles, ſagt Salomo, hat feine Zeit;

*

286

Dien Menſchenfreunden, welche in der Zeit der Noth, mir und meinen Kindern haben Inter: ſtuzzungen zufließen laſſen, danke ich hiermit von ganzer Seele. Ich ſehe alles als geliehen an. Komm ich einſt in beſſere Umſtaͤnde; ſo werde ichs den Armen wieder geben, fuͤr die ſie ihre Gaben

| doch eigentlich beſtimt hatten.

Ich habe, auf meinen Weinberg 2700 Thas ler Hypothek⸗Schulden. Ich habe durch Bau und andere Meliorationen, hauptſaͤchlich aber durch mein mehr als anderthalbjaͤhriges Gefaͤngniß, noch anderweit 1000 Thaler pafliva. Ich danke meinen großmuͤthigen Glaͤubigern für ihre bisherige men- ſchenfreundliche Nachſicht.

( U—v—

Ich koͤnte, zur Ehre des vernuͤnftigen Glau⸗ bens an Providenz, ſehr vieles von herrlichen und uͤbergroßen Folgen ſagen, zu denen fie meine bishe⸗ rigen Leiden mit Weisheit und Liebe geleitet hat: Aber ich zittre noch zu ſehr vor der Unmenſchlichkeit der Menſchen, die nur ſo lange mit ihren Verfol— gungen zu raſten ſcheinen als der Gegenſtand ihres

287 r

Haſſes im tiefſten Elende liegt und ihnen die Hof⸗ nung laͤßt, ihn noch verderben zu ſehn, aber auch gleich wieder die Maſchinerien ihrer Wuth in Be⸗ wegung ſezzen, wenn der Ungluͤkliche aufzuleben ſcheint. Indeſſen kan ich das einzige doch nicht verſchweigen, was ich taͤglich mit dem feurigſten

Danke gegen die Vorſehung, laut und im Stillen | preiſen muß, daß ich von dem Tage an, an wels

chem ich (als halb zerſtoͤrter Koͤrper ich hatte

noch in den lezten vierzehn Tagen beim ſchleichenden Fieber eine weiſſe Ruhr gehabt) nach Magdeburg kam, meine ganze Geſundheit wieder bekommen habe. Sieben Jahre der Kliſtirmaſchine beduͤrftig, ſehe ich fie jezt, ſeit dem sten Nov. 1789 ungebraucht in meinem Gefaͤngniſſe ſtehen. Ich weis nichts mehr von Verſtopfungen. Alle meine Seitens ſchmerzen haben aufgehoͤrt. Ich eſſe und verdaue wie ein Juͤngling. Kurz ich ſcheine, ohne mir es mit allem meinen bischen mediciniſchen Kentniſſen erklaͤren zu koͤnnen, derſelbe Mann geworden zu ſeyn, der ich vor zehn Jahren noch war.

| Geſchrieben und vollendet

d. ıften Mai, 1790.

Ver⸗

288

Verzeichniß meiner ſaͤmtlichen Schriften, in welchem verſchiedene nachgetragen ſind, wel— che mir bei Abfaſſung der Lebensgeſchichte entfallen waren.

In leipzig.

» 44 . I. D. ufu linguae arabicae ex comparatione cum hebraea. Lipf. 1758. 4.

2. De Concordia providentiae et libertatis. Ibid. 1762. 4.

3. Vitam D. Joan. Friedr. Bahrdtii carmine de- ſeripſit Carolus Fr. Bahrdt. 1762. 8.

4. 5. Der Chriſt in der Einſamkeit verbeſſert und mit neuen Abhandlungen vermehrt. 2 Baͤnde.

6. Predigten von einer Seele, die den Frieden es ſu hat. Leipzig. 1764 8.

7. Samlung von Kanzelreden über wichtige Wahr- heiten der Religion. 1764. 8.

8. Diff. de eo, an fieri poſſit, ut ſublato pontifi- cis imperio reconcilientur diſſidentes in religio- ne Chriftiani, contra luſtinum ;Febronium. Lipf. 1764.

9. Diff. in Pſalm. II.

10. Diſſ. in Pfalm. VIII.

17. Diſſ. in Pfalm, XXXVI. IV. B. f 5

12. Compendium grammatices ebraeae. 1765. 8

13. Diſſ. de locorum Vet. Teft. in novo accom- modatione orthodoxa. Lipſ. 1766. 4.

14. Programma de inelyto bibliothecae electora- lis Dresdenſis codice bibliorum ebraicorum n ma- nuſcripto. 4.

In Erf unt

33. Commentarius in Malachiam, cum exarline

critico verborum veterum et lectionum varia-

rum Houbigantii. 1767. 8. ve

16.17. Hexaplorum Origenis, quae ſuperſunt aue- tiora et emendatiora, cum notis, 1769. II. Tomi.

18. Diff, inauguralis ſuper Math. Cap. 24. 1768, 4. Meine theologiſche Doktor Diſputation.

19. 20. Verſuch eines bibliſchen Syſtems der Dog⸗ matik. Zwei Baͤnde. Erfurt und Gotha 1768. 8. (2te Auflage, Eiſenach 1758 8. ohne mein Vorwiſſen nachgedrukt).

21. Laute Wuͤnſche des ſtummen Patrioten. 1760. 8.

22. 23. Briefe uͤber die ſyſtematiſche Theologie zur e der Toleranz. Zwei Baͤnde. 1768. 1772. mer *

24. Cen der Moral: Theologle, ebend. 1768.

8. (2te Auflage ohne mein Vorwiſſen beranſtaltet |

Eiſenach 1780. gr. 8.) 25. Obfervationes criticae circa lectionem codi- eum Mss. hebr. Lipſ. 1769. 8.

\

26. Sieg der Religion über das Verderben der Menſchen, eine zu Muͤhlhauſen gehaltene Pre⸗ digt. Erfurt 1769. 8.

27. Aktenmaͤßige Gegenrelation in einem Sendfehreis ben an Herrn Prof. Schmidt. Erfurt. 1769. 8.

45 In Gießen.

28. Programma, quae vera notio vocabulis vouss; Y uαα,νt MVEUML, 80% in N. T. libris ſubjecta fit? Gieſſae. 1770: 4.

29. Vorſchlaͤge zur Aufklaͤrung und Berichtigung des Lehrbegeifs unſerer Kirche. Riga. 1770. 8.

30. Anhang zu dieſen Vorſchlaͤgen. 1773. 8.

31. Predigten, Frankf. am Mayn. 1772. 8.

32. Kritiken über die Michaeliſche Bibeluͤberſezzung. Frankf. 1773. 8.

33.34. 35.36. Die neueſten Offenbarungen Gottes in Briefen und Erzaͤhlungen. 4 Theile. Riga 1772 75: 8.

37. Entwurf einer unpartheiiſchen Kirchengeſchichte N. T. ein akademiſches Lehrbuch. Frankf. am

Mayn. 1772. 8.

38. Homiletik. Ebend. 1772. 8.

39. 40. 41. 42. Algemeine theologiſche Bibliothek. Mietau. 1774. 1773. gr. 8. 4 Bände,

43. Apparatus criticus ad formandum interpretem Vet, Teftamenti. Lipſ. 1773. 8.

T 2

291

44. Die Lehre von der Perſon und dem Amte un⸗

ſers Erloͤſers in Predigten, rein bibliſch vorgetra⸗

gen. Frankf. am Mayn. 1773. 8. 5 45. Vorreden zu des Herrn v. Gerſienberg in Er⸗

furt Verſuch, das Herz eines Religionsveraͤch⸗

ters durch Vorſtellung feines eigenen Vortheils

zu gewinnen, ebend. 1774. 46. Eden. Frankfurt. 1774.

47. Schediasma academicum, quo de theologia Ante Nicaena quaedam in medium proferuntur.

Giff. 1774. 8.

48. Programma de genuina interpretatione loci Math. V, 17. contra Zeibichianas commenta-

tiones. Gifl. 1774 4.

In Marſchlinz.

49. Philanthropiniſcher Erziehungsplan, oder vol⸗ ſtaͤndige Nachricht von dem erſten wirklichen Phi⸗ lanthropin zu Marſchlinz. Frankf. am Mayn. 1775. 8.

Duͤrkheim an der Haard. 50. 51. Die neueſten Offenbarungen Gottes. 2te

Ausgabe. Frankenthal. 777. Zwei Bände ing.

52. Erſte Nachricht an das Publikum von Errich⸗ tung des Leiningiſchen Erziehungshauſes, oder

dem wirklichen dritten Philanthropin auf dem

Hocgräfl. Schloſſe zu Heidesheim im Oberrhei⸗ niſ chen Kreis. 1776. 8.

4 8 BER Zu DE ˙.A a ne U En u

* i I e 292

53. Zweite Nachricht. 1777. 8.

54. Litterariſches Korreſpondenz- und Intelligenz—

blatt. Heidesheim. 1776.

55. Paͤdagogiſches Wochenblatt. Heidesheim.

| 1778. 8.

56. Glaubensbekentniß, veranlaſſet durch ein kai⸗ ſerl. Reichshofraths Konkluſium. (Berlin) 1779. 8.

Halle.

57. Kurze Erklarung über Herrn D. Semlers Ants wort auf das Bahrdtiſche Glaubensbekentniß. Berlin. 1779. 8.

58. Die kleine Bibel. Berlin. 1780. gr. 8.

59. Apologie der Vernunft, durch Gruͤnde der Schrift unterſtuͤzt, in Bezug auf die chriſtliche Verſoͤhnungslehre. Herrn D. Seiler zugeeignet. Bafel. 1780. 8. 2

60. Verſuch uͤber die Beredſamkeit, nur fuͤr meine Zuhoͤrer beſtimt. Halle. 1780. 8. 2te Auflage. Deſſau. 1782. 8.

61. Des Tacitus Annalen ıtes und 2tes Buch; ein Probeſtuͤk für Kenner. Ebend. 780. 8.

62. 63. Tacitus uͤberſezt. Zwei Baͤnde. Ebend. 1781. 8.

64. Juvenals Satyren, in einer metriſchen Ueber⸗ ſezzung. Deſſau. 1781. 8.

T 3

*

65. Briefe uͤber die Bibel im Volkston, eine Wo⸗ chenſchrift. Halle. 1782. 6 Quartale in 8.

66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73.74. 75. Ausführung

des Plans und Zweks Jeſu in Briefen an Wahr⸗

heit ſuchende Leſer. Berlin. 1783 bis 1785. 10 Baͤndchen. Es iſt die Fortſezzung der Briefe uͤber die Bibel. K |

76. Gedichte dieſes Naturaliſten. Halle. 1786.

77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. Magazin für Pre⸗ diger, oder Samlung neu ausgearbeiteter Pre⸗ digt⸗Entwuͤrfe über die Sonn- und Feſttaͤglichen Evangelien und Epiſteln, fo wie über freie Texte auf Caſualfaͤlle. Zuͤllichau. 1782 bis 88. acht Bande. /

85. Inftitationes 1 1782.

7

86, Inftitutiones Metaphyſices. 1782.

87. 88. Das Reue Teſtament, oder die neueſten Belehrungen Gottes durch Jeſum und ſeine Apo⸗ ſtel. Mit Anmerkungen fuͤr Ungelehrte. Berlin 1783. Zwei Bände in 8. Es iſt die zie Aufla⸗ ge der neueſten Offenbarungen Gottes.

* 10

89. Rhetorik für geiſtliche Redner. Halle 1785. 8,

ge. Appellation an das Publikum wegen einer Cen⸗

ſur⸗ Bedruͤkkung, das theologiſche Syſtem be⸗ treffend. 1785. 8.

*

W

Hr. Abgedrungene Replik auf die Erklarung der theologiſchen Fakultat zu Halle. Berlin. 1785. 8.

92. Ueber das theologiſche Studium auf Unioerſi— täten. Ebend. 1785. 8. an des koͤnigl. Etats; miniſters v. Zedliz Exellenz.

93. Syſtema theologiae Lutheranae orthodoxum, cum brevi notatione diſſenſionum recentiorum. Halae. 1785. 8.

94. Kirchen und Kezzeralmanach auf das Jahr 1782. Hereſiopel.

95. Griechiſch deutſches Lexikon über das Neue Te— ſtament, nebſt einem Regiſter über Luthers deut⸗ ſche Bibel, welches auch Ungelehrte in den Stand ſezt, das Woͤrterbuch zu gebrauchen, und ih - über Dunkelheiten der deutſchen Bibel Raths zu erholen. Berlin. 1786. gr. 8.

96. Standrede am Sarge des weiland hochwuͤrdi⸗ gen und hochgelahrten Herrn Johann Melchior Goͤzze, gehalten von dem Kanonikus Ziegra.

Hamburg. 1786. 8.

97. Neue Litteraturbriefe rſter Band. Berlin. 1786. 8.

98. Chriſtliches Sittenbuch fürs Geſinde, worin demſelben eine Anleitung gegeben wird, ſich durch treue Beobachtung feiner Pflichten gluͤklich zu machen, und feinen Stand zu erleichtern, nebſt Anzeige eines ahr wirkſamen Mittels für Herrſchaften, gutes und getreues Geſinde zu be

kommen. Ebend. 1786. 8. 5

T 4

295 .

99. Saͤmtliche Reden Jeſu, aus den vier Evange⸗ liſten geſammelt, und ſo geſtellet, daß man das achte vehrgebaͤude uͤberſehen und mit der eigent⸗ lichen Religion Jeſu ſich bekant machen kan. Ebend. 1787. 8. Zwei Theile.

100. Ueber den Zwek der Erziehung. (In der von Hrn. Campe veranſtalteten algemeinen Reviſion des geſamten Schul = und Erziehungsweſen. L Th. 1787.)

101. An den Prof. Voigt in Quedlinburg. 1787. Von Caſimir Lauge.

102. 103. Syſtem der moraliſchen Religion. Zur endlichen Beruhigung fuͤr Zweifler und Denker. Zwei Baͤnde. Berlin. 1787. 8.

104. Ueber Preßfreiheit und deren Graͤnzen. Zur Beherzigung für Regenten, Cenſoren und Schrift⸗ ſteller. Zuͤllichau. 1787. 8.

105. Kirchen- und Kezzeralmanach. Zweites Quin⸗ quennium. Gibeon, bei Kaspar Lauge. 1787. 8.

106. 107. 108, Analytiſche Erklaͤrung aller Briefe der Apoſtel Jeſu. 3 Bände. Berlin. 1787 89.8.

109 Zamor, oder der Mann aus dem Monde. Kein bloßer Roman. Ebend. 1787. 8.

110. Ueber Aufflärung. Leipzig. 1788.

* | * 296. Im Gefaͤngniſſe. 111. Sittenbuch fuͤr den Buͤrger. Halle. 1789. 8. 112. Alvaro und Fimenes. Halle. 1790, 8. 113. Geſchichte meines Gefaͤngniſſes nebſt Nach:

richten von der deutſchen Union und einigen noch ungedrukten Urkunden derſelben. Berlin. 1790. 8.

114. Ala Lama, oder der Koͤnig unter den Schaͤ— fern. Auch ein goldner Spiegel. Halle. 1790. 8.

115. 116. 117. 118. Lebensgeſchichte. Berlin. 1790. 4 Bände,

119. Mit dem Ritter von Zimmermann deutſch geſprochen. Berlin. 1790.

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120. Katechismus der natuͤrlichen Religion. Halle. 1790. 8.

121. Sonnenklare Unzertrennlichkeit der Religion und Moral, gegen den Verfaſſer des himmels weiten Unterſchiedes derſelben. Halle. 179 r. 8.

122. Zimmermanns Auferſtehung von den Todten. Halle. 1791. 8.

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123. Auszug aus Luthers Tiſchreden, mit Anmer⸗ kungen. Halle. 1791. 8. 1

124 125. Ausführung des Plans und Zweks Je⸗ fu. Tites und 12tes Baͤndchen. Berlin. 1791. 8.

| 126. Prüfung der Schrift des Hofraths Roͤnnberg uͤber ſymboliſche Buͤcher in Beziehung aufs Staatsrecht. Halle. 1791. 8.

In allen Buchhandlungen ſind zu haben:

Regengolz, J. W. von, Kleine hiftoeifgpe Schrif⸗ ten. ıjtee Band. 8.

Bahrdt, D. C. F. Syſtem der moraliſchen Religion zur endlichen Beruhigung für Zweifler und Den— ker. 2 Baͤnde. Dritte verbeſſerte und gaͤnzlich umgearbeiteie Auflage. gr. 8.

Briefe einer Curländerin auf einer Reife durch Deutſchland. 2 Theile mit einem Kupfer von Chodowiecky. 8.

Kleiſt, Fr. von, Graf Peter der Daͤne, ein hiſtori⸗ 50 Gemaͤhlde. 8. mit einem Titelkupfer von ips.

Ueber die eigenthuͤmlichen Vollkommenhei⸗ ten des preußiſchen Heeres. 8

Hohe Ausſichten der Liebe. 2te verbeſſerte Auflage, mit einem Kupfer von Lips. gr. 8.

Krauſe, E. W. Agende fuͤr Prediger von allen geiſt⸗ lichen Kirchenpartheien. gr. 8.

Magazin fuͤr die Geographie und Statiſtik der Koͤ⸗ nigl. preußiſchen Staaten. Herausgegeben von Herzberg. ten Bandes ıtıs Stuͤk. gr. 8.

Monatsſchrift, deutſche, fürs Jahr 1791. ites bis 90 Stuͤk. gr. 8. mit Kupfern.

Pyl, D. J. T. Repertorium für die bse und

gerichtſi ne eee aten Bandes | ates Stüf. gr. 8. |

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