Mf (Sf (Jrfi
UNIVI. !-i.ü i '
■ i -v.v:': l ! F.Ai-0
<4/$ (tfy (f/f>
E3 r— \
i
k
GESTALTWANDEL DER GÖTTER
LEOPOLD ZIEGLER
GESTALTWANDEL DER GÖTTER
DRITTE AUFLAGE
ZWEITER BAND
DARMSTADT 1922 OTTO REICHLVERLAG
DRUCK DER SPAMERSCHEN BUCHDRUCKEREI
IN LEIPZIG
ALLE RECHTE VORBEHALTEN,
BESONDERS DAS DER ÜBERSETZUNG
COPYRIGHT 1922 BY OTTO REICHL VERLAG
IN DARMSTADT
Gt
FÜNFTE BETRACHTUNG
DER MYTHOS ATHEOS DER WISSEN.
SCHÄFTEN
Zur Vorbeugung von Mißverständnissen sei kurz er* wähnt, daß der im Mythos Atheos der Wissenschaften erörterte Weltbegriff der Mechanik ausschließlich auf der sogenannt klassischen Mechanik fußt, wie das bei der Anlage des Ganzen ja nicht anders sein kann. Die Krisis, in welche Einsteins Gesetz heute das media* nischsmaschinelle Denken stürzte, ist unberücksichtigt geblieben. Als mathematische Vision einer Weltwirk* lichkeit, die durch riemannsche Geometrien gedanklich beherrscht wird, weist die Theorie Einsteins in eine Zukunft, die kaum jemand heute schon übersehen können wird, — wenn anders diese Zukunft nicht über* haupt auf eine perspektivische Irrung der Gegenwart hinausläuft . . . Auf jeden Fall werden durch Einsteins Gesetz die hier von der klassischen Mechanik aufge* worfenen Erkenntnisfragen, die ihrerseit ganz wesent* lieh mit letzten und ersten religiösen Fragen zusammen* hängen, weder im mindesten berührt noch gar gegen* standlos gemacht . . .
DIE WELT ALS MASCHINE
\ lies in alles gerechnet, besteht die folgenwichtigste Ent* iTx. Scheidung der deutschen Reformation doch vielleicht darin, aus dem weit* und vielsinnigen Zusammenhang mittelalterlicher Religiosität die Bestandteile hellenistisch* intellektualistischen Ursprungs (dem Grundstoff einer chemischen Verbindung vergleichbar) herausgefällt und den Glauben zumindest der mittel* und nordeuropäischen Menschheit noch einmal auf den paulinischen Mythos ver* pflichtet zu haben. Der griechische Einschlag des Christen* tums wird ausgeschieden, der jüdische (wohlverstanden nicht der .israelitische') behauptet und verstärkt, und so unerfreulich einen dieser Umstand nachträglich bedünken mag, ist er doch zu seiner Zeit nicht unbegründet gewesen als eine dringend erforderliche Vereinfachung und Ver* wesentlichung einer allzu verwickelten Heilslehre und Heils* Übung. Derartige Zeitalter überwiegender Vereinfachung pflegen mit einer gewissen Regelmäßigkeit in der Geschichte die Zeitalter einer überwiegenden Vermannigfachung ab* zulösen, und da der Verstand immer dazu neigt zu ver* schränken und zu verschwierigen, mußte es auch hier dem Bedürfnis des Gemüts vorbehalten sein, die religiösen Ver* hältnisse innerhalb des Christentums auf eine übersichtliche Grundgestalt zurückzuführen. Bezeichnen wir die mittel* alterliche Scholastik ganz allgemein als die angestrebte Ver* wissenschaftlichung des Dogmas, das Dogma aber schon als eine Verwissenschaftlichung des Mythos, so sind wir unbestreitbar dazu befugt, jene eine Verwissenschaftlichung in zweiter Potenz zu nennen: von Luther zuvörderst auf die erste, dann auf die nullste Potenz herabgesetzt, indem er aus der Scholastik zunächst das eigentliche Dogma, aus diesem aber sofort den urtümlichen Mythos säuberlich und
473
glatt herauszuschälen sich gedrungen fühlt. Diese Zurück* bringung der christlichen Frömmigkeit auf den Mythos ist gewiß nicht die einzige Möglichkeit einer Vereinfachung des religiösen Lebens gewesen, die man sich vorstellen kann, denn wir sind uns ja seither anderer evangelischer Möglich» keiten bewußt geworden, die den Mythos des Paulus weniger voraussetzen als ihm vielmehr widersprechen. Aber für Luther selbst, der in vielen und bestimmenden Zügen eine bemerkenswerte Hingezogenheit zu der religiösen Welt der Semiten erkennen läßt und menschlich öfters geradezu wie eine Wiederverkörperung, Wiederverpersönlichung des Paulus oder des Augustinus anmutet, hat wohl in der Tat kaum eine andere Wahl bestanden. Für eine kurze Frist scheint mithin das Christentum noch einmal als der schlichte und doch so anspruchsvolle Glaube an den Mittlergott Jesus den Nazoräer aufleben zu können, entbürdet von allen Bürden aristotelischer und neuplatonischer, arabischer und westeuropäischer Spekulation, ein simples Zutrauen in das Gotteswort, wie es die Schrift (zufolge der Auslegung des Paulus) bewahrt und übermittelt.
Welches nun die auffallendsten Wirkungen des noch einmal verselbständigten evangelischen Mythos in der deutschen Reformation gewesen seien, ward zuletzt hier, wenn auch einigermaßen im Stil des al fresco, zu um* reißen versucht. Wie sich aber die immerhin beträchtlich entwickelte wissenschaftliche Gesinnung des Abendlandes mit dieser gewaltsamen Abschnürung von der allgemeinen Heilslehre abfinden würde, dies bleibt im bisherigen durchs aus unerwähnt und bildet in Wahrheit ein Kapitel für sich. Denn einen guten Teil ihrer ehemaligen Spannkräfte, die ihr nach dem Zusammenbruch des hellenistischen Alter= tums verloren gegangen waren, hatten die Wissenschaften offenbar durch ihre seltsame Paarung mit dem christlichen
474
Mythos zurückgewonnen, und die Vermutung ist erlaubt, daß die europäische Wissenschaftlichkeit des Mittelalters der Glaubensinbrunst der Zeit ebensoviel verdankt wie — diese ihr. Es ist richtig: in manchem Betracht tritt schon damals die Unvereinbarkeit religiösen und philosophischen Erkenntniswillens grell und abschreckend zutag. Aber fürs erste weiß man sich zu helfen. Weil ja Gott die Wahrheit und die Wahrheit Gott ist, müssen Wissen und Glauben stets in dieselben Gewißheiten einmünden. Die Lehre von der doppelten Wahrheit, oftmals mit wenig angebrachtem Takt und Eifer als Beispiel für die innerliche Unwahrhaftig= keit des mittelalterlichen Menschen verächtlich gemacht, er- weist sich im Gegenteil von dieser Voraussetzung aus als die völlig aufrichtige Anerkenntnis eines vorgefundenen Sachverhaltes. Das Wort der Schrift offenbart Gott, offen* bart folglich die Wahrheit; die menschliche Wissenschaft hingegen offenbart die Wahrheit, offenbart folglich Gott. Wenn dabei etwas nicht ganz geheuer aussah, so war dies zwar unheimlich und beängstigend genug, konnte aber von sich aus immer noch keinen Zweifel an der grundsätzlichen Übereinstimmung des theologischen und des szientifischen Wahrheitbegriffes hervorrufen. Erst indem Luther den Christenmenschen ausschließlich und starrsinnig auf den Buchstaben des biblischen Berichtes verweist und die Be* tätigung der Vernunft auf die richtige Auslegung des Wortes einschränkt; erst indem er vom Dogma eigentlich nur noch den Mythos übrig läßt, den er freilich gar nicht als Mythos, sondern schlechterdings als Historie geltend gemacht haben möchte; erst indem er alle Erkenntnisweisen und Forschung* arten, die nicht dem Evangelium zu dienen sich bescheiden wollen oder können, mehr oder weniger als überflüssig, so* gar als schädlich ablehnt: erst jetzt gerät der geistige Eni* deckertrieb in eine Krisis von wirklich seltener Schärfe.
475
Nicht mehr dazu berufen, die Enge des offenbarten Wortes durch eigene Gedanken zu erweitern, die Auffassungen vom Seelenheil zu deren eigenem Vorteil im Fluß zu erhalten, muß sich die Wissenschaft notwendig zwecks und stellenlos vorkommen. Und wieweit diese Empfindung in den ersten Zeiten nach Luthers Auftritt tatsächlich um sich gegriffen haben mochte, wird aus der beklagenswerten Verödung der deutschen Hochschulen in jenen Jahren sehr bemerklich. Wozu Gelehrsamkeit erwerben, wozu Verstandeskräfte üben, wozu Wissenschaften pflegen, wenn doch ein für alle mal der biblische Buchstabe die einfache Wahrheit völlig er= schöpft, für eine doppelte nicht den mindesten Spielraum mehr gewährend !
In dieser Not, welche vorübergehend die europäische Wissenschaftlichkeit noch einmal ernsthaft in Frage stellt, geschieht indessen zweierlei. Erstlich gelingt es nämlich auch Luthern nicht, eine endgültige Trennung des Mythos vom Dogma durchzusetzen. Auch das verjüngte und wieder verjudete Evangelium der Reformation kristallisiert sich bald zu einem neuen Dogma, und zwar überwiegend aus denselben Gründen, welche einstmals die urchristliche Froh- botschaft dogmatisiert hatten. Damals wie jetzt erzwingt die Verpflichtung zur Verteidigung der erworbenen Glau* benslehre ohne weiteres einen dauernden Bezug auf die Vernunft und ihre Gewißheiten : überall wohl werden ja Dogmen weniger aus einer seelischen Notwendigkeit heraus erschaffen, als daß sie zufällig entstehen als Erzeugnis der Polemik und Apologie. Solang das religiöse Bewußtsein nicht auf jede Art von Beweisführung, Bewahrheitung, Be= gründung seines Glaubens stolz und bescheiden zugleich verzichtet, wird der Glaube stets auch dort dogmatisch ver* krusten, wo er mythologisch, wo er kritisch begonnen hat. Solchermaßen entsteht aus der lutherischen Erneuerung
476
des evangelischen Christglaubens die protestantische Theo? logie, und binnen kurzem weiß der deutsche Reformator einen großen und auserlesenen Stab wissenschaftlicher Hilfst arbeiter zu versammeln, damit sich die in Bildung begriffene Kirche, oder besser die in Bildung begriffenen Kirchen ihrer befestigten Gewißheiten bedienen möchten. Neben denselben Martin Luther, der schließlich den umbuhlten Führer des schon wieder abwelkenden Humanismus als einen aristophanischen oder lukianischen Freigeist mit der grimmigen Wildheit des nordischen Berserkers, des islän- dischen Bärenhäuters der Saga anfällt, — wie sehr er mit dieser vermeintlichen Beschimpfung den wirklich freien Geist Erasmi Rotterdami ehrte, entging ihm leider durch= aus! — neben diesen Luther tritt in vielsagender Symbolik das mehr wie zahme erasmische Hutzelmännlein mit der ganzen Ängstlichkeit, Menschenfurchtsamkeit, Zweideutig- keit, Zappeligkeit.Unentschiedenheit des geborenen Bücher= wurms und Stubenhockers, um im Gedächtnis langer Jahr* hunderte als der Sancho Pansa der Reformation eifrig theo= logisierend auf dem Esel nebenher zu reiten . . .
Unverhältnismäßig wichtiger aber wie diese teilweise Wiederherstellung der Wissenschaft zu Gunsten einer bes nötigten protestantischen Theologie ist eine zweite hier an« zuführende Auswirkung der Reformation geworden. Ich meine die, daß gerade durch die ursprünglich streng ge? handhabte Ablösung der Wissenschaften vom evangelischen Bekenntnis jene sehr rasch nach Überwindung ihres toten Punktes eine unerwartet wunderbare Belebung erfuhren, um schon rund ein Jahrhundert nach dem Reichstag zu Worms alle ihre Leistungen in einer dogmatisch eingeengten Vergangenheit auf Nichtmehrwiedersehen hinter sich zurück zu lassen. Auch hierbei gehört es zu den ebenso rätselhaften wie fruchtbaren Widersprüchen in Luthers eigener Person,
477
denselben Wissenschaften unendliche Fortschrittmöglichs keiten bereitet zu haben, die er folgerichtigerweise als die Bastarde der Teufelshure Vernunft hätte verfolgen und aus= rotten müssen. In seinem auch heut noch zündenden pro= grammatischen Entwurf einer Reformation der gesamten teutschen Nation an Haupt und Gliedern findet man be- kanntlich auch den Plan einer Neugestaltung der Hoch- schulen wohl erwogen, dessen hauptsächliche Forderungen für die philosophische Fakultät darin bestehen, den scho* lastischen Betrieb tunlichst einzuschränken, damit für die humanistischen, historischen und mathematischen Diszi= plinen mit vermehrtem Eifer eingetreten werden könnte. Eine Blüte dieser Wissenszweige womöglich herbeizuführen, war ihm merkwürdigerweis ein aufrichtiges Bedürfnis, wälv rend er sogar von philosopho die Bücher der Logik, Rhe= torik und Poetik als nützlich empfahl, ,um junge Leute zu üben im Wohlreden und Predigen*. Wie man weiß, hat Luther dann bei der Ausgestaltung der von Friedrich dem Weisen gestifteten Hochschule wirklich seinen erstarkenden Einfluß ganz im Sinn dieses Entwurfes geltend gemacht und damit einer Neuordnung deutscher Bildunganstalten, die ihm ja auch in anderer Hinsicht Unsägliches verdanken, dort vorgearbeitet, wo er zunächst als rücksichtloser Zer= störer eingegriffen hatte. Von den humanistischen, nisto* rischen, mathematischen Disziplinen aber, die er bevorzugt haben möchte, nimmt jetzt eine Entwicklung ihren Aus* gang, die ohne Übertriebenheit mit der Entwicklung in Griechenland, fünftes Jahrhundert vor Christi Geburt, ver* glichen werden darf, allwo eine szientifische Erkenntnis zum ersten mal in Europa von der mythischen geschieden wird und wo mithin die ungeheure Tatsache ins Dasein tritt, die als abendländische Wissenschaft nicht mehr aus unserem Welterleben getilgt werden kann. Jetzt wird die Wissen*
478
schaft fast nach allen Richtungen hin zum zweiten mal er* funden, zum zweiten mal entdeckt, und die vom religiösen Mythos losgetrennte Forschung kann nach der Reformation eine völlig veränderte Gestalt als die Scholastik des Mittel* alters annehmen, —ja sie kann in unseren Augen überhaupt erst jetzt die Freiheit besitzen, sich zu dem auszuwachsen, was wir selbst als Wissenschaft anerkennen. Ein zunehmend enttheologisiertes Wissen mit vollkommen selbständigem Untersuchung* und Beobachtungverfahren verdrängt mit Schnelligkeit die ganze ehemalige Dogmatik und Scholastik, und diese Tatsache ist geeignet, das religiöse Leben des Abendlandes in der Tiefe und in der Breite mit so viel zwingender Bestimmtheit abzuändern, daß wir zu dieser szientifischen Entstehung schlechterdings aufs klarste Stel* lung nehmen müssen.
Keineswegs hebt freilich diese vom Mythos des Christen* tums wie vom Mythos des Protestantismus gleichermaßen abgelöste Bewegung der modernen Wissenschaften damit an, sich etwa auf die von Luther begünstigten Forschung* gebiete der philosophischen Fakultät zu erstrecken. Die philologisch*humanistischen Studien erweitern gewißlich aufs bedeutendste ihren alten Stoff kreis; gewiß beginnt sich im Zusammenhang mit diesen und ähnlichen Studien ein Verständnis für Historie allmählich einzustellen. Aber was will dies besagen gegen die märchenhafte Anspannung der mathematisch*physikalischen Erkenntnis, durch welche mit beängstigender Raschheit die Lebensführung und Welt= betrachtung des Europäers sinnfälliger umgewandelt wird als durch alle sonstigen Veränderungen, durch welche der Mensch mit seinem Gesicht von heute in Erscheinung zu treten befähigt worden ist. Hart nach der gesellschaftlichen Umwälzung, die mit dem Protestantismus Platz greift und in engster Verknüpfung mit ihm ereignet sich eine zweite
479
Umwälzung, die von der Geburt der modernen Mechanik datiert: und noch heute könnte man billig in Streit geraten, welche von beiden Umwälzungen die wirksamere gewesen sei. Ein Umstand von hoher Einfachheit und Selbstverständ* lichkeit verursacht es fast von einem Tag zum anderen, daß sich der Abendländer als Herr des natürlichen Geschehens fühlen darf, und zwar darum, weil einigen stillen Gelehrten die Anwendbarkeit der euklidischen Geometrie des ebenen Raumes auf Vorgänge der Wirklichkeit über jeden Zweifel sicherzustellen gelingt. Zuerst werden die Bewegungen der Himmelskörper kinetisch, bald darauf aber etliche Ver= änderungen der Lagen irdischer Massen mechanisch durch ein paar mathematische Operationen von nicht ungemeiner Art gedanklich beherrscht. Eine Wende von beispiellosem weltgeschichtlichem Pathos wird eingeleitet durch den sim* peln Vorgang, daß gewisse Ausschnitte der sinnlichen Ge* gebenheiten des Bewußtseins offenkundig einer Geometrie sierung zugänglich sind, und von dieser, von keiner anderen Einsicht sonst, datiert die Exaktheit unserer Physik. Dabei haben wir vielleicht die Aufstellung der Fallgesetze durch Galileo Galilei aus doppeltem Grunde höher zu bewerten als die kopernikanische und die keplersche Grundlegung der Mechanik des Himmels. Denn einmal bleibt die Kennt* nisnahme der astronomischen Vorgänge bis zur vollenden* den Entdeckung Isaak Newtons auf bloß astrale Bewegungen eingeschränkt, deren eigentlich mechanisches Verständnis sogar nach der Einführung des Begriffes der Massenan* Ziehung noch reichlich problematisch erscheint, während die tellurischen Bewegungen des freien Falls, der schiefen Ebene, des elastischen und unelastischen Stoßes immerhin ohne ausdrückliche Annahme von Fernkräften mechanisch deutbar werden. Zweitens greifen die Folgen dieser tellu* rischen Physik sofort ins unmittelbar tätige Leben des Ein*
480
zelnen und der Gesellschaft ein, indes die moderne Astro* nomie zwar endlich mit den ebenso poetischen wie phan= tastischen Vorstellungen babylonischer, platonischer, aristo* telischer, neuplatonischer, ptolemäischer Überlieferungen bricht, die menschliche Einbildungkraft, bisher im End* liehen heimisch und heimelig gewesen, ins Unendliche hinausstößt und sie durch denselben Überschwung oder Überschwang auf der einen Seite nicht minder aufregt und berauscht, wie durch die erzwungene Preisgabe auf religiöse Wünsche und Hoffnungen ernüchtert; — jedoch im großen und ganzen doch nur theoretisch zurechtweist, aufklärt und erweitert, ohne praktisch auch nur annähernd im Maße der tellurischen Mechanik zu befruchten, zu erneuern, umzu* wandeln.
Von jener tellurischen Mechanik also, deren Aufstellung wir für folgenwichtiger noch erachten dürfen, ja müssen als die kopernikanische Errichtung des neuen astronomischen Systems, sagt ihr Urheber — er selber übrigens bei weitem nicht bloß Zeitgenosse der Kepler und Tycho Brahe, viel= mehr durchaus einer der eminentesten Vertreter der klas* sischen Astronomie des siebzehnten Jahrhunderts durch seine Entdeckung der Jupiter^Trabanten, durch seine Be- obachtung des dreigestaltigen Adspekts des Saturn (planeta frigemistus), durch seine Feststellung der Sonnenflecke und endlich durch seine Wahrnehmung des Gestaltwechsels der Venus: alles das in denkwürdigen zwei Jahren in Erfahrung gebracht, nachdem er zufällig bei einem venezianischen Aufenthalt von einer großartigen in Holland gemachten Erfindung hatte fabeln hören und sich nach diesen spar* liehen Andeutungen selbsttätig eine Fernröhre ersonnen hatte 1 — von jener tellurischen Mechanik sagt also ihr Ur* heber, gleichzeitig einer der erfolgreichsten Erweiterer der cölestischen Mechanik, mit großem Rechte aus, daß sie
31 Ziegler, Gestalt wandel der Götter 481
nichts anderes sei als angewandte Geometrie. Die Wahrheit dieser grundsätzlichen Behauptung ist auch heute noch nicht ernstlich erschüttert, etwa weil gegenwärtig die von Galilei aufgefundenen Gesetze für die Bewegungen sichtbarer Massen im Raum nicht mehr durch die etwas plumpen Pro* portionen der euklidischen Geometrie, sondern durch ana* lytische Gleichungen von größerer Leichtigkeit ausgedrückt zu werden pflegen. Immer beruht die sogenannte Exaktheit des Gedankens auf dem erprobten Gebrauch, raumzeitliches Geschehen in seine einzelnen Momente begrifflich zu zer= legen und zwischen ihnen eine mathematische, heißt das eine in zähl* oder meßbaren Werten auszudrückende Be* Ziehung herzustellen. Mit Genauigkeit und Strenge ver* wirklicht damit der selbständigste Platoniker der neueren Zeit eine Bestrebung, welche sicherlich dem Stifter des Pia* tonismus vor Jahrtausenden selbst vorgeschwebt hat, wenn er im Timaios ausdrücklich die (physikalische) Zeit dem geometrischen Schema der Planeten gleich setzt: kaum etwas anderes scheint wenigstens meines Dafürhaltens Galileo Galilei getan zu haben, wofern er tatsächlich Zeiten, Ge* schwindigkeiten, Bewegungarten in geometrischen Strecken symbolisch darstellt und auf solche Weise der Geometrie ein unübersehbar ausgebreitetes Gebiet zur Anwendung aufschließt. Jetzt kann man grundsätzlich durch eine Auf* Stellung geeigneter Gleichungen alle Lagen eindeutig fest* legen, die ein körperliches Gebilde zu jeder beliebigen Zeit im Raum einnimmt, und nebst den Lagen kann man die Geschwindigkeit bestimmen, mit welcher sich dasselbe Ge* bilde im Raum bewegt. Oder falls wir den nämlichen Sach* verhalt mit den gebräuchlichen Begriffen der Mechanik allgemein bezeichnen wollen: jede Verrückung materieller Punkte aus einer Lage in die andere erscheint von nun an darstellbar durch Angabe ihrer rechtwinklich*geradlinigen
482
Koordinaten in bezug auf ein System ruhender Achsen.
Was Galilei für den freien Fall, den Wurf, die schiefe Ebene
leistet, ist im wesentlichen für alle räumlichen Veränderung
gen beweglicher Massen des Himmels und der Erde zu
leisten. Die Geometrisierung einer einzigen Bewegung ma*
terieller Punkte, die Zerlegung in ihre aufzeigbaren Mo*
mente, räumliche Lage und Geschwindigkeitzuwachs in der
Zeit, die Errichtung einer geeigneten Gleichung zwischen
diesen einzelnen Momenten bewirkt in der Folge nicht nur
eine beispiellose Bereicherung unserer Kenntnis von der
Natur, sondern auch eine erste Möglichkeit zuverlässiger
begrifflicher Meisterung derselben. Mit Galilei tagt zum
ersten mal auf unserem Planeten der Europäer von spezi*
fischer Modernität, der gleichsam als ein umgekehrter
Hamlet (und doch kein bloßer Fortinbras) nicht an der
irdischen Wirklichkeit mehr zuschanden wird, sondern die
gedanklichen Handhaben entdeckt, die Wirklichkeit geistig
zu meistern und zu bezwingen. In ihm hat man den eigent*
liehen Bahnbrecher zur exakten, zur induktiven Methode
zu verehren, — bei weitem nicht in jenem englischen, ihm
zwar als Beobachter innerlich verwandten , aber der Mathe*
matik mit Entschiedenheit abgeneigten Baco von Verulam:
was nach Christoph Sigwarts vortrefflicher Darlegung über
des letzteren methodische Grundabsichten endlich einmal
anerkannt sein und bleiben sollte. Wo fortan überhaupt
Bewegungen sichtbarer Massen wahrzunehmen sind, da
kann auch ihre mathematisch*logische Entsprechung mittels
ihrer Bedingunggleichungen aufgesucht und gefunden wer*
den, und für die gesamte spätere Physik handelt es sich
zuletzt nur darum, womöglich alle Vorgänge der Natur in
Bewegungen aufzulösen, selbst wenn sie sich dem unmittel*
baren Erlebnis durchaus nicht als solche zu erkennen geben.
Wo also Bewegung in Raum und Zeit stattfindet, sei es
31* 483
sichtbare, sei es unsichtbare, ist sie grundsätzlich für den menschlichen Gedanken solang beherrschbar, als sie sich der Geometrisierung irgendwie zugänglich erweist, — wo* bei allerdings die Frage offen bleibt, ob dieser Geometrie sierung nicht doch bei gewissen Arten natürlicher Bewegung eine Grenze gesetzt sei: eine Grenze folglich auch der mechanischen Darstellung und der physikalischen Er* kenntnis . . .
Bevor wir uns jedoch dieser geargwöhnten Grenze gedankt licher Naturbeherrschung anzunähern getrauen, sei uns noch ein voller Blick rückwärts verstattet nach dem oben ange= führten Ausspruch Galileis hin, Mechanik sei nichts anderes als angewandte Geometrie. Denn hinter dieser so harmlos hingesagten Äußerung des Rinascimento*Platonikers dürfte ein Problem von großer Tragweite zu erahnen sein, ja wahr* scheinlich sogar das grundlegende Problem der europäischen Wissenschaftlichkeit überhaupt. Schon die Anwendbar* keit der Geometrie auf etwas, das selbst nicht mehr Geo* metrie ist, deutet darauf, daß die von ihr entwickelten Be* Ziehungen und Gesetze eines Raumes, der seine Merkmale und Bestimmungen ausschließlich, man merke wohl aus* schließlich! aus ihren eigenen Definitionen und Axiomen herleitet, auch vor unserem gegebenen Wahrnehmungraum ihre Geltung keineswegs verlieren, wiewohl er seine Merk* male und Bestimmungen aus dem Erlebnis einer sichtbaren und tastbaren Wirklichkeit gewinnt. Unserer räumlichen Erlebniswirklichkeit entsprechen mithin seltsamerweise die von jeder Erlebniswirklichkeit unabhängig gewonnenen Beziehungen und Gleichungen einer geometrischen Raum* Vorstellung a priori Zug für Zug, und diese gewaltige Tat* sache dürfen wir allgemeingültig so aussprechen, daß von der Erlebniswirklichkeit unabhängig aufgestellte Erkennt* nisse gewissen Erfahrungen der Erlebniswirklichkeit den*
484
noch gedanklich untergelegt werden können. Oder mit etwas anderen Worten : daß Erfahrungen der Erlebniswirk* lichkeit durch Erkenntnisse, Urteile, Ergebnisse, Gleichun* gen, die auf keine Weise der Erlebniswirklichkeit ent= nommen sind, dennoch mit mathematischer Genauigkeit und logischer Gewißheit darstellbar erscheinen! Vorstellung gen, die wir wie die geometrischen offenbar nur aus den Voraussetzungen unserer Vernunft geschöpft haben, finden wir nachträglich und überraschend einem Bezirk ihrer Gültigkeit zugeordnet, welcher sich völlig außerhalb dieser Voraussetzungen erstreckt. In diesem Tatbestand, der wie kein zweiter die moderne Naturerkenntnis überhaupt erst möglich macht, stoßen wir mithin noch einmal und aber* mals in einer neuen Bedeutung auf das uralte aristotelische Problem des Proteron oder des Früheren, dessen sich, wir wissen es zur Genüge, die mittelalterliche Philosophie seiner* zeit unter dem berühmt*berüchtigten Terminus des a priori bemächtigt hatte. Die Merkmale des ebenen Raumes der euklidischen Geometrie sind derart im Verhältnis zu den Merkmalen des ebenen Raumes unserer Erlebniswirklich* keit ein Früheres, Unabhängiges, Selbstherrliches, Selbst* gewisses, weil sie in keinerlei Betracht zu ihrer Wissenschaft = liehen Entwicklung dieses Erfahrungraumes bedürfen. Und nicht trotz, vielmehr wegen dieser Apriorität tritt eine An= wendbarkeit des .Früheren' auf das »Spätere* in Kraft, will heißen eine Anwendbarkeit der euklidischen Definitionen und Axiome auf den vorgefundenen Tast* und Gesichts« räum unseres Bewußtseins. Welch ein befremdlich an* mutender Sachverhalt, aber auch welch eine großartige Rechtfertigung und Fruchtbarmachung des platonisch=ari* stotelischen Apriorismus , der hellenischen Transzendental Philosophie! Gipfelte doch die Wissenschaft des Altertums zu ihrer Zeit ganz überwiegend darin, die von dem Wirk=
485
lichkeiterleben unabhängige und befreite Gültigkeit des begrifflichen Proteron über jeden berechtigten Zweifel hin* aus sicherzustellen und damit den Apriorismus der ,Idee' mit vollendeter Klarheit herauszuarbeiten. Und war es doch insbesondere jedem eifrigeren Leser Piatons eine wohl vers traute Gepflogenheit gewesen, diese Apriorität des Begriffes immer wieder an Beispielen erhärtet zu finden, die wie die Begriffe des Größeren, des Kleineren, des Gleichen dem Vorrat geometrischer Urbeziehungen entstammten und keiner noch so sorgfältigen Zergliederung der Wahrneh* mungwelt sonst analytisch entnommen werden konnten.
Daß mittels solcher und verwandter Ideen unsere Ver* nunft die Wirklichkeit ordne, gehörte tatsächlich zu sehr zum Stammgut platonischer Erkenntnisse, um selbst von Aristoteles eigentlich angetastet zu werden. Wenn trotzdem die europäische Menschheit bis auf Galilei warten mußte, bis die damit in ihren spekulativen Grundzügen schon ent* worfene und geplante mathematische Naturlehre Ereignis geworden war, so deshalb, weil dieser klaren und beson- nenen Herausstellung begrifflicher Apriorität unerachtet die Philosophie der Griechen leider doch wieder leicht im einzelnen versagt bei ihren Folgerungen aus dem unbestreit* bar richtigen Grundsatz : namentlich dort versagt, wo sie das Gebiet ethischer, ästhetischer, logischer, metaphysischer Untersuchungen überschreitet und sich zu mechanistischer Konstruktion hinreißen läßt. So sehen wir Piaton wie Ari* stoteles ein wissenschaftlich brauchbares Proteron, welches etwa die reichen und ausgebreiteten astronomischen Be= obachtungen ihrer Zeit gedanklich zu bemeistern gestattet hätte, je und je verfehlen. Indem der eine, pythagoreisch berückt, von der Vorstellung der akustischen Harmonie und ihrer arithmetischen Verhältniswerte ausging, um den wahren Abstand der Planeten voneinander zu ermitteln, —
486
indem sich der andere völlig in die Einbildung einer ,voll* kommenen' Bewegung verliebte und diese im kreisförmigen Umschwung entdeckt zu haben glaubte, um das Schema der Gestirnbahnen ja nicht zu verfehlen, denken beide mit ihren Substruktionen a priori an der Erfahrung vorbei, anstatt zur Erfahrung hin. Noch mißglückt ihnen die entscheidende geistige Tathandlung, Begriff und Wirklichkeit, Vernunft und Welt, Gedanke und Erfahrung, Idee und Empirie so innig zu schürzen, daß beide nicht mehr aufgenestelt werden können ; wogegen eine derartige Schürzung dem pisanischen Forscher gelingt, der sich zeitlebens mit ebensoviel Stolz wie Berechtigung den Piatonikern der Zeiten zuzählt. Nach rund zweitausend Jahren ist die Wissenschaft endlich wieder imstand, die Schnur an der Stelle vom Boden aufzunehmen, wo sie Altertum (und Mittelalter) hatten liegen lassen. Und liest man Galileo Galileis Gespräche, so wird es einem schier zur Gewißheit, daß zum Beispiel sein mehr wie ver- wegenes aber als richtig erweisbares Apriori, alle Körper würden (vom Luftwiderstand abgesehen) mit ein und der* selben Geschwindigkeit fallen, ganz unmittelbar einer Aus* einandersetzung mit der entgegenlautenden Behauptung der aristotelischen Physik verdankt worden sei; — derart innig berührt sich die neue Wahrheit mit den fruchtbarsten Irrtümern einer Vergangenheit, die alles in allem doch auch hier schon der Wahrheit knapp auf cjen Fersen war. Der erste Entwurf zu einer wissenschaftlichen Mechanik, die ungeheuere Forderung einer geometrisch bezwungenen Lehre von den natürlichen Veränderungen in Raum und Zeit ist Eigentum der Griechen. Aber die Ausführung und Durchführung des Vorhabens gehört dem Europäer an, als ihn nach dem Ende des Mittelalters eine durch die deutsche Reformation vom christlichen Mythos nunmehr getrennte und folglich .voraussetzunglose' Forschung zu neuer wissen-
487
schaftlicher Arbeit lockte. Daß es mathematisch-geome* trische Schemata geben müsse, welche die Natur in ihren Zusammenhängen mechanisch begreiflich machen könnte, dies gehört zu den tiefgewurzelten Überzeugungen helle* nischer Philosophie, — daß es solche Schemata auch wirklich gibt, dies haben Astronomie und Physik bald nach dem Auftritt Martin Luthers mit Erfolg bewahrheitet . . .
Um diese nicht unbedeutende Einsicht reicher, dürften wir aber jetzt dazu vorbereitet sein, die methodische Ein- stellung der neueren Wissenschaftlichkeit hinlänglich zu verstehen. Vorzüglich handelt sich's hierbei darum, wenn irgend möglich jeder stattfindenden Veränderung der Wirk* lichkeit ihr entsprechendes geometrisches oder sonstwie mathematisches .Proteron als ihre Bedingunggleichung zuzuordnen und sie dadurch zum mechanischen Vorgang zu erheben. Und in der Tat, nachdem die eben erwähnte Schürzung zwischen Begriff und Wirklichkeit vollzogen war, konnte die Hoffnung kaum überschwänglich erscheinen, dieselbe Schürzung überall vorzunehmen, und in Bälde ließen die märchenhaften Fortschritte der Physik wahrlich keine Enttäuschung einer solch tapferen Hoffnung mehr befürchten. Bildeten die Fallgesetze Galileis zunächst eine vereinzelt inselhafte Feststellung inmitten eines unbegreif- lich mannigfaltigen Geschehens, so reiht schon die Formel Newtons jeden materiellen Komplex in das Ganze der sichtbaren und unsichtbaren Welten ein : mit der Entdeckung eines mathematisch ausdrückbaren Grundgesetzes taucht auch schon die Vorstellung einer universalen Mechanik, ja eines mechanistischen Weltbegriffes, einer mechanistischen Weltdeutung im wissenschaftlichen Gesichtskreis des neuen Europäers empor. Durchaus scheint es möglich zu sein, die gegebene (und folglich aufgegebene) Wirklichkeit in der Tat als Einen Mechanismus in all seinen logischen und
488
mathematischen Beziehungarten a priori darzustellen, wo* fern ja alles wahrnehmbar irdische Geschehnis zuletzt rück- führbar sein muß auf meßbare Geschwindigkeit*Änderungen von Massen, die ihre Lagen im Räume tauschen. Jeder Form von Bewegung, jedem Grad von beschleunigter oder unbeschleunigter Geschwindigkeit muß ausnahmlos eine Gleichsetzung von Größen, entsprechend ihren unterscheid* baren Momenten, gedanklich genügen können, und in der gesicherten Kenntnis solcher Gleichsetzungen im einzelnen gelingt uns schließlich eine idealische Konstruktion der natürlichen Prozesse durch die Vernunft, eine »Antizipation' der Wahrnehmung und der Erfahrung durch den Begriff. Während sich jedoch in der Folge die Mechanik des Himmels und der Erde ungesäumt ans Werk begibt, die notwendigen Annahmen, Grundsätze, Abgrenzungen, Er* läuterungen, Vorausschickungen zu diesem weitausschauen* den Unternehmen vollzählig zu sammeln, arbeitet schon die Philosophie im innigsten Einverständnis mit einem der* artigen Vorhaben ihrerseit daran, gleichsam die allgemeinen Voraussetzungen der besonderen Voraussetzungen dieser universalen Mechanik zu liefern. Denn soviel ist von vorn* herein gewiß, daß sich die Mechanik des Himmels und der Erde nicht etwa selber veranlaßt fühlen kann, die ihr un* entbehrlichen begrifflichen Grundlegungen wie Raum, Zeit, Bewegung, Kraft, Masse des genaueren zu untersuchen. Sie hat wahrhaftig genug getan, wenn sie mit ihrem eigentlichen Vorhaben Erfolg haben sollte, die geforderten und ge* suchten mathematischen Beziehungen zwischen solchen und ähnlichen Begriffsbildern zu ermitteln. Diese hingegen vorher noch auf ihre logische Zweckmäßigkeit, Berechtigung, Richtigkeit hin zu prüfen, übersteigt vollständig ihre eigene Endabsicht, ihr eigenes Können und ihr eigenes Vermögen. Begriffsbilder und Denkhilfen von solcher Beschaffenheit
489
gibt es nun freilich für die Mechanik nicht eben wenige, und zu den geläufigsten unter ihnen gehört von allem An* fang an die galileische .Kraft', insonderheit die Schwerkraft oder die gravitä als die Ursache der Bewegung, als die Ur* sache der Geschwindigkeitänderung bewegter Massen. Isaak Newton macht zwar den Versuch, diese sehr rätsei* hafte, wenn nicht geradezu dunkle (okkulte) Vorstellung der Kraft gewissermaßen dadurch zu enträtseln und auf* zuhellen, daß er eben die Schwere vorsichtigerweise als eine causa mathematica und nicht als eine causa physica bezeichnet, um durch Einführung dieser Denkhilfe philo- sophisch beileib nicht verpflichtet oder gar bloßgestellt zu werden: aber unwiderruflich bleibt damit doch der Begriff der Ursache und der Verursachung mechanisch darstellbarer Bewegungen in die neue Wissenschaft eingeschmuggelt, um seit dieser ersten Stunde seines Eintritts das Schmerzens* kind nicht nur ihrer, sondern der ganzen modernen Philo* sophie zu werden.
Bedenkt und überschlägt man diesen eigentümlichen Sachverhalt, dann gibt es jetzt kein zeitgemäßeres Unter* nehmen, als wenn gerade die Philosophie, hingerissen von der ungeheueren Endabsicht einer zusammenhängenden mechanischen Grundwissenschaft, bezaubert von einer bis ins kleinste gedankenmäßig zu beherrschenden Weltord* nung, endlich die Frage aufwirft und im gleichen Atem auch beantwortet, ob die sämtlichen hierzu benötigten Grund* legungen der Menschenvernunft nicht ein für alle mal zu sammeln und als ein abgeschlossenes, vollendbares System konstitutiver Stammbegriffe abzustecken wären. Es war wirklich einmal der Mühe wert, zur Kenntnis unserer jungen Wissenschaft zu bringen, ob nicht die Vernunft just in sich selbst eine Handhabe darböte, die Erkenntnismittel und Denkhilfen einer derartigen universalen Mechanik voll*
490
zählig und befriedigend aneinander zu reihen. Und man weiß, daß es Kant vorbehalten gewesen ist, die sogenannten Kategorien als die begrifflichen Grundlegungen a priori einer mechanischen Darstellung der Wirklichkeit aus der charakteristischen Funktion des Urteils und seiner verschie* denen Erscheinungformen bündigst zu deduzieren, um solchergestalt die »metaphysischen Anfangsgründe' zu der erhofften und ersehnten universalen Mechanik aufzuzeigen. Ja, diese Mechanik ist für Kant ganz unstreitig so sehr das logische Modell aller erstrebenswerten Wissenschaftlichkeit, daß er die letztere selbst im wesentlichen vernünftig ge* rechtfertigt zu haben wähnt, wenn er die Voraussetzungen der ersteren vollzählig entwickelt. Darnach finden wir ihn bemüht, den Vorrat an Stammbegriffen der reinen Vernunft zu sichten, zu ordnen, zu verknüpfen, damit sie ihrerseit nunmehr die mechanistische Konstruktion der Wirklichkeit verstatten möchten, ohne von der Wirklichkeit a posteriori abgezogen zu sein. Und eben weil er sämtliche Ursprung* liehe Erkenntnisbedingungen der Vernunft in den verschie* denen Formen der Urteilsbildung in einer begrenzten An* zahl sozusagen angelegt zu sein meint, überrascht er seine Zeitgenossen tatsächlich mit einem abgeschlossenen System der logischen Grundlegungen, die zum Aufbau der all* gemeinen Mechanik des Himmels und der Erden geeignet wären. Die Mittel und Hilfen aber, durch welche er die Welt wissenschaftlich bezwingen zu können gedenkt, treten in Reih und Glied wie eine Kompanie zum Exer= zieren: der glänzende Traum einer begrifflichen Beherr* schung des Wirklichen durch die Vernunft steht dicht vor seiner glänzenden Erfüllung.
Dicht, aber doch nicht völlig! Denn kaum sind die Kate* gorien als die wirklichkeitunabhängigen Grundformen des vernünftigen Denkens vollzählig unter Dach und Fach ge*
491
bracht, um eine mechanische Welterfahrung philosophisch zu gewährleisten, so taucht vor der exakten und diszipli* nierten Einbildungkraft des Metaphysikers ein gegebener Komplex von Dingen und Erscheinungen auf, der sich den bisher gesammelten Voraussetzungen einfach nicht fügen will. Das kantische System der Kategorien, von seinem Ur* heber durchaus für zulänglich befunden, das Geschehen der Natur in seinen räumlichen und zeitlichen Verände* rungen der logisch*mathematischen Substruktion zugänglich zu machen, versagt peinlich, um brauchbare Denkhilfen zur Erforschung dessen zu gewähren, was wir das Leben nennen. Die Bewegungen und Änderungen der leblosen Natur bedünken den mechanistischen Philosophen mecha* nisch denkbar, — die Bewegungen und Änderungen der belebten Natur aber nichtl Noch hat der Grashalm seinen Newton immer nicht gefunden, wird ihn aller menschlichen Voraussicht nach nicht finden; noch gibt es eine Grenze für alles konstruktive, substruktive Wissen, die diesesnimmer übersteigen kann. Das Leben lebt jenseit der Bedingung* gleichungen der mathematischen Methode, verharrt jenseit der geometrisierten Beziehungen zwischen den Grund* begriffen der Mechanik. Mag sein, daß auch das Leben zu* letzt Bewegung von Massen ist; mag sein, daß auch hier nur Änderungen der Lagen kleinster Teilchen im Spiele sind und unsere Erkenntnis mit dem Anschein völliger Un* vergleichlichkeit nur äffen. Aber auch in diesem nicht un* günstigen Fall entziehen sich diese Veränderungen der Dar* stellbarkeit in einem geometrischen Schema, — entziehensich ihr schon darum, weil sie nicht mehr begreiflich werden als Wirkungen der ihnen verhältnismäßigen meßbaren Ur* Sachen. Kant selber drückt diese negative Tatsache bekannt* lieh so aus, daß die kategoriale Bestimmung Ursache* Wir* kung beim Organismus ergänzt werden müsse durch die
492
Bestimmung Mittel*Zweck, indem die Beziehungen der ein* zelnen Teile zum lebendigen Ganzen offenbar nur durch die Vorstellung einer zweckmäßigen Ordnung der Vernunft zugänglich gemacht werden können. Im Organismus ist seltsamerweise das Spätere der Wirkung früher als das Frühere der Ursache, weil der Zweck auf gewisse Weise früher ist als seine Mittel, das Ganze früher als seine Teile : und diese vollkommen neuartige Verknüpfung der Elemente, die nicht aus der Verknüpfung Ursache*Wirkung hergeleitet werden kann, auch nicht beim besten Willen, — sie ist es, welche die außermechanische Beschaffenheit belebten Welt* Stoffes begründet. Im Organismus ist jedes Glied, jedes Gewebe, jede Faser, jede Zelle Ursache und Wirkung in einem, indem jeder Bestandteil zwar das Ganze bedingt, seinerseit aber auch wieder vom Ganzen erst bedingt wird. Nicht als ob hier die Verursachung überhaupt von jeder vernünftigen Anwendbarkeit ausgeschlossen bliebe, — nicht als ob der Organismus nicht auch nach der Regel der Kau* salität zu beurteilen wäre. Maßgebend ist keineswegs eine Nicht*Ursächlichkeit des Lebendigen, denn ganz natürlich unterliegt auch dieser Teil der Natur dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Maßgebend ist vielmehr, daß das Lebendige nicht ausschließlich, nicht .bloß' aus diesem Zusammenhang begriffen werden kann, sondern obendrein und daneben die Vorstellung einer obwaltenden Zweck* mäßigkeit herausfordert, welche die organische Mannig* faltigkeit und Unterschiedlichkeit ungleicher und ungleich* artiger Teile sinnvoll dem Dasein des Ganzen dienstbar sein läßt. Dieses Ganze des lebenden Wesens, sein Umriß, seine Gestalt ist Ursache und Wirkung seiner einzelnen Teile zumal, und eben als dessen Ur*Sache ist es dessen Zweck. Wofern also das Organische anstatt allein nach Ur* sächlichkeit außerdem nach Zweckmäßigkeit beurteilt wer*
493
den muß, fällt die Wissenschaft vom Leben außerhalb der Grenzen einer universalen Mechanik, folglich auch außer* halb der Grenzen des geschlossenen Systems der sämtlichen Erkenntnismittel a priori, dessen Vollendbarkeit Kant zweifellos zuzeiten vorgeschwebt hat. Mit seiner Kritik der Urteilskraft, die man weniger als eine nachträgliche Ergänzung denn als eine Überwindung der Kritik der reinen Vernunft auffassen sollte, biegt der Urheber einer all* gemeinen Philosophie der Mechanik in einen neuen, frei* lieh von ihm nicht mehr bis ans Ziel verfolgten Weg ein. Die unbefangene Würdigung des Lebens führt ihm die Vor* läufigkeit und Eingeschränktheit der mechanischen Methode mit Eindringlichkeit, ja mit Aufdringlichkeit zu Gemüt und läßt ihn, den Fanatiker der exakten Wissenschaften, den Typus einer zukünftigen Wissenschaftlichkeit dennoch er* ahnen, welche nicht verhaftet bleibt den begrifflichen Vor* aussetzungen einer mathematischen Substruktion der Natur und ihrer materiellen Veränderungen. Die organische Be* wegung der Wirklichkeit, von uns gemeinhin .Leben' ge* nannt, wird als die (verhältnismäßige) Wirkung einer (meßbaren) Ursache, einer (meßbaren) Kraft nicht begreif* licher und nicht begrifflicher, — diese Entdeckung läßt das großartige Vorhaben einer restlos mechanischen Interpreta* tion der Welt unwiderruflich in sich zusammenbrechen.
Aber merkwürdig! Wie die Dinge nun einmal lagen, mußte vielleicht gerade das kantische Vorhaben einer mög* liehen Ergründung des Lebens abseit von den Gepflogen* heiten der galileisch*newtonschen Mechanik Kants be- rufenste Nachfolger in den europäischen Wissenschaften je länger desto stärker dazu bestimmen, zunächst einmal die mechanische Betrachtungweise bis an ihre äußerste Grenze durchzuführen. Denn wie wir festzustellen Gelegenheit ge* funden haben, bekennt auch Kant sich zu der Überzeugung,
494
daß der Organismus unerachtet seiner teleologischen Be* schaffenheit ein in die universale Kausalität eingestelltes Gebilde bleibe; daß mithin auch eine Mechanik des Lebens innerhalb dieser kausalen Geltung an ihrem Platz sein müsse, falls man sich den Organismus absichtlich so zu beurteilen entschließe, ,als ob' er ein bloßer Mechanismus und nicht außerdem noch etwas anders wäre. Wie sich halbwegs von selbst versteht, ist und bleibt ja auch der lebendige Körper ein Körper, dessen ursächliche Verknüpftheit mit der Umwelt sich unschwer von seiner Zweckmäßigkeit unterscheiden läßt: und an diesen seinen unzweifelhaft kau= salen Charakter beginnt sich im neunzehnten Jahrhundert eine neue mechanistische Auffassungweise zu lehnen, wenn jetzt in zunehmendem Maß der mechanische Vorgang als Arbeitvorgang verstanden wird, dessen meßbarer Leistung mit nachweisbarer Genauigkeit ein meßbarer Verbrauch aus dem Gesamtarbeitvorrat der Welt entspricht. Wo sich infolgedessen mechanisches Geschehen zuträgt, da findet Arbeit statt; wo Arbeit stattfindet, da wird eine gewisse Menge vom Gesamtarbeitvorrat oder von der »Energie' auf= gezehrt, um eine grundsätzlich gleichgroße Menge von Arbeitnutzwert zu erzeugen. Behaupten wir also, die ganze Welt sei ein Mechanismus, so behaupten wir wesentlich nichts anderes, als daß völlige Gleichheit zwischen Antrieb und Bewegunggröße, zwischen energetischem Verbrauch und energetischer Leistung allerwärts mit Zuverlässigkeit zu beobachtensei. Oder in einer anderenWendung ausgedrückt: daß die Menge dieser teils für die Arbeit bereitliegenden, teils in Arbeit schon umgesetzten Energie im großen und ganzen unvermindert und unvermehrt — ob auch leider, was jedoch nicht hierher gehört, keineswegs auch unent= wertet! — stets ein und dieselbe bleibt. Die Welt als einen universalen Mechanismus aufgefaßt wissen wollen, heißt
495
im Licht des modernen Begriffes der Arbeit mithin die Welt als einen ungeschlossenen, unumkehrbaren Kreis der arbei= tenden Energie auffassen, — und unter allen möglichen strengen oder läßlichen Bedeutungen des Wortes ,mecha= nisch' gelangt jetzt die buchstäblichste zur Anerkennung. Die Welt mechanisch begreifen, heißt sie nämlich in dem ursprünglichen Sinn der griechischen }W/.av^ ak Maschine nehmen: als ein Triebwerk mit der Bestimmung, Arbeit zu leisten oder Lasten zu heben und fortzubewegen. Die Welt mechanisch oder maschinell betrachtet ist ein so geordneter Zusammenhang von Teilen, daß er der Arbeit fähig erscheint, und derartige Weltarbeit wird überall geleistet, wo Ge« wichte gesenkt oder gehoben werden, überall, wo wägbare Massen ihren Ort verändern oder einen Weg zurücklegen. In allen diesen Fällen wird Energie verzehrt, eine gewisse Menge jenes geheimnisvollen Vorrates, von welchem man annimmt, daß die Natur über ihn schalten und verfügen dürfe, wenn sie als Maschine wirken soll . . .
Die Arbeit dieser Welt^Maschine, um bei ihr noch etwas zu verweilen, stellt sich vor allem als eine Abhängige, als eine .Funktion' von Bewegungen dar. Jeder in Bewegung begriffene Körper (und eigentlich nur er) arbeitet, sei's auch nur so, daß er seine eigene Masse von einer Lage des Rau= mes in eine andere befördert. Geht er hingegen von der Bewegung in die Ruhe über, dann endigt er auch im Grund genommen seine Arbeit, ob er sich übrigens in seinem Inneren nachträglich noch so stark verändere. Eine Frucht, welche vom Baum fällt, arbeitet während ihres Falles, indem sie dieselbe Menge an vorhanden gedachtem Arbeitvorrat aufbraucht, die notwendig gewesen wäre, sie um die Strecke ihrer Fallhöhe zu heben. Liegt sie dann einmal am Boden, so mag sie immerhin faulen und dadurch bezeugen, daß sie durchaus nicht energetisch tot ist, — Arbeit im engeren
496
Wortverstand der physikalischen Mechanik leistet sie nicht weiter, da sie sich in bezug auf andere Körper nicht mehr bewegt. Und dennoch: in einem weniger strengen und desto fruchtbareren Begriffe arbeitet auchsie ! Die anscheinend trag am Boden liegende Frucht, langsam in Moder und Fäulnis übergehend, spendet an ihre Umgebung Kohlensäure, in* dem sie in der freien Luft einer allmählichen Verbrennung unterliegt. Atmosphärischer Sauerstoff verbindet sich in ihr mit pflanzlichem Kohlenstoff, wobei er sich, chemisch ge* sprochen, nicht in einzelnen Atomen, sondern in Atom« paaren um die der Oxydation verfallenen Stoffe lagert. Aus diesen Peroxyde genannten Verbindungen entwickeln sich alsdann die eigentlichen Produkte der Verwesung. Diese allmähliche Verbrennung vollzieht sich indes nicht, ohne daß dabei Wärme entstünde, die zwar für die einzelne Frucht, das einzelne Blatt unbeträchtlich ist, für die Summe der pflanzlichen Stoffe unserer ganzen Erde jedoch schät* zungweis einen Betrag von Kalorien ergibt, der zu unge* heuer ist, um mehr als ein bloßes Wort für uns zu sein (es handelt sich beinah' um hundertunddreißig Trillionen). Wo aber Wärme entsteht, wird Energie aufgebraucht, ge= nau wie vorhin, da Lasten gehoben oder gesenkt wurden: wenn auch diesmal keine mechanische, sondern chemische Energie. So daß die verwesende Frucht zwar nicht auf die Weise der vom Baum fallenden mechanisch arbeitet, aber dennoch arbeitet in einer übertragenen und unentbehrlichen Bedeutung des Wortes, vorhandene Energie der Welt ver= brauchend und umsetzend.
Unsere Vorstellung vom maschinell=mechanischen Ge* schehen erweitert sich nochmals hier auch über das der eigentlich mechanischen Arbeit hinaus. Die am Boden modernde Frucht arbeitet nicht und arbeitet doch. Sie ar- beitet nicht, denn ihre Masse verändert nicht ihre Lage und
32 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 497
legt nirgends einen Weg zurück. Sie arbeitet doch, denn sie verbrennt langsam, stellt gemäß ihrer chemischen Wahl= Verwandtschaften Verbindungen her, erzeugt Wärme und liefert dadurch eine Abart der Energie, die wiederum in mechanische Arbeit rückverwandelt werden kann. Nicht allenthalben, wo Energie verbraucht wird, wird mechanisch gearbeitet oder eine Masse bewegt, aber allenthalben finden Umsätze statt, die der Arbeit irgendwie verwandt erscheinen oder entsprechen. Man kennt das Gesetz dieser Entspre* chung als den ersten Hauptsatz von der Energie, dessen Wichtigkeit vor allem darauf beruht, für einen meßbaren mechanischen Arbeitaufwand den Verbrauch einer gleich= wertigen Wärmemenge nachgewiesen zu haben, und um= gekehrt. Mit diesem Gesetz von dem Gleichwert der ver= schiedenen Arten der Energie ward die maschinelle Auf- fassung der Welt außerordentlich vertieft. Denn jetzt war nicht mehr die einfache Tatsache entscheidend, daß im All durch bewegte Massen Arbeit verrichtet würde, Arbeit wie in einem künstlich hergestellten Triebwerk, dessen innerer Aufbau restlos erkennbar erscheint, weil man ihn restlos sel= ber entworfen hat ; — sondern entscheidend war jetzt das an* dere, daß die Arbeit als das meßbare Äquivalent aller nach* weisbaren Vorgänge der äußeren Weltwirklichkeit aufgezeigt werden konnte. Mechanisch heißt jetzt nicht nur der eigent* liehe Arbeitvorgang, sondern einfach jede wirklicheVerände= rung, die dem physikalischen Ausdruck für Arbeit mittel^ bar vergleichlich ist. Der erste Hauptsatz von der Energie besagt zunächst, daß alle natürlichen Prozesse, die chemi- schen, elektrischen, magnetischen, thermischen, akustischen und optischen durch ihre mechanische Entsprechung aus* zudrücken seien, — (wobei es unentschieden bleibt, ob tat- sächlich die energetischen Prozesse der Maschine ,Welt' ohne jeden Abzug in mechanische Arbeit umzusetzen
498
wären!) Wo ein Energieverbrauch überhaupt bemerkbar wird, sei es durch Strahlung, chemische Zersetzung und Verbindung, Leitung oder sonstige Fortbewegung, darf er indes von nun an als Arbeit verstanden und gewertet werden.
Diese beträchtliche Vertiefung und Erweiterung des Be* griffes »mechanisch' in seiner Anwendung aufs Ganze der Natur wirkt dann freilich wieder zurück auf unsere be* stimmte Vorstellung vom Wesen der Maschine, von dem wir jenen Begriff inhaltlich abzuleiten versuchten. Das tech= nische Triebwerk, vom Menschen erfunden, um Arbeit zu ersparen, mithin um Arbeit zu leisten, entwickelt sich ganz allgemein zu einer Verbindung mit Teilen, welche Energie fortpflanzt, umsetzt und verwandelt. Schon die einfachste maschinelle Vorrichtung des Hebels und des Flaschenzuges, wo die mechanische Energie noch innerhalb ihrer selbst be* harrt, setzt die Energie der großen Last und des kleinen Weges um in die gleiche der kleinen Last und des großen Weges. Die Umsetzungen beispielweis der hydraulischen Presse vollziehen sich gleichfalls noch innerhalb der media* nischen Form der Energie, aber die Transformation greift im Vergleich mit vorhin doch schon etwas weiter. Die me* chanische Energie des Hebels und Druckkolbens wird hier nämlich übertragen auf die Energie des Wassers, dessen Druck zwar durchaus ein mechanischer ist, aber doch schon eigenen Gesetzen der Ausbreitung folgt und eben darum die Arbeitleistung der festen Teile vervielfältigt. Eine ener* getische Umwandlung verschiedener Arten der Energie findet jedoch unzweifelhaft in der Dampfmaschine statt, wo die chemische Energie der Verbrennung erst in Wärme, dann in Bewegung und Arbeit abgeändert wird. Die Um* sätze werden schließlich immer vielfältiger, übergangr eicher, die Maschinerie immer zusammengesetzter. Mechanische
32* 499
Energie des Wassers oder Dampfes bewegt den Anker einer Dynamomaschine, erzeugt hier magnetische und elektrische Ströme, die sich nach einigen Umdrehungen zu ihrem Höchstwert steigern und je nach Bedarf und Bedingung Licht, Wärme, hörbare Zeichen liefern oder Massen in Be* wegung setzen, Bahnen befördern. Die durch chemische Zersetzung von Metallen in wässerigen Lösungen gewönne* nen elektrischen Ströme wirken wiederum chemisch, wofern sie die Jonen der Lösung an die Elektroden der Zelle ziehen und dort binden. Wo nur ein materielles System da ist, Energie zu übertragen, kann es maschinenmäßig ausgenutzt werden. Die wunderbarsten Leistungen elektrischer Kräfte bringen aber nicht die geschlossenen, sondern die unge* schlossenen, durch isolierende Mittel wie die Luft unter* brochenen Leiter hervor, wo die dielektrische Polarisation des Isolators die Verbreitung von Oszillationen ermöglicht, die ein maschineller Empfänger aufnimmt und den mensch* liehen Sinnen zuführt. Nur eine kindliche Vorwegnahme der Verwandlungkünste der Energie war die Legende vom rüstigen Meergreis Proteus: denn diese Energie ist bald Licht, bald Strom, bald Klang, bald Welle, bald sichtbare Bewegung. In einem Hohlspiegel gesammelte Lichtstrahlen eines Flammenbogens verwandeln sich in elektrische und akustische Wellen, wenn sich im Brennpunkt eine Selen* zelle befindet, deren elektrischer Widerstand unter dem Einfluß der Belichtung sinkt: als welcher seltsamste Um» stand genügend ist, durch telephonische Maschinenbedin* gungen die Lichtstrahlen und elektrischen Ströme in tönende Längswellen umzusetzen, und umgekehrt. Alle Teile der Materie werden derart durch Maschinen für einander (und letzthin für uns) empfindlich gemacht. Die Zahl der außer* menschlichen, der unterorganischen Sinnesapparate ver* mehrt sich mit jedem erfundenen Resonator für einen ener*
500
getischen Prozeß, und alles wirkt auf alles, alles klingt, tönt, sprüht, zittert, stößt, drückt, strahlt, verbreitet sich und leitet sich auf alles. In Ansehung aber der Maschine kommt es jetzt nicht mehr in erster Linie darauf an, daß sie über- haupt arbeite, sondern daß sie die vorhandene Energie bei sparsamstem Verbrauch in diejenige Form zwinge, die vom Menschen beliebt wird: Arbeit oder Nichtarbeit in vielerlei Gestalt. Hat vorhin noch die mechanische Auffassung der Wirklichkeit darin bestanden, die Welt als .arbeitendes' Triebwerk oder .Maschine* mit immer wachsender Be= stimmtheit zu gewahren, so berichtigt sich diese Vorstellung* weise jetzt dahin, daß es bei der Maschine als solcher wie bei der maschinisierten Welt weniger auf die geleistete Arbeit abgesehen sei, als vielmehr auf eine tunlichst unein* geschränkte, ja grenzenlose Umformungmöglichkeit der Energiearten ineinander. Und eben darauf hat schließlich auch der Entdecker des ersten Hauptsatzes von der Energie den Akzent gelegt, wenn er die erste grundlegende Hälfte seiner berühmten Abhandlung über Die organische Be* wegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel mit der Aufzählung von fünfundzwanzig Verwandlung* weisen der Energie beschließt: Fallkraft in Fallkraft und Bewegung; Bewegung in Fallkraft und Bewegung; mecha* nische Arbeit in Wärme ; Wärme in Arbeit und in Wärme, in chemische Differenz und in Elektrizität; chemische Dif* ferenz in Wärme, galvanische Ströme und wieder in chemi* sehe Differenz; Elektrizität in Wärme und mechanische Arbeit; Strom in Strom; mechanischer Effekt in Elektrizität, chemische Differenz und umgekehrt . . .
Äußerte ich vorhin, jedes materielle Gebilde der Wirk* lichkeit arbeite, auch wenn es nur seine eigene Masse von einem Punkt des Raumes nach einem anderen hinbewege, ja es arbeite in einem erweiterten Wortsinn sogar noch dort,
501
wo als Träger der physikalischen Veränderungen keine Massen mehr in Frage stehen, sondern etwa Jonen, Elek* tronen, Elementarquanten wie bei den magnetischen und elektrischen und chemischen Erscheinungen: so darf in einer konsequent maschinell betrachteten Welt jede Bewegung welches stofflichen Substratums auch immer, folglich auch die Bewegung des Organismus, als ein Arbeitvorgang auf? gefaßt werden. Nichts in Raum und Zeit verändert seine Lage, ohne von dem vorhandenen Arbeitvorrat einen Bruchs teil in Arbeit oder arbeitähnliche Geschehnisse umzusetzen, und daß sich das All in seiner Gesamtheit ausnahmlos in dieser Bedeutung der mechanisch=mathematischen Darstel* lung zugänglich erweist, beruht, wir erinnerten schon daran, auf der grundsätzlichen Ausgleichs Ermächtigung seiner zahllosen energetischen Umsätze im einzelnen. Solcher* gestalt leistet der menschliche Brustkorb, der sich bei der Atmung hebt, nicht weniger eine Arbeit wie der Hebel, der eine Last von der Erde wegbewegt; der Kreislauf des Blutes in den Gefäßen nicht weniger eine Arbeit wie der ge= schlossene elektrische Strom in einem Drahtwerk; die Ver= brennung tierischer Gewebe nicht weniger eine Arbeit wie die Verbrennung pflanzlicher Kohle in der Feuerstelle einer Dampfmaschine. Eine Mechanik auch des Organischen liegt darnach (in durchgängiger Übereinstimmung mit der von Kant angebahnten Lösung der Streitfrage) durchaus im Be= reich des Erlaubten, sogar des Erwünschten, indem die grundlegende Tatsache einer meßbaren Verhältnismäßigkeit zwischen Ursache und Wirkung innerhalb aller bekannten Umsatzmöglichkeiten für alle stofflichen Gebilde, mithin auch für die Träger des Lebens gilt. Auch unser Leib ist ein Mechanismus, auch unser Leib eine Maschine: und zwar erstens soweit, als seine natürlichen Bewegungen, seine physikalischen und chemischen Veränderungen durch Ände*
502
rungbedingungen verursacht gedacht werden, die ihrerseit wieder natürliche Bewegungen von mechanischer, elek* trischer, magnetischer, akustischer, optischer, thermischer oder chemischer Beschaffenheit sind und als solche ihren Wirkungen energetisch genau verhältnismäßig erscheinen;
— Maschine und Mechanismus aber auch zweitens insofern, als diese sämtlichen Verursachungen und Bewirkungen der verschiedensten energetischen Arten schließlich jeweils als die Zustandänderung einer einzigen energetischen Ur=Form oder Ursache aufgefaßt werden können, welche als .Energie der Lage' in »Energie der Bewegung' übergeht und dadurch alle tote und alle lebendige Wirklichkeit mit einem Schlag in einen umfassenden Arbeitvorgang wandelt, dessen Ge* samtleistung vom Gesamtverbrauch nicht um die kleinste Größe abweicht. In diesem zwiefachen Sinn energetischer Umsätze im einzelnen, energetischer Zustandänderung im ganzen arbeitet auch der Organismus in allen seinen Teilen,
— sei es, daß seine Gewebe mit dem Sauerstoffdes Blutes, sein Blut mit dem Sauerstoff der Luft verbrennten; sei es, daß die Kammern seines Herzens sich zusammenzögen oder ausein? anderdehnten, um die Lebensflüssigkeit ein* und auszupum* pen; sei es, daß die Nervenfasern Empfindungen von den Körperenden nach dem Inneren leiteten oder umgekehrt vom Gehirn aus die Muskeln der Glieder zur Betätigung reizten.
Vom Standpunkt einer derartigen .Mechanik des Orga* nischen' aus ist es am Ende gar nicht so sehr ein blinder Zufall gewesen, daß der Begründer dieser erweiterten Theorie einer mathematischen Beherrschung der Wirklichkeit, den man mit einigem Recht den Galilei des neunzehnten Jahr* hunderts genannt hat, — den man aber mit besserem Recht den Cartesius desselben Jahrhunderts hätte nennen dürfen, weil doch Cartesius wohl die Maschinen/Theorie des Or* ganismus mit den Mitteln seiner weitgreifenden empirischen
503
und konstruktiven Forschungen als erster angestrebt hat! — vom Standpunkt dieser unbeirrten Mechanik aus war es also vielleicht mehr als ein Zufall, daß ihr eigentlicher Be* gründer die Entdeckung seines Welt*Gesetzes gerade der Beobachtung einer physiologischen Unregelmäßigkeit ver= dankt. Bekanntlich hat Robert Mayer in seiner Eigenschaft als Arzt in den Tropen von Insulinde Gelegenheit zu der Wahrnehmung gefunden, die der bis dahin geltenden For* mel von der Entsprechung der Verbrennunggröße und der Wärme offenbar zuwiderlief, und vielleicht ist sein Ver* fahren, das ihn zum Satz von der Unzerstörbarkeit des irdi* sehen Gesamtarbeitvorrats verholfen hat, ebenso aufschluß* reich oder aufschlußreicher noch als dieser Satz selber, der die quantitative Gleichwertigkeit und Vertretbarkeit der chemischen, thermischen und mechanischen Leistungen des Organismus sicherstellt. Dieses Verfahren bestand aber im wesentlichen darin, daß die bei einem javanischen Aufent* halt beobachtete Verminderung der Verbrennunggröße des Blutes bei gleichbleibender Körperwärme dem nachdenke liehen Mediziner den Schluß nahelegte, die Wärme nicht mehr wie bisher als die eindeutige Abhängige der Ver* brennung aufzufassen, sondern sie ihrerseit mit der mecha* nischen Arbeitleistung des Leibes in Bezug zu bringen. In* dem jetzt auch Wärme die Arbeit energetisch vertreten konnte oder mit ihr energetisch vertauschbar war, erledigte sich gerade von der Mechanik des Organischen her ein letzter Einwand, der einer ausnahmlosen Gleichwertsetzung aller bekannten energetischen Arten entgegenstand. Daß die Welt aber mit Einschluß des Lebens mechanisch, daß sie maschinell deutbar sei, konnte kaum glaubhafter erhärtet werden als durch die aparte Tatsache, daß die unentbehr* liehe Voraussetzung dieser Deutung vom Organismus aus aufgefunden und aufgestellt ward!
504
Werfen wir indessen von dieser Stelle nochmals einen Blick zurück auf das ungeheuere Vorhaben der modernen Wissenschaft, die gesamte Wirklichkeit durch den Begriff des Mechanismus, will heißen durch den Begriff der Ma* schine gedanklich exakt zu meistern. Als die Vorbedingung schlechthin für das Gelingen dieses Anschlages mußte dabei eine mögliche Geometrisierung namhaft gemacht werden, wodurch die natürlichen Veränderungen in mathematischen Gleichungen wenigstens grundsätzlich für darstellbar gelten durften. In dem Maße nun, als die mechanistische Bewegung* lehre der Physik aber zu einer universalen Arbeitlehre fort* schritt, gab sich dann freilich die mathematische Gleichung als Gleichsetzung zwischen verschiedenen Umsätzen ein* und derselben energetischen Menge einerseit, zwischen energetischem Verbrauch und energetischer Leistung ande* rerseit zu erkennen: und kein Zweifel war infolgedessen darüber möglich, daß sich hinter den mathematischen Glei* chungen oder Gleichsetzungen der Mechanik im wesent* liehen kausale Gleichungen oder Gleichsetzungen gewisser* maßen verborgen hielten, und daß ferner auf diesen kau* salen Äquivalenzen der eigentliche Erkenntniswert des mechanisch = maschinellen Weltbegriffes als einer wissen* schaftlichen Deutung wirklicher Vorgänge und wirklicher Veränderungen beruhte. Wie eine der bekannten Grund* formein dieser unserer Wissenschaft den Antrieb gleich der Bewegunggröße, mithin die Ursache gleich der Wirkung setzt und damit das transzendentale Geheimnis aller mecha= nischen Formeln mit wohltätiger Aufrichtigkeit preisgibt, so dürfen wir ganz allgemeingültig die Gleichwertsetzung zwischen Ursache und Wirkung, auf analytische Beziehun* gen und Ausdrücke gebracht, als letzte, tiefste und wunder* lichste Endabsicht der exakten Naturlehre überhaupt kenn* zeichnen. Dieses methodische Ziel, diese methodische Un*
505
gereimtheit und Widersprüchlichkeit der mechanischen Welterfahrung hat aber wiederum, soweit ich sehe, keiner mit soviel Naivität bewußtermaßen herausgestellt wie Robert Mayer selbst. Was hat man dieses enfant terrible der mo* dernen Physik nicht getadelt und abgekanzelt in den Krei* sen seiner engeren und weiteren Fachgenossen, daß er seiner frühesten Abhandlung über das mechanistische Grundgesetz mehrere Axiome vorausschickt, unter welchen das leibnizische causa aequat effectum unstreitig das wich* tigste gewesen ist. Stimmt doch sogar ein Denker und For* scher von der Einsichtfülle Helmholtzens in den gemeinen Chorus der Rügenden gleichsam als Vorsänger ein: Robert Mayer habe den induktiven Charakter seiner Entdeckung verleugnet, den wissenschaftlichen Wert seiner Errungen* schaft geschmälert, wofern er den Verdacht einer deduktiven Herleitung des ersten Hauptsatzes von der Energie aus bloß philosophischen und spekulativen Selbstgewißheiten herauf* beschwöre, dadurch die gottlob! überwundenen Methoden einer schlechten Epoche zu einem flüchtigen Scheindasein nochmals flüchtig erweckend . . . Nicht unsere Sache ist es hier, diesen Anwurf in seiner nackten Unverständigkeit bloßzustellen, und es wäre heute viel zu spät, den Lehrer von Heinrich Hertz daran zu erinnern, daß die deduktiven Neigungen der Mechanik wahrhaftig auf etwas anderen Ur* Sachen beruhen als nur auf rückfälligen Anwandlungen Robert Mayers. Aber eines müssen wir doch auch hier mit hoher Bestimmtheit aussprechen : daß nämlich Robert Mayer mit seiner unbedenklichen, ob auch keineswegs unbedachten Bezugnahme auf das leibnizische causa aequat effectum die schlechterdings unentbehrliche Voraussetzung aller mecha* nischen und maschinellen Theorien mit einer genialischen Treffsicherheit des Blickes ausfindig gemacht hat. Induktiv oder deduktiv, — eine Mechanik gibt es nur insoweit, als
506
die natürliche Ursache ihrer natürlichen Wirkung meßbar gleich ist; als der Kraftaufwand der Arbeitleistung gleich- wertig ist; als die Größenmenge der verfügbaren Energie der Lage der Größenmenge der Energie der Bewegung gleich ist. Mag es immerhin den führenden Naturforscher eines naturalistischen Zeitalters anstößig bedünken, durch einen unmäßigen Aufwand an Beobachtungen und Berech* nungen zuletzt doch nur bestätigt zu finden, was eine Regel a priori der Vernunft mühelos kenntlich, wenn auch nicht un* bedingt gewiß macht, — vom Standpunkt einer allgemeinen Wissenschaftlehre aus hat Robert Mayer ein wohlbegrün* detes Recht, den ersten Hauptsatz von der Energie doch nur als eine a posteriori erbrachte Bestätigung der leibni* zischen Regel zu bewerten. Denn nicht allein dieser erste Hauptsatz, nein die gesamte bisherige Mechanik mit ihrer geradezu schicksalhaften Wichtigkeit für den neuen Euro* päer steht und fällt mit der (gewissermassen platonischen) .Grundlegung', daß in der Wirklichkeit die Wirkung allent* halben ihrer Ursache gleich bleibt: sollten wir unter dieser Ursache den eigentlichen Bewegungantrieb, die äußere Änderungbedingung, oder aber den Gesamtarbeitvorrat der Welt im Zustand der Ruhe oder der Unwirksamkeit ver* stehen. Auf alle Fälle kann das System mathematischer Be* dingunggleichungen, welches wir moderne Mechanik nen* nen, nur dann errichtet werden, wenn sich die Ausschnitte der entsprechenden Wirklichkeit als die Glieder einer kau* salen Gleichsetzung erkenntnismäßig aufeinander beziehen lassen. In dieser Annahme treffen die philosophischen In* stinkte Robert Mayers mit den metaphysischen Erwägungen Immanuel Kants aufs erfreulichste zusammen: dervernünf* tige Stammbegriff Ursache* Wirkung bedingt in seiner von Leibniz herrührenden Auslegung des causa aequat effectum tatsächlich die Möglichkeit eines mechanisch*maschinellen-
507
Weltbegreifens. Wo eine Wirkung in der Natur größer wäre als ihre Ursache, eine Arbeitleistung größer als ihr Verbrauch, eine Bewegung größer als ihr Antrieb, eine Änderung größer als ihre Bedingung, da wäre jeder mecha* nischen Beherrschung dieses Sachverhaltes gleichsam ipso facto der Boden unterausgezogen. Wo die sogenannten Kräfte der Natur nicht mehr meßbar gleiche Kraftäußerun* gen bewirkten, würde die unerläßliche Voraussetzung für jede erdenkliche Art von Äquivalenzen fehlen, und eben im Hinblick auf diese einigermaßen aufregende Möglich* keit müssen wir allerdings noch einmal auf das Problem einer universalen Mechanik, einer ,Welt als Maschine' zu* rückkommen, um uns der absoluten Erkenntnisgrenze der* selben genau bewußt zu werden. Denn wie wir jetzt arg* wohnen, macht es die tiefste Bedeutung des organischen Lebens aus, daß es im ewigen Gegensatz zu allem Unbelebten mit Kräften, Bewegungantrieben, Änderungbedingungen wirtschafte, die im bisherigen Verstand des Wortes gar keine .Ursachen* sindl
Während wir uns aber noch etwas ratlos fragen, wie dies gemeint sein könnte, entsinnen wir uns vielleicht des Um* Standes, daß Robert Mayer selbst schon solche Kräfte un* umwunden zugestanden hat, und zwar zugestanden schon für das Bereich der leblosen Natur. Er nämlich nennt ,kata* lytisch' jede Kraft, welche mit der ihr zugeordneten Wirkung ,in keinerlei Größenbeziehung steht', und sein Beispiel dafür ist der Sturz einer Lawine, die ein Windstoß, ein Vogel* flügelschlag ins Rollen bringen kann. Was hier von den katalytischen Kräften ganz allgemein angedeutet wird, daß sie tatsächlich die Grenze der Mechanik bezeichneten, gilt selbstverständlich von jeder Änderungbedingung, die ihrer Änderung nicht meßbar gleich ist: einerlei, ob man •mit Robert Mayer darauf beharre, sie eine Kraft zu nennen,
508
oder ob man mit Heinrich Hertz darauf bedacht bleibt, diesen unentwegt rätselhaften Begriff oder Unbegriff nach Tunlichkeit zu vermeiden. Dies wie gesagt dahingestellt, gibt es also sogar noch innerhalb der Grenzen der leblosen Wirklichkeit Ursachen von Bewegungen, die sich dem Grundsatz des causa aequat effectum unstreitig entziehen, und dieser Vorstellung einer außermechanischen Bedingung* änderung brauchen wir nur etwas weiter nachzugehen, um in ihrem Auftreten eines der Hauptmerkmale des orga= nischen Geschehens jenseit der mechanisch5 maschinellen Beherrschbarkeit zu würdigen. Machen wir beispielweis die simple Annahme, ein Mensch, ein Handwerker, der auf einem Gerüst zu arbeiten habe, stürze plötzlich in die Tiefe. Niemand, der sich je für naturwissenschaftliche Feststellung gen interessierte, wird daran zweifeln wollen, daß auch dieser noch vorhin lebendige Körper mit der Geschwindig* keit des freien Falles zur Erde gelange, — niemand wird be= rechtigterweise daran zweifeln, daß dieser ganze Vorgang mechanisch durchaus nicht weniger deutbar abläuft, als wenn statt des Menschen etwa ein Trog mit Mörtel oder ein Sack mit Gips vom Gerüst gestürzt wäre. Indessen treten, diese mechanische Deutbarkeit beiseite gelassen und als statthaft vermerkt, bei dem menschlichen Unfall zwei Möglichkeiten auf, die den über die Ursache des Ereignisses Nachdenkens den zur Entscheidung nötigen : indessen bei dem Mörtel= trog oder beim Gipssack nur eine Möglichkeit in Frage steht. Der Handwerker nämlich ist vielleicht abgestürzt, weil ihm ein fahrlässiger Arbeitgenosse einen Stoß ver= setzt hat, der nach mechanischen Gesetzen das Gleich5 gewicht seines Körpers aufheben und eine Bewegung her- vorbringen mußte, die anfänglich etwa der Bedingung- gleichung des freien Falles entsprechen mochte. Etwas wie eine katalytische Kraft tritt hier nicht ins Spiel und wir
509
finden unser bisheriges Ergebnis vollauf bewahrheitet, daß auch Bewegungen des Organismus, Bewegungen des Lebens= trägers nach bloß mechanischen Gesichtspunkten wissen* schaftlich aufgefaßt und dargestellt werden können. Ein anderes Gesicht erhält die Angelegenheit jedoch, sobald wir uns der zweiten Möglichkeit zuwenden, der abstürzende Handwerker könne aus den und den Gründen gar nicht fahrlässig (oder meinetwegen auch verbrecherisch) von seinem Gerüst herabgestoßen worden sein, sondern habe sich geradezu in einer Anwandlung von Lebensüberdruß, von Liebesgram, von Schwermut, von Verzweiflung, von Umnachtung selber herabfallen lassen. Jetzt darf als Ursache des stattfindenden mechanischen Vorganges nicht ein Ereignis von der gleichen natürlichen Ordnung dieses erachtet wer* den, nicht ein Ereignis, welches die Störung des körperlichen Gleichgewichtes und den sofort daran schließenden Fall ohne weiteres nach mathematischen Bedingunggleichungen mechanisch zu beherrschen gestattet. Zum mindesten den Ruck nach vorwärts hat sich der Körper des Verunglückten vermöge eines Willensentschlusses selbsttätig gegeben, und es besteht zwischen diesem Entschluß einerseit und der ihm folgenden motorischen Innervation mit abermals fol= gender Fallbewegung andererseit auf keine Weise ein me* chanisch begreiflicher Zusammenhang mehr. Der Leib des Lebendigen hat eine Tathandlung verübt, die dem Leib des Unlebendigen auch nur fiktiv anzusinnen eine Ungereimt* heit sondergleichen wäre. Ohne energetischen Antrieb, ohne Übertragung einer Bewegung von außen her, ohne physi= kaiische oder chemische Änderungbedingung hat er sich selber zur Bewegung bestimmt, und statt eines für stätig genommenen Zusammenhanges von Ursache und Wirkung derselben Reihe energetischer Umsätze, bemerken wir eine gedanklich nicht zu bewältigende Unstätigkeit, einen Bruch,
510
wo jählings aus einer innerlichen Gemütsverfassung, aus Gefühl und Wille, aus Absicht und Entschluß ein Be= wegungantrieb gleichsam wie ein Funken aus dem Stein hervorstiebt und etwa eine Masse fremden Stoffes sprengt. Ein geheimnisreiches Vermögen zu selbsttätiger Bestimmung hebt den Organismus aus dem Kontinuum von mecha= nischen, thermischen, elektrischen, magnetischen, optischen, akustischen, chemischen Bewegungformen heraus, inner= halb dessen jede Lageänderung kleinster Teilchen die Lage= änderung anderer kleinster Teilchen bedingt, und plötzlich gelangen jetzt Bewegungen von Massen oder von sonstigen Bewegungträgern zum Vollzug, ohne daß nachweisbar etwas anderes vorausgegangen wäre als eine Zustandänderung im Bewußtsein, eine Unlustvorstellung, ein Schmerzgefühl oder dergleichen, — kurz eine seelische anstatt einer körper* liehen Beeinflussung. Was wir aber früher von der soge= nannten katalytischen Kraft nach dem Wortgebrauch Ro- bert Mayers behaupten durften, daß nämlich sie die Er= kenntnisgrenze der universalen Mechanik bezeichne, ob= wohl sie dort noch durchaus den körperlichen Änderung^ bedingungen zuzuzählen ist, dies gilt vernünftigerweise von diesem neuen Bewegungantrieb in viel höherem Grad. Er ist der ihm zugeordneten Bewegunggröße nicht nur nicht meßbar gleich, sondern ihr obendrein noch wesentlich und beschaffenheitlich ungleich: einerlei, ob man auch jetzt wieder diesen Antrieb mit Robert Mayer noch eine .Kraft' zu nennen beliebe, oder ob man eher dem gedachten Bei* spiel Heinrich Hertzens zuneige und den verdächtigen Aus= druck absichtlich vermeide. Gewiß tritt auch hier ein Wech* sei der Lage, eine Zu= und Abnahme der Geschwindigkeit, eine Veränderung der energetischen Zuständlichkeit nicht ursachlos ein. Aber diese Ursache gehört nicht einmal mehr wie Robert Mayers katalytische Kraft der körperlichen Er=
511
scheinungreihe an, sondern verbirgt sich jeder äußeren Er* fahrung im Innern des Selbstbewußtseins, indem sie nun» mehr ein Hauptmerkmal dessen ausmacht, was wir belebt im Gegensatz zu unbelebt seit alters zu nennen gewohnt worden sind. Solang wir Mechanik des Organischen treiben, verfahren wir, kantisch gedacht, als ob der Organismus ein Mechanismus oder eine Maschine sei, als ob er ohne Ein* schränkung sich dem causa aequat effectum schmeidige. Sobald wir dagegen den Organismus behandeln, als ob er Organismus wäre, haben wir selbsttätige Beweglichkeit nach bewußt oder unbewußt seelischen Anreizen in Betracht zu ziehen und damit nachdrücklich auf jenen Grundsatz zu verzichten. Causa inaequat effectum heißt die oberste Regel jeder besonnenen Erforschung des Lebens als solchem, und mit dieser Einsicht befinden wir uns auch schon Aug' in Auge mit einem schlechterdings neuen Typus der Wissen* schaftlichkeit . . .
512
DIE WESENSBEGRIFFE IN DER MECHANIK
Inzwischen sind wir aber mit diesem vorläufigen Ergebe nis unseren näheren und nächsten Absichten und Zwecken weit, sehr weit vorausgeeilt. Wollten wir daher auch nur einigermaßen im Bild bleiben, so würde sich's empfehlen, die uns bis hierher führenden Gedanken ver= langsamend noch einmal bündig zusammenzudrängen. Mit Galileo Galilei, sagten wir, sei der Mensch von spezifischer Modernität des wissenschaftlichen Verfahrens auf den Schau* platz der Geschichte getreten, nachdem dieser selbe Mensch noch in einem Leonardo da Vinci, noch in einem Nikolaus Kopernikus hart mit Bestiarius, Astrologus und Theologus des Mittelalters gestritten hatte. Jetzt war die Wirklichkeit mit ihren Veränderungen in Raum und Zeit geometrischen Gleichungen unterworfen: indes freilich die Verknüpfung der wirklichen Dinge der Natur ganz offenbar nirgends in Gleichungen geschah. Eine beunruhigende, jedoch unver* meidliche Paradoxie der Erkenntnis! — zu deren Ermög* lichung eine unmittelbar der Vernunft entliehene Regel a priori herhalten mußte, welche eine Gleichheit zwischen Ur* sache und Wirkung gewiß macht und dem mechanischen Forscher eine Handhabe darbietet, die ihrerseit der ange* strebten Geometrisierung des Wirklichen erst glückliches Gelingen verheißt. Von da an war in der Tat für die wer? dende Mechanik der von Leibniz schön formulierte Ge* danke überall bestimmend: ostendo aequationem latentem intev causam et effectum nulla arte violabilem esse . . . Die Welt ein Mechanismus, die Welt eine Maschine, diese wahr* haft ingeniöse, aber auch impendiöse Interpretation natür* liehen Geschehens konnte nur stattfinden, wenn die Gleich* heit, ja wenn die Gleichung zwischen Ursache und Wirkung
33 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 513
auf keine Art verletzt oder auch nur verschleiert ward. Ge* nau besehen durfte man mit noch besserem Recht sogar als diesen Satz seine logische Umkehrung für die mechanische Wissenschaft in Anspruch nehmen und getrost behaupten : daß hier weniger die Gleichheit und Gleichung als viel* mehr die Ungleichheit und Ungleichung zwischen Ursache und Wirkung allzu geflissentlich übergangen worden sei, daß die Kausalität allzu gewaltsam je und je in die Gestalt einer reinen Äquipollenz, Äquivalenz hineingezwungen und hineingequält ward. Denn kein Zweifel, dieser von Galilei gestifteten profanen Wissenschaft der angewandten Geometrie schwebt als erreichbares oder unerreichbares Muster die Geometrie des ebenen Raumes selber vor, wie sie schon bei Euklid zu sonst nicht mehr anzutreffen* der Vollendung und Geschlossenheit ausgediehen war. Diesem einzigartigen System des Wissens, in allen seinen Teilen genau zusammenhängend, überall den Beweis (oder was ja im Grund ein und dasselbe ist: überall den Vernunftschluß) als strengste Form gedanklicher Knüpfung zulassend, überall das eine aufs andere lo* gisch zurückführend oder das eine aus dem anderen logisch ableitend, überall schließlich nur wenigen un* ableitbaren Grundannahmen verdankt; — diesem hoch* vorbildlichen mathematischen Gefüge wollte Galileis System der Natur in seinem wissenschaftlichen Cha* rakter entsprechen. Durch die Geometrisierung der Bahnen bewegter Massen wollte man erreichen, daß über sie Aus* sagen von der Zuverlässigkeit und Notwendigkeit der Geometrie selbst zu machen wären: ein Vorhaben von ent* schiedener Vermessenheit des Erkenntniswillens, wenn man es recht bedenkt. Die Ergebnisse zahlloser einzelner Beob* achtungen und Erfahrungen sollten aus möglichst weni- gen oder sogar aus einem einzigen Grundsatz (als dem all*
514
gemeinsten Ausdruck für alle Beobachtungen und Erfah* rungen miteinander) denknotwendig ableitbar sein. Derart schien eine genügende Anähnelung geometrisierter Wirk* lichkeit an das Muster der reinen Geometrie möglich; der* art gelang es tatsächlich, Grundsätze, Lehrsätze, Begriffs* abgrenzungen, Beweise zu einem deduktiven Denkzusam* menhang zu verflechten. Wobei es bemerkenswert gewesen ist, daß die Geometrisierung der Mechanik um so besser und schneller fortschreiten konnte, desto entschlossener sie sich von den schwerfälligen und umständlichen Propor* tionen des Euklid entfernte, denn auch hier machte der Geist der cartesianischen Geometrie wirklich erst lebendig, nachdem der Buchstabe der euklidischen Geometrie bereits getötet war . . .
Die Annäherung und Anähnlichung der Mechanik an die Systeme der Geometrie war zuletzt eine so auffällige, daß man billig die Frage aufwerfen durfte, ob überhaupt noch ein Unterschied mindestens zwischen der sogenann* ten Bewegunglehre, Kinematik oder Phoronomie, und der Geometrie anzugeben wäre. Noch Heinrich Hertz sagt von der Bewegunglehre: „Solange es sich um die Betrachtung gesetzmäßiger (das heißt von der Zeit unabhängiger) Sy* steme handelt, fallen die Betrachtungen der Kinematik mit denen der Geometrie fast zusammen." Dieses einschränkende .fast' ist hierbei überaus bezeichnend. Verrät es doch eine gewisse Unsicherheit und Unentschiedenheit über die Tat* sache, ob die mechanische Bewegunglehre reine oder ange* wandte Geometrie wäre, — eine Unsicherheit und Unent* schiedenheit, welche auch durch die gleich darauf folgende Bemerkung nicht überwunden wird, daß die Mechanik in dem Augenblick größere Mannigfaltigkeit vor der Geome* trie gewönne, wo die Zeit in die Bedingunggleichungen der Systeme eingeführt werde. Denn was diese Einführung
33* 515
der Zeit in die mechanischen Bedingunggleichungen ans langt oder die mechanische Behandlung .ungesetzmäßiger' Systeme, so hebt Hertz ja in der Folge selbst hervor, daß die Mechanik diese Ungesetzmäßigkeit nur als eine schein* bare ansehe. Schwankt darnach sogar ein Physiker von diesem Rang, ob er die Kinematik als ein Gebiet reiner Mathematik zu bewerten habe oder nicht, — wie wäre es dem Philosophen zu verübeln, wenn er seinerseit darüber im Dunkeln tappt und beispielweise mit Eduard von Hart* mann die Bewegunglehre geradezu einen , Zweig der Ma* thematik' nennt: weil ihre Sätze a priori gewonnen und apodiktisch gewiß seien und es überdies dahin gestellt sein ließen, ob es in der Natur diesen Gesetzen entsprechende Bewegungen wirklich gäbe . . .
Diese mehr oder weniger in der Sachlage gegründeten Schwierigkeiten aber beiseite, wird man offenbar doch einen erheblichen Unterschied zwischen einer bloßen Geometrie der Lage (oder einer .darstellenden Geometrie', wie sie von gewissen Mathematikern heutzutag genannt wird) und der Bewegunglehre ohne Schwierigkeit feststellen können. Ich meine diesen, daß die Kinematik in die Zahl ihrer grund* legenden Begriffe die sogenannte Masse aufnehmen mußte, was für kein einziges System der Geometrie zutrifft. Ge* rade bei Heinrich Hertz sind die erste und die zweite De* finition seiner Prinzipien der Mechanik bemüht, eine schul* gerechte Erläuterung der Begriffe Masse und Massenteilchen zu geben. Und man kann mit dem Bewußtsein der vollen Verantwortung für diese Behauptung den Satz aufstellen, daß mit diesem Versuch begrifflicher Abgrenzung alle die unendlichen Schwierigkeiten, Unausdenkbarkeiten, Wider* sprüche, Verhängnisse der Mechanik beginnen, welche der Geometrie zu ihrem Heil stets fremd geblieben sind und fremd bleiben werden. In der Masse steckt das proble*
516
matisch kausale Moment, welches die Mechanik mehr als bloße Geometrie, mehr als bloße Mathematik sein läßt; in der Masse steckt das odiöse kausale Moment, welches die Mechanik aus ihrem Erkenntnisbereich am liebsten zu Gunsten mathematischer Äquipollenz oder Äquivalenz verdrängt sähe, aber unter keinen Umstän* den verdrängen kann, ohne im nämlichen Augenblick schon aufgehört zu haben, Mechanik zu sein . . . Nicht ein* mal also die überlegsamste Vorsicht und Sorgfalt, mit wel* eher Heinrich Hertz an die Definition dieses entscheiden* den Begriffes gegangen ist, konnte das mechanistische Welt* bild davor schützen, mit unbeabsichtigter Schonunglosig* keit sich selber bloßzustellen, und diese Tatsache nötigt uns, an der hertz'schen Definition nicht blindlings vorbeizuge* hen. „Ein Massenteilchen", wird uns nämlich bedeutet, „ist ein Merkmal, durch welches wir einen bestimmten Punkt des Raumes zu einer gegebenen Zeit eindeutig zuordnen einem bestimmten Punkte des Raumes zu jeder anderen Zeit." Und sofort darauf : „Jedes Massenteilchen ist unver* änderlich und unzerstörbar." Da die Masse lediglich die Zahl der Massenteilchen in einem bestimmten Räume ist, wäre sie also nach dieser Abgrenzung: erstens das einem Punkt im Raum zugeordnete .Merkmal', zweitens aber außerdem noch ein Ding, ein Wesen, ein Eigenschaft* und Merkmalträger, dem die Kennzeichnungen .unzerstörbar' und .unveränderlich' zugesprochen werden! In welcher Hilflosigkeit sich hier das wissenschaftliche Denken befin* den muß bei einem so scharfen und urteilskräftigen Geist, ehe es zu derartigen Ungereimtheiten seine Zuflucht nimmt und dem Leser mit soviel Unverfrorenheit, um nicht zu sagen Dreistigkeit eine Nase dreht, — das vermag wohl auch der logisch Ungeschulteste zu erahnen, der sich nie* mals mit den Untersuchungen des Aristoteles über Hypo*
517
keimenon und Symbebekos (ich meine hier das oi\ußEßi]y.6g y.ad? avxö), über Substrat und Attribut, über Ding und Eigenschaft in den Analytiken oder in der Metaphysik weiter eingelassen hat. Man sollte annehmen und man darf es wohl auch, der jedem Europäer innewohnende Takt für Logik und Konsequenz müßte sich gegen die Bestimmung eines Begriffes empören, die im selben Atemzug ein Etwas als Eigenschaft und als Ding, als Merkmal und als Merk* malträger umschreiben möchte. Wenn sich jemals zwei Denkinhalte von vornherein ausschließen, so ist es der eines Merkmales, mithin der an einem Ding, an einem Wesen haftenden Eigenschaft, und der des Dinges, Gegenstandes oder Wesens selbst. Ein Etwas, dem selber Eigenschaften wie Unzerstörbarkeit und Unveränderlichkeit beigelegt werden, kann seinerseit ganz und gar unmöglich einem anderen Etwas eigenschaftlich beigelegt werden : was Merk* mal hat, das ist nicht Merkmal, und beides zusammen läßt sich nicht erdenken.
Aber nicht diese einfache Selbstverständlichkeit sollte hier in Frage stehen. Was unsere Aufmerksamkeit an diese wahre Mißgeburt von Definition hängt, das ist die Tatsache, daß mit ihr ein eigentlicher und richtiger ,Wesens*BegrifF (im Sinne der sigwartschen Logik) etwas unkenntlich und jedenfalls schämig als .Merkmal' vermummt in die moderne Mechanik einzieht. Diese nicht unverfängliche und noch weniger unbefangene Aufnahme der Masse in die grund* legenden Vorstellungen der Bewegunglehre ist es, welche diese, wie schon gesagt, von jeder Art Geometrie oder Mathematik handgreiflich unterscheidet. Denn in keiner mathematischen Disziplin gibt es in diesem Wortverstand gebrauchte Wesensbegriffe, in keiner gibt es Substrate und Substanzen. Um sich davon überzeugt zu halten, genüge ein flüchtiges Vergleichen der Begriffe .Punkt' und .Massen*
518
teilchen', die vielleicht die einzigen in Geometrie und Me* chanik überhaupt vergleichbaren sind. Dabei zeigt es sich ohne Verzug, daß der sogenannte mathematische Punkt gar keinen Substratcharakter besitzt: als schlechthin unde* finierbar kann er nicht im mindesten als Träger von Merk* malen oder Eigenschaften aufgezeigt werden. Wohingegen die Masse im anspruchvollsten Sinn der Metaphysik als Substratum auftritt, wofern ihr unbedingte Beharrlichkeit, Dauer und Unveränderlichkeit per deßnitionem beigemessen werden. Ohne mich weiter auf das heikle Problem dieser Definition einzulassen, insonderheit ohne den folgewichti* gen Unterschied zwischen der definierten Masse der Kine* matik und der Masse tastbarer Körper in der eigentlichen Mechanik zu untersuchen, glaube ich mich genugsam ge* rechtfertigt, wenn ich schon in der gewissermaßen hypo* thetisch definierten Masse der Bewegunglehre jene .größere Mannigfaltigkeit' vermute, von welcher vorhin Heinrich Hertz gesprochen hat. Nicht die Zeit ist dies, die ja über* haupt eine sehr fragwürdige Rolle in der Mechanik spielt, sondern die Masse: Wesenheiten, die den Anspruch der (materiellen) Dauer und Unveränderlichkeit erheben, tre* ten in keiner Mathematik auf. Punkte gibt es im geometri* sehen Sprachgebrauch nur solange sie im Bewußtsein ge* setzt werden, damit dieses aus ihnen räumliche Gebilde von der und der konstruktiven Beschaffenheit erzeuge. Von den Massen jedoch wird ausgesagt, sie seien unzer* störbar und unveränderlich, mithin auch unabhängig von irgend welchen Akten des Gesetztwerdens oder Erzeugens: einerlei, ob man dabei an logische Substrate wie die Massen der Kinematik, oder an reale Substrate wie die Massen natürlicher Körper denken will. Keine mathematische Vor* Stellung, sei es Raum und Zeit, sei es Punkt und Gerade, ist von dem spezifischen Substratcharakter eines Begriffes
519
wie .Masse'. In dieser Hinsicht geschieht es tatsächlich, daß die Mechanik eine neue Mannigfaltigkeit unter ihre Voraussetzungen aufnimmt, eine Mannigfaltigkeit, welche in keinem System der Geometrie vorkommt: einen wasch* echten Wesensbegriff vom Schlage aristotelischer Hypokei* mena, der genau wie diese eine rein .vernünftige' ebenso* gut wie eine .wirkliche' Essenz zu bezeichnen vermag. Und in dieser Hinsicht bedünkt es mich auch durchaus denk* bar, daß die exakte Bewegunglehre kein Zweig der Mathe* matik sei, wie Eduard von Hartmann wahrhaben wollte, trotzdem ihre Sätze für apriorisch, für apodiktisch gelten dürfen.
Inzwischen obwaltet durchaus kein Zweifel, daß die hier bereits etwas fatal entlarvte Masse nicht der einzige Wesens* begriff ist, der sich für die Mechanik als unumgänglich herausgestellt hat. Entsinnt man sich nämlich noch einmal der bisherigen Entwicklung des mechanisch*maschinellen Weltbildes in groben Zügen, so muß man sich auch wohl schon eines zweiten Wesensbegriffes entsinnen, dessen bei Gelegenheit Erwähnung geschah. Die Natur maschinell betrachten, hieß sie als Triebwerk nehmen, welches Arbeit leistet. Arbeit im Wortgebrauch der neuen Wissenschaft gab es nur, wo Massen in Bewegung gesetzt wurden. Wie aber geschah dieses? Soll man der Einfachheit halber die Bewegung für den Naturzustand der Masse halten, über welchen keine andere Aufklärung möglich sei, — eine An* nähme, die unsere Erfahrung dauernd Lügen straft? Oder wird man nicht eher eine Verursachung für wahrscheinlich erachten müssen, deren Folge die Bewegung ist? Zwingt uns nicht geradezu der tyrannische Satz vom Grunde, auch die Bewegung der Masse als Wirkung einer Ursache auf* zufassen? Wenn Galilei und Newton das Gesetz von der Trägheit aufgestellt haben, demzufolge eine freie Masse
520
entweder im Zustand der Ruhe oder aber in einer gleich* förmigen Bewegung beharrt, deutet da nicht schon das .oder' zwingend daraufhin, daß die bewegte Masse durch eine Änderung ihrer Bedingungen von der ruhenden zu unterscheiden sei? Denn es kann doch unmöglich einerlei Grund haben, daß eine Masse entweder in der Ruhe oder in der Bewegung beharrt. Falls diese beiden Zustände wechseln, falls der eine sowohl wie der andere eintreten kann, müssen gewiß für den Eintritt des einen Bedingung gen da sein, welche beim Eintritt des anderen fehlen. Und da es der menschlichen Neigung offenbar näher liegt, die Ruhe als Mangel, als Beraubung, als privatio, als oteqijois der Bewegung aufzufassen wie umgekehrt: was ist natür* licher als die Bewegung im Zusammenhang mit einer ganz besonderen Ursache zu denken, mit irgend einer wirksamen Kraft oder Kraftäußerung? Kraft als Ursache der Bewegung, — ist nicht sie seit Leonardo da Vinci, seit Galileo Galilei, seit Isaak Newton der zweite Wesensbegriff der geschieht* liehen Mechanik? Und erscheint nicht gerade bei ihr der Substratcharakter um einen Akzent verstärkt, der bei der Masse zwar durchaus bemerkbar, aber nicht ebenso scharf und laut betont war, — ich meine den Akzent der Ursäch* lichkeit dieses Wesensbegriffes?
Einmal soweit, dieses zweite Substratum der .Ursache der Bewegung' in der Mechanik zu gewahren, bleibt zu unserer Überraschung ein drittes nicht aus, welches wir in anderer Bezugnahme physiognomisch schon einigermaßen zu ken* nen wähnen dürfen. Die sogenannte Energie nämlich nimmt gleichfalls Substratcharakter an: zum mindesten in einer der drei herrschenden Schulen der modernen Mechanik, die man gewöhnlich als die .qualitative Energetik' zu bezeich? nen pflegt im Unterschied zur .Hylokinetik', welche den Wesensbegriff der Masse als den ursprünglichen und maß*
521
geblichen setzt, im Unterschied auch zur , Dynamik', welche dasselbe mit dem Wesensbegriff der Kraft tut; — und diese substrathafte Färbung der Energie erscheint um so abson* derlicher, als sie ihr von Haus aus keineswegs eigentümlich, eher sogar zuwiderlaufend ist. Aus der Energie im Wort* verstand der früheren Mechanik, will heißen aus dem hal* ben Produkt der Masse in das Quadrat der Geschwindig* keit, oder wie man seinerzeit gern sagte, aus der ,lebendi* gen Kraft' (im Gegensatz zu dem ,peso morte Galileis oder zum unmittelbaren Druck), — aus ihr wird also gleicher* maßen ein verborgen Ding, Wesen, Substratum, wirksam gedacht in allen beobachtbaren Vorgängen der Natur und ihnen ,zugrund liegend*. Die vormals durchaus nicht mit Substratcharakter ausgezeichnete Energie, die nach einer der bekannten Hauptformeln der Mechanik gleich der Ar* beit ist, (ps = 1/2 m v2), gestaltet sich unter dem methodi* sehen Einfluß der kategorialen Knüpfung Ursache*Wirkung selber zur Ur*Sache um, von jetzt an freilich nicht mehr als eigentliche .Arbeit', sondern als .Fähigkeit zur Arbeit' ge* meinhin definiert. Eine Umprägung, die indessen, wie schon angedeutet, deshalb ein bißchen widersinnig anmutet, weil sie dem griechischen Wortgebrauch offenbare Gewalt antut. Denn bei Aristoteles, dem Schöpfer auch dieses wissenschaftgeschichtlichen Terminus, stand ivegysta gerade im Gegensatz zu allem, was nur ,der Möglichkeit nach seiend' angenommen wird, mithin im Gegensatz auch zu der bloßen Fähigkeit oder zu dem bloßen Vermögen, Arbeit zu leisten: dies eine wie das andere bezeichnete derStagirit passend als dvvajmg. Ihrer sprachlichen und sachlichen Her* kunft nach ist also die Energie aktuelle Wirksamkeit und nicht eine Latenz derselben, und dies ist ein Widerspruch, um welchen sich allerdings die qualitative Energetik ver* teufelt wenig kümmert. Getrost benennt sie den Vorrat an
522
möglicher Arbeit, möglicher Tätigkeit mit dem philosophi* sehen Ausdruck für wirkliche Arbeit, wirkliche Tätigkeit, — in der uneingestandenen Verlegenheit, daß sich die aks tuelle Arbeitleistung oder die Energie im strengen und ur* tümlichen Wortsinn (das erwähnte Produkt aus Masse und Geschwindigkeit) nicht wohl in dem willkürlich abgeän* derten Wortsinn eines ursächlichen Wesensbegriffes ver* wenden läßt, wie dies der Vorgang der mechanischen Hys lokinetik oder des mechanischen Dynamismus nahelegt.
Wie dem übrigens auch sei, — nicht zu bestreiten ist, daß die bisherige Mechanik mit Masse, Kraft und Energie zum mindesten drei sogenannte Wesensbegriffe aufzuweisen hat, wobei in allen dreien die substrathaft gedachte .Sache' der* art kausal getönt und betont erscheint, daß sie mehr und mehr die Bedeutung der ,UrsSache' annimmt. Die große Frage aber, welche der Mechanik nach der Ausbildung dieser Substratbegriffe gestellt war, lautete nicht anders als so: ob sie alle drei oder nur etwa zwei oder am Ende gar nur einen einzigen von ihnen unter die Zahl ihrer Grunds begriffe aufzunehmen habe, und, falls eine Auswahl in der Tat getroffen werden müsse, welche zwei oder welches eine Substratum sich am geeignetsten für den Aufbau dieser weltumspannenden Wissenschaft par exellence erweisen würde. Daß alle drei zur Grundlegung unentbehrlich sein sollten, schied von selber aus. Wenn zum Exempel die Kraft für das Substratum gehalten ward, welches Bewegung gen von Massen im Raum bedinge, so war es überflüssig und folglich unstatthaft, noch außer ihr eine zweite Ursache der Bewegung anzuerkennen. Da das nämliche auch für die Energie gegolten hätte, konnte es sich augenscheinlich nur noch darum handeln, ob entweder Kraft und Masse oder Energie und Masse als die Wesensbegriffe der Me* chanik anzunehmen wären. Bis dann Heinrich Hertz mit
523
dem kühnen, aber methodisch folgerichtigen Vorschlag hervortrat, die gesamte Lehre von den Bewegungen mate* rieller Systeme aus einem einzigen Wesensbegriff abzulei? ten (neben Raum und Zeit, die ja aber einen echten Sub* stratcharakter nirgends erkennbar werden lassen). Gemäß der geschichtlichen Lage konnte es sich dabei nur entweder um die Kraft oder um die Masse handeln, da für etwas wie eine ausschließlich energetische Mechanik sich erstens bis dahin noch niemand eingesetzt hatte; da die Energetik zweitens an einer von Hertz namhaft gemachten Sonder* aufgäbe der Mechanik (an dem Problem des Rollens mit geringer Gleitung) überhaupt versagt haben würde; und da der Begriff der Energie drittens sofort in unauflöslichen Widerspruch mit dem Begriff der potentiellen Energie ge? rät, welcher an sich jede Substanzialisierung schlechterdings verbietet; — und hiermit machte sich Hertz den hartmann? sehen Einwand von der .nichtarbeitenden Arbeit', den auch wir oben berührt haben, auf seine Weise zu eigen. Kraft oder Masse : das war also in aller Kürze die neue Disjunk* tion gewesen, vor welche Heinrich Hertz die europäische Mechanik stellte, — ja wenn man's richtig bedenkt, nicht nur die europäische Mechanik, sondern außerdem die euro* päische Philosophie, wie er mit ausgesprochen feinem Takt für geistige Zusammenhänge mehrmals hervorgehoben hat. Er hatte begriffen, daß diese Frage wissenschaftlicher Grund? legung aus Substraten, aus Wesenheiten, aus Merkmalträgern weit, weit über die Grenzen der exakten und unexakten Naturwissenschaften hinauswirke, und daß hier über erste und letzte Erkenntnisfragen szientifischer Sinndeutung der Welt überhaupt entschieden würde. Bald wird man mit wachsender Deutlichkeit gewahr werden, wieso und warum. Eben in dieser letzteren Hinsicht wird manches getan sein, sobald man sich einmal Rechenschaft darüber zu ver?
524
schaffen trachtet, warum eigentlich ein Forscher und Den? ker wie dieser Heinrich Hertz so gut wie alles darangesetzt hat, einen dieser notwendigen Wesensbegriffe womöglich für immer aus der Grundlegung der Mechanik zu entfern nen. Und da muß man freilich vor allen Dingen wissen, daß der Widerwille dieses genialischen Wissenschafters gegen jede Art von Kräften keineswegs erst aus seiner Be* schäftigung mit der Mechanik gegen Abschluß seines früh erloschenen Daseins hervorgegangen ist. Eher umgekehrt. Er hat diesen Widerwillen auf die Mechanik übertragen, weil ihm seine Untersuchungen über Elektrodynamik, an* schließend an eine bekannte von Helmholtz gestellte Preis* frage, mißtrauisch machten zunächst einmal gegen die An* nähme sogenannter Fernkräfte. Das wichtige Ergebnis jener weit über das Fach, weit über jedes Fach hinausgreifenden Forschungen ist es gewesen, man erinnert sich vielleicht, daß hier die Wirkungen scheinbarer Fernkräfte nachzu* weisen waren als die Übertragungen eines zwischenliegen* den dielektrischen Mittels. Seither hat ihn der Argwohn gegen jede Art von Fernkräften nicht wieder verlassen. Und er hat ihn auch nicht vergessen können angesichts der sogenannten , Kraft' überhaupt, die ja etwa nach Immanuel Kants oder Eduard von Hartmanns Ansicht stets und aus* nahmlos zugleich Fernkraft ist. Eben das glänzende Ergeb* nis seiner elektrodynamischen Versuche mußte ihm die grundsätzliche Prüfung nahelegen, ob die Kraft nicht (ge* nau wie die Fernkraft aus der Elektrodynamik) aus der Mechanik überhaupt auszumerzen wäre, auszumerzen we* nigstens als einer ihrer Grundbegriffe, nachdem der Spuk dynamischer Fernwirkung einmal doch glücklich hat ver* scheucht werden können. Und wirklich fand er dabei et* liehe Einwände, genügend stark und gegründet, um die Vorstellung der Kraft für jegliche Zukunft zu entwerten.
525
Der schlagendste dieser Einwände sei gleich vorwegge* nommen.
Das dritte Gesetz Newtons oder der Grundsatz der Re* aktion, macht nämlich Heinrich Hertz geltend, fordere nicht nur eine Kraft als Ursache der Bewegung schlechthin, sondern daneben noch eine dieser ersteren gleichwertige, welche nicht anders denn als Folge der Bewegung aufzu* fassen sei. Kraft und Gegenkraft sind diesem Gesetz zu* folge einander gleich. Wo also eine Kraft auf einen ruhen* den Körper dahin ausgeübt werde, daß dieser in Bewegung gerate, übe umgekehrt der bewegte Körper eine Gegenkraft desselben Grades auf den bewegenden Körper und dessen Kraft aus. Die übliche Definition der Kraft erläutert aber ja diese lediglich als das, was die Bewegung von Massen einleitet, bedingt oder verursacht, keineswegs zugleich als das, was von bewegten Massen zurückwirkt. Die Kraft, in der begrifflichen Abgrenzung und in den beiden ersten Gesetzen Newtons auftretend, ist wesentlich Ursache und gar nichts weiter. Im dritten Gesetz Newtons hingegen lernt man ganz plötzlich eine durchaus andere Kraft ken* nen, die ebenso sehr Wirkung wie Ursache ist. Woher sie? Entweder war es jetzt unrichtig, vormals die Kraft bloß als Ursache der Bewegung aufzuführen, — oder das dritte Gesetz Newtons ist falsch. Weil jedoch das dritte Gesetz Newtons nachweislich nicht falsch ist, bleibt nur die erste Folgerung: die Kraft war unzulänglich definiert. Oder nein, nicht nur unzulänglich definiert, sondern überhaupt zu un* recht in den Grundbegriffen der Mechanik mit aufgezählt. Denn diese Kraft, im dritten newtonschen Gesetze wie ein Gott aus der Maschine' aus der Versenkung des Theaters, aufgetaucht, darf unter keinen Umständen mehr für die (unumkehrbare) Ursache bewegter Massen gelten, sondern für ihre umkehrbare und wechselbezügliche Funktion: —
526
Kraft, das ist offenkundig eine doppeltgerichtete (korrela* tive) Beziehung zwischen bewegenden und bewegten Mas* senl Nicht die Kraft ist die Änderungbedingung der Mas* sen, sondern die Massen je zweier Körper bedingen einen doppeltgerichteten, von einem zum anderen und vom an* deren zum einen laufenden Zusammenhang zwischen ihnen beiden. Mithin ist auch die Kraft nicht das bewegliche Reale, bewegende Substratum der Weltmaschine, vielmehr nur noch eine Größe dynamischen Wechselbezuges zwi* sehen substanziellen Massen und Massenpunkten. Aus den Wesensbegriffen der Mechanik scheidet sie dann aus, weil und wofern zu ihnen vernünftigerweise kein Denkinhalt gehören kann, der eine von wirklichen Wesenheiten erst bedingte Beziehunggröße bezeichnet. Hat man einmal die als Substratum auftretende Kunst als bloße Funktion von Substraten entlarvt, so hat man sie selbstverständlich auch als methodische Grundlegung im Sinn von mechanistisch* maschinellen Wesensbegriffen erledigt. Nicht mehr Wesen* heit, nicht mehr Eigenschaftträger, nicht mehr Sache oder gar Ur*Sache, nicht mehr Prinzip, nicht mehr Hypokeime* non, stellt sie jetzt einfach noch eine gewisse wechselseitige Wirkungäußerung von Körpern dar. Von Heinrich Hertz aber war es nur konsequent gehandelt gewesen, wenn er in seiner Definition der Kraft sorgfältig den Ausdruck »Ursache* vermeidet und ihn durch den augenscheinlich harmloseren .Einfluß' ersetzt. Die Kraft keine Ursache, höchstens ein Einfluß: in dieser vorsichtigen Wendung stabiliert die hertz'sche Mechanik und Philosophie der Me* chanik die neue wissenschaftliche Errungenschaft . . .
Wie man sich nunmehr überzeugt halten darf, gilt also der Kampf gegen die Kraft weniger ihrem eigentlich sub* strathaften als ihrem kausalen Charakter, den sie von An* fang an bei sich führt. Nicht das Substratum an und für
527
sich soll etwa aus der Mechanik verdrängt werden, — denn sonst müßte unverzüglich auch die Masse aus ihr ver* schwinden, — sondern nur das kausal belastete Substratum. Man möchte gern die Kraft als unumkehrbare Ursache der Bewegung eintauschen gegen einen Begriff wesentlich ma* thematischen, wesentlich relationalen, wesentlich funktio* nalen Gepräges, und dies geschieht mit der Deutung der Kraft als eines wechselseitigen Bedingungverhältnisses zwi* sehen Massen oder Massenpunkten. Die Kraft, will man, sei fortan ebensosehr eine Wirkung bewegter Merkmalträ* ger wie Ursache; die Kraft werde zukünftig nur dort noch als Ursache gedacht, wo sie umgekehrt sich auch als Wir* kung erkennbar mache. So daß man sich den wohlbekannt ten Bestrebungen eines Avenarius oder Mach angenähert findet, welche im Gehorsam gegen einen übermächtigen Instinkt der Zeit die anscheinend veraltete Vorstellung der Kausalität ersetzt wissen möchten durch die Vorstellung der funktionalen Abhängigkeit. Und diese Bestrebungen befinden sich wiederum in einem so nahen Zusammenhang mit den innersten Tendenzen mechanistischen Denkens, daß es angebracht sein mag, sich mit ihnen noch etwas ernsthafter zu befassen.
Ziel und Zweck und Absicht der Mechanik, sagten wir hier schon häufiger, gipfelten darin, den möglichst voll* kommenen analytischen Ausdruck für die Bewegungen na* türlicher Systeme zu finden. Diese Bewegungen sichtbarer und tastbarer Massen, als Ereignisse der Sinnesanschauung dem vernünftigen Denken keineswegs unmittelbar zugäng* lieh, werden also mittelbar sozusagen ins Denkbare über* setzt, indem man ihnen zuerst ein geometrisches Schema (geradlinig rechtwinkliger Koordinaten) substituiert und dann zu ihm die entsprechende Gleichung aufzustellen sucht. Diese recht eigentlich wunderbare Unterstellung
528
größenmäßiger und vergleichbarer Denkgebilde an Stelle unmittelbarer Gegebenheiten der Wahrnehmung endigt und vollendet sich also damit, daß der bewegte Ablauf der Natur in starre Gleichsetzung übersetzt erscheint. Zweckt aber derart der tiefste Erkenntniswille der Mechanik auf einen logisch geordneten Zusammenhang solcher Gleich* Setzungen ab, so liegt darin die Tatsache zwar nicht aus? gesprochen, aber doch eingeschlossen, daß dem mechani* stisch*maschinellen Weltdenken ursächliche Vorstellungen nicht eigentlich entsprechen. Denn was auch immer es für eine Bewandtnis mit dieser Ursächlichkeit haben möchte : sie birgt in sich eine nicht in Abrede zu stellende Ungleich* setzung. Der Satz, wenn A gesetzt ist, ist auch B gesetzt, duldet keine Umkehrung und keine Vertauschung seiner Glieder. Eindeutig gibt er vielmehr dem Geschehen seine Richtung, und in dieser Hinsicht sind die beiden Momente der Kausalität durchaus nicht einander gleich, sondern streng einander ungleich: denn das untrüg* liehe Kennzeichen der Gleichheit heißt Vertauschbar* keit und Ersetzbarkeit denkhafter Inhalte. Der Satz jedoch, ,wenn A gesetzt wird', verhält sich zum Satz ,dann wird auch B gesetzt', eben nicht wie die Seite einer Gleichung zur anderen Seite, die ja ihre Stellen nach Be* lieben tauschen dürfen, — ganz im Gegenteil ist das Ver* hältnis, welches beide Sätze zueinander einnehmen, ausge* sprochen das einer unabänderlichen Ungleichwertigkeit von Bedingung und Bedingtheit.
Daraus wäre vielleicht zu folgern, daß unser mechani* sches Denken überall gleichsam automatisch den kausalen Nexus verdrängen würde, wenn andererseit dem psycholo* gischen Zwang zu entrinnen wäre, natürliche Bewegungen ohne bewegende Ursachen nicht vorstellbar, nicht denk* bar, nicht erklärbar finden zu müssen. In dieser schweren
34 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 529
Verlegenheit ist man daher auf den gar nicht üblen Ausweg klug verfallen, diesen beiden Bedürfnissen des Geistes nach Ursächlichkeit und nach Gleichheit recht zu geben und das kausale Verhältnis als solches zu mathematisieren. Un* übertrefflich klar gelangt diese witzige Lösung beispiel* weis zum Ausdruck in der schon mehrfach hier berührten Definition, die Robert Mayer, dieser wahre Gegenfüßler und Gegenspieler Heinrich Hertzens, von der physikali* sehen Kraft als der „einer meßbaren Wirkung proportio* nalen meßbaren Ursache" gegeben hat. Hier haben wir das ursächliche Verhältnis, verschämt verschleiernd die lo* gische Ungleichwertigkeit kausaler Glieder hinter dem dünnen Läppchen mathematischen Gleichwertes. Gewiß: die Kraft ist Ursache und als solche toto genere von der Wirkung verschieden, — dieses Faktum ist schlechterdings nicht aus der Welt zu schaffen. Aber gleichzeitig und zur Beschwichtigung ist Kraft außerdem noch meßbare Menge, meßbares Wieviel, meßbare Größe, — und in dieser Eigen* schaft ihrer Wirkung, wer wagt daran zu zweifeln, durch* aus gleich, gleichartig und gleichwertig. Die immanente Kausalität des mechanistischen Wesensbegriffes wird hier nicht geopfert, nicht preisgegeben. Aber sie wird gewisser* maßen eingewickelt in Mathematik, eingekapselt in ein äußeres Skelett umkehrbarer Gleichungen des Größenwer* tes ihrer Glieder. Dadurch wird der Anschein geweckt, als sei die Mechanik imstand das kausale Denken bis zu jedem beliebten mathematischen Gebrauche gleichsam glatt zu hobeln, und man braucht nur etwas genauer hin* zusehen, um derart mathematisch vermummte Kausalitäten so oft anzutreffen, daß man sich wirklich versucht fühlen könnte, Mechanik ganz allgemein zu definieren „als dieje* nige Wissenschaft, welche ursächliche Knüpfungen der Natur in Gleichungen übersetzt." Erinnert sei hier nur an
530
solche Formeln wie: lebendige Kraft = geleistete Arbeit; Antrieb = Bewegunggröße; Produkt der Kraft in die Zeit = Produkt der Masse in die Geschwindigkeit; Kraft = Masse mal Beschleunigung, — und dergleichen mehr. Hierher gehörten insbesondere sämtliche Ausdrücke, die Wilhelm Wundt bei Gelegenheit teils Kraftgleichungen, teils Energie* gleichungen genannt hat und deren logische und szienti* fische Verwandtschaft untereinander darin besteht , daß in ihnen künstlich herausgehobene Wirkungen des natürlichen Geschehens ebensolchen Ursachen bezüglich ihrer energe* tischen oder kinetischen oder dynamischen Größe gleich* gesetzt erscheinen. Die Neigung, ja den Hang der Mecha* nik, ursächliche Verhältnisse auf Gleichungen zu bringen, kann man gar nicht unbefangener einräumen, als dies an der nämlichen Stelle durch Wundt geschieht, und mit der Naivität des eingefleischten Mechanisten hat dieser For* scher nicht den mindesten Anlaß entdeckt, sich an dieser glänzendsten und erfolgreichsten, gleichzeitig aber auch ungereimtesten Paradoxie der neueren europäischen Wis= senschaftlichkeit philosophisch zu stoßen.
Alles in allem verhält es sich mit dieser Paradoxie, wie wir jetzt doch mit ausreichender Bestimmtheit wahrnehmen dürfen, nicht viel anders wie mit dem sogenannten Ding an sich kantischen Angedenkens, von welchem ein witziger Kritiker ebenso zutreffend wie artig angemerkt hat: daß man ohne dieses odiöse Ding an sich leider nicht ins kan* tische System hineinzugelangen, mit ihm dagegen es drinnen nicht auszuhalten vermöchte. Denn in der Tat! Ohne die kategoriale Knüpfung Ursache*Wirkung kommt man unter keinen Umständen in die eigentliche Mechanik hinein, weil diese Knüpfung unmittelbar oder mittelbar in die not* wendig vorauszusetzenden Wesensbegriffe dieser Wissen* schaft einverwoben ist und ihrerseit erst die Mechanik als
^* 531
angewandte Geometrie von der reinen Geometrie unter* scheiden läßt. Mit dieser kategorialen Knüpfung jedoch verbietet sich der Verbleib innerhalb der Mechanik mit der* selben Strenge, wofern es zu den untilgbaren Eigenheiten der maschinellen Weltauffassung gehört und gehören wird, kausale Beziehungen gleichsam in mathematische zu ver* flüchtigen. Die erstrebte Geometrisierung der Wirklichkeit hängt durchaus davon ab, ob man die Kausalität restlos zur Äquipollenz, Äquivalenz umzuformen vermöchte: aber eben diese gebotene Umformung vollzieht sich lediglich in einem methodischen Wolkenkuckuckheim, in einem szienti* fischen Nirgendland. Keinen Augenblick sollte die uner* hörte Fruchtbarkeit des causa aequat effectum über seine vollkommene Unmöglichkeit hinwegtäuschen, — vom Standpunkt der unbestochenen Vernünftigkeit gibt es keine axiomatische Annahme, die mit dieser an Denkwidersinnig* keit wetteifern könnte . . .
Nur um einer Forderung der geschichtlichen Gerech* tigkeit genug zu tun, sei hier noch des Umstands ge* dacht, daß sich in dieses entscheidende Problem mathe* matischer und nicht mathematischer Kausalität schwer* lieh jemand heftiger und niemand wohl frühzeitiger verbissen hat als der ganz junge Kant. Man hat von seiner Erstlingschrift Notiz genommen, von den etwas unklaren und weitläufigen Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte, wo er das von Leibniz aufgestellte Maß (m v2) für geleistete Arbeit bekämpft oder wenigstens in seiner Geltung einzuschränken und mit dem Gebrauch der cartesianischen Formel (m v) in Einklang zu bringen trachtet. Was an dieser, heut längst gegenstandlos gewordenen Streitschrift indessen noch immer jeder schär* feren Aufmerksamkeit würdig zu sein scheint, das ist die Begründung, von der aus Kant zu einer bedingten Ab*
532
lehnung des leibnizischen Maßes kam. In einen Satz zu* sammengedrängt lautet sie ungefähr dahin, daß die Formel Leibnizens, das Produkt der Masse in das Quadrat der Ge* schwindigkeit, mathematikwidrig sei! Und zwar deshalb, weil sie gegen die oberste Regel der Anwendbarkeit der Mathematik auf Vorgänge der Natur verstoße, gegen das von Leibniz selbst erstmals ausgesprochene effectus quilibet aequipollet viribus causae plenae. Denn, meint Kant, nach dem Stoß eines kleineren elastischen Körpers gegen einen größeren sei im Vergleich zu vorher ein Mehr an Kraft vor* handen; nach dem Stoß unelastischer Körper dagegen (und dies dürfte zutreffend sein!) ein Minder. Folglich laufe der nach Leibnizens Arbeitausdruck berechnete Stoß dem causa aequat effectum zuwider und damit dem Grundsatz der mathematischen Gleichwertsetzung. Folglich müßten die .lebendigen Kräfte', falls es solche überhaupt gibt, außer* halb einer Natur gesucht werden, die sich unser Verstand gemäß den Voraussetzungen der Mathematik errichtet und deren Geschehen von dem Axiom der kausalen Äquipollenz gedanklich bemeistert wird. Und die Darlegung Kants mündet in den, verglichen mit seinem späteren Denken doch überraschenden Schluß, daß es (als methodisches Be* reich für Leibnizens Formel) eine Natur außermathema* tischer Kausalität geben müsse: eine Natur mit anderen Worten, wo die Ursache nicht mehr gleich ihrer Wirkung, die Kraft nicht mehr mechanisch das Ergebnis äußerer Be* dingtheit (wie etwa beim Stoß) wäre, sondern wo man die Ursache oder die Kraft als eine innerlich spontane Tendenz oder .Intension' zu verstehen habe, durch welche die Be* wegung materieller Systeme gleichmäßig ins Unendliche erhalten würde. Stellt man diese reichlich unerschrockene Folgerung mit dem in der nämlichen Zeit geprägten Satz in eine Reihe, „wonach wir noch keine Dynamik haben,"
533
so sieht man nicht ohne Bewunderung dem jungen Kant als Ziel seines naturphilosophischen Denkens eine Wirk* lichkeit vorschweben, worin jeder Körper seine Kraft sua sponte unabhängig von dem Grundgesetz des causa aequat effectum äußert und sich nach Ablauf einer endlichen Zeit zu einer mathematisch nicht festzulegenden Geschwindig* keit entwickelt oder .verlebendigt' (vivifiziert). Von hier aus ward dann dem Naturphilosophen Kant die hohe Kon< zeption einer allgemeinen Dynamik des Kosmos, deren Ausarbeitung leider bis auf ungenügende Ansätze in der Neuen Beleuchtung der ersten Grundsätze und in der Phy* sischen Monadologie unterblieben sind. Und abermals von hier aus, dürfen wir vielsagend hinzufügen, laufen wir unversehens unserem vorigen Ergebnis wieder in das Ge* hege, — jenen katalytischen Kräften Robert Mayers, die sich mit Kantens lebendigen Kräften einer nie geschriebenen Dynamik in das große Merkmal teilen, jeglicher Geometrie sierung der Wirklichkeit nach dem Willen des causa aequat effectum ein für alle mal zu widerstreben und damit dem beengten Blick eine maschinell nicht mehr deutbare Welt voll Hoffnung zu erschließen . . .
534
KAUSALITÄT UND AQUIPOLLENZ IN DER MECHANIK
Im Angesicht dieser letzten und ausgebreiteten Perspektive wird uns nun folgendes gewiß. Sowohl Immanuel Kant wie Robert Mayer waren der außerordentlichen Entdeckung hart auf der Spur, daß die konstitutive Grundregel, sozu* sagen der Generalbaß aller Mechanik, ein zuletzt un* haltbares Kompromiß darstelle zwischen den kausalen und äquipollenten Bedürfnissen wissenschaftlichen Welt* erklärens, Weltbeschreibens. Wobei es nur in der Ordnung gewesen ist, wenn der Naturforscher lieber die Ursächlich* keit zu Gunsten mathematischer Gleichwertsetzung, der Philosoph lieber aber diese zu Gunsten jener aufzuopfern offenbar bereit ist. Im Unterschied zu diesen beiden Ge* lehrten haben wir, die uns kein gelehrtes Interesse bindet, darüber völlig im reinen zu sein, daß sich's hier weniger um die Geltung äqualer oder inäqualer Kausalität dreht, wie Kant noch wähnte, auch nicht um Kausalität oder Nicht* Kausalität, wie Robert Mayer wohl anzunehmen geneigt war, — nur ganz einfach um Kausalität und Äquipollenz schlechthin. Es handelt sich darum zu begreifen, daß es eine äquale Kausalität gar nicht gibt. Die Ursache ist der Wirkung wesentlich ungleich, und keines ist mit dem anderen in irgendeiner Hinsicht vertauschbar, keines kann das andere an seiner Stelle ersetzen: was denn doch, wie schon erwähnt, das unverkennbare Merkmal jeder Gleichheit wäre. Selbst wenn man der Ursache eine der Wirkung an sich gleich* wertige Größe oder Zahl zuordnete, also gewissermaßen dieselbe Menge Ursache derselben Menge Wirkung ent* sprechend dächte, so wären in diesem Ausdruck nur die mathematischen Quanten einander gleich, niemals die logi* sehen Termini, von welchen diese Quanten ausgesagt wer*
535
den. Diese Unvertauschbarkeit kausal verknüpfter Glieder beruht nicht allein auf ihrem vollkommen eindeutigen und einsinnigen GerichtetsSein oder auf ihrer Unumkehrbarkeit, wie dies etwa auch für die Zeit so lang angenommen ward, bis Henri Bergson auch hier den Begriff des .Mittels mit ungleichartigen Querschnitten* eingeführt hat. Nein, nicht nur eindeutig gerichtet und unumkehrbar sind die Glie* der der Kausalität, sondern dazu noch logisch verschiedenen Inhaltes: ist doch die Ursache jederzeit auch .sachlich' von der von ihr gesetzten Wirkung verschieden. Was ich darunter verstanden wissen möchte, ist wiederum kaum an einem zweiten Beispiel so gut aufweisbar wie just bei dem mechanischen Wesensbegriff der Kraft. Denn die Kraft ist ja laut begrifflicher Abgrenzung Ursache der Bewegung, — Bewegung mithin Wirkung der Kraft. Gibt es aber, frag' ich, zwei weniger miteinander vergleichsame Denkinhalte, die man zu Gliedern einer natürlichen Verknüpftheit aus* ersehen könnte, als diese beiden? Sind nicht beide Begriffe, beide Erlebnisausschnitte völlig disparat, völlig inhaltver* schieden? Wo wäre auch nur die leiseste Ähnlichkeit vor* handen zwischen der als Ursache gedachten Kraft und der als Wirkung gedachten Bewegung? Und wenn nicht ein* mal Ähnlichkeit, nicht einmal Vergleichbarkeit, — wie denn gar irgend welche Gleichheit? Höchstens eine gewisse Gleichwertigkeit dürfte man diesen Gedankenbildern inso* fern zugestehen, als beide die symmetrischen Glieder ein und derselben kategorialen Knüpfung oder Beziehung sind, mithin beide zu einem dritten ihnen übergeordneten Be* griff (eben der .Knüpfung' oder der .Beziehung') das näm* liehe logische Verhältnis (der .Gliedschaft') einnehmen. Aber diese Art Gleichwertigkeit reicht gerade aus, um die höchst unverwandten Vorstellungen Kraft und Bewegung logisch überhaupt zusammensichten (avyxQlvetv) zu können.
536
Durchaus ist sie Gleichwertigkeit sui generis und hat mit der üblichen Äquipollenz der Logik nichts zu schaffen, — noch weniger etwas zu schaffen mit einer jederzeit nur quantitativ aufzufassenden Äquivalenz, wie sie etwa im ersten Hauptsatz von der Energie Grundlage des ganzen Gesetzes bildet.
Das mechanische Denken pflegt freilich über solche Hin? dernisse mit großer Leichtigkeit hinwegzuspringen, da ihm die mathematische Gleichung ja stets das Mittel darbietet, die sachliche Ungleichheit und Ungleichartigkeit kausaler Glieder glücklich zu verschleiern. Ich darf mich dabei noch* mals auf Ausdrücke von der Beschaffenheit etwa der mecha* nischen Grundformel: Antrieb = Bewegunggröße berufen. Hier werden anscheinend nur zwei Produkte einander gleich gesetzt (y m = p • t), und unter diesem Gesichts* winkel gesehen ist jeder Einwand gegen die Gültigkeit der Formel gegenstandlos. Löst man jedoch die einzelnen Zeichen der Formel einmal von ihrer rein algebraischen Be= deutsamkeit ab und spricht den Satz aus, daß die mit einer gewissen Geschwindigkeit bewegte Masse der in einer be* stimmten Zeit sich äußernden Kraft gleich sei, so stellt sich sofort das Bild der dynamischen Verursachung eines kine* tischen Ereignisses ein und der mathematische Sinn des Aus* drucks rückt wie von selbst in den Hintergrund. Es ist, als ob das Denken unentschlossen hin und wieder schwanke zwischen der mathematischen Gleichsetzung und der kau* salen Ungleichsetzung. Mit einem der Physik entliehenen Wort möchte ich sagen, das denkende Bewußtsein oszilliere zwischen beiden Einstellungen, es zittere und flirre zuletzt schier rhythmisch hin und her, je länger und je genauer es beiden Einstellungen gerecht zu werden versucht. Und eben die unbestreitbare Tatsache, daß das Bewußtsein über diesen oszillierenden Zustand nicht hinausgelangt, erhärtet
537
die Unmöglichkeit für die äquale und die kausale Auffassung, sich in einem dritten Denkgebilde einheitlich zu durch* dringen. Hält man sich dann infolge dieser seltsamen Wahrnehmung wirklich überzeugt von dem unauflöslichen Widerstreit dieser verschiedenen Einstellungen zwischen der Naturbeherrschung durch (mathematische) Gesetze und der Naturerklärung durch (dynamische) Ursachen, zwei Einstellungen übrigens, welche gelegentlich Alexander von Humboldt in einer Anmerkung zum ersten Kapitel des dritten Bandes des Kosmos überraschend klar und treffend an einer Gegenüberstellung Keplers mit Newton zu illustrieren, zu .illuminieren' verstand, — so wird man denselben Widerstreit innerhalb der maschinellen Welt* betrachtung an zahllosen Stellen bei zahllosen Gelegens heiten feststellen können. Und man wird zu begreifen be* ginnen, aus welchem warnenden Instinkt heraus eine Reihe von exakten Forschern die Kausalität völlig aus der natur* wissenschaftlichen Deutung der Wirklichkeit zu entfernen, zu bannen versucht haben. Diese Kausalität verträgt sich nicht mit der Verfahrungweise des exakten Denkens, welches die Natur durch eine Reihe analytischer Gleichungen sinnbildlich darzustellen trachtet, und nichts war darum mehr in der Richtung dieses Trachtens gelegen als der Ent* Schluß Hertzens, kurzer Hand aus der Mechanik den Wesens* begriff hinauszuwerfen, der von jeher mit kausalen Vor* Stellungen übermäßig befrachtet gewesen ist, ja der geradezu der Magnet war, alle nur erdenklichen kausalen Asso* ziationen an sich zu ziehen. Kraft als Ursache, diese Unter* Stellung mußte aus den Voraussetzungen eines hochgradig exakt gebauten Gedankenzusammenhanges verschwinden: sonst stand es schlimm mit jeglichem Anspruch an vollen* dete Genauigkeit mechanisch*maschinellen Denkens. Denn, um endlich den unausgesprochenen aber maßgeblichsten
538
Einwand Hertzens glatt herauszusagen, — kausales Denken versagt sich als solches der Anwendung der mathematischen Methode und ist in diesem Betrachte ungenau. Ursachen bleiben jederzeit geheimnisvoll. „Die wirklichen Kräfte sind niemals Gegenstand der früheren Erfahrung gewesen, noch erwarten wir, sie in zukünftigen Erfahrungen anzu* treffen", heißt es in der Einleitung zu den hertz'schen Prin* zipien. Und es ist, als ob hier ein Argument herangezogen würde, welches der spätere Kant, jetzt seinem Dynamismus der Jugendzeit abschwörend, in den Metaphysischen An* fanggründen noch etwas tiefer, grundsätzlicher und ent* schiedener in Worte gefaßt hat: „ . . . dagegen, wenn der Stoff selbst in Grundkräfte verwandelt wird, uns alle Mittel abgehen, diesen Begriff der Materie zu konstruieren, und, was wir allgemein dachten, in der Anschauung als möglich darzustellen . . ." (Zweites Hauptstück, Allgemeine An* merkung zur Dynamik). Fürwahr leistet der Begriff der Kraft, der weder in der Erfahrung aufzeigbar ist, noch sich der mathematischen Konstruktion — ich würde eher sagen: der Darstellung in analytischen Gleichungen — zugänglich erweist, für die Mechanik nichts, als daß er sie mit gefähr* liehen Assoziationen belastet . . .
Um allen diesen Übeln mit einem Male zu entweichen, schied wie gesagt Heinrich Hertz die Kraft aus den grund* legenden Vorstellungen der Mechanik aus, indem er gleich* zeitig den Substrat*Begriff zu einem Funktion*Begriff um* bildete. Ein doppelter Vorteil war dadurch ohne Schwierig* keit gesichert. Einmal wurden die Voraussetzungen der Mechanik von unklaren und zweifelhaften Bestandteilen gereinigt, was auf die Deduktion des gesamten Systems nur günstig einwirken konnte. Zum zweiten bot die Umgestal* tung des Substrates in eine Funktion eine unvergleichlich besser geeignete Möglichkeit dar für die Anwendung der
539
Mathematik. Faßt man nämlich nach dem Vorgang Hein* rieh Hertzens die Kraft nunmehr als die wechselbezügliche Abhängige bewegter Massen auf, so verschwindet der frühere Gegensatz von äqualem und kausalem Denken, einst* mals von dem Begriff der Kraft unzertrennlich, so gut wie vollständig. Als korrelative Funktion zweier Massen ist die Kraft nicht mehr Glied einer unumkehrbaren Beziehung gemäß ihrer vorigen Definition, sondern die Kraft selber wird Beziehung, und zwar entsprechend der hertz'schen Bestimmung eine umkehrbare, weil wechselbezügliche Be? Ziehung. Denn „der Einfluß, welchen das eine von zwei gekoppelten Systemen auf die Bewegung des anderen aus* übt", er ist dem dritten Gesetz Newtons zufolge ja ein gegenseitiger: ihm entspricht durchweg der Einfluß des anderen Systemes auf das erste als sogenannte Gegenkraft. Wobei es dem Belieben überlassen bleibt, welcher der bei* den Einflüsse als Kraft und welcher als Gegenkraft zu gelten hat. Wird auf diese Weise das mechanische Substratum der Kraft nicht sowohl in eine Funktion überhaupt als viel? mehr sogar in eine korrelative Funktion umgewandelt, so ist mit dieser Umprägung ohne Zweifel auch der Begriff einer unumkehrbaren und eindeutig gerichteten Beziehung, wie ihn die Ursächlichkeit enthält, beseitigt und einem Vor? stellunggefüge aus lauter mathematischen Gleichsetzungen ein letztes Hindernis aus dem Feld geräumt. Der Quer? schnitt, den man sich jetzt durch eine von solchen Kräften ausgefüllte Wirklichkeit zu einer gewissen Zeit gezogen zu denken hat, darf tatsächlich dem Querschnitt der nächst? folgenden Zeit gleich erachtet werden, wofern jeder Körper so viel an dynamischem Einfluß, als er von einem anderen erfährt, wieder auf diesen zurück ausübt. Diese Annahme war bei der streng kausalen Auffassung der Kraft nicht statthaft gewesen. Dort ist der Querschnitt durch die Ur?
540
sachenreihe einem Querschnitt durch die Wirkungreihe ungleich gewesen, weil der erstere nur die Summe der Be* dingungen einschloß, durch welche der zweite notwendig gesetzt ward: mithin einer den anderen zu vertreten unfähig gewesen sein würde. Die beiden Folgezustände der mecha* nisch entwickelten Wirklichkeit waren nicht umkehrbar, und wofern der Ursachen*Querschnitt sich sachlich schlecht terdings vom Wirkung*Querschnitt unterschied, verbot sich jede Vertauschbarkeit des einen mit dem anderen ganz von selbst. Keiner war dem anderen im eigentlichen Wortver* stände .gleich', — ein trügerischer Augenschein vorhandener Äquipollenz oder Äquivalenz wurde immer erst durch den analytischen Ausdruck vorwändig gemacht.
Dem allem ist man durch und seit der hertz'schen Neues rung entflüchtet. Der umgeprägte Wesensbegriff Kraft ermöglicht es, das mechanisch*maschinelle Denken fast ohne Abzug zu geometrisieren, und von hier und jetzt ab gibt es für die analytische Darstellung der Probleme kaum noch logische Schwierigkeiten. Sogar die sogenannte Kon* struktion der Kraft, von Kant seinerzeit noch mit triftigen Gründen in Abrede gestellt, — mit triftigen Gründen, weil er eben unter der Kraft noch die Ursache, die Grund* Kraft verstanden hatte! — diese Konstruktion wird nun* mehr wissenschaftliches Ereignis. Die Einflüsse , welche gekoppelte Systeme (das sind solche mit einer oder mehreren Koordinaten gemeinsam) wechselseitig auf ihre Bewegungen ausüben, erweisen sich dem analytischen Ausdruck zugäng* lieh. Die Mechanik entursachter Kräfte ist fürwahr dem Ziele nah', welches schon den ersten Kinderschritten dieser wunderbaren Wissenschaft vorgezeichnet lag. Beinah' ist es ihr gelungen, das Gefüge einer Natur verstandesmäßig a priori aufzurichten, durchaus der Mathematik, durchaus dem Denken in reinen Gleichsetzungen unterworfen. Schier
541
will es ihr glücken, dem bescheiden^anspruchvollen Satze Galileis zu genügen, wonach Mechanik ,nur* angewandte Geometrie und nichts weiteres sei . . .
Schier wäre dieser Art von Mechanik der endgültige Er* folg beschieden gewesen, meinte ich: — also doch nicht völlig? Nein, nicht völlig. Und zwar darum nicht, weil auch diese funktional aufgefaßte Kraft der hertz'schen Mechanik an der inneren Widerspänstigkeit kränkelt, die diesen Begriff nun einmal rettunglos auszeichnet. Und zwar schließt schon der Terminus .Einfluß', der hier zur begrifflichen Kenntlichmachung aufgeboten wird, ein star* kes Maß von Unklarheit in sich. Einfluß, das ist weniger als Ursache, weniger als Bedingung, — aber doch auch wieder mehr als bloße Funktion im Sinn der Mathematik, will heißen, mehr als ein gegenseitiges Abhängigkeitver* hältnis zweier Veränderlichen, als welches zuletzt seinerseit doch nur eine Gleichsetzung (y =f[x\) ist. Der hertz'sche .Einfluß' ist schon darum mehr als eine solche Funktion der Mathematik, weil sich an ihn der ganz spezifische Sinn des Tätig^Seins, des Wirkens, der dynamischen Spannung, der energetischen Aktion hängt, und zwar so, wie wir dies einzig dem Bereich unserer inneren Erfahrung im Vollzug einer leib* liehen Bewegung oder Anstrengung entnehmen können. Die Kraft geht auch als funktional gedachter Einfluß keineswegs in der (vorgeblich allein bestimmenden) Vorstellung mathe* matischer Abhängigkeit auf, sondern überschreitet diese wesentlich. Dem scheinbar maßgeblichen Verhältnis mathe* matischer Funktionalität wird eine Reihe psycho^physio* logischer Erlebnisse eingeschaltet, Erlebnisse, welche von dem Begriff des Einflusses so wenig wie von dem der Kraft, vom definierenden Denkinhalt so wenig wie vom definierten jemals in Gedanken abzusondern sind. Auch der Ausdruck der Funktion oder der Wechselbeeinflussung, den Heinrich
542
Hertz zur Erläuterung der Kraft heranzieht, ist irgendwie mit außermathematischen Erlebnissen unvermeidlich be* lastet: auch er widersetzt sich einer vollständigen Unter* jochung durch den geometrisch*algebraischen Schematis* mus. Etwas von der kausalen Vergangenheit der Kraft haftet auch dem Einfluß gleichsam als ein physiologischer chavactev indelebilis an; — was will man? Denn auch Be* griffe haben ihre Vergangenheit wie die Menschen selber, eine Vergangenheit, die Gegenwart und Zukunft über* schattet. Und die Vergangenheit der Kraft heißt: als Ur* sache gesetzter Wesensbegriff zu sein. Dieser kausale Ak* zent eignet dem fraglichen Begriff offenbar schon von seiner Herkunft an; er läßt sich vielleicht etwas dämpfen, aber nie wirklich unterdrücken. Einmal war Kraft dem Menschen nichts anderes als ein Komplex seiner Selbsterfahrung. Ein* mal war sie ihm nur das, was er empfand, wenn er eine Last hob, einem Tier nachstürmte oder einen Feind niederrang: also wenn er, kurz gesagt, sich selbst zur Ur*Sache machte, um später diese bestimmende Tathandlung in das Ganze der Natur hineinzuverlegen. Keine Zukunft wird die Fol* gen dieser echten Jntrojektion', dieser echten Hineinwerfung und Hineinverlegung des angespannten Menschenwillens in die erfahrbare Außenwelt der Dinge ungeschehen machen können. Kein noch so gewaltiger Aufwand an szientifischer Schulung, Steigerung, Verfeinerung wird es gestatten, unser Denken derart zu entursachen, derart zu entmenschlichen, daß bei den Vorstellungen Kraft oder Einfluß nur das strenge Verhältnis mathematischer Funktionalität im Blick* punkt des Bewußtseins erscheinen wird. Diesen Sachver* halt hat vielleicht kein Vertreter der modernen Mechanik sich selbst mit größerer Aufrichtigkeit eingestanden wie Max Planck anläßlich seiner eigenen Definition der Kraft, als deren ursprüngliches und einziges Maß wir „die Emp*
543
findung unseres Muskelsinnes benutzen", um erst nach* träglich mit größerer Genauigkeit die Größe der ausgeübten Kraft an der Größe der durch sie bewirkten Geschwindig* keitänderung (oder Beschleunigung) zu messen. Was Planck dabei ganz allgemein über die physikalische Metho* dik überhaupt anmerkt, dünkt mich der Anführung aus mehr wie einem Grunde wirklich wert. „Es liegt hier", fährt er nämlich an dieser Stelle fort, „die Frage nahe, ob es nicht einfacher und daher rationeller wäre, die Kraft von vorn* herein durch die Beschleunigung zu definieren, und nicht erst den Umweg über die Muskelempfindung zu machen. Dagegen ist aber zu bemerken, daß der Begriffder Kraft doch etwas ganz anderes ist, als der der Beschleunigung, und daß man dem Inhalt dieses Begriffes viel näher kommt, wenn man ihn mit dem Muskelsinn, als wenn man ihn mit der Be* schleunigung in Zusammenhang bringt . . . Übrigens ist diese Art, einen fundamentalen physikalischen Begriff zu definieren, daß man ihn erst auf eine Sinnesempfindung zurückführt, und hierauf die erste, primitive Definition durch eine zweite, schärfere ergänzt und verfeinert, die in der Physik allgemein übliche und wohl auch allein mög* liehe . . . Wollte man, wie die Kraft direkt durch die Be* schleunigung, so die Wärme direkt durch die Volumens änderung, oder die Farbe direkt durch die Wellenlänge definieren, so würden diese Begriffe gerade diejenige Be* deutung verlieren, welche sie der genaueren Erforschung wert gemacht hat, und welche, was noch wichtiger ist, der Weiterbildung der physikalischen Theorien den Weg ebnet . . ." Uns diese Notiz durchaus aneignend, dürfen wir, sie ergänzend, hinzufügen, daß die sogenannte Funk* tion, welche der Mechanist im Sinne hat, keineswegs die* selbe Funktion ist, welche der Mathematiker brauchen kann: denn diese, endgültig befreit von allen Bezugnahmen auf
544
das sinnliche Urerlebnis des Menschen, würde für den phy* sikalischen Vorgang just das nicht leisten, was jene leisten soll und leisten muß, — ein Bereich dynamischer Spannungen schaffen, welches die Wirksamkeit bewegter Massen umfaßt und darstellt. So aber wiederholt sich für den Ausdruck der Funktion, der wechselseitigen Beeinflussung zweier ab* hängigen Veränderlichen, eben dasselbe Spiel wie bei den Begriffen der Ursächlichkeit und der Gleichheit. Ein außer* und übermathematischer Vorgang verbirgt sich mit der Ge* bärde der Harmlosigkeit hinter dem mathematischen Ge* bilde. Gewiß hat also Heinrich Hertz die Kraft entursacht, wenn er sie anstatt des Substratum als eine Funktion in die Mechanik einzuführen gedachte, — nur daß die Funktion als solche leider gleichfalls des eindeutig mathematischen Charakters entbehrt! Die Macht der Umstände zwingt diesen wie jeden anderen Mechanisten, das mathematisch definierte Abhängigkeitverhältnis auf Gegenseitigkeit hin* ten herum wieder um die Merkmale zu bereichern, die dem Erlebnis physiologisch*psychologischer Funktionalität und damit einer unverkennbar kausalen Erscheinung ent* stammen. Die Kraft, der Einfluß, das ist auf jeden Fall , Dasein in Tätigkeit gedacht', wie Goethe einmal den Be* griff der nichtmathematischen Funktion umschrieben hat. Und damit wird allerdings der ganze Gewinn ernstlich in Frage gestellt, den Hertz seiner Wissenschaft gesichert zu haben wähnt, wenn er die Kraft als Ursache aus den Vor* aussetzungen der Mechanik entfernt.
Steht es aber so, dann muß man bereits an der Möglich* keit zweifeln, ob die in der Mechanik seit Galilei heimische Tendenz einer lückenlosen Geometrisierung der Natur überhaupt je zu verwirklichen sein möchte? Darf man, nach dem gegenwärtigen Befund, überhaupt das Ziel einer ausschließlich mathematischen Naturerkenntnis ins Auge
35 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 545
fassen, .ausschließlich' in dem Sinn, daß jede Durchkreuzung mathematisch beherrschbarer Komplexe mit außermathe* matischen Kategorien vermieden wird, — darf man dies, oder richtiger gesagt, kann man es? Wird es je, nach un* serem heutigen Ermessen, eine denkwiderspruchfreie Me* chanik geben, wie sie Heinrich Hertz ohne weiteres aus dem naiven Erkenntnistrieb des geborenen Wissenschafters heraus fordern zu dürfen glaubte, — gänzlich zu schweigen von allen sonstigen hohen und vielleicht verstiegenen For* derungen, die dieser schärfste, kernigste und durch* dringendste Geist der europäischen Physik des neunzehnten Jahrhunderts an einen vollendeten mechanisch*maschinellen Weltbegriff noch außerdem gestellt hat?
Um darauf die rechte Antwort zu finden, sei nochmals die Aufmerksamkeit auf denjenigen Wesensbegriff hin* gelenkt, welchen Heinrich Hertz an Stelle der Kraft zu einer der drei Grundlegungen der Mechanik erhebt, ich meine die Masse. Sie freilich tritt zunächst als ein reiner, von keinerlei kausalen Ehrgeizen angekränkelter Wesensbegriff hervor : wenigstens schweigt sich, wie wir bemerken durften, die Definition vollkommen über eine solche Bezugnahme aus. Die Masse, wir wissen es schon, ist keine Ursache, sondern ein .Merkmal', und nur etwas nebenbei verlaut* bart auch von ihr, daß sie unzerstörbares und unverändert liches Substratum oder Hypokeimenon sei. Von diesem ein wenig mephistophelischen Gehinke der Definition aber abgesehen, entspricht die Masse durchweg besser der logi* sehen Beschaffenheit eines Wesensbegriffes als vergleichung* weise die Kraft, die von vorn herein mit der Tür ihrer kau* salen Ansprüche ins Haus fällt. Die Masse dagegen be* scheidet sich augenscheinlich dabei, das Bewegliche in Raum und Zeit zu sein, Träger aller Veränderungen der Lage, welche die Mechanik den natürlichen Bewegungen
546
zuzählt und analytischen Gleichungen unterwirft. Wobei man noch als einen zweiten, kaum weniger überzeugenden Vorzug namhaft zu machen hätte, daß eben diese Masse ein sinnliches und greifbares Ding, eine Gegebenheit des Bewußtseins ist, indes man die Kraft doch jeweils hinter den Dingen, von welchen wir mittelbare oder unmittelbare Erfahrung haben, zu suchen oder zu vermuten genötigt war. Zwei Vorzüge sind es also mindestens, die der Begriff der Masse vor dem Begriff der Kraft voraushat, gesetzt den Fall, daß es bei diesen Vorzügen wirklich sein endgültiges Bewenden habe.
Gerade dies trifft jedoch leider keineswegs zu, wie man aus der hertz'schen Mechanik unschwer selbst entnehmen kann. Wollte man nämlich, fährt unser Gewährsmann in seinen Prinzipien fort, tatsächlich alle natürlichen Be* wegungen der Körperwelt restlos verständlich finden, dann sei man durch den Zwang der Umstände dazu bestimmt, per hypothesin in Gedanken hinter die Erscheinungen un= serer Sinnlichkeit zurückzugehen. Lediglich sichtbare Massen, sichtbare Bewegungen vollführend ergeben das zusammenhanglose Bruchstück einer Welt, aber keine Welt als solche, keine geordnete, durchgängig zusammenhängende Totalität, keinen eigentlichen Kosmos. Wer derartiges an* strebe, — und dies trifft für den szientifischen Mechanisten ohne Einschränkung zu, — der müsse sich auch nach dem ausdrücklichen Verzicht auf verursachende Kräfte noch ent* schließen, unsichtbare Massen und unsichtbare Bewegungen ergänzend einzuräumen: mithin genau das vorzunehmen, was der klassische Philologe Friedrich Nietzsche mit Vor* liebe eine .Interpolation' der Wirklichkeit zu nennen pflegte. Entweder man findet sich genötigt, Kräfte in dem früheren, von Hertz bekämpften Wortgebrauche zuzulassen, oder man entscheidet sich für verborgene Massen und verborgene
35« 547
Bewegungen, um allerlei Lücken und leere Stellen der Na* tur gedankenmäßig zu füllen, welche dem aufs Ganze lei* denschaftlich gerichteten Verstand kümmerlich eine bruch* stückhafte Anschauung darbietet. So hat die kinetische Theorie der Wärme deren Kräfte aus unsichtbaren Be* wegungen sichtbarer Massen abzuleiten gelehrt, während es Maxwell geglückt ist, die elektrodynamischen Kräfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Wirkung unsichtbarer Massen zurückzuführen. Beide Annahmen zählen zwar nicht zu der eigentlichen Mechanik, aber auch in dieser selbst gibt es Probleme, die das Mitspiel verborgener Massen und verborgener Bewegungen glaubhaft machen. Dies sind die Bewegungen der sogenannten zyklischen Systeme oder die zyklischen, will heißen in sich zurücklaufenden Bewegungen, beispielweis einer gleichartigen Flüssigkeit in einem rings geschlossenen Gefäß. Für sie hat schon Helmholtz die Mit* Wirkung verborgener Massen, verborgener Bewegungen zur Erklärung gefordert. Den Zusammenhang zwischen zyklischen und verborgenen Bewegungen kann man dabei so ausdrücken, daß man etwa sagt: zyklische Bewegungen sind häufig verborgen, verborgene Bewegungen sind fast immer zyklisch. Verborgene Massen wären alsdann je und je dort anzunehmen, wo die der Beobachtung zugänglichen Koordinaten des Systems es nicht gestatten, die Lagen all seiner Massen anzugeben. Daten über den Einfluß, welchen verborgene Massen möglicherweis auf sichtbar bewegte Massen ausüben, sind durchaus erdenklich, namentlich so* weit sie die sogenannt geleiteten Systeme angehen : man kann nämlich ein (scheinbar) ungesetzmäßiges System als ein .geleitetes' auffassen, dem Anspruch auf Gesetzmäßigkeit durch seine verborgenen Massen Genüge leistend, und so weiter. Mögen diese spärlichen Andeutungen geeignet sein, die außerordentliche Fruchtbarkeit dieser Hypothesis
548
für die Mechanik wenigstens erahnen zu lassen, denn mehr zu leisten steht weder bei meinem Können noch bei meinem Wollen.
Dieser unbestreitbaren Berechtigung indes ungeachtet, welche die wunderliche Annahme verborgener Massen und verborgener Bewegungen für die Entwicklung des mecha* nisch*maschinellen Weltbegriffes hat, darf der Philosoph viel* leicht doch mit der ihm gebotenen Bescheidenheit darauf hinweisen, daß mit dieser helmholtz*hertz'schen Hypothese so ziemlich die Vorteile wieder preisgegeben sind, die man durch die Entfernung der Kraft aus den mechanischen Stammbegriffen zu erringen und zu befestigen gehofft hat. Wie immer auch das Wesen verborgener Massen und ver* borgener Bewegungen im einzelnen auszumalen sei, — daß sie weder den greifbaren noch den entursachten Dings begriffen zugehören, liegt auf der flachen Hand. Der Vor* wurf dauernder Unerfahrbarkeit, von Heinrich Hertz gegen die Grundkräfte erhoben, fällt auf die verborgenen Massen durchaus zurück, und zwischen beiden bleibt kaum ein anderer Unterschied bestehen als der, daß die verborgene Masse immerhin nach dem Modell eines an sich erfahrbaren Tatbestandes ersonnen zu sein erscheint, wogegen die Kraft den Charakter einer metaphysischen Unterstellung nie ver* leugnen kann. Aber vielleicht ist nicht einmal dieser Unter* schied wirklich aufrecht zu erhalten. Ist doch auch die Kraft nach einem wo nicht sichtbaren, so doch lebendig empfindbaren und fühlbaren Erlebnis angespannter Muskel* tätigkeit gedanklich ausgearbeitet und der außermensch* liehen Natur deutend eingelegt worden. Von diesem Ge* Sichtswinkel aus verschlägt es also zuletzt überhaupt nicht mehr viel, ob man die , leeren Stellen' der Wirklichkeit zum Zweck gesetzmäßig zusammenhängenden Begreifens lieber durch verborgene Massen oder lieber durch verborgene
549
Kräfte ausgefüllt denken will: beides sind logische Inter* polationen, beides Hineinlegungen und Einschaltungen, beides sind in einem ähnlichen Sinne Verdinglichungen und Verwesentlichungen von inneren und äußeren Gegeben* heiten des Bewußtseins . . .
Wichtiger aber noch als die offenkundige Unerfahrbar* keit des von Hertz herangezogenen Wesensbegriffes ist der rückfällig kausale Charakter desselben. Nach ihrer Defini* tion in den Prinzipien ist die Masse zwar Substratum, aber Substratum ohne eine schärfer akzentuierte kausale Betont* heit. Nach ihrer logischen Leistung hingegen ist auch sie Ursache und Ur=Sache nicht weniger wie die bescholtene Kraft. Aus verborgenen Massen werden nicht nur geradezu Kräfte abgeleitet, wie diejenigen der Wärme oder der Elektrodynamik. Sondern dieselben Massen werden außer* dem buchstäblich dazu berufen, »Ursachen der Bewegung' vorzustellen, nämlich die Ursachen der Bewegungen ge* leiteter, zyklischer, .adiabatischer' Systeme. Ein betörender Aufwand an Scharfsinn, Überlegung, Gründlichkeit, Ge* nauigkeit bringt es schließlich zu dem nicht ganz verhält* nismäßigen Ergebnis, daß im ganzen und großen alles beim alten bleibt, — das beklagenswerte Schicksal fast aller nur gedankenhaften, nur wissenschaftlichen Umwälzungen! — höchstens daß eben statt der mißbeliebten verborgenen Kräfte verborgene Massen als Ursache von Bewegungen gelten sollen: wenn auch selbst dieses nicht überall und allgemein, sondern in sorgfältig ausgewählten Fällen und bei besonders namhaft gemachten Ereignissen. Im ganzen und großen jedoch, sag' ich, erweist sich's einfach als unausführbar, einen Wesensbegriff zu Gunsten einer ein* wandfreien szientifischen Grundlegung der Mechanik so* weit umzudeutein und auszuformein, daß der ihm ein* wohnende kausale Einschlag gar nicht mehr in Frage käme.
550
Und damit erweist sich's gleichfalls als unausführbar, die Mechanik gemäß Plan und Anschlag Galileis als bloß an* gewandte Geometrie widerspruchfrei zu betreiben. Das ursächliche Bedürfnis menschlicher Erkenntnis* und Erklä* rungweisen, an sich vielleicht sehr kindlicher, sehr roher, sehr eiszeitlicher, sehr höhlenbewohnermäßiger Beschaffen* heit und Abkunft, ist niemals völlig zu übertäuben, niemals völlig durch mathematische Gleichsetzungen zu verdrängen. Dieselben bleiernen Gewichte hängen am Begriff der Masse nicht leichter, als an dem der Kraft und ziehen unser Denken, Wissen, Erklären der Natur unwiderstehlich in eine Tiefe, wo Dunkelheit, Schwere und Geheimnis brausend über ihm zusammenschlagen.
In diesem Urteil über die Masse als Wesens* und Grund* begriff der Mechanik werden wir nicht unerheblich bestärkt durch die Erinnerung an andere Einwände, welche der streng mechanistischen, das heißt die Kraft aus ihren Vor* aussetzungen ausschließenden Richtung dieser vornehmsten aller Wissenschaften nicht erspart werden dürfen, und in der Tat auch nicht erspart worden sind. Um dieser neuen, ach so ururalten Einwände geziemend zu gedenken, möchte ich mich noch einmal auf den Mechanisten Kant beziehen dürfen. Vorhin, als es die eigentliche logische Paradoxie der Mechanik darzustellen galt, hatte ich mich auf denjun* gen Kant berufen, weil just er es war, der den sachlichen Widerspruch zwischen kausalen und äquivalenten Denkzu* sammenhängen mit großer Sicherheit herauszuarbeiten ver* standen hatte, eine Jünglingstat untrüglichster philosophi* scher Witterung für fruchtbare Problematik, die (trotz Lessings unangebracht boshaftem Epigramm) wirklich nicht leicht zu überschätzen ist. Aus verwandten Gründen kann ich mich jetzt auf den kritisch gereiften Kant berufen, wo* fern dieser die Mängel und Widersprüche einer aus bloßen
551
Massen (.kleinen Maschinen') entwickelten Mechanik rück* sichtlos rügt. In dieser Beziehung greift er mit der Abreche nung, die er in den Metaphysischen Anfanggründen mit der hylokinetischen Mechanik hält, der geschichtlichen Ausge* staltung um rund hundert Jahre vor, und alles, was die Philosophie heute gegen diese Spielart der Mechanik zu bedenken befugt, zu bedenken verpflichtet ist, findet sie grundsätzlich schon dort angeführt. Gewiß könnte man Kants Einwände gegen die Hylokinetik vielleicht da oder dort in etwas zeitgemäßere Worte fassen, aber auch dann hätte man ihnen weder viel hinzuzufügen noch abzuziehen. Nicht weit ab von der Stelle, wo er die dynamische Monado* logie seiner Jugendzeit kritisch umbiegt durch den Erweis, daß aus Grundkräften keine Materie zu konstruieren sei, macht er die Voraussetzungen namhaft, auf welchen eine entschieden .mechanistische', will sagen kraftlose Auffas* sung der Materie beruhen würde. Das sind erstens und zweitens die absolute Undurchdringlichkeit und Gleich* artigkeit des .Stoffes', drittens die absolute Unüberwindlich* keit seines materiellen Gefüges, — heute würden wir sagen: die Annahme ursprünglich starrer Verbindungen von Mas* senteilchen. Wobei alle diese drei Voraussetzungen der Hylokinetik wiederum einer einzigen Tatsache zur Grund* legung bedürfen, mit der sie selber stehen oder fallen. Kant meint den leeren Raum, der bei angenommener absoluter Undurchdringlichkeit und Gleichartigkeit der (atomistisch aufzufassenden) Grundstoffe die Tatsache verschiedener spezifischer Dichtigkeiten zu erklären habe.
Und in der Tat braucht Kant dort diese Voraussetzungen nur aufzuzählen, um die Hylokinetik im Urteil jedes Un* voreingenommenen ebenso in Verruf zu bringen, wie das vorher mit der rein dynamischen Auffassung der Fall ge* wesen war. Denn heute so wenig wie vor hundert oder hun*
552
dert mal hundert Jahren kann man sich eine natura naturata mechanisch zusammengesetzt denken aus lauter unausge* dehnten stofflichen Teilchen — es bleibt hier, wie Eduard von Hartmann richtig hervorgehoben hat, geflissentlich in der Schwebe, ob die Massenpunkte ganz eigentlich aus* dehnunglos sind oder nur eine unendlich kleine Ausdeh* nung besitzen! — aus lauter unausgedehnten Teilchen also mit schlechterdings unveränderlichen, starren, ,unüberwind* liehen' Abständen oder Entfernungen; aus bloßen Massen* punkten, zwischen denen sich nichts befindet als jene schlechteste aller Hypostasen, welche die Wissenschaftge* schichte erfunden hat und kennt : das große Nein aller Dinge und Wesenheiten, der leere Raum. Ja, dabei wird es nicht einmal nötig, sich (wie Kant) auf das Faktum der verschie* denen spezifischen Dichtigkeiten zu berufen, um die glatte Unsinnigkeit des leeren Raumes noch besonders auffällig herauszustreichen. Es bedarf gar nicht erst des Nachweises, daß leere Räume unmögliche Erklärungen für gewisse Tat* Sachen der Erfahrung abgäben, Erklärungen, die unver* hältnismäßig weniger sophistisch durch anders lautende Annahmen zu liefern wären. Mich bedünkt vielmehr, um wahrhaft unausdenkbare Vorstellungen ihres Wissenschaft* liehen Kredits zu berauben, müsse schon die Überlegung als solche, ohne jede Bezugnahme auf erfahrbare Tatbestände physikalischer oder sonst welcher Art, durchaus genügend sein. Die Starrheit und Unabänderlichkeit leerer Abstände zwischen Massenteilchen ist etwas, das man sozusagen par ordre du Moufti glauben kann, ungefähr wie man an die Schöpfung aus dem Nichts, an die Urzeugung oder an die beste aller möglichen Welten glaubt. Aber ausdenkbar mit den Kräften des gesunden Menschenverstandes ist es nicht, wieso die an sich leeren Entfernungen zwischen den elementarischen Teilchen der Natur ein für alle mal beharren
553
sollten. Diese Annahme schüttet der Verstand, kaum daß er sie verschluckt hat, spielend wieder als unverdaulich aus, etwa wie ein Säugling unbekömmliche Milch wieder über den Trüler ausschüttet, ohne besonders groß zu schlingen und zu würgen. Ist doch dieser leere Raum in der Nähe betrachtet nichts anderes als die Unendlichkeit aller dem Urteil möglichen Aberkennungen von Substraten, welche den Raum als erfüllend gedacht werden könnten: infolge? dessen auch gar kein mögliches Subjekt, gar kein möglicher Träger von Eigenschaften, Merkmalen oder Betätigungen. Denn er, ist' ja überhaupt nicht.Bei genauerer Prüfung nur eine leere Hypostase der ins Unendliche laufenden Reihe logischer Verneinungen, kann von ihm ernsthaft gar nicht ausgesagt werden, er bilde Abstände, und gar noch solche, die unänderlich, starr und gleichsam gottgewollt sind. Eine natura naturata, bestehend aus unausgedehnten (oder, was dahingestellt bleibe, unendlich wenig ausgedehnten) Mas* senpunkten nebst starren, aber leeren Abständen, das ist im besten Fall eine geometrische, nicht aber eine mechanisch* maschinelle Vorstellung. Von geometrischen Räumen mag es erlaubt sein für ,leer' zu gelten, aus dem triftigen Grunde, weil das Problem ihrer Erfülltheit ein gegenstandloses ist. Mechanische Räume hingegen, in welchen sich wirkliche Veränderungen natürlicher Substrate zutragen, sind von irgend einem Etwas stätig erfüllt oder sie sind überhaupt nicht. Vorausgesetzt, daß man sich nicht den Raum schon von vorn herein als eine Erfülltheit in diesem Sinn vorstellt, — eine Ausflucht der Spekulation, die uns nachher noch ein weniges beschäftigen wird.
Inzwischen ist obgedachter Unterschied zwischen geome* trischen und mechanischen Räumen einschneidend genug, um an jetziger Stelle kurz untersucht zu werden. Vergleicht man nämlich die Raumvorstellungen verschiedener Geo?
554
metrien, so findet man zu seiner starken Überraschung, daß der Raum an und für sich gar nicht zu den Grundlegungen dieser Geometrien gehört! Dieser staunenswerte Umstand ist geradezu ein Axiom moderner Mathematik geworden und kann deswegen keiner begründeten Anzweiflung unter* liegen. Verschiedene Geometrien nehmen verschiedene Ele* mente an, aus welchen sie ihre Räume nach verschiedenen Regeln der Deduktion allmählich selbsttätig erzeugen: zum Beispiel aus Punkt und Gerade, aus Punkt und Strecke, aus Punkt und Entfernung, aus Punkt und Be* wegung. Die Frage, ob leer oder ob erfüllt, besteht ver* nünftigerweise für diese Räume gar nicht zu Recht. Denn, um diese Angelegenheit mit einem Wort zu entscheiden, — die geometrischen Räume sind nach Auffassung der gegen* wärtigen Mathematik nichts anderes als verschiedene For* men logischer Ordnungen, die jeweils durch ihre grundsätz* lieh angenommenen Elemente eindeutig und erschöpfend bestimmt sind. Wobei die Frage offen bleiben darf, ob zu der Bildung dieser Elemente synthetische Funktionen der Anschauung erforderlich wären, wie Kant nachgewiesen zu haben wähnte, oder ob sie lediglich auf analytische Aus* sagen anschauungfremder Vernunft zurückzuführen wären, wie mehrere moderne Logistiker und Rationalisten aus der Schule Russeis und Couturats behaupten. Mechanische Räume hingegen sind unter allen Umständen mehr als solche Formen der Ordnung: nämlich Wirklichkeit, — und darum erscheint bezüglich ihrer die Frage nach ihrer Erfülltheit unabweisbar. Die Mechanik selbst freilich verfällt bei ihrem unentwegten Bestreben, die Natur in zunehmendem Maße zu geometrisieren, allzuleicht in den entschuldbaren Irrtum, auch sie habe es nur mit geometrischen Räumen zu tun, auch sie dürfe von Abständen, Entfernungen, Bewegungen der Punkte mit ähnlicher Unbefangenheit reden wie die Mathe*
555
matik. Und sie wird in diesem Irrtum zuverlässig bestärkt, wenn sie etwa nach dem Vorgang von Heinrich Hertz die unter die Hauptbegriffe der Kinematik aufzunehmende Raumvorstellung ausdrücklich als den Raum der euklidi* sehen Geometrie einführt. Dem gegenüber braucht man nur die Frage ohne Umschweif zu erheben: ob der von der Mechanik benötigte Raum wahrhaftig nur Form der Ord* nung, mithin nur ein aus Elementen deduktiv abgeleitetes und erzeugtes System von Beziehungen der Lagen oder Größen sei, — oder ob er zwar nicht sowohl auch dieses (in seiner Eigenschaft als Raum der euklidischen Geometrie), dazu aber und darüber hinaus ein anderes, nämlich eben der Raum der Mechanik, der Raum bewegter Massen und bewegender Kräfte sein müsse? Die Frage stellen, heißt sie bejahen, mit desto größerer Entschiedenheit bejahen, als uns das Merkmal der Verschiedenheit beider schon gegenwärtig geworden ist in der Feststellung des wissenschaftlichen petit fait, daß keine der zeitgemäßen Geometrien den Raum als solchen, die Mechanik dagegen sogar in ihrem mathema* tischsten Teile als sogenannte Kinematik durchaus den Raum an und für sich voraussetze.
Dieser Unterschied gewinnt dann sein volles Gewicht bei der eigentlichen Mechanik bewegter, körperhafter Mas> sen, wie sie des Raumes nicht nur im Sinn einer bestimmten Geometrie, einer bestimmten logischen Form der Ordnung benötigt, sondern außerdem einen Raum erheischt, auf welchen jene geometrischen Ordnungformen anwendbar erscheinen, — einen natürlichen und wirklichen, mit Maß? Stäben meßbaren, mit Fingerspitzen abzutastenden, mit Augen zu erblickenden Raum. Wer sich dies einmal deut* lieh zu machen wußte, wird dann wegen des ,Daß' und wegen des ,Wie' des Unterschiedes zwischen geometrischen und mechanischen Räumen ein für alle mal erwünschten
556
Bescheid erlangt haben, und er wird sich auch nicht weiter darüber wundern, daß der mechanische Raum der Erkennt* nis tatsächlich die Frage seiner Erfulltheit stellt, einfach weil er nicht Form der Ordnung allein, sondern gleichzeitig Bereich der Anwendbarkeit dieser Ordnung bedeutet. Wie um diesen Sachverhalt völlig zu entschleiern, weicht die Mechanik von jeder möglichen Geometrie schon dadurch ab, daß sie Den Raum, ein stätig Ganzes, Gegebenes, We* sendes zur Grundlage fordert, indes sich die Geometrie mit Elementen des Raumes begnügt. Statt den Versuch, auch den mechanischen Raum more geometrico aus bewegten Massenpunkten und ihren (fragwürdig , starren') Entfer* nungen abzuleiten, methodisch zu begünstigen, und statt dadurch eine lückenlose Geometrisierung der Natur in aller Strenge durchzusetzen, — statt dessen zählt die Mechanik zwei Räume unter ihre unableitbaren und unabhängigen Grundvorstellungen: den Raum, welchen die metrische Geometrie als ein System von Beziehungen meßbarer Strecken zueinander entwickelt, und den Raum, der den Bezirk der Anwendbarkeit für jenen darstellt. In beiden Fällen geht der Raum der Mechanik über den geometrischen Raum hinaus, in beiden Fällen handelt sich's zwar auch um einen geordneten Zusammenhang metrischer Raum* demente, aber darüber hinaus noch um ein das Merkmal der Erfulltheit unablöslich bei sich führendes gleichartiges und stätiges Mittel; — stätig nicht wie eine arithmetische Reihe oder wie eine geometrische Gerade, sondern eher wie eine homogene Flüssigkeit stätig ist. Als selbstherrliche Ganzheit tritt der mechanische Raum auf, die statt aus Teilen logisch erzeugt zu werden ihrerseit Teile und Teilchen in sich birgt: der mechanische Raum ist nicht das Ergebnis mechanischer Elemente oder Massen, sondern das gleichartige Mittel, in welchem sich Elemente oder Massen bewegen und verändern.
557
Hierbei gibt es für den Mechanisten drei Möglichkeiten, sich diesen Sachverhalt näher auszudenken. Entweder be* wegen sich die greifbaren Massen physikalischer Körper in der greifbaren Stätigkeit des Wahrnehmungraumes. Oder verborgene Massen vollziehen verborgene Bewegungen in einem gleichwertig stätigen, aber verborgenen Mittel. Oder es findet sowohl das eine wie das andere statt. Nur eine Möglichkeit, eine vierte, ist für den denkenden Betrachter unbedingt und a priori ausgeschlossen. Ich meine die, daß sich sichtbare oder verborgene Massen in einem unerfüllten, leeren, folglich auch unstätigen Mittel bewegten und ver* änderten. Hieße dies doch das Dasein des Mittels selbst verleugnen, mithin eben jenen Überschuß, jene neue Man* nigfaltigkeit verleugnen, welche der mechanische Raum vor dem mathematischen voraus hat. Bewegungen substrathafter Massen in leeren Entfernungen mit leeren Abständen sich ausgeführt denken, heißt (in der Einbildungkraft) wirkliche Dinge in mathematische Räume versetzen, heißt zwei schlechterdings verschiedene Schichtungen oder Lagen des Bewußtseins miteinander mengen : nicht anders als ob ein wirklicher Mensch zwischen Stuhl und Tisch eines gespie* gelten Zimmers auf und ab schreiten wollte. Ist es aber aus* gemacht, daß Substrate der Mechanik nur in einem Raum beweglich sein können, der über die geometrische Ordnung* form hinaus gleichartig stätiges Mittel ist, so spricht man auch die Tatsache der Erfülltheit, der Nicht*Leere, der Dichtheit dieses Mittels ohne weiteres aus. Möchte es zur Not noch angehen, von leeren Räumen zu sprechen, so wäre es unsinnig und ungereimt, das gleiche mit einem .leeren Mittel' versuchen zu wollen. Der Nachweis einer mittelsmäßigen Beschaffenheit des Raumes umfaßt infolge* dessen auch den Nachweis, daß dieser Raum nicht leer sein könne . . .
558
Aus diesem Umstand ergibt sich abermals eine große Schwierigkeit für die Hylokinetik. Nicht nur, daß sich jetzt die Annahme leerer Abstände zwischen Massenpunkten ganz von selbst verbietet: die Masse als solche büßt über* dies viel, wenn nicht das meiste ihrer Bedeutung als des eigentlichen und einzigen Wesensbegriffes der Mechanik ein. Es ist nämlich nicht zu verkennen, daß der Raum, wo* fern er mehr ist als ein geometrisches System größenmäßiger Ordnungen, an sich die Züge eines Wesensbegriffes, den Charakter eines Substratums immer ausgeprägter annimmt. Als stätig erfülltes, wirkliches und in sich gleichartiges Mittel wird der Raum gewissermaßen selber Wesensbegriff, oder vorsichtiger gesagt, wird er selber einem Wesensbegriff ähnlich. Weil es ihrer Definition zufolge die Massenteilchen nicht sein können, welche den Raum erfüllen, müssen ent* weder andersartige Substrate diese Aufgabe der Massen übernehmen, also vielleicht doch die ominösen Kräfte, viel* leicht aber auch irgend ein außermechanisches Mittel von der erwünschten Stätigkeit wie etwa der Äther! — oder der Raum gibt sich selber als kontinuierliches Substratum, als stätig erfülltes Gebilde zu erkennen. Heinrich Hertz in Person ist ein viel zu konsequenter Kopf gewesen, um an diesem Problem seiner Mechanik vorbeizugehen, wenn er es auch verschmäht hat, dort darauf Bezug zu nehmen. An anderer Stelle jedoch macht er den Äther als das räum* erfüllende Mittel namhaft, und mit einer wirklich sehr ver* wegenen [xExdßaoig eis äXXo yevog stürzt er sich der meta* physischen Vorstellung in die Arme, die Masse und mit ihr alle übrigen von der Physik benötigten Wesensbegriffe müßten irgendwie dem Äther, mithin irgendwie dem er* füllten Raum als solchem entstammen. Dieser Hylokine* tiker sans phrase träumt sich einen »Ursprung' der Welt, ein ,principium' , eine AQX^ der natura naturata, wie ihn
559
einst griechische Philosophen ferner Jahrtausende erträumt hatten im Wasser, im Feuer, ja schon auf ihre Weise in der Luft oder im al&rjo. Es ist bemerkenswert genug, wenn auch nach unseren eigenen Einsichten keineswegs überraschend, daß dieser Forscher, der die dynamische Mechanik der neueren Zeit wieder an die Mechanik fester Verbindungen des Altertums knüpfen möchte, durch die gewaltige Logik der Umstände darin endigt, nicht nur Archimedes, sondern Anaximenes und Thaies wieder zu verlebendigen. Offenbar hat man's hier mit Aufgaben zu tun, die nicht mehr in der Laune geschichtlicher Gelegenheit allein, sondern in der Sache selber erdtief wurzeln. Ansonsten ja nicht zu begreifen wäre, wie dieser naturforschende intellectus agens von höchst temporärer Haltung zu Vorstellungweisen rückwärts flüchtet, welche die europäische Wissenschaft in ihrem Entstehung* alter einst erfunden und ausgebildet hat . . .
Wir aber verweilen noch eine Minute bei dem beziehung* reichen Tatbestand, daß die hylokinetische Mechanik, von dem Problem der Raumerfüllung gleichsam in die Enge ge* trieben, als eine Ansicht von nur vorläufiger Gültigkeit und Angemessenheit entlarvt werden darf. Nichts rechtfertigt schlagender den Einspruch Kantens gegen eine auschließ* lieh .mechanistische', mit Massenteilchen und starren Ab* ständen wirtschaftende Mechanik als das Faktum, daß die hertz'sche Hylokinetik wirklich durch den Spuk des leeren Raumes um ihre logisch*szientifische WTiderspruchlosigkeit und Bündigkeit gebracht worden ist. Denn die Massen, nunmehr nachträglich als .Verdichtungzentra* des räum* erfüllenden Äthers gekennzeichnet, sind nicht mehr die Massen der Hylokinetik. Als Abkömmlinge des Äthers treiben sie nicht mehr in der nichtigen Hypostase eines mathematischen Raumes herum, sondern schwimmen in einem stätig gleichartigen Mittel von irgend welcher, sei es
560
auch unendlich geringen Dichtigkeit umher. Das Ärgernis des physikalisch unerfüllten und doch auch nicht ausschließe lieh geometrischen Raumes ist behoben, aber freilich nur um den nicht billigen Preis der hylokinetischen Auffassung* weise selber. Sub specie des Äthers gewertet, hört die Masse auf, mechanischer Wesensbegriff aus erster Hand zu sein, einfach darum, weil sie jetzt von einem Wesensbegriff höherer Dignität hergeleitet und abhängig erscheint: her* geleitet und abhängig sogar dann, wenn die Mechanik an und für sich auf diese Herleitbarkeit und Abhängigkeit keinerlei Rücksicht zu nehmen gewillt sein mag. Die Masse ist höchstens noch Wesensbegriff ,als ob', höchstens noch .sogenanntes' Substratum, beibehalten und anerkannt ledig* lieh einer freiwilligen Übereinkunft zum Gefallen. Im Zu* sammenhang des maschinellen Weltbildes jedoch hat sie ihre Rolle an den Äther abgetreten, — nicht ohne daß dies Geschehnis auf die gesamte Stellung der Mechanik im Kreis der exakten Wissenschaften aufs bedeutsamste zurückwirkte. Damit haben wir aber nach einer geistigen Bewegung, die man füglich einen Zirkel, ein .Enkyklion' nennen könnte, von ungefähr den Ausgangpunkt unserer bis* herigen Kritik erreicht. Erreicht zwar insofern, als man bei diesem offenbar letzten möglichen WesensbegrifT der Physik überhaupt, wo Raum und raumerfüllendes Mittel in eine logisch kaum mehr unterscheidbare Einheit zu verfließen drohen, die ursächliche Struktur des .Wesens', des Eigen* schaftträgers und Dinges mit nicht zu überbietender Deut* lichkeit inne wird. Zeuge der gewaltigen, aber vergeh* liehen Anstrengung, mittels welcher Heinrich Hertz das kausale Moment aus der Kraft herauszuziehen, ja heraus* zupumpen bestrebt gewesen war, ähnlich wie man aus einem lecken Schiff Wasser herauspumpt, um nicht an dessen Überfracht zu versinken ; Zeuge ferner des Stapellaufes eines
36 Ziegler, Gestaltwündel der Götter 561
neuen Wesensbegriffes, der womöglich kein solches Leck aufweisen sollte und doch schon binnen kurzem mit ebenso schwerer Schlagseite nach unten sackte, — als Zeuge dieser merkwürdigen Vorgänge befinden wir uns dem dritten ent* scheidenden Vorhaben gegenüber, dem maschinell aufge* faßten Ablauf der Wirklichkeit endlich ein einwandfreies Substratum logisch zu unterstellen. Mit dem Ergebnis: daß auch dieses ein kausal belasteter Begriff sei, dazu auserlesen, die Schnur unserer Gedanken immer wieder anzulängern, bis wir an ihr uns glücklich ins hoffnungloseste Labyrinth hineingetastet haben. So leiteten wir Bewegungen aus Kräften, Kräfte aus Massen, Massen aus dem Äther ab, um endlich des Dings teilhaft zu werden, dessen Veränderungen in allen maschinell deutbaren Vorgängen die Vernunft in analytische Gleichungen umdenkt und als die Sinnbilder der natürlichen Veränderungen annimmt. Dieser Art ist der Äther ebenfalls zur Ursache geworden, wie es der Kraft, wie es der Masse kurz vorher ergangen war, — der Äther und mit ihm auch der Raum, das stätig gleichartige Mittel von ge* wisser, sei es selbst nur unendlich geringer Dichtigkeit. Äther und Raum bleiben zurück als die letzten oder ersten mechanischen Wesensbegrifle, aber nicht minder wie die Kraft, nicht minder wie die Masse mit dem Charakter der Kausalität unauf heblich verhaftet. Aus dieser weithin sieht* baren Tatsache hat der Philosoph seine besonderen Folge* rungen zu ziehen : hier erfährt er endgültig etwas über den Erkenntniswert der mechanistischen Naturwissenschaft, mit* hin über den Erkenntniswert der strengsten, in sich ge* schlossensten, pragmatisch vollendetsten (ob auch logisch nie vollendbaren) Wissenschaft überhaupt, die es bisher von der Wirklichkeit der Welt gibt.
Um die auffälligste dieser Folgerungen schlicht vorwegzu* nehmen und den Stier gleichsam bei den Hörnern zu pak*
562
ken, sei der Leitsatz aufgestellt, daß es augenscheinlich ganz und gar nicht möglich ist, eine entursachte Mechanik aus rei* nen Gleichsetzungen und Gleichungen gedanklich zu ent* wickeln. Sobald man zu einer Angabe gezwungen ist, welche Dinge, welche Wesenheiten es denn eigentlich wären, die sich in Raum und Zeit derart bewegten, daß die Veränderungen ihrer Lagen in mathematischen Äquivalenzen und Äquipol* lenzen symbolisch darstellbar erschienen, ist man auch schon der inneren Dialektik dieser Wesensbegriffe verfallen. Einer Dialektik also, die bis jetzt jeweils den Substratbegriff in einen Kausalbegriff hinübergespielt hat. Die kategoriale Knüpfung Ursache ^Wirkung, die aus unserem wissen* schaftlich erkennbaren Weltgefüge zu verdrängen vielleicht das tiefste Bestreben der mechanisch^maschinellen Auffas* sung von der Wirklichkeit je und je gewesen ist, sie stiehlt sich folglich immer wieder in dies Gefüge ein, wofern schlechthin keiner der geschichtlich aufgestellten Wesens* begriffe dieser Wissenschaft von ursächlicher Betonung, ursächlicher Tönung frei zu halten ist. Wenn daher selbst ein denkgeübter Mann wie Christoph Sigwart (im zweiten Band seiner Logik) wenigstens der Mechanik des Himmels nachrühmen zu dürfen wähnt, ihr sei die Entfernung der Knüpfung Ursache^Wirkung aus ihren Bildern völlig ge* glückt, so ist dies durchaus nicht richtig. Eine solche ange* strebte Entfernung ist auch ihr nur soweit geglückt, als man sich in ihr strikt an die mathematische Darstellung der na* türlichen Bewegungen der Gestirne zu halten beflissen ist, ohne die Frage zu berühren, welche Wesenheiten in weis chem Mittel diese Bewegungen nun eigentlich vollzögen, oder wie es denn überhaupt komme, daß fragliche Wesen? heiten in derart gesetzmäßigen Bewegungen ihre Lagen ver* änderten. Man braucht ja nur die Zweideutigkeit des der Mechanik des Himmels zugrunde gelegten Gesetzes zu be*
36* 563
rücksichtigen, um über den szientifischen Zwiespalt auch dieses Teiles der exakten Wissenschaften genugsam unter* richtet zu sein. Die bekannten und unausgetragenen Streitig* keiten über die richtige Auslegung der sogenannten Gravi* tation, für Newton selbst offenbar ein zweifelhafter, un* sicherer, fast dunkler Begriff oder vielmehr Nicht*Begriff und sogar eher eine abgeleitete als eine wirklich grund* legende Kraft der Materie (im Gegensatz zu Kant), — so wenn er mehrere Jahre vor seinem Tod davor warnen zu müssen meint: ,,not to take gtavity for an essential property ofbodies"; oder wenn es schon früher bei ihm heißt: „vatio= nem harum gravitatis proprietatum ex phaenomenis nondum potui deducere et hypotheses nonßngo. Satis est quod gravitas revera existat et agat secundum leges a nobis expositas", oder noch entsagender, verzichtender, unverhohlener: „what I call attraction, may be performed by impulse or by some othev means unknown to me. Iuse that word hexe to signify only in general anyforce by which bodies tend towards one another, whatsoever be the cause"; — all diese vielen und schweren Bedenklichkeiten und in ihrem Gefolge die nie beseitigte Unsicherheit, ob die Anziehung der Massen etwa wirklich bloß als mathematischer Ausdruck (mithin als logische Äqui* valenz) , oder nicht doch auch als Wirkung vorhandener Fern= kräfte (mithin als kausales Verhältnis) aufzufassen sei: sie lassen in dieser Hinsicht keine behagliche Täuschung auf* kommen. Und zwar desto weniger, als insbesondere dieser letztere Streit in Wahrheit ein gegenstandloser ist, indem die begriffliche Zweideutigkeit des Gesetzes gar nicht vermieden werden kann, falls man auf eine mechanisch verstandene Welt* Gesetzmäßigkeit nicht von vornherein Verzicht zu leisten sich entschließen will. Gebricht es aber selbst der cölestischen Mechanik an jeder Möglichkeit, ihr System auf* und auszubauen, ohne sich irgendwelcher Wesensbegriffe
564
zu bedienen ; — wie dürfte man ihr dann die von Sigwart behauptete Durchsichtigkeit und Eindeutigkeit tatsächlich zubilligen? Zu schweigen vollends von der tellurischen Mechanik, welche in dieser Hinsicht der Mechanik des Himmels so unverkennbar weit nachsteht. Das liegt nicht an einem Mangel unseres Denkvermögens, nicht an den nochunausgereiften Darstellungformen der Wissenschaften, sondern es liegt ganz einfach in der Natur der Sache. Oder ich könnte auch beinahe umgekehrt und beinahe rieh* tiger noch sagen: es liegt in der Sache der Natur. Wir über* zeugten uns davon, daß die Mechanik ohne ein Etwas, ohne gegenständlich beharrliche Wesenheiten vorauszu* setzen, welche gesetzmäßigen Veränderungen unterliegen, mit der Mathematik in eins fiele und aufhörte, ein Wissen von der Natur zu sein. Mit der Voraussetzung solcher Be? griffe jedoch verleibt sie sich Bestandteile ein, die sich dauernd der Forderung logischen Gleichgesetztwerdens ver* sagen müssen, weil ohne weiteres, wir wissen es jetzt, jeder Wesensbegriff seiner szientifischen Leistung nach ein Sach* und Ursachbegriff ist.
Inzwischen hat man diesen eigentümlichen dialektischen Umschlag von Substratbegriffen in Kausalbegriffe erst dann erschöpfend verstanden, wenn man sich Klarheit darüber verschafft hat, ob hier ein verdrießlicher Zufall oder eine höhere, im Sachverhalt selbst gegründete Notwendigkeit vorwalte. Mich persönlich will's bedünken, als könne man eine derartige Notwendigkeit in der Tat mit der gedankt liehen Beschaffenheit der Mechanik in Verbindung bringen und auf solche Weise das große Rätsel auflösen, warum sich die sämtlichen in diesem Weltbegriff einheimischen Wesens? Vorstellungen als Ursachen entpuppen mußten. Vergegen* wärtigt man sich nämlich jene Beschaffenheit an und für sich, so besteht sie vorzugweise darin, daß aus einem oder
565
aus mehreren Grundgesetzen oder Grundsätzen eine Reihe
von Veränderungen deduktiv, — und dies heißt ja zuletzt
stets auch syllogistisch, — hergeleitet werden, erfahrbare
Veränderungen gewisser beharrlicher Dinge, Gegenstände,
Eigenschaftträger in linearen Bahnen. Dieses Grundgesetz
oder diese Grundgesetze schließen dann als unentbehrlichste
Annahme den Satz von der Trägheit ein; jene schon oben
erwähnte Aussage, daß die besagten beharrlichen Dinge,
Gegenstände, Eigenschaftträger in ihrem Zustand beharren
würden nämlich entweder in vollendeter Ruhe oder in gleich*
förmig geschwinder Bewegung. Wo darnach ein materielles
Substratum seinen Zustand wechselt, wo es aus Ruhe in Be*
wegung, aus gleichförmiger Geschwindigkeit in Beschleunig
gung übergeht, da findet man sich unwillkürlich genötigt,
eine Ursache dieses Wechsels namhaft zu machen, weil nach
des Gesetzes Wortlaut dieser Wechsel selbsttätig nicht er*
folgen kann. Trifft aber dieses zu und wird der zuständliche
Wechsel mechanischer Substrate von irgendwoher bedingt,
verursacht, bewirkt, — nun, dann kann diese Bedingung,
Ursache, Bewirkung doch wiederum nur in eben denselben
Substraten inwohnend vermutet werden, welche den Wechsel
an sich erleiden. Denn andere Möglichkeiten der Verur*
sachung als diese Substrate selbst gibt es in einer mechanisch
interpretierten Wirklichkeit nicht. Dem Satz von der Trag*
heit gemäß vollführen die Körper der Mechanik entweder
Bewegungen mit gleichförmiger Geschwindigkeit oder sie
verharren in Ruhe; — folglich muß auf den beschleunigten
oder auf den bewegten Körper eine Ursache einwirken, die
es ihrerseit erklärbar macht, warum er sich nicht mehr seiner
Trägheit überläßt. Folglich müssen andere Körper derselben
Art entweder mittelbar oder unmittelbar als Ursache wirk*
sam sein, folglich ist es unvermeidlich, daß der Begriff des
mechanischen Elements einen kausalen Akzent annimmt.
566
Hätten wir's mit einer Natur zu tun, wo die beharrlichen Wesenheiten auch in ihren einmal vorhandenen Zuständen beharrten ; böte uns die Erfahrung eine stets entweder ruhende oder stets gleichförmig bewegte Welt der Erscheinungen dar, — dann freilich wäre eine mechanistische Wissenschaft durchaus erdenklich mit reinen Wesensbegriffen ohne jede ursächliche Tönung. Weil aber das Beharrliche aller Ver* änderungen eben nicht in seinem Urständ beharrt, weil es höchstens in seinem Wesen, nicht aber in seiner Wesens* äußerung beharrt, muß zu guter Letzt dies eine Wesen der Änderung derWesensäußerung selber zurLast gelegt werden. Wie sich die Natur der Erfahrung darbietet, würden entur* sachte Substrate für die Erkenntnis gar nicht das leisten, was Substrate ihrem tieferen Sinn nach leisten sollen und leisten müssen. Man hätte an ihnen wohl Eigenschaftträger, aber keine solchen, welche den Zustandwechsel dieser Träger irgendwie verständlich machten. Alle aus einem derartigen Wechsel hervorgehenden Änderungen der Natur blieben völlig unerklärbar, so unerklärt und unerklärbar wie die merk* würdige Tatsache, daß sie sich gar nicht dem Trägheitgesetz entsprechend verhielten. Substrate der Mechanik kausal um* zubiegen ist mithin geradezu denknotwendig. Entursachte Wesensbegriffe gäbe es nur in der Mechanik einer Körper* weit, deren Elemente nicht nur wesentlich, sondern auch zuständlich beharrten. Für die Mechanik unserer Erfahrung* Wirklichkeit hingegen leisteten reine Wesensbegriffe nicht mehr und nicht besseres als etwa die Götter des Epikurios in der moralischen Welt; sie blieben zwar vorhanden und .seiend', aber ohne sich durch etwelche Äußerungen oder Taten zu beglaubigen. Ein Luxus, der Göttern vielleicht geziemen mag, nicht aber den Ur*Teilen einer maschinell arbeitenden Weltwirklichkeit . . .
Bei diesem Nachweis von der Denknotwendigkeit eines
567
dialektischen Umschlages mechanischer Substratbegriffe in Kausalbegriffe darf man sich, glaube ich, einstweilen be* ruhigt fühlen. Es wird demnächst ein anderes Argument aufgeführt werden, warum die Kausalität trotz allem und allem der Mechanik unentbehrlich bleibt, und von diesem anderen steht fast zu hoffen, daß es das jetzige an grund* sätzlicher Bedeutsamkeit noch erheblich übertreffe. Bis da* hin möge man indessen an gegenwärtig Ausgesprochenem Genüge finden, wofern sich ja leider nicht alles auf einmal, nicht alles an jeder Stelle sagen läßt. Tröstlich dünkt es uns dabei, daß wir bei diesem Umschlagen der Substratbegriffe in Kausalbegriffe offenbar einem unausweichlichen Zwang statt einem verdrießlichen Zufall gehorchen müssen. Außer* dem aber kann man sich jetzt auch über den früheren Wider* spruch leichter hinwegsetzen, den ich hier mit wachsender Schroffheit herauszuarbeiten beflissen gewesen bin, — ich meine den Widerspruch zwischen der kausalen und der äquipollenten Einstellung in die Probleme der Mechanik. Ist doch auch dieser Widerspruch als ein durchaus denk* notwendiger gegeben, sobald es feststeht, daß die kausale Auslegung mechanischer Substrate eine notwendig ge* forderte ist. Denn dann hat eben die kausale Verknüpftheit der erkundbaren Welterscheinungen in den Wissenschaft* liehen Aussagen der Mechanik dasselbe unverkürzte Ver* nunft*Anrecht auf Beachtung, Anwendung, Geltung wie die analytische Gleichsetzung der Erscheinungen. Daß sich hiermit der logische Widerspruch an und für sich mit der Methodik an und für sich der exakten Wissenschaften transzendental und fundamental verwurzelt erweist, das allerdings ist neu und widerspricht allen dermaligen szienti* fischen Bemühungen, den mechanischen Weltbegriff wo* möglich von jedem Denkwiderspruch sorgfältig zu reinigen, aufs bestimmteste: widerspricht insonderheit den außer*
568
ordentlichen Anstrengungen eines Heinrich Hertz und dem hochgetriebenen Vernunftehrgeiz seinesgleichen ebenso bündig wie unwiderleglich. Die widerspruchfreie Dar* Stellung der Weltmaschine, sehen wir jetzt mit hinlänglicher Gewißheit ein, die gibt es nicht und wird es niemals geben, einfach darum nicht, weil der Widerspruch den konstitu* tiven Voraussetzungen a priori der Mechanik einverleibt ist. Von den ungezählten Schlüssen und Weiterungen aber, welche fast gleichzeitig mit dieser Einsicht unser Ahnung* vermögen bestürmen, wäre vielleicht nur die eine Folgerung vollkommen verfehlt und irrig: daß nämlich hierdurch der Erkenntniswert der Mechanik, mithin der Erkenntniswert der Wissenschaft par preference, längst aller übrigen Wissen* schaffen von der Natur unerreicht*unerreichbares Muster, im mindesten verringert werde. Die Gegensätzlichkeit zwischen Wesens* und Ursachbegriffen, zwischen kausalen und äquipollenten Aussagen, sie bedingt das mechanische Er* kenntnisgefüge einer maschinell interpretierten Natur, und weiter ist darüber nichts zu sagen. Nicht diese Widersprüche und nicht diese Spannungen der Vernunft gefährden die echte Wissenschaftlichkeit dieser großen Wissenschaft, sondern der aus unbezähmtem Eifer des systematischen Bewältigens der Wirklichkeit hervorbrechende Hang, der Vernunft ein denkwiderspruchfreies Ganzes zuzumuten und die einzig geheischte Vollendung des Wissens daran zu messen, ob es eine restlos durchklärte Symbolik der Wirk* lichkeit erziele oder nicht erziele. Dieser Wissens*, dieser Nicht* Wissenswahn erhielt hier seinen ersten, aber sofort todbringenden Stoß versetzt. Widerspruchfreies Welt* denken, Weltwissen, Weltdeuten gibt es zumindest inner* halb der maschinellen Auffassung von der Natur nicht. Weiter oben schilderte ich diesen Sachverhalt so, daß das mechanische Denken sozusagen eine Oszillation vollführe
569
zwischen ursächlichen Knüpfungen und entursachten Gleich* Setzungen. Jetzt hat sich's erhärtet, daß diese Oszillation zwischen zwei disparaten, ja sogar konträren, ja sogar kon* tradiktorischen Vorstellungweisen nicht sowohl psycholo* gischer als vielmehr logischer Notwendigkeit entspringt und fast im Sinne Kants als , Bedingung a priori der Möglichkeit jeder Erfahrung' gerechtfertigt werden kann. Allein und einzig ihr haben wir jene unermeßliche Erweiterung ver* standesmäßiger Wirkungmöglichkeiten auf die Natur zu danken, an welche man bei dem Ausdruck , moderne Physik' sich zu erinnern hat. Nur gleichsam durch ewige Schwans kung, Schwebung, Schwingung wirkt der Menschenverstand in die Ferne, ungefähr wie nach der Theorie Faradays und Maxwells oder wie nach dem Experiment Hertzens die elektrischen Oszillationen eines ungeschlossenen Leiters in die Ferne wirken; nämlich indem sie das umgebende ab* sondernde Mittel polarisieren, den Zustand seiner Materie entscheidend verändern und schließlich den Beeinflussungen des entstandenen ,Fünkleins' zugänglich machen. Fast auf verwandte Art, sage ich, polarisiert die Oszillation unserer Vernunft die ganze Natur. Denn jedes ihrer Ur*Teilchen pendelt und zittert jetzt hin und wider zwischen seiner eigenen halb substrathaft, halb kausal anzunehmenden Be* deutsamkeit; jede Veränderung dieser Teilchen unterliegt der schwankenden Aussage, ob sie mathematisch*funktional oder kausal*effektuierend richtig zu denken sei. So wenig mithin die Natur, die mechanisch zu ergründende, in Wahr* heit stillsteht oder wechsellos beharrt, so wenig steht der Verstand still, darf er stillstehen, der die Bewegungen der Natur auffangen will in ein N etz werk logisch*mathematischer Beziehungen. Das ist ein Tatbestand, welchen doch viel* leicht schon Aristoteles auf seine Weise vorweg geahnt hat, wenn er, Intellektualist und Monist zumal, das erste Be*
570
wegende im All eben den vovg sein läßt. Um Bewegungen natürlicher Dinge, stofflicher Wesenheiten, materieller Punkte, mechanischer Massen, physikalischer Körper recht eigentlich zu verstehen, mußte das Denken erst selber in Bewegung geraten sein, — das ist das seltsame und doch wieder kaum überraschende Erträgnis weitschichtiger Er? örterungen. Ein Erträgnis, welches man etwa auch dahin in Worte fassen könnte, daß der Menschenverstand je und je bei sich zu Hause bliebe, auch wo er sich anscheinend noch so sehr in die weite Welt verirrte . . .
571
KAUSALE UND SYLLOGISTISCHE NOTWENDIGKEIT
Der Weltbegriff einer neuzeitlichen Wissenschaft, die wegen der Unumstößlichkeit ihrer Aussagen und wegen der Geschlossenheit ihres Aufbaues nicht nur den ersten Rang unter allen Wissenschaften behauptet, sondern in entscheidender Hinsicht Urs und Musterwissenschaft bis heute geblieben ist, hat sich in seinen transzendentalen Vor? aussetzungen als ein fragwürdiger gezeigt. Sicherlich wird von dieser Fragwürdigkeit im einzelnen weder die Geltung des analytischen Ausdrucks für erfahrbare Vorgänge der Natur, noch im allgemeinen der Erkenntniswert mechanischer Gesetze irgendwie betroffen. Von ihr betroffen werden in* des die sogenannten Wesensbegriffe der Mechanik und ihre letzten Formen der Verknüpfung, — wenn man will, die .Kategorien* der Mechanik. Die Problematik der natür* liehen Verknüpfungen, des inßuxus physicus, erscheint dabei gewissermaßen schon verankert in der Problematik der Wesensbegriffe selbst, wofern ein kausaler Charakter bei allen erdenklichen mechanischen Substraten immer wieder durchbrach. Hat man sich doch davon überzeugen können, wie der Zustandwechsel der Eigenschaftträger mechanischer Veränderungen zuletzt von diesen selbst bedingt, verursacht oder bewirkt sein müsse. Was Wunder, wenn sich um das Rätsel der Verursachung allmählich trübe Dünste sammeln und eine vorher noch klare Vorstellung mit zunehmender Bewölkung überdüstern. Was Wunder, wenn der Verstand vor dieser Kausalität einigermaßen seine Fassung verliert, da er ohne Kausalität offenbar keine Wissenschaft von der Natur, mit ihr aber keine bloß angewandte Geometrie be* treiben kann. Und wie um diesem groben Widersinn ent* gegenstrebender Absichten noch dreist aufzutrumpfen, er*
572
gibt sich gleichsam als letzte Ungereimtheit die Tatsache, daß just diese ihrer innersten Bestimmung nach ursach*feind* liehe Mechanik von allen bekannten Wissenschaften am Ende die stärksten Anstrengungen macht, die Kausalität gedankt lieh und begrifflich so eng wie nur möglich zu umklammern! Schleppt sie sich mit ihr nämlich einerseit wie mit einem altvererbten Übel, wie mit einem Buckel oder wie mit einem Kröpfe schlecht und recht ab, so verwendet sie andererseit ihre gesteigerte Sorgfalt darauf, den sozusagen ,repräsen# tativen' Vorgang aller ursächlichen Ordnungen und Formen verstandesmäßig zu bewältigen. Mit diesem Vorgang meine ich natürlich den Stoß. Von ihm scheint mir's kaum zuviel gesagt, daß sich jede Vorstellung ursächlicher Beziehungen mehr oder weniger deutlich, mehr oder minder bewußt auf ihn berufe als auf das Paradigma aller kausalen Verhältnisse überhaupt: der Stoß ist vermutlich der Anlaß geworden, daß die Verknüpftheit von Ursache und Wirkung eine unser gesamtes Weltdenken beherrschende Wichtigkeit ge* winnen konnte. (Eine Wichtigkeit und Dringlichkeit übrigens, die in den bildhaften Symbolen welterklärender Mythologien fast schon mit derselben Schärfe hervortritt wie in den Begriffsgefügen der Wissenschaften.) Im Stoß registriert das Bewußtsein tatsächlich jede Phase der be* dingenden und bedingten Veränderungen; hier behorcht und beklopft es sich gewissermaßen selber; hier ertappt es sich sozusagen in flagranti, wie durch seine eigenen Denk* mittel und Denkbetätigungen Dinge zu einer Ordnung kos* misch zusammengesichtet werden. Wenn irgendwo, überlistet hier der Verstand sich selber, indem er, unsichtbar gemacht durch die Tarnkappe der Mathematik, die Kausalität an und für sich beschleicht, überfällt und überwältigt . . .
Es wäre dabei gestattet, von fünf Aufgaben zu sprechen, welche der Stoß dem mechanischen Denken gestellt und
573
welche dieses in der Tat zu lösen verstanden hat. Erstens die Bewegung darzustellen unter dem Einfluß des erlittenen Stoßes oder die Geschwindigkeitänderung anzugeben, die einem gestoßenen System aus einem stoßenden zuerteilt wird. Zweitens die Größe der Stoßkraft zu berechnen, die ein System bei einer plötzlichen Änderung der Bewegung auf ein anderes ausübt. Drittens den sogenannten .Zwang' analytisch auszudrücken oder die Änderung, welche die Zusammenhänge eines Systems an der Vermehrung oder Verminderung seiner Geschwindigkeit bewirken, wobei Größe und Richtung des Zwanges zu berücksichtigen sind. Viertens Zuwachs und Abnahme der Energie oder der Arbeit des Stoßes festzustellen, die ihrerseit Wirkung eines auf das System ausgeübten Stoßes ist. Fünftens wäre dann noch die Angabe der Bewegung zweier Systeme nach ihrem Zusammenstoß diesen Aufgaben zuzuzählen, soweit sie wenigstens durch die Bewegung der Systeme vor dem Stoß bestimmbar erscheint. In diese fünf Momente, fünf Pro* bleme, teilt sich dieser eminent kausale Vorgang sub specie der Mechanik auf, und man sollte beinah glauben, ihn da* mit endgültig der Vernunft unterworfen zu haben.
Nichtsdestoweniger bedarf es keines besonders ge* schärften Urteils, um zu bemerken, wie gerade das Moment der ursächlichen Beeinflussung in allen diesen fünf Auf* gaben ebenso geschickt wie geflissentlich übergangen, ich möchte schier sagen: unterschlagen wird. Bewegung, Stoß* kraft, Arbeit beziehen sich jeweils auf den Zustand eines materiellen Systems vor oder nach dem Stoß, indes dieser selbst im Grund unberücksichtigt und unerfaßt bleibt. Auch der Zwang beim Stoß ist nur insofern ein Gegenstand der mechanischen Darstellung, als bestehende Zusammenhänge gestoßener Systeme von der Änderung ihrer Geschwindig* keit abweichen, wie sie bei unzusammenhängenden Systemen
574
mit Gewißheit zu erwarten wäre. Und in der Tat, entsinnt man sich der Erläuterung, womit die Mechanik den Be* griff des Stoßes zu umschreiben trachtet, so verliert dieser Umstand alles Befremdliche, was er etwa an sich haben könnte. Denn der Stoß ist seiner mechanischen Natur nach lediglich ,eine unstätige Bewegung': laut begrifflicher Be* Stimmung das Zeit4ntegral einer Kraft, die beim Durch* gang durch eine Unstätigkeitstelle von einem System auf das andere ausgeübt wird. Dieser Augenblick der Un* stätigkeit aber bleibt für immer der logisch*mathematischen Umklammerung seitens der mechanischen Formel entrückt, indem die Stätigkeit der durchlaufenen Lagen materieller Systeme die conditio sine für jede analytische Bemeisterung natürlicher Bewegungen ist. Streng genommen gehört ein System, in welchem Stöße vorkommen, gar nicht mehr in das Gesamtbild mechanischer Welterkenntnis, sondern kann diesem nur gleichsam mit Hilfe einer Art von fictio juris eingegliedert werden, wonach unstätige Bewegungen auf* gefaßt werden als ob sie stätig seien, — welche szientifische Fiktion wirklich auch durchführbar ist, wenn hinreichend kleine Spannen von Raum und Zeit angenommen werden. Derart bemächtigt sich die Mechanik des Stoßes der Kau* salität, wofern sie die unstätige Ordnung als solche, — ich sage unstätige Ordnung, weil sie aus zwei unumkehrbar aufeinanderfolgenden Querschnitten des zeitlichen Ablaufs zwei voneinander abgehobene Gruppen substrathafter In* halte als .Ursache' und als .Wirkung' ideell herausschneidet und gegeneinander absondert : eine kausale Stätigkeit, eine stätige Kausalität, wie sie Eduard von Hartmann statuiert, erachte ich nahezu für eine condradictio in adjectol — wo* fern sie also die unstätige Ordnung xaz llo-/j]v auf eine stätige zurückzuführen sucht. Im Augenblick der Unstätig* keit, im Zeitpunkt des eigentlich stattfindenden inßuxus
575
physicus wachsen darnach zwar die Werte für Kraft und Beschleunigung bei beiden Systemen ins unendlich Große, aber das Zeitintegral der Kraft und Beschleunigung behält dennoch seinen endlichen Wert. Die Unstätigkeit aller Verursachung und Bewirkung ist beileibe nicht abzuleugnen, jedoch ist sie an und für sich nur eine .scheinbare', in Wahr* heit gar nicht vorhandene. Mit dieser aus jeder wissen* schaftlichen Verlegenheit rettenden Philosophie des ,Als ob' schwingt sich die Mechanik wie ein sehr geübter Turner auch über diese bedrohliche Stelle hinüber. Und gegen dieses Turnerstückchen kann auch solange kein stichhaltiger Einwand geltend gemacht werden, als man sich der Täuschung hingibt, man habe das rätselhafte Ereignis, wo das stoßende System auf das gestoßene eine .Kraft' ausübt, in Ge* danken gar bezwungen. Aber das ausgesucht scharfsinnige Verfahren, in der Mechanik des Stoßes den Vorgang von paradigmatischer Kausalität wissenschaftlich auf Begriffe, auf Maß und Zahl zu bringen, gerade dieses führt unstreitig am sichersten an jeder Kausalität vorbei. Gerade den Stoß, diesen schlechthin alle sonstigen Arten der Verursachung stellvertretenden Vorgang von der klassischen Bedeutung eines Urphänomens, gerade ihn entursacht die mechanische Behandlungweise, gerade ihn beraubt sie mit seiner offen* baren Unstätigkeit auch seiner ursächlichen Beschaffenheit und Würde. Die Unstätigkeitstelle selbst, der Ort des Ein= griffs des einen Systems in das andere, der Akt der Beein* flussung beharrt außerhalb der Aufgaben und Lösungen des mechanich*maschinellen Weltdenkens: das Rätsel wird anerkannt, aber in keiner Hinsicht erkannt. Die vorzugweis kausale Knüpfung des Stoßes behandelt man, als ob sie keine kausale Knüpfung wäre. Man entfernt die Unstätigkeitstelle aus dem Blickpunkt des Bewußtseins, weil eine mehr oder weniger hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die
576
Wirklichkeit der Natur doch nur stätige Bewegungen, stätige Veränderungen vollführe. Mit einem Worte: man unter* drückt die Kausalität eben dort mit eiserner Folgetreue, wo man sie zum Triumph gleichsam eingeladen hatte . . .
Hier wird die Frage brennend, ob auch jetzt wieder die Ursächlichkeit einfach dem methodischen Zielgedanken der Gleichsetzung geopfert worden sei, oder ob nicht für das sich häufende Versagen des wissenschaftlichen Könnens und Vermögens gegenüber dieser Kategorie zuletzt tiefere Gründe verantwortlich zu machen wären. Darüber könnte man vermutlich bis zu einem gewissen Grad ins reine kommen, wenn man den Vorgang des Stoßes noch etwas genauer zu überprüfen sich geneigt zeigte : wie sich hier von selbst versteht, unabhängig von allen analytischen Dar* Stellungen, zu welchen er Gelegenheit bietet, und unabhängig infolgedessen auch von der verdächtigen Tendenz, den kau* salen Nexus zu Gunsten mathematischer Äquivalenzen um* zumünzen oder umzulügen. Verzichten wir also endlich ein* mal auf jede Bezugnahme, die der eigentlich mechanischen Darstellung des Stoßes gelten würde, und fassen wir einmal das kausale Geschehnis beim Stoß wesentlich als solches ins Auge. Auch für diese Absicht hält die Mechanik gleichsam zwei Auslegungen in Bereitschaft, unter denen die Wahl ge* troffen werden muß. Die eine spinnt ein uralt Fädchen weiter, das schon die peripatetische Philosophie um ihre Kunkel geschlungen hatte, wofern sie die kausale Beein* flussung beim Stoß als Berührung (ß(p)]~) der stoßenden und der gestoßenen Masse zu begreifen gesucht hatte. Die andere dagegen ist wohl neuerer Herkunft und ist bemüht die kausale Äußerung stoßender Massen letzthin auf die Wirksamkeit von Fernkräften zurückzuführen. Unsere Pflicht ist es, uns über diese zwei Versuche, die Kausalität des Stoßes gleichsam als repräsentative Instanz aller in der
37 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 577
Natur vorhandenen Kausalitäten dem Verstand zugänglich zu machen, ein Urteil zu gewinnen. Von diesem Urteil wird es dann abhängen, welche Bedeutung der Knüpfung Ursache* Wirkung innerhalb des mechanisch*maschinellen Weltbegreifens überhaupt zuzumessen oder nicht zuzu* messen ist: nachdem unser Denken am Leitfaden der Kausa* lität bis hierher tiefer und tiefer in Widersprüche und Ver* wirrungen gegängelt ward . . .
Der Stoß sichtbarer Massen kann, darüber obwaltet kein Zweifel, ebenso aus den Einzelstößen der einfachen Massen* teilchen dieser Massen zusammengesetzt gedacht werden wie eine Kraft aus den Komponenten von Einzelkräften, aus den Wirkunglinien einfacher Kraftpunkte. Betrachtet man folglich gemeinhin den Stoß als einen Vorgang der Berührung, so wird sich dieser Vorgang am vorteilhaftesten bei Gelegenheit des Einzelstoßes letzter materieller Bestand* teilchen durchdenken lassen. Hier, wo alle Verhältnisse in ihrer lauteren Einfachheit und Einfältigkeit zu überblicken sind, hier, wo man sich nichts vorzustellen hat als zwei Massenpunkte im Augenblick des vom einen ausgehenden, vom anderen aufgefangenen Pralls, muß sich am schnellsten zeigen, ob dieser Prall möglicherweise als eine Berührung gedeutet werden kann und darf. Für den elastischen Stoß zweier Massenpunkte ist diese Frage knall und fall zu be* antworten, denn ihr Stoß kann zeitlich unter keinen Um* ständen mit der Berührung zusammenfallen, weil sie sich beide durch ihr Berühren um die Möglichkeit gebracht hätten, sich während des Stoßes gegenseitig abzustoßen. Dieser Einwand ist mit vorzüglicher Klarheit von Eduard von Hartmann entwickelt worden: eine Berührung von ein* fachen Punkten vermag unser Verstand nur als ihr bedingung* loses Ineinanderfallen, Zur*Deckung*Gelangen, Ein*und* dasselbe*Werden aufzufassen; darum vollzieht sich der
578
elastische Stoß notwendig vor jeder denkbaren Berührung; darum ereignet sich die gesuchte ursächliche Wirksamkeit des Stoßes auch nicht während der Berührung oder durch dieselbe; darum war es ein handgreiflicher Irrtum, wenn beispielweis Kant die Berührung eine wechselbezügliche Undurchdringlichkeit nannte und aus der abstoßenden Kraft ableitete, — findet doch eine Abstoßung von Massen* punkten eben nur insoweit statt, als eine Berührung nicht eintritt!
Trifft mithin beim elastischen Stoß die kausale Beein* flussung auf keine Weise mit einer etwaigen Berührung von Massenteilchen zusammen, ja schließen sich elemen* tarische Berührung und elastischer Stoß begrifflich gerade* wegs aus, so steht die ganze Angelegenheit für den uns elastischen Stoß nur noch viel mißlicher. Er nämlich läßt sich für Massenteilchen, für Elementarquanten der Materie nicht einmal vorstellen. Denn sind diese Massenteilchen an sich unausgedehnte Punkte oder Punkte mit unendlich kleiner Ausdehnung, dann sind auch keine inneren Abstände vorhanden oder nur unendlich kleine Abstände, die sich im Sinne des unelastischen Stoßes verändern oder ent* formen könnten. Nicht deshalb, weil der Verlust an kine* tischer Energie beim unelastischen Stoß einfacher Massen* teilchen nicht in latente Energie umgesetzt werden kann, wie Hartmann annimmt, ist der unelastische Stoß schlechter* dings unbegreiflich, — Heinrich Hertz hat wenigstens die Möglichkeit dieses Umsatzes erklärlich gemacht durch seine Voraussetzung verborgener Massen, welche jenen Verlust an arbeitender Energie durch die Umwandlung in Energie der Lage ausgleichen und derart die Geltung des ersten Hauptsatzes retten mögen! — vielmehr ist er es deshalb, weil Punkte nie und nimmer ihre Gestalt zu verändern im* stände sind. Um den unelastischen Stoß dem Wissenschaft*
37* 579
liehen Denken glaubwürdig zu machen, müßte man infolge* dessen schon zusammengesetzte Massen anstatt einfache Massenteilchen oder Massenpunkte betrachten. Wobei trotze dem der erhoffte Gewinn ziemlich hinter den Erwartungen zurückbliebe, da auch bei zusammengesetzten Massen nicht ersichtlich würde, wie just die Berührung eine dauernde Veränderung ihrer Gestalt zu bedingen geeignet wäre.
Die Schwierigkeiten türmen sich somit schon bei der Durchforschung künstlich vereinfachtester Fälle unüber* windlich in die Höhe und man wird beizeiten der Hoff* nung entsagen müssen, den kausalen Vorgang beim Stoß etwa grundsätzlich durch den Aktus der Berührung erklär* lieh machen zu wollen. Wie einerseit beim elastischen Stoß die einfachen Massenteilchen augenscheinlich die ursäch* liehe Einwirkung erfahren müssen, ehe sie durch eine voll* zogene Berührung auch schon zur Deckung gelangt wären, — so lassen sich andererseit für zusammengesetzte Massen Berührungen denken, ohne daß sie im geringsten von ur* sächlichen Einflüssen begleitet sein würden: beim un* elastischen Stoß erklärt gerade die (angeblich) stattfindende Berührung in keiner Hinsicht die dauernd erfolgte Änderung der Gestalt des gestoßenen Körpers. Zwecklos, ja zweck* widrig erscheint es darnach, das unerratene Problem der Verursachung auch noch mit dem Problem der Berührung zu komplizieren. Keines der beiden Vorkommnisse er* leuchtet das andere auch nur mit einem Strahl von Licht, indem es unzweifelhaft ursächliche Knüpfungen ohne jede Berührung wie Berührungen ohne jede ursächliche Knüpfung gibt. So daß nach Verabschiedung dieser An* nähme zur wirklichen Verdeutlichung mechanischer Kausa* lität nur noch die zweite jener oben genannten Erklärung* möglichkeiten offen bleibt: der kausale Eingriff wird nur noch als .Wirkung in die Ferne' verständlich, heißt das auf
580
Abstände, die größer sind als die innere Entfernung zwischen den Grenzoberflächen der wirksamen Körper. Schlösse die Berührung überhaupt ein ursächliches Ereignen ein, so hätte sich dieses an der Oberfläche der berührenden Dinge abspielen müssen. Nun die Kausalität nicht im mindesten aus der Berührung herzuleiten ist, erstreckt sich die Zone der geheimnisvollen Beeinflussung auch über die begren* zenden Oberflächen der wirkenden Gegenständlichkeiten hinaus. Es ist dabei überflüssig, ja unangebracht, an Fern* kräfte im Sinn der Mechanik des Himmels zu denken, da für unsere Absichten Fernkräfte auf Massenteilchen*Ab* stände genügend sind: unter ihnen Abstände verstanden, deren Höchstwert durch die eben noch merklichen Wir* kungen einer einzelnen Kraft oder Kraftäußerung bestimm* bar wird, indes ihr Mindestwert durch die Entfernung zu geben ist, auf welche hin die Oberflächen die Erscheinung der Undurchdringlichkeit hervorbringen.
Gestehen wir, daß diese Annahme fernwirkender Kräfte den Vorgang des Stoßes, kausal interpretiert, weniger un* durchdringlich und undurchsichtig aussehen macht wie kurz vorher. Wenigstens gilt das vom elastischen Stoß, — um den unelastischen hier aus dem Spiel zu lassen, der ohnedies, wie schon Kant (in den Metaphysischen Anfangsgründen) andeutet und wie Eduard vonHartmann (in derWeltanschau* ung der modernen Physik) nachdrücklich hervorhebt, letz* ten Endes eine Fiktion der Mathematik sein dürfte. Der Gedanke, daß Fernkräfte da wirken, wo sie eigentlich und uneigentlich nicht ,sind', kann dabei für uns nichts schlecht* hin Unglaubliches an sich haben, wofern wir ja im täglichen Dasein der menschlichen Gesellschaft solche Wirkungen nicht nur jederzeit für möglich, sondern sogar für notwen* dig erachten müssen. Man entsinnt sich hier leicht eines geistreichen Wortes von Kant, wenn er sich, aus den an*
581
noch etwas uferlosen Träumen seiner physischen Monado* logie längst zu kritischer Besonnenheit ernüchtert, dennoch unentwegt zu der Vorstellung der Fernkraft bekennt und diese so wenig widerspruchvoll in sich selber findet, „daß man vielmehr sagen kann: ein jedes Ding im Raum wirkt auf ein anderes nur an einem Orte, wo das Wirkende nicht ist. Denn sollte es an demselben Orte, wo es selbst ist, wirken, so würde das Ding, worauf es wirkt, gar nicht außer ihm sein, denn dieses Außerhalb bedeutet die Ge* genwart an einem Orte, darin das andere nicht ist." Die schlagende Beweiskraft dieses Satzes wird nicht abge* schwächt, weil Kant irrtümlich und im Hader mit sich sei* ber die Fernwirkung als eine Wirkung durch den leeren Raum bestimmen zu müssen wähnt, unfähig leider, gewis? ser kartesianischer Vorurteile ledig zu werden und an der von ihm so klar geahnten dynamischen Erfülltheit des Raumes (bei materieller Leerheit desselben) ein für alle mal festzuhalten. Wichtiger als diese gelegentliche Inkon* sequenz ist es, daß Kant mit eben diesen angeführten Wor* ten das Geheimnis der Verursachung schier zu lüften im Begriff steht. In der Tat: Ursächlichkeit ist notwendig Fernwirkung, ist notwendig Äußerung von Kräften oder kraftbegabten Wesenheiten, — auf dieses .notwendig* werde ich bald zurückgreifen! — ist beides auch da oder vielmehr nur da, wo Kräfte oder kraftbegabte Wesenheiten als solche nicht sind. Wer diese Wirkung in die Ferne ernstlich an* zweifelt, der zweifelt im selben Atemzuge die Möglichkeit ursächlicher Beeinflussung überhaupt an. Denn Ursache lichkeit ist entweder Fernwirkung oder — nichts: dies bleibt der dauernde Ertrag jener bezeugenden handvoll Worte Kants. Und wenn sich Heinrich Hertz gezwungen fand, mit den Fernkräften die Kraft, mit der Kraft die Ursache lichkeit aus den Grundbegriffen der Mechanik auszumer*
582
zen, so liegt in dieser logischen Umkehrung des hier ge* kennzeichneten Sachverhaltes die beste Bestätigung obge* dachter Worte. Die Verbitterung wider jegliche Art von Fernkräften, das ist schon die vollzogene Preisgabe der Ursächlichkeit, und es ist wahrhaftig kein Mangel an in* nerer Folgetreue gewesen, wenn Hertz trotzdem die Be* griffe Fernwirkung, Kraft, Ursache nicht endgültig aus dem eisenfesten Gefüge mechanischer Welterkenntnis heraus* zubrechen vermocht hat.
Befassen wir uns jedoch noch etwas eingehender mit dem Gedanken der Fernwirkung, der uns hier die Lösung des Kausalproblems beinah' in nächste Aussicht zu stellen scheint. Nach ihm ist es die besondere Leistung der Ur* sache, an einer Stelle, wo sie selbst nicht ist, ein Etwas zu setzen, das vorher nicht war. Was meint aber dies, über* tragen auf die dermaligen Verhältnisse des mechanischen Stoßes? Was ist hier Ursache, was Wirkung? Steht es so, um den denkbar simpelsten Fall anzunehmen, daß von zwei Massenpunkten der stoßende die Ur*Sache des gestoßenen wäre? Oder da dies offenbar nicht gemeint sein kann, be* steht die Ur*Sache nur in einer Veränderung der Geschwin* digkeit, etwa vom Nullwert derselben über eine augenblick* liehe Unendlichkeit weg zu einem endlichen Wert und von da ab wieder zum Nullwert, — die Wirkung hingegen in einer entsprechenden Geschwindigkeitänderung des an* deren Punktes? Aber woher käme dann bei dieser Aus* legung der eigentliche Stoß, woher die Kraft, welche der Definition dieses Vorganges gemäß der eine materielle Punkt auf den anderen .ausübt'? In welchem Zusammenhang hätte man sich hier die beiden Massenpunkte mit der aus* geübten Kraft zu denken? Ist es tatsächlich die Masse, welche die Ursache der Übertragung von Geschwindig* keitänderungen vom einen auf den andern Punkt abgibt,
583
— oder ist es nicht vielmehr die Kraft selber? Denn eines von ihnen beiden ist augenscheinlich doch nur eine Be* gleiterscheinung, ein ,Epiphaenomen' der eigentlichen Ver* ursachung: entweder die Kraft, die sich wie von ungefähr bei der Geschwindigkeitänderung der Massen einstellt, oder die Masse, die neben der dynamischen Übertragung durch die Kraft herläuft, nicht unähnlich einem Fohlen, das lose angeseilt neben dem Ziehpferd eines Wagens hertrabt. Die Wahl ist schwierig und mancher Verantwortlichkeiten voll. Denn die Masse zur Begleiterscheinung des kausalen Ge* schehnisses zu erniedrigen, weigern sich die Sinne. Durch sie ist die Masse beglaubigt, während die Kraft als bloßes Symbol des Verstandes verblaßt. Entscheidet man sich aber auf diese Weise als der Gläubige, ja als der Gläubiger der Sinne, der dem Geist so tief verschuldeten, ohne Besin= nen für die Masse, dann läßt sich kaum verhehlen, daß sie genau genommen gar nicht befugt sein kann, als Ursache aufzutreten; sintemalen beim Stoß statt ihrer selbst nur ihre Geschwindigkeitänderung die Geschwindigkeitänderung einer anderen Masse bedingend vorgestellt werden darf! Just diese Auffassung des Geschehens führt indessen zu einer unendlichen Regression, laut welcher jede in ihrer Geschwindigkeit veränderte Masse wiederum von einer eben solchen verursacht sei: nie vermag die Masse an sich Geschwindigkeitänderungen an sich zu motivieren, wenn sie nicht selbst eine solche erfährt, und so weiter, und so weiter . . . Das hieße aber das ohnehin magere Leitfädchen der Kausalität bis in fruchtlose Unendlichkeiten fort* und fortspinnen und damit die gesuchte Ursache wesentlich verneinen. Also daß man hier wieder einmal seine arglose Zuversicht betreffs der Sinne mit Undank übel gelohnt sähe und zuletzt nicht umhin könnte, die Kraft doch noch mit der Rolle des ersten Bewegers, der Ursache der Ge*
584
schwindigkeitänderung gestoßener Massen entschlossen zu betrauen: die Kraft allein, oder die Kraft verbunden mit ,epiphaenomenalen' Massen, — dies bleibe noch dahinge* stellt. Diese Entscheidung aber, wir werden es rasch ge* wahren, würde einen einschneidenden Bedeutungwandel für den Begriff der Ursächlichkeit bedingen, denn von jetzt an erwiese sich das gesamte kausale Denken dialektisch mehr und mehr verankert in einem als genetisch zu bezeich* nenden Denken.
Die Kausalität des Stoffes, sagte ich vorhin, könne un* möglich so zu verstehen sein, daß die Masse gewissermaßen zur Ursache der Masse gemacht würde. Und zwar darum nicht, weil das, was der Erklärung bedarf, gar nicht die Masse als solche ist, sondern ihre im Stoß erlittene Ge* schwindigkeitänderung. Fast gleichzeitig hat sich jedoch ergeben, daß die Masse auch nicht als Ursache dieser Ge* schwindigkeitänderung in Betracht käme, da nicht sie, son= dem die ihr selbst erst von außen her übermittelte Ände* rung der Eigengeschwindigkeit die Änderung in der Ge* schwindigkeit des anderen Systems bewirkt. Zusammen* fassend wäre dies ungefähr so auszudrücken: Massen als solche sind weder die Ursachen von Massen noch die Ur* Sachen der Geschwindigkeitänderungen von Massen. Was dagegen die Geschwindigkeitänderungen von Massen un* mittelbar verursacht oder (vorsichtiger gesagt) gründe sätzlich wenigstens verursachen könnte, ist die Kraft. In* nere Erfahrung lehrt, daß ein Aufwand organischer Kraft die Bewegung unbewegter Massen ohne weiteres zu bewirb ken vermag, und diese physikalisch anerkannte Erfahrung erscheint einer wissenschaftlichen Verallgemeinerung durch* aus fähig. Es hat fortan keinen Anstand, die Kraft als ein unsichtbar und untastbar Wirkendes in die Ferne zur Ur* sache von Veränderungen in den Geschwindigkeiten sieht*
585
barer, tastbarer Gegenstände zu erheben. Nicht nur hegt man keine Scheu, die Elemente zweier ganz verschiedenen Lagen des Bewußtseins, wie sie die sichtbare und die uns sichtbare Wirklichkeit offenbar bilden, kausal aufeinander zu beziehen; sondern man meint außerdem mit wachsender Bestimmtheit feststellen zu dürfen, daß nur bei Bestands teilen solch verschiedenartiger Lagen überhaupt von einer mechanischsmaschinellen Verursachung gesprochen werden könne; — alle Kausalität sei mithin eine ,allotrope', statt* findend zwischen zwei wesensverschiedenen Schichtungen bewußter Weltwirklichkeit. Gewiß steht es auch jetzt noch nicht so, daß die Summe der Elemente der einen Schicht schlechterdings zur Ursache der Summe der Elemente der anderen Schicht, daß Kräfte schlechtweg zu Ursachen von Massen schlechtweg gemacht würden. Nein, nicht das dys namische Substratum ist Ursache des materiellen Substras tum, sondern Ursache lediglich zuständlicher Änderungen im letzteren. Die Kraft überträgt die Änderung der Ges schwindigkeit von einem Teil sichtbarer Massen auf andere Teile, — sei es, daß sie an die Massen irgendwie .gebunden' sei, ähnlich wie nach der Meinung vieler Physiologen oder Philosophen die Gedanken an die graue Rindenschicht der großen Hirnhalbkugeln gebunden sind, sei es, daß sie selbständige Eigenschaftträger seien wie die Massen selbst. Leider kann es jedoch bei dieser vorsichtigen und übers zeugenden Auffassung der Sachlage sein Bewenden nicht haben, und schon wenn man die bisherige Deutung: Kraft nicht Ursache von Massen, sondern von Geschwindigkeits änderungen, über das Bereich des mechanischen Stoßes und darnach auch über das Bereich der eigentlichen Mes chanik hinaus erweiternd anzuwenden trachtet, wird man sehr unliebsam durch neue Schwierigkeiten verwirrt. Denn unverkennbar verfolgen alle physikalischen Wissenschaften,
586
zunächst auf eine analytische Beherrschung natürlicher Bewegungen gerichtet, im weiteren ganz unverhohlen die methodische Absicht, die sämtlichen Substrat^Erlebnisse des Bewußtseins womöglich eben — als Bewegungen zu entlarven. Ich brauche nur an das Verfahren der Optik zu erinnern, wie sie die für den naiven Betrachter substrathaf* ten oder wenigstens substratähnlichen Erscheinungen Licht und Farbe in Bewegungen eines »hypothetischen Mittels' umzudenken beflissen ist; solches Verfahren ist typisch für die gesamte mechanische Naturerkenntnis. Wo irgendwie stätige Wahrnehmunggebilde zur Beobachtung gelangen, werden sie von der Physik als Formen der Bewegung aufs gewiesen. Der Schall wird zur strahlenförmigen Bewegung der Luft; neben der Farbe und dem Licht werden Magne* tismus und Elektrizität zu Fortpflanzungweisen des Äthers. Die sogenannt spezifischen Qualitäten der Sinne werden zurückgeführt erstens auf die spezifischen Qualitäten der Energie, dann aber auf besondere Beschaffenheiten der Be* wegung. Wo aber Bewegungen stattfinden, da müssen ganz allgemein auch Kräfte vorausgesetzt werden, falls überhaupt einmal Kraft als Ursache von Bewegungen, Ursache von Geschwindigkeitänderungen zugelassen worden ist. Denn veränderliche Geschwindigkeiten, die ihres Teils der ,Ur* Sachen' bedürfen, besitzen nicht nur die Massenpunkte der Mechanik (im engeren Wortverstand), sondern die Massen* punkte jedes materiellen Aggregatzustandes, jedes chemi* sehen Elements, ja sogar die Massenpunkte des Äthers, deren er, da er trag' ist, nicht durchaus entbehren kann. Selbst wo nicht mehr die eigentliche Geschwindigkeit (wie in der eigentlichen Mechanik), sondern die Spannung als der eine Faktor der Energie eingeführt wird (wie in den übrigen Zweigwissenschaften der modernen Physik), bleibt dennoch die Änderung der Spannung mit einem Vorgang
587
der Bewegung verknüpft, — und umgekehrt darf die Be* wegung sichtbarer Massen als Ausgleich räumlicher Span* nungen ausgelegt werden. Kraft als Ursache von Geschwin* digkeitänderungen, mithin von Spannungausgleichen, mit* hin von Bewegungen ist also keineswegs ein auf die Me* chanik als solche eingeengter, vielmehr ein physikalisch zu verallgemeinernder Begriff, schließlich überall dort unent* behrlich, wo die Physik einen Wahrnehmungzusammen* hang in Bewegungvorgänge, Geschwindigkeitänderungen, Spannungausgleiche auflöst. Damit aber ist es ausge* sprochen, daß die Kraft, weit entfernt nur die Ursache von Bewegungen und bewegungähnlichen Vorkommnissen zu sein, Ursache auch aller jener substratähnlichen Gebilde des Bewußtseins ist, welche von der Physik als Formen oder Arten von Bewegungen durchschaut werden. Wie sich die Wahrnehmungstätigkeit spektraler Farben gefallen lassen muß, als soundso viel Billionen Schwingungen, will heißen als spezifische Bewegung von der und der Geschwindigkeit errechnet zu werden, so müssen sich alle entsprechenden Erlebnisse des Bewußtseins einer entsprechenden Zerglie* derung, Auflösung, Entstätigung, Verzahlung geduldsam unterziehen. Die Substrate der Sinne oder die Qualitäten dieser Substrate werden als .scheinbare* aus dem Bewußt* sein hinausgedrängt und durch entsprechende Bewegung* Vorgänge ersetzt: also daß die angenommene Ursache die* ser Bewegungen ipso facto als Ursache der von ihnen ver* drängten Schein*Substrate eingeschwärzt wird. Die Sub* strate oder vorsichtiger gesprochen: die substratähnlichen Erlebnisse der Sinneswirklichkeit teilen infolgedessen mit Notwendigkeit das Geschick aller mechanistischen Bewe* gungen, Wirkung von Kräften zu sein, nachdem es für ge* wiß erachtet wird, daß sie in Wahrheit gar keine Substrate, gar keine Farben oder Klänge oder Wärmeempfindungen,
588
sondern strahlende oder sonstweiche Bewegungen des ätherischen Mittels sind. Nicht viel anders, wie man sich ungefähr die Moleküle einer wässerigen Lösung chemisch zertrümmert denkt, um sich die Bewegungen ihrer elektrisch geladenen Atome zu den Polen der Elektroden hin zu er* klären, denkt man sich hier die extensiven Erscheinungen des Bewußtseins gleichsam zertrümmert in (intensive) Eies mentarquanten , die in ihrer Anhäufung das , Scheinbild' (Piatons (pdvtaojua, nicht Piatons eixcov}) des substrathaft ausgedehnten Weltstoffes hervorbringt. Der ausgedehnte Komplex sinnlicher Empfindungen ist das Ergebnis, ja die Schöpfung an sich unausgedehnter Intensitäten unsinnlicher Kräfte, die im Aufeinanderwirken und Gegensichbewegen denjenigen Raum erschaffen, der dem Pseudosubstratum der extensiven Stätigkeiten des Bewußtseins an und für sich oder ,in Wirklichkeit' entspricht . . .
Wir kehren nach dieser nicht unwichtigen Unterweisung in die methodischen Absichten der Physik zurück zu dem Satze von der mechanischen Fernwirkung, der mittlerweile freilich ein anderes Gepräge angenommen hat. Sagte ich vorhin, die Ursache setze da, wo sie nicht sei, notwendig etwas, das vorher nicht gewesen wäre, so heißt dies jetzt nicht mehr allein, daß die Ursache in einem Substratum einen veränderten Zustand bewirke, sondern daß sie dieses Substratum, wofern es an sich doch ,nur' eine Summe von Bewegungvorgängen sei, geradezu erzeuge und hervor* bringe. Der Begriff der Ursache vertieft sich (etwa mit anderen Worten) zum Begriff des Ursprungs, und die Kausalität offenbart ihren innersten und fragwürdigsten Charakter als Genesis, Entstehung, Hervorbringung, Er* zeugung, Abstammung! Kausales Denken, freilich die Zu* gel mathematischerGleichsetzungen nunmehr stark lockernd, strebt immer augenfälliger genetischem Denken zu : so tief
589
verwurzelt ist die Ursache ihrem Wesen nach mit dem Ur* sprung. Die zur Physik erweiterte Mechanik aber stellt sich und uns die außerordentliche Aufgabe, die Wahrneh* mungstätigkeiten des Bewußtseins genetisch abzuleiten. Zwar kann sie sich aus den und den Gründen an der Lö* sung dieser Aufgabe scheu vorbeidrücken : aber sie kann nicht in Abrede stellen, daß diese Aufgabe genau in der Linie des mechanisch*maschinellen Weltdenkens gelegen ist und von hier aus ihre Lösung fordert. Denn trotz aller geheimen Feindschaft wider die Kausalität gehört diese je und je zu den konstitutiven Grundregeln jeder erdenklichen Erkenntnis und Erfahrung der mechanisch interpretierten Natur, — und das einmal zugestanden, erstreckt sich der Begriff der Ursache bald von der Bedingung geänderter Geschwindigkeiten von Substraten zu der Bedingung von Substraten selber. Sicherlich bringen Kräfte zunächst nur Bewegungen von Massen hervor, aber da die Masse zuletzt doch nur ein Pseudosubstratum vom Rang einer spektralen Farbe ist, darf auch sie als ein Bewegungvorgang aufgefaßt werden, der durch Kräfte oder sonst welche letzten Dinge verursacht, heißt das erzeugt, gesetzt, hervorgebracht, er* schaffen ward. Auf eine derartig genetische Interpretation der Kausalität stoßen wir schon gelegentlich der hertz'schen Ableitung der Masse aus dem Äther, oder der hartmann* sehen Ableitung des Äthers und der Masse aus der Kraft, und die wissenschaftgeschichtliche Tatsache dieser und ähnlicher Entwicklungen würde allein genügend sein, um den tatsächlich genetischen Umschlag der Kausalität jeder feineren Beobachtung sicherzustellen. Für jeden, den die intellektuelle Tugend der Konsequenz auszeichnet, wandelt sich die Ursache von mechanischen Zustandänderungen in die Ursache der scheinbaren Träger dieser Änderungen um : einfach darum, weil die Physik die im Bewußtsein vorge*
590
fundenen Substrate kurzerhand selbst wieder als Zustand* änderungen weiter zurückliegender, annoch unbekannter und .echter* Substrate entlarvt, — allerdings ohne damit den Substratcharakter jener bloß wahrscheinlichen Gege* benheiten völlig tilgen zu können.
Das weitschichtige und unvermeidliche Unternehmen einer solch genetischen Ableitung an und für sich sei hier nur im Vorbeigehen etwas gestreift. Eine Entwicklung der scheinbaren Substrate des Bewußtseins aus den (vermutlich) echten Substraten jenseit oder hinter dem Bewußtsein würde darauf hinauslaufen, die qualitativ gefärbten, qualitativ ausgezeichneten Extensitäten der Wahrnehmungwirklich* keit aus qualitätlosen Intensitäten entstehen zu lassen. Diese Aufgabe von Grund auf zu lösen, ist mir freilich nur ein einziger Versuch wahrhaft großen Wurfes bekannt gewor* den, — der schon erwähnte Versuch der hartmannschen Naturphilosophie, mit einem verschwenderischen Aufwand an physikalischen, physiologischen und psychologischen Kenntnissen eine Brücke zu schlagen zwischen unausge* dehnt qualitätfreien Kraftpunkten hüben und der qualita* tiven Wahrnehmungstätigkeit des »Stoffes* drüben. Dies proteisch vielgestaltete Scheinsubstratum soll darnach aus dem echten Substratum Kraft hervorgegangen sein, so zwar, daß die Äußerungen dynamischer Intensitäten durch gegen* seitige Rückwärtsbiegung und Stauung selbst sich als Emp* findung (genauer wohl : als Gefühl) von Unlust inne wür* den, um dann aus diesem primitiven Inhalt des Bewußtseins unter Mitwirkung sogenannt .unbewußt synthetischer In* tellektualfunktionen' eine extensiv und qualitativ bestimmte Wahrnehmungstätigkeit zu erzeugen. Indessen verfällt auch dieser waghalsige Versuch, als Spiel einer seltenen speku* lativen Einbildungkraft viel höher zu bewerten als es bis* her geschah, einem allgemeinen Dilemma der Vernunft, das
591
vom Begriff der Entstehung leider nicht abzulösen ist. Stellt man sich nämlich ein vorhin noch nicht gewesenes Etwas vor, entstehend aus einem vorhin schon gewesenen Etwas, so sind zwei Fälle erdenklich. Entweder war das neu entstandene Etwas schon im vorigen Etwas auf irgend* eine Weise enthalten, beispielweis wie die kinetische Ener* gie eines Körpers schon als latente Energie in ihm enthalt ten gewesen sein muß, — und dann ist es pure Taschen* Spielerei, scheinbar eins aus dem andern hervorzuzaubern und eine eigentliche Entstehung zu behaupten. Oder aber, das neue Etwas ist in keinem vorhergehenden Ding oder Zustand nachzuweisen, — und dann ist seine Entstehung unserem Verstand schlechterdings unerfaßbar und der Ver* such seiner wissenschaftlichen Erklärung eitel. Wobei na* türlich beide Möglichkeiten in demselben Fall abwechselnd herangezogen werden können, um gegenseitig ineinander zu greifen. Und eben dies trifft zu für Hartmanns Genesis der qualitativen Kontinua des Bewußtseins aus dynami* sehen Intensitäten, — etwa in folgender Weise:
Um eine wirkliche Entstehung handelt sich's hier, wenn auf der ersten Stufe dieser Genesis die rein intensive Kraft* einheit eine räumlich extensive Sphäre als sogenannte ,Kraft*Äußerung' setzt oder erschafft. Denn enthalten sein in der raumlosen Intensität der Kraft konnte die räumliche Extension der Kraftäußerung in keiner Weise. Steht aber diese mit jener trotzdem in einem Verhältnis der Verur* sachung, so hat man's mit einem echten und rechten Ur* Sprung zu tun, mit einer metaphysischen jusrdßaoig eis ällo yevog verwegenster Bedeutsamkeit, — die Kraft .springt' aus dem Zustand raumlos punktueller Stärkegrade in den Zu* stand räumlichen Ausgebreitetseins hinüber, ungefähr wie nach Hartmanns eigenen Worten (der Kategorienlehre) in einem ähnlichen Fall die Ewigkeit kurzerhand in die Zeit*
592
lichkeit hineinspringt: mit beiden Beinen, wie wir hoffen wollen . . . Ursprünge in diesem Wortverstand ereignen sich vielleicht tatsächlich im Weltgeschehen oder haben sich ereignet, ich weiß es nicht. Mit auskömmlicher Bestimmt* heit weiß ich nur das eine, daß vor ihnen, wenn sie sich wirklich ereignet haben sollten, jedes erkenntnismäßige Begreifen abdanken müßte, weil sie dem Grundsatz ex nihilo nilfit stracks zuwiderlaufen. Als sollte jedoch dieser Einwand von vornherein unschädlich gemacht werden, wird dann auf einer nächsten Stufe dieser hartmannschen Genesis eine Entwicklung herangezogen, wo das neu Ent* stehende zweifellos in dem Etwas schon enthalten war, woraus es hergeleitet ist. So, wenn die zurückgestaute Kraft* äußerung zur Empfindung von räumlich charakterisierter, mithin extensiver Beschaffenheit »umschlägt*. Hier ist die Extensität der Empfindung keine schlechthin neue Katego* rie, kein erstmals gesetztes Etwas, weil extensiv ja schon die Kraftäußerung als solche gewesen ist. An und für sich entsteht also die Extension auch nicht erst im Bewußtsein, wofern sie Extension, sondern lediglich wofern sie Empfin* düng, Spiegelung, Bewußtsein dieser ist: sie selbst hinge* gen wird ins Bewußtsein und gleichsam in eine andere Seins*Lage übertragen. Erst auf einer dritten Stufe begibt sich wieder die richtige Entstehung eines unbestritten Neuen, indem die als Empfindung zurückgebogene exten* siv*intensive Kraftäußerung qualitativ getönt erscheint. Die Qualität ist wieder im strengsten Sinn eine Entstanden* heit, wie vorhin die Extensität der Kraftäußerung im Ge* gensatz zur bloßen Intensität der Kraft eine Entstandenheit gewesen ist. Sie kann ganz offenbar weder in der reinen Intensität punktueller Krafteinheiten, noch in der räum* liehen Ausgebreitetheit der Kraftäußerung, noch in der emp* findungmäßigen Spiegelung dieser Äußerung enthalten ge*
38 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 593
dacht werden. Zwischen ihr und allem früheren klafft eine Kluft, welche abermals nur ein rechtschaffener Ursprung zu überspringen fähig wäre. Aber merkwürdigerweise greift Hartmann hier, wo die Entstehung eines Etwas aus dem Nichts besonders eindringlich aufgezeigt werden könnte, auf einen mehr vermittelnden und weniger verdacht* erweckenden Gedanken zurück. Die Qualität entsteht bei ihm nicht plötzlich und nicht ursprunghaft; sie wird nicht wie die Kugel aus dem Rohr geschossen nach dem vorigen Muster der Entstehung von Kraftäußerungen aus Kräften oder von der Zeit aus der Ewigkeit. Vielmehr sie wird allmählich, behutsam, in zahllosen zarten Übergängen. Ähnlich wie die Mechanik des Stoßes, wir bemerkten es, die Unstätigkeitstelle behandelt als ob sie stätig wäre, ahn* lieh behandelt Hartmann den Sprung von qualitätfremden zu qualitativen Wahrnehmunggebilden als eine Summie* rung allerkleinster Übergänge. Und zwar bezieht er sich dabei auf das Beispiel der Sirene, wo primitive Empfin* düngen von rauhen Luftstößen in Empfindungen klang* ähnlicher Geräusche, ja von Klängen selber übergehen, je nachdem die Luft durch die Löcher der drehbaren Scheibe in schnelleren oder langsameren Zeitmaßen gepreßt wird. Auf solche Weise statuiert der Naturphilosoph Hartmann einen sukzessiven Übergang von unqualifizierten und un* qualifizierbaren Elementarempfindungen bis zu den quali* tativ höchstwertigen Erlebnissen bunter Erfahrungwirklich* keit: die Qualität ist als entstanden nachgewiesen und der Prozeß ihrer Entstehung sogar in den einzelnen Phasen beschlichen und belauscht.
Ist es notwendig, zu beweisen, daß diese scharfsinnig er* fundene Entstehunggeschichte auf einer Selbsttäuschung beruhe? Daß wir auch bei den einzelnen Luftstößen einer langsam gedrehten Sirene keine qualitätlosen Empfindun*
594
gen erleben, ja nach dem Gesetz von den spezifischen Ener* gien der Sinne gar nicht erleben können, selbst wenn diese Empfindungen in Wahrheit nur noch als ,Druckwahrneh* mungen im Gehörorgan' aufzufassen wären, die zwar noch nicht jede Qualität, immerhin aber doch schon die ,spezi? fisch akustische' eingebüßt hätten? Denn gerade jenem Gesetz zufolge, dessen Geltung anzuzweifeln kein Grund vorliegt, antwortet jedes Organ der Sinne auch auf nicht .konforme' Reize mit der ihm eigentümlichen Empfindung* weise, muß also auch das mechanisch von Luftstößen be* eindruckte Ohr oder Auge immer noch akustische oder optische Wirkungen hervorbringen. Der Donner heftiger Erschütterungen, das Gebrumm und Gesums vereinzelter Stöße ist auch durchaus nicht wirklich .ärmer' an Qualität wie beispielweis das mehrmals angeschlagene dreigestrichene F eines Bechsteinflügels, — so wenig wie etwa die Qualität .schwarz' an sich ärmer ist wie die Qualität .purpur' oder die Qualität »Wachenheimer Auslese Neunzehnhundertundelf ärmer wie die Qualität .Zuckerwasser' ; mag im übrigen der Klang des Bechsteins, die Tinte des Purpurs, die Blume des Wachenheimers aus nicht hierhergehörigen Gründen den Genießer vielmals mehr beglücken als die mit ihnen verglichenen Kontrastqualitäten. Diese sind gewiß anders als die anderen. Aber ich finde uns keineswegs dazu be* rechtigt, sie darum nun die ärmeren zu nennen und dadurch den Anschein zu wecken, als seien qualitative Erlebnis* unterschiede mittels quantitativer Kategorien wie .reich' und ,arm' abzumessen oder größenmäßig zu bestimmen. Folglich ist es auch nicht statthaft, von solchen angeblich .ärmeren' Qualitäten per analogiam auf ,arme* und .ärmste' Qualitäten ohne spezifische Beschaffenheit, ja zuletzt auf die mutmaßlich qualitätlosen Eindrücke irgendwelcher mut* maßlichen Bewußtheiten zu schließen, wo die Empfindung
38* 595
nur noch intensives Quantum, nicht mehr eigentliches Quäle sei. Selbst den Fall gesetzt, wir stießen bei unseren Ver* suchen auf dergleichen elementarische Empfindungen von bloß noch intensiver Beschaffenheit, — was wäre dann weiter, als daß wir uns bei dieser Gelegenheit der geist* reichen Feststellung Bergsons zu entsinnen hätten, wonach die sogenannte Intensität der Empfindung psychologisch gar nichts anderes ist als eben gleichfalls: eine Qualität? Die bis ans Ende gedachte Ableitung der Qualität aus der Intensität schlüge dann also plötzlich dialektisch um in ihre eigene Gegensetzung, und statt einer Entstehung der Quali* tat aus der Intensität, wie sie Hartmann sozusagen als Be* auftragter und Vollstrecker der modernen Physik durchzu* führen bestrebt ist, hätten wir eine Entstehung der Intensi* tat aus der Qualität folgerichtig anzustaunen! Oder wahr* heitentsprechender ausgedrückt : wir hätten überhaupt keine Entstehung mehr zu bewundern, sondern ein ergötzliches Stückchen Taschenspielerei und Eulenspiegelei, bei welcher man jeweils das Etwas, aus dem scheinbar leeren Sack ge* zogen, vorher mit Kunst und Heimlichkeit dort hinein* praktizieret haben würde . . .
Neben diesen etwas allgemeinen Einwänden gegen die genetische Ableitung qualitativer Wahrnehmungstätigkeiten aus bloßen Kräften, eine Ableitung, die unstrittig innerhalb der methodischen Absichten der mechanisch*maschinellen Weltdeutung gelegen ist, stemmt sich demselben Unterfans gen übrigens ein anderweitiges Hindernis entgegen. Ich meine die tiefe Abneigung gerade der Physik, sich auf hypothetische Wesenheiten wie immaterielle Kraftpunkte, dynamische Monaden, atomistische Intensitäten und ahn* liehe des näheren einzulassen. Man hat zwar beileibe nichts dagegen, gelegentlich auch einmal diese Dinge in den Um* kreis der erdenklichen Ur*Sachen hereinzuziehen. Aber
596
man sieht es ungern, wenn darüber allzuviel geredet und verhandelt wird. Denn dem mechanistischen Interpreten der Natur ist es nicht um die Ursachen, sondern um die Erscheinungen zu tun, und es verlangt ihn viel weniger darnach, von diesen auf jene rückwärts zu schließen, als durch sie einen möglichst umfänglichen Komplex noch un* erforschter Wirkungen aufzuzeigen und zu ordnen. Rück* sichtlich dieser Eigenheit ist es ihm nicht zu verübeln, wenn er einen ziemlichen Abscheu vor Spekulationen fühlt, die sich in genauer Fortsetzung und Verlängerung seiner eigenen Vorsätze mit der Ergründung an sich unergründ* licher Wesensbegriffe befassen. Derartige Spekulationen bedünken ihn unbescheiden und überheblich, indem sie voreilig eine Grenze festzustecken scheinen, an deren ewi* ger Verrückbarkeit er das stärkste Interesse hat. Mit un* endlichem Erfindergeist ausgerüstet, die Grenzen der Sichtbarkeit, der Erfahrbarkeit dauernd zu erweitern, läßt er sich nicht überzeugen, daß letzte Ursachen schlechter* dings dem Unsichtbaren, Ungreifbaren, Stofflosen, Über* sinnlichen angehören sollten. Und in dieser Hinsicht ist es für genetische Ableitungen, wie sie Eduard von Hart* mann bevorzugte, allerdings ein übles Omen gewesen, daß etliche Jahre nach ihm und seinem Werk das Ultra*Mikro* skop, Mehr* als* Mikroskop, die elektrischen Elementar* quanten zu versichtbaren vermocht hat. Bekanntlich war man so erfolgreich, die Lichtstrahlen als Medium optischer Vermittlungen auszuschalten und sie, die an einer verhält* nismäßig allzu großen Wellenlänge kranken, zuerst durch ultraviolette, später durch Röntgenstrahlen passend zu er* setzen, die eine ungefähr zehntausendmal kleinere Wellen* länge besitzen als das Licht. Dadurch ward eine Wirklich* keit sinnlich gegenwärtig, die sich zur Welt des Mikroskops verhielt wie diese zur Welt des Menschenauges: und in
597
dieser ultramikroskopischen Wirklichkeit tauchen die (durch Radiumstrahlen erzeugten) elektrischen Ladungkerne auf, wie sie von feinst zerteilten öl* oder Quecksilbertröpfchen aufgefangen werden, ja wie sie, o Wunderl die Schwerkraft dieser Tröpfchen geradezu aufheben, wohl zum ersten mal dem Beobachter einen Blick in wahrhaft okkulte Zusam* menhänge vergönnend. (Denn wer von uns hier könnte in der Tat diesen Bericht über die von elektrischen Ladung* kernen emporgetragenen Quecksilbertröpfchen lesen, ohne dabei der köstlichen Legende San Francescos unwillkürlich zu gedenken, wie er von seinen Jüngern eines Tages gleich* falls in der Schwebe aufgehobener Schwerkraft über dem Berg La Vernia wahrgenommen wurde? . . .) Damit aber nicht genug, elektrisierte man die Atome von Kristallen mittels Röntgenstrahlen und machte sie dadurch zu Aus* gangpunkten eigener Strahlung. Aus der Interferenz dieser Strahlungen ergaben sich Licht*Minima und *Maxima, die ihrerseit auf die photographische Platte gebracht werden konnten und es ermöglichten, die Länge der Röntgenstrah* len selbst zu messen. Indes das Mikroskop versagen mußte, die Atome des Wasserstoffs zu versichtbaren, weil deren Größe vielmals hinter der Lichtwellenlänge nachstand, ver* sichtbart das Ultramikroskop die elektrischen Elementar* quanten, als welche neunzehnhundertmal kleiner sind als die Elementarquanten des Wasserstoffs. Die Grenze zwi* sehen Sichtbar und Unsichtbar aber erweist sich jetzt als höchst veränderlich, stets sich zu Gunsten der Sichtbarkeit verschiebend. Und ist, wie sich von selbst versteht, mit dieser sehr relativen Erkenntnis noch lange nicht das letzte Wort über grundsätzliche Sichtbarkeit, grundsätzliche Un* Sichtbarkeit der letzten Bestandteilchen der Natur ge* sprochen, — ich fürchte, das letzte Wort in dieser wie in allen anderen Fragen dieser Art wird erst der letzte Mensch
598
gesprochen haben: auch er nur kraft höherer Gewalten! — man wird in der Berücksichtigung solcher Tatsachen schließ* lieh doch ein Haar darin finden, sich in derlei Untersuchung gen schon heute oder morgen dem Philosophen zu verkauf fen. Man wird einer Entscheidung aus dem Weg gehen wollen, welche einfach ex cathedra verfügt: die letzten Ein* heiten der Wirklichkeit sind schlechterdings unstofflich, an sich unwahrnehmbar, punktuell unausgedehnt (bei räum* füllenden .Äußerungen'), und schließlich rein intensiv ohne jede qualitative Bestimmtheit. Nicht aus intellektueller Feig* heit, sondern aus Besonnenheit und Verantwortlichkeit wird man auch eine Entstehung der bewußten Wahrneh* mungstätigkeiten aus der sogenannten Kraft dahingestellt sein lassen und sich weder dafür einsetzen, daß die ultra* mikroskopisch versinnlichten Elementarquanten der Elek* trizität etwa schon die letzten und einfachsten Einheiten der materiellen Natur seien, noch dafür, daß diese Einheiten unbedingt als unwahrnehmbare dynamische Punkte gedacht werden müßten . . .
Inzwischen haben es die mechanistischen Wissenschaften, wie schon gesagt, im allgemeinen gut verstanden, sich von genetischen Spekulationen im Sinne der hartmannschen Naturphilosophie fernzuhalten. Sie haben mit diesem Ge* danken gespielt und werden immer wieder mit ihm spielen, dies ist richtig. Aber sie mögen es doch lieber der Philo* sophie überlassen, sich durch allzu ernsthaftes Zuende- denken ihrer methodischen Absichten wissenschaftlich lächerlich zu machen, — ähnlich wie es die Sozialdemokratie aus Gründen höherer Taktik stets ihren Feinden überlassen hat, die Gesamtverfassung einer sozialisierten Gesellschaft im einzelnen auszumalen, um ihnen kaltblütig dann die Abfuhr zu erteilen : das sagten Sie, mein Herr, nicht ich . . . Bei solchen Anlässen weiß man dann nicht recht, ob man
599.
sich freuen soll über die neunmal Gescheuten, die eine konsequente gedankliche Durchbildung ihrer eigenen Ten* denzen gewitzt zu vermeiden wissen, weil Konsequenzen mitunter töten können; — oder ob man sich betrüben will über die wissenschaftlichen enfants terribles, die uner* schrocken, unbefangen ausplauschen, was andere für sich behalten; — oder ob man sich nicht im Gegenteil der letz* teren freuen, der ersteren aber ärgern möchte! Über die menschliche Seite dieses Falles wäre vieles zu bemerken, namentlich im Hinblick auf das Schicksal, welches die bie* deren Deutschen der hartmannschen Philosophie bereiteten, — aber nicht hier und nicht jetzt. Für hier und jetzt ist es wesentlich erheblicher, daß die vonHartmann unternommene spekulative Genesis zwar in ihrer Art die einzige, nicht aber überhaupt die einzige ist, welche von einer Kritik der mechanischen Weltauffassung in Betracht gezogen werden muß. Genetische Absichten bestimmen vielmehr noch auf ganz andere Weise die Struktur der mechanischen Wissen* schaften, insonderheit die Struktur der eigentlichen Mecha* nik selbst. Und mit ihnen verglichen sieht Hartmanns Ent* stehunggeschichte der qualitativen Wahrnehmunggebilde des Bewustseins aus unbewußten und qualitätfremden In* tensitäten nur wie eine leere Demonstration der Metaphysik aus, indes der wirkliche Durchbruch genetischer Tendenzen an ganz anderer Stelle erfolgt. Es ist hier mehrmals darauf hingezeigt worden, daß die Mechanik ihre Sätze über die natürlichen Bewegungen und damit diese Bewegungen selbst wenn irgend angängig aus einem einzigen grund* legenden Gesetze abzuleiten, das heißt zu deduzieren, das heißt in einer Verknüpfungfolge denknotwendiger Ab* hängigkeiten darzustellen beeifert ist. Wohlan! Fügen wir nunmehr hinzu, daß in diesem Bestreben die eigent* liehe und tiefste genetische Absichtlichkeit zum Ausdruck
600
kommt, welche die Mechanik und mit ihr die übrige Physik mit ihren Disziplinen beherrscht. „Wir betrachten eine Er* scheinung der Körperwelt", sagt Heinrich Hertz darüber, „als mechanisch und damit als physikalisch erklärt, wenn wir sie erkannt haben als eine denknotwendige Folge des Grundgesetzes." Es ist nicht möglich, das genetisch*deduk* tive Verfahren der Mechanik, gänzlich ohne jede Ein* mischung oder Beimischung von Spekulation oder Meta* physik, mit größerer Knappheit und Sachlichkeit zu kenn* zeichnen. In , denknotwendiger Folge' muß jeder einzelne Vorgang der Natur, jede Bewegung materieller Systeme vom Grundgesetz abhängig gemacht und abhängig gedacht werden, wenn anders ein Vorgang mechanisch erkannt und physikalisch beherrscht sein soll. Jedes einzelne Faktum der Wirklichkeit muß also irgendwie aus einem oder aus mehreren allgemeinen Gesetzen .entstanden' oder .hervor* gegangen' oder .geworden' sein. Unser gesamtes, mit so unermeßlichen Mühen induktiv erarbeitetes Wissen von der Natur ist nur insofern ein Wissen im Sinn der Mechanik, als es in deduktiven Zusammenhängen aneinandergereiht zu werden vermag. Nicht, wie wir all die Zeit her zu ver* muten Anlaß zu haben wähnten, nicht die analytische Dar* Stellung der konkreten Bewegung eines Körpers ist das vornehmste Ziel mechanisch verstandener Erfahrung, son* dem die denknotwendige Folgerung, Ableitung, Entstehung dieser Bewegung aus einer allerletzten, alles umspannenden Aussage über die wirklichen Bewegungen zumal. Das ist die ungemeine Überraschung für jeden vorurteilfreien Be* trachter : daß die induktive Naturwissenschaft holt l&yfiv sehr unverblümt die deduktive Herleitung aus Grund* gesetzen, aus ursprünglichen Beziehungen ursprünglicher Teile, kurz aus aristotelischen Prinzipien oder o.Qya'1 betreibt, — unter aQ%>) das vielfüßige Gewimmel von Vorstellungen
601
verstanden, die nach des Stagiriten eigener Begriffsbestim* mung diesen Denkinhalt umschreiben: Ausgangpunkt oder tevminus a quo, zweckentsprechender Beginn, urtümlicher Bestandteil, Entstehunggrund, letzte Bedingung für Ver* änderung und Beharrung samt allem, was sonst noch im fünften Buch der Metaphysik zur Definition der Ursache (alziov) herangezogen wird . . . Woher aber nun, o dreimal Bekreuzigter, dies unheilige Stück peripatetischer Logik, peripatetischer Metaphysik — jawohl! es ist die verdammte alte Spinne Metaphysik, die grau mit behaarten Beinen an der hell getünchten Wand hockt 1 — inmitten oder richtiger: gleich eingangs unseres modernen Geistesstolzes Physik? Woher dieser unverschämte Einbruch des Organon in die wohlbehü* teten Prinzipien der Mechanik? Woher diese erschreckende Ansteckung zeitgemäßester Wissenschaftlichkeit mit dem verschrieenen Pilz altertümlicher Verstandes*Krankheiten? Eine vorläufige, vielleicht eine endgültige Antwort kann darauf gegeben werden, sobald wir noch einmal jenen auf* fallenden Ausspruch Heinrich Hertzens von den Erschei* nungen der Natur als denknotwendigen Folgen eines Grund* gesetzes zu überprüfen willens sind. Lassen sich doch denk* notwendige Folgen, wie sie hier ernsthaft erwünscht er* scheinen, dem Verstand auf keine andere Weise vermitteln als durch das einzig dahinzielende Verfahren des Vernunft* Schlusses, des Syllogismos als solchen. Erst indem wir diese Behauptung dem sonst so schmalen und schwanken Bestand unumstößlicher Gewißheit dauernd eingliedern, werden wir tatsächlich befähigt, jenen erwähnten Satz genau in dem Sinne aufzufassen, wie er aufgefaßt werden muß : die ein* zelnen Vorgänge der Natur aus einem oder aus mehreren grundlegenden Gesetzen als denknotwendige Folgen ab* leiten heißt eben diese Vorgänge dem Vernunftzusammen* hang des Syllogismos einreihen oder sie, was dasselbe ist,
602
aus feststehenden Ober* und Untersätzen als schlüssige Folgerungen erhärten. Dieses zugestanden, würden also die Ergebnisse mechanisch*maschinellen Welterfahrens immer erst dann für methodisch gesichert und wirklich .mechanisiert' erachtet werden dürfen, wenn sie jeweils ihre zukömmlichen Stellen in einem logischen System von Schlüssen einnähmen. Die mechanisch begriffene Wirklich* keit würde zu hinlänglich szientifischer Vollendung erst dort gediehen sein, wo ihr ein universeller Syllogismos ge* wissermaßen transzendental unterstellt (substituiert) worden wäre; —ein zuverlässiges Wissen um natürliche Bewegungen erwürbe man nur durch eine Art von (platonisch zu ver* stehender) Teilhabe oder Teilnahme an der vernünftigen Urbewegung des Denkens, wie sie allein im Schluß zur Auswirkung gelangt! Damit es seinen selbstgestellten, selbstgewollten Ansprüchen voll genügte, müßte das maschi* nelle Weltdenken erst gleichsam eine Drehung um die eigene Achse ausführen und in abermals platonischer Vor* nähme jene berühmte ntQiayoiyy] vom terminus ad quem weg nach dem terminus a quo vollziehen: von der gedanklich zu bemeisternden Sinnenwirklichkeit nach dem meisternden Erkenntnismittel zurück! Das aber wäre dann das Paradox aller Paradoxe, das letzte, unbegreiflichste mutwilligste Paradox dieser mit Paradoxen so übermäßig gesegneten Wissenschaft!
Hier ist es nun offenbar die Forderung des Augenblicks, daß wir uns einmal noch auf jene Theorie des Syllogismos zu* rückberufen, die ich seinerzeit in der Darstellung der scho* lastischen Theologie und ihrer Beziehungen zur peripate* tischen Logik wenigstens in den gröbsten Zügen zu um* reißen versucht habe. Diese Theorie gestattete uns, in allem Schließen eine doppeltgerichtete Bewegung des Denkens wohl zu unterscheiden: zuvörderst hinzielend auf eine Art
603
, Wiederbringung' aller begrifflichen Besondertheiten in den obersten, allgemeinsten und folglich .göttlichsten' In* halt der Welt, zum anderen mal umgekehrt hinzielend auf eine Entfaltung, Herauswicklung, Losschnürung, Ab* leitung, Hervorgehung derselben Besondertheiten aus jenem umspannenden Erstbegriffe. Gestützt auf diese logisch* theologische Lehre vom egressus und regressus durfte es die Scholastik und die Mystik des Mittelalters wagen, sich das gesamte weltliche Geschehen als einen einzigen Syllogis* mos zu enthüllen, wofern alles Geschehen und Verändern der Wirklichkeit durchaus dieser doppelten Gerichtetheit ver* nunftbestimmter Regung und Strebung entspricht. Und nicht war es uns bei dieser Feststellung entgangen, daß der* selbe Syllogismos, der sozusagen dastranszendental*logische Modell für die natürlichen Begebenheiten lieferte, nach einer schon von Thomas Aquinas sauber herausgeschälten Überzeugung gleichfalls das logische Modell für die ur* sächliche Schürzung und Knüpfung abgab. Die Notwen* digkeit natürlichen Geschehens, die wir Kausalität zu nennen pflegen, ist nach den klaren Worten des Aquinaten ein übertragener Syllogismos, heißt das eine Notwendigkeit vernünftigen Folgerns und Schließens, — also daß wir uns den artigen Scherz Lawrence Sternes in seiner viel mehr als scherzhaften Beiläufigkeit wohl gefallen lassen konnten. Die syllogistische Bewegung des Denkens statuiert im Sinn der Transzendentalphilosophie die kausale Bewegung der Wirklichkeit, und was wir bei dieser Gelegenheit als eine wissenschaftgeschichtliche Merkwürdigkeit buchten, brau* chen wir jetzt nur in seiner erkenntnismäßigen Zeitlosig* keit und Unbedingtheit abzuschätzen, um die tiefste Para* doxie der Mechanik bis in ihre geheimsten Fältelungen hin* ein zu durchspähen; — übrigens eine Paradoxie, die wir an jetziger Stelle nicht unzutreffend mit dem Satze kennzeichnen
604
dürften, daß eine Mechanisierung der Natur (mittels trans* zendentaler Schürzung kausaler Notwendigkeiten) erst nach einer vorausgängigen Mechanisierung der Vernunft (mittels transzendentaler Verkettung syllogistischer Not* wendigkeiten) möglich wird.
Was nämlich das Verhältnis der drei Begriffe anlangt, die der Syllogismos in der Absicht aneinanderknüpft, den abgesonderten Unterbegriff seinem Oberbegriff wieder ein? zuverleiben, so ist man unstreitig berechtigt, von einer Me* chanisierung zu sprechen: und zwar eben insofern, als der Schluß als dauerndes Erträgnis doch wohl kaum etwas anderes gewährleistet als — seine eigene Notwendigkeit! Schließen, das läuft unter allen Umständen auf eine geistige Tathandlung hinaus, die uns die unumstößliche Gewißheit verschafft, daß Mittel* und Unterbegriff gleichsam als die logischen Abkömmlinge des Oberbegriffs notwendig wieder in ihn zurückgenommen werden. Wobei das Bewußtsein der schlüssigen Wiederbringung nicht weniger als das Be* wußtsein der schlüssigen Heraussetzung aus dem Blickpunkt der Aufmerksamkeit des Schließenden je und je verdrängt wird zu Gunsten des Bewußtseins von einem schlechthin un* entrinnbaren Denkzwang. Wer schließt, tut dies gemeinhin nicht, um sich etwa die Mystik des Geistes zu vergegenwär* tigen, die im Schluß ihre großartig geschwungene Bewegung vollzieht, — er tut es fast nur noch, um sich einer Bürgschaft zu versichern, daß seine Verstandeshandlung auch wirklich eine gültige und bündige sei. Derart erscheint die Modali* tat der im Schluß auftretenden Begriffsknüpfung erheblich wichtiger als diese Knüpfung selbst. Im Syllogismos findet das menschliche Denken seine Notwendigkeit gegründet, und das ist beinah' mehr, als der Ehrgeiz der Vernunft er* warten durfte. Der Schluß zermalmt jeden beliebigen Denk* inhalt, wenn er ihm nur in der gebotenen Ordnung dar*
605
gereicht wird, zu einer Denknotwendigkeit: und dies mit einer solch automatischen und mechanischen Sicherheit, daß er an und für sich vollkommen gleichgültig gegen Sinn oder Unsinn, Wahrheit oder Irrtum der ihm gespendeten Denkinhalte bleibt. Aristoteles in Person hat die ersten Bei* spiele gegeben, wie aus vollkommen idiotischen Vorder* Sätzen durch einwandfreies Schließen denknotwendige Folgerungen zu erzielen wären, die je nachdem sogar rieh* tig, sogar ,wahr' sein können. Dies gälte etwa von Folge* rungen aus Vordersätzen dieser Beschaffenheit: alle Steine sind Geschöpfe; alle Menschen sind Steine; folglich sind alle Menschen Geschöpfe. Oder nach einem anderen Tro* pos, nach einem anderen Modus desselben Schema ge* schlössen; kein Mensch ist Geschöpf; alle Steine sind Men* sehen; folglich ist kein Stein Geschöpf. Oder bei richtigem Obersatz und falschem Untersatz: alle Menschen sind Ge* schöpfe; alle Pferde sind Menschen; folglich sind alle Pferde Geschöpfe . . . Wider diese Schlüsse, so unsinnig, so abgeschmackt sie einzeln lauten, ist an und für sich nichts zu sagen, weil sie durchaus untadelig gebildet sind. Daß sie aber trotz augenfälliger Unsinnigkeit und Abgeschmackt* heit syllogistisch für statthaft zu gelten haben, daß mithin der Schluß als solcher in keiner Hinsicht über die erkennt* nismäßige Richtigkeit und Wahrheit, nicht einmal über Sinngemäßheit oder Sinnwidrigkeit der in ihm vollzogenen Begriffs*Schürzungen entscheidet, — das möge uns ein be* herzigenswerter Wink sein, worauf es bei diesem Verstandes* verfahren überhaupt abgesehen sein kann: nämlich allein und einzig auf die Notwendigkeit, mit welcher die Folgerung aus den Vordersätzen zu ziehen ist. Dieser Notwendig* keit*Denkzwang, jede Wahl, jede Freiheit, jede Verantwort* lichkeit des denkenden Individuums aufhebend, ist das angestrebte Ziel des Schließens je und je geworden, viel*
606
leicht das einzige, welches von allen Zielen des Organon nie wirklich veralten kann.
Den bisherigen Darlegungen zufolge hat man den Syllo* gismos also aufzufassen zunächst als eine doppeltgerichtete, teils deduktiv* genetische, teils reduktiv*apokatastatische Denkbewegung, — dann aber als die logisch entstehende, logisch gesetzte Notwendigkeit dieser Bewegung: welche Notwendigkeit allmählich sogar die ursprüngliche Be* wegung des Schließens an Wichtigkeit übertrifft und sich je länger desto entschiedener zum beherrschenden Zweck der ganzen Verstandeshandlung aufwirft. Am Ende schließt man weniger, um jenem intellektuellen Kreislauf zu will* fahren, sondern um als erkennendes Individuum, will heißen als ein dem Irrtum, der Täuschung, der Ungewiß* heit jämmerlich verfallenes Menschenwesen einer Vernunft* geborenen Notwendigkeit wohltätig gehorchen zu dürfen. Diese Notwendigkeit ist es, die der Verstand dann gleichsam auf die Natur überschreibt; diese Notwendigkeit ist es, welche Ur* und Musterbild der Kausalität darbietet. Und so sehr eins gewesen ist die aus dem Syllogismos heraus* geläuterte Denknotwendigkeit mit der Notwendigkeit ur* sächlicher Naturabfolgen, daß es Jahrtausende dauerte, bis die neuzeitliche Philosophie (seit Leibniz) zu einer be* grifflichen Trennung von ratio und causa, ägxv und ahia, Grund und Ursache gelangt war. Wobei selbst mit dieser Scheidung, dieser Unterscheidung nichts anderes erreicht ist als die Einsicht, daß die Ursächlichkeit vor der Denk* notwendigkeit etwa ein besonderes Gebiet ihrer An* wendung voraus hat. Denn in der Tat ist sie gar nichts anderes als die der Natur eingelegte Denknotwendigkeit, ein gleichsam verstümmelter, auf zwei Glieder einge« schrumpelter Vernunftschluß, bei welchem die Prämissen zur Ursache, die Konklusion zur Wirkung umgedacht
607
wurden: genau wie es der Aquinat zu seiner Zeit schon formuliert hat . . .
Darin liegt nun freilich doch eine nicht ganz unbeträchtliche
Schwierigkeit, die wir damals noch übersehen durften, hier
aber anerkennen müssen. Es scheint offenbar anstößig, daß
die dreigegliederte Form des Syllogismos bei ihrer Anwen*
düng auf die Naturwirklichkeit auf eine nur zweigegliederte
vermindert werden konnte, und die Gefahr ist nicht klein,
daß an dieser Schwierigkeit unsere hier vertretene Auf*
fassung zuschanden werden möchte. Indessen sieht auch
dieses bedrohlicher aus als es zuletzt wirklich ist. Ist doch
die zweigliedrige Beschaffenheit der Kausalität nur eben
eine scheinbare, nur der Sprache, nicht aber dem Sinn nach
vorhandene. Die Analysis der ursächlichen Notwendig*
keit müßte nämlich dazu führen, einen Unterschied wahr*
zunehmen zwischen der Summe der allgemeinen Bedin*
gungen, die zu ihrem Teil eine kausal gedachte Beeinflussung
von künstlich abgesonderten, künstlich vereinzelten Gegen*
ständen überhaupt erst durch ihr Zusammentreffen ermög*
liehen, und zwischen der unmittelbaren Gelegenheitursache
selbst, die zu diesem allgemeinen Zusammentreffen hinzu*
kommen muß, damit ein näher bezeichnetes Ereignis not*
wendig eintritt. Bei jedem Vorgang konkreter Verursachung
erweitern sich diese allgemeinen Änderungbedingungen
ins wahrhaft Kosmische, Universelle, während sich im
Gegenteil die Gelegenheitursache zu einer individuellen
Einmaligkeit des Soseins zuspitzt. Daß beispielweis ein
Elfenbeinball einem anderen einen elastischen Stoß erteilt,
dies gibt den ursächlichen Anlaß, die ursächliche Gelegen*
heit ab für die Umsetzung von dessen Energie der Lage in
Energie der Bewegung. Was ich dabei Anlaß oder Ge*
legenheit nenne, ist insofern vergleichungweise .individuali*
siert', als sich der Stoß des ersten Balls gerade in der und
608
der Bewegungrichtung und gerade mit der und der Kraft und Beschleunigung vermutlich nur ein einziges mal unter zahllosen malen ereignen wird. Daß jedoch eben dieser Stoß geschehen konnte, hängt wiederum ab von einer so verwirrenden Vielheit koexistenter Bedingungen, daß sie füglich nichts minderes als die Gesamtheit der Lagen und Spannungen eines augenblicklichen Weltzustandes um* fangen. Was alles vorhanden sein mußte, damit jener indi* viduelle, jener einmalige und in sich abgesonderte Stoß stattfinden konnte, läßt sich weder überschauen noch nam* haft machen: das Billard, das Zimmer und das Haus, worin es aufgestellt ist; der Mensch, der dieses Spiel mit elfen* beinernen Bällen zu seinem Ergötzen erfunden hat; die Menschen, welche eben spielen nebst ihrer vollständigen Ahnenreihe, nebst den Rassen und Völkern zu diesen Ahnenreihen; der Stammbaum des ganzen organischen Daseins, heraufgeführt bis zu der Gattung der mit Elfen* beinstoßzähnen bewehrten fünfzehigen Huftiere tertiären Ursprungs nebst einer vieltausendjährigen Geschichte der Jagd und der Waffen, die eine Erlegung solch gewaltiger Tiere erlauben; die Mannigfaltigkeit der leistungfähigen Gewerbe, wie sie die Herstellung von Billardtischen, stüchern, *bällen, *stöcken voraussetzt nebst den unerläß* liehen Verkehrswegen, Schiffen, Bahnen, Kolonien, zivili* sierten Wirtschaftformen, nebst subtropischen und tropi* sehen Klimazonen, nebst Kugelgestalt der Erde, regelmäßiger Sonnenbestrahlung, Wasserverdunstung, Bewaldung und ich weiß nicht allem sonst noch ... Zu dieser Bedingung* gesamtheit, ohne Zweifel die Ordnung der uns bekannten Welt ausnahmlos umspannend, verhält sich die sogenannte Gelegenheitursache wie sich ein sehr besonderter Unter* satz zu einem Obersatz von denkbar ausgedehnter Gültig* keit verhält: und wie ein derartiger Untersatz wiederum,
39 Ziegler, GestaltwanJel der Götter 609
so stellt auch diese Ursache nur einen beliebig herausge* griffenen Einzelfall vor, eine willkürlich, ja eine künstlich akzentuierte Konkretion innerhalb eines allgemeinen Kom* plexes. Es ist wahr, die Bedingunggesamtheit als solche bleibt aus vielerlei Gründen meistens unerwähnt, wenn man von Ursachen und Wirkungen spricht. Aber die Haupt* sache ist ja nicht, daß man sich ihrer jederzeit mit aller Klarheit bewußt werde, sondern daß sie wirklich zum not* wendigen Eintritt einer bewußten Wirkung unentbehrlich sei. Überdies pflegen ja auch ungezählte Obersätze unge* zählter Vernunftschlüsse unerwähnt zu bleiben, deren Fol* gerungen trotzdem von uns gezogen und für bündig er* achtet werden. Alles in allem sind wir sicherlich berechtigt, die Ursächlichkeit in eben dem Sinne als eine dreigeglie* derte Form notwendiger Verknüpfung zu betrachten, wie wir gezwungen sind, den Vernunftschluß als eine solche anzuerkennen. Jede sogenannte Wirkung entsteht nur dann, wenn sich der gesamte W'eltzustand mit der beson* deren Gelegenheitursache derart zusammenfügt, daß mit ihnen beiden der Eintritt jener genau so notwendig gesetzt ist wie die Konklusion mit der Vereinigung der Prämissen gesetzt ist. Keine Ursache allein, könnte man etwas her* ausfordernd sagen, ist die Ursache ihrer Wirkung, vielmehr erst sie vervollständigt um die Gesamtheit aller Bedingungen, die den Eintritt der Wirkung als einen notwendigen be* stimmen helfen. Auf diese Weise erweitert und rundet sich der Umkreis der Änderungbedingungen jedes kausalen Ereignisses zur Totalität alles je Gewordenen und je Ent* standenen, und die eigentliche Ursache wird aus diesem universalen Komplex herausgeschnitten und herausgesichtet wie die begriffliche Konkretion des Untersatzes aus der Sphäre des Obersatzes herausgeschnitten oder heraus* gesichtet worden ist. Ja, wenn wir im Syllogismos früher den
610
doppelten Vorgang der Besonderung und der Zurücknahme des Besonderten uns zum Vollzug gelangt denken durften durch ein und dieselbe geistige Tathandlung des Schließens, so dürfen wir eine Analogie auch dieses Sachverhaltes bei der Verursachung feststellen: die als Gelegenheitursache aus der Totalität herausgehobene Besonderung kehrt als Wirkung gleichfalls wieder in jene Totalität zurück, indem sie sich, stets weiter und weiter in unangemessene Äonen wirkend, bis in dieselbe kosmische Region des All hinein fortpflanzt, aus der sie vormals ursächlich herausgetreten ist. Damit schwindet dann jede Verlegenheit, die unserer Behauptung hier hinderlich hätte werden können. Auch die Kausalität umgreift ganz wie der Syllogismos ein drei* gegliedertes, dreigeflügeltes Verhältnis der Begriffe und der Dinge: in gestalt erstens einer allgemeinen Bedingung* gesamtheit, zweitens einer herausgeeinzelten Gelegenheit* Ursache, drittens der notwendig aus beiden sich ergebenden Wirkung . . .
Offenbar ist es der Vorzug dieser Feststellung, uns das bessere Verständnis dessen, was vorhin das tiefste Paradox der Mechanik genannt ward, vollends zu erschließen. Deu* ten wir nämlich die Kausalität wesentlich als den auf die Naturwirklichkeit übertragenen und angewandten Syllogis* mos, so brauchen wir uns auch fürderhin nicht den Kopf zu zerbrechen, wieso gerade in der bisherigen Physik das Problem der Verursachung in das Problem der Entstehung mündete. Kein Wunder, wenn auch für viele reichlich staunenswürdig, daß just die ausgeprägteste und entwickeiste aller induktiven Wissenschaften ihren Hang zur Deduktion, zur Syllogistik, zur genetischen Methodos am wenigsten unterdrücken konnte. Kein Wunder, daß just die Mechanik das aristotelische, von Sigwart wieder in Kraft gesetzte Ur* teil am unwiderleglichsten bestätigt: man könne Induktion
39* 611
im Grunde nur betreiben, um zu letzten Obersätzen von Schlüssen und damit zur Deduktion, zur syllogistischen Darstellung der eigentlichen Erkenntnis, eigentlichen lmox)]jU7) zu gelangen. Freilich! —nicht zum kleinsten Teil mag diese sonderbare Umkehrung der methodischen End* absichten dieser Wissenschaft auch davon herrühren, daß die sogenannte Induktion von Haus aus selber nie etwas anderes gewesen ist als eben ein Vernunftschluß. Beziehen sich doch alle Theorien der Induktion letzthin auf den ££ eTiaycoyi] ov/.Xoyioiiog der ersten Analytiken und der Topik zurück, hiermit aber, wie schon die sprachliche Benennung anzeigt, auf den Syllogjsmos als solchen, — trotz der sonst von Aristoteles beliebten strikten Entgegenstellung von Syllogiss mos und Epagoge. Seit diesen denkwürdigen Formulier rungen hat die Logik ein gewaltiges Maß von Anstrengungen darauf verwandt, diese syllogistische Herkunft der Epagoge allmählich etwas zu verschleiern, ja womöglich ganz in Ver* gessenheit geraten zu lassen, — Anstrengungen, die der Natur der Sache nach eitel sein mußten und wirklich auch eitel waren. Insonderheit scheint der mit Unrecht so be* zeichnete Gründer der induktiven Wissenschaftlichkeit, Baco von Verulam, durchaus im Syllogismos befangen ge* blieben zu sein: eine glaubwürdige Tatsache, wenn man bedenkt, daß so viel später ein so reifer Denker wie Eduard von Hartmann die (unvollständige) Induktion noch immer als einen Vernunftschluß ,mit veränderter Modalität' cha* rakterisiert, zeitlebens auf der Meinung beharrend, ein logisches Verhältnis zwischen mehreren Begriffen sei auch dann noch als ein streng schlüssiges aufzufassen, wenn es keinerlei Notwendigkeit mehr vermittelt. Bei derart unge? klärten geschichtlichen, ungeklärten sachlichen Umständen mochte es dann allerdings leicht geschehen, daß auch die induktive Erschließung von Ursachen, wie sie vielgestal*
612
tig in der Physik auftreten unter dem Namen von Wesens* begriffen, von Grundgesetzen, von Urbestandteilen, von Prinzipien und dergleichen mehr, — daß auch ihre Er* Schließung unversehens im terminus a quo und terminus ad quem eine Umrichtung erfuhr und zu einer unzweifelhaften und echten Apagoge oder Genesis der mechanischen Wirk* lichkeitänderungen und Wirklichkeiten aus letzten (oder vielmehr ersten) Dingen gleichsam entartete. Diese Genesis brauchte dann gar nicht einmal, wie in der eigentlichen Mechanik, syllogistisch zu verfahren, sondern konnte sich auch, wie am Beispiel der hartmannschen Ableitung der Qualität aus der Intensität zu entnehmen wäre, durchaus in den lockeren Formen einer spekulativen Entwicklung* geschichte zu bewegen streben : die zu allerinnerst deduktiv* genetische Tendenz des Forschens gelangt in diesem Fall trotz aller vorgeblichen und vorgeschützten induktiven Methodik immer noch stark genug zur Erscheinung. Denn eben jene vielerörterten »spekulativen Resultate', welche Hartmann einst in dem Motto seiner Philosophie des Un* bewußten nach .induktiver Methode' gewonnen haben wollte: eben sie ließen sich auf keine Weise durch Induktion, sondern höchstens durch Spekulation und verkappte De* duktion selber aufstellen . . .
Diese mehr historisch*polemische Zwischenschaltung je* doch in Klammern setzend und dahin gestellt sein lassend, haben wir den ausschlaggebenden Grund für die wesent* lieh genetische Beschaffenheit aller Ursachenerforschung doch vor allem in dem syllogistischen Ursprung der Ur* sächlichkeit zu vermuten. Weil die Verursachung als solche ein auf die Dinge übertragenes Schließverfahren ist, mit dem inwohnenden Ziel, der Erkenntnis eine in Notwendig* keiten ablaufende Natur zu erdenken, erscheint sie je und je mit allen Tendenzen des Vernunftschlusses selbst ver-
613
haftet: folglich auch mit dessen vorwaltender Tendenz zur Entstehung und zur Ableitung aus Grundsätzen, Grund* Gesetzen, Ur*Gründen, Ursachen, Ursprüngen. Und wiederum muß sich gerade die umspannende Konzeption der Mechanik von einer eindeutig kausal gereihten Natur krönen wollen im szientifischen System einer Welt, die zu* letzt ein alleinziger Vernunftschluß, ein kosmischer Syllo* gismos, ein syllogistischer Kosmos ist. Sehr ähnlich wie das Scheinbild einer mechanisch gedeuteten Natur am Ende nur durch Hineinverlegung und Übertragung einer vorher schon mechanisierten, will sagen syllogismierten Intelligenz entstehen konnte, — sehr ähnlich weiß sich in umgekehrter Richtung dieselbe syllogismierte Intelligenz mit ihren Merk* malen und Eigenheiten aus jeder mechanisch treuen und mechanisch gründlichen Durchforschung herauszuarbeiten. Vom Pathos dieser Einstellung und allein von ihm her wird es einigermaßen begreiflich, warum just die mechanische Darstellung natürlicher Bewegungen und Veränderungen in der hertz'schen Forderung gipfelt, daß alle körperhafte Wirklichkeiten als denknotwendige Folgen eines Grund* gesetzes erklärlich zu machen, ja daß „die denknotwen* digen Folgen der Bilder als Bilder der naturnotwen* digen Folgen der Gegenstände" zu erachten wären. Diese schier ungeheuerliche Forderung entbehrte jeder Recht* mäßigkeit und jeden Sinnes, wenn sie nicht namens einer zur Macht eines wissenschaftlichen Instinktes erstarkten Überzeugung erhoben würde, wonach die notwendige Verkettung natürlicher Gegebenheiten an sich eins sei mit der notwendigen Verknüpfung von Begriffen und Urteilen im Schluß. Läßt man die hertz'sche Forderung in der Tat schon einmal zu, dann hat man keine Wahl, ihre unaus* gesprochene Voraussetzung gleichfalls zuzulassen, die ihr erst den richtigen und vernünftigen Gehalt verleiht : daß näm*
614
lieh natürliche und logische Notwendigkeit nur zweierlei Be* Zeichnungen für ein und dieselbe unteilbare Notwendigkeit überhaupt seien, — eine Notwendigkeit, die der Verstand in der Tathandlung des Schließens erstmals setzt, um sie hernach dem Bild einer durchgehens von ihm beherrschbaren natura natuvata als natura naturans erkenntnismäßig ordnend zu unterstellen. Mit diesem wirklichkeitordnenden Schema einer mechanischen Notwendigkeit, ihrerseit weniger von natürlicher als von intelligenter Herkunft, unter allen Be* dingungen aber transzendentaler Herkunft, mit diesem Schema steht und fällt denn auch die gesamte Konzeption des Welt*Mechanismus, der Welt*Maschine. Bei welcher Gelegenheit ein von Goethe beiläufig in der Farbenlehre gebrauchtes Wort, darin wohl die Erfahrungen einer jähr* zehntelang hingebenden, schöpferischen und bahnbrechen* den Arbeit an den Problemen der Physik zu unerhört reiner und schöner Kristallisation ausgediehen sein mögen, in einem selbst seinem Urheber kaum vermuteten transzendent talphilosophischen Sinn angeführt werde : „Die letzten Hand* griffe haben immer etwas Geistiges, wodurch alles Körper* lich*Greif bare eigentlich belebt und zum Unbegreiflichen erhoben wird ..." Wahrhaftig, — unter unseren sehenden Augen hat sich der Mechanismus, hat sich die Maschine der Welt mit den Tendenzen des Geistes und der Vernunft immer inniger durchdrungen und durchsättigt und durch* würzt, wenn auch eines Geistes, einer Vernunft, die sich selber wesenhaft mechanisierend hier betätigt, wofern sie Notwendigkeit an und für sich durch syllogistische Selbst* bewegung ihrerseit erzeugt. Aber auch des von Goethe hier berufenen .Belebens' mag sogar in diesem mechani* sierten Geist immer noch übergenug stecken: soviel dürfte unserer Theorie des Syllogismos mit hinlänglicher Gewiß* heit zuzubilligen sein. Noch tanzen ja zwischen dem Alpha
615
und Omega eines Schlusses all die unendlichen Geheim* nisse des »Geistes' ihr mystisch wundersames Auf und Nie* der vom Einzelnen zum Ganzen und vom Ganzen wiederum zum Einzelnen wie auf Himmelsleitersprossen: wer sie er* denken, wer sie ersinnen, wer sie erschwingen könnte!
Der Syllogismos logisches Paradigma und transzenden* tales Modell der Kausalität; die Denknotwendigkeit das .Frühere', das Proteron oder Apriori der Naturnotwendig* keit, — das ist nun freilich ein Ergebnis, das selbstredend weit über alle Grenzen der Mechanik, der Physik, der exak* ten Wissenschaften hinausweist und in mehr wie einer Hinsicht geradezu schicksalhaft für die moderne Wissen* schaftlichkeit überhaupt geworden ist. Denn seit dem Sieg der modernen Mechanik gibt es, ausgenommen etwa reine Mathematik und reine Logik, keine Gattung der Erkennt* nis, die sich nicht der Kausalität mit all ihrer Problematik als ihres vornehmsten Denk* und Erfahrungmittels überall bedienen müßte und insofern nicht teilzunehmen gezwungen wäre an der ganzen hier entwickelten Dialektik dieser Kate* gorie. Die unvergleichliche Bedeutsamkeit dieses Sachver* haltes ist so in die Augen springend, daß sich, irre ich nicht, auch die Untersuchungen anderer zeitgenössischer Forscher meinem hiesigen Ergebnis bis auf Haaresbreite angenähert haben. So wenn beispielweise Hugo Bergmann, in einer klugen Abhandlung (Der Begriff der Verursachung und das Problem der individuellen Kausalität im Logos, 1. Heft des V. Bandes), beim Vorgang der Verursachung einen Aktus der Stellungnahme des denkenden Subjektes als eine die Notwendigkeit transzendental setzende Vernunfttat* handlung aufzuzeigen bestrebt ist. Gewiß ist von hier noch ein Schritt bis zu der Auffassung, wo sich das Ereignis der Verursachung schlechthin auf das Ereignis des Schließens zurückführen läßt, oder wo man unter der Kausalität nur
616
einen auf die Dinge angewendeten Syllogismos verstanden wissen will. Aber zu diesem allerletzten Schritt wird man sich meines Bedünkens früher oder später gleichfalls auf* raffen müssen. Ansonst man vermaledeit bleibt, endgültig die kantische Deduktion der Kausalität anzuerkennen und die Verursachung zwar als die Bedingung a priori der Mög* lichkeit der (mechanischen) Natur, mithin als eine trans* zendentale Denk*Zutat des nach Regeln urteilenden Ver* Standes des transzendentalen Ich anzusprechen, — ohne jedoch das eigentliche Erlebnis dieser intellektuellen Aktion, welche eine gewohnheitmäßige Aufeinanderfolge der Er* scheinungen zu wahrer Notwendigkeit umprägt, im Be* wußtsein je aufweisen zu können. Dauernde Beruhigung gewährleistet aber diese Deduktion Kants schon darum nie, weil sie eben dieses fragliche Erlebnis fraglicher Aktion nirgends zu erhärten fähig ist: indes es unbestreitbar erhärtet werden kann im Vollzug des Vernunftschlusses, wie er aus seinen Vordersätzen abgeleitet wird und in statu nascente dieser Ableitung Notwendigkeit gebärt! Wenn irgendwo, sind wir hier Zeugen und Täter zumal einer schöpferischen Leistung, durch welche wir die einzig uns bekannte Not* wendigkeit selber erzeugen, setzen und hervorbringen. Sie aber ist die einfache (keineswegs die schopenhauerisch .vier* fache') Wurzel aller Beziehungen, die einen wirklichen Zwang des Auseinanderfolgens bei sich führen. Ohne sie würde man vergeblich die Vorstellung irgend einer Art von Notwendigkeit im Bewußtsein entdecken wollen; ohne sie wäre das Heischen nach Gesetzmäßigkeit gegenstandlos, die der Verstand angesichts der Natur zu suchen nicht umhin kann; ohne sie harrten wir heut' noch der Antwort auf jene Frage, die seit David Hume noch keinen Philosophen hat ruhig schlafen lassen, — ich meine die Frage, warum die Ver* ursachung zwar mit beinah' triebhafter Sicherheit im Einzel*
617
fall den Erscheinungen unterlegt werde, sich aber selber der Erscheinung durchaus versage und keiner noch so ge* nauen Zergliederung derselben zugänglich gewesen sei. Diese seit so manchem Jahrhundert brennende Frage, vor kurzem noch zwei derart wesenss und rangverschiedene Denker wie den späteren Friedrich Nietsche und Ernst Mach gleichermaßen dazu ermutigend, die unaufzeigbare Kausalität als einen .szientifischen Fetisch' streng zu ver* pönen und beiläufig auch zu verhöhnen, — sie ist in dem Augenblick gelöst und gelöscht, wo man die Verursachung als einen auf die Gegenstände der Wirklichkeit gleichsam überschriebenen Vernunftschluß gelten läßt. In diesem Fall sieht man es endlich ein, wieso die Notwendigkeit in keiner Weise als Erlebnis der Anschauung oder Wahrnehmung vorführbar sein kann. Hervorgebildet durch eine sozusagen geschlossen? kreisförmige Bewegung des Denkens, kann die Notwendigkeit einer Aufeinanderfolge als Auseinander* folge nirgends sonst zur Notifikation gelangen als eben im Vollzug dieser Bewegung selbst. Als Fetisch, feitigo braucht darum die Kausalität in keinem verächtlicheren Wortsinn betrachtet zu werden als es der lateinische Ausdruck des facticius, künstlich gemacht, billigerweise erlauben will. Künstlich ist sie gemacht, künstlich verfertigt, wofern sie jenen letzten Handgriffen zuzählt, in welchen Goethes un* ermeßliche Einsicht stets etwas Geistartiges erkannt zu haben meint. Zu widerrufen, einzuschränken oder ängstlich zu bemänteln ist aber an der ganzen Sache nichts, — es sei denn, der Geist, die Vernunft, die Denkkraft werde von ihren Ab* trünnlingen selbst bezichtigt, Fetisch zu sein: was übrigens in der Linie manches superklugen und empörerischen Ges seilen durchaus gelegen sein könnte, ohne uns hier beson* ders aufzuregen . . .
Pochen wir mithin nur auf unser gutes Recht, wenn wir
618
Nichtigkeiterklärungen und Widerrufe der Kausalität getrost den wissenschaftlichen Nihilisten aller Schulen überlassen, dieweil es auch mit einer als Fetisch verleumdeten Kausalität weiter nichts Schlimmes auf sich hat und wir uns vor Ekel* namen, Vogelscheuchen und Popanzen keineswegs zu gruseln brauchen, — ein ganz anderes Bedenken macht sich schließ* lieh doch sehr stark fühlbar. Eben jetzt, wo uns der intellek* tuelle, der rationale Ursprung der Ursächlichkeit zur uns widerleglichen Gewißheit geworden ist, muß es uns einiger* maßen schwer auf's Herz fallen, daß wir noch unlängst gerade die Kausalität als ein Exempel logischer und ratio* naler Undurchdringlichkeit gekennzeichnet haben! Damals hatten wir uns davon überzeugt, wie sich bei der Vorstel* lung des Verursachens offenbar zwei miteinander unverein* bare Aussagen durchkreuzten: ich meine die gleichsam größenmäßige, mathetisch * mathematische Gleichsetzung von Ursache*Wirkung nach dem eingestandenen Grundsatz causa aequat effectum einerseit, die eigentlich aitiologische Ungleichsetzung beider Glieder derselben Kategorie nach dem zwar uneingestandenen aber darum nicht minder be* stimmenden Grundsatz causa inaequat effectum andererseit. Wofern eine Aussöhnung dieser kontradiktorischen Wider* sätzlichkeit außer Bereich erklärender Möglichkeiten lag, hatte ich mir die Freiheit genommen, von einer Oszillation oder Vibration des Denkens zu sprechen, von einer Schwan* kung, Schwebung, Schaukelung, Zitterung, Pendelung, die dauernd zwischen den Vorstellungen des rein äquipollenten und des rein kausalen Moments hinwärts herwärts schwinge. Eine solche Turn* und Schaukelbewegung des Verstandes allein schien einen wenigstens instantanen Ausgleich zwi* sehen den beiden zu gleichem Recht bestehenden Kon*Mo* menten, Kom*Ponenten der Ursächlichkeit zu gestatten, ohne doch die kontradiktorische Beschaffenheit der Kate*
619
gorie irgendwie ernsthaft in Frage stellen zu wollen; — nicht anders wie ein elektrischer Funke einen instantanen Ausgleich zwischen zwei Polpunkten gestattet, ohne die Polarität selbst irgendwie in Frage zu stellen. Auf diese Weise sind dann allerdings ein für alle mal Widersätzlich* keit, Kontradiktion, Antithetik, Dialektik sozusagen als ein Lebendiges in den Vorgang der Verursachung eingemauert, wie etwa im Mittelalter etwas Lebendiges in den Baugrund einer hohen Kirche oder eines Schlosses eingemauert wurde : auf diese Weise gibt sich ein durchaus irrationaler Wesens* zug der mechanisch*szientifischen Urkategorie zu erkennen. Und kaum würde man sich jemals bemüßigt gefunden haben, dieses Ergebnis in Gedanken anzutasten, wenn nicht schier vor Torschluß die andere Feststellung, daß alle Ursächlich* keit und alle Notwendigkeit der Auseinanderfolge aus einer Verstandesbewegung letzthin selbst entstehe und mithin streng transzendentaler, will sagen streng rationaler Ab* stammung wäre, jener Feststellung so gar handgreiflich zu* widerliefe. In Erwägung beider Behauptungen, beider Ge* wißheiten sollen wir's nun einfach und gemütlich hinunter* schlucken, daß die nämliche Kausalität sowohl rational wie irrational sei, sowohl dem vernünftigen Denken an und für sich verdankt werde wie dem vernünftigen Denken unfaßlich bleibe? Jetzt sollen wir plötzlich innerhalb der Kausalität selber einen A*Logismos, ja einen Anti*Logismos endgültig zulassen, der aber gleichzeitig ein einwandfreies Erzeugnis des Syn*Logismos, infolgedessen ein einwandfreies Erzeug* nis der intimsten Betätigung des Logos als solchen wäre? Um die Wahrheit zu sagen, wühlten wir uns hier bis auf eins der eiszeitältesten und granitsteinhärtesten Vorurteile der geschichtlichen Wissenschaftlehren heran, mit welchem es endlich einmal radikal zu brechen gilt, nachdem wir im ge* treuen Verfolg der methodischen Endabsichten der Mecha*
620
nik die maßlose Problematik aller Ursachen* Wirkung Denk* setzung immer besser zu würdigen befähigt worden sind. Dies Vorurteil, wonach die Denk* und Erkenntnismittel der Vernunft durchgängig von logischer, von rationaler Transparenz seien, — es verträgt sich fortan nicht mehr mit den beiden gleich unumstößlichen Tatsachen, wonach die Irrationalität der Kausalität ebenso außer allen Zweifeln steht wie ihre Genesis aus dem Syllogismos, ihre Verstandes* mäßige Undurchdringlichkeit ebenso wie ihre Verstandes* mäßige Herkunft. Ja, eher als man durch unstichhaltige und untriftige Einsprüche die doppelte Gewißheit dieses Ergebnisses entkräften zu können erwartete, eher würde es sich empfehlen, in eben dieser Richtung noch ein Stück weiter vorzudringen und die Annahme zu wagen, — nie* mals aber mag das klassische aude sapexe mühsamer anzu* wenden gewesen sein, — daß schon die vernunftgeborene, schlüssige Notwendigkeit an sich, noch bevor sie zur wirk* liehen Ursächlichkeit abartet, ein logisch nie völlig auf hell* bares und in diesem Sinn irrationales Gedankengefüge sei. Gibt es doch nämlich eine gewisse Gattung des Unbegreif* liehen und Undurchsichtigen im Bewußstein, deren Un* begreiflichkeit und Undurchsichtigkeit gerade auf den seit* samen Umstand zurückzuführen ist, daß sie durch trän* szendentale Akte vernünftiger Setzungen ins Dasein getreten ist. Alles was als Denkhilfen, Erkenntnismittel, Kategorien, ausgereift zu den Organen des Geistes und als diese überall von ihm genützt, in der Geschichte der Wissenschaften bisher namhaft gemacht worden ist, alles das gehört hierher. Wie wir fortwährend unsäglich vieles tun, das wir niemals wissen, niemals verstehen, niemals erklären können, ja wie vielleicht in Wahrheit alles Tun unbegriffen und unbegreif* lieh für uns Täter bleibt, — wissen wir's doch nicht und werden's nie wissen, wie es geschieht, daß wir hören und
621
sehen, schmecken und sprechen, zeugen und empfangen, verdauen und aufbauen, erkranken und heilen, einschlafen und erwachen, leben und sterben — , so ähnlich ,tut* die Vernunft ein notwendiges Verhältnis zwischen verschiede* nen Denkinhalten, so ähnlich ,tut* sie Notwendigkeit der Begriffe und der Dinge! Gerade in ihrer Eigenschaft als Organon des vernünftigen Denkens entzieht sich die Not* wendigkeit diesem Denken selber; gerade aus ihrer trans* zendentalen Funktionalität folgt ipso facto ihr irrationaler Charakter! Wo der Sehnerv in die Netzhaut eintritt, da entsteht auf ihr ein sehuntauglicher, ein blinder Fleck, und ganz entsprechend entsteht ein denkuntauglicher Fleck an der Stelle des Bewußtseins, wo sich die Erkenntnisformen und Denkmittel organisch verzweigen und ausbreiten. Wo* mit man sieht, das sieht man nicht; womit man hört, das hört man nicht; womit man denkt, das erdenkt man nicht; womit man versteht, das versteht man nicht; womit man Natur und Wirklichkeit geistig meistert, das meistert man geistig nicht. In diesem bescheiden selbstverständlichen Wortverstand ist es richtig zu sagen, daß sich Apriorismus und Irrationalismus der Kategorie wechselseitig durchaus bedingen: als transzendental erwirktes Erkenntnismittel ist die Notwendigkeit, ist die Ursächlichkeit notwendig denk? unergründlich und erkenntnisfremd. Zu meiner Genug« tuung finde ich diesen allgemeinsgültigsten und folgewichs tigsten Ertrag unserer weitschichtigen Darlegungen gleich* falls von einem zeitgenössischen Mitdenker in einem treff* liehen Aufsatz Über die Erkennbarkeit des Apriori (Logos, V. Band, 3. Heft) bestätigt, — um so eindrucksvoller be* stätigt, als auf so gänzlich anderen Wegen ausfindig und mitteilbar gemacht.
Die letzten Handgriffe also auch dieser groß konzipierten WeltsMaschine haben etwas Geistiges, wodurch nicht nur
622
alles Körperlich^Greifbare recht eigentlich belebt erscheint, sondern wo es tatsächlich auch, wie Goethe ahnungvoll fortfährt, zum Unbegreiflichen erhoben wird. Das ist es, was mit dieser naturwissenschaftlichen Rationalisierung, Intellektualisierung, Mechanisierung, Syllogismierung der Wirklichkeit zuletzt geschehen ist: ein Ganzes, nein Das Ganze ward geistig belebt, aber gleichzeitig zum Unbegreif* liehen erhoben. Selbst eine ,vermaschintec Natur darf den Geist und seine Mittel nicht verleugnen, der sie geheim* nisreich mit dialektischen Unergründlichkeiten und Wider* sätzlichkeiten belebt. Aber selbst diese niederste Stufe kos* mischerVerlebendigung.so wundersam verschränkt sind aller Dinge Wurzeln ineinander, sie wird teuer genug erkauft um den Preis ihrer vernünftigen Begreiflichkeit. Durch Not* wendigkeit gewährt Vernunft der Wirklichkeit einen gesetz* mäßig beharrenden Zusammenhang und eine eigentliche Ordnung. Jedoch ist diese Notwendigkeit nur wie ein Licht, das da leuchtet in die Finsternis, — leuchtet in die Finster* nis, nicht sich selber . . .
623
DIE WELT ALS ORGANISMUS
Es sei nochmals gesagt und so vielmals wiederholt ge* sagt, bis es sich unvergeßbar jedem eingedächtnißt hat: aus Grundsätzen, Grundgesetzen ableitend trachtet die Me* chanik danach, die natürlichen Bewegungen und Verände* rungen körperlicher Eigenschaftträger möglichst vollständig als die denknotwendigen Folgen und Folgerungen inner* halb eines schlüssigen Zusammenhanges aufzuzeigen. Wie dies ausführbar sei und in welche Ungründe des Denkens und Erkennens es sich verliere, ward hier erörtert; erörtert im gleichen auch der Umstand, daß die labyrinthischen Schwierigkeiten, die aus dieser Aufgabestellung erwachsen, nicht Schwierigkeiten der Mechanik allein sein und bleiben konnten. Reichte doch die mechanisch? maschinelle Auf* fassung der Welt in erweitertem Wortverstand beträchtlich hinaus über die eigentliche Mechanik, hinaus auch über die eigentliche Physik und die eigentlich exakten Wissen* Schäften, — nämlich soweit, als das erklärende Bedürfnis überhaupt auf der Genesis der Erscheinungen aus Gesetz* mäßigkeiten, Ursachen, Ursprüngen besteht: mithin allent* halben, wo Wissenschaft im modernen Sinn versucht wird. Die Krisen, Peripetien, Katastrophen der Mechanik sind unter solchen Umständen die Krisen, Peripetien, Katastrophen der Erkenntnis an und für sich, und was an dieser Stelle über die Undurchdringlichkeit der ersten Voraussetzungen für ein mechanisch*maschinelles Weltverstehen angemerkt wer* den mußte, bezieht sich ohne Ausnahme und Einschränkung auf das gesamte System unserer heutigen Wirklichkeit* Wissenschaften. Sie alle bewegen sich in Kausalitäten und darum in Irrationalitäten; sie alle beginnen und endigen mit transzendentalen Unbegreiflichkeiten; sie alle bedienen sich denkfremder, weil denkerzeugter Kategorien und Prin*
624
zipien, Axiome und Hypothesen. Es trifft hier die hohe Seit* samkeit zu, daß die Mechanik just in ihrem fragwürdigsten Teil das maßgebliche Muster der anderen Erfahrungwissen* schatten lieferte, — eben in ihrer problematischen Eigenheit wider willen, eine Entstehung und Entwicklung aus Ur* Sachen zu sein: sie, die nach ihrer innersten Neigung am liebsten alles was Ursache heißt aus ihrem methodischen Umkreis verbannen oder wenigstens in harmloser aus* sehende Gleichsetzungen umbiegen würde! Ein bunter Knäuel ungelöster und unlösbarer Fragen begann sich hier zwischen unseren Fingern immer hoffnungloser zu ver* heddern und verhaspeln, und wie oftmals wir ihn auch im Unmut bald hierhin bald dorthin warfen, blieb er doch in all seinen Strähnen und Fäden leider verfitzt und ver* filzt . . .
Indes haben wir darauf zu achten, daß wir unbeschadet dieser erkenntnismäßigen Verlegenheiten die unermeßlichen Erfolge der eigentlichen Mechanik nicht aus den Augen verlieren. Seit Galileo Galilei war sie auf eine geistige Be* herrschung der Wirklichkeit durch gedankliche Knüpfungen und Beziehungen unentwegt gerichtet, und trotz aller be* reits gemachten Vorbehalte kann man wahrhaftig nicht be* haupten, daß diese ihre vorzüglichste Endabsicht wesent* lieh verfehlt worden sei. Es ist der europäischen Mechanik durchaus gelungen und im Anschluß an sie auch der spä* teren Physik, die Bewegungen und Veränderungen der Natur in analytische Gleichungen gewissermaßen zu über* setzen, indem sie alles Jenseit dieser Gleichungen mit mehr oder minder klaren Willen auf sich beruhen ließ. Allerdings war diese Übersetzung natürlicher Begebenheiten in die Formen und Formeln der Geometrie grundsätzlich nur so* lang vollziehbar, als die bestimmende Regel causa aequat effectum unbestritten ihre Gültigkeit bewahrte, dadurch
40 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 625
eine Art Vorwand für den analytischen Ansatz von Bedin* gunggleichungen schaffend. Wohingegen dasselbe Axiom seine Richtigkeit einbüßte, wo die Wirkung der Ursache in keiner Hinsicht mehr meßbar verhältnismäßig oder gar vergleichsam erschien, da erlosch jede Ermächtigung der Ver* nunft zu dieser Geometrisierung und folglich auch Maschini* sierung der Natur jählings und völlig. Um dies zu gewahren, brauchten wir unsere Aufmerksamkeit nur auf Bewegungen zu lenken, die sich dem leibniz*mayerschen Grundsatz offenbar nicht fügten, — und schon tauchte am Rand unseres Bewußtseins der Typus einer neuen und andersartigen Wissenschaftlichkeit auf. In dem Beispiel jenes Hand* werkers, der ohne äußerlich erkennbare Beeinflussung vom Gerüst stürzt, der mithin eine mechanisch deutbare Bewegung ohne mechanisch deutbare Verursachung aus* führt, gerieten wir fast absichtlos an einen szientifischen Grenzfall, wo als Motiv der statthabenden Zustandänderung ein schlechthin unwägbarer, unmeßbarer, undarstellbarer Reiz in Kraft trat. Nach Reizen anstatt nach Ursachen sich zu bewegen, dieses mechanisch nicht mehr erfaßbare Ver* mögen brachten wir uns damals zum ersten mal in Erfahrung ; — wir dürfen es jetzt, nicht mehr im Einzelvorgang befangen, als Grundeigenschaft der belebten Materie, des organisierten Stoffes, des Proto*Plasma wohl ansprechen, dazu tauglich, Gegenstand oder Inhalt einer neuen Erkenntnisgattung im Gegensatz zu der mechanisch*maschinellen zu werden.
Für organisch sind also die Bewegungen des sogenannten Lebens zu nehmen, weil und wofern der Organismus ent* steht, wächst, reift, welkt, abstirbt, auf Reize hin, deren Wirkungen gleichsam in einer anderen Lage der Erschei* nungen liegen, als diese selbst. Denn jeder Reiz ist seinem Begriff nach irgendwie Wahrnehmung, jede Wahrnehmung eine Tatsache des Bewußtseins, jede Tatsache des Bewußt*
626
seins als solche ein unwägbares, unmeßbares, unzählbares Erlebnis. Sobald ein derartiges den gelegentlichen Anlaß zu einer Bewegung oder Änderung körperhafter Teile abgibt, ist der mechanische Zusammenhang von Ursache und Wir* kung unterbrochen. Ja, sogar was man mit einem wirklich übel ausgewählten Wort den .Reflexmechanismus' der Organismen zu bezeichnen pflegt, erweist sich in Wahrheit als ein nichtsmechanisches Geschehnis, indem doch auch schon hier der Reiz, sei er mehr physiologisch als Sinnes* Wahrnehmung, sei er mehr psychologisch als »Vorstel* lung überhaupt* verstanden, änderungbedingend und *be* wirkend auftritt. Heiße man immerhin die zusammen* ziehenden Bewegungen eines Polypen, dessen ausgestülpte Tentakeln seinem Magenschlauche einen Fisch, eine Schnecke, einen Wurm erstrudeln, reflektorisch oder besser: mechanistisch, verglichen etwa mit den mannigfachen Will* kürhandlungen eines kultivierten Menschen, der sich zur Einnahme seiner Speisen anschickt. Daß auch noch dortbei die Mechanik längst überschritten ist, sollte schon deshalb keinem Zweifel unterliegen, weil doch jene Zusammen* ziehung der Gewebe, der Organe die Folge eines Wahr* nehmungreizes ist und ihrerseit selbst dann nicht restlos dem Begriff der mechanischen Veränderung eingeordnet werden kann, wenn ihr physikalisch*chemische Bewegungen kleinster Teile in den leitenden Nervenfasern entsprechend gedacht werden müssen. Wo es ein Reiz ist, der körperliche Änderungen einleitet, löst er als unmeßbar unkörperliche Tatsache des Bewußtseins Bewegungen aus und wirkt in diesem freilich nicht mehr ganz genauen Wortverstande ,katalytisch\ nämlich auslösend anstatt auflösend, wie es der Sprachausdruck eigentlich zunächst besagt. Oder um denselben Sachverhalt eher auf unsere Manier zu verdeut* liehen statt auf die Robert Mayers: wo sogenannte Reize
40* 627
änderungbedingend für Bewegungen und Lagewechsel von Körpern auftreten, da handelt sich's um ein vorzugweis organisches Geschehen, dessen maschinelle Interpretation an dem causa inaequat effectum von vornherein zuschanden werden muß. Wobei man sich freilich vorher noch geschwind des Irrtums zu entschlagen hätte, daß etwa die gegenwärtige Psychologie, weil sie Tabellen über Tabellen ausfertigt von Reiz^Graden und Reiz^Stärken, nun auch in der Tat den Reiz als Erlebnis des Bewußtseins zu messen in Stand gesetzt wäre. Ist ja doch, was je und je von ihr gemessen wird, lediglich das physikalische, chemische, physiologische Phä* nomen, wie es die Tatsache des Bewußtseins körperlich be* gleitet, nicht diese Tatsache selber. Ein anderes ist die be* wußte Gegebenheit des Reizes, die schlechterdings ist, aber weder wieviel noch wie groß ist; ein anderes die physika* lische, chemische, physiologische Entsprechung des Reizes; ein anderes wiederum die durch den Reiz erwirkte körper* liehe Handlung.
Nennen wir also, durch derartige Erwägungen bewogen, fürderhin alle Änderungen der Wirklichkeit organisch, die von Reizen oder reizähnlichen Anlässen nicht sowohl ver* ursacht, als ausgelöst werden; kennzeichnen wir des ferneren alle reizbedingten Tätigkeiten, Wirksamkeiten, Bewegungen als das eigentliche , Leben', — so finden wir uns zuverlässig dazu berechtigt, unter einer Organik im bewußt erfaßten Widersatz zu der Mechanik das wissenschaftliche Verfahren zu verstehen, das zu seinem Teil das Leben in seinen be* stimmenden Eigenheiten und Merkmalen gedankenmäßig zu beherrschen trachtet. In dieser Hinsicht bedeutet Leben als Ganzes genommen eine Herausstellung, Auswicklung, Veräußerung, Entfaltung, Evolution innerer Möglichkeiten auf grund besonderer Antriebe und Impulse, die nicht wesentlich Ursachen sind: das Leben ist infolgedessen zu*
628
nächst eine Reihe von Veränderungen sinnengegebener Wirklichkeiten über jede größenmäßige Berechnung und Darstellung hinaus. Für wen die Natur mechanisch* maschinell abläuft, dem kreist ihr Geschehen zufolge dem causa aequaf effectum in einem geschlossenen Zirkel, inner* halb dessen keine Wirkung ein Mehrfaches, einen Über* schuß, eine Mehrleistung der Ursache enthalten konnte. Wer die Natur jedoch unter dem Gesichtswinkel des Or* ganischen betrachtet, der sieht sich diesen Ring des Ge* schehens plötzlich öffnen nach der gegengesetzten Regel causa inaequat effectum wie auf eine Zauberformel hin, und ihn überrascht die unvermutete Gewißheit, daß die Wir* kung ihrer Ursache überhaupt unvergleichbar ist und sie deshalb auch unverhältnismäßig zu übertreffen vermag, — wenn anders hier, wo ein Verhältnis der Größe oder des Wieviel nicht mehr in Frage steht, der Ausdruck ,unver* hältnismäßig' noch an seinem Platz ist. Als Maschine vor* gestellt, gewährt die Natur jedenfalls nichts, was nicht irgendwie von allem Anfang und vor allem Anfang schon in ihr enthalten war. Als Organismus gewürdigt, spendet Natur hingegen in jedem Augenblick, dem vorigen ver* glichen, Ungleiches, Unähnliches, Neues, welches sie auf gewisse Reize hin entwickelt, auslöst, entfaltet. Dem Mechanisten beharrt der Kosmos als ein Triebwerk, dessen sämtliche Umsätze nicht dazu führen können, die Menge des einmal vorhandenen Arbeitvorrates zu mindern oder mehren, selbst wenn dieser Gesamtvorrat in Oberein* Stimmung mit dem (übrigens täglich umstritteneren) zweiten Hauptsatz von der Entropie zuletzt völlig energetisch ent* wertet, will sagen in ein und dieselbe energetische Gattung der Wärme umgeformt werden sollte; — während sich dem Organiker ganz im Gegenteil derselbe Kosmos zu einer Neuschöpfung von Stund' zu Stunde umwandelt, wo
629
weder die Wirkungen als solche ihren Ursachen gleichen, noch gleichen Ursachen gleiche Wirkungen entsprechen müssen: sondern wo die unvermeidbare, un verminderbare Menge des irdischen Vorrates an möglicher Arbeit zur Er* Schaffung unendlich wechselnder Bildungen des Lebens verschwenderisch genützt wird. Bezüglich der Welt* Maschine gilt freilich die eine der Regeln Robert Mayers ganz unbedingt, daß aus Nichts nichts wird, indem hier jedes Geschehens Erfolg seiner meßbaren Ursache angemessen sein und bleiben muß, wogegen bezüglich des AlL-Orga* nismus die Tatsache Gültigkeit erlangt, daß aus dem ver* hältnismäßigen .Nichts' der Stoff los*unkörperlichen Reize ein höchst unvorhergesehenes , Etwas' entstehen kann, ohne das Grundgesetz der Mechanik von der Erhaltung des Gesamtarbeitvorrates, als welches ja über nicht meß* bare Änderungbedingungen seelisch unbewußter oder seelisch bewußter Natur nichts auszusagen sich erdreistet, außer Kraft zu setzen. Der Mechanist traktiert, kurz und gut, die Welt gleichsam als ein Lastträger, der allerlei Kisten, Säcke, Ballen, Körbe, Rollen, Fässer, Kasten, Laden, Flaschen, Koffer, Packen von einem Stapelplatz wegschleppt, um sie auf einen nächsten wieder anzuhäufen oder nach Gutdünken auf mehrere entfernte zu verteilen und zerstreuen: ohne daß man da oder dort je im geringsten mehr dieser Güter anzutreffen hoffen könnte, als sich der Träger alles in allem auf seine Schultern bürdete. Der Organiker aber traktiert die Welt gleichsam als ein Künstler, der mit seinen bild* nerischen Händen kein Stück berührt, ohne aus ihm geist* gewollte Formen herauszuzaubern in immer neuen Einfällen und Wandlungen. Sehr folgerichtig, sehr zwingend endigt darum die Mechanik in den Spekulationen der modernen Relativität*Theoretiker, wonach auch die Zeit, diese neben Raum und Masse unentbehrlichste Voraussetzung jeder
630
exakten Ergründung der Natur, zuletzt an und für sich nur eine vierte Dimension des Raumes oder (wie Einstein es ausdrückt) eine Zeiger*Stellung sei, wofern die Zeit in jedem ausgewählten Querschnitt mechanischen Geschehens wirk* lieh immer nur dieselben dauernden Elemente in anderen Lagen, Beziehungen, Bildungen, Verteilungen geordnet und bestimmt nach Gleichzeitigkeiten aufweist. Ebenso folgerichtig besteht hingegen die Organik auf einer durch* gängigen Unterscheidung, ja Gegenüberstellung der beiden Grundlegungen Raum und Zeit, weil für sie jeder Quer* schnitt durch den Wirklichkeitablauf in unumkehrbarer Richtung neue Elemente selber, nämlich organische Gestalten als in der Zeit entstanden bemerklich macht. Das Stichwort für den ersteren heißt eiveulatio, das Stichwort für den letz* teren aber evolutio. Und wenn der Mechanist schwerlich umhin kann zu sagen, daß alles, was da ist, in zahllos kyk* lischen Wiederholungen je und je da war und da sein wird, atmet der Organiker von dieser methodischen Verödung der Welt herzlich auf, wahrhaftig von Tag zu Tag des lebendigen Geschehens nicht wissend, was alles noch auf dieser Welt werden mag von den Trilobiten des Kambrium bis zu Sauriern des Jura, von den Foraminiferen der Kreide bis zu den sintflutlichen Primaten, von dem Menschen der Gegenwart bis zu dem Übermenschen der nächsten großen Metamorphose dieses oder eines edleren Planeten . . .
Bereits entglitt der Feder der Ausdruck ,Welt*Organis* mus\ oder in einer gebrauchtauglicheren, Schellings schönem Enthusiasmus verdankten Sprachfassung ,All*Organismus\ um die zweite entscheidende Konzeption der modernen Er* kenntnis sachgemäß zu bezeichnen. Indem ich aber diesen einst ebenso hoch gepriesenen wie übel geschmähten In* begriff zu adoptieren mir getraue, finde ich mich schon jetzt zu einer gleichsam vorbeugenden Erläuterung verpflichtet,
631
die nach Kräften ein naheliegendes Mißverständnis un* schädlich machen helfen soll. Geht nämlich unsere Rede das eine mal von der Welt*Maschine, das andere mal vom AlkOrganismus, so leuchtet ohne weiteres ein, daß das, was unter einer universalen Mechanik, unter einer universalen Organik zu verstehen wäre, nicht etwa zwei hemisphärisch geschiedene Wirklichkeiten zu zwei hemisphärisch ge* schiedenen Welten unserer Erkenntnis erhöbe, sondern daß wir in Mechanik und Organik ein und dieselbe Welt, ein und dieselbe Wirklichkeit unter verschiedenen Formen der wissenschaftlichen Einstellung erblickten. Diese Erläuterung ist desto unumgänglicher, als hartnäckig der Anschein vom Gegenteil besteht. Haben wir doch kürzlich noch selber die Grenzen der Mechanik dort zu ziehen uns keineswegs gescheut, wo ein Lebendiges in seinen Äußerungen von Reizen bedingt erschien, indes Unlebendiges seine Wir* kungen nach meßbar verhältnismäßigen Ursachen zugeteilt erhielt: wobei wir offenkundig das sogenannt Lebendige nur in dem gang und gäben Wortsinn verstanden haben konnten, verstanden haben wollten, der es als pflanzlichen oder tierischen Organismus in sachlichen Gegensatz stellt etwa zu chemischen Elementen und ihren Verbindungen oder zu physikalischen Materien und ihren Äußerungen. Immerhin wiesen wir doch damals schon auf den Umstand hin, daß die Mechanik als die Wissenschaft vorzüglich des Unlebendigen anwendbar war auch aufs Lebendige, ja wir hoben es als besonderer Erwähnung würdig hervor, daß die moderne Physik die Entdeckung ihres leitenden Ge* setzes auf jener Reede zu Surabaya geradezu der Anwendung auf physiologische, wenn nicht sogar auf pathologische Tatsachen verdanken durfte. Ein seltsam verschränkter, schwer zu enträtselnder Sachverhalt fürwahr! Als Wissen* schaft von der leblosen Natur ist die Mechanik augenschein*
632
lieh nach ihrer besonderen Gegenständlichkeit abgegrenzt, indes sie im selben Atem ihre höchste Leistung durch ihre Anwendbarkeit auf Gegebenheiten vollbringt, die sich ganz ohne Zweifel des Lebendigseins erfreuen und in dieser Eigenschaft mechanischer Darstellbarkeit schlechterdings spotten! Wir haben also die universale Mechanik für mög* lieh und unmöglich in einem zu halten, ja mehr noch, wir haben sie für möglich zu halten, wofern sie eigentlich un* möglich ist, und für unmöglich, wofern möglich! Es gab eine WehvMaschine in Ansehung beider Naturen, der un* belebten und belebten, — und es gab wiederum keine Welt*Maschine in Ansehung der belebten! Vor jeglichem organischen Geschehen setzten sich die Gleichungen und Gleichsetzungen geometrisierender Wissenschaftlichkeit sozusagen von selber, ipso facto, außer Geltung, — und doch war es organisches Geschehen, das zu seinem Teil die Geometrisierung der Natur vollenden half! Wie sich aus diesem Irrtanz der Betrachtung retten, wie sich zum Begriff des Al^Organismus ermutigt fühlen, wo schon die Vor* Stellung der WehvMaschine jedwelcher Eindeutigkeit und Ehrlichkeit ermangelt?
Dieses Dilemmas suchten wir uns, man wird sich dessen gut entsinnen, in der Folge ziemlich einfach dadurch zu entledigen, daß wir in aller Unumwundenheit die gedankt liehe Fiktion einräumten, auf welcher die moderne Mechanik beruht. Die lückenlose Auffassung der Wirklichkeit als einer Maschine war tunlich, wofern sie das Organische so ansah, als ob es ein Mechanisches wäre und der Regel des causa aequat effectum unterwürfig bliebe: dergestaltig durfte auch das Lebewesen Tier, Mensch oder Pflanze als eine Maschine im kleinen wohl passieren, dergestaltig war die maschinelle Deutung der daseienden Totalität als Totalität vor der Vernunft sichergestellt. Für eine beabsichtigte uni?
633
versale Organik aber ergäbe sich daraus ganz die ent* sprechende Forderung, daß sie, wollte sie an erkenntnis* mäßigem Rang der universalen Mechanik ebenbürtig werdenf auf einer sehr ähnlichen Fiktion ihrerseit entschlossen be* harren müsse, — daß es ihr, mit anderen Worten, gleich* falls obläge, den Mechanismus allenthalben so zu betrachten, als ob er organisch wäre, als ob erlebe! Erst wenn dieses eintrifft, haben wir Mechanik und Organik als die beiden gleich möglichen, als die beiden gleich notwendigen Ab* zweigungen der Wirklichkeiterkenntnis überhaupt erhärtet. Erst wenn dieses eintrifft, dürfen wir eine doppelte Aus* deutung der Einen einfachen Natur als Maschine und als Organismus mit derselben Wahrheit, derselben Richtigkeit, derselben Gültigkeit gesichert wissen. Erst wenn dieses eintrifft, werden wir uns der Idee ,Welt*Maschine' und der Idee ,All*Organismus' in der Tat als zweier Notenschlüssel zu bedienen vermögen, in welchen das System unserer Er* fahrungen in seinen sämtlichen Klanglagen und Tonstufen erschöpfend niedergeschrieben werden kann. Erst wenn dieses eintrifft, haben wir rühmlichen Besitz ergriffen von zwei wissenschaftlichen Nachbildern, Abbildern, Vor* bildern, Urbildern des Wirklichen: gleichsam eine Bürg* schaft ihrer logischen Vollständigkeit darum in sich selber tragend, weil eins das andere gebieterisch zu seiner Er* gänzung heischt und nur beide zusammen das Bewußtsein endgültig darüber beruhigen, von der Natur alles erfragt und alles erfahren zu haben, was nach Beschaffenheit der fragenden und erfahrenden Vernunft überhaupt zu erfahren, zu erfragen ist. Denn ein Jenseit, ein Drittes außer der maschinisierten und außer der organisierten Wirklichkeit gibt es wirklich nicht. Wenn also der eine Wissenschaft* liehe Typus seinen entgegengesetzten anstatt ihn auszu* schließen fordert, ungefähr wie sich ergänzende Farben,
634
ergänzende Klänge, ergänzende magnetische und elektrische Pole fordern, dann gilt von beiden zusammen unbedingt der Satz von jenem dritten, das als solches vernünftigerweis ausgeschlossen bleiben muß . . .
Indes befindet sich auch jetzt noch, ja jetzt vielleicht erst recht, der Kosmos der Mechanik verglichen mit dem Kosmos der Organik in einem wesentlich benachteiligten Zustand. Währenddem die europäische Mechanik seit den Kopernikus, Galilei, Newton, Kant, d'Alembert, Mayer, Hertz, die Wissenschaft vom Kosmos ist in dem reichsten und groß* artigsten Begriff, den dieser Ausdruck seit Pythagoras, seit Philolaos bezeichnen will und kann; währenddem diese Mechanik zunächst den Himmel und seine Umschwünge, später die Erde und irdischen Körper mit ihren Bewegungen, zuletzt die Lebewesen und ihre Tätigkeiten mit ihren analy* tischen Gleichungen ausnahmlos zu bewältigen verstand: klebt die erstrebte Schwester*Erkenntnis der Organik noch heute gar kümmerlich am sogenannten Lebewesen allein, an Pflanze und Tier und wenn's hoch kommt an deren Familien, Arten, Gattungen, Klassen, Stämmen, ohne die Erde als astrales Organ, geschweige denn die Himmel als Komplex astraler Organe entsprechend behandeln zu ver* mögen. Es gibt also zwar einen mechanisch*maschinellen Kosmos, weil es eine physiologisch*tellurisch*siderische Mechanik gibt, die sich mit wenig Abänderungen und Ein* schränkungen auf die drei Reiche der Wirklichkeit beziehen läßt. Nicht aber oder noch nicht gibt es einen organischen Kosmos, der Himmel, Erde und Tier* Pflanze gleichermaßen zu umgreifen sich getraute, trotzdem die feierliche Ahnung dieses Kosmos vielleicht älter war als die erste Durchbildung einer Welt*Maschine, — finden wir ihn doch schon im Timaios als ein »beseeltes Lebendiges, £coov £fi\pv%ovl viel* sagend gekennzeichnet. Seither ward jedoch leider die An*
635
schauung dieses organischen Kosmos augenscheinlich weiter und weiter zurückgedrängt zum Vorteil des maschinellen, und unter den zahlreichen geschichtlichen Siegen, die der Stagirit in der Folge über seinen Piaton (wahrhaftig nicht über Piaton überhaupt) davontrug, ist dieser keiner der geringsten, wohl aber vielleicht einer der schmerzlichsten. Ernsthaft wieder zu Gnaden aufgenommen erscheint der Gedanke dieses anderen Kosmos wohl erst vom späten Ge* schlecht jener Goethe, Schelling, Humboldt, Fechner, wenn* gleich sie ob dieser ihrer hohen Konzeption noch lange nicht gebührend gewürdigt werden und gestern wie heut' einer zeitgemäß reifen Nachkommenschaft fast völlig ent* behren müssen . . . Falls man hier nicht noch das seltsame Verhalten des Johannes Kepler heranzuziehen gesonnen wäre, der (in der Harmonice Mundi) den Erdkörper als ein lebendiges Untier schildert, dessen walfischartige Respiration in periodischem, von der Sonnenzeit abhängigen Schlaf und Erwachen, das Anschwellen und Sinken des Ozeans ver* ursacht: womit derselbe Kepler, der früher die durchaus richtige mechanische Erklärung von Ebbe und Flut gegeben hatte, von dieser plötzlich Abstand nimmt und gleichsam einen Sprung tut von der mechanischen in eine organische Auffassung der Weltkörper, — ein Sprung, der hier freilich daneben gerät, aber vielleicht aus wer weiß wie tiefen und richtigen Ahnungen kosmischer Möglichkeiten heraus ge* schehen ist . . . zu früh vielleicht, sehr viel zu früh und nur darum noch zu kurz! . . . Davon indes genug und mehr wie genug, — denn was hülfen Klagen und Anklagen über* mächtiger Verhältnisse? Fehlt doch so oder so noch ent* scheidend vieles, wenn nicht alles, um schon jetzt und zu dieser Stunde den Organismus in eben dem Sinne als ein mikrokosmisches Modell des Makrokosmos kenntlich zu machen wie vorhin die Maschine. Wo der Mechanik völliges
636
Gelingen beschieden war, sämtliche Erscheinungen der tel* lurisch*physiologisch*siderischen Wirklichkeit ihren Regeln geschmeidig zu machen, da missen wir bei der Organik von vornherein schon die Regeln selbst, geschweige denn die Anlässe ihrer Anwendbarkeit: zu jeder Nachahmung und jeder Anwendung der Geometrie durchaus ungeschickt, verfügt sie weder über Grundsätze und Grundgesetze, noch über schlüssige Folgerungen daraus, sondern gibt sich ein* fach den Erscheinungen hin und deren Beobachtung, etwa langsam von ihnen zum Versuch, zum Experiment fort* schreitend, um derart vielleicht doch wenigstens .mögliche* Gesetze auf dem Weg unvollständiger Verallgemeinerung und Annäherung induktiv zu ermitteln.
Bei diesem etwas bettelhaften Verfahren verdient es übrigens immerhin angemerkt zu werden, daß diese (ver* glichen mit der Mechanik) zufälligen und unzusammen* hängenden und ungenauen Beobachtungen eine Reihe von Ergebnissen gezeitigt haben, die trotz allem ganz unver* kennbar in der Richtung einer universalen Organik höchsten Ranges gelegen sind. Desto sorgfältiger und geduldiger nämlich der Organismus studiert ward, sei es vereinzelt, sei es als Familie, Gruppe, Gattung, desto zwingender bei diesem Studium sich seine radikale Andersbeschaffenheit und Unterschiedenheit vom Mechanismus durchzusetzen begann : um so verblüffender offenbarte sich bei Fortsetzung dieser Studien der Tatbestand, daß alle die beobachteten und beschriebenen Merkmale und Kennzeichen, die an* scheinend den Organismus so scharf vom Mechanismus ab* zuheben gestatten, ihrerseit wieder bei eben jenen zur sicheren Abhebung gelangten mechanischen Gegenständen, Körpern, Erscheinungen feststellbar seien, — derartig zwar, daß das gesamte Aufgebot der unterscheidendenMerkzeichen des Organischen Zug für Zug an den mechanischen Ge*
637
bilden ebenfalls betroffen wurde. Wie beim Wettlauf des Swinegels und des Hasen zur ungeheuren Verwunderung, ja zum Entsetzen des letzteren der Meister Swinegel ihm immer wieder an den vereinbarten Zielpunkten mit gar ge* mütlicher Zuvorkommenheit entgegenschritt und dem wind* schnell gehetzten und aus allem Atem geratenen Schnell* läufer sein lustig grinsendes Grüßgott bot, so könnte im wissenschaftlichen Wettstreit des Lebens mit dem Nicht* lebendigen das erstere dem letzteren mit einem etwas ge* salzenen Lächeln aufwarten : ick bün all hier . . . Denn wahr und wahrhaftig, nichts, was die eifrigsten und genauesten Beobachtungen fürs Leben als dessen Charakteristika in Anspruch nahmen, ist bei gründlicher Nachprüfung dem Nichtleben durchaus abzuerkennen.und bereits heute mehren sich die Zeichen, daß die definitorischen Versuche, eins vom anderen klar abzugrenzen, eitel und voreilig gewesen sind. Berufen wir uns zum Exempel auf den Umstand, der auch in unseren bisherigen Erörterungen als ein grundlegender namhaft gemacht ward, und behaupten nachdrücklich, mit untrüglicher Sicherheit ließe sich der Organismus vom Mechanismus eben durch die Fähigkeit des Protoplasma unterscheiden, daß es nach Reizen anstatt nach eigentlichen Ursachen Veränderungen erleide: so wird man uns heute ohne Verzug mit der widersätzlichen Beobachtung ins Ge* sieht springen, daß man beim Vorgang der Kristallisation längst die entsprechende, wenn nicht genau dieselbe Fähig* keit über jede berechtigte Anzweiflung hinaus nachzu* weisen vermocht habe. Wird nämlich ein Kristall verletzt, und dies gelangte schon vor den bahnbrecherischen Ver* suchen Otto von Schroens zu wissenschaftlicher Beachtung, dann ist er im stände, soviel an materieller Masse aus seiner Mutterlauge heran zu ziehen, als notwendig ist, sich selber gleichsam wieder herzustellen und wieder auszuheilen, —
638
ist mithin im stände, auf einen Reiz hin, als welchen er die erlittene Verletzung doch irgendwie wahrgenommen haben muß, mit selbständiger Betätigung zu antworten. Und wenn auch hierbei etwanig mechanische Erklärunggründe schon keineswegs außer jedem Betracht bleiben dürften, hat man immerhin stark zu beachten, daß sie neben den organischen und außer ihnen zugelassen werden, nicht mehr wie früher statt derselben und an ihrer Stelle. Im weiteren Verfolg dieser und verwandter Beobachtungen ward es indessen zur befestigten Gewißheit, daß bisher dem lebendigen Leben ausschließlich vorbehaltene Verände* rungen und Bewegungen wie Wachstum, Ernährung, Selbst* tätigkeit, Fortpflanzung insgesamt auch bei Kristallen nach* zuweisen seien. Ähnlich der organischen Zelle verschmelzen die Kügelchen von Kristallen ineinander, um dergestalt eine Vergrößerung und Zunahme ihres körperlichen Umfanges zu bewirken; ähnlich der organischen Zelle senden kristal* lische Gestalteinheiten gewissermaßen »amoeboide* Fort« sätze in solche Kristalle, die noch nicht entwickelt, noch nicht reif sind, um von diesen Fortsätzen aus in sie hinein* zuwachsen ; ähnlich der organischen Zelle teilen sich Kristall* Scheiben aus sogenannt »dunkeln Stellen' oder »Wölken' in Tochterscheiben, die sich von ihrem Mutterkörper abstoßen, abknospen, um frei in der umgebenden Lösung umher zu schwimmen; ähnlich der organischen Zelle sind die Kristalle mancher chemischen Stoffe dazu geschickt, sich die Kristalle derselben Stoffe, aber von anderer mineralogischer Struktur und axialen Systematik anzuähnlichen und anzupassen. Da* mit noch nicht genug, alte Grenzen zwischen organischen und anorganischen Gegebenheiten stark verwischt und ein sauberes Konzept von beider Eigentümlichkeiten gar grob in Unordnung gebracht zu haben, wird uns zuletzt mit einer ent* scheidendsten Übereinstimmung zwischen Leben und Nicht*
639
leben aufgetrumpft, indem man die morphologische Un* gleichartigkeit der Materie, früher als stichhaltigstes Cha* rakteristikum des Lebens dem Nichtleben schlechterdings aberkannt, in den Kernen von Kristallen nun gleichfalls zur Anschauung bringen zu können scheint. Die Qualität des .GestaltsHabens', die Essenz des ,Gestalt*Seins' geht vom Leben aufs Leblose über und macht dadurch jeder kontra* diktorischen Vergleichung beider eigentlich ein Ende. Ja, was vielleicht das Tollste ist, — nicht nur an diesen so wie so schon höchst merkwürdigen Gebilden anorganischer Natur, nicht nur an den Kristallen wurden vitale Merk* zeichen je und je gesichtet. Schon geraume Zeit vor diesen Aufsehen machenden Entdeckungen war bei Gelegenheit physikalischer Versuche mit den sogenannten Kolloiden (Gallertkörperchen) ein anderer, vorlängst dem Organis* mus allein zugeschriebener Vorgang beobachtet worden, indem sich aus deren Umgrenzungen und in sie hinein ge* nau dasselbe wie eine organische Diffusion zwischen Zellen* häutchen begab : ein Vorgang, der zum mindesten in seinen einleitenden und abschließenden Abschnitten mit jener bio= logischen Diffusion streng einhellig war und nur in seinen mittleren Abschnitten sich der Vergleichung noch entzog . . . Die Perspektive aber, die sich aus solchen Versuchreihen und ihren Ergebnissen öffnet, ist ungefähr folgende : Kri* stalle und Kolloide und mit ihnen chemische Elemente und physikalische Materien teilen sich offenbar mit dem eigent* liehen Leben in seine wichtigsten Eigenheiten und Merk* male, sobald sie auf diese hin erforscht werden. Die Grund* Stoffe der Erde selber fügen sich dadurch der organischen Behandlung nicht minder wie sie sich ehemals der mecha* nischen gefügt haben: und nicht nur die Grundstoffe al* leinig, sondern ganze Epochen ihrer Vergangenheit, wenn wir daran denken wollen, daß etwa das geologisch urfrüheste
640
.Lebensalter', die laurentinische Zeit, mit kristallinischen Massen? und Schiefergesteinen und kristallinischem Kalk? stein auf einen vorzüglich kristallinen Zustand unseres Ge? stirns offensichtlich hindeutet. Die Hoffnung findet somit Nahrung, daß sich eines Tages die eng umzirkte physio? logisch?biologische Organik zu einer tellurischen erweitere in umgekehrter Richtung wie zu ihrer Zeit die europäische Mechanik, die sich schrittweis erst von der Erde auf das Leben hatte übertragen lassen. Weil aber außerdem nach dem hauptsächlichen Ertrag der spektralen Analysis des Himmels die Erde vielfach aus den Grundstoffen des Welt* gebäudes zusammengesetzt ist und in ihrer Physik und Chemie sicherlich teilweise mit der astralen Physik und Chemie zur Deckung gebracht werden kann, besteht nicht unbegründete Aussicht, jene tellurische Organik vollends zu einer siderischen ausgedeihen zu lassen: einmal wird künftig der Mechanik der ,drei Reiche* eine Organik der? selben Reiche ergänzend zur Seite sein, die siderischen, tellurischen, physiologischen Erscheinungen der Wirklich? keit in eben dem Sinn als Kundgebungen des All?Organis? mus deutend, wie sie vorher die Mechanik als Leistungen der Welt?Maschine angesprochen hatte. Die Stunde wird schlagen, da des großen Humboldt Worte mehr als ein bloßes Gleichnis sein werden, wenn er, von Nebelflecken und Nebelsternen erzählend, unvermutet in die Ahnung ausbricht: „Die genetische Entwicklung, die perpetuier? liehe Fortbildung, in welcher dieser Teil der Himmelsräume begriffen scheint, hat denkende Beobachter auf die Analogie organischer Erscheinungen geleitet. Wie wir in unseren Wäldern dieselbe Baumart gleichzeitig in allen Stufen des Wachstums sehen, und aus diesem Anblick, aus dieser Koexistenz den Eindruck fortschreitender Lebens?Ent? wicklung schöpfen, so erkennen wir auch in dem großen
41 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 641
Weltgarten die verschiedensten Stadien allmählicher Stern* bildung . . ." Mit seherischem Schwung nimmt hier der zwar nicht gedankentiefste aber gedankenreichste und menschlich höchstgebildete nicht nur der deutschen Natur* forscher des verflossenen Jahrhunderts die schellingsche Hypothesis vom All*Organismus in dem ebenso kühnen wie zutreffenden Begriff eines Welt* und Himmels*Gartens auf und einer späteren, annoch nicht angebrochenen Zukunft auf seine Weise auch vorweg, — erkennend die wissen* schaftliche Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit, Notwendig* keit, daß alles, was in der hergebrachten Meinung als ein Mechanisches den Sinnen und dem Sinn vertraut erscheine, einstens mit nicht verringerter Gültigkeit als ein Organisches erfunden würde : Stern neben Stern, Weltenkörper neben Weltenkörper, Stern nach Stern, Weltenkörper nach Welten* körper im Himmel (wachsend nach vitalen , Reizen') wie die Bäume eines unermeßlichen Eden, jeder auf seiner Stufe der organischen Reifung und alle miteinander Äuße* rungen eines all*lebendigen Gestaltungwillens und Ge* staltungtriebes, oder vorsichtiger und bestimmter: Äuße* rungen eines auf das All*Lebendige gerichteten Gestaltung* willens und Gestaltungtriebes . . . Dieser nämliche Grundriß einer universalen Organik — stärken wir uns durch dieses innige Einverständnis mit einer so zuständigen Kapazität! — hat offenbar dem nämlichen Humboldt Jahre schon vor* her deutlich vorgeschwebt, wenn er ihn in einem Brief an Karoline von Wolzogen nur noch persönlicher, nur noch grundsätzlicher, nur noch hingerissener umschreibt: ,, . . . in den Wäldern des Amazonenflusses wie auf dem Rücken der hohen Anden erkannte ich, wie von Einem Hauche be* seelt von Pol zu Pol nur Ein Leben ausgegossen ist in Steinen, Pflanzen und Tieren und in des Menschen schwel* lender Brust . . ."
642
Mit froher Entschlossenheit diese wissenschaftgeschicht* liehe Perspektive ergreifend und wiederum von ihr er* griffen, könnte man ohne Unruhe dem Tag entgegen sehen, wo sogar die Proteine des organischen Zellkernes oder der Zelle synthetisch hergestellt würden und mit diesem Er* eignis vielleicht noch eine allerletzte Schranke fiele, welche bislang Lebendes und Lebloses kontradiktorisch vonein* ander schied, — obzwar gewiß synthetisch hergestelltes Protein noch immer nicht ein richtiger Organismus wäre. Man könnte, sage ich, mit einiger Gelassenheit auch diesem aufregenden Tage entgegenharren, aber keineswegs darum, weil man alsdann einen sogenannten Monismus für er* wiesen halten müßte, der Lebendiges und Unlebendiges begrifflich entweder gar nicht gesondert wissen möchte oder lieber noch Lebendiges aus Unlebendigem, Unlebendiges aus Lebendigem entstanden zu sein behauptet. Sondern ganz im Gegenteil darum, weil wahrscheinlich dann die Bahn gänzlich offen und eben läge für einen möglichst lückenlosen Dualismus und Parallelismus zwischen einer rein mechanisch und einer rein organisch aufgefaßten Natur. Eine unter keinen Umständen mehr nach verschiedenen Erlebnisinhalten der Wirklichkeit zu rechtfertigende Spal* tung der Natur in eine leblose und in eine belebte würde, so steht vermutlich zu erwarten, endlich einer nach ver* schiedenen Formen der Einstellung des Verstandes ge* doppelten Wissenschaft von der Einen Natur ihre Geltung gewährleisten. Nicht darnach stünde uns also in jenem fruchtbaren Augenblick der Herstellung lebendiger Subs stanzen der Sinn, die Gebiete bisher unterschiedener Me* thoden der Wirklichkeiterkenntnis vorsätzlich zu mischen und zu wirren, vielmehr sehr im Gegenteil darnach, sie mit desto größerer Klarheit und Bewußtheit auseinander zu halten; — bereichert freilich um die unverlierbare Einsicht,
41* . 643
daß nicht eine vereinzelte naturgegebene Erscheinung lebt, eine andere nicht lebt, sondern je nach unserer erwählten Stellungnahme entweder mechanisch oder organisch faßbar wird. In demselben Grad, als die naiv gegenständliche Trennung von Leben und Nichtleben unzulässig wird, muß die kritische und methodische Trennung beider bedeut* samer werden. Je weniger umständlich sich der Schritt vom Anorganischen zum Organischen ausnimmt, wofern man jedes Ding und jede Sache der Natur als belebt oder als unbelebt der Erkenntnis unterwerfen kann, um so fester muß nach einmal getroffener Entscheidung die transzendent tale Einstellung »Maschine' oder .Organismus* aufrecht er* halten werden, durch welche der Eine Kosmos unserer Sinne in eine parallele Zweiheit von WeltsMaschine und AlkOrganismus für den Sinn sich hälfelte. Unverrückbar wie nur jemals wäre auch jetzt die Grenze zwischen Leben und Nichtleben von uns zu ziehen: neu gegen vorher wären nur die Punkte gelegt, durch welche sie verläuft. Nämlich nicht zwischen den einzelnen Gegebenheiten der Wahrnehmungwelt, sondern zwischen unsere erkenntnis* mäßigen und vernunftentsprechenden Stellungnahmen zu dieser Welt, der wir das eine mal das geistgeschaffene Modellchen der Maschine, das andere mal das geist* geschaffene Modellchen des Organismus transzendental* mikrokosmisch unterstellten . . .
Die neue DoppekWissenschaft, Schwester=Erkenntnis also, die sich in dem Europa nach der Reformation eines immer heiterern Aufblühens zu erfreuen hatte, beruht auf zwei grundsätzlich verschiedenen Einstellungen der Ver* nunft, deren erste gegebene Wirklichkeitänderungen durch den Gedanken der Gleichung, deren zweite durch den Ge* danken der Ungleichung geistig zu bemeistern strebt. Glückt ihr mittels der ersten Einstellung die Anwendung
644
geometrischer Verhältnisse auf die Bewegungen sichtbarer und unsichtbarer Bewegungträger durchzusetzen, so liegt es in der Beschaffenheit der zweiten Einstellung, den Ge* brauch der Geometrie, der Analysis, der Mathesis geradezu von sich auszuschließen. Was die Mechanik daher stets vor der Organik auszeichnen wird, ist die Exaktheit, — wobei dieser hohe Vorzug freilich durch den Nachteil auf* gewogen wird, daß die Welt in Äquivalenzen fürs mensch* liehe Denken doch nur ein hoffnunglos maschinelles Ge* triebe bleibt, von dem allezeit lediglich dasselbe zu erwarten ist. Die Welt*Maschine arbeitet, hat gearbeitet und wird arbeiten, bis etwa eines Tages (der aber kein Tag mehr sein wird) der ihr für dauernd zugemessene Gesamtarbeitvorrat ohne Rest in die Eine energetische Gattung der Wärme überführt ist und das geschäftige Räderwerk still steht: wenn anders nicht der zweite Hauptsatz von der Energie, der dies behauptet, des Irrtums geziehen werden kann. Denn obgleich, wie schon gesagt, hier durchaus keine Ge* legenheit besteht, den unvermeidlichen Begriff der Entropie oder entwerteten Energie des näheren auszukunden, wie er hinter der modernen Mechanik erschütternd und grausig mit seinem Medusengesicht droht, trägt doch eben er zu einem wichtigen Teil dazu bei, die mechanistische Stellung* nähme unserer Erkenntnis trotz aller Exaktheit ihrer Ergeb* nisse als eine höchst ergänzungbedürftige lebhaft empfin* den zu lassen. Dies will ich gewiß nicht so verstanden haben, als ob die Organik von sich aus Feststellungen oder Grundlegungen der Mechanik zu entkräften berufen wäre und damit notwendige Folgerungen derselben rückgängig machen dürfte, — ist es doch Sache keiner einzigen Wissen* schaft als eines in sich beruhenden und in sich befestigten Zusammenhangs von Urteilen, Wahrnehmungen, Voraus* Setzungen, Schlüssen, eine andere Wissenschaft von gleichem
645
Rang zu widerlegen. Nicht Widerlegung, sondern wirklich nur Ergänzung, wenn auch vielleicht Ergänzung durch Ent* gegensetzung, steht den organischen Wissenschaften im Vergleich mit den mechanischen zu. Im Hinblick auf diese Tatsache aber wird es von Erheblichkeit, daß die Mechanik sämtliches Weltgeschehen wesentlich als ein voraussage bares betrachtet, indes die Organik ebenso wesentlich auf dessen Unvoraussagbarkeit beharrt. Die Veränderungen einer gedanklich durch Gleichungen beherrschten Wirk* lichkeit können mithin vorhergesehen werden, die Verän* derungen einer gedanklich durch Ungleichung beherrschten Wirklichkeit können dies nicht, — darin meine ich die uns endliche geistige Wohltat, die die organische Erkenntnis vor der mechanisch auszeichnet, recht eigentlich erblicken zu dürfen. Darüber wird noch ein und's andere Wort an seinem Platze sein.
Denn wie zum Beispiel ein Tier mit den Veränderungen seines motorischen Apparates auf die ,katalytische' Ursache eines Reizes antwortet, das könnte auf den ersten Anblick hin einer ganz ähnlichen Regelmäßigkeit unterworfen scheinen wie die Übertragung und Fortpflanzung einer mechanischen Ursache auf ihre Wirkung. Beobachten wir etwa, um eine recht gewöhnliche Wahrnehmung heran* zuziehen, irgend eine Spinne, die schlafend oder abwartend in ihrem Netz hockt, ohne in einer halben oder ganzen Stunde ihre körperliche Lage zu wechseln. Etwas unge* duldig gemacht durch die (nach unseren Begriffen) fabel* hafte Trägheit des Tierchens, haschen wir eine Fliege, um sie der Spinne in« Netz zu werfen. Mit diesem selben Augen* blick treten mehrere Bewegungen in Tätigkeit, die in ihrer Folge wirklich viel mechanische Regelmäßigkeit aufweisen. In äußerster Hast verläßt die Spinne ihren Stammplatz, stürzt auf die Fliege zu, schlingt mit höchster Eilfertigkeit
646
und Behendigkeit ein Tau ein paarmal um ihre Beute, um sie alsdann wie einen Packen Ware ordnunggemäß zu ver* schnüren und dann mit geübten Kletterkünsten dorthin zu ziehen, wo sie sich mit ihrem wehrlosen Ballen in Sicher* heit wähnt. Genau dieser Vorgang wird sich immer aufs neue abspielen, indem sich die Spinne durch dieselbe Wahr* nehmung zu derselben Reihe von körperlichen Handlungen bestimmt findet. Und schon könnte der Mechanist uns vorhalten, was denn überhaupt dieses Geschehnis von einem echt mechanischen, echt maschinellen unterscheide, und ob die Spinne mit einer geringeren Gewißheit, Not* wendigkeit, Voraussagbarkeit auf die Fliege zustürze als sich der Kolben eines Zylinders hebe , wenn Dampf in ihn einströmt? Eine Frage, die jedoch glatt zu verneinen ist. Man braucht denselben Versuch nur mit Fliegen verschiedener Größe zu wiederholen, und man wird be* merken, wie die Spinne von Fall zu Fall ihr Betragen abändert und ihr Benehmen so durchgängig ihrer Wahr* nehmung anpaßt, daß von einer Vorhersagbarkeit wirk* lieh keine Rede sein kann. Werfen wir nämlich ins Netz einer Spinne zur Abwechslung eine Fliege, die größer als sie selber ist , so wirkt offenbar der Sinnesreiz »Beute* nicht mehr in derselben Art wie vorhin. Anstatt sofort leidenschaftlich vorzustürzen, bleibt die Spinne viel* mehr fürs erste unbeweglich oder zieht sich sogar zurück, um den ihr unheimlichen Eindringling einmal scharf zu beobachten. Scheint ihr derselbe betäubt oder leblos, dann nähert sie sich ihm mit einer langsamen Vorsicht, um nunmehr, angelangt bei ihrem Feinde oder ihrem Opfer, — es ist ihr aber selbst noch ungewiß, ob dies oder jenes zutreffen wird, — den fremden Leib mit ihrem vorderen Beinpaar wie zaghaft zu betasten, daraufhin ermutigt durch günstige Erfahrungen diese Tastversuche allmählich zu regel*
647
rechten Ohrfeigen, Hieben, Fußtritten zu steigern. Gibt die Fliege immer noch kein Lebenszeichen, dann, aber auch erst dann! wiederholt sich der obige Vorgang. Auf keine Weise läßt sich darnach wissen, was ein lebendiges Wesen auf ein gegebenes Signal als .Ursache' hin tun oder lassen wird. So unfrei es uns im Grund zu sein bedünkt, dem Wahrnehmungreiz der dargebotenen Nahrung ernstlich zu widerstehen, so frei ist es dazu, und unsere Vernunft er* mittelt zwischen der Gelegenheitursache des Reizes und den darauf folgenden Bewegungen des tierischen Körpers keine mechanische Verbindung, die mit dem Eintritt des einen auch den Eintritt des anderen als notwendig vorherzu* sagen gestatten würde: obzwar eine eingefleischte Ge* wöhnung auch von dem Reiz als einer Ursache reden zu dürfen sich schwerlich verbieten lassen wird.
Aber noch weiter, noch sehr viel weiter! Nicht nur solche auffälligen und äußerlichen Ortsbewegungen, die wir das Lebewesen unter dem Eindruck einer auch uns zu* gänglichen Reizursache vollziehen sehen, spotten sicherer Voraussagbarkeit. Auch die inneren, die mikroskopischen und submikroskopischen Bewegungen organischer Ent* stehung und Entwicklung, deren physiologisch*psycho* logische Änderungbedingungen uns entweder schwer oder gar nicht erkennbar sind, verbieten jede mecha* nische Verknüpfung der maßgebenden Reize und ihrer Auslösungen. Die Versuche Mendels allerdings, die ihrerseit sogar die Vererblichkeit einer gewissen Regel unterwerfen, scheinen dieser Behauptung unrecht zu geben, und das Gewicht dieser Versuche ist zu groß, damit es als quantite negligeable leichtfertig außer Anschlag bleiben dürfe. Bekanntlich hat ja dieser geistliche Naturforscher violette mit weißen Erbsen untereinander gekreuzt und in der ersten Generation lauter violette, in der zweiten ein
648
Viertel weiße und dreiviertel violette Individuen erhalten, die sich ihrerseit in eine weiße und eine gemischt weiß* violette Generation fortpflanzten, und so weiter. Dies ist in Ansehung der Voraussagbarkeit vererbter Eigenschaften wirklich ein bedeutsamer Anfang, der bedeutsame Weite? rungen mit Wahrscheinlichkeit erwarten läßt. Solang die Verschmelzung männlicher und weiblicher Zellkerne mit ihrem Mosaik von (farbhaltigen) Vererbungträgern auf die besonderen Reize der Befruchtung hin millionenfach, mil* liardenfach dieselbe Entstehung und dieselbe Entwicklung von Organismen derselben Art bewirkt und im einzelnen all die wunderbaren Geschehnisse, Veränderungen, Be* wegungen einleitet, die stets in der nämlichen Abfolge das Wachstum eines werdenden Individuums der gleichen Spezies ausmachen, — solang darf also eine Voraussagbar* keit der vererbten Eigenschaften bei Tier und Pflanze viel* leicht sogar dort (wenigstens grundsätzlich) eingeräumt werden, wo sie in der Tat an der Unerkennbarkeit der zu vererbenden Eigenschaften (in allen mehr als körperlichen Beziehungen) sowie an der unendlich vielfältigen Zu* sammensetzbarkeit, Umstellbarkeit, Anordnungmöglich* keit der stofflichen Vererbungträger in jedem neuen Keim für immer ihre natürlichen Schranken finden muß. Wie aber wird es um diese Voraussagbarkeit bestellt sein, wenn es sich in irgendeiner Vergangenheit ereignet haben sollte, — und es hat sich in ihr einmal ereignet, des sind wir nach der Abstammunglehre doch alle versichert! — daß die Ent* Wicklung einer pflanzlichen oder tierischen Spezies, meinet* wegen der Erbse, meinetwegen des Seeigels, vonstatten ging, ohne daß ihr die vorangehende Kernverschmelzung zweier elterlicher Zellen derselben Spezies den ursächlich bestim* menden Anlaß dargeboten hätte? Wie aber, wenn in irgendeiner Vergangenheit die Erbse, der Seeigel aus einem
649
elterlichen Organismus hervorgegangen wären, der zu seinem Teil noch gar nicht Erbse, noch gar nicht Seeigel gewesen ist ? Oder wenn es sich im gleichen in irgendeiner Zukunft ereignen sollte, daß die Kernverschmelzung elterlicher Zellen nicht mehr die Entstehung einer Erbsenstaude, nicht mehr die Entstehung eines Seeigels einleitet, sondern die Entstehung einer neuen organischen Gestalt, die ihren Er* zeugern zwar noch spezifisch ähnelt, aber nicht mehr spezi* fisch gleicht? Denn nicht mit unbedingter Gewißheit, nicht unter allen Umständen geht aus der Vereinigung elter* licher Keimzellen ein Exemplar der elterlichen Art hervor. Nicht mit unbedingter Gewißheit und nicht unter allen Um* ständen schafft die Tatsache der Kernteilung, der Spindel* bildung, der Umlagerung farbhaltiger Kernmengen die Summe der unentbehrlichen Reize für die Entfaltung eines Lebewesens von der organischen Gestalt seiner Erzeuger. Zu irgendeiner Zeit wird vielmehr die Natur im Plasma irgendeines Keimes in des Wortes genauester Bedeutung einen Sprung machen und an gleichbleibende Änderung* bedingungen eine unvorhersehbare Änderungfolge an* schließen, — wie man sich übrigens die dabei stattfindenden Vorgänge im einzelnen ausmalen möge. Die Natur macht einen Sprung, einen schlechthin jeder Voraussagbarkeit spottenden, wenn sie neue Arten, neue Lebensgestaltungen hervorbildet, und wir haben es wohl als die intimste Er* kenntnis vom Leben zu bewerten, wenn die gegenwärtige Organik diese Tatsache sprunghafter Abänderung wohl auch für künftige Zeit sichergestellt hat.
Hierbei beginnt nun ein Begriff in Kraft zu treten, der zwar schon innerhalb der Mechanik nicht völlig zu über* gehen gewesen ist, jetzt aber ein entschiedenes Übergewicht zu beanspruchen berechtigt erscheint: ich meine den Be* griff der Möglichkeit, der möglichen Bewegung, der mög*
650
liehen Gestalt. Wir lernten, wie gesagt, diese Möglichkeit schon bei den mechanischen Wissenschaften kennen als mögliche Arbeit, sogenannte Energie der Lage, die seit* samerweise nicht auf das, was Aristoteles evegyeia nannte, zurückgeführt werden konnte, sondern im Gegenteil auf das, was er mit dem Sprachausdruck övva/Mg, Kraft, Fähigkeit, Vermögen zu bezeichnen pflegte; — wobei die moderne Physik wesentlich auf den Umstand abhebt, daß ein Körper, der nicht in Bewegung ist, zwar auch nicht eigentlich ar* beitet, aber trotzdem den Arbeitvorrat, den er gegebenen* falls bei seiner Bewegung verausgabt, in einem (uns an und für sich unbekannten Zustand) enthalte. Dieses Vermögen, diese Möglichkeit erschöpft darnach ihre Bedeutung für den maschinellen Kosmos darin, daß seine Teile nicht jederzeit diejenige Bewegung auch wirklich vollziehen müssen, die in ihnen gleichsam in Bereitschaft liegt und bloß auf ihr Zeichen lauert, das sie zur Betätigung aufruft. Also daß etwa eine Kohlenfadenglühbirne, in die der Strom eingeschaltet ist, ihre nach Einschaltung des Stromes sofort vollzogene strahlende Bewegung doch schon ,der Möglich* keit nach' enthaltend erachtet wird. Im Vergleich jedoch zu dieser mechanistischen Bewegungbereitschaft besteht die organische Bewegungbereitschaft nicht allein darin, eine ihrer besonderen Beschaffenheit angemessene Be* wegung als Vermögen oder Möglichkeit in sich zu bergen, sondern außerdem noch darin, das Vermögen oder die Möglichkeit zu einer Wandlung dieser ihrer besonderen Beschaffenheit zu besitzen; — nicht anders, als wenn die Kohlenfadenglühbirne imstand wäre, plötzlich einmal gar keine Kohlenfaden*, sondern eine Metallfadenglühbirne zu sein! Es ist dem Organismus im Unterschied zum bloßen Mechanismus möglich, nicht nur mögliche Bewegungen in wirkliche zu überführen: es ist ihm daneben noch das
651
Größere möglich, das Uberschwängliche, seine gesamte Wirklichkeit in eine andere Wirklichkeit zu wandeln und aus einer Erbse, aus einem Seeigel eines Tages die annoch un* beschreiblichen Erscheinungen eines organischen X hervor* zubringen. Im Mechanismus ist es die Möglichkeit als solche, welche im Hinblick auf die Wirklichkeit im Bereit* schaftstand verharret. Im Organismus hingegen verharret außerdem die Wirklichkeit selbst gewissermaßen im Bereit* schaftstande: möglicherweise wird er in einem günstigen Augenblicke seine bisherige Naturform, sein bisheriges So* sein und Dasein abändern, und dieser äußerste Fall der Ungleichung zwischen Änderungbedingung und Änderung gibt der gesamten organischen Natur ein neu Gesicht. Als Leben erblickt, ist es der Natur durchaus gemäß, hin und wie* der einen unvoraussagbaren Sprung zu machen, und bezüg* lieh dieses Tatbestandes ist es ebenso richtig zu behaupten natura fecit saltus wie natura non fecit saltus, indem die letztere Behauptung offenbar nur für den kosmischen Me* chanismus methodische Gültigkeit besitzt. Das Leblose ist trag in dem tiefen Sinn, daß es selbsttätiger Veränderungen seiner selbst nicht mächtig ist; das Lebendige aber über* windet die Trägheit, indem es sich selbst von Zeit zu Zeit zu wandeln nicht verschmäht . . .
Derart besteht die letzte, eben noch feststellbare Tendenz des Lebens in einem dunkeln Drang, die Wirklichkeit in ihrer bisherigen Gestalt immer wieder von neuem zu über* schreiten. In Ansehung der möglichen Versichtbarungen des Organischen hat alles Daseiende nur vorläufige Bedeu* tung, und stets bleibt das Leben daraufgespannt, sich selbst zu übertreffen oder sich selbst als Vorläufigkeit zu wider* rufen. Und dabei bedünkt es freilich unseren die Natur immer nur nachschaffenden Verstand, als müsse ihr etwas wie ein Modell ihrer künftigen Gestalten jeweils vorschwe*
652
ben : und dies um so mehr, seitdem wir als durchgängiges Gesetz organischer Veränderlichkeit die sogenannte Korre* lation, will heißen die Wechselbezüglichkeit und Wechsel* abhängigkeit morphologisch und funktionell verschiedener Teile zu unserer Kenntnis gebracht haben und damit die etwas ärmliche, jedenfalls aber unzulängliche Annahme Darwins berichtigen durften, daß im Organismus lediglich richtunglose Abänderungen im kleinsten und einzelnsten einträten, die dann zusammengezählt zufällig einen neuen lebensfähigen Typus ausmachten. Die gerade von Darwin schon sehr bestimmt hervorgehobene Erfahrung also, wo* nach das Leben in unbegreiflichen Zusammenhängen seine Abänderungen korrelativ bewirke, gleichsam an den ver* schiedensten Angriffspunkten und an den verschiedensten Stellen des Organismus sprungweise Umformungen durch* setzend, gerade diese Erfahrung legt uns die Vermutung nah', daß die Natur nichts hervorbringe oder *bilde, was nicht als Ganzes in Einem Wurf geplant worden wäre : un* erachtet derselben Natur offenkundig zahllos Einzelnes mißrät und sie in verschwenderischer Geberlaune zahllose Einzelwesen, Arten und Gattungen schöpft, die sich in ihrem Haushalt aus unbekannten Gründen nicht behaupten dürfen oder nicht behaupten können. Indes es ihr mit* hin auf der einen Seite gar nicht darauf anzukommen scheint, ein dauernd Endgültiges zu erzeugen; indes sie fast allenthalben wie ein Essayist verfährt, der im Versuch sein bestes, erstrebenswertestes Gelingen liebt und achtet; indes sie sich kaum Mühe gibt, die bloße Vorläufigkeit, Zeitig* keit, Widerruf barkeit, Verbesserlichkeit all ihrer bisherigen Bildungen zu verhehlen: — verfällt sie auf der anderen Seite doch niemals auf ein blind hilfloses Getaste, das sich seine Absichten auf keine Weise deutlich machen kann. Das Leben ist immer am Ziel, denn es bringt im ganzen
653
und großen nur das hervor, was irgendwie des Lebens fähig ist; und wäre es ihm nur darum zu tun, ein seiner Um* weit vollkommen Angepaßtes von vollkommen dauernder Gestalt zu erschaffen, so wäre nicht einzusehen, warum diesem Ehrgeiz nicht schon der erste beste Bazillus, die erste beste Alge, das erste beste Räder* oder Strahlentierchen nicht durchaus genügen sollte und statt dessen die ganze uns geheuere Leiter irdischer Leiber Sprosse um Sprosse einst* weilen bis zum Menschen aufgerichtet werden mußte. Das Leben ist aber gleichzeitig und eben darum nie am Ziel, — denn seine zahllosen Arten und Gattungen, deren An* passung an die entsprechenden Umwelten je und je ge* glückt erscheint, sucht es immer wieder in neuen Arten und Gattungen zu übertreffen, als könne es sich wirklich mit keiner einzigen seiner Gestalten zufrieden geben und als suche es sich ein Ziel weit jenseit seiner eigenen Möglich* keiten! Sagen wir folglich, die Evolution des Organischen scheine innerlich irgendworauf gerichtet zu sein, wenn sie im ganzen und großen anpassungfähige Formen ins Leben rufe, so äußern wir schließlich nur einen Gedanken, den uns die Beobachtung des Lebens selber mit ziemlicher Be* stimmtheit aufdrängt. Mit nicht geringerem Recht hätten wir aber diesem Gedanken sofort seine Umkehrung hinzu* zufügen, wonach die Evolution des Organischen ihrer Rieh* tung doch wohl kaum genügend sicher sein könne, falls sie wirklich mit jedem neuen Typus ihre früheren Bil* düngen gewissermaßen widerruft und die vitale Reihe noch* mals von vorn beginnt, stets bereit, neue Bewegungen nach unbekannten, unerkennbaren Zielen hin einzuleiten. Jedes Lebendige lebt: und in diesem Betracht ist es freilich an sein Ziel gelangt. Jedes Lebendige lebt aber auch über sich hinaus oder lebt zusammen mit anderem Lebendigen, das über sich hinaus lebt: und in diesem Betracht hat es frei*
654
lieh sein Ziel gefehlt. Vollendet als Leben an und für sich, vollendet als Schöpfung und Tatleistung seiner Umwelt, vollendet als Werkzeug und Werkglied (ÖQyavov) seiner Wälder, Steppen, Wüsten, Meere, Flüsse, Lüfte, Schlüfte, Höhlen, Sümpfe, Gletscher, Felsen, Firne, Dünen, Quellen, Zonen, Lagen, Höhen, Tiefen, Schichten, — drängt dennoch das Lebewesen über diese seine mögliche Vollendung von Zeit zu Zeit hinaus. Und ob es zwar die Abänderungen seiner Körperformen und Wirkungweisen nur mit einer großen und sicheren Kunst der Vorhersehung und Planung zu unterneh* men scheint, folgt es doch mit jedem seiner .Sprünge' einer gleichsam transzendenten, weil es selbst transzendierenden Absichtlichkeit; — selbst von hier aus, selbst von sich selber aus kann also das Leben, wie ich bei anderer Gelegenheit zu behaupten mir getraute, nichts eigentlich Letztes und Endgültiges und Absolutes sein. Wollte man daher Goethen beipflichten, wenn er die Meinung äußert, das Leben habe kein anderes Ziel als eben das Leben selbst, so hieße dies die vielleicht entscheidendste Tendenz zur Erschaffung neuer Arten und neuer Gattungen unberücksichtigt lassen. Wollte man dagegen jenen beipflichten, die da die Ansicht hegen, das Leben strebe in all seinen Gestaltungen, in all seinen Überwindungen Einem allumfangenden Ziel jenseit des Lebens zu, so hieße das einer Vorstellung anhangen, die jeder Vorstellung und jeder Vorstellbarkeit schlechter* dings spottet . . .
Sei es indes wie immer um diese (übrigens schon stark von der Linie zuverlässiger Naturerkenntnis ausbiegenden) Betrachtungen bestellt, — des Lebens Hochgeheimnis heißt unter allen Umständen Form* Wechsel, Gestalt = Wandel. Der organische Kosmos vergegenwärtigt uns seine Erschein nungen als zeitlich nacheinander umgeformte Gestalten; überall deutet er auf eine Metamorphosis seiner Verkörpe*
655
rungen in Vergangenheit und Zukunft hin: auch wenn seine entgegengesetzte Neigung zu zähester Erhaltung einmal festgesetzter Formen, durchaus durch den Nachweis beharre licher (.persistenter') Arten seit dem Kambrium bis zur Gegenwart beglaubigt, keineswegs unterschätzt werden darf. Metamorphosis, sage ich also, sei das Hochgeheimnis alles Lebens. Sie aber nun freilich nicht sowohl in dem et* was zwielichtigen, hin* und widergleitenden, verwischen* den und verschwimmenden Sinn verstanden, den Goethe noch diesem Begriff unterstellen zu dürfen wähnte, — Goethe, der auch hier wie in seinen Handzeichnungen, wie in seinem Prosastil, wie in seiner gesamten Denkweise ,un* dulatorisch' denkt und allen Entscheidungen eher abhold als zugetan erscheint: etwa gebührendermaßen die Farben* lehre als eigensinnige Ausnahme beiseite gesetzt, — vielmehr sie, die Metamorphosis, in dem nüchternen und handgreif* liehen Wortsinn aufgefaßt, den die heutige Abstammung* lehre demselben Begriff endlich zu unterlegen gestattet, zu unterlegen gebietet. Dieser Gestaltwandel, von welchem jetzt gesprochen werden muß, betrifft nicht mehr die Um* formung einer zu bestimmter Anschaulichkeit gediehenen idealischen Urform .Pflanze' oder Urform ,Tier'; nicht mehr eine zu fester Bildhaftigkeit geronnene Denkvereinheit* lichung der Hauptmerkmale und Haupteigenheiten von .Pflanze überhaupt' oder .Tier überhaupt'; nicht mehr eine zu körperhaft erblicktem Typus gehärtete Begriffs* abgrenzung dessen, was das Tier oder was die Pflanze an und für sich zum Tier oder zur Pflanze stempelt. Nein! er betrifft in der Tat die wirklich vorhandenen Exemplare der Arten und Gattungen und Klassen, deren zeitweilige stammesgeschichtliche Umbildung die Des* zendenztheorie mit kaum mehr umstrittenen Beweismit* teln zum Rang einer sehr wahrscheinlichen und der ge*
656
genwärtigen Forschung unentbehrlichen Hypothesis zu erheben vermocht hat. Alles, was die seit Lamarck und Darwin fortissimo einsetzende Organik des verflossenen Jahrhunderts mit dem Leitbegriff und Schlagwort .Entwick* lung' zu bezeichnen liebte, nennen wir hier Gestaltwandel, — mit entschlossener Bevorzugung dieses letzteren Aus* druckes vor dem ersteren, der uns alles in allem für die Er* gründung des Lebens mindestens ebenso stark irreführend wie führend gewesen zu sein bedünkt. Haftet doch dem Kenn* und Stichwort Entwicklung der gefährlichste und verheerendste, in seinen Weiterungen geradezu völkerbe* törende, völkerverblendende Irrtum unabstreiflich als der Beigeschmack sogenannten .Fortschritts' an, womit die Abstammunglehre namentlich durch Ernst Häckels unge* schickte, vorlaute und hetzerische (obschon mit unleugbar reichen naturwissenschaftlichen Mitteln bewerkstelligte) Propaganda unterstützt, den europäischen Verstand seit fünfzig Jahren viel eher umdüstert als erleuchtet hat. Denn sagen wir statt: die organische Natur wandelt die Gestalt ihrer Verkörperungen je und je nach gewissen Gesichts* punkten um, die organische Natur entwickelt sich oder schreitet gar fort in dieser Entwicklung, — so unterschie* ben wir der Vorstellung des lebendigen Kosmos ohne jede Berechtigung eine (gleichsam nach Ordnungzahlen abge* stufte) Reihe von Niedererem und Höherem, derart zwar, als sei alles, was in der Zeit als Späteres seines Früheren auftritt, nun auch ohne weiteres das Höhere seines Niedere= ren, das Übergeordnete seines Untergeordneten. Suchen wir den Tatbestand des Gestaltwandels in dem von vorn* herein schiefen Gedanken einer Entwicklung, will sagen einer fortschreitenden Verbesserung, Vervollkommnung, Veredelung, Höherzüchtung, so schwärzen wir dem orga* nischen Reich der natürlichen Bildungen gänzlich fremde
42 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 657
Maßstäbe ein und fälschen eine anspruchlose aber unan* fechtbare Morphologie in eine anspruchvolle aber anfecht* bare Metaphysik um. Unter dem Gesichtswinkel der Eni* Wicklung erblickt sieht es so aus, als bedeute das Moos einen Fortschritt gegen die Alge, der Laubwald einen Fort* schritt gegen das Schaftbaum* und Schachtelhalm*Gehölze, das mehrblätterkeimige Pflanzenwesen einen Fortschritt gegen das einblattkeimige, die Kolonie der Korallen einen Fortschritt gegen das Schlammgemenge der Radiolarien, der Krebs einen Fortschritt gegen die Muschel, der Ringel* wurm einen Fortschritt gegen den Plattwurm, der Kepha* lopod einen Fortschritt gegen die Meduse, der Knochen* fisch einen Fortschritt gegen den Knorpelfisch, das Repti* lium einen Fortschritt gegen das Amphibium, das Land* Säugetier einen Fortschritt gegen das Seesäugetier, und so fort und fort. Halten wir uns dagegen schlecht und recht an den Begriff des Gestaltwandels und Formwechsels, dann bleibt es uns zwar unverwehrt, gemäß der Wahrheit auch jetzt ein Einfacheres vom Mannigfaltigeren zu unterschei* den; ein Einzelliges vom Vielzelligen, ein Gliedärmeres vom Gliedreicheren, ein Wirkungmächtigeres vom Wir* kungohnmächtigeren, ein Empfindsameres vom Unemp* findlicheren, ein Regwilliges vom Unregsameren, ein Täti* ges von einem Trägen, ein Selbständigeres vom Abhängi* geren, ein Einzellebiges vom Geselligen, ein Selbstherrliches vom Schmarotzerhaften, ein Wilderes vom Zahmeren, ein Kriegerischeres vom Friedlicheren, ein Bewegbares vom Festsitzenden, ein Bewaffnetes vom Waffenlosen, ein Ge* schlechtliches vom Ungeschlechtlichen, ein Gebärendes vom Eilegenden oder Knospensprossenden, ein Werkzeug* besitzendes vom Werkzeugentbehrenden, ein Klügeres vom Beschränkteren, ein Wachsames vom Schläfrigen, ein Viel* sinnliches vom Wenigsinnlichen wohl zu unterscheiden.
65S
Nicht aber wird uns die vage Dehnbarkeit des Wortes Fortschritt zu einer Fehlschätzung der organischen Reihe nach Höher oder Niederer, Vornehmer oder Geringer, Übergeordneter oder Untergeordneter verführen. Sollte es trotzdem eine Hierarchie der Geschöpfe, etwa nach dem Vorgang der scholastischen Theologie und Kosmologie des Mittelalters geben, was ich für mein Teil ohne Abzug be* jähen möchte, so gibt es solche Rangleiter doch auf keinen Fall schon hier in den Wissenschaften vom organischen Kosmos oder vom kosmischen Organismus. Hier waltet lediglich das Leben seines eigenen Wandels von Gestalt zu Gestalt, ohne irgendwelchen Aufstieg, ohne irgendwelchen Fortschritt, ohne irgendwelche Zielgewißheit, ohne irgend* welche Siege, aber auch ohne Niederlagen. In keinerlei Wortbedeutung ist hier das zeitlich Spätere an sich schon ein wesenhaft Vorzüglicheres, Geeigneteres, Tüchtigeres, Passenderes, Tauglicheres. Und wenn das Programm Char* les Darwins mit seiner gehämmerten Formel des survival of thefittest ähnliche Auslegungen geradewegs herausfordert, ist es eben um dieser Herausforderung willen falsch gewe* sen. Genug wahrlich, daß just diese unrichtige Auffassung der Abstammung der Arten aus den Arten als eines Fort* schreitens der Arten über die Arten die ohnehin im Über* maß zu Verzeichnungen und Verzerrungen neigende Ein* bildungkraft des homo europaeus zwischen 1870 und 1914 aufs heilloseste verwirrt hat. Ist doch dieses ganze über* hebliche Fortschrittgeflunker geistentwöhnter Handarbeiter, Maschinenarbeiter, Garnichtarbeiter, — letzthin allerdings doch schier im Blut von Millionen Männern, Jünglingen, Knaben elend verraucht und verrauscht! — ist doch dieser ganze wohllüstige Fortschrittkitzel kaum von einer anderen Lehre der modernen Wissenschaften in dem Maß unter* schwürig genährt und gemästet worden als von der darwin*
42* 659
sehen Annahme einer Artentstehung durch natürliche Zucht* wähl: allwo jeder neu gebildeten Spezies ausdrücklich das Zeugnis der passenderen, tüchtigeren, geeigneteren, taug* licheren, fähigeren (verglichen mit der im Daseinskampf unterlegenen Wettbewerber* Art) erteilt wird, — mithin auch das Zeugnis verhältnismäßigen Vorzüglicher*Seins, Trefflicher*Seins, Uberlegener*Seins! Als ob ausgesucht die gewandelte Körpergestalt einer Spezies Ergebnis einer voll* zogenen Wahl oder Auslese sein könnte, die sich doch ihrem Begriff nach höchstens auf die gesteigerte Leistung, den ge* steigerten Kraftaufwand, die gesteigerte Betätigung kon* kurrierender Individuen und ihrer Organe beziehen würde und eben darum etwanige Änderungen in Gliederung, Auf* bau, Anlage und Grundriß der Lebewesen viel eher vor* aussetzte als erklärte ! Dies ward durchaus zutreflenderweise bald nach Darwins Hauptwerk durch die lebhafte und ge* dankenreiche Polemik Eduard von Hartmanns frühzeitig und doch für alle Zukunft festgelegt, nachdem einen ahn* liehen Einwand lang vor Darwins Ursprung der Arten Goethe in einem bekannten Gespräch mit Eckermann gel* tend gemacht hatte : die Theorie von der Zuchtwahl vermag bestenfalls physiologische Abänderungen am organischen Typus zu erklären, die aber zu ihrem Teil die morphologi* sehen Abänderungen des organischen Typus stillschweigend als geschehen voraussetzen . . ., und schon darum war es unerlaubt, schief, falsch und flach, der instinktiven Eitelkeit jedes Überlebenden vorzuspiegeln, er sei allein kraft seiner Eigenschaft als Überlebender ipso facto der Sieger eines Übertroffenen, Überwundenen, Überschrittenen . . .
Gewiß war es vorhin nicht völlig ungereimt zu behaup* ten, das Leben überschreite, überwachse, überforme, über* liste, überbiete, überwinde, überspringe in jeder neuen Ge* stalt sich selber. Indessen wohlgemerkt: sich selber, — wenn
660
anders vom Leben als von einem Ganzen und Seienden in solch gleichnishafter Wendung geredet werden darf. Nicht aber überschreitet, nicht überwächst, nicht überformt, nicht überlistet, nicht überbietet, nicht überwindet, nicht über* springt die jeweils neue Gestalt die ältere, — sonst würde es ja, konsequent gedacht, überhaupt nie ein Nebeneinan* der zeitlicher Entstandenheiten im Räume geben können. Die neue Art bildet sich vielmehr, ohne daß darum die alte gegenstandlos geworden, vergehen müßte: was man doch eigentlich zu erwarten hätte, wenn die Lehre von der fort* schreitenden Vervollkommnung der Natur in ihrem orga* nischen Reich buchstäblich zu recht bestünde. So aber bleibt in Ansehung der generellen Morphologie, generellen Me* tamorphosiologie nur das eine zu sagen, daß Typus sich zu Typus wandle in strenger Ausschaltung jeder als Fortschritt aufzufassenden Tendenz. In jede abweichende Darstellung werden bewußt oder unbewußt Wertmaßstäbe eingeschmug* gelt, die dem organischen Dasein als solchem durchweg fremd sind und fremd bleiben. Das Leben ist offenbar nir* gends schöpferisch im Hinblick auf eine stets fragwürdige Vervollkommnung, sondern schöpferisch lediglich im Hin* blick auf den Wandel seiner Erscheinungen und Verkörpe* rungen. Und sinnentsprechender als von einem elan vital würde man vielleicht von einem elan formal, ja von einem elanßgural gesprochen haben, — so sehr ist alle Schwung* kraft und Leidenschaft der organischen Welt gesammelt auf Form, Umriß, Gestalt, Figur, Plastik in jeweils über* raschenden Versinnlichungen.
Was dabei leider bis auf diesen Tag noch unenträtselt blieb, ist das nähere ,Wie' dieses Gestaltenwandels, den wir als das wichtigste Kennzeichen des Lebens nunmehr für grundsätzlich bestehend erachten. Noch immer ver* mochten sich die Wissenschaften vom Leben nicht auf eine
661
jener erklärenden Theorien zu einigen, die bisher der be? denklichsten aller biologischen Fragen eine vorläufige Ant? wort abzutrotzen gedachten. Es ist aber möglich, daß von den mehreren heut' zur Erörterung gestellten Annahmen wie Anpassung, Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe, natürliche Zuchtwahl, Auslese der Keime, Wanderung, sprungweise Abänderung, künftighin einmal alle (etwa mit Ausnahme der darwinschen) zur Erläuterung dieses ,Wie' der Artentstehung und Artumbildung herangezogen wer? den müssen. Es ist möglich, daß es die Natur keineswegs treibt wie die Menschen und unter den Menschen vorzüg? lieh wieder die Gelehrten, die ein einziges Steckenpferd bis zum Umfallen tot zu reiten lieben und in jedem Stecken? pferd ihres Nachbarn und Mitstrebenden höchstens den Steckenesel, ja das Steckenheupferd gelten zu lassen pflegen. Vielleicht steht der Natur auch hier am besten jene ver? schwenderische Fülle zu Gesicht, die ihr Goethe in dem bekannten Gespräch mit dem Naturforscher Martius nach? rühmt, — offenbar war aber dieser Herr von Martius ein geistiger Vorfahr des Herrn Ostwald und verwandter Zünf? tigen, die als unentwegte Verfechter des Gesetzes von der kleinsten Bahn, von der geringsten Geschwindigkeit, vom kleinsten Aufwand eine einseitig mechanische Tatsache ohne Bedenken auf die organische Welt, ja sogar auf die moralische Welt zu übertragen sich erdreisten! — vielleicht also, setze ich fort, zieret die Natur wirklich eine goethische Fülle besser als die ihr von den Gelehrten mit Vorliebe zu? gestandene Knappheit, Kargheit und Knauserei in ihren Mitteln und Wegen. Vielleicht verfährt die Natur bei der Hervorbringung neuer Arten so, daß sie einmal durch An? passung, das nächste Mal durch Gebrauch und Nichtge? brauch, dann durch Wanderung in neuen Zonen oder La? gen, dann durch sprungweise Abänderung ohne äußeren
662
Anlaß die Gestalt ihrer Lebewesen umformt; vielleicht be* dient sie sich zu demselben Ende bei fünfter, sechster und siebenter Gelegenheit heut noch völlig unbekannter, un* geahnter Verfahrungweisen. Ja, vielleicht werden wir das Wie des organischen Gestaltwandels nicht eher wirklich erschöpfend verstehen können, als bis wir im stand sein werden, in jedem einzelnen Organismus geradezu ein Or* gan, in jeder einzelnen Form geradezu ein Glied und Werk* zeug des lebendigen Kosmos zu erblicken, dessen noch un* ergründete Ursachen seiner Umbildung erst im lückenlosen Zusammenhalt aller Wechselbezüglichkeiten zwischen samt* liehen physiologischen, tellurischen, siderischen Elementen des All*Organismus zumal mit eindeutiger Bestimmtheit namhaft zu machen sind. Vielleicht ist jede Lebensgrund* gestalt, sei sie Individuum, sei sie Spezies, sei sie Genus, sei sie Klassis in einem jetzt noch unenträtselbaren Wort* sinn die Wesensäußerung und Tatleistung der organischen Totalität. Vielleicht gibt es buchstäblich gemeint wirklich nur Ein Pflanzensein, Ein Tiersein, gegliedert in die GÜe* der, gezellt in die Zellen, geteilt in die Teile, gewebt in die Gewebe, geartet in die Arten, gegattet in die Gattungen aller vormaligen, aller dermaligen, aller einstmaligen Pflan* zen*Tiere und Tier* Pflanzen nach dem großen Grundgesetz des Lebens von der .totalen Korrelation': vom wimmelnden Urschlamm der tiefsten Meeresbecken hinauf bis zu den dünnsten Bezirken der irdisch*erdigen Lufthülle, von den Äonen der ersten Gasballungen und Flüssigkeitdichtungen bis zu dem Äon des ausgeglühten Aschengestirns, von diesem mittleren Planeten dieser kleinen Weltlinse bis zu den siriusfernsten Nebelsternen, deren Wellen erst nach Millionen Jahren in ein Menschenauge strahlen werden . . . Wobei übrigens besagtes Gesetz der totalen Korrelation (im Unterschied zur Kausalität) am einfachsten so zu for*
663
mulieren wäre, daß „gleichzeitig mit Merkmal A auch Merk* mal B, C, D . . . wechselten".
Aufgefaßt als die Wissenschaft vom Gestaltwandel des Einen Lebewesens, Lebewebens ,Welt' bricht indes die mo* derne Organik ziemlich wahrnehmbar in zwei voneinander abgewandte Problemkomplexe auseinander, die nach zwei verschiedenen, ja entgegengesetzten Richtungen streben; — nicht ganz unähnlich dem Ring der Milchstraße, der nach einer Beobachtung des älteren Herschel ein .Aufbrechen' von Hunderttausenden von Sternen zwischen ß und y des Schwans nach zwei gegenüberliegenden Seiten erkennen läßt. Unbestreitbar kann man nämlich in Ansehung des organischen Formwechsels seine wissenschaftliche Aufmerk* samkeit entweder dem Tatbestand zuwenden, daß bei aller plastischen Abänderlichkeit der Lebewesen doch irgendwie eine grundlegende Gestalt beharre, die ihrerseit an keinem Wechsel teilnimmt, sondern jeden Wechsel erst ermöglicht, indem sie sich als Bleibendes in ihm behauptet. Oder aber man kann umgekehrt seine wissenschaftliche Aufmerksam* keit dem Wandel der Formen und Bildungen als solchem zulenken, ohne sich weiter um die schwer zu umgehende Frage zu kümmern, was das eigentlich sei, das inmitten der Abänderungen des All* Organismus die Einerleiheit und Dieselbigkeit seiner abändernden Gestalt gewährleiste? Während nun diese zweite und ungleich geläufigere Ein* Stellung wesentlich doch mit dem zusammenfällt, was wir heutzutage vorzugweise unsere Biologie zu nennen pflegen mit ihren Hilfswissenschaften Zoologie, Botanik, Physio* logie, Morphologie, Histologie, Paläontologie, Ontogenie, Phylogenie, — scheint die erstere ungebührlich vernach* lässigt, ja hat bei näherem Zusehen vielleicht erst einen ein* zigen, wenn auch besonders hochmögenden und vollwich* tigen Vertreter in Goethe gefunden. Die in unserer des*
664
zendenztheoretischen Gegenwart gang und gäbe Organik bearbeitet die Lehre vom natürlichen Gestaltwandel ganz überwiegend in dem Sinn, daß sie die entwicklunggeschicht* liehen Neuerungen in Anlage, Aufbau, Einteilung, Glie* derung, Leistung, Lebensgewohnheit bei Keim und Stamm zu beschreiben und soweit tunlich auch zu erklären trach* tet. Ob abgesehen von diesen Modifikationen und Modu* lationen der Organe und Organismen nicht dennoch ge* wisse formale Grundwerte überall beharren und welches die Grundwerte sind, liegt zwar durchaus nicht völlig außer* halb ihrer Untersuchungen und Forschungen, wohl aber ziemlich außerhalb ihrer gegenwärtig bevorzugten Aufga* ben und Erörterungen. Sie wäre einstweilen froh, und dies kann man ihr einigermaßen nachfühlen, das unendlich ver* wickelte Problem von der Artumbildung und Artneuent* stehung zu lösen, während dem kaum minder beschwer* liehen Problem der in den spezifischen Transformationen doch stets wieder durchschlagenden und rückfallenden or* ganischen Urform keinesfalls das entschiedene Interesse gewidmet wird, welches der Naturforscher Goethe ihm zeit seines wissenschaftlichen Erdenwallens zugemessen hat. Und doch wird auch unsere .fortgeschrittene' Organik eines Tages wieder auf die von Goethe begründete und von Niemand fortgesetzte Wissenschaft zurückgreifen müssen, wofern sie den Vorgang des natürlichen Gestalt wandeis zu ausreichender begrifflicher Darstellung bringen will. Setzt doch ganz allgemein schon aller Wechsel und aller Wandel der Erscheinungen ein Unwandelbares und Wechselloses voraus, welches sich überall zu erhalten und zu bewahren versteht. Die organisch aufgefaßte Natur kann Umformun* gen nur insofern erleiden, als sie selber in irgendwelchem Betracht aller Umformung widersteht, und was sie im eigent* liehen Wortverstand zur organischen Natur macht, das
665
bleibt notwendig allen Umbildungen zum Trotz diesen als ein und dasselbe Dasein und Sosein änderunglos unter* stellt: denn sonst müßte sich ja dieses Leben in jeder neuen Ausprägung stets wieder verlieren und stets wieder hervor* bringen müssen. Von diesem nämlichen oder doch von einem verwandten Gedankengang aus wird sich eben der Erforscher einer kosmischen Metamorphosiologie zu dem goethischen Schlüsse gedrängt sehen, daß das Wesentliche des Lebens, das Leben als solches zu seinem Teil Ermög* lichende und Bedingende, nicht bloß ein änderlich Indivi* duelles, änderlich Generelles sein könne, — vielmehr im Gegensatz zu diesem Individuellen oder Generellen ein reines Typische sein müsse von ewig beharrlicher Einerlei* heit und Dieselbigkeit. Gerade dem wissenschaftgeschicht* lieh hervorragendsten Verkünder einer Metamorphosis des Organischen also erweist sich hier seine Metamorpho* sentheorie zutiefst als eine Typologie des Organischen! Gerade ihm, dem eingeschworenen Feind der Dialektik, die er wohl als eine Sorte von Unfug hegelscher Welt* umdunkelungkünste rund zu verurteilen bereit sein mochte, — gerade ihm widerfährt die dialektische Seltsamkeit eines wissenschaftgeschichtlichen .Umschlages', wofern gerade er in allem Wandel der Gestalten immer bewußter und unumgänglicher das Unwandelbare zu ermitteln sucht und suchen muß! In den sämtlichen Umformungen der einzelwesentlichen Pflanze oder des einzelwesentlichen Tieres, ja wenn wir seinen seltenen (aber darum nicht weg* zustreitenden) deszendenztheoretischen Äußerungen eini* germaßen trauen dürfen: auch in den sämtlichen Umfor* mungen der Arten und Gattungen strebt also Goethe eine einzige Stammform zu erspähen, einen gleichbleibenden morphologischen Charakter oder formalen Typus, der sich in allem Wechsel der Erscheinungen erkennbar erhalte!
666
Und nicht anders wie etwa sämtliche Individuen einer Spezies, nicht anders wie beispielweis alle Rankenfüßer oder alle Manteltiere eine Anzahl dauerhafter Merkzeichen aufweisen müssen, die unbeschadet der vorhandenen Ab* weichungen der individuellen Exemplare voneinander be* stehen und es ihrerseit rechtfertigen, sie eben als Ranken* füßer oder Manteltiere in eine Familie oder Gruppe oder Art zusammenzufassen; — nicht anders müssen die Abfol* gen sowohl der individuellen wie der spezifischen und ge* nerellen Phasen, unberührt von ihrer Auseinandergezogen* heit in der Zeit eine Anzahl Merkzeichen aufweisen, die sie ein für alle mal als pflanzliche oder tierische Gestalt an und für sich erkenntlich macht . . .
Hierbei ist von großer Wichtigkeit dieses, daß den Na? turforscher und Naturphilosophen Goethe die erkenntnis* mäßig vereinheitlichten Merkmale des pflanzenhaften oder tierhaften Belebt*Seins nicht bloß eine begriffliche Zusam* mensichtung bedünken, gewonnen aus dem Vergleich ver* schiedenster Erscheinungfolgen und Erscheinungformen, sondern daß er sie für die sinnliche Gegebenheit eines ur* bildlich Gestalteten und Zugrundeliegenden nimmt: für das fundamentalste Organon gleichsam der ganzen organischen Natur. Eine vermutlich ihm selbst unbewußte, desunerach* tet aber doch bis ins Mark .realistisch' gefärbte Gesinnung weiß sich hier endlich einmal wieder mit angeborener Kraft gegen den sonst in den Naturwissenschaften üblichen No* minalismus durchzusetzen, — trotz des eindrucksvollen Wi* derspruchs des Nomalisten und Kantianers Schiller, der hier die undankbare Wortführerschaft der gelehrten Oppo* sition übernommen hat. Dieser goethische Realismus weiß sich hier in der Tat durchzusetzen, und was die Metamors phose der Pflanze betrifft, sogar mit einem gewissen dau? ernden Erfolg. Hier, wo wenigstens die entwicklungge*
667
mäßen Phasen des vegetativen Individuums als die Gestalt* Wandlungen des Einen Blattes entlarvt werden, sozusagen als die Versichtbarungen der .Blattheit', hier gelingt es augenscheinlich, die zunächst wirklich nur begriffliche Kon* zeption der .Pflanze überhaupt* mit einer aufzeigbaren or* ganischen Form oder mit einem Grundorgan zur Deckung zu bringen und derart den allgemeinen Typus jener Pflanze überhaupt in seiner besonderen Ausgeprägtheit gegenständ* lieh zu machen. Als Objektivation der Blattheit lebt die Pflanze ontogenetisch in ihren Gliedern und Teilen, in Blatt, Stengel, Kelch, Blume, Staubgefäß, Fruchtknoten, Griffel, Narbe. Als Blattheit lebt sie gleicherweise in ihren phylo* genetischen Phasen, die ja im groben und großen immer wieder die Phasen der Ontogenie wiederholen. Und diesem nicht unbedeutenden Umstand geschieht dadurch kein Abtrag, daß Goethe zeitweilig in Person, fort und fortge* rissen von der hohen Fruchtbarkeit seiner eigenen Idee, mit nicht ganz glücklicher Passion in Sizilien und sonstwo auf die Urpflanze als solche fahndete, — da sie doch in Gestalt des Proteus , Blatt' jedem empirischen Individuum .Pflanze* einwohnend und eingewachsen betrachtet werden darf, gleichsam als Rest und Abzug, der übrig bleibt, wenn man die Merkmale des Individuums, der Spezies, des Genus von den Merkmalen der .Pflanze überhaupt' subtrahiert . . .
Mit einer solchen organischen Typologie, von der or* ganischen Metamorphosiologie streng zu unterscheiden, nimmt alsdann Goethe, ein später Pythagoreer, die sehr altertümliche Lehre von der Wiederkehr des Gleichen auf seine besondere und eigene Weise wieder auf, — nimmt er dieselbe Lehre dem noch etwas späteren Pythagoreer Nietzsche aus dem Mund : ob auch diesem letzteren in unver= kennbar deutlicherer, gebrauchsfähigerer, wissenschaftlich aufrecht haltbarer Prägung. Denn was hier wiederkehrt
668
und wiederkünftet, ist nicht die zufällige Konstellation oder Konfiguration der augenblicklichen Weltstunde, sondern bei weitem einfacher und überzeugender der morpholo* gische Typus, die Mutter* und Stammform des Tieres, der Pflanze überhaupt. Nach Goethes reiner reicher Anschauung gibt es in der animalisch*vegetativen Natur nicht nur ty* pische Bewegungen, wie beispielweis die gleichfalls von ihm (mit der bei ihm gewohnten Treue) zur Beobachtung gelangte , Spiraltendenz' des Blattes, des Blütenstiels, der Knospe gewisser Arten; bekanntlich übrigens eine moto* rische Tendenz, welche nachher Charles Darwin, hier wirk* lieh Goethes berufener Fortsetzer und Erbe, als sogenannte .Zirkumnutation' (wörtlich: Herum« Winkung, Schrauben* Windung) ausnahmlos in allen Teilen der Pflanze als eine dem Heliotropismus verwandte und in ihn überleitende Bewegungstrebigkeit vorzuweisen und somit als eine der grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten des Pflanzenseins zu
erhärten gelungen ist! nach Goethes reiner Anschauung,
sag' ich, gibt es außer dieser Typik der Bewegungen, die vielleicht eines Tages gleichfalls der Vorwurf einer aus* gebreiteteren Wissenschaft vom Kosmos bilden wird, eine noch beachtenswürdigere Typik der Gestaltungen, in allen individuellen, spezifischen, generellen Abänderungen je* weilig wiederkehrend als das stets gegenwärtige nunc stans des Lebens. Und eine unendliche Perspektive ist es für* wahr, die sich von dieser Wiederkehr der Grundgestalt in allen organischen Entwicklungen, Wandlungen, Umfor* mungen eröffnet : denn wollte man die Vollzahl der mög* liehen Folgerungen ziehen, die aus dieser Theorie Goethes insgesamt gezogen werden dürften, ja gezogen werden müßten, so dürfte man bei den äußerlich wahrnehmbaren Gestalten der pflanzlichen und tierischen Natur noch lange nicht halt machen. Eine goethisch betreute und goethisch
669
betriebene Typologie reichte vielmehr grundsätzlich genau soweit wie das Leben selber und wäre infolge davon weder nach unten wie nach oben genau so sicher zu begrenzen. Warum nicht sie mutatis mutandis dann auch für jenen Komplex gelten dürfen sollte, der den organischen Schöps fungen der Natur als die organischen Schöpfungen der Kultur, folglich als eine Natur höheren Grades oder als eine Natur in der zweiten Potenz mit großer Berechtigung neben* geordnet zu werden pflegt: das wäre mit stichhaltigen Be* weismitteln kaum glaubhaft zu machen. Bestehen wir mit* hin auf unserer Voraussetzung mit Nachdruck, daß sich die Organik als Schwesterwissenschaft der Mechanik genau wie diese selbst (nur noch in ganz anderem Grad und Um* fang) auf den Menschen mit erstrecke, so erstreckt sich auf diesen mit Notwendigkeit auch die von der Organik ab* zweigende Tochterwissenschaft der Typologie. Dann gilt die Annahme unwandelbarer Typen und Typenwerte auch für den menschheitlichen Gestaltenwandel in der ganzen Breite menschheitlicher Lebens* und Willensäußerungen. Dann weist auch unsere Kultur mit ihren subjektiven und objektiven Formungen stets durchschlagende, stets rückschlagende Grundgestalten in allen Wechselzuständen auf. Einmal auf den Boden dieser goethischen Stellung* nähme sicher und bestimmt getreten, haben wir folglich von hier und jetzt an die Aufgabe einer Typologie ins Auge zu fassen, die erstens die Urformen unserer sämtlichen stoff* liehen, geistigen, seelischen Werkzeuge möglichst ausnahm* los umspannte wie etwa die Maschinen, Instrumente, Appa* rate der Technik und Praxis aller Bereiche mitsamt den höheren Erfindungen, ja sogar mitsamt den Wissenschaften, Künsten, Weltanschauungen, Religionen; die zweitens nicht minder die äußere und innere Physiognomie alki geschieht* liehen Rassen, Völker, Stämme wie des Ägypters und
670
Inders, des Chinesen und Babyloniers, des Assyrers und Pelasgers, des Hellenen und des Juden, des Römers und des Germanen, des Galliers und des Slawen, des Briten und des Deutschen in ihrem außerzeitlichen Durchschnittwert umfaßte; die drittens sich des Habitus bemächtigte aller einzelmenschlichen und gesellschaftlichen Lebensstufen als da sind Jugendzeit und Primitivität, erstes Mannesalter und Klassizität, zweites Mannesalter und Barock, Greisenalter und Dekadenz, (wobei man tatsächlich an entsprechende Versuche Lamprechts und Wölfflins anknüpfen könnte); die viertens ein Inventarium sammelte der charakterologisch immer wiederkehrenden Vertreter unserer Gattung nach Beruf und Stand, Geschlecht und Klasse, Anlage und Streben, deutlich zu unterscheiden etwa als den Wirklich* keitmenschen und den Traummenschen, als den Diesseits gewandten und den Jenseitgewandten, als den Don Juan und den Asketen, als den Stoiker und den Mystiker, als den Nazarener und den Epikureer, als den Skeptiker und den Enthusiasten, als den Gelehrten und den Seher, als den Künstler und den Handwerker, als den Herrscher und den Hörigen, als den Kaufmann und den Schieber, als den Händler und den Vermittler, als den Bauern und den Land* Streicher, als den Arbeiter und den Soldaten, als den Be* amten und den Staatsmann, als den Prasser und den Bettler, als die Dirne und die Dame, als die Jungfer und die Frau, als den Gesetzgeber und den Verbrecher, als den Priester und den Pfaffen, als den Ironiker und den Humoristen, als den Realpolitiker und den Ekstatiker, als den Ästheten und den Propheten, als den Nihilisten und den Romantiker, als den Leugner und den Heiligen, als den Vergewaltiger und den Erlöser . . . Eine morphologischeTypologie, Anthropolo* gie, Charakterologie, Soziologie, Physiognomik höchsten Stiles, wie sie dem Dichter der Menschlichen Komödie auf
671
seine Weise vielleicht doch schon vorgeschwebt hat, müßte es erlauben, die goethische Methode auf alle inneren und äuße* ren Gestalterfahrungen überhaupt anzuwenden und dadurch ins Unabsehbare zu verfruchtbaren. Vermöchten wir derart aus allen erscheinenden Formwechseln und Wechselformen die (zum .Starren gewaffneten') Gebilde der unwandelbaren Elementarcharaktere herauszuschälen, — es wäre mit einem solchen bereitgestellten Vorrat an »konkreten Definitionen' mindestens so viel gewonnen, daß die Lehre von einem ufers losen Fortschritt und von einer uferlosen Entwicklung eine heilsame Eindämmung erführe: etwas wie ein »Grundgesetz der historischen Relativität' würde in dem Nacheinander der zeitlichen Veränderungen Ein Wesenhaftes stets wieder^ und wiederkehrend erkennen lassen, stets wesentlich das gleiche und selbige bleibend. An diesem Wesentlichen, das immer war und ist und sein wird, durch eigene Verwesend lichung je und je teilzunehmen, wäre dann vielmals be? deutsamer als die Jagd nach so fragwürdigen Fortschritten und Entwicklungen, wie sie die Menschheit Europas heute in den Tod hetzt. Außerordentlich in ihren Folgen müßte diese Typologie für den künftigen Abendländer werden, wonach in sämtlicher Vergängnis dauernd Eine Erständnis pulste, wonach alle Tode im Ring stätiger Wiedergeburten das Leben als solches stets erneuten, wonach in fortgesetzten Umgestaltungen dieselbe Gleichgestalt an und für sich beharrte. Zeitlich aufeinandergeschichtete Wiederkünfte von Weltstufen und Weltaltern würden sich zeitlich hier zu Weltspiralen aneinanderringeln und in einem vielleicht später einmal durchaus enthüllbaren Wortsinn den Begriff von der Spiraltendenz, von derZirkumnutation der Pflanzen* teile ins Menschheitliche ungeheuer zu übertragen gestatten als eine (gleichsam heuristisch auszuwertende) Hypothesis der Erkenntnis alles organisch Daseienden überhaupt. In
672
weiter oder enger gewundenen Spiralen wird dermaleinst vielleicht auf höher und höheren Ebenen Dieselbe und Einige Gestalt aller Gestalten zur Wahrnehmung gelangen können, einen Adspekt auf eine besondere Art charaktero* logischer oder physiognomischer Unsterblichkeit herrlich eröffnend und damit der armsäligen Gegenwart eines maß? und ziellos vorwärts stürmenden Weltfühlens ihr grausam verkürztes Anteil an jener strengen Periodik wiederum ge* während, die zu verehren uns sonst Natur so häufig und so wohltätig nötigte. Hier wäre in der Tat eine Identität* philosophie weiten Wurfes und Schwunges an ihrem Platz, angewandt auf die humanen Manifestationen aller Art, — an ihrem Platz auch auf die nicht zu unterschätzende Ge* fahr hin, daß sie erheblich mehr noch als die übrigen Wissen* Schäften mit den stärksten Fiktionen arbeiten müßte. Und von ihr und hier aus könnte dann, hoffentlich noch nicht durchaus zu spät, ein Tropfen jenes einhaltenderen, atem* holenderen, gelasseneren, feiertäglicheren Zeitmaßes bal* samisch lind, bindend und sänftigend ins fiebrige Getriebe ci=devant Europas fallen und endlich, endlich unserer Ge* schichte ein Gut retten, das sie bis heute in verhängnisvollen Graden hatte durchweg missen lassen, — Dauer! . .
Mit dieser kleinen und dürftigen Skizze einer im Geist Goethes betreuten Typologie des Organischen sind wir freilich wohl allzusehr auf unsere vorauseilende Einbildung* kraft angewiesen gewesen, wofern von ihr die bisher blühenden Wissenschaften höchstens Ansätze und Triebe erkennbar machen. Ein immerhin nachteiliger Umstand, der sich indes zusehends verbessert, wenn wir uns jetzt von dieser geforderten Typologie der Erscheinungen jener zweit* genannten Disziplin einer allgemeinen Organik zuwenden, die im Wandel der lebendigen Gestalten nicht sowohl das vermutet Unwandelbare, als vielmehr die Wandlung selbst
43 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 673
betrachtet. Wie schon gesagt läuft sie, die eigentliche Meta* morphosiologie, so ziemlich auf das hinaus, was wir moderne Biologie mit ihren Hilfwissenschaften zu nennen seit längerem gewöhnt worden sind. Indes auf eine erweiternde Behand* lung auch dieses schon reichlich ausgebauten Erkenntnis* ganzen hinzuzeigen, können und dürfen wir uns nicht ent* brechen: auf eine Behandlung und Erweiterung, die sie zu unserer hypothetischen Typenlehre in das Verhältnis eines noch näheren Parallelismus zu rücken geeignet ist, — ich meine kurz und gut auch ihre Geltendmachung für das wesentlich menschheitliche Bereich. Sub specie nämlich von schlechthin beharrlichen Grund* und Stammformen erblickt, wuchs sich unsere Organik aus zu einer allgemeinen Typo* logie und Charakterologie alles Lebendigen, folglich auch aller Lebensäußerungen und Lebensschöpfungen des Menschen, mochten sie als äußerliche oder innerliche, leib* liehe oder geistige, sinnliche oder seelische Gestaltwahrnehm* barkeiten erscheinen. Sub specie aber von schlechthin ver* änderlichen Glied* und Bauformen erblickt, wächst sich die* selbe Organik aus zu einer allgemeinen Historie zunächst der Natur, dann aber ebenso des Menschen und seiner Bildungen. Denn wer die organische Welt anstatt im Hinblick auf ihre Dauerbarkeiten nur im Hinblick auf ihre Wechselgestal* tungen erforscht und beurteilt, der sieht sie eben vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, als Geschichte, — wobei unter Ge* schichte ihrem innersten Begriffgemäß gar nichts anderes ver* standen werden soll und kann als eine Abfolge von Verände* rungen eines irgendwie organisch Gestalteten in der Zeit. Sollte es also gelingen, einen gemeinhin für unorganisch er* achteten Körper wie diesen Erdstern organisch aufzufassen und eine Reihenfolge von gestaltlichen Veränderungen an ihm in der Zeit nachzuweisen, so wäre die Wissenschaft dieser Veränderungen unstreitig schon echte Historie, echte Ge*
674
schichte. Alles organisch zu interpretierende Dasein als Nacheinander wechselnder Gestaltungweisen in der Zeit hat eine Geschichte, gehöre es den elementarischen und mineralischen Erscheinungen und ihrem kristallinen Werden an, oder den vegetativen und animalischen Gestalten, oder endlich den humanen Wesens? und Willenskundgebungen. Unter dem Gesichtswinkel des All*Organismus gibt sich jedes körperhafte Sosein nicht nur zu erkennen als ein im buchstäblichen Wortverstand .Gestaltetes' mit allen Merk* zeichen eben der Gestalt, sondern außerdem auch als ein geschichtlich Lebendes mit zeitlich aufeinanderfolgendem Formens und Zustandwechsel. Genau wie vorhin die Typo* logie und Charakterologie erstreckt sich somit auch die Metamorphosiologie oder Historie auf einen Inbegriff der Natur, der die Hervorbringungen der Kultur nicht aus* sondern einschließt: alle Natur, organisch gesehen und organisch beurteilt, hat ihre Historie, und alle Historie ist historia naturalis, oder volltönender und stolzer noch historia naturae! Sag' ich, die Erde sei ein Stern wie andere Sterne auch und seien ihr darum keine anderen Veränderungen und Bewegungen eigen, als sie nach den mechanischen Ge* setzen des Himmels und der Erde eben möglich sind, so ist die Erde allerdings geschichtlos und bleibt trotz ihrer Umschwünge und Drehungen, die sie um sich und ihre Sonne und mit dieser Sonne selbst um einen unbekannten Schwerpunkt in der Richtung nach dem Sternbild des Her* kules (mit bisher weder merklich verminderter noch merk* lieh vermehrter Geschwindigkeit) ausführt, im Sinn der Ge* schichte unänderlich, starr, tot, unwandelbar auch dann, wenn sie ihren Aggregatzusland im Lauf der Zeiten ändert. Sag' ich aber : die Erde, das ist die gesetzmäßig geognostisch*mor* phologische Reihenfolge der Erzentstehungen und Schichten* bildungen, der Schmelzsteinschiebungen und Trümmerstein*
43* 675
kittungen, der Kristallwerdungen und Verkieselungen, der Schieferablagerungen und Humusdurchsetzungen, der Glim* merverglasungen und Basaltverhärtungen, der Vergletsche* rungen und Berieselungen, der Gebirgstockknotungen und Feuerausspeiungen, der Kratertrichterbohrungen und Salsen* ausschüttungen, der Geiserkochungen und Kalkversinte* rungen, der Kohlensäureaushauchungen und der Schwefel* gasschwängerungen, der Inselauftauchungen und der Fest* landzertrümmerungen, der Talausmuldungen und Land* anschwemmungen, der Küstensenkungen und Küsten* hebungen, der Korallenrifferungen und Kreidetürmungen, der Dolomitzinnenabsonderungen und Tropfsteinsäulen* ausschwitzungen, der Karstauslaugungen und Wildbach* schluchtennagungen, der Verwesungstoffdüngungen und Regenwurmerdreichdurchlüftungen und, und . . . ; sag' ich des ferneren: diese Erde, das ist Urgneis und Urschiefer, ist Silur, Devon, Karbon, Perm, ist Trias, Jura, Kreide, ist Tertiär und Quartär, ist Urzeit, Altertum, Mittelalter, Neu* zeit, ist in allen diesen Phasen periodischer Gestaltenwandel ihrer selbst mit korrelativem Wandel fast aller ihrer Orga* nismen, Organe und Funktionen (ausgenommen die seltenen .persistenten Spezies'); — wie sollte nicht unverweilt diese vorhin noch tote Erde anheben sich vor unserem Geistauge höchst rührig zu gebärden! Wie sollte sie nicht geschichtlich zu leben beginnen in ihrem Zusammenfalten und Inein* anderwerfen, Vergittern und Umpanzern, Umdampfen und Umwabern, Erfüllen und Entleeren, Abbalgen und Ent* häuten, Umfurchen und Belauben! Schichtet sich doch jetzt das ganze Gestirn als räumliche Gleichzeitigkeit zum zeit* liehen Nacheinander wirklich .geschichtlichen' Geschehens, und nicht nur das Gestirn als solches, sondern mit ihm seine Elemente und Mineralien nicht weniger als seine Tiere und Pflanzen. Der Kohlenstoff etwa erzählt als Torf, Braun*
676
kohle, Steinkohle, Anthrazit, Graphit und Diamant von einer richtigen Lebensgeschichte : und gar die elementarische Gruppe des Radium, berichtet sie nicht von dessen eigener .sprungweisen Abänderung' in Radium und Helium und Neon? Womöglich unverkennbarer aber noch offenbaren wahren Gestaltwandel solche mineralischen Stoffe und Ver* bindungen, die man nach der Weise ihrer Entstandenheit geradezu metamorphosierte Gesteine genannt hat, — metamorphosiert, weil sie nämlich durch Berührung oder sonstige Einwirkung ursprünglicher Steinmassen ihre Be* schaffenheit und Art gewechselt haben: wie beispielweis der Kalk, der durch Einlagerung von Steinsalz und Schwefel zum Gips wird oder geschmolzen unter hohem Druck zu Marmor körnig gerinnt; wie der verkieselte Schiefer durch Berührung mit Porphyren sich zum Jaspis veredelt; wie unter den Einflüssen des Granits der Tonschiefer selber zu granitähnlichen Gemengen von Feldspat und Glimmer er* härtet. Pflanzenhaft*tierhafte Substanzen vollends wie Fette und Wachse entwickeln sich, unter Ausschluß der Luft ver* wesend, in einer höchlich komplizierten Reihe zu brenn* baren Ölen; und gesetzmäßig furcht sich der tierische Keim nach seiner Befruchtung zur Cytula, Morula, Blastula, Gastrula, indes der ganze animalische Stamm (in einer freilich nur lückenhaft erforschten und noch stark um* strittenen Geschichte) vom Gliedertier, Weichtier, Krebs aufwächst zum Fisch, Amphibium, Reptil, zum Vogel, Nagetier, Huftier, Raubtier und Herrentier, — indes nicht minder die vegetative Welt geschichtlichen Zusammen* hang vom Schaftbaumwald und Farrenwald zum Nadel* wald, Zapfenbaumwald, Laubkronenwald in Umrissen er* ahnen läßt. Grundsätzlich sind diese Vorgänge nicht weniger historisch als es die Metamorphose des amphibischen Eies in Kaulquappe und Frosch, die Metamorphose des insek*
677
tischen Eies in Larve, Puppe und Schmetterling ist. Da gibt es kein einzelnes tierisches Organ, das nicht seine be* sondere Geschichte hätte. Wie der jeweils spezifische, wie der generelle Typus die Kieme zur Lunge, den Fuß zum Freßwerkzeug, das Gehörsteinchen zum Ohr, die Linse zum Auge fort und fort bildet, ist nicht weniger Gegenstand historischer Forschung als der Formwechsel in den mensch* liehen Rechtsbegriffen oder Wirtschaftgebräuchen oder Baugedanken: als etwa die Metamorphose vom Mutterrecht zum Neffenrecht und Vaterrecht, von der Raubwirtschaft zur Tauschwirtschaft und Geldwirtschaft, von den Chroms lechs und Dolmen zu den Kuppelgräbern und Basiliken und Kathedralen! . . .
Damit man freilich von dieser methodischen Einheit und Einheitlichkeit sämtlicher historischen Wissenschaften einer .kosmischen Organik' tiefer durchdrungen werde, muß man der heute noch marktgängigen Theorie von der szienti* fischen Gespaltenheit der Erkenntnis in Natur* und Kultur* forschung seine Beistimmung schlankweg verweigern. Denn diese Doktrin setzt das Messer zu einem Schnitt, der gewiß und notwendig geführt werden muß, an der falschen Stelle an, — oder noch besser, diese Doktrin zerhackt gleichsam den gliedbaulichen Zusammenhang der Wissenschaften, anstatt ihn unter gebührender Berücksichtigung zooto* mischer Regeln nach dem Verlauf der Gelenke, Sehnen, Gefäße zu zerlegen. Was die Geschichtwissenschaften ohne Frage von den Naturwissenschaften unterscheidet, das unterscheidet sie kraft ihrer Eigenschaften als Erkenntnis eines Organischen von der Erkenntnis eines Mechanischen; unterscheidet sie mithin nach getroffener Stellungnahme des erkennenden Subjekts, keineswegs aber nach einer be* vorzugten oder vernachlässigten Objektivität als solchen. Das erkennende Subjekt nämlich vermag sehr wohl, wie wir
678
jetzt genugsam wissen, sogenannt organische Gegenstände (wie pflanzliche und tierische Körper) mechanisch aufzu* fassen und dergestalt eine Mechanik des Organischen zu erdenken; es vermag aber auch im selben Sinn einen söge* nannt mechanischen Gegenstand (wie einen Kristall oder ein Gestirn) organisch zu betrachten und unter beiderlei Gesichtswinkeln zwei verschiedene, ja entgegengesetzte Er* fahrungweisen der wirklichen Welt zu veranstalten. Einmal jedoch entschieden für die organische Erfahrungweise, bleibt ihm zwar immer noch die Wahl, lebendig Daseiendes entweder mehr auf sein typologisches oder mehr auf histo* risches Wesen hin zu untersuchen, — nicht aber bleibt ihm länger die Wahl, etwa die gesamte Historie des Organischen auf die einzige Spezies Mensch, homo sapiens, homo inventor, homo faber methodisch einzuschränken und zu behaupten, diese Spezies allein besitze eine Geschichte, wie sie allein eine Gesittung, eine Kultur besitze. Im entscheidenden Punkt für irrig hat man daher die bis zur Ermüdung, bis zur Langeweile erörterte Theorie zu erachten, die der Hi* storie als ihren ausschließlichen und vorbehaltenen Vor* wurf das humane Individuum in der Bedeutung seiner per* sönlichen Einmaligkeit, Einzigartigkeit, Unvergleichbar* keit, NichtWiederholbarkeit zuspricht, — fast wäre man zu der Bemerkung bewogen: in der Bedeutung seiner unend* liehen Eitelkeit, Selbstüberheblichkeit, Anmaßlichkeit zu* spricht, — welche die moderne Persönlichkeit seit Renais* sance und Reformation in Europa kennzeichnet. (Und in diesem Bezug wäre Windelbands und Rickerts Theorie der Historie, sonst eigentlich wenig aufregend, dennoch einiger* maßen symptomatisch für die gegenwärtige Krisis im euro* päischen Persönlichkeitbewußtsein . . .) Jene besagte Ab* grenzung des Begriffes Geschichte ist nämlich insofern eine viel zu enge, als Geschichte sogar in ihrem eingeengtesten
679
Wortsinn eines Berichtes oder einer Beschreibung mensch* heitlicher verum gestavum keineswegs ausschließlich, nicht einmal vorwiegend der Persönlichkeit an und für sich ge* widmet erscheint, sondern ihre Forschungen durchaus be* sonnen auf diejenigen Träger menschheitlicher Verände* rungen ausdehnt, die wir mit einigem Fug die komplexen oder die kollektiven Individuitäten der Rassen, Stämme, Völker, Geschlechter, Sippen, Gesellschaften, Kirchen, Ge* meinen, Vereine, Dorf* und Markgenossenschaften nennen dürfen. Was die Historie in erster Linie darzustellen, was sie zu überliefern strebt, ist gar nicht die Persönlichkeit als solche mit ihren einmaligen Merkmalen und Eigenschaften, sondern viel eher die erfahrene Wechselwirkung jener kom* plexen, jener kollektiven Lebenseinheiten, die sich als die eigentlichen Träger machthaberischer, wirtschaftlicher, gei* stiger, sittlicher, kriegerischer Vorgänge und Bewegungen erweisen. Einer alten Chronik ist in selteneren Fällen die Biographie eines einzelnen Mannes merkwürdig, häufiger hingegen die Biographie einer Dorfs oder Stadtgemeinde, eines Kirchensprengels, Klosters, Bistums, einer Landschaft oder eines Staates. Und auch den eigentlich Wissenschaft* liehen Historiker beschäftigt die monographe Darstellung der einzelnen Persönlichkeit nur soweit, als diese für die Entwicklung der gesellschaftlichen Beziehungen kollek* tiver Lebenseinheiten zueinander von ausschlaggeben* der Wichtigkeit geworden ist. Von Herodotos bis Macau* lay, von Thukydides bis Ranke, von Titus Livius bis Treitschke, von Tacitus bis Lamprecht, von Vitrivius bis Burckhardt, von Plutarchos bis Carlyle ließe sich ohne An* strengung die Richtigkeit dieser Feststellung erhärten, und wie beschaffen in den verschiedenen Kulturen auch die Ziele und Voraussetzungen des Geschichtschreibers sein mögen, — sogar innerhalb der sehr genau abgesteckten Be*
680
zirke der politischen Geschichte zieht er die Persönlichkeit nur dort heran, wo es Wert und Wirkung ihrer Leistung für die kollektiven Individuen Staat, Volk, Nation be* dingen, deren sachliche Beziehungen zueinander in ihrer unerschöpflichen Mannigfaltigkeit gleichsam das Apriori bilden für jede persönliche Betätigung* und Handlungweise eines Einzelnen. Und selbst wo das Individuum in seiner Eigenschaft als Träger geschichtlicher Änderungbedin* gungen die einschneidendsten Wirkungen verursacht, wird die Historie als die Wissenschaft vom absolut Einmaligen, Unvergleichbaren, Einzigartigen, Nichtwiederholbaren ihrerseit wieder beträchtlich ergänzt und begrenzt durch die typologische Urerfahrung stätiger Wiederkünfte des wo nicht Gleichen, so doch Ähnlichen und Vergleichbaren und Entsprechenden. Nicht zum wenigsten bewährt sich der wissenschaftliche Takt des Geschichtschreibers in der Tugend, in passenden Analogien zu denken und die jeweils geeignetsten Glieder solcher Analogien feinfühlig zusam* menzustimmen, — in welcher Tugend übrigens Macaulay vielleicht die übrigen Historiker übertrifft. Dabei soll die ungleich bedenklichere, kitzlichere, heiklere Frage hier nicht einmal angeschnitten werden, ob die alsdann unentbehr* liehe Monographie des bedingt Einzigartigen, Unvergleich* liehen, Einmaligen, Nichtwiederholbaren, welches wir Per* sönlichkeit heißen, — wie sparsam verfährt nicht der klassi* sehe Meister dieses monographischen Stiles, Leopold Ranke, mit seinen unvergeßlich einprägsamen Charakteristiken; wie verhältnismäßig selten malt er, der bei weitem befähigste Bildnismaler und schärfste Menschenkenner der heutigen Geschichtschreibung, eines seiner distanzierten Porträte I — ob jene monographe Darstellung, sag' ich, nicht doch wie* der eher unter die Kompetenzen des Künstlers, Dichters, Heldenverehrers, Sehers falle statt unter die Kompetenzen
681
(und Potenzen) des Gelehrten ? Das erstere stark zu vermuten wäre in Ansehung der äußersten Seltenheit des Monogra* phisten höheren Stiles immerhin nicht unstatthaft: zu ver* muten mithin, daß die Fähigkeit, eine geschichtliche Ge* stalt so auf die Beine zu stellen, daß sie leidlich geht und steht, dem wissenschaftlichen Forscher gar nicht angehören möchte oder den Umkreis seiner besonderen Talente schlechterdings überschreite. Was die sogenannte Person* lichkeit, die Ichgestalt, die .Lebensgrundweise', den Cha* rakter, die Subjektivität als solche betrifft, so entzieht sie sich sehr wahrscheinlich nicht nur der naturwissenschaft* liehen Begriffsbildung, um etwa der historischen Begriffs;: bildung zuzufallen; — nein, sie entzieht sich vielmehr jeder wissenschaftlichen Begriffsbildung überhaupt. Nicht der Geschichtforscher im Gegensatz zum Naturforscher erkennt menschliche Charaktere in ihrer Besonderheit und Sobe* schaffenheit; nicht gibt es ein methodisches Problem, weis ches man als Induktion der historischen Individualität von einer Induktion mechanischer oder organischer Komplexe unterscheiden dürfte. Die menschheitliche Subjektivität kann vielmehr unter günstigsten Umständen lediglich er* fühlt, erahnt, nacherlebt, erwittert, ausgespürt, abgetastet, nacherschaffen, wiederholt, nachgeahmt, nie aber erschlossen, nie erfahren, nie erforscht mit den Denk* und Beobachtung* hilfen der Wissenschaften werden, — womit sie auch der historischen Erkenntnis nur uneigentlich und sozusagen hinten herum zur Last fällt oder zur Last fallen darf . . .
Indessen, auch wenn die obgedachte Theorie für die wissenschaftliche Darstellung menschheitlicher verum ge= stamm brauchbarer wäre als sie es ist, müßte die hierbei aufgestellte Definition des Geschichtlichen noch in anderer Rücksicht für eine zu enge erachtet werden. Gesetzt näm* lieh, es sei tatsächlich Aufgabe der historischen Unter*
682
suchung, das Individuum in seiner strengsten Einmaligkeit, Unvergleichlichkeit, NichtWiederholbarkeit, Einzigartig* keit aufzufassen und zu umschreiben, — was denn in aller Welt sollte den Betrachter organischer Erscheinungen davon abhalten, seinerseit Historie dieser Art zu betreiben und innerhalb der tierischen, ja wenn's ihm gelingt, hier frucht* bare Beobachtungen zu machen, innerhalb der pflanzlichen und kristallischen Wirklichkeiten das Individuum an und für sich zum Inhalt seiner Forschungen zu wählen? Ist doch der Einwand a priori, diese Einstellung aufs Einzelwesen^ liehe liege eben außerhalb jeder naturwissenschaftlichen Verfahrungweise, welche jeweils das einzelne Dasein nur als Vertreter der Spezies gelten ließe (zum Behuf der Demon* stration sogenannter Naturgesetze), nicht viel anderes und besseres als eine petitio prineipii: die Erschleichung einer For* schungregel, die zwar häufig in der Vergangenheit bindend sein mag, in der Zukunft aber durchaus nicht für zwingend genommen werden braucht. Daß die organische Betracht tung der Natur bisher das Individuelle in der Untermensch* liehen Schöpfung nicht zum Vorwurf ihrer Disziplinen er* hoben hat, ist sicher die übliche, vielleicht auch die üble Gewohnheit gewesen. Daß sie aber, ohne sich selber auf* zugeben, das Individuelle in der untermenschlichen Schöp* fung, soweit dies der wissenschaftlichen Darstellbarkeit überhaupt unterliegt, niemals zu ihrem Vorwurf erheben könne oder dürfe oder solle, dies ist sicherlich eine ganz* lieh unbegründete Forderung, ein gänzlich in der Luft schwebendes Verbot, allzu voreilig bereits zum methodischen Dogma gestempelt. Jedenfalls hat die biologische und psychologische Zoologie mit den ebenso anziehenden wie aufschlußreichen (leider jedoch noch zu novellistisch und sentimentalisch aufgeputzten) Tierschilderungen und Tier* darstellungen des Amerikaners Seton Thompson jene vor*
685
mals geübte Gepflogenheit grundsätzlich aufgegeben, zu ihrem eigenen Nutzen und Vorteil aufgegeben, und sich damit sogar im Geist der windelband*rickertschen Theorie zur rechten Historie unstreitig ermannt, indem sie den ersten schätzenswerten Beitrag zur Monographie Untermensch* licher, oder sagen wir bescheidener und sinngemäßer zur Monographie außermenschlicher Individualitäten liefert. Hier hören und lesen wir von ungemein verwegenen, listen* reichen, aufopfernden, klugen, herrschgewaltigen, bösen, manchmal schlechtweg heroischen Krähen, Hasen, Hunden, Pferden, Bergschafen, Präriewölfen, von wirklichen Person* lichkeiten mit den angeborenen Tugenden des Führers unter minder tüchtigen und minder erlesenen Genossen. Was bisher bloße Liebhaberei des Züchters oder des Sports* mannes war, nämlich die Beobachtung und Auszeichnung des tierischen Individuums mit gesteigerten Merkmalen der Spezies, das empfiehlt sich jetzt, wenn auch erst in vorläu* figer Gestalt, ernster Wissenschaftlichkeit zu ernster Beach* tung, um jene, wer weiß es, im Verlauf der Zeiten mit manch unerhörter Eröffnung zu beglücken. Wir aber sagen wohl kaum zu viel, wenn wir den letzten scharfsinnigen Versuch, die eigentliche Geschichte dem Menschenwesen allein vor* zubehalten und in diesem Sinn eine kulturwissenschaft* liehe Methodik von einer naturwissenschaftlichen ein für alle mal zu unterscheiden, auf die eine oder andere Art als fehlgeschlagen zu bezeichnen uns gedreisten. Wie man das Wort Geschichte auch drehen und deuteln möge, — alles organische Werden, Gewordensein, Werdenwerden ist als Wandel sinnlich oder geistig wahrnehmbarer Gestaltetheit, als Metamorphosis morphologischer oder charakterologi* scher Eigenheiten des Wirklichen jeweils ein historisches Werden , ein historisches Gewordensein, ein historisches Werdenwerden. Ob diese zweifellos historische Metamor*
684
phosiologie in Ansehung des menschheitlichen Geschehens dann tatsächlich jeder Gesetzmäßigkeit seiner Verände* rungen und Änderungfolgen spotte, wie dies die Theorie unserer szientifischen Individualisten will, oder ob hier nicht wiederum lediglich die Gesetzmäßigkeit der sogenannt mechanisch*maschinellen Natur in Fortfall gerate, indes eine noch wenig erkundete organische Gesetzmäßigkeit sui generis ihre Wirksamkeit betätige: diese und dahin ein* schlägige Erörterungen seien dann billig einer Zukunft anheimgegeben, welcher Humboldts welthaft beglücken* der Jakobstraum von einer kosmischen Historie des Himmels und der Erde und der Stufenleiter ihrer Organ* Organismen besser aus dem Herzen stieg als diesem armen Heute. Ja, aus dem Herzen stieg der reife Urgedanke stets wiederholender Pulsation, Rhythmik, Periodik aller Lebensstufen und Weltalter nach einer annoch nicht er* mittelten , Spiraltendenz' eines irgendwie daseienden und bestehenden, dawerdenden und entstehenden All*Organis* mus oder .biotischen Kosmos' . . .
685
DIE WELT ALS AXIOLOGISCHER ZU* SAMMENHANG
Es schwebte und schwankte uns das Leben, genommen als ein Einiges und Ganzes, jeweils zwischen einer vollendenden Strebigkeit, die ihres innersten Zieles mit der Ermöglichung des Lebens selber versichert zu sein scheint, und zwischen einer nie vollendbaren Neigung, auch über seine best angepaßten Erschaffenheiten als bloßen Vor* stufen zu irgend etwas hinauszuleben. Beruht dieser unent* schiedene Zustand des Lebens nicht etwa auf einer Tau* schung unserer Erkenntniskräfte, so liegt es jetzt auf uns, daraus eine Folge von erheblicher Tragweite zu ziehen. Weil wir uns nämlich selber, Söhne und Töchter desselben wundersamen Lebens, mit ihm notgedrungen in derselben wundersamen Schwankunglage zwischen vollendeter Wirk* lichkeitanpassung und angestrebter Wirklichkeitüberschrei* tung beharrend vorfinden, fühlen wir auch notgedrungen die Verpflichtung auf uns lasten, eben jenen gleichsam lebenüberschreitenden, lebenüberwindenden Zielpunkt auszumitteln, auf den es das Leben vielleicht abgesehen haben möchte, ohne ihn doch seinen Geschöpfen aus eigenen Machtvollkommenheiten offenbaren zu können. Die grund* sätzliche Richtung, in welcher das Leben sozusagen als nach einem ewigen und unstillbaren plus ultra vorwärts treibt und stößt und wuchert, wird uns zwar niemals wirklich gewiß werden können, indem sich die Gesamtbewegung der organischen Natur aus früher angeführten Gründen einer gedanklichen Bemeisterung entzieht, wie sie den Be* wegungen der mechanischen Natur ohne weiteres zuteil wird. Stets werden wir in diesem Bezug der Besatzung eines Kriegsschiffes ähneln, die mit versiegelten Befehlen aus dem Heimathafen ausläuft, — niemand an Bord weiß
686
und darf wissen, in welche fremden Meere, an welche uns bekannten Gestade hin . . .
Trotzdem meinen wir in stand gesetzt zu sein, etwas von diesem versiegelten Lebensziel zu erraten: wenn nicht un* mittelbar durch eine Einschwenkung in die organische Ge* samtbewegung als solche, so doch durch eine beinah instinks tiv vorgenommene Drehung, die uns mit einem Schlag den bisherigen Ablauf organischen Werdens und Geschehens nach rückwärts bis fast zu seinen Ursprüngen anstatt nach vorwärts bis zu seinen Zielen überschauen läßt, — wobei es nicht vermeidlich sein wird, daß wir im Vergleich mit diesen Ursprüngen (oder was wir dafür halten müssen) in irgendeinem Sinn uns selbst als Absicht und Ziel aller or* ganischen Gestaltwerdungen deuten. Damit soll jedoch weniger auf jene allzu anmaßliche, allzu menschliche Unter* Stellung abgehoben sein, als ob die zoologische Spezies homo sapiens, homo inventor, homo faber an und für sich Ziel oder Absicht entwicklunggeschichtlicher Abände* rungen und Formenwechsel wäre. Vielmehr soll auf die wesentlich besser begründete Auffassung angespielt wer* den, daß sich frühestens im Menschen eben das Leben überhaupt einer Strebigkeit, Gerichtetheit, Zielgewendet* heit bewußt zu werden beginne: alsdann aber im gleichen Augenblick vermöge dieser Bewußtheit seine vorige Schwankunglage zu verlassen und ins Gleichgewicht zu setzen durchaus fähig werde. Nicht darum erhält das Leben Richtung, Maß und Ziel, weil es eines schönen Tages in die Reihe erschaffener Gestalten den Menschen eingliedert, wie um sich damit nachträglich gewissermaßen vor sich selber zu rechtfertigen, — sondern darum, weil der Mensch das einzige bekannte Geschöpf im natürlichen Zusammen* hang organischer Erscheinungen ist, der eine Vorstellung von Richtung oder Ziel oder Strebigkeit bewußt aus sich
687
herausarbeitet. Nicht von der Schwankunglage der Ge* samtbewegung des Lebens aus und nicht durch die Einschwenkung und Eingliederung in sie finden wir das vermutliche Ziel der Bewegung, sondern von der Tatsache der erkennenden Menschenvernunft aus, die sich allenthalben der Setzung bestimmter Zielpunkte, Richtlinien, Polhöhen, Gradnetze bewußt sein muß, wenn anders sie die lebendigen Veränderungen der Wirklichkeit begrifflich vergegenwärtigen will. Wenn überhaupt, dann entdecken wir hier das mächtige Schaltwerk, wo wir selbsttätig den Strom des Lebens um* schalten können, damit er nicht sowohl von unbekannten Herkunftstellen zu uns selber, als vielmehr auch gerade von uns zu seiner mutmaßlichen Herkunftstelle wieder zu* rückgeleitet werde. Und weil dem gerade so ist, werden wir kaum jemals mit voller Aufrichtigkeit davon Abstand nehmen können, diese höchst neuartige, unerwartete, außer* ordentliche Gabe bewußter Umschaltung an sich zum eigentlichen Ziel, Zweck, Sinn und Wert des Lebens zu machen. Um das sogenannte virtuelle Bild eines Gegen* Standes zu erhalten, muß man sich bekanntlich die Licht* strahlen more geometrico nach rückwärts verlegt und das Bild in dieser Rückwärtsverlegung gespiegelt denken. Ganz ähnlich müssen wir hier gleichsam durch Rückwärts* beugung der Bewegungrichtungen des Lebens in unserem Bewußtsein ein virtuelles Bild von ihm erzeugen, um seiner selber in seiner ganzen Ungeheuern Fragwürdigkeit als Werden, Geschichte, Entwicklung inne zu sein. Denn nicht das Leben als solches, nein, die Vorstellung des Le* bens in uns ist es, welche uns das Wort von der Zielstrebig* keit und Eigengerichtetheit der organischen Gesamtbe* wegung immer wieder auf die Zunge legt.
Die Vorstellung des Lebens, schreibe ich, und nicht das
688
Leben an und für sich! Dieser Umstand heischt unsere nächste sorgfältigste Aufmerksamkeit, denn eben er zeigt uns die Stelle an, wo die organische Gesamtbewegung einst» weilen stockt. Daß wir Menschen in uns neben dem Leben und seinen unmittelbaren Regungen, Antrieben, Reizen, Spannungen und Lösungen noch eine Vorstellung des Lebens hegen, ja sie mit Anstrengung, mit Leidenschaft zum Begriff verdichten mögen, das unterscheidet uns am sicher? sten von der Unzahl übriger Geschöpfe. In dieser Erhebung der unmittelbar erfahrenen, erlittenen, vollstreckten Lebens* Wirklichkeit zu einer erkenntnismäßigen Vorstellung tritt die innewohnende Neigung alles Lebens, über sich selbst hinauszuzeugen und hinauszugebären, gleichsam nackt an den Tag, — hier, wo sich das Leben im Bewußtsein des Lebenden zu einem bis dahin nirgends vorgefundenen Er* Leben wandelt. Dieses das Leben nunmehr in abstracto vor* stellen, das Leben in abstracto begreifen, das Leben in ab» stvacto beurteilen wollen, heißt aber zugleich das Leben doch schon an einem ihm von Haus aus fremden Maß messen und es einem ihm selbst nicht mehr entsprechenden Begriff unterwerfen. In unserem unverdränglichen Erkennt* nistrieb, der uns das Leben weniger mit Ausschließlichkeit zu leben als vielmehr daneben noch zu verstehen, zu be* greifen, zu erleben gebietet, in ihm überschlägt sich geradezu die stärkste und mütterlichste Tendenz des Lebens zur eigenen Selbstüberschreitung. Und kaum braucht es be* sonders vermerkt zu werden, daß jene frühere platonische Lehre von der Transzendenz der Ideen, will heißen von der Wirklichkeitübersteigung der Begriffs*Gesichte im ganzen und großen als eine logische oder metaphysische Fassung dieses ungemeinen Tatbestandes aufzufassen ist. Im Begriff, der kraft seiner Begrifflichkeit die Wirklichkeit trans* zendieret, transzendieret das Leben am entschiedensten sich
44 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 689
selbst und seine Sphäre, Atmosphäre: hier endlich bringt es die Urhewegung seiner selber zunächst und vorläufig zum gewissen Stillstand und Abschluß. Weil und wofern das Leben je und je sich selber überflügelt, weil und wofern das Leben im Begriff des Lebens uns Menschen seinen tiefsten, regsten, heiligsten Drang zum Selbstbewußtsein bringt, muß just der Begriff die Wirklichkeit am meisten und am steilsten übersteigen. Als Begriff des Lebens steigert sich Leben zur Aufgegebenheit für es selbst hinauf. Als Begriff sagt es sich von einer Wirklichkeit los, in der es sich scheinbar niemals völlig heimisch und heimatlich ge* fühlt hat. Als Begriff richtet es sein eigen Maß, sein eigen Ziel, sein eigen Wert auf, woran es fortan geprüft, beur* teilt, gemessen zu werden heischt. Als Begriff wird sich das Leben fragwürdig und bedeutend, Antwort und Deutung vom Begreifenden unnachlässig fordernd. Nicht anders wie vorhin die mechanische Betrachtungweise in der orga* nischen ihre unbedingte Grenze gefunden hatte, indem die auf geometrische Gleichsetzungen zurückzuführenden Vers änderungen der Wirklichkeit in Veränderungen anderer Art übergingen, die sich aus triftigen Gründen einer Dar* stellbarkeit in Bedingunggleichungen entwanden; — nicht anders findet jetzt auch diese organische Auffassung ihre Grenze schlechtweg, indem eine herkömmlich .philoso* phisch' genannte Betrachtungweise sich überhaupt auf keine Veränderungen der Wirklichkeit, auf keine Bewe* gungen der Natur mehr bezieht, sondern statt dessen eine Besinnung anstrebt auf die Begriffswelt als solche, zu wel= eher die Wandlungen des Lebens in der menschheitlichen Vernunft gleichsam erstarren und kristallisieren. In aller Bestimmtheit hebt sich somit von den mechanischen und organischen Wirklichkeitwissenschaften eine dritte Erkennt* nisart ab, die ihren Vorwurf eben in jener neuen und über*
690
raschenden Tatsache erblickt, daß das Leben an und für sich vom Menschen nicht sowohl gelebt, als vielmehr er* lebt, erfaßt, begriffen, gedeutet, beurteilt, gewertet sein will. Mechanik und Organik sind sich darin einig, eine gedankliche Bewältigung, Beherrschung, Bemeisterung der Wirklichkeit anzustreben, ohne die gedanklichen Mittel zu dieser End* absieht als solche zu rechtfertigen oder zu ergründen, indes Philosophie die Denkhilfen der Vernunft selber zu unter* suchen, zu sammeln, zu vergleichen, zu ordnen trachtet. Ihr Urgegebensein heißt nicht mehr: natürliche Verändere lichkeit des Wirklichen in Raum und Zeit je nach mecha* nischer oder organischer Einstellung wahrgenommen; ihr Urgegebensein ist der Begriff selber, der sich in jenen Wissenschaften von der Natur des ungeheuren Unter* fangens erdreistet, Leben und Welt und Dasein vernünftig zu bezwingen. Immer und immer wieder bewährt sich darnach Philosophie als eigentliche Wissenschaftlehre, als Erkenntnis der Erkenntnis, als EJiicmjjur) eavxfjg oder imorrj/ur} emoxijjut]g, wie sie dem jüngeren Piaton erstmals etwa im Charmides fragwürdig, ja Widerspruch voll zu sein bedünkt, um sie jedoch eben durch diese Erhebung ins Proble* matische und Dialektische ein für alle mal ins Sein zu rufen . . .
Lassen wir indessen von dieser dritten grundlegenden Stellungnahme des erkennenden Subjektes aus noch einmal unseren Blick zurückschweifen zu jenen szientifischen Denk* mittein, deren Inanspruchnahme besonders der Organik die Bewegungen und Gestalten des Lebens wissenschaftlich zu beschreiben und zu erklären helfen sollte, so wird uns mög* licherweise die nachfolgende Beobachtung verwunderlich sein. Zu diesen Denkmitteln nämlich, vom Naturforscher zum Behufe einer durchführbaren Einteilung der orga* nischen Erscheinung ausgesonnen und angewendet, gehören
44* 691
(unter vielen anderen) etwa auch die Vorstellungen von Stamm, Klasse, Unterklasse, Ordnung, Unterordnung, Familie, Gattung, Art, Rasse, Einzelwesen, in welchen die jeweiligen Hauptmerkmale der unter diese Begriffe je* weils fallenden Unterbegriffe vereinigt und untersucht werden, bis das höhere Ziel einer womöglich lückenlosen Darstellung aller vorhandenen Lebewesen erreicht ist. Für den Naturforscher hat dabei der Gebrauch derartiger und verwandter Einteilungformen, Einteilungformeln nichts weiter Befremdliches auf sich und man sieht ihn mit diesen Denkhilfen umgehen und wirtschaften, wie man halt mit einer unbedenklichen Sache umgeht und wirtschaftet. Die organische Gesamtheit der tierischen Lebewesen zum Bei* spiel besteht ihm ganz natürlich aus solchen Stämmen, Klassen, Ordnungen, Familien, Arten: in der Natur selbst glaubt er einen animalischen Stamm wie die Zölenteraten, einen Unterstamm wie die Spongien, eine Klasse wie die Poriferen, eine Ordnung wie die Kalzispongien vorhanden, — und so fort. In der Natur und nirgendwo sonst vermutet er eine den begrifflichen Bestimmtheiten dieser abgestuften Vorstellungen jeweils gleichende Wirklichkeit, sei es, daß er in instinktiver Anlehnung an die realistischen Auffas* sungen des Mittelalters den Gattung* und Artbegriffen doch irgendwie ein Dasein oder eine Wirklichkeit einräumt, sei es, daß er, (kritisch vermeintlich gewitzter) der Natur zwar keine durchgängig wirkliche Entsprechung jener Begriffe, doch aber eine mehr oder weniger bestimmte und bestimm* bare Beziehunggrundlage, ein sogenanntes fundamentum relationis unterstellt: ohne sich freilich im einen oderande* ren Fall tiefere Gewissenszweifel über den wahrheitgemäßen Sachverhalt zu leisten. Seinen wissenschaftlichen Zwecken genügt es, wenn er in jedem einzelnen Lebendigen die mit den Begriffen seiner Rasse, Art, Gattung, Familie, Ordnung,
692
Klasse, Stamm erfahrungmäßig zu verknüpfenden Haupt* merkmale aufzuweisen in stand gesetzt ist, — wenn er also etwa in Einhelligkeit mit unserem vorigen Beispiel von einem im Meer aufgefischten Schwamm folgendes auszu* sagen berechtigt ist: Nerven, Muskeln, Sinneswerkzeuge fehlen sozusagen vorschriftmäßig; ein pflanzenähnlicher, aus Bindegewebmassen bestehender Körper ist von viel* fältigen Hohlgängen und Geißelkammern durchwunden; die Ernährung geht vor sich durch feine Poren einer über das Innere der Bindegewebmassen gestülpten Oberflächen* Schicht; die Fortpflanzung geschieht durch Teilung oder Knospung . . . Kann der Beobachter solches und noch etliches mehr mit Recht von dem aufgefischten Tier behaup* ten, so ist dies eben als Schwamm gebührend gekennzeich* net und in die Anzahl der seine Art umschreibenden Ober* begriffe eingereiht. Gewiß bleibt die Bildung der Art* und Gattungbegriffe abhängig von einer fortschreitenden Zu* sammensichtung gemeinschaftlicher Merkmale, die bei den einzelnen organischen Exemplaren zur Beobachtung ge* langen, und wenn man nie erfahren oder wahrgenommen hätte, daß gewisse Einzelschwämme ein Grundgerüst aus Kieselsäure, gewisse andere dagegen ein solches von Kalk besäßen, niemals würde man die Klasse der Poriferen in die zwei Ordnungen Silizispongien und Kalzispongien auf* geteilt haben. Auf anderer Seite ist jedoch nicht außer acht zu lassen, wie diese einmal fertig geprägten Art* und Gat* tungbegriffe jedem einzelnen unter sie fallenden Lebewesen gewissermaßen mit einer Forderung, mit einem Anspruch, mit einem Befehl, mit einem Sollen gegenübertreten, wonach es die feststehenden und festgestellten Merkmale der Art*Gat* tung schlechterdings zu befriedigen hat, um überhaupt unter sie befaßt oder von ihnen umspannt zu werden. Gesetzt, man fischte einen Schwamm im Meere, der weder ein Skelett aus
693
Kieselsäure, noch eines aus Kalk, sondern zur Abwechslung einmal eins aus Elfenbein aufwiese, so wäre ihm ohne weite* res die Aufnahme in die bisher bekannten Ordnungen der Kiesel* oder Kalkschwämme zu verweigern und ihm das Schema einer neuen Ordnung zu eröffnen: und zwar darum, weil er dem sozusagen imperativen Zwang der bislang aufge* stellten Oberbegriffe mit Eigensinn widerstrebt. Genau aber dieser Charakter naturwissenschaftlicher Ordnungbegriffe ist es, der, sehr weit über alle naturwissenschaftlichen Be* griffsbildungen hinausgreifend, in uns die sehr allgemeine Erkenntnis vorbereitet, daß das Verhältnis jeder Begrifflich* keit zu ihrer angenommenen oder gesuchten Wirklichkeit ohne Ausnahme als ein im philosophischen Wortverstand sollendes, befehlendes, Geltung heischendes, imperatives aufzufassen ist. Jede begriffliche Vorstellung gebietet ihrer wirklichen Entsprechung, allen dort zusammengezogenen, gesammelten, vereinigten, in eins gesichteten Merkmalen durchaus zu genügen, widrigenfalls jedes Anwendungrecht des Begriffes auf die ihm zugeordnete Erlebnisgegebenheit automatisch erlischt.
Diese seltsame Spannung zwischen Begriff und Wirklich* keit, fast wie die atmosphärische Spannung zwischen Glas* und Harzelektrizitäten auf einen Ausgleich immer wieder drängend und in der Tat auch allerlei logische, allerlei szien* tifische Gewitter mit Donner, Blitz, Platzregen wohltätig von Zeit zu Zeit verursachend, — sie wird allerdings dort noch allzu leicht übersehen, wo wir innerhalb der Arten und Gattungen selbst noch keine Unterschiede zwischen den einzelnen Geschöpfen zu machen pflegen; wo uns mit* hin der nicht unwichtige Umstand allzu leicht entgeht, daß keineswegs jeder Vertreter einer Art diese selbst in gleicher Angemessenheit zu vertreten geeignet ist. In der unbelebten Natur, wo das wissenschaftliche Herkommen noch gar nicht
694
von Gattungen und Arten zu reden gewohnt ist, gehört ein Stück aufgelesenen Gesteins etwa mineralogisch zur ,Art' Hornblende, wenn es chemisch aus Kieselsäureverbindun* gen, sei es aus kieselsaurer Magnesia, aus kieselsaurem Eisen, Kali oder Natron zusammengesetzt ist, einerlei, ob übrigens dies Stück groß oder klein, rund oder spitz, mit anderen Gesteinen gemengt oder rein sei; — ob auch schon hier, (wir streiften dies Problem vorhin im Vorbeigehen), der Begriff des besseren oder schöneren Exemplars hereinzu* spielen beginnt, sobald wir unsere Aufmerksamkeit den Ausprägungen der kristallischen Erscheinung eines der* artigen Minerals zuwenden. In der eigentlich so benannten .organischen' Natur hingegen liegt es schon durchaus im praktisch*pragmatischen Interesse der Züchtung nützlicher oder schöner Pflanzen, nützlicher oder schöner Tiere, daß die Aufmerksamkeit des Betrachtenden gerade auf individuelle Verschiedenheiten gerichtet werde. Eine besondere Kenner* schaft entwickelt sich hinsichtlich der Vorzüge und Nach* teile bestimmter vegetativer und animalischer Individuen, wo* bei ein begründeter Zweifel nicht aufkommen kann, daß die verschiedenen Grade hinaufgezüchteter Vollkommenheiten der Einzelwesen an einem imperativisch und normativ ge* dachten Inbegriff von Art, Abart, Spielart, Rasse gemessen werden. Mögen diese züchterischen Absichten, die bei solchen Verfahrungweisen in einem sehr buchstabengetreuen Wortsinn .maßgeblich' erscheinen, immerhin beträchtlich auseinandergehen, indem die Züchter von Tulpenzwiebeln, Zentifolien, Azaleen ausschließlich ästhetische, die Züchter von Wollschafen, Milchkühen, Zugbüffeln ausschließlich utilistische, die Züchter von Rennpferden oder Vorsteh* hunden ausschließlich sportliche Zwecke .verfolgen und dennoch den Begriff der edelsten Zentifolie, der ergiebigsten Milchkuh, des geschwindesten Rennpferdes nach sehr ver*
695
schiedenen Gesichtspunkten festlegen: durchaus gemeinsam bleibt ihnen jedoch, daß sie das einzelne Exemplar ein* schätzen nach dem Grade, wie es sich dem zum Ideal er* hobenen Gattungbegriff annähert. In diesem Bestreben des Züchters, möglicherweise Die Zentifolie, Die Milchkuh, Das Rennpferd schlechtweg zu erzielen und im einzelnen Vertreter seiner Art alle erwünschten Eigenheiten dieser letzteren mit einem Schlag zu verwirklichen, gelangt aber auch unser innerstes Verhältnis zu den Ordnungvorstellun* gen der Natur überhaupt zum Ausdruck, wofern wir alle, ohne Züchter zu sein oder sein zu wollen, willkürlich oder unwillkürlich jedes Spezimen seiner Spezies mit seiner Idee als mit seinem Ideal, seiner Norm, seinem Imperativ ver* gleichen, wie sich diese in den begrifflichen Zusammen* Sichtungen allgemeiner Merkmale jeweils niedergelegt fin* den. Und diese Gepflogenheit dürfen wir vielleicht in der Tat als eine höhere Rechtfertigung des vielmals gerügten Verfahrens von Charles Darwin erachten, wenn er, begna* deter Beobachter aber voreiliger oder unzulänglicher Den* ker, das Leben gleichsam mit den Voraussetzungen des Züchters zu bewältigen strebt und dieselbe Ursache gestei* gerter organischer Typen in der absichtlosen Natur wie in der absichtvollen Praxis aufzeigen zu können wähnt. Wenig* stens liegt es offenbar schon in den Interessen der künst* liehen Züchtung begründet, wenn wir pflanzliche oder tierische Individuen auf ihre verschiedene Eignung hin prüfen und beurteilen, die sie zur mehr oder minder ange* messenen Vertreterschaft ihrer Art befähigt, und wenn wir solchermaßen ganz unvermerkt jedem Einzelwesen den Ordnungbegriff, dem es zugehört, als seine Norm und seinen Imperativ heischend, fordernd, befehlend gegenüberstellen. Über jedes Stück Leben spannt sich von jetzt an in idea* lischerVollkommenheit die spezifische Begriff lichkeitdessen,
696
was es möglicherweise sein könnte und sein sollte, den Komplex seiner Eigenschaften nach Graden der individu* eilen Vorzüglichkeit stufend. An jedes natürliche organische Geschöpf ergeht die Forderung, in sich die normative Form seines jeweiligen Typus tunlich zu verwirklichen. Jedem Glied im Zusammenhang erschaffener Gestalten ruft der vernünftige Ordner der Welt, der Menschengeist, unhörbar und dennoch nicht zu überhören zu: werde alles, was du deiner Art nach bist; sei alles, was du deiner Art nach sein kannst; stimme überein mit deinem eigenen Begriff und unterwirf dich unbedingt seinen ewigen Verpflichtungen. Wer da als Pflanzentier, Wurm, Käfer, Vogel, Fisch ent* standen ist, der trachte auf seine Weise unablässig darnach, Pflanzentier, Wurm, Käfer, Vogel, Fisch ganz und gar, in jedem Hauch, in jedem Zug zu sein. Und wer da als Mensch etwa männlich und dazu deutsch geboren wurde, der bleibe sich fortan stets klar bewußt, daß Deutscher, Mann und Mensch, in ihren Ansprüchen jede endliche Gegebenheit unendlich überflügelnd, dennoch ihre Verkörperlichung nach besten Kräften des Wollens und Vollbringens von ihm heischen . . .
So werden wir hier von der doch nicht ganz unerheb* liehen Tatsache überrascht, dem scheinbar abenteuerlichen Gedanken des mittelalterlichen Realismus von den söge* nannten .Graden* des Wirklichseins möchte eine gewisse inne* wohnende Wahrheit nicht durchgängig abzuerkennen sein. Es gibt wahrhaftig in gewissem Sinn verschiedene Grade der Wirklichkeit, die zugleich verschiedene Grade, verschie* dene Abstufungen begrifflicher Allgemeinheit sind, — und zwar insofern, als es Stufen der Verwirklichung gibt, in welchen ein pflanzliches oder tierisches Lebewesen die Eigenheiten seiner Gattung zu jeweiliger Verlebendigung bringt. Der individuelle Organismus ist in desto höherem
697
Grad zugleich ein .Allgemeines', nämlich ein Vertreter und Stellvertreter seiner Rasse, Spielart, Abart, Art, je geringer die Spannung zwischen seiner eigenen Erscheinung und der begrifflichen Ineinandersichtung seiner artwichtigen Merkmale ist. Und umgekehrt bleibt der individuelle Orga* nismus um so mehr zur Kümmerlichkeit, Bedeutunglosig* keit, Stiefmütterlichkeit verurteilt, desto weniger er die Förderung seiner gedanklich umschriebenen Gattunggestalt, seiner gleichsam ihm von der Natur selber auferlegten Nor* malität befriedigt. Wir sehen jede naturgegebene Einzeln* heit in dem Maß Bedeutsamkeit, Wichtigkeit, Lebensbreite gewinnen, als sie sich den spezifischen Allgemeinheiten und Begrifflichkeiten annähert, die von der Vernunft erfunden, gegründet und errichtet sind zum Behuf einer möglichen Bemeisterung des Lebens und seiner Wirklichkeiten durch den Gedanken: dies ungefähr ist die unverlierbare Richtig* keit des scholastischen Realismus von den verschiedenen Staffeln, Graden und Stufen des Wirklichseins, eine Richtig* keit, die sich über alle Anfechtungen nominalischer Epochen durchgesetzt hat und durchsetzen wird. Was aber uns selbst, uns Menschen und menschheitliche Art als solche betrifft, so entnehmen gerade wir der Vorstellung unserer spezi* fischen Qualität mit ihren zahllosen leiblichen, geistigen, seelischen Bestimmungen und Kennzeichen den letzten An* trieb zur Höhersteigerung unserer lebendigen Grundform: wir werden uns nicht nur der imperativen und idealischen Normalitäten aller außer* und untermenschlichen Artbe* griffe bewußt, um nach ihnen die einzelnen Verkörperungen des Lebens zu schätzen und zu eichen, sondern wir besinnen uns daneben auf die imperativ* idealischen Normalitäten unserer eigenen Art, um uns im Vergleich zu ihnen stets und stets wieder über uns selbst, über unsere empirische Existenz zu erheben und im Ablauf unserer inneren Ge*
698
schichte mit der Zeit alles zu werden, was wir unserer Art nach überhaupt werden sollen und werden können. Jedem Einzelnen unter uns tritt die Vorstellung seiner Art irgend* wie mahnend, billigend, spornend, absagend, richtend, ver* werfend, beschämend, strafend, sühngebietend gegenüber und unhörbar*unüberhörlich, wie ich schon sagte, flüstert ihm eine Stimme ein, ganzer Mensch, ganzer Mann, ganzes Weib, ganzer Bürger, ganzer Künstler, ganzer Bauer, gan* zer Priester, ganzer Führer je und je zu sein. In unendlichen Verzweigungen, Vervielfältigungen, Zuspitzungen, Anord* nungen, Vermischungen ist es immer wieder der Gedanke einer spezifischen Begrifflichkeit, der zwischen sich und unserer zufälligen Existenz eine Spannung herstellt, unter welcher allein ein Leben im menschlichen Sinne, will heißen eine persönliche Erweiterung, Ereiferung, Aufgipfelung, Er* mächtigung, Ertüchtigung, Ausbreitung, Erziehung, Entfal* tung, Veredelung, Läuterung, Selbstbestimmung, Ichgestal* tung, Weltbereicherung, Triebentwicklung, Seelergreifung, Schicksalformung, Herzensstillung, Wertbejahung, Sachbe* glückung, Gemeinschaftfriedigung gedeiht. Demselben Ge* danken danken wir die Nötigung (ich könnte auch sagen die Freiheit), uns selbst als höhere Möglichkeit der orga* nischen Natur auf höheren Ebenen zu verwirklichen; — und wollte man ihn mit ganzer Energie vollends zu Ende denken, so gewahrte schließlich jeder Einzelne von uns als letzte und verdichteste Normalität in seiner guten Stunde etwas wie ein ergreifend geschautes Ur* und Musterbild der eigenen Person und Eigenheit als seine eigenste Art und Gattung: die platonische Idee dessen, was er selbst sein könnte und sein müßte im Vergleiche mit sich selbst, im Vergleiche mit seinem Selbst; sein eigenes Gesicht, nur wundersam geglättet, veredelt und verschönt im Spiegel gedanklicher Vollkommenheit: sozusagen bei Lebzeiten
699
noch die Maske des eigenen Todes und der eigenen Voll* bringung . . . Daß mithin jeder Einzelne sich gleichsam als Allgemeines seiner besondertsten Besonderheit vorstellig zu werden vermag, daß jeder sich gewissermaßen Modell, Begriff, Art, Norm, Idee und Ideal zu sein vermag, — dies ist wahrscheinlich das staunenswürdigste Paradox des Tat* bestandes, wonach jeder Begriff der zugeteilten Wirklich* keit ein Sollen auferlegt. Braucht es dabei noch ausdrück* liehen Hinweises, wie wir hiermit (zwar etwas scheu) an die Wurzel aller menschheitlichen Gesittung rühren, die, wenn sie anders diesen Namen überhaupt verdient, zu allen Zeiten humanistischer Beschaffenheit war und humanistischer Be* schaffenheit (nach Überstand gegenwärtiger Katastrophe) wieder sein wird, — weil sie eben zu allen Zeiten dem Men* sehen ,im Fleisch' den Menschen ,im Geist', will sagen dem bloßen Wirklichsein das Seinsollen vor die Seele hält? Braucht es etwa noch weitläufiger Auseinandersetzungen, wie hier und hier allein der Mensch sich selbst zum Maß wird, ja, wie er der sokratischen Parodie auf des großen Protagoras äv$Qcojios Jiävrcov xQrjfxdrcov juetqov zum Trotz gerade in einem einwandfrei platonischen Wortverstand Maß der Dinglichkeiten überhaupt wird? Wie wir uns lediglich von hier aus angetrieben, von hier aus bewegt fühlen können zu jenen immerwährenden Selbstüber* Windungen und Selbsterhebungen, Selbstverleugnungen und Selbstverwirklichungen, deren zeitlicher Ablauf doch wohl das einzige ist, was die Bezeichnung einer wesenhaft menschheitlichen Geschichte im Gegensatz zu aller sonstigen »Geschichte überhaupt' verdient? Wie eben diese Art von Geschichte nur stattfindet insoweit, als Menschen in unzähl* bar mannigfaltigen Brechungen und Beugungen und Ab* Wandlungen die höchste irdische Weltgestalt, Eingestalt, Wertgestalt Der Mensch in sich herausarbeiten? Wie endlich
700
wir, zum einschneidendsten Unterschied von allem, was nicht unserer Herkunft und Gattung ist, die eigene Spezies nicht sowohl (nach dem Vorgang der ganzen übrigen Na* tur) in eine andere Spezies abzuändern streben: als vielmehr diese selbst erstmalig in sich selbst in des Begriffes strenger Urbedeutung zu entwickeln, höher zu steigern, zu vervoll* kommnen, zu überstufen gedenken?
Steht es indessen gewißlich so, daß jede Allgemeinvor* Stellung artwichtiger Merkmale im Vergleich zu den einzel* nen Gegebenheiten der Erfahrung und des Bewußtseins als ein Sollen aufzufassen ist, jeder erdenkliche Begriff aber schon von Haus aus eine Vorstellung von spezifischer All* gemeinheit selbst dort einschließt, wo er im höchsten Grad besondert, verdichtet, verpersönlicht erscheint: dann liegt es durchaus folgerichtig innerhalb der Möglichkeitgrenzen jeden Begriffes, einen normativen und imperativen Akzent anzunehmen, dann kann jeder Begriff einen werthaften (axiologischen) Charakter annehmen und sich als Wert* begriff dartun. Wir bemerkten es schon bei den naturwissen* schaftlichen Ordnungvorstellungen, daß sich jede von ihnen zu den einzelnen Wahrnehmungerlebnissen, zu den einzel* pflanzlichen oder einzeltierischen Wirklichkeiten gewisser* maßen als eine Forderung und Verpflichtung verhalte, der jene genügen müssen, wofern sie darunter befaßt werden wollen. Während sich jedoch hierbei der Naturforscher immerhin noch mit einer ungefähren und annähernden Ent* sprechung, mit einer festzustellenden Übereinstimmung in den Hauptmerkmalen bescheidet und bescheiden darf, legt im Gegensatz der Philosoph, der Axiologe, der Wert wissen* schafter den stärksten Nachdruck auf die unausgleichbare Spannung zwischen den beiden äußersten Polaritäten des Bewußtseins, zwischen Dinglichkeit und Begrifflichkeit, Sosein und Soseinsollen. Denn an dem Erlebnis dieser
701
Spannung allein geht ihm der grundsätzliche Sachverhalt auf, daß in jedem ideellen Gebild, sei es welcher Beschaffen* heit auch immer, eine idealische, eine axiologische Latenz steckt, die kraft menschheitlichen Wollens in einen Zustand der Aktualität übergeführt werden kann. In jedem Begriff liegt ein Anspruch auf Wertverwirklichung eingebettet; jede Idee ist gleichsam dynamisches Potential eines in keiner Realität zwar gegebenen aber doch irgend einer Realität aufgegebenen Ideales : und eben diese innerlich spannende Potenz oder Latenz der Begriffe , die sie als Willensziele möglicher Verwirklichungen kenntlich macht, pflegen wir mit dem Ausdruck ,Wert' zu bezeichnen. Jeder Begriff kann im Verhältnis zu seiner wirklichen Entsprechung als ein Willensziel dessen auftreten, der seiner seelischen Gesamt* haltung nach überhaupt eines Willenszieles fähig ist; jede Idee kann als idealische Latenz schlummernde Energien und verborgene Tendenzen zu gewaltigster Betätigung drängen; in jeder gedanklichen Ineinandersichtung kann das ent* halten sein, was Kräfte des Leibes und Geistes ins Unend* liehe zusammenrafft zu Werk, Tat, Vollzug und Leistung. In diesem Betracht steht es dem Bewußtsein anheim, jeden beliebigen Begriff als einen noch unverwirklichten, unent* bundenen, unverweltlichten Wert zu nehmen, indem jeder Denkinhalt als solcher unter Umständen unseren Willen zu bestimmen, unsere Trägheit fortzureißen, unsere Ge* sinnung zu ändern, unsere Zuständlichkeit zu vervoll* kommnen, unsere Freiheit in Gesetzmäßigkeit zu überführen geeignet ist. Raffe ich ganz aufs Geratewohl eine Hand* voll Begriffe zusammen wie Heimat, Frühling, Lust, Friede, Anstand, Jugend, Landschaft, Achtung, Liebe, Persönlich* keit, Wahrheit, Glanz, Offenbarung, Armut, Staat, Ehe, Einsicht, Tugend, Macht, Gesundheit, Besitz, Erkenntnis, Prüfung, Sitte, Gewohnheit, Einheit, Arbeit, Wirtschaft: so
702
ist offenbar kein einziger unter ihnen, der nicht als ein Wert, als ein Willensziel, als ein Geltensollen aufgefaßt werden könnte. Denkinhalte wie Lust, Friede, Jugend, Persönlich* keit, Ehe, Besitz gelten genau in dem Augenblick für wert* voll, wo das Bewußtsein ihres transzendierenden und idea* lischen Charakters inne wird und aus dieser Erkenntnis den Antrieb zu ihrer Verwirklichung empfängt. In jedem dieser Begriffe ruht eine Anforderung, welcher kein erfahrbares Dasein erschöpfend oder auch nur angemessen entspricht; von keiner dieser Anforderungen steht es von vornherein fest, daß sie nicht sogar zum Rang ganz unbedingter Gültig* keiten oder zum Rang von absoluten Werten gesteigert werden dürfen oder können. Lust, Friede, Jugend, Person* lichkeit, Besitz werden an und für sich in der Wirklichkeit nicht weniger vermißt wie Frühling, Achtung, Liebe, Wahr* heit, Staat, Tugend, Erkenntnis, Wirtschaft, sobald einmal ihre wirklichkeitüberschreitende Bedeutung feststeht: sie alle besonnen das Wirkliche, Nur* Wirkliche mit den Aus* Strahlungen eines unbekannten Himmels, nach welchem sich übrigens die lautersten Gemütskräfte von Tag zu Tag immer wieder drehen, wenden, schrauben wie Sonnenblumen* Scheiben nach dem Gepräng des Lichtes. Sie dünken uns wertvoll, weil sie das plus ultra aller Wirklichkeiten sind, und dieser Tatbestand erstreckt sich auf alle gedanklichen Gebilde ohne jede Ausnahme. Insbesondere sind auch die logischen Umkehrungen und Gegensetzungen dieser (wie gesagt nur so eben aufgerafften) Begrifflichkeiten durchaus der nämlichen werthaften Auszeichnung fähig, — auch sie befinden sich gleichsam im Zustand einer axiologischen Ruhelage, um nach Belieben des wertsetzenden Subjektes in den Zustand axiologischer Bewegtheit und Wirksamkeit überzugehen. Denn wer wollte mit gutem Gewissen in Ab* rede stellen, daß etwa statt der Lust Unlust und Leid, statt
703
der Jugend das Alter und der Tod, statt der Macht die Ohn* macht, statt der Gesellschaft die Einsamkeit, statt des Be* sitzes die Armut, statt der Achtung die Schmach mit nicht geringerer Berechtigung als Werte, freilich als Werte mit verneinendem Vorzeichen, anerkannt und unter besonderen Umständen zu der Bedeutsamkeit angestrebter Normen und Ideale erhoben werden könnten? Sehen wir doch in zahl* losen Fällen solche und ähnliche Gegen*Werte die Willens* ziele von Menschen sein, die der satanische Ehrgeiz gepackt hat, in der Verneinung und Widersetzung zur Vollkommen* heit fortzuschreiten : und möglicherweis wäre es einer furcht* losen philosoph*axiologischen Untersuchung gar nicht ganz unwürdig, bei Gelegenheit einmal darzustellen, in welchem Maß die humane Vergangenheit und Gegenwart diesem wundersamen Fanatismus verfallen erscheint und wie furch* terlich tief der Wunsch zur Erniedrigung, Vernichtung, Verkehrung, Entstellung, Schändung, Entmenschung unse* rer Gattung eingefleischt ist . . . In unleugbar schönfärbe* rischer Beflisssenheit ist dieser eiserne Tatbestand bisher mit Vorliebe übertüncht worden, obschon mancherlei Ver* suche insbesondere in der deutschen Philosophie des ver* flossenen Jahrhunderts zu erwähnen wären, wo das Dis* angelion der menschlichen Gegenwertung eindringlich und erschütternd eintönig von Schopenhauer und seinen Jüngern Bahnsen, Mainländer, Hartmann gesungen worden ist. Und wenn es seither ganz auffälligerweise in der Ästhetik, dieser bevorzugten Wertwissenschaft von gestern, nicht an Versuchen fehlt, etwa das sogenannte Häßliche als einen an und für sich zu billigenden, ja sogar geforderten Gegenwert des sogenannt Schönen für die Gestaltung sowohl als für die Betrachtung zuzulassen oder die axiologische Antithesis Schön*Häßlich in einer Synthesis einzuschmelzen, so gehört auch dies zu den hoffnungvollen Anzeichen eines sich
704
meldenden tieferen Ernstes in der Behandlung werthafter Fragen. Dies jedoch in Klammer, haben wir hier vor allem darauf zu achten, daß die Werthaftigkeit und Werthaltig* keit jedes beliebigen Denkinhaltes wenigstens grundsätzlich in Anschlag gebracht bleibe und daß die Besinnung darauf als die Kernaufgabe und Kernleistung der abendländischen Philosophie, der abendländischen Axiologie begriffen und ergriffen werde: Philosophie ist Wertwissenschaft, Wert* erkenntnis, Wertprägung, seitdem sie sich und uns den »Begriff des Begriffes', will heißen die normative und im= perative Latenz jeder gedankenhaften Ineinandersichtung zu Bewußtsein gebracht hat. Von dieser platonischen Per* spektive her — und da hilft kein Wider*den*Stachel*löcken : die platonische Perspektive ist hier die europäische und wird es für die Dauer einer jeglichen Europäerschaft sein! — von diesen hintergrundreichen, hintergrundtiefen Adspekten her beginnt sich dann der Unterschied der dritten Wissenschaft* geschichtlichen Typik von den beiden anderen deutlicher abzuheben, die wir vorhin als Mechanik und Organik (in gröbsten Umrissen wenigstens) hinzuzeichnen trachteten. Nunmehr verbietet es freilich unsere jetzige Auffassung schlankweg, Philosophie etwa weiterhin noch auf den Wert* dreiklang der vielberufenen Ideale des Wahren, Guten, Schönen allein aufbauen zu wollen, wie das die offene oder heimliche Neigung des deutschen Akademismus unter dem Einfluß der kantischen drei Kritiken gewesen ist. Denn wo jeder Begriff, sei er welcher er sei, gleichsam als der utopi* sehe ,Ort' einer normativen und imperativen Latenz zu gelten hat, geht es schlechterdings nicht an, diese Latenz nur auf diese drei Begriffsgesichte einzuschränken und sie nur in ihnen zur Aktualität aufzurufen; — es geht schlech* terdings nicht an so zu tun, als ob eine in Bereitschaftlage verharrende Normativität nur ihnen und keinen Denkin*
45 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 705
halten sonst zuzuerkennen sei. Eine wertbegriffliche In* zucht dieser Art würde sich auf die Dauer an der Philoso* phie, an den philosophisch bewegten Lebenskreisen grausam rächen, hat sich, wenn wir nur aufrichtig gegen uns sein wollen, bereits hart und grausam an uns allen gerächt: und zwar desto bitterer, als doch schon zu seiner Zeit der Pia* tonismus, diese erste und noch immer unausgeschöpfte Mutter* Philosophie, Mutter*Axiologie, neben diesem nor* mativen Dreiklang des Schönen, Guten, Wahren eine nicht allzu knappe Reihe anderer Vorstellungen aus latenter in aktuelle Werthaftigkeit gedanklich umzusetzen bemüht ge* wesen ist. Im Widersatz zu diesem durchaus tüchtigen Verfahren heißt es die Aufgabe der Philosophie unheilvoll verkümmern und entmännlichen, wenn man aus der unend* liehen Gesamtheit möglicher Willensziele ängstlicherweise drei oder höchstens vier von vornherein auswählt, um mit ihnen die Äonen menschheitlichen Werdens und Wandeins zu bestreiten. Denn fürwahr besteht die Aufgabe nicht darin, eine Begriffsdreiheit, wenn es hochkommt Begriffs* vierheit ein für alle mal als Wert vor Unwerten auszuzeich* nen, vielmehr darin, aus jedem Gedankenbild die axiolo* gische Bedeutsamkeit womöglich glatt und sauber heraus* zuschälen und es als erstrebenswürdige Norm den Kräften des Willens, den grenzenlosen und ausschweifenden, dar* zubieten. Auf keine Weise ist nämlich einzusehen, warum Erkenntnis, Sittlichkeit, Kunst die alleinigen, echten und wahren Geltungen sein sollten, die unserer Vernunft, un* serer Tat, unserem Gestaltungwillen aufgegeben sind, — oder warum ausschließlich sie es verdienen möchten, in den Blickpunkt der Seele gerückt zu werden und sie im höhe* ren Sinne als verwirklichungwichtig zu beschäftigen . . .
Allerdings wer (gleichnisweis) als spitzwegscher Dach* Stubenhocker und Biedermeier, mit Schlafrock, Nachtmütze
706
und Pantoffeln angetan, Großvaters Pfeife schmauchend und hinterm Fensterbrett zierlich * possierlicher Kakteen wartend, wer etwa derart altfränkisch aufgeputzt (o teut* sehe magistri et doctores!) die gewissermaßen generative Notwendigkeit ewig erneuter, ewig zu erneuernder Wert* prägung nicht beachtete, — der könnte trotz aller gutge* meinten Dachstubenromantik und Hinterhäuslerpoesei un* liebsam Zeuge werden, wie seine Zeit ehrwürdige Ideale, sei es mit Recht oder Unrecht, sei es mit Recht und Un* recht, zum Gerumpel schmeißt und die beredsamen Salba* der des Guten, Schönen, Wahren an ihren abgeriebenen Ecken stehen läßt. Absichtlich sage ich dabei, mit Recht und mit Unrecht. Und zwar mit Unrecht, um dieses gleich vorweg zu nehmen, durchaus insofern, als jener Dreiklang des Wahren, Schönen, Guten unter allen Umständen wert* haftes Sollen und Gelten auch dann noch bleibt, wenn ihn anzuschlagen ein Weltalter aus Gründen leiblicher und seelischer Bedrängnis nicht die Kraft aufbringt. Mit Recht dagegen darum, weil zwar an und für sich jeder erdenkliche Inhalt Ziel eines ihm zugewandten Willens zur Verwirk* lichung zu werden die Möglichkeit besitzt: wir Menschen aber, als Träger dieses Willens, schon wegen der sogenann* ten Enge des Bewußtseins niemals alle, niemals auch nur eine beträchtliche Zahl dieser latenten Imperative und po* tentiellen Normen zumal und an derselben Stelle ihrer Ver* wirklichung zuführen können, vielmehr nach der jeweils veränderten Innenrichtung unserer Selbstheiten nur eine schmale Auswahl zu treffen befähigt, ja genötgt sind. Ohne Zweifel sind alle vernünftigen Denkinhalte schon in ihrer Eigenschaft als Denkinhalte mögliche Werte ; ohne Zweifel liegt es im Wesen aller Werte, insgesamt und ausnahmlos zu .gelten'. Aber keineswegs gelten alle Werte insgesamt und ausnahmlos für alle, sondern erscheinen in ihrer zeit*
45» 707
weiligen Verwirklichung gebunden an den zeitweiligen Zu* stand und Urständ der zu ihrer Verwirklichung berufenen Lebenseinheiten oder Persönlichkeiten. Darum geschieht es, daß jedes geschichtliche Zeitalter, ja jede geschichtliche Geschlechtfolge und Jugend als dringlichste Aufgabe eine zu vollziehende Um* Wertung antritt, die eigentlich auf eine Neu*Wertung oder Neuprägung hinausläuft. Und wie* derum wird sich jeder bevorstehende oder bereits voll* ziehende Wechsel der menschheitlichen Innengestalt und Seelengestalt durch eine wachsende Gleichgültigkeit der Generation anmelden gegenüber den bisher verehrten Nor* men und Imperativen. Eine Krisis der Ideale bricht mit um so größerer Gewalt und Heftigkeit aus, desto eingreifen* der die generative Wandlung zwischen Söhnen und Vätern gewesen ist: und diese Krisis kann erst dann behoben wer* den, wann die Schaffung und Kündung neuer Ideale — will heißen solcher, die für die jeweils gegenwärtige Mensch* heit neu sind, sonst aber urälteste Wiederaufnahmen fern* ster geschichtlicher Gleichläufigkeiten und Gleichsinnig* keiten sein können und auch immer sind — den verant* wortungbetreuten Führern ziel* und willenloser Massen glückte.
Insonderheit für uns Deutsche war es die letzte Stunde schicksalhafter Größe und Weihe, als sich ein abseitiger Denker, Seher, Deuter, Täter auf die Sendung seines und unseres geschichtlichen Daseins besann und hierbei die Erkenntnis gewann, daß die öffentlicht verbrieften, öffent* lieh abgestempelten Ideale der inzwischen abgewelkten Epoche deutscher Klassik unmöglich länger die Ideale einer Epoche sein könnten, deren katastrophale (nämlich für die bisherige europäische Gesittung katastrophale) Bedeutung ihm früher und schärfer als allen andern bewußt geworden war. Vielleicht ist bei dieser entscheidenden Tat, — eine Tat
708
übrigens fast ohne Vorgängerschaft und Vorbildlichkeit,
getan mit einer so unheimlichen Sicherheit, Genauigkeit,
Unbestechlichkeit, Richtigkeit, daß wir sie erst heute und
auch heute erst sehr allmählich ganz zu überschauen begin*
nen ! — vielleicht ist bei dieser entscheidenden Tat Nietzsches
die versuchte Gegenwertung als solche von geringerem Be*
lang gewesen. Denn wie schon gesagt, wird unbeschadet
der vollkommen veränderten Gesamtlage des Europäers von
heutzutage keines der vorigen Ideale auch nur einen Grad
seiner Werthaftigkeit und Werthaltigkeit etwa deswegen
einbüßen, weil es unter den jetzigen Verhältnissen in eine
Latenz zurückzutreten hat, welche ihm ihrerseit in irgend
einem Äon unter den kommenden Äonen seine spätere
Aktualität verbürgt und zuschwört mit allen Bürgschaften
und Schwüren der Wirklichkeit und der Menschheit . . .
Nein, von entscheidendem Belang war eher wohl die große
Feststellung, daß auf Grund eines wesentlich veränderten
Innenbefundes keinesfalls Wertvorstellungen in Kraft zu
bleiben vermöchten, die von der gegenwärtigen Gesellschaft
durch Tat, Werk, Gesinnung Lügen über Lügen gestraft
werden. Und hier legt Nietzsche der Diagnostiker, Nietz*
sehe der Therapeut, Nietzsche der Kathartiker, (in allen die*
sen Attributen wirklich der letzte Bruder im Geist zu jenen
hellenischen Vorsokratikern, die ihm unter allen prophe*
tischsphilosophischen Gestalten der Vergangenheit bis ans
Ende teuer blieben), — hier rührt er mit dem kundigen
Griff des Chirurgen an die Wunde in unserem deutschen
Fleisch, die erst einmal geschnitten, ausgedrückt, verpfropft
werden müßte, ehe sie von innen her geheilt werden könnte.
Hier rührt er an die Lebens* und Gewissenslüge des söge*
nannten deutschen Idealismus, wie er einem in jeder Hin*
sieht pfuscherischen, lahmen, unentschiedenen Verhältnis
zur Welt halb zur Entschuldigung, halb zur Anklage her*
709
halten soll; rührt an den lasterhaften Hang, sich bei reich* lichem Zuspruch von Bier, Tabak, Kommersbuchgeplärr', Paukerei und Sauerei auf die höhere Laufbahn staatlicher, geistiger, sittlicher Führerschaft am würdigsten vorzube* reiten und dieser Art ,nach dem Ideal zu leben'; rührt an die eitle Schönrederei, die mit vorgeblich erhabenen Ge* danken schlechte und gemeine Handlungen zuzudecken beflissen ist oder die Aufmerksamkeit von letzteren durch erstere abzulenken versucht; rührt an die ererbte Unfähig* keit, ehrlich gemeinte Vorsätze zu edlerem Menschtum gütig, schlicht, weise und treu in den Alltag umzusetzen und mit allen tugendhaften Forderungen statt bei anderen bei sich selber anzufangen; rührt an den unverbesserlichen Mangel an Ernst, Folgerichtigkeit, Zuverlässigkeit, Wahr* haftigkeit, Stätigkeit, Unbeugsamkeit, Verantwortlichkeit in der Leitung von unverantwortlichen, aber anvertrauten Menschenseelen bei Lehrern, Beamten, Offizieren, Staats* männern, Geistlichen. Er sieht auf den empörenden Schwin* del dieser Gründerzeit, wie sie vor ihre elenden Großstadt* vorstadtmiethöhlen die pomphaften Fassaden römischer, genuesischer oder venezianischer Palazzi pappt. Er sieht auf diese Zug für Zug unverkennbarere Scheingesittung eines eben emporkommenden Proletariates, wie sie mit den Formen und den Normen schlechthin unverstandener Ver* gangenheiten prahlt. Er sieht einen kaninchenhaft sich mehrenden Pöbel die Gebilde unserer eigenen letzten Re* naissance mit seinen ungewaschenen Pfoten beschmudeln und beschmutzen. Er sieht einen bourgeoisen Klüngel mit ausschließlich wirtschaftlichen Interessen und Instinkten als Erben des großbürgerlichen Kosmopolitismus deutscher Musik, Philosophie, Poesie vor hundert Jahren in groß* spurigen Machtgebärden sich ergehen. Er sieht die artistisch* pädagogischen Bestrebungen einer Erziehung der Mensch*
710
heit durch Geschmack und Schönheit zur Freiheit und zur Selbstbestimmung verwahrlosen zu bettelhaften Fragen der Berechtigung, der Anwartschaft, der Reifezeugnisse für . . . Er sieht den reichgesponnenen Humanismus einer in ihren dauerhaftesten Erzeugnissen doch immer wieder griechisch behauchten und griechisch befruchteten, musisch ergriffenen und musisch gebildeten Generation von Künstlern, Den* kern, Gelehrten verraten und verkauft an einen unsagbar öden Nützlichkeitdrill kasernenhofmäßiger Herkünfte. Er sieht den Mensch*Bürger und Bürger*Menschen unserer Klassiker zwischen 1750 und 1830 — die übrigens trotz aller schroffen Gegensätzlichkeit zu den einstigen .gotischen* Trägern unserer ersten deutschen Hoch*Zeit zwischen 1200 und 1300 eine gewisse Wahlverwandtschaft mit ihnen nicht ganz verleugnen können (im Guten und im Schlimmen) auf Grund wohl eines gleichen Einschlags von höfischen Bindungen und Beziehungen! — er sieht diesen Mensch* Bürger schimpflich ausarten zum Staatsbürger, zum Staats? Diener, zum Staats* Krüppel. Er sieht die gewaltig verein* fachenden und zusammenraffenden Kräfte einer auf Totali* tat und Synthese weise bedachten Forschung historischer und philologischer Bahnbrecher verschwächen zu einer kleinlichen und oft noch mehr als kleinlichen Fachneuig* keitenschnüffelei und Zettelkastengelehrsamkeit. Er sieht den einstigen Enthusiasmus für das Schöne an und für sich erbleichen und verglühen, das einstige Tragödenpathos der Bereitschaft und Bereitwilligkeit zu jeglichem Opfersich ernüchtern, die einstige Mystik und Mystagogie des Welt* einheitfühlens, Welteinheitwissens versickern: wie einen Wüstenfluß sieht er diese drei nährenden Ströme der Mensch* heit in ihren eigenen Betten versanden und verschmachten. Er sieht dieses alles mit Erstaunen, mit Entrüstung, mit Grausen, mit Entsetzen, ja mit Ekel! Er sieht es und wägt
zu
und erwägt und sinnt und richtet und fragt zuletzt die zer* malmende Frage : wozu denn euch noch, ihr Lügner und Fälscher, — das Ideal? Allzu lang wärmte euch das Ideal weder Herzen noch Köpfe, nicht einmal die schlaffen Ein* geweide. Wohlan 1 es ist ander Zeit, das Ideal selber aufs Eis zu legen, damit es dort endgültig erfriere . . .
Nicht völlig mit Stillschweigen übergehen dürfen wir hier (leider) jenes unrühmliche und sträfliche Versäumnis, welches sich vorzugweis die akademische Philosophie in Deutschland angesichts der nahenden Katastrophe des europäischen Lebens hat zu schulden kommen lassen. An= statt wenigstens von ungefähr zu erfassen, was die Stunde gebieterisch von ihr heische, nachdem einmal das Macht* wort von der Umwertung gefallen war: anstatt die ihr über* lassenen Jünglinge und werdenden Männer aufzuklären über die dringlichste Dringlichkeit der Zeit; anstatt kund* zugeben auf sämtlichen Lehrstühlen der Weltweisheit: Horcht auf, ihr Jünglinge und werdenden Männer! Die Krisis der Ideale ist über uns hereingebrochen! Horcht auf! Und laßt uns in Andacht, Strenge und Gemeinsamkeit die neuen Werte suchen, eh' noch die Werte selber Gegenstand des Ärgernisses, des Verdachtes, der Verächtlichkeit gewor* den sind! . . . Anstatt solcher* oder ähnlicherweis vernehm* bar zu werden, überließen sich diese hochwissenschaft* liehen Herren unerschüttert den ernsteren Pflichten ihres seltsam wiederholenden, um nicht zu sagen wiederkäuen* den Kursus, den sie soeben auf allen schwarzen Brettern der hohen Schulen Deutschlands anzusetzen für gut be* funden hatten: anhebend mit dem streitbaren Ruf aus Mar* bürg und Heidelberg .Zurück zu Kant', bald aber weiter nach rückwärts sichernd mit einem »Zurück zu Hume', dann wieder leise nach vorwärts fühlend mit ihrem rhythmisch beschwingten .Zurück zu Fichte, zurück zu Hegel, zurück
712
zu Schelling, zurück sogar zu Herbart, zu Bolzano' und ich weiß nicht zu wem noch alles, — wohlgemerkt, den ein* zigen Schopenhauer immer ausgenommen, dem die Ehre vorenthalten ward, in einem sogenannten Neu*Schopen* hauerianismus akademisch verwässert aufgewärmt zu wer* den : woran (neben anderem) etwa seine hervorstechendste Eigenschaft, der erste Deutsche von ganzer Aufrichtigkeit, Unverblümtheit, Geradheit, Wahrhaftigkeit, Rechtschaf* fenheit zu sein und darum für jene üble Sorte von Idealis* mus nicht ausgeschlachtet werden zu können, nicht durch* weg unbeteiligt gewesen sein möchte . . . Sonst jedoch ward teils ein lächerliches, eher aber noch ein verdrießli* ches, ja verhängnisbeschleunigendes Rückwärts, rückwärts Don Rodrigo zum wertwissenschaftlichen Kennwort einer Zeitenwende ohnegleichen, da die geschichtliche Bewegung des Abendlandes in ein geradezu schwindelerregendes Ge* schwindigkeitmaß verfallen war und jeder kaum geborene Augenblick schon vom nächsten verzehrt und aufgefressen wurde. Unmöglich hätte sich der akademisch frisierte Ide* alismus der Deutschen kraftloser, greisenhafter, zeugung* unmächtiger, lebensentfremdeter gebärden können als es von Seiten derer um Friedrich Albert Lange herum geschah, — so ganz besonders wenn er nach dem schändlichen Re* zept verfuhr, Idealismus als Weltbild, Weltanschauung, Weltdeutung zwar zu verbieten, Idealismus aber als Ar* beiterfrage, Idealismus als Kathedersozialismus, Idealismus als Prophylaxis gesellschaftlichen Umsturzes, Idealismus als Moral für Gewerkschaftführer gnädig zu genehmigen ! Diesen Idealismus und seine zweideutigen Vertreter, die nicht im mindesten das Zeug zu einem Paulus, desto mehr zu einem Petrus aber in sich hatten, ihn trifft die ungeheure Verschuldung, dann elendiglich zusammengebrochen zu sein, als man seiner am meisten bedurft hätte. Denn ob*
713
gleich ein Unfug von solchen Graden der Impotenz schon an und für sich zur Unwirksamkeit verdammt ist, wofern er sich ja ausschließlich auf die törichte Verwechslung zweier nicht zu verwechselnden Epochen stützt und inmit* ten einer unerhört schwierigen Oberganglage klassisch ge* festigtes Philosophieren durchsetzen zu können wähnt, ist es ihm immerhin gelungen, Kraft, Aufmerksamkeit und Wille des Nachwuchses von dem abzuziehen, was alleinig not tat. Wenn nämlich auch das Schwächliche, Zwerg* wüchsige, Nichtige, Unechte nie dazu geschickt ist, das Wohltätige und Befreiende an seinem Ort zu erwirken, bleibt es doch leider geschickt genug, Stärkeres und Ech* teres an seiner Ausbreitung zu hindern, und eine einzige Milbe kann sogar den herrlichen Feuerhengst aus dem Buch Hiob mit Räude bedecken, indem sie sich unter seine Haut bohrt und dort vermehrt. Damals konnte man also weithin gerühmte Dozenten mit allen Zeichen edler Empörung und sittlicher Entrüstung (heißt das, soweit derartige Leute ohne Tempo und ohne Temperament derartigen Wallungen des Bluts überhaupt unterworfen sind!) zetern und belfern hören über die .Frechheit' einer irgendwo angekündigten Umwertung aller Werte: sie ihrerseit unverdrossen die ewigen Ideale des Schönen Wahren Guten, Schönen Guten Wahren, Wahren Schönen Guten, Wahren Guten Schönen, Guten Wahren Schönen, Guten Schönen Wahren in den verschiedensten und anmutigsten Variationen, Kombination nen, Permutationen in ihren von Hochgefühlen geschwell* ten Busen wälzend. Womit der deutsche Idealismus, ur* sprünglich nur nicht ehern, nur nicht wollend, nur nicht erobernd, nur nicht schicksalhart genug, wirklich zur Feig* heit heruntersank, — zur Feigheit, die es einfach nicht über sich bringt, der grausamen Tatsächlichkeit der Dinge ins Aug' zu bohren, vielmehr um die Dinge und um sich selbst
714
einen Schleier süß*fauligen Dunstes zieht, in dem sich der gerade und klare Strahl der Wahrheit bricht. Indes die europäische Gesellschaft in allen ihren Lagen wieder ein* mal massenfühlig, herdentriebhaft, zuchtlos, ungeordnet, unterschwürig, verwildert, umsturzfällig, barbarisch und ar* chaisch geraten war, tat der deutsche Idealismus nicht der* gleichen; suchte er sich über diese unerläßliche Feststellung durch geistig verabreichte Einschläferungmittel, Einschlafe* runggifte hinwegzutäuschen; schämte er sich nicht, die krachend zerborstene Tafel der Güter hehlingen verkitten und verklittern zu wollen. Dieses erbärmliche Geschwätz deutscher Professoren — entlarven wir doch endlich einmal diese unmöglichen Professoren, entlarven wir vor allem einmal den »Professor überhaupt', den wir als gebürtige Deutsche jeweils bis zum Beweis des Gegenteils in uns selber spukend vermuten müssen! — dieses Geschwätz und Getratsch von den ewigen Werten fünf Minuten vor dem Untergang dieses .westlichen Paradieses' ist es sicherlich gewesen, was den Idealismus der Deutschen in dem Urteil der übrigen Welt erst aufs empfindlichste bloßgestellt, dann aber in zunehmendem Maß verächtlich gemacht hat. In den Dämpfen und Nebeln dieses Geschwätzes ist die Zeit reif und weich geworden für jenes in manchen Gauen des Vater* landes vor dem Krieg gern erzählte und witzige Anekdoton, worin ein pfälzischer Bauer dem Gevatter einen drastischen Begriff von dem beizubringen trachtet, was man gemeinhin einen Idealisten zu nennen pflegt: einen Kerl nämlich, der sich einbildet, er könn' (mit Verlaub!) mit einem einzigen Furz gern und gut einen ganzen badischen Morgen Landes düngen ... An diesem (übrigens vortrefflichen) Witz, be* dünkt es mich, sei dann der deutsche Idealismus vollends gestorben. Oder vielleicht auch an dem Gelächter über diesen Witz, das etliche unter uns nicht ohne ein Gefühl
715
innerer Beklommenheit anschlugen, als sie ihn fürs erste* mal erzählen hörten. Oder vielleicht noch richtiger gedacht, — dieser Witz ist das untrügliche Merkzeichen dafür ge* wesen, daß der deutsche Idealismus nur noch ein Windlein war, ein Lüftlein, und zwar beileibe nicht ein solches, das etwa Mühlen triebe oder Segel straffte . . . Dieses Witzes mannigfach zu gedenken, hätten wir jedenfalls Ursache, wenn wir heute Deutschlands Jugend am Mund jedes Pro* pheten der Gasse, jedes Sophisten der Gosse hangen sehen, ja wenn wir sie in Scharen hinter Spartakus und anderen Rattenfängern drein laufend gewahren, — wir, die wir lei* der wissen, wie das ward, die wir wissen, wie das werden mußte. Zitterte diese arme, grüne, vertrauensälige Jugend nicht nach dem Blitz der neuen Ideale, damit er bei ihr einschlüge mit heißem Strahl und zünde? Die höheren und hohen Lehrer aber, nichts weniger als tuskische, etrus* kische Fulguratoren , nichts weniger als berufene Blitz* Beschauer, Blitz*Blicker, Blitz*Künder und weder geübt in der Magie der , Herabziehung' noch in der Magie der ,Ab* wendung' der Wetterfunken, ja nicht einmal erfahren in der allerwichtigsten Unterscheidung von Blitzen des Him* melsherrn Jupiter aus Wolkenthronhöhen und von Blitzen des Erdgottes Saturnus aus unterirdischen Bezirken; — ließen sie die tiefe Sehnsucht der Jünglinge nach Men* schengemeinschaft, nach austeilender Gerechtigkeit, nach Werkbeseelung, nach Lebensinnigkeit, nach Glaubenstreue nicht leer und unbefriedigt? Kein Wort der Warnung, Mahnung, Auferbauung; der Liebe, Kräftigung, Entscheid düng; der Tapferkeit und Tröstung. Und was der tolle Zarathustra oder Zerduscht (das ist Gülden*Stern) aus seiner Einsiedler*Höhle da in die vier Gegenden des Rau* mes rief und rief und schrie, erstarb wie ein Seufzer Pans im schauerlichen Brüten hohen Mittags über Alpenscheiteln
716
gleißenden und über Brandungschäumen, — nur vielleicht unmutig vernommen von dem Adler Mazda Ahuras und listig bewahrt von der Schlange Aka Manahs . . . Die Ju* gend aber, von ihren Seelsorgern leichtfertig verlassen und verraten, sie machte bald auf ihre Weise mit der Umkehrung des alten römischen, folglich unalternd stolzen Wortes Ernst, welches dem eigentlichen Anführer und Begründer der deutschen Sozialdemokratie vormals Wahl*, Sinn* und Trostspruch in einem gewesen war: Flectere si nequeo Su= peros, Acheronta movebo! Dieweil sich nämlich diese Ju* gend von den Oberweltmächten nicht berührt und nicht ergriffen sah, versuchte sie's mit den Unterirdischen. In eben jenen Tagen ist uns dann aber, deucht mich, ein an* noch unerstandener Aischylos seine zweiten Eumeniden schuldig worden . . .
Solchermaßen können wir der gegenwärtigen Philosophie und Axiologie als der dritten hier darzustellenden wissen* schaftlichen Typik den Vorwurf nicht gut ersparen, daß sie sich der Tatsache einer historischen Relativierung der Werte allzu lange verschloß und dem Irrtum nachhing, als gälten zu allen Weltaltern dieselben zeitlosen und unänderlichen Ideale, — ein Irrtum übrigens kaum besser als der von einem unerfahrenen Seemann gehegte, er würde in allen befahr* baren Breiten dieselben Gestirne und Sternbilder zu seiner Ostung und Westung am Himmel stehen sehen. Dürfen wir aber diese katastrophale Versäumnis hier nicht unter« schlagen, dann haben wir jetzt freilich eben denselben Ge* danken einer geschichtlichen Relativierung der Werte ge* bührend zu ergänzen durch den Gedanken einer anderen, sachlichen Relativierung, die gleich hinter dergeschichtlichen bemerkbar wird. Denn in Wahrheit verhält es sich nicht lediglich so, daß die Geschichte mit dem periodischen Ge* staltwandel ihrer Träger eine gewisse Auswahl aus der Un*
717
endlichkeit möglicher Werte, möglicher Zielsetzungen, möglicher Lebensbestimmungen gleichsam ertrotze und da* durch die unbenannte Anzahl der Werte in eine Zeitreihe von unterschiedlicher Verwirklichungdichte und Verwirk* lichungneigung abstufe. Nein, es verhält sich außerdem so, daß vielmehr die Werte schon an und für sich, abgesehen von den Tendenzen der sie verwirklichenden Träger, ein gegenseitiges Verhältnis zueinander, eine Staffelung von Höher und Niederer, von Oben und Unten, von Erst und Letzt bilden. Was wir kurz vorhin noch für die organische Gliederung der animalischen und vegetativen Lebens* gestalten aufs bestimmteste zurückweisen mußten, weil der Natur als solcher nicht minder wie ihrer Geschichte der Akt der Wertung noch unangemessen und fremd bleibt, das müssen wir hier mit gleicher Bestimmtheit annehmen und voraussetzen: es gibt eine Rangordnung der Werte, inner* halb welcher die Werte selbst einander über* oder unter* geordnet scheinen. Und wenn zwar jeder Begriff einen Wert in sich schließt, der um zu gelten nur aus seiner Latenz überführt zu werden braucht in seine Aktualität, so ist darum doch nicht jeder Wert dem nächsten besten gleichwertig und ebenbürtig. Nicht jeder Wert gilt soviel wie jeder andere Wert, selbst wenn wir bei seiner Einschätzung von der Zeitgemäßheit oder *ungemäßheit der ihn verwirk* lichenden Seelenrichtungen durchaus absehen wollen, — mithin absehen wollen von allen geschichtlichen Um* ständen, Forderungen, Beeinflussungen, die für seine perio* dische Valenz ausschlaggebend werden können. Vielmehr eignet jedem Wert als solchem und rein sachlich gewürdigt ein gewisser Grad, der ihn im Vergleich mit jedem anderen Wert als einen vorzuziehenden oder einen zurückzusetzen* den charakterisiert, und die Gesamtheit aller Werte, fußend und beruhend zuletzt auf der Gesamtheit der Begriffe, der
718
Sachverhalte oder der Ideen, gliedert sich tatsächlich schon von sich aus zu einem .Systema' in der strengsten Aus* legung des Wortes : nicht sowohl zu einer überhaupt ge* ordneten Mannigfaltigkeit von Vorstellungen und Gegen* ständlichkeiten wie etwa das natürliche System der pflanz* tierischen Gestalten und Formen, als zu einer stufenweis ge* ordneten Mannigfaltigkeit von Vorstellungen und Gegen* ständlichkeiten wie etwa das arithmetische System ordinal gezeichneter Zahlen. Das axiologische System ist im Gegen* satz zu jedem bloß biologischen oder gar zu jedem bloß mechanischsmaschinellen System ein durchaus hierarchi* sches. Unter den Werten ist ein Wert der oberste und erste: ein anderer der zweite, dritte, vierte . . .; ein anderer, wenn das System ein endliches und geschlossenes ist, der letzte. Und die unüberwindliche, bisher jedenfalls un* überwundene Schwierigkeit wissenschaftlicher Wertlehre besteht darin, ein hinlänglich zuverlässiges Verfahren aus* zumitteln, das einen Zusammenhang sachlich relativierter Wertsetzungen mit möglichst hoher Evidenz festzustellen gestatte. Seit dem platonischen Philebos bis zu Nietzsches versuchter und wirklich auch angebahnter Umwertung ringt Europas Philosophie darum, eine Tafel der Güter nach dem geahnten Gesetz ihrer sachlichen Abstufung abzufassen, dem menschheitlichen Willen Richtung und Maß seines Sollens nach sachlicher Bestimmtheit zuzuwägen. Seit Piaton bis zu Nietzsche, — „vielleicht ist dieser alte Plato mein eigentlicher großer Gegner?" fragt Nietzsche einmal bei Paul Deussen anl — seit zweiundzwanzig oder dreiund* zwanzig Jahrhunderten also hat sich dieselbe Philosophie über diese Tafel noch nicht zu verständigen vermocht. Sehr klar, sehr scharf umrissen, fast wie das Profil einer verein* zelten Kiefer in der Landschaft, die gegen Sonnenunter* gang schwarzrandig und gezahnt in einen hochgelb leuch*
719
tenden Frühlingabendhimmel hinein dunkelt, steht die Aufgabe in ihrer Größe vor ihr. Aber noch mußte und muß sie an den Lösungen verzweifeln, die ihr ein ununter* brochenes Sinnen und Trachten der Generationen erst ge* schenkt und dann wieder entrissen hat . . .
Ein äußerstes Hindernis ergibt sich von vornherein, so* bald man den Begriff des Wertes einmal näher beäugen* scheinigt. Zunächst besteht nämlich der Eindruck, als gälte jeder Wert ohne jede Einschränkung und Bedingung eben für das gesamte Gebiet, dessen Grenzen er festsetzt und dessen Gesetz er begründet: zum Beispiel die Forderung der Pflicht für das gesamte Gebiet menschlicher Handlungen als maßgebliche Regel der sogenannten Moral. Darnach gäbe es nur einen einzigen moralischen Wert, nur eine einzige unbedingte Gültigkeit moralischen Sollens, dieser Wert aber gälte innerhalb des von ihm selber umzirkten Gebietes ab* solut und das Problem seiner Relativierung könnte nicht einmal zur Aufstellung, geschweige zur Auflösung ge* langen. Gewiß dürfte man auch von diesem axiologischen Standpunkt aus, der ungefähr dem kantischen entsprechen würde, den Einwand machen, daß außer dem die Moral kon* stituierenden Wert doch auch ein die Ästhetik, ein die Logik konstituierender anerkannt sein wolle und in diesem Be* tracht den moralischen Wert seiner anscheinenden Absolut* heit doch wieder entkleide. Indessen würde einem Mann wie Kant auf diesen Einwurf die Antwort kaum schwer fallen, wofern ja der ästhetische Wert oder der logische schon darum, weil sie beide das moralische Bereich gar nicht berühren und noch weniger durchkreuzen, die un* bedingte Geltung des sittlichen Imperativs zu beeinträch* tigen nicht geeignet wären. Und in der Tat, wenn Kant und die auf ihn eingeschworenen Schulen in diesem haupt* sächlichen Punkte recht behielten, daß je und je nur ein
720
einziger Wert ein einziges ihm zugehöriges Bereich um* friedige, mithin zum Beispiel die menschheitliche Moral durch eine einzige und folglich auch unbedingt geltende Norm ausgefüllt und bestimmt werde: dann tritt einesach* liehe Relativierung der Werte auch dort nicht ein, wo man neben dem moralischen Ideal ein logisches, ein ästhetisches Ideal durchaus zuläßt. Der so entstandene Einzelwert darf für absolut gelten, darf absolut gelten, trotzdem noch andere Werte außer ihm geduldet und gesetzt werden, weil er eben seine völlig abgeschlossene und ungeteilte Sphäre bildet, — die Moral die Sphäre des menschheitlichen Han* delns und Tatens, die Ästhetik die Sphäre der Hervorbrin? gung schöner Gegenstände und ihrer Beurteilung, die Logik die Sphäre derVerknüpfung begrifflicher Mannigfaltigkeiten zu wahren Aussagen. Falls es nur Eine Moral gibt: die Moral der Pflicht; falls es nur Eine Ästhetik gibt: die Ästhetik des Schönen; falls es nur Eine Logik gibt: die Logik der Wahr* heit, sind die Werte unbeschadet ihrer Mehrfältigkeit echte und rechte Absoluta, unbedingte Regeln von Verbindlich* keiten, die innerhalb ihrer besonderen Bereiche keiner Ein* schränkung, Wechselseitigkeit, Bezugnahme, Verhältnis* mäßigkeit, Bedingtheit unterliegen. Die Frage ist nur, ob wirklich nur Eine Moral mit ihrem verfassunggeberischen Ideal, nur Eine Logik, nur Eine Ästhetik nicht sowohl ge* schichtlich vorhanden, — denn diese Annahme wäre nicht einmal dem Ununterrichteten erlaubt, — als vielmehr sach* lieh berechtigt und sachlich benötigt sei?? Welche Frage allerdings ohne Zögern zu verneinen ist. Sieht man's doch unter keinen Umständen ein, warum zwar die Moral der Pflicht eine unbedingt gültige sein solle, dagegen aber samt* liehe sonst erdenklichen Moralen wie die der Selbstgenug* samkeit, der Unergriffenheit, der Wohlbeschiedenheit, der Seelenstille, der Gerechtigkeit, der Tüchtigkeit, des Mit*
46 Zieglcr, Gestaltwandel der Götter 721
leidens, der Selbstvollendung, des amorfati, der Menschen* brüderschaft, der generosite du coeur, des Nichtwiderstehens, des Wu Wei . . ., warum sie und neben, über, unter ihnen zahllos andere Moralen gleichsam par ordre du Moufti zum platonischen Nichtsein des Nicht*Seienden verurteilt werden dürften? Diese Moralen sind geschichtlich wirklich und geschichtlich vorhanden gewesen, so gut wie die Moral der Pflicht und manchmal noch erheblich besser. Weshalb sollte aber diesen geschichtlichen Wirklichkeiten und Wirk* samkeiten die sachliche Bedeutsamkeit gebrechen? Kant selber wähnte die Überlegenheit seiner Sittenlehre darauf gründen zu können, daß er ihr als den konstitutiven Wert, als Die Pflicht einen reinen Formbegriff unterstellte und somit aus der Form allein eine Allgemeinheit, Allgemeingültig* keit, Allgemeinverbindlichkeit gewänne, wie sie die inhalt* lieh erfüllte Vorstellung immerhin entbehren muß. Schön. Aber wir Heutigen wissen, daß diese Annahme, im ersten Augenblick freilich bestechend, dennoch eine irrige ge* wesen ist und daß auch der Gedanke einer .Maxime meines Willens, die jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetz* gebung gelten könne' nur relativ, nur verhältnismäßig ein formhafter, ebenso verhältnismäßig und ebenso relativ je* doch ein inhaltbestimmter, inhalterfüllter ist, — ja, daß die beliebte Gegenüberstellung von Form und Inhalt, dieses bevorzugteste Muster kantischer Dialektik und Antinomi* stik, ihrerseit unverkennbar eine Relativierung umspannt und nur unter der stillschweigenden Buchung einer solchen überhaupt sinnvoll bleibt : daß mithin sogar die scheinbar ge* lungene Verabsolutierung des Sittengesetzes in seiner Eigen* schaft als schlechthin formale Regel des tätigen Verhaltens doch wieder abhängt und bedingt ist von einer vorgängigen In*Beziehung*Setzung der allgemeinen Form zum beson* deren Inhalt, des besonderen Inhalts zur allgemeinen Form!
722
Es ist richtig, auch dann sagt die Regel Kants dem Einzelnen nichts davon, was er von Fall zu Fall zu tun oder gar zu lassen habe, sondern gebietet ihm nur ganz allgemein das* jenige, was jeder andere oder was alle zusammen an Stelle des zufälligen jetzigen Täters gleichfalls zu vollbringen hätten, — gebietet mit anderen Worten derart zu handeln, wie jeder wünschen muß, daß eben gehandelt würde. Aber man hat bereits seit längerem mit vieler Berechtigung dar* auf verwiesen, wie just die formale Tendenz des Sitten* gesetzes nnd seine daraus gefolgerte leere Allgemeinheit hier die sittliche Persönlichkeit an sich sozusagen völlig entkerne, und dies zwar in einem Grad wie keine andere der sonstigen Moralen. Es bleibt das nicht zu vergessende Verdienst Georg Simmeis, diese Konsequenz der kantischen Sittenlehre stark empfunden und streng getadelt zu haben. Denn wirklich wird hier gleichsam die sämtliche Menge Wertes auf das an und für sich inhaltlose Gebot des mora* lischen Gesetzes gehäuft, die tatende und handelnde Per* sönlichkeit jedoch in allen Eingeweiden aufgebrochen und ausgeweidet, nicht anders als ein erlegtes Wild, welches der Jäger als Trophäe seines Schützenglückes zu seiner und der Seinigen Erbauung ausstopfen läßt, — nicht anders wie ein ägyptischer Pharaone, dessen mumifizierter Leichnam göttlicher Unsterblichkeit teilhaft geworden zu sein er* achtet wird. Was und wieviel dem Einzelmenschen hin* gegen an sittlichem Gehalt und Wesen von innen her zu* geströmt sein möchte, das gilt für unwert an und für sich, wofern es nicht der leeren Bedeutsamkeit der Norm selbst entflossen ist. Was auch das Ich als angestammten Besitz von Haus aus mitbringe, als Erbschaft seiner Herkunft oder als Auszeichnung seiner Art, — wie reich oder wie ärmlich es sei, wie hochfliegend oder wie niedrig, wie stark oder wie schwach, wie edel oder wie gemein, wie schwungvoll
46* 723
oder wie unfroh, wie geistig oder wie sinnlich, wie tapfer oder wie feig, wie tätig oder wie träge, wie aufgeweckt oder wie schläfrig, wie mitteilend oder wie habsüchtig, wie mild oder wie grausam, wie empfänglich oder wie stumpf, wie gewissenhaft oder wie leichtfertig, wie tief oder wie ober? flächlich, wie leidenschaftlich oder wie kühl, wie in sich vollständig oder wie bruchstückhaft, wie verschwenderisch oder wie geizig, wie liebreich oder wie wohllüstig, wie offen oder wie verstockt, wie aufwallend oder wie kaltschnäuzig, wie planvoll oder wie unbesonnen, wie heiter oder wie kopfhängerisch, wie gerad oder wie verwinkelt, wie schöpfe* risch oder wie unfruchtbar, wie sonnig oder wie frostig, wie innig oder wie äußerlich, wie klug oder wie töricht, wie schmiegsam oder wie spröd, wie geduldig oder wie aufbrausend, wie weltmännisch oder wie muckerisch, wie großherzig oder wie schmalbrüstig, wie maßvoll oder wie unmäßig, wie gestillt oder wie unstillbar, wie sanft oder wie roh, wie bildsam oder wie verwildert, wie treu oder wie wetterwendisch, wie bestimmt oder wie schwankend, wie einfach oder wie zusammengesetzt, wie klar oder wie ver* worren, wie gereift oder wie unreif, wie geschickt oder wie tölpelhaft, wie herrisch oder wie unterwürfig, wie stolz oder wie aufgeblasen, wie selbstbewußt oder wie eitel: Träger sittlichen Wertes wird das Ich durch die in den eigenen Willen aufgenommene Regel der Pflicht allein, die für alle die nämliche ist. So aber geschieht es, daß sich Pflicht als die geheischte Leistung jedermanns auch nur auf der Ebene jedermanns bewegt und stets nur jenes gewisse Mindestmaß betrifft, das bei jedermanns Leibes* und Seelenkräften steht. Diese kantische Pflicht mutet dem Landsturmmann Schmidt oder dem Gefreiten Schultze nicht wesenhaft etwas anderes zu als dem Alexander oder Bonaparte; der Krankenpflegerin Martha und Schwesteroberin Klarissa nicht wesenhaft etwas
724
anderes zu als dem synoptischen Jesus oder dem heiligen Franz; dem Geldbriefträger Müller oder dem Bankkassen* boten Maier nicht wesenhaft etwas anderes zu als dem Roth? schild oder dem Carnegie; dem Unterlehrer Künzler und Mücke nicht wesentlich etwas anderes zu als dem Aristoteles oder dem Leibniz; dem Theologielizentiaten Ehrsam oder dem Geographiedozenten Liebling nicht wesenhaft etwas anderes zu als dem Luther oder dem Kolumbus; dem Kanzleisekretär Spinnenhirn oder dem Regierungassessor Frischmut nicht wesenhaft etwas anderes zu als dem Reichs* freiherrn vom Stein oder dem Grafen Cavour. Die Pflicht aber, die vielleicht wirklich alles bedeuten könnte, wenn sie jedem das und nur das zumäße, was ihm allein an seiner besonderen Stelle so und keinem außer ihm so zu leisten obgelegen wäre, — sie bedeutet zuletzt allzu wenig, ja gar nichts, wenn sie von jedem nur das fordert, was jeder andere nicht besser und nicht schlechter auch zu vollführen weiß. Ganz und gar im Gegensatz zur Lehre Kants steigert also die Pflicht ihren eigenen Wert und Gehalt in eben dem Maß, als sie an Allgemeingültigkeit einbüßt und an Sonder* gültigkeit zunimmt, während sie hoffnunglos und unauf* haltsam in jene Geldbriefträger* und Kassenbeamtenmoral entartet, sobald ihr eigentlicher Wertgehalt in ihrer rein formalen Ausnahmlosigkeit und Allgemeinverbindlichkeit gesucht wird. In eben jene subalterne Geldbriefträger* und Kassenbeamtenmoral übrigens, die in dem Deutschland vor dem Krieg als das Jammergespenst der klassischen Philo* sophie in allen Gymnasien und Universitäten als Königlich Preußische Pflichtenlehre gepredigt ward, allmählich mit vermehrtem Scharfsinn dahin ausgelegt, daß Pflicht (,,du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Ein* schmeichelung bei sich führet, in dir fassest, sondern Unter* werfung verlangest . . .") im wesentlichen nichts weiter sei
725
als der Gehorsam und nochmals Gehorsam gegen die Wei* sungen der Vorgesetzten! Offenbar hatte diese Pflicht doch etwas an sich, was Einschmeichelung und nicht selten sogar Einspeichelung bei sich führte, und jenes .Sondern Unter* werfung verlangest' Kants floß balsamisch lind in die Ohren jedes brauchbaren Staatsbürgers und Untertanen, bis er giftiger und vergiftender wie jede Säure zu Gunsten der Tugend des Gehorchens die Tugend des Gebietens zersetzt und zerfressen hatte. Da haben in diesem Krieg etwa hundert* tausende gemeiner Soldaten ,nur* ihre Pflicht getan, wenn sie ihren armen Leib allen Mißhandlungen der dantischen Hölle zumal aussetzten ; aber kein Staatsmann, kein Kanzler, kein Abgeordneter war fähig, im selben Sinne seine Pflicht auch nur zu sehen, wenngleich auch er freilich vom Stand* punkt Kants nichts anderes getan hat, als es das allgemeine Gesetz der Pflichten jedermanns gebot. Auch Staatsmann, Kanzler, Abgeordneter kannten und anerkannten keine an* dere Tugend als die der Unterwerfung, unter die öffentliche Meinung und diese erzeugende oder bearbeitende Tages* presse, unter die Wünsche der Großbanken oder der Par* teien, unter die vielmögenden Herren von Rheinland und Westfalen, unter den soldatischen Eng* und Eigensinn sieg* reicher Generale, unter die falschen Berechnungen und Versprechungen großmäuliger Admirale, unter die unzeitige Begehrlichkeit der domini terrae, unter die Bedürfnisse des Wuchers oder unter sonst einen tausendmäuligen und tausendgliedrigen Moloch mit seinen angeblich unwider* stehlichen Machtforderungen. Da haben es Hunderttausende und Millionen für ihre verdammte Schuldigkeit erachtet, um des Staates, des Vaterlandes, des Volkes willen den so* genannten Heldentod zu erleiden und noch erheblich Schlimmeres. Aber kein einziger von denen, die die Pflicht der Führung übernommen hatten, vermochte das eigentliche
726
Sollen seiner übermenschlichen Verantwortlichkeit auch nur von fern zu erraten. Pflicht war's für Hinz und Kunz, vier Jahre des Grausens in gelbgasverpesteten, kotverkrusteten, schlammstarrenden Rattenlöchern hinter erstickenden Mas* ken zu verröcheln und Zug für Zug ihres Menschengesichtes mit Dreck, Schweiß, Blut zu überschmieren, — und dieser Pflicht war wahrlich genug und mehr wie genug geschehen. Was aber höhere Pflicht, unendlich viel höhere gewesen wäre für die Hüter jener willenlosen Männerhorden, einer unvermeidlichen Vertierung, ja Vertigerung der ihnen An* befohlenen rechtzeitig vorzubeugen um jeden Preis: dies nämlich geschah nirgends, weder hüben noch drüben, weder bei den Schafen noch bei den Böcken, weder bei den Rechten noch bei den Linken. Und indes das ungeschriebene Ge* setz der wirklichen Pflicht, nicht der gemeinen, sondern königlichen, hohenpriesterlichen, menschenbrüderlichen, welterretterischen Pflicht umsonst seiner Antigone harrte, in deren Schwesterherzen es steil und feierlich in Flammen* zeichen hätte auf zum Himmel lohen dürfen, loben sich König Kreons Würger*Erben hoch in allen Landen, durchaus ihrer Pflicht genügt zu haben nicht anders wie der brave Mann im Rattenloch. Und noch besudelt vom Unflat dieses Eigenlobes sehen wir sie treten zum Beten vor Gott den Gerechten . . . Vielleicht hat es tatsächlich dieses verfluchten Krieges bedurft, damit die schreckliche Unzulänglichkeit des kategorischen Imperativs endlich an den Pranger ge* stellt würde. Vielleicht war dieses hemmunglose Gemord im Fleisch und Bein der europäischen Gemeinschaft not* wendig, damit man endlich Wert und Sinn sittlichen Tuns nicht länger mehr in einer gleichmäßig auf alle sich er* streckenden Norm vermute, sondern in einem nach Rang, Beruf, Persönlichkeit, Macht, Amt, Begabung, Können, Verantwortlichkeit streng bemessenen Sollen von der ver*
727
schiedensten Inhaltlichkeit und Bestimmtheit. Denn in Wahrheit ist keine einzige Pflicht, nicht einmal die des Tötenmüssens oder Tötenlassenmüssens, die Pflicht jeder* manns, und keine noch so anerkannte Gleichmacherei im* perialer oder demokratischer Staatsgötzen ist wirklich dazu berechtigt, ein gleiches und allgemeines Sittengesetz über das Gewissen jedes Einzelnen zu setzen. Nicht daß ich an meiner Stelle vollführe, was dir an deiner Stelle geziemen möchte, nicht daß dir Tat sei, was mir obliege, kann die menschlichen Handlungen zu sittlich werthaften stempeln. Vielmehr im Gegenteil, daß ich das meinige und nichts sonst, du das deinige und nichts sonst leiste, ein jeglicher nach seiner Art und seinem Maß. Auf solche Weise allein kann jeder Einzelne den außerhalb seiner gelegenen Welt* punkt zu erreichen hoffen, wo sich die Linien seines Wollens mit den Linien seines Sollens in ihren beiderseitigen Ver* längerungen schneiden; wo sich sein Ich und sein Es gegen* seitig anziehen, berühren und durchdringen. Nicht aus der Form der allgemeinen Regel kann man werthaften Gehalt gleichsam auf dem Wege der Herauströpfelung, Heraus* dampfung, Herauskühlung niederschlagen, und nicht ein* mal der Eigensinn Kants, obschon ein sehr beträchtlicher, bringt es zuweg, dauernd dieFiktion einer einzigenMenschen* pflicht aufrecht zu erhalten . . .
Das gültige Ergebnis dieser zuweilen etwas streitbaren Erörterung besteht also darin, daß der verfassunggebende Grundwert zumindest beim Beispiel der Moral, wahrschein* lieh aber auch bei anderen Beispielen werthaft selbstherr* licher Bereiche, keineswegs ein einziger und unteilbarer ist. Konnte man vorhin noch eine schwache Hoffnung hegen, durch die Voraussetzung Kants von einem für jedes be* sondere Wertbereich grundlegenden Einzel* und Einzig* wert das Problem einer zu befürchtenden Relativität der
728
Werte untereinander gewissermaßen zu vereiteln und der* art dem Ideal den Charakter eines imperativen Absolutum zu sichern, so verlischt jetzt auch dieser Schimmer von Hoffnung, und sogar der moralische und axiologische Ab* solutist findet sich gezwungen zur Anerkennung einer bestehenden Verhältnismäßigkeit, Wechselbezugnahme, Gegengesetztheit, Wettbewerbschaft.Ineinanderverflochten* heit der einzelnen Werte innerhalb des einzelnen Wert* bereichs. Die Kritik, ja das Gericht über die Sitten* lehre Kants, nicht von uns, sondern vom unwiderruflichen Urteil der Wirklichkeit selber geübt, hat es wenigstens von der Moral gewiß gemacht, daß sie ihre Verfassung und ihr Grundgesetz durchaus nicht von einem einzigen oder auch nur eindeutigen Sollen empfange: daß sogar dann, wenn nach dem kantischen Vorgang die Pflicht als solche zur Regel sittlichen Verhaltens erhoben wird, bei genauerer Prüfung selbst diese simple Tugend der Pflicht in eine un* bestimmte Mannigfaltigkeit vieler Pflichten, vieler Tugen* den zerlegt erscheint. In zahllosen einzelnen Normen bricht sich die Eine Norm der Pflicht je nach der Beschaffenheit des besonderen Stoffes oder Mittels, von welchem sie auf* genommen, fortgelenkt, abgeleitet, aufgesogen, zurück* geworfen wird. Der Wert, obzwar unbestreitbar gesetz* geberisch innerhalb der von ihm selber bestimmten und umschriebenen Gesamtheit menschlicher Auswirkungen, ist nicht einmal als Pflicht ein unzusammengesetztes Gebild, sondern stellt sich als eine Summe dar der in einer stätigen Reihe zu entwickelnden Teilgrößen oder Gliedwerte: als eine Reihe, die freilich immer noch erst gesucht und nicht gefunden ist. Ungefähr wie sich ein Klang um so reicher, volltönender, umfänglicher anhört, desto größer die An* zahl seiner (zusammenstimmenden) Ober* und Nebentöne ist, so darf man den Wert je nach dem Reichtum an um*
729
spannten, einbezogenen, verwandten Werten für Verhältnis* mäßig wertgesteigerter erachten. Sogar der anscheinende Simplex .Pflicht* füllt und rundet sich je nach der Mannig* faltigkeit der von ihm umgriffenen Forderungen zu einem richtigen Komplex werthafter Willensantriebe und Strebens* ziele. Darum sagte ich schon vorhin, die sittliche Pflicht könne sehr vieles oder aber sehr weniges oder gar nichts bedeuten. Wieviel oder wie wenig hängt ab von der per* sönlichen Fähigkeit, dieselbe als Komplex oder als Simplex zu würdigen. Überschreitet die Vorstellung eines Wertes die Schwelle des Bewußtseins überwiegend als begriffliche Eingestalt oder als Simplex, dann allerdings wird das Pro* blem der axiologischen Relativierung nicht einmal dem geschärftesten Gewissen bedrohlich, indem es noch vor seiner Entstehung jäh unterdrückt wird ; — gefährlich könnte in diesem Fall höchstens die andere Möglichkeit werden, daß sich das wertbejahende Ich in ein zwar schlechthin gültiges und unbedingtes, dafür aber inhaltbares und bestimmung* leeres Sollen vergaffe. Überschreitet der Wert hingegen die Schwelle als Komplex, so bleibt er und bleiben wir zwar gegen diese letztere und dringlichste Gefährdung gefeit, jedoch nur um gleichzeitig mit der vollen Wucht jener sokra* tischen Lebensfrage bestürmt zu sein, die vormals den Ver* fasser des Größeren Hippias, des Protagoras, des Gorgias oder des Menon bestürmt und bestürzt haben mochte . . ., ich meine jene kitzlichste aller sokratischen Vermächtnis* fragen, die sich wie ein rotes Fädchen durchs ganze laby* rinthische Gewind der Dialoge Piatons hindurchzieht und den innerlichen Zusammenhang dieser Philosophie in ewi* gen Essays so lange immer wieder verbürgt, bis dieser größte Sokratiker in einem späten Zustand denkerischer Reife (im Philebos) zuletzt nicht eigentlich zwar die axiologische, wohl aber die transzendentalphilosophische Lösung des
730
Problems anbahnt. Als Komplex mithin, als .Inbegriff stellt uns der Wert, sag' ich, ganz unabweislich vor das Problem der Verhältnismäßigkeit seiner Teil*, Glied* oder Ergänzung* werte. Wir alle, mit oder gegen unseren Willen Platoniker in irgendeinem persönlichen Grade, wir erleben das noch immer unenträtselte Rätsel der platonischen Wert* und Güterlehre: wie beispielweis sich der Inbegriff des Schönen verhalte zu seinen Gliedbegriffen des Schicklichen, Nütz* liehen, Zweckmäßigen, Brauchbaren, Angenehmen, Lust* vollen; — Problem des Größeren Hippias. Oder wie die Sondertugenden der Weisheit, Frömmigkeit, Mannhaftig* keit, Selbstzucht, Gerechtigkeit zum Inbegriff .Tugend über* haupt' verschmelzen oder auch nicht verschmelzen möchten ; — Problem des Protagoras bis zum Staat über den Gorgias, Menon und sonst noch manchen Dialog hinweg. Wie also, allgemein gesprochen, dieser synthetische Charakter des Wertes an und für sich zu verstehen wäre, ohne daß dabei ein Wert den anderen geradezu aufhebe und vernichte und entwerte? . . .
Selbstverständlich kann es hier unter keinen Bedingungen unsere Sache sein, uns sozusagen als die berufeneren Fort* setzer oder gar als die Vollstrecker des Piatonismus auf* spielen zu wollen und jene vom Nachkömmling des er* lauchten Solon unbeschrieben hinterlassene Tafel der Güter in bescheidener Selbsteinschätzung eigenhändig vollzuschreiben; heut' und jetzt, nachdem bis hinauf zu Nietzsche selbst die eisernsten Anstrengungen abend* ländischer Intelligenzen und abendländischer Energien zu keiner endgültigen Festsetzung der Werte ausgelangt haben. Weniger zuwiderlaufend der gebotenen Beschei* düng vor der Unzugänglichkeit der Umstände würde es indessen sein, vorläufig einmal die grundsätzliche Mög* lichkeit der Lösung unserer axiologischen Aufgabe zu er*
731
wägen und sich einstweilen mit der Aufzeigung solcher Möglichkeit abzufinden. Bei Gelegenheit des auffälligen Tatbestandes, daß Werte bei flüchtigem Hinblicken sowohl als begriffliche Einfachheiten gleichsam absolut, wie auch als begriffliche Mannigfaltigkeiten relativ aufgefaßt werden können, jedoch bei genauerer Erforschung stets für Vor* Stellungen und Aufgegebenheiten von zusammengesetzter Beschaffenheit erachtet werden müssen, — bei dieser Ge* legenheit ist mir vorhin schon ein Vergleich des Wertes mit dem Klang in die Feder geflossen, der ja ebenfalls von unserem Bewußtsein entweder als Simplex oder als Kom* plex erlebt zu werden vermag. Der aufmerksame Leser wird sich vielleicht dabei zu entsinnen wissen, daß dieser näm* liehe Vergleich schon früher in dem Kapitel von der Welt* jenseitigkeit des Sinns herbeigezogen wurde, oder vielmehr sich sozusagen ohne besonderes Dazutun eingestellt und ein* gefunden hatte : an jener Stelle nämlich, wo wir uns die plato* nische Gemeinschaft der Gattungen, xoivcovia xeov ysvwv et* was näher verständlich zu machen trachteten. Jetzt aber, wo wir endlich daran denken dürfen, den ganzen weiten Ring unserer bisherigen Darstellung europäischer Wissenschaft* lichkeit und Weltsinndeutung zusammenzuschweißen, jetzt scheint es an der Zeit zu sein, die letzte und aufrichtigste Rechenschaft uns allen abzulegen, daß jener seltsam aus* sehende Vergleich zwischen Philosophie und Musik, zwi* sehen Musik und Philosophie von vornherein nicht auf bloßer Zufälligkeit beruhte, sondern eine tiefe Notwendig* keit einschloß. Sie zu erhärten, sei mir es erlaubt, zum Ab* Schlüsse noch folgendermaßen ungefähr auszuholen:
Ein kerniger und eigenwüchsiger Komponist, Musik* ästhetiker und Musikpädagog unserer Zeit (der Schwabe August Halm in seinem ausgezeichneten Buch Von zwei Kulturen der Musik) spricht einmal beiläufig, aber in einem
732
hier sehr förderlichenWortverstand, von einem »produktiven* Ton als dem eigentlichen Urelement aller Musik, von einem Ton, welcher „andere Töne entstehen läßt", — um mit dieser Wendung offenbar auf den Tatbestand abzuheben, daß jeder Klang oder Ton zunächst und von dem rohen Hörer als Sim* plex (oder EinsKlang), später jedoch und vomgeübten Hörer als Komplex (oder Zusammenklang) zur Wahrnehmung gelangen könne : der vereinzelte Ton für die naive Auffas* sung mithin das wirklich aufbauende Element (oder das .Frühere') der ganzen Töneleiter bilde, für die kritische Auf* fassung hingegen selber schon ein tonales System (und folg* lieh ein .Späteres* oder ein »Abgeleitetes* der Töneleiter) sei. Der anscheinend hörbar einfache Klang, tatsächlich aus einer Reihe von Ober* und Nebentönen bestehend mit ihren jeweiligen Intervallen, will sagen mit ihren jeweilig tonalen Abständen Oktav, Quint, Terz, Quart . . . von einem angenommenen ersten Ton, — er umspannt schon in sich wesentlich die Beziehungen der Klänge innerhalb der Klangleiter, darart zwar, daß diese letztere nur eigentlich herausstellt, was der Klang als solcher, der Klang als System von Verhältnismäßigkeiten seiner Obertöne einschließt und vereinheitlicht. Der Klang ist schon an und für sich Klang* Verhältnis, Klangbeziehung, Klanggewebe, Klangzusam* menordnung, und mit demselben, wenn nicht mit viel bes* serem Recht, als ich die Tonleiter aus ihm entstanden denken darf, darf ich umgekehrt aus der Tonleiter ihn entstanden denken. Diese Abstände oder Intervalle von Klängen nun, die gleichsam das tonale Apriori des Einzeltones konsti* tuieren, empfinden wir einige als zusammentönend, andere hingegen als auseinandertönend, wobei sie just in letzterer Eigenschaft der musikalischen Komposition oder Organi* sation als höchste Aufgabe die stellen, eine tonale Bewegung (oder eine sogenannte Melodie) auf die Weise zu führen,
733
daß jeweils eine Rückkehr der dissonierenden Verhältnisse zu den konsonierenden stattfindet und dadurch eine von unstimmigen Intervallen und unstimmigen Akkorden er* regte Seelenspannung des Spielers oder Hörers zu lustvoller Entspannung gelöst werde. Jedem akustisch irgendwie ver* wirklichten Einzelklang wohnt demnach, sobald wir ihn als das nehmen, was er ist, nämlich als Zusammenklang oder Klangbeziehung, die unverkennbar innige Bestrebung ein, andere Klänge herauszufordern, die mit den Intervallen seiner eigenen Obertöne möglichst übereinstimmend zu Gehör gebracht werden können: eine Bestrebung, Neigung, Innenrichtung, deren Heftigkeit desto stärker anwächst, je häufiger Mißklänge ihre endgültige Befriedigung hinaus* zögern oder gar vereiteln. Grundsätzlich sucht mithin jeder Klang einen den tonalen Verhältnissen seiner Obertöne möglichst genehmen anderen Klang, jedes Intervall das ihm von allen sonstigen Intervallen angemessenste, jeder Akkord seinen ähnlichsten Bruderakkord. Auf dieser bemerkens* werten Eigenheit aller tonalen Erscheinungen, auf dieser gegebenen Verwandtschaft der Klänge untereinander und zueinander fußt dann nichts mehreres und nichts geringeres als die gesamte Musik mit der ihrem tonalen Gewebe ein* gewirkten Urgesetzmäßigkeit. Derart geht in der musika* lischenTheorie die Rede von Quintverwandtschaft und Terz* Verwandtschaft, von Oberdominant, Unterdominant und Nebendreiklängen; derart kann man aus den Beziehungen der einzelnen tonalen Elemente immer neue Beziehungen und aus ihnen wiederum immer neue tonale Elemente ent* stehen lassen : Klang erzeugt Klang, Ton heischet Ton, Inter* vall sucht Intervall, Akkord fordert Akkord. Ja! zuletzt ge* biert ein einziger Klang kraft seiner synthetischen Beschaffen* heit als Einklang, als Zusammenklang, in einer Art von generatio aequivoca seu spontanea die endlose Vielheit aller
734
Klänge, jenen wundersamsten tnundus sensibilis asque inteU ligibilis, der rein abgelöst von der sogenannten Wirklichkeit und völlig unbeschwert mit ihr, dennoch eine durch mensch* liches Instrument und Organon hervorgebildete Wirklich* keit höheren Grades selbstherrlich und selbstgesetzgeberisch darstellt. Die Musik als tongeordnetes Gefüge von Be* Ziehungen, die je und je nach Verwandtschaftgraden mit* einander verknüpft sind, erfüllt infolgedessen das Ideal einer menschgeschaffenen Eigenmächtigkeit und Selbstge* staltetheit ohne Rest und Abzug. Indem sie aus Mannig* faltigkeit Einheit zusammenfaltet und aus Einheit Mannig* faltigkeit auseinanderfaltet, bringt sie ein Erlebnisbereich seiner eigenen Art und nur seiner Art hervor, worin Sim* plexe und Komplexe in ihrer wechselseitigen Bezüglichkeit anerkannt und angewendet werden, aber eben auf Grund dieser ihrer Bezüglichkeit und Verhältnismäßigkeit ein durchweg autonomes, suveränes, absolutes Ganzes mit* einander ausmachen. Nicht zwar der Klang, nicht der Ton, nicht die Töneleiter sind absolut, aber die Musik im großen und im ganzen ist es, — ist es in einer kaum ausdenklichen, überschwänglichen, wirklichkeitgenesenen Bedeutsamkeit. Scheinbar Einfaches bedingt und fordert hier nach inne* wohnendem Bedürfnis Mehrfältiges, scheinbar Mehrfältiges bedingt und fordert hier nach innewohnendem Bedürfnis Einfaches und tönt stets wieder zurück zum Einfachen (Ge* setz der Tonika). Verwandtschaft der Einzelklänge zueinan* der, Verwandtschaft der Verhältnisklänge und Klangver* hältnisse zueinander legt den Grund zu dem Dasein jeder Musik, wodurch eine ungeheure Möglichkeit des Lebens nicht nur zu ihrer Verwirklichung berufen, sondern gleich* zeitig zu ihrer Ordnung und Gesetzmäßigkeit erhoben wird. Die Suveränität, Autonomie, Absolutheit des Musikers ist aber infolge dieses allen die schlechthin unvergleichlichste,
735
uneingeschränkteste, unwirklichste, unbedingteste, die es gibt: oder vielmehr sie wäre dies, wenn der Musik als der entwirklichten Kunst nicht Philosophie als die entwirklichte Wissenschaft völlig ihresgleichen gegenüberträte.
Denn kaum bedarf es jetzt noch besonderer Hervor* hebung und Unterstreichung, daß die Verwandtschaft der Werte untereinander genau das parallele Phänomen liefert zu der Verwandtschaft der Klänge untereinander, und daß das immer noch schmerzlich vermißte Gesetz der Wechsel* bezüglichkeit der Werte nirgendwo anders entwickelt und erläutert werden kann als an dem längst gefundenen Gesetz der Wechselbezüglichkeit der Töne: uns schließlich und zu guter Letzt auf diese Art durch einen kühnen Seitensprung in fremdes Gebiet entschlossen rettend, fast ähnlich wie Aristoteles, wenn er der Meinung ist, man müsse ,misswg links1 in der Reihe der tellurischen Organismen ganz ein* fach auf dem Monde suchen! — was zwar buchstäblich ge* nommen dumm, bildlich verstanden aber weise war, wenn man sich etwa der bekannten Entdeckung tellurischer Ele* mente über den Umweg der spektralen Analysis hinweg zu entsinnen beliebt . . . Jedenfalls besteht die akustische Tendenz zu relativer Ergänzung, Vervollständigung, Span* nung, Gegenüberstellung, Abhebung, Rückwendung, Auf* lösung, Vermittlung, Versöhnung auch bei den sogenannten Werten, und einmal in Besitz und Griff eines einzigen wie immer auch beschaffenen Wertes, erzeugt dieser bei einer richtig angewandten axiologischen Kontrapunktistik alle folgenden Werte, ihre Abstände zu ihm und unter sich selbsttätig nach der Regel ihrer engeren oder weiteren Ver* wandtschaft bestimmend und Wert zu Wert hierarchisch zu einem gleichsam natürlichen, heißt das lediglich axiologisch geordneten System aufeinander schichtend und türmend. Für den Denker, der Werte setzt, besteht jeder Wert aus
736
Teil* und Glied werten, die sich zur Gesamtheit aller Werte nur in Einem tatsächlich richtigen Bezug verhalten können: gesetzt, man habe das geistige Organ in sich genug ge* schärft, um von Fall zu Fall über den Grad der Verwandt* schaff, den Grad des Einklangs und des Mißklangs zuver* lässig zu entscheiden. Und wenn zu seiner Zeit Goethe mit dem unbeirrbaren Instinkt des begnadeten Harmonisten und Musageten gleichsam die musikalische Theorie auf optische Erscheinungen und Vorgänge anzuwenden sich herausnahm, wofern er getrost von .geforderten' Farben wie die Musik und ihre Ästhetik von geforderten Klängen, Auflösungen, Ergänzungen spricht und auf diese Kühn* heit hin uns Nachgeborenen die Hoffnung eröffnet auf eine neue (ob auch menschheitalte!) Optik, nicht nur im Sinne einer neuen Wissenschaft, sondern mehr vielleicht noch einer neuen Malerei verstanden; — wohlan I so liegt es auf uns und stets nur auf uns, dieselbe Theorie der Musik mutatis mutandis auf Philosophie und Axiologie anzuwen* den und eine gleichfalls menschheitalte Wissenschaft in der Tat und durch die Tat neu zu stiften. Raffen wir uns zu der klaren Feststellung und Voraussetzung auf, daß es fordernde, daß es geforderte Werte gäbe, die sich nach dem Verhältnis einer ewigen Verwandtschaft sachlich abstaffel* ten, — daß eine gleichsam ,intelligible Musik' von Normen, Imperativen, Idealen vorhanden sei, nach welcher sich (re* lativierend und relativiert) deren Reihung, Gliederung, Aufstellung vollziehe. Vermöge der Wesenseigentümlich- keit jedes Wertes, schon an und für sich ein Wertverhältnis zu umgreifen und sich somit als Verhältniswert erkennbar zu geben, muß seine Stelle inmitten der Schwebewelt aller Werte zumal auszumachen sein. Ein jeder Wert fordert und wählt aus und bedingt und bezeichnet zu seinem Teil das, was in der unendlichen Reihe von seinesgleichen und seines*
47 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 737
ungleichen ihm am nächsten entspricht: er selber seinerseit wiederum gefordert von eben derselben Reihe an eben die* selbe Stelle, die er und nur er auszufüllen im stand ist . . . Sei es zum Abschluß noch der Erwähnung für würdig er* achtet, daß als das erste uns überlieferte und immer noch klassische Beispiel für eine wertwissenschaftliche Darstel* lung, welche die Teil* und Einzelwerte eines gesetzgebe* rischen Grundwertes nach rein sachlicher Verwandtschaft herausstellt, der platonische Staat zu gelten hat mit seiner synthetisch*analytischen Vergegenständlichung der Gerech* tigkeit und der sie begrifflich aufzubauenden Wertverhält* nisse. Was Piaton in diesem Werk offenbar zum allerersten mal auf abendländischer Erde bewußtermaßen angestrebt hat, — und Aristoteles verhält sich trotz seiner nikomachi* sehen Ethik in dieser Hinsicht zu Piaton doch weniger wie sich ein Kepler zu seinem Kopernikus als wie sich ein Tycho Brahe zu diesem letzteren verhält: trotz aller Verbunden* heit im Geist doch weniger als Fortsetzer, Erbe und Er* weiterer denn als Gegner, Widersacher und Verschleuderer! — was also dieser Sprößling aus solonischem Blut hier an* strebte, war eben jene ,intelligible Musik* des axiologisch gestuften Kosmos, der jenseit des organischen Kosmos nicht anders aufging wie dieser organische Kosmos jenseit des mechanischen aufgegangen war. Den Ungeheuern Zusam* menhang einer Wert*Welt zu umschreiben und umschrei* bend aufzuweisen, diese Aufgabe sieht Piaton über sich am Horizont der europäischen Philosophie stehen, — aber zu gleicher Zeit scheint er sich klar darüber geworden zu sein, daß diese Aufgabe selbst von keinem einzelnen Denker, von keiner einzelnen Schule, von keiner einzelnen Rasse, von keinem einzelnen Zeitalter erschöpft oder gelöst zu werden vermochte. Er, der ewige Essayist, der mit jedem Dialog gewissermaßen von vorn anfängt, scheint zu ahnen,
738
daß das System der Werte kein endliches, sondern ein un* endliches System ist, und darum auch nie wie die Systeme des Aristoteles, des Plotinos, des Thomas abgeschlossen oder vollendet werden kann. Der unendliche Zusammenhang der Werte ist auch gedanklich nur im Unendlichen zu ver* wirklichen: die Wertwissenschaft im gültigsten und voll* ständigsten Begriff ist unter allen Umständen der proble* matischen Vollendung der Menschheit, als der unendlichen Summe aller wertsetzenden und wertlebenden Persönlich* keiten, ewig vorbehalten . . .
Äugen wir inzwischen aus diesem gleichsam erflogenen Höhenabstand einmal noch auf diese Darstellung der drei wissenschaftlichen Erkenntnisstämme herab, — auf eine Darstellung, die in mancherlei Betracht eine gewagte ge* nannt werden darf und muß. Unvermeidlich drängt sich uns hierbei die Beobachtung auf, daß diese europäischen Stammwissenschaften von gestern und von heute, — schon vielleicht nicht mehr die Stammwissenschaften für morgen 1 — daß sie seit der Reformation und durch diese vom Mythos sowohl wie vom Dogma des Christentums abgelöst wurden, um dann zunächst, durchaus sich selber überlassen, ihr be* Vorzugtestes Muster in den Systemen cölestischer und tellu* rischer Mechanik zu gewahren. Das auf die reformatorischen Erschütterungen folgende Jahrhundert ist in seinen ersten Jahrzehnten das Zeitalter der klassischen Astronomie ge* worden, mit der die Neubegründung der Mechanik des Irdischen nun einmal unleugbar verknüpft ist : sie ihrerseit die Mutterwissenschaft unserer modernen Physik und Che* mie mit der unübersehbaren Menge ihrer Zweig*, Hilf* und Tochterwissenschaften. Wie grenzenlos im übrigen die Er* Weiterung des bisherigen Erfahrungumkreises durch die Ergebnisse dieses ersten wissenschaftlichen Typus sein
47* 739
mochte, — die hundert Jahre früher geschehene Erweiterung durch die glorreiche ,conquista' , durch die glorreiche Ent* deckung der Erde von Seiten der Kolumbus, Vasco, Ves* pucci, Magellaens, Balbao, Cortez, Pizzarro bei weitem über* treffendl — wir konnten dennoch schon in Bälde feststellen, daß sogar die Voraussetzungen dieser exaktesten Bewälti* gung der Wirklichkeit vor den Problemen der sogenannt organischen Natur versagen mußten. Und dieser selbe Vor* gang der Unzulänglichkeit scheinbar allgemeinster Prin* zipien, Axiome, Hypothesen wiederholte sich schnell bei einer dritten Gruppe wissenschaftlicher Erkenntnisse, die wir mit dem älteren und ungenaueren Ausdruck , Philo* sophie', mit einem neueren aber womöglich zutreffenderen .Axiologie' zu benennen pflegten. Derart begannen sich für unser prüfendes Urteil drei getrennte Erkenntnisabsichten voneinander abzuheben und doch wiederum zusammen das Ganze der modernen Wissenschaft auszumachen. Das grundsätzliche Ziel der Mechanik erwies sich gerichtet auf die gedankliche Beherrschung von natürlichen Bewegungen, die sich dem causa aequat effectum fügten und sich vorzüg* lieh, ja ausschließlich auf die Veränderungen nach Lage oder Zusammensetzung oder Zustand erstreckten. Das entscheid dende Erkenntnismittel zu dieser Erkenntnisabsicht lie* ferten offenbar Größe und Zahl, Megethos und Arithmos, die eine Gleichsetzung und Gleichung zwischen den mecha* nischen Erscheinungen ermöglichten, indes das hauptsäch* liehe Ziel der Organik und ihrer einzelnen Disziplinen auf die gedankliche Bewältigung einer ganz anderen Sorte von natürlichen Bewegungen gesammelt war, — nicht etwa sol* eher, die sich auf Lage, Zustand, Zusammensetzung der Körper erstreckten, vielmehr solcher, die den Wechsel der äußeren (und inneren) Gestalt und die damit gegebenen Änderungen betrafen. Diese Änderungen erfolgten anstatt
740
nach dem grundlegenden causa aequat effectum nach dem widersätzlichen, aber eben darum gleichfalls grundlegenden causa inaequat effectum : will heißen nach Antrieben, Reizen, Beweggründen, die im mechanischen Wortverstand über* haupt keine wirklichen Ursachen mehr sind und folglich auch keine Ansätze zu mathematischen Gleichsetzungen darbieten können. Im Brennpunkt organischen Erkenntnis* willens finden wir also nicht Größe und Zahl, sondern Ge* stalt und Gestaltwandel; nicht Megethos und Arithmos, sondern Morphe und Metamorphosis, Typos und Historia. Der menschliche Gedanke schmiegte sich freilich hier nicht mehr mit der vorigen Geschmeidigkeit den natürlichen Be* gebenheiten an und es konnte billig die Frage aufgeworfen werden, ob die organischen Wissenschaften die Wirklich* keit durch vernünftige Begriffe in der Tat noch .beherrsch* ten\ oder ob nicht die erkenntnismäßige Beziehung zwischen Begriff und Wirklichkeit ungleich aufgelockerter und viel* deutiger geworden sei. Vollends unterbrochen erscheint diese Bezugnahme wissenschaftlicher Bilder und Bildes* bilder auf die Wirklichkeit bei der Philosophie selber, die es sinnfällig weder auf eine Beherrschung noch Bewältigung noch Bemeisterung der Natur mehr abgesehen hat, — statt dessen aber auf richtige Prägung und Schätzung, Bindung und Ineinandersichtung solcher Begriffe, die dem mensch* liehen Willen unter Umständen seine bestimmenden Im* pulse liefern mochten und auf diesem Umweg einer späteren Verwirklichung zusteuerten. Das Werkzeug, dessen sich der Philosoph dann zu dieser Endabsicht bediente, war nicht mehr dieser oder jener vereinzelte Begriff wie Größe oder Zahl oder Gleichung oder Gestalt oder Gestaltwandel oder Leben oder Lebewesen. Nein, das war der Begriff an und für sich kraft seiner Eigenheit, möglicher Wert zu sein; das war, wie man auf die anderen griechischen Bezeichnun*
741
gen anspielend sagen könnte, der Logos als solcher, der nicht Wirklichkeiten durch Vernunft gedankenhaft meistert, sondern Wirklichkeiten durch Werte schöpferisch ins Da* sein ruft . . .
Diesen drei Erkenntnisstämmen oder Wissensgrund* gestalten entspricht nun völlig genau, wie sich vermuten läßt und wie wir schon vermutet haben, ein dreifaches Ver* hältnis des Begriffes zur Wirklichkeit überhaupt. Denn wenn wir hier in diesen Blättern auch bei jeder schicklichen Gelegenheit hervorgehoben haben, daß die logischen und mathematischen Grundlegungen der Mechanik durch* gehends von der Wahrnehmungwirklichkeit und ihren Zer* gliederungen unabhängig gewonnen und unabhängig ge* bildet worden seien und in dieser Hinsicht dem Urbesitz* tum der Vernunft als dem .Früheren' der Wirklichkeit zu entlehnen wären ; wenn wir des ferneren mit dieser transzen* dentalphilosophischen Feststellung sowohl den platonisch* aristotelischen wie den kantischen Apriorismus sogar in seinen äußersten Konsequenzen (etwa als .Phänomenologie' nach dem Vorgang Edmund Husserls und seiner Schule) vorbehaltlos bejaht, bekräftigt, bestätigt, anerkannt haben wollten : gleichzeitig ward doch in keinem Augenblick ein Hehl daraus gemacht, daß jene nämlichen Grundlagen der Mechanik erkenntnismäßig stets nur soweit zu Recht be* ständen, als sie gerade dank dieser Eigenschaft einer logi* sehen und mathematischen Substruktion den wahrnehm* baren und wirklichen Gegebenheiten des Bewußtseins unterstellt werden konnten, als sie allein dank ihrer auf die Wahrnehmungwirklichkeiten anwendbar waren. Es ist wahr, die Denkmittel und Erkenntnishilfen der mechani* sehen Wissenschaften entspringen und entstammen keines* wegs den sinnesgegebenen Stätigkeiten des Bewußtseins: aber eben darum müssen sie mit desto größerer Strenge für
742
diese Stätigkeiten gelten, sie zunächst gleichsam einkreisend und umspinnend, weiterhin aber verdrängend, stellver* tretend, ersetzend, eintauschend, aufwiegend, ausgleichend, auswechselnd und wenn man will sogar bezahlend. Ein analytischer Ausdruck muß, wenn anders er mechanisch richtig und wahr ist, ganz einfach an die Stelle des von ihm bezeichneten Vorgangs der Natur treten können, im Geist des erkennenden Subjektes genau dessen Sein und Wesen und Ort einnehmend; — ähnlich wie ein Gesandter oder Botschafter an fremdem Hof die Stelle und Wesenheit des heimischen Herrschers einzunehmen und dessen Wille und Macht zu vertreten hat. Auf dieser Stellvertretbarkeit des natürlichen Ereignisses durch den logisch*mathematischen Ausdruck beruht letzten Endes die so weitgreifende Tat* sache der Anwendbarkeit von Arithmos und Megethos auf die Wirklichkeit: auf sie verzichten müssen, hieße den be* grifflichen Ineinandersichtungen der Vernunft jeden Recht* fertigunggrund überhaupt entziehen. Wo man im Erleb* nisstrom der Wirklichkeiten nichts mehr aufzuzeigen wüßte, was den mathematischen und logischen Symbolen Zug für Zug eintauschbar wäre, da ,wüßte' man eben überhaupt noch nichts oder nichts mehr. Gewissermaßen ein psycho* logischer Reflex dieses doppelten Sachverhaltes, wonach der mechanische Ausdruck zwar a priori gewonnen ist, aber gleichzeitig a posteriori für anwendbar zu gelten hat, scheint schon die ersten Bahnbrecher der neuen oder erneuerten Wissenschaft erleuchtet zu haben. So wenn wir beispiel* weis von Kepler selber die erstaunliche Mitteilung lesen: „Am 8. März 1618 kam Kepler nach vielen vergeblichen Versuchen auf den Gedanken, die Quadrate der Umlauf* zeiten der Planeten mit den Kuben der mittleren Abstände zu vergleichen, — allein er verrechnete sich und verwarf diesen Gedanken wieder. Am 15. Mai 1618 kam er auf
743
den Gedanken zurück und rechnete richtig; das dritte kep* lersche Gesetz war jetzt entdeckt." In dieser Notiz findet man beide Tatsachen, die Herkunft der rechnerischen Be* Ziehung zwischen den Umlaufzeiten und den mittleren Abs ständen zweier Himmelskörper ausdem,Proteron' einerseit, die Notwendigkeit empirischer Anwendbarkeit (durch rieh* tige Rechnung) andererseit mit dem gleichen Nachdruck und mit gleicher Selbstverständlichkeit erwähnt. Was also Kep* ler hier offenkundig unter den Begleitumständen einer plötz* liehen Eingebung, Erhellung, Begeistung erlebt hatte, — mit Erschütterungen, die übrigens an die Berichte anderer und größerer Nächte gotamidischer Erlöser*Heilsgedanken seit* sam treu gemahnen! — das umschließt in doppeltem Ver* rungensein die Grundtatsachen aller mechanischen Erkennt* nisleistung an und für sich, darauf fußt das unübertreff* liehe Ergebnis aller Vernunftbeherrschung der Natur mittels Maß und Zahl und wechselseitiger Angleichungen beider: eine Welt-Ordnung nämlich nach Raum, Zeit, Lage und Arbeit sichtbarsunsichtbarer Teilchen. Indem die (im Syl* logismos, wie wir wissen, selbst mechanisierten) Knüp* fungen und Verbindungen der Begriffe anwendbar werden auf eine mechanisch (das ist maschinell) interpretierte Na* turgesamtheit und ihre Veränderungen, verhält sich der Begriff zur Wirklichkeit als ein weltordnendes Tun, her* vorbringend ein der Zahl und Größe zugängliches Univers sum, das wir seinerzeit als die Welt*Maschine einigermaßen beschrieben und geschildert haben.
Größe und Zahl aber, darin möchte der Kant der reinen Vernunftkritik wohl dauernd und unbeugsam recht be* halten, liefern das Schema, mittels dessen transzendentale Begriffe auf empirische Wahrnehmunggebilde überhaupt erst zur Anwendbarkeit gelangen können, derart zwar, daß ohne Größe und Zahl der Begriff die Wirklichkeit nicht
744
eigentlich im engeren Wortverstand beherrscht, sondern sich in einem irgendwie loseren und unbestimmbareren Verhältnis zu ihm befindet. Erweisen sich darnach die Er* eignisse der recht eigentlich .belebten' Natur jenem logisch* mathematisch*analytischen Schematismus der Mechanik unzugänglich, so ist damit folgerichtig auch der andere Um* stand zugegeben, daß man in den organischen Wissen* Schäften nicht mehr wie in den mechanischen eine unein* geschränkte Anwendbarkeit der Begriffe behaupten dürfe. Die Denkhilfen und Erkenntnismittel, erfunden von den organischen Wissenschaften, um organische Vorgänge und Bewegungen gedanklich zu verdeutlichen, zu klären, zu erläutern, sie versagen sich durchgängig dem, was man in der Mechanik anspruchvoll die .Beherrschung der Natur', etwas bescheidener, ,die Anwendbarkeit von Größe und Zahl auf die Natur' zu nennen beliebt. Fanden wir doch gleich schon eingangs der Wissenschaften vom Leben so grundlegende Begriffe wie die der Art oder Gattung in ihrer erkenntnismäßigen Bedeutsamkeit mit schwerster, keineswegs scholastisch verstäubter Problematik allein überlastet; mußten wir's doch in Ansehung lebendigen Werdens und Wandeins schließlich bei Begriffsbildern be* wenden lassen, die wie das sogenannte Leben selber in einer Schwankunglage zwischen Anpassung und Nichtanpassung zu schweben scheinen. Denn zwischen Anpassung und Nichtanpassung (bei unverkennbar vorhandener Neigung zu plötzlichen oder schrittweisen Wandlungen der organi* sehen Grundgestalt) bewegt sich offenbar das natürliche Leben: und über diese vage, vielsinnige, dehnbare Vor* Stellung konnten wir uns nicht erheben. Das Leben fließt in jedem Augenblick seiner unverkennbaren Bahn, und wie das Leben fließt auch der Begriff, der sich seiner zu be* mächtigen gedreistet: wohl uns, wenn er nicht geradezu
745
zerfließt . . . Gewiß entsteht auch jetzt wieder eine Art Ordnung, wofern Erkenntnis und Unordnung, Wissen* schaff und Unordnung schlechthin unversöhnliche Vor* Stellungen bilden und wir Ordnung also auch dort erwar* ten dürfen, wo kein mathematisches Schema die Bedingung* gleichungen für natürliche Ereignisse anzusetzen erlaubt. Aber mit der vorigen Ordnung, vermittelt durch Maß, Ge* wicht und Größe, darf diese nur noch .sogenannte* Ord* nung doch nicht mehr verglichen werden. Vielleicht täte man gar am besten, jetzt diesen allzu hochtrabenden Aus* druck zu meiden und sich an seiner Statt des bescheideneren Ausdrucks zu bedienen, der sich hier sehr ungesucht und darum sehr passend darbietet: ich meine selbstredend den Begriff der Formung. Nicht freilich ihn, wie ihn Kant und die Transzendentalphilosophie, auch nicht wie ihn Thomas und die Scholastik aufgefaßt hatten, sondern wie er sich ohne weiteres aus der Bildung organologischer Begriffe ergibt, die sämtliche in einer Vereinheitlichung, Durchdringung, Ineinanderschmelzung der beiden verschiedenen Ur* und Grundbedeutungen der Form, wie sie seit den Griechen immer bestimmter als Eidos und als Morphe, als Gedanken* gestalt und als Körpergestalt auseinandertreten, ihr höchstes und vornehmstes Erkenntnisziel zu verfolgen scheinen. In der Tat, der organische Begriff form*gestaltet und gestalt* formt die Wirklichkeit eher als daß er sie ordnet, — und von dieser Einsicht aus braucht die Organik den Vergleich mit der Mechanik auf keine Weise mehr zu scheuen. Ihre eigenste Leistung besteht darin, das Wirkliche in womög* lieh allen Erscheinungen begrifflich, gedanklich, wissen* schaftlich als Gestalt*Form zu verlebendigen, — als Welt* Formung nach Raum, Zeit, Art und Gestalt tritt sie eben* bürtig der Welt*Ordnung nach Raum, Zeit, Lage und Ar* beit an die Seite. Und dieses zwar, ohne daß das erwähnte
746
Verhältnis des transzendentalen Begriffs zur empirischen Wirklichkeit sonst eine durchgreifende Änderung erführe. Auch der auf die Wirklichkeit nicht eigentlich anwendbare, sie nicht eigentlich beherrschende Begriff entstammt dem ewigen Vernunftbesitz des .Früheren', um von hier aus die Wirklichkeit des .Späteren' erkenntnismäßig zu umklam* mern. Auch hier zielt der transzendental erzeugte Denk* inhalt auf die Inhalte empirischer Wahrnehmungen. Auch hier entsteht Erkenntnis aus fortgesetzt emsiger Wechsel* Wirkung zwischen Verstand und Sinnlichkeit, Vernunft und Erfahrung, Urteil und Anschauung . . .
Dieses entscheidende Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Begriff erfährt eine Änderung erst in der Philosophie und Axiologie, wo das nicht genugsam zu Verwundernde geschieht, daß die Wissenschaft mit der Auszeichnung be* liebiger Begriffe zu Werten ihre Hauptabsicht erreicht hat, ohne daß diesen Werten von vornherein eine Gegebenheit der Erfahrung, der Sinnlichkeit, der Wirklichkeit zugeordnet werden könne. Die Wissenschaft als Ganzes, an sich be* müht um die Herausstellung von Begriffsbildern, die ent* weder eine vernunftbestimmte Ordnung oder eine eben* solche Formung wirklicher Dinge ermöglichen sollen, wendet ihr bisheriges Verfahren in Philosophie und Axio* logie überraschend in den Gegensinn, indem sie nunmehr nicht wie früher zu ausgewählten Wahrnehmungstätigkeiten ordnende oder formende Erkenntnismittel sucht, sondern indem sie umgekehrt den gleichsam mit werthaften Kräften geladenen Begriffen allmählich zu verwirklichende Erschein nungreihen beizugesellen strebt: Erscheinungreihen, die ihre Setzung ausschließlich dem normativen Sollen, norma* tiven Wollen in ihrer Vereinheitlichung zu danken haben. Hier wird dem Kosmos des Daseienden der Kosmos des Nirgendseienden nicht nur gegenübergestellt, sondern ihm
747
vorgezogen. In die Aufgabe, gedanklich zu umspannen, was da ist, verringt sich die höhere und verantwortlichere, tathandelnd, tatgestaltend, tatwerkend zu erschaffen, was nicht da ist, aber das wert wäre, da zu sein: über allen starken Wirklichkeiten webt und geistert stärker die uto* pische Gloriole aller Möglichkeiten fern und stät in stern* hafter Jenseitigkeit. Die Wissenschaft als solche beginnt eine Drehung um ihre eigene Achse um volle zwei Qua* dranten zu vollführen und von ihrem bisherigen terminus a quo hinüber zum terminus ad quem zu wechseln — und umgekehrt. Anstatt zum frommen der Wirklichkeit brauch* bare Denkmittel und Erkenntnishilfen zu ersinnen und sie mit wachsender gedanklicher Schärfe zu bearbeiten, bedient sie sich im Gegenteil begrifflicher Gebilde, um unerhörte Arten der Verwirklichung ins Dasein zu locken, ins Dasein sogar zu zwingen und zu quälen. Darin besteht die seit* same und von Grund auf veränderte Haltung des Philo* sophen zum Begriff und Inbegriff, daß diese ihm wenig bedeuten in ihrer Eigenschaft, wirkliche Wirklichkeiten geistig zu umfangen, aber viel bedeuten und alles bedeuten in der anderen, zu jetzt noch unwirklichen, später aber ver* wirklichten Möglichkeiten die seelischen Antriebe herzu* geben. Dadurch aber entbinden die axiologischen Energien, von welchen die Philosophie ihrerseit die wissenschaftlichen Termini entbindet, den Philosophen und die von ihm ge* stiftete Gruppe der Gesellschaft des dumpfen, Unglück* liehen, tierhaften, menschenunwürdigen Zwanges, in der Erlebniswirklichkeit allein und in den ihr entsprechenden Begriffen zu leben. Anhebend mit einer Ordnung der Welt durch Maß, Gewicht und Zahl; fortschreitend zu einer Formung der Welt durch Art, Gattung und Gestalt; endigend in eine Wertung der Welt schreitet mithin die Heersäule der Wissenschaften selber unwiderruflich fort
748
von dem Wirklichen, das da ist, zu dem Wirklichen, das da zu sein verdiente. Aufrufend zur Verwirklichung der Un* Wirklichkeiten betritt Erkenntnis eine Schwelle, die von ihr selber weg weithin in andere Lagen, Schächte, Flöze, Falten, Innenschichten des Seins weist . . .
So schlagen wir ins Schloß denn die Flügel dieses wun= dersam bebilderten Triptychon der Wissenschaften, schlagen ins Schloß jene drei überreich gezierten, geschnitzten, be* schlagenen, vergoldeten, getriebenen und edelsteinbesetzten Flügel, — deren linker bedeckt ist mit den Symbolen und Hieroglyphen der Tierkreisbilder und Parallaxen und Rektaszensionen und Konjugationen und Kulminationen und Mondgloben und Sterneichungen und Präzessionen und Winkelmessungen und Gradeinteilungen und Pei* lungen und Lotungen und Binominalkoeffizienten und Koordinatensysteme und Verbindunggewichte und Nutz* effekte und Affinitäten und Massenanziehungen und Entro* pien und Pendelbewegungen und Schwingungkurven und Diagramme und Farbenkreise und Lichtmessungen und Brechungexponenten und periodischen Tabellen und Pro* jektionen und geodäsischen Linien und Differentialquo* tienten und Integralen und imaginären Größen und Gleis chungen mit mehreren Unbekannten und Wahrscheinlich* keitrechnungen und Triangulationen und sphärischen Drei* ecke und Kegelschnitte und Kristallachsen und unendlichen Reihen und Analysen und statistischen Tabellen und archime* dischen Sätzen und kardanischen Formeln und und . . . ; deren mittelster besät ist mit den naturtreuen Abbildern der mine* ralischen, vegetativen, animalischen Gestalten sämtlicher lebendigen Erscheinungen, so wir ihrer gewahren im Krie* chen und Fliegen, im Krabbeln und Schwimmen, im Laufen und Springen, im Geißeln und Flimmern, im Kugeln und
749
Winden, im Fallen und Steigen, im Drehen und Kreiseln, im Schreiten und Treiben, im Hüpfen und Bohren, im Wachsen und Wuchern, im Schießen und Sprießen, im Sprossen und Spinnen, im Knoten und Stielen, im Wirbeln und Wühlen, im Begatten und Wiederkäuen, im Fressen und Säugen, im Sterben und Gebären, im Einatmen und Ausstoßen, im Kämpfen und Unterliegen, im Zersetzen und Aufbauen, im Versteinern und Verwesen, im Schwan* gern und Gären, im Blatten und Balzen, im Brünften und Rören, im Werben und Würgen, im Verlarven und Ent* puppen, im Brüten und Nisten, im Blühen und Welken, im Entstehen und Vergehen . . . ; deren rechter beschrieben ist mit den Namen der Güter und der Übel, der Verbote und der Gebote, der Tugenden und der Laster, der Pflich* ten und Ergötzlichkeiten, der Warnungen und der Ver* heißungen, der Schätzungen und der Wertungen, der Weissagungen und der Wahrsagungen, der Urteile und der Gerichtsprüche, der Lehrbriefe und der Freisprechungen, der Säligpreisungen und der Verdammungen, der Wollüste und der Entsagungen, der Verbrechen und der Guttaten, der Urheberschaften und der Verantwortlichkeiten, der Bot* Schäften und der Entscheidungen, der Geltungen und der Ungültigkeiten, der Freiheiten und der Notwendigkeiten, der Leidenschaften und der Überwindungen, der Satzungen und der Aufhebungen dieser Menschheit . . . Wir ver* schließen also, sag' ich, die Türen dieses hochgetürmten Dreiflügelbildes der Wissenschaften, einstmals auf den Altar gestellt in maiorem genii humani gloriam von einem besser beratenen Europa, wahrhaftig von einem besser beratenen, nun bald aber schon verschollenen Europa felix. Vielleicht aber wird die Ahnung uns begleiten, daß dieser Umkreis der Wissenschaften, in zunehmender Freiheit und Abgelöst* heit sowohl vom Mythos wie vom Dogma des Christen*
750
tums, im Lauf der Zeiten mehr und mehr selbst die Stelle jenes Mythos eingenommen und behauptet hat, — wenn anders wir unter Mythos überhaupt ganz unverbindlich jede ge* meinschafterwirkte, gemeinschafterworbene, gemeinschaft* verlebendigte Auffassung, Erklärung, Erläuterung, Versinn* barung, Deutung und Darstellung der Welt im Zusammen* hang verstehen dürfen, wie ihn die Gesellschaft jedes ge* schichtlichen Zeitalters nach Anlage, Bedürfnis, Geschmack und Können sich erfindet. Ein Mythos der Wissenschaften, Der Mythos der Wissenschaften ist das Ganze aller Er* kenntnis von dem, was da ist, und von dem, was wert wäre da zu sein: Mythos der Religion nur darum wohl nicht mehr, weil er zum geistigen und seelischen Aufbau seines Kosmos keines Gottes, keiner Götter mehr bedürftig scheint . . . Oder vielleicht dennoch Mythos der Religion in einer künftigen, zukünftigen Wortbedeutung . . .?
751
SECHSTE BETRACHTUNG
DIE MYSTERIEN DER GOTTLOSEN
DIE NEUE ENTSCHEIDUNG
In einem Atem richtig und irrig wäre wohl die Behaup* tung, daß sich die religiösen Lebenskräfte unseres Fest* landes in der deutschen Reformation als in ihrer letzten heißen Wallung erschöpft und verströmt hätten. Diese Behaup* tung wäre richtig, weil die deutsche Reformation nebst den sonstigen Reformen, Reformationen und Reformatiönchen, die sie mittelbar oder unmittelbar angeregt hat, tatsäch* lieh das letzte Beispiel darbietet von einer religiösen Um* wälzung dieser Wucht, die rein aus den Bedürfnissen der Religion als solcher hervorgegangen ist und auf keine Weise von gesellschaftlichen Ereignissen unreligiöser oder außer* religiöser Art bedingt erscheint. Andererseit wäre jedoch diese nämliche Behauptung auch wieder irrig, da sich die religiösen Antriebe zu weiteren gesellschaftlichen Wand* lungen mit der Reformation durchaus nicht verausgabt zeigen, vielmehr wichtige Umgestaltungen am europäischen Völkerkörper auch ferner noch mitverursachen ; — nur frei* lieh mit dem Unterschied, daß sich diese Antriebe immer seltener als ausschließlich religiöse kennzeichnen lassen. Auch nach der Reformation der Deutschen setzen die im geschichtlichen Christentum miteinander vereinigten, mit* einander wetteifernden Religionen ihr Eigenleben fort und fort. Auch jetzt ändern sie im Zusammenhang mit anderen Veränderungen ihren Glaubensinhalt und Bekenntnis* willen; — nur daß diese nachreformatorische Frömmigkeit eben durch irgend welche Umstände bewogen wurde, sich selber in wachsendem Maß hinter Seelenkundgebungen und Wesensäußerungen zu verstecken, die ihre im Grund reli* giöse Beschaffenheit weder dem ersten noch dem zweiten Blick schon preiszugeben geneigt sind. Immer seltener ist es die religio, die Bindung ans Göttliche, die Verbunden*
48* 755
heit mit Gott, welche allgemein kenntlich als solche in Er* scheinung tritt; immer häufiger wählt sie sich die uner* wartetsten und erstaunlichsten Maskeraden zur mimikry, um wirklich wieder ,una substantia in multis personis, [da ovoia elg Tiolleig vjzooxdoeis' zu sein. Zur Erläuterung dieses Um* Standes gedenke ich gleich etwa der geschichtlichen Tatsache, daß das Wiedertäufertum und Erweckerwesen, in Deutsch* land und der Schweiz im sechzehnten Jahrhundert unter Gräueln getilgt und mit Feuer erstickt, dennoch eine Weile später in Holland und in England samt ihren nordameri* kanischen Siedelungen ein aufblühendes Dasein staatlicher, wirtschaftlicher, sittlicher und sogar künstlerischer Art be* günstigen, ohne daß allerdings dies Dasein zu seinem Teil als Wiedertäufertum und Erweckerwesen geradezu kennt* lieh würde. So gehört es heut' zu den bevorzugten Gegen* ständen wirtschaftgeschichtlicher Forschungen, den un* gefahren Anteil zu veranschlagen, welchen Kalvinismus oder Puritanismus an der Entstehung des europäischen Hochkapitalismus gehabt haben möchten, und grundsätzlich ist man bereit, die beschleunigte Entwicklung dieser Wirt* schaft* und Gesellschaftverfassung durch kalvinistische, durch puritanische Motive stark mitverursacht zu vermuten. Änderungen im wirtschaftlichen Weltzustand führt man hier teilweis zurück auf Änderungen im religiösen Seelen* zustand; in den Gebräuchen der Gütererzeugung, Güter* anhäufung, Güterverteilung findet man zur eigenen Überraschung religiöse Vorstellungweisen wirksam. Und nebenbei gesagt bekämpft man dadurch mit durchaus taug* liehen Mitteln das unbewiesenste und unbeweisbarste aller wissenschaftlichen, afterwissenschaftlichen Dogmata, das es vielleicht gibt: den historischen Materialismus, der zwar einseitig und halbseitig die Abhängigkeit aller Seelenzu* stände von den Wirtschaftzuständen für gewiß nimmt, um*
756
gekehrt aber jede Bedingtheit wirtschaftlicher Verhältnisse durch außerwirtschaftliche in Abrede stellt, und damit sich und seine Anhänger jedes Verständnisses beraubt für den gar nicht eigentlich kausalen, vielmehr (wie wir wissen) metamorphisch*korrelativen Charakter geschichtlichen Le* bens und Werdens . . .
Diese einigermaßen allgemeingültige Formel von den religiösen Antrieben nichtreligiöser oder außerreligiöser Bewegungen gilt für die Nachwirkungen der Reformation innerhalb des Protestantismus nicht strenger als sie für die nachreformatorischen und gegenreformatorischen Wir* kungen innerhalb des Katholizismus gilt. Auch hier ge* winnt man bald den Eindruck, als vermumme sich die reli* giöse Begebenheit in andere Begebenheiten, die sonst wenig oder nicht die eigentliche Religion berühren. So wenn der Jesuitismus als sein weltgeschichtlichstes Verdienst dieses in Anspruch nehmen darf, daß er einmal noch mit ungemeinem Aufwand die Verdiesseitigung des Christentums durchzu* setzen bestrebt ist, die Aussöhnung seines asketischen, escha* tologischen, transzendenten Grundzuges mit der ,Welt\ will heißen mit den Notwendigkeiten (aber auch Überflüssig* keiten) des modernen Staates, der modernen Wirtschaft, der modernen Persönlichkeit, der modernen Erkenntnis, der modernen Sittlichkeit, der modernen Wirklichkeitgier, des modernen Lebenshungers; — denn auch dieses trotz aller Rückläufigkeit ehrliche und mächtige Pathos der Gegenrefor* mation, das ungeteilt noch einmal dem Dauergedanken der Einen und Einigen Kirche dient, auch es verbirgt sich im Halb* schatten hinter mancherlei Kundgebungen, deren wesent* lieh religiöse Signatur stets seltener bemerkbar wird. Der* art entsteht in jenen Zeiten wie von ungefähr eine religiöse Malerei, die an Eindringlichkeit, Innigkeit, Innerlichkeit, Selbstvergessenheit der Gebärde selbst diejenige des Mittel*
757
alters leidenschaftlich überbietet, sei sie in allen Fasern und Wurzeln evangelisch, mennonitisch, anabaptistisch, illumi* natisch, separatistisch, mystisch wie bei dem Holländer Rembrandt, — oder sei sie im Gegenteil in jeder Fiber und in jedem Nerv katholisch, jesuitisch, ekklesiastisch, inqui* sitorisch, ekstatisch, mystizistisch wie bei dem Kreter und Toledaner Theotocopulos: die Religion flüchtet in summa hier gleichsam in eine Malerei, um als Malerei und nicht als Religion überzeugendste Verkörperlichung zu gewinnen. Oder es entsteht zur nämlichen Zeit eine religiöse Archi* tektur, ein über die Gotik noch hinaus gotisierender Bau* wille zu Erstellung prunkherrlicher und weltstolzer Tempel* häuser, Tempelhallen, Tempel weiten, jetzo gegen früher nur noch in sich gesammelter, ineinandergezogener, zusammen* schaubarer, abgeklärter, einheitgegliederter im Geräum und womöglich wie von einer Vogelklaue von einem einzigen Ge* wölb' umkrallt und umgriffen, welches ein Gleichnis sein soll in allen Stücken des eben mit einem neuen leiblichen Organ durchforschten Himmels mit seiner neu erdachten Dynamik und Kinematik : die Religion flüchtet in summa hier gleichsam in die Architektur, um als Architektur und nicht als Reli* gion angemessenste Verkörperlichung zu gewinnen; — nicht anders übrigens, als sie zur gleichen Stunde in die Astronomie selbst mit ihrer neuen Dynamik und Kinematik des Himmels geflüchtet war. Oder es entsteht da des ferneren (ein wenig früher oder später) eine religiöse Musik, die sich als Schwesterkunst der religiösen Malerei auch ihrerseit ent* zweit und wiederum vereinigt zeigt in zwei Persönlich* keiten ausgesprochen katholischen, ausgesprochen evan* gelischen Klangfügens und Klangführens, dort etwa Pale* strina und hier Bach genannt: die Religion flüchtet sich in summa gleichsam in die Musik, um als Musik und nicht als Religion zeitgemäßeste Verkörperlichung zu gewinnen.
758
Oder es entsteht imgleichen eine religiöse Philosophie, nach ihren bewußten Absichten eine scharfe Abkehr von der Scholastik unseres Mittelalters und dennoch eine Er* neuerung derselben Scholastik, wie der architektonische Barock eine Erneuerung der Gotik gewesen ist. Sie wird und entsteht und errichtet auf den jüngst gelegten Funda* menten der physikalischen Mechanik den neuen Oberbau einer wissenschaftlichen Kosmologie, der sich trotzdem in seiner gesamten Anlage durchkreuzt zeigt von dem Grund* riß der jüdisch*christlichen Theologie der Vergangenheiten. Und ernsthaft erweist sie sich damit beschäftigt, ein für alle mal den Punkt festzunageln, wo im Gefüge dieses modernen Wissens die Hebelkraft des vormaligen Glaubens am er* folgversprechendsten einzugreifen hätte. Ein letztes oder vorletztes Bündnis schließend mit der christlichen Religion, oder vielleicht richtiger mit der .Religion überhaupt', die hier zuerst, fast wie das sogenannte Naturrecht und mit diesem gleichzeitig, als unverlierbarer Stammbesitz der Gattung Mensch aufgefaßt wird, — zeigt sich diese euro* päische Philosophie des siebzehnten Jahrhunderts befleißigt, das teuerste der religiösen Überlieferung sich zu erhalten und den deus sinnreich in die kausalen und mechanischen, mathematischen und äquivalenten Ordnungen der Wirk* lichkeithinein zu verflechten: sogar in die Philosophie flüchtet in summa die Religion, um als Philosophie und nicht als Religion zukunftträchtigste Verkörperlichung zu gewinnen, Selbiges geschieht bei Pascal, selbiges bei Descartes, selbiges bei Spinoza, selbiges bei Leibniz, — bis Kant Immanuel auch der methodisch verjüngten, empirisch erweiterten, mathematisch gestrafften Scholastik dieser aufrichtig und ernst gesonnenen Kosmo*Theologen, Theo*Kosmologen ein vorläufiges Ende zu bereiten sich anschickt. Ein vor* läufiges Ende nur, sage ich, weil kaum ein halb Jahrhundert
759
nach Leibnizens Hingang jene romantische Generation in Deutschland geboren wird, die nochmals System um System der Kosmo^Theologie, der Pan^Noologie zu unwälzbar schweren, aber flüssig glühenden und feurig wärmenden Geistkörpern weltsälig ballt und ballt . . .
Veräußert sich derart nach der Reformation die euro* päische Religiosität (ohne sich zu veräußerlichen) an eine Reihe von Manifestationen, die von Haus aus keineswegs dem Umkreis religiöser Gemütsoffenbarungen anzugehören scheinen, so liegen zweierlei Fälle durchaus im Bereich der Möglichkeit, die etwa sinnbildlich folgendermaßen nicht übel darzustellen wären. Wenn nämlich die unzählbaren, selbstleuchtenden Sonnen unseres Weltenraumes ihr Licht und ihre Wärme zum großen Teil an den weltraumfüllenden Äther abgeben und somit ihr Licht und ihre Wärme zer* streuen, dann ist die Wirkung hiervon ein schauerlich kaltes und nächtiges All: wie es der Annahme der Astrophysik meist auch heute noch wirklich entspricht. Wenn hingegen ein liebender Mensch sein grundlos innerliches Glück und seines Herzens Zärtlichkeit an vielerlei Mitmenschen und menschenähnliche Mitgeschöpfe, ja an Tier und Pflanze und Erdreich und Kluft wohlwollend wahllos verschwendet, getreu dem sehr göttlichen Grundsatz Benedikt Spinozas: qui deum amat, conarinonpotest, ut deus ipsum contra amet . ., dann erleidet diese liebende Seele weder Abnahme noch Verminderung, auch wo ihr Gegenliebe nirgends geschenkt wird, — vielmehr bereichert sie sich je und je an ihrer eigenen übermütig glücklichen Verschwendung. Der Liebende seinerseit, und dies ist wahrlich seltsam! ist jenen anderen, nicht lichtspendenden, nicht wärmeschenkenden Welt* körpern vergleichbar, die nach der Annahme etlicher Astro* nomen so ungeheuer groß und reich an Masse sind, daß sie ob des Übermaßes an anziehenden Kräften ihre eigenen
760
Licht* und Wärmestrahlen wieder in sich selber saugen und schlucken, ehe sie sich im weiten Himmelsraum verlieren. Einem solchen Liebenden nun, Wärme und Helligkeit des Herzens stets wieder in sich selber Sammelnden dürften wir die Frömmigkeit des Mittelalters vergleichen. Denn sie ersetzt sich entweder jeweils in ebendemselben Grad, als sie die Formungen der Gesellschaft durchdringt, oder ihre Masse ist so groß, so unendlich, daß sie immer wieder den gesamten Betrag ihrer Kraftäußerungen an sich zieht, die sie dem Gemeinschaftleben mitteilt. Demgemäß ver* ausgabt sich auch die Religiosität etwa des dreizehnten Jahrhunderts dort keineswegs, wo sie augenscheinlich das* selbe vollbringt und leistet wie die Religiosität des sieb* zehnten Jahrhunderts, — will sagen wo sie Genossenschaft* wesen, Wirtschaftführung, Kunstausübung, Forschungver* fahren, Wohlfahrtpflege, Staatenverwaltung, Rechts* gebarung regelt oder begünstigt, gründet oder beeinflußt: indes sich diese spätere Religiosität offenbar in den Wir* kungen von ähnlicher oder nämlicher Art zerstreut, ver* flüchtigt und zerstäubt wie Tropfen einer balsamischen Flüssigkeit, die zwar für eine Weile ein Zimmer, einen Saal, eine Halle angenehm durchschwängern, aber mit diesem ihrem Gedüft schnell und spurlos selbst verriechen. Dieser Umstand muß wohl schon darum von einiger Erheblich* keit sein, weil vielleicht er allein etwas Aufschluß zu ver* schaffen geeignet sein mag über den Fortgang der Ereignisse seit der Reformation und der im ganzen und großen seit* her doch immer verhängnisvoller abnehmenden Stärke des religiösen Lebens in Europa. Was seit dem sechzehnten Jahrhundert an frommen Triebkräften der festländischen Völker zu verspüren war, äußerte sich mehr und mehr in Erscheinungen, die dem religiösen Verhältnis als solchem eigentlich entrückt sind, und im Gegensatz zu den mittel*
761
alterlichen Verhältnissen bedeutet diese Tatsache keine Mehrung, sondern eine Minderung, keinen Zuwuchs, sondern eine Einbuße an religiösen Energien. Noch fristet der Hauptgegenstand bisheriger religio, bisheriger Selbst* bindung und Selbstverpflichtung, der deus einer halben, vierteis, achteis Scholastik sein Dasein anständig in dem eben entstehenden Mythos der Wissenschaften, wo insonder* heit die neue Mechanik eines aristotelischen ersten Be* wegers nicht gleich sich entschlagen zu können scheint. Aber bald, ungefähr mit der Anerkennung der kantischen Theorie des Himmels, erweist sich auch der Urbeweger durch* aus als entbehrlich. Entweder war jetzt die sinnliche und wirkliche Welt überhaupt unentstanden, und dann be* durfte sie von vornherein keines Gottes mehr. Oder sie war entstanden, und dann vollzog sich ihre Entstehung aus der Verdichtung und Gerinnung kosmischer Nebelflecken von unendlich geringer Dichtigkeit zu Sternen und Kernen, unter Beihilfe anziehender und abstoßender Kräfte, che* mischer Wahlverwandtschaften, elektromagnetischer und thermischer Ursachen. Unentstandenes All entsteht über* haupt nicht; entstandenes All entsteht nicht aus Gott. Mit dieser Alternative, mit dieser Not* und Doppelwahl gibt die moderne Mechanik den ersten Beweger, dieses letzte und schwächlichste Überbleibsel des alten Schöpfergottes, schon bald nach Newton vollends preis, der noch bekanntlich den Namen Gottes nicht auszusprechen pflegte ohne sein Haupt zu entblößen, — was bei diesem großen Mechanisten immerhin als ein Gestus von symbolischer Ausdrücklich* keit zu beachten ist. Nicht viel später wiegesagt, und der deus in seiner Eigenschaft als Weltschöpfer, Welterhalter und Weltordner stiehlt sich aus der wissenschaftlichen Mythologie allmählich und sacht hinaus. Oder richtiger und aufrichtiger gesprochen: er wird hinausgestohlen,
762
während im übrigen seine erkenntnismäßigen Leistungen, die ihn bisher jeder konsequenten Welterklärung und Welt* sinndeutung bestens empfohlen hatten, von den sogenannten Wesens* und Gesetzesbegriffen der Wissenschaften mit vieler Selbstverständlichkeit übernommen werden. Was nunmehr innerhalb des wissenschaftlich erfaßbaren Welt* ganzen geschieht, das geschieht ohne Gott, wenn nicht geradezu trotz ihm, und was ehemals dem erschaffenden Wort zugefallen war, das vollbringen jetzt die Eigenschaft* träger der Masse oder der Kraft, der Energie oder des Stoffes, des Lebens oder der Gestalt, der Maschine oder des Organismus mit ihren ungezählten Änderungen in Raum und Zeit. Je weiter sich dieser szientifische Mythos ausbreitet, je in sich gerundeter, gefestigter, zusammen* haftender die Sinndeutung der Wirklichkeit gerät, desto unverkennbarer läutert sich die überwiegende Kosmotheo* logie zur reinen Kosmologie, indem alles das, was im früheren Verfahren aus Gott erklärt, begründet, erschlossen, abge* leitet, gewiesen wurde, jetzt aus Wesens* und Gesetzes* begriffen erklärt, begründet, erschlossen, abgeleitet, ge* wiesen wird. Der theistische Mythos mausert sich in einem seiner wachsenden Verwissenschaftlichung entsprechenden Zeitmaß zum atheistischen Mythos. Die Verwissenschaft* lichung des von der Welt Wißbaren setzt sich lediglich als Ent* göttlichung der Welt durch, und wie die Seele für den exakten Zootomen oder Anatomen bald nirgends mehr im Leibe einen Sitz hat, so hat Gott keinen Sitz mehr in einer wissenschaftlich durchforschten Wirklichkeit. Ein Descartes oder Pascal, Spinoza oder Leibniz konnten den deus immerhin noch als wissenschaftliche Hypothesis mit gutem Gewissen zulassen, ja ihn als solche vielleicht sogar benötigen. Seit Kant, seit Laplace hingegen auch die Entstehung unseres kosmolo* gischen Systems ausschließlich auf mechanische Grundbe*
763
griffe zurückzuführen vermochten: und mehr noch seit Kant in seinen kritischen Schriften die Unentstandenheit des All zu einer der Entstandenheit (logisch) gleichwertigen Annahme entgegenzusetzen verstand, — seither hat die Hypothesis Gott im Bereich der Wissenschaften jede Gel* tung vollends eingebüßt und ihre Vernunftleistung an die Grundlegungen der Mechanik und Organik abtreten müssen. Einen schwer enttäuschenden Umstand, der just diese gewaltige Entdeckung des juvdog ä&eog der Wissenschaften betrifft, dürfen wir indes hier keineswegs unterschlagen. Die erkenntnishaften Leistungen des Begriffes Gott gingen allerdings, dies wurde ganz wahrheitgemäß hervorgehoben, an die Grundbegriffe unserer Wirklichkeitwissenschaften über. Aber gleichzeitig drängte sich doch auch die beun* ruhigende Tatsache auf, daß diese Grund* und Wesens* begriffe der Wirklichkeitwissenschaften mindestens die eine Eigenschaft mit dem Begriff Gott gemein hatten: nämlich seine völlige Undurchdringlichkeit und Unauflöslichkeit. Schon die Voraussetzungen der Mechanik, die nicht Gott, aber Masse, Massenpunkt, Kraft, Raum und Zeit heißen, schon sie umhüllen sich nach kurzem Hinblick mit einer Atmosphäre von Dunst und Nacht und Nebel, und nie* mand weiß, niemand wird je wissen, was Masse, Massen* punkt, Raum oder Zeit denn eigentlich nun sind, — zu schweigen von den sogenannten Kräften und allen sonstigen qualitates occultae, die sich an sie hängen. Vergebens, daß ein nach Klärung unermüdet Ringender wie Heinrich Hertz die eine oder andere dieser Voraussetzungen als entbehr* lieh, ja überflüssig zu entfernen strebte. Denn dieselben Dunkelheiten und Widersprüche, die klettenzäh dem Ter* minus Kraft anhaften, verschwinden leider nicht bei den Termini Masse, Raum, Zeit. Selbst wenn Heinrich Hertz in seinen Prinzipien unter Berufung auf Kantens An*
764
schauungform für die weitere Darstellung von Raum und Zeit gewissermaßen die Philosophie statt die Mechanik verantwortlich machen möchte; — in welch unentwirrte, unentwirrbare Verschränkungen er unser Denken durch diesen scheinbar rettenden Entschluß verstrickt hat, ist jedem gegenwärtig, dem die Geschichte eben dieser beiden Kategorien, eine wahre Schmerzensgeschichte, nicht völlig böhmisches Dorf geblieben ist. Und nicht anders als mit der eigentlichen Mechanik verhält sich's ja mit der media* nischen Gesamtwissenschaft der modernen Physik. Fügt sie doch dem Stammbesitz an fragwürdigen Grundlegungen noch viele andere hinzu, indem sie außer von Massen, Kräften, Raum und Zeit bald von Energien, bald von elek* tromagnetischen Elementarquanten, bald von Äther, bald von Entropie, bald von Kraftfeldern, bald von Molekülen, bald von Atomen, bald von Uratomen, bald von Elektronen spricht, ohne jemals zu erfahren, was es mit ihnen für eine Bewandtnis hätte. Grundsätzlich gehören die ersten Be* standteile und Kräfte der Wirklichkeit nicht zu den mög* liehen Erlebnissen des Bewußtseins; grundsätzlich werden sie stets der erlebbaren Wirklichkeit als deren Elemente nur nach dem Erklärungbedürfnis wissenschaftlich betrie* bener Vernunftbesinnung unterstellt. Solcherweise unter allen Umständen immer wieder nur ad hoc gebildet und ad hoc gedeutet, zeigen sie sich mit Widersprüchen und Dunkelheiten wie die Büchse der Pandora mit Plagen und Übeln bis zum Rand angefüllt, ohne daß wir zu unserem Teil (und zu unserem Heil!) auf die Errichtung solcher ge* danklicher Entsprechungen wirklicher Vorgänge je ver* ziehten könnten. Daß alle diese ersten und letzten Begriffe der Wirklichkeiterkenntnis sogar notwendig im Unbegreif= liehen beginnen und endigen müssen, lehrt vielleicht schon die anspruchlose Erwägung, daß sie als erste oder letzte
765
nicht mehr aus anderen Begriffen ableitbar und zu anderen Begriffen rückführbar erscheinen und in diesem Betracht unbegriffensunbegreiflich bleiben. Und kaum bedarf es noch der Hinzufügung, wie genau diese selbe Undurch* dringlichkeit und Undurchsichtigkeit auch bei den Wesens* begriffen der organischen Wissenschaften zu beobachten ist. Was Leben, was Tod, was Erregbarkeit durch Reize, was Selbsttätigkeit, was Wachstum, was Fortpflanzung, was Vererbung, was Formwechsel an und für sich sei, können wir füglich desto weniger jemals zu verstehen hoffen, als in diesen sämtlichen Vorstellungen die Grundlegungen der Mechanik ja implicite mit enthalten sind, nur vermehrt um jene Merkmale, die der Organik allein vorbehalten sind. Denn wir bemerkten es, jedes Lebewesen ist auch und außerdem eine Maschine, ein Mechanismus, bestehend aus raumfüllenden Massenteilchen oder Kraftäußerungen, deren Wirkungen in der Zeit verlaufen: jeder Organismus ist seiner Beschaffenheit nach also schon darum verstandest mäßig unausschöpf lieh und unergründbar, weil und soweit er — Mechanismus ist. Wo aber vollends die Betätigungen des Lebens beginnen, da schichten sich neue und neue Uns begreiflichkeiten über ihn, die schließlich insgesamt in der Einen Unbegreiflichkeit des Lebens gipfeln. Wieviele Merkmale und Eigenschaften wir schließlich dem Organis* mus vor dem Mechanismus zubilligen mögen, — immer setzt jedes einzelne dieser Merkmale und jede einzelne dieser Eigenschaften das ganze ungeteilte und unteilbare Leben voraus : derart zwar, daß nicht wenige Forscher, die das Leben vom Nichtleben zuletzt gar nicht mehr unterscheiden zu können wähnen, diesen wichtigsten Unterschied sozusagen unter die Schwelle der Erkenntnis haben fallen lassen . . . Hierbei sind nun zwei Möglichkeiten mit zuverlässigster Entschiedenheit gebührend auseinanderzuhalten. Gelangen
766
wir nämlich in der Tat zur Überzeugung, die Wesensbe* griffe der Wirklichkeitwissenschaften seien zuletzt von der Vernunft nie völlig zu durchklären, so könnte dieser Sach* verhalt durch zwei voneinander abweichende Erklärungen befriedigt werden. Einmal wäre etwa die Wirklichkeit als solche für logisch undurchdringlich, für irrational zu erach* ten und dann diese selbe Eigenschaft nachträglich und durch Übertragung den ihr wissenschaftlich entsprechend gedacht ten Wesensbegriffen zuzuschreiben. Oder zum zweiten gälte der Begriff an und für sich schon für undurchsichtig, sei es, weil er als Grundlegung und Voraussetzung anderer und späterer Begriffe nicht selber wiederum durch Begriffe zu umschreiben ist, sei es, weil er sich bei seiner Ausein* anderfaltung ohnehin in allerlei Unauflöslichkeiten und Denkwidersprüche verlöre. Es ist uns nicht eigentlich hier aufgegeben, uns für die eine oder andere dieser (sich übri* gens keineswegs ausschließenden) Möglichkeiten endgültig zu entscheiden. Aber es ist uns doch wohl geboten, eine gewisse Undurchdringlichkeit nicht sowohl der Wirklich* keit allein als vielmehr auch des Begriffs für wahrscheinlich zu erachten, — eine Undurchdringlichkeit, wie wir sie weiter oben vornehmlich bei der Setzung der Denkform Ursache*Wirkung in ziemlicher Ausführlichkeit dargelegt haben. An diesem Ergebnis wollen wir schon deshalb fest* halten, weil die sogenannten Wertbegriffe der Axiologie und Philosophie an dieser Irrationalität mechanischer und organischer Wesensbegriffe ihr vollgerütteltes Maß Anteil haben. Wären nur die Grundbegriffe der Mechanik und Organik logisch undurchdringlich, so wäre die Annahme statthaft, daß ihre Irrationalität irgendwie von der Irratio* nalität des Wirklichen her bedingt oder beeinflußt sei. Er* weisen sich jedoch außer den Grundlagen der Wirklichkeit* erkenntnis auch die Wertbegriffe als undurchdenkbar oder
767
gar als widersprechend, verschwimmen auch sie bei länge* rem Hinsehen umrißlos in einem zweideutigen Dämmer* schein, ja im grauen Nebel, so ist der Argwohn Ursprung* licher Denkfremdheit sogar der vernunftgeschaffenen Denk* hilfen und Erkenntnismittel schlechterdings nicht mehr zurückzudrängen. Auf die Gefahr hin, einer unannehm* baren Paradoxie bezichtigt zu werden, muß folglich der Umstand ins Aug' gefaßt werden, daß jeder Denkinhalt in einem Undenkbaren, Unausdenklichen münde und ent* springe, und daß unser begriffliches Weltbild nur einem sehr schmal belichteten Band zu vergleichen sei, dessen Anfang und Ende dauernd in schwarzem Kernschatten ver* borgen liegt: nicht anders etwa, als ob im Spektrum unse* rer Sonne die schmalen Spalten der Frauenhoferschen Linien als helle und farbige Streifen sichtbar würden, indes die breiten Licht* und Farbenbänder als leere dunkle Lücken dazwischen gähnten. Daß aber eben die Wertbegriffe der Philosophie, im Gegensatz zu den Wesensbegriffen der Mechanik und Organik jeder unmittelbaren Bezugnahme auf die Wirklichkeit entbehrend und daher auch in ihrer Undurchdringlichkeit von der Undurchdringlichkeit der Er* lebniswirklichkeit nicht ableitbar sind, — daß just sie wissen* schaftgeschichtlich zu den meist problematischen gehören, darf ohne weiteres als feststehend angesehen werden. Be* liebe man doch, sich der nie unterbrochenen Versuche der Vergangenheit bis auf diesen Tag zu entsinnen, Werte und Gegenwerte des Lebens begrifflich zu entwickeln. Gedenke man des seltenen Aufwandes an Tief* und Scharfsinn, an Schwungkraft und Begeisterung, an Kunst und Können, an Wissen und Weisheit, an Gründlichkeit und Treue, an Tapferkeit und Ernst, an Liebe und Hingegebenheit; ver* gegenwärtige man sich den manchmal sehr hohen mensch* liehen Rang der Forscher, Denker, Dichter, Künder, Seher,
768
Künstler, Weisen und Überwinder, die insgesamt dem einen Ziel zugewandt waren, des Daseins Wert zunächst sich sei* ber faßbar zu machen, um hernach die Mitmenschheit zur Miterkenntnis anzuhalten. Kaum wer wird sich erdreisten wollen, das erschütternde Halbgelingen , Halbmißlingen solch hochgesinnten Unterfangens persönlicher Unzuläng* lichkeit allein zur Last zu legen, statt vielmehr einer ge* wissen Unmöglichkeit und Undurchführbarkeit der Sache. Hat doch schon ein Mann vom Schlage Kants, in den letz* ten Jahrzehnten von deutschen Akademikern vielleicht allzu urteilslos überschätzt, heute dagegen von allerlei un* gebärdigen Neutönern lächerlich mißgeschätzt, —hat doch schon er den antinomischen Charakter der logischen, mo* ralischen, ästhetischen Wertbegriffe an drei Beispielen von allerdings ungleicher Würdigkeit scharf herausgear* beitet: ist doch bereits er zutiefst axiologischer Vorstellung gen auf Unvereinbarkeiten, Gegensätzlichkeiten, Wider* sprüchlichkeiten seltsamer Art gestoßen. Dieselbe Feststel* lung hat Hegel dann in ihrer Gültigkeit erweitert und grundsätzlich auf alle erdenklichen Begriffe angewendet, um eines der wichtigsten, aber auch vergessensten Motive heraklitischen und aristotelischen Philosophierens: die ur* sprüngliche .ävxmEQioxaoiz1 der Vernunft, damit bewußt zu erneuern. Wir Heutigen dürfen nun zwar im Zweifel sein, ob tatsächlich jeder beliebige Denksinn durch Vollzug seiner logischen Auseinanderfaltung notwendig in seinen Gegensinn .umschlagen' müsse, wie dies die Dialektik grie* chischer und deutscher Philosophen behauptet. Nicht aber dürfen wir fernerhin noch im Zweifel sein, daß jeder Denk* inhalt nachweislich außerhalb eines gut belichteten und gut beleuchtbaren Kernes von einem Rand umfranst werde, den auch das .geklärte' Auge der Vernunft nicht durchstrahle. Wer da den Himmel mit einem der mächtigen Reflektoren
49 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 769
oder Refraktoren abzusuchen gewohnt ist, kennt wohl das von Arago für den Gebrauch der Fernröhre erläuterte Ge* setz der astronomischen Optik, wonach die Lichtstärke eines leuchtenden Weltkörpers bei zunehmender Vergröße* rung des Bildes eine zunehmende Minderung seiner Hellig* keit erfährt, weshalb beispielweis die Scheiben der Planeten im Teleskop gesehen dunkler erscheinen als mit bloßem Aug' gesehen. Eine ähnliche Verdunkelung nun, bedünkt mich, tritt auch in unserem Falle ein, wo wir Begriffe mit dem übernatürlich gesteigerten Organ der Erkenntnis zu durchmustern, zu ergründen trachten: je stärker wir uns den einzelnen Denkinhalt durch künstliche Verfahrung* weisen annähern und vergrößern, desto stärker beginnt er sich für unser erkenntnismäßiges Organ zu umschatten und umfloren. Entgehen wir also auch einer Irrationalität des Rationalen im Wortverstand einer allgemeinen Dialektik peripatetischen oder hegelschen Stiles, obschon auch hier* über keineswegs schon heut das letzte Wort zu sprechen ist, — auf keinen Fall entgehen wir doch dem Irrationalis* mus des Rationalen in der Bedeutung einer wachsenden Undurchsichtigkeit, Abbiendung, Verfinsterung der Be* griffe, von welcher alles Verstandesmäßige schließlich um* klammert, gestützt und gehalten wird wie wasserheller Diamant vom erdig*erzenen Metall seiner Fassung. Dieser Irrationalismus der Begriffe wäre vielleicht in mancher Richtung zu vergleichen dem Irrationalismus einer Zahl, die durch keine andere Zahl endlich teilbar ist. Denn eigent* lieh müßte ja jeder vereinzelte und besonderte Denkinhalt, um bis ins letzte dargestellt und bestimmt zu werden, in den Gesamtzusammenhang aller Denkinhalte eingestellt werden, und zwar dieses darum, weil jeder Denkinhalt sachlich jedem anderen seinesgleichen oder seinesungleichen irgendwie verwandt, verschwägert, versippt ist und seine
770
Stelle lediglich einnimmt nach den Graden dieser Ver* wandtschaft, Schwägerschaft und Versippung. Nur als Gliedwesen der unendlichen Reihe aller Begriffe wäre jeder Begriff wirklich erschöpfend zu kennzeichnen; nur im ge* sicherten Besitz einer platonischen .Gemeinschaft der Gar* tungen' wäre die Vernunft im stände, die vollendete Dar* Stellung jedes Begriffes zu geben. Aber schon wissen wir ja, daß diese Aufgabe im Unendlichen verläuft und in end* licher Zeit von keinem endlichen Verstand zu lösen ist; — woraus ich freilich nicht gefolgert haben möchte, daß es einen unendlichen Verstand gäbe. So wenig wir die unend* liehen Stellen einer irrationalen Zahl bei der Begrenztheit unserer Lebensdauer wirklich errechnen können, so wenig vermögen wir den abgesonderten Denkinhalt durch die unendliche Reihe der von ihm als benachbart oder als ent* gegengesetzt oder als ergänzend geforderten Denkinhalte auszudrücken, — hier wie dort erweist sich die geheischte Totalität der Glieder als eine Infmitesimalität, die ihrer endgültigen Ausbreitung durch Tathandlungen irdischer Erkenntnisträger schlechterdings spottet. Daher denn jeder, der auch nur ein einziges mal in seinem Leben darauf ver* sessen war, einen einzigen Begriff bis zur Neige erkennt* nismäßig auszuschöpfen und auszudenken, die schmerz* liehe Erfahrung nicht vermeiden konnte, daß von einer be* stimmten Stelle an selbst seine äußersten Anstrengungen fruchtlos waren und er von der Unerfüllbarkeit einer For* derung genarrt ward, deren Unerfüllbarkeit zuletzt seine einzige Gewißheit ausmacht. Strenggenommen ließe sich jeder einzelne Begriff, wie er die volle Unendlichkeit aller Begriffe in sich einschließt, umgekehrt auch nur wieder durch die volle Unendlichkeit aller Begriffe vernünftig be* stimmen: wobei man diese Art Begriffsbestimmung aller* dings nicht mit der bloßen Abgrenzung, mit der bloßen
49* 771
Definition, mit dem bloßen Horismos verwechseln dürfte, wie dies seit den Büchern der gewissermaßen .negativen' Logik des Aristoteles immer noch der unerlaubte Brauch sogar moderner Erkenntnis* und Wissenschaftlehren ist, — sondern wobei man viel eher an eine Ineinandersichtung sämtlicher den Einen Urbegriff erzeugenden und bildenden Glied* und Teilbegriffe zu denken hätte, wie sie die ,posi* tive* Logik Piatons (insbesondere seit den folgereichen Untersuchungen des Philebos) mit unübertroffener Witte* rung für Wesentliches ausgemittelt hat. Denn nicht darauf zielt die menschliche Erkenntnisarbeit, daß man ungefähr wisse, was einen Begriff von anderen vernünftigerweis uns terscheide, sondern darauf, daß man sich Rechenschaft ver* schaffe über das, was ein Begriff an Erdenklichkeiten je und je in sich falte und umspanne: mithin zielt sie eben nicht auf Definition, vielmehr auf Konstitution, nicht auf Horis* mos, vielmehr auf Synopsis. Hinsichtlich dieser vollende* ten Ineinanderschau und Wesenssichtung hängt die endlose Kette sämtlicher Begriffe an jeweils einem Begriff, berühren sich alle darstellenden Sachverhalte mit einem Sachverhalt auf irgendeine Art und in irgendeinem Grade. Dies zu behaupten heißt ebendenselben Vernunftgrundsatz be* haupten, den wir vielleicht das Gesetz von der Irrationali* tat des Rationalen zu nennen befugt sein möchten, wenn wir es nicht doch vorzögen, hier lieber von einer Tatsache als von einem Gesetz zu sprechen. Begriffliches begreifen wollen, das ist mithin der Versuch, künstlich herausgeson* derte Vernunfteinheiten nach rückwärts derselben unend* liehen Reihe aller Vernunfteinheiten wieder einzuverleiben, welcher sie in willkürlich verengender Wissensabsicht als Teile oder Glieder entlehnt sind. Der Paradoxie dieses Ge* schehens, nicht der Paradoxie dieser Feststellung sollte man eingedenk bleiben, wo immer man erkennend sich bemüht. . .
772
Diese nunmehr genugsam erörterte und genugsam erhär* tete Irrationalität des Rationalen muß freilich hier, wo wir das Ganze der neueren Erkenntnisarbeit zu veranschlagen haben, deren letztgültige Bewertung entscheidend beein* Aussen. Gerade in bezug auf die europäische Religiosität der Vergangenheit muß ein Erkenntnisganzes, das stets nur auf kurze Strecken durchklärbar erscheint, um gleichsam nach einem Anlauf die Vernunft in ihren eigenen Voraus* Setzungen stecken zu lassen, notgedrungen an Wertschätzung einbüßen, die ihr von allen Seiten auf Grund anfänglich höchstgespannter Erwartungen und Versprechungen zuge* fallen war. Die Menschheit unseres Mittelalters hatte Wirk* lichkeit und Welt, die sie im Bewußtsein mit so reichem Scharfsinn auferbaute, nicht ohne Gott und Götter aufer* bauen können, durchaus in der Annahme befangen, daß Gott und Götter für die menschliche Erkenntnis etwas von anderen Vorstellungen nicht zu Ersetzendes leisteten. Die Menschheit der vier auf die Reformation folgenden Jahr* hunderte hingegen, will sagen die Menschheit noch unserer geschichtlichen Gegenwart, hatte auf unserem Festland zum zweiten mal seit den Griechen eine selbstherrliche Wissen* schaft ins Dasein gerufen, gleichsam unter der unausge* sprochenen Bedingung, mittels ihrer bei weitem besser, richtiger, einfacher, genauer, zuverlässiger, wirklichkeitge* treuer, weltnäher, voraussetzungloser das erklären zu kön* nen, was vorher höchstens unter Berufung auf einen inteU lectus agerts, intellectus archetypus oder sonst einen Geist* spuk für erklärlich gegolten hatte. Der Mythos der Wissen* Schäften erweckte dergestalt mehr und mehr die angenehme Zuversicht, den Mythos der Religionen durch ein passen* deres Gebild von Welterklärungen zu ersetzen, und bei diesem Gefühl konnte es einstweilen sein Bewenden haben, solange die Kategorien und Ideen dieser zeitgemäßen My*
773
thologie die Kategorien und Ideen der alten an Handhab* lichkeit, Gebrauchsfähigkeit und Anwendbarkeit ebenso sicher übertrafen wie an Gemeingültigkeit, Vernunftgemäß* heit und Ergründbarkeit. An den subtilen Substruktionen der scholastischen und dogmatischen Theo*Kosmologien hatte sich der Geist des Europäers schartig gewetzt, und wenn er sich seit Renaissance und Reformation mit soviel Entschlossenheit auf eine enttheologisierte Wissenschaft, einen Mythos Atheos warf, so geschah dies nicht zum we* nigsten aus ungeheuerer Enttäuschung über den Aufwand, den er für nichts und wieder nichts, wie ihn jetzt plötzlich bedeuchte, vergeudet und vertan hatte. Der atheistische Mythos konnte den theistischen nur darum und nur inso* fern allmählich verdrängen, weil und wofern er eben ver* hieß, Welt und Leben sinngemäß zu deuten, ohne beides mit der ewigen Problematik religiöser Vor*Urteile zu be* lasten. Wie aber nun, wenn diese selbe ewige Problematik die Wesensbegriffe der Wirklichkeitwissenschaften und die Wertbegriffe der Werrwissenschaften nicht weniger mit Geheimnis umspann als ehedem die Grundbegriffe der Theologie, der Dogmatik und der Scholastik? Wie nun, wenn Gott, Engel, Erbsünde, Erlösung, Seelenheil zwar eingestandenermaßen dunkle und verworrene Vorstellung gen sind, die keines Menschen Verstand geziemend ins Licht zu setzen vermag, — Massen aber und Kräfte und Vererbungträger und Raum und Zeit und Gut*und*Böse nicht minder als jene sich ins Abgründige verlieren? Wird nicht im gleichen Augenblicke, da der Abendländer diesen Sachverhalt durchschaut und heiß davor erschrickt und vielleicht sogar ahnt, was alles an sonstigen Menschlichkeit ten er diesen affenhaft geliebten Wissenschaften preisgege* ben hat, — wird er nicht versucht sein, etwa den längst ver* jährten Mythos seines Christentums, des an und für sich
774
unverjährbaren, wieder in seine vorigen Rechte einzusetzen und von neuem dort die Götter einzustellen, wo auch die Erläuterungen der Wissenschaften nichts mehr zu erläutern vermögen? Sollte der Abendländer, wieder einmal satt seines eigenen Wissens, überdrüssig der unenträtselbaren Fragwürdigkeiten der Erkenntnis, verzweifelt über die nicht zu beschwichtigenden Zweifel an allen Ecken und Enden scheinbar feststehender Gewißheiten, — sollte er nicht nach seinen früheren Göttern ausblicken, die zwar den An* Sprüchen des Erkennens so wenig genügt hatten wie die Begriffsbilder der Wissenschaften, dafür aber um so besser den Anforderungen so mancher nieverwundenen Gemüts* regungen?
Vielleicht gibt es für die nächste Zukunft der Wissens schaft, und mehr noch für die Zukunft der Religion keine dringlichere Gefahr als diese: daß aus dem Rückschlag gegen eine übertreibende Bewertung wissenschaftlicher Möglichkeiten und wissenschaftlicher Ergebnisse eine un* angebrachte Nachgiebigkeit gegen schlechterdings über* lebte Vorstellungen einer überlebten Religiosität gefolgert werden möchte, und daß sich noch einmal Götter zwischen die Risse und Sprünge des wissenschaftlichen Begriffsge* füges drängen könnten, um ihresteils der Welt den klaren, eindeutigen Sinn zu gewähren, den ihr doch auch der atheistische Mythos trotzalledem vorzuenthalten scheint. Und diese Gefahr besteht schon heute. Schon lassen sich an kleinen und großen Erkennungmalen anhebende Er* müdung, schleichender Überdruß, lebhafte Mißachtung, zunehmende Abneigung an gelehrten Feststellungen erra* ten, und die Tatsache der Irrationalität des Rationalen wird täglich von einem sich ausbreitenden Kreis von Wissen* schaftern und wissenschaftlich Gebildeten tiefer erahnt, erfühlt, erwittert und erlitten. Wer wollte es ehrlicherweis
775
verabreden, daß heuer just die Gebildeten, just die Unters richteten aller Stände in steigender Anzahl wieder jenen nämlichen Geheimlehren anhangen, die in den ersten Jahr* hunderten unserer Zeitrechnung als Astrologie, als Nekro* mantie, als schwarze und weiße Magie, als Spiritismus, als Okkultismus die alternde Gesellschaft des Imperiums vol* lends verheerten, verherdeten und verblödeten, — bis überhaupt jede Fähigkeit zu wissenschaftlicher Arbeitweise tatsächlich verkümmert war unter dem traurigen Wust al* berner, ja wahnwitziger und fratzenhafter Einbildungen, wie sie uns Lukian, Apulejus, Petron und manch anderer Autor des römischen Verfalls hinlänglich bezeugen: hat doch, was nicht weniger bezeichnend als belastend ist, das Imperium seit den klassischen Jahrhunderten der alexan* drinischen Mathematik, Mechanik, Astronomie, Geographie höchstens zwei oder drei Naturforscher noch von Rang, etwa in Strabo, etwa in Claudius Ptolemäus, etwa in Plinius innerhalb seiner weitgestreckten Grenzen hervorgebracht. Im Schatten dieser schauerlichen Wissens* und Erkenntnis* dämmerung sehen wir dann eine Art Frömmigkeit und Gläubigkeit gedeihen, die sich ernüchtert, ermüdet und betäubt von den Dingen des Geistes jedem Kult verschreibt, der durch irgendeine Laune der Begebnisse aus exotischen Landen eingeführt ward wie eine rare Spezerei oder ein seltenes Gewürz, — jedoch unsere abendländische Wissen* schaft, eingeklammert zwischen das letzte System der neu* platonischen und die ersten Systeme der scholastischen Philosophie, ein rundes Jahrtausend gekostet hat . . . Wenn jemals Spuren schrecken, so deucht mich, schrecken sie hier, und ich getraue mir deshalb zu behaupten, daß für eine künftige Gesittung der europäischen Völkergruppe nichts verhängnisvoller wäre als die Wiederholung jener müden Geste der Ablehnung der Wissenschaften hinsichtlich ihrer
776
alleinigen Zuständigkeit in Sachen der Sinndeutung von
Welt und Wirklichkeit: nur aus Verdrossenheit und Bitter*
nis darüber, daß auch die wissenschaftlichen Grundlegung
gen und Zielsetzungen sich der Vernunft nicht ohne Rest
erschließen. Bewahr' uns der Himmel, oder entschlossener
und männlicher: bewahren wir selber uns vor einer unfreu*
digen Erneuerung jener Religiosität, deren Macht über die
Menschen vornehmlich darauf beruhte, daß diese sich wie*
der einmal an Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit über*
fressen hatten und dem Bedürfnis jenes Walfisches nicht
widerstehen konnten, dem der verschluckte Prophet etwas
zu schwer im verdorbenen Magen lag . . . Nur keine Fröm*
migkeit aus Schwäche, nur kein Glaube aus Ekel, nur kein
Gott aus dem hovror vacui, nur kein Kultus des Unsinnigen
aus Ungenügen am Sinnhaften, nur keine Metaphysik aus
Übelkeit an der Physik, nur keine Theologie aus Mutlosig*
keit über die Kosmologie, nur kein Dogma aus Verzweif*
lung an der Kritik, nur keine Übergabe an den Okkultis*
mus aus der Unvermeidlichkeit eines gewissen Irrationalis*
mus. Lieber noch ein tapferer Nihilismus als die Fußfälle
der Zerbrechenden und Gebrochenen; — denn fürwahr! zu
viele bereits gewahren wir in diesen weh* und fluchbelade*
nen Zeiten zerknirscht, reuig, hingeschmolzen, bußfertig,
mürb, schwach, feig und faul in der Kirche weitausgebrei*
tete Mutterarme stürzen, nicht selten zuletzt deshalb, weil
sie der modernen Wissenschaft nicht die ewige Fragwür*
digkeit alles Lebens verzeihen konnten und weil sie sich
rächen mußten an der unabänderlichen Sinnverschlossen*
heit selbst strengst gedachter Sinnbürtigkeiten. Dieses
Christentum und mehr noch diese Katholizität aus dem
geistigen, ja aus dem seelischen Bankerott heraus wird ganz
bestimmt, des kann man sicher sein, der Wissenschaft arg
schaden und sie im Urteil urteilslosen Pöbels noch schmäh*
777
licher heruntersetzen, als sie es schon bisher war. Aber unter keinen Umständen wird diese Religiosität der Reli* gion nützen oder dienen, die es unter allen menschlichen Wesenskundgebungen offenbar am wenigsten erträgt, von den Giftstoffen des Ekels, der Überdrüssigkeit, der Räch* sucht gespeist zu werden. Von allen Wiederkünften der Geschichte wäre keine menschheitschänderischer als diese, die Gottes Reich und Herrlichkeit zum zweiten mal auf der Schädelstätte der Vernunft aufzurichten sich unterfinge . . . Räumen wir immerhin also mit der geziemenden Gelassen* heit ein, daß auch die Wissenschaften Welt und Wirklich* keit nur sehr lückenhaft und unzulänglich deuteten, be* greif lieh machten und erklärten; daß auch die Wissen* Schäften vorzeitig sich verlören in Unausdenklichkeiten, Undurchdringlichkeiten, Unauflöslichkeiten; daß auch die Wissenschaften aus einem Ungrund von Zweifeln, Ver* nunftwidrigkeiten, Denkgegensätzlichkeiten erwüchsen; daß auch die Wissenschaften für jede aufschließende Antwort eine unaufgeschlossene Frage in Bereitschaft hätten: ahn* lieh wie der Himmel für jede raumdurchmessende und fern* bildnähernde Vervollkommnung optischer Instrumente stets neue Weltinseln und Weltlinsen in nebel*rätselhafter Bereitschaft hält. Gestehen wir dies höchst freimütig ein und außerdem noch alles das, was irgend sonst den Wissen* schaften mit sachlicher Berechtigung benachredet und vor* geworfen werden könnte. Nur bleiben wir unbedingt dar* auf bestehen, daß ebendiese Wissenschaften in ihrem un* endlichen und nur in der Unendlichkeit vollendbaren Zu* sammenhang die einzige (vor dem Urteil der Menschen* Vernunft gerechtfertigte) Sinndeutung überhaupt darbiete, die es nach dem Grad der geschichtlich von uns erlangten Altersreife gibt und geben kann. Bekennen wir ruhig, daß dieses Weltbild unserer Wissenschaften voller Sprünge
778
ist und eingeschlagener Stellen, verkrustet und von schwärz* lichem Firnis verrußt und hin und wieder geradezu durch* löchert und von kaum zu ergänzenden Lücken unterbrochen, — gut und richtig! Aber es ist unser Bild, entworfen, ge* zeichnet und gemalt von diesen unseren Stümper*, diesen unseren Meisterhänden, das einzige unzweifelhaft echte und beglaubigte Geistwerk unserer einwandfrei betätigten Menschenurheberschaft. Seien wir mit uns selber darüber zwar im reinen, daß das Ganze dieser Wissenschaften, ob* zwar nicht ihre einzelnen Bestandteile, wirklich nur einen Mythos darstellt, will sagen wirklich nur einen gemein* schafterwirkten Versuch, die Welt je nach unseren gattung* bedingten Mitteln und Bedürfnissen gedanklich zu ordnen, gedanklich zu gestalten, gedanklich zu werten : aber ver* steifen wir uns gleichzeitig auch darauf, daß dieser Mythos und kein anderer als der unserer heutigen Bewußtseins* stufe anstehende erachtet werden muß, daß infolgedessen seine strikt atheistische Fassung und Verfassung als die ein* zige uns selbst anstehende und anständige erachtet werden muß! Nun wir unsere besten, sachlichsten, selbstlosesten (und dennoch selbstischsten) Kräfte an dies Gelingen setzten, ist es die Angelegenheit der Treue gegen das eigene Werk, ihm seinen einwohnenden Willen, seine einwohnende Richtung vor jedem werkfremden Eingriff, mithin auch vor unseren eigenen und .persönlichen' Eingriffen bestimmt zu schützen, um seiner innersten Linie ohne Ausweichung und Abbiegung nach rechts oder links gerad zu folgen.
Damit wir uns übrigens an diesem überaus heikein Punkt auf keine Weise mißverstehen, wird man mir eine kleine Einschaltung hier nicht verübeln. Wenn ich nämlich be* haupte, der methodisch erworbene Sinnzusammenhang unserer gegenwärtigen Wissenschaften sei so, wie die Dinge liegen, der einzige Mythos, der uns Heutigen noch ge*
779
blieben ist, mit Fug die Stelle aller vormalig religiösen
Mythen einnehmend und für uns vertretend, — so liegt mir
die Behauptung doch sehr fern, diese wissenschaftliche Welt*
deutung schließe ihrerseit mythische Schauungen und Ge*
staltungen in ihrer urtümlichsten Kundbarmachung aus, in
der sich früher beide mit Vorliebe darzustellen pflegten: in
der mythischen Dichtung oder im mythischen Kunstwerk.
Ganz im Gegenteil zu dieser Annahme bin ich mir viel*
mehr genau bewußt, daß wissenschaftliches Urteilen, Den*
ken, Forschen, Werten im strengsten Wortverstand noch
kein Mythologisieren ist, sondern zu einem solchen erst
erstarkt, wo es künstlerische Anschaulichkeit, dichterische
Fülle, seherische Sinnfälligkeit gewinnt, — was freilich, an*
statt in den üblichen Formen der Dichtung oder Kunst zu
geschehen, von Zeit zu Zeit innerhalb der Grenzen der
Wissenschaften selber Ereignis zu werden hätte und wirk*
lieh auch Ereignis wird, immer dann, wenn der Gelehrte
oder Denker menschlich auf der Höhe seiner Aufgabe steht.
Diesen Mythos des Kunstwerks schließt der Mythos der
Wissenschaften, wie er hier zu verstehen wäre, nicht nur
nicht aus, sondern ihn schließt er wesentlich ein. Wenn er
im Ablaufseiner geschichtlichen Entwicklung seine religiöse
Abkunft unvermeidlich verleugnen muß, weil und wofern
er die Wirklichkeit von allen religiösen Begriffen mit an*
geblich erkenntnismäßigen Leistungzielen säubert, derart
die Welt entgötternd, ja entgöttlichend, so verleugnet er
darum noch lange nicht seine künstlerisch*dichterische Ab*
kunft, die in vielen Beziehungen stets seine Hinkunft
bleibt: mit dem Unterschied freilich gegen den früheren
und vorwissenschaftlichen Zustand der Gesellschaft, daß
auch das mythische, mythenbildende Kunstwerk wissen*
schaftbestimmter Zeitalter sein Leben und seine Farbe
mittelbar oder unmittelbar der wissenschaftlich errungenen
780
Erkenntnisstufe verdankt. Wo also im Unterschied zum Gelehrten der moderne Künstler auf seine eigene und nicht* wissenschaftliche Weise mythologisiert, — und es wäre zu wünschen, daß er (nach Ansätzen von großer Stärke heute bei Mombert, George, Däubler, Pannwitz) dies immer häufiger, mit immer empfundenerer Verantwortlichkeit und mit immer zulänglicheren Mitteln künftig täte! — dort mythologisiert er mit oder ohne Wissen in engster Verbin* düng mit den erkenntnismäßig erarbeiteten Ergebnissen wissenschaftlicher Weltauffassungen und bestätigt damit nach allen Seiten die Richtigkeit unserer Behauptung von vorhin. Ein Künstler wie Goethe etwa bemächtigt sich nach zwei Jahrtausenden der griechischen Tantaliden* Mythe, um mit ihrer Neugestaltung das beseelteste, ausgetragenste, zarteste, durchklärteste Drama der neuen Zeit zu schaffen. Aber der Grund, wieso ein uralter und barbarischer Stoff unter den gänzlich veränderten Verhält* nissen gänzlich veränderter Zeiten noch einmal, ja eigentlich zum ersten mal diese lautere Verwirklichung fand oder fin* den konnte, ist darin zu suchen, daß der Dichter die reife Erkenntnis eben von zwei Jahrtausenden antiker, christ* licher, romantischer Ethik gepflückt hat: wonach einfach und schlicht die Gegenwart eines echten Menschen, eines echten Weibes, einer echten Jungfrau, einer echten Schwester ausreicht, die schicksalverhaftete Besessenheit eines anderen Menschen, Jünglings, Bruders und Muttermörders wohlig zu entsühnen und einen flücheschwangeren, gewitterver* hängten Himmel hell und freundlich zu entwölken; Iphi* genie ihren Orest, nachdem sie während einer kleinen Weile selbst, zaudernd und schaudernd, von der Befleckung ihrer Sippe wie mit dem Symbol einer Schuld innerlich be* rührt, ja mit ihr versucht worden war, gleichsam um sich und die Ihrigen davon zu überzeugen, daß auch sie nur
781
Priesterin, nicht Göttin selber sei: will sagen, daß sie die heilenden und entsühnenden Kräfte ihrer Seele erst durch Kampf und Leid, Niederlage und Sieg bewußt erstreiten mußte, bevor sie den grausam vom Gewissensbiß Vergif* teten entgiften kann und darf. . . Hier, an dem vermutlich vollkommensten Beispiel der Vergangenheit, wo der antike Mythos tatsächlich ein modernes Kunstwerk von einzig* artiger Makellosigkeit ermöglicht hat, hier gewahren wir deutlich, daß also auch der künstlerisch neu gedichtete und neu gebildete Mythos den Ertrag wichtigster philosophi* scher, ethischer, axiologischer Erkenntnis in sich aufge* nommen zeigt, mithin sich durchweg in Übereinstimmung statt in Gegensätzlichkeit mit dem Zusammenhang der Wissenschaften befindet und von ihm in allen wesentlichen Zügen abhängig erscheint, abhängig nicht zuletzt in seiner gleichfalls vollzogenen Abkehr von jenen daimonologisch* theistischen, magisch*theurgischen Vorstellungen von Reli* gion, die im Mythos als solchem und in seinen früheren Ausprägungen (man gedenke nur der euripideischen Iphi* geneial) wahrnehmbar werden, aber mit unserer spät ge* läuterten Einsicht nicht mehr zu vereinen gewesen wären. Wunderbar entschlackt tritt also schließlich hier nicht so* wohl ein Mythos der Antike in ästhetische Erscheinung, als vielmehr die Antike selbst, zum Mythos und mythischen Kunstwerk erhoben; — die Antike, meine ich, als die große Weltbegebenheit, wie sie allmählich in zweijahrtausenden des Seelen* und Erkenntniswandels golden gesiebt, geseiht, ge* waschen worden war. Mythos zur ästhetischen Erscheinung erhoben, sag' ich, sei hier die gesamte griechisch gewesene Antike, weil sich ein Künstler, Denker, Deuter zu Bewußt* sein brachte, um welche Achse sich Ethos und Pathos helle* nischer Menschheit zuletzt und hauptsächlich gedreht hatte : nämlich um diese, daß die Entsühnung irgendwie erwirkter
782
Schuld am Leben herbeigeführt werden könne auch ohne Gott und ohne Götter alleinig aus den Machtvollkommen* heiten und Selbstbetreuungen der eigenen Seele heraus. Was mithin in diesem untragischen, weil übertragischen Katharmos der neuen Zeit seine ästhetisch*poetisch*drama* tische Gestalt gewinnt, ist ganz zutiefst ein helles, reiches, frohes Wissen, ein Wissen, wie es dem Weisen dieses und anderen Weltalters so wohl ansteht und sicherlich auch dem einen vom anderen übermittelt wird mit jener zeichenhaften Sprache, die ausschließlich dem Wissenden, ausschließlich dem Weisen verständlich bleibt . . . Ganz ähnliche Be* Ziehungen mythischer Kunstwerke zu der geschichtlich ge* leisteten Erkenntnisarbeit namentlich philosophischer, axio- logischer, ethischer Art wären bei Goethe auch sonst noch leicht nachweisbar, am Urfaust oder Faust zweiter Teil nicht minder als an einem so einzelnen, freilich auch ein* zigartigen Gedicht wie die Legende, wo Goethe über die deutsche und griechische Mythologie hinaus die indische stückweis neu verlebendigt. Allgemein gesagt, wird eine Wiederverkörperung älterer Mythen auch dem Künstler nur dann gelingen, wenn er sein Bewußtsein an der wissen* schaftlich erarbeiteten Weltauffassung und Anschauung be* reichert und geklärt hat, und hinter jedem Hebbel wird man einen Hegel, hinter jedem Wagner einen Feuerbach, einen Schopenhauer nicht ohne Grund vermuten dürfen . . .
Hat aber der Mythos der Wissenschaften, um uns nach dieser Einschaltung wieder zu ihm zurückzuwenden, durch* aus entschieden, daß Gott und Götter in der Reihe wissen* schaftlicher Sinndeutungen der Wirklichkeit nirgends eine Stelle fänden, wofern weder Gott noch Götter eine vor dem Gewissen der Vernunft stichhaltende Erkenntnisleistung aufzuweisen hätten, — nun wohl! dann liegt es an uns, diese Entscheidung endlich als eine letztgültige anzunehmen
783
und sie bis in ihre äußersten Weiterungen hinein zu rechts* kräftigem Vollzug zu bringen. Ziehen wir endlich den Schlußstrich unter so viele Einzelposten, machen wir uns endlich das hauptsächlichste Ergebnis der wissenschaftlichen Mythologie aufrichtig zu eigen: daß Annahmen wie die von Gott oder Göttern die Begreiflichkeit der Welt um nichts vermehrten, eher sogar verminderten, von vornherein gegen das Axiom wissenschaftlichen Verfahrens principia praeter necessitatem non sunt multiplicanda durchaus ver* stoßend. Verabschieden wir uns an dieser stürmischen, aber nicht unfeierlichen Wintersonnwende unserer Ge* schichte von den vielerlei Gottwesen der Vergangenheit und lassen wenigstens in dieser Hinsicht unsälige Halb* heiten, Unwahrhaftigkeiten, Schwachheiten fahren. Seien wir nunmehr tatsächlich von unserem Jahrhundert, und mehr noch von unserer Weltstunde, die diesen Verzicht gebietet. Entschlagen wir uns endgültig der kindischen und unfrommen Versuche, — das Kind aber ist stets un* fromm! — Gott oder Götter als die willkommenen Lücken* büßer unserer Erkenntnis zu bemühen. Entsagen wir der Götterlehren, die nichts anderes sein konnten als vorbe* reitende Staffeln zu einer streng wissenschaftlichen Wirk* lichkeiterforschung, und die seither vom Mythos Atheos überstiegen worden sind. Denn soviel müßte dem geistig erwachsenen Europäer heutzutag augenscheinlich geworden sein, daß die moderne Wissenschaft, volljährige Erbin und Tochter der dogmatischen Mythologie und Theologie des mittelalterlichen Christentums, auf keine Weise mehr neben ihrer Erzeugerin Platz finde. Eine Weltsinndeutung der Religion und eine Weltsinndeutung der Wissenschaft, eine Wirklichkeitordnung, Wirklichkeitformung, Wirklichkeit* Wertung mit Göttern und aus ihnen und eine Wirklichkeit* Ordnung, Wirklichkeitformung, Wirklichkeitwertung ohne
784
Götter : das geht schlechterdings nicht, das gibt es schlechter* dings nicht 1
Eben diese nämliche Folgerung hat bereits Jean Marie Guyau, dieses früh hingegangene (aber auf seltene Art zum Sterben vorbereitete) Ingenium, das hochherzigste Frankreichs im letzten Halbjahrhundert, in seiner l'irreligion de l'avenir gezogen, — gezogen mit der feurigen und an* mutigen Beredsamkeit, die eine so häufige Auszeichnung der Angehörigen romanischer Rassen darstellt. Gewertet als theologische Vorstufe kosmologischer Systeme des Wissens, kann die Religion unserer europäischen Zukunft tatsächlich nur Irreligion sein im Wortverstand dieses Buches, das zu den ernsthaftesten gehört, die über Religion geschrieben wurden ohne selber Religion zu sein. Ist doch alles, was ehedem der Religion an richtigen und an* wendungfähigen Gedanken zugehörte (und nach unseren eigenen Darlegungen braucht man das wahrhaftig nicht gering zu veranschlagen) — ist dies alles doch seither in den gesicherten Besitz der Wissenschaften übergegangen oder wird noch an ihn übergehen. In den Wissenschaften haben die großen Systeme der Theologie und Dogmatik ihre zeitgeforderten Umbildungen erfahren; in ihnen ringen sie miteinander um die Herrschaft weiter und bewähren dadurch ihre wahre Unzerstörbarkeit. Unausdenkbar der Gedanke, die Wissenschaften könnten je diese umfassenden Entwürfe gegenwärtigen Weltwissens den Bedürfnissen vorwissenschaftlicher Völker oder Gesellschaften freiwillig unterordnen oder preisgeben; unausdenkbar der Gedanke, das Gefüge mechanischer, organischer, axiologischer Er= kenntnis würde aus freien Stücken je noch einmal abdanken zu Gunsten religiöser Glaubenslehren. Was in den Welt* bildern der Veden, Upanischaden, des Vedänta, was in dem Tao*te*king und Zend*Awesta, was im Talmud oder im
50 Zirgler, Gestaltwandel der Götter 785
Koran bereits in greifbaren Umrissen Wissenschaft ge* wesen ist, das hat sein Fortleben und *weben in den Welt* begriffen gegenwärtiger (und zukünftiger) Wissenschaften gefunden: nur hier klarer gefaßt, schlichter berichtet, strenger berichtigt, ordentlicher herausgestellt, genießbarer enthülst, unparteiischer geschlichtet, folgetreuer aneinander* gereiht, nüchterner abgewogen, sorgfältiger gemessen und gezählt, feiner beobachtet und gediegener begründet. Sol= chermaßen hat sich die Frage nach der Religion der Zu* kunft, oftmals erörtert und voreilig entschieden, offenbar schon ganz von selbst entschieden. Sie hat sich entschieden genau im Sinn Guyaus, soweit über diese Zukunft in der Zone des wissenschaftlich erzogenen Europäers überhaupt gestritten werden kann. Die Religion als Frühzustand der Wissenschaft ist für das Urteil der Vernünftigen erledigt, weil von der wissenschaftlichen Erkenntnisarbeit geradezu verdrängt. Eine in Zukunft etwa geplante außerwissen* schaftliche oder widerwissenschaftliche Sinndeutung der Welt, gemodelt nach den Bedürfhissen einer abstrakten Religiosität an und für sich, wäre ein totgeborenes Kind. Wer es daher auch nur ein wenig aufrichtig mit unserer Gattung meint, darf nicht einmal im Traum wünschen, daß eine kindisch verwilderte oder greisenhaft verblödete Ge* Seilschaft früher oder später den Geist wissenschaftlicher Wahrheitfindung verschwöre und den Willkürlichkeiten sogenannten Glaubens (im mißverstandenen Gegensatz und Widerspiel zum Wissen) den Lauf frei lasse. Vom Stand* punkt der Religion als Vorstufe und Frühzustand wissen* schaftlichen Erkennens gibt es gar keine Religion der Zu* kunft, weil die so verstandene Religion zur Wissenschaft geworden ist . . .
Aber ist damit nun auch wirklich jede Frage nach einer möglichen Religion der Zukunft, mehr noch die Frage nach
786
einer Zukunft der Religion abgeschnitten? Erschöpft sich Religion tatsächlich darin, Vorstufe und Frühzustand von wissenschaftlichen Weltauffassungen zu sein? War es für alle Zeiten ein und dasselbe, Religion zu haben und die Welt durch Dasein und Eingriff von Göttern leichter faß= lieh und einfacher erklärlich zu machen? Sind Religion und Theologie, sind Religion und Mythos, sind Religion und Theismus, Pantheismus, Panentheismus oder Deismus so un* zerreißbar ineinander vernestelt gewesen, daß sich notwen* dig mit dem theistischen, pantheistischen, deistischen Mythos ganz von selber auch die Religion als solche erübrigt?
Unstreitig läßt sogar die tapfere und glatte Antwort Guyaus die Frage durchaus offen, ob mit den dogmatischen und metaphysischen Vorstellungen bisheriger Religionen die Religion an sich nunmehr gegenstandlos geworden sei, — oder anders ausgedrückt, ob die Religionen der Vergangen* heit wirklich nur durch die wissenschaftliche Erkenntnis überholte Versuche einer Weltsinndeutung gewesen wären : sonst aber nicht einen einzigen zukunftträchtigen Menschen* willen in sich verkörpert hätten? Und wer sogar bei diesem entschiedenen Vorkämpfer der europäischen Irreligion feiner hinhorcht, dem wird es kaum entgehen können, daß es bei ihm neben und außer dieser Religion als Vorstufe, die sich zur Wissenschaft verhält wie die Magie zur Physik, wie die Astrologie zur Astronomie, wie die Alchymie zur Chemie, wie die Wahrsagekunst zur Wahrscheinlichkeitrechnung, — daß es neben und außer ihr noch eine ganz andere Religio* sität gäbe, die von den Verneinungen des Philosophen nicht berührt würde. Hat sich doch eben Guyau zu dem außerordentlichen Geständnis bereit gezeigt, welches seiner Feder wie beiläufig entglitten zu sein scheint: ,,Ce qui seid est eternel dans les religions, c'est la tendence qui les a pro* duits" ; — womit selbst er, Atheist und Irreligiöser von
50* 787
reinem Wasser, ein Dauerndes, Überzeitliches, Unvergäng* liches, Ewiges in sämtlichen Religionen einräumt, über ihnen und über sie hinaus. Mit der sicheren Witterung des früh Sterbenden, früh den Tod Vorbereitenden, errät er richtig die Tendenz zur Religion an sich als das Ewige und Unver* gängliche aller Religionen: die Tendenz zur Religion, wor* unter wir Bedürfnis und Wunschverlangen, Zielstrebigkeit und Antrieb zu verstehen hätten, wie sie von allem Anfang an religio erzeugten und bis ans Ende erzeugen werden. In Ansehung dieser Tendenz wirft sich die Frage auf, ob sie zuletzt mit jener anderen Tendenz zusammenfällt, die wir als Wille zur Weltordnung, zur Weltformung, zur Welt* wertung kennengelernt haben, oder ob sie sich nicht im Gegenteil von dieser Tendenz aufs bestimmteste abhebt und unterscheidet? Die Frage wirft sich auf, ob diese ewige Tendenz zur Religiosität als solcher oder zur Religion über* haupt auch jetzt noch verwechselt werden darf mit der Tendenz zur Wirklichkeitergründung, oder ob sich's nicht vielmehr erweist, daß sie eine Innenregung, Innenrichtung schlankweg sui generis sei und sich unter keinen Umständen sachlich mit wissenschaftlichen Zielsetzungen oder erkennt* nismäßigen Endabsichten berühre, obschon geschichtlich mit Vorliebe in sie verflechte? Gesetzt mithin der Fall, die Re* ligion als bloße Vorstufe sei durch die verselbständigende Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnis mehr oder min* der überholt worden, — was ist dann Religion an und für sich? Was ist dann Religion abzüglich dieser ihrer Be* schaffenheit als Vorstufe und Frühzustand des Wissens? Was ist dann die ewige Tendenz zur Religiosität, getrennt von ihrem geschichtlichen Verrungensein in Wissenschaft* lich=erkenntnismäßige Tendenzen? Was ist zuletzt Religion rein auf sich selbst gestellt, allein ihres eigenen Bodens wüchsig und urwüchsig?
788
DIE TENDENZ ZUR RELIGION UND DIE RELIGIONEN
Seit den ersten dieser ärmlichen Blätter konnte berech* tigterweise ein eigentlicher Zweifel nicht Platz greifen, daß Religion etwas bei weitem Reicheres und Stärkeres sei als die Keimzelle zu einer wissenschaftlichen Sinndeutung der Welt. Gewiß 1 Nie wurde dort der Versuch gemacht, eine schulgerecht begriffliche Abgrenzung dessen vorzunehmen, was Religion sei oder was wir am zutreffendsten unter ihr verstehen müßten, obschon nichts leichter gewesen wäre als eine Definition. Inzwischen mag der verständige Leser die Gründe dieser scheinbar schwer zu entschuldigenden Unter* lassung zu würdigen gelernt haben und mit mir selbst es für besser erachten, religiöses Sein und Wesen unseres Europa erst in seiner Vielgestalt zu umspannen und um* fassen, als in der Enge einschnürender Bestimmungen zu ersticken. Der Fülle der Geschichte gegenüber hätte jede Definition die wenig erfreuliche Rolle eines Henkers und Nachrichters gespielt, und wie weitsinnig man auch die umschreibende Formel gewählt hätte, — stets hätte man bei jeder Wendung der Begebenheiten doch wieder neue und vergessene Merkmale in sie stopfen müssen, wie Welschkorn in den Kropf einer längst gesättigten Mastgans. Ein Ver* fahren übrigens, das uns um so schlechter angestanden haben würde, als wir von jeher lieber platonisch als aristo* telisch vorzugehen gedachten: heißt das, daß wir schon an* fangs gesonnen waren, nicht Definition und fiorismos, wohl aber Konstitution und Synopsis bei unseren Begriffen an* zustreben. Dergestalt gestattete uns der freiwillig geübte Verzicht auf eine logische Bequemlichkeit peripatetischer Herkunft und scholastischer Überlieferung eine desto herz* lichere Würdigung religiösen Wirkens und Waltens, Bildens
789
und Schaltens, Kreißens und Webens. Zum wenigsten die hier erörterten Religionen des Abendlandes (freilich nir* gends Religionen des folk=lore, sondern immer nur gehobe* ner Stände und ihrer Vertreter), — sie wiesen an den Stellen ihres Ursprungs jeweils eine doppelte Verknotung auf: ein* mal nämlich die offenbare Neigung, Welt und Wirklichkeit durch Bilder und Begriffe vernünftig zu beherrschen, ge* danklich zu bewältigen, — zum zweiten aber ein unzwei* deutiges und auf sich allein gegründetes Verlangen nach Vergottung, Vergötterung, Vergöttlichung des eigenen Menschseins. Ohne uns also selbst jetzt, wo alle unsere Untersuchungen zu endgültiger Klarstellung der grundsätz* lichsten und entscheidendsten Ergebnisse drängen, auf eine Definition des strotzenden Komplexes Religion einzulassen, behaupten wir doch soviel, daß zwar (mit Ausnahme der homerischen, synoptischen, franziskanischen Weltheiligung) die europäischen Religionen mit den Ideen und Kategorien der jeweils doch als Wissenschaft betriebenen Weltsinn* deutungen durchsprenkelt, durchschossen, durchmengt er* scheinen, daß sie insgesamt aber auch noch wesentlich Höheres und Tieferes als eben die Betätigung dieser szien* tifischen Ideen und Kategorien umgreifen. Das Verfahren, den Sinn der Wirklichkeit gleichsam in den Gott hineinzu* verlegen, zwang den Religionen immer wieder eine künstliche Verbrüderung auf mit den Wissenschaften, also daß auch sie meist als Systeme wohlgegliederter Erkenntnis in Er* scheinung traten, sich selbst sinndeutende Leistung durch* aus anmaßend. Aber zugleich zielt doch viel weiter in die Ferne der ganz einfache Wunsch , das trotz aller wissen* schaftlichen Einsichten stets unsäglich fragwürdige, leere, kümmerliche Menschensein auf diese oder jene Weise zum Gottsein zu steigern. Und genau dieses Willens*, dieses Wunschziel ist es, welches als die Tendenz zur Religion
790
überhaupt von allen anderen Tendenzen des Seelenlebens sorgfältig zu unterscheiden wäre. Auf der Treppe der Wesen* heiten gleich ein paar Staffeln auf einmal höher zu klimmen und die eigene Vergottung, Vergötterung, Vergöttlichung mit allen Kräften über jede Kraft hinaus zu betreiben: das ist der wahre Antrieb zur Religion überhaupt, wofern sich eine solche in den hier erörterten Religionen höherer Ge* Seilschaften anzukündigen scheint. Was allerdings Religion zur Zeit ihres ersten geschichtlichen Auftretens bei Wilden, Halbwilden, Naturvölkern, Barbaren sein möchte, was sie insbesondere sein möchte beim sogenannten Volk, das bleibt dahingestellt und muß es wohl noch bleiben, trotz der massenhaften und im einzelnen auch aufschlußreichen Untersuchungen unserer Sozialhistoriker und Folkloristen. Mit Sicherheit ist mithin nur dies eine festzustellen, daß auf den Ebenen höherer Gesittung in den verschiedensten Rassen und Persönlichkeiten die Religion ihrer lebendigsten Tendenz nach grundsätzlich nichts anderes ist als der aus* gesprochene Wunsch zur Selbstvergöttlichung mit all seinen unbewußten, unterbewußten, bewußten Kundbarmachun* gen oder Verhehlungen. Entbunden ihrer Bindungen an die Formen und Formeln des Erkenntniswillens steht und fällt die Religion als solche mit dem innigen Wünschen, Streben, Heischen, Trachten, Begehren und Wollen nach der Selbstvergottung, — folglich mit einem aus sämtlichen Schranken der Menschlichkeit ausbrechenden Verlangen, nicht länger mehr leibeszerbrechlicher, weltverlorener, schicksalunterworfener, wechselbetörter, augenblickbefan* gener Mensch zu sein, sondern Gottes Kind, Sohn, Freund, Bruder, ja Gott in Person selbst zu sein. Religion haben, das heißt in alle Seelenlagen hinein den Wunsch der Fröm* migkeit pflanzen, dies menschlich angetretene Leben gött* lieh zu verwesentlichen. Wobei ohne weiteres einzuräu*
791
men ist, daß es nicht allzu zahlreiche Träger und Vertreter dieses religiösen Urwunsches gab und gibt, die sich ganz offen, ganz klar, ganz tapfer zu ihm bekannt hätten, — es sei, weil angesichts der kirchlichen und staatlichen Zucht* mittel die Gefahren solcher Bekenntnis größer waren als der Mut, ihnen zu trotzen; oder es sei, daß auch die religiös erleuchtetsten Einzelpersonen nur selten die wirksamsten Beweggründe ihrer Daseinsgestaltung zu durchschauen vermochten und überdies gerade wegen ihrer tiefer ent* wickelten Religiosität die gemeinen Vorurteile einer land* läufigen Pietät zu bestärken geneigt sein mußten. Immerhin hat in Europa wenigstens die deutsche Mystik des Mittel* alters, man entsinnt sich dessen, die nötige Aufrichtigkeit und Treue zu diesem ungeheueren Geständnis aufgebracht und weder in Kirche noch in Staat irgend eine Feindschaft gescheut, der sie auf diese Weise den bequemen Vorwand frecher Gotteslästerung lieferte. Wenn einer der geschieht* liehen Religionen Europas, so gebührt daher der Mystik der Dank dafür, daß sie die ewige Tendenz der Religion und zur Religion ohne Verlegenheit mit einer gewissen Naivität ausgesprochen hat: ausgesprochen hat mit dem unwiderruflichen Erfolg, daß selbst wir Spätlinge (und doch auch wieder Frühlinge der Zeit!), sogar in unserer Eigen* schaft als entschiedene Nichtmystiker, ja Widermystiker tief in der Mystik Schuld, nicht nur unsere eigene Vergangen* heit am Leitfaden dieses Eingeständnisses getrost entziffern können, sondern außerdem den starken Schlag des Pulses fühlen dürfen, der uns im Kreislauf aller geschichtlichen Widerkünfte den warmen, süßen, wallenden Purpurstrom des Herzblutes kündet. Einmal der Tatsache inne, daß religio zuletzt Wunsch nach Vergöttlichung bedeute, beginnt dann vieles von dem zu tagen, was religionhistorisch, religion* phänomenologisch im Dunkeln lag von Opfer und Gebet,
792
von Tanz und Waschung, von Mysterienbegängnis und Tragödienspiel, von Messe und Sakrament, von Raptus und Visio, von Beschwörung und Ausschweifung, von Eni* äußerung und Versenkung, von Entzückung und Kasteiung, von Berauschung und Beschauung, von Sohnesneugeburt und Abgeschiedenheit, von Sinneswandel und Verlöschung. Ausnahmlos werden uns diese Kundgebungen religiösen Lebens der Vergangenheiten jetzt verständlich als ebenso* viel Mittel und Wege der Selbstvergottung, — als Mittel und Wege, die zu ihrem Teil vielleicht die Religionen besser und gründlicher nach Rang oder Wert zu unterscheiden gestatten als das eigentliche Ziel, welches ihnen allein gemeinsam ist . . . Vielmals wichtiger indes als diese erfreuliche Möglichkeit historisch psychologischen Verstehens der Vergangenheit, zu dem uns Abendländern die von der Mystik zum ersten mal wörtlich vertretene Auffassung von der religio den Schlüssel eingehändigt hat, vielmals wichtiger ist ohne Zweifel das andere, daß diese Auffassung es überdies er* laubt, zwar nicht der Religion der Zukunft, dafür aber der Zukunft der Religion einigermaßen vorauszuleben. Die Erkenntnis, daß Religion im Kern nur Wunsch zur Selbst* Vergöttlichung sei und gar nichts anderes sonst, sie dient uns gleichsam als Bussole. Allmählich uns abstoßend von den Buchten und den Gestaden der Vergangenheit, erman* nen wir uns jetzt zur Fahrt ins hohe Meer, ins Ferne, Blaue, Unerforschte, nach irgend welcher preiswerten .tierra firme' hin, nach Ophir, Atlantis, Orplid und was weiß ich noch hinsteuernd, schiffend, rudernd, segelnd. Und selbst wer als Gott*Loser und *Lediger der Götter schon längst ent* raten gelernt hätte, etwa weil er sogar in den sublimiertesten Ideen von Gott immer noch die Puppe argwöhnt, mit wel* eher die Geistreichen in müßigen Stunden trödeln und tändeln; oder den Popanz, der die Dummen ängstigen
793
und scheuchen soll; oder die Zwingburg, in deren Bann* meile aufruhrlüsternes Gesindel nieder gehalten wird; oder das Schlafpulver, welches Zärtlingen und Feiglingen die Schmerzen der Wirklichkeit übertäuben hilft; oder die Großbank, welche schlechtgehenden Firmen noch in letzter Stunde einen Kredit bewilligt; oder die Versiehe* runggesellschaft, bei der man sich gegen einen Jahresbeitrag gegen die Unfälle und Umfalle des Lebens versichert; oder den Porzellankitt, womit die zerbrochenen Scherben so* genannten Glückes zusammengeleimt werden; oder den Verein zur Belohnung treuer Dienstboten, der diesen nach angemessener Arbeitzeit ein Diplom oder eine Medaille verleiht . . .; selbst wer also aus derart ehrenhaften Gründen auf Gott oder Götter zu verzichten gelernt hätte: der dürfte jetzt fleißig aufhorchen, wenn ihm bedeutet wird, daß er noch lang nicht darum die Religion verschwor, weil er Gott und Göttern den Laufpaß gegeben hatte. Er wird aufhorchen und sein Herz wird zucken, wenn er vernimmt, daß er Religion und nicht das Gegenteil von Religion bewies, da er die Götter opferte in einem strengeren und lautereren Sinn, als ehedem der Mythos Götter opferte: da er sie opferte, damit sie seinem frömmeren Wunsche nach Selbst* Vergöttlichung länger nicht im Wege stünden. Denn dieses schälte sich ja als ewige Tendenz zur Religion mit wachsen* der Zuverlässigkeit aus allen Religionen kernhaft und kern* herrlich heraus: daß man die Vorstellung seiender Götter für immer preiszugeben habe, weil und wofern sie in den bisherigen europäischen Religionen dem Urwunsch der Religion überhaupt', Menschsein in Gottsein zu wandeln und zu wenden, aufs härteste widerstreitet. In Widerstreit, ja mehr noch in Widertat gerät hier die zeitlose Tendenz der Religion mit ihren zeitlichen Erscheinungen, weil jeder Gott, sei er außer, über oder im Menschen .seiend', not*
794
wendig der Henker jenes anderen Gottes wird, der durch den Menschen werden, entstehen und erstehen möchte. Der seiende Gott, der seiend ist oder seiend wird, das ist der Zwillingfeind des Menschgottes, der nirgends ist und nir* gends seiend wird, von alters her gewesen. Denn wenn es Gott oder Götter gäbe, dann brauchte es weder ja des Menschen noch menschheitlicher Religiosität, um sie, deren Zahl im Grunde gleichgültig ist, im Ablauf eines Welt* Heilsjahres um einen neuen Gott oder zwei oder mehrere allmählich zu vermehren. Entweder Gott ist und Götter sind: dann muß der Wunsch, der Gott und Götter mensch* lieh erst erschaffen möchte, notwendigerweis schweigen, und wenn nicht schweigen, sich doch bis zur Unkenntlich* keit entstellen, verzerren und verstellen. Oder aber Gott ist nicht und nicht sind Götter: dann kann wirklich, was nicht ist, durch Menschentat und Menschenwerk erzeugt werden. Wir aber legen vielleicht am besten die Formel dessen, was hier als religio erfunden ward, gleichsam an der Wasserscheide der Zeit, zwischen Untergang und Aufgang, zwischen Einst und Später, zwischen Abend und Morgen nieder: noch einmal rückwärts gen Untergang blickend und dennoch schon vorwärts nach Aufgang äugend. Dann ge* wahren wir dort die Religion als solche in dem Maß ver* blassen, in welchem Theologie und Dogmatik an Körper* lichkeit gewinnen ; dann gewahren wir hier umgekehrt die Religion Leiblichkeit und Wirklichkeit in dem Maße sich zulegen, in welchem das Luftgesicht und Spukgebild bis* heriger Theognosie in Dunst zerrinnt . . .
Um der Verständigung über diesen merkwürdigen Ad* spekt zu dienen, ist es ratsam, die Summe unserer abend* ländischen Theologie, — wohl verstanden nicht die Summe unserer abendländischen Religiosität! — in drei Gruppen aufzuteilen, deren erste die theistischen, deren zweite die
795
pantheistischen, panentheistischen oder monistischen, deren dritte endlich die deistischen Bekenntnisse unter sich be* fassen würde. In diesen drei Gruppen breitet sich aus, was das religiöse Bewußtsein Europas von den seienden Göttern (und den ihnen jeweils zugehörigen Welten) erdacht hat, und wie sich mit ihnen die ewige Tendenz der Religiosität selbst vertragen oder nicht vertragen konnte, oder wie diese sich vollends unter dem Einfluß jener und im andauernden Wechselkampf mit ihr abgeändert, abgelenkt, abgebogen zeigt: dieses bleibt zu berichten, eh' wir endgültig aus der Vergangenheit der Religionen mit großer Fahrt in die Zukunft der Religion zu stechen gedenken dürfen.
Was dabei zunächst die theistische Gruppe dieser theo* logischen Weltbegriffe betrifft, so pflegt man noch immer großen Nachdruck auf die Unterscheidung zwischen mono* theistischen und polytheistischen Mythologien zu legen und je nach Neigung und Reifegrad die einen vor den anderen zu bevorzugen. Diese Unterscheidung kann indes hier ganz und gar aus dem Spiel bleiben, weil sie für das Verhältnis der theistischen Theologie zur eigentlichen Tendenz der Religion unerheblich ist. Denn im einen wie im andern Fall, für Monotheisten wie für Polytheisten, vermag sich der Wunsch zur Selbstvergöttlichung nur als eine Art von magischer Praxis oder praktischer Magie zu verwirklichen. Der theistische Ein= oder Vielgott, an Welt und Mensch nur soweit tatsächlich interessiert, als beide sich seinem Heilsplan nicht entziehen sollen und nicht widersetzen dürfen, er genehmigt die Vergöttlichung des Menschen nur etwa so, daß er, der Gott selbst, sich für eine Weile auf den Gläubigen herniedersenkt, von ihm Besitz ergreift, in ihn eingeht, während der Mensch aus sich heraustritt, außer sich wird oder den Gott .anzieht*. Eine andere Weise der Ver= göttlichung als diese okkultanagische läßt sich hier, wo der
796
Ein* oderVielgott als Person dem Menschen als Person gegen* übersteht, ob auch als Person höheren und höchsten Grades, schlechterdings nicht ermitteln; eine wirkliche Erhebung der geringeren Person zur höheren kann sich nur im Sinn einer wundersamen Vereinigung, Vermählung, Verschmelzung er* eignen. Überall, wo nicht die Theologie des Theismus die eingeborene Tendenz der Religion von vornherein erstickt, genehmigt sie diese Tendenz nur unter dem Vorbehalt, daß die ersehnte Vergottung des Menschen dank einer göttlichen Herablassung, Einwirkung, Hineinstrahlung einenteils, dank einer menschlichen Aufwärtshebung, Austretung, Über* wallung anderenteils stattfindend vermutet werden dürfte. Dem Menschen steht eine Vergottung hier nur insoweit zu, als sich der Gott gleichzeitig vermenschlicht, wobei Gott und Mensch gleichmäßig an die Voraussetzungen jeder Per* sönlichkeit und jedes Selbstbewußtseins gebunden erschei* nen, deren wichtigste Undurchdringlichkeit heißt und an dieser Stelle besonders namhaft gemacht zu werden ver* dient. Denn diese Undurchdringlichkeit der Person und ihres Bewußtseinsumkreises, zwar an der Peripherie von leicht änderlicher endlicher Größe und Stärke, im Zentrum aber gleichsam unendlich, — sie ist es, die jede gegenseitige Durchdringung personaler Sphären als völlig unbegreiflich ausschließt, wofern eben kein Bewußtsein die Stelle eines anderen Bewußtseins unmittelbar einnehmen kann. Gilt dies schon uneingeschränkt für die Vereinigung, Ineinander* Schmelzung, Zusammengattung zweier wesentlich gleich* gearteterBewußtheiten und Persönlichkeiten wieMensch und Mensch durchaus, so gilt es nicht minder für zwei so ungleich* artige wie Mensch und Gott und Gott und Mensch : der Aktus der Selbstvergottung widerspricht hier aller Erfahrnng, ja aller möglichen Erfahrung so sehr, daß man ihn am liebsten dahingestellt sein läßt. Von diesem Standpunkt aus war es
797
dann einfach nur konsequent, wenn die Kirche eine restlose Angleichung der menschlichen Einzelseele an Gott und ihre Vereinigung mit ihm ,bei Lebzeiten* entweder gar nicht, nicht einmal unter der Bedingung göttlicher Mitwirkung und gött* liehen Eingriffes für vollziehbar erachtet, oder sie (sehr wider Willen) als ein quasi Wunder ihren bevorzugten Heiligen allein und unter Klauseln zugesteht. Es war dies, sag' ich, nur konsequent, und vielleicht wäre diese Konsequenz noch ehr= licher zu bewundern, wenn sich dann die Kirche auch wirklich dazu verstanden hätte, alle die religiösen Mittel des Heiden* tums von der Schwelle her abzulehnen, die sie als Sakra* mente ihren Angehörigen verabreicht mit dem eingestände* nen oder uneingestandenen Zweck magischer Selbstver* götterung. Aber freilich, — der unbedingte Verzicht auf die Zauberwirkung angewendeter Sakramente war für die Kirche undurchführbar, weil just diese Sakramente im Gegensatz zur begrifflichen Symbolik der theistischen Theologie, im Gegensatz also dieser angeblich monotheistischen, in Wahr* heit aber polytheistischen, nämlich tritheistischen Theologie, die wirklichen Elemente der Religiosität enthielten, die ja keineswegs ihre Götter denken, sondern ihre Götter sein will! Beruft man sich somit auf den Gottesbegriff des Theis* mus, dann ist das Sakrament mit seiner primitiven Magie der Selbstvergottung ein Ärgernis, ja eine Lästerung. Ver* sucht man aber eine Religion zu gründen auf die reine Lehre und ihre Gottesvorstellung allein, dann spürt man bald, daß man zwar Theologie, nicht aber mehr Religion betreibt: daß folglich keine noch so spekulativ durchgebildete und durchgefeilte Vorstellunggesamtheit theistischer Dogmatik die ewige Tendenz der Religiosität verdrängen oder gar ersetzen kann. Diese Theologie zwingt die erste, mächtigste Regung aller Religion überhaupt dazu, sich als Magie höchst sinnfälliger und sinnlicher Art zu äußern, die in der Folge
798
unter dem Einfluß der Dogmatik zwar eine gewisse Ver* geistigung erfährt: — indes der religiöse Urwunsch wieder* um die theistische Theologie dazu zwingt, im Widerspruch zu ihrer eigenen wissenschaftlich durchklärten Lehre jene Magie fort und fort gewähren zu lassen. Mit dem Theismus konnte sich die Tendenz zur Religion überhaupt, mit der Tendenz zur Religion überhaupt konnte sich der Theismus abfinden und vertragen höchstens auf Grund geduldeter wechselseitigen Störung und Beeinträchtigung. Die Theo* logie mußte sich abfinden mit einer Trübung ihrer klaren, aber an sich unschmackhaften und unnahrhaften Lehre durch die Erlaubnis zum weitgehenden Gebrauch magischer Spei* sungen und Bäder, Opfer und Gebete, Bußübungen und Salbungen. Die Religion als solche hingegen mußte sich eine Umbiegung ihrer wesentlichsten Tendenz gefallen lassen und durfte die Verwirklichung dieser nur noch inso* weit ehrlich anstreben, als es das Dogma vom seienden Gott in Person des Vaters, in Person des Sohnes, in Person des Geistes zuläßt. Die Theologie kann die Magie nicht missen, weil sie ohne diese eine eigentlich religiöse Bedeutsamkeit gar nicht aufweisen würde. Die Religion aber muß zur Magie ausarten, weil die Theologie nur Götter als himmlische Persönlichkeiten kennt und anerkennt, in welche sich der Gläubige lediglich kraft irgend einer regelwidrigen, zauber* haften, wunderbaren Begebenheit zu wandeln vermag. Das weltgeschichtliche Ergebnis dieser äußerst seltsamen Schlich* tung war dann freilich nichts geringeres als eben das euro* päische Christentum oder die Religion der Kirche mit ihren unermeßlichen Innenspannungen von Wort und Tat, For* derung und Gewährung, Wunsch und Erfüllung, Verkündi* gung und Seelsorge, Theorie und Praxis, Dogma und Kultus, Philosophie und Ritus: ihrerseit unstreitig schon viel zu viel bloße Theologie und Dogmatik, immerhin aber doch
799
auch noch Religion und Tendenz zur Religion; ihrerseit unstreitig schon eine kraß entstellte und verfratzte Religio* sität, aber doch auch etwas viel Besseres, Stärkeres und Stärkenderes als bloße Mythologie. An der Magie der Sakra* mente wird die reine Lehre des christlichen Theismus zu schänden; an der Theognosie der theistischen Dogmas nützt sich die Energie der religiösen Tendenz als solche ab. Aber wie bei allen Widerstreiten, die im Bereich von Wirklich* keiten heftig zum Ausgleich drängen, spannt sich an ihnen das Leben zu vorher nie erahnter Fülle, Macht, Pracht und Größe. Immer wieder feindet im Christentum der Kirche die magische Religiosität die dogmatische Theologie inner* lieh an, und immer wieder zwingt die dogmatische Theo* logie die magische Religiosität heimlich auf die Kniee. Aber von diesem Kampf, den bisher nicht Sieg und nicht Nieder* läge endigte, bestreitet (ganz buchstäblich) die Kirche seit anderthalb Jahrtausenden und länger ihr starkes Leben: von ihm bestreiten ihr Leben sogar die Kirchen und After* kirchen bis auf diesen Tag, da sich noch nirgends absehen läßt, wie oder wann die Entscheidung innerhalb des Christen* tums fallen werde, — oder außerhalb seiner . . .
Kaum ganz so schroff und unversöhnlich wie im Bezirk des christlichen Theismus prägt sich der Widerstreit zwischen Theologie und Religion in den Systemen des Pantheismus, Panentheismus und Monismus aus. Oder vorsichtiger ge* sagt, nicht ganz so schroff und unversöhnlich scheint er sich hier auszuprägen. Und dies zwar darum nicht, weil Pan* theismus, Panentheismus, Monismus in mancherlei Gestalt zwar eine gedankliche Herausstellung erfuhren, niemals aber bei uns in Europa zum Dogma einer Kirche selbst ge* diehen, vielmehr im bemerkenswerten Unterschied zu Indien so ziemlich von allen christlichen Bekenntnissen der Ketzerei, Freigeisterei, Gottesleugnern verdächtigt und ihrethalber
800
verfolgt wurden. Ohne Zweifel gibt es auch bei uns eine pantheistisch*monistische Theologie und Kosmologie, und ihr weitgeschwungener Bogen wölbt sich etwa vom einen Widerlager Plotinos über seinen Scheitel Bruno und Spinoza bis zum anderen Widerlager Hegel, Schelling, Schopen* hauer, Hartmann. Indes ist diese Theologie und Kosmo* logie, trotz aller gnostischen Einschläge und Zettel, nie eine im engeren Wortverstand christliche gewesen oder wenig* stens nie als eine christliche anerkannt worden ; niemals hat sich die flüssige Beweglichkeit ihrer Erkenntniszusammen* hänge zu der starren Festigkeit von Bekenntnisformeln ver* steift, über deren Beobachtung eine irdische Macht unnach* sichtig gewacht hätte. Daher konnte sich ihr Widerstreit mit der Religion oder mit der ewigen Tendenz zu dieser niemals mit der Leidenschaftlichkeit wie im theistischen Christentum äußern. Sie hatte es verhältnismäßig leichter, Theologie und Religion in einem zu sein, weil sie in einem ganz anderen Sinn Theologie war als der Theismus der Kirchen und der Kirche. Ihr Gott, irgendwie Eins und Alles, irgendwie Eines in Allem oder Alles in Einem, weigert sich der Selbstvergöttlichung viel weniger als der Gott, der Persönlichkeit und Selbstbewußtsein ist, umballt und umwallt von einer undurchdringlichen Sphäre von Ich* Bezogenheiten und Ich*Beziehungen. Keinesfalls braucht sich der Wunsch zur Vergöttlichung hier als Magie zu äußern, um mittels dieser eine sonst nicht zu bewirkende Einigung mit Gott zu ermöglichen. Vielmehr erleichtert die Unpersönlichkeit, wenn nicht Überpersönlichkeit Gottes dem Pantheisten seine Wandlung von Ich zum Es sehr er* heblich. Nur allerdings ist auch hier diese Schwierigkeit nicht behoben, daß der Wille zur Selbstgöttlichung aber* mals nur zu seinem Ziel gelangt durch eine Vereinigung, Durchdringung, Zusammenwachsung, Ineinandergattung
51 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 801
mit einem unabhängig von diesem Willen doch schon Seienden und Wesenden. Auch hier erschafft und erzeugt und setzt die religiöse Leistung nichts, das nicht unabhängig von ihr schon früher als sie gewesen, früher als sie be* standen hätte. Auch hier durchkreuzt die Annahme: es gibt Gott, es gibt vieleinige Gottheit, es gibt gotthaftes Urs sein, den frömmeren Zeugungwunsch und Zeugungwillen : o daß doch ich, so und so Mensch, den Gott, der nirgends ist und den es nirgends gibt, durch menschlichste Tat mensch* lieh aus mir hervorbilden, menschlich in mir erschaffen, menschlich durch mich verwirklichen möchte 1 Gewiß, der Pantheist wird infolge seiner philosophischen Meinung von Gott seinen Welt*Geist und seine Welt*Seele nicht mehr zu essen und nicht mehr zu trinken heischen, und nicht mehr wird er Gott durch die Zeremonie des Opfers zu einer stets wiederholbaren Wiedergeburt nötigen. Ober* all wo der Pantheist sich nur selbst richtig versteht, wird er auch Sakrament und sakramentale Magie als Unange* messenheiten einer überwindungbedürftigen Phasis und Praxis der Religion verstehen und — verschmähen. Denn dies trennt offenbar den Pantheisten am meisten und ent* scheidendsten vom Theisten, daß er sich gewissermaßen selber Gott weiß. Irgendwie berühren sich ihm die Seelen* lagen seines Wachbewußtseins mit den Seelenlagen seines Schlaf bewußtseins, irgendwie münden ihm die einen in die anderen ein, irgendwie entquellen ihm die einen aus den anderen. Und weil Persönlichkeit, Ich, Selbstbewußtheit mit ihrem weitstrahligen Kerngerüst von subjektiv*objek* tiven Stellungen und Gegenstellungen auf der Ebene pan* theistischen Gotterkennens lediglich zum ungöttlichen Teil des Menschseins zählen, wofern Gott selber diesseit jeder Ichstellung und Nichtichstellung behaust ist, so liegt es in der Linie dieser Theologie, die menschliche Vergöttlichung
802
als den stückweis zu verrichtenden Abbau aller Bewußt* seins* und Persönlichkeitstufen aufzufassen und solcher* gestalt die innerste Tendenz des religiösen Lebens nicht als Magie, sondern als Mystik durchzusetzen. Wie der Theis* mus an die Magie, knüpft sich der Pantheismus an die Mystik, womit er zwar den Gegensatz zwischen Theologie und Religion mildert, aber nicht tilgt. Denn wenn einer* seit der theologische Grundbegriff des Pantheismus Gott als den Vieleinigen und Vieleinen, mithin als gleichbetonte Doppelheit der göttlichen und der weltlichen Seinsschich* tungen auffaßt und auf diese Weise sowohl der Vielzahl der wirklichen Erscheinungen wie ihrer Vereinheitlichung durchaus gleiche Rechte widerfahren läßt, — andererseit aber in der Mehrheit der Fälle trotzdem eine Bevorzugung der göttlichen Einheit zum Nachteil der weltlichen Mannig* faltigkeit zu beobachten ist: dann war es augenscheinlich das religiöse und nicht das theologische Interesse des Mo* nisten, dem die Schuld an dieser an und für sich unbe* gründeten Bevorzugung zuzumessen ist. Der pantheistische Monismus als Theologie behauptet nicht, daß der Einheit* gort sei, die Vielheitwelt aber nicht sei, sondern behauptet nur, daß diese Vielheitwelt eingöttlich durchdrungen und durchwaltet, eingöttlich unterwölbt und getragen werde. Der Mystiker als solcher aber, dem wenig am dogmatisch* theologischen Begriff, viel dagegen, ja alles an der religiösen Praxis gelegen ist: er wird in der Folge dazu neigen, von diesen zwei gleichmäßig bejahten Seinsschichtungen Welt* Gott, Vielheit*Einheit, Erscheinung* Wesen jeweils die erste Hälfte zu verneinen. Sagt nämlich die Theologie des Mo* nisten : Gott ist Eines und Alles, so antwortet die Praxis des Mystikers : folglich muß dieses All verschwinden, falls das Eine alleinig werden soll. Und fährt dieselbe Theo* logie fort: Gott ist in jedem Ich das Es, in jedem Bewußt*
51* 803
sein das Überbewußte, in jeder Einzelseele die Weltseele, in jeder Person die Unperson, so antwortet des Mystikers Praxis: just darum muß jedes Ich im Es, jedes Bewußtsein im Uberbewußtsein, jede Einzelseele in der Weltseele, jede Person in der Unperson ertrinken und versinken. Hebt ferner die monistische Theologie mit Fug hervor : Gott ist so= wohl Ich wie Du, wie Es, wie Er, wie Wir, wie Ihr, wie Sie zumal, so antwortet die Praxis der Mystik: folglich ist Gott weder Ich noch Du, weder Er noch Es, weder Wir noch Ihr noch Sie zumal, sondern das an sith schlechthin Un* geschiedene und Unscheidbare in allem Geschiedenen und Scheidbaren. Zielt mithin die Mystik dahin, die seienden, bewußtseienden Erscheinungen zu einigen und durch den Vorgang der Einigung zu vergotten, so ist ihr dies Ziel nur erreichbar, wenn sie die seiend bewußtseienden Erschein nungen durch irgend ein Verfahren aufhebt und widerruft. In einem sehr buchstäblichen Wortverstand führt der Weg zur Gott*Einheit nur über die Welt* Vielheit, und je beharr* licher der Monismus Religion, will heißen Mystik zu sein bestrebt ist, desto unaufhaltsamer endigt er im Akosmis* mus. Der Monismus als Theologie kann nur um den Preis des Akosmismus Monismus als Religion werden, nur um den Preis der Jntelligibilität', der ,Phänomenalität', ja der Jllusorität' aller Wirklichkeit. In dem warmen Atem des Wunsches zur Selbstvergottung schmilzt das pantheistische Eins und Alles wie Schnee vor dem Föhn sehr schnell da* hin zum Eins und Nichts, und unverzüglich wandelt sich die Welteinheit*Lehre zur Entweltung*Tat. Prüfen wir unter diesem Sehwinkel ein theognostisch*religiöses System des Monismus von ausgesprochen mystischer Beschaffen* heit, wie es in vollkommener Ausgestaltung immer noch die Enneaden des Plotinos darbieten, dann erweist sich dieses System genau in dem Grade akosmistisch, als die
804
allgemein religiösen, hier notwendig mystischen Energien seines Urhebers noch ungebrochen sind. Ein in vielen Zügen ähnlich geartetes System hingegen, wie etwa das hartmannsche, an spekulativ*philosophischer Kraft vielleicht nur wenig hinter dem plotinischen zurückstehend, aber jeder eigentlichen Mystik entratend, möglicherweis sogar jeder echten Religiosität, — trotz eines mit großen Mitteln unternommenen Versuches zur Stiftung des .konkreten Monismus' als einer Religion des Geistes, der Erlösung und der Zukunft! — nun, es selber sucht und findet be* zeichnenderweis seine Befriedigung darin, eben die Eins* undalleslehre, eben die Alleinheitlehre als »konkreten Monismus' vermittels einer konsequent realistischen Theorie des Erkennens vor allen akosmischen Anwandlungen be* wahrt zu haben. In diesem höchst aufschlußreichen Fall opfert also die Theologie und Kosmologie des Monisten unbedenklich die Mystik (und mit ihr die dem Monismus wesentlich entsprechende Form der Religion); in jenem früheren Fall gibt umgekehrt die mystische Religiosität die monistische Theo*Kosmologie preis, wenn anders man die Wendung zum Akosmismus ernstlich als eine Preisgabe des Monismus auffassen darf. Beide Fälle miteinander ver* glichen aber bestätigen, daß der latente Widerstreit zwischen Theologie und Religion auch für den Pantheismus keines* wegs erledigt ist. Zwei Theologen von so inniger Gleich* zeitigkeit, von so besonderer ,contemporaneite der Begriffe und Vorstellungen, der Voraussetzungen und der Ziele, sie begegnen sich doch zuletzt als Antipoden, indem der frühere, religiös ergriffen wie nur wenige und unter den gewaltigen Heiden*Mitstiftern des Christentums ohne Frage der geistig überragendste, reichste, tiefste, allseitigste, schlichteste, keuscheste, sachlichste, sich durchaus von der Notwendigkeit erfüllt zeigt, die Selbstvergottung im Vor*
805
gang des Abbaus aller Ichstufen, Nichtichstufen zu be* werkstelligen; — indes der spätere, vorwiegend Denker, vorwiegend sogar Gelehrter, (wie leider fast alle Philo* sophen seiner Zeit), dieselbe Notwendigkeit mit der ihm eigenen Halsstarrigkeit abweist, um sich möglichst unge* schmälert die moderne Überzeugung von der Wirklichkeit des Wirklichen zu bewahren . . . Nicht an sich also, ich wiederhole es, führt der Monismus zur Weltleugnung, Weltverneinung und Weltaufhebung im sogenannten Akos* mismus. Aber er führt unweigerlich dort dazu, wo er den theologisch*spekulativen Antrieben weniger als den prak= tisch*religiösen seine Entstehung dankt, von Stund' an allerdings Schritt für Schritt mit seinen erkenntnismäßigen Absichten in stets härteren Widersatz geratend . . .
Völlig zum Verschwinden gebracht wird die Gegen*
Setzung Theologie und Religion dann freilich in der letzten
Gruppe der hier namhaft gemachten Erkenntnisgefüge
unserer abendländischen Bekenntnisse. Ich meine in jener
Gruppe, die wir im Unterschied zur theistischen und zur
pantheistischen die deistische nannten. Völlig zum Ver*
schwinden wird diese seltsame Gegensetzung gebracht: aber
wohlverstanden nicht etwa dadurch, daß der Deismus nun
die zwiespältigen Tendenzen grundsätzlich miteinander zu
versöhnen wisse, sondern einfacher, selbstherrlicher, ge*
waltsamer dadurch, daß die deistische Theologie schon an
sich jede strengere Geltendmachung wirklich religiöser
Tendenzen verbietet. Der Deismus, könnte man bereits
sagen, sei die höflichste Form des Atheismus, die wir
Abendländer kennen, und diese Eigentümlichkeit könnte
ihm sogar vieles von unserer aufrichtigsten Sympathie
sichern. Aber leider ist der Deismus nicht Atheismus um
der Religion willen, wie wir ihn hier für wünschenswert
erachteten, sondern er ist Atheismus um der Unreligion
806
und Irreligion willen, womit er sich die schon knospende Sympathie gleich wieder verscherzt. Sein weltjenseitiger Gott, deus transmundanus, deus extramundanus ist seiner ganzen Herkunft und Leistung nach, wir behaupteten es schon weiter oben, nur eine platonisch zu verstehende ,Hypothesis\ nur eine irgendwie für notwendig gehaltene Grundlegung; sei es der wissenschaftlichen Mechanik oder Physik, wie bei den Anaxagoras, Aristoteles, Newton und jüngeren Kant; sei es der wissenschaftlichen Ästhetik und Kosmoästhetik, wie bei den Shaftesbury, Herder, Wieland und dem jüngeren Schiller; sei es der freigeistigen Ethik und Moralität, wie bei den Voltaire und Kant. Dieser Hypo* thesis bedarf man gleichsam als eines überweltlichen Gott* restes und Gottrückstandes aus besseren Zeiten, etwa als des , Herrn der Kreisbewegung', als des Bewegers der Himmel und Himmelsumläufe, als des Verursachers der Grundkräfte und Grundstoffe, als des Gesetzgebers der Wirklichkeiten, als des Künstlers des Kunstwerkes Welt, als des Spenders der Schönheit und des Einklangs, als des ewigen Fugisten und Kontrapunktisten, als des Ausgleichers und Angleichers der Tugenden und der Belohnungen. Da sich das All innerhalb gewisser Grenzen als wohlgeordnet bewährt, meint der Deist eines AlkOrdners nicht entbehren zu können; da uns die Dinge innerhalb gewisser Grenzen voller Schönheit dünken, wähnt der Deist einen Geist? werker und Werkmeister dieser Schönheit annehmen zu müssen; da der Mensch innerhalb gewisser (sehr enger) Grenzen zur Tugend neigt ohne des Glückes teilhaftig zu werden, glaubt der Deist an einen himmlischen Born dieser Tugend wie an einen himmlischen Hort der Glücksäligkeit, der beide in ein vernünftiges Verhältnis setzt. Gesetz* mäßigkeit, Schönheit, Sittlichkeit stellen dem Deisten die Frage ihres Ursprunges und Voranfanges, und wer oder
807
was sollte Ursprung, wer oder was sollte Voranfang sein, wenn nicht der vovg, wenn nicht die Gottvernunft über den Sternen? Dieser Gott ist freilich nur ein arger Lückenbüßer der Erkenntnis, zugelassen und erfunden, um lebhaft ge* fühlte Eindrücke von der und der Beschaffenheit verstand* lieh zu machen. Ein Wunsch, nunmehr dieser Gott über den Sternen, dieser Herr der Umläufe, Urstoffe und Ur* kräfte, dieser vollkommenste Künstler und Werkmeister aller schönen Gegenstände, dieser Born der Tugend und Hort der Glücksäligkeit zu sein oder zu werden in eigener und menschlicher Persönlichkeit, — ein solcher Wunsch ist hier nicht einmal denkbar, weil auch beim besten Willen mit diesem deus transmundanus niemand eigentliche Be* Ziehungen oder Verbindungen unterhalten kann. Es sei denn, daß er aus Gründen, die zwar viel mit Wissenschaft, Erkenntnis, Tugend, Kunst, wenig oder nichts aber mit Religion zu schaffen haben, in höchstgestimmten Gefühlen für diesen Gott erglühe, in Gefühlen, die wir aus Shaftes* bury und Rousseau, aus Sterne und Herder, aus Kant und Schiller, aus Hölderlin und Jean Paul einigermaßen kennen und ehren, ohne sie leider noch teilen zu können. Diese jünglinghafte Schwarmgeisterei, diese jungmädchensälige Verliebtheit, Verzücktheit in allen Tonarten, seltsam genug abstechend von der sonst weltmännischen und hof* männischen, folglich auch übersättigten Kultur des acht* zehnten Jahrhunderts, sie glaubte Gott wahrhaftig im Schäferspiel am besten noch zu dienen; sie findet den ein* zigen Ersatz für den peinlichen Mangel des Deismus an eigentlich religiösem Leben in einem leicht üppigen, zart berauschten, zärtlich schwelgerischen Enthusiasmus, der den deus extramundanus gleichsam weinlaunig zum Bankett lädt wie weiland Herr Giovanni den einsilbigen Gast von Marmelsteine : Es lebe der gute Gott, es lebe der liebe Gott
808
es lebe die schöngute Gott* und Menschenwelt, es lebe das höchste Wesen, es lebe der ewige Welt*Geist; — stoßt an, Brüder, überm Sternenzelt! . . . Solch' leis dionysischer, leis orgiastischer Enthusiasmus von ungemein festlicher und geselliger Wirksamkeit ersetzt dem Deisten tatsächlich einigermaßen die Magie und Mystik theistischer und pan* theistischer Religionen. Er ersetzt ihm diese, soweit er sich nicht selbst bisweilen von ihnen verführen läßt, wenn er sich in seiner Eigenschaft als Theolog den theistischen oder pantheistischen Überzeugungen nähert. Von diesem Kult der Begeisterlinge fürs höchste Wesen aber abgesehen, hat der Deismus seinen deus soweit über die Welt gehoben und geschoben, daß er sich bestenfalls noch für ihn, keines* wegs aber mehr eigentlich in ihm zu enthusiasmieren ver* mag (wie es der Sinn dieses Wortes doch verlangte). Was sonst übrig bleibt, ist verschämter Atheismus, verschämte Irrelegion und Nichtreligion. Nichts ist in dieser Hinsicht aufschlußreicher als das Verhältnis etwa Voltaires zu der magisch*sakramentalischen Praxis des theistischen Christen* tums. In einer denkwürdigen Briefstelle an Friedrich von Preußen macht er diesem großen König darüber folgende Glosse: „Ich verzeih' ihnen (noch) die Jungfrauen um et* licher schöner Gemälde willen, welche die Maler davon gemacht haben. Jedoch werden Sie mir zugestehen, daß das Altertum niemals, welcher Volkart es immer auch war, auf eine abscheulichere und lästerlichere Abgeschmacktheit verfallen ist als diese, seinen Gott zu essen. Das ist die fürs höchste Wesen empörendste und beleidigendste Glaubens* lehre, der Gipfel der Narrheit und des Wahnsinns . . ." Sieht man bei diesem überaus scharfen Urteil auch gern von dem verzeihlichen Geschichtirrtum ab, als hätten die Heiden* Völker des Altertums den Gebrauch sakramentaler Mahl* Zeiten und die Einrichtung sakraler Tischgenossenschaften
809
nicht gekannt, als hätten sie sogar nicht ihrerseit dem Christentum beides als Vermächtnis hinterlassen und ver* erbt, so findet man dennoch die spezifisch deistische Un* fähigkeit zur Würdigung tief religiöser Riten bis zu einem Grad gesteigert, der sich nicht überbieten läßt. Keine Ahnung, daß sich hinter dem Brauchtum oder meinetwegen Mißbrauchtum der Verabreichung und Empfangnahme des Sakraments geradezu der Urtrieb der Religion versteckt halten könne. Keine Ahnung, daß sich der Christ, das Abendmahl genießend, wohl eines ungeeigneten und plumpen Mittels zur Selbstvergötterung bediene, nichts* destoweniger aber weder in seinem Ziel noch in seiner Absicht irre. Diesem in entscheidender Beziehung doch wieder naiven Aufklärer, — und welche Naivität setzt es nicht voraus, überhaupt aufklären zu wollen! — diesem eminent gescheuten, eminent gewitzten und bei aller persön* liehen Bosheit doch in der Sache wohlmeinenden Aufklärer widerlegt sich das Sakrament ganz einfach durch seine Ab* geschmacktheit. Er hält es für abscheulich, für lästerlich, weil sein Instinkt von aller Religiosität so weit verlassen ist, daß er Religion eben noch als erkenntnismäßige Dreingabe eines ersten Bewegers, eines vollkommensten Künstlers, eines all* gerechten Schiedrichters in mechanicis, in artibus, in moralibus zu gestatten vermag. Unter keinen Umständen aber ist für ihn und seinesgleichen der Gott noch etwas, das der Mensch sein oder werden will, sondern günstigstenfalls ein Postulat der Mechanik, der Ästhetik, der Ethik. Der Wunsch zur Selbstvergöttlichung scheint versiegt und nicht einmal mehr in der Form geschichtlichen Verständnisses hinreichend lebendig, um die Religion vor ihren schädlichsten Ver* wechslungen zu behüten . . .
Wir buchen mithin als den Ertrag dieses letzten Rück* blicks, daß der Gott in dem Grad untüchtig zu wesentlich
810
religiösen Leistungen wird, als sich der Begriff von ihm theologisch, philosophisch, metaphysisch vergeistigt. Was bisher für den sichersten Fortschritt des religiösen Bewußt* seins gegolten hat, erweist sich an diesem entscheidenden Tatbestand geprüft und geprobt als größte Fragwürdigkeit. Zugegeben, die menschlichen Vorstellungen von Gott und über Gott seien im Ablauf geschichtlicher Lebensalter ge* danklich reifer, wiederspruchfreier, begründbarer, Vernunft* entsprechender, urteilständiger, deutungfähiger, mit einem Wort wissenschaftlicher geworden, so heißt dies noch im entferntesten nicht, daß nun auch die Religion fortge* schritten sei. Nach sehr geheimnisvollen, umdunkelten und voranfänglichen Versuchen der Selbstvergottung sehen wir die vernünftige Überlegung einsetzen, die gleichsam un* interessierte Spekulation, wer oder was denn der Gott möglicherweis sein könnte. Abseit von Zauberei und Mummenschanz, abseit von Tiertänzen und Tätowierungen, abseit von Menschenopfer und Tempelunzucht, abseit von Mannbarkeitmartern und Teufelbeschwörungen, bemäch* tigt sich der Gedanke des Gott*Seins, und niemand darf zweifeln, daß dieser Gedanke sich wirklich eine würdigere Vorstellung vom Gottheitlichen erarbeitet als jene kaum ganz unanfechtbaren Gebräuche. Indem wir dies ehrlicher* weis feststellen, läßt sich indes auch die entgegengesetzte Tatsache nicht gut übersehen, daß der Gott, je ausschließ* licher als ein Vorwurf der Erkenntnis wert gehalten, desto mehr an Brauchbarkeit, Verwendbarkeit, Nutzbarkeit für die Praxis der Religion einbüßt, auch wenn diese Praxis keineswegs bei den Verfahrungweisen des Urzustandes be* harrt. Eine simple Erfahrung lehrt, daß schon die über* wiegende Betätigung des Verstandes als solche den Willen ganz allgemein zu schwächen pflegt, und diese Erfahrung allein berechtigt zu der Erwartung, daß eine fortschreitende
811
Vergeistigung des Gottes zu einem Begriff, zu einem Denk* inhalt, zu einer Vernunftwahrheit den religiösen Wunsch* trieb fortschreitend versehre. Selbst wenn diese allgemeine Erfahrung hier nicht zuträfe und der Wille zur Selbstver* gottung allen philosophischen und metaphysischen Ver* geistigungen zum Trotz lebendig sich erhielte, — es käme doch der Augenblick, wo dieser Wille den derart veredelten Gott nicht mehr einzuholen fähig wäre. Gesetzt den Fall, der Stärkegrad des religiösen Willens bliebe bei aller Theologie und Dogmatik doch sich selber gleich, weder Minderung noch Mehrung erfahrend, so würde dennoch der zunehmende Aufwand von Geist und Erkenntnis den Gott in solche Fernen rücken, daß er den religiösen Willen um mehr wie einen Sonnenabstand hinter sich zurück ließe. Im Wett* rennen mit dem Gedanken wird ja die Tat alle mal geschlagen, und ob es unter diesen Umständen eine .Entwicklung' ge* wesen ist, wenn etwa sich der Polytheismus der antiken Völker in den Monotheismus der christlichen (oder gar mohammedanischen) Völker theologisch mauserte, das steht für den dahin, der unbestreitbare Läuterungen der Begriffe nicht mit Fortschritten in der Tat naiv verwechselt. Gewiß, kein unbestochen Urteilender wird in Abrede stellen mögen, daß der christliche Monotheismus, — angenommen, das Christentum sei nach herkömmlicher Fiktion Monotheist mus! — nunmehr wirklich vernünftiger, sittlicher, unan* stößiger über Gott zu denken gestatte als der heidnische Polytheismus. Ob er aber schon darum auch die fortge* schrittenere Form der Religiosität ist, wie das landläufige Urteil ein für alle mal entschieden zu haben wähnt? Ob die bessere Theologie ohne weiteres auch schon die höhere Stufe der Religion heißen darf? Mit den Vielgöttern der Heiden konnte man fröhlich oder ernsthaft, leichtherzig oder schwerblütig, episch oder tragisch, dithyrambisch oder
812
komisch drauflos fabeln, drauflos dichten : nicht aber konnte man mit ihnen der Wissenschaft oder Erkenntnis pflegen. Mit dem Eingott hingegen ließ sich denken und deuten und erklären und begründen und begreifen und erweisen und erhärten und bestätigen, und dabei brauchte man nicht einmal aufs Fabeln und Dichten völlig zu verzichten, wie die Legenden und Legendchen, Historien und Novellen, Mythen und Anekdoten der mittelalterlichen Folklore tausendfältig zeigen. Nur eines erschwerte die Eingottlehre ihren Anhängern fast bis zur Unmöglichkeit: nämlich den unbefangen traulichen Umgang von Mensch und Gott, wie er den Religionen der vielen Götter zur ebenso selbstver* ständlichen wie erfreulichen Gewohnheit längst geworden war. Hier pflegte man in leichter rascher Wandlung die Haut des Löwen anzulegen, und je nach Bedürfnis und Gefühl wählte der Gottsüchtige die Begattung oder die Entrückung, die Speisung oder die Waschung, die Salbung oder die Sühnung, um sich irgendwie göttlicher Vaterschaft, Mutterschaft, Sippschaft zu erfreuen oder sonst an den Tafeln der Unsterblichen zu zechen. Eingott jedoch zu werden, menschenüberlegener und menschenferner, das steht schon wesentlich weniger in jedermanns Belieben, wenn nicht der Einfachheit wegen der monotheistische Kult die Mittel zur Menschvergottung unbesehen von den poly* theistischen Kulten übernimmt und im sinnfälligen Wider* spruch mit sich selber jene heiligen Begattungen, Speisungen, Ölungen als zweckdienlich anerkennt. Die Vielgötter haben weder die Welt noch den Menschen erschaffen, und die Entscheidungen des Lebens fallen oftmals ohne sie, manch* mal sogar wider sie. Alles in allem nur ein wenig mächtiger, muskelkräftiger, launischer, böser, grausamer, gesünder, ungebrechlicher, leidenschaftlicher, naturverwachsener, zu* fallenthobener, unsterblicher wie der Mensch, laden sie
813
diesen ohne große Umstände zur Gesellung mit sich ein. Der Eingott jedoch, des Himmels und der Erden Schöpfer, Geist und Wahrheit, Ewigkeit und Unendlichkeit, Hypo* keimenon und Symbebekos, Usia und Prosopon: wer wagts, mit ihm sich auf gleichen Fuß zu stellen und ein Verfahren auszumitteln, mit ihm eins zu werden? Zugestanden, jener Polytheismus denke von seinen Göttern klein, vielmals so* gar kleinlich bis unrühmlich, menschlich bis allzumensch* lieh, — aber er ist doch im Besitz der Mittel, die dem Wunsch nach Selbstvergöttlichung seine Verwirklichung verbürgen. Der Monotheismus denkt vom Gott strenger, weiser, erhabener, aber er verbietet seinem Begriff gemäß die Selbstvergottung überhaupt, will sagen, er verbietet die ewige Tendenz der Religion als solche. Der Vielgott ver* körpert in sich etwa eine Naturkraft, eine Lebensmacht, eine Seelenregung, eine Willensäußerung, eine Menschen* tugend, und ist im übrigen lediglich ein vorgerückter Mensch, — mit dem Vorzug freilich, daß er den Menschen mit der Hoffnung durchdringt, bis auf seine Stufe nachzurücken. Hinwieder ist der Eingott keine Verkörperlichung, ist nicht einmal ein Körper, und teilt mit unserem Menschsein nur noch die allerletzten, allerleersten Bestimmungen, Vernunft, Wille, Bewußtsein zu haben und Person zu sein: dafür aber beraubt er den an ihn Gläubigen folgerichtig seiner teuersten Erwartung, bei Lebzeiten — es sei denn in außergewöhn= lichem Zustand, wie Thomas sagt — zu ihm aufzusteigen . . . Wo sich aber die Religion bei dieser Auskunft nicht be* scheiden will und bescheiden kann, — welcher Krampfs haftigkeiten, Verstiegenheiten, Unmöglichkeiten, Außer* gewöhnlichkeiten , Übermäßigkeiten , Ungereimtheiten, Schwindelhaftigkeiten bedarf sie da nicht, um den vollends vergeisteten Eingott mit ach! nur menschlichen Organen zu umklammern. Wie muß sich der Mensch zu diesem
814
höchsten, einsamsten, einzigsten Geist*Gott des Monotheis* mus hinaufquälen, hinaufrenken, hinauf lügen. Welcher unwahrscheinlichen Gelenkigkeit bedarf er nicht zu seinen affenmäßigen Purzelbäumen und Klimmzügen und Wellen und Rumpf beugungen um das »intelligible* Reck des theo* logischen Begriffs. Die allerchristlichsten Systeme des Ari* stoteles, des Thomas, des Hegel, um nur dieser drei trag* fähigsten Säulen monotheistischer Theologie zu gedenken, sie vergeisten den Eingott schließlich soweit, daß er ge* radezu mit dem Vorgang des Denkens und Gedachtwer* dens in eins gesichtet, in eins gesetzt erscheint, womit dem Wunsch zur Selbstvergötterung nur übrig bleibt, entweder durchaus abzudanken, oder seinen Träger zu ertüchtigen, die absolute Vernunft, des Denkens Denkung oder Geist an und für sich in eigener Person zu werden (gemäß etwa dem wunderbar klar ausgesprochenen Grundsatz des indi* sehen Vedänta : ,,WerBrahman kennt, der wird selbst zum Brahman") . . . Seltsam genug, daß sich der geschichtliche Mensch, wenigstens was seine höchsten Exemplare anlangt, nicht einmal hierdurch abschrecken ließ, seiner innersten Tendenz zur Religion Treue zu wahren; seltsam genug, daß er unermüdlich darum rang, mittels einer begrifflich* vernünftigen Urbewegung seines Geistes die Gottes* und Weltfülle teils syllogistisch, teils dialektisch aus seinem an* scheinend zu eng umschriebenen Bewußtsein zu entwickeln. Der geistig geläuterte Gott zwingt eben dem religiösen Menschen seine eigene Läuterung zum Geist ab, und so weigert sich der religiöse Mensch auch dieser Vergeistung nicht. Desgleichen zwingt der denkschöpferische Gott den religiösen Menschen dazu, sich selber als Denker schöpfe* risch zu gebärden, der begriffverwirklichende Gott den re* ligiösen Menschen, seine eigene Wirklichkeit zu verbegriff* liehen, — keines von beiden weigert sich der Mensch. Man
815
redet dem gehorsamen Diener seines Herrn zu, der Eingott sei Wahrheit und Unendlichkeit, und der Diener macht sich zum Herren über Wahrheit und Unendlichkeit; man überredet ihn desgleichen, daß der Eingott Absolutum und Totalität wäre, und flugs getröstet er sich selber, Absolutum und Totalität zu sein ... So wird der fromme Monotheist Peripatetiker, Thomist, Hegelianer, indem man ihm in einer merkwürdigen Verdrehung bergpredigtlicher Worte die frohe Botschaft verheißt: des Peripatetikers das Himmel* reich! Des Thomisten das Himmelreich! Des Hegelianers das Himmelreich! Kommt her, ihr Dialektiker und Syllogistiker des Absoluten, die Dialektik und Syllogistik soll euch er* quicken ! Sälig, wer da den actus purus in seiner reinen Tätig* keit betätigt! Sälig, wer sich zur forma separata aufwärts schnellt, wer mitformisseparatis der Erkenntnis pflegt! Sälig, wer diese Welt durchaus in ihre Kategorien und Ideen zer* denkt und die also zerdachten zum Absolutum wieder run* det! . . . Aber genug. Haben wir doch die Verehrung wür* dige Narretei monotheistischer Religiosität, wenn sie mit monotheistischer Theologie Schritt halten will, in der drit* ten Betrachtung dieser Schrift zur Darstellung gebracht und durch sie gewissermaßen auch zur Überwindung. Haben wir doch erfahren, wohin es führen mußte, den Fortschritt der Religion mit dem Fortschritt der Theologie gleichzu* setzen: haben wir dieses doch erfahren und brauchen es nicht nochmals zu erfahren. Ist es uns doch augenschein* lieh geworden, wie all die alten Götter, vom Denken als die seienden gedacht und angenommen, den Trieb zur Selbstvergöttlichung bisher nur hinderten, sich rein und ungehemmt auszuformen. Der Gott, der ist oder sogar da ist, war stets der Todfeind des Gottes, der werden sollte oder werden wollte, — er war es um so hartnäckiger, je mehr die Vernunft und Erkenntnis an seiner Beschaffenheit
816
Anteil nahm und hatte. Summa theologia, summa irreligio, — oder auf gut deutsch: der strengste Theolog hat es der Religion jeweils am sauersten gemacht . . . Die Religion steht heute vor der Wahl, entweder mit den Theologien, Ideologien ihrer Vergangenheit sich selber umzubringen, oder sich feierlich für jetzt und immer von aller Theologie loszusagen. Wer Religion sucht, wer Religion hat, wird um die Entscheidung nicht verlegen sein. Genau wie für die europäischen Wissenschaften gehört auch für die europä* ische Religion dieses Weltalters jede Theologie der seienden Götter endgültig zu den gewesenen, endgültig zu den ent* wesenden Dingen. Die Religion ist für uns Heutige ent* weder Tat, nur Tat, oder sie ist gar nichts; die Theologie dagegen ist Begriff, nur Begriff, und heischt demnach als ihre einzig entsprechende Tat nur das Begreifen, will heißen sie verneint die Tat. Dem Glauben an Gott und dem Wis* sen um Gott läuft also der Wille zur Vergottung nicht nur niemals eigentlich nebenher, sondern stets und stracks zu* wider. Dieser Sachverhalt klingt in dieser Wendung, dieser Fassung vielleicht neu und überraschend, aber gerade in den letzten Zeitläuften ward er an betonter Stelle mindestens zweimal angedeutet. Das eine mal noch zaghaft und gleich* sam vor der eigenen Absicht noch etwas erschrocken, als Jean Marie Guyau den Satz niederschrieb : ,,Nous aimerons d'autant plus Dieu, que nous leferons pour ainsi dive . . ." Dann aber mit der unbiegsamen Härte des religiösen Kün* ders und Neutöners selbst, der mit treffsicherem Schied* spruch, Kennwort und Trennwort, mit kernechtem ,verbum cordis wirklich die Wahrheit des neuen Heils ins Herz trifft mit so scharfgeschnitztem, scharfgespitztem Bolzen: „Was wäre denn zu schaffen, wenn Götter — da wären? . . ." So hat Nietzsche zu uns gesprochen und doch wieder nicht Nietzsche; so hat zu uns der Scharfschütz und Meister*
52 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 817
treffer Zarathustra gesprochen und doch wieder nicht Zara* thustra ; so hat zu uns keiner unseresgleichen und keiner unseresungleichen gesprochen: vielmehr die ewige Tendenz der Religion selber, der wenig an Göttern, gar nichts an Gott, alles aber an einem fröhlichen Menschenwillen zur Vergöttlichung gelegen ist. Dieser Wille und Trieb irrt seit etlichen Jahrhunderten stellen? und arbeitlos auf allen Gassen herum, zuletzt um, wie alle Stellenlosen, Arbeitlosen, zu stehlen und zu hehlen, zu räubern und zu plündern, da er unter günstigen Bedingungen nicht nur arbeiten, nein schaffen könnte und schaffen möchte. Wohlan! lassen wir ihn endlich schaffen. Es gibt so viele Räder, die nur des Wassers entraten, damit sie um und mit getrieben würden ; es gibt so viele Wasser, die nur der Mühlen harren, damit drin grob' und feine Mehle gar gemahlen würden. Schaffen wir diesem Willen zur Gott^Erschaffung seine Gelegenheit, eh' es noch zu spät geworden ist, — und möglicherweis ist es schon zu spät geworden? Die Antwort, Verantwort auf uns, auf uns! — schaffen wir ihm also, sag' ich, Gelegenheit zu angemessener Auswirkung und Betätigung. Die Götter sind tot, Gott selber ist tot. So leben denn die Götter, die Mensch*Gebildeten; so lebe denn Gott, der Mensch^Ge* bildete, der Mensch*Gott! . . .
818
DAS DREIGESTALTETE MYSTERIUM
Die ewige Tendenz der Religion selber, nicht die Person dieses oder jenes Denkers, hieß es, stelle nach Durch* Wanderung der bisherigen theologisch*religiösen Zustand* lichkeit unseres Festlandes mit steinernem Ernst das Prob* lern der Religion ohne Gott. Für das europäisch eingeengte Gesichtsfeld zunächst eine Vorstellung von entmutigender Widersinnigkeit, ward dennoch genau dieses nämliche Prob* lern im indischen Altertum von Gotamo Buddho mit einer gleichsam spielenden Gründlichkeit aufgelöst, — mit einer Gründlichkeit, die auch dann sachlich für endgültig erach* tet werden darf, wenn geschichtlich in Indien selbst zwölf oder vierzehn Jahrhunderte nach Buddho der Brahmanis* mus seine große Wiederherstellung in philosophicis, theolo= gicis religionibusque durch £ankara erfuhr. Durch (^ankara, den man vergleichungweis als den indischen Aquinaten anzusprechen hätte mit seinem bedingunglosen Gehorsam gegen die Unfehlbarkeit geoffenbarter Schriften; mit seinem Bestreben, den Hauptgehalt eben dieser Schriften in streng* ster Übereinstimmung mit dem Leitfaden irgendeines sum= mus philosophus zu entwickeln, der hier freilich nicht Ari* stoteles, sondern Badaräyänä heißt; mit seiner scholasti* sehen Überspitztheit der logischen und grammatischen Sprachzeichen und Zeichensprache; mit seinem bevorzug* ten Verfahren endlich, die Wahrheit mittelbar zu erschließen durch Widerlegung des kontradiktorischen Gegensatzes der Wahrheit . . .
Jene buddhistische Lösung aber eines klassischen Zeit* alters der Religion ist freilich insofern für uns unverbindlich und unvorbildlich, als sie unter wesentlich anderen, unver* hältnismäßig günstigeren Umständen getroffen ward. Und doch ist sie gleichzeitig auch für uns wiederum verbindlich
52* 819
und vorbildlich, wofern sie überhaupt getroffen ward. Was Gotamo als religiöse Tat schlechthin vollbrachte und was er von seinen Jüngern vollbracht haben möchte, setzt zum un* endlichen Erstaunen des Abendländers weder das Dasein von Göttern irgendwie voraus, noch hebt es dieses Dasein geradezu auf: sondern bleibt gegen dieses Dasein ganz ein* fach gleichgültig. Wir finden hier eine Praxis und Diätetik, wenn man's lieber hört: eine .Hygiene' des Leibes und der Seele bis zur Vollkommenheit geübt und angewendet. Wir finden aber auch trotz des unbestreitbar religiösen Grund* zuges dieser Hygiene, Diätetik, Praxis jede Frage nach dem Sein oder Nicht*Sein Gottes als gegenstandlos durchaus beiseite gesetzt. Gotamo selbst, sicherlich der lebensüber* legenste Mensch aller Zeiten, läßt die Götter zu, wie etwa ein vornehmer Herr Gäste zuläßt, die nicht ganz seines Ranges, seiner Erziehung, seines Umganges sind. Er ist Wirt, Hausherr, Schloßherr, und erweist in dieser Eigen* schaft ohne jeden Abzug die volle Herzenshöflichkeit dessen, der beim Empfang und im Empfangen mitteilt, spendet und verschenkt. Da ich hier leider bloß zu Euro* päern rede und obendrein zu solchen von beispielloser Selbstentwürdigung, Selbstbefleckung und Selbstschändung, kann ich diese unbeschreibliche Haltung Buddhos gegen* über den Göttern nicht eigentlich begreiflich machen, — so wenig, wie ich diesem schlechten Europäer von heute das vorbildliche gesellige Zeremoniell begreiflich machen könnte, welches an diesem Wander* und Einsiedler*Hof des erlauchten Asketen, allen sonstigen Fürstenhöfen zur dauernden Beschämung, geherrscht hat . . . Genug, daß also nach dem Längeren Bericht vor Buddho bald die vedi* sehen Dreiunddreißig, bald Brahma der Himmelsjüngling in Person erscheinen, um sich in den Fragen des Heils sicheren Bescheid zu holen. Genug ferner, daß ganze Wir*
820
bei von Göttern, Dämonen, Geistern, Heiligen, Säligen aus allen Enden und Ecken der Welt herbeiströmen und jeden Winkel des Raumes ausfüllen, um Zeuge des ewigen Augenblicks zu sein, da der vollkommen Erwachte und Beiderseit*Erlöste zu seiner Erlöschung eingeht. Genug, daß Gotamo zwischen seiner vorletzten und letzten Fleisch* werdung den jenseitigen Göttern vorankommt „an himm* lischer Kraft und Fülle, an himmlischem Wohlsein, an himmlischer Macht und Herrlichkeit, an himmlischem Ge* sieht, Gehör, Geruch, Geschmack und Getast" . . . Diese Umwertung der Religion, unsäglich viel erschütternder noch als jede Umwertung der Werte, kaum faßbar unserem europäischen Bewußtsein und jedenfalls bis in die Finger*, bis in die Zehenspitzen uneuropäisch und rebellisch, sie er* eignet sich in Indien mit einer bezaubernden Selbstverständ* lichkeit, Gefälligkeit, Anmut, Güte, sozusagen lächelnd und scherzend, mit dem denkbar geringfügigsten Aufwand an Streit, Umsturz, Bürgerkrieg. Gotamo überwindet Gott und Götter des Brahmanismus, wie die Blüte ihre Knospe, wie die Frucht ihre Blüte überwindet. Die neue, gottlose Religion war eines Tages da, ohne daß man recht gemerkt hätte wie. Eine Gegnerschaft gegen den Brahmanismus be* stand, eine unverhehlte, unverheimlichte, unverhaltene, wer wollte dies leugnen? Und mehr noch bestand Gegnerschaft gegen die Brahmanen und falschen Asketen, gegen die Pfaffen, Mucker, Büßer, Selbstquäler, Nabelbetrachter, Sau* lenheiligen, Om* und Omcom*Stammler und sonstigen Ehr* geizlinge mißverstandener Kasteiung. Nirgends aber artet diese Gegnerschaft in Feindschaft oder gar in Feindsäligkeit, Verächtlichkeit, Gehässigkeit aus. Nirgends wird religiöse Andersgläubigkeit politisch mißbraucht. Nirgends finden Ketzerverfolgungen und Glaubensgerichte im Stil des Chri* stentums statt. Der Veda vermittelt (seinem Begriff ent*
821
sprechend) wesentlich ein Wissen. Gotamo aber zielt über* wiegend auf ein Tun, und schon dieserhalb enthält er sich eigentlich des Urteils über die brahmanische Gottesweisheit, Gotteswissenschaft: wahrhaftig nicht aus innerer Unent* schiedenheit heraus, sondern aus innerer Überzeugtheit, daß alles wirklich Not* Wendige just nicht das Wissen, just nicht die Meinung, just nicht die Ansicht beträfe. Ob die Welt erschaffen sei oder nicht erschaffen sei oder sowohl erschaffen wie nicht erschaffen oder weder erschaffen sei noch nicht erschaffen sei; ob die Götter entstanden wären oder nicht entstanden oder sowohl entstanden wie nicht entstanden oder weder entstanden noch nicht entstanden wären; ob die Seele sterblich sei oder unsterblich sei oder sowohl sterblich wie unsterblich sei oder weder sterblich noch unsterblich sei: diese Alternativen und Disjunktionen einer Religiosität, die sich immer noch mit genetischer Me* taphysik verwechselt, sie lehnt der Buddho schon als Prob* lerne ab mit einer gewissen großmütigen Gelassenheit der Gebärde. Die Theo*Kosmologien des Veda werden keines* wegs widerlegt, sondern sie werden erledigt, erledigen sich von selber, indem ihre Belanglosigkeit für die religiöse Tat und religiöse Leistung enthüllt wird . . . Wie beispielweis der heutige Staat seine Beamten wegen zunehmender Kränk* lichkeit oder vorgerückten Alters mit dem gesetzlich be* willigten Gehalt in den Ruhestand versetzt, so erklärt Go* tamo den gesamten vedischen Götterhimmel mitsamt dem allerhöchsten Brahma unter Gewähr einer ehrenvollen Be* handlung für a. D. Nirgends heißt es geradezu: Götter sind nicht. Überall jedoch merkt es der Eingeweihte: Göt* ter erübrigen sich, und kein Erwachender, kein Erwachter bedarf ihrer, bedient sich ihrer oder begehrt ihrer. Denn was Götter der Seele zu ihrem Heil erwirken könnten, das erwirkt der Erwachte für sich allein und von sich selber aus.
822
Als vierundzwanzig Jahrhunderte nach Buddho der Urne* ber des Zarathustra, in vielen wichtigen Stücken durch* aus der Buddho des gegenwärtig* künftigen Weltalters, nur mit westlichen Neigungen und Eigenschaften, nur mit westlichen Tugenden und Untugenden, nur mit west* liehen Vorzügen und Mängeln begabt, — als so viel später bei uns Nietzsche ein ähnliches, vielleicht sogar gleiches versucht, da geschieht es unter Donner und Blitz, Hagel und Sturm. Mit einem kaum zu bewältigenden Aufwand an Polemik vollzieht der religiöse Künder hier bei uns die Entthronung der Christengötter, ebenso heroisch wie dort asketisch, ebenso pathetisch wie dort eupathisch, ebenso zynisch wie dort ironisch, ebenso tragisch wie dort epopöisch*idyllisch, ebenso dithyrambisch wie dort elegisch, ebenso katastrophisch wie dort metamor* phorisch . . . Hier wird das Christentum angegriffen, ge* tadelt, verhöhnt, angeklagt, gescholten, beschimpft mit einer Hitze und Leidenschaft, die fast ganz außer acht läßt, daß ein Christentum dieses strengen und treuen Stiles längst nicht mehr lebendig, geschweige denn gefährlich war, daß die Ideale des schlechten Europäers seit Menschengedenken alles andere als die Ideale des Christentums waren: womit übrigens Nietzsche diesem verhaßten Christentum zum zweiten mal den unschätzbaren Gefallen erweist, wegen dessen er Luthern so sehr gram gewesen ist, — es nämlich für eine Weile durch die Wucht seiner Angriffe aus dem scheintoten Zustand in einen scheinlebenden rettet, just fünf Minuten vor dem endgültigen Sterbefall . . .
Wir aber, Verantworter der Zeit und Verantworter der Ewigkeit, die wir uns heute auf unsere Weise beide Vor* gänge, den gotamidischen und den zarathustrischen, zu eigen zu machen haben, wir stehen nun Aug' in Aug' mit der letzten und schwersten all unserer Fragen : was diese neu*
823
alte Religion ohne Götter denn eigentlich sei? Was die Religion .oberhalb der Gnaden', oberhalb der seienden Götter Himmels und der Erden sein könne, wenn nicht im besten Fall Mystik und mystischer Atheismus ; was sie sein könne ein, zwei oder drei Schritte über Meister Eckhardt hinaus? Was schließlich Religion als Tat sei, gesetzt sie bestehe darin, dem Menschen Selbstvergöttlichung als Ziel zu weisen? Und ob es am Ende nicht doch ein offenbarer Größenwahn sei, eine irre Lästerung, ein ruchloser Unsinn, ein frecher Schwindel, den Religionen unserer Vergangen* heit eine solche Tendenz zur Selbstvergottung als Zukunft der Religion zu unterstellen?
Der Argwohn indes, als mische sich dem Wunsch nach Selbstvergöttlichung, wie sehr er übrigens den eigentlichen .Sinn' überschreite, etwas von Widersinn oder gar von Wahnsinn bei, wird denjenigen nicht beirren, der sich von Gott und Göttern bisheriger Religionen mit wirklicher Aufrichtigkeit verabschiedete. Wer erst einmal den Ge* danken an den Schöpfergott als unangemessen hinter sich brachte (und sogar ein urchristlich urevangelischer Mann vom Schlag Lew Nikolajewitsch Tolstois scheint ihn hinter sich gebracht zu haben, wenn er im Tagebuch von 1896 den Glauben an ihn kurz als .absurden Aberglauben' ver* wirft, — wie andererseit der Swedenborgianer Balzac sei* nem Seraphitus das erstaunliche Wort in den Mund legt: „Indem ihr Gott den Schöpfer nennt, setzt ihr ihn herab. Er hat weder die Pflanzen, noch die Tiere, noch die Ge= stirne erschaffen, wie ihr meint" . . .); wer also, sage ich, bald nachher diesem abgewirtschafteten Schöpfergott auch denLenkersErhaltersHerrschergott, die göttliche Vorsehung und sittliche Weltordnung, den unerforschlichen Ratschluß und die inwohnende Weltvernunft mit allem Drum und Dran nachzuschicken sich ermannte; wer schließlich jed*
824
wede Vorstellung von Sein, Dasein, Sosein, von Seinwer* den und Werdensein, von Wesen und Gewesensein, von Wahrsein, Ewigsein, Unendlichsein sorgfältig abschälte von der Vorstellung Göttlich, Gott oder Gottheitlich: der wird es durchaus verschmähen, hinter dem Wunsch nach Selbstvergöttlichung nur die zucht= und fruchtlose Anstren* gung zu vermuten, dies arme, schwanke Menschenleben zum Leben einer Allmacht, Allweisheit oder Allgeistheit dreist emporzulügen, und keineswegs wird er dem dummen Frosch vergleichbar sein mögen, der sich unbedingt zum Ochsen aufzublasen gedachte und dieses seltsamlichen Wun* sches wegen elend zerplatzte . . . Wer vielmehr seiner Göt* ter tapfer sich entraten, sich entschlagen lernte, ohne doch vor seiner innersten Entscheidung mit ihnen zugleich nun auch die Religion als solche dahinzugehen, der wird sich klar geworden sein, daß für diese gesuchte, noch nicht ge* fundene Religion sicherlich nicht mehr in Frage stehen könnten die ehemals magischen Wandlungen, mystischen Einungen, enthusiastischen Wallungen, gnostischen Versen* kungen, intellektualen Schauungen, syllogistischen Rück* bringungen, dialektischen Bewegungen, wie sie dem Ur* wünsch der Religionen in früherer Zeit Verwirklichung zu winken schienen. Das einzige in Frage stehen Könnende zu dieser Stunde, wo die Religionen des Abendlandes ihrer theologischen Flitter entkleidet und als Religion nackend ausgezogen worden sind, das ist der Rest von Tat, übrig geblieben nach dem Abzug nicht nur sämtlicher erkennt* nismäßigen Bestandteile, sondern auch aller durch das ge* glaubte Dasein Gottes bedingten Heilsverrichtungen. Was als des Menschen Tat übrig bleibt, wenn er sich ohne Göt* ter selbst zu vergotten trachtet: das obliegt uns jetzt noch festzustellen, darzustellen; — in etwas anderer Wendung festzustellen, darzustellen, auf welche Weise das in allen
825
höheren Religionen gleiche Mysterium der Tat fortzuführen wäre, nachdem die Eingriffe und Mithilfen eines Gottes in Fortfall geraten sind. Dieses Mysterium aber der Tat, so* viel steht als unantastbares Ergebnis dieser nunmehr durch* laufenen Gestaltwandlung der Götter Europas fest, es offen* barte sich je und je in bemerkenswert doppelter Verrungen* heit auf dreierlei Weisen: als Verschuldung und Entsühnung nämlich, als Opfer und Wiedergeburt, als Schöpfung und Erlösung . . . Entweder in diesen Tatverrungenheiten oder nirgends sonst ist die religiöse Leistung gottloser Religio* sität zu suchen. Gelingt wirklich hier der Erweis, daß sie den abgetanen Glauben und Afterglauben an Gott und Götter sieghaft überstehen, dann ist die atheistische Zukunft der Religion über jede Anzweiflung hinaus gesichert. Ge* lingt das schier Unmitteilbare hier mitteilbar zu machen, was nämlich in den Heilshandlungen überlieferter Religio* nen teils als Verschuldung und Entsühnung, teils als Opfer und Wiedergeburt, teils als Schöpfung und Erlösung gleich* sam von Ewigkeit her (wie unsere Mystiker sagen) zum Vollzug gelangt, rein als der menschheitliche Vorgang ab* gelöst von jeder Bezugnahme auf seiende Götter betrachtet, — nun wohl! dann ist auch meine Aufgabe hier tat* und grundsätzlich zu ihrem glücklichen Ende gediehen und vollführt . . . Wie also verhält es sich mit diesem dreifach gedoppelten Mysterium der Tat? Wie steht es mit dieser Religion der Religionen, die da in Zukunft einzig Heils* Verwirklichung verbürgen wird? Worin besteht die dop* peltgeknüpfte Tat Verschuldung und Entsühnung, die fort* an auch dem Gottlosen, ja besonders und ausschließlich ihm für göttlich zu gelten hätte? Worin besteht Opfer und Wiedergeburt, worin Schöpfung und Erlösung, die der fromme Mensch der neuen Zeit feierlich wieder auf sich zurücknimmt, nachdem er sie einst Gott oder Göttern als den
826
Vollstreckern eigenen Wünschens, eigenen Wollens frei* gebig unterstellt hat?
Wenden wir uns in diesem dreigestaltigen Mysterium zunächst dem ersten zu, so entgeht uns freilich keineswegs der auffällige Umstand, daß es in den Religionen der sei* enden Götter regelmäßig die Schuld zu sein pflegt, die den Menschen vom Gott scheidet, indes erst die Sühnung ihn wieder an den Gott bindet. Ziemlich allgemein war die Auffassung bestimmend, Gott als den Reinen, Unbefleckt ten und Unbefleckbaren im buchstäblichen Sprachverstand zu entschuldigen: dafür aber den irdischen Gegenspieler Gottes mit Schuld zu belasten, deren Tilgung ihn erst nach* träglich wieder gottbürtig, gottwürdig erscheinen lasse. Keineswegs die Verschuldung, vielmehr die Entsühnung wird als heilförderliche Tat erachtet, und dies zwar mit desto größerem Nachdruck, je entschiedener das Dogma der Theologie die Unschuld Gottes im Vergleich zu mensch* licher Verschuldetheit hervorhebt. Insbesondere weigerte sich das Christentum mit äußerster Hartnäckigkeit eines schuldverfallenen Gottes , so daß es im wesentlichen den tragischen Griechen vorbehalten war, folgerichtiger, sinngetreuer, wahrheitgemäßer den Gott grundsätzlich nicht weniger schuldig zu befinden wie den Menschen. In der unendlich lebensträchtigen Überzeugung, daß die Sühne durchaus ein Mittel der Selbstvergöttlichung sei, daß folg* lieh die Sühne wollen müsse, wer Selbstvergöttlichung an* strebe : die Schuld aber gleichfalls wollen müsse, wer die Sühne als Mittel jenes Zweckes bejahe, — in dieser tiefge* gründeten Überzeugung schreckt der tragische Grieche nicht davor zurück, die feste Doppelschürzung Schuld* Sühne dem Gott selber aufzuerlegen. Göttlich bedeucht es diesen frömmsten Sohn unseres heidnischen Altertums, be* gangene Schuld durch Leiden oder Sterben zu verbüßen
827
und dadurch das verletzte Grundgesetz des Lebens wieder* herzustellen : wie sollte es ihn da ungöttlich auch für den Gott bedünken, die eigene Unversehrtheit dran zu geben, um die sakrale restitutio in integrum an sich selber zu voll* ziehen? Göttlich war ja die Sühne, göttlich infolgedessen erst recht die Schuld, — wie übrigens auch bei den altger* manischen Äsen, die sich bekanntlich tief und tiefer im Kampf mit den Vanen, im Kampf um das Gold verstricken, bis einst auch ihr Untergang sühnt! Außerstand, sich die* ser schönen Treue zur Tat in eigener Tat anzuschließen, aber auch außerstand, auf den Vorgang der Vergöttlichung durch Wiederherstellung kurzerhand zu verzichten, findet das Christentum an einer verhängnisvollen Halbheit Ver* gnügen und Genüge, indem es die Schuld dem Menschen allein, die Sühne dem Gott allein zuwälzt und damit die streng geschürzte Doppelknotung der Heilstat auseinander* reißt. Seither schleppen sich die christlichen Jahrtausende mit einem Sühnegott, der selber nichts verschuldet hat, und mit einem Sündenmenschen, der selber nichts zu sühnen vermag, — religiös gesehen also mit einer Wirkung ohne Ursach' und mit einer Ursache ohne Wirkung. Kaum wird ein zweites Beispiel von dieser Kraßheit anzuführen sein, wo theologischer Wahn die religiöse Tat so bar jedes Ver* ständnisses vernichtete, — so sehr, daß der heutige Mensch, trotz des sehr erfahrenen, sehr frommen .Sündige herzhaft' Luthers, jede Verschuldung ipso facto als erbrachten Erweis vollbrachter Entgöttlichung, ja Widergöttlichung zu schätzen bereit gefunden wird, das innig Göttliche solchen Vor* kommnisses nicht von fern mehr ahnend . . .
Etwas wie eine Rückkehr zu jenen tragischen Griechen scheint mithin uns Nichtmehrchristen an der Zeit, die wir begierig sind der religiösen Tat in ihrer Unzerbrochenheit und Unentstelltheit, — ob auch natürlich eine Rückkehr
828
unter dem einschränkenden Vorbehalt frei bekannter Gott* losigkeit und *ledigkeit. Denn eben weil wir aus neu ent* fachten Instinkten für Religion innerhalb der Religionen die Schuld wieder auf uns zu nehmen gerüstet sind, können wir unmöglich im Sinn tragischer Griechen diese Schuld als Vergehen wider den Gott deuten, der nicht be* steht und nicht da ist: was sie doch sogar noch bei jenen trotzigen Umstürzern homerisch=epischer Weltgesinnung geblieben ist, wo der jüngere Gott am älteren, der ältere Gott am jüngeren schuldig zu werden pflegt, um seiner* seit der Sühnepflicht anheim zu fallen. Schuld als Verletzung göttlicher Ehre und Heiligkeit, und sei es die Verletzung durch den Gott selber, das wäre dem gott* los Frommen der neuen Zeit und des neuen Geistes ein schlechterdings unannehmlicher Gedanke: falls er sich schuldig kennt und fühlt, muß das auf völlig andere Art geschehen. Unmöglich kann die Schuld, in deren felsiges Labyrinth auch wir uns verirrt wissen, im Vergehen gegen Gott bestehen, — statt dessen aber kann sie, nein muß sie bestehen im Vergehen gegen eben jenes bessere Bewußt* sein in uns, welches zu unserer Vergöttlichung drängt. Daß auch die Stärksten stets soweit hinter ihrer Stärke zurück* bleiben; daß auch die Besten nur an ihren Sonn* und Feier* tagen wirklich gut sind; daß auch die Lautersten in allerlei Unlauterkeiten hinuntertauchen müssen; daß auch die Tap* fersten irgendwann ihrer Furchtsamkeit erliegen; daß auch die Fruchtbarsten von Zeit zu Zeit Frucht, Laub und Blatt fallen lassen; daß auch die Reichsten bei Gelegenheit betteln bei den Armen gehen; daß auch die Liebendsten keines* wegs immer ihre Liebe spenden ; daß auch die Geduldigsten so oft vor Ungeduld unreife Schicksale brechen; daß auch die Stolzesten für leere Eitelkeiten nicht zu stolz sind ; daß auch die Tiefsten zum Atmen an ihre Oberfläche steigen
829
müssen; daß auch die Einsamsten hie und da um schlechte Gesellschaft buhlen; daß auch die Gerechtesten von der Ungerechtigkeit zehren; daß auch die Geistigsten manchmal auf platten Füßen wandeln; daß auch die Weisesten sich heimlich selbst zum Narren halten; daß auch die Barm* herzigsten noch voller Grausamkeiten stecken; daß auch die Fröhlichsten im Abgrund ihrer Traurigkeit versinken; daß auch die Biedersten hinter jeder Falte einen Schalk sitzen haben; daß auch die Neidlosesten noch um die Ecken schielen; daß auch die Ehrlichsten nicht des Betruges missen können; daß auch die Wahrhaftigsten sich mit der Lüge wehren; daß auch die Saubersten in diesem oder jenem Müllhaufen schnüffeln; daß auch die Ehrfürchtigsten bei* leib' nicht jedes Fremden Ehre fürchten; daß auch die Keu* schesten sich mit des Freundes Weib zumindest im Traume gatten; daß auch die Friedfertigsten die Fliege tatschen und die Spinne tottreten; daß auch die Treuesten vor Hahnenweckschrei zweimal sich selber und zum dritten mal die Treue verleugnen; daß auch die Zuverlässigsten sich wie die Windfahnen mit dem Wetter drehen ; daß auch die Einfältigsten voller Listen und Schliche sind ; daß auch die Adeligsten in den Armen der Gemeinheit ausruhen; daß auch die Fleißigsten im Geiste schwach und trag im Fleische sind . . ., dies alles, dies alles, und was nicht sonst noch macht sie schuldig vor sich selber, macht sie zu Schuldnern ihrer Selbstheit! Denn eines jeden Menschen Menschlichkeit, — und hier berühre ich die Stelle, wo sich die Religion für einen Augenblick wirklich mit der Moral zusammenfindet, mit der sie sonst wahrlich wenig genug zu schaffen hat! — eines jeden Menschlichkeit also hat einen Pegelstand von wechselnder Höhe und Niedrigkeit, weshalb ein jeder der Täter höherer und niedrigerer Taten ist. In den Zeiten hohen Pegelstandes begeht er Handlungen, die er sich
830
willig zuschreibt, und zu welchen er sich gern bekennt. Aber in Zeiten tiefen Pegelstandes begeht er Handlungen (und vielleicht mehr noch Unterlassungen), deren Urheberschaft er sich bei höherer Peilung wieder aufs heftigste schämt. Er möchte vergessenmachen, möchte widerrufen, möchte bereuen: alles umsonst! Denn bereits hat seine Tat be* gönnen, sacht sich von ihm abzuschnüren, wie sich die Geißelzellen zahlreicher species von Radiolarien von ihren Elterntieren, Elternpflanzen abschnüren, ausschwärmend zum Behuf der Fortpflanzung und überall hinschwimmend, hingeißelnd, hinstrudelnd. Ganz ähnlich pflanzt die Tat sich fort, in unbekanntesten Lagen und Bezirken der Wirk? lichkeit neue Taten in endloser Reihe fort und fort zeugend, fort und fort dabei wider ihren Täter zeugend. Unwider* ruflich und unabänderlich weiterlebt die Tat an und für sich, weiterlebt sie an anderen und für andere; unaufhalt* sam, glatt und lautlos läuft das Rad um seine wohlgeschmierte Achse. Gleichsam unendliche Botschaften und Meldungen ergehen vom Urheber an alle Wesen aller Welten, Mel* düngen und Botschaften, die zwar (vielleicht!) bei wachsen* den Abständen in ihren Wirkungen wie die Lichtstärken selbstleuchtender Körper schwächer werden, niemals aber zur Null und Nichtigkeit abschwellen. Alles Getane hat seine unübersehbar strengen Folgen, deren sich der Täter unter keinen Umständen mehr entledigen kann, und von allen Gewißheiten des Lebens ist ohne Zweifel das die ge* wisseste, daß jede Tat zu ihrem Urheber eines Tages wie* derkehrt, wie etwa ein Bumerang seinem Schützen wieder in die Faust zurückspringt, wenn es seines lebendigen Zieles fehlte: „Erben der Werke sind die Wesen", sagt ein indi* sches Wort tief einprägsam und viel bedeutend ... Es ist wohl richtig, nicht jede Tat kehrt als Schuld zu ihrem Täter zurück. Als Schuld doch aber jede Tat, die im Seelenstand
831
niederer Peilung geschah, im Seelenstand der Unzuläng* lichkeit für das eigene Maß. Uns derartiger Handlungen bewußt, sind wir über unseren Unwert hart betroffen; uns selbst befragend, verstehen wir es nicht, wie jene schmerz* liehe Begehung, verwerfliche Unterlassung damals hat statt* finden können. Außerstand, geschehene Tat zurückzu* nehmen, entsetzt über ihren Weg, der mit grausamer Un* fehlbarkeit über hunderttausend Abwege und Umwege zu ihrem Täter zurücktastet, möchten wir der Verantwortung entbunden sein und sagen dürfen: jene Begehung oder Unterlassung entsprang wohl fremdem Einfluß, fremdem Zuspruch; sie lag am heuchlerischen Feind, am falschen Freund; sie war die Versuchung des schlechten Weibes, die Lockung des schwachen Augenblicks ; sie ward erzwungen von der Not der Umstände, von der Macht der Verhält* nisse, — nicht aber bin ichs gewesen, wahrhaftig nicht ich, der damals entschied und sich entschied . . . Und vielleicht spricht aus dieser Ausflucht vor sich selber nicht einmal die bloße Verlogenheit. Vielleicht bin ich, die Tat vor mir jetzt verwerfend, wirklich gar nicht mehr ich, der einst die Tat beging oder unterließ. Vielleicht ist das Ich, welches die Tat brandmarkend von sich abzuwälzen trachtet, dem Ich, welches für die Tat haftbar ist, haftbar gewesen ist, nicht viel ähnlicher als zwei beliebige Persönlichkeiten sich ahn* lieh sind, mit dem Unterschied freilich, daß jenes und dieses Ich in zeitlicher Stätigkeit lebendig verkettet sind. Vielleicht hab' ich zwischen meine Tat und mich längst einen neuen Menschen wie eine Wand, wie eine Mauer, wie einen Turm gestellt, einen neuen Menschen, dem keinerlei Urheber* schaff von jener Tat zur Last gelegt werden darf. Wobei es allerdings höchstmeine eigene Schuld bleibt, nicht damals schon der Heutige gewesen zu sein. Ist es mithin gut aus* denkbar, daß die lebendige Beziehung zwischen Tat und
832
Täter eines Tages zerreißbar würde, wofern man der alten Tat einen Täter unterschöbe, der sie als Wesensäußerung ganz einfach ausschlösse, — immerhin bleibt die Verant* wortlichkeit von vorhin derart in Kraft, daß sie zwar nicht eigentlich mehr die Tat, wohl aber den Täter selbst betrifft. Auch jetzt ist eine Schuld im vollen Umfang zu bejahen mitsamt all ihren nachträglichen Wirkungen, Weiterungen, Verhängnissen, daß der Täter nicht immer schon der war, der er hätte sein können, ja der er eigentlich ist; — welcher Trost liegt aber nicht darin, daß keiner von uns weiß, wer er eigentlich ist: keiner folglich an seiner Fähigkeit zu allen hohen guten Dingen zu zweifeln oder gar zu verzweifeln braucht! — daß wir zwar also damals unsere Taten nicht vermeiden konnten, wohl aber unser Selbst zu anderer Täterschaft hätten bestimmen können, bestimmen sollen, bestimmen müssen . . .
Hier glimmt indes gleichzeitig an diesem verhangenen Himmel schon eine zarte Hoffnung auf. Kann aufrichtiger* weis niemand sich der Verantwortung entschlagen für seine Täterschaft und damit auch nicht für seine Tat, so steht es eben darum in der Freiheit eines jeden, seine Schuld mit der einzigen Münze zu bezahlen, die hier gangbar ist: nämlich mit sich selbst, dem eigenen Selbst. Immer wieder, be* hauptete ich vorhin, stoße jeder Urheber und Urtäter im Leben auf die unverwischten und unverwischbaren Spuren seiner eigenen Handlungen, einem verirrten Reiter in der Prärie vergleichbar, der nach aufreibendem Tagesritt am Abend endlich auf eine Menschenfährte gerät, um zu seinem Grausen, vielleicht zu seinem Verderben wahrzunehmen, daß dies seine Fährte ist und er Stund' um Stund' des kost* baren Tages im Kreis herumgeritten ist. Einmal jedoch, fahr' ich jetzt weiter, könnte es sich ereignen, daß die Tat zwar abermals zu ihrem Urheber wiederkehre, — er unter*
53 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 833
des aber ein völlig anderer geworden wäre, ein nämlich mit sich selber wunderbar Vertauschter: vergleichbar einem anderen Reiter, der gleichfalls untertag im Kreise ritt, in* zwischen aber seinen abgetriebenen Gaul mit einem noch unverbrauchten aus der Grassteppe selbst ausgewechselt hat und folglich den Tag in die Irre nicht als dringende Gefähr* düng seines Lebens fürchten muß. Fand er die Tat unänder* lieh, unabänderlich, so dünkt ihm wenigstens der Täter nicht unbildsam und unwandelbar. An ihm hat er in der Zwischenzeit so unablässig geknetet, gebosselt und geformt, bis er zuletzt der geworden ist, der er in seinen besten Stun* den ehemals zu sein begehrte. Jetzt hat die Sühne die Schuld eingeholt und ereilt, jetzt hat die Sühne die Schuld aus* geglichen und getilgt: nicht aber dies durch eitle An* strengungen, Geschehenes ungeschehen, Unwiderrufliches widerruflich zu machen; weniger noch durch nutz* und ruhmlose Büßungen, Peinigungen, Zerknirschungen, die Gewissensbiß und Reue ausdrücken wollen, — vielmehr schlichter und durchgreifender, wenn auch bei weitem be* schwerlicher, durch Selbstverwirklichung eines neuen Entschuldigten und Unschuldigen, der den Täter der verrufenen Tat endgültig unter sich gebracht hat. Hat einer sich an sich selbst, hat einer sich an seinem Selbst vergangen, dann ist er sich eben ein neues Selbst schuldig geworden. Mit diesem möge er sühnen, und Gott in Person, wenn es Gott gäbe, könnte nicht gött* licher mit ihm und sich verfahren. Man schuldet und man sühnt, will heißen, man war jener und ist dieser geworden. Man schuldet und man sühnt, will heißen, man verzeiht sich vielleicht seine Tat, zeiht sich aber desto strenger seiner Täterschaft. Man schuldet und man sühnt, will heißen, man wirkte unter seiner Würde und erwirkt seine Würde Man schuldet und man sühnt, will heißen, man verant*
834
wortet die Tat ohne Abzug, entwächst jedoch der Täter* schaft und übergrünt sie . . .
Nicht die Verschuldung ist infolgedessen das Anzeichen der Entgöttlichung des Menschen, sondern die Weigerung, schuldig zu werden. Diese Weigerung ist dem Menschen durch und durch natürlich, und als natürlicher Mensch zer* bricht er hundert mal lieber an sich selber, läßt tausend mal lieber andere an sich zerbrechen, eh' daß er seine Schuld auf sich nimmt oder gar seine Schuld bekennt. Kein Streitfall und keine Feindschaft zwischen Einzelnen, kein Krieg und kein Kampf zwischen Völkern, wo sich die Gegner nicht bis ins Mark ihrer Seele selbst vergifteten durch das unsterb* lieh fluchwürdige : ich bin unschuldig, du bist schuldig, du bist schuldig, ich bin unschuldig . . . Wie zahllos oft hat nicht dies Höllenwort jede beginnende Verständigung zwi« sehen Menschen wie mit einem Fallbeil jählings geköpft und abgeschnitten ; wie zahllose male hat es nicht schüch* terne Liebesregung in gärendem Todhaß wie in einer Dung* und Jauchegrube erstickt und ersäuft. Ich bin unschuldig, du bist schuldig : das ist der blechern scheuernde Kehrreim des bösen Geistes Mensch, der da die Frechheit hat, sich auf« zuwerfen zum Richter über Menschen, ohne Gericht je über sich selbst zu halten. Ich bin unschuldig, du bist schuldig : so meckert und blökt und kräht des Teufels Stimme, der es nie fassen wird, daß Fallen und Schuldigwerden je und je das kost* liehe Himmelsvorrecht der Engel und Götter gewesen ist . . . Schuldlos zu sein behaupten heißt daher nicht allein, daß sich der Mensch wie er just geht und steht, mit allen seinen Bosheiten, Ruchlosigkeiten, Grausamkeiten viehisch wohl gefällt; heißt nicht allein, daß der Mensch noch nie die eigentliche Wallung seiner Menschlichkeit, die warme Scham, an sich erfahren habe ; heißt nicht allein, daß der Mensch dahin verdumpfe, dahin flegle ohne Ziel und Maß
53* 835
seiner selbst wie Pflanze oder Tier; — schuldlos zu sein be* haupten heißt vielmehr niemals noch inne geworden sein des frommen Urwunsches nach Vergottung und Vergött* lichung des Selbst. Von allen schlimmen Wölfen hinter Schafsgesichtern ist der Unschuldige der schlimmste Wolf, denn er frißt sein Opfer, nicht weil ihn hungert, sondern da* mit dem Opfer vor Gott und Menschen recht geschehe, recht vor dem Allauge der Königin Sonne selber. Wer seine Unschuld laut beteuert, beteuert somit nur seine Verstockt* heit und Verlogenheit. Denn er gibt vor, in allen Lagen seines Daseins stets der Höchste und Beste gewesen zu sein, der er unter günstigen Umständen und bei rastlosem Aufwand vielleicht, vielleicht hätte sein können. Wer seine Unschuld laut beteuert, beteuert somit seine Trägheit, seine Faulheit, denn er schleicht der Schuld als der Aufgabe seines Lebens auf den Zehen aus dem Weg und scheut es, Herr über sie zu werden und mit ihr sich selbst zu über* winden. Wer seine Unschuld laut beteuert, ja der beteuert schließlich unwissentlich aber unwiderleglich seine Schuld, denn wo gäbe es eine heillosere Schuld als die, dem Nach* sten überall die Schuld aufzubürden . . . Wenn eine Schuld unsühnbar ist, dann ist es diese, weil sie den Wunsch zur Sühnung und Entschuldigung unterdrückt, den Willen zur Selbständerung und Selbstwandlung erwürgt, die Sehnsucht nach Genugtuung und Genügetat erstickt. Der Unschul* dige ist weder menschlich noch göttliches Wesen, sondern moralisches Ungeheuer, moralische Ausgeburt vornehm* lieh solcher Zeiten und solcher Rassen, die die Moral mit der Religion verwechselt haben und wähnen, es zieme Mensch oder Gott, sich in Reinheit zu erhalten, anstatt sich an die Welt hingegeben zu verlieren und von ihr befleckt nicht Reinheit, aber Reinigung nachträglich zu erwirken. Der Unschuldige ist endlich, man glaube mir's, der Irreli*
836
giöse schlechthin, der gezüchtete Typus des bloß biologi* sehen Menschen, der sich seiner vorgefundenen Beschaffen« heit freut und aus angeborener Abneigung gegen die Reli* gion überhaupt unangreifbar zu machen verstand gegen jedweden Antrieb von außen oder innen zur eigenen Ver* gottung. Der Unschuldige kehrt und wehrt sich gegen die Schuld, weil er sich gegen die Sühne kehrt und wehrt. Er weigert sich, für das Leben den einzigen Preis zu entrichten, den das Leben notwendig kostet — das Selbst, das viel* gehätschelte, äffisch verzärtelte Selbst. Und nicht ist das geflügelte Ecce*homo*Wort in seinem Gemüt auch nur bis unter die Haut gedrungen: „Ein Gott, der auf die Erde käme, dürfte gar nichts anderes tun als Unrecht, — nicht die Strafe, sondern die Schuld auf sich zu nehmen, wäre erst göttlich . . ." Ein Wort, das wie kaum ein zweites die in einer Notreife gediehene Frucht der Zukunft unserer Religion rasch zufahrend vorweg pflückt . . .
Ein fernes, aber reines Echo von der Einsicht, daß dem Schuldbejahenden der Rang vor dem Unschuldigen ge* bühre (am stärksten wie gesagt erfühlt von den tragischen Griechen), es klingt noch nach in dem unbegreiflichen und unbegriffenen Wort des Evangeliums: „Widerstehet nicht dem Übel." Was not tut, ist tatsächlich die frei über* nommene Verantwortlichkeit für alle Handlungweisen, aus denen Übles wuchert und die aus Üblem wuchern in end* los vielen Graden und Maßen : die Verantwortlichkeit und mit ihr die Pflicht der Genugtuung und Sühnung. Nicht um seine Unschuld, — um seine Schuld trägt der göttliche Mensch die tiefste Sorge: nicht allein um seine Urheber* schaft an unmittelbar ihm beizumessenden Begehungen oder Unterlassungen, sondern genau so sehr und mehr noch um seine mittelbare Urheberschaft, Miturheberschaft an allen Begehungen und Unterlassungen überhaupt. Sich
837
schuldig wissen, als Schuldiger einstehen wollen auch für Taten und Handlungen, die zu jeder Zeit und an jedem Ort geschehen, zwar ohne nachweisliche Beteiligung des eigenen Selbst, aber doch unter einer Art von Mitbetei* ligung desselben nach Maßgabe seiner Gliedschaft inner* halb aller Menschengemeinsamkeit: das hat als Anzeichen echter und wohlverstandener Heilsbedachtheit durchaus zu gelten. Der höhere Mensch ist eingedenk, daß er als Stell* Vertreter aller für die Untaten und Vergehen, für die Greuel und Verbrechen aller mitverantwortlich zeichne, mitverant* wortlich hafte. Die ungeheuerliche, nicht einmal von Satan auszuträumende Menge des Unrechts, welches die mensch* liehe Gattung in jedem Zeitteil verschuldet, sei es, daß sie das Unrecht zulasse und dulde, sei es, daß sie das Unrecht verursache und begehe, — und ich könnte mir ein göttlich erleuchtetes Menschenbewußtsein denken, dem geduldetes und verursachtes Unrecht ein und dasselbe wäre! — diese Last von Unrecht also ergibt dem Frommen der neuen Zeit das Maß seiner Mitschuld und dieses ihm wiederum das Maß seiner Sühnpflicht. Weil alle ohne Hemmnis und Schranke übel tun, hat auch er auf gewisse (dem Verstand freilich nicht genau zu beglaubigende) Weise teil an der Gemeinschaft Übeltat und Übelwerk; hat er teil folglich an der Vermehrung dessen, was er von seinem besseren Selbst aus verurteilt und verwirft. Keineswegs obliegt es ihm gleichsam als dem »Ewigen Christen' die Rolle des Lammes zu spielen und der Welt Schuld auf sich zu nehmen und zu sühnen, — nichts weniger als dies. Nicht die Schuld Fremder zu sühnen, sondern mit Fremden und an ihnen schul* dig zu werden, wofern er ihnen allen angehört und mit ihnen allen verbunden ist, — dieses obliegt ihm. Auch die Schuld dieser dort ist deine, auch die Schuld jener dort ist meine Schuld, spricht der Göttliche zu sich selber, die Missetaten
838
der Gesellschaft bei sich überschlagend, manchmal gepackt von Grausen, gewürgt vom Ekel, geschüttelt von Verzweif* lung, vergiftet von Bitterkeit, aufheulend vor Ohnmacht, heimgesucht sogar manchmal von Entleibunggedanken. Womit die Völker sich in jeder Stunde ihres Daseins selber besudeln, damit gewahrt er auch sich, oh Trübsal ohne TrostI an eigener Leib*Seele besudelt, und nie hört er von einem Werk der Schmach, des Hasses und der Rache, das nicht als Same künftiger geiler Tracht auch in seinem Busen keimte. Denn alles Leben, das ist ihm längst aufgegangen, ist schließlich Mitleben und Miterleben; Mitleben aber ist unter allen Umständen Mittaten und Mitunterlassen, Mittöten und Mitstehlen, Mitbuhlen und Mitehebrechen, Mitheucheln und Mithecheln, Mitbetrüben und Mitver* wunden, Mitlästern und Mitenttäuschen, Mitschwindeln und Mitübervorteilen, Mitbetrügen und Mithintergehen. Eine ungenannte, unnennbare Schuld als Schuld jedermanns läuft hinter jedem wie ein Schweiß* und Bluthund drein und weiß ihn aufzustöbern, aufzuschnobern noch in den winkligsten Einsiedeleien, wohin einer aus der Gesellschaft anderer in die Gesellschaft mit sich selber flieht, die viel= leicht nicht minder unheilvoll als jene ist . . . Der Ungött* liehe jagt diese Schuld von seiner Schwelle und wälzt sie seinen Nächsten zu. Der Göttliche aber heißt sie viel* willkommen, indem er ihr seinen Namen und seine Ver* antwortung leiht, sich selber sozusagen auf die Schuld und die Schuld auf sich selber taufend. Schuldig als Gat* tungü und als Einzelwesen, sühnt er als Einzelwesen für sich und die gesamte Gattung. Und wenn überhaupt, darf wahrlich dieses menschliche Mysterium göttlich ge* nannt werden, denn dies ist eben unser menschlichst Gott* liches, daß wir die unbeglichene Schuld aller mit uns selbst begleichen, die wir selbst irgendwie alle sind und mitsind . . .
839
Der Menschgott gleichsam ein Werkzeug eigener Reini* gung, Sühnung, Genugtuung, Wiederherstellung, griechisch gesprochen der Menschgott ein Kathartikon, — ungefähr das schält sich als süßer Kern des ersten Mysteriums aus den darren Schalen der Theologie und Dogmatik europäi* scher Religionen. Das Entscheidendste mußte dabei frei* lieh auch jetzt Mysterium sein und bleiben, weil es ja nicht als Wort sich an die Vernunft, sondern als Antrieb an die Tat wendet. Ob und wieweit das mühsälig hier Umschrie* bene wirklich religio, wirklich Bindung, Verbindlichkeit und Gelübde sei, wird folglich nur der endgültig für sich bejahen, endgültig für sich verneinen dürfen, der das dop* pelt geknüpfte Tun der Verschuldung*Sühnung wirklich für sich geleistet hat. Einzig der durch dieses Tun herbei* geführte Zustand ist die zulässige und zuverlässige Probe, die hier überhaupt zu machen ist. Hier gibt es keinen Ein* wand und keinen Beweis als allein die Erfahrung an sich selbst. Wer sie verschmähte, hätte sicherlich keine Religion. Indes auch wer sie aufsuchte, dürfte zwar von sich bekennen, daß er Religion habe, — aber nicht mehr noch als einen Anfang der Religion. Von den drei großen Weihen des Mysteriums hätte er nur die erste und niederste erworben. Denn der gottlos Fromme künftiger Weltzeit hat nicht nur sich selber mit Schuld zu bebürden, sondern ihm ziemt es außerdem, das Opfer darzubringen. Nicht nur winkt ihm als Preis bejahter Schuld die Sühne, sondern als Wirkung des Opfers die Wiedergeburt höherer Grade. Ihm steht es in Freiheit zu, das seltenere Mysterium anzutreten vom Opfer und der Wiedergeburt, und abermals müssen bettelhafte Worte zu umschreiben trachten, was lediglich die starke Tat voll* bringen kann.
An diesem doch schon weit vorgeschobenen Punkt die geschichtlich ältesten und üblichsten Deutungen und Bedeu*
840
tungen der Opferhandlung noch einmal heranzuziehen, kann unmöglich unsere Absicht sein. Genug, daß wir durch frü* here Darstellung ein Recht erhielten, alles für frühere Welt* zustände allein Bezeichnende außer Betracht zu lassen. In* Sonderheit berührt uns die urchristliche Lehre vom Opfer als der Darbietung eines stellvertretenden Mittlergottes zur Rettung einer sündenverstrickten Menschheit nicht mehr im leisesten: dieser von Paulus zwar etwas aufgemachte, immer aber noch unsäglich rohe und grausame Blutglaube und Aberglaube eiszeitmenschlicher Vergangenheiten. Schauerlich darüber belehrt und aufgeklärt, was aus schuld* los oder schuldig vergossenem Blut an Pest* und Schwefel* dämpfen auf gen Himmel raucht, haben wir feierlich abge* schworen dem Wahn vom Heilszauber vergossenen Blutes. Mag einst geopfert worden sein, um die Seelen nah* ver* sippter Abgeschiedenen im Schattenreich zu bedienen oder zu ergetzen; mag geopfert worden sein, um gnä* digen Göttern zu danken oder beleidigte Götter auszu* söhnen; mag geopfert worden sein, um in die Gemein* schaff säliger Geister einzutreten und mit einem höchsten Wesen in Verbindung zu gelangen, so liegen diese an sich sinnreichen Gebräuche doch heut' in großer Entfernung hinter denen, die der Zukunft ihre Botschaft künden wollen. Diesen alten (und unstreitig auch veralteten) Vorstellungen innerlich sehr überlegen ist offenbar eine dreifach voll* zogene Auswirkung der Opfertat, die sich neben den theo* logisch begründeten Gebräuchen der christlichen Religionen (und ihrer nicht allein) geltend gemacht hat. Es ist dies erstlich das Opfer des Besitzes, zweitens das Opfer der Per* son, drittens das Opfer des Lebens, welches unabhängig von allen dogmatischen Begriffen immer wieder gefordert und immer wieder dargebracht wird. An diese Dreigestalt des Opfers, meine ich, wäre daher passend anzuknüpfen,
841
falls man den zweiten Teil des hohen Mysteriums .Religion überhaupt' im Ernst begehen und mit Andacht feiern wollte : hier scheint sich mir in zeitlich gebundenen Gebräuchen ewig Gültiges anzukünden. Hinsichtlich dieser drei Hand* lungen haben sogar die theistischen Religionen der Ver* gangenheit einer näheren oder ferneren Zukunft der Religion mächtig vorgearbeitet, und zwar desto wirksamer, als sie das entscheidende Vorkommnis dreimal aus dem Zirkel himmlischer Götterkreise hinausgewiesen haben, um mit stets zunehmender Besonnenheit das Opfer sowohl des Be* sitzes wie des Selbstes und des Lebens der religiösen Leistung des Menschen selber zuzusprechen. Ich stehe nicht an, in dieser Verirdischung und Vermenschlichung des hohen Mysteriums Opfer* Wiedergeburt die tiefste, eindruckvollste Rechtfertigung zu finden der weltgeschichtlichen Entwick* lungen vom katholischen zum protestantischen Christentum, ja ganz allgemein von katholischer zu protestantischer Reli* giosität . . .
Stark eingewurzelt von Natur, sagte ich vorhin, sei offen* bar dem Menschen der merkwürdige Hang, sich wider jedes Schuldigwerden, Schuldigsein mit Hand und Fuß zu stem* men und viel lieber an eigener Schuld zu zerbrechen, viel lieber Feind und Freund, Kind und Geliebte, Weib und Nach* bar an der eigenen Schuld zerbrechen zu lassen, eh' er sich für Getanes oder Unterlassenes schlicht verantwortlich be* kenne und aus freien Stücken gebotene Sühne leiste. Der nämliche Hang nun, muß ich jetzt weiter fahren, verstockt denselben eigensinnigen Menschen aber auch gegen die göttliche Tathandlung des Opfers. Noch schwerer, noch unlustiger entringt er sich das Opfer zur rechten Zeit; leicht* hin legt er das Opfer, das er selbst mit Mühe oder gar nicht darbringt, nur den anderen auf; fast niemals kann er sich zum höchsten überwinden, das Opfer nicht sowohl zu brin*
842
gen, als das Opfer geradezu in eigener Person zu sein. Opfern, das versteht er je und je nur als ein Hergeben, Ver* ziehten, Aufgeben, Entsagen, indes die besten und die bösesten Instinkte seiner Art aufs Gegenteil blindlings ver* sessen sind. Keiner sieht es von Natur ein, weshalb ihm Verzicht bekömmlicher sein soll als Behauptung, Entsagung bekömmlicher als Erwerb. Und wie um ihn in dieser schreck* liehen Halsstarrigkeit noch recht zu bestärken, springt seiner eingeborenen Neigung hier auch noch die List der Ver* nunft bei, indem sie ihm triftige Beweisgründe auf die Zunge legt, die diesen inneren Widerstand zu rechtfertigen geeignet scheinen. Die Religion, wendet nämlich die Ver* nunft mit der ihr eigenen Vernünftelei hier ein, fordert das Opfer des Besitzes, — als ob ihr entgehen könnte, daß jede menschliche Betätigung mittelbar oder unmittelbar auf Meli* rung des Besitzes gerichtet sei! Betreffe dies nun die Meh* rung der im engeren Wortverstand wirtschaftlichen Güter, als da sind Bargelder, Tauschwerte, Arbeitmittel, Werks zeuge, Waren, Betriebvermögen, Grundstücke, Wohnstätten, Verkehrswege, Bodenschätze, Naturkräfte, Nährstoffe und dergleichen; betreffe es die Mehrung der nicht eigentlich wirtschaftlichen Güter wie Stellung, Rang, Ansehen, Ein* fluß, Macht, Wirkungkreis, Handfertigkeit, Gelehrsamkeit, Arbeittüchtigkeit, Witz, Klugheit, Kunstgeübtheit, Urteils* kraft, Erkenntnis, Weisheit und ähnliche mehr. Ganz un* verkennbar gelangten doch jedes Einzelnen Fähigkeiten zur Auswirkung und mehr noch zur Veredelung nur, wofern er absichtlich oder unabsichtlich den vorhandenen Besitz vorhandener Güter aller Art zu mehren strebe. Besitz schlankweg verbieten hieße demnach dem Leben seine Mög* lichkeiten unterbinden, hieße infolgedessen das Leben selbst verbieten. Bleibt doch sogar der Arme durchaus angewiesen auf Besitz, wenn nicht auf eigenen, dann auf fremden, ohne
843
den er nicht einmal als Armer möglich ist; würden doch ohne Besitz anderer auch Bettelmönch, Kyniker, Asket (mindestens in unseren Breiten) rasch verhungern, erfrieren, verelenden, verkommen müssen, die wirtschaftliche Voraus= setzung ihrer eigenen Armut, ihrer eigenen Gesundheit, ihres eigenen Lebens aufhebend. Und wirklich : spinnt man diesen unwiderleglichen Gedanken weiter, dann steht man dem nicht ganz erwarteten Ergebnis bald gegenüber, daß gerade das Opfer des Besitzes nicht vom Besitzlosen ge* bracht werden kann. Gerade nicht der Habenichts, nicht der Bettler, nicht der Mönch erweisen sich des Opfers des Besitzes fähig, sondern allein der Besitzende, allein der Wohlhabende, allein der Reiche. Wie also nun? Bedingt nicht just das Opfer des Besitzes an und für sich den Besitz, beruht nicht seine Möglichkeit auf der regelmäßigen Be* schäftigung mit dem Erwerb und seiner Mehrung? Gewinnt das Opfer des Besitzes nicht sein Gewicht erst daher, daß der Opfernde preis gibt, was ihm besonders teuer, nicht aber preis gibt, was ihm besonders gleichgültig ist? Un* streitig nur weil zu allen Zeiten der Besitz gerade der wirt* schaftlichen Güter den Menschen der teuerste gewesen ist, besteht die Religion zu allen Zeiten auf der inneren Bereit* schaft, den Besitz daran zu geben: und hier ist in Bereit* schaft sein wirklich alles, hier ist in Bereitschaft sein sogar Religion. Sie fordert diese Bereitschaft, auch den Besitz, vor allem den Besitz zu opfern, nicht weil ihr von Haus aus an armen mehr wie an wohlhabenden Anhängern gelegen wäre, nicht weil sie aus schwer erklärlichen Wertgesichts* punkten den Armen für besser, frömmer, göttlicher hielte als den Reichen, — weiß sie doch sehr im Gegenteil, daß der schlechthin Besitzlose meistenteils nur ein Lump, höchst selten ein Heiliger ist, sie aber zwischen beiden mitten inne stehend den dritten sucht, der zwar besitzt, aber auch gibt
844
und aufgibt. Sie heischt die Bereitschaft zum Verzicht auf den Besitz nur als die gar nicht entbehrliche Probe, wieweit eines jeden Seele überhaupt noch ihre Unabhängigkeit von Gütern, Dingen, Gegenständen, Sachen, will heißen, wie weit sie ihre Selbstgenügsamkeit und Selbstherrlichkeit zu wahren fähig oder nicht fähig sei. Die Religion zwingt den religiösen Menschen, einmal im Leben über sich selbst mit vollkommener Eindeutigkeit die Entscheidung zu treffen und nötigt ihn vor allem zu der Entscheidung, ob er noch Herr über die Dinglichkeit ist oder die Dinglichkeit bereits Herr über ihn. Denn allezeit nimmt Religion am Besitz den untilgbaren Makel war, daß er zunehmend den Besitzenden besitze. Sie weiß es: wer da etwa Land hat und eigene Erde, der muß wohl oder übel mit allen unzerstückten Kräften seines Wesens der Erde frohnden. Wer da Geld hat und bares Vermögen, der muß dem Geld frohnden und der Notwendigkeit seiner Verzinsung. Wer da Arbeitmittel hat und eigenes Werkzeug, der muß dem Arbeitmittel frohn* den und seiner Nutzbarmachung. Wer da Bergwerke hat und Bodenschätze, der muß den Bodenschätzen frohnden und ihrer Förderung. So geht dies weiter und immer weiter, von den gröbsten bis zu den geistigsten Formen des Besitzes. Eine jede dieser Formen formt sich nach eigenen unver* brüchlichen Regeln und Gesetzen, denen sich kein Besitzen* der willkürlich entziehen kann; jede drängt ein anderes Stück Persönlichkeit zu unheilstiftender Versachlichung und Selbstentäußerung. Nicht brauch' ich dem Leib= und Seel* eigenen des Geldes des näheren zu schildern, wie das im einzelnen wohl gemeint sei. Genug, daß jeder Besitz den Besitzenden hofTnunglos an seine eisernen Erfordernisse schlägt und kettet. Ein tödlich fest gesponnenes, tödlich eng geknüpftes Netz zieht jeder Besitzende über sein Haupt zusammen, und nimmermehr wird er's aus eigenen Kräften
845
zerreißen, sondern höchstens mit des Opfermessers Schärfe noch durchschneiden können. Dazu soll er stark sein, und weil er's nie von sich selbst schon ist, sich stark machen; soll seine Erstgeburt ohne Maulen metzen, wie uralt greu* liehe Gebräuche ihm bedeuten. Auf Teuerstes, Umworben* stes, Wertgehaltenstes soll er verzichten können und den Hang zum Unentbehrlichsten, ja den Hang zum Hang über* haupt noch in sich überwinden. Entsachlicht von den Sachen, unbedingt von den Dingen, soll er zur Götterfreiheit, Götterunbekümmertheit des Löserworts heranreifen, das einst Aristippos von Kyrenai unvergeßlich prägtet ich be* sitze, werde nicht besessen . . . (er sprach es aber, als ihn jemand über sein für viele anstößiges Verhältnis zu der vornehmen und verwöhnten »Gesellschafterin* Lais auszu* holen gedachte, und noch fühl' ich den langen, geraden, unbefangen*unverfänglichen Blick auf mir, der dem wunder* witzigen Frager antwortete: ein solcher Blick strahlt hin durch die Jahrtausende wie das Licht eines sehr entfernten Sternes, der seit Jahrtausenden gleichfalls schon erloschen sein mag). Ich besitze, werde nicht besessen; ich besitze, bin aber nicht besessen, — dies Löserwort eines Gelösten, Gelassenen und Freien bezeichnet genau den Seelenstand der Ununterworfenheit unter die Gegenstände, dessen Be* kundung durch die Tat die Religion von Zeit zu Zeit immer wieder als Opfer ihren Bekennern ansinnt. Daß die Seele von allerlei Gütern nicht besessen werde und besessen sei, des heischt die Religion etwa eine Probe, eine Bestätigung, eine Zeugenschaft, auf die sie im Zweifelfall nicht ver* ziehten kann. Der Mensch darf, ja er soll besitzen, hier* gegen hat Religion keinen Einwand zu erheben. Aber der Mensch soll und soll nicht besessen werden, und dies gibt er ausschließlich durch seine Bereitwilligkeit zum Opfer zu erkennen. Erst durch die Bereitwilligkeit hierzu erweist sich
846
jeder Einzelne sich selber und seinen Freunden, seinen Feinden; erst diese Bereitwilligkeit stellt über jeden Zweifel, wie ernst oder unernst ihm sei mit seinem Streben zur Ver* göttlichung. Die Parabel vom reichen Jüngling beispielweis vermittelt uns die Bekanntschaft jemandes (und wer wäre nicht dieser jemand?), dem es mit diesem Streben nicht ernst genug war. An sich konnte Jesu gewiß nichts gleich* gültiger sein als die Vermögensumstände eines angehenden Anhängers und Jüngers. Aber freilich mußte ihm so gut wie alles daran gelegen sein zu erfahren, ob der junge Mensch mit sich selber Ernst oder Spaß machte. Sälig aber ist, wer vor sich die Probe des Besitzes bestanden, denn er darf von nun auf sich selbst bauen. Aristippos aber von Kyrenai und der Nazoräer Jesus, der Bericht vom reichen Jüngling und von der schönen Lais, — wie nah' sich doch wahrlich alles ist, was einander nah' ist . . .
Die Tathandlung des Opfers indessen, dies merken wir jetzt wohl, ist wesentlich vom Vorgang der Wiedergeburt sachlich gar nicht zu unterscheiden. Wer sich von den Din* gen, auf die er die Hand gelegt hat, innerlich so unabhängig zu erhalten versteht, daß er sie zu jeder Stunde fahren lassen kann, der ist in Ansehung des Besitzes ein Wiedergeborener. In ihm ward fröhlich der Gott geboren, der die Gegenstände der Wirklichkeit ohne Eingriff, ohne Zugriff freiwachsen und frei walten sieht, einen jeglichen nach seiner Art. Wenn auch wahrscheinlich noch kein Erlöster, stellt er sie immerhin doch als ein Gelöster fromm zu den Gegebenheiten dieser Welt: Äußerliches opfernd, um innerlich zu bleiben, auf Not* wendiges verzichtend, um seine Freiheit zu retten. Voller Sehnsucht nach seinem Selbst, und in dieser Hinsicht wirk* lieh voll gesunder Selbstsucht! ist ihm an nichts so viel ge* legen als an eben diesem Selbst. Eben wofern jeder Besitz an und für sich jeden Besitzenden verpflichtet, denkt er
847
nicht daran, sich seinerseit dem Besitz zu verpflichten, und so bringt er das Opfer des Besitzes tatsächlich sich selber, tatsächlich seinem Selbst. Aus Selbstsucht, kann man sagen, opfert die Seele den Besitz, aus jener schwer beschreiblichen, reinen und uneigennützigen Selbstsucht, die dem höheren Menschen ins Herz gepflanzt ist als das stets gegenwärtige Bewußtsein, in seinem Selbst den Born, Quell und Ursprung des Göttlichseins zu verehren. Denn ehrwürdig dünkt sich selber der höhere Mensch im Gegensatz zum gemeinen, der sich persönlich selbst verachtet; Ehrwürde zollt er jeder freien Regung seiner an Dinge unverbrauchten unverkauften Seele. Unverkäuflich ist die Seele des höheren Menschen, aber dabei so tief auf ununterbrochenen Austausch mit sich selber angewiesen, daß vielleicht BeseehvSein gar nicht anderes heißt als ewig lebendigen Verkehr mit sich selber pflegen. Bis dann zu einer Stunde an den solchermaßen Opferwilligen die Forderung eines anderen, zweiten, grö* ßeren Opfers rauh herantritt : nunmehr nicht weiter um des Selbstes willen den Besitz, sondern um eines noch unaus* gemachten Etwas willen das höchsteigene Selbst zu opfern, — das Selbst aber hier verstanden im laxesten, ausgebreitet* sten Wortsinn als Eigenheit, Innenrichtung, Arbeitkraft und =zeit, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Leistung, Tätigkeit, Ge* wissen, Strebensziel, Beruf, Sinnenleben, Wahrnehmung* kreis, Pflichtenfülle, Meinung, Erkenntnis, Wissen, Über* zeugung, Glauben, Weltbild, Parteinahme, Leidenschaft, Neigung, Zutunlichkeit, Wohlgefallen, Steckenpferd, Ver* trauen, Abgunst, Mißvergnügen, Schickung, Unlust, Ver* kehr, Geschmack, Freundschaft, Gesundheit, Lebensalter, Muße, Freiheit, Feiertag, Geschlechtstrieb, Liebe, Zärtlich* keit, Stolz, Glück, Behagen, Friede, Häuslichkeit eines jeden : denn alles dieses und noch mehr gehört seinem Selbst und seiner Persönlichkeit zu, alles dieses kann geopfert
848
werden müssen. In diesem Augenblick nun des neuen Opfers, sage ich, gerät das Selbst in äußerste Verlegenheit, daß ihm jetzo abgefordert wird, was es durch Preisgabe des Besitzes am sichersten zu bewahren, in sich zu gründen trachtete. Seltsam und unerklärlich in der Tat, wieso mit einem mal, wer weiß zu welchem Ende, das Opfer des Be- sitzes nun länger nicht für ausreichend erachtet wird, son= dem über ihm oder nach ihm das härtere Opfer des Selbstes an die Reihe kommt. Wie ist es ausdenkbar, daß des Opfers Not nicht vor diesem nämlichen Selbst einhält, dessen Be= Währung und Befreiung der ausschlaggebende Zweck alles bisherigen Opfers gewesen war? Wie geschieht es, daß der Mensch zu diesem gesteigerten Opfer verpflichtet werden kann, ohne daß damit das ganze bisherige Mysterium, welches Opfer heißt, zu einer Fragwürdigkeit, ja Sinn* Widrigkeit erniedrigt wird? Wie soll der Einzelne dazube* stimmt sein, aus Religion das eigene Selbst daran zu setzen, nachdem die Religion noch vorhin vor allem auf die Rettung dieses Selbst Bedacht genommen hatte?
Das Opfer des Besitzes um des Selbstes willen, das Opfer des Selbstes um des Selbstes willen: das ist ein schwierig aufzulösender und dennoch nicht unauflöslicher Schein* Widerspruch. Denn man errät es, daß eben nicht nur der Besitz beliebiger Gegenständlichkeit, vielmehr gerade auch der Besitz unserer selbst, der Besitz unseres Selbstes darzu* bringen sei, damit dies Selbst am gründlichsten seine ur* sprüngliche Gestalt wandle. Auf solche Wandlung zielt offenbar jede Weisung zum Selbstverzicht und zur Selbst* Verleugnung, die Weisung, ein ätmayäji, ein Selbst*Opferer zu sein, wie es in einer Upanischad einmal sehr bezeichnung* stark vom Yogin heißt. Denn seit dem Brahmanismus scheint jene Weisung allen reiferen Religionen Asiens und Europas gemeinsam zu sein, die ein deutscher Sepa*
54 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 849
ratist des siebzehnten Jahrhunderts in seiner evangelisch zugespitzten Sprache gelegentlich in treuherzige und darum eindrucksvolle Worte zu fassen verstand, wenn er in seinen Bekenntnissen von drei Arten des Abendmahles redet und die zweite kennzeichnet als das Abendmahl „des tag* liehen Opfers, da wir den alten Menschen täglich annoch creutzigen, tödten und begraben, auf daß der neue wieder aufstehe" . . . Wer darnach zwar wohl zum Opfer dieser oder jener Sache, nicht aber zum Opfer seiner selbst bereit gefunden würde; wer darnach zwar ohne Widerstreben den Besitz, nicht aber den Besitzenden zu verschenken willens wäre, — ein solcher bezeigte sich ganz einfach noch nicht durchdrungen mit dem Mysterium des Opfers und der Wiedergeburt, welches Mysterium genau in dem Umfang und Grad Wiedergeburt in sichere Aussicht stellt, als eben das Opfer vollzogen wird. Wer nämlich opfert, der ist wiedergeboren: wenn er Dinge opfert, hat er sein Selbst ge= boren, wenn er das Selbst opfert, hat er in höherem Selbst sich wiedergeboren. Mit dieser ewigen Tatsache entlarvt die Religion die landläufige Ansicht als einen Irrtum, wonach das menschliche Selbst für ein fest abgrenzbares, fertig ge= gebenes, sicher umrissenes Gebilde vom Schlag sinnlicher Wahrnehmungbestandteile der Körperwelt gilt. Ohne die nie zu beantwortende Frage nach dem Was des Selbstes erkenntnismäßig beantworten zu wollen, weiß die Religion als solche doch so viel, daß dieses Selbst vor unserem in* nersten Fühlen als eine unendliche Bewegung lebt, die in keiner Daseinsweise und auf keiner Daseinsstufe wirklich zu vollenden, wirklich zu verendlichen ist: am wenigsten im stätig einheitlichen Ablauf jenes sogenannten Lebens, welches wir von der Kindheit bis zum Tod als einen be* wußten Erlebniszusammenhang unserer Persönlichkeit, ja als unsere Persönlichkeit selbst durchmessen. Dieses Leben und
850
Dasein der Persönlichkeit, diese Persönlichkeit selbst reicht vor unserem Fühlen wie gesagt keineswegs aus, die unend* liehe Linie jener Selbstbewegung zu ziehen, und im ver* wegensten Verfolg dieser Überzeugung geschieht es, daß das Opfer der Persönlichkeit den Fortgang dieser Bewegung nicht nur gar nicht in Frage stellt, sondern erst recht be-= stätigt und bekräftigt. Unendliches Selbst — unendliches Opfer — unendliche Verjüngung — unendliches Selbst: über diese ewige Spirale führt der Weg der Überschwänglichkeit zum Gott. Wer ihn beschreitet, der verleugnet sich selber, wie die Frucht ihre Blüte verleugnet, wie der Schmetterling die Puppe verleugnet, wie der Mann den Jüngling verleug= net, wie der Gott den Menschen verleugnet; aus Liebe zur Frucht, aus Liebe zum Falterflug, aus Liebe zur Mannhaftig* keit, aus Liebe zu dir, Gott, Mensch=Gott und Menschen* Sohn . . .
Sich selbst opfern, verleugnen, heißt somit das Selbst von seinen jeweiligen Gestaltungweisen sachte lösen, als welche Gestaltungweisen am passendsten nicht mehr .Selbst', son* dem ,Ich' zu nennen wären, unter Bezugnahme auf ein noch nicht völlig vergessenes Gedicht von Herder, dessen weise Unterscheidung auch in unseren Zeiten philosophischeren* giös hier und da genützt ward. Wobei man der Tatsache billig eingedenk zu sein hätte, daß alles Trachten und Sinnen der indischen Upanischaden und des indischen Vedänta nach (^ankaras berühmter und maßgeblicher Deutung dar? auf hinaus läuft, die sogenannte .Übertragung' oder (nach Deussen) ,adhyäsa' gegenständlicher Beilegungen und Be= eigenschaftungen (upädhis) auf das bestimmunglose, un* gegenständliche Selbst rückgängig zu machen, oder mit anderen Worten das persönliche und bewußte Ich (kshe= tranja) vom überpersönlich*unbewußten Selbst (ätman) er* kenntnismäßig zu unterscheiden: der weltgeschichtlich um=
54* 851
fassendste Versuch, eine Theologie des Selbstes zu betreiben und damit den Veda identitätphilosophisch auszulegen. Der Vedänta ist (^ävivaka Mimänsä, das ist : Erforschung der ver= körperten Seele, und diese verkörperte Seele soll überall als Trug* und Scheinbild des wahren Selbst durchschaut werden. Dieser mehr als nur theologischen Unterscheidung beipflichtend, sollten wir Selbstverleugnung, Selbstverzicht richtiger Ichverleugnung, Ichverzicht nennen, wenn anders Ich die endlich herausgeformte Seinsgestalt unendlich un« geformter Selbstheit ist. Das Ich aber und seine erklommene Erscheinungstufe wird geopfert, damit das Selbst gleichsam Luft bekomme, oder damit es (unbildlicher gesprochen) von seiner jeweils stärksten Bindung entbunden werde, die zu* treffend genug Bewußtsein heißt. Denn das Bewußtsein mit seiner Gegenstellung Ich=Nichtich, das ist die starrste Bin* düng der urtümlichen Einheit .Selbst', diese in eine Zwei* heit gleichsam optisch brechend: und dieses Bewußtsein durch die Tat als eine Nicht*Endgültigkeit des Selbstes zu erhärten, ist letztes Ziel und letzter Zweck der Selbstopfe* rung. Der hierzu Willige fühlt des Selbstes Urständ ganz offenbar in einem Jenseit der Gegenstellung Ich*Nichtich verstätigt, im Jenseit mithin verstätigt der Gegenstellung, die bewußtes Erleben, bewußtes Handeln, bewußtes Wissen, bewußte Einsicht, bewußtes Bilden grundsätzlich erst er* möglicht. Person und Selbst, Ich und Selbst, Bewußtsein und Selbst, für jeden sich selbst noch nicht gefunden Ha* benden — und wäre dies zuletzt nicht, wer wollte es ver* kennen, der sich selbst noch nicht geopfert Habende? — für jeden solchen also unbesehen ein und dasselbe, sie ga* beln sich für des Selbstopfers Vollstrecker durchaus in zwei verschiedenste Lagen und Stätten des Seins. Einer bis dahin getriebenen Ahnung gilt das Bewußtsein und die ihm entsprechende Ichgestalt fast schon als Minderung, Herab*
852
Setzung, Unterbietung.Trübung, Hemmung, Abschwächung des eigentlichen Selbstes und seiner Tätigkeiten : um drei, vier, fünf Meerestiefen hinunter ist ihm das Selbst gesunken unter den Spiegel seiner Oberfläche, die Ich und Nichtich als die zwei Brennpunkte persönlichen Erlebens einander wechselbezüglich zugeordnet zeigt. Aus diesem elliptisch gerundeten Gesichtsfeld, in dessen radii vectores sich die bewußte Welt schier wie in einem Gegitter wunderlich ver* fängt, strebt der Selbstopferer mit heißem Drang hinaus ; — der Spiegelungen überdrüssig, taucht er hinab unter sie in der vollkommenen Gewißheit, daß die Tiefe niemals spie* gelt, der Spiegel niemals Tiefe hegt.
Mit nicht übertroffener Bestimmtheit hat alles das der erste abendländische Philosoph des Unbewußten, der große Denker und Künder Plotinos in seinen Enneaden dargelegt, wo er bereits den Umriß eines sozusagen bewußtlos Weisen und Wohlbeschiedenen entwirft: „Auch im wachen Zustand nehmen wir manchmal schöne Tätigkeiten vor, stellen Be* trachtungen an und handeln, ohne uns doch dabei dieser Tätigkeiten bewußt zu sein: so braucht man beim Lesen, insbesondere beim aufmerksamen Lesen, kein Bewußtsein davon zu haben, daß man liest, noch während man tapfer ist, davon, daß man tapfer ist, und so in unzähligen anderen Fällen. Es scheint sogar, daß das Bewußtsein die Handlungen, von denen es ein Bewußtsein hat, schwächer und dunkler macht, während sie, wenn sie unbewußt geschehen, reiner sind, mehr wirken und mehr leben. Auch bei den Tugend* haften dieses Zustandes muß folglich das Leben Spannkraft tiger sein, weil es sich nicht in der Empfindung ausgießt, sondern in sich selber sammelt . . . Behauptet man aber, in diesem Zustand lebe der Mensch nicht wirklich, so erwidern wir: er lebt allerdings! Aber die anderen Menschen sind un* fähig, sein Leben und seine Wohlbeschiedenheit zu begreif
853
fen." Das Unbewußtsein spannkräftiger, wirksamer, gesam* melter, triebreicher als das Bewußtsein; das Selbst tätiger, reiner, lebendiger, quellender als das Ich; Unbewußtheitund Selbstheit dem Ich und dem Bewußtsein darum überlegen, — dieses hier in Europa (wenn der Ägypter Plotinos überhaupt zur europäischen Kulturzone gehört) wohl erstmals ausge* drückte Selbstfühlen läßt seinerseit eine neue Erläuterung des Vorganges der Selbstopferung zu: die selbstbewußte, rieh* tiger ichbewußte Persönlichkeit bringt sich dar, um gleichsam das unbewußte Selbst zu stärkerer Betätigung anzuregen, etwa wie der Satellit in eine selbstleuchtende Sonne hinein* stürzend gedacht wird, um ihre Wärme und Leuchtkraft zu mehren. Denn jetzt besteht ja Gewißheit, daß Vorstellungen von solcher Art und Beschaffenheit wie : das da bin Ich, der eben jetzt diesen Gegenstand betrachtet, anschaut, auf* faßt, durchdenkt, zergliedert, erinnert, darstellt, ausformt, gestaltet, erfindet, verwirklicht, hervorruft, — daß sie die Tätigkeit, die sie begleiten, nicht nur nicht fördern, sondern geradezu entkräften und abschwächen, vermindern und umdunkeln. Ungefähr wie ein feinnerviger Beobachter das Betragen eines anderen leicht als geziert, geschraubt, un* wahr, gekünstelt durchschaut, weil er in seinen Mienen und Gebärden die Absicht wahrnimmt, die verstimmt, so findet dieser letzte hellenistische Denker ersten Ranges die Ursprünglichkeit verletzt und die Kraft gebrochen jeder Selbstbetätigung durch das mitschwingende Bewußtsein: jetzt tu' ich das und das, jetzt nehm' ich auf diesem Sitze Platz, jetzt schmacht' ich mit diesem Augenaufschlag, jetzt erreg' ich Staunen mit diesem Einfall, jetzt stimm' ich An* wesende für mich günstig durch diese Liebenswürdigkeit. Jenes berüchtigte ,Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können' Kants, ihm widerfährt an dieser Stelle, wo Religion und nicht Philosophie, wo Tat und nicht
854
Erkenntnis in Frage steht, seine sehr entschiedene Ab* Weisung und Mißbilligung, um nicht etwas burschikos zu sagen seine Abfuhr. Bewußtsein schädigt das Selbst, Be* wußtsein verarmt das Selbst, Bewußtsein staut das Selbst; dieser von den alltäglichsten Erfahrungen belegte Sach* verhalt, — man denke zum Beispiel nur an einen Zeugung* lustigen, der während der Zeugung sich der Wissenschaft^ lieh bekannten Schilderungen, Darstellungen und Er* klärungen der Zeugung in mechanischer, biologischer, psychanalytischer, philosophischer Hinsicht bewußt bleiben wollte oder sich die Vorschriften der Hygiene, der ars amandi dabei vergegenwärtigte! — dieser Sachverhalt also erlangt hier eine hohe Wichtigkeit. Und sicherlich verdient in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden, daß eine religiöse Praxis wie die gotamidische, in jedem Gebot auf eine radikale Ausmerzung und Tilgung des Selbstes ge* richtet, ihren Anhängern nichts so zur heiligen Pflicht macht als eben die strengste Schärfung, Anstachelung, Wartung, Übung des Bewußtseins. Der Mönch Buddhos „wacht, ihr Lieben, nach innen beim Körper über den Körper, un= ermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns; nach innen beim Körper über den Körper wachend, wird er da vollkommen ausgeglichen, vollkommen abgeklärt : weil er da vollkommen ausgeglichen, vollkommen abgeklärt wurde, kann er nach außen, an anderem Körper, weise den Blick bewahren. Nach innen wacht er bei den Gefühlen über die Gefühle, wacht beim Gemüt über das Gemüt, wacht bei den Er* scheinungen über die Erscheinungen, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns: nach innen bei den Erscheinungen über die Erscheinungen wachend, wird er da vollkommen aus* geglichen, vollkommen abgeklärt: weil er da vollkommen
855
ausgeglichen, vollkommen abgeklärt wurde, kann er nach außen, an anderen Erscheinungen, weise den Blick be* währen" . . . Über die tiefere Absicht dieser seelenärzt* liehen, seelsorgerischen Vorschrift besteht kein Zweifel. Gotamo auferlegt dem Asketen diese unerhörte Steigerung des Bewußtseins genau aus demselben Grunde, aus welchem im Gegenteil Plotinos die Minderung des Bewußtseins be* fürwortet: weil im Bewußtsein alle die Wunschantriebe und Willensregungen, alle die Freuden* und Leidenschaften, alle die Bewegungen und Strebungen, alle die Gefühle und Gewühle des Selbstes gewissermaßen zu ihrer Verbrennung gelangen, gleichnisweis wie Docht und öl einer Lampe in ihrer Flamme zur Verbrennung gelangen. Was zu Bewußt* sein gebracht wird, das büßt in mehr wie einer Bezugnahme das eigentliche Sein ein und im Selbstbewußtsein versengt sich das Selbst offenbar am sichersten. Oder aber auch: im Bewußtsein gefriert der ungeheure, unterirdische Strom des Lebens zwischen den Ufern von Ich und Nichtich eisig ein und wird sich selber eine Brücke; — im Bewußtsein zieht sich die Tiefenerstreckung der Seele gleichsam zur bloßen Fläche, Oberfläche auseinander. Der Nur=noch*Be* wußte erlebt Wirklichkeit, Selbst und Welt einäugig, ohne von ihrer drallen Körperhaftigkeit etwas mehr zu ahnen, ohne ihr Hintenhinum mit den Bewegungen beider Augen zu ertasten. Ja, indem er sich seiner selbst und aller Dinge vollendet klar bewußt wird, entlebt und entwest er sich selbst und allen Dingen, wie man das in den buddhistischen Liedern der Mönche und Nonnen mit wörtlicher Genauig* keit ausgedrückt findet : „Ist höchste Klarheit erst erklommen, Löscht aus dein Licht wie Fackelglut im Wasser." Heraus* fordernder kann die abtötende Leistung des Bewußtseins in Ansehung des Selbstes und seines unbewußten Lebens* Zustroms nicht verkündet werden. Das Bewußtsein, des
856
Bewußtseins .Zwiesal', vergessen wir's nicht, istgotamidisch der Ort der Leidensentstehung und somit der Ort der Her* kunft von Alter, Krankheit, Tod, Geburt, Werden, An* hangen, Durst, Gefühl, Berührung und Begriff*Bild : und eben dieses Bewußtseins äußerste Belastung und Befrach* tung kann innerhalb dieser asketischen Hygiene und Diä* tetik nichts anderes als die Kenterung des ganzen Fahr* zeuges bezwecken, — ein Meer unbewußten Willens, Strebens, Wünschens, Trachtens, Sehnens, Haftens, Hei* schens, Hangens, Wähnens, bisher auf seiner Woge das Bewußtsein wie ein Schiff tragend, strömt durch aufge* sperrte Lucken solange ein, bis das Schiff davon sackvoll gelaufen ist und nun sinken muß, fortab nicht Schiff und Fahrzeug mehr, sondern ein Tropfen Meer im Meere. Überfüllung des Bewußtseins muß Entleerung des Unbe* wußtseins herbeiführen: wie ein Schmarotzertier saugt Be* wußtsein vielarmig die Lebensfülle seines Wirtstieres in sich, bis dessen Glieder darren, bis dessen Eingeweide ab* schwellen, bis dessen Gefäße vertrocknen, bis dessen Ge* webe faulen . . .
Einerlei also, ob die Praxis der Religionen die Schärfung des Bewußtseins befürworte oder seine Abstumpfung, ob seine Spannung oder seine Dämpfung, — unter keinen Um* ständen verwechselt sie das Ich mit dem Selbst, die Person* lichkeit mit der Seele, das Bewußtsein mit dem Leben. Wo daher immer auch diese Praxis dem Menschen Selbstverzicht und Selbstverleugnung ansinne bis an die Grenzen hin der Selbstverkümmerung und darüber hinaus: grundsätzlich läßt sie ihn hoffen, daß er sein Ich stets wieder an seinem Selbst entzünde und mit dessen strahlenden Energien neu lade, — vorausgesetzt, daß er nicht mit gotamidischem Be* dacht das unbewußte Selbst durch übermäßige Inanspruch* nähme des Bewußtseins allmählich zu erschöpfen trachte.
857
Mag darnach immerhin der Mensch seine Person an diese oder jene Sache setzen, — es ist gleichgültig an welche, da jede Sache das Opfer jedes Menschen zu fordern berech* tigt sein kann! — stets wird er sich zu irgend einer Stunde auf höherer Ebene wiederfinden, nicht trotzdem, sondern weil er sich ohne Rücksicht hingegeben hat. Bleib' es da* hingestellt, ob höchstes Glück des Erdenkindes wirklich die Persönlichkeit sei ; der Erdenkinder höchstes Heil besteht jedenfalls in der Fähigkeit, diese Persönlichkeit zu ver* lieren, gleichviel woran, voll kindlichen Zutrauens in die wiederherstellenden Kräfte des Selbstes, die jenseit der persönlichen Sphäre (oder diesseit ihrer?) gerade durch das Opfer der Person in fruchtbarste Mischung und Erschütterung zu geraten scheinen. Sich preisgebend selbst vergessen, das heißt sich selber sich zum Preise geben. Etwas in uns vergißt unserer nicht, am wenigsten aber ver* gißt es dieses, daß wir uns selbst vergessen konnten. Wer da vielleicht an einem sonnenheißen Julitag ans einladende Gestade eines Weihers oder Sees gelangte, den versucht die doppelte Wahl, sich entweder des klaren Spiegelbilds der Landschaft, des klaren Spiegelbilds seiner selbst gelassen zu erfreuen, oder dem innigeren Bedürfnis nach Abspülung, Säuberung, Kühlung, Erfrischung nachzugeben und den schimmernden Spiegel zu zersplittern, indem er ihn, ins seichte Wasser watend, mit seinem Leib zerteilt, oder ins tiefere Gewässer schwimmend, unter ihn hinuntertaucht. Ähnliche Wahl versucht den Menschen, der entweder Per* son und Ich über alles wahren möchte, dann aber das Bad der Wiedergeburt dauernd entbehren wird, — oder der zur Verjüngung seiner selbst dies Ich daran setzt, sein kostbares Spiegelebenbild zertrümmert und sich unter seine Fläche tief hinabbegibt. Nur willige Hingabe der Ichgestalt sichert der Ichgestalt die zweite, dritte, fünfte, neunte Neubeseelung,
858
Neuverlebendigung im Schoß allumgestaltender Unbewußt* heit; allein das Opfer der Person gewährt der Person Ver* bindung mit nicht personter Selbstheit Muttermächte. Daß der weiße Strahl des Lichtes unzerlegt ist, daß die reine Tätigkeit ungestaut ist, daß die lebendigste Lebensäußerung ungespiegelt ist, daß die unendliche Seele unverendlicht ist, daß die stätigste Bewegung verborgen ist, daß das .wahre' Selbst unbewußt ist: diese Erkenntnis wird nur dem wirk* lieh fruchtbar, der das Mysterium des Opfers der Person begeht. Bei ihm und ihm allein ereignet sich's vielleicht, daß das Opfer in seinen fernen Wirkungen sogar bis dorthin reicht, wo sich das Einzelselbst geheimnisvoll mit dem Gattungselbst verschwistert. Wie etwa ein Kind, das an der Mutterbrust genährt wird, durch die Saugbewegungen seiner Lippen nicht nur die Milchdrüsen des mütterlichen Leibes anreizt, in vermehrten Mengen den notwendigen Nährstoff zu bereiten, sondern zu innerst im Schoß der Nährenden ihre Gebärmutter in zusammenziehende Be* wegungen versetzt, — ähnlich versetzt vielleicht die Opfer* handlung, beschlossen im Bewußtsein und vom Bewußt* sein ausgeführt, die fernsten innersten Winkel des Unbe* wußtseins in Erschütterungen, die auf das zarte Schlaf* und Traumleben der ganzen Gattung allmählich übergreifen. Lebt doch zuletzt kein Lebender allein für sich, allein mit sich, auch wenn er auf Robinsons Eiland hauste; bleibt doch der Kranz der Wesen ewig dicht und fest geschlossen nach unten und oben, vorn und hinten, innen und außen, rechts und links; hat doch nur darum zu allen Zeiten der Einzelne Wunderbarstes wirken können, heißt das, nachdem er nicht unterlassen hatte, zunächst Wunderbarstes in sich selber zu bewirken . . . Wie weit sich darnach aber das Feld der Tatempfänglichkeit und Tatempfindlichkeit hinein ins Unbewußtsein ziehe und wieweit es vollends durch stäte
859
Übung, Andacht, Sammlung des Täters auszudehnen wäre, wie weit mithin jeder die Grenzwände seines Einzelseins und Eigenseins nach innen hin gleichsam wie mit Röntgen* strahlen zu durchstrahlen vermöchte, — wer unter Menschen erdreistete sich endgültiger Antwort hierauf! Hier schlagen fernbebend vielleicht Pendel aus, deren Schwingungen weder sieht? noch meßbar sind und dennoch schwingen, dennoch schweben. Genug, daß hier erlaubt zu glauben ist, was das Herz weiß, und zu bekennen, was die Tat er* weist: daß nämlich das Opfer der Person auch nur eines Einzigen und Einzelnen, etwa im rechten Augenblick vom Richtigen vollzogen, im Selbst von vielen seinesgleichen Wiedergeburten ohne Zahl zum göttlichen Ereignis machen könne . . ., (als welches Wort ich mir zur Tröstung nieder* schreibe an diesem Dreiundzwanzigsten Juni Neunzehn* hundertundneunzehn, an die Adresse eines annoch unbe* kannten Deutschen, vor dem ich mich heut' schon in Ehr= erbietung verneige . . .)
Klein ist nur mehr der Schritt vom Opfer der Person zum Opfer des Lebens, dem dritten und bittersten in diesem Mysterium der gottlos Frommen. Oder sage ich zutreffender und genauer, der Schritt von einem zum anderen ist schein* bar zwar ein kleiner, — in Wahrheit aber unermeßlich groß. Denn auch an dieser Stelle trübt sich nochmals, und zwar stärker wie vorhin, der bisher wenn nicht klare so doch zu klärende Gedanke der durch das Opfer herbeigeführten Wiedergeburt. Wer beispielweis den Besitz darbrachte, durfte begründeter Erwartung sein, das Selbst von aller selbstmörderischen Besessenheit des Besitzes zu heilen und .seine Seele zu lösen* nach einhelliger Weisung von Bud* dhisten, Kynikern, Kyrenaikem und Urchristen. Wer dann über den Besitz hinaus seine Person darbrachte, durfte sich froh der Hoffnung freuen, unausschöpf liehe Gestaltungmög*
860
lichkeiten zum Aufbau mehr wie nur einer Ichgestalt in seinem Innersten je und je zu entbinden. Wer aber sein Leben darbringt, wie sollte er erraten, welcher Art und Nam' die Wiedergeburt sei, die ihm nach diesem Opfer winke? Und sogar abgesehen von dieser Frage nach der Beschaffenheit der Wiedergeburt aus dem Tod scheint hier schon der Vorgang der Lebensopferung an und für sich reichlich fragwürdig, wenn wir von den (übrigens seltenen) Fällen Abstand nehmen, wo einer das Leben wirklich freien Willens, nicht im Gehorsam gegen den dumpfen Zwang von Herkunft, Sitte, Gesetz, Gewohnheit, öffentliche Mei* nung zur Erhaltung von seinesgleichen in die Schanze schlägt. So daß an dieser dunkeln Stelle zwei Punkte ins Licht zu setzen wären: einmal nämlich, wie das Leben über* haupt geopfert werden könne, da uns der Tod ja allen ohne* hin gewiß ist und niemandem eigentlich zur Wahl steht; — zum zweiten aber, welche Hoffnung aufweiche Art Wieder* geburt dem das Leben Opfernden, gesetzt es gäbe einen solchen, erlaubt sein möchte, da doch der Tod nach Ansicht Aufgeklärter die Aussicht auf fernere Verjüngung, Läute- rung, Erneuerung der Person nunmehr schlechterdings ver* nichte?
Wie also, fragen wir erstens, kann das Leben, kann besser noch der Tod als Opferung des Lebens angesehen werden, da uns der Tod doch unstreitig gewiß ist und ihm schon darum das Hauptkennzeichen jeden echten Opfers, die Freiwilligkeit, von vornherein gebricht? Und dennoch ist dies nicht unmöglich. Dennoch ist der Tod als des Lebens Opfer ohne listigen Selbstlug, Selbstbetrug als Opfer gleich* sam zu begehen und zu vollbringen, — und keineswegs zwar dieser oder jener Tod, gewaltsam zur Aufopferung für andere in der Schlacht oder sonst an einer Walstatt blutig gesucht und erduldet, sondern ein jeglicher Tod im
861
Bett, auf der Straße, bei der Arbeit, im Vergnügen, wie er jedem gerade zufällt. Denn was den Tod offenbar zumun* freiwilligen macht und ihm seinen Opferwert nimmt, das ist zuletzt nicht seine Unvermeidlichkeit, sondern das ist die Angst vor ihm. Viel Notwendiges ja wird vom Menschen durch Gesinnung zur Freiheit geadelt, und so kann auch der Tod durch Gesinnung zur Freiheit geadelt werden, dort nämlich, wo die Furcht vor ihm besiegt wird. Wer da in jedem Zeitteil des Todes sonder Angst, Abscheu, Miß* behagen, Grauen und Bedauern gewärtig wäre, der hätte wohl zu ihm ein schönes Verhältnis der Freiheit und Willig* keit gewonnen . . . Daß dieses Verhältnis einst menschen* möglich war und folglich wieder menschenmöglich sein wird, das lehren Beispiele, die freilich im geschichtlichen Christentum spärlicher zu werden scheinen, nachdem es diesem vorbehalten war, auf fratzenhafte Weise die Todes* furcht mit der Höllenangst zu gatten. So konnte es in Ver* gessenheit geraten, daß Sterbenkönnen von allen mensch* heitlichen Künsten bei weitem die schwierigste sei, ihrer* seit aufs engste doch mit der Kunst des Lebenkönnens ge* paart. In Wirklichkeit ist es die hoheitvollste Aufgabe dieses Lebens, dem Tod auf würdige Art entgegenzuleben, das Leben tunlichst in der zugestandenen Spanne zum Reifen bringend; — wenn die Spanne kurz ist, in schnellen Früh* lingen, Sommern, Herbsten, Wintern; wenn die Spanne lang ist, in breitarmig ausladendem Wachstum. Denn selten wird sich der rechte Mensch, der im treuen Einvernehmen mit sich selber lebt, über die ungefähr ihm zugemessene Dauer täuschen, vielmehr eben nach seinem zukömmlichen Zeitmaß weislich die Länge seiner Jahrzeiten bestimmen. Dabei ist es schier unglaublich, wie wenig entscheidende Wichtigkeit der Zeit als solcher inwohnt und wie der Ge* halt breiter Daseinsabschnitte ohne Einbuße an Wesent*
862
lichstem auf kurze Monate, Wochen, Tage, Stunden, Mi* nuten, ja Sekunden zusammengedrängt werden kann, — ein hohes und noch ungenügend gewürdigtes Mysterium an und für sich, welches Gottfried Keller in seiner Erzählung von Romeo und Julia auf dem Dorf mit der ihn begnadenden Diesseitfülle (die ihn soviel, soviel gekostet hat!) doch hart bis an die Grenzen gültigster Jenseitahnung hingetrieben hat. Ist dies die klassische Dichtung und Erdichtung von der beschleunigten Notreife eines menschlichen Paares, das in einem Tag und in einer Nacht die Gezeiten der Liebe alle durchläuft und sich dadurch auf den gemeinsam ge* suchten Tod nicht unfromm, nicht unheilig vorbereitet, so brauche ich an dieser Stelle nur den Namen Otto Braun auszusprechen, um auch diese Dichtung noch unendlich durch die Wirklichkeit übertroffen zu finden. Wie dieser Jüngling in ganz wenigen Jahren zu jener höchsten menschlichen Vollendung gedieh, die schließlich den Tod ebenso herausfordern mußte, wie sie ihrerseit von ihm her* ausgefordet war, — das lebt heute schon fast als ein Mythos aller besseren Deutschen und wird je und je weiterleben. Vielleicht darf es ganz allgemein gesagt werden, daß jedes richtig angewandte Leben wohl sein eigenes Maß ausfüllt: wenn es aber sein Maß ausfüllt, den Tod jeglicher Schreck* nis entkleidet und gewissermaßen in Freiheit erleidet. Wer in diesem Sinne sinnvoll lebt, dem stellt sich an seinem Ende ganz ungerufen das Bewußtsein ein, er sei nun eigent* lieh mit sich und seinen Pflichten fertig. Jene Weihstimmung demütiger Ungeduld und Erwartung eines anderen Lebens unter anderen Bedingungen beseelt ihn, die uns die Tage* bücher des Lew Nikolaje witsch Tolstoi so innig teuer macht, — obwohl nicht er es war, der das erhabene Wort vom .vollbringenden Tod* gefunden hat: nichtsdestoweniger er aber die noch erhabenere Tat. Die Fähigkeiten und Kräfte
863
durchlaufener Ichgestalten sind jetzt fruchtbar vernutzt und weder die guten noch die schlimmen Menschlichkeiten sind fremd geblieben. Wohlan! Jetzt gilt es, Leib und Leben aus freien Stücken und mit heiterem Gemüt als Einsatz bevor* stehender Wandlung darzubieten, darzubieten auch noch auf die nicht geringe Gefahr hin, daß diesem Einsatz viel* leicht einst gar nichts entspreche . . .
Hier, wo einer süß gegorenen Menschlichkeit sogar der Tod süß zu schmecken anhebt, hier irren wir allerdings schon mitten in jener anderen Unbehobenheit und Unbe* holfenheit herum, in die sich uns vorhin das Ereignis der Lebensopferung verrätselt hat. Zwar ist es einigermaßen faßbar worden, wie durch Gesinnung, Haltung und Ver* haltung der Tod als Opfer beinah' festlich und mehr noch wie festlich begangen und vollbracht werden könne. Es ist faßbar worden, daß wir den Tod in freier Billigung und Zustimmung als den Einsatz zu leisten vermögen, dessen Gewinn Wiedergeburt über alles irdisch*niedere Wähnen hinaus wäre. Aber gerade in Ansehung dieses möglichen Gewinnes bleibt auch noch nach der Entrichtung des Ein* satzes alles wie zuvor im Dunkel. Wir opfern das Leben, wofern es unserer Freiheit anheim steht, auch die herrische Begebenheit des Sterbens irgendwie erwünscht zu finden und irgendwann willkommen zu heißen. Jedoch das Ob und Wie, das Daß und Was der Neugeburt aus diesem Opfer entzieht sich durchweg unserer Erlebnis. Mögen wir uns immerhin selbst dazu ermutigen, das Leben seiner* zeit wie eine rissige Schlangenhaut an der Straße abzu* streifen: bei keiner Lebzeit werden wir dennoch inne, ob uns im künftigen die neue Haut auch wirklich nachge* wachsen sein wird oder ob wir aus nackten Poren nur hilf* los, heillos uns verblutet haben. Sogar den Fall gesetzt, es stünde über jedem Zweifel, daß dieses schwerste, letzte
864
Opfer Einsatz in der doppelten Bedeutung dieses Wortes sei und höchste Wiedergeburt sowohl einzuleiten wie zu gewinnen wisse; — und nur sehr zögernd, aber unvermeid* lieh wähle ich für diese Art Wiedergeburt die mißverstand* liehe Bezeichnung Unsterblichkeit, nachdem wir doch schon früh auf den Altären der magna mater deum Idea jenes be* kanntgegebene ,in aeternum renatus' als knappste, reifste Formel alles Opferglaubens lasen! — selbst also diesen un< bedingt günstigsten unter allen erdenklichen Fällen gesetzt: so hätte diese Wiedergeburt auf ewig, diese Wiedergeburt jenseit von Tod und Leben trotzdem nichts mit dem ge* meinen Wahn vom unsterblichen Ich und der unsterblichen Persönlichkeit zu schaffen. Denn dies dürfen wir unter keinen Umständen hier vergessen, daß diese Ichgestalt, diese Persönlichkeit es ist, die ja ausdrücklich sich selbst, ausdrücklich ihr Dasein und Leben zum Opfer darbietet, indem sie ihre Todesangst bezwingt und an deren statt etwas wie Todesliebe, Todesglück ins Herz pflanzt. Diesen härtesten Sieg über die natürliche Furcht der Kreatur hieße es zur leeren Eulenspiegelei entwerten, wollte man nach* träglich verbessernd, nachträglich schlimmbessernd das Sterben zum bloßen Schein heruntersetzen. Nein, nein! Das Sterben ,als ob* ist nur eine christliche oder unchrist* liehe Nichtswürdigkeit, am meisten vom Standpunkt des Opfernden selbst aus, der es mit seinem Opfer heilig ernst meint. Der Tod ist keine Posse, die sich der feile Komö* diant Leben selber vornimmt. Wer stirbt, stirbt und lüge sich nicht vor, er sterbe nicht — und wer vollends in der Einsicht, sein Leben und Ich sei ein vernutztes, aufge* brauchtes Ding, sein Leben und sein Ich ohne Wehmut, ja mit innerlicher Fröhlichkeit darbringt: es ist soweit, es ist soweit! Dank Leben und Dank Tod! Dank Umbruch und Dank Erfüllung! — wie wäre dem solcherweis zwar nicht
55 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 865
Vollendeten, wohl aber Vollendenden mit dem Altweiber* trost gedient, er werde für irgendeines Jenseit Dauer sein nämlich abgelebtes, ausgeschöpftes Ich nochmals von neuem antreten dürfen, nunmehr gegen früher hieb- und stichfest gleich dem Leibe eines hürnenen Siegfried, dem kein herz* ähnlich Lindenblatt das Mal der Todverwundbarkeit mit* leidig auf die Schulter malte? Was sollte einem, der sich selbst schon so weit ausgewirkt und veratmet hat, als der ihm anfangs mitgeteilte Lebensblust ausreichen wollte, was sollten ihm die alte Ichgestalt, die alten Ichgestalten, wo* möglich nochmals sogar im alten Fleisch erstehend? War er einst dieser oder jener, mit diesen Eigenschaften, jenen Gaben, mit diesen Mängeln, jenen Fertigkeiten, — weshalb um Himmelswillen sollt' er noch einmal und nun gar für immer dieser oder jener werden, bleiben? Wem je die Nichtverwechselbarkeit von Ich und Selbst vedantisch offenbar ward, wem eben an dieser Unverwechselbarkeit die bloße Vorläufigkeit alles persönlichen Daseins und So* seins aufgegangen ist, dem wird von allen Übelbotschaften die von der Unsterblichkeit der Person die allerübelste dünken, die unannehmbarste, grausamste und zermal* mendste. Ewig geschmiedet sein an die Galeere der Eigen* heit, ewig sich nie entrinnen, nie entweichen, nie ent* wachsen können: dieser satanische Ungedanke geht wahr* haftig über seine Kraft. Nietzsches unsterblicher Herr Müller, unsterblicher Herr Schmidt, unsterblicher Herr Schultze, — ich hasse, ich verachte jeden, der darin allein die billige Bosheit eines Witzboldes, Spötters, Lästerers be* lächelt, nicht aber den grimmen Schrei des Schmerzes und Entsetzens aus pythischem Erdspalt heulen hört: aus jenem Erdspalt nämlich, dem diese Wirrsal ewig verzeichneter, ewig krüppelhafter, ewig mißbürtiger Lebensgebilde wie allerlei glucksender, gurgelnder, grunzender Blasenschaum
866
aus einem stinkenden Schlammkrater entsteigt, erst flüssig und heiß, dann in allmählicher Erkaltung zur Kruste ver* festigt und versteint . . . Der unsterbliche Herr Müller, der unsterbliche Herr Schmidt, der unsterbliche Herr Schultze, — unendlicher Heerwurm widrig wimmelnden Gekribbeis auf allen Tag* und Nachtgestirnen, unendlicher Tausendfuß freßzangenbeißenden und ^kneifenden Ge* schmeißes: emporgehaucht aus dem Lebensabgrund gott* lob nur für die Blitzschnelle, Blitzhelle eines Augenblicks, und schon als Ausgeburt ruchloser Daseinsgier im klingen* den Nichts wieder spurlos verschwunden . . .
Wenn überhaupt, ist also diese Unsterblichkeit nicht das Ergebnis dieses Opfers, denn wer sein Leben zum Einsatz gibt, dem kann vernünftigerweis das bloße Fortleben kein Gewinn bedeuten. Nicht dem Fortleben von Person und Ich strebt ein solcher ,Selbstopferer' zu, sondern gewisser* maßen dem Leben eines anderen, den er »geistiger Art' durch Handlung, Werk, Tat, Gesinnung, Übung, Über* Windung über sich hinauszeugt, — nicht unähnlich den Mönchen und Nonnen Buddhos, die er seine ,aus dem Mund gezeugten' Söhne und Töchter mit Vorliebe nannte. Aus dem Mund gezeugt, aus dem Wort ge* zeugt, aus der Einsicht gezeugt, aus dem Willen gezeugt, aus dem Beispiel gezeugt, aus dem Selbst gezeugt, aus dem Opfer gezeugt wäre jene neue Entstehung, die hier unsere Person unter unbekannten Bedingungen und Umständen ablöste, gleichwie ein Posten den anderen, eine Pflegerin die andere in der Wache ablöst. Mit dem einschneidenden Unterschied freilich, daß der nächste Posten, die nächste Pflegerin in ihrem Wesen und Verhalten jeweils durch* gehend bestimmt wären durch unser eigen Wesen und Ver* halten. Welche Elemente oder welche Verbindungen von Elementen dabei innerhalb der unerforschlichen Natur des
55* 867
Selbstes als Träger fortpflanzenden Geschehens erhalten bleiben und welche vergehen, welche verwesen und welche bestehen, welche dauern und welche absterben: dies frei* lieh wird sich unserer Erkenntnis nie erschließen, trotz alles ungeheuerlichen Denkaufgebotes indischer und europäi* scher Scholastik. Denn schon wo wir von Elementen, von Trägern oder Bestandteilen fortpflanzenden Geschehens reden, reden wir vom Selbst nur in sehr rohen, groben Gleichnissen. Nie werden wir erkenntnismäßig fest* stellen, wer oder was in uns vergänglich, wer oder was in uns unvergänglich ist, und am wenigsten werden wir erfassen, auf welche Weise Vergängliches zur Un* Vergänglichkeit erhoben und bestimmt wird: ob uns auch eines ausgemacht erscheint, daß es die Wechsel* gestalt bewußter Ichheit nicht sein könne. Ein schwängern* der Sämling, schwängernder Keimling unbekanntester Be* schaffenheit pflanzt also das zarte Reis der Unsterblichkeit in eine ferne fremde Erde, und wie andere Pflanzensamen bedarf er dabei einer Übertragung durch allerhand Mittler* kräfte des Windes, des Wassers oder wandernder Tiere, wenn er keimfähig drüben anlangen soll; bedarf folglich einer Übertragung durch Mittlerkräfte, die nach dem bis* herigen nur Opfer des Lebens, nur Todesüberwindung heißen können. Im Verfolg ähnlicher Vorstellungen ist es somit erlaubt, auf eine Wiedergeburt auch aus diesem bittersten Opfer zu raten, nur eben nicht mehr auf eine Wiedergeburt dieser nämlichen Persönlichkeit mit ihrem Zubehör an einzelmenschlichen und einzelwesentlichen Eigenheiten. Am wenigsten aber dürfte man raten auf eine Neugeburt ohne vorausgegangene Opfertat, auf eine Un* Sterblichkeit, die wie die christliche von ungefähr jedem Lebenden eingeboren, wenn auch vielleicht nicht angeboren ist. Denn dieser christunsterbliche Herr Müller, christ*
868
unsterbliche Herr Schmidt, christunsterbliche Herr Schultze entspringt nur einem dummen Mißbrauch Unsterblichkeit* bewirkender Vornahmen antiker Religionen, welche die Unsterblichkeit jeweils als eine Errungenschaft betrachten, abhängig von der Aufnahme etwa in den geheimen Orden, in die geheime Bruderschaft, und in dieser Rücksicht durch* aus erst zu erwerben. Unsterblichkeit, das war für die un* befangene Auffassung jedenfalls eine Auszeichnung, — das war die höchste, seltenste, erlesenste, göttlichste Auszeich* nung überhaupt. Gewiß haben sich die des .Apathanatis* mos' beflissenen Mysterien der Antike in den Formen dieses Ausgezeichnetwerdens, in den Formeln und Bedingungen dieses Erwähltseins stark vergriffen. Aber in der Tatsache, auf die es ankommt, waren sie der Wahrheit um vieles näher als das Christentum. Solang auch die Christen nur eine Geheimgenossenschaft unter anderen Geheimgenossen* Schäften bildeten, konnten sie gar nicht daran denken, Un* Sterblichkeit ohne jeden Unterschied und ohne Ansehen der Person als eine Grundeigenschaft der Menschenseele zu verramschen. Erst die unerwartet große Verbreitung des Christentums, erst seine Ausgestaltung zur Kirche des Abendlandes brachte es mit sich, daß der den Erwählten vorbehaltene Ertrag des Glaubens, Wandels und der Werke jedem Mitglied der Kirche fortab ohne weiteres zugut kommen konnte; — womit aber jedenfalls die ursprüngliche Absicht aller Unsterblichkeitbräuche des Altertums in ihr Gegenteil umgefälscht war. Statt erworbene Unsterblich* keit als Preis religiöser Willensanspannung, religiöser Tat* bereitschaft, religiöser Selbstzusammenraffung verdienen zu lehren, verschleuderte die Kirche urteilslos das kaiserliche Gut an jedermann, höchstens verschieden abgestuft durch kindlich*kindische Ausmalungen der Hölle und des Feg* feuers für Seelen verschiedener Seelenwertigkeit. Im ganzen
869
und großen war die Seele unsterblich, war die Persönlichkeit unsterblich, war der Mensch unsterblich, auch wenn er zeit eines verlorenen Lebens nie an die Aufgabe rührte, Mensch, Seele, Persönlichkeit zu werden und als ein Werdender zu sein. Diese angeborene oder vielmehr eingeborene Un* Sterblichkeit ist künftig mit Härte und Ausschließlichkeit als eine religiöse Zuchtlosigkeit ohnegleichen zu bekämpfen : nicht mit Beweisgründen des Verstandes und der Vernunft, denen es leicht dünkt, Unsterblichkeit überhaupt als einen Ungedanken kritisch zu zerpflücken, sondern mit der reli* giös allein zu rechtfertigenden »erworbenen* Unsterblich* keit, die bei den antiken Völkern einwandfreies Ziel war, wenn auch verwirklicht mit verkehrten oder unzulänglichen Mitteln. Heut' gilt es bis in jede abenteuerliche, anstößige Folgerung hinein, ungerührt vom Zorngeschnaub der schnöden Menge, dies als edle Wahrheit wieder zu ver* treten, daß Unsterblichkeit ewig erschaffen werde durch die religiöse Tat, insonderheit Tat des reinsten Opfers und der innigsten Messe : daß es infolgedessen bei der Willkür eines jeden liege, das Einmal* und Nimmermehr seines jetzigen Daseins sowohl leichtsinnig an tausend Wirklich* keiten zu verschwenden, als es treulich in einen Knoten so künstlich, eng und vielfältig zu schürzen, daß ihn sogar des Todes kundige Löserhand nicht völlig lösen könnte. Werde es jedem daher zur Gewißheit, daß er mit seinem Tun und Lassen Gewebe wundersamer Welten knüpfe, Gewebe wundersamer Welten aufdrösle. Und wie das eine Weib fruchtbar und trachtsam ist und mit vieler Leichtigkeit empfängt und gebäret, und das andere Weib jedoch tauben Schoßes all' ihre Nachkommenschaft ungeboren mit ihrem eigenen Leib begräbt, so wird der eine den Fortsetzer, Nachfolger, Höherbildner seiner selbst aus seinem Opfer bilden, der andere hingegen einsam in sich
870
selbst vergluten. Nicht über sich hinausgezeugt zu haben geistig, das eben heißt, sich des Todes sterben, das eben heißt, sich des Lebensopfers weigern; wer aber über sich hinauszeugt, hat durch das Opfer auch den Tod in sich überwunden. Die mittelalterlich Frommen aber, die das Kind anbeteten, mögen sich auf ihre Weise vielleicht dieses Sachverhalts bewußt gewesen sein. Denn dort, wo gerade die höchste Ohnmacht (der Tod) dem Menschen zur hoch* sten Macht (zum .ewigen Leben') gereichen soll, dort ge* schieht es auch, daß der Göttliche gleichsam des Kindleins von sich geneset . . .
In anderen Erfahrungen und sonstigen Forschungen nach Bürgschaften für dieses Mysterium zu suchen, würde ich für zwecklos und töricht halten, nachdem wir hier die Brei* ten gedankenhafter Verständigungen und Erklärungen so manche Siebenmeile schon hinter uns gelassen haben. Und dies ist gleichzeitig der Punkt, wo ich jede Mystagogie und jeden Okkultismus, jede Theognosie und Anthroposophie als eine Art Erbschleicherei verwerfe, — nicht trotz, son* dem weil vielleicht manche der hier geäußerten Ahnungen dort scheinbar bestätigt und scheinbar befestigt werden. Denn was alleinig der Tat ist, soll der Tat bleiben und nicht verstohlen zu einer Erkenntnis umgemünzt werden. Dabei braucht es nicht geleugnet zu werden, daß es begriff* liehe Ausdrücke gibt, die der Tat und ihrem unveräußer* liehen Mysterium mehr oder weniger entsprechen können, — weniger zum Beispiel die Lehre von der Metempsychosis oder Umseelung aller Seelen in stets neu erwirkter Dies* seitgestalt: mehr dagegen zum Beispiel die Lehre von der Palingenesis oder Wiedererstehung in unbekannten Welten nach unbekannten Regeln und in unbekannten Ausfor* mungen. Es ist an uns, hier streng die Grenzen nicht nur unserer, sondern jeder Erkenntnis, ja der Erkenntnis über*
871
haupt zu achten und rechtzeitig einzuhalten. Es ist an uns, der nahgelegenen Versuchung Widerstand zu leisten, nun* mehr die zahlreichen Fassungen des Unsterblichkeitgedan* kens um eine eigene zu vermehren, dieweil uns am Un* sterblichkeitgedanken nichts, an der Unsterblickeit jedoch alles gelegen ist. Genug, daß diese Tat selbstherrlich, selbstgenugsam, selbstgesetzgeberisch für sich selber bürgt, indem sie mit der Schwerkraft ihrer Masse wie ein Stern den Aschenstaub zahlloser ätherischer Körperchen aus fernsten Gegenden an sich heranzieht, saturnisch geballt zum Ring oder Doppelring um sich drehen und schweben heißt: um endlich eines Tages, den Ring wie eine Wurf* scheibe von sich schleudernd, ihn als ihr Umfolger und Nachfolger verjüngten Maßes und verjüngter Erscheinung den Himmeln zuzuführen.
Weit fortgeschritten in eigener Vergöttlichung wäre schon ein solcher, dem das dreifache Opfer nicht über Willen und Vermögen ginge. Ein Thronerbe entthronter Götter, gestaltete er auf sehr menschliche Weise Göttliches, bis über alle Einwände und Wände bloßer Verständlichkeit hinaus. Da hat einstens der Gott dem schuldverhafteten Menschen Sühne erwirkt, bis der schuldverhaftete Mensch gottherrlich sich selbst entsühnen lernte: will sagen, bis Apollon Phoibos vor dem Gestühl des Areiopagos spurlos verschwand und Orestes sich irdischem Seelengericht anzu* befehlen so unterwand wie überwand. Da hat einstmals der Gott sich selber seiner Neugeburt zum Opfer darge* bracht, bis nachahmend der Mensch in seinem wachen Selbst Opfer und Wiedergeburt vollbringen lernte: will sagen, bis Messe und Wandlung der sichtbaren Kirche in jedem hochgemuten, frommen Herzen unsichtbar gefeiert wurde. Nur eines schien der alte Gott dem Menschensohn
872
und werben vorenthalten zu haben, die Tat der Schöpfung und Erlösung nämlich, die er als letztes Machtgebiet noch eine kleine Weile für sich selbst behielt. Aber zuletzt mußte sich auch dieses Mysterium dem Nachfolger Gottes auf* dringen, das merkwürdigerweise von der Vergangenheit nicht als die gleiche doppelte Verrungenheit wie Schuld und Sühne, Opfer und Wiedergeburt begriffen ward, son* dem das man fast ohne Ausnahme buddhistisch*gnostisch* johanneisch als Zwietat zweier Gegengötter gewähnt und ge wertet findet. In Wahrheit hat insbesondere das Christen* tum gemäß seiner Herkunft zur Schöpfung Nein und zur Erlösung Ja gesprochen, den Schöpfergott derart (es sei ab* sichtlich oder unwillkürlich) zu Gunsten des Erlösergottes unterdrückend, nicht selten ihn sogar gelegentlich in einen gegenstandlosen Schemen verflüchtigend. Unabänderlich schien der Schöpfer der Gegengott des Erlösers sein zu müssen, und unter den vielen vereinheitlichenden Leistungen der Kirche geht diese eine schier ins Märchenhafte, daß ihr sowohl Gottvater wie Gottsohn, sowohl Jahve wie Christus, sowohl roter Leu wie Lilie im Tiegel ihrer unausdenklichen Alchymie ineinanderzuschmelzen gelang, — wenigstens so* weit gelang, daß ihre tritheistische Theologie bei uns für Jahrhunderte die maßgebliche werden konnte. Wir Gott* losen jedoch der neuen Zeit, die wir uns vielleicht nicht unzutreffend umgekehrt wie die Mormonen die , Unheiligen der letzten Tage' nennen dürften, — wir haben, nachdem wir den Schöpfergott durchs Schöpferselbst verdrängten und den Erlösergott durchs Erlöserselbst, an unserer eigenen Seele als Wahrheit zu erhärten, daß Schöpfung zu wesentlichst Erlösung und Erlösung zu wesentlichst Schöpfung sei. Uns liegt es auf, jahrtausendlang ver* heimlichte Zerklüftung in den Religionen des Christen* tums durch Religion zu überbrücken, uns selber aufrichtend
873
als die zwei Pfeiler, die den Schwung des versöhnenden Bogens tragen dürfen. Was also, fragen wir, ist Schöpfung, was ist Erlösung? Was ist die eine, ist die andere, wenn wir die überholten, ausgehöhlten Herausstellungen derDog= men und Theologien wieder einmal schlicht und treu in uns zurücknehmen, uns als die Stifter aller Theologien und aller Dogmen auch zu ihrem Widerruf befugt wissend? Was ist Schöpfung dort, wo kein Gott, vielmehr nur ein Selbst als Schöpfer sich betätigt, — was ist Erlösung dort, wo kein Gott, sondern allein ein Selbst Erlöserwerke übt?
Dabei hätten wir einmal noch, ehe wir uns völlig der Neuheit dieses Mysteriums widmen, an die Religionen und ihre alten Götter zurückzudenken, die uns bisher die Mittler, die Erschließer und die Schlüssel zur Religion geworden sind. Wo sie von Schöpfung uns berichteten, von Schöp* fung aus dem Nichts oder auch nur von Ordnung aus dem Urgemisch, so geschah bei ihnen beides durch das Wort. Auf irgendeine Weise war der Schöpfer selbst das Wort und Wurzelwort der Dinge; auf irgendeine Weise galt Schöpfen für Sprechen, galt Beleben für Sprechen, galt Er* schaffen für Sprechen. Das Wort war vor der Tat und hing hoch über ihr wie die Wolke über ihrem Blitz; das Wort war Tat und Urtat schlechthin, der alle einzelnen Tätig* keiten und Betätigungen entsprangen, — und nur abend* ländische Kurzsinnigkeit und Kurzstirnigkeit konnte das Richtige dieser Auffassung mißkennen. Denn in Wahrheit geschieht alles, was Schöpfung ist und einer Schöpfung gleicht, durchs Wort, durch ein einziges Wort als Wort aller Worte: durch das Ja! — (und wer weiß, am Ende dürfte man hier in einer anderen als herkömmlichen Bedeu* tung sogar wieder eine Schöpfung aus dem Nichts anneh* men) . . . Entstehen doch Dinge, Gegenstände, Wirklich* keiten, Welten nur eben dort, wo jemand, ein Geist, ein
874
Ich, ein Selbst, ein Wille sie bejaht und durch Bejahung setzt: was jemand nicht bejahend nicht setzt, das ist im Grunde (für diesen jemand wenigstens) auch gar nicht da. Ja zu den Wirklichkeiten sagen und die Wirklichkeiten erschaffen, ist mithin ein und der nämliche Vorgang, und die Schöpfung des Schöpferselbstes wird nur insoweit Er* eignis, als sich das Schöpferselbst dies Ja entringt und ab* zwingt. Weder mehr noch weniger heischt dies Mysterium vom Einzelnen, — nichts anderes fürwahr, als daß er die ganze Welt in ihrer lückenlosen Gesamtheit und Beschaffen* heit durch sein zubilligendes, zustimmendes Ja bekräftige und damit erst ins Dasein hebe, das für ihn da ist. Wohl kaum eine schwierige, weniger noch eine unmögliche Sache, denkt mancher da bei sich, und — nichts einfacher als das? Nicht schwieriger und nicht unmöglicher in der Tat, mein Freund, als mit weißglühenden Stählen Fangball zu spielen, ohne sich das Fleisch der Hände bis auf die Knochen zu verbrennen; oder als sich mit den Drähten einer Hoch* spannungleitung einen Stallzaun zu flechten, ohne bei der ersten Berührung des Drahtes als galvanische Leiche schauer* lieh zu zappeln ; oder als sich in einem Kessel siedenden Teers das Gesicht zu waschen, ohne sich auf der Stelle schwarz und tot zu verbrühen . . . Denn daß wir's nicht vergessen: der Mensch sagt Nein, Nein, Nein schon von Natur zu fast allen Dingen, Nein fast zu allen Wesen und Geschaffen* heiten, Nein fast zu allen Vorkommnissen und Erschütte* rungen, Nein fast zu allen Änderungen und Dauerhaftig* keiten. Er sagt Nein von vornherein zu allem, was seine Aufmerksamkeit nicht auf sich zieht, und das ist leider nur wenig weniger als alles, was nicht seine Gier aufregt. — schier alles gemeinhin, was er nicht essen oder trinken kann, womit er sich nicht gatten kann und was er als Tauschbares nicht gegen Eßbares, Trinkbares oder Gattliches eintauschen
875
kann. Wie eine Schildkröte stumpfsinnig und hart um* panzert, blinzelt der Mensch blöden Auges in den Tag, trag, gleichgültig, stumpfsinnig und hart umpanzert, auch wenn er in scheinbar nicht zu überbietender Betriebsamkeit dem Erwerb seiner überflüssigen Unentbehrlichkeiten amerikanisch toll nachhastet ... Er bringt es fertig, ein stücker sechzig, siebenzig Jahre seines sogenannten Men* schenlebens dumpf dahin zu fristen, ohne etwa ein einzig mal hinauf zu der goldenen Sand* und Eieruhr des Orion geblickt zu haben und ohne den Sirius, Aldebaran, Fomal* haut, Beteigeuze einen Blick zu gönnen. Nicht schieren ihn Sternbilder und Gestirne, Weltlinsen und Milchstraßen; nicht schieren ihn die Mondauf* und *untergänge, die hellen und die dunkeln Nächte, die Glanzabende und Taumorgen : und wer wollte es ausrechnen, was ihm in dieser Hinsicht nicht alles Sirius, Aldebaran, Orion und Beteigeuze istl Ob* wohl seine Sinneswerkzeuge vollkommen ausgebildet sind, um ihm zuverlässige Kunde zuzutragen aus allen Schich* tungen und Richtungen her des All, legt er seine Gleich* gültigkeit auf die Schwelle des Bewußtseins wie einen bissigen Hund, der niemanden und nichts einläßt, was nicht seine hündischen Instinkte überredet, überlistet, über* schmeichelt. So klingt und rinnt das Licht des Äthers ihm zu einem schmalen Strahl, den er sich im Prisma geizig fängt; so dröhnt und donnert der Schwall der Ozeane ihm in einer kleinen Muschel, die er sich abwechselnd ans rechte oder linke Ohr hält; so duftet und schwillt der Wohlgeruch der Flieder*, Jasmin=, Rosenbüsche ihm nur aus einem Tropf lein balsamischen Öles, das er sich auf das Taschentuch sprengt . . . Nur beileib nicht berührt, beileib nicht betroffen, beileib nicht bewegt werden vom Sturmwind rauher Wirklichkeiten. Nur ja den heißen Überschwang des Lebens so abkühlen, unterkühlen, daß es beim ersten schwächsten Anstoß zu
876
harmlos kühlem Eis erstarrt. Nur alles Übermaß der Dinge herabsetzen auf ihr armsäligstes, lächerlichstes Mindestmaß, nach der sattsam bekannten Regel: zwar alles ist, aber du tu nur so, als ob es nicht wäre. Wie etwa ein vormals wohlgegliedertes Schmarotzertier allmählich seinen Körper rückwärts bildet zu einem bloßen Darmschlauch mit ein paar Widerhaken oder Zangen zum Festsitzen und Fest* saugen, sonst aber alle Organe mit der Zeit eingehen läßt, so bildet in der beklagenswerten Mehrzahl der Fälle der Mensch sein reicheres Selbst zurück zum ungestalten Stumpf und Stumpen, — nur um das Schöpferja nicht sprechen zu müssen; nur um Lebendiges, welches da ist und da sein möchte, zum Nichtsein verdammen zu können; nur um un* göttlich das ungöttlichste Gelüst zu büßen : du sollst, du willst Lebendiges töten . . ., wenn anders töten im Wortver* stand der Religion alles ist, was nicht lebendig macht und nicht aufschließt, was nicht betreut und nicht willkommen heißt, was nicht billigt und nicht anerkennt, was nicht ge* währen läßt und nicht fördert, was nicht aufnimmt und nicht empfängt, was nicht hegt und nicht pfleglich behan* delt, was nicht Gastfreundschaft übt und nicht zur Wach* heit auferweckt. Denn „Wachsein ist Leben. Nie hab' ich einen Menschen angetroffen, der ganz wach gewesen wäre. Wie hätte ich ihm ins Angesicht blicken können!" — sagt der sehr wachsame und weise Henry David Thoreau, dieser amerikanische Hieronymus im Gehäus, Hieronymus im Freien innigst. Und nie noch, möchte ich an seiner Stelle weiter fahren, haben wir einen Menschen angetroffen, der alle und alles in sich geweckt und wachgerufen hätte. Wenn nämlich Wachsein Leben heißt, dann heißt Wachrufen Schaffen, Schöpfen und Beleben. Ach, daß wir wacher wären, um endlich nur Wachrufer und Aufwecker, All* schöpfer und Allerschaffer zu seinl
877
Schlägt somit, wie gesagt, das Fallbeil menschlicher Un* aufmerksamkeit und Unaufgewecktheit zahllosem Dasein gleichsam den Kopf ab, wo sorgfältigste Verlebendigung uns eigentlich obläge, so wütet freilich unvergleichbar schlimmer und verhängnisvoller unsere Unlust an den Wirklichkeiten und Begebenheiten. Das Nein der Unauf* merksamkeit ist gewissermaßen nur ein passives Nein, aber das Nein der Unlust ist höchst aktiver Art. Das erste will uns nur nicht gewahren machen, was allenthalben ist und weset; das letzte hingegen will ungeschehen machen, was es als seiend und als wesend schon erfahren hat. Das erste unterläßt ganz einfach die Setzung von Dingen, die auch ohne diese Setzung schließlich irgendwie vorhanden sind; das letzte verwahrt sich und wehrt sich ausdrücklich gegen Erscheinungen, deren mittelbare oder unmittelbare Auf* hebung es sich angelegen sein läßt. Das Nein der Unter* lassung ist darnach nur eine Nicht*Schöpfung, das Nein der Aufhebung aber ist eine Gegen=Schöpfung. Wer fünf* zig Jahre verabsäumt hat, nach Maßgabe religiös vertiefter, religiös erweiterter, religiös geübter Aufnahmefähigkeit die Wirklichkeiten in seiner Seele zu ihrem zweiten und höheren Leben zu wecken, dem steht's im einundfünfzig* sten Jahre frei, wenn er sich auf seine göttliche Pflicht und Würde, wenn er sich aufsein eigentliches Seelenamt besinnt, alle Versäumnis nunmehr nachzuholen: die Welt hat nur auf diesen Augenblick des großen Weckens gewartet, da sie am Busen eines Liebenden zu sich erwachen könnte . . . Wer indes während fünfzig Jahren die Wirklichkeiten nachein* ander aufgehoben, verneint, vernichtet hat, weil sie ihm überwiegend Ungenügen, Leid, Unlust, Sorge, Trauer, Schmerz, Gram, Kummer oder Ekel brachten, heißt das weil sie in dieser oder jener Hinsicht ihm wider Wünschen, Trachten, Sinnen, Streben, Minnen, Wähnen gingen, der
878
hat sie unwiderruflich, unwiderruflich in sich begraben. Er ist es, der in sich am tödlichsten den Schöpfer traf; er ist es, der in sich dem Gott am feindlichsten begegnete. Die Welt als Weh* und Übelwelt verneinen, das ist die Tat des Wider*Gottes, Gottes*Wider. Wünschen, daß Schnaken, Wanzen, Schlangen nicht seien, damit unsereins nicht von ihnen gestochen würde; wünschen, daß Dreckseelen, Feig* linge, Schurken nicht seien, damit unsereins es hienieden leichter haben möchte; wünschen, daß Alter, Krankheit, Tod nicht seien, damit unsereins die Freuden ewiger Jugend schmecke; wünschen, daß Gier, Scheelsucht, Haß nicht seien, damit unsereins mit anderen eine Menschenbrüder* schaft bildete : das alles heißt die weite große Welt verkrüp* pelt und verarmt, beschnitten und verkümmert wünschen. Leicht wäre es fürwahr, in einer Wunschwelt wohlig her* umzuschwimmen wie ein Goldfisch im Marmorbecken schimmernd seines Brunnens, — leicht wäre dies und gold* fischhaft angenehm, aber kaum doch göttlich. Oder wie vermöchte der werdende Menschgott den bisherigen Men* sehen und jede nur menschähnliche Kreatur schlechthin zu übertreffen, wenn er nur das wirklich zu bejahen, nur das als wirklich zu setzen wagte, was gehorsam und gehorch* sam in der Richtung seiner Wünsche läuft, — wenn er nicht einmal die Kraft aufbrächte zur Bejahung dessen, was eigen* sinnig dieser Richtung widerstrebt? Es sei ferne von mir zu behaupten, daß es besonders leicht sei, die Wirklichkeit in all ihren Wüchsen, mit all ihren Auswüchsen in Grund und Boden hinein zu verneinen und derart brahmanisch, gotamidisch, mystisch der Wirklichkeit ledig zu werden. Aber ist dieses unbedingte Nein keineswegs leicht, so ist das unbedingte Ja vielmals schwerer noch, und das Schwe* rere ist hier allerdings das Göttlichere. „Denn der den Außendingen nachstrebende Mensch geht von dem Grund*
879
satz aus: ,Ich will das Erwünschte erlangen, das Nichter* wünschte meiden', und auf diesem Wege kann er das letzte Ziel des Menschen nicht erreichen", heißt es beziehung* reich genug in (^ankaras berühmtem Kommentar (in dem an innigsten Einsichten so ergiebigen vierten Sütram des ersten Päda des ersten Adhyäya). Ein Ja anstatt eines Nein also zu allem, was keiner wünschen konnte! Ein Ja zu Nattern und Ottern und Kröten und Würmern und Fliegen und Spinnen und Lurchen und Echsen sowohl tierischen wie menschlichen Geschlechtes! Ein Ja dem Mißwuchs und Hagelschlag, dem Frost und der Hitze, der Trockenheit und Überschwemmung, dem Erdbeben und Wirbelwind, der heißen und der kalten Zone, der Wüste und dem Eis* gebirg, den Sümpfen und ödlandstrecken! Ein Ja den Seu* chen und Ansteckungen, den Aussätzen und Krebsen, den Grippen und Beulenpesten, den Schorfen und Knochen* fraßen, den Auszehrungen und Schlagflüssen, den Glieder* Verlusten und Unterleibschüssen, den Verblödungen und Geistesgestörtheiten, den Gehirnerweichungen und Ge* webentartungen, den Zersetzungen und Verschüttungen, den Erblindungen und Entmannungen! Ein Ja den Rechts* Übertretungen, Grenzverletzungen, Verleumdungen, Mord* taten, Hinrichtungen, Abdeckungen, Schlachtungen, Zer* gliederungen, Tierquälereien, Raubüberfällen, Kriegen, Umstürzen, Aushungerungen, In*die*Luft*Sprengungen, Vergewaltigungen, Verschleppungen, Standgerichten und Erschießungen! Ein Ja den Glaubensverfolgungen und Hexenverbrennungen, den Ketzergerichten und Gewissens* bedrängungen, den Menschenjagden und Seelenverkäufen, den Marterpfählungen und Blutrachen, den Auspeitschun* gen und Prangerstellungen, den Folterungen und Lebend* begrabungen! Ein Ja den Theatern und den Tempeln, den Zirkussen und den Tingeltangeln, den Bazaren und den
880
Lichtspielhallen, den Kaufhäusern und den Bordellen, den Großbanken und den Börsen, den Fabriken und den Mas schinenräumen, den Nachtherbergen und den Spielhöllen, den Gefängnissen und den Besserunganstalten , den Ka* sernen und den Spitälern, den Klöstern und den Irrenan* stalten, den Kohlenflözen und den Tauchbootbäuchen, den Schwefelgruben und den Schlachtschifftürmen! Ein Ja den Fahrlässigkeiten, Unterlassungen, Unbedachtsamkeiten, Zwistigkeiten, Lüderlichkeiten, Streikdrohungen, Arbeit* niederlegungen, Klassenkämpfen, Rassenhetzen, Ausbeu* tungen, Versklavungen, Empörungen, Niederzwingungen, Schiebergeschäften, Wuchergewinnen, Schwindelkonkur* renzen, betrügerischen Bankerotten, Lügenfeldzügen, Par* teihadern, öffentlichen Meinungen und heimlichen Stänke* reien! Ein Ja den Fügungen und Geschicken, den Zufällig* keiten und Schicksalen, den Heldenanstrengungen und Seelenkämpfen, den inneren Sorgen und Niederlagen, den Umfallen und Überwindungen, den Treubrüchen und Standhaftigkeiten, den Gewissensnöten und Büßungen, den Selbstkasteiungen und Selbstkrönungen, den Heilsta* ten und Entsagungen, den Glaubensstärkungen und Ver* suchungen, den Liebesfreuden und Liebesentbehrungen, den Fröhlichkeiten und Bitternissen, den Demütigungen und Verzweiflungen, den Läuterungen und Wandlungen, den Sündenfällen und Säligsprechungen! Ein Ja den Ver* rungenheiten wie Verhängnissen, den Niedergängen wie Aufschwüngen, den Wiederholungen wie Neuentstehungen, den Gleichheiten wie Verschiedenheiten, den Beharrungen wie Veränderlichkeiten! Wer Ohren hat, hört, und wer Augen hat, sieht: ist nicht dies der ewige Kehrreim in den Reden Gotamos und Jesu? Wer Ohren hat, höre, und wer Augen hat, sehe : ist nicht dieses das oberste Gebot aller vornehmen Religionen, auf daß jeder Wirkliches in sich
56 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 881
verwirkliche, indem er's in sich einlasse und bette? Be* trachte deinen Hund oder deine Katze oder etwa auch dein Pferd, wie dir das Tier in ihnen — freilich das häusliche Tier! — manchmal ins Auge schaut (obwohl nicht häufig, denn nicht lieben die Tiere des Menschen Auge und sehen gern an ihm vorbei): wartet nicht das Tier jedesmal darauf, daß du ihm etwas antun, ihm etwas gewähren sollst? Will es sich nicht in dir gleichsam vermenschlichen und mehr noch wie nur vermenschlichen, will es von dir, in dir nicht nochmals erschaffen und mehr wie nur erschaffen sein? Und bist du erst frömmer noch, schöpferischer noch, leben* spendender noch, bejahender noch geworden, dann wirst du's verstanden haben, weit über jeden Verstand hinaus, — jedweder Steinhaufen und jedwede Kotpfütze ist ein solches Tier und äugt dich an in stummer, vielgeduldiger Erwartung . . . Mit dieser Schöpfung durch das Wort und aus dem Wort verglichen sind aber alle Schöpfungen sonst nur Schöpfungen an selbstfremdem Stoff, nur Schöpfungen aus zweiter Hand, nur Schöpfungen auf Umwegen und zum Ersatz der Einen Schöpfung: alle die Palazzi Pitti und Sechste Symphonien, die Don Juans und Fauste, die Tristan und Isolden und Grüne Heinriche, die Isenheimer Altäre und die Ulmer Münstertürme, die Bürger von Calais und Naumburger Stiftergestalten, die Enneaden und Kritiken der Urteilskraft, die Chefrenstatuen und Cheopspyrami* den, die Gilgameschepen und Iliaden. Nie schafft der relU giöse Schöpfer noch irgendwie in ihrem Sinn, ob auch in ihnen viel Religion und viel göttlicher Wille ans Licht bricht. Nicht in ihrem Sinne mehr ist der Göttliche der Schaffende, noch ist in ihrem Sinn der Schaffende schon göttlich . . .
An dieser Stelle aber, vor einer gleichsam harrenden und wartenden Unendlichkeit menschgöttlich erst zu erschaffen* der Erscheinungen jenseit von Wohl oder Übel, von Lust
882
oder Leid, von Freund oder Feind, von Wunsch*Ja oder Wunsch*Nein, an dieser Stelle bietet sich ungerufen ein ältester Gedanke oder vielleicht nur der Traum eines Ge* dankens zur Probe dar, wie weit ein jeder in der Fähigkeit dieser Weltbelebung bereits fortgeschritten sei. Vollendeter Schöpfer, vollendeter Gott wäre nämlich nur der, — und wir wissen, daß Vollendung die menschliche Grenze ist! — der sein Ja und Amen auszusprechen sich getraute zu allem was geschah, zu allem was geschieht und zu allem was geschehen wird und mag: auf die ungeheure Gefahr hin, daß das Gestern wie das Heute, das Heute wie das Morgen nichts anderes sei als die Wiederbringung je und je des ewig Gleichen. Ein Jasager zu einer Wiederkehr des Gleichen, der wäre Weltbejaher, Weltschöpfer, Weiterschaf: fer schlechthin, — ein Jasager jener Wiederkehr etwa, wel* che in Morgen* und Abendlanden zum ersten mal ihre klas* sische Fassung in den Reden Gotamo Buddhos gefunden zu haben scheint. In der Ersten und in der Achtundzwan* zigsten Rede aus der längern Sammlung Dighanikäyo näm* lieh wird die Behauptung der Ewigkeit von den Behauptern der Ewigkeit, die ihrerseit noch nicht wie der Buddho sei* ber alles Behaupten in seiner Gegenstandlosigkeit durch* schaut haben, auf eine Formel von höchster sprachlicher Mächtigkeit gebracht, deren einzelne Worte wie Schäfte reich kannelierter Säulen gerad, schlank und gewaltig aufwärts ragen: „Ewig ist Seele und Welt, starr, giebel* ständig, grundfest gegründet; und diese Wesen wandern um, wandeln um, verschwinden und erscheinen wieder: es ist immer das Selbe I" . . . [Und vielleicht verdiente es nebenbei erwähnt zu werden, daß es den Vedänta spä* terhin nicht ruhen ließ, geschichtlich diese Verkündigung schon für den Veda und die Upanischaden in Anspruch zu nehmen, indem er nämlich einenteils die völlige Gleich*
56* 883
heit aller zeitlich aneinandergereihten Weltalter (oder kalpas) durch den (scholastisch ungemein interessanten) .Realismus' der wörtlich so benannten »Gleichheit der Namen und Gestalten' (nach Deussen äkciti = eidt) !), wel* che in allen zahlenmäßig verschiedenen Welterscheinungen grundsätzlich doch dieselben seien, stark platonisierend zu begründen sucht; — andernteils aber ganz naiv buddhistisch auf die Behauptung zu stützen strebt, daß jede neue Welt genau nach Maßgabe ihrer vergeltenden Beschaffenheit von früheren Welten bedingt und bestimmt sei und ihnen da* her schon als Neuverkörperung ihres ,kavmanl ähneln müsse . . .] Also noch Ja zu sagen zu dieser sei es vedisch, sei es gotamidisch gefaßten Wiederkehr des Gleichen, die alle Schrecknisse, Sinnlosigkeiten, Scheußlichkeiten des Wirklichen wie auf eines Kreisels Spitze ewig an* und ewig abtanzen ließe, — und bekanntlich hat der Buddho selber, nachdem er dieser Meduse ins Gesicht gesehen hatte, Nein und Abernein gesagt! — Ja zu sprechen zu ihr ohne die leiseste Weltfurcht in den Gliedern, das hieße den Schöp* fer in sich aufgeboten haben, den wahren Schöpfer, der nicht darnach fragt, was, sondern nur daß er zu schöpfen habe. Wer vor dieser Aussicht nicht wimmernd zusammen* bräche wie einer, dem ein keilender Gaul mit den Hinter* hufen vor den Bauch trat, der hätte die Probe auf seine übermenschlichste Tugend ein für alle mal bestanden. Wer hier, wo sogar Buddho der Strengstirnige, Steilgewillte, Nichtserlassende noch verneinte, den Mut zum Ja gefun= den hätte, dem wäre das Mysterium der Schöpfung pran* gend wie des vollen Mondes Goldscheibe aufgegangen: er hätte das glorreiche Mysterium für sich und uns vollbracht. Denn ob auch die Schöpfung der Welt einem allmächtigen Schöpfergott zur unsterblichen Schande gereichte, weil er offenbar Besseres hätte tun und leisten können, so gereicht
884
sie dem menschlichen Schöpferselbst, dem völlig ohnmäch* tigen im Vergleich mit Brahmas oder Jahves Allmacht, zur unsterblichen Ehre, weil ihm Höheres zu tun und Besseres zu leisten auf keine Weise beschieden ist. Als der Einleiter und Einläuter, als der Vorreiter und Herold, als derTrom* peter und Fahnenträger, als der Frohbotschafter und Froh* locker des jüngsten Weltalters hätte dieser ehrwürdigste aller Jasager endlich über Buddho und den Orient hinaus* gebaut, der erste wirkliche Europäer, nachdem sich die abendländischen Religionen bisher auf ihren Gipfeln stets entweder mit den Lehren Gotamos oder der Upanischaden, des Vedänta begegneten; — Er, Zarathustra, der die erste der heiligen Schriften des neuen Kanons, so etwa ihn das Jahr Fünfundzwanzighundert mit vielen anderen heiligen Schriften der nächsten Jahrhunderte zusammen* gestellt haben wird, unter dem Titel ,Der Genesende' verfaßt hat. „Aber der Knoten von Ursachen kehrt wie* der, in den ich verschlungen bin, — der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft. Ich komme wieder mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange — nicht zu einem neuen Leben, oder besseren Leben oder ähnlichen Leben: — ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im größten und auch im kleinsten, daß ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, — daß ich wieder das Wort spreche vom großen Er* den* und Menschen*Mittage, daß ich wieder den Menschen den Übermenschen künde. Ich sprach mein Wort, ich zer* breche an meinem Wort; so will es mein ewiges Los — als Verkündiger gehe ich zu gründe! . . ."
Also sprachst du dein Wort zu uns, oh Zarathustra. Also zerbrachst du an deinem Wort, oh Zarathustra. Also er* reichte, also ereilte uns endlich dein möwenschwirrend,
885
möwenflügelnd Wort aus gewitterblauer Ferne, oh Zara* thustra : damit wir, wenn es uns möglich wäre, nicht mehr an ihm zerbrächen, oh Zarathustra. Denn du weißt es ja, du unseres Herzen Trautester und Teuerster, Zärtlichster und Nächster! — wir lernten da inzwischen einer gewissen Sache in die stieren Augenhöhlen schauen, in die phospho* risch schimmelnden und schwefelnden und grünelnden — — du weißt es ja! . . .
Verläuft indes das Mysterium der Schöpfung auf diese Weise, so gilt es eingedenk zu bleiben, daß für dies My* sterium keineswegs der Erkenntniswert der Verkündigung von der ewigen Wiederkehr als solcher in Frage steht. Sehr im Bereich des Möglichen, daß es eine Wiederkehr des Gleichen überhaupt nicht gibt, statt ihrer aber vielleicht eine Wiederkehr des Ähnlichen: will meinen des Gestalt* Verwandten, wie sie von mir in dem Kapitel Die Welt als Organismus hier erörtert und für wahrscheinlich befunden wurde. Nicht darauf ist ausschlaggebendes Gewicht zu legen, daß das früh*und=späte Urgesicht von der ewigen Wiederkunft erkenntnismäßig mitteile und verbildliche, was sich in Wahrheit ereignet und in Wirklichkeit begibt. Sondern darauf ist es zu legen, daß das befestigte Schöpfer* selbst seinen Schöpferwillen nicht einmal vor diesem ge* furchten Urgesicht verlöre : daß das Schöpferselbst vielmehr sogar dies Urgesicht beherzt bestehe, ganz einerlei im übri* gen, wie es mit dem erkenntnismäßigen Gehalt des Welt* gesetzes der Spiralen oder der Zyklen oder der Zircumnu* tationen genauer nun bestellt sei. Nicht Forschung, Erkennt* nis, Deutung hat sich in der Verkündigung von der ewigen Wiederkehr zu bewähren. Bewähren soll sich allein die Unbedingtheit, Unbeirrtheit, Unerschütterlichkeit des Wil* lens, die Wirklichkeit aller Dinge, wie sie gerade sind (und nicht minder wie sie krumm sind) durch das Ja göttlicher
886
Stärke zu bekräftigen und ungefähr also zu reden: „Sie ist mir eben recht, diese Wirklichkeit. Sie dünkt mich gar nicht übel, diese Wirklichkeit. Sie gefällt mir ausnehmend, diese Wirklichkeit" . . . Nicht anders als in einer Musterung der namentlich Aufgerufene sein Hiersein durch ein Ja ver* nehmlich zu bestätigen hat, nicht anders wird der schöpfe* risch Gewillte sich selbst und alles, was Erlebnis dieses Selbstes ist, vernehmlich bestätigen, zum Zeugnis, daß seine Schöpfertat stärker sei als sein Empfängerleid, und sein Er* schafferanteil größer als sein Genießerfehlbetrag. Diesen Sachverhalt noch einmal unterstreichend, beseitigen wir jeden Zweifel, daß in dem angezogenen Kapitel ,Der Ge* nesende' wirklich der Mann, der sich auf seines Lebens Höhe selbstherrlich zum Mythos formte und sich als Wahr* und Feuerzeichen durch die Magie des Wortes selbstherr* lieh unter die Sterne rückte (gleichsam zu Ehren seines frei gewählten Namens Zarathuschtra oder Zerduscht, der ver* deutscht der goldene Stern, Gold*Stern oder Gülden*Stern lautet), — daß in jenem Kapitel, sage ich, Friedrich Nietz* sehe das Dritte Testament für die Dauer der nächsten Welt* zeit feierlich geschlossen und erhaben beschworen habe. Dort fertigte der Stifter die Urkunde seiner Stiftung aus und versah sie mit seines blanken Abendländergeistes hart* geschnittenem Insiegel, jetzo zum allerersten male echt euro* päisch die Welt auf Schöpfung gründend: jetzo die Welt, kraß wie sie ist und nicht wie sie geträumt wird, auf das Wunsch*Ja des Schöpferselbstes gründend. Weltschaffend, weil weltbejahend sitzt jetzt der neue Mensch gleichsam am Strand der See und sieht eine Woge um die andere unend* lieh sich zu Füßen rollen. Er sitzt und blickt und lauscht und harrt jeder anatmenden Welle und wartet ihrer wie ein Pate seines Täuflings und spricht zu ihr und hebt die Hände über sie und spendet ihr den Segen: Heil Welle!
887
Heil Atem! Heil Meer und Meer*Unendlichkeit in allen Gegenden des Raumes! Und derart Schwall um Schwall bei sich begrüßend, wann er heransegelt und anflutet end* los, jetzt einschmiegsam und schmeichlerisch, geduckt und kuschend, jetzt auf brüllend und überschwellend, gischtlef* zig und gefräßig, — da wird er unversehens diesem selben Meere Deich und Damm, Düne und Nehrung, Wind* und Wellenbrecher, Wind? und Wellenbesprecher. Die Gefahr nicht achtend, daß er früher oder später an seinem eigenen Ja zu schänden werden könne, wie Zarathustra daran zu schänden gekommen ist, — und wer unter uns traut sich die endgültige Entscheidung zu, ob es nicht irgendwo eine äußerste Grenze gibt, jenseit welcher zwar immer noch das Ja der Schöpfung, nicht aber mehr Leben und Ich des Ja* sagers und Schöpfers möglich sind?? — diese und mithin überhaupt jede Gefahr nicht achtend, entringt er sich sein Ja in der Zuversicht, es werde schlimmstenfalls sein Ich und Leben überleben, mehr noch: das Wirkliche werde schließlich sogar zu seinem Teil an diesem Ja zu schänden geraten, welches ihm Leib und Ich und Leben wie ein Schild von Demant schirmt. Denn unstreitig ist diese Welt, an die einmal das Ja als schibböleth erging, nicht länger mehr die= selbe Welt, die einst unsere Gleichgültigkeit, Ungeweckt* heit, Unaufmerksamkeit, Unlustempfindlichkeit, Mißver* gnügtheit, Leidergriffenheit verneinte. Und wie die Welt ist auch das Selbst auf keine Weise mehr das nämliche, welches die Welt verneinte. Das Ja=Selbst ist in die Unendlichkeit der Schöpfung, seiner Schöpfung hinein gewachsen und zum Welt*Selbst in des Wort verwegenster Bedeutung worden. Die Ja= Welt aber hat sich in die Unendlichkeit des Ja=Selbstes innig eingebettet und ist zur Selbst* Welt in des Begriffes tiefstem Verstand geworden. Durch die Tat der Schöpfung und der Bejahung, der Bestärkung und der Bestätigung,
888
der Billigung und der Setzung ist jener vorige Zustand des vedantischen , Erwünschtes zu erlangen und Unerwünscht tes zu vermeiden' endlich überwunden und überstanden, sind Selbst und Welt und Welt und Selbst ineinander ge* schmolzen wie Kerne geschlechtgetrennter Zellen bei der Befruchtung ineinanderschmelzen, — gleich hernach sich freilich abermals zerteilend und feste Strahlenspindeln von einem Teil zum andern schießend . . .
Wenn überhaupt, ist damit aber auch der Augenblick nah', wo das Mysterium der Schöpfung übergleitet in das Mysterium der Erlösung, nunmehr dieses auf neue Weise allerdings erlebt, aufgefaßt, vollzogen. Die Religionen der Vergangenheit verkündeten und übten, ersehnten und ver* wirklichten wesentlich, wie weit ihre Voraussetzungen und Mittel sonst auseinanderlaufen mochten, eine Erlösung von der Welt. In dieser unwiederbringlichen Stunde der Ent* Scheidung für Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende tut in* dessen das eine und nur eine not: Erlösung nicht von, Er* lösung zu der Welt! Erlösung zur Welt, die eben darum erlöste Welt ist, weil sie Welt des Menschenselbstes und der Menschenseele geworden wäre. Von viererlei haben uns die hohen Religionen der Vergangenheit erlösen wollen: von Schuld und Übel, von Irrtum und Leiden. Von vierer« lei dürfen wir folglich nicht mehr erlöst sein wollen : von Schuld nicht und nicht vom Übel, von Irrtum nicht und nicht vom Leiden. Sie haben erlösen wollen von der Schuld, bis wir gewahr wurden, daß schuldig werden höchster Stolz und tiefste Verantwortung der Götter, Verantwortung und Stolz mithin auch derer sei, die nach dem Sturz der Götter die eigene Vergöttlichung betreiben. Sie haben erlösen wollen vom Übel, bis uns offenbar ward, daß Wirklichkeit, Welt und Leben durchs Übel so wenig widerlegt als um* gekehrt durch Wohl und Wert bewiesen würden. Sie haben
889
erlösen wollen vom Irrtum, bis wir begriffen, daß ohne Irr* tum nicht einmal Wahrheit Wahrheit sei und überdies alle menschheitwichtigen Fragen diesseit von Wahrheit und Irrtum entschieden werden müßten. Sie haben erlösen wollen vom Leiden, bis wir erfahren hatten an uns selber, daß frei gewolltes Leiden, als Opfer angenommen und ge* leistet, heilsamer sei als irgend sonst eine Tathandlung. Jene Erlösungen von ehedem (und ich führe nur die berühm* testen und geübtesten an) nunmehr mit Worten zu be* kämpfen oder auch nur als rückständige zu tadeln, entspräche indes kaum unseren Vorsätzen und noch weniger der Billig* keit. Denn tatsächlich ist menschlicher Art nichts ange* messener, als über Zustände und Begebenheiten von äugen* scheinlich lebenhemmender, unlustfördernder, sinnent* blößter, vernunftloser Beschaffenheit ganz einfach den Stab zu brechen und die Tafel des Nichtseinsollens aufzuhängen und dabei zu sprechen: diese Verschuldung ist zwar, sollte aber nicht sein; dieses Übel ist zwar, sollte aber nicht sein; dieser Irrtum ist zwar, sollte aber nicht sein; dieses Leiden ist zwar, sollte aber nicht sein. Der erste Instinkt der Ab* wehr, der Verdrängung entspricht bei diesen Dingen allzu sehr der Natur, um mit Recht gebrandmarkt werden zu dürfen, — aber aus demselben Grund darf ich es anheim* stellen, ob der erste und natürlichste Instinkt auch schon der göttlichste Instinkt sei? Auf uns liegt heute jedenfalls das Geständnis, daß es mehr Seelenstärke und Selbstherr* schaft verrät, diesen Instinkt zu besiegen, als ihn schlecht* hin gewähren zu lassen. Wir, die wir glauben, Herberes erlitten, Schlimmeres geirrt, Bittereres erduldet, Härteres verschuldet zu haben als je ein Geschlecht der Geschichte und Vorgeschichte, — wir wünschen nicht durch Religion von diesem allen, sondern durch Religion an diesem allen zu genesen. Nichts liegt uns ferner, als uns bei allen diesen
890
Vorkommnissen für ungöttlich, gar für widergöttlich Ge* zeichnete zu erachten: im Gegenteil für göttlich Ausge* zeichnete! Uns von diesen nun einmal ins Wirkliche fest eingeflochtenen Notwendigkeiten Schuld, Übel, Irrtum, Leiden erlösen zu wollen, das hieße uns von der Wirklich» keit selbst erlösen wollen, hieße uns wiederum an einen Baum die Axt legen, eh' er uns noch eigentlich geblüht hat. Erlöst sein mögen wir nicht vom Unvermeidlichen, was da der Gang der Welträder an uns heranstampft. Er* löst sein wollen wir im Gegenteil von aller angeborenen Schwachheit, Trägheit, Widerwilligkeit, Ohnmacht, das Notwendige durch Tat als not*wendend und not=wendig zu bestehen. Denn daß ich's endlich frei bekenne: alles Beste im Menschen und Göttlichste, das am meisten Mensch* liehe und Menschselbstische, das hat in der Vergangenheit bisher der Wirklichkeit am wenigsten stand gehalten. Vor diese Eisenstirn der Wirklichkeit hingestellt, haben sich die Tapfersten immer noch feig erwiesen, und selbst wo sie die Wirklichkeit bis zu jedem Grad der Selbstmarterung er* trugen, so wünschten sie doch von dieser Marter erlöst zu sein, statt von der Schwäche, ihr nicht im vollen Maß ge* recht werden zu können. Vom Übersinn selbstvergottender Tat also gewertet, hat sich der Mensch in lang vererbter, lang verschleppter Erlöserschwäche scheu an Wirklichkeit und Welt vorbeigestohlen. Vom selbigen Übersinn aus gewertet erscheint der Mensch noch heut' recht eigentlich als weltlos, wofern Seele und Selbst vor dieser Welt nicht nur zu kreuz, nein buchstäblich unters Kreuz gekrochen und gebrochen sind,— das Kreuz als das beweisendste Symbol derWeltuntüchtigkeit und Weltunzulänglichkeit verstanden ; somit verstanden, was man sonst davon halten oder glauben möge, als das zeichengewordene Urverhängnis unserer bis* herigen Art . . . Allzu weit sind daher Wissenschaft und Er*
891
kenntnis der Tat vorausgeeilt, wenn sie vorwegnehmend in reichgeschlungenen Lineamenten Grundriß, Umriß, Auf= riß der Welt auf ihre Pergamente zogen, indes sich nirgends Schultern wölbten, die diese Welt nun auch zu tragen fähig, zu tragen auch nur gewillt gewesen wären. Sobald es galt, das Selbst des Menschen in Wirklichkeit als Wirklichkeit zu verwirklichen, besann sich dieses entweder brahmanisch, vedisch, gotamidisch, vedantisch, evangelisch, mystisch oder sonst asketisch auf seine Weltfreiheit, Weltledigkeit, Welt* nichtigkeit: oder die Wirklichkeit verzehrte umgekehrt das Selbst beim ersten besten Zusammenprall, wie etwa die Weibchen gewisser Spinnen ihre zwerghaft gebildeten Männchen sofort nach stattgefundener Paarung auffressen und vertilgen. Darum ist in ihrem Grund die Welt noch heute unbeseelt und unbesäligt; darum rollt die Welt noch heute unvermenschlicht, unvergöttlicht durch die dunkel* kalten Räume; darum harrt die Welt noch unerlöst der Schöpfung, unerschaffen der Erlösung. Nirgends noch er* löste sich das Menschenselbst zur Menschenwelt, wenn sich auch öfters, es ist richtig, ein Menschenselbst behutsam aus der Welt geschlichen hat. Anstatt des starken Ja haben wir uns bisher nur das starke Nein abgezwungen. Anstatt Schöpfung in Erlösung zu vollenden, haben wir nur die Schöpfung durch die Erlösung widerrufen. Anstatt das Wirkliche ins unwirkliche Selbst zu betten, haben wir nur das Selbst vor dem Wirklichen tunlichst in Sicherheit ge* bracht. In mächtigem Ausmaß haben Einzelne das böseste Tier, haben Einzelne sich selbst gezähmt und sogar abge* richtet; aber die Höhlengräber nennt keine Zahl, die sie in sich zugemauert, in die sie sich eingemauert haben. Büßer und Einsiedler, Apostel und Asketen, Märtyrer und Mes* siase, Yogin und Fakire, Sälige und Heilige, Überwinder und Erlöser verehrten wir in bunter Reihe als Kronzeugen
892
und bisweilen Blutzeugen der Religion. Aber wie Unschätz* bares sie im einzelnen Fall für sich und wie Beträchtliches sie für ihre Nachahmer oder =folger taten, — sie taten allzu wenig für die Wirklichkeit und weniger noch an ihr. Sie stehen steinern da vom Marktgewühl des Lebens abge* sondert, bildsäulengleich in ihren Nischen, vom hohen Sims der Königgalerien ins wimmelnde Getriebe unteil= nehmend blickend oder noch nicht einmal blickend. Alles in allem töteten sie mehr Lebendiges, als daß sie Totes lebendig gemacht hätten, und jede Götterstunde ihrer Selbst* erlöserschaft kostete ein Weltjahr unerlöst ungöttlicher Wirklichkeit, — zu teuer fürwahr seid ihr erkauft, zu teuer! Noch verwechselten sie allzu unbesehen die Erlösung mit Erlöschung, den Sieg mit Versiegung, die Vollendung mit Endigung. Noch lief die Fährte ihres Heilswegs weitab* wärts, welthinab, statt weltaufwärts, welthinauf. Noch hatten sie das Mysterium der Erlösung bei weitem nicht innig genug durchdrungen als das Mysterium der Rück* kehr : Rückkehr zur Welt, Rückkehr zur Wirklichkeit, nach* dem das Selbst sich einst selbst in die Schuld verlor und selbst wiederfand in der Sühne, sich selbst in Opferung ver* lor und wiederfand in Wiedergeburten, sich selbst in Schöp* fung und Aufschließung und Erweckung verlor — und wiederfand in Erlösung. Derartige Rückkehr, feierliche Rück* kehr stufenweis vergotteter Selbstheit zu annoch unver* gotteter Wirklichkeit, freiwilliger Hineinstieg in den feurigen Ofen, um darin zu singen: dies erst ist Erlösung. Durch* glüht von den Feuern seiner Tiefe soll das Selbst hinfort die Welt durchglühen und nicht sich an ihr fortschreitend abkühlen. Begütigt von den Mächten innerer Schlichtung soll das Selbst hinfort die Wirklichkeit schlichten und nicht länger sich unberufen zu ihrem Richter aufspielen: denn was man auch entgegnen mag, — höher als der Welt*
893
richter ist der Weltschlichter, Weltaufschichter und sauf? richter . . . Wo aber das Selbst die Scholle suchte und fand, in welcher es als Saatkorn quellen, keimen und gedeihen konnte, da geschah es, daß das nämliche Selbst ein Stück des Wirklichen zu sich, sich aber zu einem Stück des Wirk* liehen erlösete : wobei vielleicht symbolisch beachtsam wäre, daß das edelste aller Körner, das des Reises, sogar zu seiner Scholle den Sumpf keineswegs verschmäht hatl . . Suchen wir also fortab den Selbsterlöser an keiner anderen Stätte, als wo wir auch den Welterlöser fanden, und imgleichen den Welterlöser nur dort, wo einer ein wenig Welt zum Selbst erlöste. Ein solcher aber heiße uns mit Fug echt gotamidisch ein BeiderseitsErlöser, Beiderseit^Erlöster: Er, der das Selbst zur Welt und die Welt zum Selbst erlöste. Ein BeiderseitsErlöster wird er dann sein Herz wie einen Blumentopf aus rotem Ton in seinen guten Schöpferhänden tragen, und aus dem Topf wird ihm der Stiel einer blauen Schwertlilie in die Höhe sprießen, so steil und hoch in die Höhe sprießen, bis sich der Kelch der Lilie blauglänzend als Himmelsglocke auseinanderspreitet, auseinanderblättert unendlich, und Tau und Licht in hellen Bernsteinperlen unendlich auf die Erde träuft und tröpfelt und ihr die Mulden, Schalen, Becken wie mit geläutertem und ver* flüssigtem Äther blaugolden bis zum Rand anfüllt: Himmel, Erde, Meer mit allen Ans und Inbewohnern aus Kelch und Wurzel der steil sprießenden Lilie ihm treu ins Herz ge* pflanzt und von des Herzens Säften wunderbar getränkt und genährt. Mein Himmel, wird da der Beiderseit=Er* löste, BeiderseitsErlöser in der schmerzsäligen Ergriffenheit einer Wöchnerin, die eben eines fremden Lebens auf be* blutetem Laken genas, zu ihm selber seufzen und zu ihm selber sprechen: Mein Himmel, Meine Erde, Mein Meer! Mein Licht und Mein Geist, Meine Liebe und Meine Brüder!
894
Gestaltet aus Meinem Mark und entflossen Meinem Blut! Erlöst in Meinem Mark und erlöst in Meinem Blut! Du Mein Ich*Selbst, Es Mein Ich*Selbst, All*Alles Mein Ich* Selbst! Oh Gold*Tau Meines ersten Morgens, oh Silber* glast Meines ersten Mittags ! Oh göttliches Genügen, heiliges Befrieden in Meinem, aus Meinem Schöpfer* und Erlöser* Selbst! Ein Säligsprecher der Beiderseit*Erlöser, Beiderseit* Erlöste, ihr Unerlösten, werdet ihr ihn somit stets an seinem Säligspruch erkennen. Werdet ihr ihn somit stets daran er* kennen, daß er in seinem Herzen, dem sanft und weise pochenden, die Welt mitsamt ihren göttlichen und höllischen Kräften als die Seine eingepflanzt göttlich pflegen und hegen wird. Den Gral aber seines Herzens, die Hostie seines Herzens werdet ihr (wie gesagt) in seinen zwei Händen gar fromm wie einen Blumenstock aus rotem Ton vorange* tragen und umfaltet sehen . . .
895
DIE FRUCHT DES MYSTERIUMS
Schuld und Sühne, Opfer und Wiedergeburt, Schöpfung und Erlösung heißen die drei doppeltverrungenen My* sterien, die der Religion gleichsam ihre Verfassung und ihren Gehalt geben. Sie sind es, welche dem Menschen, der über sich hinauswünscht, Vergöttlichung gewähren, auch wenn er Götter längst nicht mehr über sich, außer sich, in sich gewahrt. Mit ihrer Darstellung, wofern sich die Sache der Tat überhaupt durch Mittel der Schilderung und des Berichtes darstellen läßt, mit ihrer Darstellung also haben wir auch unserer Aufgabe genug getan und die Stelle deutlich bezeichnet, wo eine etwanige religiöse Zu* kunft Europas an Europas religiöse Vergangenheiten ge* trost anknüpfen könnte, ohne doch törichterweis diese Ver* gangenheit, die in vielem doch köstlich gewesen ist, in den Wind zu schlagen und kurzatmig von vorn zu beginnen, wo sie vorteilhafter nur fortzusetzen, weiterzuführen, zu verbessern, zu durchklären, zu vertiefen, geradezubiegen, aufzurichten, hervorzuheben, auszulassen, zu berichtigen, abzurunden, fertig zu machen brauchte. Die Religion dieser drei göttlichen Mysterien finden wir gleichsam angelegt und eingezeichnet in allen höheren Religionen, und es darf mit einiger Zuversicht erwartet werden, daß sie sich eben in dem Maß herausarbeite und herausschaffe, als die Religionen ihrerseit zerfallen. Der Entschluß, durchaus Unerhörtem, Neuem zum Leben zu verhelfen, ist dabei für die Verant* wortlichen des Weltgeschehens nicht halb so schwer zu fassen als der andere, aus Altem und Gewohntem (und da* durch freilich auch Gewöhnlichem) die richtige Auswahl zu treffen. Denn im Grund besteht kaum viel Zuversicht, daß künftighin etwas geschehe oder entstehe, was bisher überhaupt noch nie und nirgends geschehen oder gewesen
896
war. Wohl aber besteht eine berechtigte Zuversicht, daß demnächst wieder werde, was irgendwie schon immer war,
— nur etwa nicht allenthalben erkannt und anerkannt, nicht entschlossen genug erstrebt und angepackt. Kindisch ist der Glaube an menschheitliche Zukünfte, die sämtliche menschheitliche Vergangenheiten auf den Kopf stellten und mit den Beinen strampeln ließen, und gereifte Geister, ge* reifte Seelen werden von allen kommenden Äonen hoch* stens nur vollere Verwirklichung dessen erwarten, was immer eigentlich beabsichtigt, noch nie aber durchzusetzen war; — und das wäre wahrhaftig der Mühe wert! — Dies für grundsätzlich genommen, wird sich der Mensch fürder wahrscheinlich auf eine andere Art zu vergotten wünschen, als es bisher geschah: nämlich ohne Gott und Götter und darum auch ohne die teilweis dummen und schlechten Ge* pflogenheiten, welche die sonderbare Annahme, daß Götter seien, bedingen mußte. Aber schwerlich wird sich der Mensch nunmehr in höherem Grade vergöttlichen, als es die Göttlichen seines Geschlechtes in ihren höchsten Zu* ständen je und je vermochten, und nie wird sich auch späterhin das Sein eines Einzelnen mit dem Vorgang der Vergöttlichung vollkommen decken, wie dies der Messianis* mus aller Zeiten wähnte und wähnt. So daß es Hauptsache bleibt, daß man den Menschen neue Wege zu alten Zielen weise, ja daß man ihnen überhaupt wieder Ziele weise, nachdem sich in diesen Zeitläuften alle schlechterdings ver* irrten, nicht wissend mehr woein und nicht wissend woaus,
— und was noch übler ist, nicht wissend mehr wie hoch sich der Mensch als Gattung und als Einzelwesen in seiner eigenen Vergangenheit gehoben hatte . . . Jetztzeitlich ein* geengt und ^gezwängt, nimmt der Mensch seine vorüber* gehende Verkrüppelung und Verlüderlichung (um nicht Verluderung zu sagen) leicht für das Maß der Dinge, leicht
57 Ziegler, Gestaltwandel der Götter 897
für das Maß seiner selbst: er selbst ein zweibeinig Ge* schöpf, das keine Flügel hat, wie der Ironiker Piaton einmal das genus humanum nicht ohne Witz begrifflich abgrenzt. Nun aber sollen ihm die Flügel, die schmählich abgesengten, wieder wachsen. Nun soll der Tag herandämmern, da der Mensch, zweibeiniges Geschöpf und aufrechten Ganges, — und was folgerte ein so großer Humanist wie Herder nicht alles aus diesem aufrechten Gangl — da dieser zwei* beinig Ungeflügelte sich selbst wieder befiedert und be* fittigt und sein eigen Elend hoch wie der Sturm den Kot auf der Straße überfliegt. Wie dieser Flug nicht mehr ikarisch, sondern eher daidalisch stattfinden könnte, dies haben wir uns jetzt genugsam vorgestellt. Das Wort von der religio religionum ohne Gott und ohne Götter, das Wort vom Mythos Atheos, das Wort von den Mysterien der Gottlosen ist ergangen und ergeht, und so wird es kein Wind und kein Besen von dieser alten Muttererde mehr fegen: es sei denn, daß es wirklich kosmisch geworfelt, kosmisch ge* beutelt, kosmisch gesiebt auf anderen Erdsternen oder Sternerden als Lebensstaub einst angewirbelt käme . . . dies Wort, sie sollens gar nicht lassen stahn, sie sollens viel lieber lassen stäuben, wirbeln, tollen, segeln in den Winds* brauten aus Ost und West, bis daß es ganz still in seiner Krume gewiegt liegt, aufgeht und ausschlägt einblattkeimig, zweiblätterkeimig, wie es ihm gut dünkt und gemäß ist. Dann aber, sage ich, wird die kernigste Frucht dieses Wortes Weltsäligkeit und Wohlwollen sein : ein Weltsäliger und Wohlwollender nämlich, sage ich, tritt nach dem Mysterium der Rückkehr dann der Myste hin vor Freund und Feind . . .
Hier aber wird es zum ungesuchtesten und dennoch wohl* gefundensten Ereignis, daß sich das schönste Ziel einer tat* sächlich europäischen Frömmigkeit, die ja nur Frömmigkeit
898
zur Welt sein kann und soll, um ihren ersten erfreulichen Be* ginn zu schlingen kommt. Weltheiligkeit ward eingangs dieser Schriften das Fühlen des wahren .Ersten Menschen', des epi* sehen Griechen genannt, — Weltheiligkeit die erste Erschein nungweise einer höheren Religiosität, die eines glückhaften Tages auf derSchwelle Europas erwacht ist. Und von der ewi* gen Welt homerischer Gesänge galt die Behauptung, daß sie Unheiliges weder als Person noch Sache in sich enthielt noch in sich duldete. Es stellte sich heraus, daß noch in jener Welt nicht weniger als alles für heilig und für göttlich er* achtet wurde, heißt das insofern die besondere Erlebnisform des .Sakral' oder , Profan' weder zu einer praktischen noch gar zu einer abstrakten Unterscheidung gelangt war. Gott* lieh war dort, sagte ich damals, der Sauhirt gewesen, göttlich aber auch der Sänger, der Seher, der Krieger, der König, der Arzt, der Herold, der Seefahrer, der Fremdling, der Gast, der Priester; göttlich Jüngling, Mann und Greis; göttlich Feld und Ähre, Haus und Ölbaum, Hügel und Weinstock, Grotte und Quell, Meer und Insel, Himmel und Sonne, Erde und Stern, Armut und Fülle, Gesundheit und Siechtum, Schicksal und Tod. Göttlich war da vor allem der ablaufende Tag und sein Vollbringen: das Schlachtfest am frühen Morgen und das anschließende Opfer, die Leibes* Übungen und Wettkämpfe, das Handwerk und die Jagd, der Kriegszug und der Überfall, die Meerfahrt und die Feldbestellung, das abendliche Gelag in herdrauchgeschwän* gerter Halle, das Preislied des Spielmanns und das Beilager mit Gattin oder Kebse. Dies alles, sagte ich, war göttlich und heilig, und unsäglich viel mehr noch. Dies alles, füg' ichjetzt hinzu, wird einst wieder heilig sein und göttlich und unsäglich viel mehr noch darüberhinaus: sälig nämlich für Sälige, die zum Heil der Erlösung sich selbst beriefen und sich selbst er* wählten, und darum Berufene und Erwählte sind. In einer
57* 899
säligen Welt wird sich der Beiderseit*Erlöser, Beiderseits Erlöste wiederfinden, ähnlich wie sich der Eingeweihte in Eleusis nach Durchwanderung so manchen dunkeln Stollens plötzlich gebadet fand im Wunder des großen Lichtes. In einer säligen Welt wird er sich wiederfinden, weil er sich weit über gedankliche Versinnbildlichung hinaus die Gewiß* heit verschafft, ja erschaffen hat, daß jedes Wesen und jedes Glied dieser Welt ganz ausnahmlos des höchsten Heiles ebenso bedürftig wie befähigt sei. Auch du da wirst erlöst sein, wirst erlösen, raunt er mit einem Blick der Liebe jed* wedem Geschöpf in seine aufhorchenden Ohren, und läßt sich wahrlich nicht verdrießen, wenn diesem Geschöpf für sein Geraun Ohren und Lauscher und Löffel noch gar nicht einmal gewachsen sein sollten. Es wird ja doch, wird ein* mal doch gewißlich Ohren haben, und war' es auch nur ein winzig Bläschen mit ein paar Härchen und einem Stein* chen drinnen, — genügend, um durch frohe Botschaft inner* lieh bewegt und erschüttert zu werden . . . Auch du tot' Erdklümpchen, Schleimtröpf lein, Kristallkorn, auch du Alge, Pilz, Moos, Amöbe, Busch, Vogel, Fisch und Baum, auch du wirst dich auf ewiger Wiederkünfte Schraube aufwärts und aufwärts winden, bis du deine Selbstlosigkeit, Welt* losigkeit überwunden haben wirst, bis auch du dir dein Teil an Schöpfer* und Erlöserwelt ersiegt haben wirst. Er* löst wirst auch du sein auf eine der Weisheit Weiser sehr überlegene Weise, erlöst in mir und dir, durch mich und dich, du Pflanze, Tier und Mitmensch ... In dieser Hin* sieht verspricht das Mysterium nicht vieles, sondern alles, und es würde nichts und weniger wie nichts versprechen, wenn eben nicht — alles. Denn eine Religion, die noch nicht alles, noch nicht das große All und große Pan zum Heil beruft, ist noch nicht Religion genug. So beispielweis ist derVedänta, verglichen etwa mit dem Buddhismus, schon
900
darum nicht Religion genug gewesen, weil er nach £anka* ras verstocktem Meinen der vierten Kaste die Berufenheit und Eignung zur Erlösung kurzweg abspricht ,als vom Vedastudium ausgeschlossen,' — mit ausdrücklicher Bezug* nähme sogar auf die grausamen Strafen, welche der Manu über den Sudra verhängt, der den Veda ausspricht oder gar auswendig behält: für den freilich folgerichtig, der mit dem Vedänta (und jeder konsequenten Theologie) Erlösung auf Erkenntnis stellt. „Der Sudra", heißt es bezeichnend dort (im achtunddreißigsten Sütram des dritten Päda des ersten Adhyäya), „der Sudra ist wie eine Leichenstätte, die man betritt: darum soll man in Gegenwart eines Sudra nicht studieren." Aber für die Religion der Religionen, für die maxima chavta religionum gibt es keine Leichenstätte und keine zur Erlösung grundsätzlich nicht Zugelassenen und Eingeladenen. Dem Selbsterlöser, Selbsterlösten wird im erlösten Selbst die ganze Welt dereinst erlöst sein und von den Menschen der Wohltäter nicht minder wie der Ver* brecher, der Ratgeber nicht minder wie der Versucher, der Grausame nicht minder wie der Barmherzige, das Mündel nicht minder wie der Vormund, der Ausbeuter nicht minder wie der Ausgebeutete, der Hurer nicht minder wie der Jung* frauliche. Ihr Allerseelenweg wird wohl verschieden lang sein oder kurz, dornig oder gebahnt, krumm oder gerad: aber für keinen wird er leicht sein, schmerzlos oder bequem. Keiner wird ihn nicht zu seiner Zeit geführt werden und für keinen wird er vor dem Ziel abbrechen. In diese Heils* weit wird der Einzelne zwar nicht hineingeboren, aber er wird zu ihr hinaufgeboren. Und ist es erst so weit, daß einer in dieser Heilswelt mit der Seele lebt, dann leuchtet endlich! ihm am heiligen Äther die Sonne Homers, die drei Jahr* tausende so schmerzlich entbehrte, wieder: leuchtet ihm wieder über seinem jetzt in drei Mysterien gesalbten Scheitel.
901
Nicht mehr freilich ist es die Sonne jenes unvergessensten Frühsommervormittags, sondern eher die Sonne, wie sie etwas stechend und dampfend, aber dafür strahlenwärmen* der und regenbogenzauberischer aufgeht nach heftigen Ge* wittern im Juli, die den Himmel für schwüle Stunden tief hinab verhängen und tödliche Blitze als einziges Licht in brütende Finsternisse zischen lassen. Nur ungefähr auf diese Weise wird unsere Weltsäligkeit der Weltheiligung Homers gleichen und wieder nicht gleichen. Denn die Weltheilig* keit des epischen Menschen ward vormals ganz naiv für die Eigenschaft der Erscheinungen selbst genommen, und nie hätte ein Homeride die Frage auch nur verstanden, ge* schweige denn eine Antwort auf sie gewußt, weshalb er denn eigentlich Leben und Welt als göttlich*heiliges Er* eignis schätze. Die Weltsäligkeit hingegen, die hier von mir gemeinte, sie ist der Preis nur unablässig streng geübter Selbstheiligung und Selbstvergöttlichung, die sich und das Wirkliche nur darum sälig sprechen kann und darf, weil beide in der Tat und durch die Tat erweisbar als erlösung* heischend und erlösungfähig scheinen. Was ehedem der Gott des Olympos ohne Müh' einfach durch seine Gegen* wart bewirkte, das lastet heute auf dem Menschen als seine buchstäblich übermenschlichste Aufgabe und Leistung. Eine gottlos*unsälige Welt harrt menschheitlicher Selbstvergot* tung, um durch sie sälig zu werden und zu sein. An diesem Abstand unseres eigenen Weltfühlens vom Weltfühlen der Homeriden werden wir dann zu jeder Stunde abmessen können, wie weit wir unserer höchsten Forderung entspro* chen oder nicht entsprochen haben, Besäliger und Beseeler einer .dennoch' säligen Welt zu sein. Just um die Spanne dieses .Dennoch' dünkt' mich, werde wohl einmal unser Taggestirn an seinem Himmel vorgerückt sein seit den Jahr* hunderten jener epischen Gesänge, die den Gesichtskreis
902
unseres Europa nach rückwärts stets so rein* wie reichge* bildet wundersam begrenzen werden . . .
Lebt folglich der und der allein in säliger Wirklichkeit und Welt, wer über jede gedankenhafte Rechtfertigung die Zuversicht bewahrt, daß jedes vorhandene Geschöpf zu* letzt seinen Weg des Heils geführt werde, so kann es nicht anders sein, als daß ihn diese Zuversicht bald, die er ja nicht als Wissen, sondern als Wandel betätigt, mit tiefem Wohlwollen für alles und gegen alles innig erfülle. Er wird lernen, jedes Wesens Wohl ernstlich zu wollen und zu wünschen, — und mehr noch, er wird lernen, jedweden Wesens Wohl nach besten Kräften überall zu fördern. Und zwar wird er dieses Wohlwollen durchaus als ein über* menschliches und göttliches erweisen : nicht menschlich allzu* menschlich nur diesem hier widmen, aber jenem dort ent* ziehen, und diesem hier gönnen, aber jenem anderen scheel sehen. Ohne Unterschied wird der Weltsälige sein Wohl* wollen vielmehr allen mitteilen und allen spenden, die sich an des Lebens eiserne Pforten drängen. Und im Verfolg dieser wahrhaft göttlichen Erweisung wird er sogar vor jenem äußersten Zynismus nicht länger zurückschrecken, der sonst alleiniges Vorrecht vollendeter Frechheit, Ruch* losigkeit, Ehrfurchtlosigkeit war: sein Wohlwollen wird die Rangleiter der Wesen und der Werte, das festeste Gerüst dieser Welt, mit dem Fuß umstürzen und endgültige, un* bedingte Gleichheit nicht sowohl verkünden als verwirk* liehen, — eine ungeheure Gleichheit, die nicht mehr und nichts mehr abstuft, es sei nach Haben oder Sein oder Können oder Leisten oder Vermögen oder Streben oder Wissen oder Wollen oder Vollbringen. Für den wohlwollend Gewordenen gibt es länger kein Unten mehr und kein Oben, kein Vornehmer und kein Geringer, kein Tüchtiger und kein Ungeschickter, kein Klüger und kein Dümmer. Für
903
ihn sind Unterschiede an Gestalt und Bau so gegenständ* los geworden wie Unterschiede an Seele und Geist, an Adel und Wert. Ihm erwacht alles Daseiende zu seiner Zeit zu seinem Heil, ohne daß dieser Vorgang von religiös ent* scheidender Bedeutung gebunden wäre an die üblichen Voraussetzungen natürlicher, geistiger, sittlicher, gesell* schaftlicher Art. Ihm gelten gleichviel und dürfen endlich gleichviel gelten die guten und die schlechten Musikanten; er als alleinziger erblickt die Brillenschlange nicht unter Brahma, sondern neben ihm. Als Wohlwollender ist er so* gar ganz davon durchdrungen, daß gerade der am höchsten gehoben werden könne, der am tiefsten gefallen ist, wäh* rend der nie auf eigener Ebene Strauchelnde sich auch nie verirrt und deshalb auch nie wirklich findet. Wenn also Jesus der Nazoräer wirklich mit Sündern und mit Zöllnern Umgang pflegte, so war es das Wahrzeichen einer von ihm aus menschgöttlicher Machtvollkommenheit vollzogenen Aufhebung der Rangordnung aller Werte und Gegenwerte, wie sie dem Wohlwollenden geziemt. Und es gehört genau hierher, wenn Gotamo Buddho nach stets neu ausschmük* kenden Berichten den Mörder und Straßenräuber in seinem Orden nicht weniger aufrichtig willkommen heißt als die Buhlerin und Dirne, — derselbe Buddho wohlgemerkt, der sonst in seinem Bund den Älteren dem Jüngeren, den Be* wiesenen dem Unbewiesenen, wohl auch den Mönch der Nonne durchaus vorgezogen wissen möchte: derselbe Buddho, der mit so unerhörter Schärfe den geborenen Knecht, den geborenen Hundsfott vom höheren Menschen zu unterscheiden lehrt, daß man selbst ihm noch unver* kennbar für alle Zukunft anmerkt, was es heißen wollte, am Manu und am Veda als königlicher Prinz zu Kapilu* vatthu erzogen worden zu sein . . .
Durch dieses Wohlwollen aber, das niemand verscherzen
904
aber auch niemand verdienen kann, richtet sich hinter dieser Weltwand unendlicher Seins* und Wertverschieden* heiten eine Welt auf von vollkommenen Gleichheiten, — mithin eine Welt von vollkommener Ungerechtigkeit, die nichtsdestoweniger oder eben deshalb die eigentlich gött* liehe ist. Eine Welt von wirklich gleichen Teilen, von wirk* lieh gleichen Gliedern, von wirklich gleichen Erscheinungen, wie sie sich keine noch so lebhafte Einbildungkraft er* träumen kann: es sei denn eben die des Wohlwollenden, die Menschenmaß schlechthin übersteigt. Ein Endzustand von unfaßbarster Lebensferne und Weltjenseitigkeit, von dem niemand einen Begriff, niemand ein Bild hat, wird hier der Verwirklichung zugeführt. Wenn alles wirkliche Leben auf der Verschiedengestaltigkeit der Glieder beruht, wenn jede lebendige Gesellschaft diese Verschiedengestaltigkeit notwendig zur Verschiedenwertigkeit ihrer Glieder steigert, so hebt sich der Wohlwollende durch sein Wohlwollen über jedes Leben und über jede Gesellschaft hinaus, den Hebel an den archimedischen Punkt setzend, wo er diese Welt aus ihren Angeln springen läßt. Und sicherlich war es mehr als bloßer Zufall, daß es gerade der unbeugsamste Künder welthafter Rang* und Wertunterschiede sein mußte, der tatsächlich als der Archimedes dieses Punktes auftrat, gewissermaßen überwältigt von einer ihm selbst unbegreif* liehen Frömmigkeit, die ihn Religion über jede persönliche Absicht nicht zu stiften, aber in jedem Atemzug zu leben und zu betätigen hieß. In seiner erschreckend weis* und erschreckend wahrsagenden Vermächtnisschrift, die gleich* sam in jeder dunkeln Zeile geladen ist mit dem Verhängnis, das über uns hereinbrach, und oftmals nicht bloß geladen mit ihm, sondern geradezu von ihm gesprengt wie schließ* lieh das Gehirn des Künders selber, — in dieser zeitent* schieiernden Schrift von so mancherlei letzten Dingen über*
905
rascht uns auch das plötzliche Gesicht des großen Wohl* wollenden: „Ein anderes Ideal läuft vor uns her, ein wunderliches, versucherisches, gefahrenreiches Ideal, zu dem wir niemanden überreden möchten, weil wir nie* mandem so leicht das Recht darauf zugestehen . . .; das Ideal eines menschlich* übermenschlichen Wohlseins und Wohlwollens, welches oft unmenschlich erscheinen wird, zum Beispiel, wenn es sich neben den ganzen bisherigen Erdenernst, neben alle bisherige Feierlichkeit in Gebärde, Wort, Klang, Blick, Moral und Aufgabe wie deren leib* hafteste unfreiwilligste Parodie hinstellt, — und mit dem trotzalledem vielleicht der große Ernst erst anhebt, das eigentliche Fragezeichen erst gesetzt wird, das Schicksal der Seele sich wendet, der Zeiger rückt, die Tragödie be= ginnt" . . . Brauch' ich zu sagen, daß diese vielleicht noch unausgenutztesten und unausgehobensten Worte, diese vielleicht noch in dumpfester Latenz versenkten Sätze genau die Stelle berühren, wo alles, was bisher Philo* sophie und Theologie, Ethik und Moral gewesen ist, von der Religion endgültig eingeholt und überflügelt worden ist? Brauch* ich noch zu beweisen, daß sie die Summe aller bisherigen Religionen, die Summe der Religion überhaupt ziehen: jedenfalls aber die Summe der Mysterien, die hier zur Religion hinleiten, reif machen und weihen sollen, — zur Religion dieser angebrochenen Weltstunde, und darum freilich doch wohl nicht zu der Tragödie, nein, viel eher über jede vorläufige Tragik hinaus zu einer weit* gesättigten und *erfüllten Epik? Wo je die Religionen von Liebe sprachen, — und sie taten es nicht so gar häufig, wie man gerne meint! — überall zielten sie im Grund auf dieses Wohlwollen, dydm] und nicht egog, wie wir jetzt abhebend auf frühere Betrachtung sagen dürfen. Sie zielten auf ein Wohlwollen, das nicht mehr wie die Liebe wählt oder ver*
906
wirft, sondern das alles ohne Ausnahme umfaßt, alles um* armt, alles anstrahlt, alles erwärmt, was über des Erlebens Schwelle schreitet. In einem sehr symbolischen Wortver* stände v/elt vernichtend, weltverneinend, lebenüberwindend, gesellschaftaufhebend, tagt dieses Wohlwollen wirklich über Gerechten und Ungerechten und macht sie alle ein* ander gleich. Hier steigt im selbstvergotteten Menschen eine Flut auf, so hochgeschwollen, so uferüberquellend, daß sie alles was fest ist und alles was fließt gleichermaßen über* schwemmt. Sie fällt den felsigsten Urgebirgen in die Flan* ken, sie durchsticht die härtesten Dämme, sie deckt die feierlichsten Tempelhallen zu, sie legt vor die reißendsten Ströme einen Barren, sie kehlt in die glättesten Ebenen Höhlen und Schlüchte, sie bringt die Tiere des Landes zum Tauchen und lehrt die Geschöpfe des Meeres auf dem Wasser wandeln, sie schwillt aufwärts bis zu den Sternen und löscht des Himmels Lichter aus, aber entzündet auch fau* lendes Holz und allerlei treibendes Kleinleben auf der Fläche ihrer hochgestauten Mengen. Und so endigt, oh unendliches Geheimnis! der Selbst* und Welterlöser unmenschlich*über* menschlichen Gehabens auf gewisse Weise dennoch beim Weltvernichter, Weltzerschmelzer. Denn diese Welt zer* schmilzt fürwahr am Herzen des Wohlwollenden, für dessen Wohlwollen ohne Schranken und Maße die gotamidischen Worte Maß und Schranken ein für alle mal gesetzt zu haben
scheinen:
„Was uns irgend an lebendig blickt, Ob nun zart, ob grob geraten, was es sei, Groß gegründet, ob es mächtig um sich greift, Oder Mitte hält, auch winzig klein besteht:
Sichtbar was geworden, was unsichtbar bleibt, In der Ferne was auch wandelt, nahebei, Leben wo da atmet oder atmen will: Allen Wesen wünsch' ich Heil nach ihrer Art . . ."
907
NAMEN* UND SACHVERZEICHNIS
Abendmahl 188, 427, 850 s. sacra«
mentum. Abgeschiedenheit s. Eckhart. Achilleus 20, 32. actus purus 299, 430, 816. Adad 159. adhyäsa 851. Adonis 49, 54, 159. Agamemnon 32, 73, 77, 99 (Zitat). Agape 198 f., 399, 906 s. Eros,
Paulus. Agni 46, 49, 165. AgnisPuruschamythos 173. Ähavaniya 46. Aias bei Homer 20, im Drama
85, 87 f. äkriti 884. Albertus Magnus 265, 266, 275,
356. D'Alembert 635. Alexandrinische Gesinnung 159. Alexandros 20. Alkestis 101. Allegorismus 305, 311. Allorganismus 645 (Idee Welt«
maschine— Allorganismus); s.
mechanisches Weltbild, Orga«
nik, Wissenschaft, „als ob" 495 (Organismus, Me«
chanismus); 512, 561, 576,
633 f., 865, 877. Amphinomos 32. Ananke s. Dike. Anaxagoras 125,142,144,155,807. Anaximenes 28, 265, 560. Andromache 100. animistische Theorie 22.
Anselm von Canterbury 253.
Antigone 69 f., 72 (Zitat); 727.
Antiperistasis 769.
Antiphon 35.
Äon Jahve 179.
Apathanatismos 48, 49, 57, 869.
aphoristischer Denker 275.
Aphrodite 157.
Apokalyptiker 170.
Apokatastasis s. Dreifaltigkeit.
Apollonius 776.
Apollo bei Homer 29, 36 (Sühne* gott), 74, 81, 95, 130, 159, im Drama 80, 85; Phöbos 37.
Apollos 222.
Apostelgeschichte s. Bibel.
Apriorismus 261, 300, 484 f., 516, 622, 681, 742 s. Begriff, Dia« lektik.
Äquipollenz 517 u. Äquivalenz 537, 541, 563.
Arago 770.
Arbeit 336 (menschl. Arbeit uns bezahlbar); s. Buddho, Fran* cescos; mechan. Vorgang 495, der modernden Frucht 497 f., 520, 532 f. s. Hartmann, mech. Weltbild, Organik.
Archimedes 560, 905.
Ares 29, 81, 159.
Ariadne 49.
Aristipp 846 f.
Aristophanes 44.
Aristoteles 64 (Schuld); 131 f. (Synolon); 132 (Horismos); 136, 139 (des Denkens Den« kung);145 (Intellektualismus);
909
153, 181 (Allgeist); 190 (Wohl, beschiedenheit); 255 (philo« sophus); 256 (Entelechie, Kate» gorien); 261 (Proteron, Apri» ori); 271 (principium exclusi tertii); 281 f. (Analytik); 284 f. (Prinzipien); 296 (nus); 359, 383 (Dialektik); 430 (Theo» logie) ; 474,486 (Apriorismus); 517 f., 520, 522 (Energeia, Dy» namis); 527, 570 (nus); 601, 606,636 (Plato);651 (Energeia, Dynamis); 725,736, 738, 739, 742, 762, 767, 769, 771 (Logik) s. Plato, Luther, Thomas, Au» gustin, Gott.
Arithmos s. Mathematik, Or» ganik
Äther 559 f. s. Hertz, Kausalität, mechanisches Weltbild.
ätman 851.
ätmayäjia Selbstopferer 849.
Arnoldi 428.
Artemis 29, 74, 157.
Äschylus 59, 69, 73, 74 (göttliche Selbstentsündigung) ; 76, 83 (finis tragödiae); 87 (theatr. Maschine); 89 (Urteil); 92 (Mensch), 142 ; Werke und Ge» stalten: 61, 69£, 73 f., 77,83, 85, 87 f., 93 f. Vergleich mit Euri» pides 130, mit Sophokles 93, 96,98, 101 s. Drama, Tragödie.
Äsen 828.
Asklepios 159.
Astarte 53.
Atargatis 53.
Ate 32.
Attis 49, 54, 155, 161.
attritio in contritio umwandeln 418.
Augustin 195, 252, 376, 386 f. (contra Aristoteles) s. Gott.
Avenarius 528.
Averroes 296.
Avicenna 296.
Axiologisches 690 (3. Erkennt» nisart) ; 700 (Begriff — ax. Cha» rakter); 704 (Antithesis, Syn» thesis); 707 (Geltung der Werte); 713 (3. Typik); 718 (RangordnungderWerte);719 (hieratisches System); 720 f. (Moral, Ästhetik, Logik); 728 f. (Relativität der Werte unter» einander); 730 (Relativierung); 732, 736 (Wechselbezüglich» keit der Werte); 739 (Wert» Wissenschaft); 741 (Werkzeug); 747,768 (Leben, Dasein); 785 (mechan., organ. ax.), s. Philo» sophie.
ba'al samin 162.
Bach 758.
Baco, Roger 275, 347, 483, 612.
Badaräyänä 819.
Bahnsen 704.
Bakchen 101.
Balzac 824.
Basileides 176.
Bayreuth 767.
Begharden 404 f.
Begriff: 144 (Arbeit am); 262 (hieratische Gliederung); 305 (Sinnbild); 486 (Apriorität des); 490 (System konstitu» tiver Stammbegriffe); 565 f.
910
(Substratcharakter) ; 701 (axio* logischer Charakter) ; 702 (An= spruch auf Wertverwirkli* chung); 705 (Begriff des Be* griffes) ; 767, 770 (Irrationalis; mus); 772 (Konstitutives, Sy* nopsis); 857 (Begriffsbild); s. ApriorismUjS, Dialektik.
Begriffsgesicht 121, 689.
Bendis 157.
Bergmann 616.
Bergson 536, 596.
Bernays 103 f.
Bezold 414.
Bibel und Bibelstellen: altes Testament (182, 204, 334) ; Syn* optiker (206, 2 16 f., 224, 228, 241, 790); Johannesevange* lium (246 f., 251, 323, 873); Apostelgeschichte (204, 206) ; Paulinische Schriften (221, 334, 423); Sonstige (312, 434).
Biologie 667.
Blutfrevel 33 f.
Boetius 256, 388.
Böhme 176, 280.
Bollstädt, von s. Albertus Magnus.
Bolzano 712 f.
Bonaventura 303, 347.
Brahma 169, 177, 385, 819 f., 849, 885, 892, 904.
brahmanirvänam 372 f.
Braun, Otto 863.
Brüder vom freien Geist 405.
Brüder vom gemeinsamen Leben 405.
Bruno 275.
Büchner 67.
Buddho 47, 66, 214 (Parallele zur Ankündigung der Ge« burt Jesu); 318 (Franzescos, Herzensfrömmigkeit) ; 324 f. (gotamid. Jahr); 332 (Bereit* schaff zum dinglichen Vers zieht); 335 („Arbeit"); 378 u. 382 (und Eckhart); 380 (Aus» fahrten); 381 (4 heilige Wahr» heiten und Vorschriften) ; 384 (BuddhosEckhartsWort); 405 (Eckhart) ; 406 (Religion ohne Kirche) ; 855 (Praxis) ; 873, 900 (Buddhismus) ; 904 f. (Orden) ; 907 (Worte) ; s. Indisches.Fran* cescos, Eckhart, Selbst.
Byblos 54.
Cajetan 415.
Calderon 67.
Caligula 450.
Calvinismus — Kapitalismus 756.
Qankara 819, 851, 880, 901.
Cartesius 515, 532, 759, 763.
causa aequat effectum 506, 509, 512, 532, 533, 534 (s. Kausali* tat, mechan. Weltbild).
causa inaequat effectum 629, 741 (s. Kausalität, Organik).
Cavour 725.
Ceres 157 (s. Demeter).
Cervantes 337.
Choephoren 93 f.
Christentum 208 (Widerspruch im Ansatz des geschicht- lichen Ch.); 209 (entscheid dende Frage); 215 (evange* lisches Wort) ; 227, 243 (Heils* dreiweg) ; 246 (Charakter des);
911
251 (und Griechentum); 254 (christl. Wahrheit und griech. Weisheit) ; 303 f. (Widerspruch im); 452 (religiöse Genossen* schaft und Priester); 757 (die „Welt") ; 774 (Mythos des Ch.); 799 (europäisches); 801 (Theis* mus); 805 (Verhältnis zum Pan* theismus); 816 (der fromme Monotheist wird Peripathe» tiker, Thomist und Hegeli* aner); 823 (Kritik des); 842 (katholisches und protestan* tisches); 841 (Urchristliche Lehre vom Opfer des Besitzes, der Person, des Lebens).
Christian science 171.
Chryseis 26.
Chryses 85 f.
Claudius Ptolemäus 776.
coincidentia oppositorum 394.
Couturat 555.
Crotus Rubianus 426.
Crusius 198.
Cumont 50.
Cuvier 276.
Daniel 170.
Dante 307, 308 f. (Sensualismus, Beatrice); 310 (Homer, Marco Polo); 311 (Allegorie); 312 (Intellektualität, diffetivi sillo* gismi); 3 12 f. (Glaube); 337, 347, 402, 416.
Däubler 781.
Darwin 653, 659, 662, 669, 696.
Delacroix 280.
Demeter 30 (Hymnos); 35, 48, 55, 157 (Ceres).
Demokrit 125, 141, 155.
Demophoon 48.
Denkung d.Denkensl39,299,430.
Deismus, Gott des 807, 809, 810 (unfähig zur Würdigung reli* giöser Riten).
Derketo 53 f.
Descartes s. Carte^ius.
deus 274, 303 f., 386 (divina); 807 (transmundanus) ; 807 f. (extramundanus).
Deussen 46, 719, 884.
Dialektikl44 (Arbeit am Begriff); 273 (Ja und Nein); 305 (Sinn* bilder, Begriffe); 565, 568 (dialektischer Umschlag von Substratbegriffen in Kausal? begriffe) ; 768 (Denkinhalt mündet in ein Undenkbares, Unausdenkbares); s. Begriff, Syllogismos, Gott, Kausalität.
Dieterich, Albrecht 50 f.
Dietrich von Bern 211.
Dighanikäyo 51, 177.
Dike, Ananke, Moira 77, 85.
Dingheiligung 110; s. Buddho.
Dionysos 49.
Dogma 249, 473, 476 (neues; Luther); 739.
Dionysos 39, 159.
Dostojewski 234.
Drama 58 (Wort); 96 (Urtat* Folgetat); 97 („Drama"); 104 (hieratische Bedeutung); s. Ernst, Nietzsche, Tragödie.
Dreifaltigkeit 259f., 285 (Apo* katastasis).
Drews210, 239 f.
Duns Scotus 358, 429, 436.
912
Eckhart 196, 348, 351 (Nachfolge Jesu, Francescos); 352 (My* stik, Augenschließen); 353 f. (Armut) ; 354 (Gegenwurf) ; 355 f. u. 366 f. u. 372 f. u. 384 f. u. 393 (Abgeschiedenheit); 359 (Primat des Willens); 361 (Seelengrund); 362 f. (Gleich* heit zwischen Erkennendem u. Erkanntem); 365 f. (Gnade); 366 (Religion der Seele); 368 (Fünklein) ; 369 (Privation, Negation); 371 (Verwesent* lichung der Seele zu Gott); 375 (Umschlag vom Ich zum Es); 378 f. u. 389 f. u. 405 (E. und Buddho); 385 f. (Praxis) ; 389 (Gottes Personalität); 390 (Dionysier) ; 393 (deutsche Gott); 824.
Ebner Margarete 376.
Eidos 746, 884.
Einstein 472, 631 f.
elan vital, formal, figural 661.
Eleaten 110, 122, 124, 254, 311.
Elektra 93 f.
Eleusis 75.
Empedokles 40, 125, 265, 362, 385.
Energie 495, 498 (1. Hauptge* setz); 501 (Umformungmög* lichkeiten der) ; 503 (der Lage, Bewegung); 507,521 (Substrat* charakter, qualitative Ener* getik); 523 (substrathaft ge* dachte Sache kausal getönt); 522 u. 651 (Energie, Dynamis bei Aristoteles); s. mechani* sches Weltbild.
ens realissimum 263, 267, 285, 429; generalissimum 267, 285, 430; individualissimum 430, 432.
Entelechie 140, 255 f. (Gott); s. Aristoteles.
Entropie 629, 645.
Eobanus Hessus 426.
Epikur 149 f., 153, 567.
Epimenides 37.
Erasmus 477.
Erinnyen 35, 80 (Äschylus).
Erlösergott und Erlösung 176, 180 (Kampf mit dem Schöpfer* gott); 873 (Schöpfung, Erlö* sung, Erlöserselbst); 889 (Er* lösung zu der Welt).
Eros s. Agape, Paulus.
Ernst, Paul 59, 63, 64 (Schuld); 67, 90.
Es, das 197, 801 f. (vom Ich zum Es); 803 (das Es in jedem Ich).
Essäer 182.
Essener 171.
Esther 239.
Eteokles 69.
etre supreme 161, 329.
Euhemeros 155, 186.
Euklid 480, 514 f., 556 s. Mathe* matik, mechanisches Weltbild.
Eumaios 17 f., 899.
Eumeniden79, 82 f., 93 f., 218, 220.
Eumolpiden 30.
Euripides 63, 93 (Pathos des tra* gischen Erleidens); 95 (Sühn* Wirkung); 97 (Schuldlosig* keit, Unschuld der tragischen Gestalt); 98 (Götter, Helden
58 Ziegler, Gestaltwandel der Götter
913
bei) ; 99 (Tragik der Frau) ; 1 02 (Pathos * Katharmos) ; Werke und Gestalten 93 f., 96, 100 f. Vergleich mitÄschylus93,101; s. Tragödie. Eurykleia 20.
Faraday 570.
Fechner 636.
Feuer 46 f.
Feuerbach, Ludwig 783.
Fichte 18, 712 f.
Francescos von Assisi 315 i. (gegen Intellektualisierung, imitatio Jesu); 319 (Joglar); 324 (Sonne); 325 (Anspruch des Geistes); 326 (Anspruch des Besitzes); 335 (Arbeit, Bettelmönch, Gotamo) ; 348 (evangelischer Wandel, Ge* fahr für Kirche und Staat);
349 (Albigenser, Provence) ;
350 (Ketzer im Schoß der Kirche); 351 (Eckhart, Nus); 353 (Dinglichkeit, Natur) ; 372 (Armut); 407 f., 725; Bibel, stellen 334; s. Arbeit, Buddho, Eckhart.
Freytag, Gustav 438. Friedrich der Weise 478. Friedrich von Preußen 445, 807. Friedrich II. von Hohenstaufen 275 f.
Gaia 35 f., 80 (Äschylus).
Gaißmayr 454.
Galilei 288, 480 f. (Fallgesetze); 482 (Platoniker); 483 (Geo* metrisierung, Induktive Me*
thode); 490 (Schwerkraft); 520
(Trägheit); 542, 545 (Tendenz
zur Geometrisierung der Na«
tur);625, 635. Gamaliel 181. gandhabbo 51. gandharvas 51. Gandharven 379. Geometrisierung483 f., 505, 515f.
(der Mechanik); 532, 545, 555,
557 (der Natur); 626, 632 s.
mechanisches Weltbild, Kau?
salität. George, Stefan 781. Gerechtigkeit, poetische 99. Gerson 367. Geschichte 479 (Verständnis für
Historie); 672 (Relativität);
687 f. (Wort);700,741 (Morphe,
Metamorphose , Typus , hi*
storia). Gestaltwandel 655 f., 741. Gilbertus Porretanus 386. Gilgamesch 213. Giotto 325, 440. Glauben 184 f., 188 f., 196 f.,
221 f., 225, 406, 433 (kritischer);
435 f. (rechte) ; 453 (Gleichheit
der Gläubigen); 473, 475
(Wissen und G.). Gnade 190, 191 (Gnadenwahl);
197, 365, 406, 417 (Gnaden*
schätz). Gnosis 163, 167, 175 f., 180, 187,
241, 249, 309, 323 (Schöpfung);
801, 873. Goethe 25, 67, 215, 337, 362,
545, 615 („Die letzten Hand*
griffe— "); 618, 622 f., 636,655,
914
656 (Metamorphose, Farben* lehre); 660, 662, 666, 668 (Ur* pflanze); 669 (Spiraltendenz); 672, 737, 781, 783, 858.
Gotik 400, 759.
Gott 11 f., 24 f., 29, 31, 33, 37, 40 f. (wiedergeboren in Gott); 42 (Passion); 49 (sterbender); 56 (Opfer); 73 (Entheiligung der Götter); 85 (bei Sopho* kies); 87 (aus der Maschine); 109 (bei Xenophanes); 142 f. (Aristoteles, philos. Gott) ; 143 (Konkomitanz);158 (der Gott); 159 (Gottgestalt); 160 (Welt, urheber); 161 (Monos theos, etre supreme); 162 (Eingott, Alleingott); 167 (Gottes Vor* sieht); 168 (Finger Gottes); 170 (Gott*König bei Daniel); 172 (überweltliche, außerweit* licheWesenheit ; Schöpfergott, Erlösergott); 175 f. (Jahve); 179 (Äon Jahve); 180 (Kampf zwischen Schöpfer* und Er* lösergott); 182 (Gottmensch); 250 (Gott*Schöpfer, Gott*Er* löser, Gott* Geist); 255 (an* thropomorphe, antropopathe Schöpfergott des jüdischen Tetragrammaton und Gnosis, Augustin und Aristoteles) ; 263 (ens realissimum); 300 (In* tellektualisierung von Welt, Gott); 303 (eritis sicut deus); 304 (Dialektiker, Peripate* tiker); 305 (allgemeinstes, be* sondertstesWesen) ; 322 (Wort* Gott); 386(divina, deus); 387
(der Seele Ur* und Musterbild, 3 Personen in Gott: memoria, intellectus, voluntas; Eck* hart); 390 („deutsche" Gott); 429 (Gottesbegriff) ; 430 (Drei* faltigkeitslehre) ; 445 („der Er* folg") ; 762 (Urbeweger, Welt* schöpfer und wissenschaftl. Mythologie) ; 764 (Begriff Gott Grundbegriff der Wirklich* keitwissenschaft; Mythos athe* os der Wissenschaften); 793 (gottlos, gottledig); 796 (Ein* oderVielgott, Vergöttlichung); 801 (Unpersönlichkeit, Über* persönlichkeit); 802 (Welt* geist, Weltseele); 807 (Gott* rest ; des Deismus) ; 808 (Lük* kenbüßer der Erkenntnis) ; 81 1 (Schiedsrichter, Postulat der Mechanik, Ästhetik, Ethik); 815 (Vergeistung des Ein* gottes); 816 (Dialektiker, Syl* logistiker des Absoluten); (der Gott, der ist, — der werden sollte); 828 (Sühnegott, Sün* denmensch) ; 840 (der gottlos Fromme); 872 (Menschen* söhn); 873 (Schöpfer* Gott, Erlöser*Gott) ; 879 (Gott ledig werden) ; 901 (Selbsterlöser — Selbsterlöster).
Gottfried von Straßburg 402,445.
Göttergleichungen 51, 53, 157, 161 f.
Götterschub 156, 159, 161.
Gottesfreunde 405.
Grabbe 67.
Gral 378, 895.
58'
915
Gregor VII. 267.
Groot 374.
Guyau 159,449, 785 f., 817.
Häckel 657.
Halm, August 732 f.
Haman 239 (s. Jesus).
Hartmann, Eduard von 158, 176, 190, 224, 233, 275 (tektonischer Denker), 279 (Pessimismus); 387 (Schriften); 516 (Bewe* gunglehre); 520, 524 (Arbeit); 525 (Fernkraft); 553 (Massen* punkte); 575 (Kausalität); 578 f. 581 (Stoß); 590 (Kraft); 592 f. (Kategorienlehre) ; 596 (Quali* tat); 600, 612 (Induktion); 613 (Qualität); 704, 801, 805 f.
Häßliche, das 704.
Hausrat 429.
Hebbel 63, 67, 783.
Hebel 204.
Hegel 70, 141, 304, 666, 761, 769 f., 783, 801, 815f.
Hekabe 35; im Drama 96, 100.
Hekataios 155, 184.
Hektor 20.
Helena 20; 94 (Euripides).
Helios 26 f., 50, 159.
Helmholtz 506, 525, 548, 549.
Hephästos 29; 78 (Äschylus).
Hera 32, 39, 69, 74.
Herakles 159.
Heraklit 47, 125, 127, 152, 155, 166, 274, 305, 769.
Herbart 712 f.
Herder 808, 851, 898.
Hermes 159.
Herodot 680.
Herschel (ältere) 664.
Hertz 288, 506,509,51 l,515,5l6f. (Masse und Massenteilchen); 518 (Punkte); 523 (Kraft oder Masse); 526f.(Kraft*Funktion); 527 (Einfluß); 538 (Kraft aus der Mechanik verwiesen) ; 539 (Substratbegriff zum Funk« tionbegriff); 540, 542, 545, 547 (unsichtbare Masse); 550, 556 (Raum) ; 559 (Äther) 560, 569 f., 579, 582, 590 (Masse, Äther); 601, 614f., 635, 764; s. Kausa* lität, mechan. Weltbild.
Hierarchie 128 (Kosmos); 262 (Begriffe); 303, 364 (des Gott* erlebnisses) ; 406, 407f. (Staat) ; 446 f., 453 f. (Aristokratie, De* mokratie); 659 (der Geschöpfe, Scholastik).
Hieronymus 388.
Himmelreich 217f. (ivrog v/uäv).
Hippokrates 104.
Hölderlin 808.
Homer 16 f. (Eumaios);75f.(Pan* theon); 102 (Religion H. abge* löst durch die Tragödie); 108, 128 (hieratische Topologie des Kosmos); 226 (epische Welt* heiligung — evangelisches Ver* halten); 310, 790, 898 f. (Ilias); 30 f., 75 (Odyssee); 31 f. Ver* gleich mit Äschylus 42 ; Hym* nos auf die Demeter 30.
Honorius 334.
Horos 159.
Hrotsvith 67.
Humboldt, von 268, 538, 636, 641 f., 684.
916
Hume 288 f., 617, 712f.
Husserl 742.
Hussiten 405.
Hütten 427.
Hymnos auf die Demeter (ho*
merisch) 30. Hypokeimenon 517, 520, 527,
546, 814. Hypostasen 387 (Usia in 3). Hypsistos 160.
Ibsen 67, 100.
Ich, das 190 (Unterschied zwi* sehen griech. u. christlichem Ichgefühl); 375 (Ichgefühl der Persönlichkeit — Übergang vom Ich zum Es); 801 f. (Vom Ich zum Es); 803 (das Es in jedem Ich); 851, 865 f. (Ich* gestalt) s. Es.
Idealismus 709 (Lebenslüge des deutschen); 713 (als Arbeiter* frage usw.).
Idee s. Begriffsgesicht.
Indisches 167 (Buddhismus athe* istische Religion) ; 176 f. (euro* päische Religionen und Philo« sophien im Verhältnis zu indischen); 335 (Arbeit); 381 (Kein Wort für Ketzer); 385 (Mystik); 456 (Klausner und Hausner); 783 (griech. und indische Mythologie) ; 800 (Unterschied von Europa); 831 (s. Buddho).
Indra 449.
Innozenz III. 334, 348.
Intellektualismus 145 (Plato, Aristoteles); 221 (griech.);
222 (Paulinismus); 251 (des neuen Glaubens); 269 f., 289 f. (griech., mittelalt.); 300 (von Welt und Gott) ; 302 (antiker) ; 312 (Dante); 406, 417 (13., 14. Jahrh.) ; 434, 436 f. (Mittel* alter).
Io 69, 74.
Iphigenie 73 (Äschylus) ; 101 (Eu* ripides).
Isis 157.
Jakobus, der Bruder des Herrn 183.
Jahve 175 f.
Jean Paul 808.
Jessäer 171.
Jesus Christus 75 (Golgatha); 182 (3 Joschuas); 183 (Auf* erstehung); 184 (Soter); 202 (Paulus.Urchristl. Gemeinde) ; 204 (Markus); 205 (3 fache Sendung); 208 (paulinisch) ; 210 f. (Chiistusmythe); 214, 224 („Talent"); 227 (zum Grammatiker); 238 (zu den Pharisäern und Sadduzäern, Tod des synoptischen Jesus); 239 (Haman); 240 (Mimos); 241 (eleusinische Tragödie); 249, 251, 316f. (evangelischer Wandel, mimisch*mimetisches Kunstwerk) ; 322, 332, 351, 371, 390, 397 (Messianismus) ; 408, 417 (Gnadenschatz); 427, 431, 470, 725, 810 (Abendmahl); 88 1 (und Gotamo); 904, s. Fran* cescos, Eckhart, Thomas.
Johann (Kurfürst) 459.
Jugend 716.
917
Kant 28, 280 f., 283, 288 (Kritiker der Kausalität); 289, 295 (Er. kenntnislehre, Begriffe ohne Anschauung); 491 f. (metas physische Anfangsgründe Kategorien, Stammbegriffe) ; 492f. (MittehZweck) ; 502 (Mes chanik des Organischen) ; 507, 512,525 (Fernkraft); 532(wahre Schätzung der lebendigen Kräfte); 533 (Stoß); 534 (Dys namik des Kosmischen, phys sische Monadologie) ; 539 (mes taphysische Anfangsgründe) ; 541, 551 (Mechanist) ; 552 (Hys lokinetik, leerer Raum); 560 (gegen ausschließlich mechas nische Mechanik); 564, 570, 579, 581 (unelastischer Stoß); 582 (Fernkraft) 590, 617 (De. duktion der Kausalität); 635, 705, 722 f. (Sittenlehre); 727 (Kateg. Imp.); 742 (Aprioriss mus); 759, 763 (Laplace); 807, 712 (zurück zu Kant).
Kapitalismus, Kalvinismus 756.
karman 884.
Kassandra 61, 74.
katalytisch 508 f., 627, 646.
Kategorie 270, 622, 816.
Kategorischer Imperativ 727.
Katharmos 42, 48, 55, 61, 73, 80, 103 f., 106, 170 (Tragik); s. Pas thos.
Kausalität 62 (Urs Sache, Urs Tat); 87 f. (UrsTat- Folgetat); 288 (Syllogismos, Kritiker der Kausalität, Hume, Kant); 492 (UrsachesWirkung, Mittels
Zweck); 495 (Universalien); 505 (mathematische Gleichs Setzung, kausale G.) ; 507 (Vers nünftiger Stammbegriff; causa aequat effectum); 510f. (der fallende Handwerker); 514 Äquipollenz, Äquivalenz); 517 (Masse); 521 (Kraft); 522 (Energie) ; 528 (Avenarius, Mach, funktionale Abhängigs keit); 529 (Ursächlichkeit, Uns gleichsetzung); 530 (Mathes matisierung, Mayer) ; 531 (kas tegoriale Knüpfung Urs sachesWirkung) ; 533 (kausale Äquipollenz); 537 (Mathem. Gleichsetzung, kausale Un= gleichsetzung); 538 (Kausalis tat zu verbannen gesucht); 551 (ursächliche Bedürfnis); 563 (Substratbegriff, Kausal- begriff); 582 (Fernwirkung); 585 (Dialektik); 589 (Urs Sprung); 604 (übertragener Syllogismos, Thomas) ; 607 (Grund u. Ursache) ; 61 1 (Kaus salität wie Syllogismos, dreis gegliedertes Verhältnis der Begriffe und Dinge); (Verurs sachung, Entstehung); 616 (Bergmann); 617 (Frage, die keinen Philosophen schlafen ließ), s. Hertz, Mayer, Planck, mechan. Weltbild, Organik.
Keleus 30, 48.
Keller, Gottfried 865.
Kephas 183.
Kepler 480, 538, 636, 738, 743 f.
Keraunios 161.
918
Kirche 204 (marcionitische Ket* zerkirche); 222 (erste Spur eines Bekenntnisses); 245 f., 248 (Glaube, Urgemeinde); 348 (Gefahr durch Frances* cos); 366 f., 408 (Intellekte* lität der Seele, Hierarchie der Gesellschaft, Magie des Glaubens -3 Pfeiler); 415 f., 417 (geistig*sittliches Clearing* house) ; 436 f. (Sachwalter der evang. Schriften) ; 457 (Seelen* hirt); 460(theokratisches Ziel); 777 (und Wissenschaft); 869 (des Abendlandes); 871 Ok* kultismus, Anthroposophie usw.). s. Religion, Theologie, Wissenschaft, Buddho, Fran* cescos, Luther, Eckhart.
Kirke 20.
Kleist 67.
Kolumbus 725, 740.
Konkomitanz 143, 226.
Kopernikus 268,480, 513,635,738.
Koran 706.
Köre 157.
Kosmologie 801, s. Organik.
Kraft s. mechan. Weltbild, Kant, Hertz, Hartmann.
Kreon 71, 727.
Kreusa 100.
Krischna 213.
Kronion 73 f., 76; 77 (Äschylus).
kshetranja 851.
Kues, Nikolaus Chrypffs von (Cusanus) 394.
Kybele 53.
Kyklop 93.
Kylon 36.
Kyniker 332, 860.
Kyrenaiker 860.
Kyrios Sabazios 157, 161.
Lagarde 390.
Lais 846 f.
Lalitavistara 213 f.
Lamprecht 671.
Lange, Friedrich Albert 713.
Langmann, Adelheid 376.
Laplace 763 f.
Laurentius Valla 427.
Leibniz 506, 513, 532 f., 607, 625, 725, 759, 763.
Leonardo da Vinci 513, 521.
Lessing 551.
Levapis 239.
Libere 157.
Locke 857.
Logik 255 (antike), s. Plato u. Ari* stoteles ; neuere s. Sigwart;720.
Lukian 53, 56, 451, 477, 776.
Luther 222, 227 f., 312, 403 (Bau* ernaufstand); 409 (Augusti* ner); 411 (Staupitz); 412 f. (metanoia); 414, 416 (contra Aristoteles); 423 Rechtferti* gung, Glauben), 425 f. (Erfur* ter Humanisten, Nominaiis* mus); 426 f. (Messe); 430 (Ka* techismus); 434 (Kritik der Quellen); 437 f. (Charakteri* stik) ; 442 (Erfolg in der Welt) ; 444, 452 (Priesterschaft, Laien* schaft) ; 455 (nicht auf die Kir* che selbst verzichtet; Grund* Widerspruch); 457 (Kirche); 475 (Buchstabe); 476 (neues Dogma); 478, 725,823,828.
919
Macaulay 681.
Mach 528, 618.
Mainländer 704.
Makaria 102.
Mandäer 171.
Marxismus 329, 341, 756f.
Maschine 496 (Arbeit der Welt* maschine — Funktion der Bewegung; 499 (Wesen der); 505 (Erkenntniswert des mech. masch. Weltbildes); 569 (Wi» derspruchfreie Darstellung d. Weltmaschine) ; 645 (Idee Weltmaschine — Allorganis? mus) ; s. mechan. Weltbild.
Masse 5 16 f., 523 (substrathaft ge» dachte Sache, kausal getönt); 546 f. (Merkmale); 547 (ver» borgene); 557 f. (Raum und Masse); 562 (Bewegung aus Kraft, Kraft aus Masse, Masse aus Äther abgeleitet); 564, 764 (Voraussetzungen der Mechanik), s. Hertz, mechan. Weltbild.
Materialismus, historischer 344, 756 f.
Mathematik 480 u. 515 (Euklidi» sehe Geometrie); 482 f. (Kos ordinatensystem); 505 (Gleis chungen); 507 (Moderne Me» chanik, System mathemati» scher Bedingunggleichungen); 513 (Cartesianische Geome» trie); 515 (Unterschied zwi» sehen Kinematik, Phorono» mie und Geometrie); 537 (Grundformel, mechanische); 556 (Raumvoraussetzung); 742
(Arithmos und Megethos); 745 (Anwendbarkeit von Größe, Zahl auf die Natur); s. Kausalität, mechan. Welt» bild.
Maxwell 548, 570.
Mayer, Robert 504, 506, 535, 630, 632, 635.
Mazda Ahura 162, 167, 169.
Mechanisches Weltbild 288 (Syl» logismos); 289 (mechanisierte Wirklichkeit — intellektuali» sierte Wirklichkeit) ; 472 (klas» sische) ; 480 (Euklidische Geo» metrie, Mechanik des Hirn« mels; Kopernikus, Kepler); 481f. (Mechanik— angewandte Geometrie); 488 (Universale Mechanik, Massenanziehung); 495 (Arbeit); 496 (wxavr) ; Ar» beit der Weltmaschine, Funk» tion der Bewegung); 504 (Mayer, Welt und Leben, mechanisch deutbar; kataly» tisch) ; 505 (Erkenntniswert des mechanisch»maschinellen Weltbildes); 506 (Ziel der Me» chanik); 507 (causa aequat effectum, Moderne Media» nik, System mathematischer Bedingunggleichungen) ; 513f. (Universale Mechanik); 516f. (Masse); 518 (Unterschied zwischen Mechanik und Geo» metrie; Punkte); 520 (Bewe» gung); 521 (Energie, Hylo» kinetik);526(Kraft»Funktion); 523 (Grundbegriffe); 527(„Ein» fluß"); 528 (analytischer Aus»
920
druck) ; 530 (Mechanik zu de* finieren als); 532 (kausale Be* Ziehungen zu mathemat. ver* flüchtigen); 536, 540 (Kraft); 537 (mechanische Grundfor* mel); 541 (Geometrisierung); 543 (Introjektion); 547 (ver* borgene Massen); 548, 550 (Bewegung der sogenannten zyklischen Systeme) ; 550(kau* saler Einschlag); 559 (Masse, Raum); 560 (Hylokinetik); 562 (Bewegung aus Kraft, Kraft ans Masse, Masse aus Äther abgeleitet); 563 (me* chan. maschinelle Auffas* sung); 564 (Gravitation); 565 (Substratbegriff, Kausal* begriff) ; 569 (Widerspruchs freie Darstellung der Welt* maschine) ; 572 (Kategorien der Mechanik) ; 632 f. (Wissen* schaft des Unlebendigen, Le* bendigen);641 (Mechanik der 3 Reiche); 645 (Idee, Welt* maschine, Allorganismus) ; 690 (Grenzen der Betrach* tung); 739 (System zoelesti* scher, tellurischer Mecha* nik); 764 (Voraussetzungen der Mechanik; Masse, Massen* punkte, Kraft, Raum, Zeit); s. Kausalität, Hertz, Mayer.
Medeia 96, 100.
Megethos s. Mathematik, Orga* nik.
Melanchthon 413, 439, 477.
Mendel 648.
Menelaos 94.
Mennoniten 405.
Merswin 374.
Metanoia 206, 249.
Michelangelo 430.
mimisch*mimetischesKunstwerk 316f.
Mimos 67, 240 (Jesus); 316t.
Minerva 197 (s. Pallas).
Minne 399 f.
Mithralithurgie 50 f., 171.
Mittlergott 167 (Wort) ; 169 (drei* faches Amt); 174, 190 f.
Mombert 781.
Monotheismus s. Religion, Theo* logie, Gott.
Moritz von Sachsen 463.
Morphe 741, 746.
Mozart 237, 337.
Müller, Max 46, 158.
Munsalvaesche 378.
Musik 732 (produktiver Ton, Vergleich zwischen Philoso* phie und Musik); 736 (ent* wirklichte Kunst).
Mutianus Rufus 426.
Myconius 439.
Myste 43 f., 50, 371, 898.
Mystik 352 (Augenschließen); 355, 371 (deutsche Mystiker); 354 (Verzicht auf den Gegen* wurf) ; 376 (weibliche Mysti* ker, psychol. Erfahrungen); 377 (Schilderungen eines My* stikers) ; 381 (Praxis) ; 386 (dyo* nysische Elemente); 388 (Va* ter, Sohn, heiliger Geist); 399 f. (Minne) ; 405 (im Wesen stehen) ; 604, 792, 803 (Praxis) ; s. Eckhart.
921
Mysterien 44, 52 (sacramentum);
53 (Derketo); 163, 826. Mythos atheos 471, 764, 774 f.,
784. Mythos des Kunstwerkes 780.
Naassener 171.
Nälako 214.
Natur — Mortur 40 f.; s. Or* ganik, Kausalität, mechanis sches Weltbild, Francescos, Buddho.
Nazoräer 171.
Neoptolemos 89.
Neumann, Karl Eugen 47, 51, 381.
Newton 480, 488, 490 (Kraft); 492, 520 (Trägheit); 521 (Kraft als Ursache der Bewegung); 526 (Kraf ^Gegenkraft) ; 538, 540, 564 (Gravitation); 762, 807, s. mech. Weltbild.
Nibelungenlied 279.
Nietzsche 58 („Drama"); 62, 108 (Genealogie der Moral); 158, 167 (Zarathustra); 224 (Antichrist); 233, 269, 275 (aphoristischer Denker) ; 328 f. (Keuschheit); 368, 547 (Inter* polation der Wirklichkeit) ; 618, 668, 708 f., 716, 719 (Plato); 731 (Umwertung); 817, 823, 866 (Unsterblichkeit); 885 f. (Zarathustra, Übermensch, Genesende); 886 (Wiederkehr des Gleichen); 887 (3. Testa* ment) ; s. Drama.
Nominalismus s. Scholastik, Thomas.
Notker 320.
Nus 808 s. Aristoteles.
Occam, Wilhelm von293,429,432.
Odysseus 19, 24, 27, 88 f.
Oedipus Äschylus 59, 67, 383; Sophokles 72, 84f.
Okeanos 78.
om, om qom 166.
Opfer 846, 849 (des Besitzes, des Selbstes); 851 f. (Selbstopferer); 859 (Mysterium des Opfers der Person) ; Opfer u. Wieder* geburt371, 840, 842, 847, 850.
Orest67, 74, 79, 81, 93 f., 96.
Organik 492 (Mittel - Zweck); 495 (Organismus bei Kant; „als ob"); 501 f. (Bewegung des Organismus — Arbeitsvor« gang); 512 (causa inaequat effectum) ; 626 (Reiz) ; 628 (Or= ganik); 630 (Kristallisation); 631 (Evolution); 633 (univer* sale Organik); 636 (Organis- mus mikrokosmisches Modell des Makrokosmos) ; 639(Über* einstimmung zwischen Leben und Nichtleben); 641 (tellu* rische siderische Organik, O. der 3 Reiche) ; 644 (parallele Zweiheit von Weltmaschine u. Allorganismus) ; 652 (im Orga* nismusWirklichkeit im Bereit* schaftsstande); 656 (Deszen* denztheorie) ; 657 (Häckel); 663 (totale Korrelation); 664 (organische Wissenschaft vom Gestaltwandel) ; 666 (kos= mische Metamorphosiologie) ;
922
669 (goethisch betriebene Typologie, Zirkumnutation) ; 671 (morphologische Typolo* gie, Anthropologie, Charak* terologie, Soziologie, Physio* gnomik) ; 694 f. (Art, Gattung) ; 697 (normative Form des Ty* pus verwirklichen); 740 (Ziel der Organik); 741 (Reiz); 745 (Art, Gattung); 886 (Welt als Organismus).
Orphisch 37, 42, 55, 57, 61, 66, 100, 106, 170.
Osiris 49, 159.
Palestrina 758.
Päli 213.
Palingenesis 871.
Pallas 24, 81, 88, 157 (Minerva).
Pannwitz 781.
paramanirvänam 372 f.
Parzival 464.
Parmenides 122, 301.
Pascal 372, 703, 759.
Pathos 43, 47, 55, 57 f., 60 f., 74, 88, 92 (des Opfers); (religiöse Leistung); 95 (neue Bedeu* tung) ; s. Katharmos.
Paulus 171, 181, 183f., 188f. (Glaube); 191 (Gnadenwahl); 194, 197, 198 f. (Eros.Agape); 202 (Jesus); 221 (erwählter Zustand der Seele); 245, 249, (Metanoia, Mythos, kirch* liches Dogma); 376, 416 (con> tra Aristoteles); 432 (Schrif- ten); 474, 713, 841; s. Luther.
Penelopeia 20, 32.
xegtaycoyfj 603.
Perisseuein 201.
Persephoneia 39, 55.
Persönlichkeit 387 (persona) ; 429 (Individualität); 679, 682 (Subjektivität); 699 (Ur* und Musterbild).
Pessimismus 279 f. (Hartmann); s. Axiologisches.
Petron 776.
Pfleiderer, Otto 171.
Phaidra 100.
Pherekydes 38.
Philebos 772.
Philo 167.
Philoktet 85, 87, 89.
Philolaos 635.
Philosoph und Philosophie 110 (Sieger am Pisaquell); 114 f. (Beauftragter der Gemein* schaft); 116 (Doppelstellung); 127 (vorplatonische); 143 f. (Beauftragter); 149 (Person* lichkeit und Gemeinschaft); 154 u. 158 (und Religion, und Einzelwissenschaft); 159 (alexandrinische Gesinnung); 275 (tektonische, aphoristische Denker); 289 („Die Philo* sophie") 332 f. (kynisches Philosophenideal); 333 (bios theoreticos); 415 (wider alle Philosophen); 489 (Aufgabe gegenüber den Grund* legungen der Mechanik); 535 (Naturforscher und Philo* soph); 617 (Frage, die keinen Philosophen schlafen ließ); 691 (Erkenntnis der Erkennt* nis) ; 705 (Wertwissenschaft,
923
Werterkenntnis, Wertprä* gung); 720 (Moral, Ästhetik, Logik); 732 (und Musik); 736 (entwirklichte Wissen* schaft);759 (Kosmo=Theolog — TheosKosmolog); 860 (seine Seele lösen; Kyniker, Kyre* naiker).
Phoibos 37, 79 (Äschylus); 84 (Sühnegott).
Phoinix 32.
Physik 480 (Exaktheit) ; 544 (Me* thode) ; 570 (moderne) ; 586 f. ; 765 (Stammbesitz an frag* würdigen Grundlagen) ; s. mech. Weltbild, Wissenschaft, Hertz, Mayer, Planck.
Pindar 98.
Planck 288, 543 f. (Definition der Kraft*Empfindung unseres Muskelsinnes, physik. Metho* dik).
Plato: 41, 44, 120 (Jenseitigkeit des Sinnes); 121 (Theoria, Begriffsgesicht); 122 (Frag* ment des Parmenides, Eros); 126 (Mathematik); 127 (erster Deuter des Weltsinnes); 132 (Dualismus); 137 (Vergleich mit Aristoteles); 145 (Intellek* tualismus); 149, 153, 162 f. (Seelenmythos) ; 168 (Tren* nung von Wirklichkeit und Sinn); 169 (Gorgias); 198 (Gastmahl, Vergleich mit Pau* lus, Eros); 308 (Gestirnseele); 362, 399, 404, 482, 485 (Aprio* rismus); 486 (kein wissen* schaftlich brauchbares Pro*
teron); 589 (phantasma) ; 603, 635 (Timäos, Beseelte Leben* dige); 636 (Aristoteles); 689 (Begriffsgesicht); 691 (Char* mides, Philosophie, Erkennt* nis der Erkenntnis); 699 (Selbst); 700, 705 f. (Wahre, Gute, Schöne) ; 709 f. (Lebens* lüge des deutschen Idealis* mus); 719 (Nietzsche); 730 f. (Gorgias, Menon, Philebos); 731 (Staat); 742 (Aprioris* mus); 771 (Gattung); 772 (positive Logik); 807 (Hypo* thesis); 884, 898; s. Vorplato* niker.
Plinius 776
Plotin 180, 249 (neuplatonische Lehre); 254, 265 (animae nobiles, Emanation) ; 362, 387, 406, 430, 804 (Enneaden) 805 f. (Vergleich mit Hart* mann).
Polyneikes 69.
Polyphemos 20, 26.
Polyxeina 102.
Poseidon 81.
Poseidonios 152.
Prinzip 252 f., 290 (entis, mentis) ; 784.
Proklos 44.
Prometheus 74 f. 77 f. 86.
Prosepon 814.
Protagoras 700.
Proteron 486 (kein Wissenschaft* lieh brauchbares Plato, Ari* stoteles) 744.
Proteus 500.
Psychologie 628.
924
Ptolemäos 184, 776. Purimfest 239. Puruschasuktam 46, 48. Pylades 94.
Pythagoras 38, 486, 635. Pythagoreer 55, 57. Python 36, 80.
Radamanthys 82.
Radiumstrahlen 598.
Rämäyanam 449.
Ranke 413, 681.
Raum 484 (räuml. Erlebniswirk* lichkeit — geometrische Raum« Vorstellung); 552 f. (Kant); 554 f. (der Geometrie und Mechanik); 555 (nicht Grund* läge der Geometrie); 556 (Raumvoraussetzung in der Mechanik, in der Geometrie); 557 (Mechanik zählt 2 Räume unter ihre Grundvorstel* lungen); 558 (mittelsmäßige Beschaffenheit) ; 559 (Wesens* begriff); 562 (mit Äther zur Ursache geworden) ; 764 (Vor* aussetzungen der Mechanik); 765 (und Zeit) ; s. mech. Welt* bild, Mathematik.
Realismus 259 f., 437, 692, 697 (Grade des Wirklichseins); 884.
Reformation, deutsche 463 f. (Folgen).
Reintegration 284.
Religion 152 (stoische); 158 (Henotheismus, Polytheis* mus); 159 (l'irreligion); 160 f. (Monotheismus) ; 191 (Kai* vinismus); 247 (der Seele);
456 (ohne Kirche); 755, 762 (religio); 786 (der Zukunft); 788 (Tendenz zur); 790 (Sinn* deutung der); 791 (Defini* tion); 796 (deutsche); 796 f. (theistische) ; 800 f. (panthe* istische); 803 (pantheistischer Monismus) ; 806 f. (Theismus) ; 808 (des Geistes, der Erlösung, der Zukunft); 811 (Verstand u. Wille im religiösen Leben); 812 (Vergleich zwischen Poly* theismus und Monotheismus); 815 (Tendenz zur); 817 (und Theologie); 819 u. 24 (ohne Gott); 830 (und Moral); 831 (Umwertung der R. in Indien); 836, 840 (religio); 841 (R. überhaupt); 842, 844 (innere Bereitschaft Besitz preiszu* geben); 857 (Praxis der); 860 (Urchristentum); 901 (der Religion).
Rembrandt 758.
Rhea 29.
Rickert 679 f., 684.
Rigveda 46.
Riemann 472.
Rodin 272.
Röntgenstrahlen 597 f.
Rohde, Erwin 35, 63, 198.
Rousseau 808.
Ruodlieb 319.
Rüssel 555.
Ruysbroek 324, 364, 367, 374, 386, 404 f.
Sakramentum 52 (jxvazrjQiov) ; 188 (Taufe, Abendmahl); 189
925
(Hände auflegen); 197, 427 (Brot Christi Leib); 850 (3 Arten des Abendmahls).
Sabaoth Herr 160.
Sannyäsin 450.
Schellingl76,631,636,642,712f., 801.
Scholastik 194, 259 f. (Nomina, lismus, Realismus); 262 (hier* archische Gliederung aller Be. griffe); 264 (Himmel); 265 (Gestirnseele — Engel) ; 266 (Erschaffung— Ausgießen); 267 (Versinnlichung u. Verkörpere lichung der Begriffe, Gott Peripatetiker usw., Spannung zwischen Individuum und Universale); 270 (Kategorien des Aristoteles); 271 (princi. pium exclusi tertii); 274 (scho. lastische deus); 292 (Essenz und Existenz); 293 (anima sen. sitiva); 299 (actus purus); 305 (Allegorismus); 314(Dogmen); 363(Proportionalitas zwischen Erkennendem u. Erkanntem); 363 (raptus); 432 (termini. stische Auffassung); 447, 473, 746, 776 (Neuplatonismus); 789, 868 s. Thomas.
Schopenhauer 617, 704, 713, 783, 801.
Schöpfergott 176 f. 180 (Kampf mit Erlösergott); 323, 762, 824, 873, 884.
Schöpferja 877.
Schöpferselbst 885 f.; 873 (Schöpferselbst.Erlöserselbst); Wunschja des Seh. 887.
Schöpfung 384 (aus dem Nichts);
Mysterium der Seh. 884, 886,
889. Schroen, Otto von 636. Schuld 63 f., 65 (=Sünde), 68 f.,
827 (Schuld.Sühne dem Gott
selber auferlegt). Seele, 218 f. (Erwachen); 220
(Ich in der Seelenkunde);
229 (Seele und Welt); 409
(Kämpfe); 848 (Beseeltsein). Selbst, das 833, 847 (Selbst.
Sucht); 851 u. 867 (Selbst.
opferer); 852 (Theologie des);
888 (Jaselbst und Weltselbst) ;
894 (Selbsterlöser); 901 (Selbst.
erlöser, Selbsterlöster). Semele 39. Semnonen 422. Seneca 185. Seusse 374. Shakespeare 67, 307. Sigwart 281 (moderne Logik);
483, 518, 563, 565, 611. Simmel 723. Sokrates 116 (Dialektik; Kreuz.
weg zwischen Logos und
Mythos); 117 (Begriff); 118
(Anklage); 119 (Logos); 144
(Ende des S. u. des Aristoteles) ;
149 (Plato); (Beispiel für Be.
griffsbildung); 700, 730 s.
Vorsokratiker. Sol invictus 159, 181. Sophokles 71 f. u. 85 f. (Werke);
85 (Gott bei S., Stifter des
AsklepioskultesJ ; 86 (leiden.
der Gott verschwindet); 87,
89, 95 (Gott aus der Maschine) ;
926
89 (Homer); 91 f. (Mensch); Vergleich mit Euripides 93 f., mit Äschylus 97, 130.
Spiraltendenz 669.
Stein, Freiherr vom 725.
Sterne 289.
Stoa 150 f., 152 (Religion); 153 (poikile);158f.,168 (Weise); 181 (Allgeist); 185, 332 (Praxis); 387, 844 (schlechthin Besitzlose).
Stoß 533 (Kant) ; 573 (Verknüpft, heit von Ursache u. Wirkung, 5 Aufgaben); 574 f. (influxus physicus); 576 (entursachen) ;
577 f. (Berührung, Fernkraft) ;
578 (elastischer); 579 (unelas* tischer); 580 (Fernkräfte) ; 583, 608 („individualisiert").
Strabo 776.
Strindberg 100.
substantia 388 (persona)
Substratbegriff 565 f., 568 s. Kau* salität, mechanisches Weltbild.
Sühnwirkung 35 f., 49 (Selbst* opfer); 57, 62, 66, 68, 79 (Äschylus); 83 (Tod); 93 (Muttermörder).
Suttanipäto 214.
Sutram 880.
Syllogismos 281, 283, 285 (Geist); 286f.,288(Ursache-Wirkung); 291 (Denken vom Menschen zum Gott); 292 (syllogistisch komplexes und Simplexes Wissen); 300, 391 (Dreifaltig* keit); 430, 432, 606 (Aristo* teles); 603, 605 f., 606, 607 (Denkbewegung — Notwen* digkeit dieser Bewegung); 603
(Theorie des, scholastische Theologie , peripatetische Logik) ; 605 f. (Verhältnis der 3 Begriffe); 611 (Kausalität - der auf die Naturwirklichkeit übertragene und angewandte Syllogismos); 612 (Aristote* les); 614 (kosmischer Syllogis* mos — syllogistischer Kosmos); 616 (S. logisches Paradigma und transzendentales Modell der Kausalität); s. Kausalität, mechanisches Weltbild, Orga* nik, Aristoteles.
Synoptiker s. Bibel.
System 719 (natürliches, sys* tema); (axiologisches, mechan. maschinell).
Tacitus 422.
Talmud 785.
Tao te King 785.
Tat 812 (Begriff, Gedanke u. T.) ;
824 (Religion der); 831, 891 f.
(Erkenntnis u. T.). Tauler 374, 425. Taurobolium 52. Telemachos 31 f. Tetzel 419. Thaies 560.
Theismus 798 (Gottesbegrift). Themistios 44. Themistokles 40. Theoderich 211. Theognosie 800. Theoklymenos 31. Theotocopulos (Greco) 758. Theologie 230 (protest., Jesu*
forschung) ; 254 (mittelalterl.) ;
927
799 (Magie und Th.); 801 (Religion und Th.); 803 f. (pantheistische, monistische);
815 (intelligibles Reck des th. Begriffes); 875 (tritheistische).
Therapeuten 171.
Thomas von Aquino 297 f., 304 (Vernunft und Offenbarung); 312 f., 356 f. (Psychologie); 358 (Primat des Willens oder der Vernunft); 362 (Erkennt* nislehre); 388 (Dreieinigkeits* lehre); 389 (Sohn, das Bild); 416, 428 (Nominalismus); 430 (summa); 604, 608, 746, 814 f.,
816 (der fromme Monotheist wird Thomist); s. Scholastik.
Thompson, Seton 683.
Thoreau 877.
Titanen 39, 41.
Tolstoi 824.
Ton, produktiver 732.
Trachinierinnen 85, 89.
Tragödie 56 (Entstehung, Bock« gesang); 60 f. (Tragik); 63 (Be= griff des Tragischen); 67 (euro* päische), (= Messe); 83 (finis tragödiae); 99 (Tragik der Frau); 96, 98, 100 (ressentü mentalische Tragik), (= Reli* gion 102); s. Drama, Äschylus, Sophokles, Euripides.
Trinität (Dogma) 386, 391.
Triptychon der Wissenschaften 749 f.
tritheistische Theologie 798.
Trurvetter 428.
Tycho Brahe 481, 738.
Typologie s. Organik.
Ultramikroskop 597 f. Universalien 257 („Volk"); 259
s. Scholastik, Thomas, upädhis 851.
Upanischaden 46, 166, 177, 785. Usia 387 (in 3 Hypostasen); 814.
väc 167.
Valentinos 176.
Vänaprastha 450.
Veda 55, 177, 213, 381, 822, 852.
Vedanta 785, 815. 852, 900.
Vergil 309.
Vergottung 184, 790 f.; Ver* gotten 790 f., 797 f., 804, 897, Selbstvergottung 143, 804, 81 1; Menschvergottung Selbst* Vergöttlichung 791, 793, 801, 810, 813, 824; 816 (Trieb zur) ; eigene 872; s. Gott.
Versinnigung 142 (des Gott« liehen).
Versittlichung 142 (des Gott* liehen).
Volk 259 (Universalia).
Voltaire 807, 809 f.
Voluntarismus 437.
Vorplatoniker 127.
Vorsokratiker 122, 134.
Wagner, Richard 75, 783.
Wahrheit 252, 475.
Weise, der 100, 114, 783.
Weißmann 134.
Welt, die 1 13 (Sinn); 1 14 (Depro* blematisation); 229 (Seele und); 496 (Mechanismus); 506 (mit Einschluß des Lebens mechanisch deutbar); 786 f.
928
(Sinndeutung der) ; 877 (Welt, Verneinung); 888 (Ja*Welt); 889 (Erlösungzu der Welt); 894 (Welterlösung); s. mechani* sches Weltbild, Organik, Kau* salität, Philosophie, Wissens schaft.
Weltheiligung 23, 25 f. (Homer); 30, 34, 38, 129, 136, 226, 324 (Francescos); 790.
Wieland 54, 807.
Wilamowitz, von 79.
Wille, 196 (freie); 256, 436 (Pri* mat des W).
Windelband 679 f., 684.
Wirklichkeit 287 (mechanisierte, intellektualisierte); 634 (ma* schinisierte, organisierte); 643 (Methoden der Wirklichkeits* erkenntnis); 700 (Seinsollen); 767, 804 (Phänomenalität, Illusorität aller W); (Intelli* gibilität der W); 893 (ver* gottete).
Wissenschaft 126, 154 (Wissen* schaftlichkeit); 265 (Planeten* system); 268 (Kopernikus); 273 (Wahrfindung) ; 475 (Mittelalter); 478 (abendlän* dische);479(enttheologisiertes Wissen); 483 (induktive); 488, 505 (Endabsicht der exakten Naturlehre); 586 f. (Physik); 590 (hypothetisches Wissen); 628 (Psychologie); 644 (neue Doppelwissenschaft); 665, 667 (Biologie); 739 (Dogma des
Christentums); 749 (Trip* tychon); 751 (= Mythos); 772, 774 f., 784 (Mythos atheos); 785 (mechanisch, organisch, axiologisch); 786 (Glaube, Wissen); 786 f. (Sinndeutung der Welt); s. mechan. Welt* bild, Organik, Mathematik; Hertz, Mayer, Planck, Goethe, Darwin, Thompson.
Wohlbeschiedene, der 190, 414,
Wölfflin 671.
Wolfram von Eschenbach 378, 403.
Wundt 531.
Xenophanes 108 f. (Homer* zerstampfer); 110 (Sophist); 112, 114, 122.
Yogin 386, 848, 892.
Zagreus 39, 42, 49, 55.
Zeit. 515 f. s. Raum.
Zeno 151.
Zeus 29, 31, 55, 75, 81; 32 (Xenios Hikesios); 34 (chtho* nischer); 35 u. 39 (Honigsüße); bei Äschylus 77 f.; 157 u. 161 (Uranios); 157 u. 161 (Caeles* tis); Zeupater 158, 160; Zeus Keraunios 161.
Zirkumnutation 669, 671 f., 886; s. Organik.
Zio 432.
Zoologie s. Thompson, Wissen* schaft, Friedrich II.
59 Ziegler, Gestaltwandel der Götter
929
AUS REICHLS VERLAGSBERICHT
DER VOLLSTÄNDIGE VERLAGSBERICHT WIRD AUF VERLANGEN KOSTENLOS UND PORTOFREI GELIEFERT
OTTO REICHL VERLAG • DARMSTADT
MiiiiiiiiiiiiiMniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!iiiiiiiiiiiiniiiiiiMiiiiitiniiiiiiiiiiiiiiiifiiiiiiiiiiiniiiiiHiiiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiiiiii
LEOPOLD ZIEGLER
GESTALTWANDEL DER GÖTTER
VON LEOPOLD ZIEGLER
DRITTE AUFLAGE, ZWEI BÄNDE
IN LEINWAND GEBUNDEN 360 M., IN HALBLEDER GE*
BUNDEN 600 M., IN GANZPERGAMENT GEBUNDEN 900 M.
Inhalt: Erste Betrachtung: Weltheiligung, Sühnwirkung, Sinn« deutung der Griechen. Zweite Betrachtung: Der Mythos vom Mittlergott und die Religion der Seele. Dritte Betrachtung: Der Heilsdreiweg der Christenheit. Vierte Betrachtung: Deutsche Reformation. Fünfte Betrachtung: Der Mythos Atheos der Wissenschaften. Sechste Betrachtung : Die Mysterien der Gottlosen.
1 1 1 1 m 1 1 1 j i j 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 j • 1 r 1 1 1 1 1 1 ■ t i M r ir ti 1 1 ■ 1 1 r 1 1 1 i i r 1 1 r 1 1 1 1 1 1 1 1 m i m 1 1 1 1 i 1 1 1 r 1 1 1 1 1 1 1 1 r 1 1 1 1 1 1 f r 1 1 ■ 1 1 t 1 1 r 1 1 n 1 1 1 1 r 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 m 1 1 1
DER EWIGE BUDDHO
EIN TEMPELSCHRIFTWERK IN VIER UNTERWEISUNGEN VON LEOPOLD ZIEGLER
IN LEINWAND GEBUNDEN 180 M., IN HALBLEDER GE* BUNDEN 300 M., IN GANZPERGAMENT GEBUNDEN 450 M.
Inhalt: Die erste Unterweisung: Buddho der Protestant. Die zweite Unterweisung: Buddho der Erlebende. Die dritte Unter* Weisung: Buddho der Wissende. Die vierte Unterweisung: Buddho der ÖstsWestliche.
IIIIIIIIIIIIIMlIlllllllllllllllllIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIlllllllllllllllllltllinilllllllllllllllllllllllllMIIIIIIIIHIIIIIItllllllllllllllllllllllMItllll
DER DEUTSCHE MENSCH
VON LEOPOLD ZIEGLER
ZUR ZEIT VERGRIFFEN. NEUE AUFLAGE FRÜHJAHR 1922
IlllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllttlllllllllltllllllllUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIillllllllllllllllll
VOLK, STAAT UND PERSÖNLICHKEIT
VON LEOPOLD ZIEGLER GEBUNDEN 15 M.
Inhalt: Das Volk und seine Souveränität. Der Staat und die Gerechtigkeit. Der Notstand der Persönlichkeit und seine Übers windung.
Illlllllllllllllllllllltllllllltlllll 1 1 ii 1 1 1 i 1 1 r j 1 1 M 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ■ 1 1 m j 1 1 M 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ! ) t > 1 1 1 1 1 1 r l 1 1 ■ 1 1( Hl
MllHUUHHllHHHHUHUHmilHUlHHH i m 1 1 1 ri 1 1 • 1 1 ri n 1 1 1 ii 1 1 1 iiunniiimiiiiNMiiiii UIHIHIIHHUHIIHHIUHI um in n
DAS WELTBILD HARTMANNS
VON LEOPOLD ZIEGLER GEBUNDEN 15 M.
Inhalt: System und Zeit. Deduktion, Induktion und Wahrschein; lichkeit. Die Ableitung der Qualität. Die Entstehung des Bewußt* seins. Monistische Philosophie. Induktion und genetische Meta= physik. Der Wahrheitsbegriff.
iiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiitiiliiMllliinliliiiMiiiiniiiiniiiiiiillllllMiiiiiiiiiiiiiiniiiiitiiiiiiiiMiiititliiiiilliililllliiilllllMiiiintniiiiiiiiiiMii
ZUR METAPHYSIK DES TRAGISCHEN
EINE PHILOSOPHISCHE STUDIE VON LEOPOLD ZIEGLER BROSCHIERT 9 M.
Inhalt: I. Die letzten Prinzipien des Tragischen. II. Die Postulate des Tragischen. III. Das Tragische als Antizipation des Weltprozesses.
lllliniMIIIIMlIHIIIIMMIMtllllMIMMIIMIMIinillllinillllllMIIIIIIIIIIIIIIUIIIIItMIIIIMIttlllllltlllllllMIIIIUlIllllltUIIIMIinilllllllllMIM
FLORENTINISCHE INTRODUKTION
ZU EINER PHILOSOPHIE DER ARCHITEKTUR UND DER BILDENDEN KÜNSTE VON LEOPOLD ZIEGLER GEBUNDEN 30 M.
Illlllinilllllllllllllllllllllllllllllllllllllllfllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllll
GRAF HERMANN KEYSERLING
DAS REISETAGEBUCH EINES PHILOSOPHEN
VOM GRAFEN HERMANN KEYSERLING
FÜNFTE AUFLAGE 1921. ZWEI BÄNDE
IN LEINWAND GEBUNDEN MIT DEM BILDNIS DES VER=
FASSERS 300 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 450 M.
titHiiiiitniiiiiiiiiiiiniiiiiiiitiiiiitiiiiiiiniiiittiiiiuiiiiiuiiiiiiitMiiiMiiMiMiiiiiiiiiiiiiiNiiiiiiiittMiiiiiiiiiiiniiiiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
WAS UNS NOT TUT - WAS ICH WILL
VOM GRAFEN HERMANN KEYSERLING DRITTE AUFLAGE 1920 BROSCHIERT 9 M.
MM MIHI IHM IIIHIMHII Hill Hill II IIHII Hill III IUI II lllllllltlllllMIIII 1IIIII1 HIMI II M IM 1 1 1 IUI 1 1 lltll 1 1 IUI M II i II
iiiiiiiiiliiiiiii iuiiiii iiiiiiiiiiiiiii i in immun nimm immiimmmmmiimmmm
DAS GEFÜGE DER WELT
VERSUCH EINER KRITISCHEN PHILOSOPHIE
VOM GRAFEN HERMANN KEYSERLING
ZWEITE AUFLAGE 1920
GEBUNDEN 120 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 240 M.
Inhalt : I. Die Einheit des Universums. II. Kontinuität und Dis* kontinuität. III. Harmonices mundi. IV. Die Probleme des Geistes V. Die Freiheit im Weltzusammenhange. Epilog: Was ist Wahrheit?
,,,,, i iimmiiiimiiii inmi miniinmiiimi iiimimm n im imiiimmmmmm
UNSTERBLICHKEIT
EINE KRITIK DER BEZIEHUNGEN ZWISCHEN NATURGE*
SCHEHEN UND MENSCHLICHER VORSTELLUNGSWELT
VOM GRAFEN HERMANN KEYSERLING
DRITTE AUFLAGE 1920
GEBUNDEN 120 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 240 M.
Inhalt: I. Über den Unsterblichkeitsgedanken überhaupt. II. Todes* gedanken. III. Das Problem des Glaubens. IV. Dauer und Ewig* keit. V. Das Bewußtsein. VI. Mensch und Menschheit. VII. In* dividuum und Leben.
iimmiiiiiiiMiiiimmiiiiiimiiimiiiiimiiiimi iiiiiiiiiiiiiii ii iuiiiii iiiiimiimi in mnmmiimmmiitmmmiiiiiiiiiiiii
PHILOSOPHIE ALS KUNST
Vom GRAFEN HERMANN KEYSERLING
GEBUNDEN 120 M., IN HALBLEDER GEBUNDEN 240 M.
Inhalt: I. Philosophie als Kunst. II. Sterndeutung. III. Zeitliche, zeitlose, ewige Geister. IV Entwicklungshemmungen. V. Indivi* duum und Zeitgeist. VI. Idealismus und nationale Erziehung. VII. Germanische und romanische Kultur. VIII. Ost und West auf der Suche nach der gemeinsamen Wahrheit. IX. Die begrenzte Zahl bedeutsamer Kulturformen. X. Das Schicksalsproblem. XL Vom Interesse der Geschichte. XII. Deutschlands Beruf in der verändere ten Welt. XIII. Erscheinungswelt und Geistesmacht. XIV. Für und wider die Theosophie. XV. Was uns not tut — was ich will.
„um , 1 1 1 ■ 1 1 n i ■ i ■ 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ■ 1 1 inii i im nulluni i iiiiiiiiiiiiiiinii miiiii i u immun
Mtlllllf III III11IM llf f llllttllll M1III1MM Itlf tlllltl tlllt IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIilllllllllllllllllllllllllllllllltlllllllllllllllllllHlllIII
DEUTSCHLANDS WAHRE POLITISCHE MISSION
VOM GRAFEN HERMANN KEYSERLING DRITTE AUFLAGE 1920 BROSCHIERT 9 M.
llllllllllimMllllllllllllllllllinilllllllMlllIltllllllllllllllllllllllllllllllillllllllllilillllllllllllllllllllllllllllllllllllllHI um ii nun im
POLITIK - WIRTSCHAFT - WEISHEIT
VOM GRAFEN HERMANN KEYSERLING ERSCHEINT IM JANUAR 1922
IIIIIIIIIIJIIIIlirtllllUtlllMl ItllllJlflllJIIIIIIJIIMIIIItflllllllllllllttlt llllllllllllllIllllMIJIIIIIIfMIIIMMIIIIIItMlllltltl M 1 M ItM II I II 1
DER WEG ZUR VOLLENDUNG
MITTEILUNGEN DER SCHULE DER WEISHEIT
IN DARMSTADT
HERAUSGEGEBEN VOM GRAFEN HERM. KEYSERLING
JEDES HEFT 9 M.
niiitnninniiiiiiniuniuunuuinuriuiuuunniiiiiiuiiuuuuuuiuiuiuiuuiiiuui nun inniiutuiu iiui ii iiui iiiiuiuiiuniiiunu
DER LEUCHTER
WELTANSCHAUUNG UND LEBENSGESTALTUNG JAHRBUCH DER SCHULE DER WEISHEIT IN DARMSTADT HERAUSGEGEBEN VOM GRAFEN HERM. KEYSERLING JAHRBUCH 1920. GEBUNDEN 90 M.
Inhalt: Graf Hermann Keyserling: Worauf es ankommt. G. F. Hartlaub: Kritik der Geheimwissenschaft. Heinrich Nienkamp: Werten und Wirken. Leopold Ziegler: Buddho der Protestant. HermanHefele: Die Idee des Kommunismus. Gerhard von Mutius: Humanität und Bildung. Max Scheler: Sozialismus und Person« lichkeit. Fritz Wiehert: Sich selber beistehen. Friedrich Gogarten: Die Kirche. Peter Behrens : Das Ethos und die Umlagerung der künstlerischen Probleme. Rudolf Binding: Ethische Grundlagen eines Volkes. Günther Weitbrecht: Wertung und Erkenntnis. Günther Weitbrecht: Der Brunnen des Lebens. Alexander von GleichensRußwurm : Unter Platanen.
IMIimillMMIMIIinilll Min t IUIIIM llllll IIIIUIUIIIUII tili I im mir I n I II 1 1 1 II III II UM Uli
Universily of Toronto Library
DO NOT
REMOVE
THE
CARD
FROM
THIS
Acme Library Card Pocket
Under Pat. "Ref. Index File"
Made by LIBRARY BUREAU