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http://www.archive.org/details/gottfiedkinkelwa01stro

Gottfried Kinkel.

Wahrheit ohne Dichtung. Biographiſches Skizzenbuch

von

Adolph Strodtmann.

„Was denn fehlt' ich ſo ſchwer?

Warf ich feige das Banner hinweg,

Wenn zum Kampfe der Geiſt mich rief?

Hat mein liedergeweihter Mund

Frevelnd vergiftet das Herz des Volkes?

Hab' ich die gaſtliche Schwelle

Schleichend im Finſtern mit Mord befleckt!

Nein: ich habe geliebt,

Ach, und die Liebe verzeiht mir die Welt nicht!“

Gottfried Kinkel.

Erſter Band.

Hamburg.

Hoffmann und Campe.

1850.

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Voigt's Buchdruckerei in Wandsbeck—

Gottfried Kinkel.

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kleinen Gottfried Kinkel

gewidmet!

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Komm her, mein liebes Kind, Lehw Deine heißen Wangen

An meine Bruſt geſchwind, Ich will Dich treu umfangen!

Ein Mährchen wieder ſoll Ich heute Dir erzählen? Dein Herzchen glüht ſo toll,

Muß wohl ein neues wählen!

Ein ſtolzer König war, Der trug nicht Reif, noch Krone, Und ſaß doch manches Jahr Auf goldnem Dichterthrone.

Es war ſein luftig Reich Die Poeſie geheißen, Sein Volk gehorcht' ihm gleich:

Die bunten Liedesweiſen.

VIII

Er bief fie luſtig fliehn Hinaus in alle Lande, | Und um die Herzen ziehn

| |

Viel ſtarke Liebesbande.

Es ſprach ein jedes Lied: „Der König will in Gnaden,

Was ſich in Zwietracht ſchied, Zum Feſt des Friedens laden!

„Der Himmel iſt ſo blau, Als wollt' er uns umfaſſen,

So ſchön die Frühlingsau: Kann denn der Menſch nur haſſen?

„Laßt uns in Frühlingsluſt Der Freiheit Tempel gründen, Und neu in jeder Bruſt Der Liebe Gluth entzünden!“

IX

Die Welt, vom Haſſe wild, Hat froh das Lied vernommen, Ein Frühlingsſäuſeln mild Iſt durch das Land gekommen.

Es war im Monat März, Da haben fie geſchrieben: „Frei ſoll das Menſchenherz

Den freien Bruder lieben!“

Es zog aus kaltem Nord Daher der Fürſt der Lüge,

Daß er mit Haß und Mord Den Lenz in Feſſeln ſchlüge.

Sein treulos Spiel gelang, Die Menſchheit liegt in Ketten. Wer kann mit Freiheitsdrang

Den Liederkönig retten?

„Und dann?“ Das Mährchen iſt Für heute aus, mein Knabe!

Frag', wenn Du größer biſt, Wo ich das Ende habe?

Dann geb' ich Dir ein Schwert, Und lehr' es kühn Dich ſchwingen, Dann magſt Du ſtarkbewehrt

Es ſelbſt zu Ende ſingen!

Dann wollen wir vereint Der Freiheit Tag erſehnen!

Jetzt geh’! Die Schweſter weint, Küſſ' ihr hinweg die Thränen!

Hamburg, im März 1850.

Vorwort.

„Keine vertrautere Gabe vermag der Menſch dem Menſchen zu bieten, als Was er im Innerſten des Gemüthes zu ſich ſelber ge redet hat; denn ſie gewährt ihm das Ge— heimſte, was es giebt: in ein freies Weſen den offenen, ungeſtörten Blick.“

Mag dieſer Ausſpruch des verſtorbenen Schleier— macher den Inhalt eines Buches rechtfertigen, zu dem als Grundlage vorzüglich die Tagebücher und hand— ſchriftlichen Jugend gedichte Gottfried Kinkels benutzt wurden, die mir bei Abfaſſung dieſer Lebens— ſkizze vorlagen. Freilich muß ich bekennen, daß mein Verdienſt an dieſer Arbeit ein weſentlich compi— latoriſches war; doch wird man vielleicht dieſen Umſtand gerade als Vorzug begreifen. Ich darf be— haupten, daß der Leſer kaum einen Ausſpruch oder ein Wort der auftretenden Perſönlichkeiten findet, das nicht gerade unter dieſen Verhältniſſen und in dieſer Form ausgeſprochen war.

Des eignen Raiſonnements habe ich mich meiſtens ganz enthalten, weil es mir nur um hiſtoriſche

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Erſtes Buch.

Bonn.

Februar bis September 1834.

Nach langanhaltendem Thauwetter hatte es heute zum erſten Mal wieder ſcharf gefroren. Trotz der freund— lich herabſtrahlenden Winterſonne lag noch der über Nacht gefallene Reif auf den meiſten Dächern der Univerſitätsſtadt und glitzerte luſtig im Wiederſchein in tauſend und abertauſend funkelnden Eisperlen. Ein— gemufft in ihre wärmenden Schanzläufer benutzten die Bonner Philiſter das klare Froſtwetter, um mit ihren Frauen und Kindern nach Keſſenich oder Endenich hin— auszutrippeln, wo die Männer dann bei einem Spezial rothen Ahrweines vergnüglich ihre kurze Holzpfeife anzündeten, während ihre Ehehälften ſich in dem plat— ten rheinländiſchen Dialekt über die kleinen Schwächen und Eigenheiten ihrer Nachbarn unterhielten.

Eben ſchlug es vom Rathhaus drei Uhr und gleich darauf folgte die Uhr des Univerſitätsgebäudes mit monotoner Geſchäftigkeit. Haſtig flog die Magd des wohlgenährten Pedellen über den Flur, um durch das Läuten der großen Univerſitätsſchelle die armen Stu— denten aus der Haft eines langweiligen Collegiums zu

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erlöſen. Nicht lange dauerte es, fo bewegten ſich die hagern Profeſſorengeſtalten mit abgemeſſenem Schritt aus den geöffneten Thüren der Hörſäle, und ihnen nach drängte ſich der Schwarm fröhlicher Studenten, die mit ihren blauen, weißen, rothen oder grünen Mützen bunt durch einander wimmelnd dem Ausgange zueilten. Die meiſten der befreiten Muſenſöhne ließen ſich durch die heitre Winterluft zu einem Spaziergange vor's Thörchen verlocken, wenn ſie nicht ein zweites Colleg mit ſeltner Gewiſſenhaftigkeit an das dröhnende Hinwandeln durch die Hallen gefeſſelt hielt, und bald war die Poppelsdorfer Allee und der Hofgarten von dem ſcherzenden Geſpräch der muthwilligen Univerſitäts— jugend erfüllt.

An den verſchiedenen Gruppen vorbeigehend wan— delten zwei Freunde Arm in Arm vorwärts, offen— bar in ernſtere Betrachtungen vertieft, als die Uebri— gen. Sie trugen nicht, wie die Andern, farbige Mützen und verbotene Bänder unter den engzugeknöpften Win— terröcken, ſondern die einfache Tracht der Theologen, ohne daß ihr offenes Geſicht jenen Zug von Mißmuth und Stumpfſinn zeigte, der ſich meiſt ſo weltverach— tend auf den hagern und abgeſtorbenen Geſichtern der Theologie Studierenden ausprägt und namentlich den katholiſchen Geiſtlichen mit wenigen Ausnahmen ein ſo finſteres Ausſehen verleiht. Der Eine dieſer Jünglinge war ein Sohn des Oberſchulraths Zeller aus dem Würtembergiſchen, deſſen Familie ſich damals am Rhein aufhielt, während der Sohn ſeinen Studien oblag. Sein Freund, eine lange ſchlankaufgeſchoſſene Geſtalt,

wies ein feltnes Ebenmaaß der Geſichtszüge, die aber noch nicht feſt genug ausgeprägt erſchienen, um voll— kommen ſchön heißen zu können. Er war ein Sohn des Predigers Kinkel aus Oberkaſſel, der, ſeit Kurzem auf ſeinen Wunſch ſeines Amtes entlaſſen, mit ſeiner Familie nach Bonn gezogen war, um dort, von ſeinen Geſchäften befreit, ſeine letzten Tage in Ruhe zu ver— leben. Der junge Gottfried ſtudierte, wie ſein Freund, evangeliſche Theologie, und hatte ſich durch Fleiß und Frömmigkeit die Achtung ſeiner berühmten Lehrer er— worben. Denn um die junge Univerſität kräftig zu heben, hatte die preußiſche Regierung für eine tüchtige Beſetzung der verſchiedenen Lehrſtühle zu ſorgen ge— wußt, und auch die evangeliſch-theologiſche Fakultät war, was die wiſſenſchaftliche Fähigkeit betraf, in den Profeſſoren Nitzſch, Sack und Bleek würdig vertreten, wenngleich dieſe Männer neben den ihrigen keine neuen Anſichten duldeten und beſonders dem Aufkommen jün— gerer Amtsbrüder oft hindernd und partheiiſch in den Weg traten.

Gottfried, den jedes abſprechende Urtheil ſchnei— dend berührte, war auch heute verſtimmt und düſter. So eben hatten die Freunde ein Colleg verlaſſen, in dem der Herr Profeſſor lieblos die Beſtrebungen der neueren Philoſophie herabgewürdigt, und dadurch dem ſelbſtſtändigen Forſchen ſeiner Zuhörer die Schranke eines Vorurtheils in den Weg zu legen geſucht hatte. Dieſe waren gerade in jenem Semeſter großentheils ziemlich geiſtloſe Jünglinge, und das ſah man ſchon dem Ausdruck ihrer nichtsſagenden Geſichter an.

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Sp eben gingen an unfern Freunden ein paar folder Burſche in braunem Frack mit lichtblauen Ueber— röcken vorbei, die ſichtbar durch äußern Glanz die innere Leere erſetzen wollten. Gottfried ließ ſein brau— nes, düſterflammendes Auge ihnen nachſchweifen, und ſagte halb ärgerlich, halb ſcherzend:

„Sieh Dir doch 'mal dieſe patenten Herrchen an! Geſtern hatte ich meinen Spaß mit ihnen, in— dem ich, um doch einmal ein Urtheil von ihnen zu hören, den Hegel vertheidigte. Sie ſtarrten mich an, als ſei ich ein Meerungeheuer, und plapperten allerlei abgeriſſene Sätze aus dem letzten Colleg her. Sagt ihnen der Herr Profeſſor: Der Hegelianer Marheineke in Berlin iſt ein Flachkopf, ſo ſagen ſämmtliche Herren Studenten, alſo wohl zehn Flachköpfe, ihm nach: Ja wohl, Marheineke iſt ein Flachkopf. Dies Geſchlecht ver— geht auch nicht, es müßte denn ein Krieg kommen. Der ließe doch wenigſtens einmal kräftigere Laſter und Lei— denſchaften hervorbrechen, und eine offene Wunde iſt leichter zu kuriren, als eine verborgene Eiterbeule, die beim Drücken einen dumpfen Schmerz hervorbringt. Nur kräftige Mittel können unſerm verſchlammten Zeit⸗ alter wieder aufhelfen!“

„Eine neue Sündfluth, und Du als Noah in zweiter verbeſſerter Auflage! Nicht wahr?“ entgegnete Jener in ſpöttiſchem Tone.

„Paul! Du willſt mich mißverſtehen,“ ſagte Gottfried etwas gereizt. „Ueber dieſen Punkt, denke ich, haben wir oft genug geſprochen, und Du weißt, daß ich meine Ideeen über Wahrheit und Freiheit nicht von Dir verſpotten laſſe.“

„Ich weiß, daß Du ein Schwärmer biſt, der niemals gewußt hat, Was Wahrheit und Freiheit iſt. Glaube mir, dergleichen hochklingende Redensarten nehmen ſich im Munde eines achtzehnjährigen Jüng— lings komiſch aus, und oft haben mein Vater und ich über Deine Begeiſterung für unklare Begriffe im Stillen gelächelt.“

„O Du Mann von 22 Jahren!“ verſetzte Jener vorwurfsvoll, indem er ſeinen Blick auf Paul's Ge— ſtalt muſternd ruhen ließ. „O Du hohe männliche Reife des Verſtandes, der nicht weiter ſieht, als daß aus Korn Brod gebacken wird! Freilich hausbackenes Brod! Mögt Ihr Euch doch ewig über die Idee ſtellen, Ihr, die Ihr nie ſo ein Ding gehabt habt!“

„Ich habe Dich nicht beleidigen wollen,“ wandte Paul freundlich und begütigend ein, „ich kenne ja die Reinheit Deines Willens; aber es ſchmerzt mich, daß ein ſo herrliches Feuer in unklaren Beſtrebungen ver— ſprüht, und ich dringe deßhalb auf den Begriff. Sprich: Was iſt Wahrheit?“

„Mag ſein, daß ich noch nicht Alles ſtreng wiſ— ſenſchaftlich ausſprechen kann, was ich ſo warm im Herzen fühle. Du aber, mein lieber Pontius Pilatus, ſtehſt mit Deinem: TY Zorıv j ti,; noch ganz auf dem heidniſchen Standpunkte, zu dem ich Dir viel Plaiſir wünſche.“

Paul ſpielte zu Zeiten gern den Altklugen und Verſtändigen, war ſonſt aber Nichts weniger, als ein kalt berechnender Verſtandesmenſch. Sein Herz ſchlug vielmehr glühend für Freundſchaft und jedes edlere

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Gefühl, und er ſuchte eine faſt überſchwängliche Weich— lichkeit des Gemüthes nur gern unter der Maske gro— ßer Entſchiedenheit und Reife zu verbergen. Hatte er ſich jedoch im Eifer des Geſpräches in falſche Be— hauptungen hineingeredet, ſo beſtand er für den Au— genblick hartnäckig auf dem einmal Ausgeſprochenen. Der um reichlich drei Jahr jüngere Kinkel war ihm an Geiſt überlegen, und gerade deßhalb ſuchte er ihn vielleicht manchmal an ſeinen Schwächen zu berühren. So blieb er auch diesmal bei ſeiner Frage ſtehen, und ſagte triumphirend:

„Alſo der kluge Held weicht der mißlichen Ant— wort aus, und zieht ſich auf ſeine Luftſchlöſſer zurück? Guten Fahrwind für Deinen Reiſeballon!“

„Willſt Du denn abſichtlich meine Selbſtſtändig— keit und Geſinnung verkennen, willſt Du mir rauben, Was mir das Theuerſte iſt, mein Bewußtſein, ſtets das Licht angeſtrebt zu haben: ei nun, ſo bleibe Du Sklave, und ich will mich meiner Freiheit rühmen und freuen!“

Der kleine Zank der beiden Freunde hätte ſich vielleicht noch lange fortgeſponnen, wenn nicht ein lau— ter Schrei in der Nähe plötzlich ihre Aufmerkſamkeit von ihrer Unterhaltung abgelenkt hätte. Eine Schaar leichtſinniger Kinder hatte ſich auf das noch ſchwache Eis des Poppelsdorfer Weihers gewagt, und drei Jungen waren ſo eben eingebrochen. Alles ſtrömte raſch dem Orte zu, wo das Unglück geſchehen war.

Die Kinder hatten ſofort die gefährliche Eisdecke verlaſſen und umſtanden lärmend den Platz. Von

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den Erwachſenen wagte ſich Keiner auf die zerbrechliche Kruſte, um den Ertrinkenden zu helfen. Gottfried überſah ſchnell die Gefahr, und warf ſeinen Rock einem der müſſig ſchreienden Gaffer zu. Dann legte er ſich mit dem ganzen Leibe platt auf das Eis und ſchob ſich behutſam, fo raſch er vermochte, in möglichſt ho- rizontaler Lage vorwärts. Paul folgte ſeinem Beiſpiel, indem er ſich mit den Händen an die Füße ſeines Freundes anklammerte, um ihn vor der Gefahr des Ertrinkens zu ſichern. Zwei der Eingebrochenen ſuch— ten erfolglos an der immer weiter abbröckelnden Eis— decke emporzuklimmen, während der dritte ſchon dem Verſinken nahe war. Gottfried ermahnte ſie vergebens, ſich ihm nicht zu raſch zu nähern, damit er zuerſt ihren bedrohten Kameraden heraufziehen könne; Jeder dachte nur an die eigne Gefahr, und ſo blieb un— ſerm jungen Helden Nichts übrig, als zuerſt einen der beiden Schreier auf die Fläche emporzuheben. Plötzlich verſank der Eine in die Tiefe. Es galt raſche Entſchloſſenheit. Gottfried rief befehlend: „Laß meine Füße los!“ und glitt in die Wacke. Es gelang ihm, das noch einmal auftauchende Haupt des Knaben zu ergreifen, und denſelben auf's rettende Eis zu ſchaffen. Paul hatte mittlerweile den dritten Burſchen "gerettet, und nur fein Freund ſchwamm noch auf dem Waſſer, vergeblich nach einer Stelle umſchauend, wo er ſich hätte emporſchwingen können. Paul reichte ihm zu verſchiedenen Malen die Hand, aber ſtets brach das Eis weiter ab, wenn ſich Jener mit leiſem Bemü— hen hinaufarbeiten wollte. Endlich brachte man eine

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Leiter aus dem nahen Wirthshauſe herbei, mit deren Hülfe Gottfried die Eisdecke erklomm, und nun auf dieſelbe Weiſe, wie zuvor, in liegender Stellung an's Ufer rutſchte. Die Todtenſtille der harrenden Menge, welche das kühne Wagniß der beiden Jünglinge be— gleitet hatte, und nur durch einen freudigen Zuruf war unterbrochen worden, ſo oft ſie Einen der drei Eingebrochenen gerettet auf das Eis gehoben ſahn, verwandelte ſich jetzt in ein jauchzendes Beifallrufen, und Jeder beeilte ſich, den beherzten Studenten zuerſt die Hand zu drücken, die ſich ohne weitere Rückſichten jubelnd in die Arme fielen, und ſich, im Bewußtſein einer froherfüllten Pflicht der Menſchlichkeit, ihrem Gotte dankend, dem ihnen nachfolgenden Schwarme haſtig und abwehrend entzogen.

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Etwa vierzehn Tage nach dieſer Begebenheit, zu Ende Februar 1834, ſaß der Student Kinkel einſam auf ſeinem Zimmer. Träumeriſch heftete er ſeine Au— gen auf ein Blättchen Papier, das er mit dem Ellbo— gen des linken Armes, auf den er fein Haupt ſtützte, feſthielt, indeß die rechte Hand mit flüchtiger Haſt einige Zeilen hinwarf. Dann erhob er ſich plötzlich aus ſeiner nachdenkenden Stellung, öffnete das Fenſter, und las, indem die friſche Morgenluft des milden Wintertages ſeine brennende Stirn kühlend anfächelte, folgendes Gedicht:

„Knabe war ich, und ich wußte nicht, Was da ſchön ſei oder häßlich ſei; Aber wenn ich las ein ſchön Gedicht, Aber wenn ich ſah ein ſchön Geſicht, Hämmerte das Herz in ſchnellern Schlägen, Thät es unbekannt in mir ſich regen, Meint', es wäre Kindeständelei.

„Jetzo weiß ich ſchön und häßlich wohl,

Herzlein ſagt mir's und Philoſophei,

Weiß auch, Was man innig lieben ſoll;

Lieb' ich's nun ei, iſt's denn gar ſo toll? Hämmert mir das Herz in ſchnellſten Schlägen, Thut die Sehnſucht in der Bruſt ſich regen:

's iſt wahrhaftig nicht mehr Tändelei!“

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„Ach, lieber Gottfried!“ erſcholl plötzlich die Stimme Paul's, der, unbemerkt von ſeinem Freunde, während des Vorleſens der letzten Strophe eingetreten war, „Alles iſt nun aus! Lieb' iſt vorbei, Freund— ſchaft vorbei, vorbei der ganze Traum einer kurzen Stunde! Vater ſagte mir eben, daß wir in ſechs Wochen alle nach Würtemberg zurückreiſen.“

„O du ſelige, fröhliche Jugendzeit!“ hauchte der junge Dichter ſchmerzlich vor ſich hin. „Arme Eliſe, armer, armer Gottfried!“

„Wir haben lange mit einander geweint, meine Schweſter und ich,“ erwiederte Paul.

„Geweint?“ fragte Jener haſtig. „So liebt Deine Schweſter mich?“ „Doch nein,“ ſetzte er traurig hinzu, „Wer müßte denn nicht weinen, wenn er dem Rhein Ade ſagen ſoll? Ach, ich bin ja nicht liebenswürdig, um mich wird ſich Keiner abhärmen!“

„Pfui, Gottfried! Wie magſt Du fo reden?! Iſt das Deine geprieſene Treue und Standhaftigkeit? Du würdeſt vor Schaam iu die Erde ſinken, wenn Du wüßteſt, was Eliſe heut' Morgen ausrief, als ich ihr die furchtbare Nachricht mittheilte.“

„O ſprich! Was war's?“

„Nein, jetzt ſage ich Dir's nicht. Du haſt das mit Deiner Kleingläubigkeit nicht verdient. Zieh' Dich lieber an, und komm mit in's Freie!“

Gottfried, der das Wahre in dem Vorwurfe des Frcundes fühlen mochte, warf ſich in feinen Rock, und ließ ſich ſchweigend von Paul hinausziehen.

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Seine Liebe zu der ſchönen Eliſe Zeller war nicht die erſte, welche in dem jugendlichen Herzen aufkeimte. Er hatte ſchon zweimal geliebt, aber es war mehr ein ſtürmiſcher Rauſch ſeines leicht erregbaren Gemüthes geweſen, das ſich in ſeiner kindlichen Unerfahrenheit und Frömmigkeit leicht durch einen Blick, ein Wort oder ein Zeichen entflammen ließ. Und doch hatte er Eines dieſer Mädchen treu im Stillen geliebt, bis ein Anderer ſie zum Altar führte. In der Geiſtesfeſſel einer ſtarren Orthodoxie und blinden Gottvertrauens erzogen, war hinterdrein die nagende Pein der Reue in ihm aufgeſtiegen, und er hatte jene Jugendliebe als eine ſündige verdammt, weil nicht Gott, ſondern Gottes ſchöne Creatur das Ziel ſeiner Sehnſucht ge— weſen. Da lernte er die liebenswürdige Schweſter ſeines Freundes kennen, und nun wandte ſich die reinſte Gluth ſeiner frommen Seele ihr in platoniſcher Liebe zu. Er ſah in ihr nur das Göttliche, das klare Kry— ſtall, welches den Thau des Himmels umſchloß und wiederſtrahlte, und ſeine ſchwärmeriſche Hingabe an ein unverdorbenes Gefühl trug eher den Charakter einer inbrünſtigen und andächtigen Gottes verehrung, als einer trunknen Jünglingsliebe.

Der Schlag, der ihn durch den bevorſtehenden Abſchied der Zeller'ſchen Familie traf, war kein unvor— hergeſehener. Außerdem lag es in ſeinem Plane, zu Oſtern des Jahres die Berliner Univerſität zu bezie— hen; allein die ſteigende Kränklichkeit ſeiner Mutter rückte ſeine Abreiſe von Bonn in fernere Zeiten hinaus, und fo hatte er gehofft, noch den Sommer mit der

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Familie feines Freundes und feiner Geliebten zubrin- gen zu dürfen. Auch gab er ſich gern dem Gedanken bin, daß dieſe Verlängerung ſeines Aufenthaltes im elterlichen Hauſe ſein Verhältniß zu Eliſen feſter be— gründen und vielleicht gar für die Ewigkeit knüpfen werde. Jetzt ſah er mit Einem Mal alle ſeine Pläne zertrümmert, und bedurfte Zeit, um ſeine innere Ruhe und Beſonnenheit wiederzugewinnen.

Arm in Arm wandelten die Freunde hinaus vor das Coblenzer Thor, und lenkten ihre Schritte auf den alten Zoll, von wo man eine herrliche Ausſicht auf das rechte Rheinufer und das Siebengebirge genießt. Schweigend lehnten ſie ſich auf die Brüſtung der ho— ben Baſtei, die in vergangenen Jahrhunderten einen Theil der Befeſtigungswerke ausmachte, und betrachte— ten die herrliche Landſchaft, die ſich zu ihren Füßen hindehnte. Etwas rheinaufwärts von dem gegenüber liegenden Beuel zeigte ſich ihnen auf dem Finkenberge Foveaux' Häuschen, wohin ſie oft an ſchönen Sommer⸗ nachmittagen gewandert waren, dann Oberkaſſel, Kinkel's Geburtsort, wo ihnen in dem freundlichen Lehrer Karl Sartorius ein lieber Freund lebte, und dann das mächtige Siebengebirge mit der tannenum— kränzten Wolkenburg, dem ſteilabſchüſſigen grauen Drachenfels, der kleinen Peterskapelle, dem hohen Oelberg, der verfallenen Löwenburg und den übrigen Berghäuptern. Drunten aber floß ruhig der dunkel⸗ grüne Rhein, und trug auf ſeiner purpurfarbnen Fluth noch einzelne abgeriffene Eisblöcke dem fernen Welt— meere zu, die vielleicht an Norwegens fremder Küſte

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landen und dort an den unwirthlichen Felſenſcheeren, einen Gruß von den rebenumkränzten Rheinbergen bringend, im Spätſommer zerſchellen.

Lange ſtarrten die Beiden in den mächtigen Strom, und ließen nebelhafte Bilder der Zukunft ihrer Seele vorübergleiten. Mit dem Zeller'ſchen Hauſe ſchied für Gottfried die Liebe und Freundſchaft, mit dem eignen die Heimath, und es ahnte ihm, er werde wohl nie wieder heimiſch werden, es ſei denn am eignen Heerde. Dies Gefühl der Wehmuth, wie es an dem klaren und milden Morgen an der Seite des Freundes ſo ſcharf und gewiß die Seele durchſchnitt, preßte ihm Thränen aus und krampfhaft hielt er Paul's Hand in der ſeini— gen umfaßt. Er gedachte ſeiner Kindheit und jeder ſchönen Stunde, die er mit dem Freunde und der Geliebten durchlebt, und nun erſchien es ihm Alles wie ein Traum, den der erſte Hahnenruf mit dem Er— wachen verſcheuchte.

Hoch aber ſchwoll ihm wieder die Bruſt, als die Sonne prächtig die weißen Abhänge des Drachenfel— ſens vergoldete, und die Rheinfluth wiederſtrahlend den funkelnden Morgenglanz auffing. Leiſe ließ er die Hand des Freundes fahren, und legte ſie ihm auf die Schulter.

„Nicht wahr,“ fragte er ihn, „die Nacht iſt ſchön in ihrer traumhaften Ruhe und Liebesfeier? Schön war's, wenn wir uns im leichten Fiſcher— kahn auf dem ſanfthinſtrömenden Fluſſe forttragen ließen, und den Blick zu den Sternen emporſandten, die über den Wipfeln der Bäume lächelnd hernieder—

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blinften: aber, Paul, ſieb' dorthin er deutete auf die magiſch beleuchteten Berge der Tag iſt doch ſchöner!“

„Ach nein, Gottfried, das Erwachen aus der Kindheit iſt traurig!“

„Gewiß wehmütbig genug; aber es iſt ja das Licht, das uns aus dem Dunkel erweckt. Darum hinaus in die ringende Welt, daß ſich die reine Seele kecklich im klaren Sonnenſchein ſpiegele! Das Kindes verhältniß iſt fo ſüß, und klingt uns noch fo bezaubernd wie ein Grundton durch die ganze Seele hindurch: aber Wer wollte ſich nicht freuen Mehr zu ſein, Mann zu ſein? Die Hand auf's Herz, ſage mir, Paul, möchteſt Du Deinen Schatz von Wiſſen, die Tiefe und den Umfang Deines Gemüthes dahin— geben für die Genüſſe eines Alters, das nun doch wieder vorwärts ſtrebt, doch nicht glücklich iſt, weil andre Menſchen größer, ſelbſtſtändiger ſind? Gäbeſt Du Deine Freundſchaft für das Gefühl der unbeding— ten Abhängigkeit von den Eltern? Deine Erfahrung und ſchmerzliche Weltüberwindung für den unentwickel— ten Verſtand, die ungeprüfte Unſchuld des Kindes? Wahrlich nein! ich möchte keinen Tag jünger ſein, ich möchte nicht noch einmal die ſeligen Tage des Ideals von Freundſchaft und Liebe erkaufen mit dem Verluſte der Erfahrung, daß mich ein Freund betrogen und die Geliebte verlaſſen hat. Hinaus denn und, dem jungen Adler gleich, ſelbſt die Schwingen verſucht! Auf zur höchſten Höhe, zur nächſten Nähe der Geiſterſonne! Brauſen wird um mich der Sturm, aber im Aufſchauen

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zum ewigen Lichte wird er meine Geiſteskraft nicht lähmen: ſchaudern werd' ich vor dem wogenden Meer in meiner Bruſt, aber feſthalten in dem elektriſchen Kreiſe, aus dem Leben und Geſundheit ſtrömt, glauben an Gott und ihm vertrauen, aufblicken zu Chriſti Kreuz und den Geiſt wirken laſſen an meinem Herzen! So mag denn jedes Band ſich löſen, das mich feſſelt an die Erde! Scheide die Freundſchaft ich finde einen Bruder in dem Heilande; ſcheide die Liebe der Glaube ſei meine Braut; ſcheide die Schweſter— treue ich bin kommen zu der Gemeine von viel tauſend Gerechten! Hinaus denn, mein junges Herz, und lerne allein ſein mit deinem Gotte, und ringe mit ihm, bis daß du ihn bezwingeſt, und er dir einen neuen Namen gebe, den heiligen Israel, den Niemand weiß, denn der ihn empfänget! Sei mir gegrüßt, du herrliche Morgenſonne, Bild meiner erwachenden Seele!“

Die letzte Hälfte dieſer Betrachtung hatte Gott— fried mit erhobener Stimme und glühendem Antlitz geſprochen. Er ſchien die Gegenwart ſeines Freundes vergeſſen zu haben, den ſein verklärtes Auge erſt jetzt wieder bemerkte, und der ihn voll edler Rückſicht in ſeinen begeiſterten Ausrufen nicht unterbrochen, ſondern ſeinem lautgewordenen und entfeſſelten Denken ernſt zu— gehört hatte. Paul vermochte kaum ſo raſch von dem Gefühl des Schmerzes ſich loszureißen, als Jener, der mit einer wunderbaren Schnelligkeit des Gedankens auch ſeine Gefühle zu beherrſchen oder wenigſtens raſch zu verwandeln verſtand. Erſt die Traurigkeit, die noch

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immer auf den Geſichtszügen des Freundes ruhte, er— innerte Gottfried an den eignen Kummer, den der Flug des Gedankens verſcheucht hatte. Wehmüthig lächelnd ſah ihn Paul mit dem treuherzigen Auge an, und ſprach: „Du haſt doch ein ſtärkeres Herz in der Bruſt, als ich, und wirſt mich wohl überflügeln, aber laß mich Deinen Freund ſein auch in der Ferne!“

Fröhlich ſchlug Gottfried in die dargebotene Hand ein, und erneuete den alten Bund. Fröhlich aber tanz— ten die weißen Sonnenlichter auf dem krauſen Ge— wäſſer, fröhlich ſegelten die flockigen Wolkenzüge durch die blaue Luft, und fröhlich ſang die erſte Lerche ihr grüßendes Lied aus dem Wipfel der kahlen Roth— buche, während ein vorwitziges Schneeglöckchen bereits den neuen Frühling einläuten zu wollen ſchien, der doch noch fern war. Aber wo ſich zwei gute Menſchen begegnen, da freut ſich auch die Natur, und ſendet ihnen durch Froſt und Winter ahnend ihren Maiſegen in's Herz. N

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Das einfache Wohnzimmer der Kinkel'ſchen Fa— milie war heute feſtlich mit Blumen und Guirlanden geſchmückt. Gettfried und ſeine Schweſter Johanna hatten die Mutter zu ihrem Geburtstage freudig über— raſcht und ſie befand ſich wohler, als ſeit langer Zeit. Dankend ſchloß ſie die geliebten Kinder an's Herz und ihre meiſt ſtrengen Züge hatten einen herzlichen Aus— druck angenommen. Obgleich Gottfried am vorigen Abend erſt nach 10 Uhr in's Haus gekommen war und das rechnete man ihm ſonſt als ein gewichtiges Vergehen an hatte die Mutter doch heute für ihn kein Wort, keinen Blick des Vorwurfs, und ſelbſt die finſtre Schweſter erinnerte ihn nicht, wie ſonſt, an ſeine „Schuld,“ ihn zur ernſthaften Reue ermahnend. Die Mutter hatte an dieſem Morgen beſonders in— brünſtig für ihre Kinder gebetet und reichte Gottfried jetzt ein kleines Papierſtreifchen, auf das ſie einige Zeilen aus Pfarrer Haſenkamp's Briefen abgeſchrieben hatte.

Der junge Student las die geheimnißvollen Worte: „Wenn nun eine Mutter Gott keine Ruhe

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20 „läßt, dann läßt Gott auch ihren Kindern keine Ruhe. „Er läßt ſie in Nichts in der Welt Frieden oder „Freude finden. Wo fe auch hin- und herrennen, fie „finden nicht, Was ſie ſuchen, ſie leiden von ihren „Begierden heiße Noth, und die Noth lehrt ſie dann „beten.“

„Siehe, mein Kind,“ ſagte dann die Matrone, welche gleich der Mutter des Heilandes Maria hieß, „der Mann hat Recht; ich habe vielleicht bisher zu viel für Dich vor dem Throne des Ewigen gefleht, daß Du nicht in Sünde und Anfechtung falleſt; aber nun biſt Du ja ſelbſt groß genug, um zu wiſſen, Was zu Deinem Frieden dient, und ich muß Dich der eig— nen Leitung überlaſſen.“

Gottfried, der bisher gewohnt geweſen war, von ſeinen Eltern und mehr noch von ſeiner Schweſter als ein großer Sünder betrachtet und behandelt zu werden, und der ſich in Folge dieſer weltverachtenden Erziehung auch ſtets als einen ſolchen geglaubt hatte, fand keine Antwort auf dieſe Anrede. Weinend warf er ſich an die Bruſt ſeiner Mutter, und bat ſie, doch auch ferner ihm in dem Kampfe mit der Sünde beizuſtehn, und mit ihm zu Gott um Kraft und Hülfe für ſeine jugend— liche Schwachheit zu flehen. Aber ſie verwies ihm ſtrafend ſeine Zaghaftigkeit, und ſo ging er wunderbar bewegt auf ſein Studierzimmer.

Lange ſaß er dort, in ernſte Gedanken verſunken, und ſtarrte in das luſtig aufflackernde Feuer des alter— thümlichen Kamines. Endlich ſank er in der Mitte des Zimmers auf die Kniee, faltete die Hände und be—

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wegte betend die Lippen, indeß fein Auge durch's Fenſter in das blendende Sonnenlicht hinaufblickte. Eine ziemliche Weile verharrte er in dieſer Stellung, und ſein ſchönes von ſchwarzdunklem Lockenhaar um— walltes Antlitz ſtrahlte allmälig im Scheine der roſigſten Verklärung. Dann erhob er ſich neubelebt, und ſchrieb folgende Selbſtſchau in ſein vor Kurzem begonnenes Tagebuch:

„Gott, ich erkenne dich!

„Ich erkenne dich als den Gewaltigen, der das Leben des Menſchen vernichtet, damit es herrlicher aufblühe, der uns hilft im Kampfe mit der Welt, daß wir die Frucht des Sieges erringen! Löſe ſich denn Schmerz und Freude in Eine Empfindung, und die Empfindung ſei Glaube! Ganz will ich mich ver— ſenken in den Gedanken: Gott iſt, und (Gott, dir dank' ich's); er iſt mein Gott!

„Wie oft habe ich nicht die Israeliten bitter ge— tadelt, daß ſie, die ſo oft die göttliche Gnade erfahren, immer wieder, von Jehovah ſich abwendend, in Ab— götterei verfielen! Aber ſiehe, Was die Menſchheit thut, iſt nur Spiegel des Einzelnen, ihr Ringen nach Wahrheit iſt dem des Einzelnen ſpeeifiſch gleich, aber ihr Thun, ihre Sünde iſt auch des Einzelnen Sünde. Ganz das Leben jenes Volkes ruht auch in mir, nur nicht ſinnlich, ſondern vergeiſtigt. Denn ich bin Menſch und ſtehe der Menſchheit meiner Zeit und ihrem Be— wußtſein gleich. Mit der Ueberſtrömung des ſinnlichen Gefühls begann mein Abfall von Gott und immer tiefer, tiefer ging's hinab in den lockenden Abgrund.

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Aber das Hinabreißen entfernte mich immer weiter von dem ewigen Lichtquell, und, ach, zuletzt drang kein Strahl mehr durch, der mich erwärmt und erleuchtet hätte! Und während ich rechts und links mich verbrei— tend in der düſtern Materie ſchaffte und wirkte, ver⸗ lor mein Streben die Spannkraft nach Oben. Lockend ſtieg ein Gebilde vor mir auf, eine Liebe, die mir fern lag, und darum in einen täuſchenden Schimmer gehüllt war; an ihr wollt' ich mich emporrichten, aber ſie verſtieß mich und die Erinnerung eines Bildes, das die Zeit immer mehr verlöſchte, vermochte nicht gegen die reizenderen, immer friſchen und neuen Gebilde einer heißen Phantaſie anzukämpfen. Aber nun endlich, da ich, dumpf und ruhig, mein ödes Wühlen in der Finſterniß fortſetzte, da erſchien, von Gott geſandt, ein Menſch Was kann ich mehr von ihm ſagen?! Aus dieſer von göttlicher Kraft elektri— ſirten Maſchine ſprang ein zündender Funke in mich über, der durch einen ſchmerzhaften, zuckenden Schlag mein Haupt emporrichtete und, Heil mir, noch ſah ich fern über mir die Sterne leuchten und tröſtend ſtrahlte ihr Schimmer auf den verirrten Wanderer her— nieder. Die Bahn war gebrochen, Freiheit, Le— bensluft! Der Geiſt ſtieg empor, und rüttelte an den Thoren des Himmels, aber die Sinne waren noch be— fangen in den Irrgängen der Sünde und Schwachheit. Und, Weh' mir, der Geiſt vermochte ſie nicht zu be— zwingen! Der Freund mußte mich verlaſſeu, und zum zweiten Mal verlor meine Seele durch die Lockung einer Liebe die Kraft, weil ſie nicht mehr feſthing an

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dem, von dem alle Kraft ausgeht. Durchbrochen war nochmals der Damm, und, ach, die Fluthen wogten wieder zertrümmernd über alle Gebiete des Lebens hin! Auch meine zweite Liebe war vergänglich, und zwei Mal hatte ich mich getäuſcht, weil nicht Gott, weil ich ſelbſt geliebt. So konnte mich auch dieſe Liebe nicht verſöhnen. Furchtbar war ich zerſtört, als ich meine Hoffnung einmal aus dem Grabe gerettet, nun aber gänzlich zerſchmettert ſah. Gott, du weißt, wie ſchwer dieſe Zeit geweſen, wie ſie mich gedrückt hat. Aber du ſandteſt deinen lichten Engel, der meinem Geiſte zurief: Erwache, der du ſchläfſt! Beginne neu den Kampf, und mit meiner Hülfe mußt du ſiegen! Auf, du träumender Jünglingsgeiſt, das Schwert ergriffen, und wacker gekämpft!

„Gott! Dank für dieſen Ruf, er hat mich gerettet! Der Geiſt erkannte, daß er mächtiger ſei, als das Fleiſch, und da er es erkannte, war er es auch!

„Hier ſtehe ich auf der Grenze des Kindes- und Mannesalters, und ich ſtehe rein da! Rein durch dich, Herr Jeſu Chriſt, durch dich geheiligt, durch dich gerechtfertigt. O Chriſt, läſſeſt du mich wieder ſinken? Iſt das Gefühl noch nicht lebhaft genug in mir, daß nur du, Gott, den Menſchen bewahren kannſt? Dieſe Erfahrung gehe denn mit mir, die ich in meinem ganzen Knabenalter mir gewonnen, daß ich aus mir ſelbſt Nichts vermag, aber daß Gott ſtark iſt in den Schwachen, fie begleite mich auch in's Mannesalter!

„O Kindheit, lebe wohl mit deinen Träumen von Glück und Unglück! Ich bin Mann, und ſtatt des

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ungewiſſen Ringens ſteht klar vor mir ein Lebensziel da: Wirken für Gott! Nicht für Gott Was bedarf Gott? aber für meine Brüder, indem ich ſie an ſein Herz führe!

„O Gott, du biſt gut! Und wenn auch die Ketten, ehe dein Arm ſie zerriß, mich wund gerieben, bald ſind die Wunden verharſcht, und werden ſelbſt auch dem ſpähenden Auge verſchwinden! J

„Herr Gott, ich beuge mich vor dir! Ich trete nun ein in das volle, ſchöne und reiche Leben Dank dir, daß es mir noch ſo erſcheint! Und ich trete ein mit hoher Stirn, hellem Sonnenauge, Kraft des Leibes und Heiterkeit der Seelenkräfte. Dank dir, mein Gott, beißen und ſtammelnden Dank!

„Eine neue Liebe hat ſich ihren Tempel in meiner Bruſt gegründet. Gieb mir ein Zeichen, Herr, ob ich nach deinem Willen gethan! Wo nicht, ſo wähle du für mich. Verzeih's, o Vater, verzeih dem Kinde, das nach Spielſachen greift, ſtatt an deinem Worte, und in deiner Liebe zum Manne zu erſtarken! Mein Herz blutet. Doch Herr, ich ſprech' es aus: Gieb mir Kraft, deinem Befehle zu folgen, und wenn mein ganzer ſüßer Liebeswahn dabei zerſtieben müßte; denn nicht um Meinetwillen bin ich da, ſondern um dir zu dienen, der aller Weſen Zweck und Urſprung iſt! Dir ſoll ich zuführen die andern Brüder, und nur du weißt es, wie dies geſchehen wird. Muß ich denn meine Eliſe verlieren, fo will ich's anfehen als Güte von dir; iſt es aber möglich, ſo gehe dieſer Kelch an

25 mir vorüber! Doch, Vater, nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe! ö

„Herr! laß mir deine Hand! Führe ſie mich durch düſtrer Waldung Todesſchatten oder über bunt— lachende Fluren: es iſt ja doch Ein Ziel, und zu— letzt immer glücklich die Seele, die ſich badet im Strahl deiner ewigen Sonne! Auch in der Ferne glänzen die Himmelslichter, und über den Pol hinaus neue blitzen— dere Sternbilder, auch gute Menſchen giebt es überall, und, Was mehr noch, als dieſes, du, Gott, biſt allge— genwärtig! Cedere neseius, wo dieſer Fels unten liegt!

„Ads woı, do G, zei zıv]00 ToV zöcuor! Dieſer Hebepunkt außer der Erde iſt der Himmel! Zu ihm hinauf! Dorthin das Leibesauge gerichtet, und geſtärkt in der reinen Bläue! Dorthin den Geiſt geſendet höher, als der Aar gegen die Sonne ſteigt über Sonne und alle Himmelslichter hinaus zum Vater des Lichtes! Auf und hinaus, ſpanne, mein Geiſt, Flügel und Sehkraft! Durch! Immer auf den Mittelpunkt, recht auf Gottes Herz! Laß die Natur, den unreinen, vom Hauche der Sünde ange— flogenen und vom Roſt der Verbildung zerfreſſenen Spiegel des göttlichen Weſens: ſpiegele Gott in dir ſelbſt, und ſchau' ihn in dir dein! Der Geiſt iſt das einig polirte Metall, das ohne Flächen und Winkel das göttliche Ebenbild rückſtrahlt, ſobald erſt die Buße das Metall geläutert, das Feuer des Glaubens es ge— ſchmelzt und die göttliche Gnade es wieder geglättet hat!

„Sphärenton, wann vernehm' ich dich?“

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Nachdem Gottfried dieſe Gedanken niedergeſchrie— ben, fühlte er ſich wunderbar geſtärkt. Er glaubte jetzt zu verſtehen, Was ſeine Mutter mit jenem räth— ſelhaften Ausſpruch gewollt, den ſie für ihn aufge— ſchrieben. Stürmiſch flog er die Treppe hinab, drückte einen innigen Kuß auf ihre Lippen und eilte dann zu Paul, um vor dem Mittagseſſen noch mit ihm einen vertraulichen Spaziergang zu machen, und ſeine hohen Gottesgedanken in das theilnehmende Herz des Freun— des auszuſtrömen.

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Gottfried Kinkel war für fein jugendliches Alter auffallend ernſt und in ſich gekehrt. Das äußere Le— ben ließ ihn nicht kalt, aber er war gewohnt, es in mißverſtandener Frömmigkeit als eine gefährliche Lok— kung zur Sünde anzuſehen und deßhalb von ſich zu ſtoßen. Nicht immer gelang ihm das jedoch, und dann ergriff ihn plötzlich Reue über ſeine vermeintliche Sünd— haftigkeit, er betete einſam zu Gott auf verlaſſenem Felde, oder er bat den Herrn auf ſeinem ſtillen Käm— merlein um die Kraft der Weltüberwindung. So fand er leicht für den Augenblick den geſuchten Frieden in hingebender Frömmigkeit und fiebernder Beſchäftigung wieder; allein der Verkehr mit den ſorgenloſeren Kame— raden führte ihn gar leicht in die Verſuchung zurück, ſeine Freuden in heiter geſelligem Lebensgenuß zu fin— den. Dazu kam ein glühender Schöpfungstrieb der Phantaſie, der ihm lachende Blumen vor die Seele zauberte, in deren farbigen Blüthenkelchen er gern webte und lebte. Gelang es ihm, ſeine Dichtungskraft auf religiöſe Gegenſtände zu lenken, ſo fühlte er ſich gereinigt von dem verhaßten Einwirken der Materie,

_ aber es ließ ſich der Phantaſie nicht wohl ein beſtimm— tes Gebiet anweiſen, und bei einer ſo regen Geiſtes— thätigkeit war es leicht erklärlich, daß Gottfried ſeine Stimmung häufig an Einem Tage mehrmals wechſelte. Frühzeitiges Studium der Literatur hatte namentlich ein lebhaftes Intereſſe für das Theater in dem jungen Dichter erweckt, und vergebens rang die Mutter, dieſen „ſündlichen Hang“ in ihm niederzukämpfen, indem fie ihm den Beſuch des Theaters verbot und ſeine Leeture beaufſichtigte. Selbſt als der berühmte Schauſpieler Kunſt in der Rolle des Hamlet auftrat, und die lie— benswürdige Demoiſelle Sunberg die Parthie der Ophelia übernahm, ließ ſich die ſtrenge Matrone zu keiner Ausnahme ihrer vorgeſchriebenen Regel erbitten, und Gottfried mußte, während Shakesſpeare's gehar— niſchter Geiſt über die Bretter ging, in Röhr's ſchlech— ter Predigerzeitung und Hengſtenberg's pietiſtiſchen Jeremiaden Erſatz für den verwehrten Kunſtgenuß ſuchen. Mehr noch, als die Mutter, wies Kinkel's Schweſter Johanna das herbe Weſen proteſtantiſchen Separatiſtenthums. In ſtolzer Verachtung alles Welt— lichen ſtieß ſie alles nicht ſchlechthin als religiös ſich Ankündigende mit einer geſuchten Bitterkeit des Her— zens von ſich, ohne daß ſie darum wirklich taub gegen die Regungen der Sinnlichkeit geweſen wäre. Ganz im Gegentheil fand ſie vielleicht in dieſer unnatürlichen Bekämpfung des Rein-Menſchlichen und in ſtolzer Selbſtquälerei jenen Reiz, den auch die katholiſchen Märtyrer und Heiligen ſo oft in Abtödtung und gei— ßelnder Verhöhnung des ſinnlichen Elementes geſucht

haben mögen. Auch auf ihre Umgebung ſuchte ſie dieſen Geiſt des Welthaſſes auszudehnen. Während des Wittwenſtandes des Profeſſor Heinrich wurden deſſen Kinder im Kinkel'ſchen Hauſe erzogen. Johanna nahm eines Sonntag's eines derſelben, das Lottchen hieß, mit in die Kirche, weil es gut ſei, die Kleine früh an Gottes Wort zu gewöhnen. Während der Predigt ſchaute das fünfjährige Mädchen zu den ver— goldeten Engeln empor, welche die Decke des Mittel— ſchiffes verzierten. Nach dem Gottesdienſte fragte Johanna ihre Pflegebefohlene: „Nun Lottchen, Was haſt Du denn in der Kirche gethan?“

„Ich habe mir die goldnen Engel beſehen.“

„So? Wie machteſt Du das?“

Das Kind blickte unſchuldig zur Decke des Zim— mers empor, ſtürzte aber in demſelben Augenblicke ſchrei— end zurück. Johanna Kinkel hatte ihm einen gewichtigen Schlag in's Geſicht verſetzt.

Am meiſten jedoch litt der jüngere Bruder Gott— fried unter der religiöſen Tyrannei ſeiner Schweſter. Täglich mußte er in der Ecke des Wohnzimmers nie— derknien, und gegen die Wand gekehrt zu Gott um ein beſſeres Herz beten. Was Wunder, daß dieſer Geiſt einer pietiſtiſchen Aſkeſe auch theilweis auf den armen Gottfried überging, und ſeinen von Natur kla— ren, verſtändigen Blick mit dem Nebelflor einer irre— geleiteten Weltentſagung umdüſterte?

Es war Frühling geworden. Schon lugten die blauen Veilchenaugen ſchelmiſch aus dem grünen Gras— gewinde hervor, und die rothen Sammtblüthen des

m.

Nußbaumes waren bereits aus den Fruchtkelchen ber- abgeweht. Es war ein ſchöner Sonnabendnachmittag, und die milden Lenzlüfte kräuſelten ſanft die Gewäſſer des Rheines.

Auf dem rechten Rheinufer, wo ſich der Weg über das Fichtenwäldchen nach dem alterthümlichen hohen Siegburg hinzieht, ſchritten drei Wanderer rüſtig vorwärts. Wir erkennen in ihnen unſere beiden Freunde, und der dritte, ein ſchmucker Jüngling mit langherab— wallendem blonden Haar und tiefblauen Augen war ebenfalls ein junger Theologe, Richard Selbach, der mit Beiden im vertrauteſten Verhältniſſe ſtand. Gott— fried ſollte am morgenden Tage in dem entfernten Seelſcheid für den alten Pfarrer predigen, und ſeine lieben Kameraden wollten ihn bei dem herrlichen Früh— lingswetter eine Weile begleiten. Unter fröhlichem Geſpräch gingen ſie auf die lachende Sieg zu, und Paul erzählte jubelnd, daß ihm ſein gütiger Vater erlaubt, noch den Sommer in Bonn zu verweilen, und dann zum Winter mit dem Freunde nach Berlin zu ziehen. Als ſie an das Ufer der Sieg gelangten, kehrte Paul zurück, Richard jedoch ließ ſich durch die maleriſch vor ihnen ausgebreiteten mit friſchem Grün bewaldeten Berghügel, die ſich gleich der ſchimmerden Bruſt einer Jungfrau über der Fläche erhoben, verlei— ten, noch weiter mit dem Freunde zu wandeln, und ſprang wohlgemuth in den ſchwerfälligen Kahn, der ſie über den hellgrünen Fluß führte.

Selten erklimmen die muthwilligen Studenten von Bonn die Höhen um Siegburg, oder wandern

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gar weiter in's Gebirge hinein. Zufrieden, das freund— liche Städtchen erreicht zu haben, laſſen ſie es meiſt bei der begrenzten Ausſicht vom Schloſſe bewenden, das ſeit Jahren als Irrenanſtalt benutzt wird, und ſuchen ſich dann bei Wein und Ramsſpiel oder mit einem hübſchen Landmädchen die Zeit bis zu ihrem Aufbruch am Abend ſo gut zu vertreiben, als es an— geht. Die ſtolze Pracht des Siebengebirges iſt nicht leicht Jemandem fremd, der in Bonn ſich aufhielt; aber nur Wenige ſind über Siegburg hinaus in das Bergiſche gewandert. Und doch bietet eine ſolche Fußtour viele Abwechſelungen, und freundlich einladende Land— ſchaften dehnen ſich im lieblichſten Reize vor den über— raſchten Blicken aus.

Gottfried kannte dieſe Gegend genau; er wußte jedes heimliche Plätzchen, wo man ungeſchaut ſelbſt Alles überſehen konnte, jede idylliſche oder romantiſche Stelle, die den Jüngling zur poetiſchen Betrachtung aufrief, und freudig zeigte er ſeinem Weggeſellen all' dieſe verborgenen Schätze der Flur, die ja dem ange— hören, der den rechten Sinn für ſie mitbringt. Wenn der fromme Dichter auch manchmal die bezaubernde Natur als verderbt und ſelbſt zum Verderben lockend verdammte, galt dieſes Urtheil doch nur dem, was die Menſchen entſtellt und verbildet hatten, und hier im koſenden Hauche der freien Bergluft und dem heim— lichen Rauſchen der grünen Wipfel war er ganz wieder ein gutes ſeliges Kind an der liebenden Mutterbruft, Auch kannte er genau die Geſchichte all' dieſer Orte,

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an denen fie vorbeiwandelten, und erzählte von den Kämpfen der alten Zeit, wie die Siegburger dreimal waren belagert worden, und ſich tapfer herumſchlugen, wie der Ort ehedem ſtarke Feſtungswerke beſaß und noch jetzt die Spuren davon ſich erhalten hatten. Dann jauchzte ihm das Herz, und er ſehnte ſich auch nach einer glorreichen Männerſchlacht, aber es glühte in ihm nur ein dunkler Drang nach einer großen That, eine brennende Vaterlandsliebe und Freiheitsluſt, und am Ende verſchwamm wieder all ſein Denken in eine begeiſterte Hingabe an Gott.

So kamen die Beiden unter anregendem Geſpräch dahin, wo der Fußweg über ein Ackerfeld von dem Fahrwege ſich links abwendet. Richard begleitete ihn noch auf die Höhe, und ſetzte ſich mit ſeinem Freunde auf einen mit Moos und Flechten überwachſenen Stein. Drunten lag das Dorf, und neben dem einladenden Pfarrhaus erhob ſich die herrlich gelegene Kirche, deren Spitze, von der untergehenden Abendſonne vergoldet, in leuchtender Gluth zu brennen ſchien. Die Bewoh— ner führten die dampfenden Pferde von der Feldarbeit heim, und eine rothwangige Dirne ſchritt ſingend mit dem Melkeimer über den Hof im Thale.

Endlich reichte Richard ſeinem Freunde aufſtehend die Hand und ging heimwärts, während Gottfried auf das Bergdörfchen zueilte, in dem er morgen das Wort vom Kreuze verkünden ſollte.

Während er ſo einſam fortwandelte, ward es ihm plötzlich ſchwer um's Herz. Eine ſeltſame Beklommen—

heit ergriff ihn, daß er nun fo ganz allein eintreten ſollte in ein fremdes Haus, da ihn Niemand kannte. Mahnend blickte rechts vom Hügel die Kirche herab, und das Abendroth verglomm mälig im Weſten. Gottfried ward ſehr ernſt, er lehnte ſich an einen Baumſtamm und betete; aber die ſeltſame Angſt ging nicht weg. Langſamer ausſchreitend verlor er ſich zwi— ſchen den Bäumen des links gelegenen artigen Wäld— chens, und ſchnitt in die Rinde des zweiten Baumes gedankenlos ein kleines Kreuz. Dann faßte er ſich, und ging herzhaft in das weißangeſtrichene Pfarrhaus, wo man gewiß längſt Seiner harrte.

Er hatte ſich unter ſeinem Wirthe eine lange und hagere Geſtalt gedacht, ähnlich den ſtrengen und asketiſchen Bildern in Walter Scott's und Cooper's Romanen, und war ſehr angenehm überraſcht, als er einen Mann mit wohlwollendem und freundlichem, aber gebietendem Ausſehen fand, der trotz ſeines Alters in ungebeugter Geſtalt und friſcher Kraft einhertrat. Ne— ben ihm ſtand ein kleines, ſpindeldürres und hüſteln— des Männchen, mit großer Meerſchaumpfeife und wollener Schlafmütze, deſſen vergilbte Züge den im Schulſtaube verſchrumpften Handhaber der Birkenruthe verkündeten, und der, Schullehrer, Küſter und Organiſt in Einer Perſon, die Kirchenlieder für den morgenden Tag holen wollte.

Paſtor S . . .. fo hieß der würdige See— lenhirt ſchritt, ſobald er den jungen Theologen er— blickte, freundlich auf ihn zu, und ſchüttelte ihm herzlich

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die Hand. Nicht lange dauerte es, ſo war ein ſchmack— haftes Abendeſſen aufgetragen, und Gottfried fand im Geſpräch mit dem muntern Alten bald ſeine volle Hei— terkeit wieder. .

Er lernte aus der Unterhaltung mit ſeinem Wirthe begreifen, wie dieſer, abgeſchloſſen von allem Verkehr mit tiefer gebildeten Männern, doch in geregelter Thä— tigkeit ein fröhliches Alter verlebte. Die Univerſitäts— ſtadt war gerade weit genug entfernt, daß ihr Beiſpiel nicht in das ſtille Dörfchen ihren ſchädlichen und zer— ſtörenden Einfluß verbreiten konnte. Auf dem Lande ſind die Menſchen noch unverdorbener und reiner von Sitten, namentlich auch religiöſer. „Die ernſte An— dacht, mit der eine Dorfgemeine den Worten ihres Predigers lauſcht,“ ſagte der Greis, „erhebt ſicherlich auch das Gemüth des Pfarrers höher, als der Anblick einer glänzenden Stadtkirche, deren Beſucher ebenſo ſehr die Sucht zu ſehen, als geſehen zu werden, hertrieb, und wo ſo manch' verſtohlenes Zeichen der Langenweile den Prediger merken läßt, daß die Leute nicht um Seinetwillen zuſammenkamen. In der Landkirche aber ſieht er nur aufmerkſame, oft von leiſer Rührung be— wegte Geſichter, und ſelbſt die blühenden Dorfkinder manchmal eine Thräne mit dem weißen Schnupftuch abwiſchen, und das hebt ihm dann wieder die Bruſt, daß er ſich hier als Mittler weiß zwiſchen dem All— mächtigen, der ihm ſein helles Licht in's Herz ſtrömen ließ, und zwiſchen der Gemeine, die er zum Amen emporziehen ſoll.“

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Erſt ſpät begab ſich Gottfried auf fein reinliches Schlafzimmer, und ſprach vergnügt ſeinen Abendſegen: „Schlaft wohl Jeglicher, der mich liebhat, und der's nicht hat!“

Am andern Morgen aber hielt er neugeſtärkt und zur Erbauung der andächtigen Landleute eine herrliche Predigt über das Gleichniß vom erſterbenden Weizen— korne.

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An der Landungsbrücke der Kölniſchen Geſellſchaft harrte die Menge der Reiſefertigen. Schaufelnd und keuchend näherte ſich das von Rauch geſchwärzte Dampfboot „Marianne“ und legte unfern des Jo— ſephsthörchens an, während der rothbejackte Schiffs— junge die Schelle zog. Haſtig wurden die aufgeſta— pelten Kiſten und Koffer unter dem Gedränge der Aus- und Einſteigenden an Bord getragen, und zum zweiten Mal läutete die große Schiffsglocke zur Ab— fahrt. .

Unter den einfteigenden Paſſagieren bemerken wir die Familie des Oberſchulraths Zeller, der von ſeinem Sohne Abſchied nahm, den er in Bonn zurückließ. Auch an den in ſchmerzliche Träume verſunkenen Gott— fried Kinkel, der in heißem Kampfe die Thränen ge— waltſam zurückhielt, richtete er freundliche Worte der Weisheit und Ermahnung. Aber der Jüngling über— hörte ſeine Reden, und ſtarrte in das ſchöne blaſſe Geſicht ſeiner Geliebten, die nun auf immer fortging.

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Zaum dritten Male ſchnitt der ſcharfe Ton der Glocke durch fein Herz, und drängte zum Abſchied. Heiß preßte Gottfried die Hand des Mädchens, und flüſterte den Gruß: „Eliſe, leben Sie wohl! Ich, darf nicht mehr ſagen!“

Vernichtkt, lautlos und ohne Thränen ſah er das Dampfſchiff abfahren, er lief ihm eine lange Strecke nach, und ſetzte ſich endlich auf die Steinbank ober— halb Arndts Hauſe. Wie es nun ſo allmälig dahin— ſchwand, und all ſein Jugendglück auf dem ſtolz auf— rauſchenden Strome forttrug, da floſſen ſeine Thränen heftig. In der troſtloſeſten Zerriſſenheit lehnte er ſeine brennende Stirn an einen Weinpfahl, und als nun auch der Rauch des Schiffes fern hinter ſeinem Ge— burtsorte entſchwand, da entrang ſich ihm der tiefſte Seufzer: „Wehe, mein Glück iſt dahin!“

Immer noch ſchaute der Jüngling gen Süden, als ſchon längſt die letzte Rauchwolke im friſchen Mor— genwinde verſchwommen war. Der wildeſte Schmerz durchzuckte ſein Hirn, und vergeblich ſuchte er heut' in der Religion den Troſt, welchen er ſonſt im Gebete fand. Plötzlich trugen ihm die Lüfte den ſüßen Schall eines Wortes zu, das ihn hoch über allen Schmerz emporleitete. Sandte ihm ein Engel Tröſtung ins Herz? Klang das Wort der Geliebten über die Berge zu ihm empor?

Paul war dem trauernden Freunde nachgeſchlichen, und hatte ihn, von Jenem unbemerkt, beobachtet. Jetzt aber hatte er ſich hinter ihm emporgerichtet, und

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ihm in's Ohr geflüftert: „Dieſen Kuß für meinen Gottfried!“ N

Freudig überraſcht wandte dieſer das Haupt, und Paul lag an ſeiner Bruſt. Ja, die Geliebte hatte im Augenblick des Scheidens dem ſanften Bruder ihren ganzen Liebesſchmerz vertraut, und für den Verlaſſenen dieſen Gruß aufgetragen, der ihn als freundlicher Stern durch's Leben geleiten ſollte.

Gottfried hatte ſeinen Muth wiedergefunden, und zog den Freund zu ſich nieder auf den ſteinernen Sitz.

„Siehſt Du,“ ſprach er, „wie ſchön uns der blaue Morgen anlächelt? O nun iſt ja Alles gut! Die Gemüther haben ſich gefunden, die Geiſter ſich frei angeſchaut. Dies ſüße Weh, dieſe ſchmerzliche Freude möchte ich nicht miſſen um der Welt Schätze!

und füllt uns auch der Knabe 2 Mit Gift den Kelch, wir fegnen feine Gabe!

„Feſter, als je, ſteht mein Plan, würdig und nicht ohne Namen mein ſüßes Lieb wiederzuſchauen. Nicht mehr wird mich ihr Anblick laben, ihre Gegen— wart ſegnen, ihr liebes Wort begeiſtern: ſo komme denn du, Sehnſucht nach der Entfernten, mit deinen milden Wonnethränen, mit deiner wehmüthigen Trun— kenheit und deinen Träumen von zukünftigem Glücke! Wäre denn auch Alles Nichts, hätte es keinen Erfolg, und ſollte meine Liebe unglücklich ſein: nun, es genügt mir, ein edles Mädchen geliebt zu haben, und von einer deutſchen Jungfrau geliebt zu ſein! Freudig ſchau' ich in die Zukunft, farbenhell malt ſie mir meine

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Liebe aus, und dieſe Liebe löſcht nur mein Blut! Mag der kalte Verſtand reden: mein Gefühl ſoll er mir nicht zerſtören, und ich weiß es, meine Hohe, Einzige würde ich auch lieben als die Gattin eines Andern, wenn ich allein und verlaſſen in der Welt daſtände. Denn nicht leibliche Vorzüge, ſondern den Geiſt hab' ich erkannt und liebeglühend umfaßt! Der Leib vergeht, aber Phönix Geiſt iſt ewig! Hoch hin— auf den Blick und heiter vorgeſchaut! Im Süden, im ſchönſten Gau des deutſchen Vaterlandes lebt ein Leben, ſchlägt ein Herz dem meinigen verſchwiſtert. Treue und ſie wird gelohnt! Nur das Eine ſoll feſt ſtehen und unwandelbar, und ſoll auch nicht von den tobenden Wogen des Gefühls erſchüttert werden, noch von den Zweifeln des Verſtandes: die feſte männlichſtarke und weiblichweiche Ergebung in Gottes allgütigen Willen! Gott, Dir ergeb ich mich!“

So ſprach Gottfried noch lange mit ſich ſelbſt und mit Paul über ſeine Liebe. Dieſer, welcher den kühnen Flug ſeines Freundes bewunderte, fürchtete dennoch für die Zukunft. Er bedachte, daß unſer ver— dorbenes Zeitalter mit der Verdrehung aller natür— lichen Begriffe auch die Erziehung und den Werth des Weibes ſo frevelhaft erniedrigt hat, und daß ſich in Folge dieſer Anſichten das Weib ſelten über die Stu— fen einer erſten, allgemeinen Bildung erhebt, ſondern ihr Entwickelungsgang, meiſt mit dem vollendeten ſechs— zehnten oder ſiebzehnten Jahre abgeſchloſſen, von dort an gewöhnlich eher eine rückwärtsgewandte Richtung

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nimmt. Er theilte feinem Freunde diefe Beſorgniß mit, und meinte, daß Eliſe ſpäter Gottfried, wenn deſſen geiſtige Ausbildung mächtig fortſchritte, nicht mehr werde genügen können.

Der Jüngling ſtutzte. Bald aber überwand er die in ihm aufſteigenden Furchtgedanken, und ſprach: „O nein! Dieſe Himmelsblüthe, die ja noch kaum ihre erſten Blätter aufgethan, duftet ſchon fo ſüß. Wie, wenn die warme Maienſonne der Liebe oder der glü— hende Sommerſtrahl männlicher Kraft ihre innern Kelch— blätter entfaltet, wie muß dann erſt Farbenglanz und Duft aus ihr hervorblühen! O wie könnte ſie mir verloren gehen?“

„Mit einem Dichter freilich ſollte man ſich nie auf Vernunftgründe einlaſſen,“ ſagte Paul; „immer habt Ihr ein Bild bei der Hand, und wenn es Nichts beweiſt, ſo klappt es doch, und wir ſtehen ER da mit all' unſerer Weisheit.“

„Und all' Eure Weisheit ſchützt Euch doch eben ſo wenig gegen die Launen des Lebens, als unſre lie— benswürdige Thorheit,“ entgegnete Gottfried lächelnd, indem er aufſtand und ein rheiniſches Volkslied vor ſich hinſang. 5

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Bevor der junge Kinkel um die Mitte des ver— gangenen Jahres die Familie Zeller kennen gelernt hatte, ſtand er ziemlich einſam im Leben da. Freilich verkehrte er mit manchen Jünglingen, ſo mit den Studenten Koch, Bleibtreu, Kreutz, Müller, Everts— buſch, Marheineke und Anderen, allein dieſer Umgang beſchränkte ſich mehr auf einen gelegentlichen Austauſch wiſſenſchaftlicher Anſichten oder gemeinſame Spaziertou— ren, als daß er den Charakter einer innigen Freund ſchaft getragen hätte. Eher verdiente ſchon dieſen Namen ſein Verhältniß zu Richard Selbach und Wilhelm Bögehold. Doch fand er auch in ihnen nicht ganz Das, was er ſuchte: beſtändige Anregung ſeiner Ge— fühls- und Geiſteskräfte. So zog er ſich denn ziemlich zurück, und lebte beſeligt bald mit den Heroen, bald mit den Dichtern und Geiſterfürſten aller Zeiten und Völker, ohne daß ihn dieſe Beſchäftigung und die Gebilde ſeiner Phantaſie den Schmerz der Einſamkeit und die Sehnſucht nach Liebe und Freundſchaft ver— geſſen ließen.

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Durch feine Bekanntſchaft mit der Zeller'ſchen Familie fand er, wie wir geſehen haben, die Erfüllung ſeiner Herzenswünſche. Aber es ward ihm auch zu— gleich der Verkehr mit der gebildeten Geſellſchaft er— öffnet, und ſein neuer Umgang riß ihn aus ſeiner traumhaften Beſchäftigung mit der Vergangenheit in eine reiche Gegenwart hinein, die ihn den Augenblick genießen lehrte, und ſeinem angebornen Ringen nach Humanität einen mächtigen Stützpunkt verlieh.

Dabei trat freilich für ihn die Gefahr ein, er möchte ſich univerſaliren. Er arbeitete nicht mehr ſo anhaltend und regelmäßig, wie ſonſt, wo er in einer Arbeit die Erholung fur die andere geſucht hatte, ſon— dern mehr gelegentlich, weil es ihm jetzt an eigent— licher Anregung zum Studium manchmal fehlte; aber im Ganzen und Großen gewann er an Bildung.

Der nachhaltige Einfluß des erwähnten Umgangs zeigte ſich noch herrlicher nach Abreiſe jener Familie. Der Verkehr mit Paul und die gewonnene Erfahrung warnte ihn, wieder in die alte Einſamkeit zurückzu— fallen, und das Bild der Geliebten munterte ihn zu fleißiger Entwickelung ſeiner vielſeitigen Anlagen auf. Es genügte ihm nicht mehr an der bloß äußerlichen formellen Bildung, ſondern er fühlte den Drang, durch treues Studium der poſitiven Wiſſenſchaften die An— ſprüche zu befriedigen, welche er theils ſelbſt an ſich machte, und welche ihm theils von Anderen bereits waren eingeräumt worden.

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So floß fein Leben im ſtillen Gleichmaaß einer geordneten Thätigkeit dahin. Kam dann die Nacht mit ihrem ſanftbefriedenden Flügelſchlage, und ließ des Tages Laſt und Hitze mälig in ſeligem Traume ver— fluthen, dann ſtieg das Bild der Geliebten klar und milde vor ſeinem Geiſtesauge empor, und erweckte in ihm die tröſtliche Hoffnung des Wiederſehens. Freilich war dieſe geheiligte Liebe nicht ſo ſtürmiſch und ſchwärmend, wie ſeine frühere, aber ſie wirkte dafür auch ſegnender auf ſeinen Bildungsgang ein. Würdig ſuchte er ſich auf den gehofften einſtigen Beſitz Eliſens vorzubereiten, und in freudigem Stolze pochte ſein Herz, wenn er ſeine Bemühungen mit dem Beifall ſeiner Lehrer und Freunde gekrönt ſah.

Bei ſo geregeltem Arbeiten war es erklärlich, daß ſeine Poeſie ruhen mußte. Vielleicht iſt auch die höchſte Poeſie wortlos. Ein angefangenes Trauerſpiel „Prexaspes“ ward vorläufig zurückgelegt, und nur wenn Gottfried in ſeinen Mußeſtunden ſich einmal in ſeine Lieblingsſchriftſteller vertiefte, erwachte in ihm die Begierde, mit Jenen den Wettkampf zu beginnen. Namentlich waren es Körner's Schlachtgeſänge, die ihn mit ihrer glühenden Freiheitsluſt ergriffen und den Muth in ihm wachriefen, ſelbſt den Flug auf die Höhen der Dichtung zu wagen. Oft ſtiegen in ſeiner Bruſt, wenn er noch um Mitternacht über einem alten Liederbuche hing, kühne Zukunftsgedanken auf von einem hohen Liede, das er dereinſt der Welt ſin— gen wollte, aber noch ahnte er kaum all' die verborge—

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nen Schätze ſeines Geiſtes, welche ein dornenvolles und reiches Leben im Lauf der Jahre zu heben be— ſtimmt war. Noch ließ ſich jenes Lied durch ein fröhliches Jugendträumen einſchläfern, aber die Sehn— ſucht und der Schmerz dichteten es unermüdet fort, bis die Liebe es endlich voll aus der befreiten Seele her— vorquellen hieß.

Die äußern Verhältniſſe Kinkel's waren Nichts weniger, als glänzend. Sein Taſchengeld war ſehr gering, und das häusliche Leben in ſeiner Familie einfach und ſtill. Schulden wollte der junge Student nicht machen, und obgleich er ſich zur Ehre Gottes gern in der Entſagung übte, kam es ihm doch bis— weilen hart genug an, ſich aus Geldmangel ſo manches unſchuldige Vergnügen verſagen zu müſſen, das er ſeine Freunde vor ſeinen Augen genießen ſah. Auch zu wohlthätigen Zwecken fehlten ſeinem guten Herzen meiſt die erforderlichen Mittel, und das preßte ihm nicht ſelten Thränen in die Wimper.

Einmal dankte er inbrünſtig ſeinem Gotte, daß er jetzt wieder ganze 10 Thaler beſäße, aber am näch— ſten Morgen ſchreibt er in ſeinen Tagebuchnotizen: „Die 10 Thaler ſind fort! Ich habe ſie einem Freunde geliehen, der in Noth war, und bin nun ſelbſt in einiger Verlegenheit. Doch es heißt ja: Trachtet am Erſten nach dem Reiche Gottes und nach deſſen Ge— rechtigkeit, ſo wird Euch alles Solches zufallen!“

Jede Unordentlichkeit der Lebensweiſe war ihm verhaßt. Namentlich verabſcheute er das Spiel und

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die Unmäßigkeit im Trinken aus tiefiter Seele. Als Paul einige Zeit nach der Abreiſe ſeines Vaters ſeine Arbeiten etwas vernachläſſigte, und öfter mit ſeinen Kameraden ſich beim Kartenſpiel amüſirte, erregte dies Kinkel's heftigſten Unwillen und ſchmerzlichſte Beſorg— niß. Er nahm ſich vor, alle Tage für Paul zu beten, und ſetzte dies Geſchäft über ein halbes Jahr lang fort. Kindlich freute er ſich, wenn Paul ſeinen Ermah— nungen Gehör ſchenkte, und wieder fleißiger ward.

Auch das Tanzen hatte Gottfried ſeit ſeinen erſten Knabenjahren als ſündlich betrachten gelernt. Ging er nun an einem ſchönen Sonntagnachmittage mit ſeinen Genoſſen auf ein nahegeleges Dorf, und war ſo recht feelenvergnügt und heiter in der Geſellſchaft guter Menſchen und der Umgebung einer herrlichen Natur, dann ſchnitt es ihm wie ein ſcharfer Mißlaut im ſchö— nen Einklang des Alls durch das Herz, wenn ihm plötzlich eine ſchallende Tanzmuſik aus einer Bauern— ſchenke entgegenklang, und oft flüchtete er ſich aus einer luſtigen Kirmes mitten in das Dunkel des Waldes oder auf die freien Gipfel der Berge, wo er dann langgeſteckt, im Graſe die bläulichen Rauchwolken aus ſeiner Thonpfeife in die friſchen Lüfte hineinblies, indeß ſich ſeine Gedanken über Zeit und Raum zu feiner fernen Liebe hinaufſchwangen.

Von ſeinem religiöſen Standpunkte ſagte er da— mals ſelbſt: „Von dem Hegelthum komme ich leider mehr und mehr ab; Rationaliſt zu ſein iſt mein höch— ſter Wunſch, dabei bin ich jedoch zugleich Suprana— turaliſt und Myſtiker, nöthigenfalls ſogar Pietiſt.“

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So drängte ihn fein klarer Verſtand unabläſſig zu einer vernunftgemäßen Auffaſſung der Theologie hin, während ein tiefes religibſes Gefühl und ein andacht— glühendes Herz ihn eben ſo beharrlich in die wunder— baren Tempelhallen eines dunklen Wunderglaubens zurückzog. Allein dieſe Unklarheit feiner religiöſen Begriffe beunruhigte ihn nicht; er ſah dieſelbe als nothwendigen Durchgangspunkt ſeiner Entwickelung an, und all' feine Zweifel löſte zuletzt friedlich feine begei— ſterte Frömmigkeit und ſeine endloſe Hingabe an den Willen des Allmächtigen.

So verſtrich fröhlich der Sommer, und die Zeit rückte näher und näher heran, wo Gottfried das elter— liche Haus verlaſſen ſollte. Er freute ſich namentlich darauf, in Berlin große Geiſter und tüchtige Männer ſeiner Wiſſenſchaft kennen zu lernen, und nur der Ab— ſchied von ſeiner Familie, namentlich von ſeiner Schwe— ſter, welche er die „Beſſernde“ zu nennen pflegte ſo groß war die Demuth des Jünglings, daß er ſich eine ſolche Hofmeiſterin gefallen ließ! fiel ihm ſchwer auf's Herz.

Schon ſahen die Trauben an den dunkelgrünen Weinſtöcken der Hand des Winzers entgegen, als Gott— fried eine Thräne des Scheidens auf der feuchten Wimper zerdrückte, und mit ſeinen Freunden erwartungs— voll der großen Hauptſtadt zureiſte.

Zweites Buch.

Berlin.

Oktober 1834 bis Auguſt 1835.

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„Gera! Aufgewacht, Du mordfaule Rage!“

Paul rieb ſich die ſchlaftrunkenen Augen, und ſtarrte verwundert ſeinen Freund an, der in ganz durchnäßten, ſtraffanliegenden Kleidern vor ſeinem Bette ſtand.

„Aber Gottfried! Was haſt Du denn gleich in der erſten Nacht unſeres Hierſeins für tolles Zeug an— gefangen?“

„Das kommt davon, wenn man nach Hinten hinaus wohnt,“ antwortete dieſer. „Da mag noch ſo viel Skandal auf der Straße los ſein, da mögen hun— dert Nachwächter und dreißig Patrouillen zur Aufrecht— haltung der Ruhe und Ordnung mit Kuhhörnern und Trommeln und nachſchleppenden Säbeln die Stadt durchſpektakeln, Nichts hört Ihr.“

„Danke auch ſchönſtens für ſolche Nachtunterhal— tungen“, lachte Paul.

„Wohl möglich; aber wenn Dir nun das Haus überm Kopfe zuſammenbrennt, oder die halbe Welt in Flammen ſteht?“

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„Dann laſſe ich Gott und die Spritzenmänner dafür ſorgen, daß die andere Hälfte von einer Sünd— fluth verſchlungen wird, ſo heben ſich die Gegenſätze auf. Aber, Scherz bei Seite, Du ſcheinſt mir gerade auf der Grenzmark zwiſchen der verbrennenden und ertrinkenden Welt geſtanden zu haben.“

„Wie ſo?“ b

„Hinten hangen Dir die halbverkohlten Rockſchöße trauernd zur Erde, und vorn Aber, mein Gott, Was iſt Dir?“

Gottfried hatte haſtig den Rock ausgezogen, und ſtarrte entſetzt auf die verbrannten Fetzen. „Es war mein beſtes Stück Zeug!“ ſeufzte er trübſelig, indem ihm die hellen Thränen über die Wangen ſtürzten.

Als er ſich etwas gefaßt, erzählte er ſein Aben— theuer. Gegen 4 Uhr Nachts erſcholl der Ruf: „Feuer! Feuer!“ durch die Gaſſen. Die Brand— glockeu heulten, und Spritzen raſſelten über das Stein— pflaſter. Gottfried ſprang aus dem Schlaf empor, fuhr ohne Auswahl in ſeine beſten Kleidungsſtücke, die er beim Auspacken für den folgenden Tag zum Zweck einiger Antrittsviſiten zurecht gelegt hatte, und fand ein Haus in der Mohrenſtraße in lichten Flammen. Haſtig drängte er ſich durch die verſammelten Maſſen, und half unabläſſig Waſſer zutragen, bis ſich der Brand gelöſcht zeigte. Da er immer einer der Vor— derſten war, und mehrmals durch die Nachfolgenden ganz nahe an das Feuer herangeſchoben ward, mußte die Flamme ſeinen Rock ergriffen haben, ohne daß er

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in ſeiner Thätigkeit darauf achtete. „Kaufe ich mir nun einen neuen Rock, ſo bleiben mir nach Abzug der Collegiengelder für den November nur 6 Thaler,“ ſchloß er ſeine Erzählung. „Schrecklich! Gott, der blaſſe Hunger! 's geht nicht anders! Aber wo im December Geld hernehmen? Gott wird's wohl ſchicken!“

Paul tröſtete den verzagten Freund, ſo gut er es vermochte, während er ſich anzog, und folgte ihm dann in deſſen Wohnung, indem er ihm ſeinen Mantel lieh, und ihn zur Eile antrieb, damit er ſich in den naſſen Kleidern nicht erkälte.

Kinkel bewohnte ein einfaches, aber freundliches Zimmer in der Charlottenſtraße im Hauſe des Thea— ter-Regiſſeurs Weiß, eines herzlichen alten Mannes, an den der junge Student von Bonn aus Empfeh— lungen mitbrachte. Kaum war er auf ſeiner Stube mit ſeinem Freunde angelangt, als Ferdinand, der Sohn ſeines Wirthes, ein junger liebenswürdiger Portraitmaler, eintrat. Der durchnäßte Student klei— dete ſich raſch um, und nun ging es an's weitere Aus— packen ſeiner wenigen Habſeligkeiten, wobei ihm die Andern unter aufheiternden Geſprächen behüflich waren.

Ferdinand erzählte jetzt, daß der Theaterdirektor einen neuen Rezenſenten der aufzuführenden Stücke ſuche. Ein Gedanke durchblitzte Gottfried's Hirn. Er dachte an das Verbot ſeiner alten Mutter, das Schauſpielhaus zu beſuchen, aber er dachte auch an

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feine namenloſe Noth, und ſchüchtern fragte er: „Könnte mir wobl dieſe Stelle übertragen werden?“

„Warum nicht?“ erwiederte Ferdinand. „Wenn Sie mit meinem Vater darüber ſprechen wollten, wäre die Sache bald abgemacht. Aber die Einnahme iſt gering.“

„Wie groß ungefähr,“ fragte Gottfried.

Der junge Maler nannte eine unbedeutende Summe, und Jener bat, deßungeachtet, ihn ſeinem Vater vor— zuſtellen, da er gern mit dieſem Honorar zufrieden fer.

Die Sache ward ſofort in Richtigkeit gebracht, und Kinkel freute ſich, wenigſtens doch Eine ſichre Ausſicht auf einen beſcheidnen Verdienſt zu beſitzen.

Beim ferneren Auspacken ſeiner Sachen fand er mehre Empfehlungsbriefe an Berliner Profeſſoren und einige Familien vor, unter andern ein Schreiben des Profeſſor Sack an deſſen Schweſter, die damalige ge— heime Legationsräthin Eichhorn. Sinnend wog er das kleine Billet in der Hand, dann aber legte er es bis auf ſpätere Zeit in ſein Tagebuch, wo es vergeſſen liegen blieb. Wer weiß, wie ſein Schickſal ſich nach— mals geſtaltet hätte, wenn er durch jenen Brief in das Haus des ſpäteren Miniſters wäre eingeführt worden? Aber ein guter Stern hing über ſeinem Haupte, und ließ ihn die Häuſer der Vornehmen und Großen der Erde vermeiden.

Dagegen führte ihn der Verkehr mit der Familie ſeines Wirthes und beſonders mit dem jungen Maler Weiß in mehre Geſellſchaftskreiſe ein. Namentlich

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verlebte er im Umgange mit der Familie Schlöſſing manche angenehme Stunden.

Um ſich vor leiblicher Noth und der Gefahr des Schuldenmachens zu ſchützen, verſchmähte Gottfried ſelbſt die ſaftloſeſten und langweiligſten Arbeiten nicht. So übernahm er für einen Buchhändler faſt täglich Correkturen von Druckſachen, und verwaltete dies mühevolle und wenig einträgliche Geſchäft mit der größten Pflichtreue und Aufopferung.

Außer dem täglichen Verkehr mit Paul Zeller, Richard Selbach, dem jungen Weiß und dem Studioſus Theologiä Wilhelm Bögehold, zu welchem Letzteren er ſich damals beſonders hingezogen fühlte, reizte ihn namentlich der tiefergehende Umgang mit einem höchſt genialen Architekten: Hugo Dünweg aus Barmen.

Dieſer Jüngling machte beim erſten Anblick den Eindruck eines ſeltenen und außergewöhnlichen Menſchen. Unter röthlichgelbem Haar und Augenbrauen blitzte ein glänzendes tiefblaues Auge hervor, das beſtändig mit geiſtreicher Unruhe umherſchaute, dann aber im Geſpräch mit einem Mal feſt auf den Mienen des Redenden hangen blieb, wenn dieſer ein Wort, einen Gedanken vorgetragen hatte, der Hugo entweder ſtutzen machte oder ſonſt ſein Intereſſe lebhaft in Anſpruch nahm. Es lag etwas Haſtiges und Leidenſchaftliches in all' ſeinen Bewegungen, und zugleich etwas Schmerz— liches, ja nicht ſelten Bitteres und Zeriſſenes, zumal wenn ſich ſein edelgeformter Mund, wie es oft geſchah, zu einem ſarkaſtiſchen Lächeln verzog.

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Hugo war bereits früh in die Welt hinausge— ſtürmt. Begabt mit den herrlichſten Anlagen zur Poeſie, hatte er bald alle Erwartungen ſeines glühen— den Herzens getäuſcht und verhöhut gefunden. Sein Vaterland, für deſſen Freiheit und Größe ſein Herz mächtig ſchlug, ſah er, von elenden Buben gefnechtet, im Todeskrampfe verzucken, und die Thaten Derer, welche ſtets das Wort der Liebe auf der Lippe trugen, ſtraften ihren Mund Lügen. Er ſah den mächtigen Zug, der ihn zur Natur hintrieb, verſchmäht und ge— mordet, und gerieth ſo von Zweifeln zu Zweifeln, von Schmerzen zu Schmerzen. Dabei war ſein Herz gut und edel, und fein Lied ſchoß wie ein reinſter Blut⸗ quell aus der verwundeten Bruſt des noch im Tode ſingenden Schwanes.

Eine ſo großartig angelegte, aber ſich ſelbſt zer— ſtörende Natur konnte nicht verfehlen, auf Kinkel den lebhafteſten Zauber einer durchaus ungewöhnlichen Er— ſcheinung auszuüben. Dieſer ſuchte mit Allem zu glänzen, was er an Vorzügen beſaß, um einen ſo wilden und ewig nach Lebensgenuß ringenden Geiſt zu feſſeln, nicht aus Selbſtſucht, ſondern weil er in ſeiner jugendlichen Unſchuld unfähig war zu begreifen, was ein armes Menſchenherz ſo früh und ſo grimmig zu durchſchüttern vermochte. Und er ſah dies große Herz ja verbluten unter ſeinen Qualen; wie ſollte ſich ihm nicht der Gedanke aufgedrängt haben, hier vielleicht helfen zu können?

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Hugo war ſchwer ganz zu durchſchauen, allein es gelang Kinkel, ihm faſt täglich näher zu treten, bis ihm der neuerworbene Freund ganz die Tiefen ſeiner reichen Dichterbruſt aufſchloß und nun vereinigt der Töne Schwall von Beider Lippen ſtrömte.

Anfänglich hatte Gottfried die Poeſie ruhen laſſen wollen; er ſchrieb an einer Geſchichte der Adoptianer, und gedachte ſich ganz in theologiſche Arbeiten zu ver— ſenken. Aber Hugo trieb ihn beſtändig vom Schreib— tiſche fort, und regte ſeinen Drang zur Dichtung trotz dem gelben ſumpfigen Waſſer der Spree und den kah— len Häuſerkoloſſen ſo mächtig an, daß oft die Adoptia— ner ſammt der ganzen Gottesgelahrtheit in lauter Poeſie erſtickt wurden.

Eines kalten Winterabends im Monat December ſaß Kinkel fleißig bei ſeiner Arbeit. Hugo trat ein, und da ſein Freund ſich nicht wollte ſtören laſſen, ſtellte er ſich an deſſen geöffnetes Schreibpult und kramte in allerlei Papieren umher. Plötzlich fand er ein loſes Blatt und las:

Monolog des Otanes:

„O eitle Luft der hirnverbrannten Menge, Verfolgſt du mich auch in dies ſtille Haus?

Die widerwärt'gen Töne drängen ſich

Wie böſe Geiſter ein in meine Bruſt;

Iſt dies ein Feſt, dann giebt's kein Trauern mehr! Iſt Sklaverei ein Feſt Was iſt dann Freiheit? Heut' ſchmiedet willig ſich ein edles Volk

Aus ſchnödem Eiſen eine Sklavenkette!

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Wär’ ich gefangen in dem tiefſten Thurm, Ich biſſe grimmig meine Eiſenfeſſeln;

Und wenn ich mir die Zähne abgeſtumpft, Ich würde doch noch raſſeln mit den Ketten! Doch dieſes Volk der ungeheure Rieſe, Der Diamantenfeſſeln könnte ſprengen Es kettet ſelbſt ſich und es jauchzt dazu!

Ha, ſoll ich's dulden, daß um Kores' Krone,

Die dieſes Erdballs beſtes Bolk beherrſcht,

Wie um ein Aas, ſich dieſe Beſt en ſtreiten?

Ich will mich gürten ganz mit Manneskraft, Will treten mitten zwiſchen jenen Tiger

Und dieſen Wolf, der gern ein Löwe wäre,

Die Krone reißen aus den Räuberklauen,

Und ſie verſenken in den tiefſten Abgrund!

Wenn ich „der Knechtſchaft Zeichen“ ſo vernichtet, Will ich die Freiheit meinem Volke ſchenken, Der Höchſte nicht doch ſoll kein Höhrer ſein!“

Kinkel fühlte ſich plötzlich krampfhaft emporgeriſſen, und mit fiebernder Haſt fragte ihn ſein Freund, indem er ihm das Blatt mit zitternden Händen hinſtreckte:

„Um Gotteswillen, Gottfried, Was iſt das?“

„Ein zerſtreutes Bruchſtück aus einem angefan— genen Trauerſpiel: „Prexaspes““ entgegnete dieſer be— troffen; „aber, Menſch! Was willſt Du? laß mich doch los!“

„Angefangen? Trauerſpiel Prexaspes? Und Du kannſt hier ruhig bei Deinen verfluchten Adoptianern, oder wie das Lumpenpack heißt, ſitzen,

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während Dein Trauerſpiel ſich unvollendet im Pult herumtreibt?!“

„Ich werde es mit der Zeit vielleicht einmal vollenden.“

„Mit der Zeit vielleicht einmal voll enden?!“ ſtarrte ihn Hugo mit weitaufgeriſſenen Augen an. „Biſt Du denn vollſtändig toll geworden?! Glaubſt Du denn, daß der verknöcherte Paſtor noch ſolche „Räuber“ die Cenſur paſſiren läßt?“

„Aber ich will niemals ein verknöcherter Paſtor werden.“ N

„Schöne Vorſätze das! Der Weg zur Holle iſt mit guten Vorſätzen gepflaſtert, ſagt Pater Abraham a ſanta Clara oder ſonſt Jemand, und ein evangeliſcher Pfaff kümmert ſich den Teufel um die Tiger und Wölfe, ſetzt Hugo Dünweg hinzu.“

Gottfried wollte ſprechen.

„Nur keine Einreden! Nichts da!“

Er riß ungeſtüm das Manufeript der Adoptianer vom Tiſche, warf es zerknittert in das Schreibpult, legte das erwähnte Blättchen an die Stelle deſſelben und fuhr gemäßigter fort, indem er den noch ganz verwunderten Freund wieder auf ſeinen Stuhl drückte:

„Siehſt Du, ſo iſt es Recht! Der Prexaspes wird fortgeſetzt, er muß laß ſehen, wir ſchreiben Mitte December er muß bis zum Februar fertig ſein, dann bringſt Du ihn dem Theaterdirektor, dann wird er aufgeführt, und Dein Ruf iſt gegründet!“

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„Und Du wirft dem Dichter einen Lorbeerkranz von der Gallerie vor die Füße,“ lachte Kinkel.

„So jetzt machſt Du Dich gleich an's Werk. Ich will Dich nicht ſtören. Nachher komme ich wieder zu Dir, dann lieſſt Du mir das Geſchriebene vor.“ Damit nahm Hugo ſeinen weißen Filz, und ſtürmte die Treppe hinab, ohne auf den Zuruf ſeines Freundes zu achten.

Lächelnd nahm dieſer die mißhandelte Abhandlung wieder hervor, ſchrieb ungeſtört weiter, und beſchloß dabei im Stillen, den Prexaspes“ nicht zu verfäumen.

Gegen 10 Uhr kam Hugo zurück. Verſtimmt ſah er den jungen Dichter im blaßgrünen Schlafrock und aus der langen Arbeitspfeife mächtig qualmend bei den Adoptianern, freute ſich jedoch über das Verſpre— chen, das begonnene Drama fortzuſetzen.

Es entſpann ſich bald ein tieferes Geſpräch zwi— ſchen den beiden Junglingen, das von Kinkel mit ru— higer Klarheit, von Dünweg mit leidenſchaftlicher Er— regtheit geführt wurde. Der Letztere hatte viel Wein getrunken und dadurch feine ſchon von Natur heiße Stimmung noch geſteigert. Er klagte in wilden Aus— rufen über den Wandel der irdiſchen Dinge.

Endlich ſtieß er trotz der kalten Winternacht das Fenſter auf, und ließ den ſcharfen Zugwind durch ſein Haar ſtreichen. Stürmiſch rief er in die ſtille Nacht hinaus: 0

„Ha, wie die Bruſt ſich hoch hebt bei dem Anblick des himmliſchen Glanzes, wie das Geſtirn mit Flam—

menzügen mir die gewaltige Ahnung der Unendlichkeit in's Herz ſtrahlt! Unendlichkeit! o des erbärmlichen Flitterſtaates, von dem jeder Schuft einen Fetzen um fein Daſein hängt, fein elendes Selbſt in dem glän— zenden Meere unbemerkbar zu machen! Hier ſind die Marken des Geiſtes, hier der klägliche Herabſturz des Erkennens in der Vermuthung grundloſe Tiefen, der unermeßliche Sprung vom Tropfen zum Ozean! Wie gern möchte ſich der hochfahrende Geiſt mit kühnem Flügelſchlage hinauftragen in die kreiſenden Sphären des Weltraums: aber das Wort verſiegt vor dem ſtrahlenden Glanze, der Flügel erlahmt in dem leicht— hinſchwebenden Aether, und in wirrem Hinabſturz tau— melt der Geiſt zurück in ſein ewiges Gebiet die beengende modrige Erde!

„Doch die Sterne ſchauen den kühnen Flieger ſo tröſtend an mit ungetrübtem Glanze und ſeliger Klar— heit, der dann erſchaut, koſtet den Dampf des gött— lichen Nektars und ſich hineinträumt in ihre kreiſenden Bahnen und Syſteme.

„Und ewig hängt ſein feuchtes Auge an ihrem Glanze, und heiligen Frieden ſtrahlen ſie in ſein zer— riſſenes, blutendes Herz! Hier iſt das Gebiet der Wahrheit, welche die Erde floh, und ihre Segnungen gen Himmel teug, hier in dem fluthenden Lichtmeer wiegen ſich Welten in feſten, un veränderlichen Bahnen. Die Sterne kennen keine Willkühr, in beſtimmteſtem Maaße bewegen ſich ihre ruhigen Maſſen.“

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Das Gemüth des ſeltſamen Schwärmers ſchien ſich allmälig zu beruhigen, als plötzlich eine Stern— ſchnuppe vom Himmel ſank. Hugo ſchrie auf:

„Wehe, Was ſtürzt ſo flammend herab von den hohen Gewölben zur Erde nieder? Sterne reißen ſich los vom Firmament, wie die gefallenen Engel vom Throne des ewigen Gottes! Auch hier keine Wahr— heit, kein Beſtand?!! Wenn die Sterne lügen, wo iſt dann noch Wahrheit zu finden?“

Hugo ſchlug ungeſtüm das Fenſter zu, daß klir— rend eine Scheibe zerſprang, und brach zuſammen.

„Ich kann dieſe Nacht nicht ſchlafen,“ ſagte er, „gieb mir ein Blatt Papier, und geh' zu Bett!“

Der beſorgte Freund mußte ihn ſeinen Willen thun, und fiel endlich in einen wenig erquickenden Fieberſchlaf.

Als er am Morgen aufwachte, hatte ſich Hugo bereits entfernt; aber auf dem Tiſche lag ein wehmü— thiges Gedicht voll verzweifelnder Phantaſien und zer— riſſener Traumgedanken, das Jener in der eiskalten Nacht mit undeutlichen Schriftzügen auf's Papier ge— kritzelt hatte.

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2.

Ein Berliner Lebenstag ).

Von 6 —8 Uhr.

Von 8—9 uhr.

Von 9 10 Uhr. Von 10 11 Uhr.

Von 11— 12 uhr.

Bibellefen: „Und er hatte gefeffen zu Füßen feines Meiſters Gamaliel.“

Collegium bei Marheineke:

„— Ein Kerl, der ſpekulirt,

Iſt wie ein Thier auf dürrer Haide,

Von einem böſen Geiſt im Kreis her— umgeführt,

Und ringsherum iſt ſchöne grüne Weide.“

Collegium bei Hengſtenberg: „Hier wird der Geiſt recht brav dreſſirt, In ſpan'ſche Stiefel eingeſchnürt.“ Beſuch bei Schlöſſing's:

„— Und alles Weh und alle Freude Beſfriedigt nicht die tiefbewegte Bruſt.“

Collegium bei Neander: „Zwar weiß ich Viel, doch möcht' ich Alles wiſſen.“

) Aus Kinkel's Tagebuch.

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Von 1—2 Uhr. Tiſchſtunde: „Iß, trink' und ſei vergnügt!“ Von 2— 4 Uhr. Berliner Nachmittag: „Einſam ſtand ich und ſah in die afrikani⸗ ſchen dürren Wüſten hinaus; vom Olymp regnete Feuer herab. Von 4—6 Uhr. Prexas pes: j „Die Poefie in allen ihren Zungen

Sit dem Geweihten Eine Sprache nur.“

Von 6 Uhr Nachts. „Tabula rasa.“

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Der Winter verftrich unter fröhlicher Abwechſelung von Arbeiten, Poeſie und geſelliger oder freundſchaft— licher Unterhaltung. Paul hatte zu Oſtern die Univer— ſität verlaſſen, und das Bild Eliſens trat in Gott— fried's Seele mehr und mehr zurück, ohne doch jemals ganz zu erliſchen. Allein es fehlte das äußere Band, Kinkel erhielt nur ſelten von Paul Nachrichten über die entfernte Geliebte, und bald meldete ihm dieſer Eliſens Verlobung mit einem anderen Freier. Jetzt hielt der junge Student es für eine heilige Pflicht, alle Gedanken an ihren dereinſtigen Beſitz aufzugeben, und ſo drängte er das ihm ſo liebe Bild allmälig weiter und weiter auf der Tafel ſeiner Erinnerung zurück.

Dagegen ſchloß er ſich mehr und mehr an die übrigen Freunde an, und war im Ganzen genommen glücklich und heiter, wenn auch oft das Sehnen nach einer beſtändigen Liebesgluth ihn mächtig ergriff.

Seine Poeſie ſchlummerte nicht, aber unter der Laſt feiner theologiſchen Arbeiten und dem gewaltigen

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Einfluß des wilden Hugo Dünweg blitzte fie feltner auf, und nahm manchmal den leidenſchaftlichen Charak— ter ſeines Freundes an. Es war oft mehr eine ver— zehrende Flamme, die unter der erkalteten Lava her— vorbrach, als das mildwärmende Feuer ſanfter Gefühle, und doch fühlte er, daß nur die Poeſie ſein Weſen, wie früher, ſo auch jetzt zur Blüthe würde entfalten können. In dieſe Zeit fällt das ſchöne Gedicht an Richard Selbach“) und eine Reihe von Jugendgedich— ten, die eine tiefe Sehnſucht nach der Natur verrathen, von der ihn fo oft ein religiöfer Irrthum fortriß, aber an deren Bruſt ihn ſtets ein reines Gefühl wieder zu— rückzog.

Gottfried hatte in dieſer Zeit manchmal körper— liche Leiden ausgeſtanden. Bald nach ſeiner Ankunft in Berlin war der junge Weiß gefährlich erkrankt, und Kinkel hatte, mit Ausnahme ſeiner Collegienſtunden, die er nicht leicht verſäumte, Tag und Nacht an dem Bette ſeines bedrohten Freundes zugebracht, und ängſt— lich jeden ſeiner Athemzüge belauſcht. Als dieſer end— lich nach einem langen Schmerzenslager genas, fühlte Gottfried die eigne Geſundheit zerſtörend angegriffen, und mußte ſich in ſeinen Arbeiten einſchränken, um nicht ebenfalls in ein langwieriges Siechthum zu verfallen.

Als aber der Frühling kam mit ſeinem friſchen Grün und ſeinen tauſend und aber tauſend Blüthen,

*) Gedichte von Gottfried Kinkel. Stuttgart. J. G. Cot⸗ ta'ſcher Verlag. 1843. Seite 54.

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da ſäuſelten die warmen Mailüfte auch von Gottfrieds Stirn das letzte Winterleiden hinweg, und das Roth der Geneſung ſchoß ihm wieder freudig in die Wangen.

Es grünte und blühte in ſeiner Bruſt. Das Lied der Vöglein und das leiſe Flüſtern in den Wip— feln der Bäume weckte ein Echo in feinem Herzen, unſäglich viele Gedichte ſtiegen in ihm empor, und manches entfaltete ſich voll zur herrlichſten Blüthe. Sein ganzes Weſen und Dichten wurde leicht, gefühls— mäßig und anſpruchslos, wie das Weben des Lenzes im Gegenſatz zum kalten und philoſophiſchen Winter. Ein Hochgefühl der Lebenskraft erfüllte ſein Herz, aus dem tiefſten Buſen wogten und brauſten unzählige Ge— danken hervor; ſchnell und gefügig ſtellte ſich das Wort. Es fluthete in ſeinem Innern von Dichtungen, Alles Welt, Gemüth und Natur geſtaltete ſich ihm zu einem poetiſchen Rundgemälde. Ein großes Epos in zwölf Geſängen: „Des Kreuzes Triumph“ ward begonnen, und die drei erſten Geſänge in kur— zer Zeit ausgeführt. An Stoff fehlte es ihm nicht, und ſo konnte er unabläſſig fortſchreiben, bis ihn die Freunde in's Freie riefen oder die ſtille Nacht ihn an die Pflicht des Schlummers mahnte.

Er ſingt ſelbſt von dieſer luſtigen Frühlingszeit:

„Ein üppig blühend Jugendleben Umgiebt mich rings mit frohem Glanz, Der reichſten Schönheit Zauberweben Schlingt um mich aller Freuden Tanz;

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Die Sonne lacht, die Fluren blühen, Der Freunde friſcher Geiſt iſt mein, Die Leier ohne mein Bemühen Tönt volle Klänge muthig drein!“

Waren nun auch dieſe Lenzgedichte meiſt ſubjeetiv und mangelten häufig einer durchgebildeten poetiſchen Form, ſo lag das eben in ſeiner jugendlichen Natur, und ein ſtetes Ringen nach Fortſchritt und Vollendung gab ſich auch ſchon in dieſen Jugendpoeſieen kund, die leicht und friſch aus ſeiner reinen Seele hervor— ſtrömten.

Freilich quälte ihn manchmal der Zweifel, ob ihm wirklich ein großes Talent verliehen ſei. Schon in ſeiner früheſten Knabenzeit hatte ihn ein mächtiger Trieb zur Malerei hingetrieben, und einſt, als er lange vor dem herrlichen Bilde der badenden Diana ſtand, knirſchte er mit den Zähnen, daß nicht auch er Solches zu ſchaffen vermöge, daß ihm der Pinſel ver— ſagt ſei. Aber dann hob ihn wieder das Gefühl, daß auch Worte und Töne, ebenſo lebendig wie Farben, in gleicher Schönheit und Kraft das Weſen des Gött— lichen offenbaren und die Größe des menſchlichen Gei— ftes bekunden. Und als er nun Oehlenſchläger's Cor— reggio über die Bretter wandeln ſah, da erfaßte ihn der unwiderſtehliche Drang, Gleiches zu wirken, und er wagte hinfort nicht mehr an der göttlichen Macht der Poeſie zu zweifeln.

Die Natur hatte in dieſem Jahre ihre vollſte Herrlichkeit entfaltet, die Amſel ſchlug in den Hecken,

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und luſtig hatte der Wind die weißen Blüthen von den Kirſchbäumen herabgeſtreift, als ein leichtes Fuhr— werk auf der Straße nach Schönhauſen hinrollte, und in der Nähe des königlichen Schloſſes vor dem freund— lichen Wirthshauſe anhielt. Die Ausſteigenden wan— derten unter fröhlichem Geſpräch in den Schloßgarten, und ſuchten ſich ein ſchattiges Plätzchen, wo fie ſich in maleriſchen Gruppen hinlagerten. Die Geſellſchaft beſtand aus einer ältlichen Dame und ihren Töchtern, den Fräulein Henriette und Marie Schlöſſing, deren Bruder Eduard, einem jungen Lackmaler, der jedoch damals einen erfolgloſen Anflug zu wirklicher Kunſt— malerei nahm, Richard Selbach und Ferdinand Weiß.

Kaum hatten fie Platz gefunden, als Hugo Dün— weg und Gottfried Kinkel Arm in Arm dahergeſchlen— dert kamen, die auf dem Wagen nicht mehr Platz fanden, und deßhalb zu Fuß der befreundeten Geſell— ſchaft nachgegangen waren.

„Sieh da, Meiſter Wolfram und Meiſter Gott: fried von Straßburg!“ ſcherzte Selbach, der ſich mit Fräulein Henriette angelegentlich unterhielt.

„Herrlich, daß Sie kommen!“ begrüßte Fräulein Marie die Ankommenden, „uns fehlten nur die Dich— ter, um uns dieſen herrlichen Frühlingstag ganz ge— nießen zu lehren.“

Gottfried erröthete, und Hugo ließ ſich neben der Sprechenden auf das junge Moos gleiten. Letzterer fühlte ſich niemals wohler, als in der Geſellſchaft des ſchönen muntern Mädchens, und ſeine Zuneigung zu

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derſelben ſchien allmälig die Färbung einer innigen, wohl nicht ganz unerwiederten Liebe anzunehmen.

Ferdinand Weiß zeichnete das königliche Schloß in ſein Skizzenbuch, und Gottfried ſetzte ſich neben Eduard Schlöſſing und deſſen Mutter.

Letzterer lenkte das Geſpräch, wie gewöhnlich, auf das Theater. Am vorigen Abend war ein fran— zöſiſches Luſtſpiel aufgeführt worden, in welchem, wie in den meiſten dieſer Stücke, das Verhältniß der Ehe auf die leichtfertigſte Weiſe herabgewürdigt ward. Der junge Schlöſſing erzählte, er habe herzlich gelacht, und ſich weidlich amuſirt.

Kinkel ſprang von edlem Zorn erglühend auf, und begann mit der ganzen Wärme ſeines ſittlichen Gefühls die Polemik gegen dieſe ſkandalöſen Bühnen— ſtücke der Neuzeit. Er begriff nicht, wie ein gebildeter und tugendhafter Menſch an ſolchen plumpen Späßen auf Koſten der heiligſten Begriffe Gefallen finden und dieſelben gar loben könne.

„Aber glauben Sie denn wirklich, daß es mit den meiſten Ehen hier zu Lande anders iſt?“ unter— brach ihn ruhig Madame Schlöſſing.

„Schlimm genug,“ erwiederte der feurige Jüng— ling; „doch dann ſollte man wenigſtens nicht durch die Verherrlichung ſolcher Bubenſtreiche zur Nachahmung der Laſterhaftigkeit aufreizen!“

Fräulein Marie, welche die Fortſetzung des ange— ſponnenen Zwiſtes fürchtete, bat die beiden Poeten, einige ihrer letzten Produktionen vorzutragen.

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Nach einigem Zögern nahm Gottfried feine Brief: taſche hervor, und las:

„Was ſoll ich ſingen und ſagen? Die Bruſt iſt voll und weit,

Die Pulſe kräftig ſchlagen In dieſer Wonnezeit.

Ich lieg' auf grünen Matten, Weithin dehnt ſich die Au,

Durch dunkelgrüne Schatten Erglänzt des Himmels Blau.

Doch mangelt Eins noch immer Zur hellen Dichterluſt,

Der Liebe milder Schimmer Füllt mir noch nicht die Bruſt.

Drum weil der Schweſtern keine Du einen mir gewollt:

Bleib' Du, Natur, alleine Mit Muttertreu' mir hold!

Du ſchenkteſt mir für's Schöne Den freien, offnen Sinn;

Der Schöpfung reiche Töne, Die ſind mein Hochgewinn.

Was groß zu allen Zeiten, An allen Orten war,

Schon ſchau' ich's wie von Weitem, Die Dichtung macht mir's klar.

Drum willſt Du mir verſagen Den leichten Minneſcherz:

So laß mir ewig ſchlagen Dein großes Mutterherz!“

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„Recht hübſch,“ bemerkte Fräulein Henriette, „nur etwas zu leichte Waare. Sie ſollten ſich den Göthe noch mehr zum Muſter nehmen, um von ihm Objecti- vität zu lernen.“

Jetzt zog auch Hugo ſeine Schreibtafel hervor, und las:

Meerfahrt.

„Was trauern die blauen Wogen,

Was ſchweigt der geſchwätzige Wind? Es kommt dahergezogen

Ein todtes Königs kind.

Im ſchwarzbehangenen Schiffe Da liegt die blaſſe Maid, Mit Saitenſpielen ſtehen Die Ritter ihr zur Seit'.

Die Winde alle lauſchen Auf ihre Melodei,

Die Waſſer ſo traurig rauſchen Am dunklen Schiff vorbei.

Sie denken geſunkener Sterne Am ſonnigen Frühlingstag,

Da in der Fluthen Umarmung Die Königstochter lag.

Da ihr der Wellen Gekräuſel Den Leib umſchlungen hielt, Da mit den Haaresflechten Dereinſt die Winde geſpielt.

So war es wohl vor Zeiten, Jetzt iſt die Jungfrau todt,

Jetzt ſtrahlet nicht mehr die Wange Roſig wie Morgenroth.

Wie eine Lilienblume,

Die von dem Sturm zerknickt, So haben im Todtenkleide

Die Sänger ſie erblickt.

Drum trauern die blauen Wogen, Drum ſchweigt der geſchwätzige Wind, Daß fo dahergezogen Das todte Königskind.“

Mariens Auge ruhte mit innigem Wohlgefallen auf der bleichen Geſtalt des Dichters, und die Thräne, die ſich auf ihre Wimper ſtahl, mochte ihm ein ſchö— nerer Lohn ſcheinen, als der ſtürmiſche Beifall der Uebrigen, nachdem er geendet.

Nun ſollte Gottfried wieder ein Lied mittheilen. Kleinlaut ergab er ſich in ſein Schickſal, weil er die Ueberlegenheit ſeines Nebenbuhlers fühlte, und ſprach das Lied von der

Frau Minne.

„Es iſt eine ſchöne Kön'gin, Die hat ein mächtig Reich; Wollt Ihr die Reiche zählen Nach Seelen, Da thut's ihr keine Andre gleich.

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Das ift die Königin Minne, Die herrſchet überall, Die mit gar holden Blicken Und Tücken Den Stolzen bringt zum tiefſten Fall.

Wohl hab' ich lang gekämpfet Mit ihrem Regiment; Doch wie ich auch mag ringen: Gelingen Muß ihr doch Alles bis an's End'!

Nun hat ſie auch erobert, Die einſt nur mir geweiht, Daß ſie in Liebchens Armen Erwarmen Vom kalten Hauche dieſer Zeit.

Wie ſteh' ich nun im Leben So freudlos, kalt und ſtill! Ob mir denn Keiner tragen Die Plagen Der Einſamkeit mehr helfen will?

Fürwahr, ich trag's nicht länger: Frau Minne, nimm auch mich In Deine milden Hände, Und ende So meine Schmerzen ewiglich!“

Fräulein Henriette und Richard drückten ſich ver— ſtohlen hinter dem Rücken der Mutter die Hände, und der junge Weiß ſagte ſcherzend: „Ein new Minneleich in der Spielweis Heinrich's von Meiſſen, genannt Frou— wenlob.“

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Hugo lehnte fih an einen Baumſtamm, und las, indem er ſein unſtätes Auge feſt auf Marien's Antlitz heftete, folgendes Gedicht:

„Der alte Gott im Himmel Der iſt ein Muſikant, Der hat die großen Saiten Von Stern zu Stern gefpannt.

Die Welten alle tanzen Nach ſeiner Melodei,

Die ſchwingen um ihn ſich luſtig In Bahnen mancherlei.

Und bis die alten Lieder Verklungen, die er ſingt,

Bis daß die letzte Saite Auf ſeiner Harfe ſpringt:

Da walzen ſie, da ſtreicht er Die Fiedel wild dazu, Und Ewigkeiten ſehen Dem tollen Wirbel zu.“

Aengſtlich hatte Marie vor Hugo's leidenſchaft— lichem Blick das Auge niedergeſchlagen, jetzt erhob ſie es wieder, und ſtarrte fremd zu ihm empor. Der arme Zweifler preßte ſein Haupt ſchmerzhaft an die junge Rinde des Baumes und entfernte ſich dann mit langſamen Schritten aus der Geſellſchaft, deren Mun— terkeit mit Einem Male verflogen war.

Einzelne graue Wolken hatten bereits bei der Hinfahrt ſich am Himmel zuſammengezogen, die jetzt

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in Schwarzen Maſſen näher rückten und mit einem ſchweren Gewitterregen drohten. Ein plötzlicher Wind— ſtoß erhob ſich, und wirbelte den Sand in weiten Kreiſen auf, zugleich eine Maſſe betäubender Düfte aus den jungen Blumen und Gräſern emporſchwellend. Die Geſellſchaft flüchtete ſich eiligſt in das nahegele— gene Wirthshaus, um das Vorübergehen des Gewit— ters abzuwarten. Hugo fehlte.

Auch Kinkel zog ſich bald auf einige Minuten zurück, angeblich um nach dem verſchwundenen Freunde zu ſpähen. Doch machte er an dem Scheunenthor Halt, und ſchrieb, auf das friſche Gras gelagert, folgende Strophen in ſein Taſchenbuch:

„Warum doch wieder ſo trübe, Du ungewiſſes Herz?

Es iſt nicht Haß noch Liebe, Nicht Wehmuth oder Schmerz.

An hellen Sommertagen Da bin ich froh und klar,

Wenn laut und ſchäumend ſich jagen Der Phantaſieen Schaar.

Und wenn der Regen ſchießet, Faßt mich ein ſtilles Weh,

Durch meinen Buſen fließet Ein ſturmeswilder See.

Doch heut' iſt grau die Veſte, Und doch kein Regenguß, | Da nahn als arge Gäfte Mir Mißmuth und Verdruß.

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O glühe, Sonne, glühe,

Mach' hell, wie ſonſt, mein Haupt! Sonſt ſprüh', o Regen, ſprühe,

Es iſt dir gern erlaubt!“

Kaum hatte Gottfried die letzten Zeilen aufge— zeichnet, als auch ſchon einzelne ſchwere Tropfen nie derrannen, und ihn an der Thür empfingen. Er ent— blößte ſein Haupt, und ging mit langſamen Schritten über den Hofplatz zur Geſellſchaft zurück.

Als der ſtarke Regen und das losbrechende Ge— witter ſich faſt ſchon verzogen hatten, kehrte auch Hugo bis auf die Haut durchnäßt wieder und ging mit Gott— fried nach der Stadt zurück, während die Uebrigen etwas ſpäter ihnen nachfuhren, und ſie noch vor dem Thore erreichten.

Ein warmer und erfriſchender Hauch lag über den Fluren, als die Freunde vor ihrer Wohnung anlang— ten, und ſich zum Abſchiede die Hand drückten.

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Am andern Morgen kam Hugo früh auf Kinkel's Zimmer, und kündigte ihm ſeinen Plan an, ſofort Berlin zu verlaſſen. Beſorgt fragte ihn ſein Freund nach der Veranlaſſung dieſes plötzlichen Entſchluſſes.

Hugo wollte erſt nicht recht mit der Sprache her— ausrücken; endlich aber ſagte er:

„Du weißt, ich liebe Marien, vielleicht liebſt Du ſie auch, aber ſie giebt mir den Vorzug, ohne mich doch verſtehen zu können. Haſt Du bemerkt, wie ſie mich anſah, als ich geſtern mein Gedicht „vom alten Muſikanten“ vortrug?“

„Freilich, aber das darf Dich nicht muthlos machen; auch mir ſchauderte vor dieſen wilden verzwei— felnden Klängen. Du kamſt mir vor wie ein ſingender Oſſian, der über dem Erdball ſchwebte. Erſt ſangſt Du ein ſchönes ſchmerzliches Lied, um das Marien die Thränen in's Auge traten; dann aber zerrißt Du

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mit einem wildharmoniſchen Schrei alle Saiten Deiner Goldharfe, und Dein Herz und Deine Hand ſchienen blutig. So ſtürzteſt Du fort —“

„In den Tod!“ murmelte Hugo dumpf. „Siehſt Du wohl, Gottfried, daß ich Recht habe? Ich bin eine dämoniſche Natur, und will Marien nicht unglück— lich machen. Ich bin ein Eichbaum, in deſſen Mark, in deſſen ſtolzeſten Wipfel Gott einen rothen Blitz— ſtrahl ſandte. Die Flamme hat gezündet, aber ſie verzehrt mich! Gieb mir die Hand, Gottfried! Ich weiß, Marie wird um mich weinen, ich bin viel— leicht gegen ſie zu weit gegangen, indem ich ihr mein ganzes wildes Herz darlegte, Du biſt gut und mild, Du kannſt ſie tröſten, wenn ich fortgehe in die weite Welt. Verſprich mir, daß Du ihr lichter Friedensengel ſein willſt!“

Gottfried war ſchmerzlich und wehmüthig erregt, er warf ſich weinend an die Bruſt ſeines Freundes, bei dem er bisher faſt die Rolle des Karlos geſpielt hatte, und deſſen ſtolze Kraft er jetzt ahnend gebrochen ſah. Hugo's Verhältniß zu der liebreizenden Marie war ihm nicht entgangen, und er hatte ihn oft um die Gunſt der ſchönen Jungfrau beneidet, ohne daß er doch je daran gedacht hatte, ſie zu lieben. Nur die dunkle Sehnſucht nach einem weiblichen Weſen, das er ganz ſein nennen dürfe, ergriff ihn, wenn er ſich ſo allein daſtehen fand, und auch jetzt, wo er ſich ernſtlich befragte, ſchlug ſein Herz nicht lauter bei

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Mariens Namen, ſondern das Bild Eliſens tauchte wie ein verſinkender Stern in ſeiner Erinnrung empor.

Als er lange vergeblich verſucht hatte, den Freund von ſeinem übereilten Entſchluſſe abzuziehen, verſprach er ihm, ſich der verlaſſenen Jungfrau anzunehmen, mit dem feſten Willen, ſelbſt unter allen Fällen kalt zu bleiben und die Freiheit ſeines Herzens zu bewah— ren. Alles, was er zu erlangen vermochte, war das Verſprechen Hugo's, eine lange beabſichtigte Reiſe nach Rügen erſt mit ſeinem Freunde anzutreten, und dann auf der Rückkehr noch einige Zeit in Berlin zu ver— weilen.

Nach wenigen Tagen führten ſie ihren Plan aus, und begaben ſich, vom ſchönſten Wetter begünſtigt, auf den Weg. Einen mächtigen Eindruck machte es auf unſere Freunde, als ſie zuerſt das weite, blaue Meer der Oſtſee begrüßten. Lange ſaßen ſie auf der Höhe der Stubbenkammer, auf dem ſtolzen Königs— ſtuhle, und ließen den Blick über die unbegränzte Waſſerfläche hinſchweifen auf die am ſernen Horizonte gluthroth aufgehende Sonne, die ſich erſt wie ein feuri— ger Ball aus dem Wellenbade erhob, bis ſie allmälig höher und höher ſtieg, und endlich den ganzen Ge— ſichtskreis, die weſtlichen Zackenſpitzen und den hohen Leuchthurm, von Arkona mit weißlichem Licht über— ſtrahlte.

Gottfried begrüßte das herrliche Schauſpiel mit einem jauchzenden Ruf, wie ihn der Menſch im Boll:

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gefühl höchſter Freude ausſtößt, Hugo aber ſtand mit ausgebreiteten Armen und ſtarrte dem jungen Tag entgegen. Dann erfaßte ihn plötzlich der Gedanke jener Nacht, die in ſeinem eignen Innern heraufdäm— merte, er gedachte, wie ihm jedes liebliche Traumbild, das die Dichtung erſann, mit dem wechſelnden Geiſte dahinſchwand, und wie der eiſige Ernſt, welcher ſein Leben durchwehte, die herrliche Begeiſterung, die Frucht ſeiner Jugend, herabſchütteln wollte, und da umnach— tete ſich ſein Auge, mit brennendem Schmerz warf er ſich langgeſtreckt auf den nackten Kreidefelſen.

Als er das Haupt wieder emporrichtete, ſah er Kinkel emſig ſchreibend. Wehmüthig ergriff auch er ſeine Schreibtafel, und zeichnete die flüchtigen Worte hinein:

„Das waren wohl ſonnige Tage, Das war eine feſtliche Zeit,

Wo wir bei Lieb' und Gelage Des Lebens uns ſelig gefreut.

Nun iſt's mit der Liebe zu Ende, Es mundet nicht mehr der Wein,

Man reicht ſich zum Scheiden die Hände, Da muß ich wohl traurig ſein!“

Nach einer vierzehntägigen Wanderung kamen unſere Freunde wieder in Geſellſchaft von fünf Pfen— nigen in Berlin an; Kinkel mit erleichtertem Her— zen und einer reichen Ausbeute fröhlicher Gedichte,

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Dünweg mit ſtiller reſignirender Wehmuth und trüben Gedanken einer dornigen und troſtloſen Zukunft in ſeiner Heimath.

Bevor Hugo abreiſte, ſchenkten er und Gottfried ſich gegenſeitig eine Auswahl ihrer Gedichte, zu denen Ferdinand Weiß ihre Bruſtbilder zeichnete.

Nachdem ihn der Freund verlaſſen, fühlte ſich Kinkel vereinſamter, als je, und ſuchte in lebhaftem Briefwechſel mit dieſem, Paul Zeller, Rheinwald und Sartorius Erſatz für die trüben Gedanken, die bis— weilen in ihm aufſtiegen.

Seinem Verſprechen gemäß, ſuchte er beſonders häufig die Geſellſchaft der Familie Schlöſſing. Das Verhältniß zwiſchen Selbach und Fräulein Henriette nahm allmälig einen feſteren Charakter an, und ge— ſtaltete ſich auch ſpäter zu einem fröhlichen Ehebündniß. Marie dagegen trauerte über den Fortgang Hugo's, und Alle fanden es unbegreiflich, daß dieſer Monate lang gar Nichts von ſich hören ließ. Die Jungfrau fühlte wohl die zarte Beſorgtheit, mit der ſich Kinkel um ſie bemühte; allein ſie täuſchte ſich nicht über den wahren Charakter dieſer Aufmerkſamkeit. Immer kam ſie ihm freundlich und wohlwollend entgegen, ohne daß ſie Gefühle gegen ihn heuchelte, die ſie nicht beſaß, und die auch er nicht zu erwecken gedachte. So verlebten ſie eine ſtille und friedliche Zeit, deren ſanfter Strahl nach und nach die Vergangenheit mit einer leiſen Ne— belhülle umwob.

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Eines Tages langte ein Brief von Paul an, worin dieſer dem Freunde ſeine Verlobung mit einem guten und liebenswürdigen Mädchen meldete. Die Liebe hatte dieſen, ſonſt nie von der Poeſie entflamm— ten Jüngling zum Dichter gemacht, und freudig über— raſcht ſprang Gottfried, als er das kleine Lied geleſen hatte, auf, und rief jubelnd: „Gott ich danke Dir! Jetzt brauche ich nicht mehr für Paul zu beten!“

Gegen Ende des Sommerſemeſters erwachte in Kinkel eine mächtige Sehnſucht nach der fernen Hei— math, und den Ufern des Rheines. Nicht unlieb war es ihm daher, als ihn zu Ende Auguſt ein Brief ſeiner Schweſter nach Hauſe rief, worin ihm die ſtei— gende Kränklichkeit ſeiner Mutter gemeldet ward. So betrübend ihm dieſe Nachricht kam, hatte er ſie doch lange vorausgeſehen, und hoffte, ſich am Rheine kla— rer über ſeinen Lebensberuf zu werden, und vielleicht dort ein liebendes Weib zu finden, das ihm den be— vorſtehenden Verluſt ertragen hülfe, und die ungeſtillte Sehnſucht ſeines Herzens in treuer Hingabe auszufül— len vermöchte.

Vevor er Berlin verließ, führte ihn der alte Weiß noch einmal in das Innere des Schauſpielhau— ſes. Ein ſeltſames Gefühl durchſtrömte den Jüngling, als der freundliche Greis in dem großen Saale, wo die Büſten deutſcher Dramatiker aufgeſtellt ſind, auf einige leere Niſchen hindeutend, mit beziehungsvollem Tone ſprach:

„Es ſind noch Plätze frei!“

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Nach einem herzlichen Abſchiede von der Familie Weiß und Schlöſſing's ſagte Gottfried ſeinen am Poſtwagen ihn erwartenden Freunden Ade, und fuhr leichten Sinnes und fröhlichen Herzens zum halliſchen Thore hinaus, der Heimath entgegen, die ihn mit unzerbrechlichen Banden gefeſſelt hielt.

Drittes Buch.

Der Heimath Schmerz. Bonn.

Herbſt 1835 bis Herbſt 1837.

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1.

In der Heimath kam für Kinkel eine traurige Zeit. Seine Mutter fand er gefährlich erkrankt, und leiden— der als je. Sie ſelbſt konnte ſich nicht verhehlen, daß ihr Ende nahe ſei. Mit der kindlichſten Treue be— mühte ſich Gottfried ihre Schmerzen zu verſüßen, und erwartete trauernd, aber ergeben in den Willen des Herrn die Stunde, welche Mutter und Sohn auf au ſcheiden ſollte.

Dazu kam das drückende Gefühl, daß er jetzt allein ſtand. In Berlin hatte er trotz mancher weh— müthigen Erfahrung doch im Ganzen eine herrliche und unvergeßliche Zeit verlebt; jetzt blieb ihm nur Bögehold, an den er ſich inniger anſchloß, und der briefliche Verkehr mit den rings in der Ferne zer— ſtreuten Jugendfreunden. Vor Allem verdient jedoch der herzliche Umgang mit Emanuel Geibel erwähnt zu werden, welcher ſich den Winter hindurch in Bonn aufhielt, und ihn mächtig zur Poeſie anregte, die ihm jetzt das einzige Heilmittel blieb. Ein Gedicht aus ſeiner damaligen Lebensperiode mag hier Platz finden,

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nicht weil es Anſpruch auf poetifchen Werth erhebt, ſondern weil es einen charakteriſtiſchen Beitrag zu Kinkels Entwicklungsgeſchichte liefert:

Einem Freunde!

„Als ich zürnte mit dem Leben, Gab mir guten Rath ein Freund; Hätt' ich mich der Kur ergeben, Hätt' ich mich zu Tod geweint.

Fordre, ſprach er, von der Erde Auch einmal ein wenig Luſt:

Ach, der Erde Güter füllten Nim meer dieſe ſtarke Bruſt!

Dann auch rieth er mir zu lie ben

Keck ein Mägdlein o wie klug! Ja fürwahr, mich quälte das nur, a

Daß zu ſtark die Flamme ſchlug.

Waſſer, Waſſer ſollt' ich trinken, Hell dann ſähe ich fürwahr: Aber das iſt ja die Wunde, Daß ich ſchaue allzu klar.

Nein o Freund, Du riethſt mir kläglich, Laß mir meine Schwermuth nur,

Die in klarem Anſchaun wurzelt, Die entſproßt des Lebens Spur,

Aber wenn zu ſcharf mich zwänget Dieſes Lebens hartes Joch:

Flieh' ich leichtgeſchwingt von dannen, Schönre Reiche blühn mir noch.

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Was das Leben mir verwehret, Tauſendfach giebt mir's die Kunſt;

Wen das Leben bitter kränkte, Hat am Reichſten ihre Gunſt.

Und ich trink' ein ſüß Vergeſſen, Leidenſchaft entflieht und Zorn, Wenn ich liebend mich verſenke In des Weines goldnen Born.

Nenne nur mein Leben ſtürmiſch, Unnatürlich ſchnell verſauſt: Nimmer mag ich Hefen trinken, Wenn der friſche Wein verbrauſt!“

So täuſchte Kinkel ſich ſelbſt über ſein eigenſtes Weſen. Durch ſein ganzes Leben ging ein großer Zwieſpalt hindurch: die Unſicherheit darüber, wohin er die ganze ungebrochene Kraft des Jünglingsgeiſtes und Jünglingsherzens wenden ſollte. Reizend und verlockend winkte ihm die Kunſt, ſich ihr ganz hin— zugeben, ganz Dichter zu ſein. Allein die Welt war rauh und ſtumpf geworden; er hielt es für Unrecht, mit dieſer unbezwungenen, nur vor Gott gebeugten Kraft des Geiſtes ſich dem großen Kampfe der Zeit zu entziehen. Doch glaubte er nicht, daß auch das Gedicht befähigt, ja berufen ſei, in dieſem Kampfe einen Platz einzunehmen, und hielt es für Entweihung, das Lied als Waffe gegen den Abſolutismus zu gebrauchen. Endlich lag ein politiſches Streben ſeinem geiſtlichen Berufe und ſeinen damaligen Anſichten zu fern; ohne ſich ein gewiſſes Ziel vorzuſtecken, ergrimmte

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ihm nur das Herz, wenn er auf unfre vermorſchten Zuſtände, auf den Druck im Norden und Süden hin— ſchaute, und er wünſchte dann manchmal eine wilde Völkerſchlacht, einen gewaltigen Krieg, der ein friſcheres Blut aufkommen ließe. Schon in ſeinem achtzehnten Jahre ſchrieb er mit Beziehung auf die unnatürliche Verwirrung aller unſerer Verhältniſſe: „Meine Lieb— lingsfarbe iſt das brennendſte Roth, weil es doch noch etwas mehr Kraft und Tiefe verräth, als die oberflächlichen Modefarben: Blau und Grün.“ Auch jetzt ſang er in einer ähnlichen Veranlaſſung:

„Was ſagt Ihr, Freunde, zu ſcharf ſei das Roth? Die Lieb' iſt roth und der funkelnde Wein,

Und roth das Blut in dem Schlachtentod:

Was aber mag ſanfter und ſchöner ſein,

Als Lieb' und leuchtenden Weines Gluth,

Als ſelig verſtrömendes Jugendblut?

Doch waren dies, wie geſagt, nur vorübergehende Empfindungen und mehr ein oftmaliges leidenſchaft— liches Aufbrauſen der freiheitsbedürftigen Jünglings— kraft, als das ernftbefonnene Streben des Mannes, der entſchloſſen iſt, Alles für den Sieg feiner Ideen einzuſetzen. Dann trat auch das Leben an ihn heran und das Verlangen nach ruhigem Beſitz, nach ſtiller Freude am eigenen Heerde, kämpfend mit der Furcht, daß er, einmal auf ewig gefeſſelt, ablaſſen müßte von der Strenge des wiſſenſchaftlichen Forſchens, das uns ewig ermüdet, aber ewig beruhigt. So in

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ſtetem Schwanken zwiſchen Kunſt, Leben und Wiſſen— ſchaft unentſchieden begriffen, ſo in allen dreien ohne feſte Beſtimmung thätig, gedachte er aus allen ſo viel zu lernen, zu gewinnen, ſelbſt zu ſchaffen, als es ſeine Unentſchiedenheit zuließe.

Dabei behielt jedoch immer die Poeſie die Ueber— hand, und Geibel, der fremde buntſchillernde Paradies— vogel, wie ihn Kinkel zu nennen pflegte, ward nicht müde, den jungen Dichter durch Wort und Lied an— zufeuern und zum Wettkampfe aufzureizen. Freilich klingt der Schmerz damals durch alle Produktionen Kinkels hindurch, und als er an einem ſonnigen Herbſt— tage einen ganzen Liederſtrauß gedichtet hatte, ſchloß er wehmüthig:

„Nun ſage: war der Kranz nicht bunt? Und ward doch gewunden in Einer Stund!

Aber gerade das wahre Dichten Soll ſich nach Lebensanſchaun richten.

Bunt iſt des Frühlings Blumenpracht, Bunt auch die herbſtliche Waldesnacht—

Mußt mich aber danach nicht fragen: Ob ich Blumen, ob herbſtlich Laub getragen?

Er glaubte in dieſer Zeit ernſtlich, daß ſein Früh— ling verweht ſei; Alles löſ'te ſich, alle Kränze ſanken von ſeinem jugendlichen Haupte, und trübſelig dachte er daran, neue für den Sommerabend des Mannes—

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alters zu gewinnen. Kindheit und Greiſenalter ſind, je leerer an Thaten, deſto reicher an ruhigem Genuſſe; wie denn auch die Bäume durch ihre Blüthe uns im Frühling ſchon erfreuen und im Herbſt ihre ſüße Frucht ſchenken: aber der Sommer iſt's, der dieſelben zeitigt, obwohl ſie in dieſer Jahreszeit, farb- und ge— ſchmacklos, weder das Auge noch den Gaumen er— getzen.

Zu Anfang November trat das lange mit ängft- licher Spannung gefürchtete Ereigniß wirklich ein: Kinkel's Mutter ſtarb. Starken Geiſtes und ohne Zagen hatte ſie die Todesſtunde erwartet, und war ohne Schmerz lächelnd verſchieden. Gottfried wand ihr in ſeinem Liedereyklus: „Beim Tode meiner Mutter Maria“ einen herrlichen Todtenkranz, von dem wir die ſchönſten Blüthen in Kinkel's Gedichten “) auf— bewahrt finden. Das Andenken der Geſchiedenen bewahrte er treu ſein Leben lang, ja er ſetzte ſogar Einen Tag im Jahre: Mariä Himmelfahrt, feſt, an welchem er das Gedächtniß der Mutter, die ihm ſtets wie eine zweite Maria, duldend in Leiden, erſchienen war, feſtlich beging. Ihr Bild umſchwebte ihn ſegnend, wo er auch wandeln mochte, es erfüllte ſeine Bruſt manchmal im fröhligſten Scherz mit heiliger Wehmuth, und als er nach ſechs Monden den Trauerflor ablegte, klang ihm die Trauer drinnen im Herzen noch in die ſpäteſten Jahre durch Glück und Unglück hinüber:

*) Gedichte, S. 88—94.

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„Ging ich Abends ſtille zu der Stätte,

Wo Du, Mutter, ruhſt im engen Bette, Deine Stimme tönte da herauf:

All dies Glühen, all dies wilde Leben

Wird man einſt, wie mich, dem Staube geben, Richte Du zum Ewigen den Lauf!

Es war ein herrlicher Sommertag im Jahre 1836. Himmel und Erde hatten den Frühling, ihre Brautnacht, längſt hinter ſich und webten in ihrer fruchtbringenden Ehe luſtig fort, als vier muntre Ge— ſellen bei Spiel und Geſang in einer duftenden Geis— blattlaube des Städtchens Barmen zechend um einen ſteinernen Tiſch verſammelt ſaßen. Der eine trug einen Kranz von tiefblauen Kornblumen auf dem loſe herab— wallenden Haupthaar, und wir erkennen an den blaſſen Geſichtszügen und dem ſcharfblitzenden, unſtät umher— ſchweifenden Auge den genialen Hugo Dünweg, an deſſen linker Seite Gottfried Kinkel ſich nievergelaffen . hatte, und ſinnend ſich mit dem ihm gegenüber ſitzen— den Ferdinand Freiligrath unterhielt, der ſo eben eine Sammlung von Gedichten hatte erſcheinen laſſen, die ihm mit Recht bald einen gefeierten Namen in dem reichen Gebiet unſerer Literatur erwarb. Zur Rechten Hugo's hatte der junge Ferdinand Weiß behaglich ſeine Beine auf die Bank geſtreckt, und hielt mit der einen Hand das gefüllte Weinglas, während die andere eine

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Cither umſchlang, die mit einem blaßrothen Bande um ſeine Schulter befeſtigt war. Auf dem Tiſche lag zwiſchen fünf geleerten und einer vollen Weinflaſche ein Blatt Papier, auf dem allerlei wunderliche Bilder von der Hand des talentvollen Malers flüchtig waren hingezeichnet worden.

Nachdem Geibel ſeit einigen Monaten Bonn ver— laſſen hatte, fühlte Kinkel lebhaft den Mangel an gei— ſtiger Anregung und Förderung des poetiſchen Schaf— fens. Freilich hatte er ſich mit den Studenten Mal— lincrodt, Möller und Rauſchenbuſch zu einem poetiſchen Kränzchen zuſammengethan; allein dieſe Jünglinge ſtanden an Talent zu weit hinter ihm zurück, als daß er in jenen Zuſammenkünften die gehoffte Befriedigung hätte finden können, und ſo tauchte denn der Entſchluß in ihm auf, einige Tage mit den Düſſeldorfer Malern zu verleben, deren Bekanntſchaft ihm durch das innige Verhältniß zu Ferdinand Weiß leicht eröffnet ward. Er hatte in dieſem Kreiſe herrliche Stunden verlebt, und war mehrmals zu gelungenen Improviſationen begeiſtert worden, für die ihn der rauſchende Beifall ſeiner neuen Kunſtgenoſſen über alle Erwartung be— lohnte. Jetzt konnte er der ſchmeichelhaften Einladung ſeines alten Berliner Freundes nicht widerſtehen, vor ſeiner Rückkehr nach Bonn auf einen Tag nach Barmen herüberzureiſen, wo er auch Freiligrath treffen ſollte, den er lange perſönlich kennen zu lernen gewünſcht hatte.

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Er überzeugte ſich bald, daß Freiligrath in ſeiner Stellung als Handlungsgehülfe eines Barmer Kauf— mannsgeſchäftes dieſelbe Verlaſſenheit fühlen mußte, die ihn ſelbſt ſo beengte. Derſelbe hatte einen Kreis junger Leute um ſich herumgezogen, in welchem, nächſt ihm, Hugo Dünweg bei Weitem das hervorragendſte Element bildete; allein die Uebrigen waren mehr oder weniger unbedeutende Perſönlichkeiten, die wohl Man- ches von dem Geiſte größerer Charaktere in ſich auf— zunehmen, dagegen Wenig oder Nichts wiederzugeben vermochten.

Das Geſpräch war heute ſehr lebhaft, denn Jeder ſuchte aus dem Geiſte des Andern die ſtrahlendſten Schätze hervorzuheben, um dann noch lange nachher von den Früchten des Einen frohverlebten Tages zu zehren, und der funkelnde Rheinwein that das Seinige, um die brauſenden Gemüther noch mehr zu entflammen. Die Unterhaltung wechſelte wie ein buntſprühendes Feuerwerk auf die manchfaltigſte Weiſe. Bald trugen Freiligrath, Kinkel und Dünweg die neueſten Erzeug— niſſe ihrer Muſe vor, bald ſchlug Weiß ein kräftiges Männerlied an, in das die Freunde jubelnd mit ein— ſtimmten, bald erklangen die Gläſer hell, um haſtig geleert und wieder gefüllt zu werden, bald endlich drehte ſich das Geſpräch um Poeſie und Literatur oder Hugo, der heute in ſeiner roſigſten Laune war, ſuchte die Uebrigen zu irgend einem tollen Streiche zu bereden.

Plötzlich knarrte die Pforte des Gärtchens, und Hugo's Vater, ein rüſtiger, muntrer Mann in der

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Blüthe feiner Jahre, trat ein. Auf vorhergetroffene Verabredung ergriff Weiß das auf dem Tiſche liegende Blättchen Papier, und ſchien eifrig mit Zeichnen be— ſchäftigt. Der neuangekommene Gaſt ſetzte ſich freund— lich grüßend zu der verſammelten Genoſſenſchaft, und erfreute ſich an dem muntern Treiben. Jeder mußte einen Reim dichten, und Weiß zeichnete Bilder dane— ben. Endlich kam die Reihe an Hugo's Vater, der gleichfalls einen Reim herſagen mußte, ohne Etwas von der Verſchwörung zu begreifen, die gegen ihn an— gezettelt ward.

Nachdem Alle das letzte Glas „auf glücklichen Ausgang ihres Vorhabens“ geleert hatten, trat Hugo mit komiſcher Gravität vor ſeinen Vater hin, nahm mit einer zierlichen Verbeugung den Kornblumenkranz vom Haupte, und begann feine wohlausgeſonnene Rede:

„Luſtiger Papa, beſter aller Väter unter der bren— nenden Juliſonne über den frommen Gefilden der Wupper! Neige Dein Ohr gütig dem Worte Deines herrlichen Sohnes!“

Nach dieſer mit dem feierlichſten Pathos geſpro— chenen Apoſtrophe ſetzte er ſeinen Kranz wieder auf, lehnte ſich nachläſſig an den Rand des Tiſches, ergriff das mit Sinnſprüchen und Zeichnungen beſchriebene Blatt, und fuhr mit dem heiterſten Tone fort:

„Wie Du ſiehſt, empfing ich dieſen Morgen Be— ſuch von drei ſehr edlen Freunden, denen ich doch noth—

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wendig Wein vorſetzen mußte. Betrachte Dir einmal dies Blatt!“

Hiemit überreichte er ſeinem Vater das erwähnte Papier, auf welchem ſich folgendes Inventarium fundgab:

1) Ein Brecheiſen.

2) Ein Kellerſchloß.

3) Ein Stückfaß.

4) Ein Weinhebel.

5) Sechs Flaſchen, nebſt Gläſern. 6) Eine Cither.

7) Diverſe Knittelverſe.

5) Ein paar ſegnende Hände.

9) Scchs neue Weinflaſchen.

10) Sechs dito mit drei Fragezeichen.

Hugo erklärte ſeinem Vater, der ſich dieſe Zeichen— ſchrift immer noch nicht zu enträthſeln vermochte, die Myſtifikation folgendermaßen, indem er zu ſeiner Rede beſtändig auf die Bilder hindeutete:

„Alſo Wein mußten wir haben. Die Schlüſſel hatteſt Du mitgenommen, und damit hatte uns das Schickſal feſt und unabänderlich unſre Bahn vorgezeich— net. Wir holten ein Brecheiſen ſ. Bild No. 1 erbrachen das Kellerſchloß Bild No. 2 öffneten ein mächtiges Stückfaß No. 3 füllten mit einem Weinhebel No. 1 ſechs Flaſchen No. 5. und begaben uns in die Gartenlaube, welche Du hier in natura ſehen kannſt. Darauf waren wir höchſt fidel, ſangen und tranken, Weiß ſpielte die Cither

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Bild No. 6 dann machten wir Knittelverſe No. 7 dann kam mein luſtiger Papa, und gab den poetiſchen Maikäfern ſeinen Segen No. 8 ließ ſechs neue Flaſchen bringen No. 9 und verſprach mit No. 10 fernere ſechs, die übrigens höchſt problematiſch ſind und deßhalb drei pücklige Frage— zeichen hinter ſich führen, zugleich als Pendant zu Wallenſteins herrlichen Worten:

„Es giebt im Menſchenleben Augenblicke,

Wo man dem Weltgeiſt näher iſt, als ſonſt, Und eine Frage frei hat an das Schickſal:

Ob wohl auf zweimal ſechs und nochmal ſechs Der Flaſchen folgt ein böſer Katzenjammer???“

Herr Dünweg mußte über die Kühnheit der jungen Diebe herzlich lachen, verzieh gern ihren Muth— willen und ließ neuen Wein herbeiſchaffen. Lange noch ſaß er bei ihnen und freute ſich an ihren bunt— wechſelnden ernſten und ſcherzhaften Reden, die erſt der ſpäte Nachmittag durchſchnitt, als Kinkel und Weiß ſich auf den Rückweg begeben mußten. Hugo und Freiligrath begleiteten ihre Freunde noch bis Elberfeld, und verſprachen, bald in Bonn einen Gegen— beſuch abzuſtatten.

Alle aber trugen von dieſem Tag eine reiche Erndte nach Haus, und gedachten noch oft der fröhlich verſchwärmten Stunden in der Geisblattlaube zu Barmen.

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Sommer und Winter vergingen unter den ver— ſchiedenartigſten Arbeiten. Sein Licentiatenexamen hatte Kinkel glücklich überſtanden, und begann jetzt als Pri— vatdocent der Rheiniſchen Friedrich-Wilhelms-Univer— ſität feine Vorleſungen. Die Theologie hatte ihn nicht zum Philiſter gemacht, und er entwickelte ſeine poetiſchen Anlagen trotz aller Arbeiten zu einer immer größeren Vollkommenheit. Außer manchen lyriſchen Gedichten“) hatte er ſich auch mehrfach mit Glück in der epiſchen Poeſie **) verſucht, und aus dieſer Zeit verdient vor Allem die meiſterhafte Bearbeitung der Sage vom Tode des alten Dietrich von Berne ***) genannt zu werden.

») Mein Lied. Gedichte, S. 87. Ein Lebenstag. Daſ. S. 67. 5) Der Maure von Tetuan. Daſ. S. 11. Natur und Menſch. Daf. S. 37. Deutſche Treue. Rheiniſches Echo. 1. Band. Köln 1849 No. 5 und 6. * Gedichte. S. 8.

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Er hatte beabſichtigt, eine Sammlung ſeiner Ge— dichte im Druck herauszugeben, allein auf den Rath ſeines Freundes Ferdinand Weiß dieſen Plan vorläufig zurückgelegt, und befand ſich dabei viel glücklicher. Er dichtete jetzt wieder ganz frei, ganz innerlich, ganz ohne äußere Zwecke, er dichtete, weil es ihn dazu trieb. Dagegen ſtieg mancher Zweifel an ſeinem Talent in ihm auf; weder Chamiſſo noch Knapp hatten die ihnen zuge— ſandten Gedichte in ihren Taſchenbüchern aufgenommen und das kränkte ihn ſehr. Suchte er dann in der Wiſſenſchaft Troſt, ſo fielen ihm immer poetiſche Bücher in die Hand; wollte er denken und arbeiten, ſo ward ihm jeder Gedanke, jede ſelbſtſtändige Schöpfung zum Gedicht. Selbſt Nachts floh ihn häufig der Schlaf, oder ſein reger Geiſt dichtete noch im Schlummer fort, und träumte Romane, die in buntem Reiz an ſeiner Seele vorüberwallten.

Damals las Kinkel zuerſt Immermann's Merlin. Eine ſeltſame Angſt durchwehte ihn und ſeine Glieder zitterten. Er fühlte, daß etwas Bedeutendes an ihn heranträte, und konnte auf ſeiner Lagerſtatt die geſuchte Ruhe nicht finden. Endlich ſprang er auf und ſchrieb, während des klare Mondlicht durch die Scheiben zitterte, mit fiebernder Hand folgende Zeilen:

„Wenn mich ein Traum vom Schlafe weckt, Glaubt nicht, daß Angft der ftillen,

Gewalt'gen ſchwarzen Nacht mich ſchreckt, Schlaflos lieg' ich mit Willen;

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Bis teufliſch ſchwarz und himmliſch rein Die Phantaſieen ſchwanken: Da bin ich mit mir ſo ganz allein Und mit den wilden Gedanken!“

Obgleich ſeine Gemüthsſtimmung im Allgemeinen heiter war, traf ihn doch mancher Schmerz. Zu Ende Februar 1837 ſtarb auch ſein Vater nach unſäglichen Leiden. Gottfrieds Bruder Karl, damals Handlungs— lehrling in Elberfeld jetzt Fabrikverwalter in Werden an der Ruhr war vor dem Tode des St-jährigen Greiſes herübergekommen, und Beide hatten weinend am Sterbelager des theuren Mannes geſtanden. Es war eine traurige Zeit. Aber wie die Sykomore nicht reif wird, ohne mitten im Wachsthum verletzt zu werden, wie ihr Stamm keine Früchte trägt, wenn man nicht die Rinde von Oben bis Unten zerſpaltet, ſo gehört der Schmerz zur Lebensentwicklung des Menſchen. Und zuletzt gleicht ja der Weltgeiſt Alles aus: Luſt und Leid; wie der junge Lenz das alte Laub von den Zweigen ſtößt, damit ſich die neue Blätterknoſpe voll hervordrängen kann.

Auch Gottfried athmete wieder leicht auf, als eine feuchte, warme Frühlingsluft draußen die Flur belebte. Auch ihm brachte der Lenz neue Blüthen und Blätter, ſo oft ein Winterſturm die alten herab— geſchüttelt hatte. Sein Stamm war noch ſtark,

a u Sn und drinnen

Im Marke wohnt’ die ſchaffende Gewalt.“

Lieder dufteten auf wie Maienroſen, wie tauſend Grüße,

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die das Herz dem blauen Himmel zufandte Ein inniges Naturleben umſchlang ihn mit feſtem Band, er floh nicht mehr in eitlen Träumen aus dem Mutter— hauſe, um, ein unſeliger Augur, nach dunklen Geiſter— reichen zu ſpähen, die auch das ſtärkſte Auge mit ſchwärzeſter Nacht umhüllen, er ſtützte ſich, wie Antaios, feſt auf das lächelnde Haupt der ewigen Erde und ließ die Pracht der Natur wirken auf ſein reines

Herz:

Und wenn der Sommer reifend glüht, Dann wirf Dich untern grünen Baum, Und ſchau, wie durch die Wipfel blüht Der duftigblaue Himmelsraum.

Da ſchwindet Denken und Verſtehn, Du fühleſt ſelbſt als Pflanze Dich, Gefühle träumend Dich umwehn, Das Leben kehrt ſich ſtill in ſich.

Du möchteſt an dem Sonnenblick Hinſterben heil'gen Blumentod, Verwehn in wunderſüßem Glück Dem Wölkchen gleich im Abendroth.

So liegt im Mutterſchooß ein Kind, Tiefſelig, aber unbewußt:

Du ſei dem Kinde gleich geſinnt,

Das träumend ruht an Mutterbruſt!“

Dieſe Sehnſucht nach einer Rückkehr zur Natur ließ freilich bedenkliche Zweifel an ſeiner Religion in

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ihm aufſteigen; aber er rang fie zu bezwingen, und kämpfte ſie muthig nieder. Vorzüglich muß hier eine ſehr ſchöne Phantaſie: „des Künſtlers Kampf und Sieg“ erwähnt werden, in welcher der Zweifel perſonifieirt auftritt, und den Kampf mit dem Glauben beginnt, aber durch ein reines Herz, durch ideales Kunſtſtreben beſiegt wird. Dies in dramatiſcher Form keck umriſſene Gedicht iſt Ferdinand Weiß zugeeignet, und verdiente unbedingt gedruckt zu werden. Daß Kinkel den Kampf nicht ſcheute, davon zeugt ſein ganzes Leben, und auch ſchon das erſte Gedicht, welches einen religiöfen Zweifel ausſpricht:

„Sei ſtark, ſei ſtark und ftille, Zerriſſnes Jünglingsherz!

Denn nur aus Deiner Fülle Kommt Dir Dein reicher Schmerz.

Wärſt eitel Du und nichtig,

Wärſt kalt und matt und ſchwach: Wie jagteſt Du dann flüchtig

Dem Schein der Freude nach?

Doch Du warſt groß zu faſſen Der Schöpfung Wonnemeer; Nun bleibe auch gelaſſen, Hörſt Du fie ſeufzen ſchwer.

O Herz, haſt Du genoſſen Des Glaubens Seligkeit: Nun ſei auch unverdroſſen, Wenn Dir der Zweifel dräut!

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Du haft vermocht zu lieben, Und liebteft ohne Maaß:

Wie dürft es Dich betrüben, Daß Liebchen Dein vergaß?

Drum ſtark, o Herz und ſtille! Und fällt die Blüthe ab:

Noch bleibt ein ſtarker Wille Auf dunklem Pfad Dein Stab!

Mehr und mehr erwachte dagegen in Kinkel's Bruſt die Sehnſucht nach einer feſten und treuen Liebe, eine Sehnſucht, die ſich durch kein Arbeiten wollte verdrän— gen laſſen. Als er die Epigonen las und wenn man Immermanns Epigonen lieſt, ſo iſt das ein denkwürdiges inneres Ereigniß fühlte er ſich leidenſchaftlich erregt. Jenes Buch macht einen zerdrückenden Eindruck, man gebraucht Zeit, ehe die Sturmfluth dunkler Gefühle, welche wachgepeitſcht worden iſt, ſich wieder beruhigt. So erging es auch Kinkel. Als ſich endlich das wilde Meer in ſeinem Innern zu beſänftigen ſchien, hob ſich, wie die Lotosblume aus tobenden Wellen, die Liebe heraus. Er gedachte an die Worte Wilhelm Meiſters: „Alle Fieber der Weltgeſchichte werden endlich, wenig— ſtens in dem einzelnen Gemüthe, von zwei treuen Armen und Augen ausgeheilt.“ Auch er fieberte und war krank, wo aber blieb ihm Hebe mit dem heilenden, verjüngenden Trunk? Wehmüthig ſang er:

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„Ich weiß ein altes Kloiter, Nicht Nonnen wohnen drein,

Es ſchauen aus den Fenſtern Vier ſchöne Schweſterlein.

Das liegt auf einem Berge, Von Bäumen ſüß umweht,

Und drunten tief im Thale Träumend die Welle geht.

O wär' ich in dem Kloſter, Da würde ftill mein Blut, Das wär' ein geiſtlich Leben, Und würd' ich fromm und gut.

Und ſäß' ich in der Stube Bei all' den Kindlein zart,

Da wandelte Schmerz ſich und Glühen In Kindesglück und Art.

Und könnt ich unter den Bäumen Sitzen in wachem Traum, Da müßte des Lebens Sorge Verſiegen, verfliegen wie Schaum.

Nun aber ferne dem Kloſter Iſt heiß mein Sinn und wild,

Und fern, ach fern von den Schweſtern Wird nimmer mein Weh geſtillt!“

Doch bald ſollte auch dieſe Sehnſucht zu mächti— ger Liebe aufbrauſen. Kinkel lernte damals durch ſeine Schweſter ein junges Mädchen kennen, das ſich eine Zeit lang in Bonn aufhielt. Minna ** * war

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ein zartgebautes anmuthiges Weſen, deren ſchwächlicher Körperbau einen flammenden Geiſt verbarg. Aus der ſeidnen Wimper brach der Glanz eines tiefeindringenden dunkelgefärbten Auges hervor, und der ſanfte Mund mit den blaßrothen feingeſchnittenen Lippen zog ſich ſchön proportionirt unter der faſt griechiſch geformten Naſe hin. Sie glich mit der auffallenden Bläſſe ihrer Geſichtsfarbe, die durch kaſtanienbraunes Lockenhaar noch greller hervortrat, und mit ihrer wilden Phan— taſie mehr einer fremden Wunderblume, die eine rauhe Hand in ein ungewohntes Klima verpflanzt hatte, als den vollblühenden Roſen des ſchönen Rheinlandes, in deren Umgebung ſie ſich nicht heimiſch fühlte. Das ſchmerzliche Lächeln ihres Mundes ſchien ihre Sehn— ſucht nach einer ſüdlicheren Heimath anzudeuten, viel— leicht nach einer fernen Zauberwelt, für deren verbannte Königin ſie gelten konnte, nach einem reineren Blau, einem flüſſigeren Aether, als der kalten und feuchten Nebelluft, die ſich mit einbrechendem Herbſt über den Rhein lagert.

Dies glühende Mädchen übte eine unwiderſtehliche Anziehungskraft auf Gottfried Kinkel aus, zu dem ſie bald in der leidenſchaftlichſten Liebe entbrannte. Sie hatte ſchon einmal geliebt, aber es war eine unglück— liche Liebe geweſen, deren Schmerz ihr ganzes Leben zerrüttet und ihre Kraft gebrochen hatte. Sie ſelbſt ahnte nicht, daß ihre Geſundheit untergraben war, und daß ſie den Keim des nahen Todes mit der ver— zehrenden Gluth ihrer Leidenſchaft nähre, welche ſie

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für die Bürgſchaft eines neuen Frühlings hielt. Kinkel hätte ſie lieben können, wenn es ihm möglich geweſen wäre, ſich über ihren Zuſtand zu täuſchen; doch ſeine Liebe hätte ja die welkende Roſe noch raſcher getödtet. Minna war das erſte Mädchen, das ihn ganz verſte— hen konnte; aber ſie hätte ihm, eine zweite Hekuba, nicht Kinder, ſondern Fackeln geboren, und der Eltern Gluth hätte durch ſie, wie Priamus' Troja, das eigne Haus verbrannt. Dennoch konnte er nicht von ihr laſſen, um ſie blutete ihm das Herz, er war elend nicht aus Liebe, ſondern aus Mitleid. Sich von einem glühenden, verwundeten, wilden Herzen geliebt wiſſen, ohne die Arme ausbreiten zu dürfen und wie gerne wäre ſie hineingeſunken! Die zitternde Hand zu faſſen und nicht zu drücken und wie leidenſchaft— lich hätte fie den Druck erwiedert! Von einem holden Munde nur Worte, nicht Küſſe faugen und er würde glühend geküßt haben! O es war eine unnenn— bare Qual! Er fühlte, daß der Punkt, auf dem er ſtand, ein Höhepunkt des Lebens ſei; aber, wie über Eddyſtone's Leuchthurm das Meer, ſpülten die Wogen der Trübſal über ſein Herz hinweg, und er mußte es felſenfeſt dem Sturme entgegentragen!

Zu Anfang Auguſt begleitete er ſie auf das Dampf— ſchiff, da ſie ſich in Neuwied perſönlich um eine Stelle als Lehrerin bewerben wollte. Auf ihre Bitte hatte er ihr einige Strophen in's Album ſchreiben müſſen, und folgendes Gedicht gewählt:

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Gloſſe.

Mondbeglänzte Zaubernacht, Die den Sinn gefangen hält, Wundervolle Mährchenwelt: Steig' herauf in alter Pracht! Ludwig Tieck. „Bei des Schneees Silberſcheine

Nächtlich durch die ſtillen Straßen Gingen wir; auf glattem Steine Glitt der Fuß wohl, denn wir laſen Sternenſchrift in Himmelsreine, Welche droben angefacht Flimmerte in Wunderpracht. Ruhe wie im Paradieſe Goß in's tiefſte Herz uns dieſe Mondbeglänzte Zaubernacht.

Frühling kam, und wieder führte Ich ſie durch die Laubeshallen, Wo kein Lebenslaut ſich rührte; Stille rings, ein Blatt wohl fallen Unſer lauſchend Ohr verſpürte. Aber fern das Himmelszelt Wetterleuchtend ward erhellt, Da erwachten die Gefühle In des Abends duft'ger Kühle, Die den Sinn gefangen hält.

Winternächte muß man loben,

Frühlingsabend iſt erquickend,

Aber dennoch ſtell' ich oben

Sommertage hoch beglückend;

Denn auch davon hab' ich Proben. Schwüler Nebel deckt das Feld, Reden darfſt Du, wie's gefällt,

Träumend alle Bäume ſchwanken,

Träumend bilden die Gedanken Wundervolle Mährchenwelt.

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Herbſt mit feinen kalten, naffen Tagen kommt und trüben Nächten, Hellſte Freude will erblaſſen. Ob wir gern der Zeit gedächten, Müſſen wir fie ewig laſſen. Manchmal wohl in ftiller Nacht, Von dem Mondlicht aufgewacht, Denken wir des frohen Lebens, Rufen zu ihm, ach vergebens: Steig' herauf in alter Pracht!“

In trüber Stimmung zu Hauſe angelangt, fand er einen Brief vor, der ihm den Tod ſeines innigge— liebten Vetters Guftav .. meldete, und ihn dringeud auf einige Tage zu dem trauernden Va— ter einlud. Er beſchloß ungeſäumt dieſer Einladung Folge zu leiſten, und begab ſich ſogleich auf den Weg.

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Eine Stunde von Elberfeld im Wupperthal ab: wärts, in der Nähe der Stelle, wo jetzt der Viaduet der Düſſeldorf-Elberfelder Eiſenbahn über den Fluß führt, deſſen Anwohner durch den Ruf des Pietismus übel genug berüchtigt ſind, liegt das anmuthige Sonn— e die H... 'ſche Familie wohnte.

Es war ſpät Abends, als Gottfried Kinkel, todt— müde von der langen Fußwanderung, bei den trauern— den Verwandten anlangte. Die gewaltige Aufregung, in welcher er ſich ſeit Minna's Abreiſe befand, die Furcht, wie er ſein Verhalten gegen ſie bei ihrer be— vorſtehenden Rückkunft einzurichten habe, die belaſtende Schwüle des warmen Sommertages all' dies hatte ſein an ſich heißes Blut in außergewöhnliche Wallung gebracht. Dazu kam noch der Schmerz über den plötz— lich erfolgten Tod eines edlen Freundes und die trau— rige Veranlaſſung, durch welche Gottfried nach längerer Trennung ſeine Verwandten wiederſehen ſollte. Eliſe, die Tochter ſeines Oheims, war ein muntres und rei—

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zendes Mädchen, das, mit nicht geringen Geiſtesgaben ausgerüſtet, leicht das Herz eines jungen und leiden— ſchaftlichen Mannes gefangen nehmen konnte. In früherer Zeit hatte Kinkel oft und gern mit der ſchönen Couſine verkehrt, und auch jetzt, als er die Thür des Trauerhauſes öffnete, pochte ſein Herz, ſchoß ihm das Blut in die Wangen, als ſein Auge zum erſten Mal wieder dem Blick der erröthenden Jungfrau begegnete.

Es war der Vorabend des Tages, an welchem der verſtorbene Bruder Eliſens zur ewigen Ruhe ge— bracht werden ſollte. Gottfried nahm den lebhafteſten Antheil an dem Verluſt der trauernden Familie, und ihn belohnte reich das Vertrauen ſeiner Verwandten, die ihren ganzen Schmerz in ſeine Seele ausſtrömten. Eliſe ſaß ſtumm und in ſich gekehrt weinend an ſeiner Seite. Alle waren in einer aufgeregteren Stimmung, als je, und als Gottfried mit den Uebrigen ſein Lager ſuchte, drückte die Jungfrau krampfhaft ſeine Hand, und ſandte einen feurigen Blick in ſein Herz.

Die Nacht war lau und mild. Schlafen konnte der Jüngling nicht, die verworrenſten Gedanken kreuz— ten ſich in ſeiner Seele, und ſo ſchrieb er im Andenken an das liebevolle Entgegentreten ſeiner Couſine folgen— des Gedicht:

„Und warum weinſt Du, wenn ich klage? Was bin ich freinder Jüngling Dir? Du kannſt nicht theilen meine Plage, Du blühſt in friſcher Jugendzier.

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Dein Herz ift rein, Dein Geiſt iſt helle, Noch hat bei Dir die Liebe Raum,

Des frohen Jugendtempels Schwelle Berührte ja Dein Fuß noch kaum.

Mein Herz jedoch hat ausgeglühet, Da meine Liebe ich verlor;

Das Lied nur aus der Aſche ſprühet Als Funken ſchmerzend noch hervor.

Und dennoch theilſt Du meine Schmerzen, Und biſt ſo milde mir, ſo gut:

Wie? ahneſt Du's auch ſchon im Herzen, Wie weh verkannte Liebe thut?“

Mitternacht war lange vorüber. Gottfried hatte ſich angekleidet auf ſein Lager geworfen, und den Schlummer geſucht; allein ſein Geiſt taumelte in bun— ten Phantaſien umher, und ließ keinen Schlaf auf ſeine Wimper fallen. Es duldete ihn nicht mehr in der dumpfen Hitze des Zimmers, er wollte das Freie gewinnen. Raſch ſprang er empor, und öffnete leiſe die hintere Thür des Gemaches, welche ſeiner Be— rechnung nach in dem Hof führen mußte.

Doch welch' ein Anblick ward ihm zu Theil! Eine blendende Helle drang ihm entgegen, und er be— fand ſich auf der Schwelle des großen Saales, in welchem die Leiche des verſtorbenen Freundes im ſchwarzen Sarge ausgeſtellt war. Vom blaſſen Schim— mer der heruntergebrannten Todtenkerzen beſtrahlt, ſaß ein wunderſchönes Weib im leichten fliegenden Nacht—

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kleide zu Häupten der Leiche, und bewegte inbrünftig betend die Lippen. Das aufgelöſte Haar wallte über die ſchneeweißen Schultern auf die leichtbekleideten Hüften herab, und die weißen Hände lagen zuſammen⸗ gefaltet auf den Knieen.

Gottfried wußte nicht, wie ihm geſchah. Er wollte umkehren und ſich unbemerkt in ſein Zimmer zurückſchleichen, allein das träumende Mädchenbild hielt ſeinen Fuß auf der Schwelle gefeſſelt, und er wagte nicht ſich zu regen.

Plötzlich faßte der Zugwind aus dem geöffneten Fenſter ſeines Schlafgemaches die Thür, und ließ ſie knarrend hinter ihm ertönen.

Das Mädchen fuhr empor, Eliſens Auge traf den lauſchenden Jüngling. Eine glühende Röthe ſchoß ihr in's Geſicht, und erſtarrt, wortlos ſtanden ſich Beide gegenüber.

Gottfried fand zuerſt die Sprache wieder, und erzählte den Grund ſeiner zufälligen Ueberraſchung. Eliſe brach in ein lautes Weinen aus, und wußte Nichts zu erwiedern. Sanft trat der Jüngling näher, legte ſeine Hand auf ihr Haupt, und verſprach ihr bei der Leiche des Bruders ewiges Schweigen über das Geheimniß dieſer Nacht.

Glühend zog ihn das Mädchen an ihr Herz, und lag faft beſinnungslos an feiner Bruſt.

Leiſe machte ſich Gottfried aus ihren Armen los und verſuchte fie zu tröſten. Die wunderbarſten Ge

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fühle wogten in ihm auf und nieder, er glaubte einen Wink des Himmels in dem Schickſal dieſer Stunde zu ſehen und die Liebe, welche er ſo lange vergeblich ge— ſucht, endlich hier an der Leiche des Freundes gefunden zu haben. Er hielt es für eine Sünde, dies herrliche Mädchen zu verlaſſen, Tod und Leben, Traum und Wachen verſchlangen ſich zu den mährchenhafteſten Phantaſien.

Die letzte Kerze verloſch und noch ſtand die ſilberne Mondſichel am Himmel, als ſich Gottfried von Eliſen nun ſeiner Angeſichts des Todten verlobten Braut mit einem langen, innigen Kuſſe trennte.

Er warf ſich, noch fiebernder als zuvor erregt, auf's Bett, und fiel bald in einen tiefen Schlaf. Ein toller Traum neckte ſein Herz in der Mor— genſtunde, wo böſe Geiſter, von der nächtlichen Runde zurückgeſcheucht, dem Lager der Menſchen nahn, und ihre Stirn mit wehendem Saum des Gewan— des ſtreifen, um ſie mit böſer Luſt zu erfüllen, mit Wahn und Angſt zu berücken und ihren Geiſt zu verwirren.

Er ſah Eliſen im Brautkleide ſtehen, bereit einem fremden Manne die Hand zu bieten. Nur die Myr— thenkrone fehlte noch dem ſeidnen Haar, mit feſtem, dürrem Wort ſprach ſie: „Es iſt vorbei!“ Da zer— riſſen mit gewaltigem Ton alle Saiten ſeines Innern, die Leidenſchaften erhoben ſich gleich wilden Beſtien, die keiue Kette länger zu bezähmen vermag:

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„Der Löwe: Zorn ſteht auf und brüllt nach Raub, Der Tiger: Eiferſucht dehnt lang die Klauen, Hyän': gekränkte Ehre ſträubt den grauen Dichtborſt'gen Nacken, ſchüttelnd Leichenſtaub, Haß gegen Deinen Buhlen fletſcht den Zahn,

Dem Wolfe gleich will ſich die Hand ihm nahn, Und ganz entwachſen ihrem Herrn und Meiſter, So warfen ſich die losgebundnen Geiſter

Auf mich heran und vor mir ſelber zitternd Umarmt' ich wild Dich, Deinen Putz zerknitternd.

Da riß ich nieder Dich auf meinen Schooß Zum letzten Mal! und von der Lippe floß Die wilde grimme Rede ungehalten,

Indeß mein Aug' den langgewohnten alten Bekannten Pfad zu Deinem Auge fand, Und Dich zerfraß mit ſeinem düſtern Brand:

„So wehe Dir um Deinen Buhlen, Weib! Genießen wird er heute Deinen Leib;

Die Blume bricht er, die ich ſtets geſpart, Obgleich ſie mein durch eignen Willen ward;

Er trinkt den Becher aus mit vollen Lippen, Daran ich kaum nur wagte leis zu nippen.

Für dieſe Nacht, wenn ich im Mantel ſteh' Auf kalter Straße, und zum Fenſter ſeh',

Dem hellen, das dann plötzlich ſich verdunkelt: Bei jedem Stern, der Eurer Gluth dann funkelt! Für dieſe Nacht ha! ſie ſchafft um zum Greis Den Jüngling! zahlet er mir hohen Preis!

Mag er die höochſte Lebensluſt erringen:

Das bittre Todesweh muß ihn durchdringen! Denn, falſches Weib, zum Fluch uns Beiden, höre, Was ich mit aufgehobener Rechten ſchwöre:

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Einſt kommt der Tag e nean’ ihn lieber: Nacht! Da reiß' ich ihn aus Deinen weißen Armen,

Zu Boden ſchleudr' ich ihn mit Zornesmacht,

Es ſoll mein Dolch in ſeinem Blut erwarmen!

Doch Du biſt mein, und Was ich mein genannt,

Hat keine Macht dem Starken je entwandt;

Aufblühen ſollſt Du, Lilie, jetzt ſo bleiche,

Die Brautnacht feiern wir ob ſeiner Leiche!“

Und wie ich ſprach, ſo rollte mir das Blut Zum Herzen wilder, wie durch Zaubergluth; Ich preßte Deine Hand mir an das Herz, Da fühlt' ich plötzlich kalten Todesſchmerz, Jählings ftand ſtill der ſchnellen Pulſe Pochen, Weh' mir, mein ſtarkes Herze war gebrochen! Da mußt' ich laſſen Dich, ich ſank zur Erde, Derweil vergebens Du mich aufwärts zogeſt Und über mich Dein blaſſes Antlitz bogeſt, Die Hand zur Stirn gelegt mit Klaggeberde. So löſt' in Frieden ſich des Haſſes Kampf, Die Senne ſpannet ſich im Todeskrampf.“

Als Gottfried erwachte, ſchien bereits der helle Tag durch das Fenſter, welches Gottfried zu ſchließen verſäumt hatte, und das Todtengeläut für den Ver— ſtorbenenen klang wehmüthig in das Herz des Jüng— lings, der ſich nachdenklich mit der Haud über die Stirn fuhr, um ſich auf das bunte Abentheuer der vergangenen Nacht zu beſinnen. Er bedurfte des Be— denkens, um zwiſchen Traum und Wirklichkeit zu unter— ſcheiden. Wo fing die letzte an, wo hörte der erſte auf? Nach einer großen Geiſtesanſpannung folgt eine bedeutende Erſchlaffung der Seelenkräfte, und das

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erfuhr auch Gottfried, als er verwirrt nnd müde die Leiche ſeines Freundes auf den Friedhof begleitete. Er beſchloß noch einige Tage auf dem Gute ſeines Oheims zu verweilen und ſeine Bewerbung um die

ſchöne Eliſe H. . . .. fortzuſetzen.

In dieſer Zeit ſind viele Gedichte auf ſeine Ge— liebte entſtanden, deren raſcher und ſtets wechſelnder Geiſt ihn immer mächtiger an ſich zog. Er trug kein Verlangen, ſich dieſer ſanften Feſſel zu entziehen, ſon— dern gab ſich ganz in die Gewalt des bezaubernden Mädchens:

„Tritt ein, tritt ein, o Herrin hehr, Tritt in den Garten ein!

Die Blumen grämten ſich ſo ſehr,

Daß ihnen Deiner Augen Schein Leuchtete nicht bisher.

Tritt ein, tritt ein, o Herrin ſchön, Tritt ein in's luftge Haus!

Die Berge winken, die blauen Höhn,

Die Gründe lieblich überaus Grüßen Dich mit Getön.

Tritt ein, tritt ein, o Herrin traut, Tritt in mein Herz herfür!

Es ſchlug ſo hoffnungswild und laut,

Und ſprengte ſehnend auf die Thür, Wollte empfahn die Braut.

Tritt ein, tritt ein, o Herrin hold, Ganz in Dein Eigenthum!

Die Schlüſſel will ich, ächt von Gold

Dir knieend bieten; ſei mein Ruhm, Lächle Das ſei mein Sold!

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Oft auch dachte er an Minna und den Augenblick, wo er ſie wiederſehen mußte, da er nun doch ewig für ſie verloren war; allein er fürchtete ſich nicht vor dieſem Moment, weil ſie ja keine Anſprüche auf ein Herz erheben konnte, das bereits gebunden war.

Als er von Eliſen Abſchied nahm, deren Hand ſein Oheim ihm um ſo freudiger bewilligt hatte, als er ſich in dem Neffen einen Sohn wiedergeſchenkt ſah, ließ Gottfried ihr folgendes Gedicht, das er in den letzten Tagen flüchtig hingeworfen hatte:

„Ein Spiegel iſt die Seele, Ein Spiegel die ganze Welt,

Sie wirft zurück getreulich, Was immer in ſie fällt.

Vor meiner Seele ziehen Tauſend Bilder vorbei;

Der Spiegel iſt groß, drum faßt er Geſtalten vielerlei.

Herrliche Ritter und Helden, Frauen aus alter Zeit,

In Rüſtung und Gebände Ziehen ſie ſchön gereiht.

Alter Völker Geſchichten, Prächtiger Städte Fall,

Großer Könige Thaten Strahlet ſie wieder all'.

Frühling mit ſeinen Roſen, Berge im Waldeskranz,

Ströme rauſchend ergoſſen Wiederleuchten im Glanz.

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Durch einander wogen

Flüchtig die Bilder im Reihn; Ewig darinnen ſtehen

Bleibet Ein Bild allein:

Ruhend an Weibesherzen Träumet ein Jüngling ſüß, Ueber ihm ſchwebt ihrer Lippen

Roſiges Paradies.

Ueber die ſtrengen Züge Gießt blauer Augen Paar

Mildverklärenden Schimmer Aetherglänzend und klar.

Weißt ja, ich bin der Jüngling, Träumend in Wonneruh: Aber der blaue Aether, Liebchen, Wer wär' es, als Du?

Laß die Geſtalten wogen Flüchtig in tollem Reihn,

Bleib' in der Seele ſtehen Ewig dies Bild allein!“

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Auf der Fahrſtraße, welche von Remagen aus, den Apollinarisberg zur Rechten laſſend, ins höhere Gebirg ſteigt, und nach der hohen Landskron hinauf— führt, ging an einem drückend heißen Sonntagnach— mittag eine Geſellſchaft Bonner Gäſte bergan, die das herrliche Ahrthal vor Anbruch des Herbſtes noch einmal beſuchen wollte. Kinkels Schweſter war durch eine dreitägige Reiſe nach Kreuznach zum Pfarrer Gobat von ihrem in letzter Zeit feſt ausgeſprochenen Plane: Miſſionarin zu werden, einigermaßen zurück— gebracht, und zugleich mit Minna wieder in Bonn angelangt, welche letztere die geſuchte Stelle in Neu— wied erhalten hatte und nun noch einige Tage in Bonn zubringen wollte, bevor ſie dieſelbe antrat.

Johanna Kinkel hatte in den vergangenen Wochen viele körperliche Leiden auszuſtehen gehabt. Ihre kalte, trotzige Lebensverachtung war dadurch noch ſchroffer hervorgetreten, und ſie zeigte ſich verfinſterter und ab— ſtoßender, als je. So ward ſie ihrem Bruder mehr und mehr entfremdet, ſo daß Gottfried fürchtete, ihre

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Herzen würden ſich nie wieder ganz zufammenfinden. Wilhelm Bögehold dagegen, der jetzt faſt täglich mit ihr verkehrte, verlor unter ihrem Einfluß allmälig ganz die einſtige Friſche ſeines Charakters, er ließ ſich durch ſie auf die Bahn derſelben pietiſtiſchen Stumpf— heit hinreißen, und ſchloß ſich feſter und feſter an ihr verſtarrtes, weltverbittertes Herz an.

Minna war durch das Gedicht, welches Kinkel ihr ins Album geſchrieben hatte, nicht gewarnt worden; ſie erſchien zurückgezogen, aber nur um ihre innerſte Gluth nicht leidenſchaftlich hervorbrechen zu laſſen. Sie täuſchte ſich ganz über die Stellung, welche der Geliebte ihr gegenüber einnahm, ſie legte ſeine rück— ſichtsvolle und zartſchonende Aufmerkſamkeit als Beweis ſeiner Liebe aus, und heftiger, als zuvor, brannten die verborgenen Flammen in ihrer Bruſt.

Heut' hatte ſie ſich von Gottfried bereden laſſen, mit ihm, ſeiner Schweſter und Bögehold, einen Aus— flug in die Ahr zu machen. Da Jeder ſeine Dame führte, fügte es ſich von ſelbſt, daß Kinkel gewöhnlich um Minna beſchäftigt ſein mußte, und nur mit Mühe konnte ſie ihre Gefühle beherrſchen. Jener ſuchte das Geſpräch auf die reich abwechſelnden Naturſchönheiten der Landſchaft zu lenken, und träumend hing ſie an ſeinem Arme, wenn er die Sagen der umliegenden Ortſchaften erzählte oder Bruchſtücke aus der Geſchichte des Ahrthals zum Beſten gab.

Auf der Höhe des Fahrweges angelangt, wo ſich derſelbe durch den niedern Wald bis zum Köhlerhofe

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hinzieht, raſteten ſie eine Weile, um die herrliche Aus— ſicht zu genießen, welche ſich hier den überraſchten Blicken aufſchließt. Man überſchaut den Rhein mehre Stunden weit, und drüben am rechten Stromufer dehnen ſich die Städtchen Linz, Erpel und Unkel, bis endlich links Honnef und die Höhen des Siebengebirges auf der einen, Rolandseck auf der andern Seite die— ſelbe abgrenzen. Im Wäldchen, deſſen ſchattige Wipfel ſie vor der heiß erglühenden Sonne ſchützten, verlor Minna ihr Taſchentuch und das Suchen nach demſelben trennte ſie mit dem Geliebten von den Uebrigen. Sie preßte leidenſchaftlich ſeine Hand, und das Geſpräch ſtockte. Minna war ganz gelöſet in Liebe. Auf der Bergesſpitze, wo ſich die freieſte Ausſicht über Rhein und Ahr erſchließt, las Kinkel Gedichte von Eichendorff vor. Hernach ging es nach dem freundlich gelegenen Heppingen, wo eine treffliche Sängerin, Fräulein Un— kell, durch ihren meiſterhaften Geſang, die Gefühle noch ſteigerte. Der Tag war ſelig durch die Macht jener wunderbaren, unbeſtimmten Empfindungen, welche Natur, Geſang und Liebe in der Menſchenſeele wach— rufen.

Gegen Abend ging es nach Remagen zurück. Es hatte mittlerweile geregnet, und der Weg war ſchlüpfrig und feucht geworden. Minna fühlte ſich tödtlich er— ſchöpft, und mehrmals ruhte die ganze Fülle des ſchönen herrlichen Weibes an der ſtarken hochaufſchlagenden Bruſt des geliebten Mannes. Auf der Rückfahrt nach Bonn erzählte Kinkel das Mährchen von der Lands—

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fron, von den drei Jungfrauen, welche ein Wunder aus der Gefahr des Todes errettete. Minna hatte ſich der Hand Gottfrieds bemächtigt, die ſie krampf— haft umſchloſſen hielt, ohne daß ihr Druck erwiedert ward. Erſt um Mitternacht langten Alle in Bonn wieder an.

Am folgenden Morgen war Minna ernſt und traurig, und ging dem Geliebten abſichtlich aus dem Wege. Sie mochte mit der dem Weibe eigenthüm— lichen Empfindung gemerkt haben, daß Jener gegen ihre glühende, offenkundige Zärtlichkeit für einen Lieb— haber viel zu kalt geweſen. Um ſo mehr drängte es ihn, ihr eine Erklärung zu geben. Er bat ſie um einen Spaziergang durch den Garten. Seine Schweſter und Bögehold riethen ab, aber es war zu ſpät, er hatte einmal gebeten.

Ihre Hand ruhte wieder auf ſeinem Arm, das wilde Herz ſchlug, die Bruſt hob ſich, und ihr Auge ſenkte ſie zur Erde. Das Geſpräch ſtockte.

„Sie ſind ſo ernſt“, ſagte Gottfried.

„Mir iſt's immer fo, daß ich äußerlich am Ru— higſten bin, wenn es drinnen am Meiſten ſtürmt“, klang die Antwort.

Eine gewaltige Pauſe er konnte die Beklommen— heit nicht länger ertragen.

„Sie ſind alſo bewegt, und ich ſollte jetzt nicht mit einer Eröffnung hervortreten, die ich Ihnen ſchuldig zu ſein glaube. Doch ich weiß, Sie ſind ein ſtarkes Mädchen. Weil ich Sie denn für die

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erfte meiner Freundinnen halte, darf ich Ihnen Etwas nicht verhehlen, das mich ſehr nahe angeht.“

„Und mich!“ hauchte die unglückliche Jungfrau, deren armes, großes Herz er brechen mußte.

Nach einer Pauſe fuhr Gottfried fort: „Zugleich glaube ich Ihnen, liebe Minna, ein Vergehen abbitten zu müſſen ich habe vielleicht an Ihnen geſündigt Minna, dieſe Hand, die ich Ihnen geſtern ſo freund— lich ließ, dieſe Hand iſt nicht mehr frei ich bin Verlobter!“

Mit wildem Schmerz riß ſie zuckend ihre Hand aus der ſeinen, und erſtarrte.

„O Gott Minna können Sie mir ver— geben?

Sie faßte feine Hand wieder und drückte fie; reden konnte ſie nicht.

„Minna, wenn ich recht ahne, ſo müſſen Sie mich verabſcheuen, ich habe ihr Herz gebrochen! Minna, Sie können mich nicht mehr lieben, vielleicht nur haſſen, aber vielleicht achten Sie einen jungen Mann, der mit einem ſo herrlichen Herzen, wie dem Ihrigen, kein frevelndes Spiel treiben will!“

Sie traten in die Laube.

„O liebſte Minna, wie geht es Ihnen? Reden Sie! Sind Sie gefaßt? Ich weiß, ein Herz, wie das Ihre, wird nicht einſam bleiben, Sie werden einen beſſern und tüchtigern Mann finden, als ich es bin (ſie ſchüttelte ſchmerzlich das Haupt), wenigſtens einen beſonnenern.“

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Noch war ihr Schmerz wild; darum fuhr er fort:

„Ich bin ein Mann und muß meiner Pflicht getreu ſein, ich darf Sie nicht lieben! Aber ge— täuſcht habe ich Sie nicht. Und nun noch Eins, Minna! Jetzt wirkt auf Sie noch meine Gegenwart und Sie können mich anblicken ohne Zorn. Ich bin mir bewußt, Ihre Neigung gegen mich nie genährt zu haben. Aber wenn Sie allein ſind, wenn Sie einer vergangenen Zeit gedenken, werden Sie Sich an Manches erinnern, das Sie wohl als ein Zeichen meiner Liebe ausgelegt haben, an manche Artigkeit, manche Aufmerkſamkeit, an ſo Vieles, das ſich ja Alle ſchuldig ſind, deren Bahnen neben einander herlaufen. Dann wird ein bittres Gefühl in Ihnen auftauchen, als hätte ich Sie getäuſcht, und Sie werden mich vielleicht verabſcheuen. Das vergebe ich Ihnen gern, und Sie können, wenn dieſer Fall eintritt, im Voraus meiner Verzeihung gewiß ſein. Und nun leben Sie wohl, meine Pflicht ruft mich, ich muß Sie ver— laſſen!“

Dann ging er mit langſamen Schritten aus der Laube, ſie aber brach in ein lautes Weinen aus, und nur mit Mühe vermochte Kinkel's Schweſter ſie wieder zu beruhigen. Gottfried aber fühlte ſich von jener Stunde an unglücklich.

Am andern Tage war er dumpf und zerknickt. Bögehold und Keßler, mit welchem Letzteren er gleich— falls viel verkehrte, ſuchten ihn zu einer gemeinſchaft— lichen Fahrt nach Köln zu bereden, um die Lyvers— berg'ſche Gemäldeſammlung noch vor dem nahebevor— ſtehenden Verkauf derſelben zu ſehen, und ſeine trübe Stimmung etwas zu zerſtreuen. Lange hatte Kinkel geſchwankt, und ſchwankte eigentlich noch, als er ſchon das Dampfſchiffsbillet in Händen hielt. Es war kein Entſchluß mehr in ihm ſeit dem Einen furchtbaren: dem herrlichen Mädchen ſeinen Traum zu zerſtören. Als aber die Freunde das Boot beſtiegen, ſprang auch er hinein. Ohne aufzublicken, ſetzte er ſich über das rechte Rad, und ſtarrte wehmüthig in die ſtäubenden zerquirlten Wogen, der Strophe von Lenau gedenkend:

„Blumen fort und Nachtigallen, Und das liebe Mädchen auch!

Meine Jugend fort mit ihnen, Alles wie ein Frühlingshauch!“

Gleich Frithjof, trieb es ihn von der verlorenen Jung— frau fort auf's weite, weite Meer, die Thränen waren

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ihm nahe, und düſter murmelte er vor ſich hin: „Vale, juventas fervida!“

In Köln ſtand er lange vor dem unvollendeten Rieſenbau des Domes, und ließ ſein Auge hinſchwei— fen über das wunderbare Werk. Die mittlere Lücke berührte ihn heute ſchmerzlicher, als je. „Wenn die Johanniskirche einſt offenbart wird,“ dachte er, „wenn das Banner der Liebe daherrauſcht über die Menſch— heit, dann bauen alle Confeſſionen, zu Einer Religion verbunden, die Gothiken auf und aus, dann iſt ihre Symbolik erfüllt!“ So baute ihm ſeine Phantaſie den fertigen Kölner Dom hin, und ließ ihn eine Weile den eignen Schmerz vergeſſen.

Bald aber trieb es ihn aus dem wirren Getüm— mel der öden und freudloſen Handelsſtadt nach Hauſe zurück, und ein ängſtliches, zaghaftes Gefühl beſchlich ihn, als er ſein Zimmer betrat, das ihm in ſeiner Trauer jetzt ſo unheimlich und fremd vorkam.

Als er unter ſeinen Büchern umherkramte, fiel ihm der Ofterdingen von Novalis in die Hand, der ihn noch vor einem Jahre ſo oft zur Poeſie entflammt hatte. Schon als er das Gymnaſium beſuchte und mit einigen Freunden unter den Namen „Teutonia“ eine Geſellſchaft geſtiftet, welche ſich zum Zweck ſetzte, ſich gegenſeitig das Verſtändniß deutſcher Geſchichte und Literatur zu erſchließen, hatte er ſich den Namen Heinrich von Ofterdingen beigelegt; denn jedes Mitglied dieſer Geſellſchaft wählte ſich einen mittelal— terlichen Dichternamen. Jetzt ward ihm die Bedeutung

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jenes Namens klar. Er dünkte ſich ſelbſt jener Heinrich in dem lieblichen Städtchen am Fuße der Wartburg, und die Sehnſucht nach der „blauen Blume“ ergriff ihn mit unbezwinglicher Gewalt. Nicht Minna konnte die leuchtende Mährchenblüthe ſein, auch ſeine Braut nicht, ſo ſehr er ſein Herz befragte. Träumend las er weiter und weiter, die tolle Zauberwelt umfing ihn, und endlich warf er ſich weinend auf einen Seſſel, der „blauen Blume“ gedenkend.

Plötzlich fühlte er einen ſanften Schlag auf die Schulter. Er blickte empor, und begegnete dem freund— lichen Auge des Pfarrers Wichelhaus, eines herrlichen, gemüthvollen Mannes, der den unglücklichen Freund zu tröſten kam.

Mit ſcharfer Klarheit durchſchaute dieſer den See— lenzuſtand Kinkels, und enthüllte ihm mit mildem Wort die ganze Gefahr, in welcher ſein geiſtiges Leben ſchwebte, ſich abzujagen und leidenſchaftlich, zu ver— zehren.

Wichelhaus war ein Mann, der bei feurigen Na— turen leicht für unthätig galt, weil er nie eine Arbeit unternahm, die er nicht mit voller Luſt und einem Ueberſchuß von Kraft betreiben konnte. Kinkel dagegen beſaß noch eine zu geringe Kenntniß des Lebens; er wollte die Dinge beherrſchen, ohne ſich ihnen rein paſſiv hingeben zu können. Letzteres verſtand Göthe ſo meiſterhaft, und hat darum ſo Gewaltiges vermocht. Er rieth ſeinem Freunde, das Winterſemeſter hindurch keine Vorleſung zu halten, ſondern eine längere Reiſe zu unternehmen.

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Kinkel verſprach, als der Geiſtliche ihn verließ, über deſſen Rathſchläge nachzuſinnen, und fand bald, daß derſelbe Recht habe. Er hatte ſchon lange beab— ſichtigt, ein Werk über die chriſtliche Kunſtgeſchichte zu ſchreiben, und dazu bedurfte es einer größeren Reiſe, am Liebſten nach Italien. Er beſchloß, den Reſt ſeines väterlichen Vermögens an eine ſolche Reiſe zu ſetzen, und hoffte von derſelben ſo viel Stoff mit— zubringen, daß ſeine äußere Exiſtenz durch fleißiges Arbeiten geſichert erſchiene. Zugleich bedurfte ſeine fortwährend kränkliche Schweſter nicht minder, als er, einer ſolchen Erholung, und erklärte ſich mit Vergnü— gen bereit, ihn nach dem ſüdlichen Frankreich, der Schweiz und Italien zu begleiten.

Unter Hesperiens Himmel hoffte Kinkel die Lö— fung feines Wehs zu finden; ftatt des Denkens wollte

er das Leben, ſtatt des Lernens den Genuß fuchen,

und bemühte ſich raſch alle jene Vorkehrungen zu tref— fen, welche zu einer längeren Reiſe erforderlich ſind. Freilich wunderten ſich Manche, und tadelten den jun— gen Privatdocenten, welcher, wie ſie meinten, ſo leicht— ſinnig die einmal begonnene Laufbahn unterbrach, er aber kümmerte ſich nicht um die ziſchelnden Zungen ſeiner Collegen, und ließ ſein helles Auge weit über der Heimath dumpfes Leid hinſchweifen in die lachen— den Gefilde einer fernen Zukunft.

Viertes Buch.

Italien.

October 1837 bis März 1838.

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Eine alte und ächte Weisheit liegt in dem ererbten Glauben an Stufenjahre; nur muß man denſelben geiſtig umdeuten. Es giebt Stufenjahre auch im Leben des Geiſtes, und Wer wollte läugnen, daß dieſe höchſt gefährlich werden können? Es ſind jene Entwicklungs— perioden, in denen eine neue Epoche des geiſtigen Daſeins ſich eröffnet, und die bei den verſchiedenen Menſchen in ganz andere Zeitmomente fallen, als die Stufenjahre des Leibes. Nie aber ſind dieſe Perioden dem Geiſte bedenklicher geweſen, als in unſerem Jahr— hundert. Jetzt iſt das Leben nicht mehr ein Kunſtwerk, wie es im Mittelalter war, wo die Kunſt Alles um— ſchloſſen hielt, ſondern, dem Zeitalter entſprechend, das auf den Thron der Kunſt die Induſtrie geſetzt hat, vergleicht es ſich mit der ängſtlichen und treibenden Haſt der Dampfſchiffe und Eiſenbahnen. Die Glocke tönt, der Pfiff gellt, und wir müſſen eilen, nicht die Abfahrt und Weiterfahrt zu verſäumen. Der Geiſt des Knaben wird geſpornt durch Alterthum und Philo—

9 *

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ſophie hindurch zum mehr oder minder abgegrenzten Einzelſtudium; darum iſt jene Noth wiedergekommen, die ſchon Walther von der Vogelweide am Ende ſeines Lebens beklagt, daß die Alten thöricht ſeien, wie es nur den Jungen gezieme, aber leider auch, daß die Jungen alt würden vor ihrer Zeit. Der Menſch ſchreitet in dieſer ſich ſelbſt abjagenden Zeit zu ſchnell fort, ſo daß ihm, falls er nicht an dieſer einſeitigen Fortbildung der Erkenntniß auf Koſten ſeines Charak— ters zu Grunde geht, doch bange wird, weil er ſo Viel weiß und ſo Wenig iſt. Wie aber Alles, ſo werden auch jene Entwicklungen übereilt, der Knäuel, der mit leiſer Hand ſollte aufgewunden werden, ver— wirrt ſich, Menſchen entſtehen, die nicht Männer ſind und auch nicht Jünglinge mehr müde, müde bis zum Tode, das iſt unſeres thatloſen Lebens Grund— ſtimmung. Glücklich, wer in ſolchen Zeiten einen Warner findet, einen Arzt der Seele, der ihm Ruhe gebietet, der ihn aus dem Treibhauſe verpflanzt, in dem ſeine Frucht zwar frühzeitig, aber nicht voll— kräftig reift.

Kinkel war dies Glück zu Theil geworden. Hätte ihn nicht ein väterlich beſorgter Freund bewogen, ein dereinſt reich ſich lohnendes Opfer der Selbſtverläug— nung zu bringen und zur Beruhigung ſeines ſich ver— zehrenden Geiſtes aus einer erſt eben und glücklich be— gonnenen Laufbahn herauszutreten: Wer weiß, ob ſein Leben nicht unter der Laſt täglich wiederkehrender Schmerzen ſich zu Tode gehetzt haben würde?

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Es war ihm ſchwer geworden, fih auf längere Zeit von einem Berufe zu trennen, den er für einen göttlichen glaubte anſehen zu müſſen. Die Carriere eines Privatdocenten iſt ohnehin ſchon die langſamſte, und es war nicht zu verwundern, wenn Mancher die ſcheinbare Verlängerung derſelben durch ein freiwilliges Abſcheiden aus dieſem Kreiſe für thöricht anſah. Al— lein es blieb dem Jüngling keine Wahl. Dadurch, daß er in der Zeit tiefſter und ſchmerzlichſter Gemüths— erregung gerade die allergeſpannteſte Thätigkeit hatte eintreten laſſen, daß er beim Tode der Mutter das Candidatenexramen, bei dem des Vaters feine Diſſer— tation vollendete, endlich am Grabe ſeines Freundes Guſtavr HH .. den akademiſchen Lehrſtuhl beſtieg, während ihn die Qual ſeines Abſchiedes von Minna k durchzuckte, war fein Nervenſyſtem fo zerrüttet, daß er faſt daran verzweifelte, jemals noch ein blühendes, geſundes Leben zu gewinnen. Und doch entſchloß er ſich nicht leicht, den Rath des Freundes und ſeines Arztes zu befolgen, welcher Letztere ihm die Pflicht auferlegte, eine längere Reiſe in ein ſüdlicheres Klima zur Wiederherſtellung ſeiner Geſundheit zu unternehmen.

Nachdem jene Tage des Aus- und Aufräumens, jene dem geiſtigen Menſchen ſo höchſt widerwärtigen Geldgeſchäfte, jene ſteifen Abſchiedsbeſuche, überhaupt die ganze fatale Zwiſchenzeit zwiſchen einer ſolchen Reiſe und dem Entſchluſſe zu derſelben vorüber waren, kam endlich der Tag, an welchem Gottfried ſeine

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Schweſter in Oberfaffel, wohin fie Abends zuvor ihm voraus geeilt war, auf's Dampfſchiff abholen ſollte.

Sein erſter und liebſter Zuhörer begleitete ihn von ſeiner Wohnung auf dem Schloſſe Poppelsdorf durch die Allee bis an die Fähre, und trug ihm, wie es Studentenſitte iſt, zum Abſchiedsgeleit den Torniſter, welchen er, da er den größten Theil der Reiſe zu Fuß zurücklegen wollte, für ein beſonders nöthiges Geräth hielt. Am andern Ufer eilte er den Rhein herauf bis Oberkaſſel, wo er die Schweſter bereits ihn erwartend fand, und fuhr dann nach einem raſchen und herzlichen Abſchiede von ſeinem Freunde Sartorius an das nahende Dampfboot heran.

Johanna hatte darauf beſtanden, daß ſie und ihr Bruder auf dieſer Reiſe bei jeder Gabe, jeder Hülfe, bei jeder kleinen Freude ſogleich Gott ihren Dank dar— bringen wollten, und zwar mit dem hebräiſchen Spruche, den die Juden bei jedem Genuſſe herſagen: „Geſegnet ſeiſt Du, Jehovah, der Du uns Dies und Das geſchaffen, gethan, gegeben,“ worauf alsdann je nach der Art der Wohlthat die Worte anders gewählt werden. So beteten ſie auch jetzt, als ſie alle ihre Effekten, in Bonn eingeladen, richtig vorfanden, ihr 7 72 und fuhren offnen Herzens und leichten Sinnes in die herrliche Landſchaft hinein. Zum erſten Male breitete ihr Geiſt ungehemmt ſeine Schwingen in die blaue Ferne, und Gottfried hoffte, während ein lauer Wind ihm einen Gruß aus Süden brachte, fröh— liche Geneſung für ſein armes, krankes Menſchenherz.

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Vorüberflog der Drachenfels, vorüber das Sie— bengebirge, er ſagte ſeiner Wiege Lebewohl. Denn auch er war ja ein Sohn dieſer Berge, und als er noch klein war, und ſeine Welt beſchloſſen lag in dem reizenden Thale, das gottgeſegnet von dem Drachenfels längs ſanfter Anhöhen ſich hinzieht, bis der Finkenberg es nahe bei Bonn abſchließt, da hatt' er ſich oft mit wunderbarer Sehnſucht hinübergewünſcht über dieſe Berge, um zu ſehen, wie es drüben wohl ausſehen möchte. Auch wußte er aus Schreiber's Rheinreiſe, daß jenſeits wunderbare Gegenden kämen, wo trefflicher Wein wachſe, und daß da ein Bingerloch käme und ein Mäuſethurm, auch Brömſers Burg, wo die ſchöne Giſela ſich ertränkte. Aber das war ihm, wie etwa eine aſtronomiſche Karte, und nie dachte er daran, daß er jemals dahinauskommen würde.

Seitdem aber wurd' er groß und war ein Stu— dent, da wuchſen ihm ſeine Schwingen. Er ging über jene Grenzen hinaus und ſah die Wunder des Rheines und als er zurückkehrte, mußt' er geſtehen, daß er doch Nichts gefunden, das ſchöner geweſen, als das Sieben— gebirge. Und nun die Sehnſucht nach der Ferne ge— ſtillt war, da klammerte er ſich erſt recht mit Liebe an das ſchöne Vaterland an, und im ſandigen, nebligen Norden hatte er ſich ein Jahr lang geſehnt nicht nach Vater und Mutter, wohl aber nach den hohen Bergen und dem ſtolzen und tiefen Strome. Und wie er da, von Berlin zurückkehrend, zu Linz an's Land ſtieg, da

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ſah er die Siebenberge im Sonnenlicht und im Reben— kranz, und da jauchzte ihm das Herz, und er fühlte es: Schöneres möchte wohl auf Erden nicht gefun— den werden. Auch jetzt bat er zu Gott, daß er ihm dies ſtolze, freudige Heimathsgefühl, aus Italien heim— kehrend, wiederſchenken möge, ohne welches die Exin— nerung an den warmen Süd mit ſeinen Orangen und ſeinem Veilchenhimmel und ſeiner ganzen bunten Lebens— luſt dem im Norden Weilenden zur Pein werden müßte und zum verzehrenden Heimweh. \

Das Dampfboot fuhr ſchnell. Die Luft war nach langem Regen lau und ſchön und ſchmeichelte in dem bewegten Jünglingsherzen die Blüthen manchfal— tiger Gefühle wach, aufgeſchloſſen durch die hiſtoriſchen Erinnerungen und die eignen Erlebniſſe, welche die Reihe der vorüberfliegenden Städte, Berge und Ruinen in der Seele auffriſchte. Doppelt ſcharf iſt ſolche Er— innerung, wenn man von Orten, welche durch ſie ge— heiligt ſind, auf lange, vielleicht auf Nimmerwiederſehn ſcheidet. Vorbei, vorbei! Das iſt dann das Loſungs— wort, und das klingt beſonders ſtark in den Tiefen ver Seele, wenn die Fahrt fo raſch geht, wie es heute der Fall war. Dort Nonnenwerth und Rolandseck, Zeuge ſo mancher luſtigen Ausflüge aus den Studen— tenjahren und mancher ſtillgemüthlichen Fahrt mit lieben Gäſten; Honnef und über ihm der hohe runde Berg— kegel, den ein dortiger Bauer einſt einem Freunde für das Grab Etzel's erklärte. Solcher Zeichen ſind hier

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mehre: in der Höhle des Pfaffenberges bei Oberkaſſel hat das Zwerglein Egwaldus gewohnt, und die Höhle heißt noch von ihm das Zuerchenloch (Quarchenloch). Und am Ende den Drachenfels der Nibelungenſage darf ſich der Rheinländer nicht nehmen laſſen; denn die eigentliche Drachenfelſer Tradition von der Jung— frau, die, den Drachen tödtend, hier die Heiden ge— tauft, iſt wohl Nichts als dichtende Umbildung des altheidniſchen Stoffes von der Jungfrau, welche der Drache gefangen hielt, bis Siegfried ſie befreite. Doch Wer vermag all' dieſe Sagen, ihre Ent— ſtehung und Entwicklung durchzudenken? Vorbei wie jene Rieſengeſtalten und Rieſenkämpfe der Vorzeit ſind nun auch ſchon die Stellen, welche ihr Gedächtniß be— wahren. Das Thal erweitert ſich, Sinzig fern zur Rechten läßt ſeine zierliche Kirche ſchauen, die einen Meiſter hat mit der zu Ahrweiler, und die liebliche Ahr ergießt ihr klares Waſſer in den dunkelgrünen Rhein. Dann ging es weiter vorbei an Argendorf, Hönningen und Briſich, wo rechts auf ſteiler Kuppe, als wollt' es ſich hinabſtürzen, ein Schloß hervor— ſpringt, die Ruine Rheineck, zierlich im alten Stile vom Beſitzer, dem damals zu Bonn wohnenden Beth— mann-Hollweg, pietiſtiſchen Angedenkens, neu aufgebaut. Aber nun, wie das Schiff um die Felsecke biegt, zieht eine düſtre Wolke auf über Gottfrieds inwendigſte Seele, und das Auge ſelbſt iſt ihm feucht geworden. Siehe, da liegt es in der Thalſchlucht, das freundliche

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Brol, wo fein armer Jugendfreund Alexander Fauft ſeine herrlichen Lieder gedichtet. Dieſer Fauſt war ein trefflicher und ungemeiner Menſch, darum haben ihn auch die Meiſten nicht verftanden. Er war ein Bött- chersſohn aus Stettin und ſelten mag es Einen gegeben haben, dem das Lied ſo rein aus der Seele quoll, und der ſo viele Anlagen hatte ein frommer Dichter zu werden. Aber ihn hatte die fröhliche Jugend zu weit verlockt, er lebte wild, und mußte wild leben, um einen ſtillen Liebesgram zu ertödten. In der Ferienzeit aber, wenn die wüſten Geſellen fort waren dann zog auch er aus Bonn weg und begab ſich an einen der Seitenſtröme des Rheins. Von dort brachte er immer einen Cyklus der köſtlichſten Lieder mit heim; ſo hatte er Lieder von der Ahr, Lieder aus dem Harz, Lieder von der Brol und zuletzt von der Nahe. Am Ende ſeines akademiſchen Lebens aber wurd' er ſtille, als wollte er ſich beſinnen und entſagte ſeiner Liebe; doch da hielt er's nicht mehr aus, er wurde krank ſein Herz war gebrochen, es konnte der innern Gluth nicht mehr widerſtehen, und er ſtarb, kaum ins Vater— haus zurückgekehrt, an einem Blutſturz. Hier in Brol, wo ihn ſchon Todesahnungen durchzogen, hat er wollen beerdigt ſein, es iſt nicht geſchehen, ſondern er ruht auf dem hohen Stettiner Friedhofe, wo ſein Grab weit hinausweiſt nach der blauen Oſtſee, ach, dahin ſchwoll auch ſein Herz, dahin wollt' er ſein ſtolzes kaltes Lieb führen:

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„Es wiegt ſich ſchön auf leichtem Nachen u. ſ. w.“ Gefunden hat er dort den Frieden, den er begehrte in feinem letzten Liede, das er hienieden fang, freilich nicht den Frieden des beſonnenen Mannesalters in ſtiller Pfarrerwirkſamkeit:

„Wann wirſt du mir erſcheinen, du holde Friedenszeit u. ſ. w.“

Bei Brol hält das Dampfſchiff an. Traurig lehnte Kinkel am grünen Geländer des Bootes und ſchaute hinüber zu den freundlich im Herbſtesſonnen— ſtrahl erglänzenden Dächern. Er zerdrückte eine Thräne auf der heißen Wimper, und ſprach ſchmerzlich: „Leb' wohl, mein Fauſt! Dort, wo Du emft ſo fröhlich wohnteſt und von Lebensluſt ſchriebſt, hab' ich Deiner in großer Liebe gedacht!“

Und weiter keuchte das Schiff, in weißem Schaume die dunkle Fluth emporwirbelnd und zu lichten Perlen zerſprühend, die im Sonnenſtrahl tauſendfarbig er— blinkten. Neuwied trat vor. Minna erſchien auf der Landungsbrücke, um noch einmal von dem Freunde Abſchied zu nehmen. Nur ein Augenblick und der ſcharfe Ton der Glocke ſchnitt ihre Begrüßung ab. Sie ſchieden ſchwer, die Luft wurde kalt, Gottfried aber hüllte ſich feſter in ſeinen Mantel und dachte an Uhlands Wort:

„Im Vorübereilen grüßen Sich mit Blicken voll von Schmerz, Die ſich feſt und ewig ſchließen Möchten an das treue Herz!“

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Und fo festen ſich die poetischen Träume fort, bis er endlich ins Nachdenken kam über die ſchon länger beabſichtigte Ausführung eines Trauerſpiels, deſſen Plan er unter ſeinen Reiſepapieren vorgefunden hatte.

Aus dieſem Werke geiſtiger Zeugung, welches ihm den vortrefflichen Zug Hoffmann's, daß er den Meiſter Johannes Wacht gerade nach dem gewaltigſten Schmerz ein ſehr künſtleriſches Werk ſchaffen läßt, in ſeiner pſychologiſchen Wahrheit klar machte, riß ihn das anziehende Geſpräch eines jungen Mannes, den er anfänglich für einen Künſtler hielt. Das tiefliegende dunkelbrennende Auge und ein Ausdruck bunten und reichen Lebens, nebſt lächelndem Humor um den ſchönen Mund ſchien dies anzudeuten. Nur hörte man fei- nem Tonfalle an, daß er das Deutſche nicht als Mutterſprache gelernt hatte, wenn er es gleich nach der Formenlehre vollkommen richtig redete. Aber weder engliſch, noch franzöſiſch, noch nordiſch war fein Accent. Kinkel mußte ſich in der leichten Unterhaltung, in welche ſie hineinkamen, die Freiheit nehmen, ihn nach ſeinem Vaterlande zu fragen. „Ich bin ein Grieche,“ ſagt' er, „aus Macedonien, und reiſe jetzt nach Hauſe.“ Da ſchwoll Gottfried das Herz, und wie gern wär' er mit ihm gegangen in das ſchöne Vaterland, wo es, wie Schlegel ſagt, dem Deutſchen ſogleich heimathlich zu Muthe wird. Dieſes Jünglings Rede berührte ihn wie ein Hauch aus dem Süden, und ſein ſelten tiefes, aber ſtets anmuthiges, ſchnell wechſelndes Ge—

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ſpräch, feine große, aber zierliche und gewandte Geftalt gaben ihm vorläufig ein paar ächte Züge zum Ideal des Südlands. Jener hatte zehn Jahre lang in Wien und Heidelberg Mediein ſtudirt, dann auch Holland beſucht und kam jetzt von London über Paris zurück. Die Franzoſen gefielen ihm nicht, weil ſie falſch, die Engländer faſt noch weniger, weil ſie nicht zugänglich und ſehr habſüchtig ſeien. Mit den Deutſchen war er noch am Beſten zufrieden, und erzählte von ſeinem Vaterlande, wie da Alles noch natürlicher geordnet und die Wahrhaftigkeit des Wortes noch nicht durch falſche Kultur angefreſſen ſei. Das freute Gottfried innig, denn man hatte ihm die Griechen immer als treulos genannt. Im „Rieſen“ zu Koblenz brachten die Beiden einen ſehr vergnügten Abend zu; Kinkel ſaß faſt bis Mitternacht mit dem Fremden am Tiſche und ließ ſich erzählen vom Weine von Chios und Samos, den man nicht trinken kann ohne ihn mit Waſſer zu verdünnen. Weißen Wein trank der Grieche nicht; bei ihnen, ſagte er, wachſe nur rother, und das ſei ſo von Alters her. Deshalb kennt ſchon Homer nur ardorıe olvov. Mit Träumen von Chios im Haupte und Rheinwein im Kopfe ſchlief Gottfried endlich ſelig genug ein.

Am folgenden Morgen ward die Reiſe bei ſchlech— tem Wetter fortgeſetzt. Der Grieche verließ zu Kinkel's Leidweſen, der ihn gern als Reiſegeſellſchafter noch

längere Zeit behalten hätte, das Dampfſchiff, und es bedurfte einer Nachwirkung des geſtrigen Rauſches von Wein und Luſt, um eine fröhlichere Stimmung auf⸗ recht zu erhalten, als der trübe Nebel, der ſich über den Strom lagerte, ſie heraufbeſchwören wollte.

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Mit einem ſchweren Torniſter beladen, auf deſſen Rückſeite ein in dunkles Tuch eingenähter Frack befeſtigt war, ſchritt ein Wanderer rüſtig durch die Straßen von Vienne. Das ſchwarze Haar wallte lockig auf die Schultern herab, und bildete einen grellen Abſtich zu der weißleinenen Blouſe, mit welcher der Jüngling bekleidet war. In einer freundlichen Taverne angelangt, warf er Mantel und Torniſter ab, und ſchritt wieder luſtig in Begleitung eines knorrigen Schlehdornſtabes zur Thür hinaus, um das eigentliche Freudeleben des Reiſenden: das Wandern mit den Händen in der Rocktaſche zu beginnen. Gottfried Kinkel denn er war es kannte nichts Angenehmeres, als ſo auf gut Glück in einer fremden Stadt die unbekannten Gaſſen zu durchſtreifen, kurioſe Namen von den Schil— dern abzuleſen, und dann, nachdem er einen Punkt, am Liebſten einen Kirchthurm, ſich als Nordſtern er— ſehen, ohne Führer und, wo möglich, ohne Fragen ſich nach ſeinem Wirthshaus zurückzufinden. Wenn dazu ein blauer Himmel und ein ſonniges Wetter kam, ſo

144 ſtellte ſich eine leichtherzige Fröhlichkeit ein, und wenn ein eigner Zauberreiz des Reiſe-Lebens darin liegt, Abends in eine große wildfremde Stadt hineinzufah— ren, ſo iſt dem gewiß das Herumſtreifen in derſelben bei hellem Taglicht billig zu vergleichen.

Ueber Mainz, Straßburg, Colmar und Baſel war Kinkel nach Bern gereiſt, wo ſeine Schweſter wegen zunehmender Kränklichkeit mißmüthig von ihm Abſchied genommen und ſich allein auf den Rückweg begeben hatte. Noch ganz erfüllt von den Wundern des tiefblauen Genfer Sees, reiſte Gottfried jetzt die Rhone herunter und war über Bellegarde und Lyon, wo er ſich mehre Tage aufgehalten hatte, ſo eben in dem lieblichen Vienne angelangt. Die Provinzen des mittäglichen Frankreichs, von den Franzoſen le midi genannt, ſind reich an Naturſchönheiten und fremdar— tigen Reizen, die auf das ſchmerzzerriſſene Gemüth unſeres Freundes einen ſanftberuhigenden Zauber aus— übten. Er gewann allmälig wieder einen Abglanz der früheren Heiterkeit, und das alte Weh ragte nicht mehr ſo dunkel und zerſtörend in ſein jugendliches Leben hinein. Die freundlichen Briefe ſeiner Braut, welche er häufig empfing und meiſt auf die Stelle beantwortete, verdrängten die düſtern Gedanken, wenn das Bild Minna's vor ſeiner Seele aufſtieg, obgleich er ſich oft mit den bitterſten Selbſtanklagen quälte. Die Einſamkeit, in welcher der Jüngling jetzt die unbekannten Länder durchſtrich, that ihm wohl, er ließ ſeinen Blick aufmerkſam in alle Verhältniſſe eindringen, ſein Auge über alle Schönhei— ten des Südens hinſchweifen und grüßte fröhlich jeden

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Wanderer, der ihm begegnete oder eine Strecke Weges mit ihm zurücklegte. Und jetzt war all ſein Sinnen auf die Provence gerichtet, jenes fabelhafte Land der Troubadours, von dem er ſo oft geträumt hatte, und das er nun ſelbſt begrüßen ſollte.

Nachdem Gottfried eine Zeitlang die Straßen von Vienne durchſchlendert und die mächtige Kathedrale be— ſucht hatte, fand er ſich nach ſeiner Taverne zurück, verzehrte ſein einfaches Mahl, und ließ ſich wieder den ſchweren Reiſetorniſter und den leichten Mantel von dem gefälligen Hauswirth über die Schulter hän— gen. Fröhlich bezahlte er ſeine Zeche und ſchritt durch das alte Stadtthor hinaus auf den Landweg nach Tournon und Valence. Seltner benutzte er das Dampf— ſchiff, das in kaum zwölf Stunden die beträchtliche Strecke von Lyon bis Avignon zurücklegte, ſondern er ging lieber zu Fuß, um mit genügender Ruhe ſich die fremden Berggegenden und ſtolzen Ufer der Rhone zu beſchauen. Dicht vor der Stadt bog er links von der Straße ab und ſtieg za der ſteilen Höhe empor, welche ſich hier weit über den Spiegel des Stromes erhebt. Eine Zeitlang ruhte er im verlaſſenen Gemäuer eines unvollendeten Hauſes, von wo bereits ein herrlicher Ausblick ſich eröffnete, und ſchritt dann eine Treppe von einfachem Stein hoch nach der Bergeskante hinauf, immer in der Hoffnung, den Stein der heiligen Mag— dalena zu finden, der durch Menzels treffliches Gedicht: „Auch der Teufel muß ſein Recht haben“ berühmt ge— worden iſt:

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„Auf den Bergen bei Vienne Findeſt Du den heil'gen Stein. Sieh', ob Thau zurückgeblieben Morgens in des Füßchens Raum: Und geheilt biſt Du vom Lieben, Netzteſt Du die Lippen kaum.“

Ueber kleine Waſſerfälle, die glattgefroren waren, und durch wildzerriſſene Bergſchluchten klomm Gott— fried zur Höhe, wo zu ſeiner lebhaften Freude der Gartenbuchs wild hervorſproßte und einzelne Bäume trotz der ſpäten Novembertage noch grünes Laub zeig— ten. Die Rhone herab glänzte das Abendlicht durch amaranthne Wolkenzüge, kalt und blau aber ragte der beſchneite Mont Pilar vor den Blicken des Wanderers. Rechtshin hob ſich die maſſenhafte Kathedrale von Vienne aus der wunderbaren Stadt mit der leichten Brücke und der alten Burg empor; gegenüber der Thurm, von dem Pilatus ſoll herabgeſprungen ſein, deſſen Grab die Volksſage und Kirchenlegende unter einer auf freiem Feld emporſteigenden Pyramide angiebt. Der Blick in das herrliche Thal hob die Seele des Jünglings. Es berührte ihn ſo rheiniſch-heimathlich, daß er von der mächtigen Höhe gar nicht herabkonnte. Erſt der ſinkende Abend mahnte ihn zur Rückkehr, und ſo hatte er den Stein der heiligen Magdalena nicht gefunden, ja vielleicht nicht einmal ernſtlich danach ge— ſucht. Seine Liebe zu der ſchönen Elife H.........- ſchlug tiefe Wurzeln in der ſehnenden Jünglingsbruſt, ſie trieb herrliche Blüthen, und damals hätte er nim—

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mer begehrt, von dieſer Liebe geheilt zu fein. Später jedoch gab es manchmal Augenblicke ſeines Lebens, da er hätte vom luſtigen Rheine pilgern mögen an den fernen Rhoneſtrand, um auf den Bergen von Vienne die wunderthätige Kraft des Magdalenenſteines zu er— proben, und all ſein Liebesweh zu vergeſſen, das ihn verzehrte.

Von Vienne ging es weiter über Valence, Mon— telimart und Orange nach Avignon. Bei Orange ſtand er lange Zeit unter dem Triumphbogen des Ma— rius, in Erinnerungen der Vorzeit vertieft. Er ge dachte der Zeit, da hier der Römer unſere Vorväter geſchlagen, und wie dann dies ſtolze Rom in Staub geſunken iſt vor dem Arme Deutſchlands. An der heißen Quelle, die am Fuße des Römerbogens her— vorſprudelt, hingelagert, ſchrieb er dieſe Gedanken in fein Tagebuch“), und ſchritt dann, befreit von den großartigen Träumen der Geſchichte, durch das Thor, ganz ſich dem friſchen Reiz der Provence hingebend, die vor den überraſchten Blicken des Jünglings ihre bunte Mährchenwelt erſchloß. Sein Herz jubelte in ſtürmiſcher Luſt, und durchfluthet von dem Geiſte der Troubadours, die einſt auf dieſem klaſſiſchen Boden ihr keckes Liederſpiel, ihre fröhlichen Minnegeſänge hatten erſchallen laſſen, jauchzte er einen „Gruß dem Süden“ **). Dann ging es weiter in das „tönende“

) Gedichte. S. 40. Triumphbogen des Marius in der Provence. *) Gedichte. S. 95. 10 *

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Avignon mit feinen grauſamen Erinnerungen und das geſchäftige Marſeille, wo ſich das blaue Mittelmeer in die unbegrenzte Ferne ausdehnt. Nachdem Gott— fried am jenſeitigen Ufer des Var als „Tollfried“ Kinkel in das italieniſche Paßregiſter eingetragen war, pilgerte er über Nizza nach Genua, jener trübſeligen Stadt, wo es faſt unaufhörlich regnen ſoll. Weint ſie viel— leicht über ihre verſunkne Herrlichkeit, oder will der Himmel ihr klagen helfen, und ſchenkt ihr den Witt— wenfchleier der Regenwolke, wie Zeus einſt Blut weinte, da feiner Heldenſöhne einer fiel?

Von Genua ſchlug Kinkel den Weg über das ſeltner von Reiſenden beſuchte Lukka, über Piſa und Piſtoja nach Florenz ein, und pilgerte von dort über Siena und Spoleto nach Rom, wo er am erſten Ja— nuar 1838 anlangte, nachdem er noch auf der Reiſe, in Rückerinnerung an ſein ſchönes Heimathland, die chriſtliche Sage vom Drachenfels ) poetiſch bearbeitet hatte.

*) Gedichte. S. 14. Margaretha.

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3.

Kinkel war zu einer bunten Zeit in der „ewigen Stadt“ eingezogen. Kaum hatte er ſich eine Woh— nung in der Nähe des Corſo gemiethet, als ihn am Vorabende des Heiligendreikönigefeſtes ein unerhörter Lärm auf die Straße lockte. Die Römer feiern an dieſem Tage das Beffanafeft, gleichſam ein Vorſpiel des großen Carnevals, das ſich entfernt mit dem Ber— liner Weihnachtsmarkte vergleichen läßt, nur daß es in Rom weit toller hergeht. Der Reiz dieſes Feſtes beſteht darin, daß Jeder ſo viel Lärm, als möglich, erregt. In geſchloſſenen Reihen zogen die Studenten aus der Sapienza durch die Gaſſen, Jeder ein Pferde— ſteißpfeifchen im Munde, auf dem man die ſchrillend— ſten Töne hervorzubringen wußte. Zwiſchen dem Ge— wühl trieben ſich gleich anfangs die niente genannten Frauen aus den ſogenannten niedern Volksſchichten umher; denn die Frauen der nobili erſcheinen erſt ſpäter. Zwiſchen dem Schreien und Pfeifen, Schrillen und Gellen einer tofenden Menge ſchallt der Lärm des ewigen Beffanarufens, die durchdringende Stimme

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der feilbietenden Marktjungen, und es iſt zum Ster— ben, wenn man nicht ſelber mitlärmt. Kinkel, der ſich mit einigen Bekannten in das Gedränge hinein— ſtürzte, rieth den Spektakel mitzumachen, und ſo kauf— ten ſie denn ebenfalls Schnurrpfeifen und Kindertrom— peten, um in der eignen Raſerei die fremde behaglich zu finden und zu vergeſſen. Um zehn Uhr flüchteten ſie ſich in eine Trattoria, wo ſich gewöhnlich Deutſche aufzuhalten pflegten, und ſtürzten ſich dann um Mit- ternacht noch einmal in den Strudel, um am Pantheon und Corſo vorüber nach Hauſe zurückzukehren.

Mälig verrauſchte das Getümmel, Alles ſuchte den Schlaf, und vergaß den Wirbel des vergangenen Tages. Nur Gottfried lauſchte noch in die helle Nacht hinaus, und fühlte, wie der Schmerz ſeiner Seele ſich in weiche Liedestöne auflöſte. Erfaßt von dem Zau— ber dieſer heiligen Ruhe ſang er das Lied:

Nacht in Rom 9).

„Ringsum auf allen Plätzen Schläft unbewegt die Nacht; Am blauen Himmel ſtehet Der Mond in voller Pracht.

So todtenſtill ſind beide, Das alt' und neue Rom,

Und ſelbſt ihr Rieſenwächter Nickt ein, Sankt Peters Dom.

* Gedichte. S. 97.

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Nur wunderſam noch rauſchen Die Brunnen nah und fern,

Die halten wach die Seele, Die ſelbſt entſchliefe gern.

Die ſpülen aus dem Herzen Leiſe das alte Leid;

Im blauen Mondlicht dämmert Weit fort die alte Zeit.“

Bei ſeiner Ankunft in Rom hatte Kinkel einen Brief von ſeiner Braut vorgefunden, der ſeine Liebe zu ihr noch ſteigerte, und Minna's Bild mehr und mehr zurücktreten ließ. Sein Herz ſagte ihm, daß Eliſe ihn glücklich machen könne, und er gab ſich mit der reinſten Gluth dieſem Gefühle hin. Es war ihm, als hätte all' die frühere Täuſchung nur dazu dienen müſſen, ſeine Liebe zu läutern und verklären, er hatte jetzt erſt lieben gelernt. So geſtalte ſich ſein Leben friedlich und ſchön.

Kinkel's Poeſie ſchlummerte ſcheinbar in Italien. Aber Wer ſollte ſich darüber wundern? Fremde Le— benskreiſe zogen ihn in ihre Fluthen hinein, und es gehörte Zeit dazu, ſich im Süden heimiſch zu finden. Das Leben war hier ja ſelbſt Poeſie, und das träge Wort mußte ſich erſt beſinnen in dieſem Chaos neuer Geſtalten. Jene bunten heſperiſchen Farbentöne, jenes reiche ſinnliche Leben, jener ewigblaue lächelnde Himmel, jene traumhafte Ruhe der Natur bedürfen ein langes und mühevolles Studium, ehe man ſich ihrem Einfluß

paſſiv hingeben und ganz in ihnen aufgehen lernt. Und dann ſtehen wir auf einem claſſiſchen Boden, die Reſte und Erinnerungen der Vergangenheit ragen in das friſche Leben der Gegenwart hinein. Das neue Geſchlecht feiert ſeinen bunten Carneval auf den rieſigen Gräbern der Vorzeit, und wir dürfen nicht darüber zürnen. Es ſind nicht die Geſpenſter, ſondern es iſt ein Hauch vom Geiſte der alten Römer, der jene ver— klärten Gefilde durchwebt, und Wer mit dieſem Volke zu leben weiß, wird ſich bald unter ihm heimiſch fühlen. Der Reiz, welcher über die ganze Natur ausgegoſſen erſcheint, ſpiegelt ſich auch im Leben, überall begegnen wir einer ſchönen Form. Das empfand auch Gott: fried, und er wagte nicht leicht, in Italien ſeine Ge— fühle auszuſprechen, weil ihm noch die Form mangelte. Dieſe zu finden verſuchte er zuerſt in dem mitgetheil— ten Liede und dem Gedicht „Petrus“ ). Das letztere hat ihm viel Mühe und Arbeit gekoſtet. Es ward ihm immer klarer, daß das lyriſche Gedicht wohl aus dem weichen Thone des Gefühls ſchnell und fröhlich ſich bildet, das plaſtiſch-erzählende jedoch und wohl mehr noch das dramatiſche aus dem harten Mar— mor des Gegenſtandes mit Schweiß und langſamer Mühe muß heraus gehauen werden. Das Ganze ſchien ihm etwas zu lang gerathen und Manches war nicht abſolut nöthig, ohne daß er es jetzt noch hätte aus—

) Gedichte S. 20.

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merzen können. Ueberhaupt iſt es traurig, daß man an der Glocke des Liedes, wenn ſie einmal gegoſſen, wohl noch hie und da mit dem Hammer nachhelfen, einen etwaigen Sprung oder Fehler des Guſſes aber nicht mehr ändern kann, und nun leider auch nicht im Stande iſt, daſſelbe Metall zum Zweck eines neuen Guſſes noch einmal in Fluß zu bringen. Doch Gott— fried verzagte nicht; er beſchloß immer friſch zuzugießen, und mißlang Ein Guß, ſo hatten ja die reichen Schachte der Sage oder die edlen Gänge des Herzens noch feines Erz genug, um neue wohlklingendere Glocken in Maſſe gießen zu können. Der gelungenſte Guß aus dieſer Zeit iſt unzweifelhaft, um in unſerm Bilde zu bleiben, die prachtvolle Todtenglocke Roms: die Elegie „Roma's Erwachen“ ). Auch fällt in dieſe Periode ein ergreifendes frommes „Gebet“ *), das ſich ſeiner reinen Seele wie ein wallender Opferrauch entrang.

In vollſtem Maaße empfand Kinkel bald den mächtigen Eindruck des ſüdlichen Himmels. Abentheuer— lich wächſt man dort an geiſtiger Fülle, man wird reich ohne Mühe. In Deutſchland kann man auch reich werden, aber mit ſtrenger Geiſtesanſpannung; in Italien drängt ſich Leben und Kunſt an uns heran, wir füllen die Lücken aus, ohne es eigentlich zu beab—

*) Gedichte S. 143. *) Gedichte S. 141.

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ſichtigen, wir lernen im Genuß und werden groß im Schauen. Hier muß jedes kranke Herz geneſen und in der gewaltigen Schönheit und Ruhe des Alls ſelbſt als Gottes bien aimé enfant jubelnd mit ein— ſtimmen in den Hymnus der ewigen Natur.

In der kleinen Kirche San Antonio auf der Höhe des Esquilin ward Meſſe geleſen. Menſchen gingen hin und her, die Orgel brauſte und die feinen Stim— men der Kaſtraten klangen vom Chore herab. Manche Chöre dürfen nämlich nur von Männern ausgeführt wer— den, und, um nun die höheren Stimmen nicht unbeſetzt zu laſſen, greift die Geiſtlichkeit zu dem ſchändlichen Mittel, die Entmannung im Dienſte des Herrn als ein Opfer der Frömmigkeit zu lehren und ſie für den Zweck der Kirchenmuſik auszubeuten. Am Altare ſtand ein Greis in einfacher Mönchstracht, deſſen erhabene und ſchöne Geſichtszüge die volle Aufmerkſamkeit Kinkel's, der ſich unter den Anweſenden befand, in Erregung nahm. Ein ſchneeweißer Bart wallte bis auf den Gürtel herab, und das ehrwürdige Antlitz er— ſchien Gottfried wie eine Miſchung der Züge ſeines Vaters und des rüſtigen Ernſt Moritz Arndt, der am ſchönen Rheinſtrom lebte.

Wunderbare Gedanken zogen durch die Seele des Jünglings, als er ſo einſam unter den Bekennern eines fremden Gottes einem fremden Gottesdienſte bei— wohnte. Wie oft hatte dies Rom bereits ſeine Götter

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gegen neue umgetauſcht! Ein Geſchlecht verdrängte das andere, und nur der Himmel blieb ewig rein und blau, die Erde blieb ewig jung, als wollten Himmel und Erde der thörichten Kinder lachen, die den ſchönen Frieden des Alls zerſtören. Der junge Theologe fühlte ſich in dieſem Augenblick ſo erhaben über all das Leid des Menſchenlebens, all das Streiten um dieſen oder jenen Glauben, daß er vor den fremden Mönch hätte hinknieen und ihn um ſeinen Segen bitten mögen.

Da zupfte ihn ein Freund am Rocke, und winkte ihn hinaus.

„Es ſind in Deiner Wohnung Briefe für Dich angekommen,“ ſprach er, „ich glaube vom Rhein.“

Haſtig eilte Kinkel in ſeine Wohnung, wo ihm die Magd einen Brief von ſeiner Braut und einen von ſeiner Schweſter überreichte.

Freudig erbrach er den erſten, und ſank mit einem Schrei auf ſein Lager.

Eliſe meldete ihm, ein wohlhabender Mann, ein N „der eine ausgebreitete Praxis und ſogar ein Reitpferd (111) beſäße, habe ſich um ſie beworben; da es nun noch lange Zeit währen möchte, bevor er (Kinkel), der arme Theolog, ſich eine feſte Stellung geſchaffen, bäte ſie ihn, das Band, welches ſie an ihn feſſele, zu löſen.

Gottfried war vernichtet, er gedachte des Trau— mes am Tage ſeiner Verlobung, der ihn nicht belogen hatte. Noch war ein armes Jährchen nicht vorüber, und ſchon hatte ſich die Liebe ſeiner Braut in Täuſchung

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und Falſchheit verkehrt, ſchon ließ ihr Wort: „Es iſt vorbei!“ ſein glühendes Herz erſtarren. Vielleicht noch ein kurzes Jahr, und man ſchmückte ſie für den neuen Bräutigam!

Eine gräßliche Verſteinerung bemächtigte ſich des Unglücklichen, er konnte nicht denken und nicht weinen, ſein Auge war trocken und brannte ſchmerzlich in den Höhlen. Ihn erfaßte die Empfindung des Traumes er ſchwelgte im Gefühl der Rache, er hätte den Dolch bedachtſam ſchleifen und in die Bruſt des Nebenbuhlers ſtoßen mögen. Vielleicht daß das ſiedende Herz— blut des Gegners ſeine Eiſeskälte gewärmt hätte! Und dann dachte er wieder ſeine Braut als das lächelnde Weib eines Andern, ein wahnſinniger Schmerz ergriff ihn.

Allein nicht lange konnte ſein heller Geiſt in ſo düſtern Vorſtellungen umherſchweifen. Er hatte dies Weib zu ſich emporziehen wollen mit aller Kraft ſeiner Liebe und ſah ſich nun verſtoßen, verſchmäht um den ungewiſſen Beſitz irdiſcher Güter. Sein Stolz regte ſich, und linde Wehmuth zog in ſein Herz. „Sie war Deiner nicht werth,“ dachte er, „und dir bleibt ja die Schwinge des Genius, die dich hoch emportragen wird über dies dunkle Weh! Und wenn dereinſt dein Ruhm über den Erdball fliegt, dann mag die Falſche in der eignen Bruſt das Strafgericht erkennen! Wer weiß auch, ob nicht ihre Kinder nach Jahren mich aufſuchen, um meine Hülfe zu erflehn, und Dem möchte ich nicht vorſchnell ausweichen.

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„Sei Wohlthat dann mein Dolch mein Liebesbrand

Mit Vatertreue ſei auf ſie gewandt;

Und Du erkennſt vielleicht nach manchem Jahr,

Daß der den Du verſtießeſt, edel war!“ .

So beruhigten ſich die Stürme ſeiner Bruſt all⸗ mälig in ſanfteren Liedestönen und ließen das Gefühl der Bitterkeit und des Haſſes, das zuerſt in ihm auf⸗ tauchte, leiſe verfluthen. 1

Da beſann er fih auf den zweiten Brief, und eröffnete ihn langſam. Hatte das erſte Schreiben ihn ſchmerzhaft erregt, ſo mußten ihn die Zeilen, welche er jetzt durchlas, vollends zermalmen. Mit dürrem Wort ſchrieb ihm ſeine Schweſter die Nachricht von Minna's Tode, welche an gebrochenem Herzen ge— ſtorben ſei.

Beſinnungslos ſtürzte Gottfried in's Freie, und wandelte umher unter den Trümmerhaufen eines ent- legenen Stadttheils. Sein Blut hatte ſich in ſtumpfes, kaltes Blei verwandelt, er war keines Gedankens mehr fähig.

So rückte der Abend heran, und, wie es hier ſelten zu geſchehen pflegt, ballten ſich ſchwarze Wol— kenmaſſen am Himmel. Unheimlich ſchrillte das Käuz⸗ chen durch die Nacht, und Todesgedanken zogen herauf im Herzen des Jünglings. Hinter jedem Stein, jeder Säule ließ ihn ſeine Phantaſie eine vermummte Ban⸗ ditengeſtalt ſehen, die ſeinem Leben auflauere. Der Tod war ihm willkommen, ohnmächtig ließ er ſich auf

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die glatten Baſaltſteine herabſinken, und Dunkel um⸗ hüllte ſein Auge.

Wie lange er ſo gelegen, wußte er nicht. Als er aufwachte, fand er ſich auf einer einfachen Bank in einem niedrigen Hauſe. Ein ſchönes Mädchen in der Tracht einer Sennerin es war Carneval ſchaute theilnehmend in ſein blaſſes Antlitz. Dieſe Umgebung that ihm wohl, er heftete ſeinen Blick auf das Auge der Jungfrau, ach, es war blau! Er wollte reden, ach, ein deutſcher Gruß klang ihm ent— gegen! Da beſann er ſich auf Alles, lautweinend preßte er die Hand des Mädchens, und floh von dan— nen zu ſeiner einſamen Wohnung.

Es duldete ihn nicht länger in Italien. Einmal hier geneſen, und dann in derſelben Stadt gänzlich in feinen Lebens hoffnungen vernichtet, trieb es ihn fort in die Heimath. Er begab ſich in den Garten des Kapitols. Die Mandelbäume hatten ſchon ausgeblüht, und am Pfirſich drängten bereits die grünen Blätter die rothen Blüthenflocken hinweg. Die friſchen Winde von Oſtia riſſen immer mehr Blüthen herunter, wäh— rend die Goldorangen unverändert daneben glühten, und die Citronenknospen ſich am Gipfel des Baumes blicken ließen. Die Narziſſen waren ſchon welk, aber die Veilchen ſandten ihren betäubenden Duft in die Lüfte.

Es iſt ein unendlicher Schmerz, ſolche kurze Blü— thenpracht zu beſchauen. Jenes ſtarke Lenzgefühl, jenes gewaltige Naturleben des innerſten Menſchen nach dem

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träumeriſch gedankenreichen Gefühlsſchlafe des Winters, Frühlingsluſt und -ſchmerz kennt nur der Norden, wo ſich Frühling und Winter ſcheiden, wo nicht in letzteren die blühende Monatsroſe einen duftloſen Lenz, die Orange einen fruchtſpendenden Herbſt hineinlügt.

Solcher ungewiſſen Zeit ging denn auch Kinkel jetzt wieder entgegen, und ſollte dieſe Blüthen auch daheim noch einmal durchleben. Indem er aus dem Frühling floh, reiſte er ihm entgegen. „Freilich werde ich im Norden die Ruinen vermiſſen, auf denen hier ein junges Leben erblüht,“ ſprach er bei ſich ſelbſt; „ſollten mir aber auch dort ein paar Lenz— blumen des Liedes entſproſſen, ſo wird es ihnen ja in meinem Herzen an Trümmern nicht fehlen, auf denen ſie wurzeln können!“

Zu Anfang März ging er von Rom nach Neapel, und ſchiffte ſich hier nach der Heimath ein. Auf der Höhe von Civita Vecchia ſchrieb er noch den „Abſchied von Italien“, ) und langte am erſten April wieder in ſeiner Vaterſtadt an, freilich ärmer um einen herrlichen Liebestraum, aber reich durch die Wun— der des Südlands, die erſt ſpäter ſein Leben erhellen und herrliche Frucht treiben ſollten, als ſein Glück für ewig gegründet war.

* Gedichte. S. 97.

Fünftes Buch.

Kabale und Liebe.

Bonn.

Frühling 1838 bis Sommer 1843.

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„Das war ein kalter Winter, So ſprach der Roſenſtrauch, Ich bin in mir erſtorben Vor nächtlich kaltem Hauch.

Schon blühen rings die Bäume In friſcher Lebenskraft:

In meinen Stamm, ach, ziehet Kein junger Frühlingsſaft.

Muß warten lange Tage, Bis aus der Wurzel ſchießt Ein neuer Wald von Blüthen, Den noch der Grund verſchließt.

Ach, bis zu neuen Roſen Der junge Schoß gereift: Wie leicht, daß Windestoſen Sein Blatt ſchon abgeſtreift!

Ab

164

Und doch ich kann's nicht wehren, Ihn weckt der Frühlingswind: So komm an's Licht zum Leben, Mein Schoß, mein zartes Kind!

Das war ein kalter Winter, Des Liebchens Lieb' erfror,

Daß ich zu Lieb' und Leben Die junge Kraft verlor.

Muß warten, ſchmerzlich warten, Bis aus des Herzens Gruft

Ein friſches Frühlingsweben Zum Licht die Keime ruft.

Schon ungeduldig hebet Tief unten ſich empor

Die Ahnung neuer Liebe Und neuer Lieder Chor.

Doch, ach, bis Lied und Liebe Mir wieder Roſen bringt: au

So lang’ wird's, daß wohl eher Mein Todtenglöcklein klingt!“

Den ſchönſten Theil von Kinkel's Leben, ſein ganzes Jugendglück hatte ſo meinte er die ita— lieniſche Reiſe beſchloſſen. Im Norden war der Win— ter grimmig kalt geweſen, und auch der Frühling zeigte ſich ſpät und rauh. In den Kreiſen der Geſell— ſchaft drehte ſich die Unterhaltung um den Streit wegen der erzbiſchöflichen Angelegenheit zu Köln, und die katholiſche Geiſtlichkeit nahm, um den vertriebenen

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Biſchof geſchaart, dem Throne gegenüber eine ziemlich gefahrdrohende Stellung ein.

Gottfried war unter Schneegeſtöber wieder in die alte Wohnung eingekehrt, und fand, daß ſeine Geld— angelegenheiten während ſeiner halbjährigen Abweſen— heit möglichſt ſchlecht waren ausgerichtet worden. Trotz der Freude, welche ihm das Wiederſehen ſeiner Hei— math *) und die Liebe und Achtung, mit der ihn feine Freunde bewillkommneten, bereitete, faßte ihn dennoch bald genug das Elend und der ganze Jammer des nordiſchen Lebens. Auch bewegte die ſchmerzliche Trennung von ſeiner Braut und der faſt gleichzeitig erfolgte Tod Minna's noch zu ſtark ſeine Bruſt, als daß ſich die Stürme derſelben ſchon hätten beſchwich— tigen können. Ein bitteres Gefühl tauchte in ihm auf, als er zum erſten Mal wieder dieſelben Gefilde betrat, welche, einſt Zeugen ſeiner ſtillen Freude, jetzt als Zeugen ſeines wilden Grames ewig heiter ſich vor ihm hindehnten. Und dann gedachte er jener Nacht an der Leiche ſeines Freun— des, an den Bund des Lebens und der Liebe auf dem fri— ſchen Grabe, an ein großes gebrochenes, ach, um ihn ge— brochenes Mädchenherz und an ſein eignes, das ſo ſtill und traurig ſchlug. Zweifel ſtiegen in ihm empor an der Treue und Liebe, um ſchnödes Gold hatte ihn ein geliebtes Weib verſtoßen, das durch die zarteſten Bande mit ihm verbunden war, und nun ſtand er ja einſamer, als je, auf der weiten Gotteswelt. Als er ſich eini—

*) Im Vaterlande. Gedichte. S. 71.

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germaßen in feine neue Lage hineingelebt hatte, ſchrieb er bei der Nachricht von Eliſens Hochzeit folgendes Andenken an dieſe dunkle Winterzeit in ſein Tagebuch:

„Wenn ich einſt alt bin, denk' ich mit Luft daran

Vielleicht, wie ich auch jung mir ein Lieb gewann.

Der Frühhauch oftmals traf mich in ihrem Arm,

Die Lippen kühlend, nächtlich vom Küſſen warm;

Ich ging in die Ferne, da kam ihr ein Andrer für,

An Dem fand Mehr ſie, als ſie gehabt an mir: Denn er hatte ein Reitpferd.

Ich war ein armer Doktor der Theologie,

Ein Reitpferd freilich hatt’ ich beſeſſen nie,

Ein Amt noch minder, aber die Ausſicht doch

Ein armes Aemtlein lang' zu erharren noch:

Er aber täglich häufte den Geldgewinn,

Denn er war Jünger der goldnen Medizin, Und er hatte ein Reitpferd.

Ich wand dem Liebchen duftiger Kränze viel,

Mein Geiſt umſchlang fie jauchzend in buntem Spiel,

Viel' glühnde Lieder waren ihr Liebeslohn:

Doch Wagenrollen däucht' ihr ein ſchͤnrer Ton!

Wenn man ein Pferd hat, kommt man ohne Beſchwer

Auch noch zum Wagen merkſt Du? Und freilich, Er Ja, er hatte ein Reitpferd.

Mein Lieb war ähnlich einem Demantenſtein,

Hellauf zu leuchten braucht' er der Schleifung allein,

Sie wäre geworden Perle der Fraun zumal,

Der Welt Entzücken, wurde ſie mein Gemahl:

Bei Jenem wird fie braves und ehlich'is Weib,

Hübſch fleißig ſchwanger pflegt fie den ſchönen Leib, Und Er hat doch ein Reitpferd.“

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Aus dieſer bittern Stimmung in Bezug auf fein Verhältniß zu Eliſe riß ihn ein Brief der— ſelben, worin ſie ihn um ſeine Verzeihung bat, und ein reines, freundſchaftliches Verhältniß zwiſchen Beiden hergeſtellt wünſchte. Kinkel antwortete ihr in der edel— ſten Weiſe. „Ich hätte Nichts hinzuzufügen,“ ſchloß er, „wenn mich nicht Dein letzter Brief aufforderte, Dir meine Vergebung auch jetzt noch einmal mit meinem vollen Mannesworte zuzuſichern, obwohl Du meinſt, mich mehr gekränkt zu haben, als ich Dir je vergeſſen könne. Zwar warum ſoll ich Das läugnen, wie bittern Gruß Deine letzten Briefe mir in der wieder— erreichten Heimath gebracht haben? Doch Du nimmſt ſie zurück und ich bin noch nicht ſo erſtarrt, daß ich nicht fühlen ſollte, es wehe wirklich in dem allerletzten Briefe ein ganz andrer Geiſt, als in den vorhergehen— den. Möge, was Du hier mit Worten wenigſtens bekennſt, auch in Deinem Herzen Dir zur Ueberzeugung werden! Ich ſelbſt aber Du bitteſt mich darum, ſonſt würde ich ſchweigen ich ſelbſt bin ruhig und klar, leiblich wohler, als je. Ja freilich, mein früheres Feuer iſt erloſchen, aber ein unauslöſch— liches Feuer flammt nun in meiner Bruſt, deſſen zün— dender Funke keines ſterblichen Weibes Liebe, kein ver— gänglicher Jugendmuth, keine leidenſchaftliche Thatkraft iſt, ſondern einem viel höher gelegenen Gluthheerde entſprüht. Was ein Mann an feiner Jugendliebe verliert, das rechnet kein Rechenmeiſter aus; was aber

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ein Mann gewinnen kann in der allerhöchſten Trübfal, das iſt auch eine unendliche Zahl.“

Ohne Haß und Groll lernte Kinkel von nun an ſeiner verlorenen Braut gedenken, und hoffte bei an— geſtrengter Arbeit ſeinen Schmerz mit der Zeit zu überwinden.

In dieſem Gefühl entſtand jenes Gedicht, das wir zu Anfang dieſes Abſchnittes mitgetheilt haben, und das ſeine damalige Gemüthslage am Beſten ausdrückt. Als er jetzt das Reſultat ſeines bisherigen Lebens zog, erwachte lebhaft die Erinnerung an Eliſe Zeller, der einſt ſein Herz im ſchönen Jugendlenz ſo freudig entgegenſchlug; aber Paul hatte ihm ja bereits vor drei Jahren ihre Verlobung mitgetheilt, und ſo winkte ihm auch hier nur die Palme der Entſagung und ein kühlendes Cypreſſenreis der Erinnerung, das ſein Ge— dächtniß friſch und grün zu erhalten ſuchte.

An Freunden waren ihm wenige zurückgeblieben. Am Liebſten verkehrte er mit den Privatdocenten Sommer und Krafft und der Familie ſeines Freundes Wilhelm Bögehold, die zu Mülheim am Rhein wohnte. Hugo Dünweg hatte ihn bald nach ſeiner Rückkehr aus Italien beſucht, und ihn aufgefordert, den „Pre— raspes“ oder das in Berlin begonnene Epos „des Kreuzes Triumph“ zu vollenden. Träten einmal in Gottfrieds Leben ſtatt des bisherigen Unglücks freu— digere, mindeſtens ſorgloſere Zeiten ein, ſo hoffte er bei ſeinem jetzigen Leben und Studium glücklich werden zu können. In täglicher Erhebung ſeiner Seele zu

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Gott, ftrenger Haltung und Pflege des Leibes, endlich in geregelter Mäßigung des Arbeitens glaubte er die Quelle der rechten ſommerlich warmen Klarheit des Gemüthes gefunden zu haben, und war zugleich feſt entſchloſſen, jede ſich ihm darbietende Pfarrſtelle anzu— nehmen, um in ſtiller Zurückgezogenheit den verlorenen Frieden ſeines Herzens wiederzugewinnen. Sein Tage— buch gedachte er emſig fortzuführen; denn ohne ängſt— lich zu journaliſiren, wollte er doch ſeinem Mannes— alter den Genuß nicht rauben, klar die Pfade zu er— kennen, auf denen der Jüngling, ach ſo mühſam! empor— geklommen war. Ruhig wollte er ſich fortentwickeln, emſig ſuchend Baſis, Breite, Erudition zu erlangen und etwanige Lücken leiſe auszufüllen, um nach höch— ſtens zwei Jahren mit Ehren auf ein Katheder für hiſtoriſche Theologie treten zu können. Gleichzeitig wollte er ein begonnenes Werk über die „Geſchichte des Heidenthums in politiſcher, religiöſer und ſittlicher Hinſicht während der drei erſten Jahrhunderte der chriſtlichen Zeitrechnung“ fortſetzen, um durch dieſe Arbeit ſeinen literariſchen Ruf zu begründen und nicht minder ſeinen Finanzverhältniſſen mächtig unter die Arme zu greifen.

Außer Simrock hielten ſich damals mehre jüngere Dichter in Bonn auf, unter dieſen Freiligrath, Matze— rath und Wolfgang Müller. Bei ſolchen Räthen konnte auch Kinkels Poeſie nicht leicht rathlos bleiben. Matzerath freilich verſank ſchon damals ganz in Nach— ahmung fremder Dichtungen und ließ ein bedeutendes

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Talent ſchmerzlich zu Grunde gehen; Freiligrath dagegen bewährte ſich und ſchien nicht wieder ſinken zu wollen, und Müller hatte durch ſeine „jungen Lieder“ die ge— gründetſten Erwartungen wachgerufen, freilich ohne dieſelben ſpäter befriedigt zu haben. Kinkel ſpann mit allen dieſen Poeten einen dem „Rheiniſchen Odeon“ verderblichen Plan; man wollte nämlich Simrock und Freiligrath zur Herausgabe eines neuen Muſenalmanaches zuſammenketten, in dem die ganze rheiniſche Poeſie ihre Vertretung finden ſollte. In dieſer friedlichen Umgebung gewann auch Gottfried einen Abglanz der in— neren Ruhe wieder. So ſpiegelt ſich die Schönheit des Himmels nicht ſo gern im brauſenden Strome, als in der weiten, friedlich blauen See, die in ſich geſchloſſen, unbewegt und doch nicht todt, unergründlich tief, bunt im Farbenſpiel erglänzt, und doch „Stiller wie die iſt keine 2 Unter des Himmels Höh'.“

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2.

„Vom Bergland kam ich hergegangen Im letzten Abendſonnenſchein, Es glühten noch die braunen Wangen Von Bergluft, Lebensluſt und Wein; Ich kam von jauchzendem Gelage Mit einer trauten Männerſchaar Aus einer Dreizahl froher Tage, Von denen heut' der befte war.

Und Was mich ſo mit Luſt durchdrungen, So wild gemacht, Was mocht' es ſein? Manch' Liedchen hatte mir geſungen Des Pfarrers ſchelmiſch Töchterlein; Sie mochte gern vom Weine nippen, Und wenn Gelegenheit ſich gab, So fiel von ihren vollen Lippen Für mich wohl auch ein Küßchen ab.

So plötzlich hatt ich mich entriffen Der liebevollen Gegenwart. Von lautem Becher ſcheiden müſſen Und rothem Mund iſt immer hart: Da ſtandſt Du drunten in dem Thale, Mich zu empfangen kamſt Du her; Da war für mich mit Einem Male All' die vergangne Luſt nicht mehr.

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Es ſpielte auf des Haares Bräune Der Abendſonne klares Gold, Es glommen in dem rothen Scheine Die kleinen Lippen wunderhold; Stillſelig ernſt und freundlich milde, Vollkommne Jungfrau ſtandſt Du da, Wie ſonſt auf einem frommen Bilde Ich Heil'ge wohl bewundernd ſah.

Es ebnete Dein ſtiller Friede Den Lebensſturm in meiner Bruſt, Ich ward ſo weich und lebensmüde Und doch im Innern voll von Luſt. Wie einſt ich in der Mutter Arme Geruht, ein ſtilles frommes Kind, So ſchlief mein Geiſt, von Luſt und Harme Befreit, in Dir ſo fromm und lind.“

Wie uns dies Gedicht lehrt, legte eine neue Liebe ihre ſanften Schwingen um Gottfrieds ſturmbewegtes Herz. Bögehold hatte in dieſen Tagen ſeine Verlo— bung mit Fräulein Kinkel erklärt, und Johanna, die ſich jetzt noch zudringlicher, als je, in die Herzens— angelegenheiten ihres Bruders einmiſchte, wünſchte aus mancherlei Gründen und Familienrückſichten, die der Welt lieber verſchwiegen bleiben, daß Gottfried nun wechſelsweis wieder die Schweſter ihres Bräutigams, Fräulein Sophie Bögehold, heimführen möge. Mit geſchickter Hand dachte ſie dies Verhältniß zu knüpfen, ohne daß ihr Bruder oder die Jungfrau ahnten, wie bewußt ein fremdes Weib alle Fäden dieſes Verhält— niſſes unbemerkt zu lenken und zu knüpfen verſtand.

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Aeußere Umſtände begünftigten dieſen Plan in der wunderbarſten Weiſe. Kinkel, deſſen ſchmerzzerriſſene Seele vergeblich nach einer Beruhigung ihrer Leiden— ſchaften rang, mußte ſich nothwendig zu einem ſanften und frommen liebeverlangenden Mädchen hingezogen fühlen, das, wie Fräulein Sophie, den herzlichſten Antheil an ihm ſelbſt und den Verhältniſſen ſeines Hauſes nahm, und Johanna wußte es ſtets ſo zu leiten, daß die Beiden im Geſpräch ihre Gefühle gegen einander austauſchten. Häufige Ausflüge in die Ahr, das Siebengebirge und nach Oberkaſſel wurden verab— redet und ausgeführt, und ſelten verging ein ſolcher Tag, ohne daß Gottfried und Sophie ſich, wie zu— fällig, allein ſahen und ſich weſentlich näher traten. Letztere war ein liebes, ſchuldloſes Mädchen, das zwar auf hohe Geiſtesbildung keinen Anſpruch machen konnte, aber ganz dazu geſchaffen erſchien, um das wilde, fie— briſch aufgeregte Weſen ihres neuen Freundes in ſanfter Harmonie zum Einklang zurückzuführen. Gottfried ſagt von ihr: „Ruhig führt Dich Der zum Ziele, Der die Menſchenlooſe lenkt, Deine Bahn in leichtem Spiele Gehſt Du harmlos, ungekränkt; Immer klar und unbezwungen Von dem Schmerz und Todeskrampf,

Haſt Du Mehr am End' errungen Ohne Streit, als wir im Kampf.“

Dieſe Schilderung giebt uns das klarſte Bild von dem Weſen Sophiens; ihr ſtilles, frommes Herz

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war nicht gewohnt, auch wohl nicht fähig, den größten Schmerz der Erde zu faſſen und durchzukämpfen, mäch⸗ tige Zweifel hatten niemals ihre Bruſt durchtobt, ſie war ein heller, klarer Spiegel einer in ſich ſelbſt be ſeligten Ruhe, und ſchmerzhaft war ihr nur das ent- zweite, gramzerwühlte Weſen ihres Freundes, das ſie in weicher Milde auflöſ'te, ohne es eigentlich gekannt und durchdacht zu haben. Auf die zarteſte Weiſe warb Kinkel um ihre Hand, die ihm freudig von den be— glückten Eltern zugeſagt ward, ſobald er ſich erſt eine ſichere Stellung erworben hätte, und ſeine Braut als Profeſſor oder Beſitzer einer ſtillen Pfarrerwohnung heimführen könnte:

„Nach anders nichts trag' ich Verlangen, Als nur nach einer weißen Hand. Die zarten, lieben bleichen Wangen, Der Lippen dunkelrother Brand, Mondſchein des Augs aus dunklen Schlangen Der Locken alles Das iſt Tand: Das alles reizt nicht mein Verlangen, Allein die kleine, weiße Hand.

Die Hand iſt wärmſter Liebe Zeichen, So marmorweiß und marmorkühl; Nichts iſt der Wonne zu vergleichen, Wenn mit dem wärmſten Gluthgefühl Die heißen Lippen auf ihr hangen, Zu röthen ſie mit Kuſſes Brand: Drum brennt mich ewig das Verlangen Nach dir, du kühle, weiße Hand.

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Mein Herz ift wild o daß ſie's hegte In ihrer Hand mit Allgewalt! Heiß brennt die Stirn o daß ſie legte Die Hand darauf, ſie würde kalt! Ich bin von Wirren rings umfangen, Allwärts von Schmerzen wundgebrannt: Nach anders nichts trag' ich Verlangen, Als nach dem Druck der weißen Hand.

O fürchte Nichts, nicht mag ich rauben, Was ich nicht ewig halten will; Gieb kühn die Hand, Du darfſt mir glauben: Tief iſt mein Lieben, feſt und ſtill. Gieb ohne Sorgen ſie und Bangen Als treuer Himmelsliebe Pfand: Das Eine nur iſt mein Verlangen, O gieb ſie mir die weiße Hand!“

Sophie ſollte für's Erſte zu ihren Eltern nach Mülheim zurückkehren, nachdem ſie eine Zeitlang bei Kinkel's Schweſter zum Beſuch verweilt hatte. Gott— fried aber erhielt gerade am Tage, als die Einwilligung der Eltern zu dem Bündniß mit Soyphien eintraf, einen Brief von ſeinem Jugendfreunde Paul, worin Dieſer ihm mittheilte, daß die Hand ſeiner Schweſter freigeworden, indem ſie das Band, welches ſie einem Fremden verknüpfte, gelöſt habe. Ein wunderbares Gefühl ergriff ihn, als er zugleich einige Zeilen von Eliſens Hand empfing, welche ihn nicht zweifeln ließen, daß jenes Mädchen noch mit der alten Liebe an ihm feſthing, ja daß dieſe Liebe vielleicht die heimliche

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Triebfeder zu dem Bruce mit ihrem Verlobten ge: weſen war. Und gerade jetzt hatte Kinkel ſich auf ewig gebunden!

Schmerzlich berührt, aber doch glücklich im Ge— danken an ſeine neue Liebe und Gott dankend, daß er ihn der Wahl überhoben, ging er im Sonnenbrande auf den Kreuzberg, ohne doch vollen Troſt und Er— hebung zu finden. Ein nothwendiger Gang trieb ihn Nachmittags nach Oberkaſſel zu ſeinem Freunde Sar— torius und verſöhnend klang der Spruch in ſein Herz: „Das Finden und Erjagen iſt für das Himmelreich.“ Ueberhaupt ſpielte das religiöſe Element eine große Rolle in dieſer neuen Liebe; während die Gluth der Schmerzen ſein wildes und leidenſchaftliches Weſen ge— läutert und zu einer ſegensvollen Kraft umgeſchaffen hatte, lohte im Herzen ſeiner Braut nur die reine Flamme des Gebetes, die all ſein Leid in frommen Schlaf zu ſingen wußte. Als er nun Abends mit einer Geſellſchaft fröhlicher Studenten nach Bonn zu— rückfuhr und muntre Liedesweiſen in die ſtille Nacht hinausklangen: da goß die laue Sommerluft und der hinter den Bergen auflachende Vollmond auch in ſein Herz den ſtillen Frieden der Natur, und fröhlich dich— tete er am andern Morgen beim Erwachen das Lied:

Von der ſüßen Liebe.

„Der junge Morgen leuchtet in's Gemach,

Die ſtarke Sonne führet ihrer Strahlen Hellſpielend Heer zum Kampfe mit den Nebeln, Und ſchon entſcheidet ſich des Streites Wage;

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Die Sonne ringt verbündet mit dem Hauche, Der kühl von Oſten durch die Thäler ſtreicht, Den herrlich blauſten Tag den Wolken ab.

Mir iſt ſo froh, ſo wohl und ätherklar, Vollpulſend grüßt das Herz Genuß und Arbeit Des jungen Tages, wie's die Stunde bringt. Doch eh' in Ebb' und Fluth bewegten Lebens Und raſchern Denkens meine Kraft ich ſtürze, Fliegt leicht mein Geiſt empor in blaue Luft, Und heftet hoch ſich auf des Berges Zinne, Von wo ſich aufthut weit und ſchön der Blick Nach Deiner Heimath, meine ſüße Liebe!

Wie ganz ein Andrer bin ich doch geworden Mein wilder Geiſt, ich kenne Dich nicht mehr! Maaßlos vorzeit in aller Dinge Kreis

Brach ungeſtüm Dein Muth; mit Zorne faſt Eroberteſt Du, weit und weiter dringend,

Ein Alexander in dem Perſerreich

Der Wiſſenſchaft unendliches Gebiet;

Doch ſelber glücklos, denn es ſpornte Dich

Zum heißen Kampf ein quälend Schmerzgefühl Im tiefſten Buſen Sehnſucht war's nach Liebe! Prometheus gleich des Wiſſens Reich beherrſchend, Lagſt Du gefeſſelt ſelber an Dich ſelbſt,

An Deines eignen Weſens Kaukaſus,

Noch nicht in Liebe frei!

Man ſagt, daß Löwen in den gelben Wüſten, Die des Aequators Sonnengluth verbrennt, Tiefwühlend rothe Goldesklumpen ſcharren Zum Tageslicht; das iſt das ſchönſte Gold, Gediegen, maſſig wächſt es aus der Erde;

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Zwar jenen nutzlos, dennoch kämpfen ſie

Mit wildem Grimme um das eitle Spielzeug. Dem gleich ich mich! Ich rang im dunklen Schacht Mit Blut und Schweiß, auch in Gefahren oft, Von gift'gen Schwaden Irrthums krank umhaucht, Oft der Verzweiflung Abgrund vor mir ſchauend, Um's reine Gold der Wiſſenſchaft, und fand es Doch nutzlos mir; denn recht es zu gebrauchen,

In Münz' es prägend, aller Welt zu Nutz,

In künſtliche Gefäße es zu bilden,

Daran des Schau'nden Seele ſich erfreue,

Verſtand ich nicht: nun hat es mich gelehrt

Die ſüße, ſüße Liebe! .

Bon einem Bergmann geht die alte Kunde, Der brach zu einer Höhle ſich die Bahn,

Die ihm des Felſens dumpfer Ton verrieth. Er trat hinein, da faßt ein ſcharfer Zugwind Sein Grubenlicht, die trübe Flamm' erloſch. Doch nun erſt leuchteten im Innern prächtig Von eignem Glanz die edelſten Geſteine, Und oben von der Decke ſtrömte Licht Gluthroth und flammend in den Raum herab; Da hing, von eignem Feuer ſeligtrunken, Hoch der Karfunkel, und er lockte ſelbſt

Den Bergmann, ihn zu brechen vom Geſtein. So leuchtet' er ſich wieder aus der Gruft Zum friſchen Sonnentag.

Das iſt die Liebe, Die mir, dem tief in Schätzewuth Verſunknen, Mit unerhörtem Licht in's Auge brach, Und rothen Scheins die Finſterniß durchfluthend

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In warmen Zauberſchimmer Alles ſtellt,

Und mich zurückführt zu des Tages Helle.

Denn wie der Edelſtein, des Lichtes Sohn,

Auf's Menſchenaug', das lichtbedürftige, Geheime Macht übt, und es an ſich reißt,

So machte ſie mich von mir ſelber los,

Mit ſüßem Brand durchlohte ſie mein Weſen,

In ihren Gluthen ſchmolz mein ſprödes Erz,

Und meines Haſſes Schlacke ward getilgt.

Rings auf die Welt iſt Roſenſchein gehaucht,

Die Erde liegt, wie an dem erſten Morgen,

Da ſie als Ball des Schöpfers Hand geſchleudert, In Unſchuldsmorgenroth ich muß ſie lieben! So mild und freundlich nun, wie nie zuvor, Schlägt mir des Herzens jugendſtarker Puls, Jetzt bin ich Sieger erſt in jedem Kampfe,

Denn mit derſelben Macht ſchlag' ich den Feind, Die mich bezwang, nicht mehr mit Eifers Gluth, Nein, mit der ſüßen Liebe!

Was ich beſitze von gediegnem Gold,

An Weisheit, Lehre, Wiſſen vielgeſtaltig: Jetzt dient es mir, da es mir nicht mehr dient, Da ich die todten, kalten Maſſen trenne,

Und in die Welt zum Segen laſſe rollen.

O ſchnöd gehäufte Schätze des Erkennens,

Was ſollt ihr mir, wenn ihr nicht Andern dient? Jedwedem, Was ihm frommt, dem Einen Rath, Dem Andern Lehre, ernſtliche Ermahnung, Zerſchlagnen Herzen Troſt und bangen Stärke, Der jungen Pflanze regelrechte Zucht

Mit vollen Händen hinzuſtreun Das lehrt Allein die ſüße Liebe!

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So nimm mich hin! dein Eigen bin ich ganz, Laß von den Lippen trauten Kuß mir rinnen,

Umleuchte mich mit Deines Auges Glanz, Und wende all mein Streben fromm nach Innen,

Laß ruhn mich nach des Lebens wildem Tanz In Deiner Seele ahnungsvollen Minnen, Beſchwichtigt hat des Haſſes grimme Triebe Und alles Weh die ſüße, ſüße Liebe!“

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Zu Mitte Auguſt des Jahres zog Kinkel nach Siegburg, um auf ſechs Wochen für ſeinen Freund Müller das Paſtorat des Irrenhauſes und der evan— geliſchen Gemeinde des Städtchens zu verwalten. Sein Leben daſelbſt war, wie nach den Erregungen der letzten Zeit begreiflich, ſehr ſtille; leidenſchaftslos, aber glücklich; beſonnen und zu geiſtiger Anſpannung wenig aufgelegt. Der Aufenthalt in Italien wirkte nachhaltig auf feinen Geiſt, die Lectüre der Alten er— füllte ihn mit plaſtiſcher Ruhe, und die Krankheitsge— ſchichte der Irren, welche ihm von dem evangeliſchen Arzte Jakobi und dem katholiſchen Arzte Schornſtein freund— lich mitgetheilt wurde, beſchäftigte ſein Nachdenken und ward gewiſſenhaft in ſein Tagebuch eingetragen. Am letzten des folgenden Monats reiſte er nach Coblenz, um ſein Staatsexamen zu nehmen, und brachte mehre Tage des Novembers bei der Familie ſeiner Braut in Mülheim zu, deren Bruder ſich um dieſe Zeit mit Fräulein Kinkel vermählte.

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In jener Periode bildete ſich zu Bonn ein Verein von Privatdocenten, der ſich nach einer Pflanze Cha— möcia nannte, und namentlich durch Dr. Vogel be- gründet war. Außer dieſem, Lerſch, Sommer und Budde ſchloß ſich auch Kinkel dieſer neuen Verbindung kräftig an, aus welcher das energiſche Zuſammenhalten der jüngeren Univerſitätslehrer gegen die Uebergriffe der älteren Profeſſoren erwuchs. Sie kamen wöchent— lich einmal auf ihren refpectiven Stuben zuſammen, und brachten bei Wein und geſelligem Geſpräch fröhlich den Abend zu. Jeder hatte zugleich die Pflicht, aus ſeiner Wiſſenſchaft das Anziehendſte und Neueſte vor— zutragen. Kinkeln nahm Sommer die Theologie vor— weg, und ſo erklärte der Erſtere, feine Wiſſenſchaft ſei das Weintrinken, er wolle ihnen ein Abriß der „Oinologie“ vortragen. In Einem Tage und Einer Nacht ſchrieb er darauf ein Gedicht unter dieſem Titel, das eine lange, mit allerlei kurzweiligen Witzen ge— ſpickte theoretiſche Einleitung beſaß; dann folgte als Haupttheil die Geſchichte des Weines. Jene, nach— dem ſie einen heitern Abend gemacht hatte, ſtrich er ſort, und ſchliff die andere Hälfte etwas zurecht. Dies iſt das Gedicht, welches ſich jetzt unter dem Titel „die Weine“) in feiner Sammlung befindet. Unter den übrigen Gedichten jenes Zeitabſchnittes erwähnen wir noch „Dorothea“**) und Sonntagsſtille. *

*) Gedichte. S. 151. *) Gedichte. S. 16. *) Gedichte. S. 138.

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Im Frühling des folgenden Jahres trat ein Er- eigniß ein, das auf Kinkel's Leben einen entſcheidenden Einfluß ausübte. Johanna Mockel, die ſeit meh— ren Jahren geſchiedene Frau des Buch- und Muſika— lienhändlers Mathieux in Köln, kehrte, nach einer über dreijährigen Abweſenheit von Hauſe, zu ihren Eltern nach Bonn zurück. In Berlin hatte ſie ſich zu ihrer Ausbildung in den höchſten Kreiſen der Reſidenz be— wegt, und war namentlich in den Zirkeln der ewig— jungen Bettina von Arnim angeweht worden von jenem Hauche helleniſcher Lebensluſt, den dieſer Ver— kehr über Alle ausſtrömte, welche an demſelben theil— nahmen. Die Züge Johanna's feſſelten nicht durch Schönheit, aber aus dem geiſtreichen, tiefeindringenden blauen Auge, deſſen Blick ſchwer zu ertragen war, ſtrahlte ein hoher und mächtiger Geiſt; die edle Stirn umſchloß ein Meer der gewaltigften Gedanken und das glühende Herz barg einen Schatz von bezaubernden Gefühlen, den noch Niemand zu heben vermocht hatte. Ihre Geſtalt war vielleicht eher unbedeutend als erha— ben zu nennen; allein wenn der Strom der Begeiſte— rung ſie ergriff und ſie die ganze Fülle ihres großar— tigen Weſens frei ergießen durfte, dann leuchtete ihr raſches Auge im hellſten Brande und ihre Geſtalt wuchs vor den Augen des Zuhörenden ſcheinbar zu einer ſchwindelnden Höhe empor, als müßte man die Umriſſe ihrer Form im nächſten Augenblick aus dem Geſichte verlieren. Dann aber lächelte ſie wieder ſanft, und man fühlte, daß dies hohe Weib ganz der ſchönen

Erde angehöre, daß Einem die Offenbarung der rein— ſten Natur aus ihrem wunderbaren Zauberweſen ſo altbefannt und doch wieder fo täglich neu und hin— reißend entgegenträte. Ihre heitern Geſichtszüge wa— ren ſcharf ausgeprägt, ohne doch jemals wie auf den Bildern der Byzantiniſchen Heiligen ſtarr oder unbe— weglich feſt eingeſchnitten zu erſcheinen, aber die Uner— ſchrockenheit und männliche Feſtigkeit des Charakters leuchtete hell aus dieſen gedrungenen Formen hervor, die, wie ein Bild aus antikem Marmor, ſich dem Auge leicht und gefällig, dem Gedächtniß mühelos einpräg— ten. Nichts Todtes lag in ihrem Weſen, ſie war ganz Seele, wenn ſie ſich dem Geſpräche hingab, oder wenn ſie der Muſik, der ſie leidenſchaftlich ergeben war, nachhing und ein klangvolles Lied ihrer Bruſt entſtrö— men ließ, während ſie ſich ſelbſt auf ihrem Flügel be— gleitete. In Berlin hatte ſie ihr Talent noch vielſei— tiger ausgebildet und, angelockt von ihrem Rufe und den Empfehlungen Mendelsſohns und der ausgezeich— netſten Meiſter, ſtrömte ihr eine Schaar begeiſterter Schülerinnen aus Deutſchland und namentlich aus England zu, um ihren Unterricht zu genießen, deſſen Methode nah und fern die lebhafteſte Anerkennung fand.

Und doch war Johanna nicht glücklich. Das nun rechtskräftig gelöſte Mißverhältniß ihrer Ehe hatte einen bleibenden Stachel zurückgelaſſen, und die Ein— ſamkeit, in welcher ſie ihre Jugend durchſchwärmt hatte, das unbefriedigte Sehnen nach einer großen und herr—

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lichen Liebe verbreitete oft eine düſtre Melancholie um ihre ſonſt heitere und helleniſche Lebensanſchauung. In der ſtarren Geiſtesfeſſel eines orthodoxen Katholicismus erzogen, gehörte ſie zwar noch äußerlich dieſer Kirche an, ohne doch jene veralteten Satzungen, jene fabel— haften Myſterien noch inbrünſtig glauben oder gar in ihnen Troſt finden zu können für die kalte und ſtern— loſe Nacht ihres Lebens. All ihr Sinnen ſtrebte einem höheren Evangelium zu: dem Evangelium der Liebe, ohne daß ſie ſich Rechenſchaft zu geben wußte von den dunklen Gewalten, welche in der geheimnißvollen Werkſtatt ihres Herzens ein neues Daſein erſchaffen wollten.

Das innere Bedürfniß, den Schmerz ihrer Ein— ſamkeit zu objectiviren, gepaart mit einer tiefharmoni— ſchen Bildung, erweckte in ihr den Verſuch, durch das Lied ihrer Sehnſucht eine feſtere Geſtalt zu geben, und ſo ward Johanna zur Dichterin wie es vielleicht den Meiſten gehen mag: durch die Noth, durch das Elend ihres ſich innerlich abjagenden Lebens. Kunſtlos, aber wahr ſprach ſie ihr Leid in naturwahren Tönen aus, die fie dann wohl auf dem Pianoforte accompag— nirte und in die Stille der Nacht hinausſang. Fol— gende Strophen bezeichnen die troſtloſe Stimmung, welcher ſie damals oft unterlag:

„Geſpielen, die Ihr mich zu tröſten kommt:

Was Euren Schmerz geheilt, mir wenig frommt! Und bin ich krank, ſo laſſet mich allein,

Nicht Luſt, nicht Weh hab' ich mit Euch gemein.

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Einſt, geſchmückt mit Bändern und Kranz, Zogen wir aus zum Reigentanz.

Ihr lächeltet lautaufjauchzte mein Sinn! Ihr wandeltet ich flog ſtürmiſch dahin!

Wie Ihr waret in Jubel und Freud' Langſam und kalt:

So hatt' über Euch Herzeleid

Keine Gewalt.

Mich Raſchfühlende hat nun getroffen

Das Weh ſo kalt wie Eis,

Wie Eluthen bald ſo heiß:

Da mögt Heilung Ihr nimmermehr hoffen.

Dies war die Frau, welche von nun an mächtig in Kinkel's Entwicklung eingreifen, ihn über ſein inner— ſtes Weſen klarmachen und den Keim des Liedes, wel— cher in ſeiner Bruſt ruhte, zur herrlichſten Blüthe des Geſanges entfalten ſollte. Er ſah fie zum erſten Mal wieder in einer großen Geſellſchaft des ſogenannten Bonner „Salons,“ wo er unter den gewöhnlichen Tanzdamen, den Nöggerath's, Salomon's u. ſ. w. nimmer geglaubt hätte, den neuen Stern ſeines Lebens zu finden. Johanna Mockel ſang eben ein muntres Lied, als Gottfried eintrat. Eine dunkle Röthe über— flog ſeine Wangen, als er ſie ſo am Flügel ſitzen ſah, und er ſprach halblaut die Worte: „Ja das iſt ſie, das ſind noch dieſelben Augen!“ Als Kind hatte er ſie bisweilen geſehen, und zum letzten Mal in Oberkaſſel,

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als er noch ein Knabe war. Da ſtand ſie mit ſeiner Schweſter auf dem kleinen Pavillon, und ſchaute in das ſchimmernde Abendgold der untergehenden Sonne, die fern über der Kuppe des Kreuzberges verſchwand. Damals wagte er nicht ſie anzureden, er verbarg ſich hinter einem Baume, und ſah ſie dann unter den Weiden des flachen Rheinufers verſchwinden. Dies Bild tauchte jetzt wieder farbenhell in ſeiner jungen Seele empor, und mit hingebender Luſt ſog er den ſüßen Ton ihres Liedes in ſein Herz. Lauter Beifall beſchloß ihr Spiel, ſie aber trat wehmüthig lächelnd in den Hintergrund des Saales und ſtützte ihren Arm auf die Lehne eines Stuhles, Gottfried einen freund— lichen Gruß der Bewillkommnung zuſendend, von deſſen Talenten ſie manches Rühmende gehört hatte. Johanna's Stimme war ſtarktönend, aber rauh und ſcharf, und berüchtigt bei denen, die nur die Muſik im Ohr und nicht in der Seele empfinden. Auch hier hatte die Natur ihr Alles verſagt. Sie rang mit dieſer widerſtrebenden Stimme ihre Gefühle auszudrücken, und hatte ſonderbar genug geiſt— volle Menſchen oft bis zu Thränen gerührt. Sie ſang, künſtleriſch betrachtet, ausgezeichnet ſchön; ſie konnte vom Höchſttragiſchen bis zum Weichſten und wieder zum Komiſchen Alles im Geſang ausdrücken, und man vergaß bei dieſem vollendeten Vortrag, daß das Mittel, die Stimme, eigentlich ſchlecht war. Der Zufall führte es, daß der junge Privatdocent bei Tiſche den Platz an Johanna's Seite erhielt. Er

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hatte vorhin nicht in das raufchende Lob eingeftimmt, das ihr die Geſellſchaft in reichlichem und erſtickendem Maaße geſpendet; aber jetzt, wo er unbelauſcht neben ihr ſaß, dankte er ihr herzlich für ihren meiſterhaften Geſang, ihr vollendetes Spiel, das in ſeiner Seele tauſend Erinnerungen der Kindheit wachgerufen hatte. Es müſſe ein herrliches Gefühl ſein, meinte er, ſo von Allen bewundert auf der Schwinge des Genius durch die fröhliche Welt zu ſchweben.

„Das glauben Sie,“ verſetzte Johanna bewegt. „Ich höre, Sie haben ein ſchönes Talent zur Poeſie, vielleicht wird man Ihnen dann auch Weihrauch ſtreuen, und der wird Ihnen wie ein kalter Herbſtnebel auf die Bruſt fallen. Dann möchte ich ſie wiederſehen gerade in einer ſolchen Stunde, in der Sie mich in meiner Heimath begrüßen, in einer Stunde, wo Alles von der Gluth Ihrer Dichtung bezaubert ward, und dann will ich Sie fragen, ob Sie glücklich ſind,

wenn Sie nicht a. N u „Wenn ich nicht... fragte Gottfried die Stockende.

„Ich will lieber mit Einem Blick des Verſtänd— niſſes angeſehen, als tauſend Mal bewundert werden,“ fuhr Johanna leicht erröthend fort. „Alle dieſe Men— ſchen möchten für Liebhaber und Beſchützer der Kunſt gelten, aber ich glaube nicht, daß ein Einziger das Tonbild verſteht, das ihnen mein Spiel oder mein Geſang vor die Seele führen will.“

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Gottfried empfand die Wahrheit ihrer Worte, und ſchwieg. Ihr unruhiger Geiſt ging bald zu an- dern Dingen über und ſprühte wie ein brillantes Feuerwerk in tauſend Scherzen und unſchuldigen Necke— reien. Sie hatte ihn kürzlich predigen gehört über das Heimweh des Chriſten und gedacht, wie ſehr der ſchöne Jüngling der Welt müſſe entſagt haben, der auch in ihr eine leiſe Sehnſucht nach dem harmloſen Kindesſchlummer erregt hatte, mit dem ſie einſt der verlorene Klang des Glaubens umfing.

Gottfried war bezaubert von der Naivität und Natürlichkeit, welche ſich in all' ihren Aeußerungen und Bewegungen kundgab. Zugleich fühlte er aus manchem Wort, das flüchtig und ohne tieferen Bezug hingewor— fen ſchien, daß Frau Mockel nicht glücklich ſei, und er hoffte bei ſeiner warmen Begeiſterung für den Glauben der Erlöſung durch Jeſum Chriſtum, auch dieſe trau— ernde Menſchenſeele dem lichten Gottesreiche wieder— zugewinnen und ſie mit ihrem Heilande zu verſöhnen. Seine volle Jugendkraft und all ſein Leben gehörte ja dem Herrn, und er bat dieſen, als er ſpät aus der Geſellſchaft heimgekehrt war, um ſeinen Vaterſegen zu dem Werke, das er im Dienſte des Allmächtigen be— ginnen wollte.

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Von Jetzt an bereitete ſich in Kinkel eine großar— tige Umwandlung vor. Sein Leben ward reich an den manchfaltigſten Erregungen; die Woge der Ge— ſellſchaft begann ihn zu tragen, und es ging ihm wie dem jungen Schwimmer: erſt ward es ihm ſchwer das neue Element zu bezwingen, dann aber machte er die ſchnellſten Fortſchritte. Bisweilen ward es ihm wun— derbar zu Muth, wenn er an die raſche Fahrt auf der ebnen Spiegelfläche gedachte; allein unruhig fühlte er ſich nicht, weil Alles auf ein großes Schickſal hin— deutete *), deſſen er gewärtig fein mußte. Und wenn die See zu hoch ging, dann ließ er Abends die Sturz— wellen ſeines geiſtigen Lebens in den ſtillen Betrachtun— gen ſeines Tagebuches ebben, und konnte fröhlich der Zukunft entgegenblicken.

) „Es kam das Schickſal: aber als Liebe kam's, Und dann als Welthaß: aber im wilden Streit Entſprang aus Gährung mild Geſtaltung, Mächtig entquoll mir der Strom der Dichtung. (Tagebuch vom 18. März 1841.)

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Den Plan, eine zurückgezogene Pfarrſtelle anzu— nehmen, gab Kinkel auf, indem er zuerſt das ihm an— getragene Paſtorat zu Flamersheim und bald darauf ein zweites ausſchlug. Das erſtere erhielt Krafft, und die durch ſeinen Abgang erledigte Religionslehrerſtelle in den unteren und bald nachher auch in den oberen Schulklaſſen am Bonner Gymnaſium ward Kinkel zu Theil. Gleichzeitig verwaltete er ſeit mehren Jahren die Religionsſtunden im Inſtitut der Madame Thor— mann, in deren Hauſe er bereits 1834 als Student Unterricht ertheilt hatte. Zu dieſer Familie ſtand er in der innigſten Beziehung, und traf jetzt zuweilen auch dort mit der Frau Mockel zuſammen, die wegen ihres muſikaliſchen Talentes und ihrer geiſtreichen Un— terhaltung in jeden geſellſchaftlichen Verkehr hineinge— zogen ward. Sowohl im Thormann'ſchen, wie im Rilſchl⸗Naumann'ſchen Kreiſe las man unter Gottfried's Mitwirkung häufig Schauſpiele mit vertheilten Rollen, und Letzterer trug nicht ſelten eigne oder fremde Gedichte mit der edelſten Deklamation und dem belohnendſten Beifalle vor.

Freilich äußerte ſich unter den älteren Profeſſoren ſchon damals namentlich Sack ungünſtig über die Be— theiligung des jungen Theologen an den Lockungen der Geſellſchaft; aber Kinkel ſtrebte ſie mit Gott an Pflicht— treue noch zu überbieten und ließ ſich jenen grundloſen Tadel zur Warnung gereichen, wenn einſt auch feine Zeit käme, junge Leute zu protegiren. Vielleicht mochte es nicht weltklug erſcheinen, daß der ehrliche

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Privatdocent manche irrige und falſche Anſicht feiner berühmten Collegen wiſſenſchaftlich angriff und zu wi derlegen ſuchte; allein die Theilnahme, welche die Stu— denten zahlreich ſeinen Vorleſungen zuwandten, bewies das Geiſtvolle und Wahre ſeines Vortrages, und ſchon 1836, als Krafft und Bögehold ihm, durch eine Aeu— ßerung älterer Profeſſoren veranlaßt, die Offenheit ſeiner Kritik vorwarfen, hatte er ihnen in einem Sonett ſeine Rechtfertigung entgegengehalten:

Nur die Wahrheit!

„Ihr tadelt mich, Ihr Meiſter, unbefcheiden, Weil ich Euch achte, weil ich's nicht ertrage, Daß meine Zunge Heuchelei Euch ſage, Weil meine Rede ftählern ift, nicht feiden.

Ihr tadelt mich, und ih? ich muß es leiden, Ich kann mein Wort nicht wägen auf der Wage; Drum ob Euch auch mein ehrlich Weſen plage: Ich will und kann die Weiſe nicht vermeiden!

Das aber wünſch' ich, und Ihr müßt es loben Daß mir auch einſt, wie Euch von mir geſchehen, Die Jüngern Wahrheit ſagen ohne Schonung.

Da mag ſich denn mein wahrer Sinn erproben, Dann mögt Ihr meine Demuth doch erſehen, Nennt's Strafe Ihr: ich nenn es kühn Belohnung!“

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Im Laufe des Jahres 1840 erhielt Kinkel eben: falls die Anſtellung als Hülfskandidat der evangeliſchen Gemeinde zu Köln, wohin er jeden Sonntagmorgen hinüberfuhr, um zu predigen. Schon zu dieſer Friſt erhoben ſich mancherlei Verläumdungen gegen ihn. Die Gebildeten waren von der rhetoriſchen Fülle und dem gediegenen Inhalt ſeiner Predigten, die ſtets in der kunſtſchönſten Form an das Ohr des Hörers ge— langten, entzückt; allein die älteren Prediger ſahen es ungern, daß Alles zu dem neuen Hülfsprediger hin— ſtrömte, während ihre Kirchen leer ſtanden. Da man die religiöſen An ſichten Kinkel's nicht zu verdächtigen wagte, weil es weſentlich dieſelben waren, zu denen man ſich ſelbſt bekannte, griff man mindeſtens den Um— ſtand an, daß ſie das Moraliſche und Sittliche der chriſtlichen Lehre zu ausſchließlich auf das moderne Leben praktiſch anwendeten, und das rein Dogmati— ſche mehr aus dem Spiel ließen. Auch tadelten Kin— kels Amtsbrüder, daß ſich Dieſer zu wenig bemühe, die Perſon Chriſti im göttlichen und überirdiſchen Lichte zu zeichnen, ſondern ſtatt deſſen mehr die Worte und Handlungs weiſe deſſelben erläutere und beur— theile. Obgleich Kinkel's Predigten ſich gerade durch Popularität auszeichneten“), wagten doch Viele, ihm

) Wer ſich ganz von der Gehaltloſigkeit des entgegengeſetzten Vor— wurfes überzeugen will, der lefe ſelbſt die „Predigten über ausgewählte Gleichniſſe und Bildreden Chriſti, nebft Anhang einiger Feſtpredigten von Lic. Gottfried Kinkel. Köln 1842. Verlag v. F. C. Eiſen.“

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das Gegentheil vorzuwerfen, weil man es nicht ge— wohnt war, den Maaßſtab des Schönen und Künſt— leriſchen auch an eine Predigt zu legen, und nicht begriff, daß gerade das einfach Schöne auch dem ſogenannten gemeinen Manne am Allerzugänglichſten iſt. Daß man von den Predigten Kinkels nicht die Worte: „zu ſchön,“ „zu erhaben“ gebrauchte, ſondern eher die Worte: „hochtrabend,“ „zu gelehrt“ u. dgl. mit einer gewiſſen Verächtlichkeit hinwarf, wird Jeder begreifen, der in der Kunſtſprache des Neides und der Bosheit gehörig bewandert iſt.

Aehnlich machten es die im Bücherſtaub verſchrumpf— ten Profeſſoren. Sie warfen Kinkel Das vor, was frei— lich an ihnen wohl nie Jemand greſucht hat: fein freies, offenes und geſelliges oder, wie ſie es umtauften, „burſchikoſes“ Weſen. Weil man nun doch jedem Docenten etwas Fehlerhaftes anzuhängen ſucht, war gerade dieſer Vorwurf für Kinkel der rühm— lichſte, der ſich erwünſchen ließ; denn hier ſtempelte man zum Tadel, Was gerade eine der erſten Tugen— den des akademiſchen Lehrers ſein ſollte, wie man ja auch täglich hört, daß gewöhnliche Frauen mit einer wahrhaft ſittlichen Empörung die Naſe rümpfen, wenn Eine ihres Geſchlechtes die Frechheit hat, ſie an Geiſt oder Natürlichkeit zu überragen. Hier, wie dort, kann man annehmen, daß in neunundneunzig von hundert Fällen die Trauben ſauer ſind, weil ſie eben dem

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Fuchſe zu hoch hängen, und auch ſchon damals galt das Wort Hartmann's *):

„Wo iſt, der zu erwärmen vermag Gefrorne Profeſſoren?

Da iſt der Menſchheit Luſt und Klag' Verloren, ach! verloren!

Das Wort, das an ihnen machtlos verhallt, Wir wollen es weiter tragen,

In beſſern Herzen wird es bald Tiefinnere Wurzel ſchlagen.

Wer dieſen Profeſſoren beut Das Größte und das Süßte,

Er iſt und bleibet morgen wie heut' Ein Prediger in der Wüſte!“

Was den Verkehr mit Johanna Mockel betrifft, ſo hatte ſich das Verhältniß zu ihr als die innigſte Freundſchaft geſtaltet, ohne daß in Beiden auch nur der Gedanke an eine Liebe aufgetaucht wäre. Wie ſehr es Gottfried ernſt war um ſeinen Vorſatz, Jene zum Chriſtenthume zurückzuführen, mag man aus einem Sonettenkranze ſehen, den er nach einer ſchlaflos durchwachten Nacht in früheſter Morgenſtunde mit der ganzen Andacht ſeines frommen Herzens gedichtet:

„) Reimchronik des Pfaffen Mauritius. Frankfurt a. M. Literar. Anſtalt. 1849. Caput II. S. 83 ff. 13%

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Erſte Sonette. RR

„Still war mein Knabenleben, eng und klein; Drum gruben ſich auf meines Herzens Grund Nur wenig Bilder, aber farbenbunt Mit unzerſtörbar feſten Zügen ein.

Eins blieb mir: Du! O weißt Du, dort am Rhein Ein Kind faſt warſt Du noch, froh, hell, geſund,

Und blickteſt heiter in das Weltenrund,

Als wären all die fhönen Wunder Dein.

Ich kam des Weges auch mit ſtillem Schritt: Da ſtandſt Du dunkel vor dem Abendlicht, Das mächtig wiederglänzte von der Fluth.

Ich ſah Dich, hellverklärt das Angeſicht, Von meiner Schweſter Arme treu umruht Ich floh, und nahm dies Bild in's Leben mit.

I ˙

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2.

Die Stille ſchwand! Der Zirkus that ſich auf, Der Herold winkte: hei, die Renner fliegen! Gilt es zu ſiegen? männlich zu erliegen?

Friſch! Tod und Leben beide ſtehn zu Kauf!

Und Dich verlor ich in dem raſchen Lauf: Wer kann in weichem Kindheitstraum ſich wiegen, So lang’ die Kraft er ſpannen muß zu ſiegen, Der Gegner Schaar ihn noch umringt zuhauf?

Umflogen iſt die Bahn! Stolz blick' ich um, Langſamern Lauf nun gönnend dem Geſpanne; Nah’ iſt das Ziel, die Gegner all' zurück.

Doch jauchzen kann ich nicht: ich denke ſtumm, Daß mich der Kampf gereift zum ernſten Manne, Ach, hinter mir liegt fern der Jugend Glück!

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3.

Da trittſt Du mir zum zweiten Mal entgegen, Das jugendliche Haupt im Wittwenſchleier: Des Mannes feſte Bruſt darf kühner, freier, Als einſt des Knaben, Dir ſich zu bewegen.

Noch hältſt Du mich mit Deinem Zauberſegen. Mein Herz iſt vollbeſaitet Deine Leier;

Du ſtimmſt es, wie Du willſt! Zur ernſten Feier, Zum leichten Scherz kannſt wechſelnd Du's erregen.

Du ſingſt den Pfalm da klingen Melodieen Im Buſen mir von Jugendandachtsgluthen, In ſtiller Kirche möcht' ich wieder knieen.

Du malſt im Klang die Nacht wie tief es dunkelt! Du hebſt den Mond herauf aus ſchwarzen Fluthen,

Und träumend bin vom Sternglanz ich umfunkelt.

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4.

Wo führſt Du hin mich, Mächtige? Laß ab! Längſt ſchläft die Jugendzeit mir todtenkalt: Was übt Dein Wort ſo zaubernde Gewalt, Was ſchwingſt Du ob der Gruft den Geiſterſtab?

Den Garten ſeh' ich, der mich eng umgab,

Der Mutter ernſte, mächtige Geſtalt,

Des Vaters Haupt, von weißem Haar umwallt, Sie ſteigen lebend aus dem dunklen Grab.

Die Schweſter zeigſt Du mir im Mädchenkleide, Die nun ein fremder Heerd von mir entfernt,

Genoſſin einſt an Jubel wie an Leide.

Du weckſt mir Jauchzen und Du weckſt mir Thränen O Luſt der Thränen, die ich lang' verlernt! Es ſchmilzt mein Erz in wonnigweiches Sehnen.

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5.

Und Wer Dich ſchaut Du biſt ſo jung geblieben! So harmlos biſt Du, wie nur Kinder ſind; Raſch tanzt Dein Geiſt wie flücht'ger Wirbelwind, Und Deines Witzes glühe Funken ſtieben.

Der neckiſche Scherz ſteht auf der Stirn geſchrieben: Mir iſt, als wärſt Du noch das leichte Kind, Umſpielt von Frühlingshauchen weich und lind,

Als läge vor Dir noch ein erſtes Lieben!

Doch Weh’! Dein Mund ift plötzlich ſchmerzverbittert, Die hohe Stirn deckt ſich mit Finſterniß, Drauf zuckt's, wie wenn im Weſten es gewittert:

„„Durch all mein Leben klafft ein ſolcher Riß, Daß nur dem Tod es noch entgegenzittert!““ Elend auch Du? Du nickſt es iſt gewiß!

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6.

„„Die Nacht iſt ſchrecklich, finſter, kalt und bang Doch lieb' ich ſie: ſie iſt des Todes Schein; Unendlich einſam bin ich und allein,

Wie draußen, ſchweigt im Innern jeder Klang.

Da ſtreck' ich mich wie Leichen ſtarr und lang So träum' ich mich in meinen Todtenſchrein; Die müden Hände faltend, dämmr' ich ein,

Und über mir hallt dumpf der Prieſter Sang.

Und alſo lieg' ich, bis im wirren Hirn Des Lebens letzter Funken mild verglimmt, Und Eiſeskälte mir bedeckt die Stirn.

Dann ſpür' ich Ruhe, Tod und Grab und Nacht, Gefühl und Denken, Luſt und Noth verſchwimmt, Und ob mir waltet der Vernichtung Macht.“

7.

So ftrömt denn hin um Sie, ihr bangen Klagen, Ach, um dies ſtarke Herz, das muthlos bricht! Ein Geiſt ihn beugten lohe Blitze nicht

Zerſtört ſich ſelbſt durch zweifelndes Verzagen.

Sie ſucht Genuß, um müde ſich zu jagen,

Sie ftrahlt ihr Leben aus in buntem Licht,

Sie ſchwärmt im Ton und jauchzet im Gedicht, Sie ſtürmt, die zarte Harfe zu zerſchlagen.

Sie ſchlürft begierig mit Vernichtungswonne Als gährend Gift des Lebens heißen Wein, Sie treibt die Pulſe, daß ſie wild zerſpringen:

Furchtbarer Wahnſinn: von dem Licht der Sonne, Das jedes Herz verklärt mit Hoffnungsſchein, Freiwillig nach dem Tode hinzuringen!

203

8.

Am Fenſter ſteh' ich in des Morgens Schauern,

Im Oſten flammt Gewölk mit goldnen Prangen; Der Frühhauch löſcht die heißerglühten Wangen, Die von dem Kummer dieſer Nacht noch trauern.

Die Seele hebt ſich aus den Kloſtermauern,

In denen ſie der dumpfe Gram gefangen;

Denn der Entſchluß iſt hell ihr aufgegangen:

Sie retten muß ich, ſtatt ſie zu bedauern! f

Auch ich war elend und von Gott verlaſſen, Auch ich begrüßte jauchzend nächtige Töne In fremdem Land einſt, die mir Tod verhießen „).

Nun dennoch glücklich! Kann ich's auch nicht faſſen, Für Sie weiß ich den Weg zur ew'gen Schöne, Die voll uns tränkt mit ruhigem Genießen!

*) Siehe ©. 158.

9.

Ich ging durch ſtille Abenddämmerungen,

Die ſtumme Flur entſchlummerte ſchon mälig; Die Vögel hatten, da ſie tauſendkehlig

Die Sonn' im Scheiden grüßten, ausgeſungen.

Da hat ein hoher Klang ſich aufgeſchwungen Von Abendglocken rings im Land vielzählig, Da fühlt' ich mich im tiefſten Herzen ſelig,

Und Thränen ſind ins Auge mir gedrungen.

O Glockenton! wie Du an Gott zu denken Uns aufrufſt durch den trüben Erdenabend, Will ſich der Geiſt ſo ganz in Andacht ſenken.

Ein Ton nur klingt durch's öde Weltgetriebe, Das ſehnſuchtsmüde Herz noch ſüßer labend: O klinge fort, du Ruf der ewigen Liebe!

205

10.

Es ſteht ein Mann hoch ob den Welten allen, Das Königsdiadem ums Haupt gewunden;

Nicht wird Er von den Frevlern mehr gebunden, Nicht mehr zum Staub ſiehſt Du Ihn niederfallen.

Er iſt's, dem preiſend Engelchöre ſchallen:

Doch Mehr, als Himmelsglanz, iſt Ihm voll Wunden Ein Herz, das in des Elends bangſten Stunden

Ein zitterndes Gebet zu Ihm läßt wallen.

Er iſt gewandelt unter Menſchenkindern, Er hat geweint, drum kann Er Schmerzen lindern, Er iſt der Liebe werth Ihn ſuche Du!

Und dieſe Hand, die in des Laufes Schnelle Mit leichtem Schwunge lenkt die Weltenbälle:

Sie wiegte nicht ein armes Herz zur Ruh'?

206

11.

O von der Erde auf! Nicht trag' ich's länger; Von wilden Stürmen fühl' ich mich umſchnoben: Wie gar gewaltig rings die Fluthen toben!

Die Noth umſchnürt mich eng und immer enger.

Der Muth erſtarrt, das Herz wird bang und bänger Zu ſtark für Erdenkraft ſind dieſe Proben!

Rings iſt nicht Raum mehr: drum hinauf nach Oben,

Wohin, o Geiſt, nicht reichen Deine Dränger!

O Himmelsluft, Du kühleſt meine Wunden! O Gottesgeiſt, Du hebſt auf kühnen Schwingen Mich hoch und höher Vateraugen lächeln!

An Gottes Herzen ſoll ich neu geſunden, Und Vaterarme fühl' ich mich umſchlingen, Mir Kühlung in das heiße Herz zu fächeln!

207

12.

Es ftöhnt das arme Herz nach Frieden, Frieden! Der Friede kommt doch langſam iſt ſein Gang. An Jugendüberfülle ſind wir krank,

Geſundheit iſt dem Alter nur beſchieden.

So lange wild des Lebens Fluthen ſieden,

Iſt dieſem ſtillen Gaft bei uns zu bang;

Es kommt die Frucht erſt, wenn die Blüthe ſank, Nie eint ſich Stille mit der Kraft hienieden.

Du hoffe ſtill! Ich hoffe auch für Dich! Der Tag kommt wieder, wo ich Dich verſöhnt, Im weiten Weltraum freudig ſchauend ſehe.

Geb' es ein Gott uns Beiden dann, daß ich, Wenn vollharmoniſch Deine Seele tönt, Ein Greis wie dort ein Knabe bei Dir ſtehe!“

208

Kinkels Bemühungen um Johanna waren nicht fruchtlos. Es gelang ihm allmälig, ſie mit der gan— zen Macht ihrer Phantaſie, mit aller Gluth ihres tiefen Gefühls wieder in das traumhafte Netz des Chriſten— thumes einzuſpinnen, in dem ſie eine Zeitlang ſelig fortſchlief, bis ſpäter die Kraft des Gedankens und das Schwert der Wahrhaftigkeit alle die buntverſchlun— genen Fäden zerriß, und der freie Geiſt in's freie All hinaustrat, um ſich im reinen Hauche der Natur ſonnenhell zu ſpiegeln.

Gottfried ſtattete um dieſe Zeit auch ſeiner Braut in Mülheim einen Beſuch ab. Seine Freundſchaft zu Johannen hatte ihn fo glaubte er Sophieen durchaus nicht entfremdet. Er brachte mit ihr eine fröhliche Woche zu, und faßte nicht, als er ſich, von ihrem Arm umſchlungen, glücklicher wähnte, als je ein Sterblicher geweſen, daß ihn die Ahnung einer neuen Liebe unbewußt anhauchte, und ſelig am Buſen der alten emporhob. Er ſtand, ein zweiter Polykrates, auf ſeines Daches Zinnen, und überſchätzte ſein Glück; doch

„— willſt Du Dich vor Leid bewahren, So flehe zu den Unſichtbaren, Daß ſie zum Glück den Schmerz verleihn; Noch Keinen ſah ich fröhlich enden, Auf den mit immer vollen Händen Die Götter ihre Gaben ſtreun.“

209

5.

In der letzten Juniwoche des Jahres 1840 ward „der Maikäfer, eine Zeitſchrift für Nicht-Philiſter“ begründet. Wie ſo manches Bedeutende, verdankte der— ſelbe einem zufälligen Anlaß im luſtigen Geſpräch ſeine Entſtehung. Kinkel erzählte von einer „Bierzeitung“ aus ſeiner Jugendzeit, Johanna berichtete vom „Linden— blatt“, das in Bettina's Hauſe unter den Linden in munterm Kreiſe war geſtiftet worden. Dann beſprachen Beide, wie Schade es ſei, daß man ſo manche Witze nicht feſſele, die für ernſtere Werke nicht gut genug ſeien, und Johanna, raſch, wie immer, das Wort zur That machend, nahm einen grünen Bogen Papier zur Hand.

„Wie nennen wir das Blatt?“ fing ſie an.

„Der Maikäfer ſoll's heißen.“

So entſtand der Maikäfer.

Das ganze Unternehmen ſollte einzig den Zweck haben, einem engeren Freundeskreiſe wöchentlich einen heitern und genußreichen Abend zu verſchaffen, und den Theilnehmern Gelegenheit zu geben, ihre Productionen

14

210

der Kritik eines wohlwollenden, kunſtſinnigen Zirkels zu unterwerfen. Zugleich wollte man allerlei harmloſe Scherze und Sticheleien einflechten, die ſonſt gewöhn— lich, nachdem man ſie einmal belacht hat, der Ver— geſſenheit anheimfallen. Die Tendenz des Blattes ſprach Kinkel, der unter dem Titel Wolterwurm die Redaktion antrat, in folgendem Eingangsſonett aus:

„Ceehrte Herrn, warum doch lächeln Sie, Daß dieſe Blätter ſich Maikäfer nennen? Erſt lernen Sie den tiefen Sinn erkennen,

Und des Maikäferthumes Poeſie.

Maikäfer ſind kein unvernünftig Vieh, Nicht Ochſen, die geiſtlos auf Vieren rennen, Muckvögel nicht, die ſich im Licht verbrennen, Nein: Meiſter des Genießens nenn' ich ſie!

In ſtetem Duſel von dem Rauſch der Düfte, In unartikulirtem heiterm Brummen Duschſchwirren felig fie des Abends Schein.

So ſchwärmt aus dieſen Blöttern in die Lüfte Ein Volk von Liedern, Späßen, grad’ und krummen, Geiſtreichen Freude, den Philiſtern Pein.

Das war es: Genuß des Augenblickes, was jene Zeitſchrift beabſichtigte. Die urſprünglichen Mit— arbeiter waren außer Frau Mockel, welche als Di— rectrir oder Königin jenen Abenden, die in dem Hauſe ihrer Eltern gefeiert wurden, präſidirte, und

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Gottfried Kinkel, noch der rühmlichſt bekannte talent: volle Schriftſteller Alexander Kaufmann, welcher unter dem Namen Roſenkäfer zahlreiche Beiträge lieferte und ſich namentlich durch eine vollendete Form der Poeſie aus zeichnete; Sebaſtian Longard, deſſen Lieder ſämmtlich den jugendlichen Reiz eines geiſtvollen belebt⸗belebenden Naturgefühls tragen, aber manch— mal zu ſehr an Heine erinnern, und der jetzt als Anwalt zu Köln wohnt; der Gymnaſiaſt Andreas Simons, der in Allem auf eine oft lächerliche Weiſe Kinkel nach— ahmte und jetzt, nachdem er ein werthvolles Werk über die ſchwarzrheindorfer Kirche geliefert, wofür ihm der König ein Privatgeſchenk von 200 Thlrn. bewilligte, mit Verläugnung ſeiner früheren freiheitlichen Richtung ſich zur Hofparthei hält; endlich Leo Haſſe, deſſen Beiträge ziemlich werthlos ſind, und der ſchon im fol— genden Jahre wieder austrat. Auch C. A. Schlön— bach, Bruder des Bonner Polizeikommiſſars, ſcherz— haften Andenkens, ſandte als Ehrenmitglied manches politiſche Gedicht ein.

Der erſte Jahrgang des „Maikäfers“ iſt auf dunkelgrünem Papier geſchrieben und jede Nummer mit einem Maikäfer als Titelvignette verziert. Da es ſpäter ſchwer war, immer neue Stellungen des Mai— käfers zu erſinnen, begann man mit dem zweiten Jahr— gang als Titelvignette Bilder zu den eingeſandten Beiträgen zu liefern, die theils ernſthaft, meiſt aber als Carrikaturen behandelt ſind. Jeder der Mitarbeiter durfte das Blatt für die nächſte Woche nur einen Tag

14*

behalten, und mußte während dieſer Zeit feinen Bei— trag einſchreiben, ohne die Arbeiten der Uebrigen zu durchleſen, die insgeſammt an dem dazu beſtimmten Abend im Verſammlungslokale mitgetheilt wurden. Die Zeit, welche dann noch übrig blieb, füllten Spiel und Geſang, launiges Geſpräch, wiſſenſchaftliche Unter— haltung und harmloſe Neckerei aus. Es war ein fröhlicher Dichtertraum, wie ihn nur die ſorgloſe Ju— gend durchſchwärmen kann, mit der Kinkel ſo gern ver— kehrte, und an deren Friſche er ſich ewig jung zu er— halten wußte.

Dieſe Abende gaben ihm zugleich Veranlaſſung, Johanna auch ſonſt im Hauſe ihrer Eltern zu beſuchen. Auf die Entwicklung ſeiner poetiſchen Anlagen übte ihr herrlicher Geiſt den gewaltigſten Einfluß aus. Nachdem Gottfried einen dramatiſchen Verſuch „Bri— ſeldis“ aus früherer Zeit zurückgelegt hatte, ſchrieb er im Laufe des Jahres ein Luſtſpiel in vier Aufzügen: „die Heilung des Weltſchmerzlers“, das ſich im „Maikäfer“ befindet, und ein großes hiſtoriſches Trauer— ſpiel: „die Stedinger“ in drei Abtheilungen und fünf Aufzügen, das in ſeiner ganzen Anlage und Aus— führung das gediegenſte Talent offenbart, und mit großem Beifall in einem weiteren Kreiſe vorgetragen ward. Zugleich fallen in dieſen Abſchnitt ſeines Lebens die meiſten der in ſeiner Gedichtſammlung mitgetheilten Productionen ). Außerdem aber nennen wir die

) Zum Eingang S. XI. Cäſar S. 6. Mythos S. 25. Werth der Stunde S. 49. Sappho's Leier S. 51. Lebensmuth S. 53.

213

Pläne zu einer Reihe von Tragödien: Telegonus, Kaiſer Julianus, Catilina, Otho, die Kor ditormamſell und mehre andere, welche jedoch nicht ausgeführt wurden. Alles objektive Dichten geſtaltete ſich ihm jetzt dramatiſch, und Vollendung der Form hatte Gottfried im Süden gelernt. Endlich ſind um dieſelbe Zeit zahlloſe Lieder an Johanna gedichtet, die wenigſtens einen ſtarken Oetavband ausfüllen, fo daß wir nicht begreifen, wie Ein Mann in der kurzen Friſt Eines Jahres eine ſolche Fülle größtentheils vor— züglicher Poeſieen hat erſchaffen können. Freilich unter— ließ auch Johanna nicht, ihren Freund tagtäglich zu neuer Produktion aufzureizen, und mancher Tag reifte mehr Blüthen im milden Sonnenſchein fröhlichen Ge— nuſſes, als Jahre vergangnen Schmerzes zu zeitigen vermocht hatten. Es iſt nicht wahr, daß „des Lebens Mai nur einmal blüht“; hier ſah ein Mann ſchon feind— liches Grau ſein ſchwarzes Lockenhaar entfärben, und dennoch zog ein neuer Frühling mit tauſend Düften und Blütheträumen in ſein Herz, um nie wieder zu verwelken.

Von ſeiner Orthodoxie kam Gottfried Kinkel im Lauf der Jahre allmälig und langſam zurück, weil er dem Zweifel, der ihn häufig beſchlich, muthig die Stirn bot. Unter dem fortwährenden Produeiren religiöſer

Am Huldigungstage. Götterdämmerung. Einem Jüngling S. 57—61. Triumph des Dichters S. 65. An Johanna S. V. Ein geiſtlich Abendlied S. 106. Karl Immermann's Tod S. 111. Troſt der Nacht S. 119. Die geweihete Stelle S. 124. In der Winternacht S. 125. Nach Süden S. 129. Im Pfarrhauſe S. 131.

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Gedanken tritt die eigne Religiöſität leicht etwas zurück, zumal da er ſich prophetiſch der Johanniskirche zu— wandte, und eine Verſöhnung aller Religionen in der Zukunft vorausſah.

„Der Prophet iſt ſtets heterodox, weil die Zukunft die Gegenwart auffreſſen und zerſetzen wird. Ward doch ſelbſt Chriſtus aus dieſem Grunde gekreuzigt; und auch Wer unſerer Zeit das Horoſkop ſtellt, kann nicht orthodox ſein. Gerade Heterodoxie iſt die Schö— pfungskraft aller religiöſen Entwicklung.

„Das Chriſtenthum ſowohl, als jede andere gei— ſtige Macht, kämpft für die drei Grundideen der Güte, Wahrheit und Schönheit. In der Zeit ſeines Kampfes mit der Heidenwelt verfolgt daſſelbe die erſte dieſer Ideen, es will die Welt beſſern und ſittlich emporheben. Dann vermittelt es ſich mit der übrigen Wahrheit, die es in allen Zweigen der Wiſſenſchaft vorfindet. Hier war der hartnäckigſte Kampf mit der Philoſophie, doch auch da ſiegte es, weil auch die Philoſophie die Tendenz trug, chriſtlich zu ſein, und das Chriſtenthum ſelbſt nur unter dem Vorwande angriff, es zu ſeiner urſprünglichen Reinheit zurückführen zu wollen. Jetzt hat es das Chriſtenthum mit den Naturwiſſenſchaften zu thun, und wir ſehen dieſes Kampfes kein Ende. Doch man kann ru— hig die Geſchichte walten laſſen, welche klüger iſt, als unſere Vorausſicht. Nun aber bleibt noch das Dritte übrig: der Kampf des Chriſtenthums für die Idee des Schönen, die Ergänzung der chriſtlichen

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Kunſt. Die Theologen behaupten meiſt, dies fer ein gleichgültiger Punkt; der ächte Menſch aber weiß das Chriſtenthum erſt dann heimiſch auf Erden, wenn der Geiſt Materie geworden iſt, und als Gebild ſich ver— körpert hat. Die Richtung auf's Schöne bringt erſt der Kirche die Eintracht, ſie wird als großartiges Gefühl des Menſchengeſchlechtes das Kleinliche hinweg— thun. Dieſer Kampf erzielt die wahre Emanzipation vom chriſtlichen Judenthum, von der Geſetzlichkeit und Engherzigkeit des Genuſſes, vom Phariſäismus des Formelweſens, vom Sadducäismus der kalten Ueber— zeugung. Das Schöne erwärmt, und lehrt die That aus der Empfindung, nicht aus nüchternem Verſtand und abſtractem Wollen hervorgehen. Dagegen wird ein ächtes Heidenthum in die Kirche hineintreten, von dem Immermann geweiſſagt hat. Uns fehlt noch die Virtuoſität des Lebens. Dann aber, wenn die Schön— heit zur Herrſchaft gelangt iſt, wird die Außenwelt geheiligt und verklärt ſein, und wir dürfen uns ihr hingeben ohne zu ſündigen. Die Erde wird die Hei— math des Menſchengeiſtes, und das tauſendjährige Reich bricht an.“ )

Dieſen Standpunkt hatte Kinkel damals erreicht, und ſomit eine Bahn betreten, die ihn naturgemäß auf die Spur der pantheiſtiſchen Weltreligion hinleitete. Auch in Bibel und Chriſtenthum erkannte er viel Un—

Aus Kinkel's Tagebuch vom 12. September 1840.

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ſchönes, das von der Entwickelung des Menfchengeiftes als unbrauchbares Hemmniß mußte fortgefchleudert werden. Namentlich Paulus hat in dieſer Beziehung viel geſündigt; doch auch die übrigen Apoſtel beweiſen einen unpoetiſchen, allem Heidenthum, wie aller höheren Bildung feindlichen Sinn. Selbſt Johannes beſitzt, wenn wir ihn als Verfaſſer der Apokalypſe feſthalten wollen, eine ganz rohe Phantaſie, die nur zum Theil ſich als Grundlage einer neuen Poeſie der Schönheit geltend machen darf. Rein in der Form ſind außer einzelnen altteſtamentlichen Schriftſtellern nur die un mittelbaren Ausſprüche Chriſti, der auch hierin als der Schönſte unter den Menſchenkindern erſcheint. Dagegen befindet ſich unſer Clerus in einer merk— würdigen Verblendung. Beſuchen die Gebildeten die unäſthetiſchen Predigten unſerer Geiſtlichen nicht, ſo finden Letztere in ihren Uebermuth auf den eingebilde— ten Beſitz einer abſtraeten Wahrheit den Grund in Verachtung der Religion, während doch Jeder gern dahin kommt, wo er einen ſchönen Vortrag hört. Es geht hierin ganz, wie mit allem übrigen Unterricht. Es liegt nämlich ausſchließlich am Lehrer, wenn die Schüler nicht lebhaft ſeinen Unterricht auffaſſen. So halten die Prediger mit verbiſſenem Groll Strafreden gegen den ſchwachen Kirchenbeſuch, während die Schuld doch nur an ihnen liegt. Die vollendete Form feſſelt Jeden, auch den Ungebildeten, ſonſt würde Niemand in dieſer Zeit des Jammers mehr das Theater beſu—

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chen. Der vollendete Redemeiſter wird ſtets gehört werden, und wo ſeine Kraft nicht hinreicht um zu be— kehren, wird er wenigſtens aufmerkſam machen und den ſtärkeren Geiſtern vorarbeiten. Aber zumeiſt ſcheut man die Mühe, ſich in redneriſcher Beziehung auszubilden. Niemand, wenn er aus dem gewöhnlichen »Geſprächstone in eine höhere Sprechart hinaufſteigt, redet von Natur richtig; aber komiſcher Weiſe glaubt man, daß Vortrag ſich von ſelbſt lerne, und keiner Kunſtſchule bedürfe. Eine Geſangſchule hält Keiner für überflüſſig, und doch iſt Reden ungleich ſchwerer, als Singen.

Kinkel hatte dieſe Wahrheit begriffen, und deß— halb alle Sorgfalt auf die Form ſeiner Kanzelreden gewandt. Aber Wer in unſerer Zeit durch die That ſelbſt das Evangelium des Schönen predigt, den ver— ketzern die Sklaven des Häßlichen. Er wird Märtyrer, weil man das Dogma für heiliger hält, als die Schön— heit, und muß daher doppelt trachten, im Leben gerecht und heilig zu ſein, damit ſeine Sache nicht verläſtert werde.

Dieſen Grundſatz befolgte denn auch Gottfried, und Johanna ſtand ihm treulich bei, wenn der Neid oder die Bosheit ſeinen Muth brechen wollte. Als er ihr eines Tages all' die Schmähreden mittheilte, welche man gegen ihn in Umlauf brachte, ſchrieb ſie ihm zur Erhebung folgende

218

Apologie.

„Wie klein die Schaar ſei, die Du beſeelſt, o Freund, Die Deinem Wort aufhorchet mit gläub'gem Sinn, Und Dich begreift: ſo treu Dein Eigen Sind die Gemüther und ſind die Geiſter!

Uns biſt Prophet weitdämmernder Zeiten Du, Das Wort der Schönheit predigend, das da kommt; Doch ſchmäht die Starrſucht des Geſchlechtes, Das Dich verfehmt, die geweihten Lippen.

Und ſchwingſt den Wortſtrahl Du wie ein blitzend Schwert, Dann zagt die Einfalt, als ob dem Heiligthum Ein kecker Eingriff droht Entweihung: Ach, ſie verkennen den Gottesboten!

Wohl ſtocket graunvoll, wenn ein Geſpenſt entſteigt Dem mächt'gen Abgrund tiefer Vergangenheit Der Menſchen Herzſchlag: aber mehr noch Sträubt ſich ihr Innres dem Geiſt der Zukunft!

Du ſchauſt ein fernauftauchendes Morgenroth, Es blitzt verklärt Dein Aug’ in dem Wiederfchein; Da ſchwebt geſangreich, blumenfarbig Dir von der Lippe das heil'ge Zeugniß.

Es faßt ein Ahnungsſchauer die Seelen an, Das Gottesreich ſteht nah der Vollendung ſchon Dem Seherblick da, rings der Erdkreis Huldigt dem Guten, dem Ewigwahren.

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Doch wähnſt Du nicht: hier fei ſchon das Ziel der Bahn, Nein, erſt beginnt der Kampf um das Höchſte nun; Denn aller Tugend Lichtvollendung Bleibet zuletzt noch die reine Schönheit.

Und weil der Menſchheit kindliches Stammeln einſt Der Gott dahinnahm: ſoll drum geſtammelt ſein? Soll hohe Weisheit Frevel ſcheinen, Weil ſie umwehet ein Hauch der Anmuth?

Ein Geiſterfrühling, ſenkt ſich mit goldnem Strahl Herab der Dichtung Zauber vom Himmel ſelbſt; Was je die Großthat, Was Gedanke Hohes erſtrebet, es wird Gebet uns.

Des Meiſters Liebling war es Johannes doch, Und ſein Geheimniß ſchaun, iſt die Poeſie; Es zieht allewig ſeiner Sternbahn Gleiſen den liebeverklärten Geiſt nach.“

So ganz hatte Johanna die Anſichten ihres Freundes in ſich aufgenommen, und dabei wenigſtens vorläufig ihre Beruhigung wiedergefunden. Daß ſich die jungen Leutchen bereits mit aller Gluth ihrer entzündbaren Seelen liebten, davon freilich ahnten ſie nichts; denn das Anziehende und Geiſtvolle ihres Umganges hatte ihnen bisher noch keine Zeit zu alltäglichen Betrach— tungen von Hochzeit und Eheſtand gelaſſen:

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„Feſt ja ruht’ er in Lieb’ und Achtung tüchtiger Freundin, Die ihm fein beſſeres Selbſt wies in verklärendem Schein. Schweſterlich ſtand ſie ihm nah': ſie gab ihm Mark der Gedanken, Wenn ihm die eigene Kraft Lehre verſpendend erloſch. Oder wuchs in der Bruſt ihm freſſender, düſterer Unmuth, Zauberte Ton und Geſang ſchönere Welten ihm her. Geiſtig webte die Ehe, und zahllos hegte ſie Kinder: Lieder der Milde und Kraft, paarend das Wort und den Ton.“

Bald jedoch konnte es nicht fehlen, daß Kinkel vergleichende Betrachtungen zwiſchen Johanna und ſeiner Braut anſtellte, die nothwendig zum Nachtheil der Letz— teren ausfallen mußten. Anfänglich hatte Jener ge— hofft, Sophien zu ſich heraufzuziehen, aber alle ſeine Bemühungen in dieſer Hinſicht ſollten zerſcheitern. Hatte Kinkel ihr Bücher zu ihrer Ausbildung geſandt, und glaubte er, daß fie nun eifrig mit denſelben ;be- ſchäftigt geweſen, ſo überraſchte ſie ihn plötzlich mit einer werthvollen Stickerei oder ſonſtigen Handarbeit, auf deren Vollendung ſie all' ihre Zeit verwandt hatte. So lieb dieſe kleinen Aufmerkſamkeiten und Geſchenke auch ihrem Bräutigam ſein mußten, ſo unangenehm berührte es ihn, daß ſie ihre geiſtige Entwickelung in einer Weiſe hintanſetzte, welche ſie ſeiner unwerth er— ſcheinen ließ. So geſtand ſie ehrlich, daß ſie Bücher oftmals nur läſe, um zu ſehen, ob „fie ſich kriegten oder nicht,“ u. dgl. m. Daß Gottfried dies Alles unwillig empfand, ſehen wir aus folgender Parallele zwiſchen der Geliebten und ſeiner Freundin:

2m

„Süß ift die mitternächt'ge Stunde, Die weit die Herzen offen ſchließt,

Wenn von des Liebchens jungem Munde Manch traut Geheimniß ſich ergießt.

Sie plaudert kindiſch, bang, beſcheiden Von Mädchentand, der ſie umgiebt,

Sie beichtet, wie mit ſtillem Leiden Sie heimlich Dich ſchon lang geliebt.

Doch reicher iſt des Tages Helle, Gedämpft zu halbem Dämmerſchein.

Es winkt die wohlbekannte Schwelle, Zum ſtillen Zimmer tret' ich ein,

Wo bleich und ernſt mir Grüße ſpendet Ein Mund, der Andre fliehen heißt,

Wo von den Menſchen abgewendet Sich mir erſchließt ein reicher Geiſt.

O einen Schatz haſt Du gefunden, Wenn eine Freundin auf Dich baut, Dir aufdeckt ihrer Seele Wunden, Und ihren Jubel Dir vertraut; Wenn ſie vor Deinen wachen Blicken Das Leben noch einmal durchlebt, Von großen ſtillen Augenblicken Für Dich den Schleier freundlich hebt.

Es liegt vom Meeresſchwall umfangen Die alte Stadt im Wunderglanz, Und, ruht das Meer, Du ſiehſt ſie prangen In Trümmern ſchön und herrlich ganz. Das iſt Dein eigen Innenleben; Iſt nur ſein Spiegel hell und gleich: Tief unten ſchauſt Du ſich erheben Das fonft verborgne Gottesreich.

Du ſiehſt das Kind ſich ſtill entfalten, Das ausgereift nun Dir ſich zeigt, Der ernſten Liebe Vollgewalten, Wie Mannesgluth ſie nie erreicht.

Du ſiehſt die Täsſchung, ſiehſt des Lebens Verworrnen Gang in bleichem Licht; Sie zeigt den Lohn Dir hohen Strebens, Doch auch die Fehler hegt ſie nicht.

Da ſchauſt Du ſolche Lebensſchöne, Du bebſt ob ſolcher Schmerzenslaſt, Du hörſt ſo wunderbare Töne, Wie Du ſie nie vernommen haſt. Das Stärkſte zeigt ſich Dir, was immer An Lieb' und Haß die Erde hegt, Wenn ſich in unverfälſchtem Schimmer Ein Frauenherz Dir offen legt,

294

Nun fährſt Du auf des Lebens Strome, Rings ſchimmert Frühlingsblüthenpracht, Am Ufer ſtehn die hohen Dome, Die alten Berge halten Wacht; Doch kennſt Du auch die flache Stelle, Du fliehſt gewarnt das ſcharfe Riff, Und ſelber auf der Schmeichelwelle Lenkſt ſicher Du Dein kleines Schiff.“

So war Gottfried nicht blind für die Gefahr, welche ihn im täglichen Verkehr mit einer ſo blendenden und bezaubernden Erſcheinung umſchlich; aber er ver— gaß nicht ſeiner Braut, die ihn mit ihrer ſtillen, ſanf— teren Liebe zu beglücken ſuchte, und der ſein Herz und feine Hand trotz aller Lockungen des neuen Umganges treu zu bleiben beſchloß. Johanna war ihm die He— lena ſeiner Poeſie, er fand in ihr den Inbegriff alles Hohen und Herrlichen der helleniſchen Vorzeit, ſie ſtand ihm hoch über der alltäglichen Flachheit und all' dem Kummer der Gegenwart, ſie ward der Genius ſeiner Schöpfungskraft:

»Nicht im ſchwächlichen Laut romantiſchen Reimegeklingels Hallt Dein Preis mir hinfort, klaſſiſche unter den Fraun! Nicht wie ein liebliches Kind mit zärtlich ſchmachtendem Auge, Das mit des Schweigens Gewalt zaubriſch verwundet das Herz; Nicht wie die träumende Blume, noch halb umhüllt von der Knospe: Nein, im volleſten Duft ſtehſt Du, ein herrliches Weib! Mag Dich die Maſſe verfhmähn, weil Dir die erſchaffende Mutter Gab für die Farbe die Form, gab für die Fülle die Kraft;

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Aber Wem ſich entzündet der Sinn für Macht des Charakters, Der auf die leibliche Form prägt den gewaltigen Druck; Wer, ein Paris nicht, doch ein hochverſtänd'ger Odyſſeus Oder ein ſtarker Achill, Pallas für Venus erwählt: Dieſem wendeſt das Herz Du im Buſen, wenn Du zur Seite Halbgewendet Dich zeigſt, ſendend in's Ferne den Blick. Dann verbreitet das Haar ſich ſpielend zum wallenden Helmbuſch, Aus dem ſaphirenen Aug' ſchießen die Pfeile hervor; Gleich als hielte die Hand ein Schwert, ſo feſt und entſchloſſen, Trotzend der feindlichen Macht, blickſt Du in's Lebensgewühl. Alſo ſchaut' ich Dich geſtern: es lachte die mächtige Stirne, Und aus der Brauen Gewölk hüpften die Scherze heraus. Wieder erſpäht' ich Dich dann: Du flogſt auf eilenden Füßen Ueber den Markt dahin, wie von der Senne geſchnellt. Eng umhüllte die ſchlanke Geſtalt anliegende Seide, Und durch des Hütchens Netz dunkelte prächtig das Haar. Flüchtig entſchwebteſt Du hin, Du hatteſt mild Dich verſpätet Weil Dich verzögert der Freund ſchwer ja iſt Scheiden von Dir! Aber am Eck des Marktes, wo raſch Dein Haupt Du gewendet, Traf Dich mein glühender Blick, traf mich Dein freundlicher Gruß. In dies Lied dann band ich das ſonnige Leuchten des Auges, Mög' es Dir funkeln auf's Neu' hell aus den Verſen hervor!“

Anders Johanna. Gottfried hatte ihren Schmerz geheilt, aber ſie dafür ewig an ſich gefeſſelt. Sie konnten Beide nicht mehr von einander los, aber mit dem Unterſchiede, daß er das unſichtbare Band noch nicht ahnte, während ſie daſſelbe klar durchſchaute. Mit keinem Wort ließ ſie ſich gegen ihn über ihre Liebe aus, aber in ſtiller Nacht, wenn Alles um ſie her friedlich und ſtumm war, oder wenn ſie am ein— ſamen Flügel den Tönen ihr Leid anvertraute, entquol— len glühende Schmerzenslieder ihrer verwundeten Bruſt:

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226

1.

„Meine Schweſter führt ein Lämmchen Durch die Flur an blauem Band, Seine ſilberweißen Flocken Streichelt froh die kleine Hand.

Möchte auch ein Spielzeug leiten

Wohl am Bändchen durch den Hain, Doch ein Lamm behagt mir nimmer:

So ein Löwe müßt’ es fein!

2. Froh ſtimmt mein Geſang in den fernhinrollenden Donner, Der in der Mauern Gebiet herriſch die Menſchen geſcheucht. Hochauf flattern die Locken, der Mantel, wie ſchwarzes Gewölke, Liebesblick mit dem Blitz tauſcht das begeiſterte Aug'! Wie die Hochlandshexe durchſchweif' ich im Regen die Wälder, Fühle mich heimiſch im Sturm, ſtolz, Elementen verwandt!

3.

O bedenke Du ſelbſt, daß zu Muthe mir iſt, wie der Säule von flüffi- gem Silber,

Die bei Flammen und Eis in der gläſernen Haft ein Thermometer gebannt hält.

227

Dann ſchüttelt mich Froſt noch tiefer als Null, dann ſteigert mich Fieber zum Siedpunkt,

Auch flieht mich der Schlaf, und die Lippe verſchmäht zu genießen der roſigen Lenzfrucht.

Ach umſonſt, daß im Bild Mich die Ferne begrüßt, Daß der Freunde Geſang Mich im Traum anweht: Die lebendige Kraft Iſt geknickt, und es ringt Die verſchmachtende Seele nach Freiheit!

4.

Es waren ſo viele Schmerzen Mir ſchon im Leben bereit, Daß heiter ich nun mag ſcherzen

Und ſpielen mit meinem Leid.

Wie Purpurblumen, gefunden Auf thaubeweinter Flur,

Sind mir des Herzens Wunden, Die Thränen wie Perlenfchnur.

Die Perlen und Blumen gebogen Zum Kranz in die Locken froh, Komm' ich zu Dir hingeflogen, Und frage: „Gefall ich Dir ſo?“ 13

228

5.

Ach, eher nicht find' ich die Raſt, Bis aufgenommen Du haft

Die ganze Seele mein

In Deine Seele hinein!

Mein Herz iſt ſo düſter, ſo wild; Und Deines ſo gut und ſo mild; Du biſt der Friede, die Ruh’: Ach, Liebſter, ich wollt', ich wär' Du!

6.

Gelehnet lag ich an den Baum, Und lauſcht' dem Wellenſang; Verſunken ganz in holden Traum Ward mir die Zeit nicht lang.

Die Sonne lenkt' den Strahlenlauf Zum tiefen Horizont,

Das Abendroth ſtieg mild herauf, Es folgt der Silbermond.

Der Mond ging endlich auch zur Ruh', Ringsum mich ward es Nacht; Mir fielen nicht die Augen zu Auf einſam ſtiller Wacht.

229

So möcht' ich ruhen Tag und Nacht, Und überſchaun mein Glück,

Und ewig ewig träumen nach Dem Einen Augenblick.

2

Die Deinen Lippen entſproſſen, Die glühenden Melodein,

Sie ſind wie Lava gefloſſen Mir tief in das Herz hinein.

Und Was ich mag ſinnen und thuen, Sie tönen mir überall nach,

Und möcht' ich ſchlummern und ruhen, Sie ſingen mich wieder wach.

Stimm' an eine ſanftere Weiſe, Und rühre die Harfe dazu, Und wiege leiſe, leiſe Mein armes Herz zur Ruh'!“

Bei Alledem aber wußte Johanna, daß ſie dem Freunde dieſen Schmerz nicht geſtehen durfte, ſie ſuchte, wenn ſie in ſeiner beſeligenden Gegenwart war, ihre Stimmung zu beherrſchen, und er hätte vielleicht niemals die Klagen ihrer Einſamkeit erfahren, wenn nicht der Zufall oder eine göttliche Fügung, wie ſie der Liebende ſo gern erſchafft, ihm das Geheimniß ihrer Liebe erſchloſſen hätte.

230

Zu einer Tageszeit, die ihn fonft gewöhnlich mit wiſſenſchaftlichen Lehrarbeiten von ihr fernhielt, begab er ſich einſt zu Johanna, und hörte, als er ſich leiſe ihrem Zimmer näherte, einen klagenden Geſang an ſein Ohr ſchallen. Lauſchend vernahm er das Lied:

„Du nahſt! und wie Morgenröthe Bebt's über die Wangen mein! Du gehſt! und wie Thränengewölke Dunkelt der Augen Schein! Ich denke an Dich, da ſteigen Die Flammen hoch und licht Empor aus Herzenstiefen: | Aber Du fiehft es nicht!

Melodiſche Seufzer tönen N Herauf in vollem Chor,

Als Dir geweihete Lieder Haucht fie die Lippe hervor.

Im Herzen da wohnt eine Stimme, Die Deinen Namen ſpricht,

Sie ruft ihn ſo laut ſo flehend: Ach, Du vernimmſt es nicht!

Der ſtolze Muth iſt gebrochen Und Hoffnung und Lebensluſt;

Aus tief unheilbarer Wunde Blutet das Herz in der Bruſt.

Viel' Schmerzen noch muß es erdulden, Bis Tod mitleidig es bricht,

Viel' namenloſe Schmerzen:

Wehe, Du fühlſt es nicht!“

231

Ein langgetragener wehmüthiger Akkord beſchloß ihren Geſang, und verhallte mälig in den zitternden Lüften. Gottfried aber empfand zum erſten Mal das Gefühl einer neuen, herrlichen Liebe, und entfernte ſich unbemerkt, wie er gekommen war. Zu Hauſe erfaßte ihn im Gedanken an ſeine Braut ein dumpfer Schmerz, in deſſen Verzweiflung er folgende Sonette hinſchrieb:

1.

Brecht auf, ihr Wunden! ſtrömt in vollen Bächen! Ihr ſaht ſie heut', die euch mir Armen ſchlug; Daß leis ihr blutet, iſt ihr nicht genug: Heiß ſollt ihr den Verband ſie will's! durchbrechen!

Was that ich ihr? Und war es mein Verbrechen, Daß einen Dämon der gewalt'ge Flug Grad' über zwei verwandte Häupter trug? Schuldloſe Schuld will ſich ſo grauſam rächen?

O Leben, du warſt ſchön, ich froh und ſtark, Noch reifre Frucht war mir am Baum zurück, Befriedigt harrt' ich ihrer ohne Sehnen.

Ach, meinen Jugendtraum, mein Lebensmark, Ihr gab ich ſie, ich gab mein ganzes Glück!

Und fie? fie mordet mich mit ihren Thränen!

232

Du wirft vollenden! Ja, ich fühl's mit Bangen, Wie matt mein Blut ſchon in den Adern ſchleicht, Wie mir die kaum gebräunte Wange bleicht,

Und träg am Boden meine Blicke hangen.

Haß kannt' ich ſonſt und ungeſtüm Verlangen, Doch nun durchfriert's wie Herbſtwind mich, der leicht Durch ungemähte goldne Aehren ſtreicht:

Vollende denn, ſo wie du angefangen!

Und ich? Mit einem Scherz will ich begraben, Den Du zerrüttet, jeden Lebenskeim, Für jeden Dolchſtich ſoll ein Lied Dich laben!

Ich hülle Dir in ſüßen Honigſeim Der Wunden Qual, die mir Dein Weh gegraben, Und endlich ſterb' ich mit 'nem luſt'gen Reim!

3.

Vielleicht, Du Eannft nicht anders! Lorelei Biſt Du, die willenlos den brüchigen Kahn Lockt zu des Riffes mordlich ſcharfem Zahn; Vielleicht laß glauben mich, daß fo es fei!

Vielleicht doch: Nein! Ein Traum iſt's, daß wir frei, Dem mächt'gen eignen Willen unterthan,

Uns ſelbſt begrenzen unſre Lebensbahn

Ja, Lügen ſind's und eitel Täuſcherei!

Der Leu muß tödten. Schneiden muß das Schwert. Unſchuldig iſt das Gift, das uns zerfrißt. Die Flamme ſengt es iſt ihr unverwehrt.

Vielleicht Ich glaube, daß Du ſchuldlos biſt, Du tödteſt mich es iſt nicht Strafe werth, Und doch entſetzlich, daß es alſo iſt!“

234

Als ſein Schmerz milder geworden, beſchloß Gott— fried, nach Wiesbaden zu reiſen, und ſich dort um eine neu zu beſetzende Lehrſtelle zu bewerben. Erhielt er dieſe, dann wollte er Sophieen in ſein ſtilles Haus heimführen, und hoffte ſo, von Johanna getrennt, für ihn und ſie Rettung aus dem mächtigen Brande ihrer Liebesgluth zu finden. Bereits nach wenigen Stunden trug ihn der Dampfer auf den Fluthen des Rheines in die dunkle Nacht hinaus, und ein warmer Sommer— wind ſpielte mit ſeinen Locken:

„Rauſchend wandelt das Schiff, hoch ſteigt zum Maſt die Laterne, Leiſe fächelt der Wind auf der beſchwichtigten Fluth.

In Dein Bild verrinnt mir des Tages holdes Erinnern, Und wie ein blinkender Stern hellt es die träumende Nacht.“

Kinkel hatte feinen Zweck in Wiesbaden nicht er- reicht, und war vielleicht nicht ungern nach Bonn zu— rückgekehrt, ſo ernſt es ihm auch blieb, ſeiner Braut die Treue zu bewahren. Sein täglicher Verkehr mit Frau Mockel hatte bereits die Klatſchzungen aller Vet— tern und Baſen in Beſchäftigung geſetzt, ehe das Dichterpaar etwas von den Gerüchten ahnte, die ein böswilliger Neid über dies Verhältniß in Umlauf brachte. Bald aber erhielt Kinkel hie und dort ver— ſtohlene Winke, mußte ſpöttiſche Andeutungen verneh— men, und endlich von ſeiner Schweſter den offenſten Tadel über ſein Betragen ausbrechen hören. Dieſer, die nun mit dem pietiſtiſchen Bögehold verheirathet war, ſchien Alles daran gelegen, eine etwaige Verbin— dung zwiſchen ihrem Bruder und Johanna Mockel um jeden Preis zu verhindern. Sie ſuchte in Gottfrieds Augen deſſen geiſtreiche Freundin als ein genußſüchti—

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ges, ränkevolles und gottlofes Weib darzuſtellen, und die albernſten Erfindungen über ihren Charakter und Lebenswandel zu verbreiten. Jener ſowohl, wie Frau Mockel ſuchten durch die unbefleckteſte Reinheit ihres Lebenswandels allen Angriffen der Bosheit offene Stirn zu bieten, und ein von der erſten leidenſchaftlichen Auf- wallung glücklich geläutertes Gefühl ungetrübt feſtzu— halten und gegen verkennende Urtheile durchzuſetzen und auszuſprechen, wie es die Wahrhaftigkeit erforderte.

Es war im Spätherbſt 1840. Die Sonne ſtrebte aus dem Zeichen der Jungfrau in das Bild der Wage zu treten, und ſchien noch warm auf die Rheinberge herab, an deren Abhängen ſich die Trauben bereits dunkler färbten, während die muntre Schaar der Stu— denten größtentheils die Univerſitätsſtadt verlaſſen hatte, um die Ferienzeit im Kreiſe der Verwandten oder auf luſtigen Streifzugen durch das ſchöne deutſche Vater— land zu verbringen. Ein leichter Kahn trieb auf dem ſtolzen Spiegel des Rheines, und zog langſam über die dunkle Fluth, aus der die weinbekränzten Ufer, vom Abendſcheine beglänzt, wiederſtrahlten.

Das zierlich gebaute Fahrzeug trug unſer Dichter— paar durch die Wogen, das mit Andreas Simons, der ſeit ſeiner Kindheit im elterlichen Hauſe der Frau Mockel erzogen ward, von einem Ausflug in die Umgegend heimkehrte. Gottfried lenkte das Steuer, und Johanna ſang ein ſanfthinſchmelzendes Lied, das in ihrer Seele emporſtieg:

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„Wunderbare Spiegelklare

Fluth des königlichen Rheins! Weinumkränzte, Holdbeglänzte

Von dem Roth des Abendſcheins: Rufſt ſo gleißend, Ruh' verheißend

Mich in Deinen Schooß hinab, Auf den kühlen Wogenpfühlen

Zu bereiten mir mein Grab!

Deine Wellen Lockend ſchwellen,

Sagen holde Mähr mir an Von kryſtallen⸗ Klaren Hallen,

Tief im Grunde aufgethan; Singen munter: „Komm herunter

In das ſtille Waſſerhaus! Herzensflammen Allmitſammen

Löſchen da auf einmal aus!“

Allmälig war der letzte Abendſchein hinter den Bergen verglüht, und die Nacht zog herauf. Ein ſtarker Wind hatte ſich erhoben, und mächtig ſchaukelte der Kahn auf den erregten Wellen. Während Gott— fried die Landungsbrücke zu gewinnen ſuchte, keuchte

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das Dampfboot „Marianne“ heran, auf dem einft eine Jugendliebe ſeinen Blicken entſchwunden war. Gottfried wollte ausweichen, aber auch das Schiff hatte den leichten Kahn bemerkt, und bog unglücklicher Weiſe nach derſelben Seite hin aus. Vergebens, daß Johanna das herannahende Schiff zu warnen ſuchte ihr lautes Rufen verklang in dem Brauſen des Stur— mes, der immer gefahrdrohender heraufſchwoll. Ein mächtiger Stoß, und das kleine Fahrzeug ſank zertrüm— mert in die Tiefe.

Gottfried aber ergriff im Verſinken den Arm der Freundin, und riß ſie mit ſtarker Kraft aus dem Ab— grund empor. Dann hob er ſie ſanft und lächelnd auf den geborſtenen Kahn, als hätte er nur im Spiel ſeinen Muth erproben wollen.

Als er die Gerettete darauf, Herz an Herzen, ſchwimmend an's Land ruderte, durchſtürmte ihn zum erſten Mal das Gefühl, daß nur dies Weib ihn zu beſeligen vermöchte. Jetzt band ihn nicht allein das volle Leben an ſeine Freundin, ſondern mit unlös— barer Feſſel knüpfte ihn an die Geliebte

Der Bund des Todes.

„Hoch preiſ' ich vor den Göttern allen Als den gewaltigſten den Tod; Es reift, wo ſeine Blitze fallen Die Furcht des Lebens voll und roth. Wär' an die Sterne feſtgebunden Des Lebens goldenſtes Geſchick: Der Tod hat uns hinaufgewunden In Einem mächt'gen Augenblick.

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Wie gingft Du träumend mir zur Seite, Du meines Geiſtes heller Stern!

Du gabſt mir freundliches Geleite, Und doch Du warſt mir ewig fern!

Wohl drang der heiße Mund zum Munde Zu eines Kuſſes Seelentauſch;

Doch wehrt, mit ſtrengem Tag im Bunde, Des Willens Ernſt den Liebesrauſch.

Da kommt die Nacht: mit ſchwarzen Flügeln Umrauſcht fie unſern ſchwanken Kahn, Und auf den düſtern Wellenhügeln Stürmt donnernd die Gefahr heran. Vergebens Arbeit, Ruf und Zeichen! Der Sturm umheult die Opfer rund, Zur Rechten, Linken kein Entweichen, Und unten jauchzt der grauſe Schlund.

Verloren! Von gewaltgem Stoße Birſt ſchon der Kahn im Fluthgebraus, Und in der Wellen grimm Getoſe Unrettbar ſchleudert er uns aus. Da ſchwieg das Leben: feine Laute, So lockend hold, verſtummten ganz; Doch Deine Liebe ſchlug, o Traute, Zum Himmel auf in lichtem Glanz.

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Denn alle, alle Erdenſchranken Sie borften mit dem Kahn entzwei. Nun durft' ich innig Dich umranken, Dich an mich preſſen kühn und frei. Du haſt, o Starke, nicht gejammert, In ſolcher ſel'gen Todesnoth, An den Geliebten feſtgeklammert, Sankſt wie ein Kind Du in den Tod!

Doch mich durchfloß in Deinem Arme Des vollſten Lebens heiß Gefühl, Denn Deine Bruſt, die wilde, warme, | Schlug mir im kalten Fluthgewühl. | Nun raſchgewandt, ein ſtarker Schwimmer, Taucht' ich aus Wellengiſcht hervor, Und zum kryſtallnen Sternenſchimmer Hub Dich mein nerv'ger Arm empor.

Du warſt gerettet, mir gerettet Für eine friſche Lebensbahn; An meine Bruſt lagſt Du gebettet, Und weinend ſchauteſt Du mich an. Und wie vom Stromgott losgebunden Mich Deiner Locken Schwall umfloß, Empfand ich willig mich umwunden Von Deiner Liebe feſſellos.

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Da fiel des Lebens höchſte Stunde Vom Himmel uns mit Allgewalt: Frei gab Dein Mund ſich meinem Munde, Von Wonneſchauern heiß durchwallt. Da löſte ſich in Todesſchmerzen Das allererſte heil'ge Du, Du hauchteſt es aus vollem Herzen Mir Ueber-Ueberſel'gem zu!

Nun hat der Tod ein Band geſchmiedet, Das uns kein Leben mehr zerreißt, Es ruhet fromm und ſtillbefriedet Nun Herz an Herz und Geiſt in Geiſt. Uns ſprang aus der Vernichtung Hülle Mit ſonn'gem Aug' ein jung Geſchick, Zu eines ganzen Lebens Fülle Dehnt ſich der kurze Augenblick!“

Nachdem Gottfried die Unmöglichkeit erkannt hatte, ſeine Liebe zu Johannen aus dem Herzen zu reißen, beſchloß er wehmüthig, das Band zu löſen, das ihn an ein Mädchen kettete, welches er nicht mehr liebte, und durch die wilde Gluth ſeiner Leidenſchaftlichkeit leicht hätte unglücklich machen können, wenn er ſich für Ewig mit Sophieen würde verbunden haben. Wie

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ſchwer ihm ein ſolcher Entſchluß ward, fagt uns ein Gedicht, das bald nach Ausführung deſſelben auf einem Ausflug in die Ahr geſchrieben iſt:

„Hier war es, hier! die ſchmale Stelle, Ein liebend Paar umfaßt ſie kaum, Wo in des Herbſttags klarer Helle Wir träumten unſern kurzen Traum, Zum Gipfel hatt' ich Dich begleitet, Dein weißes Händchen in der Hand, Hier zeigt' ich Dir das Land gebreitet, Durchgaukelt von des Fluſſes Band.

So auf des Berges ſchroffſter Spitze, Selbſt Alles ſchauend ungeſchaut, Ein Gott auf meinem Königsſitze, Zeigt' ich die Welt Dir, meiner Braut! Ich kniete heiß zu Deinen Füßen, Das Haupt an Deinem Bufen feft, Empfand des Herzens Schlag, den ſüßen, Den ſteilen Weges Müh' erpreßt.

Wie hätt' ich's damals wohl verſtanden, Wenn mir verkündet ein Prophet, Daß mich, gelöſt von dieſen Banden, Hier wieder Lenzeshauch umweht? Und doch es iſt! Ich breche Ranken Für eine andre Herrin hier, Doch preſſen traurige Gedanken Entſchwundnen Glücks die Seele mir.

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Es ift geſchehn wir find geſchieden, Ich ſelbſt zerriß das holde Band, Dir wiederſchenken wollt' ich Frieden, Zu mächtig war für Dich mein Brand. Du wäreſt Semele geworden, An meinem Gluthenhauch verſprüht, Dich liebend mußt' ich Dich ermorden, Still drum, mein krampferſtarrt Gemüth!

Fort von der Stelle! fort in's Weite! Fort in ein niebetretnes Thal, Wo nicht Erinnrung giebt Geleite Mit Himmelsluſt und Höllenqual! Es fiel das Loos zu ſpät die Reue, Das Paradies liegt weit zurück! Eins aber ahn' ich: Deine Treue War meines Lebens frömmſtes Glück!“

So trat die einſtige Seligkeit dieſes Verhältniſſes im Scheiden noch einmal Gottfried klar vor die Seele, vielleicht glänzender, als ihm daſſelbe jemals erſchienen Allein er glaubte, ſein Loos ſei geworfen, und durfte ſich nicht ſcheuen, unverwandten Auges auf die Zahlen zu ſehen, welche daſſelbe wies. ſeinem Willen untreu geworden, indem er dies Band

16 *

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zerriß, aber er ſtand nur ſo wahr vor ſich, ſeiner Braut und der Welt da. Ob er ſiegen, ob die Liebe, welcher Gottfried nun die Ruhe ſeines und eines armen Mädchenherzens geopfert, ihm Frucht bringen würde, er wußte es nicht, aber er ergab ſich auf Gnade und Ungnade Dem, der da genannt wird: „die Liebe.“

Ungerechter, als ſeine Braut, die ſich mit Erge— bung in ihr Schickſal fand, beurtheilten ihn feine fal- ſchen Freunde, zumal da ſeine Schweſter Johanna Bögehold auch jetzt noch das neue Verhältniß auf jede erdenkliche Art zu zerreißen ſtrebte. Am Meiſten fiel dabei in die Wage, daß Frau Mockel äußerlich noch der katholiſchen Kirche angehörte, alſo vor dem Tode ihres vorigen Mannes ſich nicht zum zweiten Mal ver— heirathen durfte.

Der erſte empfindliche Schlag, welcher Gottfried traf, war die Abdankung als Religionslehrer im Thor— mann'ſchen Inſtitut. Er empfing dieſe Nachricht bei Tiſche; der Brief war nur ſchlecht verſiegelt, ſo daß man ihn ganz leſen konnte, ohne ihn zu erbrechen, und ward ihm ſo von fremder Hand zugeſtellt. Gleichfalls war in der flüchtig hingeworfenen Schrift Viel ausge— ſtrichen, und nicht einmal ein Dank für ſeine lang— jährige und ſegensvolle Thätigkeit ausgeſprochen.

Doch ein Unglück kommt ſelten allein; bald ſollten andere und verletzendere Schläge nachfolgen. Denn mit der Liebe, die rieſengroß in der Bruſt der beiden Verfolgten emporflammte, wuchs auch der Haß der Welt:

„Wie zwei arme Kinder, die ſpät ſich verirrten im Walde, Rufend zum Vater ſo bang' ſeh' ich uns Beiden nun an;

Schweſter und Bruder klein ſie trocknen einander die Augen, Falten die Händchen und flehn: „Zeige den Ausweg, o Gott!“

So klagte Johanna; aber ſie ward nicht muthlos bei der trüben Ausſicht in die Zukunft. Waren doch weder ſie, noch Gottfried ſich einer Schuld bewußt! Sie hatten ſich ja ſo oft reſignirend entſagt, und das Schickſal ſie trotz aller Vernunftvorſätze auf den wunderbarſten Wegen immer wieder zuſammengeführt, bis endlich die Todes pein ihren Willen in ſanfter Hingabe an die unbeſiegbare Liebesmacht zerbrach; wie durfte denn Johanna jetzt nicht ſprechen:

„Bereuen ſollt' ich, Was mir vom Himmel fiel? Nicht achten ſchuldlos, Was mich ſo rein beſeelt? O das ſei fern mir! Klar vernommen Hab' ich im Buſen des Gottes Stimme!

Verfolgten wir denn Einer des Andern Spur? Umſtrickten wir denn wollend des Andern Herz? Wir blieben wachſam, treue Kämpfer Gegen die ſchwellende Macht der Liebe.

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Aus blauer Wölbung zuckte der ſchnelle Blitz, Der unverwarnt uns ſchmetterte Bruſt an Bruft. Vergiß es niemals, daß der Tod uns Alle die nichtigen Schranken wegriß!

Was uns getrennt auch: ſelber erſchufen wir's, Im eignen Witz nur haben wir uns verſtrickt. Doch daß wir dennoch uns gefunden, Das iſt der ewigen Mächte Rathſchluß.“

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Gottfried ſaß mit feinen Freunden Alexander Kaufmann und dem Privatdocenten Dr. Laurentius Lerſch auf ſeiner Stube in vertraulichem Geſpräch über Kunſt und Poeſie des Rheinlandes. Er war den Bei— den auf einem Spaziergange begegnet, und hatte ſie zum Kaffee mit auf ſein Zimmer genommen, das eine herrliche Ausſicht auf das Siebengebirge und den Rhein eröffnete.

Fröhlich verſtrich die Zeit unter ernſten und wiſ— ſenſchaftlichen Betrachtungen. Es war vier Uhr Nach— mittags. Ein leiſes Klopfen an die Thür ließ ſich vernehmen. „Herein!“ rief Gottfried heiter, in der Erwartung, noch einen Freund zu begrüßen. Aber ſein Geſicht verfinſterte ſich, als mit geheimnißvoller Amtsmiene und ſcheuer Höflichkeit Paſtor Engels aus Köln eintrat, und erklärte, ein „Wort im Stillen“ für unſern Freund zu haben.

Gottfried führte ihn in's Nebenzimmer, bot ihm einen Stuhl, und erwartete das Begehren des Geiſt— lichen.

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„Ich komme im Auftrag des Presbyteriums,“ begann Dieſer. „Es haben ſich beunruhigende Gerüchte über ein Verhältniß gebildet, in dem Sie zu einer hieſigen Dame ſtehn ſollen, und das Presbyterium hält ſich verpflichtet, darüber von Ihnen eine Erklä— rung zu verlangen. Es hat mich beauftragt, einige Fragen in dieſer Beziehung an Sie zu richten.“

„Ich läugne das Recht des Presbyteriums, ſolche Fragen zu ſtellen.“

„So?“ meinte der Geiſtliche verwundert, indem er dies Wort in langgezogenem Tone ausſprach.

„Ja. Das Presbyterium hat allenfalls drei Stücke bei mir zu überwachen: Reinheit der Lehre, Amts— treue und ſittlichen Wandel. Es kommt ihm in dem letztgenannten Punkte alſo nur dann ein Anfragerecht zu, wenn ich eines unſittlichen Verhältniſſes be- ſchuldigt werde. Dies iſt aber, ſo weit mir bekannt, nicht der Fall. Vor Allem müſſen wir uns in's Klare ſetzen. Meint das Presbyterium meinen Umgang mit der geſchiedenen Frau Mathieux?“

„Ja, allerdings.“

„Dies Verhältniß hat, ſoviel ich weiß, noch Nie— mand für ein unſittliches zu halten gewagt.“

„Wenn aber die Gemeinde und auch das Pres— byterium an einem ſolchen Verhältniſſe Anſtoß näh— men?“

„Ich habe Das bisher nicht gefunden. Neben ein— zelnen ungünſtigen Zeugniſſen kommen mir auch manche einer geſegneten Wirkſamkeit zu.“

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„Sie werden mir aber glauben, daß dennoch Manche Anſtoß nehmen. So hat man z. B. davon geſprochen, daß Sie mit der Frau Mathieux im „Hir— zekümpchen“ Kaffee getrunken.“

„Und Was iſt denn hier mein Verbrechen? Daß

ich Kaffee getrunken, oder daß ich im Wirthshaus

zum „Hirzekümpchen“ Kaffee getrunken, oder daß ich mit jener Dame Kaffee getrunken? Ich leugne ganz und gar das Recht eines Anſtoßes, wie Sie ihn behaupten. Da Niemand mein Verhältniß zu der geſchiedenen Frau Mathieux für unſittlich hält, kann die Frage nur in dem Sinne gemeint ſein, ob ich dieſelbe zu heirathen gedenke. Da bis jetzt keines— falls eine Ehe geſchloſſen iſt, hat ſich auch Niemand darum zu kümmern.“

Der Geiſtliche gab eine unbeſtimmte und auswei— chende Antwort. Kinkel fuhr deßhalb fort:

„Indeß wenn ich etwa mit Johanna Mockel verlobt wäre, ſo würde das der Ehe gleich zu achten ſein. Auch das iſt bis jetzt nicht geſchehen, obgleich ich die Möglichkeit einer Verlobung in der nächſten Zeit nicht läugnen will.“

„Aber die Heirath mit einer Katholikin,“ eiferte der Paſtor, „und mit einer Frau, die von ihrem erſten rechtmäßigen Manne geſchieden iſt, könnte doch bei einem Geiſtlichen in keinem Falle gebilligt werden. Sie wiſſen, daß der Ruf eines Geiſtlichen ſehr zart iſt.“

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„Ich kenne einen ſehr wackern Geiſtlichen, der ſonſt unſerer Synode angehörte, und mit einer Katho— likin ſich verheirathete, d. h. mit einer ſolchen, die aus Ueberzeugung zum evangeliſchen Glauben übergetreten war. Wie kann das Presbyterium wiſſen, Was hier die Zukunft bringen wird?“

„Es würde aber doch bei uns ſehr anſtößig er— ſcheinen.“

„Das muß gleich ſein. Es kommt darauf an, daß Jemand wiſſe, er handle nach Gottes Wort. Auch wiſſen Sie, daß nach dem Geſetz der evangeli— ſchen Kirche der zweiten Vermählung einer rechtskräftig geſchiedenen Frau Nichts im Wege ſteht. Die Augs— burger Confeſſion und der Heidelberger Katechismus geſtatten ausdrücklich dieſen Fall, und vor wenigen Wochen hat ſich die hieſige evangeliſch-theologiſche Fakultät auf Befragen der Regierung ebenfalls für die Erlaubniß der zweiten Ehe Latſchieden.“

„Ja, aber —“ wandte der unermüdliche Vertre— ter des Presbyteriums ein, „die Gemeinde hat ein religiöfes Gefühl, das man nicht verletzen darf.“

„Auf ein ſolches Gefühl, wenn es ſich auf Irr— wegen befindet, hat Niemand zu achten. Es kommt auf den Begriff an, und das Gefühl iſt hier das ganz Inhaltsloſe. Im Mittelalter verabſcheute man den Geiſtlichen, der überhaupt verheirathet war, und un— ſerm Luther nahm es ſeine eigne Kirche übel, daß er ſich verehelichte. Wir fenden dieſe Heirath jetzt ganz in der Ordnung. Chriſtus ſelbſt und Paulus haben

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die Gründe angegeben, unter denen das Weib nicht gebunden iſt. Dies meine Antwort melden Sie dieſelbe dem Presbyterium! Da Ihre Frage offieiell war, bitte ich, dieſelbe zu wiederholen, damit ich auch meine Antwort officiell ausſprechen kann.“

Der Geiſtliche erfüllte die an ihn gerichtete For— derung, und Kinkel verſetzte:

„So leugne ich hiemit jedes Recht des Presby— teriums, ſich um dieſe Sache zu bekümmern, da ſie noch ganz in ambiguo iſt, und ich bis jetzt öffentlich weder erklärt habe, die genannte Dame ehelichen zu wollen, noch das Gegentheil; um ſo mehr, da ein Jeder fühlen mußte, daß die Berührung eines ſolchen Verhältniſſes ein delikater Punkt ſei. Ich leugne auch das Recht des Presbyteriums und Jedermanns an dieſer Sache Anſtoß zu nehmen, ſelbſt wenn ſie ſich ſo verhielte, wie vermuthet wird.“

Kinkel ſtand auf, der Geiſtliche ebenfalls.

„Und nun bitte ich, treten Sie bei mir ein, und nehmen eine Taſſe Kaffee. Zwiſchen uns beſtehe Wahr— heit und Liebe, es wende ſich die angeregte Sache, wie ſie will! So ruhig ich Ihnen Dies ſage, ſo feſt werde ich auf meiner Ueberzeugung ſtehen. Lächelnd werde ich mir das Kleid meiner äußeren Ehre auszie— hen laſſen, um ihr getreu zu ſein. Wenn Sie gegen mich gehandelt haben —“

Er verneinte.

„Ich glaube es auch nicht. Wenn Sie es aber thäten, ſo würde ich darum keine Bitterkeit gegen Sie

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hegen. Sie handeln nach Ihrer Ueberzeugung, ich nach der meinigen.“

Beide reichten ſich die Hände, und gingen herüber zu den Freunden. Heiter ſprach Gottfried von gleich— gültigen Dingen, und erwartete gefaßt den Erfolg ſeines männlichen Wortes.

Sechs Tage nachher überbrachte ihm der Poſtbote ein Schreiben des Presbyteriums. Der Inhalt war Kin— kels Abſetzungsurkunde als Hülfsprediger der evange— liſchen Gemeinde zu Köln.

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Es war der 29. Juni 1841. An dieſem Tage ſollte das erſte große Stiftungsfeſt des Maikäferver— eines gefeiert werden. Auch von den Mitgliedern dieſes heitern Dichterbundes waren mehre Kinkel und der Königin untreu geworden, ſeit ihn ſeine Freunde flohen und ſeine Feinde verfolgten. Leo Haſſe war der Erſte aus dieſem Kreiſe geweſen, der nicht den Muth beſaß, das Anathem, welches der Salon auf Kinkel's Haupt geſchleudert hatte, zu zerbrechen, und ihm ſang Gottfried das herrliche Lied: „der Welt Trotz!“ *% Bald darauf folgte auch Alexander Kauf— mann, deſſen Austritt den männlicheren Freund un— ſäglich verwundete, und dem eins ſeiner vorzüglichſten Gedichte“) gilt. Kinkels Feinde jubelten laut, als auch dieſer Freund den Bedrängten verließ, ſobald die ſogenannten höheren Zirkel ihn hatten fallen laſſen. Statt der Ausgeſchiedenen waren zwei neue Mitglieder eingetreten: Karl Freſenius, der bereits im Sep— tember Bonn wieder verließ und Jakob Burkhardt,

*) Gedichte S. 120. ) Einem Verlorenen! Gedichte S. 116.

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der um dieſelbe Zeit nach Berlin ging, und fortwäh— rend correſpondirendes Mitglied blieb. Dieſem vor— züglichen Arbeiter auf dem Felde der Kunſtgeſchichte, der ſpäter als Profeſſor nach Baſel berufen ward, hat Kinkel ſein Werk über die Ahr gewidmet. Die Gedichte deſſelben ſind meiſt Reiſeeindrücke von nicht gerade erheblichem Werthe. Auch Nikolaus Becker, der gefeierte Dichter des Rheinliedes ward zum Ehren— mitgliede ernannt. Gegen Ende des Jahres trat noch Willibald Beyſchlag ein, der durch die ſcharfe Kritik, welche er unermüdlich über ſeine eignen und die Werke ſeiner Freunde ausſprach, eins der verdienſtvollſten Mitglieder des Bundes ward.

Die fidelen Maikäfer waren auch in anderer, als ſchriftſtelleriſcher Beziehung thätig. So hatten ſie zu Anfang des Jahres Platen's verhängnißvolle Gabel im Koſtüm aufgeführt, und einer ausgeſuchten Geſell— ſchaft den höchſten Kunſtgenuß an dieſem Meiſterwerke des modernen Ariſtophanes erſchloſſen. Um beſtändig von den neueſten Erſcheinungen auf dem Felde der poetiſchen Literatur Kenntniß zu erhalten, ſchaffte man ſich dieſelben auf gemeinſchaftliche Koſten an, ließ ſie zum Durchleſen eine Zeitlang zirkuliren, und ſetzte ſie dann als Preiſe für die beſte Bearbeitung eines auf— gegebenen poetiſchen Stoffes aus, über den man ſich durch Stimmenmehrheit oder wechſelndes Vorſchlagerecht einigte. Damit keine Unbilde einträte, fügte man die Beſtimmung hinzu, daß, Wer den Preis erhalten, für

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die nächſten drei Preisaufgaben von dem Recht des Gewinnes ausgeſchloſſen ſei. Endlich ſollten die ein— gelieferten Arbeiten von Einer Hand abgeſchrie— ben, und ohne Angabe der Verfaſſer Einem oder dreien auswärtigen Richtern übergeben werden, deren Urtheil über die Ertheilung des Preiſes entſchied.

Zu der heutigen Feier waren als Ehrengäſte Herr und Frau von Binzer aus Köln eingeladen, und auch Schlönbach eingetroffen. Um zehn Uhr verſam— melten ſich die männlichen Mitglieder in der Wohnung des Miniſters Kinkel und begaben ſich um elf Uhr in die mit Epheu und Blumengewinden zierlich bekränzte Wohnung der Königin. Eine Stunde nachher eröffnete der Miniſter das Feſt mit einer geiſtvollen Rede über Tendenz, Geſchichte und gegenwärtigen Beſtand des Vereines wie auch über die bisherigen Leiſtungen der einzelnen Mitglieder. Zuletzt gab er einen Bericht über die Preisaufgabe und Ankündigung der neuen bis zum 1. Januar 1842 einzuliefernden Dichtung. Nun erfolgte die Verloſung der Reihenfolge, in welcher die Preisaufgaben über Otto den Schützen, das dies— malige Thema zur Vorleſung kommen ſollten. Dann trennte man ſich nach Abſingung des von Alexander Kaufmann gedichteten und von Johanna Mockel com— ponirten Maikäfer-Nationalliedes, das nur zufällig, weil eben kein anderes vorhanden war, zu dieſem Rang erhoben ward. Die darin enthaltene Aufforderung zur Ehe war vollkommen tendenzlos.

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Maikäfer flieg’!

„Maikäferlein wollt' freien gehn, Maikäfer flieg'!

Goldkäfer ſprach: So ſei doch klug!

Biſt ja noch lang' nicht ſchmuck genug, Maikäfer, flieg'!

Wie ſollt' ich denn noch ſchmucker ſein? Maikäfer, flieg'!

Ei, wie man nur fu fragen kann!

Schaff' Dir erſt goldne Flügel an, Maikäfer, flieg'!

Maikäferlein wollt' freien gehn, Maikäfer, flieg'!

Hirſchkäfer ſprach: So ſei doch klug,

Biſt ja noch lang' nicht ſchmuck genug, Maikäfer, flieg'!

Wie ſollt' ich denn noch ſchmucker ſein? Maikäfer, flieg’ !

So ſchaff' Dir erft ein Prachtgeweih',

Als ob Dein Vater König ſei, Maikäfer, flieg'!

Maikäferlein wollt freien gehn, Maikäfer, flieg'!

Miſtkäfer ſprach: So ſei doch klug,

Biſt ja noch lang' nicht ſchmuck genug, Maikäfer, flieg’!

Wie ſollt' ich denn noch ſchmucker fein? Maikäfer, flieg'!

Paſſ' auf, und höre meinen Spruch:

Schaff' erſt Dir guten Wohlgeruch, Maikäfer, flieg'!

Maikäferlein flog weit und breit, Maikäfer, flieg'!

Wo kauft' man goldne Flügelein

Und Hirſchgeweih und Düfte fein? Maikäfer, flieg'!

Maikäferlein flog lang umher, Maikäfer, flieg'!

Und ward ein alt Maikäferlein,

Und blieb doch, wie Maikäfer ſein, Maikäfer, flieg'!

Maikäfer ward betrübet ſehr, Maikäfer, flieg'!

Und ſprach: Ich arm Maikäferlein,

Jetzt bin ich alt, und kriege kein', Maikäfer, flieg'!

Und Was man lernt aus der Geſchicht'? Maikäfer, flieg'!

Wer alt iſt, kriegt kein Weiblein wehr,

Drum hör', bedenk Dich nicht zu ſehr, Maikäfer, flieg'!“

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Um drei Uhr Nachmittags eröffnete Frau Mockel die Vorleſung mit einem von ihr verfaßten Liederſpiel „Otto der Schütz“ in einem Aufzuge. Dann las Kinkel ſein unſterbliches Epos: „Otto der Schütz. Eine rheiniſche Geſchichte in zwölf Abentheuern.“ ) Alles hing ſtumm an ſeinen Lippen, und ein nicht enden wollender Beifallsſturm brach aus, als er zum Schluſſe gelangt war. Die Zuhörer fühlten, daß ſeit dem Mittelalter die deutſche Literatur nicht Eine er— zählende Dichtung beſäße, die ſich an Lieblichkeit und Friſche mit dieſem Epos meſſen dürfte, das Gottfried im Rauſch ſeiner neuen Liebe in der kurzen Friſt dreier Monate vollendet hatte. Die reinſte und be— zauberndſte Sinnlichkeit der Natur, an der es unſerer Poeſie ſo ſehr gefehlt hat, lachte aus jedem Verſe hervor und die Verherrlichung einer edlen Minne ver— breitete ihren roſigen Schein über die lauſchenden Jünglinge und Jungfrauen.

Nun folgte noch ein Romanzenkranz in ſechs Abthei— lungen von Schlönbach und ein anonymer humoriſtiſcher Cyklus in zwölf Orgelliedern von Kinkel, die gleichſam eine Parodie ſeiner herrlichen Dichtung bilden, und hier einen Platz finden mögen:

*) Gedichte S. 169 266. Auch beſonders abgedruckt und bereits in der dritten Auflage (Miniaturausgabe mit Goldſchnitt) bei Cotta erſchienen.

Das Schützen lied.

In zwölf Volkstönen,

gar luſtig zu leſen und zu hören.

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Erfter Ton.

In welchem der Autor meldet, warum er die Hi— ſtorie von Otto dem Schützen auf die Orgel geſetzet, wie auch in parenthesi, daß ſolche einen Groſchen koſtet. Item werden frühere Autores, welche dieſel— bige Hiftorie ſich zum Vorwurf genommen, ſcharf kritiſiret.

Nun kommt zu Hauf, ihr lieben Leut, Ein ſchön Verzählchen meld' ich heut Vom Otto Schütz und ſeiner Braut, Und wie er ward zu Klev' getraut: Das Lied koſt einen Groſchen.

Das iſt geſchehen, Das iſt wahr, Ein taufend drei hundert im zwei und vierzigſten Jahr, Und weil das iſt ſchon gar ſo lang, So ward auch dieſer Vers zu lang: Das Lied koſt einen Groſchen.

Es hat zuerſt ein braver Mann Dem Liedel ſeine Ehr' gethan, Von Arnim iſt's der wackre Graf, Der ſetzt' es in Komödie brav: Das Lied koſt einen Groſchen.

Darauf von Schwaben kam Herr Schwab,

Der ihm ein buntes Kleidchen gab;

Zuletzt der Doktor Simmerock

Schnitt ihm gar einen knappen Rock: Das Lied koſt einen Groſchen.

Da haben wir's zu allerletzt |

Zum Leierkaſten hübſch geſetzt: |

Nun kommt und hört dies neu Gedicht, |

Und kriegt das Lied den Preis auch nicht: Wir kriegen doch den Groſchen.

263

Zweiter Ton.

Hier wird erzählet, wie es zu Marpurg gedon— nert, und wie Otto ſollte ein Mönch werden, wollte aber nicht.

Im Schloß zu Marpurg donnert's ſchwer,

Der Herr kam von der Wartburg her;

Im lichten Panzer ſteht er da,

Und hoch vom Schloß zu Thal er ſah, Thüringens eiſerner Hein rich.

Es nah'n die Knaben ſich allbeid,

Zu hören ſein Gebot bereit,

Der ält're ſchwächlich, klein und bang,

Der jüng're froh und ſtark und lang. Die Söhne des eiſernen Heinrich.

„Du, Heinrich, folgſt mir nach im Lehn, Sollſt Ritterkünſte wohl verſtehn, Die lehr' ich Dich zu dieſer Friſt, Weil Du mein Erſtgeborner biſt, Ich ſelbſt, der eiſerne Heinrich

264

Du, Otto, ſollſt mir geiftlich fein,

Ein Bisthum ſchaff' ich Dir am Rhein

Sollſt lernen nun der Bücher Kunſt,

Schon warb des heil'gen Vaters Gunſt Dein Vater, der eiſerne Heinrich.

Auf nach Paris, der Künſte Zier! Du, Heinrich, reiteſt zu Hof mit mir, Beſchloſſen hat's mein feſter Sinn, Gehorcht und ſcheidet raſch, ich bin, Ihr wißt's, der eiſerne Heinrich.“

Die Beiden ſanken ſich in Arm, Heinrich ward kalt und Otto warm, Doch ſchwieg er ſtill, und neigte ſich Beim Abſchied mild und ritterlich Dem Vater, dem eiſernen Heinrich.

265

Dritter Ton.

Worin der Junker Otto einen Selbſtmonolog hält, und ſehr vernünftig von der Möncherei redet. Gut für ungehorſame Kinder zu leſen.

„Mein Haupt, umflogen vom wallenden Haar, Und möchteſt Du werden geſchoren und baar? Du zuckender Arm voll nerviger Kraft,

Dich bände das Kloſter mit ſchläfriger Haft?

O Jugend, o Leben, o Luſt verrauſcht,

Die Glut mit froſtigem Schnee vertauſcht! Dich mißt' ich, du zierliche Armbruſt mein, Und ſpielte mit Kreutzen und Todtengebein?

O Jagdruf, heute zum letzten Mal Sollt' ich dich jauchzen in's hallende Thal, Aus Meßbuch morgen und Prieſterbreviet Singen erbauliche Sprüchlein für?

O nein, mein Vater! Iſt hart Dein Muth,

In mir auch klopfet Dein ſchäumend Blut Sie nennen Dich laut den eiſernen Mann, Drum hätteſt Du ſelbſt ſo wie ich nun gethan.

67

Dort unten im Thale, da gehet die Bahn, Und drüben da ftei et der Fels hinan Dahinter der düſter unwirthliche Tann, Wo Keiner erjaget den flüchtigen Mann.

Im Garten der Fels, wo als Knab' ich ſo viel Hinab mich gelaſſen im wagenden Spiel,

Noch kenn' ich die Stufen, wohlauf und wohlan, Ein raſcher Beſchluß, und ſo iſt es gethan!“

Aus zog Herr Otto den Ritterrock,

Die Kutte hing er hinauf an den Pflock:

„Fahr wohl, du Adel, du Bisthum am Rhein, Ein Dienſtmann bin ich, doch Freiheit iſt mein!“

267

Vierter Ton.

In welchem kläglich dargeſtellt wird, wie einem professori der ſchönen Künſte zu Muthe ſei, wenn er kein Collegium zu Stande gebracht.

Paris iſt eine große Stadt,

Darin ein großes Kloſter.

Da ſtand im geiſtlichen Ornat

Mit Kutt' und Paternoſter

Ein Meiſter der gelehrten Kunſt,

Der hielt aus Büchern blauen Dunſt Bereit ſchon für Herrn Otto.

Erſt wollt' er ihn Exegesın

Und dann Moral auch lehren,

Hierauf den herben Ritterſinn

Mit Faſten ſtreng bekehren.

Zuletzt noch in die ſchwarze Kunſt

Wollt' er aus ganz beſondrer Gunſt Einweihen den Herrn Otto.

Hohl iſt die Wang', die Naſ' iſt lang, Die Augen trüb und friedlich; Vom Lehren ſind die Lungen krank, Doch Lehrens unermüdlich: Er weiß, daß Fürſtenſöhne ja Gern hören privatissima,

Drum harrt er auf Herrn Otto.

268

Doch ach, er harret lange fehr, Herr Otto ſcheint zu ſchwänzen; Er ſpricht: Das muß ich tadeln ſchwer, Ich geb' ihm Pönitenzen. Weh, wenn den Anfang er verliert! Nicht gründlich wird introducirt!

Der faule Landgraf Otto.

Ein Heſſiſcher Commilito

Kam endlich angezogen,

Und Der verkündet's keck und froh:

Herr Ott' hat Euch betrogen;

Es iſt, Gott weiß in welches Land,

Vor Euch, Ihr Herren, durchgebrannt Der muthige Herr Otto.

Da wurde des Profeſſor's Naf’

Viel länger noch zuſehens,

Daß er des Witzes gar vergaß

Und ſeines Vielverſtehens;

Es fiel ihm, eh's begonnen, um

Sein länglich privalıssimum Durch Dich, o böſer Otto.

269

Fünfter Ton. Ein feines Lied für gute Waidgeſellen.

Zum Roßkamm trat Herr Otto ein,

Er bot ihm rothes Gold:

Gib mir Dein allerbeſtes Roß,

Will reiten mit Sankt Huberts Troß, Ein Schütze will ich ſein.

Im Wald, im Blätterdämmerſchein,

Da ſteht des Förſters Haus:

O Förſter, gib mir ein gut Geſchoß,

Will reiten mit Sankt Huberts Troß, Ein Schütze will ich ſein.

Herr Waffenſchmied, aus Deinem Schrein Gib einen Jagdſpeer mir, Soll in Gefahr mir ſein Genoß, Will reiten mit Sankt Huberts Troß, Ein Schütze will ich ſein.

So zog er heimlich und allein

Vom Kloſter fern o fern,

Und fern von ſeines Herrn Vaters Schloß

Wollt' reiten mit Sankt Huberts Troß, Ein luſtiger Schütze ſein.

Sechster Ton.

Hier hebet ſich der Autor über ſich ſelber, und beweiſet, daß er auch lange und vornehme Verſe machen kann, bringt auch am Ende eine zierliche allegoriam vor, die er dem heidniſchen Gott Cupidini abgeborget.

Ihr e Das ſind mir Kinderpoſſen!

Auf ſechszig Schritt in's Ziel geſchoſſen,

Das hab' ich oft als Knabe ſchon.

Auf hundert Schritt den Bolzen ſenden,

Laßt dieſen Wettkampf uns vollenden Darnach beſtimme, Fürſt, den Lohn!

Und wie Herr Otto Das geſprochen, Hat eine Gert' er abgebrochen, Die ſteckt er in den loſen Sand. Nun drauf und dran! Die Bolzen ſchwirren, Doch Alle ab vom Ziele irren, Da nimmt fein Schieß zeug er zur Hand.

Paßt auf! Er zielt mit feſtem Arme, Umringt vom murr'nden Jägerſchwarme, Die Senne klaſcht, der Bügel klingt, Hin ſauſt der Pfeil Wer mag's begreifen? Der ſchmale Stab zu zweien Streifen

Wie eine Wünſchelruthe fpringt.

271

Sprach Graf Hubert: Dich muß man faſſen, O wackrer Schütz, und auf Dich paſſen, Daß Du nicht wie Dein Pfeil entfliegſt! Ich gebe Sold Dir, Schwert und Roſſe; Nur ſorge, daß mit dem Geſchoſſe

In Klev' Du ſtets wie heute ſiegſt!

Ich aber ſag' Euch ungelogen:

Der Pfeil iſt doch vorbeigeflogen,

Die Jungfrau dort ward bleich geſchwind.

Die hat er wider ſein Verhoffen

Mit ſicherm Schuß in's Herz getroffen, Das war des Grafen einzig Kind.

272

Siebenter Ton.

Hier ſchreibet der Poet Verſe, welche fo unbe— greiflich und aus der Maßen künſtlich ſind, daß billig zu vermuthen, er habe ſich dieſelbigen von einem an- dern und beſſern Meiſter des Geſanges verfertigen laſſen. Es iſt aber ein Zwieſprach zwiſchen dem ſchö— nen Otto und der jungen Elsbeth, und muß mit ge— rührtem Gefühl geſungen werden.

In dem Hof des Schloſſes

Sing ich leiſe,

Elsbeth, Dir die frühe Tagesweiſe. Weh' mir meines Roſſes,

Meines Falken, meines ſtarken Hundes, Du mein Herz, Du wundes,

Reißeſt fort mich aus der Freuden Kreiſe.

„Hörſt mich, ſtolzer Schütze,

Vom Balkone,

Wo in hoher Ehren Schein ich throne? Weh'! Was ſind mir nütze

Meine Jugend, meine ſchlanke Schöne? Lockend Deine Töne

Schimmern heller, als die Grafenkrone.“

273

O fo neige, neige

Dich hernieder

Auf der Liebe rettendem Gefieder! Deine Huld mir zeige!

Friedſam will ich Dir die Hütte bauen Fern im Waldesgrauen,

Ewig klingen dort Dir meine Lieder!

„Weh'! Du wilder Knabe!

Fort von hinnen

Mit des Raubes frevelndem Beginnen! Jungfrau bis zum Grabe

Will in öden, liebeleeren Mauern Einſam ich vertrauern,

Ewig fiumm ſoll meine Thräne rinnen!“

Ach, Du haſt beſchloſſen,

Und mit Beben

Fühl' ich mich, wie Dich, in Tod gegeben! Morgenroth ergoſſen

Strahlt im Oſten fort zum ſtillen Walde! Dort der Bergeshalde

Will ich klagen ein verlornes Leben!

18

274

Achter Ton.

Worin in fieben Verſen das fiebenfältige Wehe über den jungen Bößwicht Otto ausgerufen wird.

Der alte Landgraf ritt im tiefen Wald;

Sein Haar war grau, ſein Blut in Adern kalt.

Er dachte bang an ſein erlöſchend Haus,

Und rief in Sturm und Wetternacht hinaus. Weh' mir um Dich, mein Otto!

Mein Heinrich ſtarb in ſchwerer Ritterzucht.

Zu ſtreng war ihm des Helm's und Panzers Wucht;

Mein jüngſter Sohn, Du warſt von meinem Mark,

Stahl war Dein Herz, Dein Arm ſo fürſtlich ſtark Weh' mir um Dich, mein Otto!

Nicht freuet fürder mich mein ödes Land,

Ein fremder Erbe nimmt's aus meiner Hand,

Und geh' ich ein zur ſtillen, ſtillen Ruh,

Drückt mir mein Fleiſch und Bein das Aug' nicht zu Weh' mir um Dich, mein Otto.

Er ritt mit Klaggefchrei den Tann hindurch,

Er kam zu Nacht an des von Homburg Burg:

Thu auf, Vaſall, dem freudeloſen Herrn!

Einſt ſaß bei Deinem Becher ich ſo gern Weh' mir um Dich, mein Otto!

Der Homburg öffnet' ihm des Schloſſes Thür, Er trat mit altersgrauem Haupt herfür, Er half dem Lehnsherrn von dem Roß geſchwind, Und beide Greiſe klagten in den Wind:

Weh' mic um Dich, mein Otto!

Der Homburg ſprach: Bei Gott iſt Gnade viel!

Laßt morgen pilgern mich zum fernen Ziel.

Von Aachens Wundern gehn die Kunden um,

Dort bet’ und klag' ich laut im Heiligthum: Weh' mir um Dich, mein Otto!

Und willſt Du thun für mich den fernen Zug,

Das lohn' ich Dir wit Gold und Gunſt genug;

Mir aber bleibt bis Du zurückgekehrt,

In meinem Mark ein doppelſchneidig Schwert Weh' mir um Dich, mein Otto!

18 *

276

Neunter Ton.

Worin der Autor feine eigentliche Meinung vom Wein und von deſſelbigen vortrefflichen Eigenſchaften fleißig auseinandergeſetzt hat.

Das Pilgern macht doch müd' und matt,

Fahr' wohl nun, alte Kaiſerſtadt!

Nun will, wo Kleves Banner wehn,

Beim Wein ich noch zu Raſte gehn Der Wein iſt ein guter Geſell.

Dort war's, wo ich als Knapp' vorzeit

Mich meiner Jugend hoch gefreut.

Ich weiß, daß Graf Hubertus oft

Beim Becher meiner Rückkehr hofft Der Wein iſt ein guter Geſell.

Es ſaß bei ſeinem Gaſt der Graf, Sie jubelten und tranken brav. Der Graf war klüger als fein Gaſt, Und hat ihm luſtig aufgepaßt Der Wein iſt ein guter Geſell.

Du haft, ein freier Rittersmann, Heut' Morgen ſeltſam Ding gethan: Nun leg mir's, Homburg, aus beim Wein, Der wird juſt nicht Verräther ſein Der Wein iſt ein guter Geſell.

Da hab' ich einen wackern Schütz,

Der iſt zu jedem Dienſt mir nütz;

Vor Dem hab' ich Dich neigen ſehn

Ja, Homburg, magſt mir's nur geſtehn Der Wein iſt ein guter Geſell.

Und habt Ihr's wirklich denn geſchaut,

Thut's Noth wohl, daß man Euch vertraut,

Das iſt des Landgrafs letzter Sohn,

Der erbt ſein Land und ſeine Kron' Der Wein iſt ein guter Geſell.

Iſt's ſo, Das ſoll mich nicht gereun

Ich will mich ſeines Schreckens freun!

Er that mit meinem Kind vertraut;

Stoß' an auf Bräutigam und Braut Der Wein iſt ein guter Geſell.

278

Zehnter Ton.

Diefes iſt ein moralifhes Stück, und enthält einen beweglichen Zwieſprach unter Mutter und Toch— ter. Iſt für junge Mägdlein nütz, und auch ergötz— lich zu hören, dieweil am Ende von jedem Vers ein Mann ſteht.

O Töchterlein, Du biſt entehrt!

Dein Vater will Dir ſchlimm,

Er gibt Dich keinem Ritter werth, Veſchloſſen hat's fein Grimm:

Er ſtößt Dich fort aus Hofes Bann Und gibt Dich einem ſchlechten Mann.

O Mutter, da ſei Gott dafür!

Ich bin fein ehelich Kind,

Und wi f er mir fo rauh die Thür,

Er wär' nicht fromm geſinnt!

Was hab ich Arme denn gethan,

Daß mich gewinnt ein ſchlechter Mann?

O Toöchterlein, es bangt mir ſehr,

Bekenne Du mir's frei!

Du baft verloren Deine Ehr',

Und kommſt in bös Geſchrei.

Sprich, ob Dein Magdthum nicht gewann Von unſerm Hofgeſind ein Mann?

279

O Mutter, ich bin Euer Blut,

Das Blut iſt keuſch und rein!

Wohl hab' ich kecken Jugendmuth,

Doch ſaß ich ſtets allein

Im Kämmerlein und ſang und ſpann Noch weiß ich nichts von einem Mann!

So wiſſ' es denn, o Elsbeth mein, Beſchloſſen iſt der Rath,

Du mußt des Dienſtmann's Gattin ſein, Ihm dienen früh und ſpat

Maria helfe, wenn ſie kann,

Sonſt wird der Otto Schütz Dein Mann.

Frau Mutter, iſt's der Otto Schütz, Da laßt die Sorgen ruhn,

Gewiß es iſt den Kindern nütz:

Der Eltern Willen thun.

Ein Schütz, der zielen und treffen kann, Der dünkt mich doch kein ſchlechter Mann!

280

Elfter Ton.

Ein dramatiſches Stück: Begreift in ſich einen Zwieſprach des Herrn Otto und ſeines Pferdes, wo— bei es dem Pferde übel ergeht.

Herr Otto jagt ſein ſtarkes Roß, Daß ihm das Blut vom Sporen floß, Und hinter ihm mit Hörnerſchall Mit Hundgebell und Hufgeprall Da ſauſet die wilde Jagd.

Oft jagt' ich auf der muntern Birſch

Den Keuler und den ſchlanken Hirſch,

Nun bin ich ſelbſt ein flüchtig Wild,

Mich hetzt durch Forſt und Korngefild Wie raſend die wilde Jagd.

Du, Kleve, das mir Heimath gab,

Du wirſt nun meines Glückes Grab!

Auf's Neue droht dem flücht gen Mann

Der Kirche Zorn und Kloſterbann, Fort, fort in die wilde Jagd!

281

Umſonſt! da liegſt Du, treues Roß, Und nah' ſchon keucht der Sklaven Troß Da kommt der Schweißhund ſchon heran Auf meiner blutgedüngten Bahn

Da iſt ſie, die wilde Jagd!

Verloren nun ſo ſei's geſchehn! Wer mag dem Schickſal widerſtehn? Ade, mein lang und lockig Haar, Ade, Du Welt, für immerdar,

Ade, Du wilde Jagd!

Zwölfter Ton.

Worin der Autor dem Schützen Otto, und feiner ö geliebten Elsbeth, item dieſem Büchlein und dem ge— neigten Leſer zum Abſchied ſeinen Segen ertheilt.

0 Kommſt Du, mein frevelnder Geſell? | Schau, wollteſt uns entfliehn fo ſchnell Und jagteſt fort im Nu? Dein Frevel hat Dein Roß gefällt, | Nach Fug mein ſtarker Arm Dich hält Was ſagſt Du nun dazu?

O! ſchwer iſt Deiner Thaten Wucht!

Du biſt entflohn des Vaters Zucht, Entflohn der Kloſterruh'!

Du haſt mir hier mein eigen Kind

Berückt zur Liebe arggeſinnt Was ſagſt Du nun dazu?

rn

Herr Graf, ich hab' die Schuld gefühnt, Euch hab ich immer treu gedient,

Ihr gabt es ſelbſt mir zu! Sprecht ohne Zaudern Euren Spruch, Zum Dulden bin ich alt genug

Was ſagt Ihr nun dazu?

283

Wohlan, haſt Du ſo viel Geduld

Zur Buße Deiner ſchweren Schuld, Vernimm nun, was ich thu'?

Hier ſteht geſchmückt mein Töchterlein,

Der ſollſt Du gleich vermählet fein Was ſagſt Du nun dazu?

Du ſchauſt mich an, als wär's ein Spott?

Fürwahr nicht, bei dem höchſten Gott! Nun, Homburg, rede Du!

Ihr Ritter meines Hofs, der Schütz

Iſt mehr als mancher Andre nütz Was ſagt Ihr nun dazu?

Herr Homburg kniet vor Otto hin:

Dir neig' ich mich mit treuem Sinn, Thüringen's Herzog Du!

Dein Bruder ſtarb, Dein Vater winkt,

Der Fürſtenhut von Heſſen blinkt Was ſagſt Du nun dazu?

Da hub ſich Otto hoch empor,

Zum Grafen trat er raſch hervor, Und ſprach in ſtolzer Ruh:

So werb' in höchſter Ehren Schein

Herr Graf, ich Euer Töchterlein, Was ſagt Ihr nun dazu?

Da öffneten in Herrlichkeit

Sich der Kapelle Pforten weit, Der Pfaff war da im Nu,

O, Vater, der ſchon nah' dem Grab

Den letzten Sohn verloren gab Was ſagſt Du nun dazu?

Hier endet ſich das Schützenlied,

Wie mir's zu ſingen Gott beſchied, Nun macht das Büchlein zu.

Ihr lieben Leſer, ſchenkt mir Gunſt,

Ich ſang das Lied nach guter Kunſt Was ſagt nun Ihr dazu?

285

Nur Eine Stimme wurde laut, als über den Preis entſchieden werden ſollte. Beſcheiden beugte Gottfried ſein Knie vor der Königin, die ihm den un— verwelklichen Lorbeerkranz um die brennende Stirn legte, während das Abendroth ſeine glühendſten Strah— len über das verklärte Antlitz des Dichters warf.

Bald darauf ſchieden die auswärtigen Gäſte; die ordentlichen Mitglieder aber blieben noch bis ſpät in die Nacht in fröhlichem Geſpräch bei Wein und Ge— ſang verſammelt. Schon hallte die Thurmuhr Mit— ternacht, als Gottfried einſam durch die Poppelsdorfer Allee ſeiner Wohnung zuſchritt, um nach den großar— tigen Eindrücken des vergangenen Tages friedlichen Schlummer zu erwarten.

286

10.

In den Herbſtferien deſſelben Jahres machte Kinkel mit Freſenius eine Reiſe nach Nürnberg, die der Letztere für den „Maikäfer“ in einigen Extra: Nummern beſchrieb, während der Erſtere die Idee zu‘ feinem herrlichen „Traum im Speſſart“ “) empfing, und den Anfang mit nach Haus brachte, der jedoch damals nicht vollendet ward. Außer einer bedeutenden Anzahl kleinerer Gedichte“) ſchrieb Gottfried ein Lieder—

*) Erzählungen von Gottfried und Johanna Kinkel. Stuttgart, Cotta, 1849. S. 1.

%) Gedichte. Scipio. S. 3. Das Roſenpaar. S 28 Die Windsbraut. S. 32. Schlachtgeſang der Kandioten. S. 42. Prolog eines mittelaltrigen Drama's. S. 44. Leumund S. 63. Dithyrambus der Nacht. S. 75. Elegie. S. 82. Auf der Wan⸗ derſchaft (mit Ausnahme des geiſtlichen Abendliedes, das am 21. October 1840 unter den rauſchenden Wipfeln der Braunsburg im Abendſcheine gedichtet iſt) S. 161 108. Anfrage. S. 109. Zu Leſſing's Hochzeit. S. 113. Einem Verlornen. S. 116 Der Welt Trotz! S. 120. Einmal und ewig. S. 122. Als Brief. S. 127. Menſchlichkeit. S. 135. Abendmahl der Schöpfung. S. 137.

287

ſpiel in drei Aufzügen: „Friedrich Rothbart in Suza oder Vaſallentreue,“ ein wunderliebliches Bild, das am 7. Juli 1841 in Einem Tage und Er ner Nacht geſchrieben iſt. In einer Geſellſchaft mehrer Freunde erbot ſich Gottfried am Tage vorher, in dieſer kurzen Zeit ein ganzes Bühnenſtück zu ſchreiben, falls ihm Jemand ein poetiſches Sujet aufgeben wolle. Andreas Simons ſchlug den obengenannten Stoff vor, und Gottfried brachte ihm am nächſten Abend dies reizende Luſtſpiel, das bald durch den keckſten Humor, bald durch die kindlichſte Natürlichkeit, bald durch heroiſchen Pathos, überall aber durch die Friſche und Lebendigkeit der Dietion feſſelt. Auch das Trauer— ſpiel „Katharina Howard von Alexander Dumas“ hat Kinkel um dieſe Zeit aus dem Franzöſiſchen überſetzt.

Zu Anfang des Jahres 1842 erhielt er trotz aller Verläumdungen ſeiner Collegen und falſchen Freunde zum dritten Mal eine Remuneration als Anerkennung ſeiner Thätigkeit auf dem evangeliſch-theologiſchen Katheder. Wie edel er überhaupt allen Angriffen hin— terhältiſcher Buben die Stirn zu bieten wußte, davon zeugen alle jene Gedichte, die ſich auf dieſen Gegen— ſtand beziehen. So entſtand auch das Gedicht: „Seipio“, nach eigenem Zeugniß „geſchrieben als Arze— nei gegen vielfache Mediſance“. „Hab' des Pöbels Gemeinheit auf Reimchen geſetzt, das iſt Alles, was fie ausrichten. O pauvres diables!““

288

„Still wird's dann jauchzt es in der Runde. Frei, frei von Schuld aus jedem Munde: Der Kläger bebt in banger Scham. Doch in dem wilden Beifallrufen Neigt ſich der Held, und geht die Stufen Hinab fo ruhig, wie er kam.“ “)

An Johanna's ſtarker Bruſt konnte Gottfried mit Recht die Kleinlichkeit des ihn umſtarrenden Spießbür⸗ gerthumes verachten. „Man will doch die Religion in's Leben hineinbilden, und das lobt Jeder,“ ſagte ſie ihm oft. „Verſucht man's mit der Poeſie, und macht Ernſt, ſo ſchreien ſie über den Hochmuth und die Vermeſſenheit des nach Freiheit ringenden Geiſtes, der ein Höheres bedarf, als ihre alltägliche Erbärm— lichkeit.“ Außer den in der Gedichteſammlung ent— haltenen Erwiederungen auf ſolche Anfeindungen, ſchrieb Kinkel noch manch' anderes Lied, namentlich eine An— zahl von Epigrammen, die ſich auf ſein Liebesverhält— niß beziehen, und von denen ein paar hier mitgetheilt werden mögen, um die geſunde Kritik zu zeigen, welche unſer Freund in ſolchen Fällen bewies:

*) Gedichte. S. 5. Unter andern beziehen ſich auf ſolche Verdächtigungen boshafter Freunde auch die Gedichte: Leumund S. 63. Triumph des Dichters. S. 65. Dithyrambus der Nacht. S. 75. In's Weite. S. 101. Der Welt Trotz! S. 120. Der Fröhliche. S. 133.

289

18

„Ich lebe friſch und lebe frei,

Gleich heißt se, daß zu ſcharf ich ſei; Du für Gemeinheit fühlſt zu groß, Gleich biſt Du fühl- und ſittenlos: Ei, laß das Lumpenpack nur gehn,

Uns aber feſt zuſammenſtehn!

2.

Wollten wir unſer Weſen laſſen,

Sie würden uns drum nicht minder haſſen; Denn eigentlich ſind ſie vor Neid ſo blind, Weil wir ſo überglücklich ſind.

3.

Gefragt nach rechten Lebens Pfade, Sprach Sanct Antonius treu und ſchlicht: „Ruhe vertrauend in Gottes Gnade, Und Vergangnes bereue Du nicht!“

4.

O Stern Orion, du mein Bild! Von Ewigkeit ſtürmt gegen Dich der Stier, Du aber hältſt in blanker Waffenzier Entgegen ewig ihm den Sternenſchild!

19

290

3.

Nur zu Einem feſt entſchloſſen: Unglück oder Kraftgenuß! Aus dem Schwanken trägverdroſſen Hebt Dich ſtets beglückend der Entſchluß.

6.

Seitdem die Schuld ſich angefangen,

Iſt Eden fort in den Himmel gegangen; Wer's erben will, ſchau' nie zurück: Vor uns liegt Paradieſes Glück!“

So vermochte ihm die Gluth, mit der Gottfried liebte und geliebt ward, Kraft in jedem Kampfe zu geben; wehmüthig und ſtolz zugleich ſagte ihm Johanna:

„In Trümmer ſank die Hütte grünumlaubet, Die ſtillbeſcheidnen Sinns Du Dir erbaut; Die Gunſt der Welt (Wer hätt' es je geglaubet?) Fiel von Dir ab, ſeit Du der Lieb' vertraut. Doch hat ſie Alles, Alles Dir geraubet Mit Einem Kuß, die wilde Flammenbraut: Sie hat entfiegelt ewigen Quell der Lieder, Du trankeſt Jugend, alterſt nimmer wieder!“

291

In dieſem Winter erhielt Kinkel durch Ferdinand Freiligrath die Nachricht von dem Tode ſeines Jugend— freundes Hugo Dünweg. Der geniale Jüngling hatte den zermalmenden Druck des proſaiſchen Alltagslebens nicht ertragen können; wild und ſtürmiſch war er von Genuß in Genuß getaumelt, und hatte ſich zuletzt im Leben nicht mehr zurechtfinden können. Wüſte Geſellen hatten ihn zu Mainz in ihre balchantiſchen Kreiſe ge— lockt, ein phantaſtiſcher Verkehr mit Schauſpielern und Tänzerinnen ſollte den Geiſtesfunken in ihm fiebriſch auſſtacheln, und ein wilder Taumel der Luft die Arm— ſeligkeit des eignen Glückes fortlügen. Hugo fuchte nicht dieſen Rauſch, weil er Unedles gewollt hätte; allein er verſtand nicht die Welt, in welcher fein Geiſt ſich tummeln mußte, und ſo ſprengte er haſtig durch alle Gebiete des Lebens, ohne die Raſt zu finden, der ſein Herz nachjagte. Endlich kehrte er nach Bar— men in's Vaterhaus zurück, aber ſein Geiſt war ge— brochen, und nur durch wilden Genuß geiſtiger Ge— tränke vermochte er den Schmerz eines ihm werthloſen Daſeins zu vergeſſen. Oft auch ſtand er auf der An— höhe bei Hohenſieburg, und ſchaute wehmüthig in das vertauchende Abendroth oder auf das lachende Thal, das ſich ihm zu Füßen hinbreitete. Dort auf der Spitze des Berges liegt er begraben. Die Stätte, wo ſein müder Geiſt die ewige Ruhe fand, bezeichnet ein einfacher Denkſtein, den ein weißes Geländer um— zieht. Kinkel ſandte an Freiligrath nur wenige Zeilen, legte aber beziehungsvoll das wehmüthige Ge— dicht von Eichendorff bei: 19*

292

Frühlingsfahrt. -

„Es zogen zwei rüſt'ge Gefellen Zum erſten Mal von Haus

So jubelnd recht in die hellen

Klingenden, ſingenden Wellen Des vollen Frühlings hinaus.

Die ſtrebten nach hohen Dingen,

Die wollten trotz Luſt und Schmerz Was Rechts in der Welt vollbringen, Und Wem ſie vorübergingen

Dem lachten Sinnen und Herz.

Der Erſte der fand ein Liebchen, Die Schwieger kauft' Hof und Haus; Der wiegte gar bald ein Bübchen, Und ſah aus heimlichem Stübchen | Behaglich in's Feld hinaus. |

Dem Zweiten fangen und logen 5 Die tauſend Stimmen im Grund, Verlockend' Sirenen, und zogen | Ihn in der buhlenden Wogen Farbig klingenden Schlund. |

293

Und wie er auftaucht’ vom Schlunde, Da war er müde und alt;

Sein Schifflein, das lag im Grunde,

So ſtill war's rings in der Runde, Und über die Waſſer weht's kalt.

Es ſingen und klingen die Wellen Des Frühlings wohl über mir; Und ſeh' ich ſo kecke Geſellen, Die Thränen im Auge mir ſchwellen: Ach, Gott, führ' uns liebreich zu dir!“

Dadurch, daß Kinkel am Donnerstagabend immer ſeine Zuhörer bei ſich verſammelt ſah, und ſich ihnen in fröhlichem Geſpräch, ernſter Wiſſenſchaftlichkeit und heiterm Jugendmuthe hingab,“) wuchs fein Anhang unter den Studenten faſt zur Stärke einer Partei heran. Seine Vorleſungen gehörten zu den am Zahl— reichſten und Regelmäßigſten beſuchten, und ſeine Colle— gen waren ernſtlicher, als je, darauf bedacht, den ihrem Rufe gefährlichen Privatdocenten zu ſtürzen. Nitzſch hatte ihm ſchon früher den Rath ertheilt, fein Ver— hältniß mit Johanna Mockel abzubrechen: „Dann würde die Fakultät ſeine Anſtellung als Professor extraordinarius nicht verhindern.“ Als Gottfried

*) Der Fröhliche. Gedichte S. 133.

294

dieſen Rath nicht befolgte, erklärte Profeſſor Bleek in einer Falkutätsſitzung Mitte Juni 1842, er werde nie— mals in eine Anſtellung Kinkel's einwilligen. Sack, Nitzſch und Bleek warnten ihn deßhalb entſchieden, ſich jemals um eine Profeſſur zu bewerben, weil alle ſeine Bemühungen erfolglos ſein würden, und ſo blieb unſerm Freunde wenigſtens das Bewußtſein, recht und ehrlich gehandelt zu haben:

„Da begannen ſie zu drücken, Ihm das Brod vom Mund zu rücken, Aber ach, ihm blieb der Wein, Ihm der Jugend Hoffnungsbläue, Ihm auch der Studenten Treue, Und ſein Liebchen treu und fein. Mochten ſie erſticken, ſticken, knicken, knicken: Er ward groß ſie blieben klein!“

Gegen Ende des Jahres erhielt Kinkel von Nitzſch wie auch vom Bonner Presbyterium eine officielle Rüge: „weil er ſich als Mitglied in das Carnevals— komitée habe wählen laſſen. Er bewies dem unbe— gründeten Tadel gegenüber, daß er im Gegentheil geradezu erklärt habe, er könne eine etwa auf ihn fal— lende Wahl nicht annehmen.

Da ihm jedoch dieſe böswilligen Kabalen, welche von ſeinen Gegnern unermüdlich fortgeſponnen wurden, den Aufenthalt in Bonn verleideten, ſuchte er mehrſach

295

auf anderen Univerſitäten um eine Anftellung nach. So bewarb er ſich, als Profeſſor Kling nach Bonn berufen wurde, um die durch deſſen Abgang in Mar— burg erledigte Lehrſtelle. Zugleich legte er einen Brief an Profeſſor Henke, den damaligen Rector mag— nificus dieſer Hochſchule, bei, in welchem er mit der größten Offenherzigkeit unumwunden die Gründe mit: theilte, weßhalb er von Bonn verſetzt zu werden wünſche. Vielleicht war eben dieſe Ehrlichkeit Schuld, daß Kinkel die geſuchte Stelle in Marburg ſo wenig erhielt, als einen bald darauf in Zürich vakant gewor— denen Lehrſtuhl. Eine Verſetzung von Bonn nach einer anderen Landes-Univerſität konnte er nur mit Anſtel— lung verbunden annehmen; aber hier trat ihm ſtets der Haß und die Bosheit in den Weg.

Wie ſehr ihn ſonſt ſein Lehrberuf befriedigte, ſehen wir aus folgenden Strophen:

„Die Fenſter noch geſchloſſen

Vor wildem Wetter der Nacht Wie dringt am ſchönen Morgen

Die Sonne herauf mit Macht!

Sie trinkt die feuchten Nebel Mit ihrem heißen Kuß,

Die in den Schluchten dampfen Vom nächtlichen Regenguß.

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O ſtolze Manneswonne: Ueber des Nebels Wehn,

Gleich dieſer Sommerſonne, Segenſpendend zu ſtehn!“

Auch im Maikäferverein fand Kinkel oftmals Er⸗ ſatz und Troſt für das Unrecht, das ihm die arge Welt zufügte. Hier begegnete ihm auch Joſeph von Rehfues, der geiſtreiche Dichter des Seipio Cicala, ein Mann, der nicht, wie die Meiſten, von Vornherein mit ſeinem Urtheil fertig war, und deſſen milde Freundlichkeit auf Gottfried den anziehendſten Eindruck machte. Welch' ein Gegenſatz zwiſchen dieſem Poeten und den ränkevollen Theologen, an denen man klar erkannte, wie groß Jemand in der Wiſſenſchaft, wie bornirt im ſittlichen Urtheile ſein kann, und wie kräftig noch der alte Phariſäer lebt.

Als neue Mitglieder traten 1842 in den Maikä— ferverein Hermann Behn-Eſchenburg, Wilhelm Seibt, Albrecht Schöler und A. Wolters ein, von denen nur der Erſtere ein ziemlich hervorragendes Talent beſaß. In dieſem, wie in dem folgenden Jahrgange ſpielt die Politik die wichtigſte Rolle, der leichte Humor verſchwindet, und der Ernſt des Lebens zieht ſich auch durch die mitgetheilten Dichterwerke hin. Als nicht politiſch erwähnen wir aus dieſer Zeit ein ro— mantiſches Schauſpiel mit Geſang in 1 Aufzügen, „die Aſſaſſinen“ betitelt, das Kinkel im Oetober und No— vember 1842 ſchrieb, während Johanna die eingelegten

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Lieder componirte. Außerdem find von einer ganzen Reihe von Dramen: Otto der Erſte und Heinrich, die Mauren in Spanien, Franz von Sickingen, Herodes, Savonarola, Robespierre, Munuza, Don Juan, Eulogius Schneider u. a. theils längere oder kürzere Pläne, theils einzelne Scenen, Lieder und Notizen vorhanden. Auch der Romanzen— franz: „Otto und Adelheid“ ) und die Gedichte „Niren- teich“), „Auf der hohen Acht“, „Der Kobold von Wallportzheim“, „An die Auswanderer“, „Graf Ul— ring! *) fallen in dieſe Lebensperiode. Endlich er: wähnen wir noch den „Lothar von Lotharingien“ oder „Gekränktes Recht,“ Trauerſpiel in fünf Auf— zügen“, der auf dem Stiftungsfeſte 1842 mit lautem Beifalle den Preis gewann. Dies Stück wurde da— mals den Bühnen gegenüber als Manuſcript gedruckt; allein der Umſtand, daß ein Papſt darin handelnd auftritt, bewirkte das Verbot der Aufführung. Später hat Kinkel nicht gewollt, daß jenes Trauerſpiel über die Bretter ginge, weil es trotz vieler Schönheiten ihm

*) Niederrheiniſches Jahrbuch für Geſchichte, Kunſt und Poeſie, herausgegeben von Laurenz Lerſch. S. 342 ff.

*) Rheiniſches Taſchenbuch für 1845. Herausgegeben von Dräxler-Manfred. S. 192.

*) Die Ahr. Landſchaft, Geſchichte und Volksleben; zugleich ein Führer für Ahrreiſende. Mit 18 Stahlſtichen nach Originalzeich— nungen. Von Gottfried Kinkel. Bonn, Verlag von T. Habicht. 1846. S. 338. S. 263. S. 295. S. 345.

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doch nicht bedeutend genug erſchien, um ein allſeitiges Intereſſe des Publikums in Anſpruch zu nehmen. Lothar iſt im Grunde ein zu kleinlicher Menſch, um als tragiſcher Vorwurf benutzt zu werden, und Kinkel wollte jedenfalls zuerſt mit einem bedeutenden Drama auftreten, das mindeſtens den Vergleich mit dem „Uriel Akoſta“ aushielte.

Es war ſchlimm, daß die jüngeren Kräfte, welche ſich dem Maikäferverein anſchloſſen, nicht bedeutend und namentlich nicht rüſtig genug waren, um das Unternehmen nach Wunſch zu fördern. Statt ihre Jugendfriſche gegen die Erfahrung des älteren Freun— des auszutauſchen, mußte Gottfried ihnen beſtändig einen Hauch ſeiner ewigen Jugend abgeben, und ſie unermüdlich zu neuer Schöpfungsluſt reizen. Nur Johanna übertraf ihn noch an Emſigkeit, und ſo hiel— ten Beide durch ſtetes Anfeuern und Wetteifern den Bund kräftig zuſammen. Die vorzüglichſten Produe— tionen ſämmtlicher Mitglieder, welche ſpäter veröffent— licht ſind, finden ſich faſt ohne Ausnahme im „Maikäfer,“ und haben die Kritik jener Geſellſchaft erfahren.

Gottfried Kinkel hatte ſich 1810, fo gut, wie Herwegh und die meiſten ſeiner Zeitgenoſſen, durch die Thronrede Friedrich Wilhelm IV. zu illuſoriſchen Hoff⸗ nungen fortreißen laſſen, und damals das bekannte Gedicht „Am Huldigungstage““) geſchrieben. Al⸗ lein wenige Monde genügten, um ihn ſeinen Irthum

) Gedichte S. 57.

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erkennen zu laſſen, und ſchon 1842 ſchrieb er ein zwei— tes Gedicht an den König“) mit dem begeiſterten

Zuruf:

„So wahr die Stern' am Himmel rollen: Wir ziehn den Stahl zur Bürgerſchlacht! Nur Das zu thun, was Alle wollen, Iſt das Geheimniß jeder Macht!“

Auch folgendes Gedicht entſtand vierzehn Tage ſpäter:

An das Volk! “*)

„Mein ſtarkes Volk, das mit verjüngtem Leben Aufgrünt vom Eis der Alpen bis zum Belt, Du haſt vorzeit Dich duldend hingegeben Als Opfer für die Sünden dieſer Welt. Der Dämon, der in dreißig bangen Jahren Die Welt verheert auf feinem blut'gen Flug. Du haſt am Tiefſten ſeinen Grimm erfahren, Als er in Dich die Tigerklauen ſchlug!

Tief haben Deine Fürſten Dich zerſpalten,

Und ſich bezahlt gemacht mit Deinem Blut; Doch hat die innre Lebenskraft gehalten,

Und ſtark geblieben iſt der deutſche Muth. So weit erklingt das Lied der Nibelungen,

So weit der Staufenkircher Stolz und Leid, Iſt bis zu dieſer Stunde nicht zerſprungen

Die goldne Kette deutſcher Einigkeit.

*) Drei politiſche Lieder von Gottfried Kinkel aus dem Jahre 1842. Abgedruckt in der „Neuen Deutſchen Zeitung.“ Jahrgang 1850.

% Bonner Zeitung. Jahrgang 1848. No. 128.

300

Drum blicke nicht nach Nord und Oft mit Sorgen, Kommt erſt der Feind: Du biſt Dir ſelbſt genug! Gedenke kühn an Hellas Freiheitsmorgen: War Hellas eins, als es die Perſer ſchlug? Doch fiel der Sparter bei den Thermopylen, Dann ſchlug Athen die große Meeresſchlacht! Die Stimmen ſtrebten nach den gleichen Zielen: So groß iſt heut' auch noch des Blutes Macht!

Dein Schwert, entreiß' es allen Fürſtenknechten, Und ſchwing' es ſelber in der ſtarken Fauſt! Dich hat gekränkt in Deinen höchſten Rechten Die feige Schaar, der Du nicht mehr vertrauſt. Zerreiß' den Frieden, der die Ehre ſchändet Kraft Deiner eignen heil'gen Willensmacht, Und wenn ein Welttheil gegen Dich ſich wendet: Fordr' ihn heraus, und biet' ihm kühn die Schlacht!

Vielköpfig biſt Du, laß es Dich nicht grämen! Es gelten nicht die Köpfe, nur das Herz. Dein Herz ſei Eins! Laß Dir das Herz nicht nehmen, Dann iſt, Was Jene brieften, Dir ein Scherz! Es ſchlagen ja die Fürſten nicht die Schlachten Zwei Arme haben ſie, wie jeder Mann! Wenn erſt um Dich die Pulverwolken nachten: Dann kommt der Eine, der befehlen kann!“

Kinkel war eine Natur, die mit jeder Fiber zur Freiheit hindrängte, ohne daß ihm vielleicht jemals das Wort „Freiheit“ als Endziel ſeines Wollens vorgeſchwebt hatte. Nun erwachte dieſer ſchlummernde

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Keim in feiner Bruſt, und als das Wort gefunden war, das ihm fehlte, jauchzte ſein Herz mit ſchwellender Luſt der neuen Heimath entgegen.

Schon lange hatte er dieſe vergeblich geſucht, weil ihm die alte nicht mehr genügte:

„Ob Alles, Alles ſei verloren, Auch Glück war eine ird'ſche Laſt;

Die Heimath, die ich mir erkoren, Sie bot dem Geiſt nicht länger Raſt.

Die Freiheit will mich neu beſchwingen, Roth färbt ſie meine Wangen bleich,

Zu neuen Sphären ſoll ich dringen Doch ach, wo blüht mein neues Reich?“)

Es blühte ihm auf dem Felde des Kampfes und der Völkerſchlacht, auf dem dornenvollen Pfade, wo die allmächtige Liebe das rothe Banner des Haſſes trägt, um ein urſprüngliches Menſchenthum wiederher— zuſtellen, und das Recht des Einzelnen auf „einen An— theil Lenz und Leben“ durchzuſetzen. Wie ein Prieſter alles Hohen und Edlen auf der Erde, redete Gottfried Kinkel zum Volke, und ſein Wort hat den Weg gefun— den in unſere Herzen, um nie wieder zu verklingen.

Unter einer nicht unbeträchtlichen Anzahl politiſcher und ethiſcher Epigramme heben wir aus damaliger Zeit folgende hervor:

*) Ausmarſch. Gedichte S. 102. Vergl.: „Ins Weite.“ Daſ. S. 101.

302

Sinnviolen.

1.

„Als Jünglinge dachten wir nicht frei, Dank dir, du goldne Hausvogtei;

Dafür iſt Freiheit über Nacht

In reifer Mannesbruſt erwacht.

2.

Gemeines hab' ich nie verübt, Was hab' ich denn eigentlich verbrochen? Am Volkstbum hab' ich mich geübt, Gleich heiß’ ich ein communer Knochen.

3.

Ihr fürchtet unfre ſtürmenden Gedanken,

Weil ihrem Stoß die morſchen Kirchen wanken? Der Juden Tempel ſank in Schutt und Graus Dann baute Chriſtus ſeine Kirche draus.

4.

Ihr alten Herrn, die Zeit iſt ſtrenge,

Früh ſchenkt ſie uns weißes Haar in Menge! Drum denken wir nicht ſo lang' zu paſſen, Bis Ihr uns wollt an's Ruder laſſen.

PERS. u— . QQ

303

5.

Nach Unten ſchlägt die Wurzeln der Baum, Nicht hält er ſich feſt im luftigen Raum.

Nicht blicke der Mann nach des Thrones Dunſt: Feſt wachſ' er in des Volkes Gunſt!

6.

Die Fauſt mag brauchen des Knaben Wuth, Der Jüngling fordre des Gegners Blut; Vom Manne heiſcht der Ehre Gebot Kampf des Geiſtes auf Leben und Tod.

J.

Doch im allerhöchſten Werthe Rauſcht das Lied zum Waffenklang; Mit dem Geiſte mit dem Schwerte Sei im Bunde der Geſang!

8.

So lang noch feſt die Berge ſtehn, Und grün der Mai ſich wird entfalten, Müßt's doch mit Teufel und Höll' zugehn, Wenn man nicht könnte ſich ſtark erhalten.

301

9.

Nicht bitt' ich Gott um Gut und Geld, Mein Flehen iſt nur ſo geſtellt.

Die ewige Ruh' gieb drüben mir

Die ewige Unruh' laß mir hier!

10.

Niemals nur in Kunſt und Leben Schlechtem, Halbem Raum gegeben! Populär kann Der nur heißen,

Der zu ſeinen Höhn kann reißen.

11.

Wer jetzt noch dichtet für's Publikum.

Die klugen Leute nennen ihn dumm:

Mir aber iſt das ein Jammerpoet,

Dem nicht immer ſein Volk vor Augen ſteht. g 1836.

12.

Der Strom, wenn er jung, mit lautem Schalle Brauſt über die Klippen in jahem Falle: Aber freilich der Wieſenbach Geht immer harmoniſch der Naſe nach.

13.

Kleinkinderſchulen ſind angelegt,

Wie früh wird ſchon der Tugend gepflegt! Man kann am Ende gar auf Erden Kein Lump noch tüchtiger Kerl mehr werden.

14.

Mit der Dogmatik mögt Ihr's halten So orthodox wie Eure Alten: Doch die Geſchichte läßt nicht Wahl, Ihr Loſungswort heißt: „Liberal!“

15.

Ewig in Geiſt und Gluth Dich getaucht, Nimmer ermattet und nimmer lau!

Iſt die Welt auch kalt und flau:

Fühlt ſie doch, daß ſie Begeiſtrung braucht!“

Aus den „Stedingern:“

Akt J., Scene 4. „Ich wollt', es wäre erſt wie: der Zeit zum Dreinſchlagen! Das Halbe thut's nicht. Es giebt jetzt kein Recht, denn Keiner hält es: ſo

20

306

Viel ich faſſen kann mit meiner Kauft, das iſt mein Recht. Es giebt auch keine Kirche, denn eines Jeden Kirche iſt, Was er glaubt.“

Akt III., Scene 8. „Erſt Wer Leben und Tod verachtet, iſt ein ganzer Mann. Thaten vermählen ſich nicht dem Beglückten, ihn beſiegt der Leidende überall.“

Akt IV., Scene 3. „Furchtbares Jahrhundert! Kirche und weltliche Macht, Alles verläßt den Ge— rechten und tödtet den Unſchuldigen. Nur des Volkes Herz wanket nicht in Liebe und Haß. Und dies Herz, o Gott, läſſeſt Du brechen?“

Akt V., Scene 14. „O Ihr bleibt ewig halb im Haß, darum ſeid Ihr zu Grunde ge— richtet!“

In einem Gedicht vom 3. September 1812 deutet uns Gottfried „die ſieben Berge“ bei Bonn; er ſchließt ſeine Auslegung:

„Und wenn ich einmal einen Jungen krieg', Dem will ich die Berge deuten,

Und will ihn warnen mein Leben lang Vor den gelehrten Leuten.

Ich weiß: nicht kann er der König ſein, Und adlich ſoll er nicht werden,

Auch kein Gelehrter ſonſt Was er will Auf Gottes weiter Erden!“

307

II.

Zu Anfang Januar 1843 erſchienen Gottfried Kinkel's Gedichte, und erfuhren bald darauf in der Jenaer Literaturzeitung die günſtigſte Beurtheilung. Er arbeitete damals viel am „Morgenblatte“ und der „Augsburger allgemeinen Zeitung.“ Namentlich die letztere enthält zahlreiche und werthvolle Beiträge auf dem Felde der Kunſtgeſchichte und Nationalliteratur. Kinkel empfing gleichfalls um dieſe Zeit von Dr. Kolb die Aufforderung, für ein New-Norfer Blatt zu arbei— ten, und war nach allen Seiten hin thätig.

In religiöſer Beziehung vollzog ſich ſeine Um— wandlung allmälig mehr und mehr. Nachdem es ihm gelungen war, Johanna wieder in das traumdunkle Wiegenlied des Chriſtenthumes zurückzuſingen, hatte ſeine Geliebte von ihm „Strauß' Leben Jeſu“ begehrt, um nun auch ſich zu überzeugen, daß ihr neugewonne— ner Glaube ſtichhaltig ſei gegen das Urtheil des ſchar— fen und zerſetzenden Verſtandes. Gottfried hatte ſich ungern ihrem Wunſche gefügt, weil er fürchtete, daß Johanna noch nicht feſt genug im Glauben ſei, um

20 *

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eine geiſtvolle Kritik mit der Gluth des religiöfen Ge— fühls zu widerlegen. Er ſah, daß ſeine Furcht nicht grundlos geweſen; denn Johanna begann jetzt, alles ihrer Vernunft Widerſprechende aus dem Chriſtenthume auszuſcheiden, und mit beklommenem Herzen, aber männlichringender Entſchloſſenheit folgte er ihr auf den Pfaden des Zweifels in die Abgründe der Negation. Er arbeitete ſich mit ihr durch das verſchlungene La— byrinth der neueren Philoſophie, und ſagt ſelbſt in ſeinen Tagebüchern: „Ich will doch ſehen, als ob die gewal— tige Strömung von Kant bis Feuerbach mich hinaus— treibt in den Pantheismus! Es gilt

Zu dieſem Schritt ſich heiter zu entſchließen, Und wär' es mit Gefahr, in's Nichts dahinzufließen!

denn der Schlußſtein meines Lebens iſt nicht hiſtoriſche Erkenntniß, ſondern ein feſtes Syſtem, und der Kern der Theologie nicht Kirchengeſchichte, ſondern Dogmatik. Muß ich über den Standpunkt des Chriſtenthumes hin— aus, ſo bleibt mir zur Lebensaufgabe das Begreifen, wie zu der neueren pantheiſtiſchen Welt das hiſtoriſche Chriſtenthum ſich verhalte. So gehe denn Alles ſei— nen ſtillen Gang, und wenn es ſein kann und ſoll, ſo bleibe das Ungeheure, Zerſchmetternde, völlig Neue mir fern. Wo nicht, ſo komme es heran, und wirke dann durch die Zerſtörung erlöſend auf mich ein. Nur eigne Schuld und Leidenſchaft will ich mit Gottes Hülfe fern zu halten, und den inneren Frieden zu bewahren ſuchen, den das Himmelreich der Idee in

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allem Unrecht, das die Welt uns anthut, zu gewähren vermag.“

Ruhig und ernſt ſchritt Kinkels Entwicklung mit innerer Nothwendigkeit fort, und als er endlich, zu— gleich mit Johanna, im Hafen des Pantheismus ange— langt war, ſah er mit ſtiller Freude, daß die Schreck— niſſe des neuen Evangeliums nur eingebildete und anerzogene Vorurtheile geweſen. Die Liebenden hatten geglaubt, in ein ewig ſtürmendes Meer ohne Leucht— thurm und Compaß hinauszuſteuern, und fanden ſich nun auf einer hellen, ſpiegelklaren See, darauf ſich die Sonnenſtrahlen glitzernd im Morgenſchein luſtig ſpiegelten. Und am Ufer ſtanden die ewigen Berg— häupter, mit blühenden Rebengewinden umkränzt, und ſchauten ſo freundlich mild auf die einſamen Kinder herab, die ihr leichtes Boot ſingend und ſpielend über die See trieben. Gottfried aber ſang ein junges Lied zu den Saiten der Goldharfe, welche die Geliebte mit jauchzender Luſt erklingen ließ:

„Stolz mögen wir uns glücklich nennen, Weil bei des Geiſtes mildem Schein Des Lebens Fülle wir erkennen, Die Andre drückt mit dumpfer Pein.

Doch mehr noch glücklich, weil wir ſinnig Und liebend rings das Leben ſchaun, Und an dem Kleinſten fromm und innig

Mit Kindesinbrunſt uns erbaun,

ET

Kein Bienchen ſchwimmt auf naſſen Wogen, Dem unſer helfend Mitleid fehlt;

Der Käfer, der ſich ſtarr geflogen Wird neu von unferm Hauch beſeelt.

Denn überall iſt Liebesfülle,

Wo ein Gebild zum Leben ſtrebt; Wir ahnen, daß in kleinſter Hülle

Ein Meer von Luſt und Qualen bebt;

Und daß die duftberauſchte Mücke In ihres Lebens kurzem Tag

So Viel von Schickſalsgunſt und ⸗tücke. Als Du und ich, erleiden mag.

Nur eitlem Sinn erſcheint es nichtig, Was ſchnell entſteht und raſch zerfällt,

Uns iſt ein Wunder hoch uud wichtig, Das einmal lebt in bunter Welt.

Uns wird des Schmetterlings Entfalten Ein hehr prophetiſches Geſicht,

Des Lenzes Hauch ein heilig Walten, Und eines Leuchtwurms Tod Gedicht.“

Um dieſe Zeit ward auch der „Traum im

Speſſart“ vollendet.

Ob es der Dichter mit dieſem

Traume ernſtlich gemeint hat? Gewiß, wir würden ihm Das ſonſt ſehr verdenken; denn die liebliche Er—

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zählung hat einen großen, gewaltigen Kern. Uns fal- len beim Leſen unwillkührlich die Worte Schiller's ein:

„Alle dieſe Blüthen ſind gefallen

Vor des Nordens ſchauerlichem Wehn: Einen zu bereichern unter Allen,

Mußte dieſe Götterwelt vergehn.“

Hat denn wirklich das Chriſtenthum uns einen ſo reichen Erſatz gebracht für den zerſtörten Hellenismus, für den reizenden Glauben des blinden Heidenthums? Wir müſſen es wohl glauben; denn wir hören es ja alle Tage von Kanzel und Katheder. Dem Dichter geſtattet man ſchon ein bischen Freiheit mehr, und ſo iſt dies luftige Mährchen im Grunde nur ein leben— diges Fragezeichen, auf das uns das Chriſtenthum die Antwort vorenthält. Wir können es in der That dem fanatiſchen Eifer der alten Kirchenväter und Apoſtel ſchwer verzeihen, daß ſie uns aus all' dem ſaubern, luftigen Elfenvolk, all' den wellenſchaumbekränzten Bachkönigen und all' den gewaltigen Weibern des Geiſterreiches lauter unflätiges Teufelspack, lauter ſchmieriges und grauſiges Hexenvolk gemacht haben. Der Poet verſetzt uns in eine Zeit, wo der Verkehr mit Geiſtern dem Menſchen ſchon als Frevel erſchien, die Natur war entgöttert man nennt das: Vergei— ſtigung der Materie und von dem lebendigen, ſelbſt— ſtändigen Schaffen und Walten im Kerne des Welt— alls hatte man längſt keine Ahnung mehr. Daß Alles

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lebt und webt, daß Baum, Bach, Blume und Schmet⸗ terling eben ſo unſterblich ſind, wie wir, das wollte Niemand den Geiſtern glauben, und daß das Ende der Eiche „Leben im Borne des Lebens iſt, aus dem ſie hervorgeſprungen,“ dünkt Manchem unbegreiflich. Nur Wer das wüſte Treiben der geſunkenen Welt müde iſt, „Wer draußen Nichts mehr beſitzt, kein Herz, kein Haus, kein geliebtes Grab mehr, den nimmt die Natur an ihr Herz, den läßt ſie aber auch nie mehr fort aus ihrer Stille.“ Erſt ſpät, wenn unſer Frühling zu Rüſte ging, wenn uns Alles betrog und wir in all' unſern ſtolzen Hoffnungen enttäuſcht daſteben, tritt uns das Bild unſerer Kindheit wieder vor die Augen, der Schleier ſinkt, der unſern Blick umflorte, und wir be— gehren nicht Mehr zu ſein, denn Roſe und Lilie. Muß dieſer tiefe Zug zur Natur denn ſo ſpät wiederkehren, wird die Menſchheit denn niemals die von den Pfaffen als ſündlich verdammte Welt wieder in ihr Recht ein— ſetzen? Wer kann uns dieſe Frage beantworten? Der Geiſt iſt ein ſtolzer Tyrann, aber das Natürliche iſt dennoch größer, und auch den klagenden Genien des Alls kehrt die Zeit wieder, da ſie in freier Liebe mit dem erlöſten Menſchengeſchlechte verkehren dürfen. Dies der philoſophiſche Kern des Mährchens, den der tiefere Leſer leicht herausfindet. Der gemüth— liche Spießbürger freilich wird nur eine liebliche Wald— geſchichte leſen, die ihn bei Alledem ſeltſam berührt. Er wird den Kopf ſchütteln, und vergnüglich vor ſich hin ſchmunzeln: „Was die Poetlein doch für närriſches

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Volk ſind!“ Aber auch für ſolche Leſer bietet unſer Mährchen die Antwort: „Wem die Geiſter noch leben, der glaubt es, daß die Mähr des Waldes dem Ge— weiheten durch Offenbarung kund ward. Wem aber nie das ſchauende Auge geöffnet war für eine andere, als die Welt des Menſchen, der mag ſagen: Es war eines Dichters Traum im Speſſart.“

Wie Gottfried, ſo ſchuf auch Johanna Werke voll der glühendſten Andacht der Natur, und ihr „Le— benslauf eines Johannis fünkchens“ *) zeigt uns die Ideen mit Fleiſch und Blut bekleidet, welche Gottfried in dem oben mitgetheilten Gedichte offenbart hatte. Auch dieſe Dichtung athmet ganz den reizenden, naturfriſchen Geiſt, den wir am „Traum im Speſſart“ bewundern. Wahrlich, Was ſind alle Forſchungen und Bemühungen der Naturwiſſenſchaft, alle „Käferbücher“ und „Schmetterlings-Faunen“ gegen ſolch ein Stück Leben aus der gottgeſchwängerten Schöpfung?! Ihr Guten und Frommen, tretet her an die Schwelle der Poeſie, die Euch einführt in den leuchtenden Tempel des Alls, und lernet glauben, glauben wie das Kind, das an die Liebe glaubt, weil fie ihm entgegenlächelt aus jedem Blick des Mutterauges! Viel und oft habt Ihr geklagt über die Gottloſigkeit der Poeten: aber Was iſt Glaube? Der Glaube iſt die Liebe, die ganze, volle Hingabe, das jubelnde Hinſinken an das Herz Gottes, der da zu uns redet aus Fels und

) Erzählungen. ©. 65.

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Baum, aus dem Wellenſchaume der ſonnenbeglänzten Meerfluth und aus dem Leuchten des Johannisfünk— chens, das liebestrunken hintaumelt durch den Blüthen— traum einer warmen Sommernacht! Ob es wirklich ſo lebendig zugeht unter all' dem kleinen Käfer- und Schmetterlings-Völkchen, als die Poeſie uns belehren möchte? Wir glauben es; denn wir ſind fromm und gut, wir laſſen uns nichts weißmachen von nüchternen Philoſophen und zeterſchreienden Dogmatikern, wir lie— gen gern im weichen Graſe, und ſchauen in den blauen Himmelsgrund, und ſtimmen jubelnd ein: „Gelobt ſei Gott, der da iſt, war und ſein wird in Ewigkeit!“ Wird dies kleine Lebensbild, das kaum fünf Blätter füllt, denſelben Reiz auf alle Leſer üben, das Herz Aller andächtig zur Erbauung hinreißen, wie das unſrige? Wir glauben es kaum; denn die politiſchen Wirren haben den Sinn für Poeſie und Religion in Manchem ſtumpf gemacht, und Wenige haben das kind— liche Verſtändniß für die hohe Sprache des Weltgeiſtes bewahrt, deſſen Wort doch ſo mahnend und lockend zu uns herüberklingt von Stern zu Sternen! Wohl unſerer Zeit und Segen dem Geiſte unſerer Dichter, wenn ſie uns den Sinn für die Natur und das ewig Göttliche wieder erſchließen, wenn ihr melodiſches Zau— berwort nicht unvernommen verhallt in dem Rufen der Schlacht und dem wilden Zuſammenſchlagen der Schwer: ter zwiſchen den verirrten Gotteskindern!

Vor ihrer Vermählung war Johanna öffentlich zur proteſtantiſchen Kirche übergetreten. Dieſer Schritt

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hatte feine Schwierigkeiten gehabt, weil Jene mit Aus— nahme der hiſtoriſchen Thatſachen Wenig vom modernen Chriſtenthume mehr glaubte; allein da es in der prote— ſtantiſchen Kirche nicht ſo ſehr auf beſtimmte Glaubens— formeln, als auf den ethiſchen Begriff ankommt, hatte der Pfarrer Evertsbuſch ihren Uebertritt ohne gar zu große Mühe bewerkſtelligen können.

Sechs Tage vor ſeiner Hochzeit hatte Kinkel eine Petition der Bewohner Bonns um Preßfreiheit abgefaßt und dieſelbe, mit zahlreichen Unterſchriften bedeckt, an den vereinigten Landtag abgefandt.

Den 22. Mai 1843 wurden Johann Gottfried Kinkel und Anna Maria Johanna Mockel in der Pri— vatwohnung des freundlichmilden Pfarrers Wichelhaus zu Bonn getraut. Zeugen waren Emanuel Geibel, Andreas Simons, Auguſte Heinrich, Linda Berndt und die Eltern Johanna's.

Gottfried ſchenkte ſeiner Geliebten, als er ſie in ſeine ſtille Wohnung einführte, nachſtehendes Gedicht:

„Und ſieh', nun iſt es doch gekommen, Was uns die Welt ſo ſchwer gemacht;

Nach all' dem Kampf iſt doch entglommen Die Fackel ſtiller Hochzeitsnacht.

Nun komm, tritt ein in meine Klauſe, Sei mir vereint mit Seel' und Leib,

Und laß Dir's heimiſch ſein im Hauſe, Darin Du nun gebeutſt als Weib!

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Ein Jüngling nicht, im Seelentauſche, Jauchzt Dir ein wilder Schwärmer zu, Nicht wie die Braut im Jubelrauſche Trittſt über meine Schwelle Du. Auf meiner Stirn die frühen Falten, Auf Deinem Auge liegt der Gram, Weil ja in tauſend Truggeſtalten Der Haß, Dich mir zu rauben, kam.

Doch ungeſchwächt durch alte Klage Ging mit uns dieſe heil'ge Gluth, In unſres Herzens vollem Schlage Pulſt noch ein heißes Jugendblut. Sei froh und ſtolz: mit ſtarkem Sinne Erwieſen wir's der feigen Welt, Wie einer todesſtarken Minne Kein Hemmniß in den Weg ſich ſtellt.

Verzeih's Gott Denen, die uns haſſen, Dir beut die Hand ein armer Mann, Mit Einem Blick magſt Du umfaſſen Das Gut, das ich Dir bieten kann. Ja, lebte noch das Recht auf Erden, Ging' Alles ehrlich, wie es ſoll: Dir müßte ja zu eigen werden Ein Haus, an Schätzen übervoll.

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Klein ift mein Haus, doch meine Veſte Gewährt Dir Schutz in Sturm und Noth; Und Der die Vöglein nährt im Neſte, Giebt wohl auch uns das täglich' Brod. Sieh', wir ſind reich, dies unſer Eigen: Ein traulich Lager für uns Zwei, Um uns der Lenznacht keuſches Schweigen, Der Weinkelch und die Kunſt dabei.

Der Garten ſendet ſeine Düfte Berauſchend her in üpp'gem Schwall, Und durch der Lenznacht feuchte Lüfte Ruft: Komm, o komm! Die Nachtigall. Um jener Berge Gipfel gluthet Das Abendroth im hellſten Schein, Und mit kryſtallnem Band umfluthet Dein Heimathland und meins der Rhein.

So tritt denn ein in meine Klauſe, Sei mir vereint mit Seel' und Leib, Und laß Dir's heimiſch ſein im Hauſe, Darin Du nun gebeutſt als Weib! Vorbei der Kampf mit ſeinen Schmerzen, Was uns getrennt, liegt ewig fern: Und ob den treuverbundnen Herzen Glüht hell der Liebe Morgenſtern!“

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Wenige Tage ſpäter fuhren Gottfried und Jo— hanna den Rhein herauf nach St. Goar, um Freilig— rath und ſeiner Frau einen Beſuch abzuſtatten. Gott— fried las in Sallet's Werken, von denen damals eben der zweite Band erſchienen war, und ſchlug zufällig die „Romanze von einem deutſchen Weibe“ auf, welche mit den Worten ſchließt:

„Und Der dies Lied geſungen, Hat auch ein junges Weib;

Wenn ihm der Ruf erklungen: Sie wird nicht ſagen: Bleib!“

„Nicht wahr, Johanna?“ fragte Gottfried; „wenn auch mich einſt die Schlacht der Freiheit unter die Kämpfer ruft, Du wirſt nicht ſagen: Bleib!“

Johanna ſchmiegte ſich feſt an ihn an, und blickte ihm groß in's Auge. Es war ihr, als ſollte ſie ſchon den geliebten Mann ihr entriſſen und in die wilde Schlacht ſtürzen ſehn. Gottfried aber ließ ſein dun— kelbraunes Auge über die wehenden Saatfelder und ergrünenden Rebengelände ſchweifen, und wiederholte fröhlich, indem er ſein junges Weib an die männliche Bruſt drückte:

„Und Der dies Lied geſungen, Hat auch ein junges Weib;

Wenn ihm der Ruf erklungen: Sie wird nicht ſagen: Bleib!“

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